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Full text of "Pädagogischer Jahresbericht für Deutschlands Volksschullehrer"

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HARVARD UNIVERSITY 





LIBRARY OF THE 


GRADUATE SCHOOL 
OF EDUCATION 








Paͤdagogiſcher 
Jahresbericht 


für 
Deutfhlands Volksſchullehrer. 





Im Berein 
mit 


Bargolon, Hentſchel, Kellner, Materne und 
Prange 


bearbeitet und herausgegeben 


von 


Auguft Lüben, 


Rektor der Bürgerfhufen zu Merfeburg- 


Zehnter Band. 


v 
2 Leipzig: 
Berlag von Friedr. Brandftetter. 


1857. 


L IO | HARVARD UNIVERSITY" 
GRADUATE SCHOOL OF EDUCATION 


‚G3P3 JAN 150883 
Io tr ll erh fand 


Inhalts⸗Verzeichniß. 


Geite 
I. Religions-Unterrit, Bon Konrad Materne, Seminarlehrer ı 


in Eisleben. . 
L Borbemerfungen zur Cparafterifirung der gegenwärtigen Statt 
des Religionsunterrichts überhaupt . . .. 
DL. Die einzelnen Gebiete des Religlonsunterriäte 0. . 
A. Die Unterlafie . . ee 
B. Die Mittellaffe-. - © 2 2 0 2 2 rn 
©. Die Oberfiufe 
I. Eoncentration der verſchiedenen Seiten des Religionsunterriähts 
IV, Beftrebungen zur Fordernng des religidfen Sinnes überhaupt . 
V. Literatur . . 
IL Der Unterrigt in der deutfäen Syrade. Bon 8, Kellner, 
Regierungd» und Schulrath in Trier. . . . 
Vorbemerkungen über die Methode im Aüigemeinen . 
B. —ã F eunten auf dem Gebiete des Un 
8 in der Mutterſprache a 
OL Der Xefeunterridt. Don Haguf Küben 
L Srunbfähe . 
eitpunkt für das innen des Sefeunterriäte 
efhaffenHeit der Lefeflüde. -. . . en 
m Die Abbildungen in Sefebüdern . ER 
IV. Anordnung der Lefeflüde . . nen 
V. rfabren beim Leſeunterricht ren 
A. In Bejug auf das Leſen ſelbſi .. . 
B. In Bezug auf Sprachbildung nen 
C. In Bezug auf Reafiidung 0.0. 
D. In Bezug auf Eharafterbil ung rn. 
IL. Literatur . FE ER 
IV. Schreiben. Bon Tuguft iben nen 
I. Orundfüäge . . Fe Er 
II. Literatur . . 0. 
V. Jugend» und Bolisſchriften. Bon Aug uft Süden ... 
L Anfichten über Jugendbibliotheken und Vollsſchriften... 
II. Literatur . . Pa 
VI. Rathematif. Bon Dr. Fr. Bartholomai ... 
Methode. ... 
Zittau oo ori. 


IV Inhalts = Berzeichniß. 


VIL Naturkunde. Bon Auguſt Büben - - - > 2 2 2.20. 
L Grundfüpe . > 22 0 rn 
a. Naturkunde im gemeinen . en oo... 

c en de . ee. 

echnologie. daus⸗ und Sandıirth ft... 

n. 10 nn. Lu EEE 
I. Raturlunde im gemeinen. .... 
II. naturgeigicte FE ... 
IIL bunt e . . .g » . . . . . . . . eo [ . U Ü 
IV. bemie . . ne. 
V. Landwirtbfäaft . .. e. 


VoIL 6 ef ch ichte. Bon —2 Prange, GSeminar⸗Oberlehrer in Bunzlau 
L Andeutungen über Die gegenwärtige foclale Situation. . . 
IL Andeutungen über Die gegenwärtige p —ãR Situation. . 
OL IL Jeltgemä e Aufgabe des elhiätunt 
tel ur Zöfung der jept zeitgemäßen —2* des Geſchichts 
unterri rer. 
V. Traditionelle Lehrſtoffe für den gefchichilichen Unterricht in ihrem 
Verhältniß zu den Reſultaten der Geſchichtsforſch Bund, 
VL Zraditiouele Behandlung geſchichtlicher Schrüoffe im Aulunters 
richt, im Verhaͤltniß zu en pävagogtihen, Irt ncipien... 
Zur gelb ichtlichen Literatur des Jahres 3 1 
L. Bengrapbie Bon ES. P 
1 gpreerung bes gsograpbifchen © lurterricht⸗ und ſeiner Methode 
—— geoarapbil Ger Kenntaiffe in die Kreife der reiferen 


Jugend und des Boll . » >. 2 2 Een - 
u Srahtifches Bedürfnis beim gengrapbifgen Unterricht . 

IV. Gegenmaͤrtiges Verhaͤltniß des geographiichen Säulunterriäut 
ur Biſſenſchaft, zur Bädagogit Ins zum braftifgen Sch . 

Sur geographifchen Literatur abres 1856 . . ... 
X. Gefang Bon E. Hentſchel ‚ Ruf itertor und Oberlebrer am 

Seminar in Weißenfeld -. . - 2 2 2 2 0. ... 
I. Sefangleben © = = = = 2er. nee 
IL Gefanglehre - > > 2 0 2 0 Er nn 
III, Literatur . .. ö 
eichnen. Don Gaga Sen. 53 
. Grundfäge . . . a 


D. Literatur. . . a 
XIL Allgemeine Vädagogil. Bon Baguf Bübn..... 
L Geſchichte der Pädagogf . 2 2 0 en. Pe 
II. Schriften über Erziehung . ‘ . . . . “ eo ® 
IL Schriften über Gnlhung u und Unterriät ee 
IV, Schriften über Schulunterridt. ern.‘ 
V. Padagogiſche Zeitjchriften . 
XIL Die äußern An ee enheiten der Boltsfhule und 
ihrer Lehrer, nguft Rüben 
I, @eftaltung des Säulwefene in den einzelnen deutſchen Staaten 
IL. Die deuten Lehrervereine . 
XIV. EM ae Anzeigen verfäledener Säriften. Bon 
Augu 


® ‘ ® 


— — ⸗ m — — — 


Autoren⸗Verzeichniß. 


— — — — 


Alberg, 657. Becker, C., 116. Bräunlich, 585. 
Alrebi, 227. ——, J. Phb., 400. Breidenſtein, 300. 333, 
Aumann, 760. ——, K. F., 421, Brem, 501. 
Underfen, H. C. 256. Behrens, 193. Brennede, 29. 317. 
Anding, 584. Bender, 189. Brenner, 270. 
Andreſen, 137. Berghaus, H., 503. 509, Bretfchneider, 426. 
Ayfelftebt, 487, Bergmann, 635, Breuler, 487, 
Arndt, T. W., 424, Berneck, 421. Breunig, 284. 
Arendts, G., 496, Bernhardi, 219. - Brewer, 353, 
Amold, 87. Bernhardt, W., 245. Brieger, 102. 
Amann, 418, Bernftein, 248. Brotbeck, 356. 
Aueröwald, 336, Berthelt, 180. 250, 355. Brüdner, H., 219. 405. 
Yulid, 95. 506. 690. Brülow, 518. 
Biedermann, 104. 110, Brütt, 208. 
Blanc, 505, Büchner, A, 130, 
Ba, H., 518. Bol, 302. 696. 707. ——, Dr., 33, 
—_——, MR. 331, Bödeler, 700. Bülau, 411. 
——, R. 197. Bodemann, 100. Bumüůller, 418, 
——, 6c., 641, Bögelamp, 510. Bünz, 214. 
Bahr, 297. Boͤhr, 110. . Burmeifter, 332. 
Bartbel, 565. Boog, 2837. Burow, 850. 
Batrig, 349. Bormann, 661. 627. 628. Yutters, 135. 
Bäuchle, 241. 696. 
Baumann, J., 345. Böttger, 110. 
Baumgardt, E., 338, Boͤttiger, 415. Eantu, 419, 
Baumgart, 179. 190. Bouilly, 223. Gasyari, 96. 
Be, 414. 428. Bräbmig, 614. 625. Gaffian, 416. 
Beder, A., 697. Brandauer, 198. Gaftelhun, 89. 





.C. F., 11%. Braune, 603. Caſtres, 759. 760. 


VI 


Chamloth, 204. 300. 
CEhryſander, 621. 
Ciesztoweti, 648, 
Clemen, 188. 
Clemens, 233. 
Colberg, 595. 
Conſcience, H., 243. 
Crouſaz, 423. 
Crũger, 101. 355. 
Gürle, 337. 
Eurtman,, 99. 345, 663, 
Gziläty, 255. 236, 


Daniel, 492. 
Danneil, 118, 
Davids, 288, 
Davin, 617. 
Deide, 628. 635. 
Dellier, 223, 
Deutſch, 106. 
Diefterweg, 505. 685. 691, 
693, 
Dietlein, 200. 211, 
Diezmann, U. 244, 
Dilling, 282. 
Dittes, 668, 
Dittmar, 419, 
Döbereiner, 247, 
Döf, 339, 
Döring, M., 236. 
|— R., 418, 
Dörr, 239, 
Dreher, 181. 
Dronfen, 405, 
Dunker, 4%, 
Duval, 760, 


Ebersberg, 228, 
Ebner, 282, 
Egger, 285. 
Ehrich, 489. 
Ehrlich, 282, 
Gifenlobr, 106. 
@lfan, 412, 


Ele, 591. 

Emmerid, 685. 

Engel, 8. G. 3., 514. 

——,D. S., 613, 622, 
623. 

Engelhardt, B., 356. 

—, 8 8, 515. 

Enslin, 584. 

Erichſon, 331. 

Ert, 595. 605. 611. 

Ernſt, 357. 

Eſchweiler, 291. 


Fath, 505. 

Fern, Yan. 244, 

Slallowsti, 629. 634, 

Fint, 120, 

Fiſcher, Dr., 289, 

——, 9H., 608. 

Fleiſcher, G., 197. 

Fleiſchhauer, 288. 351. 
490. 

Flotho, 410. 

Flügel, G., 598. 608. 

Flügge, 198. 

Foölfing, 191. 583. 647, 
6935, 

Förfter, Fr., 402, 

Stunt, 119, 

Franke, E., 100, 

Freihofer, 88, 

Frick, J. 354. 

Fritze, 684. 

Fröblich, C., 221. 

Frymann, 672. 

Fuckel, 757. 

Fürbringer, 85. 89, 

Fürſtenberg, 212. 636, 


Garbs, 423. 

Garde, 340, 
GSartenhaufer, 352, 
Gatty, 228. 

Beisler, A 485. 492. 


Autoren⸗Verzeichniß. 


Geißler, C., 132, 240. 

Georgens, 749. 

Gerdauen, H. v., 243. 

Gerlach, 413. 

Gerftäder, 212. 

Gieſebrecht, 409. 

Gittermann, 187. 
211. 

Glaſer, C., 515. 

— 2, 323, 

Glag, 222. 

@lode, 230. 

Eolgfd, 105. 

Göoſchel, 403. 

Gottihalg, 585. 

Graf, 201. 

Gräfenban, 490. 

Graßmann, 107, 514. 

Greef, 596. 611. 

Greßler, F. ©. 8, 347. 

——, 5.2, 621. 623. 

Groß, 411. 514. 

Grube, U. ®., 238. 253, 
419. 651. 

Güder, Ed., 368. 

Grünewald, 341. 

Grunholzer, 701. 

Gude, 187. 189, 

Guizow, 282, 

Gumpreä&t, 511. 

Bumpert, Th. v.,224. 229, 
254. 

Günther, Chr. W., 223. 

——, Carol. 658, 

@utbier, 719, 

Guth, 273. 


189, 


Sagelweide, 199. 
Hahn, L., 406. 
—_——, B. 611. 
Samm, 357. 581. 
602. 
Hammacher, 588. 
Hanſchmann, 103. 
Sanfen, 200, 


589, 


Sayri, 275. 

Harder, 194. 701. 

Sams, C. 119, 

Sarting, 326. 

Hartmann, 697. 

Sartung, 595. 613. 

Sartwig, 327. 

Hafe, R., 222, 293, 301. 

Saud, 698. 

Hauſchild, 175. 201. 392, 
699, 

Het, 413. 

Heck, 191. 

Heger, 225. 231. 417, 

Heidemann, 595. 

Heim, 588, 

Heindl, 695. _ 

Heiniſch, 137. 181. 185. 

Heis, 291. 

Sale, 101. 

Hentſchel, E., 609. 

dervng, 505. 698. 

Hercher, 215. 

Bering, 295. 319, 348, 


Herrmann, %., 129. 277, 


——, 9., 586. 
Hergiprung, 587. 
Herzog. I. ©., 603. 
Seplin, 243, 
Hildebrand, %. %., 490. 
——, 6. R. 257. 
Hillebrandt, M., 131. 
Simpel, 637. 

Hirzel, 9., 355. 
Hoffmann, Kranz, 224, 
9, 647. 

—, 3, 204. 

—, 8.1 3. 129. 
——, 2. 119. 512, 





——, Ip., 692. 744. 747. 
Hohmann, 610, 614. 620, 


Sollard, 324. 
Sönig, 717. 
Hopf, J., 19. 
G. W. 210. 
Hoose, 752, 





Autoren⸗Verzeichniß. 


Hornig. 69. 
Hoͤrſchelmann, 498. 
Hubert, 177. 
SübnersTrams, 229, 
Huisten, 271. 291. 
Sumburg, 406. 


Jacobi, 643, 

Sacobfon, 174. 

Kahn, G. A., 353, 501. 
Jakob, 595. 

Jaͤkel, J. C., 180. 329, 
Jaepis, 99. 100. 120. 
Imhoff. 330. 

Qud, 131. 133. 
Jungklaaß, 696. 


Kähfer, 97. 

Kaifer, H. 131. 
Kaldyer, 685. 
Kaltiäfh, 94. 
Kaifftein, 502. 
Kambly, 290. 291. 
Kari, 339, 
Keller, 258. 
Kellner, 668. 692. 
Keppner, 617. 
Kern, 691. 
Kettiger, 200. 626. 
Kicffer, 180. 185. 
Kiepert, 515. 516. 517. 
Kiefel, 418. 

Kirmes, 62%. 
Kieinpauf, 276. 
Kietle, 511. 

Klopp, 411. 
Kluge, 116. 
Rnabe, 201. 
Kober, 345. 
Koberftein, 197, 
Koh, E. E., 116. 
——, ©. %., 757. 
— , 3, 580. 585, 
——, W. 9. 594, 
Kol, 67%. 


v2 


Köhler, 294. 310. 315. 

——, ©. €, 424, 

Kohlrauſch, 407. 

Kolb, 512. 

Kolde, 84. 110. 121. 

Köfler, 225. 

Könen, 213. 

König. R., 655. 

—, Ih., 428. 

Kopp, 401. 

Koppftadt, 401. 

Körber, 223. 

Körner, Fr. 235. 245.303. 
406. 488. 640. 650. 694. 

Körting, 201. 293. 305. 

Kothe, 611. 613, 

Kottmeter, D., 526. 

Kramer, ©., 642. 

Kraußhold, 607. 

Kreug, 593, 

Kröger, 411, 648. 743, 

Krohn, 28%. 

Krombholz, 697. 

Krüger, A., 406. 

Kruſe, 659. 

Kugler, 404. 

Kühn, Frz., 181.195. 227. 

——, 9. Th., 277, 

Kuhn, 417. 588. 

Külp, 278. 280. 

Kurg, 100. 115. 

Kutſcheit, 427. 


Raiftner, 694. 

Lampert, 508. 

Zang, 516. 

Zange, H., 514. 

Zangenfeld, 701. 

Langenhahn, 201. 

Zangmann, 338, 

Langsdorff, 698. 

Zansty, 231. 698, 

Rau, 410. 

Lauckhard, 219. 320. 507. 
661. 692. 


Paͤdagogiſcher 
Jahresbeſricht 


hr 
für 


Deutfhlands Volksſchullehrer. 





Sm Berein 
mit 
Berhelonci— Hentſchel, Kellner, Materne und 
Prange 
bearbeitet und herausgegeben 


von. 


Auguf Lüben, 


Rektor der ale su Merfeburg. 


— 


Zehnter Band. 


ö—— — — — — — — 
2 Leipzig: 
Derlag von Friede. Brandſtetter. 


— 


1857. 


x 


Beldemann, 98, 

” WBeldinger, 468. 
Weigemd, 138, 
Weinhold, 432. 
Belshaupt, 636. 
Weiß, C., 628. 634. 


Behbans, 108, Bacharid, 349. 

Bird, 234. Zähler, 332, 

Wiedemann, Fr., 228. Zahringer, 283. 264. 046, 
BWidmann, 584. 589, 592. 630. 633. 701. 
Bintelmaun, C., 514.517. Behme, 272. 286. 752. 
Binter, 6. Ir. 2342. Heller, 666, 


Beiß, B., 230. — 6%, 1%. Ziegler, 788. 789. 
Beißweiler, 636. Bohlfahrt, 639, Siller, 659. - 

Weigel, 199. Bottle, 107. Zimmermann, ©., 286. 
Belter, 415. Bollheim de Fonſeca, 425. 690. 

Vendel, 101. Boyide, 179. 190. 282. Bippe, B.  %, 509. 
Bendt, 507. Bulff, 700. —, 343, 

Beyf, 599. 603. 606. 614. Würth, 751. file, 201. 


Bernide, 419, 


Dorwort. 





Ungeachtet der Druck des Jahresberichtes mit dem Jamar 
Begonnen bat, fo erſcheint er do fpiter, als id gedacht und 
im vorigen Bande in Ausfiht geftellt hatte. Die Schuld Tag nicht 
an mir; zwei der Herren Mitarbeiter, die durch ihr Amt fehr in 
ihrer Zeit verkürzt find, konnten ihr Manuſcript beim beften Willen 
nicht zu rechter Zeit einfenden. Bielbefchäftigte Lehrer werden das 
zu würdigen wifien. 

Einzelne Zeitfchriften haben den großen Umfang einiger Arbeiten 
Des Jahresberichts gerügt. Wenngleich nicht zu verkennen ift, daß das 
Material, weldyes zur Verarbeitung vorliegt, oft ein höchft umfang- 
reiches if, fo muß ich dieſe Rüge Doch für begründet anerkennen; 
wir werden und daher Alle bemühen, für die Zukunft das rechte Maß 
inne zu halten. Auf den von einer Seite her gemachten Borfchlag, 
aur die bedeutendften Schriften zur Sprache zu bringen, können wir 
indeß nicht eingehen. Der Jahresbericht fol womoͤglich eine Ueber⸗ 
ſicht aller einfchläglichen Erſcheinungen des ganzen verfloffenen Jahres - 
bringen, muß daher auch die mißlungenen Producte vorführen, um 
vor ihnen zu warnen. Leider kann das nicht immer mit der Kürze 
geichehen, die dafür wünfchenswertb wäre; denn der Getadelte hat 
offenbar ein Recht, Gründe für den Tadel zu fordern. Dagegen 
habe ich den Bericht über dad Turnen, das in der Zeitfchrift von 
Ko ausreichend für die Betheiligten befprochen wird, aus Grüns 
den der Sparfamleit ganz vom Jahresberichte ausgefchloffen. 








XII Vorwort. 


Herr Profeſſor Dr. Stoy fand ſich auch diesmal nicht in der 
Lage, die allgemeine Pädagogik bearbeiten zu Tönnen. lm dieſen 
wichtigen Gegenftand nicht wieder ausfallen zu laffen, habe ich den 
Bericht Darüber übernommen; für die Zukunft wird ihn Herr Schul⸗ 
director Dr. H. Gräfe in Bremen Tiefern, was den Freunden des 
Sahresberichtes gewiß angenehm fein wird. 

Schließlich richte ich an die Herren Herausgeber von pädagogi⸗ 
ſchen Zeitfchriften die Bitte, im Intereſſe der Pädagogik gefällig 
dafür zu forgen, Daß mir Die von denfelben redigirten Blätter moͤg⸗ 
tiHft regelmäßig und gratis durch Vermittlung des Herrn Verlegers 
zugeben. Der Sahresbericht ift jet wirklich die einzige Schrift, 
welche die zahlreichen, zerftrenten Arbeiten der pädagogifchen Jour⸗ 
nale fammelt, gruppirt, forgfältig befpricht und weiteren Leferkreifen 
zugängli macht. Es ift das Außerft wichtig und trägt unfehlbar 
auch Dazu bei, auf gute Zeitfchriften aufmerffam zu machen, alſo 
ihre Berbreitung zu foͤrdern. 

Merfeburg, den 11, Ss 1857. 


l 


„f 


A. Küben, | 


. I. 
Neligions- Unterricht. 


N Bon 


Soma Moterne, 
Seminarlehrer in Eisleben. 


I. Vorbemerkungen zur Charakterifirung der gegenwärtigen 
Geftalt des Religionsunterrichtes überhaupt. 


1. Das neuerwachte religidfe Leben fucht feine Stärfung und 
Kräftigung immer entfchiedener auf dem Grunde einer biblifch» gläubigen 
Auffaſſung der chriftlichen Heilswahrheiten. Die rationalififche Anſchau⸗ 
ungsweife, welche das Pofttiv»Chriftlihe zur farblofen Allgemeinheit 
bloßer Bernunftideen verflüchtigte, tritt immermehr zurüd; die ganze 
Gegenwart ringt darnach, fi mit der pofitiven Religion in die engfte 
Berbindung zu ſetzen. Auch die Bolksſchule empfängt immer mehr die 
Signatur der Zeit. Sie arbeitet fich zufehends aus der ihr zugleich mit 
der ganzen ablaufenden Beitrichtung eigenen Entfremdung von dem Pos 
fitivs Chriftlichen heraus und fucht grade aus biefem neue Lebenskraͤfte 
zu ziehen. Darum fährt ‚der Religionsunterricht immer entfchiedener 
fort, ein hiſtoriſches Gefühl wieder zu erregen und zu flärken 
und mit neuer deutlicherer Erkenntniß darauf Hinzuarbeiten, daß die 
Iebensleeren Standpunkte anziehungsiofer Allgemeinheiten chne anſchau⸗ 
baren und genießbaren Kern, mit denen man fih fo -Iange herums 
gequält — — , verlaffen und dagegen folche wohlgediehene Erzeugniffe 
des religidfen Lebens als Gegenfland für die unterrichtliche Pflege ins 
Auge genommen werden, welche um ihrer fcharf beftimmten Ausprägung 
willen, wie wegen ihrer tiefen gefchichtlichen Bedeutung von bleibendem 
Reize und Werthe find.” (Thilo: Das geiftliche Lied. Zweite Aus⸗ 
gabe. Berlin 1855 bei Schulze. Seite 6.) Mit allem Ernſt fchaut 
der Religionsunterricht fich nach jener Dreizahl um, die, obwohl fie auch 
in böfen Zeiten fein eiferner Beftand blieb, doch gar viel von ihrem Ins 
halte verloren hatte: Bibel, Ratehismus und Gefangbuh, um 
auf ihnen, als auf fefter Grundlage, fich ſicher aufzubauen. 

2. Gleih der Volksſchule ‚Tann auch das Gymnaflum fih nicht 
ber Geiſtesmacht erwehren, welche Zeit und Leben bewegt. Das Evans 
gelium fucht wieder fein ganzes Recht in den Hallen, welche nur ber 

Rade, Jahresberiht. X. 1 


2 Jteligions = Unterricht, 


Beisheit ans Latium und Hellas offen zu ftehen fchienen.” Aber lang⸗ 
famer doch, als in die Volksſchule, fcheint der neue Lebensodem in das 
Gymnafium zu dringen. Es bleibt eine große Aufgabe der Zukunft, die 
Säule der höheren Ordnung von Allem, was fih in ihr einer ſpecifiſch⸗ 
chriſtlichen Regenerirung entgegenfebt, vornämlich von dem vorherrſchen⸗ 
den Intellectualismus und dem damit zufammenhängenden Mangel von 
erzieberifchem influffe zu befreien und fie, ohne mißverfiandene Aus⸗ 
drängung des Haffifchen Altertbums, in den Dienft einer entfchieden chriſt⸗ 
lihen Pädagogik zu nehmen. 

3, Das veligidfe Leben der Gegenwart charakterifirt ſich außer feiner 
Richtung auf das PofltivsChriftliche weiter durch einen beftimmten Zug 
zu dem Kirchlich⸗Confeſſionellen. MſeDug offenbart fih nicht allein 
in dem ſcharfen Gegenfage zwifchen der Latholifhen und evangelifchen 
Kirche, fondern auch innerhalb der evangelifchen Kirche felbft, in der 
Iutherifches und reformirtes Belenntniß immer entfchiedener einander die 
Unterfeidungslehren zukehren. Zrügen die Beichen der Zeit nicht, fo 
wird in Kurzem auch die Volksfchule von der confeffionellen Tendenz 
unferer Tage tief einfchneidend getroffen werben. In dem größten, ers 
fahrungsmäßig auch auf die ganze Entwidelung der Schule einflußreichften 
deutſch⸗proteſtantiſchen Staate Hat die fchärfere Ausprägung des confel- 
flonellen Charakters der Bolksfchule ſchon durch die den Gonfeffions» 
fatehismen durch die drei Regulative von 1854 in den Volksſchulen 
angemwiefene Stellung eine günftige Unterlage gewonnen. Bon noch ums 
faflenderer Tragweite if ein im Laufe des Jahres 1856 aus dem preu⸗ 
Bilden Gultusminifterium ergangenes Refeript, durch welches das feit 
1839 geftattete Alterniren von Lehrern verfchiedener Confeſſionen an ges 
mifchten Schulen für die Zukunft aufgehoben und verordnet wird, daß 
bei neueinzurichtenden und an ſchon beftehenden Elementarfchulen gemifchter 
Confeſſion bei eintretendem Lehrerwechjel der confellionelle Charakter der 
Säule fefzufßellen und nah Maßgabe deflelben ſtets die Anftellung bes 
Lehrers vorzunehmen, daß, wenn nicht in anderer Weile, z. B. durd 
den betreffenden Geiftlihen für die nicht zur Confeffion des Lehrers ger 
hörigen Schüler geforgt werden fann, der Religionsunterriht wo möge 
ih in einigen Stunden der Woche einem benachbarten Lehrer zu übers 
tragen, daß ferner die etwa nothwendig werdende Anftellung eines zweiten 
Lehrers zur Einrichtung zweier gefonderten Confeſſionsſchulen zu benugen 
ift, daß endlich überhaupt die Regierungen die Einrichtung bejonderer 
Confeſſionsſchulen, nöthigenfalls duch Trennung beflehender Schulfocies 
täten, fo weit e8 die Zwede der Schule geftatten, im Auge zu behalten 
haben. Nur vereinzelt find die Stimmen, welche diefer confelfionellen 
Richtung gegenüber an dem Gedanken des fogenannten allgemeinen Res 
ligionsunterrichtes ferhalten, und noch feltener ſolche Schuleinrichtungen, 
wie die noch jept an einzelnen Orten Sachen » Weimars beſtehende chrifte 
lich⸗ jüdiſche Simultanfhule mit chriſtlichen und jüdifchen Lehrern, die, 
obgleich fie eine Sonderung des Religionsunterrichtes fefthalten, doch nach 
ihrer ganzen Conftruction nicht auf einen hriftlichen, geſchweige dena auf 
einen kirchlich⸗confeſſionellen Charakter Anjpruch machen kann. 


Religtons- Unterricht, 8 


4. In dem der Schule mit den übrigen Lebenskreifen gemeinſamen 
Ringen verſtummen denn au allgemad bie vor Kurzem noch zur Tages⸗ 
ordnung gehörigen Klagen, daß vornämlic die Volfäfchule, bei welcher 
wir jegt ſtehen bleiben, die Abkehr der lebten Jahrzehnte von dem Poſitiv⸗ 
Chriſtlichen und mit diefer alles Unheil der Zeit verfchuldet Habe. Es 
gewinnt die Weberzeugung immer mehr Raum, daß diefe Abkehr nicht 
allein aus der Volksſchule gewachfen ift, und damit mildert fih denn 
zufehende das ganze Urthell über die Bergangenheit diefer. Nachdem 
bereits vor mehreren Jahren einzelne auf dem Gebiete der Schule wohl 
Heimiſche (3. B. Goltzſch) gegen die erhobenen Anklagen Einſpruch ges 
than hatten, freilich ohne fonderliches Gehör zu finden, wurden nad und 
nach auch gerade in denjenigen Kreifen, in denen man eine der Schule 
ſehr ungünftige Haltung gewohnt war, erft leiſe, dann immer lauter 
folge Stimmen vernehmbar, die alles Ernſtes behaupteten, baß gerade 
unter dem älteren Xehrergefhlechte ganzer Gegenden, welches durchweg 
als einem negirenden Geifte anheimgefallen gedacht war, mehr pofitivs 
chriſtliche Elemente vorhanden ſeien, als man anzunehmen geneigt ge⸗ 
weſen war. Wir erinnern in dieſer Beziehung nur an die Berichte ber 
yreußifchen Generaltirchenvifitationen. In unfern Tagen weifet man, da 
auch die DBerfuche noch andere einzelne Gebiete zu ausfchließlichen Schuld⸗ 
traͤgern zu machen, gaͤnzlich mißlungen find, ganz entſchieden auf eine 
gemeinſame Schuld der Vergangenheit. Die Zeit, in der nah Thilo's 
Ausdrude alles Gethier auf die hartbedrängte Volksſchule Tosftürmte, 
wie einft auf Reinede, ift vorüber. Das Jahr 1855 brachte diefer eine 
befondere, dem Berichterflatter nur durch Thilo (im Brandenburger 
Schulblatte) befannt gewordene Schupfchrift aus der Feder eines fchuls 
und lebenskundigen Pfeudonymus (Ehriftian Frymann: Pädago⸗ 
giſche Büder zc.), der Die Frage, warum die Schule nicht geleiftet habe, 
was man von ihr verheißen und erwartet hat, wenigſtens zum Theil 
aus ben auf fie von Außen her wirkenden Umfländen beantwortet. Als 
folge Umfände nennt er die häusliche Erziehung , die übertriebenen Ans 
forderungen, die an fie gemacht wurden, die unverfländigen Erwartungen, 
die man von ihr hegte, und den ungünftigen Einfluß, den hochgeftellte 
Männer durch Rede und Schrift auf fie ausübten. Auch für die Zus 
kunft abwehrend und fchüßend ftreitet Thilo, nachdem er bereits 1855 
in feinem geiſtlichen Liebe (Seite 155 ff.) entfihieden genug für die Schule 
geredet hatte, an die Beiprechung des Frymann'ſchen Buches anfnüpfend, 
im Brandenburger Schuiblatte (Juli⸗ und Augufthefte 1856. Seite 426 ff.), 
nit nur gegen unbegründete Unklagen, fondern auch gegen bie Thorheit 
Derer, welche die afleinige oder hauptſächliche Hoffnung für die Forte 
erhaltung des chriſtlichen Lebens auf die Schule ſetzen. Er flellt fie mit 
Recht „den überfchwänglichen Pädagogen von Ehedem gleich, welche von 
ihren Leitungen fo große Hoffnungen zu erregen mußten, daß wir noch 
an ihnen laboriren.“ Es entſpricht völlig der Zeitſtimmung, daß in 
einer im Jahre 1856 zu Königsberg in Pr. gehaltenen Conferenz von 
Seiſtlichen die von einem geiſtlichen Schulanklaͤger alten Styles aufge 
Pte. Behauptung, „die Schule fei ein fehr vornehmer Grund bes zur 

4 * 


4 Religions = Unterricht, 


Beit fo ſchlechten Kirchenbefuches, da jetzt geerntet: werde, was dort fo 
lange gefäet fei,' eine verdiente Abfertigung fand: (Evangelifches Ger 
meindeblatt aus Oftpreußen Rr. 28. 1856. Seite 130.) 

5. Bon dem Standpunkte aus, auf welchem der Berfafler diefer 
Berichterflattung ſteht, if der pofitivschriftliche und Firchlich » confejfionelle 
Charakter der Volkoſchule der allein berechtigte. Es muß dem Berfafler 
bei feinem erften Auftreten in diefen Blättern um fo mehr gefattet fein, 
diefes beftimmt ausgufprechen, je weniger er vorausfegen darf, durch feine 
in engen Grenzen fi haltenden fehriftfiellerifchen Arbeiten dem umfange 
reichen Leferfreife des pädagogifchen Zahresberichtes bekannt geworben zu 
fein. Er fleht allein in der Durchdringung und Durchfäuerung aller 
unferer Lebensgebiete durch den pofitiven Gehalt des Evangeliums die 
heilende und erneuernde Kraft fowohl für unfere ganze Zeit, als ind» 
befondere für die Volksſchule. Die damit von ihm für die Bolfsfchule 
geforderte chriftliche Bofltivität gilt ihm dabei als unauflöslich verbunden 
mit der confeffionellen. Den fogenannten allgemeinen Religiona⸗ 
unterricht hält er für das Product ‚einer atomiftifchen, philikröfen, pros 
faifchen Unficht vom Menfchengeifte, die alle Individualität, alle eigens 
thümliche Begeifterung unterdrüdt und die ganze Menfchheit auf vaffeiße 
Niveau der Mittelmäßigkeit und Langeweile bringen möchte. Die den 
allgemeinen Religionsunterricht fordern, fordern nach feinem Dafürhalten, 
daß der Lehrer niemals ein freudiger Chriſt, weit weniger ein entfchies 
dener Katholik oder Proteftant fei, daß er als Katholik ſchweige von 
der mittelalterlichen Größe der Kirche, von der Herrlichkeit feines Cultus, 
daß er als Proteftant nicht mit Begeifterung rede von der gottgeweihten 
Perföntichkeit Luthers, daB er jene Lieder weder beten noch fingen laſſe, 
die in der Neformationszeit die ganze Kicche mit freudigem Leben durch⸗ 
fhauerten. Sie legen dem Lehrer, der ein begeikterter Katholik oder 
Broteftant if, deffen ganze Anfchauungsweife, deffen ganzes Willen und 
Leben von dem Geifte feiner Kirche durchdrungen if, eine drückende. 

ſchimpfliche Feſſel auf, unter deren Drude er gendthigt if, fein Beſtes 
der Jugend nicht zu bieten, fondern ſich verſtimmt in fich ſelbſt zurück⸗ 
zuzieben. Sie ſuchen für ihren Dienft fade, indifferentififche Schwäger, 
bie defto mehr in hohlen Phraſen fich herumbewegen, je mehr fie alles 
Auffihwunges zum Idealen baar und ledig find. Freilich gehört darum 
der Berichterflatter noch nicht zu Denen, welche die Jugend zu jener Ins 
tolerang erziehen möchten, die nad roͤmiſchem Grundfage alle anderen 
Gonfeifionen als durchaus auf falfchem Wege wandelnd anfleht, die über 
dem Diffenfus die Einheit in den Zundamentalartifein vergipt und mit 
allen andern Waffen, nur nicht mit Liebe und Milde, reitet. Uber er 
ſucht den confeffionellen Frieden nicht in jener Lauheit und Rattherzig⸗ 
feit, die es für das Beſte hält, die gegenüberfehenden Confeſſionen in 
ſchwankenden, vieldeutigen Formeln zufammenzuleimen und fcheu und 
flüchtig über die Differenzpunfte hinwegzugehen. Als Bedingung bes 
eonfeffionellen Friedens verlangt er auch für die Volksſchule eine ihrem 
Standpunkte angemeffene Kenntniß der Unterfcheidungsiehren, dazu eine 
folhe veligiäfe Unterweifung und Erziehung, welche die Jugend für den 


Religions =» Unterricht. 5 


Glauben der Väter zu begeiftern vermag, die auch den ſchlichten Bürger 
und Landmann befähigt, für fein Bekenntniß in feinen Kreifen ein gutes 
Zengniß abzulegen, die vor Allem aber auch in Dingen des religiöfen 
Glaubens das Gebot der tragenden und verfühnenden Liebe als das 1dr 
nigliche Geſetz in die Herzen ihrer Jünger zu ſchreiben verſteht. 

Der Berichterflatter Hält ferner, um auch in dieſem Punkte 
ſich mit feinen Lefern zu verfländigen, das in neuefter Zeit geltend ges 
machte, 8. 3 von ihm befprochene Urtheil über die Gefammtfchuld der 
Bergangenheit für das vollſtändig richtige. Er macht folgenden von 
Golzſch 1853 ausgefprochenen Sap zu dem feinigen: „Die Schule 
jeder Zeit entfprict den Zuftänden des Staates, der Kirche, der Ges 
meinde und Familie diefer Zeit, nicht aber, weil fle als deren Factor, 
fondern vielmehr darum, weil fie als deren Broduet angefehen werden 
Tann.” Um ferner feinen Zweifel darüber übrig zu laſſen, welchem Le⸗ 
beusfreife er feinerfeits auf dem Grunde langjähriger, im Dienfte der 
Kirche und Schule gefammelter Erfahrungen den meiften Antheil an den 
fäweren Berfhuldungen der Vergangenheit, insbefondere der im Allge⸗ 
meinen nicht wegzulängnenden Entfremdung der Schule von dem Poſitiv⸗ 
Chriſtlichen zufchreibt, eignet er ſich eine Stelle aus einem Beitfchriften» 
artifel an, der mitten unter den Stürmen des Yahres 1848 von der 
Rinzig her gefchrieben wurde, und deſſen Durchklingen vielleicht ſchon 
in $. 5 Diefem und Jenem bemerklich gewefen fein wird: „Hätte die 
Kirche allezeit ihre Aufgabe im Auge gehabt, wären die Geiffichen auf 
dem Gebiete des Religionsunterrichtes mit rechter Entfchiedenheit aufs 
getreten, fo wäre es mit der Feindſchaft zwifchen Kirche und Schule 
nit fo fhlimm geworden. - Richt, daß die Pfarrer das Kirchliche zu 
ſehr urgirt hätten, fondern, daß die Lehrer fagen Tonnten: die Pfarrer 
And geworden, wie unfer Einer, fle geben den Unterricht mit derfelben 
Schlaffseit und Mattigkeit, wie wir, fie find hinfichtlich der Natur⸗ 
and Gottesbetrachtung eben jo aufgeflärt und jentimental, wie wir: das 
bat die Kluft hervorgebracht.‘ Und um endlich fih auch darüber aus⸗ 
zulaffen, von welder Seite her er, nad hüben und drüben ſich ums 
ſchauend, noch immer ſolche Hände vermißt, die nicht bloß anords 
nem und anregen, fondern in eigener Arbeit für die Schule ſich rühren, 
fo eitirt er die Worte eines nicht allein hochgeftellten,, fondern auch von 
Kirche und Schule hochverehrten Kirchenobern, die allerdings zunächſt 
ie Bezug auf ein einzelnes Unterrichtsobject geſprochen find, aber 
auch in allgemeiner Beziehung Geltung „haben: „Soll unfer Geflecht 
dem Worte Gottes näher kommen, ‚fo muß diefes ihm durch einfache 
Erklärung in der Jugend näher gebracht werden. Im Confirmanden⸗ 
Unterrichte, in der fogenannten Bibelftunde, iſt Das nicht vollftändig möge 
lich; fchon in der Schule muß Bibelerflärung getrieben werden, und 
nicht nur von den Lehrern, — warum niht von den Pfarrern?“ 
(Zaspis in dem Borworte zu feinem Plane' für das religidfe Unter 
richtögebiet. Lit. 6) „Wenn — mande Kräfte dazu (zur Schrift 
erklaͤrung) noch nit geeignet find, warum bildet man fie nicht heran? 
Lamentiren, conferisen, decretiren if nichts Schweres; 


6 Religions» Unterricht. 


e8 gilt aber, will man etwas erreichen, zu handeln.‘ 
(Derfelde im Borworte zum Hülfsbüchlein für den Unterricht in der 
bibliſchen Geſchichte zc. Lit. B.) 

7. Sat der Berichterſtatter bisher die Richtung, welche die Volks⸗ 
fhule der Gegenwart nimmt, im Allgemeinen als eine folche bezeichnet, 
in welcher er eine beflere Zukunft beranreifen ſieht, fo iſt ed nun auch 
feine Pflicht, aus dem gegenwärtigen Entwidelungsftadium diejenigen 
Erſcheinungen vorzuführen, die ihm als unberechtigte Schößlinge an dem 
neuen Lebensbaume ericheinen, und die gar leicht dem frifchen Stamme 
feine Kraft entführen fönnen, wenn fie nicht von Allen, denen Gabe 
und Beruf, für das gefunde Wachsſsthum der Schule zu wirken, geworben 
iR, in ernfter Zucht gehalten werden. 

8. „Die Vollsfchule hat — dem praftifchen Leben in Kirche, 
Familie, Beruf, Gemeinde und Staat zu dienen und für diefes 
Leben vorzubereiten, indem fie fi mit ihrem Streben auf daffelbe gründet 
und innerhalb feiner Kreiſe bewegt.’ (Preußiiches Regulativ vom 3. Detbr. 
1854. Seite 64.) Diefer Sag iſt allgemein als richtig anerlannt. Es 
wird felbft von Denjenigen, in deren ganzer Anichauungsweife unter ben 
verfchiedenen Beziehungen der Schule, die zur Kirche die bervorragendfte 
Stelle einnehmen, nicht befiritten, daß außer den kirchlichen auch noch 
andere, in den irdifchen VBerhältniffen der Schüler begründete Zwede im 
der Schule berechtigt find, und daß es daher Pflicht diefer iR, dem 
Schüler aud diejenigen Kenntniffe und Fertigkeiten zueigen zu machen, 
welche nicht grade im unmittelbaren Interefle der kirchlichen und relie 
giöfen, aber doch in dem der allgemeinen elementaren Bildung liegen. 
Diefer theoretifchen Anerkennung gegenüber gefaltet fi die Prazis feit 
. ben legten Jahren vieler Orten fo, daß die erftere factifch faſt ganz 
aufgehoben wird. In einem an fih wohl erflärlihen, aber um feiner 
Maßlofigkeit willen ficherlich bebauerlichen Rüdfchlage gegen den frübern 
firhlihen und religidfen Indifferentismus und das Berlieren in ein 
buntes, dem eigentlichen Volksleben fernliegendes, dazu oft fehr inhalt⸗ 
lofes Allerlei tritt uns jeßt von bier und dort eine fo verflärkte Bes 
tonung ber kirchlichen und religiöfen Beziehungen der Schule und der 
dahin einſchlagenden Thätigfeit der lepteren entgegen, daß bei der wahre 
fheinlid nicht ausbleibenden Progreſſion die übrigen ntereffen ber 
Säule einem Jedem gefährdet ericheinen müflen, der ſich einer wirklichen 
Bekanntſchaft mit der Leiftungsfähigfeit der Schule und den Forderungen 
der Beit, alfo einer folchen Bekanntſchaft rühmen darf, die durch die 
Erfahrungen eigener fauren Arbeit in der Schule und durch Anſchauung 
der Realität des Volkslebens, nicht aus hohlen Abftractionen gewon⸗ 
nen if. 

9. Wir richten dabei unſern Blick vorzüglih auf die preußifche 
Bollsihule, und zwar darum, weil fie uns als die heimifche am nächften 
Beht und über fie ein ficheres Urtbeil am leichteſten zu gewinnen iſt. 
Dabei übernehmen wir aber, wo es gefordert werden follte, ausdrück⸗ 
lich die Verpflichtung, auch auf anderen Gebieten der Bolfsfchule aͤhn⸗ 
liche Exrfigeinungen, wie im Preußiſchen, noch in größerer Anzahl nach» 


Religions - Unterricht, 7, 


zuweilen, als es des und zugemeflenen Raumes wegen am biefer Stelle 
geſchehen wird. In Preußen erfihien das Regulativ vom 8. Octbr. 1854 
als ein Quos ego gegen die wohlgefchloffene Phalanx aller Derer, die 
im übel verſtandenem Gifer für Kirche und Religiön das Schulleſebuch 
austreiben, Rechnen, Geſchichte, Geographie und Naturkunde an der 
Bibel lehren, dem gottlofen Lautiren ein Ende machen, Bibel, Katechis⸗ 
mus und Geſangbuch nicht allein als die drei Hauptbücher der Bolls« 
ſchule, fondern auch als alleinige Bücher diefer gelten laffen, in Summa 
jedes Unterrichtsobjeet, den Religionsunterricht allein ausgenommen, auf 
ein faR in Nichts ſich verlierendes Minimum beſchränken wollten. Das 
Regulatis und die durch fie veranlaßten Auslegungen der Mittelbehörben 
fiherten einer befonnenen, die wirklichen Forderungen der Zeit richtig 
bemeffenden und darum das Kind nicht mit dem Bade ausfchüttenden 
Richtung einen feſten Boden, auf welchem jenem unverfländigen, in ſub⸗ 
jeetiver Willkür herumfahrenden Anſtürmen bald gegen diefen, bald gegen 
jenen Unterricätszmweig ein befimmter Damm entgegengefeßt werben konnte, 
(Der Berichterfatter hätt dieſes für eine wefentliche Geite des Regulatives 
vom 3. Detbr. 1854; er hat gerade fie in den vielfachen über das 
Regulativ gepflogenen Berbandlungen am wenigften beachtet gefunden und 
Rh daraus fein Urteil über die manchem Pro oder Contra hitzig Strei⸗ 
tenden eigene Bekanntſchaft mit den Zuftänden ber Volksfchule und das 
daraus refultirende Recht, in ihren Angelegenheiten mitzureden, abges 
leitet.) Dennod ſcheint die Schupwehr des Regulativs nicht vollfländig 
fiher zu fein. Jene, wenn auch treu und ehrlich gemeinten, aber durch 
and dur einfeitigen Befirebungen haben eine fo eigenthümliche Stel⸗ 
Inng eingenommen , daß fie fih in Stand gefeht fehen, das als Waffe 
iguen gegenäbergehaltene Regulativ als ſchützenden Schild vor fih zu 
halten. Aunähf wurde von ihnen die ganz ehtfchiedene Betonung, welche 
das Regulativ mit Recht auf das kirchliche und zeligiöfe Element legt, 
mit lautem Jubel begräßt und als das endliche Anlangen an dem von 
ihnen lange erſehnten Biele bezeichnet. Weber die vielfachen bittern Täu⸗ 
ſchungen aber, die für einen fo beflimmt ausgeprägten Standpunkt mit 
dem Erſcheinen des Megulatives verbunden fein mußten, erhob man 
keineswegs bie Klage, die jede irgend genaue Einſchau in die bisherige 
Stellung der Barteien erwarten mußte. Daß das Regulativ in beſſerem 
Berfkändniffe der Schule und des Lebens hinter folhen Erwartungen 
zurückblieb, welche die Aufhebung der Lehrerfeminare und die Einfüh⸗ 
rang abgedankter Kammerdiener, der Schuhmacher und Schneider in bie 
Schulſtube als den Beginn paradiefiicher Urzuſtaͤnde der Schule anfahen, 
daß es Das Leſebuch fanctionirte, das Rechnen nicht an die Bibel Inäpfte 
und dieſem auch einen formellen Bildungszwed ſetzte, daß ed das Lautiren 
nicht verfeßerte, fondern in der Methode des Leſelehrens fogar auf weis 
tere Entwidelungen hinwies, daß es in Summa noch andere, als bie 
kirchlich⸗ religisſen Zwecke, als in der Volksſchule berechtigte anerkannte: 
dad Alles ward: jo ſtillſchweigend übergangen, als ob es factiſch gar 
nicht vorhanden wäre. Sicher aber wäre es gefährliche Täufchung, ich 
dieſes Schweigen als and einer glüdlicden Berfiändigung über das, was 


8 Religions « Unterriät, 


der Schule und dem Leben Roth thut, berporgegangen zu denfen. Es 
liegt vielmehr der Argwohn nahe, daß es auf eine ſolche Taktik zurück⸗ 
zuführen ‚iR, die das im Regulativ Gegebene als eine einftweilige Abs 
Tchlagszahlung auf die von der Zukunft erwartete, volle Befriedigung 
der mißverflandenen kirchlichen und religiöfen Intereffen binnimmt, untere 
deß aber von dem Ausgebliebenen fo viel als möglich durch vortheils 
bafte Ausdeutung des Gegebenen zu gewinnen ſucht. Diefer Argwohn 
hat feine Berechtigung in der Art und Weiſe, in welder wir das Res 
gulativ von der bezeichneten Richtung gedeutet und ausgelegt fehen. 
Denn es ift eine foldhe Deutung und Auslegung des Regulatives jept 
vieler Orten gangbar, daß es augenfällig iR, wie man jetzt „unter bem 
Schein des Rechten‘ an fi bringen will, was früher ohne Umfchweif, 
als im Intereſſe des kirchlichen und religidfen Lebens liegend, gefordert 
ward, nämlich die ganze Arbeitskraft der Volkoſchule. Wo das Regus 
lativ in Beziehung auf den Neligionsunterrigt eine Erweiterung feiner 
Forderungen durch Angabe eines Minimalfages oder durch allgemein 
gehaltene Beflimmungen zugelaften bat, da rühren fich gefchäftige Hände, 
das Minimum auf ein Mazimum hinaufzutreiben und dem Allgemeinen 
ein gebrüdtes und gerütteltes Maaß GSpecielles als Inhalt zu geben. 

Damit hängt eine andere trübe Erfcheinung nothwendig zufammen. 
Es iR in den Kreifen, von welchen die übermäßige Betonung der kirch⸗ 
lichen und religidfen Beziehungen der Schule ausgeht, in der Regel eine 
Hare, geordnete Pädagogik nicht heimiſch; es if in ihnen mehr Bewußt- 
fein über das angefrebte Ziel, als Keuntniß der geeigneten Wege zu 
finden. ‚Dazu renitiren die gefährdeten, weltlichen Unterrichtsobierte gegen 
ihre Ausdrängung. Beide Bactoren zufammen produciren im Allgemeinen, 
vorherrfchend aber im Reigionaumterriöhte, eine Richtung auf die aus⸗ 
ſchließlich gedächtnißkäßige Aneignung der Unterrichtsobjecte 
und führen fo, gegenüber der früheren Nichtachtung des Gedächtniß⸗ 
mäßigen, in ein Extrem, deſſen traurige Früchte nicht fange ausbleiben 
können. Der directe Gegenfaß zu dem preußifchen Regulative, das vor 
Allem innerlihe Durddringung und Aneignung verlangt, 
liegt auf der Hand. 

Endlih Tann es aud dem ruhigen Beobachter nicht entgehen, daß 
die Schule der Gegenwart in Gefahr ift, bei denjenigen Beftrebungen, welche 
vorzugsweiſe auf die Erweckung bes religidfen Lebens hingehen, in das 
Erkünßelte und Gemachte hineinzugerathen, das unferer ganzen Zeit über- 
haupt vorgeworfen werden muß. In der guten Abſicht, bei ber Jugend 
bas bei den Alten verlorene Terrain wiederzugewinnen, nimmt auch 
He mehr und mehr ihre Zuflucht zu einer Ueberzahl religiöfer Reizungen 
und Erregungen, und beraubt fi} durch dieſe der Früchte treu gemeinter, 
ar in ben Mitteln und Wegen fih gänzlich vergreifenden Mühen und 

tbeiten. 

Bir führen jet eine Reihe einzelner Erſcheinungen an, die als 
beftimmte Zhatfahen nachweiſen mögen, wie weit die ausgefprochenen 
Bedenken, — übermäßiges Betonen der kirchlichen und religiöfen Bes 
ziehungen ber Volksſchule ausſchließliche Richtung auf gebächtnifmäfige 


Religions - Unterricht, | 9 


Aneignung des religiöfen Unterrichtsfoffes und Mißgriffe in ber Er⸗ 
wedung des religiöfen Lebens überhaupt — gegründet find. 

10. Zuerſt erinnern wir an die Operationen, die mit den Beſtim⸗ 
mungen des NRegulativs über die Morgenandacht in der Schule vorge, 
nomfaen werden. „Die Religionsflunde,‘ heißt es Regulativ Seite 68 
u.69, „fol überall durch den gemeinfchaftlichen Gefang eines geiſtlichen 
Liedes oder Berfes, durch das einleitende Gebet, welches am beften der 
Lehrer ſelbſt fpricht, durch Herſagen des Wochenſpruches und Wochen⸗ 
verſes, durch die ganze Haltung des Lehrers und der Schüler neben dem 
unterrichtlichen den erbaulichen Charakter tragen.” In diefer Stelle find 
geiliches Lied oder Bers, das vom Lehrer ſelbſt zu fprechende Gebet, 
Wochenſpruch und Wochenvers deutlich als die zu der Morgenandadht 
zu verwendenden Stüde bezeichnet. Richt zu überfehen ik dabei ber 
Ausdrud ‚‚geiftliches Lied oder Vers,’ in dem offenbar die Abwehr 
gegen die regelmäßige Wahl eines ganzen, befonders eines langen Liedes 
liegt. An Stelle diefer Beftimmung des Regulativs feht Hr. Dr. Hubert, 
Paſtor zu Groß⸗Kiethen, in feinem, angeblih in genauer Ueberein⸗ 
ſtimmung mit dem preußifchen Regulative, gearbeiteten Handbüchlein beim 
Religionsunterrichte (f. Jahresbericht 1856, Seite Ai) eine Morgen⸗ 
andacht in folgender Weife: 

Lehrer und Kinder fingen: Morgenlied. 
Lehrer und Kinder beten: WMorgenfegen. . 
Kinder ſprechen: Pfalm 51, 8. 3. 12. 13. 
Lehrer ſpricht: Palm 103, V. 8—18. 
- Kinder befennen: Ich glaube an Gott ac. 
Lehrer betet frei oder einen Palm. 
Kinder fagen den Wochenſpruch her. 
Kinder beten: Bater unfer, der ıc. 
Lehrer und Kinder fingen einen Vers des Wochenliedes. 

Su diefem für das ganze Jahr feſtſtehenden Materiale tritt noch täge 
lich das Lefen eines Abfchnittes aus der Bibel, das-feine Stelle nad 
dem Gebete des Lehrers und vor dem Baterunfer der Kinder hat. Diefe 
Morgenandacht beanſprucht nad) Dr. Hubert täglid 10 Minuten. Sie 
erfordert aber, wie der Berichterfiatter fich überzeugt hat, 20 Minuten. 
Es wurden bei einer nad Dr. Hubert gehaltenen Andacht im Ganzen 
acht Berfe gefungen, (7 Berfe nach der Melodie: „Gott des Himmels zc.,” 
Bfalm 8 vor dem Lefen gebetet und ein biblifiher Abfchnitt von 17 Ver⸗ 
fen gelefen.) Bei diefen 20 Minuten iſt das Herſagen des Wochenliebes 
noch nicht mitgerechnet. Nun bat Dr. Hubert in feinem Winterleetiona⸗ 
plane der ungetheilten Schule die erfie Stunde der vier vollen Schul 
tage fo vertheilt, daß die auf die zehn Minuten lange Andacht folgenden 
40 Binuten für bie biblifche Geſchichte befiimmt And. Wenn aber die 
Andacht 20 Minuten hinwegnimmt, — es fei denn, daß die Gebete, 
Roffe citissime hergeplappert werden —, wenn auch bie leiten 10 Mi⸗ 
unten der Stunde anderweitig ihr gutes Benfum an Liederverfen und 
Katechismus haben: was if da — die Frage nad der fonfigen An⸗ 
gemeſſenheit einer fo vielfach zuſammengeſegten Morgenandacht fei noch 


0 Religions «Unterricht. 


zurückgeſchoben — in Amal 30 Minuten in der Woche mit biblifchen 
Gefhichtspenfen, wie 4 DB. in der 6. Woche nach den Michaelioferien 
„Ruth. Buch Ruth 1.” „Eli und Samuel. 1. Sam. 1. 2. 3 ans 
zufangen? IA da wohl zu erreichen, was Dr. Hubert (Borwort Seite VII.) 
fordert: Erzählen jeder Geſchichte recht treu und lebendig nach der ſenau 
bezeichneten Stelle der heiligen Schrift oder nah ©. Schulz oder Zahn; 
Zueignung der Geſchichte durch Fragen, melde fih an den Gang der 
Geſchichte anfchließen und ben Inhalt derfelben vor den Kindern aus» 
reiten; die nöthigen Wort» und Sacherflärungen nach dem Handbuche 
von Bormannz Lefen der Gefchichte von den Altern Kindern in dem His 
forienbuche oder in der Bibel; noch einmal Erzählen durch den Lehrer 
und Daraufhalten, daß die Kinder in den beiden obern Abtheilungen 
ſaͤmmtliche Geſchichten mit Berfland erzählen lernen, alfo fleißiges Wieders 
erzäßlen. Da wird es dann freilih ganz von felbft gefchehen, daß, auch 
nahdem noch 15 Minuten der nächſten Stunde dem Auffchreiben der 
bibliſchen Geſchichten, Liederverfe, Katechismusſtücke und Bibelfprüde zur 
gewieſen find, ein großer Theil des biblifchen Geſchichtsſtoffes in andere 
Stunden, vieleicht in die Behandlung des Lefebuches hineinwandert, und 
biefes wird factiſch nicht vorhanden fein, auch wenn die Schüler es tägr 
lich hin⸗ und herwärts tragen. 

Aus den vier Ordnungen der Morgenandacht, die Hr. Prediger 
Solbrig in feinem Lehrgange für den Religionsunterricht in eins und 
zweiklaſſigen Elementarſchulen wieder mit ſtrenger Bezugnahme auf das“ 
preußifche Regulativ vom 3. Octbr. 1854 (Salzwedel 1855. Berlag von 
Schmidt) zunähft für die Altmark giebt, führen wir Ordnung D. an: 
1) Bibelfprud des Lehrers. 2) Gefang des erften Berfes des Wochen⸗ 
liedes. 3) Gebet des Lehrers. 4) Bibellection mit kurzer Erfiärung vom 
Lehrer. 5) Ein Kind fpridt im Namen Aller das Wochenlied. 6) Die 
Kinder fingen ben lebten Vers defielben. 7) Segenöwunfch des Lehrers. 
8) Dreimaliges Amen der Kinder. Im einer befondern, Wochenſpruch, 
Wochenlied und biblifche Lectionen darbietenden Tabelle find die zu leſen⸗ 
den und kurz zu erflärenden Bibelfoffe für die beifyielsweife hier ge» 
nannte Woche Eſtomihi folgende: Luc. 17, 1—19. Luc. 17, 20 — 18, 14. 
Job. 11, 1—57. Matth. 19, 1—30. Matth. 20, 1—16. Matth. 4, 
1—11. Auch feine diefer Morgenandadhten dauert nad) Berfideruug 
des Hrn. Solbrig länger, als hoͤchſtens 10 Minuten (!). 

11. Ein anderes Beifpiel. Das Regulativ fordert Seite 67: 
„Weiter find für jede Schule mindeſtens 30 Kirchenlieder zu beſtimmen, 
bie fe gelernt werden müffen.‘ Dan bat diefen Minimalfag in ver- 
fhiebenen Schulfreifen erhöht. Die Königliche Negierung zu Merfeburg 
hat 40 fehgefept, und es if gewiß damit ein rechtfchaffenes Theil Ar⸗ 
bett gegeben, zumal wenn man zugleich auf alles Andere ficht, was zus 
gleich feftes, unverlierbares Eigenthbum der Schüler werben nm. Aber 
auch die Forderung der 40 Lieder will Vielen nicht mehr genügen. Durch 
alle Zehner hindurch iR man beveits über 100 hinaus, ja bis 120 ges 
kommen. Das Unglaubliche feiftet ein Duumpirat aus Kirche und Schule. 
In einem des Verwundernswerthen viel enthaltenden Büchlein (Lit. G.) 


Religions - Unterricht. 9 


berichtet und Hr. Paſtor Fink und Hr. Lehrer Vorbrodt ale: 
‚Rimmt man an, baß fie (die Kinder) vom 9. bis zum 14. Jahre, alfe 
in 5 Sabren, in jedem nur 20 Lieber lernen, fo muß jedes Kind mins 
deſtens 100 Lieder aus der Schule mit ins Leben nehmen.‘ Bon ihrer 
eigenen Schule aber redend, laſſen fie fi alfo verlauten: „Die beten 
Eonfirmanden nahmen mit bis 120 der beften Kernfieder, 90 bibliſche 
Geſchichten aus dem Neuen und über 40 aus bem Alten Tehamente mit 
Ausnahme noch einiger längeren Abfchnitte aus dem R. T. wie Gtüde 
aus der Bergpredigt ze. und mehrere Pſalmen, bie fie ihrem Gedaͤcht⸗ 
niſſe eingeprägt hatten.“ Die Herren Fink und Vorbrodt nennen dieſes 
Reinitat ein wahrhaft erfreulichee. Wir und manche Andere, denen 
das Wort Gottes das erſte Unterrichts object der Volksſchule iſt, die wir, 
beiläufig geſagt, auch keine Neulinge in der Bolksihule find, ſchutteln 
bedenklich den Kopf zu den 100 und 120 Kirchenliedern. Wir fragen 
die beiden Pädagogen in Schönberg, — ob fie alles das, was fie in 
ihrem Eden bauen fönnen, auch etwa da gezeitigt wiflen wollen, wo ein 
gar fleiniges, dorniges Land zu beadern iſt? Und gar günftige Vers 
baͤltniffe müßten es fein, in denen 100 bis 120 Kirchenlieder von Schuls 
findern nicht bloß auswendig gelernt, fondern auch innerlich ange» 
eignet werden. Als folhen, die ein Regulativbuch geſchrieben haben, 
trauen wir den Schoͤnbergern wenigftens fo viel Berfländniß des Res 
gulativs zu, daß fie in dem Sinne und Geifle defielben bie Forderung 
der innerlichen Aneignung begründet finden. Wie fieht es num . 
mit der innerlihen Aneignung und der dahin einfchlagenden Arbeit, 
einer ſolchen etwa, wie Thilo fie in feinem geiftlichen Liede befchreißt? 
Denn es ſich freilich nur um das bloße Einlernen handelt, kann eine 
darauf dreffirte Schule noch mehr leiften. Dann haben wir aber auch 
noch die beicheidene Frage nach den ſonſtigen Schulrefultaten, als da 
find Schreiben und Rechnen und allerlei andere Dinge. Oder find Die 
Schönberger vielleicht jchon weiter, als die bekannte theologiſche Zeit⸗ 
ſchrift, die jüngft behauptete, daß die Gottesfurcht im Lande viel gräßer 
fein würde, wenn das Volk nicht fchreiben lernte! — 

Die Kirchenlieder follen fe gelernt werden, und das mit Recht. 
Aber: fiher liegt es nicht im Sinne dead Regulativs, daB die Schäler 
zu Antworten auf foldhe Kragen einerereirt werden: Wie heißt der 6. Ber? 
der zweite? 3. Das mag angebracht fein bei: Allein Bott in der Ss 
fei 2e., bei: Eine fee Burg if unfer Gott 2c., aber nicht bei vierzig 
oder gar noch mehr Kirchenliedern. 

Daß aber nicht” der Berichterflatter der Ginzige if, dem ſolche 
Bragis entgegen getreten ift, bezeugen die Auslaffungen eines Unge⸗ 
neunten im Brandenburger Schulblatt. Mais und Juniheft 1856, 
Seite 304 ff. — Zerreißt man denn auch Palmen in ihre Stronben 
oder Berfe, und woher kommt die Zeit zu den Zifferegereitin? Bo 
nd die Lehrer, die bei 30 bis 40 Liedern die Nummern ber einzelnen 
Verſe ſelbſt ſicher im Gebächtniffe haben?! Und weldien Ruben haben 
ſolche Uebungen für Herz und Leben? „Ich febe den Fall, es wolle 
Gh Jemand wit diefem einzelnen Bere (— B. 7 aus: Befiehl du deine 


42 | Religions » Unterricht. 


Bege x. —) trößten, fo ift ihm das nicht tröffich, und er frägt auch 
nicht darnach, daB es der flebente Vers ift, fondern, daß er anfängt: 
„Auf, auf, gieb deinem Schmerze 2. und fo weiter laute, wie er eben 
lautet. Oder foll in einer Berfammlung der Vers gefungen werden, fo 
wird es Keiner riökiren, bloß auf die Rummer des 7. Berfes hinzu⸗ 
deuten und zu boffen, Alle follen nun den Anfang willen, fondern er 
wird die Worte des Anfangs wohl angeben müflen. — Einen praftifchen 
Augen ber bier in Rede flehenden Mühjeligfeit ſieht man alfo nicht ein.’ 
(Brandenburger Schulblatt a. a. ©. 

12. „Eine beftimmte Methode des Lefenlehrens vorzufchreiben, fcheint 
mit Rückſicht auf mehrere feit einigen Jahren zu Zage getretene, noch 
nicht allfeitig ausgebildete und erprobte Verfuche jeht noch nicht an der 
BZeit.“ (Regulativ vom 1. Octbr. Seite 26.) Daß auch diefe offene Baus 
Kelle direct für den Religionsunterricht angebaut werden würde, fland 
faum zu erwarten. — In einem Leitartifel bes oftpreußiichen Evans 
gelifchen Gemeindeblattes (1855. Nr. 24), betitelt: „Hahnenfibel oder 
Katzenfibel?“ erzählt ein Herr R., den es in der Erinnerung an die 
alte Habnenfibel „anheimelt,“ daß ihm dabei ganz apologetifch zu Muthe 
wird, und der in „den hauchigen, fänfelnden, zifchenden Tonlofigkeiten, 
mit denen und die überaus rationelle Lautirmethode beſchenkt hat, Die 
alten ehrwürbigen Namen der ehrwürdigen Buchſtaben“ verloren fieht, 
von. einem "allerdings verunglüdten Berfuche, eine Katechismusfibel zu 
entwerfen, die nach Art der ehemaligen Hahnenfibel außer "dem erften 
notbwenbigften Lefelernmateriale den Katechismus, das Baterunfer, Ge⸗ 
bete 2c. zu den erſten Lefeübungen bdarbieten follte. Geſtuͤtzt iR der ganze, 
zu weiterm Nachdenken anheimgegebene Gedanke an die Katehismusfibel 
durch die Erfahrung, daß Kinder beim Lefenlernen unbemerkt ganze Lefe⸗ 
abfchnitte ihrer Fibel auswendig lernen und daß bei dem Leſen folder 
eingeübten Stüde ihre Worte dem zeigenden Finger immer vorausrüden, 
fo daß fie in der Wirklichkeit nicht Iefen, fondern größtentheils berfagen, 
was bei den Lefeübungen fih unmillfürlich eingeprägt; weiter auch auf 
die Erfahrung, „daß viele Kinder während ihrer ganzen Schulzeit über 
diefe erſten Mebungen nicht binausfommen und bei dem Memoriren ber 
Sauptflüde und deren Zubehör wegen mangelnder Lefefertigkeit große 
Schwierigkeit finden,’ alfo auf die Vorausſetzung, Daß durch ſolches Ab⸗ 
buchſtabiren und Berbuchflabiren der Hauptſtücke ze. der Stoff für den 
Religionsunterricht werde befler auswendig gelernt werden. — — Sicher 
hätte die Katechismusfibel, falls fie irgendwo in Oftpreußen Eingang ge» 
funden hätte, bald wieder das Feld räumen müffln; aber daß ein ders 
artiger Anlauf verfucht wurde, ift charakteriftifch genug für die väda⸗ 
gogifchen Beſtrebungen gewiffer Kreife überhaupt und die ben Religions 
unterricht angehenden im Befonderen. 

12. Das Bibellefen fol fih „hauptſächlich“ auf eine Auswahl 
aus den Pfalmen, prophetifchen Büchern und neuteſtamentlichen Briefen 
erſtrecken. (Regulativ vom 3. Detbr. Seite 67.) Wenn wir mande der 
vor uns liegenden Bibelzettel 2c. anfeben, fo müflen wir fagen, daß fie 
‚das. Wörtlein „hauptfächli‘' grob mit Füßen treten. Wir greifen. eins 


: Religions Unterricht. 8 


der Regulativbũcher heraus. Die Herren Fink und Borbrodt ſchreiben 
Seite 2: „Bibellefen: Das neue Teſtament nah ber Reihe; 
Seite 29: „Lefen im A. Z.: Außer einer Auswahl von Pſalmen 
und prophetifhen Büchern dienen nod folgende Abſchnitte 
zur Ergänzung und FKortfegung der Geſchichte des A. T.“ 
Run find 31 Kapitel aus dem 2. bis 5. Buche Mofis angeführt. Dan 
heißt e6: ‚Außerdem Stellen aus dem Buche Joſua, der Richter, dem 
Buche Ruth;“ dann folgen 8 auserwählte Kapitel aus den Büchern der 
Könige; dann wird noch das Lefen folgender Bücher gefordert: Jeſaias, 
Jeremias, Daniel, Jonas, Efther, Hiob (Lefen der Kapitel 1. 2. 42), 
Tobias, Esra, Nehemia, erfies Buch der Maflabier. Es if auf 44 
Schulwochen gerechnet, die Woche doch wohl zu 2 Stunden Bibellefen. 
Eine Stunde wird wohl auch in ber Zink» Borbrodtichen Mufterfchule 
von den Perikopen vollkändig in Anſpruch genommen. Es bleiben alfo 
44 Stunden übrig. Run wolle der geneigte Lefer, fo er. e8 anders der 
Mühe werth erachtet, die geforderte Kapitelzahl zufammenaddiren und 
darnach das durchfchnittliche Stundenpenfum berechnen, und die Herren 
aus Schönberg mögen uns fagen, wie fie Bibellefen treiben und im 
welchen Stunden fie es treiben. — Aehnliches als Zink und Borbrodt 
bietet ung Hr. Dr. Hubert, der auch die Offenbarung Johannis für die 
Schulandahten verwendet. Da find wir denn, nachdem die Regulative 
erjchienen find‘, wieder bei dem Satze, der einft (fiche den vorjährigen 
Sahresberiht Seite 13—15) in Gumbinnen ausgefprochen wurde: „Alles 
fol in der Bibel gelefen werden, von Anfang bis zu Ende.’ Wo bleibt 
da der Zwei des Bibellefens? wo das Regulativ? 

14. In der Kirche regt fih fühlbar das Bebürfniß nach dem 
litusgifchen Elemente der Erbauung. Biele Hände find beichäftigt, das 
Bedärfniß zu befriedigen. Die Rührigkeit ift fo groß, daß es den Ans 
ſchein gewinnt, als wolle man durch das Liturgifche alle alten Wunden 
heilen. Und jüngk find auf einer Berfammlung von Geiſtlichen von 
einem Stolbergr Roflaer (Baftor Potel in Uftrungen) Worte geſprochen 
worden, die auch Solchen, weldhe mit dem Sprecher biöher auf einem 
Glaubensgrunde zu ſtehen dachten, ernſtlich bange machen müſſen. Pa⸗ 
rallel mit den Maaß und Ziel verfennenden liturgiſchen Beſtrebungen 
der Kirche geben die der Schule, oder richtiger, die auf die Schule ſich 
binrichtenden. Nicht bloß gewiſſe Lichtpunkte des fehulifchen und kirch⸗ 
lihen Lebens, wie 3. B. die Borabende der großen kirchlichen Yehtage, 
der Geburtstag des Landesherrn 2c., denen eine Auszeichnung durch eine 
liturgiſche Andacht ficher gebührt, ſondern faft jede einzelne Gebets⸗ und 
Andachhtökunde, Morgengebeie, Nachmittagsſchlußgebete, Kindergottes⸗ 
diente, Schuimiffionskunde, — Alles muß liturgifh zugerichtet feim. 
&r. Dr. Hubert bringt uns außer feinen ſchon angeführten liturgiſchen 
Morgengebeten noch eine Ordnung des Kindergottesdienfles, nach welder 
der Lehrer funfzehn Mal, die Schüler fechszehn Mal ſprechend umd 
ſingend auftreten. Noch weiter, als in Preußen, fcheinen die ſchuliſch⸗ 
liturgiſchen Beftrebungen in Medienburg zu geben. Wie weit man ſich 
dort werirzt, zeigt ein in dem Medienburger Schulblatie 1856 Rr. 35 


T Religions Unterricht. 


gegebenes Formular zur Abhaltung ber monatlichen Miffiondfiunden in 
ber Volksſchule. Es wird ein Kirchenlied gefungen, der Lehrer fpricht 
einen Bibelſpruch, der Schülerhor fpricht ein Gebet, der Lehrer Tief 
Jeſaias 2, 2—5, der Schülerhor ſpricht Joh. 3, 15, der Lehrer fragt 
die Schüler, inwiefern wir Schuldner find den Griehen und den Un 
griehen, den Weiſen und den Unweilen. Nachdem ein Schüler darauf 
geantwortet hat, werden zwei Bere gejungen, von denen der eine 
alſo lautet: 

„Die Schwarzen und die Braunen 

Laßt Jeſus aufpofaunen - 

Aus ihrem Sündenfchlafe. 

Der große Hirt der Heerde 

\ Geht fuchend durch bie Erbe, 

Verliert nicht gern ein einzig Schaf.‘ 
Dann leſen nem Schüler auf vorhergegangene Aufforderung des Leh⸗ 
rers neun Schriftftellen, die von der Miffion handeln, darauf folgen 
20 Fragen des Lehrers und eben fo viele Antworten der. Schüler, das 
zwifchen Lefen von 8 Schriftfiellen, theils durch einzelne Schüler, theils 
durch den Schülerchor, theil6 durd den Lehrer, und zweimaliges Singen. 
Beifpiele diefer Fragen und Antworten. Frage: „Wie kannſt du durch 
Neden den armen Heiden helfen?“ Antwort: „Wenn ih ihnen Durch. 
meine Worte mehr thätige Freunde gewinne. Frage: „Findeſt du Das 
zu Gelegenheit?‘ Antwort: „Als Maria den Herrn jalbte, berechnete 
Judas die Koften und fprah: Wozu diefer Unrath? Man follte das 
Geld lieber den Armen geben. Aber in der That fragte er nichts nad 
den Armen. Alfo bat auch die heilige Miffion viele Feinde, weil fie 
Geld koſtet.“ Frage: „Wie kannt du den armen Heiden heifen durch 
bein Leben?” Antwort: „Wenn ich mein Licht leuchten laffe, daß die 
Angläubigen meinen guten Wandel fehen und Gott preiſen.“ — Rad 
dem Bwiegefpräce der freie Bortrag des Lehrers, dann ein liturgifches 
Lobyreifen Gottes (dreimal fprechen die Schüler, dreimal ſpricht dee 
Lehrer), das Einſammeln der Mifftonsbeiträge, Schlußgebet des Lehrers 
und Schlußgefang. — — Rr. 37 des Medienburger Schulblattes bringt 
ung „bie Form, wie in der zweiten Klaffe zu D. der Morgenfegen gebetet 
wird.‘ Nach einer Aufforderung des Lehrers zum Beten fpricht ein 
Schüler: „Das walt' Bott, Vater ꝛc.,“ dann ein zweiter: „Ich danke 
dir, mein himmliſcher Vater, durch ꝛc,“ Darauf ein dritter wieder nach 
vorhergegangener Aufforderung den Glauben, ein vierter betet das Vater⸗ 
unfer. Dann folgt ein für jeden Zag befonders beftimmter Gebetsvers 
oder biblifcher Segenswunfch von dem Lehrer gefprochen, dann ein Lieder« 
vers von dem Schülerchor gefungen, darauf nach einer befonderd for⸗ 
mulirten Ankuͤndigung des Lehrers ein Kapitel aus der Bibel oder ein 
Lied aus dem Geſangbuche, ein Hauptſtück des Katechismus, — gelefen, 
reſp. gebetet. — Der Berichterflatter verwahrt fih ausdrücklich gegen 
die Geringfchägung des Hiturgifchen Glementes in der Schule, aber er 
bezeichnet folche Lünftliche, vielfach zuſammengeſetzte liturgifche Andachten 
in der Vollsſchule ale beklagenswerthe Berireungen. Er erinnert zu⸗ 


Religions - Unterricht. 15 


nihR daran, weich’ ein ſchwieriges Ding es if, eine eingige, nit ein» 
mal fehr zufammengefebte liturgiſche Andacht mit den Schülern fo exaet 
vorzubereiten, daß jede Störung — auch die geringfle if der Todfeind 
der angefirebten Erbauung — vermieden wird. Da giebt es viel Ein- 
üben, viel Proben, viel faure Arbeit, ehe das Ganze jo weit hergerichtet 
if, daß alle einzelnen Stüde in Einklang kommen. Es if arge Täu—⸗ 
hung, bei Schülern Erbauung vorauszufegen, denen nach mühevoller, 
oft nicht in Liebe und Ganftmuth vollbrachter Einerercirung die Er⸗ 
innerung an das, was hinter ihnen liegt, und die Ang vor der bei 
augenblidlicher Unaufmerkſamkeit anzurichtenden Störung wie ein Kobold 
über die Schultern hinweg in Bibel und Geſangbuch hineinfieht. (Dar 
zu find beifpielsmweife zu vergleichen die Materialien in dem Bude von 
Sydow. Lit. F.) Und ganz abgefehen von den Hinderniflen der Err 
bauung, die in der arbeitsvollen Seite liturgifcher Burihtungen Liegen, 
it es eine andere arge Zäufchung, aus gänzlicher Unbelanntfhaft mit 
dem Tindlichen Geiſte erwachſen, in dem Biel und DBielerlei eine wirk⸗ 
liche Erhebung nach Oben zu fuchen. „Es ift zu bedenken,‘ fagt Thile 
im geiftlicden Liede Seite 148, „daB ein Bielerlei nicht fammelt, ſondern 
zeriteut, den Geif nicht in fehle Richtung, fondern in Schwankung ver 
ſeht. Was einem Gereiften nicht anzufinnen if, darf man noch wer 
niger einem Kinde zumutben. Man hat einen Luxus von Formen ers 
mittelt für die Andachtserregung. Dan verfahre haushälterijch mit den⸗ 
jelben in der Schule. Die Schulandacht muß, fol fie Fein Schein, 
d. 5. feine Unwahrheit fein, fo einfach als möglich gehalten werden, 
um fo wahrhaftig als möglich fein zu Lönnen. Es ift mehr als eine 
Thorheit, das Bitten und Zürbitten, Danken, Loben und Preifen, das 
der Herr fich zugerichtet hat in dem Munde der Unmündigen, alle 
Augenblide in eine complicirte Mefle einzurenlen und einzufchrauben, 
damit es dem Herrn ein wohlgefälliges Opfer fei. „Die Schulliturgien, 
Die Schulaltäre werden es aud nicht thun. Muß denn Alles kuͤnſtlich 
werden, was Gott einfach begehrt, und will man denn mitten im Abs 
ſchaffen der leidigen Leitfäden nun gar methodifche Lehrgänge der Ans 
dacht Kiefern?" (Hupe: Brandenb. Schulblatt. Mai» u. Junibeft. Seite 
356.) Endlich aber fei wieder die Frage aufgeworfen: Woher Tommi 
die Beit zu den nothwendigen Vorbereitungen, und weldes Unterrichts⸗ 
object wird, da die wenigen Gefangfiunden doch nicht dazu hinzeichen, 
und auch an Volkslied, Kirchenlied und kirchlicher Liturgie ihr Theil 
haben, geichädigt? Ramen find gehäſſig und überflüfflg; wir wollten 
fonk nah Ort, Zahl und Zahr die Beweife liefern, wie es mit ben 
Säulen da Reh, wo die Schulinfpeetoren oder Lehrer als Erfinder und 
Ausbildende neuer Singelehrmethoden auftreten, oder wo zu pomphaften 
Begräbnifien eine Menge künſtlicher Grabegefänge, wo möglich ganz neue, 
eingeübt werden wüflen, oder wo das Firchlich-liturgiiche Element über 
Die vorkandenen Kräfte hinaus angebaut wird. Die liturgiſchen An⸗ 
dachten der Volksſchule in ihren Künflichkeit und Ueberzahl müſſen dies 
ſelben Früchte tragen. 





416 Religions » Unterricht. 


15. Hierher einſchlägig iR auch ein Vorſchlag, von einem Nanne 
gemacht, von dem man, wenn auch nicht immer Praktifches, fo doch meift 
„Friſches und Firnes“ zu bören gewohnt ik. Director Hauſchild 
fhlägt (Leipziger Blätter für Erziehung und Unterriht. 1. Jahrgang 
1855. Seite 116—117) bei der Erörterung des Gedankens, daß bie 
Feſtmomente des bäuslichen Lebens in die Schule binein müffen, vor, 
die Geburtstage der Schulkinder auch in ber Schule zu feiern. „Der 
Seburtstag muß feine Strahlen auch in das Lehrzimmer werfen. Wenn 
die Kinder von wohlthuender Eiternhand mit allerlei Freuden überſchüttet 
worden find und ihr Herz lauter, als fonft fchlägt, da kommt der Lehrer 
und legt die Gaben geiftiger Weihe dazu. Er betet für das Kind mit 
den andern Schülern, er hält eine kurze Anrede an daffelbe, nimmt feine 
frommen Berfprehungen an.’ Bo if das Alles ausführbar ? 

16. Setzen wir zu dieſem Allen noch unfer Urtheil über den 
Stand der Literatur des Meligionsunterrichtes in der Volksſchule im 
Allgemeinen. Es ift mit Recht bereits mehrfach ausgeiprochen worden, 
daß feit einigen Jahren, namentlich feit dem Erfcheinen der preußifchen 
Regulative, eine wahre Schriftftellerwuth unter Schulinfpectoren und 
Lehrer gefahren il. Es möchte aber auf keinem Gebiete die Ruͤhrigkeit 
fo groß fein, ale auf dem bes Neligionsunterrichtes. Leider fleht Die 
Berbienkligfeit der Leitungen in großem Mißverhältniffe zu der Ans 
zahl. Ein gutes Theil der in Schaaren erfcheinenden Katechismen, Hands 
büchlein, Leetionspläne ift fehr ſchwache Arbeit. Da ift auch nicht eine 
Spur von Belanntfhaft mit den Zuftänden und Bedürfniffen der Volks⸗ 
fhule, mit der Leifungsfähigfeit der Lehrer und Schüler, nicht eine 
Spur von pädagogifcher Bildung und Erfahrung überhaupt. Nach mecha⸗ 
nifcher Zählung werden biblifche Geſchichten, Katechismusftoffe, biblifche 
Bücher, Kirchenlieder in größere oder Bleinere Partikeln gefchnitten, 
nah einem Divifionsegempel auf eine befimmte Anzahl Schulwochen 
vertheilt, und ein „Handbüchlein,“ „ein Kirchenjahr in der Volksſchule“ 
if fertig. Für Diejenigen aber, welche vor der in Büchern diefer Art 
gangbaren Auffpeiherung von Maffen erfchreden, haben die yädagogifchen 
Sabrifarbeiter den leidigen Zrof: „Es muß fertig; ja fie verfihern 
wohl gar, daB fih die Schwierigkeit höchſtens auf ein Jahr erfirede 
und daß die Nutznießer ihrer Machwerle nad wenigen Jahren fidy bie 
gegebenen Benfen noch vergrößern werden. (So Fink und Borbrodt 
a. 0 O. Seite XII.) Im Jahre 1852 ſchrieb Goltzſch: „Schon if 
die Defürdtung nicht mehr grundlos, daB im Eifer um das gefährdete, 
der Volksſchule wefentlihe Bildungsmaterial mit der Pädagogik wenig 
vertraute Schulauffeher und Lehrer dahin gelangen möchten, eine ſchlecht⸗ 
bin feindfelige oder gar verächtlidh abweifende Stellung zur PBädagogif 
einzunehmen und bamit bie Bolfsfhule der treugemeinten Hülfsleiſtung 
einer fehr eifrigen und arbeitsfreudigen Dienerin zu berauben.” (Bors 
wort zur erfien Auflage feines Einrihtungs- und Lehrplanes.) Seht, 
am Schiuffe des Jahres 1856, wird Golgfh wahrſcheinlich mit uns 
einverftanden fein, wenn wir behaupten, daß die fogenannten Regulativ- 
bücher, namentlih die in das Gebiet des Neligionsunterrichtes - hinein, 


Religions⸗ Untetricht. 


ſchlagenden, zum Theil ‚wirflige padagogiſche Armutdezeugniſſe And: 
Ce if ſo weit gekommen, daß in andern Kreiſen, als denen, in welden 
man, nah dem Worte des trefflihen Thilo, von einer Bädagogif 
wenig oder weniger als wenig weiß, die Regulativliteratur überhaupt in 
argem Mißfrebite ſteht. Der Mißbrauch, der von den Büchermachern 
mit dem Regulative vom 3. Dctbr. 1854 getrieben wird, if freilich zu 
entiepfih. Schriftfteller, hinter dem Regulative ber aufgeſchoſſen wie 
Pilze nah dem Regen, Leute, die gänzlich unfähig find, Sinn und 
Geiſt des Regulatins zu verfiehen, und darum an den Wortlaut fidh 
ingflich anflammern, auch Solche. die 28 fi gar nicht übel nehmen, 
den ausdrücklichen Beſtimmungen des Regulativs geradezu ine Geſicht 
zu ſchlagen, oder aus ihnen herauszudeuten, was zu ihrem eigenen Un« 
verkaude paßt: ein ganzer Chorus von hüben und dräben fegt mit une 
geheurer Vermeſſenheit feinen Machwerken den Namen des Regulation 
an die Stirn und ſchickt die fo geaichte Waare anf ben Büdermarki. 
Die armen Bolksſchullehrer aber, vornämlich die älteren, von denen 
viele unter dem Ginfluffe vergangener Doctrinen aufgewachſen find, 
greifen bei aller Beichränktheit ihrer äußeren Mittel haſtig nach deu ſo⸗ 
genannten Regulativbüchern. Bon Lofatfchulinfpectoren reichlich mit Vor⸗ 
fnriften über die Ziele bes Unterridhtes, auch wohl mit allgemein ges 
heitenen, meiſtens aus der Theorie und nicht aus der Braris erwach⸗ 
jenen meihodiſchen Ratbichlägen verfehen, ſuchen fie in den Regulativ« 
bachern fo recht eigentlich den flügenden Stab ihrer auf neue Vahnen 
gewsiefenen Progie. Uber wie oft wird diefer Stab. ein Stab Wehe, 
venn der neue Regulativfetehismus „foröde und fandig’' if, oder alles 
Andere, nut nicht die geforderte einfache „Wort- und Sacherklärung“ 
bietet, wenn die Benfen, die in dem zum führer genommenen „Bands 
bũchlein, Blaue zc.’ angelegt find, ſich nit einmal gedaͤchtnißmäßig 
abjoßeiren laſſen, wenn breite, hohle Phrafe ale Deutung der Regu⸗ 
lative ſtudirt werden fol. Die Rathloſigkeit der Lehrenden aber hat 
als Bielgefchäftigkeit und unrubige Arbeitshaſt ihren Niederſchlag in der 
Schule. Tnter dem unruhigen Drängen und Treiben wid fi die Sab⸗ 
batharnhe des innerlichen Berfentene in das Heiligtfum des Gottes⸗ 
worte® nicht mehr finden. Die Schule wird zur Fabrik; Lehrer und 
Schüler geratben unter dad Räderwerk eines ertödtenden Mechanismus. 
Ee if hohe Zeit, das Rind bei feinem rechten Namen zu nennen, hobe 
Zeit auch, daß Diejenigen, die in pädagogiſchen Zeitiäriften das Amt 
der Kritik üben, nicht mit Geißeln, fondern mit Ecorpyionen auf die 
umächten Regulativbücher zuſchlagen und, fo viel fie e8 vermögen, alle 
unnügen Eindringlinge aus der Schule treiben! Es güt, gar manchen 
Leuten vie Maste des Regulatives herunterzuziehen und nicht, wie bis⸗ 
ber leider zu oft geſchehen if, fo fänberlik zu fahren mit den Kindern‘ 
des Unverflandes und der Bermeffenheit. Schon haben wir e8 uns von’ 
der katholiſchen Schule (Katholiſcher Schulfrennd 1856. Seite 136 — 137) 
müffen fagen lafien, daB dad Regulativ bald fagen wird: „Bewahre 
mid, o Herr, vor meinen Freunden; vor meinen Feinden mag ich mich 
ſchen ſelbſt fügen!” Auf die Hülfe der Mittelbehörden werben wir 
Kade, Zahresbericht. X. 2 


18 Religlons⸗Unterricht. 


freilich auch rechnen müſſen. Sie geben ab und zu amtliche Empfeh⸗ 
lungen für neue Bücher; wäre es nicht auch zu ermoͤglichen, daB fe 
„falfhe Waare und falfhen Handel mit den Regulativen“ geradezu 
Tennzeichneten ? 


I. Die einzelnen Gebiete des Religionsunterrichtes. 


A. Die Unterftufe. 


17. Den Stoff anlangend, if die Uhr Derer lange abgelaufen, 
welche die Zeit mit Artigkeits⸗ und Klugheitsregeln, bald in eigende 
dazu gefchmiedeten Berschen und Geſchichtchen von Hans und Kunz, bald 
in Fabeln von Hape und Maus, und. mit einer aus fentimentaler Natur 
und Gottesbetrachtung abgezogenen Moral binzubringen verkanden. Man 
iR darüber einig, daB auch der Religiondunterricht der Kleimen ein Mas 
terial mit poſitiv⸗chriſtlichem Inhalte, aljo etwas aanz Anderes, als 
jenes fo oft unter dem Namen des Borbereitungsunterrichtes bin» und 
bergefhobene und breit getretene Geröll verlange. Auch Diejenigen, 
welde die Srundanfchauungen einer überwundenen Beitfirämung nicht 
verleugnen, dabei aber des neuen poſttiv⸗chriſtlichen Fermentes fich nicht 
ganz erwehren fönnen und die, auf beiden Seiten hinkend, Neues und 
Altes zu einem wunderlihen Gehräu zufammen tbun, fcheinen immer 

mehr und mehr in den Hintergrund zu treten und wenigfiens auf dem 

Gebiete der Literatur das Feld zu räumen. Nachdem uns z. B. Here 
Director Scharlach in Halle in dem Koörnerſchen praktiſchen Schal⸗ 
manne noch vor wenigen Jahren eine Reihe Proben folcher Miſchwirth⸗ 
fhaft gegeben hatte, iR ex feitdem mit der Weiterführung feiner Arbeit 
im Rüdfkande geblieben, und nur zwei ähnliche Erfcheinungen hat das 
Sabr 1856 uns zu Gefichte gebracht. In Rr. 21 der Sächſiſchen Schul⸗ 
zeitung giebt ein Herr St. einen Kurfus für den Religionsunterricht 
einer Unterfiufe, der „kurze, leicht verftändliche biblifche Gefchichten in 
hiſtoriſcher Folge“ und „kurze, leicht faßliche Verschen“ zur Unterlage 
bat. Bur Eharakterifivung der Letztern heben wir nur zwei heraus: 

„Sm und trink' mit Maaß und Freuden, 

Uebermaaß muß Schmerzen leiden.‘ 


„Haſt du Geld, fo beb’ es auf, 
Sammle dir’8 zum Jahrmarkt auf; 
Kauf was Ordentliches ein, 

Wer's vernaſcht, den wird’s gereu'n.“ 


Außer dieſem Zeitſchriftenartikel iſt uns noch ein in demſelben Meiſte 
verfaßtes Hülfsbüchlein für den erſten Religionsunterricht (Lit.“ Unter⸗ 
mife) begegnet, in dem es unter Anderem beißt: 

„Auf Hitze frinfe nie, 

Noch kühle ſchnell dich ab, 

Sonft quälen Schmerzen dich 

Und früh fintft du in’s Grab, 


Religions » Unterriät. | 19 


18. Solche verwitterte Waare verwerfend, erfennt bie Gegenwart 
ale bereihtigtes Material des NReligionsunterrichtes der Unterflufe an: 
Bibliſche Geſchichte, Bibelfprüde, Katehismusflüde, einzelne Verſe des 
Kirchenliedes, zum Theil auch ganze, aber nur fürzere und leichtere 
Kirchenlieder und Gebetsſtoffe. Auf feiner ahfleigenden Linie fcheint bes 
reite ein noch vor wenigen Jahren fehr gangbarer Stoff zu fein, näm⸗ 
lich ſolche Verschen, die theils die Spige einer biblifhen Geſchichte, 
theils unabhängig von dieſer religiöfe Wahrheiten in fich tragen, Die 
aljo mit den $. 17 genannten Reimereien nicht zu verwechſeln und mas 
teriell nicht zu verwerfen find. Bereits 1855 hatte fih der Berichts 
erſtatter ſelbſt (in feinem Büchlein: Der erfte Religionsunterräht für 
Kinder erangelifher Chriften sc Gieleben 1855 bei Reichardt) gegen 
diefe Verschen erflärt. „Der begrenzte Raum der Volksſchule verlangt, 
daß vorzugsweiſe Solche Stoffe dem Gedäctniffe der Kleinen geboten 
werden, die nad allen Seiten hin einen bleibenden Wertb haben, an 
denen ih noch der Erwachſene nicht nur wegen ihrer Lieblichkeit und 
Gemäthlichkeit erfreut, fondern vornämlich erbaut, in Leiden und Zrübs 
falen aufrichtet, in der Stunde der Berfuchung im Guten flärft und 
befeſtigt. Das bee Verschenbuch der Kleinen ift das kirchliche Geſang⸗ 
bu, eine verfländige Auswahl natürlich vorausgefept.‘ Damit übers 
einfimmend fagt 1856 die Redaction des katholiſchen Schulfreun⸗ 
bes (12. Jahrgang, 2. Heft) auf Anlaß einer fpäter anzuführenden 
Arbeit von Schuth: „Dieſem Zwede — der religidfen Anregung — 
ſollten möglihR felten ſolche Berfe dienen, melche, lediglich zu einem ges 
wiſſen Zwede gedichtet, den Charakter des Gemachten, der Künftelei, der 
Zändelei mit Gefühlen an ſich tragen und eben nur für die Bollsfchule 
dienen, nicht aber für’& Leben behalten und ins Leben getragen werden. 
Bollen wir biblifhe Geſchichte und Religionsiehre mit Liederverfen unters 
Rügen und begleiten, dann empfehlen wir vor allem Lieder aus dem 
landesũblichen Geſangbuche. Lern das Kind diefe auswendig, fo lernt 
es fie zugleich für den Gottesdienſt feiner Kirche, und wenn es im ſpä⸗ 
tern Leben dieſe Berfe wieder fingt, dann werden ibm aud bie Ein» 
drũcke au6 der Kinderwelt, aus der Schule wieder ins frifche Andenken 
fommen und mit magilcher Gewalt auf es einwirken. Diefe Grund» 
füge find bei allen Denen, die in biefem Sabre auf dem betreffenden 
Gebiete irgendwie wegweifend aufgetreten find, maßgebend geweien, fo 
bei Jaspis, bei Wed, bei Bifhoff (vergl. Literatur), ſelbſt bei 
den Zührern untergeorbneter Bedeutung, 3.8. Hubert. Auch Kolde 
iR im der dritten Auflage feines namentlih in Schlefien viel gebtauchten 
Buches (Lit.: Unterfiufe) feinem vorberrfchenden Zuge zum Kirchenliebe 
tren geblieben. Eine Ausnahme macht, fomweit die Literatur aus dem: 
Gebiete der evangelifchen Volksſchule dem Berichterftatter bekannt iR, nur 
em Ynonymus (Lit.: Unterufe), der aber mit feiner Leiftung der uns 
teren Ordnung angehört und außerdem dem Stirchenliede dadurch ned) 
Aechnung trägt, daß er zugleich mit den ſchon befprochenen Verdchen 
auch Berfe aus Kirchenliedern auftreten läßt. , 

' 2 





20 Religions⸗Unterricht. 


— 19. Mit ziemlicher Uebereinſtimmung wird unter allen zu den 
Religionsuntertichte der Kleinen gehörigen Stoffen die bibliſche Geſchichte 
als das eigentliche Hauptſtück angeſehen. Die einft von Stolzens 
burg im fchlefifhen Schulblatte angebahnte Weife, den Statechiemusfap 
in den Mittelpunft zu flellen, fcheint unter den Sachkundigen nicht 
Nachahmer zu finden. In allen übrigen Beziehungen gehen die Meis 
“nungen fehr weit auseinander. 

20. Verſchieden wird ſchon die für den ganzen Religionsunterriäht 
der Unterſtufe fo einflnfreiche Frage beantwortet, ob in der ungetheilten 
Volksſchule Oberfiufe und Unterflufe ihren Religioneunterricht gleich» 
zeitig oder in gefonderten Abtheilungen empfangen follen. Im Preußiſchen 
hat das Negulativ vom 3. October 1854 der beiderfeitigen Praxis Raum 
gelaſſen. „Wo es nicht zwedimäßig erfcheint, alle Abtheilnngen dem 
Religionsunterrichte wenigftens zuhören zu laſſen, da find flifle Beichäfe - 
tigungen nur aus dem Gebiete des Neligionsunterrichtes zu wählen.” 
(Seite 68.) Unter den uns vorliegenden , leider nur in geringer Ans 
zahl erreichbar gewefenen amtlichen Auslegungen des Regulativs enthält 
ein von der Königlichen Negierung zu Breslau am 26. Juni 1855 
für den betreffenden Regierungsbezirk gegebener Lectionsplan für die ein, 
Maffige Schule mit ungetrennten Abtheilungen (— „Verordnungen der 
Königl. Regierung zu Breslau, veranlaßt durch die neuen Schulregur 
lative. Breslau. Verlag von Karl Dülfer 1856.) über die vorzugsmeife 
der bibliſchen Geſchichte gewidmelen Stunden folgende Bekimmung: 
„Biblifhe Geſchichte, verbunden mit Bibellefen. Lieder werden gefagt. 
Die Kleinen werden berüdfihtigt” In demfelben amtlichen 
Schriftſtücke ift aber auch zweimal in der Woche die Arbeit der nächften _ 
Stunden alfo normirt: ,‚Auffchreiben biblifher Stoffe. Die Jüngern 
fehreiben ab, oder es wird ihnen dictirt; mit den Kleinften wird über 
entfprehende Gegenſtände gefproden, oder Leſen.“ Unter 
den nichtamtlihen Borlagen läßt Dr. Hubert alle Abtheilungen ber uns 
getheilten Schule ohne Weiteres an dem in jeder Woche viermat je in 
40 Minuten ertheilten Unterrichte in der bibliſchen Befchichte fo Untheil 
nehmen, daß die Unterflufe beftimmte Geſchichten aus dem Gefammt- 
materiale zu lernen hat, bei der Behandlung der übrigen Geſchichten 
alfo nur zubört; außerdem beſtimmt Hubert an jedem Tage 15 Minuten 
zum Erlernen der biblifhen Gefchichte, Liederverfe, Katechismusſtücke, 
Gebete und Bibelfprühe durch Borfpreden. Bormann (,‚Unterrihtt 
Funde für evangelifhe Volkeſchullehrer ꝛc Berlin bei Wiegandt u. Grieben 
1856. Seite 238°) thut in feinem Lectionsplan für die einklaffige Volle 
ſchule einzelner. Abtheilungen und Etufen gar feiner Erwähnung, feht 
biefe aber nad) dem, mas Seite 22 über die den Kleinen befonders zu 
widmende Zeit gefapt ift, voraus. 

21. 86 ift gegen das Zufammenfaffen aller Stufen anzuführen, 
daß dabei ſchwerlich für das Bedürfniß der Kleinen in hinreichendem 
Maaße geforgt werden fann. Schon der Lertionsplan der Königlichen 
Regierung zu Breslau, der offenbar anf ein nad) Form und Inhalt für 
bie Unterflufe einzurichtendes , befonderes Erzählen der bibliſchen Ge 





eliglen- Unterricht. 


ſchichte hinweiſt, wie denn auch in dem ſchon angeführten amilichen 
Shriftlüde (Eeite 68) ausdrücklich das auf eine gefonderte Unterfufe 
angelegte Buch von Kolde empfohlen if, dürfte das Bedenken erregen, 
ob die für die erſte Stunde geforderte Berhdfihtigung der Kleinen in 
der Praxis viele gefchidt ausführende Hände finden und ſich nicht etwa 
in ein bloßes BZuhörenlailen verwandeln wird. Durchaus zu verwerfen 
uud deutlich aus dem Mangel an eigener Erfahrung hervorgegangen 
And die von Dr. Hubert für das gelonderte Vorſprechen der biblifchen 
Geſchichte ac. angelepten täglihen 15 Minuten, weil fie ein ganz uner⸗ 
tägliches BZerreißen wenigſtens der biblifchen Geſchichte und damit ein 
ganz troflojes Arbeiten einfließen. Dazu liegt die Frage, ob die ein» 
jeinen Gejchichten von den verichiedenen Stufen in gleicher Ausdehnung 
und Zaflung gelernt werden follen, ganz außerhalb des Hubertichen Ges 
ſichtskreiſes. Wir crinnern Dr. Hubert und die übrigen Pädagogen 
feiner Bafis an Das, was Bafor Kolde, deflen Büchlein aus der Er, 
führung herausgeſchrieben if, fchon 1845 gelagt hat: „Ich wundere 
mich, wie Männer voll Liebe zum Herrn und zu den Kindern, die er 
"jo lieb hatte, es aushalten Fönnen, die lieben Kleinen mit ihren für 
das Wottesreich fo emipfänglichen Herzen in einer Religionsfunde zu 
wiſſen, in der fie als müßige Zubörer fi) gewöhnen müflen, Unvers 
Rändliches von dem Geoffenbarten und Offenbarenden fi vorreden zu 
laſſen, Thörichtes, Schädliches in den wichtigen, für den hoͤchſten Segen 
beftimmien Etunden zu treiben, ihre Luft und Liebe zum Bater im 
Himmel und feinen Geboten dämpfen, erftiden zu laffen. Dan fage 
nicht, daß die Kleinen mit den Großen (nur zubörend — ohne befon» 
dere Derüdfichtigung) genug lernen können; bei dem befien Willen des 
Lehrers fallen ihnen Doch nur Brofamlein zu, bei denen Geif und Herz 
ſchmachten muß, während die größern Schüler gelättigt werden müflen. 
Des Schlechten wird in ſolchen Etunden mehr als des Guten gelernt.‘ 
(Borwort zur erſten Auflage des Koldefchen Buches. Seite V.) Diefen 
gewiß ſehr beherzigenswerthen, von jedem praktifchen Schulmanne ale 
richtig anerlannten Auslaffungen Kolde’s fügen wir noch hinzu, daß bei 
Befolgung eines fo unverfläntigen, wie des Hubertſchen Planes, fi 
gar bald Die traurige Röthigung herausftellen wird, das Vorſprechen der 
bibliſchen Geſchichten ꝛc. durch Schuͤler vollziehen zu laſſen. Dr. Hubert 
bat dieſes freilich (a. a. O. Vorwort Eeite XIV.) wenigftens theilmeife 
von vorn herein zugegeben. „Von den Kindern der vierten (unteren) 
Abtheilung werden aus den angegebenen Liedern nur einige Verſe, dar 
neben aber noch einige Gebete gelernt und zwar durch Vorſprechen des 
Lehrer oder eines Gehülfen, deren fich der Lehrer einige aus ber Zahl 
der beſten Schüler und Echülerinnen auswählen und zu fogenannten 
Bankoberſten beſtellen muß.’ Das ift eine Garricatur des Religionds 
unterrichtes! Jeder verfländige Bauersmann fäet fein Samenkorn felbft 
und meifet dabei die Helfer zurüd, wenn er es irgend fann, und ba, 
wo es dem Ausfäen des edeiften Samenkorns auf den edeiften Ader 
eilt, fol es mit Bankoberſten abgetban fein. Dr. Hubert fagt aller 
dings: „‚Diefe Bankoberften follen aber nicht herrſchen über die armen 





AR Religions » Unterricht. 


Kinder, fondern denfelben in Liebe dienen lernen, aber damit wifcht 
er die Garricatur gewiß nicht hinweg. - 

22. Eine Theilung in Unter» und Oberfufe verlangen unter den 

amtlihen Erlaffen die „Erläuternden Bekimmungen der Königlichen Re 
gierung zu Merfeburg vom 2. Zanuar 1855. Rah ihrem Stunden» 
plan der ungetbeilten Bolfsfhule (a. a. D. Seite 15) beginnt der Uns 
terriht für die Unterfiufe erſt in der zweiten tägliden Arbeitsftumde, 
nachdem die erfle für den Religionsunterricht der Oberfiufe verwendet 
if. Für den Neligionsunterriht if eine Rachmittageftunde feſtgeſetzt, 
während welcher die Oberſtufe mit Schreiben befchäftigt-wird. Unter 
den SPrivatarbeiten des lezten Jahres gebt Jaspis fogar von der 
Borausfepung dreier getrennt zu haltenden Stufen aus. Derjelbe fordert 
wenigſtens zwei balbe Stunden für die mittlere Etufe, eben fo viel für 
die unterfle, oder auch eine Bereinigung diefer beiden Stufen, je nad) 
dem Standpunkte der Schule, immer alfo eine Sonderung der Obers 
und Unterfiufe. Ebenſo ruht der Lectionsplan des Paſtor Wed auf 
einer Sonderung der ungetbeilten Schule in 3 Abtheilungen. Auch das 
Buch von Biſchoff (Literatur: Unterkufe) hat zwei Stufen zur Voraus⸗ 
fegung. Sehr zu bedauern if, daß die Herren Fink und Borbrodt, 
die fo Unglaubliches Aber die ‚wahrhaft erfreulichen Reſultate“ ihrer 
eignen Schule und über Das, was zu leiſten möglich if, berichten, nicht 
für gut befunden haben, uns durd eine beſtimmte Angabe, ob Gefammts 
unterricht, oder gefonderter, den Weg zu zeigen, auf dem ihnen nachzu⸗ 
tommen, möglich if. 

28. Die Sonderung wenigſtens in zwei Stufen wird ſich jeden. 
falls in der Praxis immer mehr als dasjenige Verfahren bewähren, dur 
welches den Kleinen am meiften ihr Recht gefchieht. Auch die fo wüns 
fhenswerthe Koncentration der Stoffe, die von Kolde, Fürbringer, dem 
Berichterflatter felbft und Andere feit mehreren Jahren angebahnt if, 
wird nur dadurch möglich fein. 

24. Eine gründliche Verhandlung der Frage, wie diefe Conten⸗ 
tration in der Unterftufe zweckmäßig durchzuführen fei, iR dem Bericht: 
erftatter in dem abgelaufenen Jahre nit zu Geſicht gefommen. Nah 
der Zahl der Betbeiligten und der auffallend armen Jahresliteratur zu 
ſchließen, foheint die Wichtigfeit der Frage überhaupt noch nicht die rechte 
Anerkennung zu finden. Die einzige, den Gefammtfloff ſchuliſch zu⸗ 
richtende Arbeit von Biſchoff ift au in diefem Punkte eine ſchwache 
Leiftung, da fie den Katechismusftoff ganz übergeht und auch in der 
Wahl der Gebetöftoffe nicht glädlih iR. Das in neuer Auflage er 
fhienene Buch von Kolde geht auch in diefer Beziehung den frübern, 
wohl erprobten Bang; der 2ectionskalender von Wed überiäßt grade 
bet den ganz Kleinen es dem Lehrer ſelbſt, was er jede Woche an Gr 
beten, Sprüchen und Berfen innerhalb der durch Geſang und Spruch⸗ 
buch gezogenem Ganzen einzuäben gedenft und vermag, und läßt über 
haupt die Koncentration des Stoffes ganz außer Acht. Der Plan von 
Jaspis zeigt auch in Beziehung auf Concentration einen Verfaſſer, von 
dem wir auf dem Gebiete der Schule nur Wohlerwogenes ſchon laͤngſi 


Religiong- Unterricht. 


gewöbhat And. Die Anlehnung ber ,Bibelfprüde und Liederſtrophen“ 
an die biblifhen Geſchichten iſt wirklich meifterhaft. ’ 

25. Aus Zeitichriften liegt uns nur eine einzige Arbeit vor, in 
der an beſtimmten Beilpielen die Verbindung der einzelnen Stoffe nach 
allen Seiten Hin praktiſch durchgeführt if, und zwar aus dem Gebiete 
der katholiſchen Volksſchule. Der Latholifche Schulfreund von Shmig 
und Kellner bringt (Zwölfter Jahrgang 2. Heft) zwei ins Ginzelne 
gehende Ausführungen über „Mofes im Binfentörbchen‘ und „Die 
Hirten auf dem Felde.“ Die erfie enthält vier Hauptſtücke: Beichreis 
bung des dazu gehörigen Bildes, Erzäblung, Sprüde und Gerichte, 
und eime poetifche Bearbeitung. Die zweite hat fünf @eäde: Erzählung, 
Bild, Lehren und Gprüde, Gebet, Liedchen, lepteres in fleben Num⸗ 
mern. — — Wir berichten über diefe Arbeit bier vollkändiger, weil Re 
neben manchem Muſtergiltigen, 3. B. der Art und Weife der Erzählung, 
zugleich ale warnendes Exempel die Gefahren zeigt, in welche das wohls 
gemeinte Streben zu concentriren dur die Heranziehung der $. 18 ber 
(prodenen Berfe Hinein geratben kann. Wie man fih in der Wabl der 
Verſe vollkändig vergreifen, durch Diefe ganz und gar von dem firdhs 
liben Geſangbuche ablommen, wie man aus dem Kindlihen ins Kins 
diihe fallen, anderfeits aber auch wieder den Kleinen etwas vollfländig 
über ihr Bermögen hinaus Liegendes bieten kann, das Alles if aus 
diefem Beifpiele deutlich zu erfehen. Die Kleinen lernen in der „por 
tiſhen Bearbeitung‘ auswendig: 

„Und der Mann, den fie gerettet, 

Selbſt das Retten nicht vergibt; 

Denn der Koͤnigstochter Pflegling 

Seines Volks Befreier iſt.“ 
Ucher die Engel unter Anderem: 

„Singen auf und fingen nieder, 

Schlagen Trillerlein d'rein“ (}). 
User die Krippe: 

„Und was dort in der Ede Tiegt 

Und nah dem Kindlein ſchaut vergnügt, 

Ein Oechslein und ein Ejfelein, 

Das mögen gute Thierchen fein‘ (E). 
Der Redaktion des katholiſchen Schulblattes find wir fhuldig, anzu: 
führen, daß fie die von uns $. 18 citirte Stelle in Beziehung auf Diele 
Arbeit von Schuth niedergefhrieben und auch im weitern Berlaufe ber 
Stele ausdrüdiih darauf hingewiefen bat, wie mißlich es überhaupt 
fei, durch poetifche Broductionen ſchwerer Korm den gemüthlich religiöfen 
Eindrud der biblifhen Geſchichte verflärfen zu wollen. Beiläuflg die 
Stage an Herrn Schuth: Warum ift das, was von Möller entiehnt 
iſt, nicht als ſolches bezeichnet, während doch Diepenbrod’s Name 
genannt if. War es vielleicht nicht rathſam, den katholiſchen Gläus 
bigen zu erzählen, daß in katholiſchen Schulen Verschen gelernt werden, 
de von einem lutheriſchen Generalfuperintendenten entiehnt find ? 


* Heliglond » Untetticht. 


27. Gleich, der Angemeffenheit einer verkändigen Eoncentration iſt 
auch die des Anfchlufles an das Kirchenjahr noch wenig anerfannt. 
Biſchoff bat ohne alle Rückſicht auf das Kirchenjahr - gearbeitet. Der 
Bectionskalender von Wed führt, obwohl die bibliſche Gefchichte von 
Pfingſten zu Pfingften vertheitt if, „weil fo die Gefchichten den kirch⸗ 
Uchen Beiten beffer angepaßt werden konnten und mit ihmen näher zu 
fammenfallen ,‘' doch den Anfhluß nur annäherungsweife duch. Die 
"Geburt des Herrn und des Johannes wird in der Oberabtheilnng der 
‚UnterBlaffe der getheilten Elementarſchule ſchon in der dritten Woche 
vor Weihnachten, in der zweiten Abtheilung derfelben Kaffe wird bes 
Seren Geburt far ſchon in der dritten Woche nad den Erndieferien 
erzählt. Auch in der ungetbeilten Schuie fällt für die untere Stufe 
(Hl. Abtheilung b.) die Geburtsgefchichte des Herrn ebenfo unpaflend in 
die bei der zweiten Abtheilung der getheilten Schule genaunte Beil. — 
Bir meinen, daB damit die Kirche in einem ihrer erſten Anrechte an 
die Schule geihädigt if, daß aber auch die Bedärfniffe der Schule, 
namentlich der Kleinen, und das religidfe Gefühl eiwas ganz Anderes 
fordern. Weihnachtlich ferlich wird den Kleinen in der Schule bei der Er- 
zaͤhlung, ja den erzäblenden Lehrer felbft zu keiner andern Zeit fo zu 
Muthe, als unter den Weihnachtsklängen der Kirche und des Hauſes. — 
Der Blan von Jaspis feht den Anſchluß an das Kirchenjahr voraus, 
bietet aber leider eine fpecielle Gintheilung nicht dar. 

28. Abweichend von der immermehr fi Bahn brechenden Praris, 
die biblifche Geſchichte von vorn herein als Hauptflüd des ganzen He 
ligionsunterrichtes der Unterftufe zu behandeln, hält Golgfch in der 
dritten Auflage feines Einrichtungss und Lehrplanes für Dorfſchulen 
(Berlin bei Wiegandt u. Grieben 1855) an einem vorbereitenden Stoffe 
für die Kleinen feſt. „Es bleibt bei diefem Unterrichte,‘‘ fagt Golpfc 
a. a. O. Seite 99, „die ganze Unterklaffe in der Regel ungetheilt, doch 
nicht in allen Stunden. Es erfordern die Bedürfniffe der Kleinſten einige 
Berückſichtigung, und eben fo die der Größeften, die feit längerer Zeit 
bereits in der Bibel lefen. Den Kleinften wird in diefer halben Stunde 
ein vorbereitender Stoff dargeboten, eine Hinweiſung auf die Dffen⸗ 
barung Gottes in feinen fihtbaren Werken, Grzählungen darüber, wie 
Gott in der Stimme des Gewiſſens, in den Lebensführungen einzelner 
Menſchen zu denfelben geredet hat, und es werden während dieſer Zeit 
die Größern mit dem Niederfchreiben der vorber behandelten bibliſchen 
Geſchichten befchäftigt. -Der eben bezeichnete vorbereitende Stoff kommt 
auch noch in dem beiden Abtbeilungen gemeinfamen Unterrichte zur Be⸗ 
bendlung, aber nicht mehr für fih, fondern im Anfchluffe an die 
bibliſchen Erzählungen.‘ 

Eine eigenthümliche Erfcheinung, die einerfeits mit dem Vorbe⸗ 
reitungscurfus von Golgfch einige Aehnlichkeit hat, andererfeits aber 
auch auf das Beftreben zu concentriren hinweifet, aber nur aus der und 
mangelnden, genauen Kenntniß der an Ort und Stelle ausführenden 
Praris ihr rechtes Verſtaͤndniß erhält, bietet eine Beſtimmung des Un- 
terrichtöplanee des Cantons Bern (,Bädagogifche Beiträge, insbefon- 


Reilgtond- Uuterriät, 2 


dere fir das Bolloſchulweſen.“ Herausgegeben von Hannoverſchen Leh⸗ 
rern. Erſter Band. Dritte Lieferung. Seite 141 ff.). Nach dieſer Ber 
Rimmung treten außer den in erfter Reihe lebenden bibliſchen Geſchichten 
auch auf: ‚‚Religiöfe Geſpräche, in denen die im Anfchauungsunterrichte 
gewonnenen Unfchauungen benupt werden, um die Sinder von dem 
Sichtbaren auf Das Unfichthare zu führen, ihr religiöfes Gefühl zu bes 
ieben und fie zum Nachdenken über religiöfe Dinge anzuleiten. Rad 
jedem ſolchen Geſpräche werden Bibelſprüche auswendig gelernt, die das 
Behandelte kurz und Fräftig ausdrüden und deren Sinn daher den Kin» 
dern Mar und lieb geworden iſt.“ 

29. Wie viele und welche biblifche Geſchichten auf der Unterflufe 
zum Gigentbum der Kieinen zu machen feien, ift in Preußen duch das 
Regulation vom 3. October ım Wilgemeinen angegeben. Am engften 
ſchließt ſich an diefe amtliche Borfchrift die Stoffuuffellung von Bor; 
mann (Echuifunde Seite 102. 103), der 18 biblifche Geſchichten aufs 
zählt, wobei aber zu bemerken if, daß in diejer Zählung Gefchichten 
von fehr ungleihmäßiger Ausdehnung immer als eine zählen. Die 
Shöpfungsgeidicdte, dgl. der Sündenfall, die Sündfluth, Moſis Geburt, 
Flucht und Berufung, die Kreuzigung Jeſu, zählen ebenfo je als eine, 
wie: „Jeſus fegnet die Kinder‘ und „der Jüngling zu Rain. Auch 
Jaspis und Wed fließen fi bei einzelnen Eigenthümlichkeiten an 
das Regulativ. Einen weit reichern Stoff bietet wieder Kolde's lange 
vor den Regulativen erfhienenes Büchlein, das nicht von der Voraus⸗ 
fegung deſſelben, in jedem Jahre fireng inne zu haltenden Benfums, 
fondern von der Möglichkeit ausgeht, im zweiten und dritten Gchuls 
jahre mit den Schälern der Unterklaſſe das Penſum des erften Jahres 
zu wiederholen und zugleich das in feinen Zufägen gegebene Material 
zu verarbeiten. Biſchoff, obwohl der Titelangabe nach „mit befons 
derer Rüdfiht auf die Unforderungen der drei preußifchen Unterrichtes 
segnlative‘ fchreibend, lehnt ſich grob Außerlih an die Yorderung der 
„‚Grlänternden Beſtimmungen““ der Königlihen Regierung zu Merfeburg, 
Daß in jedem Jahre 20 Geſchichten des alten und ebenfo viele Befchichten 
ans dem menen Teftamente nach den in den Regwativen angegebenen 
Geſichtspunkten auszuwählen find. In überlangen, für die Unterflufe 
daraus nit uno tenere zu bemwäftigenden Abjchnitten, die außerdem 
nit Selten zwei Geſchichten unter eine Biffer bringen, giebt er einen 
überreihen Stoff umd fegt ganz irrtbümlicher Weiſe voraus, daß diefer 
gen den geförderten Kindern (!) am Ende des Schuljahres ſelbſtſtaͤndig 
erzäptt werden wird. 

Meder Gtoffangaben aus der nichtpreußifchen Volksſchule willen 
wir wenig zu berichten, Der ſchon arigeführte Berner Unterrichteptan 
nennt für die Unterfiufe (1.—3. Schuljahr, wöchentlich 6 oder 5 Stuns 
den) außer den bereits berübrten religıöfen Befprächen ‚einzelne Erzäh⸗ 
Iungen der bibliſchen Geſchichte,“ umd zwar als geeignete aus Dem alten 
Teftamente ‚die Samiliengefhichten aus der Urs und Batriarchenzeit, 
fomwie die Erzählungen von David,” als geeignete aus dem neuen Te⸗ 
Peuente ſolche, die Über die Bedeutung der chriflichen Feſte Aufichiuß 


26 Religions - Unterricht. 


geben, einige Wunderthaten, Jeſus nimmt die Kinder an, die leichteßen 
Beichrungen und faßlichften Gleichniffe, 3. B. Lazarus Auferwedung, 
der Säemann. (?) 

30. Daß Geſchich ten aus der heiligen Geſchichte das Unterrichts 
object find, daß es ein vergeblihes Bemühen if, alle einzelnen Ent 
widelungen des Reiches Gottes den Kleinen anfhanlich machen zu wollen, 
iR in den Arbeiten von Jaspis und Wed und in der neuen Auf 
lage des Kolde’fchen Buches von Neuem anerfannt, nur Biſchoff 
glaubt wieder irrthämlicher Weile, eine Geſchichte des Meiches Gottes 
im Weberblide geben zu müflen und gegeben zu baben. 

Si. Fragen wir nun nah Dem, was das legte Jahr für die Ber 
Handlung der einzelnen zum Religionsunterricht gehörigen Stoffe gebracht 
bat, fo ift namentlih in einer Reihe von Zeitſchriftenartikeln von 
Meuem die Korderung aufgetreten, die bibliſche Geſchichte mit genauem 
Anſchluſſe an das Bibelmort zu erzählen. Ein Einfprud gegen Diele 
Forderung it nicht gethan, "auch wohl nicht mehr gut denkbar, es fei 
denn, daß er fi gegen jenes Extrem der Bibeltreue erböbe, von dem 
aus ed auch ſchon als ein Modernifiren gilt, wenn lange, über das 
Faffungsvermögen der Kleinen binausgebende biblifhe Sapbildungen, 
fei es au mit Anſchluß an die Schriftiprache in fürzere Säge zerlegt 
oder längere Erzählungen (z. B. Reifen der Brüder Joſeph's nad 
Aegypten) auf verfürzten Ausdruck gebracht werden. Nicht won dieſem 
estremen Standpunkte der Bibeltreue aus find gearbeitet eine Erzählung 
aus dem Leben Abrabams in den pädagogiihen Blättern von Kern, 
Jahrgang 1855 Heft 6. Seite 554556, und „Mofes im Binfen 
örbchen‘“ und „Die Hirten auf dem Felde“ in dem genannten Artikel 
des katholiſchen Schulfreundee. Doch möchte gegen die Arbeit in den 
pädagogiſchen Blättern von Kern einzuwenden fein, daß fie fich manche 
unnöthige Freiheit erlaubt bat. Auch if fie nah der Ueberſchrift für 
eine mittlere Elementarklaſſe einer Anabenbürgerfchule beſtimmt, was 
wir bei dem befchräntten Stoffe, im Ganzen neun bibliſche Gefchichten, 
für einen Drudfehler hatten würden, wenn nicht die Notig „7 bis 8 
Sahre alte Schüler‘ dabei fände. 

32. Wie gegen die modernen Umfchreibungen des Schrifttertes hat 
fs auch das Urtheil immer entfhhiedener gegen die Rupanwendungen 
und das Erbaulihmachenwollen durch lange Exrpofitionen gelehrt. Deuts 
ih fcheiden fih aber dabei immermehr zwei Richtungen auseinander. 
Die eine, die praktiſch⸗verſtaͤndige, ehrt ihre Polemik gegen die Berg 
wäflerung des Zertes durch vermeintlich erflärenden und erbauenden, von 
der Geſchichte ganz abirrenden Wortſchwall und befürwortet Dabei das 
Servorheben der eigentlichen Spitze der Geſchichte durch Spruch, Heran⸗ 
ziehen des Katechismus und Liederverfes, befondere die erbauliche Bes 
trachtung des Bildes, — fo die meiften Stimmen —, die andere will 
faR nichts als das Wort der Geſchichte ſelbſt geftatten, und erwartet 
Verſtaͤndniß und die ganze Einwirkung der Geſchichte allein von dem 
in rechter Weife erzählten Worte. So vorberrfchend die Stimme 
and Medienburg, zum Theil unter Beibringung ganz wunderlicher 


Religioub - Unterricht. aM 


Gränbe, 3. B. daß es den Kindern zu viel zugemuähet fei, außer der 
Geſchichte noch die Erklärungen zu behalten, daß Gottes Wort und 
nicht Die Erklärungen mit ins Leben zu nehmen fein. — Sehr ſchwache, 
in breited Gerede ſich verlierende, unter dem Worte „Erklären“ 
bald dieſes, bald jenes verſtehende, dazu nicht einmal Die vwerichiedenen 
Stufen der Vollsſchule gehörig Icheidende Auslafjungen, finden ſich reich 
ih in dem Medienburger Schulblattee — — ur einzelne 
Aenherungen zu Gunften der älteren Weiſe, auch in der Unterkiaffe Die 
bibliſche Geſchichte zum Gegenflinde umfangreicherer Beiprechungen zu 
machen, find laut geworden. Der ſchon erwähnte Unterrichtsplan des 
Gantons Bern fagt: „Der Lehrer unterhalte fih mit den Kindern 
über das rzählte, um fie den religiöfen und fttlihen Gehalt finden 
“amd auf fi anwenden zu lajfen.’ Wie etwa der darauf folgende Sag: 
„Er hat dabei durchaus im Kreife des Kinderlebens zu bleiben,’ zu 
verieben if, fagen die Erflärungsmorte: „Er bat z. DB. nie von Fehr 
lera zu reden, die.nur unter Erwachſenen, oder doch nur unter älteren 
Kindern vorkommen.“ (?!) — Das vorberrichende Urtheil der Gegen 
wart läßt fh etwa mit Anſchluß an die Worte Des Waldeck' ſchen 
Schulblattes (1856 Nr. 15) fo ausdrüden: „Wir erftreben durch Die 
biblifche Geſchichte, daß das abgerundete, concrete, plaſtiſche Geſchichts⸗ 
bitd ſelbſt als einheitliches Ganze und vorzugsweife mit feinen Grunde . 
gedanfen die Kindesjeele erfaſſe und von dieſer liebewoll erfaßt wird. 
Dieſes legtere allein if die Beſtimmung der biblifchen Geſchichte und 
nur darin ruht ihre pädagogifche Bedeutſamkeit, aber nicht darin, daß 
fie ein Material zum Extrahiren religidfer Begriffe und Lehren bergiebt.” 

33. Mit Recht wird auf den Ton und die ganze, Außerliche und 
innerlide Haltung des Vorerzählers fortwährend ein großes Gewicht 
gest. Wir übergehen die Zeitjchriftemartilel, Die neben mancher froͤm⸗ 
menden Salbaderei auch manches fernbafte Wort enthalten, und geben 
eine Stelle aus einer ſelbſtſtaͤndigen Schrift diejes Jahres. ,, Sie — es 
iſt zunähf die Rede von den biblifhen Gefchichten bes alten Teſta⸗ 
mentes — Sollen in ihrer ganz einfachen, naiven Form erzählt werden, 
rein hiftoriſch, d. b. ohne alle Nutzanwendung, alfo ohne alles Morali⸗ 
fiten, Räfonniren, und ohne alle Zumutbung an das Kind, es folle Die 
Geſchichte glauben. Das Kind glaubt ohnehin Alles, fo lange es Kind 
iR; es bat für Alles eine heilige Pietat. — — Man erhalte es nur, 
und fo auch durch diefe bloß naive Erzählung, fo lange Kind, als die 
Rasur in ihrer langfamen Entwicklung es wild. Wer diefe bibliſchen 
Geſchichten dem Kinde erzählen will, der verfege fih in ihren Geiſt. 
Der Geiſt, der in der Menfhheit Kindesalter fo naiv nur fich feiber 
war, jener Beil, der noch Beine Bmeifel hatte und folglich noch keine 
Beweiſe bedurfte, der Gott jo unmittelbar empfand und Doch jo zutrau⸗ 
lich, fo ehrfurchtevoll, halt Lindlich mit Gott umging — dieſer Geik 
oder do ein ähnlicher Geiſt muß in dem Erzäblenden walten, und im 
Stimmung und Wort und Ton und Blick ſich kund geben. Der Er 
zähtende muß nicht nebenbei fagen, das feien heilige Geſchichten, das 
Kind. muß es ihm abfühlen, muB ed duch die Erzählung ſelbſt uns 


ws Keligiond » Unterticht 


x 


mittelbar empfinden, daß ſie es find. Es kann daher nicht Jedermaun 
foiche Gefchichten erzählen. Der frömmelnde Ton und Blick erieht das 
einfach frowme, das naiv» fromme Gefühl nicht; die fogenannte als 
bung, alles Gemachte überhaupt nügt ganz gewiß nichts. Rur was 
som Herzen kommt, gebt zu Herzen. (,Die Erziehung im Lichte ber 
Bergpredigt von Zofephine Stadlin.” Yarau bei Sauerländer 1856. 
Seite 185.) 

34. Die in den legten Jahren ab und zu auftauchende Berirrung, 
Die bibliſche Geſchichte durch bioßes Vor⸗ und Nachſprechen den Kleinen 
zu eigen zu machen, fheint überwunden. Durchgehend wird die Bers 
wendung der Frage behufs der Einführung der Kleinen in das Berkänd- 
niß der Geſchichte verlangt. Eine ansführlichere Belehrung über die Fragen⸗ 
Rellung giebt Bormann in feiner Unterrichtöfunde Seite 112 — 113. 
An derfeiben Stelle findet fih auch ein vollfändig durchgeführtes Vei⸗ 
fyiel, das, wenn auch nicht mit beſtimmter Beziehung auf die Untere 
tlaffe gegeben, Doch als für dieſe muftergiltig anzufehen ik. Nöthig 
ſcheint uns gegenüber diefer an ſich ganz richtigen Betonung der im 
ihrem Inhalte und in ihrer Aufeinanderfolge fih genau an deu Bang 
der Erzählung anihließenden Frage die Erinnerung, doch ja mit dieſen 
die Geſchichte bis ins Einzelne zergliedernden ragen immer fparfamer 
zu werden und immermehr auf das ſelbſtſtaͤndige Wiedererzählen ganger 
Säge auszugeben, jemehr fi das ‚Sprachvermögen und die Kraft Des 
Aufmerkens bei den Kleinen ſtärkt. Was in den erſten Wochen des Uns 
terrichtes unbedingte Nothwendigkeit if, erzeugt nach einem halben Jahre 
„ein paſſives Abwarten der Fragen, ein Bedürfniß nad fleter Anregung 
von Außen her, eine Berfizeutheit des Gemüthes, zulegt Trägbeit und 
Dentihwäde und vor Allem eine große Unficherheit des Gedächtniſſes. 
(Golſch: Ginrihtungs- und Lehrplan. Drüte Auflage. Seite 101.) 
Und ,‚e6 gebt oft der ganze, Rille und doch fo füblbare Gegen einer 
biblifchen Erzählung dur das unnatürliche Zerreißen derfelben in ihre 
kleinſten Beſtandtheile mittel zahllofer, leitender Fragen in dem Maaße 
verloren, daß nur das Wertblofehe, PBerfonens und Drisnamen und 
vereinzelte Thatfachen äußerlich im Gedaͤchtniß neben einander ein Unter» 
fommen finden und eben deswegen fi auch bald genug gang oder body 
halb daraus verlieren. (Derfelbe a. a. ©.) 

85. Einſpruch iR zu thun gegen die im Braunſchw. Schulboten 
41856. Seite 78 fi. wieder bevormwortete Begünftigung der Mundart. 
Dur Abwehr deffen, was zu Gunften des Plattdeutſchen geltend gemacht 
wird, verweilen wir auf Jahrgang 1855 des Braunfhweigiihen Schule 
boten. In einzelnen Fällen einen hochdeutſchen Ausdruck dur dem 
mundartlichen deutlich zu machen, halten wir für angemeflen. 

36. Cinſpruch if ferner zu thun gegen folgende in den Bädas 
gogifhen Blättern von Kern (a. a. D.) in Beziehung auf das Wieder» 
exzäblen der Schüler angeführte Prarie: „Die Erzählungen werden ans 
fange bloß im Groben zugehauen, nach und nah rund geglättet und 
enblih geläufig. Die letzte Zeile berüdfichtigt noch den Ausdruck. 
Gine ſolche Prarie iR an und für fih nur möglih, wenn, wie in der 





Religions» Unterricht, 2} 
Sefreffenben Schule zu M., ein verhäftnißmäßig ſehr geringer Se’ 


durchzuarbeiten ift und die ſchon eingehbten Erzählungen der Reihe nach 
in jeder folgenden Lehrſtunde wiederholt werden Tönnen. Sie wird übers 
Kafig, wenn nicht, wie freifich far nad fämmtlichen Auslaffungen aus 
dem Jahre 1856 gefchehen foll, der erfte Verſuch des Wiedererzäblens 
an der ganzen Gefchichte, fondern an einzelnen Abfchnitten gemacht wird. 
Der Berichterkatter wiederholt über diefen wichtigen, aber fo wenig bes 
* Buntt, was ihm ſelbſt als das einzig Richtige gilt: zuerſt ein 

oder zweimaliges Erzaͤhlen der ganzen Geſchichte behufs des Total⸗ 
eindrudes durch den Lehrer, dann Erzählen einzelner Abſchnitte, Abs 
fragen dieſer zugleih mit den nothwendigften Wort: und Gacherfiär 
rungen, dann zur Anefcheidung deffen, was durch den Redeverkehr zwiſchen 
Lehrer und Schüler zum Tertworte hinzutreten will, nocdmaliges Er⸗ 
zählten des einzelnen Abfchnittes durch den Lehrer, darauf Wiedererzählen 
der Schkler und Einübung, zulegt Erzählen der ganzen Geſchichte durch 
die Schuͤler. 

37. Ueber das Wiedererzaͤhlen ſtehe hier noch eine Stelle aus dem 
Bereits angeführten Buche von Joſephine Stadlin. Es liegt diefer 
Stelle eine mangelhafte Kenntniß der Bolköfchule zum Grumbe, aber 
eine Barnung gegen das harte Zufahren und unteroffigiermäßige Cin⸗ 
exerziren, das fi mit dem Drängen aufs Wort fo leicht verbindet, mag 
man wenigfens aus ihr entnehmen. „Es muß and bieefalls — nam⸗ 
lid; beim Wiedererzaͤhlen — ebenfo forgfam der Moment beachtet fein: 
e6 darf auch diesfalls ebenfo wenig angedrängt werden. Wird fo er⸗ 
zählt, daß das Kind mit ganzem Gemüthe es faßt und erfaßt, fo wird 
es von Innen zum Wiedererzäblen getrieben, je nah Stimmung und 
Zudividualität; wird es aber auch ins ſtille Senken verfenft: — man 
geßette auch diefe Art von Forwirkung. — Bat das Kind Etwas oft 


und immer gleich erzählen hören, fo wird es faſt mit denſelben orten, 


folglich correct nacherzaͤhlen; man Tann und foll ihm dann ohne viel 


Berbeflern zuhören. Sobald ein Kind erzäßlt, werben die andern in 


der Hegel auch dazu angeregt. Je nad Umftänden läßt der Lehrer, 
wenn das erzählende Kind beendigt hat, nur ergänzen, was es chea 
vergeflen, oder das eben — ** wiederholen, oder er läßt fruͤher Er⸗ 
zäbtte6 wiederholen. 

38. Vielfach beſprochen ift in Beitihriften der Gebrauch der Bilder, 
vernämtich in der Unterfiaffe. Dabinein ſchlagende Artikel, nah Aus⸗ 
Schuung und Gründlichkeit verſchieden, finden fh 3. B. im Waldreck⸗ 
fgen Schulblatte (a. a. O.), im Medienburger Schuiblatte 1856. Ar. 8, 
Mr. 31, in der Padagogiſchen Monatefchrift für die Schweiz, (Erfter 
Jahrgang. Siebentes Heft. Seite 217-214), im Tathelifgen Schul⸗ 
freunde von Schmig und Kellner a. a. O., im Schuiblatte der evans 

Seminare Schleflens 1856, drittes Heft ©. 2083-220 (vom 
Geminarbiretor Jungklaaß in Steinau), im fünften Sefte deſſelben 
Blattes über die Schnorrſchen Bilder Seite 363—371. Die Berfaffer 
aller diefer Artikel find darin einig, daß biblifthe Wilder für den bibliſchen 


Geſchichteunterricht ſehr fruchtbar zu verwerthen find. Wür bie gründe. 


Mi — 


3” Religions - Unterricht. 


Ike und am meiſten inſtructive Arbeit halten wir die von Jungklaaß, 
weil fie ſich nicht in Allgemeinheiten bewegt, fondern beffimmie Gäße 
für die Behandlung des Bildes aufftellt und augenſcheinlich aus eigner 
Praxis erwachlen if. Sie fcheint uns ganz geeignet, dem trofliofen 
Hin⸗ und Herfabren zu fleuern, in welches viele Lehrer bei der Ber 
bandiung des Bildes verfallen. Befonders dankenswerth find die Aus» 
führungen der gegebenen Sätze an beftimmten Beifpielen. Bir geben 
bier die Sauptfäge. 1. Das biblifhe Bild kann er dann bennpt wer⸗ 
den, wenn die betreffende biblifche Geſchichte den Kindern bereits er 
zählt if. Die Beſprechung des bibliichen Bildes if dann die Grund⸗ 
lage für Die weitere Auslegung und erbautiche Betrachtung der behan⸗ 
deiten bibliſchen Gefchichte in derfelben, oder in der nächſten Stunde. 
2. Es darf ıhr nie der Ernf und die Weihe des Neligionsunterrichtee 
fehlen. 3. Sie darf nie ihre befondere Form, die nämlih, Ans 
ſchauungsunterricht zu fein, verleugnen. Die Kleinen follen von -dem 
Borerzählen und Nacerzäblen ausruhen; es wird die Phantafle befons 
ders in Unfpruch genommen. Der Lehrer gebe deshalb mit feinen Fra⸗ 
gen Rets vom Bilde aus. 4. Er laffe das Mar Angefchaute ſtets im 
klaren, wenn auch einfaden, ganzen Edgen ausſprechen. Fur diefe 
Thätigfeit kann je nach Geichichte und Bild Verfchiedenes ind Auge ge⸗ 
faßt werden. 5. Die eine Aufgabe if, daB die Kinder Das ausſprechen, 
was fie aus der eben erzäblten bibliichen Geſchichte dargeſtellt fehen. 
Dabei die Regeln: Drdne die Fragen wo möglich fo, daß die Kinder 
mit ten Worten der bibfifchen Gefchichte antworten können und in der 
Meibenfolge der bibliſchen Geſchichte. Laß die Kernworte und wichtigſten 
Sprüche der Gefchichte im Chor wiederhofen. 6. Es iR aber dann anch 
das zu beadhten, was der Maler Hinzugetban bat, um die dargefielite 
Scene noch anfchauliher zu machen: Ort der Handlung, die dargeſtellten 
There, Tracht. 7. Bei der Betradtung des inneren Lebens Der dar⸗ 
geſtellten Perfonen, das fi theils ſchon in der Kleidung, mehr aber 
in ihrer gangen Haltung: und befonders in ihren Geſichtszügen abſpiegeln 
wird, geht die Betrachtung der biblifhen Geſchichte unwillkürlich in die 
erbaulihe Auslegung der Gedichte über, bei welcher Bibel- 
fpräche, Katechismusabichnitte und Liederverfe zu Oülfe genommen wer⸗ 
den können, ohne daß man, in die fogenannten „nützlichen Lehren‘ ges 
rathend, von der biblifchen Geſchichte ganz abirrt. — Wir müffen die 
Arbeit des Herrn 20. Jungklaaß, namentlid Die Ausführung feiner Sähe 
an den Beifpielen,, dringend der Aufmerfiamkeit unferer Befer empfehten, 
Lönnen aber nicht umhin, an Director Jungklaaß die Bitte zu richten, 
daß er auch das, was er a. a. D. Seite 207 über die Behandlung des 
Beiwerkes und über die Beiradhtung des innern Lebens der dar⸗ 
geellten Berfonen ausgefprochen bat, an einigen grade auf die Unter 
klaſſe berechneten Beifpielen praktiſch ausführen möge. Allerdings findet: 
fih Seite 211— 216 dahin Einichlagendes, aber die beiden an dieſer 
Stelle bearbeiteten Bilder betreffen Gefchichten, bie offenbar nicht Der 
Unterufe angehören, und die Abfonderlihkeiten, in weiche Viele grade 
bei den Seite 207 genannten Städen verfallen, find gar arg. 


- 
% 


Heligions- Unterricht, a 


Herr Shut (Katholiſcher Schulfreund a. a. ©.) führt uns eine‘ 
dreifache Weile der Behandlung des biblifchen Bildes vor. a) Erzäblen 
der Geſchichte, darauf Borzeigen des Bildes und einfaches Beſchreiben 
deſſelben. Dabei längere Ausftellung des Bildes. Schuth ſtellt vier 
Bilder zu gleicher Zeit in einem aus vier Abtheilungen bekehenden Bilder, 
rahmen aus. (Zu dem längeren Ausftellen ſowohl, als dem viertheiligen 
Rahmen machen wir ein großes Fragezeihen.) b) Die Beſchreibung des 
Bildes geht der Erzählung voran; Ramen und Würde von Berfonen zc. 
wird den Kleinen gefagt. Schuth if der Meinung, daß bei einer ſolchen 
vorhergehenden Beſchauung oder Befchreibung des Bildes durch Die 
Firirung einer beſtimmten Kocalität und Geenerie der Geſchichte die Ers 
zäbtung felb an Unfchautichkeit und leichterer Auffaßbarkeit befonders 
gewinne, die Erwartung der Kinder auf die Geſchichte geſpannt und Die 
Aufmerkſamkeit gefteigert werde. — Wir halten dafür, daß ein ſehr ger 
fidter Lehrer zu diefer Behandlungsweife gehöre, daB namentlich das 
durch, daß die Gefchichte in freierer Form am Bilde behandelt wird, 
dem nachher doc geforderten Aufmerfen auf das beſtimmt formulirte 
Wort eher Eintrag, als Vorſchub gefhieht. So auch Bormann Unter 
rigtefunde Seite 120 und Kober (vergl. 8. 39). c) Der Lehrer mad 
zuerſt auf die dargeflellten Dertlichfeiten im Allgemeinen aufmerkſam. 
„Da if ein Berg, ein Feld, ein Fluß, ein Baum, ein Zimmer, ein 
Tiſch, Wer ein Mann, dort ein Kind ıc., trägt dann frifchweg feine Er⸗ 
zählung vor und wei während derfelben, fo oft Etwas Fommt, das auf 
bem Bitde feine Darftellung gefunden hat, mit dem Finger oder einem 
Städten auf ſolche Eingelnheiten derſelden.“ — Der Berictesfatter 
iR durch diefe® Herumfahren des Stödchens auf dem Bilde unwillkür⸗ 
li an die FJahrmarftebänfelfänger erinnert worden, die bekanntlich die 
Eregefe ihres Geſanges auf diefelbe Weife geben. 

Als KAuriofiım erwähnen wir einen Artifel aus dem Medienburger 
Schalblatte 1856. Nr. 8, der nach feiner Polemik gegen bildlihe Dar⸗ 
Beflungen des Heilandes zu dem Nefultate fommt: „Alſo keine bildliche 
Darftellungen in der- Schule von unferm Herrn Jeſu Ehrifto, obgleich 
er feine göttliche Klarheit in die dunkle Hüfle der menichlihen Ratur 
gefleidet und Anechtögeftalt angenommen hat, um unfertwillen. Säße, 
durch welche hindurch der BVerfafler zu diefem Neinltäte gelangt, ind: 
„ade Darſtellungen unferes Herrn Jeſu Ehrifti werden nur Sarricaturen 
fein Bönnen. — Das Kind macht ih ein Bild des Heilandes in feiner 
Seele. — Ber weiß, ob nicht diefes Bild viel großärtiger, reiner, edler, 
erhabener if, als wir es dem Rinde zu geben vermögen? Wer mölfte 
wohl einem Kinde ein ſolches Bild rauben? Gefept nun auch den Fall, 
das ſelbſt gemachte Bild des Kindes fei eine Garricatur — was würde 
e8 gewinnen, wenn wir dieſe Durch eine andere wegwifchen 7’ — Weiß 
denn der Herr Berfafler gar nichts Darüber, daB der Typus der Chriftuss 
gekalt, namentlich des Antlides des Herrn, den wir von Jugend auf 
in uns tragen, ein wunderbar übereinftimmender ift, und daß auch alle 
Känftler, vom höchſten bis zum niedrigften, denfelben Typus mehr oder 
weniger feſthalten? Und Tann er, angenommen, er habe mit feiner 








E Religions - Unterriäht. 


Carricaturhypotheſe Recht, dem Kinde die Augen zubalten, wem es 
Chriſtusbilder und Kruzifixe in der Kirche fieht, die doch auch oft Feine 
Meifterftüde find? Oder follen wir eine neue Bilderkürmerei anheben ? 

39. Eine befondere Beſprechung erfahren die Schnorrſchen Bilder 
von Paftor Kober im fünften Hefte des Schuiblattes der enangeliichen 
Seminare Schleſiens Seite 364—370. Bei aller Anerlennung, die 
den Schnorrfchen Bildern, inebefondere ihrem bibliichen Geifte, gezollt 
wirb, werden zwei Bedenken gegen fie erhoben. Das erfle betrifft die 
pildiiher Darfellung Gottes und bringt mandes Beherzigens⸗ 
wertbe. In manden Einzelnheiten flimmen wir dem Verfaſſer nicht 
bei, fo 3 3. in feiner Auffaffung des Opfers Noahs, das uns nicht 
Bios als Dankopfer, fondern vorberrfchend als ein Belenntniß der Sünd⸗ 
baftigfeit und der Hoffnung auf Erlöfung gilt. Das zweite Bedenken 
beziebt fih auf die Darftellung des Teufels, am welcher der Berfafler 
den widerlichen, fürchterlichen Teufel, den die Schrift nicht keunt (— Hör⸗ 
ner, Efelsohren und langen Schweif), mit Recht rügt. (Bon fonfligen 
dogmatifhen Angriffen, welche die betreffenden Auslaffungen des Ver⸗ 
faffers zulaſſen, jehen wir hier ab.) Außer diefen beiden Hauptbedenken 
berührt Kober noch die Darftellung der Berfon des Heilandes: er ſindet 
fie nicht gleihmäßig edel und menfhlihsfhön genug gehalten. Wir 
ſtimmen ihm bei, innerlich gedrungen, mit den Kirchenvätern des vierten 
und fünften Jahrhunderts auf den Seren Pfalm 45, 3 anzuwenden: 
„Du bift der Schöne unter den Menſchenkindern.“ — „Die heilige 
Schönheit des Herrn mußte auf jedem Bilde alle andern. Figuren, auch. 
die fchönften in den Schatten ſtellen.“ (Kober.) Als Regel für die Be⸗ 
handtung des Bildes überhaupt flellt Kober noch 2 Sätze auf, die unfere 
bildereifrige, darum aber auch worteifrige, die angemeflene Behandiungs« 
weiſe noch fuchende und vielfach noch in der Manier berumfpringende 
Schulpraxis wohl beberzigen mag. a) Erfläre nicht zu viel, b) Des 
ginne nicht mit dem Borzeigen des Bildes; das Bild fei nicht Zert 
der Unterrichtsſtunde. Zert if die biblifche Erzählung; von ihr gebe 
aus, zu ihr fomme wieder zurüd. 

40. Golizſch, die Bedeutung des Bildes wohl anerfennend, fügt 
feiner Empfehlung der Kaiſerswerther Bilder (a. a. D. Seite 103) den 
richtigen Wink binzu: „Es if indeß nicht leicht, folde Beranſchau⸗ 
lichungs⸗ und Anregungsmittel in der Weiſe zu gebrauden, daß da⸗ 
dur die Rille Sammfung der ſchauluſtigen Kleinen nicht Gintrag er« 
leide. Anfänger im Unterricht dürfen es Daher nicht wagen, davon Ge⸗ 
brautch zu machen.“ 

41. Uebergehen wir den Berfafler des fchon angeführten Artikels 
des Mecklenburgiſchen Schulblattes Rr. 8 ale zu unbedeutend — «6 
eignen fih ihm zu feinem Zwede vorzugsweife Abbildungen von 
Gerätbichaften, Anzügen x. — fo flellt fih allein Bormann zu allen 
Denen, die fi) 1856 über die Berwenpbarfeit des Bildes ausgelaſſen 
baden in Gegenfag. (Unterrichtskunde Seite 120. 121.). Gr begränzs 
die Berwerthung des Bildes auf „die guten Dienſte,“ die es zur Gin⸗ 
prägung der Geſchichte leiſtet. Dabei will er nicht überfehen Haben, 


% 


Religions - Unterricht. 33 


„daß es nur einen Moment ber Geſchichte vergegenwärtigt, aber nicht 
ihren Berlauf, daß es ferner nur die finnlihe Seite diefes Mor 
mentes zur Erfcheinung zu bringen vermag, aber nicht den ihm zum 
Grmde liegenden innern Borgang, endlih, daß es die Kernpunfte 
der Erzählung, wo fie in einem ſpruchartig gefaßten Gedanken 
hervortreten, nicht zur Erfcheinung zu bringen vermag.” Darnach hält 
Bormann die biblifhen Bilder nicht für ein fehr wichtiges Lehrmittel. 
Die Biderlegung Bormanns finden wir in der (boffentlich noch weiter 
auszubildenden) Bebandlungsweife des Director Jungklaaß. 

42. Ueber Borfchläge und Leiſtungen in Beziehung auf die übrigen, 
außer der bibliſchen Befchichte zum Religionsunterrichte auf der Unters 
Rufe gehörigen Stoffe haben wir zu Dem, was in dem Bieherigen 
gelegentlich beigebracht ift, wenig hinzuzuſetzen. Unter Denen, weiche 
fämmtlihe Stoffe an die piblifhe Gefchichte anlehnen, hat Jaspis mit 
gewohnter Meifterfchaft die Sprüche und Liederverfe ausgewählt, in Bes 
ziebung auf Katechismus und Gebete aber die Stoffe nur im Einzelnen 
angegeben, ohne fie mit beflimmten einzelnen Geſchichten in Verbindung 
zu fegen. Dem Berichterflatter bat fi die von ihm feibft in feinem 
don genannten Büchlein im Einzelnen durchgeführte Verbindung aud 
des Katechismus und der Gebete mit der biblifchen Gefchichte in lang» 
jähriger Praxis befonders bewährt. Abweichend von anderweitigen, auch 
amtlichen Befimmungen, 3. B. von denen der Königlichen Regierung zu 
Nerfeburg, fordert Jaspis auch die Erflärungen: der zehn Gebote von 
der unteren Stufe. In vielen Fällen möchte es nicht möglich fein, 
opue die von Jaspis felbft. fd ernft gerügte Aufnöthigung des Unver⸗ 
daulichen dieſer Forderung zu. genügen. Die bei Jaspis fih vorfindende 
Beihränfung der Gebete auf Morgenfegen, Abendfegen, Gratis und 
Benedicite und einige wenige andere angemeflene Gebetsverſe wird hoffent- 
li auch das Ihrige dazu beitragen, die Tandläuflge Ueberfchüttung der 
Keinen mit einer Maffe von Gebeten, „in deren feinem fie dann or- 
deutlich zu Haufe werden,‘ auszutreiben und aud den Zufammenhang 
der Gebetsübung der Schule mit der des Haufes wieder aufzufuchen. — 
Für eine der ſchwächſten Arbeiten in Ordnung, Vertheilung und Zus 
ſammenhang des Gefammtmaterials halten wir auch in Beziehung auf 
die Unterflufe die von Dr. Hubert. 


B. Die Mittelftufe. 


43. Das preußifche Negulativ fordert die einflaffige oder zwet⸗ 
Naffige Volksſchule, ſchließt aber nad Eeite 68 die Einrichtung mehrerer 
Abtheilungen für den NReligionsunterricht nit aus. In der Prazis 
wird das Bedürfniß einer Mitteltufe immer fühlbarer. Je Meiner um 
der feſten Befibergreifung willen der Kreis der Stoffe ift, der auf der 
Unterfufe durchgearbeitet wird, und je mehr fih nah allen Seiten bes 
Etoffes der einjährige Kurſus empfiehlt: defto größer ift der Sprung 
jwifchen Ober» und Unterflufe, und damit defto nothwendiger eine Mittels 
Rufe. Daher find auch in dem abgelaufenen Jahre Jaspis, Kolde, 

RNade, Jahresbericht. X. 3 


+‘ 


34 Religions - Unterricht. 


Wed x. in ihren Plänen für den Religionsunterricht mit Recht von 
der Borausfeßung einer hefondern, von den übrigen Abtheilungen ges 
trennt zu unterrichtenden Mittelftufe ausgegangen, und ſelbſt foldhe Leute, 
die, wie Hubert, alle Altersftufen zufammenfaffen, machen doch gewiffe 
Abtheilungen (— Hubert hat fogar vier —), an die bezüglih des 
Etoffes verfchiedene Anforderungen gerichtet werden. Jasvpis weifet der 
Mittelftufe 46 wieder nach dem Kirchenjahre geordnete biblifche Ger 
ſchichten (— 23 waren fchon in der Unterflaffe gelernt —) zu, eben 
fo viele an die Geſchichte ſich anlehnende Bibeliprüche, außerdem zwölf 
ganze, an das Kirchenjahr fich anfchließende Kirchenlieder, vier für ſich 
daſtehende längere Schriftftellen, unter diefen Pſalm 23, und das Aus⸗ 
wendigiernen des in 46 Penfen (mit Einfluß der Wiederholungen) ges 
theilten Lutheriſchen Katechismus, und zwar fo, daß das erſte Hauptſtück 
und der erſte Artikel in die feſtloſe Bälfte, alles Uebrige in die feſtliche 
Haͤlfte des Kirchenjahres fält. (Das Blatt, weiches für Schulen refor⸗ 
mirter Konfeffion die Bertheilung des Heidelberger Katechismus in Penſen 
eines Jahres enthält, ift ung nicht zu Gefichte gefommen) Wie im 
Großen und Ganzen, fo ift auch im Einzelnen diefe Bertheilung mit 
Umfiht und Erfahrung angelegt. Wed zerfällt fowohl feine Unter- 
klaſſe der getheilten Schule, als auch feine zweite Abtheilung der uns 
geteilten Schufe in zwei Unterabtheilungen, hält aber das Kirchenjahr 
auch auf den Mittelftufen nicht genug fell. Echon in der dritten Woche 
vor Weihnachten ſpricht er in der Oberabtheilung der Unterflaffe der 
getbeilten Schule von Johannes und des Herrn Geburt, was in einer 
Muftervertbeilung offenbar ein Fehlgriff if, wenn gleich bei den Bands 
fungen des Kirchenjahres nicht eine auf jedes Jahr paſſende Bertheilung 
gegeben werden konnte und für die Bertheilung jedes Jahres die eigene 
Arbeit des Lehrers ausdrüdlich gefordert wird. Der Jahreskurſus des 
- Katehismusunterrichtes für die Mittelftufe fowohl der getheilten, als der 
ungetheilten Schule geht abweichend von dem in der biblifchen Gefchichte 
von Oſtern bis Oftern. Die erſte Abtbeilung der Unterklaffe der ges 
theilten und der ungetheilten Schule lernt von Oſtern bis Weihnachten 
das erfie Hauptflüd und den erften und zweiten Artikel mit den Erklä⸗ 
zungen, von Weihnachten bis Oſtern den dritten Artikel und das dritte 
Hauptſtück mit den Erklärungen. Jedem Katechismuspenfum iſt ein 
Wochenſpruch zugefelli. Die Liedervertheilung gefchieht bei Wed auch 
für die Mittelſtufe in zweijährigem Kurfus und will nad Feiner Seite 
befriedigen. Wir führen nur ein Beifpiel an. Die Oberabtheilung der 
Unterflaffe der getheilten Elementarfchule lernt in dem erften Sabre die 
drei erften Berfe aus dem Liede: „Ad, bleib mit deiner Gnade,” je in 
einer Woche einen, im zweiten Jahre in derjelben Weiſe die drei lebten. 
Ein ſolches rein Außerliches Berfchneiden des ifolirt von den übrigen 
Stoffen daftehenden Liedes ift etwas durchaus Verfehltes. Das betreffende 
Lied und einzelne andere können auf der Mittelftufe — ohne Weber» 
ladbung — recht wohl ganz und mehr uno tenore gelernt werden. 

BGoltſch verbindet die beiden Wbtbeilungen der Unterflaffe in 
eigentbümlicher Weile. Die obere Abtheilung nimmt in den mit Der 


Religions» Unterricht. ° 35 


Unterabtheilung gemeinfamen Stunden Antheil an der Durcharbeitung 
des vorbereitenden, nun an die biblifchen Erzählungen angefchloflenen, 
vorbereitenden Stoffes. Der geſammte Stoff wird vollfländig zweimal 
in der Unterklafie behandelt, zwar beide Male in freier Erzählung des 
Lehrers, Doch fo, daß die obere Abtheilung, mit der ex zum zweiten 
Male behandelt wird, bebufs Vorbereitung, Einprägung und Wieders 
bolung zur Benugung der Bibel felbf, theils zu Haufe, theils in der 
Leſeſtunde, theild aud fon während der Unterrihtöftunde angeleitet wird. 
(Das ſetzt, bemerken wir, freilich eine fehr geförderte Mittelftufe voraus.) 
Andere, die Mittelftufe angehenden Arbeiten, die einer Erwähnung vers 
dienten, liegen uns nicht vor. 

44. Dabei kann der Berichterftatter nicht die Bemerkung zurüds 
halten, daß dem Religionsunterrichte auf der Mittelftufe, wie in der 
Brazis, fo au von Denen, die fehriftflellerifch auftreten, noch lange nicht 
fein Recht geſchieht. Nach feinem Dafürhalten wird der Neligiondunters 
riht der Mittelftufe allerdings weitere SKreife zu ziehen haben, als der 
der Unterfiufe. Die nunmehr anzuftrebende erfte Einſchau in das Ganze 
des Reiches Gottes und die immer reichere Entfaltung des religidfen 
Lebens machen eine Mehrung des Stoffes an Geſchichte, Katechismus, 
Kirchenlied und Gebeten nothwendig. Doc wird im Wefentlichen dafjelbe 
Lebrverfahren, wie auf der Unterflufe, fih noch als das geeignetefte em⸗ 
piehlen. Die Katehismusfäge (mit den Erklärungen, wenigflens die drei 
erfien Hauptſtücke) werden aljo noch nicht der Reihe nach zu behandeln, 
fondern an die biblifhen Gefchichten anzufchließen fein, wobei der bes 
reits umfangreichere Gefchichtsftoff ein wiederholtes Heranziehen eine® 
und deſſelben Katechismusfapes geftattet und auch durch die Geſchichte 
das Sachverftändniß der einzelnen in den Erflärungen gegebenen Stüde 
am ficherften gewonnen wird. Diefes Berfahren fchließt dann ein in 
einer beiondern Stunde zu betreibendes Memoriren und fleißiges Wieder⸗ 
bolen der einzelnen Katehismusftüde nad ihrer geordneten hauptſtück⸗ 
mäßigen Gliederung und Zufammenflellung nicht aus. Aehnlich wird 
das Kirchenlied vorherrihend in je 2 oder 3 Derfen an die einzelne 
Geſchichte fih anfchließen und dann zu einem Ganzen zufammen zu 
fhließen fein. Rur wenige kürzere Lieder, auch einzelne Zeftlieder dürften 
ſogleich als Ganzes gegeben werden. Auch der Spruch wird am beften 
als Zufammenfaffung der biblifchen Gefchichte gebraucht, fo jedoch, daß 
mit der einzelnen Gefchichte nach den verfchiedenen Spigen, die an ihr 
berwortreten, bereitö mehrere, theild neu zu lernende, theils auf der 
untern Stufe fchon gegebene Sprüche in Berbindung treten und bie 
ganze Behandlung der Geſchichte fih weiter, als auf der Unterflufe, 
ausbreitet. Ebenſo fchließen fich die beigefügten Gebetsftoffe am beften 
an die Geſchichte. — Sind diefe Säge richtig, fo hat der Berichts 
erfatter fa an Allem, was für die Mittelllaffe von dem abgelaufenen 
Jahre gebracht ift, erhebliche Ausftellungen zu machen. Er muß felbf 
an dem Plane von Jaspis ausfehen, daß noch zu viel „Aneinander“ 
und zu wenig „Ineinandergreifen” da ift. Gegen Goltzſch, dera.a.D. 
Seite 100 die Verbindung der Bibelfprüce und Liederverje mit ber 


3* 


36 Religions = Unterricht. 


bibliſchen Gefchichte fordert, muß er Fehde erheben, um des’ Mittels 
willen, das Goltzſch zur Einprägung diefer Stoffe angewendet wiffen 
will. „Es geſchieht dies dadurch,“ fagt Goltzſch, „daß diefe Sprüche 
in den folgenden Schreibleſeſtunden und auch wohl zu Hauſe als Auf⸗ 
gabe für den nächſten Tag von den Kindern auf ihre Tafel aus der 
Bibel abgeſchrieben werden, wobei fie zugleich merken und einprägen, 
zu welcher biblifchen Gefchichte diefelben gehören, damit Gefchichte, Bibel⸗ 
fprud und Liedervers fich wechfelfeitig erflären und in Folge der Wieder⸗ 
holung in den fpätern Schuljahren aflmählig fo in einander verwachfen, 
daß ein Jedes an das Andere und Dritte erinnere.” Das bloße Abs 
reiben und Bemerfen der zugehörigen biblifchen Gefchichte wird aber, 
fo meinen wir, gar wenig helfen; nur durch das lebendige Wort wir 
Das erreicht werden, was Golgfh mit uns ſucht. Auch gegen die Weife 
Goltzſch's, in der obern Abtheilung den Katechismus ifolirt von der 
bibliſchen Gefchichte rein auswendig lernen zu laffen, müſſen wir um 
"fo entſchiedener uns ausfprechen, je mehr Goltzſch das Beten des Ka⸗ 
tehismus am Ende jeder Stunde betont (a. a. D. Seite 105). Der 
Derichterflatter gehört nicht zu Denen, die nichts wollen lernen und 
beten laffen, es fei denn vorher wie Glas durchſichtig gemacht, — wie 
ihm denn ja auch der heimgegangene Nacke (vergl. lebten Jahresbericht 
Geite 22) das Lernenlaffen auf Borrath gradezu zum Borwurfe gemacht 
hat — , aber gewiffe Seiten müffen doch da fein, an denen das Kind 
feinen Gebetsftoff innerlich erfaßt, ſowohl annäherungsweife ihn ver» 
ftehend, als auch mit dem Gefühle ihn fich aneignend. Und wird diefes 
innerlide Erfaſſen ftattfinden, wenn nicht durd die Hiblifche Geſchichte 
das nötbige Licht auf den Katechismus gefallen iſt? Unter den wenigen 
Hülfsmitteln für die Mittelftufe, die der Berichterftatter überhaupt kennt, 
fheint ihm nad) Anlage im Ganzen — nicht aber in der Ausführung 
im @inzelnen — der zweite Theil des LXehrbuches der biblifchen Ge» 
fhichte von Fürbringer (Berlin 1854 bei Mohr und Comp.) das 
befte zu fein. Bon einem neuen Lehrbuche hat er, die biblifhe Ges 
fhichte von Freihuber (Lit.: Mittelftufe) ausgenommen, in dem abges 
Inufenen Jahre feine Runde erhalten. 

45. In Betreff des DBerfahrens bei der Aneignung des Katechis⸗ 
mus giebt Goltzſch eine Vorſchrift, a. a. ©. Seite 104, deren Bes 
folgung febr viel Zeit erfordert, und die Gleichmaß und Ordnung gänz> 
ih aufhebt. „Es findet überhaupt Fein firenges Aufgeben flat. Es 
fagt in der Lehrflunde jedes Kind das Stück des Katechismus her, das 
es zulept gelernt hat, wobei dann und wann auch einmal nad einem 
früher gelernten "gefragt wird. Hat ein Kind mehrere Mal daſſelbe 
Stück hergefagt, fo wird nur gefragt, ob es ſchon an dem folgenden 
gelernt habe, und ihm aufgegeben, das nächfte Mal diefes folgende aufs 
zufügen. Es fagen fomit immer nur wenige Kinder daffelbe Stüd her, 
und bei großer Kinderzahl bleiben wenige Stüde übrig, die nicht her⸗ 
gefagt werden.’ 8 erinnert diefes Verfahren an die alte Zeit, in der 
iedes Kind mit feiner Fibel zu dem Lehrer trat und fein Stüd buchſtabirte 
oder vorlas, und eine Schule fo viel Abtheilungen, als Kinder hatte. 


Religions - Unterricht. 37 


46. Bon Golpih und Andern find die Katechismen belobt und 
empfohlen worden, in denen die zu betonenden Wörter mit großen Lettern 
gedrudt oder fonft bemerkbar gemacht find. Wir fegen dagegen unfere 
Erfahrung. Die Katechismen von Krüger und Theel werden mit ihren 
märfirten Wörtern fein richtiges Betonen, wohl aber ein unnatürliches 
Stoßen und Herausfchreien begänftigen, wenn nicht das Iebendige Wort 
des Lehrers das Seine thut. Thut aber diefes das Seine, fo ift alle 
Markirung überflüffig. | 

47. Manches Eigenthümlihe bat der ſchon angeführte Schulplan| 
des Canton Bern. Er fordert für die Berner Mittelftufe (a—7. Schuls 
jahr, wöhentiih 5—6 Stunden): a) Die biblifche Geſchichte nach Ricklis 
Meiner Kinderbibel in zweijährigem Kurfus, jedes Jahr ein Zeftament 
zugleich mit dem Wefentlichften aus der Geographie von Paläſtina. (Die 
Schüler, die vier Jahre in der Ktaffe bleiben, machen zweimal das 
Ganze durch. —) b) Beiprechung der Gefchichte, um die Schüler den 
fittlichen und religiöfen Gehalt finden und auf fi anmenden zu laffen. 
e) Lernen, Verſtändlich⸗ und‘ Erbaulihmachen religidfer Lieder. Diefe 
drei Uebungen werden neben einander betrieben. — Außerdem wird 
der Anfang mit dem Auswendiglernen. des Heidelberger Katechismus ger 
macht, wo diefer als Leitfaden für die Unterweifung dient. 

48. In den Mittelpunft des ganzen Religionsunterrichtes in ber 
Rittelklaſſe wird die Katechismusunterweifung gekellt von dem Sachſen⸗ 
Meiningenihen Schulratbe Weidemann. Derfelbe fpricht in dem Vor⸗ 
worte zur dritten Auflage feines Katechismus fich alfo aus: ‚Der Rates 
chismus foll in der Mittelftufe der Volksſchule, d. h. erft mit Kindern 
von ‚zehn bis eilf Jahren, betrieben werden. Man fange auf diefer 
Stufe, obne weitere Einleitung, fogleih mit den Geboten an, 
erfiäre diefe dem einfachen Wortfinne nach und laſſe fie vollſtändig nebf 
den mit einem Sternchen bezeichneten Bibelftellen auswendig lernen. Nach 
den Geboten bebandle man die Glaubensartikel in derfelben Weile. Der 
erſte Artikel wird glei ganz gelernt, bei dem zweiten und dritten kann 
die Iutherifche Erklärung noch wegbleiben. Auch vom dritten Hauptfüde 
werde zunächft nur der Test des heiligen Vaterunſers — — — durch⸗ 
geſprochen. — — — Das vierte und ſechſte Hauptflüd wird in der 
Nittelflaffe noch nicht gelernt; doch if Über Taufe und Abendmahl unter 
Benupung einiger darauf bezüglichen Bibelftellen das Gefchichtliche fchon 
jeßt mitzutheilen.” Die Vorausfehung ift dabei, „daß die Kinder, ehe 
fie den Katechismus in die Hand bekommen, ſchon mit den biblifchen 
Geſchichten A. und NR. Teſtaments und mit denjenigen religiöfen Wahr⸗ 
beiten, die dem kindlichen Gemüthe am nächften liegen und aus der hei» 
ligen Geſchichte fich Leicht ableiten laffen, durch das lebendige Wort des 
Lehrers, unter Benupung einfacher Bibeliprüche und Liederverfe, bekannt - 
geworden und auf diefe Weife zu einem geweckten religiöſen Bewußtfein 
gelangt And.” — Wir halten dafür, daß die, wie es fcheint, umfang» 
seichere Kenntniß der biblifchen Gefchichte, welche Weidemann für die 
Mittelſtufe vorausfept, in der Unterklaſſe nicht erreichbar, Die ganze Stels 
bung aber, die W. dem Katechismus in der Mittelklaſſe giebt, verfehlt fei, 


> 


38 Religions - Unterricht. 


49, Noch weiter ale Weidemann geht Eurtman, der, wie aus 
feiner neueften Schrift („Elementariſche Katechetit 20.” Darmfladt 1856 
bei Diehl) hervorgeht, für die Mittelftufe eine Behandlung des ganzen 
Katehismus durch analytifche Katechefe verlangt. 


- C. Die Oberftufe. 
Der Katehismuß. 
50. Der Katehismus galt noch vor wenigen Jahren als bie 


"eigentliche Spite des Religionsunterrichtes. Es war der hergebrachten 


Praxis eine ausgemahte Wahrheit, daß der Katechismus auf der Obers 
ſtufe der Volksſchule Unterlage zu einer mehr oder weniger ſyſtematiſchen 
Behandlung der Heilswahrheiten, wenigftens zu einer zufammenfaffenden, 
abfchliegenden Unterweifung fel. Das Verhältniß des Schulunterrichtes 
zu dem Gonfirmandenunterrichte blieb dabei ein ſchwankendes. Nur felten 
erhob fih eine gewichtige Stimme, die (— wie 3. B. Sluymer in 
einem ber frübern Jahrgänge des preußifchen WBolfsfchulfreundes —) 
ernflih auf die aus diefem Schwanken ſich ergebenden Uebelſtände hin- 
wies; noch feltener wurde mit Glüd die Abgrenzung beider Gebiete wirk⸗ 
lich verfucht. Die Ausdehnung, welche die mehr oder weniger auf die 
Volksſchule berechneten Katechismusauslegungen in den letzten Jahrzehnten 
allgemach gewonnen haben (— 3. B. Harnifh, Balmer, Niffen, 
Materne —), zeigen deutlih die dominirende Stellung, melde die 
Katehismusauslegung gegenüber den übrigen Seiten des Religionsunter⸗ 
richtes eingenommen hatte. In Preußen ift dur die Regulative von 
1854 der Katehismus aus Ddiefer feiner dominirenden Stellung heraus 
und in eine untergeordnete, nämlich in die der Borbereitung auf den 
kirchlichen Sonfirmandenunterricht, getreten. Den Mittelpunkt des ganzen 
Religionsunterrichtes nimmt die biblifche Geſchichte ein. 

51. Die Brage, wie nun der Katechismus zu behandeln fet, wird 
aber in fo fchroffen Gegenſätzen behandelt, daß eine Ginigung der vers 
jchiedenen Parteien fat unmöglich erfcheint.” Don den entgegengefebten 
Polen aus beruft man fih auf die Regufative, und es hat den Unfchein, 
als folle im Kreife Dexer, welche diefelben pädagogifchen Grundanfchaus 
ungen zu Haben vermeinen, die Kluft eben fo groß werden, als zwifchen 
den ehemaligen Parteien von DiefleitE und Jenſeits. Wiederum aber 
ift, zumal bei dem großen Einfluffe, welchen einzelne Regulativausieger 
auf die ganze Entwidelung der Schule ausüben, der durch das Chaos 
der Auslegungen angerichtete Schade auf feinem Gebiete fo groß, ale 
auf dem der Schule ſelbſt. Wir verfuchen es, uns in dem Gewirre der 
Meinungen, welde das neue Jahr theils als ganz neue gebracht, theils 
beftimmter ausgeprägt hat, zu orientiren. 

52. Die eine Außerfle Seite bricht vollfändig mit der bisherigen 
Stellung des Katehismus. Diefer if ihr fortan nicht mehr Object 
einer befonderen unterrihtlichen Behandlung. Sie war bereits vor Er⸗ 
fheinen der Regulative vertreten, ohne daß fie irgend eine andere Bes 
achtung gefunden hätte, als diejenige, welche ihr die Nothſtaͤnde mancher 


Religions - Unterricht. ‚3 


Schule factifch gab. Noch kurz vor dem Erfcheinen der Regulative, im 
März 1854, äußerte ſich Fürbringer in dem Vorworte zu dem erſten 
Theile feines Lehrbuches der biblifchen Gefchichte (Seite V) alfo: „Nach 
meiner Unficht fann und darf der Geiſtliche für feinen Katechumenen⸗ 
unterricht Leine beffere. Vorbereitung verlangen, als die in den Schulen 
zu erteihende gründliche Bekanntfchaft mit den widhtigften biblifchen Ges 
Ihichten und das gründliche Erlernen der die Grund» und Heilswahrs 
beiten des evangelifchen Glaubens und Lebens enthaltenen Bibelfprüche, 
Kirhenlieder und Katechismusftüde” In einer Anmerkung (Seite VI) 
fucht Fürbringer für feinen Sap eine anderweitige Begründung. „Schon 
die einfache Worterflärung bat feine Schwierigkeit; und man will, wie 
es nicht felten bei Prüfungen und Probelectionen geſchieht, von einem 
elementarifch vorgebildeten Lehrer verlangen, daß er in den tiefen Sinn 
der Erklärungen Luthers zu dem 2., 3., 4. und 5. Hauptftüde eindringe 
und auch die Patechetifche Zertigfeit und Gewandtheit befige, um bei 
eigner Plarer Auffaffung der Heilsiehren den Kindern den Sinn, die Bes 
deutung der einzelnen Worte aufzufchließen? Welche tiefe, gründliche 
Bildung wird hier vorausgefept? Weiche Lehrer- Bildungs »Anftalt vers 
mag fie zu geben?’ — Seit dem Erfcheinen der Negulative wird dieſe 
Seite, — die untergeordneten, als Gefolge an die einzelnen Stimms 
führer fib anhängenden Stimmen übergehen wir — hauptfächli vers 
treten von Bormann. In der Unterrihtsfunde von Bormann wird 
Seite 142—143 aus Goltzſch citirt: „Es iſt nicht zweckmäßig, dem 
Katechismus ganze Lehrftunden in der Unterflafle zu widmen, fondern 
man befiimme dazu einzelne Schlußviertelftunden der biblifchen Geſchichto⸗ 
nnterrihtöftunde. Die Kinder fehen diefe Schlußviertelftunde als Gebet- 
Runde an; fie legen Alles bei Seite, wie vor dem Beginn des Gebets 
am Schluſſe der Schule; fie legen nicht blos die Hände zufammen, ſon⸗ 
dern fie falten fie, eins wie das andere. Es gebrauchen Kinder und 
Lehrer keinen andern Ausdrud, als den: den Statehismus beten. Es 
erhebt fih ein Kind nach dem andern von feinem Siße und betet fein 
Stück ohne Stoden mit der im Buche vorgefchriebenen Betonung.‘ 
Diefe von Goltzſch für die Unterflaffe geforderte Behandlung des Kater 
chismus weilet Bormann der Oberflaffe zu. „Unterrichtskunde“ Seite 143 
beißt es: „Nach meinem Dafürbalten entfpricht eine Volksſchule, welche 
in Betreff des Katehismusunterrichtes das hier (nämlich von Goltzſch 
für die Unterklaſſe) Geforderte leiftet, allen Anforderungen, welche nach 
dem Regulativ an fie gemacht werden können.” Seite 141: ‚Die Heils⸗ 
wahrheiten, welche in der biblifchen Geſchichte thatſächlich zur Erſchei⸗ 
nung fommen und von deren gläubiger Aneignung die Kirchenlieber 
Zeugniß geben, finden in ihm ihren Iehrhaften Ausdrud und eine Ans 
ordnung, die dem innern Fortgange des Heildweges jelbft entſpricht. 
Bon diefem Gefihtspunfte aus betrachtet, erfcheint der Katechismus als 
die Zufjammenfaffung des anderweitig bereits in anfhaus 
liher Zorm dargebotenen Inhaltes der göttlihen Offen» 
barung im Wort. — Dem Gonfirmandenunterrihte ift es 
vorbehalten, den Katechismus zum eigentlihen Inhalte 


40 - Religions = Unterricht. 


feiner Unterweifung zu machen.“ Seite 144 u. 145 (a. a. O.) 
giebt Bormann noch die Erklärung, daß nad feinem Dafürhalten eine 
über die von ihm geftedten Grenzen hinausgehende Behandlung des Kar 
tehismus auch über die Forderungen binausgehe, die das Regulativ an 
die einklaffige Volksſchule macht. Für die mehrflaffige Schüle macht 
Bormann die weitergreifende Katechismusbehandlung von dem Urtheile 
des betreffenden Pfarrers abhängig. Nah Bormann wäre alſo das 
Ende der eigentlichen Katechismusauslegung gefommen und es hätte, ins 
fofern eine foldye obne die Latechetifche Lehrweife undenkbar ift, der heim⸗ 
gegangene Nacke Recht gehabt, als er im vorigen Jahresbericht (Seite 29) 
ihrieb: „Aus den preußifchen Schulen if die Katechefe dur das Res 
gulativ vom 3. October 1854 thatſächlich entfernt.‘ Befremden mag 
es allerdings, daß Bormann nad feinen beflimmten Auslaffungen in 
dem für die einklaffige Elementarfchule gegebenen Lertionsplane (Untere 
richtöfunde Seite 238) noch eine Stunde wöcentlih unter der Rubrif 
„Katechismus“ auftreten läßt. Uber wir werden, zumal auch die dem 
Lectionsplane (Seite 239—240 a. a. D.) folgenden Erläuterungen ſich 
über dieſe Katechismusſtunde nicht weiter auslaffen, zu der Annahme 
berechtigt fein, daß diefe Stunde vorzugsweife dem bei Goltzſch nur 
viertelftundenweife auftretenden Beten des Katechismus zugewielen fein fol. 

53. Bormann geht in feiner Normirung des Katechismusunters 
richtes von folgender Stelle des Negulatives aus: „Der in der Ges 
meinde eingeführte Katechismusunterricht wird, fo weit es die Borbes 
reitung für den Katechumenenunterricht erfordert, dem Gedächtniſſe ein» 
geprägt; er muß von allen Kindern dem Wortinhalte nad verftanden 
fein und richtig und ausdrudsvoll bergefagt werden können.” Im weis 
tern Berlaufe feiner Auseinanderfeßung hafirt er die bereits oben ans 
gegebene Spige feiner Auffaffung, daß es dem Confirmandenunterricht 
vorbehalten fei, den Katechismus zum eigentlichen Inhalte feiner Unter» 
weifung zu machen, und daß, wie fpäter Mar wird, die Schule ed nur 
mit dem ausdrudsvollen Ratechismusbeten zu thun hat, Auf die im Res 
gulativ vom 1. October (S. 19) ſich findende, von ihm wörtlih ans 
geführte Stelle, in welcher ausgefprochen wird, daß eine ſyſtematiſche 
Behandlung der chriflfihen Lehre, fei es in Entwidelung des dog⸗ 
matifchen und moralifchen Lehrinhaltes des Katechismus, fei es in ſelbſt⸗ 
fändiger Latechetiiher Behandlung einzelner Lehrpuntte und Bihelftellen, 
nicht Aufgabe des Elementarlehrers, fondern Aufgabe des Confirmanden= 
unterrichtes if. Der darauf folgende Sap des NRegulativs: „Der Kas 
tehismusunterricht der Elementarfchule hat auf den legtern in der Art 


vorzubereiten, daB durch eine einfache Fatehetifche Behand⸗ 


lung der Katehismus feinem Borts und Sadinhalte nad 
zum klaren und jihern Berfändniß der Kinder gebracht 
und, jo weit erforderlih, ihrem Gedächtniffe eingeprägt wird,“ iſt von 
Bormann in folgender Zaffung wiedergegeben: „Dagegen fällt der Eles 
mentarfchule die Aufgabe zu, den Katechismus dem Gedädhtniffe einzus 
prägen und ihn allen Kindern dem Wortinhalte nad jo weit zum 
Verſtändniß zu bringen, daß er richtig und ausdrudsvoll_hergefagt wer⸗ 


- 


Religions « Unterricht. 4 


den Tann.’ . Wir glauben, daß beide Säge nicht daflelbe fagen, und 
haben die nach unferer Meinung weſentlichen Differenzpuntte durch Die 
geſperrte Schrift angedeutet. Bormann hat in feiner Umfchreibung die 
von dem Negulative ausdrädiich geforderte einfache katechetiſche Behand 
lung des Katechismus nicht erwähnt, desgleichen nur ein Verſtändniß 
nad dem Wortinhalte verlangt, während das Negulativ von einem Ber- 
Rändnife nach dem Wort» und Sahinhalte redet, und endlich das 
Verſtändniß mit einem fo weit begleitet, wie wir es in dem Negulative 
nit finden. Diefes fchließt die Forderung. des Auswendiglernens des 
Katehismus einfah an die des Berfländnifles an. Schon bier wird es 
klar, daß die Bormann’fche Auffaffung eine von dem Regulativ weients 
ih verfchiedene, nicht den vollen Inhalt deſſelben wiedergebende if. 
Daſſelbe müſſen wir noch entichiedener behaupten, wenn wir das Regu⸗ 
lativ vom 3. October Seite 68 mit der Bormannſchen Rormirung des 
Katehismusunterrichtes vergleihen. Wie die Negulative äußerlich als 
ein Ganzes erfchienen find, fo wollen fie auch ihrem Inhalte nach ale 
ein Ganzes behandelt und als ein folches gedeutet fein. Und wenn der 
auf das Seminar fich beziehende Theil nad dem innigen Zufammens 
bange des Seminars mit der Volksſchule nothwendiger Weile bereite 
Rh über Ziel und Aufgabe der Volksſchule auslaffen mußte, fo iſt es 
andererjeits gewiß auch ganz natürlih, in dem Regulative vom 3. Dce 
tober die einzelnen, genaueren Ausführungen zu dem bereits im foges 
nannten Seniinarregulative über die Volksſchule Gefagten zu fuchen. 
Bon diefer wohl unbeftreitbaren Annahme ausgehend, fehen wir in dem, 
was Seite 67 u. 68 über den Religionsunterriht in der Volksſchule 
geſagt ift, den Commentar zu den von Bormann aus Seite 19 u. 20 
eitirten Beſſfimmungen. Nun lefen wir aber Seite 68: „Die Saupts 
aufgabe des Lehrers ift, den auf den befchriebenen Gebieten (— es find 
vorher bibliſche Gefchichte, Gebete, Wochenfpruch und Wochenlied, Kirchen 
lider, Sprüche, Perilopen, Bibel und Katehismus genannt, —) 
beiegenen Inhalt zu entwideln, zum Berfiändniß und zum 
Beſitze der Kinder zu bringen. Dazu ift weniger die Kunf 
des fogenannten Sofratiftrens, als die des guten Erzählens, Veran⸗ 
ſchaulichens, des Haren Zufammenfaflens der Hauptgedanken und die 
Kraft des eignen Glaubenslebens erforderlich, welche in göttlichen Dingen 
ohne große menſchliche Kunft Ueberzeugung und Leben ſchafft.“ Wir 
finden bei Bormann auch nicht die geringfte Nüdfichtnahme auf dieſe 
Stelle. Go lange fie aber mit ihrem beflimmten Wortlaute dafteht, 
wird fchwerlih die Berufung Bormanns auf die Regulative als eine 
richtige gelten koͤnnen. 

54. Ob es überhaupt moͤglich ſei, den übrigen Seiten des Re⸗ 
ligionsunterrichtes, insbeſondere der bibliſchen Geſchichte, in der Volls⸗ 
ſchule eine ſolche Behandlung zu geben, daß durch fie die einzelnen 
Heilswahrheiten bereits in folcher Anfchaulichkeit dem Schüler zugeführt 
werden, daß der Katehismus nur das Gefchäft der lehrhaften Zufammen- 
fafung zu übernehmen bat, und ob an der Hand Bormanns dasjenige 
zu erreichen fei, was nach den Negulativen bezüglich des Katechismug 








42 . Religions» Unterricht. 


erreicht werden fol, if eine Frage, zu der jedenfalls mehr Raum ges 
hört, als uns in diefen Blättern zugewiefen if. Wir müſſen bier une 
mit furzen Andeutungen genügen. Zunächſt behaupten wir, daß eine 
ſehr forgfältige und ausgedehnte Behandlung. der bibliſchen Geſchichte 
dazu gehört, wenn durch diefe der Katechismus, wie das Regulativ ver» 
langt, nah Wort und Sache, zu einem fihern und Haren Ver⸗ 
ſtaͤndniß gebracht werden fol. Selbſt dann, wenn der bibliſche Ge⸗ 
fhichtsunterricht fo recht eigentlich darauf angelegt würde, nicht nur im 
Großen und Ganzen, fondern auch für alle einzelnen Säge eine Ka⸗ 
tehismuserläuterung zu fein, würde gar manches Katehismusftüd übrig 
bleiben, das ohne unnatärlihen Zwang feine Behandlung nicht fände. 
Auch liegt eine Berwerthung der biblifchen Gefchichte, welche das von 
den NRegulativen für den Katechismus Geforderte Teiftet, ficher noch 
weiter über den durchſchnittlichen Bildungsftand der Volksſchullehrer hin⸗ 
aus, als eine einfache Tatechetifche Behandlung des Katehismus. Wir 
müffen, zugleih gegen Fürbringer, behaupten, daß dieſe leptere, zu⸗ 
mal an der Hand eines nicht zu karg audgeftatteten, in Frage und Ante 
wort gearbeiteten und darum beftimmte Anhaltepunfte gewährenden Has 
techismus, auch für den Schwächern und Ungeübtern nicht grade uns 
überwindbare Schwierigkeiten bietet. Zritt zu der Handreichung eines 
folden Katehismus noch die Hülfe der theofogifh und hoffentli zu 
feiner Zeit auch pädagogiſch gebildeten Pfarrer, fei es in Abhaltung 
einzelner Mufterlectionen in der Schule ſelbſt, fei es in Conferenzbe⸗ 
fprehungen, fo ift ‚eine einfache Tatechetifhe Behandlung‘ fiher für 
den Lehrer nicht zu fehwierig. ebenfalls liegt einer gehörig geleiteten 
Katechismusauslegung die Gefahr, in das rein Subjective abzuirren, 
nicht fo nahe, als einer ſolchen Behandlung der biblifihen Gedichte, 
weiche zugleich Die den Katechismus betreffenden Forderungen des Regu⸗ 
lativs befriedigen fol. In Beziehung auf die biblifche Geſchichte kommt 
anßerdem der Umftand in Betracht, daß die Lehrer ſich vergeblich nad 
einem Wegweiſer zu dem von Bormann geftellten Ziele umfehen werden. 
Es ift für die Durchführung der Stellung, die Bormann der biblifchen 
Geſchichte geben will, jedenfalls bezeichnend, daß derfelbe außer feinem 
eigenen, vor 15 Jahren erfchienenen und, fo viel wir wiſſen, nicht zur 
zweiten Auflage gekommenen Handbuche nur die Bearbeitung der bibli« 
fhen Geſchichte von Niffen zu nennen weiß, die bei allen, von uns 
an andern Orten gern anerfannten Borzügen doc nicht geeignet iſt, 
einer folchen Geftaltung des biblifchen Gefchichtsunterrichtes, wie fie mit 
Nothwendigkeit aus den im Megulativ über den Katechismus gegebenen 
Befimmungen folgen müßte, Borfchub zu leiften. Was die in der 
„Unterrichtstunde‘‘ Seite 308—122 ſich vorfindenden Auslaffungen ans 
langt, fo glauben wir nicht, daß der Herr Verfaffer ſelbſt den An⸗ 
fpruch erheben wird, mehr als Andeutungen gegeben zu haben. Und 
wird, fo fragen wir von fern her, eine folde Stellung des Katechismus, 
wie die nad) Bormann, nicht auch eine Durchgreifende Megulirung des 
Confirmandenunterrichtes notbwendig machen, und wird bie freitende 
Kirche mit diefer uns nicht zu lange warten laſſen? Bürbringer 


Religions : Unterricht. 43 


rerfpricht ſich (a. a. DO. Vorwort Seite VI) einen großen Segen davon, 
wenn der Bfarrer nicht mehr mit den Borurtheilen und Irrthümern zu 
impfen hat, welche durch eine fubiective, zunähft nur aus Mangel an 
tieferer,, theologifcher Bildung hervorgebende,, irrige Auffaffung der evans 
geliſchen Heilslehren feinen Confirmanden eingeflößt worden find.” Wir 
Rimmen ihm gern Bei, falls nämlich der Unterricht in der biblifchen 
Geſchichte leiſtet, mas er nah Bormann leiſten fol. Was foll aber 
dann aus dem Konflrmandenunterrichte werden, wenn, wie wir ale Folge 
der Bormannfhen Katechismusftellung befürchten, der Pfarrer in Zus 
Amft nicht einmal mehr das Wortverſtändniß des Katechismus vorfindet? 
IR ſchon jetzt die Mühe und Noth des Gonflrmandenunterrichtes nad 
den Ausfagen der Pfarrer fo groß, — wie erfi dann?  GSoflte dann 
nit noch im höhern Brade wahr werden, was Vater Hübner 1714 
ſchrieb: „Es werden oft erwachfene Leute ertapyet, die Eins oder das 
Andere ans dem Katechismus entweber gar nicht verfiehn, oder fich eine 
ganz falfche Auslegung nah ihrem Sinne darüber gemakht haben.‘ 
Wir leben ganz entfchieden auf der Seite aller Derer, welche gegen 
die hergebrachte Fatechetifche Salbaderei eifern, durch welche der Kates 
hismustert bededt und unfichtbar gemacht wird. Wir fagen mit Löhe: 
„Den Bortverfiand des Meinen Satehismus haben, if feine Kleinig⸗ 
kit. — — Man foll vor allen Dingen das Volk wieder zu der Höhe 
der Entwidelung bringen, daß es weiß, was im Katechismus fleht und 
was es an ihm hat.’ Und eben das, was Feine Kleinigfeit ift — ſetzen 
wir anf der Baſis einer langjährigen Erfahrung hinzu, die nicht in der 
Höhe des Schulregimentes, fondern in den niedrig gelegenen Kreifen 
der eigenen Schularbeit gewonnen if, — wird ſchwerlich Durch die biblifche 
Geſchichte allein und dann noch weniger durch den nad Zeit, Dauer, 
Veife, Umfang bis jetzt noch in unfihern Grenzen berumfchwimmenden 
Eonfirmandenunterricht zu erreichen fein. Hat doch ſelbſt Löhe, der 
Eiferer um das ipsissimum verbum, theils in feinen Marginalien, 
theils in befondern Fragen und Antworten uns ih feinem Haus, Schuls 
und Kirchenbüchlein eine WBorterflärung der verba ipsissima Luthers 
gegeben. Bor allem aber müflen wir, — um biefes noch einmal zu 
betonen — von unferm poſitiv⸗chriſtlichen und Eirchlich »confefflonellen 
Standpunkte aus gegen die Bormannfche- Stellung der biblischen Ge⸗ 
fhichte und des Katechismus Einſpruch thun. Se ernflliher wir bei 
der Behandlung eines jeden einzelnen zum Religionsunterrichte gehörenden 
Stoffes fragen: „Was bat die Kirche davon?’ — Deo mehr Bedenken 
muß uns eine Behandlungsweife des Katechismus erregen, durch welche 
diefer Schiffbruch leidet, defto entfchiedener müflen wir uns auch gegen 
eine ſolche Unterweifung in der bibliſchen Gefchichte erklären, welche die 
Adirrung in das Subjective fo nahe legte. 

55. Bormann verlangt (a. a. D. Seite 141), daß des Katechis⸗ 
mus in der Efementarfchule fo weit zum Verſtaͤndniß gebracht werde, 
„daß er richtig und ausdrudsvoll hergefagt werden kann.“ Wir halten 
das richtige und ausdrudsvolle Herfagen des Katehiemus für einen fehr 
unfigern Gradmeſſer des Verſtaͤndniſſes. Große und Heine Schüler 


44° Religions = Unterricht, 


fagen oft Katehismusftüde, Liederverfe zc. mit auffallend guter und 
darum auch leicht täufchender Betonung ber, und doc hat diefe keinen 
andern Grund, als das forgfältige Vorfprechen des Lehrers. Nur zu 
oft fehlt dabei, wie man fih duch bie einfachften ragen überzeugen 
fann, jedes Berkändniß, und mander Laie wird z. B. bei Prüfungen 
getäufcht,, wenn die Schüler wie ein Uhrwerk aufgezogen werden, das 
feine Melodie nah allen Regeln der Kunft richtig abfpielt. 

56. Erlaffe der Mittelbehörden, welche mit den Bormannfchen Ans 
ſchauungen übereinfimmen, find uns bis jept noch nicht zu Gefichte ger 
fommen. Im volländigen Gegenfage zu Bormann flehen außer den in 
öffentlichen Blättern viel befprochenen Erlaffen der Königlichen Regierung 
zu Potsdam die ‚„‚Erläuternden Befimmungen’ der Königlichen Regie- 
zung zu Merfeburg (Seite 5): „Es würde ein arges Mißverſtändniß 
fein, wenn man vou dem Katechismusunterrichte das fatechetifche Ele⸗ 
ment überhaupt, weldhes zur Entwidelung und Aneignung des 
Lehrinhaltes unentbehrlih ift, ausgefchloffen glauben wollte. Des⸗ 
gleichen die Berordnung der Königlichen Regierung zu Breslau vom 
22. December 1854: „Der Lehrer bat fih in einfacher und herzlicher 
Weiſe über den Inhalt der biblifhen Befchichte oder des Katechismus 
mit den Schülern zu beiprechen, wobei Bibel und Katechismus in ftete 
Beziehung zu einander zu ftellen find.“ 

57. Bon Bormann und der von ihm vertreienen, gänzlich mit der 
bisherigen Stellung des Katechismus brechenden Richtung wenden wir 
uns zu dem andern Exrtreme. Die ganze alte katechetiſche Kunf mit 
ihren eflenlangen Herleitungen, mit ihrem Abzielen auf verflandeamäßige 
Deweife, mit ihrem Ausgehen von allgemeinen Begriffen und ihrem Zer⸗ 
legen diejer bis zur Saarfpalterei, mit ihrem UWeberladen des Katechis⸗ 
mus durch eine Menge von Erklärungen, mit ihrer Unermüdlichkeit im 
Aufipüren von hundert» und taufenderlei Einzelnheiten, Die unter ein 
beſtimmtes Katehismuswort fallen konnen, mit ihrem Bededen, Uns 
fichtbarmachen, Ertödten des Ratechismustertes: fie fucht unter der Firma 
„der einfachen Tatechetifchen Behandlung‘ ebenfo eine Berechtigung wie 
das Bormannfche Memoriren und Herbeten des Katehismus. Anerfannt 
muß freilich werden, daß fie fi nicht mehr um inhaltslofe Allgemein« 
beiten herumdreht, fondern daß fle ganz entfchieden in dem Dienfle des 
pofltiv » hriftlichen und Tirchlicy »confeffionellen Lebens flieht. Als Reprä«- 
fentant diefer Richtung nennen wir den Seminardirettor Dr. Wange» 
mann zu Gammin in Pommern, deffen „Bibliſches Handbuch und 
Hulfsbuch zu Luthers Meinem Katechismus‘, Treptow a. d. R. Erſte Auf⸗ 
lage 1855. Zweite Auflage 1856. (Biteratur Dberfufe A.) in feinen 
praftifchen Anweifungen für den Lehrer, „wie er den Katechismusunter» 
richt im Sinne der drei preußifchen Regulative fegensreich für fih und 
feine Schule fruchtbar betreiben koͤnne,“ kaum von den Fehlgriffen der 
alten Tatechetifchen Kunſt wird freigefprochen werden fönnen. — Außer 
bald Preußens finden wir zu unferer großen Berwunderung einen ſtarken 
Zug zu der alten katechetiſchen Kunft bei einem berühmten Schulmanne, 
nämlih bei Curtman. Die ſchon genannte ‚, Elementarifche Kates 


Religions - Unterricht. 45 


chetik“ Curtmans Tann nah unferm Dafürhalten fi von dem alten 
Katehifiten nur wenig losldfen. 

58. Zwiſchen diefen beiden äußerken Standpuntten, dem Bor 
mannfchen und dem Wangemannſchen, bald mehr dem einen, bald mehr 
dem andern fich zuneigend, bewegen fi, „die einfache, katechetiſche Bes 
bandiung fuchend,“ zahlreiche Fatechetifche Beftrebungen der Gegenwart. 
Nur unbedeutend weiht von Bormann die Mehrzahl Derfenigen ab, 
welche den Wortverſtand des Katechismus durch nichts weiter als ein 
Zergliedern des Katechismustertes nach feiner logiſchen Zufammenfeßung 
zu erreichen glauben und denen Franz Berner als der Meifter in 
der Katechismusbehandlung gilt. Die Frucht eines folhen, ben Kate⸗ 
bismus in der Oberkaffe etwa fo wie die biblifhe Geſchichte in der 
Unterflafle abfragenden Unterrichtes ift dann, daß die Schüler auf die 
kreng an dem Texte hinlaufenden Fragen mit den Qutberifchen Worten 
zu antworten verſtehen und den Text fich leicht einprägen, aber nicht, wie 
die Analytifer glauben, ein wirkliches Gindringen in das Berfäntniß. 
Wir begegnen hier derfelben Verirrung, die fi beim Sprachunterrrichte 
in der Behandlung des Lefeftüdes geltend macht, und die bereits vor 
längerer Zeit ein fchlefifcher Semmarlehrer fo treffend zeichnete, als er 
zeigte, daß man durch diefe falfche Zergliederungsfunft auch ganz treus 
berzig mit den Schülern über baaren Unfinn! ein fcheinbar ernfles Frage⸗ 
und Antwortfpiel machen könne. Daß fol’ Frage- und Untwortfpiel 
weder belehren, noch erbauen Tönne, und fomit der wichtigften Eigen» 
ihaften des Religionsunterrichtes ermangele, Tiegt auf der Hand. Entſchieden 
bat fh im Brandenburger Schulblatte 1856 (Mais und Juniheft) ein 
Ungenannter, aber doch wohl Erkennbarer, gegen diefes Zreiben ausges 
ſprochen. Nachdem er daflelbe befchrieben, fagt er: „Probatum esset, 
wenn nur das Alles Religionsunterricht wäre! Man lefe doch nur, was 
in den Regulativen mit Sperrfährift ſteht. Die Neligionsfunde ſoll 
einen erbaufichen Charakter tragen. Und trägt fie ihn nicht, jo fchadet 
fie fa mehr, als fie nützt. Ich babe aber in jüngfter Beit fo mander 
Religionsleetion in verfchiedenen Schulen beigewohnt, in denen nach ber 
oben furz gefchilderten Methode Katechismus ꝛc. tractirt wurde. Diefe 
kectionen waren aber alles Andere, nur nicht erbaulich, und die Lehrer, 
von denen fie gehalten wurden. und die auf diefen Mangel aufmerkſam 
gemacht wurden, mußten ihn zugeſtehen und natürlich finden.’ — ‚Meine 
Erfahrung bat mich noch auf einen andern Nachtheil aufmerkfam gemacht, 
nämliih, daß ſchließlich die Kinder bei dieſen Berfahren 
doch Richts lernen, wenigftend nicht das Alles, was fie lernen müffen. 
Es handelte fih einmal um die erfle Bitte Die Iutherifche Erklärung 
wurde zergliedert: ,, ,,®o wird der Rame Gottes geheiliget?'" Erſtens 
da, zweitens da. „„Wo wird er entheiligt?““ Erſtens da, zweitens 
ta. Durch Bin» und Herfragen wurden die Refultate den Kindern ges 
täuflg gemacht, fo daß fie mit Luthers Worten fih wohl zu bebelfen, 
mit Diefen Worten auf die obigen Sauptfragen wohl zu antworten wußten. 
Hiermit war die erſte Bitte abfolvirt. Ich frage nun, ob Dies zur 
Borterflärung genug ifl. Oder müffen nicht 3. B. die Kinder Doch nun 


46 Religions = Unterricht. 


auch Rechenſchaft Darüber bekommen, warum ber ben Ramen Gottes entheis 
liget, der anders lehret und Iebet, denn das Wort Gottes lehret? warum 
alfo Luther grade fo erflärt bat und nicht anders. Hier wlrde meiner 
Meinung nad erft das erbauliche Element eintreten können und müflen, 
während vorher das logiſche im Bordergrunde fland, welches aber doch 
anerfanntermaßen auch in der Dorfichule nicht ſtehen bleiben, fondern 
nur einen möglihft bald zu überwindenden Durchgangspunkt bilden darf. 
Diefer Durchgangspunkt ik freilich auch noch nicht überwunden und für 
die Erbauung und Heiligung des Herzens auch noch wenig oder nichts 
gewonnen, wenn nun auch wirklich noch ein oder ein anderer fchwieriger 
Begriff erklärt oder angewendet wird. Bielmehr bedarf eine derartige 
Borterflärung doch wohl noch eine Vertiefung durch Erklärung und Ans 
eignung der tiefen Gedanken, welche in den Worten des Katehismus 
ausgedrüdt find. Das wird deswegen immer noch Worterklärung und 
von dem weit entfernt fein können, was die Regulative dem Religions» 
unterrichte der Schule verfagt Haben.” — Ein Wort zu feiner Zeit! 
59. Wir wenden ung zu den katechetiſchen Behrebungen der Mitte, 
die nach unferm Dafürbalten auch in dieſem Stüde das Rechte trifft. 
Zu diefer Mitte gehört eine Reihe von Namen guten Klanges: Thilo, 
Bodund Jungklaaß, Goltzſch, Jaspis zc. Die Schiefier finden ſich, 
wie es uns aus der von ihrem Schulblatte genommenen Entwickelung her⸗ 
vorzugehen ſcheint, auch in Beziehung auf den Katechismus immermehr. in . 
eine Bahn zufammen. „Bil du etwa,” fagt Jungklaſaß auf einer 
Gonferenz zu Winzig (Schulblatt 2. Seite 305), „weil neuerdings das 
Katechifiren und Sofratifiren gewiffernaßen in Berruf gefommen if, in 
da8 andere Extrem verfallen, und bringf du den Kindern gar nichts 
mehr, namentlich in Glaubensfachen, zum Berftändnig? Läßt du den 
Katechismus etwa nunmehr nur noch mechaniſch auswendig lernen? Sch 
denke, wir halten uns auf der goldenen, aber nicht tombadenen Mittels 
firaße, laſſen tüchtig, recht tüchtig und treu auswendig lernen, bringen 
aber Das, was die Kinder lernen, ihnen auch zum Berftändniß, auch 
duch Frage und Antwort.‘ Goltzſch (a. a. D. Seite 145): „Es 
bedarf jept des näheren, betrachtenden Eingehens in jedes Lehrftüd des 
auswendig gelernten Katechismus. Es muß jebt allmählig zu immer 
fortfchreitender Erfenntniß des innern Reichthums der fo oft andädhtig 
gefprochenen Worte kommen.“ Und Seite 150 fagt Goltzſch: „daß diefer 
Unterricht in nichts Anderem, als in einem fortwährenden Ka⸗ 
techifiren befteben könne, deffen Stoff dem Kinde in Bibelfpruh, in 
biblifcher Gefchichte und Xiedervers vorliegt.’ — Was in dem abge, 
laufenen Jahre, fei e8 in Beitfchriftenartifeln, fei es in ſelbſtſtaͤndigen 
Büchern, wirklich DVerdienftliches für den Katechismus geleiftet if, gehört 
den Beftrebungen der Mitte an. Mur eine recht entichiedene Polemik 
gegen die Extreme haben wir vermißt. An Kräften zu einem entichies 
denen Kampfe fehlt es nicht, und ohne einen folhen Kampf wird es 
nun einmal nicht abgehen. Beachtenswerth find namentlich Die Bemühungen 
. der Mitte für Provinzial» und Landesfatehismen. Für Pommern hat 
Jaspis, in Dem vorangehend, wozu er bei jeder Gelegenheit feine geift» 


Religions = Unterricht. 47 


lichen Amtsgenoffen ermahnt, nämlich zu tätiger Hülfsleiftung für Die 
Schufe, eine befonders für Pommern bearbeitete Ausgabe feines Kate⸗ 
chismus erfcheinen laſſen; die ſchleſiſche Schule glaubt dem lange erſehn⸗ 
ten Brovinzials Katehiemus dur die Arbeit von Wendel um ein 
gutes Stück näher gelommen zu fein. Außerhalb Preußens if in Baiern 
die erfte, nicht amtliche Borlage des von Caspari nach Auftrag der evans 
geliſchen Landestirchenbehörde verfaßten Katechismus erſchienen; in 
SadbfensMeiningen hat der Landesfchulratf Weidemann feinen 
Katechismus in neuer Auflage erfcheinen laſſen. Die von den Männern 
der Mitte für die Abfaffung der Provinzial s und Sandesfatehiemen ale 
richtig anerkannten Canones finden fih im Wefentlihen in einer 
Reibe von Säßen wieder, die Dr. Bangem ann (a. a. D. Borwort 
Seite IX) allerdings zunähft für eine höher hinauf gelegene Katechis⸗ 
musbehandlung aufgeſtellt, aber weder in den höher hinauf, d. i. nach 
dem Seminare zu, noch in den weiter abwärts, d. i. nach der Volks⸗ 
ſchule zu gelegenen Abfchnitten feines Buches befolgt hat. Wir geben, 
diefe Säge nur mit denjenigen Beränderungen und Auslaſſungen, welche 
dur ihre Anwendung auf den Provinzialfatehismus der Volklsſchule 
nöthig werden. 

a. Der Provinziallatehismus muß von keinerlei felbfigemachtem 
Schematismus ausgeben, fondern in Eintheilung und Anordnung des 
Stoffes dem Eonfelfionsfatechismus folgen. 

b. Er muß nah allen feinen Einzelnheiten fih fo eng an den 
Bortlaut des Eonfefionskatehismus anſchließen und aus demfelben gleich“ 
fam hervorwachſen, daß wo möglich jede Einzelausführung nur eine Ents 
widelung eines im Keime nach in einem Worte des Confeſſionskatechis⸗ 
mus bereits enthaltenen Gedanken giebt. 

e. Die Lehrausführung im Ganzen und im Ginzelnen muß fi 
üreng in den Grenzen kirchlich⸗ſymboliſcher Lehre halten. 

d. Dieſe muß ſich im Großen und Ganzen, ſowie im Einzelnen, 
nicht blos auf den Confeſſionskatechismus, fondern auch auf die heilige 
Schrift gründen. 

e. Jedoch dürfen die Ausſprüche der heiligen Schrift nirgends als 
aur angeliebte Beweisftellen gebraucht werden, fondern fie müflen die 
Grundlage bilden, aus weichen der Lehrtert ſelbſt wie ein Ergebniß her⸗ 
auswähk, fo daß alfo der Schüler ſelbſt jedes Lehrſtück gleichlam aus 
der heiligen Schrift jelbft heraus erwachien flieht. 

$f. Zu der aus der Schrift zu gewinnenden Grundlage fowohl, ale 
au für die fortgehende Erläuterung des Lehrtegtes find nicht nur die 
eigentlichen Lehrſtellen der Schrift, fondern auch die biblifchen Beifpiele 
zu verwerthen. 2 

g. Die zur Erläuterung, vornämlich aber auch zur Forderung des 
im ganzen Katechismusunterrichte zu wahrenden erbaulichen Elements zu 
verwendenden Liederverſe dürfen nicht irgend woher, ſondern müſſen aus 
dem kirchlich eingeführten Geſangbuche, am beſten aus den für die Schule 
beſtimmten Kirchenliedern entrommen werden. 

Zu dieſen Saͤtzen fügen wir noch zwei, welche vornaͤmlich die ſchle⸗ 


48 Neligiond ; Unterricht. 


ſiſche Schule mit ganzer Entfchiedenheit geltend gemacht hat,’ einen, der 
das methodifche Verfahren angeht, einen, der ſich auf das zu verwers 
thende Material bezieht. 

h. Die ganze Bermittelung zwifchen dem gegebenen Katechismus: 
gehalt und der Aneignung des Schülers, der erfennenden und gläubigen, 
befleißige ſich moͤglichſter Kürze und Einfachheit. — — Nicht nur die 
fang ausgefponnenen Gedanfenbewegungen, die das aus dem Kinde ſelbſt 
heraus entwideln wollen, was fein Menfch aus fich felbft erfunden hat, 
fondern auch diejenigen, welche fi mit Dem zu tbun machen, was 
die Kinder längſt wiflen, find vom Nebel. 

i. Auch außerbiblifches Material ift bei der Behandlung des Kater 
Hismus nicht zurädzuweifen. 

60. In Beziehung auf Sag 3. fchreiben wir einer Auslaffung 
aus der fhlefifchen Schule eine befondere Bedeutung zu. Director Bod 
fast im Schulblatte für die evangelifhen Seminare Schlefiens (Januar⸗ 
und Februarheft 1856 Seite 17) bezüglich der im fchlefifchen Lefebuche 
für den Katechismus enthaltenen Erzählungen, Gedichte und Sprüche: 
„Sie find nicht bloß darauf berechnet, daß fie gelefen werden, vielmehr 
ſollen fie dem Lehrer ſelbſt erwünfchten Stoff für die Auslegung ſelbſt 
geben. Wir denken uns, daß der Lehrer, indem er fih auf eine Stunde 
vorbereiten will, zuerſt nad dem Katechismus felbft greift, dann nad 
der Bibel und dem Gefangbuche, auch nach einer ordentlichen Erklärung 
des Katechisnus, — — — und nah dem Lefebude, um zu fehen, 
welches Material ihm dieſes liefert, wie er dies für feinen Blan benußen 
fann. Da werden ihn die Sprüdwörter auf manche, fonft unbeachtet 
gebliebene Seite, aufmerffam machen. — — Jedes den Kindern nodh 
nicht befannte Sprüchwort ift furz zu erläutern und durch Vor⸗ und 
Nachſprechen einzuprägen. Die Gefchichten und lehrhaften Sprüche wers 
den oft, wenn man noch die nötbigen Kernſprüche aus der Schrift hin⸗ 
zunimmo, genügen, um eine innige, gläubige Aneignung des Katechis⸗ 
mus zu vermitteln.” Un bderfelben Stelle bat der verehrte Bvd noch 
ein anderes treffliches Wort gefprochen, über welches fich mit dem Bes 
richterftatter gewiß noch viele Andere von Herzen gefreut haben, die in 
einer Zeit der Extreme ihre durch eigene ehrliche Arbeit errungene Theorie 
und Praris nicht nach dem fubjectiven Dafürhalten dieſer oder jener, 
hier oder da auf dem Schulgebiete einflußreichen Perfönlichteit modeln, 
auch wenn diefe fih in fchneidenden Gegenſatz eben fo zu dem ſchul⸗ 
regimentlihen Negulative, wie zu dem Negulative aller gefunden Päda⸗ 
dogik ſtellt. Er laͤßt fih, von der befcheidenen Anzahl der chriflichen 
Geſchichten im fchlefifchen Leſebuche und von fonfligen „ganz vortreffs 
lihen Sammlungen chriftliher Geſchichten“ vedend, alfo aus: „Ich fage 
aber: Acht geben! Es liegen Zußangeln bier. Die Abneigung Bieler 
gegen ſolche chriſtliche Geſchichten hat, wenn fie auch oft aus der Ab⸗ 
neigung gegen das Wort vom Kreuze überhaupt kommt, doch auch ihren 
berechtigten Grund in dem Ungefunten, Gemachten, mas ein großer Theil 
diefer Gefchichten an fich trägt. Es gebt mit den Empfehlungen folder 
Sammlungen, wie mit allen Empfehlungen, wenn fie einmal ein Echo 


Religions = Unterricht. 490 


gewonnen haben; ihr Schall geht aus in alle Lande und Hunderte ſprechen 
davon, wie der Blinde von der Farbe. Daher flelle ich ſolchen Cupfeh⸗ 
lungen bloß die nadte Thatſache gegenüber, daß ich ganze Sammlungen 
fogenannter chrifllicher Gefchichten durchgeſehen babe, ohne eine einzige 
darin brauchen zu können.“ Das Wort ift goldeewerth, ein guter 
Shwertfireih nah hüben und drüben, d. h. ſowohl für Diejenigen, 
die außer Bibel, Geſangbuch und Katechismusftoff au für die Religions 
flunde der Oberftufe fein anderes Material wollen gelten laflen und über 
Berweitlihung der Religionsftunde dur Anecdoten und Sprüchwörter 
fhreien, als auch für Die, denen die Iandläufigen Gefchichtenfammlungen 
Deo angenehmer find, je dider und greller fie die Farben auftragen 
und je entfchiedener fie in die Garricatur des Heiligen bineingehören. 
61. Eine Probe für den Unterricht im Lutherfchen Katehismus 
giebt Director Bo d im Schulblatte der evangelifchen Seminare Schlefiens 
Seite 423--442 in einer ausgeführten Behandlung des erften Gebotes. 
Ber darnach verlangt, fich gründlich darüber zu unterrichten, wie ber 
Katehismusunterricht der Mitte fi) von den Bormannfchen und Wange⸗ 
mannſchen Ertremen unterfcheidet, mag fie fludiren. Je wichtiger aber 
diefe Arbeit dem Berichterflatter iſt, deſto weniger Tann er zwei Bes 
denken zurüdhalten, die fih ihm bei derfelben aufdrängen. Das eine 
betrifft Die DBertheilung des Stoffes. Die Bockſche Arbeit fleht in Bezug 
zu dem im Schulblatte 1854 Seite 329— 8346 mitgetheilten Lehrgange 
für den Religionsunterriht. Sie will insbefondere zeigen, „mie man 
jedes Stüd des Katechismus, welches ein kleineres, felbfiftändiges Ganzes 
bildet, auch als foldhes in einer Stunde zu behandeln habe, damit 
man dadurch gendthigt wird, ſtets den Kern im Auge zu behalten und 
diefelben Stüde des Katechismus möglichft oft, im Jahre zwei bis drei 
Mal, den Kindern vorzubalten.” Darnach wil Bock, wie er an dem 
heifpielsweife vorliegenden erften Gebote gethan bat, den zu jedem Ka⸗ 
tehismuefüde gehörigen Stoff in drei Kurfe getheilt haben, „ſo daß 
Alles, was für die Auslegung erforderlich ift, feine Berüdfichtigung findet, 
fo jedoch, daß man in jeder Betrachtung nicht bloß einzelne Seiten oder 
Etüde, fondern immer das Banze hat. Die drei Kurfe follen in jedem 
Jahre abfolvirt werden. Das Centrum, um weldes fich die Behandlung 
im erfen Kurfus berumdrebt, find die Worte: „Ich bin der Serr, 
dein Gott,’ und die Autheriche Erklärung, im zweiten Kurfus die Worte: 
„Du fol nicht andere Götter haben neben mir,’ im dritten Kurfus 
wieder die Worte der Erflärung. Nun if das erſte Bedenken, das ſich 
dem Berichterflatter bei wiederholter Prüfung der Bockſchen Arbeit immer 
feſter gefeßt hat, folgendes: Es if die Aufgabe, die Bod fich geſetzt hat, 
nicht erreiht. ES findet in den drei Kurſen Alles, was zur Auslegung 
esforderfih ift, feine Berüdfihtigung, aber nicht fo, daß man in jeder 
Betrachtung nicht bloß einzelne Seiten oder Stüde, fondern immer das 
Ganze Hat. (Der Nachweis im Einzelnen überfchreitet hier den Raum; 
iR aber vielleiht an einem andern Orte möglih.) Was aber einem 
Meier nicht gelungen if, wird auch fchwerlid den Schülern gelingen. 
Die ganze Trias ift zu künſtlich, auch wohl an vielen Stüden des Ka⸗ 
Rade, Iahreiberiht. X. ' 4 


50 Religions = Unterricht. 


techismus der Sache nach ganz unausführbar. Wir werden bei der hers 
gebrachten Sitte, uno tenore die Lehrftüde des Katechismus zu abſol⸗ 
viren, bleiben müffen. Damit ift ein Abwechſeln in manchen Stücden 
des erläuternden und erbanlichen Materiales, z. B. in den chriftlichen 
Geſchichten, vielleicht auch ein Wechſeln zwifchen einer ausführlichern und 
fürzern Behandlung ganzer Lehrftüde nicht ausgefchloffen. Nur gegen 
die Künftlichkeit der Bockſchen Dreitheilung verwahren .wir und. Das 
zweite Bedenken betrifft die Ausdehnung des Materiale. Auf jeden Abs 
ſchnitt if eine Stunde gerechnet, fo daß in zehn Stunden das erfle 
Hauptftüd abfolvirt werden fann. Wir fagen: Bollftändig unmöglich, 
und zwar nad angeftellten Proben an einer guten Oberklaſſe. (Auch 
darüber wo möglich mehr an einem andern Orte.) Das legte Bedenken 
halten wir nicht für fo bedeutend, als das erfle. Iſt das Auswählen . 
aus einem überreihen Stoffe auch für Biele ein ſchweres Ding, wie die 
Schiefer uns feld einft entgegen gehalten haben, fo if es doch nicht 
ein unmögliches. 

62. Auch in dem lebten Jahre haben die Schlefter ihre alte For⸗ 
derung nach gefonderten Schulfatechismen und Confirmandenfatehismen 
mit allem Nachdrucke geltend gemacht. In der Mecenfion des Wendel⸗ 
fhen Katehismus (Schulblatt 2. Seite 456 — 460) erhebt Director 
Jungklaaß gegen diefen mehrfache Ausflellungen, 3. B. über bie in 
die Konftrmandenfatechismen gehörigen Einleitungen und die fogenannten 
Ergänzungen zu Luthers Katechismus. Sie fließen zuleßt in dem Sape 
zufammen, daß der Wendelfche Katechismus durch feine doppelte Beſtim⸗ 
mung für die Schule und den Conflrmandenunterrit zu reich und 
bunt geworden ſei, als daß troß der von dem Verfaſſer getroffenen Bes 
zeichnung des für jedes Gebiet gehörigen Stoffes ein Herausfinden des 
für die Schule Gehörigen von Lehrern und Schülern erwartet werden 
fönne. Ueber Luthers Katehismus fchreibt Director Sungflaaß an einer 
andern Stelle (Schulblatt x. Seite 166): ‚Wir halten uns an die Aus⸗ 
‚wahl der Lehren in Luthers Katechismus und bewundern grade in deſſen 
Beſchränkung den pädagogifchen Takt des theuern Gottesmannes.“ Wir 
halten die auf gefonderte Schul» und Eonfirmandenfatechismen gehende 
Forderung nicht für eine richtige, und zwar aus folgenden Gründen: 

a. Bibel, Geſangbuch, Katechismus follen die drei Lebensbücher des 
Bolfes fein. Daß der Katechismus zum werthgehaltenen Hausbuche 
werde, daraus der Hausvater in der Hausgemeinde den beftimmten Ab⸗ 
ſchnitt vorlefe, abfrage, oder wie er es fonft vermag, verhandele, iſt das 
Biel, auf welches Schule und Confirmandenunterricht gleihmäßig hin⸗ 
arbeiten follen. Das wird nie erreicht werden, wenn mit dem Conſir⸗ 
mandenunterrichte der Schuffatechismus zur Seite gelegt, ein neues Buch 
in die Hände genommen und in dem oft fo kurzen — grade in Schlefien, 
wenigfiens vor einer Reihe von Jahren — auffallend kurzen Eonfir- 
mandenunterrichte durchgearbeitet wird. Da ift denn der Schulkatechis⸗ 
mus gradezu als Schulfnabenwaare bezeichnet und damit abgethan; im 
Bonfirmandenfatehiemus aber ift der junge Chriſt aud nicht heimifch 
geworden. Wie in diefelbe Bibel und in baffelbe Gefangbuch hinein, 


Religions - Unterricht. 51 


fo muß unfere Jugend fih auch hinein eben in denfelben Katechismus, 
Erkennen wir doch alle die Heinen für die Schule beftimmten Ausgaben 
der Kirchenlieder nur als Nothbehelfe an, die wir ficher nicht gebrauchen, 
wo die Gemeinde ein Gefangbud der alten, körnigen Zeit hat. ‚„‚Nimmers 
mehr,” fagt Easpari im Bormworte zu feinem auf ausdrüdliche Ans 
ordnung Des baieriſchen Oberconfiftoriums für den gefammten Schuls 
und Eonfirmandenunterricht eingerichteten Katechismus (Seite VII), 
„wird ein auf dürftige Zufammenfellung des für die Schule Rothwendigen 
fich befchränkendes Lehrbuh zu einem Haus» und Bollsbude 
werden. Man vergleiche das Loos der Bergeffenheit, welchem unfere 
meiften nach Form und Inhalt nur für die Schule beflimmten Lehr⸗ 
bücher anbeimfallen, mit der nachhaltigen Bedeutung, die etwa ein 
Dresdener Katechismus für ganze Generationen gehabt hat, und man 
wird einfehen: Ein Buch, das keine Antworten giebt auf die Fragen, 
die im Leben an einen Menfchen geftellt werden, fondern das für's 
Biffen und Leben praktiſch Braudhbare in feinen Kreis zu 
ziehen verfhmäht, bat mit dem Uebergange aus der Schule ind Leben 
feinen Zweck erreicht, und freilich eben damit feinen Zweck auch — vers 
fehlt.“ Zu der Berufung auf den Dresdner Katehismug fügt Berichts 
erflatter noch eine andere, nämlich die auf den Heidelberger Katechismus, 
den er in reformirten Gegenden, mitunter felbft nicht grade in fehr treffs 
lihen Bearbeitungen, nod vor wenigen Sahren als werthgehaltenes 
Hausbuc getroffen hat. — Rah üunferm Dafürhalten haben Wendel 
und Caspari recht daran getban, daß fe die fogenannten Ergänzungen 
zum lutheriſchen Katechismus nicht übergingen und die ganze Peripherie 
um Den Katechismus weiter zogen, als Bol und Jungklaaß fie ges 
zogen wiffen wollen. Wendel hat fih nur kurz über den Streit 
yunft ausgelaffen, aber er iſt fiher von dem richtigen Bewußtſein der 
Sorderungen, welche das kirchliche Leben an den Katechismus macht, 
geleitet worden, und wir fönnten e8 nur bedauern, wenn er dem Bes 
gehren des Director Jungklaaß, aus feinem Katechismus für die Schule 
einen Auszug zu liefern, willfahren wollte — Selbft das Auslaffen der 
Eigenfhaften Gottes bei Wendel — bei Easpari war e8 durch die 
Infruction geboten — können wir nicht Billigen. — In der Schule 
mag der Lehrer immerhin die göttlichen Eigenfchaften bei ber biblifchen 
Geſchichte betrachten und dann im DBerlaufe des Katechismus ganz übers 
geben oder nur kurz wiederholen; das Volks⸗ und Hausbuch verlangt 
etwas Anderes. 

b. Director Jungklaaß fagt a. a. D. Seite 458: „Diele Ers 
sänzungen durchbrechen ganz ungehörig den einfachen, Maren Gang des 
Katechismus Luthers, und führen die Kinder auf unfhulmäßige Weife 
in ein Stüd der Religionsphilofophie, welche, fo chriſtlich, fo evans 
gelifh fie fein mag, in die Volksſchule nun und nimmermehr gehört.“ 
Bir haben freilich noch niemals gewußt, daß, wie aus diefem ins Ertrem 
ipringenden Satze zu folgen ſcheint, Religionsphilofophte in den Confir⸗ 
mandenunterricht gehöre, aber wir hadern mit Jungklaaß nicht um eins 
jene Worte. Wir behaupten aber, daB das, mas er Religionsphilos 

. | 4* 


[4 


52 Religions - Unterricht. 


fopbie nennt, durchaus und allewege in Die Volfsichule gehöre. Es bes 
dingt diefes das Worts und Sacverfländniß des Katechismus. Der 
„verlorne und verdammte Menſch,“ das. „erworben, gewonnen von allen 
Sünden’ ꝛc. des zweiten Artifels wird, um nur ein einziges Beifpiel 
anzuführen, bei gänzlichem Webergeben der Erbfünde nit Mar. Wohin 
der Lehrer die fogenannten Ergänzungen ftellt, ob in den Katechismus, 
oder in die biblifche Gefhichte, mag offene Frage bleiben; wir halten 
dafür, daß fie da am natürlichften ſtehen, wo fie fih ungezwungen 
an den Satechismustert anfchließen oder wie im Uebergange vom erften 
zum zweiten Artifel, durch den Terxt felbft gefordert werden. Sie 
ganz dem Gonflrmandenunterrichte zu überlaffen, iſt Teinesfalls zus 
läſfig. Der wird noch genug zu thun haben mit der Vertiefung deflen, 
was die Schule gegeben hat und mit der eigentlihen Sakraments- 
zubereitung. 

c. Ein wefentliher Einwand gegen den Geſammtkatechismus if, Daß 
Lehrer und Schüler fih in ihm nicht zurecht finden. Jungklaaß betont 
namentlich die Schüler. Wir fagen: Finden fih nur erft die Lehrer zurecht, 
fo finden fi auch die Schüler zurecht, und zwar ohne Kreuze und Sterne 
(mie bei Wendel). Die Xehrer aber werden fich zurecht finden, wenn wir fie 
in den Seminaren gründlich vorbereiten. Freilich müffen wir dann erft auch 
einen tüchtigen Provinzialfatehismus unferm Seminarunterrihte zu Grunde 
legen und denfelben auch von unfern Seminariften wieder in den Sees 
minarübungsfchulen ſelbſt zu feiner Schulgeſtaltung durcharbeiten laffen, 
und die Kirhe muß zuvor ihren GConfirmandenunterriht vegulirt und 
Diefes und Jenes noch gethban haben. Dann gebt es ficherfih ohne 
Kreuze und Sterne. Aber bis jept arbeiten wir an dem Barmer 
Katechismus herum und ſeufzen bei aller materialen Vortrefflichkeit des 
Buches über feinen Mangel an fchulifhem Zuſchnitte und methodifcher 
SHandlichfeit, und nur Einer von allen Denen, die ihn gern wegwünfchen, 
hat den Muth gehabt, öffentlich feine Form „eine fpröde und fan» 
dige“ zu nennen, und noch Keiner hat etwas Befleres, fet e8 Ei- 
genes oder Fremdes, vorzulegen gewußt oder vorzulegen ſich getraut. 
Die Synoden aber machen unbefümmert um den Barmer in den Ses 
minaren ihre Katechismen und Spruchbücher, — Meine und große, gute 
und auch wohl ſchlechte, — eine jegliche nach ihrer Art, und der Confir⸗ 
mandenunterricht fängt bier von Anfang, dort in der Mitte oder gar 
am Ende an und möchte eine wunderliche Muftercharte Fatechetifcher Ars 
beit liefern, wenn er nur aus einer Provinz zu einem Gefammtbilde 
zufammengeftellt würde. In Summa: Da tft nod viel zu hoffen und 
zu bitten. Uber dennoch ift es mit dem Zurechtfinden auch jept nicht 
fo etwas Erfchredliches, als Director Jungklaaß anzunehmen fcheint. 
Arbeiten nur Pfarrer und Lehrer zufammen, fo wird es erträglich geben, 
bis es einft nah Erfüllung mander Wünfche noch beffer gebt. Wozu 
find denn die Conferenzen? 

d. Director Jungklaaß bewundert grade in der Beihräntung 
des Meinen Katechismus den pädagogifchen Taft Luthers. Es kann une 
nicht einfallen, irgendwie die pädagogifchen Verdienfte Luthers herab⸗ 


Religions - Unterricht. 53 


ſehen zu wollen. Es fcheint uns aber der Ausfpruch des Director 
Jungklaaß (Schulblatt Seite 166) auf einer ganz unpiftorifchen Anficht 
über den Zwed, welchen Quiher bei der Abfafjung des einen Katechis⸗ 
mus hatte, und über das DVerhältniß der einzelnen jegigen Katechismus⸗ 
ſtücke zu den fchon feit dem dritten und vierten Jahrhunderte feſtſtehen⸗ 
den drei Hauptflüden des fatechetifchen Unterrichtes, Glaube, Baterunfer 
und zehn Gebote, zu beruhen. Was den Zwed anlangt, fo ift dieler 
befanntlih zunächſt nur gewefen, den Hausvätern zu zeigen, wie fie 
ihren Kindern den Katehismus abhören follten; ein Schuls oder 
Kirchenbuch zu ſchreiben, if Luthers Abſicht zunächſt nicht geweſen. 
Was das Material der Hauptſätze betrifft, fo bat Luther ſicher feinen 
pädagogifchen Takt darin gezeigt, daß er Vaterunſer, Glaubensartifel 
und zehn Gebote, deren Kenntniß er noch vorfand, (vergl. die fechfte 
Predigt von Matthefius über das Leben Luthers). wörtlich beibehielt 
und jo fireng auf „einerlei’ Form drang (vergl. Vorrede zum kl. 
Katehismus). Daß aber Luther die von ihm gegebenen Erklärungen 
ebenfo für unwandelbar gehalten hat, bezweifeln wir. Er hätte ficher 
diefelben vielfach verändert (— wie er es 3. B. mit dem Betbüchlein 
getban Hat —), wenn nicht der fchnelle Eingang, den der Katechismus 
fand, namentlich der Umftand, daß der Hauskatechismus fo ſchnell Schuler 
und Kirchenbuch wurde, ihm den Gedanken nahe gelegt hätte, den erften 
Zert fieben zu laffen, um nur nicht durch vielerlei Text Schaden anzus 
tihten. „Man vergleihe nur die Erklärung ber erften Bitte mit denen 
der folgenden und frage fih, ob Luther nicht auch bei den andern die 
Bittform würde baben vortreten laffen, wenn er die Erklärungen mehr 
ausgearbeitet hätte, bei der fünften, ſechſten und fiebenten Bitte fehlt 
die Frage: „Wie geichieht das?” ganz. Luther hat gewiß ebenjo, wie 
jeder andere Lehrer gemerkt, wie leicht die Kinder von der Erklärung 
der vierten Bitte in die des erften Artikels übergehn und dur die 
Biederholung der Wörter ‚nicht verachten“ in der Erflärung des dritten 
und vierten Gebotes verwirrt werden. (Mönkeberg: Die erfie Auss 
gabe von Luthers kleinem Katehismus. Hamburg 1851. Seite 79.) 
Rebmen wir weiter dazu, Daß auch die Erklärungen, wie fie vor uns 
legen, deutlich genug das Beftreben enthalten, die Hauptiäbe zu ers 
gänzen und Webergänge zu vermitteln, jo wird man den Umfland, daß 
Luther feine Erklärungsjäße in der erfien Form beſtehen ließ und in 
ihre Umkreiſe nicht nocy mehrere der fogenannten Ergänzungsftüde hin⸗ 
einzog, aus der Gefchichte des kleinen Katehismus ſelbſt, aber nicht aus 
einer beabfihtigten Stoffbeihräntung zu verftehen. haben. Auch iſt ung, 
wenigfiens aus den Werken Luthers, feine Stelle befannt, in der Luther 
Ah über eine ſolche Stoffbefhräntung und Auslaffung der Ergänzungse 
Rüde, als eine methodifch beplante, ſelbſt ausgelaflen hätte. — So viel 
wir wiſſen, bat fi bis ieht auch nur eine Stimme — die amtliche 
einer fchlefifhen Regierung — für die ſchlefiſche Seminaranficht über die 
Ergänzungsfüde erhoben. 

63. Wenig verhandelt iR in dem abgelaufenen Jahre über die in 
der Pratis vielfach übliche Weije, nit bloß deu Zext des Lutheriſchen 


— . —— Te — — — 


—— — — — — —— —— — vr 


54 NReligions⸗Unterricht. 


Katechismus, ſondern auch die Erläuterungsfragen und Antworten der 
eingeführten Katechismusbearbeitung wörtlich auswendig lernen zu laſſen. 
Unter Denen, deren Urtheil von Bedentung if, deutet Jaspis auf 
Auswendiglernen hin. „Es lag mir fehr daran, die Darftellung jo zu 
faffen, daß fie leicht dem Gedächtniß eingeprägt werden Tann, denn wir 
wiffen nur fo viel, als wir im Gedächtniß haben.’ (Vorwort zu feinem 
für die Provinz Pommern beftimmten Katehismus.) Auf Ausmwendig- 
fernen gebt wohl auch Haufhild aus, wenn er .(a. a. DO. Seite 172 
mit Beziehung auf einen befiimmten Katechismus) fagt: „Ein Schüler 
muß feine Ehre darin feßen Tönnen, 3. ®. beim fünften Hauptflüde 
Seite 67 ‚die Sünde bekennen,” mit den Worten von Seite 19 zu 
antworten: Sünde ift Uebertretung der Gebote Gottes. Wie oft kommt 
diefes Wort Sünde vielleicht vor! Dann muß immer diefelbe Antwort 
erfolgen. Dagegen äußert ih Weidemann (a. a. ©. Bormwort 
Seite V.) alfo: „Daß die von mir gegebenen erläuternden Paragraphen 
und Anmerkungen nicht zum Auswendigiernen dienen follen, würde ich 
nicht befonders hervorheben, wenn es nicht fehr häufig vorfäme, daß bie 
Kinder grade im Religionsunterrichte Tieber Eingelerntes als Selbſtge⸗ 
dachtes und Seibflerfundenes zur Antwort geben. — — Bei der Repe⸗ 
tition iſt e8 beffer, wenn der Schüler über den behandelten Gegenſtand 
fh in feiner Ausdrudsweife, ob aud in weniger paflender Form, 
ausfpricht, als wenn er das im Buche Stehende mechanifch wiebergiebt.‘‘ 
Sollte aber nicht, fragt der Berichterfiatter, eine folche Geftalt de8 Ka⸗ 
techismus möglich fein, in der alle von dem Bearbeiter hinzugefügten Er» 
läuterungsfäße fi eng an Spruch, biblifches Beifpiel und Kirchenlied 
anfhlöffen und eine einfache Zufammenftellung der in diefen enthaltenen 
Momente gäben? Und follte dann nicht au ein — wenigftens theils 
weifes Auswendiglernen der Erläuterungsjäge möglih und von Segen 
fein? Bir denken bei der Geftalt des Katechismus an ein Weiter⸗ 
fehreiten auf der in dem Katechismus von Theel eingelihlagenen und 
von Goltzſch (a. a. ©. Seire 145 ff.) im Weitern befchriebenen Bahn. 
Das wäre immer noch etwas Anderes, als Hauſchild (a a. D. 
Seite 154) bei feinem Eifern genen das Entwideln fordert. „Erft wollen 
wir lieber Etwas hineinwickeln; auf einer ziemlih hohen Stufe 
werden wir aus dem Rinde heraus daffelbe wieder entwideln Tönnen. 
Geben wir alfo nach Luthers Beifpiele erft dem Kinde die Begriffsent- 
widelungen nebſt dem Beweisfprude, laſſen Beides tätig auswendig 
lernen, und verfuchen fpäter einmal, wenn das Kind mit Erklärungen 
und Beweisfprühen umzugehn gelernt hat, ob es nun auch verfleht, ſelbſt 
Begriffserkiärungen zu bilden und ſelbſt Beweisfprühe in der Bibel 
aufzufinden.‘’ 

64. Wir führen Hier noch in Betreff der Stellung des Katechis⸗ 
mus in den Gefammtgebiete des Religionsunterrichtes einige einzelne 
Stimmen aus der niätpreußifchen Schule auf, um darzulegen, welche 
der verfchiedenen in Preußen fich geltend machenden Richtungen auch in 
weitern Kreifen vorzugsweiſe ihre Parallele findet. Der Braunſchwei⸗ 
giſche Schulbote, der es bekanntlich beffimmt ausgefprochen hat, daß 


Religions - Unterricht. 55 


der Entwidelung des Preußifhen Volksſchulweſens nachgehen, jet weients 
ih heiße, Pädagogik Audiren, bringt in feiner Zebruarnummer 1856 
„eine Religionsftunde im Sinne der Preußifchen Regulative,’ um gegens 
über der Meinung eines Preußiſchen Pfarrers und anderer Leute: „‚Unfer 
Katehiömusunterricht könne nad den Regulativen in nichts mehr oder 
weniger beſtehen, als in dem Auswendigiernenlaflen und wiederholten 
Herjagenlaffen des kleinen Katechismus’ ein Bild feiner Auffaffung der 
Regulative zu geben. Auf 34 Seiten behandelt der Berfafler des Ars 
tifel6 die vier ragen 282—285 der Ausgabe B. des Katechismus von 
Zaspie! Der Süddeutfhe Schulbote bietet eine Reihe ſehr aus⸗ 
führliher Proben über die fatechetiiche Behandlung der fogenannten würs 
tembergifchen Kinderlehre in Kirche und Schule. Im Medienburger 
Schulblatte findet fih (Nr. 21—23) der Gebankengang zu einer in 
einem Öffentlichen Examen der Seminarfchule gehaltenen Unterredung 
„über den Glauben ‚’ die an den Landeskatechismus fich anlehnend, fo - 
weite Kreiſe zieht, daß auch die preußiiche Mitte fie nicht als muſter⸗ 
giltig adoptiren würde, die aber um des Berhältniffes willen, in dem 
fie zu einem Mecklenburgiſchen Seminare ſteht, doch die Bedeutung eines 
Zeugniffes Hat. In den langen Debatten, weldye in demfelben Blatte 
über die biblifche Geſchichte geführt find, iſt mehrfach der Say ausge 
ſprochen, daB das Hauptgebiet der lehrhaften Unterweifung in den Heils⸗ 
wahrheiten der Katechismus und nicht die biblifche Geſchichte ſei. Das 
Hamburger Schulblatt eifert in derſelben Stelle (Rr. 155), in 
weicher es die Regel giebt: „Frage nicht zu ängfllih, ob die Kinder 
Alles ſogleich verſtehen,“ gegen unverſtandene Katechismusjäße, die den 
Kindern zum Auswendigiernen aufgegeben werden, obne daß für das 
Verſtaͤndniß, wenn auch nicht in dDurchdringender Tiefe, gejorgt wird. 


Biblifche Geſchichte. 


65. Es Hand zu erwarten, daß diejenige Stellung, welde die 
bibtifche Geſchichte nach den preußifchen Negulativen im Religionsunter, 
richte der Volkoſchule einnehmen foll, die literarijch » pädagogifchen Kräfte 
der Gegenwart zu reger Thätigfeit für die Behandlung der biblifchen 
Geſchichte anfpornen würde. Aber es iſt eine fehr dürftige Fruchtleſe, 
die ih uns auf diefem Gebiete feit dem Erſcheinen der Regulative und 
namentlich in dem abgelaufenen Jahre geboten bat. Die bedeutenderen 
water den und vorliegenden pädagogifchen Beitfchriften haben fich mit 
der bibliſchen Geſchichte wenig beichäftigt; was in untergeordneten Blät⸗ 
tern geliefert if, ficht zum großen Theile fo auf dem Niveau des Alle 
gewöhnlichen und Mittelmäßigen, daß es faum der Erwähnung werth 
fheint. (So 3. B. die langen Berhandlungen über die biblifhe Ger 
(dichte im Medtenburger Schulblatte) ine neue, bei der Behandlung 
der biblifchen Geſchichte wirklich weientliche Handreichung in einem ſelbſt⸗ 
Rändigen, geichloffenen Bude ift uns gar nicht zu Gefichte gekommen. 
Rur die eigentlichen Siftorienbücher find in den uns vorliegenden neuen 
Griheinungen vertreten. Das offenkundige Mißverhaͤltniß zwiſchen den 


56 Religions-Unterricht. 


Regulativkatechismen und Regulativplänen einerſeits und der die bibliſche 
Geſchichte betreffenden Literatur andererſeits, wirft wiederum ein recht 
deutliches Licht auf den ganzen pädagogiſchen Habitus eines großen 
Therles der Verfaffer der Regulativbücher. Es verräth eine unheimliche 
Scheu vor demjenigen Gebiete des Religionsunterrichtes, auf dem, pädas 
gogifche Befähigung und eine andere Arbeitstreue als die an den Additions⸗ 
und Dipvifionserempeln der Pläne und Stoffvertheilungen bewielene vors 
ausgefeßt, fowohl ein von jeder Verordnung unabhängiges Berdienft, 
als auch der Lorbeer eines den preußifchen Megulativen wahrhaft ent⸗ 
fprechenden Regulativbuches zu erwerben war. (Daß der Berichterflatter 
damit wirklich verdienflliche Leiftungen aus dem reife der Katehismuss 
bearbeitung und der Beplanung, wie 3. B. die von Jaspis, nicht 
berabfegen will, bedarf wohl feiner Erwähnung.) 

66. Dem augenfcheinlichen Mangel abzubelfen, find nad unferm 
Urtheile auch felbft die Auslaffungen Bormanns (Unterrichtstunde Seite 
103—122) nicht geeignet. Wir find es dem Berfafler fhuldig, uns 
fiber dasjenige, was wir vermiffen, in wenigen Worten auszulaffen. 

a. Es ift fehr bedenklich, daß in dem betreffenden Abfchnitte bie 
bibliſche Geſchichte nicht ſtreng nach einzelnen Stufen gefondert wird. 
Während es 3. B. Seite 103 nad Aufzählung des für die Unterfiufe 
beſtimmten Stoffes den Anfchein hat, als folle im Folgenden nur von 
der Behandlung der biblifchen Gefchichte auf der Oberflufe die Rede fein, 
begegnen wir Eeite 113 u. 114 einem Beifpiele des Abfragend ber 
bibliſchen Gefchichte, das nach dem ganzen Zufammenbange des Zertes 
für die Oberftufe, feiner Faſſung nad aber für die Unterftufe berechnet 
if. Mag auch die Unterrichtöfunde von dem fhriftfundigen und ſchrift⸗ 
fertigen Berfaffer um der augenblicklichen Roth willen eben fo vafdh, 
wie zu ihrer Zeit die Schulkunde, niedergefchrieben fein, ‚in der Zeit, 
in welder fih die Pädagogifer und Didaktifer noch die Augen reiben,’ 
fo ift doch der Nachtheil, der aus einem ſolchen Durcheinandergehen der 
Stufen entfleht, für die Volksſchullehrer um fo bedeutender, in je grör 
Berem Unfehen der verdiente Verfaffer bei diefen ſteht und je lieber 
Manche in verba magistri, auch auf die unverftandenen, fchwören. 

b. Es ermangeln einzelne Rathfchläge, weil fie fih nur im Als 
gemeinen bewegen, der Unfchaulichkeit und darum der Fruchtbarkeit. 
©o 3. B. das, was Geite 115 u. 116 über das BZurädführen eines 
unverflandenen Wortes auf feinen Stamm und die Berlegung zuſammen⸗ 
gefepter Wörter auf ihre Beftandtheile gefagt wird. Wir vermiffen an 
Diefer Stelle beftinimte Beifpiele deſto mehr, je ernfllicher der Verfafſer 
— mit vollem Rechte — auf die Gefahr, die Religionsftunde zu einer 
Sprachſtunde zu machen, hinweiſt. 

c. Selb da, wo der Berfaffer fi weniger im Allgemeinen bes 
wegt, werden viele Lehrer im Unflaren bleiben, fo 3. B. über den Un» 
terfchied, der nad) der Anſchauung des Verfaſſers zwifchen dem Crläu⸗ 
tern der Begriffe (— Hoffnung, Liebe, Geduld ꝛe. —) dur die 
in der biblifhen Gefhichte den Kindern nad einander vor die Augen 
tretenden Perfonen und durch den Einblid in ihre innern Zuflände einer- - 


Religions - Unterridht. 57 


feite und dem Umfchreiben der Begriffe andererfeits ſtattſindet. 
Mit befonderer Berwunderung haben wir an der Stelle, an welcher von 
der zwiefaden Weiſe der Begriffserflärungen gehandelt if, (— außer 
mandhem Andern —) diefe Begriffserflärung gelefen: „Froͤmmigkeit if 
die Tugend, mit welcher wir all’ unſer Denken und Reden, unfer Thun 
und Leiden auf Gott beziehen. Der Berfafler legt allerdings felbk 
gegen fie Berwahrung ein, indem er ed beflimmt ausfpricht, daß man 
nur in äußerſt feltenen Fällen e8 wird unternehmen fönnen, auf Dem 
Bege, auf welchem die in Rede ſtehende Begriffserflärung gewonnen if, 
Begriffe zu erläutern. Wir fragen aber: Darf eine folche Begriffe 
erflärung,, wie fie vorliegt, wohl überhaupt als ein Beifpiel, fei es 
auch für äußerf feltene Zälle in einer „Unterrichtskunde für Vollsſchul⸗ 
lehrer“ ſtehen? Das „auf Bott beziehen‘‘. erfcheint uns allewege uns 
praßtifch für die Volksſchule. 

d. Auch bei der Behandlung der biblifchen Geſchichte legt Bors 
mann ein großes Gewicht auf das ausdrudspolle und ſchöne Er 
zählen der Schüler. Es foll in diefem als in einer Probe zur Erfcheis 
aung fommen, „es fei feine Dunkelheit mehr vorhanden, vielmehr eine 
Have Weberficht über das Ganze und eine richtige Einfiht in das Ein» 
seine gewonnen.’ Daß diefe Brobe eine fehr unfichere ift, glaubt Ber 
richterftatter in ſolchen Schulen gefehen zu haben, in denen, um mit 
einem Worte aus dem Medienburger Schuiblatte zu reden, die Stoffe 
„eingetönt und auch von den Schülern wieder fo nachgetönt werden, 
ohne daß irgendwelches Berfiändniß vorhanden ifl. 

e. Das erheblichfte Bedenken legen wir in der Frage nieder; Wird 
aun die nad Bormannfcher. Anweiſung behandelte bibliſche Gefchichte 
dasjenige leiten, was das Regulativ verlangt, was infonderheit Bor⸗ 
mann nad der Stellung, die er dem Katechismus geben will, verlangen 
mug? Allerdings find das Sichſelbſtverſenken des Lehrers in die heis 
lige Geſchichte ſelbſt, das Ferhalten an dem Worte der Schrift, das 
Durchklingen des innern Lebens des Lehrers durch die Erzählung, das 
Abfragen, das mit dem Abfragen fich verbindende Erklären unverſtaͤnd⸗ 
licher Worte und Sachen, das Erläutern und Umſchreiben der Begriffe 
durch die Geſchichte ſelbſt, das ausdrudsvolle und fchöne Wiedererzählen, 
das Rachlefen in der Bibel und das Aufichreiben des Gelernten gar 
nothwendige und nützliche Dinge: aber wir müflen bezweifeln, ob mit 
allen dieſen von Bormann behandelten Stüden „die Kinder zu einem 
ſichern Berfländniffe und zu einer innigen, gläubigen Aneignung der 
Thatſachen der göttlihen Erziehung des auserwählten Bolfes und des 
- ganzen Menſchengeſchlechtes“ (Regulativ Seite 20) werden geführt werden. 
Alles, was Bormann über die Behandlung der biblifchen Gefchichte fagt, 
fgeint uns hauptfächlich auf das gläubige, wortgetreue Borerzäblen, das 
Erfiären einzelner Duntelheiten in Wort und Sache, das Einüben und 
Nahherzählen, in Summa: auf eine foldhe Handhabung des Unterrichts⸗ 
ſtoffes hinauszutommen , die auf der untern Stufe volltändig angemeflen 
iR, aber wohl nicht für die Oberfufe ausreicht. Nach Bormann wird 
der Unterricht auf der Oberſtufe nur das Cigenthümliche haben, daß dig 


58 Religions - Unterricht. 


Anzahl der nun dem Kinde vorzuführenden Geſchichtsbilder eine viel 
zablreichere und nach ihrem gefchichtlihen Bufammenbange auf einander 
folgende if. Die ganze Reihe der Thatfachen heiliger Geſchichte ale 
Erziehungsgefchichte der Menfchheit, alfo als ein Großes und Ganzes 
zu begreifen, den Zuſammenhang diefer einzelnen Thatſachen Kar zu 
erfaffen, „das große Gebäu in feinen Theilen zu betrachten, zu ent 
ziffern und zu verſtehen,“ wird nach Bormann faſt ausichließlicd dem 
innerlihen Zaffinne des das erzählte Wort aufnehmenden Schülers ſelbſt 
überlaffen. Und darin liegt nach unferm Dafürhalten ein „Zu viel” 
für die Arbeit des Schülers und ein „Zu wenig‘ für die Arbeit des 
Lehrers. Schon jede einzelne biblifche Geſchichte, ſei e8, daß fle vor⸗ 
zugsweife in die von Gott gefegten Ordnungen des Heils, oder in das 
innere Leben einzelner, durch Wort und Geiſt durchſäuerter Gottesmenſchen, 
oder in die Tiefe der Sünde hineinfchauen läßt, bedarf einer weitern 
durch das Wort des Lehrers zu vernittelnden Auseinanderlegung, wenn 
ihr oft unerichöpflic reicher Inhalt nur annäherungsweife dem Schüler 
vor die Seele treten fol. Diefe Auseinanderlegung gefchieht freilich 
niht dadurch, daß ein Allerlei von Bemerkungen oder ein Wuſt von 
nüglichen Lehren in Tatechetifcher Salbaderei an fie geſchmiedet oder aus 
ihr berausgewidelt wird, fondern daß die Geſchichte ſelbſt in einer eins 
fachen, herzlichen Befprechung, in der fie immer der Mittelpunft bleibt, 
die Geſtalt einer mehr oder weniger undurdhfichtigen Materie verliert 
und die eines lichten, hellſcheinenden Kryſtalls annimmt, in weldem das 
aefchärftere Auge nun auch gar Manches wahrnimmt, was fi dem erſten 
Bilde noch entzog. (Bergi. Brandenburger Schulblatt 1856 Seite 526 ff.) 
Wie diefes liebende Bertiefen in die einzelne Geſchichte aber fchon nicht 
allein der eigenen innern Arbeit des Schälers ohne Bedenken anheims 
gegeben werden kann, fo noch weniger die Einfchau in das Große und 
Ganze der Heiligen Gefchichtee Daß fih auf der Oberfiufe die fon 
den Kleinen zu innerer Anfchauung gebrachten Bilder nun zu Bildern 
ganzer Perfönlichkeiten und Charaktere gruppiren, daß ſich Diele größern 
Bilder wieder zufammenfügen zu einer Geſchichte des Meiches Gottes und 
in diefer es anfchaulich werde, wie die Menfchen fort und fort es ges 
dachten böfe zu machen, wie aber die Gnade dennoch nicht aufgehört 
hat, immer als diefelbe das Berlorne zu ſuchen: das Alles verlangt 
wohl mehr, als die nadte, bin und her durch ein erBlärendes Wort 
unterbrochene Geſchichtserzaͤhlung; es verlangt eine liebevolle, forgfame 
Wegweiſung in die einzelnen Hallen des großen, „wunderbaren Heilige 
thums“ hinein; es verlangt eine Lehrhafte, erbaulide Aus⸗ 
legung. Auf eine foldhe finden wir bei Bormann nirgends hinge . 
wiefen. Die ganze Haltung der Bormannſchen Erdrterungen läßt viels 
mehr nur an das einfache, nur durch einzelne Wort» und Sacherklä⸗ 
tungen unterftügte Erzählen der Geſchichte denken, und darum verliert 
. uns aud die Empfehlung des Buches von Niſſen (Seite 106) ihre 
Bedeutung. 

67. Wir knüpfen an unſere durch Bormann veranlaßten Bedenken 
die Erwähnung eines Artikels, der aus demjenigen Sinne und Geifte 


x Religions - Unterricht. 69 


berausgefchrieben ift, in welchem wir die biblifche Geſchichte auf der 
Oberſtufe einer Vollkoſchule behandelt zu wiffen wünfchen: ‚ Gedanken 
über Unterricht im Chriſtenthum.“ Brandenburger Schulblatt. Septembers 
und Oxctoberheft 1856, Seite 528— 543. Wichtiger als die theoretifchen 
Sätze eriheinen uns in diefer Arbeit (von Brandt in Saarbrücken) 
die beiden ausgeführten Beifpiele: ‚„Speifung der 5000 Mann’ und: 
„Der reihe Mann und der arme Lazarus.” Es find in diefen Auss 
führungen fiher alle von Bormann aufgeftellten Zorderungen befriedigt; 
dabei if aber noch vielmehr gegeben, nämlich eine wirklich lehrhafte und 
erbauliche Behandlung der beiden Geſchichten und zwar ohne die alte 
katechetifche Kunft, ohne langgezogene falbadernde Nutzanwendungen. 
Mögen wir gleich nicht jedem Einzelnen rathen, Alles dem Berfafler 
wörtlich nachzumachen, nach dem alten Sape, daß ein und daſſelbe Wort 
anders artet, je nachdem der Sprecher ſelbſt geartet ift, fo Halten wir 
doch fein Berfahren im Großen und Ganzen grade für recht geeignet 
für eine innige und gläubige Aneignung der heiligen Gefchichte, feine 
beiden Beifpiele für Regulativarbeiten im vollen Sinne des Wortes. 
(Barum giebt uns der DVerfaffer nicht eine umfangreichere Arbeit? Da 
wäre ein reicher Segen darin!) 

63. Eine lehrhafte und erbauliche Auslegung der Geſchichte, wenn 
auch eime in einem engern Rahmen als bei Brandt und Niffen fich ber 
wegende, verlangt auch Goltzſch (a. a. D. Seite 143 u. 144): „Die 
Beiprechung der religiöfen Bedeutung jeder biblifchen Geſchichte wird 
genau wieder an bdiefelben in Zahn’s biblifchen Hiftorien angegebenen 
Bibelfprüche und LKiederverfe gefnüpft, die dazu in der Unterklaſſe be 
nugt und menigftens theilweiſe auswendig gelernt waren; ja, es iſt for 
gar eine Beiprechung darüber oft yöllig überfläffig und ein einfaches 
nochmaliges Herſagen diefer wiederholt auswendig gelernten Sprüche und 
Liederverfe das Erfprießlichfte. Bezeichnend if dabei für den Stand» 
punkt Solßfch’s, daß er für eine fruchtbare Behandlung der bibliſchen 
Geſchichte ein tieferes Verſtändniß Seitens des Lehrers fordert und nad 
einem Blide anf den in diefer Beziehung geringen Dienſt ſolcher Erläus 
terungs⸗ und Erflärungsfchriften, die darauf ausgehen, den ‚bereits 
für den unmittelbaren Schulgebrauch fertig gemachten Stoff vorzulegen,” 
das Studium folder Bücher für nothwendig hält, die, wie Dr. Gün» 
ther’s Auslegung der bibliſchen Geſchichten 2c. „dem Lehrer die biblifche 
Geſchichte als eine innerlich erlebte vorführen, und das Verſtaͤndniß der 
großen, reihen Thatſachen der Gefchichte des Neiches Gottes durch Ans 
Müpfung an die eigenen innern Erfahrungen und Erlebniffe vermitteln. — 
Mehr noch ale Goltzſch fordert von der erbaulihen und Ichrhaften Aus» 
legung der biblifhen Geſchichte die Tchlefifche Schule Diefe hat 
allerdings in dem abgelaufenen Jahre die an ihrem Schulblatt wirkenden 
Kräfte mehr andern Gebieten zugewendet, aber einzelne gelegentliche 
Yeußerungen, fowie eine einzelne praftifche Arbeit („Jeſus weint über 
Jeruſalem und reinigt den Tempel — Schulblatt: Zweites Heft. Seite 
149 ff.) laſſen über den wefentlichen Unterfchieb ihrer Stellung von 
Vormann Teinen Zweifel, 


60 Religions - Unterricht, 

69. Unbedeutend ift meiftens das, was 1856 über biblijche Ges 
fhichte in dem allerdings noch nicht vollftändig vorliegenden Mediens 
burger Schulblatte in einer langen Reihe von Artikeln verhandelt if. 
Es wird in diefen Arbeiten vielfach „über das Erklären" geflritten, ohne 
daß Mar bervortritt, ob darunter Wort» und Sacderklärungen oder 
weitere erbauliche und lehrhafte Behandlung im Sinne Brandts und 
Niſſens verftanden fei; es werden die Lehrentwidelungen, Ermahnungen 
und Rupanwendungen altes Styles in einer Weile befämpft, daß der Ges 
danke nabe liegt, es fei wenigftend den meiften Streitenden nur dieſes aut, 
aut denkbar: entweder die alte, den Text meift aanz bei Seite laſſende 
fatechetifche Salbaderei, oder ein bloßes „Eintönen,“ höchftens bier und 
dort mit einer Wort» und Sacherklärung. Mit welchen Waffen gegen 
das Erklären gefämpft wird, gehe aus der einen Behauptung hervor, 
daß die Kinder bei der Maffe des Gefchichtsftoffes Doch nicht im Stande 
feien, au noch die Erklärungen auswendig zu lernen. Aufichluß über 
den ganzen Stand der Dinge in Medienburg giebt der Umftand, daß 
Nr. 36 des Medienburger Schulbattes die „meiſterliche, unvergleichlich 
Iehrhaft fhöne Borrede Hübners zu deflen biblifhen Hiſtorien ale ein 
Denkmal dieſes reichen Segenftifters der Kinderwelt und Meifters aller 
Schulmeifer und als eine Pöflihe Berle und herrliches Kleinod‘ 
bringt. — „Möge fie," fagt der Mittheiler, „recht von jedem Lehrer 
und wiederholentlih fludirt werden, und wir find gewiß, es wird um 
Schüler und Familien bald beffer ſtehen. Was unjers Vaters Luther 
goldene Vorrede für den Katehismus für ein unerfhöpfliher Brunnen 
von Lehrerweisheit und chriftlicher Pädagogik ift, das ik Hübners, des 
Baters aller Hiſtorienbücher, Borrede für den Unterricht in der biblifchen 
Geſchichte.“ Der Mittheiler empflehlt als gute Ausgabe des alten Hübner 
die von Frick und Bang. Gaflel bei Ludhardt. Er fpricht die Hoffe 
nung aus, daß fih eine Geſellſchaft oder Kirchenbehörde entſchließen 
werde, den alten Hübner mit Ausnahme fprachlicher Unrichtigkeiten im ſchö⸗ 
nen Außerlichen Gewande der Iutherifchen Kirche Deutſchlands recht billig 
wieder herzuftellen. Und ‚grade jetzt, wo viel über die biblifche Ges 
fhichte verhandelt und nicht zum Abfchluffe gelommen if,’ legt der Mit⸗ 
theiler Hübners Vorrede in neuem Abdrude vor. Das ift denn wohl 
deutlich genug! Der alte Hübner foll wieder in die Schule hinein. 
Nun fällt es gewiß Keinem ein, der etwas von chriftlicher Schulmeißterei 
verfteht, zu beftreiten, daß Bater Hübner ein Berngefunder Pädagog war. 
AR doch gar Manches, was Hübner 1714 niederfhhrieb, den Herren, 
die feit 1854 fo fir mit Büchern fertig find, ein Geheimniß. Aber muß 
denn darum ein Buch, das 1714 ein tüchtiges Schulbuch war, es auch 
noch 1856 fein? Den langen Streit der Medienburger über Erklären 
und Nichterflären würde freilich Hübner am beften enticheiden. Der 
alte Hübner hat unter feinen Hiforierf Zragen, unter der Gefchichte 
von verlornen Sohn neun und zwanzig. „Diele Ziffern,“ fagt er, 
„paſſen accurat auf die Biffern in den Hiftorien zwifchen dem Texte. 
Solchergeſtalt kann fich erftens ein jedes Kind, das nur die Ziffern fennt, 
felber Raths erholen, was es auf die eine oder die andere Frage zu ant⸗ 


Religions - Unterriät. 61 


worten bat. Darnach Tann fi der Rehrmeifter diefer Fragen bedienen, 
wenn er dag Kind probiren will, ob es durch das wiederholte Lefen 
Etwas von den Hiftorien gemerft und dem Gedächtniß eingedrüdt hat. — 
So wäre das Abfragen geregelt. — Außer den Fragen hat der alte 
Hübner noch bei jeder Gefchichte drei nüßliche Lehren, denn: ‚Wenn's 
aber gleich mit der Memoria feine Richtigkeit bat, fo ift das Kind des» 
wegen noch nicht Müger. Wie diefe müplichen Lehren durch Fragen zu 
behandeln feien, zeigt Hühner in der Vorrede in einem beflimmten Beis 
fpiele. Der Lehrer fpricht die Lehre aus dem Buche und begleitet fie 
mit Fragen, die auf die Gefchichte weifen. („Kannſt du mir das be 
weiſen? Woher weißt du das? Woher kannſt du das verfidert fein ?) 
Damit wäre denn das geregelt, was in Medienburg ‚Erklären‘ heißt. 
„Das Kind ift, fagt aber Vater Hübner weiter, nunmehr Flüger und vers 
Rändiger, aber deßwegen noch nicht frömmer. Daher muß man bie 
Hände noch nicht in den Schooß legen, fondern man muß drittens 
suh den Willen oder das Herz des Kindes dahin bringen, daB es nuns 
mehr auf ſolche Erkenntniß auch das Böfe verwerfen und das Gute er 
wählen möge.” — „Weil ih nun weiß, daß die Poefie auf die zarten 
Kinderberzen, fonderlih was das Gedächtniß betrifft, eine delifate Wir⸗ 
fung bat, fo babe ich eine jede Hiftorie mit einem kurzen Verſe bes 
fhioffen, die allemal einen guten Gedanken in fih Hält.’ — Beifpiel: 

„Der ungerath’ne Sohn muß endlich Träber freffen, 

Nachdem er Hab’ und But mit Huren hat verpraßt; 

So trifft's mit Kindern ein, die das Gebot vergeffen, 

Das Gott den Yeltern hat zu Ehren abgefaßt. 

Ah Gott, wie will ich mich vor diefer Sünde hüten, 

Daß id bei Schweinen mich nicht darf zu Gaſte bitten!” 
Das wäre denn aud die Regelung des zu lernenden Liederverfes, des 
erbaulichen Elements, und es wäre Alles im guten Geleife, wie ein Uhr⸗ 
wert, wenn Hüber eingeführt würde. Die ‚Meinen Erinnerungen,‘ die 
der wadere Hübner am Ende giebt, möchten freilich dem Mecklenbur⸗ 
giſchen „‚Eintönen‘ unbequem fein. — Bir Preußen dürfen doch nicht 
fagen, wie die Zranzofen: tout comme chez nous! Es iſt doc beſſer 
bei uns. Unſer Regulativ fchreibt Zahn, Preuß und Fiedler vor, und 
fo viel auf die Mänher unferer Extreme ſich vor der freien Frage 
fürdten, wie vor dem bleichen Gefichte eines Zodten, bis zu dem un: 
verfälfchten Hübner haben fie e8 doch noch nicht gebracht. Und in den 
„Erläuternden Beſtimmungen der Königlichen Regierung zu Merſe⸗ 
burg” if zu lefen (Seite A): „Nicht geduldet werden koͤnnen ferner 
bin die zwar Tängft verhotenen, aber immer noch hier und da fich fin, 
denden bibliſchen Gefchichten von Range, Hübner und Rauſchenbuſch.“ 

70 Begegnen wir fo in der Medienburger Tendenz auf den uns 

verfälfchten Hübner zu einem uns bis jegt in Preußen noch nicht in 
demfelben Grade entgegentretenden Extreme des gänzlihen Mechaniſirens 
der bibliſchen Gefchidhte, fo tritt uns von einem andern ausländifchen 
Gebiete ber in überfpannten Korderungen an das Material der Volks⸗ 
ſchule ein zweites Extrem entgegen. Ein Recenfent des Buches: Die Ber - 


J 


⸗ 


62 Religione = Unterricht. 


fhichten der heiligen Schrift x. von Schmidt. Vierte Auflage. Greiz, 
1854 verlangt (im Südbeutfhen Schulboten Nr. 13 und 14) von 
einem Auf die Oberklaſſe der Volksſchule berechneten Hiſtorienbuche, „daß 
der Lauf der Begebenheiten nach dem in den biblifchen Gefchichten das 
liegenden inneren Zufammenbange, insbefondere auch in Rüdficht auf 
den Fortſchritt des Volks im Guten und Böfen möchte möglihft 
Har gemacht werden. In wie umfangreichem Sinne dieſes Begehren 
getellt if, ergiebt fih aus folgender Anführung: „Die in der Ges 
hichte offen daliegende Vorbereitung der Trennung zwiſchen Juda 
und Sfrael follte durch andeutende Winke bemerklich gemacht werden. 
Diefe finden fih in den Geſchichtsbüchern ſelbſt zwifchen dem anmaßen⸗ 
den Auftreten der Ephraemiten gegen Jephtha (Richter 12), fodann im 
fiebenjährigen Beſtande des Königreiches Zuda unter David, in den 
Umtrieben, welche Abfalom vor feinem Aufruhr in den Stämmen Js⸗ 
raels hauptſächlich machte, in der Eiferfucht der Stämme Israels gegen 
Juda nach der Dämpfung des Aufruhrs Abfaloms (2 Sam. 19, 41 ff.), 
woraus Seba's Aufruhr entfland, und in Zerobeam, der nah 1 Kön. 11, 
28 über alle Laſt des Haufes Joſephs gefebt war 2.” Ebenſo wili 
der Necenfent die Gefchichte des Neiches Zuda nicht bloß in die der 
„erſten“ und „ſpaͤtern“ Könige getheilt haben. Er zerfällt die erfle 
Hälfte in 3, die zweite in 5 Abfchnittee Wir haben allen Refpect 
vor den füddentichen Schulen und vor dem, was fie leiften können und 
mögen, aber es ergeht wohl dem Süddeutfchen Boten mit feinen Recen⸗ 
fenten zuweilen nicht beffer, als manden andern pädagogifchen Zeit» 
fohriften, nämlih daß er an ſolche geräth, die auf allen Höhen, aber 
nicht in der befcheidenen Niedrigfeit der Volksſchule zu Haufe find. 

71. Zu den wenigen verdienfllihen Arbeiten des abgelaufenen 
Jahres über biblifhe Geſchichte rechnen wir noch einen kürzern Artikel 
im Brandenburger Schulblatte. Mais und Juniheft 1856. Seite 292 fi. 
Er behandelt die Frage, ob alle biblifche Geſchichten der Hiftorienbücher 
wörtlich auswendig gelernt werden follen. Der Berfafler giebt den 
aus dem wörtlihen Lernen erwachfenden Segen gerne zu, ftellt aber, 
einerfeits fihtlih auf dem Boden der Praxis, andererfeits auf den For⸗ 
derungen der preußifchen Regulative flebend, die zwei Bedenken: a. Iſt's 
möglich, dieſes wörtliche Lernen überhaupt, oder auch nur bei denjenigen 
Geſchichten durchzuführen, die, wie z. B. die Gleichniffe des N. ZT. oder 
Petri Fiſchzug, ohne Weiteres nach ihrem ganzen Wortlaute aus der 
heiligen Schrift genommen werden können? b. Und wenn das Unmög⸗ 
liche mit Gewalt möglich gemacht wird: entfleht daraus nicht ein Mecha⸗ 
nifiren des wichtigen Unterrichtszweiges und wo bleibt das „‚Erleben’‘ 
der heiligen Gefchichte? Weiter befpricht der Verfafler die hier und da 
verfuchten Auswege: Beichränfung der einzuprägenden Geſchichten auf 
ein Minimum, und mehrjährigen, fogar dreis bis vierjährigen Kurfus ! 
Gegen den erften führt er an, daß dem Kinde „gleihlam zu Gunften 
des Wortes oder gar eined Paradepferdes ein zu großer Theil des eben 
jo koöͤſtlichen, als nothwendigen Schatzes an heiligen Gefhichten und 
erbaulichen Gedanken vorenthalten‘ werde, gegen den zweiten, „daß den 


Religions - Unterricht. 63 


einzelnen Generationen der Schulfinder nicht Genüge geleiftet werde.’ 
„Die biblifche Gefhichte, fo lautet endlich das Reſultat nah Für und 
Bider, muß alfo jedenfalls möglichſt mit den Worten der heiligen 
Schrift ſelbſt erzählt und behalten werden, und fo weit es möglih if, - 
mortgetreu. Aber eben doch nur, fo viel es möglich, und ich füge hinzu, 
fo weit es nöthig if, um auch diejenige gottgegebene Weife und Sals 
bung beizubehalten und dem Schulfinde nüplih zu machen, die in der 
Wahl der Worte liegt, mit denen die heilige Schrift uns ihren feligs 
machenden Inhalt darbietet. Dagegen wird es kaum als ein Berdienk 
oder als mafßgebendes Brincip angefehen werden Tönnen, die biblifchen 
Geſchichten ohne Ausnahme, oder nur mit geringer Ausnahme völlig 
ans"der Heiligen Schrift oder aus einem derartig abgefaßten Handbuche 
von Wort zu Wort auswendig lernen und berfagen zu laſſen. Dan 
täufcht ſich dabei vielleicht fogar noch und glaubt, die Kinder haben die 
Geſchichten nun recht inne. Sie haben fie am Ende mit Mühe und 
Roth doch nur für's Gedächtniß gelernt, nicht aber par coeur, wie 
die Franzoſen bier treffend fagen. Es wird vielmehr für den Lehrer 
darin unter Anderm eine rechte Hauptaufgabe beftehen, unter gründlicher 
Vorbereitung auf die biblifchen Geſchichten, bei fleißigem Bibellefen und 
mit einem feinen, gläubigen Sinne der heiligen Schrift hauptfächlich die 
Borte und Stellen abzulaufhen und abzufühlen, in denen befonders 
das Lebengebende, das Anſchauliche, das Eharakteriftifche, das Eindring- 
liche liegt, und diefe nun beim Einprägen einer bibliſchen Gefchichte fa 
nicht zum überfehen, fondern grade recht hervorzuheben. — — Ein befon» 
derer Nachdruck if zu legen auf charakteriftifche Ausſprüche der Perſo⸗ 
nen, die in der heiligen Geſchichte als redend aufgeführt werden. Wenn 
irgend Etwas dazu beiträgt, Die heilige Geſchichte mit zu erleben, fo 
ſind es doch gewiß ſolche Worte, gewiß aus dem Herzen geiprocen, 
darumı auch zum Herzen, zum Mitgefühle dringend. 

72. Aehnliche, als die dem in $. 71. redend eingeführten Verfafler 
eigenen Bedenken fcheinen in der Provinz DOftpreußen den Verſuch vers 
anlaßt zu haben, wenigftens in einklaffigen Schulen an Stelle des 
üblichen Hiftorienbuhs von Preuß ein weniger umfangreiches Hiſtorien⸗ 
buch zu feben: Woike: Zweimal acht und vierzig biblifche Hiſtorien x«. 
(2iteratur: Oberfiufe B) Ein ähnlicher Berfuh aus einer andern 
yreußifchen Provinz ift uns nicht befannt. 

73, Der Beridterflatter hält dafür, daß Alles, was gegen das 
wörtlihe Wiedererzählen der einzelnen biblifchen Gefchichten vorgebradht 
wird, mit der bis jetzt noch wenig befprochenen,, noch viel weniger ges 
fen Frage zufammenbängt: Iſt der eins oder zweijährige Kurſus in 
der biblifchen Gefchichte der angemefiene?! Es wird, wenn der zweijäh- 
ige Kurfus nicht nur für die einflaffige, fondern auch für Die zweis 
Naffige Bolköfchule durchaus Berworfen werden muß, darauf ankommen, 
dem einjährigen Kurfus eine folche Beftalt zu geben, daß der mit dem 
Säriftworte möglich zufammenfallende Zert des Hiſtorienbuches durch⸗ 
ſchnittlich beibehalten wird und memorirt werben fann, ohne in Die 
jept allerdings von vielen Seiten ankürmende und das Regulativ fal- 


64 Religions - Unterricht. 


tifch ganz aufhebende Mechanifirung des Unterrichtes zu verfallen. Daß 
eine ſolche Geſtaltung nicht möglich ift, wenn ein wörtliches. Einlernen 
der erften Geſchichte bis zur letzten verlangt wird, liegt am Zage. Sie 
iR aber zu erreichen, wenn der ganze Geſchichtoſtoff in zwei große 
Gruppen, eine feſtſtehende und eine jährlich wiederkehrende, getheilt wird. 
Bur feftfiehenden Gruppe gehören die Haupt» und Knotenpunkte der 
Entwilelung des Reiches Gottes. Sie werden mit firengem Anſchluſſe 
an das Kirchenjahr behandelt. Die jährlich wiederkehrende Gruppe bes 
faßt die zwiſchen diefen Haupt» und Knotenpunkten liegenden Binde, 
glieder, die, obgleich am fich nicht bedeutungsloß, doch die Bedeutung 
jener nicht erreihen. Es bat Ddiefe dem Berichterflatter durch eigene ' 
Praxis bewährte Einrichtung den großen Bortheil, daß die verſchie⸗ 
denen Generationen der Schüler dabei ihre Berädfihtigung finden, daß 
der Zerſtückung der SHeilögefchichte gewehrt wird, daß für ein ruhiges 
Berfenten in das Heilige, auch durch das firenge Aufnehmen des Wor⸗ 
tes, Raum bleibt und dem „Lernen zum Tode‘ gewehrt wird. 
Forderungen, wie der $. 70. genannte Recenfent aufftellt, muß man 
freifih dabei nicht an die Volksſchule mahen. Solchen Forderungen 
werden ja aud ganz andere Leute, als Confirmanden, nicht genügen, 
wenn man fle fireng examiniren wollte © 

74. Mehrfach if auch in dem abgelaufenen Jahre der Gedanke 
aufgetaucht, die biblifchen Hiſtorienbücher ganz abzufchaffen und bei dem 
Erzählen der biblifhen Gefchichte fih nur an die Schrift zu halten. 
Die gewichtigfte Stimme ift die von Jaspis: „Ich halte es überhaupt 
für einen Uebelftand, daß, wie man der Jugend oft Alles zu mundredht 
macht, unfere Kinder grade dur die Sprudhfammlungen und Bibels 
auszüge gehindert werden, ihre Bibeln zur Hand zu nehmen; woher es 
dann kommt, daß die Bibel ihnen dann fpäter wie ein Gebäude erfcheint, 
in deffen einzelnen Gemädern und Vorraͤthen fie fih gar nicht zurecht 
finden fönnen. Es ift durdaus nöthig, daß jedes Kind feine Bibel 
habe, wie es feinen Rod und Tafchenmeffer bat; fo müſſen auch die 
Kinder ſchon frühe gewöhnt werden, mit ihrer Bibel unmittelbar zu 
verfehren, alfo beim Unterrichte fih zur Quelle felb und nicht bloß zu 
den Ganälen zu halten, damit fie fpäter fogleich wiffen, wie fie für 
jedes DBerhältnig und Bedürfniß in der. Bibel die yaflenden Stellen 
finden.“ — — Es iſt unftreitig viel Wahres in diefer Klage; dennoch 
halten wir aber durchfchnittlih Die Zeit noch nicht für reif, die Hiſto⸗ 
rienbücher aus den Schulen zu treiben. Selbft in der Oberflaffe küns 
nen wir fie nicht miffen. Die tägliche Erfahrung zeigt es, wie lang» 
fam .und fchwierig es — namentlih in vollen Klaffen — mit dem 
Erlernen der biblifchen Gefchichte da geht, wo ein Hiſtorienbuch nicht 
zu erfchwingen if. Es wird bei den Hiftorienbüchern und dem mög» 
Ihr zu fördernden Nachlefen in der Bibel wohl noch geraume Beit fein -. 
Bewenden haben müſſen. 

75. Als ein dringendes Bedürfniß bezeichnen wir ein praktiſches 
Handbuch, das in Niſſenſcher Glaubenstreue, aber nicht in Niſſens 
Breite, auch wit mehr Einfachheit und mehr nach dem Terte zu ſich 


Religions - Unterridht. 65 


eoncentrizend den Bolksoſchullehrern für die Behandlung der biblifchen 
Geſchichte Handreichung thäte. 


Bibelleſen. 


76. „Das Vorleſen aus der Bibel erfolgt nur von denje— 
rigen Kindern, welche bereits fertig lefen fönnen. Das Bis 
beilefen, abgefehen von den Perikopen, erfiredt ſich haupt⸗ 
fädlih auf eine von dem Pfarrer zu treffende Auswahl aus 
den Pfalmen, den prophetifhen Büchern und den neutefa» 
mentligen Briefen.‘ (Negulativ Seite 87.) Auf diefer Baſis bewe⸗ 
gen fi innerhalb der preußiichen Volksſchule mancherlei Fragen und 
Beftrebungen. Wir berichten zunaͤchſt über die Schiefer. Ein Confe⸗ 
renzvortrag von Superintendent Mapfe (Schulblatt 1856. Erſtes Heft. 
Eeite 36 — 43.) behandelt die Frage, nach welchen Princivien die Aus⸗ 
wahl des Lefeftoffes zu treffen fei. Mapke leitet aus der oben angeges 
‚denen Stelle des Regulativs die Folgerung her, daß die fogenannte 
Bibelkunde weder einziger, noch hauptfähliher Zweck des Bibellefens 
ſei. „Hauptzweck ift die Religion felbft, das Eine, was Roth thut. 
Die Kinder follen durch das Lefen in der Bibel vor allen Dingen erzo⸗ 
gen, fie follen fromm und gut werden.” Diefen Zwei fuht Matzke 
dadurch zu erreichen, daß er das Bibellefen zu einem für Katechis⸗ 
mus und biblifhe Geſchichte fubfidiarifchen gefaltet. Nachdem 
er den Gang des Katechismus und der biblifchen Gefchichte nach dem 
Kirchenjahre geordnet hat, macht er eine Anzahl biblifcher, theils an den 
Katechismus, theil® an die biblifche Geſchichte fich anlehnender Abſchnitte 
als Stoff des Bibellefens nambaft. Nicht felten ſpalten ſich diefe Stoffe 
in zwei faſt ganz auseinanderlaufende Gruppen, die eine nad dem Ka⸗ 
techismus, die andere nach der biblifhen Gefchichte zu, wie dieſes bei 
der zum Grunde liegenden, in ganzen PBartieen mehr fiheinbaren, als 
wirflien Gongruenz des Katehismus und der biblifchen Geſchichte nicht 
auders fein kann. Die ganze Arbeit Matzke's if mehr in allgemeis 
nen Zügen gehalten, als im Einzelnen fiher Weg weifend, aber doch 
von beftimmten Grundgedanken ausgehend, und wenn wir gewifle ſchle⸗ 
ſiſche, wie es fcheint, unvermeidliche Stereotypen abrechnen, auch ver» 
dienſtlich. Fur gewichtig halten wir folgende, den Regulativbüchermachern 
sicht genug zu empfehlende Säpe: ‚Aus einem doppelten Grunde koͤn⸗ 
nen aus den Propheten nur fleine Partieen ausgewählt werden. (ins 
mal nämlih wird bier vielmehr erklärt werden müflen, alſo weniger 
gelefen werden können. Sodann find die Propheten, welche in dunteln, 
mußifchen Allegorieen fi bewegen, ganz außer Acht zu laffen. Ic 
füließe dies darans, daß die Negulative die Offenbarung Johannis -von 
dem Schulleſen ausnehmen. — Demgemäß übergeben wir Propheten, 
welche den Gefchichten der Offenbarung Johannis analoge Dunkelheiten 
enthalten, aljo namentlich den Ezechiel, far ganz.” — 

77. Gründliher, mehr in’s Einzelne gehend, von fiherer Orien⸗ 
tirung auf dem betretenen Gebiete zeugend und darum bei Weiten ins 

Nade, Zahreöberidt. X. 5 


66 Religions = Unterricht. 


ſtructiver für den Lebrer if eine zweite ſchleſiſche Arbeit: „Das Bibel 
iefen in der Echule, Eonferenzvortrag von Diaconus Geißler. (Schul⸗ 
blatt x. 1856. Drittes Heft. Seite 232— 246). Geißler giebt die 
jedenfalls fehr gezwungene Doppelbeziehung des Bibellefens auf Katechis⸗ 
mus und biblifche Gefchichte von vorn herein ganz auf und nimmt 
das Bibellefen entfchieden in den Dienft des Einen ober des Andern. 
In der Oberklaſſe der getheilten Schule macht er es fubfidiarifh für 
die biblifche Geſchichte. Nach der Weile der ſchlefiſchen Seminarpäda⸗ 
. gogen fol in der Oberklaſſe der ganze bibliſche Geſchichtoſtoff nicht aus 
einen Hiftorienbuche, fondern unmittelbar aus der Bibel gefhöpft wers 
den und darnach biblifche Gefchichte und Bibellefen zufammenfallen. 
„Der Lehrer, welcher weiß, welche biblifche Gefchichten von den Kindern 
auf den vorhergehenden Stufen gelernt worden find, wählt nun zum 
Bibellefen ſolche geihichtlihe Abfchnitte aus dem Alten und Reuen Zes 
ſtamente, die den Kindern entweder noch gar nicht, oder doch nur ober» 
Hächlich bekannt find, und die fich dazu eignen, ihre Kenntuiß der Ges 
Shichte Alten und Neuen Teftamentes zu befefligen, zu erweitern und im 
Bufammenhang zu bringen. Dabei läßt er fi von der Beitfolge des 
Kirchenjahres leiten.‘ Der rotbe Faden bes Bibellefens bleiben dabei 
die gefchichtlihen Bücher. Um dieſe ſchlingen fih im Alten Zeftamente 
prophetifche Abfchnitte und Pfalmen, nach hiſtoriſchen Geſichtspunkten 
geordnet; der Kurfus if zweijäprig. Für das Auffinden dieſer Gefſichts⸗ 
punkte verweifet Geißler auf das Calwer Handbuch der Bibelerflärung; 
auch giebt er ſelbſt einzelne treffliche Winke. Aus dem Neuen Zeflas 
mente foll in vierjäßrigem Curſus je eins. der Evangelien oder jedes 
Jahr eine Zufammenfaffung der gleichen und verwandten Abfchnitte der 
vier Evangelien nah Zahn: „Das Reich Gottes auf Erden“ und die 
Upoflelgefchichte gelefen werden. Schließlich empfiehlt Geißler den im 
Süddeutichen Schulboten 1838 für die ganze Feſtzeit des Kirchenjahres 
nach. Wochenpenfen gegebenen Lehrplan. 

Wir haben ein Bweifaches gegen ein folches Bibelleien: a. &s fegt 
Schulen voraus, wie wir- fie durchichnittlih nicht haben. b. E& übers 
geht die neuteftamentlichen Briefe. 

Für die ungetheilte Schule ſchließt ih Beißler an das Regula⸗ 
tiv, aber nur fcheinbar. Um den ſchlefiſchen Sab von der Eutbehrlich⸗ 
feit der Hiſtorienbücher auf der Oberftufe mit dem Regulative zu verein. 
baren, gebt er von der durchaus unrichtigen Annahme aus, daB das 
"Negulativ nur in der einklaffigen Schule die geordnete Reihenfolge eines 
Hiftorienbuches inne zu halten gebiete. Sodann findet Geißler das 
Bibellefen der einflaffigen Schule nad dem Regulatin darin, daß mit 
der biblifchen Geſchichte das Nachlefen der vollfändigen Abſchnitte im 
der heiligen Schrift verbunden werde. Damit find offenbar zwei For⸗ 
derungen des Regulativs in eine, und zwar dergeflalt zuſammengewor⸗ 
fen, daß die eine gänzlich hinweggeichafft wird. Das Nachleſen voll⸗ 
ſtaͤndiger gefchichtlicher Abſchnitte einerfeits, und Das Lefen der Pfalmen, 
prophetifcher Bücher und neuteftamentliher Briefe andererfeits find nach 
dem Sinne des Regulativs zwei ganz gefonderte, neben einander herge⸗ 


Religions » Unterricht. 67 


hende Thatigkeiten, deren erſte möͤglicherweiſe auch als häusliche Auf 
gabe gedacht, die zweite aber entſchieden im die Schule gelegt if. Nach 
Geißler beſchließt das Nachlefen. der vollkändigen geſchichtlichen AÄb⸗ 
fhnitte Die ganze Summe des in der einflaffigen Volkeſchule geforderten 
VBibelleſens. Das Lefen den Palmen, prophetiſchen Bücher und neus 
teßamentiichen Briefe, alſo der eigentliche Kern des Schriftiefns fait 
ganz weg. War alſo das Bibellefen der getheilten Schule fo formirt, 
daß es Kber die Forderungen des Reqgulativs, wenigſtens theilweiſe, hin⸗ 
ausging, fo erreicht das der einklaffigen Schule dieſe Forderungen durch⸗ 
aus nicht. , 

Endiich giebt Geißler für das Vibellefen im Dienfte des Kate⸗ 
chismus eine meift woblgetroffene luswahl bibliſcher Stoffe. 

78. Nach dem Katechismus geordnet, aber im Cinzelnen weniger 
glͤcklich gewählt als bei Geißler, find die Bibelleſeſtoffe auch im dem 
„Anhange” in der Beinen bereits in fünfter Auflage bei Mohr in 
Wittenberg 1858 erfehienenen Bearbeitung des Lutberiichen Katechis⸗ 
mus, in der zwölften Auflage der Handelſchen evangelifchen Chri⸗ 
Reniehre, (1854), in der Anweifung zur Behandlung des Heinen 
Lutherifchen Katechismus von Hoffmann, Wittenberg bei Zimmers 
mann. 1855. 

79. Ueber das mit dem Katechismus verbundene Bibellefen fagt 
ein Richtpreuße: „Es hieße dies die Bibel in Stüdlein zerbrö⸗ 
dein und dabei mod, der Katehismusiehre allen Zufammenhang vanben. 
Han nehme jeberfeitd die Veiſpiele, welche die Katechismuslehre veran⸗ 
ſchaulichen follen, nicht aus unferm täglichen Leben — —, fondern 
regelmäßig vorerk aus der bibliſchen Geſchichte, d. h. aus ben früßer 
im Zufammenhange gelefenen biblifhen Büchern —: das iſt aber eine 
biofe Wiederholung des Gelefenen, fo lebensträftig und ſchön fle auch 
jeberzeit fein wird, aber nicht die eigentliche Bibellefung,' (Dir. Han 
IHila im den einziger Blättern. 1855. Seite 91.) — Die Forde⸗ 
rung des preußiſchen Regulativs ik „im Zufammenbange Pal 
men, prophetiſche Bücher und neuteſtamentliche Briefe zu lefen.“ (Negu⸗ 
latie Seite 22). 

80. Als Hülfemitiel zu einem nicht direet für Katechiämus und 
bibliſche Geſchichte Tubfldiarifchen, vielmehr felbſtſtändigen, dabei eher 
plaumãäßig geordneten, auf tiefere Einführung in die Heilsge⸗- 
ſchichte und Heilslehre ausgehenden Bibellefen empfiehlt ſich das 
in der Provinz Sachſen vielfach gebrauchte Büchlein von Dr. Wöller: 
Unterlagen der Gotteserkenntniß in der chriſtlichen Volksſchulo. Dritte 
Auflage. Erfurt 1855. Wir halten es für unfere Pflicht, zu den im 
vorigen Jahresberichte (Seite 549) von anderer Seite über das wor» 
trefüiche Buͤchlein ausgeſprochenen Wünſchen Me Bemerkung hinzuzufü⸗ 
een, daß es Lehrer und Schüler vorausſetzt, wie die Vollaſchule fie 
durcqhſchnittlich nicht bat. | 

81. Als DBertreter der dritten Hauptrichtung des Bibellefens, der⸗ 
jenigen,, hie auf Binführung in die Schrift übarbammt Kin 
geht, nennen wir Jaspis. Jaspis nimmt (vergl. den Blan für 

| 5* 


68: Religions » Unterricht. 


das religidfe Unterrihtsgebiet) einen zweijährigen aurſus an, 
dergeſtalt, daß im erſten Jahre — von Advent an — das Evangelium 
Matthäi, dann von Zrinitatid an die Apoſtelgeſchichte und der Brief 
an die Philipper oder der erſte Brief Petri, im zweiten Jahre von Ad⸗ 
vent an Stücke aus den Pſalmen, Propheten und Sprüchen Salomonis, 
von Trinitatis an Abſchnitte aus den Geſchichtsbüchern des Alten Teſia- 
mentes geleſen werden. Die aus den altteſtamentlichen Büchern zu leſen⸗ 
den Abſchnitte find unter den Nachträgen zu. dem Plane beſonders nam⸗ 
haft gemacht. Befremdlich if bei Jaspis die geringe Berüdfihtigung 
der neuteftamentlihen Briefe. Dem Regulative entipriht Jaspis das 
durch, daß er aus dem Neuen Teflamente das Leſen ganzer Bücher for 
dert, im alten Zeflamente die aus eingy und demfelben Bude gewählten 
- Kapitel hinter einander folgen läßt. 

82. Bu denjenigen Auswahlen, die fih einfach an den Bortlaut 
des Regulatives „Pſalmen, prophetifhe Bücher und neuteßamentlidhe 
Briefe‘ halten und dabei befondere leitende Grundfäße nicht weiter 
erkennen laffen, gehört die von der Synode Marienburg in Weftpreus 
fen getroffene. (Evangelifhes Gemeindeblatt 1856. Nr. 4). Sie ent- 
hätt 45 Pfalmen, 40 Kapitel aus den Propheten, 43 Kapitel aus den 
neuteftamentlichen Briefen. Nur die für die Feſthälfte des Kirchenjahres 
beftimmten Abſchnitte find als pieide bezeichnet. Dielenigen Arbeiten, 
bei denen e8, wie 3. B. bei Dr. Hubert, allein auf das „Biel» und 
Allesleſen“ anfommt, find eingehender Erwähnung nicht werth. 

83. Es ergiebt fih aus den vorhergehenden Paragraphen, daß bie 
Frage nach dem Lefematerial im Cinzelnen im abgelaufenen Jahre im 
Preußen vielfach verhandelt if. . Auslaffungen über das Wie find dem 
Berichterftatter faft gar nicht zu Gefichte gefommen. Was Bormann 
(Schulfunde. Seite 139 —140) über das Wie: beibringt, beſchränkt fich 
auf folgende Säge: „Die Beftimmung des Regulativs deutet an, daß 
— — die älteren geübteren Schüler den jüngeren den fchönen Dienſt 
zu leiften haben, ihnen aus der heiligen Schrift vorzulefen. 
Der, Lehrer hat mit allem Fleiße darauf zu fehen, wie er den 
bier von den Kindern erforderten Leitungen diefes edle Bes 
präge aufdrüde” Bu dem Iehten an und für fih gewiß unbeftreit- 
baren Sage ſei unfererfeits bemerkt, daß uns die von Bormann gege⸗ 
benen Ausführungen deſſelben ſehr bedenklich erfcheinen. — 

84. Entſchiedenen Widerfprud wird Bormann mit der Deutung 
finden, die er den Worten des Regulatives „VBorlefen aus der Bis 
bei’ giebt. Nah Bormann if unter diefen Worten ein von Feis 
nem Worte des Lehrers unterbrochenes Lefen des Schülers, alfo ein 
Borlefen im ſtrengſten Sinne zu verſtehen; ein Bibelauslegen fände 
alfo mit Ausnahme derAuslegung der Beritopen nicht flat. Bor⸗ 
mann wird wohl unter den Pädagogen von Fach mit feiner Auffaffung 
allein daflehen; bei der Bequemlichkeit, reſp. Untüchtigkeit vieler Schule 
meifter und bei vielen Schulinfpectoren, denen das Schriftausiegen der 
Lehrer aus diefem oder jenem Grunde lange ein Stein des Anſtoßes if, 
wird er Beifall finden. Jaspis: „Die Bernadhläffigung der Schrifte 


Religions⸗ Unterricht. 69 


erflärung in den Volksſchulen, das Schweigen Bieler dabei, die da reden 
follten, iR mir eine ZThorheit und Sünde ohne Gleichen.“ 

85. Ein doppeltes Ribellefen, ein flatarifches und ein kurſoriſches, 
fordert Brandt aus Saarbrück. (Brandenburger Schufblatt a. a. ©). 
„Das Leptere, ein mehr hinter einander Fortleſen, etwa mit einzelnen 
Bemerfungen und Fragen, um des ganzen nötbigen Etoffes ſich zu 
bemädtigen, Das Erſtere, ein bei einzelnen Abfchnitten länneres Bermeis 
Ien, um in die Ziefe und den ganzen Reichthum einzuführen.” Es liegt 
bier die Frage nahe: ‚Woher in der Bolksichule die Zeit?" Es find 
zwei Stunden in der Oberklaſſe für das Bibellefen gegeben; eine wird 
für die Beritopen verwendet; es bleibt alfo zu Beiden, dem Turforis 
hen und flatarifchen Leien, nur eine Stunde übrig, es fei denn, daß 
nach fchlefifcher Weile und auch nah Yaspis, aber gegen das Regu⸗ 
latis, biblifhe Geſchichte und flatarifches Bibellefen zufammenfallen. 

86. Hin und her, 3.8. von Matzke (a. a. O.), iR ernftlich auf 
die Schwierigkeiten bingewiefen worden, welche die Bibelauslegung für 
nicht theologifch gebildete Lehrer mit fi bringt. Zwei ficher heifende 
Mittel hat, wie ſchon berichtet, Jaspis den Geifllihen an die Sand 
gegeben, nämlich die Lehrer zu Bibelauslegern beranzubilden und, wo 
es nöthig if, die Bibelauslegung in der Schule felbf in die Hand zu 
nehmen. Bir fragen: Wo gefchieht, was Jaſspis anräth? Die Sy⸗ 
node der Diöcefe Marienburg in Weſtpreußen bat befchloffen, ihren Ele⸗ 
mentarlehrern die für das Lefen in der Volksſchule beflimmten Ab« 
fnitte der Schrift in den Lehrerkonferenzen zu erflären und möglichft 
lieh und werth zu machen. (Evangelifches Gemeindeblatt 1856. Nr. 4). 
Thun diefes aucd andere Eynoden? Jaspis fagt in feinem Plane: 
„Es wird vorausgelept, daß während des Jahres des Konfirmanden» 
unterrichtes der Pfarrer wenigftens ein Buch der heilinen Echrift den 
Kindern zugleih mit dem Nebenzwede erfläre, die rechte Art des Schrifts 
leſens und der Schriftbetrachtung ihnen nahe zu legen. Trifft diefe 
Boransfegung zu? — — Leber Sandreihungen aus der Kirche an 
die Schrift auslegenden Lehrer haben wir nichts zu berichten. Die Rehrer 
And in großer Noth und Hülfe bleibt aus. Nicht einmal eine praktiſch⸗ 
tächtige Perilopenauslegung für den Schufbedarf hat die Literatur aufs 
juweifen. Das vielfadh empfohlene Buch von Crüger eignet fi nur 
fr fehr wenige Lehrer. 

87. Nachdem wir bisher far ausfchließlih auf preußiſchem Ges: 
biete Umſchau gehalten haben, geben wir noch einzelne Lefefrüchte aus 
nichtpreußiſchen Zeitfchriften. 

Aus einem Artikel in der Volksſchule von Bartman (1856. 


7): 

a. Die Bibel if Feine Fibel. Das neunte oder zehnte Lebensjahr 
iR durchfchnitttih als Anfang des Bibellefens anzunehmen. — Der ger 
genwärtige Intherifche Text if nicht durchgängig dem Wortfchritte der 
Sprache angepaßt. Es if das Verſtaͤndniß durch zweckmaͤßige Erklärung 
der biblifchen Redeweiſe zu vermitteln. 

b. Die Bibel iR mit Auswahl zu Tefen. Ein Bibelauszug wird 


70 | Religions + Unterricht, 


fdpwertid, gu Stande fommen; für die Einführung einer gut bearbeiteten 
biblifchen Geſchichte Tiegt in dem Koſtenpunkte eine große Gchwierigfeit; 
es iR alfo den Schülern die gange Bibel in die Hände zu geben. Daß 
das Ausgeſchloſſene mit dee größerer Begier gelefen wird, 1äbt ſich 
sicht hindern. Es iR auf das Wirken des heiligen Geißes gu rechnen, 
der gu feiner Zeit den rechten Eruf giebt. — Zu leſen ind alle Er⸗ 
zählungen, Lehren und Weiffagungen, welche weſentlich zur Erkrantaiß 
des Heilsplanes Gottes und der Eutwidelung des Reiches Gottes beis 
tragen, Auch das alte Teſtament gehört darum in den Lehrplan. Aus⸗ 
zuſchließen find {nußer deu Apokryphen) unter Andern: Drittes Buch 
Moſe, Ruth (2), Giob, Geheslied, Obadja, Nabum, Habalul, Bephanja ; 
im neuen Teſtamente: Brief an Titus, Bhilemon, Br. Judä (Apokalypſe ?). 
ec. Orduung des Bibelleſens. Es if wicht willfürkich zu leſen, 
‚3 B. nicht erſt Evangelien, dann Bialmen, dann Briefe, auch nicht 
nach Leitung des Kircgenjahres, fondern nach der Chronologie der Ges 
ſchichte und nach der innern Zuſaumengehbrigkeit, „ſo daß z. B. die 
ausgewählten Bfalmen einzeln In die altteRamentliche Geſchichte einge» 
Hodıten, die Gprüde Salomo's an die Geſchichte Salomo's angefnüpft 
werden. Der in der Schrift mehr als einmal erwähnte Gegenſtand 
einer Geſchichte iſt aus demjenigen Buche zu Iefen, in welchem er am 
ausführlihfien und auſchaulichſten dargeſtellt iR. — Der von dem Bers 
faffer nach beffimmter Ordnung im Ginzeinen befimmte Leſeſtoff (— zwei⸗ 
jähriger Curſus — ) lehnt ih nur im Ganzen an das Kirdgenjahr; die 
Beritopen Auden keine beiondere Behandlung. Borausfegung if, daß 
die Schüler ſchon zwei Kurfe bibliiher Geſchichte durchgemacht haben. 

d. Art und Weiſe der Behandiung des Leſeſtoffes — Es ift daB 
Bibellefen mit Gebet anzufangen. Es if in einer Stunde nur fo viel 
zu leſen, als beiprochen und erläutert werden kann. Bibeltenntniß im 
Großen und Ganzen, aber au Bibelverſtaͤndniß im Einzelnen iR das 
Biel: „Oauptſache bleibt das Verfländniß der biblifchen Geſchichte, welche 
befonderd durch den Rückblick auf eine Pdurchlaufene Periode nad den 
Hauptmiomenten beleuchtet wird, wobei die Kinder ſtets darauf hinzu 
weilen find, daß Die Entwidelung des Neiches Gottes fich wie ein goldner 
Baden durch die ganze Bibelbetrachtung hinzieht.“ Die Erklärung fei 
einfach, kurz, bündig, fern von Grübelei, werde nicht zu Sprahübungen 
gemißbraudht. Schriftliche Arbeiten an das VBibellefen zu Inüpfen, iſt 
anzurathen. 

Sächſiſche Schulzeitung. 1856. Ar. 23: „Wie if die Bibel 
in der Volksſchule zu gebrauchen?‘ 

a. Mit Auswahl. Es ift auszufcheiden das dem ſittlichen Gefühle 
Widerſtrebende. Der Borgang mit Potiphar’s Weib könnte leiht ein 
Gift fein (1). Berner das Temporelle und Locale, ein unfruchtbares 
Biffen Hervorbringende, 3. B. die Cinzelnheiten über den falomonifchen 
Tempel, ebenſo alles Das kindliche Faſſungovermögen Weberfleigende, 
3. 8. Gal. 8, 15—22. 

b. mit vorzugsweifer Berüdfihtigung des Sittlich« Religiöfen, alſo 
nicht als Geſchichtsbuch zur Ergänzung ber Profanferibenten, nicht als 


Religions -Unteriht. Mi 


Mittel zur Kenntniß der Kulturzuftände ber früheren Zeit, nicht als 
Nahrung für die äftbetifchen Gefühle, nicht ale Wegmeifer für das als 
tägliche Leben (Sprüche Salomo's und Sirach), nicht ale Kingerzeig für 
Künſtler und Gewerbtreibende (!): 

e. mit Bermeidung alles Mechanismus, alfo nicht bloß ausdrude- 
volles Lefen, fondern Lefen mit Erläuterung, mebr ſtatariſch, als kurſoriſch; 

d. mit Beobachtung einer richtigen Reihenfolge, alfo nicht von Ans 
fang bis zu Ende; Hauptſache ift, daß zufammengelefen wird, mas zus 
jammen gebört; 

e. mit Bewahrung ber der Bibel fehuldigen Ehrfurdt, nicht mit 
der Abfiht, die chronologiſchen, mathematifchen, genealogijchen Irr⸗ 
thümer, die BVerftöße des Alten Teſtamentes gegen eine geläuterte Moral 
bloßzulegen, fondern um die Schüler zu Chriſto zu führen. 

Der Berichterftatter erachtet dafür, daß Wahres und Halbwahres 
in diefer Arbeit vielfach in einander laufen. 

Braunfhweiger Schulbote. 1855. Nr. 2. 

„Sie müflen nicht meinen, ald gebe es in folhen Stunden alfo 
zu, wie in einer Predigt, und als redete ich die ganze Stunde auf die 
Kinder drein. Sondern da wird erfllich gelefen, zweitens wieder ger 
liefen und nochmals, dann mit den Kindern geredet, gebetet, auch ger 
fungen, wo ſich's paßt, freilich felten.” (Des fchlehten Geſangbuches 
wegen.) 

Bädagogifhe Beiträge, insbefondere für das Volks» 
ſchulweſen. (Herausgegeben von Hatnoverfhben Lehrern. 
Erfker Band. Dritte Lieferung.) Aus den an dieſer Stelle bes 
findlichen praftifchen Bearbeitungen geben wir folgende Beiipiele: Epiftel 
am zweiten Weihnachtsfeiertage, Zit. 3, A—7: „Wodurch 
eignen wir uns die Geburt des Sohnes Gottes an? 3) durch Gottes 
freie Gnade und Barmherzigkeit, V. A—5; 2) durh die Zaufe und 
den heiligen Geil, B. 5 u. 6; 3) durch Glaube und Hoffnung, B. 7. — 
Gyangelium am 3. Advent: Zefus von Razareth ift wahrhaftig 
der Seiland der Welt. Das beweift 1) feine eigne Erftärung über fi 
ſelbſt, B. 2—6; a) Beranlaffung zu derfelben, V. 2—3; 5b) Anhalt 
derfelben, B. —6; Jeſus beruft Ah, um feine Mefflaswürde" zu ers 
weifen, auf feine Wunder, auf fein Leben und warnt davor, fih an ihm 
iu ärgern. 2) Das Amt Sohannis des Zäufers, B. 7—10; denn 
diefer if a) ein Randhafter Beuge der Wahrheit, B. 7; b) ein ernfter 
Prediger der Buße, V. 8; c) und der verheißene Vorläufer des Meſſias, 
3. 9 u. 10. (Bas doch Alles als praktifhe Handweifung gedrudt 
wird!) Daß nah ſolchen Dispofitionen irgendwo — in der Auss 
führung vielleicht auch erbauliche — Predigten gehalten ſeien, beftreiten 
wir nicht. Gicht diefes aber ein Recht, dergleichen als Mufter für die 
ſchuliſche Bibelausleguna druden zu laflen ? 

Richt als ergiebig für die Volksſchule, fondern um feiner allge- 
meinen Bedeutung willen / fei ein Artikel aus dem Süddeutſchen Schul⸗ 
boten (1856 Mr. 5—7) erwähnt: „Die Bibelüberfegung Luthers, 
gewürdigt und mit den jegigen Bebürfniffen der Schule 


72 Religions » Unterriäht. 


und des Volkes zufammengehalten.” Bon J. G. Baibinger. 
Der Berfaffer handelt von dem großen Berdienfte der Lutberfchen Bibel⸗ 
überfegung, von den Ueberfegungsfeblern und den Umftänden, welche 
diefe herbeiführten,, von der Gorruption des urfprünglichen lutherifchen 
Textes, von dem Fehlgriffe der Stuttgarter Bibelanftalt, die Ausgabe 
Luthers vom Jahre 1545 nicht nur in den Wörtern, fondern auch in 
der Biegung und Schreibung diefer unverändert beizubehalten, und mit 
befonderem Nahdrude von den Hinderniffen, welche das Lefen der Schrift 
bei Geiſtlichen und Weltlihen in den Ueberſetzungsfehlern und nicht 
mehr verfländiichen Ausdrüden findet. Unter Berwendung ächt evans 
gelifcher Sätze über das Bibellefen entwidelt er den Saß, daß es Pflicht 
fei, dem Bolle die Bibel in einer möglihf vollfommenen und fehler 
freien Weberfegung zu geben. In Betreff der einzufchlagenden Wege 
verwirft er mit der nötbigen Begründung die Berbeflerung einzelner 
Stellen, ebenfo eine volländige Umarbeitung, desgleichen das Anbringen 
der Berbefferungen am Rande und unter dem Lutherfhen Terte. Er 
macht den Borfchlag zu einer neuen, zum Privatgebrauhe beſtimmten 
Ueberſetzung zu fchreiten, die Lutherſche Ueberfegung aber als Stirchen» 
und Scuibibel beizubehalten. — — Bir empfehlen diefen nach vielen 
Geiten bin für den Volksſchullehrer beiehrenden Auflag dringend, fönnen 
aber in der Sade felbft die Bemerkung nit zurüdhalten, daß eine 
ſolche Ueberſetzung, wie die von Vaihinger angeftrebte, doch nur in fehr 
engen Kreifen dem Berfalle des Bibellefene fleuern koͤnnte. 


Kirchenlied. 


87. Es if deffen, was — unferes Wiſſens — das Jahr 1856 
bezüglich des Kirchenliedes für die Volksſchule gebraht hat, Außerlidy 
gemeflen, eben nicht viel, doch iſt Bewichtiges darunter. Bon Bedeu 
tung if zunähft, daß Hupe ernfllih die Frage angeregt hat, ob die 
Schule da, wo die Gemeinde noch mit den verwäflerten Geſangbüchern 
der Aufllärungsperiode behaftet it, nad dem alten, Sernigen Terte zu 
greifen bat oder nicht. Mit beredtem Munde hatte Thilo (‚Das geiſt⸗ 
liche Lied ꝛc. Seite 111—113) den Anſchluß an das Geneindegefangs 
buch 1855 vertheidig. Wir müflen die ganze Etelle aus Thilo hier⸗ 
herſetzen, um das ganze Gewicht ſowohl des Für, als aud des Wider 
fühlbar zu machen. „Manche trefflihe Männer haben gemeint, daß dem 
Uebelſtande zu begegnen fei durch Feine Sammlungen für Schule und 
Haus, in welden die Lieder in unveränderter Gehalt mitgetheilt werden. 
Sehe man zu, ob man damit dur die Thür offener Berechtigung ein» 
trete! Rod will mi es bebünfen, daß fih die Schule mit dem, was 
namentlich noch zu Haufe, im Schoofe ber einzelnen Bamilien Geltung 
bat und woran die Gemeinde als Ganzes fid) noch erbaut, weder durch 
unzeitige Kritik in Widerftreit feßen, noch durth Bernadhläffigung in Ents 
fremdung bringen dürfe. Wir bören gegenwärtig vielfach den — — — 
Gedanken ausfprechen, daß die Schule, namentlich die Vollksſchule, fich 


Religions» Unterricht. 73 


im Unfchluffe zu halten habe mit ihrer Thätigfeit an das in GeRait von 
Familie und Gemeinde fie umgebende Leben. Soll dieler Gedanke wirk⸗ 
ih zu Leben werden, fo hat fi die Schule in Abficht der Liederpflege 
presse an die Gemeinde zu halten. Welcher Text in ibr gilt, der 
wird auch für die Schule Geltung haben müflen. Wenn in der Gemeinde 
eine Aenderung der Liedertegte eintreten wird, dann wird aud die Echule 
zu folgen haben. — So wenig Gemeinden es ihrer Zeit baben dulden 
dürfen und dulden mögen, wenn die Echule Geſangbücher mit neologifchen 
Liederänderungen in Gebraud nahm, eben ‘fo wenig, fcheint es, brauchen 
es Gemeinden, die fi) aus Gefangbücern mit abgeänderten Liedern ers 
bauen , zu dulden, wenn die Schule die alten Terte ohne Weiteres, d. i. 
obne Rädfiht zu nehmen auf das, was in der Gemeinde lebt und gift, 
in Anwendung bringt. In beiden Pällen handelt die Schule nicht cons 
ſervativ, fondern wird als ein Umfhwungsmittel von tendenzidien Hän⸗ 
den benutzt, die auch nicht die gehörigen fein können. Die Schule wird 
in dem beflagenswertben Falle, daß die Gemeinde noch mit eineh Ger 
angbuche von breiter Brofa und von ſchmalem Glauben helaftet if, daͤs 
Joch dieſes Clendes bis auf Beflerung einftweilen in Geduld mittragen 
beifen müflen. Ihr würde, nach meinem Grmeflen, es übel anfteben, 
Darüber zu murzen oder eigenmächtig fi aus diefer Lage herausbringen 
zu wollen. Wie e8 ehemals von den alten Liedern hieß: es iR noch 
ein Segen darin! — fo if au in den neuen Liedern und felb in 
den Lieberabänderungen noch ein Gegen, wenn fie in der Gemeinde noch 
ein Gegenftand der Liebe und ein Ausdrud ihrer Andacht find.” 
So weit Thilo. 

Dem gegenüber fagt Hupe (Brandend. Schulblatt. Mais und 
Juniheft 1856, Seite 858 ff.): „Die Schule fol fih im Anfchluffe 
halten an das in Geftalt von Familie und Gemeinde fie umgebende 
Leben; allerdings! aber darum doch nicht 3. B. Aberglauben aufrecht 
erhalten, oder fih an inteflectuelle und fittliche Verirrungen anfchließen, 
die in jenen Kreifen etwa im Schwange gehen. IR es denn ihre Sache, 
die Sünde der Bäter heimzufuchen an den Kindern? Und if denn an 
den Blaubensliedern und ihren Sängern wirklich feine Sünde gut zu 
machen ? Anfchließen foll fich die Schule, ja, aber doch auch auf Beſſe⸗ 
rung des zukünftigen Lebens hinwirken; fie hat doch auch, wie der Vers 
fafler (Thilo, Seite 107 — „Das geiftliche Lied 3.” —) fagt, Keime 
zu legen und zu pflegen, die fich unter göttlicher Gunſt und Gnade nach⸗ 
mais weiter auszuwachſen haben; fie hat Anfänge zu begründen, Ver⸗ 
bindungen zu ermöglichen und Anſchließungspunkte dazu herbeizuführen ; 
- He hat in Abſicht des Liedes die Aufgabe, den Blid mit feiner Richtung 
auf ein Gebiet zu gewöhnen, wo Schönes, ja das Schönfte und Beſte 
anzutreffen iſt. Soll der Lehrer aber Diefes, darf er dann da die 
Rinder mit den wunderlih zufammengeflidten Wörtern und mit dem 
verderbten Bapiere plagen, in dem oft weder Geſchmack noch Saft und 
Kraft zu finden iR? Gilt denn etwa von folchen Veränderungen auch, 
was der Berfaffer Seite 54 von den Erzeugniffen der Poefle ſagt, daß, 
da jeder Theil durch die Idee des Ganzen auf das Deutlichſte beſtimmt 


7 Reltgionß- Unterticht. 


erſcheint, jedes Wort erwogen, jede Sylbe gemeſſen, jeder Laut geaicht 
iſt? Hat denn auch im neuen Dresdner Geſangbuche und Conſ. jedes 
Wort da, wo es Hebt, nicht bloß feinen beſten Ort, fondern feine Ges 
ſtalt auch die fchärffte Beſtimmtheit und feine Bedeutung .ihren hellſten 
Schein? Und wie ftehen die oben abgedrudten Ratbfchläge im Einflange 
mit den andern Seite 114, daß die Schule ihre Purziebenden Bewohner, 
die Kinder des gegenwärtigen Geichlechtes, mit dem Gele und Glauben 
zunähft der Vorfahren in Gemeinfhaft und Zufammenbang zu bringen 
babe? Die Liederbefferer find doch unfere Vorfahren hoͤchſtens nach dem 
Fleiſch; follen wir nicht unfere Väter fuchen nah dem Geife? Die 
Schule hat au, wie Seite 122 fo ſchön entwidelt if, zu ſäen auf 
Hoffnung und die Bedürfniffe in's Auge zu faſſen, welche über das Schuls 
alter binausreihen,, wenigftens binausdeuten. Und das geichieht gewiß, 
wenn nicht alle Zeichen trügen, dadurch, daß fie an ihrem Theile das 
Unrecht fühnt, weldes an den Sängern des Glaubens begangen if. 
Bielleicht müflen allerdings die Kinder fpäter noch einige Jahre in ben 
Kirchen anders lefen und fingen, als fie es in der Schule gelernt haben ; 
thut nichts. Gin Waizenkorn wird nicht Iebendig; es flerbe denn. So 
flerbe eine Weile, wenn es fein muß, das rechte Wort; vielleicht fommt 
die Zeit, wo der Geift Gottes die Trauerafhe von dem noch immer 
glühenden Funken weghaucht.“ — Möchten, fegen wir zu diefem Berichte 
von büben und drüben hinzu, fih mehr ſolche Männer, wie Thilo 
"und Hupe, der fraglihen Sache annehmen! 

88. An derfeiben Stelle, von welcher aus Hupe bie angeführten 
Worte zu und redet, geht derfelbe, Teife gegen den Gap Thilo's, 
„daß für manche Seiten dem Lehrer die freie Wahl der Lieder immer 
werde offen zu laffen fein,‘ polemifirend, über einen Punft hinweg, ber 
uns fehr gewichtig zu fein ſcheint. Wir geben diefen mit Zhilo’s 
Borten: „Jede Gegend hat ihre Dichter, die wie Bäche das Land, fo 
die Trodenheit der heimathlichen Bemüthsart mit ihren Dichtungen er⸗ 
frifhen. Es kommt den Schulen der einzelnen deutſchen Stämme zu, 
Diefe ihre Dichter zu ehren und zu pflegen. Außer den Dichtern, welche 
dem evangelifchen deutfchen Geſammtvaterlande angehören, mögen ſchlefi⸗ 
ſche Volksſchulen die von Herrmann, Scheffler, Schmolf, Liebih, Neu 
mann 2. pflegen, — — — andere Gegenden aber die ihnen anges 
fammten Dichter. — Auf foldhe Weiſe wird in Blut und Adern der 
deutfhen Stämme durch die Schule die eigenthümlich ausgebildete geiſt⸗ 
liche Poeſie ihrer Dichter kommen, die jebt nur wie ein Schemen, 
ſchwarz auf weiß, auf dem Papier, unter dem Scheffel und in der Ver⸗ 
geffenheit ſteht.“ — Allerdings wird, wie Hupe fagt, oft genug fo 
gewählt, daß man davon gequält wird. Und wollte man auch auf dent 
Gebiete des Provinziellen und Stammhergebrachten die Volksſchullehrer 
zu Urmählern machen, fo bätten diefe mit der Wahl auch für fi ſelbſt 
mitunter gewiß rechte Qual. Aber müflen denn die Wählenden grade 
die Vollsſchullehrer fein, und ift nicht auch ſchon innerbalb der adhtzig 
Regulativlieder eine gewiffe Bewegung geftattet?- Daß für einzelne Kräfte 
ein nod weiterer Wahlraum erwünfcht gewefen wäre, mag zugegeben 


N 


Religion » Unterricht. 75 


werden. Thilo's fiharfe Betonung des Provingiellen. und Gtamuyen 
wandten if jedenfalls ernflich zu beachten. 

Bormann fagt in feinem Abſchnitte über die Kirchenliederaus⸗ 
wahl (Schulkunde Seite 127): „Darüber kann kein Zweifel fein, daß 
in die Zahl Der auszumählenden (Lieder) vor Allem diejenigen. Lieder 
aufgenommen werden müflen, welche ein Gemeingut der ganzen evan⸗ 
gelifchen Kirche geworden find. — — Bei den Übrigen weiter noch aus—⸗ 
zumählenden Liedern wird es möglich fein, infonderheit diejenigen zu 
berüdfichtigen, welche in der Bemeinde, der die betreffende 
Shuleangehört,,eine befondere Geltung erlangt haben. — 
Der erſte Canon if unbeftritten, der zweite in feiner Wichtigkeit wohl 
eben fo wenig, ale der vorher befprochene Thilo’iche, anerkannt. 


89. Gegenüber dem maſſenhaften Auffpeigern der Lieder im Ge 
daͤchtniſſe halt Bormann (a. a. O.) an der im Regulative vorgefchries 
benen Zahl dreißig feſt. Thilo adoptirt (a. a. D. Seite 151) eine 
Stelle aus Grüger: „20—30 kirchliche Lieder und Pfalmen in Allem, 
genau gelernt und angeeignet nach afler möglihen Kraft, find ja wohl 
eine ſchoͤnere Mitgabe aus der Schule, als die größere Zahl derer, un⸗ 
genau im Gedädtniffe und fremd dem Gemüthe.“ — 
Es find fiberhaupt nit die alten, lieben Namen Maren, bellen Klanges, 
an die ſich die hohen Behner ber zu erlernenden Lieder knüpfen. 


90. Als Wegweiſer für die Behandlung des Kirchenliedes bietet 
ſich Bormann in feiner Unterrichtskunde. Bei der vorausfichtlich ſehr 
großen Verbreitung der Unterrichtskunde wird das, was Bormann ges 
boten bat, bald feinen Segen fchaffen. Cs that eine foldhe ſchlichte 
Wegweiſung noth; mit dem Kirchenliede war der Lehrſtand vielmehr ale 
mit Bibel und Katehiemus auseinander gekommen. Wer eine tiefer 
eingehende, dabei auch weit mehr anregende Huͤlfe begehrt, greife nach 
Thiloꝰs geiflichem Liede, das zugleich mit der trefflichen Recenſion von 
Hupe (Brandend. Schulblatt 1856, Mai⸗ und Juniheft) nicht genug 
empfohlen werden kann. Da laͤßt ſich ſo recht aus dem Grunde lernen, 
wie es anzufangen ſei, „daß ein geiſtliches Lied recht geleſen, richtig 
vorgetragen, entſprechend eingeübt, heilſam erklaͤrt, von Herzensgrunde 
geſungen, innerlich angeeignet, fruchtbar beherzigt, in lebendige Verbin⸗ 
dung mit dem ganzen kindlichen Wiſſen gefegt und baumeiſterlich ale 
Bauflein eingefügt werde in das reine Heiligthum unfchuldiger Seelen.‘ 
Der hohe Preis des Thilo'ſchen Buches wird ihm leider auch in der 
zweiten Auflage wieder viele Thüren ganz zufchließen, oder es in die 
Bier» bie Sechswochen der Lefezirkel einpferchen. Auch hat Thilo — vor 
dem Bertrauen, das er zu der Lehrerwelt bat, haben wir alle Achtung — 
wohl feine Saiten wieder zu fehr auf den höbern Chor geftimmt. Da 
mögen die Paforen als „„Mithelfer‘ zur Seite ſtehen, wenn die Uns 
Rudirten vor Zenor und Balor und allerlei andern Dingen erſchrecken 
und mit dem landiäufigen: „Wieder nichts für uns’ fi anfchiden, das 
Bud zur Seite zu legen. 

Die Literatur der Hütfsbücer zur Behandlung der einzelnen 


+‘ 


76 Ä Keligtond - Unterricht, 


Rieder Hat eine Bereicherung durch zwei neue Schriften, von Sau ze 
und von Leitritz, erhalten. (Literatur: Oberſtufe D.) 

91. Aus den Leipziger Blättern zc. von Hauſchild (Seite 99) 
geben wir noch folgende Eäpe: 

a. Jeder Fels oder Bußtag if in der Schule mit Bugrundes 
Iegung eines biklifhen Textes und eines auf denfelben Tag bezüglichen 
Gefangbuchsliedes vorzubereiten. Die Feſtlieder verdienen vor allen 
übrigen den Vorzug: fie enthalten die wichtigften Heilsvorfchriften, find 
zum größten Theile die fchönften, und, weil das Kind ihnen fpäter 
immer wieder begegnet, die nachhaltigſten. 

b. Kirche und Schule follten mehr Hand in Hand geben, als es 
gefchieht,, fo daB wir unter den Hunderten von Gefangbudsliedern für 
Kirche und Schule einen Beinen Schag durchaus populärer, d. b. beim 
Volke bekannter und beliebter Lieder erhielten.“ 

ec. Dann fönnte die Gemeinde in der Kirche aus dem Kopfe fingen. 
„Das wäre ohne Zweifel erfi der rechte Geſang, wie jeder weiß, ber 
Etwas aus dem Kopfe zu fingen vermag.‘ 

d. Darum bat die Schule den Liederfreis nicht in thörichtem Eifer 
zu erweitern. „Die Feflieder, aber diefe auch feR und un.» 
verwüſtlich gelernt, find vollkommen genug. Mande Schule 
directoren ſcheinen zu glauben, daß, wenn unfer Geſangbuch feit Luthers 
Beiten von 100 auf fat 700 Lieder angewachſen if, feitbem auch das 

Gedaͤchtniß unferer Kinder fich verfiebenfacht hat. Nicht fiebenfach, fon- 
dern einem Siebe gleich if es vielmehr geworden, da heutzutage alle 
Belt Iefen und fchreiben lernt und fich dadurch von felbt das Gedächt⸗ 
niß unendlich abſchwächt.“ — — Man Hleibe bei dem Wenigen ſtehen, 
aber dieſes Wenige muß. au die Schule von der Elementarflaffe an 
bis in die Prima der Gymnafien alljährlich und bei allen Gelegenheiten 
wiederholen und einüben. Gin Heiner Kreis von Liederh Tehre immer 
und ewig wieder. — Bei Auswahl diefer Lieder ift auf die Melodieen 
Rüdfiht zu nehmen; es find diejenigen auszufchließen, welche nach fels 
tenen oder fehr fihwierigen Melodieen gelungen werden. 

Wir erinnern an Thilo’s Wort, daß die dickleibigen Gefangbücher 


nicht die fchlechten find, und an das: „Alles if unfer!” Wer hat ein 


Neht uns das ;,Alles‘ zu nehmen? Wo bleiben — wenn wir uns 
mit H. auf die Feſtlieder befchränten — dann die „weiteren Bedürfniffe 
für den Alltag des chriftllihen Lebens?’ Wo bleiben die Lieder, 
Durch weiche Chriftenmienfchen ‚im Leben auf Wegen und Stegen, wohin 


nicht gerade allemal ein Gefangbuch mitzunehmen if, den Tag in frommer 


Weiſe einläuten und einleiten Tönnen, oder womit fie denfelben ber 
ſchließen?“ „Wo bleiben ſolche Lieder, die auf allen Wegen den 
Chriſten zu leiten und zu beben im Stande find?‘ — Der Satz c. 
fußt, wie fo oft die Haufhildf hen Auslaffüngen , auf idealen Zus 
Händen. Die gute alte Zeit, in der ein Pfarrer es einem jeiner Bauern 
als Hochmuth verwies, daß er aus dem Buche finge, wie der Cantor, 
kehrt fchwerlich wieder, und wir müßten ihre Wiederkehr bedauern, ge⸗ 
ſchaͤhe fie um den Preis der Antiquirung des größten Theiles unferes 


Neligions » Unterricht, | 77 


jehigen Liederſchaßes. Uebrigens bat der Berichterkatter in einer Ge 
meinde, die des eigentlichen Grundflodes ihrer Lieder mächtig war, — und 
mehr wird weder zu werlangen, noch im günſtigſten Falle zu erreichen 
fein — es oft genug gefehen, daß Dieler und Iener das Buch gar 
nicht erſt aufmachte. Andere hatten das Buch aufgefchlagen und fangen, 
aber nicht aus dem Buche. 


Wochenſpruch. 


92. Ueber dieſen nur ein Kuriofum mit liturgiſchem Anklange. 
Sm Medienburger Schwiblatte 1856, Nr. 2 findet ſich eine kurze Aus⸗ 
laffung über den Wochenſpruch. Es wird nicht nur eine ſummariſche 
Austegung, -fondern auch eine ſtehende Einleitungsfrage für denfelben 
und eine Zufammenfaffung des fo auseinander gelegten Inhalts in ein 
Gebet verlangt. „So wird der Wochenſpruch, als ein Stüd der Schuls 
mdacht, geifiges Cigenthum bes Schülers. Die voraufgehende Frage 
feint mir dem Worhenfpruche fo nothwendig, wie einem Gefäße die 
Handhabe und einer geometrifchen Figur der Lehrſatz.“ Beifpiele folder 
ſtehenden Fragen And ihrer Antworten: „Welches if der größte Dieb- 
Rabe?” — ‚Rue. 8, 12. ‚Warum follte du dich ſtets in Jeſu als 
zu Saufe treffen laſſen?“ — „Matth. 11, 28—830.' — „Kann man 
wohl felbft dann den Himmel verlieren, wenn man ſchon recht gläubig 
it?“ — „Sal. 2, 14. 17. — „Haſt du denn auch deinen Preis, 
um den bu feil biſt?“ — „Matt. 16, 26.” (— Und das für die 
Unterklaſſe) — Dem Berfaffer iR am ‚Ende doch der alte, unvers 
fälfgte Hühner anzurathen. 


Gebet. 


93. Die feſtſtehenden gottesdienftlihen Gebete follen nad 
dem preußifchen Regulative Eigenthum der Schüler werden. In dem 
" ganzen Sinne und Geiſte des NRegulatives finden wir aud von ber 
Säule gefordert, daß fie den Schüler in das Berkändniß der ganzen 
Ordnung bes Gottesdienftes und der Liturgie einführe. . Der Berichte 
erfatter bat den Lehrern felbft in einem befondern Büchlein zu dieſer 
Einführung Handreihung gethan, ift aber bis jetzt auf diefem Felde 
wereinfamt geblieben. Mit Recht erinnerte Georgi (Brandenburger Schuls 
blatt. Rov.s und Decemberbeft 1855), daß Bormann in der Schul 
kunde an die Pflicht der Lehrer, die weſentlichen Stüde des liturgiſchen 
Hauptgottesdienſtes zum Verſtandniſſe zu bringen, hätte mahnen follen. 
„Die Gegner der Agende opponiren weit mehr aus einem Nitimar in 
vetitam oder überhaupt aus Unverftand und Unkenntniß der Sache, als 
aus der Mangelhaftigfeit der Agende heraus. Dem muß bei den Kleinen 
begegnet werben; die Großen ind nicht zu Überzeugen. Dann werden 
aus aus dem objectiven Theile unfers Gottesdienftes die Beſucher viel 
mehr Gegen haben.” — „Es iſt unglaublih, wie unwiflend die Leute 
darin find, und doch if diefer Umſtand für die Erbauung fo wichtig.‘ 


78 Religtons » Unterricht. 


Auch nach diefer Erinnerung legt Bormann (Unterritsfunde Geite 
124) das Gewicht allein auf das Auswendiglernen. Dabei finden wir 
uns auch im Widerfpruche gegen die Weilungen Bormanne über 
das Auswendiglernen. „ES wird", fagt Bormann «. a. D., „in den 
meiſten Pällen von der Schule kaum eine befondere Beranfaltung zu 
treffen fein, um Ddiefer Forderung (— der ‚gebächtnißmäßigen Aneig« 
nung —) zu genügen. Leitet der Lehrer die Kinder dazu an, an dem 
öffentlichen Gottesdienſte regelmäßig Theil zu nehmen, ermahnt er fie, 
das mit Andacht zu thun, gebt er ihnen ſelbſt mit gutem Beifpiele 
voran, fo leruen die Kinder die hei diefer Gelegenheit nambaft gemach⸗ 
ten Gebete won ſelbſt. Wichtig aber iſt e8 und durch Die bezügliche 
Anordnung geboten, daß der Lehrer Nachfrage halte, wie weit jene 
Aneignung erfolgt ſei. — Zwedmäßig wird es fein, dieſe Gebete bei 
geeigneter Gelegenheit zum Gegenflande von Aufſchreibeübungen zu 
machen. Aus einer langen Brazis heraus muß Berichterfatter gegen 
Bormann behaupten, daß Kinder und felhR Seminariſten jo ex usu 
die liturgifhen Säge und Gebete nicht erlernen. Und fo lange die 
Jugend nicht durch eine befiimmte Interweifung in Siun.und Geif der 
Liturgie eingeführt wird, Kat man im Wefentlichen fchon das, wonach 
jeßt Manchen gelüftet, die deutfche Meſſe. So lange if aber au das 
oft gehörte Wort: „Wenn ich nur zur Predigt komme‘, mehr als eine 
Enfchuldigung der Zrägheit und Gleichgültigkeit. 

94. Schulgebete, theils in Anhängen zu Katechismen 2c., theils 
in eigenen Büdern, hat auch dag abgelaufene Jahr überreilich gebracht; 
etwas Treffliches ift uns gerade nit hegegnet. Hupe emvflehlt (a 
a. D.) dringend und vorzugsweife die Berwendung des Liedes. „Mir ſcheint 
ein Lied, gemeinfam gebetet oder noch lieber gefungen, allem Undern 
vorzuziehen zu fein. Wer oft in den Schulen das Beten, zumal das 
freie Beten, und dabei gehört hat, daß der Mund deſſ' übergeht, weil’ 
das Herz leer iſt; wer es weiß, wie bes Lebens Roth und Sorge vor 
und mit und hinter fo Vielen in die Schule ſchleicht, alſo, daß Die 
Seele nicht geſtimmt und getrieben iſt, aus Ach felbft zu bein; mer 
dann bedenkt, daß es gerade um fo mehr noth iſt, recht zut beten, menn 
das Herz nicht beten mag: der weiß auch, wmas zu Diefem Behufe ein 
alt gut Lied werth if, ein Lied, welches über das Leid erhebt und Die 
matte Seele unwillkürlich emporträgt. Viele fingen e& vielleicht auch 
nit mit Andacht, aber Einige, und das härt. fi, heraus und theilt ſich 
mit. liegen von einer Schaar Bügel einige auf, fo ſchwirren fe alle 
firads in die Höhe, und die fingende Seele verläßt die Welt, der Lerche 
gleich, die, wenn fie fi fingend erhebt, die Waſſertropfen und dem 
Staub der Exde von ihrem Gefieder fchättelt Singen iſt auch Beten, 
und viele hundert Mal in meinen Leben habe ich in Schulen gewänfcht: 
wenn es doch bloß bei dem Singen geblieben und das officielle Gebet 
weggeblieben wäre! Die landläufigen Gchulgebete warten jo gut wie 
die. Schullieder noch immer auf ihren Austreiber. Bon ſelber wollen 
he " — weichen, wie die Spinnen ohne Beſen aus Schulſta⸗ 
en fliehen.‘ 


Religions - Unterricht. 79 


95. An demfelben Orte erhebt Hupe, der befannterweile nicht 
Bhantafietüde malt, eine erufle Anklage gegen arge, bei dem Schulge⸗ 
bete gangbare Mißbraͤuche. Er berichtet, daß Einer alle 800 Lieder 
des Gefangbuches zur Morgenandacht der Reihe nach und unbefümmert 
um die firchliche Zeit durchſingen, ein Anderer den Betvers durch Schü⸗ 
fer Rodend und fehlerhaft Iefen läßt, ein Dritter nach einer guten 
Beile Suchens Zeile für Beile vorfpricht, ein Vierter Berfe fingen läßt, 
welche die Jugend weder gefehen, noch gehört, noch beberzigt hat, ein 
Sünfter vor der Andacht die Geige klimpert, Stimmen zufammenftellt, 
die Tonart angiebt und heulen und fchreien läßt, trogdem Gott leiſe 
hört. Hupe empfiehlt zur Morgenandacht folche Lieder, „deren Tert 
und Melodie fer eingeubt, deren Inhalt oft erwogen und befinnet und 
fo audy zum Inhalte der Kinder geworden if, in denen fih Alles trau⸗ 
ih und heimiſch fühlt.” — „Es find in des That nur wenige Lieder 
zu biefem Behufe noͤthig.“ 

96. Yür beherzigenswerth halten wir aud, was Hupe (a. a. D.) 
über das Borfprechen des Liedes bei der Schulandacht fagt. Er Ratuirt 
das Borfprehen — „das brockenweiſe Sicherbauen” — nur bei klei⸗ 
nern Kindern oder bei ungetheilten Schulen. Er exfennt mit Zhile 
ar, daß es für die Älteren Schüler die Verſtändigung und Würdigung 
des Inhalts erleichtert, falls gut vorgefprochen wird, giebt aber dagegen 
zu bedenken, daß die Minuten der Herzenserhebung zunähf zu etwas 
Anderem da And, und daß jeder rechtfchaffene Lehrer erfahren hat, wie 
Das aut behandelte Kind die Lieder oft gefälliger, inniger und durch⸗ 
weg beſſer fpricht, als wir Alten. 

Der liturgiſchen Uebertreibungen und der gangbaren Weberladuns 
gen des Schulgebets haben wir ſchon früher Erwähnung gethan. 


II. Eoncentration der verfchiedenen Seiten des Religious- 
Unterrichtes. 


97. In feinen Leipziger Blättern (1855. Seite 91 ff.) Magt Dir. 
Hauſchild bezügtih bes Religions» Unterrichte über „einen unge 
henern Unterrihtefoff in der Meinen Schulſtube.“ — „Es iſt undenk« 
bar, daß unfere Kinder folches Bielerlei behalten könnten. Je mehr 
auf den Stundenplänen ſteht, deſto weniger findet fi in den Kinder, 
löyfen und Kinderherzen, vollends ein Halbjahr nach dem Austritt aus 
der Shut.” Hauſchild läßt die Behrebungen, „eine Aufgabe immer 
zegleich mit deu andern abzufertigen’‘ und fo die vierfache Aufgabe des 
Keligiond » Unterrichtes (— Katechismus, Bibellefon, Kenntiniß des Kir 
chenjahres und Kirchenlied —) auf ein geringes Maaß zurüdzuführen, 
Die Reoue paſſiren. Zunaͤchſt ſtellt Hauſchild den Katehiemus in den 
Mittelpunkt und unterfucht, ob fich Bibellefen, Betrachtung des Kirchen, 
jahres und Kirchenlied in ihn einfügen laffen. Die Einfügung des Bis 
Gellefens in den Katechismus weiſet ex mit dem fchen 8. 79 von uns 
angeführten Sahe ab. In der Berbindung des Katechismus mit der 





80 Religions - Unterricht. 


Betrachtung des Kirchenjahres fieht Haufhild eine Unterordnung bes 
Katehismus unter das Kirchenjahr und ein unnatürliches Berreißen des 
Haren und fchönen Enflemes des Katechismus. ‚Man müßte nothwen⸗ 
dig in der Weihnachtszeit über Weihnachten (2 Haupifl. 2 Artil.) und 
bald nachher in der Ofterzeit über den grünen Donnerfag (5 oder 6 
Haupſt.) und in der Pfingfizeit wiederum über Pfingften (2 Haupſt. 
3 Artik.) katechifiren“ (— Wir müflen dem Berfafler beiſtimmen und 
halten die ſtrenge Anlehnung des Katehismus an das Kirchenjahr, 
wie wir fie bei der fchleftfchen Schule finden, für fcheinbar und gefün- 
ſtelt. —) Gegen die Verbindung des Kirchenliedes mit dem Katechise 
mus führt Haufchild an, daß der Katechismus an den Begriffserfläs 
tungen und PBegrifiserläuterungen, fowie an den Sprüchen genug zu 
lernen habe, und daß man fehwerlich noch SKirchenlieder auswendig ler⸗ 
nen laffen dürfe, wenn nicht Eins über dem Anderen vergeflen werden 
fol. (— Benn fih an einzelnen Stellen [z. B. „‚Königlies Amt‘ 
und „König, dem kein König gleichet“] der Anfchluß des Liedes an den 
Katehismus empfiehlt, iſt es doch angemeffener, ein in demfelben Ges 
dankenkreiſe fih bemegendes Lied lernen zu laffen, als ein anderes —). 
Sodann ſtellt Haufhild das Bibellefen in den Mittelpunkt. Wie 
gegen das Aufgehen des Bibellefens in dem Katechismus verwahrt er 
fih gegen das Aufgehen des Katechismus in dem Bibellefen, als gegen 
ein Berbrödeln. Das infügen der Kirchenlieder in das Bibellefen 
betrachtet Haufhild als eine Gefährdung der Schönheit und Würbe, 
Herrlichkeit und Kraft gerade der meiften Kernlieder, die nicht nur von 
bibliſchen Gedanken ausgehen‘, fondern auch gewöhnlich biblifhe Worte 
zur Grundlage haben. „Sie erfcheinen dann wie ein matte® Echo von 
Davids Saitenfpiel und der Propheten Stimme, wie ein ſchwacher 
Wiederhall von unfers Herrn und feiner Jünger Heilebotfchaft, tie 
Heine, aus dem Hauptſtrome abgeleitete Bächlein, während fie doch, ale 
ſelbſtſtaändige Dichtungen und für fih betrachtet, deutlich zeigen, daß fle 
Ausflüffe deffelben heiligen Geiftes find, welcher jene Stimmen mach ges 
rufen bat, und daß fie nur in ihrer Form, weldye nothwendig das Ge⸗ 
präge unferer Beit trägt, von jenen alterthümlichen Zeugniſſen ſich we⸗ 
fentlich unterfcheiden. (— Wir finden zwiſchen Schrift und Kirchen⸗ 
lied doch noch einen andern Unterfchied, als den der Form, erlennen 
aber das Bedenken Haufhilds als begründet an. Wir fügen noch 
binzu, daß in dem von ihm angenommenen Falle fih auch die rechte 
Maapvertheilung der zu Iernenden Lieder nur unter großen Unbequeme 
lichteiten würde finden laſſen —). Das Kirchenjahr ganz der Bibels 
lefung einzuverfeiben, hält Hauſchild fo lange für ganz natürlih und 
gut, fo lange ald man unter dem Kirchenjahre nur die eigentlichen Feſt⸗ 
tage, Zeiertage und Bußtage verfieht. Er bezeichnet diefe Einverleibung 
als eine Zerbrödelung der Bibel in mehr als fiebenzig Meine und unzu⸗ 
fammenhängende Stüde, wenn man jeden einzelnen Sonntag zu dem 
Kicchenjahre rechnet. Gegen das fchulifche Eingehen auf die ſonntägi⸗ 
gen Texte führt Haufhild noch befonders an, a. daß diefe, weil oft 
ſchwer und lang, zu viel Zeit verlangen; b. daß es unndthig fei, weil 


— — — — — AM — SL Zu o ad __ 


Religions - Unterricht. | 8 


ja der Prediger Sonntags eine Einleitung und Texterklaͤrung der Pre⸗ 
digt verausfchide; c. daß es flörend und finnverwirrend fei, weil die 
Kinder oft nicht im Stande find, die Auslegung der Kirche und der 
Säule zufammenzureimen und auszugleihen. (— Dazu bemerken wir 
Folgendes: Ein ſolches Borbereiten, in welchem die Stellung jedes 
einzelnen Sonntages im Kirchenjahre nachgewieſen würde, halten wir, 
wenigftens in der Bolköfchule, für ein vergebliches Bemühen. Die 
Beritoyen, wenigflens die Evangelien, kurz zu erflären und auswendig 
lernen zu laſſen, halten wir mit dem preußifchen Regulative für uner⸗ 
laͤßlich. Es if in ihnen ein gutes Theil evangelifcher Gefchichte und 
Lehre, und es find Derer gar viel, bei denen die ganze Schriftkenntniß 
auf diefe Stücke befchräntt bleibt. Die haben freilih ein Weniges und 
verhältnißmäßig doch noch Biel gegen Andere, bei denen der öffentliche 
Gottesdienft mit feinen Altarlectionen und Tertlefungen nicht Altbekann⸗ 
tes immer von Neuem anfrifcht. Feſte, nicht alle drei oder vier Jahre 
wechſelnde Perikopen gehören freilih dazu! Die Bedenken b. und c. 
feinen uns nicht bedeutend. Die fehulifche Berifopenerflärung iR eine 
andere als die der Kirche, eben fo gut, als es überhaupt ein anderes 
Ding ik, zu Kindern und zu Erwachſenen lehrhaft und erbaulich zu 
reden; ber Zwieſpalt zwifchen Schule und Kirche wird, vorausgefeht, 
dag wir überall wirkliche Textauslegungen von der Kanzel her hören, 
nicht fo zu fürchten fein, wenn man nur das, was Kinder aus der 
Predigt beſtimmt und durchſichtig erfaffen und als Behnitenes beim 
ringen, in feiner Wirklichkeit anficht. Das Bedenken a. dünkt uns 
ernfilicher und erinnert uns an manchen preußifchen Volksſchullehrer, 
dem bei dem befannten Mangel geeigneter Hülfsmittel die fogenannte 
Beritopenftunde eine Angſtſtunde if. Aber wir hoffen, daß die fchreibs 
fertige Zeit bald Hülfe ſchaffen wird. —) Statt der Perikopenerklaͤ⸗ 
rung am Sonnabende hält Hauſchild eine Montags zu veranftaltende, 
eima auf eine Zeit von 15—20 Minuten fi erfiredende Predigtwie⸗ 
verholung für erfprießlih. Uns if auch diefe wichtig; aber Eins thun 
und das Andere nicht laſſen. | 

Während fo bei Haufhild Bibel und Katechismus „eiferſüchtig 
über die ihnen zufommende Zeit wachen‘, treten Betrachtung des Kir 
chenjahres und Kicchentied In Verbindung mit einander. SO Fefllieder, 
vie Hauſchild für die Schule flatuirt, erhalten jährlich circa SO Stun⸗ 
den zugewielen; dieſe Stunden dienen zugleich dazu, „auf die Feiertage 
und Bußtage des Jahres vorzubereiten.‘ (Bergl. $. 91 ) 


IV. Beftrebungen zur Zörderung des religiöfen Sinnes 
überhaupt. | 


98. Unter der Ueberfchrift: „Die fhulifche Erziehung zur Kirch⸗ 
lichkeit durch den Kirchenbeſuch““, berichtet Schuldirector Steinader 
aus Weimar in den Volksſchulblättern aus Thüringen (1856. Nr. 12), 
durch welches Mittel es ihm gelungen fei, im Betreff des Kirchenbeſuches 

Nale, Jahresbericht. Z. . 6 


82 Religions - Unterriäht. 


einen regen Wetteifer unter feinen Schülerinnen zu entzänden. Das 
Mittel if} folgendes. „Die auf die Frage: Wer will nächſten Eonntag 
den Gottesdienft beſuchen?“ ſich Meldenden werden in ein dazu beftimmte® 
Anmeldebuh geichrieben und übernehmen dadurh eine Berpflichtung, 
fofern nicht befondere Hinderniffe eintreten, binfichtlih derer fie fid 
durch eine fchriftliche Beglaubigung auszumweifen haben, ihr Wort zu 
Halten, und zugleih Etwas, fei e8 auch noch fo wenig (Anfangs nur 
Text, dann Zert und Xhema), mit ordentlicher Bezeichnung des Datums, 
der Kirche und des MPredigers in ein befonderes Büchlein einzutragen. 
Am nähften Montage in der eriten Religionsftunde wird dann im Uns 
meldungsbuche neben dem Namen der betreffenden Schülerin deren Ans 
oder Abweſenheit in der Kirche angemerft und zugleich beigefeßt, ob 
und wie viel die Schülerin von der Predigt aufgezeichnet und gebracht 
Hat.” Unterfiügt wird diefe Maaßregel „durch wiederholte, aber mehr 
Turze und gelegentlihe Andeutungen, als durch lang ausgelponnene abs 
fichtliche Beſprechungen, in den Schülern Luſt und Zrieb zum Beſuche 
des Gottesdienfles rege zu machen”, und durch die für das Behalten 
erforderlichen praftifhen Erläuterungen und Anmweifungen. Die Forde⸗ 
rungen an das Behalten find zuerft möglichft gering, fleigern fi aber 
allgemach. „Jeder äußere Zwang, ja jeder Tadel der fih zum Kirchens 
beſuche nicht freiwillig Meldenden oder mit mangelhafter Aufzeichnung 
Erſcheinenden ift zu vermeiden. In Predigten, die wirklich weit über 
die Faffungsfraft der Schüler binausreihen, wird doch ein oder Der 
andere Gedanke den Kindern nahe zu bringen fein. Die leicht wahrs 
nehmbare fremde Hülfe beim Abfchreiben giebt Peinen Auſtoß; Helfen 
und Sichhelfenlaflen zeigt von gutem Willen und von Eingehen in Die 
Sache. Um Luft und Eifer zu erregen, fpare man das Lob für 
die eifrigen und aufmerfiamen Befucher der Kirde nit. Es trägt 
dieſes Berfahren außer dem Eifer der Schülerinnen aud die Frucht, 
daß die Aeltern, um nicht befhämt zu werden, mit den Kindern in 
die Kirche geben. 

99. In Nr. 13 deffelben Blattes führt Dr. Morig Schulze in 
Gotha das von Steinacker angefchlagene Thema weiter fort. Mit 
dem Berfahren Steinaders einverflanden, hebt er als befonders 
fruchtbares Mittel, die Schüler zur Auffaffung einer Predigt zu befäs 
bigen, einen far und überſichtlich geordneten , die Dispofition ſcharf 
:marfirenden Katechismusunterricht hervor. Um die Schüler auch auf 
ſolche Predigten zuzurüſten, in denen die Themata und Theile nicht 
beſonders angegeben werden, laͤßt Dr. Schulze auch nach Beendigung 
ſolcher Unterredungen, in denen er abfichtlich die Theile nicht angekün⸗ 
digt ımd herausgefehrt hat, Gang und Hauptgedanten wiederhoten. "Mei 
„ungeübteren Anfängern‘ begnügt ib Dr. Schulze hinfichts des Wie⸗ 
dergebens der Predigt mit einem vorgekommenen bekannten Spruche oder 
:Berfi. Bon Geübteren wird gefordert; daß ſie „Etwas von der Ausfühs 
rung der Theile angeben, wenigftens die Gedanken und Wahrheiten, die 
ihr Gemüth befonder& anſprechen, die auf fie befonders Eindrud ger 
macht und fie erbaut haben.“ Ernſtlich tabelt es Dr. es menn 


Religions = Unterricht. 83 


die Schüler fih damit beanägen, die Dispofition nachzuſchreiben und 
auf die Predigt dann nicht weiter zu achten. 

100. Steinaders Berfahren macht einen peinlich» polizeilichen 
Eindrud; manches Einzelne, 3. B. das Nichtiparen des Lobes, halten 
wir für geradezu gefährlich; Anderes, z. B. die fremde Hülfe bei dem 
Aufſchreiben, erregt uns Anſtoß. Es ift uns im Ganzen des Geſuch⸗ 
ten, des Gemachten zu viel in der Sache. Das Peinlich > Bolizeiliche 
finden wir aub bei Dr. Schulze, mit dem wir darin einverflanden 
And, daB Klarheit und Weberichtlichkeit des Katehismusunterrichtes (ſo⸗ 
wie des ganzen Meligionsunterrichtes) die bee Worbereitung auf das 
Ueberſchauen und Auffaffen der Predigt find. Bon dem Auffchreiben« 
faffen der Dispofition halten wir fehr wenig, am wenigfien in der 
eigentlichen Volksſchule. Wir haben an ihm lange genug die Erfah⸗ 
tungen gemacht, von denen Balmer in der Katechetik berichtet. Im 
Uebrigen halten wir Dr. Schulze's Weiſe, über Die gehörte Predigt 
mündliche Rechenſchaft zu fordern, für die angemeffene; auch ſcheint es 
uns mit Palmer angemefien, diefe und jene (von dem Leſer felbft 
gehörte) Predigt zu ſchriftlichen Ausarbeitungen benugen zu laffen. 

108. Kindergottesdpienfte und befondere Schulandach⸗ 
ten haben auch in dem abgelaufenen Jahre manche Empfehlung gefun- 
den. Wir bericfichtigen die erfieren, ala zun ächſſt nicht in das Gebiet 
des Lehrers einihlagend, hier nicht weiter. Die befonderen Schulan» 
dachten, alfo niht die täglihen Anfangs» und Schlußgebete, wers 
den unter Anderm in der Schrift: „Die Zukunft der Volksſchule ꝛec.“ 
(Eeipzig 1856. Berlag von Luppe. Ohne Namen des Berfaffers) ſehr 
bereot verteidigt. Was Dir. Haufhild in feinen Leipziger Blät⸗ 
ten »e. 1855. Seite 111 ff. mehr fporadifch ausgeſprochen hat, wird 
in dem erſten der drei in diefem Büchlein enthaltenen Geſpräche (,Die 
Gottesdienfte der Volksſchule“') weiter durchgeführt. Der verehrte Ver⸗ 
faffer bat fi wohl vergeblich zu verbergen geſucht. Wir empfehlen 
namentlich den erſten Abfehnitt der Schrift der Lehrermelt und machen 
ned ganz befonders anf diejenigen Stellen aufmerffam, in denen von 
dem Künflihen und zu meit Ausgedehnten der Schulgottesdienfte und 
fiturgifhen Andachten, die jetzt in den preußiſchen Volksſchulen fo in 
Aufnahme kommen, gewarnt wird. Dazu möchten wir noch rüdfichte 
der befondern Schulandachten überhaupt die Warnung vor allzu hoch 
gefvannten Erwartungen ausfprechen. Die Gewöhnung an das Baus 
Goties, an den Gottesdienft der Gemeinde, ift und wichtiger, ale alle 
KRindergottesdienfle und befondere Schulandachten, fo hoch mir diefe au 
anfchlagen. Immerhin mag die Kirche, mie jeht fo oft gefagt wird, 
die kindlichen Bedürfniffe nicht nach allen Seiten befriedigen: den tiefen 
Eindrud des Heiligen und der Gemeinſchaft, diefe bis ind fypä« 
tee Alter tief eingreifende Macht, giebt nur fie allein. 





6’ 


— — nn 





84 Religions = Unterricht. 


V. Literatur 


Für die Unterſtufe. 


1. Erfied NReligionsbuh für Kinder evangelifher Chriſten. Bon 
Karl Adolph Kolde. Dritte Auflage. Breslau, bei Trewendt und 
Garnier 1855. (VIII u. 112 ©. Geb. 5 Ger.) 

Ein waderes, namentlih in Schleflen viel gebraudtes, von uns 
bereits unter „II. Unterftufe‘ mehrfach empfohlenes Büchlein. Zu dem 
Inhalte der zweiten Auflage if der zufammenhängende Zert bes luthe⸗ 
rifhen Katechismus binzugetreten. 

2. Geſchichte des Reihes Gottes in vierzig bibliſchen Geſchichten mit 
angewandten biblifhen Sprüchen, Liederverfen und Gebeten. Yür die 
Elementarfchule mit befonderer Rüdfiht auf die Anforderungen der drei 
preußifchen Unterrichtd » Regulativen bearbeitet von D. Biſchoff, Rector 
in Prettin. Leipzig 1856. Verlag von Müller. 

Ein Regulativbuch, ‚aber kein fonderlihes! — Schon der Zitel 
fäßt im Unklaren. Wir haben eine biblifche Gefchichte für die Unter⸗ 
flufe vor uns. Wir halten dafür, daß ein Lehrer (— hier ein Rec⸗ 
tor! —), der den Kleinen alles Ernſtes eine Gefchichte des Reiches 
Gottes geben will, im Neligionsunterrichte der Unterflufe ein Fremdling 
if. Der Fremdlingſchaft müſſen wir den Berfafler noch um anderer 
Dinge willen beſchuldigen. Er hat, fih an die vierzig biblifche Ge⸗ 
fhichten fordernden „Erläuternden Beflimmungen der Königl. Regie⸗ 
rung zu Merfeburg‘ Haltend, vierzig Gefchichten zu feiner Geſchichte 
des Reiches Gottes ausgewählt und behauptet, daß nach Jahresfriſt ein 
wörtlihes Erzählen derfelben von Seiten der Kinder zu erreichen fei. 
Run verlangen die „„Erläuternden Beſtimmungen“, je nach den Berhälte 
niffen der ungetheilten oder getheilten Volksſchule, drei, reſp. zwei wöcente 
lihe Stunden für die biblifhe Geſchichte. Aber felbft bei 3 Stunden 
it das von dem Berfafler bezeichnete Ziel unerreihbar. Auch wird die 
Koͤnigl. Megierung zu Merfeburg ſchwerlich einen foldhen Ausleger ihrer 
Bierzigzahl als legitim anerkennen, der aus Moſe's Geburt, Flucht und 
Berufung, ebenfo aus Jeſu Zaufe und der Hochzeit zu Cana, des⸗ 
gleihen aus dem Hauptmann zu Gapernaum und dem Sünglinge zu 
Hain eine Geſchichte macht! Auf diefe Weiſe kann man freilich alles 
Mögliche, möglicherweife auch eine wirkliche Geſchichte des Reiches 
Gottes in die Unterlaffe hineinbringen, ohne die Bierzig zu über» 
fohreiten. Zu tadeln ift ferner die an Goſſel erinnernde Häufung der 
Sprühe Biel Wahl, viel Qual, und wer fi zutraut, einen Weg⸗ 
weifer für den Neligionsunterrichyt der Unterklafle zu fchreiben, muß fich 
auch zutrauen, ſelbſt den pafjenden Spruch zu finden. Mitunter if der 
Berfafler in der Wahl der Sprüche auffallend unglücklich, fo 3. B. bei 
Mr. 15 im Alten Zeftamente. Daffelbe begegnet ihm bei der Wahl der 
Liederverfe. Der Gefhichte: „Der Jüngling zu Nain“ und „Der 
Hauptmann zu Capernaum“ ift der Vers beigegeben: „Jeſus lebt! Run 
iR der Tod 2c. Eine Berbindung des Katechismus mit der biblifchen 
Geſchichte Tennt der Berfaffer nicht. — Die methodifhen Winfe des 


Religions » Unterricht. 85 


Berfaffers And mitunter ganz unpraktiſch. Der Lehrer fol die Gefchichte 
etwa zweimal mit denfelben Worten erzählen, dann abfragen, dann Gag 
für Sag vorfprehen und ebenfo nachſprechen laſſen. Eine ganze, wenn 
auch zweimal erzählte Gefchichte, noch dazu in ‚der uns vorliegenden 
Ausdehnung, läßt fi aber in der Unterflaffe nicht abfragen, es fei 
denn, daß nur die fähigern und geförderten Schüler in Anſpruch ges 
nommen werden. Das allein Durhführbare ift befanntlih, nad der 
erſten, auch wohl zweiten, ben Zotaleindrud bezwedenden Erzählung 
einzelne Abfchnitte wieder zu erzählen und dieſe abzufragen. ine ganz 
verkehrte Vorſchrift giebt folgender Sag: „Erſt wenn die Gefchichte 
feſtes Eigenthum der Kinder geworden if, mag eine Befprehung behufs 
des fihern Verſtändniſſes, fowie der Erwedung des fittlihen Gefühle 
folgen.’' Rad) den dem Berfafler zu Gebote Rehenden Vorarbeiten mußte 
er wiffen, an welche Stellen die beiden lebten von ihm ganz ungehörig 
in Eins zufammengeworfenen Thätigleiten gehören. Faſt unglaublich if 
der von dem Berfaffer dem Lehrer gegebene Rath, während des Erzähr 
lens rubig am Pulte fiken zu bleiben und das Buch vor fih zu neh» 


men. Leider gefchieht es noch allzu oft, daß Lehrer die Mühe ſcheuen, 


die fie den Kleinen zumutben. Der Berfaffer fchreibt ein Regulativbuch 
und hat das Regulativ nicht gelefen. 


3, Lehrbuch der biblifhen Geſchichte. Kür die verfäledenen Unter- 
richtöftufen der enangeli hen Volksfchulen bearbeitet von Moritz Für 
er, Stadiſchulrath In Berlin. Erſter Theil, enthaltend die bibfifchen Ge⸗ 
chichten für Die Unterklaſſen. Berlin 1854, Verlag von Mohr u. Comp. 
Abſchnitt A. enthält eine Sammlung von Sprüchen, Liedern und 
Gebeten. Die Lieder, nicht allein aus dem Berliner Gefangbuche ents 
nommen, haben von anderer Seite dem Berfaffer den Vorwurf des 
Rationalismus zugezogen und feheinen auch uns des chriftlichen Kernes 
vielfach zu ermangeln. Die Sammlung der Gebete enthält uns zu Dies 
ferlei; die Kleinen werden auf diefe Weile in Teinem Gebete recht heis 
miſch. Den Iutberifchen Morgens und Abendfegen, das Benedicite und 
Gratias vermiflen wir ungern. Abfchnitt B. enthält eine Auswahl von 
zwölf bibliſchen Gefchichten des neuen Teſtamentes. Der Berfaffer wünfcht, 
daß das in die Schule aufgenommene Kind bald von Dem höre, nad 
weichen es ein Ghriftenkind Heißt. Darauf folgt als eigentlicher Haupts 
betandtheil des Buches eine Auswahl biblifcher Gefchichten bes alten 
und neuen XTeflamentes. In diefem finden die im Prodromus ſchon 
Dagewefenen biblifchen Geſchichten des neuen Zeftamentes ihre Wieder 


holung und Erweiterung. — Bir halten den Abfchnitt B. im Prodros 


mus nicht für unbedingt nöthig, in manchen Fällen, — da 3. B., wo 
Das Schuljahr zu Oſtern anfängt — auch für unausführbar. (Daß 
ein ſtrenger Anſchluß an das Kirchenjahr möglich ift, ohne den Kleinen 
den Sefusnamen fern zu laffen, if in des Berichterflatters Büchlein ger 
zeigt). Die Wahl der Sprücde, desgleichen die Weife des Katechismus⸗ 
anfchluffes ſcheinen und manches Gezwungene und Bernliegende zu ent 
balten. Am wenigften befriedigen uns auch in der zweiten Sauptabtheis 
fung die Liedernerfe. Es iſt zu viel defien unter den Berfen, das zum 


86 Religions » Unterriht. 


Vergeſſen gelernt wird. Die von dem Berfaffer hoch angeiälagene Bor 
übung im Memoriren gilt uns als fehr untergeordnet. Die Diction 
der bibliſchen Geſchichte ſchließt fich, fo viel thunlich ik, an den Schrift⸗ 
test. Das Vorwort enthält mandyes beherzigenswertbe Wort, 


4 Das Bort Gottes in der Schule Ein Wegweiſer beim linter« 
richte in der Religion in Elementare, Bürgers und Mädchen» Schulen und 
{n den untern Slaffen höherer Schulen für die Hand der Kinder. 
Nach den Anforderungen der preußifchen Megufativen vom 1., 2. und 3. 
Detober zufammengeftellt von einem praktiſchen Schulmanne. Rordhauſen 
3856. Verlag von Büchting. 98 ©. Ladenpreis 6 Sgr. Schulpreis bei 
Einführung 3 Sgr. 
Der Berfafler hat ſich nicht genaunt. Er hat wohl daran getban. 
Kur weil das Machwerk ein an die Warnungstafet zu fchreibendes Res 
gulativbuch ift, widmen wir ihm einige Zeilen. Es dat 17 Abſchnitte: 
4. Die Gebote mit Eprüden, biblifhen Gefchichten und Liederverien. 
2. Das chriſtliche Glaubensbekenniniß. 93. Das Gebet des Herrn. 4. 
Die heilige Taufe. 5. Das heilige Abendmahl. 6. Bibliſche Geſchichte. 
7. Die Gleichniffe des alten Teſtamentes. 8. Die Gteichniffe des neuen 
Teſtamentes. 9. Die Bergpredigt des Herrn. 10. Das 13. Gapitel 
des erften Borintherbriefes. 11. Morgengebet. 12. Tijchgebet vor dem 
Eſſen. 13. Tijchgebet nah dem Eifen. 14. Ubendgebet. 15. Bußge⸗ 
bet. 16. Liturgie. 17. Der Segen. Abſchnitt 1. giebt die Haupt⸗ 
fäge der zehn Gebote und die Iutherifche Erklärung, zwifchen beiden 
. einen Spruch, hinter des Erklärung eine biblifhe Geſchichte. Die Aus⸗ 
wahl der Sprüde zeigt faR durchgehend von Ungeſchick; auch theilweije 
- die der Gefchichten. Abſchnitt 2. ift ähnlich behandelt, nur mit dem 
Unterfchiede, daß die bibliſchen Geſchichten mangeln und die Hauptfäße 
des Symbolums in einzelne Abſchnitte zerfällt find, deren jedem ein 
Sprud beigegeben if. Die Art der Zerlegung und die Auswahl der 
Eprüde zeigt, daß dem Berfaffer jedes tiefere Verſtaͤndniß des Katechis⸗ 
mus mangelt. Er tbeilt, um nur ein Beilpiel anzuführen, die Worte 
„an Gott, den Vater“ (Artikel 1) in zwei Säge. Der eine: „an 
Gott’ Hat die Stelle Matib. 49, 17 der andere: „den Bater‘ 
die Stelle Mattb. 6, 31 u. 32 zum beigefügten Spruche. Der dritte 
Abſchnitt giebt den Iutherifchen Zert des dritten Hauptflüdes; zwiſchen 
dem Hauptfage und den Erilärungen fleht ein Spruch, binter den Er⸗ 
klaͤrungen eine biblifche Befchichte. Als Beiſpiel die zweite Bitte. Spruch: 
Micha 6, 85 Geſchichte: Die Königin von Saba bei Salome. Im 
vierten Abjchnitte finden wir zuerft den Spruch Matth. 3, 11 und den 
Zert des lutheriſchen Katehismusftüdes von der Taufe, dann die Ges 
ſchichte von der Taufe des Herrn aus Matth. 3, zuletzt einen Lieder» 
vers. Der fünfte bietet den Spruch Joh. 6, 35, den Text des Kates 
hismusflüdes vom Abendmahl und die Einfegung des Paſſahs nad 
2 Moſ. 12. Der fehle Abfchnitt enthält „Kernſtellen der biblifchen 
Geſchichten des alten Teftaments mit Verschen (größtentheil® von 
Möller) und Liederverien; Kernſprüche der biblifchen Geſchichte des 
neuen Zeflaments mit Verschen (größtentheils yon Möller) und Lieder» 


Religions - Unterridt. | 87 


verſen. Beiſpiel: Ueberfährift: „Die Stiftshütte.“ Darunter! „Sechs 
Tage ſollt ihr arbeiten; den fiebenten aber ſollt ihr heilig halten, einen 
Sabbath der Ruhe des Herrn.” Dann ein Verochen und ein Vers 
ans einem Kirchenliede. Unter der Weberfhrift: „Gleichniſſe and dem 
alten Teſtamente“ bietet der fiebente Abichnitt die Stellen Richter 8, 
8—15: 2 Samuel. 2, 1—14;5 Sef. 5, 1. 2 7. Der adte Abi 
ſchnitt bringt auf 44 Seiten die Gteichniffe des neuen Teſtamentes. 
Die iturgie in Abfchnitt ſechszehn iſt nicht vollftändig — —. Unter 
den Liederverfen ift nur einzelnes Kirchlihe und Kernhafte neben viel 
Berwäflertem und Oberflächlikem, unter den Gebeten fehlt der Morgens 
umd MAbendiegen, das Benedirite und Gratins. Kein Vorwort, fein 
Nachwort giebt Aufihluß über den Gebraud des Buches; auch aus 
dem Allerweltstitel ift Nichte zu entnehmen. Auch wir fünnen dem 
Schriftchen feinen Pla ausfindig machen. Die größern Schriftſtellen 
lernen die Schüler aus der Bibel; eines Abdrudes bedarf ed nidt. Fin 
die Unterftufe it das Ganze nach feiner Anlage unbraudbar, für die 
Oberſtufe enthält e8 auch nah der Eeite des Gedächtnißſtoffes zu wenig 
‚Dazu der Unverfland in der Anordnung, die überall durchfließende Flach⸗ 
beit, die fchnöde Hintenanfegung des evangeliihen Kernliedes. Und ein 
jotches Machwerk will fi aichen durd die Regulative! 

5. Sülfsbüdhlein für den erften Religionsunterricht, zunädft 
für Die obere Elementarklaſſe der aflgemeinen Bürgerichule zu Leipzig bes 
ſtimmt. Dritte umgearbeitete Auflage von Arnold: Die Religion bed Kin⸗ 
des. Leipzig 1856. Verlag von Barth. 

Der urfprünglihe Zweck, Tagen die nicht genannten Herausgeber, 
unfern im zweiten Schuljahre. ftehenden Kleinen durdy ausgewählte Bibels 
Rellen, Liederverschen und Denkſprüche für den erften Religionsunters 
richt pafienden Stoff zum Auswendiglernen zu bieten, iſt unperrückt im 
Auge behalten. Die diesmal zuerft den Abihnitten „Bon Gott‘ und 
„Zeus Ehriftus, feinem Sohne“ beigegebenen biblifchen Geſchichten follen 
den Rindern theils das Büchlein um fo werther und den Inhalt ays 
ſchaulicher machen, theild auf den eigentlichen bibliſchen Geſchichtsunter⸗ 
richt der nächſten Slaffen vorbereiten.” Der bibliihen Gefchichten find 
aber in Summa zwei: Die Schöpfung und die Geburt des Heilandes. 
Allerdings Tagen die Herausgeber, daß es des Lehrers heilige Pflicht 
fei, aus den reihen Schätzen der heiligen Schrift an geeigneter Stelle 
mündlich mehr mitzutheilen. Aber warum geben diefes die Herausgeber 
nicht felbR? Daran wäre ein Berdienft zu erwerben gewefen, aber fein 
Berdienft if an Dem erworben, was fie geliefert haben. Wir charakte⸗ 
ritten das Buch binfänglih durch Angabe einzelner Ueberfchriften: 
„‚Borzüge des Menſchen.“ — „Gebrauche die empfangenen Gaben und 
Kräfte nad) Gottes Wohlgefallen.“ — „Sei fleißig und thätig.“ — 
„Sorge für Sefundgeit und Leben. — „Sei mäßig. — „Sei vorfid- 
tig.“ — „Sei reinlih und ordentlich.‘ — ÜEntfprechend find auch Die 
Verschen: ‚Auf Hitze trinke nie ꝛc.“ Dergleichen Reimereien werden als 
geiſtliche Koft geboten. Das ift wohl die Weife des Herrn Director 
Scharlach in Halle, nicht aber die poſitiv⸗chriſtlicher Schulmäͤnuer! 


88 Religions » Unterricht. 


6. J. Shnorrs-Bibelin Bildern. 13., 14., 15. 2 . Reipsis 

Dash Berlos von Wigand. » r Sleſerunt 

Rah der auf dem Umſchlage befindlichen Anzeige werden die 73 
Blätter, welche aus den bis jept erfchienenen 120 eine Reihenfolge bils 
den, nicht mehr unterbrochen werden, fo daß die fünf Bücher Mofis und 
das Buch Joſua abgefchloffen find. Unter den vorliegenden 24 Bildern 
find vier neuteftamentliche: Der Engel Gabriel verfündigt Zacharia die 
Geburt des Johannes; den Hirten wird die Geburt Chrifti verfündigt; 
Hirten die erfien Berlündiger des Evangeliums von Chriſto; die Anbes 
tung der Beifen aus dem Morgenlande. Auch aus den neuen Liefer 
rungen wird Manches von dem Schulgebrauche ausgeſchloſſen werden 
müflen. Der befchreibende, einem großen Theile der Nutznießer durch⸗ 
aus unentbehrliche Tert fehlt dieſes Mal; eine vollkändige, zufammenhäns 
gende Erflärung ift für den Schluß der Sammlung verheißen. Möchte 
fie nicht zu lange ausbleiben!. 


. Yür de Mittelftufe. 


7. Bibliſche Geſchichte —6 für mittlere Schulklaſſen mit 
einem Leitfaden zum Bibellefen und einigen Schulgebeten. Herausgegeben 
von 3. G. Freihofer, Dekan und Besirksfhulinipertor in Nagold. Tüs 
bingen, Verlag von Furs. 1856. 5/a Er. 


Die einzige, im Laufe des Jahres 1856 uns zu Gefichte gefoms 
mene, direct auf die Mittelftufe berechnete Arbeit. Leitender Grundfag 
it nach dem Vorwort: „den heiligen dreieinigen Gott auf den großen 
Sähritten feiner Offenbarung zu begleiten, und zu fehen, wie die Mens 
fen ihm gefolgt find, oder nicht.” Die Sprade if die der Bibel. 
Zum Behufe der Eoncentration find den Geſchichten Bibelſprüche und 
Liederverfe beigegeben, welche die Geſichtspunkte bezeichnen follen, aus 
denen die gefchichtlichen Abfchnitte aufzufaflen find. An den Hauptab⸗ 
fehnitten bat auch der lutheriſche Katechismus einige Handreichung ger 
than, und „er möge dazu helfen, daß Geſchichte und Lehre einander 
ihre Lichtſtrahlen zufenden und fih wechfelfeitig erbellen.“ — Das Bud 
iſt nad richtigen Grundfägen gearbeitet, doch if uns in Beziehung auf 
den Katehismus zu wenig getban. Des Geſchichtsſtoffes if ſehr viel 
gegeben, 48 umfangreiche Baragraphen aus dem alten Zeftamente, 54 
aus dem neuen. Wenn die würtembergifchen Mittelklaffen diefen Stoff 
bewältigen, fo ſtehen fle auf einer höbern Stufe, als die norddeutfchen. 
Der beigegebene Leitfaden zum Bibellefen if ebenfalls fo umfangreich, 
daß er für unfere Oberklaflen überreih if. Ein Berzeichniß der auf 
der Mittelftufe außer den einzelnen Berfen zu lernenden volländigen 
Lieder vermiffen wir; ebenfo fehlt außer den beigegehenen Sprüchen und 
Berfen jeder Bingerzeig über die weitere Verwerthung der Geſchichte. 
Die Schulgebete in Form des Wechfelgefpräches find uns nicht einfady 
genug. Daß der Berfaffer aus den für die Mittelllaffe beſtimmten Ges 
ſchichten eine Reihe als für die Unterflaffe geeignet bezeichnet hat, Fön 
nen wir ebenfalls nicht billigen. Die Unterklaffe verlangt in vielen ein» 
zelnen Geſchichten einen weniger ausgedehnten Stofl. Aud if das von 


Religions » Unterricht, sg 


dem Berfaffer für fie beſtimmte Material ſchon nad der Zahl der Ges 

ſchichten zu umfangreich. 

8, Lehrbuch der bibliſchen Geſchichte. Für die verfähiedenen Inter 
richtsſtufen der evangelifhen Volksſchulen bearbeitet von Morig Für⸗ 
bringer, Stadtiſchulrath in Berlin. Zweiter Theil; enthaltend die bibliſchen 
Geſchichten für die Mittelllaffe. Berlin 1854. Verlag von Mohr u. Comp. 

Bei dem großen Mangel an Hülfsmitteln für die Mitteltufe machen 
wir auf diefes ſchon 1854 erfchienene Buch noch befonders aufmerffam. 
Es iß in Uebereinfimmung mit den „Il. Mittelſtufe“ ausgelprochenen 
Grundfägen gearbeitet. Eine Abweihung findet nur darin flatt, daß 
der Berfaffer an die einzelnen Geſchichten ganze Lieder ſchließt. Die 
Auswahl -der Sprühe if nicht immer glüdlih; auch gegen die Wahl 
der Lieder ift im Einzelnen Manches einzuwenden. 

9% Remortirfoffe als Brundlage beim Unterriht in der chriſt⸗ 
lien Lehre. Kür die Mittelllafle der Vollsſchule von Chriſtoph 

elhun in Guntersblum. Zweite unveränderte Auflage. Darmitadt 

1856. Berlag von Kern. 12 Selten. 1 Sgr. 

A. Die zehn Gebote mit Dr. M. Luthers Erklärung. B. Bibele 
frühe. Erſte Abtheilung: Die chriftlihe Glaubenslehre. I. Gott. 
(21 Sprüde.) 11. Schöpfung und Vorſehung. (10 Sprüde.) 11. Die 
Sünde. (5 Sprüde) IV. Die Erlöfung. (10 Sprüde.) V. Sittliche 
Beſſerung. (6 Sprüche) VI. Das zukünftige Leben. (6 Sprüche.) 
Zweite Abtheilung: Die hrifliche Sittenlehre. I. Pflichten gegen Gott. 
(21 Sprüde.): 11. Pflichten gegen ung ſelbſt. (10 Sprüche.) III. Pflichten 
gegen den Nächſten. (20 Eprühe) IV. Belondere Nächſtenpflichten. 
(13 Sprüde.) C. Liederverfe. Einzelnes Kernhafte, viel Wafler. („Ich 
bin ein Menfh; deß frew ih mid, bin befler, als das hier 2c.‘‘) 
Bir wäßten mit dem Büchlein in der Mittelffaffe nichts anzufangen. 


Für die Oberfinfe. 
A. Bum Katechismus. 


10. Bibliſches Hands und Hülfsbuch zu Luther's kleinem Kates 
Kismus von Dr. Wangemann, Arhidiafonus und Seminarbirector zu , 
Gammin 1. B. Zweite Auflage. Berlin, New⸗York und Adelaide 1857. 
Berlag von Wohlgemuth in Berlin. XVIn. 598 Seiten. 1 Thlr. 20 Sgr. 

Die erfie 1855 erfhhienene, in unferm Jahresberichte nicht zur 

Anzeige gelommene Auflage führte in ihrem überlangen Titel auch die 

Borte: „fowie eine praftifhe Anweifung für den Lehrer, 

wie er Den Katehismugsunterriht im Sinne der drei preus 

Bifhen Regulative fegensreih für fih, und für feine 

Säule frudtbar betreiben Fönne. Das Buch kündigt fih alfo 

felbR als ein Megulativbuh an. Die zweite Auflage hat den Titel ab» 

gekürzt, ift aber im Uebrigen im Wefentlihen unverändert. Das neue 

Berwort verwahrt fi) gegen die mißverfländlihe Annahme, ‚als beab⸗ 

fihtige das Handbuch, ein Leitfaden zu fein, den ber Lehrer, fei es beim 

Uxterrigt von Geminariften,, fei es beim Schulunterricht, ohne Weiteres. 


9 Religions + Unterricht. 


zu Grunde legen Tönne.” Das Bud foll eine Anleitung für die „Stws 
dien“ des Lehrers fein. Der Berichterftatter bat das Mißverſtäͤndniß 
getbeilt und kann nach wiederholter Lefung des Vorwortes zur erſten 
Auflage daffelbe nur als ein durch den Verfaſſer veranlaßtes anfehen. 

Nach einer uns früher zugefommenen und mit Dank an einzelnen 
Stellen von uns benußten Vorarbeit des Berfaffers über die Saframente 
baben wir das Buch mit großen Ermartungen zur Hand genommen. 
Die bis ins Einzelne gebende Aufzählung der für daffelbe gemachten 
Studien, desgleihen die hoch einhergehenden Worte des Berfaflers bes 
züglich der für einen umfangreicheren Katechismusunterricht bereits vor⸗ 
hbandenen Bücher mußten diefe Erwartungen noch fleigern. Der Bers 
faffer bat nämlich unter den vorhandenen Büchern feine gefunden, das 
der von den Requlativen gezeichneten Aufgabe entipräbe „Man fieht 
ed den meifien jener Bearbeitungen an, daß ihre Berfafer ihr ganzes 
chriſtliches Lehr⸗ und Lebensſyſtem zuerſt unabhängig vom Katechismus 
ſich gebildet und daſſelbe hernach mit mehr oder weniger Mühe dem Ka⸗ 
techismus angepaßt haben, ſo daß der Katechismus mehr den Schema⸗ 
tismus, als das eigentliche Lebenscentrum zu der Behandlung des vor⸗ 
her fertig geweſenen Stoffes darbieten mußte. Aehnlich verfuhr man 
mit den bibliſchen Beweisſtellen, welche nur als vereinzelte, willkürlich 
herausgeriſſene Erläuterungen der vorher völlig fertigen Ausführung als 
dienende Magd beigegeben wurden, und mit den biblifchen Beifpielen 
und LXiederverfen, welche nur loſe eingefugt, leßtere, mer weiß moher, 
aufammengerafft wurden, fo daß der nothwendige Zuſammenbang von 
Katehismus, Bibel und Gefangbuh im Religionsunterricht nur in der 
Geſtalt emer bunten, unorganifirten Zufammenflellung auftrat.” Der 
Derfaffer erklärt ausdrüdlih, daß er damit nur von den befjern der 
vorhandenen Katechismusbearbeitungen rede. Als Die von ihm vers 
glichenen, und benußten Arbeiten, alfo al® die beffern unter den vors 
bandenen, nennt er fpäter die von Spener, Harniſch, Palmer, 
Kur, Brieger, Bahmann, Materne, Dümiden, Jasvis, 
die Petersburgs Dresdner chriſtliche Katechismusübung, 
Stier, Kniewel, Zeller, Theel, Heufer und Sander, Cas— 
pari ꝛc. Das vorher noch in's Unbeflimmte binein geworfene Urtheil 
wird dadurch zu einem auf einen beflimmten Kreis fi erſtreckendes. 
Nimmt man die beiden nicht genannten reinen Praktiker Riffen und 
Aretihmar noch zu den genannten Ramen hinzu, und mit der Nach⸗ 
barſchaft zwifchen den bauenden Königen und den fahrenden Kärnern 
es nicht zu genau, betrachtet man dabei den Berichterftatter felbft als 
nicht mitgenannt, fo umfaßt die von Dr. W. gemufterte Reihe fo. ziem- 
lih die gefammte Tatechetifche Rotabilität der Gegenwart. 8 ift er⸗ 
ſichtlich, Daß der Berfaffer felbft von feiner Schrift nicht geringe denkt. 
Er bat fih zugetraut, ein neue Bahn und Epoche machendes Wert 
zu liefern. | 

Unfere Erwartungen find nicht befriedigt. Allerdings können wir 
dem Berfaffer einen großen Fleiß, dan ganzen Bude andy einzeine 
wohlgelungene Partieen nicht abſprechen, aber wir beftreiten. entſchiedeu, 


Religions» Unterricht. 9 


deß Die AUrheit geeignet fei, den Lehrern zu „Studien“ ein freumblicher 
delfer zu fein. Im Gegenfage zu einer Recenfion von Dir. Jungs 
llaaß, weiche ihr „Klarheit und Beftimmtheit in Darftellung der Lehre 
und allgemein faßlihe Sprache“ nachrühmt, müffen wir zunächſt die 
breite und auseinandergehende, darum .aber au die Klarheit und Bes 
Rimmtbeit ſehr beeinträchtigende Darflellung entfchieden tadeln. Dazu 
bewegt fih dieſelbe nicht felten in wiflenfchaftlicher Terminologie, die ben 
meiſten Volksſchullehrern eine verfchloffene Thür ik. Wie fchon in dem 
Gebrauche einzelner Ausdrücke, fo zeigt fih noch mehr in der Behand⸗ 
lung der Materie felbfi, daß die fchmale Straße ziwifchen dem, mas 
mon dem Volkaſchullehrer bieten Darf und bieten muß, vielfach vers 
fehlt iſt. An einzelnen Stellen in die Tiefe bineingehend, in welche die 
verausgefegten Nupnießer kaum nachfleigen können, bleibt der Berfaffer 
ki andern auf der Oberflaͤche. Eo wird 3. B. fchwerlih ein Lehrer 
ſich darüber Mar, was unter der an zwei Stellen behandelten Eingebung 
der Schrift, deogleichen unter dem göttlichen Ebenbilde, ebenfo unter 
der Schriftlehre, daß der Tod der Sünde Eold if, zu verfleben fei. 
Auch unnüper Spekulation begegnen wir, außer andern Orten 3. B. 
in der Engellehre. Am meiften durfte von dem Berfafler erwartet werden, 
daß er im Gegenfage zu Dem, was er an feinen Vorgängern fo ent 
ſchieden tadelte, „Daß der Katechismus mehr den Schematismus, als das 
Zebenscentrum zu der Behandlung darbieten mußte,’ etwas Neues lies 
fern werde. Aber grade in dieſem Punkte ift der Verfafler hinter Mans» 
dem feiner Borgänger weit zurüdgeblichen. Da ift von einem geord⸗ 
neten Fortſchreiten im Zerte des Katechismus oft durchaus nicht Die 
Rede; der reiche Lehrkoff iR oft ganz unabhängig vom Katechismusterte 
in an fich felbfifändigen Gruppen abgehandelt, denen, fo gut es ans 
gebt, die einzeinen SKatechismusworte als Weberfchrift dienen müffen. 
Auch ganze Maflen von Sprüchen und Liederverfen find nur „dienende 
Magd.“ — Als eine befondere Schwäche fcheint uns der Mangel des 
apologetifhen Elementes. Es darf diefes Anferes Erachtend in 
einer für weitere Studien des Volksſchullehrers beſtimmten Schrift in 
einer Zeit, wie der unfrigen, durhaus nicht fehlen. Mancherlei andere 
Einzeinheiten (3. B. die Echriftausiegung), in denen Biele, die wie ber 
Berichterfatter mit dem Berfaffer auf einem Slaubensgrunde Reben, Ein» 
ſpruch erheben werden, mülfen wir übergehen. Rur über den dogmatifchen 
Realismus des Verfaſſers fei die Bemerkung geflattet, daß er und zu 
weißen jenfeils der Schrift und des Symbols zu liegen ſcheint. Wir 
finden unter Anderm den Liedervers von Rift angeführt: „Die Stolzen 
werden allzumal dort bei einander figen; die Säufer werden in ber 
Qual den- füßen Trank ausfhwigen; den Schindern wird die Gnade 
tbeuer; die Hurer wird das Höflenfeuer in Ewigkeit erhitzen.“ Der 
gleichen kiegt nahe an dem fegefeuerrealismus der katholiſchen Kirche, 
wie fih Diefer wamentlih in SKirchengemälden und Erbauungsbüdern 
darſtellt. Auch eines Firchlich-archäologifchen Punktes von allgemeinem 
Interefie fei noch gedacht. Der Berfafler leitet den Ramen „grüner 
Tonnerstag” ab uea Palm 33, 2: „Er weidet mid auf grüner. Aus,‘ 


92 Refigiond - Unterricht. 


und von den grünen Kräutern bes jüdifchen Ofterlammes. Daß biefe 
hergebrachte Ableitung falſch iR, gilt unter den Seortologen als aus⸗ 
gemachte Sade. Da die Stelle, in welder der Berichterflatter in feiner 
„Glaubens⸗ und Sittenlehre“ (2. Auflage) das Hichtige mit Angabe 
der Quelle gegeben hat, unglüdlicher Weife durch Druckfehler ganz vers 
flümmelt ift, die Quelle ſelbſt aber, die fhäßbare Schrift von Weis 
gand, den Volksſchullehrern wenig zugänglich if, geben wir hier noch⸗ 
mals das Richtige mit Auslaffung der gelehrten Gitate: „Im Mittels 
alter fam ber Rame „dies viridium“ (wörtlich: „Tag der Grünen‘) 
auf; viridis aber ift, gemahnend an „in viridi.ligno“ (an dem grünen 
Holze) Luc. 23, 21, in der mittelalterlihen Kirchen» und Kanzelſprache: 
„ein grünender, der da ôn sunde ist, grun;‘‘ alfo dies viridium — 
„Tag der von der Sünde Abgethanen,“ ganz entiprechend der für Grüns 
donnerstag üblichen mittelhochdeutfchen Benennung der antalz tac — 
Tag des Sündenerlaffes, d. i. Tag, an welchem die öffentlichen Büßer 
von ihren Vergehungen und Kirchenftrafen entlaffen oder losgeſprochen 
und wieder in die Gemeinfchaft der Chriften aufgenommen wurden, um 
zum heiligen Abendmahl zugelaffen zu werden. Diefe Handlung aber 
war eine Haupthandlung am Gründonnerstage, als dem Einfehunge- 
tage des heiligen Abendmahles. In der deutfchen Weberfeßung von 
„dies viridium“ nun: der grüne Donnerstag, welcher wir zuerfl 
bei Luther begegnen, fellte man den bauptwörtlihen Genitiv viridium 
attributin (beimörtlidh), wie in dem mittelhochdeutfchen Ramen der gröze 
dunrestag, und trug gleichfam die Benennung der als fündenlo® wieder 
aufgenommenen Büßer auf den Tag der Wiederaufnahme, welcher fünden- 
108 machte, über. (Weigand. 3. Band. ©. 1198.) 

Gar viel haben wir gegen denjenigen Theil des vorliegenden Buches 
auszufeßen, der ale „Praktiſche Winke“ für den unmittelbaren Schul⸗ 
gebrauch berechnet if. Eine folche Weitfchweifigkeit, ein fo weitgezogenes 
Serbolen, ein ſolches Sunderterlei und Taufenderlei ift nimmermehr die 
einfahe, fatehetifhe Behandlung, welche das Regulativ for⸗ 
dert. Das if Die alte, übelberüchtigte Katechifirkunft, freilich im Dienfte 
des Evangeliums. Aber das Evangelium bedarf ihrer nicht. Bon 
Neuem if dem Berichterftatter an diefen „Praktiſchen Winken“ recht deut» 
lich geworden, wie wenig dem Lehrer überhaupt mit folchen, wenn audy 
noch fo fehr ins Specielle gehenden „Winken“ geholfen il. Eine 
einfache Zuſammenſtellung des Stoffes, wie fie Bo cd im fchlefifhen Schul⸗ 
blatte giebt, oder ein in Frage und Antwort gefaßter, tüchtiger Kate⸗ 
chismus leiflen ganz andere Dienfte. 

Endlich müſſen wir mit dem Verfaſſer noch rechten wegen feiner 
ftellenweife überderben — um gelinde zu reden — Ausdrudsweife. 
Auch in der zweiten Auflage (Seite 192) läßt der Berfafler den Lehrer 
alfo zu den Schülern reden: „Wie oft erlebt man’s, daß wörtlich eins 
trifft, was der Lehrer diefen unnüpen Rangen vorher gefagt hat.‘ 
Mehr Anführungen aus diefem Gebiete, die uns zur Hand find, unter- 
laffen wir. Wir follten doch ja die neumodifche Kanzelpopularität, wie 
fie bin und ber jept bis ins Barode und Unedle hinein gangbar wird, 


Religions » Unterricht. 93 


sit nachahmen, am wenigften in einem Buche, das für „Gtubien’ des 

Lehrers beſtimmt if. Und je gottgefegneter die ganze Perſoönlichkeit 

eines Seminardirectors in feinem Kreife dafteht, je mehr ganze Lehrers 

generationen einen beflimmten Typus von ihr empfangen, — wir denken 
und den uns perfönlih und nach feiner Lehrerwirkfamfeit unbelannten 

Dr. Bangemann nah dem Eindrude, den fein fchriftflellerifches Wirken 

macht, als eine folche, — deſto gefährlicher ift die maßlofe Bopularität. 

Bir find dem Verfaffer, der uns Hoffentlich bei allen Differenzen 
als einen von Denen anerkennen wird, die in Kirche und Schule mit 
ifm nach einem Ziele zuftreben, ſchuldig geweſen, uns offen und ohne, 
Unſchweif fiber feine Schrift auszulaffen. Wir wünſchen, daß die reiche 
ſchriftſtelleriſche Thaͤtigkeit, die ex feit einigen Jahren entfaltet, und fein 
Doppelamt in Kirche und Schule ihm Muße laffen, grade feinem „Hand⸗ 
und Hülfsbuche” immer von Neuem feine Thätigfeit zugumwenden. Wir 
find der feften Ueberzeugung, daß eine eingehende Umarbeitung feines 
Buches den gewiß ſchon jetzt auf demfelben ruhenden Segen noch reich⸗ 
lich mehren wird. 

11. Evangelifhe Katechismuslehre. Kin Leitfaden beim Schul⸗ und 
Gonfirmandenunterrihte zur Erklaͤrung des Rutherifchen Meinen Katechis⸗ 
mus nad dem in der Provinz Sadfın eingeführten Barlebener (! 
Spruchbũchlein für Geiſtliche und Lehrer. Beurbeitet von —X 
Moritz Rode, Paſtor. Leipzig, Verlag von €. H. Reclam sen. 1856, 
VIII und 247 Seitm. 24 Ser. 

Ein Bu mit dem doppelten Zwede, Entwürfe des Lehrfloffes und 
Anleitung zu gründlichern Studien des Lehrers zu geben. Den erflen 
Zweck Hat der Berfafler fo gut erreicht, als es das in der Provinz 
Sachſen weit verbreitete, dabei aber für den Schulgebrauh in mancher 


Beziehung untaugliche Barleber Spruchbuch geflattet. Eine Menge Aus- 


Reflungen, die wir an dem Buche machen mäßten, werben durch den 
Semmichub , der in diefem Spruchbuche ihm angelegt ift, zurüdgehalten. 
Nach der zweiten Seite hin, als Anleitung zu weiter gehenden Studien 
bes Lehrers, Hat die Schrift wenig Bedeutung. An „Entwürfen 
bes Lehrſtoffes“ laſſen fih eben keine befonders weitgehenden Stu⸗ 


dien machen. Das fich trogdem einzelne trefflihe Expofitionen finden, . 


erfennen wir gern an. Manche einzelne Unrichtigkeit iſt uns aufgefallen. 
„Bie‘ in dem Satze: „wie wir vergeben unfern Schuldigen” er 
Märt der Berfafler: „Mash, nah welchem, Bedingung, unter 
weicher dieſe Bitte gewährt, erfüllt wird. Maaß und Bedingung ifl 
zit daſſelbe, und am allerwenigften kann hier von einem Maaße die 
Rede fein. Es fände ſchlimm mit uns, wenn Gott fein Vergeben nad 
dem unfrigen meffen wollte. Offenbares Unrecht thut der Berfaffer in 
der Abendmahlsichre der reformirten Kirche. Was er von der refors 
mirten Kirche fagt, trifft die orthodoxe reformirte Kirche nicht. Bet ber 
Nathloſigkeit, in weiche viele Lehrer durch das Barleber Spruchbuch ver 
fept And, wird das Buch bei aller feiner Dürftigkeit fein Publicum 
finden und für Diejenigen, welche anderweitige ernſte Arbeit nicht fcheuen, 
auch gute Dienſte für die Anordnung bed Materials leiſten. Schließ⸗ 


= 


94 Religions » Unterriät. 


lich noch eine Frage an den Berfaffer: Hielt er es nicht für feine 
Pflicht, diejenigen Katechismusausleger zu nennen, deren Arbeiten er 
benugt hat? 


12. Leitfaden für die Hand des Lehrers beim Gebrauche des 
Lutherifchen Katechtsmus, insbeſondere des Barlebener (!) Spruch⸗ 
buches von Ludwig Kalklöſch. Langenſalza, Schulbuchhandlung des 
Thüringer Lehrervereins. 1856. 15 Ser. 

Wieder ein Verſuch, die Säge des Barleber Spruchbuches fläfftg zu 
machen, ein folcher, der dem Rocke'ſchen noch weit nachſteht. Wer 
es unternimmt, mit feinem eigenen Leitfaden neben einem übelberathens 
den Leiter einherzugeben, müßte wenigflens, foll er anders zum Leiters 
geihäft berechtigt fein, auf dem Terrain gehörig orientirt fein, um die 
Ums und Abwege feines Nebenmannes geeigneten Ortes grade legen zu 
fönnen. Diefe Orientirung fehlt unferm Verfaſſer. Daher die überall 
durchblidende Unklarheit und Unficherheit. Beifpiel: Wir lefen: Dae 
Spruchbuch behandelt in der Einleitung das Wefen der Dffenbarung, 
im Ullgemeinen durch Natur, Gewiſſen und Gefchichte der einzelnen 
Menfhen (und ganzer Völker), und im Befondern durh Propheten 
und Chriftus, deren Wort und Lehre wir finden in der heiligen Schrift, 
die man theilt in das alte und neue Teftament oder in das Geſetz und 
Evangelium.’ So fept der Verfaffer „altes Teftament‘ und „Geſetz“ 
ohne Weiteres als gleichbedeutend. Unmittelbar darauf beißt es: „Das 
erfte Hauptſtück bandelt vom Geſetze.“ Zeile 1 derfelben Seite aber 
ſteht: „Das erſte Hauptſtück zerfällt in die zehn Gebote und den Schluß 
derfelben.” Altes Teſtament, Gefeß, Bebngebote find alfo daſſelbe. Die 
Berwirrung ift denn doch zu groß. Nah diefem wirren Gingange 
fpricht der DVerfafler, ohne irgendiwie den Zufammenbang der neuen Ges 
dankenreihe mit dem Vorhergehenden zu vermitteln, und zwar in einem 
fa wörtlih aus der „Glaubens⸗ und Sittenlehre“ des Berichterflattere 
(Seite 6 u. 7) entiehnten Sage von der Notbwendigfeit der göttlien 
Dffenbarung, dann an die Sprüde des Spruchbuches berantreiend, 
wieder von der Offenbarung im Allgemeinen und im Befondern. 
Da wird denn das in der beobachteten Reihenfolge die dritte Stelle 
einnehmende Medium der Offenbarung im Allgemeinen, die Geſchichte 
einzelner Menfchen und ganzer Völker an der Hand der Stelle 
Apoſtelgeſchichte 14, 17 fehr einfeitig als die Segnung mit äußerlihen 
Gütern dargefellt, während es ein Leichtes war, durch wenige &äße 
den Mangel des Spruchbuches zu ergänzen. Es ift überhaupt ein küm⸗ 
merliher Begriff von Offenbarung, den der Berfafler zu Tage fördert. 
Mit der Stelle Micha 6, 8 hat der Verfaſſer nichts Rechtes anzufangen 
gemußt. — — Außer der Unflarheit und dem Mangel eigener, gründ⸗ 
licher Kenntniß charakterifirt den Berfaſſer die den Katehismusauslegungen 
einer gewiflen Periode anhaftende Gigenthümtichkeit, die Auslegung des 
erften Hauptflüdes und des erſten Artikels recht gemählih in die Länge 
und Breite auszudehnen, bei den folgenden Stüden fie aber immermehr 
zufanmenfchrumpfen zu laſſen. — — Bir hätten noch viele erhebliche 
Ausftellungen zu machen, 3. B. über die Zuthaten au Sprüchwoͤrtern, 


Religions - Unterriht. 95 


Beröchen, die Verweifung auf Kinderfreundgeichichten, vornämlich über 
die Schriftauslegung; es mangelt uns der Raum. Der in dem Vor⸗ 
wort ausgefprochene Satz, daß das Katechismuswort mehr als hisher 
zum Leitfaden des Meligiondunterrichtes zu machen fei, ift der rich 
tige. Zur Ausführung beffelben in einem wegmweilenden Bude iſt der 
Berfaffer wohl nicht der Mann. Das Buch if durchaus nicht zu 
empfeblen. 


13. Edulfatehiämus, das iſt der Meine Katechismus Lutheri in Frage 
und Antwort erflärt und mit Bibelfprüdhen und Liederverfen verfehen von 
F. W. Huli, Pafor. Glogau 1856. Verlag von E. Zimmermann 
VI und 188 Seiten. 6 Sgr. x 
Der Bwed des Buches iſt nad dem Vorworte: „den gefammten 
religiöfen Stoff, welcher unfern Kindern bis zu ihrer Confirmatian zu 
eigen zu machen if, zu einem Ganzen zu vereinigen.” Darnach fol 
dad Buch fein: 1) ein Spruhbud (auf eine vierflaffige (?) Schule 
berechnet) ; 2) ein Geſangbuch (50 Lieder); 3) ein Gebetbuch — 
„die meiften der den einzelnen Abfchnitten beigegebenen Verſe haben bie 
gorm des Gebets;“ die Iutherifche Hausordnung und die Riturgie find 
ebenfalls beigegeben; 4) ein Zingerzeig für die biblifhe Ges 
Ihihte und das Bibellefen. ‚Natürlich kann die bibliſche Gefchichte 
niht nach dem Gange der Anführungen im Katechismus, fondern fie 
aus ſelbſtſtändig, chronologifh gelehrt werden; allein fobald die Haupte 
jahen derfelben den Kindern bekannt find, muß fie unabläffig an der 
Heilslehre des Katehismus wiederholt werden.‘ 5) Ein Leitfaden 
des Eonfirmandenunterrihtes, „Dem die zufammenhängende 
Eutwidelung der Heilslehre obliegt.‘ — „Groß ift jedenfalls der Rupen, 
wenn auch die Auslegung des Katechismus ſchon den Schulfindern in 
Händen ift, und ihnen durch Lefen und gelegentliche Betrachtung befannt - 
wird. Es findet fo eine fletige und wahrhafte Vorbereitung auf ben 
&onfirmandenunterricht ſtatt.“ Darnac gehört alfo des Berfafler zu 
denen, welche die Katechismusauslegung ganz in den Confirmandenunters 
richt gelegt wiffen wollen. Seine Fingerzeige über biblifche Gefchichte 
und Bibelleſen (vergl. die oben angeführte Stelle) beziehen fich alſo 
auch nur auf den Eonfirmandenunterriht. Gewiß koͤnnte es nur heile 
iam fein, wenn biefer weiter, als jetzt meiftens geichiebt, ausgedehnt 
würde. Der Verfaſſer gehört aber auch zu denen, die auf dem Gebiete 
der Schule nicht heimiſch ſind. Was verfieht er unter dem Lefen und 
der gelegentlichen Betrachtung des Leitfadens des Confirmanden⸗ 
unterrichte® feitens der Schulkinder? Das foll eine „flete und wahr» 
bafte Borbereitung”’ auf den Gonfirmandenunterriht fein? Oder hätten 
wir ihn mißverflauden und wäre Diefes „Leſen und dieſe gelegentliche 
Betrachtung“ etwa gar. die in den Kreis der Schule fallende Katechis⸗ 
musauslegung? Eins fo ſchlimm, als das Andere. — Die Katechismus⸗ 
ausiegung fetbft iſt meiftens verfehlt. Die Kragen und Antworten laufen 
oft in willkürlichen Peripherieen, faum bier und da den Satechismuss 
tert berührend, umber; für eine einfache Wort« und Sacherklaͤrung if 
an vielen Stellen wenig gethan; dazu viel todtes Vegriffsweſen: Viele 


96 Religions - Unterriäht. 


einzelne Berfe find nicht aus den 80 Liedern. — Wir legen ganz ent 

ſchiedene Verwahrung gegen einen ſolchen Schulkatechismus ein. 

14. Dr. Martin Lutber”s kleiner Katehismus. An Fragen und Ant⸗ 
worten erflärt für Jung und Alt von 8. H. Eadyart, evangelifchsTuthes 
riſchem Bfarrer in Münden. Erlangen bei Bläfing 1856. Thlr. 

Wir machen vorläufig auf die lange erwartete, bis jebt nichtamt⸗ 
liche Vorlage des neuen bayeriſchen Landeskatehismus aufmerffam und 
behalten uns ein genaueres Eingehen auf denfelben bis zum Erſcheinen 
der zu ihm gehörigen „Sammlung von Denffprüden und Liederverfen 
zum erflen Unterriht für Kinder nach dem Vorgange des Geilerifchen 

Katehismus‘ vor. - 


15. Einfahe Erflärung des kleinen Katehismus Dr. Rartin 
Zuther’s, in Fragen und Antworten verfaßt und mit Zeugnifien der 
heiligen Schrift derfehen. Zum Gebrauch beim Schuls und Konfirmanden- 
unterriht. Bon Hermann Geebold, Superintendenten und Primarlats 
pfarrer zu Diepholz. Zweite verbeflerte Auflage. Göttingen. Verlag von 
Vandenhoek u. Ruprecht. 1856. VIII u. 148 S. 5 Ger. 

Einer der tüchtigſten Katechismen der lebten Jahre Möchte es 
nur dem Berfaffer gefallen, bei einer neuen Auflage noch mehr von 
dem Iutherifchen Texte auszugehen, und aud das Kirchenlied und chriſt⸗ 
liche Gefchichten zu verwertben. Ausdrüdlich fei bemerft, daß der Ge⸗ 
brauch des Buches firebfame Lehrer und eine gehobene Schule vorausiept. 


16. Luthers Katehismus für Schule und Kirche, ausgelegt von 
R. Neflelmann, Prediger wu St. Marten in Elbing. Elbing bei Neu⸗ 
mann «Hartmann 1856. 95 ©. 4 Ger. 

Das Büclein eines Mannes, den Taufende fegnen , die vergeblich 
nach feinem Ramen geforſcht haben, nämlich des Berfaflers des von dem 
chriſtlichen Bereine im nördlichen Deutfchland herausgegebenen Buches: 
„Der evangelifhe Glaube, dargeftellt und vertheidigt in 
Briefen. Die vorliegende Schrift if nicht in Fragen und Antworten 
abgefaßt, fondern eine fehlichte, am Zertesworte hinlaufende Auslegung. 
Sie ift nah dem Borworte „durch die wiederholten Bitten vieler Lehrer” 
veranlaßt. Möchten nun auch recht viele Lehrer nad ihr greifen. Auf 
wenigen Bogen liefert uns der Verfaſſer einen reihen Schatz. — Bei 
einer zweiten Auflage wünfchen wir auch der Verwerthung des Kirchen. 
liedes und der dem Berfafler befanntermaßen fo reichlih zu Gebote 
ſtehenden „chriſtlichen Geſchichten“ zu begegnen. Ob die Ueberfhrift 
Seite 58 „Vom Geber des Heils“ dogmatifch richtig fei, wolle der 
Berfafler nochmals prüfen. 

17. KRatehismus der Krifffihen Lehre im Sinne der evanges 
ftfhen Union, entworfen von einem Geiſtlichen des Herzogtbums Une 
halt⸗ Bernburg. Bernburg. In Eommiffion bei Gchmelger 1856. VIII 
u. 96 ©. 6 Ser. 

Der Berfäfler hat fich nicht entfchließen können, -zu einem der alten 

Confeſſionskatechismen zurüdzutehren, weil der ausfchließlihe Gebrauch 

bes einen oder des andern ein Sinderniß der voländigen Union if. 

„Aber er bat die fünf Hauptflüde wieder mehr, als in einer nicht lange 


Religions Unterricht, 97 


vergangenen Zeit üblich war, zu Grunde gelegt und an wichtigen Rubes 
punkten und in den Anmerkungen die Sauptftellen ber confeffionellen 
Katechismen beigebracht, und hofft ſo — — von der Spur des öffent- 
lien und allgemeinen Katechismus der unirten evangeliſchen Kirche, den 
wir noch nicht haben, ſich nicht zu weit entfernt zu haben.’ Voran⸗ 
geſtellt ſind die fünf Hauptftüde nad ihrem Zufammenhange im Heidel⸗ 
berger Katechismus. Auch fonft find die Eintheilungen des Heidelberger 
Katehismus, „der vor der Union in Anhalt länger als 200 Jahre 
das gebrauchte Lehrbuch gewefen iſt,“ beibehalten. Damit ift der Chas 
rafter des Buches, ein reformirter Grundtypus bei forgfältigem Vor⸗ 
übergehen an dem ſpecifiſch Eonfeffionellen, wohl ſchon angedeutet. 


18. Dr. Mart in Luther's kleiner Katechtsmus, durch Frage und Ant⸗ 
wort erläutert und mit angeführten Spruüchen heiliger Schrift bekräftigt. 
Nah dem Dresdner (Kreuzs) Katechismus bearbeitet von einigen lutherifchen 
Paftoren der Preuß. Landeskirche. Fünfte Auflage Wittenberg 1856. 
Berlag von Mohr. 138 S. Sede Geb. 33/4 Ser. 

Seit 1854 die fünfte Auflage. Wir flimmen dem Borberichte, 
der das Büchlein als lauteres Bekenntniß der reinen Tutherifchen Lehre 
bezeichnet, gerne bei; mit den Forderungen der Gegenwart an einen 
Schulkatechismus find die Berfaffer nicht befannt. Die zahlreichen Lehrer, 
welche nach dieſem Büchlein unterrichten, werden in feiner flarren Form 
Hinderniffe genug finden, das Gegebene in Fluß zu bringen. Das 
Ganze ſcheint auf bloßes Ausmwendiglernen angelegt zu fein. 

19. Der Meine Katehismus Lutber’s, erläutert durch Bibelſprüche, 
fhriftmäßige Ehrifteniehre, Erzählungen aus dem Neiche Gottes und geiſt⸗ 
liche Lieder. Gin Lern» und Erbauungsbuch für Schule und Haus von 
D. 8. F. Kühler, Schullehrer. Zweite Auflage. Hamburg. Agentur 
des Rauben Haufes 1857. 

Keine Katehismusauslegung in der gewöhnlichen Weile, fondern 
ein Sammelwerf, das, mie der Titel angiebt, gar Vielerlei beibringt. 
Bon einem verfländigen Lehrer kann das Buch zur Katehismusauslegung 
gar wohl benugt werden. Manche Perle ift darin. Daß es fih aud 
zum Schullefebuch eigne, wie der DVerfafler meint, bezweifeln wir. 


20, Der kleine Katechiomus Dr. Martin Luther's. Als Handbüch⸗ 
fein zur chriftlihen Haus» und Schulandadt und zum Confirmanden⸗ 
unterricht nad der heiligen Schrift bearbeitet nebſt Zeittafeln, Untericheis 
Dungslehren, Gebeten und Liedern. Der evangclifchen Gemeinde, Schule 
und Familie in Liebe dargeboten von der Kreisſynode Halle in Weſtphalen. 
Zweite Auflage. Bielefeld 1855. Berlag von Delbagen und Klafing. 
Ginzelpreis 6 Ser. . 

Als Probe aus diefem wunderlichen, den Katehismus in fortlaus 
tenden Sägen behandelnden, unter den Striche mit Fragen begleitenden 
Buche diene folgende Stelle: 

„37a. Das adhte Gebot lautet alfo: Du folk kein x. 

57 b. Das if: Wir follen a) Gott fürdten und lieben, — daß 
wir b) unfern Naͤchſten nicht fälfchlih belügen, verratben, afterreden 
oder bölen Leumund machen, — fondern cv) follen ihn entfchuldigen, 
Gutes von ihm reden und Ale zum Beften fehren. 

Rage, Jahresbericht. X. 7 


“ 





98 Religions = Unterricht. 


58. Das achte Gebot handelt von der Gefinnung der Falſchheit 
und der Pflicht der Wahrhaftigkeit. 

59. Bir begeben die Sünde gegen das achte Gebot, wenn wir 
vor Gericht oder im gemeinen Leben wiflentlich etwas Falſches gegen den 
guten Ruf unferes Nächſten ausfagen und durch Lüge feine Ehre und 
die Liebe gegen ihn vertilgen.” — Run folgen die drei Sprüde Ephef. A, 
25. 29; Joh. 5, 20; Joh. 8, 44 ausgedrudt und in Klammern vier 
bibliſche Beifpiele, und damit ift das achte Gebot abfolvirt. 


Unter den Striche ift zu Iefen: „57a. Wie lautet das achte Ges 
bot? 57b. Was ift das? 58. Wovon handelt das achte Gebot ? 
59. Bann begehen wir die Sünde gegen das achte Gebot? - [Führe 
bibl. Beifpiele an zum 8. Gebot! ]'" Die Synodalen zu Halle in Wefts 
phalen erinnern an Bater Hübner und das Jahr 1714. 


21. Dr. Luther's Meiner Katechtsmus, herausgegeben von Dr. K. 
A. Weidemann, Herzogl. S.:Meining. Schulrathe. Dritte Auflage. 
Saalfeld 1856. Verlag von Nieſe. VIu. 2126. 6 Egr. 

In fortlaufenden Sägen, nicht in Zrage und Antwort, zugleich 
für den Lehrer und den Schüler. Für den lepteren „als Sprud und 
Gedenkbuch.“ In Beziehung auf den Lehrer fagt der Berfafler im Bors 
worte: „Ihren Inhalt (— nämlih der Erläuterungen —) muß fid 
der Lehrer zunächft felbft zum klaren Verftändniß bringen und zu feinem 
freien Eigenthum machen; dann fol er darüber zu den Schülern ſprechen 
und fie auf den Sinn der Baragraphen in einfacher, aber lebendiger Rede 
binweifen, bis auch dieſe ihn erfaßt haben. Wir bulten dafür, Daß 
ein Buch mit foldem doppelten Zwede immer etwas Mißliches babe. 
Uns ſcheint für die Schüler ein befonderer Katechismus in Fragen und 
Antworten unentbehrlih. Durd eine Einrichtung, wie die des vorlie⸗ 
genden Buches, das manche trefflihe Partieen hat, wird das Katechis⸗ 
muswort zu fehr bedeckt und überfchüttet, auch das Bedürfnig der Schüler 
zu wenig berüdfichtigt. Unter den Anhängen findet fih auch ein Ver⸗ 
zeihniß der zu lernenden Pfalmen (15) und der Kirchenlieder (40). 


22. Dr. Martin Rutber’s Fleiner Katechismus mit angedeuteten bib⸗ 
liſchen Stellen, bibliſchen Beifpielen und geiſtlichen Liedern für Kinder 
in Stadt» und Landfehulen. Don Karl Purgold, evangelifhen Paftor 
in Ziegenort bei Stettin. Siebente Auflage. Greitswalde 1856 bei Rod. 
4168. 3 Exr. 

Für die Schüler Tert des Statechismus, hinter jedem Katechis⸗ 
muoftüde eine reiche Anzahl biblifcher Stellen, biblifher Beifpiele und 
Angabe von Liedern. in Anhang giebt Folge und Inhalt der bib⸗ 
liſchen Bücher, ein zweiter giebt die Abſchnitte der heiligen Schrift ale 
Leitfaden für den Unterricht in der biblifchen Geſchichte, ein dritter Ge- 
bete und Lieder für Kinder und die chriftlihe Haustafel. In der Hand 
der Schüler mag das Buch gute Dienfte feiften; einer genauern Beur- 
theilung entzieht es fih uns, da ung die umfangreichere Katechismus⸗ 


erftärung deſſelben Berfaffers, aus welcher es nur verſtaͤndlich ift, nicht 
vorliegt. 


/ 


Religions = Unterricht. 99 


B. —— zur Behandlung des kleinen Lutheriſchen Ka⸗ 
techizmus in der Volksſchule innerhalb 75 Lehrſtunden, mit Räckficht auf 
die drei preußifchen Regulative herausgegeben von E. 4. ©. Soffınann, 
zweite Diaconus und Garnifonsprediger zu Wittenberg. Wittenberg bei 
Zimmermann 1855. 5 Ser. 

Seder der 75 Abfchnitte enthält 5 Stüde. 1) Stoff; 2) Behand» 
lung; 3) Sprüche; 4) Angabe des Liedes; 5) Angabe der Bibellection. 
Es if viel Arbeit in dem Buche, aber viel Einzelnes, namentlih in 
2, audy in der Liedernertbeilung bekundet den Verfaſſer eben nicht als 
glüdiihen Braktifer. Wir können dem Buche keinen großen Wert 
zuſchreiben. 

24. Elementariſche Katechetik, mit Anwendung auf den klei⸗ 
nen Zutber’fhen Katechismus, von Dr. W. J. G. Curtman, 
Director des evangeliſchen Schullehrer⸗Seminars in Friedberg. Darmſtadt. 
Verlag von Diehl. 1856. IV u. 144 S. 8 Ser. 

Im Borworte heißt es: „Was die Zöglinge des hiefigen Seminars 
nachzuſchreiben pflegten, was ich denfelben als Präparation zu ihren fas 
tehetifchen Berfuchen lieferte, das iſt mit geringer Weberarbeitung in 
den Drud gegeben.” — „Wohl auch mander junge Lehrer dürfte fi 
nicht zu fchämen haben, wenn er das Büchlein feinen Katechifationen zu 
Grunde legte. Zuerſt giebt der Verfaffer unter der Ueberſchrift „„Eles 
mentarifche Katechetik“ eine Reihe theoretifher Anmweifungen, wie wir 
fie vor Jahren auch in den preußifchen Seminaren zu geben gewohnt 
waren. Dann folgen analytifche Katechifationen über den ganzen Luthe⸗ 
riſchen Katechismus. Diefe fheinen uns noch zu viel mit der alten fas 
tehetifchen Kunft gemein zu haben. Es if uns noch zu viel Umfchweif, 
zu viel Zragewefen, zu wenig grader, furzer Weg. Daß wenig Sprüde 
und Liederverje benupt find, erflärt der Verfafler daraus, dag in dem - 
Alter, für welches die Katechifationen gefchrieben find, auf ein beſtimmtes 
Maaß von memorirten Sprüchen und Liedern noch nicht zu rechnen iſt. 
Es jollen nämlich die Katechifationen unter drei Kurſen des Fatechetifchen 
Religionsunterrichtes den erflen bilden. Für den zweiten Kurfus fchlägt 
der Berfaffer Kretfhmars furz gefaßtes Handbuh (Zwickau 1854), 
für den dritten Niſſen vor. Sn manden, in der geit befchränften 
Schulen foll nah dem Urtbeile des Berfaffers das vorliegende Büch⸗ 
lein die Behandlung des Lutherifchen Katechismus ganz vertreten. — 
Unfere unter „I. u. 11.‘ dargelegten methodifchen Grundfäße find wes 
fenttih andere als die des berühmten und hochverdienten Verfaflers; wir 
fönnen uns eine von Lied und biblifcher Geſchichte Losgelöfte Katechis⸗ 
musauslegung nicht denken, auf welcher Stufe fie auch auftreten mag. 
25. Der kleine Katehiamus Luther's, ans fich felbft erklärt, wie aus 

der heiligen Schrift , namentlich ihren Geſchichten erläutert; von M. Albert 

Sigismund Jaspis, Königl. Generalfuperintendent der Provinz Poms 

mern. Ausgabe B. Abgekürzte und mit andern DBellagen verfebene 

Ausgabe der von dem Verfaſſer in eben demſelben Berlage erfchienenen 

Katechismuobearbeitung. Dritte Auflage. Elberfeld 1856. Berkag von 

Saflel. Geb. 5'/a Sgr. 

26. Der Meine Katechismus Luther'o, aus fih felbft erflärt, wie aus 
der heiligen Schrift, namentlich ihren Gejchichten erläutert; von M. Albert 


er 





100 Religions⸗Unterricht. 


Sigismund Jaſspis. Ausgabe C. Für die Provinz Pommern bear⸗ 

beitete Ausgabe des vom Bertafler in eben demfelben Berlage erichienenen 

Katechismus. Elberfeld 1856. Verlag von Haffel. Geb. 5'/s Ser. 

Die Züchtigkeit der Katechismen von Jaspis ift hinlänglich bes 
Yannt; wir haben nichts weiter zu thun, als das Erfcheinen der Aus⸗ 
gabe C. und die neue Auflage der Ausgabe B. anzuzeigen. 


27. Chriſtliche Religionslehre. Nach dem Lehrbegriff der evangelifchen 
Kirde. Bon J. H. Kurk, Doctor der Theologie und ordentlicher Pros 
feflor an der lniverfität zu Dorpat. Sechſte Auflage. Witau bei Reus 
mann 1855. VIII u. 212 ©. 12 Ser. . 
Auch der hohe Werth diefes Buches und feine Brauchbarkeit ins⸗ 

befondere für höhere Lehranſtalten ift. längft anerkannt. 


3. Der Meine Katechismus Dr. Martin Zutber’s, In Krage und 
Antwort erläutert und mit Bibelfprüchen verfehen von Dr. Emil Franke. 
Rogafen 1856. Schulbuchhandlung. 138 ©, 

Der bereits durd feinen „Inbegriff der chriſtlichen Glaubensartikel 
von Leonh. Hutter’ (Leinzig 1837, Köhler) und fein „Lehrbuch der 
chriſtlichen Religion nad Anordnung des lutherifchen Katechismus“ (Leip⸗ 
zig 1844, Gebhardt u. Reisland) bekannte Berfaffer tritt mit dieſem, 
ohne Vorwort entfendeten, anfcheinend aber für die Oberklaſſe der Volks⸗ 
ſchule beſtimmten Katechismus zum erflen Male — fo viel wir wiflen, — 
auf das Gebiet der Volksſchule. Aber dieſes erfte Auftreten if fein 
glüdlihes. Den Tert ſchlicht auszulegen, verfteht der Berfafler nicht. 
Ganze Stüde der lutheriſchen Erklärung fommen gar nicht zur Ver⸗ 
werthung. Die Begründung feiner Sätze durd die Schrift if wenig 
ſchulgemaͤß. So flehen unter dem auf Frage 117: „Warum gehört die 
Höllenfahrt zum Stande Seiner Erhöhung?‘ antwortenden Saße: 
„Beil Er, nahdem Er im Grabe Sein Leben wieder angenommen bat, 
in die Hölle, den Ort der Verdammten gegangen‘ ıc. — — die beiden 
Stellen 1. Petr. 3, 19. 20; Kolofj. 2, 15. Es heißt wahrlih dem 
nit theologiſch gebildeten Lehrer zu viel zumutben, wenn er die von 
dem Berfaffer gegebene Antwort nad allen ihren Theilen in diefen 
Stellen finden fol. Auf ähnliche Weife find eine Menge anderer Säge 
gearbeitet. Die Berbindung mit der biblifhen Geſchichte, mit der 
Kirchengefchichte, mit dem chriſtlichen Leben, mit dem Kirchenliede fehlt 
ganz. Der Berfaffer ift mit den Forderungen der Zeit auf dem von 
ihm fchriftflellerifch betretenen Gebiete und mit der Volksſchule wohl 
noch unbefannt. 


29. Dr. Martin Luther's kleiner Katechismus nebft Bibelſprũchen für 
unfere Kinder von Hermann Rättig, Rector. Torgau 1855. Wienbrack. 
er. 


Haustafel, Text des Katechismus und Sprüche für 3 Stufen. 


30. Erklärung der Hauptſtücke des Meinen Katechismus Dr. Mar: 
tin Luther's nebit einer reichbaltigen Sammlung ausgedrudter biblifcher 
Beweisſtellen von Dr. phil. Guftav Schmidt, Yürftl. Neuß. Kirchenratbe, 
Superintendenten und Stadtpfarrer zu Greiz. Bei D. Henning. in Greiz. 
276 ©. Preis 32 Sr. 





Religions - Unterricht. 101 


Es hat uns dieſer Katechismus nicht vorgelegen; als einen ſolchen, 
der wahrſcheinlich dazu beſtimmt iſt, Landeskatechismus zu werden, empfeh⸗ 
len wir ihn der allgemeinen Aufmerkſamkeit. Eine eingehende Beur⸗ 
theilung findet ſich im Süddeutſchen Schulboten 1856, Nr. 9 und 10. 
Zu diefem Katechismus gehört: Leitfaden beim Confirmanden » Unterricht 
von Dr. phil. G. Schmidt ꝛtc. Dritte Auflage. Greiz, bei O. Hen⸗ 
ing. 1854. 7 Kr. (Bol. Süddeutfcher Schulbote Ar. 10). 


31. Dr. Rartin Luthers Meiner Ratehismus unter Zugrundelegung 
des alten Breslauer (Delfer Katechismus) in Frag' und Antwort für Die 
liebe Jugend auf's Neue erflärt und dur Bibelſprüche und bibliſche Ge⸗ 
ſchichten, fowie durch Kirchenlieder erläutert. Bon Heinrich Wendel, 
Paſtor. Breslau 1856. Dülfer. 5% Ser. 

Derjenige unter den neuen fhlefiichen Katechismen, der (Schuls 
blatt 20. S. 353 — 354. 456 — 460) nach dem Urtheile des Directors 
Jungklaaß einem „ſchleſiſchen Schulfatehismus” am nächften kommt. 
Die von den fchlefifhen Seminaren erhobenen Ausftelungen haben wir 
fhon „Il. Oberfufe: A’ befprohen. Ein genaueres @ingehen, das 
uns nöthig ſcheint, müffen wir für den nächften Jahresbericht verſchie⸗ 
ben, da uns das Buch erft kurz vor dem Schluſſe unferer Arbeit zuge 
gangen iſt. \ 

32. Bistifäe Beweisftellen, nah der Glaubens⸗ und Sittenlehre geord« 
net von Dtto Bermann Henke, Rector zu Wollenſtein. LZangenfalza, 
Schulbuchhandlung 5. Th. L. V. Ohne Jahreszahl. 

Ein Buch, wie es an der Hand einer guten Eoncordanz und eines 
Katebismus chne Mühe und Arbeit zufammengefchrieben werden kann. 
Säge aus der Glaubens » und Sittenlehre, dahinter ausgedrudte Sprüche. 
Ein Anhang enthält Ausfprüche der fymbolifhen Bücher und dogmatis 
fe Bemerkungen und Erläuterungen. Eine Menge Anzeichen leichtfers 
figer Arbeit find dem Berfaffer bereits im Theologifchen Literaturblatte 
1856, Seite 814—817 aufgezählt. Dort ift auch hinlänglich der Bes 
weis geführt, daß das Buch ſelbſt da, wo ein beflimmtes Eonfeffions» 
buch nicht amtlich vorgefchrieben if, um feiner dogmatifchen Halbheit 
willen ganz ungeeignet zu einem Leitfaden if. Zu welchem Zwede die 
Schrift gedrudt if, vermögen wir nicht einzufehen; ein Borwort ift 
nicht vorhanden. Wir empfehlen das Buch nicht; wir warnen vor ihm. 


33, Katechismus für Shule und Haus, enthaltend Dr, Martin Lu⸗ 
thers Heinen Katehismus, die Haustafel, die Frageftüde, eine Sammlung 
von Gebeten, die feftftebenden Theile des liturgifchen Gottesdienfles und 
Zeittafeln zur biblifhen Geſchichte und zur Reformationsgeſchichte, jufam- 
mengeftellt von Dr. F. E. Johannes Erüger und dem Kehrercollegium 


der Stadtſchule zu Zendenif. Hweite, vermehrte Auflage. Erfurt u. Leip⸗ 


zig 1856. Gotth. Wild. Körners Verlag. Baars Brei 1 Ser. 


34. Spruchbuch u Dr. Martin Luthers feinem Katechismus, 
für den Schulgebrauch eingerichtet, ein Anbang zu den „Katehismus 
für Schule und Haus” von Dr. F. E. Johannes Erüger und 
dem Lehrercoflegium der Stadtſchule zu Zehdenik. Dritte Auflage. Erfurt 
und Leipzig 1856. Gotth. Wilh. Körner'd Verlag, Baars Preis !s Ser. 


Beide Bücher brauchbar für die Hand der Schüler; trefflich die 





102. Religiond- Unterricht. 


Sammlung von Gebeten. Das Unterftreihen der zu betonenden Worte 

und Sylben billigen wir nit. 

35. Bibliſches Spruchbuch als Leitfaden bei dem evangeliſchen Religions 
unterrichte. Danzlurt am Main, Verlag von Auffarth, 1856. Ohne Ras 
men des. Derfaffers. 

69 Paragrapfen Sprüdhe mit furzen, meiftens nur in wenigen 
Worten ausgedrüdten Weberfchriften, welde die Heilsiehre, zuerſt Glau⸗ 
bensiehre, dann Sittenlehre, in einer im Ganzen lobenswerthen Anords 
nung vorführen. Die Stellung der Dreieinigkeitslehre, die fogleih im 
erftien Hauptflüde: „Bon Gott”, auftritt, iſt verfehlt. Der Sprüde 
find hin und her zu wenig, ja gerade Hauptflellen fehlen. Durchaus 
mangelhaft if 8. 47: ,„Chriftlide Beweggründe zur Erfüllung der 
Pflichten.” Da if der Kern der Sache faum angedeutet. Ueber die 
Beweife für die Unfterblichkeit der Seele follten wir wohl hinaus fein, 
Das Buch ift nicht auf Areng kirchlichem Bewußtſein erwachſen, in 
Preußen fhon wegen feiner Loslöfung von den Eonfeffionskatechismen 
nicht brauchbar. Nicht zu empfehlen. 


B. Zur Bibel und biblifhen Geſchichte insbefondere. 


36. Bopuläre Auslegung der Heiligen Paffion. Nah Dr. Bus 
genhagens Paffional. Bon Karl Priedrih Brieger. Abdruck aus 
defien: „Populäre Ausle ung der Sonns und Befttagsevangelicn.“” Ders 
fin 1856. Derlag von Wilhelm Schultze. 185 ©. 12 Ser. 

Der Berfaffer läßt einen befondern Abdrud der Paffionsgefchichte 
aus feiner Perikopenauslegung erfcheinen „in der Hoffnung, daß es 
Manchen, die die genannte Auslegung nicht anfchaffen, lieb fein möchte, 
eine Erklärung bdiefes fo äußerſt wichtigen Abſchnittes zu haben, Die 
Wort für Wort fortgeht und ein tieferes Verſtändniß zu erzielen trach⸗ 
tet. Wer eine Erbauung fuht, die durch gründlide Erfors» 
[hung des Wortes gewonnen wird, möchte diefe Heine Schrift nicht 
vergeblih in die Hand nehmen.” Der Berfaffer hat fi gewiß nicht 
getäufht. Beides wird der Lefer finden, Erbauung und Belehrung. 
Störend find uns oft die Worterflärungen geweſen. Wir haben das 
Gefühl nicht überwinden fönnen, daß Vieles von Dem, was der Bers 
faffer zur WBorterflärung beibringt, fich von ſelbſt verflünde An eins 
zelnen Punkten haben wir die Gründlichkeit vermißt, fo 3. B. in 34. 
Doch rechten wir gerade um bdiefer Stüde willen niht, da das Maaß 
Deſſen, was der Verfaffer ohne den Untergrund wiſſenſchaftlicher Bildung 
fih felbf erworben hat und zu bieten im Stande iſt, immerhin ehren- 
werth bleibt. 


37. Bopuläre Erklärung des Evangeliums St. Marci. Mit 
einer Einleitung, veruüglih die Aechtheit der Evangelienfammlung betref- 
fend. Bon Karl Friedrih Brieger. Zweiter Beitrag zu einem tiefern 
Schriftverftändnifie. Berlin, W. Schulge XXXII u. 416 S. 1 Thlr. 
61, Ser. 

Ein neues Beugniß von des Berfaffers unermüdlichem Fleiße und 
feiner Liebe zu dem Worte Gottet. Der Verfaſſer bezeichnet im Vor⸗ 


Neitgiond - Unterricht, 103 


worte feine Arbeit als einen Verſuch; er meint, daß zu einem Berfuche 
das Marfuserangelium lang genug fei, und befennt, daß er grade um 
der Kürze willen diefes Evangelium gewählt habe Damit ift denn der 
Beurtbeilung eine befiimmte Grenze gewiefen. Auch hat der Berfafler 
ſicher Recht, wenn er in feinem Vorworte ausfpricht, daß der Sache nur 
durch tiefer eingehende Recenfionen gedient if, und fidher wird er auch 
unjern Jahresbericht zu denjenigen Zeitichriften rechnen, die zu ſolchen 
erihöpfenden Erörterungen, wie fie gerade eine Bibelauslegung verlangt, 
aiht Raum haben. Der Berichterfatter Bann alfo nur andeuten, daß 
ihm, obwohl er fich mit dem Verfaſſer in demfelben Bekenntniſſe Rehend 
weiß, bei manden Auslegungen- ernflliche Bedenken gefommen find, — 
daß er von theologifh wiffenfchaftlihem Standpunkte aus in der Ein» 
leitung Manches für unhaltbar anfehen muß, daß ferner die Iprachlichen 
Grläuterungen am Schluſſe des ganzen Werkes Gewagtes enthalten, daß 
endlich auch das Beſtreben: „Alles auszulegen‘, an manchen Orten den 
Berfafler zu unnöthiger Breite verführt bat. Nühmend aber muß anerr 
kannt werden, daß der Berfaffer fi treu bemüht bat, die Schrift aus 
der Schrift zu erflären und „das göttliche Wort den Lehrern eingäng- 
ih zu machen. Möchten nur recht viele feiner Amtsgenoſſen feinen 
Grundfug theilen, daß auh im Schriftverfländnißg der Lehrer mehr har 
ben muß, als der nähfte Schulbedarf erfordert, und dem Zleiße, mit 
welchem er gearbeitet hat, es dur Studiren feines Buches nachthun. 
38. Doctor Martin Luther als klaſſiſcher Lehrmeiſter auf dem 
elde der Kutehefe und populären Exegefe oder evangeliſche 
brftoffe aus Luther's praktifcher Bibel⸗ und Katehismuserklärung für 

Geiſtliche und Schullehrer ald Vorbild bei dem Religionsunterrichte. Hers 

ausgegeben von Dr. 3, G. Hanſchmann, Großh. S. Seminarinfpector 

und Bürgerfäguldirecor, auch Sympresbyter bei der Haupt» und Stadts 
fire x St. Beter und Paul in Weimar 2. Erſter Band. Weimar 

1856. Drud und Verlag von Bernh. Friedr. Voigt. 

Bor uns liegt des erfien Bandes erfte Lieferung. Der Berfaffer 
wid eine zeitgemäße Ausgabe derjenigen Schriften Luthers beforgen, 
„von denen vorzugsweife zu wünfchen if, daB fie in den Händen der 
Lehrer umd gewiffer Bamilien als ein evangeliiched Heiligthum neben 
der Bibel verbleiben. Er bat bei feinem Unternehmen noch einen 
zweiten BZwed. „Gegen bie Berdächtigungen, Madinationen und Des 
auneiationen folher Leute, — nämlih der altlutherifhen Partei — 
giebt es Zeine Fräftigere Waffe, als die, von und bier gebotene, weil ein 
Jeder dadurd in den Stand gefept wird, felbft zu ſehen, zu prüfen 
und zu, erfennen, daß „ein eifernder fogenannter Altiutheraner oft Lu⸗ 
thern eben fo fern fleht, als Belial dem Herrn Chriſtus ꝛc.“ Außer 
dem Borworte des Verfaſſers enthält die erſte Lieferung Luthers Bors 
rede zu der Auslegung des erfien Buches Mofis und die Auslegung von 
1 Mof. 1, 1—11, Anmerkungen unter dem Teste kommen Denen zu 
Hülfe, die der alten Sprachen und Fremdwoͤrter nicht mädtig find. — 
Einen noch unangenehmern Eindrud, als die wörtlich angeführte Geite 
2 des Borwortes, hat das dem Hefte vorgedrudte Fehdeblatt gegen die 
Buchhandlung Heider und Zimmer in Frankfurt auf uns gemacht. 


“ 


104 _ Neligtond- Unterricht. 


39. Die Bibelffunde für Shule und Haus oder Bier Tabellen 
und Die achtzig Kirhenlieder nad den drei preußiihen Regulati⸗ 
ven vom 1., 2. und 3. October 1854. Gin Leitfaden beim Religionduns 
terricht in der evangeliſchen Elementarfchule, fowie bei Hausandadten von 
Chriſtoph Friedrih Biedermann, Paſtor in Lettin und Nietleben mit 
Granau. Halle 1856. Drud und Verlag von Dtto Hendel,. 80 ©. 3 Bar. 

Die erfte Tabelle nennt 80 Geſchichten aus dem alten und 61 aus 
dem neuen Zeftamente für den Schulgebraud der Oberklaffe, in Summa 
alfo 141 Geſchichten; unter diefen find 40 (— alfo in derfeiben Faſ⸗ 
fung —) für: die Unterflaffe angezeichnet. Die Penfen überfchreiten 
die Kräfte auch einer guten Schule. Die zweite Tabelle giebt 70 aus⸗ 
gewählte Pjalmen nach ihrem Inhalt und Anfang, dann diefelben Pfals 
men zum Gebrauch beim Morgen» und Abendgebete in der Echuls und 
Hausandaht nach den Tagen des Monats, endlich diefeiben Pſalmen 
zum Gebrauch in befondern Firdlichen und feftlihen Zeiten. Die dritte 
Tabelle bietet 42 Kirchenlieder (inclufive die AO der ‚„Erläuternden Ber 
fimmungen 20.” auf 43 Schulwochen vertheilt (— mit einer Ausnahme 
alfo für alle Schüler der Oberklaſſe wöchentlich ein Lied!), dazu eine 
Reihenfolge, in welder der Geiftliche beim Confirmandenunterrichte Die 
42 Lieder zu erflären bat. (Unter der einen Weberichrift: „Beim 
dritten Gebote in Bezug auf die Kirchenzeiten“ flehen 15 Lieder, 
unter denen noch Fein Zrinitatisiied if. — Alfo bei einem Gebote 15 
Lieder!) Die vierte Zabelle bringt das Berzeichniß der Bibellectionen 
vorn Dr, Möller. Die fünfte Tabelle enthält die SO Kirchenlieder im 
Urtegte mit binzugefügten Eollecten. — Außer dem Schulzwede 
verfolgt: das Büchlein noch einen häuslichen. Es will ein Leitfaden bei 
chriſtlichen Hausandachten fein. Der Berfafler redet eindringlih im 
Borworte über das Wiederaufrichten der Hausandaht und giebt Rath⸗ 
Ihhläge, wie aus den einzelnen Tabellen feines Buches das Material zu 
ordnen fei. Er zählt 7 Stüde der Hausandacht auf! Darunter: „Vor⸗ 
lefung des Bibelabfchnittes mit kurzer Erklärung aus dem Herzen, wie 
e8 der Geiſt Gottes eingiebt.“ Eigenthümlich find die Weifungen, Die 
er den Hausvätern giebt, wie fie nach feinem in Kürze erfcheinenden 
Choralbuche in Ziffern follen fingen lernen. „Haſt du noch nicht nach 
Zahlen gefungen, fo faunft du das in einer Stunde lernen. — Wir 
verfennen den treuen Sinn, aus dem das Büchlein hervorgegangen ift, 
nicht, aber die Schule wird den felbfiitändigen Theil feines Buches eben 
nicht fehr verwerthen können. A . 

4. Büge aus dem Wert der Bibelverbreitung von Dr. U, Ofter: 
tag. Erſtes Bändchen. Stuttgart 1857. Berlag von Gteinkopf, . VI. 
174 ©. 10 Sr. 

Die in dieſem Büchlein gefammelten, urfprünglih im Auftrage der 
Bihelgefellfhaft zu Bafel gefchriebenen Aufſätze find in etwas anderer 
Form unter dem Namen der „Bibelblätter” ſchon einmal ausgegangen. 
Für Diejenigen, denen die Bibelblätter bisher unbekannt geblieben find, 
geben wir die Inhaltsüberfiht des erften Bändchens: 1. Die Entſtehung 
der britifhen und ausländifchen Bibelgefellfchaften. II. Die Bibel in 
Zeland. I. Das Pfarrhaus auf Jerſey. IV. Die Waidenfer und das 

, 


Religions - Unterricht. "4105 


Answendiglernen der Bibel. V. Die Bibel im Steinthal. VI. Die 
Kraft des Wortes Gottes an den Menichenjeelen. VII. Der Bibelträs 
ger. Das Büchlein bietet eine gefunde, von allem Gemachten und For⸗ 
eirten fih fern haltende Kof. Geiftlihe und Lehrer werden auh Mans 
bed in ihm finden, das ſich unmittelbar beim Unterrichte verwertben 
laäßt. Möchte es in feiner Lehrers und Pfarrerfamilie, auch in feiner 
Dorfbibliothek fehlen. Den Verfafler möchten wir im Intereffe der fünftigen 
Bänden bitten, Doch ja die Grenzen des Wortes „‚Bibelverbreitung‘ nicht 
zu eng zu ziehen, fondern auch mancherlei das Intereſſe für das Wort 
Gottes beiebende Nachrichten über Bibelüberfeßungen, alte und neue, 
Bibelverfolgungen,, überhaupt Altes und Neues, wie e8 die innere Ges 
ſchichte der Kirche fo reichlich darbietet, aufzunehmen. Sehr gern möchten 
wir Einzelnem aus Borrow: „The Bible in Spain. 2 Bände. London 
1843", begegnen, zumal die deutfche, wenn wir nicht irren, zu Bafel 
erfhienene (auszugsweife) Bearbeitung ganz aus dem Buchhandel vers 
ſchwunden zu fein fcheint. 


4. Täglihes Brod aus dem Worte des Lebens. Den SHaudpätern, 
Sausmüttern und Lehrern zur Austheilung an die liebe Jugend zu Haufe 
und in der Schule dargeboten von €. T. Boll, Seminars Director 
in Stettin. Berlin, bei Wiegandt und Grieben. u. 79 ©. 10 Ser. 
Das Vorwort läßt uns hineinfhauen in einen Zug wehmüthigen 

Serlangens, der aus dem Herzen des in fpäteren Lebensjahren wieder 

für die Seminarthätigkeit gewonnenen Verfaſſers heraus und von dem 

Lärmen der großen Stadt und den gelehrten Leuten hinweg und hin zu 

dem Glaubensreihthum und der Ölaubenseinfalt der armen Dorfgemeins 

den gehet, unter denen er eine Reihe von Jahren mit reihem Segen 
gewirkt hat. Das Büchlein if eine Gabe der Liebe an dieſe Gemein: 
den. Es enthält zuerft 26 Fragen und Sprüche als Antworten. Wir 
geben einige der Fragen: „An welche Sprüche wirft du gedenken, wenn 
du in die Kirche oder aus der Kirche geheſt? Wie follft du dich vers 
halten, wenn du mit alten Leuten zufammen fommft? Wenn du läffig 
und träge wirft zum Lernen und zur Arbeit, an weihe Sprüche follft 
du dann denken? Wenn du über den Bottesader geheft, oder eine Leiche 
dahin begleitef, an weiche Sprüche foll du dich da erinnern?” Dann 
folgen Sprühe und Lieder, welche Hausväter und Hausmütter von 

Kindern und Gefinde in ben Seftzeiten ſollen beten laffen. Dann folgen 

„Altagsfprüde oder: Woran ein Ehrif bei den gewöhnlichſten Dingen 

und Berrichtungen bes täglichen Lebens dur das Wort Gottes erin- 

nert wird.” Sie find vornämlih auf die täglichen Anfchauungen des 

Landmannes berechnet und erinnern oft an Gotthold's zufällige Ans 

dachten, 3. B. 13: „Wenn du das Brod aus dem Ofen ziehe?" 22. 

„Die Schwalbenneſter?“ 23. „Die Tauben?‘ Gar Manches wird 

auch den von der modernen Kultur angefirnißten Landleuten, die ihre 

Lectüre für die Winterabende aus den flädtifchen Leihbibliotheken holen 

und bei den hohen Kornpreifen innerlich immer mehr verarmen, gradezu 

ein Gel fein, aber es fehlt doch auch in unfern Tagen 1 ganz an 
feihen Gemeinden, in denen Bater und Mutter, Großvater Mhd Großs 


106 | Religions - Unterricht. 


mutter, wie in den Goltzſchen, des Prieftertyumes warten. In folder 

mögen Geiftlihe und Lehrer das Büchlein von Golttzſch zum Hauss 

buche mahen. Es wird ein Segen darin fein. „Gleichwie die Kirche 

Chriſti Jahrhunderte befanden und geblühet bat, und Ströme neuen 

Lebens und Lichtes und himmlifche, welterneuernde Kräfte von ihr aus⸗ 

gefloffen find, ohne eine andre Unterweifung der Kleinen, als die aus 

Baters und Muttermund und aus fürbittendem, forgendem und ſegnen⸗ 

dem Baters und Mutterfegen ihnen zugegangen if: fo wird auch fers 

nerhin jede einfältige Darreihung deffen, was aus dem Worte Gottes 
und aus der eignen Erfahrung des, Herzens gewonnen ift, des Segens 

Gottes nicht entbehren und die Zeit näher bringen helfen, in der auch 

eine ſolche Pädagogik zur Anerkennung fomnen wird, die Etwas zu 

fagen weiß von den Geheimnifen des Pimmelreiches in der Menſchen⸗ 
und Sinderfeele und die fidh nicht mehr vergeblih um wahre Menſchen⸗ 
bildung bemüht. (Goltzſch.) 

42, Das Bolt Israel unter der Herrfhaft der Könige Ein 
Beitrag zur Einführung in die neueren Verſuche einer organiſchen Auffaſ⸗ 
ſung der israelitifchen Geſchichte. Bon Dr. Eifenlohr, Seminar - Recter 
in Nürtingen.” Zweiter Theil. Mit einer chronologiſchen Tabelle, einem 
Berzeihniffe der Bibelftellen und einer Karte von Paläſtina. Leipzig, 
Friedrich Brandfletter. 1856. VI u. 409 S. 1 Thlr. 18 Ger. 

Es flieht diejes Werk, deſſen erften Theil der heimgegangene Nacke 
Seite 45 unferes vorjährigen Jahresberichts angezeigt hat, auf Grund⸗ 
anfchauungen, die denen des Berichterftatters fchnurfirads entgegen laus 
fen. Dazu bewegt es fid auf ‘einem Boden, der weit greifende, theite 
hiſtoriſche, theils fpeciell theologifche, immer aber ftreng wiſſenſchaftlichẽ 
Erpofitionen nöthig machen würde, wenn wir uns mit dem Berfafler 
auseinander fegen wollten. Wir müffen uns alfo begnügen, die wife 
fenfchaftlihe Bedeutung des Wuches anzuerkennen und ‘es denjenigen Lehe 
rern, denen eine wiffenfhaftlich-theologifche Bildung eigen iſt, zu 
befonnener Prüfung zu empfehlen. 

43. Biblifhe Gefhichten aus dem alten und neuen Teftamente 
für Shule und Haus, mit Berüdfidtigung der Reibenfolge Michael 
Morgenbefierd unter ſteter Feſthaltung des innern Zufammenbangts der 
heiligen Schrift in Dr. Luther's Ueberjegung möglich wortgetreu nacher⸗ 
zählt und mit pafienden Vibelfprüchen und erbaulichen Liederverſen beglei⸗ 
tet von Friedrich Deutſch. Breslau 1856. Graf, Barih u. Comp., Vers 
lagsbuhhandlung (E. Zäfhmar). 228 ©. 6 Ser. 

Aus dem Vorworte ergiebt fi, daß der Verleger der in Schlefien 
fehr verbreiteten biblifhen Geſchichte von Morgenbeſſer durch die Kir⸗ 
chenbehörde veranlaßt worden ift, „eine völlig neue, auf das Bibelwort 
gegründete Bearbeitung der bibliſchen Geſchichte mit Berüdfihtigung 
der Neihenfolge Morgenbeffers zu veranftalten.‘ Es kam bei dieſer 
Bearbeitung auch darauf an, mande bei Morgenbefler ganz fehlende, 
aber für die Heilsentwidelung wichtige Gefchichte nachzuholen, Anderes 
weiter auszuführen. Der Bearbeiter hat die ſchwierige Aufgabe glüdlich 
gelöſt. Jeder Geſchichte ift ein, rejp. mehrere LXiederverfe und ein Bis 
belſpruch Mwigegeben. Die Liederverfe find aus den 80 Kirchenliedern, 


Religions - Unterridt. 107 


und wo dieſe micht aysreichten, aus dem Geſangbuche von Anders und 
Stolzenburg entnommen, wodurd freilich das ganze Buch ein provins 
zielles Gepräge erhält. Auch die Wahl der Liederverfe und Sprüche if 
meiftens eine glüdliche zu nennen. 


4. Biblifhe Geſchichte des Alten Teffamentes zum Gebrauch 
für Schulen von R. Graßmann. Mit zwei Karten und mehreren Abs 
ohrungen. Stettin 1856. Drud u. Berlag von R. Graßmann. 240 ©. 

0 Sgr. 


5. Bübliſche Sefhichte des Neuen Teftamentes für Schulen 
von R. Graßmann. Mit drei Karten. Stettin 1856. Drud u. Verlag 
von R. Graßmann. 156 S. 10 Ser. 

Wohl nicht für die Volksſchule, fondern für höhere Lehranftalten 
befimmt und foldhen-durhaus zu empfehlen. Das Schriftwort iſt ges 
nau inne gehalten, die Kapitel und Berfe der Echrift find an der Eeite 
angeführt. Werthvoll werden heide Bücher befonders noch durch Die 
Ginleitungen und Beigaben. Unter diejen Geben wir befonders die Abs 
bildungen der jüdifchen Heiligthümer, der Stiftehütte, des Salomonis 
fhen Tempels, der Bundeslade ae. hervor. Die Zeitfolge im Leben des 
Herrn und der Apoftel iſt mit befonderer Sorgfalt im Auge behalten. 


4. Bibliſche Geſchichte, nah den Worten der Bibel erzählt von Friedr. 
Wilhelm Bodemann, Paſtor zu Echnadenburg an der Elbe. Giebente 
Auflage. Göttingen 1856, bei Vandenhoeck u. Ruprecht. 201 S. 5 Sgr. 
Sn der Praxis bereits bewährt. Aber ohne einen Spruch und 

ohne einen Liedervere. 


4. Bruchſtücke aus linterredungen über die biblifhe Geſchichte, 
ebalten auf dem Seminar zu Alfeld von Dr. Conrad Mideljen. Al⸗ 
en. Etegen 1855. VII u 72 ©, 

Tiefere Einblide in die biblifche Geſchichte, wie fie den Zöglingen 
eines Seminars gegeben werden müffen, wenn fie diefelbe als heilige 
Gedichte erfafen und als ſolche einft wieder lehren follen. Wir ems 
yiehlen das Büchlein auch den älteren Lehrern, die es ebenfalls nicht 
ohne Segen fluditen werden. Manches hätten wir freilich noch einges 
bender gefaßt gewünfdt. Jakobs Ringen (1 Moſ. 32, 24) läßt ſich 
unferes Grachtens nicht betrachten ohne Jakobs Gebet. Was Seite 7. 
Abſchnitt 9 am Ende flieht, halten wir für unrichtig. . 

48. — acht und vierzig bibliſche Hiſtorien. Ein Lernbuch 
ur evangel. Elementarſchulen, mit Berüdfihtigung. der drei preußiſchen 
Regulativen und mit Zugrundelegung der „Bibli ji Geſchichten von 


Be enge und mit einem Nachworte für den Lehrer verfe: 


. oike Reglerungeſchulrath in Königsberg). Konigs⸗ 
berg 1856, bei Bon. 31 ©. 3'/ Sgr., gebunden 4 Sgr. 9 Pf. 

Das Buch hat uns nicht vorgelegen. In einer Anzeige defjelben 
im GEvangeliihen Gemeindeblatte 1856. Nr. 12 heißt es: „Gewiß war 
unferes fel. Breuß Arbeit eine verdienftlihe und in vieler Beziehung 
fehr brauchbar; aber das fühlte Jedermann, foll einmal ein biblifches 


Hiſtorienbuch in den Händen der Unterflaffen (?!) und armen Schüler- 


fein, fo it Preuß zu umfangreih und zu theuer. Hier iR nun Die 


108 Religions - Unterricht. 


Realifirung des lange gebegten und bewegten Gedanfens, ein Peiner 
Preuß, aus demjelben Verlage hervorgegangen, dem wir den größern 
verdanten.‘ Nr. 26 des genannten Blattes bringt eine „My“ unters 
zeichnete Recenfion, die, foweit fi ohne Vorlage des betreffenden Buches 
überfehen läßt, allerdings auch nicht aus der Feder eines Schulfundis 
gen gefloffen zu fein, aber doch Manches zu enthalten fcheint, was bei 
einer neuen Auflage des kleinen Preuß zu berüdfichtigen fein dürfte, 
(3. B. über das Fehlen der erſten drei Gefchichten des Alten Teſta⸗ 
mentes im erſten Kurfus der unterften Abtheilung). 


49. Hülfss Büchlein für den Unterricht in der bibliſchen Ge» 
ſchichte; in einer nah ſechs Geſichtspunkten getroffenen 
Auswahl von Schriftftellen; zugleih ein Griag für fogenannte 
bibfifhe Geſchichtsbücher. Herausgegeben von M. Albert Sigismund 
Jaspis, Königl. Generals Superintendent der Provinz Bommern. Zweite 
verbeflerte Auflage. Elberfeld 1856. Verlag von R. 2. Kriedrihs. 31 ©. 
2\/s Sgr. 

Den verehrten Berfafler bewog zur Herausgabe diefes Büchleine 
„der Umftand, daß mehrern Ausgaben von bibliihen Gefchichten feine 
Sprüde beigefügt find und die Erwartung, vielen Lehrern werde eine 
Sprubfammlung willlommen fein, bei der man fi nicht durch tiefere 
tbeologifch » ascetiſche Grundfäge, fondern durch die Nüdfiht auf die uns 
mittelbaren und einfadhen Bedürfniffe der chriftlihen Jugend leiten 
ließ.“ — „Bei der Auswahl der Sprüche,“ heißt es an einer andern 
Stelle des Bormortes, „leitete mic zunächft der Srundfag, dag man 
jede bibliſche Geſchichte Mar und anjchaulich machen, ihre Herrlichkeit an 
ſich darthun, bei ihrer Anwendung aber an die einzelnen Seiten der 
Geſchichte nicht ein Allerlei von allerlei Bemerkungen fnüpfen, Sondern 
vor Allem den Gehalt derfelben für das chriftlihe Glauben und Leben 
ausbeuten muß. Wir geben ein Beifpiel. „Jakobs Flucht. 1 Mof. 
28. Hauptinhalt: Pjalm 4 9. Spruch aus der Geſchichte: 
41 Mof. 28, 13—16. Glaubensfprud: Pſalm 91, 1. 17, 7. 
Lebensſpruch: Plalm 37, 5. Einzelne Kehrpunfte: Palm 
46, 8. Apoflelg. 17, 27. In dem Borworte findet ſich aud die fhon 
früher befprochene, von uns befämpfte Polemik gegen die Hiftorienbücher, 
aber auch manches andere wohl zu beberzigende Wort. Das ganze 
Büchlein if vol Geiſt und Leben. Möge es viele Geiflesverwandte 
unter Geiftlihen und Lehrern finden. 


C. Zur Kenntniß des heiligen Landes.. 


50. Das heilige Land und das Land der israelitiſchen Bandes 
rung. Für Bibelfreunde gefchildert von Ludwig Völter, Pfarrer in 
Buffenhaufen bei Stuttgart. Mit einer Karte von Paläftina und vom 
Beträifchen Arabien. Stuttgart, bei Eteinkoyf. 1855. ‚ 
Abgerundete, Iebendige Darftellung, forgfältige Benußung der Uns 

' terfuchungen und Erfahrungen älterer und neuerer Reifenden, Vollſtän⸗ 
digkeit in Allem, was dem Lehrer der heiligen Geichichte über Topos 
graphie, Bolköleben und flaatlihe BZuflände zu wiſſen wuͤnſchenswerth 


Religions » Unterricht. - 109 


iR, zeichnen dieſes Werk aus. — Die Zahlen in dem Plane von Jeru⸗ 
falem find ziemlich undentlich und geben leicht zu Irrungen Anlaß. 


5. Damaskus und Libanon oder Briefe eines Engländers aus dem Orient 
an das deutfhe Boll. Elberfeld 1855, bei Wilh. Haffel. (1? Sgr.) 
Eine englifhe Zeitfchrift (Advertiser) fällt folgendes Urtheil: 
„Diefes Wert if befonders reichhaltig an Bemerkungen über moderne 
orientalifche Gebräuche, Sitten und Eigenthümlichkeiten in Bezugnahme 
auf die heilige Schrift und enthält viele Belehrung darüber, oft von 
ſehr unterrichtender Art.” Dieſes Urtheil beftätigen wir, und gern 
würden wir das Buch den Volksſchullehrern als außerordentlich inter 
effante und auch für das Bibellefen fruchtbare Kectüre empfehlen, wenn es 
niht bei feinen vielen Bitaten Kenntniß fremder Sprachen vorausfeßte. 


52. Baläfina, oder das heilige Land zur Zeit Jeſu, in geograpbiichen, 
religiöfen, häuslichen und bürgerlichen Verhältniſſen. Gin Handbuch für 
Lehrer beim Unterricht in der biblifhen Geſchichte. und zugleich zum nüßs 
fihen Gebraude für das Haus. Don Theodor Weſthaus, Lehrer an der 
fatbolifchen Knabenfhule zu Soeſt. Zweite Auflage. Nebit einer Charte 
von Baläftina zur Zeit Zeh. Mit Approbation der Bifchöflichen Behörde. 
Soc, Drud und Derlag der Naſſe'ſchen Buchhandlung. 1856. 146 ©. 

88. 

Daß der BVerfaffer als Katholik Tradition und Sage mit der Ges 
ſchichte identificirt, finden wir erflärlih. Als ein Lehrbuch für das 
Hans enthält es Mancherlei, das für die Schule überflüffig if, 3. B. 
die fieben Klaffen der Pharifier. Bei dem fonftigen Umfange des Bu⸗ 
bes dürfte wohl mehr über den Zalmud erwartet werden, als die Notiz: 
„ein Buch, welches zu den jüdifchen Schriften gehört. Die proteſtan⸗ 
tiihen Lehrer werden nach vorliegender Schrift wohl nicht greifen; für 
katholiſche Schulen mag Ddiefelbe brauchbar fein. 


33. Das heilige Land. Zum Verfländnig der bibliſchen Geſchichte und 
zum Gebrauche für Elementarfchulen von Theodor Weſthaus Lehrer an 
der katholiſchen Knabenfchule zu Soeſt. Ein Auszug aus deflen größerem 
Werke über Paläftina oder das heilige Land. Dritte Auflage. Soeft 1855, 
Drud und Verlag der Naſſe'ſchen Buchhandlung. 1 Sgr., mit Kärtchen 
1% Ser. 

Die proteftantifhen Schulen fünnen das Büchlein fchon um der 
Ramenformationen „Eliſäus, Gelboe, Esdraelon, Chanaan““ ꝛc. nicht 
gebrauchen. Dieſe würden unſere Schüler irre machen. Auch kennen 
wir keinen Apoftelfürften Petrus und erachten andere: Einzelnheiten, 
die auf Seite 13 und 15 fichen, nicht für gefchichtlich erwiefen. 


55. DaB heilige Land aus der Vogelſchau. Darftellung der Orte 
und Städte, welche in der heiligen Schrift erwähnt find. Fünfte Aufs 
lage. Leipzig, Derlag von Weber. 1853. 10 Sgr. 


55. Das biblifhe Jerufalem aus der Bogelfhau. Zweite Auflage. 
Leipzig, Derlag von Weber. 1852. 10 Sgr. 
Beide Karten fünnen bei der biblifchen Geichichte mit großem Nutzen 
gebraucht werden und feien hiermit beflens empfohlen. 


110 - Religions : Unterricht. 


56. 


50, 


. Weber: Biedermann 


D. Zum Kirchenliede. 


Die achtzig Kirchenlieder der Shul-Regulative mit Wochen⸗ 
fprüchen, nebit Einer tabellarifchen 1leberficht Des Aefammten Religions⸗Un⸗ 
terrichtöftoffes in der Volksſchule, nah dem Kirchenjahre geordnet von K. 
A. Kolde, evangel. Pfarrer in Falkenberg. D.⸗S. Breslau, Verlag von 
Irewendt und Granier. 1856. 2'/s Sgr. 


: Die Bibelftunde 2c. — und die adhtzig Kirchen⸗ 
Iteder 2c. fiehe „V. B.“ 


. Geſangbuch für Schulen, enthaltend die 86 Kirchenlieder 


der 3 preußifhen Regulative, nebft einem Anhange anderer, meift 
älterer Rieder im Urtext. Zuſammengeſtellt und berausgegeben von $. I. 
Böttner, Director der Bürgerfchule zu Zeig. Zeip 1856. Verlag der 3. 
Webelihen Buchhandlung. 4 Sgr., geb. 54,3 Sgr. 

Geſanabuch für chriſtliche Volksſchulen. Serausgegeben von 
Friedrich Böhr, Lehrer an der evang. Stadtſchule zu Bunzlau. Zweite, 
vermehrte Ausgabe. Berlin, Rewe Mor und Adelaide, 1857. Berlag von 
Juſtus Albert Wohlgemuth in Berlin. 


Inhalt nah dem Zitelblatte: Lieder beim Beginne und Schluſſe 


der Schulftunden auf 12 Wochen, für befondere Zeiten und Verhält⸗ 
niffe, 130 Kirchentieder, darunter aud die 80 Lieder der Negulative, 
das chriftliche Kirchenjahr, Hauptmomente aus der chriftlihen Religions» 
geſchichte, Bibeltunde, Luthers einer Katechismus, Lieder zur Schul⸗ 
feier am Geburtstage des Königs, die Chöre der Liturgie, Spruchbüch⸗ 
lein zu Dr. Martin Luthers Katechismus. — In der Wirflichfeit ſtellt 
fih die Ordnung etwas anders. — Es fcheint uns Altes und Neues, 
äußerlich zufammengefügt, als eine zweite, vermehrte Ausgabe aus⸗ 
gefendet zu fein. Der ältere Theil enthält viel Weberflüffiges und fönnte 
ohne Nachtheil ganz unterdrüdt werden. Der Anhang über das Kirs 
henjahr ift fehr dürftig, die Hauptmomente aus der Kirchengefchichte 
enthalten Zahlen und Namen, der Abfchnitt Bibelfunde bietet in kurzen 
Säpen den Inhalt der biblifhen Bücher. — Was Werthvolles in dem 
Buche ift (Katehismus und 8O Lieder), ift auch ohne des Berfaflers 
Sammelbuch zugänglih. Wir empfehlen das Buch nid. 


60. 


Ausführlichere Erflärung der achtzig Kirdenlieder der 
Drei preuß. Regulative vom 1., 2. und 3. October 1854 in ihren 
Driginaltegten, enthaltend die Angabe der Zeit und Beranlaffung, da fie 
gedichtet wurden, ſowie deren biblifche Srundlage und innern Zufammen= 
bang, nebit furzen Lebensabrifien der Berfafler. Gin Hand» und Hülfs⸗ 
buch für Lehrer und Seminariften, fowie zur Selbftbelehrung von Otto 
Schulze, Paſtor'zu Sangerhaufen. Berlin, News%York u. Adelaide, 1856. 
Berlag von Juſtus Albert Wohlgemuth in Berlin. VIII u. 286 ©. 24 Egr. 


„Zeit, Beranlaffung und biblifhe Grundlage des Liedes, fodann 


deſſen ausführliche Erflärung und endlich ein kurzer Lebensriß des Bers 
faſſers“ find die Bunfte, auf welche in der vorliegenden Arbeit Rüde 
ficht genommen if. Weber die den Liedern vorangeftellten Dispofitionen 
und den voraudgejehenen Einwurf, „daß die Dichter ficherlich nicht dies 
ponirt haben, jondern daß ihre Lieder als ein freier Erguß ihrer Her⸗ 
zensftimmung anzuichen find”, fagt der Verfaffer im Bormorte: „Ich 
balte dafür, daß bei alle Dem, ehe die Dichter ihre Lieder niederfhries 


Ed 


Religions » Unterriäht. 111 


ben, ſchon ihr ganzer Inhalt vor ihrer Seele fland und in gewiffer 
Hinficht geordnet war. Auch follen die gegebenen Dispofltionen haupt⸗ 
fählih dazu dienen, den Lehrer von vorn herein in den Geiſt des Lies 
des einzuführen, und find deshalb als eine allgemeine Vorbereitung auf 
die nachfolgende nähere Erläuterung bes inneren Gedanfenganges anzus 
feben. Es verſteht fi daher von felbft, daB fie zunächſt nicht für ‚die 
Kinder beflimmt find. Bormann (Unterrichtskunde Seite 129. Ans 
merfung) urtheilt über das Bud von Schulze, daß es in ähnlicher 
Beife gearbeitet ſei, wie die bisherigen Liedererflärungen mit ihren 
lediglichen Berftandesoperationen,, ‚von denen für die innerfiche Aneig⸗ 
nung des Liedes, die mehr mit dem Herzen, ale mit dem Kopfe 
erfolgen fol, wenig Erfolg zu boffen if.” Allerdings legt Echulze im 
Sorworte auf das Verſtändniß der Lieder ein fo großes Gewicht und 
bält den erflärenden Zbeil feines Buches fo lebrhaft, daß der Gedanke 
nabe liegt, e8 habe die ganze Behandlung des Liedes, wie fie‘ dem Ders 
faffer vorfchwebt, mehr den verftandesmäßigen Charakter, ale den erbaus 
ihen. Dennoch müffen wir das Buch von Schulze als ein den Forts 
ihritt der Liederbehandiung förderndes anerfennen. Der Berfalfer lies 
tert in feinen Erflärungen ein Material, das, richtig verwertbet, uns 
dem Ziele näher bringt. — Manches Einzelne if, und aufgefallen, fo 
3. B. die ganz fehlende Rubrik Zrinitatisiieder und die Erörterung 
Seite 172 über „Herr Zebaoth““. — Bei Zebaoth if feineswegs „an die 
Mitreiter und wahren Jünger”, fondern an Chriſtum, „den Herrn 
aller Herren’ zu denen. 


6. Beiträge zu einer frudtbaren Behandlung der durd die 
drei preußifchen Negulative beſtimmten evangelifchen Kir» 
henlieder, mit befonderen Beziehungen auf den Unterricht im lutheri⸗ 
[hen Katechismus, der Kirchen »s und Baterlandsgefhichte. Ein Hülfebuch 
für Lebrer in Schulen und Kirchen, bearbeitet und herausgegeben von 
Wilhelm Leitritz, I. Lehrer der II. Bürgerichufe in Weißenfels. Zeitz, 
Hermann Eireiber. 1856. VI u. 220 &. 18 Ser. 

„Meine Beiträge wollen ein umfangreicheres, tieferes und darum 
fruchtbareres Verſtändniß des evangelifchen Kirchenliedes vermitteln, als es 
dur die vorhandenen Hülfsbücher ermögliht wird.” Dazu hält der 
Berfaffer ausführliche, lebensvolle Biographien der Dichter, die bei 
jedem Liede in den Vordergrund zu ftellen find, für nothwendig. „Die 
Kinder müflen den Heiligen Gottes in das Herz ſchauen, foll ihnen das 
Leben nahe gebracht werden, welches in einem frommen Liede verborgen 
liegt; fie müffen mittelft Heiliger Anfchauung erfahren, dur welche Les 
bensführungen der Herr die Sänger feiner Ehre erzogen hat ꝛe.“ Aus 
dieſer Anführung ergiebt fich bereits, daß wir es mit einem Buche zu 
tbun haben, das ſich weſentlich von feinen Borgängern unterfcheiden 
wid. Daſſelbe ergiebt fih aus dem, was wir im Vorworte über die 
Darftellung „des Gedankenganges“ Iefen. „Die Aufflelung der glatten 
Ihemen in der Form fathedermäßiger Lehrfäge mit auegemeſſenen Haupts 
und Mebentheilen erweiſt fich für die Liederpflege als unwirkjam.”’ — 
„Mein Beſtreben war, den innern Bufammenhang des Liedes aufzus 


‘ 


112 Religions - Unterricht. 


ſuchen und an das Licht zu ſtellen.“ — Bei den einzelnen Liedern bietet 
uns der Berfaffer a) Biblifhe Grundlage, b) Hauptinhalt, 

c) Gedankengang, d) Biblifhe Anklänge, e) Anmerlungen, 
H Geſchichtliches, Kg) die Melodie Betreffendes. Die Ans 
merfungen erflären einzelne Ausdrüde und geben Sachliches; die Nor 
tigen über die Melodie find fehr kurz gehalten. Am meiften ift das 
geichichtlihe Element, ſowohl in den biographifchen Mittheilungen, als 
auch in den fogenannten Liedergefchichten, vertreten. Die Reihenfolge der 
Lieder ift die gefchichtliche; daher finden fi die von demfelben Dichter 
verfaßten zufammengeftellt. — — Gerne erkennen wir die Grundjäße, 

welche der Berfafler im Borworte .ausfpricht, als die richtigen an; in 
das unbedingte Lob, welches feinem Buche bereits zu Theil geworden iſt, 
fönnen wir nicht einflimmen. Die Ausführung fcheint ung fehr Hinter 
dem guten Willen zurücdgeblieben zu fein. Wir geben im Intereſſe der 
guten Sache unfere Ausftellungen. Der Berfafler giebt Biographien, 
damit die Kinder den Heiligen Gottes ins Herz ſchauen. Run ftellen 
wir gar nicht in Ubrede, daß einzelne der gegebenen Biographien zu 
folhem Schauen ind Herz Handreihung thun, andere, und felbft folde, 
für welde die Quellen reichlich fließen, find bei allem Eingehen auf 
Ginzelnheiten doch mehr Außerlih gehalten. Es will uns überbaupt 
bedünken, ale fei das Heranrüden langer, wo möglid das ganze Leben 
der Kirchenliederdichter umfaffender Befchreibungen wieder eins der Extreme, 
an welchen unfere Zeit auf dem Gebiete der Schule fo reih if. Ein 
liebevolles, lebendiges Darlegen der PBerbältniffe, unter welchen das 
Lied entflanden ift, oder, wo dieſes nicht möglich ift, ein Hervorheben 
derjenigen Momente aus dem Leben des Berfaflers, die in dem Liebe 
ihren Nefleg finden, ift jedenfalls wirffamer, als fange Lebensbefchreis 
dungen, die ſchon darum unbehaltbar find, weil fie in eine Menge ges 
fhichtliher, dem gangbaren Willen der Volksſchule gang fremder Ver⸗ 
bältniffe hineinfchlagen. Im diefer Beziehung finden wir bei unferem Bers 
faffer große Mängel. Bon hierher Einfchlägigem begegnet ung z. B. bei dem 
Liede: „Ein feſte Burg iſt unfer Gott ꝛc.“ weiter Nichte, ald Seite 19 
die Brage: „Wann mag wohl das Lied gedichtet jein?‘ und die ges 
legentlihe Notiz: „So wie Luthern felbh fein Lied während des Auge- 
burger Reichsſstages auf der Feſte Koburg täglich zum Troſte gereichte ꝛc.“ 
Und wie ergiebig waren da die Quellen! (Daß Berichterftatter eine 
umftändlichere Lebensbefchreibung Luthers nicht aus der Schule ver 
bannen will, verfteht fi übrigens wohl von ſelbſt.) Daffelbe gilt von 
dem Liede: „Befiehl du deine Wege ꝛc.“ und von manden andern. 
Eine andere Ausftellung betrifft die Wort» und Saherflärungen. 
Wir find mit Hupe (gegen Thilo) der Meinung, daß diefe vielfältig 
nöthig find, aber unfer Berfaffer hat 'in feinem, der ganzen Anlage nadı 
für Lehrer befiimmten Buche doch gar zu viel erflärt, was fich von 
ſelbſt verſteht, z. B. Eeite 19: „Wehr = Schug oder Bruftwehr: 
erforen = erwählt; Hahn — ſtehn“ und fo vieles Andere. (Zu 
feiner Erflärung Seite 12: „Hort — hoher Ort, Zuflucht,‘ wollen 
wir bemerken, daß Hort der altdeutjche Ausdrud iſt für das zur Auf: 


Religions - Unterricht, 113 


bewahrung Niedergelegte von vorzüglichem Werthe und eines Stammes 
mit curace, forgen, custos, Hüter. (Genaueres bei Weigand 1612) 
Andrerfeits find die gegebenen Erklärungen auch wiederum mangelhaft, 
tbeil8 geradezu falfh, Seite 45: „Gottes Poſaune“ — Gottes 
durhdringende Stimme. Seite 28 die den-meiften Lehrern gewiß uns 
verRändlichen Worte über „des Papſt's und Türken Mord; (befier bei 
Schulze Seite 243 und Genaueres bei Stip: „Das Kleinod ac.”). 
An andern Stellen werden Erflärungen ganz vermißt; Seite 105, wo 
das Gitat Joh. 20, 25 —27 fihher nicht ausreiht; Seite 107, wo die 
Borte: „Wenn ih in deinem Leiden, mein Heil, mich finden ſoll“ 
einer eingehenden Erklärung bedurften, und der Verfaſſer ſelbſt den 
fiebenten Vers ganz falfch verftanden hat. Wir fünnen aus der Menge 
der Einzelnheiten bier nicht mehr anführen. — Wir treten an die Lieder⸗ 
geſchichten. Da ift viel Gemachtes, mit Gewalt Serbeigezogenes, für 
die Schule ganz Unpafjendes. Zu dem Liede: „Mitten wir im Leben ꝛc.“ 
erzählt der Verfaſſer (nah Schubert) eine Schulmeiftergefchichte. Da if 
denn die Rede „von dem Unfinn,” daß manche junge Schullehrer ftatt 
gefunder Seelennahrung allerhand unnüges und eitles Flickwerk vors 
Fringen. Run bat der Berfaffer in der Sache gewiß Net, ſowohl in 
Beziehung auf Viele, denen man das Weltfind ſchon von vorn herein 
anfiebt, als auch auf Manchen, der vom Kopf bis auf die Behe in 
geiklihen Schein gekleidet einherfchreitet und nach allen Seiten Worte 
der Salbung ausftreut. Aber gehört die Gefchichte in fein Bu? — 
Bie kommen die Gefchichten von Thomas Münzer und Kaifer auf 
Exite 12—14? Daß nah dem „Herr Gott, dich Toben ac.’ von Am⸗ 
brofius die Rede ift, ift gewiß paflend, aber muß denn nun au „Aus 
guſtinus“ folgen, weil nad der Tradition Ambrofius und Auguftin 387 
zufammen das Lied in der Taufnacht Auguftin’® gefungen haben? 
Bußte der Berfaffer Feine andere Stelle für Auguflin? — Auf das 
Lied: „Es ift das Heil uns kommen ber ꝛc.“ folgt unter „Geſchicht⸗ 
lies’ eine Schilderung des 18. Januar 1701. Am Schluffe beißt 
es: „Die Berfammlung aber erhob einmüthiglich die Stimme und fang 
die zwei letzten Verſe unferes Liedes. Sch meine, der im Himmel oben 
wird auch in das Amen des Scluffes mit eingeflimmt haben. Was 
wird aber Speratus gefagt haben, als die Stimme feines Liedes an 
einem fo hochfeſtlichen Tage gen Himmel ſchrie?“ Das ift denn doch 
eine wirklich arge VBermifchung des Geiftlichen und Weltlichen und eine Tact⸗ 
lofigkeit ohne Gleihen. Wir hoffen, daß auch die enragirteften Con⸗ 
centrationsmänner ſich gegen ſolche Eonfundirung verwahren werden. 
Die Liedergefchichten find einer der fchwächften Theile des ganzen Buches. — 
Bir haben mit dem Berfafler noch um vieler Dinge willen zu rechten, 
müflen uns aber beichränfen. Seite 1 if von den wenigen Liedern vor 
Luther die Rede. „Nur einige Peine Volkslieder und einzelne Seufzer 
und Jubelrufe, angefiimmt an hohen Feſttagen und Wallfahrten, waren 
der einzige Schmud ꝛc.“ Verſteht das ein Volfsfchullehrer ohne Koch 
eder ein anderes Buch? Aehnliche Fälle, in denen mit wenigen Zügen 
Nade, Iahresberit, X, 8 


114 | Religions » Unterricht. 


Belehrung zu fchaffen war, finden wir vie. Raum war durch Weg⸗ 
laffen mancher Gefchichte zu ſchaffen. — Faſt gar nichts ift für die tiefere 
Einführung in den Gedanfenreichthum der Lieder gethan. Der Berfafler 
begnügt fi mit der Aufftelung des Gedanfenganges. Da wußten dod) 
die Alten ein Lied anders auszulegen. Die Darftellung bat mitunter 
etwas Bedenkliches. Wir vermeifen auf Seite A und 9. Eeite 45 
mußte der aus Zei. 5, 22 entlehnte Ausdrud „Helden, Wein zu faufen‘‘ 
ausdrüdlich als ein biblifcher bezeichnet werden. „Es wird fich nicht 
fhiden, bei der Beiprechung eines geiftlichen Liedes hinabzufteigen in die 
Tiefen des trivialen oder des gar zu alltäglihen Lebens; und wenn es 
ja geſchehen muß, fo darf man fih gewiß nur nad Nothdurft dort aufs 
halten und den pafienden Ton nicht verlieren.“ (Brandenburger 
Schulblatt 1856, Seite 303. An derfelben Stelle noch manches Andere, 
was jeder Liederbearbeiter beberzigen follte.) Was ein Ecriver, ein 
Alban Stolz an einzelnen Ausdrüden und Wendungen gebraucht haben, 
klingt darum eben, weil e8 von ihnen gebraudt if, doch noch ganz 
anders, al8 wenn ein Anderer, der fonft wenig von diefen Männern 
fein eigen nennen fann, es ihnen nachgebraucht. Anderwärts if bei 
unferm Verfaſſer der Ausdrud fehr geichroben. Dazu lingt der ganze 
Styl bald an Koch, bald an Heinrich, zuweilen leife an Alban 
Stolz an. — Bir rathen dem Berfafler, deffen Zleiß und guten Willen 
wir anerkennen, für eine zweite Auflage feines Buches die alten Lieder, 
ausleger tüchtig zu fludiren und fein ganzes Buch einer firengen Sich⸗ 
tung zu unterziehen. Wir wollen nit grade auf feine Schrift ans 
wenden, was Thilo von dem Knauthſchen Hülfsbuce fagt: ‚Das 
it das Zeichen des Yabrifmäßigen an aller Arbeit, daß es ihr am 
Stempel des Geiftes fehlt,‘ aber nach unferer Meinung, die wir allen 
anderweitigen Zobeserhebungen gegenüber fefthulten, fehlt der Schrift des 
Verfaſſers noch fehr viel. Es erfheint uns gegenüber den mandhers 
lei Büchern der füngften Zeit überhaupt als ein fehr gewagtes, entweder 
das Ziel, oder die eigene Kraft nicht gehörig bemeflendes Unternehmen, 
ohne den Untergrund einer foliden willenfchaftlihen, vornämlich theo⸗ 
logifhen und ſprachlichen Bildung, ohne hymnologiſche Borkenntniffe, 
obne Befanntihaft mit dem, was in den legten Jahren auf dem Ges 
biete der Hymnologie geleiftet ift, eine Liederauslegung oder wie man 
das Bud, nennen möge, fohreiben zu wollen. Grade um recht prak⸗ 
tifch zu fein, muß man über ein gutes Theil wiffenfchaftlicher Kennt⸗ 
Riffe gebieten Fünnen. 


62. Paul Gerhards geiftlihe Lieder. Herausgegeben von C. F. Becker. 

Mit den Singweifen. Zmeite Auflage. Leipzig. Schlide 1856. VIII 

u. 447 Seiten Text und 52 Seiten Wufifbeilagen. 2 Thaler. 

Eine Ausgabe, die auch in ihrem Außerlichen Gewande den frommen 
Liederdichter ehrt. Zum Grunde gelegt ift die Nürnberger Ausgabe von 
1683, doch auch die von Feuftfing von 1707 benupt. Die mitten in 
den Berszeilen vorkommenden, veralteten Wörter find mit den jegt üb» 
lihen vertaufcht, der Reim ift unverändert geblieben. Wie ſich die 
zweite Auflage von der erfien unterfcheidet, oder ob wir nur eine neue 


21 


Religions⸗Unterricht. 115 


Titelausgabe vor uns haben, vermögen wir nicht zu entſcheiden, da die 
erte Ausgabe und nicht vorliegt. Möge das Buch viele Freunde finden! 


E. Bur Kirchengeſchichte. 


63. Abrif der Kirchengeſchichte. in Leitfaden für den Unterricht in 
böberen Lehranſtalten. Seitenſtück und Ergänzung zu des Verfaflers Lehr⸗ 
buch der heiligen Geſchichte. Bon Dr. Joh. Heinr. Kurtz. Dritte, vers 
Katie Auflage. Mitau 1856. Berlag von Neumann. VIII u. 209 Seiten. 

gr. . 

Zu unterfheiden von dem größeren Werke deffelben Verfaſſers 
(„Handbuch der affgemeinen Kirchengeſchichte.“ Erfter Band. Erfte Abs 
theilung. Mitau 1843. Zweite Abtheilung 1854. Dritte Abtheilung 
1854. Die drei Abtheilungen zufammen 70 Bogen. 3 Thlr. 15 Sgr. — 
Zweiter Band. Erſte Abtheilung. 1856. 1 Thlr. 24 Sar.) und dritte 
Auflage des zuerfi 1852 erfchienenen (zweite Auflage 1853) Wertes: 
„Lehrbuch der Kirchengeſchichte,“ das eine Zufammendrängung und auf, 
Gymnafialbedürfniſſe eingerichtete Veränderung des urfprünglichen Lehr⸗ 
buches von 1849 darbot. Die dritte Auflage des bier angezeigten 
Werkes führt den Titel: „Abriß 2, um daffelbe von dem Lehrbuche 
der Kircyengefchichte für Studirende, zu welchen der Berfaffer allgemach 
feine Schrift von 1849 geftaltet bat, fchärfer zu untericheiden. Wo es 
ah thun ließ, Hat der Verfaſſer den Stoff vereinfacht und verkürzt. 
(Statt der 16 Bogen der zweiten Auflage jeßt 13.) Die Anordnung 
und Behandlung ift fonft diefelbe geblieben. — Mit diefer Anzeige if 
das Gejchäft des Berichterflatters beendigt. Zeitichriften der theologijchen. 
Biffenfhaft haben es vielfach ausgefprochen, daß Kur bei feiner fon» 
figen vielfachen literarifchen Zhätigfeit auch ein Meifter in der Bears 
beitung der Kirchengefchichte ift, daß namentlich auch der vorliegende Abs 
riß durch zweckmäßige Anpaflung an den Kreis feiner Nupnießer, durch 
rihtige Auswahl und angemeffene Form, namentlich durch die Kunſt, 
dur kurze, treffende Bemerkungen Zeiten, PBerfonen und XThatfachen 
zu zeichnen, fih auszeichnet. Der Berichterftatfer Tann nichts Ans 
deres, als den Wunfch hinzutbun, daß der dreifahe Bang, den Kurk 
jegt mit feinen kirchenhiſtoriſchen Schriften thut, (für Gymnaſium, Unis 
verktät und umfaflenderes Selbſtſtudium), auch in Zukunft ein reich ges 
fegneter fein möge. - 


61. Das Lutberbühlein. ine kurze Gefchichte der Meformation und 
ibrer Segnungen. Zu Nup und Krommen für Qung und Alt. Bon 
Dr. Wangemann. Berlin, New-York u. Adelaide. Wohlgemuth in 
Berlin. 189 Seiten. Duodez. 15 Ser. 

Mit 8 Bildern, an denen bei dem hoben PBreife des Büchlein 
Manches auszufegen if. Die lange als falfch widerlegte, zuerft bei Nebs 
hahn, dann bei Sedendorf auftretende Annahme, daß Luthers Eitern 
des Jahrmarktes wegen nad Eisieben gereift feien, findet fich auch bier. 
Eisleben hat nie zu Anfang November einen Jahrmarkt gehabt. Falich 
iR and) die Annahme, Hans Luther fei fhon in Möhra Bergmann ge 
weſen Luther felbft fagt: „ich bin eines Bauern Sohn; mein Vater, 


8* 


116 . Religions » Unterricht. 


Großvater, Ahnherr find rechte Bauern geweien. Hernach ift mein 
Bater nah Mansfeld gezogen und bdafelbft ein Berghauer geworden.’ 
Wald XXII, 2264. Andere Einzelnheiten müffen wir übergehen. — 
Auch fo Meine Büchlein follte man nit ohne Quellenftudium fchreiben. 
Die Dietion hat wiederum manches Weberderbe. 


65. Doctor Martin Luther in den Hauptzügen feines Lebens, gefchildert 
von Earl Becker, evangel. lutheriſch. Paftor zu Königsberg in der Reus 
mark. Mit einer Abbildung der Luthers Statue in Möhra. Leipzig. 
Weber 1856. 368 Seiten. 1 Ihr. 


Eine ſchlichte Schilderung der Hauptzüge aus dem Leben Luthers ; 
für das Haus beftens zu empfeblen. Für Lehrer zu theuer. 


66. Dr. Martin Luthers Leben. Zum Gedächtniß des Jubelfeſtes des 
Augsburgifchen Religionsfriedens. Nebft einem Anhange, die Augsbur- 
giſche Confeffion, die Schmalfaldiichen Artifel und den Augsburgiſchen 
Religionsfrieden enthaltend. Herausgegeben von Karl Zimmermann, 
Dr. ei Theologie m. Bweite Auflage. Darmftadt. Lesle 1855. 

eiten. 


Wir haben uns gefreut, diefem namentlich durch feine Citate unter 
dem Texte wertvollen Buche auf feinem zweiten Gange zu begegnen. 
Es ſetzt allerdings einen andern Leferfreis als Volksſchullehrer voraus. 


67. Stammbaum der Kamille des Dr. Martin Luther, zur dritten 

.  Säcularfeler feines Todestages () des 18. Februar 1846 (‚) herausgegeben 
von Profeffor Robbe in Leipzig. Zweite mit einem Anhang vermehrte 
Ausgabe. Leipzig 1856. Verlag der Lutherftiftung. 144 Seiten und 
36 Seiten Anhang. 


63. Die Lutberftiftung zu Leipzig vom 18. Kebruar 1847 bis zum 
18. Kebruar 1856. Zweiter befonders gedrudter Bericht. Keipzig. Verlag 
der Lutherftiftung. 

Zwei Schriften, zunähft von fpecieller Wichtigkeit für die Luthers 
familie und die Genoflen der Autherftiftung, aber auch von Sntereffe 
für. jeden Iutherifhen Chriften. 

69. Geſchichte der Kriftlihden Kirche. Für Jedermann, infonderbeit 
für die Jugend bearbeitet von Dr. J. B. Trautmann, evangeliichslutbe- 
riſchem Paſtor zu Waldenburg in Schlefien, fortgefegt von K. U. E. 

Kluge, evangeliich = Iutberifchem Paftor in Bernftadt in Ecdhlefien. Dritter 

Theil, Gefchichte der Kirche von der Zeit der Reformation bis auf unfere 
Tage. Dresden, Naumann. 1857. 531 Seiten. 1 Thlr. 8 Ser. 

Die beiden erften Bände find Jahresbericht IV. S. 38, und IX. 
S. 64 von dem heimgegangenen Nade günftig beurtbeilt. Wir fönnen 
auch den dritten Theil empfehlen. Er wird dem Lehrer felbft manche 
Belehrung und paſſendes Material für die Schule liefern. Manche 
Partie ift nicht objectiv genug gehalten. Der hohe Preis des Ganzen 
wird der Verbreitung unter den Lehrern fehr binderlich fein. ' j 


70, Drei und fiebenzig Kriftlihe Geſchichtsbilder nebft ents 
ſprechenden Liederverfen zur Erläuterung und Derräftigung fämmtficher 
ragen des würtembergifchen Bonfirmationsbüchleing ; eine Lebensmitgabe 
für Confirmanden und Confirmirte. Mit Borwort von €, E. Koch, 
Dekan und eriten Stadtvfarrer in Heilbronn. Bearbeitet von Dr. A. F. S. 
Heilbronn 1856. Scheurlen. IV u. 86 Seiten. 


Religions - Unterricht. 117 


Die einzelnen Geſchichten fchließen ſich genau an die fragen des 
würtembergifchen Bonfirmationsbüchleins an. Zu jeder Frage ein Ges 
fhichtebild. Der Hymnolog Koch, der eine ähnliche Arbeit, nur noch 
in ausgedehnterem Maaße und in Berbindung mit einichlagenden Kerns 
ſprüchen der heiligen Schrift und Kernverfen des Gefangbuches beab» 
ſichtigt, aber in unbeflimmte Weite fchieben muß, empfiehlt das vor« 
liegende Buch dringend. Wir flimmen feiner Empfehlung bei, hätten 
aber mande Gejchichte, die 3. B. in Zrage 17, nicht wiederzufinden 
gewünſcht. 

71. Mittpeilungen aus der Geſchichte der chriſtlichen Religion 
und Kirche für den evangeliſchen Schuls und Confirmandenunterricht 
von E. F. M. 8. Marchand, evangel. Pfarrer zu Lindenfeld. Darm⸗ 
ftadt. Kern. 1856. IV u. 65 Seiten. 4 Ser. - . 

Zu viel todtes Gerippe, zu wenig lebensvolle Schilderung. Nicht 
zu empfehlen: . 

12. Berte des Glaubens. (Erzählungen aus der Kirchengefchichte, für die 
Jugend bearbeitet von Neale. Aus dem Englifchen überfegt. Zum Beſten 
des St. Hedwig: Krantenhaufes. Berlin 1856. Drud und Verlag von 
Janſen. 10 Sgr. 

Die Arbeit einer Dame, um des verführeriichen Titels willen, der 
Manchen irre führen könnte, von uns hier aufgeführt. Das Buch, aus 
dem Schooße der Tatholifhen Kirche hervorgegangen (Vorwort vom 
Bropfte Pelldram), verfpricht Erzählungen aus der Kirhengefhicdte, 
und bringt unter Anderm die Gefchichte vom heiligen Meinhard, die 
Legende des heiligen Wenzeslaus, die Gefchichte der fieben Brüder von 
Epbefus 2. Der Borredner fpricht von der einfachen Sprache, die das 
Gepräge der Wahrheit an fich trägt; die Weberfegerin ſpricht von den 
bochherzigen, edlen Thaten der heiligen Märtyrer und will feine Mähr, 
hen erzählen. Sie hätte nur auf den Titel fchreiben follen: „Erzäh—⸗ 
lungen aus der katholischen SKirchengefchichte.” Der Styl iſt fließend 
und gefällig; ab und zu erinnert er an den Dann im Monde. 3. B. am. 
Eingange der erften Erzählung: „Es war eine freundliche Sommernacht,“ 
in der fih nämlich junge, ausjchweifende Römer bei altem Weine über 
die Chriſten unterhalten und St. Petrus, „der Apoftelfürft,” noch ein⸗ 
mal den heiligen Linus zu feinem Nachfolger einfept und der Heiland 
dem Petrus auf dem Wege nach dem Appiathore leiblich erfcheint. Das 
iſt gut katholiſch, und die Darftellung wird auch dazu beitragen,‘ dem 
Büchlein unter der Jugend der höhern Stände Eingang zu verfchaffen. 
Die alte, einförmige Form der Heiligengejchichten will der verwöhnten 
modernen Bildung ohnehin nicht mehr zufagen. Practica est multiplex ! 
Alle Wege find gut, wenn fie nach Nom führen. — Für evangelifche. 
Lehrer und Kinder alfo das Buch an die Warnungstafel! 


F. Bur Schulandacht. 


13. Scäulfeier am Chriſtfeſte. Enthaltend Gedichte, Gebete, Anfpracen, 
—IE liturgiſche Andachten, Lieder und Arien. Herausgegeben von 
Eydow, Lehrer. Landsberg a. d. W. 1857. DBolger. 100 Seiten 

Ist, 16 Selten Muſikbeilage. 10 Ger. 


118 Religions = Unterricht. 


Der Titel giebt den Anhalt an. Gegen die Gedichte thun mir 
von vorn herein Einſprache. Unfere Gedichteſammlung ift aud in der 
Schulhriffeier das kirchliche Geſangbuch. Die Gebete enthalten viel 
Schönes, desgl. die Anfprahen (viel Wafler in dem Gedichte V. 17, 
Strophe 5), eben fo die Predigten. Die liturgifchen Andachten find 
neumodifch complicirt. Die Wechfelgefpräche haben den Berichterftatter 
tebendig an die in feiner Zugendzeit in Schlefien herridende Unfitte 
erinnert, bei den öffentlichen, in der Kirche vor der ganzen Gemeinde, 
wo möglich der ganzen Nachbarſchaft auf Meilen in die Runde, gehaltenen 
öffentlihen Schulprüfungen wohl eindreffirte, hundertmal probirte, os 
genannte „Geſpräche“ balten zu laſſen, bald-aus der Kirchengefchichte, 
bald aus der vaterländifhen Gefchichte, bald aus der Phyfik, eins immer 
gelehrter und von den (50— 60) Rednern immer weniger verflanden, 
als das andere. Nun find zwar die vor uns liegenden Gefprädhe bei 
weitem nicht fo bunt und raus, als jene, jetzt wohl lange entichlafenen 
Schulprüfungsgeiprähe, aber in dem einen Geſpräche figuriren doch 
achtzehn Kinder und die Rollen der Dummen Frager und der fupers 
lugen Antwortgeber fpufen auch in Landsberg a. d. W. noch. Seite 48 
zwei eine geiftlihe Komödien, aufgeführt von Joſeph und Maria, Die 
von Echulfindern dargeftellt find. Recht modern. Maria z. B. fpricht: 

„Ich bin fo müde! immer ſchwerer 

MWird mir’s; auch nicht ein Freund if da! 

So fremd hier — fühlt das Herz fich leerer, 

Als wandernd durh Samaria!“ 
Auf eine Meine biftorifche Unwahrheit kommt es dabei nicht an. Herr 
Sydow mußte wohl nicht, daß die Zuden, wenn fie von Zudäa nad 
Galiläa und umgekehrt reiften, Samaria nicht berührten. Wo flehet 
e8 gefchrieben, daB Zofeph und Maria eine Ausnahme machten! — 
Seite 62 ff. heißen die Marginalien zu den verfihiedenen Gefangflellen 
der Aufführung der Reihe nah: Coro. Recitativ. Choral. Grave. Res 
eitativ. Choral. Recitativ. Choral. Coro. Choral. Coro. Recitativ. 
Coro. Recitativ. Choral. Affettuofo. Choral. Bine Stimme. Zwei Stims 
men. Ein Chor Kinder. Ein Chor Väter und Mütter. Tutti. Doc 
genug! Das Buch wird feine Freunde finden. Je bunter, je weniger 
evangelifhe Einfalt, je mehr Meffe, — fo heißt es ja leider heutzu⸗ 
tage vieler Orten —, deſto befier. — An die Barnungstafel! 


14. Gebete für evangeliide Schulen, herausgegeben von F. Schau⸗ 

Ari a autor in Meiningen. 1856. Brüdner und Renner. 90 Seiten. 

2 . 

Diefe Gebete find furz, nad dem Kirchenjahre geordnet, einfach 
und chriſtlich. Wäflriges kommt nur felten vor. Schrift und Kirchen 
lied find fleißig gebraudht. Wir lieben folche Sammlungen nit; wer 
aber ohne eine ſolche nicht ausfommen kann, mag nad der vorlies 
genden greifen. 

75. Zwölf Bibelandadten aus dem Gymnaftalleben von Dr. O. 

. Sriedrih Danneil, ord. Lehrer am Pädagogium zum Kloſter Unſer 

Lieben Frauen in Magdeburg, Cand. minist, Mit einem Vorwort von 


Religions - Unterricht. 119 


Dr. W. Hoffmann, Generaljuperintendent der Rurmark. Magdeburg 1856. 

Heintihehofen. (Erſtes Heft.) VIII und 150 Seiten. 

Feder, der dieſe Bibelandachten zur Hand nimmt, wird dem Vor⸗ 
wörtner beiftimmen. Diefer jagt über die ‚kräftigen, innigen und from⸗ 
men Zeugnifle des Verfaffers, daß „fie bald wie Schwertflingen in 
die Herzen fahren, bald wie Siegespalmen wehen, bald wie Delzweige 
des Friedens ſäuſeln.“ — ‚Die Behandlung des Schriftwortes in feiner 
lebendigen, farbigen, concreten Geſtalt, — fagt derjelbe —, wie in Auf 
fhließung feiner piychologifchen Tiefen und Anwendung auf Herz und 
Leben ift fo treffend, veih und fiegreih, daß ich den Bibelandachten 
einen gefegneten Lauf nicht nur wünſche, jondern auch vorausjage. Sie 
bedürfen darum meiner Empfehlung nicht.‘ Möchte uns der Berfafler 
nit zu lange auf dag zweite Heft warten laffen! Möchten aber auch 
die Symnafien fih die Bibelandachten unferes Verfaſſers recht em⸗ 
pfohlen fein laffen! 

176. EGvangeliſche Schulreden, gebalten im AZriedrihsgymmas 


fium zu Altenburg von Dr. Fr. H. R. Frank, Lic. der Theol., 
Profeffor. Altenburg 1856. Schnupbafe. VI u. 110 Seiten. 


Ebenfalls ein Zeichen des neuen Lebens aus den Kreifen, in denen 


- 


vor nicht langer Zeit mehr Loblieder zu Ehren der Genieen des Alters - 


thums, als des dreieinigen Chriftengottes ertönten. Nach Anlage und 
Durhführung find diefe Schulreden wefentlih von den Nr. 75 genannten 
Bibelandachten Danneil's verfchieden, aber fie finden ihren Einigungs⸗ 
punkt mit diefen in dem freudigen Bekenntniſſe Chrifi. Das Motto 
ber Frankſchen Reden: ‚Alles ift euer ꝛc“ durchdringt fämmtlihe Vor⸗ 
träge. Klaffifhe Durchbildung, ein offener Sinn für alles Große und 
Schöne, die Gabe des Wortes, eine reiche Lebenserfabrung: Alles tritt 
in den Dienſt Chriſti. 


G. Zur Niffionsfade, 


177. Hermannsburger Miffionsblatt. Herausgegeben von C. Harms, 
Baftor. Erfter Jahrgang 185%. Zweite Auflage. Dresden bei Zuflus 
Raumann. Auch im Wiffionshaufe zu Hermannsburg. 196 Seiten. 10 Spar. 
Das immer wiederkehrende Einerlei, oft fogar eine krankhafte Eins 

feitigfeit haben fhon Manchem, der an der Miffionsfache felbft den Ich» 

bafteften Antheil nimmt, das Lefen der Milfionsblätter verleidet. Grade 
in den Häufern der Geiftlihen und Lehrer, von denen aus diefe vornäm⸗ 
ih ihren Gang in die Gemeinden nehmen, werden fle oft am wenigften 
wirklich gelefen. Um fo lieber ergreift der Berichterflatter die Gelegens 
heit, die Aufmerkfamfeit der Lehrer auf eine Miffiongfchrift hinzuleiten, 
die ſich nad vielen Seiten hin vortheilhaft auszeichnet. Das Hermanns» 


burger Miffionsblatt bietet in dem Jahrgange, der uns vorliegt, eine ' 


Hriftlich gejunde, dabei auch anziehende Speife. Schwerlich wird daffelbe, 
wo es erfi einmal eingefehrt ift, das Schickſal der gewöhnlichen Miffions« 
blätter theilen. Bejonders den Schullehrerfeminaren wollen wir es drins 
gend empfehlen. Grade in ihren Kreifen wird, fo will es ung fcheinen, 
in der Art und Weile, in der nıan die Fünftigen Lehrer für die Sache 


120 Religions: Unterriät. u 


der Miffion zu intereffiren fucht, viel verfehen und nicht felten ber 

Grund zu einer in Jahren nicht zu überwindenden Gleichgültigfeit, wohl 

gar wirflihen Abneigung gelegt. - " 

78. Sreundlide Mitgabe. Düſſelthal. Drud und Berlag der Rettungd« 
anftalt. 1854. 24 ©. 

Wir haben nicht bald einen beffern Tractat getroffen. Er ift bes 
fimmt, von chriſtlichen Hausgenoffen den anflopfenden Handwerksburſchen 
als Kiebesgabe gereicht zu werden. 5 Abfchnitte: Anflopfen. Unterwegs. 
In der Fremde. Die Herberge. Abfchied. Gelänge e8 dem Lehrer, ihn 
behufs der Austheilung auch nur in ein Haus der Gemeinde zu bringen: 
e8 wäre ein reicher Segen darin. 


H. Lehrpläne 


- 79. Das Kirhenjahr in der Schule, behandelt nad dem Lutberifchen 
Katechismus in Wochenaufgaben, zufolge des Regulativs vom 3. Dctober 
1854. Bon Fink, Paſtor, und ©. Borbrodt. Zehrer zu Schönberg. 
Schönebeck. Berger. 1855. 

. Der Beweis dafür, daß zwifchen dieſem Dachwerfe und dem Res 

Qulative durchaus feine Verwandtichaft flattfindet, if wohl in den eins 

“leitenden Bemerkungen unferes Berichtes hinreichend geführt. , 

80. Lectionskalender für den gefammten Unterricht in der Elementarfchule. 
Auf Grund der drei preußifchen Negulative vom 1., 2., 3. October 1854 
und der „erläuternden Beltimmungen der Königlichen Regierung‘ (zu 
Merfeburg ?) entworfen und nad Beiprechungen in einer Zehrerconferenz in 
Drud gegeben vom Pf. Wed in Offig. Erfes Heft, den Religions 
unterricht betreffend. Jeitz 1856. Webel, 55 Selten. NH Egr. 

Eine Doppelarbeit für die getheilte und die ungetheilte Schule. 
Der erfte Abfchnitt giebt die Vertheilung des Stoffes der biblifchen Ge⸗ 
fhihte an. injähriger Kurfus von Pfingften bis Pfingfien. Die 
Unterklaſſe der. getheilten Schule fpaltet Wed, von dem richtigen Ge⸗ 
danfen an eine Mittelftufe geleitet, in zwei Abtheilungen. Auch in der 
zweiten Abtheilung der ungetheilten Schule hat er ein a. und ein b. 
Die praktiſche Ausführbarkeit dieſer Sonderung beftreiten wir. An der 
Stoffvertheilung für die Oberflufen zeigen fih die Schwierigkeiten des 
jährlihen Kurfus (im gewöhnlichen Sinne) recht deutlih. Der zweite 
Theil bietet die Bertheilung der Katechismusftoffe in jährlihem Kurſus 
von Oftern bis Oftern. Auch diefe Bertheilung wird fich in der Praxis 
für die Oberftufen wenig bewähren, fo lange der Begriff ,jährlicher 
Kurfus‘’ im gangbaren Sinne genommen wird. Der dritte Theil ent⸗ 
hält den Möllerfchen Bihellefepylan ; der vierte, die Geſangbuchskunde, in 
zwei Jahreskurſen, if die ſchwächſte Partie des Kalenderd. Wir vers 
weifen für das Einzelne auf die einleitenden Bemerkungen unferes Bes 
richtes. Der ganze Kalender ift eine fleißige, auch anregende und das 
rum nicht unverdienftliche Arbeit, aber miehr aus der Theorie, als aus 
der Praxis erwachſen und für die lebtere wohl wenig nupbar. 

81. Plan für das religidfe Unterrihtsgebiet in evangelifden 
Voltsihulen. Entworfen von M. Albert Sigismund Jaspis, Ge⸗ 


Religions » Unterricht. 121 


re undent der Proving Pommern. Stettin 1856. Graßmann. 
reis 4 

Bertheilt die PBenfen nicht nach Wochen, wie Wed, fondern giebt 
für die drei Stufen: Unterflafle, Mittelklaffe, Oberfiaffe, einfach die 
Stoffe an. Dabei trefflide Winfe über Boncentration, Anſchluß an 
das Kirchenjahr 2c- Wir halten diefen Plan für eine der beften Arbeiten 
igrer Art. Bu vergleichen find die einleitenden Bemerkungen unferes 
Berichtes. 
82. Blan für den Religionsunterriht ald Anhang zu dem Nr. 18 genannten 

Katechismus. 

Wird auf eine Beſprechung wohl keinen Anſpruch machen. 
83. Blan in der Ausgabe der 80 Lieder von. Kolde (Lit. Nr. 56). 


Die Arbeit eines der Schule wohl Fundigen Mannes, aber erfi am. 
Schluſſe unferer Berichterfiattung uns zugegangen. ine genauere Bes 
ſprechung behalten wir uns vor. 


Nachträglich find noch eingegangen: 


84. Dr. Martin Luther großer Katechtsmus. Leipzig 1857. Berlag 
der Zutheritiftung. 164 Seiten. 6 Sgr. 

Diefe Ausgabe des großen Katehismus Luthers zeichnet ſich vor 
andern Ausgaben, 3. B. der des Evangelifhen Büchervereins (Berlin. 
Niederlage des Vereins Klofterfiraße Nr. 71) dadurch aus, daß fie die 
Auslegungen Luthers in kleinere und größere Abfchnitte zerlegt und 
Durch Angabe des Inhaltes in Weberfchriften Lefen und Verftändniß fehr 
erleichtert. Aber fie wird an der Ausgabe des GEvangelifchen Bücher 
vereins unter den Lehrern einen bedenklichen Soncurrenten haben. Die 
leztere tofet gebunden nur A Sgr. und bietet nod Luthers Vorrede 
zum feinen Katehismus, den Keinen Katechismus, das Zraubüchlein 
und das Zaufbüchlein. 

835. Kleine Geſchichten ausder heiligen Geſchichte. Für die Kleinen 
bearbeitet von J. Poppe, Mädchenlehrer in Gorsleben. Des Verfaſſers 
„Vorlagen gam Schreiben und Leſen“ viertes Heft. Schönebed bei 
Berger. 1856. 

Bieder ein Büdlein für die Kleinen von einem Manne, der allem 
Anfcheine nad niemals, oder doch nur fehr kurze Zeit den Kleinen Res 
ligionsunterriht ertheilt hat. Das zeigt ſich zunächſt fchon in der Aus⸗ 
wahl des Stoffes; Gefhichte 16: „Jakob bei feinem Better Laban,’ 
giebt die Namen der zwölf Söhne Jakobs, Geſchichte 35 giebt die Ges 
feßgebung und die zehn Gebote der Reihe nach, Geſch. 36: Das goldene 
Kalb und Mofes zum zweiten Male auf dem Sinai, Gef. 37 (in 
13 Zeilen): Die 40 Jahre in der Wüfte, Geſch. 38: Mofes ftirbt, 
Geſch. 39: Zofua führt Israel in das verheißene Land, Geſch. 40: 
Eli und Samuel 2c. Aus dem neuen Tefamente unter Anderm Johannes 


122 Religions - Unterricht. 


tauft: die Wahl der Apoflei und die Namen der zwölf Apoftel; die ges 
fhichtlihe Einleitung zur Bergpredigt und dahinter 7 Zeilen aus der 
BDergpredigt und das Baterunfer; Johannes wird enthauptet, Martha 
und Maria; Zahäus, eine fehr umfangreiche Paſſionsgeſchichte; bei der 
Pfingftgefhichte fogar Einiges aus der Nede des Petrus. Das Alles 
it für die Kleinen! — Das fihtlihe Beſtreben, den geſchichtlichen Zus 
fammenhang feflzuhalten, paßt fchleht zu dem Zitel. — "Bei einzelnen 
Geſchichten ſtehen Sprüde, bei andern wird auf des Berfaflers Spruch⸗ 
buch verwiefen. Wer fennt diefes? Liederverfe find nicht gegeben, fon» 
dern follen aus dem Gefangbuche gelernt werden. Bon einer Berbins 
dung der Gebetöftoffe mit der biblifchen Geſchichte ift feine Spur. Eben 
fo wenig von der Anordnung nah dem SKirchenjahre. Die einzelnen 
Geſchichten find paſſend in einzelne, durch Ziffern bezeichnete Abfchnitte 
getheilt. Ob dieſes des Berfaflers eigene Erfindung if, wiſſen wir freis 
lich nit. Die Ziffernabfchnitte treffen wenigftens vielfady mit den Abs 
ſchnitten in einem für die Kleinen beflimmten Büchlein eine andern 
Berfaflers zufammen. In diefem finden fi) Gedankenftrihe, bei unferm 
-Berfaffer Ziffern. Wir empfehlen dem Berfaffer in Beziehung auf feine 
Schriftftellerei für den Religionsunterrit in der Unterflaffe ein Sprüch⸗ 
fein aus dem Schulmeifter-A+B-E von Theophilus Eruft: 


„Treib's nicht, eh’ du's ſelbſt verſtehſt; 
Lern', eh’ du an's Lehren gehſt.“ 


un — — — —— a 


I. 
Der Unterricht in der deutſchen Sprache. 


- Don 


2. Kellner, 
Negierungds und Schul»Rath in Tier. 


A. Borbemerkungen über die Methode im Allgemeinen. 


Wir dürfen vorausſetzen, daß aufmerkſame Freunde und Leſer 
des pädagogiſchen Jahresberichtes mit den Anſichten und Grundſätzen 
vertraut find, welche bisher durch denſelben in Betreff des Sprachun⸗ 
terrichtes empfohlen und vertreten wurden. Beſtimmte Anfichten, feſte 
Grundfäge find übrigens nothmwendig, wenn die Beurtheilung der eins 
ſchlagenden literarifchen Erfcheinungen nicht charakterlos und ziveideutig 
ausfallen foll, obgleich fie Feineswegs fo beengen dürfen, daß nicht auch 
dem Guten, weldyes anderen Grundfägen und Anfichten entiprungen if, 
Gerechtigkeit und Berechtigung eingeräumt werde. Nur das. abfolut 
Schlechte, nur die aus fchulmeifterlich « erfahrungstofem Dünkel und 
aus der Unwiſſenheit entfprungenen Machwerle, deren es leider immer 
noch mehr als zu viele giebt, find unbedingt und um fo firenger abzus 
fertigen, da es fih um einen Gegenftand von Außerfter Wichtigkeit hans 
delt, und das Gute oft gerade von der Menge des Unkrautes erflidt 
werden Tann. Lehrern ift man übrigens eine gewiflenhafte Kritit um 
fo mehr fchuldig, da ihnen Zeit und Geld gleich koſtbar find, und Irr⸗ 
wege ſich nicht auf fie allein befchränfen. 

Es liegt in der Natur des Gegenflandes, der hier zu behandeln 
iR, fowie in den Gefegen der allgemeinen Entwidelung, daß ein Jahr 
eigentlich nur eine furze Spanne des Fortfihrittes fein Tann, und daß 
daher die gegenwärtigen Zuftände im Wefentlichen noch den früheren 
gleigen. Da im vorigen Jahrgange die Grundzlige der Methode des 
Syrachunterrichtes nochmals möglichft vollfländig, aber auch möglichft 
kurz und überfihtlich zufammengeftefft find, fo wird für jept nichts, als 


— 


424 Der Unterricht in der deutſchen Sprache. 


eine Weberficht der Literarifhen Erjheinungen übrig bleiben, und 
ed mögen diefer Weberfiht nur noch einige wenige Bemerkungen vors 
ausgeſchickt werden, welche mir fowohl durch Die Gegner der bisher bes 
folgten methodifchen Grundfäge, als dur deren Vertheidiger an die 
Hand gegeben find. 

Manche meinen, daß durch die analytifche Methode, nach welder 
der Sprachunterricht auf das Leſebuch oder einzelne Mufterftüde bafirt 
und in der logifhen und grammatifchen Betrachtung der Ießteren befteht, 
der Unterrichtsftoff, das Wiffensmaterial zu fehr zerftüdelt werde, 
und daß namentlih die grammatifche Ausbeute diefer Zerftüdelung ans 
beim falle und der nothwendigen Ordnung und Ueberfiht entbehre. Ich 
fann diefem Einwande nur infoweit einige Berechtigung zugeflehen, ale 
man nod immer allzu fehr geneigt ift, in der Grammatif, und nur in 
dDiefer, das Ziel und Ende alles Sprachunterrichtes zu erbliden, und 
daher auch die Elementarfchulen mit möglichft vielem Regel» und For⸗ 
menwefen zu bebelligen. Wo dagegen die Grammatif Auf das rechte 
Maaß zurücgeführt und nach den Grundfägen ausgewählt wird, welche 
ich im vorigen Jahrgange dargeftellt habe, da iſt es nicht fehwer, Die 


. desfallfigen Regeln und Erfcheinungen auch in organifcher Reihe auf 


einander folgen zu laffen, wie dies fowohl mein Praftijcher Lehrgang, 
ale auch ganz befonders die Fürzlich in zweiter Auflage erfchienenen 
„Sprahftunden’ (Leipzig, Hartknoch) beweifen. Nur wer das Maaß 
überfhäßt, wird in den Ueberfluß feine rechte Ordnung bringen föns 
nen; wer aber Haus hält und ſich insbefondere auf den praftifchen 
Lebensbedarf befchräntt, der wird finden, daß fih auch die Ordnung 
gar bald findet, ja von felbft ergiebt. Wer übrigens glaubt, Daß die 
grammatifchen Regeln und Formen durch die zwifchentretenden Logis 


{hen und fahlihen Betradhtungen und Uebungen zu weit 


„on einander getrennt würden, und daß damit der überfichtlihen Aufs 
faffung Abbruch gefchehe, der ift ja durch Nichts gehindert, von den für 
den Spradunterriht beſtimmten Stunden regelmäßig einzelne nur dem 
grammatifchen, andere wiederum dem logiſchen Berfländniffe der Grunds 
lagen zu widmen und dadurch jede Dieciplin mehr zufammenzuhalten. 
Ein erfreulihes Ergebniß der neueren Methode des Sprachunter⸗ 
richtes iſt es übrigens, daß dadurch aud die Poefie mehr Geltung 
in der Bolfsfchule gewonnen, und daß au der Gefangunterricdt 
mehr in lebenvolle Verbindung mit dem Sprachunterrichte getreten if. 
Was zunächft die Poeſie anlangt, fo bemerkt man mit Freuden, daß ein« 
zelne Fabeln, Lieder, Heine Balladen, Räthfel ꝛc. nicht bloß häufiger als 
fonft erflärt, memorirt und forgfältig mit reiner Ausfpradhe hergeſagt 
werden, fondern daß finnige Lehrer fie auch dem Spradunterrichte, fos 
wie anderen Diseiplinen an paflender Stelle einlegen und damit dem 
Ganzen ein höheres, innigered Leben verleihen. Insbeſondere hat auch 
der von Körner herausgegebene „Praktiſche Shulmann‘ nad 
diefer Seite bin recht dankenswerthe und wirklich praftifche Gaben ge» 
bracht. Es Tann nicht fehlen, daß auf diefem Wege auch die Lehrer 
feib mehr mit der Poefle befreundet werden, und dag fi ihnen damit 


Der Unterricht in der deutſchen Sprahe 123 


ene Quelle frifgen, reinen Lebensgenuffes eröffnet, welche auch auf 
die gefammte Lehrerwirffamfeit wohlthätigen Einfluß üben wird. 

Bo der Sprachunterricht in rechter Weife betrieben wird, und 
daher nicht bloß mit der trodenen Grammatik abfchließt, da iſt es eine 
nothwendige und nahe liegende Folge, daß er auch den Gefanguns 
terriht befruchtet und mit dem ganzen Schulleben in Berbindung feßt. 
Man muß bald erfennen, daß auch der Geſang eine Sprache ift, und 
daß die wahrhaft zu Herzen gehende, das Gemüth anfprechende Aus⸗ 
übung bdefielben im Wefentlichen unter denfelben Gefeben fleht, wie der 
hrrahlige Ausdrud. Namentlich hängt es mit der richtigen Anſicht 
von der Methode des Sprachunterrichtes zufammen, daß man dem Lies 
derfegten und deren Berftändniffe wieder größere Aufmerffamkeit widmet 
und es erfennt, daß ein Grfaffen diefer Terte mit dem Kopfe und Her⸗ 
jen eine weſentliche Bedingung jedes guten Vortrags bleiben wird. 

Eine andere, nicht minder erfreuliche Frucht eines Sprachunterrich⸗ 
tes, wie ihn der Jahresbericht bisher empfohlen bat, if endlich darin 
zu nbliden, daB damit zugleich eine wahrhafte und wirkliche Verbin⸗ 
dung, ein lebendiger Zufammenhang aller Disciplinen  bewirft wird, 
wilde offenbar zum Spracdunterrichte gehören und nur einzelne Rich⸗ 
tungen deſſelben find, nichtsdefloweniger aber oft genug ganz getrennt 
von einander betrieben wurden. Namentlich gilt dieß vom ſchriftlichen 
Sedanfenausdrude oder dem fogenannten Freiſchreiben. Letzteres knüpft 
fh ohne Zwang an den Sprachunterricht, fobald diefer nicht in ber 
Grammatik fein einziges Ziel und Ende erblidt, fondern durch die 
Rufterüde, Grundlagen oder Rormalfloffe, welche das Xefebuch bietet, 
ianiger mit der lebendigen Sprade in Berbindung tritt. Die Togifche 
Letrahtung der Mufterftüde, das Streben nach‘ vollem, realem Bers 
Rindniffe derſelben, und die damit verknüpften Erflärungen von Worten, 
Sachen und Thätigfeiten bieten eine reiche Fülle Stoffes für die Uebung 
im ſchriftlichen Gedankenauſsdrucke. Höher noch ift es anzuſchlagen, daß 
damit zugleich der Unterricht im fchriftlihen Gedankenausdrude auf 
leine natürlichen Grenzen zurüdgebracht und-zur Wahrheit wird, wähs 
rend die Webertreibungen darin auch in erziehlicher Hinficht Die nach⸗ 
tteiligſten Folgen haben. Die Uebungen im $reifchreiben werden näms 
ih zur Reproduction des Gehörten und Gedachten, und find demgemäß 
das Ergebniß der Anfchauung und des gefammten inneren Lebens, 
während fie im entgegendefehten Falle, wo der fchriftliche Gebanfenauss - 
druck ſelbſtſtändig oder ifolirt dafteht, Teicht zu Webertreibung und zur 
Unnatur werden und jene altkluge Frühreife fördern, die im Intereſſe 
einer gefunden Jugendbildung nicht weit genug von unferen Schulen 
entfernt werden fann. Zugleich bieten die veiflich und eingehend beipros 
tenen Grundlagen Mufter in der Form, welche das natürliche Sprach⸗ 
gefühl, dieſe herrliche Gabe der Natur, weiter ausbilden und flärfen. 

Weſentlich if es, und immer muß es noch nachdrücklich hervorges 
hoben werden, daß die Sauptfrucht des Sprahunterrichtes nicht im 
Biffen, fondern im Können befteht, und fo fange diefer Zundamentals 
fag nicht zu entichiedenerer Geltung gekommen ift, wird der Unterricht 


- 


126 Der Unterricht in der deutfchen Sprade. 


immer den Zweck verfehlen. Ueberall, wo die Grammatik noch Haupt⸗ 
fache ift und als folhe behandelt wird, überall, wo der Spracdhunters 
richt nicht mit dem Leſebuche in innigere Verbindung tritt, da muß das 
Wiſſen einjeitig hervortreten und die eigentliche Fertigkeit im Sprechen 
und Schreiben nachſtehen. Man tröfte fich nicht damit, daß man fagt: 
Alle Unterriht müffe ſprachbildend fein. Es gebt mit diefem fehr 
richtigen und wichtigen Grundfage nicht viel beffer, als mit dem. beliebten 
Ausfpruche: Aller Unterricht folle religiös gemweiht- fein. Ach möchte 
um des leßteren Sapes willen keineswegs einen gründlichen Religions» 
unterricht entbehren und immerbin des Glaubens leben, daß diefer das 
Befte thue. Ich würde fürchten, daß mit allgemeinen Redensarten und 
Reflexionen oder Hindeutungen, fo gut gemeint fie auch fein mögen, 
feine wahrhaft religidfe Durhbildung erzielt werde, — und ähnlich oder 
eben fo iſt's aud mit dem Sprachunterricht. Möge der wohlmeinende 
Lehrer immerhin in feinen übrigen Stunden auf reine und deutliche 
Ausſprache dringen oder bier und da die Kertigfeit im fchriftlichen Aus⸗ 
drude fördern, das Alles wird doch nur Stüd- und Flickwerk bleiben, 
wo nicht der eigentlihe Sprachunterricht das Befte thut und den Kern 
bildet. Wo übrigens in Schulen das Fachſyſtem herricht, und demnach 
jeder Lehrer ohne genauen Ueberblid über das Ganze nur feinen Ader 
vorzugsweife beftellt, da find die Ergebnifle jenes ſchönen Grundfages 
jedenfalls fo ſchwach, daß es höchft mißlich wäre, fih nur einigermaßen 
auf ihn zu Rügen. Darum find überall, wo eine greiflihe, praftifche 
Frucht des Sprachunterrichtes hervortreten foll, befondere Sprachſtunden 
nöthig, welche nicht bloß die Grammatik zu ihrer Aufgabe machen, fons 
bern dieſe Aufgabe wefentlich im lebendigen Umgange mit der Sprache 
erbiiden. Diefer lebendige Umgang mit der Sprache ift und bleibt auch 
das Hauptverdienſt der Methode, welcher wir bisher das Wort geredet 
haben. Selbſt Diejenigen, weldhe nur der Grammatif huldigen mögen, 
werden durch dieſe Methode mehr und mehr zu fol einem lebendigen 
Umgange bingedrängt. Sie find damit wenigſtens genöthigt, ihre Bei⸗ 
ſpiele nicht inhaltsleer und bloß der Regel zu Liebe zu formiren, Die 
Anwendung nicht in gleicher Weile bloß auf mechaniſche Satzmachereien 
zu beſchränken, fondern in beiden aufs Mufterflüd, aufs Leſebuch, kurz 
auf Die lebendige Sprache zurüdzugehen. 


B. Ueberſicht der neueften Erfeheinungen auf dem Gebiete. 
des Unterrichts in der Mutterfprache. 


1. Brammatifder neubochdeutfhen Sprache, mit befonderer Be- 
rückſichtigung ihrer biftorifhen Entwickelung von Friedr. Aug. Schö- 
tenfad, Gymnaflallehrer in Stendal. Erlangen, bei Friedr. Ente. 1856. 
er. 8. 836 Seiten. 31/5 Thlr. 

Diefe mit wahrhaft deutfchem Fleiße verfaßte Grammatif iſt eine 
ber umfaffendften, Die wir befigen, und fann fi in ihrer Reihhaltig« 
keit fühn den Werfen eines Schmitthenner, Gößinger, Beder u. A. an 
die Seite ſtellen. Sie wird zwar in Diefer wiflenfchaftlichen Züle und 


Der Unterricht in der deutfhen Sprade. 127 


mit ıhrem etwas fchweren Style zunächfk feine Schrift fein, wie fie 
der Bolfsfchullehrer für feinen Amtsbetrieb bedarf, dagegen kann fie 

Lehrern an Mittels und Realfchulen, wie an Gymnaſien, fowie Allen, 

die tiefere Studien in der deutſchen Sprache machen wollen, nachdrück⸗ 

ih empfohlen werden. 

Den Abfchnitt über das Weſen der Sprache haben wir etwas 
dürftig gefunden, und es bat uns insbefondere befremdet, daß der Ver⸗ 
fafler noch der Anficht huldiget, daß die Sprade aus dem lebendigen 
Drange nah Mittheilung entflanden, alſo gewiffermaßen eine menjchliche 
Erfindung fei. Selb die Forfhungen eines W. Humboldt neigen das 
bin, daß die Sprache etwas pofitiv Gegebened, alfo eine Offenbarung 
des Schoͤpfers ift. ' 

Wenn auch Grimm’s und Becker's Anfihten vorwiegend in dem 
Werke herrſchen, fo ift doc der Berfafler nirgends unfelbfiländiger Nach⸗ 
beter. So verwirft er 3. B., abweichend von Beder, den Eonditionalis 
als ſelbſtſtändigen Modus. . - 

Drud (lat. Lettern) und. Ausftattung find gut, der Preis zwar 
hoch, aber im Bergleiche mit dem bedeutenden Umfange des Buches 
nit übermäßig. Die Zahl der Drudfehler iſt mäßig. 

2. Die deutſche Schreibung und Sapzeihnung, wie fie in den 
im Kaiſerſtaate Defterreih vorgefhriebenen Shulbüdern 
vorgenommen if. Ein Hülfsbuh mit Webungsfloff und Aufgaben. 
Iwelte, vermehrte Auflage Prag 1856, bei Carl Andie. 8, 

eiten. 


Die Thätigfeit, welche fich gegenwärtig auf dem Gebiete des Schuls 
weſens in Defterreich zeigt, hat auch in dem vorliegenden Buche «ine 
Frucht reifen laffen, die zu den beften ihrer Art gehört. ine vortrefis 
lich gefchriebene, wiflenichaftliche, aber Elare und allgemein faßliche Ein⸗ 
leitung verbreitet fi zunähft über die Buchftabenfchrift, deren Wefen 
und Eutſtehung, und leitet hieraus die Methode unter fleter Berüdfich- 
tigung Des Findlichen Geiftes ab. Diefe Einleitung bemeift nicht bloß, 
daß der Berfafler mit der Wilfenfchaft als folder vertraut iſt, fondern 
Daß ihm auch die Fortfchritte und Forfchungen in der Methode genau 
bekannt find. Er unterfcheidet deshalb auch ſcharf zwiſchen der Rechts 
ihreibung durchs Ohr und durchs Auge, und beginnt den Kurfus in 
swedmäßigen Abftufungen mit der erfteren. Es darf hierbei nicht uns 
erwähnt bleiben, daß die Webungsbeifpiele mit befonderem pädagogifchen 
Zafte ausgewählt find und nicht bloß den Zwed des Mechtfchreibeng, 
jondern auch den der religiös sfittlihen und Afthetifchen Bildung verfol⸗ 
gen. Diefe Seite des Buches gereicht ihm zu einer Hauptzierde. Der 
Berfaffer ift ein Deſterreicher, und als ſolcher vertritt er auch die Aen⸗ 
derungen, reſp. DBereinfachungen, welde zur Zeit dort in Betreff der 
Ortbographie von gewiegten Männern empfohlen und verallgemeinet 
werden. Die wichtigiten Abweichungen der öftreich. Nechtichreibung von 
der unfern find folgende: ‘ 

4) Der Doppellaut 9 fällt aus, und es wird Bot, Mos, Mor ıc. 
gejchrieben. 


N 


128 Der Unterricht in der deutſchen Sprache. 


2) In Wörtern mit zufammengefepten Ans und Auslauten bleibt 
das fonft übliche dehnende h weg, wenn nicht ein biflorifcher Grund 
dafür ſpricht, und man fhreibt alfo: flelen, Stral, pralen, Flut, Glut, 
Wert, Wirt 2c.; desgleichen in den Nachſylben at und ut, 3. B. Hei⸗ 
mat, Armut ꝛec. 

3) Der Ausgang teren hat durchgehende ie, alfo: addieren, ofus 
lieren ꝛc., ebenfo wie buchflabieren, fpazieren ꝛc. Auch gieng, hieng, 
fieng ꝛc. nehmen das e wieder an. 

4) Der Gebrauh des B wird auf die Stellung nad langen 
Srundfauten beihräntt, und ff (ff) Bleibt überall in feinem Rechte, 
nur daß am Ende der Wörter dafür ſs gefchrieben wird, 3. B. Fuß, 
Buße, müßen, heiß, weiß, — faflt, faſſlich, — Fuſs, Rofſſhirt, Roſs, 
dafs ꝛc. 

5) Die Nachſylben in und nid haben endwärts einen einfachen; 
in der Merlängeräng, einen doppelten Mitlaut, 3. B. Königin, Königin» 
nen, Hindernis, Hinderniffe 2c.; desgleichen fchreibt man Misgunft, mis» 
lingen 2. 
ing 6) Die unbeſtimmten Zabls und Fürwoͤrter, ſowie die zu neben⸗ 
wörtlichen Fuͤgungen gebraudhten Hauptwörter erhalten in der Regel 
nur einen Kleinen Anfangsbuchſtaben. j 

7) Häufiger gebraudte Fremdwörter werden nach deutfcher Aus⸗ 
fprache gefchrieben, namentlich wird in vielen Fällen 9 dur i, € durch 
k oder 3, ph durch f, — t, wenn es wie z lautet, durch 3 erfeßt. 

Daß diefe Aenderungen gar Manches für fih haben, leuchtet ein. 
‚ Vielleicht befprehen wir die ganze Angelegenheit einmal ausführlich im 
nädsften Jahrgange. Sept nur noch fo viel, daß wir ung der Bekannt⸗ 
fchaft mit dieſem Buche herzlich gefreut haben und überzeugt find, daß 
ihm die wohlverdiente Anerkennung nirgends fehlen wird. 

3. Deutfde Sprachlehre für höhere Lehranftalten und für 
eigene Belehrung von W. Stern, Seminar: Director und Profeſſor. 
Karlerube, bei Groos. 1856. X u. 261 Seiten in 8. Preis 24 Ger. 

Dieſes Buch macht nicht Anfpruch auf einen Fortfahritt in der 
Methode, fondern will zunähft nur das höheren Lehranftalten nothwen⸗ 
dige Wiffensmaterial in der aus der Wiflenfchaft felbft entnommenen 
Folge geben. Diefe Aufgabe ift vollfommen erfüllt, wie es fih auch 
vom längft bekannten DVerfaffer nicht anders erwarten ließ. Die Darſtel⸗ 
lung iſt beftimmt und faßlich, auch die Beifpiele find paſſend und anfpres 
hend. Das Buch verdient den auf dem Titel bezeichneten Kreifen em⸗ 
pfohlen zu werden. 


4. Den?s und Sprachlehre. Ein Leitfaden zur Ertbeilung eines orgas 
nifhen Spracdhunterrichtes, bearbeitet von Raymund Schlecht, Seminar- 
mieeter in Eihftädt. Nördlingen, bei Bed. 1856. gar. 8. 107. Seiten. 
10 Sgr. 

Der Berfaffer gehört zu den denfenden und erfahrenen Schulmän⸗ 
nern; das bemweifen die Vorrede und feine Schrift ſelbſt. Er if ein 
begeifterter Anhänger des Beder’ihen Syſtems und flieht überhaupt im 


Der Unterricht in der deutfhhen Sprache. 128 


der Durchdringung des Kormellen mit dem Logifchen einen hohen, auch 
der Schule zuzumendenden Gewinn. Er fcheint uns im Verfolg dieſer 
Anfiht, deren Nichtigkeit überhaupt bezweifelt werden kann, zu weit 
zu geben, obgleich wir überzeugt find, daß die Früchte feines Unter« 
richtes befriedigen. Er bringt einerfeits feinen Eifer der Sache zu, 
und anderntheils wirft er mit der anerfennenswerthen Grundanficht, daß 
das Wiſſen der Schüler praftifch fein müſſe, daß es aber nur dann 
diefen Ramen verdient, wenn der Sprachunterricht aus dem Leben er- 
griffen und wieder in’s Leben zurüdgeführt wird. Wir find hiermit 
solllommen einverflanden, und erflären darum auch, daß der Berfafler 
bei aller Vorliebe für Beder mit fpyarfamer Umficht ausgewählt hat. 


5. Reuboddeutfhe Elementargrammatit. Mit Rüdfiht auf die 
Grundfäge der hiſtoriſchen Grammatik bearbeitet von K. U. Julius 
ann, Director des Johanneums in Lüneburg. Vierte Auflage. 
lausthal, 1856. Verlag von Groſſe. gr. 8. XVI u. 128 ©. 12"/s Gar. 
Richt für Volksſchulen, doch aber Volksſchullehrern nüpli und 
jum Studium zu empfehlen. Der Berfaffer it für einzelne Neuerungen 
in der Orthographie, namentlich für Weglaffung der Dehnungszeichen. 
Bad er überhaupt über die Nechtfchteibung in der Vorrede fagt, if 
leſens⸗- und beachtenswertb. Der Inhalt des Buches iſt in präciier 
Faffung auf Das Nothwendige beſchränkt; der Lehrer aber, welcher diefe 
Elementargrammatif denkend durdarbeitet, hat einen guten Grund gelegt. 
6. Shulgrammatiflder neubodhdeutfhen Sprache für die untes 
ten und mittleren Klaſſen höherer Unterrichtsanftalten, Sekundärſchulen ac. 
von Lüning, Profefior in Zürih. Zweite Auflage Zürih, Meyer 
und Seller. 1857. 136 ©. N. 8. 12 Ser. 

Bereits im Jahresberichte für 1853 Seite 135 angezeigt. Die 
Beifpiele, welche ‚wir früher inhaltsleer fanden, find größtentheils mit 
befieren vertauſcht. Tas Büchlein empfiehlt fich. 

7. Die Sreifhreibungen in der Bollsfhule Cine Sammlung 
von Aufgaben mit methodifchen Erläuterungen. Bon Franz Herrmann. 

I. Heft. Brag, 1856. J. ©. Calve'ſcher Berlag. N. 8. 136 ©. Ys Ihlr. 

Der Berfaffer verdient im Wefentlihen auch in Betreff dieſer 
Echrift das Lob, welches wir ihm bei Gelegenheit der oben befproche- 
um Rechtichreibelehre bereits zollten. Auch diefes Büchlein bietet ges 
ſinde Grundfäge und gefunde Stoffe. Mit Recht wurzeln die Uebun⸗ 
gen im Freifchreiben im Anfchauungsunterrichte, weshalb auch der Vers 
faffer ext im zweiten Theile des II. Kurfus Beihreibunggt, Briefe und 
Erzähtungen , - fowie einige Gefchäftsauffäge bietet. Der erfie Kurfus 
dagegen enthält Anfchauungss, Denk⸗ und Sprahübungen, welche zu 
gleich als Schhreibübungen benußt werden. Die I. Abth. des II. Kurs 
fü6 enthält Uebungen aus der Satzlehre und aus der Synonymik, för 
wie Vebungen im Erklären fprüchwörtlicher und bildlicher Redensarten. 
Den Uebergang zur folgenden Abtheilung bieten Webungen im Umſchrei⸗ 
ben der Gedanken. Das ganze Bud ift Volksſchulen fehr zu empfehlen 
und hilft den Fortfchritt fördern. 

Nade, Yahresberigt. X. " 9 


130 Der Unterricht in der deutfchen Sprade. 


8. Abriß der englifchen Literaturgefhiäte. Zum höheren Schul⸗ 
gebrauche wie zum Selbflunterrichte beffimmt. Bon Dr. Alexander Bud: 
ner. Darmftadt, Hei J. Ph. Diehl. 1856. gr. 8. 122 Seiten. "/s Ihr. 

Streng genommen, gehört diefer Abriß nicht in die Kategorie der⸗ 
jenigen Schriften, mit welchen wir es hier zu thun haben. Doch dürfte 
er manchen Xehrer, der fich mit höher gehenden Studien befchäftigen 
Tann oder will, intereffiren, weshalb wir gerne bemerken, daß er ein 
wohlgelungener Auszug des in demfelben Berlage erſchienenen größeren 
Wertes: „Geſchichte der englifchen Poeſie“ (Preis 2 hir.) if. 

9. Deutfhe Gtilfhule Eine von Aufenmäßig geordneten Aufgaben 
begleitete praltiige Anleitung zur Bildung im deutfhen Stil. Kür höhere 
Lehr» und Biltungsanftalten, insbefondere für höhere Volks⸗ Bürger⸗ 
und Töochterſchulen von K. F. W. Wander. Leipzig 1856. Verlag von 
Woller. Preis für VIII u. 155 Seiten in 8. 15 Sgr. 

Der ſchreibfleißige Berfaffer ermüdet in feinen tediglich für Ele 
mentarfchulen berechneten Schriften dur eine unmäßige Breite und 
objective Lückenloſigkeit, weshalb die praktifchen Lehrer genöthiget find, 
Bieled aus feinen fehwerbefadenen Schiffen über Bord zu werfen. In 
diefer für Höhere Schulen beflimmten Schrift begegnen wir dem erwähn⸗ 
ten Fehler weniger und finden viel Brauchbares. Doc ift auch manches 
Unnöthige, Hochgegriffene und Geſchraubte darin anzutreffen, mie bie 
Mebungen im Gloffen» Machen (Seite 151), in der Babrifation von 
Zrioletten, Difiihen ꝛc. und endlich gar in der Anfertigung von — 
Satyren! — Gott bewahre uns! — 

10. Sabbilderſchule. Aufgabenfhag kur Uebung im Entwerfen von Satz⸗ 
bildern und Anleitung zum Verſtändniß und Bau aller Arten zufammens 
efepter Säge und Perioden. Yür höhere Lehr: und Bildungsanflalten, 
nöbefondere für höhere Volls⸗ Bürger» und Töchterfchulen, fowie zum 
Brivats und GSelbfiunterriht. Bon A. F. W. Wander. Leipzig 1866. 
Berlag von Wöller. XII u. 73 Eeiten. 8. 10 Sgr. 

Bei einem Schriften, wie das vorliegende, erfennt man auf Der 
einen Seite gerne das feiner Abfaffung vorausgegangene gründliche und 
mühfame Studium; aber auf der anderen Seite tritt die Prarie ents 
gegen und fagt, daß es im Verhältniſſe zus Schulzeit und zu den alls 
gemeinen Zweden des Unterrichtes unmöglich fei, einen Zweig des 
Sprahunterrichtes wie einen ganzen Baum zu betrachten. Nicht minder 
fagt ſich der erfahrene Schulmann, daß zum Sapverfländnifle eine gründ⸗ 
liche, auch auf das Logifche eingehende Analyfe volllommen ausreiche 
ohne jene Perioden» und Sabgefüger Bilder, welche allzu fünklih und 
mübfelig find, um wirflid zu lohnen und die Schüler anzufprechen. 
Ramentli für Mädchen möchte ein ſolches Stelettiren ermüdend und 
geifttödtend fein. Es if unmöglich, fagt der Berfaffer ſelbſt, ein der⸗ 
artiges Satz⸗ oder Periodenbild zu entwerfen, ohne den Sinn des Sag» 
ganzen genau zu erfaflen. Wir geben das in fo weit zu, als das Bild 
jedenfalls nur ein Ergebniß des Erfaffens (Berfändniffes) ik, — aber 
wenn das Berkändnig errungen, wozu denn noch diefes Skelettiren 7 
Bir Pönnen uns mit folder Künftelei nicht befreunden, wollen aber 
Jedem feinen Geſchmack laſſen. So viel if gern zuzugeben, def ein 


Der Unterricht in ver deutſchen Sprache. 131 


Lehrer das Buch nicht ohne Gewinn für das tiefete Verſtaͤndniß der 
Saplehre durcharbeiten wird. 


11. ABE der Verslehre. Aufgabenfhag für den erften Unterricht In der 
ebundenen Mede Zum Gebraud in höheren Lehr» und Bildungsans 
alten, insbefondere in höheren Volls⸗, Bürgers und Töchterſchulen, ſo⸗ 
wie zum Private und Gelbflunterriht. Bon R. F. W. Ban 
weite, vielfach verbeflerte und vermehrte Auflage. Leipzig 1856. 
erlag von Wöller. XIV u. 105 Seiten. 8. Preis 15 Er. 

Unter den drei Schriften des Verfaſſers, melde wir zur Anzeige 
gebraht haben, erſcheint diefe als die gelungenfte. Gründliche Stu⸗ 
dien und eine durch gut gewählte Beifpiele unterflüßte faßliche Darſtel⸗ 
lung gereidyen dem Büchlein zur Empfehlung. 

12, Lehrgang für den Unterriht In der Rechtſchreibung und 
Zeihenfepung, fowie Materialien zu Memorir- und Dics 
tirübungen 20. Rebſt einem Anhange, enthaltend Andeutungen zur mes 
thodifchen Behandlung des Sprachunterrichtes. Bon H. Käfer. Lan- 
genſalza, Schulbuchhandlung des Th. 2. V. 1856. VIII u. 153 Selten. 8, 
Das Buch if eins von denen, die zu gebrauchen find und manches 

Gute für den praftifchen Betrieb bieten, ohne deshalb ein eigentlicyer 

Bortfhritt zu fein oder fich irgendwie von gar vielen ähnlichen zu uns 

terſcheiden. Die Andeutungen zur methodifchen Behandlung des Sprach⸗ 

unterrichteß beſtehen im nichts, als in einzelnen ſkizzenhaft bingemworfenen 
ſprachlehrlichen Fragen und Webungen. 

13. Die deutſche Caſuslehre. in Gonferenzuortrag von K. Juch, 
Lehrer an der Xehranftalt der Innungshalle zu Gotha. Leipzig, Verlag 
von Yul. Klinkhardt. 1856. 3 Ger. 

Lefenswertb und nit bloß in wiffenfMaftlicher Hinſicht, fondern 
au deshalb zu empfehlen, weil überall auf die praktiſche Seite binge⸗ 
wiefen und Rüdfit genommen wird. Am Schluffe verfucht der Ber- 
fafler die abgehandelten Regeln in philoſopiſcher Faſſung und in präg- 
nanteſter Kürze zu geben. Wir laffen diefe Fafſung no hier folgen:. 

1) Der Genitiv ergänzt die relative Pofenz eines Weſens und 
macht die Botenz feines Seine zu einer vollſtaͤndigen oder ſelbſtſtaͤndigen, 
verwandelt fie in eine abſo lute. 

2) Der Dativ bezeichnet die dur eine Efſtcenz (Wirkſamkeit, 
Einfluß) betheiligte Differenz, oder Weſenheit eines Weſens. 

3) Der Accuſativ bezeichnet das Weſen, auf welches die Efficenz 
eined andern übergeht, die Richtung nimmt, ohne jene® gerade in feiner 
Differenz zu betheiligen. 

&6 iſt uns Deutſchen einmal eigen, daB wir am fi einfache Dinge 
gerne in tieffinnige und fchwerfällige Worte verhüllen. 

14. Sprach⸗, Rehifhreib> und Auffaglehre in vier Stufen für 


deutſche Voltsfhufen von Michael Hillebrand. Landshut 1356, 
bei Thomann. Hi. 8. 68 Eeiten. geb. 5 Ser. 


Dies planlofe Büchlein beginnt mit der Erklärung: die Sprache 
iR Mittheilung der Gedanken und Empfindungen, dann fagt es, was 
man unter todten und lebenden Sprachen verfiehet, und daß fih in 
jeder Sprache Abweichungen (?) gebildet haben, welche man Mundarten 


9*r 


132 Der Unterricht in der deutichen Sprache. 


oder Dialekte (!) nenne. Hierauf theilt der Berfaffer die Sprache im 
die Munds und Schriftfpradhe (!), fagt,. daB man unter Sprachlehre 
die Regeln verfiehe (!), nad welchen eine Sprache gefprochen und ges 
fehrieben werden foll, und daß fie folgende Theile, nämlih Laute, Syl⸗ 
ben, Wörter und Sätze (!) umfaffe. Nun kommt er auf die Laute und 
iR auf der 13. Seite ſchon bei der Declination. Auf Seite 16 kom⸗ 
men zur Abwechfelung einige Denk» und Sprahübungen, dann Seite 20 
DOrthographie und Seite 27 Wortbildung ꝛc. und fo gehts bunt und 
raus durchs ganze Büchlein, von Allem Etwas, bier dieß, da jenes, 
bis es endlich mit Briefen, Teftamenten und Titulaturen ſchließt. Wir 
bedauern es kaum, daß ſolche Bücher erfcheinen, denn fle entgehen ihrem 
Schickſale nit; wir bedauern nur, daß Schriftfieller diefer Kategorie 
nichts Wichtigeres zu thun haben, als ihre Kompilationen (nicht Kom⸗ 
pitalionen, wie der Berfafler in der Vorrede fagt) auch der lieben Zur 
gend aufzudrängen, und daß die armen Eltern fie kaufen und die Kin⸗ 
der ih damit abmühen müflen. Die Verfaſſer folder Bücher mögen 
es mit der Sache gut meinen, allein das entfhuldigt und rechifertiget 
ihre Frühgeburten niht! — 


15. Bildungsgang der deutfhen Sprade, gezeichnet nad den Le⸗ 
bensbildern —** Dichter und Proſaiker aus der alten, mittlern und 
neueſten Zeit. Nebſt einem Anbange über die verſchiedenen Dichtungs⸗ 
arten der Deutſchen. Bon C. Geißler, Rector der Stadtſchule zu Ei⸗ 
lenburg und Vorſteher des Privatfeminars, Nitter des rothen Adlerordens 
vierter Klaſſe Langenſalza, Schulbuchhandlung des Ih. L. DB. 1857. 8. 
IV un. 288 Seiten. 18 gr. 


Der Berfaffer hat den Zitel feines Buches nicht glücklich gewählt, 
weil derfelbe zunähft die Vermuthung erwedt, daß es damit auf eine 
Darftelung der grammatiſchen Entwidelung der Sprache, nicht aber 
auf eine Literaturgefchichte abgefehen fei. Eine folche if aber das Budh. 
Wefentlih iR TH. Heinfius, Geſchichte der Sprach⸗ Dit» und Res 
defunf. 4. Aufl. 1829, benupt worden, und es läßt fih hieraus fchon 
entnehmen, daß mande Irrthümer vorlommen, welche dur neuere 
Schriften längft widerlegt find. Schon die Einteilung in 7 Beite 
‚räume, welche getreu nad Heinfius gefchehen, paßt nicht mehr für une 
fere Zeit, if fchief und unbeflimmt und überfieht die große Eigenthüm⸗ 
lichkeit unferer Literatur, daß fie zwei Höhenpunfte oder Haffiihe Pe⸗ 
rioden gehabt hat (Hohenflaufen und Schiller und Göthe). Unter den 
mannigfahen Irrthümern, welche vorfommen, wollen wir nur Einige 
hervorheben. Wenn e8 ©. 5 heißt, die Spradbildung halte mit der 
Ortbographie gleihen Schritt, fo-if dies falſch. Nicht bloß die fran» 
zöffhe und englifhe, fondern auch die deutfche Sprache bemweilen in 
ihrer Orthographie das GBegentheil. Die S. 11 erwähnten deutihen 
Barden find eine Zabel, welche auf Mißverſtändniſſen beruht. Bei 
ben Deutfchen bat es niemals Barden gegeben, diefe gehören dem Fels 
tifhen Volkoſtamme. Das S. 17 mitgetheilte Gelübde an Wodan 
ift Feine Achte Probe des Altdeutfchen,, fondern von einem Goslar'ſchen 
‚Rathefchreiter des 18. Jahrhunderts ungeihidt nachgeahmt, und nur 


+‘ 


Der Unterricht in der deutfchen Sprahe. 138. 


die früher in folchen Dingen herrſchende Unwiffenheit konnte fih durch 
diefen Betrug täuifchen Iaffen. Die Aufzählung altdeutfiher Dichtungen 
iR unvollſtändig und ohne Kritik, was fi) allein durch den Umſtand 
beweiſt, Daß neben dem Nibelungenliede „Budrun’ ganz vergeflen if. 
Ebenfo bat ‚‚der arme Heinrich,‘ von Hartmann von der Aue, feine 
Erwähnung gefunden. Unter den älteften Sprachdenfmälern if das 
wiätige Hildebrandslied ganz vergeflen. Der Roman: „Sebaldus 
Nothanker“ if nicht von Thümmel, fondern von Nicolai verfaßt. Die 
Abendfkunden eines Einflediers von Peſtalozzi find feineswegs ein Ro⸗ 
man , fondern geiftreiche Aphorismen aus dem Gebiete der Pädagogik, 
Politik und Philoſophie. Vom Nibelungenliede haben wir jept vieh 
befiexe Ueberſetzungen, ale die unbrauhbare von Büfhing. Wir können 
uns nicht auf fernere Aufzählung folder und anderer Irrthümer ein« 
laffen und bemerfen nur no, daß es nicht Mar if, warum in einem 
Budye über den Bildungsgang der Sprache Männer, wie Schmitts 
benner, Herling und Beder nur mit Rennung ihrer Ramen abs 
gefertigt, dagegen Perfönlichkeiten wie Baſedow, Natorp, Bersenner, 
Dinter, v. Rochow ıc., ferner Edhoff, Knigge, Vulpius 2c. biograppifirt 
werden. Die neueren Dichter find ganz übergangen. ES fehlt überall 
an Urtheil, font würde der Verfafler anders gewählt und eingefehen 
haben, daß Pädagogen die Sprache nicht in dem Maaße weiter bilden, 
weiches ihre Aufnahme in eine Literaturgefchichte rechtfertigt, fondern 
dag dazu andere Factoren gehören. Dem Vorſteher eines Lehrerfeminars 
möchten wir übrigens ein fchärferes Urtheil über die Leiftungen und 
den Werth einzelner Pädagogen zutrauen.- Was 3. B. über Dinter 
gefagt if, den der Berfafler als fegensreihen Pharus hinſtellt, möchte 
wicht leicht vor der heutigen Kritik zu rechtfertigen und jedenfalls übers 
trieben fein. 
Bei diefer Gelegenheit können wir für katholiſche Leſer bes 
Jahresberichtes nicht unbemerkt laſſen, daß der Verfaſſer durchaus als 
Proteſtant urtheilt. Wir wollen ihm daraus keinen Borwurf machen; 
wünfchten aber doch, daß er diefen Standpunkt auf dem Titel bezeichnet, 
oder weniger einfeitig behauptet hätte. Was foll-man dazu fagen, wenn 
er Seite 213 meint, daß auf dem Gebiete der Geſchichte vor Luther 
ſehr wenig gefchehen fei, und daß fih die Mönche aus langer Weile 
die Mühe gegeben hätten, in barbariihem Latein einige Hauptbegeben⸗ 
beiten oder fpecielle Creigniſſe aufzufchreiden! — Demnach müflen bie 
geiehrten Herren der Gegenwart ihre Gefchichte aus den Fingern ge 
fogen haben. Freilich fieht fie oft darnach aus! i 
16. Anleitung zur Ausarbeitung fhriftliher Auffäße, nebft 
einer Sammlung von Aufgaben von K. Juch. Gotha, bei Scheube. 1856. 
er. 8. IV u, 90 Seiten. 10 Ser. ° 
Der auf dem Gebiete des wiſſenſchaftlichen Sprachunterrichtes thaͤ⸗ 
tige Berfaffer legt auf das logiſche Moment der fchriftlichen Date 
ſtellung mit Medt großes Gewicht und liefert in dieſer Anleitung nicht 
bloß eine gute Anweifung zum Disponiren, fondern auch einen 
ziemlich reichen Vorrath ypaflender Aufgaben. Das Buch verbient er 


134 Der Unterricht in ber deutihen Sprache. 


den Lehrern am höheren Gchulankalten warm empfohlen gu werben. 
Die Ausfattung if fehr fchön. 


417. Erftes Hälfsbuch beim Unterrihte in der deutfhen Sprade 
für Kinder in Elementarfchulen von 3. H. Ch. Seffer, DOberfchulinfpector 
in Hannover. Siebente Auflage. Hannover, Hahn'ſche Buchhand⸗ 
fung. gr. 8. VII u. 319 Seiten. Preis 624 Ser. 

Ein Schriftchen, welches auf Methode feinen Anfpruch erhebt, jons 
dern fih darauf beſchränkt, den für die Bolksfchule nötbigen gramma- 
tifgen Lernſtoff in einer mehr aus der Wiſſenſchaft ſelbſt entnommenen 
Neibenfolge witzutbeilen, durch Beifpiele zu erflären und mit Uebungs⸗ 
Büden einzuprägen. Das Wiffensmaterial if etwas reichlich ausgefallen. 
Die Saßzlehre zieht Ach durchs ganze Buch, und es fehlt an einer Ueber» 
J— welche kaum durch die 24 Seiten ſtarke Anweiſung zum Auflöfen 

Der Säge annähernd erzielt werden dürfte Das Schrifichen iſt mit 
Renniniß des Sache verfaßt, unterfcheidet fi aber von vielen andern 
kaum dadurch, das hier etwas mehr, dort etwas weniger an Lernftoff 
gehoten oder ein Begriff anders erklärt if. Die Ausflattung des Buches 
verdient Lob. 

18. Die Wort: und Saßlehre der Bent ihen Sprade für untere 
und mittlere Klaffen der Realfhulen von Werd. Schmitz, Realſchullehrer 
ta Barmen. Zweite Auflage Barmen 1856 bei Gartorius. Mi. 8. 
64 Seiten. geb. Thlr. 

Bon diefem Büchlein gilt im Allgemeinen daflelbe, was vom vo⸗ 
rigen gejagt worden. Nur bat es Wort: und Saplehre ſcharf getrennt 
zu) leptere vecht überfichtlih bargefellt. Das Schriftchen will nichts 
yeeiter fein, als ein Lerns und Wiederholungsbuch für Schüler, und 
als ſolches if es brauchbar. 


10. u. 20. Deutſche Stylproben. Ein ſtyliſtiſches 35 und Uebungs⸗ 
er für Beiseltieffen, b herausgegeben von H. Etahl. Darmſtadt, Diehl 
or. 8 


2». Deusiäe Eiyiproben c. für Oberflaflen. Bon demfeiben Berfaffer. 
gr. &. 71 Seiten. 


31. Die Uebungen im deutfden Styl. Als Zegleiſſhrit zu den Styl⸗ 
proben für Mittels und Oberklaſſen von 9. Stahl. deeen 1856. 
Diehl. Rr. 19: 3% Sgr.; Ar. 20: 6 Sgr.; Nr. 21: 2 © 
Dat Buch geht etwas hoch, und wir wollen chen Get ufeieben 

fein, wenn unfere Volksſchulen Das leiſten, was in den Etyiproben 

von den Mittelkiaffen verlangt wird. Aber in dem Bude if Geiſt 
und Leben, und das iR’s, was um fo mehr anſpricht, da wir nicht 
werfennen , daß ber Berfafler auch Methode bat und über feine Auf⸗ 
gabe nachdachte. Des richtige Erundfag, dag ein guter Styl nur 
durch Anſchauung und Rahbildung von gelungenen Muftern 
angeeignet werden Tann, hat den Verfaſſer geleitet, und Die darauf hin⸗ 

"zielenden Uebungen Änd- zwedmäßig, wenn auch bas zweite Heft etwas 

dech greift. Im Wllgemeinen if das Rechte getroffen und das Buch 

wih Ueherzeugung allen denlenden Lehrern an gehobenen Wolksſchulen zu 
empfehlen. Yür gewöhnliche Landſchulen müßte das Ganze Dagegen eins 


Der Unterribt in der deutſchen Sprache, BB 


facher fein und fi mehr auf bie Meprobucdion bes durch den Bann 
richt gewonnenen einfachen Stoffes aus ben näheren Umgebungen un) 
den finblichen Erlebniffen beichränfen. 


22. Handbuch der deutſchen Sprachlehre für Volkeſchulen. Nag 
dem neuen Syſtem bearbeitet von Joh. Schneider, Lehrer. 2. Klaſſe, 
3. Mlaffe, 4. Klaſſe I Semeſter, 4. Klaſſe II. Semefter, zuſammen vier 
Hefte. Bien 1856 bei Leopold Sommer. 2, u. 3. à 4 Ger., 4. & 5 Ger. 
Des Buch foll nach der Erklärung des Berfaflere die nothwen⸗ 
digen Regeln der deutichen Sprache enthalten und durch pafiende Beis 
Ipiele erläutern, damit aber auch zugleich die Binprägung und Rechen⸗ 
(haft erleichtern. Es iR hiernach für die Schüler beftimmt, hält aber 
diefen Zweck infofern nicht fireng feſt, ale auch methodiſche und ent 
widelnde Sragenreihen häufig vorfommen, welche mehr in ein Handbuch 
iür den Lehrer, als in ein Büchlein für Schüler paſſen. Ber mit uns 
der Auficht iR, Daß in gewöhnlichen Volksſchulen die Kinder keines ans 
deren fprachiehrlichen Leitfadens und Puches ale ihres Leſebuches bes 
därfen, wird diefe Schrift äberfläffig finden, wer jedoch eine andere 
Anficht Hat, dem kann das Handbuch empfohlen werden, insbefondere 
wegen feiner unterrichtlichen Behandlung des Stoffe. 


3. Anleitung zur deutſchen Rechtſchreibung. Ausgabe für Elemen« 
tarflaffern der höheren Schulen und für Mittels und Volkoſchulen. Ge⸗ 
druckt auf Beranftaltung des Königi. Ober: Säulcollegtums zu Hannover. 
Hannover, bei C. Rümpler 1857. 36 Seiten in gr. 8. 31/a Gr. 

Das Königi. Hannoͤverſche Ober» Schulcollegium laͤßt in Diefem- 
Schriftchen dem auf feine Beranftaltung im vorigen Jahre erfchienenen 
Bere über deutfche Rechtſchreibung die in Ausficht geftellte Reduction für 
Clementarklaſſen 2c. folgen. Es foll damit Einheit in der Rechtſchreibung 
für alle Schulen des Landes erreicht werden, ein löblicyes Biel, welches in der 
That nur auf Diefem Wege mit Erfolg erfirebt werden kann. Die Regeln find 
frz, ſcharf und befimmt, ein kleines Wörterverzeichniß giebt no über 
beiondere Fälle Auskunft. Das Büchlein ift allen Lehrern zu empfehlen. 


24. Leitfaden für den deutfhen Sprachunterricht in den öſterreichi⸗ 
fen UntersRealfähulen und ähnlichen Anitalten. Seitenſtück zum „deut⸗ 
{hen Lefebuche von Theod. Vernaleken. Dritte Auflage Bien, 
bei Seidel 1856. 8. 76 Seiten. 6 Ser. 

Das brauchbare Büchlein zerfällt in A Abſchnitte. Der I. Abfchnitt 
mihäft den Gap und die WBortbiegung ; der Il. Abfchnitt handelt von 
den Lauten, des Wortbildung und Nedyifchreibung; der 311. Abſchnitt 
bietet Uebungen über die ſtarken Beitwärter und desen Wortfamilienz 
der IV. Abſchnitt enthält einen Kurfus in den ſchriftlichen (Styl⸗) 
Uebungen. 

25. Fänf und in deutſche Auffäpe aus der Schule und für 
dr Säule IA x ER —8 Profeſſor in Zweibräden. Neu⸗ 
Redt s. d. H. Verlag von Gottſchicks Buchhandlung 1856. XIV u. 
112 Selten in 8. geb. '/s Ihlr. 

Die Schule, welche der Berfaffer im Auge bat, if das Gym⸗ 
nafum umd zwar hauptfächlich die Secunda deſſelben. Wenn daher dieſe 


136 Der Unterricht in der deutfhen Sprache. 


Schrift auch nicht zunächſt Hierher gehört, fo haben wir uns doch der 
Grundfäge gefreut, welchen der Herausgeber huldigt, und welde wir 
felbR in unferen ‚Materialien für den ſchriftlichen Gedanfenausdrud, 
3. Aufl., Erfurt bei Otto,“ befolgt und ausgefprochen haben. Unfere 
Bolksfchullehrer koͤnnten aus diefem Büchlein fogar noch Methode lernen, 
und wir mögen e8 uns nicht verfagen, aus der Borrede einen hübfchen 
Baffus als Beweis anzuführen. Es heißt da: „Nach allerhand Vers 
ſuchen, die rechte Methode zu finden, bin ich endlich dahin gekommen, 
es einfach zu machen wie die Mütter, von denen die Kinder das Reden 
fernen durchs Hören. Reden und Unterreden über das gewählte Thema 
ſcheint die Sauptpflicht des Lehrers, der von feinen Schülern einen Aufs 
fa verlangt. Durchs Reden und Unterreden findet ih die Grenze, 
innerhalb welder fih das Bewußtfein der Schüler über den fraglichen 
Borwurf bewegt; es erwähft in den Schülern das Berlangen, die eng« 
gezogene Grenze zu erweitern; es bildet fih nach und nad das Gefühl, 
daß man über einen gewiſſen Gegenftand einigermaßen Herr iR; es ver⸗ 
Ihwindet der Widerwille, den junge Leute gegen die Zumuthung zu 
haben pflegen, über Dinge, die ihnen ferne liegen, zu reden und nun 
gar zu ſchreiben. Allein das Alles Tann nur dann erreicht werden, wenn 
der Lehrer feines Stoffes vollkommen mädtig ift und es verfieht, den⸗ 
felben feinen Schülern Mar zu machen.” Dies zu erleichtern, dazu dienen 
die 65 ausgeführten deutſchen Auffäpe, welche der Lehrer, ehe er fie 
beſpricht, vorber durchzulefen und fi felbft in ihrem wejentlihen In⸗ 
‚halte eigen zu machen bat. Uber der Berfaffer bat noch einen anderen 
nicht minder glüdlichen Gedanfen. Hören wir ibn weiter fpredhen: 
„Wenn nun die Schüler den Aufſatz gefertigt haben, fo entſteht eine 
neue Schwierigkeit bei der Correctur. Die Fehler am Rande der ein» 
zelnen-Aufläge mit rother Tinte anzuzeichnen, macht zwar gewöhnlich wer 
niger Schwierigkeit als Mühe; allein wie foll man die Fehler zum Bes 
wußtfein Derer bringen, die fie gemacht haben? Hat man eine Klaſſe 
von zehn Schülern, fo mag man vielleicht die einzelnen Aufläpe mit 
deren Berfaffern fo durchfprechen,, daß das Ganze und das Einzelne das 
bei innerhalb einer Stunde beurtheilt wird; bat man zwanzig Schüler, 
fo if das nicht möglih ; man muß auf ein anderes Mittel finnen, wie 
man mit Einem Biele bedient. Bier nehme ih mir den Hause 
vater zum Borbild. Iſt er da, erfcheint er unter feinen Kindern und 
feinem Gefinde, fo fühlt ſich jedes derfelben in feine Schranfen zuräd 
auf das Rechte bingewiefen ; alle Ueberfchreitungen haben ihren, wenn 
auch ſtummen Richter; alles Wohlverhalten kat feinen, wenn auch ſchwei⸗ 
genden Billiger. Go trete auch der Lehrer felb auf, er gebe ſich ſelbſt 
und erfcheine in feiner Eigenthümlichkeit; an ihm mögen ſich feine Schäler 
meſſen und zurechtfinden. Mit andern Worten: Der Lehrer muß einen 
Mufteranffag geben und indem er ihn dietirt und befpricht, zugleich 
Die Fehler feiner Schüler, die er ſich bei der Gorrectur der Arbeiten 
gemerkt haben muß, rügen und verbeffern. Die Sache ift nicht ganz 
leicht. Es gilt zuerſt eine gewiffe Länge und Kürze einzuhalten, fodann 
in diefem Umfange Alles einzunehmen, was für den Aufſatz ‚mit dem 


Der Linterricht in der deutſchen Sprache. 137 


Schulern befprochen und was in den Auffähen der Schüler war behan⸗ 
delt worden. Es gilt einen Stoff zu finden, der für die Schüler paßt, 
fo daß fie ihn faffen und dur ihm gefördert werden koͤnnen; es gilt 
ihn fo zu behandeln, daß fich verfchiedene fprachliche Bemerfungen daran 
anfnüpfen laſſen und daß doch das Ganze ebenfalls als ſolches erfcheint 
und fih geltend macht.” — Aus folchen gefunden Anfichten, die wir 
unfern Lefern gerne ausführlich mitgetheilt haben, Tonnte auch nur ein 
gelundes, wahrhaft brauchbares Buch hervorgehen. Möchte daffelbe in 
der Sphaͤre, für melde es beſtimmt worden, die wohlverdiente Verbreis 
tung finden. Wir wünfchen dies um fo mehr, da wir wohl willen, 
daß gerade in dieſen Schulregionen etwas mehr Methode nicht vom 
Uebel fein würde, 


26, Roriregifter für deutfhe Orthographie nebft grundſätzlichen 
Borbemertungen. Bon Dr. 8. G. Andreſen. Mainz, bei Kunze. 
1856. gr. 8. 58 Seiten. 8 Ger. 

Der Berfafler, melder durch ein größeres im Jahre 1855 erfchies 
nenes Wer? über deutfche Schreibung bekannt if, liefert in dem vorlies 
genden Büchlein eine gedrängte Weberficht der wichtigſten orthographifchen 
Regeln und ein Berzeichniß derjenigen Wörter, welche befonders wichtig 
oder ſchwierig und als Anhalt für die Schreibung anderer Wörter dienen 
innen. Der Berfaffer erflärt fih für einzelne Abweihungen von der 
jest üblichen, ziemlich inconfequenten Schreibung, empfiehlt den Gebrauch 
der lateinifchen Schrift und flatuirt die Großfhreibung nur für Eigens 
namm, den Anfang der Sätze und die anredenden Fürwörter. Auch 
in dem Gebraude der Dehnungss And Schärfungszeichen empflehlt er 
Beſchraͤnkungen. Zür das B mwünfcht er ein befonderes Zeichen. Das 
Sqhrifichen verräth Sachfenntini und gründliche Studien, weshalb es 
Beachtung verdient. 


27. Kurze Geſchichte der deutfyen Sprache und Literatur, nad 
den Werfen der anerfannteften Schriftfteller diefes Faches für höhere Lehr⸗ 
anftaften und zur Selbfibelehrung. Mit Proben von Ulfilas bis Klop⸗ 
Rod. Bon G. Fr. Heiniſch und 3. 2. Ludwig. I. Theil. Dom A. 
bis zu Anfang des 17. Jahrhunderts. Bamberg, 1857. Verlag von 
Buchner. XVI und 228 Seiten in gr. 8. 28 Ser. 

Es if mißlih, über ein Werk zu urtbeilen, fo lange e8 noch 
nicht als vollendeies, abgerundetes Ganzes vorliegt. Darum möge hier 
des Buches für jetzt nur anzeigend gedacht werden. Berechtigung für 
das vorliegende Werk haben fich die Berfafler durch ihre bisherige Thä⸗ 
tigkeit auf dem fprachlichen Gebiete erworben. Den größten Theil diefer 
erſten Hälfte des Buches machen Proben aus den verfchiedenen Dice 
tern und Profaitern bis auf „Spener’ aus; doch dürfen wir nicht 
unbemerkt laffen, daß eine kurze Grammatik des Gothifhen, Althochs 
deutihen und Mittelhochdeutichen das Werk eröffnet. Wir wünfchen 
demfelben mit dem Bemerfen guten Fortgang, daß die Ausflattung und 
der deutliche Drud das Buch auch äußerlich empfehlen. 


28: Anleitung zum Anfertigen von Gefhäftsauffägen. Zum Ge 
brauch für Schüler. in Bürger«, Volls⸗ und Kortbildungs« (Sonntags >) 


‘ 


138 Der Unterricht in der deutſchen Sprache. 


ne N hen bon ii Füben — * B * a 

eburg. weite, vermehrte un erbeſerte u x. 

—* 1856. 8. IV und 40 Seiten. { Ser. “ “6 

Der Erfahrung gemäß wird Die nothwendige Gewandtheit in ber 
Anfertigung von Gefchäftsauffägen am ſicherſten und ſchnellſten erworben, 
indem man den Schülern geeignete Mufter vorlegt, diefe mit ihnen bes 
fpriht, Regeln daraus ableitet und fie darauf nachbilden läßt. 

Diefem Zwede dient nun das vorliegende Büchlein, welches für 
die Sand der Schüler beftimmt ift, in ausreichender Weiſe. Raments 
lich find die Erklärungen und Regeln, welde die verfchiedenen Arten 
der Geichäftsauffäge betreffen, ebenfo präcis ale vollftändig und deutlich. 
29. Ergebniffe des grammatifhen Unterrichtes in mehrklaffigen 

Bürgerfhulen. Nach methodiſchen Brundfägen geordnet und bearbeitet 

von auf Küben. Zweite, verbefferte Auflage. Leipzig, Brandſtetter 

1856. u. 44 Selten in 8. Preis 3 Ger. 

Bereits im vorigen Jahrgange, Seite 101, wurde der erftien Auf⸗ 
lage dieſes Schriftchens rühmlih gedacht. Die weiſe Mäßigung und 
Beſchränkung, weiche wir an der erfien Ausgabe lobten, ift auch in der 
zweiten mit Recht feftgehalten worden. Wir fönnen unfere Empfehlung 
nur wiederholen. 

30, Friedrich Schmitthenners furzes deutfhes Börterbud, 
völlig umgearbeitet von Dr. Friedr. Ludw. Karl Weigand, Profefior. 
De naflage Gießen 1853 bis 1856, bi jept vier Lieferungen 

42 

Profeſſor Weigand, rühmlich durch fein ſynonymiſches Handwörter⸗ 
buch (3 Bande) bekannt, iſt gewiß ebenſo fähig als würdig, des ver⸗ 
ſtorbenen hochgeachteten Schmitthenner Woͤrterbuch in neuer, erweiterter 
und verbeſſerter Geſtalt herauszugeben. Die Erweiterungen und Ver⸗ 
befferungen beziehen fich beionders auf die Etymologie, die Synonymik 
und die Kremdwörter. Volfsfchullehrern würden wir diefes Wörterbuch 
nicht gerade empfehlen, weil e8 weniger dem praßtifchen Gebrauche und 
Geſchaͤftsverkehr dient; dagegen iſt es ein wahrer Schatz für Ulle, welche 
fich mit tiefer gehenden Sprachſtudien beichäftigen und die Wiſſenſchaft 
als folche lieben und üben. Unfern Boltefchullehrern, fo wie dem Ge⸗ 
fhäftsmanne, dürfte immer noh WBenig’s Sandwöärterbuh (3. Aufl. 
bei Dumont »Schauberg in Köln) am meiften zu empfehlen fein. Die 
vier Lieferungen des Weigand» Schmittbennerfchen Wörterbuches reichen übris 
eng erft bis zum K (fripfen), und wenn das Werk nicht raſcher fortfchreitet, 
dürften noch ein paar Jahre bis zu deffen Vollendung verftreichen. 


Ueberſicht. 


I. ®Wörterbüder: 26. 30. 

11. Literaturgefhichten: 8. 15. 27. 
N, Wiffenfhaftiide Grammatit: 1. 8. 5. 6. 10. 13. 11. 
IV. Volksſchul-Grammatik: A. 10. 14. 17. 18. 22. 24. 20. 
V. Stylübungen: 7. 9. 14. 16. 19. 20. 21. 25. 28. 
VE Rechtſchreibelehre: 2. 12. 14. 23. 26. 


Der Unterricht in der deutſchen Sprade. 139 


Schlußbemerkung. 


Die obige Ueberſicht zeigt, daß verhältnißmäßig für die Ortho⸗ 
graphie viel gearbeitet worden, in&befondre, wenn man noch in Ans 
fhlag Pringt, daß fowohl die unter 111. aufgeführten wiflenfchaftlichen 
Grammatifen, als auch die bloß für Bolksfchulen befimmten fprachs 
lehrlichen Schriften diefes Gegenſtandes gedenken, ia ihn theilweiſe ganz 
beſonders hervorheben. Eine Urfache diefer Erſcheinung, ja eine Haupt⸗ 
urfadhe, iR wohl der Umftand, daß man gegenwärtig in Oeſterreich, 
wie in Hannover, darauf Bedacht genommen hat, die deutfche Schreis 
bung einer Reviflon zu unterwerfen und hiernach eine Gleichheit in bie 
DOrthographie zu bringen, welche bisher mannigfach vermißt wurde. 
Die Behörden haben die Sache in die Hand genommen, und bies war 
auch der einzige Weg, auf dem man zum Biele gelangen Fonnte. Gie 
haben endlich der Angelegenheit auch eine reale Folge und Feſtigkeit das 
durch gegeben, daß die Lehr» und Lernbücher dieler feſtgeſetzten Ortho⸗ 
grapbie entiprechen müſſen. Freilich hat man ſich nicht bloß auf das 
Streben nad Gleichheit befchräntt, fondern man bat die Schreibung 
au der Kritif unterworfen und eine Bereinfahung bderfelben erzielt, 
weiche wehr oder weniger befremdet und Widerſpruch hervorrufen muß. 

Im Allgemeinen if gegen das Streben und den eingelchlagenen 
Beg gewiß nichts einzuwenden; die Widerfprücde können nur dem Maaße 
ber mit dieſer Gleichheit erfirebten Vereinfachung und den damit zus 
fammenhängenden Beränderungen (Reuerungen) gelten. Es if in der 
hat mit unferer Schreibung in den letzteren Jahrzehnten etwas confufe 
gewirtbichaftet worden, namentlich feit die Lehrer begonnen haben, auf 
eigene Hand Orthographie zu machen, und fi oft auf Reuerungen fos 
gar etwas einzubilden, denen jebe wiffenfchaftlihe Rechtfertigung fehlte. 
Der Eine Triegte gegen das y oder 2, der Andere gegen das ck oder 
ph. Am ärgfien war und ift befanntlich die Confuſion in Betreff des 
Gebrauchs des |, B und fl. — Man bat nad diefen Seiten hin oft 
Beränderungen in einzelnen Schulen eingeführt, die um fo zweckloſer 
fein mußten, da fie im Leben einen Anhalt fanden und mit der Bibel, 
dem Katechismus und Geſangbuche in Widerftreit treten. 

Ein Bedenken kann man jedoch bei aller Billigung des Strebens 
im Allgemeinen nicht unterdrüden. Deutichland enthält viele Staaten, 
und wie fih ſchon jept die Drtbographie des Königreihe Hannover 
von der Deſterreichs im Einzelnen unterfcheidet, und wie wir alfo ſchon 
jet eine hannöverfche und oͤſterreichiſche Orthographie haben, fo wäre es 
möglih, daß wir auch noch eine preußifche und bayrifche ac. ac. erhielten. 
Bie alfo auf der einen Geite in gewillen Kreiſen Gleichheit bewirkt 
wird, muß auf der anderen wieder eine Verfchiedenheit im großen Ganzen 
entfliehen, die gegenwärtig nod nicht vorhanden if. Und dieſe Bers 
ſchiedenheit kann nicht ohne Einfluß bleiben. Der nächflliegende wird 
der jein, daß durch die Berfchiedenheit der Orthograpbie in einzelnen 
Staaten ein Abſchluß nach Außen hin und gegen andere Staaten, zus 
nächſt im Bereiche der Schulliteratur, entſtehen Tann, Schon jept 


140 Der Unterricht in der deutſchen Sprache. 


dürfte ein in Preußen gedrudtes Schulleſebuch in Defterreich nicht mehr 
Eingang finden können, und. umgelehrt; denn die Orthographie bes 
fremdet und ſtoͤßt zurüd, Und was von den Zibeln, biblifchen Ges 
fhichten, Lefebühern, Anthologien 20. zunähft gilt, wird fpäter, je 
mehr man fich gegenfeitig in die Neuerungen einlebt, oder je mehr man 
auf dem Alten befteht, auch von anderen Erzeugniflen der Literatur gelten. 
Wenn aud zugegeben werden muß, daß jeder Staat geiftige Kräfte ge⸗ 
nug bat, um dem Bebürfniffe an Schulliteratur zu genügen und den 
Kortfehritt zu fördern, fo hat doch immerhin jeder Abfchluß etwas Be⸗ 
engendes und feine Nachtheile. Je größer das Feld und die Zhbeilnahme, 
defto größer bieibt auch die Arbeitsfreude. — Ungeachtet diefes Bedenkens 
hat doch die Sache ihre Berechtigung, und die bisherigen Beftrebungen 
haben ein Leben in die Schulwelt gebracht, welches ebenfowohl der Wiſſen⸗ 
ſchaft als den Unterrichtszweden förderlich werden kann. Iſt doch nicht 
in Abrede zu flellen, daß durch größere Vereinfachung der Rechtichreis 
bung ſelbſt das Lefenlernen erleichtert werden fann. 

Jedenfalls iſt die ganze Angelegenheit noch nicht zum Abjchluffe 
oder zum Urtheilsſpruche reif. Vorerſt genügt es, die Aufmerkſamkeit 
der Leſer des pädagogifchen Sahresberichtes darauf hinzulenken. Bir 
dürften dann vielleicht im nächſten Jahrgange näher in die Sache ein« 
geben und die Gründe für und wider abmwägen, welche mittlerweile zur 
Sprache gefommen find. 


II. 
Der Lefeunterricht. 


Don 


Anguſt Züben. 


N 


Es gab eine Zeit, in der die Schulbücher durchſchnittlich von 
Männern ansgingen, die außerhalb der Schule fanden oder derfelben 
dech nah und nad enifremdet worden waren. Diefer Zeit verdanken 
wir neben andern Schriften die viel gebrauchten Lefeblicher yon Rochow, 
Bilmfen, Berrenner und Eonforten. Nachdem diefelben eine Reihe von 
Jahren ſattſam verarbeitet worden waren, entfland in den Lehrern, die 
nittlerweile Schiller und Goͤthe fleißig gelefen, gründlicher Widerwille 
gegen die Darin dargebotenen Leſeſtoffe. Dentende und Afthetifch gebil« 
deie Lehrer wechneten eine Lefeflunde in einer Oberklaſſe zu den Schul- 
aualen erſten Ranges und ließen fich nicht felten verleiten, während 
dieſer Lection anziehendere Privatbefchäftigungen vorzunehmen und ihr 
Ant dem Kiaffenerften zu übertragen. Diefe Qual hatte aber ihr Gutes, 
Us diefelbe zuletzt unerträglich wurde, wagten es einzelne Lehrer, fie 
abzuwerfen, d. h. fie legten Sand an’s Werk und machten fich felbft 
ein Lefebuch. Die erfien Berfuche fielen zwar nicht ganz befriedigend 
us, begründeten indeß doch einen weientlichen Yortfchritt durch Aufr 
nahme werthvoller, wirklich leſens⸗ und behaltenswerther Stüde. Diefen 
Berfuchen reiheten ſich bald neue an, und noch ehe ein Decennium ver- 
Hoffen war, fahen wir uns fchon-im Beſitz einer großen Anzahl recht 
brauchbarer Lefebüher. Bleiben wir noch zehn Jahre fo im Fluß, fo 
werben wir endlich fo viel gute Lefebücher bekommen, daß ſich jede 
Schule ein anderes auswählen Tann, was wir freilich nicht wünfchen 
fönnen. Aber erfreulich bleibt diefe Thätigkeit der Lehrer immerhin. 
Berden auch im Laufe der Zeit manche diefer Lefebücher zu Maculatur 
zerden, namentlih, wenn die Behörden einzelne befonders zum Ges 
brand empfehlen oder gar vorfchreiben, fo bleibt Doc jeder diefer Ars 
keiten das Verdienſt, mit dazu beigetragen zu haben, daß eine fo hohe 
Stufe der Bollfommenpeit erreicht worden if, mie fie jept vorliegt. 


142 Der Refeunterricht. 


Im Nachftehenden haben wir alle uns aus Journalen und Schriften 
befannt gewordenen pädagogifhen Anfichten und Grundfäge, den Leſe⸗ 
unterricht betreffend, üßtrfichtlich zufammenzuftellen verfuht und daran 
eine Beurtheilung der uns zugegangenen Bücher gereihet. 


J. Grundfäpe. 
1. Zeitpunkt für das Beginnen des Lefeunterrichts. 


1. Her Lehrer Bräuer in Brünlos in Sachſen hat in der Kon 
ferenz zu Dorfchemnig bei Stollberg die Frage beantwortet: „IR es 
niht zwekmäßig, den Lefennterricht mit den Kindern der 
Elementarfhule er im zweiten Schuljahre zu begin» 
nen?” Ein Referat über feinen Vortrag und die dadurch bervorges 
rufene Discufflon enthält die „Sächſiſche Schulzeitung‘ von 1856 in 
Nr. 13. Es Heißt daſelbſt: „Nachdem derſelbe nachgewiefen hatte, daß 
fih der Lehrer an der phyſiſchen Entwidelung der Kinder nicht 
verfündige, wenn er den Lefeunterricht fofort beim Gintritte der Kinder 
in die Schule beginnt; Diefer vielmehr, zweckmäßig ertheilt, in dieſer 
Hinſicht eriprießlih werde, weil dabei auf gerades Stehen und Sitzen 
gehalten, das Hin» und Hergeben geübt, bald in's Bud, bald an die 
entferntere Lejetafel 2c. gefeben, das Gehörorgan gefchärft wird, auch 
lets unrubige Naturen zur Ruhe und Beharrlichkeit genöthigt und ſelbſt 
bejehrende Ratbichläge für's Haus gegeben werden — beiahete er die 
Frage in Rückſicht auf die phyfifche Entwidelung der Kinder, befon- 
ders aus folgenden Gründen: 

a. Der Lefeunterriht kann feiner eigentbümlichen Natur nad) bie 
gedankenarmen und denkſtumpfen, fiillbodenden und mundfaulen ins 
der, wie fie in biefiger Gegend der Schule übergeben werden, nimmer» 
mehr in fröhliche, muntere Seelen voll Auf für die Schularbeit und 
in Durftige nach geſundem Wiffen umwandeln, wenn man ion bei 
deffen Ertheilung alle zu Gebote ſtehenden Vorſchriften und Wegweifer, 
Bängelbänder und Necepte, Berfahrungsweilen und Webungswege auf 
das Sorgfältigfte ſtudirt hätte und auf das Gewiſſenhafteſte befol⸗ 
gen wollte. 

b. Ein fo früher Lefeunterricht bringt im Geifle der Kinder Mäne 
gel und Gebrechen hervor, die im ganzen Lünftigen Leben nicht wieder 
gut zu machen find, indem er in den geiflig noch gar nicht geweckten 
Kindern, die jeßt die Lautzeichen nur mechanifch lernen und fi eine 
prägen Fönnen, eine gewifle Abneigung gegen jedes bewußtvolle Lernen, 
eine förmliche Gedankenlofigkeit erzeugt, die um fo gefährlicdder iR, je 
häufiger fie in der Megel im Gewande einer Zugend (förperlicher Ruhe 
und Anfändigkeit, firenger Aufmerkſamkeit 2c.) auftritt. 

ec. Er beanfprudht ein zu großes Maaß von Beit und Kraft, Die 
dem Anfchauungsunterrichte, welcher, da er alle Elemente in fih faßt, . 
vermöge welcher man das ganze Kind nah Leib und Geiſt erfafjen 


Der Lefeunterricht. 143 


fann, als Hauptfactor am Bildungswerke der Kinder anzufeben und zu 
behandeln if, gexaubt werden muß.‘ 

„Bei der allgemeinen Debatte belannte fich die eine Partei zu der 
Reinung: Es iſt nicht nur unfchädlich, fondern auch befier, den Leſe⸗ 
unterricht ſchon im erſten Schuljahre anzufangen, und zwar aus folgen» 
den Gründen: 

a. Benn er recht ertheilt wird, fo hat er viel bildendes Element. 

b. Die weiften eingetretenen Kindes lernen wirklich im 1. Zahre 

recht hübſch leſen. 

©. Bird das Leſen für das 2. Jahr aufgeſpart, fo wird das 

Schreiben, namentlih das Richtigſchreiben, vernachläffigt und 
erſchwert. 

d. Die Transiofation erfordert es, im 1. Jahre zu beginnen. 

e. Die Eltern wollen Etwas davon gezeigt haben.“ 

„Hierauf ſtellte die andere Partei folgende Begengrände auf: 

a. Es if ein großer Unterfchied, ob die Schule vom Haufe aus 

verdummte oder gewedte Kinder erhält. 

b. Benn das Kind nur einmal ſprechen und denken kann, dann 

lernt es auch weit leichter lefen und ſchreiben. 

©. Das zu yeitige Schreiben und Wbfchreibenlaffen befördert bas 

Falſchſchreiben und erſchwert damit das Richtigichreiben. 

d. Zängt man erft im 2. Schuljahre an, fo kann noch ebenfo viel 

erreicht werden.” 

Herr Bräuer hat ohne Zweifel Recht, wenn er großen Werth auf 
den Anfhanuungsunterricht legt und die Kinder durch denielben erſt uns 
terrichtsfähig zu machen fucht; aber er geht in feiner Forderung offen» 
bar zu weit und überfiehbt, daB auch das Auffaflen der Buchſtabenfor⸗ 
men, ihre Vergleihung und Unterfcheidung ganz hübſchen Anlaß zu 
Anfhauungss, Denk» und Sprahübungen geben. Daſſelbe gilt auch 
von den Schreibühungen, die Herr Bräuer natürlich mit dem Lefen 
zurückſtellen muß. Das Anſchauungs⸗ und Darftellungsvermögen wird 
ſehr weſentlich durch die erſten Schreibübungen gefördert. Vielleicht 
ſohnte ſich Herr Bräuer mit dem frühen Auftreten des Leſens aus, 
wenn er filh der Schreiblefes Methode, aber der reinen, bediente, und 
damit den Anfchauungsunterricht, natürlich nicht bloß den an die Schrifte 
zeigen gefnüpften, in enge Berbindung brächte. in folcher Unter⸗ 
ruht läßt keine Spur von „Gedankenlofigkeit“ und „Abneigung gegen 
jedes bewußtvolle Lernen’’ auffommen, macht vielmehr wirklich die „ge⸗ 
dankenarmen und denkſtumpfen, flillbodenden und mundfaulen Kinder‘ 
ju „fröhlichen, muntern Seelen‘, die Luß haben, mehr zu lernen, die 
ſich innig freuen über- jedes Wörtchen, das fie fchreiben und leſen. Sp 
deutlich au Herr Bräuer durchfühlen läßt, daß er fih mit allen 
Methoden für den Leſeunterricht befannt gemaht habe, fo fcheint es 
body faſt, als fei ihm die naturgemäßefte derfelben noch entgangen. Bon 
feinen Gegnern iſt noch überfeben worden, daß durch die Lefeübungen, 
weil fie jeden einzelnen Laut befonders und anhaltend in's Auge faflen, 
das lantreine Sprechen in einer Weife gefördert wird, wie es der An 


144 | Der Lefeunterricht. 


fhauungsunterriht, wenn er nicht geradezu in Lautiren übergeht, nie 
mals vermag. ine Conceffion fann übrigens Herrn Bräuer reiht 
gern gemacht werden, die nämlich: "in den erften vier Wochen des erſten 
Schuljahres nur Anſchauungsunterricht zu treiben. Gelingt es ihm in 
dieſer Zeit nicht, die größere Maſſe der Kinder für den Lefeunterricht, 
nämlich für den Schreiblefeunterricht, zu befähigen, fo muß er die Urs 
ſache in fih fuchen. Wenn man übrigens Herrn Bräuer die Aufgabe 
ftellte, ein volles Jahr lang mit einer Kaffe von etwa 60 fechsjährigen 
Kindern täglich drei Stunden Anfhauungsunterricht zu treiben, fo würde 
er wahrfcheintih fchon im nächften Jahre von feiner Forderung abſte⸗ 
ben. Es gehört eine große Energie und Elafticität dazu, Anſchauungs⸗ 
unterricht in folder Ausdehnung für die Dauer mit Nugen zu ertbheilen. 
Dazu kommt noch, daß man foldhen Kindern gegenüber doch auch auf 
einen mäßigen Kreis von Anfchauungsmitteln befchränkt ifl, wegen man» 
gelhafter Geiftesentwidelung auch nicht tiefe Denkübungen dabei ans 
ſtellen kann. 

2. In Nr. 1 der „Volteſchulblätter aus Thüringen”, herausgege⸗ 
ben von Laudbard, Heißt es ©. 8.:. „Bon den Kindern follte vor 
Ablauf des erfien Schuljahres das Leſen Fleiner Sätze nicht vers 
langt werden. Wenn es früher zu Stande fommt, fo darf man allemal 
annehmen , daB e8 auf Koften der Gründlichkeit, oder der weniger Bes 
gabten,- oder der Lerniuf Aller geſchah.“ 

Ich bin ungewiß, ob ich den Berfaffer ganz verflehe; er verſchweigt 
zu viel. Bon welcher „Gründlichkeit“ iſt die Meder Doch wohl nur 
von der, die auf das Lefenlehren verwandt wird? Wobei foll der Lehrer 
mit Gründlichfeit vermeilen? Beim Lefen der einzelnen Laute und finn«- 
loſer Sylben? Das wäre eine Gründlichkeit zum Todtmachen, zum Er⸗ 
fiden aller Lernluſt. In den Elementarklaffen der biefigen Bürgerfchulen 
werden grundfäglic fchon nad wenigen Wochen bes erfien Schuljahres 
Meine Säbe gelefen und mit Ablauf des Jahres Feine Aufſätze und 
Gedichte, und zwar von der ganzen Klaſſe, ein paar ganz Schwache 
etwa abgerechnet. So fand ich's auch in andern guten Schulen, und 
die Erreichung diefes Zieles ift eben ein ficherer Beweis für die aufges 
wandte Gruündlichkeit. Die Gründlichkeit if eine vortrefflide Sache 
beim Unterriht; aber ich habe Lehrer fennen gelernt, die famen vor 
lauter Gründlichfeit niemals zu einem refpectabeln Ziele. Bor diefer 
Art von gründlichen Lehrern möge Gott jedes Schulkind bewahren! 

Der ungenannte DBerfaffer ‚des alten Schulmeiſters“ (Duisburg, 
Ewich, 1855) fagt ©. 15: ‚Wenngleich ich dem fogenannten Schreib⸗ 
leſeunterricht abhold bin, weil es nicht prakliſch iR, fi mit zwei Fein⸗ 
den zugleich herumgufchlagen , im Ball man doc beide trennen kann; 
und weil es aller Pfychologie entgegentritt, den Geiſt, der in einer 
Sache thätig fein fol, durch Fremde Affociationen zu verwirren, zu 
Schwächen: fo muß ich bemerken, daß Lejen und Schreiben mög⸗ 
lichſt bald mit den Zöglingen und zugleid betrieben wer« 
den müffen. Der elende Mechanismus, der die früheren Pädagogen 
gegen das frühe Erlernen diefer Disciplinen einnahm, kann durchaus 


Der Leſeunterricht. 145 


befeitigt und den Uebungen Geiſt und Leben gegeben werden; und 
dann liegt hierin ein Hauptmittel zur rafhen Ausbil» 
dung in der Sprache.“ 

Ueber des Verfaſſers Anficht über das Schreiblefen ſiehe weiter unten, 


H. Beſchaffenheit der Leſeſtücke. 
a. Kür die Fibel. 


Die Leſeſtücke der Fibeln find durchſchnittlich: 

1. einzelne Buchſtaben, 

2. einzelne Silben, 

3. einzelne Wörter, 

4. Alphabete, 

5. einfühe Säge, zum Theil für grammatifche Biwede beſtimmt, 
6. Wörter und Saͤtze für die- Orthographie, | 
7, kurze, einfache Beichreibungen bekannter Gegenfände, 
8. furze, einfache Erzählungen, . 

9, Sinn, und Dentiprüde, 
10. Heine Gedichte, 


11. Gebeie, 
12. Wünſche für Eltern zum Geburtstage, zu Weihnachten u. Neujahr, 
13. Bibelſprüche, . 


14. der Luther'ſche Katechismus, 

15. Fremdwoͤrter. 

As Anhang finden ſich noch bäufig Borkbungen zum Rechnen, 
auch wohl das Einmaleins. | 

Einzelne Buhfaben und Silben vorzuführen, kann nüplich 
kin, durchaus nothwendig ift es nicht. Das Kind muß von der erflen 
Etunde an jeden Laut und alfo auch das Zeichen dafür, als Theil eines 
Vortes, und das Wort als Theil eines Satzes auffaflen lernen. Das 
mm gebt man naturgemäß vom Sape aus, führt aus demfelben aber” 
nur die feichteften Wörter zum Lefen vor. If das einige Wochen lang 
geſchehen, fo läßt man fofort einfache Saͤtze leſen und geht dann zu 
feinen Auffägen über. Auf dieſe Weiſe erhält man von Anfang an 
einen Stoff, der dem Finde Anlaß zum Denken giebt, alfo deffen Ges 
mmtbildung, nicht bloß das mechanifche Lefen fördert. | 

Die Mehrzahl der neuern und neuften Fibelſchreiber ift nicht von 
diefer Anſicht auögegangen,, hat vielmehr für lange Beit nur das mecha⸗ 
niſche Leſen in’s Auge gefabt und darum große Maſſen von bebeutunge- 
leſen Silben und einzelnen Wörtern als Leſeſtoff dargeboten. Mecha⸗ 
aiſches Lefen laͤßt ſich durch ſolchen Leſeſtoff erreichen, doch ſchwerlich 
beſſer und, viel früher, als an Wörtern und Sägen; aber weil man 
das Denken fo lange unnatürlih vom Lefen, mit dem es doch fon 
hets unzertrennlich verbunden fein muß, trennt, fo macht man die Kinder 
Rumyf, erregt Widerwillen gegen die Lefeübungen und leitet zum ge⸗ 
danlenloſen Leſen an. Aus diefen Gründen table ich alle Fibeln mit 
vielen Silben und einzelnen Wortern. — In ähnlidem Ginne ſagt 

Rade, Jahreöberiht. Z. 10 


146 Der Leſeunterricht. 


J. Mseſenbacher in Nr. 83 (1856) des „Deſterreichiſchen Schul⸗ 
Boten”: ‚Ein Schüler, der daran gewöhnt wird, Silben ohne alle Ber 
deutung zu lefen, der wird Fünftig Teicht auch Silben, die eine Beben 
tung haben, als bedeutungslos leſen, nnd es gehört eine große Mühe 
dazu, feine Aufmerkfamfeit wieder in die rechte Bahn zu leiten. Wir 
dürfen uns faum wundern, wenn man in Schulen oft fo viele Schüler 
mit der Gedankenlofigkeit und Zerfireutheit behaftet antrifft; es legt ja 
fhon der erfte Lefeunterricht häufig den Grund dazu, wenn die Kinder 
durch den Unterrichtsgang eine Zeit fang planmäßig In ber Gedanken» 
lofigfeit geübt wurden. „„Alle erften Fehler,““ fagt I. PB. Richter, 
„„find die größten, und die geiftigen Krankheiten werden, ungleich den 
Poden, defto gefährlicher, je jünger man fie bekommt.““ 

Säpe für grammatiſche Zwede find zu billigen, wenn man 
fie benutzt, den Kindern die verfchiedenen Sapformen geläuflg zu machen, 
ihr Sprachgefühl zu wedden und zu bilden, nicht aber, um deren Subjeft 
und Prädicat und dergleihen Grammatikalien daran erkennen zu laffen. 

Der Stoff zu befondern orthographiſchen Uebungen fällt 
ftets dürr aus, gehört daher mit den finnfofen Silben und einzelnen 
- Wörtern in eine Kategorie. Ich Tann ihn für Lefebücher nicht billigen, 
am wenigſten für Fibeln, da er entfchieden die Qualen der kleinen Lefer 
vermehren hilft. Es ift genug, wenn die Kinder auf diefer Stufe eine 
Anzahl Wörter durch wiederholtes Anfchauen und Bergliedern richtig 
ſchreiben lernen; mit Regeln verfchone man fie moͤglichſt. 

Befhreibungen, Erzählungen, Gedichte und Denk⸗ 
fprüde müſſen fih, wie fih von ſelbſt verficht, durch Einfachheit und 
leichte Verftändfichleit auszeichnen, dürfen jedoch feine Plattheiten ent» 
halten. Zwiſchen den kleinen Gedichten finden fich nicht felten bloße 
Reimereien, die nur aufgenommen find, um irgend eine Bebensregel bes 
haltbarer zn machen. 

Gebete zu Lefeäbungen zu benugen, if unftatthaft; ihre Aufnahme 
in Fibeln iſt indeß nicht geradezu zu tadeln; die Kinder fommen auf 
diefe Weife am fiherfien in den Befſitz derfelben. 

Daffelbe gilt von den Spruchſammlungen, .dem Katechie⸗ 
mus und den Wünſchen für Feſtlichkeiten. 

*  Sremdmwörter gehören aus leicht begreiflichen Gründen nicht für 
Fibellefer, d. 5. für Kinder, die noch mit den erſten Wlementen der 
Mutterſprache vollauf zu thun baden. | 

No fremdartiger und völlig überfläffig für eine Fibel And Zif⸗ 
fern, Einheitstabellen, das Einmaleins, überhaupt Alles, was ſich auf 
das Nechnen- bezieht; die Kinder können in diefem Alter weder in der 
Säule, noch zu Haufe nüplichen Gebrauch davon machen. 


x 


h. zür die nach der Fibel folgenden Leſebücher. 


Die Leſebucher im engern Sinne, nämtich im Gegenſatze zu den 
Fibein, enthalten far durchgängig proſaiſche und poetiſche Stüde Vie 
Projaftüde follen der Hauptſache nad belehren, die Poeſien dus Ge 


Der. Lefeunterricht. 147 


müth und den Gharafter bilden, beide zugleich die Sprachbildung tm 
weitern Sinne des Wortes fördern. " 

Die belehrenden Brofaftüde feben es befonders anf Förde⸗ 
rung des Realunterrihts ab, wollen und follen dieſe in manchen 
Faͤllen geradezu erfegen. Daher bieten fie Belehrungen dar über Geo» 
graphie, Gefchichte, Naturkunde, Anthropofogie, Himmeltkunde. Diefe 
beiehrenden Auffäpe treten in drei verfdhiedenen Formen auf; fie find 
nämli entweder: 

1. ſyſtematiſche, ziemlich trodene Ueberfichten der genannten Wiſſen⸗ 

ſchaften, oder 

2. ausführlihere, im gewöhnlien Lehrtone gehaltene Darftel⸗ 

fungen, oder 

3. Iebensvolle, höheren filitifchen Forderungen entfprechende Bilder. 

Je. nach dem Standpunkte, welchen bie Herausgeber im Allgemeinen 
einnehmen, oder nach dem Ziele, das fe ſich geftedt haben, laſſen fie 
bald die eine oder die andere Art von Aufſätzen vorherrſchen, berück⸗ 
ſichtigen auch wohl alle drei zugleich. 

Bas iſt Hier das Rechte? Diefe Frage if nicht ganz leicht, wird 
jedoch mit jedem Jahre übereinftimmender beantwortet, nämlich im Sinne. 
von Rummer $. 

Zrodene, ſyſtematiſche Weberfichten finden fih wohl nur nod in 
ten älteren Lefebüchern, wie 5 B. in den „‚Kinderfreunden” von Zers 
renner, Preuß und Better und einigen andern für die Elementarſchule 
beimmten. Die Berfaffer gingen bei Aufnahme derfelben von ber Abs 
ht aus, den Kindern außer Bibel und Katechismus jedes andere Buch 
entbehrlich zu machen; das Leſebuch follte Die ganze Schülerbibliothek 
erſetzen. Segen diefe Anfiht iſt an und für ſich Nichts einzumenden, 
Alles aber gegen die Ausführwug derfelben. Bon einem Leſebuche muß 
man vor allen Dingen verlangen, daB es Stoffe enthalte, die nad 
Inhalt uud Form geeignet find, ſofort bildend auf das Kind einzu 
wirten. Das können dürre ſyſtematiſche Ueberfichten niemals; fie erhalten 
er nach Jahren für das Kind einiges Verſtändniß und find dann aud 
nur Anhaltepunkte, Merkzeihen. So Etwas läßt ſich allenfalls nod 
auf anderem Wege, nämtich durch ein kurzes Dictat, erreichen, ‚_wenn’s 
für nöthig erachtet würde. _ Aber ich halte es für die Elementarſchule 
nit Für nöthigz ihre Aufgabe ift es nie geweſen und fann ed nie wer⸗ 
deu, fyſtematiſches Willen zu erzielen; Alles, was fie erreichen Tann, 
iR Kenntniß von wichtigen inzelnheiten, deren Zuſammenhaug im 
Großen fi endlich von ſelbſt ergiebt, wenn die Behandlung gut war. 

In dieſem Sinne ſpricht ſich W. P. in den Mheinifchen Blättern 
(Juli — Auguſt, 1856, ©. 57) aus, wenn er fagt: „In Nüdfiht auf 
das Materiale ſteht Tängft fe, daß bloße Veberfichten, Skizzen, Eins 
theilungen, Ramenregifter im Unterricht nie als eigentlihfte Hauptſadche 
geten dürfen; fie find kaum als ein in der Volksſchule zu erſtrebendes 
Ziel, geſchweige als das Hauptziel des Nenlunterrichtes anzufehen. 
In fo weit das Lefebuch bloß zur Gewinnung folder Ueberfichten und 
Einthelungen anleitet, iR es unerauidlih für Lehrer and Schüler. &s 

10* 


148 | Der Lefeunterricht, 


Iäßt jenem eine große Aufgabe übrig, nämlich die knochigen Skizzen 
erft mit Fleifh und Blut zu umfleiden; diefem aber gewährt es die 
nöthigen Anhaltspunkte und breitern Stüßen nicht, ohne welche ihm 
doch nur ſchlecht gedient if.“ 

Wie gegen die Meberfihten, fo muß man fih aud ganz entfchieden 
gegen alle ausführlicheren Darftellungen im gewöhnlihen Lehrton 
(Schulton) ausfprehen, und zwar darum, weil fie die dürre Profa, 
den trodenen und austrodnenden Sculftaub, der Jahr aus Jahr ein, 
Tag für Tag in den allermeiſten Schulen fchon herrſcht, noch um funfzig 
Procent vermehren helfen. Kommt zu folder Schuiprofa no ein pros 
faifhes Familienleben, fo find die armen Kinder in geiſtiger Beziehung 
nicht beffer daran, ale wenn ihnen für ihre leibliche Entwidelung Mors 
gens Kartoffelfuppe, Mittags Kartoffelbrei und Abends Pelllartoffeln 
geboten werden. Die Lefebüicher mit folcher Kartoffelfpeife find gar nicht 
fo felten; von den neueren bietet fie 3. B. Häfters’ Lefebuch ziemlich 
reichlich dar. In dem für die Oberklaſſen beftimmten Theile beißt es 
gleih auf der erften Seite: „Wo viele Menſchen nahe zufammenwohnen, 
da muß für gute Ordnung geforgt und darauf gefehen werden, daß 
ein Menfch dem andern an feiner Berfon oder feinem Eigentbum 
feinen Schaden zufüge, daß keiner die Rechte des andern flöre, und 
jeder feine Pflicht thue. Hierfür forgt der Bürgermeiſter. Er 
Keht darauf, daß die Straßen und die Zeuerlöfchgerätbe in gutem Zu⸗ 
Rande fih befinden, daß jeder beim Berlaufe das gehörige Maa und 
Gewicht gebraude, und daß niemand Eßwaaren verkaufe, weldye vers 
dorben und der Gefundheit fchädlich find. Er wacht über die Sicher⸗ 
beit der Berfon und des Eigentbums, oder er bandhabt die 
Bolizei. Ein oder mehrere Polizeidiener, Feldhüter und 
Nachtwächter find ihm zunächſt hierbei bebüfflih und fliehen unter . 
femem Befehle”. AR das ein Etüd aus der Inftruction für. einen 
Burgermeiſter? Es if abgefchmadt, foldhe Sachen in folder Borm Kin 
dern in einem Leſebuche darzubieten; Polizeidienern und Feldhütern mag 
man fo Etwas in die Hände neben, aber nicht Kindern, deren vor⸗ 
berrichende Stimmung eine gemüthliche und poetifche iR. 

Der „Oeſterreichiſche Schulbote‘ bringt in Nr. 23—28 
unter der Weberfchrift: „Der Menſch als Glied der Geſellſchaft,“ 26 
„Leieküde für die oberſte Klaffe der Volksſchule.“ Obwohl viefelben 
manches Gute enthalten, fo erheben fie fib doch nah Stoff und Dar» 
ſtellung nicht über das Mittelmäfige. 

Ueber die „Leſeſtücke für den erſten Unterricht in der gothaiſchen 
Heimathskunde“ von Dr. M. Schulze, von denen Nr. 18 der Volks⸗ 
fhulblätter” von Laudhard eine Brobe enthätt, erlaube ich mir 
fein Urtheil. 

Es bieibt fonah in Bezug auf Realien für die Lefebücher nichts 
weiter fbrig, als gut geſchriebene Auffäge über Gegenfände, die 
geeignet find, das volle Intereffe der Kinder zu erregen, alle: 
‚lebensvolle Bilder, wie man jeßt zu fagen beliebt, doch frei won 
lem Bhrafenwert. Wie der Inhalt, jo muß auch die Form eine 





Der Leſeunterricht. 449 


wärbige, mußergiliige fein. Solche Stücke allein find es, die veredelnd 
auf die Sprache des Kindes einwirken, ihm einen Borfchmad von edier 
Sprache verfchaffen, zu gewählteren Ausdrude anreizen. 

Was den Stoff anbelangt, fo bezeichnet W. PB. in dem oben ans 
gezogenen Auflage denfelben S. 38 richtig in Yolgendem: , Pflanzen» 
und Zhierbefchreibungen, Darlegungen der natürlichen Bors 
Hänge in unferm Bufttreife während Des ganzen Jahresiaufes, ober der 
Weiſen und Beränderungen, welche durch Menſchenhand bei den Natur 
preducen im mancherlei Arbeitöfätten eingeleitet werben, um fie nutz⸗ 
barer und werthooller zu machen; umſtändlichere Erläuterungen 
der Einrichtung und des Gebrauchs mancher wichtiger Werkzeuge und 
dergl.: die ſe find’s, weiche, indem fie nicht über die Sachen firrechen, 
ſondern Die Sachen felbft vorführen, unterrichtlih von Nutzen find. 
Gerner Befchreibungen von Gegenden, namentlih von vaterlän- 
difhen, mit Allem, was durch Natur und Menfchenarbeit darin cha⸗ 
rafteriif und von hervorſtechender Bedeutung if; Wanderungen, wo⸗ 
bei mit offergen Auge auf ſich darbietende- Ericheinungen geachtet wird, 
olme bloß fogenannte Merkwürdigkeiten zum Stihblatt zu nehmen; 
Shilderungen von finnvollen Volkseigenthümlichkeiten, von groß 
artigen Leitungen menfhliher Kunſt u. dergl.; Bergleihungen der 
Bereutfamkeit mancher Raturdinge und Naturverbältnifie für dns Men 
ſchenleben u. a. m. Diefe liefern fruchtbaren Stoff zur weiteren Durch» 
arbeitung, nachdem dem näcdften fprachlichen Zwed, dem — um es zu⸗ 
ſaumenfaſſend zu fagen — „guten Lefen‘ genügt if; fie enthalten 
au den wirkſamſten Anreiz, ſolche Stüde außer der Schule und wohl 
ſelbſt nad) Ablauf der Schuljahre gern noch wiederholt und mit mad 
indem Nutzen zu lefen, und das Lefebuch zum Volkebuch umzuwandeln. 
Vitam vitae! — Endlih Geſchichten, kernige, lebensvolle, folgen- 
fhwere Charakterbilder aus allen Ständen unſers Bolfs und allen 
Bauen unſers engern und weitern Vaterlandes, einzelne ergreifende 
Stenen aus dem Leben großer Männer und Frauen, oder aus den ' 
Hauptereigniſſen der Bolkserlebniffe: das ift vornehmlih das Material, 
woran der Unterricht mit Erfolg weiter anknüpfen Tann. Gute Lefes 
bücher enthalten es in Ausführungen; das muß fo fein.‘ 

Die Poefien der Lefebücher find gewöhnlich den verfchiedenften 
Ditungsarten entnommen, was zu billigen iR, da die Kinder auf diefe 
Beife zugleich mit den verfchiedenen Darftellungsformen befannt werden. 

Hanptforderung kann jedoch nur. fein, daß die aufgenommenen Dich 
tungen wirkliche Poefien, nicht wäflerige, inhaltsleere und darum 
wirfungslofe Reimereien find. Die Zahl der Lefebücher iſt nicht groß, 
welche in Diefer Beziehung genügen; es gehört ein feiner Tact und viel 
Kenntniß guter Poeſien dazu, um bier nicht fehl zu greifen. 

In Berlin iſt in den Lehrerfreifen die Frage aufgeworfen worden, 
eb mac dem Erſcheinen der Regulative, die. bekanntlich die klaſſiſche 
deutſche Literatur als Bildungsmittel für die Volksſchullehrer befeitigen, 
weh Gedichte von Schiller und Göthe für die Schulen, alfo für 
die Lefebiniger. zuläffig fein. Merget, Direttor einer. höheren Toͤchter⸗ 


150 Der Lefennterricht. 


ſchule und eines Seminars fir Lehrerinnen in Berlin, bat diefe Frage 
aufgenommen und in fehr angemeffener Weife im „Brandenburger 
Schulblatte‘ (Heft 7, 1856) beantwortet. Pür die eigentlichen Ele 
mentarfchulen lehnt er im Einverfländniß mit allen bedeutenderen Schul⸗ 
männern Gedichte von Schiller und Göthe ab, fordert fie aber für alle 
mehrklaffigen Schulen in noch größerem Umfange, ale z. B. Wacker⸗ 
nagel und DO. Schulz fie in ihren Lefebüchern barbieten. Ale Grund 
für dieſe Forderung führt er an: „— — — weil beiden Dichtern in 
böchfter Bolltommenheit von Gott die Gabe geworden, die tiefften und 
höochſten Gedanken und Gefühle ber Menfchenbruft, weiche den Menſchen 
adeln und ihm, wenn fie vom Glauben durhdrungen werden, die Fülle 
der Seligkeit verfchaffen, weit fie die Welt und was in der Welt if, 
in einer Weife zu ſchauen und une vor das geiftige Auge zu malen ges 
wußt haben, wie fie der religidfen Betrachtung und Auffaffung am näch⸗ 
fen fommt. Sie erheben uns in ihren befleren Werken durchaus von 
dem Riedrigen und Bemeinen, das als die Dornenfaat den Samen des 
Wortes Gottes zur Frucht zu gedeihen verhindert; fie heifen das felfens 
harte Gemüth erweichen, daß der Samen tiefer eindringen kann, und 
laffen, wo fie vernommen werden, nicht zu, daß der Menſch der breiten 
Heerſtraße gleihe, auf welcher der gleihgültige Zuß des Wanderer das 
echte Samenkorn zertritt. Wir wiflen, daß die platonifche Philofophie, 
ja au die Stoa, dem Chriftenthume einigermaßen den Weg in bie 
Herzen der gebildeten Heiden gebahnt hat, und der Apoflel Baulus bes 
ruft ſich Apoſtelgeſch. 17 auf griechifche Poeten, die da gejagt haben: 
„Seines Geſchlechts find wir.‘ Das fagen_ Schiller und Goͤthe auch. 
Und Hat ih ja doch unfer gebildetes Leben zum Theil mit auf dem 
Grunde der hellenifchen Bildung geftaltet; wir können die Fülle von 
Kunſt und Wiffenfchaft, welche wir den Griechen verdanken und von der 
Afrael nichts wußte, die aber auch dem Herrn Chriſto dienen fol, nicht 
aus unferen Lebenskreifen verbannen, und müflen den Dichtern danken, 
welche uns diefelbe in einer Form vorführen, wie fie eben das gefellige 
Leben durchdringen kann, und wie auch die Jugend für jene Wiſſen⸗ 
(Haft und Kunft begeiftert und für das durch fie gebildete Leben vor⸗ 
bereitet wird. Daß ich diefe Anſicht theile, beweift mein Leſebuch, daB 
von Schiller 23, von Böthe 28 Stüde enthält, der großen Mehrzahl nach 
alle diejenigen, die Herr Dir. Merget auch als befonders empfehlens- 
werth bezeichnet. Der ganze Aufiap darf allen Lehrern, insbefondere 
auch Tünftigen Herausgebern von Lefebächern, beftens empfohlen werden. 
Vielleicht nimmt daraus mander Lehrer von Neuem Beranlaffung, ſich 
gründlich mit unfern deutfchen Claſſikern zu befchäftigen. 

Einzelne Lefebücher nehmen noch fpeeielle Rüdficht auf ben gram- 
matifchen Unterricht und liefern zu diefem Zwecke Beiſpielſamm⸗ 
lungen. Diefe Sammlungen find von doppelter Art: man hat nämlich 
entweder befondere Stüde für grammatifihe Zwecke ‚gearbeitet, oder Säge 
ohne logiſchen Zufammenhang nach den Gprachgefegen zufammengefteilt. 
Die erſte Aufgabe ir mit Rückſicht auf die ftuiftifchen Forderungen, welche 
man an Leſeſtücke burdand maden muß, fchwer gu Idfen und bis jegt 


Der Leſeuaterricht 4 


wohl Eaum genügend gelungen, die gmeite dagegen im Ganzes leicht; 
nur muß man deu Kindern micht inhalisieere Säge vorführen, ſondern 
lolche mit wichtigem Inhalt, z. B. Sprüchwoörter und Sprüche, wie in 
den beſſern Lefebüchern bereits geſchehen iſt. Un und für ich halte. ich, 
mie {dem oben bemerkt, Diele Rückſichtnahme auf die Grammatik für 
ganz gerechtfertigt und zugleich geeignet, von aanmatiſcher Zergliede⸗ 
rung ʒetiſche Städe abzuleiten, 


"IM. Die Adbildungen in gelebuchern. 


Illuſtrationen durch Holzſchnitte find gegenwärtig fo an ber Zages⸗ 
ardnung, DaB nahezu die Hälfte aller exſcheinenden Schriften damit aus⸗ 
gehattet wird. Das if eine erfreuliche Erſcheinung, namentlich auch mit 
Nũckſicht auf den Schulunterricht. Denn gute Abbildungen erleichtern 
das Berfändniß von ſchriftlichen Darftellungen weſentlich, verſchaffen 
uns richtige Vorſtellungen von Gegenſtänden, die wir in natürlichen 
Eyempiaren nicht haben koͤnnen, und ‚gewähren. in ihrer fchönen Ausfüh⸗ 
zung Sreude, aͤſthetiſches Bohlgefallen. Auch in die Schullefebücher find 
De Abbildungen übergegangen, namentlich in die Fibeln, die ſchon ſeit 
einem halben Jahrhundert auf dem Zitelblatte mit dem. Bilde deg Hahnes 
geziert waren. 

Sn den Zibeln haben die Abbildungen meiftene mehrfache Zwecke, 
nämlich das Behalten der einzeinen Buchſtaben zu erleichtern, als Anhalt 
für deu erſten Anſchauungs⸗ und Renlunterricht zu dienen, und für Deu 
erſten, zuweilen auch voch für den fpätern Zeichenunterricht als Vorlagen 
beuupt zu werden. Hubert beabſichtigt Damit noch mehr; er fagt im 
ſeiner weiter unten gengunten „Anweifung zur Anwendung einer ein 
fahen Methode beim erften Unterricht im Lefen und Schreiben’ ©. 6 
in Bezug auf die von ihm für feine „Handfibel“ beflimmten Bilder: 
„Die Preußiſche Handfibel iR zur Freude umd zum Nuben der Kinder 
mit vortreffliben Bildern ausgeftattet worden. Diefe Bilder follen auch 
als Borlegeblätter beim Zeichen Unterricht und fpäter bei den Aufſatz⸗ 
übungen als Themata gebraucht werden. — Die Bilder find mit Rüde 
fit: auf die einzelnen Buchſßtaben, ferner für den erſten Unterricht. in 
von Meelien und in ‚der Religion, ſowie zur Wedung des Paſriotienu⸗ 

ausgewählt worden. 

Ob das Behalten der Buchſtaben durch Abbildungen erleichtert piin 
iß ſehr zweiſelhaft, da Bilder und Buchſtaben, z. B. i und Igel, 
und übe. e und Eſel, durdans keine Aehnlichkeit mit einander haben. 
Eo iR nicht unwahrſcheinlich, daB Bilder hier eher von ber Buchſtaben⸗ 
form ablenken, als auf dieſelbe hinweiſen. Man kann mit einiger Sicher» 
heit Darauf sehen, daß in vollen. Klaffen mehr Kinder auf den abge 
biſdeien &fel, ale auf das daneben ſtehende E ſehen. Ginzelne Ders . 
faßer wollen duch die Büder die Wörter verauſchaulichen, welchen ein 
einzuhbender Buchſtabe entnommen if, Das hat Sinn, da. auf diefe 
Beife mit dem Worte auch die Sache gegeben wird, und, umgekehrt. 
run iman:indeh, wie oben bemerkt wurde, bei der Ginübung jedes 


15% Der Leſeunterrichi. 


einzelnen Lautes und Buchſtabens von Gäpen audgeht, in denen von 
befannten Begenfländen die Rede if, dann find die Bilder auch für 
diefen Zwed entbehrlich. Verſpräche man fih indeß auch bier noch vom 
Anſchauen berfelben einen weientlichen Bortheil, fo möge man fie ale 
Bandtafeln benugen und darauf im Leſebuche nur die bezüglichen Buch⸗ 
Raben, Wörter und Sätze vorführen. 

Soollen die Bilder ausfchließlich dem Anſchauungs⸗ und Real⸗ 
unterrichte dienen, ſo bin ich mit ihrer Anweſenheit in den Fibeln 
ganz einverſtanden, ſetze jedoch voraus, daß fie in Verbindung gebracht 
ſind mit darauf bezüglichen Aufſätzen, wie das z. B. im erſten Theile 
meines Leſebuches der Fall iſt. 

Abbildungen für das Zeichnen in der Fibel zu liefern, dürfte 
kaum empfehlenswerth fein, da dieſer Gegenfland der Blementarkiaffe 
fern liegt. Einige Borübungen zum Schreiben mögten das Ginzige 
fein, was bier zutäffig wäre. 

In den eigentlihen Lefebühern findet man nur felten Ab⸗ 
bildungen. Am meiften bedürfen die naturfundlichen derſelben, und dieſe 
find es auch vorzugsmweife, welche, 3. B. im Münſterberg'ſchen Volls ſchul⸗ 
leſebuche, damit ausgeſtattet find. Unangemeſſen erſcheint es mir, in 
ſolchen Lefebüchern den knapp zugemeflenen Raum durch Abbildungen bes 
Tannter NRaturkförper zu befchränfen. Vielleicht dürfte es überhaupt au⸗ 
gemeflener fein, alle derartigen Abbildungen aus dem Lejebuche weg zu 
faffen und dafür die Anzahl der guten Aufſäthe und Gedichte zu ver- 
mehren; man erreicht den Zweck der Abbildungen durchſchnittlich  beffer 
durch Wandtafeln und — wirkliche: Naturkoͤrper. Rur die Aufnahme 
von Detailzeihnungen, die ein tieferes Verſtändniß der Raturköryer ver» 
mitteln, oder von fehr Meinen Naturkörpern, würde ich für fatthaft 
and nüplich erachten. 


IV. Anordnung ber Leſeſtücke. 
a. In Fibeln. 


Die meiften Fibeln zerfallen in zwei Ubtheilungen,, von denen bie 
erſte die Elemente des eigentlichen Lefenlernens enthält, bie zweite kleine 
Webungsflüde zur Befefligung der erlernten Elemente. Zür die erſte Ab⸗ 
theilung ift der Grundſatz, vom Leichtern zum Echwerern fortzufchreiten, 
im weitefen Sinne und mehr als irgendwo maßgebend. Daher if denn 
auch die Folge des Alphabets, die in Altern Fibeln eingeſchlagen wurbe, 
längft verlaffen und eine dem allmäblichen Fortſchritt angemeffenere aufs 
geftelt worden. Man könnte die alphabetifche Folge die ſyſtematiſche, 
die jeht gebräuchliche die metho diſche nennen. Bier und da madht 
fih in den methodiſchen Anordnungen nod etwas Syſtematik bemerktich, 
infofern man nämlih das Alphabet in Bolale und Eonfonauten 
zerfällt und jene vorweg zur Kenntniß bringt, oder die Fleinen Buche 
Raben fämmtlich den großen vorangehen läßt. Für Beides fehit es 
an ausreichenden Gründen. 

Die methodiſche Mnorduung ber. Elementar  Refehbungen faut na’ 


Der Leſennterricht. Ä 158 


türlich verſchieden aus, je nachdem man das Leſen wit der Schreib, 
ſchrift oder mit der Druckſchrift beginnt; ja, and innerhalb diefer bes 
den Lehrgänge fehlt es noch an Uebereinſtimmung, da die Anfichten über 
die größere oder geringere Schwierigkeit einer Buchſtabenform für bas 
Schreiben, oder eines Lautes für die Ausfprache verſchieden find, 

Für das Schreibleſen if das Abfondern und Voranſchicken der 
Bokale, wie es z. B. in den „erſten Uebungen im Schreibleſen“ (Grün, 
berg, Levyſohn), tu der ‚Kleinen deutſchen Fibel“ von Baumgart und 
Woyſche u. U. awsgeführt iR, ganz unzwedmäßig, da o und a den A 
fängern im Schreiben ziemlich ſchwer fallen. Eben fo treten in wielen 
Schreibleſe⸗Fibeln die Buchſtuben r, v, w, g, p, k weiftene zu fräb 
auf. Hauſchild z. B. beginnt in feinem „erſten Leſe⸗ und Echreibe 
Suche” mit dem Worte ami, dans Schreiben alfo wit dem a; in ber 
bei Rubens in Unna erfchienenen „Handfibel“ kommen i, u, m, e, a, 
o, T, w, v in ben erften fieben Beilen und in der angegebenen Ordnung 
vor. Es giebt ‚große Buchſtaben, die leichter darzuſtellen find, als 
mehrere der genarnten Meinen, und Die man daher wit Rädficht auf 
das Großfchreiben der Sauptwörter benfelben zwedmäßig: worangehen 
laſſen kann, wie ich es im erſten Theile meines Lefebuches gethan habe. 

In den Fibeln mit bloßer Druckſchrift fällt es oft fchwer, ein 
Princip zu entdeden, nach dem die Anordnung erfolgt ifl.- Die ‚Kleine 
SHandfibel,‘ weile in Danzig bei Kafemann erfchienen tft, ſtellt auf der 
erſten Seite alle guoßen und Meinen Buchſtaben alphabetlich zufammen, 
auf der zweiten ſyſtematiſch, d. 5. gruppirt nad den Drganen, bie zum 
Serserbringen der Laute erforderlich And, und führt dann Hunt durch 
ewander groß und Fein gefchriebene, ein» und mehrſilbige Wörter auf. 
Daſſelbe if dor Fall in dem in Regensburg bei Puſtet erfchienenen 
„erſten Beier, Schreib⸗ und Sprachbüchlein;“ in den eigenötichen Lehe 
Abangen treten jedoch zunähft nur kleine Buchflaben auf, ſelbſt für die 
gebrauchten Hauptwörter; auch find dieſelben einigermaßen natürlich 
gruppirt, wenn auch nicht conſequent. Aehnliches wiederholt. ſich ix 
andern Fibeln 


Huf die eigentlichen Elementar⸗Leſeübungen folgen in vielen Fibeln 
im der NRegel erſt Saäte zur Befeſtigung des Dagemwefenen. Verfaſſer, 
die nichts weiter, als das Leſen im Auge haben, pflegen dieſe Satze 
vrinciplos zuſammen zu ſtellen, höchflens ein wenig nach der groößetn 
oder geringern Laͤnge zu. ordnen. Diejenigen dagegen, welche neben dein 
Seien neh Meallenntniffe bezweden, ordnen bie Säge nad ben 
Grgenftänden,, welche die Kinder kennen lemen follen,, liefern alfo kurze, 
aus möglich einfachen Sätzen beſtehende Beichreibungen. Andere orbus 
Viefe Säge nach fprachlichen Rückſichten, bauptfächli in der Abſicht, 
um die Rinder zugleich mit den hauptfächlichſten Supformen, mit der 
Sprache der Gebildeten, befannt zu machen. Gine vierte Klaſſe von 
Sihelfgreitern endlich verfolgt:neben dem Lefen bie beiden letzteren Zwecke, 
alſo real iſt iſche und ſprachliſcche Bildung zugleich, orbnet daber Die 
GSaͤze nach ihrem Bau, beſchreibt aber mit ein. und derſelben Gruppe 
zagteich Gegenftände: Dieſen "Weg habe ich am. erſtenTheile meines 


154 Der Refemterciäg. 


Leſebuches eingefhlagen und feld mehreren Jahren gefeben, daß er ſich 
bewährt; Andere haben denfelben darnach auch betreten, fo der Berfalfer 
des „erfien Leſe⸗, Schreib» und Sprachbüchleins“ (Megentburg), des 
. „Schreib » und Leſeſchülers“ (Friedberg) u. 4. 

Die zweite Abtheilung der Bibeln beſteht gang allgemein aus 
Meinen moralifhen Erzählungen, Belgreibungen befanntes Gegenftände 
und kurzen Gedichten; man will alle, wie das auch ganz angemeflen 
iR, die Erkenntniß fördern, das Gemüth und den Charakter bilden. Im 
vielen Fibeln ift ein leitender Faden für die Anordnung biefer Lefeſtücke 
faum aufzufinden, während in andern leicht zu erkennen iR, daß man 
in diefem Material zugleich einen geordneten Lehrgang für den Anſchan⸗ 
ungs» und Realunterricht bat geben wollen. Dieſen Verſuch babe ich 
im erften Theile meines Lefebuches gemacht; Häfers dat ihn adoptirt, 
eben fo der Verfafler des fihon genannten Friedberger „Schreib» und 
Leſeſchulers.“ Wie fehr Ah diefe Anordnung ber bereits allgemein güls 
tigen Anficht empfiehlt, das Lefebuch zum Mittelpunft des Säulunterrigis 
zu machen, liegt auf der Hand und wird fich weiter unten noch deut⸗ 
licher zeigen, 


b. In den eigentligen Lefebüchern. 


Die weiter führenden Lefebücher zerfallen meiftens in ſolche für 
Mittels und Oberflaffen 

Die Leſebücher für die Mittelklaffen jegen Kb in materieller 
Beziehung gewöhnlich die Heimathökunde zum Zweck, ziehen alſo den 
Wohnort, Garten, das Feld, die Wiefe, den Wald, Berg und Thal, 
Bach, Fluß, Teih und See, die befannteren Blangen, Thiere und 
Steine, die gewöhnlichften Raturerfheinungen und dergl. in ihr Gebiet. 
Im zweiten und dritten Theile meines Lefehuches babe ich Dies Material 
nad) dem Berlauf der Jahreszeiten geordnet und dabei zugleich die lirch⸗ 
lichen Feſte mit eingefügt. Diefe Anordnung empfleblt ſich für den Au⸗ 
ſchauungs⸗ und Realunterricht, da fie Directe Anfchauungen der Gegen⸗ 
Rände und Raturerfcheinungen möglich macht, außerdem auc noch das 
buch, daß fie Lehrer und Schüler nöthigt, auf die Borgänge in ber 
Natur und im Menſchenleben zu achten. Die aufgenoumenen Gedichte 
fiefen mit den Gegenfländen,, die zur Sprache kommen, in genaußer 
Beziehung und folgen daher den Profanuffägen unmittelbar. Diefe Au⸗ 
ordnung hat mehrfache Nachahmung gefunden und empfiehlt ſich auch in 
der That. — Lefetüde oder Sammlungen von Gäpen für grammatifähe 
Bwede find, wo fie ſich finden, entweder zwifchen die übrigen Aufläpe 
geſtellt oder ale Anhang beigegeben. Leiiexed ericheint am 
Ren, da fh ſolche Stüde zwifgen Gedichten und guten Brofnuffägen 
immer fremdartig auonehmen. 

In den Leſebüchern für die DOberflaffen pflegt men das Ma⸗ 
texial nach den Unterrichtsfächern, die darin vertreten And, anzuordnen 
und dann innerhalb diefer Gruppen einen Fortgang vom Leichtern zum 

, vom Raben zum Gntferwiern, alfo übeshaupt eine. meihes 


Der Leſeunterrichl. 155 


diſche Folge anzuſtreben, was auf reiht aut möglich unb bereits mebr⸗ 
fah zwedmäßig ausgeführt worden ik. Die nöthigen Gedichte werben 
dabei theils in die Gruppen aufgenommen, zu denen fie ihrer Natur 
nad gehören, theils als eine befondere Abtheilung aufgeführt und inner 
halb diefer entweder nad etbifchen Befichtspunften, oder, was noch em⸗ 
yiehienswerther if, nad den Dichtungsarten geordnet. 

Um die Aufmerkiamteit der gereifteren Schüler im ſechs⸗ und mehr⸗ 
Maffigen Bürgerfihulen erfolgreich auf die allmäbliche Entwidelung unfere 
Literatur zu lenken, ift es recht empfehlenswertb, in dem Leſebuche für 
viefelben das Material in chronologiſcher Folge, alfo nach den Uns 
boren geordnet, vorzuführen und zu Literaturbildern zu gruppiren. Diele 
Anorduung het der 6. Theil meines Leiebuches. Eine gründliche Durch⸗ 
arbeitung deffelben hat ſtets die Folge gehabt, daß die Schüler nicht 
uur ausreichend anf dem ganzen Gebiete orientirk waren, fondern aud) 
ihre fpätere Lectüre zu regeln wußten. 


V. Verfahren beim Lefeunterriät. 
A. In Bezug auf das Leſen ſelbſt. 
1. Der erſte Ceſennberricht. 
a. 2efen und Schreiben getrennt (Lautirmethode). 


Wie das Lautiren na und nach Das Buchſtabiren verdrängt bat, 
fo ergeht es jet dem getrennten Lefer und Schreibunterricht durch das 
verbundene Schreiben und Leſen, durch das Schreiblefen; es tritt mit 
jedem Jahre mehr zurüd; die Bahl der im Laufe eines Jahres erſchei⸗ 
uenden Bibeln für den GSchreibiefeunterricht if weit größer, als die bloß 
für das Leſen mit Drudichrift beſtimmten. Bir glauben uns nicht zu 
irren, wenn wis aunehmen, daß nad) fpäteftens 25 Jahren das Schreib» 
iefen fich allgemeine Geltung wird verfchafft haben. Die Anſicht, daß 
Schreiben: und Lefen unzertrennliche ZThätigkeiten find, wird ſchon nicht 
mehr befiritten; man glaubt nur hier und da noch, daß es für den An⸗ 
fang zwedmäßiger fei, fie zu trennen. Der Berfafler des ſchon oben 
eitirten „alten Schulmeiftess’’ meint, es ſei unpraktiſch, fi mil zwei 
Feinden zugleih herumzuſchlagen, wenn man beide trennen 
Einne, es trete aller Pſychblogie entgegen, den Geiſt, der in einer 
Sache thätig fen folle, Durch fremde Afjociation zu verwirren, zu 
ſchwaͤchen. Durch diefe Gründe erlangt das getrennte Lefen und Schreis 
ben Seinen Borzug vor dem Schreibleſen; fie ſprechen ganz entfchieden 
für das Schreibleſen. Das Schreibleſen will gar nicht Zweierlei gu 
gleicher Zeit; es will nur bewußtes Schreiben von Wörtern, die das 
Kind als Theile eines Satzes kennen gelernt hat, und dieſes bewußte 
Schreiben fchließt eben das Lefen in fh. Wir können dem Berfaffer 
in feinen Behauptungen nur Recht geben für das umeigentliche Schreib» 
leſen, bei dem mit der Schreibfchrift die Drudichrift zugleich auftritt. 
Bon diefem Verfahren reden wir aber nidyt, wenn wir vom Schreiblejen 
ſprechen, d. 5. von ber Methode, die ſchreibend zum. Leſen fährt, 


156 Der Lefennterricht, 


Sonf hat fih im abgelaufenen Jahre wohl faum noch eine Stimme 
für das getrennte Leſen und Schreiben erhoben. 


b. Die Schreibleſe⸗Methode. 


Als Bertheidiger der Schreiblefes Meihode dagegen find aufgetreten: 
Franz Schmidt, Lehrer an der ‚Dorotbeenftädtifchen Realſchule in 
Berlin, und Jakob Möfenbaher, Lehrer in Oeſterreich. 

Shmidt’s Abhandlung erichten 1855 im Programm der genannten 
Säule und ging von da aus in das Brandenburger „„Schulbtatt” (1856, 
Heft 1 u. 2) über. Diefelbe it bereits im vorigen Bande unferes Jahres⸗ 
berichtes (S. 72 u. 78) Burg beſprochen worden, baher wir es bier 
unterlaffen,, nochmals näher darauf einzugeben. | 

Möfenbahers ſchon -oben eitirte Abhandlung fleht in Mr. 34 
des „Defterreichifchen Schulboten” für 1856. Wir entnehmen daraus 
Folgendes: 

„Der Schreiblefeunterricht hat zur Grundlage die Anficht: dem 
Lefen gebt das Schreiben voran, und der Lefeunterriht muß an den 
Schreibunterricht angefnüpft werden. Das Schreiben ift das erfle; mit 
tels des Schreibens wird das Leſen gelehrt. Dem Schreiben aber gebt 
die Analyfe des Wortes vorher. Man muß gleich zu Anfauge ein Wort 
aus einem geeigneten Sage herausnehmen und fehreiben iaften, denn der 
Schüler fol fi bewußt fein, daB das Wort zur Darſtellung der Rede 
gehört. Das Wort, das der Schüler geſchrieben hat, muß er auch gleich 
wieder lefen. Das Berfahren dabei ift kurz folgendes: 

1) Das gefprohene Wort wird in feine Beſtandtheile zerlegt; 

2) diefe Beftandtheile werben durch die Schrift zufammengeftellt ; 

8) die Schrift wird aufgelöf, um das Wort zn lefen, und 

4) fie wird zufammengefeßt, indem das Wort gelefen wird. 

„Ein Beifpiel mag zur Erläuterung des Gegenſtandes hinreichen: 
Benn die Schüler durch eine mehrere Wochen lang fortgeführte Uebung 
die Fähigkeit, von den ihnen naheliegenden Gegenfländen in Sautrichtigen 
Sägen zu forechen, und diefe fodann in Wörter, die Wörter in Silben 
und dieſe in Laute gu zerlegen, erlangt, wenn fle fi nebenbei au) 
einige Gewandtheit in der. ridgtigen Führung des Griffels angeeignet 
haben, fo fehreibe der Lehrer das um leichteſten fchriftlich darzuſtellende 
Bort eines Satzes, 3. B. das Wort „in“ aus dem Sage: „Die Bögel 
fliegen in der Luft,‘ an die Tafel, mache die Schüler mit dem Zeichen 
für Die Laute befannt und fordere fie zum Schreiben des Wortes auf. 
Iſt das gefchehen, fo laffe er Das geichriebene Wort in die. Zeichen. für 
die Laute zerlegen, und dann wieder zufammenfeßen durch das Kefen. 

„Das Tactfehreiben gewährt dabei große Vortheile. Sobald eine 
hinreichende Anzahl von Buchſtaben eingeübt if, werden flatt einzelner 
Wörter, die aus Sätzen genommen find, Säge gefährieben. 

„Die Lefſeſchreib methode dagegen geht den umgekehrten Weg: 
fie beginnt mit dem Lefen und knüpft das Sohreiben unmittelbar daran. 
Ihr Stufengang if folgender: - 


Der Lefeunterrisht, 157 


41) Auflöfen der Schrift, 

2) Zufammenfepung durch die Ausſprache, 

3) Aufldfung des Geſprochenen, und 

4) Zufammenfegung durch die Schrift. 

„Vergleichen wir beide Berfabrungsarten mit einander, fo gewahren 
wir wohl äußerliche Unterfchiede, aber auch ihre Uebereinſtimmung dem 
Weſen nad. Beide find analytifch- funthetiicher Natur, und es dürfte 
Daher, ob die eine oder bie andere angewendet wird, ein gleicher Er⸗ 
folg zu erwarten fein. 

„Bon bdiefer Betrachtung werden wir noihwendiger Weile zu ber 
Frage geführt: IN die das Lefen und Schreiben verbindende Methode 
geeignet, der vorher aufgeftellten Forderung au den Lefeunterricht zu 
entfprechen ? 

„Wenngleich die Antwort fhon in dem früher Gefagten (Nr. 33) 
liegt, fo dürfte es doch von Nutzen fein, die Beantwortung Ieher 
zu Bellen. ' 

‚Diefe Methode nimmt glei nom Anfange her die bewußte SelbR- 
thaͤtigkeit der Schüler in Unfpruch und leitet fie in derfelben unaufbör« 
ih fort. Der Schüler weiß, daß er das Wort zergliedert, welche Be⸗ 
deutung die Buchhaben haben und wozu fie taugen; er wendet fie an 
im der Abſicht, durch fie den Laut zu bezeichnen, mittels der Buchflaben 
das Wort und durch diefes Begriffe und Gedanken darzufellen. — Lefen 
und Schreiben unterſtützen ich gegenfeitig, das Eine wird durch das Ans 
dere geübt und erleihtert. Das Gedankenſpiel des Schülers wird bei 
Wörtern und Sätzen, die er ſchreibt, ein tieferes, weil er Zeit gewinnt, 
darüber nachzubenfen, was bei einem flüchtigen Veberfchauen oder Hören 
nicht fo teicht der Ball if. Die Zertigkeit in der ſchriftlichen Mitthei⸗ 
Iung fleigert fih in dem Grade, als fich die Lejefertigkeit und mit diefer 
bie Begrifieweit der Kinder erweitert. Das allgemeine Schulkreuz, die 
unrihtige Orthographie, Tann nicht auflommen; dafür wird aber eine 
leichtere Beweglichkeit im fchriftlichen Gedankenausdrud erreiht. Der 
erſte Lefennterriht wird eine fee Grundlage für den Sprachunterricht, 
der Doch einmal Fein anderes. Endziel haben fann, als ein gewilles, das 
Serſtaͤndniß vermitielndes. Eindringen in das Innere des Sprachgebäudes. 
Der Schüler wird aus der mechaniſchen Nachmalerei der Buchflaben in 
das geifibelebende Gedanlenfchreiben hineingeführt. 

„Bir fehen aus diefen flüchtigen Andeutungen, welche Bortheile 
bie das Lefen und Schreiben verbindende Methode zu bieten vermag, 
und fie find in der That ziemlich große. Sie find keine graue Theorie, 
fondern Erfahrungsfäge von Männern der Schule, die diefe Methode 
feibR mit dem beten Erfolg angewendet haben. Ich erlaube mir dafür 
einen Brafer, der diefe Methode ſelbſtſtaͤndig behandelte, einen Hegener, 
der in feinem Derkhen „über den Unterriht in der Schriftfprache ‘‘ 
das, woo ber Schule in OHinſicht des erſten Leſeunterrichts noth thut, 
Ber und überzeugend beſprochen hat, — einen Lüben und Nade ans 
zuführen, deren erſtes Leſebuch für Bürgerfchulen einen .mufterhaften 
Eis für den Schreibiefeunterricht enthält, 


ud 


158 _ Der Lefeunterricht. 


„Möchten diefe Anfichten über die Schreibfefes und Leſeſchreibme⸗ 
thode doch den Entſchluß erregen, diefe näher fennen zu lernen! Gewiß 
würde dann ihre Anwendung in Schulen freundlich begrüßt werben, die 
hoben Orts jetzt ſchon wenigſtens wünſchenswerth erfcheint, was aus 
Rr. 7 der von ber k. f. Schuibehörde in Salzburg herabgelangten Kon- 
ferenzfragen erfichtlich fein dürfte.‘ 

Hieran ſchließt der Berfaffer noch eine kurze Widerlegung der Ein» 
würfe ter Gegner des Schreibleſennterrichts, in der er, wie ſchon vorher 
in Nr. 33, die Lautirmethode und das getrennt auftretende Lefen iden« 
tiffeirt, was die Auseinanderfegung dem Uneingetveihten unflar madt. 
Selbſtverſtändlich bedarf man beim Schreiblefen auch des Lautirend, das 
ja befanntlih nur ein langſames Leſen if. 

Bei dem reinen Schreiblefen fowohl, ald auch bei dem verbundenen 
Schreib⸗ und Drudichriftiefen kommt 26 häufig vor, daß man bie 
Hauptwörter fo lange mit Fleinen Anfangsbuchſtaben [reis 
ben laͤßt, al8 man die großen Buchſtaben noch nicht eingeübt bet. Mag 
der Nachtheil, der hieraus für die Orthographie erwächſt, auch nicht fehr 
bedeutend fein, fo iſt er doc gewiß in Anſchlag zu bringen und leicht 
dadurch zu vermeiden, daß man ſich in den erfien Wochen des Untere 
richts auf Wörter befähräntt, die klein gefchrieben werden, bann aber 
von Seit zu Zeit einen leicht darkellbaren großen Buchflaben einkben 
läßt, wie z. B. D, O, A, S. u f. wm. Hubert fagt in feiner „An« 
weifung‘ zum Gebrauch; feiner Fibel Seite 6 in dieſer Beziehung: ‚Die 
Orthographie ift von Anfang beachtet und beabfihtigt worden, fo Daß 
das Kind mie ein falfhes Wortbild zu fehen bekommt, ſondern ſtets 
zur Auffaffung und Darftellung nur ridtiger Wortbilder angeleitet 
wird. — Alle bisher erjchienenen Bibeln erlauben ſich in diefem Punkte 
eine Notblüge, indem die Sauptwörter mit Meinen Anfangsbuchftaben 
vorgeführt werden. Aber eine Rothlüge iR und bleibt immer eine Lüge. 
Diele it bier fo leicht zu vermeiden, wenn die Kinder mit den Lleinen 
gedrudten Buchſtaben zugleich die großen kennen lernen.’ Diefe Ber 
jeiämungeiwe fe des entgegenftehenden Verfahrens iR unpaflend und exe 

em, ſchon darum, weil man urſprünglich alle Sauptwörter klein fchrieb, 
ebenfo die Behauptung: „Alle bisher erfchienenen Fibeln“; denn fchon 
vor Huberts „Preußifcher Handfibel für Chriſtenkinder“ gab es Leſe⸗ 
bücher, in der feiner Forderung nacdhgefommen wurde. Berg. den erfien 
Theil meines Leſebuches. 


c. Die Jacotot’fde 2efemethode. 


Ueber die Jacotot'ſche Lefemethode findet fich ein recht leſenswer⸗ 
ther GKonferenzvortrag vom Lehrer F. W. Shumann in Nr. 24 ber 
„Sächſiſchen Schufzeitung‘ für 1856. Da über diefelbe fihon in früs 
beren Bänden des Fahresberichtes ausführlich referirt worden ift, fo 
befchränfen wir uns bier auf die Bemerkung, daB der Verfaſſer ich enb⸗ 
fehieden für dieſelbe erflärt, fie jedoh nur in der Weile angewandt gu 
ſehen wünſcht, wie fie bei Thomas in den „‚Lebensbildern 1. auftritt. 


Der Leſeunter richt. 159 
In Mr. 23 deſſelben Blattes heilt Herr Q. J. Qubler mit, im 
welcher Weiſe er dieſt „Lebensbilder L Genupt. Es will und ſchei⸗ 
nen, als geſchehe dieſe Benutzung nicht ganz im Geiſte des Buches. 
Gin Leipziger Lehrer, Herr Klauwell, zeigt in Nr. 16 der 
„Sächſ. Schulzeitung”, wie er das „I. Schulbuch“ von Dr. Ram» 
born für das Lefen, Schreiben, Beihnen und die Denkübungen benupt. 
Die. Darlegung iſt einfah und Har md läßt uns in dem Berfafler 
einen tüchtigen Elementariehrer erkennen. 


d. Die Pallulirende Methode, 


Der Ausdruck „Lallulirende Methode’ rährt von dem Diret⸗ 
tor Harſchild in Leipzig ber. Das Weſen derſelben if von ihm in 
feiner Zeitſchrift: ‚‚Beivziger Biätter über Erziehung und Unterzidt‘‘ 
(1855. S. 70 — 80) auseinander gefeßt werden und beftcht darin, daß 
man 1) dem Schuler beim Beginn des Unterrichts nur das darbieket, 
was feiner Baffungstraft gemäß if; 2) fergfältig abmägt, was dem 
Eriernten nen hinzugefügt werden fol; 3) mit dem Neuen das te 
immer wiederholt und auf diefe Weife 4) verhütet, daß der Schüler 
Fehler macht. Das haben die Methodiker, genau genommen, zu jeder 
Zeit beabſichtigtz denn ‚wer fan irgend einen Unterrichiögegenfland einen 
Lehrgang entwirft, der beabfihtigt einen derartigen Anfang, einen ſtu⸗ 
feumäßigen Zortichritt und Nebungen zur Befekigung des Dageweienen, 
berechnet ober alkulirt“ alſo forgfältig, wenn er feine Methode au 
nicht eine „kalkulirende“, fondern mit Müdficht auf die Nuur des Kin 
des eine ‚natürliche‘ nennt, ein Ausdrud, den Hauſchild verwirft. 

In welcher Beife Hauſchild die kalkulirende Methode auf den 
erſten Lefeunterricht anwendet, bat er in dem Schriftchen: ‚Des 
Kindes erſtes Leſe⸗ und Schreibebuch“ (Leipzig 1856) gezeigt. In dey 
Hanptanlage ſtimmt fein Werk mit Dr. Bogel’s „erſtem Schulbuche“ 
überein, da es, wie dieſes, mit den zu lefenden Hauptwoͤrtern zugleich 
bildliche Darfiellungen der Gegenfände, alſo Worts und Sachbilder 
giebt. Die Zolge feiner Uebungen ift jedoch natürlich eine andere, nad 
feinem Dafürbalten noch beffer herausfaltulirte; auch macht er dag Zeiche 
nen der Gegenflände durch die Kinder nicht zur Bedingung, wie Vogel 
ed thut. Jede der 45 Seiten des Buches bringt einen, zwei bis drei 
neue Buchſtaben, in Wörtern natürli, und fept diefe mit dem früher 
Erfernten in Berbindung, wie das in andern Pefebüchern, wenn auch 
in anderer Weiſe, auch gefhieht. 

Zur richtigen Würdigung des anzumwendenden Berfahrens theilen 
wir noch folgende Stelle aus der Vorrede des Büchleins mit: - 

„Balten wir demnach den obigen Grundfag des Directors Dr. Bo» 
gel einmal ganz fe und geben wir oo 

1) zunähf dem Anfänger ein Sahbild, z. B. einen Hund, 
Sen Wortbiid, nämlih ami, fo leicht iR, ats fich eben in der 
deuten Sprache ein Wort findet; darnach 

2) erzählen wir dem Kinde etwas von diefem Hunde, jo daß es 


1680 Der Leſeunterricht. 


fich lebhaft für dieſen Gegenſtand intereffirt, ‘auch die eingeflodgtenen Fra⸗ 
gen. munter und gern beantwortet; und fagen wir munmehr, 


3) daß diefer Hund, mie er hier im Bilde gezeichnet und gemalt 
if, fih auch ſchreiben laſe und daß ein folder geſchriebenet ami 
unter dem. gemalten ami ftebe ; ja, 


A) fohreiben wir ihm auch dieſen ami groß und breit an der 
Wandtafel vor, 

fo wird das Kind, weldhes das, was man ihm vormaht, fo gern 
nachmacht, ganz von felbft nach der ihm dargebotenen Feder greifen, um 
dieſen vorgefchriebenen Hund nachzufhreiben. Wir haben hier bei deni 
ganzen Berfahren nur Eines, was Director Dr. Vogel obenan Rellt, 
gleichfam in Frage geſtellt, nämlich Die Zeihnung des Sachbildes 
durch das Kind ſelbſt. Schwerlich werden ſich nämlich vice Lehrex 
finden, welche diefen ami gut vorzeichnen, und ebenfo wenig niele Feine 
Schüler und Schülerinnen finden, welche ihren ami auch nur erträglidg 
nachzeichnen koͤnnten. Will es ein Lehrer mit fih und feinen Kindern 
wagen, deſto beffer! Nur darf e8 nicht unbedingte Forderung fein, das 
Wortbild nicht eher vorzufchreiben und durch die Kinder nachſchrei⸗ 
ben zu laflen, ale bis das Sachbild von dem Lehrer vorgezeich⸗ 
net und von dem Kinde nachgezeichnet worden if. Die Gründe dafür 
find folgende: 

1) Das Kind bat ja ohmedies ein Sahbild im Bude vor ich 
Degen, fo daß es, auch ohne ein foldhes Bild ſelbſt verfucht zu haben, 
ven Lehrer vollftändig begreift, wenn diefer ihm fagt, Daß es nicht bloß 
gezeichnete und gemalte Hunde, fondern au gebrudke und geidriehene 
Hunde, z DB. diefen ami, gebe. 

2) Der nähfte Zweck ift ja doch, das Kind lefen und ſchrei⸗ 
ben, nicht aber zeichnen zu lehren, fo daß die obige Frage, ob eine 
Sache leichter, als die andere, zu zeichnen fei, ſich ganz von ſelbſt 
der viel wichtigern Frage, ob ami leichter, ats Hut und Fiſch, zu lefen 
und zu fchreiben fei, unterordnet.‘ 

„Deshalb nenne ich auch mein Büchlein nur Lefes» und Schreis 
bebuch, ohne damit das Beichnen der Bilder auszuſchließen; ftehen 
doch die Bilder da: warum follte fie ein Lehrer nicht ſelbſt vorzeichnen 
und ebenfo von den Kindern nadhzeichnen laffen? Ein beredter Lehrer 
wird, wo möglich, die Dinge ſelbſt noch vorzeigen; doch Tann dies 
ebenfo wenig zur unbedingten Forderung erhoben werden.‘ 


„Ginen fehr großen Bortheil gewährt dieſe Befreiung des Leſe⸗ 
und Schreibunterrichts vom Zeichnen noch dadurch, daß auf dieſe Weiſe 
die Bilder ſelbſt Yon dieſen einfachſten, einfötmigen und faſt nur gera⸗ 
den Linien befreit werden. Denn eben ſo richtig wie naiv klagen die 
Kinder, „es ſei aber in dieſem Buche nicht ein einziges Thier, das 
laufen lonnte.“ Nur Leblofes läßt Ach in einfache und gerade Linien 
fhließen, die lebensvolle Natur weiß nichts von Lineal und Winkelmaß.“ 


Der Lefeunterricht. | 161 


2. Das Lefen mit Ausdruc. 


Das Leſen erfordert nicht bloß auf der unterſten, fondern auf allen 
Stufen große Anfrengung und Aufmerkfamfeit von Seiten der Schüler 
und Lehrer; denn find die erfien Schwierigkeiten des mechanifchen Les 
fens überwunden, dann muß mit aller Energie das verfländige und aus⸗ 
drudsvolle Lefen angeftrebt werden, eine Aufgabe, die nur in wenigen 
Säulen befriedigend gelöf wird. Es iſt das eine alte Klage, von ber 
die Urfahe in der mangelhaften Gefammtbildung der Kinder und in 
der nachläffigen und falfchen Behandlung der Lefeftüde zu ſuchen if. 
Dr Schulinſpector Kettiger fagt in feinem „Bericht an den baſel⸗ 
landſchaftlichen Kantonallehrerverein‘ (,‚Bädagogifhe Monatgsſchrift für 
die Schweiz”, herausgegeben von Grunholzer und Zähringer, Heft 2, 
1856): „Betonung. Der Schulton ift noch nicht allerwärts ver⸗ 
drängt, weder wenn die Schüler einzeln, noch wenn fie im Chor leſen. 
Der richtigen Betonung gefchieht namentlich da Eintrag, wo die vers 
kehrte Sitte herrſcht, daß die Schüler, wenn fie chorweife lefen, fchreien, 
dagegen, wenn fie einzeln leſen, undeutlih murren, d. h. die Stimme 
auh nit um's Merken über das Gewöhnliche erheben. Betreffend das 
Einzelne, fo flieht es mit der Wortbetonung im Allgemeinen gut und 
jedenfalls beſſer, als mit der Betonung des ganzen Satzes. So wird 
3. B. das erzählende oder das fragende oder das befehlende Moment 
in der Betonung noch lange nicht forgfältig und allgemein genug beim 
Lefen beobachtet. Ausdrud. GE iſt uns Allen geläufig und Far, was 
wir unter Ausdrud denken, und wie fih Betonung und Ausdrud von 
einander unterfcheiden. Sehr deutlich Tpricht fich über die Unterfchiede 
von Betonung und Ausdrud Göginger aus (fiehe: Die deutfhe Sprache 
und ihre Literatur, von Dr. M. W. Goͤtzinger. Erſter Band. Die deuts 
fe Sprade. 2. Theil. Stuttgart, 1839. Seite 220 u. ff.): „Wenn 
die Betonung ded Wortes und die des ganzen Satzes etwas ges 
ſchichtlich Gegebenes und beſtimmt Vorhandenes iſt, ſo kann dies von 
der Betonung im Sage, die wir Ausdruck nennen, nicht geſagt werden. 
Gier herrſcht viel Freiheit in Bezug auf das, worauf der Lefende oder 
Sprechende den Ausdrud legt, fo viel Freiheit, daß von zwei Lefern 
jeder etwas Anderes im gleichen Sage betonen und daß bis auf einen 
gewiffen Grad jeder Recht haben kann. Betreffend nun den Stand des 
Ausdrudes, fo berricht bei allem Kortichritt, der in den letzten Jahren 
gemacht worden, noch hie und da Mattigkeit, oder Hängen am Schollen, 
ih meine am Bersbau. ‚Die Gegenfäpe werden nicht immer genug here 
vorgehoben. Es liegt der Ausdrud nicht genug. in der Gewalt des 
Lehrers, weil jene Uebung, welche auf Seite 31 des Lehrplans nam⸗ 
haft gemacht if, nicht überall Beachtung findet.” 

An Rr. 3 der ‚„Bollsfchulblätter aus Thüringen‘ für 1856, her- 
ausgegeben von Dr. Laudhard, heißt es in Bezug hierauf: 

„Das betonte Leſen gehört mit zu den fihwierigfien Aufgaben 
in Der Volksſchule, hauptfählich darum, weil man fi) über die (unges 

Nade, Jahresbericht. X. 11 


162 Der Leſeunterricht. 


mein ‚aufn Regeln der deutfhen Betonung noch nicht Mar gewor⸗ 
den i 

„Ein guter Maler wird bunte, fchreiende Farben, namentlih une 
verträgliche, nie nebeneinander fegen; er wird erſt durch Mifchen und 
Dämpfen der Töne ein vorwaltendes Golorit und damit eine Harmonie, 
ein Ganzes zu Stande bringen. In ähnlicher Weiſe dürfen die accen⸗ 
tuirten Wörter nicht fcharf und flechend betont, fondern nur durch einen 
leifen Drud der Stimme bezeichnet werden, wenn das Gelefene anges 
nehm lauten und als ein zufammenhängendes Ganze ſich darftellen fol. 
Das zu flarfe Betonen beweift allemal entweder Mangel an Berftänd- 
niß, oder ein ungebildetes Gehör.‘ 

„Stoß ift der Mißgriff vieler Lehrer, Beine Kinder fchon betont 
leſen zu laſſen. Das Betonen, ein Refultat des ganzen Verſtaͤndniſſes, 
iſt kaum im 12. Jahre möglich und früher nicht noͤthig. Auf den un⸗ 
terſten Stufen genügt es, die Leſepauſen richtig einzuhalten, und klar 
und laut zu leſen. Dieß iR an fi ſchwer genug, was darüber if, if 
vom Uebel. Wenn einmal Augen und Sprecdhwerkzeuge die nöthige 
Hebung haben, fo if das Auffaflen des Ganzen die Hauptſache.“ 

Mit der kurzen Anleitung, die hier gegeben, und in einem ſpäte⸗ 
rn, in Nr. 8 befindlichen Auffage noch weiter ausgeführt wird, Tann 
man fih wohl einverftanden erflären, weniger jedoch mit der Anficıt, 
daß es ein großer Mißgriff fei, „Feine Kinder fchon betont leſen zu 
laffen.” Wie follen die Kinder bis etwa zum 12. Jahre hin Iefen, 
wenn fie nicht betonen follen? Monoton, oder fingend? Beides findet 
fih in den meiſten Schulen, und zwar nicht bloß auf der mittleren, 
fondern oft genug auch auf der obern Stufe. Das fingende Leſen pflegt 
dei Mädchen vorberrfchend zu fein und ift ſchwer auszurotten, wo es 
einmal eingerifjien if. Und um fich dieß zeitraubende, anftrengende Aus⸗ 
zottungsgefhäft zu erfparen, wird man jedenfalls wohlthun, diefen Leſe⸗ 
ton gar nicht auffommen zu laffen. Nicht ganz fo fchlimm, aber doch 
immer ſchlimm genug, flebt es mit dem monotonen Lefeton, dem eingis 
gen, der noch zuläffig if, wenn man den Singeton nicht geftatiet. 
Rah meinem Dafürhalten darf man aber auch diefen nicht auflommen 
laſſen, am wenigften bis gegen das 12. Lebensjahr hin dulden. Wie 
alles Falſche und Verkehrte, fo muß auch der falfche Kefeton gleich beim 
erfien Entftehen befämpft werden, aber natürlich nicht dur Regeln — 
die verfteht das Kind auf der untern und mittlern Bildungsſtufe noch 
‚nicht oder doch nur ungenügend —, fondern durch gutes Borlejen, wos 
durch überhaupt das ausdrudsvolle Leſen am beften gefördert wird. 
Daß daflelbe durch volles Berftändniß des Lefeftüdes, auch durch Kennte 
niß des Sapbaues, erleichtert, alfo befördert wird, verftebt fih von 
ſelbſt. Aber Verſtändniß eines Lefeftüdes ift nicht bloß Aufgabe der 
obern Stufe, fondern aller Stufen. 

Eine gedrängte, aber ausreichende Anleitung zum ausdrudsvollen 
Lefen enthält der erſte Theil des ‚‚Refebuch » Unterrichts in der Volks⸗ 
Thule” von Weigel (Stuttgart, 1856). Kenntniß der Hauptleferer 
geln, Erklärung des Lefeftüdes, gutes Vorleſen durch den Lehrer, fofors 


Der Leſeunterricht. 163 


tiges Nachlefen dur die beſten Lefer, richtiges Abfragen des Städes 
zur Auffindung der Tonwörter und — fleißige Hebung find die Haupt⸗ 
Rüde, worauf der Berfafler, und mit ihm jeder verfländige Lehrer, ber 
iondern Werth für Erzielung ausdrudsvollen Lefens legt. 

Sn Löm’s „Pädagogiſcher Monatsſchrift“ (1856, Heft 2) vers 
breitet fh Deinhbardt in einer längern Abhandlung, mit der Webers 
ihrift: „Das eurbythmifche Leſen“, über das Schönlefen. Wenn wir 
diefe Arbeit auch gern zum aufmerkfamften Lefen empfehlen, fo hätten 
wir doch gewünfht, daß der Herr Verfaſſer fih mit Rückſicht auf die 
Mehrzahl feiner Lefer etwas populärer gefaßt und durchweg fo praktiſch 
geworden wäre, wie gegen den Schluß hin. 

Ueber das Lefen der Berfe findet ih in Haufhild’s „Leip⸗ 
iger Blättern (1855, S. 158—160) eine recht gute, beachtenswerthe 
Belehrung, aus der wir folgende Stelle ausheben: „Es iſt durchaus 
nicht erlaubt, durch Unterlaffung der Baufen am Ende des Bers 
ſes das Versmaß unkenntlich zu machen und den Reim zu verwilchen, 
der gewöhnliche Fehler unferer Schaufpieler, welche glauben, denkende 
Künfler zu fein, wenn fie nach der Interpunktion allein, und nicht zus 
gleich nah dem Versbau declamiren. Wozu das Bersmaß und 
der Reim, wenn das Ohr des Hörer nichts davon genie— 
Ben ſoll? Wer erlaubt uns, dem Dichter feine äußern Kunftmittel 
zu zerflören? Iſt nicht die Kunſt eine Verwirklichung der dee in 
äußerer Form? So viel diefe Form leidet, fo viel leidet die Kunft 
ſelbſt, und formlofe Berfe find deshalb Feine Verſe mehr. Iſt nur 
font der Ton des Sprechenden oder Lefenden richtig und gut, 
fo bedarf der Zuhörer dieſer Borfihbt von Seiten des Leſers oder 
Spredhers nicht.‘ 

Nicht minder empfehlenswerth ift, was der Berfaffer S. 161— 164 
„Weber Declamation und. freien Bortrag unferer Schüler und Schüle 
rinnen” fagt, namentlich für Lehrer an höheren Schulen, in denen bes 
fondere Redeübungen angeftellt werden. 


B. In Bezug auf Sprachbildung. 


Für die Volksſchule ift das Leſebuch die Grundlage für die ges 
ſammte Sprachbildung. -Damit ſich daſſelbe aber hierfür vollkommen 
geeignet erweiſe, genügt es natürlich nicht, daſſelbe zu leſen und immer 
wieder zu leſen, ſondern es muß auf's vielſeitigſte durcharbeitet und 
ſowohl zur Erkenntniß, als auch zur Uebung benutzt werden. Kein 
Lehrer kann und darf ſich dieſer Forderung mehr entziehen, möge ihm 
dieſelbe auch noch ſo ſchwer erſcheinen. Dank allen Paͤdagogen, die 
dazu beigetragen haben, daß die Schule endlich in dieſe allein zum Ziele 
führende Bahn gekommen iſt! 

As ein brauchbarer Beitrag zur Löſung dieſer ſchwierigen Auf⸗ 
gabe iſt in dieſem Jahre (1856) die ſchon oben genannte Schrift von 
Weitzel: „Der Leſebuch⸗Unterricht in der Jolksſchule“, dargeboten 
worden. Der Verfaſſer liefert darin einen vollftändigen Lehrgang für 

. . 11 * 


164 Der Lefeunterricht. 


die Benugung des Lefehuches, und zwar des Württembergifchen, und 
zeigt durch zahlreiche Lehrproben fein Verfahren fpeciel. Außer der 
fhon oben beſprochenen Anleitung zum betonten Lefen, zeigt der Ver⸗ 
faffer, wie das Lefebud für die Rechtfchreibung und Wortlehre, für bie 
Saglehre und Auffaplehre zu benupen if. Für jede zu vermittelnde 
Eyztenntnig und Uebung dient ein beflimmtes Lefefüd. Nachdem der 
Inhalt deffelben zuerft im Allgemeinen zum Berftändniß gebracht worden 
it, geht der Verfaffer auf die fpeciellen Erörterungen ein, die er beabs 
fihtigt. Durch die Folge der Stüde im Leſebuche läßt er fich natürlich 
hierbei nicht leiten, fondern allein durch die Angemeffenheit derfelben 
für die beabfichtigte Belehrung. Daraus erwähf ihm der Bortheil, für 
Orthographie, Grammatik und Stiliſtik methodifch geordnete Lehrgänge 
aufftellen zu können. Wir billigen dieß Verfahren zur Erreichung dieſer 
befonderen Sprachzwecke ganz, da es methodiſchen Fortſchritt möglich 
macht und ein abgerundetes, auch endlich für den Schüler überfchaus 
bares Wiſſen gewährt. 

Im 7. Hefte der „Volksſchule“ für 1856, redigirt von Hartmann, 
hat Dr. Eifenlohr eine Anzahl Leſeſtücke des Württembergiſchen Les 
febuches ſprachlich behandelt, hauptſächlich in der Abficht, um Allen, die 
ihre Dienftprüfungen noch zu beftehen haben, zu zeigen, was rüdfichtlich 
bes Lefebuches in den Lehrproben von ihnen erwartet wird. Bir glaus 
ben, daß ihm für diefe Proben auch die danken werden, die fhon laͤngſt 
im Amte ſtehen; fie find vortrefflic. 

In Nr. 16 des „Öldenburgifchen Säulblattes“ für 1855 zeigt 
6. 6. C. Schmidt an Uhlands ‚Einkehr‘, ‚mie das Xefebuch als 
Grundlage für den deutſchen Sprachunterricht zu behandeln if.” Die 
Ausführung ift in dem Sinne von Otto, Kellner und des von mir und 
Nade herausgegebenen „Commentars““ gehalten. 


e. An Bezug auf Nealbildung. 


Ein Blick in die neueren Leſebücher beweiſt, daß man den welt. 
tundlichen Gegenfländen einen ganz entfchiedenen Werth für die Ju⸗ 
gendbildung beilegt, ihren Einfluß für Bildung des Geiſtes, Gemüthes 
und Charakters, desgleichen für das praftifhe Leben anerkennt. Manche 
Lefebücher beftehen zur Hälfte, ja zu Dreiviertel aus weltkundlichen 
Stoffen; eignen die Schüler ſich diefelben vollftändig an, fo haben fie 
einen vortrefflihen Grund für die Nealien gelegt und find, die rechte 
Behandlung vorausgefegt, tüchtig geiftig gefördert worden. Aber hier⸗ 
auf, nämlich auf die rechte Behandlung, kommt auch in der That Alles 
an. Nichts in der Schule läßt einen größern Mißbrauch zu, als das 
Lefebuh. Wie die Lefeftunde fonft, in älteren Zeiten, eine Erholungs 
flunde war, fo fann fie e8 auch noch heut werden. Bequeme Lehrer 
können fih auch jetzt darauf befchränfen, die welttundlichen Leſeſtücke 
tüchtig einleſen zu laſſen, ſo lange, bis die Kinder den Inhalt in der 
einen oder andern Weiſe wiedergeben können. Für Sprahbiidung wird 
das nit ohne Erfolg fein, für Erwerbung weltkundlicher Kenntniffe 


Der Lefeunterricht. | 165 


aber zum Theil ganz unbedeutend; die Kinder -werben dann in ben 
meiften Zällen nicht die Sachen, fondern nur das darüber Geſchrie⸗ 
bene kennen; Bücherweisheit wird an die Stelle der Realkennt⸗ 
niffe treten. Wir begen in diefer Beziehung ernſtliche Beſorgniſſe, 
feit man fih durch Anordnungen gendtbigt gefehen hat, für die Ele⸗ 
mentarjchule den geſammten weltfundlichen Stoff in das Leſebuch zu 
verlegen, und werden darum nicht unterlaffen, immer und immer wieder 
darauf zurüdzufommen. 

Bas zunähft die Naturkunde anbelangt, fo muß als unantafl- 
barer Grundſatz fefgehalten werden, daB Fein Leſeſtück gelefen 
wird, ehe nicht die erforderlihe Anfhauung der Natur— 
gegenfkände fkattgefunden und das das Geſetz erflärende 
Erperiment gemacht worden if. Was hierbei von den Kindern 
feld wahrgenommen werden fann, das muß auch ferner als ihre Thaͤ⸗ 
tigkeit verbleiben, weil davon und nur davon der bildende- Einfluß ab» 
hängt, den die Raturkunde auszuüben vermag. Was nicht von ben 
Kindern beobachtet und aufgefunden werden Tann, das fügt der Lehrer 
binzu und fördert dadurch ebenfo die tiefere Einficht, wie durch die ganze 
Art und Weile, in der es gefchieht, die Gemüthsbildung der Kinder. 

Dies bier kurz bezeichnete Verfahren ift eine, wichtige Errungen- 
haft Der methodifchen Beftrebungen der lebten 25 Jahre; es darf uns 
um keinen Preis wieder verfümmert werden oder verloren geben. | 

Borausgefept, daB ein Naturgegenfland oder eine Naturerfcheinung 
fo behandelt worden ift, wie es angegeben wurde, dann tritt Das Leſe⸗ 
bu ein, ob in derfelben Stunde, oder fpäter, bleibt fih ganz gleich. 
Bar die Beiprehung rechter Art und der Lehrer, wie billig, vertraut 
mit dem Inhalte des Kefeftüdes, fo kann dafjelbe Nichts mehr darbieten, 
mas der Erflärung bedarf. Das Leſeſtuͤck wird nun nichts weiter fein, 
ale eine mehr oder weniger umftändliche Wiederholung des Beiprochenen, 
Beobachteten und Gefolgerten in fehöner ſprachlicher Darftellung, gewürzt 
vieleicht durch eine einfchlägliche Poeſie. Solche Darftellungen ‚werden 
num nicht eins, zweimal gelefen, fondern fo lange, bis das Ganze zum 
unverlierbaren Eigenthum geworden ifl. Nach ein, zwei Monaten wird 
dies Lefen wiederholt und hierbei durch Wort, Bild oder Naturkörper 
an das erinnert, was bei der erſten Beiprehung vorgefommen und 
nit im Lefeftüde enthalten if. Dann erft haftet das Gelehrte und 
Gelernte, und daß man in diefer- volltommenen Weife fo leicht darauf 
zurädfommen: fann, das eben ift der fehr hoch anzufchlagende Nupen des 
Lefebuche®. 

Selbſtverſtaͤndlich gilt das Alles ebenfo fehr für den Anſchauungs⸗ 
und Menlunterricht der Glementarfhüler, als für den eigentlich welt, 
kundlichen der Borgerüdteren, natürlich mit richtiger Würdigung ber 
erlangten Geiftesfähigfeit. 

Im Sinne des Borfiehenden wird es zu nehmen fein, wenn W. 
B. in dem ſchon angezogenen Auffabe: „Das Schulbud und die Rea⸗ 
lien” (Mhein. Blätter, ©. 40) fagt: „Es gilt nun, die Sachen im 
Retur- und Menſchenleben, namentlih fo weit die Augen in nächſter 


166 Der Refeunterricht. 


Umgebung reihen, und fo weit fie vaterländifches Intereſſe haben, or» 
dentlih, verftändig, bündig und ganz an die Kinder bringen, und dabei 
die Lefeftücde durd, Ausdeutung und Ausbeutung ihres Inhalts benupen, 
Die Pflanze, das Geftein, den Käfer, Schmetterling u. f. w. mußt du, 
wenn das Leſeſtück darauf folgt, zugleich feibhaftig- vorzeigen, andere 
Raturdinge an erreichbarer Stelle oder im Bilde nachweifen oder vorlegen.‘ 

Ebenſo verlangt es der Seminar »Öberlehrer Sch olz in Münfters 
berg, einer der Mitherausgeber des Münfterberg’fchen „Volksſchul⸗VLeſe⸗ 
buches.“ Er fagt in Beziehung hierauf im 2. Hefte des Schlefifchen 
„Schulblattes“ für 1856, &. 140: „Nur einige Andeutungen über das 
zu beachtende Lehrverfahren. ch fchließe fie an ein Lehrobject des Leſe⸗ 
buches an, nämlid an die gemeine Schwalbe oder Rauchfchwalbe. Bors 
ausgefept wird, daß eine wirkliche Schwalbe, oder doch eine naturge⸗ 
treue Abbildung des Vogels vorhanden if und die Anfchauungen und 
Erfahrungen der Kinder in geeigneter Weife benupt werden, und daß 
der Lehrer forgfältig vorbereitet den Unterricht beginnt. Bu leßterem 
rechne ich in diefem fpeciellen Falle: 1) genaue Kenntniß des Vogels 
nad) feiner Förperlichen Befchaffenheit und Lebensweiſe; 2) genaue Ein» 
fiht in das zugehörige Leſeſtück vor der unterrihtlihen Behandlung 
defielben, um die erforderlichen Erläuterungen in den Unterricht aufneh⸗ 
men und weitere Sacerffärungen beim Lefen überflüffig zu machen; 3) 
Auswahl und Anordnung der zu gewinnenden Refultate, wie auch Feſt⸗ 
Rellung des Ausdrudes, mit welchem diefelben bezeichnet werden ſollen; 
4) welche Beziehungen auf die Lebensweife und auf die aͤußere Natur 
anzufchließen find, . und 5) daß dies Alles erwogen werde im Hinblid 
auf die verfügbare Zeit und die Gapazität der Schüler. Bei der Be⸗ 
handlung felbf ift von einem Vordociren fo wenig die Rede, als von 
einem ausfchließlihen Auffindenlaffen. Es if ein gemüthliches Zuſam⸗ 
menwirfen: die Schüler finden und theilen mit; der Lehrer berichtigt, 
ergänzt, wählt aus, ordnet die Reſultate und macht Abfchlüffe, die dann 
von den Kindern im Zuſammenhange wiedergegeben und dem Gedächt⸗ 
niß eingeprägt werden. Manche verlangen eine wörtlihe Ginprägung. 
IH bin nicht ganz der Anficht und meine, daß es genüge, wenn bie 
Schüler die Sache richtig aufgefaßt haben und im Stande find, diefelbe 
fpradhgemäß zu bezeichnen.‘ 

Seite 143 heißt e8 dann weiter: „An die unterrichtliche Naturge⸗ 
ſchichtsſtunde fchließt fih die Lefeftunde für das entfprechende Leſeſtück 
an, welches in derfelben gelefen und nah Maßgabe der Zeit von den 
arößeren Schülern im Zuſammenhange erzählt: wird, während die Schwäs 
heren einzelne Fragen vorgelegt befommen, deren Antworten fie dem 
Lefefloffe entnehmen. In manchen Fällen wird der Lefeftoff den Unter 
richt fachlich erweitern und ergänzen, wie ſolches in der Behandlung 
der Schwalbe hervortretend bemerkt worden ifl. — In der zugehörigen 
Auffchreibeftunde wird jedenfalls (durch die erſte Abtheilung) der Lefes 
ftoff aus dem Gedächtniß aufgefchrieben und zwar in der Art, daß die 
Schüler abwechjelnd einen Satz laut vorſprechen. Erſt wenn diefer von 
allen Kindern aufgefchrieben ift und der Lehrer gegen Schrift, Ortho⸗ 


Der Leſeunterricht. 167 


grapbie 20. nichts mehr zu erinnern findet, folgt ein zweiter Saz ac. 
Sollten die fhwächeren Schüler nicht Schritt halten Pönnen, fo mögen 
diefe durch Abfchreiben aus dem Buche oder von der Schultafel beichäf- 
tigt werden. Leßterer Fall dürfte befonders in Anwendung kommen, 
wenn die Schüler no der Borlage einer Schönfhrift bedürfen, um 
ihre Handſchrift zu verbeflern. Bon derfelben Uebung Tann die erfte 
Abtheilung rüdfichtlich der Iateinifchen Schrift auch nicht entbunden wer⸗ 
deu. Während dieſes gefchieht, "gewinnt der Lehrer Beit, ſich mehr der 
jnelen Abtpeilung zu widmen und fie im Auffchreiben aus dem Kopfe 
zu üben.‘ , 

Sn dem fehr tüchtigen Auffabe des Seminars Directors Bod in 
Münfterberg: „Die Geftaltung und Behandlung des Unterrichtes auf 
der Grundlage des Lefebuches, mit befonderer Bezugnahme auf den 3. 
Theil des Volksſchul⸗TLeſebuches“ (Schulblatt der ewangelifchen Semi⸗ 
nare Schleſiens, 1856, erfles Heft) beißt es &. 23 u. ff. in dieſer 
Beziehung: „ES fei bier ein für alle Mal bemerkt, daß fi in den 
fämmtlichen naturgefchichtlihen Stoffen das Leſebuch zum Unterrichte fo 
Rellt, daß 1) letzterem die genaue, fachlich geordnete Beichreibung nad 
Größe, Ausſehen, Theilen, Wachsthum, Lebensweife, Nugen zufällt, fo 
daß fihere, Mare Angabe darüber allein feine Sache iſt; 2) daß deshalb 
diefe Kenntniffe durch Anfchauung des wirklichen oder im Bilde vorges 
zeigten Gegenflandes zu gewinnen find; 3) daß jedoch die ganze münd⸗ 
lihe Belehrung das Leſebuch zum Hintergrunde, und Berfländniß und 
fee Aneignung des in ihm enthaltenen Stüdes zum BZwede haben 
muß; dagegen A) im Lefebuche felbft treten die Formenbefchreibungen 
oft mitten im Bilde auf, fowie es eine natürlihe Beobachtung draußen 
im. Freien ungezwungen mit fich bringt; 5) oft bat, um XTrodenheit zu 
vermeiden, die SKörperbefchreibung nur in einigen Strichen angedeutet 
werden koͤnnen und in diefen Fällen bleibt das Fehlende die eigenthüms 
liche Aufgabe des Unterrichts. 6) Im Wiedergeben laffe man den Kin⸗ 
dern freie Hand, indem man a. mit dem vorlieb nehme, was fie über: 
baupt behalten haben (befonders bei Schwächeren); b. indem man eins 
zelne Fragen ftelle, auf welche umfaflendere, aber aus dem Inhalte des 
Ganzen ſich beſtimmt herausfchälende Antworten zu geben find; c. ins 
dem man die Kinder nie in der zufammenhängenden Rede flöre, ſon⸗ 
dern ſprachliche und fachliche Fehler hinterher verbeffere oder verbeffern 
laffe. 7) Um der Anfchauung zu Hülfe zu kommen, find für die Res 
präfentanten unter den Thieren, befonders für die, welche die Kinder 
nicht oft zu fehen Gelegenheit haben, Illuſtrationen gegeben, auch für 
Giftpflangen; dagegen follen die übrigen Blumen, die alle leicht zu ha⸗ 
ben find, in natura vorgezeigt und angefchaut werden.‘ 

Für die Geographie ſetzen wir voraus, daß der Lehrer Äh von 
da ab, wo er über den heimathlichen Kreis hinausgeht, unausgefeßt der 
Bandkarte bedient, von derfelben ablefen läßt, was von guten Kars 
ten, wie die Sydo w'ſchen und Ewald'ſchen, in Bezug auf Lage, Ger 
Kalt und gegenfeitiges Verhältniß der Länder» und Waſſermaſſen, auf 
Bodenbildung, Bevdlferung, Meereöftrömung u. dgl. abgelefen werden 


168 Der Lefeunterricht, 


kann. Die Orientirung auf der Karte muß bem Lefen eines geogra⸗ 
phifhen Stüdes allegeit vorangehen, und außerdem muß die Karte 
während des Lefens aufgerollt vor den Augen der Schüler bangen. Wie 
in der Naturkunde, fo werden auch bier mancherlei mündliche Ergän- 
zungen erforderlich fein, je nachdem das Leſebuch reich oder arm mit 
einſchläglichen Stücken ausgefattet iſt. 

Director Bock ſagt a a. O. Seite 25: „Die Karte it aud ein 
Leſebuch; daß der Schüler auf ihr leſen lerne, ift die erfle Aufgabe 
des geographifchen Unterrichts; Karte und Lefebuch haben ſich zu ergän- 
zen; auf der Karte Tief und fieht das Kind Grenzen, Umfang, Gefalt, 
Blüffe, Gebirge, Städte, Straßen, Handle, Eifenbabnen eines Landes, 
auch von der Bodengeflaltung, ob Hochs oder Ziefland, ob Bald, ob 
Feld, ob Wüfle oder reichbevöffertes Land u. f. w. Aber weiter fann 
die Karte nicht führen; wo fie uns nun verläßt, da übernimmt das 
Leſebuch die weitere Leitung: Wie es in einem Lande ausfieht, wie in 
den Gebirgen, wie in den Thälern, in den SHauptflädten, wie ſich das 
Leben der Bewohner unter dem Ginfluffe der Natur des Landes geftal- 
tet, welche Beichäftigungen und Ermwerbszweige fie treiben, wie Charakter 
und Volfsfitte fi zeigen, d. h. Landſchafte⸗ und Lebensbilder zu ges 
ben, das if die Aufgabe des Lefebuches.’' 

Weiter unten beißt es: „Hieraus ergiebt fih, daß der Lehrer zu⸗ 
erfi ein Bild des Landes an der Karte zu geben und dabei die geos 
graphiſche Anſchauung in einfachen Umriffen, aber ganz ſicher und feſt 
einzuprägen habe. Hierbei ift fchon fortgehende Rückſichtnahme auf das 
Leſebuch nöthig 1) um gerade das, was diefes auch enthält, hervorzus - 
heben; 2) um dasjenige, was in ihm nicht gegeben ift, binzuzuthun.‘‘ 

Für die Geſchichte läßt fih unmittelbar durch das Lefebuch mehr 
erreichen, als für Naturkunde und Geographie, da ſich's bier zunächft 
und der Hauptfahe nah um volle Aneignung des Inhalts der Lefes 
ftüde handelt. So weit es die Befchaffenheit des dargebotenen Mates 
rials nöthig macht, wird der Lehrer theils vorher, theils zum Schluß 
darnach fireben, den erforderlihen Bufammenbang durch Ergänzungen 
zu vermitteln. Denn wenn auch weder in der Gefchichte, noch in irgend 
einem der andern weltfundlihen Gegenflände voller Zuſammenhang erzielt 
werden Tann, fo darf doch eine gewiffe Abrundung nicht fehlen. 

Bon wirflih nahhaltigem Erfolge wird der Eeſchichtsunterricht 
aber natürlih nur durch den freien, ergreifenden Vortrag des Lehrers 
werden. So verlangt e8 auch Director Bod in dem oben angeführten 
Auflage Seite 29: „Der Lehrer erzählt jede Gefchichte vor; dabei richtet 
er fih nad dem im Lefebuche Begebenen fo, daß dieſes nicht bloß nach 
ihm wiedergegeben wird, fondern feine Erzählung zugleich die Erläutes 
rung dazu bildet.“ 

„Aufgabe des Unterrichts ift: 1) Feſte Einprägung der Thatſachen; 
2) Bermittelung derfelben mit dem gefchichtlichen Zufammenhange ſowohl 
im Einzelnen, wie im Ganzen. Daß ſich die hronologifche Auffaffung 
hinlaͤnglich feftfegt, Teine Verwirrung in diefer Hinſicht entſteht, und 
daB namentlich auch die Mittelglieder zwiſchen den Gefchichtegrups 


, 


. Dex Lefeunterriht. _ 169 


ven, wie fe das Leſebuch enthält, gegeben und badurdy der chronologi⸗ 
füe Zufammenhang fidher geordnet wird, das iſt Sache der mündlichen 
Belehrung. “ 

W. P. fagt in dem mehrfach eitirten Auffage mit Rüdfiht auf 
den Zufammenhang in den Realien (Rhein. Blätter, S. 41 und 42): 
„Da die Lefebficher meift ſelbſt ſtillſchweigend einen, auf allmäliche Abs 
rundung der auf dem Gebiete der Realien zu ergielenden, materialen 
Bildung Berechneten Plan innehalten, fo if dadurch der Fingerzeig für 
ein Streben Seitens des Lehrers nach jener relativen Ganzheit des 
Unterrichts auch auf diefem Gebiete gegeben. Wichtige Stüde aus ber 
Pflanzen⸗, Thiers und. Menfchenfunde, Baterländifches aus Geographie 
und Geſchichte, aus Erwerbs und Witterungsfunde enthalten alle neuern 
guten 2efebücher, bald in geringerer, bald in größerer Ausdehnung; nur 
der innere Werth diefes Materiald unterliegt bedeutenden Differenzen, 
wie denn freilich die neuern Lefebücher ſich wejentlih in noch ganz ans 
dern Stüden, als in den Realien, von den ältern unterfcheiden. Da 
bat es denn der Lehrer ganz in feiner Hand, nad feinen gegebenen 
Schulverhaͤltniſſen auch eine velative Ganzheit feines Realunters 
richts im Anfchluß an das Leſebuch zu erfireben. Diefe Ganz» 
beit iſt nit mit ſyſtematiſcher Vollſtändigkeit zu verwechfeln; 
Ießtere gehört nun und nimmermehr in die Volksſchule, wohl aber jene, 
wie fehr fie auch in den Augen eines Gelehrten Stückwerk erfcheinen 
mag. Das Streben nad diefer Ganzheit fihert am Beften vor ben 
gedankenlofen Zufälligkeiten, und — hält überdies auch den fleten Ge: . 
danfen an Bervolllommnung der Art und Weile des Unterrichts rege, 
oßne welche im Lehrerieben eine verderblide Stagnation eintritt, die 
der Schule wie dem Lehrer zum Unfegen gereicht.“ 

Ein Württembergifcher Lehrer, Deder in Sohenader, hat es vers 
fat, die gefhichtlihen Leſeſtücke des Württembergifchen Kefebuches 
mit der biblifhen Gefhichte in Verbindung zu bringen, die Pers 
fonen der Profangefhichte mit denen der bibliſchen zu parallelifizen, 
„um Die Aufmerkſamkeit der Schüler zu feigern, dem welt» 
geſchichtlichen Leſeſtoffe durh die Berbindung mit. einer 
bibliſchen Gefhihte in dem Gedähtniß der Schüler einen 
feßeren Halt zu geben, und durch das Auffuhen von Barals 
lelen die Hauptmomente beider Gefhichten klarer hervorzus 
heben.” Dagegen läßt fi fchwerlih etwas Gegründetes einmwenden. 
Da ein Theil der gefchichtlichen Leſeſtücke des Württembergifchen Leſe⸗ 
buches fih auch in andern Kefebüdern findet, fo theilen wir nachftehend 
bie gegebene Zufammenftellung zur weitern Beachtung mit. 


Leſebuch. Bibliſche Geſchichte. 
117. Die Egypter. Auszug aus Egypten oder das gols 
dene Kalb. 
118. Die Spartaner. Aufruhr der Juden gegen Mofe in 


der Wüſte bei der Zurückkunft 
der Kundfchafter, 


170 


nervtes Boll; 


. Der Lefeunterriäht. 


(Rerte den Gegenfag: Die Israeliten eim durch fange Sklaverei ent⸗ 


die Spartaner ein durch frenge Gefepgebung und 


harte Erziehung faſt unbefiegbares Volk.) 


10 
120. 
121. 
122. 
| 123. 
124. 


125. 


126. 
129. 


130. 


155. 


137. 
138. 


140. 


142, 
150. 
176. 
180. 


182. 
183. 
183. 
188. 
190. 


194. 
196. 
213. 
214. 


F 34. 


Lefebud. 


Die Athener. 

Sofrates. 

Die Spiele der Griechen. 
Alexander. 

Die Römer. 


Die lebten Jahrhunderte des 
jüdifchen Reichs. 

Zerflörung Jeruſalems. 
Hermann, ber, Befreier 
Deutſchlands. 

Leben der Chriften in den 
erfien Jahrhunderten. 
Ehriftenverfolgungen. 


Bölferwanderung. 
Auguftin, Kirchenvater. 


Einführung des Chriften- 
thums in Deutichland. 
Bonifacius. 

Karl der Große. 

Die Trübſale der Borzeit. 
Prinz Chriſtophs Flucht. 
Guſtav Adolph, der dreißigs 
jährige Krieg. 

Schlacht bei Lühen. 

Der betende Handwerksgeſelle. 
Das Halle'ſche Waiſenhaus. 
Die Württembergifche Tabea. 
Joh. Mofer auf Hohentwiel. 
Biethen. 


Die franzöfifche Revolution. 
Napoleon. 

Bibelgeſellſchaften. 

Miffion. 


Biblifhe Geſchichte. 


Baulus. 


1 Kor. 9. beim Bibellefen. 

Daniel Weiffagung. 

Bund der Makkabaͤer mit den Römern. 

Dder Daniel. Geſicht des Rebucads 
nezars 

(Fortfepung der Maftabäer.) 


Jeſu Beiffagung. - 
Judas Maftabäus. 


Apoftelgefhichte 2, 42. 


Berfolgung der Apoftel. 

Dder: Herodes enthauptet Jakobus 
und ſetzt Petrus gefangen. 

Oder: Haben fie mich verfolgt, wers 
den ıc. 

Babylonifhe Gefangenſchaft. 

Saulus. (‚Er ift mir ein ausge- 
wähltes Rüftzeug.‘‘) 

Petrus. (3% will euch zu Men- 
fchenftfchern machen.“) 

Elias. 

David. 

Bergleihung der gegenwärt. Zeit.) 
er verfolgte David. 

Gideon, Midianiter. 


Mofes, die Amaleliter. - 

Elieſer. 

Speiſung der 5000 Wann. 

Die bibliſche Tabea. 

Daniel in der Löwengrube. 

Hauptmann von Gapernaum und 
Gornelius. 

Micha 1, beſonders aberCap.8. Jeſ. 59. 

Nebukadnezar. Dan. 4, 25 ff. 

Sleihni vom Senfkorn. 

Fortſetung der Apoftelgefchichte : ge⸗ 
bet hin in alle Welt. 


-Der Lefeunterriäht. {71 


Wie Deder feine Paralleliſtrung ausführt, zeigt das nachſtehende, 
den Schluß feines Aufjages bildende 
Muferfüd. 
Zohann Jakob Mofer auf Hohentwiel und Daniel in der 
Löwengrube. 

Mofer war ein gerader, redlicher Mann ohne Falſch. (Leſebuch.) 

Daniel war. treu, daß man feine Schuld noch Webelthat an ihm fin 
den mochte. (Dan. 6, 4.) 

Mofer kämpfte für Recht und Gerechtigkeit; „wider Pflicht und Ge⸗ 
wiffen wollte er nicht handeln.‘ (Leſebuch.) 

Daniel fürdtete Gott von Jugend auf und betete täglih dreimal 
zu Gott. 

Mofer verfagte dem Minifter des Herzogs, Graf Monmartin — eben 
weil e8 gegen fein Gewiſſen ging — den verlangten unbebing> 
ten Gehorfam. 

Daniel verfagte einem Pöniglichen Befehl, den die Höflinge von dem 
König aus Neid gegen Daniel ausgewirft hatten, den Gehorfam. 

Mofer wird nach Hohentwiel abgeführt. 

Daniel wird in die Lömwengrube geworfen. 

Mofer verfaßt in der Einſamkeit geiftliche Lieder. 

Daniel betete zu feinem Gott. 

Mofer wird nach fünf Jahren in Freiheit gefebt. 

Daniel wird ſchon am andern Tage aus dem Löwengraben gezogen. 

Moſer fagte ſelbſt: Es fei ihm gegangen wie dem Daniel, von dem 
erzählt werde: „Sie zogen Daniel aus dem Braben, und man 
fpürte feinen Schaden an ihm, denn er hatte feinem Gott 
vertraut.“ 

Der Herzog ſelbſt ließ Moſer zu ſich kommen und erklärte, daß er 
nun wüßte, „er habe an ihm einen ehrlichen Mann, guten Pa⸗ 
trioten und getreuen Unterthanen.“ 

Daniel konnte zum König Darius fagen: „Mein Gott hat feinen 
Engel gefandt,, der den Löwen den Rachen zugebalten hat, daß 
fie mir fein Leid gethan haben. Denn vor ihm bin ich uns 
fhuldig erfunden, fo habe ich auch wider dich, Herr König, 
nichts gethan.“ 

Ronmartin mußte fpäter feine Entlaffung nehmen. 

Daniels Feinde wurden in den Löwengraben geworfen. 

Auf Gott hoffe ih und fürhte mih nicht, was fönnen 
mir die Menfhen than? Bi. 56, 12. 


B. In Bezug anf Charakterbilbung. 


„Die Zörderung der Charatterbildung aber dürfte unter 
allen die höchſte formale Schulaufgabe fein, die Aufgabe, welche ſich 
nad der Schulzeit nody weiter in das fpätere Leben erſtreckt. „Es Bils 
dt ein Gemüth fih in der Stille, und ein Charakter im Geräufih der 
Belt, Die Schule kann nur dutch Ordnung, Zucht, Ernſt und Feſtigkeit, 





172 Der Lefeunterriäht. 


Zorderumg des Gehorfams, Männlichkeit der Begegnung, Borbaltung 
von großartigen Lebensbeifpielen, und auf andere, ähnliche Weile. zur 
Fundamentirung des Charakters in der Jugend beitragen; die Weiters 
führung und Bollendung des Baues liegt über ihre Schranken hinaus. 
Diefe Zundamentirung hat aber auf der Unterlage des Bolfslebens zu 
geſchehen, und auf die gegebenen Lebensfreife deffelben, Haus, Gemeinde, 
Staat und Kirche dergeftalt vorzubereiten, daB das fpätere Leben einen 
willensfräftigen, thatenfreudigen, opferbereiten, von Selbſtſucht freien 
Sinn vorfinde, deſſen Macht es weiter entwideln, flärfen, begeiftern, 
zu praftifcher That verwenden kann. Mag die Schule bei diefer Fun⸗ 
damentirung wenig oder viel zu tbun in der Lage fein, wenn fie nur 
das Nechte thut. Wenn dabei einerfeits die würdige Unterweifung im 
Chriſtenthum durch Lehre und zur unentbehrlihen Gewohnheit täglicher 
Uebung gewordene Anwendung und Durhdringung bes ganzen Lebens 
in dem Sinne, wie e8 Paulus dem Timotheus zu Ende der erfien Epiftel 
an ihn empfiehlt, das Meiſte zu thun vermag, fo Tann doch anderers 
ſeits eine tüchtige Baterlandstunde, namentlih eine tüchtige Eins 
führung in unfere vaterländifhe Geſchichte auch ein unveräct- 
liches Scherflein beitragen, und tüchtige, Ternige, patriotifche Lieder und 
Gedichte werden die Weihe erhöhen helfen. Siehe da: gute Schullefes 
bücher bieten heut zu Tage auch dazu fehr wirkffame Gelegenheit und An« 
regung. Wiederum güt e8 nur, fie zu erkennen,‘ zu benupen. Wer 
ſelbſt Herz und Auge dafür hat, der wird auch die Saiten anderer, 
namentlih jugendlicher Herzen wohl zum Erklingen zu bringen, auch 
Anderer Augen wohl zu öffnen im Stande fein. Das Bud thut's nicht 
zumeiſt, fondern der lebendige Lehrer muß es thun; — ' offene Thür 
dazu hat er heute mehr denn je" DB. B.: „Das Schullefebuh und 
die Realien“ Rhein. Blätter für 1856, Juli — Auguſt, pag. 44 u. 45.- 
Der Beherzigung und Nachahmung beftens empfohlen! 


⸗ 





I. Literatur. 


I. Refebücher für Volks- und WBürgerfchulen. 
1. Ceſebücher und MWandtafeln für die Mnterklaffe. 
A. Für das Lefen allein. - 
1. Kleine Hand⸗Fibel. 8. (265) Danzig, A. W. Kafemann. 1856. 

Cart. 1'/ Sgr. 

Die beiden erfien Seiten führen die Buchladen des Aiphabets In 
verfhiedener Ordnung vor; dann folgen zweifildige Wörter mit großen 
und kleinen Anfangsbuchftaben, etwas fpäter Säpe, rein für das Leſen 
berechnete, hierauf kommen religidfe Stoffe; den Schluß bilden eine Meine 
Anzahl Aufgaben für das Rechnen und zwei Seiten Schreibidrift. 
Unter den Sägen und Sapverhältniffen kommt manches Ungeeignete vor, 
wie z. B.: Die alte Welt. Der Wolf im Schilf. Du balgſt dig und 


Der Leſeunterricht. 173 


folg® nicht. Mit Anütteln fehütteln. Der Nerv ſchmerzt. Wer if ent⸗ 

zerst? Nach den oben dargelegten Anfichten fönnen wir Bibeln diefer 

Art nicht empfehlen. 

2. Erſtes Leſe⸗, Schreib» und Sprachbüchlein zum Unterricht in den 
deutfhen Schulen. Fünfte Auflage 8. (56 ©.) Regensburg, Friedrich 
Bullet. 1854. 2 Sgr. 

Auch in diefem Büchlein werden auf der erften Seite alle kleinen 
und großen Buchflaben vorgeführt, zuerf in foflematifcher, dann in alphas 
betiſcher Ordnung. Dann kommen acht Seiten Silben, hierauf zur 
Ginübung der Dehnung und Schärfung der Silben vier Seiten Wörter 
und? Silben; daran fhließen fi nochmals Behufs Einübung zweier 
Auss und Anlaute ſechs Seiten Wörter und Silben, denen dann end» 
ih die großen Buchſtaben auf vier Seiten folgen. Vorher find alle 
Hauptwörter mit Leinen Anfangsbuchſtaben gedrudt. Das nun folgende 
Material (Seite 22 - 52) dient grammatifchen Zweden und if für andere 
Zwede kaum braudbar. Den Echluß bilden „Kurze Denkreime über 
die Gigenfchaften Gottes,’ von denen einige fehr matt find. Anlage 
und Material des Büchleins ift der Art, daß den Kleinen die Leſe⸗ 
kunde ſchon nach den erfien Wochen dadurch auf lange Zeit hin vers 
teidet werden muß. Bir empfehlen dem Berfaffer gründliches Studium 
der Kindesnatur. 

3. Erſtes Kinderbud für das Leben und aus dem Leben, zum Gebraude 
heim Schreiblefeslinterriht. Bon H. J. Gundermann, Lehrer in Rhauders 
febn. Vierte, unveränderte Auflage. 16. Geh. 30 ©.) Leer, W. Bol. 
Aurich, C. O. Seyde. 2 Gar. 

Der Zuſatz auf dem Titel: „Zum Gebrauche beim Schreibleſe⸗ 
Unterricht‘ beruht wohl auf einer falihen Vorftellung von diefer Mes 
thode; es findet fi im ganzen Buche fein einziger Buchflabe in Schreib» 
ſchrift. Die erfle Seite enthält ſämmtliche Buchſtaben des Alphabets, 
Nein und groß. Auf der zweiten Seite fommen fogleih zwölf Buchs 
Raben, das i und elf KKonfonanten, zur Anwendung, auf der fechsten 
And bereits alle dageweſen. So fchnelle Fortſchritte können fechsiährige 
Kinder nicht machen. Die darauf folgenden Säge find, dem Titel ger 
mäß, aus dem Leben genommen, entſprechen aber nur fehr mäßigen For⸗ 
derungen; 3. B.: „Die Kuh ift nur ein Vieh, und doch, wie gut ifl 
fe Bin ich nur gut mit ihr, jo if fie gut mit mir.’ Auf die Frage: 
„Was find die Menſchen?“ wird die Antwort gegeben: „Die Menſchen 
find Gotted Kinder, der Menfchen Brüder (und Schweftern) und Herren 
der Natur. Alfo: Die Menſchen find der Menfchen Brüder! Den 
Schluß bilden ſechs biblifche Erzählungen, „Der Glaube und das Leben,’ 
das Gebet des Herrn, andere Gebete und Sprüche. Bon der elften 
Eeite an find einzelne Wörter der Säge mit lateinifchen Lettern ges 
drudt. Neben und zwiſchen dem Zerte befinden fich Fleine, nur geringen 
Anforderungen genügende Bilderchen, über dem Terte VBorübungen zum 
Nechnen. Das ganze Büchlein entfpricht nur fehr mäßigen Anforderungen. 


4 Ertes elementarifhes Xefebuc für Kinder zum Lefenlernen. Bon 
M. G. 2. Schrader. 13. Auflage, durchgefehen und verbefiert vom Dis - 


} 


174 Der Leſeunterricht. 


tector Dr. ©. el, 8. (XXIV u, 239 &. F. Ch. W. 
Vogel. 1866. * gr. * u) Aeiyale, 5 6. 
Die „‚Vorübungen‘ find auf den erften Seiten nicht elementar 
genug, da den Kleinen zugemuthet wird, hinter einander alle Laute, 
ohne  Berbindung von Vocalen und Gonfonanten, fennen zu. lernen. 
Wir empfehlen daher, mit Hülfe der Lefemafchine noch angemefjenere 


‚ Webungen vorweg geben zu laſſen. Der darauf folgende Inhalt des 


Buches zerfällt in folgende Abfchnitte: I. Einfilbige Wörter in Sätzen 
(S. 1—8). II. Zwei⸗- und mehrfilbige Wörter in Sätzen, mit abge 
theilten Silben (S. 9—26). III. Bon dem Menfchen (©. 2732). 
IV. Bon ‘den Dingen (S. 33—40). V. Die Elemente (im alten Sinne 
des Wortes (S. 41— 43). VI. Bon der Zeit (S. 44—49). VII. Ers 
zählungen aus der Natur (S. 50—129); VII. Erzählungen von den 
Ständen und Gefchäften der Menſchen (S. 130—178). IX. Moralifie 
Erzählungen (S. 179— 224). X. Sprüche, Gebete und Lieder (G. 225 — 
239). — Der Inhalt ift gut, leicht faßlich und anfprechend, die Poefie 
jedoch fo gut wie gar nicht vertreten, was wir nicht billigen Tönnen. 
Die Ausftattung iſt fhön, dem etwas hohen Preife angemeffen. 


5. Abtalion. Erſtes Lefes und Sprachbuch für die jisraelitiiche Jugend 
ur Weckung religiöfer Gefühle. Deutfcher Ihell. Mit zwei Schreibſchrift⸗ 
—**8* Herausgegeben von Dr. I. H. Jacobſon, Rabbiner und Pre 
diger. Dritte, verbefjerte und fehr vermehrte Auflage- 8. (92 u. 32 ©.) 
Breslau, E. F. C. Leudart (Conſt. Sander). 1856. 5 Ser. 

Im erfien Theile, der die eigentlichen Glementarübungen enthält, 
1äßt der Verfaffer nicht nur gleichzeitig die Meinen und großen Buch» 
ſtaben auftreten, fondern auch mit der deutſchen Schrift die Lateinifche, 
und zwar in der Abficht, um Zeit zu erfparen. Wir glauben, daB man 
Zeit erfpart, wenn man dem Kinde auf einmal nur eine Schriftart 
und anfangs daraus nur die Fleinen Buchſtaben vorführt; der Grund 
dafür liegt fo.nahe, daß wir nicht nöthig haben, ihn befonders hervor⸗ 
zubeben. Der zweite Theil enthält viel gute Leſeſtücke, auch angemeflene 
Gedichte; in einigen Abfchnitten if befondere Rüdfiht auf die Gram⸗ 
matif. genommen. Ungehängt ift dem Buche ein „Erſtes Hebraiſch⸗ 
Lefes Lehrbuch. Unter den Lefebüchern für israelitifhe Schulen dürfte 
das vorliegende vielleicht die erſte Stelle einnehmen, Tann daher beften® 
empfohlen werben. 


6. Zwdlf LefesTafeln zum Gebraud beim erften Leſe⸗Unterricht. Herr 
ausgegeben von Joſeph Steuer, Rectot an der St. Matthias: Schule in 
Breslau. Zweite Auflage. Br. Zol. Breslau, F. E. C. Leudart (Eonft. 
Sander). 12 Sgr. 

Der Inhalt dieſer Leſetafeln iſt der hergebrachte: einzelne Buchs 
ſtaben, finnlofe Silben und einzelne Wörter. Noch auf der legten Tafel 
begegnen wir Silben, wie: fHla, fpli, fprä, freu, pfla, pfrü, pfle, ſtro, 
fpien. Mit folhen Sachen quält man die Meinen Schüler unbarmherzig 
und verleidet ihnen die Luſt zum Lefen. 

Papier und Drud find fchön. 


Der Leſeunterricht. 175 


B. Für das Sqreibleſen. 
a. Schreib⸗ und Druckſchrift kommen zugleich in Anwendung. 


7. Des Kindes erſtes Leſe⸗ und Schreibebuch. Nach der kalkulirenden 
Methode bearbeitet von Dr. E. J. Hauſchild, Schuldirector in Leipzig. 
mu 24 lithographirten Bildern. 8. (X u. 46 &.) Leipzig, Dürr. 1856. 

gt. 

Mit Beziehung auf das oben Gefagte bemerken wir nur noch, daß 
das Büchlein reichlich mit gut ausgeführten, befonders für daffelbe ent⸗ 
worfenen Bildern geziert if, von denen uns nur die Prügelfcene auf 
Seite 33 nicht zuſagt; Beifpiele des Guten empfehlen fih mehr für die 
Jugend, als ſolche, die als Abfchrekungsmittel dienen follen. Der Ins 
haft bezieht ſich meiftens auf die Bilder oder auf Gegenflände und Vers 
hältniffe,, die den Kindern fonk bekannt find; doch greift der Herr Ders 
faffer bier und da auch weiter und nennt Dinge, die den meiften Sin» 
dern nod fremd find. 8. B.: „Da iſt ein Irrlicht, die Urne iſt rund, 
diefe Palme ſticht.“ Der Lefezwed wird häufig fo ausfchließlic verfolgt, 
daß der Inhalt der Sätze unbeachtet bleibt, daher mitunter etwas trivial 
ausfällt 3. B.: „Er pfiff leiſe, fie laſſen den Affen laufen, fle laffen 
das Lama faufen, fie fahen Pauln auf der Meffe, diefer Mann, biefe 
Mama, diefes Eis, unfer Ami, das Meffer, der Saum, fie raffeln in 
der Baufe hinaus. Hinaus die Maus! Hinaus das Lamm! Hinaus 
den Hammel! Hinaus den Pudel!’ Die kalkulicende Methode fordert, 
wenn wir fie recht verftehen, daß dem Kinde nie etwas Falſches vorges 
führt, daB überhaupt Fehler verhütet werden, wie Herr Dir. Hauſchild 
m feinem „Elementarbuch der deutfchen Sprache nad der kalkulirenden 
Methode” 3. B. in Betreff der Orthographie zur Bedingung macht, und 
mit Net; in diefem Lefebüchlein läßt er die Sauptwörter fo lange mit 
Meinen Anfangsbuchſtaben fchreiben, als die großen noch nicht dageweſen 
find. In Folge deffen kommen auf ein und derfelben Seite groß und 
Hein gefchriebene Hauptwörter vor. Sollte e8 nicht gut fein, wenn der 
Herr Berfaffer bier noch etwas beffer kalkulirte? — Papier und Drud 
des Werkchens find recht fchön. 

8. Des Kindes zweites Leſebuch. Dreißig neue Zabeln, Mährchen 
Käthſel, Eharaden und Geſchichten von Augufte Schmidt in Leipzig. 
Für die Schule bearbeitet von Dr. E. 3. Yaufild, Schuldirector eben» 
daſelbſt. 8. (X u. 84 ©.) Leipzig, Dürr. 1857. geb. 6 Ser. 

Der Inhalt if anfprechend, nimmt aber wenig oder gar feine 
Räckſicht auf die übrigen Unterrichtögegenflände der Schule, namentlich 
nicht auf die weltfundlihen, was wir Doch nicht ganz billigen können. . 
Ucer das vom gewöhnlichen abweichende Verfahren, nur von einem 
Schriftſteller, hier noch dazu eine Schriftfiellerin, Leſeſtücke darzubieten, 
giebt die Vorrede Feine Auskunft. Wir glauben, daß Lefebücher der ges 
wöhnlihen Art vorzuziehen find. Jedem Lefetüd if ein Dictat hinzus 
gefügt, deſſen Inhalt aus dem Stüd felbft entiehnt if. Die Vorrede, 
in der der Serausgeber fi von Neuem über die „kalkulirende Methode‘ 
verbreitet, giebt über die Verwendung derfelben die nöthige Auskunft, 


176 Der Lefeunterriht. 


9, Der Schreib» und Xefefhüler in der Elementarklaſſe der Volls⸗ 
fhufe. Fünfte verbeflerte und vermehrte Auflage. M. 8. (100 ©.) Fried⸗ 
berg, &. Bindernagel's Buchhandlung. 1856. Geb. 2'/ Ser. 

Auf den erfien 12 Seiten fliehen Schreib» und Drudiärift eins 
ander gegenüber, woraus der BVortheil erwächſt, daß man das Schreibs 
lefen auch allein nad der Schreibfchrift lehren kann. In ähnlicher Weife 
treten etwas fpäter die großen Buchflaben auf. Der Berfaffer bat durch⸗ 
weg finnlofe Silben vermieden und die Hauptwörter bis zum Auftreten 
der großen Buchftaben weggelaſſen. Bon da ab werden dem Schüler 
dann auch erſt Säge vorgeführt. Der darauf folgende Leſeſtoff verfolgt 
in der Sauptfahe fprachlihe Zwede. Im VI. Abfchnitte werden 3. B. 
die Formen des einfachen Sapes vorgeführt, im VIII. Stoffe darges 
boten, die eine ganz angemefjene Grundlage für den Anfchauungsunters 
richt abgeben. Für beide Abfchnitte hat wohl der erſte Theil meines 
Lefebuches als Vorbild gedient; manche Abfchnitte find geradezu dar⸗ 
aus entlehnt. 

Die Schreibſchrift ift im Ganzen gefällig, ft und ß abgerechnet. 
Zwifhen den Tert in Drudichrift find hier und da Meine Bilder eins 
gedrudt. Die Schrift iſt angemeflen. 

Wir rechnen das Büchlein nach feiner ganzen Anlage und Aus 
führung mit zu den beten für den erflen Schreibs und Lefeunterricht. 


10. Die erften Webungen im Schreiblefen. (in Linfübrungsbeftchen 

Fi er Elementar⸗Leſebuch. fl. 8. (16 S.) Grünberg, W. Levyſohn. 

2 . 

Der Berfaffer diefes Büchleins if, wie wir aus der Borrede er» 
feben, der Lehrer Puͤſchel in Grünberg. Er hat bereits ein Elementare» 
lejebuch herausgegeben, in dem jedoch auf die Schreiblefemethode feine 
Rüdficht genommen if. Da diefelbe aber „jetzt beliebt geworden,‘ fo 
bat er „auf den Wunfch mehrerer Kollegen‘' diefen Bogen ausgearbeitet 
und will ihn der bald erfcheinenden 4. Auflage des genannten Elemens 
tarlefebuches einverleiben. 

Die erfte Seite enthält Borübungen zum Schreiben und Beichnen, 
von denen wir uns nicht viel verfprehen. Bon der folgenden Seite 
an ſtehen Schreib» und Drudfchrift einander gegenüber. Leichte Wörter 
wechjeln mit finnlofen Silben wie ze, 30, zi, za, uz, ez, 03, iz, az ab, 
doch fo, daß letztere vorherrſchen. Es werden nur Beine Buchſtaben ans 
gewandt, die vorkommenden Sauptwörter daher Mein gefchrieben. „Die 
Schreibübungen auf Seite 15 u. 16 find bloß der Vollftändigfeit wegen 
da; zum Lefen auf diefer Stufe eignen fie fih noch nicht“ Welcher 
„Bolftändigkeit‘ wegen find diefe Uebungen da? Soll das, was ge 
fhrieben wird („Schreibübungen“), nicht auch gelefen werden?! Es 
fheint faft, als wenn dem Berfaffer das Wefen der Schreiblefemethode 
noch nicht recht Mar wäre Schon, daß er fagt: „Die Schreiblejes 
methode ift jetzt beliebt geworden,’ gefällt mir gar nicht recht. Es 
ſcheint fat, als habe er dieſe Arbeit weniger aus innerer Weberzeugung 
vom Werth der Schreiblefemethode unternommen, als aus äußeren, leicht 
zu errathenden Rüdfihten. Das hat denn auch offenbar die Folge ges 


0 Der Leſeunterricht. 177 


habt, daß fein Dürhlein nur mäßigen Borderungen entfprigt Die 

Schreibſchrift if gut, das p abserechnet, das dem Lithographen nir⸗ 

gends gelungen iſt. 

11. Preußiſche Hand⸗ lbel mit echszig Bildern für Chriſten⸗ 
Er en ber l. HL ae —— Sehr Ah für a den 
Unsenigt im Leſen und Schreiben, ausgearbeitet und srauägegeben vo) von 

r. J. K. F. u ubert, Baftor in Groß⸗Ziethen. Vierte Aufla . 
= ©.) Berlin caerfche Geheime Ober⸗Hofbuchdruckerei. 1856. Nor 


12. Preußiſche Hand⸗Fibel für EChriftenfinder Zweiter heil, 
Ein Bud für die Kinder zur Uebung im Leſen und eine Sanpreigung 
für die Lehrer beim erſten Unterricht in den Realien, in der Mutterſp 
z Sub se Religion, ausgearbeitet und herauögegeben von Dr. 

Baer in Groß⸗Ziethen. Fünfte Auflage 8. a ©.) 
—* se Ser. 
Zu beiden * gehört für den Lehrer: 


13. Anweifung zur Anwendung einer einfachen Methode beim erften Unter⸗ 
sit im Lefen und Schreiben nebft Zetärterungen zur Mreupifgen Handfibef 
—* Chriſtenkinder. Herausgegeben von Dr. J. K. F. Hubert. 8. (15 ©.) 

Bon den 80 Seiten des erſten Theiles enthalten 67 nur Wörter. 
Bir bedauern jedes Kind, weldes fi) damit im erflen Schuljahre ab» 
quöien muß. Die Bilder dienen zunähft nur, : um das Behalten der 
Buchſtaben zu erleichtern. Kür das 3, womit begonnen wird, iſt zu 
diefem Zwede ein Igel und ein Iltis in landſchaftlicher Umgebung bare 
geſtellt. Ein Neſt mit Eiern, das wahrfcheinlid für den auf einem 
Baume figenden Iltis beſtimmt war, bat der Zeichner unmittelbar vor 
Die Naſe des geld hingelegt. Seite 22 findet ſich aut Veranſchaulichung 
des A neben ‚mehreren ehren auch eine Rispe. "Seite 51 bat der 

Zeichner flatt Moos ein Phantafiegebilde gegeben. Sonſt find die Zeich⸗ 
nungen nad Erfindung und Ausführung im Ganzen gut. 

Die Heinen und großen Buchſtaben führt der Verfaſſer gleichzeitig 
vor, wofür fih, da 67 Seiten lang nur Wörter dargeboten werden, 
gar Fein haltbarer Grund anführen läßt. Seite 65 werden 60 Fremd» 
wörter aufgeführt, um die Qual der Kleinen noch etwas zu fleigern. 
An diefe ſchließen fich die Wortfamilien der Wurzelwörter jehen und gehen 
en. IR das Sprachfloff für das erfle Schuljahr? Nochmals bedauern 
wir die Heinen Schüler. 

Die religiöfe Anfchauungsweife des Verfaſſers tritt fehr deutlich in 
den Meinen Erzählungen zu ae die mit Meinen Gebeten und Wuͤn⸗ 
ſchen den Schluß bilden. Wir theilen die lebte, Nr.7, ale Probe mit: 

„Betet in allen Anliegen.’ 

„Ein achtjähriger Knabe im Wupperthale hatte eines Morgens die 
Zeit verſchlafen. Es war auf der Stubenuhr fat 8 Uhr; der Lehrer 
aber ſtraft jedes Zufpätfommen. Der Knabe nimmt rafch feine Bücher 
unter den Arm und eilt davon. Da beginnt die Thurmuhr acht zu 
fhlagen und der Anabe fängt an zu beten: Herr Jeſu, halt die Uhr 
anf. Der Herr ſprach zur felbigen Stunde fein Amen. Er hat zwar 
nicht die Uhr aufgehalten; aber der Knabe war‘ duch noch zu früh in 
der Säule. Als er nämlich athemlos anfommt, ftehen alle Kinder auf 

Rade, Jahresberiht. X. 12 


178 Der Leſeunterricht. — 


dem Fluͤr und der Lehrer kann die Stubenthür Nicht öffnen, weil der 
Bart des Schtüffels abgebrochen il. Ehe der Schloſſer gerufen und 
das Schloß von ihm geöffnet war, fehlug das Herz des Knaben nicht 
mehr fo fchnefl vom eiligen Laufen, wohl aber vor freude über den, 
der zu feinem armen Gebet das Amen fo wunderbar gefprochen hatte.’ 

Die Abbildungen der Handfibel find mit einem Theile des dazu 
gehörigen Textes auch vergrößert als „Wandfibel“ erfchimen, em⸗ 
pfehlen fih aber in diefer Geftalt nicht fonderlih und werden nichts 
zur Veredlung des Geſchmacks der Schuljugend beitragen. 

Der zweite Theil ift der Hauptfache nad) den Realien gewidmet. 
Mit kurzen Befchreibungen von Thieren und Pflanzen wechſeln Fabeln 
und kurze Gedichte ab. Was über die Hauptfladt (Berlin), das Tönig- 
liche Schloß und den Thron des Königs gefagt ik, dürfte ſich wohl nur 
für Berliner Kinder eignen, nicht für die fern wohnenden. Es ift ja 
natürlich recht fihön, auch die zarte Jugend fchon auf den König hin- 
zuweifen und Liebe zu ihm zu erzeugen; aber durch eine umfländliche 
Beichreibung des -Töniglihen Schloffes und Thronfeflels erreicht man das 
nit. Der Seite 85 abgedrudte 21. Pfalm tft für die Kinder, für 
welche die Fidel beftimmt tft, zu ſchwer. Sonſt kann der Inhalt diefes 
Xheiles, wenige Einzelnheiten abgerechnet, für angemeffen erfiärt werden. 

Die „Anweifung” zur Fibel muß mit Nüdficht auf die Wichtigkeit 
des Gegenftandes als unbedeutend bezeichnet werden. Seite 8 finden 
wir die Notiz, daß der Berfaffer feine Bibel erft nach dem Erſcheinen 
der Preußifchen Regulative ausgearbeitet und zum Drud befördert Bat. 
Anweifung und Fibel tragen die Jahreszahl 1856. Der erſte Theil der 
Fibel liegt uns in vierter, der zweite gar in Fünfter Auflage vor. 
Bann find die andern Auflagen erfchienn? In den Hinrichs’fchen 
Bücherverzeichniffen von 1854 und 1855 finden wir fie nicht aufgeführt. 
Saft fiheint 28, als wenn diefe Angelegenheit nicht ganz Tlar wäre”) 

Die Erklärung, welche der Verfaffer tn feiner ‚„‚Anweifung‘ von 
dem Dederfihen Wappen giebt, welches auf dem Zitel abgedrudt iſt, 
bat der „Defterreichifche Sthulbote‘ in Nr. 47 als ein Curiofum, das 
es auch in Wahrheit if, abdruden laſſen. 

14. Fibel und erſtes Leſebuch nah der Schreiblefemethode von @. ©. 
adeftod und ©. F. Richter, Lehrern an der Armenichule zu Leipzig. 

Bierte, mit Stereotypen gedruckte Auflage. 8 (100 S.) Leipzig, B. Zand- 

nig, 1856. 3 Sgr. 25 Exempl. 21/4 Thlr. 

Die beiden erften Bogen bilden eine Fidel und And auch für ſich 
zu haben (25 Exempl. 24 Sgr.). Sie enthält nur Wörter. Die bes 
nußten Hauptwörter find mit großen Anfangébuchfaben gefchrieben. Bon 
Seite 33 bis 53 an folgen kurze Säpe und einfache Beſchreibungen bes 
Tannter Gegenſtände, namentlich von Thieren und Pſtanzen, vie A 
zwedmäßig an den vorangegangenen Anſchauungsunterricht auſchließen 
und den Inhalt deflelben befeftigen helfen. ‚Seite 36 würde ſtatt Durmn 
beſſer Regemourm fiehen. Eben daſelbſt wird die Starte WR Warm 


) Aus einer Notiz im Oranbenburger Schulblatte erfeben wir, daß die 
Verlagshandlung 5 oder 6 Auflagen fo gut wie — verſchenkt hat. Das hifft abſegen! 


Der Leſeunterricht. 479 


bezeichnet, was jet nicht mehr gutgeheißen werden Tann. Geite 53 
tritt Die lateiniſche Schrift auf; die Uebungen darin fchließen ‚mit Fremd 
wörtern, die dem Anfchauungsfreife der Kinder fehr fern liegen. Hieran 
reihen fich auf Seite 58—88 moralifche Erzaͤhlungen, die mitunter ein 
wenig an Die befannten Kinderfreund» Erzählungen vom guten Anton 
und dem böfen Dietrich erinnern; fie enden fämmtlih mit einem kurzen, 
die Moral enthaltenden Verschen. Den Schluß bilden drei Gebete, einige 
Bibelfprüche, die zehn Gebote, Wörter zur Uebung in Gilbentheilen, 
Zahlen, Alphabele und das Einmaleine. Bute, für das Kindesalter 
yaffende Gedichte fehlen. 

Die angewandte Schreibfchrift ift deutlich, aber auch in a, p, r, 1, b edig, 
was der allgemeinen Verbreitung des Bushes nicht foͤrderlich fein dürfte. 
15. Leſe⸗, Lehr» und Uebungebuch für ſämmtliche Klafien der Doll 

*860 Bearbeitet von Sf. chat * Säle en ſie (63 ©.) 

Regensburg, F. Puſtet. 1855. 1% Ser. 

Anfangs wechſeln Silben und Böck, fpäter Wörter und Gäße 
mit einander ab. Der Orthographie ift von Anfang an Rechnung ger 
tragen worden, auf Seite 28 bis 33 “durch befondere Vebungen. Bon 
Eeite 36-51 wechſeln Turze Belehrungen über das Weſen und die 
Eigenfchhaften Bottes mit Mufgaben zu leichten Sprahübungen ab, was 
feinen guten Eindrud maht. Wir halten derartige Belehrungen auf 
einer Stufe, auf der das Kind noch mit dem medhanifchen — — zu 
tämpfen hat, für ungeeignet. An den Lefefoff fchließen fih von Seite 
54— 63 Regenübungen; ihr Werth ift fehr zweifelhaft für Fleine Kinder. _ 

Die Schrift nimmt ſich nicht fehr gefällig aus, namentlich die 
zwifchen den Hülfslinien; hier und da find die Buchflaben geradezu 
mißlungen,, ſtehen namentlich auch oft zu dicht neben einander. 


16. Erſtes nefebud für ElementarsSchüler. Bearbeitet von den Ber 
fafjern der „Lefebüher in Lebensbildern‘ fin obere und mittlere Schul» 
Hafien. I, L PR vermehete Auflage. 8. 8. M ©.) Darmſtadt, 
Die Berta —* As beſtrebt, möglich Bald finnlofe Silben 
zu vermeiden, benupen fie jedoch auf den erfien Seiten. Bon Seite 28 
an dient der Lefefoff zugleih befonderen (grammatifchen) Sprachübungen. 
Seite 47 fließen ſich hieran kurze Befchreibungen befannter Gegen⸗ 
Bände, kleine Gedichte und Erzählungen, bier und da durch einen Heinen 
Pouieunt illuſtrirt. Den Schluß bilden Sprüche, Gebete und Ziffern. 
Der Lefefisff if zweckmaͤßig, anfangs durch Häufung von bloßen 

Börtern etwas dürr. 

Die Schreibſchrift wird nur ‚für die einzelnen Buchflaben des Alphas 
beis angewandt, nicht für Wörter und Sätze; das Buch eignet ſich daher 
für das Schreibleſen nicht fonderlich, fo swedhmäßig es fon auch nal 
feiner ganzen Anlage if. 

Die Ausſtattung if gut. ‘ 

17. Kleine deutſche Fibel für den verbundenen Leſe⸗ Schreib und Rest 
füpreibeu nterri t. Bon Fr. Baumgart und. Ed. Woyfche. MI. 3. (54 ©.) 
rt a. * D., Trowitzſch u. Sohn. 1653, @eb. 3 Ser. 


12* 


180 Der Lefeunterricht, 


Die erften 24 Geiten enthalten theils finnlofe Silben, theils 
Börter, alfo eine harte Speife für die zarte Jugend. Dann fommen 
einige einfache Säpe, Sprüde, Sprüchwoͤrter, Meine Gedichte und Er 
zählungen, beide recht anfprechend, Gebete, Bibelfprüche, die fünf Haupts 
füde, das Einmaleins und die Eintheilung der gebräuchlichfien Münzen, 
Maaße und Gewichte. Die Schreibfchrift wird von Seite 3 an nur in 
den einzelnen Buchflaben des Alphabet angewandt. 

Das Büchlein entfpriht nur mäßigen Anforderungen. Die -Auss 
Rattung if fehr gut, namentlich das Papier vortrefflich. " 


38. Erftes Leſebuch nad der Schreiblefemethode Bon Berthelt, 
Jäkel, Petermann, Thomas. 8. (77 ©.) Leipzig, Zul. Klinkhardt. 
1856. Ladenpreis 3 Sgr., Partieprei 2 Sgr. 

Um den Wünfchen folder Lehrer nachzufommen, die fi mit „Les 
bensbilder J.“ nicht befreunden können, haben fih die befannten Ver⸗ 
faffer entfchloffen, dies Lefebuh herauszugeben. Der Inhalt deffelben 
zerfällt in vier.Stufen, von benen die erfte die Heinen, die zweite die 
großen Buchſtaben in Schreib⸗ und Drudichrift vorführt, die dritte 
leichte Xeferüde bringt, die zugleich als Grundlage für den Anſchau⸗ 
ungsunterricht dienen follen, die vierte endlich Lefeftüde mit lateinifchen 
Leitern. Anordnung und Stoff find zwedmäßig, wie ſich erwarten lief. 
Im erſten Abfchnitte treten jedoch neben Wörtern auch finnlofe Silben 
auf. Die bis Seite 33 gebrauchten Säge haben nirgends innern Zus 
ſammenhang, fondern find mit alleiniger Rüdfiht auf das mechanifche 
Leſen in bunter Folge vorgeführt worden. Dagegen ließen ſich gegründete 
Bedenken erheben. Die Schreibihrift if bis zur Einübung aller Buch 
flaben angewandt, tritt jedod zur Druckſchrift etwas zurüd; fie if aber 
recht anfprechend. 


19. Lehre, Lefe: und Aufgabens Buch für die Unterflafien der katho⸗ 
liſchen Vollsſchulen von Franz Zaver Kieffer, Volksſchullehrer zu Caſtel 
bei Mainz. Zweite vermehrte und verbeſſerte Auflage. Erſte Abtheilung. 
(VIII und 55 S. geb. 3 Sgr.) Zweite Abth. (64 S., geb. 3. Sgr.) 
Mainz, Zr. Schott. 1856. 

Die Heinen und großen Buchflaben werden in der erfien Abthei⸗ 
lung getrennt vorgeführt, woraus viel dürres Material erwächſt. Um 
nur einfilbige Wörter vorzuführen, wird häufig der Apoſtroph ange⸗ 
wandt, was ſich für diefe Stufe nicht fonderlich empfiehlt. Erf nad 
Einübung der großen Buchflaben, nämlich von Seite 43 an, haben die 
gebrauchten Säpe innern Zufammenhang; von bier ab treten auch kleine 
Gedichte mit auf. Durch die ſtete Rüdficht auf Sprachübungen ift auch 
das Material der zweiten Abtheilung anfangs ziemlich dürr, bietet je 
Loch jpäterhin anjprechende Gedichte und Beichreibungen. Es erfiheint 
ung nicht ganz angemeflen, Sprahübungen, welche nur die Form bes 
treffen, im erflen und zweiten Schuljahre fo Rark in den Bordergrund 
treten zu laffen, wie es hier geichieht. 

Die Schreibfhrift tritt nur in den einzelnen Buchftaben des Alpha⸗ 
bets, nirgends in Wörtern auf, was feine Anerkennung verdient. 


‚Der Lefeunterriht, 181 


0. Erſtes Sprach⸗ und Leſebuch für Boltsfhulen. Ein Lefchud 
S. Fr Seinjh um I.» Eudoig. Adte, verbefleie Auflage. © 
. 8 . e, verbefierte Auflage. 8. 
(ATX w 12 S.) Bamberg, Susner 1856. 4 Sgr. 
Bon dieſem Leſebuche iſt jede der drei Abtheilungen auch für ſich 
zu haben. Die erſte Abtheilung iſt eine Fibel. Schreib⸗ und Druck⸗ 
ſchrift ſtehen einander gegenüber; man kann daher jene auch zunächſt 
allein denutzen. Bis zu Seite 14 hin, wo die großen Buchſtaben aufs 
treten, werden die vorkommenden Sauptwörter Hein gefchrieben. Neben 
Börtern kommen auch viel finnlofe Silben vor. Die Säge, welche mit 
den Eintritt. der großen Buchſtaben dargeboten werden, flehen nirgends 
in innerem Zufammenhange, führen daher den Schüler in einer Stunde 
m fo viel Wifiensgebiete, als Säge gelefen werden. Die zweite Abs 
theilung if eine kurze Grammatit mit zahlreihen Beifvielen in Sägen; ' 
fe fol zunächſt zur Befefigung im Lefen dienen, fpäter für den gram⸗ 
matifchen Unterricht benutzt werden. Für den letzteren Zwed if fie ge 
eignet, für das Leſen nur in gegingen Grade. Die dritte Abtheilung 
enthält 1) Befhreibungen, 2) kurze Erzählungen, Geſpräche, Babeln.und - 
Gedichte, 3) Erzählungen aus der biblifchen Geſchichte, A) Gebete. In 
der erſten dieſer vier Unterabtheilungen haben die Nealien eine Stelle 
gefunden. Es if die ſchwächſte Partie des Buches; faft jede Seite hat 
Ungenauigfeiten und Fehler, die aufzuzählen e8 uns bier an Raum 
fehlt. Es if dringend anzurathen, daß die Verfaffer diefen Theil von 
einem Sachverftändigen umarbeiten laffen. Die 2.—A. Unterabtheilung 
befriedigen. Die biblifhen Gefhichten find in befondern Ausgaben für 
latholifche und proteflantifche Schulen bearbeitet. \ 


21. Handfibel für den Schreibleſeunterricht in der erſten Ele⸗ 
mentarklaf I Von J. U. Dreher, weil. Mufterlehrer am Königl. 
Scäullehrer s Seminar zu Gmünd. Biere Auflage. kl. 8. (52 S.) Wieſen⸗ 
eig, Schmid. 1852. 3 Ser. 

Auf den erften 5 Seiten fliehen in der Folge des Alphabets neben 
Meinen Bildern gedrudte und gefchriebene,, Feine und große Buchflaben, 
auf der 6. Seite nochmals das Alphabet der Meinen und großen Buche 
Raben in Schreibfhrif. Dann folgt bis zum Schluß nur Drudirift. 
Nachdem auch hier wieder zuerft beide Alphabete vorgeführt worden find, 
folgen Uebungen im Silben» und Wörterlefen, fo troden, wie man fie 
fih nur vorflellen kann; beim Eintritt der Säge werden grammatifche 
Zwecke verfolgt. Die zweite, etwas kurze Abtheilung der Drudicrift 
hat die Ueberfhrift: „Verſtandesübung,“ die dritte: „Herzensbildung,“ 
und ein Anhang derfelben bietet „einige Lebensregeln“ und „kurze Denk⸗ 
fprüche“ dar. Wir müffen das Büchlein nad Anlage und Inhalt zu 
den veralteten zählen. 


22. Erſtes Lefebuh zum Gebrauch in Elementar-Schulen und 
beim Privat» Unterricht von Franz Kühn, Lehrer in Breslau. 8. (144 ©.) 
Breslau, %. E. ©. Leudart (Conſt. Sander). 1850. 31a Ser. 

Dies Buch zerfällt in drei Theile, von denen der erfte die Ele⸗ 
mentarübungen enthält, der zweite furze Erzählungen, Beichreibungen 


J 


182 Der Leſeunterricht. 


und Gedichte, der dritte Uebungen im lateiniſcher Schrift. Die Schrei, 
ſchrift fpiekt im erflen Theile eine fehr untergeordnete Rolle, indem fie 
nur in einzelnen Buchflaben neben Maffen von Druckſchriftübungen vor⸗ 
geführt wird. Der Inhalt des Buches if übrigens gut, dem Kindes⸗ 
älter ganz entfprechend. - 


b. Reines Schreiblefen. 


23, Lefebuh für Bürgerfhulen. Herausgegeben von us. Züben, 
Rector der Bürgerfchulen zu Merfeburg, und C. Made, weiland Lehrer 
der I. Bürgerfchufe dafelöf. Erſter Theil. Dritte, verbefierte Auflage. 8. 
(IV u. 76 ©.) Leipzig, Br. Brandfletter. 1856. 4 Sgr. 

Die erſten 30 Seiten enthalten nur Schreibſchrift. Der Unterriät 
beginnt mit Säßen, aus denen jedoch auf den erften A Seiten nur bie 
leichteften Wörter gefchrieben werden. Bon der 5. Seite an treten leicht 
zu ſchreibende große Buchſtaben mit auf, und nun werden nur Sätze 
gelefen und gefchrieben. Bon Seite 16 an haben die unter einer Ziffer 
vereinigten Säße innern Zufammenfihg und dienen zugleih zu einer 
geordneten Einübung der Haupt» Sprachformen. Der Inhalt der Säpe 
iR dem Kinderkreiſe entiehnt, daher verfländlich; aud der erfle Unter 
richt der Kinder hat darin Berücfichtigung gefunden. Mit Geite 31 
fritt die Drudichrift auf. Das von hier ab dargebotene Material bes 
ſteht aus anfpredhenden Beſchreibungen befannter Gegenftände und Heinen 
Gedichten und dient zur Belebung und Befefigung des darnach ertheilten 
Anfhauungsunterrichtes. Den Schluß bilden Feine Gebete zum Aus» 
wendiglernen. Bwifchen den Tert find zahlreiche beichrende und er⸗ 
freuende Illuſtrationen eingedrudt. 

Die ganze Anlage des Büchleins hat ſich in der Praxis bewährt 
und bereits mehrfache Nachahmung gefunden. 

24. Der fleine Schreiblefefhüler. Bearbeitet und herausgegeben von 
einem Vereine eöthenfäer Lehrer. Zweite Auflage. 8. (104 ©.) 
Edthen, PB. Schettler. 1856. Geb. 7'/ Ser. 

Die erſten 5 Seiten enthalten VBorübungen zum Schreiben und 
Zeichnen, von denen fih einige beim Gebrauch als zu ſchwer erweifen 
werden. Bon Seite 6 bis 16 werden die Heinen Buchſtaben in Schreib⸗ 
fhrift, von Seite 17 bis 24 in Drudfchrift vorgeführt, find zwar ein« 
zeln, in finnlofen Silben und ti Wörtern; Hauptwörter find vermieden 
worden. Bon Seite 25 bis AO werden die großen Buchſtäben in Schreib» 
Ihrift, von Seite 41 bis 57 in Drudisritt vorgeführt; es wechſeln das 
bei mit einzelnen Wörtern Sätze ab, die jedoch nirgends Innern Zus 
fammenhang haben, auch nicht ſpeciell ſprachliche Zwede verfolgen, die 
Dehnung und Schärfung der Bocale abgerechnet, die auf ein paar 
Seiten befonders markirt find. Wir halten fol Material nit für ges 
eignet, die Kinder zu gewöhnen, daß fie denkend bei einem Gegenſtande 
verweilen, worauf es doch die Schule von Anfang an abfehen muß. 
Bon Seite 57 dis 96 werden Meine Befchreibungen,, Erzählungen und 
Gedichte dargeboten, die ganz für das Kindesalter paffend find; Seite 97 
bis 108 Verſe, Gebete und Vibelfprügpe zum Answendiglernen. 


Der Leſeunterricht. 4188 


Die Shreiffchrift empfiehlt ſich durch ihr gefadlliges Unfehen, die 
Druckſchrift Durch Schärfe und angemeffene Größe. Das Papier iſt 
ſchoͤn, aber der Preis hoch. 


25. Handfibel von J. Lieffem, Hauptlehrer an der Knabenſchule bei St. 
Apoſteln zu Köln. —2 verbeſſerte Auflage (bis zur 39. hexaus⸗ 
egeben in ee ve den nn ptervereine Eike und ein gel ie 
N, » DU Mont⸗ er eBuch⸗ 
— 8 
Die Schreibſchrift geht von Seite 8 bis 145 fie if flein, für bie 
Anfänger faft zu Mein. Die Seiten 3 bis 12 find der Einübung der 
feinen Buchftaben gewidmet; mit finnlofen Silben wechfeln Wörter ab, 
auch Hein geſchriebene Hauptwörter. Die großen Buchſtaben werden 
Geite 43 und 14 nur einzeln vorgeführt, nicht in Wörtern, was für 
das Schreiben nicht empfehlenswertb iſt. Un die Shreibfärift ſchließt 
ſich die Druckſchrift, von Seite 21 am mit großen Buchſtaben. Erſt 
von der 24. Seite an wechfeln Säbe mit einzelnen Wörtern. Mit der. 
43. Seite beginnt die zweite Abtheilung; fie beſteht aus Fleinen Erzaͤh⸗ 
hungen und Gedichten, die durchweg als zwermäßig bezeichnet wers 
deu koͤnnen. 


26. Kölner Handfibel. Seraußgegeben vo) u Eebrervereine zu Köln, Erſte 
Abtheilung. (48 &,) Zweite Abth. (48 S ‚RM. Du Mont⸗Schau⸗ 
berg’fche Buchhandlung. 1856, A 2%/s 5* 

Das Bud if in feiner Geſammtanlage dem vorigen ſehr aͤhnlich, 
auch in der Pleinen Schreibfchrift und im Kieinfchreiben der Hauptwörter; 
die großen Buchſtaben werden jedoch nicht bloß einzeln, fondern aud 
in Börtern vorgeführt. An die Schreibfährift fchließen fih 2 Seiten 
Zeichnungen von allerlei Hausgeräthen, Bauwerken, Pflanzen und Thieren 
an. Alle find klein und daher weder zum NRachzeichnen, noch für den 
Anfhaunngsuntersicgt befonders brauchbar. Der Leſeſtoff in Drudicrift 
iß Durch Häufung von Wörtern in der erfien Abtheilung mehrfach ent 
fegfih troden. Die zweite Abtheilung befteht aus gut gewählten Turzen 
Beſchreibungen, Erzählungen und Gedichten, die jo gruppirt find, daß 
fie zugleih eine zwedmäßige Grundlage für ben Anfhauungsunterricht 

* Wir koͤnnen dieſe a heilung beftens empfehlen, bedauern jes 

„ daß häufig fo Heine Schrift angewandt worden if. 


21. Bandfibel für den Schreib» und Lefeunterrigt, f1.8. (32 S.) 

Unna, $. ®. Rubens. 1856. 

Die Schreibfehrift ift auf Seite 3 bis 9 befchräntt. Sobald die 
erſte Seite gelefen ift, follen die unten angegebenen Drudbuchflaben 
eingeübt und dann Lefeübungen in Drudichrift folgen, wie fie Seite 11 
darbietet. Das mwibderfireitet dem Prinzip des Schreiblefend und muthet 
den Kindern zu, Schreib» und Druckſchrift zugleich zu lernen. In der 
Drudihrift wechſeln Wörter mit Sägen ab; leptere haben gruppenweife 
innern Zufammenhang. Lateinifche Schrift findet ſich nur auf 2 Seiten. 
Un dieſelben ſchließen fih 15 Heine Befchreibungen und Gedichte. Für 
einen Jahres urſus wird der Leſeſtoff nur knapp zureichen. 


184 Der Lefeimterriäht. 


28. Hälfobuch für den Sprede, Sähreib- und Lefesiinterriät 
in den (lementarffaffen der Bürger» und Volksſchulen, mit Anwendung 
des wechfelfeitigen Unterrichts, von 2, Wangemann. Rebft einem Bors 
worte von H. Frobenius. Erfte Abtheilung. Sechfte, unveränderte Aufs 
lage. (IX, AXVIII u. 18 &.) Zweite Abtbeilung. Yünfte, unveränderte 
Auflage. (TV u. 196 ©.) Leipzig, Fr. Brandftetter. 1856. 1. Abtheilung 
3 Sgr. Zweite Abtheilung 7 Ser. 

Erfte Abtheilung. Die erſten 28 Seiten enthalten nur Schreib» 
ſchrift. Der Verfaſſer geht von vollfländigen Sägen aus, läßt jedoch 
anfangs nur die leichteſten Wörter daraus fchreiben. Auf der 14. Seite 
treten die großen Buchftaben auf; bis dahin werden die Hauptwoͤrter 
mit Meinen Anfangsbuhftaben gefchrieben. Mit den Säpen werden 
fprachliche Zwede, Einübung der Sprachformen beabfichtigt. Die letzten 
18 Seiten enthalten Uebungsſtücke für das Lefen der Drudichrift. Auch 
bier werden vor dem Eintritt der-großen Buchftaben noch die Haupt⸗ 
wörter Mein gefährieben. Die gebrauchten Säge haben nur felten ins 
nern Bufammenhang. 

Zweite Abthbeilung. Die Ginübung der Spradformen, die 
bereits in der erften Abtheilung angebahnt wurde, tritt hier in den 
Bordergrund. Der Berfaffer giebt für alle Formen größere oder klei⸗ 
nere Gruppen von Sätzen. Die Säße jeder Gruppe haben innern 
BZufammenhang und beiprehen bekannte Gegenflände Neben diefen 
Sähen treten auch manderlei Stüde auf, die zunächſt nur für das Lefen 
berechnet find, namentlich eine Gedichte. Rah Einübung aller Satz⸗ 
formen werden nod 84 Lefeftüde, Gedichte, Erzählungen und Beichreis 
bungen dargeboten, die nach Inhalt und Form zwedmäßig find. Den 
Schluß bilden 5 Feſtlieder. ' 


Anbang. 


29. Kleiner dichteriſcher Shuls und Seus ahap für Kinder. 
Anhang zu des Elementarfhülers erſtem Lefebüchlein. ine Sammlung 
von findlihen Gebeten, Sprüchwörtern, Denkreimen, Liedern, Bildern_zc. 
für die evangelifhen Stadtfhulen In Darmftadt herausgegeben von Fr. 
Mitfert, evangeliihem Stadtpfarrer in Darmftadt. 8. (5% ©.) Darm 
ftadt, 2. C. Wittih und &. Jonghaus. 1855. 2 Ger. 

Der Inhalt if gut, aber größtentheils in allen guten neuern Leſe⸗ 
büchern anzutreffen, daher wohl nur noch für Darmfladt von Werth. 


2, Kefebücher für die Mlittel- und Oberklaſſe. 
A. Für Volks⸗ und Bürgerfchulen. 
a. Ausfchließlih für die mittlere Bildungsftufe. 


30. Deutſches Leſebuch für das dritte Schuljahr, von Heinrich 
Pickel, Lehrer an ber 3. Dorbereitungetiafle der Handelsſchule in Nürn- 
berg. 8. (VI u. 250 S.) Nürnberg, Fr. Kom. 1856. 15 Gar. 

Das Buch zerfällt in zwei Adtheilungen, von denen bie erfle 84 
profatfhe, Die zweite 74 poetiſche Lefeftlide und ein halbes Hundert 

Denkiprüce enthält. Die profaifhen Stüde beſtehen aus Graäblungen, 


* 


Der Lefeunterriähf. 485 


Mischen und naturhiſtoriſchen Belehrungen, die poetiſchen der gräßern 
Anzahl nach aus Kabeln und poetifchen Erzählungen. Die Auswahl 
fann als gelungen bezeichnet, das Buch daher empfohlen werden. 


31. Lehr⸗, Lefes und Aufgaben-Aud für die Mittelflaflen der katho⸗ 
liſchen Bolksfhulen, von Franz Zaver Kieffer, Volksſchullehrer in Ca⸗ 

Bel Het Mainz. 1. Theil: Sprachbuch (130 ©.) 2. Theil: Leſebuch 

(158 ©.). Mainz, Fr. Schott. 1856. 71/, Sgr. 

In beiden Theilen wird derfelbe Gang inne gehalten. Schule, 
Haus, Wohnort, Garten, Feld, Wieſe, Weinberg, Wald, Erhöhungen 
und Bertiefungen, Waſſer, das engere Vaterland, Deutichland oder das 
weitere Baterland, die Frime, Himmel, Aufl, Veränderungen in der 
Ratur, Gott und der Menſch find die Gegenflände, welche zur Sprache 
kommen. Jeder derfelben wird auf das allfeitigfte behandelt, nad feis 
ner realen und idealen Seite, die Schule 3. B. im Lefebucderin folgen» 
ben 18 Nummern: Die Schulftube. Webungen zur Vorbereitung auf 
Den gergraphifchen Unterriht. Bon den Pflichten eines Schülers. Gehe 
gern in die Schule! (Gedicht) Sei reintih! (Gedicht) Der Faule 
verdient Strafe. (Gedicht) Borfaß. (Gedicht) Lerne in der Jugend! 
Der Kaifer Karl der Große. (Erzählung) Was Hänscden nicht lernt, 
lernt Hans nicht mehr. (Die beiden Hunde. Gedicht.) Aufforderung. 
(Gedicht.)- Wer in der Jugend nicht hört, muß im Alter büßen. (Er⸗ 
zählung.) Benuge gewiffenhaft die Zeit. (Gedicht.) Sei rafllos im 
Dienfte des Herrn! (Bonifacius. Erzählung.) Die geiftlichen Aemter. 
(Ausſpruch Jeſu, Matth. 28, 18—20.) Lied var der Schule. Lied 
nah der Schule Gebet vor der Schule. Gebet nad der Schule. Das 
Spradhbud bietet zu diefem Abfchnitte in zwei Abtheilungen 58 und 
78, alfo zufammen 136 Rummern dar, die theils eine genauere Sach⸗ 
kenntniß der einfchläglichen Gegenflände vermitteln, theils zu Begriffe 
beſimmungen führen, theils ſprachliche Einfiht und Uebung bezweden. 
Daß alle dieſe Uebungen unbedingt nöthig find, wollen wir nicht ges 
rade behaupten; aber nüplih find fie fiher. Es läßt fih annehmen, 
daß die Kinder nach fo allfeitiger Behandlung der betreffenden Gegen⸗ 
Rande nicht nur genaue Kenntniß derſelben haben, fondern auch weſent⸗ 
lich dadurch in ihrer Gefammtbildung gefördert worden find. Die Wahl 
ber Leſeſtücke im zweiten Theile Tann als eine gelungene bezeichnet wers 
den, wenige Nummern abgerechnet. Wir empfehlen daher das Buch der 
Aufmerkſamkeit der Lehrer. Die Ausflattung ift anfprechend. 

32 Zweiten Sprads und Leſebuch. Ein Lefebuch für die mittlere 

Aulffafie. Bon G. Fr. Heiniſch und J. 2. Ludwig. Dritte, vers 

befjerte und vermehrte Auflage. 8. (XV u. 280 ©.) Bamberg, Buchner. 

1856. 8 Ser. - 

Das Buch zerfällt in zwei Abtheilungen, von denen die erfte (©. 
1—54) „Säpe zur gründlichen Betreibung des Sprach» Unterrichts‘' 
enthaͤn, die zweite das eigentliche Lefebuch bildet. Die Säbe der erften 
Abtheilung find überfichtlich geordnet und ganz geeignet, die auch in 
der Bolfefhule nöthige grammatifche Einfiht zu begründen. In einem 
Undange iR durch Gäpe mit. ähnlich lautenden Wörtern auch für die 


186 | Der Lefeunterricht. - 


Drthographie geforgt. Das Leſebuch beſteht aus folgenden 7 Abſchnit⸗ 
ten: Einiges aus der Lehre vom Menſchen (S. 64—75). Einiges aus 
der Naturgefhichte (&. 79—131). Einiges aus der Naturlehre (S. 
-185—188). Einiges aus der Geographie Deutfhlande (S. 139—168). 
Graählungen aus der deutſchen Geſchichte (S. 169—217), Erzäh⸗ 
tungen, Geſpraͤche, Babeln, Gedichte zc. religiöfen und meralifchen Ins 
halts (S. 219-265). Kleine Briefe (S. 267—277). Die Yırswahl 
entipricht dem Kindesalter, für welches das Bud beftimmt if; bie mei⸗ 
ften Auffäge‘ und Gedichte rühren von anerfannten Schriftſtellern und 
Dichtern ber. In einigen Abfchnitten haben die Herausgeber auch eigene 
Arbeiten dargeboten. Obwohl Beiden eimd gewiffe Gewandtheit in der 
Darftellung nicht abzufprechen ift, fo And ihre Aufſätze doch nicht frei 
von mandherlei Mängeln und Fehlern. Wir wollen, um das zu beweis 
fen, nur auf Einiges aufmerffam machen. Geite 96 heißt es von ben 
Schlangen: „Ihr Körper iſt zwar einfach, aber doch ſehr fhön. In 
ihrem Blide ift ſehr viel Ausdrud und Geiſt. Sie koöonnen fo zahm 
gemacht werden, daß man mit ihnen, wie mit den unſchuldigſten Schooß⸗ 
bündchen, fcherzen kann.“ Iſt der Körper der Schlangen darum „eins 
fach‘, weil ihm die Gliedmaßen und Ohrmuſcheln fehlen? Gewiß nicht. 
Die beiden folgenden Eäpe enthalten offenbare Webertreibungen. Geite 
97 Heißt es: ‚Die Fiſche athmen nicht durch Lungen, fondern durch 
Kiemen oder Kiefern, fie ziehen nämlich das Waſſer mit dem Munde 
ein, verfhhließen zu gleicher Zeit die Kiemen mit dem Dedel, preffen 
bie in dem Waſſer befindliche Luft aus, worauf fe durch 
feine Gefäße in’s Blut gebracht wird. „Kiemen“ und „Kiefer“ 
werden in der Naturgeichichte von einem Kenner für gleichbedeutend 
genommen. Das Ausprefien ber Luft if eine Erfindung des Berfaflere; 
die ‚feinen Gefäße‘, durch welche die Luft in das Blut gebracht wird, 
find eben die Blutgefäße. Seite 110 wird in fehr allgemeiner, nichto⸗ 
fagender Weife über die Würmer gefprochen. Gegen den Schiuf heißt 
es: „Manchen Menſchen mögen fie unbebeutendes Nichts zu fein ſchei⸗ 
nen; abes dem Seren find die Würmer fo wichtig, als ihm der En» 
get if. Er if der Würmer Bater und Berforger; folte er nun nicht 
vielmehr euer Vater und Berforger fein, da ihr, lieben Kinder, 
doch noch taufendmal beffer feid, als alle Würmer! Bas 
werben die Engel dazu fagen! Geite 111 lefen wir: „Deun bie Ges 
wächfe überfleigen an Fruchtbarkeit unfern Berfand. Das heißt: Die 
Fruchtbarkeit der Gewächſe if größer, als die Fruchtbarkeit unferes Ber- 
Randes, was der Berfaffer gewiß nicht fagen wollte. Ebendafelbf heißt 
e6: „Betrachtet ein ausgeädertes Baumblatt näher.” Ein „audges 
ädertes“ Blatt iſt ein folches, aus dem alle Adern herausgenommen 
find, während der Verfaſſer ein folches& meint, von dem nur nod das 
Geäder übrig if. Werner: „Jeder Ring iR ein Jahrgang des Baumes, 
indem ſich unter der Ninde alle Jahre frifcher Baſt anſetzt, der fi 
im darauf folgenden Jahre in Holz verwandelt.” Das if 
wieder reine Erfindung. Allerdings bildet fich jährlich eine neue Baß⸗ 
ſchicht; aber niemals verwandelt ſich diefelbe in Holy. Eudlich: „Wie 


Des Leſeunerricht. 187 


wörbet ihr er Raunen, wenn ihr durch ein Bergrößerumgsglas bie 
Millionen Sauggefäße diefer Ringe und ber fie umgebenden Schale 
näher betrachten Tönntet! Und wie unbegreiflih find die Wirkungen 
dieſes wunderwollen Adergewebes!“ „Sauggefäße“ Eennt die Bos 
tanik nicht; und ein „Ader gewebe“ fehlt dem Stamme gänzlih. Wir 
wünſchen, daB der freundlihe Wunſch des Verfaſſero für die Rinder 
zunaͤchſt ihm felber erfüdt werden möge! 
33, Daterlännifäeh Leſebuch. Bon C. Gude und 2. Gittermann, 
neheen in n Magdeburg. Mittlere Stufe. Bterte, durchgefehene Auflage. 
. 8. (IV u. 308 ©.) Wagbeburg, &. Fabricius. 1856. Brod. 10 Ger. 
—X roh 7'/a Sar. 

. Dies Buch zerfällt in vier Abtheilungen, von denen die drei erften 
der Weltkunde gewidmet find, die letzte Mährchen, Erzählungen und 
Gedichte darbietet. Ein Anhang enthält „Deutfhe Sprüchwörter, Kerns 
und Gittenfprüde”, geordnet nach grammatifchen Kategorien, um nad 
diefer Beziehung Hin leigt benupt werden zu Lönnen. Die weltkund⸗ 
lihen Stoffe zerfallen in naturhiftsrifche, geographifche und gefchichtliche. 
Wie fih von den befannten Berfaflern erwarten ließ, find überall nur 
Ibentswolle Bilder von anerfunnten Schriftſtellern dargeboten worden, 
vie nicht verfehlen werben, vortheilhaft auf die Befammtbildung der Kins 
der einzuwirken, die namentlich and für fprachliche Zwede fi vorzug⸗ 
lich eigum. Für die Mittelllaſſe dreiklaſſiger Schulen liegen mande 
der weltkundlichen Stefe vielleicht etwas zu fern; indeß Tann es nicht 
als Nachtheil gelten, wenn die Kinder auf Diefe Weiſe auf Späteres 
vorbereitet werden; ohnehin werden jährlich eine Anzahl der ſchwaͤchern 
Schuͤler aus der Mittelllaffe Tonfirmirl. Wir rechnen das Buch zu den 
beiten Befehüdgern, Die wir befigen, und Tönnen es auch den einklaffigen 
Säulen für die obere Abtheilung empfehlen. Die Ausfattung ifl gut. 
34. Befehuh a —A —— von Aug. Lüben 

und ©. Theil. Vierte, vetbeſſerte ufage. (11 Bog., 6 © 1) 

Theil. "die, verbefſerte Auflage, (13 Bog., 8 Gar.) Leipzig, 

Srandkeiter 185 

In beiden —* iſt darauf Bedacht genommen, den Blick des 
Kindes auf die Natur, auf das Menſchenleben und auf Gott hinzulen⸗ 
in, Sinn und Gemüth dafür zu beleben, zugleich aber auch den Schul⸗ 
unterricht dur Darbieten eintchläglichen Materials zu fördern. Mit 
Kückſicht auf dieſen letzteren Zweck hält ſich das Buch genau innerhalb 
der Grenzen, welche ein angemeſſener Lehrplan für eine mehrklaſſige 
Bärgerfchule feſtſtellt. Das Leſebuch iſt erſt entſtanden, nachdem der 
Lehrplan für die hieſigen Schulen ausarbeitet worden war. In beiden 
Teilen iſt das Material mit Ruckficht auf den Verlauf der Jahreszeiten 
und der chriſtlichen Feſte angeordnet, im dritten jo weit gegliedert, daß 
jeder Monat mit feinen Erfcheinungen als ein felbfifländiges Ganzes 
auftritt. Alle zur Beſprechung kommenden Gegenſtände werden mög⸗ 
lichſt allſeitig behandelt, in realer und idealer Beziehung in Angriff ges 
nommen, damit das Kind ſich fo vollkändig in biefelben vertiefe, als 
es feinem Bildungsgrade nach möglih_if. Es werben daher anfpres 


188 Der Lefeunterricht. 


ende, aͤſthetiſchen Forderungen genügende Beichreibungen, einfache Er⸗ 
zählungen, Mähren und Gedichte über diefelben dargeboten. Die 
Verarbeitung diefes Materials, verbunden mit den erforderlichen Ans 
ſchauungen und Belehrungen des Lehrers, hat die Beftimmung, an die 
Stelle der fonk üblichen, meiftens ſehr einfeitig behandelten Denk⸗, 
Sprach⸗ und Anfhauungsübungen zu treten, und es bedarf wohl faum 
der Berficherung, daß diefe dadurch mehr als erfegt werden. Die Kin, 
der fühlen fich bei diefem Unterricgte überaus- wohl; fie durchleben das 
Jahr mit allen feinen hervorragenden Erſcheinungen beobachtend, den» 
kend, empfindend und werben gehoben durch den poetifchen Hauch, der 
über das Ganze, wie über jeden einzelnen Gegenftand, ergoffen if. 


Die freundliche Aufnahme, welche das Lefebuch bis jept gefunden 
bat, läßt erwarten, daß die Lehrer ihm auch ferner ihre Aufmerffamfeit 
fhenfen werden. 


35. Kinderheimath. Deutiches Lefebuch, vierte Stufe. Don Louis Muün: 
Tel, Lehrer an der Stadttöchterfchufe in Hannover. Zweite, unveränderte 
Auflage. (Titelaußgabe.) 8. (XVI u. 343 S.) Hannover, Helwing’fche 
Hofbuchhandlung, 1855. 15 Ser. 

Nah Seite VIII der Borrede hat der Herausgeber ,Mittelklaſſen 
großer und tüchtiger Lehranftalten‘ bei der Auswahl des Materials tim 
Auge gehabt. Für diefe ift das Buch auch ganz geeignet, ebenfo aber 
auch für Oberflaffen tiefer flehender Schulen. Gegen die Auswahl läßt 
fih im Ganzen Nichts einwenden; unter den 352 Nummern findet ih 
Irefflihes aus allen Gebieten des Wiſſens für das bezeichnete Kindes⸗ 
alter; mit PBrofaftüden wechſeln gute Gedichte. Für die Anordnung 
fehlt aber ein Teitender Faden, ein Umſtand, der gewiß Urſache gewor⸗ 
den iſt, daß die Lehrer das Buch nicht in gehoffter Weiſe beachtet has 
ben, was die veranftaltete — Titelausgabe beflätigt. 

36. Deutſches Leſebuch für Sürgerfäulen und untere Klaffen 
höherer Lebranftalten. WB. Elemen, Inſpector 
der Töchterfchule in Caſſel. Erfter Theil. Dritte, verbefierte und vermebrte 
Auflage. ar. 8. (XVI u. 318 ©.) Caſſel, 3 J. Bohné ſche Buchhand⸗ 
lung (A. Fiadfhhn 1857. Ungeb. 16 Gar 
Dies Lefebuch dient zugleich grammatifäjen Zweden, wie folgende 

Anbaltsangabe erkennen läßt. 

1. Die verfhiedenen Saparten. 2. Lefezeihen und Sätze gu ihrer 
Einübung. 3. Säße zum Unterfheiden ähnlich lautender Wörter. 4. 
Sätze, in welden daſſelbe Wort in verfchiedenem Sinne gebraudt if 
und finnverwandte Wörter vorfommen. 5. Zur Wortbildung. 6. Zur 
Einübung der Zahls, Biegungs» und Zeitformen. 7. Erzählungen (52). 
8. Zabeln, Mähren, Parabeln, Sagen (44). 9. Darftellungen, Be⸗ 
ſchreibungen und Schilderungen aus der Natur (22). 10. Erzählungen 
aus der deutichen Gefchichte (12). 11. Geſpräche (8). 12. Räthfel (24) 
und furzweilige Fragen (16). 13. Sprüchwörter und Denkſprüche. 14. 
Lieder und Gebete (90). 

Das Bub Kann ‚feines vortrefflihen Inhalts wegen beflens em⸗ 
pfohlen werden. 


Der Lejennterridt. 189 


b. Für die obere Stufe. 


37. Leſebuch für Bürgerfhulen. Herausgegeben von Aug. Lüben und 
©. Rade 6. Theil. Dritte, verbefierte Auflage. 8. ( u. 320 ©.) 
Leipzig, Fr. Brandfletter. 1856. 12'/s Sgr. 

Diefer Theil des Lefebuches hat hauptfählich die Beſtimmung, die 
Kenntniß und richtige Benupung der Haffifchen Nationalliteratur für die 
Büdung der Jugend zu fördern. Zu diefem Zwecke werden von allen 
bedeutenderen deutfchen Dichtern und Schriftftellern fo viel Stüde dars 
geboten, al& erforderlich find, um von Ddiefen ein Mares Bild zu geben. 
Dabei if zugleih Sorge getragen worden, daß auch der Realunterricht 
durch geeignete Stüde gefördert werde. Männer wie Joh. v. Müller, 
Forſter, Heeren, Hebel, E. M. Arndt, A. v. Chamiffo, Aler. v. Hums 
Boldt, Heinrih Steffens, Karl v. Ritter, Barnhagen v. Enfe, Dahle 
mann, 8. Immermann, Martius, Pöppig, Kohl u. A. boten hierzu 
reichliches Material in ihren trefflihden Schriften dar. Die Anordnung 
der Stüde if fo getroffen, daß der Schüler dadurd) zugleich eine Ans 
ſchauung von der allmählichen Entwidelung der Sprade befommt. Es 
iR Daher mit den großen Epen des Mittelalters der Anfang gemacht 
und von ihnen nad und nad bis zu Sen Choryphäen der Neuzeit forte 
gefehritten worden, fo jedoch, daß Männern wie Luther, Leifing, Claus 
dins, Herder, Boß, Goethe, Schiller, Hebel, Körner, Chamiffo, Hum⸗ 
boldt, Rüdert, Uhland, Platen vorzugsweile Rechnung getragen wurde. 

Damit die Schüler im Stande find, leichter zu überfehen, vefp. zu 
wiederholen, was ihnen aus den vorhergehenden Theilen des Lefebuches 
bereits von den einzelnen Dichtern und Schriftſtellern befannt geworden, 
And diefe Stüde unter den Namen derfelben aufgeführt worden, was 
Lehrern und Schülern angenehm fein dürfte. 

38. Baterländifhes Leſebuch in Bildern und Mufterftüden für Schule 
und Haus. Bon C. Ende und 2, Gittermann, Lehrern in Magde- 
burg. Obere Stufe. N. 8. (IV u. 428 ©.) Magdeburg, E. Fabriclus. 
1856. Brod. 12/3 Sgr., ungeb. 10 Sgr. 

Die Gliederung des Materials entipricht in diefem Theile ganz ber 
in der oben angezeigten „Mittleren Stufe.” Wie dort, fo ift auch hier 
das Phyſikaliſche ausgefchloflen, ohne daß ein Grund dafür in der Vor⸗ 
tede angegeben if. Die dargebotenen Aufſätze und Gedichte verdienen 
aber alles Lob. Kinder, welche fi den Inhalt dieſes Buches ganz ans 
eiguen, befigen einen vortrefflihen Schab. | 
39. Häſters Lehr⸗ und Leſebuch oder die Baterlands» und Weltkunde 

für die Oberklaſſe der Voltöfchulen. Für evangelifhe Schulen bearbeitet 
‘von Ludwig Bender, Rector und evangelifhem Prediger d' Langenberg. 

Reue evangeliihe Ausgabe. 8. (X u. 518 5.) Gflen, G. D. Bäbeler. 

1856. Ungeb. 10 Ger. 

Nach der Berfiherung des Herrn Bender bat man an dem Här 
Rers’ichen Lefebuhe „das Gepräge eines pofitivshriflidhen, 
evangelifh »Firhlihen und eines preußiſch⸗patriotiſchen 
Charakters” vermißt, und diefer Mangel hat die Berlagshandlung bes 
wogen, dieſe „evangeliſche Ausgabe‘ zu veranlaflen. So hofft man 


190 Der Lefemuterricht. 


nun die Concurrenz mit den ſpecifiſch preußiſchen Lejebüchern, bie in 

neuerer Zeit erfhienen find, aushalten zu Tönnen. Es kann dem neuen 

Dearbeiter das BZeugniß gegeben werden, daß er feine Aufgabe anger 

meſſen geföft hat; die Abfchnitte: „Geſchichten aus der Geſchichte der 

Deutfchen‘‘ und „Gott und fein Himmelreich“, find es vorzugsmeife, 

welche eine Umgeftaltung in dem angegebenen Sinne erfahren haben. 

Die zum Theil fehr trodnen und trivialen geographiſchen Abfchnitte, 

deren wir ſchon oben gedachten, find aber unverändert geblieben. Wenn 

wir auch gern anerkennen, daß das Häfters’fhe Leſebuch viel Gutes ents 
hält, fo können wir es doc nicht zu den beften rechnen; es trägt den 

Eharakter eines bloß SKenntniffe zuführenden Lehr buches in höherem 

Grade an fi, als man von einem Leſe buche erwartet. 

Die Ausfattung iſt gut, der Preis billig. 

40. Deutſches Leſebuch für die oberen Abtkeilungen eins und mehrklaſſi⸗ 
ger Glementarfchulen in der Stadt und auf dem Lande, von Fr. Baum⸗ 
gart und Ed. Woyſche. 8. (VIII u. 411 S) Frankfurt a. O., Tro⸗ 
wisfeh u. Sohn. 1853. Geb. 10 Sgr. 

Die Berfaffer haben, wie fie in der Vorrede mittheilen, ihr Buch 
nach der Gharakteriftif gearbeitet, welche Goltzſch in feinem „Cinrich⸗ 
tungss und Lehrplan” 2c. von einem Lefebuche giebt. Ihr Buch zero 
fat in zwei Theile, von denen der erfle (S. 1—148) Erzählungen, 
Parabeln, Gedichte u. dgl. enthält, der zweite eine Weltkunde if. Der 
erfte Theil enthält viel Gutes, der zweite au, doch hat er aud viel 
trodene Partien, wozu namentlich die Spftematif in der Raturgefchichte 
gehört. Die Berfaffer haben fich nicht recht klar gemacht, welche Auf⸗ 
gabe der unmittelbare Unterricht und welche das Leſebuch zu Idfen hat. 
Dazu kommt no, daß in allen Abfchnitten vom Allgemeinen zum Bes 
fonderen fortgef'hritten, alfo durchweg gegen einen allgemein anerkann⸗ 
ten pädagogifchen Grundfaß verftoßen wird und die ganze Folge des 
Materials (Himmelstunde, Phyſik, Eimtbeilung der Erde nah Graden 
und Erdtheilen, Naturgefchichte, Geographie, Geſchichte) ſich durch Nichte 
rechtfertigen läßt. Ohne das Gute des Buches zu verfennen, find wir 
doch nicht im Stande, es befonders zu empfehlen, zweifeln überhaupt, 
daß ihm eine große Verbreitung zu Theil werden wird. 

Nah Zällung diefes Urtheils fehen wir von Beinen Unrichtigfeiten, 
die uns im naturhiftorifhen Theil aufgeftoßen find, ab und bemerken 
nur noch, daß die Verfaſſer fih auch Abweichungen in der Orthogras 
phie erlaubt, namentlich überall TE flatt dd gefchrieben haben, was für 
ein Lefebuch ganz unftatthaft if. Der Volksſchule und den Vollsſchul⸗ 
Iehrern kann nie das Recht zugeflanden werden, mit derartigen Neues 
rungen voran zu gehen. 

41. Lehr⸗ und Leſebuch für Die oberen Klaſſen katholiſcher Bolköfchulen. 
—— und bearbeitet,von Dr. G. J. Aund, Dompräs 

endat. gr. 8. (VI u. 266 ©.) Fulda, U. Maier. 1856. 

Die erſte Abtheilung (S. 1—174) if als „Leſebuch“ bezeichnet, 
bie gweite als „Lehrbuch“. Die erfte Abtheilung zerfällt in zwei Ab- 
ſchnitte, von denen ber erſte „Leſeſtücke religiöſen und moraliihen In⸗ 


Der Lefeunterricht. 191 


petts”., der weite Leſeſtücke gemeinnügigen Inhalts”, und zwar aus 

Ye Neturkunde, Länder⸗ und Bölferkunde und aus der Geſchichte dar 

bietet. Die zweite Abtbeilung beſteht aus „funzen Abriſſen“ der Ras 

turlehre, Naturgeſchichte, Erdbeſchreibung, Geſchichte und einem Turzen 

Unterricht Aber das Kirchenjahr, enthält außerdem noch einen dreitheili⸗ 

gen Anhang: a. verfhiedene Saparten mit Beifpielen, b. Gelchäftsaufs 

füge und c. die in Kurheflen gebräudlichen Maße und Gewichte. 
as „Leſebuch“ enthält anfprechende Erzählungen und Gedichte 
und wird von den Kindern gern und gewiß nicht ohne NRupen gelefen 
werden. Das ‚Lehrbuch‘ dagegen wird ihnen wenig Befriedigung ge 
währen, Ya es nur wenig anziehende Partien enthält, für die Geſchichte 
geradezu nur Tabellen. Diefen Theil halten wir für ein Leſebuch als 
gänzlich wertet Aus einer Anmerkung erfehen wir, daß die Quellen 

dafür „J. G. Fiſcher's Meines Handbuch der Realkenntniffe“ und „I. 

3. Schhletz's Dentfreund⸗ waren, zwei Werke, die bereits nach jeder 

Beztehung hin veraltet find. Im Sinne dieſer Bücher heißt es ©. 188 

in Bezug auf die Luft: „Welch' ein Unglüd, wenn wir uns durd die 

Luft mit Gewalt hindurharbeiten müßten, wie duch einen Strom! Und 

funten wir wohl in folder Luft fprechen?” Das erinnert doch gar 

zu ſehr an den befannten Ausruf: „Wie gut if e8 doch, daß die Katzen 
gerade da Löcher im Kelle haben, wo fich die Augen befinden!‘ 

42. Der Baterlandsfreund. Gin Schulleſebuch mit befonderer Beräe 
fiptigung des heſſiſchen Baterlandes. Herausgegeben von Dr. 3. Yölfing, 
Lehrer an der Großherzogl. Garnifonfchule, Gründer und Borfleber einer 
Kleinkinderfhule für Kinder aus höheren Ständen u. f. w., und G. Bed, 
echrer ne der „Drobberzogl Sarnifonfchule zu Darmſtadt. Obere Stufe. 


6 ©. Mit einer Karte des Großherzogthums Heſſen.) 
a 's 14 1856. 


Die Berfaffer haben es vorzugsweife auf Kenntniß bes engeren 
Batertandes, des Großherzogthzums Heſſen, abgefehen, ihrem Buche daher 
enge Grenzen gefebt. Es ift gegen ein foldhes Unternehmen Nichts ein» 
zuwenden ; indeß muß ber Schulunterricht fih doch in diefer Beziehung 
vor zu großer (Engherzigkeit bewahren und über das Baterfändchen 
nicht das gemeinſame deutfehe Baterland und mas darüber hinanstiegt 
verabfäumen; wo das geſchieht, da erzeugt man leicht die egoiftiiche 
Gefinnung, die aus ber Herrichaft Napoleons in Deutſchland noch in 
fo tranrigem Andenken if. Die Verfaſſer des ‚‚Baterlandsfreundes” 
Kud feider nicht frei von diefer Engherzigkeit; mas fie Aber Deutſch⸗ 
land fagen, if faum nennenswertb; von andern Ländern ſchweigen #e 
ganz. Hätten die Berfaffer etwas von dem Ballaſt über Bord gewor⸗ 
fen, womit ihr Buch offenbar beladen ift, fo würde fich auereichender 
Raum für das Angedeutete gefunden haben. 

Der Baterlandöfreumd hat folgende vier Abtheilungen: I. Natur and 
Rutter. I. Geographie. III. Gefchichte. IV. Porfle und Sprachliches. 

An Dder erſten Abtheilung find die Bewohner der verſchtedenen Se⸗ 
genden Heſſens, einheimifche Naturköryer, Gartenanlagen, Die Kabrilas 
Hon des Biafea u. f. w. befchrieden. Die ‚zweite umd dritte Abthei⸗ 
tung Witten faſt nur Einheimifches dar. In ‚der. Iepten Abtheilung haben 


— 


192 Der Lefeunterricht. 


ebenfalls die Heſſiſchen Dichter den Bortrit. Der Ausdrud „Sprach⸗ 
liches“ bezieht ſich vermuthlid auf die den Schluß bildenden Säge mit 
finnverwandten Wörtern, auf die Gefchäftsauffäge und Briefe. 

Der größere Theil der Auffäge iſt aus andern Schriften entlehnt; 
die übrigen haben wohl die Herausgeber zu Berfaflern, find wenigflens 
von ihnen nach andern Borlagen überarbeitet worden. Leider gehören 
fie zu den ſchwächſten des ganzen Buches, fowohl nach ihrem Inhalt, 
als nach ihrer Darftellungsweife. Wer fih davon überzeugen will, der 
ſchlage Nr. 118, „Haus⸗ und Wirthſchaftskalender“, auf; Xrivialeres, 
als dort geboten wird, fanden wir noch in feinem Leſebuche. „Ranzige 
Butter genießbar zu machen‘, ‚„Aufbewahren der Käſe““, „Aufbewahren 
des frifchen Bleifhes bei großer Hitze“, „Das zum Raäuchern beſtimmte 
Fleiſch“, „Gegen die Ameifen‘‘, „Wider die Maulwürfe‘‘, „Gegen Rats 
tens und Mäufefraß in den Scheunen‘, „BZuverläffiges Mittel der 
Raupenvertilgung‘‘ u. |. w. Das find die Dinge, die bier aufgetifcht 
werden. Soll damit vielleicht gezeigt werden, wie man den Unterricht 
praktiſch macht? Zreibt man in Darmfladt wirklich ſolche Dinge in der 
Schule? In dem Darmfladt, das feit einer langen Reihe von Jahren 
durch feine „Schulzeitung“ fo vernünftige pädagogifche Grundfäge ver⸗ 
breitet bat? Muß nicht, wer folhe Dinge lehrt, auch noch Anleitung 
geben, wie man am beften die Stube fcheuert, Meſſer und Gabel pußt, 
die Eßgefchirre nach gemachten Gebrauche abwaͤſcht, den Kuhſtall rei⸗ 
nigt? Der Himmel möge die Bildungsanfalten für unſere Jugend 
‚vor diefer Afterpraktif bewahren! Das ift nichts weiter, als die erbärm- 
lihe, aus dem Mittelalter überfommene Receptwirtbfchaft des Gewerb⸗ 
ftandes, die auch jetzt noch überall da ſpukt, wo die Naturkunde noch 
feinen Boden gefunden bat, wo Phyſik und Chemie noch zu den unbes 
kannten, wohl gar verpönten Dingen gehören. Sat Darmftadt den gro⸗ 
Ben Liebig umfonf in feinem Gießen gehabt? Berdient das Beifpiel 
Baierns, das feine Lehrer in die Hörfäle diefes berühmten Chemilers 
fhit, Feine Nachahmung? Chemie und Phyſik find es, welche die 
wahre Praris in die Schule und in das Leben zu bringen, und bie 
gemeine Praris, diefe heillofe Receptwirtbfchaft der bezopften Innungen 
zu verdrängen vermögen; ihnen öffne man daher die Tempel der Jugend⸗ 
bildung, wenn man ſich Berdienft um die Menfchheit erwerben will. 

Um von der Logik und Stiliſtik der Verfaſſer eine Vorftellung zum 
geben, genügt die Durchſicht der bezeichneten Recepte. Der Gingang zu 
Denfelben lautet: „Nachſtehende Mittheilungen beruhen auf Erfahrungen 
and gewähren durch die Einfachheit der VBorfchriften und die Nüplichkeit 
ihrer Refultate beachtenswerthe Vortheile. Mancher kennt vielleicht über 
diefem oder jenen Gegenfland noch ein befleres Mittel; er (?) ſuche 
Nath bei Erfahrenen und wende dann zu feinem Ruben Das an, 
wos am Bortheilbafteften wirkt.” S. 191: ‚Der Hollundergeruh if 
den Thieren (Ratten und Mäufen) fo zuwider, daß die Frucht völ- 
Lig gefihert bleibt“ (ftatt: daß fie die Scheunen verlaflen). „Zu⸗ 
verläffigee Mittel der Raupenvertilgung.” „Gegen die Raupen in den 
Gemüjebeeten hilft es, wenn man einige Zabaköftauden zwifchen bins 


Der Lefeunterricht. 193 


einpflanzt.” „Nun wird ber Hals des umgefehrten Flaͤſchchens im 
das oben im Korke befindliche Loch geſteckt, aber fo, daß das Fläfch 
den die Deffnung ganz ausfült, daß Leine Bienen nebenbei heraus 
friehen Tönnen. Nun kommen die Bienen, ſtecken ihre Saugrüffel durd 
ein Löchlein der Blafe und faugen fo den Honig aus dem Glafe, bis 
e8 leer if.” ©. 192: „Bretter und Klötze von leichtem Holze bringt 
man je nach ihrer Dide auf 10 Minuten bis "Vs Stunde in den Bad 
ofen, nachdem das Brot herausgenommen if (alfo in einer Temperatur 
von 80— 100°). Auf diefe Weiſe behandeltes Holz zeigte fih nad 
17 Jahren noch völlig gefund, während ein anderes Holz derfelben 
Art, das nicht gedörrt worden“ u. f. w. Das darauf folgende Mittel: 
„Biber das Schlagen der Pferde‘ ift ganz confus, aber zu lang, um 
es bier mittheilen zu koͤnnen. „Schipka bat die Lungenſeuche des Mind» 
viehs zuverläffig alſo geheilt: jedes erkrankte Stüd erhält fofort 2 
Loth Potafche, in a Maß Waſſer aufgelöft und des Morgens und 
Abends eingegeben. ©. 193: „Weder Terpentin noch Salz 
fäure vertilgt Schmetterlinge, Larven und Gier diefes ſchädlichen In⸗ 
fecte® gleihermaßen.” ©. 194 if von der Nüplichfeit des Salzes 
für das Maftvich die Rede. Hierzu macht der Verfaffer folgende geift- 
reihe Bemerkung: „Wie das Salz bei der Fütterung des Viehes von 
Augen if und nicht fehlen darf, fo darf noch weniger bei der geiftigen 
Nahrung des Menfchen das Salz fehlen; es darf auch nicht dumm wers 
den; denn fo das Salz dumm wird, womit foll man denn falgen ?' 
Bürdiger laſſen fi die mit der Salzfütterung endende Mittheilung der 
Recepte ſchwerlich fchließen. Möchten doch alle Lehrer und Schriftfteller 
diefe wohlgemeinte Ermahnung beachten! Sicher mürde es dann weit 
weniger Dumm gewordenes Lehrerfalz und Dumm gewordenes 
Schriftſteller ſalz geben, als es jeßt leider noch der Fall if. 

Mr. 32 handelt von der Fledermaus. Zuerft wird einem Dichter, 
der der Fledermaus Worte der Kluge und Trauer über ihr abgefchiedes 
nes Leben in den Mund legt, eine Lection gelefen; dann geht der Bers 
faffer auf die Natut des Thieres ſelbſt über. Wie billig, nimmt er die 
Fledermäufe gegen den unbegründeten Verdacht, daß fie Speck fräßen, 
in Schuß, fagt dabei aber in feiner ſtiliſtiſchen Unbeholfenheit gerade 
das Gegentheil. Es Heißt daſelbſt: „Wenn man einmal NRagezähne und 
dann das Gebiß der Zledermäufe genau angefehen bat, fo wird man. 
nicht mehr in Zweifel fein, daß die Fledermaͤuſe Sped und Fleiſch bes 
wagen oder tiefe Löcher hineinfreſſen.“ Zum Glück ſteht gleich dahinter 
in einem muſterhaften Sage: ‚Dies thun die Mäufe, und, wenn fie 
fönnen, die Ratten.‘ In dem darauf folgenden Sabe bereichert der 
Berfaffer die Naturgefchichte der Fledermäuſe dur die Mittheilung, daß 
ke außer Infeeten auch „Mäufe in großer Menge wegfangen. Thäten 
bie Fledermäufe dies, dann wären fle fiher auch Speddiebe. Auf ders 
felben Seite heißt es: „Das flieht aber richtig, daß viele Leute 
im Heſſenlande dies noch glauben. „Das Maut fipt voller fpigiger 
Zähne. „Daß fe aber im Kluge fo fehr gewandt find, das 
bat feinen Grund im Bau der Flughäute und der Ohrmuſcheln. Wie 

Rade, Jahresbericht. X. 13 





194 | Deer Leſeunterricht. 


dieſe nämlich von zahlreichen Adern durchzogen werben, fo verlaufen in 
ihnen auch eine außerordentlihe Menge von Nervenfäden‘ x. Dies 
und das noch Folgende dient zur Erflärung des feinen Gefühle ber Fle⸗ 
dermäufe, nicht aber, um die Gewandtheit ihres Fluges auf ihre 
Urſache zurückzuführen. Der Verfaſſer benutzte zu diefem Auflage eine 
Arbeit des Referenten, hat dieſelbe aber volftändig verballhornt. 

Wäre damit gedient, wir fönnten die Beifpiele diefer Art bedeu⸗ 
tend vermehren, auch noch andere Ungehörigkeit vorführen. Sicher 
ſtimmen aber unfere Lefer ſchon nach diefen Proben in dem Urtheil mit 
uns überein, daß der ‚‚Baterlandsfreund‘ nad) Anlage und Ausführung 
eine verfehlte, der Zugend nicht zum Nupen gereichende Arbeit iR. Die 
Herausgeber befaßen zu diefem Werke weder den rechten Zact, noch bie 
ndthige Durchbildung. Sollte dies Urtheil Manchem hart ericheinen, fo 
bitten wir, das Buch felbft zur Hand zu nehmen. 


43. Der Zugendfreund für Säule und Haus. Zwölfte Auflage mit 
Stereotypen. 8. (310 S.) Gütersloh, C. Berteldmann. 1856. 10 Ser. 
Ohne die Lieder im VIII. Abſchnitt 6'/ Gar. 

Der Zugendfreund enthält: Erzählungen aus der Weltgefchichte, 
Wahrheit in Zabeln, Legenden, Sagen und Parabeln, Weisheit in 
Sprühen und Sprühmwörtern, Näthfel, Erzählungen, Briefe an Andres, 
die Hermannsſchlacht, das Weltgebäude, der Menfh; als Anhang 142 
Lieder in Noten für den Gefangunterriht. Das dargebotene Material 
it im Ganzen gut, für Oberklaſſen der Volksſchulen, für die das Bud 
beftimmt zu fein fcheint, jedoch nicht ausreichend, am wenigften jept, 
wo. man den Nealunterriht in die Lefeftunden verlegt bat. Das Buch 
macht den Eindrud eines veralteten und bedarf der Neugeftaltung, wenn 
es neben den neuern guten Lejebüchern feinen Platz behaupten foll. 


44. Lefebud für Stadt» und Landfhulen. Bon Friedrih Harder, 
Lehrer in Altona. Zweiter Theil. 8 (X u. 628 ©.) Altona, 3. Fr. 
Hammerich. 1857. 1 Thlr. 

Das Buch zerfällt in zwei Abtheilungen, von denen die erſte (S. 

41 —464) ‚„Lefeküde in Proſa“, die zweite „Poetiſches zum Lejen und 
Declamiren“ enthält. In der erfien Abtheilung iſt der Stoff wieder in 
drei Gruppen gebracht: Erzählungen und Briefe (S. 1—105), Bilder 
aus der Sage und Gefchichte (S. 106—-226), Darftellungen aus der 
Geographie und Naturkunde (S. 226466). Jede diefer Gruppen 
bildet ein Ganzes, durch Auswahl und Inhalt vorzüglich geeignet zur 
Belebung des Realunterrichts. Daflelbe günftige Urtheil kann über die 
zweite Abtheilung gefällt werden, die in ihren 110 Rummern eine 
fhöne, dem Bwede ganz entfprechende Auswahl von Dichtungen dars 
bietet. Das Leſebuch verdient, zu den beften gezählt zu werden. Aber 
wie viel Schulen werden im Stande fein, es einzuführen? Der Preis 
iſt viel zu hoch. 

45. Leſebuch für eins und mebrflaffige Schulen, zufammengeftclit 


und herausgegeben von F. W. Theel, Borfteher der Erziebungsanftalt 
im grünen Haufe zu Berlin. Achte, verbefferte Stereotyp»Adflage. 8. 


> 


Der Lefeunterricht. 195 


(VII u. 408 ©.) Berlin, Juſt. Alb. Wohlgemuth. 1856. Broch. 10 Sgr., 

roh 8 Sgr., mit Luthers Meinem Katechismus! /2 Sgr. mehr. 

Wie die meiſten neuern Leſebücher für Oberklaſſen, zerfällt auch 
dies in zwei Theile, von denen der erſte hauptſaäͤchlich Erzählungen und 
Gedichte, der zweite Auffäge über weltfundfiche Gegenflände enthält. 
Der zweite Theil zerfällt wieder in folgende ſechs Abfchnitte: Himmels⸗ 
funde, Erdfunde, Bilder aus der Naturkunde, Grundzüge der Preußis 
fhen Geſchichte, Denkwürdigkeiten aus der Geſchichte der chriftlichen. 
Kirche, Gefangterte. Speciell auf Preußen berechnet if nur die Ge⸗ 
ſchichte; die übrigen Abfchnitte find allerwärts brauchbar. Auswahl 
und Anordnung .befriedigen; in den Abfchnitten über Geographie und 
Raturgefhichte werden neben anregenden Beichreibungen und Schilde⸗ 
rungen auch trodene Ueberfichten mitgetheilt, offenbar in der Abricht, 
um befondere Schriften für diefe Gegenftände ganz überflüflig zu machen. 
Die Phyſik if unbeachtet geblieben, was mit Rüdfiht auf die Beſtim⸗ 
mungen für die Preußifchen einklaffigen Schulen faum zu billigen ift. 
46. Deutfches Lefebuh für Schule und Haus, von I. D. Beh: 

— Dorum. 8. (VII u. 515 S.) Dorum, bei dem Verfaſſer. 1854. 

J . 

Dies Leſebuch zerfällt in fünf Abtbeilungen mit folgenden Ueber» 
fhriften: Wahrheit und Dichtung (S. 1—133), Naturkunde (S. 134 — 
237), Geſchichte (S. 237— 370), Geographie (S. 370-462), Nach⸗ 
richten, Borbilder und Kehren. Diefe lebte Weberfhrift ift jeher unbes 
ſtimmt und 1äßt nicht vermuthen, daß fich neben Erzählung und Ges 
dichten auch weltfundlihe Auffäge in dieſem Abſchnitte finden. Die 
Auswahl verdient im Ganzen Unerfennung. Für die zweite, dritte und 
vierte Abtheilung hat der DBerfafler Vieles ſelbſt nach umfangreicheren 
Borlagen bearbeitet. In der Abtheilung über die Naturkunde haben 
auch die wichtigften Lehren der Phyſik eine Stelle gefunden, was wir 
bifigen. Für den Reatunterricht wird das Buch überhaupt förderlich 
fein, da faſt Alles darin befprochen if, was für den Kreis des Volks⸗ 
(hulunterrihts Beachtung verdient. Die Zahl der Gedichte Fönnte etwas 
größer fein. 

41. Leſebuch für Die obere Klaſſe der fatbolifhen Stadt» und 
Land⸗Schulen, von Felix Rendſchmidt II, Eifte, purchgefehene und 
vermehrte Auflage, herauägegeben von Franz Kühn. 8. (VIII u. 520 ©.) 
Breslau, %. E. C. Leudart (Conft. Sander). 1856. rob 10 Sgr., geb. 
12Y2 Ser. . 

Der jegige Herausgeber hat dem Buche manches Neue hinzugefügt, 
verfhiedene Aufläge umgeftaltet und alle in folgende Ordnung gebracht: 
1. Das Merkwürdigfte aus der Weltgefchichte. 2. Lehre vom Menſchen. 
3. Geographie. A. Raturlehre. 5. NRaturgefhichte. 6. Vom Aderbau. 
7. Bon der Obſtbaumzucht. 8. Bon einigen Gewerben. 9. Einige 
Sitten» und Lebensregein. 10. Gedichte und undere Lefeftüde. 

Das Lehrhafte berifcht in dem Buche vor; doch find die dargebos 
tenen Stüde meiftens anfprechend. Katholifche Schulen, die eine mitts 
lere Stellung unter den Volksſchulen einnehmen, werden zwedmäßigen 
Gebrauch von demfelben machen Tönnen. 

13 * 





196 Der Leſeunterricht. 


48. Jugendgarten. Allgemeines Leſe⸗ und Lehrbuch für Stadi⸗ und Land⸗ 
fhulen. Bon G. U. Winter, Dberlehrer an der Bürgerfchule zu Kirche 
berg. Yweiter Theil. Kür die Oberflaffen. Fünfte, gänzlich umgearbeitete 
und ſehr vermehrte Auflage. (Ausgabe für evangelifchs Iutherifche Schulen.) 
8. (XII u. 481 ©.) Leipzig, Im. Tr. Wöller. 1857. ungeb. 12 Ser., 
Bartiepreis roh 8 Sgr., geb. 2a Ser. mehr. 

Inhalt: I. Erzählungen, Gefprähe, Barabeln, Fabeln, Sprüch⸗ 
wörter, Schilderungen, Räthſel, Lehren und Wahrheiten. (1. Gott. 2. 
Der Menfh. 3. Natur.) II. Syſtematiſch geordnete Bilder zu Den 
Realien. (1. Zur Naturgefchichte. 2. Zur Lehre vom Menfchen. 3. Zur 
Maturlehre. A. Zur Geographie. 5. Zur Weltgeſchichte 6. Zur Gefchichte 
der chriſtlichen Religion und Kirche. 7. Gewerbliches.) III. Gefchäfte- 
auffäge. IV. Gedichte zu Lefer, Gedächtniß⸗ und Declamiräbungen. 
(1. Gott. 2. Der Menſch. 3. Ratur.) V. Skizzen zu einem fiufenmä« 
Big fortfchreitenden Unterricht in den Realien. 

Dies Buch enthält viel Gutes, if jedoch mehr Lehr», als Leſe⸗ 
buch. In Schulen mit befchränkten Berhältniffen, 3. B. mit einem Lehrer 
und wenig Unterrichtöftunden, wird es daher den Nealunterricht fehr 
fördern; aber es wird auch gleichzeitig dazu beitragen, die Schulprofa, 
die Schuldürre fehr zu vermehren. Schullefebücher follten fi mehr 
die Aufgabe flellen, Poeſie in die Schule und dadurch in das Bolt 
zu bringen. . 

Der legte Abſchnitt it nur für den Lehrer und hätte vielleicht 
ganz wegbleiben Fönnen. | 

Der Drud iſt theilweife faft zu Bein. 


11. Xefebücher für Gymnaſien und Realfchulen. 


von I. Hopf und C. Paulſiek. Erſter Theil. Erfte Abtbeilung. (Kür 
Sexta). Zweite Abtheilung. (Für Quinta). Dritte Abtbeilung. (gi 
Duarta). 8. (1. Abth. 244 ©.; 2. Abth. 260 S ) 
Hamm, ©. Grote. 1855 u. 1856. à 15 Sgr. 
Die Gliederung des Materials ift, Peine Modiflcationen abgerech⸗ 
net, in allen drei Abtheilungen folgende: 
. Brofa. . 
A. Erzählende Profa. 
1. Erzählungen und Fabeln. 
2. Mähren. 
3. Sagen. 
4. Aus der Gefchichte. 
B. Befchreibende Proſa. 
5. Aus der Naturkunde. 
6. Aus der Erdkunde. 
7. Aus dem Bölker» und Menfchenleben. 
N. Poeſie. 
A. Epiſche Poeſie. 
1. Fabeln und Parabeln. 
2. Erzählungen. 


Der Lefeunterricht. - 497 


3. Sagen und Legenden. 
4. Aus der Geſchichte. 
B. Lyrifche Poefie. 

Die Auswahl if für alle drei Abtheilungen mit Rückſicht auf das 
Alter der Schüler und die Klaffenpenfen getroffen worden und kann ale 
ſehr gelungen bezeichnet werden. In allen Abſchnitten iſt der Inhalt 
muftergültig und daher trefflich geeignet für Foͤrderung allgemeiner und 
ſprachlicher Bildung. Wir wünſchen der Jugend an höheren Schulan⸗ 
alten Glück zu diefem Leſebuche. Anerkennung verdient e8 auch, daß 
die Herausgeber bei jedem Stüde die Quelle angegeben haben; dadurch 
wird eine Literaturfenntniß herbeigeführt, die für fpäteres Selbſtſtudium 
von Wichtigkeit if. B 
50. Deutfhes Leſebuch. Elementar- Eurfus. Bon ©, Ditrogge. Vierte, 

verbefierte und ſehr vermehrte Auflage. gr. 8. (VIII u. 416 es Hanno 

ver, Hahn'ſche Buchhandlung. 1856. 20 Ser. 

Dies rühmlichſt bekannte Leſebuch enthält in feinem erften profais 
hen Zheile 48 Erzählungen, 28 Fabeln und ZThiermährden, 17 Sa⸗ 
gen und Mährchen und 8 naturgefchichtliche Befchreibungen ; in feinem 
weiten, poetifchen 91 Fabeln und Erzählungen und 124 Lieder. Die 
Auswahl if gut und wohl vorzugsweije für das Alter von 7 oder 8 
bis 10 Jahren berechnet. Die naturgefchichtlihen Befchreibungen find 
in der neuen Auflage um 3 vermehrt, aber immer nocd nicht reichlich 
genug vertreten. Geographiſche Schilderungen fehlen ganz, was als 
Mangel bezeichnet werden- muß. 


31. Deutfhes Leſebuch für Gymnafien und Realfhulen. on Dr. Ri: 
eolaud Bad. Zweiter Theil. Dierte, auf’s neue durchgefebene und vers 
befjerte Auflage, beforgt von A. Koberftein, Profeffor in Pforte. gr. 8. 

I u. 261 &.) Leipzig, Fr. Brandftetter. 1856. 15 Ger. 

Dies anerkannt tüchtige Lefebuch enthält im erften, poetifchen Theile 
Gabeln, Mähren, Erzählungen, Idyllen, Balladen, Romanzen, Legen» 
den, deutfche Volfsepen, Lieder und Sprüde; im zweiten, profaifchen 
Mährchen, Sagen und Erzählungen. In allen diefen Abfchnitten ift 
nur das Befte der vorzüglichſten deutfchen Dichter und Profaiften gege⸗ 
ben, fo daß die Schüter in dem Buche eine wahre Mufterfammliung 
haben, die ein befonderes Werk für Declamation überflüffig macht. Die 
Realien haben keine Berüdfichtigung gefunden. > 

Die Ausflattung ift fehr anfprechend. 


52, Deutſches Leſebuch für Reals und Bürgerſchulen. Herausgegeben 
von Guſtav Fleifcher, erftem Lehrer an der Freifchule, wie auch Lehrer 
an der Real⸗ und höheren Töchterſchule zu Einbeck. Zweite, vermehrte 
Auflage. gr. 8. (VIII u. 426 ©.) Hannover, L. Ehlermann. 18586. 
11!/ı Ser. 

Das Buch befteht aus fünf Abtheilungen; die erfte enthält 100 
Gedichte, die zweite 46 Bilder aus der Natur und der Länder» und 
Bötferfunde, die dritte 54 Bilder aus dem Gewerbsleben und der Nas 
turgefpichte, die vierte 32 Geſchichtsbilder, die fünfte 17 Fabeln, Bar 
sabeln und Erzählungen. Die Auswahl iſt gut. Wir konnen das 





198 Der Lefeunterriäht. 


Buch für die Oberflaffen von Bürgerfchulen und für die mittferen Klaffen 
von Real⸗ und höheren Töchterfchulen empfehlen. 


53. Deutfhed Sprach- und Leſebuch für die Elementarklaſſen der 
Gymnafien und Realfhulen. Bon 3. F. Brandauer, Präceptor am Ads 
‚ nigl. Gymnaſium zu Stuttgart. Dritte, verbeflerte und vermehrte Aufs 
lage. 8. (XXIV u, 328 ©.) Etutigart, H. W. Bed. 1856. 20 Sgr. 
Die erfie Abtheilung (S. 1 —48) diefes Buches enthält eine Gram⸗ 
matit in Beifpielen, ohne grammatifhe Erklärungen; die zweite bildet 
das eigentliche Leſebuch. Wir billigen derartige Beifpielfammlungen, da 
fle die beabfidhtigte grammatifche Erkenntniß erleichtern. Das Leſebuch 
enthält in feinen 230 Rummern einen reihen Schag von guten Ger 
dichten, Erzählungen, Befchreibungen, Räthſeln u. dgl., durchſchnittlich 
dem Alter von 7—9 Jahren angemeffen, jedoch in bunter Folge. Num⸗ 
mer 1 lenkt den Blid auf die Natur; Nummer 2 handelt von den drei 
Naturreichen, ſtellt Eintheilungen und Deflnitionen an die Spige und 
täßt darauf kurze Beichreibungen einzelner Raturförper folgen. Das ift 
nnpädagogifh. Für Kinder diefes Alters gehören nur anfprechende Bes 
i&hreibungen und Erzählungen von Naturförpern, nicht aber Syftematif. 
Sonft fann man das Buch als ganz brauchbar für die Elementarflafen 
von höheren Schulanftalten bezeichnen. Die Ausftattung iR gut, der 
Breis jedoch ziemlich hoch. 


111. Kefebücher für Schullehrer : Seminarien. 


54, Leſebuch für Shulflehrer-Seminarien. Bon H. Fr. Flügge, 
Hauptlehrer am Seminar zu Hannover. gr. 8. (IX u. 290 ©.) Hannos 
ver, C. Meyer. 1856. 15 Sgr. 

Der Herausgeber bezwedt mit feinem Leſebuche Sprach⸗ und Bes 
sufsbildung,, erftere vorherrfchend, und bat darnach feine Auswahl ger 
troffen. Ob Berufsbildung dur ein Leſebuch anzubahnen, oder auch 
nur zu unterflüßen fei, erfheint uns fehr zweifelhaft; Seminariften müflen 
in alle Unterrichtsgegenflände, natürlih au in die Paͤdagogik, fo 
gründlih und umfänglich eingeführt werden, daß fie Die Brudfüde eines 
Xefebuches vollftändig entbehren können. Zu dieſem Zwede find, wenn 
in Surzer Zeit Tüchtiges geleitet werden foll, für jedes Zach befondere 
Schriften erforderiih. Darum würden wir mit einem Lefebuhe für 
Seminariften nur ſprachliche Zwecke verfolgen und dafür unfere beften 
Profaiften und Dichter ausbeuten. Herr Flügge hat das zum Xheil 
auch gethan, doch nicht fo umfänglih, als man erwarten durfte. 
Schiller 3. B. ift mit zwei Meinen Gedichten vertreten, Goethe mit 
fünf und einem Proſaſtück, Lefjing, Klopſtock und Herder gar 
nit. Statt derjelben ftößt man häufig auf Auffäpe von dem auf 
manchen Gebieten mehr ats myftifch fchreibenden Schubert, auf Auss 
züge aus dem „Süddeutſchen Schulboten‘ von 8, Bölter, aus Zahn’ 
„Schulchronik““ und andern Größen zweiten und dritten Ranges. Gin 
nicht kleiner Theil der Stüde if fentimentaler, als es für Seminariften 
reſp. künftige Lehrer gut if! Gern erkennen wir aber an, daß das 


. 


Der Lefeunterricht. 199 


Buch in feinen 217 Nummern auch recht viel Gutes enthält, was ganz 
geeignet if, bildend auf die Seminariften einzuwirken. 

In der Orthographie if der Herausgeber vom Berlömmlichen abs 
gewichen, was dem Bude hier und da den Weg verfperren wird. 

Die Ausflattung if vortrefflih, der Preis mäßig. 


IV. Schriften über den Lefe- Unterricht. 


55. Der Leſebuch⸗Unterricht in der Boltsfhule Lehrplan und 
praftifher Lehrgang in Lehrproben. Erſter Theil: Der Sprachunterricht 
am württembergifchen Leſebuch mis angewandter höherer Lefelehre, Worte 
und Necdtichreibelehre, Satz⸗ und Aluffaplehre für Volksſchulen. Don K. 
8. Weigel, Deran und Bezirksfchulauffeher in Kirchheim u. T. 8. (IV 
u. 256 &. und eine Tabelle.) Stuttgart, Ehr. Belfer. 1856. 22 Ger. 
Schon oben haben wir ung Unerfennend über diefe Anweifung zum 

Gebraudy des mwürttembergifchen Lefebuches ausgefprochen. Der Berfafler 

geht überall von als richtig anerkannten pädagogifchen Grundfägen aus 

und führt den Lehrer fo weit durch directe Belehrung und ausgeführte 

Lehrproben in das Weſen der Sade ein, daß er, nad ordentlichen 

Etudium der Schrift, im Stande fein wird, einen guten Sprachunter⸗ 

riht zu ertheilen. Aus diefem Grunde empfehlen wir das Buch auch 

Lehrern, Die nicht auf das württembergifche Leſebuch angewiefen find, 

zum Gebrauch. 

56. Ueber das Leſenlehren; ein Bortrag, in der Lehrer» Konferenz am 
21. Mai 1855 im Königl. Seminar zu Ungerberg gehalten vom Director 
Hagelweide. 8. (64 ©.) Angerberg, Gräfe und —* 1856. 5 Sgr. 
Dies Schriftchen ging uns erſt zu, nachdem wir unfere Arbeit fiber 

das Leſen bereits vollendet hatten; wir haben es Daher in dem allge 

meinen Theile derfelben nicht benutzen Lönnen. 

Der Berfaffer verbreitet fih mit großer Sachkenntniß über den 
Leſeunterricht, am ausführlihflen über den erſten; von der Behandlung 
der Leſeſtücke in der Oberklaffe iſt nur in einer Nachſchrift die Rede, 
doh fo, daß der denfende Lehrer daraus das richtige Verfahren aus» 
zeichend kennen lernen Tann. Mit Rüdfiht auf die Provinz, in der 
der Verfaffer wirft, beleuchtet er die Vortheile, weldhe das Lautiren dem 
Buhfabiren gegenüber gewährt, ausführlicher, als es bei uns, wo 
bereits überall fautirt wird, für Lehrer nöthig geweien wäre. In Bes 
treff des Lehrverfahrend erflärt derſelbe fih für das ſynthetiſche, mit 
der richtigen Belhränfung jedoch, daß die Kinder die Laute zunächſt 
aus vorgefprochenen Sätzen kennen lernen. Den Gebrauch der jepigen 
Rejetafeln verwirft er, meil ihr Stoff ohne Inhalt iſt, nur Lefefertigfeit 
bezweckt; um fie entbehrlich zu machen, empflehlt er, mit der Schteid« 
färift zu beginnen, ein Verfahren, dag bekanntlich auch aus andern, 
höheren Gründen den Vorzug verdient. 

Das ganze Büchlein if voll gefunder Anfihten über das Leſen, 
weshalb wir es namentlich angehenden Lehrern beftens empfehlen. 


IV, 
Schreiben. 


gon 
Auguſt Luben. 


I. Grundſätze. 


Der Schreibunterricht hat in den letzten 10 bis 15 Jahren eine 
vollſtaͤndige Umgefaltung erfahren; überall, wo man auf den Fortihritt 
achtet, iſt an die Stelle des Einzelunterrihts, des Schreibens nad) 
Borfäriften, der gemeinfame, der Klaffenunterricht getreten, mit dem 
man zwedmäßig das Zaktfchreiben verbindet. Ebenſo ift die Solirtpeit, 
in die der Schreibunterricht gelommen war, aufgegeben worden; es 
wird jept fehr allgemein auf der unterfien Stufe Das Schreiben mit 
dem Leſen innig verbunden, und fpäterhin tritt es in den Dienf des 
Spradhunterrichts, namentlih der Orthographie. 

In diefem Sinne find faſt alle Aufſätze und Schriften des Jahres 
1856 gehalten, fo weit fie die Methode betreffen. Es liegen uns vor: 

1. Dietlein, Wegweiſer für den Schreibunterriht. Leipzig. 1856. 

2. Das Schreiben in der Schule. Bon A. Hanſen in Üeterfen. 
Fcyr pitung für die Herzogthümer Schleswig ꝛc. von Sönkſen. 1856. 


Fe Ueber den Schönfhreibunterriät. Bon 3.3.8. BPädagogifche 
Noꝛateſchrift für die Schweiz. Bon Grunholzer und Zähringer. 1856. 

e 

4 Zwölf Regeln für den Schreibunterriht. Schulblatt für die 
Provinz Brandenburg. 1856. 9. u. 10. Heft. 

5. Kritifche Blide auf den Schreibunterriht, wie er noch häufig 
in der Volksſchule befteht. Braunſchweigiſcher Schulbote. Bon Schmidt. 
1856. Nr. 8. 

6. Schreiben. Bom Schulinſpector Kettiger. -Pädag. Monatsiär. 
f. d. Schweiz. 1856. 2, Heft, 


Schreiben. 201 


7. Gedanten und Bemerkung über den Schoͤnſchreibunterricht in 
mehrklaffigen Bollsfhulen. Bon F. Wagner. Medienburgifhes Schul⸗ 
biaft. 1856. Mr. 32 u. 38. 

8. Eine pädagogifche Schreibſtunde in einer getrennten Mittelflafle. 
Bon G. Knabe in Stadt Sulza. Bolfsfchulblätter von Laudhard. 
1856. Rr. 3 u A. 

9. Weber den Kanzlei» oder fogenannten fähfifchen Ductus. Bon 
8. Zſchille. Sächſiſche Schulzeitung. 1856. Nr. 19. 

10. Beichaffenheit der Schrift im @lementarunterriht. Bon K. 
ZIHille. Allgemeine deutfche Lebrerzeitung. 1856. Nr. 22. 

14. Mittheilungen über einen von dem ‚„Pädagogifchen Bereine in 
Dresden‘ beratbenen Schreibductus. Vom Oberlehrer Graf in Dresden. 
Sidi. Schulz. 1856. Nr. 32. 

12. Richtige und fhöne Buchſtabenformen. Bon Dr. C. Michelſen. 
Bolfefhuiblätter. von Lauckhard. 1856. Ar. 8 

13. Das Schreiben auf Schiefer in der. Volksſchule. Bon 2, 
kangenhahn. Sächſ. Schulz. 1856. Nr. 1. 

14. Meber den Gebrauch der Stahlfeder. Bon O. Körting in 
Dresden. Sächſ. Schulz 1856. Nr. 13. 

15. Ein Wort über Anwendung der Stahlfeder in der Schule. 
Bon 3.3. Schlegel in St. Gallen. Pädag. Monatsſchr. f. d. Schweiz. 
1856. 31. Heft. 

16. Die Stahlfeder in der Schul. Bon ©. B. Allgem. d. 
Lehrerzeitung. 1856. Nr. 52. 

17. Körperhaltung beim Schreiben. Bon Haufhild in deflen: 
Leipziger Blätter über Erziehung und Unterriht. 1855. 


1. Nutzen des Schreibunterriähts. 


Im Brandenburger Schulblatt wird a. a. ©. in Bezug auf den 
formellen Nutzen des Schreibunterrichts gefagt: 

a. Der Einn für Schönheit, Ordnung, NReinlichfeit wird gewedt. 

b. Die genaue Befolgung deffen, was die Vorſchrift gebietet, if 

eine Webung in Selbfiverleugnung und Gehorfam überhaupt. 

Gegen die erfle Behauptung it natürlich nichts einzuwenden und 
Acht nur zu wünfchen, daß die Lehrer fich diefes Zwedes ftets bewußt 
bleiben, namentlich anf Reinhaltung der Bücher fehen. Lehrer Th. Get⸗ 
tinger theilt im „Defterreichifhen Schulboten, 1856, Nr. 11, mit, 
wie er es anfange, um diefe Aufgabe zu löfen. Wie andere Lehrer, fo 
behält auch er die Schreibhefte in der Schule, läßt fie mit Umfchlägen 
und Löichblättern verfehen, ertheilt aber außerdem „für jedes matellos 
voßigefchriebene Heft eine Heine Belohnung, für unrein gehaltene oder 
nachlaͤffig geichriebene Hefte eine entfprechende Strafe Worin Beloh⸗ 
ung und Strafe befichen, wird nicht angegeben; gehen Diefelben über 
tin anerfennendes oder tadelndes Wort hinaus, was der Fall zu fein 
ſheint, dann würden wir uns kaum mit dieſem Berfahren einverfanden 
erllaͤren Tönnen, 





202 Schreiben. 


©. Knabe aa. O. fagt: „Much für Erziehung und Gewöhnung 
it die Schreibftunde von nicht geringen Nupen. Gleich zu Anfangs 
des Schuljahres in der erſten Schreibſtunde ſage ich zu den Kindern: 
„„Wer einen Fehler oder einen Klex macht, ſage mir's gleich ſelbſt 
laut und offen, dann hat er Verzeihung zu hoffen, im Gegentheil eine 
Strafe zu fürchten.“ Dies einfache Mittel iſt von großem Gewinne.“ 
Damit find wir einverflanden. 

Der unter b. angegebene Erfolg ift — fehr weit hergeholt, chi⸗ 
märiſch. Gehorſam und Selbſtverleugnung haben einen andern Boden. 
Es taugt nichts, wenn man mehr von dem Unterricht erwartet, als er 
wirklich leiſten kann. 


2. Zweck des Schreibunterrichts. 


Dietlein giebt als erſten Zweck des Schreibunterrichts an: Die 
Schüler zu befähigen, eine feſte, deutlihe, ſchöne Handſchrift zu 
fhreiben. Nah und nad follen aber die Schäler auch dahin gelangen, 
daß fie ſchnell fchön ſchreiben. Schreibkünfteleien bleiben vom Ynters 
richt ausgefchloffen. 


8. Anforderungen an den Schreibſchuͤler und den Schreiblebrer. 


Beim Schreibſchüler ſetzt Dietlein voraus: 1. Eine gefunde 
Hand. 2. Ein gefundes Auge und richtiges Augenmaß. 3. Empfäng- 
lichkeit und Sinn für das Schöne und Gefchmadvolle. 4A. Einen feſten 
Willen und eine gründliche, geregelte und beharrliche Webung. 

Kann man das Alles beim fechsjährigen Elementarfchüler voraus⸗ 
fepen? Nein; man muß vollfommen zufrieden fein, wenn Sand und 
Auge gefund find. Alles Uebrige foll in der Schule exit gewedt und 
gebildet werden. . 

Vom Shreiblehrer wird verlangt: 1. Eine einfache, gute, regel- 
mäßige, (mo möglich) fehöne Handſchrift. 2. Ein umfichtiges Auge und 
ein fchneller Ueberblid. 3. Eine unermüdliche Ausdauer und Beharr⸗ 
lichkeit. A. Eine Genauigkeit, welcher ſelbſt die ſcheinbarſte Kleinigkeit, 
fofern fie zum Weſen der Sache gehört, nicht zu gering fcheint. 

Mit diefen Forderungen fann man fi wohl einverfianden erflären. 
" Wir würden nod die unter Ar. 2 und 3 dem Schüler geftellte Forde⸗ 
rung hinzufügen und Nr. 4 fo formuliren: Feh Wille, niemals in 
den Schreibſtunden ſich mit Nebendingen, z. B. Leſen von Journalen, 
Corrigiren von Aufſätzen u. ſ. w., beſchaͤftigen zu wollen.“ 


4. Objeet des Schreibunterrichts in der Volksſchule. 


Die deutſche Currentſchrift, die engliſſche (lateiniſche) Cur⸗ 
ſivſchrift und die Ziffern. 

Diefe Anforderungen werden wohl allgemein gemacht. F. Wagner 
a. a. D. hält jedoch die Tateinifhe Schrift für Schulen, ſelbſt für 
Stadtſchulen, in denen Beine fremden Sprachen gelehrt werden, für ente 
ehrlich und möchte fie nur fo weit berüdfichtigt fehen, als zur Zejen 


Schreiben. 203 


fertigfeit erforderlich if. Kür einklaſſige Elementarſchulen in fehr bes 
ſchränkten Verhältniſſen ließe ſich gegen dieſe Forderung nicht viel eins 
wenden; in Gtadifchulen aber fann man von diefer Schrift nicht abs 
ſehen, da fie im gewöhnlichen Leben eine zu große Anwendung findet, 
Für ſolche Schulen empflehlt fi fogar einige Uebung im Schreiben der 
gothifhen und anderer Kunftfchriften. 


5. Eigenfhaften einer guten und ſchönen Handſchrift. 


Dietlein fordert: 1. Einfachheit. 2. Megelmäßigkeit. 3. Conſe⸗ 
quenz der Schrift und ein beftimmter Charakter. 4. Deutlichkeit. 5. Freie 
beit (Leichtigkeit) und Reinheit. 6. Anmuth und Wohlgefälligfeit. 

Diefen Zorderungen entfpriht wohl am meiſten der fogenannte 
Hinrigs’fähe oder preußifhe Ductus, der fih nah und nah wohl zum 
deutfchen erheben wird, Die fächfifchen Lehrer fireben eine Vereinigung 
des fächfifchen und preußifchen Ductus an. Sie fordern außer der 
„leichten - Herflellbarkeit der Schrift,” daß fich diefelbe „bei fchwerer Are 
heit lange Zeit nach dem Austritt aus der Schule noch deutlich und 
leferliy erhalte,’ und glauben, daß Legteres dem fefteren fächfifchen 
Ductus mehr nachgerühmt werden konne, als dem flüchtigeren preußi⸗ 
ſchen. Vergl. Rr. 32 der ſächſ. Schulzeitung. Bichille a. a. O. vers 
langt für die Anfänger eine einfachere, edigere Schrift, da die runderen 
Formen bed preußiſchen Ductus zu fhwierig fein. Als Uebergang zu 
dieſem Ductus betrachtet er die englifche Schrift. Die Begründung feiner 
Anſicht Kat uns nicht von der Richtigkeit derfelben überzeugt. Wir 
halten. den preußiſchen Ductus nicht für zu ſchwer für Anfänger, Dazu 
fommt noch, daß es Immer eine bedenkliche Sache bleibt, Formen eine 
juüben, die fpäter als unfchön müſſen fallen gelaffen werden. 

Auch Dr. Michelſen a. a. DO. unterfcheidet zwifchen richtigen 
und fhönen Buchſtaben und will beide lange Zeit fiteng auseinander 
gehalten willen. In feinen ‚richtigen‘ Buchflaben berricht, befonders 
m den ‚ Grundbuchſtaben“ (alle Buchſtaben von Grundfirichhöhe), die 
gerade Linie und das Geige vor. Die Einübung erfolgt zwifchen einem 
Liniennege, das durch fenkrechte Striche in Quadrate geiheilt if, in 
weiche die einzelnen Buchftaben gefchrieben werden. Die Unterſcheidung 
wilden richtigen‘ und „ſchönen“ Buchflaben erfcheint uns nicht recht 
paſſend, da der fchöne Buchſtabe ohne Frage auch der richtige if; 
„richtig“ ſcheint bier mit fleif und unangenehm edig gleichbedeutend 
zu jein. 

A. Hanfen a. a. ©. verlangt: „Es ift dafür zu forgen, daß 
bei jedem einzelnen Schüler die Handſchrift einen individuellen Typus 
belomme.“ 

Der Typus der Handſchrift geht, wenn nicht aus dem ganzen 
Belen des Menſchen, fo doch gewiß aus ber Feder⸗ und Körperbaltung 
des Schreibenden hervor, ſtellt fi daher von ſelbſt ein, oft in uns 
angenehmer Weiſe; ihn herbeizuführen, if eben fo unmöglih als 
annöfhig. 


204 | Schreiben. 


6. Hülfsmittel zum Schreiben. 

a. Schiefertafel. Langenhahn a. a. O. tadelt das Schreiben: 
auf Schiefer, da die Kinder ſich dadurch an ein flarkes Aufdrüden und 
„ruſcheliges““ (leichtfinniges) Schreiben gewöhnten, Letzteres, weil miße - 
rathene Buchſtaben leicht entfernt werden koͤnnen. Könne aber diefe Urt 
des Schreibens nicht befeitigt werden, fo möge man fie möglihf ver⸗ 
fürzen, für arme Kinder Unterſtützungskaſſen gründen. 

In ähnlicher Weife fpricht fih Kettiger a. a. DO. aus. „Griffel 
und Zafel,' fagt er, „Toll es anders fommen mit dem Schreibunterricht, 
müflen im Gebrauche und befonders bei den Webungen im Schreiben 
vom 3. Jahre an fehr beichränkt werben.‘ 

Wir geben zu, daß das Schreiben mit dem Schieferſtift das zu 
ſtarke Aufdrüden befördert, find aber doch der Meinung, daß man vor 
Ablauf des erfien Schuljahres nicht zum Schreiben mit der Feder fchreis 
ten fann, und zwar mit Rüdfiht auf die unfehlbar eintretende Beruns 
reinigung der Hände, Bücher und Kleider. In Schulen mit armen 
Kindern kann auch zwei Jahre auf Schiefer gefchrieben werden; nur halte 
man mit Strenge darauf, daß die Stifte lang und lang zugefpiht find. 

Dietlein fagt: „Das Schreiben der Schüler mit Feder und 
Dinte wird in bei weitem häufigeren Fällen verfrüht-, als verfpätigt.’ 
Rah ihm fol die Elementarklaffe einer zweiklaſſigen Volksſchule nur auf 
Schiefer fhreiben. Das ift zu lange. 

b. Federſpule und Stahlfeder. Dietlein verlangt, daß 
der Schüler bis zum vollendeten zehnten Lebensjahre mit der Federſpule 
ſchreiben ſolle, weil zur Einübung der Grundzüge wie überhaupt ber 
Buchſtabenformen nur eine Feder tauge, die weder zu hart noch zu 
weih ſei. Bon da ab aber if er entichieden für den Gebrauch der 
Stahlfeder. 

G. B. wuͤnſcht die Stahlfeder auf die Oberklaſſe beſchränkt zu ſehen, 
weil es ſich mit der Spule leichter ſchreibe und man beim Unterricht 
dem Fortſchritt vom Leichtern zum Schwerern Rechnung tragen müſſe. 

Kettiger „möhte für Schüler noch immer die Kielfeder vor⸗ 
ziehen. 93. 3. B. (Pädag. Monateihr. f. d. Schweis), O. Kör⸗ 
ting, 3. 3. Schlegel u. A. find für den unbedingten Gebrauch der 
Stahlfeder. Kür die Stahlfeder wird' angeführt :- 

1. Vollkommne Tauglichkeit zur Darftellung aller Schreibübungen 

und einer guten SHandfchrift. 

2. Beiterfparniß für den Lehrer, unter Umfänden auch beim Unters 

richt ſelbſt. 

3. Größere Billigkeit. Nach einer Mittheilung in Nr. 35.der ‚Allgem. 

deutfchen Lehrerzeitung“ verhält fih der Preis der in den Schu⸗ 
Ien verbrauchten Stahifedern zu dem der Federſpulen etwa wie 
11 zu 25. In Nr. 18 der Sächſ. Schulzeitung wird be- 
fchrieben, wie man untauglih gewordene Stablfedern mittelſt 
einer Zeile und eines Schleifſteins wieder verbeflern kann. 
. Bir Binnen das Angeführte beftätigen; in den hieſigen Schulen 
wisd feit 1850 ganz allgemein mit Stahlfedern gefchrieben, und mit 


Schreiben. | 203 


gutem Erfolg, Natürlich müffen aber die Lehrer auf gute, nicht zu 
barte Stahlfedern Halten. Schlegel empfiehlt für Anfänger Federn 
nit breiten, für Geübtere mit mittelbreiten Spitzen. Ebenſo hält er 
die mittelmeichen für die zwedmäßigften. Werden diefe Winke beachtet, 
fo braucht man nicht, wie Dietlein will, die Kinder erſt vier Jahre 
lang mit Spulen fchreiben zu laflen. 

e. Dinte Dietlein giebt zum Schluß feines Werkes das 
Retept zur ächten Alizarins Dinte an; das preußifche Quart kommt das 
nah dem Seldftverfertiger auf 5 Sgr. zu fliehen. . 


7. Feder⸗ und Körperhaltung. 


Hierüber fpriht ſich Dietlein ausführlih und angemeffen aus. 

Hauſchild a. a. D. widmet der Körperhaltung einen befondern 
Artifel und fordert. die Lehrer auf, fehr achtfam darauf zu fein, erfors 
derlichen Falles firafend einzufchreiten, durch die Genfur auch die Eltern 
vom ſchlechten Sipen ihrer Slinder beim Schreibunterridht aufmerffam 
zu machen. 

Ohne gute Federhaltung giebt es Feine gute Schrift. Der Gegen, 
Rand if wichtig, wird aber oft fehr vernachläffigt. 


8. Borübungen. 


Dietlein empfleblt einige Borübungen, warnt aber vor dem Zur 
viel, namentlich vor den Carſtair'ſchen Uebungen, die oft fchwerer feien, 
als vie Buchſtaben ſelbſt, und fi hoͤchſtens für ſauigraphen von Fach 
eigneten. Seine Uebungen find: 

a. Reine Fingerbewegung mit feſtſtehender Hand. 

b. Reine Fingerbewegung mit ſteter Fortbewegung des Armes und 

der Sand. 

e. Das ftete Berbinden der Buchſtaben zur Bildung der Arm⸗ 

bewegung. 

d. Das Großſchreiben der einzuübenden Buchftaben zur Bildung 

der Sande», fpäter der Armbewegung. 

e. Das Weben der Grundzüge der Schrift. 

Das Nähere hierüber if in feinem Werke nachzulefen. - 


9. Die Ormbzäge e der Schrift⸗Alphabete, Anſchauen, Auffaſſen, 
enennen und Ueben derſelben. 
.Hierüber und über Verwandtes ſpricht ſich Dietlein im X. Abs 
ſchnitt ſeiner Schrift ausführlich und vollkommen befriedigend aus. Die 
ſeinem Werke beigegebenen Vorſchriften beziehen ſich hierauf. 


10. Das Sqhreiben auf Linien. 


Hierüber geben die Anfichten der Schreiblehrer fehr auseinander. 
Dietiein hält Linien für durchaus nothwendig und will die Erfah, 
zung gemadt haben, daß Schüler, die 'von Anfang an ohne Linien 
Ihrieben, viel fpäter gerade und regehmäßig fchreiben lernten, als folche, 


200 Schreiben. 


bie fi) der nöthigen Linien bedienten. Er fordert für den Anfang die - 
befannten vier wagefechten Linien (zwei enge ober die untere und obere 
Grundlinie, eine Hochs und eine Tieflinie) und fchräge Richtungss 
linien, drei in jedem Linienſyſtem. Die Grundzüge der zu erlernenden 
Buchſtaben läßt er aber von Anfang an auf einem Probeblatte ſtets 
ohne Linien üben. Die Frage, wie lange die feflgefeßten Hülfslinien 
gebraudyt werden follen, beantwortet er folgendermaßen: „Sobald nun 
die Schreibfchüler die Formen der Buchſtaben des Alphabets im Kopfe 
und in der Hand haben, und diefelbe mit einem feften, fihern uud ges 
läufigen Zuge der Feder zu fchreiben im Stande find, werden ihnen 
nah und nad die Hülfslinien genommen, zunächſt die Richtungslinie, 
dann die obere Grundlinie und hierauf die Hochs und Tieflinie Die 
untere Grundlinie fällt erfi im lebten Kurfus weg. Das Schreiben ohne 
Linien bildet den Schlußſtein des Schreibunterrichts in der Volksſchule.“ 

Zſchille läßt ein Liniennetz conſtruiren, nach welchem verſchobene 
Vierecke für die Buchſtaben gebildet werden, Michelſen, wie ſchon bes 
merft wurde, Quadrate. 

Beides müflen wir nah unfern Erfahrungen nicht nur für völlig 
überflüffig, fondern fogar für fchädlih halten. Ein Kind, deffen Feder- 
bewegungen fo eingefchnürt werden, achtet viel weniger auf die wahren 
Derhältniffe und Stellung der Buchſtaben, als ein foldes, das aus 
Mangel an Linien genöthigt ift, hierauf feine ganze Aufmerkfamfeit zu 
richten. Kinder mit gutem Auge bedürfen gar feiner Linien; ſolchen 
mit wenig gebildetem Auge möge man für das erfte Jahr eine Grund⸗ 
linie geſtatten, diefe aber nichtemit einem Meſſer einriken, fondern von 
Kinde felbf mit einem Lineal ziehen laffen, weil dadurd das Auge ges 
bildet wird. Die dabei entfehenden einen Störungen find nicht von 
Belang. Stellen einzelne Kinder die Buchſtaben ſenkrecht, fatt ſchräg, 
fo gewähre man ihnen vorübergehend einige Hülfen, erwarte aber die 
Aenderung der Sauptfahe nah von der richtigen Anſchauung der 
Buchſtaben. 


11. Correctur des Geſchriebenen. 


In früherer Zeit, wo jedes Kind eine beſondere Vorſchrift erhielt, 
ſetzte ſich der Lehrer an ſeinen Tiſch oder auf das Katheder, ließ etwa 
in der zweiten Hälfte der Stunde ein Kind nach dem andern vorkommen, 
ſahe deſſen Schrift an, beſprach das Falſche und ſchrieb das Richtige 
mit rother Dinte daneben, die Aufforderung hinzufügend, dieſe Buch⸗ 
ſtaben beſonders zu üben. Auf dieſe Weiſe ereignete es fih, daß er 
über ein falfch gefchriebenes r fich in einer halben Stunde dreißig⸗ und 
nod mehr mal ausfprehen mußte, ohne in der nächſten Schreibſtunde 
vor der Wiederholung diefer Belehrungen gefichert zu fein. Gewiſſen⸗ 
bafte Lehrer nahmen auch wohl die Schreibbücder mit nah Haufe und 
führten die Gorrectur dort aus, was gewiß wenig Erfolg hatte. 

Gegenwärtig fordert man mit Recht, daß alle Kinder einer Klaffe 
oder einer Abtheilung daffelbe fehreiben, die Vorfchrift alſo an der Schuls 
tafel haben, oder nah Wandtafeln, wie die Decker'ſchen, fchreiben, Der 


‚Schreiben. 207 


Lehrer geht während des Schreibens zu den Sindern, achtet auf die 
von ihnen gemachten Fehler und bringt vorzugsweife ober zunächſt die 
zur Sprache, welde von mehreren gemadt werden. Die Berbefferung 
iR alfo eine allgemeine, wird vor der ganzen Klaſſe ausgeführt und 
durch fofort eintretende Uebungen für die Zufunft möglihft unnöthig 
gemacht. Zur Teichtern Ausführung der Gorrectur verlangt Dietlein 
beftimmte Benennungen der Buchflabentheile, worin wir ihm beiflinmen. 


12. Das Taktſchreiben. 


Das Taktichreiben findet immer mehr Anerfennung. Ganz ents 
fhieden für daffelbe fprechen fih aus: Dietlein, Wagner, Knabe, 
Michelfen, der ungenannte Berfaffer im Brandenburger Schulblatte 
u. A., zn denen auch wir gehören. Für. die Oberklaſſe hört das ges 
meinfame Taktiren natärlig auf; die Kinder müffen bis dahin fo weit 
selommen fein, für fih im Takte und nah einem vom Lehrer anger 
gebenen Zempo zu fchreiken. Weber das Zählen beim Taktſchreiben if 
man noch nicht einig.“ Dietlein fpricht fih hierüber ausführlich aus 
und empfiehlt, bei jedem Buchflaben oder Worte fo viel Zafttheile zu 
zählten, als fie Grundzüge oder Stärken haben. Der Berfafler des mit 
I. 3 B. (Bädag. BI. f. d. Schweiz) unterzeichneten Aufſatzes verwirft 
das Zaftfchreiben für die Volksſchule, während er es höheren Anfalten 
und für den Privatunterricht empfiehlt. Die Erfolge, die man dem 
Taktſchreiben in der Volksſchule nachrühmt, hält er nur für fcheinbare; 
man würde fie bei gebörigem Fleiße auch ohne Zaftiren erreicht haben. 
Die unbequeme, forcirte Haltung, der Zwang in der Hand, die pein⸗ 
lihe Rube, welche erforderlich if, find ihm befonders zumider. Seine 
Forderung für den Schreibunterricht lautet: „Noͤthige deinen Schüler 
zur geeigneten Haltung des Körpers und der Feder, gieb ihm gute 
Schreibmaterialien, und laß es dich ja nicht verdrießen, die Kalligraphie 
als ſtrengſten Individualunterricht aufzufaffen, d. h. Dich in jeder Schreib« 
Runde mit jedem Einzelnen zu befhäftigen. Es genügt nicht, den 
Kindern nur an die Wandtafel vorzufchreiben oder Vorlagen auszus 
tbeilen, und die falligraphifchen Webungen als flille Beichäftigung einer 
Klaſſe zu betrachten. Es genügt nicht, am Ende der Schreibfiunde 
ſchnell die Hefte der Kinder anzujehen, Unreinlichkeit und Sudelei oder 
Ungeichidlichkeit zu tadeln oder nad) Taxe zu ſtrafen; fondern es ift 
dringend nothwendig, daß der Lehrer während der ganzen Unterrichts» 
Bunde auch mit feinem ganzen Selb, und zwar mit einem fehr ges 
duldigen Selbſt die Schreibenden beauffichtige und corrigire.‘ 


18. Lehrgang ded Schreibunterrichts in der Elementarklaſſe. 


Dietlein ſtellt hierfür folgende, bereits ziemlich allgemein aners 
lanunte Grundſätze auf: 
a. Alles, was der Elementarſchüler ſchreiben ſoll, muß er zuvor 
fpregend geübt oder ſprachlich angewandt haben. 
b. Der Schreibſtoff muß ſtets mit dem keſeſof identiſch ſein. 


Pd 


208 Schreiben. - 


c. Wähle bei dem erſten Unterrichte im Schreiben ſtets nur Eine 
Form, und zwar die einfahfte für ein und benfelben Buch⸗ 
ftaben. 

d. Gieb flets den Schülern beim erfien Schreibunterricht nur Ein 
Beihen für zwei gleih, oder ähnlich Plingende Laute Erſt 
wenn ihr Auge und ihr Schriftgefühl in dem Einen ſicher ind, 
darf der zweite, reſp. der britte folgen. 

e. Sude durch verfchiedene, zwedentfprechende Uebungn — die 


ſtets neben einander anzufellen find? — ben Elementarſchüler 
von vorn herein zum Schreiben im weiteſten Sinne des Wortes 
zu bringen. 


14. Lehr⸗, Unterrichts- und Uebungsſtoffe zum Schreiben ind Heft. 


Als oberſten Grundſatz ſtellt Dietlein auf: „Man ſuche durch 
den zu gebenden Stoff zum Schreiben, ſo viel nur immer thunlich, für 
den geſammten Sprachunterricht ergänzend, urterſtützend und fördernd 
zu wirken!‘ Wie diefem gatiden Grundfage nachzukommen, zeigt er 
fpecieller in feiner Schrift And liefert in einem „Lehrgange“ das volle 
Material dazu. Befondere Anerkennung verdient die Nüdficht, welche 
er der DOrthographie widme. Wir machen die Lehrer hierauf ganz bes 
fonders aufmerffam. 


15. Verteilung des Lehrftoffes für die verfchtedenen Arten der 
chulen. 


Dietlein vertheilt in ſeiner Schrift den Stoff für eine ein⸗, 
zwei⸗, vier⸗ und achtklaſſige Schule, giebt auch Rathſchläge für höhere 
Schulanftalten und Seminare. Wir fkigziren diefe Bertheilung kurz. 


A. Kür die einflaffige Volkoſchule. 


Er theilt die Schüler in drei Sauptabtheilungen, und empflehlt 
die Benugung der größeren Kinder zu Helfern. 

3. Abtheilung. Kinder von 5— 8 Jahren. Das Tleine und 
große Alphabet der deutfchen Eurrentfhrift und die Ziffern. Wöchent- 
lid A Stunden. Gebrauch der Schiefertafel. 

2. Ubtheilung. Kinder von 8— 12 Jahren. Erſtes Jahr: 
das deutfche Alphabet und die Ziffern. Zweites Jahr: das enalifche 
Alphabet. Drittes Jahr: wie im erfien. Wöchentlih 2, höchſtens 
3 Stunden. Papier und Feder. 

1. Abtheilung. Kinder von 12— 14 Jahren. Uebungen im 
Schnellſchoͤnſchreiben, abwechſelnd im Schreiben wirklich guter Borfchriften 
mit fprachlihem Inhalt. In Ermangelung derfelben: Abfchreiben von 
Druckſchrift, und zwar muftergüftiger Meiner Auffäge, namentlich: Rech⸗ 
nungen, Quittungen, Briefe u. |. w., Gedichte, Bibelfprüde u. f. w. 
Woͤchentlich 1 Stunde. 


Säreiben. 209 


B. Zür die zweiklaſſige Volksſchule. 


„2. Klaſſe. 3— 4A Ubtheilungen. Durdgängig Schreiben auf 
der Schiefertafel. Das Heine und große Alphabet der deutſchen Current 
und die Ziffern in den untern Abtheilungen; die Schüler, welche im 
dritten Schuljahre ſtehen, fehreiben das Alphabet der engliſchen Curſiv⸗ 
Schrift, "gerade zu der Zeit, wo file im Lefen die engliihe Drudicrift 
zugleich mit dem Buchflabiren zufammen erlernen. Wöchentlih A Stunden. 
Schüler von 6—9, refp. 10 Jahren.‘ 

Schreib⸗ und Lefeftunden follen auseinander gehalten, für ſich ges 
geben werden. „Wenn gefchrieben wird, fchreiben Alle; das Lefen des 
Geſchriebenen ift damit nicht ausgefchloffen, vielmehr find die Helfer 
fiteng angewiefen, jeden Schüler das, was er gefchrieben hat, aud 
lefen zu laſſen. Wenn gelefen wird, Iefen Alle. Das Kopflautiren und 
Glementiren der Wörter, das die Helfer während der Lefeftunden fleißig 
betreiben muͤſſen, ift zugleich wieder das natürlihfte Band zwiſchen 
diefen beiden fo eng verwandten Thätigkeiten. Aeußerlich getrennt, bleiben 
fie, alfo betrieben, ſtets innerlich eng verbunden.” 

„1. Klaffe. 2 Abtheilungen. Echreiben mit Feder und Dinte 
auf Papier. Die 2. Abtheilung betreibt den Echreibunterridyt ganz wie 
die Mittelflaffe der ungetheilten Volksſchule. Abwechſelnd 1 Jahr deutfche, 
1 Jahr englifhe Schrift. Wöchentlid 2 Stunden. 1. Abtheilung. In 
derfelben figen nur diejenigen Schüler, welche nad 2 oder mehr Jahren 
ſich eine deutliche, gute Handfchrift angeeignet haben. Woͤchentlich 
1 Stunde. Die zweite Stunde können die Schüler diefer Abtheilung 
zum Anfertigen fchriftliher Auffäbe ze. nah Maßgabe des deutſchen 
Sprahunterrichts benutzen.“ 

In einer Anmerkung hierzu bezeichnet Dietlein Goltzſch's Anords 
nung, für die Oberflaffe gar Feine Schreibftunden anzuſetzen, als extrem. 


C. Für eine vierflaffige Bürgerfähule. 


4. Klaffe. Das kleine und große deutfche Alphabet nebft den 
Ziffern auf der Schiefertafel. Kinder von 6—8 Jahren. Wöchentlich 
4 Stunden. 2 Abtbeilungen. 

3. Klaffe. Schreiben im Iinürten Hefte. Aljährlih das Peine 
und große Alphabet der deutfchen Current nebft den Ziffern. Rur 1 Abs 
theilung. Wöchentlih 3 Stunden. Schüler von 9— 10 Jahren. 

2. Klaffe. Das englifhe Alphabet alljährlih. Die übrige Beit 
Uebungen in der deutfchen Eurrent mit obligaten Uebungen im Schnells 
ſchönſchreiben. Ebenfalls nur 1 Abtheilung. Wöchentlih 2 Stunden. 
Kinder von S— 12 Jahren. 

1. Klaſſe. 1 Stunde wöhentlih. Schüler von 12 — 14 Jahren. 
Eiche die 1. u. 2. Klaffe einer achtklaffigen Bürgerfchule. 


D. Für eine ahtflaffige Bürgerfäule. 


8. Klaffe. Das Heine deutfche Alphabet und die Ziffern auf ber 
Schiefertafel. ZTäglih 1 Stunde. 
Rade, Jahresbericht. X. 14 


210 Schreiben. j 


7. Klaffe. Das große dentiche Aphabet, ebenfalla noch auf der 
Schiefertafel. Wöchentlid 4 Stunden. 

6. Klaffe. Schreiben im liniirten Hefte. Zunaͤchſt Vorüdungen 
mit Zeder und Dinte auf Papier, hierauf das Heine und große Alpha⸗ 
bet der deutfchen Current nebft den Ziffern. Wöchentlih 4 Stunden, 

3. Klaffe. Das Heine Alphabet der englifhen Gurfivfchrift, ab» 
wechfelnd mit Uebungen in der angewandten deutfchen Current. Buch⸗ 
flaben, die hierbei im Allgemeinen fehlerhaft und fchlecht gefchrieben 
werden, find noch einmal, ganz wie in Kaffe 6 zu lehren und zu 
üben. Wöchentlih 3 Stunden. . 

4. Klaffe. Das große englifche Alphabet. 2 Stunden wöchents 
ih. Die Hälfte der Zeit Anwendung der deutfchen Current. Ders 
befferung und Vervolllommnung. Im Uebrigen wie in Klaſſe 5. 

3. Klaffe. Mebungen in beiderlei Schriftarten der Eurrents und 
Curſtvſchrift, theils nach vom Lehrer an die Wandtafel gefchriehener, 
theils nach geiftiger Vorfehrift der Schüler. Hebungen in Schnellfchön. 
fhrift. Hierbei Wegfall der Hülfslinien bis auf die untere Grundlinie, 
. ferner Beofall des lauten Taktirens. Der Lehrer giebt nur noch beim 
Anfange der Zeile das Tempo an, in welchem gefchrieben werden foll, 
und fieht fireng darauf, daß alle Schüler zu gleicher Zeit mit dem 
Schreiben der Belle fertig werden. Wöhentlih 2 Stunden. 

2. Klaffe. 1 Stunde wöchentlid. 1. Uebungen im Schreiben 
ohne alle Linien. 2. Schreiben nach guten Borfchriften. 3. Schreiben 
frembartiger Alphabete, aber ja nicht zeichnen, fondern fchreiben mit. 
freiem Zuge der Hand. Selbſt in Mädchenfchulen ift dies hoöchſt nuͤtz⸗ 
lich, da fle fpäter im praftifchen Leben beim Wäfchezeichnen, Stiden zc. 
davon wefentliche Bortheile genießen fünnen. 

1. Klaſſe. Gar keinen Unterricht mehr im Schoͤnſchreiben, oder 
wenn er einmal fein foll und muß, Fortſetzung deſſelben aus ber 2. Klaſſe. 


16. Probeſchriften. 


Gine Probeſchrift iſt nach Dietlein eine vom Schreiblehrer von 
Zeit zu Zeit angeordnete und geleitete, aber von dem Schüler ſeltbſt 
eigenhändig gefchriebene Schrift zur Beuriheitung feiner Fortſchritie und 
feines Standpunftes in der Schreibfertigkeit. Er erflärt NH für das 
Anfertigen folcher Brobefchriften, worin wir ganz mit ihm überein» 
ſtimmen. Folgende Grundfäbe follen beim Anfertigen derfelben be⸗ 
folgt werden: 

1. Die Probeſchrift muß flets von dem Schüler allein, d. h. eigene 

bändig gefchrieben werden; auch nicht Einen Buchfladen darf der 
Lehrer in derſelben fihreiben. 
2. Die Probeſchriften müffen immer in dem gewohnten und ges 
| bräuchliden Tempo — alfo nie langfamer, als in andern Schreib» 
flunden — gefchrieben werden. | 
3, Die Probeſchriften müſſen flets nach rein geiftiger Vorſchrift der 
Schüler angefertigt werden. 





2 


Schreiben. . ' au 


4. Kür gewöhnlih muß Ein und daffelbe von allen Schülern gleicher 
Schreibabtheilung bei der Probefchrift gefchrieben werden. 

5. Alle Brobefchriften werden flets nur auf Eine, nämlich die untere 
Grundlinie gefchrieben. . 


Bann und wie oft follen Probefchriften gejchrieben werden? 


1. Bunähft nach jeder beendigten Buchflabenfamilie. Hierzu wer⸗ 
den am beiten befondere Schreibhefte von 2 — 3 Bogen benupt. 

2. Sodann nah beendigtem Schreibkurfus jedes Alphabetes.. 

8. Am Schluffe jedes Schuljahres. 


U. Literatur. 


A. Schriften. 
1. Begmwetfer für den Schreibunterricht. ine theoretiſch⸗vraktiſche 

Anweifung zur Begründung und Durchſührung einer allfeitig natur 

mäßen Schreiblefemethode, mit befonderer Berüdfihtigung der Volles 

—* für Lehrer aller Schulanſtalten, welche Schreibunterricht zu ertheilen 

haben, von Herm. Rud. Dietlein, erſtem Lehrer zu Wartenburg an ber 

Ede. Mit 22 Hthographirten Tafeln. 8. (VIII u. 184 ©.) Leipzig, 

Jul. Klinthardi. 1856. 20 Ser. 

Bir haben diefe Schrift in der vorhergehenden erſten Abtheilung 
unferes Berichtes fo ‚vielfach angezogen und in ihren einzelnen Theilen 
beſprochen, Daß es unndthig if, bier noch näher auf diefelbe einzugehen. 
Bir beſchraͤnken uns daher auf das Urtheil, daß wir diefe Schrift für 
die bee ihrer Art halten. Der Berfafler hat richtige Anfichten über 
den Gegenſtand und trägt biefelben Mar vor. Wir wünfchen, daß fein 
Shreiblehrer das Buch möge ungelefen laffen. 


2 Anwendung der amerilanifhen Schreib-Lehr-Methode in 
Volksſchulen, fowie praßtifcher Iinterricht, in kurzer Beit eine fchöne 
und fefte Handfehrift zu erlangen, von H. Stockmar, Lehrer. 8. (14 ©. 
und 3 Tafeln Abbildungen in 4.) Greiz, Lothar Henhe. 1856. 

Der Berfaffer fpriht im diefem Schriften 1. über das Papier 
für den Unterricht, 2. über die Haltung der Feder, 3. über dig Fuh⸗ 
tung der Sand und Lage des Armes, 4. über die Schreibart. Er 
empfiehlt Papier mit Linienfpftemen, die fo dicht mit NRichtungslinien 
bedeckt find, daß der Schüler die Grundfirihe in diefelben fchreiben 
muB. Die Hand foll, damit der Schüler fie bald richtig halten lerne, 
in eine vom Berfaffer erfundene Lederflappe geipannt werden. Wir 
finnen uns weder für das empfohlene liniirte Papier, noch für biefe 
Handklappe ansprechen, am wenigften für den Volksſchulunterricht, 
wollen aber gern der Verficherung des Verfafſers Glauben fchenten, 
daß im Schreiben vernachläffigte Erwachfene durch Anmendung biefer 
Mittel ‚unter Anleitung eines Lehrers befriedigende Fortſchritte ges 
macht haben. 

14* 


Lı 








212 Schreiben. 


B. Vorſchriften. 


3. nierzig Borlegeblätter zum Shönfchreiben für die Hand ber 
Kinder in den Elementarfhulen. Don J. N. Schmid. Zweite, mit las 
teinifcher und Fraktur» Schrift vermehrte Auflage. In 40 Quartblättern. 
Biefenfteig, Schmid’ihe Buchhandlung. 12 Ser. 

Die Schrift ift im Ganzen gefällig, das große R, das B und y 
jedod nicht ſchön, erfleres geradezu willkürlich erfunden und kaum zu 
erfennen. Im großen H hat die untere Schleife faft durchgängig eine 
andere Richtung, als die obere. Der Fortfchritt erfolgt auf den erften 
5 Seiten zu ſchnell. Die Hauptwörter werden vor Eintritt der großen 
Buchſtaben Fein gefchrieben. Der Inhalt ift belehrend, bier und da 
aber nicht glücklich Rilifirt, auch in Bezug auf Orthographie und Inters 
punction nicht ganz correct. Die lateiniſche Schrift iſt nur auf 3 Seiten 
vertreten. 


4. Schulvorſchriften, nach der Schreibleichtigkeit und ſprachunterrichtlich 
eordnet, zum Handgebraud für Schüler der Volkoſchulen bearbeitet und 
raus egeben von einem Schullebrervereine in der Ephorie Zeig. 1. Heft. 
2. Aufl. qu. gr. 8. (22 ©.) Zeig, 3. Webel'ſche Buchhandlung. 1'/s Ser. 
Die Schrift iſt gefällig; der Lithograph hat fich jedoch hier und 
da Heine Ungenauigfeiten zu Schulden kommen laſſen, 3. B. Seite 10 
im Worte Nidda in den Grundftrihen des d. Das große 8 ift im 
obern Zheife zu groß. Beim ß würde fih eine Stärke in der Mitte 
ber Biegung befier ausnehmen. Am Lleinen ? ift die Schleife zu flein. 
Der Kortfhritt if angemeffen. Der Inhalt beftebt aus Silben und 
Börtern. Die auf dem Titel angegebene Berüdfihtigung des Sprach⸗ 
unterrichte haben wir nicht zu erkennen vermögen. 


5. NeueBorfäriften für Efementarfhulen von Präceptor Radelin, 
Lehrer der Schönfchreibefunft an der k. RealsAnftalt, dem Gymnaflum 
und der Gewerbſchule. qu. gr. 8. (30 lith. BI.) Stuttgart, H. W. Be. 
cart, 5 Ser. " 
Die Schrift ik gefällig; nur die Abweichungen im großen KR der 
Gurrentfhrift und im Meinen P der englifhen Schrift befriedigen ung 
nicht. Der Fortſchritt ift auf den erften 5 Seiten zu ſchnell; es wird 
den Schülern zu viel auf einem Blatte dargeboten. Der Anhalt bes 
lebt aus Wörtern und kurzen, inhaltreihen Sprüchen. Blatt 24—30 
haben Hateinifhe Zerte, was wir für „Elementarſchulen“ entſchieden 
tadeln. Papier und Drud find ſchoͤn. 


6. Schreibſchule, enthaltend methodiſch geordnete Mufterblätter und erklä⸗ 
renden Tert, bearbeitet und herausgegeben von S. Fürſtenberg, Schreib⸗ 
und Zeichenlehrer an der vereinigten höhern Bürger» und Brovin ials 
Gewerbfähule zu Trier. Der deutihen Schrift erited und zweites Heft. 

weite Aufl. qu. 4. (VII u. 18 ©. Text u. 14 Blätter Schrift.) Zrier, 
. Troſchel. 1856. 122/, Ser. 


Daſſelbe Werk. Engliſche Schrift. 1. u. 2. Heft. qu. 4. (10 S. mit 
14 Tafeln Schrift.) Ebendaſ. 12°/s Ser. 
Der Verfaſſer legt einen entſchiedenen Werth auf das Analyfiren 
der Buchftaben und deren Entwidelung auseinander. Seine desfallfige 


Schreiben. ü 213 


Anleitung if vortrefflih. Die Schrift if f&n und ausgezeichnet in 
"Lithographie ausgeführt. Wir empfehlen das Werk beftens. 


1. Deutfde Borfhriften für Schulen von F. Könen Erſter 
Kurſus. Zweite Aufl. (18 Blatt.). Zweiter Kurſus. Dierte auf. *as 31.) 

Dritter Kurfus. (14 Bl.). Solingen, Alb. Pfeiffer. & 15 Sgr. 

Dies Werk enthält eine große Anzahl von gut fortfchreitenden Vor⸗ 
ihriften im Hinrigsſchen Ductus. Die Schrift if durchaus ſchön und 
ſehr gut in Lithographie ausgeführt. Drud und Papier laffen nichts 
zu wünſchen übrig. Der Inhalt ift gut; das letzte Heft enthält einige 
taufmännifhe Gefchäftsauffäge. 


— — — — 


v 
Sugend- und Volksſchriften. 


Don 
Auguft üben. 


— — — 


I. Anſichten über Jugendbibliotheken und Volksſchriften. 
A. Jugendbibliotheken. 


In neuerer Zeit und auch im Verlaufe dieſes Jahres (1856) 
find mehrfach abweichende Anfichten über die Jugendbibliotheken, wie fie 
bier und da in Städten und Dörfern eingerichtet find, Taut geworden ; 

“ die Einen verfprechen fih nur Segen von ihnen, die Undern fehen aus 
ihnen nur Nachteil erwachſen. Rah unferem Dafürhalten fann Beides 
daraus hervorgehen: Nugen und Schaden, je nachdem die Bibliothek 
befhaffen if und von der Jugend benupt wird. Wir wollen hierauf 
nach Anleitung des uns vorliegenden Materials kurz eingehen. 

Es liegt uns vor: 

1. Ein Bericht über die Berfammlung des Dithmarſiſchen 
Lehrervereing, enthalten in Rr. 7 der „Schulzeitung für die Her⸗ 
zogthümer Schleswig, Holftein und Lauenburg“, redigirt von Sönkſen. 
Referent ift der Organift Bünz aus Marne. Gr fpricht fih der Haupts 

. fahe nad gegen ZJugendbibliothefen aus, wird jedoch von ber Ver⸗ 
fammlung in allen wefentlihen Punkten widerlegt. Befonders Iebbaft 
und mit Umfiht nehmen Pfarrer Brütt und Gantor Pauly fi der 
AJugendbibliothefen an. . 

2. Ueber Lefenereine in Schulen. Bon U. Müller, Lehrer an 
der Nealfchule in Coburg. „Pädagogiſche Blätter” von Kern, III. 

Jahrg. (1855), Februarheft. Der Verfaſſer ift gegen Kinderbibliothefen. 

3. Die Zugendbibliothefen. „Mecklenburger Schulblatt'' 1856. Nr. 
50 und 51. Der Berfaffer fpricht fi ebenfalls gegen bie Jugend⸗ 
bibliothefen aus, 


Iugend- und Volkoſchriften. 212 


4. Gedanken und Erfahrungen über Dorfbibliothelen, Volkoſchrif⸗ 
ten, Schulbibliotheken. Von C. Ed. Thieme in Streumen. „Sächſi⸗ 
ſche Schulzeitung” von 1856, Nr. 5. Der Berfaffer if für Jugend» 
bibfiothefen, geht aber nicht auf Begründung feiner Anfihten ein. 

5. Scäulbibliothefen. Bon K. Herder in Vieſelbach. „Volls⸗ 
[hulblätter aus Thüringen’. Herausgegeben von Dr. Laudhard. 1856, 
Rr. 16. Der Berfaffer if ganz entjchieden für Jugendbibliothefen. 


1. Nutzen der YJugendbibliothelen. 


Der Nupen guter und gut benußter Kinderbibliothefen wird, wie 
ſchon bemerkt, von der Dithmarfifchen Lehrerverfammlung nah ſtatt⸗ 
gefundener Debatte faft einftimmig anerfannt. Es wird für dieſelben 
ngeführt: 

. Sie füllen Lüden in den verfchiedenften Unterrichtsfächern aus, 
wiederholen das Gelernte. 

2. Sie erweitern und berichtigen die Lebensanfchauungen der Kinder. 


8. Sie fördern die Sittlichkeit, infofern fie das Gefühl und die 
Phantafie anregen, paffende Bilder vorführen, unpaffende entfernen. 

4. Sie bilden den Sinn für das Schöne. 

5. Eie verhäten die bei Kindern oft eintretende Langeweile. 

6. Sie fegen Schule und Haus in die rechte Berbindung, indem 

das Haus Theil nimmt an der Bibliothef und den. Gebraud 
. derfelben überwacht. 

Diefe Behauptungen laſſen fih nah unferm Dafürhalten ſchwer 
widerlegen, fie haben fih aufmerffamen Beobachtern der Jugend und 
&eitern von SKinderbibliothefen überall als wahr erwiefen. Wir reden 
guten Kinderbibliothefen daher das Wort. 

Bünz ftellt in Abrede, daß die Jugendbibliotheken die Sprachbil⸗ 
dmg wefentfich förderten, mie man gewöhnlich behaupie. Die Ber- 
ſammlung feheint in der Debatte hierauf nicht ernflih zurückgekommen 
zu fein. Es erleidet aber gar Teinen Bmweifel, daß das Leſen guter 
Bücher die Kinder weſentlich fprahlid fördert, wenn man ihnen, wie 
vorausgefeht werden muß, Anleitung zum zweckmäßigen Lefen giebt. Die 
meiften Erwachfenen verdanten ihre fprachliche, namentlich ſtiliſtiſche Ges 
wandtheit dem Lefen muſtergültiger Schriften. Der Einwand, daß 
Kinder keine Erwachſenen ſeien und nicht einen Nutzen, wie viefe vom 
Leſen Hätten, if ein ganz nichtiger; Kinder vermehren ihren Wortreich⸗ 
thum fehr merklich durch Lefen und eignen fich viele gute Wortverbin⸗ 
dungen und Wendungen an, vorausgefegt, daß ber Sprachunterricht in 
der Schule ein ähnliches Ziel verfolgt. 

Bon anbern Bertheidigesn der Jugendbibliotheken AR fonft wohl 
noch behauptet worden, daß durch diefelben die Ritter» und Näuberges 
fichten» Literatur verdrängt werde. Diefe Behauptung iR gewiß nicht 
ohne Grund, wenn die Leitung der Bibliothek in guten Händen if, 
und wit der nöthigen Vor⸗ und Umficht geführt wird. 





216 Jugend» und Bolksichriften. 


2. Nachtbeile ber Jugend bibliotbeten. 


Gegen die YZugendbibliothefen wendet man ein: 
1. Sie befördern die Vielleferei, verwandeln die Lefeluft in Leſe⸗ 
ſucht und verführen zur Romanleſerei. 
. Sie befördern das Verlangen nad) angenehmer Lectüre auf Koften 
der nüglichen, da fie „das Nügliche ſtets überzuckert“ reichen. 
. Sie gewöhnen die Kinder zum oberflählichen Xefen, zur Gedans 
fenflüchtigfeit. 
. Sie entwideln die Phantafie auf Koften. der übrigen Seelenträfte. 
. Sie erfhlaffen den Geift. 
. Sie treten dem Schulzwed hindernd in den Weh, indem fie 
a. den häuslichen Fleiß für die Schule befchränfen, 
b. Widerwillen gegen die erſten Schularbeiten erregen, 
c. den Geihmad der Kinder an Bibel, Katehismus und andern 
Schulbüchern verderben, 
d. die Einführung guter Schulbücher, namentlih eines guten 
Lefebuches, hindern. 
7. Sie halten die Kinder von der Bewegung in freier Luft ab. 
8. Sie fhwächen die Sehfraft. 
Ein langes Sündenregifter! Zum Glück if davon Wenig oder 
Nichts gegründet. Nach unferm Dafürhalten trifft das Gefagte nur 
den Mißbrauch. Mißbrauch einer Sache darf uns aber befanntlid 
niemals beflimmen, vom rechten Gebrauch derfelben abzuftehen. Es 
würde uns nicht ſchwer werden, alle diefe Einmwürfe zu entfräften, wie 
das die Dithmarfifche Lehrerverfammlung auch der Hauptfahe nah, fo 
weit fie dort zur Sprache kommen, gethan hat; aber wir flehen davon 
ab, da fie im Nachftehenden ihre Erledigung finden. 


RS m u >. 


3. Beihaffenheit der Jugendbibliotheken. 


Wie es nicht an fchlechten Zugendfchriften fehlt, fo wird es auch 
fiherlich JZugendbibliothefen geben, die neben guten Büchern auch fchledhte 
‚enthalten. Die Schuld hiervon trifft natürlih nur die Gründer und 
Leiter derjelben; denn Niemand ift ja gezwungen, fchlechte Schriften ans 
zufhaffen. Wer eine Jugendbibliothek verwalten will; muß 1) befähigt 
fein zur Beurtbeitung von Zugendfchriften und 2) fih zum Geſetz mar 
chen, jede derſelben ganz zu lefen, ehe er fie aufnimmt. 

Soll die Jugendbibliothek ihrem Zwecke entfprechen: die Selbfbil- 
dung der Jugend zu fördern, fo muß fie enthalten: 

1. Gute Erzählungen für die verfihiedenen Altersftufen. Die Er⸗ 

zählungen müffen natürlich anziehend fein, aber fie dürfen das 
Kind nicht in fleberhafte Aufregung verſetzen. Erzielt ſoll durch 
biefelben werden: Gemüthsbildung im Allgemeinen, Charakters 
"bildung, religidfe Bildung, Kenntniß des menſchlichen Herzens 
und Lebenstenntniß. 

2. Gute Poefien, und zwar: 

a. Fabeln, 


Iugend= und Volksſchriften. 217 


b. poetiſche Erzählungen, 
e. Mähren, 
d. Barabeln, Parampthien, Allegorien, 
e. Balladen, 
f. einige größere epifche Dichtungen, 
g. Iyrifhe Gedichte 
3. Beltkundlihe Schriften zur. Ergänzung des Schulunterrichtes, 
und zwar: 
a. Raturbiftorifche. Am geeigneten find: 
aa. Schilderungen einzelner Naturkörper (Thiere, Pflanzen, 
Trineralien), gut filifirt, aber ohne Phrafenwerk, 
bb. leichtwerftändlihe Belehrungen über den Bau der Thiere 
und Pflanzen im Allgemeinen, über die Bildung der 
Gefteine, wie überhaupt der Erde, 
. cc. über die Gewinnung wichtiger Produkte. 
b. Phyſikaliſche. Dazu empfehlen ſich befonders: 
aa. Anleitungen zum Darftellen Peiner Experimente, 
bb. anfprechende Belehrungen über die großartigeren Raturs 
erfcheinungen. 
Chemiſch⸗ technologiſche, als: 
aa. Chemie der Nahrungsmittel, 
bb. Aderbau Chemie, 
ce. Belehrungen über die Darftellung allgemein wichtiger Ges 
genftände, 
dd. Mittheilungen über die wichtigeren Erfindungen. 
d. Geographifche, nämlich: 
aa. Belehrungen über die Hauptgegenftände der phuflfalifchen 
Geographie, 
bb, anziehende Schilderungen einzelner Gegenden, großer Städte 
und Voͤlker, 
ec. kurze Retfebefchreibungen, in denen es nicht auf Aben⸗ 
teuer abgefehen il. 
e. Geſchichtliche, namentlich folche mit guten, nicht zu weit aus⸗ 
gefponnenen Biographien. 
4. Biographien berühmter Männer und Frauen aus dem Gebiete 
der Literatur, Kunſt, Wiſſenſchaft und Induſtrie. 
3. Biographien kirchengeſchichtlicher Perfonen, zuverläffige Mittheis 
"lungen über die Verbreitung des Chriftentbums in der Ge⸗ 
genwart. 


© 
‘ 


4. Benupung der Jugendbibliotheken. 


1. Die Wahl der Lectüre wird nicht von der Neigung der Jugend 
abhängig gemacht, fondern durch den Lehrer beflimmt. 

2. Der Lehrer nimmt aber dabei Nüdfiht auf das Alter, den 
gefammten Seelenzufand und die Unterrichtsgegenflände des Kindes. 

3, Unterhaltende- und belehrende Schriften wechfeln mit einander ab, 


218 Jugend» md Volksſchriften. 


4. Jeder Schüler erhält monatlih nur ein Buchz mur von ganz 
fleinen Schriften Tönnen monatlich zwei ausgegeben werben. 

5. Die Kinder werden veranlaßt, mändlih oder ſchriftlich den In⸗ 
halt des gelefenen Buches anzugeben. 

6. Der Lehrer fordert die Kinder auf, mit der Feder in ber Sand 
zu lefen und läßt fi die Ergebniffe diefer Art des Leſens von Zeit zu 
Zeit vorlegen. 


B. Boltstchriften und Velkoblbliochelen 


1. Die Lehrer Thieme und Keller ſprechen ſich in der „Säch⸗ 
fiſchen Schulzeitung” günftig für Anlegung. von Dorfbibliotheken aus. 
Erfterer klagt über Mangel an guten Bollsichriften und weiſt dabei 
auf die Schwierigkeiten hin, die deren Abfaffung bat. ‚Ein ädhter 
Volksſchriftſteller“, fagt er, „muß eine genaue Kenntniß von dem Bolfe 
und feinen Bedürfniffen haben, und diefe Tann er nicht am grifnen 
Studirtifhe, fondern nur durch Langen Umgang mit dem Volke ſelbſt 
vermöge einer ſcharffilnigen Beobachtungsgabe gewinnen. Er muß fi 
ganz in die Neigungen, Wünſche, Gewohnheiten, Anfichten und Sprach» 
weile des Volkes verfegen Fönnen, muß mit ihnen leiden, fühlen, ſcher⸗ 
zen und lachen können, ohne dabei in’s Gemeine und Unedle zu vers 
fallen. Wahrbaft gute und Achte VBolksfchriften müffen außer allgemeinen 
Delehrungen auch noch befondere für einzelne Stände enthalten, herr⸗ 
fhenden Sünden und Laftern durch die Schilderung ihrer ſchrecklichen 
Folgen Träftig feuern, dem fihwarzen Aberglauben entgegenwirken, fal« 
ſche Anfichten berichtigen, thörichte Wünſche in's Lächerliche ziehen, Zus 
friedenheit des Standes bei befchränkter Lage begründen, den Werth 
geiftiger Bildung und nüßliher Kenntniffe veranfchaulihen, frommen, 
chriſtlichen Sinn, Nähfenliebe und Gottvertrauen befeftigen und flärfen.”‘ 

2. Lehrer Freyer aus Wurzen fpricht ih in Ar. 35 der „Säch—⸗ 
ſiſchen Schulzeitung‘ über den Nutzen aus, den die Bectüre deutfcher 
Volksſchriften dem Volksſchullehrer gewährt. Er findet biefelben in 
Bolgendem: 

1. Die Volksſchriften bilden feinen Geift; 

2. fie gewähren feinem Geifte angenehme Erholung nad) der Aus⸗ 

übung des Berufs; 

. fie erfparen ihm die Ausgaben, welche er für gefellige, oft nach⸗ 
theilig wirkende Bergnügungen (Spiel) in Gafthäufern madt; 

. fie führen ihm manchen brauchbaren Stoff für den Unterricht zu; 

. fie helfen feine Stellung (fein Anfehen) in der Geſellſchaft heben, 
da fie ihn in Stand feßen, fi) der Gemeinde durch guten Rath 
nüglih zu erweifen. | 

Wir fügen hinzu: 

6. Sie mahen namentlih jüngere Lehrer auf die Art und Weife 
aufmerkffam, in der man mit Erfolg auf die Bildung des Bolfes 
einwirken kann. 


SE | 


Jugend⸗ und Volksſchriften. 219 


DB. Literatur 


Zur Kritik derfelben. 


1. Erſter Rachtrag zudem Wegweiſer durch die deutſchen Volke⸗ 
und Jugendſchriften. Ein Verſuch unter Mitwirkung Mehrerer her⸗ 
ausgegeben von Karl Bernharbdi, Dr. theol. und erſtem Bibliothekar in 
—5* Nebſt einer kurzen Ueberſicht der Volls⸗ und Jugendſchriften von 
1854 von U. LZüben, Rector der Bürgerſchulen in Merfeburg. "gr. 8. 

° VoOI u. 211 ©.) Leipzig, ©. Mayer. 1856. 24 Sgr. 

Diefer „Nachtrag“ bat ganz die Einrichtung des im 7. Bande uns 
ſeres Zahresherichtes empfohlenen „Wegweiſers“. In guter Meberficht 
macht er und durch kurze Charakterifirung mit den beſten Bolls- und 
Zugendfchriften bekannt und Tann deshalb Lehrern und Vorſtehern von 
Volks⸗ und Jugendbibliotheken beftens empfohlen werden. Ein genaues 
Regifter erleichtert den Gebrauch. . 

Als Fortſetzung dieſes „Wegweiſers“ Tann das „Eentral» Organ 
für dentſche Vollo⸗ und Jugendliteratur”, in Vierteljahröheften heraus⸗ 
gegeben von Pfarrer Schwerdt. Gotha, bei H. Scheube, betrachtet 
werden. Bir werden feiner Zeit auf dies zeitgemäße Unternehmen zus 
rüdfommen. 

2. Mittpeilungen über Jugendſchriften an Eltern und Lehrer, nebft 
elegentlihen Bemerkungen über DVollöfchriften, von Dr. &. W. Hopf, 
ector der Handelsſchule in Nürnberg. Dierte, forgfältig erweiterte Auf⸗ 

lage. 9. 8. (IV u. 188 ©.) Fürth, I. 2. Schmid. 1856. 19 Gar. 

Die früheren Auflagen diefes ſehr zwedmäßig eingerichteten Werk⸗ 
bene find bereits im V., VI. und VIII. Bande des Yahresberichtes ans 
gezeigt und befens empfohlen worden. Der Berfafler bat daſſelbe um 
61 neue Schriften vermehrt. Die Urtheile über die Schriften find kurz, 
aber durchgängig treffend; das Werkchen wird ſich daher Eltern und 
Lehrern als zuverläffiger NRathgeber bewähren. 


« I. Jugendfchriften. 
u A. Bilderbüder für kleine Kinder. 


3.9. Brüdner’s Meine Bilder: Kibel, mit 80 ſchönen Bildern. 

Zweite Auflage. 8. (22 ©.) Leipzig, C. Schlicke. 

Die beiden erflen Seiten enthalten Meine und große Buchſtaben, 
alyhabetifh und fufkematifch geordnet, und Ziffern und Striche zum 
Zählen. Dann folgen Bilder in alphabetifher Ordnung, zu jebem 
Buchſtaben in der Regel zwei. Hieran fchließen ih vier Sleine Gebete 
und einige ebenfalls iffuftrirte Rindergedichte. Die Bilder find natür⸗ 
ih die Hauptfache in dem Büchlein; fie erweilen ſich für 8— Ajährige 
Kinder als ganz brauchbar. Das Papier it fehr ſchön, das Colorit 
ganz leidlich. 

4 Orbis pictus. Bilderbud zur Anſchauung und Belehrung, 

Bearbeitet von Dr. Lauckhard, Großherzogl. Siäflse Schulrath. M 


‘ 


220 Jugend- und Volksſchriften. 


circa 600 colorirten Abbildungen. Hoch A. 3. Lieferung. I Bogen Tert 
und 3 Blatt Abbildungen. Leipzig, Voigt u. Günther. — Lief. Sgr. 

Das Werk iſt beſtimmt, „Eltern und Erziehern ein Mittel an die 
Hand zu geben, den Geiſt der Kinder zu wecken, ihn zum Nachdenken 
anzuregen, den Kreis der Anſchauungen zu erweitern und zugleich über 
die Gegenſtände in und außer dem Hauſe, oder die, welche mit denſel⸗ 
ben in Berührung kommen, zu unterrichten, überhaupt aber ein klares 
Denken zu vermitteln.‘ 

Die Abbildungen follen die nächſte Umgebung des Kindes, 
die Thiermwelt in ihren Beziehungen zum Menfhen, den Menſchkn 
in feinen verſchiedenen Befchäftigungen und Verhältniffen, die Pflan⸗ 
zenwelt und das Ausland in feinen geographifchen und gefchichts 
lihen Beziehungen veranfhaulichen. Die in der erften Lieferung vors 
liegenden Bilder find gut erfunden, fauber in Stahl geflochen und ges 
fällig colorirt. . 

Der Tert bietet eine Erklärung ber Bilder, die fo gehalten ift, 
daß das Reale, Religids- Sittlihe und Poetifche fih angemeſſen durch⸗ 
dringen; er wird Müttern und Erzieherinnen treffliche Dienfte bei der 
Benugung des Werkes leiſten. 

Das Unternehmen Tann bemittelten Eltern empfohlen werden. 


B. Unterhaltende Schriften. 
Erzählungen, Parabeln, Mährden. 


5. Grzäblungen aus der Spiel⸗Schule, von Earoline von Reiche. 
Fit einer Widmung an Mütter und Kinderpflegerinnen von Doris Lüt⸗ 
tens, geb. von Eoffel. 8. (130 ©.) Hamburg, Agentur des Rau« 
ben SHaufes. 1856. 15 Ser. 

Die auf dem Gebiete der „Kindergärten rühmlichſt befannte Vor⸗ 
rednerin fagt in ihrer „Widmung: „Die liebe Erzählerin, die in dies 
fem Buche zu ung fpricht, hatte in dem Lauenburgifchen Städtchen 
Ratzeburg während einer Reihe von Fahren eine fogenannte Spiels 
Thule, in der fle als wahre Kinderfreundin, in Chriſti Sinn und 
Geift, fegensreih wirkte, unter Liebe und Anerkennung der Kinder und 
Eitern, bis fie Oſtern 1854 durch zunehmende Kränklichkeit genöthigt 
war, diefelbe aufzugeben. Aber fih ganz von den Kindern zu trennen, 
— daß vermodte fie nicht. Sie verfammelte nun zweimal wöchentlich 
eine Peine „Schaar Freiwilliger‘ bei fich zu einer Erzählungs- Stunde. 
In diefer Zeit befuchte fie einft ein krankes Kind, das immer gern Ges 
fhichten erzählt haben wollte, und fchrieb eine Kleine Begebenheit aus 
ihrer eigenen Kindheit für daffelbe auf; das Kind hatte nun foldye 
Freude hieran, daB es beftändig verlangte, „„Tante Line‘ bei fih 
zu haben. — Bon diefem Tage an mußte „Tante Line‘ immer ſchrei⸗ 
ben, und der „„war dabei zumutbe, als wenn nicht fie ſelbſt fchreibe 
und denke, fondern als gäben die Kinder flets den Stoff und Die 
Worte.““ — Weiter unten heißt es: „In dem vorliegenden Heinen 
Buche haben wir ein Bild des Umganges mit Kindern; wir were 


Jugend⸗ nnd Volksſchriften. 221 


den bineinverfebt in einen Kreis, wo die wahrhaft berufene Kinberfühs 
serin uns gleihfam vorlebt, wie wir's machen follen; und eben 
deshalb find dieſe „Erzählungen aus der Spielfchule”, die zwar zus 
nah für Kinder gefchrieben wurden, doch recht eigentlih ein Buch für 
die, welche mit Kindern und für Kinder leben. Daher fei es aud 
allen diefen Frauen recht an's Herz gelegt zur lebendigen Benugung für 
und mit Kindern.‘ 

Wir freuen ung, diefer Anſicht beitreten zu können. Die 24 Erzäh« 
lungen, welche das Büchlein enthält, And einfah und anfprechend, wer⸗ 
den daher gern von den Kleinen gehört und eben fo gern von 8—Yjähs 
rigen Kindern gelefen werden. Den Schluß bildet ein recht nettes 
Gedicht, „Das Glöockchen“. 

Die Ausfattung iſt ſchön, das Papier befonders ſtark und dauerhaft. 


6. Ausgewählte Erzählungen, von Earl Stüber. Der Gefammt- 
Ausgabe entuonmen. Zweites Bändchen. Mit zwei Bildern von Ludw. 
Richter. 8, (IV u. 195 ©.) Dresden, Juſt. Naumann. 1856. art. 10 Ser. 


Das erfie Bändchen dieſes allgemein gefchäßten Volks⸗ und Zus 
gendfchriftfellers ift bereits im 8. Bande des Jahresberichtes mit gebühs 
rendem Lobe angezeigt worden; das vorliegende zweite flieht demfelben 
nicht nach. und kann namentlich der gereifteren Jugend beftens empfohlen 
werden. Daffelbe enthält folgende 8 Erzählungen: Der Zag im Graben. 
Die Amtmännin. Die alte Mühle Der wunderbare Plüfh. Das 
Rarrenhaus. Roh Etwas aus einer Reichsſtadt. Das blaue Waſſer. 
Handwerk Hat einen goldenen Boden. 

Die Ausftattung iſt anfprechend. 


7. Reue Stihouetten und Reime für große und Peine Kinder, 
von Karl Fröblid. A. (25 Blätter). Berlin, im Seldftverlag des Bers 
fafjers. Leipzig, in Commiſfion bei R. Zriefe. 1856. 20 Ser. 

Fröhlich hat fih durch feine „Fabeln und Erzählungen in Reimen 
und Silhonetten“ bereits einen fo guten Namen erworben, daß es bins 
reicht, Dies neue Werkchen zu nennen. Ernſte und fcherzhafte Scenen 
aus dem Leben und der Gefchichte find eben fo geiftreih als Tunftgeübt 
in Silbouettens Manier dargeftellt und durch anfprechende Gedichte, die 
für fih Werth haben und auch ohne die Beichnungen verfländlich find, 


erläutert. Es ift in Wahrheit „für große und Beine Kinder‘ eine treffs - 


liche Babe, die oft mit Bergnügen genoffen werden Eann. 

Um den Inhalt anzudeuten, geben wir nachſtehend die Weberfchrifs 
ten der Gedihte an: Gruß. Dom geizigen Büblein. Das arme Eich⸗ 
fäglein. Die beiden Zänker. Bom armen Kälbchen. Erfülltes Bers 
trauen. Feierabend. Waldfrieden. Buko von Halberfladt. Bom hohen 
Pferd. Bom Jaͤger Peter Puhſt. Das fchlimme Beifplel. Frühling. 
Sommer. Herb. Winter. Das dankbare Hündlein, I. I. Bom ars 
men Rinde und der Schwalbe. Friedrich und fein alter Ziethen. Die 
rechte Ehre. Bom edlen Meifter Joſeph Haydn, I— II. 

Die Ausfattung ift ganz befriedigend. 


‘ 


222 Yugend« und Volksſchriften. 


8. Häſschen auf Reifen Zu lehrreicher und hetierer Unierhaliung ber 
muntern Jugend erzählt von Dr. Robert Haſe. Mit 10 colorirten Bil⸗ 
dern. 8.4. (60 ©.) Erfurt, Fr. Bartholomäus. 18 Ser. 

Sn echt humorifiifher Weife wird die Wanderfchaft eines Hafen; 
Jünglings erzählt, der weder Erfahrungen noch Senntniffe befigt, in 
feinem Hochmuthe auch nicht Luft hat, fich letztere zu erwerben. Nach⸗ 
dem eine alte treue Hundefeele ihn gewarnt, geräth er in die Hände 
eines fchlauen Kater, wird von diefem in eine Gefellfchaft Tiederlicher 
Burſchen aller Art geführt, im Rauſch der Freude von ihnen ausgeplüns 
dert und hinaus in einen Graben geworfen, wo am andern Morgen ein 
Dahn ihn wet und er feiner traurigen Rage fih bewußt wird. Ohne 
Heifeeffeeten und Geld geht es ihm nun eine Zeit lang fehr kläglich. Auf 
Beranlaffung des Löwen, dem er ald Tambour dienen will, fi aber 
aus Mangel an Muth auch Hierzu unbrauhbar erweifl, wird er von 
einem Adler feinen beforgten Eltern wieder zugeführt. Noch ehe er dazu 
fommt, diefen fein Schidfal zu erzählen, fagt er: 

„Ein’s nur will ich nicht verhehlen: 

Nimmer zieh” ich wieder aus, 

Bleibe Fünftig hübſch zu Haus. 

Denn wer wandern will zur Ferne, 

Sorge, daß er etwas lerne, 

“ Bähl’ auch nimmer zum Beruf 

Das, wozu ihn Gott nit ſchuf, 

Sabe Eugen Sinn und Muth, 

Halte auf fein Geld und Gut. 

Lieber bleib’ er fonft zu Haus.‘ 
Mit diefen Zeilen if zugleih der Zwed der ganzen Erzählung. 
bezeichnet. Die Bilder find eben fo drollig wie der Text; beide werden 
7—10jährigen Kindern viel Vergnügen gewähren. 

9, Die erzählende Mutter, oder kurze Geſchichten für Kinder von drei 
bis fünt Jahren. Bon Jakob lag, Dritte, gänzlich umgearbeitete 
Auflage. Bon K Petermann, Director der evangeliſchen Frei⸗ 


.G. 
ſchule in Dresden. Mit vier Bildern. br. 8. (VI u 182 ©.) Leipzig, 
Herm. Fritzſche. 1857. Geb. 22"/ Sur. j 


10, Einhundert und funfzig Erzählungen für das Kindesalter 
vom fünften bis gum ahten Zahre. AZugleih ein Handbuch für 
Mütter zum WBiedererzäblen. Eine Auswahl Peiner Gefhichten aus den 
Säriften mehrerer Yugendfreunde. Herausgegeben von Jakob Slatz. 
Drüte, gänzlich umgearbeitete Auflage von 8. ©. Petermann. Mit 4 
Bildern. br. 8. (VIII u. 283 ©.) Ebend. 1857. Geb. 1 Thlr. 

Beide Schriften bilden den erfien und zweiten Band der „Erzaäͤh⸗ 
lungen für die verfchiedenen Stufen des Jugendalters“. Der erfte Band 
enthält 100, der zweite 150 Erzählungen, die zwar nicht alle von 
gleiher Schönheit find, aber doch ohne Ausnahme ih zur nüßlichen 
Unterhaltung und Belehrung eignen. Wir wünfchen, daß beide Bücher 
den Weg in recht viele Familien finden und dort fleißig zur Bildung 
des Herzens und zur Uebung im Nacherzählen benupt werden mögen. 
- Die Ausftattung beider Bände ift ſchön. 


Jugend⸗ und Boltzfchriften, 223 


tl. Zunben Geſchichten für eine Mutter und ihre Kinder Dax 

anz Wiedemann, Berfaffer der Samenkörner für Kinderherzen. Mit 

einem Titellupfer. God 4. (IV u. 176 S.) Dresden, C. C. Meinhold 
und Söhne. 18 Ser. 

Die meiſtens kurzen Erzählungen find nad einem Syſtem der Pflich- 
tenlehre gruppirt, wozu wohl kaum ein zureidhender Grund fich dürfte 
auffinden lafien. Gin Theil des Erzählungen kann als gelungen bes 
zeichnet werden, andere dagegen find mehr als mittelmäßig nach Erfin⸗ 
dung. und Darſtellung. Drud und Papier find ausgezeichnet. 

1%. Die Kinderkube Ein Geburtstage» und Chriftgefibent für Kinder 
von vier bis zehn Jahren. Bon Ottilie Dellier, im Dereine mit meb» 
reren Sugendfreunden. Mit 8 fein colorirten Bildern. Hoch 4. (IV u, 
6& S,) Ebend. 24 Ser. 

Mit Erzählungen wechfeln Gedichte und Raͤthſel, alle für das auf 
dem Zitel genannte Alter berechnet, meiſtens auch ziemlich gelungen; 
indeß fehlt es danehen auch nicht an matt ausgefallenen Producten; 
einzelne find fogar im Ausdruck ziemlich gewöhnlihd. Die Bilder find 
gang Kühfch erfunden und werben die Kinder erfreuen. Die Ausftattung 
it vortrefflich. 

13. Blanberoien eines Ereifes, von J. R. Bonilly. Aus dem Kran- 
öfifehen frei bearbeitet von J. A. Luber, quiedcirtem Tönigl. Studien» 
Tehter. fl. 8. (IV u. 178 ©.) Landöhut, Jof. Thomann'ſche Buchhand⸗ 
lung. (3. B. v. Zabuesnig.) 1857. . 

Die 13 Erzählungen diefes Büchleins Pönnen im Ganzen ale ge- 
lungen bezeichnet werden, find indeß nicht frei von Webertreibungen und 
Unnatürlichleiten, die mehr oder weniger allen frangöfiihen Jugend⸗ 
ſchriſten eigen find. Am meiften dürfte fih das Büchlein für 10» bie 
14jährige Mädchen eignen. 

16. Qindermährchen, aus mündliden Erzählungen gefammelt von Chr. 
Bilh. Günther. Zweite Auflage. Mit vielen Holzſchnitten nach Zeichs 
nungen von Schneider. HM. 8. (VI u. 150 ©.) Jena, Fr. Frommann. 
1857. 15 Ser. 

Um die erfle Auflage diefer Mährchen abzufeben, find 70 Jahre 
erforderlich geweſen. Wahrlich, ein langer Zeitraum! Stehen die Mährs 
den auch den Grimm’fchen an Naivetät nah, fo fefleln fie doch den 
Leſer bie zum Schluß und gewähren der reiferen Jugend eine anges 
nehme Lertize. Es find nur drei: Das Bögelchen mit dem goldenen 
Gi Weißtäubchen. Der treue Fuchs. 

15. Das Kinderjahr. Urzählungen in Profa und Reimflang für die chriſt⸗ 
liche Iugend von Philipp Körber. Mit 3 großen und vielen Heinen in 
den Texit eingedrudten Holzſchnitten. br. 8. (X u. 182 ©.) Nürnberg, 
J. Ph. Raw’ihe Buchhandlung. (C. A, Braun.) 

Der Inhalt — 88 Nummern — beſteht aus Gedichten und Ers 
zäblengen ; Ishtere haben mehr den Zweck der Belehrung als der Unters 
haltung, find namentlih oft naturkundlichen Inhalts. Auch für die 
religiöfe Bildung ift durch biblifhe Erzählungen und Gedichte geforgt. 
Die Ansrduung des Materials iß nah den Jahreszeiten erfolgt. Wenn 
das Büchlein daher Kindern zum Weihnachten geſchenkt wisb, wozu es 


- 


[4 


2% Yugend- und Volksſchriften. 


ih gut eignet, fo Haben fie das ganze Jahr etwas Entfprechendes. 
Die Abbildungen find im Ganzen gut; die Ausfattung if fhön. 


16. Schlüffelblumen. Drei Erzählungen für das Alter von 11 bis 1% 
Jahren, von Julie Ruhkopf. Mit colorirten Bildern von Carl Zim- 
mermann. br. 8. (155 ©.) Leingig, Rob. Friefe. 20 Sar. 

Die drei Erzählungen haben die Ueberſchriften: Eine Pilgerfahrt. 
Frau Doctorin. Gefpenfter. Sie find anfprechend, fließend in der Dar, 
flellung und für das auf dem Titel bezeichnete Alter lehrreich. Ebenſo 
find die Abbildungen gut erfunden und ausgeführt. Die Ausſtat⸗ 
tung iſt gut. 


17. Der Heckpfennig. Erzählung für Die Jugend von Thefla von Gum: 
pert. Mit einem faubern Titelbilde. Dritte Ausgabe. MH. 8. (40 ©.) 
Berlin, 3. A. Wohlgemuth. 1856. 7IAa Ger. 


Die einfache Erzählung führt zwei Sandwerkerfamilien vor und 
zeigt an ihnen und ihren Kindern einerfeits, wohin Fleiß, weife Spar⸗ 
famfeit und Froͤmmigkeit, andererfeits, wohin Verſchwendung, Unfriede - 
und Nafchhaftigkeit führen. Wir können das Büchlein, das auch durch 
fein Aeußeres anfpricht, beftens empfehlen, insbefondere für Heine Mäds 
dien von 8 bis 12 Jahren. Der recht faubere Stahlſtich if eine ange» 
nehme Zugabe. 


18. Ein Mann, ein Wort. Eine Gegäblung für meine jungen Freunde. 
Bon Franz Hoffmann. Mit vier Stabiftihen, 16. (109 S.) Gtutt« 
Hart, Schmidt und Spring. 1857. !, Ihlr, 


19. Dienft um Dienfl. Eine Erzählung für meine jungen Kreunde Bon 
a Hofmann. Dit vier Stahlſtichen. 16. (116 &.) Ebend. 1857. 
ls r. 


20. Das große 2008 (ine Erzählung für meine jungen Kreunde Mit 
vier Stahlſtichen. 16. (118 6) Ebend. 1857. 4a Ihlr. 


241. Nurimmer brav. Eine Erzählung für meine jungen Freunde. Mit 
vier Stahlftichen. 16. (104 ©.) Ebend. 1857. Ya Thlr. 


22. Jeder in feiner Weiſe. Eine Erzählung für meine jungen Freunde. 
Mit vier Stahlftihen. 16. (100 ©.) hend. 1857. !ı Thlr. — 
Dieſe fünf Bücher bilden die 13. Sammlung von Erzählungen, 

welche der bekannte talentvolle Franz Hoffmann in dem Verlage von 

Schmidt und Spring in Stuttgart hat erſcheinen laſſen. Der Verfaſſer 

ſcheint unerſchoͤpflich zu ſein. Wir freuen uns, verſichern zu koͤnnen, 

daß dieſe neue Sammlung der früheren in keiner Weiſe nachſteht; ja 
wir finden, daß ſich feine Darftellungsgabe immer mehr und mehr ver⸗ 
vollfommnet, fein Stil immer fließender wird. Auch das müflen wir 
lobend anerkennen, daß der Verfaffer nicht mehr, wie früher wiederholt, 
die jugendlihe Phantafle durch Einflehten von fchauerlichen Scenen über 

Gebühr aufregt, fondern nur eben fo weit anfpannt, als erforderlich ift, 

das Intereffe bis zum Schluß rege zu halten. 

Da auch die Ausftattung fchön ift, fo koͤnnen wir biefe Samms 
lung der Jugend beftens empfehlen. 


" Jugend = und Volksſchriften. 225 


23. Bas macht gläckl ich? Eine Erzählung zur Unterhaltung und Belch⸗ 
mung Mr Jugend. Don Mori Heger. 8. (IV u. 126 ©.) Dresden, 
©. C. Weinhold u. Söhne. 3856. 10 Ser. 

Diefe Schrift Hildet den erflen Band eines neuen Unternehmens, 

welches fih als „Leſecabinet der Jugend“ anfündigt. Der Berfaffer 
diefes Bändchens ift ſchon länger auf dieſem Gebiete thätig, dem Vor⸗ 
worte zufolge mit einigem Erfolge. In der bier dargebotenen Erzähs 
tung bemüht er fih, zu zeigen, daß das Glück der Menfchen von der 
Zufriedenheit abhängt, welche aus Fleiß und Genügfamfeit erwächſt, alſo 
nicht von Reichthum. . Diefer Zwed hätte fih mit dem vierten Theile 
des verwandten Materials erreichen laſſen. Man merkt es in allen Abs 
theilungen, daß der Verfaffer e8 darauf abgefehen hatte, ein umfängs 
liches Buch zu fhreiben. Daher ift denn ein großer Theil der Beges 
benheiten geradezu mit den Haaren herbeigezogen und ohne Zuſammen⸗ 
bang mit der Erzählung ſelbſt. Es fehlt der Erzählung an der Einheit, 
die fie zu einem wirkungsreichen Kunſtwerke macht. Auch in ftiliftifcher 
Beziehung entſpricht die Erzählung nicht den Anforderungen, welde 
man am eine gute Zugendfchrift machen muß. Gleich Seite 3 heißt es: 
„Die heftige Kälte und die Abfyannung von fo Bielem, was 
fie an dieſem Tage gefehen hatte’ u. f. w. Berner ©. 5: „Es if ein 
alter Erfahrungsfag, daß von Zeit zu Zeit in großen Städten Gefpen- 
Rers oder Wundergeſchichten auftreten, Mein anfangend, dann wie eine 
Lawine anfchwellend, bis Kreife um Kreife hineingezogen find und 
Jung und Alt der Drehung nicht mehr widerfiehen und dem Zuge 
der Gläubigen folgen.” ©. 6: „Karavanen von Hülfsbedürftigen, zu 
Fuß, zu Roß und zu Wagen, zogen fa alltäglich dur den Plauen, 
[den Grund nah Somsdorf, um fi heilen oder den Schleier der 
Zufunft Lüften zu laſſen.“ Zehn Zeilen fpäter heißt es dann 
wieder: ‚Nebenbei fuchten manche Leute auch bei der „„Somsdorfer 
dran’ Rath und Wiffenfhaft über die Zukunft.” Wir 
könnten die Zahl der Beifpiele Teisht vermehren, wenn es nöthig erfchiene, 
auch auf DVerflöße gegen die Interpunction aufmerffam machen; aber 
wir glauben, daB das Angeführte für den Verfaſſer fchon ausreichen 
und ihn zu größerer Sorgfamkeit veranlafien wird. Das Publikum 
raͤcht ſich gewöhnlich fehr empfindiih, wenn. es bemerft, daß es geringe 
ſchätzig behandelt wird. 

Gegen die Ausftattung des Werkchens haben wir Nichts zu erins 
nern. Auch der beigegebene Kupferftich ift recht fauber. 

24. Die alte Schuld. Eine Erzählung für die reifere Jugend und ihre 
Freunde von Dr. ©. $. von Sauber. Geheimrath in Münden. Aus 
der zweiten Auflage der „Erzählungen. III. Band’ befonders abgedrudt. 
. a ©.) Erlangen, 3. 3. Palm und E. Ente (Adolph Enle). 1856. 

Der würdige Berfaffer if als Jugendſchriftſteller rühmlichft bekannt. 

Hamentlich zeichnen ſich feine Erzählungen vortheilhaft aus durch natürs 

liche Anlage und Entwidelung, durch Einfachheit in der Darfellung 

wwd durch echte Neligiofität. Dies Lob Tann auch der „alten Schuld‘ 
it werben. Die Hauptperfon darin if ein vortreffliher Züngling, 
Race, Jahresbericht. X. | 15 


226 Jugend = und Bolksfchriften. 


befien Univerfltätsjahre und Theilnahme an den Freiheitskriegen in einem 
lebensvollen, fehr anfprechenden Bilde vorgeführt werden. Aus diefem 
Grunde empfiehlt fih das Buch auch vorzugsweife für Gymnaflafen, 
momit wir indeß durchaus nicht fagen wollen, daß nicht auch Füng- 
linge, die andern Lebenskreiſen angehören, es mit Nutzen und Bergnüs 
gen leſen werden. 


25. Beichrende und unterbafltende Bolls- und Jugendbiblio- 
thet. Drittes Bändchen: Winkelmann. Ein Lebensbild von Eduard 
Köller. Der brave Keffelfliden Erzählt von S. Mi. 8. (99 ©.) 
Leipzig, H. Fritzſche. 1857. 5 Ger. 

Die beiden erſten "Bändchen biefer Volks⸗ und Jugendbibliothek 
find uns nicht bekannt; nach einer Anzeige auf dem Umſchlage des vor⸗ 
liegenden enthält das erſte Bändchen eine Erzählung („Eliſabeth, ein 
weiblicher Robinfon‘‘. Oder: Die Auswanderer nah Amerika), von 3. 
Neumann (Satori); das zweite eine von H. Göring (. Der Lebensabend 
des Kolumbus’’). 

Was die beiden Erzählungen des dritten Bändchens anbelangt, fo 
lefen fich diefelben zwar ganz leidlich; aber es fehlt doch beiden in gleis 
hem Maße die kuͤnſtleriſche Form. Die BVerfaffer verftehen, um es kurz 
gu fagen, weder das rechte Individualiſiren der gewählten Perfönlicy« 
eiten, noch die angemefjene Vorbereitung der wirfungsvollen Momente. 
In Windelmann’s Leben vermiffen wir außerdem ungern ein näheres 
Eingehen auf den Kern der Leitungen diefes gelehrten Kunſtkenners. 
Es hätte fih mit Hülfe feines Hauptwerkes hierüber wohl etwas Allger 
meinverfländliches fagen laſſen. Glaubte der Berfaffer das aber nicht 
u Pönnen, oder fhien ihm daffelbe nicht am Plage zu fein, fo hätte er 

indeimann’d Leben gar nicht fchreiben follen. In einer „Volks⸗ und 

Jugendſchrift““ if es ohnehin bedenflih, einen Dann zum Gegenftand 
ju wählen, der die Religion wie ein Kleid betrachtet, das man auszieht 
oder wecfelt, wie es die Umftände gerade erheifhen. Wir find weit 
entfernt, über Windelmann zu Gericht figen zu wollen; aber die Ans 
ſicht Tönnen wir doch nicht zurüdhalten, daß fein Beben in der vorlie- 
genden Behandlung feine angemeflene Lectüre für das Bolt und die 
Jugend ift.. — Die zweite Erzählung trifft diefer Vorwurf nit. Wir 
loben an derfelben, daß der Berfafler feinen fenntnißreichen, verfländigen 
Auguft Merk, die Hauptperfon der Erzählung, in feinem Berufe als 
Keſſelfliker beläßt und nachweift, wie jeder Menſch, auch im engften 
Derufe, fih nüglid machen könne; aber es fehlt der Erzählung, wie 
fon bemerkt, die Pünftlerifche Behandlung. Statt die Perfonen überall 
handelnd auftreten zu laſſen, flreicht der Verfaſſer ihre guten Eigen» 
fhaften heraus. Am meiften verfeblr ift die Schlußicene; Merk handelt 
darin fo ungefhidt, mie er ed in feinem ganzen Leben nicht gethan 
bat, nach feiner Gefammibildung auch nicht thun konnte. 

Wir empfehlen beiden Berfafiern, bevor fie die Feder zu neuen 
Arbeiten anfegen, das forgfältigfte Studium anerlannt guter Erzählungen 
und Biographien für das Volk und die Jugend, und zwar in der Zuver⸗ 
Nicht, daß fie uns fpäter für diefen wohlgemeinten Rath danken werden. 


Jugend- und Voltksſchriften. 227 


26. Franz, oder ein treuer Diener Üine Erzählung für die reifere 

ugend nad einer wahren Begebenheit aus der fchleflihen Geſchichte, von 

Frany Kür, 8. (150 S.) Breslau, F. E. C. Leudart. 1855. 20 Sgr. 

Der Berfaffer führt uns in feiner Erzählung einen elternfofen 
Knaben vor, der die Lehren feines trefflihen Pfarrers nicht bloß im 
Gedächtniß, fondern im Herzen bat und fidy überall von ihnen leiten 
läßt. Er beginnt feine Laufbahn als Kuhhirt, erweift ſich in dieſem 
Dienſte volltommen treu und hat eines Tages Gelegenheit, den Herzog 
Ludwig von Brieg, der fi auf der Jagd verirrt und dem Verſchmachten 
nahe if, zu retten, ohne ihn zu kennen. In Folge diefer fhönen That 
fommt er fpäter an den berzoglichen Hof, wo er, unter ſchwierigen 
Berbältniffen, dieſelbe Dienertreue bemweift, feinem Herrn auch einmal - 
unter großer Gefahr das Leben rettet. Dem Zuge jener Zeit folgend, 
befhließt der Herzog, feinen Dank für die zweimalige Lebensrettung 
durch eine Pilgerfahrt nach dem gelobten Lande auszudrüden. Nachdem 
der Zwed der Reife glücklich erreicht ifl, wird der Herzog gefangen ges 
nommen und endlih als Sklave nach Bagdad verkauft. In der Heis 
math erfährt man davon Nichts, ift aber tief befümmert über Das Auss 
bleiben des Herzogs. Da Niemand Rath in dieſer Noth weiß, fo macht 
fich Franz heimlih auf den Weg nach dem Morgenlande, Seine Mühen 
werden endlih von Erfolg gekrönt; es gelingt ihm, den Herzog aufn» 
finden, zu befreien und glüdlih beim zu führen. 

Obwohl der Berfaffer nirgends verfäumt, dargebotene Gelegenheiten 
zur Belehrung feiner jungen Leſer zu benußen, fo verliert er darüber 
doch niemals den Faden feiner Erzählung, weshalb denn au das Ins 
tereffe beim Leſen immer rege bleibt. Die Charaktere der Hauptperfonen 
And gut gefhildet und können der Jugend als Muſter dienen. And 
die Darftellung befriedigt. Wir können daher das Buch ald eine gute 
Jugendfchrift, namentlih für Mnaben, beftens empfehlen... Die Ausflats 
tung iſt gut. Für die beiden Abbildungen hätten fich aber beffere Mo⸗ 
mente aus ber Erzählung wählen laffen. Der Preis if etwas hoch. 


7. Ber Gott vertraut, hat wohlgebaut. Eine Erzählung für Yung 


und Alt von Alrebi. 8. (153 S.) Greiz, Henning’fhe Buchhandlung. . - 


Eothar Henpe). 1856. 7'/a Sgr. 

Der Berfaffer führt uns eine arme Zamilie vor, der es anfangs 
wohlgeht, da fie fleißig und fromm if, fpäter aber in Folge eines 
ſchlechten Streihes, den ein diebifcher Zude ihr fpielt, eine Zeit lang 
iehr traurig. Das frohe Bewußtjein der Unſchuld und das unerfchüts 
terlihe Bertrauen auf Gott geben ihr Muth, Alles geduldig zu ertras 
gen, bis es endlich gelingt, den Verbrecher zu entlarven und zur Strafe 
zu ziehen. 

Anlage und Ausführung der Erzählung verdienen Beifall. Obwohl 
das Buch von „Yung und Alt“ gern wird gelefen werben, fo empfehlen 
wir es Doch ganz befonders den Kindern ärmerer Eltern, insbefondere 
den Kindern der Dorfbewohner, da fie ihre Berhältniffe am treueften 
darin wiederfinden. j 

Die Ausſtattung iſt gut, der Preis billig. 

15* 


228 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


28. Das Feiertage⸗Buch. Ein Aranı von neuen Erzählungen, der reis 
feren Jugend Deutfhlands und bäusfihen Streifen überhaupt zur Vered⸗ 
lung des Geiſtes und Kräftigung des Charakters herzlich gewidmet von 
Julius Eberöberg. 8. (IV u. 241 ©.) Erlangen, 9. $ Palm und 
€. Ente (Adolph Ente). 1856. 16 Ser. 

Die 12 Erzählungen, welche der Berfaffer in feinem „Feiertags⸗ 
Buche“ darbietet, find ganz geeignet, „zur Veredlung des Geiftes und 
Kräftigung des Charakters‘ beizutragen, da fie edle Charaktere als em⸗ 
pfehlenswerthe Mufter vorführen.‘ Wie der Zitel richtig bezeichnet, find 
fie vorzugsweife für die „reifere Jugend’ beitimmt und koͤnnen dieſer 
wirklih mit Nupen in die Hände gegeben werden; aber Erwachſene wer⸗ 

‚den fie fiher mit demfelben Intereſſe und ſchwerlich ohne Nutzen leſen. 

Der Berfaffer ſtellt für das nächſte Jahr eine ähnliche Babe in Aus 

fiht; wir erfuchen ihn im Intereſſe der Eharakterbildung, fein Verſpre⸗ 

hen zu erfüllen. 

Die Ausflattung des Buches if gut. 

29. Die Blumen des Waldes. Eine Erzählung für junge Töchter. Aus 
dem Engliſchen. Dritte Auflage Mit einem Zitelbilde. HM. 8. (79 ©.) 
Greiz, Henning’fhe Buchhandlung (Lothar Henge). 1856. 7Y/s Ser. 
Der Berfaffer if ein Herzenskenner; daher find die Zeichnungen, 

welche er von mehreren jungen Mädchen entwirft, treu. Die Urbilder 

dazu gehören dem Ende des vorigen Jahrhunderts an, find aber noch 
nit ausgeftorben; denn überall fehen wir noch Stolz und Eitelkeit 
über vergängliche Dinge, namentlid über Schönheit und Kleiderpradht 
entfteben und fich über die Jugend erheben. Unſer Berfaffer malt neden 
diefen Thorheiten die Demuth fo lieblih und gewinnend, daß wir nicht 
daran zweifeln, junge Mädchen werden diefelbe liebgewinnen und ihr 
nachfreben. Durch das Ganze zieht fih zugleih der Geiſt des wahren 

Chriſtenthums in anfprechender Weife bin. Wir empfehlen das Büch⸗ 

lein etwas gereifteren Mädchen. 

Die Ausflattung ift gut, das Titels Bild in etwas veraltetem Ger 
ſchmacke gehalten. 

30. Barabeln aus dem Leben der Natur. Aus dem Englifchen der 

rd. 4. Gatty. 12. (102 ©.) Leipzig, Arnoldifhe Buchhandlung. 

1856. 10 Egr. 

Dies fauber ausgeftattete Büchlein enthält folgende 7 Barabeln: 
Eine Lehre des Glaubens. Das Geſetz von Herrfhaft und Gehorfam. 
Das unbekannte Land. Lenken und Befchränfen. Das Licht der Wahrs 
beit. Warten. Eine Lehre der Hoffnung. Die Stoffe zu den Para⸗ 
bein find, wie der Titel fagt, aus dem Leben der Natur entlehnt. Wahl, 
Deutung und Darftellung befriedigen; wir empfehlen daher das Büchse 
lein der reiferen Jugend. 

31. Spiegelbilder aus dem Menfhenleben. Zur Belebung des Un⸗ 
terrichtö und zur häuslichen Unterhaltung der Jugend erzählt von Eruft 
Julius Raimann. 8. (XVI u, 207 ©.) Breslau, F. E. €. Leudart. 
Cart. 12! Ser. 

Diefe Schrift enthält 112 Erzählungen, zu denen der Berfafler 
alte und neue Quellen benupte. Die Mehrzahl derfelben iR gut erzählt, 


Jugend: und Bolkefchriften. 229 


der Inhalt won allen bifdend für Geiſt und Herz. Wir empfehlen bie 
Schrift Kindern von 10—12 Zahren. 


C. Unterbaltende und belehrende Schriften. 

32, Bud. Ernfl, Scherz und finnige Spiele der Jugend. Unter 
Mitwirtung von namhaften Ingend » Schriftftellern herausgegeben von 
Aud. Löwenftein und Hübner: Eramd. Zweiter Jahrgang. Mit fünf 
ange von Guſtav Bartſch, vielen Holzſchnitten nad 
24 nungen von 8 Zdffler u. And., mit zwei Mufiftüden und fünf 

telbeilagen. gr. 4. (IV u. 232 ©.) Berlin, D. Janke. 1857. Geb. 

4 Thlr. 22% Ser. ' 

„Bud, der drolligſte und nedendfte aller Eifengeifter, bringt außer 
den auf dem Titel genannten Beilagen Gedichte, Mährchen, Erzählun⸗ 
gen, naturbiftorifche, geographiſche und technologifhe Schilderungen, 
Rätbfel, Gharaden u. dergi. Die größere Mafle des Dargebotenen if 
anfprechend und wird von Jung und Alt gern gelefen werden. Am 
meiſten wird die reifere Jugend, etwa vom zwölften Jahre an, befrier 
digt werden, daher wir ihr den „Puck“ auch beftens empfehlen. Unter 
den zahlreichen Spielen finden fi recht anziehende, auch das Denkver⸗ 
mögen in Anſpruch nebmende. Die Abbildungen find gut, die in Farben⸗ 
druck ſehr anfprechend. Die Ausfkattung läßt Nichts zu wünfchen übrig. 
33, Töhters Album. Unterhaltungen im häuslichen Reeile ur Bildung 

des Derftandes und Gemüthes der beranwachienden weibliden Jugend. 

Mit Belträgen von Gymnaflals Lehrer Albani, Tante Amanda, Aurelis, 

Martin Claudius, Marie —2 Theodor Hermann, Roſalie Koch, Doris 

Lütkens, Dr. Moritz, Marie Rathuſius, Dir. Dr. Schneider, Prof. Schön⸗ 

born, Subrector Schwarze, Herm. Wagner u. A. Mit Lithograpbien 

nad Originals Zeichnungen von Prof. H. Brüdner und Illuſtrationen 

w den naturbiftorifhen Artikeln von H. Wagner. Herausgegeben von 

a von . OD. Band. Lex.⸗8. Glogau, ©. Ylemming. 

1856. Gebunden 2 Thlr. . 

Diefer Band if, wie der erfle, reichlich ausgeftattet mit belehren⸗ 
den und unterhaltenden Auffägen und zahlreichen Abbildungen. Die 
dargebotenen Arbeiten gehören zu den beften für die gereiftere Jugend, 
da fie ganz geeignet find, edle Empfindungen bervorzurufen, den Geiſt 
zu bilden und mit nüglihen Kenntniffen zu bereihern. Auch in flilis 
ſtiſcher Beziehung entfprechen fie ganz den Forderungen, welche man an 
Arbeiten für die Jugend machen muß; orrectheit und Schönheit find 
ũberall vereint. Die beigegebenen 29 Abbildungen, Lithographien in 
Thondruck, find fehr gut; das fehöne, finnige Bild mit Chr. von 
Schmid’s, des bekannten, beliebten Jugendſchriftſtellers, Handſchrift wird 
Alle erfreuen, ebenjo das der Herausgeberin. 

Die Ausfattung ift fchön. . 

34. Berliner Kinder-Zeitung, enthaltend belehrende Erzählungen, Schil⸗ 
derungen aus dem Naturleben, Geſchichtliches u. ſ. w. für die Jugend. 
(Beilage zu den Blättern über häusliche Erziehung. Auguft 1856). Ber 
lin, 3. Bernhardt u. Comp. 

„Kinders Zeitung‘ — „für die Jugend.‘ 

Die Berlagshandlung bat und nur das erſte Heftchen von 12 


230 Yugend- und Volksſchriften. 


Seiten zugeſchickt. Daffelbe enthält vier Aufläge: Der belehrte Weiſe. 
Bilder aus dem Drient. Ein Charakterzug von Friedrich dem Großen. 
Ein Kampf mit einem Löwen. Pr. 2 und 3 find von E. v. Platen 
mitgetheilt. Es ift ſchwer, nad diefen paar Auffägen über den Werth 
diefer Kinder » Zeitung zu urtbeilen. Belonders ausgezeichnet if keiner 
derfelben, der leßte fogar matt. Ueber den Plan des Unternehmens wird 
feine Auskunft gegeben. ' Ä 

Papier und Drud find gut; aber ein Heftchen von 12 Seiten 
“ ohne Umſchlag empfiehlt fih nicht fonderlih. Wir glauben faum, daß 
das Unternehmen befondern Anklang finden wird. 


35. Güldenes Shapfäftlein für unfere deutfhe Jugend. Wine 
Mitgabe auf die Lebensreife. Bon Ernft Glocke. 12. (VI u. 168 ©.) 
Naumburg und Leipzig, 8. Garde. 1856. 71a Gar. 

Der Herausgeber flellt in der kurzen Vorrede die gegenwärtige 
Jugend ale eine durch die Borgänge von AB grundverderbte dar, als 
eine Generation, die fih der „verabfeheuungswürdigften Verbrechen‘‘ bins 
giebt. Zur Rettung diefer verderbten, gottlojen Jugend bietet er eine 
Heine Sammlung von 37 Auffägen, entlehnt aus Lefebüchern und Ju⸗ 
gendfchriften, und fordert alle ‚‚aufrichtigen Menfchenfreunde‘ auf, dazu 
beizutragen, daß das Büchlein möglihR weit verbreitet werde. Wir 
find weit davon entfernt, die Jugend als fehlerlos darzuftellen ; aber das 
ſteht feſt, daß fie jept nicht um ein Haar fohlechter if, als vor 48, 
baber wir denn auch diefe grundlofe, ungebührliche Beſchuldigung zur 
rüdweifen. Es verräth übrigens wenig Takt, der Yugend in einem 
Büdlein, das man ihr widmet, mit ſolchem Urtheil entgegen zu treten; 
ber Herausgeber muß nicht viel mit der Jugend verkehrt haben. " 

Segen den Inhalt des Büchleins haben wir nichts zu erinnern, 
nur bätten wir es für angemeffener erachtet, wenn der Serausgeber aus 
feinem eigenen „güldenen Schatzkäſtlein“ mitgeteilt, flatt bloß Die 
Schriften Anderer zu plündern. 


36. Kinder-Converfations:Xerifon in 458 Artiten. Eine Gabe für 
die wiß⸗ und lernbegierige Jugend ; auch für (Eltern, Kebrer, Erzieber und 
für jeden Kinderfreund. Bon W. Weiß, Lehrer in Dillingen. Zweite, 
Ice vermehrte Auflage. Fl. 8. (VIII u. 519 S.) Dillingen, C. Kränzle. 

. gr. 


Obwohl der Berfafler fein Lerifon zunähft nur „für Kinder von 
6 bis 13 Jahren beſtimmt“ hat, fo hält er es doch auch für „Nicht⸗ 
finder”, namentlih für „Eltern, Lehrer, Erzieher und Kinderfreunde‘’ 
brauchbar. Darin liegt, wenn man den Inhalt ein wenig durchmuftert, 
eine große Beringfhäßung gegen die Lehrer. Nach unferm Dafürhalten 
verdient Niemand den Namen eines Xehrers, der noch aus diefer Schrift 
feine SKenntniffe bereihern muß. Die Gegenftände find überaus ober- 
flächlich behandelt und in der Darftellung oft fo laͤppiſch, daß fie ſelbſt 
Kindern des bezeichneten Alters nicht behagen werden. Ein einziges 
Beifpiel wird genügen, dies Urtheil zu begründen. „Kalb. Manches 
fieht roth, manches weiß, mandes braun und ſchwarz und mandes 
ſcheckig aus. — Es if ein muntereg Thier, fpringt gern, und wie gut 


⸗ 


Jugend⸗ und Volksfchriften. 231 


ſchmeckt das Fleiſch von dem Kalbe! — Dan nennt fo ein Fleiſch: 
Kalbfleifh, und gebraten giebt es den fogenannten Kalbsbraten. — 
Auch das Zell kann man fehr wohl brauden. Man macht Leder dars 
aus. — Der Dichter „„Hey““ läßt ein Kalb und einen Hund fo mit 
einander fpielen:’’ Hier folgt nun die bekannte Hey'ſche Fabel. 

Kinder von 6 bis 13 Jahren gebrauchen kein Lerifon zur Beleh⸗ 
rung über die Gegenflände, welche ein Intereſſe für fie haben; ihnen 
müſſen und können Eltern und Lehrer darüber Auskunft geben, und 
fher beſſere, als fie hier geboten wird. Der Berf. ſteckt als Schrifts 
Reller nod in den Windeln. Wir empfehlen ihm die Leetüre guter Zus 
gendfchriften, damit er den Unterfchied zwifchen Pindlicher und Findifcher 
Darftellungsweife ferne. 


37. Zum Felerabende. Blumen» und Fruchtſtücke für Die reifere Jugend. 
Mit Beiträgen von Adermann, 9. Bertbold, G. Bofle, Ottilie Dellier, 
Dr. G. Häbler, Hofrath Dr. G. Klemm, Lorenz, G. F. Mäfer, Neubert, 
Wilfried von der Neun, G. Rierig, Elife Polko, Hofrath Dr. Reichenbach, 
DB. Schopff, A. Semmier, Franz Biedemann, Kirchenratb Dr. Aug. Wil⸗ 
denhahn, P. Würkner u. A. Herausgegeben von H. 8. Stiehler, Ober- 
febrer am grauenfQup- I. und II. Band. Jeder nit vier lithograpbirten 
Bildern. Dresden, 6. ©. Weinhold u. Söhne. Jeder Band uber ge⸗ 
bunden 1 Thlr. 

Beide Theile enthatten eine größere Anzahl von Erzählungen, Schil⸗ 
derungen, Belehrungen und Gedithten, ganz geeignet zur Selbftbelehrung 
und zur Herzensbildung. Die belehrenden Aufſätze haben alie eine ans 
ſprechende Form; doch haben ſich die Verfaffer glücklich gehütet vor der 
auf dieſem Gebiete jet fo beliebten Phrafenmacherei, tiber welcher das 
poſitive Wiſſen verloren gebt. Wir empfehlen die Schrift der reiferen 
Jugend zum fleißigen Lefen. 

Die Ausfattung ift fehr fhön, wenn auch von den Bildern nicht 
gerade gefagt werden Tann, daß fie Kunſtwerke feien. 

38. Lichtbil der zur Belehrung und Unterhaltung für die Jugend und ibre 
Freunde. Don Morig Degen und Auguſt Länsky. I. und II. Band, 
jeder mit vier coloritten Abbildungen. Dresden, &. C. Meinhold und 
Söhne. Jeder Band fauber gebunden 1 Thlr. 

Bie im Aeußern, fo ift diefe Jugendſchrift auch nad ihrem In⸗ 
halte der vorigen ähnlich; es wechjeln in derfelben beiehrende und unter 
baltende Aufiäge mit einander ab. Ebenſo find die beiehrenden Aufſätze 
in angenehmer Form dargeboten. Der beffern Beurtheilung wegen theis 
len wir nachſtehend den Inhalt beider Bände mit. 

l. Band: Der Weihnachtsthaler. Der Bernflein. Die brafilianis 
iden Urwälder. Ein Zraum aus meiner Jugendzeit. Die Kinderwelt: - 
Der liebe Gott if zu Haufe! Der Auf des Herın. Der Verlorene. 
Hänschen. Heinrich Stilling. Gufan Waſa. Das Bogelnefl. Die 
Sternjhnuppe. Räthſel. — Il. Band: Der treue Bage. Der arme 
Knabe. Der Savoyard und fein Murmeltbier. Die alte Lerche und 
ihre Jungen. Solzbader und Zeichenſchläger. Haidebild. Der Ocean 
und ſcin Leben. Das Wiederfinden. Der Vogelfieller. Der lahme 
Gens. Pat uns Hütten baum. Die Hamburger Börſe. Miß Auna 


232 ' Jugend⸗ und Volksſchriften. 


Kery und Sophie Gallen. Eine gefahrvolle Beſuchsreiſe. Der Comer⸗ 
fee. Der barmherzige Elephant. Gruß an den Frühling. 
Die Ausfattung ift lobenswerth. 


D. Belehrende Schriften. 
1. Raturgefhidte. 


39. Der Menſch, nad feinem Körper und feinem Geifte dem Kinde gezeich- 
net von Dr. Earl Ramshorn, Director der III. Bürgerfchule zu Xeips 
ig. Zweite Ausgabe. MM. 8. (XII u. 111 ©.) Leipzig, Arnold'ſche Buch⸗ 
Danbiung. 1855. 5 Sgr. — 25 Exemplare 3'/s Thlr. 

Da diefe ‚zweite Ausgabe‘ eine bloße, auf den halben Preis her⸗ 
abgefegte Titels Ausgabe if, der Inhalt alfo nicht die geringfte Aende⸗ 
rung erlitten bat, fo koͤnnen wir auf unfere ausführliche Beurtheilung 
dieſes Werkchens im VII. Bande des Zahresberichtes verweilen. Wir 
haben dies für Verleger und Autor unliebfame Schickſal vorausgeſehen. 
40. Ernfte und heitere Jagdbilder von wilden Thieren aus als 

len Zonen. Für die teißere Jugend nach zuverläffigen Quellen gefams 

melt und bearbeitet von Julius Zähler, Bchrer an der Schule zu Rath 
und That in Dresden. 1, 8. (143 ©.) Dresden, C. C. Weinhold und 

Söhne, 10 Ser. 

Dies Werkchen bildet den 2. Band des fchon oben erwähnten „Le⸗ 
fecabinets der Jugend”. Wahl und Barftellung verdienen Anerkennung ; 
die Jugend wird das Dargebotene gern und mit Nugen leſen. Um 
anzudeuten, was fie zu erwarten bat, geben wir noch nachſtehend den 
Inhalt an. - ’ 

Junge Löwen. Die Löwengrube. Ein Araberangriff auf den Lö⸗ 
wen. Der rechte Lömwentödter. Ein Elephantenkraal. Der Haifliche 
fang. Der Haifiſch und der beidenmüthige Sciffsiunge Die Straus 
Benjagd in Nordafrika. Ziger- Schmidt. Die Bären in den Alpen. 
Bin feltfamer Bärenkampf. Eine ruffifhe Bärenjagd. Ein Ferkel und 
zwei Wölfe. Der Steinadler. Der Steinadler als Kinderräuber. Die 
Abgottsſchlange im Kampfe mit einem Tiger. Eine Korallenfchlange auf 
dem Magen. Kampf der fchmarzen Schlange mit der Klapperfchlange. 
Bang des Störs. Das Geierneft. oo 
4. Robinſon's Thierbude. Ein Bilderbud für große und kleinere Kin⸗ 

der. Mit Verschen und Sefchtchtchen von Julius Bahler, Lehrer an der 
Schule zu Rath und That in Dresden, und mit in Thon gedrudten Bils 
dern nad Driginalzeichnungen, aufgenommen in der Kreu ergiihen Mes 
nagerie von Kedor Flinzer. Quers4. (16 Tafeln Abbildungen und 

48 ©. Text.) Dresden, &. C. Meinhold u. Söhne. Cart. mit verzier: 

tem Umſchlage coforirt 1Y/s Thlr., ſchwarz 1 Thlr. 6 Sgr. 

Die Thiere größerer Menagerien (Affen, Bapageien, Löwen, Gir⸗ 
affen, Bären, Dromedare und Zrampeltbiere, Wölfe, Hyänen, Elephan⸗ 
ten, Tiger, Krofodile, Pharaonsratten, Wallroffe, Gemfen u. v. a.) find 
in guten Abbildungen, in malerifher Stellung und mit amgemeffener 
landfhaftliher Umgebung, dargeftellt und mit einem für Kinder geeig⸗ 
neten Terte, zum Theil gereimt, begleitet worden. ©. 32 theilt der 
Verfaſſer noch mit unzweifelhafter Gemwißheit das „alberne Maͤhrchen“, 


Jugend» und Volksſchriften. 233 


wie Tſchudi ſich auedrückt, mit, daß die Bemfeniäger ſich die Fußſohlen 
anfrigen, um ficherer Über das glatte Eis gehen zu fönnen. Auch die 
©. 37 unter der Ueberfprift: „Die Schlange als Tänzerin‘ mitgetheifte 
Erzählung Mingt fehr fabelhaft. Die Naturgefchichte bietet fo viel In 
tereffantes auch für Die Jugend dar, dag man gar nicht nöthig hat, zu - 
Uebertreibungen und fabelhaften, nicht beglaubigten Erzählungen feine 
Zuflucht zu nehmen. 

Die Ausfattung iſt gut; über die Befchaffenheit des Eolorits ber 
Abbildungen Lönnen wir nicht urtheilen, da und nur ein Exemplar mit 
ſchwarzen Bildern vorliegt. 2 
42, Raturgefhihte des innern Erdballs, oder die Urwelt. Für die 

Jugend. Bon Fr. Elemend. Mit zahlreihen Abbildungen. 1.—3. Lies 

ferung. El. 8. (Bogen 1—12, mit 14 Tafeln Abbildungen). Hamburg, 

Otto Meißner. 1856. Jede Lieferung 6 Ger. 

Die Geologie if in neuerer Zeit mehrfach Gegenftand populärer 
Schriften gewefen und hat dadurch eine erfreulihe Verbreitung gefuns 
den. Der Berfafler hat verfucht, fie auch der Jugend zugänglich zu 
machen. Bir halten diefe Aufgabe für fehr fchwierig und glauben, daß 
nur mündlicher Unterricht, der fih auf Erperimente Kübt und zugleich 
alle wefentlichen Beftandtheile der Erdfrufte dabei zur Anfchauung bringt, 
fie Iöfen kann. Die Durchſicht diefer Hefte hat uns in diefer aus eige⸗ 
ner Erfahrung bervorgegangenen Anficht beftärt. Um recht deutlich zu 
werden, bat der Derfafler die Gefprächsform gewählt; leider hat ihm 
aber diefelbe nur dazu gedient, . feinen Vortrag durch Herbeiziehen von 
Rebenfahen und ganz fremdartigen Dingen breit und ungenießbar zu 
machen, ihm die fo nothwendige Weberfichtfichkeit zu rauben. Wir Fönnten 
dies, wenn es nothwendig erfchiene, durch zahlreiche Beiſpiele bemeifen. 
Aber nit bloß in der Form halten wir das Werk für verfehlt, auch 
der Inhalt befriedigt uns nicht. Bei der Belehrung der Jugend muß 
ale erfte Bedingung feftgehalten werden, nur Thatfachen, anerkannte, unbes 
jweifelte Wahrheit zu geben, nicht ſchwach begründete, nur auf den 
Glauben berechnete Hypothefen. Hiergegen fehlt der Verfaſſer in hohem 
Maße. Wir wiffen recht gut, daß die Geologie zur Zeit nicht ohne 
Benutzzung von Hypotheſen vorgetragen werden kann; aber man muß, 
was der Berfaffer nicht thut, unterfcheiden, was davon haltbar ift und 
der Jugend frommt. Der Jugend unhaltbare Hypotheſen vortragen, 
heißt, Re zum unfruchtbaren Speculiren, flatt zum Beobachten anleiten. 
Es würde uns zu weit führen, wollten wir bier eine Zufammenftellung 
aler der unnützen Hypotheſen verfuchen, die der Verfaſſer auftifcht; es 
wird, um unfere Anficht zu begründen, genügen, auf eine einzige hin⸗ 
zuweiſen. Es if bekannt, daß man gegenwärtig noch nicht im Stande 
iR, überzeugend die Entflehung des Meerfalzes nachzumeifen. Statt 
bierbei ſtehen zu bleiben, muthet der Verfaſſer feinen Meinen Lefern zu, 
fi} einzuprägen, daß das Meerfalz mit feinen Beimifhungen in großen 
Maffen aus dem Weltenranme auf die Erde ‚niedergeftürzt jei, und ſtuͤtzt 
Ach Dabei auf das Herabfullen von Meteorfleinen und die von den Aftros 
nomen für möglich gehaltenen Stometenflürze. Wer der Ternenden 


234 Jugend: und Volksſchriften. 


"Jugend gumuthet, fo Etwas zu glauben, der macht fie dumm, flatt fe 


aufzuflären. Um wie Bieles wäre der Berfafler der Sache näher ger 
kommen, wenn er den Kindern gezeigt hätte, auf welche Weile Salze 
durch chemiſche Proceſſe entftehen. 

Auch gegen den Plan des Buches Tieße fich Bieles einwenden, wenn 
ſich's verlohnte, darauf einzugeben. 

Die beigegebenen Abbildungen find für den beabfichtigten Zweck 
ganz brauchbar und nehmen fih auf dem gelbbraunen Papiere recht 
gut aus. 


2. Technologie. 
43. Das Buch der Erfindungen, Gewerbe und nur ken Zweite, 
geratig urmgearbeitete Auflage. Durägefeben von Fr. G. W Erfter 
and. In zwei Abtbeilungen. Br. 8. (XIV, 220 u. 200 * Leipzig, 
D. Spamer. 1856. Geh. i!/s Ihlr. leg. geb. 1% Thlr. 


Dies Werk hat den erwarteten Beifall gefunden und erjcheint daher 


fhon nad wenigen Jahren in einer neuen, durchweg verbeflerten Aufs 
lage. Bei dem großen Aufihwung, den die Induſtrie jept genommen 
bat, find derartige, von Sachkennern abgefaßte Schriften für Jedermann 
von Bedeutung; für die Jugend, die im Begriff iR, fich einen Beruf 
zu erwählen, von doppelter Bedeutung. Die Wahl eines Berufes wird 
oft aus Mangel an Kenntniß der verfchiedenen Berufsarten ſehr ſchwer; 
eine Schrift, welche diefen Mangel befeitigen hilft, wird daher allezeit 
eine ſehr willfommene fein. Ganz abgefehen alſo von der Rüglichkeit 
derartiger Kenntniſſe an und für fih, empfehlen wir das hübſche Werk 
ſchon von diefem Gefihtspunfte aus beſtens. Die Ausfattung deſſelben 
iſt ſehr ſchoͤn. 

Der vorliegende Band enthaͤlt in ſeinen beiden Abtheilungen Fol⸗ 
gendes: Die Geſchichte des Papiers. Die Erfindung der Buchdrucker⸗ 
kunſt. Die Erfindung des Naturſelbſtdrucke und der Chemitypie. Die 
Geſchichte der Holzſchneidekunſt. Der Kupfers und Stahlſtich und der 
Kuyfers und GStahldrud. Die Erfindung des Steindrude. Die Er⸗ 
findung der Stenographie. Die Erfindung der Daguerreotypie und 
Photographie. Die Erfindung des Bulvers und der Feuerwaffen. Der 
Magnetismus und die Electrieität. Die Erfindung des Blipableiters. 
44, Unterbaltende geriehrungen jur ARABIEN net 

ntlbung. 24. Bändden. Das Glas. Don Joh. Mud. Wagner. 

kl. 8. (62 ©.) Leipzig, F. A. Brodhaus. 1855. 5 Ser. 

Seit einigen Jahren ift unter obigem Titel eine Reihe von Schrif⸗ 
ten erjchienen, die den Zwed haben, fih in anfprechender, unterhalten 
ber Form über Gegenflände von allgemeinem Sntereffe zu verbreiten. 
Die Mehrzahl derfelden ift für Erwachſene beredynet, dies bier genannte 
Bändchen Tann aber auch von ber reiferen Jugend, von gut befchulten 
12 — 1Ajährigen Knaben mit Nupen gelefen werden, da, die kurze, ganz 
unwefentlihe Einleitung etwa abgerechnet, Alles vollkommen verſtaͤndlich 
dargeftellt il. Ohne irgendwo breit zu werden, behandelt ber Berfaffer 
ben Gegenſtand doch erſchoͤpfend und giebt dabei zugleich eine volllommne 


x 


Zugend- und Bolksſchriften. 235 


Veſchichte deſſelben, hinaufreichend bis auf die neuſten Berbeflerungen in 
der —— und in der Verwendung. Bir empfehlen das Schrift⸗ 
um beßens. 


8. Geographie. 


45. Das Bollslchen und die Ratur des Standinavifhen Rots 
dens von ©. 9. Mellin. I. Lappland. Schwedens Nomaden oder 
Bilder aus dem Hirtenleben der Gebirgswüſten. Aus dem Schwediſchen 
von Dr. C. %. Schirf. M. 8. (165 S., Leipzig, W. Einhorn Bers 
lag. 1856. 10 Ser. 

Am Faden einer anziehenden Gefchichte macht dies Werkchen uns 
in fehr angenehmer Weiſe mit dem hoben Norden Europa’s, mit Lapp⸗ 
land, feinen Bewohnern und ihrer eigenthümlichen Lebensweife befannt. 
Die Behandlung der Gegenflände ift der in Steffens „Vier Norwegern“ 
ſehr ähnlich, und wir fönnen verfihern, daß wir dieſe ‚Bilder aus 
dem Hirtenleben der Gebirgswüſten“ mit demfelben Intereſſe gelefen 
haben, wie jenen trefflihen Novellen» Kranz. Es if ein Werk, das 
ganz geeignet ift, den geographifchen Unterricht zu ergänzen, und Tann 
der reiferen Jugend, Knaben wie Mädchen, beftens empfohlen werden. 
Die Berlagshandlung wird fih ein Berdienft erwerben, wenn fie recht 
bald eine Fortfeßung erfcheinen Täßt. 

Die Ausftattung iſt gut, auch die Titelverzierung, die Scenen 
aus der nordifchen Natur und dem Leben der Lappen darftellt. 

46. Das Vaterlandsbuch. Illuſtrirte Hans» und Schulbibliothel zur Er» 
weiterung der Heimathskunde, ſowie zur Erwedung vaterländifchen Sinne. 
Herausgegeben unter Mitwirtung von Dr. &. Bogel, Jof. Wenzig 
und Fr. Körner. V. u. VI. Band. 

Aud unter dem Titel: 
Sllufrirte Fgeographiſche Bilder aus Preußen. Schilderungen 
aus Ratur, Geſchichte, Induſtrie und Volksleben. Herausgeben von 
& Körner, Oberlchrer an der Realihule zu Halle. Eriter Band. 

Bilder aus Brandenburg und Preußen. Mit über 70 in den Zegt ges 

drudten Abbildungen, einem Titelbilde und vier Thondrudbildern. gr. 8. 

(X u. 174 S.) Zweiter Band. I. Baterländifhe Bilder aus Schlefien 

und Poſen. I}. Vaterländifhe Bilder aus Pommern... Mit 80 in den ' 

Text gedrudten Abbildungen und drei Thonbildern. (V, 118 u. 66 ©.) 

Leipzig, Otto Spamer. 1856 u. 57. & 25 Ger, 

‚ Auf das „Vaterlandobuch“ if bereits im vorigen Bande des Jahres» 
berichtes bingewiefen worden. Es ift ein ebenfo nüpliches als gut ans 
gelegtes Unternehmen, dem Herausgeber und Berleger große Aufmerk⸗ 
famfeit widmen. Die uns vorliegende Abtheilung umfaßt einen Theil 
von Breußen. Vieles daraus haben wir mit Bergnügen gelefen. Der 
Verfaſſer bat meiftens gute Quellen benugt und fih einer lebhaften, ans 
regenden Darfellung befleißigt, Die eingedrudten Holzſchnitte find fchön 
und unterflügen die ſchriftliche Darftellung weſentlich Wir empfehlen 
das Werk der reiferen Jugend, auch den Lehrern der Geographie zur 
Belebung des Unterrihte. _ 

Um den reichen Inhalt des Werkes anzudeuten, geben wir nach⸗ 


Behend Die Ueberſchriften der Hauptabſchnitte an, 





x 


236 Jngend⸗ und Bolfsfchriften.. 


I. Band. Einleitung. Preußen und fein Königshaus. — a. Bil« 
der aus der Mark Brandenburg. Land und Leute. Echlachtfelder der 
Kurmark. Die preußifche Hauptfladt und ihre Merkwürbigkeiten. Aus» 
flug nad Charlottenburg und Potsdam. A. v. Humboldt’ Landhaus 
zu Tegel. Borfig’s Etabliffement in Berlin. Preußens Wehrfraft und 
Heerwefen. — b. Bilder aus Preußen. Land und Leute. Preußens 
Krönungsftadt. Das Schloß Marienburg. Danzig und feine Umgebung. 
Thorn und fein berühmtefter Sohn. Die Heldenſchlacht bei Tannenberg. 
Urwald einer oftpreußifchen Haide. Die Eifenbahnbrüde bei Dirſchau. 
Die Gewinnung des Bernfleins. — 11. Band. a. Bilder aus Schleflen. 
Land und Leute. Das gewerbreihe Schleflen. Das Niefengebirge und 
feine Sagen. Breslau. Die fchlefifhen Schladhtfelder. — b. Die Bros 
vinz Pofen. Land und Leute. Städte und Merkwürdigkeiten Poſens. — 
c. Bilder aus Pommern. Land und Leute. Die Handelsſtadt Stettin 
und die Infeln der Odermündung. Pommerfche Städtegefhichten. Die 
Infel Rügen. 


4 Geſchichte. 

47, Alexander der Große von Makedonien. Ein Rebensbild in epi⸗ 
[hen Gedichten von Dr. Morig Döring. Mi. 8. (96 S.) Freiberg, 
Graz u. Gerlah. 1856. 12 Sgr. 

Das Leben Alezanders ift der Jugend mehrfach in bejonderen Schrifr 
ten dargeboten worden, ob auch in epifchen Gedichten, ift uns unbe 
kannt. Bei der Wichtigkeit epifcher Dichtungen für den Geſchichts⸗ 
unterriht muß uns jede neue derartige Babe willlommen fein, wenn fie 
den Anforderungen entſpricht. Und dies Fann von der hier genannten 
gefagt werden. Dreißig Begebenheiten aus dem Leben des großen Kür 
nigs führt der Dichter mit Treue und Lebendigkeit vor und weiß dabei 
geſchickt zu vermitteln, daß wir den Helden vollftändig kennen und feine 
Pläne und Thaten richtig beurtheilen lernen. Wir glauben, daß Schüler 
die Gedichte mit Vergnügen und Rupen lefen werden, wenn ihnen in 
der Gefchichtsftunde das Leben Alexanders vorgetragen worden ifl. 

48. Die Homeriſchen Sung frauen, eine Gabe für Bla land Jung: 
frauen, von Hermann ieh ler. 12. (102 ©.) Liffe, € Günther. 
1856. Sauber geb. 20 Ser. 

Der Berfaffer bietet den deutſchen Jungfrauen in dieſem Büchlein 
Spiegelbilder dar, entnommen aus der Vergangenheitsferne. Dieſe Spiegel⸗ 
bilder find einfache, prunkloſe, erhabene Geſtalten, Muſterbilder, würdig, 
von unſern Jungfrauen gekannt und, ſo weit die Verhaͤltniſſe der Gegen⸗ 
wart es erlauben, nachgeahmt zu werden. 

Ein Rachwort abgerechnet, in dem der Berfafler fich über den 
Zweck feines Büchleins ausfpricht, zerfällt das Ganze in folgende 10 Abs» 
fhnitte. 1. Bon der Heimath der Domerifhen Jungfrauen. 2. Bon 
den Unterfchieden der Stände, von Herrfchenden und Dienenden, von 
Freien und Sclaven. 3. Bon den himmlifchen und irdifchen Jungfrauen. 
4. Bon der Homerifchen Zungfrauen Geburt und Erziehung, von ihrer 
Frömmigkeit, ihren Befchäftigungen und Kunftfertigfeiten. 5. Bon der 


Sugend= und Volksſchriften. 237 


Bohnung, der Kleidung, dem Schmude und Puhe der Mädchen. 6. Von 
dem Verkehre der Mädchen unter einander und mit Sünglingen. 7. Bon 
der Mädchen Freud’ und Leid, vom Lachen und Beinen. 8. Bon der 
Liebe Luf und Leid, vom Küffen und Schwärmen, vom Gcheiden, 
Meiden und Nimmerwiederfehn. 9. Vom glüdlihen Brautßand und 
von der fröhlichen Hochzeit. 10. Naufifaa. 

Die Darkellung iR fehr anfprechend, im Ausdrud gewählt; man 
fühlt e8, daß der Berfafler die Ilias und Odyſſee volllommen kennt. 
Bo es angemeffen eriheint, da läßt er den Dichter ſelbſt eintreten; das 
durch haben die Bilder eine große Friſche bekommen. Wir glauben, 
daß ſie von allen nach höherer Bildung frebenden Zungfrauen mit Ver⸗ 
gnügen und Nutzen werden gelefen werden und wünſchen dies mit dem. 
Berfafler. 

Die Ausſtattung ift recht ſchön, auch das beigegebene Titelbild. 


5. Mythologie. 


49. Katehismus der Mythologie von Johannes Mindwis: Mit 
72 in den Text gebrudten Abbildungen. M. 8. (VIII u. 263 ©.) Leip⸗ 
sig, 3. 3. Weber. 1856. 10 Ser. 

Bei dem Umfange, welchen das Etubium unferer Klaſſiker gewonnen 
hat, wird eine ausreichende Kenntniß der Mythologie immer nothwen⸗ 
diger,, natürlich auch für die Jugend. Aber die wenigften Schulen has 
ben Zeit, die Mythologie in befonderen Unterrichtöftunden und im Bus 
fammenhange zu lehren; bie große Mehrzahl derſelben muß fih auf 
gelegentliche Mittheilungen beihränten und eine Vervollkändigung ders 
felben dem Privatfleiße der Schüler überlaffen. Zür diefen Zwed halten 
wir dem hier angezeigten ‚Katechismus der Mythologie‘ für fehr ges 
eignet. Er führt alles Weſentliche in fchöner, klarer Anordnung vor 
und markirt das Einzelne gut durch die aufgeworfenen ragen. Zum 
Lefen eines Katechismus pflegt man ſich in der Negel nur ungern zu 
entſchließen, da die mit diefer Darfellungsform gewöhnlich verknüpfte 
Breite etwas Abfloßendes hat. . Für den Selbfiunterricht ift diefelbe ins 
deß angenehm, da fie den Lehrer am erſten zu erfegen im Stande if, 
Dazu kommt außerdem hier noch, daß die Zatechetifche Form in dieſem 
Werkchen ganz und gar nicht zu jemer unangenehmen Breite Anlaß ge 
geben hat; die Fragen find durchweg nur benugt worden, wie in ans 
dera Büchern etwa Paragraphen »Veberfähriften. Die Antworten find 
daher auch nicht nackte „Ja's“ und „Nein’s,‘ fondern are, zufammens 
hängende Darfiellungen des betreffenden Gegenſtandes. Wo es erfors 
derlich war, if der fhriftlihen Darfiellung überall auch eine bildliche, 
eim fehöner Holzſtich, beigegeben worden, 

Um den reihen Inhalt des Werkchens anzudeuten, geben wir 
nachſtehend die Hauptabfchnitte deffelben an. 

I. Bedeutung, Anfang und Urfprung der Mythologie. IT. Die 
indifche Mythologie. III. Die perfifche Mythologie. IV. Die egyptifche 
Aythologie. V. Die griehifchsrömifche Mythologie. VI. Die nordifce 
deutſche Mythologie, 


238 Jugend⸗ und Bolfsihriften. 


Durch ein ausfübrliches Regifer und ein Verzeichniß der Abbil⸗ 
dungen wird der Gebrauch des Dudes, Das wir hiermit der reiferen 
Jugend wie auch Erwachſenen beftens empfchlen, ſehr erleichtert. 

50. Der Eivmp oder Myibolegie der Griechen, Römer und 
Egrvier. Mit Einfluß der nordifgen und indifhen ®öt>s 
teriebre. Zum Ecibüunterridt für Pie ermadfene Jugend und ans 
gehende Künttler, fewie für böbere Lehrankaltn von A. Bd. Petiſscus. 
zehnte, verbeſſerte Auflage. Mit 67 a Abbildungen in Holz⸗ 
IGniten. 8 IVu 86) 8 6. F. Amelang's Verlag (Br. 
Boldmar). 1 Zbir., fein gebunden 1 Eh 
Der „Eiymp’ von Petiscos if ein fo aflgemein gefanntes und 

wegen feiner Maren Darſtellung gefhägtes Buch, daB es genügt, auf 

das Erfcheinen einer neuen Auflage hinzumeilen. Rur das fei hier noch 
hinzugefügt, daß die Berlagshandiung Alles aufgeboten bat, das Werk 
innerlih und äußerlih dem gegenwärtigen Stande entſprechend erſcheinen 
zu laſſen. Der Zert ſteht auf der Höhe der Wiffenfhaft; die Abbil« 
dungen — Holzfike von 2. Krepfdamar jun. in Thondruck — find 
vortrefflih , wirflihe Zierden; und Drud und Bapier laffen Richie zu 
wünfcen übrig. Wir empfehlen das brauchbare Bud recht angelegent- 
lid. Exemplare in dem febr faubern Bande der Berlagshandlung em⸗ 


pfehlen ch als werthvolle Feſtgeſchenke 


6. Aeſthetik. 


51. Ehr. Deſer's Briefe an eine Jungfrau über die Hauptgegen⸗ 
Hände der Aeſthetik. Gin Weihnachtéegeſchenk für — und Jung⸗ 
frauen. Fünfte, bedeutend —332 und verbef! ker 9 kr Bearbeitet 
und herausgegeben von U. IE. Grube ſerg5 dem und Holz⸗ 
ſchnitten. 8. (X u. 492 ©.) Leipzig, Fr. — 1857. 224. Ihir. 
Dies Berk wird mit jeder Auflage vortreffliger und fchöner. Der 

Zert it um 25 Seiten vermehrt worden, und zu den bisherigen Ab⸗ 

bildungen find fünf Portraits binzugefommen, nämlich von Göthe, 

Schiller, Kaulbach, Beethoven und Raub. Die Laoloons Gruppe if 

ganz neu und größer gearbeitet worden, ale fie in ber vorhergehenden 

Auflage war. 

Dbwohl dies Wert zunähf nur für „rauen und Jungfrauen‘’ 
gefchrieben iR, fo halten wir doch dafür, daB es au von Zünglingen 
und Männern mit vielem Rupen wird gelefen werden; denn über bie 
Gegenſtaͤnde, welche daſſelbe behandelt, muß fi jeder ein Urtheil bilden, 
der auf allgemeine Bildung Anſpruch machen will. Die jüngeren Lehrer 
namentlih werden ed uns danken, wenn wir fie befonders anf Dies 
Buch aufmerffam machen. Um kurz anzubeuten, was fie in bemjelben 
finden, geben wir nachſtehend den Inhalt deffelben an. 

Beranlaffung der Briefe. Bon den Kräften der Seele. Bon der 
Aeſthetik. Aeſthetiſch und fhön. Die Naturfchänheit. Das Schöne in 
der Natur und Naturfinn. Die Kunftfhönheit. Die Phantaſie. Das 
Phantaſtiſche. Praktiſche Aefibeti. Genie und Talent. Ernſt und 
Spiel in der Kunſt. Ernſt und Scherz des Künſtlers. Das Erhabene, 
Anmuthige und Reizende. Bon der Eintheilung der Künfte. Bon der 


Sugend = und Volksſchriften. 239 


Baufunf, beionders der griechifchen. Bon der gotbifhen und neuern 
Bankunſt. Das Weſen der Baukunſt überhaupt. Bon der Bildhauerei. 
Laofoon. Bom vatifanifhen Apoll. Bon der modernen Bildhanerei. 
Hauts und Basreliefs. Kameen und Gemen. Der hohe Styl der 
Griechen. Die Prinzeffin Marie von Würtemberg. Bon der Malerei. 
Statienifhe Schule. Die deutſche und niederländifhde Schule Styl und 
Nanier. Die Mufll der Alten. Die neuere Muſik. Allgemeines über 
Muſik und Gefang. Ueber Reinheit der Tonkunſt. Bon der Poeſie. 
Die poetifche Schönheit. Von den Redefiguren. Der Big. Der Humor. 
Yan Paul. Die Alegorie. Bon der Nhetoril. Der Vers. Vom 
Reim und den Dichtern. Die orientalifche Posfie. Die grieadise Poeſie. 
Homer. Lyrik der Griechen. Dramatiſche Poeſie der Griechen. Naive 
und ſentimentale Poeſie. Die römiſche Poeſie. Romantik. Die ita⸗ 
lieniſche Poeſie. Shakeſpeare. Die franzöfifche Poeſie. Die deutſche 
Boche bis Klopſtock. Die deutſche Poeſie bis Gothe. Göthe und Schiller. 
Hermann und Dorothea. Uhland und Rückert. Lord Byron. Nikolaus 
Lenau. Alaſſiſche Ruhe bei GOothe und Schiller. Ueber Göthe, den 
Menſchen. Neueſte deutſche Poeſie. Bon der Schaufpiels und Tanzkunſt. 
Bon der Gartenkunſt. Cinfluß äfthetifcher Bildung auf das Gemüth. 

Die Ausfattung des Buches if ausgezeichnet, wie Alles, was aus 
dem Brandfetterihen Verlage hervorgeht. 


E. Schriften religtöfen Inhalte. 


52. Das fromme Kind. Ein — ur häuslichen Erbauung für Kinder 
bis zur Confirmation von u By , ordentl. Lehrer an der ver 
einigten Raths⸗ und Wendler’ an ger ul. 8. (XI und 112 ©.) 
Leipzig, Ed. Haynel. 1856. 12 Ger 
Das Büdlein Hat fi den (hönen Bwed gelebt, das Fleinere Kind 

za Gott zu führen. Es beginnt daher mit leicht verfändlichen Verochen 

und Gedichichen, welche das Kind aufmerffam machen auf die Werke 

Gottes, und Liebe, Bertrauen und Dankbarkeit zu demfelben erweden. 

Hierauf folgen Verschen, die anregen follen zur Pflichterfülung. An 

dieſe fchließen fi Gedichte, weidhe die DHauptmomente aus dem Leben 

Jeſu darfiellen. Dann werden eine Anzahl Gebete mitgetheilt, und den 

Schluß bilden religlöfe Gedichte für weiter in der Erfenntniß vorge⸗ 

rädtere Kinder, die fih auf Gott, fein Walten, biblifche und kirchen⸗ 

geſchichtliche Perſonen ꝛc. beziehen. 

Ein Theil der dargebotenen Gaben rührt vom Herausgeher ber, 
die übrigen find von anerkannten Dichtern. Wohl alle find geeignet, 
religiöfe Gefühle in den jungen Lejern zu erregen und deren Borflels 
lungen von Gott und Jeſu zu läutern; daher empfehlen wir das Büchs 
kin zu reät fleißigem Gebrauch. Der Verleger hat daffelbe freundlich 
ausgefattet. 


F. Gedichte. Gedichtſammlungen. 


53. Cbriſtabend. Feſtidyll von Fedrich Dörr. 12. (VIiI u. 75 ©.) 
Dee, Ed. Anton. 1856. 15 


240 Jugend- und Volksſchriften. 


Der Dichter ſchildert uns eine Weihnachtsbeſcheerung, wie ſie im 
nordlichen Deutſchland in wohlhabenderen, aber einfach lebenden Fa⸗ 
milien ausgeführt zu werden pflegt. Der gut gewählte Gegenſtand if 
würdig behandelt. Wir lernen hier einen jungen Dichter kennen, der 
mit Voß wetteifert. Sein „Chriftabend’’ verdient einen würdigen Plaß 
neben der „Luiſe;“ Die Hexameter deffelben leſen ſich fogar fließender. 
Möchte der Dichter diefe Bahn öfter betreten! Die reifere Jugend wird 
ihm für feine Gaben danken. 

Die dem Gedicht vorangehende Auseinanderfegung über die befolgte, 
fehr flörende Orthographie bätte der Dichter weglaffen follen; Erftlingse 
Dichtungen find nicht der Ort dafür. Ehe wir überhaupt fo weit kom⸗ 
men werden, zu fchreiben, wie unfer Dichter, müflen noch fehr bedeu⸗ 
tende Reformen auf diefem Gebiete vorangegangen fein. " 


54. Das deutfhe Kinderbuch. Altberfömmliche Reime, Lieder, Erzäbe 
lungen, Webungen, Rätbfel und Scherze für Kinder, gefammelt von Karl 
imrod. BZweite, vermehrte Auflage. 8. (XI u. 348 ©.) Frank⸗ 
urt a. M., H. 8. Brönner. 1857. %, Thlr. 
- . Dies Buch enthält: 1. Ammenfherze. 2. Schooßs und Knie 
liedhen. 3. Buchſtabirſcherze. 4. Wiegenlieder. 5. SKindergebete. 
6. Kinderpredigten. 7. Allerlei Lieder und Reime. 8. Verkehr mit der 
Natur. 9. Rahahmungen. 10. Spiele (1. Beim Abzählen. 2. Reime 
bei Spielen. 3. Beim Pfänderlöfen.).. 11. Jahreslieder. 12. Neds 
Mährchen und Gedächtnißübungen. 13. Sprehübungen. 14. Deutfch 
oder Wälfh? 15. Räthfel. 

Wie der Titel andeutet, find das nicht moderne gemadte Reime 
und Lieder, jondern „altherkömmliche,“ wie fie im ganzen lieben deut⸗ 
fhen Vaterlande, in allen SKinderfiuben und auf allen Spielpläßen feit 
unbefannten Zeiten bekannt und in Gebrauh find. Sie bilden die eis 
gentliche, urdeutſche Kinderpoefie, in der die Mehrzahl von une groß 
geworden ift, und die wir auch wieder unfern Kindern überliefern müſſen, 
wenn wir ihrer Jugend nicht des Schmelzes berauben wollen. Der 
Herausgeber bat fih durch diefe Sammlung ein großes Verdienſt und 
taufendfahen Dank der Kinderwelt erworben; fie follte in feinem Haufe 
für Mütter, Ammen, Kindermädchen, Erzieherinnen und — Kinder fehlen. 
Die Ausflattung iſt anfprechend. 


55. Album deutfher Poefie für Deutfhlande Jugend vom frühen 
Kindesalter bis zur höhern Entwidelung als Züngling und Jungfrau in 
eordneter Stufenfolge zur Einführung derfelben in unfere poetiiche deutfche 
ationals Literatur und als Bildungsbuh für Schule und Haus von 

5 sahen. 8. (X u. 3%4 ©.) Plauen, Aug. Schröter. 1856. 
Die- Sammlung ift nah einem recht verfändigen Plane angelegt 

und reichlich ausgeftattet. Sie zerfällt in vier Abtheilungen, von denen 
die erſte für die frühefte Kindheit, die zweite für das mittlere Alter, 
die dritte für das reifere Kindesalter, die vierte für Jünglinge und 
Zungfrauen beflimmt if. In jeder Abtheilung And die Gedichte nach 
ben verfchiedenen Beziehungen gruppirt, in melde das Kind kommt, in 


‚Sugend= und Volksſchriften. 241 


der zweiten 3. B. folgendermaßen: a. Thiers und Pflanzenwelt. b. Die 
Gabel befonderd. ce. Das Baterhbaus. d. Die Schule. e. Die Heis 
math. f. Tugend und Gottesfurdt. g. Die Reihe der Natur. h. Der 
Menib und fein Leben. Diebr als 200 Dichter find für die Samms 
lung benupt worden, befannte und unbefannte; auch der Herausgeber 
bat einige ganz nette Beiträge geliefert. Schiller und Göthe find aber 
faum darin vertreten, was wohl darin feinen Grund hat, daB der Herr 
ausgeber feine Sammlung nur zur ‚Einführung in unfere poetifche 
deutſche Nationals Literatur’’ beftimmt bat. Aber diefer Zwed hätte ihn 
doch nicht abhalten follen, namentlih der legten Abtheilung eine Ans 
zahl fchöner Balladen diefer Meifter einzuverleiben. Son fönnen wir 
der Jugend dieſe gut ausgeftattete Sammlung beftens empfehlen. 

56. Deutihland, feine Natur, Gefhihte und Sage, von feinen 
Dichtern befungen. Herausgegeben von 2. Gittermann, Xehrer in Magde⸗ 
burg. A. gr. 8. (XII u. 296 S.) Magdeburg, E. Yabricius. 1857. 
25 Sgr. | 

Die vorliegende erfte Abtheilung dieſes Werkes umfaßt insbes 

jondere die Ratur des deutichen Landes und Volkes und diejenige 
Sage, die fih, ohne gerade hiflorifhe Bedeutung zu haben, daran 
fnüpft. Die andere wird hauptfählich die Geſchichte und diejenige 
Sage berüdfihtigen, die mehr gefchichtliches Intereffe gewährt. 306 
Gedichte unferer befiern und beften Dichter find es, welche der Herauss 
geber bier ‚darbietet, nicht in bunter Unordnung, fondern überfichtlich 
zufammengeftellt nad den natürlihen Provinzen Deutihlande Das if 
lobenswerth, weil es den Gebrauch erleichtert. Empfohlen kann das 
Bud jedem Baterlandsfreunde werden, insbefondere auch der herans 
teifenden Jugend. „Auch dem Lehrer wird es wefentlihe Dienfte 
leiten, infofern es ihn in den Stand ſetzt, feinen geographifchen und 
geichichtlichen Unterricht auf eine das Gemüth anregende, den Baters 
landsfinn wederde und Präftigende Weije zu würzen.’ Auf diefe Beſtim⸗ 
mung des Buches legen wir ein befonderes Gewicht; es wird den Lehr 
tern nad diejer Richtung hin wefentlich nüßen. 


6. Raͤthſel. 


57. Rätbjel- Büchlein für Heine Keute. Mit bunten, erflärenden Bil 
dern zur Seite. Quer=4. (VIII Tafeln Abbildungen und 14 Seiten 
Text.) Stuttgart, 8. Thienemann. _ 

Diefe Räthjel gewähren mit den dazu gehörigen anfprechenden Bils 
dern eine ganz hübfche Beichäftigung für 6— Sjährige Kinder. 


58. Schul⸗Räthſel. Eine Sammlung ven 350 geo rapbifchen,, geichicht- 
lichen und naturgefhichtlichen Charaden, ort» Rätbteln und Rätbielfragen 
zur Belehrung und Unterhaltung für die Jugend. Bon C. P. Bäuchle, 
Mädchen -Schufmeifter in Vaihingen a. d. E. MM. 8. (IV, 64 u 40 S.) 
Stuttgart, Ehr. Belfer. 1856. 4 Egr. 

Der Berfuffer empfiehlt das Büchlein hauptſächlich für den Schuls 
gebrauh zur Unterflüßung des Realunterrichts. Wir geben’ zu, Daß es 
diefen Zwed fördern kann, indeß doch nicht im Verhältniß zum Zeit 

Mate, Iahresbefiht. X. 16 


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p zigier Beibifigung ihrer Kinder 


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« Trier Exzmu'rng zehmen Dh zugleih dadurch 
and, deß Ge seht bare Get: Urt, zum Theil von namhaften 
Tiatern berrũbten. 5; ®. ren Eder, Ritet, made Schmidt 

L tes Berfhen befondern Werth 


Ynhang- 
©. Tie Bedeutung derBer- aber Zaufnanen. mengefellt von 
€. Zr. Winter, Scham ta eh 

@Q1 ©.) Berim, Ih Gruben. 1856. * 

Eine Heine Safe für Kinder, wm fe mit der Bedeutung ihrer 
Bornamen belaunt zu machen, im denen eit ein Meburuf zum Streben 
nach fitlıher Bernellfommmung liegt. Die Ramen find alphabetiſch ger 
orduet, die Griiärungen burdgingig vom folgender Kürze: „Rarl, 
Karola, Karelina, altd. Etarfe, Ihätige, Betriebiame.'' 


I. Bellsfäriften. 


A. Unterhaltende Giriften. 
TR I 
8 Rand. Der mahnfinnige Cine Erzählung aus Südamerika 
on Friedrich Serſtäker. (181 ©.) 


ur Band. Rage erurn. ‚oder: Tagebuch eines Dorfſchulmeiſters. 
Bon Suſtas Rieritz. (139 

3. un Der  orfgelebete. Bon U. 2. Pua. (220 ©.) 

4,5.06. Band. Der —— Lamır Erzählung aus der Dit⸗ 
marfifhen Geigichte. Bon Geinrig Schmidt. (158, 155 u. 169 ©.) 

7.0 8. Band. Onkel Tom’s Hütte. Eine Regergeihihte Bon 
S. 8. Etowe. (219, 228 u. 203 ©.) 

9%. Band. Der Künfnummern-Teufel. Cine Erzählung aus 
den Leben von Heinrich Echmidt. (162 ©.) 

10. Band, Der Landffürmer in Tirol. Cine Erzählung von 
Y. P. Echwalbe. (118 ©.) 

11. Band. Ernſt Bill, oder: Das Leben in der Familie zu Streb⸗ 
nannaborf Zu Nuß und Frommen erzählt von K. $. Ban: 
der. (170 ©.) 

12, u.13. Band. Die Zürften ale Eine Erzählung für Jeder⸗ 
mann von Guſtav Nierig, en 1% S) _ zahlung für Jeder 

14. Band. Ein höheres —*8 oder: Die junge Griechin am 








Jugend- und Völksſchriften. 243 


Safe Nero’s. Eine Erzählung für das Volk und die Jugend von Ferdi⸗ 
and Schmidt. (134 ©.) 


45. Band. Drei Monate auf der Inſel Gube Ein Gemälde 
aus dem Regerleben von Hermann v. erbauen; (178 &.) 

Die thätige Berlagshandiung bietet uns in Beer fangen Reihe 
von Schriften zn einem unglanblid niedrigen Preife einen Bildungs» 
Hoff dar, der ſich vortrefflih für Botfsbibliothefen eignet. Eine Reihe 
von Lebensverhältnifien, die überall in erfter Linie ſtehen, find darin 
in anziebendßer und überzeugendfier Weile gefchildert, werden daher 
nicht verfehlen, vortheilhaft auf die Denk» und Handlungsweife der Lefer 
einzuwirfen. Auch der reiferen Ingend Tann man diefelben getroft in . 
die Hand geben; die Namen der Berfaffer bürgen für den ſittlichen Ges 
halt der Schriften. Die Ausfattung ift gut. 


2. Der Teufel des Goldes. GSittengemälde aus der höheren und niederen 
Geſellſchaft. Don Dr. Bernhard Heßlein. Zweite Auflage. 1. u. 2. 
Ihell. gr. 8. (433 u. 428 ©.) Berlin, Hugo Bieler u. Comp. 1856, 
2 Thlr. 6%. Sgr. 

Der Ausdrud „Sittengemälde“ paßt nur für das Buch, wenn 
wir das Wort im weitelten Sinne nehmen; eigentlich lieſert es nur 
Gemälde der Unfittlichkeit. Cs if ein Seitenfüd zu den „Geheim⸗ 
niften von Paris.” Reben einigen guten Charakteren werden uns eine 
Reihe von Scheufalen aus allen Klaſſen der Geſellſchaft vorgeführt, die 
durch ihre unnatürliche Neigung zum Gelde und den Mißbrauch, den 
fie von bemfelben machen, Andere und fi ins Unglüd flürzen. Dies 
zu zeigen, war die Aufgabe des Berfaffers; und da ihm das in ber 
Hauptſache gelungen if, fo halten wir es ihm zu Gute, daß er die 
Zahl der Perfonen fo fehr häuft und die Entwidelung ihres Schids 
fals öfter und länger unterbricht, als es in einem Vollsbuche gut if. 

Der Verfaſſer fcheint Katholik zu fein; denn unmöglich hätte er 

fonk fein Buch mit der Behauptung fchließen können, daß der Sieg 

des Proteftantigmus bedeutend dazu beigetragen habe, die Geldſucht zu 
einer allgemein herrſchenden Leidenfchaft zu machen und Verachtung der 

Armuth zu erzeugen. Gegen fol? eine Befchuldigung müſſen wir ernft- 

lich Proteſt einlegen. 


3. Hendrik Conſciente. Mutter Hiob. Aus dem Vlämifhen von 

Rrof. Karl Arenz. Autoriſirte Ausgabe. M. 8. (169 ©.) Leipzig, 

2. Wiedemann. 1856. 10 Sgr. 

Der Berfaffer führt uns eine Familie vor, der lange Zeit Alles 
nah Wunſch geht, die fich daher eines beneidenswerthen Glückes erfreut. 
Ar das Süd if unbefländig; an feine Stelle tritt Krankheit, Ars 
muth, Angriff der Ehre. In Glück und Unglüd zeigt Mutter Hiob 
fh Aandhaft, vertraut auf Bott und tröftet fi) allezeit mit dem Aus— 
ſpruch: es wird wohl einmal beffer gehen. Ihr Mann if ein Bild der 
Unzufriedenheit; er kann fi nicht einmal über das eintretende Glüd 
recht freuen und verbittert fih und den Seinigen mande Stunde das 
durch, daß er an Allem mäbkelt und immer fehwärzer flieht, als nöthig 
iR. As ſich indeß nad vieler Noth unerwartet Alles wieder zum Guten 


16* 


244 Jugend = und Volksſchriften. 


wendet, da wird er endlih auch zu dem Bekenntniß gedrängt, daß 
Gott barmberzig und gut fei. 

Die Erzählung if durchweg fpannend, zuweilen faſt zu fpannend; 
die Charaktere find gut gehalten, namentlich iſt die Mutter ein wahres 
Mufterbild in der Liebe zu ihren Kindern, in der Ertragung der Schwäche 
ibre8s Mannes und in ihrem ehrenwertben Berbalten im Unglüd. Bir 
empfehlen das Buch beſtens; es fann auch der reiferen Jugend in die 
Hände gegeben werden. Die Ausflattung if fchön. 


4 Fanny Ford und Ruth Hall. Zwei Erzählungen aus dem bäus« 

lichen Zeben von Fanny Fern. Ins Deufſche übertragen von G. Cleeves. 

8 (IV u. 394 ©.) Leipzig, W. Einhorn’ Verlag. 1856. I Thlr. 

Die Berfafferin hat in beiden Erzählungen ihre Perfonen und Bes 
gebenheiten aus dem gewöhnlichen häuslichen Leben genommen, charak⸗ 
terifirt dieſelben aber fo vortrefflih, fo’ natürlih, daß man ihr gern 
folgt und dabei an Menfchenkenntnig gewinnt, ein Gewinn, der gewiß 
nicht gering anzuſchlagen if. Am meifterbafteften find ihr die weiblichen 
Charaktere gelungen; Fanny Ford und Ruth Hall find trefflihe Muſter 
für reifere Jungfrauen und rauen, denen wir das Buch beflens em⸗ 
pfehlen. Die Austattung deffelben ift fauber. 


5. Martha. ine englifhe Dorfgefhichte von Anthony Smith. Aus 
dem (inglifhen von 4. Diezmann. 8. (?48 S.) Ebendaſ. 1856. 18 Egr. 
Was man bei uns in Deutfchland unter einer ,, Dorfgefchicdhte‘ 

verfteht, enthält dies Buch nicht; die Hauptſache in demfelben bildet 

vielmehr das Leben ſchlechter Diebsgefellen, Räuber und Hehler, die 
fhlieglich ihren verdienten Lohn empfangen. Die Hauptperfon, Martba, 
ift ein fchwanfender Charakter, der fich indeß endlihd durch vielfache 

Leiden abflärt und Befriedigung gewährt. Das Bud regt durd die 

vielen &räuelfcenen, die es vorführt, fehr auf und peinigt den Lefer; 

fann daher nicht als Volksſchrift im Sinne von Jeremias Gottbelf 
gelten. Es wird feine Lefer unter den Liebhabern des Schauer» 
lihen finden. 


6. Der Maronite. ine Erzählung auf gefhichtliher Grundlage, von 
"Wilhelm Nedenbader. 8. (191 6.) Greiz, Otto Henning. 1855. 12 Egr. 
Die Begebenheiten der neueren Zeit in der Zürfei haben den Bers 
faffer veranlaßt, manche ältere und neuere Schriften über dies Land 
und feine Bewohner zu lefen. Um feine Studien auch Andern zu Gute 
fommen zu laffen, bietet er die Nefultate derjelben in diefer „ Erzäbs 
lung‘’ dar. Die Begebenheit, welche derfelben zu Grunde liegt, bat 
fih vor mehr als hundert Jahren zugetragen. Sind die Türken jetzt 
noch diefelben? Begehen fie noch ähnliche Grauſamkeiten, wie die bier 
erzählten? Biel beffer fieht es allerdings wohl noch nicht aus; aber 
die Türkei befindet fih doch wohl auf dem Wege der Eultur begriffen, 
und unter ſolchen Umſtänden iſt es vielleicht nicht ganz zu billigen, 
deutjche Leſer gegen fie einzunehmen. Aber TIhatfachen bleiben That⸗ 
faben. Wer daher mit der Denkweife der Zürfen früherer Zeiten in 
angenehmer Weiſe befannt zu werden wünfcht, der mag dies Büchlein 


fd 


Jugend = und Volksſchriften. 245 


fefen. Der Berfaffer erzäplt im Ganzen gut, menngleih man feiner 
Erzählung leicht anfieht, daß das Material dazu etwas zufammengefucht 
iſt. Hier und da Fönnte auch die Darftellung nod etwas fließender, 
der Ausdrud gewählter fein. Der Ton erinnert vielfah an den ber 
Miſſionsberichte. 


⸗ 


B. Belehrende Schriften. 


1. Raturfunde 


7. Dr. Ernft Ehladni der Akuſtiker. "Eine Biographie und gefchicht- 
liche Daritellung feiner Entdedungen zur Erinnerung. an feinen hundert» 
jährigen Geburtstag, den 30. November 1856, von Dr. W. Bernhardt. 
8. (V u. 105 ©.) Wittenberg, Kranz Mohr. 1856. 15 Ser. 
Chladni's Verdienſte um die Akuſtik find zu befannt, als daß es 

nöthig wäre, bier befonderd darauf aufmerffam zu machen. Dagegen 

aber weiß man wenig über fein Leben, und über die Art, wie er feine 
wichtigen Entdelungen machte. Die vorliegende Schrift giebt hierüber 
fehr dankenswerthe Auskunft, und zwar in anjprechender, allgemein vers 

Rändlicher Weile. Dabei bleibt der Berfaffer nicht bei dem Hiſtoriſchen 

Regen, fondern führt den Leſer ganz unvermerkt in die Wiffenfchaft 

jelbR ein und erläutert die betreffenden Theile in anfchaulicher Weiſe. 
Bir empfehlen daher die Schrift denfenden Freunden der Naturwiſſen⸗ 
haften, in&befondere auch den Lehrern. Das beigegebene Portrait 

Chladni's if recht gut gearbeitet. 

3. Die Ratur im Dienfte des Menfhen. Kür die erwachfene Jugend 
und alle Freunde der Natur dargeflellt von edrih Körner, Ober⸗ 
lehrer an der Realfchule in Halle. 3. Band. Br. 8 «VIu 181 ©.) 
6 ! Bernh. Schlide. 1857. In elegantem Buntumſchlage brofirt. 

Auch unter dem Titel: 

Das Baffer, feine Wirkung und deren Benupung. 

Der Inhalt zerfällt in folgende Abtheilungen: 1. Das Waffer in 
feiner elementaren Bedeutung ale ſchaffendes und zerftörendes Element. 
1. Die Geftalten des Waſſers. 2. Die Fleineren Anfammlungen des 
Baflert. 3. Die größeren Waflerfammlungen. 11. Das Waffer als 
erdgeftaltende und belebende Macht. 1. Die Flüſſe. 2. Die Auswafchung 
der Erdoberfläde. 3. Die Niederfchläge des Waſſers. 4. Landbildungen 
durch Waſſerpflanzen und Waſſerthiere. 5. Das Waffer als Ernäbrer 
der Pflanzen. 6. Das Wafler als Ernährer des Menfchen. III. Das 
Waſſer als Arbeitskraft und Wafferbauten. 1. Das Waffer als Arbeits» 
kraft. 2. Stroms und UÜferbauten. 3. Wie man über’s Waffer kommt. 
4. Der Welthandel und die Seeftädte. 

Aus diefer Angabe erficht man, daß das Werl, wie die früheren 
Bände, manchen intereffanten Gegenfland behandelt, auch ſolche, die 
man dem Titel nach nicht hier erwartet, wie die Kapitel aus der Geos 
Iogie_und Botanif. Uns würde es widerfireben, das Alles unter dem 
Titel: „Das Waſſer“ darzubieten, doch behält der Verfaſſer Recht, wenn 
er fagt: Das ſteht ja Alles in Beziehung zum Wafler. 





246 Jugend = und Volksſchriften. 


Die Darftellungsweife des Berfaffers iR aus den- früheren Bänden 
und verwandten Arbeiten befannt. Das Streben, anziehend zu fchreiben, 
verleitet ihn, mehr zu fchüldern, als uns gut dünkt. Nebhuen wir auch 
an, daß der Verfaffer bei feinen Lefern guten Schulunterricht, naments 
lid) naturkundlichen, vorausfegt, fo glauben wir doch, daß eine ruhige, 
auf rechte Veranſchaulichung abzmedende Darftellung ſich erfolgreicher 
für den Selbftunterricht erweiſen bürfte, insbefondere für die, welche 
nur eine mäßige naturwiflenfchaftlihe Schulbildung erhalten haben, ein 
Ball, der jetzt noch fehr häufig if. 

Was den Inhalt ſelbſt anbelangt, fo haben wir bein Lefen die 
Ueberzeugung gewonnen, daß der Verfaſſer der Arbeit wohl nicht ganz 
gewachſen war. Wir wollen das durch einige Beifpiele zu beweifen fuchen. 

Seite 5 iſt von den feinen Nadeln des „Staubſchnees“ der Polar⸗ 
gegenden die Rede. Es Heißt dort won ihnen: „ſie gehen durch Die 
dichten Pelzfleider bis in die Poren der Haut, oder beim Athmen in 
die Lungen und erzeugen gefährliche Strankheiten. Sollten die Eis⸗ 
nadeln nicht fchmelzen, "wenn fie mit der warmen, von Pelzen beklei⸗ 
deten Haut in Berbindung fommen oder in Mund und Rafe gerathen, 
wenigfiens auf dem warmen Wege bie zur Lunge? 

Seite 6. „Jeder Schneeftern beftehbt aus ſeche Treuzweis überein» 
ander gelegten Kryſtallnadeln oder aus fech8 Dreieden, die ein geichloffene® 
Dreied oder aud einen ausgezadten Stern bilden.‘ 

©. 9 if vom Hagel die Rede. Ganz allgemein heißt es dafelbſt: 
„Die zermalmende Kraft erhalten die Hagelkörner nicht ſowohl durd 
ihre Schwere, obſchon fie mitunter ein Pfund wiegen, ale vielmehr 
duch die Döhe ihres Falles, da der Hagel aus einer Höhe von 
12,750 F. kommt, und in der Sekunde 892 F. durdläuft, fo daß er 
die Kraft einer Gewehrkugel erlangt. Wird hiernach nicht der Lefer 
glauben müſſen, der Hagel fomme immer aus diefer fo beſtimmt an⸗ 
gegebenen Höhe und falle in jeder Sekunde 892 F.? 

. ©, 12 redet der Berfaffer vom „Steigen und Sinken der Waſſer⸗ 
atome; S. 17 verlihert er allen Ernfles, daß die Chemie die Körper 
in unflhtbare Stoffe fheide, in ihre Urform, „in die Kügelhen 
der Atome,’ zerlege, daß diefe aber fo Mein feien, daß fie „felbR 
unter dem Mikroſkop nit immer fihtbar würden.” Eine 
Blöße der Art kann fih wirflic nur Jemand geben, dem die Anfangs» 
gründe der Chemie noch völlig fremd find. Aber man muß fih über 
den Muth (!) des Berfaffers wundern, Andere über Gegenftände zu bes 
lehren, über die er ſelbſt fo ſehr des Unterrichts bedarf. 

Die Seite 12 und 13 verfuchte Erklärung des Gefrierens der 
Gewaͤſſer ift viel unflarer, als in den befannteren Lehrbüchern der Phyfik; 
des merkwürdigen Gefebes, daß Waffer, welches bi8 zu 3 Grad Wärme 
erfaftet ift, fich bei weiterer Abkühlung ausdehnt, wird mit Teinem 
Worte gedacht, vielmehr nur gefagt, daß ein Waflertropfen leichter wird, 
fobald feine Wärme bis auf A Grad gefunfen ifl. 

S. 15 wird gefagt, daß ein Chemiker das Waſſer in zwei uns 
fichtbate Safe gefhieden und der forfchende Menſch dann bei genauerer 


⸗ 


Sugend. und Volksſchriften. 247 


Beobachtung gefunden babe, daß er daſſelbe in feine Elemente zer⸗ 

legen fönne. Das ſteht in ein und demſelben Satze. 

©. 16 if der Ausdrud, daß Waffer entflehe, fobald man 8 Theile 
Sauerftoff mit 1 Theil Wafferfoff verbrenne, für die gewöhnlichen 
Lefer völlig unbegreiflih; ſtatt „Theil“ muß auch Gewichtstheil ger 
fegt werden. 

Auf derfelben Seite heißt es: „Aus einem Maaß Wafler kann 
man viele taufend. Maaß der beiden Safe dur LBerlegung erhalten.‘ 
Stödhardt lehrt in feiner Schule der Chemie: „1000 Maaß Sauerftoff 
und 2000 Maaß Waſſerſtoff geben ein reichliches Maaß Waſſer. Zwiſchen 
3000 und „viele taufend Maaß“ ift doch ein großer Unterfchied. 

Rah ©. 17 erzeugt der in einem Gefäße aus Wafler, Eifenfeils 
ſpaͤnen und Gchwefelfäure bereitete Wafferfloff bei feinem Entweichen 
eine Erploſion, wenn atmofphärifche Luft hinzutritt. Wer jemals Waſſer⸗ 
ſtoff bereitet hat, weiß, daß das nicht wahr if, eine Exploflon viel 
mehr unter ganz andern Bedingungen bei diefem Berfuche entfteht. 

Auf derfelden Seite if in ganz unflarer Weife von den Döbereiners 
fhen Fenerzeugen die Rebe. 

Ebendafelbft wird gelehrt, daß „8 Atome Sauerfoff und 1 Atom 
Bafferftoff Wafler geben.” Darnach müßte alfo Waſſer die Formel HOs 
baben. Der Verfaſſer verwechjelt bier Gewichtstheile und Atome. 

©. 20 redet der Berfafler von einer „ſchwierig zu erzengenden Art 
des Waſſerſtoffgaſes,“ Waflerftofffuperoryd genannt. 

Unrichtigkeiten der vorftehenden Art haben wir uns noch in großer 
Zahl angemerkt, ſtehen jedoch mit Rückſicht auf unfere Leſer von der 
Borführung derfelben ab. Sie werden mit uns die Weberzeugung ges 
wonnen haben, daß es nicht genügt, einen paffabeln Gedanken zu einem 
Buche zu haben, fondern daß zur Ausführung deffelben auch Kennt⸗ 
riffe erforderlich find. 

9. Rehrungsmitteltehre jür Jedermann, Bearbeitet von Dr. Franz 
Döbereiner. 8. (XI u. 309 ©.) Deflau, Gebr. Katz. 1857. re 
Diefe Schrift verbreitet pP in populärer Weife über fämmtliche 

Rahrungsmittel und trägt darüber fo viel vor, als Jedermann zu wiſſen 

nöthig if. Im allen Kapiteln, wo es erforderlich war, wird zugleich 

“anf die BVerfälfchungen aufmerffam emacht, welche man leider jetzt in 

fo großartigem Maßſtabe bei allen Habrungemitteln ausführt, was wir 

nur billigen können. Den Abſchnitt über das Wafler Hat der Verfaffer 
durch Seranziehen von Unweſentlichem zu weitläufig behandelt, den über 
die Gewürze dagegen, wie er felbft in der Vorrede eingefteht, zu Furz. 

Ungesn vermiffen wir einen Abſchnitt über die Verwendung der Nahs 

rungsmittel, etwa in dem Sinne, wie er fih in Molefchotts „Lehre der 

Rahrungsmittel” findet, die bloße Kenntniß der Nahrungsmittel reicht 

für die Mehrzahl der Lefer noch nicht aus. 

Die Ausſtattung iſt gut. 

10, Rabrungsmittel und Speifewahl nad Aller, Jahreszeit, Ber 
j&äftigung und Körper ufand. Don Karl Reclam. 8. (80 ©.) Leipzig, 
F. 9. Brodhaus. 1855. 5 Ser. 





\ 


248 Jugend » und Volksſ äriften, 


Dies Wert bildet das 23. Bändchen der fhon ofen erwähnten 
„Unterhaltenden Belehrungen zur Förderung allgemeiner Bildung.” Ob⸗ 
wohl daffelbe fehr gedrängt gehalten ift, fo wird doch das MWefentlichfte 
fo ausführlih beſprochen, daß der Lefer darüber eine für das gemöhns 
liche Bedürfniß ausreichende. Belehrung erhält. Bon befonderer Widys 
tigkeit ift die Rückſicht, melde der DVerfafler auf die „Speiſewahl nad) 
Alter, Jahreszeit, Beichäftigung und Körperzuftand‘ nimmt, weil der 
Lefer dadurch zur Theorie auch die Pragis erhält. Da der Berfafler 
ein erfahrener praftifcher Arzt ift, fo fönnen feine Vorſchriften mit 
vollem Vertrauen befolgt werden. Wir empfehlen das Büchlein beftens. 


11. Naturwiffenfhaftlide Volksbücher. Band XI bis XVI. 
Auch unter dem Titel: 


Aus dem Reihe der Naturwiffenfhaft. Für Jedermann aus dem 
Volke von A. Bernftein. V. bis X. Band. 8. Berlin, Kranz Dunder 
(B. Beſſer's Verlagsh.) à 10 gr. 

Fünfter Band. Bon den geheimen Naturkräften. II. (VI und 
159 ©.) 1855. - 


Scehfter Band. Don der Entwickelung des thierifchen Libens. Nupen 


und Bedeutung des Fettes im menfchlichen Körper. Nur eine Schiebe⸗ 
Zampe. (VI u. 157 ©.) 1855. 


Siebenter Band. Wandelungen und Wanderungen der Natur. Bon 


der Geſchwindigkeit des Lichte. Ueber Bäder und deren Wirkung. -(VI u. 
157 ©.) 1855. 


Achter Band. Dom Leben der Pflangen, der Thiere und der Men: 
fen. I. (VI u. 158 S.) 1855. 


Neunter Band. Dom Leben der Pflanzen, der Thiere und Men⸗ 
fen. II. (VI u. 172 S.) 1856. 


Zehnter Band. Die praftifche Heizung. (VI u. 144 ©.) 1856. 

Die vorhergehenden Bände der „Naturwiſſenſchaftlichen Volks⸗ 
bücher‘ haben wir in den früheren Theilen des Sahresberichte zur Ans 
zeige gebracht Das unbedingte Lob, welches wir denfelben dort ertheilt 
haben, findet feine volle Anwendung auch auf die vorftebend genannten 
Bände Wir haben diefelben mit wahren Bergnügen gelejen und dabei 
von Neuem nicht nur den Reichthum von SKenntniffen, welche der Vers 
faffer befigt, fondern vor allen Dingen jeine Mare Darftellung bewuns 
dert. Jeder einigermaßen gebildete Laie kann ohne alle Vorbereitung 
jedes beliebige Bändchen vornehmen und darf gewiß fein, daß er zum 
Verſtändniß deflelben kommen wird. Wir baben wenig naturmwiflenichafts 
liche ES chriftfieller von folher Begabung. -Gefreut haben wir uns, daß 
der Berfaffer fih nicht darauf befchränft, feine LXefer über das Leben 
und Walten der Natur im Allgemeinen zu belehren, fondern daß er 
auch auf praftifche, Direct für das gewöhnliche Leben anwentbare Gegen» 
flände eingeht, wie 3. 3. im 6. und 10. Bändchen. Möge er fleißig 
fortfahren, Theoretifches und Praftifches in ähnlicher Weife darzubieten! 


2. Geographie. 


12. Lehrbuch der Erdbefchreibung in narürlicher Verbindung mit Weltgeichichte, 
Naturgefchichte und Technologie für den Schul= und Privatunterriht. Bon 


Jugend» und Volksſchriften. 249 


A. Zachariä. IT. Theil: Bilder aus der Länder und Völker— 

Tunde. Bearbeitet und berautgegeben von Louis Thomas, ordentl. 

Lehrer an der dritten Bürgerfchule zu Leipzig. gar. 8. (VI u. 390 ©.) 

Reipzig, Ernſt Fleiſcher's Buchh. 1856. 1 Thlr. 

Diefe und die folgende Schrift And zwar zunähft nur für Lehrer 
Behufs Belebung des geograpbifchen Unterrichts beſtimmt, aber wir können 
doch nicht unterlaffen, auch bier, in der Abtbeilung der VBolfsjchriften, 
auf fie aufmerfjam zu maben. Sa, offen geftanden, halten wir. fie im 
Ganzen zur allgemeinen Belehrung für geeigneter, als zur directen Bers 
wendung in der Schule. Es Mebt nämlich all’ dieſen geographifchen 
Bildern, da fie meiftens aus Neifeberichten entnommen find, fo viel 
Nebenwerk an, daß der aus ihrer Mittheilung erwachfende Gewinn für 
Geographie oft ſehr unbedeutend if, fich zumeilen in 5 bie 10 Zeilen 
zufammenfaflen läßt. Sicher haben das fchon viele Xehrer mit und ges 
fühlt, und wir dürfen daher wohl bald der Zeit entgegen feben, wo 
man ein ganz anders hbearbeitetes Material an die Etelle der icht fo ber 
liebten geographifchen Bilder feßen wird. Aber diefe Anfiht Soll ung, 
mie ſchon gefagt, nicht abhalten, Werke, wie die hier genannten,. beſtens 
zur allgemeinen Benußung und zur Verbreitung geograpbifcher Kennt⸗ 
niffe zu empfehlen. 


Die 118 Bilder, welche der rühmlichſt befannte Berfaffer in dieſem 
Werke darbietet, find nach den Erdtheilen geordnet, zerfallen alfo in: 
Bilder aus Aften (28), Afrita (16), Europa (59), Amerifa (10) und 
Auftralien (3). In jeder Abtheilung iſt darnach geftrebt worden, ein 
möglich anichaulihes Bild von dem Erdtheile zu geben; doch iſt dabei 
weniger auf die phyfiſche Beſchaffenheit deſſelben NRüdfiht genommen 
worden, als auf das Leben und Zreiben der Bölfer. „Unſer Bud,‘ 
beißt es in der Borrede, „Toll dem Lefer in einzelnen Zügen bald ihre 
bürgerlichen Berhäftniffe vorführen, bald in ihre gefellfyaftlichen Kreife 
verfegen, bald an die Stätten ihres religiöfen Eultus leiten und mit 
den dafelbft herrichenden religiöfen Begriffen befannt machen. An diefe 
Bilder, welche wir weniger in ausführlichen Beichreibungen und Erfläs 
tungen, als in einzelnen, fcharf marfirten Bügen zu geben beflifien 
waren, reiben fih andere aus dem gemerblichen Leben, wobei befonders 
ſolchen, welde die Erzeugung und den Anbau der wichtigften Naturs 
producte zum Gegenftande haben, befondere Beachtung gefchenft ward. 
Einzelne Landfchaftegemälde und Naturbilder fchließen fih an dieſe an, 
doch immer in ihrer Beziehung zum Menfchen. Nach den in diefen 
Eigen angedeuteten Beziehungen bin bietet dies Werk viel treffliches 
Material dar, was nachſtehendes Mandel von Ueberfchriften aus der 
erſten Abtheilung erkennen läßt: Beirut und der Libanon. Das heilige 
Land. Jeruſalem und feine heiligen Orte. Damaskus. Ein Mittagss 
mahl in einem arabifhen Haufe zu Damaskus. Die Beduinen. Reiſe 
von Kairo nah dem Sinai. Die Pilgerfladt Meffa. Ein Befuch beim 
Schah von Berfien. Berfiiher Despotismus. Pferd und Dattelbaum 
beim Berfer. Ein Zufammentreffen mit Kurden. Benares. Bilder aus 
dent religiöjen Leben der Hindus. Die Thugs. Madras. . 





250 Jugend- und Volksſchriften. 


Wir wünſchen dem Buche eine weite Verbreitung, natürlich auch 
fleißige Benutzung von Seiten der Lehrer. 


13. Die Geographie in Bildern oder charalteriſtiſche Darſtellungen und 
Schilderungen aus der Länder» und Völkerkunde, geſammelt, bearbeitet 
und zu einem vollfländigen Ganzen verbunden von a. Berthelt. Zweite, 
vermehrte und verbeflerte Auflage. gr. 8. (X u. 381 ©.) Leipsig, Zul. 
Klinkhardt. 1856. 1 Thlr. 

Dies Werk Bat recht bald den verdienten Beifall erhalten. Es 
zeichnet fih vor den verwandten Schriften von Thomas und Grube das 
durch aus, daß das den Neifeberichten entnommene Material felbfiflän. 
diger und gedrängter bearbeitet und den Bodenverhältniffen mehr Rech⸗ 
nung getragen worden if. Die Zahl der Bilder beläuft fi) auf 198, 
von denen 27 der Erde im Allgemeinen , die übrigen den einzelnen Erd⸗ 
theilen und Ländern gewidmet find. Hier und da hat der Berfafler dem 
Geographiſchen auch Naturhiſtoriſches hinzugefügt, was wir vom pädar 
gogifchen Standpunkte aus nicht billigen Eönnen. In einzelnen Bildern 
it die Darftelung nicht correct genug. Seite 183 heißt es z. B.: 
„Bur Rache führt den Spanier Lift und Gewalt.” _ Weiter umten: 
„Aber die Frauen find fehr offen, gut, edelmüthig, lebhaft, zuweilen 
unbedachtſam und freu. Alſo: zuweilen — treu. Der Auffag if 
übrigens mit H. Stiehler unterzeichuet. Seite 185 iſt ein finnentflel- 
lender Drudfehler (feichenförmig flatt linfenförmig) flehen gebtiehen. Abs 
gefehen aber von diefen leicht zu befeitigenden Kleinigkeiten, halten wir 
diefe Schrift für eine recht leſenswerthe. 


3. Geſchichte. 


14. Die Geſchichte Helfen in Biographien für das Doll er 
zählt von &. Simon, Oberpfarrer zu Michelſtadt. M. 8. Frankfurt a. M., 
Heinr. 8. Brönner. 1855 u. 56. 

—Erſtes Bändchen. Das Leben des Heiligen Lubwigs, Lands 
tafen zu Thüringen, Fürſten zu Helen, und feiner Gemahlin, der hei 
figen Elifabeth. (XI u. 141 ©.) 1855. 15 Ger. 

weites Bändchen. Das Leben Heinrichs des Kindes, erflem 
Landgrafen von Heſſen. (VII u. 122 ©.) 1856. 10 gr. 

Drittes Bändchen. Das Leben Heinrichs des Eiferuen, 
Landgrafen von Hefien, und feines Sohnes Dtto, genannt der 
Scähug. (VII u. 158 S. nebſt Stammtafel des Heſſiſchen Fürkenhaufes.) 
1356. 

Biertes Bändhen. Das Leben Ludwigs I, des Fried⸗ 
famen, Landgrafen von Hefien. (VIII u. 135 G. nebfl Stammtafel.) 
1856. 


Füänftes Bändchen. Das Leben Philipps des Groß⸗ 
müthigen, Landgrafen von Heſſen. (VIII u. 160 ©. nebſt Stamm⸗ 
tafeln.) 1856. . 

Der Berfaffer hat fih mit diefem Werke den Iöblichen Zweck ges 
ſetzt, das Volk mit feiner Geſchichte befannt zu machen. Als einzig 
richtigen Weg hierzu hält er das Vorführen großer Charaktere der 
Bergangenheit, der Thaten und Schidjale hervorragender Perſoͤnliſch⸗ 


Jugend und Bollsfäriften. 251 


feiten. Bir flimmen ihm darin ganz bei und freuen uns, baß der 
Berfaffer eine fo gute Wahl getroffen und feinen Lebensbildern eine fo 
anfprechende Friſche verlieben bat. Der Verfaſſer verfteht es, dem Volke 
zu erzählen. Daher empfehlen wir fein Werk als eine recht angenehme, 
nügliche Lertüre, und nicht bloß den Heſſen, fondern allen deutfchen 
Männern und Frauen des Volkes. 


15. Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum Stein. Ein 
biographiſches Gemälde aus der Geſchichte des deutfchen Taterlandes. Bon 
Fran Manritind. 8. (88 ©.) Leipzig, F. A. Brodhaus. 1856. 5 Ser. 

Diefe Schrift bildet das 25. Bändchen der „Unterhaltenden Bes 
lehrungen zur Förderung allgemeiner Bildung.‘ 

Nachdem Stein in Berg einen fo ausgezeichneten Biographen 
gefunden bat, kann es allen Verehrern defjelben, die nicht Zeit haben, 
voluminöfe Bände durdyzuarbeiten, nur angenehm fein, ein kleineres Ger 
mälde dieſes verdienten Mannes zu erhalten. Gin ſolches bietet ber 
Verfaſſer in dem genannten Schriftchen dar. Er ift, und das mit Recht, 
begeiftert für feinen Helden, hält fi aber doc überall frei von Ueber 
treibungen, verdedt fogar die Schwächen deffelben nicht. Wie natürlich, 
erhalten wir mit Steind Leben zugleich ein tüchtiges Stüd Gefchichte 
der neuern Zeit, oder noch befier: den Schlüffel zu vielen wichtigen 
Umgefaltungen und Begebenheiten der jüngeren Bergangenbeit. Wer 
es noch nicht weiß, der fann es aus diefem Schrifichen lernen, was 
Preußen, was Deutjchland diefem großen Manne verdantt. Mit Mecht 
fagt der Verfaſſer in der Einleitung von ihm: „Mehr ale von irgend 
einem andern Manne unjers Bolfes und Jahrhunderts Tann es von 
Stein gefagt werden, daß er ein auserwähltes Rüſtzeug des geichicht- 
lien Geiftes, ein geweihter Vorkaͤmpfer der Heiligften fittlichen Ideen, 
ein Beiland und Erlöjer feines Volkes geweſen iſt.“ Einer weitern Ems 
pfehlung diefes gut geichriebenen Buches wird es nicht bedürfen. 


16. Suſtav Adolf, König von Schweden. Ein Lebensbild von Franz 

Mauritius. 8. (72 &.) Ebendaf. 1856. 5 Ser. 

Dies Werkchen if in echt proteflantifchem Geifte gehalten und bildet 
daher in wefentlihen Stüden einen Gegenfag zu der gleichnamigen, 
fon fehr tüchtigen Schrift des Tatholifchen Kirchenhiftorikere Gfroͤrer. 
Der Berfafler ſchließt feine Einleitung, in der er die neuern Verdäch⸗ 
tigungen des Proteſtantiemus entfhieden zurückweiſt, mit den Worten: 
„Gufſtav Adolf ehe neben Luther im Bantheon des deutfchen Volkes!‘ 

Im Uebrigen verdient die Schrift diefeibe Empfehlung, wie die 
eben beſprochene. Der Berfafler erzählt und fhildert in anfprechender 
Beife und läßt fi nirgends zu ungerechten Urtheilen verleiten. Das 
Werkchen wird allen Verehrern des großen Helden wie des „Guſtav⸗ 
Adolf⸗Vereins“ eine willlommene Gabe fein. 


17. Bernhard der Große, Herzog au Sachſen⸗Weimar. Nach feinem 
Leben und Wirken in Verbindung mit Begebenheiten aus den Zeiten des 
Dreißigjährigen Krieges dargeftelt von Ferdinand Schrader, 8. (VIII 
u. 76 ©.) Schletz, Carl Hübfcher. 1856. TYya Ser. _ j 


252 Jugend- und Volksſchriften. | 


Das Werfen ift den Mitgliedern der Guftav » Adolf» Stiftung in 
Deutfhland gewidmet und fo gehalten, daß es von dieſen, wie übers 
haupt von allen guten Proteftanten, mit Intereſſe wird gelefen werden. 
Der Berfaffer erzählt fchliht und treu, bleibt bei den Hauptbegeben⸗ 
heiten fliehen, beleuchtet aber zugleih das ganze Getriebe jener Zeit, 
namentlich den Kampf der Proteftanten gegen ihre Unterdrüder. Das 
empfiehlt die Schrift für weitere Kreife. 


4. Literaturhiſtoriſches. 


18. Gottfried Auguft Bürger. Sein Leben und feine Dichtungen. Bon 
Dr. Beinrih Pröhle. 8. (XIV u. 184 S.) Leipzig, Guſt. Mayer. 
1856. 18 Egr. 

Der vortbehaft als Schriftfteller bekannte Verfaſſer bat in dieſem 
Werke eine fehr tüchtige Arbeit geliefert. Eine Reihe von Irrthümern, 
die durch Altbofs Biographie über Bürger verbreitet worden find, finden 
bier ihre Erledigung, da der Berfaffer ſich feine Mühe bat verdrießen 
laffen, überall Nachforſchungen anzuftellen, wo der Dichter gelebt bat. 
Dadurch hat diefe Arbeit einen bleibenden Werth erhalten. 

Nachdem der Berfaffer mit genügender Ausführlichkeit Bürgers 
Leben erzählt und ihn als Dichter gewürdigt hat, gebt er näber auf 
folgende Dichtungen deffelben ein: Lenore. Der Kaifer und der Abt. 
Das Lied vom braven Mann. Die Kub. Der wilde Jäger. Die 
Weiber von Weinsberg. Des Pfarrers Tochter zu Zaubenhain. Der 
Raubgraf. Die Entführung. Der Bruder Graurbd und die Pilgerin. 
Das. Lied von der Treue. Lenardo und Blandine Den Schluß bildet 
ein genauer Abdrud der Gedichte des Muſenalmanachs, die in den Aus⸗ 
gaben der Bürgerfchen Gedichte fehlen. 

Wir empfehlen das Wert Allen, die Intereſſe für unſere National⸗ 
literatur haben. 

19. Schiller. Eine biographiſche am von Zohann Wilhelm 
Schaͤfer. 8. (76 S.) Leipzig. F. A. — 1853. 5 Sgr. 
Dies Werkchen bildet das 15. Bändehen der ‚‚Unterbaltenden Bes 

lehrungen zur Förderung allgemeiner Bildung. Der Berfafler if als 

Literaturbiftorifer vortheilbaft befannt, die Arbeit kann daher mit vollem 

Bertrauen in die Hand genommen werden. Seine Schilderung iſt an» 

ſprechend und führt uns in gedrängter Weile den ganzen Entwidelungs» 

gang des großen Dichters vor. Wir empfehlen das Werkchen Allen, 
denen es an Zeit gebricht, die befannten Schriften von Soffmeifter und 

Viehoff über Schiller durchzuarbeiten, als ein recht brauchbares. 

20. Goöothe. ine biograpbifhe Schilderung von Mob. Prutz. 8. (14 5.) 
Ebendaf. 1856. 5 Sgr. 

Diefe Biographie bildet das 27. Bändchen der, mehrfach genannten 
„Unterhaltenden Belehrungen.” Auch bier genügt «8 vollfommen, auf 
den berühmten Namen des Biographen binzumeifen. Bei dem großen 
Intereffe, welches Goͤthe für jeden gebildeten Deutfchen bat, muß eine 
Biographie deffelben aus der Feder eines Kenners und vorurtheilelofen 


Jugend- und Volksſchriften. 253 


Beurtheilers eine ſehr willkommene fein. Was über den großen Dichter 
bis zum Abichluß der Biographie befannt geworden, if forgfältig bes 
nußt und zu einem lichtvollen Ganzen verarbeitet worden. Mehr zu jagen, 
eriheint uns überflüffig. Aber als Aufmunterung zum Studium folder 
Schriften fügen wir noch folgende Stelle aus dem erfien Abfchnitte bins‘ 
zu. Seite 4 u. f. beißt es: „Erſt in ihren Künftlern, in ihren Did 
tern wird eine Zeit fich ihrer felbft wahrhaft bewußt; darum, wer jeine 
Zeit und fein Volk gründlich verſtehen will, der fludire ihre Dichter, 
der durchforſche nicht bloß ihre Werfe, fondern auch ihren Lebensgang 
und überzeuge fih, wie bier das Allgemeinfte und Unfaßbarfte zu pers 
fönliher Geftalt und individuellem Ausdrud gelangt. Wer zumal könnte 
fein eigenes Volk ‚lieben und richtig verſtehen, ohne feine Dichter zu 
lieben? Liebe aber, wenn fie wirklich fruchtbar werden, wenn fie die 
Seele veredeln und zu Thaten anfeuern fol, ſetzt VBerfländniß voraus; 
darum ift auch das Berftändniß unferer großen Dichter und ihres Les 
bendganges ein nothwendiges Erforderniß für jene tiefere volfsthümliche 
Bildung, melde, indem fle den Stern des nationalen Weſens begreift, 
zugleih die Kraft und Fähigkeit verleiht, denfelben durch Thaten zu 
verwirklichen.‘ 


2). Biograpbifhe Minlaturpilder. Zur bildenden Lectüre für Jung 
und Alt verfaßt von U. W. Grube. gr. 8. Erſter Band, in zwei Ab» 
theilungen. (VII u. 504 ©.) Zweiter Band. (III u, 443 ©.) Xeipzig, 
Fr. Branditetter. 1856 u. 57. Elegant geheftet in allegorifch verziertem 
Umſchlage. A Thlr. 

Der fleißige, gewandte Verfaſſer bietet uns hier ein Werk dar, 
für das wir ihm ſehr dankbar ſein müſſen: abgerundete Biographien 
von Männern der Wiſſenſchaft und Kunſt, der Politik und des Krieges. 
Zwar befigen wir in unferer Literatur bereits vortrefflihe Biographien 
der berühmteften Perſoͤnlichkeiten; aber diefe entweder fo weitfchichtig, 
daß ihr Studium fehr zeitraubend und ihre Beichaffung unverhäftnißs 
mäßig koſtſpielig iſt, oder fo ffiszenhaft, daß ihre Lectüre ſich erfolglos 
erweiſt. Der Berfafler hat in feinem oft bewährten Tafte hier die rechte 
Mitte getroffen; er bat Biographien geliefert, die für die große Mehr⸗ 
zahl der Lefer volllommen ausreichen. Seine Darftellung ift Iebendig, 
anſprechend; auf das Wefentliche ift überall der. Nachdrud gelegt. 

Der erſte Band enthält Biographien deutfcher Männer (und einer 
Dame), der zweite dazu Parallelen des Auslandee. Die Namen ders 
feiben find a. im erflen Bande: Keppler, Kant, Heyne, Spener, Las 
vater, Mengs, Angelifa Kaufmann, Beethoven, Mendelsfohns Bartholdy, 
Nikclaus Lenau, Seydelmann, Rauch, Heim, Werner, Frauenhover, 
Steffens, Johann Jakob von Mofer, Juſtus Möfer, Friedrich Perthes, 
Wilhelm von Humboldt, Freiherr von Stein, Joachim Nettelbeck, Fer⸗ 
dinand von Schill, Andreas Hofer, Joſeph Speckbacher, Joachim Hass 
pinger, Erjberzog Karl. db. im "zweiten Bande: Raphael Sanzio, 
Berer Paul Rubens, Galileo Galilei, Iſaak Newton, James Watt, 
Boerhave, Linne, Cuvier, Paskal, Fenelon, William Penn, Benjamin 
Zranliin, Waſhington, Wiliam Pitt, Nelfon, Wellington, Palafoz, 


254 Jugend- und Volksſchriften. 


Auguſtina von Saragoſſa, Romana, Frau von Staël, Talleyrand, Gar⸗ 
rik, Paganini, Thorwaldſen, Lord Byron, Walter Scott. 
Die Ausſtattung iſt vorzüglich. 


C. Belehrende und unterhaltende Sehriften. 


22. Der vaterländiſche HaAusfreund. Unterhaltungen und Stüdien 
aus dem Naturs und Menſchenleben. Herausgegeben von Fr. Ed. Kel: 
In en. gr. 8. (VI u. 312 ©.) Suͤtersloh, ©. Bertelömann, 

56. d ° 


Der „vaterländifhe Hausfreund” hat fi den Zweck gefeßt, Kennt» 
niß des preußifchen Landes, im weiteren Sinne des Worted, zu vers 
breiten, will fich jedoch nicht abfchließend gegen andere Länder Deutſch⸗ 
lands verhalten. Berechnet iſt derfelbe auf das große Publikum und 
daher in feinen Auffägen populär gehalten. Jährlich werden 10 Hefte 
erſcheinen, von denen 5 einen Band ausmachen, der 1 Thaler koftet. 
Jedem Hefte werden 5— 8 Illuſtrationen in Holzfehnitt beigegeben. 

Wir halten dies Unternehmen für ein recht empfehlenewerthes und 
wünſchen ihm daher den beften Erfolg. Der und vorliegende erfle Band 
enthält folgende größere Auffäge: Die Grafen von Zollern, vom Her» 
ausgeber. Luthers Leben, von Dr. ©. E. Burkhardt, Ardidiar 
fonus zu Deligih. Die Porta Westphalica, vom Herausgeber. 
Bilder aus der Natur und dem Leben: 1. Die Schwalbenfamilie, von 
M. Bach, Lehrer an der höheren Stadtichule in Bopyard. 2. Der 
Ehwefel, von Dr. W. Sommerlad. 3. Das Waſſer und der Res 
gen, vom Herausgeber. Speierer Gefchichten, von Prof. K. Wag⸗ 
ner in Darmftadt. Der erfte und zweite fchlefifche Strieg, vom Her» 
ausgeber. Wanderungen in das fchlefifche Gebirge (mit Panorama), 
von Saro⸗Sileſius. Bor hundert Jahren, vom Herausgeber. 
Die Marienburg, vom Seminarledrer Lettau. — Wie die Auffäße, 
fo find aud die eingedrudten Abbildungen gut. Ein „Feuilleton“, das 
jedem Hefte angehängt if, enthält kleinere Mittheilungen von vaterläns 
diſchem Intereffe. 


B. Schriften reltgiöfen Inhalts. 


23, Achte Perlen. Nah dem Englifchen von Thekla von Gumpert. 16. 
(80 S.) Berlin, Zuft. Alb. Bohlgemuth. 1856. 3 Sgr.; auf feinerem- 
Papier 5 Sgr.; cart. 6 Sgr.; cart. mit Goldſchnitt 10 Sgr.; elegant ges 
bunden mit Goldſchnitt 12 Ser. 

Dies Peine Büchlein handelt in fententiöfer Weife über folgende 
Gegenftände der Religion: Bon der Religion im Allgemeinen. Bon 
Gott. Bon der Gottesfurht. Bon der Gegenwart Gottes. Bon der 
Liebe Gottes. Bon Chriſto. Bon der Liebe Chrifi. Bon den Gläus 
digen. Bon den Sündern. Bon der Sünde. Bon der Reue. Vom 
Blauben. Bon der Demuth. Bon der Zufriedenheit. Vom Gtol;. 
Bon der Heuchelei. Dom Müffiggange. Bon der Seele. Bom Her 
zen und vom Gewiffen. Bon der Gnade. Bon der Berfuhung. Don 
der Erde. Bon Gottes Wort. Vom Geſetz. Bon der Vorſehung. Bon 


⸗ 


Jugend- und Volksſchriften. 285 


der Betrübniß. Vom Gebet. Bon der Ewigkeit. Vom Tode. Vom 

Himmel. Bon der Hölle. | 
Man wird den Inhalt des Büchleins am beflen aus einer Probe 

zu beurtheilen im Stande fein; wir wählen dazu das, was von der 

„Heuchelei“, diefem Krebsſchaden auch unferer Zeit, gefagt if. 

„Ein Heuchler if weder fo, wie er fiheint, noch fiheint er fo, 
wie er if.‘ 

„Der Heudler ift das Bild eines Heiligen, aber die Farben wers 
den weggewafchen, und dann erfiheint er in eigenen Farben.’ 

„Bott ift wahrhaftig gut gegen uns, fo follten wir es auc gegen 
ibn fein.” 

„Der DHeuchler wird oft von der Welt geachtet, weil er einem 

Ehriften gleicht, er wird von Gott verachtet, weil er ein Chriſt iſt.“ 
In diefer Inappen Ausdrudeweife if Alles gehalten. Das Schrifts 

hen darf gläubigen Chriften, die zugleih am Denfen Bergnügen fins - 

den, zur Förderung ihrer religiöfen Einfiht empfohlen werden. 

24. Das wicdergefundene goldene Büchlein: Bon der Bohlthat Ehrifti. 
Bon Antonius Balearius. Aus dem Stalienifchen überfeßt von Eric 
Stiller, Pfarrer in Harburg. gr. 16. (90 ©.) Hamburg, R. Kittler. 
1856. Geh. 5 Spr., elegant geb. mit Goldſchnitt 15 Syr., desgl. fehr 
nie vergoldet 18 Sgr., —BE in Leder, reich vergoldet 1 Thlr. 

T 


Der Berfaffer des Büchleins lebte zur Zeit der Reformation; er 
wurde auf Beraulaffung der Jeſuiten in einem Witer von 70 Jahren 
mit demfelben verbrannt. Der Weberfeger fagt von dem Schriftchen: 
„Ich kenne außer der heiligen Schrift und den A Büchern des Thomas 
a Kempis von der Nachfolge Chrifti fein Buch von größerem Werthe, 
— und wo in einem Haufe die Bibel und die Nachfolge Chriſti von 
Thomas a Kempis fich findet, da follte auch das Schriftchen „„von der 
Wohlthat Ehrifi'‘ fein. Schöneres und Werthvolleres kann fein Freund 
dem Freunde, kin Bater dem Sohne, fein Lehrer dem Schüler, fein 
Bräutigam der Braut reihen. Wo dieſes Schriftchen und bie in dem⸗ 
felben enthaltene Wahrheit Eingang findet, da wird Gott mit reichem 
Segen eintehren, und im Himmel wird Freude fein über folches Haus 
und Gerz!" 

Seiner Zeit hat dies Bud eine außerordentlihe Verbreitung ger 
funden, wurde 3. B. allein in Benedig in mehr als 40,000. Exemplaren 
gedrudt und in mehrere Sprachen überfept. Seine Verpflanzung auf 
deutfchen Boden Tann als ein dankenswerthes Unternehmen bezeichnet 
werden; aber bei der großen Zahl guter Erbauungsbücer bezweifeln 
wir doch, daß es bei uns eine ähnliche Aufnahme finden wird, wie bei 
feinem erſten Ericdeinen in Italien. Die Ueberfegung if fließend, das 
Büchlein daher gut lesbar. | 
25. Rreuz und Krone. ine Feſtgabe von C. 3. St. . 

Bebentend vermehrte und AAN abe A TG —— 

u. 256 ©.) Berlin, Juſt. Alb. Wohlgemuth. 1856. 25 Sgr. 

Dos fange Vorwort befteht der Hauptſache nad) aus einer Abs 
Sandlung über das Kirchenlied. Der Verfaſſer tadelt darin die Beräns 


250 Zugend= und Volksſchriften. 


derungen, welche man in früherer Zeit mit den alten Liedern vorge 
nonımen, warnt aber zugleich vor dem Extrem, in das man jeßt, wo 
man das Alte in feiner Urfprünglichkeit wieder hervorſucht, zu verfallen 
Gefahr läuft. Im Ganzen flimmt er damit überein, das Kirchenlied 
mit Geflert abzufchließen; doch verwahrt er fih vor dem gänzlichen Aus» 
Schließen der fyäteren Dichter, auch der neueften. 

Die 121 Lieder und Gebete, welche der Berfaffer darbietet, ruhen 
alle auf. bidlifchem Grunde, zeugen von inniger Liebe zu Jeſu und von 
der Sündhaftigfeit des Menſchen. Diele derfelben find als wohlgelungen 
zu bezeichnen; ob aber eins derfelben den Weg in die Geſangbücher 
finden wird, laſſen wir dahin geftelt fein. Mehrfach ſtößt man ſelbſt 
in an und für fih guten Liedern auf moderne harte oder doc, nicht 
ganz edle Ausdrüde Das möge aber feinen Freund religiöfer Lieder 
abhalten, fi in den Befig dieſes fonft guten Buches zu fegen. 


E. Poetiſches. 


26. Haus und Herz. Kinfahe Dichtungen verfhledenen Inhalts von C. 
3. &t. Czilsky. FM. 8. (VIII. u. 165 ©.) Berlin, Juſt. Alb. Wohl⸗ 


gemuth. 1857. 16 Ser. 

Die 151 Gedichte diefes Büchleins find in vier Abtheilungen mit 
fotgenden Weberfähriften gebradt: Bamilie und Haus, Zeld und Wald, 
Dies und das, Herz und Schmerz. Die Mehrzahl derfelben kann aud 
hier als wöhlgelungen bezeichnet werden. Manche davon find für Kin- 
der befiimmt, in einzelnen Wendungen jedocd nicht kindlich genug. In 
mancen Fabeln erwartet man die hinzugefügte Moral nicht. 

27. Bilderbuch ohne Bilder, von H. C. Anderfen. Schfte Auflage. 
186. (78 ©.) Leipzig, 8. Biedemann. In englifchem Einband mit Sn: 
fhnitt 3/6 Thlr. 

In 33 Bildern werden von dem befannten und beliebten Dichter 
mannigfache Lebensverhältniffe, Leid und Freud, in anfprecdhender, ers 
freuender und belehrender Weife geichildert. Die 6 Auflagen, welde 
das auch äußerlich fehöne Buch bereits erlebt bat, fprechen am beften 
für feine Gediegenheit. Wir wünfchen ihm recht weite Verbreitung. 

28, Der See von Laach. ine poetifche ee nebft einer Zugabe. 
8. (21 S.) Duisburg, Job. Ewich. 1856. 7'/a Sgr. 

Der See von Laach, von dem Wirtgen im Weltall” von Giebel 
eine vortreffliche ausführliche Befchreibung mit Beichnungen geliefert bat, 
liegt weftlih von Andernah am Rhein; er ift berühmt durch feinen vul⸗ 
Panifchen Urfprung und feine Umgebung. Unfer Dichter fcheint diefen 
merfwürdigen See oft beſucht und ſich an feiner Echönheit ergößt zu 
hoben. In dem vorliegenden Gedichte fchildert er denfelben mit großer 
Lebhaftigkeit in gewählter Sprache und fircht darnach, dem Lefer zus 
gleich die einftige Bildung des See's zum Berftändniß zu bringen. Wir 
haben diefe Echülderung mit Vergnügen gelefen und empfehlen fie nament= 
lich allen Beſuchern des See's — natürlich auch Anderen — beſtens. 


20. Zr. L. von Soltau's deutſche hiſtoriſche Vollstieder, zwei 
88 Hundert. Aus Soltau's und Leyſer's Nachlaß und andern Quellen 


Jugend- und Volksſchriften. 257 


berausgegeben mit Anmerkungen von H. R. Sildenrand, Dr. phil, 
Lehrer an der Thomasſchule zu Leipzig. 8. (ALVI u. 514 ©.) Leipzig, 
Auſt. Mayer. 1856. 22% Zülr. 

Bon diefen 100 Volksliedern gehören 40 dem 15. und 16. Jahr⸗ 
hundert an, 20 dem 17. und AO dem 18. und 19. Im Ganzen finden 
fh darunter 46 Lieder, Die noch nirgends gebrudt waren, und die 
übrigen waren der Mehrzahl noch ſchwer zugänglihd. Dadurch bekommt 
die Schrift den großen Werth eines Quellenwerkes, eine Bezeichnung, 
die man bereit dem erflen Hundert der Soltau’fchen Bolkslieder zuer⸗ 
fannt bat. Das Berdienft des jebigen Herausgebers if bedeutender als 
das des urfprüänglichen Sammlers: er bat 55 Lieder hinzugefügt und 
alle erläutert. Durch diefe Erläuterungen werden diefe Lieder den meis 
ſten Lefern erſt wirklich zugänglich. 

Da der große Werth der Bolfslieder in geſchichtlicher und literature 
biorifcher Beziehung bereits allgemein anerkannt wird, fo if es nicht 
nöthig, dieſem Werke noch eine befondere Empfehlung zu widmen; es ver 
dient die allgemeinfte Verbreitung. Die Ausflattung deſſelben iR fchön. 


Made, Jahresbericht. X. 17 | 


‘ s 


v1. 
2* Mathematik. 
a 00.00 Bon 


Dr. Fr. Bartholomäi. 


Herr Fahle hat ſich uneinverſtanden erklärt mit dem Urtheil, 
welches der pädagogiſche Jahresbericht (Band IX. ©. 127) über fein 
Bud gefällt hat. In fo fern er nicht einverflanden if, bat er noch 
viele Leidensgefährten. Mit diefen fih zu tröften if die Weilung, die 
ih ihm gebe. Der Jahresbericht kann fih in feiner Weife auf Antis 
fritifen einlaffen, weil fie die Lefer nicht bezahlen wollen. Weitläufig 
motivirte Urtheile Tann er auch nicht geben, weil dies feiner Beſtim⸗ 
mung zumider if. Daher wird das Urtheil kurz zufanmengefaßt und 
zwar vom Standpunkte des Berichterftatterse aus. Damit muß der 
Autor und der Lefer fi begnügen. Ich bin zufrieden, wenn ich einem 
guten Buche Verbreitung fchaffen, oder einem fchlechten den Hals breihen 
fann. Sch erwähne dies einmal als Antwort für Seren Fahle, das ans 
dere Mal als allgemeine Erklärung. Wer fih falfch beurtheilt weiß, 
der ſuche fih ein andres Organ, das unfre ift nicht dazu angethan. 
Herr Fable befpricht in 4/, feiner „Anzeige“ die Gefchichte des Buchs 
und wirft mir vor, ich habe überfehen a) willenfchaftliche Erklärungen; 
b) die allmähliche Einführung in den Gebrauch. der Klammern, alfo Ans 
leitung zur mathematifchen Zeichenſprache; c) Erweiterung des mechani⸗ 
fhen Rechnens durch Hinweifung auf andere Zahleniufteme und die Des 
cimalbrüche; d) die feſten mathematifchen Regeln, e) Mufterbeilpiele. 
Was habe ich aber gefagt: „Herr Fable giebt die wiffenfchaftlihen Bes 
griffe in concreten oder individuellen Zahlen. Darunter gehören, fo 
viel ich weiß, die Erklärungen und felbf die Klammerbezeihnung. Die 
Zahlenſyſteme und Decimalbrüche verftehen fi) nad dem Zitel des Bude 
von ſelbſt und Mufterbeifpiele find fo gewöhnlich, daß ich Fein Buch 
ohne diefelben kenne. Daher ift alles gelagt, was ber Lefer zu wiſſen 

‚braudt. Mit dem Citat aus meinem Referat kann fih Herr Fable 


Mathematik. 259 


jogleih darüber beruhigen, daß er abftracte Erklärungen an die Spitze 
gefteflt habe. Dann kommt in meinem Referat nur das directe Gegen« 
tbeil wor. Er will nur nicht in der Nacbarfchaft des Herrn Dr. 
Staupe fein, Und doch gehört er dahin, weil fein Lehrbuch, fowie das 
des Letzteren, wefentlih für Schüler gefchrieben, während die übrigen 
für den Lehrer beftimmt find. Ich liebe die Breite nicht. Herr Fahle 
glaubt ferner, daB auch Bolksfchullehrer etwas aus feinem Buche lernen 
lönnten. Ich will ihm dieſen Glauben nicht nehmen, und babe in meis 
ner Relation auch Fein Wort gefagt, was andern Leuten diefen Glauben 
rauben könnte. Eine andere Frage ift freilich, ob fie denfelben über» 
baupt haben. Kurios endlich iſt der Saß der Anzeige: „Die Differenz 
über Die Entflebung der fogenannten arabifchen Zahlen if nicht fo erheb⸗ 
ih, wie Referent zu vermeinen ſcheint. Seine Art führt nur einzelne 
Bogen flatt gerader Striche ein. Wir geben zu bedenken, daß die deuts 
ide Schrift niemal® Bogen geliebt hat und daß unfre Herleitung von 
der gothiſchen Baukunſt wirflih angewandt worden if.’ Wer meine 
Angabe lieft und der deutfchen Sprache mächtig ift, wird fehen, daß ich 
der betreffenden „Curioſität“ gar feine Wichtigkeit beilege. Dann iſt die 
Entkehungsmweife der Biffern, welche ich mitgetheilt habe, nicht meine 
Art, fondern es iſt eine traditionelle Anficht der gelehrten Indier, wer 
mit Die gothiſche Baukunſt vielleicht etwas zu thun hat, vielleicht aber 
auch nicht. 

Roc dieſer ärgerlihen Einleitung, deren Art nur Dies eine Mal 
seftattet fein mag, zur Sache. Im Allgemeinen macht, aus der hetrefs 
feuden Literatur zu fihließen, die Formenlehre als Vorbereitung zur 
wiſſenſchaftlichen Geometrie fih immer mehr geltend; die preußis 
den Regulative haben angefangen, auch in der Nechenliteratur zu wir 
fen, leider in rüdjchreitender Weife. 


Methode. 


A. Im Allgemeinen. 


1. „Der Unterriht in der Geometrie und Algebra dient ſchon in 
ſeinen erſten Anfängen dazu, um dem fogenannten Biffer- und kauf 
männifchen Rechnen eine Stätte zu bereiten. Weber dem Rechnen hat 
man leider oft die geometrifchen Anfänge vernadläffigt. Die engfte 
mögliche Verbindung aber zwifchen Geometrie und Rechnen führt allein 
zur wiſſenſchaftlichen Klarheit. Beifpiele zur Verdeutlichung ſchlechthin 
thun es nicht.“ 

2. „Die Zahlenbegriffe ſind nicht zur Maturität getrieben, ſo lange 
ne mit Anzahlen verwechſelt werden. Bahlen find nicht Summen von 
Einheiten; denn fonft müßte der Zahlbegriff aus diverfen Vorſtellungen 
eben fo vieler Merkmale des Zahlausdrudes befteben; fondern Zahlen 
And Bervielfahungen von Einheiten, gleichviel ob dieſe als Vieles oder 
Eins gedacht werden, und deshalb ift der Zahlbegriff aus der einen uns 
getheilten Bervielfältigungsvorftellung gebildet. Hieraus erhellet, daß der 

17* 


S 


260 Mathematik. 


Nechenunterricht nicht neben der wiſſenſchaftlichen Arithmer 
tif her gebe, fondern feine Wurzeln in den mathematifhen Willens 
ſchaften liegen hat; fonft -würde er einem verdorrten Gewächſe gleichen, 
das, weil es nicht Wurzel hatte, vertrodnete. Der pädagogifhe Werth 
des Nechenunterrihts hängt hauptiählih davon ab, wie weit man 
das Ganze des Kreifes der Gedanken und Kenntniffe er- 
greift. Derfelbe iſt aber ohne die mathematifhe Grundlage nicht zu 
erzielen, und bie Forderung der engſten Verbindung des Rechnens mit 
der Geometrie iſt deshalb eine unbedingt nothwendige und folglich ge⸗ 
rechtfertigte. Ehe der Schüler nicht in die Sprache der Mathe⸗ 
matik eingeführt iſt, wird er nicht einmal im Stande ſein, die leich⸗ 
teſte Bruchrechnung aufzufaſſen, geſchweige denn, daß er die Gründe 
des Verfahrens bei der Ausbildung und Auflöſung der Neguladetri eins 
feben wird. Der Bruch ſchon fept den Begriff des Verhältniffes voraus 
und 'die Neguladetri den von der Proportion; wie folleı diefe aber an⸗ 
ders gewonnen werden, als aus der Algebra und Geometrie? — Run 
fordert fhon das gemeinfte Rechnen Kenntniß der Brüche und ohne 
Regulabetri kann fein intelligenter Geſchäftsmann fertig werden, fchnelt 
fertig werden, mithin gehören diefe in den Schulunterricht und zwar 
auch u den niederen.” j 

8. „Das gefammte Faufmännifche Rechnen läßt ih auf den Res 
gufadetri s und Kettenfag zurüdführen, wenn die faufmännifchen Aus⸗ 
drüde als befannt anzunehmen find, und Reguladetri und Kettenfaß 
find nur andere Formen der algebraifchen Gleichungen und ber geomer 
trifhen Congruenz und Aehnlichfeit, wie denn überhaupt biefe den ges 
fammten Theil der rechnenden Geometrie ausmachen.’ 

4. „Die Wiffenfchaft der Mathematik bewerkftelligt mehr, als fie 
verfpricht, aber die Wiffenfchaft der Metaphyſik verfpricht mehr, ale fie 
ausführt. Das Studium der Mathematit beginnt gleich dem Styl mit 
Kleindeit und endigt mit Glanz; das Studium ber Metaphyfik beginnt 
mit einem übervollen Wortfchwalle und verliert ſich zulegt in Dunkelheit 
und Bermuthung, wie der Niger in feinen unfruchtbaren Sandwüften.‘‘ [1] 


B. Im Befonderen. 
I. Arithmetil, 


5. „Aufgaben, Bücher, Unterricht, die fich mit Rechnungen befaffen, 
ſollten beſſer Rechnungsaufgaben, Rechnungébücher, Rechnungsunterricht 
genannt werden.“ [2] 

6. „Wir können bei der Fünf ftehen bleiben, weil wohl wenige 
Menfchen es weiter bringen werden, als zum flaren Begriffe von der 
Drei. Es ift nicht bloßer Scherz. In der That fann man mit feis 
nem Jorfelen über die Drei nicht gut hinaus.’ [3] 

7. „Zu Zeiten ift es ſehr wünfchenswerth, ſchriftliche Rechenaufs 
fäpe fertigen zu laflen, die dann aber leicht genug fein müffen, um dem 
Fair das Intereſſe am Unterricht nicht zu verleiden.“ [4] 


E 2 


Mathematik. 261 


6. „Die Frage, ob es zwedmäßig ſei, dem Rechenſchüler das 
Antwortenheft zu feinem betreffenden Aufgabebuch in bie Sand zu geben, 
wird bekanntlich von der einen Seite bejaht, von der andern verneint. — 
Rah meiner Anficht läßt fich indeß diefe Frage nicht durch ein einfaches 
Ja oder Nein beantworten. Während für bie eine Schule die Einfühs 
rung des Antwortenheftes fich empfiehlt, ja durch vorliegende Berhälts 
miffe geboten wird, dürfte für andre Schulen die Einführung auf Grund 
ganz anderer Berhältniffe unzuläffig fein. 5) _ 

9. „Dem arithmetifhen Anfangspenfum, fonft fo arm an geeigs 
netem Webungsmaterial, da die vom Rechnen fommenden Schüler in 
ihrer Praxis der Theorie voraus find, liefern die funtaftifchen Opera⸗ 
tionen reihen Stoff zu den mannigfaltigften Uebungsaufgaben, die dem 
Bildungsgrade der betreffenden Schüler ganz entfprechen und um fo 
leichter ein lebhaftes Intereffe in Anſpruch nehmen. Dafür fieht man 
Ach der Ginübung diefes Stoffes beim Eintritt der rechnenden Syntaktik 
überhoben, auf einer Stufe des Unterrichts, wo den Schülern das rein 
Medyanifche nicht mehr hinlänglich zufagt, um es fo weit zu verfolgen, 
als zum Berfländniß der combinatorifchen Säge notbwendig if.’ [6] 

10. „Die Entwidelung der Bahlenbegriffe und das Operiren mit 
Zahlen und Bablenverhältniffen if ein Bildungsmittel, auf welches der 
menſchliche Geiſt Durch das ihm angeborne BZahlenvermögen von felbft 
hinweiſt; das praftifhe Leben aber fordert von jedem Menichen eine 
größere oder geringere Gewandtheit im Rechnen, welche Gewandtheit 
nicht felten maßgebend if für die fociale Stellung deſſelben. Es kann 
darum nicht gleichgüftig fein, ob in diefer Beziehung etwas oder nichts 
von der Volksſchule geleiftet werde, und im erften Zalle, wie viel oder 
wie wenig, woraus fich die weitere Folge von ſelbſt ergiebt, daß, anger 
jeben die Wichtigkeit diefes Unterrichtsgegenſtandes, auch die Art feiner 
Behandlung der ernſteſten Erwägung bedarf.’ [7] 


I. Geometrie. 


11. Dr. W. Zehme läßt während des Ynterrichts den Text nie 
mals aufichlagen, dagegen haben die Schüler ununterbrochen die Figu⸗ 
tentafein vor fih. „Der Lehrgang prägt fih auf diefe Weile fo fe, 
ein, daß nicht allein ein Schüler, fondern über die Hälfte einer fre⸗ 
quenten Klaffe fämmilihe Säbe des Lehrgangs ohne Schwiekigkeit in 
der richtigen Reihenfolge aus dem Kopfe, ohne Benugung der Zafel, 
eitiren konnte, obgleich die Erwerbung einer folchen Geläufigkeit niemals 
zur Aufgabe gemacht wurde.” 

12. „Die Figuren find fo zu confiruiren, dag fowohl die Behaups 
tung als die Borausfegung eines Lehrfabes in ihnen erkannt wers 
den kann.“ [8] 

13. „Niemand wird beftreiten koͤnnen, daß die Gedankenoperation, 
dar weldhe man eine Aufgabe loͤſt, zwar von anderer Art, aber nicht 
minder bifdend und nicht minder wichtig ift, als diejenige, welche das 
Beweiſen oder das Auffinden eines Lehrjages erfordert. Auch in Bezier 


262 Mathematik. 


Sung auf ſtoffliche Anordnung erifirt nad unſerer Ueberzeugung ein 
Syſtem der Aufgaben nicht minder als ein Syftem der Lehrfäbe. So 
viel iſt fiher, daB die Trennung des Lehrftoffes in Lehrfäge und Auf⸗ 
gaben möglich und für die Entwidelung beider Theile beilfam if. Mög⸗ 
lich if diefe Trennung deshalb, weil, wenn zum Beweilen eines Lehr⸗ 
faßes eine Hülfsconftruction nöthig if, die Beweiskraft nicht davon 
abhängt, daß man Punkte, Linien u. f. w. der verlangten Art graphiſch 
darftellen, fondern vielmehr davon, daß man fi von der Nothwendigfeit 
der Epriftenz diefer Gegenflände überzeugen koͤnne. Heilſam if dieſe 
Trennung, weil dann unwillfürlich die Aufforderung entſteht, den Stoff 
der Aufgaben zu fihten und zu ordnen; weil, wenn man bei der Löo⸗ 
fung jeder einzelnen Aufgabe auf das Ganze der Lehrfäge zurückblicken 
Tann, verfähiedene Löfungsarten wie von felbft in die Augen fpringen ; 
und weil endlich bei einer felbffländigen zufammenhängenden Behand» 
fung der »planimetrifhen Aufgaben das Moment der graphifchen Aus⸗ 
führung ſchärfer und erfolgreicher betont werden Tann. Lebteres ſcheint 
ung namentlich im wohlverſtandenen Intereffe der bescriptiven Geometrie 
zu liegen, die ja im Grunde nichts anderes zu thun hat, als die gras 
phifche Loͤſung jeder flereometrifchen Aufgabe auf die Löfung einer pla⸗ 
nimetrifhen zurüdzuführen.’ 

14. „Wir halten unter anderem auch das Beweisen gegebener Lehr⸗ 
ſaͤtze für eine vecht geiftbildende Uebung; vorausgefept jedoch, daß der 
Lehrer nicht octroyire, fondern zum Selbfifinden anleite.“ [9] 

15. „Man hat, die rein dDogmatifche Art des Vortrags in der Geo⸗ 
metrie verlaffend, Bompendien in mehr oder minder heuriſtiſcher Form 
entworfen. Wie fchwer es aber if, hierbei das rechte Maß zu treffen, 
beweifen die bisherigen Berfuche zur Gnüge Bald find die zur Adfung 
ber Aufgaben und Fragen erforderlihen Winke zu ausführlich, Bald zu 
dürftig gegeben, oder — ganz weggelaſſen.“ [12] 


II. Schulen. 


1. ®olfsfäule. 


16. „Was ein Poͤhlmann, Peſtalozzi, Schmidt, Tillich u. A. für 
den Rechenunterricht in Volksſchulen iclten, iſt bis jetzt noch nicht 
gehbrig erkannt worden, namentlich da hier mancherlei ungünſtige Ver⸗ 
hältniſſe ſtörend auf den Fortſchritt einwirken.“ [11] 

17. „So lange nicht Einheit des Münzfußes, Maßes und Ges 
wichtes in unfern lieben Deutfchland hergeftellt fein wird, bedarf leider 
jedes Band, faſt jedes Ländchen nod feine befondern Rechenanfgaben. 
Bis zu jener Herſtellung möchte es aber, wie es fcheint, wohl noch 
manches Jahr anftehen.‘‘ [12] 

18. „Unſer Rechenunterricht bat nicht die vechte reale Grundlage, 
den paffenden Stoff, if, um es kurz zu fagen, noch unpraktiſch.“ 

19. „Die Lehrer aller Didcefen werden aufgefordert, Rech nungs⸗ 
beifpiele, wie fie das wirkliche Leben bietet, von der Eier» und Schmalz 


Mathematil. B63 


rechnung ber Handfrau bis hinauf zu den compficitien ‚Eaicnintioner 
der Handwerker, zu fanmeln, wozu ihnen ein bis zwei Jahre Zeit ge⸗ 
geben werben follte.‘ 

„Es wärbden nun gewiß alle, die ſich für bie Sache intereſſiren, 
die ihnen bereits unter die Hand gekommenen Beifpiele ſammeln und 
weitere fuchen. Der eine würde Die rechenbaren ländlichen Berbältniffe 
zu ſtudiren ſuchen, ein anderer ſich mehr dem Gewerbsleben zuwenden 
und in den Werkſtätten der Handwerker feine Beiſpiele holen.“ 

„Diefe von den Lehrern eingehenden Aufgaben follten in jedem 
Bezirk von einer Commiſſion unter dem Vorſitz des Conſerenzdirectors 
.oder Delans nach allgemeinen Gefichtsnuntten geordnet werben.‘ 

„IR dies in allen Bezirken geſchehen, fo ſetzt die bezügliche Ober 
fhulbebörde eine befondere Kommiffion an Geiſtlichen und Lehrern nie 
der, melde die aus den Bezirken des Landes einlaufenden Beifpiele 
entgegen zu nehmen, zu fichten und endgültig zu ordnen bat. Natürs 
iih müßten alle Beifpiele, die ſpeciell Berufliches an fich tragen, ausge, 
fhieden werden, und häufig vorfommende Fälle, die allgemeines nterefle 
haben, würden in diefe Beifpielfammlung aufgenommen.” [13] 

20. „Das Kopfr und Zifferrechnen wird jeßt mehr im Zufammens 
menhang vorgenommen, als früher geſchah. Die Behandlung iſt eine 
rationelle, die Geiftesfraft bethätigende, mit Ausnahme einer Schule 
Durchweg findet der Schlußfag feine Anwendung. Gefehlt wird nod 
da und dort darin, daß man auf der mittleren Schuifufe die Schüler 
in zu großen Zahlen operiren läßt und weniger darauf bedacht ift, den, 
felben zu einer recht klaren Anſchauung und Auffaffung des BZahlenfys 
ſtems zu verhelfen; auch in der Darflellung der Rechnungen zeigt fi 
nicht Überall die nothwendige Genauigkeit, und zu wenig fehen einzelne 
Lehrer auf Deutlichkeit im Schreiben der Ziffern, was doch fo wichtig 
it. In den obern Klaſſen dürfte in der Wahl der Aufgaben das prafs 
tifche Leben mehr berüdfichtigt werden; ſoll ja doch die Schule auf das 
Leben vorbereiten. Erzinger giebt darüber treffliche Winke, die mehr 
beberzigt werden follten. In Beziehung auf Schnelligkeit und Sicher⸗ 
beit im Rechnen und Klarheit der Beweisführung bleibt noch manches 
zu winfden übrig, die Schüler werben zu wenig gendthigt, an der 
Bandtafel Taut zu rechnen. So zweckmäßig die Aufgabenbüchlein find, 
fo bringen fle Teiht auch Gefahr für die Gründlichkeit im Rechnen, wenn 
der Lehrer nicht Schritt für Schritt Mechenfähaft fordert.” 

21. „Der geometriſchen Formenlehre follte mehr Aufmertfansteit 
gefgentt werden, als es der Fall if. Nur in einigen Schulen if fie 
berüdfichtigt worden, aber noch viel zum wenig. In den obern Klaſſen 
follte den Knaben eine genaue Anleitung gegeben werben über das Meſſen 
und Berechnen der Flächen und Körper. Es ließen ſich eine Menge der 
ſchönſten Aufgaben aus dem praktiſchen Leben daran knüpfen.“ [14] 

22. „Bir wählen aus Blanimetrie und Stereometrie die Grund⸗ 
Yortieen .aus und ſuchen fie moͤglichſt allſeitig zu behandeln, ohne time 
Grihöpfung der eingelnen Bälle anzuftreben. Sole Partieen find 1) 
die Bormelemente, 2) das Meffen, 3) die Reproduction der innern An⸗ 


264 Mathematik, 


ſchaunung oder das Zeichnen, A) das Bergleihen der Linien, Flächen und 
Körper oder das Berechnen, und biefe enthalten zugleich die weſentlich⸗ 
Ken Grundlagen aller Geometrie. Un diefen vier Bartieen läßt fich 
allerdings noch nicht Geometrie lernen, aber es laſſen fich diefelben zu 
einem gewiflermaßen befriedigenden Abſchluß bringen, der für einfache 
Lebeneverhältniffe als Grundlage genügt, und auf welchen für einen 
erweiterten Beruföfreis Leicht ein ausgebehnteres und tiefere Syſtem 
aufgeführt werden kann. Darin liegt uns eben das Weſen der Volks⸗ 
ſchulgeometrie, daß fie nicht mehr Wiffenichaft, aber immer noch Geo» 
metrie ik, d. 5. daß fie nicht ein Syſtem abſtracter Lehren auffellt, 
aber doch in ihren Anfhauungen und Conſtructionen eine ſyſtematiſche 
Folge einhält und damit fowohl ein wirkliches Wilfen und Können, als 
auch geiftige Bildung vermittelt.‘ 

23. „Der Bollsihulgeometrie fehlen allerdings eine Menge Eigen» 
fhaften der ebenen und räumlichen Gebilde; es fehlen uns befonders 
alle Lehren, welche auf Berbältniffen und Proportionen beruhen, allein 
das find lauter Partien, welche ſich der unmittelbaren Anſchauung ents 
ziehen, und welche auch eine weiter gehende Entwidelung der Arithmetif 
verlangen, als man fie in einer Volksſchule vorausfegen kann.“ 

24. „Der Zweck der Schulgeometrie if, die Befähigung des Schüs- 
lers, jedes einfache, ebene oder räumliche Gebilde zu erkennen, zu meſſen, 
zu zeichnen und zu berechnen.” 

25. „Dies alles if eine paflende Grundlage für den Aufbau des 
wiſſenſchaftlichen Syſtems der Geometrie, denn der Schüler tritt mit 
einer ausgedehnten Kenntnig des Stoffes an das wiilenfchaftlihe Ord⸗ 
nen befielben heran; er befißt eine große Kertigfeit im Meffen und Con⸗ 
Aruiren; er bat einen ſolchen Reichthum innerer Anfchauung erworben, 
daß er die äußere entbehren kann.” [15] 

26. „Die Primärfchule findet bei ihrer gegenwärtigen Ginrichtung 
nicht die erforderliche Beit, um die Geometrie als felbftkändiges Fach 
gu behandeln, und fo entnimmt fie dann, gleichfam nur als angewandten 
heil zum Rechnen, aus ihrem weiten Gebiete etwa dasjenige, was zur 
Berehnung und Meffung der am bäufigften vorfommenden Flächen und 
Körper dienen Tann. Daß bei diefer Auffaffung des geometrifchen Un⸗ 
terrihts viel vom eigentlih bildenden und formellen Element verloren 
geht, liegt Mar auf der Sand, und doch muß der Lehrer am Ende froß 
fein, wenn er bei karg zugemeſſener Zeit die reiferen Schüler auch nur 

dahin Hringt, daß fie fih mit der Meßfchnur und dem Kreuzſtabe in 
ber Sand, bei der Ausmeflung einfacherer Grundflüde zu helfen wiſſen 
and etwa im Stande find, den Lörperlihen Inhalt eines Heuſtockes, 
Miſt⸗ oder Erdhaufens annähernd zu berechnen.‘ 

27. „In den höheren Bolksfchulen oder Secundärfchulen wird zwar 
die Geometrie als ſelbſtſtaͤndiges Fach behandelt, aber es gefchieht häufig 
wit fo, daß die Schüler auch alle Intereffe an biefem Fache bekommen, 
und das Leben diejenigen Früchte, die es mit Recht unfpreden darf, 
aus demſelben gewinnen könnte.” [16] \ 


Mathematik. | 285 


28. „Ebenſo fehr, wie wir uns gegen Denkübungen über Gegen» 
kände der Formenlehre in der zweiten Abtheilung einer Dorffchule, for 
wie in der unterflen Klaffe einer Mittelſchule erklären, ebenfo fehr müflen 
wir die Kenntmiß der wichtigen ‚Größen der Bormenlehre in der erfien 
Abtheilung einer Dorfihule, wie in der dritten oder doch wenigftene 
zweiten Klaffe einer Mittelſchule wünſchen, und zwar um des wichtigen 
Einfiuffes willen, den ſie auf andere Unterrichtögegenkände ausübt, und 
der miannigfachen praftifchen Bedeutung wegen, welche dieſe Größen im 
gewöhnlichen Leben haben. - Unferer Anſicht nach Hätte die Formenlehre 
in der Dorfichule am paffendfien ihren Platßz gefunden theils beim Ans 
Tdauungsunterricht, theils beim Rechenunterricht.“ [17] 


2. Fachſchule. 
a. Fortbildungsſchule. 


29. „Da ich mich des Glückes erfreue, mit einem Ortsvorſtande 
zu verkehren, deſſen Glieder Sinn und Eifer für alles Beſſere, alſo 
au für die Kortbildung der Jugend haben, und die nicht zu denen 
gehören, welche in dem Wahne befangen find: „haben wir doch fo etwas 
auch nicht gelernt und leben doch”, oder die dad Sprüchwort trifft: „wo 
der Bauer nicht muß, rührt er weder Hand noch Buß”, fo wurde für 
die hiefige Fortbildungsſchule auf Koften des Bemeindeärars nicht nur 
das unumgänglich Nothwendige, als Tafelzirkel, Winkelhaken, Reißfchiene 
u. ſ. w. angefhafft und für Heizung und Beleuchtung bereitwillig ges 
forgt, fondern es erhielt auch jeder Schüler ein Lehrbuch, einen Atlas, 
ein Meines Reißzeug, hölzernen Winkel, Lineal mit verjüngtem Maß» 
Rabe, wovon der Schüler nur die Hälfte in Fleinen Raten bezahlte und 
notoriſch Armen auch diefe Hälfte erlaffen wurde.’ 

„Ebenſo übernahm auf meine ausdrückliche Beranlaffung der Orts⸗ 
vorſtand die Handhabung der Disciplin, um nöthigen Falls Ungehor- 
ſame, Träge u. f. w. zu maßregeln. An der Schule ſelbſt nehmen junge 
Ehemänner Theil.” 

„Mögen recht viele Gemeinden unferes Baterlandes biefem rüh⸗ 
menswerthen Beifpiele folgen.’ [18] 


b. Handelsſchule. 


30. „Die betreffenden Lehrbücher des vorigen Jahrhunderts erwaͤh⸗ 
nen mehrfach der Logarithmen und machen von denfelben einen mannig» 
faltigen Gebrauch. In diefer Beziehung ſcheint aber in neuerer Zeit 
kein Fortſchritt geſchehen zu fein, denn die mir befannten Lehrbücher ber 
Gegenwart gedenken der Logaritimen mit feinem Worte, fo vielfach 
auch der Gebrauch if, weldger bei den Rechnungen des Kaufmanns und 
des Banquiers von den Logarithmen gemacht werden Tann. Sollten aber 
nicht gerade die heute an fo vielen Orten aufblühenden Handelsſchulen 
vorzugsweife den Beruf in fich fühlen, eine fo gemeinnüßgige Erfindung, 
wie diejenige ber Logarithmen iR, welche ſchon länger als zwei Jahr⸗ 


266 Mathematik. 


hunderte befteht, der Taufmännifchen Praris näher zu bringen? Um bie 
Zinfeszinfen nicht zu nennen, welde in der Prazis häufiger zur Ans 
wendung fommen, als man gewöhnlich glaubt, welche namentlich fchon 
hei gewiffen Berechnungen von Gtaatspapieren nicht zu umgeben find 
und für welche der Gebrauch der Logarithmen unerläßlich ift, fo bietet 
fhon jeder gewöhnliche Kettenſatz, ja jede Meguladetriaufgabe ein Bei⸗ 
fpiel dar, in weldhem ber Gebrauch der Logarithmen häufig viel rafcher 
zum Ziele führt, al® die gewöhnliche Rechenweiſe. Wie leicht und wie 
gern aber der Schüler, ſelbſt ohne weitere theoretifche Borfenntniffe, ſich 
in die Handhabung der logarithmiſchen Tafeln bineinfindet, das habe 
ih bei meinen Schülern an der biefigen Handelsfhule zu beobachten 
Öelegenheit gehabt, wo ich diefen Gegenftand leider aus Mangel an 
nöthigen Hülfsmitteln nicht weiter babe verfolgen können. Die vorhans 
denen fiebenftelligen Logarithmentafeln (Tafeln mit weniger als ſieben 
Decimalftellen würden wohl in der Regel nicht die nötbige Genauigkeit 
geben) enthalten nämlich neben den gemeinen oder Briggiſchen Logarithmen 
immer auch die Logarithmen der trigonometrifchen Zunctionen, welche 
für den angezeigten Zwed unbrauchbar find, und man Tann von einem 
Schüler nicht wohl verlangen, daß er fih ein Buch anfchaffe, von weis 
chem ein großer Theil für ihn nutzlos bleibt. Es würde deshalb nad 
meinem Dafürbalten ein danfenswerthes Unternehmen fein, eine Aus⸗ 
gabe der fiebenftelligen, gemeinen oder Briggifchen Logarithmen für fich 
zu veranflalten und in einer vorausgefhidten Einleitung den Gebraud 
derfelben für Kaufleute, Banquiers, Rechnungsbeamte u. ſ. w. ausführ« 
ih zu erläutern.’ [19] 


ev. Seminar. 


31. „Genaue Kenntniß des Zehnerſyſtems und Anwendung deflels 
den auf die Grundrechnungsarten, Fertigkeit im Rumeriren, fowie im 
Angeben der Producte der Zahlenreihen von Eins bis Zwanzig, die 
Grundfactoren größerer Zahlen und der Kennzeichen der Theilbarkeit der 
Zahlen wird ein Beweis fein, daß für ein methodifches Kortfchreiten im 
Kechnen ein angemeffener Grund gelegt worden ifl. Dabei muß die 
fihere und raſche Auflöfung von Aufgaben des Bruchrechnens und aus 
dem bürgerlichen Leben, fo weit letztere durch Schlüffe ohne Kenntniß 
der Proportionsiehre erfolgen Tann, unter Angabe der Gründe des ein- 
geſchlagenen Verfahrens erwartet werden.‘ 

32. „In der Formenlehre und im Beichnen genügt ed, daß ber 
Praͤparand die geometrifhen Hauptkoͤrper kennt und zu beichreiben ver⸗ 
Reht, Linien, Winkel und Flächen mit freier Hand darfellen fann und 
im Gebrauche des Zirkels, Lineals und Maßes geübt iſt.“ 

33. „Demnach wird alfo im Rechnen faR ganz daflelbe von Ge 
minariften wie von Präparanden verlangt, was in ber einklaffigen Ele 
mentarfchule bereits vorgefchrieben war. Das Mehr, das hinzugefommen, 
iſt nicht der Nede wertb. Dort wie bier rechnet man raſch und ficher, 
und das Ropfrechnen ift dort noch ausdrücklich genaunt. Warum die 


Bathemaftt. 267 


Proportionen, bie fo leicht rein praftifh eingeübt und hierdurch aus 
fi ſelbſt zur Haren Anſchanung binfichtlich ihres Weſens gebracht wer» 
den fönnen, auch bier wegbleiben, das erklärt fih dadurch, daB das 
Lehren derfelben felbft in den Seminarien der befonderen Erlaubniß ber 
Brovinzialfgulbehörde bedarf. Für einen dreijährigen Seminarkurjus 
it folche Vorbereitung zu dürftig, für einen zweijährigen natürlich noch 
mehr, oder das Seminar felbft muß wenig zu leiten Zur haben.’ 

34. Wie neben der wiflenfchaftlichen Arithmetik praktiiches Rechnen 
bergeht und für den Seminarfurfus in den Vordergrund tritt, eben fo 
muß ein Weg gefunden werden, auf welchem die Seminariften ohne 
Anwendung der miffenfhaftlihen Form, aber gründlich mit den geos 
metrifchen Figuren, fowohl ebenen als körperlichen, mit ihren wichtigften 
Eigenfchaften und mit den Gründen befannt gemacht werden, auf welchen 
ihre Ausmeflung und Berechnung beruht.” 


35. „Alſo wiſſenſchaftlich ſoll man verfahren im Niedern, in der 


Arithmetit, aber obne wiftenfchaftlihe Form foll es gehen im höheren, 
in der Geometrie. IM das pädagogiſch zweckgemäß? IM das Con» 
ſequenz?“ 

36. „Das eigentliche Gebiet des Seminarunterrichts bilden Die 
vier Grundrechnungsarten in ganzen, gebrochenen und benannten Zahlen 
nach folgenden Gefichtspunkten.“ 

„Der Zahlenkreis von Eins bis Hundert in ſeinen verſchiedenen 
Abſtufungen' und Erweiterungen für das ſchriftliche Rechnen, wird ohne 
neuen Anſpruch an die Zahlkraft und Operationdfertigkeit der Semis 
nariften, aber in methbodifher Beziehung vollfländig überein« 
Rimmend mit dem Berfahren der Glementarfhule gründlich durchge⸗ 
nommen und binfichtlich der Fertigkeit überall Nechenfchaft geben zu können, 
zum unverlierbaren und flets bereiten Eigenthum gemacht.“ 

37. „Hier {ft nicht Mar, ob das bereits Gelernte bloß in methos 
difcher Beziehung durchgenommen, oder nicht auch Neues hinzu gelernt 
werden fol. Für das erftere fpricht die Beftimmung, daß fein neuer 
Anfprud an die Zahlkraft und SOperationsfertigfeit der Zöglinge zu 
machen fei, für das lebtere die ‚Erweiterungen für das fchriftliche 
Rechnen,“ und da die Fertigkeit, überall Rechenſchaft geben zu Fönnen, 
doch nicht ohne Operationsfertigfeit erworben werden fann, fo weiß man 
nicht, welches der beſtimmte Sinn diefer Forderungen. ſei.“ 

38. ‚Während die feßtere Forderung auch für alle ferneren Stus 
fen feſtzuhalten if, tritt die neue hinzu, daß die Zahlkraft der Zög⸗ 
linge geftärkt und geübt, und bei angewandten Aufgaben die Fertigkeit, 
die zufammengehörigen Zahl» und Sachverhältniffe mit gefunden Urtheit 
raſch und ficher zurecht zu legen und zu vergleichen, erzielt werde, zu 
welchem Zweck auch, wo Beit und Berbältniffe es geftatten, die Löfung 
afgebraifcher Aufgaben auf mathematiſchem Wege mit Nuben angewendet 
werden Tann.‘ 

39. „Wird dann aber die Zahlkraft ungeftärkt bleiben Tönnen, 
wenn des Zögling- auch nur zu dem Zwede mit Zahlen umgeht, bins 
ſichtlich feiner methobifchen Wertigkeit, wie fchon vorher verlangt wurbe, 


8 
‘ 





268 Mathematik, 


„Nechenſchaft (doch wohl über bie Brände feiner Thatigkeit) geben zu 
Ynnen?“ Folglich if nicht Mar, in welchem Sinne die Gtärfung der 
Zahlkraft eine neue Forderung genannt werden, und man wundert fich, 
wie über einen fo befimmten Borftellungsgegenfland fo Unbefimmtes 
aufgeftellt werden könne. Denn auch der eigentliche Zielpunkt, bis zu 

welchem ber Seminariſt über die vier Grundrechnungsarten hinaus ges 
langen folle, tritt nirgends Mar hervor, und nur das iſt einfeuchtend, 
daß es hoch Hinaus nicht gehen dürfe.‘ 


40. „Eine weitergehende Ausbildung der Seminariften — nicht 
zum Gebraude in der Schule — fondern zu eigner Förderung — etwa 
bis zur Verhältnißrechnung, den Decimalzahlen, dem Ausziehen der 
Burzeln, Tann nur ausnahmsmweife von der Provinzialbehörde geftattet 
werden, jedoch nur da, wo die Berhältniffe des Seminars und der 
Provinz dazu entfhiedenen Anlaß bieten.‘ 


41. „Die Gefpenfterfurht wären wir los, foll uns dafür — biefer 
Gedanke drängt fi uns ganz unwillfürlich auf — eine andere, Die 
Zurcht vor dem Denken beſchleichen? Weber diefes gefährliche Geſpenſt 
viel zu fagen, lohnt nicht der Mühe. Oben wurde verlangt, es follten 
die Seminariftien gründlich mit den geometriihen Figuren, fowohl 
ebenen als Förperlihen, mit ihren wichtigften Eigenfchaften und den 
Gründen bekannt gemacht werden, auf welchen ihre Ausmeflung und 
Berechnung beruht. Soll diefer Forderung nur einigermaßen Genüge 
geichehen, fo gebt es ohne Berhältnißrehnung und Wurzelausziehung 
nicht ad. Wie will man denn 3. B. die Lehre von der Aehnlichkeit der 
Dreiede und Vierede u. f. w. durch Beifpiele aus dem bürgerlichen Leben 
fruhtbar machen ohne Anwendung der Berhältnigrehnung? Wie will 
man aus dem Inhalte eines Madrats die Seite bdeffelben, aus den 
zwei Katheten eines Dreieds die Hypothenuſe, aus dem Inhalte eines 
Kreifes den Durchmeſſer, aus der Oberfläche einer Kugel ihren Durch⸗ 
meſſer berechnen, wenn man die Quadratwurzel nicht ziehen ann? Wie 
will man ferner aus dem Inhalte eines Würfels die. Seite deffelben, 
oder aus dem Inhalte einer Kugel ihren Durchmeffer finden, obne das 
Ausziehen der Kubikwurzel zu verfiehen? Solche Aufgaben müffen aber 
geftellt und gelöft werden, wenn „die Ausmeflung und Berechnung“ der 
Flächen und Körper nicht eine höchſt unvolllommne fein fol. Bird 
nun hiermit das Auszieben der Wurzeln nothwendig, fo verſteht es ſich 
von ſelbſt, daß auch die Decimalbrühe nicht fehlen dürfen, denn. bie 
meiften Wurzeln find irrationell.‘ 

„Man fieht: im Geben und Zurüdnehmen if dieſes Regulativ ſtark. 
Oben gab es eine wiffenfchaftliche Arithmetit, und verjagt und nimmt 
es die Hauptſachen, die zu einer folchen gehören, geftattet fie höchſtens 
‘ sausnahmsweife und in befondern Fällen. Was ift es nun für eine bes 
fondere Bergünfligung, wenn noch gefagt wird: „Mit Nüdficht auf die 
vielen vorhandenen guten Lehrbücher und Leitfäden für den Unterricht 
im Rechnen und in der Raumlehre fann bei der Auswahl eines folchen 
für Die einzelnen Seminarien den Wünfchen des betreffenden Lehrer und 


Mathematik. 269 


den lokalen Berbättnifien ein größerer Spielraum gefattet werden, als 
bei anderen ſittlichen Inhalt habenden Disciplinen zuläfflg if.’ 

„Wie aber dann, wenn in einem fo fret gewählten Buche, wo ges 
wöhntich die Derimalbrüdye, die Proportionen und das Ausziehen der 
Burzein fih finden und zur Weiterverbreitung einladen? Doch mur 
ein größerer, nicht ein ganz freier Spielraum ift geſtattet.“ 

42. „Bei den mannigfaltigften Webungen der Böglinge muß ihnen 
do überall ein Berfahren als das für die Elementarfchule geeignetfte 
bezeichnet werden, damit hier nicht Sicherheit einer unſicher machenden 
Bielfeitigfeit nachgefebt werde.’ [20] 


C. Anmerkungen. 


31. Traut in Pädagog. Monatsfchrift 1856, 1. Es thut uns 
leid, dieſes wahrhaft fürchterliche Gewäſch in der fo mit Recht geachteten 
yädagogifchen Monatsfchrift zu finden. Wie der Unterricht in ber Geo⸗ 
metrie dem Laufmännifchen Rechnen eine Stätte bereiten Tönne, if une 
platterdings unverfländlih. Es Tann nicht unfere, Abficht fein, bier den 
Herrn Traut belehren zu wollen, da dies bei der gänzlichen Begriffs⸗ 
Iofigteit feiner Behauptungen ein Ding der Unmöglichkeit fein würde. 
Ein paar Bunfte jedoch herauszugreifen,, können wir nicht unterlaffen. 

a. Der Zahibegriff wird aus der einen ungetheilten Bervielfäls 
tiqungsvorftellung gebildet, deshalb hat der Rechenunterricht feine Wur⸗ 
zen in der mathematifhen Wiſſenſchaft. Hier iſt zunähft zu fragen: 
was ift eine DBervielfältigungsvorfiellung? — was if eine ungetheilte 
Borfellung? Bervielfältigungsvorftellung foll wohl heißen die Borftels 
lung des Bervielfältigen oder öfteren Setzens des Einen, alfo kurz die 
Borftellung des Wie viel — getheilte Vorftellungen habe ich noch nie 
mals gehabt, alſo auch Feine ungetheilten. Daher muß ih mir Beleh⸗ 
rung erbitten. Daher heißt der Schluß jebt: weil die Zahl das Wie 
viel it, fo mwurzelt das Nechnen in ben mathematifchen Wiffenfchaften. 
Bier müffen wir nun zweitens nad) dem Unterfabe fragen; vielleicht fo: 
In der Matbematit handelt es fich in allen Theilen um die Zahl; wer 
alfo mit Zahlen arbeiten will, muß die ganze Mathematik kennen. Mag 
Herr Zraut fo oder anders fchließen, das Nefultat ift und bleibt Uns 
Ann. Die Mathematit bat es nämlich gar nicht mit der Größe zu thun, 
fondern mit der Form der Erſcheinung. Run find die drei Formen die 
Erifeng, die Räumlichleit und die Bewegung. Die erfte if die leerfte 
und abſtracteſte, die lebte die vollſte. Am allerleerſten aber iſt die 
Sorm ſelbſt. Daher folgt aus dem Abftracteren nicht das Individuellere, 
fondern Diefes letztere muß fich den Geſetzen des erfteren unterwerfen. 
Dann if aber zum Rechnen nicht Kenntniß der Mathematit nöthig. 
Umgefehrt aber fließt das Abftracte nur aus dem Goncreten, die allges 
meine Arithmetik exiſtirt lediglich deshalb, weil es individuelle Zahlen 
umd individuelle Zahlenverhältniffe giebt. Wer daher Kegeldetri lernen 
wi, braucht nicht die wiflenfchaftliche Arithmetit. \ 


270 Mathenatik, 


b. Sprade der Mathematif. Der Unterricht wird natürlich eins, 
zwei, drei u. f. w. fagen, Zähler und Renner unterfcheiden u. f. w. 
Dies ift alles mathematifd”, allein zum Verſtehen find alle diefe Worte, 
Namen nit von nöthen. Unter 3 wird niemand etwas anderes vers 
leben, als das Dreifache des vierten Theils von Eins u. f. w., mag 
er den Begriff des Berhältniffes Tennen oder nicht. Und vorausgejfeßt, 
daß der Begriff des Berhältniffes wirklich nothwendig ift, fo fieht man 
wiederum nicht die Nothwendigfeit der Algebra und Geometrie ein, wie 
ih Herr Traut leicht überzeugen fann, wenn er ein beliebiges Lehr⸗ 
buch der Arithmetit anjehen will, welches die Lehre von den Verhaͤlt⸗ 
niffen und Proportionen’ zu behandeln der Mühe für werth hält. 

c. „Reguladetri und Kettenfaß find nur andre Formen der alges 
braifchen Gleichungen und der geometrifchen Congruenz und Aehnlichkeit, 
wie denn überhaupt diefe den gefammten Theil der rechnenden Geometrie 
ausmachen. ES fcheint faſt, als habe der Berfaffer alle ihm zu Ges 
bote ftehenden Berkehrtheiten in diefen menigen Worten zufammenfaflen 
wollen. Der „geſammte Theil’ der rechnenden Geometrie? — welches 
Aind denn die übrigen Zheile derfelben? — Soll es vielleicht die ganze 
rechnende Geometrie fein? — Dann bürfte doch die Eurvenlehre 3. 2. 
auch etwas fein, was ſich von Gongruenz und Aehnlichkeit weſentlich 
unterfheidet. — Und iſt die Neguladetrigleihung a: b == m: x oder 
a.x=b.m wirklih eine andere Form der Gleichung: 

amt m _ ı m ir... +32 x +3, x +9 — 0. 
Feder Schulbube wird einfehen, daß bie erflere Form nur ein befonderer 
Zall der zweiten if. Nicht minder it nicht a.x OD b.m oder 
a.xcob.m, fondern eben nur a.x = b.m. 

d. So wie Herr Zraut fih in der Mathematit als fehr unwiflend 
erweift, fo auch als Philoſoph. Er fehimpft mit den Worten eines bors 
nirten Ausländers, welcher von der Metaphyfit und der Mathematik 
ohngefähr daffelbe verfteht wie Herr Zraut, nämlich Nichts, auf die 
Metaphyfil und erhebt die Mathematik, obgleich er ſelbſt ſeinen Zahl⸗ 
begriff in einem philoſophiſchen Buche nachgelucht und fehr mißverkanden 
reprodueirt zu haben fcheint. Eine Wiffenfchaft verfpricht gar nichts, 
fondern fie ftellt fi ihre Probleme und ſucht, fo weit die Kräfte 
reihen, die Auflöfung. Es ift geradezu eine Lüge, wenn behauptet 
wird, daB das Studium der Metaphufit mit einem übervollen Wort⸗ 
ſchwalle beginnt; eine Unwahrheit, daß fie fi in Dunkelheit und Ver⸗ 
muthung verliert. Denn obgleih die Metaphyſik nicht alles wien kann 
und ein Gebiet der Vermuthungen laffen muB, fo verliert fie fich nicht 
in demfelben, fondern fie flieht wie ein treuer Wächter an der Gränze 
deffelben , jeden, der auf fie hört, warnend, daß er nicht den Theil des 
Gebiets betreten folle, den er nicht betreten darf, falls er- niht dem 
Irrthum verfallen will. Wir rathen Seren Zraut ernflih, nicht eher 
wieder auf diefem Gebiete zu erfcheinen, als bis er etwas gelernt hat. 

2. Brenner: Weber Berehnungsaufgaben in: Volksſchule von 
Hartmann 1856, 6. Daß die Schulmeifter doch das Schulmeiftern 


Mathematik. 271 


nicht laſſen kͤnnen. Beim Nechnen werden doch nicht nur Rechnungen 
gemacht, ſondern auch gerechnet. — In demſelben Heft iſt noch ein 
Auffag üher Mifchungsrehnung von Bofinger. 

3. Braunschweiger Schulbote 1856, 6. Das Rechnen im Gebiete 
der fünf erfen Zahlen nad Grube'fcher Methode. Die Zahlen werden 
auch gefungen. Das hat vielleiht noch niemand gewußt, daß er nur 
von den drei erfien Zahlen einen Maren Begriff bat. Die Mathematifer 
vollends werden fi) wundern, welche bis jeßt einen Haren Begriff von 
der Zahl zu haben meinten und nun auf einmal erfahren, daß ihr Wiffen 
nur bis zur Drei gebt. Der Berfafler meint offenbar aber etwas ans 
deres: er glaubt, daß fih der Menſch nur hoͤchſtens drei Gegenflände 
gleichzeitig klar vorftellen köͤnne. Die genauere Unterfuchung fann nur 
mit Hülfe der mathematifchen Pſychologie gemacht werden, würde aber 
bier zu weit führen. Ein allgemeines Geſetz aber ift die Behauptung 
des Berfaffers nicht, denn ich kann immer fünf und in günftigen Zeiten 
noch mehr Dinge gleich Mar in der Borftellung halten; der Mufifer unters 
fheidet in einem Concert ganz genau die verfchiedenen Töne, Dahfe 
faßt ungeheure Mengen mit faft gefpenftifcher Klarheit auf u. f. w. 

4. Zraut a. a. O. Das Intereffe verleiden, ift auch ein etwas 
kühner Ausdrud. 

5. Huisken, Geometriſches Aufgabenbuh. Hannover 1855. 
Dann müffen aber die Verhältniffe, welche das zweite fordern, geändert 
werden. Diefe Uenderung herbeizuführen, ift Aufgabe der Schule. 

6. Müller, Arithmetif und Algebra. Berlin 1857. Die Syn, 
taktik oder die praktiſche Combinatienslehre gehört gar nicht in das 
Syſtem der Arithmetif und überhaupt nicht in die Mathematif, denn 
fie bat es mit allen möglichen Elementen zu thun. Sie gehört zum 
Theil in die Logik, zum Theil in die Piychologie. Die Uebung im 
Sombiniren gehört aber fiher nirgends anders als dorthin, wohin fie 
Herr Müller fell, Denn das ſelbſtſtaͤndige Fortſchreiten, ich möchte 
fagen, das mechanische Schauen in die Zukunft, in das Gebiet der 
neuen Probleme, ift nur einem im Combiniren geübten, ans Gombiniren 
gewöhnten Geifte möglih. Weil das Combiniren nicht etwas ſpecifiſch 
Mathematiiches if, fo hat auch der übrige Unterricht feine Vortheile 
davon.” Alle Eintheilungen 3. B. find combinatorifher Art. Ob das 
combinatoriihe Intereffe fo bald verfliegt, mag ich nicht enticheiden. 
Meine Erfahrung lehrt das Gegentheil. Die Armuth des arithmetifchen 
Arfangsrenfums an Uebungsaufgaben muß ich entfchieden beftreiten. 
Denn jegt kaun man die Säge auf das früher Erlernte anwenden. 
Die Ei z. B: a+h)tce= kat) ab und a(66410) 
— (a tb) +e erhalten eine nicht nur intereſſante, ſondern auch 
fördernde Anwendung in jeder Subtractionsaufgabe, z. B.: 8765 — 
7393 — (8000 + 700 + 60 +5) — (7000 + 800 + 90 + 3) 
= ({[(8000 + 700 + 60 + 5) — 7000) — 800 } — 90) 
— 3 = ({f8000 — 7000) + 700 + 60.+ 5] — 800 } — 90) 

[(1000 + 700 + 60 + 5) — 800) - 09} — 3 = 


—_— 3 = 





272 Mathematik. 


f{(1000 — 800) + 700 + 60 + 5] — 90} — 3 = [(200 + 708 
+60 + 5) — 90] — 3 = [(900 + 60 + 5) — 90] — 3 == 
{900 + 60 + 5) — 60] — 30} — 3 = [(900 + 9) — 
30] — 3 = [(800 + 100 +5) — 30] — 3 = [800 + 
(100 — 30) + 5] — 3 = (800 + 70 + 5) — 3 = 800 + 
70 + (5 — 3) = 800 + 70 + 2 = 872. 

7. 3. Hofmann: das Kopfrehnen. Freiburg 1855. Wir haben 
diefen Paſſus nur deshalb aufgenommen, weil er uns recht deutlich 
zeigt, in welche. Widerfprüche die Hypotheſe des Angeborenfeins vers 
widelt. Denn wenn das Bahlenvermögen angeboren ift und fi nicht 
er bildet, fo if die Bildung überhaupt unnüß und wenigftens unndthig. 

8. W. Zehme: Lehrbuch der Geometrie. Hagen 1856. Ich 


- weiß nicht, was das aus dem Kopfe in der richtigen Reihenfolge citiren 


beißt. Denn nach des Berfaffers Anordnung fann die Neihenfolge auf 
gar mancherlei Weife eine richtige werden. Soll das Eitiren verſtanden 
werden, jo braucht man Feine befondern Hülfsmittel, denn diefes findet 
fich überall, wo der Unterricht entwidelt. Iſt endlich die im Lehrbuche 
gegebene Folge zu betonen, fo haben wir es mit einer ziemlich brodloſen 
Kunft zu thun, welche allerdings nach der vorgefchlagenen WVeife erlernt 
werden Tann. Bei weitem wichtiger if eine Zolge von Zolgen, indem 
die Säge nach gewiffen Kategorien zufammengeftellt werden. Endlich 
fheint eine WBandtafel doch beffere Dienfte zu thun, als die Tafeln 
des Verfaſſers. 

9. Die Eriftenz eines Syſtems von Aufgaben neben einem Syſtem 
von Aufgaben wird niemand beftreiten können, aber eine andere Frage 
ift es, ob dieſe Syſteme getrennt find und ſich getrennt entwideln. Bir 
werden gewiß den Anatomen nicht fchelten, wenn er ein Knochens, Muskel⸗, 
Mervens u.f.w. Syſtem annimmt, aber wir würden fehr unzufrieden ' 


,‚ mit ihm fein, wenn feine Knochen für fi beleben follten. Wir prüfen 


zunähft die Gedanken des Verfaſſers. Er hält beide Syſteme neben 
einander für moͤglich, weil es nur auf die Einfiht in die Rothwendig« 
feit eines Objects anfomme, nicht auf die graphiſche Conſtruetion. Die 
reine Geometrie hat es niemals mit graphifchen Conftructionen, fondern 
lediglich mit der Entwidelung der Begriffe zu thun. Jede Hälfscons 
firuction if aber für fih ein Syſtem von Begriffen. Wird alfo die 
Möglichkeit der Eonftruction vorausgefeßt, fo ift das zu ihr gehörige 
Syſtem von Begriffen nicht entwidelt, und die Geometrie hat ihre 
Schuldigfeit nicht gethan. Daher muß es bei der Ausführung der Eon» 
firuction fein Bewenden haben. Etwas ganz anderes ift aber die „Heil⸗ 
famfeit.” Für dieſe führt Herr Mann an, weil dur die Scheidung 
unwillfürli die Aufgabe entfleht, den Stoff der Aufgaben zu fihten 
und zu ordnen. Wir können nicht abfehen, wie in der Scheidung die 
genannte Aufforderung liegt. Denn ift irgend eine Anzahl von Con⸗ 
fiructionen im Bewußtfein, fo bilden fie als Gonftructionen eine Vor⸗ 
ftellungsmaffe, deren Elemente in dem Maße ihrer Gleichheit und ihres 
Gegenſatzes ſich gruppiren, reſpective Sonderungen, Richtungen, Ein- 


Mathematik. 273 


theilungen und fo weiter bewirken. Ob dabei die Gonftructionen in 
ununterbrochener Folge gelernt worden find, iR von feinem Belang, denn 
da fämmtliche Gonftructionen in demfelben Denken vorkommen, fo finden 
fe ih von felbft zufammen. Ja, diefe Richtung und Ordnung muß 
um fo mehr hervorgerufen und gefordert werden, je größer das Durch⸗ 
einander if. Zum zweiten legt Herr Mann Gewicht auf verfchiedene 
Loͤſungsarten. Dies ift ganz in der Ordnung; aber daß man durch 
das Aufgabenfyftem mehr Löfungen erhält, oder daß diefelben mehr in 
die Augen fpringen, if nicht wahr. Denn hat eine Aufgabe mehrere 
Auflöfungen, fo tritt auch die Aufgabe an verſchiedenen Stellen auf. 
Dadurch verliert auch der dritte Grund — der Vortheil für die deferips 
tive Geometrie — feine Stihhaltigkeit. Denn ohne das Aufgaben« 
ſyſtem iſt die Anzahl der Conſtructionen diefelbe, als mit Syſtem, der 
Gewinn für die deferiptive Geometrie derſelbe. Damit fol jedoch einer 
wiederholenden Bufammenflellung und Ausführung nicht entgegen 
getreten werden. Um das Verhältniß zwifchen Lehrfag und Aufgabe zu 
begreifen, muß man fih in den Denkakt verfepen. Die allgemeinfte 
dorm in ber Bewegung der Begriffe ift, daß fie fih im Denken bes 
gegnen. Sie werden durch die Einheit des Bewußtfeins zufammenger 
mt, und es entfleht die Frage, ob und mie fie zufammen gehören. 
Die urfpränglice Form ift alfo immer die Frage, das Problem, und 
jeder Lehrſat foll nichts weiter fein, als die Antwort auf eine Frage, 
die Zöfung eines Problems. 

10. Oppel: Elementarmathematit. Zranffurt 1856. 

411. Herrmann: Der praktifche Nechenmeifter. Leipzig 1856. 

12. Ebner: Aufgabenfammlung für das fchriftlihe Nechnen. 
Ghlingen 1856. 

13. Guth in der Boltsfhule von Hartmann 1856, 8. Dielen 
Borfchlag habe ich bereits ſchon einige Male öffentlich und privatim ger 
mwaht — auch im pödagogifchen Jahresberichte. — Es hält aber ſehr 
ſchwer, ihn auszuführen. Trotz aller Aufforderungen bat ſich bis jetzt 
bloß einer bereit erklaͤrt, mitzuarbeiten. . 

14. Ein verfländiger Bericht eines verfländigen ſchweizeriſchen 
Schulinſpectors, der da weiß, worauf es ankommt. Ich babe ſchon 
anderwärtd ſolche Berichte gefordert. Enthielten diefe auch noch Zahle 
befimmungen, fo fönnte durch fie in furzer Zeit eine Statiftif des 
Rechenunterrichts gefchafft werden. Paͤdagogiſche Monatsichrift für die 
Schweiz 1856. 

15. Zähringer in der Pädagog. Monatsſchrift für die Schweiz 
1856, 8. In dem betreffenden Auffape giebt der Berfaffer Methode 
und Stoff in ziemlich concreter Darftellung und beweift fih als denken⸗ 
den Didaltifer. Ein zweiter Artifel enthält die Hülfsmittel. 

16. Egger: Geometrie. Bern 1856. 

17. Rindfteifh im Schulblatt für die Provinz Brandenburg 
1856, 7.8. So if’s ja faſt allerwärts, und wird auch noch lange 
jo bleiben. Die Abhandlung des Herrn Berfaffers ift überhaupt viel 
Gerede mit wenig Grund und Begründung. 

Nade, Jahresbericht. X. 18 


TA Mathematik. 


18. Fleiſchhauer in feiner Geometrie sc. Langenfalza 1856. Das 
Beiſpiel wird gegeben in: Schwarze, einem Dorfe bei Gotha, welches 
nah Ritters geographifhen Lerifon 480 Einwohner hat. 

19. Wittftein in Aufgabenfammlung von Meyer Sannover 
1856. Der pädagogifche Jahresbericht hat bereits (V, 205) auf eine 
hierher gehörige Echrift von Matzka aufmerffam gemacht und diefelbe 
empfohlen. 

20. Die Regulative find befannt. Es wird aud für den Jahres 
bericht vollftändig an dem mitgetheilten Neferat genügen. Auch bat mich 
die beigefügte Kritit des Veteranen Dieſterweg der unangenehmen Mühe 
enthoben, einige Gloffen hinzuzufügen. Der Lefer wird obne große 
Ueberlegung die Säge der Negulative von den Sätzen Dieſterwegs unter- 
ſcheiden, und auch ohne dieſe einjehen, wie die Sade behandelt if. 
Mach der Natur des Menihengeiftes wird dieſes Zurückſchrauben nicht 
viel helfen. Die Arbeit der Fortbildung und des Kortfchritts wird nur 
andere Arbeiter erhalten. Das einzige Mittel, durch weldyes ein wirfs 
licher Rüdfchritt auf die Dauer bewirkt werden fann, if dermalen nur 
die Berbreanung aller Bücher und die Vernichtung des Sandels und 
Berkehrs und der Induftrie mit fammt den großartigen Verkehrs⸗ und 
Broductionsmitteln. 


giteratur 


A. Arithmetik. 
4. Lehrbücher. 
1. Elementare. 


a. Kür den Lehrer. 


I. Das Kopfrehnen. Im Vereine mit mehreren Schulmännern metho⸗ 
difch bearbeitet von 3. Hoffmann, Lehrer an der obern Rnabenflaffe ir 
Bumngen. Zreiburg im Breisgau, Herder. 1855. (XI u. 169 ©.) 
Us . 
Inhalt: 3. Das Rechnen mit ganzen Zahlen: 1. Die Berbältnifle 

der Zahl 1; 2. die Berhältniffe der Zahl 2 u.f.w. Il. Das Rechen 
mit Brüchen. Ill. Vermiſchte Beifpiele. 

Das Eigentbämtiche des Buchs Liegt in dem erflen Abfchnitt. Diefe 
Eigenthümlichkeit if aber eine bloße Reproduciion ber Methode von 
Bähringer, weldye ich im vorigen Bande des pädagogifchen Jahresberichte 
harafterifirt habe. 

2. Gründliche Anwetſung zum Rechnen mit gemeinen Brüden und 
Decimalbrücen für den Schul⸗ und den Gelbflunterrihr, mit vielen Rufen 
mäßig geordneten Hebungsaufgaben. Bearbeitet von & Buchner, Se 
minariehrer am f. Gchullebrerfeminar für Schwaben und Reuburg in 
Zauingen, Münden, Finfterlin. 1856. (VIII u. 208 ©) 2% Ihlr. 





Mathemait. 275 


Anhalt: I. Boräbungen für das Rechnen mit Bruchzahlen. I. Das 
Rechnen mit Bruchzablen, das Rechnen mit Decimalbrücen. 
Anſchaulichkeit, Klarheit und Gründlichkeit hat der Verfaſſer an» 
gefrebt. Außerdem hat er auch noch Umſtändlichkeit und Weitläufigfeit 
erreicht; aber auch Allfeitigfeit. Er giebt uns nicht gerade etwas Ligen» 
thümliches, aber doch etwas Leſenswerthes. 
3, Praktiſche Kopfrechenſchule mit beſonderer Rückſicht auf die gleiche 


eitige Beichäftigung mehrerer in einer Klaſſe verſammelten Abtheilungen, von 
fr. Hawis. 5. Aufl. Langenfalza, Schulbuchhandlung. (365 ©.) 
Is r. 


Wir fagten früher (VII, 164): „Die ſchnelle Aufeinanderfolge der 
Auflagen ſpricht dafür, daß das Buch fleißig gebraucht wird. Es iſt 
für die Hand des Lehrers beſtimmt, welcher ohne Weiteres woͤrtlichen 
Gebrand; davon machen kann. Eben fo ſoll es den Gehülfen bei 
der werbfelfeitigen Schuleinrihtung in die Hand gegeben werden, damit 
He ohne weiteres an die Stelle des Lehrers treten. Im Ganzen gefallen 
mir die Aufgaben recht gut, fo wohl nad ihrem Inhalte, als nad 
ihrer Unfeinanderfolge.” Die neue Auflage if verbefiert und vermehrt. 


4 Rechenbuch für Volksfhulen, auf Grund der preußifchen Regulatine bes 
arbeitet von A. &tubba, Oberlehrer am Seminar in Bunzlau. Leipzig, 
Kummer. 1856. %ıs Thlr. 

Har Stubba rechtfertigte vor zehn Jahren Die Herausgabe feines 
Rechenbuchs durch den Umftand, daß der dreijährige Seminarcurfus 
auf einen zweilährigen Curſus rveducirt worden fei. Die Serausgabe 
des jegigen Buchs enthält eine abermalige Neduction, welche durch die 
preußifchen Regulative bewirkt if. Wenn diefe Reductionen fo forts 
gehen, fo wird am Ende das Zählen in der Volksſchule verboten, und 
der Lehrer darf nicht eine mehrflaffige Volksſchule durchgemacht haben. 
Ser Stubba berüdfihtigt nur die Volksſchule, ordnet die Webungen 
zwedmäßig an, giebt viele fpecielle, wenn auch individuelle Winke, und 
ſchreibt Mar und lichtvoll. 

Doffelbe laͤßt fih von einer zweiten Schrift fagen: 


5. Die gemeinen Brühe. Anmelfung zur leichten und gründliden Er - 


lernung der Bruchrechnungen für Seminarifien, PBräparanden und reifere 
Schüler in Stadt und Landſchulen, fo wie auch zum Selbſtunterricht von 
4. Stubba, Oberlebrer am Seminar in Bunzlau. 2. Aufl. Leipzig, 
Kummer. 1856. (XII u. 178 ©) 3% Thlr. 
Der Inhalt if: I. Bon den Theilern und Diviforen ganzer Zahlen. 
1. Die Bruchrechnung ſelbſt: 1. Einleitungen und Voräbungen; 2. die 
vier Grumdrednungsarten. III. Proben und Bortheile bei den vier 
Species in ganzen Zahlen. 
Außer der Entwidelung find noch eine menge Fragen gegeben und viel 
Fragen geflellt,, die aber leider nur die Reproduktion des Tertes fordern. 


b. Für den Schüler. 


5. Anmwelfung zum praftifden Rechnen. Kür den Gebraud in 
Heals, Handels⸗, Gewerb⸗ und Bürgerfhulen, fo wie zum Gelbftunter 


18* 


U 


276 | Mathematik. 


richt für Lehrer, Handelslehrlinge, Commis und ſelbſtiſtändige Geſchäfts⸗ 

leute bearbeitet von Dr. Ernſt Kleinpaul, Lehrer an der Kealfeule in 

Barmen. 2. Aufl. Barmen, Zangewieiche. 185%. (VIII u. 440 ©.) 

1! Thlr. . 

Inhalt: 1. Die widtigften Abkürzungen. 2. Cinleitung in die 
Negeldetri. 3. Die einfache Megeldetri unter Anwendung der Proportion. 
4. Multiplicationsregeldetri. 5. Diviflonsregeldetri. 6. Multiplicationgs 
und Divifionsregeldetri in wechfelfeitiger Verbindung. 7. SKettenfag. 
8. Zufammengefepte Negeldetri. 9. Decimalbrüde. 10. Zinsrehnung. 
11. Münzrechnung. 12. Disconto, Rabatt, Provifion. 13. Einfachere 
MWaarencalculationen. 14. Gefelfchaftsrehnung. 15. Wechfelreductionen. 
16. Terminrehnung. 17. Zufammengefegtere Waarencalculationen. 18. Bes 
rehnung der Gontocorrenten. 19. Mijhungsrehnung. 20. Berech⸗ 
nung der Staatspapiere. 21. Berechnung der Flächen und Körper. 
22. Münze, Maßs und Gewichtsverhältniffe. 

„Was das Leben, der bürgerliche und infonderheit der kaufmaͤnniſche 
Verkehr im Gebiet des Nechnens fordert, das und nur das allein if 
berüdfichtigt.. Ich habe deshalb mit geringer Ausnahme nur folde Bei⸗ 
fpiele gewählt, wie fie wirflih im Gefchäftsieben  vorfommen. Richt 
bloß andeuten, fondern faft durchgängig an vollftändig berechneten Beis 
fpielen bis in das Einzelnfte hinein das praftifhe Verfahren zeigen, 
das war meine Abfiht.” Damit charakterifirt der Verfaſſer fein Bud 
felt it und zwar richtig. Doch darf man nicht glauben, als liefere er 
eine Anweifung zum mechanifchen Rechnen, vielmehr wird überall bie 
Folge aus dem Grunde abgeleitet. Auch die Klarheit ift lobend her⸗ 
vorzuheben. 


7. Leitfaden und Beifpielfammlung für das praktiſche Rechnen 
zum Selbftunterriht und für Lehranftalten von Edmund Schäfer, Lehrer 
an dem köuigl. Athenäum in Maftriht. Köln u. Reuß, Schwan. 1856. 
Kl; zb. (133 S.) Ys Thlr.; 2r Ih. (85 S.) %Yı; Thlr. 
—Indhalt: I. Grundrechnungen: 1. Einleitende Kenntniffe, 2. 3. Grund» 
rechnungen mit eins und mehrfortigen Brößen, 4. dekadiſches Syſtem, 
5. defadifhes Syſtem und Sorten, 6. Beitrehnung, 7. Berwandelung 
mebrfortiger Größen in einfortige, 8. Verwandelung einfortiger Größen 
in mehrfortige, 9. Bruchrehnung, 10. Kopfrechnen. 11. Der Dreifag: 
1. Der einfache Dreiſatz, 2. der Kettenſatz, 3. der zufammengefeßte Dreis 
fa, 4. Kopfrehnen. 11. Die Procentrehnung: 1. Abzug von der 
Baare und dem Preife, 2. Berechnung des Gewinnes und Berluftes, 
3. Zinsrehnung. IV. Umwandlung von Werthbausdrüden und die das 
rauf beruhenden Berechnungen. V. Die Bertbeilungsrehnung: 1. Ges 
fellfhaftsrehnung, 2. Mifhungsredhnung, 3. Metallmiihung Vi. Münz⸗ 
und Wechſelrechnung. 
Die Decimalbrühe find berüdfihtigt; das Kopfrechnen gehört nicht 
herein, oder ift wenigftens zu kurz abgefertigt. Sonft if die Samm- 
lung der Aufgaben brauchbar, wenn aud nicht ausgezeichnet. 


8. Leitfaden der praftifhen Rechenkunſt. Kür höhere Bolkäfchulen, 
niedere Gymnafien, Reals und Gewerbſchulen, zum Selbflunterridt und 


Mathematif. 277 


für den Behrauc bes Handwerkers bearbeitet von Franz Locher, Lehrer 
an der Realfchule zu Ellwangen. Regensburg, Puftet. 1832. 
Inhalt: I. 1. Die vier Species mit unbenannten Zahlen, 2. von 
den vier Species mit benannten Bablen. II. Arithmetifche Aufgaben, 
gelök durch Raifonnement. III. Berechnungen aus den Werkſtätten nebfl 
den Deeimalbrücen: 1. Die pier Species mit Deeimalbrüchen, 2. Zlächen- 
berechnungen, 3. Körperberechnungen. 
Diefer Inhaltsangabe muß noch hinzugefügt werden, daß jedem 

Abſchnitt eine Erflärung der betreffenden Berhältniffe, eine kurze Ans 
gabe der BZahlengefege mei ohne Begründung, eine Reihe berechneter 
und erflärter Beifpiele, fo wie den fogenannten Raumrechnungen die 
nöthigen Lehrfäpe ohne Beweis beigegeben find. Ebenfo feblt die noths 
wendige Ausziehung der Wurzeln nicht. Die Behandlung flieht ganz 
von der PBroportionsiehre ab, die Beifpiele und Aufgaben find meifteng 
recht gut; ob aber alle auf dem Titel Genannten ‚von ihnen Gebrauch 
machen Tönnen, ift ſtark zu bezweifeln. 

9. Der praktiſche Rechnenmeiſter. Lehr⸗, Hülfs- und Uebungöbuch 
des Denkt», Kurz⸗ und Schnellrechnens für alle Borfommnifie im Ges 
ſchäfts⸗ und Gewerbsleben, nad zuverläffiger, naturgemäß einfacher und 
faßlicher Methode in kürzeſter Zeit gründiid u lehren und zu Ternen. 
Kür Lehrer und Schüler der Rechenfunft, Behäfe. und Gewerbsleute 
aller Branchen, Rechnungsbeamte 2c. bearbeitet von Friedrich Herrmann, 
£ehrer der Mathematik und Raturwifienfhaft. Leipzig, Wöller. 1856. | 


ir Ih.: Metbodifhes Lehrbuch der gefammten praftifchen Rechnenkunſt. 
Ein Beitrag AUT pereinladung, Abkürzung und Erleichterung des Rechnens 
unterriäts. (VIII u. 107 ©.) %s Zilr. 


2r Th.: Tabellarifhes Hülfsbuch zur Teicht überfichtlichen, zuver⸗ 
fäffigen Vergleihung und Berehnung der Münzen, Maße und Gewichte 
aller Staaten, zur Zinfeszinss und Rentenrehnung, nebft wielen andern 
beim praftifchen Rechnen unentbehrlichen Tabellen. (44 S.) ?/s Thlr. 


3r Th.: Methodiſches Uebungébuch zc. (63 ©.) Ys Thlr. 
4 Th.: Facitbuch. (33 ©.) Y,s Thlr. 

Ein furdtbarer, marktichreierifcher Titel. Nicht minder fürchters 
lich iſt auch flellenweife der erſte Theil, denn theilweife fehlt die Bes 
gründung , theilweife ift fie fehlerhaft, faft niemals den didaktiſchen For» 
derungen genügend. Die Aufgaben jedoch enthalten recht hübfches Mas 
terial. Der Berfafler bat offenbar die Anwendung im Auge, und des⸗ 
halb ift auch fein Buch für gewiffe Kreife brauchbar. 

10. Lehrbuch der bürgerlichen Rechenkunſt von Dr. $. Th. Kühne, 
Brofeflor der Matbematit am Gymnafium zu Gotha. 2. Aufl Leipzig, 
Hirzel. 1856. (VIII u. 184 ©.) Yıs Thlr . 

Anhalt: Einleitung: Zahl, Zahlwort, Bahlzeichen, defadifches 
Zahlenſyſtem, Rumerivn. I. Das Bor- und Rüdwärtszählen als 
Grundlage des Rechnens, die vier Rechnungsarten in benannten und 
unbenannten Zahlen. Il. Rechnung mit Summe, Unterfchieden und 
Brodueten, Entwidelung einiger Haupteigenfchaften der Zahlen. III. Rech⸗ 
nung mit Quotienten und Brüden. IV. Rechnung mit Decimalbrüchen: 
V. Entwidelung der Quadrate und Quadratwurzeln, eins und mehr- 
zifftiger Decimalzahlen. VI. Die Lehre von den Berbältniffen und 


—i —— — — 


278 Mathematik. 


Proportionen. VII. Anwendung der Lehre von den Verhaltniſſen und 
Proportionen: 1. einfache Regeldetri, 2. zufammengefeßte Regeldetri, 
8. Kettenregel. VIII. Weitere Anwendung der Lehre von den Berbält: 
niffen: 1. Geſellſchaftsrechnung, 2. Alligationsrechnung. Zabellen. 

Der Berfafler behandelt feinen Gegenftand obgleich elementar, doch 
wiſſenſchaftlich. Daher if fein Buch für Volfsfchulen nicht zu brauden, 
wohl aber für höhere Lehranftalten,, vielleicht auch für Seminare Für 
eine Schule, welde durch den Unterricht im praktiſchen Rechnen den 


wiſſenſchaftlichen vorbereitet und den elementarifhen hinter fi hat, wird 


das Bub am Plage fein. 


2. Wiſſenſchaftliche. 


11. Lehrbuch der Algebra für Induſtrieſchulen, Gymnafien und höhere 
Bürgerſchulen, fowie zum Selbftunterriht, von Johann Orelli. Zürich, 
Meyer u. Zeller. 1856. (XII u. 278 ©.) 1 Thlr. 

Anhalt: Einleitung. 1. Bon den negativen Größen. 2. Die 
vier erfien Operationen mit Monomen und Polynomen, mit Einfluß 
der algebraifhen Brühe und der Potenziehre. 3. Bon den WBurzels 
größen und der Ausziehung der zweiten und dritten Wurzel. 4. Bon 
den Bleichungen des erfien Grades. 5. Gleichungen des zweiten Grades. 
6. Bon den imaginären Größen, Progreffionen, Logarithmen ,- Kettens 
brüdhen. 7. Säge über Bahlen und WBurzelgrößen. 8. Combinations⸗ 
Iehre, binomifcher und polynomiſcher Lehrfag, Ausziebung der mten 


Wurzel aus Polynomen und defadifchen Zahlen. 9. Zufammengefepte 


Binsrechnungen, Rentenrechnung, Summation der Kugelhaufen. 10. Alls 
gemeine Auflöfung der Gleichungen des dritten Grades. 

„Abgeſehen vom Beihen if (+ 45) :(+ 9). (+ 45):(— 9), 
(— 45) : (+ 9), — 45) : (— 9) offenbar überall = 5. Das ifl 
doch mohl nicht richtig. In der Aufgabe (— 45): (— 9) — x if 
von vorn herein weder die Qualität noch die Quantität von x bes 
ſtimmt. Nur fo viel iR nach dem Begriffe der Divifion Mar, daß 
— 45=(—9).x if. Hieraus aber und aus dem Multiplications» 
geſetz ergiebt fi, daß x pofitiv oder x —= + y fein muß. E86 if 
alſo — 45 — (— 9) (+ yY)-= —9.y, folglich 45 — 9.Y, 
mithin y = 5, alfo x = + 5. Genau genommen, kennt die Aritbs 
metit gar keine benannten Zahlen, weder im Multiplicand, noch im 
Muitiplicator. Die Einrichtung der logarithmiſchen Zafeln in einem 
Lehrbuche zu erflären ift Ueberfluß. Die Darftellung und Entwidelung 
hat nichts Ausgezeichnetes. ine nicht unbedeutende Anzahl von Aufs 
gaben find ziemlich umfändlich gelöft, einige Excurſe nicht unintereffant 
und dürften das Eigenthümliche des Buchs ausmachen. Zum Selbfs 
Rudium reiht brauchbar. 
12. Die Differentials und Integralrehnung und deren Anwendung 

auf die Geometrie in der Ebene. Bon Dr. Edmund Mälp, Profeflor 


der Phyſik und Mathematit an der böhern @ewerbichule Ep Daımftadt. 
Darmftadt, Ernft Kern. 1856. (XVI u. 678 ©.) 3, Thlr. 


Wir müflen uns verfagen, den Inhalt mitzutbeilen. Denn wollten 


Mathematik. 270 


wir's thun, fo daß aus dem Inhalte ſelbſt ein Schluß auf Das Bug 
gemacht werden Fönnte, fo würden wir die und geſteckten Gränzen weit 
überfchreiten, zumal. da Lehrbücher über höhere Matbematif überhaupt 
im Jahresbericht nicht angezeigt gu werden pflegen. Einen etwas pein⸗ 
lichen Eindrud macht es, daß der Verfaſſer noh in der Differentials 
rechnung den Begriff der Funktion entwidelt. Doch das ift dermalen 
noch allgemein üblich. Bei jeder Disciplin, fo auch bei der Differentials 
und Integralrechnung, kommt es vor Allem auf die ſchärfſte Faſſung und 
Entwidelung der Begriffe an. Vier würde befonders die Entwidelung 
zu betonen fein. Diefe aber ſcheint ung für den Differentiafquotienten 
und das Unendliche nicht hinreichend. Wir haben es zwar mit einem 
Lehrbuche zu thun, das einen Lehrer verlangt, allein das Feſtbalten 
an unferer Forderung würde auch manche andre Uebelflände vermieden 
haben. Un die Spiße flellt HOerr Külp die Relation 


im 144) e. 


Dies zwinge ihn zu fchwierigen ober wenigſtens künſtlichen Entwides 
Iungen. Denn fo finnreih die Cauchy'ſche Darflellung if, fo wenig 
weiß fie von Geneſis; fie gleicht einem infinktmäßigen Hineingreifen und 
iR von genetifhem Standpunkte aus fpgar unwiſſenſchaftlich. Hoͤchſt 
unbebaglih wird es mir auch zu Muthe bei den gnoniometriihen und 
cyllometrifchen Funktionen. Diefe entBehben in der fogenannten alge⸗ 
braifhen Analyſis und follen gar feine geometriiche Bedeutung haben. - 
Die Geometrie hat nur nachzuweiſen, daß ihr Sinus u. f. w. derfelbe 
iR, wie der in der Analyfis gefundene. Didaktifch freilich wird diefer 
Nachweis erſt in der Differentialrehnung vorzunehmen fein. Daß es 
nicht gefchieht, halten wir flür einen Mangel. Für die Bezeichnung if 


die Form 
1296) * (0) 
auf jeden Fall der vom Verfaſſer meiſt gebrauchten 
ymu+v, 
wo u und v Funftionen von x bedeuten, vorzuziehen. An Motwirung 


der Ummandlungen und Subfitutionen fehlt es gar fehr. So fchreibt 
der Berfafler ftatt ’ 
Ay __ fa+4u) —f (w) 


Ix Ax 
blos deshalb, weil man es „kann,“ in Wahrheit aber, weil er das 
Refultat ſchon voraus weiß 
dy_ Sfla+A)— fm) Au 
Ax Au "Ax’ 
Dies find die hauptfächlihften Ausftellungen, welche wir an dem Bude 


zu machen haben; fie verfchwinten aber gegen die fonfligen Vorzüge 
deſſelben. Der Verfaffer bat alle Urbeiten in dem betreffenden Gebiete 


280 Mathematil. 


, 


benutzt und verarbeitet, und Bietet uns ein vollfländiges Syſtem der 
Infiniteſimalrechnung, welches für die Schule wohl meiſt zu vollſtändig 
ſein wird. Vor Allem loben wir die Behutſamkeit, mit welcher überall 
verfahren wird, wo eine Wahrheit nicht unbeſchränkte Anwendung ges 
ftattet, die arbeit in den Beweifen bei verhäftnißmäßiger Kürze und 
die Eleganz einzelner Darftellungen. 


13. Die algebraifche Analyſis. Bon Dr. Edmund Kulp, Profeflor 
der Be und Mathematit an der höheren Gewerbfchule in Darmftadt. 
Darmftadt, Ernft Kern. 1856. (VIII u. 242 ©.) ıs Thlr. 

Die algebraifhe Analyfis leidet in fuflematifcher und ardhiteftos 
nifcher Sinfiht vielleicht am meiften unter allen mathematifchen Diss 
eiplinen. Auch Herr Külp hat diefes Leiden nicht vermindert, wie 
{don aus der Inhaltsanzeige hervorgeht. Denn fein Bud enthäft: 
1. Die Grundzüge der Combinationsiehre. 2. Den binomifhen Lehrs 
faß. 3. Die Reihen. 4. Die Erponentialgrößen und Logarithwen. 
5. Die trigonometrifchen Funktionen. 6. Die imaginären Zunftionen. 
7. Die Summe der reciprofen Potenzen der natürlichen Zahlen. 8. Die 
Kettenbrühe. Noch mehr überzeugen wir uns davon, wenn wir das 
Buch ſelbſt auffchlagen. Es find bier, wie überall, eine Reihe Probleme 
geftellt und gelöft, ohne daß die Nothmwendigfeit und der Zufammenbang 
nachgewiefen wird. So fängt die Entwidelung ber Reihen mit den 
Worten an: „Mit Hülfe der trigonometrifhen Formel 


sin (ce + Pf) + sin ( — P) = 2 sin @. cos 4 


erhält man u. f. w.“ Hier follte e8 doch wenigſtens heißen, eine “ 
Funktion zu beflimmen, für welche . 


(a +)+Yyl— N) =2ypla).Y1-—[p (a)] ? 


iR. Die Sinusreihe mag entfliehen, wo und wie fie will; und fie tritt 
in der That bei genetifher Entwidelung an vielen Stellen auf, aus 
der Geometrie darf nichts entlehnt werden. - Sept man z. B. in der 


Erponentialteiie x — a yY —1, fo iſt 

a J a2 at a6 | 

* ta Taste ) 
a5 a’ 

+ (a - at Tas 1.23.4.5.0.77° „ai 

Sind hier die eingeflammerten Reihen bereits bekannt, fo erhält man 


ay—1i 
e =cosa+tsina/y_— | 


—ay—i 


e — co a—ainay_ 1 


Methematll. 281 
fi ' 


sin a? + cos a? — 1 
uf. w Sind fie nicht bekannt, fo erhalten fie jebt ihre Namen. 
Diefer Vorwurf trifft aber nicht allein Seren Külp, fondern fat alle 
Bearbeiter der algebraifhen Analyfis, faft ohne Ausnahme. Wir find 
entfchieden hinter Thibaut zurüdgegangen. Sonft find die einzelnen 
Abtheilungen unferes Buchs tadellos gearbeitet, und daffelbe zu empfehlen. 


14. Aritbmetil und Algebra für Gymnaflen und Realſchulen von F. 
G. Müller, Brofefior am Berlinifhen Gymnafium zum grauen Klofter. 

Berlin, H. Springer. 1857. (XII u. 279 ©.) %s Thlr. 

Inhalt: Einleitung von den Ordnungszablen und ſyntaktiſchen 
Operationen. I. Bon den einfachen Zahlenverbindungen — Arithmetif 
im engern Sinne — 1. Sunme und Differenz, 2. Product und 
Quotient, 3. Potenz und Wurzel, A. Zahlenſyſteme, Theilbarfeit der 
Zahlen, 5. von den Decimalbrücen, 6. von den Berhältniffen und Pros 
yortionen. Il. Bon den zufanınıengefegten Zahlenverbindungen — Buchs 
Rabenrehnung und Algebra — 1. Buchflabenrehnung überhaupt — 
Rechnung mit eins und mehrgliedrigen Ausdrüden, 2. von der Aufs 
löfung der Gleichungen, 3. Logarithmen, Progreffionen, Kettenbrüche 
und diophantifhe Aufgaben. - 

Eigenthümlich if die Auffaffung der Zahl. Es iſt nämlich 


a—= 0 Fi ++ ıi +11 +1H+..... +1 
daraus entſteht 
ab=0+a+a+art......+a 
am — 1.8... DR .............. a 


Das Einzelne hat mir im Allgemeinen recht wohl gefallen, nicht aber 

die GSefammtentwidelung, welche fowohl vom, logifhen als genetifchen 
Standpunkte Fehler verräth. So angemefien 3. B. die Syntaktik an 
der Spitze flieht, fo unbegreiflich if "die Trennung der Logarithmen von 
der Potenz. Doch dürfte dies in den Augen Vieler nicht als Fehler gelten. 


* 


U. Qufgabenfammlungen. 
1. Elementare. 


13. Aufgabenfammlung über Wechſelrechnungen, Waarenrechnungen und 
Contocorrenten. Zum Gebraude für die Handelsſchule bearbeitet und 
berausgegeben von 3. Eh. Meyer. Mit einer Einleitung von Profeſſor 
Dr. Th. Wittſte in. Hannover, Hahn. 1856. (28 u. 291 ©.) 9, Thlr. 
Der Inhalt if im Allgemeinen auf dem Titel angegeben. Ich 
babe nur noch hinzuzufügen, daß ich das Buch für das vorzüglichfte 
unter den mir über diefen Begenftand bekannten halte. Die Yülle des 
Materials befteht wefentlich darin, daß dem Schüler alle möglichen Vers 
bältniffe vorgeführt werden, welche in dem betreffenden Gebiete vorkommen 
Können, Die Aufgaben find faſt alle praktiſch. 


282 Mathematik. 


16. Aufgaben aum praktiſchen Rechnen für ſchweizeriſche Volkäfchuien. 
Don H. Zähringer. X. Kettenfap und vermifchte Uebungen. 2. Auflage. 
Züri, Meyer u. Zeller. 1856. (32 S., Antworten 39 ©.) 


Entbält praktiſche, intereffante und, wo es geht, auf reelle Zahlen 
bafirte Aufgaben. 


17. Aufgaben zum Rechnen. Zufammengeftellt von E. Woyſche. 1. Seft. 
Aufgaben gem Zifferrechnen mit unbenannten Zahlen (27 &.).— 2. Heft. 
Die einfachen Rechnungsarten mit mehrfach benannten Zahlen (3? S.). — 
3. Heft. Einfache Rehnungsarten mit Brüden (32 ©). — 4. Heft. Die 
zufammengefeßten Rechnungsaufgaben. — 5. Heft. Flächen s und Körper: 
berehnung (24 S.). Frankfurt a. d. D., Trowitſch. (Ohne Jahreszahl.) 


Im erfien Hefte nur BZahlenbeifpiele. Umfang und Material ſtim⸗ 
men recht gut zufammen. Bon ſchwierigeren Berhältnifien wird im 
Allgemeinen abgefehen. 


18. Praktiſches Rechenbuch für Schulen in ſyſtematiſcher Gtufenfolge 
von Wilhelm Adolph Guizow, Lehrer an der Realfchule zu Güſtrow. 
2. Theil, 2. Auflage. Güſtrow, beim Verf. (64 ©.) 


In VII. 877 vourde das Schriftchen dur das Urtbeil charakteri⸗ 
Art: „Zeichnet fih durch Kürze und Beflimmtheit der Erläuterungen 
aus, und gewährt eine reiche und gute Auswahl von Aufgaben, die vor⸗ 
zugsweife aus dem Bereiche des praktifchen Lebens genommen find.‘ 


19. Aufgabenfammlung für das ſchriftliche Rechnen, von G. $. 
Ebner, Hauptlehrer an der obern Nealllafle des Pädagogiums zu Eßlin⸗ 
gen. Eßlingen, Weychardt. 1856, 1. Heft. Die vier Species in reinen 
und gleihhenannten Zablen. (VII u. 140 ©.) %s Ihr. — 2. Seft. Die 
vier Species in ungleich benannten Zahlen. (TV u. 160 ©.) °/ı2 Thlr. 


Die Aufgaben find vorzugsweile auf tüchtiges Einüben berechnet, 
betonen fehr die Gewandtbeit im Operiren mit dem NReductionszahlen 
und enthalten brauchbares Material. — Rur für fübdeutfche Schulen. 


20. Aufgabeblätter zum Kopfrehnen, von Ehrlid. Soeſt, Nafie. 
1856. (48 ©.) 2. und 5. Auflage. ’ 


Ein fehr mageres und zum Theil fehr ungereimtes Büchlein. Da 
follen fih zwei Kinder in 19,000 Aepfel theilen. Dazu braucht jedes 
einen Kaften von mindefiens SO Cubikfuß Inhalt. 


2. Wiſſenſchaftliche. 


21. Sammlung von Uufgaben und Beiſpielen aus der befondern 
und allgemeinen Aritbmetit, fowie aus der Lehre von den Gleichungen 
oder Algebra. Zum Gebrauche für Gymnaſien, Realfhulen, höhere Bürs 
gerſchulen, Bewerb», Handels⸗ und Militärfchulen bearbeitet und heraus 

. gegeben von Albert Billing, Dr. phil. und Gnwnafiallebrer. Braun 
Iuweig, C. A. Schwetichte u. Sohn. 1857, (XVI uw 431 ©.) 1 Ahlr. 
gr. 


Inhalt; Elemente der Arithmetif, I, Befondere Arithmetil: 1. von 


Mathematik. 283 


ber Theilbarkeit der Zablen, dem Theiler, dem größten gemeinſchaftlichen 
Factor, dem größten gemeinſchaftlichen Producte uf. w.; 2. von den 
Brüdhen; 3. von den Derimalbrähen; A. einfache Rechnungen mit uns 
gleih benannten Zahlen; 5. die wichtigeren Rechnungen des bürgerlichen 
Lebens. II. Allgemeine Zahlenlehre oder Arithmetik: 1. Rechnung mit 
allgemeinen Bahlausdrüden, in welchen nur Potenzen mit ganzen pofi⸗ 
tiven GErponenten vorfommen; 2. Rechnung mit allgemeinen Bablaus- 
drüden, in welchen Potenzen mit ganzen pofitiven und negativen Expo» 
nenten vorfommen; 3. von den reellen Wurzelgrößen; 4. Rechnungs» 
operationen mit allgemeinen Zahlausdrüden, in welden Potenzen mit 
ganzen oder gebrochenen, poſitiven oder negativen Erponenten vorkom⸗ 
men; 5. Rechnung mit imaginären WBurzelgrößen; 6. Umänderung der 
Zorm allgemeiner Bahlgrößen; 7. Logarithmen; 8. Kettenbrühe: 9. von 
den Theilbrüchen und Theilbruchrechnen; 10. Bermutationen, Combina⸗ 
tionen und Variationen; 11. Bildung von Binomialproducten binomis 
Iher Factoren, binomifcher Lehrfag; 22. Progrefforien, figurirte Zablen, 
Bolygonals und Pyramidalzahlen, aritbmetifhe Reiben höherer Orb» 
nung, Zacultäten und Zacteriellen, III. Algebra. 


Die Sammlung ift im Allgemeinen vollftändig. Bei der Diviflon 
vermiffen wir Aufgaben von der Form aE:b E. Sie bietet die Zah⸗ 
lenverhaͤltniſſe in möglihft vielen Berbindungen. Befonderd nett find 
einige Abfchnitte, welche die Verbindung mehrerer Operationen enthalten. 
Bon Einzelnheiten iſt mir nur die auch anderwärts gebraudte Abkür⸗ 


zungsgleichung 1 + A == P in der Binfeszinsrehnung als unzwed⸗ 
mäßig aufgefallen. Viele Aufgaben find der Art, daß der Schüler 
bartes Holz bohren lernt. Daher if die Sammlung zu empfehlen. 


22. Sammlung von Aufgaben aus der Arithmetik und Algebra 
für Gymnafien und Gewerbſchulen. Bayreuth, Grau'ſche Buchhandlung. 
1856. 1. Tb. 2. Aufl, 178 S. Aufldfungen (60 ©.). "Ja Thlr. — 2. Th. 
(286 ©.) %% Zhle. 

Burde fhon im Pädagog. Jahresberiht VIII. S. 172 charakteri⸗ 
firt und empfohlen. Die Bahl der Aufgaben iſt vermehrt worden. 


III. Monographie. 


23. Diophantifhe Aufgaben für Kunde des Mechnens, befonders aber _ 


für Seminarpräparenden, Seminariften und Lehrer, von Ludwig Rap 

low, Lehrer in Melzow. Langenfalza, Schulbuchhandlung. 1856. (98 ©.) 

Enthält beinahe hundert Aufgaben mit ihren Löfungen. Nach mei 
nem Dafürbalten And die Auflöfungen unbeftimmier Aufgaben durch 
Rafionnement fchwerer uud unvolßändiger, ale dur die algebraifche 
Sprade. Auch der Berf. muß zur allgemeinen Bezeichnung der Zahlen 
teine Zuflucht nehmen. Sonſt if die Arbeit eine recht nette. 


= 


ee — — — — — — 


284 Mathematik. 


B. Geometrie. 
J. Lehrbücher. 


1. Elementare. 
a. Für den Lehrer - 


24. Leitfaden für den Unterricht in der Geometrie in f&hwelzeris 
fen Vollsſchulen, von H. Zähringer. Luzern, Kaifer. 1856. (X u. 
158 ©.) 3 Thlr. - 
Inhalt: I. Anſchauen und Zeichnen. 11. Das Meflen und Zeich⸗ 

nen der Linien und Flähen: 1. Punkte und gerade Linien; 2. Theilen 

und Bervielfältigen gerader Linien; 3. Kreislinie und Kreisflähe: 4A. 

Winkel und Bögen; 5. der verjüngte Maßſtab; 6. die Dreiede; 7. die 

Vierecke; 8. die Vielecke. III. Die Berechnung der Flächen: 1. Flaͤche 

der Quadrate und Redtede; 2. Fläche der Dreiede; 3. Fläche der Pas 

rallelogramme; A. Fläche der Zrapeze; 5. Fläche der unregelmäßigen 

Dierede; 6. Fläche der Vielecke; 7. Fläche des Kreifes: "IV. Das Zeich⸗ 

nen der Körper. V. Die Berechnung der Körper: 1. Berechnung der 

prismatifchen Körper; 2) Berechnung der pyramidalen Körper: 3. Bes 
rechnung der Kugel. 

Der Berf. bat uns fchon oben einige Andeutungen über die Geos 
metrie der Volksſchule gegeben. Hier find diefelben ausgeführt. Der 
Lehrer findet an dem Buche einen guten Führer und gefchidten Bors 
lehrer, au wenn er Fein Schweizer iſt. Manche Einzelheiten dürften 
au dem Höheren Schulunterricht als methodifches Moment frommen. 
Die Beichenaufgaben 3. B. würden auch bier ihre Früchte tragen. 


25. seitfaben zur Kormens und Raumlehre für Volfefchulen, nebft 
einer Sammlung aufgelöfter Aufgaben. Bearbeitet von Anton Breunig, 
Hauptlehrer in Heidelberg. KHeidelberg, Julius Groß. 1856. (VIII u. 
865) !ı Thlr. 
inhalt: I. Formenlehre: 1. Vom Punkt und den Richtungen; 

2. die Linie; 3. Theilung der Linie; A. nähere Betrachtung der Linie; 

5. von den verbundenen geraden Linien; 6. von den Winkeln; 7. wech⸗ 

felfeitige Beziehung der Winkel; 8. von den Figuren. II. Raumlehre: 

1. Borbegriffe; 2. das Meffen der Linien; 3. das Meffen der Winkel; 

4. Slächenberehnung; 5. Betrachtung von Körpern; 6. vom Zeichnen 

der Koͤrpernetze; 7. Berechnung der Oberfläche der Körper; 8. Körs 

perberechnung. 
In der Formenlehre findet man einiges Beachtenswerthe der Ma⸗ 
nier. Sonft für Volksſchulen brauchbar. 


26. Lehrſtoff und Lebrform der Geometrie für Schulen und zum 
Selbftunterriät, von P. H. Krohn. Hamburg, Würger. 1857. (XVIu. 
153 ©.) 16. 221% Ger. 
Anhalt: J. 1. Punkt und Linie; 2. Winkel: 3. Dreied; 4. 
Biered; 5. Kreis; 6. Würfel; 7. das dreifeitige Prisma; 8. der Cy⸗ 


Mathematik. 285 


linder. I. 1. Der Punkt; 2. die Linie; 3. der Winkel; 4. das 
Treied; 5. das Biered; 6. der Kreis; 7. das Dval; 8. allgemeine 
Bemerkungen über Raumgrößen; 9. der Würfel; 10. das breifeitige 
Prisma; 11. das vierfeitige Prisma; 12. dhs fünffeitige Prisma; 13. 
die dreifeitige Pyramide; 14. die vierfeitige Pyramide; 15. Allgemeines 
über Pyramiden und Prismen; 16. der Cylinder; 17. der Kegel; 18. 
das Tetraeder; 19. das Octaeder; 20. das Dodecaeder; 21. das Iko⸗ 
faeder; 22. die Kugel. III. 1. Vorbemerkungen; 2. Punkt und Linie; 
3. der Winkel; 4. die geradlinigen Figuren; 5. von der Aehnlichkeit 
der Figuren; 6. vom Kreiſe; 7. die Ebene; 8. die Körper. 

Der Inhalt lehrt uns, daß der Verf. Methode für nothwendig und 
eine Zurechtlegung des Materials für den Schüler unerläßlih Hält. Er 
giebt das Lehrverfahren und in diefem viel Nachahmenswerthes und if 
ſpecifiſch praktiſch. Sein Büchlein fei daher empfohlen. 


b. Für den Sküler. 


27. @eometrie für gehobene Volksſchulen, Seminarien, niedrige Gewerbes 
und Sandwerlerfhulen, mit circa 3000 Uebungdaufgaben und mit 200 in 
den Text eingedrudten Figuren. Als Leitfaden beim Unterricht und zur 
Selbſtbelehrung, mit befonderer Rüdficht auf's praktiſche Xeben bearbeitet 
vn Jakob Egger, Seminarichter zu Mündenbuchlee. Bern, Wyß. 


Der Inhalt laͤßt füh nicht kurz angeben. Betont werden die Bes 
rechnung der Linien, Flächen und Körper und Conſtructionen. Gewiß 
nad der Beſtimmung des Buches mit Recht. Die Darftellung if Mar. 
und folgt der gewöhnlichen Weile. Die Aufgaben fireben nach dem 
Braktifhen und nehmen oft eine intereffante Form an. 

28. Der praftifhe Geometer, oder Anleitung aur gewerblichen Geomer 
trie. Gin Lern» und Lehrbud für Sonntogs⸗ oder Bewerbs» und Ports 
bildungsfchulen, fowie für Lehrlinge der Landwirtbfchaft und fonftiger Ges 
werbe zum Selbſtunterricht. Mit mehreren Tabellen, vielen eingedrudten 
Holzſchnitten und einem arithmetifhen Anhange vom Pfarrer Stelfhauer 
und Emil Fleifhhauer, Mafchinenbauer und Graveur. Langenfalza, 
Schulbuchhandlung. (XIV u. 250 ©.) Ya Ihr. 

Inhalt: I. Longimetrie: 1. Die geraden Linien; 2. die krummen 
Linien; 3. die Lehre von den Winkeln; 4A. die geradlinigen Figuren; 
5. die Barallelogramme und irregulären Figuren; 6. der Pythagoras; 
7. die Bolygone; 8. die Verwandlung und XTheilung der Ziguren; 9. 
die arcdhitektonifchen Glieder und Linien. 11. Die Planimetrie: 1. das 
Bermeffen geradliniger Figuren; 2. das Vermeſſen frummliniger Figur 
ren. III. Die GStereometrie: 1. die Polyeder, Prisma und Walze, 
Byramide und Kegel, Kugel; 2. die regulären, geometrifch meßbaren 
Körper; 3. Ermittelung des Volumens der Nundbölzer, Bäffer und Zus 
ber; 4. Hohlmaße für trodene und flüffige Körper; 5. die Gewichte, 
IV. Maß⸗ und Gewichtstabellen; arithmetifcher Anhang: Deeimalbrüdhe, 
Broportionen, Wurzelausziehung. 

Das Bad macht auf wiſſenſchaftliche und methodifche Darftellung 
feinen Anfprud. Es giebt die Geſetze hiſtoriſch, die Bonftructionen 


286 Mathematil- 


obme Beweis, bödftens Tommi es zu Beranihanlidungen. ber in dem, 
was es giebt, iR Das Bud vortreflih. Es enthält eine Reihe netier 
praftiiher Geuftrwetienen, fyriht die Geſehe Mar umd deutlich aus und 
giebt Die Gonfructiomen präcis am und führt fie fanber aus. Daher 
fann es von den auf dem Titel Demerfien mit Rupen gebraucht werden. 
Die Herren Berfaffer beabfidtigen eine dazu gehörige Aufgabenfamm- 
Iung zu wranfalten. 
2. Biftenfheftlide. 

29. Lebrbud der Geemerrie neh Mepelitienstafeen. Kür Neal» und 

inobefentere tehniihe Schulen, frwie zum Sebftunterrichte entworfen von 

Dr. 8. Zehme,. Direaer Der Kömigi. Previnzlalgewerbeihule zu Sagen. 

2. Uuflage- Lagen. Gulae Dup 1856. (IV u. 195 ©.) 1% Ihle. 

Yubalt: 1. Die elementare Pienimetrie für untere Klaſſen: 1. 
Borbegriffe;: 2. Lebriige mit ausführlichen Beweilen; 8. Beiträge zu 
dem bisherigen Lehrgange. 11. Die weitere Planimetrie für höhere 
Kiaſſen: 1. Lehriige und Unteutungen ihrer Beweife; 2. Fortfegung 
des Lehrgangs des erfien Theils; 3. Hectification und Quadratur des 
Kreifes; A. das matbematifche Zeichnen. 

Die Gliederung in zwei Kurie if eine nur äußerlihe Die Art 
der Bebandiung iR in beiden wejentlich dieſelbe. Die Darftellung bes 
wegt ſich in den fyaniichen Stieſeln des Cuklidianismus und ordnet Die 
Beweife jo an, daß die Gleihungen der Art ein- und ausgeübt were 
den, daß jeder Schluß eine Folge aus den zunächſt eingerüdten Glei- 
dungen if. Die äußere Unortuung der Beweile if allerdings nicht 
unwichtig, ob aber die vom Berf. beiichte Urt fehr zwedmäßig if, dürfte 
erſt zu entjcheiben fein. Wunderbar if es, daß bei der Freiheit, weiche 
die euflidifhe Methode gefattet, wicht überall die bequemfte Beweisform 
gewählt wurde. So wäre S. 27. Rr. 56 der Beweis nad Kunze ger 
wiß befier. Zwedmäßig hingegen if es, daß die Sätze, welche gemein⸗ 
bin als Zufäge auftreten, den Titel Lehrfäpe erhalten haben. Einzelne 
Bartien find etwas breit. Richt umintereffant if der Ercurs über den 
einzeinen Beweis, die bilblihde Darfielung des Zuſammenhanges der 
Lehren, die Rothwendigfeit der Lehrſähe in der Geometrie, die Geſetz⸗ 
mäßigteit mathematifcher Entwidelungen, den apagogiſchen Beweis, Die 
Sätze über Winkel an Barallelen, den Zufammenhang der Eäpe der 
Kreisiehre. Bei Gelegenheit der Winkel, welche bei Parallelen entſtehen, 
führt der Berf. ſechs Paare an. Dies berubt auf einem Irrthum. 
Denn in Bezug auf die gefchnittenen Linien entfliehen äufere und innere, 
alfo in der Zufammenfaffung innere und äußere, in Bezug auf die 
fchneidende Linie Winkel büben und drüben, oder in der Zuſammen⸗ 
faſſung getrennte und ungetrennte. Durch Gombination entſtehen nun 
vier verfchiedene Winkel. Auch jo Tann man fich leicht überzeugen. Sind 
a, ß, y, I die Winfel an der einen gefcnittenen und a’, P’, y’, 0’ die 
an der andern, fo erhält man für den einen Winkel & vier, aber auch 
nur vier Berbindungen a, @'; 8, 3 9, y'3d, 0. 





Mathematil: 287 


30. Ausführlides Lehrbuch der böhern Geometrie zum Selbflini« 
ferridt, weit Rückſicht auf das Rosbiwendigfte und Wichtigſte bearbeite! von 
5. B. Lübſen. 3. Wuflage Leipzig, Brandſtetter. 1855. (XVI u. 
214 ©.) 1° Thlr. 

Im Zahresbericht (V. 117) fagten wir unter anderem: „Ausführs 
lie und lichtvolle Darfellung zeichnet diefes Buch aus — Alles Mar, 
mit großer Anſchaulichkeit Dargefellt. Wer fi in die höhere Geometrie 
bineinarbeiten wid, dürfte kaum eine befjere Schrift finden.‘ ch habe 
hinzuzufügen, daB ich auch jet noch feine beflere weiß. 

3. Lehrbuch derebenen Geometrie. Zum Gebrauch für Schulen don 
J. Den Hilfslehrer der Rathematik an der techwifhen Schule zu rs 
langen. (Erlangen, Ente. 1356. (95 ©.) ?hs Thlr. 

Inhalt: J. 1. Schneidende und parallele Linien; 2. das Dreis 
ed; 3. das Bieled und insbejondere das Biered und Parallelogramm: 
4 der reis. 11. 4. Die PBroportionalität der Linien nnd Wehnlichkeit 
der Figuren; 2. Ausmeſſung der Flächen geradliniger Figuren; 8 Kreis 
vielede und Kreismeffung; 4. algebraijch » geometrifche Aufgaben. An 
bang: Lehrfäbe und Aufgaben. 

Die Darſtellung if euklidiſch, Neues nicht enthaltend, kaum das 
Nothwendigſte biedend. Sonſt aber klar, überfihtlic und angenehm zu lefen. 


32. Geometrie. Dargeſtellt in entwickelnder Metbode für höhere Lehran⸗ 
Ralten und zum Schhtunterricht von Friedrih Mann. I. Planimetrie. 
Züri, Meyer u. Seller. 1856. (VII n. 184 &.) !ııs Thlr. 
Inhalt: Die erfien geometrischen Anſchauungen; PBlanimetrie: plas 

nimetrifche Lehrfäge, fpecieller Theil: Richtung, Länge, Winkel; Rich⸗ 

tung, parallele Linien, Congruenz; das gleichfchenkelige Dreied; Uns 
gleichfchenkefigfeit, Ungleichwinfeligkeit, Entfernungen u. f. w.; vom 

Barallelogramm; Linien und Winkel am Kreis; vom regelmäßigen 

Bieled; von der Gleichheit und von Meſſen; Broportionalität und Aehn⸗ 

lichkeit; Berbindung der Proportionalitätss und Aehnlichkeitsfäge mit 

früheren Entwidelungen; Erweiterungen; planimetrifhe Lehrfäge, allge 
meiner Theil. Planimetrifche Aufgaben, fpeeieller Theil: einkeitende Bes 
merfungen, die Sundamentalaufgaben, der Kreis, eine abgeleitete unbes 

Kimmte Aufgabe, zwei unbeflimmte Aufgaben; eine Reihe beftimmter 

Aufgaben, die geometrifchen Derter, beftimmte Aufgaben, welche zu geo⸗ 

metrifchen Dertern führen, Aufgaben, Erweiterungen; planimetrifche Aufs 

gaben ; allgemeiner Theil. 

Ein recht intereffantes, fleißiges, wohl durchdachtes, anregendes und 
befehrendes Bud. Nur leidet es an dem Fehler der Unüberfichtlichkeit. 
Der Berfafler führt uns nit minder in der Irre herum als der Eus 
Nidianer und flellt ung mei das Biel, nach welchem er hinſtrebt, nicht 
vor Augen. Richt wenig hat zu biefer Unklarheit über das Ganze die 
Zreumung in Lehrfäge und Aufgaben beigetragen, von der fih Herr 
Mann viel verfpriht. So lange man aber die Probleme nicht im 
Ganzen und Großen faßt und mit bloßer Heuriſtik an dem bekannten 
Material herum ſucht, wird das Intereſſe für's Ganze nicht erhöht, 


288 Mathematik. 


Dann ziehen ſogar viele Naturen den Euklid der Heuriſtik vor, zumal 
die Schlauheit des Euklidianers um nichts größer if, als die des Heu⸗ 
riſtikers. Doc ſteht die Heuriſtik auf der böhern Stufe, indem fie wer 
nigftens in einem Sinne ſich eine allgemeine Aufgabe ſtellt, nämlich das 
aufzufuchen, was aus den früheren Abfchnitten folgt. Doc wird und 
ann diefe Aufgabe nicht immer durchgeführt werden, da jeder neue Abs 
fehnitt mit neuen Begriffen beginnt. Der Berf. beruft fi auf Hegel, 
nach welchem die Methode nichts anderes ift, als die Form der Selbſt⸗ 
bewegung vom Inhalte derjenigen Wiffenfhaft, um die es fih handelt. 

Wenn er feiner Autorität gefolgt wäre, fo würde er nichts erhalten 

haben, als Fragen, welche ihre Beantwortung fordern. Denn die Selbſt⸗ 

bewegung ſetzt einen Weg voraus und das Bewußtfein, daß derfelbe 
eingefchlagen werden müſſe. Damit foll aber nicht gefagt fein, daß der 

Berf. überall nur heuriſtiſch verfahre, er bietet uns vielmehr auch Abe 

fpnitte, wo uns das Biel Mar bingeflellt wird. Hätte der Verf. jedoch 

das Problem an die Spige geftellt, fo würden aud feine Erörterungen 
in den allgemeinen Theilen, welche als logifche Unterfuchungen oder auch 
als Beiträge zur Philofophie der Mathematif gelten können, ein anderes 

Ausfehen erhalten haben, obgleich fie fih auch jegt ganz angenehm leſen 

laffen, und zwar deshalb, weil fie zum Denken herausfordern. 

33, Leitfaden zum Unterrihtin der Geometrie, von C. Davids, 
Privatiehrer In Altona. Erfter Eurfus. Erſtes Heft. Ebene Geometrie. — 
Zweites Heft. Stereometrie und Kegelſchnitte. Altona, Heftermann. 1856. 
(32 u. 40 ©.) */ Thlr. und */10 Thlr. 

Anhalt: I. Ebene Geometrie: 1. von den geraden Linien, von 
ebenen Flächen und von Winkeln; 2. von den Dreieden; 3. Bierede, 
Barallelogramme, Bislede; A. Zlächengleichheit, Berwandelung gerablinis 
ger Ziguren; 5. vom reife. II. Stereometrie: 1. Lage gerader Linien 
gegen eine Ebene, und von der Lage der Ebenen gegen einander; 2. 
von den Lörperlihen Eden; 3. von den Körpern; 4. Ausmeſſung der 
Körper. III. Kegelfchnitte: 4. die gerade Linie; 2. der Kreis; 3. die 
Parabel; 4. die Ellipfes 5. die Hpperbel. 

Eine Menge Säße find nicht bewiefen, 3. B. das Verhältniß der 
Winkel bei Parallelen, die Bongruenzfälle werden bewiefen durch die 
Worte: „Die Beweife ergeben fich bei einiger Weberlegung von ſelbſt.“ 
Das ift immer fo. Noch größer wird die Zumuthung des Lehrers an 
bie Glaubensſtärke im zweiten Hefte, wo auf unbewiefene Edge recurrirt 
wird und Formen we V=4(G + g + YG.g) h gan un 
befangen ohne Beweis, ja fogar als BZufäge auftreten. Zum Lernen 
mag das Büchlein nicht viel bieten. 

34. Die elementare Stereometrie; zum Gebraude für Schulen und 
dum Seldftunterrihte von J. C. H. Ludowieg, Artilierielapitän a. D., 

beriehrer der Mathematik und Phyſik am Gymnafium zu Stade. Stade, 

Steudel. 1856. (VIII u. 120 ©.) 1'/s Ihir. 

Anhalt: 1. Erflärungen und vorbereitende Sätze; 2. von den 
Conftructionen der verfchiedenen Lagen gerader Linien gegen eine Ebene 


Mathematik, 289 


und den daraus fliegenden Sähen; 3. von den Conſtructionen, "welche 
die gegenfeitige Lage zweier oder mehrerer Ebenen betreffen; 4. von der 
förperlihen Ede; 5. von der Konftruction der Körper mit ebenen Eeie 
tenflähen und den näcften Eigenfchaften derfelben; 6. von der Ausmels 
fung des körperlichen Inhalts und der Oberfläche der Polyeder; 7. von 
der Conſtruction der drei krummflächigen Körper, des Eylinders, Kegels 
und der Kugel; 8. von der Ausmeſſung des Lörperlihen Inhalts und 
der Oberflaͤche der frummflächigen Körper. 

Ein recht anmutbig und klar gefchriebenes Buch, weldhes, bin und 
wieder an Thibaut erinnernd, ohngefähr den Stoff behandelt, der auf 
Gymnafien durchgenommen zu werden pflegt. Für Nealfchulen bietet 
ed zu wenig. 

35. Lehrbuch der algebraifhen Geometrie, ebenen und fohärifchen 
Zrigonometrie und PBolygonometrie, von’ Dr. phil. Fiſcher, LXebrer der 


reinen Mathematik und praftifhen Geometrie an der Gewerbſchule zu 
Darmfladt. Darmftadt, Emft Kern. 1856. (VIII u. 183 ©.) ’%ı; Ihr. 


Inhalt: I. Algebraifche Geometrie: 1. Die Anwendung der Alges 
bra auf die Löfung geometrifcher Aufgaben; 2. die Bedeutung der Beis 
Gen in der algebraifchen Geometrie; 3. geometrifhe Conſtruction alges 
braifcher Ausdrüde zwifhen Linien und Flächen. II. Die ebene und 
fphärifhe ZTrigonometrie, nebft der Bolygonometrie: 1. Grundprincipien ; 
2. die trigonometrifchen Bunctionen; 3. Goniometrie; 4A. ebene Trigos 
nometrie; 5. die fphärifche Trigonometrie; 6. die Grundformeln der 
Bolygonometrie; 7. die Ausführung der Zahlenrechnung; 8. Anhang. 

Die Ableitung der Formel des Radius eines dem Sreife einge 
friebenen und umfchriebenen Dreieds ift recht nett. Weniger anfpres 
hend ift die Unterfuchung über Homogenität der Zunctionen. Die tris 


gonometrifchen Functionen follten die Definitionen ' 
nam 
r 
x 
co se= — u. ſ. w. 


r 
erhalten, wo x die Abſeiſſe, y die Ordinate, r den Radius vector bedeu⸗ 
tet. Denn dadurd werden alsbald alle Winkel umfaßt und der Kreis 
fogleih mit hineingezogen. Das Buch if zwar nicht fehr eigenthüm⸗ 
lid, aber Har und in gewiffem Sinne vollftändig. 


36, Lehrbuch deranalytifhen Geometrie in der Ebene, von Dr. 
phil. Fiſcher, Lehrer der reinen Mathemätit und praftifhen Geometrie 
an der Gewerbfehule in Darmfladi. Darmftadt, Ernft Kern. 1856. (VIII 
u. 310 ©.) 2 Thlr. 


Inhalt: I. Die Eoordinatenmethode: 1. Begriff der Eoordinaten; 
2. Betrachtung des Punktes mit Hülfe der Eoordinatenmethode; 3. Ber 
tradtung der geraden Linien mit Hülfe der Coordinatenmethode; 4. Bes 
trachtung des Kreifes mit Hülfe der Goordinatenmethode; 5. die vers 


ſchiedenen Coordinatenſyſteme; 6. das Polarcoordinatenſyſtem; 7. das 
Nade, Iahresberiht. X- " 19 


— —— — * — — 


290 Mathematik. 


Winlelcoordinatenfoftem; 8. das Liniencoordinatenfpßem; 9. Zrandfers 
mation des Coordinaten. 

An Auffaflung der Probleme im Ganzen und Großen if nicht zu 
denken, dennoch empfehlen wir das Buch wegen der einzelnen Entwides 
lungen und wegen feiner Reichhaltigkeit. 


37. Die ebene Trigonometrie; für den Schulunterricht bearbeitet von 
L. Kambly, Proicfior am Gymnafium zu &t. Glifabeth in Brealau.- 
2. Auflage. Breslau, Hirt. 1856. (VI u. 45 ©.) »/ ia Thlr. 


38. Die fphärifhe Trigonometrie, von Demfelben. Gbend. (IV u. 

25 ©.) */12 Thlr. 

Das erflere diefer Schriftchen haben wir bereits (VII. 172) anges 
zeigt und haben bier nichts hinzuzufügen. Der Inhalt des lepteren iſt: 
1. Die rechtwinkeligen fphärifchen Zriangel. Il. Die fohärifchen Trian⸗ 
gel im Wllgemeinen. Il, Flächenberechnung der ſphäriſchen Zriangel. 
Die Fundamentalformeln werden recht einfach entwidelt und die betref: 
fenden Aufgaben gelöf. 


39. Leitfaden für den Unterricht in der Elementarmatbematit 
an böbern Lehranftalten, von Dr. 3. 3. Oppel, Lehrer der Mathematit 
und Phyfik am Gumnaflum zu Kranffurt a. M. Erſter, gesmetrif er 
Theil. Frankfurt a. M., Brönner. 1856. (XVI u 221 ©.) *s hir. 
Anhalt: I. Ebene Geometrie: 1. Bon den Linien, Winkeln und 

Dreieden; 2. vom Kreiſe; 3. von den Vierecken, insbefondere den Pas 

rallelogrammen und dem Blächeninhalte der Figuren; 4. von den regus 

lären Polygonen und der Kreisberechnung. II. Stereometrie: 1. Linien 
und Ebenen; 2. parallele Ebenen, ſich fchneidende und insbefondere 
fenfredhte Ebenen; 3. Körperwintel oder Eden; A. prismatifhe Körper; 

5. pyramidaliſche Körper; 6. die Kugel. III. Ebene Zrigonometrie: 

1. Goniometrie; 2. das rechtwinkelige Dreied; 3. das fchiefwinfelige 

Dreied; 4. Fläheninhalt des Dreieds. IV. Sphärifche Trigonometrie: 

1. Das rechtwinkelige Dreieck; 2. das fchiefwinkelige Dreied. V. Grund⸗ 

begriffe der analytifhen Geometrie, insbefondere die Lehre von den Ke⸗ 

gelfchnitten: 1. Die gerade Linie; 2. der Kreis; 3. die Parabel; 4. die 

Ellipfe; 5. die Hyperbel; 6. Richtung der Zangenten; 7. Größe der 

Zangenten, Subtungenten, Rormalen und Subnormalen; 8. Krüm⸗ 

mungsfreife und Krümmungsradien; 9. die Kegelfchnitte als folde; 10. 

vermifchte leichtere Webungsaufgaben aus der Gurvenlehre. 

Das Buch foll nicht ohne Lehrer gebraucht werden. Der Berf. 
meint, die Dichotomie im Begriff der Aehnlichkeit habe fih bis jeht noch 
nit entfernen laflen. Ich meinestheils Tenne gar keine. Im Ganzen 
genommen hat mir das Schriftchen gefallen, aud Cinzelnes muß aner⸗ 
fannt werden, 3. DB. der Beweis des Sapes, daß jedes Parallelopiped 
durch jede Diagonalflähe in zwei glei große dreifeitige Prismen zere 
fällt. Das rechtwinkelige Dreied jedoch darf nicht zur Erklärung der 
trigonometrifchen Aunctionen benußt werden; die Gurvenlehre ift etwas 
kurz. Die Beweife find meift nur angedeutet und mutben wohl dem 
Schüler hin und wieder zu viel zu. Die Größe der Kugeloberfläcdhe 


— — — 


Mathematik. 291 


3. B. dürfte manchem Schüler bei der Nepetition zu reprodneiren uns 

möglich werben. 

0. Lehrbuch der Geometrie zum Gebrauch an höheren Lebranſtalten, 
von Dr. Eduard Heiß, PVrofeflor der Matbematit an der fönigl. Atlas 
demie zu Münfter, und Thomas Joſeph Eſchweiler, Direrter der bös 


bern Bürgerfchule zu Köln. Erſter Theil. Blanimetrie. Köln, Du Monts 
Schauberg. 1855. (VII u. 270 6.) %% Ihlr. 


Inhalt: 1. Die Elemente: 1. Winkel, Parallelen; 2. Eigenfchaften 
der Dreiede, Parallelogranıme, Trapeze und Polygone mit Rüdfiht auf 
die Seiten und Winkel; 3. vom Kreiſe; 4. Inhalt der Figuren; 5. von 
den Proportionen; 6. die regulären Figuren und die "Kreismeflung. 
1. Erweiterung der Elemente und fortgefepte Uebung in der geomettis 
fhen Gonftruction: 1. Uebungsaufgaben und Eäpe als Anwendungen 
der ſechs erften Kapitel; 2. Aufgaben über Dreiede und Bielede; 3. 
Lehrfäge und Aufgaben über den Kreis; 4. Säße und Aufgaben über 
den Inhalt der Figuren; 5. geometrifhe Derter; 6. Marima und Mis 
nima; 7. Zransverfalen, barmonifche Zheilung, Bol und Polare beim 
Kreife; 8. Sätze und Aufgaben über das apollonifche Zactionsproblem, 

Die Darftellung iſt euflidifch, kurz, einfach, Mar — der Inhalt, 
wie Thon Das Inhaltsverzeichniß lehrt, reich, wohl geordnet. Daher fei 
das Buch beftens empfohlen. 

4. Die Planimetrie. Kür den Schulunterricht bearbeitet von 2. Kam: 


bly, Profeſſor am Gymnafium zu St. Elifabetb in Breslau. 3. Auflage. 
Breslau, Hirt. 1855. (VIII u. 96 ©.) Sıa Thlr. 


Das Büchlein behandelt in fieben Abfchnitten das gewöhnliche 
Benfum der Schulplanimetrie kurz und Mar, aber ohne befondere Eis 
genthümlichfeit. 

42, Lehrbuch der Geometrie Kür den Schuls und Selbſtunterricht bes 
arbeitet von Dr. Fr. Reuter, ordentl. Lehrer an der großen Stadifchule 


u Bismar. Erſter Theil: Planimetrie. Wismar und Ludwigsluſt, Hin- 
orff. 1855. (104 ©.) a Ihlr. 


Die Einleitung enthält einen Anfhauungscurfus und geometrifche 
Gonfiructionen. Jener entwidelt am Würfel und am Cylinder faft 
lämmtliche Begriffe. Dazu reichen offenbar die gewählten Objecte nicht 
bin. Weiter it der Inhalt: von den geraden Linien und Winkeln, 
Congruenz der Dreiede, von den Bier» und Vieleden, Blächengleichheit 
ber Dreiede und Parallelogramme, geometrifche Aufgaben, Aehnlichkeit 
der Dreiede, Proportionalität gerader Linien am Kreife, Broportionas 
litäͤt der Flaͤchenräume ähnlicher Figuren, geometrifche Aufgaben, einige 
Ergänzungsfäße, Berechnung des Inhalts ebener Figuren, Anwendung 
ber Algebra auf die Geometrie. | 

Euftidifch, kurz, alles Meberflüffige und Weiterführende ausgefchieben. 


II. Aufgabenfammlung. 


43. Geometriſches Aufgabenbud für Glementarfäufen, fowie für Real⸗ 
Bürgere, Gewerbes und Aderbaufdulen, von A. G. Huisſsken. Hannos 
wer, Hahn. 1855. (VII u. 165 ©.) Ya Thlr. 


Inhalt: I. Geometrie der Ebene: 1. die Linie; 2. die Flaͤche: 
ı19* 


\ 292 | Mathematif. 


a. die geradlinige Figur: a. das Dreied, A. das Biered, y. das Biel- 
ed; b. frummiinige Figuren: a. der Kreis, 8. die Ellipſe. 11. Geo⸗ 
metrie des Raums: 1. oberflähige Körper: a. der Würfel, b. die Säule: 
a. die Edfäule, A. die Spigfäule, y. die abgeſtumpfte Spigfäule; 2. 
frummflächige Körper: a. die Kugel, b. der Hohlkegel; 3. unregelmäs 
ßige Körper: a. maffive Körper, b. hohle Körper. 

Der Berf. bietet die Definitionen und Lehrfäpe ohne Ableitung 
und Beweis und weiſt diefe Gefchäfte dem Unterricht zu. Weber jede 
„Regel find eine nicht unbedeutende Anzahl Aufgaben mitgetheilt, fo 
daß der Stoff zur Einübung der Lehren volltommen hinreiht. Gemeine 
Brüche find faſt ganz vermieden,- die Aufgaben faft alle neu gebildet, 
zum Theil vecht nett und intereffant. 


VI. 
Naturkunde. 


Von 
Anguſt Lüben. 


I. Grundſaͤtze. 


Wir den nachſtehenden Vericht haben uns folgende Auffäpe und 
Schriften vorgelegen: 


4 Für Naturdunde im Allgemeinen. 


1. Bas kann die Natur dem Lehrer werden? Bon Ziedemann. 
Allgem. deutfche Lehrerzeitung, 1856, Nr. 29. 

2. Das Studium der Naturkunde für den Lehrer. Dithmarfifche 
Lehrerverſammlung. Schulzeitung für die Herzogth. Schleswig, Holftein 
und Lauenburg. 1856, Nr. 7.. 

3. Ueber den Einfluß der Naturkunde auf Intelligenz und Sitt⸗ 
Iihfeit. Bon Chr. Saggau. Schulblatt f. d. Herzogthumer Schles⸗ 
wig und Holſtein. 1856. December » Heft. 

4. Die Bedeutung der Naturwiffenihaft für alle Lebensgebiete. 
Bon Dr. R. Hafe. Allg. d. Lehrerz. 1856, Nr. 33. 

5. Bür unfere Lehrerwelt. Don Hd. Leipziger Tageblatt, 1855, 
Rr. 312. Daraus in: Allg. d. Lehrers. 1856, Nr. 1. 

6. IR der Unterriht in der Naturkunde für alle Schulen, nas 
mentlich auch für unfere Landſchulen, denn wirflih nöthig? _ Bon —t 
in H. Schulblatt f. d. Herzogth. Schleswig und Holflein, 1856, No⸗ 
rember s Heft. 

7. Geſchichte der Pädagogit von Er. Körner. Leipzig, 1857. 

8. Die Methode des Unterrichts in der Naturkunde. Bon Kör- 
ting. Allg. d. Lehrerz. 1856, Rr. 26. Hamburger Schulbl. Rt. 156. 


294 Raturkunde. 


9. Das konkrete Element beim naturkundlichen Unterriht. Bon 
M. Lehmann, Lehrer an der Stadtfehule zu Hechingen. Low's Mos 
natsihrift, 1856, 3. Heft. 

10. Verbindung der weltfundlihen Gegenflände. Allgemeiner Hol⸗ 
fteinifcher Lehrerverein. Allg. d. Lehrerz. 1856, Nr. 1. 


B. Für Naturgeſchichte. 


11. Die Pflanzentunde in Berbindung mit der Auffaglehre. Bon 
H. H. Mönd. Coblenz. 1856. 

12. Die Naturgeſchichte in der Volksſchule. Von Köhler, Lehrer 
an der Bürgerfchule in -Budiffin. Sächfiihe Schulz. 1856, Nr. 1. 

13. Symbolik der Natur im naturbiftorifhen Unterriht. Bon 
J. Niffen in Glückſtadt. Schulblatt f. d. Herzogth. Schleswig und 
Holftein. 1856, Märzs Heft. 2 

14. Die Naturwiflenfhaften in ihren Beziehungen zu den mates 
riellen und geiftigen Interefien der Menſchheit von W. Stein. Dres- 
den, 1856. \ 

15. Gemüthehildung durch den Tnterriht in der Naturkunde. ' 
Bon Schlichting, Lehrer. Schulzeitung f. d. Herzogth. Schleswig, 
Holftein und Lauenburg. 1856, Nr. 48. 

16. Ueber den Unterricht in der Zoologie an der Unterrealjchule. 
Bon Dr. ©. B. Deſterreichiſcher Schulbote. 1856, Nr. 15. 

17. Die NRaturgefchichte in der Volksſchule. Meldorfer Lehrers 
verein. GSchufzeitung f. d. Herzogth. Schlesw., Holſt. u. Lauenb. 
1856, Nr. 45. 

18. Ueber die Bedeutung der Pflanzen» Geographie für den bos 
tanifchen und geographifchen Unterriht. Bon & Rudolph. Bran- 
denburger Schulblatt. 1856. 1. Heft. 

19. Bas kann jur Hebung des naturgefchichtlichen Unterrichts in 
der Volksſchule gefchehen? Bon HK. Die Volksſchule. Bon Behre und 
Münkel. 1855 Februarheft. 

20. Ueber das Sammeln, Einlegen und Aufbewahren von Pflanzen. 
Bon I. ©. Deſterr. Schulbote 1856, Nr. 30. 

21. Zum Schutz der Vögel. Eben daſelbſt Nr. 17. 

22. Dritter Jahresbericht für die Rädtifche Realſchule in Pofen. 
Dom Direstor Brennede Poſen, 1856. 

23. Der naturgefchichtliche Unterricht in der Volksſchule. Bon 
a r. Chlamloth in Braunfchweig. Braunfchweiger Schulbote, 1856, 

r. 12, 


C. Für Phyftt. 


24 Schlichting's unter Nr. 15 genannter Auffah. 

25. Die Naturlehre in der Bollsfhule. Bon W. PBrange. 
Schleſiſches Schulblatt. 1856, 2. Heft. 

26. Ueber den Unterricht in der Raturlehre in Volksſchulen mit 
befonderer Berüdfihtigung eines. für die Bwede derſelben hinreichenden 


Naturkunde. 203 


vyſtkaliſchen Apparats. Bon Bering, Burgerſchullehrer in KReichen⸗ 
bach. Sachſ. Schulz. 1856, Ar. 32. 

27. Die allgemeinen Eigenſchaften im phyſikaliſchen Unterricht. 
Bon E. N. Allg. d. Lehrerzeitung 1856, Nr. 27. 


B. Für Technologie, Haus: und Landwirthſchaft. 


28. Schule und Arbeit. Bon %. Sch: in M. Brandenburger 
Schulblatt 1856, 11. u. 12. Heft. 

29. Die Ertheilung des landwirthſchaftlichen Unterrichts in den 
Volksſchulen. Durlacher Lehrerconferenz. Volksſchulblaͤtter aus Thür 
ringen von Lauckhard. 1856, Nr. 7. 

30. Landwirthſchaft. Eben dafelpft, Nr. 9 und 10. 


A. Naturkunde im Allgemeinen. 


a Wirkung des Naturfiudiums und naturlundliden 
Untewichts. 


1. Tiedemann aus Hamburg bat in der 8. allgemeinen deut⸗ 
fügen Lehrerverfammiung in einem längeren Bortrage die Frage beant- 
wortet: „Bas kann die Natur dem Lehrer werden?!" Auf 
den Wunſch der Verſammlung ift derfeibe in der Allgem. d. Lehrerz. 
abgedrudt worden. Nach dem Redner ift die Natur dem Lehrer: 

1. eine Lehrerin, indem fie ihn hinweift 
a. auf die rechte Erziehungsmeife, 
b. auf die geeignetfien Bildungsftoffe; 
2. eine Tröferin, 
a. wenn er glaubt, vergeblich an feinen Schätern zu arbeiten, 
b. wenn er Auswüchſe befämpfen muß, die der freien Ent- 
widelung des Geiſtes hinderlich zu fein feheinen, 
ec. wenn er durd Leiden gebeugt wird; . 
3. eine Helferin in Bezug 
a. auf feine Gefundheit, 
b. feine Erholung, 
feine Seiftesfrifche. 

Diefe nadte Meberficht' deutet den anfprechenden Inhalt nur ſchwach 
an; wir empfehlen, die Rede ſelbſt zu leſen, und fügen hier nur noch 
die Wünſche bei, mit denen dieſelbe ſchließt: 

1. Der Lehrer ſuche die Natur! 
2. Der Lehrer erforſche die Natur! 
3. Der Lehrer führe feine Schüler in die Natur! 

2. Das Studium der Natur ift in neuerer Zeit wiederholt vers 
daͤchtigt worden, hauptſächlich, weil man glaubte, daß es materialiftifche 
Auſichten erzeuge und zum Atheismus führe. Anlaß zu diefer Meinung 
hat der Umſtand gegeben, daß einige als populäre Schriftfteller in dem 
Raturwiflenfchaften hervorragende Perſönlichkeiten zum Materialismus 
und Atheismus hinneigen. Diefe Meinung muß aber fo fange als uns 


200 | Naturkunde. 


begrundet zurũückgewieſen werden, als nicht nachgewieſen worden, daß bie 
angedeuteten Perſonen wirkliche durch gründliche Naturſtudien zu Mas 
terialiſten und Atheiſten geworden find. Die Geſchichte der Menfchbeit 
lehrt, daB man dazu auch durch andere Studien, ja fogar durch inhalt« 
loſes Bhilofophiren gelangen fann. Wir finden feine gefunde Logik in 
dem Schiuß: da X. M. 3. Naturforfcher und Atheiften find, fo führt 
Raturforfchung zum Atheismus. Saggau a. a. O. fagt: „Daß die 
Träger der Naturwiſſenſchaften vielfah dem Unglauben verfallen find, 
beweift noch eben fo wenig etwas gegen die Naturwiflenichaften, wie es 
nichts genen das Chriſtenthum beweiſt, daß 3. B. die „„Statthalter““ 
Chriſti auf Erden, die Bäpfte, nicht felten in fittliher Beziehung 
wahre Scheufale waren.’ 

Die Verdächtigung der Naturmiffenfchaften if vorzugsweile von 
Denjenigen ausgegangen, die in Folge ihres ganzen Bildungsganges 
den Nuturwiflenfchaften von Jugend an fern geftanden haben und daher 
fo vollfommen unwiffend darin find, daß fie fih nicht einmal in die 
Sprache der jeßigen Raturforfhung finden fönnen, daher an jedem 
Worte Anſtoß nehmen, Religion And Kirche in Gefahr fehen. Mit 
folhen Menſchen läßt fih durchaus nicht erfolgreich über diefen Gegen» 
fand verhandeln; fie reden wie der Blinde von der Farbe und können 
ſich nur erſt wieder an der Debatte betheiligen, wenn fie etwas dafür 
werden gelernt haben. Für Müller, Ule, Roßmäßler u. A. war die 
gegnerifhe Unwiſſenheit wahrſcheinlich auch ausreichender Grund, Die 
vom Prediger Weber in Stendal gegen fie gerichtete Schrift: „Der 
Materialismus und die chriftliche Volksſchule,“ unbeantwortet zu laffen. 

Stein fertigt die bezüglichen Verdaͤchtigungen zum Schluß feiner 
Schrift mit Bolgendem ab: „Man hat behauptet, die Naturs 
wiffenfhaften raubten uns das Jenſeits, weil fie alle Räume 
nah und nah durchdrungen haben und mehr und mehr durchdringen, 
die fonft, in ein geheimnißvolles Dunkel gehüllt, für die Sige deffelben 
gelten Tonnten und gelten, und hält es für hohe philofophifche Weis⸗ 
beit, daß man den armen Menfchen dur die Annahme aus der Vers 
legenheit hilft, das Urtheil der Sinne fei trüglich. Vergißt man denn, 
dag man im Altertfum nur 1026 Sterne am Himmelszelt erkennen 
fonnte, daß Galiläi deren weit mehr mit einem fchwachen Fernrohr, ers 
fannte, daß Berfchel mit einem befferen an einer einzigen Stelle der 
Milchſtraße 116,000 unterfchied, und fieht man denn nicht ein,- daß 
es unjern Sinnen, felbft mit den Fräftigften Waffen, nie gelingen wird, 
das ganze Weltall zu durchdringen? Ich behaupte dreift, daß die Naturs 
forfhung (und gerade die Erleuchtetfien unter ihnen werden dies am wenige 
Ken in Abrede fielen), je tiefer fie in’s Innere ber Ratur eindringen und 
je mehr fi in der That ihre pofitive Kenntniß erweitert, um fo mehr 
einfehen lernen, wie Bieles ihnen noch verborgen if; daB fie aber 
in dem Dieſſeits überall, wo fie mit gefundem, unbefangenem Sinne 
foriden, die Spuren eines ewigen Gottes finden und dadurch in ihrem 
Ölauben an ein Jenfeits, das außer dem Bereiche, wie außer der Möge 
lichkeit ihres Forſchens Liegt, beftärtt werden müffen. Die pofitive 


Raturkunde. 297 


Forſchung führt Hets zur Wahrheit, nur Die unange, 
meffene Spyeculation führt auf Irrwege; Zweifel an das 
Jenſeits können nur durch eine trüglihe Sophiſtik, nicht 
aber durch die Raturforfhung erregt werden.‘ 

„Kann die Raturforfhung zum Atheismus führen? 
Die Antwort auf diefe Frage liegt ſchon im Vorhergehenden, ich brauche 
dem nur Weniges hinzuzufügen. Der Phyfiker alaubt, Daß es eine 
magnetifche, eine elektriſche, daß es eine Schwerkraft giebt, daß ein 
Aether das Weltall durchdringt, deffen Schwingungen die Erfcheinungen 
des Lichts erzeugen: der Ehemifer glaubt an eine chemilche Anziehung, 
der Phyfiolog an eine Seele. Sie müffen daran glauben, weil fie die 
son ihnen beobachteten Birfungen nur durch die Annahme von Urfachen, 
die der directen Beobachtung unzugänglich find, zu erklären vermögen. 
Darum aber müflen fie auch an Gott glauben, weil der Uriprung aller 
Dinge, die entferntefte Urſache aller Erfcheinungen ohne einen allmäch⸗ 
tigen Schöpfer nicht denkbar if. Wie wäre es alfo möglih, in die 
geheimnißvollen Tiefen der Natur einzudringen und den zu vergeflen, 
deffien Werk fie if?’ | 

„Benn einzelne Raturforfcher in unbegreifliher Selbſtüberſchätzung, 
in unglüdjeliger Berbiendung den Herrn verläugnen, fo kann dafür 
das Studium der Natur nicht verantwortlih gemacht werden. Der 
Bahn ift eine Geißel der Menſchheit; vom Wahn Bethörte hat es zu 
allen Beiten in allen Berufsflaflen und in allen Schichten des Volks 
gegeben und wird es geben, fo lange die Welt fiebt. Aber Eines 
Rebt fer — wie weit auch die Naturmwiffenihaften ihre 
leudtende Fackel auf dem Pfade, den die Menſchheit zu 
geben berufen ift, Hinaustragen mögen, fie werden an 
einer Grenze der Erfenntniß anlangen, über die hinaus 
nur der zwingende Glaube reiht, daß eine göttliche All 
macht die Welt regiert!” 

Auch unter den Lehrern fehlt es nicht an Verdächtigern der Na⸗ 
turwiſſenſchaften. Bahr aus Süderhaftedt flellte auf der 6. Berfamms 
lung des Dithmarfifchen Lehrervereins (Schulzeit. f. d. Herzogth. Schlesw. ꝛc. 
1856, Nr. 7) folgende Thefis: 

„Das in der Lehrerwelt jetzt fo beliebte Studium der Naturwiſſen⸗ 
ſchaften hat in unferer Zeit für Lehrer und Schüler feine großen Ges 
fahren.‘ Denn: 

„3. Es raubt Zeit, Kraft und Mittel, die der Lehrer zu wid 
tigeren Dingen nöthig Hat.” . 

„2. Es gewährt leicht nur ein unfruchtbares Wiſſen und verhin⸗ 
dert fo die Erkenntniß der Wahrheit.‘ 

„3. Es nährt leicht den irdifchen Sinn und verhindert damit das 
rechte Freiwerden. 

„A. Es veißt leicht 108 vom lebendigen Bott und macht den Mens 
ſchen zum Thier.“ 

Und darum empfahl er; 


S 


208 Raturkunde, 


„3. Der Lehrer halte im Studium und im Unterricht der Haturs 
wiffenfchaften das rechte Maß.“ 

‚2. Er treibe Beides in rechter Weiſe.“ 

„3. Er prüfe namentlih aud feine Lehrmeiſter.“ 

D wie weife! Paſtor Brütt flimmte dem Thefenfteller bei und 
fügte no hinzu: ‚Die Gefahren feien zu fuchen 

1. bei Denjenigen, die diefe Wiflenfchaft pflegen, namentlich für 
die Schule bearbeiten, populär machen; 

2. in dem Streben der Gegenwart, das realiſtiſche Prineip, gegen» 
über dem bumaniflifchen, zur Geltung zu bringen; 

3. in dem Umfichgreifen des Materiafismus und der Genußfucht, 
weldem dur die Raturwiffenfchaften Vorſchub geleitet werde.‘ 

Die Berfammlung if allen diefen unbegründeten, von Unfenntniß 
bes Gegenſtandes zeugenden AUnfichten ganz entichieden entgegen getreten, 
bat fchlagend das Gegentheil bewielen und fhließlich mit allen Stimmen 
gegen eine, nämlich gegen Bahr's, die von Tieſſen gefellte Thefis 
angenommen: 

„Das Studium der NRaturwiffenfhaften bat für 
Lehrer und Schüler großen Rußen, und daher ift 
jeder Lehrer verpflichtet, fih demfelben binzur 
geben. 

So ift es recht! Wären die Gegner nicht auf fo eflatante Weife ab» 
geführt worden, fo würden wir uns die Mühe nicht verdrießen laflen, 
ihre Anfichten hier zu beleuchten und als durchweg haltlos darzulegen. 
Aber empfehlen möchten wir ihnen, dem gebaltwollen Auffag von Sag⸗ 
gau: ‚Weber den Einfluß der Naturkunde auf Intelligenz und Sitte 
lichkeit”, die verdiente Aufmerffamfeit zu fchenten. Der Verfaſſer bes 
Handelt diefen Gegenftand allfeitig und ohne Borurtheil. Er verwirft 
ganz entfchieden die materialiftifche Richtung der Raturforfhung als eine 
der Religiofität und Eittlichkeit gefährliche, fordert einen evangelifchen 
Standpunft des Raturforfchers, namentlich des Lehrers der Naturkunde, 
und weift dann mit Sachkenntniß nach, welch’ bedeutenden Einfluß der 
Unterriht darin auf die Intelligenz und die Sittlichkeit ausübt. Aber 
er erwartet denfelben nur da, „wo der Lehrer ſelbſt ausreichende Kennts 
niffe auf dem Gebiete der Natur erworben hat.” Wir können ung 
nicht verfagen, die Stelle hier mitzutheilen, in der fich der Berfaffer 
über den bildenden Einfluß des naturkfundlichen Unterrichts ausſpricht, 
ungeachtet wir nicht überfehen, daB Manches davon auch fhon von Ans 
dern in ähnlichem Sinne gefagt worden if. Es heißt Seite 720 u. f.: 
„Bir wollen nicht das größte Gewicht legen auf die bei einem methodifchen 
Unterriht in der Naturfunde unauebleibliche Anregung und Pflege des 
fogenannten Anfhauungsvermögens, des Gedächtniſſes und der Phantafle, 
benn diefe Richtungen der geiftigen Thätigkeit können durch eine einſei⸗ 
tige und unverhältnißmäßige Ausbildung fehr leicht eine gefunde geiftige 
Conftitution gefährden (!), und es iſt ohnehin im Unterricht genug Ber 
anlafjung und Gelegenheit, fie in einem gebührenden Maße zu fürdern. 
Als eine fhon höher anzyfchlagende Frucht ‚eines guten naturkundlichen 


Naturkunde. 200 


Unterrichts muß das anf forgfältige und auhaltende Besbachtung fi 
gründende Nachdenken und Ueberlegen, das ragen nad dem genauen 
„Die und ‚Barum‘ der Erfcheinungen und Ereigniffe, und das dar 
raus mit Rotbwendigfeit bervorgebende befonnene und richtige Urtheilen, 
Entſchließen und Eingreifen bezeichnet werden. Die Beichäftigung mit 
der Naturkunde heifcht bei jedem Schritte die genaueſte Beobachtung, 
elfeitige Erwägung, behutfames Urtheil, berechnete Handeln. Eben 
durch Dielen Charakter wird fie zu einem vorzüglichen Bildungsemittel, 
das dem menfhlichen Geile wahre AIntenfität verleiht; eben dadurch 
empfiehlt fie fih in unferer leichtinnigen und leidhifertigen Zeitz durd 
die Gefegmäßigfeit und die nothwendige Einfügung des Einzelnen in 
das Ganze, weile die Naturkunde überall predigt, gewährt fie den 
nachhaltigen Damm gegen die zügellofe Subjectivität und den niedrigen 
Egeismus, welche fo Häufig Berderben dringend hervorbrechen. Faſt 
noch höher muß der Einfluß der Naturkunde auf die Sprache des Mens 
ſchen geihäßt werden. Sie erfchtießt uns eine nie verflegende Quelle 
von Anfhauungen und Begriffen, Gebanfen und Ideen. Und dieſe 
And nicht bloß todte Yormen und Abftractionen, fondern fie find lebens 
dig umd concret im höchfken Grade. Sie gleichen einem in befländiger 
Entwidelung begriffenen Organismus; denn der befländige Kreislauf in 
ber Natur frifht fie immer wieder auf, gefaltet fie immer beflimmter 
und klarer und veranlaßt immer neue Gedanftencombinationen in Die 
Ziefe hinein fowohl, wie in die Weite. Darum bleibt auch die Ger 
danfenwelt und Sprache des kundigen Preundes und Beobadhters der 
Ratur Immer frifh und warm und rei. Ihren Reichthum an Ber 
gleichen, Bildern und Analogien verdankt die Sprache hauptſächlich dem 
geiftigen Erfaffen des Naturlebens. Ya, die rein geiftigen Begriffe laſſen 
fh zumal dem jugendlichen Begriffsvermögen fat nur durch Heranziehung 
bekannter Erſcheinungen in der Natur nahe bringen. Und alle Poefle 
wäre froflig und ohne praftifche Wirkung, wenn fie des warmen Hauches 
der Natur ermangelte. Ja, die Kenntniß der Natur öffnet dem Mens 
fhen den Mund und adelt feine Sprache. Man führe nur einen Natur» 
fundigen und einen Unkundigen in der Natur über Geld, Wieſe md 
Bald, Über Berg und Thal, Haide und Moor, durch die flille, ſternen⸗ 
belle Nacht oder im Sturm an das empörte Meer. Welcher Kontra! 
Bäprend diefer, bald körperlich, bald geifig ermattend, mit flumpfen 
Sinnen gedanken» und gefühllos ſich fortfchleppt und nur felten in we⸗ 
rigen abgebrochenen Worten von der völligen Unbehaglichkeit, die fich 
feiner bemädtigt, oder von einem dumpfen Erflaunen Beugniß giebt, 
trägt jener alle Befchwerden mit Leichtigkeit, eine zahlloſe Welt befreuns 
deter Geftalten tritt fragend und erzählend an ihn heran und regt ein. 
Meer von Gedanken und Gefühlen in ihm auf, deſſen Wogen fort und- 
fort in lebendigen und warmen Worten und in kautem Jubel über die 
Lippen firömen. — Sobald ich das Arbeitszimmer verlaffe oder über 
haupt eine andere Unterhaltung fuche als die, welche eine Bibliothef 
oder der Berufsmenfch gewährt, Tenne ich Seinen langweiligeren Geſell⸗ 
ſchafter, als einen in der Naturkunde unmiffenden Menfchen.” 


300 | Naturkunde, 


„Als die fhönfte Frucht eines guten Unterrichts in ber Natur⸗ 
Funde ift aber ohne Zweifel das Intereſſe an der Natur und das aus 
demfelben nach und nach ſich entwidelnde Verſtändniß des Berbältnifles, 
in welhem der Menfh zur Natur ſteht, anzufehen. Der Menſch, er 
mag wollen oder nicht, bat nun doch einmal, fo lange er hienieden 
weilt, Feine andere Heimath und feinen andern Boden als die Natur. 
Sein Leibesleben, das’ Organ des aus Gott geborenen und zu Gott 
firebenden Geiftes, gehört ganz in die Sphäre der Körperwelt und Deren 
Geſetze. Wehe ihm, wenn er das weiß und nicht beachtet; beklagens⸗ 
werth, wenn er es nie erfannte. Wer fi völlig aus der Natur, aus 
dem Leben, wie es die Natur bedingt, flüchten will in die höhere gei⸗ 
flige Welt, if eben fo fehr ein Verächter göttliher Ordnung wie der, 
welcher nie zum Fluge im Geifte fih anſchickt; er ift verirrt und blind. 
Richt die Natur und das irdifche Leben verläugnen wollen, um nur 
geiftig und himmliſch zu fein, und nicht den Menfchen abftreifen wollen, 
um nur den Chriften zu fördern. Das Geiflige muß ſich im Körper» 
lihen entwideln, der Ehrift muß reifen im Menſchen. Ein Ehrift ohne 
den vollen Inhalt des Menfchen ift ein Phantom. D, wenn das dod 
Alle erfenneten, wenn das doch Alle erkennen wollten! Es würden 
mehr Menſchen glüdlih und zufrieden bier auf Erden, und es würden 
mehr felig dort im Himmel fein. Darum verläugne nicht länger deine 
gegenwärtige Heimath, o Menſch, der du immer nur von der Heimath 
im Simmel fprihft; dieffeits des Grabes biſt du doch nur „ ‚eine Brille, 
die nach kurzem Fluge wieder im Grafe zirpt.““ Lerne die Natur vers 
fliehen: du lernſt in ihr dich ſelbſt verfiehen. Eine große Zahl der Uebel 
im Menfchenleben hat darin ihren Grund, daß der Menfch die Forde⸗ 
rungen der Ratur nicht erfannte, oder daß er fie verläugnete. Biel 
Jammer würde verflummen, wenn man ihn nicht durch unnatürliche Ges 
genmittel nährte und aufs Neue berporriefe. Und wenn überall reges 
Intereffe an der Natur gewedt würde, welch eine Quelle reiner Freude 
und Erquidung würde der Menfchbeit geöffnet! Der innige Berfehr 
mit der Ratur muß nothwendig Herz und Sinn des Menfchen ergreifen 
und erheben, denn jedes Anfchauen der Werke Gottes muß den nad 
dem Bilde Gottes gefchaffenen Geift, der in keinem Menfchen ganz er. 
ſtorben ift, erregen und nähren. Es ift ja bekannt genug, daß der 
unmittelbare Eindrud der Natur viele Lörperliche und feelifche Krank⸗ 
heiten vollfändig heilt. Aber Taufende treten täglich die Wunder der 
Ratur, welche ihnen Heilung und reiche Freude gewähren fönnten, mit 
Füßen. Wen jammert nit des Volles Blindheit? Wer bilft, daß 
ihm die Binde vom Auge genommen werde? — Alle Belt ‚jagt und 
rennt nah Genüflen, nad Freuden. Biele rennen in’s Berderben. 
Richt daß der Menſch fih freuen will, if zu tadeln, denn wie der 
Menſch zur ewigen Freude und Seligkeit beflimmt ift, fo if er ficher 
auch zur zeitlichen geboren; daß der Menfch verderblihe Freuden fucht, 
das iſt der Schaden, vor dem er zu bewahren ifl. Da zeige man ihm 
die wahre Freude. Man Ienfe ibn bin zu dem Brunnen des göttlichen 
Friedens, aber man weife ihm auch folhe Quellen, aus welchen Labe 


Naturkunde. 301 


fließt, wie fie ihrer der Menſch als finnlich⸗geiſtiges Weſen bedarf, 
Eine ſolche Duelle if die Natur. Der Weg zu ihr ift nicht weit; er 
koſtet meder viel Mühe nody Geld. Ihre Freuden betäuben und ſchwaͤchen 
weder Körper noch Geiſt.“ i 

„Ferne fei die Anfiht, daß man erft ein Raturforfcher werden 
müffe, ehe man zur Freude an der Natur gelangen könne. Es ift mir, 
der ich täglich die Naturkunde tractive, nur zu befannt, wie wenig eis 
gentlich durch den naturfundfichen Unterricht fi) erreichen läßt bei Kin 
dern. Aber die Weberzeugung halten wir auch fe, daB der begeifterte 
Lehrer feine Schüler zu Freunden der Natur, zu aufmerffamen und 
nachdenkenden Beobachtern derjelben im Großen und im Sleinen berans 
jieben, daß er in ihnen den Sinn für die Erfheinungen und Schöns 
heiten, für die Gelege und Wunder der Natur anregen und flärken 
fonn. Und mit Hülfe diefes Sinnes lernt der Menſch in reiferen Jahren 
fein Verhältniß zur Natur verſtehen; ex erfennt nah einer Seite feine 
Abhängigkeit und feine Beflimmung zur Herrſchaft über diefelbe. Diele 
Erkenntniß aber ift ein integrirender Theil wahrhaft menfhlicher Vils 
dung; fie iR eine Grundbedingung eines wahrhaft glüdlichen irdifchen 
Lebens.’ 

Den Einfluß des naturkundlihen Unterrihts auf das religiöfe 
Leben der Schüler macht der Berfaffer ‚völlig abhängig von dem res 
ligiöfen Standpuntt des Lehrers.” Daher fchließt er denn feinen Aufs 
faß auch in würdiger Weife mit den Worten: „Der fchönfte Erfolg des 
naturkundlichen Unterrichts iſt ohne Zweifel Dazu ſuchen, wo der Schüler 
im Religionsunterrichte die Grundanſchauung gewonnen bat, daß die 
Natur das urfprüngliche und fortgehende Werk eines lebendigen, allmäch⸗ 
tigen, weifen und Tiebevollen Gottes ift, das zur Offenbarung feiner 
Herrlichkeit und zur Beftärkung des Menſchen wie aller andern Ges 
Ihöpfe dient. Klingt diefer Grundton dur die ganze Naturkunde, fo 
braucht nicht erfi da und dort gefagt zu werden: das ift Gottes Finger, 
fondern man weiß, daß man überall auf heiligem Boden ſteht und in 
Gottes Tempel wandelt. Die Dinge und Erfcheinungen reden jelbft 
und bedürfen feines ungeſchickten Dolmetſchers. „„Es if feine Sprache 
noch Rede, da man nicht ihre Stimme höre." Man lernt die Ratur, 
igre Geſetze und Kräfte kennen und freut fich ihrer mit Loben und 
Preifen als DOffenbarungen Gottes; man tritt mit den gewonnenen Kennt⸗ 
niſſen hinaus in’s thätige Leben und wirft damit die Werke deffen, 
der uns zu feinem Ebenbilde erjhaffen und durch Erlöfung erneuert bat.‘ 

3. Dr. Rob. Hafe in Weimar verbreitet ih a. a. D. in einem 
ingeren Aufſatze über „Die Bedeutung der Naturwiffenfchaften für alle 
Lehensgebiete. Seine Arbeit zerfällt in zmei Abtheilungen. In ber 
erſten wei er nach, welchen mittelbaren und unmittelbaren Einfluß die 
naturwiſſenſchaftlichen Fortfchritte auf die ideelleren Intereflen, auf Wiſſen⸗ 
fHaft, Kunſt und Technik ausüben; in der zweiten zeigt er, daß von 
dem Materialiemus durchaus Nichts für den Glauben zu fürchten, weit 
eher Yörderung defielben zu erwarten fei. „Nicht alfo eigentlich die 
äußere Naturwiſſenſchaft überhaupt, heißt es zum Schluß, „ſondern 











302 Naturkunde. 


gerade nur eine gewiſſe Cinſeitigkeit und Mangelhaftigkeit in 
der Ausbildung derſelben, ſei es im Großen, ſei es in einzelnen In⸗ 
dividuen, begünſtigt den Materialismus und tritt dem Glauben feind⸗ 
ih entgegen. Die Naturwiflenihaft im Großen und Allgemeinen wirkt 
nur fördernd. Ihr ift der unſchätzbare Vortheil gewährt, daß das freie 
Forſchen in ihr und der freie Ausſpruch ihrer Wahrheiten nicht fo leicht 
durch Gefege und Verordnungen verwehrt und verkümmert werden wird, 
als dies rüdfichtlih des Ausfpruhs der Wahrheit auf andern Gebieten 
der Ball fein kann; und fomit if die Naturwiſſenſchaft gleichſam Die 
immer brennende Leuchte, an der jedes andere Licht, das eine tyranniſche 
Furcht vielleiht ausidjchen mag, jederzeit wieder angezündet werden kann.’ 


4. Bel directen Einfluß ein ordentliches Raturfudium des Lehrers 
auf rihtige und würdige Behandlung der Kinder auszuüben 
vermag, zeigt ein kurzer Aufſatz im „Leipziger Tageblatt‘ vom 8. Nov. 
1855, aus dem er in Nr. 1 der Allg. d. Lehrers. von 1856 über- 
gegangen if. Da derfelbe wenig Naum einnimmt, fo theilen wir ihn 
unverfürzt zur Beherzigung mit. 


„Für unfere Lehrerwelt. 


‚„Unvergeflich bleibt mir die Stunde meines Lebens, in welcher 
Brofeffor Dr. Bod in den Borlefungen für die biefige Lehrerwelt mit 
zwei geöffneten Hirnſchalen in den Händen durch unfere Reiben fchritt 
und fagte: „Hier haben Sie das Gehirn eines Erwachſenen, da fühlen 
Sie, wie kräftig und derb; und dba haben Sie das Gehirn eines Kindes, 
fühlen Sie es an, wie zart und weich; und nun, meine Serren Lehrer, 
haben Sie Erbarmen!” Ber fo nicht Schonung des Kinderlopfes 
lernt, wer fo nicht die Grauſamkeit alles abftracten Unterrichts begreift, 
wer fo nicht die Strafbarkeit roher Berlegungen des Kinderkopfes fühlt, 
der iſt zum Lehrer nicht zu brauchen, fo brauchbar er vieleicht ſonſt 
auch fein mag. Gerade diefe Unbekanntſchaft mit der finnliden und 
leiblihen Seite der Kindesnatur hat die Bedingungen einer gedeihe 
lichen Erziehung und eines wirffamen Unterrichts heutzutage fo oft und 
fo arg verfennen laflen und verführt gerade heutzutage noch fo Viele 
dazu, durch Weberbürdung der Kinderfeele mit fehlecht berechneter Arbeit 
das koſtbare Werkzeug des Geiſtes, den Körper, zu untergraben, 
zu verfräppeln und für alle Zeit zu ſchwaͤchen. Durch nichts befier, als 
gerade durch ſolche Anfchauungen und Belehrungen, wie der Lehrer fie 
bei Profeffor Bo jetzt wiederum findet, wird der Schulmeifterdünfel 
und die pedantifche Aufgeblafenheit jener Lehrer geheilt, welche Das 
reiche Wiffen und Können des Mannes alfobald auch in den armen 
Kinderkopf bineinzwängen wollen, nie hoch genug und nie weit genug 
greifen koͤnnen und nicht felten durch ihr ewige® Drängen und Zreiben 
auch das Elternhaus dahin bringen, bie beliebte geifige Stallfütterung 
bei den armen Kindern des Dauſes einzuführen. Wahr ift’s, daß folche 
Kinder unglaubli viel Lernen; Schade nur, daß fie fo gar wenig bes 
balten! Durch nichts beſſer, als gerade durch ſolche Anfchauungen 
und Belehrungen, wie wir fie jegt wiederum bei Prof. Bod finden, 





R 


Naturkunde. 203 


wird ferner auch dem gutmüthigen Communismus auf dem Gebiete der 
Schule entgegengenrbeitet, welcher noch immer bie und da unternimmt, 
dad mit trodenen und höchſtens in Häringslale getauchten Kartoffeln 
auferzogene Armenkind neben das Fräftige, mit Zleiih und Brot wohl⸗ 
genährte Kind des Wohlhabenden auf diefelbe Schulbank zu fegen. 
„Halt!“ höre ich hier mir zurufen, ‚gehe weg mit Deiner fegerifchen 
Lehre, als ob das Kind mit dem Magen und Hirn, und nicht mit 
feinem unfterblichen Geiſte lernte; Du bift ein grober Materialiſt!“ 
Auf folhe Dinge muß fih allerdings ein jeder Lehrer gefaßt halten, 
welcher dergleichen naturwiſſenſchaftliche Belehrung aufſucht; aber ift ders 
jenige, welcher fagt, das Kind lerne nur mit feinem unfterblichen Geiſte 
und nicht mit feinem flerblihen Leibe, nicht ein grober Idealiſt? 
Die Wahrheit liegt alfo auch hier in der Mitte: fo wenig ein guter 
Echreiber mit fchlechter Feder gut fehreiben und ein guter Arbeiter mit. 
ſchlechtem Meffer gut fehnigen wird, fo wenig wird — die Genie’s als 
Ausnahmen von der Regel bier nicht mitgerechnet — ein fhlechtgenährtes 
Hirn flott denen und ein heruntergefommenes Nervenſyſtem richtig 
empfinden und fühlen. Pürchte fi) demnad ja Keiner vor Verführung 
zum Materialismus, wenn er foldhen Belehrungen über die Leibliche Seite 
ver Kindesnatur nachgeht. Allerdings wird ihn der Profeffor zu manchen 
Malen an einen Punkt führen, wo er ihm fagt: „So weit reicht unfer 
Secirmefler, fo weit unfer Filter, fo weit unfer Mifroflop, und bier 
bört unfer Wiſſen auf, bier muß ih ſchweigen!“ Aber ift diefes 
Schweigen nicht fo beredt, als eine ganze Predigt? Wer hindert Dich, 
bier, wo unfer Wiffen aufhört, Dein Credo aus voller Seele anzus 
Rimmen und taufend Mal gläubiger noch, als Du hereingefommen bift, 
wieder binauszugeben? Die Raturwiffenfchaft wenigftens, welche fi 
beicheidet, nun nichts mehr zu wiſſch hindert ihm nicht; oder wo hat 
denn die Naturmiffenfbaft, wie fie und geboten wird, je gefagt, daß 
da, wo das Secirmeſſer am Ende angefommen iſt, auch die Schöpfung 
aufhöre und die Allmacht Gottes aufböre? Dazu if} die Raturs 
wiffenfchaft viel zu vernünftig und viel zu befcheiden. — Ich habe 
Schubert und Oken und Schelling jahrelang in Münden und 
anfern Bod jahrelang in Leipzig gehört; aber alle Raturwiffenfchaft 
und Philoſophie Hat das ſchöne dreifarbige Banner des Glaubens, der 
Liebe und der Hoffnung nur um fo fefter in meinem Herzen angepflangt. 
So dachte und fühlte auch jener Lehrer, welcher dem uneigennügigen 
Manne, der jene Borlefungen den biefigen Lehrern gehalten hatte, einfl 
beim Sceiden zurief: 

Ein Zweifler Du? Und haft fo Elar bewiefen, 

Wie ich Gebilde ew’ger Weisheit bin? 

Beredt des Leibes Wunderbau geprielen 

Und Pſyche's hehres, heil’ges Walten drin! 

Hat Zheolog auf Glauben nur gedrungen, 

Haſt Du zur Gottesmahnung mich gezwungen.’ Ha 


5. Lehrer Schlichting a. a. ©. veripriht ih vom naturfunds 


* 


304 | Naturkunde. 


lichen Unterricht wohltgätigen Einfluß auf Gemüthobildung, will 
es jedoch vorzugsweife darauf abgejehen wiflen, daß die alte daͤmoniſche 
Raturanfchauung ſchwinde und einer freundlicheren Pla made. Wir 
vermögen hierin nichts Anderes zu erkennen, als was man fchon Tängft 
angeftrebt bat, namentlih durch die Phyſik: Vertreibung des Aberglaus 
bens, des Glaubens an Gefpenfter, Kobolde und andere böfe Geifter. 
Diefe Aufgabe des naturkundlichen Unterrichts iſt eine löblihe, da fie 
das Gemüth von Furcht befreit; aber dazu bedarf man natürlich nicht 
der Mittel, die man gegenwärtig für Gemüthsbildung durch Naturkunde 
fordert; dazu ift nur Mare Einfiht in die Geſetze und Kräfte der Ras 
tur erforderlich. 


b. Nothwendigkeit des Unterrichts in der Naturkunde 
für alle Schulen. 


1. Wenn der Unterricht in der Naturkunde ben oben von Sag» ” 


gau bezeichneten Einfluß auf die Bildung des Kindes ausübt, wie nicht 
zu bezweifeln, fo ift damit natürlich zugleich die Rothwendigkeit deſſelben 
fattfam dargethan. Tropdem fehlt es aber, wie befannt, nit an Lehr 
rern und Schulbehörden, die diefe Anficht nicht theilen und den naturs 
kundlichen Unterricht daher fehr zurüddrängen, unter Umftänden fallen 
laffen, alfo für entbehrlih erklären. Ein zu diefer Partei gehöriger 
ungenannter Holſteiner Lehrer hat im Novembers Hefte des „Schulbl. 
f. d. Herzogth. Schlesw. u. Holſt.“ (1856) feine Stimme hierüber abs 
gegeben. In der in diefem Jahre bei Kiel abgehaltenen Berfammlung 
des „allgemeinen Holſteiniſchen Lehrervereins“ if nämlich die Frage, 
ob der naturfundliche Unterricht in allen Schulen nothwendig fei, 
ganz entfchieden bejaht worden. Dieſer Erklärung tritt nun der Uns 
genannte zunächft entgegen. Er zeigt fih nicht gerade als Gegner der 
Naturkunde, fondern ift nur nicht von ihrem großen Ruben überzeugt; 
fie ift ihm ein entbehrlicher Gegenftand, den er überall da aufzugeben 
empfiehlt, wo in den notbwendigften Gegenftänden noch nicht Genügendes 
geleitet werde. Er fagt zum Schluß feiner Arbeit: „Nach dem bisher 
Geſagten tönnen wir alfo durchaus nicht zu der Anfiht fommen, daB 
die Naturkunde für jede Schule ein unabmweisliches Bedürfniß und daher 
der Unterricht in derfelben unbedingt nothwendig fei. Aber eben fo 
weit find wir entfernt, denfelben aus allen Schulen gänzlich verbannen 
zu wollen; vielmehr ift unfere Anficht die: Wo die Berhältniffe der Art 
find, daß durch den Unterricht in der Naturkunde dem Nothwendigſten 
fein Abbruch gefchieht, da mag er gerne vorkommen, aber das Beil 
der Schule erwarten wir von ihm nicht.” 

Wir geben zu, daß es in Holftein, wie anderwärts, Schulen giebt, 
in denen in den überall als nothwendig anerfannten Unterrichtsgegens 
ftänden noch nicht das Erforderliche geleitet wird, aber in ſolchen Fällen 
liegt die Schuld doch wohl nur am ſchwachen Lehrer, und ein folder 
würde freilih auch in der Naturkunde Nichts leiften. Sf es aber recht, 
baß eines untauglichen Lehrers wegen eine ganze Generation eines Ortes 


- 


‚Naturkunde. - 305 


feidet? Gewiß nit. Bei angemeflener Organifation der Schule, brauche 
barer Lehrerfraft "und gutem Lefebuche läßt fi ohne Bernadhläffigung 
anderer Unterrichtsgegenftände in jeder Elementarfchule für die Natur⸗ 
funde die erforderlihe Zeit finden. Aber guten Willen und eine beffere 
Anfiht von dem Wertbe der Naturkunde muß man haben, als unfer 
Ungenannter fie befigt. Wir ftehen bier ab davon, ihn zu befehren, ba 
wir der Ucherzeugung find, daß er ſelbſt ohne ausreichende naturwiffen» 
ſchaftliche Kenntniffe if. Und mit folchen Leuten läßt fih, wie wir 
fhon oben bemerkten, nicht über den Werth der Raturfunde verhandeln. 

2. Der Oberlehrer Fr. Körner in Halle weiß einen‘ bildenden 
Unterriht in ber Naturkunde auch nicht recht zu würdigen. Darum 
wirft er in feiner „Geſchichte der Paͤdagogik“ S. 368 die Frage auf: 
„Was bringt die Naturkunde wefentlih Neues in die Schule?” Eine 
Betrachtung, die den Zwed hat, genauer mit den Naturförpern befannt 
zu machen und gleichzeitig den Schüler im Beobachten und in der Maren 
ſprachlichen Darftelung des Wahrgenommenen zu üben, ift nad feiner 
Meinung Formalismus. Die Naturkunde hat für ihn nur fo weit Werth, 
als fie ſich materiell nüglich erweift, alfo einen vorberrfchend techno⸗ 
logiſchen Charakter hat. Wir erkennen die Berechtigung der Technologie, 
wenn auch nicht der gewöhnlichen, vollfommen an und wünſchen, daß 
ihr überall fo viel Zeit gewidmet werde, wie wir felbft ihr einräumen; 
aber darum erwarten wir von der Naturkunde doch noch einen größern 
Einfluß auf die Bildung der Schüler, als Körner, und begründen bie 
Nothwendigfeit des naturfundlichen Unterrichts nicht vorzugsweiſe aus 
dem materiellen Nutzen, den er gewährt. 

Ausführliher, als es hier geihehen Tann, haben wir uns über 
diefen Abſchnitt der Körner/schen ,, Geſchichte der Pädagogik‘ im erften 
Hefte der ,,Pädagogifchen Monatsſchrift“ von Löw (für 1857) ausge⸗ 
forochen, worauf wir uns zu verweifen erlauben, 


e. Methode des Unterrihts in der Naturkunde. 


1. Lehrer Körting aus Kemnade in Braunfchweig fprad in ber 
8. allgem. d. Lehrerverfammlung über Zwei und Methode des Unters 
rihts in der Naturkunde Mach feinem Bortrage erfannte die Bers 
ſammlung folgende Grundſaͤtze für richtig und befolgenswerth an: 

1. Der Unterricht in der Naturkunde fei naturwüchſig, d. h. 

a. er flübe fih auf unmittelbare Anfchauung, 
b. er gehe vom Belondern zum Allgemeinen über. 

2. Er führe die Schüler zur felbfiffändigen Forſchung. 

3. Er fei praktiſch, indem er die Anwendung der Naturkörper 

und Naturerfcheimungen zeigt. 

Diefe Grundfäge find für mich feit 30 Jahren maßgebend gewefen; 
ich babe mich gefreut, fie von diefer Berfammlung angenommen zu 
fehen. — Der Antragfteller lebt leider nicht mehr. 

2. Lehrer Lehmann in Hechingen bat fih in Loͤw's Monats⸗ 
fchrift, 3. Heft, in einem längern Aufſatz über „Das konkrete Element 

Nade, Jahreöberiht. X. 20 


Sn 


306 | | Naturkunde. 


beim naturfundlichen Unterricht” ausgefprohen. Wirklich Neues entHält 
Die Arbeit nicht; Doc fpricht ſich der Berfaffer ausführlih, in Folge 
vielfaher Wiederholungen zu ausführlich, über einige noch nicht allge» 
mein anerfannte Richtungen und Berfabrungsarten beim Unterricht aus. 
Er Hat dabei übrigens mehr die Raturgefchichte, als die Naturkunde 
im Ganzen vor Augen. 

Das „konkrete Element’ ift dem Berfaffer natürlich nichts Underes, 
ale was gewöhnlid mit „Anſchauung“ bezeichnet wird. Durch Ber- 
wirflihung deſſelben ſoll das „Gemüth,“ „die Grundlage alles Ers 
kennens,“ „die Baſis aller geiſtigen Funktionen,“ gebildet werden. Die 
Anfhauung foll nicht beim Aeußern ſtehen bleiben, fondern fih auch 
auf die Entwidelung des inneren Lebens der Naturförper richten. „Die 
Formen der Ratur find nur Wirkungen des innern Lebens. Glaubt 
der Berfafler, diefen Sab in der Schule oder überhaupt veranfchaulichen 
zu können? Wo if, um nur Durch ein Beiſpiel auf die Tragweite 
diefes Sapes aufmerkſam zu machen, das „innere Leben‘ zu erkennen, 
das der Roſe eine fünfblättrige, der Levkoje eine vierblättrige Blume 
giebt, dem Quarz eine fechsfeitige Doppelpyramide, dem Granat ein 
Rautenzwölfflah, dem Inſekt 6 Beine, der Spinne 8? Läuft jener 
Sag nit für die Schule auf eine Phrafe hinaus? 

Rah dem Verfaſſer tritt das „konkrete Element‘’ in ſechs verſchie⸗ 
denen Bormen auf, die er fpeciell unter folgenden Ueberſchriften befpricht : 
Das biographifhe Element und feine Anwendung. 

Die Sprache der Raturobjecte. 

Das religiöfe Element beim Unterricht. 

Daß geographifche und naturfunbliche "Rebeneinander. 
Die Stiliſtik und die Naturkunde. 

Das poetifche Element beim naturfundlichen Unterricht. 

Man fieht aus diefer Zufammenftellung, daß der Berfafler den 
Ausdrud „konkretes Element’ gewaltig gedehnt und Dinge fubfummirt 
bat, die man nicht erwartet. Bei folhem Berfahren fommt es zulegt 
mit dem Ausdrud „Anſchauung“ dahin, wohin es bereits mit dem 
Worte „Gemüth“ gekommen ift, dahin nämlih, daB man das Wort 
gar nicht mehr verſteht, Jeder etwas Anderes ſich darunter vorftellt. 

Das Wort „biographiſch“ wuchert jeht förmlich in der Natur⸗ 
funde, refp. Raturgefchichte. Alle Naturförper follen biographiſch behan⸗ 
beit werden, der Kiefel, das Veilchen, das Pferd und wahrfcheinlich 

auch der Menſch. ine Biographie if, wie Jedermann weiß, eine Les 
bensgeſchichte. Eine Lebensgefchichte ift aber die Geſchichte eines bes 
fimmten Individuums Werden folhe Lebensbefchreibungen von den 
Bertretern des „‚biographifchen Elements“ den Kindern dargeboten ? 
Gewiß nur von Wenigen, obfchon fie einen ganz entſchiedenen Werth 
haben. Aber e8 gehört Etwas dazu, folhe Biographien zu gewähren; 
eine Biographie eines Veilchens z. B. feht voraus, daß man vor den 
Augen der Kinder Beilchenfamen äet. das Keimen, Wachen, tägliche 
Berändern, Blühen, Fruchttragen und Abfterben beobachten läßt. Unſer 
Berfaffer zeigt am Froſch, was er unter biographifcher Behandlung vers 


„mo — 


Naturkunde. 307 


ſteht. Das Beiſpiel iſt vortheilhaft für die Darſtellung und auch ſchon 
von Andern für dieſen Zweck gewählt worden. Aber bei wie vielen 
Tbieren fann man fo die Yugendzuftände zur Anfchauung bringen, wie 
bier? Die Darftellung trifft übrigens unfer ſchon ausgelprochener Zabel; 
der Berf. glaubt eine Biographie zu geben, in dem er die Metamorphofe 
der Froͤſche erzählt. Kine Biographie nach dem wahren Sinne des Wortes 
würden die Kinder nur erhalten oder noch richtiger: erleben, wenn man 
im Frübjahr Froſchlaich in ein Glas mit Waffer legte, dies in die Schuls 
Rube oder an einen andern paflenden Ort flellte und täglih fo lange 
beobachten ließe, bis man junge, ungefchwänzte Fröſche, die fih ihre 
Nahrung ſuchen, daraus erhalten hätte. Was unfer Berfaffer und viele 
Andere mit ibm unter Biographien verfteben, find nichts weiter, als 
ausführlichere Befchreibungen von Raturkörpern, ausführlicher nämlich, 
als die gewöhnlichen Handbücher der NRaturgefchichte fie darbieten. — 
Ein Seitenfüd zu dem oben ale Phrafe bezeichneten Sage findet ſich 
in diefem Abfchnitte in dem Ausſpruch: „Man geht (bei den Biographien) 
vom Urfeim des Kebens aus.” War der Berfafler fih der Bedeu- 
tung dieſes Gedankens wirklich bewußt? Wir bezweifeln es. 

Bas der Berfaffer unter „Sprache der Raturobjecte” ver 
Rebt, möge der Leſer aus folgenden Säpen erfehen: ‚Die Kinder ver⸗ 
nebmen die Stimme der Ratur; der Knabe ſetzt ſich an den geichwäßigen 
Quell und, in ſich verfunten, horcht er auf fein Murmeln; er fieht fein 
Bild im Maren Waſſer und lächelt ihm entgegen. Das Kind figt im 
raufchenden Walde: die Blätter werden vom leifen Winde gefchättelt, 
umd in den Zweigen lispelt es wie banges Klagen: meint ihr, das 
Kind fühle nit das Seufzen des Waldes? Gebt ihm die Sprache für 
dieſes gebeimnißvolle, file Rauſchen, und ihr habt gethan, was wir 
verlangen!’ Um zu zeigen, wie der Verfaſſer ſelbſt diefe Sprache der 
Raturobjecte angewendet zu ſehen mwünicht, theilt er „die Klagen der 
Rerbenden Roſe“ mit. Wir tbeilen, um dem Lefer auch davon eine 
Borftellung zu geben, ein paar Eäpe daraus mit. „Dein holder Schein, 
fagt die Rofe zur Sonne, vergrößert nur die Qual; dein Licht verzehrt 
nur die beilen, Maren Thautropfen, die meine ermattete Stirn fühlen. 
Sieh mich an! ich ringe mit dem füßen Leben! Vergiß nicht unfere 
treue Freundſchaft: oder bift du mir fo untreu geworden, daß du did 
auf ewig von mir wendet? Die Treue allein reicht uns hienieden den 
ſchönſten Lebenskranz. Ich will dein eigen fein auf ewig, wenn du Die 
legten Geifter meines Lebens verfhonft: ich will nur in deinen Reizen 
ſchwelgen und baden in der Fluth deines Sifberlichtes, das verfchwen«. 
derif von Dir ſtrahlt.“ 

„Aber es ift fchwer, fügt der DVerfaffer weiter unten hinzu, die 
Dbierte der Ratur aus dem „„Stegreif““ fprechen zu laſſen. Dazu 
gehört von Seite des Lehrers eine tiefgemüthliche, ideelle Naturinnigkeit. 
Adein nicht Alle And geifiig und gemüthlich derart organifirt, daß fie 
ſich zu dieſer Zartheit und Innigkeit, zum diefem poetiſchen Reichthum 
enporſchwingen können. „„Was ale Krebs geboren wurde, bleibt 
Krebs!‘ Aber der Gipfelpunkt aller Naturwiſſenſchaft und aller Ras 

. 20* 


308 Naturkunde. 


8 


turbeobachtung iſt das Verſtändniß der Naturpoeſie, iſt die Be⸗ 
kanntſchaft mit der Sprache der Naturgegenſtände, iſt das „„Ein⸗ 
geweihtſein““ in die dus der feinften Beobachtung hervorgegangene 
Allegorie und Symbolif der Naturweſen.“ 

Diefe Proben und Auéſprüche werden ja wohl gerade ausreichen, 
um des Verfaſſers Ueberfchwenglichkeit nach diefer Richtung bin erfennen 
zu laſſen. Wir haben fo viel Vertrauen zu dem natürlichen Zafte der 
Lehrer, daß wir uns überzeugt halten, e8 werde dem Verfaſſer Nies 
mand folgen, ſelbſt auf die Gefahr Hin nit, fammt und fonders von 
ihm für „Krebſe“ gehalten zu werden. Laffen wir ihm diefe „Dich 
teriihen und warmgemäüthlichen Sentenzen“ ungeftört allein. Möge es 
ihm vergönnt fein, noch recht lange in diefer Gefühlsſeligkeit zu fchwelgen ! 

Ueber „das religidfe Element beim naturfundlichen Unterricht‘ 
fpricht der Berfaffer etwas gemäßigter, will wenigftens überall „die Ab⸗ 
fihtlichleit von Seite des Lehrers‘ vermieden ſehen. Nur das, was 
unmittelbar aus der Tiefe des Herzens kommt, läßt er gelten und bes 
zeichnet alles Andere als ‚‚Sentimentalität, Wortſchwall und Gepolter, 
Slitterwerf und Schein.’ 

Sm vierten Abfchnitt giebt der Verfaſſer die Schilderung eines 
„brafilianiſchen Urwaldes“ zum Beſten, um zu zeigen, wie er das „geo⸗ 
graphiſche und naturkundliche Nebeneinander‘ verſtehe. 
Es kommen darin außer Parafiten⸗ und Schlingpflanzen vor: „der 
ſtachlichte Fernambukbaum,“ „der Tulpenbaum,“ „die Lebenseiche,“ „Die 
rieſige Magnolie,“ „das Smaragd eines uralten Palmwaldes,“ „der 
angenehme Vanilleduft der Blüthen,“ „die melodienreichen Töne des 
Bülbũl,“ „Lianen,“ „die fußhohe feuerfarbene Blüthe einer Tillandfie,’‘ 
„Riefenananas,’' „reizende Orchideen,’ „Hesperiden,“ „der blaufpies 
geinde Menelaus, der Neflor, Adonis und Laertus, die bläulichweiße 
Ida, der große, mit Augen bemalte Eurilohus‘ und viel anderes Ger 
thier. Welchen Zwed kann eine fo gehaltene Schilderung eines Urmwaldes 
wohl für Kinder haben? Sind denn alle diefe fremden Namen und die 
Säpe, in denen fie gebraucht werden, etwas Anderes, ale „Wortſchwall 
und PBhrafengepolter, Klitterwert und Schein?" Welche Schule faun 
denn von allen diefen Dingen eine Anfchauung gewähren? Wo bleibt 
da das „konkrete Element beim naturkundlichen Unterricht?” Das Uns 
weten, das jept in den Schulen, mehr wohl noch in den Schuifchriften, 
mit diefer Art von geographifch-naturfundlihen Bildern getrieben wird, 
hat in des Berfaffere Schilderung feinen -Döhenpunft erreicht und wirb 
auf diefer Höhe, deß find mir fiher, recht bald vom Schwindel ergriffen 
werden und in Gefühlsfeligkeit hinunterflürgen, um der wirklihen Ratur 
Plap zu machen. 

Was der Berfaffer über „die Stitiffit und die Natur- 
kunde“ fagt, iſt oft und lange vor ihm verlangt worden, neuerlich 
auh von Moͤnch in feiner „Pflanzenkunde. Wie zu erwarten, betont 
ex befonders das „äfthetifche Gepräge,“ wogegen wir nichts zu erinnern: 
haben, wenn der Schüler nicht dabei zur Phrafenmacherei angeleitet wird. 

Auch im letzten Abſchnitt hält der Verfaſſer fih in natürlichen 


Raturkunde, 809 


Grenzen und redet der Boefle in der Schule überhaupt das Wort, worin 
wir mit ihm übereinflimmen. N 
3. In einer Berfammiung des „Allg. Holfteinifhen Lehrervereing‘‘ 
nahm die Verſammlung nach flattgefundener Beſprechung den Gap an: 
„Die für die Volksſchule geeigneten Kenntniffe aus den Raturs 
wifienfhaften, der Geographie und Geſchichte dürfen nicht zu einem 
Unterrichtögegenftande, der fogenannten Weltkunde, verfehmolzen, ſon⸗ 
dern müflen in getrennten, ſelbſtſtaͤndigen Rurfen gelehrt werden. Eine 
Berüdfihtigung der Berbindung des aus verfchiedenen Unterrichtss 
gegenftänden Zufammengehörigen ift indeß für die Volksſchule zu 
empfehlen.‘’ (Allg. d. Lehrerz. 1856, Rr. 1.) 
Damit find wir einverftanden. 


B. Raturgefäidte. 


In Nr. 12 des „Braunſchweigiſchen Schulboten” von 1856 bes 
richtet W. Chamloth aus Braunfchweig nach allen Beziehungen hin 
über den naturbiftorifchen Unterricht im Sinne meiner Arbeiten im 
Jahresbericht, weshalb ich hier nicht näher darauf eingebe, fondern nur 
darauf hinweiſe. 


a. Aufnahme der Raturgefhichte in die Elementarfänte. 


Um die Pflanzenkunde in die Elementarfhule zu bringen, empflehlt 
Mönd in feiner „Pflanzentunde in Verbindung mit der Aufſatzlehre,“ 
Re den Gtilübungen zu Grunde zu legen, alfo lebende Pflanzen für die 
Stilſtunde in die Klaffe zu bringen, fie betrachten und bejprechen und 
darauf befchreiben zu Taflen. 

Dies Mittel iſt fiher empfehlenswerth, wo die Berhältniffe nicht 
geRatten, eine Stunde für Naturgefchichte auf den Lectionsplan zu fegen. 
Ein paar Sommer. hindurch fann man, ohne Einfeitigkeit zu befürchten, 
wohl Pflanzen befchreiben laſſen, namentlih, wenn man in der Dars 
Rellungsweife- Wechfel eintreten läßt. 


h. Raturförper, niht Abbildungen. 


„Rod immer machen einzelne Lehrer bei dem Unterricht einen zu 
häufigen Gebrauch von bildlihen Darftellungen und einer zu feltenen 
von den zur Hand ftehenden Gegenfländen der: Natur. Die Gegen⸗ 
Rände der Natur find in jedem Falle, wo fie zu haben find, 
den oft fehr mangelhaften bildlihden Darfkellungen vor» 
zuziehen. Gin jeder Lehrer follte fih’8 zur Aufgabe machen, jene 
GSegenflände, die er den Schülern, namentlich den Fleineren, vorzuzeigen 
gedentt, zu fammeln; 3. B. die Getreidearten und Hülſenfrüchte. Felder, 
Biefen und Gärten bieten alljährlich eine reiche Auswahl von Pflanzen 
dar, die den Kindern zur nüglichen Betrachtung vorgezeigt werden koönnen.“ 
(Beobadhtungen auf Infpectionsreifen. Oefterr. Schub. 1856, Ar. 30.) 

Seminarlehrer Breidenftein bat ‚„‚Mikroffopifche Pflanzenbilder“ 
geliefert, nit um die Natur zu erfeben, fondern um gehabte Raturs 


8310 Raturkunde, 


anſchauungen durch diefe Bilder oft wiederholen zu Lönnen. Das if 
ſehr zwedimäßig. 


ec. Berfand, Gemüth, Symbolik. 


1. Köhler a. aD. ſpricht fih für das Vorwalten der gemüth- 
lihen Beſprechung der Naturförper aus, will indeß dem Verſtande auch 
fein Recht gewahrt wiffen. ‚Kann man nicht,“ fagt er, „Beſchreibung 
der äußern Theile eines Thieres jo mit Darftellung der Lebensweife 
deffelben verfchmelzen, daß Alles wie aus Einem Guſſe erfcheint? — 
Wahrlich, es thut Roth, Ach fo recht in Einzelheiten zu vertiefen, das 
Reben der Pflanzen und Thiere, die Bildung des Steine fo zu bes 
trachten, wie man etwa den Entwidelungsgang eines liebgewordenen Mens 
fhen verfolgt, oder eine hiftorifche Begebenheit in ihren Urfachen und 
ihren Folgen betrachtet. AU das Jagen, unferer Zeit ganz eigen, ges 
ſtattet feinen Blick in's Innere, in’s Tiefe. Wohl if die fpecielle Kennt⸗ 
niß der Naturkörper die Grundwiſſenſchaft aller Weisheit, wie aller Zus 
duftrie und Gewerbe; doch ift fie bloß dies? Lenkt folche Kenntniß 
nicht auch den Blick auf uns ſelbſt, auf unfern Geiſt zurüd, lenkt fie 
ihn nicht auch auf den Herrn und Meifter! — Kern iſt von mir der 
Gedanke, die Naturgefhichtsftunde zugleich zu moralifchen Betrachtungen 
benugen zu wollen. Solche Seblgriffe hat man in früherer und in 
neuerer Zeit gethban, und anerfannte Pädagogen haben darüber ihr Urs 
theil geſprochen.“ 

Ebenſo ſpricht fich der Verfaſſer für ſchoͤne ſprachliche Darftellungen 
aus und' wuͤnſcht Gedichte mit herangezogen und mit dem Unterrichte 
verflochten zu ſehen. 

Wenn der Verfaſſer von mir behauptet, daß ich „ein Hauptgewicht 
auf Kenntniß des Syſtems lege,“ ſo hat er dabei überſehen, daß ich 
ſtets auch einer gemüthlichen und äſthetiſchen Behandlung das Wort ge⸗ 
redet habe. Wenn das in meinen Büchern ſelbſt nicht fo auffallend her⸗ 
vortritt, fo ift das daraus zu erflären, daß ih mich von Anfang an 
beftrebte, auf befchränfterem Raume vorzugsweife der methodiſchen For⸗ 
derung Genüge zu leiften. Als eine Ergänzung meiner Schriften nad 
der gemüthlichen und äfthetifchen Richtung hin betrachte ih das mit 
Made von mir herausgegebene „Leſebuch für Bürgerfchulen. Bon den 
für dies Wert von mir verfaßten Befchreibungen naturbiftorifcher Gegen⸗ 
Rände find viele in die Lelebücher folcher Pädagogen übergegangen, die 
ganz entichieden zu den „Semütbspädagogen‘ gehören. Un Gedichten, 
welche die Natur und einzelne Naturförper zum Segenftande haben, if 
das genannte Lefebuch fo reich, daß man im naturbiftorifchen Unterricht 
fhwerlich noch mehr zur Verwendung wird bringen können. 

2. Brof. W. Stein hält die Raturwiffenfchaften als befonders 
geeignet, „die vernadpläffigte Eultur des Gemüthslebens“ zu fördern, 
worin wir ihm ganz beipflihten. „Ich wüßte,” fagt er ©. 34 feiner 
Schrift, „in der That feinen zweiten Gegenfland, der mehr als die Be⸗ 
trahtung der Natur geeignet wäre, das Gemüth zu erheben und zu vers 
edein, gleichviel ob das Teibliche Auge auf einer fhönen Laudſchaft rubt, 


Naturkunde, 318 


oder der Geiſt nach den verborgenen Urſachen der Erſcheinungen forfcht. 
Ber mit offenem Herzen und gefundem Sinn in das Walten der Ratur 
bineinfhaut, den ergreift es mit Allgewalt, und in feine Seele zieht 
der Friede ein, den die Ahnung des Allmächtigen bringt. Weflen Herz 
niht warm wird bei der Betrachtung der Wunder der Natur, „„dem 
it die Geiſterwelt verfchloffen, fein Sinn if zu, fein Herz if todt!“ 

„Um als Bildungsmittel für das Gemüth zu dienen’‘, heißt es ©. 
35, „erfordern allerdings die Naturwiſſenſchaften eine ganz andere Bes 
handlung, als wenn fie Fachſtudien fein follen. Es gehören dazu Lehr 
rer, welche nicht bloß ihre Aufgabe ganz begriffen haben, fondern auch 
vollfommen ihren Gegenftand beherrichen. Denn bald if es nöthig, in 
die kleinſten Details einzugehen, bald dürfen nur allgemeine Umriffe 
gegeben werden. Befonders aber hat man fi vor den Spitemen zu 
hüten. Das Spftematifiren if fo ausfchließlih Sache des Berflandes, 
daß es fogar fein befferes Mittel giebt, jede Gemüthsthätigkeit zu unters 
drüden, als den Aufbau oder die Abwidelung eines Syſtems. Man 
wird bei dem naturwiffenfchaftlichen Unterrichte vorzüglich in's Auge zu 
faffen haben, daß die heranwachſende Jugend vor allen Dingen befannt 
gemacht werde mit dem eigenen Innern, d. h. mit den von der Natur 
dem Menfchen verliehenen Anlagen; daß gelehrt werde, auf welche Weife 
diefe Anlagen entwidelt, und ganz befonders, wie mit Hülfe der guten 
die fogenannten ſchlimmen, d. h. zur böfen Leidenfchaft ausartenden, bes 
kämpft werden Tönnen. Es muß fodann die Weltordnung anſchaulich 
gemacht und nachgewielen werden, wie alle Theile der Schöpfung bald 
als Bedingendes, bald als Bedingtes in nothwendiger Abhängigkeit von 
einander flehen, aber alle benfelben Gefegen unterthan find. Wie viel 
vom Allgemeinen und Einzelnen gegeben werden müſſe oder koͤnne, iſt 
bier nicht der Ort, fpecieller auszuführen; wohl aber muß ich bemer⸗ 
fen, daß ich weit entfernt bin, die Naturwiſſenſchaften ausſchließlich für 
den vorliegenden Zweck anwendbar zu halten. Im Begentheil erkenne 
ih ſehr wohl nicht bloß die Nüplichkeit, fondern die Nothwendigkeit 
anderer Bildungsmittel. Aber das glaube ich behaupten zu dürfen, daß 
fe zu den beften diefer Art gehören, ganz’ befonderd darum, weil fie 
geeignet find, einen wahrhaft und tief religiöfen Sinn im Menfchen zu 
mweden und zu erhalten. Daß diefer allgemein werde, muß aber das 
Ziel fein, wonach wir fireben müſſen; nur dadurch find wir im Stande, 
den Materiolismus zu befämpfen und auszurotten. Bedenken, welche 
man gegen die Naturwiffenfchaften bier und da erhoben hat und erhebt, 
Eönnen, wie jeder vorurtheilsfrei Prüfende erfennen muß, nicht die 
Sache, fondern nur ihren Mißbrauch treffen, und diefer entfpringt ders 
felben Quelle, aus welcher die übrigen oben berührten Gebrechen unjerer 
Beit Rammen.” 

Hier wird der Berfafler einfeitig. Nicht nur zur Gemuͤthsbildung 
if die Ratur und der Unterricht über fie da, fle foll auch erkannt, 
arändiich ertannt werden, und dazu if neben genauer Beobachtung 
auch ein verkkändiges Gruppiren der Raturlörper erforderlih, alfo uns 
gefäht das, was man unter dem hier verpönten Syſtematiſiren verſteht. 


312 Naturkunde, 


Gemüth und Berftand können gar wohl dur ein und denfelben Gegen⸗ 
Rand und in ein und derfelben Stunde angeregt und gebildet werden. 


Ueber die Obfecte für den naturwiſſenſchaftlichen Unterriht Hält . 
fih der Berfafler zu ſehr im Allgemeinen, als daß wir hierauf eingeben 
Fönnten, ohne in Gefahr zu kommen, ihm Unrecht zu thun. Wir find 
aud gern bereit, bei der Auswahl NRüdficht auf ſolche Gegenflände zu 
nehmen, die fi vorzugsweife für eine gemüthlihe Behandlung empfeh⸗ 
len; aber geradezu maßgebend darf diefe Befchaffenheit niemals werden. 

2. Niffen ſpricht a. a. DO. über „Symbolif der Natur im naturz 
hiftorifhen Unterricht.” Er fagt: „Unter Symbolik der Natur verflehe 
ih die Abfpiegelung höherer, fittliher Kräfte und Zuflände in den 
einzelnen Raturgegenfländen.‘ In diefem Sinne ift ihm der Hamſter 
ein Eymbol des Geizes, die Henne ein Symbol der Mutterliebe. Er 
unterfhheidet eine zweifache Naturſymbolik: eine objective und eine ſub⸗ 
jeetive. Objectiv nennt er die Symbolif, weldhe in Wahrheit im Nas 
turgegenftande liegt, bei etwas tieferer Beobachtung durch die Lerblichkeit 
durhfcheint, wie eben der Geiz beim Hamfter, die Mutterliebe bei der 
Henne; ſubjectiv dagegen, wenn die Symbolifirung der Natur mehr 
willkürlich if, mehr in unferem Geifte, in der Denkthätigkeit deſſel⸗ 
ben liegt. Nur der objectiven Spmbolif will er den Eintritt geftatten 
und möchte fie mehr beachtet ſehen, als bisher. Dabei iſt er aber weit 
entfernt, der Naturgefchichte ats folder dadurh Eintrag thun zu wollen. 
Auch die Gefahren diefer Behandlungsweife der Naturgeſchichte verfennt 
er niht, warnt deshalb ausdrüdlich vor abfichtlihem Suchen nad fols 
hen Deutungen. Um nicht zu irren, foll der Lehrer flets „mit der 
heiligen Schrift und mit einem frommen Sinn an diefe NRaturdeus 
tungen gehen.‘ 

Wir finden uns in Webereinftimmung mit dem Gefagten und glaus 
ben, daß im wirklichen Unterricht, wo derfelbe in guten Händen if, 
mehr nach diefer Richtung hin gefdieht, als der Verfaſſer anzunehs 
men ſcheint. 

Saggau berührt S. 725 feines oben angezogenen Aufjapes auch 
kurz „die äfthetifche und ſymboliſche Auffaffung der Ratur. Wir em⸗ 
pfehlen, was er nachſtehend fagt, zur Beherzigung. „Beide find in der 
‚gegenwärtigen Erfcheinung neueren Urfprungs, beide machen Anfprud 
darauf, wefentlih Das religiöfe und fittliche Leben fördern zu können; 
beide laſſen fih aber noch wenig nad ihrem praktiſchen Erfolge ſchaͤtzen. 
So viel ift wohl gewiß, daß diefe Richtungen, wenn fle einfeitig herr⸗ 
fhen, den Ertrag an reellen Kenntniſſen ſtark beeinträchtigen. Wo 
bereits tüchtige Kenntniffe erworben find, da mögen fle in reichen Maße 
zulälfig fein, da fie wenigftens das Berdienft haben, Sinn und Inter⸗ 
effe für die Ratur warm zu pflegen. Für das religidfe Leben des Schüs 
lers find fle von wenigftens fehr bedingtem Werthe; einmal ſchon des⸗ 
halb, weil fie Leicht ein affectirtes Gefühlsleben und eine fentimentale 
Sprade an der Stelle klarer Erkenntniß und Fräftiger That fördern, 
bejonders aber darum, weil fle der ſchrankenloſeſten Subjectivität und 


Naturkunde. 318 


Myftik Thür und Thor offnen. Ihr Werth haͤngt rein von einem ge 
funden Charakter des Lehrers ab.” 


d. Methode. 


1. Zm „Meldorfer Lehrerverein‘ (Schulzeitung für das 
Herzogthum Schleswig 1. 1856. Nr. 45) ift neben Anderem aud die 
Raturgefchichte Gegenſtand der Berathung geweien. Der Bericht dars 
über if fehr aphoriſtiſch. Der nicht genannte Referent lehnt fich ganz 
an Gabriel an umd nennt meine Methode „unpraktiſch und langweilig‘, 
weil ih „von unten auf dur Arten, Familien (!), Gattungen, Ord⸗ 
nungen, Klaffen, Reihe aufwärts liege.“ Wer meine verfchiedenen Ars 
beiten über Methode der Naturgeſchichte Tennt, der wird mit mir fagen: 
Das Geflecht, das die Kämpfer gegen die Windmühlen liefert, if noch 
nicht ausgeflorben. 

2. Im Deſterreichiſchen Schulboten, 1856, Nr. 15, verbreitet fih 
Dr. ©. 3. „Ueber den Unterricht in der Zoologie an Unterreciſchulen. “ 
Er klagt zunähft über Weberfüllung der Klaffen, über mangelhafte Bors 
bereitung der Schüler und über die zu geringe Stundenzahl, 2 Etuns 
den wöchentlich, für die Naturgeichichte und giebt dann die Mittel an, 
weiche unter den beftehenden Verhältniffen Hülfe gewähren Tönnen. 

Zunächſt verlangt er die „forgfältigke Auswahl des Lehr, 
ſtoffes“, giebt aber dafür nicht die mindeften Anhaltepunkte. Gold 
ein Rath if ſehr wohlfeil. Der Berfaffer würde fih ein Verdienſt er 
worben haben, wenn er für feine Kollegen das Material nach den allge 
meinen Beflimmungen des „Organifationsentwurfes für die Realjchulen‘ 
ausgewählt und namhaft gemacht hätte. 

Die meifte Beiterfparniß erwartet der Berfafler von einer zweck⸗ 
mäßigen LKehrmethode. Unabhängig von der Anordnung des Biys 
pe’fchen Lehrbuches, das in den Händen der Schüler zu fein fcheint, 
fol der Lehrer mit dem Befondern beginnen und zum Allge⸗ 
meinen auffleigen und fi dabei unausgefeßt auf die vorausgegan⸗ 
genen Anfchanungen berufen. Rur die Repräfentanten der Famir 
lien follen ausführlich behandelt werden, die übrigen wiflenswärdis 
gen Thiere vergleihend zur Sprache gebraht werden. Da die 
Sääler „durch die zahlreichen Stunden des Zeichenunterrichts ohnehin 
im Auffaffen und Feſthalten äußerer Formverhältniſſe binlänglich geübt 
werden‘‘, fo foll man fie feltener zu den ausführlidheren Bes 
freibungen verwenden, fondern unter fletem Borzeigen felbf 
befchreiben, wodurch man verhütet, daß fich die nicht betheiligten Schuͤler 
langweilen; durch übermäßige Haſchen nah dem formalen 
Nupen des naturgefchichtlichen Unterrichts verfplittere man die Zeit. 
Hauptaufgabe der Raturgefchichte fei, eine gewiſſe Summe 
vofitiver, praftifhsnüglidher, im Leben unmittelbar vers 
wendbarer Kenntniffe beizubringen. Den Schülern die Merk⸗ 
mafe abfragen zu wollen, wird für eine unfruchtbare Sifte erklärt. 


Bas fol man zu Ueußerungen, wie die lepteren, fagen? Soll man- 


. 


314 KRaturkunde. 


‘es unternehmen, einen Dann zu bekämpfen, ber die gefundeſten, allge⸗ 
mein anerfannten Grundfähe der Methode mit Füßen tritt, flatt eines 
bildenden Unterridhts die alte Einpfropfmethode empflehlt, die Jugend 
alfo bearbeitet feben will, wie Gänſe bei der bekannten Nudelmethode ? 
Bir fleben davon ab, empfehlen aber den bedrängten Kollegen des Ver⸗ 
faffere, das Material für den Unterridt zu beihränfen, 
Ratt zu dem Mittel des Herrn Dr. ©. 2. zu greifen. Nicht auf die 
Maffe des Wiſſens fommt es an, fondern auf die Art und Beife, 
wie e8 erworben wird. Director Brennede fagt im „Dritten 
Jahresbericht für die -Rädtifchen Realfchulen zu Poſen“ in Bezug hier 
auf ganz richtig: „Auch bei dem naturwiffenfchaftlichen Unterricht bat 
der Lehrer mehr darauf zu fehen, die geiftige Kraft des Schülers zu 
weden und zu beleben, eine fittlihe Einwirkung auf den Schüler aus» 
zuüben, ihn zu begeiftern und feinem innern Leben eine edle Richtung 
zu geben, als allerlei nüßliche Kenntniſſe mitzutheilen oder den Unters 
richtsſtoff zu erfhöpfen.‘‘ 

In Bezug auf das Selbft beichreiben empfehlen wir dem Berfafler, 
was Lehrer Chamloth in Braunfchweig über die Lehrform des naturs 
gefhichtlihen Unterrichts in Nr. 12 des „Braunſchweigiſchen Schul⸗ 
boten‘ von 1856 jagt. 8 heißt daſelbſt: „Der Unterricht fei dialo⸗ 
giſch, wenn ein Gegenftand zur Belehrung vorliegt, von dem es leicht 
if, Manches von felbft zu bemerfen. Hier wird die Aufforderung des 
Lehrers genügen, daß die Kinder von demfelben ausfagen möchten, was 
fle an demfelben bemerfen: und der Lehrer hat nur bier und da Hand» 
bietung zu leiften, um auf das etwa unbeachtet Gelaſſene durch zweck⸗ 
dienlihe Fragen binzuleiten, daſſelbe gleihfam dadurch herauszuloden. 
Kurz, die Form des naturgefihichtlichen Unterrihts muß am häufigſten 
die fragend sentwidelnde fein. Sie fei nur jelten afroamatiih. Letßz⸗ 
teres fei fie etwa dann, wenn der Lehrer das dem Schüler durd die 
Frage zur Erkenntniß Gebrachte no dur etwas dem Gegenflande 
Weſentliches vernolländigen möchte, das er nicht ſchicklich und ohne 
großen Beitverluft aus demfelben herausloden kann; oder wenn der Ges 
genftand geeignete Veranlaſſung zu einer religiöfen Betrachtung bietet. 
Der zufammenhangende Bortrag fei indeffen möglichft kurz und werde, 
wenn es die Befchaffenheit defielben erlaubt, wieder abgefragt, um ſich 
zu überzeugen, ob bderfelbe beachtet und begriffen ik. So wechſeln 
Dialog nnd Akroama. Doch muß in ber Volksſchule die Frage ſtets 
vorherrfchend fein und bleiben.‘ 

Bermieden beim Unterricht will ferner der Berfafler alles Anek⸗ 
dotenhafte feben, es fei denn, daß es „hier und da als Mittel zur 
Verhütung der Geiftesabipannung‘ benußt werde. 

Sobald das „Anekdotenhafte“ dazu dient, einen Blid in das See» 
lenleben der Thiere thun zu laſſen, hat es feine berechtigte Stelle im 
Unterricht, als Amüfement dagegen gar Feine. 

In Bezug auf Syſtemkenntniß bezwedt der Berfaffer nicht 
Bolftändigkeit, fondern will ſich mit einer überfihtlihen Zufammenftele 
"bung begnügen. Dagegen haben wir Nichts einzuwenden, befonders, 


Raturkunde. 318 


wenn der Schüler durch dieſe Uebung im Gruppiren befähigt wird, 
fpäter feine Syſtemkenntniß nad Beduͤrfniß ſelbſt zu vernollfländigen. 
Bas der Berfafler über die Benußzung der Thiere und Abbildun⸗ 
gen fagt, iR gut; nur irrt er fich fehr, wenn ex meint, es erfordere in 
ber Regel Feine Hunftfertigkeit von Seiten des Lehrers, Thierzeichnungen 
an der Zafel zu entwerfen. 
Als Hörderungsmittel des Unterrichts werden Ereurfionen empfoh⸗ 
ln. Sammeln follen die Schüler durdhfchnittlih nur für die Schule. 
3. Köhler a. a. ©. beginnt den Unterricht in der Thierkunde 
mit den niedern Zhieren, den Infuforien, und zwar nicht bloß ‚des 
Anſchauens einer flufenweifen Ausbildung der einzelnen Zhierformen 
(Syſtematik)“ halber, fondern weil er „auf diefe Weile noch zur Bes 
ſprechung der iritereffanten Inſektenwelt gelange, ehe die Natur in ihren 
Schlaf gefallen.‘ Der lebte Grund if ohne alle Bedeutung, da die 
Auswahl für den erften Kurfus mit Leichtigkeit fo getroffen werden 
fann, daß man noch im Sommer zu den Inſekten kommt, wenn man 
dies überhaupt beabfichtigt.. Und was das „Anfchauen der flufenweifen 
Ausbildung der einzelnen Thierformen‘ anbelangt, fo fann das unmögs 
lich Zweck des erſten Maturgefchichtsunterrichts fein. Eine Ahnung 
biervon befommt der Schüler erft nach volllommener Kenntniß des gan» 
zen Baues der Hauptthierformen, alfo etwa in der Oberklaſſe. Obwohl 
ſich der Berfaffer bei Betrachtung der Infuſorien des Mikroſkops bes 
dient, fo können wir ibm doch nicht zugeſtehen, daß Kinder, mit denen 
er den naturbiflorifchen Unterricht beginnt, fähig find, den Ban der im 
Baflertropfen nie raftenden, ihre Geftalt fo oft verändernden Infuforien 
aufzufafien. Dazu fommt noch, daß es fa niemals gelingt, in einem 
für das Mifroflop beſtimmten Waflertropfen nur eine, und zwar eine 
erwünfchte Art zur Beranfchaulichung zu bringen. 
Wenn der Berfaffer übrigens von mir behauptet, duß ich die nie 
dern Thiere überhaupt vom Unterricht wolle ausgeichloffen haben, fo 
irrt er fih, wie der 8. Kurfus meines Leitfadens ihm beweifen kann; 
ich verlange nur, fie da vorgeführt zu fehen, wo das Kind im Stande 
it, fie zu verfehen. 
4. Einen reiht beachtenswerthen Auffag: ‚Weber die Bedeutung 
der Bflanzen» Geographie für den botanifchen und geographifchen Unter 
richt, hat 2. Rudolph in Berlin, bekannt dur feine Schrift und 
Abbildungen über Pflanzen» Geographie, im erſten Hefte des „Branden⸗ 
burger Schulblattes“ von 1856 geliefert. Er beantwortet darin fol 
gende drei Fragen: 
a. Welches find die bildenden Elemente, welche die Pflanzen «Geo, 
graphie darbietet? . 

b. Wie if der botanifche Unterricht einzurichten, um der Pflanzen» 
Geographie 'ihren bildenden Einfluß möglich zu machen? 

‚©. Welche Rüdfiht hat der geographifche Unterriht auf die Plans 
gen» Geographie zu nehmen? 

Uns intereffirt bier zunähf nur die zweite Frage. In der Ber 
antwortung derfelben charafterifirt der Verfaſſer bie drei Unterrichts⸗ 


4; 





- 


316 Naturkunde. 


ftufen, welche in höheren Schulen für den botaniſchen Unterricht aufge⸗ 
ſtellt zu fein pflegen; darnach umfaßt die erſte Lehrſtufe die Ter mi⸗ 
nologie oder beſſe: „Morphologie und Organographie“, 
angefnüpft an die Beſchreibung einzelner Pflanzen, die zweite die 
Syſtemkunde, namentlih Kenntniß des natürlichen Pflanzenſyſtens, 
die Dritte die Anatomie und Phyfidlogie der Botanik. Gegen 
die erfte und legte Etufe hat der DVerfaffer Nichts einzuwenden; von 
der zweiten dagegen behauptet er, daß fie die Schüler nicht ausreichend 
zu feffeln vermöge und die Pflanzenfunde in Mißeredit gebracht habe. 


"Statt den Schüler, wie bisher, mit den Charakteren von mehreren 


hundert Familien zu beiäftigen, folle man die 20 Gruppen, die Hums 
boldt für die Phyſiognomik der Gewächſe aufgeftellt habe, zu Grunde 
legen und neben diefen noch die bedeutungsvollen Pflanzenfamilien beobr 
achten, welche in diefen Hauptformen nicht vertreten find. Die Kennts 
niß des natürlihen Syſtems an fih foll indeß dadurch nicht bejeitigt 
werden. Eine Schilderung der Gewächſe nach diefer Richtung bin, alfo 
mit Rülfiht auf den Zotaleindrud, den fie gewähren, hält er für fehr 
anziebend; zugleich Zönne dabei dem äfthetifhen Momente Rechnung 
getragen werden, wie das Humboldt meifterhaft gethan; beachte man 
dabei zugleih die Eulturgemächfe, fo werde auch dem praktiſchen 
Momente des Unterrichts Genüge geleiftet. 

Die Idee hat Manches für fih; nur wird man recht darauf achten 
müflen, daB der Schüler fih immer des Unterfchiedes zwifchen den 
Hauptformen der Pflanzen» Phyfiognomit und den natürlihen Pflanzen» 
familien bewußt bleibt. Des Berfaffere Idee findet die Lehrer im 
Ganzen nicht fehr vorbereitet dazu; es wäre daher erwünfcht, wenn er 
hierauf Bedacht nähme und durch praftifhe Arbeiten die Ausfüh- 
rung erleichterte. 

Ale Ergänzung zu dem, was bereits oben über die Afthetifche Des 
bandlung der Naturgegenftände gefagt worden if, fügen wir noch des 
Berfaffere Anfiht hierüber hinzu. Er fagt zum Schluß feines Aufs 
fages: „Auch wir wollen einer äftbetifhen Behandlung der Raturgegen- 
fände das Wort reden, aber nur infofern fie das Gepräge der Cinfach⸗ 
heit und der Wahrheit an fih trägt. Die Literatur der Gegenwart 


“aber, die fo überreich an äftbetifirenden Darflellungen .aus dem Gebiete 


der Natur ift, giebt zu fehr ernften Neflesionen Anlaß. Nichts if den 
Naturwiffenfchaften unwürdiger, ja nichts ift ihnen nadhtheiliger, als den 
wiſſenſchaftlichen Boden verlaflen und die Natur mit fremdem Flitter⸗ 
ſtaat auszupugen, während fie doch gerade in ihrer Einfachheit afle 
Elemente des Geiftreihen, des Schönen, des Erhabenen in ſich verei⸗ 
nigt, die nur irgend zur Erhebung des Gemüthes dienen Pönnen. Das 
Meberfättigen mit äfthetifirenden Darftellungen muß nothwendiger Weiſe 
den Geſchmack an ernfler Beſchäftigung verleiden, und eine Menge von 
Gompilationen, welche mehr darauf ausgeben, die Genußſucht der Lefer 
zu befriedigen, als dem Gegenftande einen Dienft zu leiften, find Schuld 
daran, daB „„die hohe Kraft der Wiffenfchaft der ganzen Welt verbors 
gen’ Bleibt. „„Und wer nicht denkt, dem wird fie geſchenlt; er hat 


Naturkunde. 317 


ke ohne Sorgen’ — das if das trügeriihe Motto, weldhes zwar 
Birke anlodt, aber Riemanden dauernd zu feffeln vermag. Der wahre 
Raturfreund muß gegen die Art und Weile, wie fo mande „„Natur⸗ 
bilder, Eharafterbilder, Bilder aus dem Weltall’ zc. zufammengefellt 
find, feierlich proteſtiren. Nichts iſt bequemer, als überall die ſchönſten 
Biüthen heranszufchneiden, die doch nur ale das Product einer nature 
gemäßen Entwidelung Werth haben. Die köftlihflen Dinge, unaufhör- 
li genofien, verlieren ‚bald ihren Reiz umd erzeugen Efel und Ueber 
druß. Bor Allem aber darf die Schule ſich nicht zu fo unwürdigem 
Dienk erniedrigen. Wir haben unfere Jugend weder zur Eitelkeit, noch 
zur Genußfucht zu erziehen. Cine günftige Einwirkung auf Gefittung 
und Charakter if nur möglih, wenn man die nächſten Anforderungen, 
die der Gegenſtand macht, mit Ernft fefbält, ohne jedoch die hoͤheren 
Geſichtspunkte aus dem Auge zu verlieren.“ 


f. Das Anlegen von Sammlungen. 


Ohne Naturalienſammlungen läßt Ach, davon find Alle überzeugt, 
ein gedeihliher naturhiftorifcher Unterricht nicht ertheilen. Aber die 
Beſchaffung derfelben ſtoͤßt auf große Schwierigkeiten, von denen die 
Juptlähtife der Geldmangel, demnächſt aber die Bequemlichkeit vieler 

if. Ä 

In der „Volksſchule“ von Behre und Müntel (1855. 2. Heft) 
macht ein Ungenannter (8.) den Borfchlag, Raturalienfammlungen für 
Schulen durch gegenfeitigen Tauſch von Naturalien zu grüns 
den. Das if ein fehr vernünftiger Gedanke. Aber wo findet fih Je⸗ 
mand, der die Mühe übernimmt, ihn zu verwirklihen? Wie viele Lehrer 
giebt es, welche die Raturkörper ihrer Gegend für die Schule und zum 
Tauſch gelammelt haben? Wie viel Lehrer haben überhaupt die dazu 
erforderlihen Kenntniffe? Mit bloßer Bücherweisheit läßt ſich hier 
nichts anfangen. 

Bas felbft Schüler im Sammeln leiften koͤnnen, wenn fie ernſtlich 
wollen, erſehen wir aus einer Bemerkung des Director Brennecke in 
dem ſchon oben genannten ‚„Sahresberichte‘‘.. „Einer meiner Schüler“, 
fagt er, „der gegenwärtig fich ausschließlich dem Studium der Natur⸗ 
beireibung widmet, hatte ald Quartaner des Gymnaflums zu Jever 
(am Jahdebuſen) fih eine dreifahe Sammlung angelegt: 1. eine oryk⸗ 
tegnofifhe, 2. eine geognoftifhe, 3. eine paläontologifche. Jede ders 
felben enthielt grundfäglich nur felbfigefundene Stüde, entnommen aus 
den Pflaſterſteinen der Beinen Stadt Jever. Jede diefer Samm⸗ 
lungen war reichhaltig, namentlih die paläontologifche, welche eine 
große Anzahl Species verfleinerter Korallen enthielt. In der orykto⸗ 
anoftifchen befanden ſich 3. B. eine fchöne Drufe mit Amethyften, ſchoͤne 
Schwefelkieskryſtalle, Schörl u. f. w.“ 

In Br. 30 des „Defterreihifchen Schulboten“ von 1856 giebt 
ein Ungenannter (3. ©.) eine zwedmäßige Anleitung zum Sammeln, 
Einlegen und Aufbewahren von Pflanzen. 


318 Naturkunde. 


Auf das Naturalienfammeln von Seiten der Schäfer hat der Lehrer 
befondere Aufmerkſamkeit zu richten, damit es nicht nach der einen oder 
andern Seite hin ausarte. Das Anlegen von Eierſammlungen if 
in diefem Jahre von Geiten des preußifchen Minikeriums fireng gerügt 
und verboten worden, ‚worüber fich jeder Raturfreund gefreut hat. 

Der „Deſterreichiſche Schulbote bringt in Nr. 17 (1856) unter 
der Ueberfhrift: „Zum Schuge der Vögel‘, eine „Mittheilung ans einer 
Lehrertonferenz zu Großfonntag in Steiermark‘, die wir den Lebrern 
‚zur Beberzigung empfehlen. Es wird darin auf den großen Nutzen der 
Bögel aufmerffam gemacht, zugleich aber aud darauf hingewiefen, daß 
es fündiger Muthwille fei, ein Geichöpf Gottes in feiner Entwide- 
lung zu flören. 


C. Phyfik. 


1. Lehrer Schlihting hat auf der ſchon oben erwähnten Bere 
fammlung des Holfteinifhen Lehrervereind die Thefis aufgeftellt: 
„Der Unterriht in der Raturlehre darf in keiner Schule ganz 
fehlen.” Das Minimum bderfelben if Belehrung über die allge 
meinen @igenfchaften der Körper und über die Lufterſcheinungen.“ 
Mit dem erften Theile der Cheſis find wir ganz einverflanden ; 
aber warum gerade „‚Belebrungen über die allgemeinen Eigenſchaften“ 
ald das Nothwendigſte bezeichnet werden, vermögen wir nicht einzufehen. 
Nach einer Anmerkung in Nr. 48 der „Schulzeitung für das Herzog» 
thum Schleswig ac.’’ zu fchließen, fcheint Schlichting hierüber felb nicht 
ganz Mar zu fein; er ließ nämlich im Laufe der Debatte die „allgemei⸗ 
nen Gigenfchaften” für die Schule fallen, hält fie aber in feiner fchrifte 
lihen Darlegung wieder fe, jenes Fallenlaffen ‚auf Rechnung der Zer⸗ 
fireuung ſchiebend, in welche einige erienreifen ihn verfegt hatten.” 
Wenn der Verfaſſer damals fo zerfireut war, daß er NRotbwendiges und 
Entbehrlihes nicht unterfcheiden konnte, fo hätte er nicht reden follen. 
Nach unferm Dafürhalten giebt es für die Volkéſchule viel wichtigere 
Kapitel aus der Raturlehre, als die allgemeinen Eigenfhaften es find. 
2. SeminarsDberlehrer Brange redet a. a. D. der Naturlehre 
in der Bolfsfchule mit Wärme, doch ohne Webertreibung, das Wort 
und tritt, wie ſchon in einem früßeren Artikel (4. Jahrgang des Schle⸗ 
fiſchen Schulblattes) der Aeußerung eines Schulmannes, „es laſſe fidy 
in der Bolfsfhule mit der Naturlehre nicht viel anfangen’, entſchieden 
und mit Erfolg entgegen. In feiner Vertheidigung des Gegenſtandes 
nimmt er Rüdfiht auf die preußifche Regulative und zeigt dabei, wie 
nothwendig es fei, daß der Lehrer fih nad einem guten Leitfaden für 
die Naturlehre das zu verarbeitende Material zurecht lege, Rh alfo nicht 
auf gelegentliche Erläuterung und Erweiterung deſſen beichränte, was 
das Lefebuch davon darbiete. 
Das tft auch unfere Meinung, und wir freuen uns, baß ſich der 
Berfaffer Hierüber ar ausgefprochen hat. Wir find feſt überzeugt, daß 
die ganze Weltfunde in eine unerträgliche Planloſigkeit verfällt, wenn 


Naturkunde. 319 


die Lehrer Ah auf Erläuterung der Leſeſtücke beſchränken. Kein Lehre 
buch kann den Stoff fo ausreihend und fo amgemeflen angeordnet dar» 
bieten, daß ein Leitfaden dafür entbehrlich wäre. 

3. Dürgerfullehrer Hering aus Reichenbach hielt auf der 8. all» 
gemeinen ſächſtſchen Lehrerverſammlung in Blauen einen Bortrag „über 
den Unterricht in der Naturiehre in Volksſchulen mit befonderer Berüd- 
ſichtigung eines für die Zwecke derfeiben binreichenden phyſikaliſchen 
Apparates.‘ "Nachdem er im Allgemeinen angedeutet hat, was aus der 
Naturlehre für die Bollsfhule und für die weiter gehende Bürgerfchule 
gehöre, ſtellt ex folgende Säke für die Ertheilung eines fru&ptbringenden 
vnnRtaliigen Unterrichts auf: 

a. „So viel nur immer möglih, führe man dem Schüler beim 
Unterrihte die zu erklärenden Erfjcheinungen und Borgänge vor die 
Augen, oder man fnüpfe den Unterricht an Verſuche und Beobachtungen 
an, die der Schüler vor Augen hat. Denn hat der Schüler auch das, 
was ihm beim Unterrichte abfichtlich vorgeführt wird, im Leben fchon 
oft wahrgenommen, fo war es doch in den meiften Fällen nur ein Sehen 
defielben , nicht ein Beobachten, und da in der Natur ein Borgang nie 
allein vor ſich gebt, fo if der noch Ungeübte nicht im Stande, zu 
gleicher Zeit das Ganze zu überbliden und das Einzelne beſtimmt 
aufzufaffen, während bei dem angeflellten Berfuhe oder Experi- 
mente ed möglich if, die Aufmerkfamkeit auf eine beſtimmte Erſchei⸗ 
nung zu lenken.‘ 

b. „Man veranlafle den Schüler, durch aufmerffames Beobachten 
der ibn umgebenden Ericheinungen außer der Schule neue Belege und 
Beifpiele für das ihm bereits Mitgetbeilte aufzufinden, wodurd das 
Beobachtungsvermoͤgen gefchärft und der praftifhe Sinn gefördert wird. 
Man berüdfihtige daher‘ 

ec. „zunächſt das, was für den Stile von praktiſchem Werthe 
und von Bedeutung iſt, damit es z. B. nicht vorkomme, daß er von 
Zuftfpiegelung zu ſchwatzen wifle, ohne daß er weiß, welche Bewandtniß 
e6 mit der Dämmerung und der Morgens und Abendröthe hat, oder 
daß er die Namen und Eigenfchaften aller bei uns nicht vorkommenden 
Giftwinde an den Fingern herzählen könne, aber nicht weiß, was er zu 
thun und zu laſſen hat, um in feiner Wohnung eine gefunde und reine 
Luft herbeizufhaffen und zu erhalten, und“ 

d. „quaͤle man den Schüler nicht Stunden lang mit bloßen trodes 
nen Begriffserflärungen, womit man die Freude und das Intereſſe an 
der Ratur nur zerfiören würde, fondern man gebe fie nicht hinter eins 
ander und auf einmal, wie es gewöhnlich mit den Eigenfchaften der 
Körper geſchieht, fondern nad und nah, wie und wenn fie Bebürfniß 
werden. Dan gebe den Begriff von Iuftförmigen Körpern, wenn von 
der Luft, den Begriff von tropfbarflüffigen Körpern, wenn vom Waller 
gehandelt werden foll u. f. w.“ 

e. „Suche man. bie zu verfchiedenen Beiten ſich darbietende Gele⸗ 
genheit, über Gegenkände der Naturlehre zu ſprechen, zur feſtern Ein» 
prägung des Dageweſenen zu benupen. So Tann das Nöthigfle über 


— 


320 Naturkunde. 


den Regenbogen den Kindern bald ohne Schwierigkeit beigebracht wer⸗ 
den, wenn eben einer am Himmel ſteht, und das Weſen des Rebels 
wird ihnen nicht ſchwer begreiflich zu machen fein, wenn fle beim Nebel 
mit ziemlich feuchter Jade in die Schule fommen und von diefer aus 
des Nachbar Haus nicht zu erkennen im Stande find, bis endlich gegen 
Schluß der Schule die höher fleigende Sonne fo weit die Dünfte aus⸗ 
dehnt, daß fie auch von einer höhern, leichtern Luftſchicht wieder als 
Bolten getragen werden können. Ganz befonders möchte dieſes geiles 
gentlihe Mittheilen und Belehren über Gegenftände aus der Naturlehre 
auch den Schulen zu empfehlen fein, in denen wegen Mangel an Zeit 
diefem Gegenflande nur ganz kurze Zeit zugemeffen werden fann. Dazu 
hat es midy bedünfen wollen, als wenn gerade folche gelegentliche Mit⸗ 
theilungen fetter im Gedächtniß hafteten, als das im fortlaufenden Kurs 
ſus Gegebene.“ 

Die Wahrheit dieſer Saͤtze läßt fich nicht beſtreiten; möchten fie 
nur erſt allgemein befolgt werden! 

Darauf zeigt der Berfaffer, wie fi die wichtigen Lehren der 
Phyſik zum Theil ohne, zum Xheil durch einfache, leicht herſtellbare 
Apparate zur Anſchauung bringen laſſen. Er Hat fi viel mit dem 
Gegenſtande befchäftigt und ertheilt daher praktiſche Rathſchlaͤge. Auf 
feinen für Bürgerfchulen hergeftellten verkäuflichen Apparat fommen wir 
weiter unten zurüd. 

4. In Nr. 27 der „Allgemeinen Lehrerzeitung“ von 1856 weift 
ein Ungenaunter (E. N.) in anfprehender Weiſe nah, daß es feine 
„pädagogiſche Sünde‘ fei, den phyfifalifchen Unterricht mit den allge 
meinen Eigenfchaften zu beginnen. Der Verfaſſer vergißt aber dabei, 
daß das Intereſſe der phyſikaliſch noch unbefchulten, für den Gegen» 
fand erft zu gewinnenden Schüler viel größer it, wenn man ein recht 
augenfälliges Experiment macht, 3. B. mit der Magnetnadel, als wenn 
man nachweiſt, daß jeder Körper einen Raum einnimmt. Darauf if 
einiger Werth zu legen. 


D. Technologie. Haus und Randwirthfchaft. 


1. Ueber den Werth diefer Gegenftände für Volks⸗ und Bürgers 
ſchulen liegen uns die widerfprechendften AUnfichten vor, zu denen noch 
die eigene, wieder davon abweichende hinzukommt. Schulrath Lauck⸗ 
Hard in Weimar empfiehlt in feinen „Volksſchulblättern aus Thürin⸗ 
gen’ namentlich die Haus» und Landwirthſchaft lebhaft; im „Branden» 
burger Schulblatt“ (Schlußheft von 1856) flellt dagegen ein Unger 
nannter (F. Sch.) den Sa auf: „Technologie, Hauswirthſchafts⸗ und 
Aderbaulehre u. dergl. unter ‚die Lehrgegenflände der Glementarfchuie 
aufzunehmen, ift überflüffig und ſchädlich.“ 

2. Derfelbe Berfafler fagt von der Tehnologie: „Die Techno⸗ 
logie, die man in die Lehrpläne der Stadtichulen einfchieben will, iR 
ſelbſt für Viele, welche fie fordern, eine Art Z, ein nebelbaftes Gebilde, 
über deffen Zwei, Inhalt und Bedeutung fie fih ganz und gar nidt 





Naturkunde. 321 


Mar find. Wir haben Technologien, vortrefflihe Werke, aber wenn fie 
ihrem Zweck recht entiprechen, dann find fie nicht für Bürgerfchulen, 
fondern für höhere Anflalten, für technifhe Beamte der Regierungen , 
und ähnlihe Leute gefchrieben. Das Wiſſenswertheſte daraus bietet 
fpäter das Leben dem einzelnen Handwerker und zwar weit ausführlicher 
und genauer, als eine Technologie ed darbieten Tann; und was die 
Zechnologie bat, ohne daß das bejondere Gewerbe davon etwas weiß, 
das ift auch für den Handwerksmann von Heberfluß und vom Uebel.’ 

Was der Berfaffer über die Unklarheit in technologifhen Dingen 
und über die Lehrbücher der Technologie fagt, unterjchreiben wir gern, 
da e8 uns fattfam aus Erfahrung bekannt ift, nicht aber das Folgende. 
Ramentlich halten wir den Ausſpruch: „was die. Technologie hat, ohne 
daß das befondere Gewerbe etwas davon weiß, das ift au für den 
Handwerksmann von Ueberfluß und vom Uebel“, für höchſt nachtheilig 
für die Entwidelung der Gewerbe. Um dies darzuthun, brauchen wir 
nur auf die Gewerbe hinzuweifen, welche bei Darftellung ihrer Producte 
chemiſche Proceſſe auszuführen haben. Wonach verfahren unfere gewoͤhn⸗ 
lihen Seifenfieder, Bäder, Bierbrauer, Gerber, Färber, Glasfabrifanten 
u. f. w.? Nach Necevten und abgefehbenen Handgriffen. Und die Folge 
davon ift, daß ihre Producte leicht mißrathen, daß fie ihr Gewerbe trop 
neuer Entdeckungen nicht zu vervolllommnen im Stande find, daher hinter 
dem allgemeinen Kortfchritt zurüdbleiben und endlihd — verarmen. 
Ber als Handwerker heut noch unter dem Banne gegebener Recepte 
ſteht, if verloren. 

Hiermit haben wir die Seite des Gegenflandes berührt, die uns 
als die weſentliche in der Technologie erfcheint: die hemifche. Alle 
Gewerbtreibende, Handwerker wie Fabrifanten, die chemifche Proceſſe 
bei ihren Arbeiten bervorzurufen haben, müſſen in der Schule zur Eins 
ſicht ſoſcher Proceffe gebracht werden, damit fie Diefelben denkend und 
beobachtend zu ihrem und des Publitums Nupen ausführen, nach den 
Sortfchritten der Chemie heilfam ‚verändern koͤnnen Nicht das Geifen- 
kochen foll alfo die Schule lehren, wohl aber ſoll fie Aufſchluß geben 
über die Darftellung der Pottafche, der Soda, der Zettfäuren und ihre 
Verbindung mit Kali und Natron. Ein fo ausgerüfteter Schüler wird 
ein die Seifenfiederei mit Leichtigkeit erlernen und mit Vortheil betreis 
ben. Der Einwand, daß von den jährlich abgehenden Schülern viel 
leicht nur einer oder zwei Geifenfieder werden, Tann bier nicht gemacht 
werden. Die Einficht, welche wir in der Technologie angefirebt zu ſehen 
wänfchen, fommt fehr vielen Gewerbtreibenden zu Statten, if überhaupt 
der Art, daß Jeder, der unfere Zeit verflehen will, fie befigen muß. ' 
> Chemiſche Technologie ıft es alfo, was wir verlangen, oder, um 
allen Mißverftändniffen zu begegnen: eine Chemie, weldhe ein ein» 
fihtsvolles Erlernen und Betreiben der Gewerbe mög» 
li macht. 

Und einen ſolchen Unterricht verlangen wir für jede Stadtfchule, 

3. Ebenfo denen wir über die Landwirthſchaft. Diefer wid 
tige Erwerbszweig hat in neuerer Beit große Kortjchritte gemacht, muß 

Rare, Iahreöberiht. X. 21 


322 Naturkunde. 


aber noch bedeutend gehoben werden. Was er aber jeßt ik, das dankl 
er vorzugsweiſe der Ehemie, der Einſicht von dem Verhältniß, in dem 
Boden, Dünger und Pflangennahrung zu einander fliehen. Wir verlan- 
gen nicht, dag dem Knaben in der Schule das Pflügen, Säen, Ernten 
und Drefchen beigebracht, fondern daß er den Aderboden prüfen lerne 
und mit den chemiihen Beftandtheilen des Düngers, mit dem, was zur 
Nahrung für die verfchiedenen Fruchtarten, für die Hausthiere un. f. w. 
erforderlich ift, befannt gemacht werde. 

Sonach trägt alfo auch die Landwirthickaftstunde weſentlich einen 
chemiſchen Charakter. Und die für die Landwirthſchaft erforbderfiche 
Ehemie fol nicht nur jeder Bauerjunge in feinem leßten Schuljahre 
erlernen, fondern au die Knaben in den Städten mit Landbau, ja es 
ſoll fie jeder lernen, der feine Zeit begreifen will. 

Was in Lauckhardt's „Volksſchulblättern“ als Beſchluß der ‚Dur 
facher evangelifchen Lehrerconferenz“ über den landwirthſchaftlichen Un⸗ 
terricht in Volksſchulen gefordert wird, bleibt zum großen Theil beim 
Aeußexn leben, entipridt Daher den von uns geftellten Forderungen 
nit. Die Herren müffen tiefer in die Sache eingehen und z. B. eins 
mal den ‚Katechismus der Aderbau s Chemie” von Hamm und Std 
hardt's „Feldpredigten“ zur Hand nehmen. 

Erfreulich ift es übrigens, daß man jetzt in verſchiedenen Ländern, 
3. DB. in Weimar, Baden, Heffen, DOefterreich, Unterricht in der Lands» 
wirtbfhaft für die Volksſchulen verlangt. Sf der Gegenſtand erſt als 
nothwendig anerfannt, dann wird man auch nad und nad erfennen, 
worauf e8 der Hauptfahe nad beim Unterricht darin anfommt. Der 
Math einfichtsvoller Männer wird dabei fehr förderlich fein. Dan frage 
Stödhardt, Hamm, Babo u A. 


D. Literatur 


I. Raturkunde im Allgemeinen. 


1. Die Raturwiffenfhaften in ihren Bee ungen zu den materiellen 
und geiftigen Interefjen der Menfchheit, von W. Stein, Prof. der Che⸗ 
mie an der König. polytehn. Echule u Dresden. 8. (38 S.) Dresden, 
G. Echönfeld’s Buchhandlung (E. A. Werner). 1856. 7i/s Sgr. 

Der Inhalt diefes Schriftchens zerfällt in zwei Theile. Der erfle 
Theil weit nah, daß das materielle Wohlergehen die Grundlage für 
die fittliche DVeredlung und die geiftige Erhebung des Volkes if, und 
weſentlich durch die Naturwiſſenſchaften gefördert wird; der zweite dage⸗ 
gen, daß in der harmonifchen Ausbildung der Gemüthsanlagen und der 
Verſtandeskräfte das wahre Glück des Menſchen ruht, zur Eultur des 
Gemüthsiebens aber faum noch ein Unterrichtsgegenftand - fo geeignet 
fei, wie die Naturkunde. Ueber Beides verbreitet fi der Verfaſſer 
ziemlid ausführlich, am ausführlichften über den materiellen Augen der 
Naturkunde. Die Hauptgedanken des zmeiten Theiles haben wir bes 


Naturkunde. 323 


reits oben angezogen und beleuchtet, geben deshalb hier nicht noch⸗ 

mals darauf ein. 

Das Schriftchen verdient gelefen und geprüft zu werden. 

Die Ausſtattung if fehr anſprechend. 

2. Der Materialiemus und die Hriftlihe Volkoſchule. Ein Auf 
ruf an das deutſche Volk und feine Obrigleiten von Theodor Weber, 
Brebiger der reformirten Gemeinde zu Stendal. 8. (50 ©.) Stendal, 
Franzen u. Große. 1856. 8 Ser. 

Der Berfaffer hat es in feinem Schriftchen darauf abgefehen, nad» 
zuweifen, daß die in neuerer Zeit durch ihre naturwiffenichaftlichen Ars 
beiten ſehr populär gewordenen Männer, wie Ule, Müller, Roßmäßler 
u. A., materialiftifche Anfichten verbreiten und dadurch den Glauben an 
Gott und Unfterblichkeit erfchüttern und vernichten. Er fucht dies durch 
Stellen aus den Schriften diefer Männer, namentlih aus den Auffäben 
der „Natur“, zu erweifen, und verlangt dann von den Behörden, diefen 
Leuten das Handwerk zu legen, vor allen Dingen aber den Volksſchulleh⸗ 
ern, diefen Unmündigen, das Lefen ſolcher Schriften fireng zu verbieten. 

Einige obrigkeitlihe Anfragen an Lehrer abgerechnet, haben die 
Behörden durch — Schweigen geantwortet. Möchte fih doch der Bere 
fafler die Behörden hierin zum Muſter nehmen! Außerdem empfehlen 
wir ibm noch, in feinen Mußeftunden etwas Naturwifienfchaft zu treiben; 
fie belehrt auch nach diefer Richtung bin vortrefflih. - 





3. Die Neturlunde in ihrer Beziehung zu den gewöhnlichfien Verhält⸗ 
nifien und Beſchäftigungen des Lebens, des Haushalts und der Feldwirth⸗ 
(haft, zur Bildung rationeller Haus: und Feldwirtbe, ſowie naturfunds 
licher Hausfrauen, Teicht faßlich dargeftellt: von Dr. Ludwig Glaſer, 
Großherzogl. Heſſiſchem Realfchuldirigenten. Mit gabfreichen fiuftratios 

nen. 8. (XII u. 400 ©.) Frankfurt a. M., I. D. Eauerländer. 1856. 


Das Berk befteht aus zwei Theilen, von denen der erfle allges 
weine, der zweite angewandte Raturkunde enthält. Die allgemeine Ras 
turkunde bietet Kolgendes dar: A. Aſtronomie und mathematifche Geo⸗ 
grapbie. B. Phyſitkt. C. Phyfikaliſche Beographie und Meteorologie. 
D. Ehemie. E. Der thieriihe Organismus und das thierifche Leben. 
F. Die Organe und Berrihtungen der Pflanzen. Die angewandte 
Naturkunde behandelt: A. Gefhäfte und BVerhältuiffe des Hauſes. B. 
Berhältniffe des Gartens und Feldes. Ein Anhang enthält eine über 
fichtliche Zuſammenſtellung der Maße und Gewichte. 

Das Berl fol ein „Vollsbuch“ fein, zugleih aber auch „den 
weiblichen Grziehungsanftalten der gebildeteren Klaſſen“ dienen. Wir 
hatten daffelbe weder für den einen, nod für den andern Zweck taug⸗ 
ih. Das Material der erfien Abtheilung iſt zwar an und für fi 
‚ein wiffenswerthes, aber es ift durchweg nicht in der Form dargeboten, 
die allein für das Volk paſſend if. Statt von einfachen Verſuchen 
und Bahrnehmungen auszugehen und aus dieſen die Gefehe überzeu- 
gend zu entwideln, Felt der Berfaffer diefe an die Spitze und bringt 
Zaun einige Beilpiele zur Erläuterung. Das iſt weder anziehend, noch 


21” 


324 Naturkunde. 


anregend. Die zweite Abtheilung iſt etwas populärer gehalten, bringt 
aber dafür wieder Manches zur Sprache, was das Leben überall ohne 
Mühe ſelbſt lehrt. Jedenfalls würde eine innige Verſchmelzung beider 
Theile ein viel beſſeres Buch gegeben haben, als es hier vorliegt. Wir 
verweilen auf Schödlers „Buch der Natur“, ganz beſonders aber, 
was den rechten Ton für die Darftellung anbelangt, auf die oben ans» 
gezeigten Schriften von Bernflein. Zum Bolksfchriftfteler haben aber 
nicht Alle die nöthige Begabung. 
4 Das Bud der Natur oder das Wiffenswürdigfte aus allen Gebieten 
der Naturwiflenfhaften für die Gebildeten aller Stände. Dargeſtellt von 
8 Dollard, Dr. med. und Prof. der Naturgeſchichte. Ein von der 
efelfchaft der chriſtlichen Moral in Paris gekröntes Werl. Aus dem 
Kranzöfifhen überfept don A. v. 9. Neue wohljeile Ausgabe. Mit 
einer Vorrede von uard Riehm, Lic. theol. und Barnifonsprediger 
in Eannbeln. 8. (XVI u. 630 ©.) Ludwigsburg, Ferd. Richm. 1856. 
Der Vorredner Hält dies Werk feines „religiöſen Elementes’' we⸗ 
gen für befonders geeignet, die fhädlichen Wirkungen der Schriften zu 
befeitigen, weldhe, wie Bühners „Kraft und Stoff’, „ben gröbften 
Materialismus lehren.’ Um diefen Zwed zu erreichen, müßte das Bud 
eine ganz andere Anlage, ja einen ganz andern Inhalt haben; es müßte 
direct eingehen auf die gegnerifche Anfiht und das Falſche derſelben 
nachweiſen; dürd ein bloßes Hinweiſen „auf die weife Ordnung und 
einheitlihe Zwedmäßigfeit in der Schöpfung‘, worauf der Verfafler ſich 
nach diefer Richtung hin befchränkt, wird wenig erreiht. Wie das 
Buch vorliegt, entfpricht es nur fehr befcheidenen Forderungen. Die 
Darftellung ift zwar populär, aber nicht anfchaulih, nicht entwidelnd 
genug. Bon dem Inhalte fagt der Vorredner, der Berfafier habe nur 
„feſtſtehende Thatfachen‘’ vorgetragen, während die Materialiften „viel 
fah das unredliche Mittel gebrauchten, fehr beflrittene Hypotheſen vor 
dem Volke als unbezweifelte, feſtſtehende Thatfachen vorzutragen.” Das 
fönnen wir leider nicht beflätigen; wir müffen vielmehr erfiären, daß 
der Inhalt des Buches in vielen Theilen völlig veraltet if, mit den 
neueren Forſchungen geradezu in Widerfpruh flieht. Gleich Seite 11 
wird von den Atomen behauptet, daß man fie zwar ihrer außerordent⸗ 
lihen Kleinheit wegen felbft durch das befte Mifroflop nicht fehen, wohl 
uber dur den Geruch wahrnehmen koͤnne. Das ift gleich eine fehr 
ſtarke, durch Nichts zu ermeifende Behauptung. Bon dem, was der 
Verfaſſer über die Organifation der Pflanzen fagt, find drei Viertel nicht 
mehr wahr. Bon folhen Büchern läßt fi eine Wirkung, wie die an⸗ 
gegebene, nicht erwarten; fie find zu nichis weiter gut, als zu Macus 
latur. Der Herr Licentiat hat fi durch feine Empfehlung des Buches 
nicht als Raturkundiger zu erkennen gegeben und von Neuem den Bes 
weis geliefert, daß es nicht wohlgethan ift, fih mit Sachen zu befaffen, 
die man nicht verfleht. 
5. Die Dreieintgkeit der Kraft. Ein Beitrag zur näheren Erkennt⸗ 
ntß Gottes in feiner materiellen Schöpfung. Kür die Gebildeten aller 
Stände, befonders auch des fchönen Geſchlechts. Bon Prof. Dr. M. Ohm, 








Naturkunde. 325 


gr 8 345 S., mit In Stahl geſtochenem Titel.) Nürnberg, 
ern. gm 4. 2 Thlr., in engl. Cinband 2!/, Thlr, 


Der Titel Mingt ein wenig dunkel, der Inhalt ſelbſt iſt dafür defto 
Marer: Die Dreieinigfeit der Kraft it dem Berfafler die Anziehunges 
kraft, die Wärme und die Polarfraft. Hieraus erflärt ex die Haupters 
fheinungen auf der Erde und bringt fie nach der Zahl feiner Vorle⸗ 
fungen in folgende Gruppen: 1. Bom Stoff und von der Materie 
überhaupt. Die vom Stoff unzertrennliche Anziehungsfraft. 2. Einige 
Folgen der Anziehungstraft. Schwere. Gewicht. Das Fallen der Körper. 
Das Fliegen der Gewäfler. Beflimmungen der Stoffmengen. 3. Weitere 
Solgen der Anziehungskraft. Bewegung der Planeten um die Sonne, 
und der Monde um ihre Planeten. 4. Weitere Folgen der Anziehungs» 
fraft. Fluth und Ebbe. Nothwendige Geftalt der tropfbar»flüffigen Körs 
yer. Büdung fehler Körper. 5. Entferntere Folgen der Anziehungskraft. 
Baflerdrud. Quellen. Arteſiſche Brunnen. Erdbrüde. 6. Der Luftdrud, 
eine nothwendige Folge der Anziehungskraft. Das Barometer. 7. Die 
vom Stoffe unzertrennlihe Dehnkraft ale Wärme. Das Thermometer. 
8. Freie und gebundene Wärme 9. Frei leitende und freie ftrahlende 
Bärme. 10. Nähere Beflimmung des Begriffs der Dichtigkeit und des 
Eigengewichts der Stoffe. Einige allgemeine Geſetze der Kräfte Schwer⸗ 
punft. 11. Die Wärme als Urſache der Winde und des Wetters. Wie 
die klimatiſchen Berhältniffe fich geftalten würden, wenn die Erdachſe 
auf der Ebene der Erdbahn ſenkrecht flünde 12. Wie die durch die 
Sonnenhige veranlaßte Witterung bei der wirklichen, etwas gegen die 
Ebene der Erdbahn geneigten Lage der Erdachſe gegen die Erdbahn ſich 
geftalten muß. 13. Die Wärme in Berbindung mit der Anziehungss 
kraft ala Urſache der Meeresfirömungen. 14. Die Polarkraft in ihren 
Erfcheinungen als Magnetismus und Elektricität. 15. Die Polarkraft 
in ihrer Erſcheinung als Galvanismus. 16. Chemiſche Eigenſchaften 
des Stoffes in Folge der Polarkraft. 17. Fortſetzung der chemiſchen 
Betrachtungen. Organiſche Stoffe. 18. Von den Veraͤnderungen, welche 
der Erdkorper fihtbar erleidet und bisher erlitten bat. 19. Frühere 
größere Wärme auf der Erdoberflähe. 20. Das Zufammenwirken der 
drei, dem Stoffe innewohnenden Kräfte iſt die wefentliche Urſache der 
jeßigen Gefalt der Erde und der Mevolutionen, welche fie feit ihrer 
Erſchaffung hat durchmachen müffen. 21. Verſuch eines Gemäldes der 
Erdbildung und der Entflehung des Planetenſyſtems, wie foldhe den 
drei wirkenden Kräften gemäß fatifinden konnten und mußten. 


Die Borlefungen find,. wie der Berfafler verfichert, wirklich gehals 
ten worden und waren für ein gemifchtes Publikum beflimmt; der Vers 
faffer durfte daher fo gut wie gar feine naturwiffenfchaftlichen Vorkennts 
niffe vorausfegen. Dadurd haben diefelben allerdings für den, der 
mit den Gegenfländen vertraut ift, eine gewiffe Breite, deutfche Gründ« 
lichkeit befonmen, nicht aber für Uneingeweihte, für die fie ja auch nur 
beſtimmt find. Wir koͤnnen das Werk Lehrern und andern Gebildeten 
als ein recht gutes empfehlen. Die Ausſtattung iſt ſchoͤn. 


w— — [Tr Te 


326 Naturkunde, 


6. Der Erdlörper, ein fosmifhes Ganzes. Für Sebildete in all⸗ 
gemein faßlichen Umriſſen gefhildert von Dr. Suido Sandberger, Gym⸗ 
nafiallehrer in Wiesbaden. Mit 29 naturgetreuen Holzichnitten von Franz 
Duerbah und 5 angehängten lithographirten Täfelchen. gr. 8. (VIII 
u. 151 ©.) Hannover, Sahn. 1856. 1 Thlr. 

Inhalt: 1. Aufgabe. Natur. Raturwiffenfhaft. Gliederung 
derfelben. 2. Geologie. Erdball, als Weltkörper. Hauptmaflen. Orga⸗ 
nismen. Entwidelungsgefchichte des Erdkörpers und feiner Organismen. 
3. Aftronomifche Srundlage. Allgemeines über Erdkern, Gewäller und 
Luftfreis. A. Das Feſte. Seine Gliederung. Form von Gebirgen und 
Ihälern. 5. Wafler und Luft. Wärmeverhältniffe. Heiße Quellen. Buls 
kane. Magnetifche Erfheinungen. Nordlicht. Meeress und Luftfirömuns 
gen. Wäfferiges und euerflüffiges. Wechfelbeziebung und Bedeutung 
diefer beweglihen Maffen für Pflanzen» und Thierwelt. 6. Gefleine. 
Berfchiedenartigfeit. 7. Alter der Gefleine. Geologifhe Chronologie. 
Hauptepochen des Erdballd. Die Organismen, ihre Unterfheidung von 
den Mineralin. 8. Die Organismen der Jetztwelt. Bedingung ihrer 
eigentbümlichen Entfaltung und Berbreitung. Die Leitverfieinerungen 
der geologischen Epochen. 9. Der Menſch, als Naturweſen und in jeis 
ner höheren Bedeutung. Sprache, Cultur, Geſchichte, Religion. Unfere 
irdifche Schranke. Wiſſenſchaft. 

Diefe Schrift behandelt ihren Gegenftand, mie man fieht, allfeitig, 
doch etwas gedrängt. Der Lefer wird nicht, wie in dem vorhergehenden 
Werke, fo ganz allmählich und mit der für ein volles Verſtändniß erfor« 
derlihen Ausführlichkeit in die Sache hineingeführt, fondern es wird 
ihm vorweg gefagt, was fommen foll, worauf es abgefehen fei. In diefem 
Sinne iR auch die Einleitung („An den Leſer“) und das ganze erfte 
Kapitel gehalten. Das iſt die dogmatifirende Methode der Gelehrten, 
für Anfänger weder beliebt, noch geeignet. Dod wünſchen wir, daß 
fih daran Niemand floßen möge, der Inhalt des Buches iſt qut und 
intereffant; viele Bartien find auch durchaus anſchaulich dargeſtellt. Die 
beigegebenen Abbildungen find nach Auswahl und Ausführung zweckmä⸗ 
fig. Die Austattung if tadellos. 


7. Prof. P. Harting's Skizzen, aus der Natur. Aus dem Hollän⸗ 
difchen überteßt von 9. €. y Martin. Mit einem Borworte don Dr. 

M. 3. Schleiden, Prof. in Jena. gr. 8. IL (XIV u. 103 S., wit 

18 Holzſchninten umd einer litbograpbirten Tafel). IL. (X u. 167 S., mit 

16 Sofafänitten und einer lithographirten Tafel). Leipzig, W. Engels 

mann. 1854 u. 1857. 22/2 Sgr. und 24 gr. 

Das erſte Bändchen enthält folgende vier Abhandlungen: 1. Der 
Pflanzenwuchs in den Tropengegenden. 2. Der Hagel. 3. Das Leuch⸗ 
ten der Thiere. A. Etwas über Fiſchzucht. Das zweite ſechs: 1. Die 
fernfte Bergangenheit und die fernfte Zukunft. Ein Blid in die Schö⸗ 
yfung des Weltalle. 2. Die Mineralien. 3. Das fhlummernde Leben. 
4. Waſſertropfen. Sfizzen nad dem Leben. 5. Kork und Korkbildung. 
6. Der Wunderbaum im Haarlemer Holz. 

Diefe beiden Bändchen bilden ein würdiges Seitenftüd zu der im 
6. Fahrgange von und angezeigten und empfohlenen „Macht des 


Naturkunde. IRY- 


Kleinen. Der Verfaſſer if Naturforfcher von Fach, glüdliher Beob⸗ 
achter, Barer Denker und gewandter, geiftreicher Schriftfleller. Dabei 
iſt ihm das Berfahren eigen, den Lefer jo recht allmählich mit dem 
Gegenſtand befannt zu maden, volllommen gründlich, aber ohne allen. 
Gelehrten» Kram. Das nterefle, was die bearbeiteten Gegenflände an 
und für fih fchon haben, wird durch diefe Behandlungsweife noch bes 
fonders erhöht. Was der Berfaffer über den Hagel fagt, darf als das 
Bedentendſte bezeichuet werden, was feit langer Zeit über diefen ſchwie⸗ 
rigen Gegenſtand geichrieben worden if. Die Abbildungen find ausges 
zeichnet, wie die ganze Ausflattung des Werkes, das wir hiermit weis. 
teren Kreiien beſtens empfehlen. 


8. Raturftudien. Skizzen aus der Pflanzen» und Thierwelt von Dr. 
Serm. Maftus. Bmsite Sammlung. br. 8, (X u. 218 ©.) Leipzig, 
Fr. Brandfletter. 1857. 11, Thlr. 

Für Freunde äfbhetificender Naturfchilderungen genügt es, das Er⸗ 
ſcheinen diefer Fortfegung der fehr bald beliebt gewordenen „Natur⸗ 
Audien‘ anzuzeigen. Der Berfafler bietet in denfelben dar: I. Rord⸗ 
deutfche Begetationsbilder: Die Wieſe, die Haide, der Nabelwald, ber 
Sanbwald, das Kornfeld. 11. Bilder aus der Thierwelt: Das Kameel, 
das Glennthier, das Pferd, die Kape, der Walflich, der Floh. HL Am 
Se. IV. Wenn der Herbft kommt. Keine diefee Arbeiten fleht den 
früheren nah; man wird fie mit Bergnügen lefen, auch die durchweg 
bumeriftifhe über den Floh. Kür die Schule wird man von feiner 
Diefer Schilderungen directen Gebrauch machen Fönnen, ber Lehrer fie 
aber- fiber mit Nutzen für die Schule lefen. 

Die Ausfattung des Buches iR fchön. 


9. Unterhaltungen aus der Natur. Herauögegeben unter Mitwirkung 
der Herren 3. Baßlinger, H. Bolze, A. Clemend, %. Cohn u. U. von 
Defterreihifhen Lloyd in Trief. Mit Iluftrationen im Holzs 
f&nttt. 6. Lieferung. (4 Bogen Imp.24.) Trieft, Literarifch » artiftifche 
Abtheilung des Oeſfterreichiſchen Lloyd. 1856. Ys Thlr. 

Die erfien fünf Lieferungen biefes Wertes haben wir im vorigen 
Jahrgange angezeigt und unfern Lefern beſtens empfohlen. Es genügt 
daher, bier zu bemerken, daß diefe Schlußlieferung folgende drei Auf⸗ 
füge enthält: Das Ei des Columbus, von M. K. (hierzu eine Figuren, 
Zafel in Farbendrud). Die thierifhe Wärme und die Kleidung des 
Menſchen, von Dr. A. Clemens. Die Hauptumriffe des Baues und der 
Entwidelungsgefchichte unferer Erdrinde, von Prof. Albert Müller. — 
Alle drei beiehren in anfprecgender Form. 

10. Das Keben des Meeres. Eine Darftellung für Gebildete aller Stände 
ven Dr. Georg Fartwi „ Badearzt in Oſtende. Zweite unveränderte 
Auflage. gr. 8. (VI u. 415 ©.) Frankfurt a. M., Meidinger Sohn u. 
Comp. 1857. 1 Thlr. 22 Ser. 

"Dies Verl zerfällt in drei Abtheilungen, von denen bie erfte „bie 
phyſiſche Geographie des Meeres’ in 5 Kapiteln, die zweite „die Bes 
wohner des Meeres’ in 16 Kapiteln umd die dritte bie „Geſchichte der 
Gutöellungsreifen zus See bis auf die neueſte Zeit’ in 5 Kapiteln, 


328 Raturkunde. 


behandelt. Der Berfafler befpricht die Gegenftände feines Gebietes mit 
Liebe und großer Sachkenntniß und Hat fih zugleich bemüht, die Dars 
ſtellung anziehend zu halten. Die erfte Abtheilung ift eine zwar nicht 
erihöpfende, aber das Bedürfniß gebildeter Lefer ganz befriedigende 
Raturgefchichte des Meeres; die zweite, den Saupttheil des Werkes bil- 
dende, behandelt die Bewohner des Meeres, vom riefigen Wallfiſch bie 
zur mifroffopifchen Foraminifere, und ebenjo die Seepflangen. Die 
große Muffe der organifchen Gefchöpfe machte natürlih eine Auswahl 
nöthig; dieſe if fo getroffen, daß in allen Klaſſen das Intereſſanteſte, 
für den Menſchen Wichtigſte hervorgehoben und ausführlicher dargeftellt 
wurde als Nebenfächliches. Viele der hierher gehörigen Partien find 
ganz vorzüglich gelungen und werden mit Bortheil auch in der Schule 
benugt werden können, ganz abgefeben davon, daß fie fih dem Lehrer 
an und für fih zum Studium empfehlen. Die dritte Abtheilung zeigt 
in ebenfalls anjprechender Weife, wie der Menfch allmählich mit der 
Größe und den Grenzen des DOceans befannt geworden if, wobei 
natürfih auch der neueften Reifen Franklin's und Kane's gebührend 
gedacht wird, 

Bir Lönnen verfihern, das Werk mit voller Befriedigung gelefen 
zu baben. 

Die Austattung iſt fchön. 
11. Die gefammten Naturwiffenfhaften, populär dargeftelt von 


Dippel, Gottlieb, Koppe, Kottner, Mädler, Mafius, Moll, Naud, 
Mögetatd, Duenftedt, v. Rußdorſ. gr. 8. ©. D. Bädeker in Eſſen. 


Bon diefem Werke Liegen und nur bie beiden erften Lieferungen 
vor, und diefe find fo gut wie gar nicht geeignet, einen Schluß auf 
das Spätere machen zu laffen, da es Koppe, der den Inhalt geliefert, 
nicht fonderlich gelungen ift, fih von dem Gange und Tone feiner bes 
Tannten „Anfangsgründe der Phyſik“ loszumachen, was für ein Werk, 
wie es bier beabfihtigt wird und zu dem Mafius die Einleitung 
ſchreiben foll, durchaus erforderlih war. Wir erwarten indeß mit eini⸗ 
ger Sicherheit, daß wenigſtens der größere Theil der übrigen Mitarbeiter 
einen glüdliheren Weg einfchlagen und den Ton beffer treffen werde; 
glüdt das, fo wird das größere Publitum ein Werk erhalten, durch 
welches es fih in geiſt⸗ und berzerfreuender Weife mit den wichtigften 
Raturerfcheinungen, Raturförpern und Erfindungen befannt machen kann. 
In einzelnen Theilen if diefe Aufgabe von andern naturwiflenfchaftlichen 
Schriftſtellern ſchon gelöft worden, in einem das ganze Gebiet umfaffen- 
den Werke noch nicht. 

Das ganze Werk wird aus drei Bänden, mit etwa 500 Abbils 
dungen, beftehen und in circa 20 Lieferungen, A 10 Sgr., bis Ende 
1857 vollſtaͤndig erſcheinen. 

Alerander v. Humboldt hat geſtattet, ihm das Werk zu wid⸗ 
men. Nach dem vorgedruckten Briefe erwartet derfelbe, daß „die begon⸗ 
nene Schrift ein Gegengift fein wird für die vielen inhaltleeren popu⸗ 
Hiren Schriften, mit denen Deutſchland mehr als die Nachbarſtaaten 


Naturkunde. 329 


Überfgwennmt iR, im denen freilich „„die Begeiſtigung bes Tannenhol⸗ 
zes’ fi auch forterhält.‘‘ 

Bir kommen im nähftlen Bande ausführlih auf das zeitgemäße 
Unternehmen zurüd und bemerken nur noch, daß die Ausflattung der 
vorliegenden Lieferungen ſehr fhön if. 


II. Raturgefeichte. 
a. Kür Lehrer. 
1. Anthropologie 


A. Abbildungen. 


12, Raturgefhihte für die Volksſchule. Mit über 230 colorirten 
Abbildungen. Tafel I—X und volftändigem Abriß der Naturgefchichte 
aller Drei Reihe. Herausgegeben von Johannes Stangenberger. Neu⸗ 
Ruppin, bei Dehmigfe und Riemfäneider. 24 Sgr. 

Der „vollkändige Abriß der Raturgefchichte aller drei Reiche‘, den 
ber Zitel verheißt, ftebt auf drei Seiten des Umfchlages und umfaßt 
nicht nur die drei Reiche, fondern auch ‚Bau und Natur des Men- 
fen”, und giebt zum Schluß fogar noch Anweiſung zum Anlegen „na⸗ 
turgefhichtliher Sammlungen‘, wobei e8 dem Berfafler begegnet, von 
Ehmetterlingsfammlungen und Infettenfammiungen in gefon- 
derten Abſchnitten zu reden. 

Die Abbildungen haben eine fehr mäßige und daher nicht weit 
erfennbare Größe, find vielfach incorreet und ohne alle Aus» 
nahme Fehr Thleht und falfh colorirt. Gchnabelthier und 
Hamfter, die neben einander fleben, find z. B. mit ein und bderfelben 
Farbe angeftrihen, der Hamſter ganz einfarbig. 

Bir warnen hierdurch ausdrüädiih vor dem Gebrauche 
biefes Werkes, 

Nikroſkopiſche Pflanzenbilder zc. von Breidenſtein. Siehe unter: 
„3. Botanik.“ 


B. Schriften mit und ohne Abbildungen. 


13. Der menſchliche Körper. I. Abtheilung: Kenntniß deſſelben. Don 
Theod. Leonhardi⸗Aſter, Dr. med. und pralt. Ar und J. €. Jadel 
Schuldirector in Dresden. Mit Abbildungen. II. Abtheilung: Pflege deie 
felden. Bon Rudolph Walther, Dr. med. und praft. nt in Kreis 
berg, und I. €. Zadel. 8. (I. Abth. V u. 111 ©., II. Abth. VI u. 
124 S.) Leipzig, Zul. Klinkhardt. 1856. Jede Abth. 7% Ser. 

Dies Berk kann nad Anlage und Ausführung als zweckmaͤßig 
begeichnet werden. In der erften Abtbeilung ift die Anordnung im 
Ganzen die gewöhnliche. Die Darfellung befchräntt fih der Hauptfache 
nah auf die Anatomie; die Phyfiologie iſt ausgefchloffen worden, was - 
wir bedauern, da fie gerade ein befonderes Intereſſe darbietet, Antwort 
giebt auf Die intereffanteften Erfcheinungen. Da das Buch auch in 
der gegenwärtigen Geſtalt nicht für den unmittelbaren Unterricht bes 
rechnet if, fo hätte diefe Seite des Gegenflandes nicht unberüdfiche 


230 Raturkunde. 


tigt bleiben follen. Cine bloße Kenntniß der Theile des Körpers if 
nur eine halbe Kenntniß. 

De gweite heil iſt folgendermaßen gegliedert: 

I. Abſchnitt. Bon den auf den Körper und fein Wohlſein von 
Außen wirkenden Einflüſſen. 
1. Kapitel. Die Nahrungsmittel. 
2. Kapitel. Der Wohnort nnd die Wohnung. 
3. Kapitel. Die Kleidung. 
II. Abfchnitt. Bon dem Verhalten im gefunden und beziehend« 
lich kranken Zuftande des Körpers. 
1. Kapitel: Die Pflege der einzelnen Organe und Syſteme. 
2. Kapitel. Bon der Ruhe und Bewegung. 
3. Kapitel. Bon der Gewöhnung und den Gewohnheiten. 
111. Adfchnitt. Bon der Krankheit. 

Diefer Theil iſt recht praktiſch gehalten; der Lehrer wird daraus 
viel guten Rath für Rh, feine Schüler und feine Gemeindeglieder ers 
halten. Ueber die beiden Hauptklaſſen der Nahrungsmittel, die ſtickſtoff⸗ 
Haltigen und ftidftofflofen, Hätten die Berfaffer im Sinne Liebigs etwas 
ausführlicher werden koͤnnen. 


2. Zoologie. 


14. Anleitung zum Studium der Thierwelt. Bon E. A. Roß⸗ 
mäßler. Äls dritte gänzlich umgearbeitete Auflage von des Berfaflers 
„Spyftematifche Ueberficht des Thierreiche.” gr. 8. (VIII u. 560 es) 
Leipgig, Arnold'ſche Buchhandlung. 1856. 22% Thlr. 

Die erſten 24 Bogen diefer Schrift find bereits 1847. erſchienen, 
enthalten alſo nicht überall die neueren Entdeckungen. Dem vorange⸗ 
henden allgemeinen Theile (&. 1 — 207) if hierans fein Nachtheil ers 
wachen, den niederen Thieren im Ganzen auch nur fo weit, als es die 
Klaſſifikation betrifft; indeß find auch bier die mittlerweile eingetretenen 
Aenderungen bereits genügend angedeutet. Alles Uebrige entſpricht dem 
gegenwärtigen Standpunkte der Wiffenfchaft. 

Bor ähnlichen Werfen zeichnet fih das vorliegende befondere durch 
feinen allgemeinen Theil aus, der fo ausführlich und dabei fo Mar if, 
daß der Lehrer durch denfelben ganz vertraut wird mit der Organifa- 
tion der Thiere. Im befondern Theile if Kberall fo viel gegeben, als 
für das Verſtändniß der Klaſſen, Ordnungen, Bamilien, Gattungen und 
verbreitetften Arten erforderlich if. Das Werk eignet fih daher ganz 
befonders für Diejenigen, welche es auf eine möglich gründliche Ueber» 
ht vom ganzen Zhierreich abfehen, ſonach wielleicht auch als Leitfaden 
für die oberen Klaſſen höherer Schulanftalten. 


15. Verſuch einer Einführung In das Studium der Koleoptern. 
Don Dr. Ludwig Imboff, In zwei Theilen und einem 25 Zafeln litho⸗ 
grapbirter Abbildungen ne f Text enthaltenden Anhange. Ler.»8. (XXXI, 
114 u. 272 ©.) Baſel, Bahnmaier. In Comm. 1856. 4'/s Ihlr. 


Dies Werk beſteht aus einem allgemeinen und einem beſonderen 
Theile. Der erſtere bringt die allgemeinen Verhaͤltniſſe der Käfer im 


Naturkunde. 931 


ausführlicher, doch nicht breiter Weife zur Sprache und handelt im erfien 

Abſchnitt von dem Verhältniß der Käfer zum Menſchen und zur übris 

gen Natur, im zweiten von der Gefalt, Organifation und Lebensvers 

rihtung derfelben, im dritten von deren foflematifcher Stellung. Der 
zweite diefer Abſchnitte if natürlich der bedeutendſte; er enthält Alles, 
was zu wiflen nöthig if, um fich erfolgreich an das eigene Unterſuchen 
der Käfer begeben zu können. Um den Anfänger bei den fo fchwierig 
zu ertennenden, für die Unterjcheidbung der Gattungen aber fehr wichtis 
gen Freßwerkzeugen nicht in Ungemwißheit zu laffen, find zwei Zafeln 
Abbildungen beigegeben worden. Es würde nicht unzwedmäßig geweſen 
fein, wenn der Berfaffer auch die mancherlei Modificationen des Mittels 
leibes bildlich dargeſtellt hätte. Der zweite Theil enthält eine ſyſtema⸗ 
tifche Meberfiht der Käfer. Die ganze Ordnung (Klaſſe) wird in Ser 
fionen, Bamilien und Gruppen gegliedert und jede diejer Ubtheitungen 
ausführlih charakteriſirt. Zum Verſtändniß diefer Charakterifif dienen 

die im Anhange gegebenen Abbildungen. Auf 25 Zafeln find 661 

Gattungsrepräfentanten dargeftellt, in Umriflen natürlih, aber fo das 

rakteriftifh und correct, daB fie auf den erften Blid erkannt werben. 

Wie bei der Charakteriſtik ſelbſt, fo find aud in den Abbildungen die 

Käfer der ganzen Erde in Betracht gezogen. 

Bir freum uns, das Wert als ein bedeutungsvolles, für alle 
Freunde der Entomologie und namentlich der Käfer ſehr brauchbares 
bezeichnen zu koͤnnen; wer daſſelbe gründlich durcharbeitet und die Abs 
bildungen fleißig betrachtet, Tann getroft an das fpecielle Studium der 
Käfer nah Erichſon, Burmeiſter, Redtenbacher u. U. gehen, ohne bes 
fürdten zu müflen, daß er hülflos darin fleden bleiben wird. Die 
Austattung ift gut, ber Preis für das Dargebotene fehr mäßig. 

36. Käferfauna für Nord- und Mitteldeutfhland, mit befonderer 
Rückſicht auf die preußifchen Mbeinlande. Bon M. Bach, Lebrer an der 
böberen Stadtfhule zu Boppard. 3. Band. 1. Lieferung. Bogen 1—9, 
Coblenz, 3. Hoͤlſcher. 1856. Geh. 28 Sgr. 

Den erfien und zweiten Band diefes Werkes haben wir bereits in 
den früheren Jahrgaͤngen angegeigt und als fehr brauchbar zum Stu⸗ 
dium der Käfer durch eigene Unterfuchung empfohlen. Die vorliegende 
erſte Lieferung des dritten Bandes enthält die Cerambieinen, Donacien 
und den größeren Theil der Chryfomelinen. Das Einzige, was wir 
an dem Werke auszuſetzen haben, ift fein fehr langfames Ericeinen. 
Bir empfehlen dem Verfaſſer wie dem Berleger, fich nicht gar fo fehr 
von dem bereits in zweiter Auflage erfcheinenden „Redtenbadher‘ 
überholen zu laffen. 

17. Raturgefhiähte der Inſekten Deutfhlands Begonnen von 
Dr. er on, —2 von Di ‘ . Schaum, 6 Kreaatz 
und H. v. Kieſenwetter. Erſte Abtheilung: Colespiera. Erſter Band, 
Bogen I—1?. Zweiter Band, Bogen 1—24. Vierter Band, Bogen 1—11. 
Berlin, Nicolai'ſche Buchhandlung. 1856 u. 1857. 4 Thlr. 

Bas der talentvofle, viel zu früh für die Wiſſenſchaft geftorbene 
Crichſon begonnen, ſetzen drei feiner Sreunde fort. Die neuen Verfaſſer 


832 Naturkunde, 


find Tängft als bebentende Entomologen bekannt; das Publikum barf 
daher ihre Arbeiten mit dem vollftien Vertrauen entgegennehmen. Schaum 
hat die Bearbeitung des erfien, Kraah die des zweiten, Kiefenwetter die 
des vierten Bandes übernommen; der dritte Tiegt bereits vollendet vor. 
Eine raſche Vollendung des Werkes iſt zugefagt und Iäßt fi von diefen 
Kräften mit Sicherheit erwarten. Gelänge es, aud für die übrigen 
Abtheilungen der Infelten ſolche Kräfte zufammenzubringen, fo würde 
Deutfhland ein Werk erhalten, wie feine andere Nation es aufzuweifen 
‚bat. Möchte diefer Wunſch in Erfüllung geben! 


18, Zoonomiſche Briefe Allgemeine Darftellung der thierifchen Orga 

nifation. Bon Prof, Dr. gem. Burmelifter. fi 8. 1. Theil. (VIII 

u. 367 ©.) 2. Theil. (A u. 470 ©.) Leipzig, O. Wigand. 1856. 

Als Ihle. | 

Diefe beiden Theile umfaflen die niederen Thiere, mit Ausſchluß 
der Inſekten, und entbalten Alles, was bis zum Erfcheinen berfelben 
mit Sicherheit unterfuht und ermittelt worden war. Das Werk fließt 
alfo einmal ab und bietet Alles überfichtlich dar, was in den verfihies 
denfien ins und ausländifchen Zeitfchriften und theuern Werfen bis 
dahin niedergelegt war. Wie dankenswerth eine folhe Arbeit ik, na⸗ 
mentlih wenn fie aus der Feder eines Mannes, wie Burmeifter, kommt, 
braucht nicht erſt sera! zu werden; fle wird vielfach Anlaß zur Revi⸗ 
fion der vorhandenen Lehrbücher geben, namentlich auch der für Schulen 
befimmten. Um Lebteres möglich zu machen, hatte Profeffor Oscar 
Schmidt in Krakau ſchon vorher in einem Deſterreichiſchen Schul 
blatte für Gymnaſien, deſſen Zitel uns leider nicht befannt ik, kurz 
zufammengeftellt, was für die niederen Thiere als zuverläffig zu betrach⸗ 
ten fei. Möchte er darin von Zeit zu Zeit fortfahren, aber dafür fors 
gen, daß feine Arbeiten zugänglicher werden. Wir verdanken feiner 
Freundlichkeit einen befondern Abdrud feiner Arbeit. 

19. Skizzen aus der niedern Lebenswelt des Waffers, von Au- 
uf ÖRenzel. gr. 4. (23 S. mit 1 lithographirten Tafel Abbildungen.) 

Birig beim Verfafſſer. 1857. Preis mit 5 Dagl gehörigen Präparaten in 

tut 1 Ihr. 6 Sgr., mit 6 Präparaten 1 Thlr. 11 Sgr. 

In diefen „Skizzen“ behandelt der Verfaſſer die Wurzelfüßer (Rhi- 
zopoda), nfuflonsthierhen (Infusoria), Kieſelſtäbchen (Baecillariac) 
und Waflerfhwämme (Spongiae), alſo lauter Gegenflände, über die es 
in weiteren Kreifen, auch in der Lehrermwelt, noch an richtiger Erfennts 
niß fehlt. Die Darftellung if populär, felb der etwas reiferen Ju⸗ 
gend verfändlih, und Tiefert uns abermals einen Beweis von den ums 
faffenden naturwiffenfchaftlihen Kenntniffen des Verfaffere. Nach feinen 
und anderer Raturforfher Anfichten müffen die Waflerfhwäume, zu 
denen befanntlih auch unfere zum Abwifchen benupten Zafelfhwämme 
gehören, dem Thierreiche beigezählt werden. 

Die beigegebenen Präparate dienen als Belege zu der fchriftlichen, 
ſchon dur recht gute Abbildungen erläuterten Belehrung. Sie And 
eben fo fauber als inftructiv. Eins dieſer Präparate enthält Infufos 
vien, und hiermit hat der Herausgeber bewiefen, was man bei natür« 


aturkunde. 333 


Uchem Geſchick, Uebung und Uusdauer zu leiſten vermag. Denn bie 
jegt war es wohl noch Riemandem gelungen, weiche Infuſorien zu läns 
gerem Gebraudy zu präpariren. Schon diefes Umſtandes halber verdie- 
nen die dargebotenen Präparate die größte Beachtung. Sie enthalten: 
Polythalmien aus den Tegeln des Tertiärbedens von Brünn. 
Meteor» oder Himmelspapier aus Litthauen. 
Bacillarien aus dem Bergmehl von Wildſtein bei Franzensbad. 
heile von Bafferfhwämmen, nämlich ein Städ Nepgerüf mit 
eingebetteten Nadeln vom Capo das Agulhas, und Stnöspchen 
(Gemmulae) und Schwammnadeln (Spienla) von Florida, 2 
Bräparate. 
Ophrydium versatile, grünes Gallertglödchen (Infuforium). Dies 
Präparat fehlt, wenn man nur 5 derfelben verlangt. 


8. Botanik. 


20. Mitroftopifhe Pflanzenbilder in fehr flarker Vergrößerung zum 
Gebrauche bei dem linterrichte in der Botanik, nebft einem Grundriß der 
Anatomie und Phnflologie der Pflanzen zur Erläuterung der Abbildungen 
von W. Breidenftein. 42 Tafeln mit 75 Figuren, davon 16 in Far⸗ 
bendrud. gr. 4. (I uw. 15 ©. mit chromolith. Zitel). Darmfladt, J. 

PH. Diehl. 1856. 2 Thlr. 12 Gar. 


Was meine „Hauptformen der Außern Pflanzenorgane 
in ſtark vergrößerten Abbildungen‘ (Leipzig, Barth) für den 
erſten botanifhen Unterricht fein follen, nämlih ein Mittel, gehabte 
Anſchauungen harakteriftifher Pflanzentheile oft zu wiederholen, das 
ſollen diefe „Mikroſkopiſchen PBflanzenbilder‘ dem fpäteren 
Unterricht gewähren; man fann daher beide Werke als zufammengehds 
rig, fich gegenfeitig ergänzend, betrachten. In der That war ed meine 
Abfiht, einmal Abbildungen, wie die vorliegenden, herauszugeben, und 
aur Beitmangel if die Urfache davon geweſen, daß es nicht bereits ges 
heben. Ich freue mich, verfihern zu können, bag mein Plan dur 
diefe Arbeit vollkommen realifirt worden if. Der Berfaffer hat ein für 
den Unterricht fehr brauchbares Werk geliefert. Alle Hauptformen bes 
innern Pflanzenbaues, von der einfachen Belle an bis zu der merk 
würdigen Befruchtung der Samenknospe bin, find durch fchöne, große, 
zum Theil vortrefflich colorirte Abbildungen dargeftellt. 

Der richtige Gebrauch des Werkes wird darin beflehen, daB man 
die einzelnen Zafeln in dem Schulzimmer aufhängt und Wochen lang 
der Denupung übergiebt, nahdem die Schüler den dargeftelle 
ten Gegenftand dur ein gutes Milroffop in natura ge» 
fehen haben; der falfhe dagegen darin, daB man fih auf das 
Borzeigen und Befprechen diefer Blätter beſchränkt. 

Der Text dient nicht bloß zur Erläuterung der Abbildungen, fons 
dern enthält eine gedrängte, recht brauchbare Anatomie und Phyflologie 
der Pflanzen, empfehlenswerth zur Einführung in biefen intereffanten 
Gegenſtand. 


334 Naturkunde. 


Die Austattung des Werkes iſt ausgezeichnet. Wir empfehlen baffelbe 
allen höheren Anfalten, desgleichen den Oberflaffen guter Bürgerfchulen. 
21. Shwammfunde. Dritte Gruppe von zehn der eßbarften Schwämme, 

in zwanzig nad der Ratur entworfenen und colorirten Modellen nebft Ber 
ſchreibung von Dr. Büchner, Prof. am Herzogl. Gymnaſium zu Hild⸗ 
burghaufen. Zweite Auflage. Hildburghaufen, im Selbfiverlag des Ver⸗ 
faflers, und Berlin, bei Theob. Grieben. 1856. In elegantem Bappfaften 

3 Thlr., in Holzfaften 12 Grofchen billiger. 

Die erfie und zweite Sammlung haben wir im vorigen Sahress 
berichte angezeigt und als ein ausgezeichnetes Unterrichtsmittel empfohlen. 
Das Werk hat eine überaus günftige Aufnahme gefunden und ift bereits 
in viele Schulen übergegangen, worüber man fih nur freuen kann. 

Die uns vorliegende dritte Gruppe enthält folgende Schwämme: 
Maifhwamm (Ag. Pomonze); Goldſchwämmchen (Ag. puniceus); Pas 
rafolfhwamm (Ag. procerus); Stoppelfhwanmm (Hydnum repandum); 
Habichtsſchwamm (Hydnum imbriratum); Kapuzinerpil (Bol. scaber) ; 
Sallimafy (Ag. melleus); Morchel (Morchella esculenta); Speiſe⸗ 
morchel (Helvella eseulenta); Trüffel (Tuber album), 

Wir können verfihern, daß die Modelle dieſer dritten Gruppe deren 
der beiden vorigen in feiner Weife nachſtehen, diefelben eher Hbertreffen. 
Der Text enthält ausführliche Befchreibungen diefer zehn Schwämme. 
22. Die Pflanzenwelt. Führer durch das Reich der blühenden Gewächfe 

(Pbanerogamen). Herausgegeben und mit einem SHerbarium in Berbin= 
dung gebracht von Herm. Wagner. Grfte Lieferung. Mit einer chro⸗ 

molith. Begetationsanfiht. 8. (64 S.) Bielefeld, U. Helmid. 1856. 

Text: 7'/a Sor., Herbarium: 15 Ser. 

Was der Berfaffer auf diefem Gebiete zu feiften vermag, hat er 
durch feinen „Fuͤhrer in's Reich der Kryptogamen““ und durch die Ber 
arbeitung der „„Sräfer und Halbgräfer‘‘, über die wir im vorigen Jah⸗ 
resberichte uns empfehlend ausgefpruchen, bereits hinreichend bewiefen. 
Die fehr günftige Aufnahme feiner Unternehmungen hat ihn veranlaßt, 
in ähnlicher Weife die Phanerogamen zu bearbeiten. Der Zweck diefer 
neuen Arbeit ift: 1. Den Bau der wichtigften Pflanzenfamilien an ein» 
zelnen im Herbarium beifolgenden Arten anfchaulih zu machen; 2. einen 
Deberblid der zu einer Familie gehörigen Glieder, fowie deren geogras 
phifche Berbreitung daran zu ſchließen; 3. die nöthigen Mittbeilungen 
über Die technifhe und medizinifche Benutzung zu machen und 4. phy⸗ 
fiologifche,, anatomiſche, gefchichtliche 2c. Bemerkungen hinzuzufügen, wo 
fi) deren bieten. Diefe Zwede erfüllt das Werk, fo weit eine Liefe- 
rung eine Beurtheilung zuläßt, vollfommen. Wer das Dargebotene 
mit Benutzung des Herbariums fleißig fudirt, wird ſichtliche Fortſchritte 
in der Botanif machen und fiher bald im Stande fein, mittel einer 
geeigneten Flora das Selbfibeftimmen unbelannter Gewächſe vornehmen 
zu koͤnnen. 

Die erfte Lieferung des Herbariums enthält 25 Pflanzen, auf weis 
Sem Schreibpapier mit grünen GStreifchen befeftigt und mit gedrudten 
Namen verfehen. Alle find tadellos gepreßt und präſentiren fih in 
ihren natürlichen Farben wie fchöne Gemälde. 


Raturkunde. 338 


Möchten doch alle Lehrer, die ih noch ſchwach in der Botanik 
fühlen, dieſe ausgezeichnete Gelegenheit zur Vermehrung ihrer Kennt 
nife recht eifrig benugen! Auch der Jugend, Knaben wie Mädchen, 
fanı das Werk beftens empfohlen werden. 


9. Die vier Jahreszeiten. Bon E& U. Noßmöfler. Mit einer Des 
ationdanfiht und 95 in den Text gebrudten Zuftrationen iu Holz⸗ 
chnitt und IypensRaturfelbidrud non Ed. Kregfhmar. Volltaus⸗ 
gabe. gr. 8. (XVI u, 285 ©.) Gotha, Hugo Scheube. 1856. 1 Thlr. 

Es war ein guter Gedanke von der Berlagshandlung, von diefem 
in einer Prachtausgabe vorhandenen Werke auch eine billige Volksaus⸗ 
gabe zu veranſtalten; dadurch iſt daffelbe den Volksſchullehrern, denen 
biefe Ausgabe ohnehin gewidmet if, zugänglih geworden. Und daß 
biefe diefelbe vwerwertben werden, wie der Verfaſſer bofit, darauf kann 
er rechnen. Mebrigens darf bei dem Worte „‚Bollsausgabe” Niemand 
an eine Löfchpapierene deuten; das Werk hat fehr Ichönes Papier und 
eben fo trefflichen Drud wie die Pracdtausgabe, die nur mit mehr Bes 
getationsanſichten geziert ifl. 

Bie der Titel erwarten läßt, bietet das Werl eine Reihe von 
Schilderungen dar, zu denen der Jahreswechſel Anlaß giebt. Die Schile 
derungen find lebendig, naturgetreu, nicht in bem überfchwenglichen Tone 
unferes äſthetiſirenden Naturpfufcher, aber dennoch äfthetiiche Kunſtpro⸗ 
ducte. Hat der Berfaffer den Lefer im Allgemeinen orientirt, dann 
lenkt er den Blick auf das Einzelne, auf das, was der Boden unmitr 
telbar darbietet. Es find vorzugsweife die Pflanzen, welche fpecieller 
beachtet werden. Der Berfaffer befchreibt diefelben nicht fchulgemäß, 
jondern hebt in furzen Zügen das bervor, was ihnen befonders eigen» 
thümlich iR, oder vorzugsweife erfreut. Bon der Species wird der 
Leſer allmaͤhlich zur Gattung und zu den befannteren Zamilien geführt. 
Um aber auch vom Unfundigen immer verkanden zu werden, bietet der 
Berfaffer überall die dazu erforderlihen Hülfen durch die Kunſt dar: 
vortreffliche Abbildungen, theild won ganzen Pflanzen, theild von einzel⸗ 
uen charafterikifchen Theilen derjelben. Hier und da find auf einem 
einzigen Blatte durch 20 — 80 Beichnungen ganze Familien verfinnlicht 
und in ihren Gattungen -unterfchieden. Wer das Büchlein ein Jahr 
long fleißig lief, am beſten an foldhen Plägen, wie der Berfaffer fie 
Wildert, wird einen reichlihen Gewinn für Botanik davon haben und 
viele frohe, recht innig frohe Stunden genießen. Wir geben zum Schluß 
noch den Inhalt kurz an: 

1. Der Wechſel der Jahreszeiten. 
H. Der Frühling 1. Durch Buſch und Heden. 2. Feld und 
Wieſe. 3. Ein Maitag. A. Das Heer der Bräfer. 

1. Der Sommer. 1. Der Sumpf. 2. Sonntagsvartie. 3. Moos» 

bruch und Haideland. A. Auf bebautem Boden. ' 

IV. Der Herbſt. 1. Blide in. die Ferne. 2. Der herbſtliche Wald. 

3. Letzter Herbfigang. | 
V. Der Winter. 1. Wintergefellfhaften. 2. Die Weihnachtszeit 
und das Neujahrsfefl. 3. Winterlandfchaften. 








336 Naturkunde. 


ührer in die Pflanzenwelt. Ifebu Aufn 
2 —A der in — wild adlenben —* —Xã 

Poſtel, Cantor und Lehrer in Parchwitz. Mit zahlreichen in den Text 

—* Abbildungen. gar. 8. 1. Heft. (119 ©.) Langenſalza, Schule 

uchhandlung. 1856. 15 Ser. 

Die Idee zu diefem Werke darf eine glüdliche genannt werden. 
Der Berfaffer beabfihtigt, angehende Botaniker auf eine leichte und 
fihere Art mit den verbreitetfien Pflanzen Deutichlande bekannt zu 
machen. Zu diefem Zwede hat er das Material in „Exeurfionen‘ vers 
theilt, die in den Wald, auf Aeder und Brachen, Graspläge, Weges 
und Straßenränder, Zäune, Gaſſen, Schutt, an und in das Waſſer 
führen. Das vorliegende Heft, dem noch vier folgen follen, enthält 
fünf derartige Frühjahrs⸗Exrcurſionen. Die in denfelben beichriebenen 

„nd ganz oder theilweife abgebildeten Pflanzen foll der Anfänger an 
den bezeichneten Orten auffuchen und dann nah dem Buche fludiren. 
Als Hülfen dafür werden ihm in jeder „Excurſton“ eine tabellarifche 
Ueberficht und ausführliche Beſchreibungen der Pflanzen dargeboten, letz⸗ 
tere erläutert durch zablreihe Abbildungen. Terminologie und Syſte⸗ 
matif werden gelegentlich hinzugefügt, fo daß der Anfänger ſich diefels 
ben ohne Befchwerde aneignet. 

Bir halten diefen Weg für das Selbſtſtudium ganz geeignet und 
glauben, daß das Werk auch von firebfamen Knaben mit Nupen für 
diefen Zweck wird gebraucht werden Tönnen, von Lehrern, die in ber 
Botanik noch zuräd find, unbedingt. 

Die Abbildungen find gut, Hier und da ein wenig ſteif. Die 
Ausftattung iſt ganz befriedigend. Wir fehen der Fortfegung des Wer⸗ 
es mit Dergnügen entgegen. 


25. Botanifhe Unterbaltungen zum Werfländniß der heimathlichen 
lora. Bon B. Auerswald und ©. U. Mofmäßler. gr. 8. (In 6 
ieferungen). Leipzig, Mendelöfohn. 1856. & A Thlr. 

Bon bdiefem Werke haben wir nur eine Lieferung geſehen, und 
diefe Liegt uns jetzt nicht wor. Zweck deffelben if, an allgemein bes 
Tannten Pflanzen die Elemente der Botanik zu entwideln, ungefähr in 
der Weife, wie es in meinem erfen Curſus der Pflanzenkunde geſchieht. 
Es find dazu 48 Pflanzen gewählt, nad der Blüthezeit geordnet und 

\ vortrefflih in Holzſchnitt dargeftellt worden. Wir dürfen das Werl als 
ein brauchbares bezeichnen. 


26. Die Pflangenlunde in Berbindung mit der Aufſatzlehre. 
Bir Elementarfäulen bearbeitet von Seine. Hubert Mönd. 8. (72 ©.) 
oblenz, R. F. Hergt. 1856. 5 Ser. 

‚ Schon oben haben wir uns beifimmend über den Borfchlag des 
Berfaflers, die Pflanzen ale Material zu Stylübungen zu benupen .und 
auf diefe Weiſe die Pflanzenfunde in die Elementarſchule zu bringen, 
ausgefprohen. Um die Ausführung diefes Gedankens zu erleichtern, 
bietet bderfelbe den Lehrern in dem genannten Büchlein Befchreibungen 


Naturkunde. 337 


son 145 einheimiſchen und 7 ausländiſchen Pflanzen dar. Bir glau⸗ 
ben nit, daß es diefer Befchreibungen zur Ausführung des ohnehin 
nicht neuen Gedankens bedurft hätte, da wohl jeder Kehrer eine Schrift 
über Pflanzen befigt; wo dies indeß wider Erwarten nicht der Fall 
fein follte, da möge man ſich des billigen Schriftchens bedienen. Der 
Swliſtik würde es übrigens fehr förderlich geweien fein, wenn der Bers 
faffer die Befchreibungen felber etwas fauberer ausgeführt und fich dabei 
verfchiedener Darftellungsformen bedient hätte; wenigſtens wäre dadurch 
Das Erfcheinen des Büchleins einigermaßen gerechtfertigt geweſen. 


27. 8. F. Cũrie's Anleitung, die im mittleren und nördlichen Deutſch⸗ 
land wild wachfenden und angebauten Pflanzen auf eine leichte und ſichere 
Weife durch eigene Unterfuchung zu beftinmen. Ganz neu bearbeitet von 
Auguſt Lüben, Rector der Bürgerfhulen zu Merfeburg. Reunte Auf⸗ 
lage. 8. (VIII u. 464 ©.) Kittlig in der Oberlaufig, C. G. Zobel. 
1856. 1 Thlr. 

Cüries Anleitung” ift zu befannt, als daß es nöthig wäre, bie 
Einrichtung derfelben bier noch darzulegen; nur was ich für die neunte 
Auflage diefes Buches gethan babe, erlaube ich mir, kurz mit einem 
Theile der DBorrede anzudeuten. 

„Der allergrößte Theil des Werkes ift ganz neu gearbeitet worden, 
und was aus der vorigen Arbeit in die neue Überging, hat vielfadhe 
Beränderungen erfahren. Der Inhalt der „Einleitung‘ fand mit dem 
Refultaten der Forſchungen Schleiden’, v. Mohl's, Unger’s, Schacht's 
u. A. an vielen Stellen vollſtändig in Widerfpruch, weshalb ich dies 
ſelbe fallen ließ und dafür die „Vorbereitung zum Pflanzenbeſtimmen“ 
ſchrieb. Neben der unentbehrlihen Terminologie if. darin fo viel aus 
der allgemeinen Pflanzentunde, namentlich aus der Morphologie enthals 
ten, als erforderlich erfchien zur richtigen Auffaffung des Pflanzenbaues. 
Ebenfo ift die erfte, zur Beflimmung der Gattungen dienende „Tabelle 
ganz neu gearbeitet worden, und zwar mit Zugrunblegung des Linne’ 
fhen Syſtems, das für diefen Zwed nad dem Urtheil aller Sachver⸗ 
Rändigen unübertroffen daſteht. In der II. Abtheilung find die Pflanzen 
nach dem natürlihen De Candolle'ſchen Syſtem aufgeführt worden, was 
eine vollſtändige Umgeftaltung der bisherigen Anordnung nöthig machte. 
Zür den Anfänger erwächft daraus der große Vortheil, daß er ganz 
gelegentlich mit einer anerfannt guten natürlichen Unordnung bekannt 
wird. Die Tabellen zur Beflimmung der Arten find dem größten Theile 
nad neu gearbeitet und zwar mit Beachtung folcher Merkmale, welche 
namentlih in den artenreihen Gattungen eine natürliche Gruppirung 
gewähren, fomit zu einer allgemeineren Kenntniß diefer wichtigen Glies 
derung des ganzen Reiches führen. Zur Charakterifirung find überall 
jo viel Merkmale aufgenommen, daß der Anfänger nirgends ungewiß 
über eine Art bleibt, daher nicht nöthig hat, noch in andern Schriften 
nacdhzulefen. Während Cürie fih namentlich bei Gattungen mit einer 
Art meiftens auf Angabe des bloßen Namens beichräntte, babe ich volls 
Kändige Diagnofen gegeben. Auch in der leider nicht mehr zu entbeh⸗ 

Nade, Jahresbericht. X. 22 








— — — 0 —— 


338 Naturkunde, 


—5 Synonomy iſt weit mehr geſchehen, als in den vorhergehenden 
uflagen. 

„Der urſprüngliche Umfang des Gebietes iſt nicht erweitert wor⸗ 
den; was ſich aber innerhalb deſſelben an wild wachſenden, verwilderten 
oder haͤufiger angebauten Phanerogamen und kryptogamiſchen Gefäßpflanzen 
findet, iſt ohne alle Ausnahme aufgenommen worden, und zwar einmal, 
um dem angehenden Botaniker ein Buch zu bieten, was für feinen Zweck 
Überall ausreicht; dann aber auch, um ihm ein für allemal bei verfehlten 
Unterfuhungen die Ausrede abzufchneiden: „„Dieſe Pflanze ſteht wahre 
Theinlich nicht in meinem Buche.‘ Ich bin feft überzeugt, daß diefe 
Bollfändigkeit Des Werkes viel zur Erzielung von richtigen Beſtimmun⸗ 
gen beitragen wird. Die bisherige Zahl der Gattungen ift durch dieſe 
Bervollſtaͤndigung um 70, die der Arten um 317 vermehrt worden.’ 

„Ohne meine Arbeit irgendwie zu überſchätzen, glaube ich Doch, 
daß fie geeignet ift, den Anfänger fiherer zu führen, als die früheren 
Auflagen des Buches es im Stande waren. Getroſt darf ich daber 
baffelbe Allen zum Gebrauch empfehlen, welche die Abficht haben, fid 
durch eigene Beobachtung und Unterfuchung mit den lieblichen Kindern 
Flora's befannt zu machen, namentlid auch den Böglingen der Lehrers 
Seminare, von denen in richtiger Würdigung des Gegenfandes in Preus 
Ben nach den „„Regulativen‘’ die Fähigkeit gefordert wird, mit Zuhülfe⸗ 
nahme eines geeigneten Leitfadens die bedeutendften wild wachfenden 
Pflanzen felbft befiimmen zu Lönnen.’ 

Die Ausfattung des Werkes ift bedeutend ſchoöner, als in den 
früheren Auflagen, und der Preis dabei um 5 Sgr. niedriger. 


28. Flora von Nord» und Mitteldeutfhland, mit befonderer Bes 


rüdfihtigung der beiden Großherzogthümer Medienburg; für Schulen und 
zum Gelbflunterriägt analytifch bearbeitet von J. F. Kangmann, Lehrer 
an der Mealfchule zu Neuſttelitz. Zweite, verbefierte und ſtark vermehrte 
yuflage. 8. (XVI, 144 u, 463 ©.) Neufteelig, ©. Barnewig und bei 
dem Berfaffer. 1856. 1a Thlr. 

Diefe Flora hat im Ganzen, aud) was die Syflematif betrifft, bie 
Einrichtung meines eben befprochenen Gürie, obwohl wir Beide ganz 
unabhängig gearbeitet Haben; denn beide Werke verließen faſt zu berjels 
ben Zeit die Prefie. In einem Anhange behandelt der Berfafler noch 
die Bellenpflangen, jedoch fo allgemein, daß für das Beflimmen daraus 
fein Nutzen erwachfen kann. Ebenfo führt er, nach natürliden Fami⸗ 
lien geordnet, die wichtigften und merfwürdigften ausländifchen Pflanzen 
auf. Dan erfieht Hieraus, daß der Berfaffer vorzugsweife feine Schule 
im Auge hatte, für diefe ein anderes Buch über Botanik entbehrlich 
machen wollte. Es 1äßt ſich dagegen nichts einwenden; aber für andere 
Gebraucher wird das Buch durch diefen Anhang als Ereurfionsbucd 
etwas unbequemer, d. h. es befchwert die Tafche mehr, als wunſchens⸗ 
werth ift. Abgeſehen hiervon, darf das Buch aber ald ein brauchbares 
bezeichnet werden. 


29. Flora der Mittelmart, mit befonderer Verüdfiätigung der Umge⸗ 
gend von Berlin und Potsdam. Bon Dr. E. Baumgardt, Diredor der 


Raturkunde. 339 


Realſchule zu Potadam. Nebft einer Karte des Gebiets. gr. 16. CXX 

u. 240 S.) Berlin, &. Reimer, 1856. geb. "es Thlr. 

Dem Haupttheile des Buches geht eine Befchreibung der natürs 
lichen Befchaffenheit des Gebietes und der Pflanzenorgane voraus; erflere 
iR zu lang durch Aufnahme von MNebenfächlihem, letztere zu kurz. 
Zür die Beftimmung der Gattungen iſt das Linne’fhe Syflem zu Grunde 
gelegt, für die der Arten das Bartlings Bifhofffche. Größere Klaſſen 
und Gattungen find in Unterabtheilungen zerlegt, jedoch ohne Anwen» 
dung des analytifchen Berfahrens, die Arten und Gattungen in gewöhns 
liher Weife diagnofirt. Die Fundorte find bei den felteneren Arten 
angegeben, in der Negel aber fo allgemein, daß fie für den Suchenden 
nicht viel Werth haben. Es fcheint fat, als wenn dem Berfaffer das 
Gebiet ſelbſt noch nicht aus eigener Anfchauung befannt wäre. Oxy- 
tropis pilosa wird bei Potsdam mit Fragezeichen dufgerührt; Veronica 
peregrina L., das nad Garde „bei Potsdam an der Landesbaumfchule‘ 
vorkommt, fehlt ganz. 

Zum Gebraud für die Schüler des DBerfaffers wird das Büdplein 
ih wohl empfehlen, für weitere Kreife aber ſchwerlich. Dielleicht wäre 
auh Schülern eine Flora von Rords und Mitteldeutfhland, wie der 
Garde oder Cürie, zuträglicer. 

30. Klora der Provinz Weſtphalen. Ein Taſchenbuch zu botanifchen 

Excurfionen für Schulen und zum Selbftunterriät, bearbeitet von Prof. 

Dr. * Sri. 12. (LVIII u. 287 S.) Münfter, Afchaffendorf. 1856, 

ned. 3% Thlr. 

Das Bert umfaßt die Phanerogamen und Gefäßfryptogamen des 
bezeichneten Gebiete. An der Spipe deſſelben fleht eine alphabetiſch ge» 
ordnete „Erklärung der in der Flora angewandten Kunftausdrüde‘‘, die 
ſehr knapp gehalten if, faſt froftig ausfiebt. Dann folgt: A. Ueberfidt 
der Klaſſen Linnes. B. Schlüſſel zu den Gattungen. C. Schlüſſel zu 
den natürlichen Bamilien. Hierauf fommt nun mit newer Seitenzahl 
der Haupttheil des Buches, die Charakteriftit der Arten, geordnet nad 
dem De Gandollefhen Syſtem. In der Abtheilung B. if das Liane’ 
ide Syſtem zu Grunde gelegt; der Berfafler charakterifirt darin aber 
nur die einzeln flehenden Gattungen; die, welche innerhalb der Linné'⸗ 
ſchen Klaſſe eine“ natürliche Familie bilden, werden erfi im Haupttheile 
des Buches unterfhhieden, ein Berfahren, deffen Zwedmäßigkeit wir nicht 
zu erfennen vermögen. Uebrigens ermweifen fih die Diagnofen als aus 
teichend zum Beſtimmen. 

Als Schulbuch dürfte das Werfchen für die Provinz Weſtphalen 
brauchbar fein; indeß müflen wir auch hier, wie bei der vorigen 
Schrift, hinzufügen, daB wir es für angemeflener halten, Schülern eine 
Zlora in die Hand zu geben, die ein weiteres Gebiet umfaßt, damit fie 
nicht bei jeder Grenzüberfchreitung in Berlegenheit kommen. 

31. Klora des Sroßherzogtbums Baden, bearbeitet von Prof. I. 

5. DON in Garlörube, Öxfer Band. 8. (VI u. 482 &.) Garlöruße, 
©. Braun. 1857. 2 Ihle, 

Im vorigen Sahrgange haben wir die erfte Lieferung dieſes Wer⸗ 
kes, die Gefaͤßkryptogamen, angezeigt und freuen ung, nun melden zu 
22 * 





340 Naturkunde. 


koͤnnen, daß bereits der ganze erſte Band deſſelben vollendet iſt. Er 
umfaßt außer jenen Kryptogamen die Coniferen und die Monokoty⸗ 
ledoneen; ein zweiter, etwas flärferer Band wird die Dikotyledoneen bringen. 

Wie wir ſchon bei der Anzeige der Gefäßfryptogamen bemerkten, 
haben wir e8 hier nicht mit einem Schulbuhe zu thun, fondern mit 
einer wiflenfchaftlichen Arbeit, und zwar mit einer foldhen, die nicht 
bloß für die Botaniker Badens, fondern für jeden Botaniker, der fidh 
vervollfommnen will, entjchiedenen Werth bat. Der Berfaffer hat feit 
einer langen Reihe von Jahren namentlich umfaffende morphologifche 
Forſchungen angeftellt und hier in diefer Flora an paflender Stelle 
niedergelegt. Nicht eine Zamilie ift dargeftellt, ohne nach diefer Bes 
ziehung in’s Auge gefaßt worden zu fein; was man vielleicht längſt 
feld vereinzelt wahrgenommen, fih aber nicht zu deuten gewußt, das 
wird einem bier fofort Far. 

Die höheren foftematifchen Gruppen Hat der Verfaffer überall aus⸗ 
führlih charakterifirt, die Arten mit Diagnofen von angemeffener Länge 
verfeben, wo es nöthig war, ausführlicher befchrieben. Die Synonomy 
bat die gebührende Berüdfichtigung. gefunden und ift überall aus den 
Quellen gefchöpft worden. Eben fo find die vorhandenen Abbildungen 
eitirt. Die Angabe der Standörter iſt ganz genau. 

Wir empfehlen das Werk nochmals beftens. 

32, Flora von Halle, mit näherer Berüdfihtigung der lmgegend von 
eißenfels, Naumburg, Freiburg, Bibra, Nebra, Ouerfurtd. Allſtedt, 

Artern, Eisleben, Hettſtedt, Sandersleben. Aſchersleben, Staßfurth, Bern⸗ 

burg, Köthen, Deſſau, Oranienbaum, Bitterfeld und Delitzſch, von 

Dr. Auguft Garde. Zweiter Theil. Kryptogamen mit einem Nach⸗ 


trage zu den Phanerogamen. 8. (VII u. 2766.) Berlin, K. Wiegandt. 
1856. 2 Thlr. 


Der erſte Theil diefes Werkes bildet eine fehr ſchaͤtzbare Anleitung 
zum Beftimmen der Phanerogamen des auf dem Titel genannten Ges 
bietes; der vorliegende zweite enthält eine foftematifche Aufzählung aller 
Sattungen und Arten der Kryptogamen diefer Gegend, verbunden mit 
Hinzufügung der nöthigen Synonyme und genauen Angaben der Fund⸗ 
orte. Diefer Theil gewährt fomit dem Anfänger nicht die Hülfe, welche 
der erfle bietet; aber nüßlich wird er ihm deBungeadhtet bei feinem Stus 
dium der Kryptogamen werden, da er den Kreis der Arten, mit deren 
Beftimmung der Anfänger diefes Gebietes es zu thun hat, fehr heilfam 
beſchraͤnkt und dadurch das Auffinden wefentlich erleichtert. Einen höhern 
Werth erhält das Verzeichniß durch den Nachweis des Vorkommens und 
der Verbreitung einer großen Anzahl früher nicht vermutheter krypto⸗ 
gamifcher Gewähfe im Gebiete für die Pflanzengeographie, was von 
‚ Seiten der Wiffenfchaft dankbar anerfannt werden wird. 

Im Intereffe der immer zahlreicher werdenden Freunde der krypto⸗ 
gamifchen Gewächſe wünfchten wir, daß der Verfaſſer ſich entfchlöffe, 
eine zum Beftimmen ausreichende Kryptogamenflora Nord» und Mittels 
deutfchlands zu fehreiben, ein Seitenftüd zu feiner fo brauchbaren Pha⸗ 
nerogamenflora diefes Gebiets; er befigt dazu neben ber Befähigung Die 
nöthige Muße. 


Naturkunde. 341 


3. Analytiiher Pflanzenfhlüffel zur leichten Auffindung und Bes 
fimmung aller Geſchlechter (Genera) der In Deutfhlands Flora vorkom⸗ 
menden Pflanzen von Dr. 3. R. Linke. Aus defien großem Werke: 
„Deutfhlands Flora in ausführliden Beſchreibungen“ befonders abges 
drudt. gr. 8. (VIu. 74 S.) Leipzig, C. B. Polet. 1856, geb. Y/a Thir. 

Die Gattungen find nad dem Linné'ſchen Syflem aufgeführt, inner 
halb der Klaſſen und Ordnungen überfichtlich gruppirt und mit Diagnofen 
von mittlerer Länge verfehen. Am Schluß der Diagnofe iſt noch an⸗ 
gegeben, zu welcher Familie die Gattung gehört. 

Bir halten diefe Arbeit für ganz brauchbar, glauben aber doch, 
daß fie nur für die Befiper der auf dem Titel genannten, uns nicht 
befannten Flora einigen Werth hat; denn wer Pflanzen kennen lernen 
will, muß ja ein Werk haben, in dem außer den Gattungen auch die 
Arten charakterifirt find. 


4. Mineralogie. 


34, ShulsNaturgefhiähte Cine analytiſche Darftelung der drei Natur⸗ 
reihe, zum Selbfibeftimmen der Naturlörper. Mit vorzüglicher Berüds 
fihtigung der nützlichen und ſchädlichen Naturkörper Deutichlands für 
höhere Zehranftalten und zum Selbftunterrichte bearbeitet von Dr. Joh. 
Leunid, Profefjor in Hildesheim. Dritter Theil. Oryktognoſie und 
Geognofie. Zweite, fehr verbefierte und mit der etymologifchen Erliäs 
rung der Namen vermehrte Auflage. Dit 431 in den Text eingedrudten 
Abbildungen. gr. 8. (XX u. 324 S.) Hannover, Hahn. 1856. 271/2 Ser. 
Die erfte Auflage diefes Werkes haben wir bereits im 7. Bande 
des Jahresberichtes ausführlich beſprochen und als empfehlenswerth für 
die Oberflaffen höherer Schulanflalten und zum Selbftunterricht bes 
zeichnet. Letzteres kann von dieſer neuen Auflage noch in erhöhterem 
Grabe gefagt werden, da fie beinahe um 100 Seiten flärker if. Um 
Raum zu erfparen, ift das, was über die Benußung gefagt wird, mit 
Meiner Berlfchrift gedrudt, was wir bedauern; denn wer vermag ders 
gleichen Schrift ohne Befchwerde zu leſen. Wir nehmen daher für uns 
fern Gebrauch Tieber die alte Auflage zur Hand. Sonft haben wir 
aber an dem Werke gar nichts auszufegen. 


b. Für Schüler. 


35. Leitfaden zu einem bildenden Unterricht in der Raturs 
efhichte zunächſt für Säuttehrtinge und Schulfeminariften von Ephr: 
rünewald, Präfelt am königl. Schullehrerfeminar zu Kaiferdlautern. 

Bierte, ſtark vermehrte und verbefierte Auflage. 8. (VII u, 37% ©.) 

Katferdlautern, 3. 3. Zafcher. 1856. geb. S/s Thlr. 

Die 3. Auflage diefes Werkes erihien 1848 und ift im 5. Bande 
des AJahresberichtes von uns angezeigt worden. Was wir an. derjelben 
permißten, bat der Berfaffer in diefer neuen zu geben verfucht. Die 
Stufen find jept treffender jo bezeichnet: 

1. Reiche und Klaſſen. 

11. Klaffen und Ordnungen. 
1). Ordnungen und Familien. 





J 


342 Naturkunde. 


Ratürtih Handelt es ſich auf der erſten und zweiten Stufe nicht 
ausfhließlih um das, was die Weberfchriften fagen; es wird vielmehr 
zugleih ein tüchtiges Stüd aus der fpeciellen Naturgeſchichte dargeboten, 
ja man kann dies Specielle als die Hauptfache betrachten, aus dem 
jene höheren Begriffe nur refultiren. 

As einen nicht ganz unerheblihen Mangel des Buches müſſen 
wir hervorheben, daß der Berfaffer nirgends den Gattungs»(Genus-) 
Begriff zur Geltung bringt; überall ift es nur die Art (species), welche 
in Betracht fommt, und immer ohne Rüdfiht auf die Gattung. Hier 
und da findet man die Arten einer Gattung fogar getrennt durch fremd» 
artige Einfhiebungen. So beginnt das Thierreich auf der zweiten Stufe 
unter Nummer 1 mit der Hauskatze, und unter Rummer 4 if vom 
Löwen die Rede, der doch mit jener zu einer Gattung gehört. Unter 
Nr. 3 wird der Buchs charakterifirt, dabei aber mit feinem Worte des 
Hundes, der ja auch ein Gattungsverwandter ift und auf der erften 
Stufe beiprochen wird, gedacht. Derfelbe Mangel zeigt fih an andern 
Stellen; Seite 63 wird der Sperling fogar als zur Gattung Pyrrhula 
gehörig aufgeführt und glei darauf der Stieglitz unter Fringilla, wos 
zu der Sperling belanntlih auch gehört. Wir würden dieſen Mangel 
ſchon an einem Buche für Kinder tadeln, müffen es darum um fo 
mehr an einem für Seminariften. Sein Seminarift lernt ja eine Pflanze 
befimmen, wenn ihm der Gattungsbegriff nicht vollfommen flar ges 
worden if. 

Uebrigens verfennen wir fon nicht, daß das Buch in der neuen 
Auflage ‚gewonnen hat und fi mehr zum Unterricht eignet, als vorher. 


36, Lehrbuch der Naturgefhichte für Schulen und zum Selbſtunter⸗ 
tigt von Dr. &. 9. v. Schubert. Achtzehnte, vermehrte und verbefierte 
Auflage. 8. (X u. 501 ©.) Frankfurt a. M. und Erlangen, Heyder u. 
Zimmer. 1856. 1%/ Sgr. 

Der wirkliche Werth dieſes Buches befieht, wie wir fchon früher 
wiederholt ausgeiprochen haben, in dem kindlichsfrommen Zone und dem 
nicht felten glüdlichen Symbolifiren der Naturföryer; nad diefer Rich⸗ 
tung hin fann es als gelungen bezeichnet werden, während es dagegen 
in wiflenihaftliher Beziehung von Haufe aus verfehlt und auch in dieſer 
neueften Auflage unendlich weit hinter dem gegenwärtigen Standpunfte 
der Raturgefchichte zurüd geblieben iſt, ungeachtet zwei Bollegen des 

Verfaſſers, die Profefforen A. Wagner und Joh. Roth, den zoologifhen 

Theil durchgefehen haben. Ein paar Proben mögen dies Urtheil 

beftätigen. 

Seite 137 heißt e8: „Die Gerfte (Hordeum vulgare) if ſchon 
feit uralten Zeiten als Getreide benugt worden. Rimm fle in die Hand 
und vergleihe fie mit dem Weizen und fage dir dann felber, wodurdh 
fih die beiden unterf&heiden, denn die Stadtleute verwechſeln manchmal 
beide mit einander, worüber freilich einer, der auf dem Dorfe auferzogen 
it, lachen muß. Die Gelehrten unterfcheiden die Gere durch je drei 
und drei feitwärts bei einander flehenden, aus zwei Bälglein zufammens 
gefepten Andpfen, welche nur ein fruchtbares Bluͤthchen einſchließen.“ 


Raturfunde. | 244 


Was hat nun der Schüler von dieſem ganzen Gerede? Geradezu 
gar nichts; denn wenn er die Gerfte noch nicht kennt, hiernach Iernt ex 
fie ficher nicht Sennen, auch dann noch nicht, wenn er fi) ansignet, 
was „die Gelchrten‘ darüber fagen. Welcher Gelehrte gebraugt Knoͤpf⸗ 
hen“ für „Aehrchen?“ Hätte der Raum nicht zu einer ganz ſach⸗ 
gemäßen Auseinanderfegung ausgereiht? Gelb für den beabfihtigten 
Scherz konnte noch ein Pläbchen gewonnen werden, wenn der Verfaſſer 
ſich etwas Fürzer gefaßt hätte, 

Seite 201 fagt der Berfaffer ganz treuberzig, daß man die wilden 
Roſen nach der Gefalt ihrer Hagebutten eintheile, was doch bekanntlich 
fein Botaniker thut, auch nicht thun Tann. Die Kennzeichen der Hecken⸗ 
rofe (Rosa canina) foll der Schüler fi in folgendem Reime merken: 

„&ünf Brüder find’s, zu gleicher Beit geboren, 
Doch zweien nur erwuch® ein voller Bart; 

Zwei andern blieb die Wange umbehaart, 

Dem fünften iR der Bart zur Hälft gefchoren.” 

Wußte denn der DVerfaffer wirklich nit, daß man an biefen Kenn, 
zeichen die Hedenroſe gar nicht von ihren naͤchſten Verwandten unter⸗ 
ſcheiden kann? 

Seite 296 u. 297 werden die Blaſenwürmer noch als beſondere 
Gattung aufgeführt, während doc, feit Jahren bekannt if, daß es uns 
entwidelte Bandwürmer find. 

Diefe beim Durchblättern eines unaufgefchnittenen Exemplares ohne 
alle Mühe aufgefundenen Beifviele find vollkommen ausreichend, das 
Buch als wiſſenſchaftlich werthlos zu bezeichnen. Wir empfehlen ber 
Berlogshandlung, die nähfle Auflage von Tundiger Hand, von einem 
naturwiſſenſchaftlich gebildeten Pädagogen, bearbeiten zu laſſen, von 
einem Manne, der den anſprechenden Ton des Buches ſchont, aber der 
Wiſſenſchaft dabei Rechnung trägt. Es 1Aßt fi Beides vereinigen, 


37. Lehrbuch der Raturgefhiäte Berfaßt von 9. X. M. 3 * 

Brof. der Mineralogie an der Univerfität zu Wien. gr. 8. 

334 ©. mit einer Tafel Mbbildungen. Bien, Säulbücer -Beriag. Rei: 

zig, E. F. Steinader. 1856. 18 Ser. 

Der Berfaffer fchreitet in althergebrachter wiffenfhaftlicher Weife 
vom Allgemeinen zum Befondern fort und ordnet die Naturksrper felbft 
ſyſtematiſch. Das Buch eignet fi) daher nicht als Leitfaden für dem 
Unterricht, fondern if nur in Oberklaſſen von Schulen mittleren Ranges: 
einigermaßen zur Wiederholung brauchbar. - 

Der Borrede zufolge hatte der Berfafler fih vorgenommen, übers 
all die Charakteriſtik der Arten (species) von der der Gattung (genus) 
getrennt zu Halten. Diefer Borfag war löblicy und Acht wiſſenſchaftlich, 
iſt aber wenig vom Verfaſſer ausgeführt worden, was wir durch ein 
Beifpiel beweifm wollen. 

Seite 120 Heißt es: „Der Maikäfer Hat kurze fächerförmige 
Zühler, fünfgliederioe Wüße, rothbraune Flügelbeden, Kopf, Bruft, 
Unterleib und Füße find ſchwärzlich; an deu Seiten find Heine dreiecige 


344 Naturkunde. 


weiße Fleckchen und das letzte Glied deſſelben endigt in eine abwärts 
gebogene Spitze.“ 

Bon diefen Merkmalen gehören die ‚‚fächerförmigen Fühler‘ der gane 
zen großen Familie der Scarabäen an, die „‚fünfgliederigen Füße““ vielen 
taufend Gattungen, das mit „abwärts gebogener Spitze“ verfehene End- 
glied des Körpers kommt der ganzen Gattung Laubfäfer (Melolontha 
Fabr.) zu; die übrigen Kennzeichen paflen zur Noth auf den gemeinen 
Maitäfer (Melalontha vulgaris Fahr.), unterfheiden ihn jedoch noch 
nicht ausreihend von Melolontha Hippocastani Fahr. ; ftatt „Füße“ 
follte das zweite Mat „Beine“ ftehen, flatt „ſchwärzlich“ „hell braunroth.“ 

Defchreibungen dieſer Art hat das Buch zu Hunderten aufzuweifen. 
Da daffelbe fih auch font dur Nichts von ähnlichen auszeichnet, fo 
find wir nicht im Stande, die Nothwendigkeit feines Erfcheinens eins 
zufeben; den Schulen wenigftens kann ein befonderer Nugen für den 
naturgeſchichtlichen Unterricht daraus nicht erwachſen. 

Die angehängte Tafel enthält 25 Zeichnungen von Kryſtallformen, 
auf die jedoch im Buche felbf gar feine Rüdfiht genommen if. 


38, Naturgefhiähte des Pflanzenreiches. Berfaßt von Alois Po: 
Porny, Lehrer der Naturgefhichte am 2. 8, alademifchen Gymnafium zu 
Bien. gr. 8. (XX u. 167 S©.) Bien, Schulbücher» Berlag. Leipzig, 
E. F. Steinader. 1856. 10 Sgr. i 


Naturgefhihte des Thierreihes. Verfaßt von A. Pokorny. 

(XU u. 212 ©.) Ebendaſ. 1856. 12 Ser. 

Das Ziel des naturgefhichtlichen Unterrichts in den öfterreichifchen 
Unter» Symnaflen belebt in einer „auf Anfchauung gegründeten, im 
Unterfcheiden und charakteriſtiſchen Beflimmen geübten Belanntichaft 
mit dem Wichtigften aus den drei Reichen.” Da es in Deflerreih an 
einem Buche fehlt, was diefer officiellen Beftimmung entſpricht, fo ber 
mühen fi) gegenwärtig die Pädagogen diefes Landes um die Wette, 
dies Bedürfniß zu befriedigen. Wie wir eben an der Zippe'ſchen Schrift 
gefehen haben, nehmen auch Unberufene, den Schulen Fernſtehende, bie 
Sache in die Hand. Erfreulicherweife gehört unfer Berfafler nicht zu 
dieſen. Er bat nach unferm Dafürhalten ein Buch geliefert, was jener 
gefeglihen Forderung im Ganzen entſpricht. 

Die Anordnung ift in beiden Zheilen fuftematifh; da aber der 
Berfaffer durchweg nur Arten befchreibt und das Gemeinfame größerer 
Gruppen immer nur zum Schluß einer folhen Gruppe giebt, fo kann 
jeder Lehrer fih nach Belieben das Material für den Unterricht zurecht 
legen. Die Auswahl darf als eine gelungene bezeichnet werden; bie 
meiften Unter» Öpmnafien werden indeß noch manche Art ſtreichen müflen. 
Im zoologifhen Theile find die Säugethiere und Inſecten bevorzugt 
worden, was wir ganz zwedmäßig finden. Die Befchreibungen find 
leicht faßlih und halten etwa die Mitte zwiichen Diagnofen und aus⸗ 
führlihen Darftellungen; der Verfafler bat beim Abfaſſen derfelben Die 
Natur und gute Schriften zu Rathe gezogen, daher Brauchbares geliefert. 

Nicht gefallen bat uns an dem Buche, daß der Berfaffer die Gat⸗ 
Fung als ſolche gaͤnzlich ignorirt, wohl in der Abſicht, der geieplichen 


Naturkunde. | 345 


Bekimmung recht buchſtaͤblich nachzufommen. Da indeß diefe ausbrüd« 
ih „Webung im Unterfcheiden‘ fordert, fo lag wirklich nichts näher, 
als Hierzu die Gattung zu benugen, die jeden Augenblid dazu Anlaß 
giebt. Dazu fommt au noch, daß durch Gattungskenntniß das Lernen 
wefentlich erleichtert wird, was wir dem kundigen Berfaffer gewiß nicht 
erſt zu bemeifen brauchen; wir verweiſen ihn einfach auf ſeine Beſchrei⸗ 
bung des Haushundes, der Wolf und Buchs folgen; in derſelben find 
neben den Artlennzeichen wirklich die Gattungskennzeichen enthalten ; 
hätte der DVerfafler diefe dem Schüler zum Bewußtfein gebracht, jo war 
zugleich Material für die Kenntniß des Wolfes und Fuchſes gewonnen. 


39. I. Baumann’d Raturgeſchichte für Volkaſchulen. Durchgeſehen 
von Dr. ®, 3.6. Curtman, SeminarsDirector zu Briedberg. Mit 
120 in den Text eingedrudten Abbildungen. Vierte unveränderte Auflage. 

gr. 8. (IV u. 156 ©.) Frankfurt a M., 3. D. Sauerländer, 1856. 

eh 10 Sgr. 

Die zweite, 1851 erſchienene Auflage haben wir im 6. Bande des 
Jahresberichtes angezeigt und auf Fehler in den Abbildungen aufmerk⸗ 
fans gemacht; die uns vorliegende vierte ift ein unveränderter Abdrud 
der vorhergehenden Auflagen, zeigt daher noch dieſelben Fehler. Die 
ziemlich raſche Folge der Auflagen beweiſt, daß es ein großes Publikum 
giebt, das nichts nach Fehlern frägt, vielmehr ſchon ganz zufrieden ift, 
wenn ein Büchlein billig it und Abbildungen bat. Der Wahrheit ges 
mäß, müflen wir übrigens bemerfen, daß die meiften Abbildungen gut 
find. Warum forgt aber die Verlagshandlung nicht dafür, daß dies 
von allen gefagt werden kann? 

40, Leitfaden der Naturgeſchichte von Julius ober, Lehrer am 
Rraufeihn Snftitute in Dresden. Erſtes Heft. Zoologie. 8 (IV u. 
65 ©.) Dresden, Adler u. Dietze. 1857. geh. 5 Ser. 

Als Ziel des naturgefchichtlichen Unterrichts gilt dem Verfaſſer eine 
angemeflene Einfiht in die DOrganifation, Kenntniß der befannteften 
Arten und ihres Verhältniſſes zum Menſchen und der Charaktere der 
wichtigſten Familien, fowie die Befähigung des Schülers, naturge⸗ 
ſchichtliche Werke zu verſtehen und ſelbſtſtaͤndig leichtere Beſtimmungen 
auszuführen. Damit kann man ſich im Ganzen einverſtanden erklaͤren; 
doch müffen wir tadeln, daß der Verfaſſer fo geringen Werth auf die 
Battung legt, in der Borrede geradezu ausſpricht, daß „Kenntniß der 
Gattungsmerkmale dem Schüler nur felten nützlich“ fei, während fich 
doch das Gegentheil fo leicht beweifen läßt, wie wir fchon bei der Schrift 
von Pokorny andeuteten. Die Anordnung des Materials if ganz 
wiſſenſchaftlich, weshalb fih das Büchlein nur für Oberflaffen zur Re⸗ 
yetition eignet. Der Berfafler nimmt an, daB es auch zum Beflimmen, 
wenigftens der Familien, brauchbar ſei; dazu if es aber zu aphoriſtiſch. 
Ueberhaupt fchredt es durch feine Trodenheit etwas ab; der fperielle 
hell enthält mehr Namen als Beſchreibung. Wir glauben nicht, daß 
das Büchlein eine große Berbreitung finden wird. 


41. Mineralogifhe Anfbauungsiehre Kür die k. k. öfterreichifchen 
Unter Snmsaflın —* von Seſen Stocker, proviſoriſchem Gym⸗ 








348 Naturkunde. 


Mebrige Materie hervor, die das Thier zu Faden verfpinnt; giebt es 
wohl etwas Ekelhafteres?“ ‘ 

„Sinterliftig lauert das Ungethüm in feinem verftedten Schlupfs 
winkel. Wie ein Pfeil ſchießt es hervor auf feine Beute, bindet fie 
mit unzerreißbaren Striden und faugt ihr langfam das Blut aus. — 
Widerfiehen kann nichts dem Ungeheuer, denn mie alle Kerfen hat es 
eine ungeheure Muskelkraft. Wäre es jo groß wie der Löwe und im 
Kampfe mit dieſem, fo drüdte es ihn zufanmen wie Wache.“ 

Nicht wahr, das ift Doch naturgetreu? Jammerſchade, dag Schiller 
nicht Gelegenheit hatte, des Verfaſſers „‚Naturgemälde” zu lefen! Statt 
den „Kampf mit dem Drachen‘ zu fchildern, würde er den „Kampf 
einer Greßler'fhen Spinne mit — — einem Löwen’ gewählt und ein 
Kunfwerk von höchſter Bewunderung geliefert haben. DBielleicht untere 
nimmt ein fpäterer großer Dichter Died no. Möge nur der Himmel 
geben, daß das Buch bis dahin noch in einer Originalausgabe zu 
haben ift! 

Die beigegebenen Bilder Reben in vollfter Harmonie mit den ‚Ras 
turgemälden.‘' 


111. Phyſik. 
A, Beranfhaulihungsmittel, 


45. Bürgerfhullehrer Hering in Reichenbach in Sachen, defien 
wir ſchon oben gedachten, hat einen phyfifalifchen Apparat angefertigt, 
der nad feiner Mittheilung in der Sächfiſchen Schulzeitung, Ar. 32, 
1856, für die Bedürfniffe der Bürgerfchule ausreicht und mit Gebrauchs⸗ 
anmweifung 12 Thlr. Toftet. „Derſelbe enthält in einem hölzernen Ge⸗ 
häufe von der Größe, daB man e8 bequem auf dem Lebrpulte placiren 
ann, folgende dauerhaft und in der nöthigen Groͤße gearbeitete Gegen⸗ 
fände: 1. Zwei Pendel. 2. Den gleicharmigen und ungleicharmigen 
Hebel mit den nöthigen Gewichten. 3. Die bewegliche und die unbes 
wegliche Rolle mit Gewichten. A. Einen Flaſchenzug. 5. Eine fchiefe 
Ebene. 6. Einen Apparat, um die Wirkungen des Stoßes nachzu⸗ 
weifer. 7. Einen Apparat, um die Diagonalbewegung nachzuweiſen. 
8. Einen Apparat zum Nachweis der Größe des Luftdruds. 9. Einen 
biedernen Heber. 10. Einen Saugheber. 11. Eine-gläferne gangbare 
Wafferpumpe mit ledernen Ventilen. 12. Eine communicirende Röhre, 
13. Einen Springbrunnen. 14. Ein Thermometer. 15. Ein Prisma. 
16. Eine Farbenſcheibe. 17. Eine Camera obscura, fo Eingerichtet, 
daß der Vorgang des Sehens und aud die Zurüdwerfung der Lichts 
firahlen daran gezeigt werden kann. 18. Einen Magnet, 4 Pfund _ 
tragend. 19. Einen Kompaß. 20. Eine Eleftrifirmafchine Der Cy⸗ 
linder 7 Zoll in der Länge und 5 Zoll im Durchmefler. 21. Einen 
Apparat zur Erzeugung der galvanifchen @lektricität. (Kupfer » Zinke 
Flaſche). 22. Einen Eleltromagnet. 23. Einen eleftromagnetifchen 
Telegraph.“ 

Wir haben dieſen Apparat nicht geſehen, halten ihn indeß mit dem 


Naturkunde, 349 


Berfertiger für gewöhnliche Bürgerfhulen für ausreichend. Der Preis 
it "ein beifpiellos billiger. Bewährt fich diefer Apparat, fo darf ſich 
für die Zukunft Feine Schule mehr über Mangel an Beranfchaulihungss 
mitteln für den phyfikaliſchen Unterricht beflagen. 

Aus dem „Amiskalender für fähftfche Geiftlihe und Lehrer‘ für 
1857 erjehen wir, daß bie fächfiihen Schulbehörden Beranfaffung ges 
nommen haben, den Hering'ſchen Apparat zu empfehlen. 

46. Im vorigen Jahrgange gedachten wir S. 179 eines Werkchens 
unter dem Titel: „Die Dampfmafdine, erflärt für Gewerbes und 
Handwerkerſchulen,“ und bemerften, daß uns die dazu gehörige große 
Abbildung unbekannt geblieben fei. Wir find jept im Beſitz derfelben 
und freuen uns, fie als ganz vorzüglich bezeichnen zu können. Die 
Dampfmafchine ift auf weiße Leinwand in Zarben gedrudt, A Fuß hoch 
und faft eben fo breit, und Foftet 1 Thlr.; aufgezogen, gefirnißt und mit 
polirten Rollen verfehen 24 Thlr. Wir haben uns Ddiefer Abbildung 
bereit& beim Unterricht bedient und Lönnen verfihern, daß fle allen 
Gorderungen genügt. Die Zeihnung ift correct, die“ Farben find leb⸗ 
haft, dem Material (Eifen, Meffing, Mauerwerk 20.) angemeffen; der 
Drud iſt ganz rein. Bei der bedeutenden Größe des Blattes kann es 
in den vollften Klaſſen mit Nuben verwandt werden. 

Zu haben ift das Blatt nebſt Befchreibung (5 Ser.) in Sferlohn 
bei Zul. Bädeker. 


47. Künf Bandtafeln für den Unterriht in der Phyfik. Für 
Volksſchulen, als Begleiter des in den Xefebüchern für Oberklaffen ents 
baltenen phyfikaliſchen Lnterrichts- Material, entworfen und gezeichnet 
von Guſtav Battig, Lehrer am königl. katholiſchen SchullehrersSeminar 
in Breölau. Imp.⸗Fol. mit 1 Bogen Text. Erfurt u. Leipzig, G. W. 
Körner. 1857. 24 Ser. . 
„Der Unterricht in der Phyſik bedarf der Experimente; ohne Appa⸗ 

rate laſſen fich diefe nicht anflellen. Sind fomit Abparate nicht vors 
Banden, fo fann man nicht unterrichten! Run, dann muß man den 
Schülern wenigftens Zeichnungen vorlegen. Beſſer Zeichnungen, als 
nichts haben. Zudem: wie will man den Kindern Begriffe von Lufts 
ballon, Luftpumpe, Feuerfpripe, Zaucherglode, Lokomotive, Telegraph 
beibringen, da man nicht im Stande ift, diefe Infrumente, Mas 
ſchinen zc. herbei zu fchaffen? Meine 5 Tafeln bieten, fo hoffe ich, 
nichts Weberflüffiges.‘ 

Das ift die ganze Vorrede zu dem Werke. Den erfien. Sa ders 
felben erkennt Zeder an; der zweite ift nur zum Theil wahr, ba es 
eine nicht geringe Anzahl von Erſcheinungen giebt, die fih ohne „Appa⸗ 
rate’ veranfhaulichen laſſen. Der dritte Sag: „Sind ſomit“ ꝛc, er« 
leidet durd den eben gemachten Einwand große Beichränfung. Das 
Uebrige ift für die Volksſchule ganz bedeutungslos, in der Regel ſchäd⸗ 
ih. Der Schüler einer Volksſchule, der feine phyfikaliſchen Kenntniffe 
aus dem „Leſebuche“ erwerben foll, braucht die vom Berfafler genannten 


Inſtrumente und Mafchinen gar nicht Tennen zu lernen; fie liegen über 


feinen Gefichtökreis hinaus. Dazu fommt, daB es auf einer Taͤuſchung 





—— —— — —— m — —— — — — — — 
— — mm u. —— 


352 Naturkunde, 


Bi. Gemeinfaßliche Naturlehre, auf befannte Erſcheinungen des tägs 
lihen Lebens und auf Verſuche geftüpt. Gin Leitfaden zum Sebrauche a 
Scäullehrers Seminarien und in Unterflaffen der Mittelſchulen, fowte zum 
Selbftunterrichte für Lehrer und Alle, welche durch Beſprechung befannter 
Erſcheinungen des täglichen Lebens und durch einfache Verſuche die An⸗ 
fangsgründe der Raturlehre kennen lernen wollen. Bon Dr. ©. G. 
Gartenbaufer. Mit 64 Abbildungen auf 9 litbogr. Tafeln. 8. (X u. 
144 ©.) Karlerube, &. Braun’fhe Buch. 1856. 16 Sgr. 

Der Inhalt diefes Werkes zerfällt in zwei Theile, von denen der 
erfte „Luft und Waſſer“ und „die Aufterfcheinungen‘ zum Gegenftande 
hat, der zweite „die Naturlehre in ihrem Zuſammenhange“ darflellt. Zu 
diefer eigenthümlichen Anordnung hat ſich der Berfaffer durch Zweierlei 
beſtimmen laffen: durch eine Minifterials Verordnung und durch die Ab⸗ 
fiht, fein Buch gleichzeitig für Volksſchulen und Seminare, nebenbei 
dann noch für alle Volksfchullebrer und Alle, die fi überhaupt über 
Naturlehre unterrichten wollen, alfo mit einem Worte: für die ganze 
eivilifirte und lernbegierige Welt. Weber minifterielle Vorſchriften kann 
ein Lehrer freilich nicht hinausgehen; aber über die Beſtimmung eines 
Buches hat dem Autor Niemand Vorfchriften zu machen, und in dieſer 


“ Beziehung hätte der Verfafler nicht überfehen follen, daß man in der 


Regel Keinem genügt, wenn man Alle befriedigen will. Außerdem glaus 
ben wir, daß ih der Berfaffer mehr dur die minifterielle Verfügung 
bat beengen laffen, als es in der Abfiht der Behörde gelegen. Wir 
in feiner Stelle würden einen ganz andern Weg eingefchlagen, 3. B. mit 
der Wärmelehre begonnen haben, und dennoch der Verordnung nad» 
gefommen fein. Bon unferm pädagogifhen Standpunkte aus können 
wir der Volksſchule den im erfien Theile eingefchlagenen Weg nicht 
empfehlen, wenn wir auch gern zugeben, daß fi der Verfaſſer nicht 
ohne Erfolg bemüht, populär und im neuern Sinne des phnflfalifchen 
Unterrichts zu verfahren. 

Im zweiten Theile, der hauptfählich dem Seminarunterridt wird 
zu Grunde zu legen fein, hält der Verfaſſer folgende Ordnung inne: 
1. Die allgemeinen Eigenfchaften der Körper. 2. Bom Fall der Körper. 
3. Dom Schall der Körper. A. Bon der Wärme. 5. Bon dem Lichte. 
6. Einiges von Magnetismus. 7. Einiges von der Eleftricität. 


Auch bier würden wir eine andere Folge beobachtet, 3. B. die 
Lehre vom Magnetismus voran, die Lehre vom Licht an den Schluß 
geftelt haben, um einen Fortſchritt vom Leichtern zum Schwerern zu 
ermöglichen. 

Die Auswahl ift im Ganzen angemeffenz doch vermiffen wir Dans» 
ches, worüber wenigſtens Seminariften beiehtt werden müflen, 3. B. 
über das Mikroſkop, über die Telegraphen, über Galvanoplaſtik, Pho⸗ 
tographie u. U. Hier und da trifft man wieder Kapitel, wie 3. B. $. 36. 
Einfluß des Lichtes auf die organifchen Körper, die der Raturgefchichte 
(der Phyſiologie) angehören. 

Einzeine Abfchnitte koͤnnten, unbefchadet der Popularität, etwas 
gründlicher behandelt worden fein. In der Lehre vom Lichte hätte der 
Berfafler das Glasprisma nicht unbeachtet laſſen follen. Hier und da 


Raturkunbe. 353 


Rößt man auf Ungenanigfeiten, refp. Unrichtigfeiten, worauf der Berfafler 
fhon von andern Necenjenten aufmerffam gemacht worden if. Nach 
Entwidelung der Raturgefege pflegt der Berfafler Beranlaflung zu nehmen, 
auf Gottes Weisheit und Güte hinzuweifen. Wir haben an und für 
fi) dagegen natürlich nichts einzuwenden, erwarten aber, daß es durch⸗ 
ſchnittlich geſchickkter und zwingender geſchieht, ale hier. 

Nach den gemachten Ausſtellungen finden wir uns nicht in der 
Lage, das Buch unbedingt empfehlen zu können, Gelingt es, im engern 
Baterlande fo viel Eyemplare abzufeßen, daß eine neue Auflage nöthig 
wird, fo rathen wir, diefelbe recht gründlich vorzubereiten und aus⸗ 


zuführen. 


52. Katechismus der Naturlchre oder die Erfcheinungen von Wärme, 
Luft, Licht und Schall. Nah der neunten Auflage des Englifhen Dris 
ginals von Dr. C. ©. Brewer. Mit 34 in den Text gedrudten Abs 
ee ft. 8 (VOII u. 258 S.) Leipzig, 9. 9. Weber. 1855, 
Der Titel giebt Thon an, daß wir es hier nicht mit einer volls 

Rändigen Naturlehre, fondern nur mit einigen wichtigen Theilen ders 
felben zu thun haben. Diefe find aber ziemlich erfchöpfend behandelt, 
fo daß der Lehrer darüber für gewöhnliche Verbältniffe genügende Aus⸗ 
funft erhält. Die Patechetifche Form ift für den Selbflunterriht nicht 
zu verachten; bier tritt fie jedoch faſt zu flark auf; wir würden Mans 
bes zufammengezogen, die Fragen mehr als Paragraphen »Veberfchriften 
betrachtet haben. Uebrigens find aber die Fragen fonft gut geftellt und 
klar beantwortet. Die Seite 159 vorgetragene Lehre von der Hagel 
bildung muß als veraltet bezeichnet werden. Das beigegebene, fehr ſpe⸗ 
cielle Regiſter macht das Büchlein fehr bequem zum Nahfchlagen, für 
welchen Zweck wir es befonders empfehlen. Die Ausflattung iſt ans 
ſprechend. 


33. Katechtsmus der Aſtronomie. Belehrungen über den geſtirnten 
Himmel, die Erde und den Kalender. Bon G. U. Jahn. it einer 
Sternfarte und 50 in den Text eingedrudten Abbildungen. Zweite, dere 
behlent jerte und vermehrte Auflage. Fi. 3 (VIII u. 136 ©.) Ebendaſ. 1853, 

Ser. 

Der rühmlihf als Aſtronom bekannte, nun auch ſchon heim⸗ 

gegangene Verfaſſer hat in dieſem Katechismus ein Werfchen geliefert, 

das genügende und jehr faßliche Auskunft über alles auf dem Titel 

Genannte giebt. Wer nicht befondere Neigung zu aftronomifhen Stu⸗ 

dien in fi verfpürt, Tann fi) mit dem Dargebotenen vollkommen bes 

gnügen, und wer weitere Studien machen will, für den ift diefer Ka» 
techismus eine gute Grundlage. Die Fatechetifche Form iſt nicht Rörend, 
da der Berfafler fih im Fragenftellen mehr gemäßigt hat, als Brewer. 

Die beigegebene Sternfarte ift eine fogenannte Alignementsfarte, d. h. 

eine folhe, auf der die wichtigfen Sterne durch grade Linien verbunden 

find. Sie if fauber, wie die eingedrudten Zeichnungen. 


Nade, Japreöberigt. X 23 


354 Naturkunde. 


b. Für Schüler. 


b4. Anfangsgründe der Naturlehre von Prof. Dr. J. Frick, Vor⸗ 

ſtand der —728*— Burgenqui⸗ und Lehrer der Phyfik am Lyceum zu 

Freiburg. Dritte, verbefierte yuflage, Mit 221 in den Tett gedrudten 

Solfänitten. 8 (XIV u, 26° ©.) Freiburg, Sr. Wagner. 1856, 
gr. " 


Die Phyſik im engern Sinne wird in neun Kapiteln ig Der ge 
wöhnlichen Folge abgehandelt; ein Anhang enthält außerdem noch bie 
phyſiſche Afronomie, die phyfiſche Geographie und Meteorplagie. Der 
Berfaffer bemerkt ausdrüdlich, daB fein Buch nicht zum Selbftunterricht, 
fondern ausfchließlih zum Gebrauh für Schüler an höheren Bürgers 
ſchulen und den mittleren Slaffen der Gymnaſien beflimmt fi. Mit 
Ruͤckſicht hierauf gebt derfelbe nicht, wie der Unterricht es erfordert, 
von Verfuchen aus, fondern giebt vielmehr die Mefultate eines metho⸗ 
difhen Unterrichts. Abfchnitte, die beim erfien Unterricht wegbleiben 
fönnen, find entweder durch Fleineren Drud oder durch ein Sternchen 
bezeichnet, eine Einrichtung, die Beifall verdient, Der Inhalt felbft 
it Mar dargeftellt und dem gegenwärtigen phufllalifchen Wiffen ange 
meflen, wie von dem durch feine „Phyſikaliſche Technik“ (Braunſchweig) 
ruͤhmlichſt bekannten Verfaſſer zu erwarten war; die eingedrudten, fauber 
ausgeführten Beichnungen dienen zur Veranſchaulichung deffelben. Das 
Wert Tann daher für die genannten Anftalten als ein recht brauchbares 
bezeichnet werden, was die raſch aufeinander gefolgten Auflagen auch 
ohnehin beweifen. 


55, Unserhbaltungen aus der Naturichre Ein Feſtgeſchenk für die 
Jugend, von J. Spitzer, Lehrer ay der Herrmann'ſchen — in 
Bien. Mit einem colorirten Titelbilde und 82 Holzſchnitten. & (Xu. 
126 &.) Bien, Pfautfh u. Voß. 1856. cart. 27 Ser. 

Nah der „vieljährigen Erfahrung‘ des Verfaſſers erzielt man 
„ſtaunenswerthe Nefultate in kürzeſter Zeit,” wenn der Lehrer fh in 
der Phyfik der akroamatiſchen Lehrform bedient, der Schüler. aber ein 
in erotematiſcher Lehrform abgefaßtes Buch in die Hand erhält. Und 
diefe Erfahrung hat ihn bewogen, die bier genannten „Unterbaftungen‘ 
in diefer Weife zu bearbeiten. | 

Es find uns im Gebiete der Methodik ſchon recht wunderliche Ans 
fihten vorgefommen, eine Abnormität diefer Art aber doch noch nicht. 
Gründe führt der Berfaffer für fein Verfahren nicht an; wo follte er 
fie auch hernehmen? Würde nicht die finpelfte Mutter im Stande fein, 
ihn zu widerlegen? Wir halten es für eine Unbilligfeit gegen unfere 
Lefer, dem Berfaffer bier widerlegen zu wollen, und bemerfen darum 
nur, daB auch die einzelnen Abfchnitte des Buches höchſt unmethodiſch 
bearbeitet find. Statt 3. 3. bei der Erflärung des Windes yon dem 
befannten Berfuche mit einem brennenden Lichte auszugehen, ſtellt und 
beantwortet der Verfaffer folgende Fragen: Was verftehen wir unter 
dem Worte Wind? Wie entflehen die Winde? Wodurch Tann das 
Bleihgewicht der Luft geflört werden? Wonad werden die Winde bes 
nannt? U f. w. Bielfah find die Erflärungen auch ungenügend, 


RNaturkunde. 335 


Das Deſte am Bude iſt die ſchöne Auskattung, die wirklich Nichts 
zu wünfden übrig läßt. Schade, daß fie keinem würdigeren Inhalte 
zu Theil geworden if! 

56. Grundzüge der Phyſik, mit Rüdfiht auf Chemie and met beſon⸗ 
berer Hervorhebung der neueften Entdeckungen als Leitfaden für die mittlere 
phyfikaliſche Lehrſtufe methodiſch bearbeitet von Dr, $. ©. I. Erüger. 
Dierte, verbefferte Auflage. Mitt 156 in den Text eingedrudten Holz⸗ 
fnitten. gr. 8. (XVI u. 180 S.) (Erfurt u. Leipiig, ©. W. Körner. 
1856, Ha Thlr., 24 Exrempl. bear 8 Thlr. . 

Das Bu empfiehlt fih zum Gebrauch für Schüler in guten Bür⸗ 
geriulen und für Seminariften. Die für dieſe Anftalten erhsrdertichen 
Lehren der Phyſik find anfhaulih, wirklich methodiſch erläutert und Die 
aus den Berfuchen abgeleiteten Geſetze augenfällig aufgeführt. Die Abs 
bildungen find. gut. Der Zufag auf dem Titel: „mit befonderer Her 
vorbebung der neueften Entdeckungen,“ ſcheint uns ein ſehr überflüffiger 
zu fein, wenn damit mehr gefagt fein foll, als daß das Wer? mit voller 
Berückfichtigung unſeres 'Hegenwärtigen phyſtkaliſchen Willens geurbeitet 
it, alfo nicht hinter der Zeit zurüd ſteht. Bon „den netten Ent» 
dbedungen‘ Tann die Schule font nur Notiz nehmen, wenn fie nach 
irgend einer Beziehung belangreich find. 


IV. Chemie, 


57. Katechismus der Chemie von Dr. Seineid Hirzel, Privatbocent 
der Ehemie an der lniverfität zu Leipzig. Mit 33 in den Text gebiudten 
mboidungen. 1.8. u. 178 S.) Leipzig, 3. 3 Weber. 1855. 

gr. 

Nachdem in einer längeren Einleitung die nöthigen Vorbegriffe ent« 
widelt worden find, gebt der Verfaffer zur Beiprechung der Glemente 
über und theilt diefelben in Verbrennungsunterhalter und verbrennlicdhe 
Elemente. Un die Behandlung der Elemente ſchließt Nch die Pflanzen- 
hemie und an biefe die Thierchemie. Sonach bietet diefer Katechismus 
die Zundamente der gefammten Chemie dar. Die Darſtellung ift ohne 
Ausnahme klar und leichtfaßlich und durch infiructive Mbbilbungen unter 
Rügt. Bum Schiuß größerer Abſchnitte flellt der Verfaſſer zuſammen⸗ 
fafende Rückblicke an, wodurch der Anfänger gut orientixt wird. Die 
katechetiſche Form wird nicht Iäfig, da der Derfafler fih vor gu bäus 
figem Frageſtellen bewahrt hat. Bier und da wünſchten wir, daß die 
elementare Entwidelung die Ezaminationsform mehr zurückdrängen möchte, 
was durch — von Berfuchen leicht geworden wäre Stödhardt 
bleibt in Diefer Beziehung ein unübertreffbares Muſter. 

Bir gmpfehlen das Büchlein Lehrern, die ſich in die Chemie him 
einarbeiten wollen, aber nicht über große Mittel zu verfügen haben. 

3. Chemie fir Schulen und zum Gelbftunterrihte Bon %. 

I, MU Abbildungen. Zweite, vermehrte und verbeſſerte Auflage. 

8. (IV 113 ©.) Reiyzig, Jul. Mlinfgesdi, 1856. 7 Sour, 

Eine Bergkeihung diefer Auflage mit der erflen zeigt, daß det Ver⸗ 
faffer bemüht geweſen if, feiner Schrift die moͤglichſte Vollkommenheit 

23* 





356 Naturkunde. 


zu geben. Wir Tönnen daher das günftige Urtheil, welches wir über 
dieſe Schrift ſchon im 8. Bande des Jahresberichtes ausgeſprochen haben, 
wiederholen und diefelbe als eine für Lehrer und Schüler recht brauch⸗ 
bare bezeichnen. 


V. Landwirthſchaft. 


59. Einfache und leichtfaßliche Grundregeln zur gedeihlichen 
Bienenzucht, auf eigene und anderer Bienenwirthe gemachten Erfah⸗ 
rungen gegründet. Geſchrieben für Schulen und zum Privatunterrichte 
von einem Bienenfreunde. Mit einem Borworte von Brotbeck, Mini⸗ 
fterfals Regiftrator. MM. 8. (II u. 138 ©.) 

Das Büchlein if reih an Erfahrungen und empfiehlt fih von 
diefer Seite Landiehrern, die Bienenzudt treiben wollen, dabei aber 
ſchülerhaft Kitifirt, wie fchon der Titel erkennen läßt. 


60. Die Rabrung der Pflanzen von W. Engelhardt. 8. (214 ©.) 

Zeipzig, Guſtav Mayer. 1856. 20 Ser. - 

Die Nahrung der Pflanzen if in diefem Werke mit Rückſicht auf 
die Landwirthſchaft behandelt; dafjelbe hat daher nad diefer Richtung 
bin ein befonderes Intereſſe. Alles, was auf diefe wichtige Frage Bes 
zug bat, bringt der Berfaffer zur Sprache, Mar und mit Sachfenntniß, 
ftellenweife jedoch etwas breitfpurig. Bei der überaus großen Wichtige 
feit des Gegenſtandes, namentlich in unferer Zeit, Tönnen wir nur 
wünfchen, daß das Werk von allen verfländigen Landwirthen möge ges 
lefen werden. Wo die Landiehrer fi nicht felbf in der Lage befinden, 
von derartigen Schriften direct Gebrauch machen zu Tönnen, follten fie 
wenigſtens Landleute, die für Belehrungen zugänglich find, darauf aufs 
merffan machen. | 
61. Katehismus der landwirtbfhaftliden Botanik. Bon €. 

Müller, Lehrer am landwirthſchaftlichen Inftitute zu Lützſchena. Mit 57 

in den Text gedrudten Abbildungen. MM. 8. (VI u. 174 ©.) Leipzig. 

% 3. Beber. 1856. 10 Ser. 

Das Büchlein ift mit Sachkenntniß gefchrieben und entfpricht feiner 
Beſtimmung. Sein Inhalt zerfällt in zwei Abtheilungen von fehr uns 
gleihem Umfange. Die erfte Abtheilung, S. S—17, enthält bie allges 
meine Botanif. Nachdem die nöthigen Begriffsbefimmungen gegeben 
find, verbreitet fi der Verfaffer über die Lebensbedingungen, Entwides 
lung, Nahrung und Stoffverfhiedenheit der Pflanze, theilt Einiges über 
ben innern Bau und die Glieder derfelben mit und verfchafft dem Leſer 
eine Borftellung von den verfchiedenen Pflanzenfuflemen. Die ganze 
Abtheilung if etwas zu gedrängt gehalten, das fehr beiehrende Kapitel 
über die innere Organifation faſt nur angedeutet. Die zweite Abthei⸗ 
Iung, die allerdings den Haupttheil des Buches bildet, trifft dieſer Bors 
wurf nit. Nach Anordnung des Reichenbach'ſchen Syſtems führt der 
Berfaffer alle der Landwirthichaft nüplichen und fchädlihen Gewächſe 
auf, befchreibt fie fachgemäß und ausreichend ausführlich und fügt das 
Nöthige über Anbau und Werth hinzu. 55 der befchriebenen Arten 


Naturkunde. 357 


find in faubern, naturgetreuen Abbildungen beigegeben, in einem Ans 

bange noch 34 der Hauptfruchtformen. Die Illuftrationen geben dem 

Werkchen einen befondern Werth und erhöhen feine Brauchbarfeit nas 

mentlich für Anfänger. Ä 

62. Das Nothwendigſte und Gemeinnügigfte aus der Obſt⸗ 
baum⸗Zucht in Fragen und Antworten. Ein Handbüdlein für Schule 
und Haus auf dem ande. Sufammengeteit und beraußsgegeben von 
J. Erh. Ernſt, Schullehrer. Mit 4 Tafeln Abbildungen und einer 
Mufitbeilage. 8. (X u. 40 &.) Bamberg, Buchner. 1856. geb. 6 Sgr., 
in Partien billiger. 

Das Büchlein behandelt in 9 Abfchnitten Folgendes: Die Obſt⸗ 
baumfhule. Erziehung und Vermehrung der Obfibäume. Behandlung 
der Wildlinge bis zu ihrer Beredlung. Lepte Berfegung. Befchneiden 
der hochſtämmigen Bäume. Erziehung der Spaliers und niederfläns 
migen Bäume. Krankheiten der Bäume. Derzeichniß der vorzüglichften 
Obſtſorten. Berbandmittel bei Veredlung der Obftbäume. 

Obwohl der Berfaffer nicht fehr gewandt fchreibt, fo if feine Dar» 
Rellung doch Mar und das Büchlein ganz geeignet zum Schufs und 
Selbfunterrigt. Die Baierfhe Regierung hat daflelbe den Schul⸗ 
gemeinden zur Anfchaffung als „ſehr brauchbar“ empfohlen. 

63. KRatehismus der Aderbauschemie, der Bodenkunde und 
Düngerlehre. Bon W. Hamm. Wit 33 in den Text gedrudten Sch. 
f&pnitten. Dritte, vielfach vermehrte und verbefierte Auflage kl. 8. 
(ZU u. 9% ©.) Leipzig, 3. 3. Weber. 1854. 10 Sgr. 

Schon oben haben wir auf diefe Schrift hingewiefen und fie als. 
brauchbar bezeichnet; wir koͤnnen uns daher hier auf Angabe ihres Ins 
halts befchränten. Sie zerfällt in zehn Abfchnitte mit folgenden Ueber, 
ſchriften: Allgemeine Zufammenfeßung der Pflanzen. @lemente, aus 
welchen der organiſche Theil der Pflanzen zufammengefebt if. Orga⸗ 
niſche Rahrung der Pflanzen. Organiſche Beſtandtheile der Pflanzen. 
Bodentunde. Unorganifche Beltandtheile und Nahrung der Pflanzen. 
Birkung des Anbau’s auf den Boden. Düngerlehre. Befondere Bus 
fammenfeßung der pflanzlichen Erzeugniffe. Die Pflanzen als Futter. 
Anhang: Anleitung zu einer einfachen chemifchen Bodenunterfuhung. 
Berzeichniß der Gerathſchaften und ſonſtigen Erforderniffe zur Anftels 
lung fänmtliher in dem Katechismus enthaltenen Verfuche und Unters 
ſuchungen. 

Man findet alſo in dem Büchlein Alles, was ein verſtändiger Land⸗ 
wirth zu wiſſen nöthig hat. Die Darſtellung iſt durchweg klar und 
leichtfaßlich, wird durch gute Abbildungen unterſtützt und feßt feine 
großen Borkenntniffe voraus. Lehrer, welche fih den Inhalt des Werks 
chens ganz aneignen, werden daraus für ihren Unterricht ficher großen. 
Ruben ziehen und aud im Stande fein, vortheilhaft auf ihre Gemeinde 
einzuwirken. 





Lu 


VIII. 
Geſchichte. 


Von 


W. Prange, 


Seminar⸗Oberlehrer in Bunzlau. 





Bei einer mehr als zehn Jahre nach einander im dieſer pädago⸗ 
giſchen Jahresſchrift fortgeſetzten Rundſchau und Berichterſtattung über die 
literariſchen Erſcheinungen auf dem Gebiete des Geſchichte⸗PEnter⸗ 
richte hat es nicht fehlen können, daß zugleich eine Reihe von Zeit⸗ 
fragen üben denſelben zur Beſprechung gelangten, welche fo recht mitten 
in das. praftifhe Unterrichts⸗ und Schulleben hineingriffen. Diefe: Fra⸗ 
gen waren, wie man vieleicht geneigb fein wird anzueriennen, wicht 
oberflächlich und willfüslich gewählt, fie waren vielmehs nach ihrer Bes 
deutung für Wefen und Aufgabe des Gefchichtsunterrichts. bemeſſen, und 
in flets nächfte Beziehung gelebt zu den im Laufe der Jahre auftau⸗ 
henden neuen Gedanken über bie für wahre Bildung möglich aucgie⸗ 
bige, ſchulmäßige Betreibung dieſes Lehrgegenftandes. Ihre Beſprechuug 
konnte, ohne irgend mit dem Anſpruch auf maßgebende Bedeutung auf⸗ 
zutreten, nur zur ſorgfältigen denkenden Erwägung anzegen helfen wollen. 
Vielleicht iſt dieſer Zweck bei denen, welche der Sache mit unbefangenem 
Sinn gefolgt ſind, und außer einem allgemeinen, lebendigen Jutereſſe 
an der Schule noch ein beſonderes warmes für den bezüglichen Lehr⸗ 
gegenftand: haben, nicht fo völlig verfehlt, daß für ſchulgerechte Wür⸗ 
Digung und Behandlung deffelben nicht wenigſtens einiger Ertrag ges 
wonnen wär. 

Eime große Anzahl. von Lehrern und Schulpflegern. if nun, einmal 
nicht in der günfligen Lage, ſei e8 zu ihrer Eurrenterbaltung mit der 
pädagogilchen Literatur, fei e8 zu ihrer zeitgemäßen Weiterbildung, von 
den zahlreichen neuen Erfcheinungen auf dem Unterrichtsgebiete fortlaus 
fend genauere Kenntniß nehmen zu können. Andere, denen manche ders 
jelben zu Geficht kommen, koͤnnen ſich nicht die erforderliche Zeit und 


Geſchichte. | 35% 


Mühe zu deren gründlicher Prüfung ımd Dürcharbeitung gönnen. Ihnen 
affen wird es ja fecherlich swilllommen fern, fortlaufend von einigen der 
wichtigern, nach Geltung und praftifcher Ausgeſtaltung ringenden Ges 
danken, wie fie in verfchiedenen Werten und Beitfchriften zerfkreus les 
dergeledt A finden, Jahr fir Zahr fummarifchen Bericht zu erhalten. 
Das Beduͤrfniß darnach exiſtirt ohne Zweifel in weiten Kreifenz eine 
angemefiene Befriedigung Beffelben Iiegt in Vieler Wunſch. Der Päda⸗ 
gogifche Jahresbericht hat feinen Fleiß daran gefeht, dieſe Befriedigung 
nad Möglichkeit zu gewähren. So if’s gefchehen, daß auf geſchicht⸗ 
lichem Gebiet eine nicht geringe Anzahl von Werfen für bie vers 
ihiedenften Bitdungsverhättniffe vorgeführt, mund auch eine ganze Reihe 
mehr ode? minder praftifder Ydeen für unterrichtlihe Behandlung 
ventilirt worden find. Dadurch Iönnte die Vermuthung genährt fein, 
daB Jahr Aus ZYahr ein auch immer wieder netie Grundgedanfen 
auf den Pian gebracht würben, welché fich in den Iherarifchen Jahres⸗ 
erfheinungen charalteriſtiſch veflecfirten. Jeboch dem iſt nit fo. Der 
geiftige Acker bewähtt fü wenig als der phyſiſche eine immer aleidye 
Productivitat. 

Es Faß fi namentlich gegenwärtig kaum verkennen, — und wer 
in der Lage iR, den Fluetuatiönen der Erfſcheinungen auch nur .auf ein 
Baar Unterrichtsgebieten mit wmfaffendem, ſachkundigem Blicke zu fol⸗ 
gen, wirb es Befläfigen, — daß auf dent Felde des Gefhichtds Un, 
terrichts wefentiß neue Gedanken mid nem Carbdinakfragen jeqzt 
nur fehr fpärlich, wenn überhaupt, auftauchen. Bwar wäre 69 ein Irr⸗ 
tum, annehmen zu Wollen, daß der Schatz zu erwägender praktiſcher 
Fragen wohl bereits erfchäpft fein möge. Go lange das praktiſche Schul⸗ 
leben geiflig im Fluß bietdt, kann es nicht an immer new ſich erzen⸗ 
gender Veranlaffung zw didaktiſchen und allgemein paͤdagogiſchen Erdr⸗ 
terungen mangeln. Aber in der durch den Paädagogiſchen Jahresbericht 
beabſichtigten Rundſchau findet die Tendenz moͤglichſter Heranziehung 
anch ſolcher, immerhin an Mich nicht unintereſſanter Fragen, welche zu 
den jedesmaligen neuen Jahreserſcheinungen in keiner directen und 
frachtbaren Beziehung ſtehen, doch keinen berechtigten Boden. Vielmehr 
hat ſich ſelbſtverſtändlich die RAufgäbe jährlicher Berichterſtatiung in engere 
Kreife zu ziehen, wenn des folgewichtigen Neuen weniger vorliegt. 

Unverkeunbar if im gefammten Unterrichtsweſen gegenwärtig 
ein Wendepunkt erreicht: Auch auf dem Gebiete des Geſchichtßun⸗ 
terrichts ift ein folder Werdepunft eingetreten. Es find neue Bah⸗ 
nen geöffnet, neue Impulſe ertheilt; Vieles iſt im Stadium eines neuen 
Anfangs, und organifirt fi noch in den neu angewiefenen Sphären. 
Die erflen Schritte, welche nach den keuen Richtungen bin gethan wer⸗ 
den, kragen meiſt den Charakter zögernder Bedächtigkeit; fie werben 
wieder und wieder erwogen, ehe Re aus felbfigewonnener Ueberzeugung 
entfchteden fortgefeßt werden, und die darüber erwachfenden Gedanken 
bleiben häufig für’s Erſte noch unausgefprochen. Darin Tiegt fo wenig 
etwas Tadelnswerthes, daß vielnichr die gefleigerte Befonnenheit und 
Sortglichkeit dnf Schütt und Tritt des neuen Thuns als löbliche Frucht 


Te Te er U gr ee —— er 77 ———— — —*— 


360 Geſchichte. 


der neuen Impulſe angeſehen werden darf. Abgeſehen von dem Geiſt 
und der Tendenz dieſer Impulſe iſt es ja an und für ſich ſchon wich⸗ 
tig, daß überhaupt nach längerer, in geruhigem Geleiſe durchmeſſener 
Zeit einmal wieder neue Gedanken und Anregungen in ſie hineinge⸗ 
worfen werden, um die Geiſter friſch zu erhalten. Dem Geſchichts⸗ 
unterricht in den Schulen konnte es eben ſo leicht, als thatſächlich 
dem Religions⸗ und dem Sprachunterricht begegnen, in feinen Formen 
zu veralten und zu verfnöchern; ja noch mehr, er konnte auch in dem 
Geifte feiner Auffaffung abirren, daß eine Umlenkung wohlthätig wurde. 
Die neuen, für ihn gefehten Grenzen und Ziele, die anempfohlenen For⸗ 
men feiner Ausprägung, der für feine Erfaſſung bezeichnete Geiſt tragen 
großen Theils den Charakter einer ſolchen Umlenfung, wenigitens 
zunähft für die Volks⸗ und Bürgerfchulen, welde hier zu berüds 
fihtigen find. Daß Ziele, Formen und Geift der neuen Epode nicht 
von Jedermann fofort erfannt und begriffen werden, daß mande prin⸗ 
cipiell damit antiquirten Gedanken und Anfhauungen faktiſch nod 
mit in die neue Zeit hinübergenommen und einftweilen feftgehalten wers 
den, bis der wachſende Strom allgemeiner Anerkennung fie mit hinweg⸗ 
nimmt: das darf nicht zu befremdlich gefunden werden. Liebgeworde⸗ 
nes Alte, das von Allen gepflegt und amtlich auch lange mit Nachdruck 
gefordert wurde, vergißt fih nicht über Nacht. 

Schon im vorigen Jahresbericht ift auf diefe neuen Principien 
und neuen Bahnen, fo weit fie den Befchichtsunterricht betrafen, hinge⸗ 
wiefen worden. Weiter reicht ohnehin die Aufgabe des Berichts nicht. 
Statt das Neue entweder zu befämpfen, oder zu vertreten, das Verhälts 
niß des feitherigen, aus der vieljährigen Erfahrung zu erkennenden Ents 
widelungsganges zu den zu hoffenden neuen Modalitäten und deren 
Refultaten abzumwägen, bat der Bericht nur von dem im Schooße der 
Geifter erkennbar liegenden Neuen und deffen eventueller Ausgefaltung 
Nachricht zu geben. Ein bis zwei Jahre aber find Fein zulänglicher 
Zeitraum, um dieſe factifche Ausgeftaltung überfehen zu können. Wohl 
find die neuen Theorien öffentlih mannigfach erörtert, — und wer 
wollte fagen, daß dies nicht mit viel Eifer gefchehen wäre! oder wer 
wollte in Abrede flellen, daß das Neue im Kampf bisher nicht mehr 
gewonnen, als eingebüßt hätte! — jedoch in wie weit ihre gelungene 
Hinüderführung in die neue Praxis über das Stadium mehr oder 
minder hoffnungsreicher Anfänge binausgelangt if, if zur Zeit darum 
noch nicht feftzuftellen, weil die Literatur davon den Mefleg noch nicht 


ſtark genug giebt. Was in einzelnen, günftig fituirten Kreifen möglich 


geworden fein mag, darf noch nicht für ein allgemein erreichtes Stadium 
angefehen werden. In diefer Beziehung alfo wird noch zuzuwarten 
fein. Ebenſo wird zuzumarten fein, welde Verzweigung der neue geis 
flige Reim, der etwa jeßt zwei Jahre lang in Entfaltung begriffen iſt, 
erlangen werde. Organiſches Wahsthum verlangt Zeit, wenn es ger 
fund und gedeihlich verlaufen foll, und es hat aud Zeit. 

Inzwiſchen ift es für den denfenden und ſtrebſamen chriſtlichen 
Lehrer, der ja mitten in ein bebeutfames Leben geftellt ik, und fein 


Geſchichte. 361 


ganzes Denken und Arbeiten zum Segen für daſſelbe aufwenden ſoll, 
iſt es namentlich für den Geſchichtslehrer von Wichtigkeit, den 
Blick auf den geiſtigen Zuſammenhang des für die neuen Bah⸗ 
nen der Bolfserziehung und Volksbildung Berordneten mit den allge 
meinen focialen Verhältniſſen gerichtet zu erhalten. So wenig wie 
der Religionsiehrer, kann ſich der Gefchichtsiehrer der in der Beit wal⸗ 
tenden Ausprägung der allgemein geiftigen und namentlih aud der 
fittlihen Potenzen verfchließen wollen. Denn diefe Ausprägung ber 
dingt den Grundcharakter feiner Arbeitsaufgabe, die Natur der verfüg⸗ 
baren, wie der zu wählenden Mittel zu ihrer Löſung, und beeinflußt 
die ganze pädagogiſche Situation der Zeit. Die Diagnofe der focialen, 
wie fpeciell der pädagogiſchen Zeitlage if nun freilich nicht fo uns 
ihwer, daß fie flüchtigen Blides im Borübergehen, und etwa bei Ges 
legenheit des Durchblätterns unferer einflußreichften politifchen und pär 
dagogiſchen Zeitblätter zu gewinnen wäre. Sie fordert Sammlung, 
Bertiefung in die Verhältniſſe, umfichtigen, Maren Blid und einen laus 
teren Sinn. So weit diefe Dinge mangeln, — und wer wäre, der 
fich ihres Bolbefipes rühmen wollte! — mangelt aud die Gabe richtis 
ger Würdigung der geiftigen Zeitverhältniffe in Leben und Schule. 
Dennoch if diefe Würdigung nöthiger, und in ihrer Rüdwirfung au 
auf das amtliche Leben folgenreicher, als ſelbſt die feine Babe methos 
difher Zurechtlegung des einen oder andern Lehrftoffs; namentlich iſt 
fie dem Geſchichtslehrer unentbehrlih. Wer nicht mechanifch von 
‚der herrſchenden Zeitfirömung mit binweggefpült fein will, muß feften 
Boden zu gewinnen fuchen, das Auge vor Allem unverwandt auf die 
Haupiſache richten, und dann nah dem Maaß feiner Kraft in feinem 
Berufskreife feinen Mann ſtehen. In Zeiten, wo nicht eine ephemere 
Idee die andere, Well’ an Welle, jagt, wo vielmehr Alles nach einem 
fundamentalen Status quo ringt, und wo Zeit zur Befinnung und 
DOrientirung vergönnt wird, um zur Einfachheit und zu den Kernflüden 
alles Lehrens und Lernens zurüdzufehren, wird ed ja auch möglich, mit 
mehr Ruhe fih zu fammeln, und, fih mit der Zeitaufgabe bewußt, in 
das rechte Berhältniß zu feben. Das geſchieht felbftverfländlich nicht 
durch bloße Prüfung, Aneignung und Ausjpinnung von allerlei Methos 
den. Wie werthvoll immerhin verftändige, fachgemäß entwidelte Metho⸗ 
den dem Lehrer in jeiner Berufsarbeit bleiben werden, das Wefents 
lich ſte find fie nicht; fie find Formen, in weldhe der rechte Geift 
nothwendig erſt das rechte Leben bringen muß. Daß und mie er dies 
bineinzubringen vermöge, hängt von dem Verhältniß ab, worin der Träs 
ger des Geifles, der Lehrer, focial und ypädagogifch zu- feiner Zeit fleht. 

Es wird fi deshalb für den diesmaligen Jahresbericht empfehlen, 
Blicke auf die fociale Situation der Gegenwart den Bliden auf 
die pädagogiſche Situation voranzufhiden und dann der gegen» 
wärtig zeitgemäßen Aufgabe des Geſchichtsunterrichts 
und der Mittel zu ihrer Löfung zu gedenken. Daran mögen fid 
noch einige Erörterungen über traditionelle Lehrfoffe für den 
geſchichtlichen Schulunterricht in ihrem Verhältniß zur 


362 Geſchichte. 
Geſchichtsforſchung und einige andere aber trabitisnelte Vehnud⸗ 


lung geſchichtlicher Lehrſtoffe im Schulunterricht in ihren 
Verhäktniß zu den pädagogiſchen Princtpien anfchliegen. 


L Andeutungen uͤber die gegenwärtige foctale Sttuatton. 


Politiſche Eroͤrterungen über ſociale Zeitverhaͤltniſſe, wie le Stadts⸗ 
männern nahe liegen mögen, bedarf der ſchlichte Geſchichtslehret nicht 
Aber fo wenig er mit verdundenen Augen einherzugehen verpflichtet iſt, 
fo werig auch mit verfchloffenen Ohren, daß er nidyt fehen und verneh⸗ 
men dürfte, welche Bewegungen im Großen und Ganzen durd feine 
Beit geben, Bewegungen, welche mit ihren letzten Undnlatidnen ficher Bis 
an ihn heran und bis m feine Lebens⸗ und Amtserhältniſſe hincin⸗ 
wirfen. Wem nicht die divinatdrifhe Gabe verliehen FR, die Zehen 
feiner Zeit zu merken und zu deuteh, dem darf, wenn et von Units 
wegen fle dennoch zu beachten veranlaßt if, wenigflens angefonrien wer⸗ 
den, daß er auf die Stimmen derer Hört, welche nit bloß durch Lief⸗ 
und Weitblick des Geiftes, fondern auch durch hohen ſitklichen Erf 
eines in reihen Erfahrungen gevrüften, meannbaften chtiſtlichen Sinnes 
befähigt find, diefe Zeichen zu erkennen umd zw verftehen. Fir den 
Geſchichtslehrer iſt hierzu datum befonderet Anlaß vorhanden, weil Inter 
den Urtheilsfaͤhigen die Ueberzeugung beſteht, baß ganz votzugẽéweiſe die 
Geſchichte mit den Beruf habe, nach Kräften foͤrderſam in die foriafe 
Situation des Volks einzugreifen. 

Nun differirt aber der Eharafter ber Grundanſchaunngen vom biefer 
focialen Situation gar weit je nady den politifcyen und kirchlichen Heer⸗ 
lagern, in denen fie herrfchen. Er ift bei den Evangeliſchen ein: ande⸗ 
rer, als bei den Katholiken; bei denen, weiche Tiherafen und Mwterkrfie 
ftifhen Principten folgen, wieder ein anderer, als bei dendt', welche 
confervative Grundfäße hegen und den geiftigen Natkonalgütern ben 
Borrang vindiciren. Dennoch ſtimmen die ernfteften Geifler der Haupt⸗ 
parteien in manchen iwefentlichen Punkten überein. 

Da anzunehmen tft, daß die überwiegende Mehrzahl ber Leſer des 
Pädagogifchen Jahresberichte der evangelifichen Kirche angehört, ud 
da der Bolfsfchullehrer ganz vorzugsweiſe den Beruf bat, in verfühns 
Iihem, confervativ.em Sinne zu arbeiten, und die Jugend demgentäß 
zu erziehen, fo wird es gerechffertigt erfiheinen, die Andeutungen über 
die gegenwärtige fociale Situation in evangelifchen und confſervattvem 
Sinne zu geben. Hierzu bietet fih das Vorwort zu Prof. Dr. G. 
Selzer’s „Proteffantifhgen Mondtshliättern” (Januärheft 
1856) dar. Die Grundgedanken darin find folgende: 

Unfere Zeit ift vor riefenhafte Schilfalsfragen geſtellt; ſowohl die 
äußere Weltlage, als die religiöfen Zuflände, beide voller Wetterzeihen 
nahender Stürme, fordern durch ihren erjähütternden Ernſt zu deren 
Prüfung und Löfung auf. Dennoch fleht die große Mehrzahl der Zeit⸗ 
genoſſen, Hohe und Niedere, Gelehrte und Laien, entweder in verwor⸗ 


Geſchichte. 368 


vener Matblofigleit, oder im fiimpfer und frivoler Gleichgutigkeit ihnen 
Am Geiſte der- Einen nagt der fataliſtiſche Yweifel, Undere 
verbergew ihren innen Bankerott hinter Stügfid abwartendem Schwei⸗ 
gen, es den Narren üderlaffend, ihre umveifen Gedanken laut werden zu 
laffen. Das find die, welde an die Stelle Gottes und feines mit 
heiligen Gerichten durch die Geſchichte ſchreitenden Geifles ein fremdes 
Idol erhöhen, welche ftatt der ewigen Lebens quelle irgend eine vom 
Leben verlaffene Hülle feſthaſten, und in den Formen, aus denen ſich 
das Leben Kingfl zurückgezogen, mit felbffücztiger und verbiendeter Bis 
gotterie dennoch das Leben ſuchen, und wenn fle vergeblich geſucht, feig 
und eigenſinnig ſich Befügen, fie hätten es doch gefunden. GEs find bie, 
welche den heiligen und gerechten Gott, der nicht mit ſich ſpotten läßt, 
zum Parkeigäten erniebrigen möchten, dem zu Zeiten Weihrauch geopfert 
wird, damit er alle Getüfte ihres felbfifhen Herzens, alle Vortheile 
und Vorurtheile ihrer fleifchliden Kaſte, allem Dünkel ihres ererbten 
Wahnes befkätige. Auch die conferwative Partei if in lirchlichen, wie 
in polktifden Dingen von diefen Schäden mil ergriffen, und es if als 
das verheißungsvollſte Wert unſerer Zeit, die weltgeſchichtliche Scheidung 
des wahrhaft. Gefunden, Lebensfählgen von dem innerlich Abgeftorbenen 
zu begeichnen, ein Proceß, welcher im Gebiete der Meligion, der Polis 
tie, der Wiſſenſchaft die wahrhafte, conſervative Ehrfurcht vos Recht 
und Wahrheit von der nur conſervativ geheißenen Ausbeutung Des 
Gewalt und äußerlihen Satzung mit ihrer Feffelung des Geniffens und 
Lähmung des Geiftes: zu trennen hat. Dieſer Rinigungs⸗Proceß des 
wahrhaft erbaftenden Mächte des Lebens ficht, wie andern hervorragen⸗ 
den Bölfern, fo auch den Deutfcher ale das für ihr Wohl und Wehe 
Entfcheidendfte bevor. Mit Partei Stiwörtern und BZauberformein if 
nicht zu helfen; fie terrorifiren nur, die Confervativen ſowohl, als ihre 
Gegner. Zu heffen if nur dich die Geſinnung, melde pofitiv ech» 
tes Leben in. file trägt, und ſtärkend und Lehen weckend auf ihre 
Zeitgenoffen - einwirkt. Diefe allen ift im Stande, der fittlichen und 
geifigen Rech der Gegenwart, der Erichlaffung und Verfunkenheit hier, 
der Ueberreiztheit und Berfliogendeit dort: zu wehren, das leibliche, wie 
daB geifliche Brod denen bringen zu helfen, denen es fonft nicht gereicht 
wird, die gvenzenlofe Verwirrung und Berflüftung in ber geifigen und 
religidfen: Welt zu befeitigen, und bie zunehmende Erbitterung und Ben 
wilderung: in den Maffen zu befchwören. Gie allein Hilft fo vielen 
edlen Kräften und Beſtrebungen aus ihrer Berwailung und Bereinze- 
lung heraus, erldſt von den unfüglichen Beiden, welche in der Ziefe der 
Gefellſchaft und der Geifter gähren, von Lüge, falfcher Parteifchminte 
u. dergl., und reitet eben fo von den Folgen Inabenhafter Umwälzungss 
luſt und greifenhafter Zurückzwaͤngung zum Alten, worin feit vier Jahr⸗ 
zehenten die unſchätzbarſten Kräfte und Gaben auf den Gebieten des 
Staates und der Kirde, der Schule und der Literatur vergeudet wur⸗ 
den, wie von den bösartigen Nachwirkungen der für die Menge beredis 
neten Schlag» und Schredwörter der Parteien, womit dieſe gegenfeitig 
ein verwerfliches Einfhüchterungs » Syflem aufzurichten fuchen, das jedem. 


364; Geſchichte. 


lebendigen, wahrhaft aufbauenden und befreienden Fortſchritte wie ein 
böfer Dämon im Wege ſteht. Dies unlautere Cinſchüchterungs⸗Syſtem 
muß geftürzt, der falfche Eirkel, in welchem ſich jene Partei⸗Geſichts⸗ 
punkte bewegen, muß durchbrochen werden, wenn die grenzenlofe Desor- 
ganifation auf den Gebieten der Religion, Sitte und idealen Wiſſenſchaft 
nicht immer weiter um ſich greifen fol. Es fehlt im Großen der relis 
giöfen wie der politiſch⸗ſocialen Welt ein wahrhaft pofitines, 
eroberndes, jchöpferifches Brincip, es gebriht am Glauben an fid 
und der Zufunft. Hülfe iR nur anzubahnen durch praktiſches Ber- 
ftändniß der Gefhichte und unabläffige Bertiefung in den urs 
fprüngliden Sinn des Chriftentbums Wie arm find wir ge 
genwärtig an Männern, die mit dem tiefen Ernſt religiöfer und fittlicyer 
Ueberzeugung auch Iebendigen gefhichtlihden Sinn, mit praftifchem 
Geiſte für das Wirklihe und Thatfähhlihe auch die Gabe der Darflels 
Iung verbinden. Das giebt einen Barometerfand an für unfere theo⸗ 
retifche und praktifhe Bildung, und offenbart das fchreiende Mißver⸗ 
hältniß zwifchen den Zufländen der Gefellfchaft, den Forderungen und 
Bedürfniffen des wirklihen Lebens und zwifchen der theoretifchen Aus⸗ 
rüſtung, womit die Mehrzahl in Schule und Kirche zur Zeit fich noch 
abfindet. — Bor Allem thut ung jetzt Noth: religiöfe und hiſtoriſche 
Vertiefung *) der proteftantifhen Gefinnung, und unermidliche Schärs - 
fung des Gewiflens für die ſitthich⸗praktiſchen, organifchen Aufs 
gaben der bürgerlihen und Firchlichen Gemeinde. Aus dem Chaos ber 
jegigen Schul», Kirhens und Sectens Meinungen wird uns auf die 
Dauer nichts fo ficher befreien, als ein neuer fchöpferiiher Bund des 
religidfen und geſchichtlichen Geiftes, eine Durddrins 
gung des Evangeliums mit der welthiftorifhen Erfahe 
rung! — 

Das find ſummariſche Pinfelftrihe zum Bilde der heutigen ſo⸗ 
cialen Situation. Sie find in der Hauptſache ernfl und trübe, und 
dabei doch marfig genug, um auch von dem Volksſchullehrer nicht 
überfehen werden zu koͤnnen, wenn er nachdenklich feine Zeitaufgabe als 
Religions» und Geſchichts lehrer zu begreifen fuchen will. Mag auch 
der Ring, den feine Kraft und feine Wirkfamkeit in der Kette der Pos 
tenzen bildet, welche das Volksleben heilbringend umfaflen wollen, nur 
ein unfcheinbar Meiner fein; er ift doch an einer fehr wichtigen Stelle 
eingefügt, nämlich bei der Bildung und Erziehung der Jugend unfers 
Bolfes, die an den oben gezeichneten focialen Schäden mitleidet. Und 
wie bedeutfam feine Thätigkeit an diefer Stelle erachtet wird, gebt 


*) Prof. Dr. Dorner (in Göttingen) fagte in der evangelifhen Confe⸗ 
renz zu Paris unter Anderem: ‚Im lebendigen Verſtändniß der Geſchichte 
und ihres Sinnes verlernt der gebildetfte Theil unfers Volles jene hoble Cin⸗ 
bildung, die fi allein weife dünkt, und Alles von vorne anfangen will, lernt 
vielmehr auch jenen edeln Nefpect vor der Weisheit der Väter; aber verlernt 
auch nicht minder den Reſpect und die Furcht vor der blinden Gewalt und 
dor Kar Autorität, die nicht im fittlichen Bewußtfein ihren ewigen Halt hat 
un u .' 0 


Geſchichte. 365 


genugfam aus der Ungelegenttichleit bes Blicks hervor, den alle Weit 
Darauf gerichtet Hält, und aus dem Maaß intenfin gefleigerter An⸗ 
forderungen an diefelbe, wie aus der Sorge, fie ſtets in richtigen Bah⸗ 
nen zu erhalten. 

Der Geſchichtslehrer findet darin Aufforderung genug, um bes Ge⸗ 
wiffens und der rechten Zrucht feiner Arbeit willen, den Blid anf die 
fociaten Berhältniffe im kirchlichen und bürgerlichen Leben mit aller ihm 
möglichen Schärfe zu richten, und zwar fill und unbeirrt durch wirres, 
unflares Parteigezänt. Es ift auf feine energifche, gefunde Mithülfe 
gang weſentlich mit gerechnet. 

Unfere gegenwärtige Situation zeigt aber zugleih in Einzelnen 
noch wichtige Phaſen, welche auch dem fchlichteften Lehrer in Land und 
Stadt fidh aufdrängen, und ihn zur Erwerbung klaren Bewußtſeins über 
Art und Maaß feiner fördernd oder hindernd dabei zu entwidelnden 
Thaͤtigkeit nöthigen. An diefer Stelle find nähere Ausführungen dars 
über nicht zuläfftg, weil ein Pädagogifcher Jahresbericht über Geſchichte 
nur die auch literarifch bier und da niedergelegten Meinungsäußer 
rungen in kurzen Andeutungen und Auszügen wiederzugeben ſich ver- 
Ratten barf. Das Leben felbf liegt ja vor Jedermann, der offene Aus 
gen und ein Herz für das Bollswohl hat, ausgebreitet da. 

Charabkteriſtiſch if für unfere Beit der maaßloſe Materialismus, der 
erſtaunliche Aufichwung in Induftrie und Handel, die Sucht nach immer 
größerem Erwerb und Genuß, gefleigerte Concurrenz aller dazu in Wirk⸗ 
ſamkeit zu fegenden Kräfte; und dagegen ber. grelle Gegenſatz wachſender 
Armennoth, wachfender fittlicher und religiöfer Berwilderung in allen 
Bolksſchichten. Charakteriftifch find die Triumphe der materiellen Cultur 
und äußern Givilifation, bes verflandesmäßigen Maffinements bei Aus» 
beutung und Dienfbarmahung der Natur, der Eultus der Mafchinen, 
welche zu unglaublicher Steigerung der Production in Rüdfiht auf 
Menge, Zweckdienlichkeit, Werthänderung, Mannichfaltigfeit und Schön, 
beit verholfen haben, und als‘ ein Haupthebel äußeren Fortſchritts anzu⸗ 
feben find. Charafterifiifh find aber auch die erfchütternden Folgen 
diefer Triumphe für das geſammte fociale Leben, dem für Millionen 
durch Diefelben das fichere Zundament gefunder Entwidelung, nämlich 
die chriſt liche Grundlage für Herz und Sinn verrüdt, wenn nit 
gar untergraben if. Das Naffinement in der Kunſt des Genuffes und 
im Lufrus if von großer fittliher Gefahr, das Drängen nach immer 
höherer äußerer Bollfommenheit gefährdet die Neigung und das Bes 
wußtfein von der Nothwendigkeit innerer Vollkommenheit in Geſin⸗ 
nung und ganzem geiftigen Weſen. Die Arbeit, ftatt als Selbſt⸗ 
zweck umd Princip, flets nur als Mittel zur Erreichung höherer Lebens» 
zwecke auf der Bahn des irdifchen Berufs angefehen, ‚verdirbt die 
Seele, während fie den Leib tödtet, erzeugt bier Weberreizung, dort Abs 
Rumpfung, entleert das Herz und bahnt in den Tiefen der Seele eine 
gewifle Gottentfremdung vor, welche alle moralifchen oder organischen 
forialen Bande endlih auflöfl.” So iſt's nicht bloß in den Fabriken, 
ſondern auch bei der Arbeiterbeuälferung auf dem Lande und bei denen, 


866 Geſchichte. 


welche geiſtig zu arbeiten berufen find in mancherlei Lebenskreiſen, ſofern 
in denſelben die Grundſätze des Chriſtenthums und die Wahrheiten ber 
Geſchichte hintangeſetzt werden. Auch die Stimme der Geſchichte iſt 
hier gerade von befonderer Bedeutung, fo weit fie Wahrheit, Berechtige 
keit, Unabhängigkeit won der Macht des blinden Vorurtheils und den 
Glauben an einen tiefern Sinn und Bwed in den Geſchicken der Menſch⸗ 
beit zur Geltung zu bringen, und dadurch thatſächlich eine Lehrerin des 
Lebens zu werden fuht. Mit vollem Recht wird diefe Stimme ſchon 
für die Zugend erhoben, um fle vor fittlihen Zeitſchäden fo viel ale 
möglich zu bewahren, und im Verein mit der Stimme der Religion fie 
auf die Bahnen zu höheren, ewigen Bielen zu rufen, und mit ber Waf⸗ 
fenrüfung, Ach darauf erfolgreich burdhzufämpfen, zu verfeben. Selbſt⸗ 
fucht, Sinnendienk, Zucht⸗ und Furchtmangel, auch ſchon bei der Ju⸗ 
gend bemerkbar, weichen bloßen moraliſtrenden Ytosldn nun einmal 
nit; die chriſtliche Grundlage des Glaubens allein, welche 
Vernunft, Sinn und Geift zugleih durchdringt, ſchafft fichere Hälfe 
unter Mitwirkung gefhidhtlicher Erfahrung. 

Dem Lehrer, der hinreichend fein organifirt if, um feine Zeitlage 
aus der ihm übergebenen Bollsjugend zu lefen, und hinreichend Liebe 
und Glauben im Herzen trägt, mit Dranfegung feiner ganzen Kraft 
und feines Eifers den beiligften Bebürfniffen diefer Jugend zu entſpre⸗ 
hen, if’s von großem Werth, und es dient gar fehr zu feine Ermu⸗ 
thigung, zu wiflen, daß eine weit» und tiefgreifende Thaͤtigkeit orgeni- 
firt iR, um ihm Dabei zu Hülfe zu fommen. Dieſe von den edeiften 
Gemüthern angebahnte Thätigfeit, welche Stärkung und Nahrung der 
beften Steime, Zurückführung der verfplitierten und zerfnittertn Geiſter 
zur Einfachheit chriſtlichen Weſens, Mettung des DBerirrien und Ver⸗ 
wahrloften,, des Gefallenen und in äußern und innerm Elend Verkom⸗ 
menen beswedt, entwidelt fi auf vaterlaͤndiſchem und Tirchlichem Boden 
mehr und mehr. Ein Blick in die Arbeit der innern Miffton lehrt das 
aufs Klarſte. Chriftlihe Vereine, Anflalten, Bemühnngen, Schriften 
aller Art find in allen Bolksichichten und für alle Stände bereits in 
voüfter Wirkſamkeit, um den mannichfaltigften Nöthen, dem äußern Jam⸗ 
mer und der geiftigen Veroͤdung, der fittlichen Berliederung und ber 
kirchlichen Bodenloſigkeit, wo fe dieſen focialen Feinden nur beizukom⸗ 
men vermögen, entgegenzutreten, heilend und beffernd. Mit großartiger 
Aufopferung von Geld, Zeit, Kraft, Liebe und Ausdauer verbindet ſich 
der fefte Glaube an den Segen diefer Arbeit. Der Lehrer kann Das 
feben; es gebt ihn ganz nahe an; er hat fih daran zu betheiligen. 
Und als Geſchichtelehrer hat er wirffame Hebel in der Hand, die 
Bolksjugend von früh an mit Gedanken zu durchdringen, welche chriſt⸗ 
liches Weien, Sinn und Leben, Bietät, Heilighaltung der edeiften 
Bolfsgüter und Begeifterung für deren Wechterbaltung pflanzen und 
pflegen, und fo die gejunde Frömmigkeit unſers Volks wieder berbeis 
führen helfen, die daflelbe in früheren ſchweren Betten als feften Lebens» 
anfer beſaß. Er darf mit Sicherheit daranf rechnen, daß eine ſolche 
Deuupung dieſer Hebel eben fo fehr erwartet und willfommen geheißen 


Geſchichte. 867 


von Allen, welche die Beitlage verfieben, ala nach Möglichkeit unterfkigt 
werden wird. Die Sache if nicht etwa für die oft fehr befpeidenen 
und Heinen Kreife der Wirkſamkeit eines Lehrers zu ſublim; de die 
offenen Schäden auch in diefen kleinen Kreifen zu Zage liegen, jo if 
and) bie vetiende Hülfe dagegen in denſelben an berechtigter Stelle. 
Wenn jlngf öffentlich geäußert wurde: „in allen Ständen Ireie Die 
Sucht, mehr zu fcheinen und zu gelten, ala man if, bervor; überall 
ein ruheloſes Getreibe, ein Jagen nah immer neuem Beil und Genuß, 
obue daß doch das Merz irgend fatt wÄrde, vielmehr fchlieflich immer 
nur dumpfe Leere und Verzweifung“, wenn ala Quell dieſes Elends 
„bie Glaubensiofigkeit'' bezeichnet wurde: fo if damit impheite gefagt, 
daß auch ländliche Schulkreiſe von diefen Mißſtaͤnden berührt wer, 
den, und es iſt die wirkſame Arznei dagegen bezeichnet. Ja, an derſel⸗ 
ben Stelle wurde won einem praktiſchen Kenner der Vollszuſtände ganz 
befondera nom Lande das Hinichwinden der Furcht vor dem Ernſt der 
Geſetze und der Strafe, und das Gebrochenſein der Autorität als der 
Krebaſchaden von unberechenbarer Tragmeite hervorgehoben, aus dem Die 
von Jahr zu Jahr wachfende Entfittlichung unfers an ſich guten Land» 
volle berfomme Und ein berühmter national» ötonomifer Schriftftefler 
und Lehrer fagt neuerdings: „Die wahre hriftliche Bildung der Land» 
wirtfe und afler übrigen Gelhäftsieute im Gebiete der Wirthfchaft bes 
Regt nicht darin, daß fe fick von diefen irdiſchen Geſchäften möglich 
zurückziehen, ſandern vielmehr darin, daß fie die Beichäftigung mit irdi⸗ 
ſchen und geikliden Dingen in fReter Richtung auf Das Himmlis 
ſche und Gwige verrichten.” — Diefe Richtung bilft auch die Ges 
fhichte vermitteln, ja, fie iſt in dieſer Beziehung faſt wirkfamer als 
bloße veligidfe Doctrin. Sie verkörpert nämlich fofort den religiöfen 
Gedanken, des, wie 2. Ranke treffend fagt, in Deutfchland mächtiger 
in und war, ala ales Andere. Sie wet auch, wie im Geiſt gereifter 
Minnes die Gewißheit, jo im Findlihen Gemüth der Jugend die Ahr 
nnug „bon ber unergrändlichen und doch unleugbaren Berfnüpfung der 
menfchlichen Sehickſale, die Ehrfurcht vor jenen gebeimnißvollen Fügun⸗ 
gen, bie fa oft in Einem Augenbiide die Berechnung der Flügen und 
die Wagniſſe der Kühnſten durchkreugen. „Alle großen, weithißoriſchen 
Moments erfüllen die Seele (auch der Jugend) mit Ernſt; man fühlt 
die Mähe einer unfichtbaren Macht, deren man in der dumyfen Gewöh⸗ 
nung des alltäglichen Treibens Teicht vergibt. Dies Gefühl, worin der 
Sinn für alles Tragiſche, ja für die Gelchichte überhaupt feine tieffte 
Wurzel bat, unterſcheidet den denfenden Beobachter der Beitereignifle 
von dem oberflächlichen Pöbel mit feinem Neuigkeitss und Unterhals 
magſ⸗Hunger auf allen Stufen der Geſellſchaft.“ 

Der Geſchichtslehrer hat ganz eigene die Aufgabe eines ſolchen 
denkenden Beobachiers ; es Tieidet ihn in der That fchlecht, wenn er den 
Mangel eigener Dentarbeit nur unter falbungswollen Redensarten und 
unter einem hoben Pathos, was allerdings ziemlich mühelos if, vers 
Deden wollte. Es gilt weniger den Umfang als die Tiefe der Beobach⸗ 
Yung; wub rim deuticher Geſchichtslehrer mag vorläufig fich befonders 





368 Geſchichte. 


auf die Würdigung vaterländiſcher Lebensverhäftniffe einlaffen, um 
im Hinblick auf diefe an die Löfung feiner Aufgabe zu gehen. Weit 
genug if bereits dies Gebiet für große Kräfte; und wie Vielen find 
folche verfagt! 

Mit Rüdfiht hierauf werde nur noch an ein paar Gtimmen 
erinnert. 

Ed. Büder in Bern erwähnt in der Darftellung deutfcher Noth⸗ 
fände, daß felbft von denen, welche fih vom Schimmer der Bortrefflich- 
keit der Gegenwart beftechen laſſen, je länger deſto weniger in Abrede 
geftellt werde, daß die Noth des chriftlihen Volks in ihren mancherlei 
Formen und Verzweigungen nahezu allerwärts eine unüberſehbare fei. 
Es werde dies Bolt jetzt thatfählih nur fehr obenhin von den Lebens 
Träften des Evangeliums berührt. Statt die Nahrung feines geifligen 
Lebens bei Chriſto und feiner freimahenden Wahrheit zu ſuchen, lafſe 
es fih von den nächftliegenden kleinen Intereſſen der Welt und Zeit, 
die im Urgen liegen, dahin nehmen. Diefe Intereſſen ermangeln aber 
der höhern Einheit; fie gehen ihrem Wefen nach in zufällige Mannich⸗ 
faltigfeit auseinander, fo daß von ihnen eine desorganifirende, das Bolf 
zur Maſſe atomifirende Wirkung ausgeht. „Der Strom des Berders 
bens, der feine tieffte Quelle in der fo weit verbreiteten Abkehr der Ges 
müther vom Gott des Heils hat, ergießt in tauſendfach verſchiedener 
Geſtalt feine giftigen Wafler durch alle Schichten der Geſellſchaft.“ Sie 
dringen auch bis in Haus und Familie, in diefe bleibende Baſis alles 
Volkslebens, und vermüften beide durch moderne Berlotterung, aus wels 
cher fie wieder auf den urfräftigen Boden des Neiches Gottes hinübers 
zuziehen eine eben fo ſchwierige, ald bochnöthige Arbeit bleibt. 

Ferner: In feinen Gedanken über das Mißverhältniß der (theolo⸗ 
gifchen) Wiſſenſchaft und des chriftlichen Lebens äußert H. Thierſch: 
„Ber die heilige Schrift — alfo auch die Geſchichte darin — ohne 
Anbetung Gottes und ohne Leben aus Gott fudirt, für den muß fte 
zum abgeftorbenen Buchſtaben werden, und das Abgeflorbene muß zulept 
verweien ... Wer kann die Maffe von bewußter und unbewußter Heu» 
chelei ermeflen, wozu das gegenwärtige Gefchleht durch die von den 
Herrſchenden begünftigte und eingehaltene Nichtung verleitet wird !"’ 

Damit möge e8 der fummarifchen, wie der einzelnen Andeutungen 
über die gegenwärtige fociale Situation genug fein. Ahr Charakter 
fpringt daraus deutlich genug in die Augen, um zugleich darüber außer 
Zweifel zu laffen, was für ein Heilverfahren und welde Heilmittel das 
gegen zeitgemäß fein werden. Wie viel oder wenig ein Lehrer an 
feinem kleinen Theile dazu beitragen kann, bei richtiger Erfenntniß diefer 
Situation, ihrer Nöthen, wie der bereits Dagegen in Wirkſamleit gefepten 
Hülfen, im Kreife der ihm anvertrauten Jugend einen gefundern Sinn, 
hriftlich geläuterten Willen und pietätvolleres Wefen anzubahnen und 
einzuleben: nicht das kommt in Frage, fondern Daß er überhaupt mit 
Ernft und Eifer nur in diefer Richtung um des Gewiflens willen arbeis 
tet, die dargebotenen Hülfen weislich und wirkfam anwendet, und fid 
felbſt treu in der Wahrheit erfinden läßt. Diefer Geift muß auch feinen 








Geſchichte. 369. 


efgidtlichen Unterricht durchwehen; dann wird der Gegen nie ganz 
fehlen. Er wird, bei eigener Sammlung und Wintehr feines Gelſtes 
und bei Reinigung des eignen Herzens, den hellen Blick zur Würdi⸗ 
gung der geſchichtlichen Entwidelungen und Charaktere, er wird aber 
auch damit eine Macht über die Herzen gewinnen, aus der leicht aller 
übrige Einfluß fich berleitet. Daß todtes MWorts, Namens und Zahlen⸗ 
werk, daB flüchtige Blide in Allgemeinheiten biforifher Zufände, daß 
auch vorſchnelles Aburteln des Werthes von Thaten und Gefinnungen 
Diefe Macht nicht zu erſetzen vermögen, darüber beſteht Fein Zweifel. 


HU. Andeutungen über die gegemvärtige pudagogiſche 
Situation. | 


Nachdem lange Zeit hindurch den pädagogifhen Entwidelumgen tm 
der Schulwelt fat völlig freier Raum belaffen war, haben höhere regms 
latorifche Anordnungen die Grundzüge des zufünftigen Charakters und 
Ganges dieſer Entwidelung durch befiimmte Normen feſtgeſtellt. Ders 
gleihen Anordnungen find von den höchſten Schufbehörden mehrerer 
deutſchen Länder in den legten beiden Jahren erlaflen, im andern find 
verwandte vorbereitet und durch einleitende Schritte angebahnt. Dieſe 
neuern Beftimmungen betreffen nicht bloß den Stoff und die Unter» 
richt sform, fie reguliven nicht bloß im qualitativer und quantitativer 
Rückſicht, was in den Eulen zu lehren fei, und die Methode, wonad 
dies verarbeitet werden folle, fondern fie ſchreiben auch den Geiſt vor, 
welcher das ganze Werk der Bildungsarbeit zu durchdringen habe, und 
die Tendenzen, welche verfolgt werden ſollen. Sie find ferner nidt 
bloß für die niedern, fondern au für die höheren Schulen gege 
ben, und umfaflen daher den größten Theil der gefammten Ingend⸗ 
bildung und Jugenderziehung des Boll. Wegen threr Umfaſſenheit 
und großartigen Tragweite find fie bald von allen Pädagogen und 
Sähulmännern, die den erforderlichen Tief» und Weitblick dazu heftigen, 
als ſehr bedeutjame Erſcheinungen angefehen worden. Es dat wicht ger 
fehlt, daß die paͤdagogiſche Welt dadurch Immer mehr und mehr in zwei 
Heerlager auseinander getreten iR. Es if ein Kampf unter den Ber 
treten der ältern und denen der neuern Richtung entbrannt, in weichem 
die innern Gegenfäge beftimmt fotmulirt zu Tage getreten find, und 
bei weldyem auch, wie die Brincipien, fo die Eonfequenzen eine ſpe⸗ 
cieflere Entwidelung gefunden haben. Zur Klärung des Zerrains iR 
das ſehr willfommen gewefen, fo weit die Sache fe im Auge behalten 
iſt. Wo hüben und drüben fih Perſoͤnlichkeiten eingemifiht haben, iß 
manches Unerquidliche nicht ausgeblieben. 

Im Weſentlichen zweden die nenern Beſtimmungen auf eine fer 
nige national⸗chriſtliche Volksbildung ab; fle fiheiden und, 
was zu diefer theil® gar nit, theils nicht mit erweislich zweifelloſem 
Erfolge zu verhelfen vermag, befhränten alfo den Umfang des 

Made, Yahreöberiht. X 2% 


370 Gecchichte. 


Bildungsgebiets; ſie betonen dagegen mit erhöhterm Nachdruck, inner⸗ 
halb des eingeſchränkteren Gebiets, alle die Momente, welche das nicht 
fowchl neu formirte, als nur neu eingeſchärfte alte Ziel mit der durch 
zahlreiche Erfahrungen bewährter Pädagogen und Schulmänner verbürg⸗ 
ten, möglihft größten Wahrfcheinlichfeit erreichen zu helfen, für befons 
ders geeignet erachtet find. Deshalb legen fie das Hauptgewicht auf 
Hriflihe und vaterländifhe Unterrihtsftoffe, auf evans 
gelifhen (biblifhen) Sinn und ähte Baterlandsliebe; anf 
Klarheit, fihere Befeftigung und geiftige Beherrfhung eines zunächſt 
engern Bildungsgebietes, und auf praktifhe Anwendbarkeit im natios 
nalen Leben. 

Die früheren Bildungs» Principien gingen auf möglihft tüdhtige 
und umfaffende geiftige Bildung im Sinne der Humanität hinaus. 
Sie ſchloſſen deshalb eben fo mannichfaltige als vielfeitige Bildungsmoe 
mente in den Kreis des Unterrichtögebietes ein, fahen die religiöfen und 
nationalen unter denfelben zwar als fehr wichtige, aber nicht als die 
allein fundamentalen an, auf welchen alle deutſche Bolfsbildung zu 
erbauen fei, und pflegten die Erfenntniß und die Spontaneität 
des Geiftes direct mehr, als die Befruchtung des Gemüths und 
die Befeuerung des Willens. Nach ihnen follte erft allgemein das 
sein Menſchliche durd Wedung und Uebung der natürlichen Anla- 
gen entfaltet und geklärt, und dann das fpeciell Religidfe und 
Volksthümliche berüdfihtigt werden; erft allgemeine geifige 
Entwidelung, dann die nah einzelnen wichtigen Richtungen bin. 
Sener follten die Stoffe wie die Wege, an und auf denen, nah Maaß⸗ 
gabe der Lehren der Geſchichte der Pädagogik, der menfchlihe Geif face 
tiſch fich bereichert, geübt und gefhärft, möglihft alle zu Nutze kommen, 
und der Reihthum und die Mannichfaltigkeit des erworbenen allgemein 
geiltigen Guts follte als Aequivalent für etwaige Unficherheit und Uns 
fertigfeit im Einzelnen gelten. 

.. Auf den durd die ältern Principien vorgezeichneten Wegen haben 
viele Tauſende der Wackerſten ihre Bildung erhalten und thatfächlich 
erworben; dieſe Wege waren überdies fo gut wie ihre iele früher 
obligatorifh. Es ift darum nicht fein, fle unbefehens heut zu perhor⸗ 
zesciren; fie haben in der That fehr viel Lebensfähigkeit in fi. Aber 
fie find nicht die ausfchließlichen Zräger und Erzeuger alles geiftis 

en Lebens. Jedoch wie Manches von den flrebfamften Kräften auf den 
Prügern Wegen nicht erreicht werden Fonnte, ja wie fogar Abirrungen 
and Zielverfehlungen dabei fih ergaben, fo fönnten gleihe Mängel bei 
serfehrter Verfolgung der neuen Weifen auch mit der Zeit zu bekla⸗ 
gen fein. Es wird wahrſcheinlich bald durch die Erfahrung conflatirt 
werden, daß, wie Manches von den neuern als Gorrectiv und Com⸗ 
plement für die älteren Principien gelten darf, fo fiherlid aud ums 
gelehrt, Sofern es an richtiger Stelle und im rechten Geift angewendet 
wird, Die neuen Principien flüpen alle Bildung auf den hriftli- 
‚hen Glauben und fehen als deren Ziel das hrifllihe Leben an; 
fie weijen, als mehr gefährdend denn förderlih für diefe Zwede, vie 





Geſchichte. 374. 


große Maunichfaltigkeit des Bildungsſtoffs und die eminente Verwendung 
defielben zur intellectwellen Entwidelung ab, und halten fh mit 
bikorifcher Treue an den immer doch auch gar großen Kıeiß der reli« 
giöfen und vaterländifhen Büdungsfloffe. Diefe find fer, Mar, 
geordnet, mit Geift und Herz fo anzueignen, daß fie für das chrifliche 
und patriotifche Leben praktifhe Erfolge liefern. Darin liegt eine 
gewifie Einfhränfung, und diefe wird noch dadurch ſtraffer angezogen, 
daß nicht auf den heterogenften methodifchen Wegen, fondern auf bes. 
Rimmt zum Biele führenden die Bildung vermittelt werden fol. 

Gegen dieſe zwiefahe Berengung des pädagogiihen Thuns if 
manche ſcharfe Gontroverfe gerichtet; aber gefeglihe Abänderungen find. 
darauf nicht erfolgt. Deshalb bleibt es bei den gegebenen Borfchriften 
zunächſt unverrüdbar fleben, und die pädagogijche Arbeit iſt darnach zu 
reguliren. Da letztere übrigens den Ertrag aller wahren didactiſchen 
Sortichritte, fofern er mit dem Geiſte der neuern Beflimmungen harmo⸗ 
nirt, benugen fann, ja weitern derartigen Fortfchritten auf dem Wege 
praftifcher Bewährung nachzuſinnen ungehindert find, fo mag mindeſtent 
von Diefer Seite kein billiger Wunſch übrig bleiben, dem nicht Ges 
währung in Ausfiht fieht. Freilich bleibt defienungeachtet der Kampf, 
der mit der Einprägung der Lehrſtoffe bis zur Unverwüflichkeit des 
Defiges bei der Jugend zu führen if, fehr fhwer, weil er die inten« 
ſivſte Anfrengung erfordert; und er wird auch mit Wufbietung aller 
didastifchen Kunſt nicht mwefentlich leichter. Hier liegt für die neue Zeit 
das ſauerſte Stüd Arbeit. 

Klare innere Organifation des gefammten Unterrichts auf Kriflich« 
nationaler Grundlage, Goncentration des Stoffs, Befchräntung des Um⸗ 
fange, Bertiefung in den Inhalt, folide Aneignung bis zur Beherr⸗ 
ſchung, praftiiche Berwertbung für’s echte Volksleben: das etwa if die 
Summe der neuen Anforderungen, — groß genug für die angeflzeng« 
teſte paͤdagogiſche Praxis. 

Wie weit und tief dieſe Anforderungen bei den einzelnen Lehrern 
durchgedrungen find; wie angelegentlich letztere ihnen thatſächlich zu ent 
ſprechen ſuchen; welche Erfolge überhaupt, und ob größere ale auf vors 
maligen Wegen bisher ſchon errungen find; ob die Ueberzeugung von 
der Nothwendigkeit und praktiſchen Zreffenheit fih verallgemeinert, und 
das Neue als das zugleich Zeitgemäßefle, herrſchenden Willfürlichkeiten 
Abhelfende, Zufunftreiche, fih in Sinn und Herz der Lehrer fegefeht 
bat: das vermag ein Einzelner nicht zu fagen. Biele Lehrer fepen 
befimmt Ales daran, was fie an Kraft der Liebe, Einfiht und yädas 
gegiſcher Geſchicklichkeit haben, um auch auf den neuen Bahnen Züchtis 
ges zu erringen; Andere warten noch zu; Manche mögen auch ſtill und 
laut enigegenfireben. Proben von anerkennenswerthen Erfolgen werden 
ar vielen Orten aufzuweifen fein; allgemein fchlagende Refultate bedürs 
fen einer längern Zeit, um fich zweifelfrei zu ergeben. 

In fpecieller Beziehung auf die pädagogiſche Situation des Ger 
ſchichts unterrichts in der Schule treten bei prüfender Rundſchau 
nater anderm folgende Fragen entgegen: 


» % - 


24° 


37% Geſchichte. 


| Dal die Beachtung der grographiſchen Verbältniffe im Geſchichto⸗ 

untertichte bereits in größeren Umfange und mit ſtärkerem Nachbruck 
ald früher Platz gegriffen, fo daß bei allen Geſchichten der charakleriſti⸗ 
ſche Boden, worauf fie fih entfalteten, zur Anſchauung gebracht wird? 
Iſt die alte Geſchichte in den Volksſchulen kein ſelbſt ſtändi⸗ 
ger Abſchnitt des Geſchichtsunterrichts mehr; ſondern werden die erfor⸗ 
derlichen Lehrſtücke aus derfelben überall in die biblifche Geſchichte vers 
weht, und erhalten fie dabei zugleich ihre Beleuchtung vom bibfifchen 
Standpunfte? 

Wird überhaupt in den Volksſchulen der Gefchichtäunterricht auf 
vaterländiſche Geſchichtsverhältniſſe befhräntt, und find es neben den 
äußeren Staats» und Volk «verhältniſſen vorzugsweife noch die 
kürchlichen, welche zu eingehender Berückfichtigung kommen, um über 
diefelben zu Parem, feftem Bemwußtfein, und an ihnen zu treuer, darafe 
tervoller Gründung auf aͤcht riftliche Fundamente zu verheifen? , 

ZA bei der gebotenen Befchränfung des äußern Stoffe die in» 
nere, geiffige und gemüthliche Durhdringung fo gewiſſenhaft an« 
Geftredt, daß die erwartete Beherrfchung des Materiald, die underwäß- 
fihe Aneignung, das befriedigende Berfländniß, gepaart mit patriotiſcher 
Begeifterung und herzlicher Glaubenstreue, auch in der That erreicht iR? 
Können die Kinder, dem Maaß ihrer gefammten Kräfte entfprechend, 
Aus dem Schage behanbelter Gefchichten, die denfwürdigften ordentlich, 
fertig und gut erzählen, ohne fie wörtlich auswendig gelernt zu haben ? 
Geben Augen und Worte Zeugniß ihrer innern warmen Antheilnahme 
daran, daB weder todtes Zahlen» und Namen», noch todtes, fleriles 
Thatfahene Werk über die Lippen fommt? Sind namentlich den fähi⸗ 
dern Kindern die Dispofitionen ber geſchichtlichen Erzählungen ges 
läufig; haben fie figniflcante hiſtoöriſche Ausfprüce wörtlich inne; 
Äind fie mit patriotifhen Liedern fo weit und in der Art vertraut, 
daß diefelben zur Belebung der erworbenen Geſchichtskenntniß dienen ? 

Hat die Schule Borforge getroffen wegen Markirung patriotie 
ſcher Gedenktage; hat fie bei den wichtigſten derfelben eine Schul⸗ 
feier veranftaltet, und wirkt davon aud etwas in das Leben des 
Boltd hindert 
Rrugdt zugleich der Geſchichtsunterricht auf folider Hriklicher 
Brundlage, und wird er vom chriſtlichen Geiſte durchweht und ges 
tragen, daß er harakterbildend wirken kann? Oder folgt er nur dus 
Bern Tendenzen und findet fein Genüge in Außerlicher Abwidelung von 
allerlei Berfonal», Kriegs» und Staats» Händeln ? 

"Die Antwort auf dieſe und ähntihe Fragen würde die faktiſche 
Situation des gegenwärtigen Gefchichtsunterrichtd in volles Licht Rellen ; 
aber ein Einzelner kann diefelbe nicht geben. Seine Bognition fann 
nur über feine unmittelbarfte Nähe und über äffentlihe Berichte ſich 
erfireden. Nach den Erfundiguingen tiber Beide zu urtheilen, find erfolg: 
reihe Anfänge, die mit Erf and Eifer verfolgt werden, bis jegt 
noch die einzigen Wahrnehmungen in dieſer Beziehung. "Das if auch 
zur Zeit noch nicht andere zu‘erwarten; es iſt erſt noch weitern "Ent 


| Geſchichte. 38 


wickelungen entgegengufehen. Welche Stimmen auderweit öffentlich fh 
haben vernehmen laſſen, kann bier nur kurz angedeutet werden. 

Sn einem Schul, infpeetorats s Bericht über Schulprüfungen im 
Graubündtenfchen (ef. die „Pädagog. Monatsfhrift für die Schweiz‘‘ 
von Grunhbolzer und Bähringers 1. Jahrg. Heft 5. Zürich, Meyer und 
Belle. 1856. 14/, Thlr.) mird geklagt, es fei zu tadeln, daB im Uns. 
terriht in der Geſchichte das Biographiſche und das fittlih Bil⸗ 
dende zu wenig hervortrete; daß man dagegen zu viel Schlachtendarſtel⸗ 
fungen böre. „Immer klirren die Schwerter, und zu wenig wernimmt 
man aus Bud und Mund des Vehrers das, mas, aus tühtiger Ge⸗ 
finnung bervorgehend, Einzelne und Biele zum Wohl der Gemeinde 
und des Baterlandes getban haben, durch edle Thaten, aufopferndes 
Leben und ſtilles Wir 

In den „Bollefhulblätten aus Thüringen’ (herausgeg. von Dr. 
Laudhard, 1856. Ar. 14) beipriht W. Zeifchel „zwei wichtige Uns 
terrichtsfächer“ (Religion und Geſchichte). In der Geſchichte erkennt 
er zwar „eine ununterbrochen fortichreitende Dffenbarung der göttlichen 
Beltregieruug , einen Zeugen der Wahrheit, einen Spiegel der Vergan⸗ 
genheit, eine Yadel für die Gegenwart, ein Orgkel der Zukunft und die 
treuefte Lehrerin erprobter Lebensweisbheit“, fo daß fie verdiene, „Ges 
meingut der Menſchheit“ zu fein. Aber er emvartet ihre vornehmfe 
Wirkung befremdlicher Weile davon, daß dem Kinde die Iebenvolle, die 
„heitere Seite“ der gefepichtlichen Data gezeigt werde. „Erf dan 
fiebewollen Vater der Menfchen im der Natur, ehe du deu gerecht firas 
fenden Erzieher in feinem heiligen Ernſte um Wahrheit und Tugend 
darſtellſt. Eher die Tugend als das Lafer! — Wähle vorfichtig und 
weisti nach Alter, Stand und Verhältnifien ber Zöglinge; aber was 
du dann mittheilft, lomme friich, heiter und fröhlich aus warmem, 
tbeilnehmendem Herzen, fo daß Alle inne werden, wie du di ſelbſt 
felig fühlſt in der gefchihtlihen Dffenbarung Gottes. Gin für Goit 
und Brudermohl entflammtes Herz foll die Wahl leiten.‘ 

An diefen Aeußerungen fpiegelt fi) zwar eine wohlmginenbe und 
in einzelnen Beziehungen zu billigende, aber doch den Kern der Aufs 
gabe aus den Augen verlierende Anſchauung des Geichichtsunterrichts. 
Mit der bloß heitern Seite und dem allegeit fröhlichen Berfahren 
Bei der Darfellung iſt's auch nit zur Hälfte gethan; man freift das 
mit nur an einigen Stellen die Dberflähe der Sache, und .ift ter Ges 
fahr nur zu leicht ausgeleht, von vorn herein dem auch Kindern erkenn⸗ 
bar zu machenden Ernft der Sache viel zu vergeben. In der biblis 
hen Geſchichte wäre auf dieſt Weile rein gar nicht durchzulommen. 
Dem neuern regulatoriſchen Beſtimmungen würde damit eben fo werig 
entfprochen. 

Ueber die „Stoffwahl für den Geſchichtounterricht“ ſpricht ſich 
T. 8. in dem ‚Hamburger Schulblatt““ (herausgeg. vom« ſchulwiſſen⸗ 
ſchafnichen Bildungsverein, Medasteur E. Hoffmann, Homburg, Nolte 
und Köhler. 1856. Nr. IN6) dahin aus, daß bei dem, mas an. Daten, 
Treigniſſen und Babken den Schülern zu geben, und was durch wiehers 


874 Geſchichte. 


holtes Ueben und Fragen fo einzuexereiren ſei, daB es für. jeden Mor 
ment gegenwärtig fei, ja nicht zu viel gefordert werden dürfe. „Se 
mehr man verlangt, deſto weniger wird erlangt. Je mehr das Bes 
daächtniß bat faflen müflen, deflo mehr wird es wieder fahren laſſen“, 
fo daß ſelbſt der nächſte Zweck der DOrientirung werde verfehlt werden. 
„se mehr wir üben, deflo weniger werden wir einüben.” Und doch 
fei die Zeit koſtbar. Der Berf. empfiehlt vor Anderm das Lernenlaffen 
der Königsreihen (!). — Da derfelbe den Gebildetern nicht bloß ge- 
dächtnißmäßiges Wiſſen, fondern auch Einſicht in den wahren gefchicht- 
lichen Inhalt und in den Charakter der einzelnen Zeiträume, nicht bloß 
Kenntniß der Ramen vieler Helden und Schlachten, fondern mehr noch 
Kenntniß der auszeichnenden Eigenfchaften der Helden und bes Berlaufs 
der Schlachten vindieirt, womit außer dem allgemeinen Bildungsgmede 
auch der fpecielle in dem fraglichen Object erreicht werde, fo empfiehlt 
‘er, die einzelnen Entwidelungen in jedem Zeitraum zu verfolgen. 
Alfo den Staat in feinen Entwidelungs» Phafen (Diigardie, Demos 
kratie des Alterthums, Vaſallenthum des Mittelalters, Organifation ber 
neuern Zeit), die Kirche (in Lehre, Berfaffung, Bräucen, Streitigfei« 
ten, fo weit dies für Die jedesmalige Beit wichtig war), die Literar 
tur (Wiſſenſchaft und Poeſie) und Kunſt; endlih den Menſchen 
ſelbſt, feinen Zeitharakter, feine Zwede, Grundfäge, Neigungen, Stim⸗ 
mungen, feine Bildung und Erziehung. — Dies foll aber nur fo weit 
in Betracht kommen, als die Fähigkeit der Schüler, ihr Verſtaäͤndniß 
"und Intereffe dabei entgegenfonmt; deshalb foll von den innern Zu- 
Händen und Kämpfen abgefeben werden. Was Kinder „nicht begreis 
fen" Tönnen, ift zu übergeben; was ihnen faßlich iR, dabei if zu 
verweilen, denn „das ift für fie der wichtigfte Theil des Geſchichtsunter⸗ 
richte." — In Betreff der Behandlungsweife verwirft der Berf. 
-mit Recht alle bloß abRracten Beiprehungen und Schilderungen eines 
-GSittenzuftandes, einer Eulturentwidelung, und redet Dafür der concre» 
ten Veranſchaulichung dieſer Verhältniſſe an einem glüdlich gewählten 
Beifpiele das Wort, woran fi eine verallgemeinernde Belprehung knü⸗ 
pfen 1äft. (Papſtthum an Urban II., religiöfe mit äußerer Kraft der 
paarte, mittelalterliche Lebensauffaflung an die Nitterorden; verfallendes 
Baſallenthum an Friedrich Barbaroffa und Heinrich dem Löwen). In 
"den Erzählungen ſelbſt foll dann ſtets irgend eine eigenthümliche 
Seite des Zeitalters, welche der Zaflungsfraft und dem Intereſſe des 
Kindes zugänglich if, zur Anſchauung gebracht werben (einen Feld⸗ 
"zug, eine Schlaht, das Bild von einem Tempel, eine Gedicht⸗ 
- probe, — dies aber ausführlich, flatt vieler unausgeführter!), Da 
Kindern die Gefchichte nur in der Form von Geſchicht en zu geben tft, 
fo fällt die Beforgniß vor Zerflüdelung, vor Vernichtung des Zufam- 
menhangs u. f. w. hinweg. Das Zortipinnen des gefchichtlichen Fadens 
im Sinne wer Herftellung des Zufammenhange if für Kinder 
vergeblich. Aber bei aller Bereinzelung fol do der Lehrer für ſich 
bei feiner Auswahl Ordnung und innern Zuſammenhang im Auge bes 
halten, manches fehr ausführlich, anderes kurz behandeln, Das Detail 


Geſchichte. 375 


aus den unmittelbarfien Quellen fchöpfen, und durch glückliche Epifoden 
Manches über Sitten und Zeiteigenthümlichfeiten einfleckten, was hei 
lebhaftem, anſchaulichem Bortrage geeignet ift, wieder Leben, Theilnahme 
und Liebe zur Geſchichte zu erweden. 

An diefen Gedanken if Vieles ald ganz praftifh anzuerkennen, 
wenngleih Belehrungen über die Entwidelungsphafen des Staats, der 
Kirche, der Eultur und des Menfchen felbft mehr auf eine Philofo» 
phie der Geſchichte, als auf einen Elementar-Eurfus derfelben hin« 
auslaufen könnten. Es fpiegelt fih darin Manches wieder, mas die 
neuen regulatorifhen Beflimmungen anordnen; nur der Geift iR nicht 
gekennzeichnet, der durch das Ganze wehen fol. Wenigftens tritt nicht 
far entgegen, ob der fpecififh bibliſch⸗chriſt liche, .oder der all» 
gemeinsreligidfe Geift dabei zur Geltung gebracht werden fol, 
oder ob von aller Betonung religiöjer Erfaffung abzufehen und nur 
der hiſtoriſche Standpunft zu wahren ifl. 

Für die letztere Alternative hat fih einem Neferat in Berthelt's 
‚ „allgemeiner deutfcher Lebrerzeitung” zufolge (cf. 1856. Nr. 28. ©. 
206) die am 26. März d. 3. zu Braunfchweig von 70 und einigen 
Lehrern abgebaltene Ofterverfammlung des Landesvereins Braunſchwei⸗ 
giſcher Volksſchullehrer entſchieden. Sie nahm in Beziehung auf den 
Geihichtsunterricht in der Volksſchule folgende Thefen des Lehrers 
Behrens an: Diejenige Volksſchule entipricht nicht den Anforderuns 
gen der Gegenwart, die den Geſchichtsunterricht ausfhließt. 
Der gefchichtliche Unterricht entfpriht micht den gerechten Anforderuns 
gen, wenn er nicht in den urfähligden Zufammenhang der wid 
tigen Entwidelungs Momente der Menſchheit führt, ohne jedoch 
durch Erzählung zu vieler Begebenheiten fi in die Breite zu verlieren. 
Der Gelchichts » Unterricht fei der Art, daß der Schüler darin einen 
Spiegel für feine eigene Entwidelung findet, doch ohne in Moralpres 
digten und fittlihe Reminiscenzen auszuarten. Der Gefchichts » Unter 
riht muß allein vom hiſtoriſchen Standpunkte aus, mithin rein 
objectiv aufgefaßt und vorgetragen werden. 

Ob in einer Schule gefhichtliher Unterricht zu ertheilen ſei oder 
nicht, das machen die neuern regulatorifchen Feftfeßungen von der Mög» 
lichkeit der Zeitgewinnung dafür wefentlih mit abhängig. Bei nur 
12 — 16flündigem wöchentlichen Unterriht ift mit der Zeit auch die 
Möglichkeit dazu faſt völlig abgefchnitten. Ferner verwerfen diefe Feſt⸗ 
fegungen für Volfsfhüler die pragmatifche Behandlung und naments 
lih die Verfolgung der Hauptmomente der Entwidelungsgeichichte der 
Menſchheit, indem fie nur den vaterlänbifchen und kirchlichen 
Geſchichtskreis geftatten, und auf fchlihte, warme Erzählung dringen, 
bei der die Ermwerbung des Verftändniffes der Entwidelung nit als 
Hauptziel aufgefaßt werden fol. Vielmehr foll dem Gemüth und 
Charakter des Kindes Nahrung und Borbild gegeben werden. — 
Bas den rein objectiven Standpunkt hiftorifher Darftellung ande 
trifft, fo if darüber ſchon im VIL Zahrgange des Pädagogiichen Jah 
sesberihts, ©. 424 ff. das Nähere erörtert. Er erweiſt ſich praftifch 





376 Geſchichte. 


für Kinder mit nichten fo fruchtbar, als auf den erſten Aublid gehofft 
werden möchte, zumal da ohnehin die Zahl der Lehrer, welche wiſſen⸗ 
ſchaftlich völig befriedigend ausgerüftet find, fi auf denfelben zu ſtellen, 
in Volkeſchulen klein if. 

Mehr ale die Anſchauungen der Braunfchweiger Lehrerverſammlung 
fließt fi das, was in dem „Schulfreund“ von Schmitz und Kell⸗ 
ner (cf. diefe „Quartalfchrift zur Förderung des Elementar s Schutwes 
fen® und der Jugenderziehung”, 12. Jahrg. 2. Heft. S. 152 ff. Trier 
1856) bei Gelegenheit der Aufftellung einer Dispofltion zu einer Con⸗ 
ferengarbeit „überden Befhihtsunterriht in unfern Bolfe» 
ſchulen“ gefagt if, den neuen Beflimmungen an. Dort wird zwar 
auch von der Gefhichte als von der „Geſchichte der Menſchheit durd 
Gott zu Gott“ geredet; aber es wird auch deren enger Anſchluß an 
die bibliſche Gefchichte, als deren vielfeitige Ergänzung und Forts 
feßung gefordert. Indem fie auch der Landfchule vindicirt wird, if 
doch ganz Fategorifh ihre pragmatifche Form abgewiefen, ſelbſt bei 
der Geichichte Des Baterlandes, und es if als Grund die Zeitfürze und 
die Ungeeignetbeit diefer „trodnen und unfruchtbaren““ Form für die 
Kindesnatur angegeben. Da die treibende Kraft der Geſchichte nit am 
bloßen Ramenregiftern, nicht am Wer und Was, fondern am Wie hängt, 
fo werden nur Geſchichten aus der Gefchichte, friſche, lebendige, ans 
forehende Bilder in gefälligem Rahmen empfohlen, angefnäpft an 
biblifche Geſchichte, Leſebuch, einzelne wichtige Gedenktage des Vaterlan⸗ 
des, an die Seimathfunde und Geographie des VBaterlandes, und fo ges 
wählt, daB fie die Entwidelung und Ausbreitung des Chriſtenthums, 
fowie die Entſtehung, das Wachsſsthum und Gedeihen des Baterlandes 
darlegen, und Liebe zu diefem in die Herzen pflanzen. Man kann nur 
beifimmen, wenn auf lebendige, freie Erzählung mit anſchaulich⸗ſchil⸗ 
derndem Wort, fowie auf Mittheilung und @inübung paflender geift- 
liher und weltliher Lieder bis zur Unvergeßlichkeit aller Nachdruck ges 
legt wird; aber die Abweifung alles Borlefens wird fih nicht allge 
meiner Zufimmung zu erfreuen haben. 

Zu Wefentlihen find hier diefelben Grundgedanken wie in den 
„Regulativen‘ enthalten. Zu bedauern if, daß in dem katholiſchen 
„ Sulfreund“ in manden Beurtheilungen gejchichtlicher und anderer 
Zehrbücher von proteftantifchen Berfaflern eine fehr feindfelige 
Stimmung, oft ein giftiger Sohn (zumal bei dem Recenfenten th) fich 
ausfpricht, welche niederreißt, ftatt zu bauen, und bisweilen fogar der 
erforderlichen Gerechtigkeit vergißt. — 

Auf die pädagogifhe Situation der Gegenwart werden 
außer durch obige Stimmen und Gedanken auch noch von ein Paar 
andern ' Seiten räftige Schlaglichter geworfen. 

In einem großen politifhen Tagsblatte wurde einige Rummern 
bindurd die Frage erörtert: „Was it Geſchichte, und zu wel» 
chem Zwede wird fie auf Schnien gelehrt?" Wenn au 
zunähf bei dieſer Grörterung nicht die Boltsfhulen, fondern hä» 
here Schulen aufs Korn genonmen wurden, fo liegen mehrere Bezies 


Geſchichte. 377 


Hungen auf jene doch keineswegs fern. — Es heißt dort, In deu meets 
fen Schulen werde die Gefchichte fo gelehrt, als fei He nur Lehrobject, 
um das Gedächtniß zu flärfen. Namen, Thatfechen und Jahreds 
ahlen werden gelernt und abermafs gelernt, bis vielleicht der Schüler 
fein Gompendium auswendig wiſſe. Damit könne es auf nichts Ande⸗ 
res, als auf bloße Scheinbildung abgefehen fein; es folle die Tin» 
annehmlichkeit verbütet werden, dag der Schüler manche allen Geſchichts⸗ 
kundigen geläufige Namen entbehre. Aber ein bloßes fcheinbares Willen 
gefährde die Befcheidenheit, mache aufgeblafen und dänkelhaft. „Bill 
man Gefchichte nur in außerlicher, mechanifcher Weiſe lehren, dann 
lieber fort mit derſelben von unfern Schulen, — im Sntereffe 
der Wahrheit!“ Obgleich troß der Prayis befritten werde, dag man 
mit dem hiſtoriſchen Unterriht nur eine Scheinbildung beabſichtige, fo 
ergebe doch die Durhmufterung der Lehrbücher (z. ®. von Büp, 
Shmidt, Beber) nnd das Befragen der Lehrer ſelbſt, daß man 
thatſachlich ſowohl bemüht fei, die Schüler mit einer Menge Thatſachen 
befannt zu machen, als fie in deren pragmatifchen Bufammenhang eins 
zuführen, damit fle einfehen, wie das @ine aus dem Andern folgt. Der 
Stoff fei zum Zheil von der Art in den Lehrbüchern, daß ihn wohl ein 
die Univerfität verlaffender Student, aber feine Schufe vornehmen könne. 
(Putz über den Gegenſatz der ſcholaſtiſch⸗ariſtoteliſchen Philoſophie zur 
nenplatonifhen und zu den Schulen der Myſtiker. — Schmidt furze 
Borführung aller Gebiete des Gulturfebens, Gntwidelung der Kirche, 
des religidfen Lebens, des Staats, der Geſetzgebung, der Berichtövers 
faffang , Philoſophie, Literatur, Kunſt — und zwar fpeciell der Baus 
fun, Plaſtik, Malerei, Myſtik, Dichtkunſt u. f. w. Und dies Alles 
nicht etwa bloß bei der deutſchen Gefchichte, fondern bei allen hiſto⸗ 
rifhen Bölfern und Staaten) „Solchen Unterricht, ber unverftandene 
Dinge in den Kopf bringt, lieber weg von der Schule!‘ 

Der Berfafler jener Erörterungen mag wohl Gelegenheit gehabt 
haben, viel Fehlgriffe im praktiſchen gefchichtlichen Unterricht Fennen gu 
fernen; Doch ſteht wohl faum zu fürchten, es werde in den meiften 
Schulen mit prämeditirter Abſicht auf pure Schein bildung bingears 
beitet. Vielmehr dürften Abſicht und Streben in beſtimmt fehr 
vielen Fällen löblih, aber Mittel und Wege oft vergriffen fein. Hier 
wäre alfo Remedur von Nöthen. Der Verf. deutet auch darüber noch 
Einiges an. 

Es if eine der heiligften Pflichten der Schule, unter Gottes Bei⸗ 
fand dafür zu forgen, daß die Glieder unfers Volko von defien Ver⸗ 
gangenheit, den Thatfachen und Geflnnungen, woraus dieſe hervorge⸗ 
gangen find, Kunde erhalten, um auf Grund diefer Vergangenheit bans 
dein zu Fönnen, naddem Gefühls⸗ und Willensrichtung daran 
gebildet find. Zu dem Ende genügt eine bloße Kenntnißnahme 
von den Thatſachen nicht, fondern vor allen Dirgen muß der Schükr 
vom Geifte der Wergangenheit angeweht werden, ſich in die Geſin⸗ 
aung hinein verfegen lernen, aus der unfere Vorfahren handelten, und 
fomit hiſtoriſchen Sinn gewinnen. Es iſt auch irrig, zuerſt nad 


378 Gecſchichte. 


Pragmatiſchem Zuſammenhange zu fragen, und dieſen im Einzelnen 
‚aufzeigen zu wollen, ehe jener hiſtoriſche Sinn erworben iſt; denn das 
führt nur zu eiteln, tönenden Worten. Jener, Zufammenhang if zu 
feiner Zeit an der Gefchichte eines Volkes (des israelitifchen oder bes 
angeftammten) nachzuweiſen, ehe er in der Gefchihte überhaupt her 
geRellt wird. „In erfter Linie bezwedt der Gefchichts » Unterricht Bils 
dung des Gemüths und Willens, und erfi in zweiter Entwider 
lung des Denkens und das Begreifen der Geſchichte als eines 
wohlgeordneten geiftigen Kosmos.’ — „Unfere Bildung entflammt theils 
aus unfern eigenthümlichen nationalen Lebenselementen, theils aus dem 
Chriſtenthum, theils aus griechifchen und römifcgen Elementen, theils 
endlih aus ſolchen, welche durch den materiellen und geifligen Verlehr 
mit andern Völkern der Gegenwart aufgenommen find. Die Elemen» 
tarſchule hat nur die erfien beiden Bildungsquellen zu benugen, 
und-aud der Weg der Realfchule hat in nationale Bildung hineins 
zuleiten und fo für's bürgerliche Leben zu befähigen. UWeberladung mit 
nicht zwedentfprechenden Bildungselementen fchadet der Gründlichkeit, 
‘indem fie Geiftesträgheit und Gedankenloſigkeit fördert.‘ 

Der Verf. verwirft bei der praftifchen Ausführung die Geſtaltung 
folder concentrifchen Lebrkreife, wonah den untern Unterrichtöfufen 
die alte, mittlere und neuere Gefhichte in befhränfterm, und 
den obern diefelbe in nur erweiterterm Umfange geboten werden 
würde. Er will für die unterſte Stufe nur biblifche Gefchichte im 
genauen Anſchluß an den Bibeltert, ungeftört durch Reflegionen und 
moralifche Betrachtungen, damit einmal der Schüler feſten Zuß in diefer 
Geſchichte faßt. Dann möge Einiges von den wichtigen Zügen ber 
vaterländifhen Geſchichte angefchloffen werden. Bon Quarta eines 
Gymnaflums an fol alte Gefchichte in einigen ausführlichen Dar⸗ 
ftellungen (die großen Kämpfe zumal) concret anfhaulich im engen 
Anſchluß an die Quellen gelehrt, von der alten Culturgeſchichte 
aber abgeſehen werden. In Die folgende Klafle gehören verwandte Dar⸗ 
ſtellungen aus der mittlern und neuen Gefchichte, vor Allem aber vas 
terländifche Gelchichte. In der Realſchule bedarf die 3. Klaffe der 
Geſchichte des deutſchen Mittelalters, der Gefhichten und Sagen 
‚ und Helden der einzelnen germanifchen Böllerfämme bis auf Karl den 
Großen in einer Faſſung, wie die griechiſche Jugend die Helden des 
Zrojanifhen Krieges kennen lernte. Daran fchließt ſich fpäter bie 
neuere, namentlih die preußiſche Geſchichte. Erf die oberfte 
Klaffe ordnet das Ganze mit Hülfe eines Compendiums, fährt tiefer in 
den Geift der biblifchen, alten und vaterländifchen Gefchichte, und lehrt 
fie als einen Complexus, als einen Organismus von Thatfachen 
kennen. „Erſt lerne der jugendliche Geiſt ih vor den Thatſachen 
beugen; dann mag er urtheilen. Nicht aber Tann und darf das Um⸗ 
gekehrte geſchehen!“ 

Auch in dieſen Gedanken ſpiegelt ſich die neuere Situation der 
vpaͤdagogiſchen Anſchauungen vom Geſchichtsunterricht wieder, Die den 
Grundprincipien der neuern Beſtimmungen adäquat iſt; während einige 


Geſchichte. 379 


vorhin angezogene Citate davon Zeugniß gaben, daß and die Altern 
Brincipien noch ihre Nachfolger finden. Wieder und immer wieder 
werden Chriſtenthum und Nationalität, beide echt und gefund 
‚vorausgefeßt, als die beiden Angeln angeſprochen, in denen fi die 
neuere Volksbildung zu bewegen babe, und es wird auf Bildung des 
Gemüths und des Willens ein ungleich Rärferer Accent gelegt, als 
auf bloße hervorragende intellectuelle Bildung. Die Ueberzeugung, 
weiche jüngf ein Meferent bei Beurtheilung der Schrift von Prof. Dr. 
Meißner: „Heinrich Heine und fein Ende‘, ausſprach: „Auch das 
glaͤnzendſte Talent ohne fittlihe Denkart, ohne einen feſt auf ewigem 
Grunde flebenden Charakter vermag fich auf die Länge nicht zu halten; 
deun gleich wie der von Mark des Lebens erfüllte Anochenbau dem 
Menſchenleibe die feſte, aufrecht ſtehende Geſtalt giebt, eben fo verleiht 
nur der auf das ewig Eine und fi unmwandelbar Gleiche gerichtete 
Charakter dem Menfchengeifte Feftigkeit und Dauer”, — bricht ſich 
immer weiter auch wieder in der pädagogiihen Welt heut zu Tage 
Bahn; obwohl fie ja eigentlich eine bereits alte, bewährte if. Die heu⸗ 
tige Padagogik hat deshalb ihr Abfehen mehr auf die Kindesfeele, 
als auf den Kindes kopf, und wendet jener auf allen geeigneten We⸗ 
gen möglihf viel Zeit und Pflege zu, unterfkügt durch das Bewußtſein 
göttliher Beibülfe Darauf deutet auch ein fchönes Wort des ©. R. 
Ule im Schuiblatt der Provinz Brandenburg hin (1856. Mais und 
Juni⸗Heft. S. 302): ‚Man wird dem Entwidelungsgange und dem 
Leben des Kindes, vorzüglich aber dem Geifte des Herrn Vieles, viel⸗ 
leicht das Meifte überlaflen müflen, dagegen aber gewiß eben fo ſehr 
feiner Berpflihtung gegen eine Kindesfeele genügen, wenn man gleich- 
ſam durchs Gedächtniß hindurch Samenkörner in den Ader 
bes kindlichen Herzens bringt, an welden der heilige Geiſt und 
das Leben nachher feine befruchtende Kraft offenbaren fann.... Sols 
ches wollte ih auch um der tbeuern Zeit willen gelagt haben, Die 
für ein Schulkind viel zu theuer ift, als daß fie durch ein unzweckmä⸗ 
Bige® Lehrverfahren follte ertödtet werden.” Und daflelbe hielt bei der 
neulihen Wiedereröffnung der Ritterafademie in Brandenburg deren 
Director Dr. E. Köpke feinem Goetus vor, in Worten, melde, ent⸗ 
fprechend dem gegenwärtigen pädagogifhen Streben, im Beginnen mit 
und im Führen zu Gott die beiden ewigen, fhügenden und fräftigen« 
den Schranken marfirten, in welchen fi) das Schulleben bewegen muß, 
um die jugendlichen Seelen zum ernten Dienſt und fröhtihen Schmud 
des Lebens beranzubilden, zur Ehre Gottes und zu ihrem eignen Heil. 
Innerhalb diefer Schranken, die da lehren, freie Knechte Gottes zu fein, 
müflen ſich Erziehung und Unterricht bewegen, wenn fie charakter⸗ 
feRe Männer Hilden follen, vor Allem feR in der Treue. „Unfere 
Zeit befragt alles irdiſch Große und Alts Ehrwürdige gleiblam um ſei⸗ 
nen Paß nad der Ewigkeit, und wenn e8 feinen befipt oder kei⸗ 
nen Durch Demuth gewinnen will, verfällt es dem Gericht, und wird 
vom Zeitgeiſt in den Staub gezogen und verderbt.“ — 

Zum Schluß fei noch an die Austaffungen des Pfarrers 2. Bölter 


330 Geſchichte. 


erinnert, welche darauf abzwecken, ben neutern Unfchamungen in Rezie⸗ 
bung auf bedeutend verflärfte pädagogiſche Pflege des chriſtlichen 
Elements im Schulweſen breitere Bahn zu machen. Verwandte Gedan- 
fen mit Beziehung auf den Geſchichteunterricht find bereits im VII, 
Paädagogiſchen Jahresberiht S. 389 ff. angeführt. Bei Gelegenheit der 
Beivrehung des ‚Bandes zwifhen Kirche und Schule‘ (Saddentfcher 
Schulbote 1856. Nr. 16 ff.) kommt 2. Bolter auf die „Bildung der 
zum Schulſtande Auserwählten” zu fprechen, und wiederholt ausbräds- 
fi, daß ale Prineip diefer Bildung nicht die entfhiedene Ges 
ringſchätzung des chriſtlichen Elements, und die Bevorzu⸗ 
‘gung der Fächer zu gelten habe, welche zur fogmannten allgemeinen 
Menſchenbildung führen, und vorzugsweife den Verſtand 
aufflären und das Wiffen möglihf Reigern follen. Dadurch 
würde diefe Bildung decentralifirt und depotenzirt. Bielmebr, da unfer 
Bolk ein Hriftlihes if und alle Bildung ſich an ſchöpferiſch Gege⸗ 
benes anfchließen muß, das Wrelement im Bildungsproceß unferer Ras 
tion aber das Chriſtenthum if, fo muß e6 au das Lebensceutrum 
an den Bildungsherden fein, da, wo das Bolf aus feinem geiftigen 
Lebensgrund ſich immer wieder neu aufbaut. Der chriſtliche (evan⸗ 
gelifche) Charakter muß der Character indelebilis der Volkeſchule umd 
der Seminare fein; diefe Bildungsftätten müffen darin leiben und leben, 
um den erwarteten Einfluß auf das Boll zu gewinnen. Indem das 
chriſtliche Bildungs» Element ſowohl eine centrale ale univers 
felle Dignität bat, fammelt 2. Vöolter alle Bildung um daffelbe, 
und will dadurch zugleih das echt nationale Element unferes Bolfes 
eultiviren. Ueberall dringt er auf organifhen Zuſammenſchluß der 
Bildung, gegenüber dem centrifugalen Auseinandergehen und den ertra« 
vaganten Forderungen an die wiffenfhaftlihe Bildung der Vollsſchullehrer. 

Was ſpeciell für den Zweck der Herſtellung des Bandes wifhen 
Kirhe und Schule, namentlich über Seminar» Ginritung, Tonft noch von 
2. Bölter gefagt wird, ift bier zu übergehen; indem es bier nur dar⸗ 
auf anfommt, die vädagog iſche Situation der Schule in einigen Orund⸗ 
zügen zu kennzeichnen, in fo weit fle auch den unmittelbarften Einfluß 
auf Befaltung des geſchichtlichen Schulunterrichts haben muß. 


IH. Beitgemäße Aufgabe des Geſchichtsunterrichts. 


Aus den bisherigen Erörterungen und den in biefelben eingefledh- 
tenen Stimmen ergibt fih die gegenwärtig zu Iöfende Aufgabe 
des Geſchichtsunterrichts. — Da wo die Gefchichte nicht als ein bloß 
menfhlihes Durdelnander und Nacheinander von Gtrebungen umd 
Kämpfen für vergänglihe Zwecke der Herrſchaft und bes Beſißzes, wo 
fie vielmehr als eine wunderfame, von Gott geordnete, großartige Eut⸗ 
widelungs » Arbeit des gefammten Menſchengeſchlechts wie der einzelnen 
Bolker ericheint, wird es ſelbſwerſtaͤndlich ſchon langſt nicht mehr ale 


x 


Geſchichte. 361 


Sufanbe des geſchichtlichtn Unterrichts gegolten haben, rein äußer⸗ 
HH und mechanifch dieſe Beſtrebungen und Kämpfe ſorgfältig zu 
regtſtriren, und die Ramen der darin verwidelten Perfonen gu merken. 
Denn das Hiefe auf unfrudhtbare, bloße Gedächtnißarbeit hinaus, 
deren Werth mit der Bein, die fie Schülern verurfadgt, in gar feinem 
Berhättnin Rände. Wie viel Reiz es für den, der fich feine klare Res 
chenſchaft vom Zweck feiner pädngagifchen und feiner Lehrers Thätigkeit 
zu geben vermag, auch immerhin haben Lönnte, eine große Fülle äußern 
geſchichtlichen Willens feinen Schülern eingeimpft zu haben, womit ſich 
gelegentlich brilliren ließe; den Berftändigern täuſcht das nimmermehr. 
Diefer will die Unterlagen jener Beſtrebungen, die Örundideen, 
welche dabei obwalten, er wil Anlaß und Ziel der Kämpfe bei deren 
Entfaltung, und wo möglich and die wichtigen Stadien Dabei erfah⸗ 
ren, und die enticheidenden, fördernden oder bemmenden Einfläfie 
Pennen fernen, weiche unter höherer, göttlicher Leitung im Ganzen und 
Großen zuleßt au das Ziel bringen helfen. Nicht die äußerlichken Aeu« 
Sertidgleiten im tebensbunten Gemif find es, fondern der Geiſt in den 
Extiwidtiungen, das Getriebe der mitwirkenden Kräfte, der Werth der 
anf dem Spiele ſtehenden höheren Güter iſt's, worauf es wefentlich 
Ankommt. Berner if’e nicht die allgemein⸗menſchlich intereffante 
Seite all dieſer gefchichtlichen Bewegungen, worauf im Schulunterricht 
der vorzäglihe Rachdruck fällt, auch nicht die philofophifche Bes 
rech nung det am meiteften ſchauenden Köpfe, welche diefe Bewegungen 
einleiten, diecipiiniren und ihnen Bahnen anweifen; fondern es ift aus 
paädagogiſchen Nädfihten der höhere Zweck derſelben für geiſti⸗ 
ges und geiftliches Leben der Bölfer, zumal der eignen angeflammten 
Nation, welden alle Aufmerffamteit zuzumenden ik. Diefem Bwed 
fol fih das Auge des Schüters öffnen, für denfelben fol er ein Herz 
gewinnen, zu feiner Erreichung fol er in feinen Lebenskreiſen nadmale 
beitragen zu won, ſchon früh Neigung, Antrieb umd fittliche Kraft 
gewinnen. Zu dem Ende wollen bie höheren Zwecke des Bölkerichens 
aflerdings auch allmählih zum Verſtändniß gebracht fein. Aber das 
bloße Talte Berkändniß reicht nicht aus, es hat feinen Werth, wenn es 
A nicht mit dem Willen und der charakterſtarken Entichließung yaart, 
ähnlichen Höheren Zwecken fein eigenes Leben zu weihen. Auf Ddiefe 
energifhe Willensbefimmung, auf dieſe charaktervolie 
Hingabe an die höchſten Lebensgüter kommt «6 an. Beide finden 
ihren Ketnyunkt, ihre Centrum, im Chriſtenthum — im weitehen 
Bortfinne — , und ihre Beripberie zunähft im eigenen Nationals 
leben. Die chriſtlich⸗nationale Haltung des Geſchichtsunterrichts 
iR e8-alfe, worin der Charakter des jegt zeitgemäßen nefehichttichen 
Sthulunierriches ſich ausprägt. Was jener förderlich if, ſoll herange⸗ 
gogen, was ihr widerſtrebt, oder fie nur beeinträchtigt, ſoll fern gehalten 
werden. Dieſe Fernhaltung greift wicht bloß in das Gebiet der Stoffe 
etn, worauf Zweckwidriges ausgeſchieden werden muß, fie vetrifft auch 
den Seiſt, worin die heranzuziehenden Stoffe behandelt werden follen; 
da; fe made ſih auch in den Modalitäten der VBehandlung felbk 


330 Geſchichte. 


erinnert, welche darauf abzwecken, ben neuen Anſchauungen in Meztes 
bung auf bedeutend verftärkte pädagogiſche Pflege des chriſtlichen 
Elements im Schulwefen breitere Bahn zu machen. Verwandte Gedan«- 
ten mit Peziehung auf den Gefchichtsunterriht find bereite im VII. 
Pädagogifchen Jahresberiht S. 389 ff. angeführt. Bei Gelegenheit der 
Defvrehung des ‚Bandes zwifchen Kirche und Schule‘ (Gäddentfher 
Schulbote 1856. Nr. 16 ff.) fommt 2. Bölter auf bie „Bildung ber 
zum Schulftande Auserwählten‘‘ zu fprechen, und wiederholt auedrück⸗ 
ih, daß als Prineip dieſer Vildung nicht die entſchiedene Ges 
ringſchätzung des hrififiden Elemente, und die Bevorzu⸗ 
“gung der Fächer zu gelten babe, welche zur fogenaunten allgemeinen 
Menfhenbildung führen, und vorzugsweife den Berfand 
aufflären und das Wiſſen möglihft Reigern follen. Dadurch 
würde diefe Bildung decentralifirt und depotenzirt. Vielmehr, da unfer 
Volk ein chriſtliches if und alle Bildung ſich an ſchöpferiſch Gege⸗ 
benes anfchließen muß, das Urelement im Bildungeproceh unferer Ras 
tion aber das Chriſtenthum if, fo muß es auch das Lebenscentrum 
an den Bildungsherden fein, da, wo das Boll aus feinem geiftigen 
Lebensgrund fi immer wieder neu aufbaut. Der chriſtliche (evan⸗ 
gelifche) Charakter muß der Character indelebilis der Botksihute und 
der Seminare ſein; diefe Bildungsftätten müffen darin leihen und leben, 
um den erwarteten Einfluß auf bas Bolt zu gewinnen. Indem das 
Hriftlihe Bildungs» Element fowohl eine centrale als univer- 
felle Dignität bat, fammelt @. Vöolter alle Bildung um daffelbe, 
und will dadurch zugleich das echt nationale Element unferes Bolfes 
euftiviren. Weberall dringt er auf organifhen Zuſammenſchluß der 
Bildung, gegenüber dem centrifugalen Auseinandergehen und den extra- 
vaganten Forderungen an die wiffenfchaftliche Bildung der Vollsſchullehrer. 

Bas fyeriel für den Zweck der Herſtellung des Bandes \wifgen 
Kirche und Schule, namentlich über Seminar » Ginritumg, ſonſt noch von 
2. Bölter gefagt wird, ift bier zu übergehen; indem es bier nur dar» 
auf anfommt, die pvädagog iſche Situation der Schule in einigen Grund» 
zügen zu kennzeichnen, in fo weit fie auch den unmittelbarften Einfluß 
auf Geſtaltung des geſchichtlichen Schulunterrichts haben muß. 





III. Zeitgemäge Aufgabe des Gefchichtsunterrichts. 


Aus den bisherigen Grörterungen und ben in biefelben eingeflo ch⸗ 
tenen Stimmen ergibt fih Die gegenwärtig zu Idfende Aufgabe 
des Gefchichtsunterrihte. — Da wo die Gecſchichte nicht als ein bloß 
menſchliches Durkeinander und Nacheinander von Strebungen und 
Kämpfen für vergängliche Zwecke der Herrſchaft und des Beſizes, wo 
fie vielmehr als eine wunderfame, von Bott geordnete, großartige Cut⸗ 
widelungs » Arbeit des gefammten Menſchengeſchlechts wie der einzelnen 
Volker erfcheint, wird es ſelbſtverſtaͤndlich ſchon Hingft nicht mehr als 


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Geſchichte 361 


Aafgube des geſchichnichtn Unterrichts gegolten haben, rein äußer⸗ 
lich und mechamiſch dieſe Beſtrebungen und Kämpfe ſorgfältig zu 
regiſtriren, und die Ramen der darin verwickelten Perfonen gu merken. 
Denn Das liefe auf unfruchtbare, bloße Gedächtnißarbeit hinaus, 
deren Werth mit der Bein, die fie Schülern verurſacht, in gar feinem 
Berhäitnig Mände. Wie viel Neiz es für den, der fich keine klare Res 
Genfchaft vom Zweck feiner paͤdagogiſchen und feiner Lehrer» Thätigleit 
zu geben vermag, auch immerhin haben koͤnnte, eine große Fülle äußern 
geſchichtlichen Wiſſens feinen Schülern eingeimpft zu haben, womit fi 
gelegentlich brilliten ließe; den Berfiäudigern täufcht das nimmermehr. 
Dieſet will die Unterlagen jener Beflrebungen, die Örundideen, 
weidhe dabei obwalten, er will Anlaß und Ziel der Kämpfe bei deren 
Entfaltung, und wo möglich auch die wichtigen Stadien Dabei erfah⸗ 
ren, und die enticheibenden, fördernden oder bemmenden Cinfläſſe 
fennen fernen, welche unter höherer, göttlicher Leitung im Ganzen und 
Großen zuleßt au das Ziel dringen beifen. Nicht die äußerlichiien Aeu⸗ 
Ferlicgteiten im lebensbunten Gemiſch find es, fondern der Geiſt in den 
Entwidelungen, das Getriebe der mitwirkenden Kräfte, der Werth der 
auf dem Spiele fiehenden höheren Güter iſt's, worauf es weſentlich 
anfommt. Ferner iſt's nicht die allgemein⸗menſchlich intereffante 
Seite all dieſer gefchichtlichen Bewegungen, worauf im Schulunterricht 
der vorzäglihe Rachdruck füllt, auch nicht die philoſophiſche Bes 
rechnung det am meitehen fchauenden Köpfe, welche diefe Bewegungen 
einleiten, diecipliniren und ihnen Bahnen anweiſen; fondern es ift aus 
padagogiſchen Rädfihten der höhere Zweck derfelben für geifis 
ges und geiftliches Leben ber Volker, gumal der eignen angeflammten 
Ration, welpen alle Aufmerffamteit zuzumenden ik. Diefem Zweck 
fol fi das Auge des Schüters Öffnen, für denfeiben foll er ein Herz 
gewinnen, zu feiner Erreigung fol er in feinen Lebenskreiſen nachmals 
beitragen zu wohn, ſchon früh Neigung, Antrieb und ſittliche Kraft 
gewinnen. Zu dem Bude wollen die höheren Zweite des Bölferichens 
aflerdings auch alimählih zum Verſtändniß gebracht fein. Aber das 
Hope Talte Berkändniß reicht nicht aus; es hat feinen Werth, wenn es 
ſich nicht mit dem Willen und der harafterftarfen Entfchließfung paart, 
übnlichen Höheren Zweden fein eigenes Leben zu weihen. Auf diefe 
energifhe Willensbefimmung, auf diefe charaktervolle 
Hingabe an die höchſten Lebensgüter Tommt «6 an. Weide finden 
ihten Ketnynnkt, ihr Centrum, im Chriſtenthum — im weiteſten 
Wortſinne —, und ihre Peripherie zunaͤchſt im eigenen Rational⸗ 
leben. Die chriſtlich⸗nationale Haltung des Geſchichtsunterrichts 
{R es alſo, worin der Charakter des jetzt zeitgemäßen geſchichtlichen 
Sqehulunterrichts ſich auspraͤgt. Was jener foͤrderlich ik, ſoll herange⸗ 
Bogen, was ihr widerſtrebt, oder fie nur beeintraͤchtigt, ſoll fern gehalten 
werden. Diele Berahaltung greift wicht bloß in das Geblet der Stoffe 
ein, worauf Zweckwidriges auögefchleden werden muß, fie vetrifft auch 
den Geift, worin die heranzuziehhenden Stoffe behandelt werben follen; 
da, fie made ſich auch in den Modalitäten ber Behandlung ſelbſt 


— u A en ee a — — — — 


3823 | Geſchichte. 


geltend. Was das Höhere geiſtige und ſtttliche Leben ber Schüler ge⸗ 
fäbrdet, ja nur nicht nährt und fördert, das ift gegenwärtig auch nicht 
an der Zeitz alfo 3. B. fernliegende, dem kindlichen Verſtändniß und 
findlihen Gemüth nicht wohl anzupaflende Verhältniffe fremder Natior 
nen, bedenkliche Geiftesrichtungen und Charakters Ausprägungen, deren 
innere Entfehung und deren unbeilwoller Verlauf nicht. genügend vorzus 
führen find, und wogegen kindliche Gemüther noch nicht genugfem befer 
Rigt find. Ebenfo iſt es nicht zeitgemäß, Kindern die ihnen ſonſt wohl 
vorzuführenden Geſchichten in einem Sinne nahe zu bringen, der der 
Heiligkeit des Chriſtenthums und der Würde des gefunden Nationalges 
fühls entgegen ift, ja auch nur in einem Geiſte, Der -diefe beiden Güter 
im Kerzen der Jugend nicht vertieft und immer wichtiger macht. Und 
auch das iſt nicht zeitgemäß, in den Unterrihtsmweijen die wird 
famen Hülfen, welche die neuere Zeit in fo reicher Fülle darbietet, un« 
beachtet zu laffen, und in den Formen der Uebermittelung ſich ber prak⸗ 
tifch bewährten Ausführung zu entfchlagen — vieleicht aus Lauheit 
und Mangel an ernflem Eifer, das BeRe in beſter Urt zu geben —, 
welche den befriedigendfien Erfolg am ficherfien verbürgen. Dagegen 
gehören heut zu Tage diejenigen geſchichtlichen Stoffe recht eigene für 
die Schule, welche, in naher Beziehung zur Gefchichte des Volkes Gottes 
in alter und neuer Beit, und beleuchtet von dem Lichte des Evans 
geliums, Den göttlihen Erziehungsplan in ber Entwidelung- der 
Menſchheit und der einflußreihfien Bölfer zur Anſchauung bringen; 
Ferner gehört ganz vorzugsweife die vaterländifche Geſchichte in 
unfere deutfchen Schulen, und zwar fo, daß fie das Hauptgebiet bils 
det, um welches fich die fremdländifchen Gefchichtsfoffe, welche überhaupt 
nur für den Fall einflußreicher Beziehungen zu unferer Nationalgeſchichte 
Beachtung finden koͤnnen, in geeignete Gruppen fammeln laften, und 
von welchem fie auch ihr Licht mit empfangen. 

Die Zeitkürze verflattet feine Berweitiäuftigung in die Ger 
ſchichte anderer Voller, ja, fie verfagt ſchon die gleihfärmige Aus 
führlichteit in allen Parthien der vaterländifchen Geſchichte — Zu 
Betreff des Geiſtes, der die GBefchichtserzählung tragen fol, if der 
ernſt⸗ch riſtliche Sinn maaßgebend, der den göttliden Segnungen 
wie den göttlichen Strafgerichten finnig nachſpürt, fie in Perfonen wie 
in Thatfachen lebendig und warm darlegt, um das kindliche Gemüth 
mit jenen zu befrucdhten, vor diefen aber zu bewahren, und dabei bie 
Bucht des Lebensernftes ihnen vorzubalten, der überall da, we es fi 
um das Hohe und Heilige unfers Bolfes handelt, zur Anerkennung ge 
bracht werden fol. Zodte Gleichgültigkeit if in diefer Beziehung eben 
fo unheilvoll, als feindfelige Stellung; beides gefährdet, ja vernichtet 
den Eindlih frommen Sinn der Jugend. ..Der Lehrer aber hat — wie 
das Recht, fo die heilige Pflicht, Alles gu deffen Pflege und Kräftigung 
anzuwenden; denn bie Schule iſt da für das Leben. — Fexner if die 
Geichichtserzählung von warmem Patriotismus zu tragen Diefer 
ſoll die Flamme werden, woran der vaterländijche Sinn der Jugend ſich 
entzündet, der dann mit hoher Pietät vor den ureigenen Rationalgäterg 


Geſchichte. 383 


unſers Volks erflillt werden, und auch die Stammes⸗ECEigenthümlichkeit 
lieb gewinnen ſoll, an der unſere Väter mit ganzer Seele gehangen has 
ben. Fremdländiſches Weſen, fremde Sitte, fremder Volksgeiſt if in 
feinem Gegenfage gegen unfern deutfchen Volksgeiſt hinzuftellen, um den 
legtern in feinem ganzen Werthe aufzuzeigen, und dafür zu befeuern. 
Mur dadurch erwächſt die wünſchenswerthe Frucht einfichtsvoller, Mars 
befonnener Baterlandsfiebe, welche zu nöthiger Opferbereitfchaft willig 
iR, fo es gefordert wird. — Da aber diefer Geiſt, obſchon er ſich durch 
unfere ganze Geſchichte binzieht, doch vorzugsmeife in beftimmten Pers 
fonen und Begebenheiten fih ausprägt, fo iſts nicht jene früher gewöhn⸗ 
liche, gleihmäßige Behandlung des Minderwichtigen wie des Wichti⸗ 
gen, wodurd derfelbe zu recht bezeichnender Anjchauung für Kinder 
gebracht werden Tann; fondern auf die wichtigern Momente ift durch 
Ausführlichkeit und befonderes Eindringen in den Kern der Sache, 
unter Vermeidung des leider nur zu leicht ſich einfchleidhenden hohlen 
Bhrafenwefens, der Hauptaccent zu legen. Die ganze Wärme eigener 
Theifnahme iſt's, womit in frifhen Lebensbildern die Hauptzüge folder 
Momente, der Tindlihen Saffungsfraft entiprechend, fo zufammenzufaflen 
find, daß fie ein Gedächtniß der Zeiten ftiften und auf Einn und 
Weſen der Kinder einen fo nachhaltigen Eindrud machen können, daß 
auch der jugendlihe Charakter daraus Lebensträfte zu ziehen vermag. 
Mit tabellarifcher Aufzählung ift fein Leben zu erzeugen, mit flüchtigen, 
notizgenähnlichen Angaben ebenfalls nit. Und mit bloßen hiſtoriſchen 
Anefdoten wird im Ernft Niemand, der die Sache Verſteht, ein würdis 
ges Aequivalent für die ernſte, bedeutfame Gefchichte felbft zu bieten 
wagen. Untergeordnete Beigaben erfeßen nimmermehr die Hauptſache. 
Ausgezeichnete Perfonen, in denen, wie 8. v. Raumer fagt, „das 
bildende Ideal wie perfonifteirt auftritt”, üben neben ausgezeichneten 
Begebenheiten den größten Einfluß auf Gemüth und Willen. ‚in 
großes Mufter wet Nacheiferung und giebt dem Urtheil höhere Geſetze.“ 

Blidt man die beffern, für den Schuls und Jugendgebraud bes 
rechneten gefchichtlihen Lehr⸗ und Handbücher, fo wie bie zur bildenden 
Lectüre für die heranreifende Jugend beftimmten Gefchichtsfehriften mit 
Sorgfalt durch, fo läßt es fich nicht verfennen, daß deren Berfaflern die 
eben geßennzeichnete Aufgabe des gefchichtlihen Unterrichts für das ges 
genwärtige Bedürfniß vorgefchwebt Bat, und daß fie zu ihrer Lö⸗ 
fung beizutragen bemüht find. Aber wie groß die Anzahl gefchichtlicher 
Lebrfchriften an und für fih immer if, wie viel bald in der einen, 
bald in der andern Beziehung fehr werthvolle darunter gefunden wer 
den, ein Buch, welches den neuern Anforderungen fo recht nah allen 
Seiten entfpricht, wird dennody von Männern vermißt, welche mit dem 
gediegenen Einblick in die Gefchichte auch den hohen Ernft und Eifer 
der wirffamften Beförderung derfelben bei unferer deutſchen Jugend 
verbinden. Es ift ein eben fo erfreuliches, als fehr bedeutſames Zeis 
hen, daß in neuefter Zeit von dem „evangelifben Schulver» 
ein” namhafte Opfer daran gefeht werden, um ein „Lehrbuch der 
Geſchichte für Schüler“ zu gewinnen, welches in ber Hand des 





384, Geſchichte, 


chriſtlichen Lehrers „die deutſche Jugend gleichwie zum Bewußtſein der 
allwaltenden Güte und Gerechtigkeit Gottes, fo insbeſondere zum Be⸗ 
wußtfein der unferm Bolle eigenthümlich verliebenen Gaben und 
des Berufs zu führen, den daſſelbe eben damit im Reiche Wottes 
zu erfüllen bat.’ In diefem Lehrbuche fol ‚nicht etwa die evangelilche 
Auffaffung des zu behandelnden Stoffs in einzelnen Zwiſchenbetrach⸗ 
tungen und Nuganwendungen bloß durchblicken, fondern es foll nach der 
ganzen Anlage und Durchführung getragen fein wejentlih von dem Ges 
danken, daß die Weltgefchichte eine Darftellung der Entwidelung des 
Reiches Gottes in der Menichheit if.” „Auf Grund des Wortes 
Gottes und einer lebendigen evangelifchen Erkenntniß, zugleich aber 
auch einer gründlichen und unbefangenen Forſchung follen darin bie 
gefchichtlich hervorragenden Völker und Individuen nah ihrer nähern 
oder entfernteren Beziehung zu der Entwickelung des Reiches Gottes, 
nah den eigenthümlichen Gaben und Gnadenerweifungen, die fie von 
Gott empfangen haben, wie nad den Gerichten, die über fie ergangen 
find, dargefellt werden. „Das lepte und höchſte Ziel foll fein des 
Nachweis jener Thatfachen in Bezug auf unfer deutfhes Volk, 
ſowohl auf politifhem, wie kirchlichem und Bulturgefchichtlichem Gebiete,” 
um dadurd die Jugend nah allen Seiten „zu einer wahrhaft Deuts 
fhen Haltung in chriſt licher Zucht und Treue zu führen.‘ 

Das if jedenfalls fehr fignificant für die unter hervorragenden 
Sachkundigen waltende Auffaffung von der Natur der jegt zeitgemäßen 
Aufgabe unfers Gefchichtsunterrihte. Es iſt damit ein wefentlich ans 
deres Stadium der Behandlung deſſelben ausgeiprocden, wie es bisher 
gemein üblich war, zumal auf höheren Schulen. 

Zragt man in den einzelnen deutſchen Rändern nad, jo finden fich 
an maaßgebender Stelle durchgehends verwandte Auffafjungen ; und Diele 
kündigen fi in den bezüglichen Erlaffen und deren Erläuterungen Deuts 
Üch genug an. Es iR alfo der Charakter diefer Auffaflungen fein fo 
ifolirter, verfprengter, fondern ein ziemlich allgemeiner, für böhbere 
wie für Volksſchulen geltend gemachter. Die jepige Zeit drängt mit 
fühlbarer Energie nach dieſem Ziele hin, und es wird fih auch der 
ſchlichte Schullehrer dem Zuge nicht ganz zu entziehen vermögen, wenn 
er nit ſammt feinem Ihun zu den Acten gejchrieben werden will 
Richt bloß gedähtnißmäßiges, auh nit bloß verſtandes⸗ 
mäßiges hiſtoriſches Wiffen, fondern eine vom Evangelium er 
leuchtete, auf Sinn und Gemüth, Willen und Charafter der 
Jugend entfchieden einflußreiche gefchichtliche Keuntniß, welche den kürch⸗ 
lihen und den Rationaljinn begründet, vertieft, bewußter und 
werther macht: diefe iſt's, welche jegt allein wirklichen Werth bat. 

Danad würde auch zeitgemäß die Bedeutſamkeit der hiſtoriſchen 
Hülfsmittel, namentlich der Lehrbücher und der Commentare, zu bes 
meflen fein, fobald der neuere pädagogifhe Maafftab allein an die⸗ 
felben gelegt werden follte. Jedoch nicht wenige derfelben begehrten eigens 
für ich den objectivswiiienfhaftliden Maaßſtab, weil Tie nicht 
ſowohl paͤdagogiſche als wifienfchaftlich » hiorifche Ziele verfolgen wollen, 





Geſchichte. 385 


IV. Mittel zur Löfung der jept zeitgemäßen Aufgabe des 
Geſchichtsunterrichts. 


Auf die allgemeinen, bekannten Mittel zur Loſung der Aufgabe 
des geſchichtlichen Schulunterrichts erneut hinzuweifen,, thut weder Roth, 
noch liegt es in der Aufgabe des Jahresberichte. Anfchaulichkeit, Klar⸗ 
beit, Lebendigkeit und Gindringlichfeit der Erzählung, Anordnung Heiner, 
gerundeter Penſen, fleißige Wiederholung mit Heranziehung der mög 
lichſten Selbfithätigfeit der Kinder, fichere Einprägung der Kardinal⸗ 
Jahreszahlen u. dgl. m. find Anforderungen, welche heut zu Zage als 
ſelbſtverſtaͤndliche gelten, fo daß gegen biefelben Fein Widerſpruch weiter 
zu begründen fein dürfte. Die Anforderungen flellen, und ihnen 
praftifh genügen: das find freilich zwei gar verfchiedene Dinge, 
von denen das letztere allein erforderlihen Werth hat. Mit Umfiht und 
Eifer diefen Anforderungen nachzukommen ſuchen, das gehört auch gegen» 
wärtig zur unerläßlichen Arbeit bei Röfung der jebt zeitgemäßen Aufs 
gabe des Gefchichtsunterrichtse. Aber die wechfelnden Zeiten und die 
jeder derfelben befonders vorgezeichnete Aufgabe machen auch befondere 
Mittel nöthig, objective wie fubjective. Bu den objeettiven if 
im Sinne der neuen Beftimmungen vor. Allem die Beſchränkung 
auf die vorgefchriebenen Kernfloffe Firchengefchichtlicher wie vaters 
ländifchgefchichtlicher Natur zu rechnen, mit Fernhaltung einer Menge 
geſchichtlicher, fachlicher wie perfönlicher, Verhältniffe, welche, wie werths 
vol immerhin an und für fih, doc nicht geeignet ericheinen koͤnnen, 
jene beiden nächſten Gebiete zu runder und Marer Ausfhälung und Aufs 
faffung gelangen zu laſſen. — Es gehört ferner die Durddringung 
diefer Stoffe mit ht chriſtlichem und Acht patriotifhem Geiſte 
dazu. Oberflächliches Darüberhinreden, hobler Wortreihthbum, Genügen⸗ 
laſſen an einzelnen pifanten Momenten, Vertrrung in bloß äußerliches 
Aneinanderreihen der Facta, und todtes Memoriren derfelben: das find 
nicht die rechten und wirkſamen Mittel, welche zur Anwendung zu 
bringen wären. Sn einer Zeit, wo der leeren Phrafe und dem todten 
Mechanismus leider nur zu leicht und zu viel gebuldigt wird, und wo 
dem würdigen Inhalt nur zu gern durch die Fipelnde Anekdote aus, 
gewichen wird, gilt es befonders doppelts angelegentliches Feſthalten am 
Ernf und der Bucht der Sache mittelft Verfolgung des geifligen, 
bedeutfamen Inhalts derfelben, und defien Entwidelung unter göfte 
liher Waltung. — Es gehört au, um eine derartige Stoffdurchdringung 
zu ermöglihen, eine aus der Sache ſelbſt herausgenommene Glie⸗ 
derung des Material dazu, damit ein befkimmter, feRer Baden in 
die Darftellung kommt, das fihere Befinnen auf den Gang der Sache 
und die Behaltbarfeit der wefentlichften Momente dabei erleichtert, und 
das geiſtige Verhättniß der einzelnen Stadien der Entwidelung zur Ges 
fammtaufgabe einer ganzen Zeit aufgehellt wird. So lange diefe Glie⸗ 
derung außer Acht gelaflen wird, verfließen die Station „bildenden Mos 
mente in einander, und es kommt kein hinreichend Flares Lebensbild von 

Made, Zahresbericht. X. 26 


386 Geſchichte. 


Perſonen und Begebenheiten zu Stande. Somit wird aber nicht bloß 
das udthige Verſtändniß, ſondern au die ſittliche Wirkung 
der Geſchichte bei der Jugend beeinträchtigt. Um dieſer letztern willen, 
deren Werth den Werth des bloßen Verſtaͤndniſſes noch weit überwiegt, 
iR Alles aufzubieten, was nur irgend zu würdiger, nachhaltiger Foͤrde⸗ 
zung des Unterrichts gefchehen Tann. 


Es werden vornehmlih um degwillen Geſchichten flatt Gefchichte 
gelehrt, es wird den hiftorifchen Ausfprücen berühmter Männer 
dur wörtliche Benupung befonderer Werth beigelegt, hiſtoriſche 
Lieder und Gedichte werden in die Erzählungen verflodten, die denke 
würdigften Ereigniffe vaterländifcher Geſchichte werden zu förmlichen 
Schulfeierlichke iten benupt, und ihre Erzählung wird durch dra⸗ 
matifhe Schilderung für Gemüth und Willensbildung der Jugend 
moͤglichſt verlebendigt; auch werden die das geiftige und fittlich » religidfe 
Leben befonders betreffenden Seiten dabei vorzugsweife heransgehoben. 
Run, denfelben Zwecken ift auch die fachentiprechende Stoffgliedes 
rung dienflbar, wenn fie nur mit feiner Sinnigfeit darauf angelegt ifl. 


Dazu mitzuwirken, daß diefe objectiven Mittel der Löfung der 
gegenwärtigen gefchichtsunterrichtlihen Aufgabe der Schule zu Gute kom⸗ 
men möchten, if ein Streben, das fi aus der Anlage und Durchfüh⸗ 
sung einiger der neuften gefchichtlichen Lehr» und Hülfsmittel nicht wohl 
verfennen läßt. Sind fie doch zum Theil ganz fpeciell im Hinblid auf 
die neuern regulatorifchen Befimmungen abgefaßt; zum heil hat wenig» 
fiens der Einfluß der letztern in einigen Hauptbeziehungen ſich ſtillſchwei⸗ 
gend in ihnen geltend gemacht. 

Neben den ebenerwähnten Mitteln breitet fi gegenwärtig noch eines 
mehr und mehr aus, nämlich die Benutzung hiſtoriſcher Abbil⸗ 
dungen beim Schulunterrigt. In früheren Zeiten gab es zwar audh 
ſchon Hiftorifche Bilder genug, und fie fanden auch in den Hänfern 
und Schulen fehr weite Verbreitung, wiewohl ihnen Kunfwert5 und 
Treue in vielen Faällen gänzlich abgingen. Es wurden Bücher für dag, 
Bott damit illuſtrirt, man klebte fie feib in ben ſchlichteſten Bürgers 
und Bauerhäufern an die Wände. Das Boll hat entichieden große 
Bilderluſt, Die Kinder haben fie au. Gegenwärtig, wo der Stahlſtich 
wie die Lithagraphie, namentlich aber die Zylographie, fo viele in der 
That fhöne und dabei beiſpiellos billige Bitder liefern, ift es viel leichter 
als je früher gemacht, auch im hiſtoriſchen Unterricht gute Bilder 
zu benupen. Für den biblifchen Gefchichtsunterricht find in den legten 
5— 19 Jahren dergleichen mit entſchieden günftigem Erfolge angewendet, 
und dad bat den weiten Anftoß zur Herausgabe fhulgereshter guter 
Bilderfammlungen gegeben. Für den vaterländifhen Geſchichts⸗ 
unterricht hat die nenfte Zeit auch viel Dankenswerthes geliefert, naments 
ih in Bortraits von Fürften, Helden, Staatsmännern, Batrioten 
und dergl. MBute gefchichilihe Scenen find feltener. In einigen deut⸗ 
(hen Rändern iR die Aushängung der Negentenbilder in ben Schule 
zimmern anempfohlen, in einigen — wenn Nachrichten darüber nicht 


Geſchichte. ab⸗ 


tauſchen — geradezu angeorbnet.*) — Der pädagogiſche Werth einer 
weiten Verwendung hiforifher Abbildungen im Unterricht iſt unbeftreits 
bar; in einen förmlichen Bilderdienft, den alle geſchichtliche Unters 
weifung nur an die Bilder anſchließen will, darf diefe Verwendung 
freilich eben fo wenig übergehen follen, als in eine Schönbeſchrei⸗ 
bung und Kunſtkritik verjelben. Beides widerftrebt ſelbſtvedend 
den richtig gewürdigten pädagogiichen Yweden in der Schule. Gute 
Bilder fprehen fhon an und für ih, — ſchlechte allerdings auch; 
aber diefe find fern zu halten —, fie commentiren die Geſchichtserzäh⸗ 
lung, fiziren irgend ein bald mehr bald minder allgemein bedeutfames 
Moment, und unterflügen, indem fie den Gefichtsſinn mit in Auſpruch 
uehmen, die Erinnerung, wie die Vertiefung des Eindruds der Ges 
Ihichte und deren Einprägung. Sie üben zugleich dur ihre Akhetifche 
Wirkung unvermerkt einen fittlich veredeinden Einfluß, würzen das 
Wort, fpyannen die Aufmerffamfeit, verkläsen und veranfchaulichen bes 
Bimmte Situationen, und wirken, mit geböriger intenfiver Sammlung 
reeipirt, auch productiv. Das verleiht ihnen eben den pädas 
gogifhen Werth. Bei der Fluth jchlechter Bilder, die allenthalben 
colportirt und gur Schau geboten, und die in unglaubliden Mengen 
verfauft werden, fo daß fie einen unberechenbaren Schaden anrichten, 
wäre auch der Umſtand zu erwägen, daß die Schule dur treff- 
liche hiſtoriſche Bilder wenigſtens einigermaßen zur Abwehr jenes Scha⸗ 
dens beitragen helfen Tann, ohne ihren nächften unterrichtlihen Zwecken 
Abbrud zu thun. 

Bu ben anzumendenden objectiven Mitteln müſſen aber ganz bes 
fonders noch [ubjective hinzulommen. Die erforderliche Lehrgewandt« 
beit, Stoffbeberrfhung u. A. m., wodurch der Lehrer er zum Lehrer 
wird, verfichen fih von ſelbſt. Uber es giebt noch andere, die nicht 
überall auch da angetroffen werden, wo ein didaktiſch gewandter, mit 
feinem Unterrichtsmaterial vertrauter Mann in der Schule fleht. Zur 
Löfung der gegenwärtigen pädagogiichen Aufgabe des gefhichtlichen Schul⸗ 
unterrihis gehört heut zu Tage mehr denn früher Selbſtverläug⸗ 
ver fittliher Ernf, patriotifher Sinn, Hriflide 

eihe. 

Die Selbfiverläugnung muß da Zaum und Bügel anlegen 
beifen, wo das noch fehlende innere Einverftändnig mit den neuern Bes 
ſtimmungen, fowie die Liebe zum Gegenflande quantitativ wie qualitativ 
über das in der Schule jetzt berechtigte Maaß der Untesweifung hinauss 
zugehen in Berfuhung bringt. Der fittlihe Ernſt muß die Auf 
fafung der Perſonal⸗ und Sachverhäliniffe leiten, damit bie ernſte 
Sache auch in der ihr gebührenden Wichtigkeit dem kindlichen Sinn 
entgegengebracht werde, keinerlei Leichtfertigkeit in Darfellung und Urs 

*) Auf Beranlaffung des Minifteriums haben die preußifchen Regierungen 
die weiter unten aufgeführten ‚„Brandenburgtfch» Breußlichen Regenten aus dem 


lem’ An en und Aufbängen in den Schulzimmern 
—— kefe Abb ungen mi aber u alt ic ſehr —2 


25* 


388 Geſ Hiqhte. 


theil den Standpunkt der Sache verſchiebe und einen Nißklang in bie 
Würde des Gegenflandes bringe, und damit ihren Einfluß flöre. Der 
patriotiſche Sinn hat die Momente, welche auf Bildung und Stär- 
tung des Nationalgefühls und der Baterlandsliebe am ſtaͤrkſten zu in 
fluiren vermögen, auch dergeflalt zu durchdringen, daß die Kinderherzen 
dem Lehrer die eigene warme Begeifterung dafür abfühlen und fi das 
ran ſelbſt für vaterländifhen Sinn, vaterländifhe Großthat und jegliche 
andere Bethätigung eines patriotifhen Strebens entflammen können. 
Gene Beife, welche fiheelfüchtig den Ruhm und Werth der hervorragens 
den Männer des Baterlandes nach dem Maaßſtab eigener Jämmerlichkeit 
zu meſſen fich nicht entbiödet, die Größe Anderer in den Staub zieht, 
oder durch perfide Accentuirung allfälliger fittliher Makel in ein ſchiefes 
Licht zu ſtellen trachtet, um mit wohlgefälliger, leerer Phrafe darüber 
zu richten, if ein ungefchichtliches und unpatriotifches, ein nicht minder 
gefährliches, als widerwärtiges Beginnen, wozu bisweilen leider der 
politifche oder religidfe Barteis Standpunkt des Verurtheilten ausgebeutet 
wird. Sole Schnöde baut nicht, fle reißt alle Pietät nieder, und er 
zeugt jenes vorfchnelle Abfprechen bei der Jugend, das jedem Berfläns 
digen gerechten Ekel erregt, und fpäter zu der elenden Blafirtheit führt, 
in welcher fih die Jugend vor Feiner Größe mehr beugen, ſich von 
nichts Außerordentlichem mehr imponiren laffen mag. Der ächt patrio: 
tifhe Sinn freut fi Achter Mannsgröße und feiert fie im Herzen und 
mit dem Munde; er gebt aber auch, bei aller Befcheidenheit, gerade 
und freimüthig mit feinem wohlerwogenen fubjectiven gefchichtlihen Urs 
theil heraus, in dem wohlgegründeten Bewußtfein, daß todte Objectivität 
in der Jugend fein Leben zu erweden vermag. Schon K. v. Raumer 
äußerte in der Borrede zur erften Ausgabe feiner „Geſchichte der Paͤ⸗ 
dagogik“ (iebt, 1857, 3. Aufl. Stuttgart, Liefhing. Th. I. u. 13): 
„Dan verlangt eine objective Darftellung, frei von Liebe und Haß. 
Mit Recht wird eine Wahrheit und Gerechtigkeit verlangt, welche weder 
Blind iſt gegen das Ente am Feinde, noch gegen das Böfe, welches 
dem Freunde anflebt. Aber frei von Liebe und Haß bin ich nicht, und 
will es nicht fein; ich will nad beftem Willen und Gewiſſen das Böfe 
baffen und dem Guten anhangen, auch fauer nicht füß und füß nicht 
fauer nennen.‘ So darf auch der Lehrer mit feinem freien perfänlichen 
Urtheil fi) über Thatfahen und Charaktere herauswagen, wenn er ans 
ders die Fähigkeit dazu nachweisbar errungen hat; und er foll es dann, 
um durch das Einftehen mit feiner ganzen eigenften Perfoͤnlichkeit für 
edel patriotifche Beftrebungen in der Jugend Muth und Liebe zu ähn⸗ 
lichen zu entzünden. Wenn ihn dagegen Fr. v. Raumer’s Zabel noch 
mit trifft (cf. Borrede zur 3. Aufl. der „Geſchichte der Hohenſtaufen“ 
©. XI: „In Folge der Tagesmode und Afterweisheit unferer Tage if 
eine faſt allgemeine Gleichgültigkeit gegen den Inhalt, fowie gegen bie 
Lehren und Warnungen der deutfchen Vorzeit eingetreten... In uns 
fern Tagen ift es Gebrauch, nad der Geſinnung zu fragen, Darunter 
aber oft nur beliebte Barteiungen zu verſtehen.“), fo thut ex beffer, 
feine eigenen Urtheile zu fuspendiren, weil fie weder von Unbefangen- 


Geſchichte. | 384 


beit, noch von’ Wahrbeitsliebe getragen fein würden. Indolenz wert 
feinen Patriotismus, zu deſſen Anbahnung aber recht eigens der Ges 
ſchicht s lehrer berufen if. 

Endlich die chriſtliche Weihe. In Verbindung mit ordentlicher 
Sachkenntniß, tüchtiger Lehrgefchidlichkeit und Marem, unverhohlenem 
Batriotismus, ift die Faͤhigkeit, das gefchichtliche Leben der Individuen 
wie der Völker im Lichte der göttlihen Offenbarung zu erfennen, 
feinen Werth am Prüfftein des göttlichen Wortes zu meflen, und bie 
im Innern empfundene Nothwendigkeit, der Menſchen Scidfale nicht 
biindem Zufall, fondern dem Alles durchdringenden Walten des lebendigen 
Gottes zugufchreiben, und den Spuren diefes Waltens überall mit heis 
liger Ehrfurcht nachzugehen; — es ift diefe Fähigkeit und diefe Roth» 
wendigfeit leiht das Wichtigfte und Höchſte für den Geſchichts⸗ 
lehrer, zumal der Schuljugend gegenüber. Der baarjpaltende Verſtand, 
der mit ſchwungvoller Phantafle in ſtarken Farben aufgetragene Patrio⸗ 
tismus, und was fonft noch, weicht doch an frucdhtbringender Einwirr 
fung am legten Ende diefem entfcheidendften aller Mittel bei der Jugend. 
Kein Wunder, daß die neuen Anordnungen ſolche Weihe fordern. 
Aber diefe läßt fih nicht machen, nicht erlernen und ausfpintifiren; fie 
wi von Oben erbeten und empfangen fein. Wer fie hat, dem if fie 
anzumerken; wer fie nicht hat, dem ift auch deutlich genug deren Mangel 
anzumerken; verdeden läßt es fi nun einmal nicht. 


V. Traditionelle Lehritoffe für den gefchichtlichen Unterricht 
in ihrem Berhältnig zu den Refultaten der Geſchichts⸗ 


forſchung. 


Die Geſchichte, in ihrer abſoluten Weſenheit aufgefaßt, iſt fuͤr 
Jedermann die eine, gleiche. Aber für die verſchiedenen Bildungs⸗ und 
Lebenszwecke wird aus ihrem Born in verſchiedenem Maaß und Sinn, 
und in verſchiedener Art geihöpft. Für die Schulbildungszwecke 
Gaben fih im Lauf der Zeit feit Hilmar Euras und Effig gewifle Lehrs 
Hoffe aus der großartigen Zülle des gefammten gefchichtlichen Wiſſens⸗ 
ſchatzes berausgeihält, die nunmehr, meift ohne erneute Prüfung ihrer 
Baffenheit, von Jahrzehend zu Jahrzehend fih forterben. Hunderte 
yon Tleinern und garößern Leitfäden, Lehr» und Handbühern bewegen 
sh fort und fort um diefelben Angeln diefer Stoffe; fle fcheiden nur 
etwa bie und da aus, fehen anderwärts zu, faflen die eine, Die andere 
Eeite überwiegend in's Auge, ftellen fie mannigfaltig modiflcirt für 
dieſen oder jenen nächſten Zweck dar, und ericheinen alfo als Variationen 
über das an fih gleiche Thema. Es bedarf kaum einer befonders ans 
gefärengten, forgfältigen Prüfung, um in fehr zahlreichen gefchichtlichen. 
Lehrbüdern für die Schule, wie für die Hand der Lehrer zu erkennen, 
Daß immer diefelben Stoffe, manche mit gleichförmiger fpeciellerer, andere: 


390 Geſchichte. 


mit gleichförmig kürzer abgefundener Darſtellung, wieder erſcheinen. 
Daraus ergiebt fih u. A., daß ſich nach und nach ein ziemlich allgemein 
anerkanntes, feſtes Urtheil über die Wichtigkeit gerade dieſer aus⸗ 
gehobenen Lehrſtoffe gebildet hat; nämlich theils tiber die allgemein ges 
ſchichtliche Wichtigkeit, theils über die für die befimmten, vorliegenden 
Bildungszwecke beredimete Wichtigkeit. Gar Manchem dürfte es kaum 
noch in den Sinn fommen, daß noch vieles Andere in den Bereich ber 
Geſchichte gehöre, als was. Hunderte von Lehrbüchern mit überrafchender 
Einhelligkeit darftelen. Dennoch giebt es foldher Partieen noch genug, 
und es fehlt nicht, daß in neuerer Zeit in einzelnen Lehrbüchern bereits 
- mande derfelben Aufnahme und glückliche Bearbeitung gefunden haben, 
welche früher bei Seite liegen gelaffen wurden, und die doch gegenmwärs 
tig als fo felbfiverftändlich erfcheinen, daß Mancher fi wundern würde, 
wenn er entdedte, daß frühere Lehrbücher fie nicht enthielten. Für 
den, der mit der Gefchichte einigermaßen in weiterm Umfange vertraut 
if, als fie in fchulmäßigen Lehrbüchern aufgeftellt zu fein pflegt, bedarf 
es der Anführung von Beijpielen nit. Für Andere wäre beiſpiels⸗ 
weife eine Zufammenbaltung von Bredow mit Weber, Dittmar, Wernide 
und Zeiß, oder von Kohlrauſch mit Schmitthenner, Duller, Benedey zu - 
empfehlen, ja es liefern fchon die verfchiedenen Ausgaben von Kohle 
rauf angemeffene Beispiele. Es ift alfo durch Traditton eine Art 
geſchichtlichen Normal⸗Lehrſtoffs entflanden, fowohl in den drei großen 
Beitaltern der allgemeinen Weltgeſchichte, als in den Perioden ber 
dDeutfhen und der ſpeciell⸗vaterländiſchen Gefchichte Eine nicht 
geringe Anzahl von Lehrbüchern faßt traditionell nur die volitiſche 
Seite diefes Stoffs vorwiegend in’s Auge; alles Andere wird kurz abs 
gefertigt. An die Regentenreiben, an meift friegerifche Begebenheiten, 
an einzelne Hervorragende Mrchlihe Bewegungen (mie durch Wilteff, 
Huß, Luther) wird der äußere Geſchichtsverlauf angefnüpft, indem 
bäufig nur eine Aneinanderreifung von Ergebniffen in Form von 
Erzählungen Hingeftellt wird, nicht aber die Lebendige Entwides 
lung ſelbſt, an deren Schluß diefe Ergebniffe erfchienen. Nähere Prü⸗ 
fung der Stoffdarlegung ſtößt auf viele allgemeine Phrafen und Zus 
fammenfaffungen, denen alle voranzufchidende Auseinanderbreitung des 
ſpeciellen gefhichtlihen Inhalts abgeht. Hier waltet ein offenbarer 
Mangel; jene bloßen Wort» Zufammenfaffungen und allgemeinen Redens⸗ 
arten helfen nichts, fie führen fogar irre. — Undere Lehrbücher machen 
es fih zur Aufgabe, die Fulturgefhichtlichen Seiten geordnet mit 
zu beachten. Zheild am Schluß der Perioden, theils bei den bedeut⸗ 
famften gefchichtligen Perſonen findet das dahin gehörende, wiederum 
meift tradittonelle Material feinen Platz, — feltener in einzelnen 
Ausführungen, häufiger in faſt tabellarifch Parzen Leberbliden. Bei 
der vaterländifihen Geſchichte pflegt mit Ber Darſtellung der Regierung 
der einzelnen Zärken die Berückſichtigung der gerade zu ihrer Zeit bes 
merkbar gewordenen Aullurerfcheinungen Hand in Sand zu gehem Selten 
geſchieht es, daß die Entwickelung des einzelnen Seiten des KRultur⸗ 
Iebens im Zufammenhange auf den bezüglichen Stationen verfolgt 


Geſchichte. 391 


wird, und. dabei die Bezeichnung des Antheils, ben die einzelnen Re⸗ 
gierungen daran haben, fich geeigneten Orts einfügt. — Kategorie des 
Stoffe, Qualitaͤt feiner Auffaffung, Modus der Iehrmäßigen Verwen⸗ 
bung, Bemeffung der Proportionen nad Alter, Kraft und Lebensftels 
fang der Schüler find hiernach in mehr als einer Beziehung für die 
Säule traditionell. 

Sobald es nun verfudt wird, dies fchulmäßig gewordene tradi⸗ 
tionelle hiftorifche Material mit den Befultaten der Geſchichtsfor⸗ 
fhung zufammenzubalten, ergiebt fi dem unbefangenen Blide bald 
ein befremdlicher Gegenſatz zwiſchen beiden in manden Stüden. Die 
vom Lehrbuch hingeftellte kategoriſche Beftimmtheit vieler Ihatfachen löſt 
Die Forſchung in anzuzweifeinde Bermuthungen auf; den Gang und Zus 
fammenbang, welchen jenes darlegt, corrigirt diefe auf Grund der 
Quellen oft fo wejentlih, daß das Gepräge beider ein gang anderes 
wird; das Urtheil in jemem erweiſt fich gegenüber dem gründlichen Ars 
bitrium bei diefer oft als wnhaltbar. Es fällt gar nicht ſchwer, eine 
ganze Lie von Momenten zufammenzubringen, wo diefer Gegenfah vecht 
greifbar ik. Wem die Maffifehen Geſchichtswerke unferes Bolfs zugäng⸗ 
(ih And, der kann in jeder Periode, ja faR bei allen großen hiſtoriſchen 
Berföntichkeiten, Einzelheiten Davon entdeden, die in den gangbaren Lehre 
büdern entweder in ganz anderm Lichte erfiheinen, oder durch die Alls 
gemeinheit ihrer Andeutungsweiſe leicht zu irriger Auffaſſung und Aus⸗ 
iyianmg verleiten. Zür den fihlichten Lehrer if das ein mißlicher Um⸗ 
Rand, da ihm in der Regel die Möglichkeit abgeht, dem wahren 
Sachverhaͤltniß auf den Grund zu bommen. Ihm mangeln Quellichriften: 
und MHaffifhe, danach verfaßte Schriften; er hat nur Die gewöhnkichen 
Schul⸗ und Handbücher, und indem er diefen auf guten Glauben folgt, 
wird er in der Tradition derielben auch unvermeidlich gefangen und irrt. 
Man wolle nicht fagen, daß Das nichts verſchlage. Den Ernf feines 
Fleißes fegt man doch am Tiebfien an die ächtefte Sache. Und warum. 
fol Mangelbaftes, Ungenaues, Irrthümliches fort umd fort für voll 
endete hiſßtoriſche Wahrheit gelten? Aus diefem Dilemma hilft nur 
Eins: die Durharbeitung tühtiger gefhihtlider Werke, 
allgemein⸗ und vaterländifch geſchichtlicher ſowohl, als namentlich mono, 
graphiſcher und biographifcher, die von gründfigen Geſchichtsforſchern 
aus den Quellen gefhöpft und faßfich bearbeitet find. Wir baden deren 
mehrere. Der Lehrer muß das Eine oder Andere folcher Werke leih⸗ 
weiße zw erlangen fuchen, ſollte es auch Fleine Opfer koſten. Sie öffnen 
ihm erſt den Blick in die geſchichtlichen Einzelheiten der Borgänge und 
Beziehungen, und begründen dadurch die Möglichkeit eines felbftfländigen 
Urtheils. Wer die Schriften von Mommfen, Dunder, Riebuhr u. 9. 
gelefen, erhält eine ganz andere Anſchauung von den Geſchichten des 
Atterthums, ats wie fie die meiften either gangbaren Lehrbücher ger 
währen. Wer die von Leo, Rehm, Ranke, Rüdert, Menzel u. U. tief, 
der wird das Mittelalter, wer die von Schloffer, Ranke, Wachsſsmuth, 
Menzel u. A. lie, wird die Neuzeit würdiger kennen lernen. Mit der 
Deatihen und der ſpeciellern Vaterlandsgeſchichte iſt ea Ahnlich; ja gerabe 


392 Geſchichte. 


auf dieſen Gebieten ergeben ſich viele, recht ſtarke Contraſte der Forſcher⸗ 
werke gegen die gangbaren Aufſtellungen mehrerer verbreiteter Bücher. 
Es braucht bloß an das Zeitalter der drei kaiſerlichen Ottonen, der drei 
Heinriche, Rudolphs v. Habsburgs, Maximilians I. und Karls des 
Fünften, Ferdinands II. und Joſephs 11. erinnert zu werden; oder an 
die Auffaffung, welche die brandenburgiſchen Markgrafen und Kurfürften, 
3. B. Waldemar, Albrecht Achilles, Joachim 1. u. Il., Friedrich IM., 
und die Könige Kriedrih Wilhelm I. u. Ill. erfahren. 

Gegenwärtig erſcheint es befonders erforderlich, bei der verlangten 
biographifchen und monographiihen Methode in der Schule größere Acht⸗ 
famfeit auf die Aechtheit des Lehrftoffs in feinen [pecielleren Zü- 
gen zu verwenden, um nicht Durch Die generalificenden Darkelungen 
der Lehrbücher entweder auch auf bloße Allgemeinheiten, oder bei [per 
cieflerer Ausführung auf falfhe Fährte zu gerathen. Unfere größeren 
vaterländifchen hiſtoriſchen Werke, foweit fie nicht der bloßen Gelehrten⸗ 
Arbeit dienen wollen, und auch wiederum nicht bloße Sammelwerfe find, 
bieten allein dem Lehrer die nöthige Garantie gründlidher Sachkenntniß 
und reiflich erwogenen Urtheils, wie die erforderliche Umfaffenheit der 
im hiſtoriſchen Leben der Völker wichtigen Momente. Dieſe Rüdfiht 
iſt's denn auh, womit die Sinweifung auf folhe Werke im Pädago- 
giſchen Jahresbericht fih von felb rechtfertigt, da fie fonft als nicht 
an richtiger Stelle angebracht erfcheinen müßte. Der in der Regel zieme 
lich hohe Preis folder Werke, der ihre Anfhaffung nur den Bemittels 
tern geftattet, durfte nicht von folder Hinweiſung abhalten. — So 
wie die Aechtheit der geſchichtlichen Lehrſtoffe, fo verdient auch deren 
Baffenheit für die Schule Beachtung. 

Gegen eine gewifle Kategorie traditioneller gefchichtlicher Lehrſtoffe, 
nämlich gegen die krieg sgeſchichtlichen Ausführungen, bat fih jüngſt 
der Dr. &. 3. Haufhild, Director des Modernen Gefanmt-Öymnafiums 
und einer höheren Zöchterfchule in Leipzig, erhoben. In feinen „Leip⸗ 
ziger Blättern über Erziehung und Unterricht‘ (Beitfchrift für El⸗ 
tern und Lehrer zur Berfändigung über die vornehmflen Grundfäge der 
modernen Pädagogik; Leipzig, Roßberg 1855), einer nicht gerade 
Ternigen, mit — wie es fiheinen will — wenig energilcher Geiſtes⸗ 
anfrengung gefhriebenen Sammlung von Sonntags⸗Natizen, kommt 
es ©. 83, 122 u. 151 auch auf die Geſchichte zu fprechen, um fid 
gegen einen großen Webelftand zu erflären. Berfafler beklagt, daß die 
Weltgeſchichte nad der gewöhnlichen Behandlung faf nur Krieges 
geſchichte, „d. h. mit andern Worten nur Mord und Todtfchlag, Blut⸗ 
vergießen und Schlachtgewühl“ darftellt. „Iſt der Krieg nicht die tieffle 
Derabwürdigung der Menfchheit? Erſcheint da nicht oft der Menih als 
reißendes Zbier, nicht bloß völlig entfittlicht, fondern wahrhaft ent» 
menſcht? Diefe Kriegsicenen auszumalen und diefe Helden, die, von 
Raubgier, Bergrößerungsfudht, Ehrgeiz u. f. w. angeflachelt, den Krieg 
mit eingefleifchter Mordiuft führen, iR eine traurige, unendlich ſchwere 
Pflicht und. Aufgabe für einen frommen, befonders chriſtlichen Geſchichts⸗ 
ſchreiber. Den Kuaben wollen wir ja Sein anderes Wohlgefallen an 


Geſchichte. 393 


dieſen Großihaten ber Eroberer einflößen, als die. ſchene Bewunderung, 
weihe der Anbiid eines maiefkätifchen Löwen einflößt. Traurig, daß 
der Menfch nicht bloß zum Vieh, fondern bis zum reißenden Thier, zur 
Beſtie herabfinten Tann. Es müßte wahre Serzensangelegenheit jedes 
Menfchen fein, den didften Schleier über die ganze Kriegsgeſchichte zu 
gieben; wir follten uns derfelben als Ehriften ſchämen... Statt defien 
verberrlicht fogar auch die Geographie einzig nur dieſe Menſchen⸗ 
ſchlaͤchterei: fie kennt nur eine Art von Denkmälern auf der Karte, näm« 
ih die Schwerter an Orten, wo Schlachten geliefert find... Das Wort: 
die Weltgeſchichte iR das Weltgeriht — wird erft wahr werden, wenn 
„das Chriſtenthum unferer Tage darüber zu Gericht ſitzt.“ (!) 

Daß in unfern Schulen nicht lauter Kriegsgefhichte, ja 
auch nit vorzugsweise Kriegägefchichte zu lehren if, — wie e8 auch 
thatfaͤchlich jept nicht geſchieht — ſteht bei befonnenen Pädagogen feſt, 
welche übrigens wohl Far genug fehen, um den Krieg nit aus lauter 
Mord und Zodtfchlag zur Beftie herabgefunfener, auf lauter Menſchen⸗ 
fhlächterei ausgehender Entmenfchter beftebend anzuerkennen. Biele Lehre 
bücher betonen die Kriegsgeſchichte überftart, das ift nicht recht; aber 
fie liefern weder Lauter Darftellungen mörderifcher Scenen der Schlach⸗ 
ten, noch fordern fie dur Anführung der Schlahten zu deren Des 
taillirung heraus. Da jedodh in dem Böllerieben der Krieg feit Jahr⸗ 
taufenden unter Gottes Zulaffung eines der entfcheidendften und wich⸗ 
tigden Mütel if, zu weitern innern Entwidelungen den Impuls zu 
geben, und da ſich darin fo oft die höchſte menfchliche Anſtrengung der 
ausgezeichnetfien, zu Fuͤhrern der Völker verordneten Perfonen, die Ber 
währung ber überlegenen Intelligenz, der edeiften Charaktere zeigt, fo 
tännen fie nicht übergangen werden. 

Die von Haufchild gehegte Anfchauung von den Kriegen if übers 
trieben, fie paßt böchftens auf Kämpfe zwiſchen Kannibalen; Fein edler, 
chriſtlicher Krieger Tann fie theilen, auch fein weiterfchauender, chriflicher 
Paͤdagog. Unfere Jugend ſoll von den Kämpfen, namentlih von den 
saterländifchen, Hören, u. A. auch deshalb, weil fie leicht zu ähnlichen 
berufen fein tönnte, und dann fi darin zu bewähren hat, ohne Rück⸗ 
ſichtnahme auf das moderne Urtheil des problematifchen Chriſtenthums 
„unferer Tage,“ das leichter wiegen dürfte als das Ehriftentbum, 
das der Herr Chriſtus felbft gepredigt hat. Die Kriegsgefhichte behält 
namentlich für Anaben ihre Berechtigung ; aber der Lehrer hat die Pros 
portionen weife zu bemeflen, und fich des Geiftes der Behandlung ges 
börig bewußt zu bleiben, worin er von derſelben, namentlih von 
Schlachtenbildern, Gebrauch zu machen hat. Auch Triegsgeidhicht» 
liche Stoffe find ein traditionelles UnterrihtssPenfum, und müflen 
ed bleiben. Daß ihr Inhalt aus den Geiſt der Zeit, welcher ſte an» 
gehören, erklärt werde, wie Haufchild aud überhaupt von den Hands 
Iungen weltgefchichtlicher Perfonen meint, verlangt die geſchichtliche Ges 
rechtigkeit; daß Alles aber von „„unferm Standpunkte‘ aus „beurs 
tHeilt und gerichtet‘ werden müfle, läßt fih durchaus nicht unbes 
dingt fordern und involvirt nur zu leicht Berfündigungen an der Wahre 


3m Geſchichte. 


heit. und Gerechtigkeit. Der moderne und gerade darum probkematifche 
Charakter des mit der Bezeihnung „unfer Standpunkt‘ eingefegten 
Gerichts ift wandelbar genug, um zu bereditigten Competenz⸗ Gonfliften 
zu führen. — Das Richtige an der Sache if, daß mit kriegsgeſchicht⸗ 
lichen Erzählungen weifes Maaß gehalten und im Sinne ber jet gels 
tenden Befimmungen nicht darauf der Hauptnachdruck, fondern auf ſolche 
geſchichtlichen Momente gelegt werden muß, welche Herz und Char 
rakter der hriftlichen Jugend am entfchiedenfen zu bilden geeignet 
find. Den Sharalter Hilft auch ein edles Kriegerbild bilden. — Wenn 
oben auf die hohe Wichtigkeit der Beachtung der Refultate gründlicher 
Geſchichts forſchung auch für den fchlichten Lehrer hingewiefen wurde, 
fo lag dabei theils die Thatfache zum Grunde, daß mannigfadh in den 
gebrauchten gefchichtlichen Lehrs und Haudbüchern von diefen Refultaten, 
in Bezug auf thatſächliche Verhältniſſe, wie auf deren Beurtbeilung, 
nicht die wünfchenswertbe Nüdficht genommen ift; theils aber auch der 
Umſtand, daß nicht abzufehen if, warum nit, an Stelle unhaltbarer 
tsaditioneller Anfhauungen, die richtigern allmählich durch die Schule 
Gemeingut werden follen. Es wird doch fonft fo angelegentlich nach bes 
gründeter Wahrheit gefragt, und wird mit Recht fo viel Werth darauf 
gelegt, fo daß eine Reviſion des Hergebrachten bei den geſchichtlichen 
Lehrſtoffen und eine Collationirung mit den Originals Acten gewiß ihr 
gutes Recht für fih hat. Die Beachtung jener Refultate oft ſehr viel⸗ 
jähriger, mühfeliger Studien lohnt fi) gewöhnlich mit den lehrreichſten, 
alte Vorftellungen corrigirenden, ergänzenden, aufbellenden Ginblidten. 
(Des Beifpiels halber fei u. A. auf Dr. 8. Weinhold's „altnordiſches 
Leben,” Berlin, Weidmann. 1856, bingewiefen) Auf Gelehrſam⸗ 
feit hat es eine ſolche Beachtung nicht abzufehen, aber zur beuechtigten 
Prüfung der gangharen Lehrfoffe und zur Gewinnung ordentlichen Urs 
theils über diefelben trägt fie fehr viel bei; und überdies beiebt fie bei 
dem Lehrer das Intereffe erft recht eigentlich. Zwiſchen einer in All⸗ 
gemeinheiten ſich bewegenden Geſchichte, z. DB. von dem großen Kurs 
fürfen oder dem großen König von Preußen unb einer auf Quellen 
geſtuͤtzten Forſcherſchrift über beide geniale Männer, if doch ein gewaltiger 
Unterſchied. Jene generalifirt auch zuletzt das Juteref fe, dieſe nimmt 
es ganz Ipeciell für ihre Helden in Anſpruch, und beliebt — damit auch 
für andere Geſchichts⸗Partieen. 

So weit alſo einem Lehrer irgend die Gelegenheit und die Möge 
lichkeit geboten ift, feine geſchichtlichen Lehr⸗ und Handbücher für den 
Schulgebrauch wenigſtens in Haupt⸗Parthieen mit klaſſiſchen Werken 
gediegener Forſcher über dieſe Parthieen zuſammenzuhalten, möge es 
doch nicht verſäumt werden. Letztere behalten Jahrzehende lang ihren 
Werth, jene ſchwinden oft innerhalb weniger Jahre aus dem Gebrauch 
und der Erinnerung. 


Geſchichtẽ. 398 


VI. Traditionelle Behandlung geſchichtlicher Lehrſtoffe im 
Schulunterricht, im Verhaͤltniß zu den pädagogiſchen 
Principien. 


Daß zwiſchen den pädagogiſchen Principien, deren allgemeine Gel⸗ 
tung nicht deſtritten wird, und der unterrichtlichen Behandlung geſchicht⸗ 
licher Lehrfioffe in der Schule, alfo zwiſchen Theorie und PBraris, nicht 
felten eine ſehr fehneidende Differenz obmaltet, mag mehrfache Gründe 
haben Richt ausreichende Lehrgefchictichkeit überhaupt, Mangel an 
geiſtesfriſcher Hingabe an die Sadye, Feftgefahrenfein ‚in verkehrte Geleiſe 
und Abneigung, in beffere, neue Bahnen fich einzugewöhnen, Taͤuſchung 
über das Verhaͤltniß des eigenen Thuns zu den pädagogifchen Principien, 
Mangel an Beherrfhung und Durddringung des Stoffs: das mögen 
woht bie und da einige der flarfen Sinderniffe fein, welche e8 zu Feiner 
prineipgemäßen Behandlung der Gefchichte fommen laſſen. Es giebt 
aber noch andere: Unflarheit über den wahren Zwed des Bes 
ſchichtsunterrichte, Irrung in den Mitteln zur Erreichung bes rich» 
tigen Zweds, individuelle innere Geiftes- und Gemüths⸗Or⸗ 
ganifation, in Folge deren der Lehrer zu der obligatorifchen Rich» 
tung des Gefhichtsunterrichts, zu defien Geil und Tendenz fi im 
Widerſpruch weiß, Bindung an ungeeignete Leitfäden md 
Lehrbücder. 

Bon den zuerfi genannten Sinderniffen möge bier ganz abgeſehen 
werden. Was aber Die Iehtern betrifft, fo iſt's Thatſache, dag über 
den wahren Zwed des gefchichtlihen Schulunterrits noch genugſam 
Unklarheit beſteht. Es hat ja fange die Erwerbung eines geſchichtlichen 
Wiffensſchatzes und die Hebung der intellectuellen Kräfte daran als oberftes, 
anzuftrebendes Ziel diefes Unterrichts gegolten. Heut hat dies Biel 
feine frühere Geltung verloren, jedoch nicht fo, als ob Dies gedächt⸗ 
nigmäßige Wellen gar nicht mehr erworben, auf die Uebung der in. 
tellectuellen Kräfte gar fein Werth mehr gelegt werden follte. Sondern 
das foll Beides, aber in untergeordnetem Maaße, beſtehen bleiben, 
und es fol jept ale hoͤch ſtes Ziel die hriftlihe und patriotiſche 
Durchbildung des Sinnes und Eharafters der Jugend auch 
durch den Geſchichtsunterricht angerrebt werden. Dies Ziel wird weder 
durch fleißiges Memoriren der Gefchichtstabellen, noch durch ſtrenges Ab⸗ 
fragen zur häuslichen Einprägung aufgegebener Geſchichtspenſen der 
Dietate oder Lehrbücher, weder durch eifriges Eraminiren und Gertiren, 
nod durch Igeiftreiche Deliberationen über die Gefchichte erreiht. — 
Sowohl für vorwiegende Gedächtniß⸗, als Berftandes- Pflege iſt die 
Natur des Gefhichtsfloffes zwar durchaus nicht völlig, aber in viel 
höherm Grade gleichgültig, als für Gemüths» und Charakterpflege zur 
Erzielung chriſtlichen und patriotifchen Sinnes. Maſſen von Bahlen, 
Namen und Thatfahen, originelle und pikante Auffaffungen der Ger 
ſchichte u. dergi. befruchten das Gemüth nidt. Die pädagogiſchen 
Brincipien legen aber auf Bildung des Gemuͤths und Charakters für'o 


300 Geſchichte. 


Leben mit Recht einen höhern Werth, als auf Bilbung des Gedächt⸗ 
niſſes und Verſtandes allein. Soweit jenen Principien zugeſtimmt 
und doch den letztern Tendenzen vorwaltend gehuldigt wird, iſt die 
Differenz zwiſchen Theorie und Praxis — und letztere Tendenzen regelten 
die frühere Praxis — offenbar. 

Ferner. Da wo allein ſchon durch die traditionelle Gliederung 
des geſchichtlichen Lehrftoffs in alte, mittlere und neuere Zeit, oder in 
die andere nah den Regentenfamilien, oder in die noch andere nad 
rein politifchen und nah Hulturs Verhältniffen, oder wo durch fogenannte 
concentrifhe Geſchichtskreiſe, durch faſt ausfchließliche Beichäftigung mit 
der vaterländifchen Geſchichte — aber in rein Außerliher Weile —, 
durch vieles Vorlefen aus fpecieller eingehenden Gefchichtsbüchern, ober 
durch abſichtliche Gleichförmigfeit der Behandlung der auseinander ſich 
entwidelnden oder in einander eingreifenden Thatfahen u. dergl. das 
Biel des Gefchichtsunterrichts zu erreichen verſucht wird: da if wies 
derum die Differenz zwifchen den richtigen Principien und der Prazis 
offenbar. Diefe iſt jener augenfcheinlich inadäquat. AN jene Mittel, 
wie löblih und unter Umftänden fehr zwedmäßig an fih, werden doch 
erft recht wirffam, wenn bei der Stoffwahl die für den oberſten Zwed 
tauglichſte Partieen herausgegriffen, und bei der Durchführung jene 
Friſche, Lebendigkeit, Wärme der perfönlichen Hingabe und Durchs 
dringung niit chriftlihem Geifte, in vollfter Unmittelbarkeit vom Herzen 
des Lehrers ausgehend, zur Anwendung kommt, die auch bei andern 
Modalitäten der äußeren Methode die ſtarke Hoffnung entſchiedenſten Ers 
folges für ih bat. — Es ift ja ganz fhön und nothwendig, den Untere 
right — der Tradition gemäß — abzuftufen, jeder Stufe ein relatives 
Ganzes zuzuweilen, der Unterftufe die fchlihte Erzählung zur Wedung 
des geſchichtlichen Sinnes, der Mittelftufe die Einführung in das Bers 
Bändniß der wichtigen Thatfachen und Erjcheinungen, der Oberſtufe Die 
Eröffnung des geiftigen Zufammenhangs, des Gaufalnerus, des Prags 
matismus, zu vindieiren. Uber das Penſum und die äußere Ab» 
widelung deſſelben thun es allein nit. Der Geiſt des Thuns ents 
ſcheidet; letztern Ipricht nun zwar das pädagogiſche Princip aus, aber 
die bloße Form obiger Mittel genügt demfelben nicht. Der rechte 
Geiſt ift ſelbſt das befte Mittel! Nur in Berbindung mit ibm, 
und durch ihn getragen, hat die anregende Friſche des lebendigen Wortes, 
die plaftifch anfchaulihe Dramatif der Schilderung, die Unterſtützung 
derfelben durch geographifche Hülfsmittel und Abbildungen, die Bemeflung 
nach Alterss und Gefchlechtsverfchiedenheit, die combinatorifche Beziehung 
zu den andern Lehrgegenfländen, und was fonft noch von Mitteln zur 
erfolgreichen Behandlung des Gefchichtsunterrihts aus den voranges 
gangenen Zahrzehnden auf unfere Tage gekommen if, er den vollen 
Werth. 


Ferner. Welche Geſtalt dem Geſchichtsunterricht zu geben, in 
welcher Richtung er zu erhalten iſt, das ſteht in unſerm Lande durch 
die gegebenen Vorſchriften nunmehr feſt. Es iſt aber nicht zu läugnen, 
daß mancher Lehrer feiner ganzen Geiſtes⸗ und Gemüthsrichtung nach 


Geſchichte. 397 


ſchwer dahin gelangt, das in ihm noch waltende Widerſtreben dagegen 
zu befiegen. Die Begeiſterung für vaterländiſches Weſen und 
Leben iſt noch keineswegs bei Allen Gemeingut, und die Ueberzeugung, 
daß vor Allem die ſolide Befeſtigung unferer Volksjugend auf dem Boden 
lebendigen Chriſtenthums erforderlich ſei, ebenfalls nicht. Damit 
fehlen aber die beiden ſtarken Hebel zur fruchtbaren Ertheilung des 
jet zeitgemäßen gefchichtlihen Schulunterrihte. Wo ſtatt entfchieden 
ausgefprochener, gefunder Liebe zum Baterlande Gleichgültigkeit, ober 
gar Bergdtterung ausländifcher Ideen waltet, wo am eignen Volksleben 
nur die Schäden, am fremden aber die Glanzfeiten ind Auge gefaßt 
werden, wo ohne Treue und Pietät ind Geheim an Kronen und Thronen 
gefündigt wird, da if der Widerfpruch gegen alle volksthümliche, deutfche 
Pädagogik offenbar. — Daflelbe gilt von dem Bemühen, die Geſchichte 
von aller religiöfen Unterlage im Volke Ioszulöfen, und fie als 
bloßes Menfchengetriebe hinzuftellen, worin bie reinmenfchliche Tugend 
und Geiſtesſtaͤrke im flets fi erneuernden Ringen gegen fittlihe und 
geiflige Schwäche, Leidenfchaft, Auflehnung und Anmaßung begriffen if. 
Solch Beginnen ſtreitet gegen alle deutſche Volksthümlichkeit, 
wie es zugleich gegen alle Wahrheit ſtreitet. Dem deutſchen chrift» 
lichen Lehrer liegt für den Gefhichtsunterricht nichts näher, als unfer® 
Deutfchen Volks Achten nationalen Kern in Weltanſchauung, Sinn, 
Sitte, Streben, Bollseinrichtungen, Zuftänden, Kämpfen und Siegen, 
beſonders deſſen hrifflichde Grundanſchauung des Völkerlebens und die 
darauf geftübten Veranſtaltungen, Gefebe, fowie die dafür gebrachten 
großen Opfer, zur Geltung und Anerkennung zu bringen, fo daß die 
Jugend voll Pietät und Bewunderung vor die Glanzbilder deutfchen 
Lebens und Weſens treten, es aus ganzer Seele lieb gewinnen, und 
mit treuer Hingabe ſich begeiftert an die Heldengeſchlechter anschließen 
lernt, die unter Gottes Segen in ihrem engern Baterlande zu deffen 
Größe und Blüthe beigetragen haben. 

Darin würde fih, fo dies erfirebt würde, richtige nationale und 
chriſtliche Pädagogik offenbaren, deren Prineipien eben fo die Formen 
als die Stoffe berühren, um dur ihren Geiſt beide zu verflären. 
Es würde dabei die Bereicherung des Wiſſensfſchatzes, die Uebung afler 
geifligen Kräfte, des Bedächtniffes, des Verſtandes, der Denkkraft, der 
Phantafle nicht fehlen, fondern fogar noch der edelfte Enthuflasmus ger 
nährt, und das Herz an den theuerfien Gütern erwärmt und erquickt, 
farz der ganze Menſch erfaßt, gehoben, und in die rechte nationale 
Lehensftellung gebracht werden. Denn ‚nichts iſt mächtiger, als der res 
figidfe Gedanke!’ Die heranwachſende Jugend würde wiederum mehr 
mit chriſt lichem Leben erfüllt, lebendiger in die Kirche eingefügt, fie 
würde aber auch wieder mit mehr Ehrfurcht vor vaterländif hem 
Weſen in das fpätere bürgerliche Leben eintreten. 

Endlih. Die traditionelle Behandlung des Geſchichtsunterrichts 
wird vielfach durch die ihr zu Grunde gelegten Lehrbücher mit bes 
fimmt. Diele der in der Schule lange gebrauchten, halfen bloß die 
Erwerbung äußerer Geſchichtokenntniß vermitteln; fie blieben innerhalb 


398 Geſchichte. 


der Kreiſe des außern Lebens ſtehen und kümmerten ſich wenig darum, 
auch auf die innern Factoren hinzuweiſen, welche erſt jenes äußere 
Leben verſtaͤndlich machen. Manche dieſer Bücher find lediglich wi ſſen⸗ 
ſchaftliche Abriſſe, mit einer Hülle und Fülle von Angaben über 
Negentenwechſel, Berfonalbeziehungen der Fürſten, Walten ber Zürfen 
zur Hebung der äußern Bollswohlfahrt durch Förderung der Agzicultur, 
der Induftrie, des Handels, der Kunft, der Willenfchaft; ferner über 
Kriege, Schlachten, Ländererwerbungen und fonfige politifhe Händel, 
Degen dieſer Bülle find fie jchon an fich fchwer lesbar, aber auch im 
Webrigen if ihre Darftellung meift nicht anziehend. Sie überlaflen deu 
Einfluß der Gefchichte der vox viva des Lehrers; fte nehmen den Kopf, 
nicht aber das Herz in Anfpruch, und haben für vaterländifche Begeben⸗ 
beiten obngefähr Diefelben Raumes» und Kraft» Proportionen als für 
aller andern Völker Geſchichte. Solche Bücher leiten kaum in einer ge⸗ 
fhidten Hand zu dem jeßt normirten Ziele, gefchweige in einer un⸗ 
geübtern. Gegenwärtig thun Lehrbücher Roth, welche, mit fehnellerer 
Webergehung der flerilern Bartieen, den verflärkten Nachdruck auf die 
andern, bedeutfamen legen, die im Bolfsbewußtfein entweder forts 
Leben, oder wieder lebendig zu machen find, und welche für diefe wich⸗ 
tigen Partieen fogleih die rechte Leuchte geben und auch den vater» 
ländifchen Sinn des Verfaflers edel doeumentiren. Sie können an Stoff 
etwas ärmer, fle müffen aber an gefundem Geift reicher fein. 
Solcher Lehrbücher giebt es jetzt kaum eins. Freilich ift auch die Zeit 
feit Emanirung der neuen Normen noch zu kurz, um Gediegenes haben 
an’s Licht treten laffen zu fönnen. Mit einem den neuen Rormen ans 
gepaßten Aushängeichilde und etlichen danach formirten Abfchnitten giebt 
es ſchon welche; fie paflen aber zu der Altern Tradition viel eher, als 
zu den neuem Befimmungen. Denn fie befchränten nicht richtig, vers 
tiefen nicht, bauen und heilen nicht, begründen aud Fein gewifles Urs 
tbeil über den Geift und die Bedeutung der Zeiten und Bölker, und 
führen nicht in den innerfien Kern des Lebens, die religiöfen Ideen ein. 
Und doch „hängt alles menfchliche Thun und Laflen von dem religiäfen 
Begriff ab, in dem man lebt.“ Wo foldhen Lehrbüchern und Leitfäden 
ohne eignes Urtheil auf guten Glauben nachgegangen wird, da Tann für 
den Hauptzweck des Gefchichtsunterrichts nicht viel herausfommen. 
Andere Lehrbücher entbehren eines patriotifchen Hauches nicht; fie 
enthalten an paſſender Stelle manch fchönes, zündendes Wort, wo es 
gütt, Helden und ihre Thaten, Leiden und Berbängniffe Einzelner wie 
des ganzen Volks und ähnliche gipfelnde Situationen darzuflellen; fie 
führen auch in die früheren, die Keime fpäterer Entwidelung enthals 
tenden Zeiten finnig ein, und laſſen 3. B. den Zufammenhang zwifchen 
den mittelalterlihen Begriffen und Zuftänden und den Anfhauungen und 
Geftaltungen der folgenden Jahrhunderte erfennen. Aber es geht ihnen 
die befriedigende Würdigung der Stellung des evangelifchen 
Chriſtenthums zum Völferleben ab; letzteres erfcheint in ihnen von 
dem Chriſtenthum in fo hohem Grade gefchieden, daß dies nur bei ein 
paar traditionellen Momenten beachtet, ſonſt aber weiter nicht erwähnt 





Geſchichte. gos 


und Sei Bildung des Urtheils nicht zu Hülfe genommen wird. Das 
bat für den nach biefen Büchern ertheilten Unterricht die Folge, daß 
auch dieſer ich mit dem Chriſtenthum an ein paar Stellen abfindet, das 
ganze übrige gefchichtliche Leben aber feine eigenen Wege gehen Täßt. 
Es werden darum die Charakterbilder hoͤchſtens menfhlich fhön aus⸗ 
geführt, aber zu Weiterm kommt es nicht; alfo mangelt auch das exem⸗ 
pliflcatorifche Element für die Achte Charakterbildung, in der das Chris 
ſtenthum nie fehlen Tann. 

Noch andere Lehrbücher verbinden Sachfälle und volkothümliche Auf⸗ 
faſſung des Stoffs mit einem gewiffen Geiſtes reichthum. Bliztzende 
Gedanken, überrafchende Eombinationen, pilante Situationen, draftifche 
Sprüde, ungewöhnlide Deutungen und Erllärungsweilen geben ihnen 
bei der meif gewandten und eleganten Darftellungsweife einen befondern 
Heiz. Dergleihen Bücher find in befonderm Grade für den ſchlichten 
Lehrer verführerifch. Ahnen mündlich gleichzulommen, ift ſchwer, es nur 
zu verſuchen, kaum räthlich bei dem geruhigen Unterricht von Kindern; 
indem minder die Sache als die Form fpannen würde. Viel nöthiger 
it einfache, klare, faßliche, aber eindringliche Form der Darftellung, 
kindlichen Kräften entfprehend, und mit feiner Sinnigfeit für diefelben 
berechnet. Gewöhnlich gebt den an überfehwänglichem Geiftesreichthum 
leidenden Lehrbüchern die geruhige Klarheit und die zum Herzen drin« 
gende Kernigkeit ab. Sie nehmen Verſtand und Phantafle lebhaft in 
Anfpruch und laſſen Herz und Gemüth Teer ausgehen. — Es giebt 
einen ähnlichen praktiſchen Geſchichtsunterricht; man glaubt, etwas vors 
gerädteren Schülern damit das ihnen Entfprechende bieten zu müſſen. 
Diefe Tradition widerfirebt auch gefunden pädagogifchen Principien. 
Auch vorgerüdtere Schäler bedürfen gar fehr des zum Herzen fprechen» 
Den, charakterbildenden Gefchichtsunterrihts, und fie koͤnnen viel 
eher der Eleganz und der Geiſtesblitze, als der flillen, unwiderſtehlichen 
Cindringlichkeit feffelnder, aber klarer Darflellung entbehren. Jene Tiefe 
leicht auf eitle Schauflellung der Lehrergewandtheit hinaus, diefe if auf 
des Schülers wahre Intereſſen berechnet.*) 


9 68 möge hierzu an den Rath erinnert werden, welchen Dr. Joſ. Bed 
im Borwort zur 6. Auflage feines „Leitfadend der allgemeinen 
Weltgefhichte‘ (Hannover. Hahn. 1856) in Bezug auf methopdifche 
Behandlung des Gefhichtäunterrichts ertheilt. Ihm bat es fih als das 
Fruchtbarſte erwiefen, wenn in untern und mittleren Klaſſen höherer Unter⸗ 
richts anſtalten zuerft der Xehrer in einem klaren, freien, aber gemeffe- 
nen und nicht abfhweifenden Bortrage den zu behandelnden Abſchnitt 
waählt, dann Dielen At ſqanin im Lehrbuch vorleſen läßt, um etwa dunkel 
Gebliebenes nebenbei zu erklären, und darauf von einem oder mehreren Schü⸗ 
lern den Berfuh im Nacherzählen machen läßt. Das fo Durchgenommene 
iſt für Die nächſte Stunde zu lernen; die Frageftellung hat darauf hinzuwirken, 
daß das Belernie nicht mechaniſch, fondern mit geiftiger Selbſtthä— 
tigleit reproducirt werde. Sind die eine bißorifhe Gruppe bildenden 
Abſchnitte beendet, fo wird bDiefelbe ald Ganzes wiederholt und dabei auf 
Anbahnung des Deritändnifles von der Innern nwidelung und deu Zus 
[emmenb unge bed Einzelnen das Abſehen gerichtet. Dabel find die wich⸗ 
tigern Derbindungdglieder an beſtimmte Jahreszahlen feſtzu⸗ 


400. Geſchichte. 


In Summa: Bei der althergebrachten unterrichtlichen Behandlung 
der Geſchichte wird es zwar gelingen, den früher maaßgebenden Anfors 
derungen in Betreff größern Reichthums der gefchichtlihen Kenntniffe 
und größerer Uebung der intellettuellen Kräfte zu entfpredhen; aber das 
neuerdings kategoriſch gebotene Ziel nationalshrifliger Charak⸗ 
terbildung der Jugend, worauf die chrifllihe, volksthümliche Päda⸗ 
gogik principiell den färkften Accent legt, if damit erfahrungsmäßig 
nicht zu erreichen gewefen. Darum ift es Gewiflenspflicht, in andere, 
erfolgreichere Bahnen einzulenten, die Breite, Höhe und Länge 
gegen fittlihe Tiefe daran zu geben, und all die Mittel zu verfuchen, 
weiche bei einzelnen, weiterfchauenden Pädagogen fchon feither das rich- 
tige Biel haben erreichen helfen, und genugfam bewährt erfunden find, 
um zu allgemeiner Anwendung empfohlen zu werden. Auf diefen neuen 
Bahnen gilt es Vorwärts mit Gott in Treuen! 


Zur geſchichtlichen Literatur des Jahres 1856. 


Die bibliſchen und firhenbiflorifhen Lehrers, Hand» und 
Hülfsbücher, welche in früheren Jahren mit in die literarifche Nach⸗ 
weifung an diefer Stelle aufgenommen zu werben pflegten, werden fortan 
nur beim Bericht über die religidfen Schriften zur Beſprechung 
kommen, wo fie deshalb nachzufehen find. Wenn einige dem Geſchichts⸗ 
lehrer jedenfalls willlommen erfcheinende Schriften in dem diesmaligen 
Bericht Feine Beiprehung erfahren konnten, fo liegt das nur daran, 
daß es feither nicht gelungen ift, fie zu dieſem Behufe zu erlangen. 
Es konnte nicht über Schriften berichtet werden follen, die nur aus 
buchhändterifchen Anzeigen belannt find. Aehnliches gilt von Lieferungs- 
Werken, von denen nur Anfangslieferungen vorlagen, indeß ſchon weitere 
erfchienen find. Nur die möglichfte Nüdfihtnahme auf den bemeffenen 
Raum ift der Grund, weshalb überall, wo es nur tbunlich fchien, ſehr 
fnappe, das Weientlihfte hervorhebende Beſprechungen gegeben worden 
find; befonders gilt dies bei neuen Auflagen von Werken, auf 
welche bereits in früheren Jahrgaͤngen des Pädagogifchen Jahresberichte 
die Aufmerffamkeit gelenkt if. Solche Schriften werden durch ein * mars 
firt werden. 


A. Boterlänbifche Befchichte. 


a. Preußiſche Geſchichte. 


J. J. v Becker, Lehrer: Brandenburgiſch⸗Preußiſche Geſchichte. 
ür Bürger⸗, Neal» und — 533 3. Aufl, (von Lehrer 
. Hehel in Brandenburg) mit Rückſichi auf die drei preußiſchen 


fnüpfen, minder bedeutende aber an jene angureiben. Nach Abſchluß einer 
rößeren Gefhtchtspertode iſt die betreffende KR ifhe Weber: 
ihtötaäbelle zu erflären und die Hauptfacta find in ihrem Rebens 
einander fireng zu lernen, doch iſt dabei Maaß zu haften, 





Geſchichte, 401 


Begulative umgearbeitet. Altena, Verlags⸗Büreau. 1856. 116 ©, 


Der Text dieſer für Töchterſchulen mitbefimmten 3. Aufl. iſt 
dem in der 2. (cf. 9. Päd. Jahresber. S. 450) für Militärfchulen 
mitbeftimmten far wörtlich gleih. Einige Kürzungen betreffen die Staats⸗ 
einrichtungen und die Zeiten feit 1848, einige Ergänzungen dagegen 
einige charakteriſtiſche Züge (z. B. Tod der Königin Louiſe), eine. Eins 
leitung und eine Weiterführung der Zeittafel, welhe mit der im Büch⸗ 
lein von Höfh (IX. Pad. Jahresber. S. 449) übereinfimmt. Der Ver⸗ 
mer? des Titels in Bezug auf die drei preußifchen Regulative wird 
durch das Büchlein ſelbſt nicht gerechtfertigt. 

2. Dr. Kopp, Gymnaflallehrer: Die brandenburgiſch⸗preußiſche 
Geſchichte bis 1740. Zum Gebrauch für obere Gymnaſialklaſſen 
und für greunde der nationalen Geſchichte. Berlin, Springer. 1857. 
130 S. 9% Sgr. 

Das find kurze Summarien aus der vaterländifhen Gefchihte für 
Diejenigen, welche die Details bereits gelernt haben, und nun eine 
mehr als durch bloße Gefhichtstabellen erreichbare, eingehendere, fachlich 
teihere Erinnerung an die Sauptzüge gewinnen wollen. Weniger zu 
einem Leitfaden als zu einem willlommenen Repetitionss Hülfsmittel 
eriheint das Büchlein deshalb befonders geeignet. In die Data find 
übrigens an mehreren Stellen aud aneldotenartige Einzelzüge mit ver⸗ 
webt, welche über die Grenzen des Repetitionszwecks hinaus Tiegen 
(ef. S. 32. 36. 64. 79. 112. 115). Dit der brandenburgifchen Ges 
ſchichte iſt die Gefchichte Of» Preußens und Pommerns ſynchroniſtiſch 
verflochten, die Gefchichte der andern preußifchen Provinzen fehlt. Bon 
den Zeiten Friedrihs II. an finden fi nur ganz kurze Umriffe Die 
Darftellung if gewandt, mande Charakteriſtik von Berfonen und Zeiten 
recht herb und einfchneidend. Eine Zeittafel fehlt. 


3, $ Kopftadt, Scheer: Geldiät: er Preußifhen Staats, Hagen, 

Buß. 1856. 390 Thlr. 

Nicht ſowohl eine — — ale eine auf gute, aus den Quells 
ſchriften geichöpfte Werke geftügte „‚überfichtlihe und zufammenhängende 
Erzählung deſſen, bat der Berf. liefern wollen, was ein Gebildeter 
von der Geſchichte feines DVaterlandes willen ſollte.“ Seine fehr wadere 
Arbeit, getragen von eben fo viel patriotifcher Liebe als edelm Frei« 
mut — namentlih da, wo es perfönlidhe und ſachliche Mängel zu 
rügen gab —, zeugt von viel Fleiß und Genauigkeit in der Sache und 
von viel Sorgfalt in der Darftellung, welche überall lichtvoll, gerecht 
und wohlthuend zu fein firebt. Das entfaltete Bild der Thatfachen iſt 
klar, überfgaubar » ausführlich, gerundet und wohl zufammengefchloffen, 
obgleich einige Abfchnitte etwas lang hinausgefponnen jind, fo daB 
wenigftens einige marfirte Ruhepunkte wünfchenswerth fcheinen. Un 
dem Buche treten zwei charakterifiifche Seiten entgegen. In der Korm 
iR infofern eine von andern Bearbeitungen abweichende Einrichtung, al$ 
der Stoff nicht nach den üblichen Zeiträumen, fondern nad anders bes 

Nade, Iahresberiht. Z 26 








402 Geſchichte. 


grenzten Abſchnitten aufgeſtellt iſt. (3. B.: „2. Kämpfe zwiſchen Slaven 
und Deutſchen. Gründung der Mark Brandenburg. Die Askanier bis 
u ihrem Ausferben.” „A. Brandenburg unter den Wittelsbahern und 
Buremburgern bis zur Ankunft Sriedrihe I. 1412.“ ,,6. Gründung 
der Macht der Hohenzollern in Brandenburg. Bezwingung des Adels 
und der Städte dur die 3 erſten Hurfürften bis auf Johann icero. 
1846.” etc.) In der Sache if die fonchroniftifhe Einfügung der 
Geſchichte des Ordenslandes Preußen in die des Kurfürftenthums Bran⸗ 
denburg charakteriſtiſch. (So 3. B.: „3. Kämpfe des deutſchen Ordens 
in Preußen bis zur völligen Unterwerfung des Landes. 1283. „5. Macht 
des deutichen Ordens bis zur Niederlage bei Zannenberg. 1410.” .... 
„14. Preußen unter eigenen Herzögen bis 1617.) Bemerkenswerth -if 
es au, daß die Urtheile über die Fürften (z. B. Joachim IT., die Fürs 
fen vom großen Kurfürften bis auf den vorigen König) in manchen 
Stücken etwas herb gegeben find, daß ferner die geiftige Entwidelung 
des Staates nicht in befonderen Abſchnitten (über Kunſt und Wiflen- 
Schaft) dargeftellt, und die Geſchichte der Jahre 1840 — 1848 nur furz 
er ii Das Bub if der Beachtung fehr wert. (S. 148: 
ablunfa. 


4. Dr. Fr. Förfter: Neuere und neueſte Preußifhe Geſchichte. 
Seit Friedrich des Großen Tode bis auf unfere Tage. Mit Benugung 
vieler ungedrudter Quellen. 3. Aufl. Liefer. 61—65. 5 Sgr. A u.d. T.: 
Preußens Helden in Krieg und Frieden. 95—94 Lief. III. Abth. 
3. Br. S. 601—800. Berlin, Hempel. 1856. 


5. Deffen: Geſchichte der Befreiungsfriege 1813, 1814. 1815. 
Nach theilweiſe ungedrudten Quellen und mündlichen Auffchlüfien bedeus 
tender Zeitgenofien, fo wie vielen Beiträgen von Mitkämpfern dargeftellt 
unter Mittheilung eigener Erlebniſſe. (c. 24 Lief. a5 Egr.) 1. Lief. 
S. 1—48 mit Titelbild. Dafelbit 1856: 

Bon einer einzigen Lieferung (des Werkes b.) läßt fi fein völlig 
fiheres Urtbeil über das neue Werk gewinnen. Es fcheint jedoch, daß 
es eine fehr ungenirte Tendenz verfolgen wolle, wie man fie auch fonft 
beim Berf. gewohnt if. Theils ift das in Ueberfchriften wie „Friedrich 
Wilhelm III. und der freie Wille fündigen Napoleon und dem Despotens 
thum,” ‚Alles für und dur das Volk,“ ‚Diplomaten » Gefäufel‘‘ zc. 
theils durd die charakteriſtiſche Anſchauungs⸗ und Urtbeilsweife aus⸗ 
gefprohen. 3. B.: Ob der König und feine vertrauteften Natbgeber, 
melde die Aufforderung zum Zreimilligens Dienft, die Aufrufe an das 
Bolt u. f. w. erließen, die Tragweite ihrer Worte und Verheißungen, 
fowie das Einzige ganz ermaßen, dem der Kampf galt, läßt Berf. 
dahingeftellt fein, er fagt aber, „das allgemeine Bolfsbewußtfein hatte 
Darüber Gewißheit. „Der freie Wille war der zündende Blik der Ber 
geifterungsflammen.” „Die Waffen der Monarchen felbft wurden des 
mofratifh. „In Preußen war Alles Selbſtbeſtimmung; die Vöolker 
flanden gegen Napoleon auf‘ 2c. Berfaffer regiftrirt 16 Seiten bins 
Durch die zahlreichen Opfer, welche damals die Berliner und Breslauer 
Beitungen antündigten! Die Briefe der Prohasſska, Marſans Briefe, 





Geſchichte. ad 


Die Erinnerung am ben Hardenbergſchen Heiratheplan u. dergl. ſcheinen 
für die obige Zendenz markant, fowie das zweifelhafte Lit, worin 
fon gefeierte Männer bier erfcheinen. Die Ankündigung macht ause 
drücklich darauf aufmerkfam, daß fi Hier „allerdings manche vermeinte 
Heldenthat anders darſtellt; fo z. DB. werde man erfahren, daß ein 
. General, von der Geſchichte als Sieger in einer bedeutenden Schlacht 
mit dem Lorbeer befränzt, während berfelben im Delirium lag.“ Es 
muß der weitere Berfolg lehren, in wie weit pifante, mit unverkenn⸗ 
barer Abſichtlichkeit auch Schwächen und Schattenfeiten fonft gefelerter 
Berfonen bioßftellende Behandlung der großen Menge dienen, oder Groß⸗ 
artigfeit bes Urtheils und Adel der ganzen Auffaffung den echten Bas 
triotismus unfers Volls wird fördern follen. Dem Berf. leben beſon⸗ 
ders leicht die Urkunden zu Gebote, wie dies auch feine Schrift be⸗ 
weiß: „Sechs Jahre Breußifher Geſchichte (1807 — 1813). 
Rah tbeilweife ungedrudten Quellen. Daſelbſt 33 Thir. 


6 ©. Schwminger: Die Preußiſche Geſchichte in Schilderungen 
und Darftellungen von Helwing, v. Raumer, Droyfen, v. Lancizofle, 
Villen, Buchholz, Pauli, Ranke, Cosmar, v. Pölnig, v. Orlich, Frie⸗ 
drich D., Graf v. Herpberg, Graf v. Dohna, Häuffer, Horn, Stenzel, 
Barnbagen v. Enfe, Preuß, v. Retzow u. m. A. Berlin, Hempel. 1856. 
385 ©. geb. 1 Thle. 17! Ser. 

In neuerer Zeit ift fowohl bei der allgemeinen Gefhichte als 
auch bei der deutfchen der Gedanke der fchildernden Bearbeitung der 
hervorragendften Momente mit entſchiedenem Glück verſucht, und dadurch 
Stoff wie Impuls gegeben, fatt einer gleichförmig fortgehenden Dars 
Rellung des Bedeutenden wie des Minderbedeutenden, mehr der Feſthal⸗ 
tung des Wichtigſten in runden, vollſtändigern Darftellungen fi zuzu⸗ 
wenden. Dadurdy hat die Anfchaulichkeit der Gefchichtserzählung bedeutend 
gewonnen. Für die Preußiſche Gefcichte liefert obige Sammlung 
von über 50 Abfchnitten, welche die entfcheidendften Höhen⸗ und Wende⸗ 
punkte derfeiben enthalten, viel fchönes Material, das nad den vers 
fhiedenften Beziehungen bin, namentlich auch in Nüdfiht auf Kampfes⸗ 
gefchichte, zu benugen ift, zumal da darin der hiftorifche Berlauf des 
allmählichen Emporblühens unfers Staates fih abfpiegelt. Der Glanz 
des Hohenzollern Haufes, namentlih in Friedrih Wilhelm dem großen 
Kurfürſten und SFriedrih dem Großen, leuchtet daraus Mar hervor. 
Wenn auch in einzelnen Beziehungen fih Manches anders wünfchen ließe, 
fo ift doch das Ganze fehr beachtenswerth. 


7. ©. Weidinger: Das Leben und Birken Friedrichs des Gros 
Ben, Königs von Preußen. Vornämlich mit Aüdfiht auf die reifere 
Jugend geſchildert. 2. Aufl. Mit 12 Stahlſtichen. Leipzig, Zeubner. 
1857. 325 ©. 1 Ihr 
Nicht fowohl in einer für die Bebürfniffe des Volls im Ganzen 

berechneten Popularität der Darſtellung, als in einer für die gebildetere 

Jugend berechneten Form, mit mancherlei Reflectionen, fowie hie und 

. 26* . 





— —— —— —— — — — — 


—— — Tr — — — nn — 


am Gefchichte. 


da mh denifchen und franzsſiſchen Dichterſprüchen durchwebt, iR bier in 
faſſelnder Schilderung das reiche Leben des großen Könige dergeſtalt 
ontfalteh, Daß ſich Devon wohl eine begeiſternde Wirkung auf das jugend⸗ 
He Gemüig erwarten Mßt. Der Berf. will „echte Mannesgröße als 
Hielpuntt des Strebens jugendlicher Herzen“ hinfellen, und „Ooffnung, 
Liebe und Begeifterung dadurch weden helfen. Gin geſchichtlicher Rück⸗ 
blick auf die Drei vorhergehenden Regierungen leitet das Ganze ein, 
und liefert dabei einzelne Binfelftriche zum Bilde Friedrich Wilhelms 
6 großen Kurfürſten und feiner beiden Nachfolger. Ziemlich detaillirt 
wird Friedrichs IL Zugendgefchichte dargeſtellt, ohne deſſen Berirrungen 
zu befchönigen, aber auch ohne die große Zukunft dieſes außerordent⸗ 
lichen Mannes unvorbereitet zu laſſen. Den Haupttheil der Schrift 
nehmen die Kriegstbaten ein, wobei viele dharakteriftifihe Cinzelzüge über 
die mit dem Könige in nahe Berührung gefommenen denkwürdigen Ber» 
fonen vorfommen. (8. B. auch über Hodig, v. d. Trenf u. A.) Des 
Königs philofophifches Leben, fowie feine Iandesväterliche Fürſorge tritt 
zwar, ein paar Abſchnitte („Zwei Briedensjahre. „Heilung der Wun⸗ 
den.9 nicht im befonderer Behandlung auf, es ift aber vieljeitig bes 
rührt. Eigenthüwmlich find dem Buche die Einflehtung der eigenen 
Subjectivität des Verfaſſers durch Grimmerungen an Züge königlider 
Huld gegen feine Boreltern, und die intereffanten Nachrichten über die 
Mitglieder der Föniglichen Kamilie: die Königin, die Prinzen Heinrich 
und Auguf Ferdinand, Friedrich Wilhelm II. und die unglüdtiche 

ringeß Amalie. Die Stahlftiche find ſehr ſauber. Das Bud lief 

ch gut und verdient empfohlen zu werden. 


8. Franz Kugler: Geſchichte Friedrihs des Großen. Mit 406 Illu⸗ 
Krationen von U. Menzel. Neue durchgefehene Aufl. Leipzig, Men⸗ 
beldfohn. 1856. 513 ©. 4 Thlr. 


In geiſtvoller, edler Weiſe, anfpruchelos, nicht breit und vers 
ſchwommen, fondern in feften, Maren, durch die Zeichnung der Cha⸗ 
raktere und Taten fefleinden Zügen if in vier Büchern des Könige 
„Jugend,“ „Glanz,“ (bis 7jähr. Krieg), „Heldenthum“ (bis Huberts⸗ 
burger Srieden), und „Alter dargefielt. Die Entwidelung der außer⸗ 
ordentlihen Anlagen Friedrichs in frühefter Jugend, die häusliche Stels 
fung zu den Eltern, die Zugendverirzungen, namentlih der Zwieſpalt 
mit dem Vater und die Folgen davon, find unverhüllt, doch würdevoll, 
wie au die Kampfesgeſchichte und das koͤnigliche Xeben für Kunft, 
Wiffenfchaft und Friedenswerke aller Art lebendig dargelegt. Bei der 
Ausfünrlichkeit des Ganzen erwartet man viele Specialzüge, und fle 
fehlen in der That au nicht. Sowohl die Kriege» ale die Friedens⸗ 
geſchichte Liefert viel Stoff dazu. (cf. Kap. 39 die Erzählung des thüs 
ringifhen Gandidaten, ferner mehrere Briefe, Denkſchriften, geiftvolle 
Urteile, Poekes Proben und dergl.) Auf bloß poetiſchen und philo⸗ 
ſophiſchen Schmud ift verzichtet; das iR aber durch lebendige Anfchane 
lichkeit, wie dur großartige Blide in das reiche Geiſtesleben des 
Monarchen aufgemogen. Es if eine trefflihe, zur Pietät anregende 


Geſchichte Ms 


diſtoriſche Lectüre, welche die ungeheuten Unftrengängen und Gorgen 
des Königs zur Hebung und Heilung ſeines Staats und deren Erfoige 
donımentirt, und dabei zugleich die merfwärdigken Chavaliere bamaliger 
Zeit, Freunde wie Zeinde, fowie die ganze. bamalige europäifche Welt⸗ 
lage anfhaufih macht. Die meißlerhaften Illuffrationen, fiinvollen 
Snitialen, Bortraits, Scenen, Gebäude u. f. w., den Seitversärbiih 
treu angepaßt, find ein höchſt würdiger Schmud dis Werd. Für Uns 
Gemittelte wäre eine wohlfeile Ausgabe des Tegted zu wünſchen. (S. 8% 
fieht ein hartes Wort über U. H. Francke's „unchriſtlichen Eifer gegeü 
Wolf in Halle) | . 
93 ©. Droyſen: Geſchichte der, Preußiſchen Bolitit. 1 Thl.: 
Gründung. Berlin, Beit u. Go. 650 S. 3'/s Ihlr. 
Lag nit vor, und dürfte für Lefer des Pädag. Jahresberichte 
au ſchwerlich mit Heftimmti fein. 


10. „Brandenburgifch » Preußifhe Negenten aus dem Haufe 
Hohenzollern.” 17 .Bilbniffe, gezeichnet von Hugo Bürlner, 
von MRebreten in Holz gefchnitten. 4 G. Bigand. 1856. 1 hir. 
Diefe 17 Duartblätter enthalten ſaͤmmtliche Hohenzollernſche Kurs 

fürßen von Brandenburg und Könige von Preußen, nach ben beften 

Driginalen in Tondruck ausgeführt: Den Werth diefer Bildniſſe bes 

gründet, außer der faubern, edeln und künſtleriſchen Nusführung, wor 

durch fie ſchon allein fih zu einem fchönen Schulzimmerfhämud eignen 
würden, die Benupuig der gleichzeitigen Originale. (Ftiedr. B, IE 
nah Kernigins, Albrecht Achilles nah Schrenk, Johann Eicero nad 

Beter Fiſcher, Joachim I. nach Dürer zc., König Friedrich 3. nad Wolf⸗ 

gang, Friedrich Wilhelm I. nad Pesne und Wolfgang, Friedrich I, 

nah Groff und Baufe, Friedrich Wilhelm II. nad Gihröter, Friedtich 

Wilhelm 111. nah Krüger, Friedrich Witgelm IV. nah Otto.) Außerd 

dem empfiehlt fie der Außer billige Preis. Schulfreunde können fie 

alfo ohne nennenswerthes Opfer auch den Armeren Schulen als © 
ſchenk darbringen. 


11. © F. Göoſchel: Luife Amalie, Prinzeffin von Preußen, geb. 

AN von —A „Bolfenbüitel un Belmahtienhe A Sr 

erlin, Selbftverlag. 1856. 

An Lebensbildern edler Hohenzollern Fürftinnen ift der. Schule 
pisher nur wenig zugänglich gewejen. Der genannte Gelehrte, früher 
Gonfikorial» Präfident in Magdeburg, bat feit einer Reihe von Jahren 
fhon 15 dergleichen erfcheinen laffen. (Kurfürfin @lifabeth, Gemahlig 
des Kurfürften Friedrich I.; Kurfürfin Eliſabeth, Joachims I. Gemahlin; 
Aurfürfin Sabina, Johann Georgs 2. Gemahlin; Katharina, Joachim 
Friedrichs Gemahlin; Elifabeth Charlotte, Georg Wilhelms Gemahlin; 
Dorothea, des großen Kurfürften zweite Gemahlin; Königin Sophie 
Charlotte, Zriedrihs I. zweite Gemahlin u. f. f.) Obiges Lebensbild 
fhildert die Mutter des Königs Friedr. Wilhelm II., alſo die Urgroße 
zuntter unſers jebigen Könige. Es darf, wie auch Die andern von 
derſelben Hand geichriebenen, Jedermann empfohlen werden. 


42. U. Krüger, Lehrer: Beittafel der Brandenburgiſch⸗Preußi⸗ 
fen Geſchich te. Ein Hüffsmittel zum Wiederholen für Lernende, bes 
fonders in Bürger» und Landfchulen. Nach den Hauptbegebenheiten über: 
fichtlich geordnet. 2. Aufl. Berlin, Wohlgemuth. 31854. 16 ©. 5 Ser. 


Früher war diefe Tafel in einem einzigen großen Blatt, jept ik 
fle in Form eines Meinen Octav»Büchleins angeboten. Weder nad Ans 
ordnung no nah Durchführung iſt recht zweckmäßiger Plan erfennbar, 
wenn auch die wichtigern Thatfachen alle darin flehen. Die erfie Eos 
Iohne enthält die Regierungsjahre der Fürften, die zweite alle übrigen 
Sabre und Daten durchmiſcht. Das erfchwert die Zurechtfindung wie 
die Veberfiht. Es fehlt nicht an chronologiſchen Irrungen, an Aus⸗ 
laffungen bergehöriger und Aufnahme entbehrliher Momente. Die Auf- 
nahme von allerlei Rotizen über Leben und Regierung, in Art eines 
reerpts, mag mit der Beſtimmung ſich allenfalls erflären, aber Ans 
gaben wie: „viele Berbefierungen,‘ ‚mehrere Bauten,’ und mande 
breite. Phrafen ſollten fehlen. 


43. D. Sumburg: Tabellariſche Ueberſicht der brandenburgifä- 
preußifhen Geſchichte von den älteften Zeiten bis auf die Gegen» 
wart. Für Schule und Haus. Berlin, Bibliogr. Infit. 1856. 5 Ser. 
Ein Doppel» Riefenblatt enthält in der erſten Colonne gleichzeitige 

Begebenheiten aus der „allgemeinen Weltgefchichte‘ (richtiger faſt nur 

. aus ber Deutfchen Gefhichte) von Armin an. In der Haupt⸗Colonne, 

der 2., ift der Stoff nach den Regentenhäufern umd den einzelnen Res 

genten geordnet, deren herausgerüdte Regierungsjahre die einzelnen Sta⸗ 
tionen bilden für die übrigen Bahlen und Daten. Mit Sorgfalt if 
überall auf Gebietserweiterung und Machtentwidelung, fowie namentlich 

in fpätern Beiten auf die einzelnen Kriege geachtet (fo bei Friedrich II. 

und Friedrich Wilhelm III.); wogegen die Fulturgefihichtlihen Andeu⸗ 

tungen mehr zurücktreten. Im Ganzen iſt dieſe Tabelle der vorigen 
auch in der Anordnung ähnlich, nur daß lebterer die Colonne der als 
gemeinen Weltgefchichte fehlt, und die von Humburg nit ganz fo viel 

Material enthält. (1799 Friede zu Campo Fotenio flatt Campo Yormio.) 


14.* Dr. Lud. Hahn: Leitfaden der vaterländifhen Geſchichte für 
Schule und Haus. Mit Tabellen und einer Zeittafel. Dritte unveränderte 

Auflage. Berlin, W. Herp 1 Befler’fche Buchh.). 1856. 10 Gear. 

Dies Werkchen iſt bereits im IX. Bande des Jahresberichtes als 
„eine gute, fchulgerecht geordnete Weberfiht der vaterländifchen Gejchichte‘* 
bezeihnet worden. Der Inhalt diefer dritten Auflage flimmt ganz mit 
dem ber zweiten überein. 


b. Deutfhe Geſchichte. 


15.* Fr. Körner, Oberlehrer: Charaktergemälde aus dem Geſchichte⸗ 
und Kulturleben des dDeutfhen Volks. 2. Bändchen: Die Grün⸗ 
bung bes römifchen Kaiſerthums durch die fähflihen und fränkifchen Kö⸗ 


Geſchichte. 407 
nige. Per oi Brantfirtter. 1856. 228 ©. 24 Bgr. (of. IX. P. Jahre 


| it der dem Berfaffer reichlich zu Gebote flehenden Gabe frifcher 
und lebendiger Darftellung, bei welcher er durh Anwendung betaillire 
tefler Schilderungen und dramatiſcher Effekte in der That Charakter⸗ 
gemälde geſchaffen hat, find im vorliegenden Bändchen vornämlich die 
Zeiten der Kaifer Heinrichs J. Otto's 1., Konrads II., Heinrichs IM. 
und Heinrichs IV. bearbeitet. Geſchickte "und Mare Auseinanderlegung 
der in der Gefchichte diefer Kaifer in einander gewobenen Berhältniffe, 
markirende Charakteriftif des Öffentlichen und privaten Lebens diefer Fürs 
ften und ihrer Beftrebungen in Staat und Kirche, fehmüdende Einfled- 
tung mander Cinrichtungen und Situationen ihrer Zeit, worin fi 
deren Geift und Gepräge abfpiegelt (S. 6, 7, 9, 15, 32, 47, 65, 94), 
hinreichende Ausführlichkeit auch in allerlei Meinen, nebenan liegenden 
Epifoden, endlih das unverkennbare Streben, wo möglid Glanze 
bilder in den Heroen unferer vaterländifchen Gefchichte hinzuftellen, 
ohne ihre Mängel und Fehlgriffe zu verdeden: Das ift die Tendenz und 
der Charakter dieſes Buchs. Heinrich I. und fein großer Sohn, ebenfo 
Konrad II. und Heinrih III. treten als folhe Glanzbilder entgegen. 
Doch auch das religiöfe und wiflenfhaftliche Leben in einigen Vertretern, 
eben jo das fociale und namentlih das Städteleben, der Verkehr, die 
politifhe Entwidelung, das Kunftfireben (S. 96—105, 112, 139 ff.), 


die Formen der äußern Lebensfitte, und was diefe Zeit fonft Bedeuts . 


fames erzeugt hat: Alles ift in durchſchaubaren, intereffanten Bildern 
aufgerollt. Dadurch ift das Buch geeignet, neben manchem dürren Com⸗ 
pendium ald belebende Ergänzung, fowie als anziebente und erfrifchente 
häusliche Lectüre benußt zu werden. Obwohl der Verf. fichtlih bemüht 
iR, in’s Ecöne zu melen, fo verfäumt er doch auch die Schatten in 
manchen Charakteren und Zeiterfcheinungen nidt. Ja, 3. B. Erzbifchof 
Hanno und die Sachlen werden faft ungünftiger aufgefaßt, als die ges 
rechte Gefchichte verftattet, indeß Adalbert v. Bremen faft zu vortheilhaft 
beleuchtet if. Gregor VII. Charalterbild ift viel gerechter entworfen, 
als in manchen gangbaren Büchern, und auch die fehr bunfeln Züge 
fehlen darin nicht, obwohl deren noch in andern Beziehungen mehrere 
hätten herangezogen werden können. Gut iſt's, daß auch weibliche Cha⸗ 
raftere (S. 137 ff. Gifela) Pla gefunden haben. 

16.* Kohlrau Kurze Darſtellung der deut en a ich te. 
a ra ae 1855. 255 ©. 2 1918 
Im Anſchluß an deffelben Verfaffers größeres Bud üben Deut he 

Geſchichte, und dem Charakter defielben deshalb verwandt, verbindet 

obiges verbreitete Buch den Zweck eines Leitfadens mit dem eines Leſe⸗ 

buchs. Es ſtellt in einfacher, faßlicher Sprache vorzugsweiſe Die Ges 
ſchichte der deutſchen Könige und Kaiſer, und von deren Aufhoͤren an 
die Gefchichte der einzelnen deutſchen Staaten fo dar, daß fowohl ges 
ordnete Bufammenfaffungen der wefentlichften Kiftorifchen Momente, ale 
fpeciellere Einblide in einzelne, befonders hervortretende Begebenheiten 
(namentlich Kriege und Schlachten) und Charaktere leicht vermittelt werben. 





man — — - 


— — — —— — 


“08 Geſchichte. 


Bauptfähli bildet die äußere Geſchichte in der ſonſt üblichen Glie⸗ 
derung den Inhalt; die Kulturgeſchichte iſt nur ſelten in beſondern Ab⸗ 
ſchnitten (7. 19. 46. 55), bis zur Zeit des Mittelalters, ſpäter aber 
nicht ausdrücklich hervorgehoben. Aehnliches gilt von den kirchlichen Ber 
wegungen, die Zeit der Einführung des Chriſtenthums und der Refor⸗ 
mätion abgerechnet. Bon Zahlenangaben iſt nur ein fparfam bemeffener 

Gebrauch gemacht, auch in der Zabelle. Das Ganze geht in ruhiger, 

gedrungener und überfichtliher Faffung bis Ende März 1855, Das 

Buch verdient fort und fort, in dem von ihm gewünfchten Bereiche, 

worin es fih bewährt hat, gebraucht zu werben. 

17. 3. Propſt, Pfarrer: Die Schweizer⸗Geſchichte für dad Schweizer 
Sit und {le Säulen. 4. auf ’ a ben 1852. Ss 5. 
gr. 

In 233 meiſt kurzen, überaus ſchlichten und volksfaßlichen Erzähs 

Inngen, bei denen der Verf. auf Alles, was wie wiſſenſchaftliches Zus 

behor erſcheinen koͤnnte, verzichtet hat, um nur dem einfachften Lands 

vofte recht mundrecht zu bleiben, find die Hauptzüge der Schweizergeihichte 
und eine große Anzahl von Einzelzügen dargeftellt, worin fich felbf oft 
ſchlichte Männer ein Ehrengedächtniß gefiftet haben. Vorzugsweiſe find 
es allerlei Kämpfe und Nubmesthaten, um die es ſich Handelt; einige 

Winke über die ſittlichen und religidöfen Zufände laufen mitunter, 

Specielleres über das, was auch von Schweizern im Gebiete der Kultur⸗ 

efchichte geleiſtet if, fehlt Hier, der Tendenz der Schrift gemäß. Eben 

o wird nur ganz gelegentlih von der Geſchichte der Nachbarlaͤnder Notiz 

gekommen, etwa einmal von Deutfchland oder Frankreich. Nur die 

Sqhweiz und ihr Volk gilt. Mit vieler Mäßigung wird von den cons 

fefflonellen Berhältniffen gehandelt, obwohl auch Ausſchweifungen auf 

Beiden Seiten nit unerwähnt bleiben. Bis zum Beginn der neuern 

Het iſt die Ausführlichkeit größer als hernach, wo nur die bedeutfamern 

äußern Wirren in größeren Umriffen angemerkt find, etwa bis 1849. 

In den neuften Bewegungen nimmt der Berf. gegen den Sonders 

Bund Bartei. 


18. A. Pfaff: Deutſche Geſchichte von den älteften Seiten bis auf die 
Gegenwart. In 4 Bänden. 20., 21. Lief. 3. Bd.: Bon Rudolph v. Haba⸗ 
art bis Mazimilian I. (S. 481 — 641). Braunſchweig. Weſtermann. 
1856. à Lief. 5 Ser. (cf. VIII. B. Zahresber. ©. 503.) 


19.* 3. Venedey: Geſchichte des deutſchen DoLts von den älteften Zei⸗ 
ten bis auf die Gegenwart. In 4 Bänden. Lief. 11. 12. (Schluß des 

2. Bos. 614 ©.) à 10 Sgr. Berlin, Dunder. 1855. II. Bd. 2 Thlr. 

(I. Bd. 2 Thlr.) 

Seit und Tendenz diefes in mehrfacher Beziehung ausgezeichneten 
Geſchichtswerks find bereit? im VIII. Bädag. Jahresber. S. 504 ges 
kennzeichnet. Es ift durchaus Fein gewöhnliches Bud. Seinen weſent⸗ 
lichen Charakter erhält es dur das mit Glück verfolgte Streben, die 
Eontinuität der nationals deutfchen Ideen von den früheften Beiten bie 
auf unfere Tage herab darzuftellen, den unverwüſtlichen, immer wieder 


Geſchichte. 408 


frifch. hervorbrechenden, und ih in großen Strebungen, wie in großen 
Kämpfen bewährenden Geil und Kern unfers Volls und feiner Zürften 
aufzuzeigen, und den innern Bang der Ereigniffe darzulegen, in welchen 
fe nach großartigen Gefehen mit innerer Rothwendigfeit fi bewegten 
und gefalteten. Reiches Quellenftubium, deſſen Frucht allerdings oft 
aur in wenige Bellen zufanmenzudrängen war, verratben die in Den 
Tert gewebten wörtlidhen Citate und Vergleihungen. Mit feiner fchöneh 
Gabe geifivoller, Iebendiger und feffelnder Darſtellung, feiner Würdigung 
und Abwägung der Berhältniffe, fowie treffender Gharafterfchilderung 
gefaltet der Berf. aus den Quellen oft ein böchf intereffantes Roſaik⸗ 
bild, welches die Situation der Zeit wie der handelnden Berfonen ans 
ſchaulich vor Augen flellt. Befonders gelungen erfcheinen alle Bartieen, 
wo großartige nationale Kämpfe und die Verfolgung weltgefchichtlich ges 
wordener flaatöfluger, oft verbängnißvoller Pläne darzuflellen waren, 
fowie die ganze Lebenszeichnung der Hauptträger derfelben. So Dito 1. 
(eſ. &. 109 ff.), Heinrih IV. und fein gewaltiger Gegner Gregor VIE 
(eine, der ergreifendfien Epifoden des ganzen 2. Bandes mit fehr ge 
rechtem Urtheil, cf. ©. 333), fo auch Friedrich Barbaroffa, Friedrich IE. 
und die beiden yäpftlihen Gegner derjelben. Die eingewebten Einzels 
züge über den kirchlichen Zuftand, fowie ſolche, welche die Vorbereitung 
fünfliger großer Ereigniffe bilden, und andere Nebenpartieen flören den 
Hauptgang der Darftellung nit. Zeiten der Ruhe, Darlegungen der 
foeialen Volkszuſtände, der Kunftentwidelung und der mehr in der Stille 
forttrömenden Ideen find überall nur knapp behandelt, fo daß darüber 
fein gerundeter Gefammtüberblid zu gewinnen if. Ebenſo ift Alles, 
wo der deutſche Genius nicht vollkraͤftig erfcheint, kürzer abgethan. Was 
aber der Berf. einmal mit voller Seele ergreift, flößt in feiner Behand⸗ 
fung dagegen flets ein um fo größeres Intereffe ein. Das Wert if bes 
mittelten Lehrern aus voller Ueberzeugung zu empfehlen. 


208. A. Menzel: Neuere Geſchichte der Deutfchen feit der Refor⸗ 
mation. 2. Aufl. in 6 Bdn. mit Regiiter von C. 3. Löſchke. 6. Br. 
Breslau, Graß, Barth u. Go. 1855. 1856. 2 Ihlr. (cf. IX. P. 
Sapreöber. ©. 467). 

Hierin if die Geſchichte Friedrichs II., Joſephs IE. und die Zeit 
von 1763 bis zur Feſtſtellung der deutfchen Bundesverfaflung und der 
Schluß des Werkes. Sein Werth bedarf bier feiner Worte mehr. 
21°. Menzel: Geſchichte der Deutfchen bis auf die neueften Tage. 

II. - V. —*8* 5. Aufl. nat — 1855. 4 Thlr. r 8 

Dies für Geſchichtskenner erft werthvolle Werk liegt nun wieder 
ganz vor. 

2278. Gieſebrecht: Geſchichte Der deutſchen Katlferzeit. J. Bd.: 
Geſchi ei des % a; 2. Abth. al Buch mit Quellen» Beilage. 
Braunfhweig, Schwetſchke. 1855. 1856. (S. 321—827.) 2 Ihlr. 
ıL Bd. 3% Ihe.) 

Auf diefes gelehrte, ausgezeichnete Werk if fchon im IX. Pädag. 
Jahresber. ©. 464 bingewieien. Das 3. Buch, womit der erfte 
Band ſchließt, behandelt die Gründung des heit. zömifchen Reichs deuts 


410 Geſchichte. 


ſcher Nation und das Kaiferthum der Ottonen bis 1082. Bär Lehrer 
hat das Werk darum Werth, weil es aus deuticher chriſtlicher Geſinnung 
Rammend,, und von deutſchem Geſichtspunkte die Begebeuheiten betrach« 
tend, zugleich in edler, gefälliger Darfellung die reichen Schäße gründe 
lihften Studiums ausbreitet, Verbürgtes wie Unverbürgtes fharf aus⸗ 
einander Hält und auch fremdem- Werth feine gerechte Anerkennung 
gewaͤhrt. 

23. Fr. v. Raumer: Geſchichte der Hohenſtaufen und ihrer Bett. 


3. Ausg. in 12 Halbbänden & "a Thlr. Leipzig, Breckhaus. 1856. 1857. 
Iſt im GErfcheinen begriffen; nur der erfte Halbband lag feither vor. 


24. Dr. Thadd. Lau: Der Untergang der Sohenfaufen. Hamburg, 

Hoffmann u. Eampe. 1856. 506 S. 1% Thlr. 

Das ift feine populäre, fondern eine Pritifch» gelehrte Geſchichts⸗ 
fhrift, weldhe auf den Quellen und der Kritif anderweiter Bearbeitungen 
derfelben (befonders Fried. v. Raumers u. Höflers) ruht und mit reichen 
Eitaten durchzogen iſt. Der Berfaffer würdigt in umfaflender Dars 
ftellung die Politik der Ghibellinen und Welfen, befonders jene glori⸗ 
fleirend , diefe aber in ein minder vortheilhaftes Licht flellend, und die 
Wechſelfälle namentlich der Kämpfe Konrads IV. und Manfreds zeich⸗ 
nend. Wegen der gründlichen Urtheile, der gewährten Ueberfichten und 
des reihen Details ift das Wert höchft fehrreih, und wegen feiner 
Darfellung fehr anziehend. Es ik für Männer berechnet, und Das 
Drama des Untergangs der Hohenflaufen, der nicht in Conradins Ents 
bauptung, iondern | in Friedrichs 11. Tod gefept wird, hoͤchſt würdig 
behandelt. 


2. Dr. Hartwig Flotho: Kaifer Heinrih IV. und fein Zeitalter. 
. Bd. Stuttgart, Beſſer. 1856. 1 Thlr. 27 Sgr. 

m erſten Buch ift Staat, Kirche und Kultur Deutfchlands im 
11. Jahrhundert behandelt, nämlich die deutfchen Stämme, der Lehns⸗ 
faat, die Beftandtheile der Nation, die religiöfe und wiffenfchaftliche 
Bildung jenes Zeitalter. Im zweiten Buch wird das Berhältniß 
zwijchen Kaifer und Papft bis zur Zeit Heinrichs IV. geihildert. Durch 
diefe quellengemäße Behandlung fällt ein fehr ungünftiges Licht auf Die 
durch die Untreue der Fürften herbeigeführten zerrütteten Zuftände Deutſch⸗ 
lands während des Kaifers Jugend, und auf die Art der Politik, wos 
mit Gregor VII. diefe Zuflände für feine Zwecke benutzte. Was fpäter 
über Gregor’s neue Sapungen, und den Kampf der Geiftlihen, wie der 
Fürſten dagegen, fowie auf die Revolutionirung des Volks Bezug neh⸗ 
mend ausgeführt wird, erwedt dur die Citate aus den gleichzeitigen 
Quellenjhriften hohes Intereſſe. Das Buch iſt nur für gebildete Leſer, 
heit aber bei Löfung feiner nähften Aufgabe zugleich eine Menge mittels 
alterliher Verhältniffe auf. Der 2. Band fol die Ränpfe Heinrichs 
gegen Hildebrand näher ausführen. 


20. Die Geſchichtsſchreiber ber deutfäen Vorzeit; herausgeteben 
ertz, Grimm, Lachmann, Ranke, *ite Lief. 25—29. Berlin, 
Beer. 1856. 24 Sgr. (cf. VIL u. IX. P. Jahresber. ©. 467.) 


Geſchichte. 411 


Es find mit jenen fünf Meinen Lieferungen wieder nur Bruchſtück 
aus verichiebenen Bänden gegeben. Liefer. 25 enthält das Leben ber 
Kaiferin Adelheid (Kaifer Dtto’s I. Gemahlin) von Odilo v. Elugny, 
überfegt von Dr. H. Hüffer; Liefer. 26: Ermoldus Nigellus Lobgedicht 
auf Kaifer Ludwig (den Frommen) und Elegien an König Pippin, übers 
feßt (in poetifcher Form) von Dr. Th. &. Bfund; Lief. 27: des Bis 
ſchofs Willehad (erfien Bremer Biſchofs) Leben von Anskar, überfeht 
von Dr. 3. C. M. Laurent; Lie. 28: Leben der Erzbiihöfe Anskar 
und Nimbert (von Bremen), überfegt von Demfelben; Liefer. 29: die 
Uebertragung des heil, Alegander von Ruodolf u. Meginhart, überfegt 
von B. Richter. 

27. F. Bülau, Brof.: Deutſche Geſchichte in Bildern mit erflärendem 
Ze. 1 Bd 1—4 Heft. Dresden, Weinhold u. Söhne. 1856, 
à Lief. 7/2 Sgr. (Lag nicht originaliter vor.) 

28. Bon F. Groß Weltgeſchichte in Bildern und Text, eingeführt durch 
Dr. C. W. Böttiger. Stuttgart, Mepler feit 1853; enthält das 
4. Heft: Guſtav Adoph, Hermann der Cheruster; das 5. u. 6. Heft: Götz 
v. Berlihingen, Martin Luther, Ernft v. Schwaben und Karl XII. von 
Schweden. 

29. Dr. Klopp's deutfhe Geſchichtsbibliothek. Hannover. Rümpler, 
iR im laufenden Jahre um den 4. Bd. (1 Thlr.) vermehrt. (cf. VIII. 
Bid. Jahresber. S. 505 ff.) 

30.*Dr J. €, Kröger: Nord deutſche Freiheits- und Helden» 
kämpfe. Zur Kenntniß deutichen Lebens und zur Beförderung vaterlän« 
diſchen Sinnes bei Yung und Alt, 3. Theil. Leipzig, Brandfletter. 
1856. 52 ©. 2 Thlr. 

. Ueber die beiden erſten Theile dieſes überaus frifch und anregend, 

aus ferniger deutiher Geflunung heraus gefihriebenen Werkes ift im 

VII, Badag. Jahresber. S. 502 und im IX. Pädag. Zahresber. S. 468 

mit aller, demfelben mit vollem Recht gebührenden Anerkennung berichtet. 

Ze mehr die Zeiten, welche die Darftellung fchitdert, unfern Zagen fich 

nähern, um fo mehr wähft auch das Intereſſe des Berfaflers, der fie 

zum guten heil mit durchlebt hat, und die Lebendigkeit und Eindring⸗ 
lichkeit feiner Erzählung. Man merkt ihr daneben die forgfältige Ber 
nugung der reihen Memoiren » Literatur und die Vergleichung klaſſiſcher 
deutſcher Gefchichtswerke ab, die mit aller Umfiht und viel Gefchi zu 
ſelbſtſtandigen Urtheilen über die Zeitverhältniffe und Perfonen verwendet 
iſt. Der 3. Theil behandelt in ſechs Hauptabfchnitten dreierlei geſchicht⸗ 
fihe Gebiete, die geiftigen Kreiheitsfämpfe für deutfche Sitten und 

Sprade, Kunf und Wiffenfchaft, die Schwertfämpfe gegen Frank⸗ 

zei und Branzofentfum, und SchleswigsHolfleins Freiheitsfämpfe. 

Auf dem erften find es die Gefalten von Leibnitz, A. H. Francke, Leffing 

und Klopfiod, welche nach voraufgefhidten Bliden auf die Entartung 

durch Nachahmung der Ausländer vorgeführt werden; auf dem zweiten 

Die Helden Ferdinand v. Braunfchweig, v. Dörnberg, v. Schill, Friedrich 

Bilhelm v. Braunſchweig, ‚Scharnborft, Dorf, Bülow, Kleiſt, Gneifenau, 

Blucher, v. Stein, ferner Nettelbed, Amalie v. Weimar und ihr Sohn 

Karl Auguf, E. M. Arndt und 9. v. Humboldt, welche in ausgeführtern 


412 | Gefchichte. 


Eebensbeſchreibungen hingeſtellt And. Auf den dritten iR eine zuſammen⸗ 
bangende Geſchichte der norddeutſchen Kämpfe gegen Die Dänen, nad 
ihren Sauptflationen bis auf unfere Tage herab geliefert. Wie die Ent 
artung mit fräftigen Zügen und mit Aeußerung gerechter Entrüſtung, 
fo find die wichtigſten Geiflesarbeiten der genannten Gelehrten und 
Dichter, auch den Inhalt ihrer Werke Pritifh durchmuſternd und ge 
bührend anerfennend, ſowie den Charakter dieſer Männer fchildernd, 
nachgewieſen. Dabei it manche Gpifode eingelegt, welche zwar nid 
fireng zum Zitel des Werks zu paflen fcheint (namentlich bei Klopflod 
S. 69 ff.), aber doch intereffant genug genannt werden muß, um ihre 
Stelle zu verdienen Am meıften in’s Einzelne gehend find die Lebens, 
fhilderungen der oben genannten deutichen Kriegsbelden und Staates 
männer, befonders aus der Zeit der deutfchen Befreiungstriege, in welde 
auch ein bejonderer Abfchnitt über Deutfchland in feiner tieffien Ernie 
drigung und über Hamburgs Erhebung und Zodesfampf eingefügt if. 
Je reiher Dazu die vorhandenen Quellen floffen, deſto fyecieller find 
auch bier die Ausführungen, worin ein echter beutfcher Mannesfinn 
überall fih fräftig fundgiebt, mit farem Urtheil und edeim Batriotismus, 
Die Kämpfe Schleswig sHolfleins gehören recht eigentlich in Den Bereich 
des Werkes. Man lief mit großer innerer Befriedigung die Krafts 
anftrengungen gegen däniſchen Uebermuth, wann und mo er fich zeigte, 
und wird von Bewunderung über Die Ausdauer eines Volkes erfüllt, das 
bis auf die neuefte Zeit fo ungeheuere Opfer. gebracht und gelitten hat. 
Wohin des Berfaffers Urtheil fih neigt, das kann bei feinem Sinn 
nicht zweifelhaft fein, und die Geſchichte felbit begründet daffelbe genug» 
fam. — Das ganze Berk erwedt hohes Intereſſe, und da fein Zweifel 
darüber iſt, daß es in der That zur Belebung vaterländifhen Sinnes 
in befonderem Grade beizutragen geeignet ift, auch in viele anziehende 
Special » Situationen einführt, fo Tann es nur zu fehr verbreiteter Bes 
achtung empfohlen werden. 





B. Allgemeine Gefchichte. 


31. M. Elan, iöraelit. Lehrer: Leitfaden. beim linterriht in der 
Geſchichte der Jöraeliten von den frübeflen Zeiten bis auf unfere 
Tage, nebit einem kurzen Abrig der Geographie Paläſtina's. Für 
1 he Schulen. 4. Aufl, Deynhauſen, Eßmann. 1855. 144 ©. 
Au für hriflige Lehrer if dies Schulbuch, Bas die Geſchichte 

wefentlih andere auffaßt und behandelt, als Leitfäden für ibre Schulen 

die Geſchichte der Israeliten behandeln, in vielen Stüden lehrreich, wenns 
gleich die ſpecifiſch israelitiſchen ntereffen ihnen fern liegen mäfjen. 

Die Ausbildung von Lehre und Cultus, namentlich durch die Rabbinen, 

die Stellung des Volks Israel nach der Berfireuung unter alle Völker, 

die namenlofen Leiden deſſelben und die bewundernswerthe Zähigkeit im 


Geſchichte. 413 


deren Ertragung, die Umformungen in neuerer Zeit, Spaltungen und 

— Tendenzen laſſen fi Hier in den Grundzügen erkennen. 

32. echt: Israels Befhihte von der Zeit des Bibelab- 
el ed bis zur Gegenwart Kür jüdiſche Kebranftalten, höbere 
Bürgerfhulen und Gymnaſien, Familien u. f. w. Mit einem Vorwort 
von Dr. 8. Philippfon. Reipzig, Baumgärtner. 1855. 318 S. 21 Ser. 
Für den Geift diefes Buchs iſt es charakteriſtiſch, daß es die Ders 

urtheilung Chriſti nur als die That eines Nömers anficht, woran das 

ganze jüdische Bolt weder Theil nahm, noch Theil nehmen konnte; daß 
es ferner fagt, Chriſtus habe eine geifige Erlöfung verkündet, während 
das jüdische Volk nur eine politifche gewollt und bedurft habe, indem 
fie e8 für Sache jedes Einzelnen hielten, ſich ſelbſt von Sünden frei 
zu machen; und daß ed das Dajein Joraels zum Zwei der Menden» 
liebe darftellt, indem es der Menfhheit einen. Gott zu geben babe — 
was ed zum großen Theil bereits gethban habe — dem ed nun noch alle 
Erdenkinder als eine Familie zuführen ſolle. Vom Gange der Gefchichte 
der chriftlichen Völker, umter denen die Juden leben, fieht der Verf. faſt 
ganz ab; er legt Alles nur für feine Volkszwecke zurecht. Daraus 
läßt fih lernen. Was den Inhalt im Einzelnen betrifft, fo ift er 
reicher als im Eifanfchen Leitfaden. Es wird mit der miacedonijchegries 
chiſchen Weltherrfchaft begonnen ; die Epochen find: die Krringung der 
unbeftrittenen Serrfchaft der Maccabäer, die Zerftörung Jeruſalems, der 

Abſchluß des Talmuds, das Erlöfchen des Gaonats (1038) und bie‘ 

Zeit M. Mendelsfohns (1786). Außer den Außern Begebenheiten der 

israelitifhen Gefhichte, den Helden und Parteien, wird namentlih das 

innere vollös und gottesdienftlihe LXeben verfolgt, die Rational» Eins 
rihtungen, Selten, die Gelehrten und Rabbinen, ihre Wirkſamkeit, ihre 

Säriften (mit Proben). Gerade das Leben der Rabbinen und die Broben 

aus den Bauptihriften (Mifchnah und Gemara), und der Blil auf die 

äußere und innere Volkslage der Juden in den aflatiichen wie euros 
päifchen Staaten iſt auch hriftlihen Lehrern zur Beachtung zu em⸗ 
pfehlen, Den größten Theil des Buchs bildet der 5. Abichnitt, der die 

Leiden und Verfolgungen der Zuden darftelt. Im 6. Abichnitt if die 

Lage der Juden unter den Mosiemin, die Reihe der Cmuncipationgs 

Kämpfe, und die Stellung Israels in Gegenwart und Zufunft behans 

delt, — Alles größtentheils von der Lichtfeite für das Judenthum und 

feine Barteien. 


33. Sb. Gerlach: Leitfaden für den Unterridht in der Weltger 
j Site Kür Dolls und Bürgerfehulen. 2. Aufl. Halle, Hendel. 1855. 


gr 
Die Bildungfphären der Volks⸗ und Bürgerfchulen find dem Ges 
brauch eines beiden beflimmten Leitfadens der Gefchichte entgegen; jenen 
iR fein befonderer Kurfus der Weltgeſchichte mehr verftattet. Kir Bürs 
gerſchulen aber reiht obiger Leitfaden weder in den alten, nod in ben 
außerdeutfchen Geſchichtspartien aus; er gewährt auch das Material nicht 
in Der ihnen dienlihen Zorm. Was zur Entſchuldigung der beiden eins 


414 | Geſchichte. 


geſtandenen Mängel der Ungleichmäßigkeit und Unüberfichtlichkeit geſagt 
wird, beſeitigt die Mängel ſelbſt nicht; eben ſo iſt es kein Vorzug, daß 
faſt von allen, in ausführlichern Lehrbüchern aufgenommenen Thatſachen 
hier Andeutungen aufgenommen find. Mit feinem Takt das einer bes 
flimmten Lehrftufe Gehörige auswählen, dabei in Sachen und Zahlen 
angaben ganz genau fein, SHauptyerfonen und Hauptfachen gehörig zu 
ihrem Rechte kommen laffen, fie mögen deutfä oder auferdeuffch fein, 
das if} fchwieriger, als auf wenigen Seiten von allen alten Bölfern 
etwas fagen, und von den neuern vornehmlich die Revolutions⸗ und 
Kampfesgeſchichten fpecieller erzaͤhlen. — Manche Bahlenangaben führen 
irre (Chlodwig 456—481, Heinrich IV. 1065—1076), ebenfo Sachs 
angaben. („Mit Ludwig d. Kind [+ 911] erloſch das karolingiſche 
Haus und Hugo Eapet nahm vom fränfifhen Throne Beſitz.“) Die 
Andeutungen aus der griehifhen SHeroenfage, während von den 
deutfchen Heldenfagen, von Sitten⸗ und Hulturzufänden nur fo Dürfs 
tiges angemerft iſt, verſchieben den richtigen Geſichtspunkt. Auch bei 
Leitfäden diefer Art würde e8 gut fein, den Ertrag gefchichtlicher For⸗ 
ſchungen zu benugen. (Vid. oben die Abhandlung V.) 
34.78. Nöffelt: Kleine Weltgeſchichte für Toöch terſchulen und zum 
Brivatunterricht hberanwachfender Mädchen. 15. Aufl. Breslau, ar. 


1855. 135 ©. Ta Sgr. (Wie früher noch dürftig und mit alten 
‘eo 


J. Seemann, Gymnafiallehrer: geitfaden für den erfien welt» 
yet Unterridt auf Gymnaſien und Realſchulen. 


nit Borrede von Dr. Wiſſowa. 3. Aufl. Breslau, Keudart. 1855. 


cf. Dr. Diehermeg‘ 's „Wegweiſer für deutſche Lehrer.” A. Aufl. Ges 
ae ehe 0; 0, fer fü ſche Leh fl. 
36.6. U. ©. Etüve, Gymufat- dr Leitfaden für den Unter- 

riht in der Weltgeſchichte. Erſter Curſus für die untern und 

mittleren Gymnafialklaffen. 10. Auflage Jena, Frommann. 1855. 

128 S. TY/ı Sgr. 

Eine ſo große Fülle des Stoffes, wie dieſer jetzt bis zum Jahre 
1850 fortgeſetzte Leitfaden ſie in kurzen Grundzügen enthält, findet ſich 
in wenigen ähnlichen Schulbüchern. Es ſcheint kaum moͤglich, dieſelbe 
in einem erſten Curſus bis zur Unvergeßlichkeit einzuprägen, ſie über⸗ 
dies noch zu erläutern und den Schülern Raum zu freien Erzählungen 
zu ſchaffen. Dennoch muß fih der Leitfaden durch feine gute äußere 
Anordnung, feine knappſte Zufammenfaflung und die Ermöglihung eines 
leichten Ueberblicks des Wichtigften feine weite Verbreitung wohl vers 
dient haben. Ganz praftifh für beflere Behaltbarkeit der Yahlenangas 
ben benupt die chronologiſche Tabelle deren Verwandtſchaft (80, 180, 
280; 222, 333, 444, 555; 211, 311, 411, 511 bie 1111 zc.) 


37” Dr. 3. Bed, Geheimer Hofrath: aehrhuß der allgemeinen Ge⸗ 
ſchichte für Schule und Haus. Erſter Curſus. A. u Lehr⸗ 
buch der allgemeinen —— für die untern und mitiferen Klaffen 
höherer Unterrichtsanſtalten. 6. Auflage. 2. Abdrud. Sannover, Sabn. 
1856. 246 S. 20 Ser. (ef. V. Bad. Yahreöber. ©. 245.) 


Obwohl dies Lefebuh für Höhere Lehranftalten beſtimmt if, 1äßt 


Geſchichte. 415 


fig doch Vieles auch für niedere Schulen aus demfelben Iernen. Längſt 
gehört es zu den gediegenften Lehrbüchern wegen confequenter Feſthal⸗ 
tung des wiſſenſchaftlichen Principe, würdiger und edler, gründlicher und 
zugleich coneinner Darfielung, praktiſcher Weberfichtlichkeit durch gute 
Gliederung des Materials in Perioden und Paragraphen im Ganzen 
wie im Einzelnen und feiner und ficherer Auswahl des Wichtigen, der 
Schule Angemeflenen; ferner: wegen umfichtigen, namentlich in religiöfen 
Dingen milden und gerechten Urtbeils (der Berf. ift Katholik), wegen 
Anſchluſſes des Notbwendigen aus der Literatur und Kunſt⸗Geſchichte 
in allen Epochen, und wegen periodifcher. Berüdfichtigung der öffentlichen 
Zufände in Staat, Kirche und Haus. Es unterfcheidet Sage und Ges 
ſchichte, führt in den Kern der Thatfahen, in den Grund und das 
Wefen der Entwidelungen und der diefelben mitbefimmenden Einflüffe 
ein, kennzeichnet die wichtigen hiſtoriſchen Charaktere feſt und lebendig, 
Hält Maaß in den Zahlen, orientirt in den geographifchen Berhältniffen, 
und notirt die wichtigften Hülfsmittel zum Weiterfiudium über die ganze 
Gefchichte, wie über die Hauptperioden und wichtigften einzelnen Staaten. 
Das Bud if allen Gebildeten, namentlih auch Lehrern, zum jchnellen, 
fiyern Ueberblid zu empfehlen. Es reicht bis zum Tode Kaifer Nicos 
laus I. Den Anhang bildet ein Abriß der Gefchichte Badens in 8 
Paragraphen; in der Borrede find gute methodifche Winke mitgetheilt. 
(S. 212 if verdrudt Inſel Leoben flatt Lobau.) 


33.78. Puütz, Gymnafial⸗Oberlehrer: Grundriß der Geographie 
und Geſchichte der alten, mittleren und neueren Zeit für die mitts 
leren Klaſſen der Gymnaſien und böhern Bürgerihulen. Grfte Abtheil. 
Altertbum. 9. Auflage. Zweite Abtbeil. 1854. 7. Aufl. (Mittelals 
ter). Dritte Abtbeil. Neuere Geſchichte. 6. Auflage. (157 ©.) a Abt. 
10 Sgr. Coblenz, Baedeker. 1856. (Bergl. Dr. Dieſterweg: Wegweiſer 
für deutſche Lehrer. VIII. C. 51.) 


39.* Dr. K. W. Boͤttiger, PBrof.: Die allgemeine Geſchichte für 
Säule und Haus. 12. Auflage. Frankfurt a. M. und Erlangen, Heyder 
und Zimmer. 1856. 467 S. 10 Sgr. 

Der Berf. hat jept feine allgemeine Geſchichte in zwei Theile 
zerfegt, deren erfter, bis 1815 reichend, den Inbalt obiger 12. Auflage 
ausmaht. (Der 2. Theil, bie 1852 reichend, iſt im IX. Pad. Jah⸗ 
zesber. S. A473 befprodhen.) Mit geringen Aenderungen (Eitaten u. 
dergi.) ift der Tert der 12. Auflage dem der 11. (1849) vuchſtäblich 
gleich (cf. V. Päd. Zahresber. S. 243). Anziehende, poetifhe Friſche 
der Darftellung eines gtüdlich zufammengefaßten reichen Stoffe, Literas 
tur s Veberfichten (zum Answendigiernen jedoch nicht geeignet) und eine 
ziemlich fpecielle chronologiſche Tabelle fihern dem Buche noch jept einen 
ehrenvollen Platz unter ähnlichen Büchern. 


40.* 35.8. Welter: Lehrbuch der Weltgeſchichte für Oymnafien 
und höhere Bürgerfchulen. 1. Theil. Alte Gefchichte. 15. Aufl. 1855. 
3746. 2. Theil. Mittelalter. 14. Aufl. 1855. 220 ©. & 15 Sgr.; 
und Deffen: Lehrbuch der Weltgeſchichte für Schulen; ein frei 
bearbeiteter Ausſszug 2c. 12. Aufl. 1855. 25 Sgr. Münfter, Coppenrath. 


418 Geſchichte. 


(of. V., VIII., * Fires Sahresberiät und Dr. Diefterweg’d Wegwei⸗ 
fer. vi. C.1 


4.* Dr. 9 Eafftan, Gymnaſial⸗Prof. Materialien für den bios 
grep biſchen Befhihtsunterridt zum Schul» und Privatgehraud. 
Theil. Geſchichte des Ratelalters und der Neuzeit, Chur, Hip. 

1856. 472 S. 1 Thlr. 6 Sur. 

Ueber den 1. Theil Bike Werkes if im VII. Pad. Jahresber. 
©. 401 und 443 mit aller verdienten Anerkennung gejprocden. Der 
2. Theil ſchließt fih dem erflen ebenbürtig an. Dem Berf. war es 
nicht fowohl darum zu thun, ein Lehrbuch mit allen nur möglichen bes 
ziehungsreichen Thatfachen aller Völker und Staaten zu liefen, fondern 
er wollte eben nur Materialien für den biograpbifchen Unter- 
right, und zwar in einer für beginnende Jünglinge auf der Realfchule 
geeigneten Form liefern. Aus dem Buche ſelbſt ergiebt fich, daß er Die 
Idee des Dr. Peter (jetzt Rector in Schulpforta), möglihR direct aus 
den Quellen zu fchöpfen, für feinen Schülerkreis zu verwirklichen ſtrebte 
(ef. die zahlreichen Citate aus römifchen Geſchichtsſchreibern, mittelalters 
lihen Chroniſten und fpätern gediegenen Werken). Die plane, lichtwolle 
Erzählung, welche jedoch dem Lehrer noch Raum zu weitern Ausfühs 
sungen läßt, die überficgtliche Anordnung und Zertheilung des Stoffe, 
das befonnene und gerechte Urtheil und die deutfche, religiöfe Gefin- 
nung, die aus dem Buche herporleuchtet, machen daffelbe zu einem ganz 
ſchätzbaren Hülfsmittel zu mündlichen Vorträgen und zur Privatbelche 
rung. Mit Vermeidung aller Weberfhwänglichkeit in den Zahlenanga- 
ben — es Fönnten eher mehr als weniger aufgenommen fein —, flet6 
den Accent auf das Wefentliche der Charakteriftiten von Perſonen, Zus 
ftänden und Entmwidelungen legend, ift der Gefammtftoff in 31 Paras 
grapben mit etwa 150 mäßig langen Abfchnitten vertheilt. Davon 
gehören die erften 97 dem Mittelalter an. Abweichend von fonft 
übliher Stoffaufftellung hat Verf. das innerlich zufammengebörige Mas 
terial unter einende Weberfchriften gefammelt. („Chriſtenthum und die 
römischen Kaifer. „Der Islam im Drient und das Chriſtenthum im 


Oecident.“ „Kriegszüge der Normannen und Angellachfen.” „Die. 


Zeit der Kreuzzüge.“ „Eigenthümlichkeit des Mittelalters.” „Morgens 
röthe eines neuen Zeitalters.“) Aus der Neuzeit find vornehmlich Zus 
ther's Reformation, der 30jährige Krieg, die englifhe Revolution, Lud⸗ 
wige XIV. Zeitalter, Beter d. Gr., Sriedrih d. Gr., die deutfchen 
Sreiheitsfriege 30. Sammelpunfte für den darauf bezüglichen Stoff. Aus 
der Zeit von 1815 bis heut ift faſt gar nichts aufgenommen. Der 
Grund davon liegt nahe. Alles, was Verf. giebt, ift für den feflgehals 
tenen Zwed gut. Doch laͤßt fi über einiges Andere vielleicht mit ihm 
rechten: 1. Die Abweihung von der fon üblichen Stoffaufftellung ift 
für den Gebrauch neben Lehrbüchern, welche letztere beibehalten, Teicht 
beeinträßgtigend. Ohnehin lag zu erfterer für den vorgefepten Bwed 
faum eine zwingende Nothwendigfeit vor. 2. Die Zeit feit Friedrich 
db. Gr. ift merklich fürzer abgehandelt, als deut ſche Schulen es wün⸗ 
ſchen müſſen. 60 Seiten find im Vergleich zu der Ausführlichkeit bet 


Geſchichte. 417 


andern Parthien (rid. Ausgang der Hohenſtaufen) wenig, da ſo unge⸗ 
mein viel, was unſer Volksleben bis in die Fundamente erſchütterte, 
ſich in dieſe Zeiten zuſammendraͤngt. 3. Verf. hat überwiegend die 
äußere Staatengeſchichte im Auge behalten, und die geiſtigen und ſitt⸗ 
lichen Zuſtaͤnde ſowohl bei den Deutſchen, als deren Nachbarvoͤlkern 
kurz abgefunden. (cf. Einleitung; Reformation; $. 21. 22.) Bei dem 
großen Nachdruck, welchen man jegt auf Beachtung der Culturverhaͤlt⸗ 
niffe legt, und der geringen Schwierigkeit, fie — wie auch fehr zweck⸗ 
mäßig von Dittmar gejchehen — mit den äußeren Entwidelungen ziems 
fih parallel zu erhalten, hätte durch diefe Beachtung dem Bedürfnig der 
Gegenwart ganz entfprochen werden koͤnnen. 4. Im Einzelnen begegnet 
man Anfchauungen, welche von neuern Forfcherarbeiten abweichen. (Se 
über die Urheberſchaft der Kreuzzüge, über Gottfried von Bouillon, über 
Pomul, über die Art der Ermwerbung der Mark Brandenburg dur die 
Hohenzollern, den Zuftand des Preußifchen Heeres 1806 y. ſ. w) — 
Jedoch dies hindert nicht, das Buch für NRealfchulen zu fleißigem Ges 
brauch zu empfehlen. (Entdedung des Caps der guten Hoffnung nicht 
1426, jondern 1486; der Liegniper Erbvertrag nicht 1507, ſon⸗ 
dern 1537.) 


42. Pater Katy. Kuhn: Geſchichts⸗Kalender oder tägliche Erinneruns 
en aus der Welt⸗, Kirchen», Kunft» und Literatur» Geihichte In 6 Lie⸗ 
erungen. 1. Lief. Augsburg, Kollmann. 1856. ©. 1— 128. T!/s Gar. 


Lag noch nicht vor. 


43. Mor. Beger und Mor. Schlimpert: Weltgeſchichte in hundert 
Abſchnitien der Jugend erzählt. Nebſt Eharafterbildern in gebundener 
und ungebundener Rede. Zugleich ein Handbuch für Lehrer, Lehrerinnen 
und Seminariften. Dresden, Meinhold u. Söhne. 1856. 687 ©. 1 Thlr. 
24 Sur. 

Dies Buch erfcheint nicht ſowohl als eine Weltgefchichte für die 
Jugend, wie als eine Sammlung von Materialien biftorifcher und poes 
tifcher Natur. Schwerlich werden die hundert Erzählungen darin viel 
Beifall finden, weil fie meift fehr fummarifch verfahren, den Stoff weder 
pädagogiſch gut genug wählen, noch kritiſch genug fihten, noch gerecht 
genug würdigen, und dazu ihn nicht fo ausprägen, daB er der Aufgabe 
guter Gefhichtserzählungen befriedigend entfpräche. (In der neuern Zeit 
waltet die franzdjifche Geſchichte vor— — Was die Zugaben an- 
betrifft, fo ift deren profaifcher Theil von ſehr verfchiedenartigem 
Werth; Manches fehr interefiant (S. 343, 359, 424, 474), Anderes 
fehr entbehrlich. Es find darunter theils Charakteriftifen, größere und 
Heinere Lebensbilder, pilante Einzelzüge, Anekdoten, Sagen, Notizen 
über Gultur» Momente, Religion, Sitten, Erfindungen, ältere und neuere 
Schlachtenbeſchreibungen bis herab zu den Zeitungsnachrichten über die 
Schlacht bei Rovara und die Erftürmung Sebaſtopols. Die Charakte⸗ 
riftifen von einer Menge Perfonen find bald fürzere, bald erweitertere 
Skizzen, aus weniger georbnet durchgearbeiteten, als mehr zufällig zus 
-fammengefügten Notizen (Luther, andere Reformatoren, Zofeph 11.); fie 
erjegen den Mangel der Darftellung hiſtoriſcher Entwidelungen nicht. 

Nacke, Iahresberidht. X- 27 


8 


418 Geſchichte. 


Andere Beigaben Hätten kerniger ausgeprägt, umſichtiger ausgewählt 
werden ſollen. Einen ungleich größeren Werth haben aber die zahlrei⸗ 
chen hiſtoriſchen Poeſien; es And darunter viele der fchönften, 
und fle bilden einen wahren Schap in dem Bude, der aus vielen 
Büchern er hat gefemmeit werden müflen, und der bier zwifchen bie 
Geſchichten vertheitt If. Leptere laſſen ſich nicht füglich im Unterricht 
zu Grunde Tegen, aber die Gedichte und Charafterzäge bieten wiel bear» 
beitbaren Stoff in glüdticher Hand. — Unfere vaterländifche neueſte 
Geſchichte if hier unter Weberfchriften wie Napoleon, die Juli⸗NRevolu⸗ 
tion x. angebracht. 


44,* Dr. W. Aßmaun, Brof.: Handbud der allgemeinen Geſchichte. 
Kür höhere Kehranftalten und zur GSelbfibelehrung für Gebildete. 4. Tb. 
A. u. d. T. Geſchichte der neueften Zeit von 1789—1848, zum Bers 
Räneniß der Gegenwart. Braunfchweig, Bieweg u. Sohn. 1855. 330 ©. 

gr. 


Ueber Theil 1. ch. VII. Päd. Jahresber. S. 516, wo au der 
ganzen Zendenz des Buches ehrend gedacht if. Im IX. Päd. Jahres 
ber. ©. 487 if auch deſſelben Berfaflere „Geſchichtskatechismus in Ges 
dächtnißverſen“ gedacht, wovon die größere Ausgabe in 4 Abtheilun⸗ 
gen in gleichem Berlage (1855. 873 ©. 20 Sgr.) erfäienen if. 


45. Dr. ®. Döring, Gymnaſial⸗Oberlehrer: Lehrbuch der Geſchichte, 
mit befonderer Berüdfihtigung der politifchen, focalen und religiöfen 
Kortbildung des Menſchengeſchlechts. Zur Selbfibelehrung für Gebildete, 
insbefondere zur Vorbereitung auf das Abiturienten» und Fähnrichs⸗ECra⸗ 
men. I. Band. 1. Lieferung. Brieg, Schwarp. 1855. à Lieferung 5 Ser. 
(15—16 Lief. in 2 Bänden). 

Aus diefer erften Lieferung If noch Feine hinreichend begründete 
Zolgerung auf Geil und Art der Behandlung des Werkes zu machen, 
welche zwiſchen Zrodenheit und Gefchwägigkeit durch präcife, lebendige 
Umriffe die glückliche Mitte zu treffen fuchen will. Die erfien 3 Bogen 
enthalten zunächft eine allgemeine Einleitung (Begriff, Nutzen, Hülfswife 
[enfhaften, Quellen der Geſchichte u. |. w.), welche das Herkoͤmmliche 
n furzen Andeutungen enthält. Die Gelchichte felbft beginnt mit den 
femitifgen Bölkern und Staaten (Aegypter, Babyignier und Affys 
rer, Phönizier, Juden), und ift allerdings kurz und gedrängt umrißlich, 
aber darum eben nicht anziehend. 


46.* 3, Bumäller: Die Weltgeſchichte. Ein Lehrbuch für Mittelſchu⸗ 
Ien. 3. Aufl. 3. Theil. A u. d. T. Gefchichte der neuen Zeit. Seel 
durg im Breisgau, Herder. 1855. 689 S. und 3 Foliotabellen 1'/s Thlr. 
Und dDeffelben Derfaffers Geſchichte der neueften Zeit von 1815— 
1855. 1. und 2. Aufl. Daf. 1855. 279 ©. 20 Ser. 


Lagen noch nicht originaliter vor. Aber über die hohe Brauchbars 
feit der früheren Theile ef. IX. Päd. Jahresber. S. 478, wo auch der 
fatbolifhen Stimmen darüber gedacht ifl. 


4. Dr. 8. Kieſel: Die Weltgeſchichte für Höhere Schulen und zum 
Selbflunterriht üderfihtlich dargefellt. IL. Band: Vorchriſtliche Zeit. 


Geſchichte. NY, 


H. Band: Die Arifttt et. 1. Abth. 15 nderte. 

im Breiögan, —R 3 © 1 Ei. 9 — e. Breiburg 
In Reliners „Schuffreund” 1856 ©. 194 von katholiſcher 

Seite fehr günſtig beurtheitt in Betreff gründlichen Quekllenſtudiums, 

poſttiv chriſtlichen Standpunkts, guter culturgeſchichtlicher Nachweiſe über 

den Zuſammenhang des religiöſen und politiſchen Lebens. 

48. &, Cautu: All ine Beit ihte. Rab der 7. Ö 
Origtnat. Autgabe von Dr. m. 34 das er if 5 ng 
fand. Schaffhauſen, Hufter. 1856. 47—50 Le. & 51%, Ser. (Band 8, 
©. 833-1579). 

29, A. W. Grube: Charakterbilder aus der Gefchichte und Sage 
für einen propaͤdeutiſchen Geſchichtsunterricht geleamek bearbeitet und 
genen, 3 Theile. 4. unveränderte Auflage. Leipzig, Branbfetter. 1856, 


Bereits im VI. Pad. Jahresber. S. 395 ff. ausführlih und mit 
aller Anerkennung befprochen. 


50* Dr. 8, Dittmar: Die Geſchichte der Welt vor und nad Chri⸗ 
Rus mit Müdficht auf die Entwidelung des Lebens in Religion und Pos 
ſitik, Kunſt und Wiſſenſchaft, Handel und Induſtrie der weltbiftorifchen 
Bölfer. IV. Band. 2. Hälfte 1.3. Lief. Heidelberg, Winter. 1854, 
1856. 3 Thlr. 5 Ser. (L—IV. 1. 2. a. b. c. 13 Thfr. 13% Ser.) 
Leider lagen die neueften Fortſetzungen diefes ausgezeichneten Wer⸗ 

kes noch nicht vor. Unter Rüdweifung auf VI. Bid. Jahresber. ©. 

248 und VII. Pad. Jahresber. S. 462 und 520 fei berichtigend zus 

nähft erwähnt, daß an letzter Stelle durch einen Drudfehler die Been⸗ 

digung des ganzen 4. Bandes flatt der erfien Hälfte deſſelben ans 
gezeigt if. Diefe erfie Hälfte geht bie zu Ende des 22. Buchs, 
und ſtellt darin das Zeitalter unumfchräntter Fürſtenmacht und willkür⸗ 
licher Kabinetspolitit, namentlich die Zeit Ludwig XIV. bis zum Rys⸗ 
wider Frieden dar, mit all’ der Meiterfchaft der Behandlung in Biel 
feitigfeit der Entwidelung der politifhen und EultursBerhältniffe, in 

Grändlichkeit der Würdigung derfelben und außerordentliher Umfaffen- 

beit des Blicks. Es giebt Fein ähnliches ausführliches deutſches 

Geſchichtswerk, worin ein fo tief ernfler chriftlicher Geift, verbunden mit 

Harer Einfhau in den großartigen Gang der Geſchichte, fi ausprägte. 

(ef. IX. Pad. Jahresber. S. 479). 

54.* Dr. & Wernide: Die Geſchichte der Welt, zunähft für das 
weibliche Geflecht bearbeitet. 3. Ihell. Neue Zeit Berlin, Dunder. 
1855. 1856. 3 Thlr. 20 Sgr. (I—TI complet 7% Thlr.) 

Der 3., das ganze fchöne Wert vollendende Band lag leider bisher 
noch nicht vor. Dem, was über Theil 1 und 2 im IX. Päd. Jah⸗ 
resber. S. 519 rühmend gefagt iR, haben ſich feitden mehrere Stims 
men oͤffentlich angefchloffen, welche auch über die Vollendung des Ganzen 
einhellig lobend berichten. Der Berf. ift jüngft dur Berleihung der 
großen goldenen Medaille dafür ausgezeichnet. 

52. %. ©. Echloffer's weltgel ihte für das deutſche Volk. Unter 

wirkung des Verfaſſers bearbeitet von G. 2, Kriegt. XVOI Band, 

(Schluß'des Textes!) Frankfurt a. M., Expedition von GSchloffer’s 

27* 


429 Geſchichte. 


Belt eiöläe. 1856. 479 &. 25 Gyr. I XVMI 15 Ihlr. ohne 
egifter. 
Endlich ift auh dies Wert nun zu Ende gebradht. Der letzte 
Band eilt wit ziemlich ſchnellen Schritten vom Lüneviller Frieden bis 
ur Transportation Napoleons nah Helena, womit das Ganze fchließt. 
ine Kette fehr bitterer Urtheile, vor dem nur die Strebungen Weniger 
Gnade finden, zieht fich durch diefen Band bin, fo daß die deutſchen 
Fürften, die Staatslenfer, die Heerführer und wer ſonſt auf das allge 
meine Wohl maafgebenden Einfluß in den erften anderthalb Jahrzehen⸗ 
den unfers Jahrbunderts ausübte, in einem meift fehr ungünftigen Lichte 
erfheinen. Am meiften verföhnend erfcheinen allein die leten friegeris 
fhen Erfolge des wieder erwachten deutfchen Geiſtes; doc hätten billig 
auch die Urtheile über manche Hochgeftellte Perfönlichleit mit mehr Glimpf 
abgefaßt werden können, ohne der gefchichtlihen Wahrheit etwas zu ver⸗ 
geben. — Das Negifter zum ganzen Werke if augenblidlih noch 
nicht erfchienen. 


53,8 € Schloſſer: Geſchichte des 18. und 19. Jahrhunderts 
bis zum Sturz des franzöfifhen Katferreihs. Mit befons 
derer Rüdfiht auf ‚geige Bildung. 5. Band. (Bis März 1797). 4. Aufs 
lage. Heidelberg, Mohr. 1856. 686 S. 2/s Ihlr. 

Lag nicht vor. \ 


54.* Dr. 9. Leo: Lehrbuch der Univerſalgeſchichte. A. Band. Das 
Revolutionszeitalter bis zu Ende des Feldzugs Napoleons nad 
Rußland. 3. Auflage. Halle, Anton. 1856. 1338 ©. 4 Thlr. 2% Sgr. 
Als ein hoͤchſt geiftvolles, ausgezeichnetes Beichichtswerk ſchon aus 

frübern Auflagen befannt, aber nur für denfende Geſchichtskenner bes 

rechnet, fo daß fh für den gewöhnlichen Gefchichtsunterricht davon fein 

leichter Gebrauch machen läßt. Ä 

55 W. Rogge: Geſchichte der neueften Zeit feit dem Sturze Napo⸗ 
leons bis auf unfere Tage. 36 Lieferungen. Bis 17. Liefer. vorgerüdt. 

Berlin, Hempel. 1856. & Lief. 5 Ser. 

56. H. Rückert, Prof.: Lehrbuch der Weltgeſchichte in organiſcher 

arſtellung. 2 Theile. Leipzig, Weigel. 1857. 6°%/s Thlr. 

Diervon lag nur der erfte Theil (600 S. Fark) vor. — Das 
ift ein von ber in den bekannten größeren gelehrten Lehrbüchern ges 
wählten Behandlungsweife der Gefchichte ganz abweichendes, höchf inter- 
effantes Werk, welches für gewöhnliche Lehrer weit über ihren Berufes 
Freis und ihr Bedürfniß hinaus liegt. Es ift eine Culturgeſchichte 
in dem Sinne des Wortes, daß darin die Totalität der aus der Selbfl- 
Rändigfeit und Eigenthümlichkeit der höheren menſchlichen Anlagen bers 
vorgegangenen Erſcheinungen al8 eine organifhe Einheit in ihrem 
Berhältniffe zur allgemeinen Idee der Menfchheit und der Geſchichte 
behandelt wird ; alfo nicht bloß Wiffenfchaft, Kunft, Sitte, Religion und 
materielle Gultur an und für fich, in ihrer Abgetrenntheit von einander. 
Die Behandlungsweife ift philofophifh, und ſetzt das fpeciellere Stu⸗ 
dium des bezüglichen hiftorifchen Materials voraus, um nur die Höheren 
idealen Beziehungen organisch zu entwideln. Die gelehrten Deductionen 


Geſchichte. 321 


Find von hohem, fpannendem Intereſſe für hinreichend vorgebifdete Lefer, 
und fie öffnen bei ihrer geiftoollen, gewandten und doc faßlichen Dars 
ſtellung den Blid in den geifligen Bufammenhang ziwifihen Idee und 
Lebensausgeftaltung in den verfchiedenflen Weiſen. Ueber den Inhalt 
ſollen hier nur des Beifpiel® Halber einige wenige Angaben bergefteflt 
werden, um eine Abnung von der Art der Gefchichtsanfchauung des 
Werkes zu ermöglihen. In fünf Abfchnitten wird die Bor» und Yo 
geſchichte der Menfchheit, die Alteften gefhichtlichen Volker des Orients, 
die Griechen, die Römer, das Judenthum und das Chriſtenthum in feis 
ner Beziehung zum Judenthum und der griechifcherömifchen Cultur 
behandelt. Jeder der. Abfchnitte ift in mehrere Kapitel zerlegt, und von 
letztern find ‚unter Anderem figniflcant: Problem der Einheit oder Viel⸗ 
beit des urfprünglihen Menſchengeſchlechts; SIndividualitäten und ihre 
Begründung; Bildungsgefeße der menfihlichen Individualitäten; Verhaͤlt⸗ 
niß verfchiedener Culturreihen zu einander; Gulturkreis der kaukaſiſchen 
Raffe; ägyptiſche, ältefte femitifche Eulturwelt; arifkofratifches und des 
mofratifches Element in den DVerfaffungen der griechiichen Städte oder 
Staaten; griechifihe Neligion, Kunf, Wiflenfhaft, Philofopbie; PBerföns 
lichkeit Chriſti als weltgefchichtliches Moment; Stellung des Chriſten⸗ 
thum® zur heidnifchen Welt im roͤmiſchen Reiche; Aufnahme beidnifcher 
Glemente in das kirchliche Chriſtenthum u. f. w. 
STE K. F. Becker's Weltgeſchichte. 15. Band. Gefchichte der Teßten 40 
Jahre, ale Supplement zu. allen Ausgaben. Herausgegeben von E. Arnd, 


2. Abtheil. (did ©. 598). Schluß; 7. Lief. Berlin, Dunder u. Humblot. 
1855. 10 Egr. 


Lag nicht originaliter vor. (cf. IX. Päd. Zahresber. S. 482.) 
3 8. G. v. Berneck, 8. Preuß. Major: Das Buch der Schlachten. 

Leipzig, Gumprecht. 1856. 409 ©, 13% Ihlr. 

Hierin werden die Schlachten bei Marathon, Arbela, Cannae, Phar⸗ 
falus, im Teutoburger Walde, auf den catalanniſchen Feldern, bei An⸗ 
tiochia, Pavia, Lutzen, Hochſtaͤdt, Pultawa, Leuthen, Marengo, Trafal⸗ 
gar, Aufterlitz, Jena⸗-Auerſtädt, Leipzig und Waterloo zwar nicht fo 
ſehr detaillirt in Rrategifcher und taftifcher Beziehung gefhildert, wie 
es für Militärs zweddienlih wäre; aber doch infoweit, daB Gebildete 
ein Hares Bild der Hauptactionen, der gegenfeitigen Kräfte und ents 
heidenden Momente erhalten, modurd großartige Kämpfe ausgefochten 
wurden. Der Berf. erfennt- in dem Kriege die „volifiredente Bewalt 
der Beltgefhichte‘, als die „großen hiftorifhen Anknüpfungs⸗ und 
Bendepunfte‘, die Schlachten aber als „die Gipfelpunfte der Kriegfüh⸗ 
rung und in der Regel deren Abſchluß.“ Er bat befonders die deut⸗ 
fhe Baffenehre im Auge, und will das jüngere Gefchleht in das 
Berfändnig alter und neuer Schlachten einführen. Dur klare, ans 
fhauliche und gewandte Darftellung wird in der That das Verſtändniß 
Des Huuptganges obiger Schlachten und der Bedingungen ihres Erfolgs 
vermittelt, und da der Berf. auch zur Erkennung der jedesmaligen gan⸗ 
zen Situätion anleitet und die handelnden Charaktere belenchtet, auch 
Mängel nicht verfchweigt (Jena⸗Auerſtädt, Leipzig, Waterloo und die, 


- 5%. Dr. 8 


422 Geſchichte. 


Borbereitungsgeiten dazu), fo kaun das Buch zu einem guten Commenica 
bei den Page Schlachtenbildern wohl benugt werden. 

Beinhold, Brof.: Altnordifhes Lehen. Berlin, Weld⸗ 
mann, 1856. 512 ©. 2%. Ihe. 

Zu Auffchläffen über die deut ſche Bergangenheit bietet dies hochſt 
ntereffante Buch daram fo reiche Gelegenheit, weil es erkennen IAßt, 
wie tief und Sreit die Rebenswurzeln berfelben geſchlagen find, und wie 
viele bedeutſame Züge der heutigen Bußdade des focialen Lebens in das 
fruͤheſte Gefipichtsakter zurückweiſen. Jadem die Sehens bedingungen 
des Rordens und feine Lehbensäußerungen, die leiblichen wie bie 
geiftigen, dargelegt werben, geſtalten ſich Bilder des Nordens, an denen 
mean, nach bes Berfaflers Hoffnung, ih fRärfen und woraus man Geile 
mittel gegen Heutige faule Zuflände entnehmen kann, um bie malte, 
&Sarakterlofe Gegenwart wieder zu einer flarken, mannhaften Bet ums 
bilden zu helfen. Es wird die vorgermaniſche Zeit und dann das Leben 
der Rordgermanen, ihre äußeren Zuflände (Viehzucht, Jagd, Ader- unb 
Obſtbau, Gewerbe, Handel, Schifffahrt, Nahrung, Kleidung, Schmuck, 
Waffen, Wohnung), und die innern Zuſtände (S. 287 bis Schluß: 
be, Kinder, Namen, Erziehung, Spiele, Fertigkeiten, geiflige Thatig⸗ 
fit, Dichtkunſt, Sagas, geographiſche und aftronsmifhe Kenntniffe, 
Heilkunſt, Gefebes- und Sprachkunde, bildende Kunſt; Gefinde, Gäfle, 
gefellige Freuden, Alte, Zodte und deren Beſtattung) gang ſperiell dar⸗ 
gelegt, nnd zwar auf den drei nordifchen Befchichte» Theatern, der ſchwe⸗ 
diſch⸗ norwegifhen Halbinfel, dem daniſchen Infellande und Island. 
Das veranlaßt allenthalben die Rüdihau auf Deutfhland, welches 
ohne Wall gegen die nordifchen Geſchichtsſtrömungen if und defien naffe 
Straßen fa alle nach dem Norden weiſen, wo ein zweites Germanien 
aufging, welches in Reinheit Berhältniffe fekhielt, die im Mutterlande 
untergingen. — Es kann bier der Inhalt nicht im Ginzeinen näher 
angegeben werden, aber er if fo intereffant und mannigfaltig, daß das 
Buch vollauf werth Rn von Gefchichtsfreunden unter den Lehrern einge 
end beachtet zu werden 


60.” Dr. 2. Stade, Bnmnaflaliehter: Erzählungen aus der alten Ge⸗ 
ſchichte In blographifdger Form. 2. u. Ban 9— Geſchichte. 2 Auf 
lage. Oldenburg. Stalling. 1856. 220 ©. T 
Im VII. Bad. Jahresber. ©. 401 u. 443 * bereits der erſt en 

Auflage anerkennend gedacht. Taktvolle Abrundung der einzelnen Erzaͤh⸗ 

lungen und ihrer größern Abtheilungen, leicht faßliche und anziehende 

Darfellung, weldye die wichtigeren biforifchen Berhältniffe, ſoweit der 

Zweck es erforderte, anziehend erfchließt, empfehlen das Buch für die 

über den erfien Anfangs» Unterricht hinausgehende Altersftufe, welche 

fon zur Privatlectüre anzuhalten iR, in hohem Grade. Wie billig 

And diefem Alter nur die vorzugeweiſe dem äußern Leben angehdrigen 

Begebenheiten (Kriege), nicht aber die Erfcheinungen des wiſſenſchaftli⸗ 

Gen und kanſtleriſchen Lebens, fowie die innern Berfaffungslämpfe bar» 

geboten. Am ausführlichen unter den 34 Erzählungen ſind die über 





Geſchichte. 423 


die Zeiten von den puniſchen Kriegen bis zum Zode des Kaiſers 
Augufus, namentlih über Hannibal, Marius, Bompeius und Yulins 
Gäfer; Die Kaifergefhichte, nur bis zum Tode M. Aurelius geführt, 
iR nur furz. Für Lehrer und Schüler, welche der römi ſchen Geſchichte 
nähere Aufmerkſamkeit zuzumenden haben, if das Bud ein lehrreiches 
Hülfsmittel 

61. U. v. Eroufaz, Hauptmann: Handbuch der alten Geſchichte Eu- 


ropa's in Verbindung mit Erläuterungen , Eitaten und anregenden Fra⸗ 
ren Zum Schul⸗ und GSelbfunterriht. Pofen, Merzbach. 1856. 232 ©. 
gr. 


Der Berf. führt dies Buch als einen „Leitfaden für Schüler in 
einer doch wohl ziemlich neuen Art‘ vor, und hat darin, um „die 
befondere Manier vorerſt an einem Abfchnitte der Weltgeſchichte fi bes 
währen zu laſſen“, eine Art probeweiler Bearbeitung der Geſchichte 
Briedentands (bis Philipp von Macedonien), Macedoniens (bis zur 
Theilung der Reiche Aleganders d. Gr.), Roms (bis 375 n. Chr.), Alts 
Sermaniens (bis 375) und Europa’s während der Völkerwanderung, 
fowie zum Schluß eine ſummariſch zufammengefaßte Gulturgeichichte des 
europdifchen Alterthums gegeben. Der römifhen Gefchichte iſt der 
meife Naum gewährt. — Die „ziemlich neue Art’ und „befondere 
Manier‘ tritt nit in der Stoffwabl und der Geſtaltung ter größeren 
Abſchnitte, auch nicht in vorangeftellten geograpbifchen Weberbliden und 
der zu Ende angebrachten kulturgeſchichtlichen Weberficht, fondern in Fol⸗ 
geadem entgegen: Der Zertdrud zertheilt den Inhalt jeder einzelnen 
Seite in fo viele (6—8) Abſätze, daB auf jeden derfelben eiwa I—2 
furze Säge kommen. (E6 ſcheint, daß eine faſt tabellarisch aufgeſtellte 
Dispofition des Stoffe Feabfichtigt ſei; jedoch der Gedankenzuſammen⸗ 
bang Heidet daruntkr, und Schüler, die dies Buch gebrauchen ſollen, 
mäflen zur Auffaſſung zufammenhangenden Bortrags unbedingt fähig 
kin.) Berner iſt der Zert mit einigen in die Anmerkungen gefellten 
fshlihen Erläuterungen, ferner wit vielem Eitaten der Quelfidien und 
noch zahlreichern anregenden Fragen in Berbiadung gebracht. Manche 
‚Erläuterungen‘ hätten durd ein paar Worte im Text gegeben werben 
Bunen. Die „Citate“ würden vorausfegen, daf der Schüler eine Biblio⸗ 
thek fa aller Quellenſchriftſteller und mehrerer großen Geſchichtswerke 
sur Sand und and Meife und Zeit Hätte, die Driginale nachzuleſen. 
(Ahufydides, Herodot, Xenophon, Pintarh, Arrian, Zuftin, Joſephus, 
Livius, Dionyſius, Cor. Nepos, Florus, Salluſt, Dio Caſſins, Eäfer, 
Tacitus, Eufebius, Cutrop, Ammian, Jornandes, Böttiger, Dittmar, 
Gryſar, Hume x.) Unter den „anregenden Fragen“ ſind zum Theil gm 
wicht, zum Theil, nämlich wo geograpbifche Auffuchungen, Definitionen, 
Namen » Umdeutungen ꝛc. begehrt werden, ziemlich entbehrlich, weil das 
im Unterricht fchnell abzuthun if, zum Theil ohne vorgängige umfäng- 
lie Belchrungen gar nicht Idehar (3. B. Beleuchtung der Grundfäge 
und Wirkungen der alten Berfafungen. Die Scheidung von Geſchichte 
und Boefie in den Mythen. Beurtheilung der Beveutung großer Män⸗ 
mr, als Philoſophen, Dichter ac. (f. auch Frage 24). Entwickelung der 


FT Geſchichte. 


Wirkungen der Principien Solons und feiner Geſetzgebung. Ueber Eis 
eero’s Charakter, Faͤhigkeiten, politifche und rhetorifche Thätigleit. Ber 
gleihung der griechifhen Tragädiendichter unter fi, fo wie der griechi⸗ 
ſchen mit der modernen Tragddie. — Das ift zu viel!) ſelbſt nicht 
fofort von jedem fludirten Manne. Eben fo find in den Aufgaben zu 
freier Bearbeitung mehrere viel zu ſchwer (Nr. 5. 6. 13. 14. x.) — 
Schwerlih wird Dies Buch die bereits unterrichtlich bewährt erfunbes 
nen verdrängen. | 


62.* Dr. M. Dunker, Prof.: Geſchichte Des Alterthums. 1. Band. 
2. Aufl. 1855. 626 S. 2% Thlr. 2. Band. 2. Aufl, 1856. 674 ©, 
3 Thlr. 3. Band oder Geſchichte der Griechen. I. Band. 41 Bog. 2% 
Thlr. 1856. Berlin, Dunder und Humblot. 
Eine body gerühmte, gelehrte Foricherarbeit! (cf. VIII. Päd. Jah⸗ 
resber. S. 521.) 


63.* Th. Mommfen: Romiſche Geſchichte. 1. Band. 2. Aufl. 1857. 

c. 650 ©. 11/s Thit. 2. Band. 1855. 439 S. 1 Thir. 3. Band. 1856, 

582 ©. 1 Thlr. 6 Sgr. Leipzig und Berlin, Beidmann. (of. IX. Päs 

dagog. Jahresbericht. S. 481.) 

Ebenfalls eine fehr gerühmte, gelehrte Forfcherarbeit, von der ein 
THlichter Kehrer nur wenig Ausbeute für fih davon tragen möchte. Das 
Berk feht nicht bloß das Detail der Gefchichte bei den Lefern voraus, 
fondern erfordert auch eine höhere geiftige Neife zum Verſtändniß feiner 
Darlegungen. Wer diefe aber befißt, dem gehen die Augen heller auf 
über Gang und Bedeutung der Geſchichte der Nömer; er erfennt den 
ungeheuern Unterfchied zwifchen der gangbaren Zradition und der wirk⸗ 
lichen quellenmäßigen Gefchichte, und er bewundert den Scharffinn des 
gelehrten Berfaflers bei feinen Deductionen. Bon dem alltäglich colpors 
tirten Lehrfloff der römischen Gefchichte findet fich bier faft nichts, im 
Gegentheil wird deffen eine nicht unbedeutende Maſſe geradezu als ganz 
unhaltbar charakteriſirt. Band I. geht bis zur Schlacht bei Pydna, 
Band II. His auf Sulla's Tod, Band III. His zur Schlacht von Thap⸗ 
fus. Schon der Umfang des Werkes bezeugt, daß es in Die einzelften 
hiftorifchen Verhältniffe, äußere wie innere, eindringen konnte. Dies 
gefhieht mit gründlicher Kritit und fo fehr mit Vermeidung aller Breite 
der Darfiellung, daß man vielmehr allen rhetorifchen und ſchildernden 
Aufwand befeitigt findet, um der firengen Geſchichte allein Raum au 
laffen. Die Screibart ift fehr Mar und anziehend, doch nit für Schh« 
lerfräfte berechnet. 


84. ©. ©, Köhler: Das Griechen- und Röomervolk im Alters 
thum. 2 Theil. Römer. 3. Abth. Zwickau, Verlag des Volksſchrif⸗ 
tenvereins. 1856. 160 ©. T’/a Sgr. 

Lag nicht vor. 

65, Dr. C. W. Arndts, Meg. Rath: Chronologie der griechiſchen Be 
ſchichte. Trier, Linz. 1856. 40 ©., und deſſelben Verfaſſers: Chroe 
nologie der römifhen Gef. 2. Aufl. Daf. 1856. 67 ©. 


Bon dem Schulrath Kellner als eine ſachkundig, überſichtlich und 


Geſchichte. | 423 


praktiſch gearbeitete Grundlage des Geſchichtsunterrichts und als Wieder 
bolungshälfsmittel darum empfohlen, weil fein bloßes Zahlen» und Na⸗ 
mensGerippe, fondern auch eine furze, trefiende Angabe der Thatfachen 
darin enthalten iſt. 


66. Dr. S. Nohl: Das Buch der Mythologie. Die Sagen der Goͤt⸗ 
terwelt und Heldengefhichten des Maffifchen Alterthums und der nordifchen 
Bölker. Mit vielen Abbildungen. Leipzig, Spamer. 1856. 1'/s Thlr. 


Zag noch nicht vor. 

67. Dr. 4. E. Wollheim de Fonſeca, Dorent: Allgemeine verglei⸗ 
hende Mythologie Mit zahlreichen in den Text gedruckten Holzs 
ſchnitten und Kunftbellagen. 16 Lieferungen à 10 Sgr. 1. Lieferung. 
Berlin, Hempel. 1856. S. 1—72. 

Diefes in Auffaffung und Darſtellung rein wiffenfhaftliä 
gehaltene Werk, das die Mythologie anerfennt-als „den erhabenften 
Ausdrud der erhabenften Wahrheiten, als die wunderbare Brüde zwi⸗ 
Then Sinnlihem und Ueberfinnlihem, zwiſchen Zeit und Ewigkeit, als 
die im großartigften Lapidarſtyl gefchriebene Urgefchichte des Weltalls, 
ja als die Urgefchichte der Menfchheit und jeder einzelnen Völkerfamilie, 
weiche das ganze geiftige Weſen und die Gulturgefchichte eines Volkes 
fhärfer und deutlicher als Anderes ausprägt”, — hat es auf eine 
Bergleihung der Religionen aller . Eulturs und rohen Bölfer abs 
geieben. Es ordnet feinen Stoff nach einem in den einleitenden Ges 
banfen näher angegebenen, befonderen philoſophiſchen Syſtem, und wird 
fh dadurch weſentlich von populären Bearbeitungen der Mythologie 
unterfcheiden. Die erfte Lieferung beginnt mit Afien, namentlich mit 
Indien, giebt in Sprachproben den innern Zufammenhang der Bölker 
an, legt in Bitaten aus den heiligen Schriften der Inder und ihrer 
Borfie die Schöpfungs» und Sündfluths⸗Sage, fowie die Thaten und 
die geiftige Beziehung Brahmuͤn's, Wiſchnu's und Ciwas dar, und führt 
fo in deren inneres Berftändniß ein. Das Buch fept zum gehörigen 
Berfiändniß einen reihen Schatz gelehrter Kenntniſſe voraus, und ifl 
nicht zu Jedermanns Handgebrauch beftimmt. 


C. Gefhichts - Karten. 


68. ©. 2. Obmann: Schul⸗Wandkarte zur bibliſchen Geſchichte nad 
den neueften Quellen. 9 Blatt. Berlin, Kortmann. 1856. 1a Thfr. 
(Mit Carton: Paläftina zu Chriſti Zeit). 

Bei der bedeutenden Größe und der befriedigenden Darftellung 
auch der oro⸗ und hydrographiſchen Darftellung erſcheint dieſe Karte 
für den Schulgebrauch wohl anwendbar, zumal da die Zeichnung kräf⸗ 
tig und das Material nur auf das Nothwendige beſchraͤnkt if. 

69.* 3.4 Garbs: Geographifäe Wandkarte. Zum Gebraud beim 


ellefen und beim Unterricht in der bibliichen Geſchichte, unter fleter 
Sinweifung .auf Bibelfiellen und mit Bezug auf bie alte Geſchichte und 


428 ‘ Geſchichte 


y3.* Th. Anig: Hiſtoriſch-geographiſcher Sandatlas zur älteren, 
mittleren und neueren Geſchichte. Zu den Beinihtöwuten von Schloſſer, 
Beer, Nöſſelt, Pölitz, Rotieck, Volger u. U. 4. Auflage. 15 Karten. 
Wolfenbüttel, Holle. 1855. 1'/s Thlr, 
Lag nicht vor. (ef. V. Päd. Jahresber. S. 245, VI. Päd, Jah 
resber. S. 254.) 


Tr MN. v. Wedel: Hiftorifhsgeograpbifher HandsAtlas in 36 
Karten. Mit Text. 2. Auflage. Slogan, Flemming. 1856. 1. Lief. 12 Ser. 


Lag nicht vor. (cf. VIII. Pad. Jahresber. S. 525.) 

75.* Dr. 8, v. Spruner: Siftorifhegeograpbifher Hand⸗Atlas. 
II. Aotbeilung. 13. (Schluß⸗) Lieferung. 2. Auflage. 27 Karten. Gotha, 
Perthes. 1856. 6%, Thlr. 

Lag nicht vor. Died ausgezeichnete Kartenwerk bedarf es 
nicht mehr, daß es charafterifirt werben müßte. Jeder Geſchichtskundige 
kennt es, befibt e8 wo möglich und intereffirt fi nur noch mehr für. 
deffen jeßt noch weiter gefteigerte Vervollkommnung in der 2. Auflage. 
76. Dr. 3. Bed: HStftorifh-geograpbifäher Atlas für Schule und 

—X 25 colorirten Karten. Greiburg im Breisgau, Herder. 1856. 

Unter den manderlei biftorifchen Kartenwerfen nimmt biefer Atlas 
eine fehr ehrenvolle Stelle ein. Er ift nicht allein fehr Mar und forge 
fältig in feiner tehnifhen Ausführung, Hat nicht allein einen völlig 
ausreihend großen Maaßſtab (dem des v. Spruner’fhen Hand Atlas 
glei), nimmt auf die Terrains Geftaltung möglichſte Rüdficht (außer 
da, wo das biftorifche Moment darunter zu fehr leiden müßte) und if 
wohlgefällig und ganz angemeflen colorirt, fondern feine ſachl i che Bes 
arbeitung iR mit großer Sachfenntniß und befonderer pädagogifher 
Umfiht bewirkt, fo daB in der That dem Schulbedürfniß dabei auf's 
Beſte Rechnung getragen if. Dadurch gewinnt er eine vorzüglicde 
Brauchbarkeit. Nicht in der Weberfülle der Eintragungen von Gebiets- 

tenzen und Namen, fondern in der wohlerwogenen Wahl des wirklich 
ihtigen, in der Ueberſichtlichkeit und Zuverläffigleit deſſel⸗ 
den ift der Werth der Schulatlanten zu fuchen. Hier ift dies vereint, 

und die genauere Durchmuſterung ergiebt, außer großer Correctheit im 

Einzelnen und Ganzen, einen noch fehr bedeutenden Reichthum des auf 

den einzelnen Blättern niedergelegten Inhalte. 10 Blätter find der 

vorchriſtlichen Zeit beſtimmt (u. a.: Perfiſches Neich, Aleranders d. 

Gr. Reich, römifches Reich, Nords und Mittelgriehenland, Peloponnes 

(legtere beide fehr groß, Mar und reich für die Zeit von 500 — 300 

v. Ehr.), Vorderafien, Ztalien bis zur Kaiferherrichaft — groß; 7 dem 

Mittelalter Edarunter: Reich Karls d. Gr., die chriſtlichen und mu⸗ 

hamedanifhen Staaten zu Anfang des 9. Jahrhunderts, drei Karten 

für Deutfhland bis Ende des 12., 14. und 15. Jahrhunderts), 

und 8 der neuen Zeit (darunter die für Euroya im 16., 17., 18, 

Jahrhundert, eine für Europa von 1789 — 1814 und eine für Eus 

ropa feit 1830, eine für Srankreich vor 1789 und zwei für Deutſch⸗ 

land vor 1801 und jept). Befonders inftructiv find die Karten von 


Geſchichte. 429 


Europa und Deutihland; fie werden fehr willtommene Mathgeber nisht 
bloß bei Auffuhung wichtiger Hiftorifcher Ortihaften, fondern auch bei 
Betrachtung der Länder» und Gtantengebiete und der Vergleichung der 
Wechſel darin duch die Zeiten bin fein. Der Atlas verdient darum 
alle Empfehlung. 


77. K. Menzel: Chriftlihspatriotifhe Gedenktafel. 3. Auflage. 
Bunzlau, Boigt. 1856. Klein Format !/a Sgr., groß Format a Ser. 
Diefe Auflage hat einige Irrungen berichtigt und einige Austaus 
ſchungen in den denfwürdigen Momenten erfahren. Unter den mehr als 
4100 Daten find etwa 14 Hauptmomente der preufifchen und 5 Haupt⸗ 
momente der Neformationg s Gefchichte. (cf. VIII. Päd. Jahresber. S. 
525 über die Einrichtung der Gedenftafel.) 


Die Ned. fügt diefer Ueberficht noch hinzu: 

78. 8. Voigt, Oberfehrer an der Königl. Realfchule in Berlin: Hiſt oriſch⸗ 
eograpbifher Shulatlas dermittleren und neueren Zeit. 
erfin, Nicolaiſche Buchhandlung. 1857. geh. 2 Thlr. 

Inhalt: 1. Die Volkerwanderung. 2. Die Karolingifchen Reiche. 
3. Die alten deutfchen Herzogthümer. 4. Die Herrſchaft der Araber 
und Seldfhuden. 5. Das Iateinifhe Kaiſerthum. 6. Die englifche 
franzöfifchen Kriege. 7. Die Bürgerkriege in England. 8. Die Reli⸗ 
gionskriege in Frankreich. 9. Italien im XV. und XVI. Jahrhundert. 
10. Die zehn Kreife Deutfchlands. 11. Der dreißigjährige Krieg. 12. 
Der ſpaniſche Erbfolgefrieg.. 13. Der nordifhe Krieg und die Theis 
lung Polens. 14. Der fiebenjährige Krieg. 15. Die franzoͤfiſche Re⸗ 
publik und Kaiſerherrſchaft. 16. Die wichtigften geographiihen Ente 
Dedungen. 17. Der preußifhe Staat nach feiner allmählichen Ver⸗ 
größerung. 

Diefer Atlas ift höheren Schulanftalten und Lehrern zum Privats 
gebrauch beſtens zu empfehlen. Die Karten find eben fo fauber ale 
correct ausgeführt, die Gebirge braun, wie bei Sydow; das Colorit if 
nirgends zu flarf, 

Bon demfelben Herausgeber erfchien früher: „Schulatlas der alten 
Geographie in 14 Karten”. 1 Thlr. 15 Sur. 


Schlußbemerkung. 


Welche Richtung die Literarifchen Erzeugniffe auf dem Felde 
des Gefchichtsunterrichts verfolgen, auf welche Ziele fie losfteuern, — 
Das wird fich wenigftens annähernd aus dem erkennen laflen, was zu 
ihrer Kennzeichnung gefagt if. Die neuen Schulbahnen verfatten fort 
und fort ein fleißiges Studium des gefchichtlihen Stoffs und eine 
umfichtige Erwägung der geſchichtlichen Lehrmethode; es foll weder 
der Blick eingeengt, noch die Arbeit allerlei Zufälligfeiten überlaſſen 
werden. Aber die praftifche Lehrthätigleit in der Schule foll 


430 Geſchichte. 


mehr und mehr auf zuverlaͤſſigem Boden ſich bewegen, zuerſt in engerem 
Gebiet eine befriedigende Ertuchtigung wirklich erreicht haben, bevor ſie 
über deſſen Grenzen hinausgeht, und vornehmlich ihr Augenmerk auf die 
hriſt liche und nationale Charakterbildung ber Jugend rich⸗ 
ten. Hierin den neuern Anforderungen völlig Genüge zu leiſten, iſt 
auch für die tüchtigen Lehrer noch ſehr ſchwer, wenn fie gewiſſenhaft zu 
Werke gehen wollen. Es gilt die ganze Hingabe ber eigenen Kraft und 
Liebe zur Sade, das ganze pädagogifche Geſchick, unermüdliche Ausdauer, 
au wo Zweifel am befriebigenden Gelingen erwachen; es gilt Selbſt⸗ 
verläugnung und ernfiefles Streben, den Sinn fi felb ganz zu eigen 
zu maden, worin die Zugend gebildet und erzogen werden foll. Je 
mehr die Augen auf den Lehrer gerichtet find, je höher die Unforderums 
gen an fein intenfives Arbeiten geſpannt werden, um fo weniger darf 
er irgendwie nachlaſſen, auch durch guten vaterländifchen Ge⸗ 
fSihtsunterricht feine Lebensaufgabe Iöfen zu helfen. Endlich 
bleiben die Erfolge nicht aus; zu einer tühtigen, volksthümli⸗ 
hen Bildung im Geifle lautern und lebendigen Chriſtenthums 
giebt auh Gott der Herr Seinen Segen! 


IX. 
GSeograpbie 


Don 


W. Prange, 
Seminar s Oberlehrer in Bunzlau. 


&; if eine feit mehreren Jahren fich gleiääbleibende Erſcheinung, 
Daß eine ganz ungewöhnliche Thätigkeit auf dem Gebiete der Geographie 
bericht. Die Zeit, wo vorzugsweife dem deutſchen Sprachunterrichte 
und dem Mechenunterrihte die allgemeine Aufmerkſamkeit zugewendet 
wurde, if allmählich der andern gewichen, in welcher die Religion und 
die Baterlandsfunde den hervorragenden Fleiß in Anfprudh nehmen. Der 
Sprachunterricht und noch mehr der Nechenunterrigt if zu einem feſten 
Abſchluß gelommen; es find die alten Bahnen, in denen beide fi vor⸗ 
mals bewegten, aufgegeben, und bie neueren haben ſich @eltung errungen, 
fo dag im Wefentlihen und Hauptſächlichen über Materie und deren 
ſachliche und formelle Behandlung ein befriedigendes Einverfländniß ob⸗ 
malte. Mit dem geographiſchen Unterrichte iſt es nicht genau 
ebenfo. In Rüdficht auf diefen kommen mehrere Umflände zufammen, 
weile ihn noch in lebhafteren Fluß erhalten, als manchen andern Lehr⸗ 
gegenfland. Dahin gehören, was den fachlihen Inhalt anbetrifft, die 
fortgehenden Forſchungen, weldye den Gefichtskreis erweitern, und nach 
umd nach neue Gebiete erfchließen, oder altbefannte, aber verfäumte, für 
das Intereffe wieder zurüderobern. Es gehören die ausgebreiteten Stu⸗ 
dien dazu, welche auch die verfchiedenen Hülfägebiete ausbeuten, die Um⸗ 
gefaltungen der Altern geographifchen Verhältniſſe im Laufe der Beit 
ficherer nachweiſen, die Gründe dafür erläutern, und den jebigen status 
quo firiren. Es gehören auch die Bemühungen dazu, das Kapital der 
Refultate der Arbeiten auf naturgefchichtlihen und geſchichtlichem Felde 
für die Zwecke comparativer geographifcher Betrachtung wirffam anzu⸗ 
legen. Dadurch hellen fih die natürlichen Berhältniffe der Erdlokale, 
wie fie aus der Configuration und aus der Wechfelbeziehung ihrer Lage 


432 Geographie. 


hervorgehen, es hellen fich auch die damit in einigem Zufammenhange 
ſtehenden Tlimatifhen und organographifhen Eigenthümlichkeiten auf, 
welche dann wiederum auf das Maaß der Bedeutung Einfluß üben, das 
dieſe Lokale für gefchichtliches Voͤlkerleben erfahrungsmäßig haben. 

Aber es ift nicht bloß der Umfang und die Tiefe fachlicher Kenntniß, 
weldhe durch die Arbeiten zahlreicher gründlicher und unverdroffener geos 
graphiſcher Forſcher gefteigert find; der nachhaltige Fleiß hat fih in 
neuerer Zeit auch auf den Zortfchritt in der Darſtellungsweiſe ge 
rihtet. Man hat das geographifhe Material anziehender und genieß⸗ 
barer gemacht, ed mit mehr Geift und Leben durchhaucht, und ihm im 
Gegenſatze zu feiner früher fprödern Form, welche überwiegend nur das 
Gedähtniß in Anſpruch nahm, eine Geftalt verliehen, wodurd es über 
das engere SchülersIntereffe weit hinaus den Gebildeten im Volk, wie 
den fchlichteften Mann anfpridt, und in ihm das Berlangen rege zu ers 
balten vermag, mit der Erde und ihren natürlichen und fonftigen Ver⸗ 
hältniffen näher befannt zu werden. Und zwar fo, daß auch dem denken⸗ 
den Kopf hinreichender Stoff zu Vergleihungen und Gombinationen, fo 
wie zur Begründung des richtigern Verſtändniſſes menfchlicher Verhält⸗ 
niffe auf der Erde die erforderlichen Unterlagen dargeboten werden. 

Jene Forfhungen und Studien befunden das hohe und verbreitete 
wiffenfchaftliche Intereffe, das die Geographie fort und fort bei fehr ber» 
vorragenden Männern findet, und die Durcharbeitung der auf denfelben 
beruhenden Schriften Tann den Ernft und die Umfaſſenheit berfelben 
lehren. In der That if die Summe der Momente, welche zur gründlichern 
und vollftändigern Erkenntniß geographifcher Berhättniffe gegenwärtig in 
wiffenfhaftlichen geographifhen Werken in Betracht gezogen wird, ſehr 
merklich vergrößert. Insbeſondere find es die phyſikaliſchen und die ethno⸗ 
graphifchen Forſchungen, welche in der neuern Zeit den Kreis der mit 
zu erwägenden Ericheinungen und Thatfachen mächtig erweitert haben. 

Diele Bemühungen um vollendetere und zugleich genießbarere Dar 
Rellung weifen auf ein zwiefaches Streben hin: die Ausbeute der nach 
immer größerer Bervolllommnung ringenden Wiſſenſchaft für weitere 
Kreife Gebildeter zu verwerthen, und durd eine heut zu Zage mehr als 
vormals geforderte, anfprechende Außere Form den Anreiz nad) geogra- 
phiſcher Kenntniß ebenfo zu wecken und zu erhöhen, als die Neigung zu 
geographifcher Belehrung fo zu befriedigen, daß nicht zu bedeutende Ans 
firengung des Geiſtes zu ihrer Erwerbung erforderlich if. Diele Reis 
gung ift verbreiteter, als das Maaß der Kraft, gelehrte geographiſche 
Berle zu fudiren, und als die Möglichkeit der Erübrigung der zu 
ernftem Studium nöthigen Zeit; ihr zu entiprechen, if in der That eine 
wahre Zeitaufgabe geworden, an deren Löfung mehrere tüchtige Kräfte 
fih mit entſchiedenem Glück verfuht haben. In gar mannigfaltigen 
Weifen if das Metall geographiihen Wiffens geprägt, theild um dem 
wirklihen Bedürfniß der Belehrung, theils um deren bloßer Unterhaltung 
abzuhelfen. Und es fehlt nicht, daß es auf diefem Wege gelungen if, 
geographifche Kenntniß und Freude an derfelben aud in folde Schichten 
der forialen Welt einzuführen, die derfelben vormals fehr fern flanden. 


Geographie 4 


Pit Diefer allgemeinern Verbreitung derartiger Kenniniſſe iſt auch mehr 
ale der bloße vereinzelte Wunſch, es iſt Die ziemlich allgemeine For de⸗ 
rung erwacht, wit angemeſſenem Fleiß den geogzaphifchen Unterricht in 
der Schule anzubauen, um befimmte Reſultate für das Bebürfnig des 
Lebens zu erzielen, und nah binterlegter Schulzeit einen befriedigenden 
Schatz geatraphiſchen Willens, fowie eine genügende Befähigung zur 
Hrientirung in geographiſchen Verhaͤltniffen den verſchiedenen Berufs⸗ 
kreiſen zuzuführen. Je nach der Stellung der Schule kann der Umfang 
die ſea Schatzes, dat Maaß dieſer Befähigung verſchieden ſein; aber den 
völligen Mangel beider will men fortan um fo weniger mehr entſchul⸗ 
digen, ald ed ohne Bweifel auch von fittlicher und namentlich pas 
triotifcher Bedeutung ift, daB auch der geringfte Hann im Volf wer 
nigſtens fein Baterland kennen foll, um as auch recht lieben zu können. 
Gerade hierin Liegt ein eigenthümlicher Charakterzug der neuern 
Zeit, und es begreift fi daraus, daB fo viele Kedern und Grabftichel 
fih in Bewegung feben, die mannigfaltigſten Hülfsmittef"zur leichteru 
und gründlihern Aneignung geographifcher Kenniniffe zu fchaffen, und 
daß mehr ats früher das vaterländifche Gebiet der Tummelplag der 
Lernenden Kräfte geworden if. Denn Geographie if ja freilich ſchon 
feit langen Jahren gelehrt und gelerut; aber das eigene Vaterland 
wurde vormals bei Weiten nicht mit jener eminenten Vorliebe Gegen⸗ 
Rand des Lerneng, als heut zu Tage. Bielmehr waren die Propors 
tionen von Kraft und Zeit, welche dem Baterlande zugewendet wurden, 
nur wenig günftiger als die, welche jedem audern Lande gewährt wurs 
ben. Der für nötbig erachtete allgemeine, univerfelle Bid, dem ein 
Land wie Deutſchland im Vergleih zu andern und zun Ganzen der 
Ländermaſſen leicht zu unerheblich ſchien, weil feine nähere Beachtung 
von dem ganzen wiflenichaftlichen Princip feitab gelenkt hätte, geſtattete 
Beine Bevorzugung eines einzelnen Landes, felbft wenn ganz ausgezeich⸗ 
nete Beziehung deſſelben dazu eingeladen hätte. Seit jedoch die Aufs 
merkſamkeit auf das eigene Baterland fozufagen zu deſſen Neuentdedung, 
zur Auffindang gar vieler bemerkenswerther Beziehungen, zur Erkennung 
früher kaum geahnter Ratur-Zujammenhänge, und zu der Ueberzeugung 
bei einer nicht unbetraͤchtlichen Zahl flimmberechtigter Männer geführt 
bat, daß bier. ein des befondern Fleißes auch im mehr als einer Bes 
ziehung bejonders würdiger Gegenſtand vorliege, hat fih das Verhältniß 
ber Beachtung des Ganzen und Einzelnen begonnen, nahezu umzukehren. 
Dennoch iſt ed nicht dag patriotifche Intereſſe allein, was Diefen 
Umfhwung hervorgerufen bat, fondern auch das ‚wiflenfchaftlihe Streben 
Sat daran infofern feinen guten Antheil, als es auf beſtimmtem, nahe⸗ 
gerücktem Boden, an den tauſend Lchensfäden anknüpfen, Die Mannig: 
faltigfeit der geographifchen Momente zur Erhöhung des Interefles an 
Der Sache ſelbſt dargelegt und zur beichrendfien Anſchauung zu erheben 
geſucht Hat. Die Gengrapben von Zach haben wohl auch früher das 
eigne Baterland genau gekannt, aber im Volke iſt das Intereffe für dieſe 
Kenniniß nit ſehr verbreitet und fehe groß geweſen, und in den 
Schulen if fie wobl nicht zu felten in fehr todtes Werk verlaufen. Jeßt 
Nade, Iahreöberiht. X. :28 





434 Geographie. 


it das zum Theil ſchon anders, zum Theil wird es fort und fort in 
beffernder Weiſe auch in den kleinſten Schuffreifen andere. Dan ertennt 
das aus den literarifchen Jahreserſcheinungen nicht zu undeutlich heraus. 
In den zahlreichen Leitfäden ift eigens den vaterländifchen Gebieten, 
wie billig, der meifte Raum und Nachdrud verliehen, und in den Karten 
find dieſe Gebiete am meiften fpezialifirt. Alſo iR in dieſen Stüden 
ein Bebürfniß erkannt, dem in unfern Tagen mit mehr Angelegentlich« 
feit als früher Befriedigung bereitet wird. 

Wegen des ununterbrochenen Eifers um die Körderung der Wiſſen⸗ 
haft ſelbſt, und wegen des Strebens, deffen Ertrag mit Erfolg aud 
in weitere Kreife zur Freude und zur Weiterbildung daran zu benußen, 
ja felbft die Volksſchule daran participiren zu laffen, foweit es ſich mit 
der Natur der Sache und mit dem praftifhen Bedarf diefer Schule rechts 
fertigen läßt, ift auch die geographifhe Lehrmethode immer noch im 
Fluß. Sie bildet ein Object, worüber bis diefe Stunde vielerfahrene 
Schulmänner nod ihre Anfichten weiter cultiviren zu mäflen glauben, 
und worüber den minder erfahrenen in mehrern pädagogifchen Organen 
noch immer allerlei Winke zu unterrichtlicher Behandlung gegeben werden. 
Wie viel auch feither bereits über geograpbifche Methode gefchrieben, 
und wie wenig zumal die jegige Zeit noch von Enthufiasmus für Vers 
befferung derjelben hingeriſſen zu werden pflegt, fo bat doch auch das 
verfloffene Jahr feinen Beitrag zu diefer Brage nicht vorenthalten. Es 
läßt fich im Allgemeinen jedoch feine radicale Umänderung der feit Jahren 
befonders praftifabeln Methode mehr anerkennen; das Neue befchräntt 
fih nur auf Modifteationen eines Berfahrens, welches in feinen Grunde 
zügen früheren Jahrzehenden angehört. Und es feheint auch mehr auf 
Flüffigerhaltung methodifcher Behrebungen und Erwägungen, als auf 
viel radical Neues abgefehen zu fein; als wolle man den Gefahren gei⸗ 
fliger Stagnation auf geographifchem Unterrichts» @ebiete wehren, wo 
allerdings die Gelegenheit zu Pedanterie und Einfeitigfeit, wie zu vers 
fhmimmender Allgemeinheit nahe genug liegt. 

Mit diefem Streben gebt in neuer Zeit mehr denn je das Bes 
fireben Hand in Dand, befonders der reifenden, wie der gereiftern 
Jugend mit Hülfsmitteln zu geographiſcher Weiterbildung nützlich zu 
werden. An fih ift das Streben gewiß ganz loͤblich; aber die Richtung, 
welche es in verfchiedenen Schriften findet, ift Doch eben fo wenig uns 
bedenklich. Neben mehreren fehr empfehlenswerthen, dahin einfchlagenden 
Schriften nämlich erfcheint auch das eine und andere, dem der Ernf der 
Sugendförderung in höherem. Grade fremd if, als die Specufation auf 
buchhändterifhes Honorar. Es tft recht flüchtige und Leichte Waare anf 
den Markt gebracht, welche mit viel Oberflächlichkeit und außerem Schein 
die Prätenfion wohlgemählten Stoffes verbindet und leiht den Unfundi« 
gen täufcht. Berechnet auf Befriedigung eines nach Seltfamfeiten ſtehen⸗ 
den Sinnes, haben folhe Bücher für die Jugend ihre befonderen Bes 
denfen, da fie den Geſchmack an folideren Schriften abflumpfen. Bei 
der Fülle bereits präparirten Materiald wäre es zwar Beine übergroße 
Mühe, etwas Gutes zu liefern; aber man kann fi bei dem Blicke auf 


Geographie 435 


einige der für Die reifere Jugend, oder auch „für das Haus’ beſtimmte 
Schriften des Gedankens Teichtfertiger Bücherfabrikation kaum erwehren, 
fo principlos und fo bunt gemifcht find diefelben zufammengefchrieben. 
Es if durchaus nicht als ein unberechtigtes Bemühen anzufehen, neben 
den fireng wiflenfchaftlichen Büchern, fei e8 zum Zwed belehrender, oder 
vorzugsweife geiftvoll unterhaltender geographifcher Lectüre, auch andere 
Schriften zu verfaflen, welche der ernften Strenge ſich infoweit enthalten, 
als fie nicht Angflih auf Gontinuität des innern Sachzufammenhanges 
Bedacht nehmen, fondern vielmehr bejonders Iehrreiche und zugleich an« 
fprechende SHauptpartieen hervorheben, um an ihnen eine Quinteflenz 
deffen zu geben, wovon ein Gebildeter fih gern Kenntniß erwirbt, ohne 
nah den wiflenfchaftlihen Zufammenhängen und Begründungen weiter 
zu forichen. Aber ein ſolches Bemühen ifk immer gar weit von Der 
Sorglofigfeit verfähieden, womit ein geographifches Potpourri abgefagt 
zu fein pflegt. 

Die Thatjache, daß einerfeits die Förderung geographifcher Wiffen- 
fhaft einen entfchiedenen rüdwirkenden Einfluß auf den vorbereitenden 
wiſſenſchaftlichen Schulunterricht ausüben muß, welcher — wie die Er» 
fahrung gelehrt bat — leicht dahin kommt, die Anforderungen des prafs 
tifchen Lebens zu ignoriren; fowie daß andrerfeits auch in der Schule 
der geographifche Unterricht der Verirrung leicht unterliegt, flatt fih auf 
beflimmte, bedeutfame Lehrftüde zu befchränfen, in zufällige, ausgedehnte 
Schilderungen zu verfließen, aus denen Kinder den behaltbaren Kern 
nicht herausfinden: das, und noch anderes hat dazu beigetragen, in 
neufter Zeit das Augenmerk fefter auf das Bedürfniß des praftis 
then Lebens zu richten und feine Anforderungen an geographifche 
Unterweifung in der Schufe beftimmter zu formulicen. Insbeſondere iſt 
dies für die Volks- und Bürgerfchulen, fowie für die Nealfchulen ger 
ſchehen, und die geographifche Literatur reflectirt die Modalitäten der 
Anforderungen für diefe Schulen ziemlich Tenntlich und beflimmt. Wie 
fer im Ganzen genommen aber gegenwärtig auch die Kategorien des 
geographifchen Lehrftoffs für diefe Schulen beftimmt fein mögen, inner« 
halb diefer Kategorien iſt der Stoffwahl und der unterridtlihen Bes 
handlung doh noch viel Spielraum belaflen. Daher fann es nicht 
under nehmen, in den verfchiedenen Lehrbiüchern und Keitfäden einer 
fo großen Ungleichheit im Maaß des Stoffs, wie in den Proportionen 
feiner Hauptflüde zu begegnen, — eine Erſcheinung, die theils mit den 
perfönlichen Anfchauungen ihrer Verfaffer, theild mit den gegebenen, mehr 
oder minder günftigen Schulverhältniffen, in welchen fie meiſtens felbft 
praktiſch thätig find, im innigen Zufammenhange fteht. 

Der diesjährige Bericht wird es, um das bisher Angedeutete in 
Kürze näher darzulegen, zu thun haben mit den Bemühungen und 
Rathſchlägen, welde neuerdings zur Förderung des geographifchen 
Schulunterrihts und feiner Methode befannt geworden find, mit den 
Befirebungen, welche die Einführung geographifcher Kenntniffe in die 
Kreife der reiferen Jugend und des Volks zum Zweck haben, mit 
den neuern Bedanfen über Feſtſtellung des praftifchen Bedürfniffeg 

28* 


436 Geogtaphie 
bei der geographiſchen Schulunterricht, und mit dem im Leben 
tHatfählich befiehenden Verhältniß des geographiſchen Schule 


inferrichts zur Wiffenfchaft wie zu Ben Anforderungen ber neuern 
Hhagogit und Didaktik und des praktiſchen Lebens. 


f. Forderung des Be Schalumierrichts und feiner 
ethode. 


Die Nothwendigkeit des geographiſchen Schulunterrichts iſt 
felt einer nun ſchon langen Reihe von Jahren unter den urtheilsfähigen 
Shulmännern ein unbeflrittenes Arlom, ein paͤdagogiſcher Glaubens, 
artitel. Wer dent Gange der Entwidelung der VBerhandfungen über 
diefe früher disputabele Frage gefolgt ift, weiß es, daß den eindring« 
lichen Anempfehlungen und der mit beredten Worten verfochtenen Eins 
führung der Geogtaphie in die Schulen viel Adfelzuden und Kopfſchüt⸗ 
tein, befonders in ländlichen Schulkreiſen, entgegengeftellt if. Gegenwärtig 

It auch in Iehfern die Sache als ausgemaht. Wenn vor nicht vielen 
Ponaten in ein paar größeren Rehrerverfannmlungen die Nothwendigkeit 
der Geographie auch in der Volksſchule noch zum Beſchluß erhoben wer⸗ 
den mußte, fo fleht das allerdings wie ein befremdlicher Anachronismus 
Aus. Denn, obwohl über andere dahin einfchlagende Momente die Acten 
noch offen find, über die Nothwendigfeit diefes Unterrichts find fle laͤngft 
geſchloſſen; das Urtel darüber ift gefällt. Aber jener Beſchluß tk Immer 
noch lehrreich. In jenen Berfammlungen muß e8 nody Elemente gegeben 
haben, für die eine ſolche Entjcheidung noch erforderlih war; weldye 
alfo erſt allgemach hinter den andern Schulmännern herfommen, Dit, 
durch Studium und praftifhe Erfahrung fachlich und methodiſch gereift, 
längft Über die Fragen der Zuläffigfeit, Näthlichfeit oder Nothwendigfeit 
ber Geographie in der Schule ein begründetes und klates Urthell er- 
worden und demgemäß fi in der Schule eingerichtet haben. Wer kann 
19 das wundern laffen, fo lange er audy in andern Dingen es fort und 
ort waßrnehmen Tann, daß pädagogifhe Wahrheiten, von den tüchtigern 
Kräften längft erobert und benußt, nod immer von Männern angefocdhs 
ten werden, deren beſchränkter Arbeits» und Gefichtöfreis nicht ſelten mit 
einer geringern Befähigung und Erfahrung Hand in Hand geht! Letztere 
flegen die Erfahrungen und Rathſchläge der erfteren gewoͤhnlich für ihre 

eziellen Berhältniffe als unzutreffend zu erachten. 

Man wird fih aber Feiner Illuſion bingeben dürfen bei dem Glau⸗ 
Den, daß überall, wo die Nothwendigkeit geographifchen Schulunterrichte 
in thesi zugeftanden wird, derfelbe in praxi auch angemeflen und ums 
fichtig gepflegt werde. Theorie und Praris coincidiren nicht immet. 
Dennoch if jenes Zugeſtaͤndniß ſchon von einiger Wichtigkeit, und ſollte 
es nur fein, um ein Selbftgericht über etwaige mangelhafte Prazis zu 
jeden. In Folge der Anerkennung der Nothwendigkeit der Geographie 
n allen Schulen hat fi die einſichtige Sorge der richtigen Auswahl, 








Eaographie, gi 


Mliederung, Anordnung, mehr oder minder egacten Begraͤnzung des geg« 
graphifchen Materials, ſowie den Mitteln und Wegen RP womit 
und wie diefer Unterrichtsgegenftand den Schülern erfolgreih nahe ger 
bracht werden fann. Welche Wahl und Anordnung getroffen if, welche 
Hauptwege als die fachentfprehendften, am ſicherſten zum Ziele führenden 
erfannt, welche wefentlihen Hülfen dabei erforderli, welche Didaktlj 
Rüdfihten dabei zu nehmen find: dies und noch vieles Andere iſt In 
den feitherigen Bänden des Pädagogifchen Jahresbericht? im Einzelnen 
wie in der Summe zur Genüge auseinandergefeßt. Es wird alfo dar⸗ 
über weiterer Nachweifungen um fo weniger bedürfen, als die Kenntnifs 
nahme von dem in den Früßern Jahresberichten VBorgeführten Jedermann 
in den Stand feßen kann, theils die Altern, theils die neuern und neuften 
Anſichten darüber In genfgender Umfaffung kennen zu lerven. Vöollige 
Uebereinſtimmung in den Mitteln und Wegen beim geographiſchen Schul⸗ 
unterricht daxf man nicht erwarten wollen. So lange das friſche Ay» 
beitsleben denfender Schulmänner in Iebendigem Fluß ift, Tann feine 
Uniformität erwartet werden; fie if auch weder nöthig, noch wuͤnſchens⸗ 
werth. Das Biel ift mit großer Einhelligfeit als das gleiche erkaͤnnt; 
aber in den Wegen und in den ſachlichen wie formellen Mitteln, es 
erreichen, herrſcht noch jetzt eine große Verſchiedenheif. Wo letztere wit 
ebenfoviel gründficher Einficht als tactpoller Umficht angewendet merden, 
fol au eine billige Berückſichtigung der individuellen Berhättniffe um ſo 
weniger ausgefchloffen werden, als gerade der Anpaſſung an die Indivis 
duellen Berhältniffe in vielen Fällen überraſchendere Erfolge erzielen hilft, 
als folhe bei Benugung fremder Schablonen erreihbar fein würden. 

aralteriſtiſche Selbftftändigfeit hat Aberall im praktiſchen Schulleben 
ipre Berechtigung, fo lange fie die wefentlihen Aufgaben des Unterrichts 
im Auge behält. — | 

Lernen wir nun fennen, was im Laufe des perfloffenen Jahres zum 

Theil zu weiterem Ausbau, zum Theil zu Anregung neuer Gedanken 
Zörderfames für den geographifhen Schulunterricht und feine Methode 
Öffentlich zur Erwägung gebracht worden ift. 


1. Erzielung geographiſchez Anihauungen. 


a. In der „Pädagogiihen Monatsfhrift für die Schweiz’ von 
Grundolzer und Zähringer (1. Jahrgang 5. Heft S. 147) fagt ‚ein 
ShulsInfpector in feinem Bericht über Prüfungen in Graubündener 
Schulen: „Dem geographifchen Unterrichte wird die meifte Zeit des 
widmet, und die Leiftungen treten darin aud am entſchiedenſten hervbr. 
Die Schüler zeigen recht gute Kenntniffe; nur bleibt das Wiſſen, das 
in einigen Schulen vermittelt wird, zu fehr nur Wort» und Gedaͤchtniß⸗ 
fahe. Es fehlt die Anfhauung Biel zu wenig wird von den 
Lehrern darauf hingewirft, von Land und Bolt klare, begrenäte 
Bilder zu entwerfen, antnüpfend an die Heimath und nädfte Ums 
gebung. Auch im Orientiren find viele Schüler zu wenig geübt.“ 

Diefer Bericht if ein [höner Spiegel für den geographifchen Unter⸗ 


438 Geographie. 


terriht auch in andern Schulen. Die Schäden, worauf er bindeutet, 
find keineswegs bloß in Graubündner Schulen heimifh, und die genanns 
ten Heilmittel find auch nicht bloß zum Repariren zu verwenden. Auf 
leere Gedaͤchtnißbelaſtung foll diefer Unterricht nicht abzweden; fein riche 
tiges Ziel ift unter Anderem: fichere Orientirung und Gewinnung klarer 
Anfhauungen von der Natur und dem Menfchenleben in den verfchies 
denen Ländern, im Anſchluß an die gründliche Kenntniß des Heimaths⸗ 
und des Baterlandes. Diefe Anfhauungen aber laffen fih bei der ges 
gebenen Beitfürzge und den gegebenen Schülerkräften nicht über alle 
Länder der Erde gleichmäßig fpeziell ausdehnen; fie find deshalb nur 
auf harakteriftifche, repräfentative Gebiete zu beſchränken. Das fchärfen 
ältere und neuere Stimmen in der pädagogifchen Welt immer wieder ein, 
zumal für die Volksſchule. 

b, Mit Rüdfiht auf Iehtere gibt F. Wagner im „Mecklenburgi⸗ 
fen Schulblatt, von Wächtler und Kliefoth (7. Zahrg. 1856. Ar. 17. 
18. 19) in feinen Worten: „Zum GeographiesUnterricht in der Volks⸗ 
ſchule“ einige befondere Winke. Wagner Tchließt fih dem bekannten 
Lehrgange von der Heimath aus zum engern Baterlande, dann zu Deutſch⸗ 
land, zu den Erdtheilen und zur Erde als Weltlörper an, ordnet feinen 
Stoff jedoch fo, daß er über die außereuropäifchen Erdtheile und Europa 
zu Deutfhland und dem Heimathlande zurückkehrt, und am Schluß des 
Ganzen erft zu den nothwendigen Belehrungen aus der mathematijchen 
und allgemeinen phyfiſchen Geographie übergeht. Bei der Vorbereitung 
auf die Heimathlunde foll die Drientirung nah den Simmelsgegenden 
eingeübt, und das Bewußtfein über naheliegende geographifche Begriffe, 
wie über die Beichäftigungen der Leute gewedt werben. Wegen der 
fpätern Befhäftigung mit dem Kartenzeichnen legt der Berf. auf 
das Zeichnen der Windrofe befondern Werth, ebenfo auf das allmähs 
liche. Entftehenlaffen der Karte vom Heimathsorte vor den Augen der 
Kinder, bis zulept der vom Lehrer felbft gefertigte Plan in feiner Voll⸗ 
Rändigkeit, und außerdem noch eine Karte der 3—A Meilen weiten Ums 
gebung vorgelegt und benupt wird. Kenntniß der Bodengeflalt und 
Bodennatur, der Beichäftigungen der Leute in Stadt und Land, ber 
charakteriſtiſchen Sitten und Gebräuche der heimathlichen Gegenden, der 
wichtigen Drtfchaften: das etwa if der Umfang des Anfangs unter 
rihts, in welchen noch die Kenntniß von Deutfhland „in groben 
Umriffen‘ und eine „allgemeine Weberfiht über Europa mit hineinger 
zogen werden foll.” Nur die großen Gebirgs⸗ und Fluß⸗Syſteme Deut ſch⸗ 
Sands, die wichtigften politifchen Eintheilungen und bedeutendfien Städte 
follen zur Unterfcheidung und Einprägung gelangen, und durh & Has 
tatterbilder vom Leben und den Beichäftigungen der Leute aus ver⸗ 
fchiedenen deutfchen Gegenden (nach Grube u. U.) belebt werden. Und 
bei Europa find zunähft nur die einzelnen Länder zu unterſcheiden 
und mit ihren Refidenzflädten zu merken. — Die folgende Stufe des 
Unterrichts führt die Erde als Ganzes am Erdglobus und an Planis 
globien vor, geht alsbald näher auf die Zonen-Eintheilung ein, und bes 
nupt die Dadurch gewonnene Bafls zu Charakteriflifen großer Erdräume 


Geographie. 439 


und der Eigenihämlichkeiten ganzer Bölker (3. DB. bei Amerika: 
Bampus, Prairien, Urwälder, große Stromfpfteme, die Anden als Ganzes, 
GharaftersZhiere und Charakters Pflanzen Amerifa’d. Driginelle Volks⸗ 
fämme und ihr Leben. — Aehnlich bei den übrigen Erdtheilen, nur 
iR Europa und darin irieder Deutfchland und das engere Vaterland nun 
fpezieller zu behandeln.) Die mathematischen Belehrumgen denkt fi 
Wagner in der bekannten Hebel’fchen Weife. 

Man fieht Hieraus deutlih, daß die zu erzielenden lehendigen An⸗ 
fhauungen dur die Charakterbilder vermittelt werden follen, und 
würde nur Bedenken haben müſſen, wenn dergleichen ohne Weiteres nad) 
Grube's an fih fo werthvollen Charakterbildern gegeben werden ſollten. 
Für die Volsſchule find diefelben gar nicht direct beſtimmt und nicht 
ohne eigens vorgenommene Umarbeitung verwendbar. Aber Wagner hat 
noch den andern Gedanken, dieſe Bilder nicht bloß in Worten und 
Schilderungen, fondern in wirklichen Abbildungen und zwar fo 
vorzuführen, daß Ieptere durch ein großes BanoramensGlas, ähnlich 
wie bei Guckkaſten, bejehen werden. Das ift neu *. Abbildungen 
charakteriftiicher Landfthaften und Gegenden gibt es in Menge; es wäre 
nur eine Auswahl davon anzufchaffen. Ihre Beichauung durch Guck⸗ 
Taten « Öläfer dürfte Kindern wohl eben fo angenehm als lehrreich fein, 
und würde eine nicht zu verfennende Steigerung des Intereſſes, wie der 
Anfchaulichkeit im Gefolge haben. Es fragt fih nur, ob die Ausfühs 
sung in gefüllten Klaffen nicht auf manche Bedenken ftößt? Beitraubend 
iR das Bilderbefehen, wobei hoͤchſtens zwei Kinder gleichzeitig heran⸗ 
fommen tönnen, jedenfalls, und Unzuträglichfeiten für die Disciplin in 
der Klaffe dürften auch fchwer vermeidlich fein. Aber es liche fih wohl 
eine angemeflene Kortführung des Unterrichts beim Bilderbefehen, und 
eine Befeitigung etwaiger Störungen denken, vorausgefept, daß Ver 
Lehrer ein umfichtiger Mann ifl. 

Bas Wagner über den maaßgebenden Gefihtspunft heim 
geograpbifchen Unterriht in der Volkoſchule jagt, der nämlich der hrift- 
lihe und yatriotifche fein fol, und der u. U. in der Rückſichtnahme 
auf die Miſſtonsfelder fich zu befunden hätte, das foll weiter unten 
erörtert werden, da wo aud Anderer Gedanken hierüber Erwähnung ges 
fhehen wird. Ebenfo wird auch weiter unten auf das Kartenzeichnen 
in der Bolfsfchule zurüdgelommen werden. Ueber den Gefammts- 
Plan Bagner’s im Einzelnen bedarf es keiner Bemerkungen weiter. Das 
Für und Wider lehren die früheren Jahrgänge des Bädagogifchen Jahres» 
bericht fpeziell genug. Hier kam es nur auf Hervorhebung der Ans 
fhauungen, welche durch Eharatterbilder vermittelt werden folken, 
an. Man wird zugeben, daß auch diefe nicht ohne Weiteres ausreichen, 
um ein treues Bild der geographifchen Berhältniffe ganzer Exrdiheile vor 


*) Bereits feit einigen Jahren habe ich interefjante Gegenden und Ges 

baude mitteld eines Inſtrumentes, das man bei Optikern unter dem Namen 

olyorama erhält, mit beftem Erfolg im geographifchen Unterriet verans 
chaulicht. A. Luben. 





440 VGecsgraphie. 


der Seele eines Schulers zu erzeugen, wenn nicht noch beſondere Süffen 
Dabei angewendet werden. Es iſt ſelbſt Erwachſenen noch ſehr ſchwer, 
Dergleichen Bilder zu gewinnen, wenn fie in ihrem Lebens⸗ und Ans 
ſchauungskreiſe der Anſchauungs⸗ und Bergleihungspuntte entbehren. 
Das Reſultat alles Redens, Schilderns, aller Bilderbetrachtung und aller 
Sharaftergemälde bleibt nur zu oft amd Bei nur zu Vielen ein wenig 
befriedigendes. 

e. Nach dem „Schleswig⸗Holſteiniſchen Schulblatt“ von Kirchmann 
(17. Jahrg. 1855. Aprilheft S. 157) wurde ſchon im IX. Pädagogifchen 
Jahresberichte S. 240 der „Fahlen im Geographie⸗Unterricht“ 
gedacht. Denſelben Gegenſtand hat zum Behuf der Erzielung größerer 
Anſchaulichkeit Jemand (Chiffer E. A. ©.) in Berthelt's „Allgemeiner 
deutſcher Lehrerzeitung (1856. Nr. 21) noch einmal aufgenommen, um 
eine entſprechende Vorſtellung von der Groͤße einer Cubikmeile ans 
zubahnen. Sämmtlide Städte, Dörfer, Schlöffer, Bauwerke, Schiffe ꝛc. 
in allen Erdtheilen zuſammengenommen, füllen den Raum einer Kubik⸗ 
elle kaum zur Hälfte! Alles Stroh und Baumlaub auf Erden reichte 
erſt etwa bin, um ein weiches Lager für die Menfchen und Thiere zu 
ſchaffen, mit denen die gweite Hälfte — obwohl aud noch nicht ganz, 
- zu füllen wäre. Bei 2 Fußbreite gehen 12000 Menſchen in eine Reihe, 
bei 6 Fuß Ränge aber 4000 Reihen in eine Schicht, d. h. 4000 X 12000 
z= 48 Millionen Menfchen, alfo etwa fo viel als in Amerika leben. 
Sanmmtliche Menfchen auf Erden geben erfi 20 folder Schichten und es 
müßten 290 Mat fo viel GErdbewohner, als wirklich leben, vorhanden 
fein, um 4 SKubitmeite zu füllen! Deshalb werben, außer allen Men⸗ 
ſchen, auch alle lebenden Thiere noch in den Raum zu füllen fein, ımd 
Das Fehlende würde noch Raum zu großen Felfenmaffen bieten! Kine 
Maſchine, welche in jeder Secunde einen Ziegelſtein von 1 [I in den 
Raum einer Kubifmeile legt, würde in einem Jahre erfi 81,536,000 
Steine Tiefen, während die Bodenfchicht Des Raumes 24000 X 24000 
== 576 Millionen erforderte! Erf in etwa 18 Jahren bei Zag und 
Macht fortgefeßter Arbeit würde die Bodenſchicht einen Fuß hoch, alfo 
eh in 438,356 Jahren 1 Stunde 26 Minuten und 24 Secunden ber 
ganze Raum einer Kubikmeile gefüllt fein! 

Es mag immerhin einmal gefhehen, durch ein foldhes frappantes 
Beiſpiel der Leichtfertigfeit bei dem Nennen ungeheuver Zahlen, ohne 
innere Borftellung ihrer Werthe, ermtgegenzutreten; im Ganzen muß c6 
dennoch beim kurzen Nennen folder Zahlen — felbft ohne Die volle Bes 
deutung zu würdigen — in der Schule fein Bewenben behalten. Uebris 
gene hat man es nicht immer mit großen Bahlen zu thum; es fehlt 
auch bei Meinen häufig den Kindern bie Mare Borfellung ihrer Werthe. 
Mit Rüdficht hierauf mag obiges Beiſpiel daran erinnern helfen, daß 
es im praktiſchen Unterricht gut fei, öfter durch angemeflene Werthver⸗ 
gleihungen jener Vorftellung nachzuhelfen. So z. B. bei Vermittelung 
der anſchaulichen Auffaſſung gewiſſer Entfernungen, Flächengröͤßen, Ber⸗ 
geshöhen. 

d. Wenn eine zweckmaͤßige Vorbereitung des geographiſchen Unter⸗ 


n 


Sengranhie. | äg1 


richts durch die Elemente der Ortss und Horizont⸗Kunde, durch klares 
Sprechen, richtiges Vorſtellen der nächfen geographiſchen Verbältniffe, 
durch Zuhülfenahme bildlicher Darfellungen; wenn ferner ausgeführtere 
Charakterbilder, vielleicht unterftügt durch Abbildungen von Landfchaften 
u. drgli, wenn überlegies Kartenzeichnen, und veranfshaulichende Ders 
gleihungen direct dem geographiichen Unterrichte bei Erzielung fachges 
mäßer Unfhauungen zu gut fommen; fo darf nit vergefien werden, 
Daß die Erreichung dieſes Zieles imdirect von einer weilen Bes 
fhräntung des Stoffes und von einer planmäßigen, verfändigen 
Behandlung deffelben gar wefentlih mit abhängig if. Ueberall, wo 
man pädagogifchen Heußerungen über den geographiſchen Bolfsfchulunters 
riet begegnet, veden dieſe gerade in unfern Tagen mehr als früher der 
Stoffbeſchränkung das Wort, weil hierin die Möglichkeit zur Ges 
wiruung gerubiger, Harer Anichauungen, bei den fonft obwaltenden Ber, 
hältniffen, wefentlich mit begründet if. Diefe Beſchraͤnkung bleibt eine 
Hauptbedingung alles guten Erfolge. In Nädfiht auf Blanmäßig- 
Leit des geographifchen Unterrichts if in neuerer Zeit faft einige Ger 
fahr erwachſen, welche mit der Benutzung des Leſebuchs dabei zuſam⸗ 
menhängt. Es if gut, daß fich auch jeßt immer von Neuem nod Stim⸗ 
men für die Planmäßigkeit äußern. 


2. Planmäßigkeit. 


a. Die „Volksſchule“, eine pädagogiſche Monatsſchrift des 
Bürtemberger Volksſchullehrer⸗Vereins (herausgegeben vom Mufterlehrer 
&. 3. Hartmann in Nürtingen) bringt im Sahrgange 1856, 6. Heft, 
eine längere, fehr beberzigenswerthe Abhandlung des Schulmeifter Luz in 
HOeubach: „Gedanken über den geographifcdhen Unterricht in 
der Volksſchule.“ Dem Berf. hat in feiner früheren Stellung ale 
Seminarlehrer fi ohne Zweifel viel Gelegenheit Dargeboten, den geos 
graphiſchen Unterricht nad feiner wiſſen ſchaftlichen Seite aufzufaſſen, 
und feine Schüler deren Weſen und Bedeutung wenigſtens durch bes 
meſſene Andeutungen kennen zu lehren. Als nunmehriger Volksfchullehrer 
wird er den praßtifhen Bedürfniſſen der Volksſchule unmittelbarer haben 
in's Auge ſchauen Lönnen, fo daß feine Aeußerungen um fo lehrreicger 
werden, da fie mit Berüdfihtigung der Anforderungen der Sache, des 
Lebens und der Volksſchule getban werden. In wie fern nur ernente 
Ginfhärfung bereits befannter Bxforderniffe und Gedanken, oder weſent⸗ 
lich Neues darin geboten wird, kann ein Refume derſelben am beſten 
lehren; ebenfo in welchem Berhältniffe feine Brundanfhauungen fern von 
aller Neberſchwenglichkeit zu den auch von andern Praktileın gehegten 


en. 

Luz zieht um des Bedürfnifies im praktiſchen gewöhnlichen Bolls- 
leban willen die Geographie allen andern RealsLehrgegeuftänden, ſelbſt 
der GSeſchichte, vor. Ohne der Geſchichte ihre ‚größere Bedeutſamkeit 
für die Eharakterbildung gu befreiden, weshalb er fie in geeigneten 
Bartieen der Hhexklaſſe der Volksſchule als obligatoriſch vindicirt, if 


"442 Geographie. 


er doch der Meinung, daß fie dem Volksleben ferner liege, als die Geo⸗ 
graphie. Mit diefer Meinung, welcher ats einer gegenwärtig jedenfalls 
noch fehr disputabeln nicht ohne Weiteres beizuftfimmen fein dürfte, ſteht 
es im Bufammenhange, daß er eben fo gegen eine fletige unterricht⸗ 
lihe Berbindung der Gefchichte mit der Geographie, ald gegen die 
beute vielfeitig geforderte Goncentration der Volksſchul⸗Lehrgegen⸗ 
fände if. Er will jedem ſelbſtſtaͤndigen Lehrgegenftande auch feine Selbſt⸗ 
fländigfeit gewahrt wiffen, um feinen unnatürlich zu beeinträchtigen, und 
ftreitet deshalb gegen das Bemühen, entweder die Sefchichte gelegents- 
tich beim Unterricht in der Geographie mit zu abfolviren, oder umges 
kehrt. Hiſtoriſch Wichtiges im geographifchen Unterrichte mit anzudenten, 
ift eben fo zuläffig als räthlich, alterirt jedoch die ſelbſtſtändige Stellung 
Ber Geographie und Geſchichte auch in der Bolksfchule nit. — Mit 
diefer Anfhauung vom Volksfchulunterricht tritt Luz neuern Anfihten 
direct entgegen, welche namentlich Angefihts der factiſch beftehenden Volls⸗ 
ſchulverhaͤltniſſe ſowohl jener Kombination, als diefer Goncentration das 
Bort reden (cf. darüber die früheren Jahrgänge des Päd. Jahresberichts). 
Weit ſelbſt der fchlichte Mann im Voll am häufigften auf allerlei Geo⸗ 
graphifches gelenkt wird (durch Hören und Leſen von Auswanderuns 
gen, Reifen, fremden Ländern, Staaten u. f. w.), fo tritt ihm das Bes 
dürfniß geographifhen Wilfens näher als andere reale Wiſſens⸗ 
zweige. Aus dieſem runde erfcheint die Pflege geographifcher Beleh⸗ 
rungen in der Volksſchule hinreichend gerechtfertigt. Zhatfählih kommt 
aber gegenwärtig an vielen Orten noch nichts Befriedigendes, in den 
Stoffen und in den Beiten Zufammenhängendes dabei heraus. Deshalb, 
meint Luz, fei, wenn etwas Ordentliches werden folle, eine „ener giſche 
Neform des geographifchen Unterrichts‘ nothwendig. 

Die Geographie hat die Aufgabe, eine finnige, lebendige, frifche, ans 
ſchauliche und treue Befchreibung der Erde zu liefern, in fräftiger, charak⸗ 
teriffifher Ausprägung des Darzuftellenden. Die Löfung diefer Auf⸗ 
gabe richtet”fihh nach den befondern, dabei zn verfolgenden Zwecken; fie 
wird eine andere da, wo e8 wiffenfchaftliche Behandlung überhaupt 
gibt, eine andere für populäre Belehrung Erwachſener, und eine 
andere bei der volfsfhulmäßigen Elementar-Geograpbie. 
Leptere, welche nur grundiegende Anfänge bieten fol, muß alle Wiffens 
ſchaftlichkeit und ſyſtematiſche Vollſtändigkeit bei Seite laffen, und flatt 
magerer Belehrungen Iebensfrifche Belehrungen geben, fo daß das Merk⸗ 
würdigfte und Wichtigfte voll greifbaren Inhalts, Kern und Leben, eins 
fach aber charakteriſtiſch geſchildert wird, und daß der Schüler fehon frühe 
fih im Allgemeinen Mar und orbentlih auf unferm Wohnplatz orientiren 
lernt. Bu diefem Ende legt Luz mit Recht viel Werth auf einen feften, 
verfländigen Plan. 

Indem er auf den Mangel eines für die Volksſchule volllommen 
paſſenden Buche hinweiſt, worin die Erde nad ihren hervorſtehendſten 
Dauptbeziehungen befchreibend kennen gelehrt werde, und an Grube's 
Charakterbildern eine gewiffe Breite und Flachheit erfennen -will, welche 
ſelbſt Erwachjenen feinen rechten realen Gewinn gewähre, fragt er, ob 


“ Geographie. 443 


feit 20 Jahren, wo der geographifche Unterricht fo weſentliche Umgeſtal⸗ 
tungen erfahren habe, für die Volksſchule ſchon der gehoffte große 
Bortheil abgefallen fi? Er ift geneigt anzunehmen, daß er für dieſe 
auch gegenwärtig weder erhöhtes Leben, noch verflärfte Neigung geweckt 
babe, und daß er noch nicht zu einem ergiebigeren Bildungsmittel ges 
ſtaltet ſei, welchem der denkende Geift des Kindes Liebe und Intereſſe 
abzugewinnen vermöge. Vielmehr erſcheine er noch wie ein bloßer „Ein⸗ 
trichterungs⸗Gegenſtand.“ (Man wird, um der ganzen Wahrheit die 
Ehre zu geben, wohl thun, viele rühmliche Ausnahmen fi in das Ges 
dächtniß zurüdzurufen, welche allerdings einen greifbaren Kortfehritt zum 
Beffern befunden. Denn in der That if das Bild, das die geogras 
pbifche Unterrichts» Praris gegenwärtig in vielen Schulen gibt, an welchen 
durch erfolgreichen SeminarsUnterricht verfländig vorgebildete Lehrer ars 
beiten, nicht ein fo allgemein ungünfliges, als es Luz in feinem Ges 
fihtsfreife noch zu finden ſcheint.) Er flügt fein Urtheil u. U. auf 
die Natur der oft angepriefenen, auch jedenfalls viel gebrauchten Lehr: 
bücher der Geographie, in welchen die Belebung des Unterrichts durch 
eine Ueberfülle von Notizen, Raritäten u. drei. verfucht werben zu follen 
fiheine, wie auf andere, deren Umfang durch Dutzende von Tabellen 
(Caps, Flüffe, Bergeshöhen 30.) angefchwellt werde, und in den vielleicht 
gar bie und da —* auf politiſche oder kirchliche Parteien vor⸗ 
kämen. Die Lehrbücher allein werden nicht ſchlechthin als Documente 
für die beſtehende Unterrichts⸗Praxis gelten dürfen; letztere iſt zum Glück 
nicht ſelten zweckmäßiger als erſtere es find. Aber darin hat Luz unbe⸗ 
dingt Recht, daß bloße Raritäten und intereſſante Notizen weder der 
Befriedigung edler Wißbegierde, noch dem Denken und der geiſtigen 
Elaſticität der Jugend aufhelfen, daß im Gegentheil die überſchwenglichen 
Maſſen alle Mare Ueberſchau und gründliche Einſicht dem Schüler uns 
möglich machen. Es if nun einmal nicht möglich, ein Land mit allen 
Darin möglicherweife zur Sprache zu bringenden topographifchen, phyſi⸗ 
kaliſchen und ftatiftifchen Verhättniffen in der Schule vorzuführen. Ebenfo 
hat er bei den bloßes Knochenwerk darbietenden Leitfäden Net, daß 
fie nicht geeignet find, dem Schüler Geſchmack und Freude an ihrem 
Inhalt zu erwecken, alfo Anfängern nichts nügen koͤnnen. Leider ents 
fpricht manches Lehrbuch und mancher Leitfaden nicht der dafür beſtehen⸗ 
den Aufgabe und den aufgeftellten Prineipien, nämlich ein anfchauliches 
Bild der gefammten Erdoberfläche nah ihren Hauptgebieten, und der 
einzelnen Landkörper nach ihren charakteriſtiſchen Phyflognomieen zu 
geben, wenngleih in ihnen viel Nachdtuck auf Gebirgs⸗ und Stroms 
foReme, Producte, politifche Berhältniffe u. drgl. gelegt wird. Sie dienen 
der Bielwifferei und dem Namenwerk. ‚Bo find die Tandichaftlichen 
Bilder, die Detailgeinälde, die Charakterzüge bedeutfamer Gegenden, die 
plaftifchen Darftellungen aus dem Volkerleben?“ Laufcht doch felbft das 
Dorflind mit Spannung wirklich Iebendigen Darftellungen, reigenden, 
abgerundeten Schilderungen, während es feine Luft an geographifchem 
Lernen durch allerlei Pedanterie erkäftet und verfümmert flieht. 

Die Reform, worauf Luz hinarbeitet, will er aber nicht bloß auf 


444 Geographie. 


Lebrbücher oder Leitfäden, ſondern auch auf bie Karten ausgedehnt 
wiffen. Er hält mit Recht die Karten für ein weſentliches Bebürfniß 
heim geograpbifchen Unterricht und für das fachgemäßefte Erſatzmittel 
der mangelnden eigenen Länderanfhauung. Durd die Karten muß das 
Wort belebt, das Borgetragene gefügt, die Auffaflung gefspärft, die innere 
Regſamkeit des Kindes gewedt, ja felbit die Ausdrudgweife geübt wers 
den. Es ift Thatſache, daB Kinder die ausgehängten Karten gern bes 
trashten. Sie können ohnehin „von denjelben viel ablefen’, und s6 
iß erforderlih, daß fie Diefelben verftehen und nach vorausgegangener 
Belehrung auch erklären können. Zu diefem Zwede find die mit Namen 
überladenen, wie Die afler Namen eutbehrenden Schulfarten ungeeignet. 
Bei Schulkarten liegt ihr Werth nicht in der Fülle des dargeftellten 
Materials, fondern In der glücklichen Gompofition eines charafteriftifchen 
Befammtbildes, in Anfhaulichkeit, Deutlichleit und Ueberfichtlichkeit. In 
vielen Fällen, obwohl nicht in allen, kann facliche Sründlichfeit und 
Gediegenheit damit Hand in Hand gehen. Was das Kartenzeichnen 
der Schüler betrifft, fo bekämpft Luz Die Angemeſſenheit der zeichwen- 
ben Lehrmethode für die Bollsfhule — mit Redt —, und will es 
an einzelnen, die fihere Einübung unterftügenden Fauſtzeichnungen genug 
fein laſſen. Aus praßtifhen Gründen if er auch gegen allen wilfen- 
ſchaftlichen Anſchluß an analytifches oder ſynthetiſches Berfahren. 
„Der Lehrer ift die Seele des Unterrichts, feine Methode, fein Bars 
trag it — er ſelbſt.“ Ohnehin wird jeder gute Unterrihf zulept von 
ſelbſt Syntheſe. — Um nun einen feften Plan gu verfolgen, bält 
fih Luz an fünf Stufen: das engere Vaterland, Deutſchland, 
Europa, die übrigen Erdtheile, die Erde im Berhältujß 
zur Welt. Er fordert wöchentlich 21/, Lehrftunden, und überdieß jm 
Winter zur Ausführung intereffanter Bartieen wochentlich noch eine 
Abendſtunde (!). Intereſſant if feine weitere Anführung deſſen, was er 
im praktiſchen Unterricht thatſächlich durchgenommen, und daß er fc 
dabei an das Leſebuch angefchloffen hat. (Das if für die Volls⸗ 
ſchulen in Würtemberg ebenfo wie in Preußen geboten.) Ohne diefe 
Stoffe hier zu regiftriren, fei nur bemerkt, daß er beim engern Baters 
lande alle in’s Feine gehenden, minutidfen Anführungen, fowie alle 
unergiebigen,, pbilißerhaften Kleinigfeitsfrämereien abweiß, und ohne 
einen förmlich ſyſtematiſchen Gang Ah nur an das Hauptfächlichkte 
hält. (8. B. der Schwarzwälder und feine Beidhäftigung, der Weinbau 
im Nedarland, das Salzlager im ſchwäbiſchen Hügellande, die ſchönſten 
Bergfpigen im Nechar⸗ und Nemds Lande, der Bodenfee, Reife tn die 


12 größten, und in die 12 durch gefhichtliche Ereigniffe, Landwirtbfchaft, 


Gewerbfleiß u. dergl. intereffanteften Orte) — Bei Deutfhland 
verzichtet er eben Jo auf ſyſtematiſche Vollfkändigkeit und auf Dinge 
wie Aufführung aller Kleinſtaaten, der Arenlgröße und Ginmahnerzähl, 
ber Grenzen, Flüßchen, Landeseintheilungen u. vig er beſchraͤnkt ſich 
nur auf einzelne größere Bilder, welche nah ihrer ganzen Auswahl 
über das Gebiet von den Alpen bis zur Word» und Offer ganz trefilih 
geeignet find, Luft zum Lernen gu erzeugen und das Denten anzuregen. 


Gevgtaphie. LT 
a 25 Momente, nady dem Leſebuche herausgeböben.) — Bei beit 
rdtheilen find wiſſenswürbige, großartige Einzelgemälde, land⸗ 
ſchaftliche Charakterbikder und Volkerſchiſderungen vol Mark und Ge 
haft die Säulen, von denen das übrige Materlat getrager wird. Er 
läßt fih an ifoftrten &cenen aus bem Nature und Bolferiehen bier ges 
nügen; doch hat er Berem nicht weniger als über 70 ausgewählt, theit® 
mehr befchreibender, theils fhildernder Natur, mit Meinern Detailbildent 
durchflochten. (3.8. Juſte und Eskurial; Rom; Veſuv; Matta; Dardas 
nellen; Bakuſeuer; xuſſiſche Walbungen; Polens Land und Leute; der Tun⸗ 
nel; chineflfhe Mauer; Kokospalme; Tigerjagd; Perlfiſcherei; Katharinen⸗ 
kloſter am Horeb; Kameel; Pyramiden; afrikaniſches Leben; Ebbe und 
Fluth; Scenen zur See u. ſ. w.) Das find denn in der That Stücke, die 
an und für fidy Iehrreich genannt werben müſſen, und zugleich für ans 
derer Lehrer Hülfsmittel einen exempfiflcatorifchen Charakter haben. — 
In Betreff des Stoffs für die Tepte Lehrftufe ift Luz auch der Meis 
nung, daß Vieles davon nit bloß Kindern, fondern felbft Jünglingen 
über ihren Horizont hinausgehe, Anderes dagegen wohl faßlich und fruchte 
Bar fei, im Fall es nur ordentlich demonftrirt werde. Er bezeichnet 12 
Städe; darunter: Himmelsraum und Weltall; Firfterne, Milchftraße, 
Sternbilderz Thierfreis; Sonne; Planetenſyſtem; Mond; Kugelgeftatt 
der Erde, Rotation derfelben und Stellung in den A Jahreszeiten; Schil⸗ 
berung der Zonen. Das find allerdings faßlihe Momente, wenn ihre 
naheliegenden Beziehungen allein feftgehalten werden; ſonſt läßt fick 
babei leicht Alles zufammenfaffen, was aus der mathematifchen Geogras 
phle zu lehren bleibt. Unter allen Umftänden wirb für diefe Partieen 
ein recht Plarer, elementar zu Werke gehender Lehrer erfordert; fonft 
ltidet die Sache Schiffbruch. 
Darauf fann nicht genugfam bingewiefen werden, daß fefter Phan 
— namentiih bei Benugung des Leſebuchs — innegehalten werde. Ein 
buntes Durcheinander ift unpädagogifh; Mancher fönnte aber in ge 
danfenlofer Berfolgung bes „Leſebuchs“ dazu verführt werden. Des 
halb dringt Luz auf nachdenfliche Vorbereitung aus dem Leieduh, und 
auf wefentlih afroamatifche Lehrform im Wechfel mit der eraminirenden. 
Daß er häusliche Arbeiten der Schüler — Excerpte aus dem Lefebuche, 
firirende Dictate u. drgl. — verlangt, geht über vieler Schulen Zeit und 
Kraft hinaus; daß er aber die Anregung gegeben wiffen will zum nründs 
lichen Reprodutiren durch die Schuͤler, weil darin eine befondere Zücht 
der Kraft durch Selbſtthätigkeit Tiegt, {ft Praktifern ebenſo aus der 
Serle gefprochen, wie feine Empfehlung möglichft reihhaltiger Erläuter - 
ring durch Bilder. 
b. Eine zweite Stimme für planmäßigen Unterriht, nament⸗ 
Uch im Anſchluß an das Leſebuch, ift vom Director Bod im erften 
Hrft (1856) des „Schulblatts der ewangelifhen Seminare Schlefiens“ 
erhoben. Im einem ausführlichen, fehr beherzigenswerthen Aufſatze legt 
derfelbe feine Gedanken über „die Seftaltung und Behandlung 
des Wnterrichts auf der Grundlage des Leſebuchs, mit befonderer Bezugs 
nahme auf den 8. Theil des Volksfchuk⸗Leſebuches datr. Für den vor⸗ 


446 Geographie. 


liegenden Jahresbericht darf die Rechtfertigung bes umſichtigen Planes 
dieſes Volksſchulleſe⸗Buches, die allgemeine Stellung des Leſebuchs zum 
Unterriht und die Schwierigkeit der damit zu Löfenden Aufgabe eben 
fo übergangen werden, wie Alles, was nicht direct auf geographiſche 
und gefchichtliche Belehrung Bezug nimmt, obgleich das Ganze feinem 
Werthe nah erſt dann vollfändig zu würdigen if, wenn es als aus 
einem Guffe eniftanden betrachtet wird. 

Director Bock bat nicht ausfchließlih den Lehrſtoff, fondern er 
bat recht eigens auch die Unterrichts zeit erwogen. Alles was jener 
aus dem Naturleben des Baterlandes gibt, if auf zwei Som⸗ 
merhalbjahre geordnet vertheilt. Iu das Winter-Halbjahr 
find die geographifchen Bilder aus Deutfchland und dem preußis 
fhem Baterlande, die Rundfhau über Europa, die Eharakterbilder 
aus den übrigen Erdtheilen (Geographifches und Naturkundliches 
mit Nachrichten über die Miffionen verbindend), der Blid auf das Meer 
und feine Bewohner, wie der Blid in das Weltall verlegt. Durd 
das ganze Schuljahr aber ziehen fi, eingelegt in die naturfundlichen 
und geographifchen Stoffe, Geſchichtsbil der aus der preußiſchen 
und Reformation Gefchichte behufs der Feier vaterländifder 
und kirchlicher Gedenftage. Die deutfhen Geſchichten und übrigen 
kirchengeſchichtlichen Erzählungen find, chronologiſch geordnet, in's zweite 
Schuljahr nad) den naturkundlichen Stoffen fo gelegt, daß He nach den 
Sommerferien vorfommen. Es foll dabei auf Wiederholung des bereits 
behandelten geographiſchen Stoffes abgefehen fein, und zugleich eine 
Derwendung defielben für gefchichtlihe Zwecke unter fleter Benugung der 
Karten beim geſchichtlichen Unterrichte möglich gemaht werden. Der 
fpezielle Plan der Stoffvertheilung bringt im erften Schuljahr vom Des 
tober an die Geographie von Deutichland, mit eingelegten Geſchichts⸗ 
bildern, von Weihnachten bis Mitte Februar die Geographie von 
Preußen, ähnlich durchweht, und für Die übrige Zeit des Jahres bis 
Dfern Europa. Das zweite Schuljahr, worin naturfundliche und 
geſchichtliche Stoffe bis Ende October vorkommen, bringt yon November 
an die Geographie der Nordpolarländer, Afrika's, Afien’s 
und Auftralien’s bis Weihnachten, dann Amerifa, das Meer 
und Blide in’s Weltall, mit Gefchichtöbildern durchflochten bis 
Ende März. 

Dir. Bol weiſ't ganz ausdrüdliih auf den „beftimmten Lehrgang‘ 
hin, der im Leſebuche vorgezeichnet fei, und den man gewiflenhaft inne 
halten müſſe. „Es if einmal unabweisliche Forderung, planmäßig 
den Unterricht Durch das Leien des Behandelten weiter zu befeftigen, zu⸗ 
fammenhängende Darftellung beffelben zu fördern und Ausdrud und 
Berftändniß beim Lefen durch die Belanntfchaft mit dem Inhalte zu ers 
leihtern.‘ Eine nur theilweile Verbindung zwifchen Leſen und Unter» 
zicht genügt dazu nicht, wie in der gerade diefen Punkt näher ausfühs 
senden Abhandlung fchlagend erwiefen if. 

* Bon dem, was Dir. Bo über die Behandlung des Unterrichts 
auf der Grundlage des Lejebuhs im Ganzen und Einzelnen jagt, Tann, 


Geographie. 447 


indem hier nur das auf Die Geographie Bezägliche kurz angeführt 
werden fol, nur darauf aufmerkfam gemacht werden, daß ber Berf. dieſen 
Unterriht auf der Grundlage des Leſebuchs, alfo nicht nach einem 
neben dieſem einhergehenden eignen Wege betrieben, von gewiſſen⸗ 
bafter Borbereitung auf den Sach⸗ und Sprachgehalt des bezüglichen 
Leſebuch⸗Abſchnittes getragen, und nit ohne Roth durch Stoffzuthat 
angeſchwellt wiffen will. Im Cinzelnen find Zugaben jedod dann bes 
rechtigt, wenn die DBerhältniffe es nöthig erfcheinen laſſen. 

Weſentlich erfcheint von vorn herein die Benubung der Karte *). 
Sie it auch ein Leſebuch; fie leſen zu lernen if die erfie Aufgabe 
des geographifchen Unterrichts. Grenzen, Umfang, Geftalt, Flüſſe, Ges 
birge, Städte, Straßen, Kanäle, Eifenbahnen, Bodengeftaltung, Bodens 
natur u. f. w. find von der Karte zu lefen. „Weiter kann die Karte 
nicht führen; wo fie ung nun verläßt, da übernimmt das Leſebuch bie 
weitere Leitung‘; 3. B. in den Belchrungen darüber, „wie es in einem 
Lande ausficht, wie in den Gebirgen, Thälern, Hauptflädten, im Leben 
der Bewohner (unter den gegebenen Einflüflen der Landesnatur), in 
Betreff der Erwerbszweige, des Bolkscharakters, der Volksfitte u. f. w. 
Dergleichen ift dur die Landfchafts- und Lebensbilder des Leſebuchs 
zu lernen. Zum feflen Einprägen fünnen nur die Hauptſachen fommen, 
um alle Ueberladung des Gedächtniffes zu vermeiden. Dazu gehört zus 
nahft Gewinnung eines einfachen, aber fichern Kartenbildes, welches 
dann durch weiter ausführende, veranfchaulichende Bilder, die der Lehrer 
frei beberrfchen, alfo felbft inne haben und verftehen muß, zu beleben 
iſt. Manche Einzeldilder folgen erſt dem Unterrichte. Bei größern 


9 Im 6. Jahrg. des Dfdenburgifhen Shulblatts, 1855, Nr. 18, 
finden fih unter ber Ueberfährift: „Zum Unterricht in der Geographie” 
ein paar Andeutungen, in denen der Berf. meint, dur das Kartenlefen 
werde der wichtige Zweck dieſes Unterrichts nicht erreicht. „Das Bild der Karte 
muß in die Wirklichkeit übertragen werden, damit die Schüler fih, anftatt 
das Bild der Karte zu denken, das Land nad der wahren Richtung und 
Gntfernung und in richtiger Lage zu andern Ländern vorftellen.” Daß das 
Kartenlefen allein den Zwed des geographifchen Unterrichts nicht erreichen 
ann, iſt ſelbſtverſtändlich. Was der Verf. aber von „Uebertragen in die Wirt 
lichkeit“ fagt, und wie er's deutet, iſt mindeitend ungenau audgedrüdt und 
nur einfeitig aufgefaßt. Richtung, Entfernung, Lage u. f. w. erfchöpfen bes 
fanntli die Sache nicht. Warum bloßes Kartenlefen ſchon tadeln, da es doch 
jegt noch gute Wege bat, daß darin zu viel gefhäbe? „In der Uebertragung 
des Bildes in die Wirklichkelt Ilegt das bildende Element, durch Schär« 
fung des Verſtandes und der Einbildungskraft.“ Das ift wiederum nur halb» 
wahr; denn das bildende Element liegt auch noch in etwas ganz Anderem. 
Was der Derf. weiter von Nüplihkeit größerer Touren zur Gewinnung 
einer Borftellung von großen Entfernungen, was er von Mängeln der Drien⸗ 
tirung, dig nur von einem Standpunfte fait von mehreren ausgeht, jagt, und 
von der Beranfchaulichung der Wechfellage von Ortſchaften, Gebirgen, Flüſſen zc. 
durch Aufftellung der Kinder, um Ridtung und Entfernung vergleichs⸗ 
weife zu treffen, iſt Taft noch etwas fchlimmer als unpraktiſch. Dies Alles In 
der Bolfefchule und mit Volksſchülern!! Glücklicherweiſe hat bereits in dem⸗ 
felsen Blatt Nr. 22 eine andere Stimme fi kurzweg gegen dieſes dubidfe 
„Uebertragen in die Wirklichkeit‘, als etwas für Kinder Unmögliches, erkläͤrt. 





448 Geographie. 


Erdraͤumen, & B. Europa, geht eine zufammenfaffende, orientirende 
Rundſchau dem Lefen voran, wobei in gedrungenem Bilde durch mars 
firte Züge die Eigenthümlicgfeiten der Länder ausgeprägt werden. Der 
Brill über die ganze Erde vermeidet trockne Anfzählungen von Momen⸗ 
ten am beften dadurch, daß er nad Art einer Reife die Haupt⸗Ge⸗ 
genden erfaßt, und vormaltend fi von dem Gefihtspunkte der Ansbrei⸗ 
tung evangelifher Miffionen und der Auswanderung leiten 
läßt. Das „geographiſche Willen‘ ift aber dabei „nicht als Selbſt⸗ 
zweck“ anzufehfen! — Rah Abfolvirung der Länderfunde folgt noch 
Einiges über das Meer und feine Bewohner, und foviel über das Weltall, 
as durch zugängliche Berfinnlichungsmittel ſicher und richtig zur Veran⸗ 
ſchaulichung gebracht werden kann. 

Indem Dir. Bock die Anknüpfung des weltkundlichen und ſonſtigen 
Volksſchulunterrichts an das Leſebuch in einem überbachten, feſten 
Plane nachweiſt, ſucht er eine ganz vorzugsweiſe für die gegenwärtige 
vaterkändifche Vollsſchule brennende Frage Idjen zu helfen. Der Blan 
beruht aber vornehmiih auf der Idee der Goncentration des Um 
terrichtss mit diefer flieht und fällt er. Wo es fi deshalb um ge» 
fonderten geographifchen Unterricht handelt, if fein Plan bedeutenden 
Kbänderungen unterworfen. Schon das Kırtenlefen iſt dann einer 
weiteren, durchaus nicht etwa überflüffigen und unfrudhtbaren Ergänzung 
bedürftig; es reichen dann auc die bloßen Rundblicke und vereinzelt ein» 
gelegten Charafterbilder nicht aus. Jedenfalls wird es aber ſchwer, Die 
für's praftifche Volksleben fehr wünfchenswertbe nähere Kenntniß von 
noch andern geographiſchen Verhäftniffen zu vermitteln, als fie bloße 
Rundſchauen und Lefebudy» Abfchnitte gewähren können. Gehörige Mare 
Einſicht und feſte Einprägung find erfahrungsmäßig dur Beide nicht 
in erforderlihem DMaaße zu gewinnen. Was über Die Tendenzen in Ber 
teeff der Beachtung der evangeliihen Miffienen als Leitfaden bei Bes 
trachtung der Erdtheile zu fagen wäre, davon weiter unten. 

e. Für Schulverhältniffe, welche über die Grenzen der Volksſchule 
merklich hinausgehen, ift ein fachlich ſeht anfprechender Plan des geos 
graphifchen Unterrichts in dem 3. Jahresberichte für die ſtädtiſche 
Realſchule zu Bofen von deren Director Brennede (Bofen 1856) 
aufgeftelt. — Der untern Stufe find in zwei einjährigen Curſen 
der beiden unteren Klaſſen als zu löfende Aufgaben zugemwiefen: 1. „Kennts 
niß der Erde in den roheften Umriffen, ausgehend von der Heimath, 
fortfägreitend zur Provinz, zu Preußen, Europa und zur ganzen Erde.“ 
(SyntHetifher Bang.) 2. „Aeberſicht der Erdoberfläche mit Benupung 
des Erdglobus.“ (Analytiſcher Gang.) Bei der erfien Aufgabe gilt 
es, im Anfhluß an die eigenen Wahrnehmungen der zu Beobadhtungen 
anguleitenden Schüler, diefe Wahrnehmungen zu benugen, um die Schüler 
badurch zu geographiſchen Anfchauungen zu befähigen. Die Spazier⸗ 
ginge find zu Pleinen geographifchen Entdelungsreifen zu geſtalten; and 
namentlich if auch fchon auf die naheliegenden Himmelserfheinuns 
gen zu achten. (Drientirung; Himmelsgegenden; Sonnenhöhe zu Mittag 
im Laufe des Jahres; Auf und Untergangspunft; Mondphafen u. |. w.) 


Geographie. | 449 


‚Bei der zweiten kommt es auf eine allgemeine Ueberſicht über Erd 
theile und Meere, ihre Vertheilung und Gliederung an. Der Erdglobuß, 
die von Sydow'ſchen Planiglobien, die Anleitung zum Unfertigen von 
Karten, ein Meiner Leitfaden (etwa den von Daniel) bieten Stoffe und 
Wege zur Behandlung. Jedenfalls ift aber vorzugsweife der Karten» 
gebrauh im Auge zu behalten, indem von den Karten mehr als aus 
dem Buche gelernt werden fol. Was gelernt if, it mündlich zu 
reprodutiren. Schriftliche Ausarbeitungen fallen auf der Unter 
flufe weg. 

Auf der mittleren Stufe ift die topifhe, phyſiſche und 
ſtatiſtiſche Beichreibung der Länder der ganzen Erdoberfläche 
das firirte Benfum. Der untern Klaſſe fällt die Befchreibung der Länder 
der außereuropäiichen Erdtheile, der obern die Beſchreibung der Ränder 
Europas zu. Der leitende Gedanke für das Maaß der den einzelnen 
Ländern zuzumwendenden Beachtung ift von ihrer Bedeutfamfeit für Ges 
winnung der wihtigften Rohſtoffe und Fabrikate (!) herge 
nommen. Damit hängt die Beachtung der Handelswege zu Land 
und Waſſer zufammen. (Hütfswerke: Kohl's Reiſewerke; Andre’s 
Nordamerika.) Man fieht, wie dieſe Tendenz im Zuſammenhange mit 
den Realſchul zwecken ſteht. Als weſentliche häusliche Arbeit zur 
Forderung des Schulunterrichts iſt das Zeichnen von Karten „mit 
vorzüglicher Berückſichtigung der Hſshendimenſionen“ be 
gehrt. Dieſe Aufgabe iſt jedenfalls eine gar ſchwierige. Bloße Fauſt⸗ 
zeichnungen, welche immer nur ein ohngefähres Bild zu geben vermögen, 
entiprechen ihr nicht; es muß alfo mehr Beit, Fleiß, Aufmerkjamteit 
und Genauigfeit daran geſetzt werden. Uber es. if nicht zu zweifeln, 
daß bei der Vorliebe, womit Knaben an SKartenzeichnungen zu geben 
pflegen, die aufgewendeten Opfer an Zeit und Kraft bei verftändiger 
Zeitung fehr merkliche Unterflügungen für den Ertrag des geographifchen 
Unterrichts gewähren werden, wenn aud nicht alle vollendet befriedigende 
Kartenbilder zu Stande bringen. 

Der Oberftufe fällt endlih die vergleichende geographifche 
Behandlung der fünf Erdtheile mit Hervorhebung der bedeutendften 
Bartieen (Europa, Deutihland und deſſen Nachbarländer) dabei zu. 
Aus der phyfiſchen Geographie hat befonders die Klimalehre Anſpruch 
auf näher eindringende Behandlung. Den Abſchluß des ganzen Unter 
tits, der in feiner Spige, als afjociirende Wiffenfhaft, den Mittels 
und Bereinigungspunlt für Mathematit, Phyſik, Naturbefchreibung und 
Geſchichte bildet, machen Wiederholungen einzelner, bejonders wichtiger 
heile der topifhen, phyfiſchen und politifchen Geographie, ferner 
Skizzen aus der Gefchichte der verfchiedenen nachweisbaren Erdumbils 
dungen und Umwälzungen, und näbere Ausführungen, welche die Erde 
als Wohnplatz der Menfchen erfcheinen laffen. (Anbau und Verbreitung 
der verfchiedenen vorzüglichen Culturgewächſe. Verbreitung der Menſchen⸗ 
und Sprachenſtämme u. dergl. Ethnographiſche Nachweiſe.) 

Es bedarf keiner Hinzufügung, daß ſolch ein Plan nicht für 
Bolksſchulen paßt; damit ift aber fein Werth nicht herabgeſetzt. Auch 

Nade, Jahresbericht. x 29 


. 


450 Geographie. 


"dem Bolksſchullehrer Tann es nützen, durch den Einblick in ſolche Pläne 
ſich vor Einſeitigkeiten in feinem Unterrichte hüten zu lernen. 

d. In ganz befonders bervorzubebender Weile iſt in einem hochſt 
beachtenswerthen geographifchen Unterrihts-Hülfsmittel des-Dr. E. Stöß- 
ner, Lehrer an der Mealfhule zu Annaberg, dem planmäßigen geos 
grapbifchen ElementarsUnterriht ein erneuter, wichtiger Anftoß gegeben. 
Unter dem Zitel: „Elemente der Beograpbie in Karten und 
Zeyt methodiſch dargeftellt (Annaberg, Rudolph u. Dieterici 1853— 1866 
2 Thlr. 7 Sgr.)“ bat derfelbe nämlich ein Elementarwerk veröffentlicht, 
das nicht verfehlen Tann, viel Aufmerffamfeit zu erregen, da es, geſtützt 
auf gefunde und bewährte pädagogifhe und didaktifche Principien, prak⸗ 
tiſch das gleich fertig hinſtellt, was für den Grundslegenden geographi⸗ 
fen Schulunterriht in Art und Maaß des Stoffe, wie in planmäßiger 
Methode unterrichtlicher Verwendung erforderlih if. Seine ‚Elemente‘ 
beftehen aus drei Meinen Atlanten mit nebengeftelltem Tert, jeder Atlas 
einem beflimmten Kurſus entfprechend, von denen der fpätere den voran- 
gegangenen concentriſch einſchließt, und fo eingerichtet, daß Karten 
amd Text einander genau entfprehen, und daß dem freien Karten- 
‚zeichnen der Schüler die unerläßlichen Hülfen zu Gute fommen. Sie 
find infofefn einzig in ihrer Art, als fie fi) wie eine wohlberechnete 
Realifirung der methodifh Tängft empfohlenen Idee eines der flufen- 
weifen Sefammt-Entwidelung des Schülers Schritt für Schritt anſchließen⸗ 
den geographifchen ElementarsUnterrichts darftellen, welcher auf eben jo 
einfade, als finnreihe und anziehende Art in concentriſchen, alfo fid 
nur allmählich erweiternden Gebieten das früher Gelernte ſtets wieder 
in's Gedähtniß zurücdrufen, erläutern, bereichern, tiefer begründen, in 
feinen Beziehungen vermannigfaltigen helfen fol. Die drei Kurſe find 
Teine, erſt wieder zur Auswahl des erforderlichen Lehrſtoffs aufgekellte, 
überfigtliche Sammlung des Materials, fondern die Karten, fowie der 
unmittelbar daneben geftellte aphoriftifche Zert treffen diefe Auswahl 
gleich ſelbſt. Die folgenden Karten enthalten in ſchwarzem Drud 
ſtets die Quinteffenz des auf einer verwandten frühbern Karte Dargebo- 
tenen, und außerdem in rothem Drud das neu Hinzufommende, weldyes 
angeſchaut, eingeprägt und durch freies Entwerfen der Karten zum lebens 
digen Eigenthum der Schüler gemacht werden fol. (In ähnlicher Weite 
‚enthält der Text das hinzufommende Neue fletE groß gedrudt) Das 
auf Dies ‚‚freie Entwerfen’ befondere Rüdfiht genommen if, ergibt ſich 
aus den anfänglich generellen Bontourlinien der Landbilder, der ſpar⸗ 
famen Füllung derfelben mit Flüſſen, Gebirgs- Andeutungen, Städte- 
namen, Staaten» Begrenzungen u. dergl., und der erft allmählich eintre- 
tenden größern Detaillirung des Tartographifchen Materials, fo daß erft 
im 3. Kurfus ausgeführtere Kartenbilder auftreten. Doch überfchreiten 
auch Iebtere nicht die Grenzen des SchulsBedürfniffes für die Ele 
mentar⸗Stufe, indem die „Elemente eben nur der Schule und nicht 
zugleich auch dem Leben dienen wollen, obwohl fie auf den Gebrauch 
‘der für den Bedarf des praktifchen wie des wiflenfchaftlichen Lebens bes 
Rimmten Karten» und Bücherwerke ganz trefflich vorbereiten. Mit dem 





‚Geographie. 451 


Schwlzmwede der „Elemente fichen einige Umfände in nahem Zuſam⸗ 
menbauge, von welchen bei andern elementaren Kartenwerken abgeſehen 
zu werden pfleat; 3. B. die Angabe mancher nur der mathematiſch⸗geo⸗ 
graphiſchen Bofition halber, fonft aber für Anfänger nicht weiter beach⸗ 
tenswertben Dertlichfeiten, die anfängliche — übrigens nichts weniger 
ale abſchreckend ausgeführte — „Raupenform“ der Gebirge, die zum 
Theil noch älterer, durch die neuere kritiſche Forſchung befeitigter Aufe 
faffung angeordnete Gruppirung der Gebirge, die Scheidung der polls 
tifhen Eintheilungen vom topifch s phyffatifchen Landbilde, die Berfchneis 
dung der Erdtheile und Deutſchlands in gewiſſe, Abliche Haupttheile, bie 
allmähliche Bereicherung der Simmelsfärtchen, die Hinzufügung von bes 
fondern Kärtchen zur Einübung charakteriſtiſcher Baralleien und Meriv 
diane (Kurfus II, Karte 13), der veränderlichen, wie der periodifchen 
und yermanenten Windfirömungen u. dergl. Dur die Grundidee war 
Die Wiederkehr ſchon einmal genereller dargeſtellter Aänderräume auf fpäs 
teren, ausführliheren Karten — mit bereicherten geographiſchen Momens 
ten und in detaillirter Darſtellung geboten. (Ef. 3. B. Kurf. II, Karte 1Q 
und Kurf. 111. Kart. 8 u. 12.) Ebenſo mag Ah damit die meiſt Eräfe 
tige, in die Augen fpringende Eolorirung und in einigen Fällen Die 
Bahl generalificender, den gangbaren nicht abäquater Benennungen für 
Söbenzüge (Kurf. III. Karte 12) rechtfertigen. Fur den den Karten 
gleich gegenüberftehenden Text ift es charafteriifch, daß er, ſchon des 
beſchränkten Raumes wegen auf das Nothwendigſte in kurzen, präciſen 
Eägen befchräntt, fo ausgeprägt if, dag doc eine elementar⸗wiſſenſchaft⸗ 
Ihe Anordnung feftgehalten und der weſentliche Inhalt der Karten — 
alfo event. Topik, Bhyfkalifches, Staatentundliches — wenn au wur 
umrißtih, doch planmäßig erläutert if. Des Lehrers anregender Vor⸗ 
trag fol das Weitere thun, wie der Unterricht auch die leicht von ſelbſt 
zu gewinnenden Grundbegriffe aus der Geographie bei der Kartenbes 
unpung zu Plarem Bemußtfein bringen fol, ohne durch den Tept dazu 
befonders aufgefordert zu werden. — Jeder Kurfus umfaßt Lehrſtücke 
aus ber mathematifchen, phyſikaliſchen und politifhen Geographie auf 
den Karten wie im Text, und indem der 2. und 8. Kurfus nad beiden 
Beziehungen bin reichhaltiger werden, geben fie auch mehr Anlaß zu 
weiter führenden Erläuterungen. 

Unverfennbar ift in dieſer praftifchen Durchführung einer oft ein 
geihärften pädagogifchsdinaktifchen Idee ein fehr beachtenswerthes methe⸗ 
difches Unterrichtss Hülfsmittel dargeboten, das für Die unmittelbarfe 
Praxis ſich als fehr inſtructive Grundlage in der Hand bes Behrens, 
und ass fiherer Anhalt für die Schüler erweifl. Die „Blemente‘ halten 
weife® Maaß, vergeben der Sache nichts, indem fie der Metbode Kech⸗ 
mung tragen, runden fee Kreife des Willens ab, recapitnliren und ers 
weitern ebenmäßig, Ichren und üben ein, und helfen das Gewonnene bis 
zur freien Selbſtdarſtellung erheben, fo daß fle ein Fundament etabliven, 
auf welchem die höheren Unterrichteftufen geordnet fortarbeiten Fönnen. 

Gs muß wicht vergeffen werden, daß Stößner nicht die Boll, 
Sondern Pie Realſchule im Auge gehabt Hat, weiche feine Heinen At 

29° 


ne Geographie. 


danten von 12, 13 und 18 Karten anſchaffen und Jahre lang darnach 
‚unterrichten Bann; aber der Volksſchullehrer kann für feinen Un⸗ 
terricht aus diefen ‚Elementen‘ viel lernen, obwohl er den wiffen- 
Thaftlihen Gang, welden diefelben innehalten, nicht anwenden fann. 
Der fachkundige Blid wird auf der Stelle den methodiſchen Werth 
der „Elemente“ erkennen; um diefes letztern willen gehören fie auch in 
‚sen diesmaligen Jahresbericht. Weber die fpeziellere Einrichtung der drei 
‚Atlanten fiehe unten den Literatur Bericht Mr. 11. 


* 


3. Beſondere Tendenzen. 


Die frühere Zeit hat bei den einzelnen Schulunterrichts⸗Gegen⸗ 
ſtaͤnden vornehmlich Zweierlei im Auge gehabt: die geiſtigen Kräfte der 
Jugend zu entwickeln und zu üben, und die Schüler in deu materiellen 
Inhalt der Lehrgegenfände einzuführen. Bei diefem letztern Bemüben 
‚pflegte man fih auf die Sonderzwecke des jedesmaligen vorgenommenen 
einzelnen Unterrichts⸗Gegenſtandes zu beſchränken, nämlich fo, daß man 
‚heim geograpbifchen Unterriht nur die geographiſchen, beim ges 
ſchichtlichen die Geſchichts⸗Zwecke beachtete. Bon der Berfolgung anderer, 
der Sonderaufgabe mehr oder weniger zur Seite liegenden Zwede wurde 
abgefehben, um das Intereſſe auf jene zu concentriren. So hat man 
damals namentlich die welttundlichen Zwede nicht mit ſprachlichen und 
Tirhlihen oder patriotifhen amalgamirt, wenngleich feit Begründung 
einer: „Weltkunde für die Volksſchule“ durch den theuren Bater HKÄarniſch 
‚der welttundliche Unterricht flets eine chriftliche, ernf religidfe Tendenz 
Haben follte. — In der neuern und neuſten Zeit iR in dieler Ber 
ziehung ein Umfchwung der Ideen erfolgt. Der vormals oft nur zu 
duͤrre, ſterile Sprachunterricht hat mit großem Erfolg nach fernigem, 
Jahlihem Inhalt gerungen, und diefen vornehmlich mit aus dem Gebiete 
des weltkundlichen Unterrichts herbeigeholt. Der früher allgemein 
verlaufende Geſchichts unterricht hat jetzt eine präcifere Richtung 
auf Baterländifches und Kirchliches erhalten. Wie fehr auch im Gin- 
zenen und von Einzelnen noch heut zu Tage derartige Verbindungen 
and Tendenzen angefochten — reſp. tguorirt — werden mögen, fie find 
dennoch gegenwärtig in weiten Kreifen der Schulwelt ein fait nceompli, 
and erfahren vielfeitige Billigung und Empfehlung. Sehr weientlih bat 
zu diefen neuern Berbindungen und Tendenzen die Idee der Concen⸗ 
tration des Unterrichts und die neuſte Phafe der Stellung bes Leſſe⸗ 
buchs im Schulunterrichte beigetragen. Wo und fo weit es ald Grund» 
Lage eines großen Theils des Volksſchulunterrichts gilt — und bie 
neuften Conjuncturen find diefer Stellung in hohem Maaße günſtig, — 
da fehlt es nit, daß ſprachliche, weltkundliche, patriotifhe 
und kirchliche Tendenzen in inniger Verſchmelzung durch den ganzen 
Bolfsfhulunterricht fich hinziehen, und daß nach Umftänden bald biefe, 
bald jene derfelben mit flärferer Betonung auftritt. Weber Recht oder 
Unrecht, Maaß und Modalität diefer Verfchmelzung zu diskutiren, iſt 
hier der Ort nit, Ohnehin tritt noch dazu, daß es in der Volkeſchule 


+ 





Geographie. 453 


nicht vor allen Dingen darauf anfommt, den einen oder andern Lehr, 
gegenkand pure, oder in irgend welcher Kombination durchzuarbeiten, 
fondern der chriſtlichen Bollsjugend die ihr nöthige Grundbildung 
zu vermitteln. Welche Wege und Beifen am frifcheften, ſicherſten und 
vollendetſten an dies Ziel führen: die find die vorzüglichfen. An 
diefer Stelle iR e8 nur Aufgabe, daran zu erinnern, daß mit den ein⸗ 
zelnen Volksſchullehrgegenſtänden, namentlich mit den weltfundfichen, gegen, 
wärtig mebrfeitige Zwede angeftrebt werben follen, und daß in dem 
alfo erzielten geiftigen Erwerb die Sicherheit des Befiges durch die Fähig⸗ 
keit freier Reproduktion erwiefen werden muß. Auch mit dem geogras 
phiſchen Schulunterrichte werden gegenwärtig außer dem Streben nach 
geographifchem Willen und Können die oben genannten Tendenzen vers 
bunden. Ä 
a. Sprachliche. Seit der gefonderte grammatifche Unterricht 
von den Lehrplänen der Volksſchule geftrichen if, um der geifligen Durchs 
arbeitung des Gedanfen» und Sprachſtoffs, wie der Ausdrudsformen Platz 
zu maden, if jeder Unterrichtö-Gegenfland und jede Unterrichtsflunde 
in den Dienf des Spracdhunterrichts genommen. Auch der geogras 
phiſche Unterricht fol den fprachlichen Zweden zu Hülfe kommen. Es 
fann nur von einer Unterfügung und Börderung der Sprads 
bildung au in den geographifchen Lehrſtunden, nicht aber davon die 
Rede fein, den geographifchen Unterricht im Sprachunterricht aufgehen 
zu loffen und etwa grammatifhe Eyercitien am geographifchen 
Material vorzunehmen. Man kennt die eben fo unausfehliche, als uns 
verzeihliche Art, wie in größter Sorglofigfeit um Ausdruds» und Dar⸗ 
Rellungsweife in geographifchen Lehrfiunden gefragt und geantwortei 
wurbe. Unbehoifene, abgeriffene, oder weitſchweifige, zwei und drei Mal 
umgeänderte Sragen, ungenau ausgeprägte, fragmentarifche, unbeholfene 
Antworten gehören nicht zu den Seltenheiten. Der geographifche Lehr⸗ 
ſtoff involvirt aber fo wenig auch nur die feifefte Nöthigung zu derglei⸗ 
hen ſprachlich trümmerhafter Behandlung, daß er im Gegentheil zu 
präcifer Ausdrudsweife, zu georbneten, voliftändigen Unführungen und 
Aufzählungen, ſowie zu fprachlich tadelfreien, ausführlicheren Darfelluns 
gen die vielfeitigfte Nöthigung und Gelegenheit bietet. Das SKartentefen, 
das Definiren geographifcher Grundbegriffe, die charakteriſtiſche Beſchrei⸗ 
bung der Lage und Gliederung der Länder, der Gebirge, der Lauf und 
die Speifung der Flüffe, die Darftellungen der Bodenbefchaffenheit, der 
Produktion, des Handelsverkehrs, der nationaten Sitten und geiftigen 
Eigenthümlichleiten der Bölfer, der Bedeutung der Städte u. dergl. 
fordern allenthalben zu ſprachgewandter Darftellung auf. Barum follte 
unbefonnen darauf verzichtet werden? Mündliche und im Leſebuch ents 
haltene Beſchreibungen und Schilderungen, deren freie Wiederholung mit 
Recht gefordert wird, find die natürliche Veranlaſſung, auch auf reine 
lihe, yrägnante, geordnete und gerundete Darftellung von Seiten der 
Schüler zu dringen. Das hilft der ſprachlichen Bildung fehr weſentlich 
nad, und beeinträchtigt nicht nur die geographifchen Unterrichtszwecke 
nit, fondern fördert fie vielmehr. Es wird dadurch ohne befondere 


44 Geographie. 


Beranſtaltungen der Anforderung des „Regulativs vom 3. Oktober 1854” 
entiproden, „daB ein Unterrichtsfach das andere ergänzt und dem Ges 
fammtzmed dient.“ 

Wie in neuerer Zeit von mehreren andern Echulmännern, fo if 
in neufler auch vom Director Bol in feinem fchon oben erwäbnten 
Bortrage („Schulblatt der evangelifhen Seminare Schleflens; 1856 
1. Heft) auf die Förderung der Sprahbildung zur Kombination der 
ſprachunterrichtlichen Zwecke mit den welttundlichen hingewieſen, indem 
er Das Leſebuch als die volfsihulmäßige Grundlage für den ſprachlich⸗ 
weittundliben Unterricht binftellt, wodurd dem leptern eine „concen⸗ 
trirende Geſtaltung““ gegeben werden müfle. Gr verlangt dabei, daß 
der Lehrer das bezügliche Stück aus dem Leſebuche nicht nur fachlich 
ſich volftändig aneigne, fondern auch fpracdlich in fo weit, „daß er 
alle ſchweren, unverfländlichen Ausdrüde, um fie gleih zu erklären, mit 
in feinen Unterriht aufnehmen Tann, und diefen überhaupt fo einzurichten 
weiß, daß er die für's Verfländniß des Stücks erforderlichen Erklärun⸗ 
gen fließend, obne Stodern und Belinnen, ohne Makel und Flickwerk 
zu geben im Stande if.” Um für die Verfolgung der combinirten 
Tendenzen auch die nöthige Zeit zu haben, begehrt er für den Unter» 
richt wöchentlich 3, für das Lefen 2, für das Aufichreiben der hier eins 
fhlagenden Stücke auch noch 2 oder 3 Stunden. Das Lefen fließt 
ſich ſtets erfi dem vorangegangenen Unterrihte an, foll ihn alſo 
nicht erfeßen, wie dies irrthümlicher Weife vor Zeiten in manchen Schulen 
wohl geicheben if. 

86 leidet alfo keinen Zweifel, daß eine Förderung und Unterſtützung 
der ſprachlichen Zwede auh im geographiſchen Unterrihte eben fo 
zuläffig und möglich, als heut zu Tage befondere nothwendig it. Daß 
eine gleiche Förderung auch im naturfundlichen und gejchichtlichen Unters 
I am Orte if, leuchtet jelbfiverftändlich ein, gehört aber nicht weiter 

icher. 

b. Weltkundliche. Kür die wiffenfhaftliche Behandlung 
des geograpbifchen Unterrichts find von flimmfähigen Sadlundigen Die 
weltkundlichen Zendenzen darum befeitigt, weil fie, das Intereſſe 
—A and damit die Vertiefung in die Hauptſache beeinträchtigen. 

n den für den wiflenfchaftlichen Unterricht beſtimmten Lehrbüchern, 
3 D. von v. Roon, Berghaus, v. Raumer, von Kalkftein, von Rouges 
miont, Rhode, Polsberw u. U. treten zwar beflimmte Abfchnitte auf, 
welche naturkundliche, ja wohl auch geichichtlihe Verhältniffe betreffen, 
ja Reufchle hat faſt die ganze Phyſik, Völter und K. F. V. Hoffmann 
baben umfängliche naturgefchichtlihe Ueberſichten in ibre Lehrbücder aufs 
genommen; aber einestheils erfreut ih Schouw's Anficht (cf. VII. Pädag. 
Sahresber. ©. 206 ff.) in Betreff des Widerfpruhs gegen die „Uns 
häufung ungehörigen Stoffe‘ im geographifhen Unterricht ſehr verbreis 
teter Anerkengung, anderntheils find es keineswegs ſpezifiſch weltkundliche 
Tendenzen, welche dur die Aufnahme fener Abfchnitte zur Geltung ges 
bracht werden follen. Dagegen für die Behandlung der Geographie in 
Real⸗ und gemöhnlihen Bürgerjchulen, und noch mehr in ges 





Geographie. HS 

habenen Volkaſchulen ſtellt fi die Sache weientlih anders. Mi 
baben die weltkundlichen Beziehungen der Geographie zu dem übrigen 
Realien eine erhöhte Berechtigung. Man rufe fich Tobler's Beſtrebun⸗ 
gen (ILL, Pädag. Jahresber. S. 175 f.), Harniſch's „Weltkunde“, das 
„Lehrbuch“ von Zachariä und andere ähnliche Schriften in’s Gedächtniß 
zuräd, um daran erinnert zu werden, daß die Geographie als die 
Grundlage des weitkundlichen Unterrichts anzuſehen if, aljo ihrem Weſen 
nad welttundliche Tendenzen geftattet und fordert. Der befannte Aus⸗ 
ſpruch Herbart’6, daß die Geographie eine „aſſociirende Wiſſenſchaft“ fei, 
weiſt auf gleiche Tendenzen bin. Mindefens im Volksſchul unterricht 
werden diefe Tendenzen im Auge behalten werben müflen, da derjelbe 
die gejfonderte Bebandlung der einzelnen welttundlichen Unterrichts⸗ 
zweige gegenwärtig nicht mehr geftattet, fondern hier recht eigentlich eine 
Gombination und Goncentration verlangt. Daß letztere mit Glück bes 
wirft werden kann, mögen Zachariä's ‚Lehrbuch,‘ fowie Blanc’ „Hands 
buch des Wiſſenswürdigſten ꝛc.“ beweilen; daß fle auch verfehlt ange⸗ 
griffen werden Kann, wird Schinkel’s ‚Leitfaden‘ (IX. Pädag. Jahresber. 
©. 262) lehren fönnen. Nachdem ſchon in früberen Jahrgängen des 
Paͤdag. Jahresberichte auf die weltkundliche Stellung des geographiichen 
Volkoſchulunterrichts hingewieſen ift, bedarf es hier keiner Recapitulation 
der Wege und Weifen, derfelben gerecht zu werden; fondern ed genügt, anzu⸗ 
merken, daß die bevorzugte Stellung des „Leſebuchs“ in der Volksſchule 
den welttundlichen Tendenzen des geographifchen Unterrichts erneuten und 
verfärkten Vorſchub leitet. Es wird aber vor jener unglücklichen Diss 
membsation der Geographie zu warnen fein, welche zulegt allen innern 
geographiichen Zuſammenhang vernichtet, und die Grundlage zu einem 
bloßen dürren Rahmen macht, wovon allerlei andere Lehrftoffe follen uns 
ichloffen werden. Die Geographie if ſachlich bedeutſam genug, um nicht 
überall zu bloßer Einrahmung anderer Kenniniffe verwendet zu werben. 
e. Batriotifhe. Geit das Bedürfnig größerer Theilnahme an 

ven vaterländifcen Intereſſen wiederum lebhaft gefühlt wird, hat 
ih auch die Energie bei der Anbahnung eingehender Berüdfichtigung 
derfeiben geſteigert. Der Schule iſt dabei die Aufgabe gekellt, vater⸗ 
tändifches Weſen und Leben in den Mittelpunkt ihres realen Uns 
terrichts zu vüden, und auf Begründung und Belebung vaterländin 
fher Gefinnung angelegentlih hinzuarbeiten. Den Seminarien if 
die Befähigung der Zöglinge zu einem „einfachen und fruchtbringenden 
Unterricht in der Vaterlands kunde“ als Aufgabe gegeben; und wo 
ſich Stimmen über geographifchen Unterricht erheben, — die Geographis 
des engen und weitern Baterlandes betonen fie gegenwärtig einhellig 
mit beionderm Nahdrud. Jener Tosmopolitifchen Liebhaberei, wonach 
mit fcheinbar gerechter Gleichförmigfeit die Kunde aller Länder der Erde 
angefirebt werden follte, ohne Das eigene Baterland dabei vorzuziehen 
und eingehenden und mit mehr innerer Antheilnahme zu behandeln, if 
damit ein verdientes Ende gemabt. Es wird nicht mehr mit Portugal 
angehoben, und zu den mancherlei außerdeutfchen Ländern weiter fort» 
geſchritten, und bei der Zeitkürze gegen das Ende Hin Deutſchland übers 


456 Geographie. 


Knie gebroden; und e& ſoll nicht mehr den außerbeutfhen Ländern zu 
Benachtheiligung des auf Deutfchland zu verwendenden Fleißes fibergroße 
Ausführlichkeit gewidmet werden. Die gangbaren Lehrbücher fielen 
nicht felten auch ganz äußerlich fhon Deutfchland an die Spige ihrer 
ansführlichern Darftellung, midmen ihm vielleicht ausſchließlich einen 
ganzen Sahrescurfus, und heben alle bedeutfamen Berhältniffe des Landes 
und Bolfes einzeln eingehender hervor. Die Leſe bücher gewähren Deuts 
fhen Landesverhäftniffen den meiften Raum und die meiſte Sorgfalt; 
die Prüfungs- Aufgaben wählt man am öfterftien aus der Baterland s⸗ 
funde: kurz, fchon dem bloßen äußern Gebiete nah zu urtbeilen, 
fpringt eine patriotiſche Tendenz des geographifchen Unterrichts in’s 
Ange. — Jedoch der äußere Länderraum aflein, und feine nad 
Zeit und Anftrengung bevorzugte Behandlung iſt's noch nicht, worin 
die patriotifchen Tendenzen zur vollen Geltung fommen. Auf die innere 
Hingabe an das Vaterland und feine Beichreibung und Schilderung 
aus frijcher Liebe und Tebendiger Begeifterung fommt mehr an, und auf 
Diefe iſt's vornehmlich abgefehen, um diefelbe Hingabe in den Schülern 
zu entzünden. Diefe follen fih mit Xiebe wie an ihre Heimath, fo an 
ihr Baterland anflammern, feine Schönheiten, feinen Reichthum, feinen 
Verkehr, feine geifiige und flaatliche Bedeutenheit Tennen und ehren 
lernen. Hierin liegt der eigentliche Charakter des „vaterländis 
Then Geſichtspunktes,“ aus welchem der geographifche Unterriht bes 
trieben und angefehen werden fol. Die Ratürlichfeit deffeiben und die 
Gründe dafür liegen zu nahe, um wieder und immer wieder nachge⸗ 
wiefen werden zu müffen. Dennoch will daran von Zeit zu Zeit wieder 
erinnert fein, weil über die Grenzen des Baterlandes hinaus Manches 
liegt, das Reiz genug bietet, um dabei länger, als für Schulzwecke nötbig 
iR, zu verweilen. Es will au daran erinnert fein, daß felb hei Ber 
trachtung der außerdeutfchen Länder an vielen Stellen Gelegenheit 
geboten if, den patriotifchen Sinn zu bewähren. 

Gegenwärtig teidet die geographifche Literatur faſt noch einigen 
Mangel an allgemein brauchbaren Schriften über deutfche und preu⸗ 
Bifhe Vaterlandskunde. Die Zahl von befondern Leitfäden, Lehr» 
und Handbüchern derfelben ift befremdlich Meiner als man glauben follte, 
und der mäßig ausführlichen, guten ift vollends nur eine Meine Zahl. 
Aber in den für die gefammte Geographie vorhandenen Schriften if 
allerdings ein höchft refpektabler Erſatz dieſes Mangels in fofern geboten, 
als die ausführlihern Abfchnitte über unfer Vaterland mie ein ſelbſt⸗ 
fländiger Leitfaden zu gebrauchen find. 

Unter Denen, weldye neuerdings die vaterländifchen Tendenzen 
durch Säffentliches Schriftwort wieder hervorgehoben haben — denn im 
ſtillen Unterricht werden wohl ganze Schaaren von waderen Lehrern zus 
fammenzubringen fein, die ihnen überzeugungstreu und eifrig anbangen, 
und die Seminare thun Hoffentlich allenthalben in diefen Stüden ihre 
Schuldigkeit —, mögen der Director Bol (ef. „Schulblatt ꝛc.“ 1856 
1. Hft.), Wagner (cf. das oben bereits erwähnte „Mecklenburgiſche Schuls 
blatt” 1856 Rr. 17—19) und S. Steinharb genannt werden. Leßterer 


Geographie 457 


hat nit durch einen bloßen Journal» Artikel, fondern dur ein ganzes 
Bud: „Deutfhland und fein Bolt’ (Gotha, Scheube. 1856) 
eine fleißigere Befchäftigung mit dem Baterlande aufs Reue angeregt, 
— hoffentlih recht Bielen, welche das Buch lefen, zur freudigen Befrie⸗ 
digung. Im Borwort dazu fagt Steinhard: „Die vaterländifhe Ges 
finnung, das nationale Bewußtfein, das Gefühl der Zufammengehörig, 
feit von Land und Leuten bei aller ‚vorhandenen Bielartigkeit und 
Mannigfaltigfeit des deutihen Bodens und der deutihen Bolfsftämme, — 
mit Einem Worte: die Liebe zum deutfhen Baterlande bedarf 
noch fehr der Belebung und Kräftigung. Gar mande betrübende Er» 
fheinung in unferm öffentlichen Leben und in unfern nationalen Bus 
fänden findet ihre Erklärung einzig und allein in dem Mangel oder 
der Schwäche allgemein deutſchen Sinnes in ten Individuen des viels 
gegliederten deutichen Volkes. Diefer Mangel und diefe Schwäche haben 
wenigftens theilweife ihren Grund in dem noch allzugroßen Mangel an 
Kenntniß des Vaterlandes rüdjichtlich feiner Eigenthümlichkeiten und 
Borzüge. Eine folbe Kenntniß in wahrhaft belebender und befruchten⸗ 
der Weiſe zu vermitteln, war bis in die neufte Zeit weder der geogras 
pbifhe Unterricht in den Schulen, noch die für die Erwachſenen bes 
Rimmte Literatur geeignet.” Un jenem tadelt Steinhard Dürre, 
Dürftigkeit, Unlebendigkeit, an diefer die vorwiegende Richtung auf die 
Sremde, bei Berfäumung der vaterländifchen Angelegenheiten und Ver⸗ 
bältniffe, fowie entweder belletrifiihe Oberflächlichfeit oder übergründ⸗ 
lie Trodenheit und. allgemein den Mangel an Lebendigfeit, An» 
ſchaulichkeit und Volksthümlichkeit. Gegen die Allgemein« 
heit dieſes Tadels ließen fich zwar berechtigte Einwendungen machen, 
aber der Tadel ſelbſt ift leider feineswegs ohne viel Grund. Richl's 
„Land und Leute, Grube’s „Deutſche Charakterbilder,‘’ Körner’s „Unſer 
Vaterland,“ NReimann’s „Naturleben unfers Baterlandes‘' ſtammen erft 
aus dem Jahre 1854, Kutzen's „Deutſches Land,” und Vogel⸗Wenzig⸗ 
Körner’s „Vaterlandsbuch“ erfi aus dem Jahre 1855, und nicht jedem 
diefer Bücher kann beiletriftifche Oberflächlichkeit, oder Mangel an Leben» 
digkeit und Volfsthümlichfeit vorgeworfen werden. Und was den prafs 
tifchen Unterricht betrifft, fo werden die rühmlichen Fälle, wo die Kenntniß 
des Baterlandes wirklich in „belebender und befruchtender Weiſe“ vers 
mittelt ift, nicht zu den verfprengten Ausnabmen gehören, wenn fie 
auch nicht ganz allgemein angetroffen werden. Dennoch ift e8 nur freudig 
zu begrüßen, daß für den geographifchen Unterricht überhaupt die vater, 
ländifchen Tendenzen auf's Neue urgirt werden, und daß es durch 
Steinbard nicht bloß in einem jJesbaren, edels populären, fondern aud 
gründlich und frifchstebendig gefchriebenen Buche gefchieht. (CA. Näheres 
Darüber im LiteratursBeriht.) Die deutfche Schule hat auf deutſche 
Beife, mit deutſchem Sinn, für dDeutfche Zwecke ohne Zweifel mit 
vorzugsmeifer Berüdfichtigung des deutſchen Baterlandes, und in dems 
felben des engeren Baterlandes der Schüler denfelben die Geographie 
zu Ichren, wie es bekanntermaßen die franzöflfche, engliſche, rufſiſche 
Säule in ihrer Weile, ihrem Sinn, für ihre Bwede mit ihrem 








488 Geographie. 


Vaterlande machen. Barum foll der Deutliche allein alleathalben mehr 
als bei fi zu Haufe orientirt fein! Dit Recht wird deshalb die Hufe 
gabe des geographifchen Unterrihts in unfern Schulen alſo formulizt, 
daB vaterländifche Tendenzen darin zu ihrem vollen Rechte gelangen. 
(CH. VII. Pad. Zahresber. ©. 205 ff.) 


d. Kirchliche. Bereits im VI. Zahrgange des Pädagog. Jahres⸗ 
berihts (1852) S. 219 ift darauf hingewiefen, daB von ſehr achtbarer 
Seite, im Intereſſe möglichfter Concentration des Volksſchulunterrichts, 
vorgelchlagen war, den ganzen Religions» Unterriht (biblifche 
Geſchichte und Katehismuslehre) mit der Geographie und 
Gefhichte in ein Ganzes zu verfchmelzen. In diefem Borfchlage, 
welcher als eine Modiflcation der Ideen des Pfarrers 2. Völter (VII. 
Pad. Jahresber. S. 182 ff. und „Süddeutſcher Schulbote““. 1852. 
Ar. 6— 9) erfcheinen mußte, leuchten die kirchlichen Tendenzen auch 
des geographifchen Unterrichts offenbar hervor, ganz wie aus 2. Böls 
ter's Ideen. Fr. Körner regte in feinem „Volksſchullehrer“ (1853) 
den Gedanken an, „die Geographie müffe, fobald fie überhaupt im rich» 
tigen Geifte gelehrt wird, im religiöfen Geifte gelehrt werden.‘ 
(Bergl. VII. Padag. Jabresber. S. 205.) Die preußifhen „Regular 
tive’ (1854) flellen als „die Aufgabe evangelifch » hrifllider Schulen’ 
bin, „daß die Jugend in chriſtlicher, vaterländifcher Gefinnung erzogen 
werde,’ und fie fchreiben für den Unterricht in der mit der Geographie 
in innigfter Beziehung zu behandelnden Befchichte vor, „daß die Auffafs 
fung von ſchriſtlichem Geif und Bemußtfein durchdrungen und ges 
tragen werden müfle.” Wenn bei dem zuerft erwähnten Vorſchlage durch 
Heranziebung kirchlicher Lehrſtoffe die kirchlichen Tendenzen unters 
Rüpt werden follten, fo meifen die zufegt genannten Anordnungen nur 
auf den chriſtlichen Geift Hin, worin die fpezifiichen Lehriloffe aus 
der Geſchichte und Geographie in der Bolksfchule zu behandeln find. 
Die Forderung eines ſolchen Geiſtes der Behandlung if in hriftlis 
Ken Volksſchulen unbezweifelt in ihrem vollen Rechte. 

In der neuften Zeit find noch Forderungen an den geograppis 
hen Schulunterriht erhoben, die mit der Behandlung in chriflichem 
Geiſte infofern innig zufammenhängen, als die Wahl des Kehrftoffs, 
namentlih auf den außereuropäifchen Gebieten, durch das Intereffe 
der evangelifhen Miffionen beeinflußt werden fol. Der Gedanke 
it neu, und ähnelt gewiffermaßen dem in Lehrbüchern der Geographie 
von Fatholifchen Verfaffern regelmäßig inne gehaltenen Streben, ſorg⸗ 
fältig auf die Sige der Erz» und Bisthümer, der katholiſchen Bildungs» 
Anftalten und Kloͤſter und ähnliche die AIntereflen der katholiſchen 
Kirche tangirende Verhältniſſe hinzuweiſen; jedoch iſt er damit keines⸗ 
wegs identifch. 


aa. (ine praftifhe Ginführung diefes Gedankens erfolgte durch 


das „Volkſchul⸗Leſebuch,“ das unter Mitwirfung der evangelifchen 


Schullehrer⸗ Seminare zu Bunzlau und Steinau im Jahre 1855 vor 
dem Lehrer⸗Collegio des evangelifgen Schullehre Seminars zu Nünfers 


Gesgraphie. 133 


berg herausgegeben wurde *).. In dieſem Leſebuche find bei Grönland, 
beim Gaplande, bei Dftindien, China, den Südſee⸗Inſeln, Weftindien 
und den ndianers Ländern Rordamerilas mehrere einfchlägige Züge 
aus der Gefhichte und dem Weſen der evangeliihen Miffion eingewebt, 
und dagegen if des rein Geographifchen Manches ausgelaflen. Damit 
iR ein Zingerzeig gegeben, was für dieſe Länder in der Echule zus 
Behandlung gelangen jolle, und was nicht. Director Bod, welcher bie 
bezüglichen Abjchnitte des Lefebuchs gearbeitet hat, äußert ſich Darüber im 
„Schulblatt der evangel. Seminare Schleflens‘ (1856 1. Hft. ©. 27): 
„Als vorwaltend leitender Gefihtspunft iſt dabei die Kenntniß der frem⸗ 
den Erdtheile im Intereife und behufs des rechten Verftändnifies der 
Ausbreitung des Reiches Gottes, befonders der evangeliihen Miſſion, 
angefehben worden. In leicht faßlicher Form und nur ın Haren Haupts 
umriffen flellen fich deshalb die gegebenen Mittheilungen dar; auch 
find aus demfelben Grunde befonders diejenigen Länder in den Vorder, 
grund geftellt worden, die in der Miffionsgefhichte am meiſten 
vorkommen.“ Schon die bloße Durchſicht der betreffenden Abfchnitte 
läßt erfennen, daß in der That nicht mehr denn einzelne „Haupt⸗ 
umriſſe,“ feine fpezieller einführende Miffionsgefchichte, mit dem geogra⸗ 
phiſchen Material, von welchem das Leſebuch ja aud nur einige beſon⸗ 
ders charakteriftifhe Momente darbieten fann, verbunden worden find. 
Die Geographie geht alfo nicht in eine einfeitige Miſſions geographie 
auf. Je weniger mancher Lebrer überhaupt mit der evangelifhen Miffion 
vertraut, je weniger er derfelben vielleicht geneigt ift, deſto befremdlicher 
mag ihm wohl diefer neue Gedanke vorfommen. An Widerfireben wird 
eö bei den einen fo wenig, als an freudigem Ergreifen bei den andern 
fehlen, ie nachdem der Einzelne im Herzen zum Neiche Gottes fituirt 
iR. Wem das wiflenfchaftliche Material mehr am Herzen liegt, der wird 
nit ohne Sprödigfeit an die Miſſions⸗Mittheilungen gehen; wer die 
Miffion um Gottes willen lieb hat, wird eher einige Brofamen des geo⸗ 
gaben Wiffens derfelben opfern. Jenen genirt es, daß das Firchliche 
Veſen ihm zu allen Zenftern in feinen Unterricht hineinleuchtet, dieſen 
erfreut ed. Dan wird den neuen Gedanken erft nod wie ein ausger 
fäetes Senflörnlein anfehen dürfen, auf Hoffnung ausgefireut, und wird 
ihm Zeit laſſen müflen, ob er die Schollen des geograpbiihen Willens 
und Lehrens durdbricht, oder von denfelben erdrüdt werden wird. Möge 
die Pflege diefes Körnleins nicht befohlen werden, — fonf incoms 
modirt es ficherlich Viele doppelt und verfümmert —, möge fie aber an» 
empfohlen werden, wo verfländige und nachdenkſame Bereitwilligfeit 
zu finden if. 

bb. In dem Märzs und April⸗Heft (1856) des „Schulblatte 
für die Provinz Brandenburg,” finde ih S. 170 — 181 ein 
Huffag von F. Heydemann in Zerpenfchleufe über die Frage: „Welche 


*) Ganz verwandte Gedanfen find au in dem vom Geminarlehrer: Goflegie 
in Copenidc herausgegebenen „Schul⸗Leſebuche“ durchgeführt. 





ı 1) Geographie. 


Anfprühe mat die evangeliſche Kirche hinſichtlich des Unterrichts 
in der Geographie? 

Dem Berf. erfcheint es zweifelhaft, ob die Schule den gerechten 
Anforderungen der evangelifhen Kirche im geographifchen Unterrichte 
nachkomme. Mit der bloßen Beachtung der Geographie des Heiligen 
Landes hält er diefe Forderungen noch nicht für befriedigt. Im Uebri⸗ 
gen aber werde bei den Belehrungen über die Geſtalt der Erde, über 
Waſſer und Land, über die Erdtbeile und die Neidhe darin, bei der 
eingehendern Behandlung des Baterlandes und der Belebung dieſes 
Unterrichtsſtoffs durch gefchichtlihe Erzählungen, naturgefchichtlihe Merk⸗ 
würdigkeiten und auffallende Erfcheinungen im Leben fremder Bölfer, 
gerade die Berüdfihtigung der Heidenmiffion überfehen, welche doch 
alle evangelifchen Lehrer und Schüler befonders intereffiren folle. 
Beil unfer Jahrhundert fo großartige Erfolge der Mifflonen erlebe, 
größere als felbft das apoſtoliſche Jahrhundert; weil ferner, außer diefen 
äußern Erfolgen, die Rückwirkung der Miffion auf das innere Leben 
der evangelifhen Kirche, auf Weckung größern Eifers, Verſcheuchung 
von Lauheit und Echlaffheit, Betbätigung willigerer Opferbereitfchaft fo 
hoch anzuſchlagen fei; weil endlich die hriftlihe Kirche die Aufgabe 
vom Herrn erhalten habe, der Miffion zu dienen, und das innere Leben 
einbüße, wenn fie fih der Nothwendigkeit des Milfionsberufs entziehe: 
fo dürfe fih auch die evangelifhe Volksſchule dem Miſſtonswerke 
nicht entziehen. Alle Einwendungen dagegen feien eitel, - zumal da Die 
Erfaffung des Milfionswerkes weder zu ſchwierig, noch aud für Kinder 
zu unfruchtbar genannt werden koͤnne. Beweggrund, Ziel und Mittel 
der Miffionen feien Mar, und das Einleben in diefelben helfe den eignen 
Glauben der Kinder Mlären und befefligen. Wolle man fagen, den Kin» 
dern gebe noch das volle Verſtändniß für die Miffionsarbeit und Die 
Miffionsgeihichte ab, wie flehe es dann um das volle, tiefe Verſtaͤndniß 
anderer in die Geographie eingeflochtener Befchichten? Auf tieferes Ein» 
dringen in die Beweggründe der letztern iſt felbfiredend zu verzichten, 
und höcdftens wird das Genüge in der Anregung des patriotifchen Ger 
fühle zu fuchen fein. Beim Mifflonswerke findet der Berf. Alles Flar 
und einleuchtend, felb noch mehr als bei Bildern aus der vaterländts 
Shen Geſchichte, weiche immerhin den SKinderherzen weniger nahe liegen 
follen, al& jenes. So wie nun die Milfionsgefchichte für das fpätere 
Leben wichtig if, indem fie das innere Leben nährt, mehr Liebe erwedt, 
umfaffenderen Sinn für Mitbhülfe einflößt, aus den beengenden Kleinlich⸗ 
feiten des Alltagslebens rettet, indem fle den böchften und weiteften Ge⸗ 
fihtofreis öffnet, und doc zugleich Zufriedenheit in Heinen Lebenskreiſen 
ſchafft, fo if fie auch ſchon für das Schulleben wichtig. Die Züge 
aus derjeiben find praktifche Belege für die Lehren der heiligen Schrift 
und die überwindende Kraft des Evangeliums, fowie eine unerfchöpfliche 
Bundgrube auch zur Katehismusiehre. Heydemann meint, daß die Geo⸗ 
graphie dadurch nicht nur nicht verfümmert, fondern das Intereſſe daran 
noch mehr gefeflelt und auf das Innere des Volkerlebens gerichtet werde, 
fo daß fie dur die Miffionsgefchichte ‚‚eine Sache des Gemüthe und 


Geographie. 461 


des Herzens,“ und dadurch viel eher umverlierbar werde, als fonft wohl 
vorfomme. Daß manche Ericheinungen im Heidenthum mit der Lans 
desnatur zufammenhangen und aus derfelben erklärt werden, komme ohnes 
bin dem Lehrer noch zu Statten. Er will übrigens weder befondere 
Stunden für diefe mit der Geographie zu verbindenden Stüde aus der 
Miſſtonsgeſchichte anfegen, noch hater es auf eine eigentliche „„Miffion ss 
geographie“ abgefehen; vielmehr ift er dafür, nur einzelne, treffende 
Züge zur Charakteriſtik des heidnifchen Zuſtandes, wie der Miffions- 
arbeit und des Lebens der Mifftonäre und keinesfalls zu viel zu geben. 

Zeit und Erfahrung werden über Zuläffigfeit oder Rothwendigkeit 
ber MRiffionssZendenzen und ihre Vorwiegenheit beim Unterricht in 
ber Geographie erft noch zu enticheiden haben, wenn auch gegen die Moͤg⸗ 
lichkeit ihrer Berückſichtigung keine Einwendungen zu erheben find, und 
fogar der wohltfuende Anreiz, den jugendliche Herzen dadurch empfan⸗ 
gen, unbeflreitbar genannt werden darf. Abirrungen und Einfeitigkeiten 
liegen übrigens hierbei in mehr als einer Beziehung nahe, wie Jeder 
weiß, der das Miffionsweien kennt, und die Literatur deffelben in den 
lesten 25 Jahren aufmerffam verfolgt bat. Es darf nicht vorſchnell 
und unliebfam überall da ſchon eine Abneigung gegen das Wort vom 
Kreuz und feine Predigt an die Heiden präfumirt werden, wo einige 
Schüchternheit obwaltet, in die vorgefchlagene neue Idee fogleih mit 
vollen Segeln bineinzufteuern. Die einzelnen Miſſionsgeſchichten trifft — 
wie die treuften Miffionsfreunde mit Betrübniß am Flarften ſehen — 
leider nicht felten der Vorwurf des Gemachten und Ungefunden mit 
unfeugbarem Recht, und es gehört ein eben fo unbefangener und feiner 
Sinn, ale Weisheit und eine recht umfaflende Kenntniß der Miſſions⸗ 
fiteratur dazu, um allenthalben nur das Befunde, den fihlichten Ver⸗ 
bältniffen wahr und treu Entfprechende für die unterrichtliche Verwen⸗ 
dung herauszufinden. Man wird ferner alle Urſache haben, vor Webers 
fhwänglidpfeiten eben fo, wie vor Berzettelung des Unterrichts- ns 
tereffes zu hüten, auch ſelbſt bei Sachen, welche an und für fih dem 
Ehrißenherzen theuer und folgewichtig erfcheinen müffen. Es ſchickt fi 
nicht nur Eines nicht für Ale, fondern es ſchickt ſich auch das Belle nicht 
bei jeder Gelegenheit, und es wird dabei ſchon verbleiben, daß der Natur 
der Sache nad eine wefentliche und direete Förderung der Haupts 
zwede des Religionsunterrihts durch den geograpbifchen Unterricht 
nit zu gemärtigen fleht, und daß den leßteren auch noch andere 
Berhältniffe, die von großer praftifcdher Bedeutung für das Leben find, 
nicht weniger nahe angehen, als die Mifften. 


Mit den erwähnten befonderen Tendenzen des geographifchen 
Unterrichts in der Volksſchule dürften die jept praktiſch bald mehr 
bald weniger betonten erichöpft fein. Daß in Real» und Handels- 
faulen auch die befondere Tendenz der Berüdfihtigung des äußern Böls 
kerverkehrs in Handel und Wandel verfolgt wird (ef. oben 2. c. 
„Jahresbericht” von Dir. Brennede), if für diefe, nicht aber für bie 


462 Geographie. 


Volks ſchule von beſonderer Bedeutung, indem zu deſſen Verſtäͤndniß am» 
dere mehr grundlegende geographiſche Kenntniß erforderlich iſt, als die 
Volkoſchule zu erzielen den Beruf hat. 


II. Einführung geograpbifcher Kenntniſſe in die Kreife der 
reiferen Sugend und des Volks. *) 


1. Keine Zeit if fo reih an Hülfsmitteln gewefen, um geogras 
phiſche SKenntniffe auch der Teiferen Jugend und den verſchiedenen 
Schichten des Voifs zuzuführen, als die unſrige es if. Für das 
Schulbedürfniß hat e8 vormals fhon Bücher und Karten gegeben, die 
jedog nach Form und Anhalt von der Art waren, daß fie für die aus 
der Schule Geſchiedenen feinen erheblichen Reiz behielten; für die zeifere 
Jugend und das Volk, oder wie auf den Büchertiteln gegenwärtig häufig 
zu fagen beliebt wird, für „Säule und Haus’ war fein großer Schag 
vorhanden. Erf unfere Zeit hat, dem Mangel abzubelfen, Fleiß gethan. 
Ber aber möchte jagen, daB es von allen Seiten in billigenswertber 
Weiſe gefcheben fei! Bor nunmehr 25 Jahren gab der in der Schul 
welt noch unvergeflene Dr. W. Harnifh den legten 16. Theil feiner 
„wichtigen neuern Lands und Seereifen für die Jugend und 
andere Leſer“ heraus, und ſchloß damit nach mehr als IQjähriger Arheit 
ein Werk für die reifere Jugend, wie vor ihm ein äbnlihes, nach 
fehgeordnetem Plane gearbeitetes, noch nicht vorhanden geweſen 
war. Jedem, der fih die Mübe gegeben bat, das Werk zu leſen, 
‚muß, wenn er's fonft verfteht, klar geworden fein, daß daran mit einem 
eben jo hohen Maaße des rühmlichften Fleißes, als mit umfidhtiger Sach⸗ 
fenntniß und feinem pädagogischen Takte gearbeitet if, — Vorzüge, 
weiche fi bei manchen der fpätern zahlreichen Bearbeiter verwandter 
Schriften leider nicht gefleigert haben. (Es iſt ohne Selbfttäufchung nicht 
in Abrede zu flellen, daß bei lebteren zum Theil andere, als pädag o⸗ 
giſche Rüdfihten in den Bordergrund getreten find, welche dann ihre 
eigenthämlichen Bedenken weden müflen, — wadere Ausnahmen abge 
rechnet.) Heut zu Zage zwar hat es fchon Feine Schwierigkeit mehr, 
fa ganze Bibliothefen von Schriften zufammen zu bringen, welche in 
‚mehr oder minder zahlreichen Bänden den geographiſchen Stoff in der 
verfchiedenartigften Bearbeitung gerade der reifern Jugend zuführen 
wollen. Den unbefangenen Beobachter diefer Erfcheinung aber wandelt es 
wie eine nicht ungegründete Vermuthung an, daß fie nicht ſowohl einem 
debhaft empfundenen pädagogifhen Bedürfniß als dem Umfande 
ihren Urſprung verdanfen, Daß manchem Herausgeber und manchem Ver⸗ 


*) Diele Auseinanderfegung greift in das Gebiet der „ Jugend» und —*8* 
ſchriften“, die eine ſelbſtſtändige Stellung im Jahresbrichte Baden. Wir laf 
dieſelbe diesmal bier flehen, weil fie den @egenfland ganz a —— 

e Redaction 


‘ 


Geographie. | 463 


feger, nach vorgängiger Recognoseirung des literarifchen Terrains, und 
Sondirung der Beitverbältniffe, die Gonjuncturen eben für ein rentableg 
Geſchäft günftig erfchienen fein. Zu unglaublih if es darum mich, 
daß die zuverſichtliche Hoffnung des lepteren mehr als andere, im fach. 
lichen Zwed begründete Anläffe, den Impuls in einzelnen Faällen zur 
Unternehmung neuer geographifcher Werke gegeben haben mögen; will 
e8 Doch ſcheinen, als Iäfe man gerade die ſe Signatur dem einen und 
andern derjelben an der Stirn. In fofern dabei dennoch Zreffliches 
geleiftet if, Tann ſich die pädagogifche Welt der Arbeit, wie der Concu⸗ 
renz freuen; wo e8 aber — wie Thatfähhen belegen — zu flüchtiger, 
jalopper Arbeit geführt hat, welche fih mit allen Mitteln äußerer Ans 
reisung zur Anfchaffung empflehlt, durch fcheinbar billigen Preis, liefes 
rungsweifes Erfcheinen, draftifche und kecke Illuſtration, elegantes Aeußere 
in Drud und Umfclag u. dergl., da wird fie wohl thun, bei geiten 
ihre Wächter anfs Pidet zu ſtellen. Daffelbe gilt auch für die Fälle, 
wo bei Gelegenheit geographifcher Darftellungen ganz andere Dinge 
no mit an den Mann gebracht werden follen, wie 3. B. dies in Be 
ziehung auf allerlei politifche Invectiven, republifanifhe und freigeifle- 
riſche Rodomontaden in widerliher Weife vielfah in dem nur zu vers 
breiteten Meyer'ſchen „Univerſum“ der Fall war. Hier traten die boden- 
Iofen Imtentionen roh und frech genug auf, um fofort erfannt zu werden 
und edfere Raturen anzuwidern; aber Zaufende haben doch ihr Wohls 
gefallen daran gefunden, taufend Andere, Arglofe, find dadurch bethört, 
— und if in wichtigeren Dingen unendlich viel mehr geichadet, als 
durd allen Apparat von Geiftreichigfeit und poeteriſchem Wortſchwall 
bei minder wichtigen zu nüßen war, wenn damit Überhaupt zu nützen 
gewefen wäre. Ohne Weiteres iſt alfo die bloße Menge und Mannigfal 
-tigfeit der für die geographifche Belehrung der reiferen Jugend und des 
Beils jept vorhandenen Bücher noch keineswegs eine Hocherfreuliche Er⸗ 
fheinung; es bedarf doppelt genauer- Sichtung gar fehr, um nur bloßen 
Köder von wirklich trefflicher, guter Koft zu ſcheiden. Es if nun eins 
mal für die gefleigertern und andersartigen Bedürfniſſe nach Hinterlegter 
Schulzeit nicht lauter Unverfänglihes und Zreffliches geboten, daß nicht 
auch hinter manches Iodende Aushängefchild mit prüfendem Blide ge 
ſchaut, und außerdem das Beſte verfprecdhende Proſpect das Wert ſelbſt 
in feiner ganzen Tendenz und Durbführung durdforfcht werden müßte. 
Zwar bringt jept jedes Jahr nene, für dieſe Bedürfniffe beſimmte Werke, 
aber das fteigert nur die Rothwendigfeit der forgfältigen Sichtung. 

2. In den bisherigen Jahrgängen des pädagog. Jahresberichte 
ind ſchon mamhe derartige Schriften befprochen worden, ohne ihre gahl 
zu erfchöpfen. Die Zeitblätter, worin neben Anderm, au geo gra⸗ 
phiſche Kennmiſſe zugeführt, und die bereits erworbenen bereichert wer⸗ 
ben follen, find in dieſen Berichten dabei noch ganz bei Seite gelaffen, 
obwohl fie in den häuslichen Kreifen unter allerlei Firmen ale Jugen d⸗ 
leetüre vielfältig kurſiren, ja graffiren. Der vorliegende Jahr⸗ 
gang wird auch wieder neue Erfcheinungen von diefer Art Werken vors 
zuführen haben. Zur Erleichterung des kurzen Ueberblicks fei Daran er⸗ 


464 Geographie. 


innert, daß beſprochen ſind im II. Jahrgange S. 230 die „neue Biblio⸗ 
thek der Unterrichts⸗Lectüre“ von Dr. F. Richter; im III. Jahrg. ©. 
249: „Die Länder und Volkskunde“ von Dr. Külb, „die Böller des 
Erdballs“ von Dr. H. Berghaus, die „Weltkunde“ (Umarbeitung von 
Dr. Harniſch, „Lands und Seereifen‘) von Fr. Heinzelmann, die „Reifen 

und Länderbefchreibungen” von Dr. Wiedemann und Dr. Hauff, bie 
„geographifchen Bilder aus Europa’ von F. Laudhardt, „Germania’”“ 
von Dr. ©. Bogel; im V. Jahrg. „die Bibliothek der Länder» und Bölfers 
tunde von Dr. H. Berghausund H. Rebau,“ „Kosmos’’ von Dr. Giebel, 

„Geographifhe Charakterbilder‘ von A. W. Grube; im VI. Jahre. 

„Bilder und Scenen ꝛ⁊xc.“ von A. W. Grube, „Unterhaltung und Stu⸗ 
dien’ von A. W. Grube und C. Bude; „geographiſche Landfcaftsbilder‘‘ 

von Dr. €. Bogel, „Skizzen“ von Kohl, „Reifen in Deutſchland“ von 

Kohl; VII. Zahrg.: „, das Meer’ von W. F. A. Zimmermann, „der 
Erdball und feine Wunder“ von demfelben, „Briefe über U. v. Hum⸗ 

boldts Kosmos’ von Dr. Cotta, ‚Bilder und Erzählungen‘ von Lips 

hold, „Zonen⸗Gemälde“ von Schäppi, „neue Neifebilder” von I. ©. 

Fels, „Reiſebilder“ von E. Scheuermann, „Keiſebilder“ bei Hirt in 

Breslau; im VI. Jahrg.: „Reue Reiſebilder“ von 3. Hoffmann; im 

IX. Jahrg.: „unſer Vaterland“ von Zr. Körner, „das Baterlandsbudy‘‘ 

von Dr. Bogel, J. Wenzig und Fr. Körner, „Vollsbibliothel der Läns 

ders und Bölkerkunde” von S. Steinhardt, „Charakterbilder“ von Lampert, 

„Portfolio“ von Dr. Ungewitter, „Das Buch der Welt“ von Er. Körner 

und Dr. Morig. (Uebrigens find, bei Gelegenheit der Fortfegungen 

und Beendigungen einzelner diefer genannten Werke, diefelben in me h⸗ 

teren Jahrgängen ergänzend beiprodhen.) Man fieht, es if eine ziem- 

lihe Anzahl folder Schriften für die reifere Jugend,“ für „das Volk,“ 

für ‚gebildete Laien“ u. f. w. von ſehr verfchiedenem Werthe vorhanden. 

Es hat auch nicht fehlen fönnen, Daß bereits bei einzelnen der genannten 

in den Sabresberichten Ausftellungen und Bemängelungen zu maden 

waren, die von der Anfchaffung wohl Manchen abhalten werden. Biel- 

leicht hätte dabei noch ſtrenger verfahren fein follen, zumal da, wo oft 

gepriefene Namen das Borurtheil begünftigen, daß Ulles, was von ihnen 

herrührt, gediegen fein werde; und eben fo Da, wo der äußere Schein 

des Fleißes den flüchtigen, erſten Einblick des nach folchen Schriften 

Greifenden täufchen möchte, indem nur der tiefer eingehenden Prüfung 

fih der Mangel an Gewiflenhaftigkeit der Urbeit nicht wohl zu verbergen 

vermag. 

Ob es aber nicht disputabel ericheinen muß, im Pädagogifchen 
Sahresberiht für Deutſchlands Volksſchullehrer die Literatur und 
ihren Geift zu ventiliren, welche ſich als über die engen Schuigrenzen 
binausgelegen, für die reifere Jugend und für's Volk befimmt, an⸗ 
Tündigt? Ganz unberehtigt iſt dieſe Prüfung an dieſer Gtelle gewiß 
nicht. Wer da bedenkt, daB durch buchhändlerifche Zufendungen, weiche 
bis in's Meine Dorf, durch Buchhaͤndler⸗Colporteure, welche bis in die 
einzelnen Häufer und Hütten dringen, allerlei Schriften für's Volk an 
den Mann zu bringen gefucht werden, gleich viel, welchen innern Werth 





Geographie, 465 


fe haben, und weicher Oeiſt in ihnen weht; wer das beſtehende Aeußere, 
den mitunter befonders pilanten Inhalt der jedesmaligen erften Lieferuns 
gen und Bogen und daneben die erſte Arglofigkeit und augenblidliche 
Urtheilsunfähigkeit bedenkt, worin ſelbſt Lehrer überrumpelt werden können, 
der wird die Hinweifung auf vorhandene Schäden in den bezüglichen 
Säriften nicht mißbilligen. Gerade ‚der nicht felten um Vorſchläge zu 
weiterbildenben und ımterhaltenden Schriften angegangene Lehrer kommt 
dadurch in die Lage, Gutes zu empfehlen und Bebenklides abzuhalten, 
und gerade ihm darf der Durch ſolche Schriften in den Häufern genäbrte 
Geiſt nicht gleichgültig fein. 

Das Bedürfnig auch nad weiterer geographifcher Belehrung 
der reifern Jugend beſteht faktiſch; der Wunſch nah Zheilnahme an 
ſolchen Belehrungen ift bie und da ſelbſt im fchlichten Handwerkerleben 
wirklich rege. Geeignete, das Bedürfniß in trefflihem Geifte bes 
friedigende, dem Wunſche angemeffene entgegenfommende Schriften wird 
darum jeder Pädagog willfommen heißen können, und der Volksſchullehrer 
wird fietheits ſelbſt gern zu feinem Handgebraud; bei Präparationen und zum 
Beiterkudium benupen, theils fie gern in den Häufern und Händen derer 
fehen, deren Lebensſtellung den Befig begünfigt. Diefer trefflide 
Geiſt wird Ach aber ausprägen müſſen in gründliher Sachkennt⸗ 
niß, edler Darftellung and Sriflich- vaterländifcher 
Haltung und Auffaffung des mit glüdlichem Takt forgfältig aus⸗ 
gewählten und tüchtig durchgearbeiteten Stoffes. Gründliche Sachlennts 
niß iR nicht identifh mit Zach » Gelehrfamkeit, edle Darftellung nicht 
mit dem Styl der gefeierteften deutſchen Klajfiker, chriflichevaterländiiche 
Haltung und Auffaffung nicht mit Askefe und erclufivem Deutſchthums. 
Aber jene drei Stüde bilden doch einen ziemlich greifbaren Gegenſatz 
gegen das, was in Inhalt, Darfiellung und Auffaffung in mans 
Gem neuen, für die erwachfenere Jugend und das Volk beflimmten 
Buche entgegentritt. 

3. Faſt Icheint es fo, als wenn es jebt zur Lieblings⸗Idee gewors 
den wäre, Volks⸗Lectüre durh Compilation zu ſchaffen. Bei com⸗ 
pilatoriſchen Arbeiten iſt vorhandenes Gutes in fertiger Ausprägung, 
die entweder gar Feiner oder nur wenig modifleirender Umgeitaltung bes 
Darf, zu benußten; es ift eine Bielen erwünſchte Mannigfaltigfeit darzu⸗ 
bieten, und die ohnehin nicht zu mühfelige Arbeit hat nur mit Abruns 
dung, Gintbeilung, Anordnung zu thun, ohne das Material ſelbſt erf 
fchaffen zu müſſen. Ergänzungen, Erläuterungen, Süuftrationen find ents 
weder an fich ziemlich Teicht, oder werden es da, wo man das gefammte 
Material von Andern vorbereitet, fertig zum Weberblid vor fi hat. 
Gleiches gilt von eventueller Zurechtmachung für den beſtimmten Zwed. 
Daß der Bearbeiter und Sammler ohne feinen Takt und Fleiß verfühs 
ren, fein Vublikum gering und fich eigentlich für viel zu gut für dafe 
ſelbe fchägen dürfe, Tann damit nicht gefagt fein follen; jedoch es gibt 
leider. Sammelwerfe ohne diefen Takt und Fleiß. Welche Meinung 
deren Herausgeber von der Jugend, dem Bolle und A ſelbſt haben 
kann hier dahin gefellt bleiben, wo fein Zribunal der Perſonen errichtet, 

Rade, Jahresbericht. X. 30 


x 


466 | Geographie. 


werden fol. Zum Glück gibt es aber auch Sammelwerke, mit dieſen 
feinen Zaft und mit mehr Fleiß veranflaltet, als ihnen von manchen 
Seiten, die an vornehmthuendes, vorfchnellee Abſprechen gewöhnt 
find, und damit zu impontren gedenfen, zugefanden wird. Die Bahn 
brechenden haben es mühenoller gehabt, als ihre Nachfolger, welche die 
gleiche Idee nun ausbeuten beifen, und bie und da mit vielleicht fchärferer 
Kritit im Einzelnen zu Werke geben. Gompilatorifches Verfahren läßt 
feine Arbeiten aus Einem, aus eigenfreiem Guß zu; aber es fann 
reiht werthvolle Büůcher ſchaffen, wie deren unter den oben erwähnten thatſaͤch⸗ 
find, welche im Publitum immer weiter wachfenderen Anklang gefunden 
haben. Dennoch bleibt es in vielen Stüden ein äußerliches, faft calcus 
fatorifches, das oft nur auf die Moſaik des Ganzen und nicht zugleich 
auf Gehalt und Geift maßgebend influirt, fondern diefe eben nimmt, 
wie fie vorliegen. 

4. Jedoch es if dies Berfahren zugleih die Beranlaffung gewor⸗ 
den, auch auf Gehalt und Geiſt hie und da abändernd einzuwirken; 
und dazu hat beſonders die Idee der Genrebilder beigetragen, in 
deren Gewand man den Stoff dargeboten hat. Wenngleich dieſe Idee 
durchaus nicht die Nothwendigkeit der Abſchwächung der Gründlichkeit 
der Sache involvirt, ſo hat ſie doch, wie die Erfahrung nunmehr ſatt⸗ 
ſam bekundet, die Gefahr der Oberflächlichkeit der Genrebilder nicht 
bloß nahe, ſondern die Oberflaͤchlichkeit ſelbſt oft in dieſe mitten hinein 
gerückt. Die Compofition der Genrebilder ſcheint, nach nachweisbaren 
Beiſpielen zu ſchließen, einen gewiſſen Eklektieismus und Dilettantismus 
in Bezug auf die Sachen zu fordern, während der Darſtellung im 
Einzelnen eine gewiffe Eleganz und Glätte, fo wie dem Ganzen eine 
Art belletriftifher Haltung und Kärbung eigen fein zu müffen fcheinen, 
wenn Alles die berechnete Wirkung auf Verſtand, Gemüth und — Ge 
ſchmack thun fol. Darin liegen aber für folide Bildung der reiferen 
Jugend insbefondere große Gefahren. Es wird leiht von vielerlei Mas 
terien in nur geiftvoll fcheinendem, rafchem Wechfel bie eine Blüthe und 
da eine Blüthe zu flüchtigem Beriehen, bie und da eine nicht durch 
eigene anftrengende Arbeit gezeitigte Frucht zum Koften, und daneben 
allerfei Confect in Appereüs und draſtiſchen Situationen dargeboten; dar 
gegen der ernften Straftanftrengung, dem mühfamen Erringen weniger zu⸗ 
gemuthet. Ein Lehrs und Handbuch miede jenes, und forderte dieſes, und 
wäre deshalb für mannbafte, nachhaltige, durch die Schale zum Kern 
dringende, auch aus ferilern Partieen noch Gewinn ziehende Geiſtesar⸗ 
beit jedenfalls bedeutfamer. Man weicht dur Genrebilder dieſer 
Arbeit aus; freilich man will fie durch diefelben auch eigentlich nicht. 
Genrebilder follen auch unterhalten, fie follen theild Ergänzungen 
eines an fih trodnern Materials, follen Gen uß⸗Abſchnitte nah ermü⸗ 
denderer, directer Lernarbeit, follen auch wohl Lichtbilder des Gegen⸗ 
flandes gewähren, um zur fleißigern Befchäftigung mit biefem anzufeuern. 
Weiſe gebraucht werden fie, wenn fie fonk im Gehalt bedeutfam, in der 
Form ohne Meberfhwänglichkeit und hohle Schöngeifterei gehalten find, 
auch ihre guten Dienfte thun; fle find dann wohlthuende Reizmittel, 





Geographie. 467 


Gewürz, Wollte man aber feine ganze Kortbildung durch bloße Genre 
bilder verfolgen, fo fleht eine Berfchiefung und Berflahung derfelben mit 
Grund zu beforgen; eben fo ein Abircen von den foliden. Fundamenten 
ber Bildung, welche, wenn auch in ihrem Weſen zunaͤchſt von wiffen» 
ſchaftlicher, doch in ihrer Wirkung zugleich noch von tief fittliher 
Bedeutung find. Baco’s altes Wort: „Oberflählihes Rippen 
am Becher der Wiffenichaft führt ab vom Glauben, tiefere Züge 
er zu ihm zurück“ — if nocd heute eine beberzigenswerthe Wahr⸗ 
eit. 

5. Als vorhin angedeutet wurde, daß die Compilation der für bie 
zeifere Jugend beftimmten weiterbildenden geographifhen Bücher auch 
auf den Geiſt und die Tendenz des vorgefundenen Stoffes in manchen 
Faͤllen Einfluß geübt habe, war es noch ein befonderer Umftand, der. in 
“manchen diefer Bücher Bedenken erwedt. Zugegeben, daß diefer Eins 


Aug von mancher Herausgeber in würdigfter Art fo ausgeübt if, daß 


nidyt bloß alles Ungehörige, Anftögige, oder alles Magere, Breite ent 
fernt, Sondern auch ein Hauch über die Arbeit ausgegoffen worden if, 
frifh, wie jugendlichen Herzen es wohlthut, und edel, wie fie es bedür⸗ 
fen; ja, daß er dem vaterländifchen Wefen feine ausgefuchtefte Liebe und 
dabei allen ehrwürdigen Beziehungen zum chriflihen Leben eine ehrer⸗ 
bietige Beachtung zuwendet; fo fteht fo viel doch auch fehl, daß bei ans 
dern, wenigftens in den letztern beiden Beziehungen, nicht nur viel wenis 
ger als der Jugend und dem Volle nöthig, fondern daß fo ziemlich das 
Gegentheil davon dargeboten ift. Kosmopolitifche Lobpreifung der Fremde, 
und mehr oder minder unverhohlener Materialismus und NRaturas 
lismus find die Devife einiger, darum nicht unbedenklicher Bücher für 
Zugend und Boll, während andere, Falt und farblos, gerade nicht 
eben Bedenkliches, aber auch nichts poſitiv in vaterländifcher und chriftlis 
ber Beziehung Bauendes und Belebendes darbietet. Bei der vornehm⸗ 
lih in den induſtriellen Volksihichten weit aus vorherrfchenden Neigung 
zum baaren Materialismus, und bei dem felbft von manchen Gelehrten 
immer von Neuem unter das Boll geworfenen Anreiz zu bloß natus 
ralikifher Weltanfhauung, wodurd bei der. Jugend die Bias 
Airtheit und beim Volk eine troftlofe Geiftesöde hervorgerufen wird, if 
e8 doppelt bedrohlich, in glatter, gewandter, geififchimmernder Darftellung 
den Sinn und Gedanken für diefe Auffaffung noch mehr zu Pödern, 
und beide von ernflerer, würdiger Anjchauung abzulenken, Die bunten 
Zarbenflittern fchön Elingender Worte, womit die leichte Waare verhüllt 
wird, verführen manchen arglofen Urtheildunfähigen, der vor flarfer Koſt 
zurüdchredt, und nehmen ihn für Inhalt und Form von Anfhauungen 
gefangen, deren völlige Entbehrlichkeit zu erkennen - auch das geringfte 
Maaß pädagogifcher Einficht Thon hinreicht. Was foll für folide geogras 
phiſche Fortbildung der reiferen Jugend und des Volkes gewonnen wer⸗ 
den, wenn 3. B. in flüchtiger Scigzirung eine große Stadt vorgeführt 
wird, von deren Paläften, prachtvoll aufgepugten Waarenläden, glänzens 
den Hotels und Gonditoreien, öffentlichen Plaͤtzen, Bergnügungssocalen 
u. dergl. ein möglihit pikantes Bild hingeworfen wird, und in der ma 


30* 





— — —— 


468 Geographie. 


hingewieſen findet auf draſtiſche Charakter⸗Vigenthümlich keiten der mittlern 
und untern Bevoͤlkerungsſchichten, auf Schwaͤchen und Makel des Alls 
tagsverkehrs mit einem Anfluge von beißender Ironie und ſelbſtgefälliger 
Ueberhebung, und vielleicht mit einigen billig zu habenden ſocialen Er⸗ 
güffen. Vom höhern Geiftesieben, von chriftlihen Pfleganftalten, vom 
Charakter der markigern Naturen, welche überall erfi den Kitt zu den 
focialen Berbänden abgeben müflen, von der großartigen Bereinsthätige 
keit zur Steuer von allerlei Nöthen und zur Hebung und Beredlung de 
innern Lebens, von dem nationalen Streben, alle edlen Kräfte in fels 
een Hauptlädten um einen Brennpunkt zu fammeln, einen Kern zu con⸗ 
fruiren, um melden fi) alles Gute in mancherlei Formen kryſtalliſtren 
bonne u. dergl., von alle Diefem kein Wort! Und doh fragt man mit 
Ing, vb man nicht an einem der letzteren Stüde, fo es gehörig aus⸗ 
einander gelegt wäre, der Jugend und dem Volke mehr gäbe, als mit 
jenem geſammten, Doch Teer Laffenden Gemiſch von allerlei glänzenden 
Aeußerlichleiten in überfchwänglichen Worten. Gebt beffere Sachen, bie 
prandenden, beiiehenden Worte wollen wir euch erlaffen! Oder was 
foll es helfen für folide Kenntnißerwerbung, wenn bier eine vergnügliche 
Reife mit gelegentlichen Waggons » Anetdötchen, dort eine luſtige Jagdge⸗ 
fhidyte, wiederum hier etwas viel Ungeheuerlichleit und Grauenhaftes, 
und dicht daneben dort entgegengefepte Scenen u. dergi. Aehnliches eins 
gewebt it, — lauter nichtige Materie, die den Sinn der daran ſich feſ⸗ 
Feinden eben fo ficher vom beflern Geiſt abhält und abientt, als manche 
ganz abfihtlih, den fchalen Naturalismus preilenden, mit wiätig thuen⸗ 
der Diiene auftretenden anderen Genrebildern ihn noch directer infls 
eiren. Wahrlich Gottes Ehre ift es nicht, wozu dergteichen beitragen 
heifen Tann. 

Kein vernünftiger Pädagog wird der reiferen Jugend auch bei ihrer 
geographiichen Weiterbildung erfreuende, Erholung gewährende, minder 
anfrengende PBartieen in dazu beflimmten Büchern mißgönnen; aber Uns 
ffrengung, Nachdenken, Uebung und Wiederholung fordernde Wartieen, 
tüchtige Lehrfiüde in markiger Korm müſſen daneben nit nur nicht 
fehlen, fondern überwiegen. Und die Grundtendenz muß den Lichtblickſauf 
das Höhere, Söttliche, fo wie auf Fräftige, bewußte Vaterlandésliebe und ihre 
Gonfequenzen wohlberechnet offen halten. Das führt weder zur Miſan⸗ 
thropie, noch zu krankhaftem Gefühlsweſen, fondern macht Hug, und klar 
und frei Dazu. 

Hiernach kann das Urtheil a priori nicht zweifelhaft fein, daß über 
neuere Erjcheinungen der geographifchen Literatur für die „reifere Yun 
gend und das Volk,“ wie fie weiter unten im Literaturbericht zu erwähs 
nen fein werden, zu fällen fein dürfte Es möge demſelben an diefer 
Stelle nicht vorgegriffen werden; indem es bier nur auf Feſtſtellung der 
Geſichtspunkte zur Beurtheilung diefer literariſchen Erſcheinungen 
anfam, auf welche die Erfahrung nöthigt, mit nicht zu vertrauensvols 
lem Blicke hinzuſehen. 

6. Iſt ſchon gehörige Aufmerkſamkeit erforderlich, um unter den 
vorhandenen Schriften für den Haus gebrauch des Volks das Worth⸗ 


Geographie. 469 


volle von dem leichten InduftriesBrodufte zu fondern, fo noch mehr für 
ben Schulgebraug. Da für den geographiſchen Vollksſchulunterricht 
die Forderung befteht, nicht bloß leeres und todtes Gedaͤchtnißwerk in 
Länderformen, Ramen, Zahlen und allerlei fogenannten Merf- und Se⸗ 
benswürdigkeiten zu lehren, fondern das unentbehrliche Gerüſt der Grund» 
fegenden Anſchauungen und Binyrägungen auch angemeffen auszufüllen, 
die Knochen mit Iebendigem Fleiſch und Blut zu überfleiden, fo bat_ber 
Lehrer dazu brauchbare Stoffe nöthig. Er will fih ia auch ſelber in 
die Einzelzüge des Charakterbildes prägnanter Erdlokale, vaterländifiher 
wie fremder, noch mehr einieben, fi felber gründlicher orientiren und 
weiter bereichern, um dann nad Bebürfniß aus eigenem Schatz hervor⸗ 
langen und etwas Gutes darbieten zu können. Jüngere Lehrer, welche 
in den Seminaren nach Kräften von der Genüge an inhaltlofen Rede 
reien über geographiiche Dinge entwöhnt werden, und es lernen müffen, 
wirklich probehaltige Sache in den Unterricht zu bringen, fünnen 
Bei der Dürftigkeit der ihnen meiftens nur zu Gebote flehenden Geld, 
und Hülfsmittel faum anders, als aus tüchtign Sammelwerlen fchöpfen. 
Gehlgriffe paſſiren ihnen beim Mangel an praftifcher Erfahrung und an 
gehörig umfaffender ſenntniß und Durddringung des Gegenflandes nur 
zu leicht, indem fie im Drange mannigfaltiger Vorbereitung wohl nebs 
men, was fie beim erſten Zugreifen in die Hand befommen. Für den 
direeten Schulgebrauh paflen aber die Abfchnitte folder Sammel 
werke in der Regel nicht, und flets dann um fo weniger, je mehr fie 
unterhaltend find, und je mehr dadurch dilettirend im bunteſten Durch 
einander mit gefchmeidigen, biendenden Worten überall nur an der Ober 
Häche herumgenaſcht wird. Uber auch aus fehr tüchtigen derartigen 
Schriften, die ihrem ganzen Inhalte nad eigentlich förmlich ſtudirt fein 
wollen (3. B. Berghaus, Bögefamp, Rougemont), iſt nicht ohne Weite 
red der Inhalt in den Schulunterricht zu tragen. Deshalb kann nicht 
genug daran erinnert werden, daß zuvor Stoff, Form, Geil und Tem 
denz deſſen geprüft werden, was in den Unterricht verwendet werden fann 
und fol, um es deffen Bedürfniffen adäquat zu maden Solide Ums 
geſtaltung if freilich nicht Jedermanns Ding; es gehört mehr als der 
bloße gute Wille dazu, und darum gelingt fie nicht fo oft, als fie ver⸗ 
ſucht wird. - Es wird wohl noch dahin geſtellt bleiben müflen, ob der 
Leſebuchston dafür das gültige Mufer abzugeben habe. Sollte Ich» 
terer auch für die Bolksfhulen ſehr angemefien erſcheinen, fo doc ſchwer⸗ 
fh in allen Schulen, wo lebendige Eharakterbilder in ausgefährterer 
Darftellung ihren berechtigten Platz finden. Jedoch darüber if kein 
Bweifel, daB, flatt die Oberflächlichkeit, das dilettirende Durcheinander in 
flüchtigem Wechſel, Die bloße bebagliche Unterhaltung und allerlei 
vur mouterialifiige und naturaliſtiſche Anfchauungen zu unterüßen, 
die Schule nichts Geringeres ald das gerade Gegentheil biervon anzu» 
Rreben bat, wenn ſie aus weiterführenden Stoffbüchern ſich den Inhalt 
für ihren Unterrihtsbedarf entnimmt. 


470 Geographie. 


M. Prattifches Beduͤrfniß beim’ geographifchen Schul- 
unterricht. 


Richt nur der Wiſſenſchaft willen hat die Volks⸗ und Bür 
gerſchule die Geographie zu lehren, fondern um der Anforderung wils . 
len, welche das praftifche Leben macht. So viel ſteht heut zu Tage 
feſt. Dennoch könnte es fcheinen, als wenn Alles, was bei geograpbi- 
fhen Belehrungen irgend welchen wiffenfhaftlihen Charakter trüge, 
aus diefen Schuien fern gehalten werden müßte. Das würde dann zu 
ziemlich befremdlichen Gonfequenzen führen. Der geographiſche Lehrſtoff 
iR feinem eigentlichen Wefen nah wiffenfhaftlider Natur, und 
kann diefer nicht ohne Selbfivernichtung entlleidet werden. Es kann fi 
auch die Lehrweiſe der Rüdfichtnahme auf dies Verhältniß fo wenig 
ganz entſchlagen, daß fie vielmehr ihren elementaren Charakter daher er ents 
‚nehmen muß. Der gefammte fundamentale Unterricht in der Geographie, 
die einzelnen Stüde und Seiten der Betrachtung, ihre Vorbereitung und 
ihr fpäterer Ausbau, Bang und Berfabren fügen fich erft hierauf. Mag 
Alles noch fo faßlich gefaltet, noch fo einfach an das Raheliegende an- 
gefnüpft, noch fo fern von allem Schein der Gelehrfamfeit gehalten wers 
den: diel Ratur der Sache ift und bleibt wiffenichaftiih. Nun fragt 
es fih für die Schul zwecke bloß, welche Partieen daraus benfelben 
eignen und förderlich werden, und welche Betrachtung und Behandlung 
die praftifch fruchtbare für das wirkliche Leben fein möge! — Da, 
wo, wie auf Gymnmaſien, der gefammte Unterricht eine wiffenfhaft- 
Lie Tendenz haben foll, hat auch der geographbifche Unterriht in 
Stoff und in Form der Behandlung ſich dieſer Tendenz anzufchließen. 
Bie das geſchehen könne, lehren am beften die für folche höheren Lehr- 
anftalten beffinmten Lehrs und Handbücher. Auf welche Weile nad der 
ren Anleitung zu beginnen und ftufenmweife fortzuführen, weiche Bezie⸗ 
bungen zu betonen, welche Wechſelverhältniſſe aufzubellen, welche andern 
dagegen minder zu beachten, weiches Ziel und welcher Abſchluß anguftreben if, 
das gehört nicht hieher, darf auch als befannt vorausgefept werden. Es 
genüge an die Lehrbücher von von Roon, von Raumer und ähnliche 
bereits oben I. 3. b. erwähnte zu erinnern. Auch höhere Realfhu- 
len haben ähnliche Tendenzen, namentlich im Gebiete der Realien, und 
der für fie angemeffene geographifche Unterricht geftaltet ih faſt eben fo 
wie in den Gymnafien. 

Anders if es für Bürgers und Volksſchulen, deren Auf 
gaben und Zwecke andere find, als die der höheren Schulen. Da fi 
aber die Geſtalt des geographiichen Unterrichts aus den wiſſenſchaft⸗ 
lien Elementen des Gegenftandes herausgebildet hat, fo hat es wohl 
geſchehen Lönnen, daß unter Berfennung oder Zeifeitfegung dieſer Aufs 
gaben und Zwecke, eine mehr wiſſenſchaftliche Betrachtungsweife auch in 
diefe Schulen übertragen if. Ehe in neuerer Zeit ein vorbereiten« 
der Kurfus, etwa der der Heimathskunde, für nöthig erachtet 





Geographie. : 471 


wurbe, pflegte man in Bürgers und Volksſchulen etwa gerade fo mie ik 
Gymnaflen ben geographifhen Unterricht zu beginnen, 3. B. mit Definis 
tionen, Gintheilungen, Ueberfichten u. dergl. Beim weitern Fortſchreiten 
war es eben fo nicht fowohl die Art als das Maaß des Stoffes, 
worin dieſe Schulen abwichen, unbefümmert darum, ob dem Leben 
praftifch erheblich gedient werde. Man übte allerdings die Kraft; dazu 
hätte e8 aber auch noch andere Mittel gegeben. - 

2. Für die Volksſchulen iR nun der entfcheidende Schritt und 
Schuitt ſchon gefchehen; fie find wefentlih nur auf die „Baterland& 
Funde’ und auf die „‚unentbehrlihen Kenntniffe‘‘ daraus angewiefen, . 
die duch „Erläuterung der betreffenden Abfchnitte des 
Lefebuhs, ‚verbunden mit dem Gebrauch der Karte’ und bereichert 
durch „ausführlichere Befchreibung und Bergleichung‘ erworben werden 
follen. Bird es nun mit den „Erläuterungen der Leſebuchs⸗Abſchnitte“, 
dem „Kartengebrauch“ und den „ausführlichen Befchreibungen und Ver⸗ 
gleihungen‘’ gewiflenhaft und nicht zu engherzig genommen, dann if 
das Gebiet durchaus: nicht etwa fo beichräntt, als es beim erften flüch« 
tigen Blide zu fein fcheint. - Vielmehr kann es fraglich werden, ob bei 
der angewiefenen Beit nicht fchon mehr als genug damit gefordert fein 
mögte. M 

Die guten Bürgerfhulen innen etwas mehr thun. Es läßt 
fih Art und Maaß des von bewährten Praktikern für dieſelben bezeich- 
neten Stoffes aus den für ihr Bedürfniß verfaßten Leitfäden entnehs 
men, deren bereite viele in den Jahresberichten aufgeführt find, und 
deren Zahl fich jet wiederum vermehrt bat. Das den Volks ſchulen 
jegt zugemeflene Gebiet, nach Weſen und Umfang in den „Regulativen“ 
abgegrenzt, findet faft widerfpruchelos Die Anerkennung: es entipreche dem 
praktiſchen Bedürfniß, bleibe weder dahinter zurüd, noch gehe es dar» 
über hinaus. Bei den Bürgerfchulen iſt's noch nicht bis zur wider, 
fpruchstofen Entfcheidung gediehen; bald wird viel, bald wenig für das 
Richtige gehalten, und namentlich was die Eharafterbilder ande 
trifft, fo divergiren die Anflchten über deren Nutzbarkeit in herkömmli⸗ 
Ger Art und Berwendung mehr, als es oft angenommen wird. Wo 
der Lehrcurſus etwas breit angelegt ift, finden fle darum nur ſchwer 
Raum, weil mit der Zeit nicht auszufommen iſt; und wo der Eurfus 
allenfalls oftere Einfchaltung von Charakterbildern zuläßt, da iſt man 
nicht durchweg mit der jetzt beliebten Art und Durchführung diefer Cha⸗ 
tafterbilder einverfkanden. Man fürdtet damit viel Zeit Fruchtlos für 
das wirkliche Lernen zu verbringen, und bringt Erfahrungsbemeife 
dafür bei, denen nicht wohl ſchnurſtraks widerfprodhen werden fann. In 
gleicher Art, wie tiefer eingehende Befaffung mit der Länders Configura- 
tion, mit dem oros und hydrographiſchen Charakter der zu behandelnden 
Gebiete, der Abhängigkeit der Art und des Reichthums der Produfte vom 
Klima, namentlih vorn den thermiſchen Verbältniffen, von ter Regen⸗ 
menge und den vorherrfchenden WBindrichtungen, mit den ethnographi⸗ 
fen und mathematijh » aftronomifchen Momenten der Erde u. dergl. m. 
zu viel geben und darum beſtimmt nicht dem praktiſchen Berürfnig 


472 Geographie. 


der Bürgerſchule und des Bürgerlebens entſprechend erachtet werden, — 
fürchtet man zu wenig reelle Ausbeute für dieſe praktiſche Seite in den 
vielen theils zu bunten, theils zu küͤnſtlich zuſammengeſtellten Landſchafts⸗ 
bildern, für deren befriedigende Erfaſſung Kinder nicht immer das Or⸗ 
gan zeigen, auf das dabei gerechnet werden muß. Ohne allen Grund if 
diefe Beforgniß in der That nicht; es ift wirklich die nachweisbar er 
zielte, reelle Ausbeute nicht felten weit geringer als die Erwartung. Aber 
es fragt fih, ob diefe Ausbeute überall nah Pr. 1. 2. 3 nachweisbar 
Durch Frage und Antwort feftzuftellen, und als fertiger Erwerb glei 
auf der Stelle abſchlußfähig zu fein braucht? Oder ob nidt, wie die 
mancherlei Stoffe und Säfte, welche eine Pflanze zu ihrer gefunden Ents 
widelung vor der Beitigung der Frucht bedarf, und welche in fie durch 
Affimilation übergehen, ohne daß fih in jedem Moment nachweijen ließe, 
wo Dies und jenes Atom davon verwendet fein möge; — ob nit auch 
gerade ſolche belebenden Charakterbilder — gut angewendet — doch ſehr 
weſentlich in der Sache fördern, wenn auch das Ktraftmoment nicht ugs 
nachgewogen werden kann, welches zulept ja doch der praftiihen Bil 
dung zu Gute kommt? Damit wäre dann ein Theil jener Kurt wer 
nigſtens als vorzeitig zu bezeichnen. Berfehrte Anwendung mag aud bier 
viel verderben, aber gerade fie gibt ja auch Feinen richtigen Maaßſtab 
des Werths der Sache ab. Nichtig componirte Landfchaftsbilder werden 
aber auch durch die darin eingelegten Momente ganz trefflich geeignet - 
fein, vornehmlich den Blick für's praftifche Leben zu fchärfen, man 
halte nur bei diefen Momenten bewußt und Mar die einfachen praktiſchen 
Tendenzen feft, und wolle nicht poetifchen Schmud und immerdar reichen 
Wechſel in jedem Bilde als das unerläßlihe Merkmal folder Bilder bes 
gehren. Der einfihtsvolle Lehrer hat ja die Sache ganz in feiner Hand, 
und kann fie fi fo praftifh als möglich zurecht legen. 

3. Benn vom praftifchen Bedürfniß des geographiihen Shuls- 
unterrichts die Rede ift, fo pflegt damit mindeflend ein doppelter Sinn 
verbunden zu werden. Diefer Unterriht foll keine bloße Gedächtnißbe⸗ 
fäftung, er ſoll eine Uebung der geiſtigen Kräfte herbeiführen, 
doch ſo, daß ein beſtimmter Fonds von Kenntniſſen dabei ſicher 
erworben werde; und eben dieſer Fonds ſoll ein im praktiſchen Le⸗ 
ben nutzbar zu machendes Kapital ſein. Alſo es ſoll die Behandlungs⸗ 
weiſe nicht geiſtlaͤhmend, ſondern geiſtbil dend, der Stoff nicht ein ali⸗ 
quoter Theil geographiſcher Gelehrſamkeit, ſondern eine Summe für 
jeden denkenden Menſchen erforderlicher Kenntniſſe ſein, zum Verſtänd⸗ 
niß der ihn im Leben vorkommenden, darauf bezuüglichen Verhältniſſe. 
Die Frage vom geiftbildenden Unterricht ift dahin entfchieden, daß 
der Unterricht nicht anders als geiftbildend jein dürfe, d. h. aber nicht 
in bloß formalen Kraftübungen zu beftehen habe; da auch die Subs 
ftanz, woran dieſe Uebungen vorgenommen werden, für ſich felbft bedeuts 
fam fein und angeeignet werden muß. Die andere Trage dagegen, we⸗ 
gen der Summe und Art der erforderlichen Kenntuiſſe, if nicht ebenjo 
einhellig entfchieden; hier divergiren die Anjichten. Bon den Einen wird 
eine Hinneigung zu den wiflenfchaftlichen Momenten, welche alles übrige 


Geographie. 473 


Berſtändniß begründen und erleichtern, von den Andern eine größere 
Fernhaltung von denſelben empfohlen, weil darin eine Bürgſchaft für 
mehr Praktifches zu liegen ſcheint. 

a. Director Dr. Bolger fagt im Vorwort zur 9. Aufl. feiner 
Schulgeographie für die mittleren Klaffen der Gymnaſien, für Bürs 
gers, Real» und Töchterfchulen (,,1856':) Bekanntlich erhebt jet die for 
genannte neue Schule ihre Stimme und behauptet, der bisherige Weg, 
die Geographie zu lehren, fei unpaliend und des jepigen Standpunktes 
der Wiſſenſchaft nicht würdig, Nah neuer, wiffenfcaftlicher Methode 
fol der Unterricht betrieben und ſchon der Sertaner mit den Anfichten 
befannt gemacht werden(!), durch welche Zeune, Ritter, v. Bud, 
Link u. a. Herren der geographiſchen Wiſſenſchaften Die Aufmerkjamkeit 
der gelehrten Welt auf fich ziehen; von dem politiſch⸗ſtat iſtiſchen 
Elemente der Geographie darf kaum mehr die Rede fein(?). Ih 
bin nie ein Freund des alten Schlendrians geweien, aber eben fo wenig 
babe ich mich überzeugen koͤnnen, daß das neue Geograpbenthu mil)‘ 
zwedmäßig und nothwendig fei. Die rein wiffenfhaftlihe Gew 
grapbie gehört nit für die Schule... Die Schule fordert mehr 
das Praktiſche, und das bietet die von Ritter u. U. befolgte 
Methode nicht dar.... Man vermeide die Extreme, behalte den alten 
fideren Grund, benuße aber — und dies ift jehr wohl möglich, ja nach mei» 
ner Ueberzeugung die eizig zweckmäßige Weife — die neueren Ans 
Achten, und gebrauche davon, was jeder Klaffe von Schülern angemefs 
jen if. 

Sebt find es faſt 30 Jahre, Seit Director Bolger zum erften 
Mal mit feinem „Handbuch der Geographie für höhere Schulanftalten 
und für gebildete Leer,‘ und mit feiner „Anleitung zur Länders 
und Bölferfunde,” die mehr für Kinder und Ungelehrte, befonders für 
den eigentlichen Bürgerſtand“ beſtimmt war, Öffentlih auftrat. In 
jenem wollte er erflärtermaßen nicht rein wiffenfhaftlidhen, ſon⸗ 
den praktiſchen Zmeden folgen; daß die von ihm unter Befeitigung 
der Länder-Eintheilung nach Zeune’fhen Naturgrenzen (welche neue Geos 
grapben „oft fehlecht verſtanden und noch fchlechter angewendet” haben 
ſollen (2); vergleiche dagegen 3. B. Schlacht's und Dittenberger’s 
geographiiche Lehrbücher —), durch Aufnahme fpecielifter Länder» und 
Staaten» Eintheilungen, zablreicherer Städte und Ortjchaften, und einer 
Hülle hiſtoriſcher und naturhiſtoriſcher, ſowie Ratiftifher Notizen gefcheben 
ik, ift befannt. Eben fo if bekannt, daß damit die alte Methode von 
Fabri, Cannabich und Stein u. f. w. fortgepflanzt wurde. Der forts 
fhreitenden Wiſſenſchaft konnte diefe Methode nicht genügen; 
aber die neuere, ihr, adäquatere Methode machte weder den abftrufen 
Behler, „Sextaner“ mitden „Anſichten“ der geographifchen Herren 
zu bebelligen, noch verfiel fie in den fchwerlich minder feltjamen Feh⸗ 
ier, durch Die Weberfüle von Eintheilungen, Ortfchaften und Notizen 
alle Kraft und Neigung zu erdrüden, welche implicite oben „Schlen⸗ 
drian“ fignirt if. Dagegen ift es wahr, daß dag fatiftifchrpolis 
tifche Element der Geographie wirklig mehr als räthlich in den Hig- 


° 


= 


474 Geographie. 


8 


tergrund geſtellt ward. U. v. Roon gab in feinen 1834 zuerſt erſchie⸗ 
nenen „Anfangsgründen der Erd⸗, Voölker⸗ und Staatenkunde“ nur ein 
Analogon deſſelben; Viehoff (1835) und Polsberw (1838) nahmen eben⸗ 
falls in ihren „Leitfäden“ nur das „Wichtigſte“ oder eine „Vorſchule' 
der politiſchen Geographie auf, — Berghaus hatte in ſeinen „erſten 
Elementen der Erdbeſchreibung“ (1830) davon gar nichts; — aber von 
den 40r. Jahren an kam auch dies Element wieder zu mehr Recht. 3.8. 
Rhode rehabilitirte daſſelbe in feiner „Schulgeographie für die höhere 
Bürgerfchute‘ (1845), Daniel in feinem ‚Lehrbuch der Geographie” 
(1845); und ſchon in den beginnenden 30r. Jahren hatte Fr. Voigt 
in feinem „Leitfaden beim geograpbifchen Unterricht,“ wie feit 1820 
Selten der politifchen Geographie in feinem „‚hodegetifchen Handbuche“ 
für niedere Unterrichtöfreife ihren Pla gewahrt. Alle waren aber doc 
von dem „alten‘ Grunde zurüdgetreten und hatten fi den neueren Ans 
fihten angefhloffen. Das that in folhem Umfange der Director Bols 
ger aber heut noch nicht, er Hält an feinen Altern Anftchten feft, und es 
ift auch gut, daß ſolche Stimmen immer einmal wieder auf das Alte zus 
rüdweifen, indem dies zu einem vielleicht nöthigen- Korrectiv einfeitiger 
Meuerungen dienen ann. ebenfalls behält er darin Recht, daß die 
Schule feine wiffenfhaftliche Geographie ohne praftifch bedeut- 
fame politiſche Geographie gebrauchen Tann, befonders nicht die Reafs 
und Bürgerfchule; nur if das Ne quid nimis nicht zu vergeffen. 

b. Inſtituts⸗Vorſteher Dr. Geisler bemerkt in dem Vor worte zu feinem 
„Leitfaden beim Unterriht in der Erdkunde‘ (1856): „Der Ges 
fihtspunft, der dem Berf. beim Abfaflen Ddiefes Leitfadens vorjchwebte, 
it der praftifche, die Methode die concentrirende.. Wie geiſt⸗ 
reich und wiffenfchaftlih auch die neuſte geographifche Lehrmethode fein 
mag, die nah Nitterfhen Grundfägen von Berghaus und Roon bes 
gründet wurde, fo vermochte der Verf. doch das Bedenken nit zu uns 
terdrüden, daß wir ung damit in ein abftraftes Gebiet verirren, das 
Leben, welches der Menſch auf der Erde gefchaffen, unbillig vernacdhläf- 
figen, und namentlich dem Schüler, weldher aus den untern und mitt⸗ 
leren Gymnaſial⸗ und Realklaſſen in's Gefchäft tritt, nichts mit auf den 
Weg geben, was er in feinem Lebensberufe verwerthen kann. Der Berf. 
bat fich daher beftrebt, die Anforderungen der Praxis mit denen ber wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Methode möglichft zu verſchmelzen.“ — Dr. Geisler hat mit 
anerfennenswertbem Takt feine Gedanken in dem ‚Leitfaden‘ realiftrt, 
ber für deutfche Mittelfchulen beſtimmt ift, welche „binfichtli der res 
ligiöfen Grundlagen mit den Elementarfchulen,, binfihtlich der zweckmä⸗ 
Bigen Ausdehnung des realiſtiſchen Materials und der gediegenen Vor⸗ 
bildung im deutfchen Gedanfenausdrud mit den höhern Bürgerfchulen 
zufammentreffen, von diefen und den Gymnaflen aber dur die Aus⸗ 
fhließung alles Unterrichts in den alten Spraden vom öffentlihen 
Lektionsplan unterfchieden werden.” Inder That ift er der wiffenfchaftlis 
hen Methode, wie fie jetzt verftändig gehandhabt zu werden pflegt, gefolgt, 
er bat aber hiſtoriſche und naturkundliche Notizen, ale „beleben 
den Schmuck“ eingewebt, um der geifligen Anregung willen, und um 


" Geographie. 475 


Ye für Weltkunde in den Mittelſchulen zugemeffene Bett möglich aus⸗ 
zukaufen, und er Täßt die politifche Geographie in angemeffener Art 
zur Geltung fommen. (Bergi. unten Näheres im Literaturberidtt). 
Was im „Vorwort“ noch über das bei Mittelfehulen in den Mittels 
punkt alles welikundlichen Unterrichts zu flellende Vaterland, fo wie 
über die ‚‚zufammenfaffenden Bilder” fagt, welche der Jugend „zur Freude‘ 
vorzuführen find, flimmt im Grunde mit dem weiter oben hier ſchon 
darüber Gefagten überein. Dan fieht, hier iſt auch die Berüdfichtigung 
politifhsfkatiffifcher Momente für ein wefentlihes, praltis 
ſches Bedürfniß erachtet. Der Verf. hat nicht Unrecht, wenn er noch 
auf die Zufammenftimmung feiner Auswahl und Behandlung des 
Stoffe mit dem preußifchen „Regulativ‘ vom 1. Oktober 1854hinweift. 
e. Director Bock kommt in dem mehrerwähnten Sanuar » Heft des 
„Sähulblatts 2c’” (1856) ebenfalls auf dies praftifche Bes 
dürfniß zurüd. Beim Gehrauh der Karte weißt er auf „Städte, 
Straßen, Bandie, Eifenbabnen, reihe Bevölkerung‘ u. dgl. bin; er will 
hei Deutſchland nicht die Staaten und ihre Hauptflädte, bei Europa nicht 
die Länder mit ihren Hauptflädten, bei Preußen nicht die Provinz und ihre 
Sauptftädte überfehen wiffen. Ex verwirft ferner bloße eompendienartige Zus 
fammenftellungen, die „viel Knochen und wenig Fleiſch“ geben, und verlangt 
dagegen, die Gegenſtaͤnde zu lebendiger Anfchauung zu bringen, und damit 
einder Wirklichkeit entfprechendes Wiflen zu verntitteln, von dem 
bie Jugend einen „realen Gebrauch‘ machen kann. ‚Man enthalte ſich 
in der Geographie des compendiarifchen Wiſſens, das Wichtiges und Unwich⸗ 
tiges durch einander mengt, treffe eine gefunde Auswahldeffen, was für 
die einfachen Berbältniffe, in denen unfere Bauers- und Bürger 
ten te leben, gehört. | 
Was man gibt, das trete in frifchen Karben als Lebensbild 
auf. So fchildere man das Vaterland, fo werfe man Blide in die Fremde, 
fo weit fie in Beziehung zum Leben des Volkes ſteht. Alles Webrige, 
was in diefen Rahmen keinen Platz hat, laffe man lieber weg, als daß 
man durch die Häufung das Berechtigte beeinträchtigt und um eine 
anſprechend anſchauliche und Tebendige Darftellung bringt.‘ — 
Für Volksſchulen werden das immer leitende Geſichtspunkte fein, 
wenngleich es fi in der Schulpraxis wohl fo geftalten wird, daB nicht 
Alles, was gegeben wird, „in frifchen Farben als Lebensbild auftreten 
Tann, weit der fihern Einübung des wenn auch noch fo geringen Quantums 
pofitiven, immer dann etwas Dürren Materials auch Raum gelaffen werdeumuß. . 
d. In feinen „Beiträgen zum geographiichen Unterricht‘’ (1856) 
weit Dr. R. Nagel noch auf einen befondern Gedanken hin, der zwar 
in feinem Urfprung ber neuern Wiffenfchaft, in feiner Bedeutung aber 
doch der Praxis angehört. Nicht an allen Orten liegt die Rothwendig- 
feit der beflimmteften Berüdfichtigung des praftifchen Lebens gleich nahe. 
An Indufrieflätten, Handelsplätzen, in Produetensreichen Gegenden, an 
lebhaften Verkehroſtraßen u. dergl. Punkten iſt Jung und Alt wie mit 
allen zehn Fingern auf das praftifche Leben in der Nähe und Werne 
gewiefen ,. fo daß eine Beſchraͤnkung auf rein topiſch⸗, phyſikaliſch⸗ und 





476 | Geographie. 


wathematifch » geographifche Verhaͤliniſſe, ohne auf das ſleißige Regen 
und Leben der Leute und das, was damit im Zuſammenhange fteht, ein» 
zugehen, ein wunderlicher Mangel fein würde. Aber an folden Erd⸗ 
ſtellen ift zugleich die Unruhe des Treibens groß genug, um es rathlich 
ericheinen zu laffen, derjelben im Schulunterricht ein fiheres Gegengewicht 
geben zu helfen. Dies würde nicht durch zerfplitternde Details, auch 
wenn fie bie praktifch bedeutfamen Staaten-Eintheilungen beträfen, nicht 
durch Aufzählung aller der wichtigen nahen und fernen ähnlichen Ver⸗ 
febrsorte und durch ähnliche Dinge gelingen können, wohl aber durd 
den Hinweis darauf, wie jedem Lande durch feine Naturgeflalt bereits 
gleihfam feine Beftimmung, und damit auch fein Plag im „großen 
Gottesreih der Weltgeſchichte“ angewielen ift, fowie darauf, daß, „wie 
es jest in jedem Lande ausfieht, nicht blinder Zufall, fondern 
das Werk innerer, höherer Nothwendigkeit“ iſt. Ein folder 
immer wiederholter Hinweis öffnet mit der Zeit fowohl den Blick in die 
höhere, als in die und umgebende irdifche Weltorduung, und darin 
liegt fein für jugendliche Geifter eutfchieden bedeutender praftifcher Werth. 

e. Auf das praktiſche Bedürfniß meifen auch die oben unter 
1. 3. erwähnten „befonderen Tendenzen” bin. Die weltkundli⸗ 
hen und patriotifchen liegen äußerlich für Schule und Leben 
befonders nahe, die ſprachlichen und firhliden zielen mehr auf 
das innere Beduͤrfniß. Jene erflern beiden werden wabrfcheinlich ſich 
verbreiteter Zuſtimmung zu erfreuen haben, als diefe feßtern beiden, dad 
das hat der Jahresbericht nicht näher zu begründen und zu erörtern. 
Umfhau und DOrientirung in den BWeltverhältniffen, patriotifches Gefühl 
und Bewußtfein, Benutzung diefer Momente für das praktifche Leben in 
volksthümlichem Sinn, überlegt und männlih: da8 wird wohl Manchem 
Directer. erreihbar vorkommen, al& namentlih genügende Beachtung 
der auf firhliches Leben bezüglichen Momente, welche er für andere 
Unterweifung vorbehalten zu müffen glauben wird, Im Princip der 
Aufgabe Hriflicher Volksſchulen finden freilih letztere faſt flichhaltigere 
Begründung als erftere; aber es ift ſchwer, darauf fußende Forderungen 
exact genug zu formuliren. Für das welttundlichspatriotifhe Bedürfniß 
find deshalb neuerdings viel mehr und lautere Stimmen erhoben, ale 
für das kirchliche, welches im Gegentheil gerade von manchen recht lauten 
Stimmführern am meiſten hintenan geſetzt if. 


IV. Gegenwärtiges Verhältnig des geographifhen Schul- 


unterrichts zur Wiſſenſchaft, zur Pädagogik und zum 
praftifchen Leben. 


Wiffenfhaft, Pädagogik und praktiſches Leben find die 
drei Faktoren, "welche den geographiihen Schulunterricht gefalten. Die 
Wiſſenſchaft liefert das Material, die Pädagogik die Maaßgaben, wie 
bie Wege zu defien bildender Verwendung, das praktiſche Leben die ans 


- 


Geographie 477 


zuteebenden, IrBtgerlich erforderlichen Ziele. Alle drei müffen Sand in 
Hund gehen, eimanber wechfelweife durchdringen, für einander zum nöthis 
gen Gorrectiv beim Schulunterricht dienen, wenn nicht die Sache felbſt 
and ihr möglicher Erfolg für geiflige Bildung und äußeres Leben bes 
einträhtigt werden fol. Vorliebige Betonung der wiſſenſchaftlichen Seite 
führt zu Ergebniſſen, Die den praktiſchen Beben nicht proportional bleiben, 
fondern nur das abftraftere Gebiet des Wiffens cultiviren würden; über» 
wiegende pädagogifhe Rüdfichten führen leicht auf das unendliche Gebiet 
mwechfelnder Theorien, deren formelle Ausgeftaltung erfahrungsmäßig wer 
niger Frucht Schafft, als die erſte Begeifterung für diefelben fih davon 
verſpricht; auoſchließliche Berilfichtigung der Bebürfniffe des praftijchen 
Lebens führt zu Banaufismns. Die gegenwärtige Zeit ſcheint durch 
mindere Werthſchaͤßung der Wiffenfchaft als folcher, fowie der vor 10 — 20 
Jahren fo lebhaft bewegten Fragen, nad den padagogiſchen Grundſätzen 
‚und didaktiſchen Werfen, Ddiefelben in’ Leben erfolgreich hinüberzuleiten, 
einiger Gefahr platter Utilitäͤts⸗Beſtrebungen in den niedern Schulfreifen 
ausgefegt zu. fein. Es kann bei jährlichen Ruhepunften zur Rückſchau 
md Umſchau nur von Nupen fein, der beſtehenden Verhältnifie des Uns 
terrichts zur Wiſſenſchaft, zur Pädagogik und Didaktik und 
zum bürgerlichen Leben fi einmal wieder bewußt zu werden. 


1. Verhältniß zur Wiſſenſchaft. 


Der Schwerpunkt der neuern geographifchen Wiſſenſchaft fiegt 
m dem Nachweiſe des großartigen Zuſammenhangs zwifhen dem 
Lehen der Natur und der Gefhichte des Menfhen einerfeits 
mit dem Befammtihauplap beider, der Oberflähe der Erde 
andrerfetts; in der Erkennung und Darftellung des Ganges der ein« 
fachſten und am allgemeinften verbreiteten geographifchen Geſetze für Die 
Rebenden, bewegten und belebten Bildungen der Natur; in der Erfaflung 
der Einheit beim Zufammenwirden ihrer Kräfte in der Fülle und Mans 
nigfaltigfeit der Erfcheinungen. — Diefe Idee der geographifchen Wiſſen⸗ 
haft iR allumfaſſend; fie if der mütterlihe Schooß, aus welchem 
eine Reihe vormals nicht geahnter Korfchungen nah EinzelsBerhälts 
niſſen auf allen Gebieten des Natur» und Völkerlebens, eine Kette 
bon vergleichenden Betrachtungen derfelben in Bezug auf Urfprung, 
fortgehende Gntwidelung und Bollendung hervorgegangen iſt, welchen 
beiden die Tendenz innewohnte, die Wechfelbeziehungen und den 
den höhern Naturgeſetzen unterliegenden, innigen Zufammenhang auf 
allen Stationen und Sproſſen der Stufenleiter der Entfaltung diefer 
Serhältniffe zu erfahren, um das richtigfte und würdigte Gefammtr 
bild, den allein wahren Begriff des Lebens im Großen 
und Ganzen zu gewinnen. Hier gibts Männerarbeit, Arbeit für - 
ein ‚ganzes, davon ausſchließlich in Anſpruch genommenes Leben! Die 
Bedeutfambeit der Formen des Starren wie des Flüffigen auf der Erd» 
oberflaͤche, in ihrer fpeziellen, gefonderten Ausarbeitung und Ausbreitung, 
wie im ihrer Configuration umd gegenfeitigen Proportion; die Bedeut⸗ 


478 Geographie. 


famfeit der Richtungen, Maaße, Zahlen, Gliederungen, Wechſelſtelungern, 
des Innen und Außen, Hoch und Tief, der Iſolirung und der Verbin⸗ 
dung, kurz der räumlichen Anordnung; ferner der phyſikaliſchen Gewal⸗ 
ten, kosmiſchen Einflüſſe, der ethnographiſchen Phänomene, ihrer Unter⸗ 
lagen, ihrer Abhängigkeit von äußern und innern Cinflüſſen, ihrer 
Auspraͤgung im geſellſchaftlichen, ſtaatlichen wie im geſammten Cultur⸗ 
leben, nach Maaßgabe angeborner Stammeseigenthümlichkeiten u. ſ. w. 
Dies und vieles Andere iſt wiſſenſchaftliches Object und Inhalt der 
neuern allgemeinen Erdfunde — 

Es ift faum mehr nöthig, als nur die ſe Aufgabe und ihr Ziel 
umrißlih anzudeuten, um bei Denen, welche die gegenwärtige Situation 
des geographiihen Schulunterrichts kennen, den ungeheuern Abfland 
wieder in's Bewußtfein zurüdzurufen, der zwifchen der gesgrapbifchen 
Wiſſenſchaft und dieſem Unterricht fort und fort beſteht. Das kann 
und fol gar nicht anders fein. Keine Gelehrtenfchule, geſchweige eine 
niedere, vermag die weite Kluft zwifchen beiden auszufüllen; felbR jene 
bereitet Außerftiens in etwas umfaflenderm und tiefer gehendem Sinne 
auf das Lebensftudium der Wiſſenſchaft vor, fle erichöpft es aber nicht. 
Die weit aber bleibt vollends jede andere Schule vom Kern der Willen» 
fhaft entfernt, welche nur einzelne fporadifche Berhältniffe, iſolirte 
Glieder jener großartigen Kette des Einen ganzen Lebens der Erde, der 
Natur und des Menfchen in ihren nächften, meift nur Außerlihfien Bes 
ziehungen in Betracht zieht! 3. B. die äußere Gliederung in horizon« 
taler und vertifaler Richtung, die Proportion der Contoure zum Areal, 
die Arealgröße der Flußſyſteme, die Bedingungen der Unfledelungen der 
Menfhen, den Einfluß maritimer oder continentaler Lage auf äußern 
Berkehr und geiftige Bildung. In der That, dafür if in der Wiſſen⸗ 
fhaft gründlich geforgt, daß die Bäume unfers geographifchen Unter» 
richte nicht in den Himmel wachſen. Darum kann nur das wiſſenſchaft⸗ 
lihe Streben bei dieſem Unterridte Sorge machen. Entweder ift es 
für gegebene Berhättniffe fchlechthin unberehtigt — wie in- der 
Volks ſchule —, oder es ift irrig geleitet, wie in manden Bürger 
und Nealfhulen. Mehr als Lineamente werden felbf im günftigften 
Falle auch die ſen Schulen nirgends erreihbar fein, wenn man die 
erftaunfiche Aufgabe der erdfundlihen Wiffenfchaft dabei anfieht. Was 
über dieſe Lineamente binausgreift, geräth auf Irrbahnen, die den 
Schülern keinen Segen bringen. Gegenüber der unermeßlihen Summe 
des Stoffes im Gefammtgebiete diefer Wiſſenſchaft, iſt's kaum mehr als 
ein Senftörnlein, womit fih die Schule zu ſchaffen machen kann. Aber 
dies Senftörnlein ift doch dann nicht richtig erkannt, wenn man es in 
der bloßen detaillirten Zopif, in den gefonderten phyſikaliſchen, mathe⸗ 
matijhsaftronomifchen und ethnographifchen Srundiehren zu haben vers 
meint, und diefe deshalb mit Sorgfalt behandelt. Das find zwar Baus 
fteine, aber noch obne innern organifhen Zufammenhang. Wer nur 
jene, niht auh die ſen im Auge behält, der bat im Grunde genom- 
men das eigentlih wiffenfchaftlihe Element doch nit erfannt. 
Nun aber ſteht es nicht felten alfo, daß in irrthümlichem wiſſenſchafte 


Bevgraphie. 479 


lichen Streben jene loſen Baufleine mit diefem Elemente im Unterrichte 
verwechfelt werden; jene werden ſchon für wiffenfchaftlih gehalten, und 
And doch nur äußeres Material, das ohne einenden Gedanken eben 
zu der oft beflagten Gedächtnißs Belafung führt, von der kein Gegen 
zu Hoffen if. Das Baumaterial iſt zum Bau ſelbſtverſtaͤndlich nöthig, 
aber feine fachgemäße Ineinanderfügung iſt's erſt, wodurch es den rechten 
Werth erhält. Um Ieptere nun flieht es noch nicht überall zum Beften 
aus. Im Unterricht, der auch ein äußerlich für Andere erfennbares, 
greifbares Refultat liefern will, wird viel auswendig gelernt, ohne inneres 
Verſtaͤndniß der natürlichen Beziehungen, ja wohl ohne Anregung der 
Ahnung derfelben. Dagegen, wo dies Berfiändniß erfchloffen werden 
fol, wird theils auf eine Menge unverbundener Materialien verzichtet 
werden müflen, theils nicht auf fofort auf der Wagfchale nachzumägende 
Nefultate gebächtnißmäßigen Erwerbs ber Accent gelegt werden dürfen. 
Faſt alle Lehrbücher und Leitfäden ſtellen das Material pure bin, bie 
Karte allein faßt Vieles davon bereits zufammen, und macht ſchon bilde 
lich anf Wechfelbeziehungen aufmerkſam. Jenes aber todt einprägen, 
und diefe nur todt anbliden, führt Beides nicht zum Biel. 

Das weiß der bejfere geographiſche Unterricht gegenwärtig. Ihm 
kommt es darauf an, für folhe Schulen, deren ganze Aufgabe wiflen« 
Ihaftlihe Begründung des Unterrichts erfordert ‘oder zuläßt, das dien» 
lie Material . richtig auszuwählen, wiflenfchaftli anzuordnen und im 
Sinne der Wiſſenſchaft bildend zu behandeln. (Das Kriterium zweds 
dienlicher Stoffe liegt in ihrer Beeignetheit zu gründlicher und würdiger 
Belehrung über die wirklichen Erdverhältniffe im Ganzen und Einzelnen 
nad den vier befannten Haupibeziehungen derſelben.) Alles bloß Kurze 
weilige, aphoriſtiſch Notizenhafte, allen banauflfhen Ballaſt fcheidet er 
aus; den fernigen Stoff dagegen ordnet er-theils allgemein in große 
Sauptfiufen — cf. von Roon’s Were —, theils fpeciell in dieſen 
Stufen nad feRen Kategorien (Dreanographie. Hydrographie. Oro⸗ 
graphie. . . . Klimatologie, . . . Ethnographie), und verfolgt nun diefe 
af gefondert und dann comparativ, bis er dur den gewon« 
nenen Stoff und die unter Anderm auch durch gründlihes Karten⸗ 
lefen und bewußtvolles, freies Kartenzeichnen erlangte Herrſchaft 
feiner Betrachtungsweife endlih zur Zufammenfaffung der Elemente 
in wiffenfhaftlihem Geifte aufſteigt. Richtswiflenichaftlicher Uns 
terricht if fofort an dem Mangel diefer Anordnung und Betrachtungs⸗ 
weife, und namentlihd an dem Mangel vergleihender Behandlung 
und der eben bezeichneten Zufammenfajfung zu erfennen, bei welcher 
legtern im wiflenfchaftlihen Unterricht, dag kulturgeographiſche 
Moment beſonders aecentuirt wird. — Dem wiflenfchaftlichen Unters 
‚ richte war anfänglich auch das geordnete und planmäßig durch den ganzen 
Eurfus durchgeführte Kartenzeichnen allein eigen; gegenwärtig wirb 
das Kartenzeichnen in befchränfterem Maaße auch in nicht» wiſſenſchaft⸗ 
ligem wit benußt. Leßterer hat genau genommen nur in den geogras 
phiſchen Landfhafts» und Charakterbildern ein Analogon 
wiffenfchaftlicher Auffaffung. Uber wie ſtechen folhe Bilder nur zu 


480 Geographie. 


häwfig von dem ab, was ſie fein müßten, wenn ihnen wiffenihuft« 
licher Werth zuerfannt werden folte! Es iſt nur zu oft ein pele 
mele oberflächlicher, buntſcheckiger Notizen, mit einiger Keckheit und nicht 
fetten mit viel ſtyliſtiſcher Gewandtheit zurecht gemadt, was man dann 
für charakteriſtiſche Landſchaftebilder ausgibt! Wenn auch von 
vergleichender Betrachtung der Erdräume etwas im wicht, wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Schulunterriht vorfommt, fo iſt's in der Regel mır eine 
Bergleihung räumlicher Lagen, Größen⸗ Höhen-, Gliederungs⸗, Bes 
wäfferungs«, Produktions», Bendlferungs« m. dergl. Verhältniffe zwi⸗ 
ſchen zwei einander gegenüber gefellten Erdräumen, — alſo 
etwas gar fehr Aeußerlihes, was zwar die Wiſſenſchaft auch gebraucht, 
worüber fie aber infofern merklich weiter hinausgeht, als fie auf den 
einzelnen Erdfiellen die dort gegebenen Naturbedingungen 
mit dem faktiſchen Beftand der daraus entwidelten Raturs 
und MenfcheneBerhältniffe gufammenbält. Lebtere® er führt zu 
wiflenfhaftlich werthvollen Refultaten. Diefe Art comparativer 
Betrachtung ift am meiften bildend; fie iſt's, welche die ächteften Cha⸗ 
rafterbilder Kefern kann. Sie feht aber eine Höhe geweonnener geogras 
Philher Reife voraus, wie die Kinder niederer Schulen fie nit haben 
and nicht Haben können; und darin liegt der tiefere Grund, weshalb 
foihe wiflenfchafttiche Arbeit mit ihnen auch gar nicht anguftveben if. 
Dergleihen Kinder find in niederen Sphären auf populäre Art zu 
Aben, und haben eine vollauf ausreichende Aufgabe an der Durcharbeis 
Yung der wiätigften vaterländifchen geographiichen Verhältniſſe amd 
einer mäßigen Summe von ſolchen anderen, welde die europäifhen 
Länder und in noch Fürzeren Skizzen die außereuropäifhen Erds 
theile und die allgemeinfien mathematifch«aftroenomifhen Berbältnifie 
der ganzen Erde betreffen, — was die zmedmäßigere unter den gang» 
baren Leitfäden gegenwärtig auch nur zu umfaſſen pflegen. Zur Beach» 
tung des maaßlofen Aggregats von fogenannten Merfwürdigkeiten ift im 
feiner Schule Raum und Zeit. 


- 2. Berhältniß zur Pädagogik und Didaktik. 


a. Der geographiiche Unterricht flebt feinem pädagogiſchen 
Werthe nach nicht in erfter Linie Er Hat dem jugendlichen Geiſte 
zwar einen gewiflen Schatz nußbarer Kenntniffe zuzuführen, Die verfchies 
denen geiftigen Kräfte zu befchäftigen, zu üben, fie entwideln gu beifen, 
auch Durch ſtrammes Heranziehen des jugendlichen Weſens, und entichies 
Denes, geordnetes Feſthalten bei den durchzugebenden Penſen bie geiftige 
Zucht deffelben mit zu fördern; jedoch hat die Pädagogik zur Erreichung 
derſelben Zweche auch nod andere, mehr in's Gewicht fallende Gegen⸗ 
fände. Tintergeordnet, wie die Stellung des geographiſchen Unterrichts 
in der Säule feinem Weſen nah if, bat er fih alfo auch als ein 
Lehrgegenſtand zweiten Ranges in den Geſammtkreis der jugendlichen 
Bildungsgebiete einzufügen. In der neufen Zeit hat er für die Bolt 
ſchule alle Selbſtſtaͤndigkeit verloren, er ift jetzt Vehikel, oder hochſtens 


Sesgraphie; 44 
integrirender Theil des populären weltkundlichen — realen — 
Unterrichts. Auch in den niedern Bürgerfhulen erhebt er fi 
zu feiner eigentlihen Selbffländigfeit, fondern geht darin der Regel 
nad an der Hand des Geſchichts unterrichts einher. Die höhern 
Bürger: und Realfhulen laffen ibm dagegen den vollern, freiern 
Spielraum. So ent[priht es den gegenwärtigen päbagogifchen Ans 
fdauungen. 

Dbgleih der geographifche Unterricht aber in der Volksſchule 
feine Selbſtſtändigkeit, die er durch die Peftalozzianer, namentlih durch 
Tobler und Henning u. A., errang, wicder eingebüßt bat, wohl auch 
mit darum, weil der in ihm liegende eigenthümliche Reiz für die Zus 
gend, und die namentlich in jeinem Bereich eben fo vielfeitig dargebotenen, 
als ausgebeuteten Gelegenheiten zu den mannigfaltigfen didaktifchen Er⸗ 
perimenten, die Bedeutfamkeit fünftlich über das berechtigte Maaß hinaufs 
geſchraubt hatte; jo hat er Doch darin noch eine pädagogifche Stellung 
inne. Für Hütelinder mag er ad acta gefchrieben fein; aber ſchon die 
ſchlichteſte Dorfihule ſoll ihre Vaterlandskunde und fogar etwas 
mehr auch heute noch haben, und daraus pädagogifh und focial 
einen gar nicht zu gering anzufchlagenden Gewinn ziehen. Sie fol dag 
engere und weitere Vaterland auch nach feinen geographiſchen Eigen» 
thümlichkeiten und VBorzügen kennen und fchäßen lernen, um es dann 
bewußt zu lieben und, fo es erforderlich werden follte, [hüßen und vers 
theidigen zu helfen. Für die ſtädtiſche Volksſchule und niedere Bürger 
ſchule ift fein Umfang und Inhalt ſchon größer und reicher, feine Pflege 
auch ausgedehnter. Er gibt fein Material fördernd wohl auch für 
ſprachliche, beflimmt aber für geihichtliche Zwecke — im weiteren 
Sinne des Worted — ab, erweitert den jugendlichen Gefichtsfreis äußer⸗ 
ih und innerlich, felbf wo es unfatthaft if, einen weitumfaflenden geos 
graphifchen Lehrplan durchzuführen, und if in feinen pädagogiſchen Bes 
ziehungen alfo durchaus unverächtlih. Die einfache Elementrfhule mag’ 
ihre Geographie aus ihrem Lefebuche und einigen Karten lernen, die 
gehobeneren Schulen werden aus verwandten pädagogifhen Gründen auch 
noch anderer, breiterer Unterlagen fi bedienen müſſen, um den reichern 
Erfolg zu garantiren, zumal wenn in ihnen die Geographie die Grunds 
lage und das Bindemittel weltkundlicher Belehrungen nah feſtem 
Plane werden fol; — So wird es auch in der Regel in diefen 
Säulen jept gebalten, wo man mit Parem Bewußtfein über die päda⸗ 
gogifche Aufgabe die Sache treibt Willfür und fublectives Belieben 
bat da feine berechtigte Stimme. So lange die neuere Pädagogik, wenn 
auch mit gegen frühere Zeiten größerer Einſchränkung, den geographis 
ſchen Unterricht fordert, — und fie fordert ihn ſchon zur Unterflüßung 
patriotifcher, ja, 3. B. beim heiligen Lande und den vom Chriſtenthum 
in ältern und neuern Zeiten eroberten Gebieten, auch zur Unterftübung 
firchengefchichtlicher Zwede —, To lange fordert fie auch deffen für die 
geifige und gemüthliche Ausbildung der _ Jugend ergiebigfte Ausbeus 
tung, — gleihviel ob derfelbe in zweiten oder noch anderm Range 
Beht. Auf dieſe Weife erobert fie allein deffen pädagogifcde Birfins 


Nade, Jahresbericht. X 31 


482 Geographie. 


gen und Früchte, die bekanntlich nicht in der Menge von Bergess, Fluß⸗ 
und Städtenamen, Zahlen⸗Angaben aller Art und ähnlichen Dingen bes 
ſtehen, welche dem Gedächtniffe aufgebürdet find, fondern in einer Ans 
regung der jugendlichen Kräfte, einer Rihtung ihrer Uebung auf Ob» 
jecte, welde dem jugendlichen Sinne nicht allein zufagen und dem Geifte 
nit allein eine Mannigfaltigfeit von Anſchauungen, fowie eine viel 
feitige Gelegenheit zum Nachdenken und Beurtheilen darbieten, welde 
vielmehr aud außerdem für das Leben ein unentbehrliher Schaz find, 
zumal bei denen, die fich über bie Kreife der Ungebildeten erheben wollen. 
Erfrifhung und Erfreuung, Antrieb zur fpontanen Geiftesthätigfeit, Er⸗ 
wärmung für fociale Intereffen und innere Theilnahme daran entwidelt 
fh wie von ſelbſt dabel, ohne Tag mit Nothwendigkeit Vorliebe zu mas 
terialiftifchen, nur in eitfe, weltliche Dinge ſich verlierenden und von 
Gott fi entfremdenden Beftrebungen dadurch entzlindet werden müßte. 
So die pädagogiſche Stellung des geographifhen Schulunterrichts 
an und für fi, wie fle jegt il. Ob in der einzelnen Schule, von dem 
und jenem Lehrer diefe Stellung richtig gewürdigt wird, ob nicht über 
das verordnete Ziel hinausgefchritten, manche taube Blüthe und wurms 
ſtichige Frucht da und dort zu Zage fommt, — das tangirt jene Stel⸗ 
fung ſelbſt nit; das find fubjective Ubirrungen und Gebrechen, wie 
ähnliche auf allen andern Unterrichtsgebieten vorkommen. 

b. Was das Verhältnig des geographiichen Unterrichts zur Dir 
daktik anbetrifft, feine gegenwärtige Stellung in Betreff der Methode 
feiner Behandlung, fo haben far alle Jahrgänge des Pädagogifchen 
Jahresberichte davon zu reden gehabt, und der Ruͤckblick auf das darin 
Beigebrachte überhebt der Nothwendigfeit, dies Berhältniß aufs Reue 
umfändlih zu recapituliren. Es iR eine große Buntheit der methodi⸗ 
ſchen Borfäpläge vorzuführen gewefen. Je nachdem ein rein analytiſches 
oder rein fignthetifches, oder ein aus beiden combinirtes Berfahren, eine 
mehr elementare oder mehr wiffenfchaftliche Behandlung, mit oder ohne 
Bugrundelegung von freien Karten⸗Conſtructionen, eine fefte Unterfcheis 
dung von aus der Sache, oder aus der allmählichen fubjectiven Ent⸗ 
widelung des Schülers hergeleiteten Stufen, eine Kombination mit alten 
welttundiihen Fächern oder nur mit einzelnen (etwa Geſchichte und 
Raturkunde), eine Befchränfung auf die faßlichften Stüde, oder eine Aus⸗ 
dehnung bis zur @ulturgeographie u. U. m. von den einzelnen Stimm: 
führern für das didaktiſch Richtige gehalten wurde, je nachdem find dieſe 
Borfhläge formulirt. Neben fehr Durchdachtem, Trefflihen, Praktiſchem 
findet fih unter ihnen, wie die Sahfundigen fattfam wiffen, manches 
Halbe, mandyes Ertravagante, mandes Thörichte und entſchieden Ver⸗ 
fehrte. Es find fo viel Köche an diefe Speife herangetreten, daß es 
fein Wunder ift, wenn diefelbe nicht einfach, nahr⸗ und. fhmadhaft ger 
blieben und zuletzt alle „unpraktiſche Reflexion und alles für die Zwecke 
einfacher und gefunder Volfsbildung erfolglofe Erperimentiren“ böhern 
Orts an den Seminarien geradezu inhibirt worden if. Wie vielgeſtaltig 
aber im Einzelnen die methodifche Behandlung des geographifhen Unter⸗ 
richts auch zur Zeit in den Schulen noch fein möge, das ſtellt ſich 


Geographie. 483 


doch als das Gemeinſame heraus, daß ein anfchaulidker Eurfus ber 
Heimathskunde dem eigentlichen geographiſchen Unterrichte wie eine 
Art Propädeutif deflelben vorangefchidt zu werden pflegt, namentlid 
auch zum Zwed der elementaren Gewinnung der geographifchen Grund⸗ 
begriffe. Den Unterricht ſelbſt knüpft dann die Bolfsfhule an’ 
Leſebuch, die Bürgerfhule in der Megel an einen kurzen Leit⸗ 
faden, bei fletem Gebrauch der Karten. In beiderlei Schulen wird 
das Vaterland vorzugsmweife berudfihtigt, in der Bärgerfchuie 
dad Uebrige entweder in concentrifchen Gurfen fo erledigt, daß man 
fämmtliche wichtigen geographiſchen Berhältniffe an jedem der Erd⸗ 
theile befonders, oder daß man jede der Hauptkategorien diefer Verhälte 
niffe einzeln dur alle Erdtheile verfolgt. Werden noch belebende 
Landfhaftsbilder eingelegt, und wird noch Pas freie Karten⸗ 
zeichnen Hinzugefügt, fo entivriht mar damit den neuen didakti⸗ 
ſchen Anforderungen der Einen, während die Kombination der Geogra⸗ 
phie mit andern realen Lehrgegenfländen, oder die Goncentration be# 
ganzen welttundlichen Unterrichts auf biblifcher Grundlage den Ans 
forderungen der Andern entſpricht. 


3. Berhältniß zum bürgerlichen Leben. 


Das Bedärfniß geographifcher Kenntniffe für die mancherlei Kreife 
des bürgerlichen Lebens ift fo verfchieden, wie dieſe ſelbſt. Go iſt gering 
für den fehlichten Landmann, größer für den mehr unterrichteten, denken⸗ 
den Sandmann, noch größer für den in lebendigen und ausgebehnterem 
Geſchaͤftsverkehr flehenden Birrger und für viele Beamte, welche ihre 
allgemeine Borbildung für ihren fpegiellen Beruf in ber Bürger» und 
Nealſchule fuchen und finden. Mit bloßer Hebung des Geiſtes 
an geographifchen Objecten ift dem bürgerlichen Leben nicht gedient, es 
begehrt außerdem einen bald größern bald Meinern Schat beherrichten 
geographifcher Kenntniffe zum Behuf leiter Drientirung in ben drikie 
ben, ſtaatlichen, Productions⸗, Handels» und Berfehrsverbältniiien, auf 
welche der Lebensberuf die Einen wie die Andern hiuweiſt. Der Mangel 
eines ſolchen Schatzes wird fyäter meiſtens lebhaft beftagt, weil er mit 
mehr Schwierigkeit in fpätern Jahren zu eriegen iR, ats ihm in dem 
Schuljahren hätte vorgebeugt werden koͤnnen. Der Wanderburſch, des 
Soldat, der Gefhäftsreifende, der Fahrikant, der Kaufmann, der Aufe 
fihtebeamte über arößere Gebiete, der Poſtbeamte und viele Andere ind 
weit beffer daran, wenn ihnen die Schule au eine angemeflene geogsae 
phiſche Mitgift überliefert hat, als wenn fie genöthigt find, im prakti⸗ 
fhen Leben erſt dieſe Kenntniß zu erwerben. Bon den höher Gebildeten 
fann ihrer feiner entrathen; in taufend Faͤllen erſchließt Ach durch fie 
er das Verſtändniß vieler ihnen in ihrem Amt und ihren Studien vor 
tommenden Berhältniffe. Aus dem Allen geht aber unlängbar hervor, 
daß die Schule bei ihrem geographiſchen Unterricht nidyt nach abſtratten 
Theorien verfahren, und das Bedärfniß des bürgerlichen Be» 
bens ignoriven darf; fondern fie hat demfelben gereht zu werden. 
Mag immerhin mancher Einzelne feinen geographifcken Srwerd nachmale 








8 Geographie. 


gar nicht oder nur zum geringen Theile verwerthen, das gibt der Schule 
fein Recht, ihre Schuldigkeit zu verfäumen. Mancher, der in der Ju⸗ 
gend viel Fleiß auf die alten Sprachen verwendet bat, eultivirt fie im 
foätern Amt aud nicht weiter, fei’s aus Geſchäftsüberbürdung, ſei's 
ans Indolenz oder welch’ andern Gründen. Gelehrt und gelernt müſſen 
diefe Sprachen darum doc werden. 

Es ift wahr, die Bebürfniffe des äußeren bürgerlichen Lebens find 
überwiegend materieller Natur, und es könnte bedenklich ſcheinen, um 
dieſer Ratur derfelben willen ibnen mit allerlei Hülfen entgegenzufommen. 
Man vergeffe jedoch nicht, DaB die materielle Seite des Lebens ihr gutes 
Recht hat, die einestheils beberricht, und der anderntheild aud gedient 
fein will. Beides hat übrigens feine Schranke ja eben fo gut, ale fein 
Recht, wie es feine Gefahr ebenfomohl haben mag, als feinen Segen. — 
Außer den bloß materiellen Anforderungen, namentlich in Rüdficht auf das 
Gewerbss und Handelsleben, gibt es jedoch auch nach andere von höherer 
Ratur. Als oben I. 8 der befondern Tendenzen des geographiſchen 
Eäuiunterrichte gedacht wurde, ift erwähnt worden, daß gegenwärtig Die 
voterländifhen und kirchlich⸗chriſtlichen Regungen, weldhe unfer 
Volks⸗ und Staatsleben durchziehen, auch praftifche Bedürfniffe in’s 
bürgerliche Leben pflanzen, auf welche der geographiſche Schulunterridht 
ebenfalls Rülächt zu nehmen bat. Gr bat die auf's Neue beichten pas 
triotifhen Intereſſen zu nähren, den Blick darauf mehr als auf Die 
Nachbarlaͤnder und NRachbarvoͤlker gerichtet zu erhalten, den engen vater⸗ 
Undiſchen Zufammenfhluß der Gedanken und Behrebungen zu unter⸗ 
Rügen, um die natürlichen Kräfte und Quellen des Baterlandes immer⸗ 
mehr entwideln und Öffnen zu beifen, um fo das Bewußtiein der Ger 
meimnjamfeit der urfprünglichfien Lebenselemente unſers Volkes auf ein 
and derſelben vaterländifchen Erde in den verfchiedenften Bauen derfelben 
anzuerzieben und feR in bie Gemüther einzupflangen. Diefe Stellung 
zum bürgerlichen Leben if wichtig. Sie if zwar jener vorhin bezeich⸗ 
weten nicht congruent, fie widerfirebt derfelben aber auch nicht; es fan 
beiden gang wohl mit einander am gleichen Lehrobiect entiprochen wer« 
Den. — Außerdem werden es noch in jehr vielen Faͤllen locale Um⸗ 
ſtände fein, weiche auf die Berülfichtigung im geographiichen Unterricht 
in der Schule ein Anrecht haben. Wo ein Ort oder feine nächte Ums 
gebung unter dem befonders greifbar nahen Einflug von geographifchen 
Berbältniffen fleht, welche das gefellfchaftliche Leben darin weſent⸗ 
lich mit geftalten helfen, da if es auch ein befonderes Bedürfniß, den⸗ 
feiden im Unterriht ihr befonderes Recht widerfahren zu laflen. Die 
Nahe geographiſch bemerkenswerther Einzelpunfte, Landſchaften u. dergl., 
wohin die Wanderzüge der Fremden gerichtet ſind, nahe Fürſten⸗ und 
Herrenſitze, welche durch Lage und Naturumgebung hervorragen, Bäder 
in romantiſchen Gegenden, hiſtoriſch denkwürdige Erdſtellen, deren nationale 
Bedeutſamkeit von Geſchlecht zu Geſchlecht forterben ſoll, u. drgl. m.: 
das find ſolche loeale Umftände, welche nicht füglich übergangen werden 

Es wäre Unnatur, davon ſchlechthin zu ſchweigen, oder fig 
anch nur zu nerfäumen. 


4 


Geographie. 485 


le ſolche und ähnliche Momente heifen die Stellung bes geogra⸗ 
phiſchen Schulunterrichts zum proßtifhen bürgerlichen Leben befiinw 
mer. — Ob und wie ihnen thatfähli in .den einzelnen Schulen in 
Stadt und Land Rechnung getragen wird, das fann ein Jahresbericht, 
wie der vorliegende, nicht nachweiſen; die Gognition davon liegt vor 
nehmlich in den Händen der Behörden. Jedoch da die ganze Strömung 
der Jetztzeit anf Beahtung gegebener Berhältniffe und der damit im 
Zufammenbange flebenden Bedürfniffe des wirklichen Lebens gerichtet 
iR, fermer, da die Lehrerbildung ganz vorzugsweife fo geordnet wird, 
daß die angehenden Lehrer viel an die einfahe Pragis gewöhnt werden, 
um fie zum bildenden Anſchluß an die Wirklichkeit und zur erfolgreichen 
Förderung ihrer wohlverflandenen Intereffien durch die Schule zu befähis 
gen; fo laͤßt fi mit Grund hoffen, daß im Bergleich zu früheren Jahren 
ein merkbarer Fortfchritt im der praßtifch richtigen Geſtaltung des ges⸗ 
graphiſchen Unterrichts für die mittleren und niedern Volksſchichten ger 
than fein werde. . ' M 


In den bisher erftatteten Jahresberichten vom Jahre 1845 an bis 
1856 find der Seiten des geographilchen Unterrichts nach und nad eine 
ziemliche Anzahl dargelegt. Die Geographie ericheint wie ein edles Ger 
Rein, an welchem durch befonnene und nahhaltige Arbeit viel glänzende 
Flaͤchen berausgefchliffen werden können, in denen fi das Licht mannig⸗ 
fach bricht, und von denen es wohlthuend wiederfirabtt. Es find an ihr 
noch immer Gebiete, welche eine nicht unbelehrende Beſprechung zulaſſen. 
Sobald Die Literatur oder das praftifche Schulleben fie mehr an’s Licht 
ziehen wird, und fo Gott Leben, Befundheit und die Möglichfeit der 
Arbeit ferner ſchenkt, fol in fommenden Zeiten darauf das nähere Augen 
mer? gelenkt werden. Bis dahin gibt es an dem Geitherigen immer 
noch viel zu erwägen, zu lernen und in die Pragis einzuführen. 


Zur geographifhen Literatur ded Jahres 1856. 


1. Leitfäden, Lehrbücher, Handbücher. . 


I. Dr. A. Geisler, Infituts» Borficher (in Brieg): Leitfaden beim 
Unterridt in der Erdfunde In drei Curſen. Für deutfche Mitte 
faulen. Zweites Bändchen: Das Königreich Preußen für preußiiche 

ittels und mehrBlaffige Elementarſchulen. Halle, Schmidt. 1856. 56 ©. 

Na pr. 

Die Einrichtung des Leitfadens wird bei der weiter unten 
(Ar. 13) erfolgenden Befprehung des erſten Bändchens näher bes 
zeichnet werden. * Auch im 2. Boch. ift der Stoff in drei einander ers 
gänzende Curſe vertheilt, indem der Inhalt der laufenden Paragra⸗ 
phen bald dem erfien, bald den beiden erfien, ober dem zweiten ober 
— wie bei den Städten — allem drei Curſen zugewieſen iR, Es 


486 Geographte. 


Zommen der Reihe nach alle geographiſchen Beziehungen Vreußens zur Sprache, 
außer den rein topiſchen namentlich noch: Verfaſſung, Verwaltung, Recht 
soflege, Meberfihten von Hauptſtädten, Regierungs-Bezirten, Appellationss 
und Kreis⸗Gerichtsſitzen, Unterrichtsweien, Klima und PBroducte, Ir 
duſtrie, Handel, Abflammung und Religion der Bevölkerung, Lands und 
See⸗Kriegsmacht. Ob nicht etwas ahgeindert zu ei ordnen geweien wäre, 
iſt irrelevant. Bei jeder Provinz wiederholen fih — nad Umfänden — 
dieſelben Rüdfichten, und werden angemeflen ergänzt. (Kanäle, Eiſen⸗ 
bahnen, Städte in den Regierungsbezirten nad der Lage an Gewäſſern.) 

Bier für den ganzen Staat, fo find für jede feiner Provinzen Die wid 

tigſten bitorifchen Momente in tabellarifcher Form aufgeſtellt. Schle⸗ 

fien macht durch ausführlichere Darfieflung eine Ausnahme; indem der 

Bert. dabei das Material zur ſchleſiſchen Heimathkunde darbieten, 

sbeild die Behandlung der übrigen Brovinzen daran exemplificiren wollte. 
(In 8.92 find deshalb auch die induftriel wichtigen Flecken und Dörfer 
aufgeführt) Zum Schluß find Fragen und Aufgaben zur Bearbeitung, 
fowie eine Städtetabelle, nach der Bemwohnerzahl geordnet, zur Bergleis 
Sun ‚ nebft Anhaltepunkten für die Geſchichte des Königreichs Preußen 

angehängt. Das Buch iſt ganz brauchbar und gut; für @lementarfchulen 
bürfte des Stoffes ſchon zu viel fein. 

.2. Aug. Lüben: Leitfaden zu einem metbodiſchen Unterricht in 
den Geo rapbie für Bürgerfhulen, mit vielen Aufgaben und Bragen 
zu mündlicher und ſchriftlicher Löfung. Yünfte, verbefferte ee 
(VIII u. 184 ©.) Leipzig, ©. Felfder. 7 7! Ser., cart. 

[®orrede. „Die vierte, Oſtern 1855 erfchienene — dieſes 
Eeitfadens war bereits nach wenigen Monaten ſoweit vergriffen, daß ein 
teuer, unveränderter Abdruck derfeiben veranflaltet werden mußte Nach⸗ 
den auch diefer wieder volländig in die Eulen übergegangen if, ers 
ſcheint jetzt eine neue Auflage, für deren Berbefferung der Verfaſſer Aus 
getban hat, was ihm wünſchenswerth erfchien. Namentlich baben im 
dritten Curſus viele Abjchnitte wefentlihe Zufäge, andere Berichtigungen 
erhalten, foweit die Forſchungen reifender Seographen dazu Anlaß gaben.“ 
A. Lüben.) 

3. Dr. G. ©. Leo, Conſiſtorialrath: Baterlandöfunde für Säule und 

- Haud im Königriig Sachſen. Mit einer Karte. Leipzig, Klinkhardt 

856. 7768. 6 Sour. 

ein in wohlthuend «gemüthlicher , aniprechender Weife nad dem 
Wanderpiane der ‚‚Befchreibung des Königreihe Sachſen“, eines von 
demſ. Verf. herausgegebenen Leſebuchs (ef. VII. Pad. Jahresber. S. 238), 
angelegtes Schulbüchlein, worin, nach einer die allgemeinen geographi⸗ 
ſchen Berbättniffe Sachſens zufammenfaſſenden Einleitung, die vier Kreis⸗ 
directions⸗Bezirke durchwandert werden. Die Ortsbeſchreibung iſt durch 
CEinwebung der wichtigſten geſchichtlichen, induſtriellen, merkantilen, fünf- 
leriſchen, wiſſenſchaftlichen, baulichen u. ſ. w. Merkwürdigkeiten verleben⸗ 
digt und patriotiſch geſtaltet. Selbſt der Gofnirtäfgaften ift öfter ges 
dat! Außer allgemein berühmter Männer wird auch örtlid beachtens⸗ 
wertber gedacht; darunter find Autoren, Zonfeper, flernkundige Bauers⸗ 


v 


Geographie. A 


leute, Induſtrielle, patriotifhe Menfchenfreunde u. dergl. Bei Beinern 

Ländern hat das befondere Bedeutung, und Sachſen hat von jeher auch 

in dem ſchlichten Land» und Bürgersmann einen gewiſſen geiftigen Bus 

fammenhang mit Kunft und Gelehrſamkeit zu erhalten geſucht. Für 

Kinder dürften die Urtheile über Bildyngsanflalten noch in Wegfall 

zu bringen fein. Wegen ber Einflehtung der denkwürdigſten geſchicht⸗ 

lihen Greigniffe in die Ortsbefchreibung fehlen befondere geſchichtliche 

Abfchnitte. Landfchulen wird das Büchlein beſtimmt willtonımen fein, 

zumal da eine ganz befriedigende Karte aus Ktunſch Atlas (VIII. Ba. 
Jahresber. ©. 286) beigegeben if. 

4.3.9.5. Upfelkedt: Heimathokunde des Fuͤrſtenthums Schwatzburh⸗ 
Sonderöhaufen. 2. Heft. Sondershaufen, Cupol. 1856. 10 Egr. 

5. F. Breuker, Retor: Leitfaden in der Erd» und Waterlands- 
Tunde für Bollsfhulen. Mit Vorwort non Sentor VBödeler. Alfeld, 
Oſterode. 164 S. 12mo. 3%, Sgr. 

6. Dr. W. Ehwanb: Das deutfhe Gebirgéland in phyfialiſcher 
Bestebung. it 1 Karte. Kaflel, Luckhardt. 1855. 36 S. 10 Bar. 

7. &. Steinbard: Deutfhland und fein Bolk. Ein Leſe⸗ und Haus⸗ 
buch für Jung und Alt zur Körberung und Belebung vaterländifdgen Sinnes 
und Wiſſens. 1. Bd,. (Blef. 1-3). Deutihland im Allgemeinen. 
(a. u. d. T.: Volksbibliothet der Länders und Vöolterkunde, 
oder geographifche Haus» und Lefebüder für Jung und Alt. 1. ®b.) 
Gotha, Scheube. 1856. 658 S. 1 Thlr. | 

In der genannten „Vollksbibliothek 2c. fol mit Benugung der 
Form von Beifebeichreibungen in edel volfötbümlicher, lebendig veran⸗ 
ſchaulichender Darfellung von Land und Leuten der einzelnen Staaten 
in ihrer Entwidelung die Summe der Ergebniffe geogmphifcher For⸗ 
fchungen dem Volke näher gebracht werden durch belehrende und unters 
haftende Lectüre. Der Anfang if mit Deutfchland gemaht, wovon 
der 1. Band das Land behandelt. Förderung und Belebung des deute 

Shen Sinnes und Willens fol durch anziehende Friſche in Berbindung 

mit gehöriger fachlicher Gründlichkeit erzielt werden. Es ‚läßt ih nur 
rũhmlich anerkennen, daß der erfte, vorliegende Band die Verſprechun⸗ 
gen erfüllt. Obwohl die Anlage etwas weitausfehend erſcheint, jo find 
doch fehr fhöne und lehrreiche Abichnitte ſchon jept hervorzuheben. 
(3. B. Deutichland ein Land der Mitte in oro⸗, hydro⸗, phytho⸗, ethno⸗ 
grapbifcher, biforifher und geiftiger Hinfiht. Die Alpen) Es vereinis 
gen fi in dem Buche mehrere Elemente, welche es für die gebildetere 
Zuaend zu einem jehr angenehmen und belehrenden Lejebuche machen: 
unigfaltigkeit und Reichthum der darin behandelten Sachen, große 
Sorgfalt der Details in vielen Bartieen, tactvolle Benupung guter 
Sorfeherarbeiten (Riedl, Schlagintweit), Anfchaulichkeit der beſchreibenden 
Darftellung , die fi oft zu poetiiher Schilderung von Landfchaften und 
Naturſcenen erhebt und mit zahlreichen, gutgewählten poetifchen Remis 
nis geſchmückt iſt, umfichtige Wahl und Abwägung des vorzugs⸗ 
meife Wichtigen und Behandlung deſſelben mit warmer, patriotifcher Hin» 
abe. GBeiſpiele liefern außer den vorhin genannten „Alpen“ aud 
inzel⸗Abſchnitte dieſes mit großer Ausführlichkeit behandelten Momente, 


ww Geographie, 


"namentlich die natürlihe Befchaffenheit der Alpen, die Mimatifchen Ver⸗ 
hättniffe, das Pflanzens und Thierreich derfelben, die Gletſcher und Las 
winenz ferner der Küftenfaum des norddeutfchen Tieflandes, die deut⸗ 
fen Zlüffe u. f. w.) Die Alpen in ihrer reichen Gliederung, die an 
einzelnen Stellen bis in's Spezielffte verfolgt und mit allerlei Wander 
bildern und Retfebliden ifluftrirt if (Br.-Slodner S. 67 ff., Ortler 
S. 127. 131 ff, Alpenthäler, Straßen, Päffe, Erdftürze u. f. w.) füllen 
fa eine ganze Hälfte des Bude. Das deutfche Mittelgebirgsland bat 
anf faft 200 Seiten in fehr überfichtlicher, wohlgegliederter Ausführung 
eine ebenfalls recht anziehende Darftelung gefunden. Daffelbe gilt vom 
Rhein und feinem Gebiet, mo ohnehin viel Anlaß aud zu poetiſchem 
Schmuck und frifher, gehobener Schilderung war. Berbäftnißmäßig 
kurz find Deutſchlands künſtliche Wafferfiraßen und Seen, fein Klima 
nnd feine Raturproducte behandelt. (S. 837 —658). — Das Ganze 
bietet ungemein viel lieblihe Seiten dar, fpricht oft mit großer Leben» 
Digfeit zum deutfchen Gemüth und if ohne Zweifel recht geeignet, Liebe 
zur nähern Kenutniß unfers Baterlandes zu entzünden. Ueber ben 
Haus bedarf geht die Detaillirung öfter weit hinaus, zumal da fie nicht 
ohne genaue topographifche Karten verftändlih werden dürfte. 

8. Dir. Dr. Vogel in einzig, Joſ. Wenzig, Schulrath in Prag, und 
Fr. Körner, Dberlehrer AI f ne 58 er * de HR ch. — 
ei raphiſche Bilder aus der Heimath in Schilderungen aus Ratur, Ges 
chihte, Induftrie und Dollaleben. Leipzig, Spamer. 1856. Erſte Abs 
theilung in 4 Bon.: Yüuftrirte neograpbifäe Bilder aus Defterreid; 
1. 3d.: Bilder aus Rieder» und Ober:-Defterreih, Salzburg und Steier⸗ 
mark, nebft Einleitung: Kaiſerthum Defterreih und ſein Herrſcherbhaus. 
Bon Fr. Koͤrner. Mit über 60 Abbildungen. 221/ Ser. 2. Bd: Bilder 
aus Tyrol, Kärnthen und Krain, Rüftenland und Trieſt, Lombardei und 
Benedig. Mit 90 Abbild. 1 Thlr. — 2. Abtbeil. Geographiſche Bilder 
aus dem Ktönigreih Preußen. 1. Halbband: Brandenburg und Preußen. 

n Schilderungen aus Natur, Geſchichte, Induftrie und Vollsleben. Don 

Br Körner. it vielen Abbild. 2. 96 S. 12, Sgr.; 2. Halbband 

6. 174. 1856. 12% Bar. 

Das find in Wahrheit bunte, raſch wechjelnde Bilder, pilant, nad 
modernem Zeitgefhmad gewählt, friſch und anziehend gefhrieben, und 
durch eine Menge meift recht hübſcher Bildchen (Gebäude, Denkmäler, 
Schlachtenſcenen, landſchaftliche und komiſch⸗geſellige Bildchen), ſowie 
durch eine überaus ſplendide Ausſtattung illuſtrirt. Zunächſt nehmen 
fie nur das äußere Intereſſe in Anſpruch, und es macht fich bisweilen 
" etwas forcirte Neberfhwänglichfeit nach der einen, und leichtes Darüber- 
bingleiten nach der andern Seite bemerkbar. Hervorſtechende äußere Ei» 
tuationen,, draftifhe Scenen, Außerlih Frappantes in Luxus, Pracht, 
materiellen Leiftungen, Volksverkehr und Bolfsfitte: das bildet überwie⸗ 
gend den gemifchten Stoff. Es ift ein Leicht ffizzirtes, auf leichte Eins 
gänglichkeit in Vieler Sinn und Gedanken berechnetes Enfemble, belle⸗ 
triſtiſch anregend, mofaifartig gefügt und womöglich lebhaſt befeuchtet, 
um die Phantafle zu befchäftigen, und ein, wenn auch bei der leicht 
binfließenden Darftelung nur vorübergehendes Intercfie zu erweden. Die 
Bändchen werden nicht fludirt, fondern überhaupt nur einmal gelefen 


’ 


Geographie. 488 


fen wollen, um Beit für die folgenden zu behalten. Es wäre ungerecht, 
mander ganz bübfchen Partie in denfelben ihren relativen Werth abzu⸗ 
ſprechen; aber fo weit diefe Bilder bis jetzt erfennen laſſen, geben fie 
doch auch gerechten Bedenken einigen Raum. Richt bloß mas fie ent- 
Halten, fondern was fie übergehen, erwedt diefe Bedenken, indem über 
jenem all’ das ernfter und tiefer in das Volksleben Eingreifende 
noch ausgeſetzt erſcheint. Das Volksleben wird nicht weſentlich 
durch Erinnerungen an Dentmäler, Tandfchaftlihe Scenen, Refidenz- 
Merfwürdigfeiten u. dergi., fondern durch viel bedeutfamere Dinge ges 
tragen. Werden diefe ühergangen und jene ausfchließli betent, fo hat 
das volfspädagogifche Nachtbeile, weil die Tendenzen des Volksfinnes 
dadurch Teicht verfchoben werden. Dieſer wird von feiner weſentlich relis 
giödfen Bafis nicht fo meit wegzurüden fein, daß faft Nichte, was direet 
dazu in Beziehung ſteht, vorkommen ſollte. Geographifhe und gefchichts 
liche Darftellungen find ja an und für ſich ganz wohl zufäffig, in einem 
„‚Baterlandsbuche” dürfte aber denjenigen Erfcheinungen im Lande und 
bei den Xeuten, welche mehr ernften Kern darbieten als manches Ge: 
mälde ſelbſt von Schlahten und Grabmälern,- au ein Platz gebühren. 
Der Plan des Buchs fcheint dies jedoch nicht zu begünfligen, und — 
das iſt's, was hei einer Lectüre für's Volk nicht ohne Bedenken ifl. — 
Der erſte Halbband von Preußen enthält 3. ®. in der Einfeitung: ' 
„Preußen und fein Königshaus’‘ einen fehr gedrängten Weberbiid über 
die alten Hohenzollern, die Burg in Nürnberg, die Erwerbung der 
Mark dur die Hohenzollern, den großen Kurfürften, die Königsfrönung, 
Friedrich II. und fein Denkmal, den Schloßbau, die Gultur in Preußen: 
Alles auf nur 20 Seiten Dann folgen für Brandenburg: Land und 
Leute (Hiſtoriſches, Spreewald, Havelland... Randleute aus der Mark, 
Stralauer Fiſchzug), Schlachtfelder der Kurmark, Preußens Hauptftadt 
und ihre Merkwürdigkeiten (illuftrirt u. A. durch eine Kaffeehaus-Scene 
bei Kranzler!), Ausflug nad Chorlottenburg (Maufoleum) und Potsdam 
(Sansfouci, Babelsberg ꝛc.), U. v. Humboldt’s Landhaus zu Tegel, 
Borfig’s Etabliffement in Berlin ze. — Man fleht, da fehlt gar Manches, 
das zum Theil gegen das Gegebene ausgetaufcht werten Lönnte — 
Doch das Buch wird, weil es dem bei Vielen herrfchenden Beitgefhmad 
entfpricht, wohl fein Publitum finden. Lehrern find für daffelbe die 
rechten Augen zu wünfchen, um das Beffere von dem zu feichter, vers 
geßliher Lectüre Befimmten zu unterfcheiden. 


9. J. C. Ehrich, Oberlehrer: Leitfaden für den geographiſchen 
Unterricht. 4, Aufl. Halle, Handel. 1856. 119 & 4 GSgr. 

Die in der erſten Ausgabe tacwoll fehgehaltene Stoffbeſchränkung 
iR leider aufgegeben, um es Vielen recht zu machen. Dadurch hat die 
praftifche Brauchbarkeit des Leitfadens nicht gewonnen. Jetzt ift mancher 
Ballaft für die Stufe darin, welcher er zunächſt nüben fönnte; und das 
Büchlein nimmt fih wie ein Ercerpt aus, worin kurze Säge, Schlag- 
wörter, Kürzungen u. dergl. möglihf Alles andeuten follen, was im 


—— — — — — 


400 Geographie. 


geographiſchen Unterricht an die Kinder zu bringen iſt. Es wärden un» 
erfhöpflihe Erläuterungen nöthig werden, wollte man alle Notizen er 
klaͤren. (Städtebefchreibungen, Producten» Angaben.) Durd dies Zus 
fammenpreffen if die Lesbarkeit des Büchleins verloren gegangen; der 
Stoff iR verfchränkt, der Sinn oft mehrdeutig. Was bis ©. 12 unter 
den Rubrifen Allgemeines’ und „unſere Erde’ gefagt if, bedarf ge 


nauer Prüfung; im wmatbematifch »geographifhen Theil ift leider fehr 


wenig völlig haltbar. (Geht der Mond „allnächtlich am öſtlichen 
Himmel’ auf? Wer will von den Bahnen derjenigen Fixrſterne 
reden, welche „auch mit den flärfften Fernroͤhren für uns nicht fichtbar 
find? Wer beweift die „unendliche Zahl der Kometen? If, wenn 


- die polare Erdabplattung ya beträgt, das Berhältniß des Aequatorials 


Durchmeſſers zur Erdaxe wie 504 : 295? Wozu fagen solstitium 
aestivum und bibernum? „Die Pole find von der Ebene der Erd» 
bahn abs und zunehmend zwifchen. 664 bis 1324 9 entfernt‘ — was 
hat das für einen Sinn?) Anderes beruft auf Ungenauigkeiten (IR 
Napoleon 111. feit 1850 Kaifer? Heißt der jetzige dänifche König Chris 
ftian VIII, der jebige boländifche König Wilhelm 11.2) -und Ungleich⸗ 
förmigfeiten. (Angabe der Einwohnerzahlen bei Europa fehr ſpärlich, 
bei andern Erdtheilen reichlich) — Kurz, in jegiger Art if das Bü» 
lein nicht zu empfehlen. 
10. $. U. Hildebrand: Leitfaden für den erfien Unterridt in der 
Geographie. 2. Eurfus. Zielenzig, Range. 1856. 92 ©. 5 Sgr 


(Mit befonderer Beltimmung für Stadifchulen und mit Berüdfichtigung 
des Megulativs vom 1. Octob. 1854.) 


11. Dr. 4. Graͤfenhan: Geogravhiſcher Leitfaden für die unter: 

fen Gymnaſialktlaſſen. Eisleben, Sräfenhan. 1857. 53 S. 5 Ser. 

Der Berf. hat für Sertaner von 9— 11 Jahren das kurz zufam- 
mengeftellt, was fie aus der topifchen Geographie fe zu lernen 
haben, und was ferner aus der Geographie von Europa in Betreff der 
Staaten, ibrer Bevölkerung und ihrer Hauptftädte, jowie über den Um: 
fang und Staateninhalt des deutjchen Bundes und über den preußifchen 
Staat insbefondere (nah Provinzen und Regierungsbezirten) hinzuzu- 
nehmen if. In 233 kurzen Säpen und Lehrflüden if der Memorir⸗ 
floff gegeben, welcher „ziemlich wörtlich der Reihe nach” gelernt, und 
bei welchem der Lehrer durch Fragen und Bergleihungen nur „das todte 
Ableiern“ verhüten- fol. Das Ganze ift ein in 2 Theilen für Anfänger 
gefertigte Excerpt aus v. Roon's „Anfangsgründen 2c.” (1. topifche 
Geographie, 2. yolitifhe Geographie von Europa), wozu Einiges über 
Preußen binzugenonmen if. Wiffenfchaftliche Gruppirung und Aufſtel⸗ 
lung, Sparſamkeit der Angaben, ohne Spaͤrlichkeit derfelben, Vorſorge 
wegen Bergleihung und Wiederholung durch eine Weberfichtstabelle der 
Raumgrößen und jonflige paflende Anordnung, Weglaffung des an der 
Karte ſelbſt fofort zu Erkennenden: das find Merkmale des Büchleins. — 
©. 45 Sollte es Friedrich VI. heißen. Die Definition: „Breite“ bes 
zeichnet die Richtung von Süden nah Norden und umgekehrt — if 
nicht gut. 


Geographie. 4 


12.8. allehrer: Erdbeſchreibun s die untern Klaſſen 
3 — *— ale und — — he Rückficht — 
und Vöolkerkunde. (Nach des Verf. s „‚Zehrbucd der Erdkunde.) Regene⸗ 
burg, Puftet. 1853, 337 ©. 12 Ser. 

Mach dem antiguirten Plane von Fabri, Bannabich, Stein bearbeitet, 
tbeilt das Buch deren Mängel (in dem mathematifchen und phyſikaliſchen) 
und deren gute Geiten (in dem topographifch« politifhen Theile). Die 
Bermeidung alles Gedaͤchtnißballaſtes, die der Verf. verſücht Haben will, 
it, wie der flüchtigſte Blick erkennt, nicht gelungen; vielmehr iſt des 
nicht Lernenswertben gar viel beibehalten. Die hie und da eingelegten 
poetifchen, hiſtoriſchen und ſonſtigen Neminiscenzen heben den Werth 
des Ganzen afein noch nicht. Ohnehin find eine Menge Sach⸗ und 
Drudfehler untergelaufen. (Sudeten — Glatzer⸗Gebirge? Lauflger Ge 
birge = ſächſiſche Schweiz? Das Fichtelgebirge bis zu den hbchſten 
Bunkten angebaut? Laufißer und Görliper Neiße, von der fränfi» 
fhen Laufig fommend, münden links bei Kroffen? Beinahe jede 
preußifhe Stadt hat ein Zeughaus? Tylly? Hammeln? Begedorf?) 
Allenthalben werden überwiegend die Tatholifchen Intereſſen vorgezogen. 


13. &, Wöber: Geograpbifge Mittheilungen über Europa, Afien 
und Afrika c. Reue (Titel — 1853) Ausgabe, Duedlinburg, Baſſe. 1856. 
364 5. 25 Sp. 

Ueber diefe abenteuerliche Geographie in Reimen cf. VEN. Päd. 

Sahresber. ©. 301. 


1& Dr. @. Stößner, Lehrer an der Realſchnle: Elemente der Beogra- 
phie in Karten und Tert metbodifch dargefiellt I.— IH. Curſus. 
Annaberg, Rudolph und Dieterici. 1853— 1856. 21m. —= 2 Thlr. 7 Ser. 

Dben in der Abhandlung ift unter 1. 2. d. dieſes methodiſchen 

Hülfsmittels bereits näher gedacht. Hier if deshalb nur noch Einiges 

über die Einrichtung deffelben nachzutragen. Der erſte Curfus enthält 

12 Karten in Querquart; eine mathematifche (zur Erläuterung der Be 

griffe von den fundamentalen Linien an den Planiglobien, den Zonen, 

der Öftlichen und weſtlichen Halbkugel und der Lands und Waflervertheis 
lung auf benfelben) , eine zur Darftellung der öftlihen und weftlichen, 
ſowie der füdlihen und nördliden Halbkugel, mit Eintragung einiger 
der wichtigen Kaps und einiger wichtiger Meerestheile; eine Erdkarte 
nah Mercator, zu dem Frühern einige Namen von Ländern, Infeln, 

Gebirgen und Plüffen fügend. Dann folgen die rudimentären Dar; 

Rellungen der Erdtheile mit einigen Hauptgebirgen, Flüſſen, Ländern, 

Städten (das geographifche Neg auf die Eharafterlinien beſchraͤnkt; bei 

Europa aud eine Karte mit colörirter Abgrenzung der Hauptſtaaten), 

dann A Karten zu allmählig vollſtändigerer Darfiellung Deutichlande. 

(Erf bloß die bedeutendften Gebirge und größten Flüſſe mit ein paar 

Städten und einigen Nebenflüflen; dann das Flußneß etwas vervolls 

Rändigt, mit etwas mehr Städtenamen, und den Heinern Gebirgen; 

dann nod etwas mehr Städte, zulept die Staaten ohne Gebirgszeich- 

nung.) — Der auf der Rebenfeite gleih vis à vis der Karte aufge 
ſtellte Tent erläutert kurz die Topik und Phyſtk der Länderräume, und 


492 | Gesgraphie. 


gibt nah Umfänden Andeutungen über Producte, Berdlferung, Stadie 

und Staaten und zwar ſtets leicht, überfichtlich geordnet. 

Sm zweiten Eurfus find 13 Karten. Außer einer. mathematis 
fhen Karte, welche namentlich den nördlichen geſtirnten Himmel in der 
Märp, April, Augufe, September und December — Januar⸗Stellung 
und die vergleichsweile Größe der Planeten darfellt, find Karten für 
die topiſch⸗phyſikaliſchen Verhältniffe der außereuropäifchen Ertheile und 
Deutſchlands, fowie für Aften, Amerika, Europa und Deutfchland poli⸗ 
tifhe Karten — leptere beiden gefondert für das öftlidhe und nördliche, 
und dann für das füdlihe Europa, fowie gefondert für Nord», Mittels 
und Süddeutfchland — ferner eine für die Alpen und die Schweiz und 
eine für die öfterreihifhe Monarchie gegeben, und eine Karte zur Gin» 
übung der wichtigſten Meridiane und Paraflelfreife für die Auffaffung 
des Bildes der Erdtibeile macht den Beſchluß. Auf den politifchen 
Karten fehlen Rets die Gebirge. Der Text nimmt, außer auf Phyfſika⸗ 
liſches und Topifches, namentlihb auch auf die mathematifche Lage, auf 
politifhe Staateneintheilung, auf Größe der Städte und Bedeutung ders 
felben Rüdfiht. — 

Der dritte Curſus umfaßt 18 Karten: eine mathematifche mit 
weiteren Ausführungen der Darftellungen des nördlichen geftirnten Him⸗ 
mels, Erläuterungen der Mond» und Erdbeleuchtung und der Antipoden» 
Lage, andere mit vollendeterer Ausführung der Bodenverhältniffe Amerifas 
und Afiens, andere mit Angabe der Staaten Aftens und Amerikas, 
7 Karten für europäifche Länder — aähnlich der Ausführung in den 
gebräuchlichen Echulatlanten (Alpenkarte befonders plaftifch anſchaulich), 
5 Karten für deutfche Länder (— die Tiefebenen zum Theil grün übers 
drudt — außerdem ein Eifenbahnfärthen), eine Karte zur Einübung 
der Meridiane und Purallelfreife, der Wind» und Meereöftrömungen und 
eine PBroductensKartee — Daraus leuchtet der gefunde Plan vollftändig 
bervor, der den Schulgebraud begründet. 

Kleine Detailmängel find irrelevant. (Sorato — Sorata; On⸗ 
taria; Ispaham, Lurenburg, Heime, Siegmaringen, Mogator — Mas 
gador, Reus, Zesrel, Bergano. Zeichnung der Sudeten und des mäh- 
tifhen Gebirges, der Iller⸗ und Lech⸗Quelle u. 4.) Für den Gebraud 
bei Abend macht die rothe Schrift den Augen Schwierigkeit. Uebri⸗ 
gens Tann das Elementarwerk nur empfohlen werden. 

15. Th. Schacht (Oberftudienrath): Kleine Schulgeographie 7. Aufl. Mit 
einer Karte in Karbendrud. Mainz, Kunze. 1856. 124 ©. 11 Gar. 
Vergl. 7. Päd. Jabresber. S. 241 über die 6. Aufl., welche in 

ber neuen feine totalen Umgefaltungen erfahren bat. 

16. Brof. Dr. H. 9. Daniel: Leitfaden für den Unterricht in der 

eograpbie. 7. Aufl. Halle, Waiſenhaus. 1857. 149 ©. T7'/a Ser. 

Aus den frühern Auflagen hinlänglich befannt. 

17. Dr. A. Geisler, Inftituts:Borficher (in Brieg): Leitfaden beimln- 


terriht in der Erdkunde In drei Curſen. Für deutfhe Mittel: 
ſchulen. 1. Bändchen: Die mathematifche Geographie, Die phyſiſche und 


Geographie. | 493 


yolltifhe Geographie yon CQuropa, Deutfland, en Afrika, Amerika und 

Auftralien. Halle, Schmidt. 1856. 144 ©. 

Bereits oben in der Abhandlung (III. 3. Re " dieſes ‚Leitfaden‘ 
gedacht, und das 2. Bändchen defielben oben unter Ar. 1 erwähnt. Die 
leitenden Gefichtspunfte des Verfaſſers find 1. Boranflellen des Stus 
biums der Karte und des Vortrags des Lehrers, und Zurüdtreten des 
Lehrbuchs gegen die Beichenfpradhe der Globen und Karten; da legteres 
nur die Auswahl und Eintheilung des Stoffes zur Norm binftellen und 
dem Schülergedächtniß eine Hülfe bieten fol; 2. Feſthalten des prakti⸗ 
chen Bedürfniffes und der concentrivenden Methode, fo daß nicht vors 
wiegend die Ritter'ſchen Principien zur Anwendung fommen, fondern dem 
volitiſchen Element ein größerer Raum verfattet, auch die Ausſchmückung 
wit gefhichtlihen und naturkundlichen Angaben beibehalten iſt. — Aeu⸗ 
Berlich laſſen fih in dem „Leitfaden“ Leicht die drei Curſe herausfinden, 
indem der wiffenichaftlich geordnete Stoff nad dem Maaße feiner Faß⸗ 
lichkeit in den fortlaufenden 88. theils für die Oberklaffe gehohes 
ner Volksſchulen (1), theils für die untern Klaffen der Mittelihule (2), 
theils für die obern Klaffen der letztern (3) beftimmt iſt. Der Stoff für 
jeden einzelnen der 3 Curſe if aljo weder dicht nacheinander, noch 
für güe drei in jedem einzelnen $. aufgeführt. Die Zwifcheneinanders 
Rellung foll die Wiederholung der frühern Curſe beim legten erleichtern. 
Außerdem fordern viele ganz pafjende Aufgaben zur weiteren Durcharbei⸗ 
tung und Wiederholung auf. Der Leitfaden iſt mit unvertennbarem 
praktiſchen Tact, im Wejentlihen den preußifchen Regulativen entfprechend, 
kurz, überfichtlih und Mar verfaßt; die Proportionen des Materials find 
angemefien, und namentlich die orographifchen Angaben nicht breit aus« 
gedehnt. Das politiicheflatiftifche Material iR in gedrängte Tabellen 
gebracht ($. 89 für Eusopa, $. 118 für Deutjchland, 88. 137. 155. 
172. 173 für Aflen, Afrifa und Amerika), eben fo die größten euros 
päifhen ($. 90) und deutfchen Städte ($ 119), desgleichen die Länders 
Ueberfihten, ProductensAngaben ($. 48—50), Eifenbahnen und dergl. 
GSeſchichthliche Anhaltspunkte (F. 91. 120. 138. 156. 176), Angaben 
der Lage und Größe von Ländern, Städten, Inſeln, Halbinſeln, Seen, 
Fluͤſſen, Heeren, Flotten ꝛc. finden fi) auf beſondere 88. vertheilt. Man⸗ 
ches der Naturlehre Angehörige flechten nach concentrirender Methode 
die 88. 36 — 47 in die phyſiſche Geographie ein. Den Schluß bildet 
die kurze topographiiche Befchreibung von c. 100 Städten ($. 191), meift 
deutſcher und europälfcher. Ein paar Irrungen in der mathematifchen 
Geographie ($. 15. d, 20. (2)), fo wie in Höhenangaben und Namen 
(S. 99 bei Schiller) abgerechnet, ift der Leitfaden fehr correet, und 
verdient empfohlen zu werden. Bdch. 3 foll Defkerreich enthalten. 


18. ©. 3. Peters, Lehrer an der Navigationsſchule: Mathematiſche, yhy 
fifheund yotitifhe Geographie. Mit 36 Biguren und einer Sterne 
karte. Füt Navitgationsſchulen bearbeitet. 2. Wufl. Wismar und 
Ludwigsluſt, Hinftorff. 1855. 256 ©. 15 Ser. 

Die BeRimmung des Buchs für angehende Seemaͤnner rechtfertigt 
vollfommen in dieſem Lehrbuche die Aufnahme und naähere Behandlung 


494 Geographte. 


mancher vorzugsweife diefen nöthigen Belehrungen, welche in fonfligen 
Lehrbüchern zu fehlen pflegen, fo wie die Weglaffung anderer Lehrfüde, 
welche diefe aufnehmen. Mathematiſch⸗ und phufifchegeographifche Kennt⸗ 
niffe find dem Seemann nöthiger als fpezielle Kenntniß binnenländiſcher 
Staaten-Eintheilungen, Städte-Sehenswürdigkeiten und verfprengte hiſto⸗ 
rifhe Reminiscenzen. Nur Rheden, Hafen», Haupt» Handelspläge für 
den Seehandel u. drgl. intereffiren ihn aus der politiſchen Geographie. 
Mit ziemlicher Ausführlichkeit hat der Berf. in 30 88., durch angemefs 
fene Figuren unterftüßt, das Wichtigſte aus der mathematifhen Geogra⸗ 
phie behandelt, mit befonderer Hervorhebung deſſen, was zu fchneller 
Drientirung über die Stellung gewifler zu Beobachtungen, Weffungen 
und Berechnungen gewöhnlich verwendeter Geftirme anleitet, und was zur 
Begründung mander nautifhen Ermittelungen dient. Er bat dazu aud 
geeignete Zundamentafftüde aus der theoretiſchen Phyſfik angezogen. 
Ferner hat er über die dem Seemann befonders widytigen Berner 
gungen des Meeres, über die Bindfrömungen, Wärmeverhältniffe fi 
fpeeieller verbreitet, und die borizontate Gliederung der Erdtheile, Die 
SInfelgruppen, Zlüffe u. f. w. mit mathematiſch⸗ geographifcher Poſitions⸗ 
bezeihnung aufgeftellt. Bei der politifchen Geographie if im Ber 
fentlihen der fiblichen Dispofition gefolgt, namentlih aber find Betrieh- 
famfeit und Handel, Münzen, Maaße und Gewichte, bei den Ste 
ſtädten die Hafenverhältniffe, die Seewege u. drgl. beachtet worden. ( Oa⸗ 
fentiefe, Rheden, Löfchpläge, Brandungsftellen, Einfahrten, Leuchtihürmen 
». drei.) Das Buch ift zmwedentfprechend, die erläuternden Figuren find 
inftructiv, die Sternfarte für Anfänger ausreichend. Das Berfändniß 
einiger Berechnungen erfordert trigonometriſche Kenntniſſe (S. 30). ©. 5 
werden die Rectafcenfionskreife auh Declinationstreife genannt, 
S. 9 Sternbild und Sternzeichen des Widders indentifch gebraucht! 
19, Dr. 8. Fr. Bolger, Dir.: Shulgeographie für die mittleren Klaſſen 
der Symnafien, für Bürgers, Neal: und Töchterſchulen. 9. Aufl. Hannover 
Hahn. 1856. 322 &. 26 Ger. 
Des Berfaffers Anfichten über Ritter's und die praktiſche Metbode 
And oben in der praftifchen Abhandlung (IH. 8. a.) erwähnt. Prak⸗ 
tifch findet derfelbe das Weberwiegen der Staaten» Geographie; dieſe 
füllt hier 18 Bogen, indeß der mathematifchen Geographie die feit Can⸗ 
nabich flereotypen 16 Seiten allgemeiner Einleitung zufallen. Detaillirte 
Beſchreibung der Drtfchaften mit irgend welcher hiftorifcher, naturkund⸗ 
licher, merkantiler oder fonftiger Merkwärdigfeit bildet den Kern dieſer 
Stofffammiung, die nurzur Auswahl, nicht zur völligen, geord⸗ 
neten Durcharbeitung beftimmt, und darum eigentlich feine Schulgeo⸗ 
graphie if. Das Negifter führt über 5000 Artikel auf! Anordnung 
und Ueberſichtlichkeit, Ruͤckſichtnahme auf die hiftorifche Zufammenfegung 
der Staaten, manche tabellazifchen Aufftelungen, z. B. der Städte Eu- 
ropa's, nach Flußgebieten, UequatorialsAbfländen, Bewohnerzahlen n. |. w. 
und der deutfchen Städte, mit Rückficht auf ihre Bedeutung im Leben 
(38. 45—48, 69 ff 197), ferner der Höhen, Zlüffe, Seren u. dergl., — 
das Alles verdient anerlannt zu werden 5 es läßt ih davon nad Um⸗ 


Geographie. 493 


ſtanden Gebrauch machen. Der Ballaſt der, Merkwürdigkeiten“ erinnert 

dagegen gar ſehr an P. L. Berfenmeyer’s ‚neuen, vermehrten curieufen 

Antiquarius, d. i. allerhand auserlefene geographifche und hiſtoriſche Merk⸗ 

würdigfeiten, fo in denen Europäifchen Ländern zu finden.’ Hamburg, 

Herold. 7. Aufl. 1738! | 

20. U. v. Moon, Anfangsgründe der Erd», Völler: und Staas 
tenfunde. Ein Leitfaden für Schüler von Gymnafien, Militair- und 
böbern Bürgerſchulen. Für einen flufenmeilen Unterrichtsgang berechnet. 

3, Abthl. 10. Aufl. Berlin, Reimer. 1850. 322 ©. 15 Sgr. 

Seit 1834 zum 10. Male erweitert ausgegeben, und mit Recht 
in höhern Lehranftalten als trefflihes, für den wiſſenſchaftlichen 
Anfangsunterricht in der Geographie beſtimmtes Lehrbuch fehr verbreitet, 
bat Dies noch jet feine alten 3 Stufen: topifche Geographie, phyfikalifche 
Geographie, Voͤlker⸗ und Staatenkunde. — Oceanographie, Anfänge 
der Oro⸗ und Hydrographie mit Einäbung der mathematiſch geographis 
fhen Bofitionen, letztere Penſa an die Erdiheile angefchloffen, und bei 
Europa und Deutſchland befonders detaillirt, bilden die 1. Stufe. Auf 
der zweiten wird nach kurzen mathematifchen Erörterungen die all⸗ 
gemeine Phyſit der. Erde (Elemente und Kräfte, Atmofphäre, Ocean, 
Feſtland, Klima) und dann hei den einzelnen Erdtheilen detaillirt die 
orsgraphifche Natur in wiffenfchaftlicher Gliederung, die Waſſerſyſteme, 
Alima und organifhe Natur behandelt. (Europa am ausführlichken.) 
Die dritte Stufe flellt die allgemeine Völkerkunde voran (Zahl, 
Berbreitung, Eintheilung, Sprach⸗ und Bölferkämme, Lebensweife, Ges 
ſtttung, ſtaatliche und religidfe Verhaͤltniſſe), und läßt dann die einzels 
nen Erdtheile in ethnographiſcher und politifcher Hinficht folgen (Staa⸗ 
tengruppen, Ginthellung, Wohnplätze — ohne Berfwürdigkeiten! —), 
mit fpezielleren Nachweiſen über die einzelnen Volks⸗ und Staatsverhält⸗ 
niffe (Bertheilung der Bevölkerung, Abſtammung, Sprache, Religion, Ges 
Ättung, Nahrungszweige 20). Das möge zur Andeutung des reichen Ins 
balts deſſen, was der Berf. zu den „Unfangsgründen‘' rechnet, genügen. 
Jeder Lehrer faun fi dasan die Erinnerung an wiflenfshaftliche Erde 
funde wach erhalten, die des Berfaffere „Grundzüge (IX. Bäd. Jah⸗ 
resber. ©. 272) vollflaͤndig darlegt. 


21. J. W. Schubert, Director: Grundzüge der allgemeinen Erbds 
funde für die untern Klafien der Gymnaflen und Realſchulen. Mit 3 
lith. Zafeln u. Holzfchn. Wien, Gerold 1856. 92 ©. 10 Sgr. 


22. 9. Biehoff, Dirertor und Profeffor: Zeitfaden für den geogras 
phiſchen Unterriät auf Gymnafien und andern böhern Lehranftalten 
in drei Lehrfufen, mit vielen Kragen und Aufgaben zu ſchriftlicher und 
mũndlicher Läfung. 1, Lehrſtufe. U. u. d. T.: Umriffe der topifchen 
Beograpbie; ein Leitfaden für den geographiſchen Unterricht in der 
unterften Klaſſe höherer Lehranſtalten. 4. Aufl, Emmerich, Rome. 1855, 
16 und v8 S. T'yı Sgr. (Schr braudbar.) Ä 


23. B. Walther, Oberichrer: Leitfaden und Lehrſtoff zum methos 
bifhen Unterricht in der Geographie. Ein Handbud in 3 
Gurien oder Lehrgängen für Xehrer und Schulen nach einer neuen zweck⸗ 
mäßigen ſynthetiſchen und anakytifchen Metyode. 2. (Titel-)Iusg. (1837 


198 Ä Geographie: 


— 1839). Mit 8 Kartchen. Leipzig, Polet. 

132. 2. he 1 A valg, Pole. Ohne Jahreszahl. 72 

Das Bud if heute veraltet — 1837 hieß der Verf. 2. Walther 
in der Vorrede, jept B. Walther auf dem Titel. Wenn auch mandes 
Gute darin nicht zu verfennen if, fo find ſowohl eine Menge Zablens und 
Namens Angaben (Einwohnerzahlen, Regenten 20) jet unbrauchbar ges 
worden, als aud die Methode, welche einen ganzen Curfus faſt nur mit 
Definitionen füllt, antiquirt il. Was aus v. Roon, von Raumer, 2. 
Hoffmann u. A. vor 20 Jahren entnommen if, namentlich im topiſch⸗ 
phyfikaliſchen Theile, iſt ganz gut, aber der flaatenkundliche Theil, der 
einen beträchtlichen Raum füllt, paßt nicht mehr. Die winzigen Sedez⸗ 
kärtchen genügen nicht mehr. Dies Handbuch faͤllt der Vergeſſenheit ans 
beim. 


23, ©. Nieberding, Symnafial- Director; Keitfaden bei dem Unterricht 
in der Erdkunde für Oymmaften. 5. Aufl. Redlinghaufen, Me⸗ 
ſcher 1856. 110 ©, 8 Ser. 

Wenige Beränderungen in den Zahlenangaben und in der Reibens 
folge der Abfchnitte ausgenommen, ift im Uebrigen der Text der 5. Aufl. 
der A. ganz gleih. Jedoch in ber tabellariihen Anordnung des Druds 
iſt ſchulgerechtere Weberfichtlichkeit in ber jegigen Aufl. gewonnen. Daß 
in Accommodation der Orthographie fremder Ramen nad der Ausſprache 
bei manchen derjelben eine demgenäße Schreibweife beibehalten ift, bat 
infofern große Uebelſtaͤnde, ale dies Verfahren nicht confequent durchge⸗ 
führt if, und als die Landkarten dieſe Schreibweife nicht auch ſubſtitui⸗ 
ren. So, wie es dies als Merkbüchlein macht, führt es leicht zu 
Irrungen. (Breiten — Brighton, — Manſcha, Tſchitſcheſter, Mulhaſ⸗ 
feu, Lago Madſchore ꝛ2e.). Daß in den topiſchen und politiſch⸗ſtatiſti⸗ 
ſchen Angaben Maßgehalten, und das Ganze ſo angelegt iſt, daß der 
Unterricht es erſt beleben muß, if fchon bei frübern Auflagen (ef. V. 
Bid. Zahresber. S. 183 und VIII. S. 296) angedeutet. 

25, Dr. C. Arendts, Prof, in Münden: Geographiſche Tabellen: 
Kür den wiffenfdaftlichen Unterricht zufammengepellt und bearbeitet. Ber⸗ 
lin, Gebrüder Scherk. 1856. 115 ©. . - 
Für wiffenfhaftlidhe Berechnungen und Bergleihungen und 

verwandte geographiiche Arbeiten bieten diefe, aus bewährten Schriften 

von Berghaus, Engelhardt, Gehler, v. Humboldt, Lamont, v. Reden, 

v. Sydow u. U. theils entlehnten, theild vom Verf. ſelbſtſtändig bearbei⸗ 

teten Tabellen, ein äußert willlommenes und empfehlenswerthes Hülfs⸗ 

mittel dar. So weit, ohne jede Zahl in jeder Tabelle dur Bers 
gleihung mit den Quellen zu prüfen, aus der Gegenüberhaltung meh⸗ 
rerer diefer Tabellen mit denen der Gewährsmänner zu erkennen war, find 
jene nicht allein mit in der That großer Sorgfalt ausgearbeitet, fondern 
fie find auch zum erleichterten Gebrauch bequem eingerichtet, Ein Lehr⸗ 
buch der Geographie wollen und fönnen fie ſelbſtredend nicht erfegen. — 

Am Ganzen find 38 Tabellen aufgeflellt: 11 zur mathematifhen, 15 

zur topiſch⸗phyfikaliſchen, 10 zur politifchsflatiftifichen Geographie und 2 

im Anhange zu Bergleihungen von Maaßen und Gewichten mit den 


Geographie. 497 


bayriſchen, und voneuropäifhen Rechnungs Münzen mit denen der 
nordameritanifchen Freiftaaten. Den Inhalt bilden: Maaß⸗ und 
Gewichtstabellen deutſcher, europäifcher und nordamerifanifcher Staaten, 
verfchiedener Länder Meilen» Mauße, Pendellängen in verichiedenen geos 
graphiſchen Breiten, geographiihe Pofttionen von faſt anderthalb Tau⸗ 
fend Städten aller Erdtbeile, Gradlängen der Meridiane und Parallels 
freife, der mathematiichen Klimate, Verwandlung von Raumes Bogen in 
Zeit und umgekehrt, Elemente zur Ermittelung der Meereshöhen aus dem 
Barometerfiande von 261 bis 340 Linien bei einem Thermometerftande 
von — 5° his + 25°, Vergleihung der Barometers und Thermomer 
tersSfalen, Größen von Gontinenten und Meeren und ihren Theilen, 
Dimenfionen und Areal, GebirgesGipfelhöhen, Stromgebiets-, und Stroms» 
entwidelungs;» Räume, Größen der Landfeen, Regenmenge, Windrich⸗ 
tungen, abjolute Pöhen bewohnter Orte, mittlere Zemperatur von 
c. 100 Städten aller Erdtbeile, Iſothermen für fieben Breitengürtel, 
Areals und Bevölkerungs⸗Groößen außereuropäifcher, europäifcher und 
deutfcher Ränder, Finanzen- und Militair » Stand europäifcher und deuts 
cher Staaten, Regententafel u. f. w. u. f. w. Das möge den Reiche 
thum und die Art des Inhalts charakterifiren. Se feltener Hülfsmittel 
diefer Art find, um fo willfommener müffen fie zu wiffenfchaftlihen Ars 
beiten fein. (Vide unten Nr 62: Kolb's vergleichende Statifik.) 

26. W. Bü, Oberlebrer. in Köln: Lehrbuch der vergleihenden 
Erdbefhreibung für die obern Klafien höherer Zehranftalten und zum 
Selbftunterricht. 2. Aufl. Freiburg i. Br., Heder 1856. 430 ©. 18 Ser. 

Meber dies fehr treffliche Werk iſt bereits im IX. Päd. Jahresber. 

©. 270. 271 mit aller Anerkennung berichtet, fo daß darauf zurückge⸗ 

wiefen werden fann. Diefe 2. Auflage iR in der That eine mannige 
faltig verbeflerte und vermehrte. Außer vielen kurzen erläuternden Gins 
ſchaltungen an den einen, und Streihungen an andern Stellen, Beriche 

tigungen von Zahlenangaben, Undersftellungen einzelner Abſätze (88. 7. 

14. 19. 32) find auch Umarbeitungen einzelner Partieen im Intereſſe 

größerer Bräcifion und Stlarheit zu bemerken. Ergänzungen finden fid 

u. U. bei den Gründen für die Kugelgeftalt der Erde, dem See» und 

Gontinental» Klima, der. Nordweits Baffage bei Nordamerika, den Vulka⸗ 

nenreidhen des flillen Deceans, den Atolls, dem Einfluß der Rords und 

der Süd «Hälfte des Nordofts Continents auf Cultur, bei Weſtafien, 

Phönizien und Nord - Syrien, dem Iſthmus von Sue u. f. w. Europa 

allein ift um c. 1'/s Bogen vermehrt. — Das Werk fei mit gefteigerter 

Anerkennung empfohlen! 

27. Dan. Bölter, Prof. am Eeminar: Lehrbuch der Geographie, 
6. (Schluß⸗) Kiefer. 2. Aufl. Eßlingen, Weychardt. 1856. S. 856—101 
und 40 Seiten Regifter. Das Werk cpl. 2 Ihlr. 24 Ser. 

Nunmehr liegt das reichhaltige, mit großem Fleiß und großer Ges 
nauigfeit gearbeitete Werk endlich ganz vollendet vor; es iſt gegen das 
Ende hin etwas gedrängter. gehalten, bietet aber dennoch eine ungemeine 
Fülle des Materials bei Amerifa und Auftralien (auf c. 150 Seiten), 
in ähnlicher Diepofition wie früher. Der wiſſenſchaftliche, wie der prak⸗ 

Race, Jahresbericht. X. 32 


498 Geographie. 


fihe Werth des Werkes fpringt bei jedem 8. in die Augen md tärfte 
das umfaffende Detail alle praftifchen Bedärfniffe vollfändig befriedigen. 
Ein Lehrbuch für Schulen fann es in feiner jegigen Geſtalt nicht 
mehr fein; aber es ift eın wahres Magazin auh für Lehrer, das Re⸗ 
‚ fyeet vor der Geographie einzuflößen vermag, und aus welchem gedies 
gener Kebrftoff auf allen Schulen entnommen werden fann. Als ein 
foiher Schag fann es erneut lebhaft empfohlen werden. (Cf. IX. Bad. 
Aubresber. S. 270.) Daß Regiſter weift auf 40 Seiten in je 5 com⸗ 
prefien Eolonnen wohl an 12—-14000 Xrtifel nad !! 


28. Dr. F. €. R. Ritter: Erdbefhreibung für Gymmaſien und 
bbobere Lebranitalten. Mit 1% in den Text gedrudten Holzfchn. 2. Aufl. 
Frankfurt a. M., Brönner. 1856. 361. 20 Sgr. 


„ch Il. Pad. Jahresber. S. 240. 

2 Dr. K. F. R. Schneider: Handbud der Erdbefhreibung und 
Staatenkunde. Lief. 4—48 (Schluß) fi 5 Epr. Glogau, Flemming. 
1856—57. (Tas Ganze 2302 Eeiten Text, 190 Seit. Reg. excl. Inhalter 
Verzeichniß. 8 Thlr.) 

Endlich, nah 10jähriger Arbeit, iſt auch dies Wert vollendet! 
Statt der anfangs projectirten 60 —80 Bogen find es über 145 (!!) 
Bogen Tert und außer Bogen langen Inhalts s Verzeichniffen noch 12 
Bogen Regifter geworden, alfo beinahe noch ein Mat fo viel als das 
äußerfie Maaß des erften Broipectes in Ausficht ſtellte. So exorbitante 
Meberfchreitungen find für Abnehmer eine ungerechte Zumuthung. — Das 
von abgejehen, ift das Werk mit erflaunflihem Sammelfleiß, mit zähem 
Befthulten des geordneten, umfaflenden Planes und unverkennbarer Liebe 
and Ausdauer, fo wie mit Eachfenntniß gefchrieben. Seinem innern 
Werthe würde eine größere Gedrängtheit nicht gefchadet haben. Es fann 
nicht fehlen, daß während des Erfceinens bereits ein gutes Theil der 
Angaben veraltet find, alfo jetzt nur noch relativen Werth haben. 

3%. Dr. C. G. D. Stein u. Dr. F. Hoͤrſchelmann: Handbuch der Geogra⸗ 
phie und Statiſtik für die gebildeten Stände. 7. Aufl. ven Dr. 
J. €. Bappdus, Prof. in Böttingen. Leipzig, Hinrichs. 1849-1835. 
Bisher find erfchienen: I. Bd. 1. Liefer. 14 Ban. 28 Sge. Wlle 

gemeiner Theil: Afronomijche, phyſiſche und politifche Geograpbie. 

Befonders ſpeziell if der Abfchnitt über phyſiſche Geographie. Bei der 

politifchen if auch der allgemeinen ſtatiſtiſchen Verhältniſſe gedacht. 2—7 

Lief. Amerika. (Bisher nur die vereinigten Staaten von Rordamerifa 

ale 2. Abtheil. des erſten Bds. fertig. 54 Ban. 3 Thlr. 12 Ger.) 

— 68 find bier fowohl die allgemeinen oros und hydrographiſchen Bers 

bältniffe, als die der fämmtlihen inzelländer, und zwar legtere mit 

viel Ausführlihfeit behandelt,” und die Natur wie der Menih in 
vielfeitigen Beziehungen betrachtet. (Bodenverhältniffe, Production, Hans 
def, Eivilifation, Verwaltung, Statifit, Bölfervertbeilung (Entdeckungs⸗ 
geihichte!), fociale Verbältniffe, Bildung, Religion, Recht, Berfaflung.) 

Lebendige und klare Schilderungen führen in das amerifanis 

Ihe Etanten » und Städteleben anſchaulich ein, und laffen die Grundla⸗ 

gen des ungemein raſchen Aufſchwungs und ihrer wachfenden Bedeutung 


. 


= 





Geographie. 409 


erkennen. — II. Bd. 1. Lief. 1853. Afrika von Dr. T. E. Gum⸗ 
precht 224 Bon. 1 Thlr. 16 Sgr., ſehr intereſſant geſchrieben, zumal 
Guinea, Senegambien, das innere Nord⸗Afrika u. d. Sahara. 2. Abtlg. 1854; 
Auſtralien von Dir. Prof. Dr. Meinicke, 3 Bgn. 6 Sgr., überwiegend 
die Natur⸗ und Bölferverhältniffe betrachtend. — Als nächſte Ergänzung 
find in Ausſicht geſtellt; J. Bd. 3. Abth. Europa (Allgemeiner Theil 
v. Wappäus, und Rußland von Prof. 8. U. Poſſart.) II. Bd. 8. Abth. 
Afien von Dr. 3. H. Plath. — Das Werk bat durch eyacte Bearbeitung 
und tiefere Einführung befonders in das Weſen der amerifaniichen Bere 
bältniffe viel gerechte Aufmerkſamkeit erregt; es wird vorausfihtlih ein 
ausführliches und koſtſpieliges werden. 


31. ©. Leypoldt, Ingenieurs Offizier: Die Himmelskunde, mit befon« 
derer Berüdfichtigung des im gemeinen Leben Anwendbaren, ald der Kunft, 
fi) nad der Eonne und den Eternen zu orientiren, die Zeit aus ibnen 
u finden u. f. fe — Das Sonnenfuflem, veranihaulicht Durch die 

teilung der Erde und den übrigen mit freiem Auge fichtbaren Planeten 
im Jahre 1856. Für Freunde der Aftronomie, dann im Allgemeinen für 
Militair, Forſtleute u. A. gemeinfaplich dargeftellt. 3. Ausg. Nürnberg, 
Beh. 1856. 132 ©. u. 4 Karten. 20 Sgr. 


Der Titel beſchränkt den Zwed der Schrift vornehmlih auf Orien⸗ 
tirung, 3. B. bei Märjhen, und auf die Zeitermittelung aus 
dem Stande der Sonne, ded Mondes und der Eterne. Es if fchon 
im IX. Päd. Jahresber. S. 273 auf die mancherlei Beifpiele hingewie⸗ 
fen, wodurch dieſe Ortentirungsfunft erlernt. werden fol. Für fchlichte 
Leute ift dieſe Methode, welche einen Schatz parater Zahlen, Zabellens 
angaben und Erwägungen vorausfept, zu umfländlih. Gute topogras 
phifche Karten und eine genau gehende Uhr machen thatjählic die meis 
hen diefer Berechnungen und Combinationen entbehrlich. Da, wo es 
gilt, Beifpiele zu nahe liegenden matbematifchen Belehrungen über Hims 
melskörper durchzudenken, laffen. fih viele aus vorliegendem Schriftchen 
gebrauhen Ein Theil des Inhaltes ſteht zum näcften Zwed des Buchs 
in nur Lofer Beziehung, und erfeßt eine geordnete, populäre Himmelsfunde 
nicht. Man findet theild nur das Allgewöhnliche, theils dieſes zu nicht 
eben erheblichen Betrahtungen verwendet. — Dagegen mas die Auffindung 
der Planeten zu den verfchiedenen Zeiten und über ihre jedesmalige Stel⸗ 
lung gefagt if, unter Zubülfenabme der beiden für 1856 entworfenen 
Karten, fo wie das über Ermittelung der Mondfinfterniffe Beigebrachte, 
iR gut und brauchbar. Das beigegebene Sternfärtchen ift ſehr rudimentär. 
32. Piarrer Fleiſchhauer: Gemeinjaßlihe naturwiffenfhaftlide 

Borlefungen. (Zweiter Cyllus.) Zweite Vorlefung: Die Sonne. 

Eine Monographie derfelben mit Rückſicht auf die Gentralfonne und mit 

einer populären Erläuterung der Weltgeiepe. Mit Holzſchn. 1856. 139 S. 

12 Sar. Dritte Borlefung:. Die Benefis der Planetenwelt. 

Mit einer Monographie der beiden zulegt entitandenen Planeten. Mit Holz« 

fanitten. Zangenjalga, Schulbudhhandlung d. Ih. L. V. 67 Seiten 

gt. 

Im 9. Bid. Jahresber. ©. 244 iß die intereffante erfke Vorle⸗ 

32* 


500 Geographie. 


fung des zweiten Eyffus bereits befprochen. Auch die zweite if fehr 
intereffant.. Eie ift Mar und faßlich geichrieten. Echwieriger erfaßs 
bare Berbältniffe find mit Glück und Geſchick populär erläutert, und die 
für Laien bemerfenswertheften Beziehungen der Sonne ziemlich erichöpft. 
Inden der Berf. fih nicht ausfchließlih auf eine Monographie der 
Sonne befhränft, fondern in dem vorangeftellten matbematifchen 
Theile auch die Kepplerſchen und die Echmere:-Gefepe, die Beſtimmung 
der Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper, die Fallgeſetze u. a. m. 
beranzieht, findet er zugleich. Gelegenheit, Mittbeilungen über das Leben 
und die Arbeiten mehrerer der größten Aftronomen zu machen, die 
E chwicerigfeiten der Unterfuhungen und ihrer praßtifchen Anwendung 
anihaufih zu beiprehen, aftronomifche Berehnungen in Ddurchfichtiger 
Weiſe einzufchalten und die Möglichkeit ihres VBerftändniffes zu begründen. 
(öröße und Entfernung der Sonne, Parallaxe, Merfurs u. Venus⸗Durchgänge, 
Halley's Berdienfte, Maffens und GewichtaesBerehnung u. f.w) — Im 
pbyiifaliichen Theile wird die Natur der Sonne - (das Leuchtende 
an ihr, Sonnenflecken, Sonnenfackeln), Rotation und Revolution (mit 
Rerechnungen), Milchſtraße und Centralſonne behandelt, mit einer Reihe bes 
Iehrender Binblide in die Dieinungen großer Aftronomen über dieje Mas 
terien. Den Schluß bitten Zugaben über Eonnenfinfterniffe, folare und 
terreftrüihe Erſcheinungen dabei, Eonnenzeit, Uenderung der Eone 
nenwenden u. | w. Der Lehrer bedarf einiger, Trigonometrifher und 
arithmetriiher Vorkenntniſſe zum Verſtändniß, doch hilft Die klare und an⸗ 
ztebende Vortragsweiſe tiber manche Schwierigkeiten dabei leicht hinweg. 

Die dritte Vorleſung entbält die Grundzüge der Hppotbeien von 
Eiplace » Littrom, Fourier s Nürnberger und Petzhold über die Entſtehung 
unſers Planetenſyſtems ın faßliher Darſtellung. Kür Leute aber, denen 
nur gemeinfaßliche Vorlefungen, wie die des Verfaſſers, zuzumutben 
fleben, mögen überhaupt wohl diefe Hypotheſen obne reiten Belang 
ericheinen. Intereſſanter find dagegen die Belehrungen über die mathes 
matifchs und pbyliihsaftronomifhen Berbältniffe der Planeten Merkur 
und Venus, die durch Zeichnungen erläutert werden. (Größe, Entfere 
nung, Mafle, Dichtigkeit, Rotationes und Revolutionds Periode, Lichtphas 
fen, Durchgänge, Eichtbarfeit für die Erdbewohner, verbunden mit 
darauf bezüglichen Berehnungen.) Was fonft von allerlei Phantaften 
über Hermo⸗ und Apbroditos Bolıten, dem etwaigen organiſchen Leben 
u. A. auf Merkur und Venus vorkommt, begleitet jeder bejonnene Lefer 
wohl von ſelbſt allentbalben mit den nöthigen Fragezeichen. 


33, Prof. Pfleiderer: Entwurf einer matbematifhen Geographie. 
I. Theil. Stuttgart. 1855. 29 ©. 1 lütbegrapb. Tafel. 10 Ser. 
31. A. F. Möbiud, Die HSauptiäße der Altronomie zum Gebrauch 
bei feinen Borlejungen für Gebildete, 3. Aufl, Yeipzig, Göſchen. 1853. 
32 ©. 5 Sgr. ' 
In 36 kurzen 88., nad Art eines gedrängten Dictats, hat der Verf. 
Die wejentlichfien DVerkältniffe, Thatſachen und Geſetze niedergelegt, über 
welche bei Betrachtung der Erde, der Sonne, des Mondes, ter Pla⸗ 
“neben, Kometen und Fixſterne die näheren Belchrungen fih zu verbreis 





Geographie. 501 


ten pflegen. Der Umfang des durd Schlagwörter, Sapfürzen u. drgl. 

kurz marfirten Etoffs if, mit Ausſchluß einiger Lehrflüde über Kometen, 

Firſterne, veränderlihe und Doppels Sterne und Nebeifleden, etwa der, 

welcher beim mathematifchrgeograpbifchen Unterricht in Neals und Bürs 

gerichufen abfolvirt zu werden pflegt. Die Andeutungen zur weitern wif 
fenichaftlihen Erörterung im Vortrage find zwar nur aphoriſtiſch, Fön» 
nen aber dem der Sache fundigen Lehrer zu Fingerzeichen und Anhalts⸗ 
punkten dienen. (3. 9. bei nähern Ermitteiungen über Bahn, Größe 
und Bewegung der Sonne und des Mondes) Für die Hand geförderter 

Schüler in Reals und Bürgerichulen dürfte dieſer Pleine Leitfaden ganz 

dienlich fein. , 

35. ©. 9. Rikolais Wegweiſer durch den Sternenbimmel, ora 
Anleitung, auf eine leichte Art die Sterne am Simmel zu finden und fen» 
nen zu lernen. 4. von Dr. ©. Jahn bearbeitete Auflage. Mit 1 Sterns 
farte. Leipzig. Haynel. 1856. 76 S. 15 gr. (In Bartieen 10 Ser.) 
Dieſer ſchon faſt 50 Jahre alte Wegweiſer ift in feiner jcgigen, 

mit Benugung der gegenwärtigen Senntniß bearbeiteten Auflage wohl 

geeignet, die elementarften Belehrungen über den Eternenhirmmel im Als 
gemeinen, fo wie fpeziell über unfer Sonnerfyftem und über die einzels 
nen dazu gehörigen Welten zu gewähren. Der Inhalt ift der, welden 
ſolche Büchlein von vorn herein erwarten laffen (der Planetoiden find 
die bis September 1854 befannten 37 aufgeführt), die Erläuterungen 
deſſelben find fo faßlih, daß dazu feine mathematischen Borkenntniiie ers 
forderlich find. Das legte der fieben Kapitel, das der Beſtimmung 


des Büchleins gemäß am ausführlichſten erwartet werden möchte, da es 


eine Aftrognojie fein will, erfüllt jedoch genau genommen feinen Zwed 
darum nicht, weil es nur von den Sternbüldern im Allgemeinen handelt, 
fo wie von denen des Thierfreijes, deren Abbildung und Stellung be 
fprigt, und dann die Eternbilder der Alten und Reuern bloß naments 
lich aufführt, eine alphabetiſche Lifte von mit beiondern Namen bezeichs 
neten Sternen aufftellt,- kurz vom Alignement ſpricht und Dies durd cin 
Beiſpiel erläutert. (Sirius, Procyon, Beteigeuze.) Nur für den erften 
Anfang wird das Büchlein genügen; es follte billiger fein. | 

36. I. Brem: Anleitung zum Kalender: Vertändniß, zugleich ala 

Einleitung in das Studium der Altronomie. Kempten, Dannheimer. 1338. 

131 ©. mit 3 Figurentafeln. 10 Egr. 

Das ift feine nennenswertbe Bereicherung der Literatur. In Ge⸗ 
ſprächsform mird erfi die Nichtigfeit des Kopernikaniſchen Eonnens 
ſyſtems durch Aufftellung der allgemöbnlichen Beweiſe für die Stugelger 
Kalt der Erde und für die Erdbewegungen darzuthun geiucht, und dann 
folgen in fieben Geſprächen Belebrungen über Sonnenſyſteme, Gonjunc 
tionen, Mondgeftatten, Knoten, Zinfterniffe, Durdgänge, Quadraturen, 
DOppofltionen, über Zeiteintheilung, Sternbilder, Mondelauf, Sonnen» 
und Monds:Circel, goldne Zahl, Oſterfeſtsberechnung 2c, und zum Schluß 
in Bortragsform noch einige Mittheilungen über die Schiefe der 
Efiptit und deren Einflüffe. Die Darftellung ift breit, wenig anregend, 
fo ad hominem eingerichtet, und dabei zugleich ohne vechte Ordnung und 


502 ’ Beographie. 


Ueberſichtlichkeit. Eine Einleitung in das Studium ter Afronomte 
if das Büchlein vollends gar nicht. 


37. Dr. M. v. Kaldftein, Dffider: Srundlinien einer pbyfilalts 
[hen Erdbefhreibung zum Selbititudium und um Gebraud für 
höhere Lehranſtalten, inöbefonbere ailitäridulen. 2, Aufl. Berlin, E chneis 
der und Comp. 1856. 71 ©. 10 Ser 
Der Berf. hat das Intereſſe diefer Meinen, aber forgfältig gears 

beiteten Schrift, deren 1. Aufl. ſchon im VII. Bädag. Jahresber. ©. 248 

unter näherer Angabe ihres Inhaltes anerfennend Erwähnung gefcheben 

if, noch durch Hinzufügungen erhöht. So find ©. 49 -51 noch Nos 
tigen über die optifchen Meteore, aber, ohne nähere Begründung, und 

S. 59--71 unter der Ueberſchrift: „Unſere Erde der Wohnplag des 

Menſchengeſchlechts“ noch Belehrungen über den Urfprung des Menfchens 

geichlehts (durch mehrere Menfchenpaare!), über die Unterfchiede der 

Dölferracen und manche intereffante, auch pfychologiſche Wahrnehmun⸗ 

gen bei ihren DVölferzweigen binzugefommen. Die Schrift ift wirklich 

recht leſenswerth. 

38. A. v. Teichmann, Artillerie⸗Lieutnant: Fr if der Erde, ein Hands 
duch für Lehrer und Schüler der höhern Bildungsanitalten 2. nah den 
neuften Quellen bearbeitet. Mit 9. lith. Taf. Berlin, Reimer. 1854. 254 ©. 
1 Thlr. 20 Ser. 

Der Inhalt zerfällt in drei Theile: Geologie (mit Beognofle), 
Hydrographie und Meteorologie. In der Geologie werden die 
allgemeinen Eigenſchaften der Erde (Raumsverhälftniffe, Temperatur, Mag⸗ 
netismus, vulfanifche Reaction des Erdinnern), Erdbildung (Eintbeilung, 
Beihreibung und relatives Alter der Gefteinarten und Erdſchichten) und 
Oherflähengeftalt (horizontale und vertikale) beiproden. Der hydro⸗ 
graphiſche Theil ift nach dem herfömmlichen Plane behandelt. Beide 
erfte Theile find verhältnifmäßig kurz erledigt, indem nah Abzug der 
ziemlich fpeziellen Definitionen des Uebrigen vom erften heil relativ 
wenig auf den erfien 60 Seiten Platz erhalten bat. Mehr bietet der 
2. Theil, 3. B. über Ebbe und Fluth, Fluthwellen, Strömungen u. dgl. 
(die Apologie der Auflöfungs» Theorie bei Bildung von Mineralwäflern 
gehört wohl faum hieber), auch treten geographifche Nachweiſe hier etwas 
offen auf. Der befondere Rahdrud ift auf den dritten, meteoros 
Togifhen Theil gelegt, welcher die ganze zweite Hälfte des Buches füllt, 
und vom atmofphärijchen Drud, der Temperatur und Feuchtigkeit ber 
Atmofphäre, den Winden, elektrifchen und optiichen Erſcheinungen hans 
delt. Indem nach den berühmten Gemwährsmännern U. v. Humboldt, 
Dove, Berghaus, Kämtz, fo wie nah Burmeifter und Hoffmann, alle 
hieher gehörigen Berhältniffe und ihre neuern Erklärungen fpezieller vors 

eführt werden, flellt der Verf. gerade hierüber Vieles gut und übers 

—26 zuſammen, was anderwärts zerſtreut vorkommt. (Dove und 

Kämtz find beſonders oft benutzt und erwähnt.) Hter liegt der Haupt⸗ 

werth der Schrift, aus welcher man ſich über die bedeutendſten meteoro⸗ 

logiſchen und atmoſphaͤrologiſchen Erdverhaͤltniſſe ganz befriedigend beleh⸗ 


Geographie. ⁊ m 


ven kaun. Nach dieſer Seite Bin iſt fe anch mit Met zu empfehlen. 
Dagegen wird die Prävonderanz der Meteorologie in einer „Bhnflt dar 
Erde,’ Die Seltenheit geograpbiiber Nachweiſe, die Befhränfung am 
vielen Stellen auf furze Angabe des factiihen Beſtandes und auf De 
fiitionen, die Heranziebung fotcher Etüde der theoretiiben Phyũk, die 
weder auf geograpbiiche Berbättniffe angewendet, noch zu voller Evidekz 
erboben werden, oder die den Anfangegründen angebören, während der 
Berf. Ibon das Verſtändniß logarithmiſber Zormeln vorausicht, — _ 
kurz dies und einiges Undere wird flrittig bleiben. — Die Kırten vers 
anſchaulichen die Iſogeethermen nah Kämg, die Iſogonen für 182731, 
die Ifotynamen für 1830, die Verbreitung der Vulkane, der Meeres⸗ 
frömungen, den Zug der Iſothermen, Ifotberen und Ifochimenen, der 
Kpdrome'eore und Luftfirömungen. Das Buch ſelbſt erläutert aber die 
Karten nur wenig. Aehnliches gilt von der Theorie der geometriſchen 
und barometriſchen Höhenmeſſungen (S. 17. 142) und der Meilung der 
Spannfraft der Dämpfe. 


39. Dr. 8. Berghaud: Srundlinien der vbufitalifben Erdber 
fhreibung. Zur Belehrung für die reifere Jugend, den Bürgers und 
Landmann. 2. Aufl. Stuttgart, Haliberger. 27 Sgr. (Titel 1847). 
Schen im Il. Päd. Jahresber. &. 145 if über dies Buch nähere 

Andeufung gegeben. Es if jept mit den „Grundlinien der Ethno⸗ 

graphie“ 2, (Titel: 1855) Ausgabe und denen der „allgemeinen 

Staatentunde‘ 2. (Titel: 1846) Ausgabe zum ermäßigten Preife 

(& 27 Sgr.) dargeboten. (Brüher a 1'/, Thlr.) 


40. Dr, 8. FJ. 4. Simmermann: Der Erdball und feine Natur 
wunder. @in populäres Handbuch der phyſiſchen Erdbeſchreibung. 
4. Aufl. 1. Lief. Berlin, Hempel 1855. Mit vielen Abbild. und Karten. 

& Lief. (3 Bogen) 7'/ Gyr. 

Des Berfaffers geographifche Schriften haben eine meite Verbrei⸗ 
tung gefunden, weil darin der Gegenſtand nicht bloß von feinen faßlich⸗ 
fien Seiten, fondern auch in leicht verfländlicher Darftellung, Mar, an« 
fhauli und anregend behandelt zu werden pflegt. In Ddiefer Neuen 
Schrift if es nicht der ſtrenge Ernft, fondern ein leichteres, heiteres, bie 
und Da humorifliiches Gewand, wodurd viele folder Leſer befriedigt wer⸗ 
den, welche ohne befondere geiftige Anftrengung das Bedeutjamfte vom 
Gebiete geographifchen Willens kennen lernen wollen. Der Berf. ver 
fäumt es nie, von dem Kern der Sachen etwas zu bieten, aber er weiß 
ſtets das fvezifiih Wiflenfchaftliche mit Gewandtheit auszufcheiden, und 
nur das Anziehendſte tactvoll zu treffen und — bisweilen etwas breit 
— vorzutragen. Bür Lefer, welchen es mehr an Mannigfaltigkeit als 
wiffenfchaftlicher Gründlichkeit des Wiſſens, mehr an leichtem Erwerb als 
an tüchtiger Durchdringung des Stoffes fiegt, it das Buch auch nur 
berimmt. — Die nur vorliegende 1. Lieferung beginnt, nach andentens 
den Blicken auf die älteren Erdanfichten, die Behandiung der allgemeis 
nen irdifchen und fosmifchen Verhältniſſe. Geſtalt und Größe der Erde, 
Gründe; erſte Erdumfegelung ; Gravitation, Gratmeffung, Abweichung 
von der Kugelgeftalt, Dictigkeit, mathematiſche Eintheilung, Beſtim⸗ 


. 


504 j Geographie. 


mung der geographifchen Länge und Breite, Berhäftniß” der -Exde‘ wu 


den Belttörpern, ältere und neuere Anfichten von unferm Ptanetenſyſtem, 
Kepplerſche Geſetze, Sonne und Mond, — dies Alles iſt ſchon auf den 
erſten 80 Seiten in fehr faßlicher Art nad feinen näcdfliegenden Bes 
ziehungen befprohen. Schlichten Lehrern, welche eben nicht tiefer in den 
Kern der Sache eindringen können und wollen, fann das Buch jedenfalls 
nüglich werden. 


41. Deſſelben Derfaflerd: Wunder der Urwelt, eine populäre Darftellung 
der Geſchichte der Schöpfung, iſt in 2. Ausg. in 8 Lief. à 7/ Egr. 
ebenfalls mit vielen Abbildungen erſchienen. 


42. D. Rittershauſen, Lehrer: Die Welt: und Baterlandelunde. 


Gin Lebrbud für den auf geographiſcher Grundlage zu ertbeilenden 
Unterriht in den Realten. Zugleih als welttundliches Lern « und Leſe⸗ 
buch für Die Jugend. Mit Karten und Abbildungen. Grfurt, Körner. 
1856. 201 ©. 24 Ser. (Partiepreis 20 Ser.) 

Der Berf. will hiermit Lehrern eine fefte methodifche Handhabe beim welt» 
Fundlidhen Unterridte, und Schülern der Oberflaffe einer ſtädtiſchen 
Volksſchule ein anziehend gefchriebenes Lern⸗ und Leſebuch gemwäbren, 
worin die Realien weder in übermäßiger Fülle und nadter fyRematifcher 
Aufzählung, noch in verfchmimmender poetifcher Schilderung gegeben wer» 
den follen. Der Stoff if für ein Jahr berechnet. Zu dieſem Bebuf 
find die einzelnen Realfächer nicht getrennt nach einander, fondern in 
naher Beziehung zu einander und in gewählter Mifhung durch einander 
behandelt, — alle auf der Bafls der Geographie. Kurze Belchrungen 
über Sonne, Mond und Eterne, über die Erde ale Himmelskörper, den 
Luftmantel und das Meer im Allgemeinen bereiten in der erfien Abs 
theilung die fpegiellere Betrachtung zuerft der Dceane und dann der 
außereuropäifchen Erdtheile mit ihren SInfelgruppen, Sauptländern und 
einigen ihrer charafterififhen Thier- und Pflangenformen vor. 
Dabei find phyſikaliſche Belehrungen (Waſſer⸗ und Luftpumpe, Baro⸗ 
meter, Knallbüchſe, Senkblei, Taucherglocke, Segel» und Dampfihift, 
Magnet, Compaß, Nordlicht, Elektifirmafchine ze.) und hiſtoriſche 
Mittheilungen (Diaz, de Gama, Muhamed, alte Negypter, Rapoleon, 
Columbus ꝛc.) angeeigneten, auf diefe Stüde leicht bezüglihen Stellen 
eingelegt, jene auch durh ein paar — nicht mehr ald 4 — Figuren 
erläutert. — Die zweite Abtheilung behandelt die Länder Europas. 
Dabei ik Deutfhland nit nach feinen einzelnen Staaten, fondern 
nach Alußgebieten zerlegt. Bei der Hämus +» Halbinfel find Mittheilungen 
aus der alten griechiſchen Gefchichte, bei der Appeninen⸗Halbinſel ders 
gleihen aus der römifchen und maurifchen Gefchichte angefchloffen. Außer⸗ 
dem find allenthalben Schilderungen der Natur, Befchreibungen wichtiger 
Etädte, Producte, Volksfitten, induftriellen Bewegungen u. dgl. paſſend 
eingefügt. Bei Deutfhland folgen die an mehreren Stellen einger 
legten hHiftorifhen Stüde im Wefentlihen dem chronologiſchen Faden; 
es ift dabei jedes der größern deutichen Länder, bei Preußen aud jebe 
einzelne Provinz bedacht. Hie und da find auch hier noch phyfilaliſche 


. Geugraphie. 505 


Belehrungen angebracht. (Brei Berlin über Waſſerleitungen, Gasbe⸗ 
leuchtung, Telegraphie) Die brandenburgiſch⸗preußiſche Geſchichte iſt von 
S. 142 an am meiſten im Zuſammenhang und am ſpeziellſten behan⸗ 
delt. — Das Lehrbuch iſt als ein brauchbares zu bezeichnen; es iſt 
geordneter Plan darin, und die Darſtellung if ſchlicht und faßlich. 
Uebrigens werden ſich in vielen Stücken die Lehrſtoffe auch anders wäh⸗ 
len laſſen, ohne des Rechten zu verfehlen, und in den erſten Lehrſtücken 
wird fogar größere ſachliche Genauigkeit wünſchenswerth fein. Die Meinen 
rudimentären Kärtchen find fo unerbeblih, daß der Titel fie gar nicht 
nennen follte. 

43. Fridol. Septing, Hauptlebrer in Biberah, und Georg Fath, Haupt⸗ 
lehrer in Botmann: Der Realunterridht für das fünfte und fechfle 
Schuljahr. Selbſtverlag. 1855. 247 S. 17 Sgr. 

"Nur der erſte Abſchnitt des Buchs bat es mit geographiſchem 
und geichichtlihem Etoff zu thun; der zweite enthält Naturgefchichte 
(Beichreibungen einzelner Naturproducte aller 3 Naturreiche), der Dritte 
Raturlehre, der vierte den Spracdunterriht; der Anhang eine ge 
ordnete Sammlung von Mufterfägen. — Hier if bloß der erfte Ab⸗ 
ſchnitt in’s Auge zu faflen. [Die Verf. legen den Hauptaccent auf bie 
Berbindung des Nealunterrihts mit dem Spradunteridt. Schon 
oben in der Abhandlung ift das Brinciv beleuchtet, das bei derartigen 
Verbindungen leitend fein muß. (CF. oben 1. 3. a)] In diefem Abs 
ſchnitt if durch eine Menge Fragen den Kindern Beranlaffung gegehen, 
über die Pörperlichen und geiftigen Bedürfniffe der Gemeindeglieder, über 
Dorf, Stadt, Gemarkung, Bezirf u. ſ. w und mancherlei Berbältniffe 
berfelben Grundbegriffe zu gewinnen, welche dann zu einer kurzen geo⸗ 
grarbifchen Ueberfiht von Baden benupt werden. Hieran reiben fi 
Meine Ginzelbilder der Naturbeichaffenbeit einiger ausgemählter Xocale 
(Thäler, Wälder, Berge), die Weberficht der politiihen Eintheitung und 
einige Züge der badenfchen Landesgefchichte. (Lebenebilder von Kürften 
und andern Perfonen: Hebel, Lingg, Etulz ... Die beiden Eautirr.) 
So ift dem fonthefifchen und biograpbiihen Princip entſprochen; und 
es werden bie und da einzelne methodifche Winfe für. Lehrer gegeben, 
die, wenn auch nicht neu, doch praftiich find. Des Etoffes ift viel mehr 
ale der methodiichen Anleitung. Hervorragenden Werth hat das Bud 
niht, obwohl es brauchbar genannt werden fann. 

44. Dr. 9. Diefterweg: Dr. L. G. Blancd Handbuch des Wiffens: 
würdigften aus der Natur und Geſchichte Der Erde und ibrer Bemobner. 
7. Aufl. (Ausg. in 15 Hft.) 1. bis 5. Heft (& 10 Bogen). Brauns 
fhweig, Schwetichfe. 1856. à 10 Ser. 

Wie hat fih dies Werk in feinen ſechs frühern Auflagen, naments 
fi durch den früh verftorbenen Dr. Mahlmann verrollfommne! Wie 
bat das Intereſſe daran in weiten Kreifen : fidh erhalten und gefleigert! 
Reicher, wohlgemwählter Stoff, anfprechende Verbindung naturkundlicher 
und hiſtoriſcher Ubfchnitte mit der geographifchen Grundlage hat das 
Buch von jeber mit Recht Vielen lieb gemacht. Wiſſenſchaftliche Ergebs 
niffe ſind darin in faßlicher Art faſt auf jeder Seite niedergelegt. Vor⸗ 


— 


506 Geographie. 


ausſichtlich wird des neuen Herausgebers Sand den Werih no merklich 

ſteigern. Volksſchullebrern wird deehalb daſſelbe erneut zum Vrivat⸗ 

ſtudium empfobſen. Die 5 erſten Lieferungen bilden den erſten Band 

Des Werkes. Derielbe enthält auf den erften 24 Bogen eine „Allge⸗ 

meine Einleitung“, in der die matbematifche und phyffaliice Geogra⸗ 

phie in anſchaulichſter Weile vorgetragen und durch chen fo fchöne ale 
lebrreihe Holzſchnitte illuſtrirt if, namentlich der Abfchnitt über Geo» 
logie. Hieran Tchlicht ſich Europa. Daraus find auf Bogen 25 bis 

50 bebandelt: die pyrendiſche Halbinſel, Frankreich, das britiihe Neich, 

Die Niederlande und die Schweiz. Gin großer Tbeil des Werkes if 

ganz nen und mit Benugung der beten und neuflen Quellenſchriften, 

zum Theil wohl nah eigener Anſchauung, wie der trefflihe Abſchnitt 
über die Echweiz, bearbeitet. 

45. U. Berthelt: Die Geographie in Bildern, oder charakteriſtiſche 
Darftellungen und Echilterungen aus der Länders und Mölferfunde, ae 
fammelt, bearbeitet und zu einem velltändigen Ganzen verbunden. 2. Aufl. 
Leipzig. Klinkbartt. 1856. 330 S. I ihlr. 

Diefes mit Umfiht angelegte Buch if fhon im IX. Päd. Jahres⸗ 
beriht ©. 278 anertennend beiprodhen. Die neue Auflage hat die meis 
fien frübern Nummern unverändert gelaffen: es find aber noch adt 
Bilder binzugelommen: Lima, die Cochenille, Toulon, die Pirten in Une 
garn, die Eifengruben in Danemora, die Feier der Weihnachtszeit in 
Schweden, die Sciffswerfte und Märkte in Amfterdam und Hamburg. 
Das Ganze wird in der Schule, wie in der Hand der Lebrer zur nüßs 
lihen Anwendung gelangen können, indem die Sorgfalt in der Sache 
und die ſchulgerechte Zertheilung in Beinere Ubfchnitte, verbunden mit 
einer würdigen, angemeffenen Durdführung im Einzelnen, ihm zur Em- 
pfehlung dienen werden. . 

46. 8. Thomas: Bilder aus der Länder: und Böllerkunde, als 
2. Tbell zu „Zachariäs Kebrbuch der Erdbeſchreibung in natär- 


liher Verbindung mit Weltgeſchichte, Naturgefchichte, Zechnologie 2c.” 
Ben Schul⸗ und Privarunterridht. Leipzig, Zleifher. 1856. 390 ©. 
1 r. 


Zur größern Belebung des Unterrichts beſtimmt, und einem in 
Aufnahme gekommenen neuern Gedanken, der Illuſtration des geographi⸗ 
ſchen Unterrichts durch bunte Bilder folgend, iſt dies Buch zwar voll 
recht mannigfaltigen Stoff, der aus gar verfchiedenen Büchern gefchöpft 
iſt; aber es ift nicht nur nicht fo aus einem gleichförmigen Guffe ges 
arbeitet, fondern hat manche fhwächere Partieen mit eingeflochten, Die 
wegbleiben konnten. Ferner erwehrt man fih der Beforgniß nit, daß 
mehr dilettirendes als Bildungs-Intereffe dadurch angeregt werden dürfte, 
obne nachhaltigen Eindrud auf ernfles, charaftervolles Streben *). Es 
it Schönes, auch bier und da Tüchtiges gegeben; jedoch was der Schule 


*) In einer bedeutſamen kirchlichen Zeitfchrift. wird „das zierlihe Bear- 
beiten allerliebiter Meiner Senrebilder, die journaliftifhe Aleinmalerei, die Ge 
ledtheit der Schreiblunft” in unfern Tagen als ungünftiges Zeidhen der 
Zeit erwähnt, 


Geographie. | 507 


am dringendfien Roth thut, tritt nicht ſtark hervor. Die Bilder find 
nach den Erdtheilen gruppirt, und Europa iſt vorzugeweife bedacht; fie 
ſtammen von vielerlei Autoren, haben naturfundlichen, ethnographiſchen 
und hiftoriihen Stoff mit der Geographie verwoben, — dagegen iſt ja 
an ſich nichts zu fagen. Aber je bunter die Bilder, deſto ablenkender 
für den Einn, auch für den innern; darum dürften Diele Pilder nicht 
ganz fo unbefangen als die von Berthelt in die Schule zu Abertragen fein. 
4. E. Wendt: Erläuterungen zum Bilder: Atlas der Länderkunde 

mit bejonderer Rückſicht auf Bölkerfunde, Geſchichte und Naturgeſchichte. 

Leipzig, Dörffling und Franke. 1856. 196 S. 20 Ser. 

Ueber den ausgezeichneten „Bilders Atlas‘, der nun in feiner 
Vollendung 65 vortrefflihe Stahlfiihe in ſehr glüdliher Wabl ber 
Länder wie der Gegenftände enthält, if ſchon im III. Päd. Zabresber. 
©. 248 mit aller Empfehlung berichtet. Sauberfte Ausführung des 
Stihe, überlegter Plan in der Combination deffen, was jede der Tafeln 
darſtellt, Reichhaltigfeit des Ganzen wie des Einzelnen und Raturtreue: 
das find einige der unverkennbaren Vorzüge diefes vortrefflihen Bilder⸗ 
werfs. Bu demfelben gibt es dreierlei Erläuterungen. Den Belders 
tafeln ift eine Anzahl von Tertblättern hbeigegeben, welche deren Inhalt 
fummariih erflären. Cine weitere Ausführung des Inhalts dieſer 
Blätter bilden die oben genannten Erläuterungen, melde die Gegen 
fände der Bildtafeln ganz ſpeziell theils beichreiben, theils Ihildern, und. 
kunſtgeſchichtliche, gefchichtliche, geograpbifche, ethnographiſche, naturge⸗ 
ſchichtliche Belehrungen beifügen. Dieſe Erläuterungen find deshalb ein 
fhöner Commentar zu den Bildern, der auch für fih fchon eine liebs 
liche Lectüre gewährt, z. DB. zu Serufalem ©. 95 ff. Noch ausführs 
lihere Schönbefchreibungen der Bilder bieten die „maleriſchen Wandes 
zungen”, welche in der That ganz das find, was ihr Titel fagt. Der 
Atlas der Bilder iſt zu dem fehr billigen Preife von 543 Thlrn., der 
Band der „maleriſchen Wanderungen” zu 4 Thlr. 10 Sgr. zu haben. 
Allen Zreunden und bemitteltern Lehrern der Geographie ift dieſes fchöne 
Werk aufs Angelegentlichfte zu empfehlen. — j 
48. ©. 9. Lauckhard, Freiprediger und Lehrer: Geograpbiſche Ailder 

aus Afrita. Mit Illuſtrationen in Karbendrud. Darmſtadt. Bauer 
keller's Präganſtalt. Jonghans und Benator. (Ohne Jabreszabl, 1856 
erfähtenen.) 62 ©. Text und 11 Taf. Abbild. in groß Folio. 21/2 Thir. 

Das landſchaftliche Enfemble der chromolithographirten Abbilduns 
gen mag billigenswertb und relativ naturgetreu genannt werden, aber 
fowohl an der Deutlichfeit Im Einzelnen, als an der Auswahl der Ob⸗ 
jecte ift Manches auszufegen. Die üppigen Nuditäten tanzender Ne 
gerinnen und der Weiber bei den Gruppen der Kuffern und Dottentotten 
müffen manches Auge beleidigen; mehrere Thierbilder (Krokodil und 
Flußpferd, Schafals und Giraffen, Strauße, Gnus und Zebras) und 
das Bild der Kapfladt find mangelhaft oder befriedigen nur zum Tbeil. 
Am ebeften genügt die Löwenjagd, und die Abyifinier und Buſch⸗ 
männer. — Der Text ift unter folgenden Rubriken zufammengefaßt; 
1. Bewohner (Neger, Abjfinier, Kafftrn, Hottentotten ... Kahylen, 


1 Geographie. 


Araber), 2. Länder und Städte (Sahara, Alexandrien, Rilthal 
und Aegypten, die Pyramiden, Kahira, Algier und die Metidſcha, Bi⸗ 
ferta in Tunis, Carthago, Sierra Leona; Niger, St. Helena, Karrn, 

Kapradt); 3. Pflanzen; 4 Thiere (bei 3. und A. nur die charafte- 

riſtiſchen); 5. Veberfiht von Afrifa. — Wenn aub für Nichtge⸗ 

lehrte beftimmt, hätte doch Gründlicheres und Nichtigeres in — wes 
nigftens Zrivislitäten vermeidender — gewäblterer Darftellung gegeben 
werden follen. Recht ſchwach if, was unter 1. über Wohnung, Kleis 
dung, Religion, Eitten u. ſ. w. geſagt if. Weder lebendig noch geifl 
voll geichrieben, wird ethnographiſch und geſchichtlich Bedeutſameres “über 
Unerbebliherm weggelafien. Das Landidaftlihe unter 2. iſt etwas 
befler, aber auch ohne rechte Frifche, und ohne Benupung der neuern, 
bereits zugänglih gemachten Forſchungen (3. B. über Eierra Leona, 
iger, Eüdafrita), ohne Rückfichtnahme auf evangelifche Diffionsthätig- 
feit, welche bier fo nabe lag. Die Etädtebüder, obwohl nicht klaſſiſch, 
genügen meiftens. Was unter 3. gefagt if, ift kurz, ohne befriedigende 

Kenntniß zu gewähren; Das unter 4. Gegebene bringt ebenfalls nichts 

weſentlich Intereffantes. Die kurze Ueberfiht (5) befriedigt, ſtellt aber, 

abweichend von der Auffaffung der geographiihen Glieder Afrika's, die 

Inſeln Madagaskar, Helena und die Ganarifchen Inſeln ale fehfes 

Glied dieſes Erdtbeils bin. — Strebſame Leſer können weder Foͤr⸗ 

derung, noch Bereicherung, noch Berichtigung ihrer Kenntniſſe in diefer 

Schrift finden. Sie dient oberflählihem Materialismus. 

49, G. Rampert: Cbarakterbilder aus dem Sefammtgebiete der 
Natur. Kür Eule und Haus gelammelt und herausgegeben. Mainz, 
Kunze. 125%. 2 Be. (330 und 384 ©.) 2%, Thlr. 

Echon im IX. Päd. Jahresber. S. 280 mit vieler Anerfennung 
befprocden, liegt nun auch der 2. Bd. ganz vor. Uns den Werfen von 
48 Original⸗Schriftſtellern und Forſchern (das älteſte der Werke reicht 
nur bis 1834 zurüd), unter denen Namen wie Berghaus, Burdadh, 
Yurmeifter, Euler, Humboldt, Liebig, Mädler, Martius, Pöppig, Ritter, 
Schacht, Schubert, Schouw, Tihudi u. A. vorfonmen, find mit feinem 
Zact nur recht wertbvolle und intereffante, fürzere und längere Abs 
hnitte zuſammengeſtellt. Aftronomifches, Geologiſches, Etbnographifches, 
Geographiſches, Naturfundiiches aus allen Gebieten findet fih zwar in 
hunter Miſchung, obne daß ein ordnendes wiſſenſchaftliches Princip dabei 
erfennbar märe; aber der Etoff iſt nirgends oberflählih. Oft ifk es 
ſowohl an fib als in der gewählten Darftellung fehr Ihön. Das Bud 
wird wohlvorbereiteten Echülern und aud Lehrern viel Erfrifhung und 
Belehrung gemäbren. Außer den ſchon im IX. PB. 3. angedeuteten Bei» 
fpielen mögen nod erwähnt werden: Fönwind von F. v. Tſchudi; Eierra 
von Peru von 3 v. Tſchudi; Gletſcher von Meyer; tropiicher Urwald 
und Farbe des Meeres von Burmeiſter; Temperatur der Erdzonen von 
v. Schubert; Staubbahfall von Berghaus; Alpen von Th. Schacht. 

50. Dr. H. Berghaus: Was man von der Erde weiß. Gin Leſebuch 
jur Sclbitbelevrung Für die Gebildeten aller Stände. An c. 15 Kief. 
uA—5 Bog. A 7’ Sgr. 1. Lief. Berlin, Safjelberg. 1856. ©. 1 

is 80, (Thl. I 208 ©. II. Borgerüdt bis zur 4. Lieferung.) 


Geographie. 509. 


Der Zweck dieſes Buchs ift, „die durch Die Wiffenfchaft in neufter 
Zeit ergründeten Thatfahen und Refultate der Kenntniß der Erdober« 
fläche und der auf ihr befindlichen Drganiemen zum Gemeingut aller 
GSebildeten zu machen, deren Beruf naturmiflenichaftlihe Studien nicht 
geſtattet.“ Nach einem einfeitenden Kapitel (‚Erinnerungen aus der 
Schule vor 50 Zahren‘‘) führt der Berf. die Gefchichte der allmählichen 
@rmeiterung der geographiſchen Keuntniffe und Wiſſenſchaft in fieben 
Kapiteln durch die Zeit des Alterthbums bis auf Claudius Ptolomäus, 
und dann bis zum Beginn des zweiten Kapitels in’s Mittelalter hinein. 
Der Anfangs angefchlagene gemüthlichere Ton weicht bald dem wiflens 
fhaftlihen, der die Reſultate gedrängt zufammenfußt. Es wird die Ges 
fhichte der Erdfunde hei den Phöniziern, Aegyptern, Hebräern, Griechen 
Bis auf Herodot und Eratoſthenes, der Römer bis auf Cäſar und big 
auf Cl. PBtolomäus vorgeführt, und die Anſchauung des leptern ſpezieller 
dargelegt. Im Mittelalter find es zuerſt kurze Andeutungen über 
die geographifchen Beftrebungen im Abendlande mährend des erften Jahre 
taufends der chriftlihen Zeitrehnung, und im 2. Kap. find eben die 
Mittheilungen über die Berdienfte der Araber (700 bis 1700 n. Ch.) 
Begonnen. Mehr als einen kurzen Weberblid über die Geſchichte der 
Erdkunde fann man bei der Anlage des Buchs nicht wohl erwarten ; 
Der gegebene iſt Far und lebrreih, an manden Etellen (bei Herodot, 
Eratoſthenes, Strabo, Ptolomäus) auch etwas näher einführend, um 
deren Anſchauungen zu erkennen. Man muß den weiteren Lieferungen 
erſt entgegenieben, um den Charalter der Schrift genügend zu erkennen. 
(Liefer. 2—-9 lagen noch nicht vor.) 

51. F. v. Rougemont: Geſchichte der Erde nah der Bibel und der 
Geologie. Mit Zuftimmung und Berbifferungen des Verf.'s aus dem 
Kranzöfiihen überjept von E. Fabarius. Berlin, Schröder. 18 Bog. 
1 Thlr. 3 gr. 

Zn einem großen politifhen Zeitungsorgane ift über dies Wert 
geſagt, „daß es aus dem Etudium der beilg. Echrift und der Dielen 
Gegenftand betreffenden franzöſiſchen, engliſchen und deutjchen Literatur 
bervorgegangen, die Uebereinfimmung der Offenbarung und der 
Naturwiſſenſchaften, indbefondere der Geologie, nachzuweiſen fuche; daß 
Die Ueberfegung des Originals wortgetreu, die Echöpfungsgefchichte der 
Bibel klar ausgelegt, und die Entftehungsgeichichte der gegenwärtigen 
Erdoberflähengefalt, fammt den Grundzügen der phyſiſchen Geſchichte 
der Menichheit mit Benupung der betreffenden anziebenden Voölkerſagen 
anfchaulich vorgeführt fei.” — Rougemont iſt durch Gelehrfamteit und 
Gefinnung mehr als viele Andere zu ſolchem Werke befähigt. 

52. Dr. R. Ragel: Beiträge zum geographiſchen Unterricht. Halle, 
Edmwetihie. 54 ©. 5 Egr. 

Dieſe kleine, aber recht interefjante und leſenswerthe Brofchüre ent« 
bält 3 Aufjäge: 1. Zur vergleichenden Charakteriſtik der Welttheite; 
2. In wiefern if die Eulturbedeutung einer Stadt durd ihre Lage ber 
dinge ? 3. Ueber geographifche Aufeınanderfolge der deutichen Kaiſerge⸗ 
ſchlechter. — Wie die Idee, die diefen Auseinanderjegungen zu Grunde 


510. Geographie. 


liegt, fo if deren Durdführung nit minder anfprehend, zumal da 
der Ritter'ſche Gedanke geographifcher Anihauung bindurchleuchte. Im 
erſten Aufiag ift eine Bergleichung der Erdtheile in der Art vorges 
nommen, wie fie der, der Karten zu lefen verfteht, gern anſtellt. Sie 
it nicht nah allen, fondern nur- nah einigen Seiten durchgeführt. 
(Aeußerer Umriß; borizontale @liederung; Richtung der Gontourlinien 
zu einander; Grundformen der Hauptmaflen; vertifale Ausarbeitung der 
Dberflähe; Flußreichthum u, dgl) Das „ungefhlahte” Afrika kommt 
überall fhlimm weg. Umfiht und Gewandtheit bei diefer Bergleihung 
find unverkennbar; wenn aber der Berf. den Einfluß der Erdtheile auf 


die Eulturentwidelung der Menichheit a priori conftruirt, jo muß das 





ale eine bedenklidhe Divination angefehen werden. Mit dem Schage der 
jeßigen Kenntniß und der Erfahrung ausgerüftet, läßt fih wohl zurüds 
deuten; aber es führt auf haltlofe Phantaſien, wenn in die Karten 
allerlei Hineingelefen wird, was fie dem, welchem dieſer Schatz abgeht, 
nicht erfchließen Tann. Das Erdlocal ift ein wichtiger Factor der Bölfere 
eultur, aber nicht der einzige, vielleicht nicht einmal der wichtigſte. Die 
- Rationalität und geifiige Raturanlage fpielt eine überaus einflußreiche 
Rolle. Alle Prophetie über die Zukunft der Gulturentwidiung, z. B. 
bei der neuen Welt, unterliegt großer Unfiherbeit. — Der 2. Auf⸗ 
fag, eine Art Apologie Ritterfcher Erbbefchreibung, ift weniger eine den 
Fragepunkt genau treffende Antwort, als ein biftorijcher Nachweis, daß 
eine Menge Städte (durch Handel, Production, Indufttie, Bildungs: 
anftalten, Bertheidigungswerke u. |. w.) an der Stelle, wo fie liegen, 
bedeutjam geworden find. Berf. verbehlt es nicht, daß die Stelle dazu 
richt allein verholfen hat, fondern der Genius des Volls und der Bang 
der Gefchichte, und er modifleirt danach fein Prineip; aber er weicht 
der Unterfuchung aus, weshalb andere, jenen ganz nabe und unter ganz 
ähnlichen Natureinflüffen gelegenen Städte nicht diefelbe Bedeutfamfeit 
erlangen fonnten. — Der 3. Aufſatß ift ein kurzer Gang durch Die 
Geſchichte der Deutfchen, mit der Tendenz, den Ecülern die Eins 
prägung der Uufeinanderfolge der Urfige der deutfchen Staiferhäufer zw 
erleihtern.. Das ließe fih leichter mit einer Hafenlinie über die Karte 
hin erreichen, welche, am Rhein anhebend, erfi in die ſächfiſchen, dann 
in die fränfifchen, fhwäbifchen und habsburgiſchen Gaue führt. Ob 
— wie Verf. wüniht - Diefe Linie nunmehr nah Preußen zu ver- 
fängern fei, das pflegen gegenwärtig die bebächtigfien Preußen am wer 
nigften zu wünſchen. Der Menfh denkt — Gott lenkt! 
53. Dr. H. Bögefamp: Geographiſche Kharakteriſtiken für die Ein- 
führung in die wifienfhafttiche Erdfunde, gefanmelt, bearbeitet und 
gruppirt, Mainz, Kunze. 1856. 416 ©. 1 Thlr. 9 Sgr. 

Bon andern geograpbifchen Werfen, welche Charafteriftifen enthals 
ten, unterfcheidet fi dies wefentlich durch feine überwiegend wiffens 
ſchaftliche Tendenz. Es ift weder ein für Schulzwede noch zur 
unterbaltenden Leetüre gefammeltes Buch; vielmehr foll der status 
quo der gegenwärtigen geograpbifhen Wiſſenſchaft darin repräſen⸗ 
tirt werden. Bu diefem Ende find aus den Werken von C. Witten, 


- Geographie. 511 


4. v. Humboldt, von Roon, von Reden, Guyot, v. Rougemont, Mens 
delsſohn, v. Klöden, Niehl, v. Cotta u. U. 50 größere Abſchnitte auds 
gehoben, eingerichtet und fo gruppirt, daß ſowohl allgemeine Berbältniffe 
der ganzen Erde, als die individuellen der bedeutjamften einzelnen Länder 
zur Darftellung fommen. Es find 5 Gruppen. In der erften ents 
halten fechs Charakterifiifen: die Gliederung der Erdflähe, die Gegen⸗ 
ſätze der verfchiedenen Erdhalbfugeln und Gontinente, die Steppen und 
Wüſten und Auftralien; in der zweiten adt Charafteriftifen: Aſien 
und feine einzelnen Länder, befonders die ſüdlichen und ſüdweſtlichen; in 
der dritten zehn Charakteriſtiken: die Mlafiifchen Gegenden um das 
Mittelmeer ber, namentlich reich bedacht Griechenland; in der vierten 
verbreiten fih fünf Charafteritlifen über die allgemeine Charafteriftif und 
Statifif Europa’s, über Zranfreih, den Eultus der griechiſchen Kirche 
und ufrainifche Dörfer; und in der fünften, größeflen, 21 Abſchnitte 
über das germanifhe Europa, England, Norwegen, Echweiz, und mit 
16 derjelben allein über die verfchiedenen Lander und Gaue Deutfch 
lands. — Ein bloßes flüchtiges Durchlefen diefer Abfchnitte reicht nicht 
bin, fie wollen denfend durchgearbeitet fein, wenn fie rechten Nugen ges 
währen follen. Sie fepen aud bereits eine gute Grundlage geographis 
ſcher Kenntniffe zu ihrem Berfländniß voraus. Dadurch, daß nicht fos 
wohl philoſophiſche Allgemeinheiten, als vorzugsweiſe charakteriſtiſche 
Betrachtungen der einzelnen Länder und ihrer Bewohner geboten ſind, 
erhöht ſich das Intereſſe, und dadurch, daß ferner die Darſtellung geiſt⸗ 
vol und edel, und nicht zu leicht faßbar ift, vielmehr eine Borbildung 
auch in der Mlaffiichen Alterthumskunde vorausfept, iſt eine ſehr empfebs 
lenswerthe geifige Beichäftigung angeregt, welche zu gründliher Ers 
fafjung der geographifchen Gefammtverhältniffe und zum Studium der 
Driginalwerfe Bahn madıt. 

54. H. Kletke: A. v. Humboldt’s Reifen in Amerika und Afien. 


Eine Daritellung feiner wichtigſten Forſchungen. 2. Aufl. 1.—18, 
Lief. (a 5 Nor.) Berlin, Haffelberg. 1856. I. IL. IIL Bod. 3 Thlr. 


55. Dr. T. &. Gumprecht: Zettfhrift für allgemeine Erdkunde. 
6. Bd. 6 Hfte. Mit Karten. Januar bis Juni 1856. Berlin, Reimer. 
1856. 22/5 TIhlr. (Die Tendenz cf. VIU. Päd. Jahresber. S. 278 ff.). 


56. Dr. 8. Neumann: Zeitfhrift für allgemeine Erdkunde. Neue 


Folge. 1. Bd. 6 Hefte. Mit Karten. Juli — December 1856, Berlin, 
Reimer. 1856. 2%, Thlr. 

57. Dr. 9. Petermann: Mittheilungen aus 3. Perthes geograpbifcher 
Anftalt über wichtige neue geograpbihe Erfahrungen auf dem Geſammt⸗ 
gebiete der Seographte. Gotha, RPerthes. 1856. 6 Hfte à 10 Egr. 
Die Tendenz erhellt aus den Andeutungen im IX. Päd. Zahresber. 

©. 242. — Im erften Heft des Zahrgangs 1856 finden fih u. A. 

folgende Mittbeilungen: Staaten im Stromgebiete des La Plata in 

ihrer Bedeutung für Europa von Dr. v Reden; die Pulneyberge und 
ihre Bewohner von Dr. Graul; Ehrhardt's Memoiren zur Erläuterung 
der von ihm und J. Nebmann zufammengeftellten Karte von Oft» und 

EentralsAfrifa, mit Bemerkungen von Desborougb und Petermann zc. 


* 


512 Geographie. 


58. W. Hoffmann: Encyklopädie der Erd⸗, Volker⸗und Staaten⸗ 
kunde. Leipzig, Arnold. 1356. 7—20. Lieferung à 4 Sar. (Cf. IX. 
Padag. Jahresbericht ©. 282 über die Ausführung.) 


59. ©. F. Kolb: Sandbud der vergleibenden Statiftif der Völker⸗ 
zuſtands⸗ und Staatenfunde Für den algemeinen praftifhen Gebrauch. 
Züri, Meyer und Heller. 1857. 387 ©. 2 Iblr. 

Indem in diefem Werke, mehr ale in den oben erwähnten Tabels 
len von Arendts, eine Darfiellung der Staaten, ihrer Zuftände, Kräfte 
und focialen Verhältniffe gewährt werden foll, wobei die Zahlen nur 
als Bezeihnungsmittel dienen, geht der Verf. in feinen vergleichenden 
Erläuterungen vornehmlich darauf aus, die Geſetze erkennen zu laffen, 
deren Ergebniffe die vorhandenen Geftaltungen find. Die Ziffer it ihm 
dabei nur Mittel zum Zwed; er benutzt fie, um Prüfungen, Beurtheis 
lungen, Hinweiſungen auf Urfahen und Wirfungen daran zu fnüpfen, 
um fo die geiellfchaftlihen Zuftände faßbar zu machen. Verf. flieht die. 


Statiſtik nicht bloß als Firirung des Moments der Jezzt zeit als „Mills 


ftebende Geſchichte, ruhende Wirklichkeit, und Querdurdfchnitt durch die 
geihichtlihen Entwidelungen des Lebens‘ an, fondern er achtet auch 
auf die Vergangenheit, beleuchtet deren Berbältniffe und Zuflände, 
um, wie für Geſchichte und Politik, fo befonders für die Nationals 
öfonomie daraus Nutzen zu ziehen. Zu dieſem Zwed beichränft er 
das Material auf das thatfählih allgemein Wichtigſte, zieht zunächft 
die Großmächte und dann fpeciel Deutfchland, Stalien und die 
übrigen europätfchen Staaten, dann Amerifa in Betradht, und fnüpft 
daran allgemeine Ueberfichten über die allgemeinen menſchlichen Verhaͤlt⸗ 
niffe. Dennoch if eine große Fülle des Materials aufgeftellt. Bei den 
Großmächten werden Land und Leute (Volkszahl, Auswanderung, Con⸗ 
fefion, Productenreihthum, Städte 2c.). Finanzen, Mılitair, fociale und 
Handelsverhältniſſe (Verbrauch, Sparkaſſen, Tagelopn, Einfommengröße, 
Eiſenbahnen, Poſten, Handel, Schifffahrt, Banknoten, Münzen, Maaße, 
Gewicht), auswaͤrtige Beſitzungen u. ſ. w. ſtatiſtiſch durchgegangen. Mit 
Ausnahme der Staaten Amerikas, wo aähnliche Detaillirung beibehalten 
it, find die übrigen Staaten kürzer bedacht. Die allgemeinen Webers 
fihten flellen bei den europäifhen und amertifanifhen Staaten — aud 
beziebungsweife bei denen der andern Erdtheile — zufammen. Größe, 
Bevölkerung, Confeſſion, Staatseinkünfte, Etaatsfchulden, Kriegskoſten, 
Groöße der Heere früher und jetzt, Beſchäftigungen der Hauptſtaaten, 
Eiſenbahnen, Ausbeute edler und unedler Metulle, Colonialproducte ... 
Sterblichkeit, zumal in Städten, Unterſchied der Geſchlechter, Wirkung 
guter und ſchlimmer Jahre auf Geburt und Sterblichkeit, Einfluß von 
Wohlſtand und Armuth auf Sterblichkeit, dsgl. der höhern Cultur, der 
verſchiedenen Etände (Militär; Gefängniffe), der Krankheiten u. ſ. w. 
Das Bud ift dadurch äußerſt lehrreih, und indem es jowohl auf frübere 
Zeiten wie auf die jepigen bis in die leßtern fünfziger Jahre berab 
Rüdiiht nimmt, ıft es cin willkommenes praftifhes Handbuch zu allerlei 
ftatiftiichen Bergleihungen und Combinationen. 


\ Geographie. 543° 


U, Kartenwerke. 


In der kartographiſchen Literatur ift allem Anfchein nad eine 
Panufe eingetreten. Der ganz neuen SKartenwerke find im abgelaus 
fenen Jahre nur fehr wenige erfchienen. Gewiffe Schulatlanten und 
Bandlarten haben eine fee Einbürgerung in den Schulen und in 
den Rebrerfreifen gefunden, und werden nad Bedürfnig in erneuten 
Auflagen an den Markt gebradt. Die tehnifhe Ausführung der 
Hands wie der Wandkarten hat gegenwärtig einen hohen Grad der Boll» 
endung erreicht, und e8 wird nur in der Manier der Darftellung 
mit mehr oder minder Glück einmal ein Wechfel vorgenommen. Das 
Biel Tartographiicher Darftellungen bleibt möglihft treue Nachbildung der 
Plaſtik des Landoberflädenbildes, planmäßige und fachkundige Wahl des 
politifhsgeographifchen Materials und Klarheit des Gefammtbildes in 
Formen, Farben, Schrift u. drei. Sn der Art und dem Grade ber 
Annäherung an dieſes Biel geben ſich bei den verichiedenen Karten die 
Differenzen Fund... Am meiften differirt die Darftellung der vertika⸗ 
len Gliederung. Die ältere Maré'ſche auf den Schropp'ſchen Karten, 
weiche überall den Bufammenhang der Höhen durch Züge ausdrüden 
zu müffen meinte, ift faft völlig befeitigt, und tritt nur noh auf Schuls 
arten für die erfien Anfänger auf, denen die Raupenform der 
Gebirge einen elementaren Anhalt für die erfte rudimentäre Auffaffung 
von Gebirgen gewährt. Auch die Rühle von Lilienftern und Desfeld 
gebrauchte Manier, welche auf die Hocflächen» Ausarbeitung und die 
Detail» Öliederung eine zwar ben Naturverhättniffen mehr angenäberte, 
aber fehr fchwer im @inzelnen verfolgbare Darfellung forgfältige Mühe 
wendete, hat nicht viel Freunde unter denen mehr, welche die Karte zum 
Unterricht oder Selbſtſtudium und nicht zur bloßen Zimmerzierde ges 
brauchen wollen. Die Lehmann’she Manier behauptet Dagegen ihre vers 
diente Anerfennung (cf. Etieler’d Atlanten, Reymann’d Deutichland) 
auch in neueren Atlanten (v. Lichtenftern, Adami u. A.), neben der 
v. Sydow'ſchen, welche anfänglih in Anbequemung an die Lithograpfie 
eine mehr wolfige, fpäter aber wieder eine deutlich fchraffirte Darftels 
lung verfolgte, und jet die Terrainverhäftniffe auch noch durch Far⸗ 
bendeckung und eigenthümliche Schraffirung mit Glück beftimmter zu 
barakterifiren fuht. Es if von Einigen (Bogel, Lange — Kichtenftern) 
eine verbältnigmäßig überfräftige Darftelung der. bedeutendern Höhen 
benugt, theild um die Plaficität charakterifiifcher hervortreten zu laſſen, 
theils um die Proportionalität der Höhen unter fi annähernd ſicherer 
verfinnlichen zu können; jedod wird von diefem Verfahren nicht allges 
mein Gebrauch gemacht. Die Engel’fhe Manier dürfte nicht einmal aus 
elementarsunterriähtlichen, gefchweige aus geographiſchen Rüdfichten auf An⸗ 
ertennung Anfpruch haben; fie ift in übelm Sinne des Wortes einfeitig. 
ueberhaupt wird es mehr als bloß disputabel fein, in wieweit zur Teich» 
tern Auffaſſung des Reliefbildes es unterrichtlich vortheilhaft genannt 
werden kann, die Gebirgszeichnung fo einzurichten, daB die Höhen von ' 

Nacke, Jahresbericht. X. 33 


514, | Geographie. 


einer Seite beleuchtet, alfo nad diefer Beleucdhtungs » Seite fehr Licht, 
und nad der andern fo zu fagen mit Schlagfchatten, und deshalb ver, 
hältuißmäßig überwiegend dunkel erfcheinen. Der naturwirfiihe Abfall 
wird nad der Lichtfeite fo fa jedesmal, der nah der Schattenfeite 
in vielen Zällen nicht dadurch repräfentirt fein Fönnen, zumal wenn 
für alle Gebirge das Licht von ein und derfelben Geite angenom⸗ 
men wird, — wie e8 kaum anders würde fein können. So z. B. bei 
Annahme der Beleuchtung von Rordweft ber; wie follen die Anden, die 
inneraflatifhen Randgebirge der Weſt⸗ und Oſtſeite des Hochplateaus, 
die Kidlen u. a. m. auf der Weflfeite den Charakter ihres impofanten 
jäben Abfalls erhalten können, oder die Oſtſeite und Süpdfeite mancher 
Gebirge die fehr allmähliche Abflachung, welche fie wirklih haben? Die 
Zeichnung muß unausweihlid in Widerfprüche gegen die Raturwirks 
Sichkeit abirren. — In neufter Zeit hat der Zondrud wieder auf 
die in den Atlanten vor 100 Jahren beliebte FZarbendedung der 
Länder zurüdgeführt. Für den unterrihtlidhen Gebraudh werden 
farbig gededte Karten denen mit bloßen colorirten Grenzlinien meiftens 
vorzuziehen fein. Bisher kommen in den Atlanten gewöhnlid nur 
einige derartige Karten vor; unter den Wandkarten find die 
v. Stülpnage’fhen (Europa und Deutfchland) hieher zu zählen, indeß 
die v. Sydow’fhen nur die Höhenunterfhiede der Tieflandſtrecken 
durch verfchiedenen Ton des Grün, die Vogel'ſchen (Pleinen) die phyfi⸗ 
falifhen Zerrainverhältniffe verfchiedenartig braun abgetont darfellen. 


A. Handkarten. x 


41. R. Graßmann's: Schulatlas für den erflen Unterriht in der Geo⸗ 
gravble Zum Leitfaden der Geographie von R. Brapmann und Dr. €. 
ribel. Stettin, Graßmann. 1856. 6 Gyr. (Enthält nur 3 Karten. 
2. Dr. E. Stoͤßner's: Elemente der Geographie in Karten und 
Text find bereits oben näher befproden. (Cf. oben I. 2. d.) 


3. Th. dv. Kiechternftern’d und H. Lange's: Schulatlas, 2. Section, 
iſt durch eine bisher noch fehlende Karte vom ſüdweſtlichen Deutfchs 
land, welde in Marer, fhöner Ausführung fi dem Ganzen würdig ans 
ralicht, vervollftändigt. Braunſchweig, Dieweg und Weflermann. (1855 u.) 


4. Dr. 8. ©. 3. Engel’d: Elementar-Atlas der Anfhauung beim 
Unterriht in der Geographie nach einer naturgemäßen (?) Grbirgegeich- 
nung, worüber {m IX. Päd. Jahresber. S. 287 bereits das Urtheil abges 
eben, ift durch die Lieferungen 4—6 nun in 24 Blättern vollſtändig. 
eipzig, Henpe. (1855 u.) 1856. Auf gewöhnligem Popier koftet jede Lie 
ferung 6 Sgr., auf Porzelans Papier 1 Thlr. 

5. Deffelden: Neuefer Handatlas nah den bewährteften Hülfsmit- 
ten von H. Kunfch ausgeführt, ift in 2 Aufl. (24 Kart. 1 Thlr. 6 Ser.) 
daſelbſt 1856 erſchienen, in gleicher Manier, 

d6. E. Winkelmann's: Elementar- Atlas für den geographbifchen Unter⸗ 
richt, eingeführt dur Prof. Dr. Völter, 


hat in der.4. Auflage (Eßlingen, Weychardt. 1855. 26 Starten. 
26 Sgr.) gegen die frühern Ausgaben (cf. IX. Päd. Zahresber. S. 286) 
vielfeitige Veränderungen erfahren. Zür die mathematiſche Geogras 








Geographie. 515" 


phie iR ein Blatt hinzugekommen, die phyſikaliſchen Berhältniffe Europa’e 
find jegt auf einem ganzen Blatte größer und deutlicher dargeſtellt, desgleis 


A 


Gen die Schweiz. Andere Karten haben eine andere Gintheilung erbalten - 


(3. B. Franfreih), und in allen find mannigfadhe neue Eintraguns 
gen bewirkt. Lepteres iſt Manchem wohl erwünſcht (3. B. in Betreff 


der Eifenbahnen), aber eine wachſende Ramenfülle bat unterrihtlid - 


ihre gerechten Bedenken, welche mit der Schwierigkeit, die fehr Kleine 
Shrift gut zu leſen, noch wachſen. Anfänger bedürfen recht Harer, 
nicht überfüllter Kartenbilder; zu weit gehende Detaillirung des Zerrains 
ift ihnen mehr hinderlich als förderlih. Jetzt geht der Atlas über das 
Elementar» Bebürfniß weit hinaus; er hat auch die Mefultate neuerer 
Forſchungen (Amurland, Afrika, Nordamerika) bereits aufgenommen, und 


iR mit wenigen Ausnahmen fehr corred. (BI. 8 in Iſtrien ſteht Ro⸗ 
veredo flatt Rovigno, BI. 12 Aldenau flatt Adelnau in Poſen) Die 


irifhen Seen auf Bl. 15 find fchwer erfennbar, und Baldfina BI. 21 


minder charakteriſtiſch dargeſtellt. Durchweg if der Atlas reich aus⸗ 
gefattet. 


1. R. Groß: Neuer geographiſcher Päulatias in 28 flthogr. BL. 


(Karbendrud), if} in 2. Aufl. im 2. Abdrud erfhienen. Stuttgart, Sc;weizers 
bart, 1856. 2 Thlr. 12 Sgr. (Die 1. Aufl. ift vom Jahr 1846.) 


8. Dr. €, Glaſer's: Topo avbifä- phufitatif@er Atlas in ' 
n 2. 


18 Bl. (Karbendrud) mit 50 ©. Text, iſt i ufl. von Tr. Bromme 
(Stuttgart, Krais und Hoffmann. 1856. 2'/s Thlr.) wieder ausgegeben. 
(Cf. IX. Päd. Zahresber. &. 293.) 
9. Dr. 8. Kiepert's: Neuer Handatlas (Berlin, Reimer. 1856, In Xiefer. 
zu 1 Thlr. 18 Sgr.), worüber im IX. Päd, Jahresber. S. 290 fehr em⸗ 
pfehlend berichtet wurde, tft bis zur 4 Lief. vorgefchritten. 
Er gehört zu den vorzüglichſten Kartenwerfen. — (So weit 
Dr. Kiepert auch Hei den neuen im Weimar’fchen Tartographifchen Ins 
ſtitut erfcheinenden Karten mitgewirkt Hat, find auch diefe wefentlich 
beffer als die frühern diefer Anftalt.) , 
10. 9. Kiepert: Eompendidfer allgemeiner Atlas der Erde und 


des Himmels. Gifte, verbefferte und vermehrte Auflage Weimar, Geo» 
grapbifches Inſtitut. 1855. 1, Thlr. 


[Bon den 35 Karten diefes bekannten Werkes gehören die 5 erſten 


zur phyfſikaliſchen, die beiden legtern zur mathematifchen und aftronomis 
fhen, alle übrigen der Hauptſache nah zur politifhen Geographie. Bon 
diefen letztern find mande mit Rüdfiht auf den Unterrihtszwed mit 
Namen etwas überladen, wodurd bier und da die Zerrainzeichnungen 
leiden, namentlih, wenn gleichzeitig die politifhe Eintheilung durch 


Farben markirt if. Sonft ift übrigens der Stich fehr fauber, auch 


das Kolorit ganz angemefien. A. Lüben. 


11. F. F. Engelhardt Hat bei Schropp in Berlin eine fhöne Generals 
farte vom Preußiſchen Staate mit den Grenzen der Peyrrange- 
bezirke und der landräthlichen Kreife herausgegeben. 1856. 2 Zhlr. 


12. Hands Atlas der Erde und des Himmels. 70 Karten in Kupfer 


geochen, 23” : 28° , mit hiſtoriſch⸗geographiſch⸗ſtatiſtiſchen I Ber 


ntwürfe und Zeichnungen der Karten von H. Kiepert, Weiland, C. 
33* 


546. Gaogradhia. 


mann, C. und A. Graf; redigirt von beiden 2 .Prach t⸗Ausgabe. 
Geo —RX Inſtitut in Be 1856. Bi arte 10 Eat. ar 
der Profpert lag vor.) 


13. H. Ktepert: Karte von Paläſtina für Schulen. Berlin, Reimer. 
1857. 6 Ger. 

Das ift eine der fauberftien, auf die Heutige Kenntniß des Landes - 
Palaͤſtina gegründeten Karten deſſelben. In hinreichend großem Maaß⸗ 
ſtabe (c. 9°: 134°), mit Höchft exacter Terrainzeichnung und mit bes 
richtigten Pofltionen, die alten, die römifchen und die heutigen Namen 
neben einander und doch ohne wechfelfeitige Beeinträchtigung enthaltend, 
binreihend ausführlih und doc nichts weniger als überladen, gibt die 
Dauptlarte ein fehr anfchauliches und ſchoͤnes Bild des ganzen Landes. 
von Byblus bie Harma. Ein Eeitenfürtchen enthilt Canaan vor 
dem Exil, und ein Garton den Grundriß von Serufalem. Als Schuls 
karte if diefe Karte fehr zu empfehlen. 


B. Bandfarten. 
14. H. Lang: Wandkarte von Deutfhland. Für Säulen. Ren ger 


23% 3 


zeichnet. 3. Aufl. Nürnberg, Benerlein. 1856. 6 Blätter. a 1 Ihlr. 


18. ©, 2. Obmann: Schulwandfarte von Europa. 16 BI. Ganz 
neue Ausgabe mit Berüdfichtigung der phyſiſch⸗geographiſchen Berhältniffe. 
Berlin. 1855. 2 Zhle 

16. E. v. Sydow: Wandkarte von Afrika mit Begleitworten. Wiederum 
erneute Ausgabe mit Benugung der jegigen Kenntnifie (Gotha, Perthes. 
1856, 1 Thir.), in Folge deren das Oberflaͤchenbild gegen früher nament- 
lich im Innern Afrika berichtigf erjcheint. Auch Die äußere Ausführung 
bat noch gewonnen. 


17, @. von Sydow: Band»Wilas. 1. Nord⸗ und Süd- Amerika. 
Nach politiicher Eintbeilung colorirt. Zehn Sectionen nebft Begleitworten. 
2 Ihlr. Auf 2einwand gezogen mit Mappe 31 Tbir. — 2. Auftralien. 
Sechs große Sectionen, in vier Farben colorirt, nebſt Begleitwort (8. 72 S.). 
I ‚a Zar, Auf Leinwand gezogen mit Mappe 2'/s Thir. Gotha, I. Perthes. 

0, ! 





Was die bereits erfchienenen trefflihen Sydow'ſchen Wandkarten 
für die phyſikaliſche Geographie find, ſollen diefe newen für die poli« 
tifche werden. Sie flimmen im Maßſtabe und ganzen Grundriffe mit 
jenen überein, laffen auch Behufs richtiger Auffaffung die natürlichen 
Berhältniffe reihhaltig durchſchimmern, find aber jonft nad yolitifcher 
Cintheilung colorirt, und zwar nicht bloß auf den Grenzen der Länder, 
fondern auf der ganzen Fläche derfelben, was wir als fehr angemeflen 
bezeichnen müffen. Die Namengebung befchränkt fi auf einige Abkür⸗ 
zungen wichtiger Wohnpläge, um die Deutlichfeit des Kartenbildes nicht 
zu beeinträchtigen. Damit werden die vielbefchäftigten Lehrer nit alle 
zufrieden fein. Durch Peine, nur in der Nähe lesbare Schrift hätte 
fih wohl einige Hülfe geben laffen. Die Namen der Staaten find übris 
gend auf einem in einer leeren Ede befindlichen Weberfichts-Tableau ans 
gegeben, Auf der, Karte von Auftralien if der weite Meeresraum ans 


| Geographie. 17 


genehm blau colorirt, Die „Begleitworte”, namentlich vie zu Yılfkca- 
ien, find von wiſſenſchaftlichem Werthe,' da ——— waͤsbis 
Ende 1856 zuverläffig darüber bekannt war. Manche ae Bert 
"fung won ber Bodendefihaffenheit Auftraliens Hat darin Ihre Berläftigühg 

‚gefunden. 

Bei der anerkannten Tüchtigkeit des Hetdaehebets und den ehren⸗ 
werthen Beſtrebungen ber Verlagshandlung auf dieſem Gthikte? bedarf 
es Taum der Empfehlung dieſes neuen Unternehmens. A. Lüben.] 

18. Ed. Winkelmann: Bandfarte von Deutfhland, dem preußi 
und öfterreichtfehen Staate, on, ber en ee In 
Belgien, im Maafflaabe von 1 : 1,000,080 bearbeitet. Mevidirt von Brö- 
ſeſſor D. Bölter. (In 9 colorirten Blättern.) Niueſter Abdruck. Eßlin⸗ 
gen, Conr. Weychardt. 1857. 2 Thlr. 

[Diefe Karte gehört zu den empfehlenswertheften für den Schuhge⸗ 

brauch, denn fie verbindet mit der nöthigen Größe vollkommene Dents 
lichkeit in Bezug anf Gebirge, Blüffe, Seen, Strafen: (Eifenbahnen, Ka⸗ 
naͤle) und politifche Eintheilung. Von Ortfchaften iR Nur Aufgenommen, 
‘was wirklich bemerlenswerth if. Die Schrift if überall’ deutlich, Tür 
die Länder und Hauptgebirge fo groß, daß fie auch aus igrüßerer üZerhe 
zu leſen if. Letzteres erfcheint uns für den Unterricht nicht ganz’ zweck⸗ 
mäßig; wir winden eine nur für den nabe ſtehenden Vehrer lesbare 

Schrift vorziehen. A. Lüben.) 

19. Dr. 9. Kiepert: Erdfdrte in’Mitcatörs Brojetttidn. 85’. 
Berlin, Reimer. 1856. 4“Thlr. 

Nur der Brofpect Ing vor. Danach if diefe Karte beſtimmt, nicht 
nur überhaupt eine either auffaßende Lüde in der Nartenfiteratur aus⸗ 
Zifüllen, fondern Bei’ hinreichender Spezialität des’ Einzelnen "Die ver 
haltnißmaͤßige Lage der einzelnen Erdtheile beſſer als bei der Planigloben⸗ 
Projection überfehbar zu machen. Daß das wiſſenſchaftliche Material 
dabei Fritifch werde benupt fein, und die äußere Ausführung ſehr volls 
endet ausfallen werde, laͤßt fih von Kiepert's Namen erwarten. Es 
follen die Staatengruppen überfihtlich vereinfacht, die Meeresfirämungen, 
Schiffscurſe u. dergl. mit eingetragen werden. 
2%. Dr. H. Riepert: Wandfarte von Paläftina für den Schulgebraud. 

Berlin, Reimer. 1857. 2% Thlr. Aufgez. 4% Thlr. 

In einer Höhe von eiwa 6 Fuß hei entfpredgender Breite ſtellt 
dieſe Karte denfelben ‚Länderraum ‘dar wie bie vorbin erwähnte Hand» 
Tarte. Die Gebirge in Grimm⸗Sydow'ſcher lithographiſcher Manter Mar 
und ziemlich detaillirt gehalten, die Colorirung räftig, wie "die Contou⸗ 
tirung und die Ortöbezeichnungen, dazu auf gleiche wiſſenſchaftliche 
Grundlage geftitgt, wie die Meine Handfarte, um die Orkspoſitionen tren 
wiederzugeben, hat diefe Karte wefentlihe Vorzüge vor den fonft bes 
kannten Wandkarten von Ernf, Schneider, Sallmaͤnn, Möller u. U. 
Die Namen find in ſechs verfchiedenen Schriftarten eingetragen, nament⸗ 
th auch, um die Alteften, ſpätern und heutigen Namen fihon an ber 
Schrift zu erkennen. Ehen fo find die ungefähren Etammedgrenzen 
farbig eingetragen, oͤbwohl der Plaſtiſche Eindruck des Ganzen dadurch 


518 - ‚Geographie. 


etwas gefört wird. Bon dem Inhalte der eben genannten Karten weidht 
„diefe neue zum Theil erheblich ab, ſowohl in der richtigern Terrains 
zeichnung, als in der Topographie der alten Zeit. Weber die Ausfprache 

‚der zur Ramenbezeichnung gewählten Buchftaben, wie über einige andere 

Umftände in der Karte gibt das begleitende Tertblatt nähere Auskunft. 

21. Strübing und Städel, Seminariehrer: Wandkarte der Provinz 
Brandenburg für den Schulgebraud. Berlin, Schropp u. Ep. 1855. 
1 Thlr. 20 Ser. 

\ Im Brandenburger „Schulblatt“, März u. AprilsHeft 1856, 

‚bat E. v. Sydow über diefe fat A Fuß breite und 24 Fuß hohe Karte 

.ein fehr anerfennendes Urtheil abgegeben. Große Genauigkeit in den 

Naturverhaͤltniſſen, tactvolle Berüdfichtigung des Schulzweds, befonders 

forgfältige Ausprägung der Bodengliederung auch bei den geringen Höhen 

und figniflcante Bezeichnung von Sand, Wald, Wiefe 2c. werden ihr 
nachgerühmt. — Un einer andern Stelle hat Strübing im felben 

Schulblatt die Karte und ihren Gebrauch näher erläutert. („Begleite 

worte zu der Karte der Mark Brandenburg‘ ꝛc. Berlin. Selbfiverlag. 

1855. Rovembers und Decembers®eft des Brandenburger „Schulblatte” 

1855. Seite 724— 742.) Der Kürze halber muß bier darauf verwiefen 

werden. — Wie durch obige Karte für die Schulen in Brandenburg, 

fo wird, zuverläffigen Mittbeilungen nad, für Schlefien die Adami’fche 

Karte in zweiter, billigerer Ausgabe (c. 1 Thlr.), und für Sachen eine 

von gewandter Hand unternommene Umarbeitung der Altern Stubba’s 

ſchen Karte in nicht zu ferner Zeit zu haben fein. 

22. Dr. 9. Bruͤllow, Oberlehrer: Geognoſtiſche Wandkarte. Zum 
Gebrauch für Gymnafien, Militär, Meals, höhere Bürgers und Bergamtös 
Säulen. 11 Bog. Roy.» Kol. Farbendruck. Nebft Zeitfaden für die 
Hand des Lehrers beim Gebrauch der Karte. 3 Bog. — AZufammen 
5%, Thlr. — Für die Hand der Schüler iſt eine Derfleinerung dieſer 
naanbfarte in einem Blatt veranftaltet, in Farbendruck 15 Sgr., ſchwarz 

gr. 
Das Preußiſche Unterrichts» Minikerium bat dieſe Karten amtlich 
durch Univerfitäts-Profefforen revidiren laſſen. 

23. S. Bad, IngenieursTopograph: Geognoſtiſche Ueberſichtskarte 
von Deutſchland, der Schweiz und den angrenzenden Ländertheilen. 
Nah de Billy, von Bud, de Beaumont, Cotta, Dufrenoy, Dumont, 
Eicher, v. d. Linth, Hatdinger, Hoffmann, Raumann, Studer u. 4. — 
9 Sertionen in 32 Karben, Mit Text. 1 :1,000,000. In Mappe aufs 
gezogen 10—10'/a Thlr., unaufgezogen 8 Thlr. Gotha, Peribes. 1855. 
Es foll von vorn berein zugeflanden werden, daB die Erwähnung 

diefer vortrefflihen Karte an diefer Stelle faft unberechtigt erfcheinen 

Tann; fie ift eine wiffenfhaftliche, gründliche Arbeit für wiederum 

wiffenfhaftlihen Gebrauch. Aber wenn auch Fein Volks ſchul⸗ 

lehrer von derfelben Nutzen ziehen möchte, mancher firebfame Lehrer an 
höhern Schulen in der Stadt möchte fol. eine Karte wohl "mal durch⸗ 
ſtudiren, um fi über die geognoſtiſchen Verhältniffe unferes Vaterlandes 
außer durch bloße Bücher auch durch das Studium guter bildlicher Darts 
Rellungen derfelben in’s Klare zu feßen. Es fliehen nun einmal die 


Geographie. 519 


äußern Gebirgöformen in innigfer, naturgemäßer Beziehung zu den 
innern Gefleinsmaffen, zu deren Art, Zufammenfehung, Richtung, Lager 
rung, Wechſelung, und die wiflenfchaftlihe Geographie kann gar nicht 
mehr umhin, auf diefe geognoftifchen Berhältnifle mit zu adhten. (Cotta: 
Geologifhe Bider!) Was Berghaus in feinem „phyſikaliſchen 
Atlas’ davon auf Meinem Raume gegeben hat, if bier für Deutfchland 
und die Schweiz in bedeutend größerm Maaßſtabe, Far, forgfältig in 
der Sache und deren technifcher Darftellung und exact colorirt vorgelegt. 
Eine detaillirte topographifche Unterlage der Flußnetze und Ortfchaften 
erleichtert die DOrientirung und ſchon der flühtige Blid kann das Ber 
fentliche überfichtlich zufammenfaflen, während dem forgfamern viele Der 
tails fih erfchliegen, die den Charakter der einzelnen Gegenden beftims 
men helfen. Bufammengefügt geben diefe Sectionen ein hoöchſt lehrreiches 
Bandtableau des geognoftifchen Bau's unfers Baterlandes und feiner 
Nachbarländer. Auf eine fpeziellere Nachweifung des Inhalts muß hier 
verzichtet werden, aber fo viel flieht feſt, daß derfelbe fo reich, deutlich 
und anziehend ift, daß das Lefen und Studiren diefer Karte einen wahren 
Genuß gewährt, eben weil. es Arbeit zugleich koſtet. Ein paar Meine 
Namen⸗Irrungen Koppenſtedt für Kroppenſtedt, Appenweiler für Appen⸗ 
weier, Nordhein für Nordheim ꝛc.) find voͤllig unerheblich — Der 
Text liefert nur kurze, ganz allgemeine Erläuterungen der Darſtellungs⸗ 
art und Golorirung det Karte. 


In welhem Sinne und nah welcher Richtung hin die Mannigfal⸗ 
tigkeit des Strebens auf geographiſchem Gebiete ſich auch‘ im Jahre 
1856 offenbart hat, wird der diesmalige Jahresbericht hoffentlich nicht 
ganz verfennen laſſen. Er Hat hier und dahin nur Streiflichter fallen 
laffen fönnen, doch bat er auch Schatten und Bebenklichkeiten nicht vor» 
enthalten, wo fie zu Zage treten, wenngleich er lieber fi den tüchtigſten 
Leitungen und den fruchtbarften neuen Ideen al® den Abirrungen oder 
dem Verlebten zumwendete. Da allenthalben in der That von den edelften 
Kräften Ernſt gemacht wird, der Schule mit dem Beſten zu dienen, fo 
liegt e8 nun an der Lehrerwelt, den Erwerb dieſer Kräfte fich durch 
zege Belheiligung an der Mithülfe zum innen Aufſchwung im beflen 
Sinne zuzueignen. Noch liegt das Biel vor und; es gefund und zum 
eignen Segen, wie zum Heil der Sugend zu erreichen, verlangt unab⸗ 
läfiges, rüftiges, befonnenes, charaktervolles Streben. Darum in Gottes 
Namen redlich weiter! 








‚X. 
Geſang. 


Bearbeitet von 
E. Hentſchel. 


L Geſangleben. 
A. Allgemeines. 


1. Weſen und Werth des Geſanges. Einen trefflichen, auch 
‚anf den Gefang bezüglichen Auffaß über „die Bedeutung der [hr 
nen Kunſt“ Tieferte A. E. K. im Volksblatte für Stadt und 
Land... „Iſt die Kunf eine wefentlide Aeußerung des Geiftes- 
lebens, fo muß fle ihren Ehrenſtuhl haben in allen Gebieten und Bars 
teien, ſowohl bürgerlichen als fRaatlihen und kirchlichen. Iſt fie uns 
weſentlich, ein Ding, das da fein kann ober auch nit: nun fo werfe 
man fie aus als fhädlihen Lurus, und nehme dafür Kartenfpiel und 
Würfelluſt: fle ſchaden der Seele minder als das unzüchtige Buhlen mit 
der Schönheit. Daß aber Kunft und Schönheit fehr wefentliche Dinge 
find zum wahren Leben, das empfindet das unbefangene Gemüth fo aut, 
‚wie die Weltweisheit es zu erweilen tradtet. Die neuere Weltweisheit 
(feit und nah Kant) ift bemühet geweien, ſowohl das wefentlidhe Bes 
dürfniß der Kunſt nachzuweiſen, als ihren Lebensgehalt in Gedanken» 
fraft auszulegen. Einige fee Säße find gewonnen; man bezeichnet das 
Schönpeitleben im Schattenriffe etwa durch folgende Sätze allgemeiner 
Anerkennung: „Schönheit ift die Lebensgeftalt, welche Geiſt und Natur 
verföhnt darftellt. Die Natur geiftig erfcheinend, der Geift natürlich 
wirkend, iſt ſchön. Landfchaft, Thier, Menfch zc. ift fchön, in welchem 
das Natürliche verflärt erfcheint — und umgekehrt: in welchem der gei⸗ 
fige Inhalt nah Weife bewußtlos wirkender Natur hervortritt. — Kunft 
iR die von Menſchen gewirfte Schönheit. Ihre nähfte Wirkung if, das 
Herz unmittelbar zu ergreifen, ohne Borurtheil und Nachdenken, obne 
Billen und Lehre, und durch felbfleigene Kraft die Menfchenfeele in vers 


Geſang. 521 


‚wandte Schwingung zu ſetzen. Ihre Fern⸗ umnd Grundwirkang ober 
Quelle und Biel der Kunft ſteht darin, Daß fie ſei ein Spiegel des 
wirklichen Geiſtes, ein Bild des Bildes, zur Lu, nit zur Arbeit. — 
Bas ein Volk erlebt, erarbeitet, gewonnen, die Blüthe feines Lebens, den 
Kern feiner Thaten, das Grgebniß feiner Beltanfhauung — fiellt es 
in Bildern der Schönheit vor die Seele. So if das Kunftwerk nicht 
Sittlichkeit an fi, aber fittlihes Ergebniß, Beugniß und Denkmal der 
Derrlichkeit verklärter Menfchennatur in Höhen und. Tiefen, ein menfche 
liches Werk: göttlihen Scheins, eine Schöpfung neben der Echöyfung, 
bie flächtigen Erdenbilder zu dauernder Geflalt verewigend, auf daß ſie 
Wahrheit hegen und tragen und die Seele befruchten mit Lebensathem.“ 
— So ungefähr die Hauptjäpe neuerer Weltweisheit. Und die Gottes⸗ 
weisheit widerfpricht nicht, fondern beflätigt -den Grund der Schönheit. 
Nicht bloß, daß ihre Worte: felbft voll Heiliger Schönheit find, auch die 
Berte Gottes oft genannt werben: gut, groß, heilig, wunderbar — was 
doch wohl nicht „häßlich“ bedeuten fann: nein, es find auch beſtimmte 
Beugnifle des Schönen in Gottes Wort vorhanden, wenn der Kerr ges 
nannt wird: „Schönfter aller Menſchenkinder“ (Pf. 45, 3 — dir Sep⸗ 
maginta 44, 3 nennt ihn fogar wosaiog jugendlich ſchön fiber alle Mens 
ſchen), oder wenn es heißt:. „feine Lippen voll hotdfeliger Anmuth' (Luc. 
4, 22) 2e. — Nicht unerheblich if auch, dag Gut und Schön in alt 
teffamentlicher Sprache oft einerlei iſt, was an mehreren Stellen bie Sep⸗ 
tmaginta beweift, 4. B. Genefis 1, 10. ‚Hierauf gründet ſich Lavaters 
Bort: „Wie kann der fromm fein, der das Schöne nicht tiebt? da 
Brömmigfeit nichts if als Liebe des Schönften?‘ (5. Gelzer, N. Deuts 
fhe Liter. 2. Ausg. 2, 86)... 2.2000 Gott iſt der Bater der 
Shönpeit, weil er allein wahres Leben if. Aus feinem ewigen Leben 
iſt alles vergängliche Leben der Greaturen durch freie Liebe erfchaffen, 
jedes in feiner Weiſe fih ſelbſt und andern Ddienend, jedes feine Natar 
erfülend und überfchreitend. (Vgl. Schubert, Geſchichte der Seele, 4. 
Ausg. Th. 1. ©. 32.) — Dieſes Erfüllen und Üeberfchreiten — Sät- 
-Sgung und Ueberfluß — iſt der unbegreiflihe Segen der Schöpfung. 
Denbend betrachtet erfcheint dieſe doppelte Richtung ale Nahrung und 
Beugung, Zweckmäßigkeit und Schönheit, Sitte und Liebe, Wirktichkeit 
.und Dichtung. — Diefes wahre Leben in menſchlicher Darftellung gu 
verkünden ift Beruf der fchönen Kunft, indem fle der gefallenen Ratur 
gegenüber das verlorme Urbild binzüftellen fucht. — Der Dichter macht 
dicht, was zerfireuet if in diefer Welt der Zerfreuung. — Alſo ift die 
wahre Kunftichönheit eine Wiederbringung der erſten Naturfchönheit, wie 
die wahre Weisheit eine Wiederbringung iſt der erflen ungebrochenen 
„lautern Bernunft vor dem Sündenfalle” — Und mit diefem Worte 
des theuren Gottesmannes halten wir jenes andere zufammen: „Das 
Evangelium if niht gefommen, die Künfte zu Boden zu 
ftagen, fondern fie zu brauchen im Dienfle deß, der fie 
gemacht hat.‘ | 

2. Bortfegung In Rr. 20 des Deferr Schulboten 
findet fih als Mitteilung aus einer Lehrerconferenz in Oedenburg ein 


522 Geſang. 
anregender Aufſaz „über den Werth und den Nutzen des Sin⸗ 
gend,’ worin der Gefang als eines der berrlichften, wirkfamften und 
nachhaltigſten Mittel zur religids» fittlichen Bildung der Jugend gepries 
fen wird. Der Berf. beruft fih, außer dem von ihm felbft gegebenen 
pſychologiſchen Nachweiſe, theils auf das Fatholifche  Schulblatt aus 
Breslau, theils auf- Stellen aus andern Journalen und Büchern, haupt⸗ 
fählih und zumelfi aber auf Ausfprüdhe Benelon’s, Dverberg’s, 
Auguftin’s *) ꝛe. fowie endlich der heiligen E hrift ſelbſt. Zugleich giebt 
er eine anziehende Bufammenfellung von Thatſächlichem in Betreff der 
Uebung und der Wirkung des heiligen Gefanges, zunähft an dem Faden 
der bibl. Gefchichte, dann aber auch aus fpäterer Beit..... „Als vor 
1500 Jahren zu Mailand ein Zrupp heidnifcher Soldaten in einen 
Tempel flürmte, um die Chriſten zu verfolgen, blieb ber ganze Haufe 
-plöglih vor Erflaunen und Ehrfurcht wie eingewurzelt fliehen; denn der 
andachtsvolle Geſang, in welchem die Ehriften eben begriffen waren, machte 
-einen fo tiefen Eindrud auf die Verfolger, daß fe auf der Stelle zum 
Ariktiipen Glauben übergingen”. .. . So weit der Defterr. Schul⸗ 
ote 

„Der Sefang ifk unfere eigene, die wahre, recht eigentlihe Men- 
fhenmufll. Die Stimme if unfer eigenes, angebornes Inftrument; ja, 
fie ift viel mehr, fie if das lebendige, ‚[ympathetifhe Organ unferer Seele. 
Bas fih nur in unferm Innern regt, was wir fühlen und leben, das 
verlautbart fich fogleich in unferer Stimme und verlörpert fi dadurd. 
Der Gefang ift die Sprache der Empfindung, und es liegt ein tiefes 
Bedürfniß in der Menfchennatur, diefe Sprache zu fprehen. Kein In⸗ 
firument Tann uns den Gefang erfeßen, den die eigene Seele aus eiges 
ner Bruſt zieht; nicht tiefer können wir ein Tonverhältniß, eine Melodie 
empfinden, nicht inniger in unfere und des Hörer Seele dringen, als 
durch feelenvollen Gefang. Der Gefang, fowohl der der Freude, ald auch 
der des Schmerzes, iſt das Beftreben, fi der Empfindungen, die dem 
Herzen zu mächtig werden, durch das räftige Mittel, wodurch fidh die Natur 
‚ zu äußern pflegt, durch die Stimme, zu entledigen. In feiner fünflichen Aus⸗ 
bildung if der Geſang der Vortrag poetifcher Worte mittelf eines befondern 
Gebrauchs der Stimme in einer Reihenfolge von Tönen, die ihrer Höhe und 
Tiefe nach beſtimmt find.” Mit diefen Worten Dr. Lindner’s, eines rechten n. 
ächten Pädagogen, der für den Gefang auch perfönlich viel gewirkt hat, eroͤff⸗ 
net Dr. Schlad ebach ſeine Abhandlung „Ueber die Bildung der 
menfhliden Stimme zum. Geſang,“ abgebrudt in dem von Dr. 
Homberg redigirten periodifhen Werke: „Die Wiffenfhaften im 
19. Jahrhundert. I. Band.’ Leipzig, Romberg. 1856. 

Ballien erflärt in 2öw’s Monatsjchrift den Gefang nächſt 


*) „D, wie babe idy oft geweint bei den Lobgefängen und geiftlichen Lie⸗ 
dern! Wie fharf und fräftig berührte die Stimme deiner lieblich fingenden 
Kirche, o Gott, meine Seele! Deine Worte floffen mir da in die Ohren, und 
durch fie ergoß fi deine Wahrheit in mein Gerz; mein Gemüth ward zur Ans 
dacht erwärmt, Thränen entfloffen meinen Mugen und mein Herz wurde mit 
Bonne erfült bei der Anhörung diefer Geſänge.“ Auguſtin. 


Geſang. "583 


. der bibliſchen Geſchichte wegen feiner fittfichen,, verebeinden Ginwirkung 
auf das Gemüth für den wichtigfen Unterrichtögegenftand... „Den mei⸗ 
ften Volksſchulen ift er die einzige Uebung in der Kunſt, daher ift ihm die 
größte Sorgfalt zu widmen.” 

Diefen Zeugniffen würden fih andere in großer Anzahl beifügen 
laffen. Ih führe jedoch nur no an, daß Sieber in feinem „Lehr⸗ 
bude der Geſangkunſt“ den Gefang „eine wundermächtige Sprache 
in Toͤnen“ ‚nennt, daß nah dem „Syfem der Geſangkunſt“ von 
Dr. Schwarz fh im Gefange „die Seele nach ihrer ganzen Tiefe 
offenbart” und derfelbe „ein herrliches Mittel zur Veredelung ber Ges 
danken und Gefühle” if, während in Merling’s Schrift: „Der de 
fang in der Schule” gefagt wird: „Geſang verflärt die Seele; 
Geſang befchwichtigt die böfen Lüfe und macht den unbeugfamen Sinn 
milde; Gefang hebt die Schranken der Trennung auf und vereinigt die 
Gemüther zu inniger Gemeinſchaft; Befang zieht die Seele hinweg vom 
‚Riedern, Gemeinen, und pflangt in diefelben ein den Sinn für Schön. 
beit und (gute Sitte.‘ 

3. Innerlichkeit des Geſanges. Vielſeitig wurde auf 
ihre Nothwendigkeit hingewieſen, und es iſt gerade dies bezeichnend für 
die Auffaſſung welche der Geſang durch die Jetztzeit erfährt. 

Wehe dringt auf Befeelung der Schüler durch den Ges 
fang und tadelt die gänzliche Vernachlaͤſſigung des Aeſthetiſch⸗ Gemüth- 
lichen, des idealen Zwedes. ‚Wir lefen und hören allerdings oft ges 
nung, daß der Gefang das Gefühl für Schönheit und Erbabenheit, die 
Empfänglichkeit für äſthetiſche, moraliſche und religiöfe Empfindungen 
beleben, fchärfen und verftärten fol. Das ift ein hohes Ziel; es läßt 
fi aber viel leichter darüber parliren, als daß man es mit allen Kräfs 
ten zu erreichen firebt. Wenigſtens iſt uns in vielen Schulen ein Vor⸗ 
berrfchen des Aeußern, des Mechanismus aufgefallen... Viele Gefang« 
lehrer find nur fpecififhe Muſiker, es fehlt ihnen daher der bewußte 
geiftige Halt. Sie fafen ihre Aufgabe zu wenig im Großen und ha, 
ben Feine Ahnung von dem Reichthum und der Xiefe, welche in der 
Schatzgrube des deutichen Liedes zu finden find.... Che aber eine in» 
nerlihe Auffaffung bes Liedes angebahnt werden Tann, muß alles 
Aeußerliche erſt vollffändig überwunden fein.” („Der Ge⸗ 
fangunterricht," in 2Zöw’s Monaisfchrift). 

„Die Seele ſelbſt muß aus allen Tönen leuchten, dies 
iR das höchſte Ziel alles Singensd Der Ton muß eine Hülle 
der Seele fein; der Gefang wurzelt im Iebendigen Körper und in der 
lebendigen Seele zugleih. So Dr. Shwarza a. D. 

Derfelbe fagt dann audh:... „Die Wahrheit des Eapes: „Der 
Buchſtabe tödtet, der Geiſt macht lebendig,‘ findet im Gefange ibren 
ergreifendften Beweis. Die Kunftfertigkeit allein, ohne die Raturwahrs 
heit feelifcher Buflände, ift leere Spielerei... Dagegen aber firömt das 
Gefühl aus der Seele des Sängers in bie Seele des Hörers: je mehr 
die im Worte Mar und deutlich ausgeiprochene Idee den Eänger begeis 
tert, defto mehr begeiftert fie auch den empfänglichen Hörer: mit elels 


824 Geſang. 


triſcher Schnelligkeit folgt dem Ergriffenfeln Des Einen‘ das Ergriffenſein 
des Andern.“ 

Aus dem Beftreben, den "Belang zur Sache Der Skele-zu mas 
hen, gebt auch die Korderung hervor, welche Bormdnn-in feiner „Un 
terrichtskunde“ alfo auiefpricht:... „Dadurch bekommt der menſch⸗ 
lihe Gefang jene unterfcheidende, nur Ihm eigenthuͤmliche Schönheit, daß 
er den Gedanken, die Empfindung und den Ausdrück für beide: das 
Wort zu feiner Grundlage bat. - Das neuere Mufiftreiben Bat dieſes 
urfprüngliche Verhaͤltniß Teider vielfach verwifht, und die natfirliche, 
aber darum nicht minder beklagenswerthe Folge davon {ft die’gewefen, 
daß der Volksgeſang je fänger fe mebr zutüdgetreten 
and Kellenweid ganz verfhwunden if. Das kann Hur anders 
und beffer werden, wenn man: überall, namentlich aber in "den Bolks⸗ 
ſchulen darauf ausgeht, Wort und Ton wieder in bas'rtichtige 
Berdältniß-zu einander zu fegen. Dem Bott 'gehährt 
die erſte Stelle, dem Ton erfi die zweite; zu’dem Worte 
Tommt der Ton hinzu, niht zu dem Tin Das Witt... 
Das hat die Schule zu erſtreben, daß man in ihr aus Dem Serzen 
deransfinge‘ u. f. w. | 

In gleihem und ähnlihem Sinne äußerte fi namentlich auth 
Merling a.a. O., wo man befonders die wichtigen Kapitel über Eins 
führung der Schüler in das Verſtändniß des Tertes wie der Mufil be⸗ 
achten wolle. 

Den Schluß diefer Anführungen mache folgende Aenßerung ©. SFä- 
gel's im Brandenb. Schulbl. „Bei allem edlen Mufiktreiben, und beim 
Gefang insbefondere, hängt unendlich viel vonder Ausbildung des ganzen 
Menſchen ab; namentlich aber davon: daß wir bei all’ unferm Than und 
Zreiben nicht unfre eigne Ehre, fondern die Ehre deſſen ſuchen, 
von dem alle guten und vollfommenen Gaben herabkommen.“ 

4 Schönheit des Geſanges. Immer allgemeiner wird es 
erfannt, immer energifcher betont, daß der Gefang feine Aufgabe nur im 
Schönen erfüllen fönne Neinheit der Intonation, Bräcifion im Taete, 
Beobachtung der Bortragszeichen, richtige Ausſprache, vor Allem aber 
correcter, wohlklingender Zon werden mit Entfchiebenheit gefordert. In 
Diefem Sinne äußerten fih u. 4. Bormann, Dr. Shwarz, Mer⸗ 
ling und Sieber in den bereits genannten Ecdhriften, ſowie Dr. 
Schladebach und Wehe in den ebenfalls. ſchon angeführten Abhand⸗ 
lungen. Nur in Bezug auf Ausſprache und Tonbildung mögen 
einige nähere Mitiheilungen folgen. 

Im 3. Theile der Schwarz'ſchen Schrift beißt es u.W... „Damm 
nur Tann die Seele Nar fich offenbaren nah ihren Begriffen und Ges 
fühlen, wenn die Stimmbildung fowohl als die Sprahbüldung rein nur 
der Seele dienfibar geworden find.’ 

Sieber fagt: „Schon der bloße Klang einer ſchönen und edlen 
Stimme ift weit geeigneter, das mienfchlidye Herz zu rühren, als es die 
Klänge aller andern Inſtrumente vermögen... Um wie viel größer und 
mächtiger muß der Bauber fein, den der mit dem Worte verbuns 








\ 


| Geſang. 528 


dene Klang ausübt! Hier wirkt neben. oder mit der Mufit and: 


die Poefie auf den Hörer ein; Die menfchliche Stimme kann bes 
Eomponiften und des Dichters Werk gleichzeitig zur Anſchauung bringen, 
und dies hat fie vor allen Inftrumenten voraus. Wie unbegreiflich ers 
ſcheint e8 daher, daß diefer fhönfe Schmud des Gefanges in der Res 
gel faſt ganz außer Acht gelaffen wirb!... Der Sänger, welcher undeut⸗ 
lich ausſpricht, verfündigt. ſich gleichzeitig gegen den Dichter und Com⸗ 
poniften, deren Schöpfungen erſt durch eine vollfommen Mare Ausfprache 
in ihrem ganzen Werthe reproducirt und veranfchaulicht werden, — nur 
jo ihre volle Wirkung machen koͤnnen.“ 

Wehe fordert „kryſtallklare Ausſprache.“ 

Nauenburg ſagt in der Halle’fhen Zeitung: „Die Sprache 
iR der eigentliche Körper, welcher ſich nur in. der beſeelten Hülle 
des atheriſchen Klanges verklärt; deutlihe Ausfprache iſt jomit 
ganz ſelbſtverſtaͤndlich die erſte und wunerläßlihe SHauptforderung, 
welche die Theorie dem Sänger ftellen muß..... Verliert fi das Wort 
in der Zonmaffe, wird es ungenau, unrichtig gebildet, gehemmt, verfchludt, 
fo if die Wirkung des Gefanges nur eine finnlihe: der Gefang 


verliert fo feine Höhere Bedeutung, feine vollgültige geifige Wahr» 


heit.“ 

5. Fortfegung Vom Geſangtone heißt es bei Merling 
u. A.: „Das Biel alles Geſangunterrichts läuft darauf hinaus, in dem 
Gefange den Adel der Menſchheit und durch diefen das Höchſte, das 
Goͤttliche erkennen zu laflen, was in der Muſik und durch die Mufit 
die Menfchheit erziehen heifen .foll zu einem göttlihen Geſchlecht. Soll 
der Gefang nım ein ſolches Erziehungsmoment werden, fo muß der Ton 


und durch ibn der Geſang verbreitet werden. Mit der Entwidelung des - 


Zones vom erfien Stadium bis hinauf zu der Höhe der Aeſthetik geht 
die Entwidelung von Geiſt und Gemüth, fowie die Entwidelung des 
Schönpeitsfinnes Hand in Hand.‘ 


Sieber fagt: „Man fönnte mit Recht den guten Ton den Hör. 


yer, den fchönen Ton die Seele des Gefanges nennen.’ 

Dr. Schladebach bezeichnet die Stimmbildung als die Grunds 
hedingung des gangen Geſangweſens. 

Wehe ftellt unter den 4 Hauptſtücken, welche ihm von ganz befons 
derm Einfluß für die innere Entwidelung erfheinen: Tonbildung, 
Liederauswahl, Lehrgeſchichtlichkeit und finngemäße, flei⸗ 
Bige Einübung, die TZonbildung, wie man flieht, obenan. 

6. Pflege des Geſangweſens. A.K. fagt a. a. O.: „Iſt 
das Schönheitsleben ein wefentliches Glied des geiftigen Lebens überhaupt, 
fo Dürfen es die Waltenden nicht gleichgültig betrachten... Sie haben 
dafür zu wirken, und zwarnicht nur durch Negation, fontern eben ſowohl, 
ja mehr noch, durch Bofition..... 

Kür die Tonkunſt wäre doc, zumal bei überwuchernder Unsbreitung 
diefes Gebiets, von oben herab mehr zu thun, als gefchieht. Eine fünf 
tige deutfche Hochfchule der Tonkunſt würde vom parifer Eonfervatorium 
mit Beſcheidenheit entnehmen, was dort für mechanifche Technik geleiftet 


526 Geſang. 

wird; aber fie müßte breiter und tiefer in’s Hiſtoriſche und Ideale ein⸗ 
dringen, ald man bisher fowohl in Paris ale in Leipzig verfucht hat, 
damit die Quellpunkte wahren Zonlebens, feine zeit⸗ und volfsthümliche 
Geftaltung, endlich die lebendige Fortbildung und fruchtbare Ausübung 
in Kirche, Haus und Welt durch Choral, Kammermuflt und Volkslied 
innig erfannt würden, um das elende, Zeit und Gefundheit zerfiörende 
Gequike und Gedudle endlich zu überwinden‘... „Mehr noch als die Wal⸗ 
tenden,‘‘ fo heißt es weiterhin, ‚‚baben Lehrer und Gelehrte die Pflicht, 
in Sachen der Kunf zur Vernunft zu leiten.’ Der Berf. wirft in Dies 
fem Sinne Blide auf alle Lebens» und Kunftgebiete. Was er dabei in Bezug 
auf die Tonkunſt in Kirche und Schule beibringt, if fpäteren Orts zuerwähnen. 


Nach diefen einleitenden Mittheilungen allgemeiner Art folge nun 
die Beiprechung des Befanglebens in einzelnen Lebenskreifen. 


B. Der kirchliche Kreiß. 
I. Allgemeines. 


7. Bedeutung der kirchlichen Tonkunſt. Auf diefelbe 
weiß u. A. Dr. David Kottmeier Hin in feiner Schrift: „Die 
Darftellung desHeiligen durch die Kunft, vornehmlich in 
ihrer Anwendung auf den evangelifhen Cultus,“ Bremen, 
1857. Gebühre, fo fagt er, den bildenden Künſten eine größere Be⸗ 
ruͤckſichtigung (als fie diefelbe bisher fanden), fo fei dies nicht minder 
hei der bis jetzt oft vernadhläffigten Kirchenmufll und dem Kirchengefange 
der Fall, auch die Figural- und Inſtrumentalmuſik nicht ganz abzuweifen 
und die bäufigen Vorführungen von Gantaten, Dratorien und Paſſions⸗ 
A außerhalb der gottesdienſtlichen Zeiten in den Kirchen wünſchens⸗ 
werth. 

‚Die Macht der Töne, vom heiligen Geiſt getragen, reicht oft bis 
in das Innerſte des Herzens, bereitet fo der Predigt den Boden und führt 
das Gehörte in's Herz ein. Die Leute find nicht allein, wie Dr. 
Wichern fagt, aus der Kirche Hinausgepredigt, fie find auch hin⸗ 
ausgefungen und hHinausgefpielt. Unſere Aufgabe iR es, fie wieder 
greinpufngen und hereinzufpielen. So Thormann im Brandenb. 

chulbl. 

8. Nenue Lebengregungen auf dem Gebiete kirchlicher 
Tonkunſt. „Winterfeld's Darſtellungen evangeliſcher und römiſch⸗ 
katholiſcher Tonkunſt haben in dieſem Gebiete heilige Schönheit eröffnet 
vol neuer Fruchtkeime des firhlichen Lebens. So A. E. K. a. a. 0. 
Es if dies eine Hinweifung auf Winterfeld’s großes Werk: Der 
Evangelifhe Kirhengefang und fein Berhältniß zur 
Kunft des Tonfapes. 3 Theile 46 Thir., ein Wert, welches freilich 
weniger ſchwer zugänglich fein müßte, wenn fein reicher, koͤſtlicher Inhalt 
auch dem Bollsfchullehrer zu gute kommen follte. 

„Unſere Zeit bat das ganz. beſtimmt nicht zu beflreitende Verdien, . 


Geſang. "527. 


die kirchliche Muſik wieder. zum Bewußtſein ihrer Pflicht und göttlichen 
Kraft gewedt, ihr neue Verehrer und hochbegabte Börderer zugewendet 
zu haben. Allgemeine deutfhe Lehrergeitung, 38. 

9. Eorrecte Herfellung der firhlihen Muſik. „Die 
evangelifche Kirche Deutfchlands fleht jeßt in einer Zeit der Befinnung 
und feiert gleichfam ein Erinnerungsfeft, welches zugleich eine Bußfeier 
iR, indem fie alle ihre vorigen Thaten und Leiden, alle ihre zum Theil 
vergeſſenen Schäße, auch alle Güter, die ſie aus der alten Kirche herübere 
genommen und noch nicht genupt bat, ſich in’s Gedächtniß zurückruft. 
Den Anftoß dazu verdankt fie großentheild der Erneuerung der auf 
folhe Erinnerungen gegründeten Liturgie, einer That, die vielleiht - 
durch ihre. Wirkung auf die allgemeine Richtung des Geiftes noch weit 
wichtiger if, als das, was fie zunächſt beabfihtigte. Nun iſt zu wüns- 
ſchen, daß die Liturgie aud in Beziehung auf den Bortrag den vollen 
Segen davon genieße, und eine correcte KHerftellung des liturgiſchen 
Bortrags im weiteſten Sinne die Frucht davon fei, fowohl für den Vor⸗ 
trag des Liturgen, als für den Efors und Gemeindegefang, wie dazu . 
auch die Anfänge gemacht find. Für die Durhführung aber iſt eine 
muſterhafte allgemeine Bildungsfchule erforderlich, deren Einflüffe durch 
die Schuflehrer-Seminare bis auf jeden einzelnen Schullehrer, Gantor, 
Drganiften und endlich auf jede Gemeinde herab geleitet werben Füns 
nen.‘ Dr. Schwieder: Gutachten, die liturgifhen Bedürf- 
niffe der Landeskirche betreffend. Adgedrudt, fo wie.die Gut⸗ 
achten über denfelben Gegenitand von Dr. Stier, Abelen und El» 
teſter, in den Actenfüden aus der Berwaltung des evans 
gelifhen Oberkirchenrathes; dritten Bandes zweite Lie- 
ferung. Berlin 1856. 

10. Bermifhtes Die Evangelifge Kirchenzeitung 
weit in der ſehr ernf und eindringlich, wie zugleich mit mehr als ges 
wöhnliher Sachkenntniß gefchriebenen Abhandlung: „Kirche und Ton» 
kunſt,“ aus dem R. T. die Verpflihtung nah, die Muflt im Gots 
tesdienfte fleißig und würdig anzuwenden. „Wiedergeburt und Gottes» 
verberrlichung müflen die Zwede fein, welche tie der Kirche angebörige, 
chriſtliche Tonkunſt zu verfolgen bat. Und zwar ift es nicht bloß der 
ausübende, fondern au der börende und empfangende Theil der Ges 
meinde, an den diefe Mahnung ergeht.‘ Leider nöthige die Wahrheit 
zu dem Geftändniffe, daß der Gegenwart eine Entfremdung von der Acht 
Hriftlihen Auffaffung der Muſik vorgeworfen werden müfle. Kirche und 
Tonkunſt feien auseinander gegangen. Das liege theild in dem Mangel 
des rechten Geiftes, theils in den nach diefer Seite hbemmenden und bins _ 
dernden liturgifchen Ordnungen, theils in dem unzureichenden, zu wenig 
geübten Perfonal und den fehlenden Geldmitteln. Es fei aber die uns 
abweisliche Notbwendigfeit vorhanden, Zonfunf und Kirche wieder zus 
fammenzuführen, um dem göttlihen und heiligen Gebote des Apoſtels 
zu gehorfamen, der Muſik ihre volle bereihtigte Stelle in dem Gottes⸗ 
dienfte wieder, zu verfhaffen. „Bor allen Dingen gebietet es die Chriſten⸗ 
pflidyt, wieder gute Choralſchulen und Seminare für Ehorfänger und Ins . 


5238 Geſang. 


ſtrumentaliſten zu ſtiften ober in's Leben zurädgarafen.... Es müſſen 
die Capitalien wieder herbeigeſchafft werden, wo fie... eingezogen und 
befeitigt find. Die kirchlichen Kräfte mäflen thunlichſt zu kirchlichen 
Zwecken ausfchließlich verwandt werden.... Der geiſtliche Stand muß fi 
bei heiligen und gottesdienfllihen Leiflungen der Tonfunf direct betheis 
ligen. Die Theologie Studirenden find zu fleißiger Uebung der Kerchen⸗ 
muſik zu verpflichten, Geiftliche nicht anzuftellen ohne Nachweis mufifalis 
fher Kenntniffe (wenn Anlage da ift).... DOrganiften, Käfer, Schule 
lehrer müffen in Hinfiht auf Muſik gehörig beauffidtigt, und nur ſolche 
Drganiften angeflellt werden, welche eine geiftfihe Vorbildung erhalten 
haben und nicht vorher in ungeeignete Verhältniffe und Studien gerathen 
find. Ueberhaupt muß man dem muflfalifhen Altare und Chordienft die 
gebührende Achtung und Pflege angedeiben laſſen, und auch für die Er» 
banung der bloß hörenden und empfangenden Gemeinde die Tonkunſt zu 
einem integrirenden Theil des Gottesdienftes wieder erheben. Dies die 
Grundzüge einer Regeneration der Kirchenmufit im apoftolifhen Sinne 
und Umfange, einer Reform des gefammten evangelifhen Gultus nad 
diefer Seite hin, die freilich von der Kirchenobrigkeit ausgehen 
muß, damit ein haltbares, dauerhaftes Wert mit thunlichſter Gleichförs 
migfeit durch das ganze Land, oder am liebſten durdy die ganze evans 
gelifche Chriftenbeit im Sinne des apoftolifchen Befehls gebildet werde. 

Dem Gintritt eines folhen definitiven Zuſtandes muß freilih ein 
Interim, ein PBroviforium vorangeben. Da foll der einzelne Geiftliche 
mit feinem Gantor und Organiften nad beſtem Vermögen und in aller 
Liebe und Nahfiht dahin wirken, daß die Gemeinde ihren Choral tacts 
gemäß fingen lerne und aus der Entfremdung gegen den Theil des mus 
fikaliſchen Cultus, welcher ihre paffive Erbauung bezwedt, berausfomme. 
Wo ferner noch Inſtitute egiftiren, wie Currenden, Umgänge der ſin⸗ 
genden Schuljugend in der Stadt, fo ſuche der Geiſtliche diefelben aus 
der Lethargie und dem Echlendrian zu mweden... Außerdem befümmere 
fi der Geiftliche, auch der nicht muflfatifche, um Die Liedertafeln, Geſang⸗ 
vereine, Mufiffefte in feiner Gemeinde und fuche, nach dem Urtheile 
Sahverftändiger, die fähigen Affociationen dieſer Art für die Kirche zu 
gewinnen. Go ift es praßtifch zu mahen, was Deligfch darunter 
verfieht, daB die Kunf in den Dienft des Heiligen genonmen werde. 
Es dürfen aber die Anftrengungen für die heilige Muſik nicht als ein 
etwa noch zu vermeidender Luxus betrachtet werden, welcher wichtigeren, 
bringenderen Ausgaben nachftehen müfle. Es follte ohne Ausnahme je⸗ 
dem evangelifchen Chriſten ernfllih am Herzen Tiegen, die Kunf zu 
pflegen, welche bisher unleugbar zum Nachtheil der Kirche und im ent» 
ſchiedenen Widerfpruche? mit dem apoftolifhen Gebote vernachläffigt und 
gering gefchäßt worden if.‘ 


11. Der Chor. 


11. Berfall der Kirhendhöre. Biel babe man fonft für die 
Chöre gethban! „Hier wurden in friedliher Eintracht Paflor und Can⸗ 





Sefang. 329% 


tor gebildet.” Die Trennung von Kirche und Schule habe das mit 
zerriffen. „Die Gymnafiallehrer waren zugleih Gantoren, Eänger an 
den einzelnen Stadtfirhen, und beziehen zum heil noch heute von das 
ber ihren Gehalt. Später ſchämten fie fich Ddiefes heiligen Amtes und 
ließen Schufter und Schneider für fih fingen. Der Zeufel bat mit Lies 
dertafeln und Sängerfeften das Terrain erobert, was die Kirche aufges 
geben hat. So Potel in feinem Bortrage auf der Gnadauer Früh 
jahrversſammlung. Volksblatt 36. Zu dem Paſſus über die Lieder⸗ 
tafeln und Sängerfefte fagt übrigens der Redacteur des Molfsbluttes: 
„Das fo geftellte Urtheil über die Liedertafeln fann ich nicht unters 
fchreiben. Sie find an fih unzweifelhaft etwas Löbliches. Herrſcht nicht 
der rechte Geiſt darin,. fo ift das eine Sache apart.’ 


12. Der Berliner Domdor, „ein völlig einziges Inſtitut,“ 
verdient es, hier eine befondere Nummer zu erhalten. Die Signale 
fagen über ihn: „Der Eindrud, den die Vorträge des Domchors machen, 
iR ein unvergleichlicher, wunderbarer. Der von der gewöhnlichen melts 
lihen Mufif fo ganz verfchiedene Charakter, die firengere Harmonik der 
geiftlichen Mufif iſt es nicht allein, was diefen Eindrud bedingt. Die 
Art des Bortrags ift ein zweites, nicht weniger wefentlihes Moment: 
es ift faſt durchgehends reine Bocalmufif ohne alle Inſtrumentalbeglei⸗ 
tung, welde die vom Domchor ausgeführten Gompofitionen geben; die 
Menichenftimme, die erfte, natürlichfte und zugleih höchſte Offenbarung 
der Mufif, feiert den Geiſt ihres Schöpfers. Der hoͤchſte Zauber end« 
ih bei diefem muſikaliſchen Genuſſe liegt in der Art der Menſchenſtim⸗ 
men, die bier fingen. Nicht von der befondern Begabung und Aueabils 
dung der einzelnen Sänger fprehen wir, fondern von dem einen harafs 
teriftifchen Elemente im Geſange des Domchors: von den Knabenftims 
men. Es if dies ein Element, das fonft bei. mufifalifhen Auffübruns 
gen ganz fehlt; der reinften und edeiften Gattung des Gejanges ift es 
zu bejonderem Borreht vorbehalten, und hier übt es einen Zauber, dem 
in aller Mufit nichts zu vergleihen if, Es ift als ob in Dielen ges 
ſchlechtsloſen Stimmen, fo zu jagen, die Stimme ertöne, wie fie in ihrer 
Z3dealität vor ihrem Eintritte in den Erdenleib gedadht werden mag.‘ 


13. Neiner Kindergefang. Derfeibe „ertönt noch, Gott fei 
Dank, in der jüngern evangel. Gemeinde zu Neuwied.’ ©. Flügel 
a. a. O. 


14. Currende. Dos Evangeliſche Sing⸗Inſtitut in 
Berlin, welches für die Diaconiſſenanſtalt Bethanien ſo wie für die St. 
Bartholomäusgemeinde die Kirchenchöre hält, auch den erneuerten Ums 
gangsgeſang leitet, erfreut fich eines guten Gedeihens. Außer dem ges 
wöhnlichen Jahresbeitrage, wofür der Umgangshor allſonntäglich auf 
dem Schloßhofe zu fingen hat, gewährte Se. Majeſtät der König auch 
am Schluſſe der diesjährigen Reſidenz dem Inftitute ein Onadengefchen? 
von 30 Thlrn. 


Zür verwerflich, weil gefahrbringend für die Gefundheit, erklaͤrt 
Rade, Iahresberiht. X. 34 


530 Geſang. 


freilich Dr. Schladeb ach a. a. D. die Currenden. Dies wird immer⸗ 
bin wenigſtens als eine Mahnung gelten müſſen, bei der Einrichtung des 
Dienſtes der Currenden die Vorficht nicht aus den Augen zu fepen. 


IN. Die Kirdenmufit im engern Sinne. 


15. Ihre Stellung. Die Stellung der Kirchenmufif in der 
evangelifchen Liturgie iſt noch Feine beftimmte, klare und zweifelloſe. 
Benn Abelen a. a. DO. meint, „daß für ein ausgeführteres Mufik⸗ 
oder Gefangftüd (Motett) des Chors, etwa an hohen Peften, wohl nad 
alter ewangelüiher Sitte ein Raum hinter dem Halleluja nad der Bors 
leſung der Berifopen zu geftatten fein dürfte,‘ fo fchließf Dies cine Aner⸗ 
fennung der Berehtigung der Kirdenmufif wohl niht ein. Auf 
etwas mehr als bloße Duldung derfelben deutet zwar der folgende Paſ⸗ 
fus bin: „Ich glaube nicht, daß man die, höhere Gefangfunft gunz 
aus dem Gottesdienſte ausfchließen ſollte; nur darf fie die charafteriftis 
ſchen Ucte deflelben nicht in ſich abſorbiren“ — allein aud bier wird 
ihr eine erhebliche Bedeutung offenbar nicht beigelegt. — In dem Gute 
achten Eitefter s a. a. D. heißt e8:.. „Die Reiponfe würde ich weg⸗ 
laffen, dafür mir aber ſowohl einen Pfalm zum Anfange, als aud) größere Kir» 
chenmuſiken, insbejondere nach dem Rahmittagsgottesdienfte, um fo lieber 
gefallen laſſen.“ Auch hieraus dürfte ein Mehreres, ale aus dem Vo⸗ 
tum Abeken's, für die Berechtigung der Kirchenmufif nicht abzuleiten fein. 

Die Ev. Kirchenzeitung beflagt e8 a. a. O., „daß mit feltenen, ans 
zuerfennenden Ausnahmen die Aufführung der Kirhenmufif als ein der 
Kirche fremdes, von dem Gottesdienfte durchaus getrenntes Beiwerk von 
der Geiftlichkeit betrachtet zu werden pflegt, dem eigentlich die Kirchen 
verfhhloffen werden müßten. Es findet fein Gottesdienft flatt, in welchem 
die Mufik ein integrirender Theil des Mituals wäre und die Zwecke der 
Predigt oder des Sacraments unterſtützte.“ 

16. Styl der Kirhenmufit Bon vielen Seiten ber wird 
mehr Würde und heiliger Ernf gefordert, und es bereitet fih eine Res 
forn in diefer Richtung immer fihtbarer vor. 

‚Zange genug hat die verweltlihte Muſik die geheiligten Etätten 
entweibt, wo früher die hehren Accorde der alten italienifchen und deut⸗ 
[hen Tonmeifter erlangen. Die Aufflärungsperiode hat die wahrhaft 
firdhliche, die „„ heilige‘ Zonfunf aus unfern Gottesbäufern eutfernt; 
die Chriftenheit unferer Zeit, verwöhnt und verbildet durch die der 
Kiche aufgedrungene WWeltförmigfeit der Kirchenmuſik, bat allmälig 
den Geſchmack an den dem Haufe des Herrn würdigen Klängen einge⸗ 
büßt. Bei dem neuen Aufihwung des chriftlichen Bewußtſeins, das 
über die Bergangenpeit gerichtet bat, muß auch die muflfalıfhe Hands 
fung in der Kirche, dieſer wichtige, leider nicht genug gewürtigte Theil 
unſeres evangelifchen Gottesdienfted, in das Gebiet des chriſtlich begeir 
ſterten Strebens derjenigen mit eingefaßt ſein, welche ſich ſehnen nach 
einer Auferweckung des alten, tiefinnerlichen chriſtgläubigen Sinnes in 
den evangeliſchen Gemeinden und dazu Bauſteine herantragen wollen. 


Geſang. 5 


Wer anders bat allernächft die Aufgabe, als ber Lehrerſtand, dem ber 
muſikaliſche Dienſt in der Kirche anvertraut iR? Der Lehrer faffe dag, 
was nun in neuerer Zeit beinahe überall von den Kanzeln ertönt, als 
ungefälichte Auslegung des Gottesworts, in eine, dem alten, heiligen, 
‚göttlichen Worte angemefiene muffalifche Form, und präge, was er felbR 
als gläubiger Chriſt fühlt, aus in dem, was er feiner Gemeinde zu 
hören gibt, im Orgelſpiel und im vorbereitenden Chorgefang. Was er . 
da außer dem verordneten Choralgefange vorbringt, muß heilige Mufit 
fein; denn „er fingt und ſpielt dem Herrn, dem dreimal 
Heiligen.“ Fr. Krauß (Pfarrer in Hattenhofen) in dem Vorworte 
zu 3. Ch. Weeber's „Kirchlichen Männerchören.“ 

Im Vorworte zu Lützel's „Kirchlichen Chorgeſängen“ 
heißt es: „Soll der religiöſe Chorgeſang ſeinen Zweck erfüllen und der 
kirchliche Saͤngerchor mit den beſonderen, ihm verliehenen Gaben der 
Gemeinde dienen, fo darf er nur ſolche Geſaͤnge beim Gottesdienfte zur 
Aufführung bringen, die wahrhaft firdlich und in Wort und Ton von 
ächt chriſtlichem Geifte durchdrungen und getragen find. Diefe Eigen» 
fhaften befigen in hohem Maaße die Chorgefänge der Meifter des 16. 
und 17. Zahrhunderts.... Die fo vielfach verbreitete Meinung, daß 
die Gemeinde die alten Gefänge nicht mehr verfiebe, kann ich durchaus 
nicht theilen‘ u. ſ. w. 

17. Alte Muſik. Bon der alten Paffifchen Kirchenuunfil, im 
Gegenfage zu der wie fid das Volksblatt ausdrüdt — modernen, 
unbeiligen und heillofen Givilifationsmufil, wird von Dr. C. Trummer 
in feinem Werke: „Die Mujil von Bormals und Geht, von 
Dieffeits und Jenſeits,“ Frankfurt a. M. 1856 u. U. ges 
fügt, es fei nicht blos der „gregorianiſche Choral in feiner contrapunfs 
tiihen Mehrſtimmigkeit,“ fondern namentlih auch „der tiefe Glaubens 
grund und das fromme, flille, beiheidene Gemüth jener Meiſter,“ mweldes 
die alte Mufif fo überlegen mache. 

„Die urchriſtliche mufiktalifhe Antike”. Dieſe Zons 
fprache der vollfländigften „Keuſchheit, Entfagung und Seibftverläugnung‘‘, 
wie fih Dr. Laurencin in der Neuen Zeitfhrift für Muſik auss 
drüdt, tritt und entgegen in Gari Prosfe’s Musica divima, 
4 Bünde, Regensburg, und zwar innerhalb der Grenzen abfoluter Kar 
tholicität. Meſſen, Motetten ꝛc. von Balefrina, Orlando di 
Laſſo, Vittoria und anderen altitalieniichen , altniederländiihen und 
altdeutichen Somponiften bilden den Inhalt der Sammlung, Teren Herauss 
gabe als eine Erweckungsthat uralter Heiliger Muſik Hier nicht unberührt 
bleiben durfte. 

18. Bach und Händel. Es iſt rin fehr erfreuliches Zeugniß 
für den Ernf, womit die ächte Kirchenmuſik erfaßt wird, daß in immer 
weiteren Kreifen ein Zurüdgeben auf Bach und Händel, ein hinges - 
bungsnolles Etudiren und Darftellen ihrer unfterblichen Werke bemerflic 
wird. Die Reipziger Bach⸗Geſellſchaft Sept ihre Thätigfeit in ber 
Herautgabe der Kompofitionen des großen Meifters erfolgreich fort und hat 
jegt erleichterude Bedingungen für die Anfchaffung der bereits erſchienenen 

34* 





1 — — — — — — — — — —— 


532 Geſang. 


Bände geſtellt. In Berlin hat fih ein Bach⸗Verein gebildet. Die 
Boffifche Zeitung fagt u. A. über denfelben, zugleich auch mit Hindeus 
tung auf die Bachs Gefellihaft: „Wir weifen nur auf die Bedeutung 
bin, die ein Gefangsinfitut, das fi far ausichließlih mit den Werfen 
von Seb. Bach beichäftigt, in heutiger Zeit für die Erhaltung der 
Klaffieität in der Muſik gewinnen kann. Auf den erften Blick fcheint 
die Tendenz eines Bach⸗Vereins auf einer gewiſſen Einfeitigfeit zu bes 
ruhen, die ftreng feftzubalten nicht, ratbfam wäre. Erwägt man indeß, 
von wie großer Wichtigfeit mitten in den mannigfachften Strömungen 
des Kunſtlebens, das fi theils in finnlicher, und deshalb gefährlicher 
Schwäche weithin verbreitet, theils mit keckem Uebermuthe die Schranken 
gebeiligter Kunſtgeſetze durchbricht, ein confervatives Prinzip ift, fo wird 
man fhon aus diefem Gefichtspunfte die Grundrichtung dieſes neuen 
Inſtituts anerfennen und willtommen heißen. Wer mit Bach aber nur 
einigermaßen vertraut ift, wird wiſſen, daß er in Betreff der Form, 
der für die Mufif fo überaus wichtigen architeftonifchen Gelege, eigents 
lich der Meifter aller Meifter if. Mit diefem feinem Kormfinn verbindet 
fi) indeß auch ein ideeller Gehalt, dem eine fo gewaltige feelifche Macht 
innewohnt, daß man fich feiner Herrſchaft unbedingt überlaffen kann. 
Es it ein Vorurtheil, wenn man das Verſtändniß Bach's für ein 
fhwieriges anfieht. Seine Technik ſteht allerdings in einem ziemlich 
bedeutenden Gegenfage zur heutigen Zeit; fie iſt aber zu überwinden, 
und der Genuß, welcher dann durch die ganze umfaffende Eigenthümlich⸗ 
feit diefed gewaltigen und zugleich findlichen Geiftes dem Kunflfreunde 
dargeboten wird, wiegt jede auf ihn verwendete Mühe um das Hundert⸗ 
fache auf. Zu dem Unternehmen, von dem wir reden, geſellt fi noch 
ein zweiter günftiger Umftund, ja eine Pflicht, der muflfalifhen Kunſt⸗ 
welt: die gegenwärtig mit Umfiht und Eifer betriebene Herausgabe der 
Bah’ihen Werke durch die Bach⸗Geſellſchaft. Das Gebiet des Geſang⸗ 
werts Bach's ift fo umfaſſend, daß Geſang⸗Vereinen die Pflicht obliegt, 
diefen reihen Schatz theils in's Leben zurüdzurufen, theils zu erhalten, 
und man hat, wenn felbft nur Die Motetten, Cantaten und Meflen in’s 
Auge gefaßt werden, wahrlich einen genügenden Stoff auf Jahre Welchen 
muſikaliſchen Einfluß endlich Bach's Werfe auszuüben vermögen, wird 
Jeder erfahren haben, der fi) nur mit einem derfelben anbaltend befhäf- 
tigt hat. Man trete mit gutem Willen, mit einem für das Edle über, 
haupt nur enpfänglihen Sinne an diejen Meifter: der Kohn wird reich⸗ 
lich ausfallen. ine fchließlihe Bedingung aber für die Gründung und 
den Fortgang eines Bach Vereins ift die fachkundige und mit Bach durch 
und durch vertraute Leitung‘ u. f. w. 

) Was Händel betrifft, fo hat fih unter dem Protectorate Er. Ho⸗ 
heit des funffinnigen Herzogs von SachfensEoburg-Gotha eine „Deuts 
ſche Händels»Gefellfchaft zu dem Zwecke gebildet, dem ehrwürdi⸗ 
gen Todten außer dem Denkmal, welches man ihm in feiner Geburts 
ſtadt Halle zum 14. April 1859 — feinem bundertjähr. Geburtstage — 
errichten will, nod ein zweites, weiteres Denkmal in dem deutichen Volke 
zu fliften, durch eine vollftändige Pritiiche Muflerausgabe feiner Werke, 








Sefang. 533 .° 


„Es if eine Ehrenſchuld, die Deutfhland zu entrichten hat, und bie in 
dem Jahrhundert feit Händel’8 Tode ausſtehen geblieben iſt ).“ Möge 
das Unternehmen den beften Fortgang finden! 

19. Nochmals Bah und Händel. 8. J. Keppner 
fagt in feiner „Kurzen Gefhihte der mufifalifhen Ideen‘ 
(Freiburg, 1856): „AR Bach der Mann des Geſetzes, fo it Händel 
in feinen Werfen die Freiheit im Gefeß; iſt Bach ewiges Mufter für 
eonfequentes Denfen, fo hat Händel die Moefie des Kontrapunftes zur 
Anfhauung gebracht; bat Bach die Form ale folhe bewundernswürdig 
verkörpert, fo bat Händel den diefer Form eigenen boben und fräfs 
tigen Geiſt in feinen Werfen niedergelegt: obne daß Bach des Geiſtes, 
Händel der Technik entbehrte. Zufolge diefes Verhaltens wird Bach 
bei allen Sadverfländigen, Händel in allen geiund»fühlenden Herzen 
fortleben durch Jahrhunderte.“ Offenbar findet Seb. Bach in diejer 
Parallele nicht die ihm zufommende Würdigung. Da es fih aber bier 
um ein Urtheil über den größeften deutfhen Meiſter kirchlicher 
Zonfunf bandelt, fo möge es erlaubt fein, einen Echritt auf das 
ſpecifiſch mufifalifhe Gebiet zu thun und aus Dr. Kranz Brendel’s 
„Geſchichte der Mufif in 3talien, Deutfchland und Frank 
reich, Leipzig 1855, Folgendes zur tieferen und richtigeren Auffaſſung 
Sebafian Bach's fomohl wie Händel's anzuführen: 

„Bad hat an der Orgel ſich berangebildet, von diejer feinen Aus 
gangspunft genommen; dies verleiht feinen gefammten Kunftleiftungen 
ihren befimmten Charakter. Händel hat zwar gleichfalld Dielen Auss 
gangspunft genommen, bald aber ganz entgegengejepten Einflüjlen fi 
bingegeben. Bach's Thätigfeit mar dein entiprechend eine mehr nad 
Innen gefehrte, feine vormwaltende Neigung eine grüblerijche Verfenfung ; 
fein Leben ein inneres.’ 

„Händel wendete fih früh nach Außen, den Menfchen und ber 
Beobachtung derjelben zu, ringend und kämpfend, die mannigfaltigften 
Eindrüde in fih aufnebmend. Bach's Verſtaͤndniß erfchließt fich daher 
nur von Innen beraus Es if nicht die Äußere, finnliche Klangwirs 
fung, welde für fih allein zu, feffeln vermag. Dem inneren Einn erft 
geht das Großartige der GBeftaltung auf, durch das Innere hindurch) 
gebt der Weg zum Aeußern. Händel if plaftifh, Händel gewährt 
der finnlihen Seite der Kunft ihr Recht, und von dem Aeußeren gelangen 
‘wir zum Inneren. Bach, als ächter Deutfcher, war dem inftrumentalen 
Element überwiegend zugeneigt, er fchrieb fräter für fein Thomanerchor, 
für zwar muffatiih, aber nicht eigentlich funftgebildete Eänger. Händel 
wirmete fich früh jchon dem Geſange, und verkehrte bald mit den größten 
Sängern und Sängerinnen der Welt. Darum erbliden wir bei Händel 
als hervorflehenden Grundzug jene Popularität im großen und hoben 
Einne, die Fähigkeit, auf Maffen zu wirken, die mehr augenblidtiche 


*) Zäbrlih werden durch die Herren Breitlopf und Härtel in Leipzig 
3 Bände, die fih durcbfchnittlid auf etwa 120 Bogen überfhlagen laflen, zu 
dem in zwei halbjähr. Raten von 5 Thlen. zu zahlenden Betrage von 10 Thlrn. 
geliefert. 


534 Geſang. 


Eingänglichkeit und Eindringlichkeit. Bach zeigt ih als Gegenſatz; er 
iſt nicht eingänglih, minder fangbar, er iſt der am wenigſten populäre 
aller. Zonfeßer. In Bach gelangte jene, einft von den Niederländern 
begründete, in Deutfchland fortgebildete Richtung zu ihrem Abſchluß, 
fein Geift ermwacte unter dent Zongewebe contrapunktifch verbundener 
Stimmen; er bezeichnet die Spihe diefer Entwidelung. Händel flebt 
mit dem einen Buße in Stalienz er ift innerhalb diefer Epoche die Spige 
der fchon früher charakterifirten italienifch »deutfchen Richtung. Bad 
dharafterifirt darum der Mangel äußerer Echönbeit, wie fie Ztalien bes 
fist, Händel zeigt fi berührt von dem Zauber diefes Landes. Bad 
und Händel find, wie Schiller und Göthe, die Culminations⸗ 
punkte ihrer Beit innerhalb ihrer Kunſt, nah den entgegengefepten 
Seiten gewendet. Händel bewegt ſich in allgemein menſchlichen Stim⸗ 
mungen, in den Stimmungen der Maflen; was in der Bruft eines relis 
gidjen, aber gefunden, freifinnig männlichen Volkes fih regt, das hat cr 
ausgefprochen, mit einer Urkräftigkeit und Gefundheit, daß ed durch 
Sahrhunderte ſchallt; Bach ſpricht nur ih aus, fein religiöfes Gemüth, 
er. vergräbt fich immer tiefer in fi hinein, und kann ſich nicht genug 
thun, um diefe Tiefe zu erfhöpfen. Händel leiht der ganzen Menſch⸗ 
heit feine Stimme, Bach ift nur infomeit allgemein, al® Jeder dieſen 
Proceß des religidien Bemußtfeins in fih durchlebt. Händel in feinen 
Gefaltungen zeigt fehon eine Borahnung des jpäteren Kunitideald, Bad 
bat nur religiöje Zmede vor Augen, und die Kunft flebt bei ihm nod 
ausſchließlich im Dienſt der Kirche. Händel if objectiv, epifb, Bach 
fubjectiv, lyriſch. Bach's Natur neigt überwiegend dabin, zur abge 
ſchloſſenſten Belonderheit fih auszubilden, das Gewöhnliche, zur Hand 
Liegende abzumeijen, ein jedes Werk bis in das Kleinfte und Einzelnſte 
bin auszugeftalten.. Händel arbeitet mehr aus dem Bollen und Ganzen, 
richtet feine Blicke überwiegend auf die Gefammtwirfung. Das eigens 
tbümliche Verhalten aller Derer, welde an den Werfen Beider Antheil 
nehmen, liegt zum Theil hierin begründet. Der Verehrer Bach's rüblt 
fi zu immer neuem Forſchen angeregt, in einen Kreis nie endender 
Thätigkeit hineingezogen, alle feine Kräfte find in Unfpruch genommen, 
immer Tieferes glaubt er zu entdeden, und fo geicicht es leiht, daß 
einem Solchen das Einfache und Populäre feiht und geringhaltig ers 
ſcheint, weil es faßlih ihm entgegentritt, weil er das Verſtaͤndniß nicht 
zu erringen braudt, daß ein Solcher demnach in ein durdaus ſchiefes 
Berbältniß der geſammten Kunft gegenüber geräth. Händel findet feine 
Berebrer unter Denen, welche die mächtigfte Wirkung fogleih von dem 
erftien Eindrud verlangen, welche nicht von dem Ginzeluen zum Ganzen 
hinauf, fondern von dem Ganzen zum Einzelnen herabfleigen wollen. 
Auch die Stellung beider Meifter bei ihren Lebzeiten fheint eine dem 
entiprechende gemwefen zu fein. Bach war überwiegend doch wohl nur 
als DOrgelipieler bewundert; feine großen Oefangswerfe haben jedenfalls 
nur eine geringe Verbreitung und Anerfennung, außer bei dem kleinen 
Kreije der Eingeweihten, gefunden; dem Bolfe if er fletd fremd geblies 
ben. Händel fand ſchon in früheren Jahren der Geſammtheit des 


Geſang. 53% 


Bublicums gegenüber, und als er fpäter wit feinen Oratorien einmal 
Durchgedrungen war, wurde er mebr und mehr der Gegenſtand der Vers 
ebrung des geſaumten Englands. — 

„Beide Männer find Meifter ihrer Kunſt, Beide in eminenter Weile. 
Beiden aber‘ ift die gewaltige Kunft nie Zwed, flets nur Mittel zum 
Zweck. Sie find fo weit entfernt, damit zu prunfen, daß fie allein, 
wo es die Nothwendigkeit der Sache erfordert, damit bervortreten, und 
es find Mibverfländniffe einer fpäteren Zeit, einer Zeit, welche diefen 
Geiſt nicht zu faffen vermochte, wenn insbeiondere Bad als Mann der 
Kunſtgelehrſamkeit, als trodner Contrapunktiſt, betrachtet wurde. Bad 
befigt Alles. In der Gewohnheit dieſes Befiges ergreift er überall nur 
das Gehörige und Nöthige. Jene Kunft war der notbwendige und ents 
fprechende Ausdrud für den Geiſt jener Zeit, und es iſt deshalb eine 
ganz unfatthafte Thätigfeit der Abfraction, Form und Inhalt trennen 
zu wollen. — 

20. „Der melodifhe Kirchenſtyl“ wurde in einem Auf 
faße von Dr. Laurencin — Neue Zeitfhrift für Mufit, 
10. Octbr. — fowie auch in einem, von demfelben Berf. berrübrenden 
Artikel in 2. A. Zellner’s Blättern für Muſik, Theater und 
Kunf in treffender und geiftvoller Weiſe befprocen. . „Dieſe neue, 
etwa feit Spohr herausgebüldete Art beruht auf der Voüherrichaft eines 
in allen Stimmen bewegungsreihen Geſanges. ... Jede Stimme wird, 
ohne Rüdiiht auf deren bauptfächliche Geltung oder nur untergeordnete 
Etelle, zum Träger einer völlig ſelbſtſtändigen Offenbarung des melodi⸗ 
fhen Inhalts gefchwungen. Es waltet in dieſer Art Kirhenmufil ein 
freithätiges Singen aller Stimmen, ohne Bedacht auf den Umſtand, ob 
fie zu oberfi, mitten oder unten liegen... . Dan erfennt das Bollges 
wicht des Spruchrechtes diefer jelbfiredend eingeführten muſikaliſchen Or⸗ 
gane.... Dun verwechfele aber diefe neuerftandene Art der Polyphonie ja 
nicht mit jener Bach's und Mendelfohn’s Hier if, trotz feinſter 
Detailarbeit, doc immer eine große machtvolle Tonidee der Kern, das 
porwiegende mufifalifhe Princip. Dort aber geht der volle, weltbedeu- 
tende Gedanke meift auf, oder befier geſagt — unter in einer Fülle 
von Rebenthbemen. Der Hauptgeſang wird auf dem Felde jenes foges 
nannten melodiſchen Kirchenfiyls durch eine Maffe von Melismen auf 
gehoben, gleihfam verneint. Die große religiöfe Charakteriſtik gebt auf 
diejem neu entdedten Felde in eine Menge einzelner, charakteriftiider 
Momente auseinander. Der Zotaleindrud ſolch' geiftreicher Moſaik if, 
je finniger und meifterhafter ſolch' feine Arbeit fich offenbart — eben 
wicder ein mixtum compositum reizpoller muſikaliſcher Anregungen; 
entjchiedenfted Wohlgefalen an Allem, was da geboten wird; endlich eine 
von erſter bis zu legter Note wach erhaltene, ja fogar immer gefeigerte 
Spannung des äußeren und inneren Menſchen. Doch mit der Erbauung, 
dem eigentlihen Zwecke der Kirchenmufit, bat es feine guten Wege.” — 
Ueber Haydn und Mozart wird unter Underem Folgendes gefagt: 
„Haydn und Mozart, wie ihre begabten Anbänger, als deren Haupt 
Weigl in feiner wahrhaft blüthenüppigen Kirchenmuſik anzuſehen fein 








536 Belang: 


dürfte, bewegen fih auf geiffihem Zonboden auch in entſchiedenſter 
Metodienipbäre. Uber ihr Melos hat faft allezeit den Charakter volls 
ftindigfter Durdfichtigkeit. Meift fchwebt er, gleich einem Seraph, zus 
ober, oder er wird in den Baß gelegt. Die mittleren Stimmen vers 
halten fib in ihren Kirchenwerken meift nur begleitend oder ausfüllend, 
fpielen alfo mit feltenen Ausnahmen ...... meift eine hoͤchſt gleichgültige 
Nolle, fo daB es ein Leichtes wäre, fehr viele kirchliche Scöpfungen 
Haydn's, Mozart’s und feiner Schule aus der nur ſcheinbar poly 
phonen Gefalt in eine weientlih bomophone, oder hoͤchſtens zweiſtim⸗ 
mige umzufeßen..... Weiterhin wird einer dem melodifchen Kirchen⸗ 
fiyle verwandten Art gedacht, melde fih aber, unmittelbar aus dem 
HaydnsMozartiemus hervorgegangen, leider als unheilvolles Extrem, ale 
gefährliche Irrfahrt ..... ergeben hat. Es if dies jene Aus» und 
Mißgeburt der Zlachheit, Die nach nichts Anderem, dern nach allgemeinfter 
Wohlgefaͤlligkeit firebt. Diefe Allermeltsmufit jagt lediglich nah Me⸗ 
Todie, thürmt ein Inftrumentals oder Befangfolo auf das andere, ganz 
unbefümmert um deſſen edfe oder gewöhnliche Klangfarbe, und nod 
minder bedacht auf das bier fo äußerſt hochwichtige Element charakteriſti⸗ 
[her Wahrheit. Der Umfhwung diefer Abart von Kirchenmuſik ift von 
unberehenbar. [hädlihen Folgen und hat durch die leidige fophiftifche 
Berufung feiner Borfechter auf das Vorbild Haydn's und Mozart’s 
einen ganz erbärmlichen Dedmantel der Geiftesträgheit,, Gedankenlofig⸗ 
feit und Bildungsleerheit um den Altar oberpriefterlicher Tonkunſt ges 
breitet... . Wer Ohren bat zu hören, der höre! — 

21. Reform. „Zu durchgreifender Reformation in der Kirchen, 
mufif find derzeit drei Dinge erforderlih: 1) Anerkennung und Wiebers 
einführung des Palekrina’ichen Grundfapes: „Zum Preife des Aller 
hoöchſten ift die menfchliche Stimme das einzig würdige Organ.” 2) Ges 
naue Kenntniß der drei mufifalifchen Hauptideen (Harmonie, Rhythmus, 
Melodie) und ausreichende technifhe Befähigung, um Selbſt in jeder 
Idee Tüchtiges feiften zu Fönnen. 3) Angeborne, gefühlte Religioſität.“ 
$ 3. A. Keppnera.a O. 

22. Ausführung der Kirchenmuſik. Die Monatfhrift 
für Theater und Mufit (Wien, Wallishaufer) enthält einen Auffatz 
„über Kirhentempi und über den auf unferen Chören üb 
Iihen Bortrag geiftliher Tonwerke,“ worin vor Ueberſtürzung 
der Zeitmaaße bei kirchlichen Aufführungen und vor mechaniſchem, geifts 
und feelenlofen Abfingen und SHerunterfpielen religiöfer Tonwerke ges 
warnt wird.... „Das auf Pirdlihem Boden mürdegemäß allein zus 
läffige Allegro iſt auf gleihe Stufe mit unferm weltlichen Andante, dieſes 
mit unferm Adagio u. f. w. zu ſetzen. Selbſt Haydn’s und Mozart’s 
Kirhenmufit verträgt fein übermäßiges Eilen und Dabhinfluthen ibrer 
Klänge; denn felbft in ihr tönt, trog aller Uebergriffe, zumeilen die hehre 
Antike mit ihrem Ernfle und Tieffinne, mit ihrer geiftesmahren Andacht 
und ihrer eben fo gläubigen, überzeugungsvollen Gottbeſchaulichkeit, und 
ihr weltlicher Beigefchmad ift nur ein Firniß, nur eine Lockſpeiſe für 
bie verarımte BWelt..... Und tönt gar ein Palefrina oder ein 


Gefang. “ ‚587 


anderer ewig junger Alter auf Die betende Menge hernieder, vergeffe 
man ja nicht, feine Schöpfung im firengfien religiöfen Pathos würdig, 
getragen, bedaͤchtig . .. mit einem Worte fo barzuftellen, daß der Hörer 
ein bei aller fubjectiven Lebensfarbe dennoch welentlih objectives Ton⸗ 
bild in fih aufzunehmen vermöge..... Für die froflige, feelenlofe, bios 
dem äußeren Notenwertbe Rechnung tragende Ausführung der kirchlichen 
Merle führt man oft den wefentlih in ſich verfenkten, allem äußern 
Glanze fremd gegenüber ftehenden Charakter der religiöfen Muſik an... .. 
Aber ift denn Dbjectivität mit Seelenloflgfeit und flarrer Mechanik Eines 
und Daffelbe?..... Hat nicht eben die fogenannte alte Schule die 
Berföhnung des firengfien Ernſtes mit der finnigften Lieblichfeit und 
zarteften Gefühlsinnigkeit in jeder Art erſtrebt? ... Strömt nicht aus 
dem durchdachteſten Kanon Baleftrina’s, aus der verwidiungsreichfien 
Zuge Bach's das fchönfte Gemüth, die andachterglühteſte Seele, die 
reinfte Zonfprade der Berflärung, welche fi nur denken läßt? Und 
it es nicht Pfliht der Darftellenden, dieſe innige Eintracht den Hörern 
in lebendigfter Bedeutung zu vergegenwärtigen?” — 

23. Bermeidung zu ſchwerer TZonmwerfe „Leider fommt 
ed immer noch vor, daß Dirigenten, welche To glücklich find, einen Ges 
fangverein- für gemifchten Chor in Meinern Städten zu leiten, große 
Gefangftüde, wie Oratorien, zur Einübung wählen. Die Refultate eines 
foihen Treibens Reben fat ohne Ausnahme mit der monatelangen Uebung 
und Anſtrengung in feinem Verhältniß. Kommt die öffentlihe Auffüh⸗ 
rung endlich zu Stande, fo fieht und hört man allenthalben nur Mühe, 
Anftrengung und Arbeit, eine ſchwungvolle, künſtleriſche Erfcheinung, die 
freilich eine volle Beherrfhung des Kunftwerfs vorausjegt, tritt dem 
Hörer nicht entgegen. Tragikomiſch find gewöhnlich die Soli, hefonders 
die Necitative. Die Freude an dem Kunftwerke ift dem Dirigenten und 
dem Cbor unter qualvollen Uebungen längit verloren gegangen, und als 
gluͤcklichſtes Refultat Felt fih bin: es ifk bei der Hauptaufführung nicht 
umgeworfen worden. Wenn ſich aber Gefangvereine mit ſchwachen Kräfs 
ten, wie fie doch meiftbin in Bleineren Städten und auf dem Lunde find, 
auf Fleinere, wenig Umfang babende Piecen beſchränken, fo if eine ge 
diegene Aufführung gefichert und die Liebe am Singen dur ein bal⸗ 
diges Gelingen gefördert.” R. Lange im Brandenb. Schulblatt. 


IV. Liturgifches (im engern Sınne). 


24. Riturgifhe Gottesdienfle. Die von D. Lenz, Su⸗ 
perintendent in Wangerin, herausgegebenen „Liturgifben Bespern,” 
Etettin b. Weiß, wollen der fubjectiven Willfür bei den liturg. 
Abendgottesdienften fleuern und dieſe zu ihrer rechten Haltung bringen, 
„daB fie nämlich nicht fentimale Kunſtgenüſſe fein, nichts Neues und Pi⸗ 
fante® geben, fondern nur die alten reichen liturgiihen Schäge und 
Klernodien der reforınatoriichen Gottesdienftordnungen, fowie den priefters 
lihen Altargefang und den rbythmiihen Gemeindegefang wieder an's 
Licht fördern und in Webung bringen ſollen.“ 


538 Geſang. | 


Mector Neintbaler fuhr fort, Die Sache der Titurgifchen Gottes⸗ 
dienſte, als eines gemeinfamen Bibel⸗ und Riederlebens in Kirche, Schule 
und Haus, durch neue Ausgaben feiner dahin einfchlagenden Zuſammen⸗ 
ftellungen von Wort, Ton und Bild zu fördern. Zur dritten Auégabe 
der „heiligen Baffion’ fagt er u.%.: „Was für ein Segen könnte 
durch fo eine eier der heiligen Paſſion gewirfet und noch mehr anges 
teget werden, wenn die Kirche auf Die Weiſe fortführe, auch die boben 
Feſte und alle Heilstbaten unfers Herrn von Eonntag zu Sonntag 
liturgifch zu feiern, und von Jahr zu Jahr in derfelben Ordnung zu 
wiederhofen, in welcher fie für uns geſchehen find und in uns forts 
wirfen follen; wenn die Kirche ihre Kinder auf die Weile gemöhnte, 
mit jedem Abſchnitte der heiligen Echrift einen Kernvers ihres Lieder: 
fchaßes fo zu verbinden, als fei fein Wort und Ton aus dem Kerzen 
fhon der damaligen Perſonen wie der gegenwärtigen Eänger entquollen, 
und alfo nicht blos zubörend, fondern aud mithandelnd aufs 
und anzunehmen, was für Alle getban if und in Jedem 
erfüllt werden foll. Das wäre wieder ein neutefaments 
liher Gottesdienſt nah apoſtoliſcher Vorſchrift“ u. f. w. 

„Auf Grund der reichen, neu wieder aufgetbanen Hülfsmittel“ if 
der mufltalifhe Theil von Schultze's „Vesperglocke“ gearbeitet, 
während, wie das Belf&blatt fagt, die kernhafte Einleitung beſonders 
den liturgifch noch nicht tiefer Gingeweihten als guter Anfang dienen wird. 

25. „Die Refponlorien werden vom Chor nur als leiter 
nothmendigem Eurrogat der eigentlih antworten follenden Gemeinde ges 
fungen. Alle Berfuhe, dem Chor eine feibfiffändige Bedeutung und 
Function als Drittem zwiſchen Liturgen und Gemeinde beizulegen, ſchei⸗ 
tern an einfacher Feſthaltung des Grundprincips für evangeliichen Gottes» 
dient. Alles zu fünitleriiche Auftreten des Chores ift wenigflens für 
die regelmäßigen Sonntage vom Uebel, weil ſtets im Auge behalten 
werden muß ale Ziel, daß die Gemeinde miteinzuftimmen lerne und fich 
gewöhne. Dr. Stier, „Gutachten“ x. 

In demfelben Sinne Abeken: „Als weientlih muß die Eins 
fimmung, die Thätigkeit der Gemeinde in irgend einer Form 
erachtet werden.... Der Chor kann immer nur zu der Gemeinde oder 
zu den Geiſtlichen hinzukommen, er Bann die eine oder die anderen 
unterfüßen, aber er darf fie nie vertreten oder erfeßen, wie er es in 
der katholiſchen Kirche thut.“ 

Auch Potel verlangt a a. D. daß die Gemeinde wieder zur Mit» 
thätigfeit erwedt werde. „Dan wird in einem liturg. Gottesdienfle nie 
Schläfer finden, wie bei einer fo und fo vieltheiligen Predigt.“ 

Eltefter hält es für gut, an einzelnen Stellen flatt der Refponfe 
oder neben denſelben Choralgeſang zuzulaſſen. Er glaubt bemerkt zu 
haben, „daß befonders Landgemeinden lieber und zu allfeitig größerer Er⸗ 
bauung mit einem Choralverfe, ald mit den üblichen Singſtücken reſpondiren.“ 

Desgleichen äußerte man fih in der legten Gnadauer Berjammiung 
niehrfeitig dafür, daß die Gemeinde die Liturgie mitfinge, „nicht bios da» 
fiehe und zuhoͤre.“ 





Befang. 639 


Schließlich weile ih auf einen Auffah im Brandenburger 
Scäulblatte: „Für Geſangſtunden in der Volksſchule“ hin. 
Dort heißt es u. A.; „Man wird anzunehmen haben, daß der Sängers 
chor in der Liturgie lediglih Die Gemeinde zu vertreten habe, die 
von vorn herein noch ‚unfähig zu fein fchien, in der Liturgie ihre Stelle 
zu verfehen. If aber dieſe Auffaffung die richtige, fo wird auf das 
ganze Verhältniß zmwiihen Chor und Gemeinde das Wort anzuwenden 
fein: „Er muß wadfen, ih aber muß abnehmen.” Die Gemeinde muß 
hineinwachſen in die Gefangfähigfeit auch für die Titurgifchen Reſpon⸗ 
forien, und in dem Maaße, als fie hineinwähkt, muß der Chor zurüds 
treten, um refp. nur nocd die den Geſang leitende und fihernde Bunction 
zu übernehmen‘ u. f. w. 

26. Der Altargefang des Geiflihen. Dr. Stier führt 
a. a. D.: aus Ebrard“s Praftifcher Theologie, folgende Etelle an: 
„Ein Sologefang des Pfarrers ift eben fo widerlich als das Im⸗Chore⸗ 
Sprechen der Gemeinde ftörend if. Die Rede im Munde des Predigers, 
der Geſang im Munde der Gemeinde, das find überhaupt Die zwei 
Grundformen des Cultus.“ Dr. Stier ſelbſt feßt dann hinzu: „Ent 
weder ganz würdig und erbaulid muß der Geiftliche fingen, was eben 
Wenigen gegeben iſt und fogar Ddiefe meift in fpäteren Jahren verläßt, 
oder lieber gar nit, damit er nicht durch den gegebenen Anftoß den 
Sottesdienft verunziere und die Würde feiner gottesdicnfllihen Perſon 
berunterfege. Letzteres geichieht aber nicht bloß etwa durch ſchlechten, 
fondern andrerfeits faft noch ſchlimmer durch ſchönen, mit bier leicht fich 
einfchleichender Eitelfeit producirten Sologeſang.“ 


Eltefter „tann..... nichts Dagegen haben, daß — wo es von den 
firhlihen Organen gewänfht wird — bei Intonationen und Colleeten 
Altargefang des Liturgen ſtattfinde.“ — „Ich liebe es nicht: aber ich 


lefe und habe auch ſenſt gehört, daß eigentlich ‚die Gemeinden nur da 
fingend folen reipondiren fünnen — jept thun fie es zwar auch ders 
ohne — wo ihnen Gejang entgegenfonmt. So mag 6 fein ; doch 
frage man ja recht genau Prediger und Gemeinde.“ 


V. Der Choralgefang. 


27. Seine Bedeutung „Den Austrug ihrer Selbſtthaͤtig⸗ 
feit, fowohl Vorbereitung zum Hören, als Berfiegelung des Gehörthabens, 
befigt die Gemeinde feit der Reformation zu allernähf in dem Choral⸗ 
gejange, welcher von Anfang fih fo bewährt, und gang naturgemäß im 
Fortgang auch die „deutſche Meſſe““ überwogen hat, mithin von Rechts⸗ 
wegen eine fo hochmwictige Stelle behauptet, daß zwar Ueberfülle tanzen 
Gemeindegeſangs, wo fie jeßt etwa noch (mie vielleicht in Wittenberg) vor⸗ 
kaͤme, beſchränkt, jedoch dus gebührende Maaß, bei weichem der Einzelne 
fh in ganze Lieder ordentlich hineinfingen fann, durchaus nicht ver 
fürzt werden folte.‘ Dr. Stier. 

„Das aber ift jedenfalls feftzubalten, daß auch der Choralgefang 
der Gemeinde eine wirkliche Theilnahme derfelben an dem gotteadienklis 
hen Acte enthalte, und nur unter diefem Geſichtspunkte aufzufaflen fei, 





540 Geſang. 


nicht unter dem einer Abtheilung zwiſchen den einzelnen Acten, oder 
einer Ausfüllung der Pauſen, während deren die Gemeinde es ſich in 
der Kirche bequem macht. Der Geſang iſt die eigentliche höchſte Tbä⸗ 
tigkeit der Gemeinde und ſoll nicht als Ruhepunkt, ſondern als die 
Spitze des Gottesdienſtes, als der Ausdruck des erköhten Gefübls ers 
ſcheinen. Das Singen iſt etwas Höheres als das Sprechen, geſchweige 
denn als das Denken oder das erbauliche Empfinden; der Menſch fingt 
nicht, wenn er in gedrückter, ſondern wenn er in erhobener Stimmung 
iſt, namentlich in Gemeinſchaft; der Geſang iſt eine Form, und für 
die Gemeinſchaft die hoͤchſte Form des Gebetes, er iſt recht 
eigentlich das Gebet der Gemeinde.“ Abeken. 

28. Der rhytomiſche Choral. Die betreffenden Eroͤrterun⸗ 
gen find zum Abſchluſſe auch in dem vergangenen Jahre noch nicht ges 
diehen; eine Einigung zwifcben den Freunden und Gegnern der fraglis 
chen Ehoralform hat nicht flattgefunden; die Vermittelungöverſuche find 
fruchtlos gemefen, Angriff und Bertheidigung fortgefept worden. 

Für den rhythmiſchen Choral haben u. U. gefprochen oder thatſächtich 
Zeugniß abgelegt: 1. Ein Ungenannter in einem Aufjage der Sächſiſchen 
Schulzeitung. — „Weber den rbytbmifhen Choralgefang.” 
2. Rector Reinthaler in dem Begleitwort zur 3. Ausg. der „Hei 
tigen Baffion.” 3. Euperint. Arndt zu Walternienburg bei den 
Berbandlungen der Gnad. Berfammlung. Reben ihm 4. mebrere andere 
Mitglieder der Berfammlung. 5. Johann Meier in dem Borworte 
zu feinen „150 evangel. Kernliedern,” 6. 3.Heinrih Lützel 
in feinen „dreißig Choralgefängen der evangel. Kirche in 
ihrer urfprünglidhen Form.’ 7. C. H. Hohmann in dem Vor⸗ 
worte zu feinen „72 Chorälen für den A.flimmigen Männerge 
fang. 8. DO. Lenz inden „Liturg. Vespern.“ Etettin, Weiß, 1855. 
Sehr wichtig erfcheint endlih 9. als offlcielle Kundgebung die von 
dem K. Rayriſchen Broteft. Oberconfiftorium erlaffene „Inſtruction 
zum Gebraude des neuen Choralbuhs für die evange- 
lifhelutberifhe Kirche in Bayern.‘ 

Mr. 1. fußt Hauptfählih auf Dr. Kraußoldt's „Muſikaliſchem 
Handbuche für den Kirhens und Choralgefang,'‘ Erlangen, 
1855 , und fordert angelegentlih zum Studium dieſes Werkes ſelbſt 
auf. Der Verf. fagt im wmefentlihen Folgendes: Es kommt darauf an, 
daß den Chorälen insgefammt ihre urfprüngliche Gefalt und Form, nas 
mentlih der ihnen eigenthümliche Rhythmus, der durh Hiller und 
andere Choralbuchſchreiber vermwifcht worden iſt, zurüdgegeben werde, d. 5. 
daß fie wieder fo gefungen werden, wie fie componirt und in den erften 
beiden Jahrhunderten der Reformation gefungen worden find. Die alten 
Choräle bieten DMannigfaltigfeit und Originalität des Rhythmus dar, 
und wenn Die (oft angefochtenen) Melodieen mit rhythmiſchem Wechfel (zwei⸗ 
theiliges und dreitbeiliges Maaß in derjelben Melodie, wie 3. B. bei 
„Befiebl du deine Wege‘) mehr der zmeiten als der erften Hälfte der 
Dlüthezeit des proteft. Choral angehören, fo bemeift dies, daß mir bier 


eine wirkliche rhythmiſche Bortbildung und Ausgeflaltung vor uns haben, 


Geſang. 541 


nicht etwa ſchwankende und wankende unreife rhythmiſche Kormen einer noch 
in halb rohem, oder nur theilweife cultivirtem Zuflande ſich befindenden 
Tonkunſt. — Der Verfall des Chorals hat zur nächſten Urfache den Pietis⸗ 
mus. Das Kirchenlied nahm durch letzteren einen füßlichen Liebeston 
mif hüpfenden Rhythmen an; dem trat die Orthodogie entgegen: um die 
neuen, üppigen Singweifen zu befeitigen, legt man Dand an die alten, 
herrlichen Choräle, und auch bald war Alles befeitigt, was in feiner 
rhythmiſchen Form an die pietiftifche Form anſtreifte. Die fpätere Zeit 
konnte in ihrer rationaliſtiſchen Nüchternheit eine Regeneration nicht volls 
ziehen, zumal da die Kenntniß und das Berftändnig der Borzeit ihr 
abgıng. Anders die Gegenwart. „Die Nothwendigkeit einer Wiederges 
burt des Kirchenfiedes.... ift eine fo allgemein erkannte Thatſache, daß 
eben damit auch die Regeneration des Chorals nothwendig ihrer Ausfüh⸗ 
rung entgegen gehen muß, und ihre Bollenduhg nicht mehr Tange auf 
fih ‚warten laſſen kann.” Der jepige Kirchengefang, fo beißt es dann 
weiter, iſt herzlich ſchlecht. Ihm kann nicht anders aufgehoffen werden 
als durch Wiederherftelung des rhythmiſchen Chorals, wie er ohne Zwei⸗ 
fel früher mwirflih gefungen ward. Möglich iſt dieſelbe. Vieles if 
fon angeregt und ausgeführt, tbeils amtlich, tbeils in anderer Weile. 
Der Einwurf, daß der rkythmifche Choral etwas Weltliches, beim dreitheilis 
gen Tact fogar Tanzartiges habe, berubt auf dem Irrthum, daß rhythmiſch 
fingen, ſchnell fingen heiße. In dem rhythmiſchen Wechfel mundyer 
Choräle liegt nichts, was gegen ihre Einführung ſpräche. — Durum 
friſch an's Wert! doh werde mit Vorſicht, Umfiht, Nachſicht 
verfahren. Bor Allem ftudire man felbft erſt gründlich den rhythmiſchen 
Choral, ehe man ihn in Angriff nimmt; und dann nichts überflürzen, 
wohl aber die Gemeinde belehren, leiten, unterflüßen, durch Die 
Schule wirfen u. f.w. Der Sieg wird am Ende nicht fehlen. 
„Der Rath und das Werfift aus Gott: Keiner von uns wird es darum auch 
dämpfen können, dämpfen wollen.” Im Anbange weift der Verf. dann 
noch auf einen in der Allgem. D. Xehrerzeitung enthaltenen Pes 
richt aus der Neuftädter (a. d. Orla) pädag. Geiellihaft bin, wonad in 
vielen Gemeinden dortiger Gegend die rhythmiſchen Melodieen eingebürgert 
find. 

Rector Reinthaler bezeichnet Diejenigen, „welche gegen die Re⸗ 
formation des Kirchengefanges noch eingenommen find,’ als Solche, 
„die nicht mit David und Luther wieder fingen und fpringen wollen, 
fondern behaglich fortichleichen hinter Gregor ber und in dem romiſchen 
Chorafe mehr Befriedigung zu haben vermeinen.“ 

Bon der Gnad. VBerjammlung erzählt das Volksblatt: „Beim traus 
lihen Zufammenfigen des Abends aber flimmten unfer Etliche noch ein» 
mal zum thätlihen Argumente die fihönen rhythmiſchen Gefänge an, 
und gleihfam wie in einer Liturgie ward allemal abwechſelnd von den 
Zuhörern, die fih darum gefammelt hatten, das Thema „rhythmiſch oder 


nichtrhythmiſch“ befprehen, das Für und Wider vorgebradht, aber 


mit einem neuen Schwunge einer einfallenden prächtigen Melodie wur⸗ 
den ihre Bedenken überfungen”... C. 9. Hohmann fagt u. A.: 





543 Gefang. 


„Mancher Kampf wurde gelämpft ob diefes alten, Togenannten rhyihmi⸗ 
ſchen Ghorals, und noch ift der Streit nicht ganz beendigt. Doch läu« 
tern fih die Anfihten. Dan gibt auf der einen Seite zu, daß auch 
der feitherige Choral rhythmiſch fei,.... anderjeits lernt man einfeben, 
dag — in fo hohem Grad aud die bisherige Zorm geeignet ſcheint, 
ernften und erhabenen Gefühlen einen entiprechenden Ausdrud zu geben, 
fie doch nicht berufen fein koͤnne, die Alleinberrfhaft in der Kirche zu 
beſitzen“ u. ſ. w. 

In der unter Nr. 9 erwähnten „Inſtruction“ ze. wird u. U. ges 
fagt, daß der Rhythmus die Auffaffung einer Melodie nit erſchwert, 
wie fälichlich behauptet wird, fondern erleichtert. Bon der allgemei« 
nen Ginführung des rhythm. Chorale dürfe, fo beißt es dann ebenfalls, 
„die feit Jahren gewünjchte allfeitige Hebung und Neubelebung des kirch⸗ 
lichen Gemeindegejanges mit Recht erwartet werden.‘ 

29. Bortiegung Abweiſend und mehr oder weniger vers 
werfend äußern fih über den rhythmifchen Choral u. U: 1. F. ©. in 
der Saͤchſ. Schulzeitung. 2. Ein Ungenannter ebend. 3. H. in 
B. ebend. 4. Emil Poſtel in feine Borfhule der muſikali— 
fhen Compofition. — Nicht eigentlih gegneriih, fondern mehr 
nur zur Wahrung des Rechtes der heutigen Choralform fprehen fi aus: 
5. Ein Aufiag „Ueber die Pflege des geiftlihen Liedes‘ im 
Medienburger Schulblatte 6. Der Aufjaß „Für Geſang⸗ 
tunden in der Bollsfhule” im Brandenburger Schul⸗ 
biatte. 7. Ein Mufikderiht in der Voſſiſchen Zeitung. 8. Louis 
Kindſcher bei Gelegenheit einer Necenfion in der Neuen Berliner 
Muſikzeitung. 

Nr. 1 u. 3 legen ihre Anſicht in einer Weiſe dar, welche mitunter 
hart an die lebte Grenze Des Angemeſſenen freift. Namentlich geſchieht 
dies von Ar. 3, 3. B. in Folgendem: „Jeder, der diefe Melodie („Be⸗ 
fiehl du deine Wege’ mit wecjelndem Rhythmus) abfcreibt, um fie 
anzuwenden (außer als corpus delicti), entehrt feine Feder; jeder Or⸗ 
ganift, der dieſe Muftermelodie in diefem maflacrirten Zuftande im Haufe 
des Herren ertönen länt, ift werth, daß ihn Schmach treffe, und muß wes 
niger Geift haben als der Junge, der feine Heerde in beffern Rhythmen 
mit der Beitfche zufammenfnallt. Wehe dem heiligen Haufe, wo Einer 
amtirt, der ſolche Berunglimpfung gut heißt; — „‚deine Heiligen haben 
fie zertreten.”' 

Ich gebe nun das von Nr. 1 —3 gegen den rhythmifchen Choral und 
feine Vertreter Beigebradhte in nachſtehender Zujammenftellung.- 1. Es 
giebt „eine Partei,“ die den rhythmiſchen Choral darum will, weil er 
alt iſt, unbefümmert darum, ob er gut if. „In der Kirhe muß Als 
les Rarr fein; aus ihr muß aller Kortichritt entfernt bleiben, fo verlans 
gen es gerade Diejenigen, die für den rhythmifchen Choral ſchwärmen... Es 
verachtet die Partei planmäßig die Fortſchritte der Künfte; ihr ift Das 
herrliche Lapidar unſers Chorals nicht finntih genug... Was der beis 
lige Geiſt jeit 300 Jahren gefchaften bat, ift Alles eitel u. f. w. 2. 
Der heutige Choral iR nicht verkümmelt, if fein Zerrbild, if nicht 


Belang. 243 


unerbaulih u. f. w. Der Charakter des Chorals liegt in den gleich 
langen Tacttheilen (menige Ausnahmen abgerechnet). So if er durch 
die deutihe Zonkunft feigeftellt, fo haben ibn Bach, Graun, Rolie, 
Homilius, Doled, Schneider, Mendelsfohn u. U. anerkannt 
und in ihre Mufitwerfe aufgenommen. Alle, die äfthetifche Bildung mit 
religibiem Sinne vereinigen, ehren ihn hoch. „So lange nicht wirkliche 
Künſtler (kleine Leute haben fein Recht zu reden) auf die Vernichtung 
feiner edlen plaftifchen Form dringen, haben Ale ein Recht, mißtrauifch 
zu fein gegen die Gelehrten oder Alterthümler und ihre Nachtreter, die 
auf Grund des Alters eine Umgefaltung beantragen.” 3. Es ift zweis 
felhaft, ob die rhythmiſchen Choräle jo Frick, wie wir fie gedrudt feben, 
jemals find vom Volke gefungen worden. 4. Die alten Rhythmen And 
großentheits ihrem Charakter nach nichtig, unwürdig, ſinnlich, leichtfer⸗ 
tig, — ihrem Bau nach unordentlich, (rhythmiſcher Wechſel) Tiederlich, 
verzerrte Gebilde. „Der dem lichten Leben abgeforbene,’’ fo jagt 9. in 
DB. in Bezug auf den Rhythmus von: Seelen» Bräutigam ac. — „ſei 
es durch Folianten oder Meppigfeit; der Kalte, den nie Kun und Schön» 
heit erwärmte, dem Satzung das Höchfle, Flug der Seele, Schwingen 
einer heiligen Phantaſie Leichtfertigfeiten find, der fühlt allerdings einen 
folhen Rhythmus mehr als den jebigen.... Solche werden von der 
Sinnlichkeit gefigelt, und in Unkenntniß der Seelendürre halten fie Dies 
fee für beitiges Durchſtrömen“ u. |. w. 5. Die Gemeinden find nicht 
mufifalifch gebildet genug- für den rbythmifchen Choral. Wo der alte Rhyth⸗ 
mus befohlen ift, gibt es gewaltſame Störungen der Andacht. „Lächers 
lih if es, und glauben zu machen, eine zahlreiche Gemeinde koͤnne in 
diefen Birrwarr von Rhythmen (bei Mel. mit rhythmiſchen Wechfel) hinein 
gebracht werden, denn das natürliche Gefühl wird ſich dagegen ſtemmen. 
Dder will man jede Syibe mit einer großen Trommel angeben laſſen?“ 
u. ſ. w. 6. Die Frage vom rhythmiſchen Choral hängt mit dem Glaubens» 
leben nit zufammen. Man rühmt fo oft den Geſang und den Glau⸗ 
ben der Herenhutifchen Gemeinden. Diefe fingen aber nicht in dem 
uralten, fondern in dem jeßigen NRhytbmus.... „Zur Belebung des 
Glaubens gehört etwas mehr ald Nhytbnus’ u. f. w. 

Emil Bofel fagt: „Jedenfalls if nit der Berfal des Glaus 
bens Die Urfache des Untergangs der alten Rhythmen geweſen, fondern 
die Nothiwendigfeit führte zur Bereinfachung der Choralmelodien. Es 
ift nicht denkbar, Daß eine zahlreiche... Gemeinde die rhythmiſchen Cho⸗ 
täle gut ausgeführt habe oder ausführen werde, ganz abgefehben Davon, 
dag die alten Rhythmen fa durchgängig nur zu Einem, dem unfprüngs 
lichen Liede paſſen und daß auch dabei noch Vieles vorkommt, was uns 
ferm Gefühl widerfirebt, 3. B. die Dehnung tonlofer Sylben.“ 

In Nr. 5. wird der rhythmiſche Choral für „Lurus‘' erklärt. Rr. 6 
Reilt in fehr milder Weiſe die Meinung auf, daß man der Volksſchule 
wohl den alten (heutigen) Choral nod eine Weile werde laflen müſſen. 
„Es wurde in einer Schule die Melodie: Seelenbräutigam x. 
rhythmiſch eingeübt. Ich habe wohl gehört, daß die Kinder dieſen auch _ 
außer der Schule in Garten und Geld fangen. Uber fie fingen glüdlis 


⸗ 





544 Gefang. 


her Weile die alten Choräle doch auch in Garten und Feld.’ — Nr. 7. 
meint, der rhythmiſche Choral fei muſikaliſch intereffanter, der heutige, wer 
gen des gleichmäßigen Fortichreitens in Iangen Tönen, erbaulicher. — 
Louis Kindfcher fagt, daß dem gegenwärtig gefungenen Choral feit 
mehr als 10 Jahren ven einer orthodogen Partei der Umſturz drohe, 
„Die nämli, und zwar fonderbar genug, den fogenannten rhythmiſchen, 
bewegten, weltlich-frivolen, der darum gar nicht in die Kirche paßt und 
auch da von der Gemeinde unausführbar ift, wieder einführen wollen.’ 
In einer Anmerkung ſetzt er hinzu: „Ob derjelbe überhaupt für die Ger 
"meinde und nidt vielmebr für den geichulten Chor exiſtirt babe, ift noch 
eine ſtarke Frage; auch bat er ſich ſchon fehr bald in unfern gegenwärs 
tigen fo würdevollen und ächt kirchlichen Volksgeſang verklärt.“ 

30. Fortſetzung. In eigentbümlicher Weile, bier vermittelnd, 
dort rechts und links polcmifirend, äußert ih AU. G. Ritter in feiner 
Abhandlung: „Rhythmiſcher Choralgefang und DO rgelfpiel.” 
Sein Botum verdient nicht nur als das neufte, fondern vorzüglich darum, 
weil es von einem der erſten DOrganiften der Septzeit herrübrt und weil 
es nicht in einer Wiederholung hundertmal vorgebradhter Dinge beftebt, 
befondere Beadhtung. „Dem Princip nah mar der evangeliiche Ge⸗ 
meindegefang zu feiner Zeit ein tacts und rhytbmuslofer, weder im 
16. noch im 19. Zahrbundert..... Die Choralmelodieen murden ſtets 
rhythmiſch durch das Metrum geregelt, und durch den Zact gemeflen, 
freilich zu verfchiedenen Zeiten auch unter verjchiedenen Bedinguns 
gen. Die ausfchließlihe Bezeihnung „rhythmiſcher Choralgefang‘ 
für eine einzelne, belondere Gattung deſſelben, nämlich für jene des mans 
nigfaltig rhythmiſch gegliederten, ftellte die heutige, allerdings an vielen 
Drten mangelbafte Ausführung mit der ältern Aufzeihnung 
des Choralgelanges in Vergleih, ohne den Beweis für die damalige 
Uebereinftinnmung zwiſchen Aufzeihnung und Ausführung zu liefern; 
fie war in fofern eine unvpaflende, und gab zu einer unrichtigen Auffaſ⸗ 
fung Anlaß.” So Ritter über die Bezeichnung der fraglichen Sache. 
Er unterfcheidet alddann, der Sache felbft näher tretend, dreierlei Mer 
lodien: 4. rhythmiſch wechſelnde, 2. nicht rhythmiſch wechſelnde, aber 
doch mannigfach rhythmiſch gegliederte, 3. ausgeglichene (beutige Form). 
Die Melodıen der erflen Art fammen aus dem 16. Jahrhundert, wo 
der Tact fo gut wie keinerlei rhythmiſche Eigenfchaft beſaß, wo er das 
einfache Maaß der Zeitdauer war, wo unabhängig von ihm der Goms 
ponift das rhythmiſche Verhältniß feiner Melodien geftaltete, indem er 
entweder dem Worte allein es überließ, das ihm innewohnende Sylben⸗ 
gewicht dem muſikaliſchen Zone aufzuprägen, oder indem er zu flärferem 
Ausdrud und belebterer Geſtaltung der ſchweren Sylbe eine längere, der 
leichten eine fürzere Note gab. Diefe Choräle widerfprechen unſern heu⸗ 
tigen Sunftgefeßen, weshalb gegen fie fich die meiſten Stimmen erbeben. 
„Sollen und dürfen wir die Ergebnifle einer Zeit des Suchens und 
Strebens als ein für alle Zeiten Gültiges aufftellen, und zwar ges 
rade in derjenigen Beziehung, welche vorzugsweife die Entwidelung bes 
traf?’ — Die Ausübung der rhythmiſch wechjelnden Choräle reicht bie 


Gefang. 545 


gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts, von wo ab fie fih allmälig 
verlor. — Es folgte dann die zweite Art der Choräle, derjenigen näms 
lich, „die neben lebendiger rhythmiſcher Gliederung und Ausgeflaltung 
durch längere und kürzere Roten zugleich alle Eigenſchaften des moder⸗ 
nen accentwirenden Tactes befitzen.“ ... „Ihre Ausführbarkeit findet feitens 
der Gemeinden... fein Hinderniß, denn in Allem entſpricht ihre Form 
den augenblicklich geltenden Kunſtgeſetzen.“ Es ift indeß auch diefe Form 
nad) und nad zurüdgetreten und dagegen der ausgeglichene Choral der 
berrichende geworden. Woher das? ‚Kann man in der Befeitigung des 
rhythmiſchen Wechfeld nur eine aus der Fortbildung der Kunſt hervors 
gegangene Rothwendigkeit erfennen, und liegt in dem Zwieſpalt zwifchen 
ibm und der Kunftlehre der Grund, warum eine Wiedereinführung defs 
felben in den Gemeinden unthunlich erfcheint: fo war bei der zu Ans 
fang des 18. Jahrh. befchloffenen... Ausgleihung ein Geſetz der Kunſt⸗ 
lehre nicht thaͤtig. Es mögen hierbei die bequemere Ausführbarkeit des 
gieihmäßigen Chorals durch eine zahlreiche Gemeinde, der erhebende Eins 
drud der langſam dahinfchreitenden einfachen Klänge auf den „Zuhörer 
wejentlich mitgewirft haben: vom entfchiedenften Einfluffe war aber die 
Drgel, welche feit etwa der Mitte des 17. Jahrh. zur Leitung des 
Chorald beffimmt war.’ Nicht aus Schuld der Organiften, wie von 
fo Bielen mit großem Unrecht behauptet wird, fam die Uenderung. — 
Wie aber wirkte die Orgel? So wie file ihrer Natur nah wirken mußte. 
Unabänterlich gleihmäßiges Forttönen ift die hervortretende Eigenthüm⸗ 
lichkeit des Orgeltones, — die gebundene Spielart mithin die für die 
Orgel einzig richtige. Mit diefer Spielart aber, welche den Organiften 
dur) die Wefenheit ihres Inftrumentes unabweislich geboten wurde, ift 
unvereinbar die Turze, fcharfe, einfchneidende Angabe der Pleinern Tact⸗ 
theile mannichfach gegliederter Melodien — und fo mußte fid die Aus 
gleihung vollziehen. — Diefelbe Wendung wird unter gleichen Umftäns 
den ſtets wiederfehren. Die Orgel wird ihre Natur behaupten, fi nicht 
dauernd mißhandeln,. fih niemals eine Lüge aufdrängen laflen. „Ein 
Drganift, der Jahre lang die gebundene Spielart vermiede, wird endlich 
doch der Gewalt des Inftrumentes fi beugen und feine Ausnahmeges 
lüſte fallen laſſen müſſen.“ — Mit dem Bisherigen iſt A. &. Ritter’s 
Stellung zur Frage vom rhythmiſchen Choral bereits im Wefentlichen 
angegeben. Es fei jedoch erlaubt, fie nun aud in der Schärfe zu bes 
zeichnen, wie er felbft es am Schluffe feiner Abhandlung in folgenden 
Worten getban Hat: „Einen erneuten Auffhwung unferes Gcmeindes 
Gefangs, eine entjchiedenere, bewußtvollere Begleitung deffelben durch den 
Drganiften Hält der Berfafler für nothwendig. Was in diefer Beziehung 
gefchieht, muß aber mit den allgemeinen muflfalifchen Gefegen, die jept 
dem Volke geläufig find, im Einklange ſtehen. Diefen entfprechen nicht 
die rhythmijch » wechfelnden Choräle, die deshalb eine Umgeftaltung der 
einen oder der andern Art erfahren müffen. Sie werden erſt dann blei⸗ 
bend wieder eingeführt werden fönnen, wenn die Werke eines Mozart 
und Beethoven aus unfern Häufern verfchwunden, wenn Bach und Häns 
dei von dem flegreich betretenen Wege zurüdgedrängt, wenn die Lieder 

Nade, Jahresbericht. X. 35 ‚A 


346 5 Geſang. 


unſerer Kinder verſtummt find! — Die nicht rhythmiſch⸗wechſelnd ges 
ſchriebenen Ehoräle dagegen entfpredhen unferen muſikaliſchen Geſetzen, 
ihre Einführung if wünfchenswerth, ihre Einführbarkeit — zweifelhaft, 
wenigftend von gewiſſen, ſehr mefentlihen Borbedingungen abhängig. 
Hindernd bei einem jeden jchärfer gegliederten rhythmiſchen Gefange ifl 
die Orgel; denn er widerfirebt ihrer Natur, daher iſt es eine arge 
Täufhung, ſich nach erfolgter Wiedereinführung des rhythmifchen Cho⸗ 
rals eine fortgefeßte Orgelbegleitung zu denken. Die Orgel kann und 
darf nur bei dem allmäligen Uebergange behülflih fein; je früher man 
fie dann ſchweigen läßt, um fo förderlicher wird es fein, denn fle wirft, 
ſelbſt beim vorfihtigften Gebrauche, öfter verdediend, als leitend, und wird, 
ehe man es ahnt, ganz naturgemäß wieder zum ausgeglichenen Ehorale zurüds 
führen. Ein wohleingefungener Sängerhor von Knaben darf nicht fehlen, da 
die Gemeinde fih den Singſtimmen leichter anfchließen, und diefe letzteren 
ſelbſtverſtaͤndlich bei weitem nicht fo leicht dominirend erfcheinen werden, ale 
die Klänge der Orgel. Glaubt man aber die Orgel nit entbehren zu 
fönnen, worüber ja einige wohlvorbereitete Verfuche einen hinreichenden Aufs 
ſchluß geben dürften, fo verfchließe man in feiner Neigung für's Alte, oder in 
dem Beftreben, ihm gerecht zu werden, nicht das Auge den Bedingungen, welche 
dem Choralgefang die ung überfommene Umgefaltung gaben und geben müfs 
fen; man überfehe nicht die verfchiedenen Verfuche, die gleich im erften Jahr⸗ 
hundert der Kirchenverbefferung zur Herftellung, Reinigung und Leitung 
gemacht wurden; man fuche, was nothwendig war, nicht als das Ers 
gebniß der Laune darzuftellen, und hüte fi) vor Allem, den Dienft der 
Drgel, der in der Kirche unter dem Auge und zur Ehre Gottes empor» 
gewachſenen Orgel, indem man fie mit fih ſelbſt in Widerfprud febt, 
zu einem innerlih unmwahren zu machen.“ So weit Ritter. 

A. W. Gottſchalg, ein Gegner des altrhythmifchen Chorals, 
(vergl. den IX. Jahrg. des Zahresber. S. 310) hat fih doch, wie er 
in der Allgem. deutſch. Lehrerzeitung mittheilt, durch feinen 
jungen ftrebjamen Geiftlichen veranlaßt gefunden, einen Verſuch mit der Eins 
führung der fraglichen Weifen zu maden. Er fäuberte fie von ihren „Deh⸗ 
nungen, melismatifchen Berzerrungen und ärmlichen Harmonien“ und 
paßte fie dem jegigen Mufifzuftande an, ohne jedoh den Grundtypus 
kirchlichen Gefanged zu verwifchen. In Ddiefer „neuen Geftalt‘‘ brachte 
er die Choräle an die Gemeinde, die fie leicht faßte und willig aufnahm *). 
So hatte die Angelegenheit ihren guten Fortgang; als jedoch ein 
anderer Geiftlicher fam, „der an diefer Singmweife kein Behagen findet,“ 
mußte man fie wieder fallen laffen, obſchon oft gefragt wurde, warum 
nicht mehr rhythmiſch gefungen werde, „da es doch etwas Schönes ge 
wefen ſei.“ 

31. Der heutige Choral. Daß derfelbe in den meiften Kirs 
hen tadelnswerth vorgetragen werde, das wird auch von feinen Vertre⸗ 
tern meiſtens bereitwillig zugeflanden. „Diefer gerechte Tadel trifft euch 


r Nur sin Cinziger erklärte diefe Weifen für „Schelmenflüdchen‘ und vers 
lieh fofort Die Kirche wenn eine ſolche angeſtimmt wurbe, 





Gefang. 347 


deshalb,“ fo ſagt H. in B. a. a. O., weil ihr in den ganzen Choral 
feinen Rhythmus bringt, indem ihr eine Fermate 3, die andere &, die 
dritte 5 Viertel haltet und für die Zwifchenfpiele fein geregelt Maaß 
habt. Eine Fermate von A Bierteln und ein Zwifchenfpiel von 5 Biers 
teln iR Schon Unordnung, eben fo umgekehrt. Die neue Zeile muß 
allemal mit einem erſten oder dritten Biertel beginnen oder, bildet fich 
durch beſtimmt gemeflene Fermate und rhythmiſch richtiges Zwifchenfpiel 
ein J⸗Takt, — mit einem fünften Viertel. Das müßt ihr auf dem 
Papiere üben, um euch Far zu werden.’ 

8 ©. empfiehlt a. a. O. 10 Punkte: Ein nicht zu langſames 
Zempo — Entfernung aller Zwifchennoten, Schnörkel und Schleifen — 
Halten auf gute Ausfprahe — Berpönung des Schreiend — gleiche 
Dauer ber erfien und zweiten Syibe beim Anfange des Berjes — Auss 
Hlingenlaffen der Drgel vor dem Anfange des Geſanges — Bermeidung 
des zu ſtarken Orgelipield — kurze Zwiſchenſpiele — zeitmeilige Weg 
lafjung der Zwiſchenſpiele — Anerkennung aud der neuern LXieder und 
ihrer Weifen, „die nicht minder aus frommen, gläubigen Gemüthern 
kamen, als die alten.’ 


VI. Specififh Katholiſches. 


32. Allgemeines. Ueber die geſammte katholiſche Kirchen⸗ 
muſi! verbreitet ſich der umfaſſende und gediegene Aufſatz: „In 
Sachen der Kirchenmuſik an die katholiſchen Vereine 
Deutſchlands“ in der Augsb. Poſtzeitung, aus welcher derſelbe in 
die Urania überging. „Welches die rechte Kirchenmuſik ſei? Ja, wer 
einmal Das fo recht eigentlih fagen könnte! Ich will es verfuchen, 
meine Herren.” .... Nach einer unter 1. gegebenen Einleitung, bie 
Geſammtentwickelung der kirchl. Tonkunſt betreffend, folgen dann unter 
1.— VI. die praktiſchen Ausführungen und VBorjchläge II. Choral 
und Lied, angemeffen harmonifizt, haben ihre Berechtigung. Aber nicht 
überall fol das Volk fingen. Wir wünſchen der kleinſten Kirche ein 
moͤglichſt flarkes, befonderes Gefangperfonal, in deſſen Weifen das Volk 
nur bei geeigneten Anläffen einfimmen fol.‘ III. Neben Choral und 
Lied, die an den einfachen Sonntagen ac. ihre Stelle finden, fol der 
tontrapunktiſche Geſang, der freilich einen wohlgeübten, gut beſetz⸗ 
ten Saͤngerchor fordert, in Anwendung kommen, und zwar an den höch- 
Ren Feſten, „wo die eier der erhabenften Geheimniffe zu heiligem Ernfte 
mahnt.‘ IV. Was die Begleitung des Gefanges durch Inftrumente bes 
trifft, fo if nur ihr Mißbrauch verwerflih... Alles ift mißbraucht 
worden: der Contrapunkt zu ſcholaſtiſcher Grübelei und Bleinlicher Spitz⸗ 
findigkeit, die Inftrumente zu tollem Lärm und wehmüthigem Geflüfter, 
die Sarmonie zu beſtechendem Effect und plölicher Ueberrafhung. Machet 
aus demfelben Leder neue Schläuche und gießet alten Zohannisberger, 
will fagen „Liebe aus Glauben‘ hinein: Den will ich fehen, der ſolchen 
Bein verachtet.“ — V. In Oeſterreich hat der Erzbiſchof das Schwe i⸗ 
gen der Ruſik unter der Wandlung befohlen. So ſollte 15 

. 


548 Geſang. 


überall gehalten werden. VI. Betrachtungen über Beethoven'ſche Muſik, 
mit dem Gegenftande der Abhandlung nur im Schlußfage: „Die Muſik 
iR, wie jede Kunft, der Spiegel des Zeitgeiſtes“ zufammenhängend. 
VII Die contrapunftifhe Muſik iR wie aus dem Mittelalter herausges 
geſchnitten. Sie iſt wirflih ein Stüd Zeitgeift, in einem Stüde der 
ganze Geil. Später fam die Herrſchaft der Melodie, wit ihr der 
Berfall. Eine Umkehr ift nothwendig. ... „Iſt denn Seiner unter ung, 
der Künftler, Dichter und Seher genug wäre, uns die Bahn vorzuzeidhe 
nen, die wir wandeln follen fortan?...... Der es Tonnte, ift nicht 
mehr; auch bat er uns niemals angehört. Er hieß Mendelsſohn⸗Bar⸗ 
tholdy.“ VIII. Die heutige Kunft fpiegelt den Geift unferer Zeit ab, den 
Geif der Regation..... Wahrheit und Schönheit werden erft wieder 
bei. un einkehren, wenn wir einmal den Muth.... haben, die Regation 
zu negiren, das Gegentheil, nämlich das Göttliche, Heilige zu poniren, 
in uns felbft zu poniren..... Hingabe feiner ſelbſt an Gott if Selbſt⸗ 
gewinn.... Wer fih zum Gefangenen Gottes macht .... bat fi 
als freies Gefhöpf in der Selbfiberrfihaft.... Auch die Kunſt muß 
wieder Gott dienen, wenn fie frei und ihrer felb würdig werden will...‘ 

33. Ballfahrts» und Prozeffionslieder. . „Uebel ſteht 
es,“ fo fagt der Deflerr. Schulbote a. a. D., „um die religiöfen 
und heiligen Befänge, die bei kirchlichen Prozeffionen und öffentlichen 
Wallfahrten follen gefungen werden, wenn die Schule nicht vorforgt. 
Es wird unter dem Namen geiftlicher Lieder allerlei Zeug von Leuten, 
die damit haufiren gehen, oder an Wallfahrtsorten ſich binlagern, aufges 
fauft, und die Melodie dazu durch ein eins oder zweimaliges Borfingen 
der Liederfrämer eingelernt. Der nichtsfagende, häufig auch ganz uns 
firchliche, dem Ausdrud und Styl der Sprache nad des heiligen Zwedes 
völlig unmwürdige, gewaltfam in Verſe gefnebelte rohe Text fann nicht 
nur den gebildeten Sänger, welcher ſich böchftens an der Melodie unter- 
hält, nicht erbauen, fondern er muß den gebildeten Zuhörer vollends an⸗ 
efein und im Eifer für die heilige Sache entrüften. Es wäre wirflid 
wünſchenswerth, bei Wallfahrten und ähnlichen religiöfen Gelegenheiten 
die Gefänge im Allgemeinen ftreng zu beauffihtigen und durdaus nicht 
zu geftatten, daß andre Lieder als foldhe, welche in gedrudten und mit 
bifhöflicher Approbation verfebenen Geſang⸗ oder Andahtsbüchern ent⸗ 
balten find, gefungen werden; ja einzelne fogenannte geiſtliche Gefänge 
und Ballfahrtslieder, welche größtentheils nur aus Speculation zufammens 
gekoppelt und von Hauſirern feil geboten werden, follte man gar nicht 
zum Drud zulaffen, oder den Handel damit verbieten‘ u. |. w. 


C. Säule und Haus. 
1. Die Säule. 
a. Allgemeines. 


34. „Wir wollen etwas fingen.” „Eo iſt, ald ob mit die 
Ten vier Worten bei Schulprüfungen, oder auch fonft, die Sonne durch 


Geſang. 549 


die Wolken bräde, und ihre Iufligen Strahlen in der düftern, dumpfigen 
Schulſtube auf einmal neues Licht und neue Farbe erweckten, ale ob 
eine frifche froͤhliche Luft zu den Fenſtern bereinftrömte, und aller Orten 
Luft und Leben aufgeben ließe, wie die Frühlingsſonne im Lenzmonat. 
Die Gemüther werden friſch, die Züge erheitern ſich, die Augen glänzen, 
und die Kehlen bleiben dann auch nicht zurück, wenn der Lehrer nur halb⸗ 
wege Geſchmack hat und fingen läßt, was die Jugend verfieht und freut 
und bei fröhlichen Liedern das Tempo nicht zu ſchnell nimmt. Go ein 
Artikel in den Bollsfhulblättern aus Thüringen. Den Grund 
diefer Erfcheinung findet der Berf. ſowohl in dem Inhalte der. Lieder, 
wie in der Mufll. „Aber es if noch etwas: Das Kind ift gern thäs 
tig und ift froh, wenn man ihm etwas zu thun giebt, was innerhaib 
des Kreifes feiner Einfiht und feiner Kräfte liegt. Das Kind freut fich, 
wenn ed mit Andern zufammen thätig fein fann, der im Ber 
eine verflärkten Kraft. Das Kind fieht und hört gern, was es mit 
Andern vereint zu Stande bringt. Diefe drei Beobachtungen ers 
geben fih beim Gefange und find eben fo viele goldene Regeln für die 
Behandlung des Schulunterrihts.  . 


35. Biel des Unterrichts. „Die Aufgabe des Gelangunters 
richte iſt nicht, möglichft viele und immer neue Lieder und Weiſen fin 
gen zu laflen, die einflaffige Elementarfchule zu einer Borfchule mufls 
Balifcher Kunſt zu machen, oder einen Chor beranzubilden, der mit mehr- 
Rimmigem Geſange glänzen kann; fondern Schüler zu ziehen, die von 
der unterfien Stufe an bis zur oberflen fleißig und zu ihrer Luft ge 
übt find, eine mäßige Anzahl edier Lieder, geiflicher wie weltlicher, und 
zwar die vollffändigen Terte, zuvörderſt nach dem Gehör, einflimmig 
rein und wohllautend zu fingen, und darin fo ficher geworden find, daß 
fie einzeln und ohne Hülfe, weder eines Buches noch des Lehrers noch 
der Mitihüler, die eingeübten Lieder fingen können. Nur wo diefes Biel 
erreicht iſt, darf mehrſtimmig gelungen werden.” Anmwelfung zur 
Ausführung der in den Grundzügen, betreffend Einrich— 
tung und Unterricht der evangelifhen einflaffigen Eles 
mentarfhule, vom 3. Detober 1854 getroffenen Befim- 
mungen über den Unterriht für die evangelifhen ein 
Slaffigen Elementarfhulen der Rheinprovinz. 


Merling weiſt a. a. D. auf die Wichtigkeit richtiger Abmarkung 
des Gefangzieles hin und nennt dann als diefes Ziel „das Lied, das 
einfache, volksthümliche.“ ...... „Alles was darüber hinausgeht, gehört nicht 
mehr in den Bereich der Schule, fondern in das Gebiet der Privat⸗ 
Rudien. Das Terrain, auf dem ſich die Liedform bewegt, foll und kann 
der Schüler bei feiner Entlaffung in’s Leben mit Leichtigkeit beherrſchen 
und deshalb wird er fih auf demfelben fo recht wohl fühlen und daſ⸗ 
felbe zu feinem eigenen Heile nah jeder Richtung bin aud ferner zu 
erforfhen und auszubeuten bemüht fein. Das Lied enthält die einfach. 
fen und darum anfprecendfien Kunftformen. Schwierigere und com» 
plieirtere Runftformen würden den Schüler mit Scheu erfüllen und ihm 


"350 | Geſang. 


vielleicht mit dem Gedanken bed Unmoglichen bie Pflege einer Kunſt 
verleiden, die ja alle Herzen zu gewinnen und zu veredeln beſtimmt iſt. 

36. Keine halbe Leiftung in der Schnie! Bas gefum- 
gen wird, fol gut gefungen werden. — Diefer Grundfag iſt mehr und mehr 
in feiner Wichtigkeit erfannt und namentlih au von Bormann, 
Merling, Wehe und Ballien mit aller Entfchiedenheit zur Geltung 
gebracht worden. So weit 3. B. Ballien in Löw’s Bid. No» 
nats ſchr. auf correcte Ausfprache, Zactrichtigkeit, Reinheit der Intonas 
tion, Beobachtung der Bortragszeihen, vor Allem aber auf gute Ton 
bildung (richtigen Anfaß, angemeffenes Wachen und Schwinden bes 
Zones, Dermeiden des Prefiens und Quetſchens) ald auf unumgäng- 
lich notbwendige Eigenichaften des Geſanges bin. 

387. Auswendiglernen der Terte. „Der Menih fingt erft 
. dann, wenn ein Gedanke, eine Empfindung in ihm fo lebhaft wird, daß 

‘er dem wörtlihen Ausdrud für fie noch den Ton binzufügt...... Pier 
aus folgt, daß zu der Einübung eines Chorals oder eines Bollstiedes 
er dann geichritten werden kann, wenn der betreffende Zert 
fider auswendig gelernt if und von Einzelnen, fowie im Chor, 
nicht nyr lautrichtig, fondern ſch dn’gefprochen wird. Bormanna.a.dD. 

Uebereinftinnmend hiermit fagt Merling: „Alle Lieder find dem 
Gedaͤchtniſſe feſt einzuprägen ...... damit der göttliche Inhalt von Poe⸗ 
fie und Muſik das Findliche Gemüth tief durchdringe.“ 

38. Berwendung der eingeübten Gefänge Sie ent 
fpriht, wie Bormann fagt, dem Geifte des Kernens in der Volksfchule 
überhaupt, und if darum von großer Wichtigkeit. „Choräle alfo bei 
den Schulanfängen, in der Religionsftunde, bei befonderen Schulandach⸗ 
ten, endlich aber im Sirchengefange ſelbſt. Volkslieder im Anſchluß an 
‚bie Lefeftunde, in Verbindung mit der Baterlandsfunde, bei der Feier 
vaterländifcher Gedenktage 2c. — außerdem als Belebungs- und Erfri⸗ 
ſchungsmittel, wenn beim Unterrichte die Aufmerffamkeit und geiſtige 
Zhätigfeit der Schüler nachläßt.“ 

In demfelben Sinne fagt die Anweifung für die einkl. Ele 
mentarfhulen der Rheinprovinz: „BZunähf kommt es darauf 
an, bie Kinder zu einfahem und würdigem Gefang bei den Andachten 
der Schule und bei deren fefllihen Feiern, ſowie als gelegentlide Er⸗ 
munterung während des Unterrichts, und zu lebendiger Theilnahme am 
Geſang beim Bottesdienft der Gemeinde und bei den Hausandachten, 
fowie zu frifcher Benupung der erworbenen Uebung im Kreife des Fa⸗ 
'milienlebens zu befähigen.‘ 

In ähnlicher Weife äußert fih Merling an mehreren Stellen fei- 
ner Schrift. Wenn übrigens derfelbe fagt: „Auch in Toöchterſchulen 
- (höheren) müffen von Zeit zu Zeit Schulgefangfefle gefeiert werben, wie 
es in Gymnaſien und Nealfchufen geſchieht,“ fo möge das wenigftens als 
Gegenftund weiterer Prüfung und G@rörterung bier angeführt fein. 
Meriing feiner Seits feht hinzu: „Daß dergleichen Feierlichkeiten ge⸗ 
rade bet Mädchen etwas Bedenkliches haben follen, ift wohl nur ein 

Vorurtheil. Jeder Schulvorſtand wird ein ſolches Arrangement in ber 


Belang. Sy 


Zeierlichkeit ſowohl, als in der Wahl des Auditoniums zu dreffen wiſſen 
daß dadurd alle Bedenken befeitigt werden können.“ 


bh Der Choral. . 


39. Die Pflege des Ehoralgefanges if abermals vielſei⸗ 


tig empfohlen und angeordnet worden. Merliug nennt die Choräſe 
„die wichtigßen Hebel zur Förderung religiöfer Erbauung.‘ Mit befon- 
derer Wärme verbreitet Ah u. A. auch ein Artikel im Miedienburger 
Schulblatte: „Die Pflege des geiſtlichen Liedes“ über dan 
Choral. „Wenn Jemand das geiftliche Lied in der Schule nicht ken⸗ 
wen, fingen und lieben lernt, wo foll er es denn lexnen? Und vergehs 
lih barren wir anf die Wiedereinführung der Hausandachten, bis die 
Bamilien fangesfähige Hausgemeinden geworden find.‘ 


Bie 3. W. Sering in dem Borworte zu feinen Choralheften jagt, 
hat die Septzeit „das unferm reichen Schag von Kirchenmelodien im 
Laufe der Zeit angetbane Unrecht — die vielfachen Abweichungen von 
der Urmelodie — wieder gut zu machen und die urfprünglide Weiſe 
wieder in ihr gutes Recht einzufehen.” Daß die Einführung der leß- 
teren in die Kirche (wenn auch ohne urfprüngliche Rhythmen) bet voller 
Dingabe des Geifllihen und des Lehrers recht wohl ‚möglich fei, habe er 
mehrfach erfahren. 

Ich meinerfeits habe manches Bedenken gegen eine allgemeine und 
durchgreifende Reform in diefer Richtung. Ich kann die Entfernung der 
Barianten für eine Angelegenheit von fo hoher Wichtigkeit nicht erachten, 


daß man um ihretwillen fih über die unvermeidlich damit verbundenen - 


Störungen hinwegfegen müſſe. — Ein Anderes ift es mit der Befeitis 


gung ‚jener Schnörkeleien und Melismatifirungen der Melodien, die in - 


manchen Gemeinden vorfommen. Gegen diefe Entitellungen des 
Chorals muß, wie u. U. auh Merling fordert, entſchieden angelämpft 
werden. Der fchon genannte Auffag im Brandenb. Schulblatte 
redet freilich dagegen wieder zu Gunften einer Uniformität der Melos 
dien, wenn ſchon er Dies in befchränfendem Sinne und einer fehr maaß⸗ 
sollen, mehr vermittelnden als in ſchroffen Gegeniäben fich gefallenden 
Beife thut. „Man follte doch wenigftens in Meineren Kirchenkreifen, etwa 
in einer und derjelben Didzeje oder in einer und derſelben größeren 
Parodie Einfimmigfeit herbeizuführen verfuchen, damit nicht die HER 
widerlichen Störungen noch länger bleiben, die entfichen, wenn ver» 
ſchiedene Leute bei demfelben Choral nad verſchiedener Weiſe fingen. 


Die Boltsfchule kann hier Hülfe bieten, und der Schylinfpertor muß - 


darauf halten und .ernfllih darauf Halten, daß fie es Ahut....... ‚Soll 
aber die Schule im Stande fein, den wahrlich nicht leichten Kampf mit 
einer Gemeinde aufzunehmen, fo muß fie natürlich dazu wohl gerüftet fein.’ 
Eiwa 40 Ghoräle, und zunächſt nicht mehr, follen bis zu zäber Feſtig⸗ 
keit eingefungen, die Stimmen der Kinder möglichſt ‚gelärt, die Kinder 
ſelbſt aber angehalten werden, ‚daß fie auch wiyflih in die Kirche kom⸗ 








552 Geſang. 


⸗ 
men, um bie der Schule obliegende Einwirkunge beim öffentlichen 
Gottesdienfte auszuüben. 

40. Die Zahl der einzuübenden Ehoräle wird verſchie⸗ 
Den angegeben. So eben wurde die Zahl 40 genannt, freilich unter 
einer befondern Borausfegung. Das Mecklenb. Schulblatt meint 
6. a. D. unter der Borausfegung einer vielfältigen Praxis des geiſtli⸗ 
Ken Liedes in Schule, Kirche und Haus, ‚daß hundert Lieder und Mo 
lodien nicht zu viel find.” Die Mehrzahl der Lehrer wird dem doch 
nicht beflimmen fünnen. Die meiften Geſangbücher enthalten freilich eine 
fo große Zahl von Melodien; es frägt ſich aber fehr, ob es die Auf⸗ 
gabe der Schule fei, fe alle einzuüben, und ob nicht die Einwirkung 
der Kirche felbft auf die den Gottesdienſt befuchenden Kinder und Crwach⸗ 
fenen mit Recht ebenfalls in Anfchlag zu bringen fei. 

41. Einſtimmigkeit und Mehrkimmigfeit des Chorals, 
Merling fagt: „Der Choral ift Gemeindegefang und als folder der 
Einfimmigfeit überwiefen, und vorberrfchend einfimmig follte er aud 
in den Schulen gefungen werden.’ Hat man die Weberzeugung ger 
wonnen, daß die Choralmelodie Cigenthum jedes Geſangſchülers gewors 
den if, fo möge man diefelbe mehrſtimmig fingen laſſen. Belonders 
fingen die Schüler gern einen zweiftimmigen Choral, aber nur einen 
ſolchen, deffen zweite Stimme fie leiht von ſelbſt finden. Das möge 
denn für den Lehrer ein Fingerzeig fein, nur die Choräle zweiftimmig 
fingen zu laffen, welche natürliche, ungefünftelte Sarmonieen erzeugen.‘ 
35 bin nit für den, allerdings auch von Andern empfohlenen ‚Ras 
tur⸗Second“ beim Choral. 


ec. Das weltliche Lied. 


42. Seine Beredtigung „Das weltlihe Lied.... wünfde 
ih aus der Schule fort. Es ift Luxus, und wir leiden noch Mangel 
andem Nöthigen.“ So heißt es in dem ſchon erwähnten Auffage „Ueber 
bie Pflege des geiftlihen Liedes im Mecklenb. Schulblatte. 
Diele Anficht ſteht faſt ganz tfolirt da. Allgemein wird die Berechtigung 
des weltlichen Liedes anerkannt, wenn ſchon die Meinungen über feine 
Dedeutung und über die Art feiner Pflege zum Theil noch wefentlidy 
auseinander gehen. 

43. Schuls und Lebensgefang. Die SHauptdifferenz der 
Meinungen betrifft das Berhältniß des Schulg efanges zum 
Lebensgefange. Ich ordne die folgenden Mittheilungen mit vorwalten- 
der Rückſicht auf diefe Differenz. Rittinghauſen in feinem Auflage: 
„Weber Sefang und Lieder,” Allgemeine deutfhe Lehrer 
zeitung Rr. 16, weil auf die in Sachen wie am Rhein und anderwärts 
beobachtete Erfcheinung hin, Daß der Volksgeſang nit veredelt 
fei, daß das Bolt feine Baffenlieder lieber finge, als gut gehaltene 
Schul⸗, ja zum Theil Volkslieder. Man habe feit Jahren alles Mögs 
liche gethan, dem abzuhelfen; man babe berechtigte Tette, berechtigte Weir 
fen durch die Schulen dargeboten,... es habe nichts geholfen. Woran 





Geſang. 553 


Tiegt das? 1. „Das Bolk fingt Lieder von Liebe und Bein, von Liebes, 
web und Liebesheldenthat, Lieder zu der Stimmung bei fröhlichen Ge⸗ 
lagen ..... .; ſolche Lieder aber dürfen in unfern Schulen nicht Eingang 
finden. Hätten die Schullieder volfsmäßigen Inhalt, fie würden im 
Volke fpäter gäng und gebe bleiben und immer mit gefungen werden.’ 
— 2. „Das Boll lernt feine Lieder zwang- und harmlos und fingt fie 
von freien Stüden, mit Luſt und Gewinn, „weil es fo flott gebt.‘ 
Und nun halte man dagegen die Methodik, nach der ein Kind ein Schul- 
lied lernt, lernen muß. Welche Bedanterie findet dabei ſtatt! Meiſtens 
Alles gezwungen. Den Text verfieht es nicht, die Melodie faßt es nicht, 
es muß fingen um des Lehrers willen, der fonft ein mürrifher Mann 
iR und fhlägt und Arreſt giebt. Geht endlich mit aller Mühe ein Lied, 
haben die Stinder nad manchen Strapazen die erzielte Höhe erreicht, fo 
wird das Lied in Freuden ein paar Mal gefungen, und dann Zutfchirt 
man weiter, wieder durch Raubes und Dorniges, dur Thränen und 
Beh, und vergißt gern über dem Neuen das Alte, weil man es zu 
Nichts hat gebrauchen lernen. Kein Wunder, wenn das Kind fpäter 
die in's Leben mit Mühe gebrachten Lieder meift haßt, fie nie oder fel- 
ten fingt, und gern an ihrer Stelle ein Erfagmittel auch nur in leid» 
liches Bolksliedern fucht ımd findet. So troden und profaifch das nach⸗ 
herige Leben der Menfchen nach der Schule auch immerhin fein mag, es 
liegt Doch viel Poetifches darin, und für diefes bat die Mafle des Volks 
regen Sinn, aber fo reizend wir auch das Schulleben darftellen mögen, 
poetifchen Sinn muß und Tann es nicht erweden, weil es ſelbſt zu try⸗ 
den, pedantiſch und quälend if; wo aber Sang und Klang foll fein, da 
muß Poeſie vormwalten.“ 

In demfelben Sinne, nur unter dem Einfluffe noch tiefer gehender 
Erwägungen, if der Auffah: „Die Schule und das Volkslied" in 
dem Medlenburger Schulblatte gefchrieben. Der Verf. verwirft 
niht das weltliche Lied im Schulkreiſe, ‚Relit aber geradezu 
Die Pfliht der Schule in Abrede, weiter hinaus zu wirr 
ten. ‚Bas brad und wüſt liegt auf dem Boden unferes Vollslebens, 
das fol die für „allmächtig““ gehaltene Schule anbauen und in grüne 
Auen verwandeln; durch fi? Toll die Bildung gehoben, Vollsglück bes 
gründet, Gottesfurht und Frommigkeit ins Leben gebracht werden; auch 
fol fie den verflummten Volksgeſang wieder zum fröhlihen Erklingen 
bringen. Ghemals, ale das Volt noch dichtete und fang, follten da 
wohl die Schulen den Impuls gegeben haben? — Ganz gewiß nicht; 
jegt aber, wo Gang und Klang verſtummt if, fol die arme Schule das 
für auffommen, daß das Leben wieder voll Boefie und Liederklang werde. 
Und durch welche Mittel foll fies ausführen? — Dadurch, „daß fie das 
echte, deutfche Volkslied in Pflege nehmen und dur Wiederbelebung 
defielben eine neue Bildungsfhule für das deutfche Vollk herftellen ſoll.“ 
Es gab allerdings eine Zeit, wo das Volk ſich felb und feine Geſchichte 
aus feinen Liedern kennen lernte, wo es feine Gigenthümlichkeit in Lies 
dern ausprägte und fertpflanzte; wenn uns aber in heutiger Zeit diefe 
Bildungsjchule fehlt, fo haben wir. dafür auch andere Bildungsmittel, 


384 Belang. 


weiche die „gute, alte Zeit“ nicht kannte und hatte. Freilich wär's vet 
ſchoͤn, wenn wir die unfrigen behalten und jene bes elten Zeit noch ba» 
zu nehmen Tönnten; ob aber die Schule im Stande if, Dielen guien 
Griff rüdwärts auszuführen, if eine andere Frage.‘ Der Berf. führt 
nun aus: 1.daß man nur die wenigften Volkslieder, da die allermeiften 
von der Liebe handeln, mit gutem Gewiſſen in die Schule bringen könne. 
Selbſt die patriotifchen Lieder find ihm zum größeften Theile wegen ihres 

geringen poetifchen Werthes ohne Bedeutung. Er jagt 2., die Schön 
beit der Vollsmelodien ſpreche allerdings für ihre Aufnahme in die 
Säule, allein felten fei ein paflender Tert zu finden, und außerdem ge 
reiche, wenn der Driginaltest in der Gemeinde lebe, der Sculgelang 
derfelben zum Aergerniſſe Ueberhaupt fei 3. nicht einzufehen, warum 
gerade die Schule für Conſervirung folder Sachen forgen folle, die gar 
nicht für fie beſtimmt und paffend find, welche ohne ihr Zuthun entflan» 
den und ohne ihre Beibülfe ih theilmeis nod erhalten Haben..... 
Boltsmelodien find folde, die nicht von Kindern, fondern vom Volke 
gefungen werden. Alles hat feine Zeit. Die Trennung der Volksterte 
von ihren Melodien if eine Gewalithat.... Die Schule fol fih nicht 
damit abquälen, den Kindern einen Liederfchag für Die Reife Durchs Les 
ben mitzugeben. Sol ängfllihes Sorgen für die Zukunft taugtübers 
all nichte.... „Wer dem Leben vorausgreift... der wird erfahren, daß 
fih das Leben auch zu rächen verfieht” u. |. w. Aus diefem Geſichts⸗ 
punkte erfcheinen A. felbf die volfsthümlichen Lieder neuerer Dichter , fo 
fhön fie an fih fein mögen, dem Verf. als fraglih. ‚Man fühlt ſtets 
das Unnatürliche, wenn Knaben fingen: „Was blafen die Trompeten‘ x. 
„Schier dreißig Jahre biſt du alt“ zc. „Ich hatt’ einen Kameraden‘ x. 
„Morgenroth“ ze. und man fühlt e8 um 'fo mehr als eine altfluge 
NRachäfferei, wenn man Gelegenheit gehabt bat, ſolche Lieder aus den 
Meihen wmarfchirender Krieger zu vermehren. — Es folgen dann 
5. Andeutungen für das Richtige. „Der-Schulgefang beichränfe fid auf 
Lieder, die des Kindes Herz und Phantafie anfprechen und büdend er 
regen,’ und zwar nur mit Rädfiht auf die Gegenwart, nicht im Ins 
terefie einer unmittelbaren, unbefimmten Zukunft. Wenn des Kindes 
Lieder ibm zu Ergüſſen feiner gegenwärtigen Empfindungen werden, dann 
ift die kindlihe Natur zu ihrem ‚Rechte gelommen, dann haben die Lie 
der ihren Zwed erreicht und find zu einer Vorſchule für den fpäteren 
Gejang geworden. Fades und lappiges Zeug ift natürlich zu vermeiden: 
Lehrervereine und Conferenzen follen mit aller Sorgfalt die Auswahl 
treffen ; Hoffmann von Kallersichen hat eine ganze Reihe poeti- 
fer Kinderlieder geſchrieben, es fehlt alfo nit an Stoff, u. f. w. 


44. Sortfehung Wird nun im Vorſtehenden die Rothwen- 
digkeit, ja die Möglichkeit einer Hinwirkung durh den Schulge⸗ 
fang auf den Lebensgefang in Frage geftellt, fo finden wir das Ge 
gentheil, obſchon mehr oder weniger entfchieden ausgefprocden, in folgen» 
den Kundgebungen, die eben in diefem Sinne alle auf das Eine, was 
Roth thut, Hindringen: Richtige Wahl der Lieder, zu welder 





Geſang. 555 


auch gehört, daß ſie eine Tinheitlihe mb auf einen Pleinen Kreis 
befhräntte fe. 

Der Deſterr. Schuibote fagt a. a. D.: „Die gewöhnlichen 
Schullieder werden beim Austritt aus der Schule, da fie ja eben nur 
Schullieder find, größtentheit® allen gwei und dreißig Winden preidgeges 
ben. Der Züngling, die Jungfrau, der Lehrburfche, der Gefelle, der 
Knecht, die Magd ꝛc. wollen nicht mehr fingen: „Ich hab’ ein Lämm⸗ 
hen weiß wie Schnee” ıc. Wird ihnen Daher wicht von der Schule 
aus ein geeigneter Borrath von ‘Liedern mitgegeben, fo fehen fie fich bes 
gierig nah andern Liedern um; fie raffen auf, was fie bier und da 
von ſchlechten Zoten und Gaffenliedern hören’ ze. Hiernach kommt «es 
alfo doch nur darauf an, daß die Schule den .Anfprüden des Lebens 
gegenüber ihre Pflicht erklenne und erfülle. 

„Wenn es auch nicht am Liedern fehlen darf, welche fchon die Unter- 
Maffe mit Theilnahme und ahnendem Verſtändniß fingen kann, fo if 
doch die Auswahl Teinesweges nur auf fogenannte Kinderlieder, noch 
weniger auf ſogenannte eigentlihe Schullieder, deren wenige dem kindli⸗ 
hen Geifte friſche, gefunde Nahrung bieten, gu richten. Vielmehr find 
aus dem reihen Schage edler, frifcher, vollsmäßiger und von anfpre- 
chenden Weilen getragener Lieder folhe zu wählen, welche nicht bios in 
der Schule gelten, fondern an denen auch das reifere Alter fich noch 
erfreuen fann, und von denen erwartet werden darf, daß fie aus der 
Säule in das Leben übergeben werden.” Anweiſung ı., für die 
eintt. Elementarfäulen der Rheinprovinz. ' 

Im Braunſchw. Shulboten lieferte Stieger einen Aufſatz 
„ueber den Sefang der Volkslieder in den Volksſchulen,“ 
worin er, ausgehend von der bekannten Beflimmung des Pr. Regula⸗ 
tivs (wornach die Kinder „eine möglichft reihe Anzahl guter Bolkslieder‘‘ 
mit in das Leben hinübernehmen follen) im Wefentlichen Kolgendes fagt: 
„Das Vollslied gelangt mun wieder zu feinem guten Rechte in der Volks⸗ 
faule und dadurch hoffentlich auch im Volke ſelbſt. — Bisher geſchah 
zu wenig für das Volkslied; man Dichtete und componirte felbft, und 
fo fam eine Fluth von gemachten, gekünſtelten, verzerrien, ſchwächlichen 
Broducten in die Schule. — Diefer Unratb muß fort. Wir greifen 
zu dem Schatze älter, altbewährter Volkslieder, wenn ſchon mit Aus» 
wahl, da das Kind nit fingen fann, was das Herz des Jünglings 
und die Bruf des Mannes erfüllt.‘ 

Bei Bormann a. a. D. heißt 88: „Jedenfalls müſſen die aus⸗ 
zuwählenden Volkslieder folche fein, deren Zerte und Weifen aus dem 
Volke ſelbſt entfprungen find, oder, weil fie von den größten Meiftern 
deutfcher Tonkunſt Herrühren, von Mund zu Mund fortgepflangt zu 
werben verdienen. Daß Lehrer, die von ihnen ſelbſt componirten Ges 
fänge in der Elementarfchule fingen laſſen, und dadurch die in dem 
Bolle lebenden Lieder zurüddrängen, ift eine Anmaßung, die nirgend ger 
dufdet werden follte.‘ 

45. Bortfeßung.... „Haben wir niht Schufliederfammiuns 
‚gen leider in großer Zahl, wo ‚die urfpränglichen Volksliedworte den 


/ 


556 | Geſang. 


mageren, verſchleimten Moralterten weichen müffen vom guten Kind, von 
der loyalen Schülerfreudigkeit, vom. Nußen des Frühaufſtehens, vom 
Segen des Unterrichts? Lauter Salzmann » Bafebom’fche Philanthro⸗ 
pie» Brofa! Es if gleih unwahr wie unfhön, den Waldklang an 
die Holzbank ſchrauben, mit einem Sägerton ein Lied vom Tintenfafle 
zeimen.... Eben fo verwerflih, obwohl feltener, iſt der umgekehrte 
Mißgriff; grundarmfelige unfingbare Melodien in die Schulen zu brin 
gen, um frommer oder moralifcher Zerte willen. Weit beffer, man ent 
fagt allem Volkslied in der Schule, als daB man es unmahr malt. 
Ehe wir eine ächte Sammlung guter Volkslieder für die Schule befipen, 
möge man fi begnügen am Choralgefang, wo Ton und Wort gleid 
fhön und wahr find.... Die Schule tft wie alle Zudt nur Mittel 
zum Zweck; denn gleichwie alle Zucht des Geſetzes auf Chriſtus hin 
leitet, fo it auch die Schule beftimmt, die Zöglinge zur Freiheit zu 
führen, zu der Freiheit, welche zugleih Ende und Erfüllung der Säule 
if. Wer daher die Schule zum Selbſſtzweck macht, und fomit jene 
albernen Liederterte gut beißt, der verſteht auch 1 Mof. A, 26 falſch, 
als wäre die erfie Predigt jenem Zeitalter zum Lobe gefagt: fie if 
vielmehr ein Zeugniß, daß die Menſchen, der erften Welt immer weiter 
entfremdet, nicht mehr göttlich dachten, fondern an Bott durch die Schule 
erinnert werden mußten.” So E. K. im Boltsblatte 
Schließlich weile ich auf den mehrerwähnten Artikel: „Zür Ge 
fangflunden in der Volksſchule“ im Brandenb. Schulblatte 
Bin. „.... Man hat ja nun eine Anzahl Kirchenlieder ausgewählt, 
die in den Schulen des preußifchen Baterlandes auswendig gelernt wer, 
den follen .... wie denn, wenn die oberfle Schulbehörde auch eine 
Anzahl gediegener Volkslieder zur beflimmten Einübung in allen Schulen 
des Preußenlandes feſtſetzte? ... Wenn wirklich auch nur 20 wahr 
bafte Volfslieder im ganzen Preußenlande gefungen werden könnten, fo 
wäre das doch aud ein hübſcher Beitrag zu der Lebensgemeinfchaft, die 
alle Glieder eine® Volkes vereinigen fol.” .... Zür den Fall, daf 
diefer Gedanke fi nicht zur Ausführung eigne, wünfcht der Verf. wer 
nigſtens Einhelligkeit in der Wahl der Volkslieder für eine und bielelbe 
Didzefe, einen und denfelben Regierungsbezirk. *) Aufrecht zu erhalten 


*) In der Anweiſung ac. für die einkl. Säulen der Rhein: 
provinz if ein Kreis von Liedern angegeben, in welchem — die Ginübung 
von Heil Dir im Siegerkranz 2. und IH bin ein Preuße x. vor 
ausgefeßt, die Auswahl fi zunächſt nur bis zur ſichern Aneignung von 20 
Nummern zu bewegen habe. lm der Wichtigkeit der Sache willen, möge dieſes 
Berzeichnig bier mitgetbeilt fein: 1) Was blafen die Trompeten. 2) In dem 
wilden Kriegeötange. 3) Bei Kolberg auf der grünen Au. 4) Es zog aus 
Berlin ein tapferer Held. 5) Als der Sandwirtb von Paſſeyer. 6) Erhebt 
eu von der Erde. 7) Friſch auf zum fröhlichen Jagen. 8) Zottelbär und 
Pantherthier. 9) Nehmt euch in Acht vor den Bächen. 10) Feinde ringsum. 
11) Schön iſt's unterm freien Himmel. 12) Kein ſchönrer Tod iR in der 
Welt. 13) Flamme emyor. 14) Wo iſt das Doll, das kühn von That. 
15) Dem König fei mein erfled Lied. 16) Preifend mit viel fchönen Reden. 
17) Prinz Eugen der edle Ritter. 18) Gott grüß’ Euch, Alter, ſchmedt dad 





Gefang. 557 


fei dabei mit aller Strenge die Forderung, daß nur ächte, gute 
Bolfslieder gefungen werden, wo dann freilich Die meiften Lieder, wo 
man einer Bolfsweife einen neu gedichteten Text untergelegt habe, wo 
alfo die Originalität des Zuſammenhanges zwiſchen Wort und Zon 
fehle, würden fallen müſſen. 


2%. Das Baus. 


46. Berfhiedenes zur Würdigung und Förderung der 
Hausmuſik. Gufav Flügel nennt im Brandenb. Schulbl. 
„mit gutem Zug und Recht die fingende Mutter die allererfie Geſangs⸗ 
Giemientarlebrerin noch vor der Schule,’ hinweifend zugleih auf Dr. 
Eduard Krüger’s „Beiträge für Leben und Wiffenfchaft 
ber Tonkunſt,“ mo es heißt: „Wo fromme, gottesfürdtige Mütter 
in einem Hausweſen walten, da wird ficher der Gejang nicht ganz brach 
liegen, denn deren Rede bedarf nicht der fchönen Stimme, fondern viels 
mehr der Serzinnigleit und ‚wahren Religiofität..... „Es gibt gar 
nichts Lieblicheres bei den Hausandachten chriftlicher Familien,“ fagt 
außerdem ©. Flügel feinerfeits, „als Kindergefang, abgefeben davon, - 
daß ſolche Kinder fchon fehr frühe Ehoräle kennen und fingen lernen, 
die fi dem Gedächtniß unausiöfchlih einprägen.‘ 

Die Signale rügen in einer „Umfchau‘ 2c., womit fie den Jahr⸗ 
gang 1857 eröffnen, die Entartung der Hausmufll. ‚Man vergißt 
nad unjerer Meinung zu häufig, daß wir in der Stille des Haufes, in . 





Pfeifhen? 19) Schier dreißig Jahre bit du alt. 20) Hinaus in die Kerne. 
21) Morgenrotb, Morgenroth. 22) Ich hatt’ einen Kameraden. 23) Ih hab’ 
mid ergeben. 24) Stimmt an mit beilem, hohem Klang. 25) Was iſt des 
Deutihen Baterland? 26) Sie follen ihn nicht haben. 27) Auf, auf zum 
fröplihen Jagen. 23) Mit dem Pfeil, dem Bogen. 29) Im Wald und auf 
der Haide. 30) Ein Jäger aus Sourpfa 31) 35 bin vem Berg der Hirten» 
fnab. 32) Bas kann fchöner fein. 33) Spinne, Mägbdlein, fpinne 34) Komm, 
lieber Mat, und made. 35) Der Mai if auf dem Wege. 36) Alles neu macht 
der Mai. 37) Der Mat, der alle Sinne pflegt. 38) Der Frühling bat fi 
eingeftellt. 39) Seht den Himmel, wie heiter. 40) Ward ein Blümlein mir 
efhentet. 41) Sab’ ein Knab' ein Röslein ſteh'n. 42) Ich ging im Walde 
ß für mid hin. 43) Geh’ aus, mein Herz und ſuche Feud 44) Hört wie 
die Wachtel im Felde dort fchlägt. 45) Trarira, der Sommer, der iſt da. 
46) Bei einem Wirthe wundermild. 47) D Tannenbaum, o Tannenbaum. 
48) Es famen grüne Vögelein. 49) D, wie ift es Talt geworden. 50) Winter, 
Ade. 51) Der Sonntag iſt gelommen. 52) Der Mond iſt aufgegangen. 
PN Goldne Abendfonne. 54) Was kann fchöner fein, was kann mehr erfreu’n. 
55) Willlommen, 9 feliger Abend. 56) Bald ift ed wieder Nacht. 57) Die 
Sterne find erblichen. 58) Und die Sonne, fie machte den weiten Ritt. 59) In 
dem gold’'nen Strahl. 60) Wer wollte fih mit Brillen plagen. 61) Es wollt’ 
ein Mädchen brechen geh'n. 62) Web’ immer. Treu’ und Redlichleit. 63) Wie 
lieblich iſt's hiemieden. 64) Der Menſch hat nichts fo eigen. 65) Ein getreues 
Herz zu wiflen. 66) Der befte Freund ift in dem Himmel. 67) O du fröhliche, 
o du felige. 68) Ihr Kindelein,, fommet, o Tommet doch all. 69) Weißt du, 
wie viel Sterne flehen. 70) Es gebt ein fliller Engel. 71) Wo findet die 
Seele die Heimath der Ruh'. 72) Schönfter Herr Jeſu. 73) Wer if ein 
Nann? der beten Tann. 74) Aus dem Dörflein da drüben, vom Ihurm herab. 


558 Geſang. 


dem langjaͤhrigen Gange der Erziehung, in dem ungeheuren Wirrwan 
der modernen Bildung die Mufif nicht treiben, um ihrer eigenen fünf, 
lerifhen Zwecke wegen, fondern als eine Diätetil der Seele, eine Heil 
gymnaſtik des Gemüthes, die uns von den Mühen der Urbeit und des 
Studiums wieder aufrichtet und flets von Neuem des Lebens unficte 
bares Theil im Stillen in Erinnerung bringt. So betrachtet if bie 
Mufit im Haufe, bei den Jungen und Alten, fo wichtig, wie das täg 
lihe Brot, wie die gefunde Luft, das frifche Wafler und die tägliche 
Bewegung.‘ 

Dr.3. #dlfing lieferte in feiner Zeitfhrift „Das Elternhaus” 
abermals Beiträge für eine finnvolle, gemüthbildende Anmendung des 
Befanges Bei der Erziehung der Jugend, namentlich faßte er dabei den 
Familienfreis und die Elementars, namentlih aber die Kleinkinderſchulen 
ins Auge. Weſentliche Unterflügung leiftete ibm Richard Kreil 
(Schullehrer in Steinberg bei Bad Liebenſtein). Derſelbe tbeilte mehrere 
gelungene Compofitionen von Sinderliedern mit; außerdem gab er vier 
Programme zu Heinen Jugendfeflen: Frühling, Sommer, Herbſt, 
Weihnacht. Geſang und Rede wechſeln nach feiner Anordnung ans 
muthig ab; die Ging» und Spredftoffe felbft werden von ibm in wahl 
bemeffener Auswahl vollftändig- Dargeboten. 


| D. Andere Kreife, 


1. Die Männergefang-Bereine. 


47. Zur Bürdigung derfelben. In dem Auffage: „Die 
Bildungsmittel in der Geſchichte“ abgedr. in Dr. Romberg's: 
„Die Wiffenfhaften im 19. Jahrhundert” ꝛc. heißt es: „Ein 
mächtige Propaganda für die Muſik Haben Die Liedertafeln gemalt, 
Männergefangvereine, die fih in Deutfchland bis in das 17. Jahrhun⸗ 
dert rückwäris verfolgen laffen. Einer der älteften diefer ausſchließlich 
der Kirchenmuſik gewidmeten früheren Vereine dürfte derjenige fein, wels 
cher in der lebten Hälfte des 17. Jahrhunderts in dem pommer'ſchen 
Orte Greiffenberg beftand *). Die Ausgangspunfte der neuern Liedertafeln 
find die Vereine, welche Zelter in Berlin und Nägeli in der Schweiz 
gründeten. Die mehreren taufend Liedertafeln Deutſchlands, welche gegen” 
wärtig in Städten, Dörfern und Flecken beſtehen, find eben fo viele 
Candle, in denen mufifatifhe Bildung durch alle Schichten der Bevöoͤlke⸗ 


*) Die Mitglieder Dichteten geiſtliche Lieder und fegten fie felbft in Muft. 
Es exiftirt ein Liederwerk diefes Vereins in vier Foliobänden, das von 1673 
bie 1675 in Altfettin erfäpienen iſt. Der vollſändige Titel ik: Greiffenbergiſche 
Pfalter⸗ und Hartenluft wider allerlei Untufl, welde unter Gottes mächtigen 
Schutze, Kurfürftlich brandenburgifhem Gnabdenfchatten von der bafelbk Got 
Äingenden Geſellſchaft in vertraulichen Juſammenkünften durch zweier Geſell ſchafter, 
Johann Möller's geiſtliche Leder und Thomas Hoppen neue Melsdeyen, zu 
—— Gemuͤthsergießungen ordentlich angeſtellt und bewährt gefunden 

en 9* 


Geſang. 559 


rund fich verbreitet. Hätten fie auch feinen weitern Ruben, als den, 
die todte Scholle des Spießbürgertfums zu zerflüften und mit befruch⸗ 
tenden @fementen in geiftige Berührung zu feßen, fo wollten wir fie 
ihon um deswillen hochachten. Das robe Brüllen gemeiner Lieder ges 
hört bereits zu den felteneren Erſcheinungen, um fo häufiger hört man 
vierftimmig fingen. Vorzugsweiſe auf den Volkégeſang hingewieſen, 
haben die Liedertafeln in deffen Pflege Borzügliches geleiftet, und felbft 
die höhere Mufik hat ihnen Dank abzuftatten. Die Muſikfeſte, an denen 
die Liedertafeln einen hervorragenden Untheit nehmen, haben unfern großen 
Meiftern der Kirhenmufit die Möglichkeit gegeben, ihre Schöpfungen zu 
Gehör zu bringen, und zu neuen Arbeiten aufgemuntert. Die Rüdwirs 
fung diefer Feſte auf die Zuhörer und vorzüglich auf die Mitwirkenden 
iR eine außerordentliche. Die ernſte Muflt bat bedeutende Zortichritte 
in den Kern des Volkes hinein gemacht; neben den neueren Compofſi⸗ 
tionen find die älteren Meifterwerke allgemein befannt geworben.’ 

48. Repertorium des Männergelanges. Die Lieder 
tafeln ſcheinen fi zum großen Theile an den fentimentalen Mondfcheinges 
fängen und an den Kneipenſpäßen, womit fie von gewiffen Seiten ber 
fo reichlich verforgt wurden, fatt gefungen zu haben. Dan wendet fich 
feit einiger Zeit mehr dem Soliden zu, wenn au das, was zur vor⸗ 
übergehenden Ergoͤtzung dient, nicht ausgefchloffen bleibt. Möge diefer 
Umfhwung ein vollfländiger werden! Mögen die Männervereine zu 
Herzen nehmen, was in den Signalen von Greef’s „Geiſtlichen 
Männerhören‘ Il. gefagt wird: „Sn ſolchen Werken beruht das Heil 
des Männergefangwefene, das einer gediegenen Literatur fo werth ale 
bedürftig iſt.“ — Man vergleiche mit dem Vorſtehenden folgende Stelle 
ans einer Recenfion D. Engel’s in der Brendel’fchen Zeitfchrift: 
„Die Fluth des Trivialen, Bäntelfängerhaften in der Männergefang« 
Riteratur hat eine Höhe erreicht, Die wahrhaft erfchredtih if. Man fühlt 
fih gedrumgen, an vorfündfluthliche Zuftände zu denfen, wirft man einen 
Blick in die Nepertorien der Kiedertafeln, wohin dieſe Sewäfler fih naturs 
gemäß verlaufen und nachgerade zu einer Höhe angefammelt haben, Die 
wahre Nothfkände zur Folge haben mußte. Die fangesiuftige Menge if 
wohl fehr geneigt, dem Gemeinen ein williges Ohr zu leihen, doch wenn 
bie Grenze der menfchlichen Natur überjchrittn, wenn dieſe lebtere 
mißbraucht wird, wie hier gefchehen ift, fo muß Weberdruß und Widers 
wifle gegen ſolch' einen Liederjammer eintreten und das Bedürfnig, durch 
edlere Kunft von diefen Zufländen befreit zu werden, in jedes Menſchen 
Druſt erwachen. Daß ſolche Stimmungen in unfern Männergefangvers 
einen bereits wach geworden find, haben wir oft wahrzunehmen Gelegen⸗ 
beit gefunden“ u. f. w. 

49. Das Bolfslied als Männergelang. In einem Bes 
richte Aber ein Concert des Männergefangvereins zu Wien heißt es: 
„Es war eine fehr glücdliche Idee, das Volkslied in fo vollendeter Aus⸗ 
führımg in das nachgerade etwas einförmig werdende Regiſter des Männers 
geſangs hineinzuleiten. Ban bat in der letzten Zeit viel mit den Männers 
Rimmen egperimentirt und Kunftküdhen gemacht, gebrummt und gefäufelt, 





— —— — —— — — nn — — — .. 


Am 8 __ m 


560 Geſang. 


gedudelt und gejodelt, es hat ſich aber dabei herausgeſtellt, daß am 
Schluſſe dieſer Anfangs unter dem ſtürmiſchen Beifall aller Kneip⸗ und 
Tanz⸗Genies betretenen Bahn die Abſpannung und Geſchmackloſigkeit 
liegt. Jedes Zurückkehren zu der einfacheren Schönheit des Geſanges 
it daher eine wirkliche „beilfame Umkehr. (Signale 1857. 2.) 

50. Mehrfiimmige Kompofitionen fubjectiver Texte. 
Die Liedertafeln find oft angegriffen worden wegen des mehrflimmigen 
Bortrages ſolcher Lieder, die ausſchließlich fubjectiver Ratur find. In 
der That iſt e8 ohne Sinn, wenn in einem Concert vierzig Mann aufs 
treten (darunter vielleicht graubärtige Familienväter) und fi in Liedern 
wie „Du, du liegſt mir am Herzen‘ oder „Liebchen, öffne doch Dein 
Fenſter“ zc. ergehen. Man nimmt indeflen feinen Anftoß an dergleichen, 
noch weniger an der cormäßigen Ausführung von: „Zu Straßburg 
auf der Schang, „Ich hatt ein’n. Kameraden‘ und ähnlichen Liedern. 
Borin liegt das? Zur Löfung dieſer Frage kann es dienen, wenn 
Dr. Stanz Brendel in feinen Anregungen für Kunf, Leben 
und Wifjenfhaft (Leipzig, C. Merfeburger) in der Abhandlung 
„Die Melodie der Sprache Folgendes fagt: „Die principielle 
Kritit der neueren Zeit bat Anftoß genommen an der oft fehr unpafs 
fenden Zertwahl, an der mehrfliimmigen Bearbeitung folder Gedichte, Die 
ganz fubjectiver Natur find. _Die Tonfeper haben auf dieſe Weife ofts 
mals die größten Widerfinnigkeiten zu Tage gefördert, und die Kritik 
war in ihrem großen Recht. Uber es wohnt in jener Behandlungsweife 
auch eine Wahrheit, welche die neuere Kritit noch nicht erfannt Hat. 
Ein Anderes ift es, wenn die Sänger, fo zu fagen, mit ihrer ‘Berfon 
in das Kunftwerk eins, wenn fie als ſelbſtſtaͤndige Individuen auftreten 
follen. Dann erfordert auch der Vorſtellungs⸗, nicht blos der Gefühls⸗ 
inhalt des Gedichts feine Berüdfihtigung. Ein Anderes, wenn fie, wie 
oben erwähnt, nur als Klangwerlzeuge erfcheinen, wenn nur die allges 
meine Stimmung des Gedichts muſikaliſch zum Ausdrud gebracht wird. 
Trotz des logiſchen Unfinns fann hier eine gewiſſe fünftlerifche Berech⸗ 
tigung flatt finden. Auf diefelbe Weife erklärt fih auch noch gegen. 
wärtig das Verfahren der beiten Meiſter; e8 erklärt fi, daß die Kritik 
relativ im Recht ift und jene doch infinctiv nah anderen Grundjägen 
verfahren. So hat Franz, — um ein mir naheliegendes Beifpiel zu 
erwähnen, — in einer Beilage zur „Reuen Zeitfhrift für Muſik“ ein 
Gedicht von anfcheinend durchaus ſubjectiver Natur vierſtimmig behan⸗ 
delt. Die Rechtfertigung liegt hier in der alterthümlichen Art und Weiſe 
des Textes, eines Volksliedes, das einen mehr typiſchen, als individuellen 
Charakter bat. Zahlreichere Beifpiele noch deffelben Berfahrens finden 
fi bei Schumann. Trotz des logifhen Unfinns waltet hier fogar eine 
über das blos verfländige Moment hinausgehende fünftierifche Berechti⸗ 
gung vor. — Natürlih ift es nicht meine Abfiht, durch eine ſolche 
‚Lehre dem kaum balbweg befeitigten Unfinn aufs Reue Zhor und Thür 
zu Öffnen; aber die nothwendige Ergänzung, welche eine einjeitig ratio⸗ 
naliſtiſche Auffaſſung zu erfahren hat, konnte hier nicht verſchwiegen 
werden,” 








Geſang. 561 


51. Die Herren Liedertäfler werben es wohl ertragen, 
wenn in 2: U. Bellner’s Blättern für Muſik, Theater und 
Kunſt der Berichterfiatter über die Stiftungsliebertafel des Wiener 
Männergefangvereind die Bhyftognomie derartiger Berfammlungen, „‚beren 
äfkhetifcher Charakter vorzugsweife in einer ſtark ausgefprothenen Sins 
neigung zum Gaſtronomiſchen fih Fund gibt, wo die Kunfgenäffe 
für das Herz und jene andern Stunftgenüffe, welche das dem Herzen 
nabe liegende Organ eifrig fordert, einander nicht felten die Oberherr⸗ 
ſchaft ftreitig machen,’ als bekannt vorausfeßen zu dürfen glaubt. — 

52. Ein ernſtes Wort an die Serren entnehme ich noch dem 
fhon gen. Werke von Sieber: ‚Das unmittelbare Singen vor oder 
nad einer großen Mahlzeit it der Stimme entfchieben nachtheilig. 
Man kann daraus erfehen, wie verderblich die Gewohnheit der meiften 
Liedertafeln if, inmitten ihrer gefelligen Soupers oder Bwedeffen fechs, 
acht bis zehn Sefänge anzufimmen! Die Wirkung foldhes Berfahrens 
wird fi vorzüglich bei den Tenoriften fehr bald herausftellen, die 
überhaupt durdy den unausgefehten und angefirengten Gebraud ihrer 
hoben und hochſten Töne in den Männer »Gefangvereinen gewöhnlih in 
(wenig mehr ale) Jahr und Tag ihre Stimme verlieren.” — 


2. Das gefammte Boll. 


58. Ueber den Einfluß der Schule auf den allgemei« 
nen Volksgeſang äußert fih, wie im Defterr. Shulboten an» 
geführt wird, ein fehr wäürbiger Tatholifcher Priefter und Schulfreund 
- folgendermaßen: „Wenn man die Uebungen im Singen und die Ermah⸗ 
nungen zum auferbaulichen Singen fleißig und auf die rechte Art in 
der Schule fortfegt, fo wird man bald das Bergnügen haben, nicht nur 
in der Schule, fondern auch in den Häufern, auf den Aedern und auf 
offenem Feld, in den Gärten, Wiefen, Büfchen und Wäldern, hinter den 
Heerden und hinter dem Pflug das Lob des Schöpfers von allen Seiten 
erfhallen zu hören; man wird die Freude haben, wahrzunehmen, daß 
dabei die wahre Gottfeligkeit, guter Muth, Menfchenfreundlichleit, Einige 
feit und andere ſchoͤne Tugenden in der Welt merklih zunehmen.” 
Möge ſich dies beftens erfüllen! — 

54. Der geiftlide Volksgeſang. A. NR. warnt in der 
Evang. Kirhenzeitung (Rr. 89 und 90) vor der Benußung welt 
licher Bollsmelodien zur Herſtellung eines geiftlihen Vollsgeſanges mit⸗ 
teiſt untergelegter Zerte. Hierzu hat ein Ungenannter im Volksblatte 
tür Stadt und Land „ein kurzes Gegenbedenken“ gegeben. Er hält 
e8 zwar für ein gefundes Gefühl, weiches ſich gegen eine maffenhafte 
Fabrikation geiflicher Volkslieder fräubt, muß aber urtheilen, daß fi 
A. R. von diefem gefunden Gefühle in der Praxis zu einer unhaltbaren 
Behauptung in der Theorie fortreißen läßt, wenn er die Unterlegung 
von Volkomelodieen zu geiftlichen Liedern überhaupt befreitet....... 
„Dieſe irrige Theorie beruht, fo viel ich verflehe, auf zwei irrigen PBräs 
miſſen, nämlih 3) auf einem übertriebenen Rigorismus gegen das, was 

KRadı, Zahresbericht. X. 36 


562 Geſang. 


„welilich“ heißt, und 2) einer irrigen Vorausſetzung über ben Ausdruck, 
deſſen die Muſtk fähig if.” ... Zu 1) wird u. U bemerkt: „Wellliche 
Lieder, was man berfömmlih fo nennt, bilden eben fo wenig einen 
grundſätzlichen Gegenſatz gegen „geiſtliche,“ als ber „weltliche Stand" 
einen grundfäglichen Gegenſatz bildet gegen den „geiſtlichen.“ Die Be 
nennung meint nicht den bibliſchen Gegenſatz gegen das Reich Gottes, 
bezeichnet nicht, daß fie ungeiflliche, nur daß fie nicht ſpecifiſch und 
gleihfam von Brofeifton geiftlihe find; fie koͤnnen (gerade wie der 
weltliche Stand) in ihrer Art eben fo wahrhaftig, ehrbar, gerecht, keuſch, 
lieblich, wohllautend, tugendfam, Löblich fein als jene.” In Bezug auf 
2) wird gefagt, daß der Zonkunft Teineswegs die beffimmte und befims 
mende Wirkung auf das Gemüth gegeben iR, wie dem Worte und Bilde, 

. daß der Inhalt in ihr fat verfchwindet vor der fchönen Sorm, 
die das Gemüth überhaupt erhebend und bewegend anſpricht; daß fie ein 
Gefäß if, das den verfchiedenften Inhalt in fich faflen fann.... Bei 
der Vocalmuſik ift e& der von der Melodie und Harmonie nur dienend 
geiragene Zert, der den ganz vorwaltend beflimmenden Einfluß auf 
den Hörer übt. ...... Diefe und ähnliche Erwägungen führen den 
Berf. am Ende zu dem Ausfprude: ... „Die abfichtliche und fabrik⸗ 
artige Anfertigung von Liedern if allerdings nicht das Rechte. Solches 
iR überhaupt nicht die Manier zu dichten, am wenigften die, um zu 
geiftlichen Liedern, und am allerwenigften, zu Volks liedern zu ges 
langen. Uber unverwehrt fol es auch ferner fein, wenn Einer jeit 
langem oder kurzem eine gute alte Melodie im Herzen und auf den 
£ippen hat, daß er in guter Stunde, wenn der Geift über ibn Tommi 
und es ibm fo recht warn um's Kerze wird von einer Freude im Seren, 
fich ein Lied dazu fingt.... Auf diefe Art werden die alten Melodien 
„bon Neuem geboren. Und kann ein Meufh, ob er alt if, von Neuem 
geboren werden, warum nicht auch eine Melodiet.... Ob eine Mer 
lodie ſich dazu eignet, hängt nicht davon ab, was man bisher für einen 
Zert dazu gefungen bat... . fondern davon, ob die Melodie ſelbſt 
feelenhaft if, einen edlen und reinen Styl bat, ob fie Züge von der 
einen, ewigen Schönheit enthält, von ihrer Friſche, Kraft, Bartheit, 
Wahrheit (nit fowohl des Ausdrucks, denn den empfängt fie erſt, 
fondern in ihrem ganzen Bau und Wefen). Zu der Melodie alfo: „Pier 
fig’ ih auf Raſen, mit Veilchen bekränzt,“ wird ein Menſch von gefundem 
Gefühl nicht um deßwillen feinen geiftlichen Zert machen, weil fie einen 
albernsjentimentalen und noch dazu künſtlich gelehrt-frivolen, gleimiſch⸗ 
anakreontiſchen Zert befipt, fondern um deßwillen, weil die Melodie an 
Rich ſelbſt ein Ahnliches, höherer Schönheit entbehrendes Gedudel if, wie 
bie Melodie: „Eins if noth, ach Herr, dies Eine”... Ohne in Bezug 
auf letztgenannte Melodie dem Berf. beiftimmen zu wollen, meine id 
doch, daß er in der Frage von der geißlihen Umdichtung weltlicher 
Lieder unzweifelhaft das Rechte getroffen hat. Es if in der That, wie 
er geiftvoll und begeichnend fagt, in den Liedern, wie in aller Kun, 
eine lebendige, unabgebrochene, mächtige Tradition.” .:. „Die Umdich⸗ 
tungen in des Neformationgzeit find ung gerade befannt, aber es if 





Belang. 508 


nit etwa ein Neues, damals zuerſt Praktitirtes geweſen. Und eben fa 
wenig iſt's etwas Beraltetes. Diefe ewige Metamorphofe alter Lieder 
und Weiſen iR auch heute noch unverwerflih, und iſt deshalb wm fo 
beherzigenswerther, weit neue felbfigemachte Melodien in unferer Seit 
namentlich ſehr felten fo ausfallen, daß fe als Volkslieder ſortzudanern 
Bebensteaft hätten.” — 

55. Das Bolkslied. ‚Einige Betrachtungen darüber” Tieferte 
in feiner geiftvollen Weiſe U. 3. Marz in Nr. 52 der Neuen Bew 
iiner Muſikzeitung. Ih Tann es mir nicht verfagen, wenigſtens 
folgende Stelle daraus mitzutheilen: „Das Volkslied if die Unferblich« 
Reit der Muſik. Denn indem jedes einzelne ſtirbt, erzeugt fih aus dem⸗ 
felben Stoffe dab neue Lied, wie der junge Phöntr aus der Aſche des 
Vorgängers. Es if ewig daffelbe, wenngleich es in feiner Ausprägung 
nah Zeit und Ort ewig wechſelt. Es gehört der graueſten Vergangen⸗ 
beit an, wie der blühenden oder beffänbten Gegenwart; und zugkeich TR 
es die eigentliche Yukunftmufll. Es iſt die unantaflbare Muſik von 
Gottes Gnaden. — Denn fein Schöpfer und fein Inhalt ift überall und 
alte Zeit derfelbe: das Volk felber, und der in Lied übergebende Inhakt 
des Volkslebens. Was das Bolt mit regem Gemuͤthsantheil an Ereigniffen 
erlebt, oder an Stimmungen durchlebt, oder In finniger Betrachtung fich 
zum Schab feiner Seele zurücklegt: das if der unverfiegbare Inhalt 
feines Lied's wie feines Lebens. Die Volksſtimmung — die Stimmung 
jedes Volle Für fih und in jedem feiner Lebensmomente, in jeder Rich⸗ 
tung feines‘ Gemüths — das if der Grundgehalt des Vollslieds. Den 
foricht er aus, bald unachtfam daran hingehend und nur die allgemeine 
Stimmung austönend, bald — in einzelnen Momenten und Zügen — 
zutreffend, dann aber den einen Punkt mit der ganzen Kraft ungefrter, 
unverfünftelter, völlig rüdfichtlofer Natürlichkeit und Hingebung, gleich 
dem wahren Dichter, treffend. Mehr Tann und mehr mag es nich 
geben, denn mehr febt nicht aus feiner Gemütäsdämmerung in Wort 
und Ton hinein. — Aber eben deshalb if das Lied fo weit und tief, 
wie das klare Element des unergründeten See's. Jedem Sänger fpie 
get es das zuräd, was gerade Er Verwandtes im Gemüthe trägt; jeder 
fühlende Sänger trägt das hinein, was es feiner geflaltenden Bhantafe 
angedeutet und erregt bat, und fein Sänger erfhöpft den Inhalt, eben 
weil er der Allen gemeinfame, jedem ein eigends andrer if. Jeder 
natur⸗ und wahrhaftstreue Sänger findet da Gewinn, und um fo reicyern, 
je treuer er das Allen Gemeinfame faßt und die ganze Fülle feiner Ins 
dividnalität daran gibt, es in fih und durch fie zu befeelen, es gleich. 
fam zu perfönlich »leiblichem Dafein zu befeftigen. Nur dies darf ihm 
gelten, denn nur dies gilt im natürlichen Dafein des Volks. Alles was 
die Säule mit Recht oder Unreht an der Muſik gemobelt, if dem 
Bolke nebenfähhlich, die augenblidtiche Megung und deren Yeuferung das 
Befentliche und durchaus Beflimmende. Der Sänger muß eben fo willig 
iein, tsäumerifh fi von Wellenfyiel der Melodie hintragen zu laſſen, 
vorbei allen „Intentiowen ‚ die der Kunflfänger fi klüglich nicht ent⸗ 
geben laſſen würde, als beweit, alles Tact⸗ und Ebenmaaß, alles dem 

86* 


564 Geſang. 


Kunſtſanger Unentrathſame, wo der Drang bes Inhalts gebietet, gu ver⸗ 
geſſen. Da zeigt ſich denn das Unberechenbare des Bollsliebs wie der 
Boltefimme. Da mag der Funfigebildete Sänger erproben, wie wiel 
Raturgefühl und Unmittelbarkeit die amerikaniſche Malm⸗Muühle ſechsjäh⸗ 
riger Solfeggien in ihm übrig gelaffen. — Aus derfelben Natur des 
Boltstieds iſt auch zu begreifen, weshalb die tiefern Componiſten es 
wohl lieben, felten aber hervorbringen; der Gehalt ihres Geiſtes iſt eben 
nicht der allgemeine, fondern ein ihnen eigenthümlicher, eigenſter Ger 
fang’ — wie Göthe von Byron bezeugt. Der alte. Hiller, Schulz, 
der alte Reichardt, viele achtbare neuere Sänger baben Vollksliedern 
Entſtehung gegeben, andre Lieder — 3. B. das unfterblige „Allons 
enfans‘“ — find von Nichts Muflfern, andre von ungenannten Aelp⸗ 
fern, Jägern, Kriegsgenoſſen ausgegangen. Bach dagegen, Gluck, 
Beethoven Haben das Volkslied geliebt, denn fie haben es in ihren 
Werken vielfach benußt; aber dagegen geben fie ihm nichts, fo wenig 
wie Mozart; nur Haydn hat ein Lied und Karl, Marie 
Weber einige Melodien (die er zum Theil wieder dem Volle dankt) bei⸗ 
geſteuert. Das if das Volkslied. Unberechenbar if feine Wichtigkeit.” 

Dieran Tchließe fi eine Stelle aus dem Vorworte der von ber 
Agentur des „Rauhen Hauſes“ herausgegebenen „Lieder für Hands 
werker.“ ... „Leben ohne Singen if halbes Leben, und wer aus 
ganzer Seele fingen mag, deffen Herz bleibt friſch und helle, und feine 
Arbeit und Gebet haben Flügel. In's deutiche Land muß wieder die 
Zeit kommen, da in den Werkſtätten bei Hobelbank und Hammerſchlag, 
und in den Serbergen beim Trunk in der Feierſtunde, und auf ben 
Heerfiraßen, wo die Wandergeſellen ziehen, das beutfähe Volkslied men 
ertlingt, wie es unfre Vaͤter gefungen. 

Es if nicht gut, daB der Handwerfer Mund zum Singen fo ſtumm 
ward. Wenn im Wald die Lieder ſchweigen, dann iſt der Frühling 
vorbei. Durch den deutihen Wald hat ein Herbfiwind geweht, Daß 
die heiligen Lieder verfiummt find. Aber viel unfauberes Mabengefchrei 
macht fih breit, von rohen Seelen aus wühen Kehlen gefchrien - in 
Gaſſen, Werkſtaͤtten und Herbergen, davor ein Feufcher Mann roth wer⸗ 
den muß. Das zum Berflummen zu bringen und auszutilgen, if Ehren» 
ſache für den Handwerkomann.“ 


II. ®efanglehre. 


1. Der Gefanglehrer. 


56. Seine Ausrüftung. „Was verlangen wir aber von dem 
Lehrer, der die hohe Aufgabe des Geſangunterrichts in der Schule Id» 
fen fo? Nicht Birtuofentyum, dem eine glatte Technik das Hoͤchſte 
iſt, — nicht Künſtlerlaune, die es verſchmäht, zu den Unwürdigen 
in der Kunf herabzuſteigen, — nicht Unverſtand, der die Stimmen zu 
Tode hetzt, — nicht Reizbarkeit, die bei jedem Mißton bie Stirn 
in alten zieht, — nicht übertriebene Empfindfamkfeit,. der du 





Geſang. 668 


muntere Jugend Schnivpchen ſchlägt, — nicht trockene Theorie, 
die atıf leere Abſtractionen Gewicht legt, — nicht ſchulmeiſterliche 
Engherzigkeit, die unter Formenkram den Geiſt der Tonkunſt ers 
tödBtet, — nicht Gelehrtheit, die nicht aufhört, yofitiven Wiſſenskram 
anszufhütten: — Nichte von alle -dem. — Was verlangen wir von 
einem guten Gefangiehrer? 1. Einfiht in den Geift der Sprache und 
der Muſik, insbefondere in die Theorie des Gefanges und das Weſen 
des Stimmorganismus, 2. natürliden Sinn für Muſik und alles 
Schöne und Bute, 3. einen Maren pädagogifchsFritifihen Blick und 4. 
Billenstraft, Strebfamkeit und Ausdauer.” Merling a. a. D. 


2. Gtimmbildung. 


57. Rügen. Nachbem bie Pädagogik ſich jeit beinahe einem hal⸗ 
ben Jahrhundert bemüht hat, dem Geſangunterrichte in höheren und nie 
deren Schulen Ziel und Bahn beſtmoͤglichſt zu bezeichnen, fo muß es 
jegt erlebt werden, daß von dem mehr künſtleriſchen Standpunkte aus 
Ihonungsios über den Schulgefang, wie er fih im Allgemeinen darkellt, 
der Stab gebrodhen wird. — — — (8 fehle der rechte Geſangton, 
mithin die erſte, nothwendigfte Bedingung des wahren Geſanges. Die 
Urſache liege in den Lehrern! „Die Lehrer thun nichts, oder doch 
nicht das Rechte für Stimmbildung, denn fie verliehen nichts 
davon.’ Das ift der Punkt, worin die Urtheile zufammenlaufen, welche nas 
mentlih von Mr. Schladebach, Dr. Schwarz und Ferdinand 
Sieber in der bezeichneten Richtung ausgefprocdhen wurden. 8. Sies 
ber fagt: „Möchten doch die Kinder in den Schulen (fatt daß fie meis 
ſtentheils nur zum Notenlefen, Tacte zählen, Töne treffen, und Schreien 
angehalten werden) von verfländigen und gefangfundigen Lehrern in Zus 
funft mehr und mehr mit den (wahren) Grundlagen des Gefanges ber 
fannt und fo ſchon früh für die feinere Seite der Geſangkunſt empfäng⸗ 
lich gemacht werden! — Läßt fidy nicht beftreiten, daß dies in neuerer 
Zeit in manchen Schulen gefchieht, fo Lönnen doch einzelne rühmens- 
werthe Ausnahmen nicht für Die allgemeine Galamität entichäbigen.‘' 
Bollffändiges Lehrbuch der Geſangkunſt zc. 1856. — 

Sn dem Syfem der Geſangkunſt von Dr. Schwarz heißt 
68%... „Leider aber if diefe Gefanglehre (in den Gymnaften und Volls⸗ 
ſchulen) meiftentheils fo beichaffen, daß der Lehrer mit dem Rotentreffen 
und einiger Abwechſelung von piano und forte zufrieden if... In allen 
andern Schulfächern wird nur den Bewährtefien das Lehramt zugetheilt, 
im Gefangunterricht aber war es bisher faſt allenthalben dem Zufall übers 
laſſen, ohne Ueberzeugung von der Kenntniß und Züchtigleit des Lehr 
rers, ohne eine vorbergegangene Prüfung” .... 

Dr. Schladebach fchleudert Worte des härteften Tadels gegen 
den ſchlechten Gefang in Kirchen und Schulen, Familien und Vereinen. 
„Es if ein ſüßer Selbfihetrug, den die gegenwärtige Generation ſich 
vorgaufelt, wenn fie meint annehmen zu dürfen, daß die Wahrnehmuns 
gen ber Geſangthaͤtigkeit in den verſchiedenſten Kreifen zu dem Schluſſe 


866 Geſang. 

auf eine beſondere Pflege der ſchͤnen Kunſt des Geſanges in unfırer 
Zeit berechtigen.... Zritt man in die Schulen und hört da in dem mei⸗ 
ſten das widrige Gefchrei, diefes verſtändnißloſe Serplärren, biefe ohren⸗ 
zerzeißende Uureinbeit, und gewahrt die Verzerrungen der Muskeln, die 
tirſchrothe Gefichtöfarbe..... fo wird uns in tiefler Seele der Jammer 
erfafien über folhen Mißbrauch und über die grenzenlofe Berblendung, 
welche hier noch ein gutes Werk gethan zu haben glaubt. Hier if es, 
wo das äfhetifche Gefühl, der Geſchmack, das feine Ohr, die gute Stimme, 
ja wo die Heicht. verleßtichen Befangsorgane für das ganze Leben oft rui⸗ 
nirt werden.’ — Achnlihes wird über den Hausgeſang, über die Leis 
ungen der Liedertafeln 2c. gefagt. „Es fehlt,“ fo heißt es dann weis 
ter, „die eigentlihe Stimmbildung, die. Erzeugung des correcten und 
fhönen Zones.... unfere Cantoren, Drganiften, wie die Schullehrer über» 
haupt, find amtlich dazu verpflichtet, ohne daß fie die geringfte Befähi- 
gung dazu befiben... das klingt hart und abfprechend, aber es iR Teiber 
wahr.... Einen Theil der Schuld an dem in riefig wachſender Potenz 
fortfchreitenden Berfall der Geſangkunſt tragen aber au die Auffichte 
bebörden, die fi einer wunderbaren, ganz eigenthümlichen Täufchung in 
Bezug auf Lehrfähigbeit für den Geſangunterricht hingeben.‘ So Dr. 
Schladebah inNRomberg’s: Die Wiffenfhaften im 19. Jahrh. 

58. Was fagen wir dazu? Es if nicht gerecht, daß Dr. 
Schladebach die Lehrer — die freilih daran gewöhnt find — in 
Bauſch und Bogen verurtheilt bat. Hätte er feinen Tadel um 23% 
Procent redueirt, fo würde er der Wahrheit näher gefommen fein. Das 
iſt: nun aber gewiß ſchon fhlimm genug, und wir haben alle Urfache, mit hoch⸗ 
flem Ernfte die Frage an uns zu richten, wie ein [höner Gefang all⸗ 
gemeiner herzuftellen fei, ale es bisher der Fall war. Theilt doch aud 
G.Flügel im Brandenb. Schulblatt aus feiner mehrjährigen Erfah⸗ 
rung mit, daß faſt alle in das Seminar eintretenden Zoͤglinge ſo gut 
wie feine Stimm⸗Ausbildung genoſſen haben. (Er fordert, daß hierin 
mehr geſchehe und daß der Seminar⸗Aspirant auch wenigſtens anges 
fangen habe, „fein angebornes Inftrument, die meſtſchliche Stimme, 
fo weit fennen zu lernen, um vor dem Ruin berfelben bewahrt zu 
bleiben.“ *) 

59. Was wird uns geboten? Mit Net wird man übri⸗ 
gene fragen, ob denn Dr. Schladebach, nachdem er gegen die Lehrer 
fo ſchwere Anklagen wegen Vernadhläffigung der Zonbildung erhoben, nun 
feinerfeits eine praftifhe Unweifung zur Behandlung der Stiume er- 
theile. Es Tann dies nicht im weiteſten Sinne bejaht werden. Aller» 
dings. giebt er eine auf neuere Beobachtungen und Forfhungen gegräns 
dee, ganz in's Einzelne gehende Belchrung über die Stimmorgane und 
ihre Thätigkeiten, woraus ſich theoretifch alles Weſentliche über die Her⸗ 

7 





9 Bon Wichtigkeit find die beigefügten biätetifchen Winke in Betreff der 
Schaltung der Stimme (eiätiger Tonanſatz, Maaßhalten im Singen und Spres 
Ken, Vermeidung von Branntwein, Rum 2c., Vorfiht im Biergenuß, Enthal⸗ 
ang von Schnupftabak, gleichmäßig warıne Kleidung, Pflege der Zähne. ze.) 


— 





Geſang. 367 


ſteluug des guten Geſangtones entnehmen läßt; wie aber nun in zahl⸗ 
reihen Schulklaſſen diefe Kenntniß zu verwerthen, was yon Stufe zu 
Stufe für den Zwed. der Stimmbildung zu thun fei, das iR eine 
Trage, deren Beantwortung — die freilih in das genannte, für einen 
genifchten Lefefreis beffimmte Werf nicht gehörte — Mancher mit Ber 
Dauern vermiflen wird. Möge Dr. Schladebach fich herbeilaſſen, 
den Volksſchullehrern für die fehwierige Aufgabe der Zonbildung im 
Maffenunterricht eine Anleitung zu geben, die ihnen genau und fpeciell 
fagt, was fie während der ganzen Dauer des Schulcurfus und nad als 
len Richtungen bin zu thun und zu vermeiden haben. Nah der Stel 
lung, weldye er zur Sache genommen, dürfte es eine Pflicht für ihn fein, 
folshe Handreidungen zu leiften. 

Was nun Dr. Schwarz und Ferdinand Sieber betrifft, fo 
findet der Bolfsihullehrer in benannten Schriften diefer Männer: freilich 
auch keine Directe Belehrung über das, was gerade er an feiner Stelle 
zu thun habe, da diefe Schriften, von denen übrigens die Sieber’iche 
nur in erker Lieferung vorliegt, die Bildung des Einzelnen, nicht die 
von Klafien und Maflen, in’s Auge fallen. Indeſſen ift ihm doch das 
Studium beider Werfe angelegentfih zu empfehlen: e8 wird ſich ihm jes 
den Falle Manches daraus ergeben, was mittelbar alddann auch für feine 
Schularbeit fruchtbar werden dürfte. Einiges Nähere glaube ich Hier. 
wenigfiens noch über 58. das „Sy ſtem des Dr. Schwarz beibringen 
zu müffen, da daflelbe als etwas wefentlich Neues angekündigt und aufs 
genommen worden ift, wie denn 3. B. Dr. Homeyer in der Neuen 
Beitfärift für Muſik verfidert, Dr. Schwarz habe fo helles 
Licht in die lang beftandene Dunfelheit gebradt, daß die Hisheris 
gen Gefangunterrihti8- Methoden nur in einer hiſtori— 
ſchen Rumpellammer fürder Geltung haben fönnen.‘ 

Dr. Schwarz hat in ausgedehnter Weife Unterfuchungen über 
das menjhliche Stimmorgan an todten Kehlköpfen vorgenommen; ed has 
ben fi) ihm dabei die phyſiologiſchen Gefehe für den Gebrauch des Or« 
gans ergeben, und nach diefen Geſetzen brachte er die Gefangkunft in 
ein förmlihes Syflem. Grundzüge: 1. Zur Erzeugung des Tons 
nah Höhe und Tiefe ift wefentlih der Kehlfopf mit der vers 
ſchiedenen Spannung der Stimmbänder, und untergeordnet wirfen mit: 
a. ein ſchwacher Athem, b. eine mäßige Mundöffnung. 2. Zur Rüan« 
eirung des Z ones in der Stärke if wefentlicdh die Lunge mit 
der verichiedenen Stärke der Luft, und untergeordnet wirken mit: a. das 
Nachlaſſen und Anziehen der Stimmbänder, b. die kleinere oder größere 
Mundöffuung 3. Zur Nüancirung des Tons im Klange (mit 
telfarbiger, heller, dunkler Ton) ift wejentlich das Anſatzrohr (Schlund - 
und Mundhöhle) mit der verfchiedenen Stellung feiner Theile, und uns 
tergeordnnet wirken mit a. der Grad der Erregung des Athems, b. der 
Grad der Intenfion der gefpannten Stimmbänder. Auf diefen im erften, 
dem phyſiologiſchen Theile des Syſtems gegebenen Grundlagen baut 
fi4 der zweite, der tehnifche Theil. des Syſtems auf, deilen Aufgabe 
es if: 1. das Maaß des Athems zu finden, mit welchem alle Töne dey 





en - 





568 Geſang. 


Scala in gleicher Stärke hervortreten können, 2. diejenige Art der Mus 
felthätigfeit bei Spannung der Stimmbänder zu finden, bei welcher alle 
Tone in gleicher Leichtigfeit anfprechen, 3. den Grad der MRundöffnung 
zu finden, bei welchem alle Töne in gleichem lange möglich find. Ad. 
1. Die betreffenden Uebungen beginnen mit Herfiellung der gleichen, moͤg⸗ 


Nlichſt piano gehaltenen Scala. Hat der Sänger diefe erreicht, fo iſt der 


fefte Boden für alles Weitere gewonnen, denn diejenige Luftmaſſe, 
welche der Sänger braudt, um alle Töne feiner Scala 
gleich pianoerklingenlaffenzu fönnen,welde fomitimdus 
fammenbang jedem Tone zulommt; eben diefelbeLuftmafie 
mußernun auch für jeden einzelnen Ton für fich allein, 
er mag liegen wie er will, fefbalten. Dieſes ik fo zu fagen 
das primitive AthbemsBolumen für jeden Ton; von ibm muß 
jede weitere Athementwidelung ausgeben und zu ihm wieder zurückkehren 
Es folgt dann die Herfiellung der gleich mittelftarfen, der gleich ſtarken 
und der ans und abgefchwellten Scala. Ad. 2. Das Mittel zur An⸗ 
wendung der richtigen Musfelthätigkeit ift die Beibehaltung Des 
möglihf ſchwächſten Athems für die ganze Scala. Das Sin⸗ 
gen berubt vor Allem auf Mustelthätigkeit (Schwingung der Stimmbän- 
der), diefe kommt aber nicht zu ihrer vollen Geltung, wenn die Athem⸗ 
fraft fih an ihre Stelle fegen will. Aber nur bei ganz ſchwachem Athem 
läßt fih die Scala durch Muskelthätigkeit allein (ohne Nachhelfen wit 
dem Athem) berftellen u. f. w. Die Muskelthätigfeit if aber eine ans 
dere bei der auffleigenden, eine andere bei der abfleigenden Scala. 
Erftere macht (was in großer Ausführlichkeit nachgewiefen wird) ein feharfes 
Einfchneiden der Kehle, leptere ein langes Durchziehen nothwendig. Demnach 
it bein erfien Studium die auffteigende Scala staccato (nicht raſch a b⸗ 
fhneidend die Töne, fondern nur fie rafch und beflimmt eintreten laffend) 
zuüben, die abfteigende Scala portamento (aber nicht heulend). Später, wenn 
gleich Leichte Anfprache aller Töne, Leichtigkeit und Schnelligkeit der Bes 
wegung im ganzen Umfange der Stimme erreicht iſt, folgen die ver- 
fhiedenen Bariirungen des Anſatzes bei der fleigenden und fallenden 
Scala und die Herftellung der Coloratur. Ad. 3. Zur Herſtellung ber 
Gleichheit des Klanges der Töne muß vor Allem jede unnöthige Beis 
bälfe bei Erzeugung und Bortfchreitung der Töne ganz und gar vers 
mieden werden. Alfo Befeitigung des Gaumen» und des Nafentones 
(des Quetſchens und Näſelns) und dann Herſtellung der gleichen mittels 
farbigen, der gleichen hellen und der gleichen dunkten Scala dur Res 
gelung der Thätigkeit des Anfagrohres, die wieder durch Regelung der 
Munddffnung beftimmt wird. — Wie dies und alles Borige im Eins 
zeinen auszuführen, muß in dem Buche felbft nachgelefen werden. Ich 
bemerkte nur noch, daß dem zweiten, dem tehnifchen Theile, noch ein 
dritter, der pſychohlogiſche, folgt, wo der Belang „als lautende 
Seele” behandelt wird. Hier wird viel Gutes über Ausſprache, Bors 
trag und Anderes beigebracht, jedoch nichts wefentlich Neues und Eigen⸗ 
thümliches, wie dies allerdings im I. und 11. Theile der Fall if. Die 
Beurtheilung des in diefen heilen Gegebenen bleibe vorläufig den Mu⸗ 








Geſang. 569 


ſttzeitſchriſten überlaffen; s es Sam hier nur darauf an, dem Lefer ganz 
im Allgemeinen einige Senntniß des neuen Syſtems zu verichaffen. 

60. Zortfegung. Noch if in Bezug auf Zonbildung der Bes 
Rrebungen Merling?’s in feiner oft erwähnten Schrift zu gedenken. I 
babe dies abfichtlih bis hieher verfhoben, um den Abihluß mit dem» 
jenigen Buche zu machen, welches für ben Elementarlehrer das zugängs 
liche, faßlichke und am meißten praktifche ik. Merling polemiflrt nicht 
gegen die Beſchaffenheit unferes Schulgefanges, auch nicht gegen die zahl⸗ 
reichen Anmeifungen zum Gefangunterrichte, welche alles Mögliche lehren: 
Rhythmik, Melodit, Harmonik, Bortrag, Yremdwörter zc., nur das Eine 
nicht, nämlih das Singen; er legt einfach dasjenige dar, worauf es 
anlommt: Bildung des Zones an fih, Bertnüpfung der 
Zöne zur Scala, — und giebt genau die Uebungen an, welche für 
den einen und den andern Zweck vorgenommen werden müffen. Er thut 
dies nicht, ohne vorher auf Grund der beflen Werke fo viel über den 
Stimmorganismus mitgetheilt zu haben, als jeder Gefangiehrer willen 
muß. Was die Vebungen felbft betrifft, fo beſtehen fie im Darftellen 
des einzelnen Tones und der Tomteiter (einfchließlih der aus ihr emts 
widelten Golfeggien) nad verſchiedenen Stärkegraden, Anfaparten und 
rhythmiſchen Maaßen. In bemerfenswerther Zufammenflimmung mit dem erfi 
fpäter erfähienenen Werke von Dr. Schwarz legt Merling ein gros 
Bes Gewicht zunähft auf das Bianofingen, wenn fchon ihn mehr 
die Erfahrung darauf hingeleitet haben dürfte, während Dr. Schwarz 
von der Beobadhtung des Stimmorganismus geleitet wurde. 
Zwei Regeln werden aufgeftellt: 1. Der Zon beginne leiſe, halte leiſe 
aus und emdige leife. 2. Der Zon bilde Rh crescendo und decrescendo. 
„Die erſte der beiden Regeln ermöglicht eine ficbere Intonation; ohne 
die Regel iſt Tonreinheit gar nicht in eine volle Klaſſe hineinzubringen. 
Sie if unansgefegt zu üben” u. f. w. Es muß dies genügen, um 
auf die Arbeit Merling’s hinzumeifen und fie als eine pädagogifce 
That zu bezeichnen, die nicht ohne Einfluß auf den Schulgefang bleiben 
und gewiß dazu beitragen wird, nach und nach den Tadel zu entkraͤften, 
den man fo reichlich über die Lehrer ausgegofien bat. 


3. Die Tonzeihen. 


61: Tonzeichen oder keine? Ballien fchreibt in feinem 
Schulplane — L5nw’s Monatsihrift Nr. 422 — auch für die 
obere Stufe vor: „Einſtimmiges Singen nah dem Gehör, ohne 
Roten.” Dieler Anſicht gegenüber wird befanntlih von vielen Andes 
ren die Anwendung einer Tonbezeichnung in Schulen jeder Art für 
zwedmäßig erklärt. 

62. Die Ziffern „Das Singen nad ‚Biffern it faft ganz 
aus der Mode und dafür die Rote immer mehr in Aufnahme geloms 
men. Gewiß ein bedeutender Kortfchritt! Denn mag die Ziffernfchrift 
auch immerhin ihr Gutes haben, erfegen kann fie die Notenfchrift keines⸗ 
wegs; ieme hat fih auch nur in der Schulſtube einige Geltung zu vers 


370 | Geſang. 


ſchaffen gewußt, während dieſe in's Leben hineinreicht und fomit der 
Sangesoluſt einen möglichſt freien Spielraum eröffnet.“ So Neehuſen 
in, feiner Elementargefanglehre. Er jegt aber freilich Hinzu: 
„Sierüber jedoch darf nicht vergefien werden, daß der Sieg der Note erſt 
dann ein wirklicher ift, wenn die Schule ihre Zöglinge auch fo weit zum 
Verſtändniß der Notenfchrift führt, als erforderlich, wenigſtens leichtere 
Geſänge und Lieder ohne fremde Beihülfe nach Noten richtig abfingen 
zu können. Bleibt diefes Ziel unerreicht, dann freilich if es gleichgäls« 
tig, durch welche Beichenfchrift dex Gefangunterricht für's Auge unters 
Kügt wird, und fann nur von einem Singen die Rede fein, bei dem 
die Zeichenfchrift entweder als eine leere Spielerei oder garals ein mäjs 
figer Blagegeift erſcheint!“ 

AS einen „Zifferiften” bezeichnet IH Koch in feiner Geſang⸗ 
ſchule. Er will aber damit nicht ſagen, daß er nah Ziffern ſingen, 
fondern nur, daß er die in Roten dargeſtellten Tonverhältniſſe anf die 
Art, wie e8 beim Biffernfingen gefchiebt, auffaflen laſſe. Mit andern 
Worten: Der Schüler ſoll fih nicht die relatinen, fendern die abfos 
Iuten Intervalle vergegenwärtigen. Denken wir uns die Melodie „Je⸗ 
fus, meine Zuverfſicht“ in D-dur gefchrieben. Hier läßt Koch uun fo 
lefen: Zünfte a, Dritte his, Sechſte b, Siebente cis u. ſ. w. Das find 
die abfoluten, nad der Zonica beflimmien Intervalle. Relativ, 
von Zon zu Ton meſſend, faßt der Sänger die genannten Zöne fo auf: 
a, fallende Terz fis, fleigende Quarte h, fleigende Setunde eis u. f. w. 
Koch läßt nah „Zahlnoten‘ fingen, ohne jedoh mit Thomascik 
von den NRotennamen ganz abzufehen. 

63. Die „ßZahlnoten“ Thomascik's und das ihnen zum 
Grunde liegende Syſtem der abfoluten Zutervalle. fanden eine nene 
Bertretung in der „PBraftifhsmethodifhen Geſangſchule“ 
Franz Schmidts... ‚Indem wir das nolle Verſtändniß und den 
freien bewußten Gebrauch der Gefangfchriit als nothwendige Bedingung 
zur lebenskräftigen Entwidelung des Volksgeſanges verlangten und als 
letztes Biel des vorliegenden Buches hinftellten, war es nöthig, ſowohl 
das ganze bisherige Notenſyſtem umzuſchaffen, als aud den gewöhnlichen 
methodifhen Weg zu verlaffen‘ u. f. w... „Unfer InftrumentalsRos 
tenfoftem ift nicht geeignet, eine allgeniein verftändliche Geſangſchrift für 
das ganze Volk zu werden, das lehrt ein Blick auf die Schwierigkeit und 
Complicirtheit deffelben, fowie auf die dem Gefangunterrichte zugemeſſene 
Zeit, das zeigen auch hinlänglich die feither durch den Schuls@efangun- 
terricht erzielten Refultate. Wir haben deshalb die gebräuchliche Noten⸗ 
Thrift aufgegeben und an ihre Stelle das vereinfachte, natärlihere Sys 
ſtem Thomascif’8 geftellt, welches allen Forderungen, ſowohl ber Büdas 
gogik als auch der Geſangkunſt und der Mufif überhaupt Genüge keiftet.‘‘ 
Mittelt der Zahlnoten foll das Berfländniß der muſikaliſchen Bezeichnung 
zu der Unmittelbarfeit erhoben werden, welche die Schrift beim Leſen 
bat: „daß der bloße Anbtid der Zeichen genüge, den Inhalt des Bezeiche 
neten. unmittelbar dem Geifte und Ohre zur Erjcheinung. zu bringen.“ — 
Ein Weiteres darüber unter einer fpäteren Nummer. 





Gefang. 571 


Fur die Zahlnote erklärte ſich auch T. Wonner in Nr. 22 des 
Süddeutſchen Schulboten. 

64. Die modificirten Zahlnoten, wie fie Rector Rein» 
tbaler vorgefchlagen hat, wurden von demfelben fleißig in Anwendung 
gebracht und bei jeder Gelegenheit durch Schrift und Wort vertreten. 

Thamascik, Reinthaler und Koch haben das Gemeinfame, 
daß fie nach abfoluten Intervallen fingen laſſen; fie unterfcheiden fich 
darin, daß Thomaseit die Thonica ſtets auf die erfle Linie ſtellt, 
Reinthaler nach Erfordern bald auf diefelbe Stufe, bald in den 
zweiten Bwifchenraum, Koch endlih nad Umftänden auf jede beliebige 
Stufe, wie. 28 eben in ber gewöhnlichen Notenſchrift gefchieht. 


4 Das Singen nach ZTongeichen. 


65. Ziel des Unterrihts. Nah Neehuſen if das Biel, 
„DaB die Schüler wenigftens leichtere Lieder und Gefänge nach Roten 
richtig, abfingen lernen,’ bis jegt nicht erreicht. „Wer berechnet, daß je 
der Schüler bei wöchentlih nur einer Stunde nahe an 400 Stunden 
feines Schullebens auf die Erlernung des Gefanges verwendet, und fich 
überzeugt hat, daß die Schule im Allgemeinen ſchon Sangesiuft vorfindet, 
die Jugend aber da, wo fie Luſt und Liebe mit in die Schaale legt, 
auch nicht leicht eine Schwierigkeit ſcheut: dem mag es kaum denkbar 
ericheinen, daß in einem fo ausgedehnten Zeitraum ein fo nahe gefted- 
tes Ziel nicht erreicht werden folltel Welche Schule aber hat Schüler in 
hinreichender Anzahl aufzuweifen, die ein befriedigendes Zeugniß für die 
Grreihung deflelben ablegen könnten? Nur ſehr wenige möchten dazu 
im Stande fein, und diefe wenigen fünnen den im Allgemeinen ‚geringen 
Erfolg des Gefangunterrichtes in der angeregten Beziehung nicht in Ab» 
rede ftellen. Daß das genannte Biel aber zu erreichen, fcheint von 
Neehufen nicht bezweifelt zu werden, wenigftens iſt es die Beſtimmung 
feiner Elementargefangiehre, „günftigere Erfolge zu erzielen.“ 

„Der Bolksfänger foll vom Blatte fingen.” Mit dies 
fer Zorderung tritt Franz Schmidt a. a. D. in entjchiedenfter Weife 
auf. Hören wir ihn felbft:.... „Sprechen ift Denken, und Singen ift Ems 
pfinden. Verſtand und Herz aber find die Quellen wie die Mündungen 
der Wiffenfchaft und Kunſt. In diefer weiten Peripective foll und muß 
die Geſanglehre die Geſangkunſt erfaffen, um diefe in ihrer ganzen hohen 
Bedentſamkeit und in ihrem großen Einfluffe auf den Menfchen vecht zu 
würdigen; die Pädagogik wird dann dem Gefangunterridte 
diejenige wichtige Stellung nicht länger vorenthalten, die ihm 


vermöge feines Einfluffes auf Erziehung und Bildung gebührt, und die. 


fie ihm, fowohl die Menfchennatur als auch Weſen und Stellung der 
Kunft zu derfelben verkennend, nur zu. lange verfagte.” Hat diefe „Vers 
fagung,’ fo fragen wir, wirklich fattgefunden, mehr denn vierzig Jahre 
lang, um auch nur von den Pefalozzianern an zu rechnen? Die Padas 
gogik hätte damit eine ſchwere Verſchuldung auf fi geladen! — Wie 
meint es Franz Schmidt mit diefer Anklage? 











N 


572 Geſang. 


Es ſcheiden ſich ihm wie und Anderen in Anſehung ſowohl des Geſang⸗ 
ſtoffes als auch der wirklichen muſikaliſchen Darſtellung zwei Gattungen 
des Gefanges, der Natur» und der Kunftgefang. „Sener if tra 
ditionell, geht unmittelbar von Ohr zu Ohr, von Mund zu Mund und 
bat zum Stoff das einfache eins und zweiflimmige Volfslied ; diefer iR 
das Product der Lehre und des Studiums, verlangt muflfalifche Einficht 
und mufifalifches Bewußtfein und bat zum Stoff den nad allen Regeln 
der Kunf und mit der ganzen Mannichfaltigkeit künſtleriſcher Freiheit 
behandelten dreis und vierflimmigen Satz. — Es fragt fi: Soll die 
fer Kunfgefang das Ziel der Vollsgefangbildung fein, und Tiegt dieſes 
Biel innerhalb der Grenzen der allgemeinen gegenwärtigen Volksbildung 
überhaupt? Wir bejahen diefe Frage mit Entichiedenheit. Der deut» 
ſche Volksgeſang frebt, fi zum Kunfgefang zu gefalten, trotz der mans 
geibaften und verkehrten Gefangbildtung und Erziehung. ..... Der 
Kunftgefang flellt aber an den Sänger die große Bedingung der völlie 
gen Ueberwindung der Beichentechnik, um das im ganzen Umfange fein 
zu Pönnen, was er fein foll: unmittelbarer Erguß des innern Seelenle⸗ 
bene, Träger gemeinfamer Erhebung und Begeifterung, Mittel zur äſt⸗ 
betifchen Erziehung und Bildung. Diefe Borderung an die Geſangbil⸗ 
dung des Volkes ift eine umfaffende; der Volksſänger foll leiſten, was 
bisher nur Sänger vom Bach und auch diefe nicht immer leiten konn⸗ 
ten, er fol vom Blatte fingen; dieſe Forderung if unerläßlih: nur 
beim Singen vom Blatte tritt der muflfalifh geiftige Inhalt unmittels 
bar in die Serle des Sängers. Eben fo ficher alfo wie das Boll nad 
Buchſtaben lief, fol es nah Noten fingen. Mechanismus, d. b. Uns 
mittelbarkeit der Anſchauung und Darftellung ohne vermittelnde Thätige 
feit des Berftandes tft, wie beim Lefeunterricht, das Ziel der Unterweis 
fung. Diefes Ziel if ganz und fiber zu erreichen.” — — 
Bugefanden wird, daß meift die ganze Schulzeit erforderlih fein wird, 
bis die Schüler an's Ziel gelangen, während fie das mechaniſche Lefen 
in einem Jahre lernen. „Die Gründe der größern Langſamkeit in der techni⸗ 
fhen Geſang⸗Entwickelung And: 1. Die Schwierigkeiten, welche Die Natur des 
Gegenfandes und feine Behandlungsmeife bietet; 2. der Mangel an 
ſtofflichem Vorrath und floffliher Vorbereitung der Sänger beim Beginn 
des Unterrits; 3. die vom Alter und der Natur bedingte Schwierigkeit 
und Langfamkeit, mit der die Stimme und das Gehör zu bilden, gegen- 
über den meif vollendet ausgebildeten Sprachorganen und der weitentwils 
telten Sprache des Lefefhülers; A. der große Umfang und die Com⸗ 
plicirtbeit des Xehrftoffes; endlich 5. die Kürze der für den Gegenftand 
zugemeffenen Zeit.... Es gehört darum großer Muth und die ganze 
Liebe, Bingebung und Begeifterung für die Sache dazu, um nicht. ... 
auf halbem Wege ermüdet ſtill zu fiehn. Dafür erwartet aber den uns 
verdroffenen Arbeiter der fchönfte Kohn“ u. f. w. Zum Belege dafür 
verweit Franz Schmidt auf die von Thomascik und auf die von 
ihm felbR in Verbindung mit & Hartung erzielten Refultate. 

66. Hortfegung. Wad nun meine Etellufg zu der vorliegen» 
den Angelegenheit betrifft, fo ſteht mir natürlich fein Recht zu, Die Her 


Belang. 573 


fultate, welche ein Anberer erreicht zu haben verfichert, in Zweifel zu 
ziehen; eben fo wenig aber liegt mir diele Verpflichtung ob, meine Ans 
ſicht nach andern Beobachtungen und Erfahrungen ale den -meinigen zu 
befimmen, Und fo erkläre ich denn kurz und rund, daß nad meiner 
feften Ueberzeugung das Volk nie dahin gebracht werden Tann, fo nady 
Roten oder. Zonzeichen irgend einer Art zu fingen, wie es nad Buchs 
ftaben lie! Die angefizengteften Bemühungen in diefer Richtung werben 
immer nur dahin führen, daß einige reicher begabte Schüfer eine jenem 
Biele mehr oder weniger nahe kommende Sicherheit im Singen nad No⸗ 
ten erreichten, die große Mehrheit der übrigen aber dennoch blos m itfingt, 
nadfingt, oder, falls fie auf fich felbft angewiefen wird, nad) einem ge 
wiffen Gefühle des Zufammengehörigen die Töne an einander reiht, an» 
Ratt fie aus der innern Anfhauung heraus zu treffen. Sch werde 
das immer von Neuem wiederholen, fo lange ich eines Andern nicht übers 
zeugt bin. Es kommt mir darauf an, Klarheit und Wahrheit in eine 
Sache zu bringen, wo noch jo viel Zäufhung malte. Man foll von 
dem Lehrer ferner nicht fordern, die Schüler zu felbfiftändigen Rotenfängern 
zu machen, damit die Kinder erlöft werden von der Qual endlofer Treffs 
übungen, er felbf aber aus der Bein des Gedankens herauskomme, ein 
ihm vorgefledtes Biel aus perfönliher Unfähigkeit nicht erreichen zu koͤn⸗ 
nen. Es foll die Unfittlichkeit ein Ende nehmen, welche darin liegt, 
daß Lehrer und Schüler den Schein annehmen”), als würde frei nad 
Moten gefungen, während doc das Gegentheil flattfindet. Diefen meis 
nen Zweden gegenüber if es mir fehr gleichgültig, welche nachtheiligen 
Folgerungen für meine paädagogiſch⸗muſikaliſche Einfiht und Befähigung 
Der oder Zener aus meiner Behauptung zu ziehen Beranlaffung nehmen 
möchte. Biel beffere Leute haben viel Schlimmeres erfahren. — Ganz 
übereinſtimmend mit der von mir flets vertretenen Anficht heißt es bei 
Bormann: „Es fommt in der Bolfsfchule nicht darauf an, den Schü⸗ 
fer in den Stand zu fehen, ein notirtes Befangfüd vom Blatt 
zu fingen, wohl aber ift es gerathen, die Hülfe nicht zu verfehmähen, 
welche für Einübung und Wiederholung der Gefänge durch Einführung 
des Schülers in das Verſtaͤndniß der Notenſchrift ohne große Schwierig« 
feit gewonnen werben Tann.’ 


Auch in der Anweifung für die einkl. Schülen der Rheinprovinz 
wird durchaus nicht die Forderung gefellt, die Schüler zum ſelbſtſtaͤn⸗ 
digen Singen nach Noten zu führen. 


Ballien befiimmt a. a. O. für die obere Stufe „befondere Stimm» 
und Gehörübungen, nit Treffübungen.’ Das ift alfo der fharf 
zugeſpitzte Gegenfaß der Anfiht Franz Schmidt?s, ber fich übrigens bei 
Dallien im Weſentlichen ſchon aus der Nichtanwendung den Zonzeichen 
ergiebt. 


e) ... „man fo thun,“ wie der Berliner ſagt. 


67% Geſang. 


5. Die Methode der Unterweiſung im Notenfingen. 


67. Zwei Hauptformen des Verfahrens ind, obſchon in 
verfähiedener Ausprägung, erkennbar: a) man flellt das Lied, von ihm 
ausgehend oder doch Alles fofort auf daffelbe beziehend, in den Mittel 
punft der Unterweifung; b) man thut dies nicht. Alſo Berbindbung 
oder Trennung der Elementarübungen und der Lieder. 

Um mit der zweiten Berfahrungsweife zu beginnen, fo if fle vertreten 
in den weiter unten mit vollfändigem Titel aufzuführenden Lehrgängen und 
Uebungsbühern von Franz Schmidt, Fr. W. Sering, O. Lorenz, 
Dr. Eifter, Joh. Bapt. Hamm, Joh. Koh und P. Wed. Franz 
Schmidt fagt: „Das Kind kann nur Eines auf einmal treiben und 
üben, auf diefes Eine muß es feine ganze Thätigkeit und Aufmerkfams 
feit richten, diefes Eine muß es mit vollem Bewußtfein bis zur Fertige 
feit lernen. Daraus folgt die Nothwendigfeit der Trennung aller zur 
Erlangung der Gefangfertigkeit nöthigen Webungen. Alſo Trennung 
1) des technifchen Gefangunterrichts von dem Singen der Gefangfläde, 
2) der reinen Gehörübungen von den Gefangübungen, 3) des melodifchen 
Theile der Sefangübungen von dem rhythmiſchen.“ Hiernach behandelt 
er in vier auf einander folgenden Abfchnitten I. den melodifchen, IE. den 
rhythmiſchen Theil, III. die Verbindung der Melodie und des Rhythmus, 
IV. die unmittelbare Anmendung der erworbenen Gefangtehnil. Unter 
I.-III. treten ausfchließlih Solfeggien (Uebungen ohne Zext) auf, 224 
an der Zaft. | 

Fr. W. Sering difponirt fo; I. Einfache rhythmifche Mebungen. 
II. Eigenfchaften des Tones. III. Einfache melodifhe Hebungen unter 
Anwendung der bereits aufgefaßten Notengattungen und Zactarten, wobei 
Hare Säpchen mit Terxt nur als Beigabe auftreten. IV. Grmeiterte 
rhythmiſche Uebungen V. Erweiterte melodifche Uebungen (bis zum Abs 
fchluß der Zonart C-dur). VI. Lieder und Choräle in C-dur. VII. Zer- 
nere Erweiterung der Melodik (die transponirten Dur⸗Tonarten und die 
MollsTonart). VII. Anwendung auf Lieder und Choräle. 

D. Lorenz verfolgt im Wefentlichen einen ähnlihen Gang, nur 
daß er gleich von vorn herein die vhythmifchen und melodifchen Erwer⸗ 
bungen in Bleinen Liedern zur Anwendung bringt, fo daß alfo ‚eine gleich⸗ 
zeftige Behandlung bes rhythmiſchen, melodifchen und ſprachlichen Ele⸗ 
ments in gemeinfamem flufenweifen Fortſchreiten“ fattfindet, bis emdlich 
mit Erledigung aller Elementarübungen fi) der Eintritt in das Gebiet 
der freien Liederübung öffnet. 

Dr. Elſter verfährt, mit unmwefentlihen Abweichungen, in gleicher 
Weile. | 

Bei Joh. Bapt. Hamm ordnet fih det Uebungsftoff fo: I. C-dur. 
A. Rein melodifhe Uebungen in Secunden. B. Rhythmiſch⸗melodiſche 
Uebungen diefer Art. C. Vebgngen in Terzen, Quarten ꝛc. fämmtliche 
ohne Rhythmiſirung. 11. Andere Tonarten, jedoch blos durch die Ton⸗ 
leitern vertreten, ohne irgend welde Uebungen. — Den Secunden und 





Belang. 875 


Terzen in G-der fchlisfen fich einige Sätzchen mit Zert an; fonft nir⸗ 
gends dergleichen. 

Bei Johann Koch folgen die Uebungen in nachſtehender Ordnung 
aufeinander: 1. Tact, Zactarten, Zaetfchlagen. II. III. Roten und Baufen. 
IV. Zartübungen. V. VI. Tonleiter von C, Dreiflang, Intervallen. 
VU. Secundens und Zergenübungen in G, D und F. - VIII. Zweiſtim⸗ 
miger Gefang. IX. Die Zeonarten A, E, B, Es und As. X. Quarten. 
Dreiſtimmiger Geſang. Dynamiſche Zeichen und Tempowörter. XL.— XII. 
Quinten, Septen, Septimen und Octaven. XIV. Halbe Töne. XV. Triolen. 
XVI. Die Tactarten der Choräle. XVII. Die MollsLeitern. Anhang: 
Die alten Tonarten — Neben den rhythmiſch⸗ melodifchen Uebungen 
geht ein unabhängiger Liedercurfus hin. | 

P. Bed ſchließt fi dem bekannten fynthetifchen Verfahren Sch ärtr 
lich's an, läßt jedoch neben dem elementariſch⸗theoretiſchen Theile des 
Unterrichts von vorn berein den praktifchen hergeben, wobei er übrigens 
fagt: „Ob der theoretifche Unterricht Für ſich oder in Berbindung wit 
dem yraftifchen extheilt werden möge, bleibt dem Geſchick und dem Fleiß 
des Lehrers überlaffen.” 

68. Fortſetzung. Als Bertreter der Methode, welche das Lied 
in den Mittelpunkt auch der Elementarübungen ftellt, find Merling, 
Wehe, A. A. J. Neehuſen zu nennen. Auch die Redaction des Sch uls 
blattes der Schleſ. evang. Seminare foheint fi dieſer Methode 
zuzuneigen, wenn fie in den Erläuterungen zu der befannten Preisauf⸗ 
gabe über den Gelanguntersicht zur Nachweiſung auffordert, in wie weit 
die theoretiſchen (methodifchen) Uebungen unbeichadet einer zwedmäßigen 
Stufenfolge zu vereinfachen und „an die zu übenden Befangftüde 
anzuſchließen find.” 

Der Berebungen Merling’s if ſchon im vor. Jahrg. gedacht 
worden. Ich weiſe noch einmal darauf zuräd, und zwar darum, weil 
unterdeffen ein Commentar zu den Damals angezeigten A Heften des theo« 
retiſch⸗praktiſchen Geſangs⸗Curſus erfchienen if, in welchem näher anges 
geben wird, wie „die lebendige Mufit des Liedes zum Mittelpunfte des 
Unterrihtes” zu machen fei. An 219 Lieder, vertheilt auf A Unter 
richtsſtuſen, knüpft Merling in Amal 12 Lectlonen Belehrungen und 
Vebungen in Bezug auf: Mundflelung, Athmung, Notenfhrift, Auss 
Sprache, Tact, Notenwerth, Auftact, Tempo, Legato und Staccato, Stimms 
organismus und Eharakter der Stimmen, Tonbildung, Tonleiter, Rhyth⸗ 
mus, Stimmarten, Lieder mit einförmigem, mit verziertem Rhythmus, 
mufifalifhes Berftändniß, epiſche Texte, Inrifche Texte, Iyrifcher Tonaus⸗ 
druck und Zonform. Derfelbe Gegenfland kommt meiftens in. verfchies 
denen, zum Zheil auf verfchiedenen Stufen liegenden Lectionen zur Ber 
bandiung,, 3. DB. die Tonleiter in Let. 2, 3, 10 und 12 der zweiten, 
ſowie in Lect. 2 und 12 der dritten Stufe. Das Rähere muß der 
Lefer an Ort und Stelle nachſehen; ich bemerke nur zur Melodik, das 
Merling zwar mancerlei Gehörübungen anftellt, mechanische Treff⸗ 
übungen ohne Text jedoch nicht fingen läbt, fondern mit allex Entfchier 
benheit den Brundfag feſthaͤlt, „dem Schüler ſtets Tongebilde norzuführen, 


576 Geſang. 


bie als lebendiges Ganzes Stoff zum Nachdenken geben, und Elemenle 
zur Beförderung des aͤſthetiſchen Sinnes enthalten.‘‘ 

H. Wehe ſtellt für Elementarſchulen einen ſehr genau bemeſſenen Lehr⸗ 
gang nad folgender Diſpofition auf: I. Surtut: Dttavenumfang. 40 Lieber. 
II. Curſus. Erweiterter Tonumfang. A. C-dur, 12 Lieder. B. Andere 
Zonarten, 79 Lieder. Bon vorn herein treten das melodiſche und das 
rhythmiſche Element in Berbindung auf, und zwar auf jeder Stufe 
Anfangs für fih, dann aber fo, daB fie im lebendigen Bufammenbange 
von Bollsliedern zur Anſchauung gebracht werden. Bei biefer Einrich⸗ 
tung fonnten die reinen Elementarübungen auf ein möglichk erſprieß⸗ 
liches Maaß reducirt werden; übrigens ift ein großer Theil berfelben den 
fpäter einzuübenden Liedern felbf entnommen. und benfelben vorausge⸗ 
drudt worden, „ſo daß man während der Einübung nicht nöthig Bat, 
bei Schwierigkeiten immer wieder die Melodie zu zerreißen.“ 

A. A. 3. Neehuſen Hat in dem Bemühen, an einer Reihe von 
Liedern im Berein mit den entiprechenden Lectionen zu zeigen, daß ein 
foftematifcher Gefangunterricht es Teinesweges nothwendig macht, denfel- 
ben der Jugend durch fchale Zreffübungen, Golfeggien 2. zu verleiden 

„00. im Wefentlihen ganz denfelben Weg eingefihlagen wie Wehe, 
wenn Thon im Einzelnen Differenzen flattfinden. 

69. Bas thun? Ich für meine Berfon befenne mid zu der 
Anfiht, wornah alle weientlihe Belehrung, auf anſchaul ich em 
Wege vermittelt, dem Liede vorausgeht, alle wefentlihe Nebung mit 
dem Liede verknüpft wird. Ich verdamme aber Keinen, der es anders 
macht, falls er nur die materielle Aufgabe des Unterrichts nach der Seite 
der Choraͤle und Lieder hin vollkändig und den Forderungen des 
Schönen gemäß erfüllt, und wenn er die melodifchen, rhythmiſchen und 
thythmifchamelodifhen Uebungen im Anfchluffe an irgend einen Leitfaden 
ohne übermäßigen Zeitaufwand und ohne daß die Schüler gedrangfalt 
werden, betreibt. — 


II. Literatur. 


A. Schriften über Geſang. 


1. Der Sefang in der Schule, feine Bedeutung und Behand» 
lung zur Förderung muſikaliſcher Einftiht und veligids- 
ißbetifhrgemütbliher Bildung. Bon Julius Merling, Lehrer 
an der höhern Zöchterfchule in Magdeburg. Leipzig, Verlag von CT. Merſe⸗ 
burger. 1856. 

Das Werk it ein Kommentar zu des Verf. Theoretiſch⸗prak⸗ 
tifhem Sefangs-Eurfus (im vor. Jahrgange des Päd. Jahresber. 
angezeigt). Was diefer auf einzelne Lectionen verteilt hat, bringt ber 
Gommentar, zu Kapiteln vereinigt, im Bufammenhange und mit Sins 
weis auf die betreffenden Xectionen in dem Eurfus. Das Bud iR ger 
fprieben zunächſt für Lehrer, denen zu ihrer mufllalifhen Weiterbildung 
die koſtſpieligen größeren tbeoretifchen Werke nicht zu Gebote Reben; 
für Lehrer, welche dem Gefangunterrichte in der Schule biefelbe hohe 


. Geſang.  ° - 877 
Aufgabe zugefteben, wie der Berfafler...... . Dann auch foll es allen 
Mufifern empfohlen fein, damit fle daraus erfahren, wie viel vor Allem 
die höhere Schule im Gefange zu leiften habe, um das heranwachſende 
Geflecht für wahren Kunftfinn und wahre Kunftleiftungen empfaͤnglich 
zu machen. Endlich allen Eltern, Erziehern, Gelangsfreunden, welche 
Die pädagogifche Bedeutung und den hohen Inhalt des Gefangunters 
richtes in der Schule bis jegt noch nicht erfannt haben. Inhalt: Eins 
leitung. Körperhaltung. Mundflellung. Athmung. Notenfhrift. Aus⸗ 
ſprache. Tact. Notenwerth. Auftact. Tempo. Legato und Staccato. 
Der Stimmorganismus und die Berfihiedenheit des Toncharakters der 
Stimmen. Tonbildung. Zonleiter. Muftfalifcher Rhythmus. Stimms 
arten. Das Lied mit einförmigen Rhythmus, der Choral. Das Lied 
mit verzierterem Rhythmus, und verfchiedene Arten von Geſangsſtücken. 
Muſikaliſches Verſtändniß. Zerte mit Nachahmungen äußerer Crfcheis 
nungen (Tonmalerei). Epifche und didactiſche Texte (mufikaliſches Ge⸗ 
wand). Lyriſche Texte. Lyriſcher Tonausdruck und Tonform. Epiſch⸗ 
lyriſche Texte. Zerſtreute Bemerkungen. Unter dieſen Ueberſchriften 
hat der Verf. eine Fülle wichtiger und ſchäͤtzbarer Belehrungen zuſam⸗ 
mengeſtellt, welche in dieſer Art und mit ſteter, beſonderer Beziehung 
auf den Geſang in der Schule noch nicht gegeben wurden. Die 
faßliche, anziehende Darſtellungsweiſe des Verf, die Wärme, mit welcher 
er feinen Gegenſtand, der ihm ſelber Herzens⸗ und Gewiſſensſache iſt, 
behandelt, machen das Buch doppelt empfehlenswerth. Möge daſſelbe 
viele Lefer finden! Bemerkt fei nur noch, daß es für jeden Gefang- 
Ichrer feinen Werth behält, wenn auch es ganz abgetrennt von des Berf. 
Theor.⸗prakt. Geſangs⸗Curſus als ſelbſtſtändige, für fich beftehende Schrift 
aufgefaßt und fludirt wird. 

2. Syftem der Gefangstunft nad ALFA IE, hen Gefepen. 
Ein theoretifch» praßtifches Lehrbuh von Dr. warz. Hannover, 
Helwing'ſche Hofbuchhandiung. 1857. 

„Es gibt nur Eine einzige, richtige Gefangs» Methode, und dies 
iR offenbar diejenige, welche Die Natur felbft vorichreibt. Alle fkimmen 
darin überein, daß die Gefühlsbildung in Berbindung zu bringen jei 
mit der mechanifchen Bildung des Gefangs Organs. Aber welches eben 
der richtige Weg zur Bildung Ddiefes Organs fei, muß vor Allem deuts 
licher und befiimmter fefigeftellt werden, als es bisher geichehen if; und 
die einzig fichere Grundlage dazu geben uns die Unterfuthungen am 
todten, ausgefchnittenen Kehlkopf: die bier bei Erzeugung der Zöne herr⸗ 
fhenden Gelege müſſen aud vom Sänger gebraucht werden; da jedoch 
beim Sänger der Gebrauch des Kehlkopfs und feiner Muskeln nicht 
für uns fihtbar if, fo muß einerjeits aus den erzeugten Tönen ſelbſt 
erſt zurüdgefchloffen werden, ob die Thätigfeit die richtige war, andrers 
feits durch Vormachen des richtigen langes auf die richtige Thätigkeit 
des Organs hingeleitet werden. .... „Niemandem ift es bisher eins 
gefallen, aus den befonders von dem Phyflologen Zoh. Müller ange 
ſtellten Unterfuchungen am ausgefchnittenen Kehlkopf auch nur die naͤch⸗ 
ſten und einfahften Folgerungen für den Gefang felb zu ziehen, wenn 

Racke, Jahresberiht. X. 37 





578 Geſang. 


ſchon ſeit jenen Unterſuchungen man in den Geſangſchulen, weiche früher 
hoͤch ftens mit Notenbeiſpielen begleitet waren, auch anatomiſche Zeichnm⸗ 
gen und Beſchreibungen der einzelnen Theile des menſchlichen Stimm⸗ 
organismus gegeben hat. Weshalb aber jene phyſiologiſchen Unterfu⸗ 
‚Gungen, welche am todten Organe fih machen laflen, bis jetzt für die 
Geſangskunſt ohne Refultat geblieben find, bat offenbar darin feinen 
Grund, daß auch die befiern Gefanglehrer immer nur bei der Betrach⸗ 
tung des Organs in feinem rubenden Zuftande fliehen geblieben 
find, flatt, was die Hauptſache ift, nach der Art und Weife der Thaͤtig⸗ 
feit deffelben, befonders der betreffenden Muskeln, zu fragen.” Lebteres 
bat der Berf. getban. Er hat mit dem todten Stimmorgane in Der 
Art exverimentirt, daß drei Octaven zu Gehör kamen. Hauptfädlicd 
auf Grund dieſer Verſuche hat er ein Syftem aufgeftellt, weiches im 
drei Theile zerfällt: 1. Der Ton an und für Rh; MM. der Zorn ale 
Glied einer Reihe; IM. der Sefang als lautende Seele. Im erflen 
Theile, der die Grundlage des Ganzen bildet, werden die allgemeinflen 
Erforderniffe zu jedem guten Tone befprochen und befonders jedem der 
zur Erzeugung und Nüancirung eines Tons zufammenwirfenden Fartozen 
fein beftimmter, hauptfähliher Wirkungsfreis angewiefen; im zweiten 
Theile wird durch Herſtellung der gleichen Scala, Ausgleihung der 
Megifter und Uebung in der richtigen Thätigkeit der Kehle (Coloratur) 
die volle Derrfchaft im Mechanismus der Stimme erreicht; tm dritten 
Theile endlich wird der phyfifch richtige Ton mit der Sprache verbun⸗ 
den und durch richtigen, edien Vortrag- und gefchidte Wahl. der Ton. 
farben zum Maren Ausdrud der Gedanken und Empfindungen der Seele 
befähigt. — Das Buh if bevorwortet durch den Ganitäteratb 
“ Dr. Homeyer in Hannover. Derfelbe fagt m A., daß der Berf. mit 
feinem Geſangſyſteme ein Gebiet betreten babe, „wo nur der Anatomie 
und Phyfiologie das Richteramt zuſteht,“ und fügt binzu: „Bon biefem 
Gefihtspunfte aus erfenne ich daher den Eifer und das Gtüd, womit 
er diefe Disciplinen zu Gunften feined neu gefhaffenen Syſtems ber 
Gefangshunk ausgebeutet, nicht nur mit voller Weberzeugung an, fondern 
Darf demfelben auch das unzweifelhafte Horoscop flellen, daB es im feinen 
Gonfequenzen richtig, noch zu viel weiter veichenden Reiultoten die Wer 
fähigung in fich ſchließt.“ Was nun den praftifchen Theil betrifft, fo muß 
ih bemerken, daß ernfles Studium, ein ſcharfes Auffaflungsvermögen, 
viel Umfiht und Beobachtungsfähigkeit dazu gehört, um nach den Ans 
gaben des Berf. den Unterricht nicht nur tm Allgemeinen zu ordnen, 
fondern auch im Einzelnen zu gefalten. Möchte er ung hierin etwas 
zu Hülfe kommen dur eine ganz einfache Unweifung, wie man wit 
einem Anfänger zu verfabren, welche Uebungen man vorzunehmen, welde 
Sülfsmittel zu benupen habe, wie dann der Fortſchritt zu regeln, Die 
höhere Stufe für die höchſten auszmbenten fei u. f. w. Alles Weſent⸗ 
liche iR freilich für wirklich Sachkundige gefagt, aber für viele Andere 
verliert es ſich zu fehr in ber Mafle phyſtologiſcher Groͤrterungen, fie 
fehben den Wald vor Bäumen nicht. Uebrigens glaube ich, daß gegen 
waͤrtiges Syſtem nicht blos im theoretiichen, ſondern auch im praltiſchen 





Belang. 179 


Sinne allerdings eine Bufunft habe; wenn auch nit fowohl den Volks⸗ 
ſchullehrern, als vielmehr dem Geſanglehrer von Profeffion die Aufgabe 
obliegt, diefe Zukunft herbeiführen zu helfen. 

3. Vollſtändiges Lehrbuch der Geſangekunſt zum Gebrauche für 
Lehrer und Schüler des Sologeſanges, verfaßt von Ferdinand 
@ieber, Geſanglehrer an der neuen Akademie der Tonkunſt in Berlin, 
Erfte Lieferung. Magdeburg, Verlag der Heinrichehofen’fhen Buch⸗ und 
Drufifaliens Handlung. 1856, 

Die vorliegende erfie Lieferung des Werkes enthält die Einleitung 
und die „tbeoretifche Lehre‘; die andere Hälfte wird die „‚praftifche Mes 
thode” und die Bortragsiehre umfaflen. Der Berfafler legt in diefer 
Arbeit die Früchte langiähriger eifriger Studien unter den beten Meis 
ſtern Deutichlande und Italiens, fowie diejenigen eigenen Erfahrungen 
nieder, welche er als praftifcher Sänger an fih, wie als Gejanglehrer 
an Hunderten der verfhiedenften Stimmen feit geraumer Zeit gefams 
melt Bat. Er weift nebenbei an den geeigneten Stellen — theils beis 
pflichtend, theils beurtheilend oder widerlegend — auf die Anfihten und 
Lehren aller namhaften älteren und neueren Gefanglehrer bin, die dazu 
beigetragen haben, die Kunft des Gefanges mehr und mehr in beftimmte 
Regeln und Grundfäge zu faflen. Inhalt der erfien Hälfte: Einleir 
tung, in 7 Abfchnitten Folgendes behandelnd: Akuſtiſche Vorbegriffe. — 
Anatomiſch⸗ phyſiologiſche Vorkenntniſſe -— Nothwendige Erforderniffe 
zum Studium des GSefanges. — Eintheilung und Umfang der vers 
fhhiedenen Stimmllafen. — Aufweifung der Stimmregifter. — Zeit 
des Anfanges und Unterbrehung der Studien. — Gefundheitspflege 
der Stimme. — Erſter Theil: Theoretifhe Befanglehre. 
Enthält folgende Abjchnitte: Theorie der Tonbildung. Theorie der 
Ausfprache. -— Theorie des Tonichwellens und der Verbindung der Töne. 
— Theorie der Betonung. — Theorie der Kehlfertigkeit. — Wer gründs 
liche und anziehende Belehrung über die genannten Materien fucht, 
nehme das vorliegende Buch zur Hand, weldem die Anerfennung ges 
bührt, unter den neueren Werken diefer Art eine hervorragende Stellung 
zu behaupten. Gar mande der vielen Sünden, die im Öffentlichen wie 
im Privatunterrichte gegen den guten Befang, gegen die Stimme und 
die Gefundheit der Schüler begangen werden, würden unterbleiben, wenn 
alle Lehrer eine Schrift wie die gegenwärtige fludiren fönnten und — 
wollten. Möge dies nicht in den Wind gefprochen fein! 

4, Kurze Anleitung um Gefangunterricht in der Vollsſchule 
von Sr. W. Sering. Güterdloh, Drud und Derlag von C. Bertels⸗ 
mann. 1857. 

Diefe Anleitung bildet zunähft "die Grundlage für des Berf. Ges 
fangimterriht im Koͤnigl. Schullehrers Seminar zu Barby, wird aber, 
wie darſelbe mit Recht hofft, auch anderweitig von firebfamen Lehrern 
benugt werden Fönnen. „Die in den drei preußifchen Regulativen vom 
1., 2. und 3. Octbr. 1854 nenannten Lehrgänge fommen bier zur näheren 
Erörterung.” ... Der erfte Lehrgang , der das Singen nah dem Ges 
hör beipricht,, findet feine praftiihe Anwendung vorzugsweife in der 


37* 


580 Geſang. 


Unterklaſſe der dreiklaſſigen Volksſchule. Er zerfällt in ſechs Stufen, 
von denen die fünf erſten die noͤthigen Vorübungen darbieten, die ſechſte 
dagegen das Einüben von Chorälen und Volksliedern behandelt. Das 
Verhältniß dieſer ſechs Stufen zu einander iſt nicht ſo anzuſehen, als 
müßten vor der Einübung der Choraͤle und Lieder die Vorübungen ihre 
volle Erledigung finden, fondern die lebteren find fchon dann, nachdem 
fie ein einigermaßen genügendes Biel erreicht haben, in ihrer ausfchließs 
lihen Behandlung aufzugeben und neben den Chorälen und Liedern 
hinzuführen. In der Mittelflaffe beginnt der zweite Lehrgang, das 
Singen nad Noten, und zwar erfcheinen auf deſſen erſter Stufe einfache 
rhytbmiſche Uebungen (auf einem Tone auszuführen), während auf der 
zweiten von den Eigenfchaften des Tones gehandelt wird. Gleichzeitig 
Choräle und Volkslieder nah dem Gehör. Der Oberklaſſe find des 
zweiten Lehrganges dritte bis fiebente Stufe zugetheilt. Stufe 3, 4 
und 5 behandeln Die Tonart C-dur und erweitern die Rhythmik, Stufe 
6 bringt Geſänge in C zur Einübung nah Noten. Auf Stufe 7 ende 
lih werden die andern DursZonarten entwidelt, Uebungen für diefelben 
jedoch nicht gegeben, fondern nur die einfchlagenden Choräle und Lieder 
bezeichnet. „Die Einführung von Gefängen in Mod findet hier ihren 
geeigneten Platz. Befondere Unterweifungen über die Moll» und chro⸗ 
matifhe Leiter kann die Volksſchule entbehren.“ — Die Anweiſung 
erfuhr bereits vortheilhafte Beurtheilungen und empfiehlt fih in ber 
That durh ihre Einfahheit und Durchſichtigkeit. Für eine 
neue Auflage wäre indeflen doch eine Reviſion des Planes anzurathen. 
Muß nicht auch die Mittelllaffe ihren Antheil an den melodifhen Ele⸗ 
mentarübungen haben? Und wäre nicht eine umfaffendere, recht in’s 
Einzelne gebende Anleitung zur Erzielung des ſchönen Gefanges in 
hohem Grade wünfchenswerth ? 


5. Geſanglehre für Gymnaſten, Sekundar⸗, Reale, Bürger⸗ 
und höhere Töchterſchulen von Johann Koch. Frauenfeld, Ver⸗ 
lags⸗Comptoir. 1856. | 


Enthält eine große Zahl von elementarifch geordneten, theild von 
dem Berf. componirten, theils aus den Gefangfhulen von Silcher, 
Gantter und Lüthi entnommenen, rhythmifchs melodifchen Webungen, 
durch welche die Schüler ein ficheres Treffen der Intervalle und eine 
unerfchütterliche Zactfeftigkeit erlangen follen, während zugleich durd die 
aufgenommenen Ganons ein unabhängiges Bufammenfingen angeftrebt 
wird. Wie viel Zeit wird aber erforderlich fein, Diefe Sunderte von Sols 
feggien, 84 Seiten kleinen Notendruds in gr. 8 füllend (einſchließlich 
der Erflärungen 30), mit den Schülern durchzumachen? Zum Glüd 
fäßt der Verf. neben diefem methodiſchen Eurfus einen freien Lieder» 
eurfus binlaufen, fo daß außer dem formalen Zwede doch auch zugleich 
dem materialen Rechnung getragen wird. Unter diefen Umſtaͤnden mögen 
Gymnaflaften, Realſchüler ꝛc. fih immerhin mit den vorliegenden rhyth⸗ 
mifh smelodifhen Uebungen weidlich abmühen; dagegen bitte ich, mit 
ber Zöchterfchule ein wenig glimpflicher zu verfahren. 








Gefang. 581 


6. Lectiondkalender für den gefammten Unterricht in der 
Elementarfhule. Auf Grund der preußiſchen Regulative und der 
„„erläuternden Beſtimmungen“ der Königlichen Megierung entworfen und 
nah Beiprebungen in einer LZehrerconferenz in Drud gegeben vom !Pf. 
Wed in Dffig. Eine Liebesgabe an Lehrer und Localfhulinfpertoren mit 
dem Motto: 1 Petri 4 v. 10—11. 2, Heft, den Geſangunterricht 
betreffend. -(Zür die getheilte und ungetbeilte Elementarſchule.) Zeig, 
Derlag der J. Bebelfden Buchhandlung. 1856. 

Eine mit großem Fleiße gearbeitete Bertheilung des gefammteh, den 
Geſang betreffenden UnterrichtSmaterial® nad Lehre und Uebung auf 
acht Schuljahre in vier Stufen, fowohl für die ungetheilte als die ges 
theilte Clementarſchule. Was den elementarifchstheoretifchen Theil anbelangt, 
fo hat für die Unterflafien ein Amtsbruder dem Verf. beigeftanden; für 
die Oberflaffen wurde Schärtlich's Geſangſchule benugt. Der prak⸗ 
tifhe Theil umfaßt die Choräle, die Volkslieder und die Liturgie. In 
Betreff des Kirchenlieds wird auf Cantor Nelle’s (in Zeitz) „Schul⸗ 
choralbuch“ verwiefen; die Volkslieder find aus meiner „Kinderharfe“ 
und meinem „Liederhain““ mit Nüdfiht auf Zeit und Umflände ausge⸗ 
wählt worden; „die liturgifchen Chöre finden fi in dem kirchlichen Ins 
ventar jedes Ortes und jeder Schule.” Möge die fehr tüchtige Arbeit 
die verdiente Beachtung finden! Uebrigens iſt es nicht unbedingt noth⸗ 
wendig, bei den elementarifchstheoretifchen Webungen gerade der Geſang⸗ 
iehre von Schärtlich zu folgen; dem umfichtigen Lehrer kann es nicht 
ſchwer werden, den Lebrfioff aus einem andern Leitfaden zu nehmen und 
ihn nad) dem hier gegebenen Muſter auf die Schulzeit zu vertheilen. 

7. Praktiſcher Singlehrer von Joh. Bapt. Hamm, Geſanglehrer am 
Gymnafium fowie an der höhern Bürger» und Provinzials Gewerbfchufe 
& Fi a q verbefjerte und erweiterte Auflage. Trier, Verlag von 


Nah Aufftellung der C-dur-Zonleiter werden 25 nit rhythmifirte 
Vebungen für das Treffen der Secunden gegeben. Alddann treten die 
shythmifchen Zeichen auf, und es wird die Zonleiter durch 50 Num⸗ 
mern in allen Zactarten rhythmiſirt. Als Zwifchenflation einige Sätz⸗ 
hen mit Text. Dann Uebung aller Intervalle an fehr vielen, wiederum 
nicht rhythmifirten, nur in Vierteln, ohne Zacteintheilung, gegebenen 
Beifpielen, die freilich des Formloſen, Harten, Unfangbaren nicht wenig 
enthalten. Webungen mit Text werden nicht mehr fichtbar. Zum Schluß 
folgt die Borführung der DVerfegungszeihen und der. chromatijchen 
Zonleiter, fowie hernach der transponirten Tonarten, in denen aber 
weder rhythmiſch noch unrhythmiſch, weder mit noch ohne Text irgend 
etwas geübt wird. Material für Zonbildung, Ausfprade, 
Uebung im Zweiftimmigen ac. fuht man vergebend. Das Ganze 
entbebrt der vollen pädagogifchen und muflfalifchen Berechtigung. 

8. Theoretifhepraltifhe@lementargefanglehre fürdie Schule, 


bearbeitet von U. U. 3. Neehuſen. Erſter Eurfus. Hamburg, News 
Dort, Schuberth und Eomp. 


Eine von gefhicter Hand gemachte Zufammenftellung von 12 Ue⸗ 
dungen zur Einführung der Schüler in das nothwendigfle Willen von 


582 Belang. 


den Tönen und ihren Beichen, fowie zur Anbahnung jener Anfhauung 
der Tonverhältniffe, welche die Bafls alles Singens nach Roten if. 
Beides jedoch, bier im erften Curſus, nur im Bereihe von C-dur. 
Der zweite Curſus wird die übrigen Tonarten vorführen. Beigegeben 
iR das weiter unten mit aufgeführte Liederbeft zu dem doppelten Zwede, 
nit nur der Jugend für die mittlere Periode des Schullebend den 
geeigneten Singftoff zu bieten, fondern aud im Verein mit den aufge, 
führten Lectionen zu zeigen, „daß ein ſyſtematiſcher Unterricht es keines⸗ 
weges nothwendig macht, denfelben der Jugend dur fchaale Treffübun⸗ 
gen, Solfeggien ꝛe zu verleiden, fondern auch ohne diefe an Singweifen, 
die dem durch den Liedtert angeregten Gefühl einen entfprechenden Aus⸗ 
drud gewähren, ausführbar if.’ 


9. Praktiſche Schreibfingfhule Ein Uebungsbuh für das Schreis 
ben und Singen einfacher Tonfäpe und Lieder, bearbeitet von H. Wehe. 
Iwei Curie. Magdeburg, Heinrichöhofen’fche Buch⸗ und MuftfaliensYands 
ung. . 

„Diefer Lehrgang foll in der Einfachheit und genauen Berückſich⸗ 
tigung defien, was den Schülern nach ihren gewöhnlichen Anlagen und 
Fähigkeiten zugemuthet werden darf, feine Rechtfertigung finden..... 
Man wird daher den Ballaft der verſchiedenen Schlüffel, Notentafeln, 
verminderten und übermäßigen Intervalle, Dur⸗ und Molltonarten bis 
zu ſechs Kreuzen und Been und viele andere Dinge, mit welchen mander 
Befanglehrer das Gedächtniß feiner Schüler überladet, hier vergebens 
fuden. ... Die manderlei Schwierigkeiten des Ton» und Notenweſens 
find deshalb nicht in jpRematifcher Meberficht zufammengedrängt, fondern 
auf einen größern Raum vertheilt worden. Die Elemente treten Ans 
fange für fih, dann im lebendigen Zufammenhange von VBolfsliedern 
zur Unjhauung. Die Iebteren find aber wiederum nach der auffleigen- 
den Schwierigkeit, welche Rhythmus, Intervalle, fowie der angemeflene 
Vortrag darboten, geordnet worden.‘ Weber den Gebraud der Schreibs 
ſingſchule gedenkt ſich der Verf in einer befonderen Schrift noch aus 
zufprehen. Die von ihm durchgeführte Analogie zwiſchen Sprach⸗ und 
Sefangunterricdt drüdt er folgendermaßen aus: 1) Der Lefeunterriät 
beginnt mit den Lauten: der Gefangunterricht, wie er in der Schreibs 
fingfehule vorliegt, mit den erften Tönen einer Leiter. 2) Aus den Lauten 
werden Wörter zufammengefept: aus den Tönen werden mufitafiie 
Säge und Liedchen gebildet. 3) Die Wörter werden durch Buchſtaben 
dargeſtellt: Die Töne werden durch Roten bezeihnet (Toni, 2,3, An. f. w.). 
4) Drthographiſche Webungen zur Befefligung der Rechtſchreibung (nad 
Auge und Ohr): Schreib» und Gingübungen als Prüfflein der Ton» 
erfenntniß des Schülers, welche dur das Auge (am Rotenfykem) und 
durch das Gehoͤr (BZahlenfingen) geleitet wird. 5) Auswahl von Mufters 
Rüden im Leſebuch und logiſche und grammatifche Zergliederung derſel⸗ 
ben: Auswahl von Mufterliedern in der Schreibfingfchwie, Dur deren 
Anfhauung die Schüler unter Beihülfe des Lehrers den größten Theil 
ihrer Zonerkenntniß nehmen. 6) Umformungen und Nachbildungen der 
Muferfäde: Umformung und Nachbildung der Muſterlieder. — Die 


Geſang. 583 


AUrbeit verdient ihrem p&dagogifchen Theile nad als eine fleißige, ums 
fihtige und Act elementarifche empfohlen zu werden; von mufſikaliſcher 
Seite verräth fie nicht minder den Beruf des Berf., für die Gefangbik 
Dung in weiteren Kreifen als Mithelfer aufzutreten. 


10. Praktiſch-methodiſche Befangfhule für den Volfsgelang» 
Unterriht nah den Principien und für Die TZonbezeihnung 
3,8 F. Thomascik's. Bon Franz Schmidt. Berlin, I. K. Huber. 

Der fih für die Thomascik?’fche Tonbezeichnung entfcheidet, der 
wird bier in Bezug auf höhere Echulen (während Hoppe für Die 
VBolksſchule gearbeitet hat — vergl. den VII. Band des Päd. Jahresber. 
S. 305) einen fihern Führer finden, felbft dann, wenn er dem Berf. 
in dem Sage: „Der Schüler foll die Roten fingen, wie der 
Lefende die Schrift lieh” nicht in dem weiteflen Sinne beiſtim⸗ 
nen follte. Das Buch if an fih mit Geſchick gemacht, verräth übers 
dies Energie, fordert andy Energie, und wird fih daher unter den Züns 
gern Thomascik's Freunde erwerben. Damit ik indeß nicht gelangt, 
daß diefelben auch die ironiſche, perſönlich werlegende Weife, womit er 
anf ©. 16 einer von der feinigen abweichenden Anficht erwähnt, für die 
wärdigfte und nahahmungswerthefte erachten müßten. 

11. Das Elternhaus und die Kleintinderfhule Blätter für Die 
Erziebung der Kinder in den erften Xebensjahren 2c. Herausgegeben von 
Dr. P. Fölfing. VI. Jahrgang. 

Auch in dem vorliegenden Jahrgange Tieferte diefe wichtige Zeit⸗ 
ſchrift manches Schätzbare über die rechte Behandlung des Gefanges im 
Säule and Hans, während zugleih wiederum Dies und Jenes an ges 
eigneten Gefangfoffen mitgetheilt wurde. ' 


Be Geſangſoff. 
1. Biguralgefänge. 


a) Für Kinder: und weibliche Stimmen. 


1. Volkslieder für Die Säulen der Provinz Preußen. Zuſam⸗ 
mengeflelt von ten Schulräthen bes Provinzial-Gchultollegiums gu Königs⸗ 
berg in Preußen. Königöberg, Berlag von Gräfe und Unzer. 1857. 
Preis: 2 Sgr. 

Die Sammlung if in zwei Ausgaben erfhienen, nämlih im G- 
oder Biolinfhlüffel und im Thomasciffhen Einsichlüffel oder Zahlen» 
notenfpftem, welches Ieptere für das maturgemäßefte, einfache und faß⸗ 
lichſte erflärt wird. Gingeleitet wird das Ganze durch das Metto: 

Bo man fingt, da Inf’ Dich traulich nieder, 
Boſe Menfchen haben Feine Xieder. — 
und durch das zweite: 


Bin Du den Vortrag des Liedes ergründen, 
lixforfihe den Text, dann wir Du un finden. 


584 Geſang. 


Für die Unterklaſſe ind 12, für die Oberklaſſe AO Nummern ges 
geben, unter den letzteren 30 zwei- und 10 dreifiimmige. Daß ein 
von fo wichtiger Stelle ausgehendes Liederbuch nichts Unberechtigtes 
enthalten Tönne, werden die Leſer fich felber fagen. Es liegt hier in 
der That eine Mufterfammiung vor. 

2. Schulliederbuch, enthaltend flufenwelfe geordneten Singeftoff für drei 
Curſe, berüdfichtigend Kirche, Schule und Bürgerliches Leben. SHeraudge 

eben von J. M. Anding, Seminarlehrer. Op. 11. Hildburghauien, 

erlag und Eigenthum der Keſſelring'ſchen Hofbuchhandlung. 1856. 

Das Ganze zerfällt in 8 Curſe, von denen der erſte 56 Lieder 
und Ehoräle für die Unterflaffe, der zweite 54 dergleichen für bie Mittels 
klaſſe, der dritte 81 dergl. für die Oberflaffe enthält. Curſ. 1 liefert 
nur @infimmiges, während Eurf. 2 und 3, mit Ausnahme eines An 
hanges von 5 dreiſt. Nummern, nur Bweiftimmiges bieten. Ueber den 
zweiflimmigen Gefang in der Volksſchule hinauszugehen, hält der Heraus⸗ 
geber nach feinen gemachten Erfahrungen für bedenklich, „wenn nicht 
Alles auf Zäufhung und Dreffur beruhen fol.“ Die Choralmeilen 
fteben einftimmig. „Einffimmig — wie aus einem Munde foll das 
Lob des Hoͤchſten erfchallen! und der mehrfimmige Choralgefang in der 
Schule vorbereitet den aus mehr ald aus einem Grunde verwerflichen 
mehrflimmigen Singfang in der Kirche; deshalb fand jener auc feine 
Berudfihtigung in dem Liederbuche.“ — Die Anordnung der Lieder 
iR im 1. Eurfus mit Rüdfiht auf die allmälige Erweiterung des Stimm 
umfanges von den Mitteltönen aus gemacht, im 2. und 3. dagegen 
nach der Folge der Tonarten, und zwar fo, daß jeder DursZonart fd 
die gleichnamige Moll⸗Tonart anfchließt. Eine Beigabe von 25 rhyth⸗ 
mifhen Chorälen und ein biographifches Verzeichniß der Dichter und 
Gomponiften erhöhen den Werth der mit Umficht angelegten, auch äußers 
ih ſchoͤn ausgeflatteten Sammlung. 

3. Liederquelle. 100 Gedichte für die Jugend, von Karl Enslin 
Mit 1⸗, 2» und 3: ftimmigen Originals Compofltionen und Bollöweilen. 
Herausgegeben von Benediet Widmann. Bier Hefte à 2 Sgr. 24 El. 
eines einzelnen Heftes A 11/a Sgr. und eins frei. Erfurt und Leipzig, 
G. W. Körner. 

Heft 1 iſt tm VIII. Bande des Jahresber. angezeigt. Seitdem 
find die übrigen Hefte erfchienen, dem erften gleich an forgfältiger Aus 
wahl der Terte und der Mufll. Die Gedichte waren theils bisher um 
gedrudt, theils find fie des Dichters befannten Sammlungen: „Lebend 
frühling,“ „Lieder eines Kindes,” „Fromm und frei entnommen. Was 
die Gompofltionen betrifft, fo finden fich deren von Abt, Andre, Bald, 
Chriſt, Drinnenderg, Enslin, Erf, Zeye, Fifcher, Frech, Gellert, Boll 
mid, Harder, Hauff, Henkel, Juſt, Keller, Lanz, Meffer, Methfeflel, 
Neeb, Builling, Reif, Reiffiger, Richter, Ruͤhi, Schädel, Schill, 
Schnyder von Wartenfee, Seeger, Sicher, Speyer, Weber, Wendt und 
Widmann, außerdem eine gute Anzahl Volfsweifen. Das Ganze ift ald 
eine wefentliche Bereicherung des Liederfchages für die Jugend zu be 
trachten. Möge demſelben als einem Originalwerke, nicht zu verwech⸗ 





-Gefang. 585 


fen mit irgend einem zuſammengeleſenen Lieberbuche irgend eines eben 
fo unmuftfalifchen als umpoetifchen Speculanten, die verdiente Beachtung 
zu Theil werden. 

4. Boltslieder, nad den Korberungen der dreiflaffigen Vollsſchule geordnet 
und im hoben Auftrage der Stöniglichen Regierung zu Stralfund heraus 
geneben von F. W. Sering. Heft I.: Volkslieder für die Unter- und 

ittefflaffe. Preis 1 gr. Heft II.: Volkslieder für die Oberflaffe. 

Preis 1 Ngr. Gütersloh, Drud und Derlag von C. Bertelömann. 1856, 

Heft I enthält in Abtheil. 1 27 Lieder für die Unterflaffe, in 
Abtheil. 2 Lieder für die Mittelflaffe, worauf dann in Heft II 30 Nums 
mern für die Oberflaffe folgen. Der Herausgeber war bemüht, . foldhe 
Lieder zu wählen, die, unanftößig nah Inhalt und Weife, ihren ächten 
Volkston und ihre Lebensfähigkeit hinreichend bewährt haben. „Da das 
Bolt vorberrfchend zmeiftimmig fingt, tritt auch in diefer Sammlung 
der zweifimmige Sag in den Vordergrund; einige dreiflimmige Lieder 
dürften vorgefchrittenen Schülern zwedmäßigen Webungsftoff bieten.‘ 
Die Sammlung ift eine wohlgelungene und vollftändig berechtigte. 

5. Sähuls®efänge (ins, zweis, dreis und mehrſtimmig. Bearbeitet und 
herausgegeben auf Beranlafiung des Großherzoglich Badiſchen Oberſtudien⸗ 
rathes. Erſte Abtheilung: Einſtimmige Lieder. Zweite Abtheilung: Zwei⸗ 
ſtimmige Lieder. Dritte Abtheilung: Dreiſtimmige Lieder. Karlsruhe, 
Friedrich Gutſch. 

Abtheil. 1 enthält 27, Abtheil. 2 52, Abtheil. 3 24 Nummern. 
Leptere find in Partitur (20 Kr.) und in einzelnen Stimmen gedrudt. 
Gegen die Auswahl iſt nichts einzuwenden. 

6. Baterländifhes Liederbud, im Auftrage der allgemeinen Weimari⸗ 
fhen Zebrerverfammlung unter Witwirlung von Hoffmann von Fal⸗ 
lersleben und Friebrich Kühmftedt herausgegeben von A. Bräun⸗ 
lich und W. Gottſchalg. Weimar, Herrmann Böhlau. 1856. I. Abs 
tbeilung: Lieber für die Elementarklaſſe. Preis 1'/a Sr II. Abthei⸗ 
lung: Lieder für die Mittelflaffe. Preis 2! Sgr. I. Abtheilung: 
Lieder für die Oberklaſſe. 5 Sgr. 

Die Herausgeber haben, wie fie im Borworte fagen, die bedeutend» 
fen Liederlammlungen benupt, und aus ihnen das gewählt, was fle für 
gut und Acht volfsthümlich hielten. Sie haben dem eigentlichen Volks⸗ 
liede überall den Vorzug gegeben, wie dem weltlichen, fo auch dem geif- 
lichen. In Iepterer Beziehung iſt befonders ‚auf den chriſtlichen Feſt⸗ 
freis Nüdfidt genommen, damit die Sammlung auch dem kirchlichen 
Leben dienftbar, werde. Heft 1 enthält 34 einflimmige, Heft 2 47 
zweiftimmige, Heft 3 79 zwei» und dreiftimmige Lieder, wozu noch in 
Deft 2 8 Kanons und in Heft 3 12 dergleichen fommen. Die Aus 
wahl verdient alle Anerkennung. Der Reinertrag der Sammlung 
iR dem Beim. Beftalogzivereine übermwiefen. 

7. Preußens Liederkranz für Schule und Haus. Eine Sammlung 
der vorzüglichften -Lieder mit den beliebteften Volksweiſen, ein» und mehr⸗ 
flimmig. Herausgegeben von F. 8. Schröder. I. Heft. Zum Bellen 
der allgemeinen Landesftiftung als Rationaldant. Gütersloh, Drud und 
Berlag von C. Bertelsmann. 1856. 


Die Sammlung if Sr. König. Hoheit dem Prinzen von Preußen 


586 Geſang. 


zugeeignet. Sie enthält nicht, wie man vielleicht nad dem Titel ſchließen 
dürfte, ansfchließlich patriotifche Lieder, fondern umfaßt im Bereiche von 71 
Nummern das ganze Gebiet des Bolfsgefanges (mit Ausichluß des Cho⸗ 
tale), wenn ſchon die Vaterlands⸗, Könige und Heldenlieder eine vors 
waltende Bexückfichtigung fanden. Mit Recht bat der Berf. hauptſäͤch⸗ 
ih VBolfsweifen gegeben, darunter anch mehrere bisher noch nicht 
gedrudte. Die meiften Lieder ſind zweiſtimmig, andere drei, auch, wie 
3. B. das Schwertlied, vierflimmig. Lepteres kann ich micht billigen. 
Das Schwertlied if überhaupt weder von drei noch von vier Kinders 
flimmen, fondern einzig und allein vom donnernden Männercdhore zu 
fingen. — Im Mebrigen- fei diefer Liederfranz als eine der beffern 
Sammlungen biermit empfohlen, aud in Hinfiht auf feine [hönen geif- 
lichen Volkslieder, die ihm zu befonderer Bierde gereichen. 

8. Liederfirauß. Yünfundfünfzig zweis und mebritimmige Lieder. Herause 


gegeben von Julius Rod. Dritte Stereotgp- Auflage. Gotha, bei E. F. 
hienemann. 1856. 


Nach Berfügung des Herzogl. Sächſ. OberrConfifloriums zu Gotha 
vom 13. März 1856 foll die Sammlung bei den Gelangübungen in 
fämmtlichen Schulen des Landes in Gebrauch genommen werden, für 
weldhen Zwed fie den Eltern der Schulkinder von der genannten Ber 
börde zum Ankauf empfohlen wird. Außer diefer Berfügung find auf 
dem Umfchlage die beifälligen Urtheile von fieben Gantoren und Lehrern 
über das Liederbuch abgedrudt. Unter Jolchen Umfländen darf man mit 
befonderen Erwartungen und gefleigerten Korderungen an das Werkchen 
gehen. Diefen entfpricht es niht, daB unter 55 Nummern 29, fage 
neun und zwanzig! von der Compofltion des Berausgebers find. If 
denn das deutihe Voll fo arm an Sang und Sllang, daß man das 
Lieder s Mepertoir für die Jugend eines ganzen Landes zur größeren 
Hälfte aus den Servorbringungen eines einzigen Mannes zufammenfellen 
muß? — — Es fommt gar nicht darauf an, wie gut oder übel Herr 
Julius Koh feine Weiſen fang; ibn trifft der Vorwurf, der reichen 
Fülle bereits vorhandener, längft bewährter, in den Säulen und im 
Volke lebender, zu einem unferer edeiften Gemeingüter gewordener Lieder 
viel zu wenig Rechnung getragen zu haben. Bon Erf, Greef, Jacob, 
Zölfing, Richter und dreißig Anderen war zu lernen, wie man fi dem 
Volksliede gegenüber zu verhalten bat. 

9. 50 Iugendlieder für Töchterſchulen, in zweiftimmiger Bearbeitung 
herausgegeben von Heintich Herrmann. Heft I. II. III. IV. Preis 

3 Spr. Göttingen, Diemich ſche Buchhandlung. 

Die A Hefte Äind nur Abtheilungen eines einzigen Lieberbudkes von 
44 Seiten und werden, wie es den Anſchein bat, nicht einzeln ausge⸗ 
geben. Sie enthalten nah ihrer Anfeinanderfoige 1212-124 14 
Lieder, wozu noch ein Unhang von 5 Liedern und 8 Ganons Tommi. 
Gegen die Auswabl ift nichts zu erinnern, mit Ausnahme des Gebete 
in Heft IV Rr. 14: 

D güt’ge Gottheit, Mech’ der Unſchuld bei, 
Dap wir ſtets kindlich find und gut und treu; — 
welches fh im Munde von Ehriftenkindern etwas fonderbat auenimmt. 





Geſang. 887 


10. Llederheft zur theoretiſch⸗-praktiſchen giemeutärgefangiehre 
für die Schule, bearbeitet vor A. A. 3. Neehufen. Üürſter Curſus. 
Hamburg und NeusPork, Schuberth und Comp. 3 Gar. 


Schade, daß unter den gegenwärtigen 50, im Allgenginen ganz 
wohl gewählten Nunmern jene Art von Liedern mit erfcheint, wo die 
Jugend fih ſelber anfingt und aliling über ihre Zuflände reflectirt. 
Sp heißt es in Nr. 11: 


.... Hinweg drum die Sorgen, fie machen uns alt, 
Sie drüden und nieder und machen uns kalt. 
Im Herzen der Jugend glühe nur Luft, 
Und Heiterkeit Fülle mit Wonne die Bruſt. 
Und iſt fie geſchwunden, die göttliche Zeit, 
Dann find wir zum Ernſte des Lebens bereit, 
Erinnerung malt dann lieblich ein Bild 
Der glücklichen Tage, mit Jugend umhüllt. 


Ich mache mich anheifchig, in vorfiehenden acht Zeilen die entichies 
dene Berkehrtheit nachzuweiſen, bin jedoch überzeugt, daß der geichägte 
Herausgeber diefen Beweis gar nicht fordern, fondern mir zugeben werde, 
er habe hier mehr die anfprechende, zugleich einem inftructiven Zwecke 
dienende Melodie, als den Text in das Auge gefaßt, und erkenne die 
Nothwendigkeit an, in zweiter Auflage etwas Befleres an diefer Stelle 
darzubieten. Im Uebrigen verdient das Büchlein Beachtung, zumal da 
es die Grundlage für des Verf. geſchickt angelegten, einfachen und ſach⸗ 
gemäßen theoretifchspraftifchen Elementar⸗Curſus bildet. 


11. anni beitere Lieder für fröhliche Kinder Herausgegeben 

von @. W. Derbfbrung, Sefangichrer an der Zoutfenftädtifchen Reals 

au A n. Zweite Auflage Berlin, Gebauer’fhe Buchhandlung. 
Petſch. 


„Dieſes Buch will kein beſtehendes verdrängen; es kann mit feinen 
ausſchließlich fröhlichen Liedern neben jedem andern benutzt 
werden.” Borwaltend find die Lieder von H. v. Kallersleben mit den 
Volksweiſen, die fie, wie befannt, hauptfächlich den Bemühungen 2. Erf’ s 
verbanfen. Einiges auch if älteren Sammlungen oder unmittelbar dem 
Bolfsmunde entnommen. Für Glementarklaffen,, Kleinkinderfchulen und 
den häuslichen Kreis mag das muntere Büchlein empfohlen jein. 


1%. Liederglöckchen. Wine Auswahl von Liedern und Geſängen aus alter 
und neuer Zeit für die Elementars, Mittels und Oberklaſſen der Volles 
ſchulen. Herausgegeben von F. U. Schulz. Zweites Heft. Oſterode, 
Verlag der U. Sprga’fchen Buchhandlung. 2'/s Ser. | 
10 einfimmige Nummern für Glementarflaffen, 19 zweifttmmige 

für Mittels, 89 zweis und dreiſtimmige für Oberklaſſen. Vierſtimmiges 

it mit Recht ausgeichloffen. Die Auswahl verdient Anerkennung, fo 
au der billige Preis. Unter den vom Herausgeber ſelbſt componirten 

Liedern ift manches Gelungene, doch hätte er immerbin ein wenig zurüds» 


baltender mit feinen eigenen Erzeugniflen fein und das Achte Volkslied 


noch weht, als es geichehen iR, bevorzugen koͤnnen. Ob folgendes Lied 
für Elementarklaſſen geeignet fei: 





588 Belang. 


Ich möchte wohl der Kaiſer fein! 

Dann wollt ich alle Welt beglüden 

Und mid mit himmliſchem Entzücken 

‚Dem Dienft der Menfchenliebe weih'n, u. f. w. 


gebe ich zu bedenfen. Der Humor des befannten Originals if in diefer 
Umdihtung fort, an feine Stelle find nüchterne Gedanken getreten, die 
dag Kind in folder Allgemeinheit gar nicht faßt, von denen es alfo 
auch nicht angezogen und erwärmt werden Tann, und die fogar an fid 
auf einer irrigen Borausfeßung beruhen, nämlich darauf, daß der Kaifer 
allmächtig fei, was ja eben nur im Humor Berehtigung findet. Ich 
bitte mich eines Befferen zu belehren. Im Allgemeinen fol damit gegen 
die Sammlung nichts gefagt fein; fie wird mit gutem Nupen gebraudt 
werden können. 


13. 25 neue dreiſtimmige Jugendlieder zum Gebraud in Bolkafcu- 
len, Bürgerfihulen und Lyceen, componirt von @ Kuhn, Organiſt. 
Dp. 43. 2 Sgr., in Bartien 1'/s Sgr. Erfurt, ©. W. Korner. 

Der Herausgeber hat es unternommen, 25 Originalcompofitionen 
theils zu bekannten und bereit componirten Terten (Das ifk der Tag 
des Herrn — Bei der flillen Mondeshelle — Droben flehet die Ka 
pelle — Ich bin vom Berg der Hirtenfnab’ — Ein getreues Herz zu 
wiffen — u Q.), zu liefern. Ohne Zweifel if das eine ganz bedeus 
tende Aufgabe, und wir müßten Hrn. Kuhn bedauern, wenn er fi ders 
felben unterzogen hätte, ohne das Zeug dazu zu haben. Er hat jedoh 
feine Sache nicht übel gemacht: die Melodien find frifh und die Stim⸗ 
men erfreuen fih im Ganzen einer gewandten, zwanglofen und doch 
wohlberecäneten Führung. So Iäßt fi) denn wohl erwarten, daß 
diefen Liedern, oder doch wenigftens diefem und jenem unter ihnen, 
mehr als ein ephemered Dafein befchieden fein wird. 

14. Jugendluſt. Cine Auswahl beliebter Jugend» und Volkslieder für 

Aule und Haus. Herausgegeben. von einem praktiſchen Schulmanne. 


— in Roten.) Friedberg in der Wetterau. C. Scriba's Bud» 
andlung. 1856. 2 Ger. 


Al Rummern, theils zweis, theils dreiſtimmig. Nichts dagegen. 
15. Liederbuh für Schule und Haus. Zwei und fiebenzig volksthüms 
liche Lieder mit zweiftimmigen Singweifen. Herausgegeben von E. Ham: 
mader. Preis 2!/; Ser. Unna, Verlag von F. W. Rubens. 1855. 
Mit der Auswahl der Lieder kann man einverftanden fein; in ber 
Geftaltung der zweiten Stimme zeigen fi bie und da Unfertigkeiten, 
die ein Mufifus von Profeffion dem Herausgeber leicht nachweifen wird. 


16. Der bürgerligde Sänger Cine Auswahl von 55 Jugendliedern, zum 
Gebrauche in höbern Bürgerſchulen und obern Elementarklaffen gefammelt 
und die meiften mit —— der Kräfte und des Geſchmackes ber 
Schüler 2⸗, 3s, oder Aftimmig bearbeitet von Ferdinand Beim, Lehrer 
der höhern Bürgerfchulfe zu Conſtanz und Ghorregent zu St. Stephan 
bafelöft. Donauefhingen, Berlag der 2. Schmidt'ſchen Hofbuchhandlung. 


55 Nummern, ‚aus den beften älteren und neueren Sammlungen 
gezogen.” Paſſirt. 





Geſang. 589 


17. Sammlung polypboner zweis und dreiftimmiger Hebungen 
und Befänge für böbere Töchterfchulen und Mädcheninſtitute. Methos 
dDifch geordnet und herausgegeben von Benediet Widmann. Erſtes 
Heft, 40 zweiftimmige Webungen und Gefänge.. 5 Sgr. Zweites Heft, 
30 dreiftimmige Uebungen und Geſänge. 6 Gyr. Leipzig, ©. Ani 

urger. . 

„Borliegende Sammlung hat den Zwed, jenen höheren weiblichen 
Schulanſtalten, welche mehr Zeit und Mittel auf den Gefang verwenden 
und denſelben mehr als Kunftobject behandeln Tönnen, als den Volks⸗ 
und Bürgerfchulen möglich if, eine Auswahl ſolcher Webungen und Ges 
fänge zu bieten, welche auf den polyphonen Befang, wie man ſolchen 
im höhern Style der Oratorien, Meffen und Motetten vertreten findet, 
vorbereiten. Die vorhergehenden, methodifch geordneten contrapunktiſchen 
Uebungen werden zunähft dazu beitragen, das felbfiftändige Auftreten 
der einzelnen Stimmen zu begründen; und die Auswahl, zum Theil 
eclaffifcher Befänge, gibt Gelegenheit, die erreichte Singfertigkeit und 
Feſtigkeit erfprießlichft anzuwenden.’ So das Vorwort. Ic fege nur 
binzu: Diefe Sahen find vortrefflih und föllten nirgends fehlen, wo 
man über das gemöhnlihe Schullied hinausgehen Tann. Hier kommt 
auch der Alt zu feiner vollen Geltung, bier ift au ihm Raum geger 
ben zu freier, felbfifländiger Entwidelung. Das muß ja überall bildend 
und erfreuend für die Schülerinnen fein. Wie viel Schönes, Erquick⸗ 
liches und Erbauliches bieten namentlih im 2. Hefte die Stüde von 
Händel, Bad, Beethoven, Mendelsfohn, Löwe, Cherubini zc., fowie auch 
von altitafienifhen Deiftern dar! Dan fäume niht, Gebrauch von 
diefen Heften zu machen, die übrigens ganz wohl auch für Knaben» und 
namentlid für Präparandenfchulen geeignet find. 

18. Zweiftimmige Feſtgeſänge au boben Feſttagen des Kriftlis 
Gen Kirchenjahrs. Zum Gebraude für Volksſchulen herausgegeben 
von 5 A. —2 Oſterrode, Verlag der Sorge'ſchen Buchhandlung. 

25 Nummern, nach der Ordnung des Kirchenjahres, von Selmar 
Müller, Franz Abt, Th. Wiegand und F. A. Schulz, theils 
liebförmig, theils nah Art Peiner Chöre componirt. Der Herausgeber 
wollte eine Reihe von kirchl. Zeftgefängen auch für folhe Schulen dars 
bieten, wo die Zahl der Kinder fo geringe ift, daB für das Einüben 
einer dritten Stimme feine Sänger zu haben find. Diefen Zwed hat 
er in angemeffener Weife erreicht. Freilich will es fcheinen, daß für den 
kirchlichen Gebrauch folder Sachen eine Orgelbegleitung, die den beiden 
Kinderfiimmen ein tragendes und füllendes Fundament zu gewähren hätte, 
ein fchwer zu entbehrendes Erforderniß fei. 

19. Praktiſcher Singlehrer. Zweite Abtheilung: 56 zweis und dreis 
flimmige Lieder. Eomponirt von Joh. Bapt. Hamm, Gefangfehrer am 
Gymnaflum fowie an der höhern Bürger: und Provinzials@ewerbfchule zu 
Trier. Trier, F. A. Gall. 1857. . 

Folgende Texte: Stimmt an mit hellem, hohem Klang — Kommt, 
laßt uns geh’n fpazieren — Böglein fingen, Vöglein fpringen — Zage 
der Wonne, kommt ihr fo bald?! — Ich Bin vom Berg’ der Hirten» 





590 Geſang. 


knab — Kennt ihr das Land, fo wunderſchön — Go leb' denn wohl, 
du flilles Haus — Aller Menſchen Bater, höre — Der Schnee zer 
tinnt, der Mai beginnt — Morgen erwachet, Dunkel entflieft — Gingt, 
Kinder, beim Spazierengeh’n — Wenn in die Berne vom Bellen ih 
ſeh' — Komm, Freude, fei gefegnet — Dort finfet die Gonne im 
Velen — Wie lieblih hallt —, weiche fi mit ihren Melodien bereits 
in taufend und aber taufend Schulen eingebürgert baben und darım 
mit Recht zu dem Repertoir des allgemeinen deutfchen Jugend», um nidi 
zu fagen Lebensgefanges gerechnet werden, bat Dr. Hamm neu come 
yonirt. Warum? weiß ich nicht zu fagen. Man kann freilich wohl 
dergleichen zu feiner Uebung thun; darf man aber die neuen Weiſen, 
fo gut fie auch gelungen fein möchten, ohne Weiteres an Gtelle ber 
alten, zur Tradition gewordenen, dem Bolfe darbieten? — — Uuter 
ben übrigen Zerten findet fich leider Manches, womit der Herausgeber 
im offenbaren Widerſpruche gegen die Grundfäge fleht, welche die neuere 
Bädagogit in Bezug auf Wort und Ton des Jugendliedes unwiderzuf 
lich und unumfößlich fergeftellt bat. Nur Vorzügliches an Tert 
und Muſik if berehtigt, alles Andere verwerflid. Hier 
nad prüfe man Folgendes; 


Zufriedenheit. 


Selig, wer mit jedem Morgen 
Nur zu Freud' und Luft erwacht, 
Dem, entfernt von bangen Sorgen, 
Stets ein heit'rer Himmel lacht; 
Der des Lebens kurze Tage 

Frohen Muth's genicht; 

Deſſen Leben ohne Klage, 

Ohne Vorwurf ſanft entfließt, 

Der im ſtillen Ktreiſe 

Lebt als wahrer Menſchenfreund. 


Ich ſehe ab von der Formlofigkeit dieſer Zeilen. Ich frage nur: 
Wo ift der Menſch, deffen Leben ohne Klage und ohne Vorwurf fanft 
entfließt? — Hat die Schule nichts Befleres zu thun, als illuſo⸗ 
rifche und chimärifche Zufände felig zu preiſen? Die Schrift fagt: 
Selig find, die Gottes Wort hören und bewahren; — aber fie fagt 
nichts, was ſolche Träumereien, wie fie oben zu lefen, nur entfernt 
zechtfertigte. — 

Unter Ar. 23 ſteht: 


Vaterlandslied. 


Hell dem deutſchen Vaterland, 
Tas fi hoch erfreuet, 

Schöner Saaten, von der Hand 
Edler ihm geftreuet. 

In beglüdter Menſchen Kreis 
Zdnt dem Baterlande Preis. 


Helt ihm! Edlen Thaten weiht 
Noch die Nachwelt Lieder, 


Geſang. . 594 


au blicken hocherfreut 

Auf den Edlen nieder. 

Noch in ſpäter Nachwelt Kreis, 
Tönt dem edlen Manne Preis. 


Dies if das ganze PBaterlandelied, mit genauer Reibehaltung der 
Interpunction. Ich darf es mir wohl erlaffen, das Sciefe und Schie⸗ 
lende in dem Inhalte Diefer Reimerei naczuweifen. — Wie fchlimm 
wäre es um unfer fchönes Vaterland befteflt, wenn folcher Verſuch einer 
Stylübung zu dem Beten gehörte, was wir von ihm zu fingen und 
zu fagen wiffen! — 

Nr. 26 lautet: 


Preis der Säule. 


D wie herrlich, o wie ſchön 

Iſt es in Die Schule geh'n! 

Schnell laͤßt fi die Zeit vertreiben; 
Lernt man Rechnen, Leſen, Schreiben! 
D wie herrlich zc. 


In der Schule ſtrahlt uns Licht, 
Gähnt man nur wie Faule nicht; 
D fo lernt man tägli Sachen,. 
Die und gut und glüdlih machen! 
Drum iſt's herrlich ꝛc. 


Recht ſehr bedaure ich die Schüler des Gymnafſiums, der höheren 
Bürger» und der Provinzial⸗Gewerbſchule in Trier, wenn fle mit derlei 
bölzerner und ſtroherner Poefle regalirt werden! Wie indeß Alles feine 
zwei Seiten hat, fo fcheint mir das vorkiegende Mufergediht — da ja 
der Geſangſtoff auch ſprachlich verarbeitet werden fol — eine Wichtig⸗ 
Peit für Die Auffaplebre zu befipen, indem ſich bier u. A. das neue 
und anziebende Thema darbietet: „Wie wird Lichtausfrahlung durch 
Gähnen gehemmt?” 


20. Geſangbuch für die Gemeindefhulen des Kantons Aargau 
Bearbeitet von D. Elfter, Seminariehrer in Wettingen. Aarau. Drud 
und Verlag von 3. 3. Ehriften. 

Diefes Geſangbuch, veröffentlicht auf Anordnung der Erziehungs» 
behörde des Kantons, liegt in zwei ParallelsAusgaben, der reformirten 
und der Fatholifhen, vor. Daflelbe führt in drei Abtheilungen vom 
Leihtern zum Schwerern, berüdfihtigend ‚Sowohl die Fähigkeiten der 
Kinder auf der erſten Singftufe, wie ihre weitere Ausbildung im Ge⸗ 
fange. Die erſte Abtheilung if für die untern Schulklaſſen beſtimmt 
(Kinder von 6— 9 Jahren). Preis ungeb. 24 Rp., in R. E. Leder gebunden 
44 Np. Die Bahl der Lieder beträgt 102, wozu noch 14 Ganons und für 
teformirte Schulen 18 Choräle kommen. Nr. 1—62 der Lieder find eins 
Rimmig, die übrıgen zweiſtimmig — Der zweiten Abtheilung der Geſänge 
geht eine „kurzgefaßte Anleitung, nad Noten fingen zu lernen‘ voran, 
20 88. einnehmend und auf befannte Weije die Schüler zuerk in C-dar, 
dann in die Übrigen Zonarten einführend, Die Zahl der Gefänge ſelbſ 








592 Geſang. 


]J 

beträgt 76, wovon 43 nach der Folge der Tonarten (einſchließlich auch 
der Molltonarten) geordnet, die übrigen frei zuſammengeſtellt find. Als 
Anbang find a) 7 Kirchenlieder für beide Eonfeffionen, b) in der refor⸗ 
mirten Ausgabe 10 zweiſtimmige Choräle, in der Tatholifhen 4 Marien 
lieder beigefügt. Der Preis diefer für die mittleren Schulklaſſen 
(Kinder von 9— 12 Zahren) beftimmten Abteilung if 26 Rp., in 
R. E. Leder gebunden 46 Ay. Die dritte Abtheilung Bietet für die 
obern Schulklaſſen (Schüler von 12 — 15 Jahren) und für diefelben 
Klaffen der Bezirfsfchulen 55 dreiftimmige Lieder und fleine Chöre, 12 
Canon, desgl. 8 reformirte Choräle in der einen, 12 Meßs und Pre 
Digtgefänge in der andern Ausgabe dar. Preis 20 Rep., geb. AO Rp. — 
Dem Ganzen gebührt die Anerkennung einer forgfältigen, umfichtigen, 
auf Bewährtes in Wort und Zon gerichteten, den wichfigften Lebens 
beziehungen, namentlih auch den vaterländijchen, im rechter Weife und 
in rechtem Maaße Rechnung tragenden Auswahl des Singfloffse. Somit 
darf gefagt werden, daß die Schulen des Kantons Aargau mit diefem 
Geſangbuche wohl berathen find. Möge der Inhalt deffelben einem recht 
großen Theile nach zum fichern, unverlierbaren Eigenthume der Aargaui⸗ 
Ihen Jugend werden! Dies wird dem wadern Verf. der erwünfchte Kohn 

für feine eben fo mühevolle als verdienftlihe Arbeit fein. 
21. geomm und Fröhlich! Geiftlide und weltliche Volkslieder und neuere 
efänge für mittlere und obere Klafjen katbolifcher Volksſchulſen. Gefam- 
melt und herausgegeben von Benediet Widmann. Erſtes Heft. Rebſt 


einem Borworte vom Negierungd» und Schulratb Kellner. Eſſen, G. 
D. Bädeler. 1857. 


In dem Borworte fagt Hr. RR. Kellner u. A: ..... Bi 
man oft genug beim Spradhunterricgte nur die äußerlihe Erſcheinung 
der Sprache, die reine Grammatik, lehrte und darüber vergaß, daß die 
Sprache der Ausdrud des inneren geifligen Lebens iſt; fo bat man 
nicht minder auch den Sefangunterricht oft zu äußerlich blos in Betreff 
der Technik aufgefaßt, und hat überfehen, daß auch er Ausdrud erhoͤh⸗ 
ten geiftigen Lebens und Empfindens if. Nunmehr aber darf man e% 
warten, daß unfere Volksſchullehrer auch dem Terte des Liedes Auf 
merffamfeit widmen, und den Zuſammenhang, die Wechſelwirkung nicht 
außer Acht Laffen werden, welche zwifchen Text und Melodie, wie zwis 
fhen Seele und Leib beftehen. Es wird ihnen klar werden, daß gerade 
beim religiöfen und weltliden Volksliede diefer innige Zufammen 
bang fih am reinften ausprägt, und daß darin der hohe Zauber liegt, 
welchen fle auf Jung und Alt ausüben. Er ſetzt dann hinzu: „Bon 
ſolchen Anfichten fcheint mir auh Hr. B. Widmann bei der Zufam- 
menftellung feiner Liederfammiung ausgegangen zu fein. Ich glaube, 
Daß diefelbe aus den rechten Lebensquellen geichöpft und darum m 
Wahrheit geeignet if, eine fromme und fröhliche Jugend beranzubilden. 
AR doch nur der wahrhaft Fromme aud wahrhaft ias Ich habe 
daher gerne dem Wunſche des Hrn. Verf. entſprochen und einen Lieder⸗ 
kranz mit dieſem Vorworte begleitet, deſſen Blumen ſo haͤufig auf katho⸗ 
liſchen Grund und Boden gepflückt und mit beſonderer Rückſicht auf 


Geſang. 303 


katholijches Leben und Denken zuſammengeſtellt ſind.“ — Ih füge 

dem nur noch hinzu, daß das Heft in 3 Abtheilungen zerfällt: J. Geift⸗ 

lihe Lieder, 14 Nummern; 1. Weltliche Bolkslieder, 13 

Nummern; III, Neuere Gefänge, 10 Nummern, und daß der Berf. 

feinen fchon anderweitig nachgewieſenen pädagogifchen wie mußlaliſchen 

Beruf für deriei Arbeiten aud bier Dargetban hat. 

22, Liederbud für die oberen Glafien der Bürgerfchulen fowie für Gym» 
naflen und Realſchulen. Herausgegeben von —* Kr Lehrer in 
Köthen. Enthaltend: drei⸗ und vierſtimmige Lieder und Selinge. Kalle, 
Drud und Berlag von 9. W. Schmidt. 

79 dreiftimmige Lieder und 9 Canons. Die Sammlung zeugt in 
dem vielen Guten und Trefflihen, das fie bietet, von dem Fleiße und 
der Umficht des Herausgebers. So gern ich dies anerlenne, fo entſchie⸗ 
den muß ich gegen das Lied Nr. 17 protefliren, wo abermals jene Phi⸗ 
lofophie des Genießens gepredigt wird, die man nur einmal ernflich 
beim ‚Worte zu nehmen braucht, um ihr nachzuweiſen, daß fie nicht 
zeitig genug unfere Schufbuben zu Gigarren und Lagerbier, Kartenfpiel 
und Würfelluf, Schaufpiel und Tanzvergnügen und jeder fonfigen locken⸗ 
den Form des Fidel»Seins hinführen kann. Ich fehe das in Rede 
fiehende Lied vollftändig her und frage jeden ernſten Pädagogen, ob bie 
bier ausgefprochene Lebensanfhauung mit ihren Gonfequenzen von einer 
chriſtlichen Schulanftalt gegenüber den Eltern ihrer Zöglinge vertreten 
werden fann, zumal in unferer jegigen genußfüchtigen Zeit. 


Lebensgenuß. 


Kurz und flüchtig ift des Menfchen | Kümmert oft fi mitten im Genießen, 
Leben, | Macht fich ſelbſt die reinfte Luk zum 


eid, 
Und fo reich des Sebeng Etröme 


geben, en, 
Raub er ſich Durch Zögern den Genuß. Martert er fih durch Enthaltſamkeit. 
Geht der Freude, die am Wege winter, Er vergißt der Jahre Flügelſchnelle, 
Blind vorüber, bangen Zweifel voll; Daß, was einmal flieht, auf immer 
Wenn, was lebt, aus ihrem Beer 


weicht; 
trinket, Schoͤpft erſt dann aus deafegten 

Fragt er grübelnd fi erſt: Darf ich's uelle, 
wohl? (!!!) Wenn der Tod Ihm feinen Becher reicht. 


Ab! Genuß mit reinem, edlem Herzen 
Soft’ er immer ſich verfagen nie; 
Eon genug find der Entbehrung Schmerzen, 
Warum tböricht noch vermehren fie? 
Gab uns Gott denn unfer Herz vergebens ? 
lößt umfonft er ihm Empfindung ein? 
ein, er fchentt es uns ale Glück des Lebens, 
Und genießen Heißt ihm dankbar fein. 


23. 50 Kinderlieder zum Gebraud in den Elementarklafien höherer und 
‚niederer Schulen. Herauögegeben von H. Wehe, Leipzig, Friedrich 
Branpdftetter. 1856. Motto: Ich finge, wie der Bogel fingt, der in den 
Zweigen wohne. (Göthe.) 


„Die vorliegende Sammlung if für Elementarklaſſen beſtimmt. 
NRacke, Sabreöberiht. X. 38 


Und wie oft verfäumt er den Genuß! 
Zreuden, ihm aus voller Sand ges 


’ 


594 ' Gang. 


Auf diefer erften Unterriäitshufe fol der dargehotene Sefangesſtoff den 
freien Ueberfirömen der kindlichen Seelen im Gefang auf die rechte 
Weife befördertich werden und zugleich Material für den AnfGauungss 
Unterriht Kiefern. Das Bedürfniß einer Sammlung von Liedern, 
weiche dem Lehrer für den Anſchauungs⸗Unterricht einen frifehen Quell 
und reichhaltige Anknüpfungspunfte darbietet, iſt in Tepterer Zeit mehr 
fach laut geworden. Leider enthalten aber die meiften Sanmlungen 
diefer Art nichts weiter als einen wäflerigen Sentenzenfram, sin maly 
armes Liedergebrän voll abgeſchmackter, unkindlicher Reflerionen, das 
einer ſtarken, befeelenden Wirkung auf die muntern, gefunden Kinder 
feeien, eines geiftigen Kernes und einer muflfalifihen Pointe meiſt ganz 
entbehrt. Unfere Sammlung ift indeß ganz und gar aus der Kinder 
ſchule hervorgewachſen ımd bietet nur folche Lieder dar, welche bie 
Kinder mit größter Freude und Luft in der Schule lernten und zu 
Baufe fangen, wo fie gingen und flanden.” So der Herausgeber im 
Borworte. Wenn er alddann noch wünſcht, „daß diefe Lieder ſich auf 
anderswo bewähren und beitragen mögen, den Beobachtungstrieb ber 
Kinder gu weden, ihr Herz und Sinn dem Böttlihen und Schönen zu 
öffnen und einer Lection, die fo oft in langweilige und unvernünftige 
Berftandeslhungen ausartet, Friſche und Interefſe zu verleihen,” fo 
fimme id diefem Wunſche gern bei. Bemerkt fei noch, dag das Buͤch⸗ 
lein weſentlich nicht ſowohl Neues, als vielmehr eine Auswahl des Been 
aus den vorhandenen Sammlungen gibt. Alle Lieder And einftimmig, 
heitere finden fih 40, ernfie 12. 

24. Sangesfreuden. Drei und fünfzig zweis und dreiftimmige Lieder für 
Padagogien, Mealichulen, fowie für Die oberen Alaffen —— 
bearbeitet von Wilhelm Heinrich Koch, Geſanglehrer am Herzoglich 
Naſſauiſchen — zu Dillenburg und Lehrer an der obern Mabdchen⸗ 
ſchuie daſelbſt. Dillenburg, Verlag von Heinrih Jacobi. 1836. 

‚ Ernſte und heitere Lieder, entfprechend dem Bedürfniffe der am 

dem Zitel genannten Schulen, einige nicht übel gerathene Rummern 

auch von der Gompofition des Herausgebers. Ausgenommen von dem 

Beifalle, den ih dem Ganzen ſchenke, heibt Nr. 25 „‚Zeitgefang,” wo 

abermals die Philofophte des flotten Bebenzgenuffes ihre bedenflicen 

Lehren ertheilt, und eine Lebensanfhauung fi fund gibt, zu der in 

threr Oberflächlichkeit und Aeußerlichkeit aud der heitere Chriſt fid 

nicht befennen kann. 
» . . „Brüder, lernt die Kreuden finden! 
Sie erhafchen ift Gewinn.” 
„Dieſes Leben gleicht dem Feſte 
— Freund Ay a e Sit. 
Kreunde find wir, Freund’ und Gaͤſte 
Eines Freundes, der uns liebt. 
Brüder, winkt dereinſt die Paufe, 
Laßt uns unerſchrocken fteb'’n, 
Und vom freundſchaſtliichen Schmaufe (!!!) 
Als verjüngte (2°?) Bäfte gehn 

u... Bedarf e8 weiteren Gloffen über ſolthen Singſangk — 





ln 05 


25. Gang und Rinng für Madchenſchulen von. 


Angaſt ——* In 
drei Heften. Erſtes Heft: enthaltend 106 einfimmige Rieder. Dritte vers 
mehrte Auflage, berauögegeben von Carl Colberg, Königlider Doms 
fänger und Gefanglehrer an der Königlichen Realfchule und der Königli⸗ 
chen ae Höheren — zu — —8 Verlag 
von Rudolph Gärtner. elang ſche Sortiments⸗Buchhandlung. 
frage 11. 1837.. B Sr 6 Bräden 


Eine bewährte, in vielen Mädchenſchulen bereits eingeführte Gau 


fung, vorherrihend Volksweiſen enthaltend. 


26, 


Schullieder. Zweite Lieferung. Preis 1a Nor. Bütersioh, Verl 
von C. Bertelsmann. 1856. i b, Berlag 


Die erſte Lieferung liegt nicht vor. GBegenwärtige zweite enthält 


54 zweis und breiftimmige Nummern geiſtlichen und weltlichen Inhalts 
in guter, volfömäßiger Auswahl und Zufammenftellung. | 


1. 


2 


= 
. 


In neuen Auflagen liegen vor: 


Roacks „Liederkranz,“ Heft 1, 95 zweiflimmige Volkslieder und 13 
Canons enthaltend. Bierte Gtereotyp-Ausgabe. (Text und Noten uſam⸗ 
En hi Nor, Schneeberg, Br. Fr. Goediche. (Dergl. Band V de P. 

ahresber. 


Ludwig Erk's und Auguſt Jakob's Deutſcher Liedergarten“ 
(für Wädchenfhulen). Heft I, 70 eins und zweiſtimmige Lieder enthaltend. 
Dritte (Stereotyp=) Auflage. 2a Sgr. n, ©. D. Bädeker. 


. U. 8, Löchner's Deutſches eerbug für Knabenſchulen. Obere 
verb. Aufl. 


Stufe, 64 meiſt dreiſtimmige Lieder. 2. 


3 Rar. Reipsig, 
Jul. Alinkpardt. (Berg. Band IX.) Rat. Reipsig 


. Liederkranz für deutfäe Schulen x. Herausgegeben von Lehrern 
. ber Grafſchaft Mansfeld. Zweites Heft, 3. —** 


e Auflage, 58 2 
und Iftimmige Lieder enthaltend. (Eisleben, Kuhnt (E. Gräfenhan). 3 Ser, 
(Bergl. Band V.) 


C. Hartung's und F. Schmidts „Schulfiederbud in der Ton 
— von F C. J. Thomascit.“ v 1, 2 Auflage. 100 
1: und zittmmige Lieder und Ehoräte. Berfin, 9. E. Huber. 5 Ser 
(Zergi. Band VIII.) 


. Mein „Liederhain,” und zwar Heft 1 in 8., Heft 2 in 5. Stereotyp⸗ 


Ausgabe. Heft 1 enthält 37, Heft 2 36 zweis und dreiftimmige Lieder 
von fiherfter Bewährung. Der Preis jedes Heftes if 1’/. Gyr. Werfag 
von C. Merſeburger in Leipzig. (Bergl. Band IX.) 


. Meine „Kinderharfe,“ 46 erprobte Kleber Tür Anaben und MM 


(hen 
von 5—8 Jahren enthaltend. 3. Stereotyp⸗Ausgabe. 1%, rt. Seipgig, 
G Meike (Best. Band IX) nagate. I gr, Belnäig 


b) Für Maͤnnerſtimmen. 
(Nur Kirchliches und Vollsmäßiges.) 


. Liturgiſche Chöre. Sammlung von Eompofitionen zu Bibeli 


ſprocher 
und andern geiſtlichen Texten für Männerſtimmen. Zum Gebrauche Gel 
‚iturgüfchen Andachten, ſowie anderen gotteödienftlihen Feierlichkeiten iu 
der Stiche, in Seminarien und andern höhern Unterrichtsanftalten übers 
haupt, heranögegeben von Earl Mettner, Seminar Mufllichier. Op. & 


38* 


596 | Geſang. 


Gubfertpiiond » Breis 1 Thlt. Partiepreis won 12 und mehr Gyewplaren 

baar & 20 Egr. und bei 24 Egemplaren noch eins frei. Erfurt und Leipzig, 

G. W. Körner's Verlag. 

Nachdem diefes Werk bereits mehrere anerkennende und empfeb- 
ende Beurtheilungen erfahren hat, auch von dem Hrn. Minifer der 
geiftlihen Unterrichts» und Medicinals Angelegenheiten in einer Anzabl 
von Exemplaren an verfchiedene höhere Unterrihtsanflalten vertheilt 
worden ift, fo möge fih die gegenwärtige Anzeige auf Nachſtehendes 
beihränten. Die Zahl der Gefänge beträgt 76, wozu ein Anhang von 
26 Sätzen (verichiedene Amen, Heilig 2.) für die gewöhnlihe Sonn⸗ 
tags⸗Liturgie kommt. Neben ganz furzen Stüden von 8 Tacten x. 
ſtehen ausgeführte Chöre, die zum Theil in Partitur den Raum von 
3 Seiten füllen. Bieles hat Hr. Mettner felbfi geliefert (33 Num⸗ 
mern), außerdem finden ſich Eompofltionen von U. Bergt, Bort⸗ 
niansty, ©. Zlügel (14 Rummen), Hillmer, 9. €. Kelz, 
B. Klein, 9 ©. Nägeli, & Schnabel und F. W. Sering, 
auch ein älterer Sag von U. Oumpeltzhaimer. Georbnet if das 
Ganze in diefer Weife: Advent, Paffion, Oftern, Pfingften, Trinitatis, 
Haus und Wort Gottes, Buße, Bitte, Glaube, Lob und Dank, chriſi⸗ 
licher Wandel, Tod und ewige Seligkeit. Ein Salrum far regem 
bildet den Anhang. Dem Bernehmen nah wird die Sammlung bereits 
in mehreren Seminarien für den Zwed liturgifcher Andachten gebraudt. 
Auch abgeichen von der erbaulihen Berwindung diefer Ehorgefänge 
wird das Singen berfelben für den Seminariften fehr erfprießli fein, 
indem fie ihm in den einfachften Formen durch ihren Ernſt und ihre 
Würde das Weſen kirchlicher Tonkunſt unmittelbar zur Anfchauung und 
zum Bemwußtfein bringen und ihn fo für die Einführung in größere 
Werke diefer Gattung befähigen. 


2. Geiſtliche Männerhöre, alte und neue, für Freunde des ernſten 
Männergefangee. Herausgegeben von Wilhelm Greef. Zweites Heft 
(mit Berüdfitigung der kirchlichen Kefte), 123 Gefangnunmern, worunter 
72 Originals Gompofitionen, enthaltend. Gtereotyp» Ausgabe. Eſſen, 
G. D. Bädeler. 10 Ger. 

Nachdem in unfern Tagen fich vielfah das Bebürfnig Liturgifcher 
Andachten ausgeſprochen hat, fo foll das vorliegende Heft für Diele Ans 
dachten und für religiäfe Feiern überhaupt, wie für die Pflege der hei⸗ 
ligen Zonfunf und des kirchlichen und chrifllichen Lebens einen zweck⸗ 
dienlichen Beitrag liefern. „‚Sachlenner werden willen, warum und 
wozu die biblifhen Borlefungen und die Choräle bei den Titurgifchen 
Ehören angedeutet, und weshalb bei den meiften Gefangnummern noch 
andere angegeben find, jedoch ſtets im Anfchluffe an die liturgifchen Ans 
dachten der Königl. Hofs und Domkirche zc., von Fr. A. Strauß 
(Berlin, W. Herp). Gewiß iſt es, daß bei fefflehender Ordnung eine 
belebende Abwechfelung, bei übereinftimmender Grundform eine evange⸗ 
Yifchsfrete Bewegung, bei heilfamer Einheit eine fortbildende Mannigfal⸗ 
tigkeit, welche eine zeitgemäße Wiederherftelung manches Xelteren nicht 
ausſchließt, fattfinden Fann, was die Geſchichte der Liturgifchen Andach⸗ 





Geſang. 607 
ten befätigt, und ſelbſt förderlih für das Gefühl der chriſtlichen Ge⸗ 
meinfchaft wirft. Diefe Gemeinſchaft ift au in den Stimmen frommer, 
chriſtlicher Männer verfchiedener Zeiten und Länder, in den mit dem 
Evangelium übereinfimmenden alten KRirchengefängen als Träger der un⸗ 
getrübten, wunderbaren Einheit des Glaubens zu finden; es ſind fomit 
ſolche Ehorgefänge als gemeinfames, rechtmäßiges Erbeigenthum von der 
Chriftenheit, erbaut auf dem Felſen des Bibelmortes, feftzuhalten und 
zu benupen. Laſſe man ſich bei reicher Auswahl durch das, was man 
etwa anders wünſchen mag, nicht von dem gefegneten Gebrauche desje⸗ 
nigen abhalten, was an» und hinaufzieht. Wird doch der Sinn für 
bas Schöne und Erhabene durch die Erſcheinung deffelben am ſicherſten 
gebildet, und die Erkenntniß des Zwedmäßigen, oft erfchwert von bes 
engender und bemmender Gewohnheit, dur die Erfahrung nicht felten 
ſchnell gefördert.” Nach dieſen Anfihten und Grundfägen hat der 
Herausgeber gearbeitet. Er giebt als Hauptfache 12 vollkändige Litur⸗ 
gien für Weihnachten, Jahresfhluß, Sonntag nad Weihnachten, Anfang 
der Paffionszeit, Charfreitag, Oſtern, Bußtag, Himmelfahrt und Pflug 
fen, Reformationsfeſt, Todtenfeſt, Begräbnißfeier, fonntäglihe Vesper. 
Dieſe Liturgien enthalten circa 100 größere und kleinere Tonfäge älterer 
und neuerer Beit, und es if fein geringes Berdienft des Herausgebers, 
biefe Stüde zufammengebraht, zum Zheil neu bearbeitet, geordnet und. 
zum bequemften Gebrauche dargeboten zu haben. Biele Nummern find 
von Ernſt Richter, dem wir auf dem Gebiete des kirchlichen Männer⸗ 
gefanges ſchon manche werthvolle Gabe verdanken und dem es vor 
mandem Andern verliehen fein dürfte, in der Weile und im Geifte 
B. Klein’s zu componirn. Der Anbang liefert Refponforien und 
Ghorgefänge für den ſonntäglichen Gottesdienft, 14 Nummern. Dann 
folgt eine Zugabe von 30 Gefängen verichiedenen Umfanges für mans 
cherlei kirchliche Beranlaffungen, meiſt vortrefflihde Sachen, unter denen 
befondere mehrere uralte Säge von Felice Arnerio, Giov. Nanini, 
Ant. Lotti, Zosquin de Pres, fowie aud eine Reliquie von B. Klein, 
ein durheomponirter Pſalm mit Bianofortebegleitung, zu nennen find. 
So erfheint denn das Ganze als eine gar wichtige Handreichung für 
die Uebung heiliger Tonkunſt auf dem Gebiete des Männergefanges, 
und man bat nur zu wünfchen, daß ein recht umfaffender Gebrauch 
möge davon gemacht werden. " 
3. Trauerllänge Vierſtimmige Gefänge für den Männerdor, zum Bes 
brauche bei Trauerfeierlichkeiten Herauögegeben von J. 9 Lüßel, 

Erfurt und Leipzig. Gottf. Wilh. Körner's Berlag. 

Eine Auswahl recht angemeflener Gompofitionen von Faißt, 
Schletterer, Weigl, Zac. Handi (Gallus) Reihardt, Flem- 
ming, Rind, Elfäffer, Bifhoff, BU Weber, 8.28. Haß⸗ 
ler, Ciſenhofer, Beneken, Fr. Schneider, Kloß, Graun, 
Grell, Spohr, Hellwig, Seyfried und Lützel, im Ganzen 26 
Rummern, theils liedförmig, theils motettenartig. Hervorzuheben find: 
das uralte Ecce quomodo moritur justus (1587) mit deutfchem Tert, 
Spohr’s: „Selig find die Todten,“ Rind’s: „Selig find des Him⸗ 


508 Geſang. 


mels Erben,“ Bifhoff’s: „Wiederſehen,“ ein kleines Requiem von 
Hellwig, ein dergleichen von Lützel, Grell's: „Chriſtus if die 
Auferſtehung und das Leben,’ auch H. M. Echletterer’s: „De 
Herr hars gegeben, der Herr hat's genommen.’ Kür eine zweite Aufs 
lage gebe ich den Rath, das befannte: „Raſch tritt der Tob den Mew 
fhen an,” weldes Hr. Zügel ‚am Grabe eines in der Kraft der 
Jahre Vollendeten“ fingen läßt, doch lieber zu befeitigen. So ſchoͤn 
auch Dichtung und Gompofition an fih fein mögen, fo hat doch ber 
kirchliche Chor an einem Grabe der bezeichneten Art nicht bios won 
fänellem Tode und ungeahnt bereinbrechendem Berichte zu fingen, fon 
dern auch von der Hoffnung und dem Trof des Chriften, von be 
Sreudigkeit feines Glaubens und von der Zwerſicht, womit er dem Herm 
allein walten läßt und feiner Gnade fein Heil vertraut. — Würde 
Schillers immerhin klaſſiſche Dichtung in dem bezeichneten Kalle auf 
die Gemüther einer Trauerverfammlung, einer fchmerzerfüllten Wittwe 
und ihrer verwalten Kinder, den Eindrud machen, den ein Grabgeſang 
doch machen foll? 


.” 


4. Bibel⸗Hymnen mit lateiniſchem und deutſchem Texte, für den geiſtll⸗ 

Gen Männerhor comvonirt von Guſtav Flügel. Partitur, Op. 41. 

18 Ser. Erfurt und Leipzig, ©. W. Körner. 

Eine neue, fchäpbare Babe des fleißigen Eomponiften, dem das 
Nepertoir des kirchlichen Männerchors ſchon manche Bereicherung ver 
dankt. Vorliegende Chöre, 16 an der Zahl, find über Bibelfpräde, 
lateiniſch und deutſch, gefchrieben. Sie beſtehen ſämmtlich blos ans 
einem, mehr oder weniger motettenartigen Satze. Was fe beſonders 
bezeichnet und für Seminare, Gymnaſien, Lehrervereine, Kirchenchoͤre x. 
in hohem Grade empfehlungswerth macht, if entfchiebene Würde bes 
Style, verbunden mit intereffanter Erfindung, große Durchfichtigkeit der 
durchaus edlen, jede Trivialität vermeidenden Harmonie, freie, charaller⸗ 
volle Führung der einzelnen Stimmen und ein fo geringes Maaß von 
Schwierigkeit, daß auch Meine und minder gelibte Chöre dieſe Mufll 
bewältigen, fi und Andere dadurch erfreuen und erbauen fünnen. Herr 
Regierungsratd Dr. Trinkler in Magdeburg hat die Zueignung ange 
nommen. 


5. Kirchliche Männerdhöre aus alter und neuer Bett, zur Diene ded 
edleren Kirchengeſangs gefammelt und bearbeitet von Joh. Ehr. Weber, 
Oberlehrer der Rufe am Seminar und Muflldireltor an der Gtadtliche 
ir Rürtingen. Stuttgart, Ebner'ſche Kunfs und Wufitalien s Handlung. 

856. 


Eine vortrefflige, aus Künſtlerhand hervorgegangene Samm⸗ 
hang von meiß älteren Männergefängen ächt kirchlichen Style, ein Re 
yertorium, das keiner höhern Schulanftalt und Teinem kirchlichen Männer 
Gore fehlen folte! Wie Bfarrer Fr. Krauß in dem Borworte ſagt, 
iR die Sammlung bauptfächli zu dem Zwecke bearbeitet, daß durch Die 
Debung diefes kirchlichen Chöre der muſikaliſche Sinn der Lehrer wieder 
mehr anf das Ernſte umd Heilige der Kirchenmufil gelenkt werde -I9 
ſede gern Hinzu, daß fie dazu vorzüglich geeignet find. Ju zwei Hälften 


Geſang um 


difert das Wert 82 Nummern nah folgender Osbnung: 1. Das Lch 
Gottes (19 N.) AL. Die Beftgeiten.. 1. Weihnachten (6 R.), 2. Paſ⸗ 
fion und Abendmahl (11 N.), 3. Oſtern (I R.), 4. Himmelfahrt (IN), 
5. Pfingſten (3 R.), 6. Reformationg» oder Bibelfeſt (1 N.) III, Das 
chriſtliche Leben. 1. Sottvertrauen (5 N.), 2. Das Gebet des Ghriften 
(18 R.), 3. Dienſt Gottes (AR), 4 Tod und Ewigkeit (8 N.), 
5. Der Segen des Herrn (3 NR.) 


6. Reformationd-Gantatin«a für vier Männerfiimmen mit Begleitung 
won Cornet, 2 Trompeten, Temorpofaune, Bombardon und Orgel, eompo⸗ 
nirt von Auguſt Nauſch, Organiſt zu Waltershaufen, Herausgegeben zum 
Beten des PefalozzisVereins von (dem Verleger) H. Waltenba I Gotha. 

7. ZempelsKlänge. Gefänge für vier Männerfiimmen, componirt und dem ' 
Sergogl. Hochpreisol. Dbercenfiftorte d Gotha In tiefiter Unterthäniglkeit 
gewidmet von Auguſt Raufch zc. Ebend. 20 Gr, 

Leichte, . einfache Chöre, die einen Anſpruch auf hervorſtechende 
Genialität und auf den Vorzug des niemald Dageweienen allerdings 
nit machen können, jedoch nicht ohne Gewandtheit gefchrieben find 
(namentiih Nr. 7, wo einige ganz gut abgerundete Fugato's vorloms» 
men) und nichts gegen die Würde der Kirche enthalten. Kleinen Dorf 
hören, die verfändig genug find, fih nicht an umfangreihe und ſchwere 
Sachen zu wagen, werden fie willkommen fein, 


8. Der Liederfreund. Sammlung vierfiimmiger Lieder für den Männer 
chot, mit einer Zugabe von Alpenliedern, herausgegeben von J. , 
gehen. 1. He. Schaffhauſen, Druck und Verlag der Brodtmann'fchen 

uhhantlung. 1856. 

Die Zahl der Lieder beträgt 58, mozu wor 16 Alpenlieber Toms 
men. Us Gomponiften werden genannt: F. Abt, Baymann, U. 
Bergt, Bühler, Baumgartner, Calliwoda (Kallimodaf), 
Barow, Frech, 8. Gräber, U. Gersbach, Geißler, 3. Iuß, 
Kocher, Krauskopf, Kündig, Lorenz, Lucan, Mendel, 
Mehul, U. Müller, Mozart, Nedelmann, Dtto, DOverbed, 
Salleneuve, Salerie, Sommer, Silder, Schulz, Zobler, 
C. M. vp. Weber, Waltburg, Bwilfig. ine bedeutende Zahl 
von Liedern if ohne Angabe des Componiſten, und es mögen diefe von 
dem Hexausgeber fein. Hat er aus Beicheidenheit feinen Namen unge⸗ 
nannt gelaflen, fo ift das recht wohl gethan; er hätte nur auch darin 
Befcheidenheit üben follen, daß er feine Gompofltionen vor dem Abdrud 
einem Künftler vom Fach zur Correctur vorgelegt hätte. Er befigt ohne 
Zweifel eine hübſche Gabe für helle, anfprechende, einfache, leicht ſing⸗ 
bare Melodie, hat aber zu wenig Muflf gelernt, um nicht bei vielen 
Gelegenheiten Berföße gegen harmoniſche Conſtruction und correcte 
Stimmenführung zu machen. Richt beſſer fcheint es mi Hrn. Zwiffig 
beſtellt zu fein, der unter Rr. 49 und 55 den Beweis, daß er die 
Kunf des reinen Sapes nicht verſteht, unmwiderlegbar geliefert hat. 
Als Dritten in diefer Michtung muß ih Hrn. Tobler hezeishnen, von 
dem fi unter Nr. 13 ein fo fchülerhaftes Stüd Arheit findet, daß Einem 
die Raivetät, womit fol” Machwerk veröffentlicht wird, faſt ruhrend er⸗ 


00 Geſang. 


fcheint. — Nah dem Vorſtehenden hat alſo der „Liederfreund“ nır 
einen bedingten Werth, da die beſſeren Sachen von Abt, Kocher, 
Bergt x. das vorhandene Unfertige nicht decken koͤnnen. 


9. Preußiſche Krons und Vaterlandslieder für vierſtimmigen 
Männergeſang, herausgegeben von Friedr. Wilh. Sering. Op. 28. 
Preis cplt. 7’/ Sgr. Heft I 3 Sgr., Heft II 5 Sgr. Magdeburg, 
Berlag der Heinrichahofen’ihen Buchhandlung. 

*r Die Kreugzeitung fagt bierüber: „Durch die vielen Liedertafeln find 
die vierfimmigen Lieder für Männerfiimmen fehr verbreitet worden, fie 
haben den Sinn für volfsthümlichen Geſang neu auffommen und auf 
leben laflen; aber wie gern wir dies einerfeits anerkennen, fo müſſen 
wir Doch andrerfeits das tendenziöfe Treiben, das fih in manchen Lieber 
tafeln fund gegeben, verwerflich finden. Vielen fogenannten Bolfstiedern 
der Neuzeit fehlt das treue Herz und der reine Sinn des alten Volls⸗ 
liedes, und das Feuer, welches darin die Bemüther der Sänger entflam 
men fol, if nicht felten ein Brand des Aufruhrs gegen Alles, was 
den Bätern theuer und werth gewefen. Außerdem Fränteln die neumo 
diſchen Lieder nur zu oft an einer wäflerigen Empfindelet, deren erſchlaf⸗ 
fender Einfluß der ohnehin garaffirenden Nervenſchwäche den größten 

Vorſchub thut. Denn ein gefungener Siegwart wirft am Ende not 

fhädliher als ein gelefener, und ſchlechte Muflfalien find noch ärgere 

Giftppiolen für das Herz ale fchlechte Romane für den Geiſt. Darum 

heißen wir diefe Sammlung patriotifcher Lieder doppelt willfommen. 

Es find zwar viele alte gute Befannte darunter, aber eine gute alte Bes 

kanntſchaft erneuert man immer gern wieder, und ber gefunde Sinn 

wird der alten Lieder, die man ſchon in der Jugend gefungen, fo wenig 
überbrüffig, wie der heimathlihen Luft und der vaterländifchen Erde. 

Der Herausgeber hat diefe Kron« und Baterlandslieder zunächſt für die 

Seminarien beſtimmt und in den Lehrerfchulen zu Gardelegen, Köslin, 

Sranzburg, Altdöbern, Barby, Stettin u. f. w. find fie bereits einge 

führt worden. Möchten auch die Preußiſchen Liedertafeln fie zw ihrem 

Eigentfum machen! Huch die Kunft des Gefangs erfcheint fa, mie 

jede Kunft, um fo höher, je inniger fie fih an das Baterland, an das 

theure, anfchließt. Und der nationale Klang in Wort und Gang wird 
ſtets der befte Ton des treuherzigen Volksliedes fein und bleiben.‘ 
Ich unterfchreibe dies, 


10. Boltslieder für vierfiimmigen Männergefang, herausgegeben bon 
Friedr. Wilh. Sering. Op. 30. Preis 3%, Sgr. Magdeburg, Verlag 
der Heinrichshofen'ſchen Buchhandlung. 

22 Nummern, darunter drei neue, von der Compofition des Heraus⸗ 
gebers, Die freilich erſt wirkliche Volkslieder werden müffen.*) Liebes 
und Trinflieder find ausgefchloffen. Der Herr Minifter der geiftlichen 
Unterrihts« und Medicinalangelegenheiten in Berlin hat eine Anzahl 


*) Als vorzüglid gelungen bezeichne ich den „Trompeter an ber Xaß 
bad’; es gehört dieſes Lied zu denen, welche in meinem Kreife mit befonderer 
Borliebe gelungen werden. 





Geſang. 601 


von Exemplaren dieſer Lieder zur Vertheilung an die Gymnaſten und 
Seurinare angefauft. Da die Sammlung einen ſpeeifiſch preußifhen 
Charatter nicht bat, fo dfrfte fie in ganz Deutfchland Verbreitung 
finden, was auch ganz wünfchenswerth ifl. 


11. Siederbug für Handwerker. Hamburg, Agentur des Rauhen Hauſes. 


Enthält 111 zweis und dreiftimmige heitere und ernfle Lieder. 
„Ro man einfam oder gemeinfam if, da mag man an bdiefen Lies 
dern fih freuen, aufrichten und tröften.” Möge fiih dies in weiten 
Kreifen erfüllen! 

12. Reuer Liederhaln. Sammlung mehrflimmiger Lieder für Schule und 
Haus. Zweite Abthellung: Jünglings⸗ und Männerlieder, Erſtes und 
zweites Heft. Dritte Abtheilung: Baterlandes, Krieger, WBanderlieder, 
dreiftimmig für Mämerchor gefegt und Deutfchlands Kriegern, fowie 
ber geiſern Jugend gewidmet. Hannover, Hahn'ſche Hofbuchhandlung. 


Gegenwaͤrtige, aus zwei einander gegenſeitig ergänzenden Abtheilun⸗ 
gen beflehende Liederfammlung, deren erſte Abtheilung für das Träftis 
gere Knabenalter beftimmt ift, will dazu beitragen, den herrlichen Schatz 
unjerer Bolfslieder durch die Jugend zum lebendigen Eigenthum des 
Volkes zu machen. Bon andern Sammlungen unterfheidet fie fih das 
durch, Dad fie eines Theile für beſtimmte Altersfiufen berechnet ift, an» 
dern Theile ‚fern von Verfolgung eines außerhalb liegenden, auch noch 
fo löblichen Zweckes nur folche Lieder und Weiſen enthält, welche von der 
Jugend gern gefungen werden.” Abtheil. II., für das Zünglingsalter 
etwa bis zum funfzehnten Jahre berab („indem die noch vorfommenden 
Altſtimmen mit großem Nutzen für den erfien Zenor verwendet werden‘), 
nah Klaffen für die Prima, Secunda und Obertertia der Gymnafien 
befimmt, enthält im 1. Hefte 38, im 2. Hefte 32 vierfimmige Lieder. 
Die Auswahl, refp. Bearbeitung erſcheint als eine fehr wohl berechtigte, 
vorausgefeßt, Daß man mit dem Herausgeber die Anficht theilt, es dürfe 
das an fi) unverfängliche, gefunde und reine Liebeslied (wie 3. B. Aenn⸗ 
hen von Tharau, — Morgen muß ich fort von hier, — So viel Stern’ 
am Himmel ftehen 20.) der Jugend immerhin mit dargeboten merden. 
Die dritte Abtheilung will befonders dem deutfhen Wehrſtande 
die vorzüglichften volfsmäßigen Lieder als Gefangftoff darbieten. Es 
find demnach hauptfählich folche Lieder aufgenommen, in denen Liebe 
zum Baterlande und Kampfesfreudigkeit ihren Ausdrud finden. „Der 
dreifimmige Sap if gewählt, weil bderfelbe eines Theils am 
meiften geeignet ift, innerhalb der verhäftnigmäßig engen Begrenzung der 
Männerfiimmen die Intervalle gehörig auseinander zu halten, andern 
Theils in feinen einfachen Harmonien, namentlich in der begleitenden 
zweiten Stimme, fih am ungefuchteften dem Naturgefange anfchmiegt 
und eben dadurch für Einübung bei größeren Maflen von verfchiedener 
mufltalifcher Befähigung den Borzug größerer Leichtigkeit darbietet.“ 
Die Zahl der Lieder beträgt 44. Daß neben den Baterlandes, Kampf⸗ 
und Siegesliedern auch dene Lieder vom-Scheiden und Meiden, von Heim⸗ 


602 | Geſang. 


kehr und Wiederſehen, von treuer Liebe und ihrem Lohn sc., weidhe die 

Soldaten fo gern zu fingen pflegen, Aufnahme gefunden haben, mar eine 

Nothwendigkeit, deren Verkennung Zadel verdient hätte Der dreiſtin⸗ 

mige Sap if unter Verzicht auf Tünflichere Ausgefaltung ganz volle 

mäßig gehalten. Lützow's wilde Jagd hat freilich bei dem dreiftimmigen 

Arrangement ziemlih verblaffen müſſen, zumal da nad den Worten: 

„Und wenn ihre die ſchwarzen Gefellen fragt,‘ die Macht des erfien be 

rühmten Einfages: „Das iſt“ ꝛc. dadurch gebrochen iſt, daß der Bear 

heiter — man erräth nicht, warum? — bdenfelben nicht in die Bäfle, 
fondern in die Tendre gelegt Hat. 

413. AUlpenlieder für Männerſtimmen, herausgegeben von Joh. . 
Scaffhaufen is Drud und Berlas der hen — 

16 Nummern: 1. Des Sennen Morgengebet. 2. Die Auffahrt 
zur Alpe. 3. Der Appenzeller Milchma. A. Das Ulperdsli m. f. w. Die 
einfachen Melodien treffen den Schweizerton. In Bezug auf die Har⸗ 
monifirung zeigen ſich leider manche dilettantifhe Schwächen, zum Theil 
fogar offenbare Fehler. Eine Revifion, reſp. Eorreetur von kundiger 
Seite iſt daher überall anzuratben, wo man von dem fonft nicht Abel 
gerathenen Hefte Gebrauch machen will. 

14. Vierundzwanzig Aflimmige Befänge, für Höhere Säul-Ar 
falten und zur gefelligen Unterhaltung componirt von J. B. 
Hamm, Gefanglehrer am Gymnafium und der höhern Bürger und Pre 
vinzial⸗Gewerbſchule zu Trier. Trier, 1857. F. A. Bell. 

Der Cinblick in bie Partitur lehrt, daß hier Geſaͤnge für Männer 
ſtimmen vorliegen, was der Titel zu fagen vergeflen hat. Muß man id 
daher Jünglinge und (da ja auch gefellige Unterhaltung beabſichtigt wird) 
Männer als Sänger denken, fo macht der Tert von Nr. 1, ‚Kinder 
glück“, einen fonderbaren Eindrud, wenn es heißt: 

Hoher, füßer Friede 
Wohnt in unſrer Bruſt; 


Nie der Arbeit müde, 

Lernen wir mit Luft. 

Nichts von Bram und Leiden 
Weiß noch unfer Serz, 
Wenn wir Böſes melden, 

Nichts von Sorg und Schmerz. 

Das Wunderlihe der Situation, in welche diefer Text unter den 
bärtigen Sängern gerathen ift, wird durch feine Zrivialität nicht gemin 
dert. — Daß die übrigen Texte ſämtlich beffer gewählt feien, Four 
man leider nicht fagen. In Nr. 10, „das Blümchen,‘ wird zwei Stro⸗ 
pben lang ein ſchoͤnes Blümchen, welches irgendwo in einem Garten Reit, 
gepriefen. Dann fagt die 3, Strophe: 

O, tenntet ihr mein Blümchen ganz, 
Ihr würdet nach ihm geizen! 

Der [hönften Blumen Yarbenglang 
Würd euch nicht fürder reizen. 

Es heißet frohe Willigkeit, 

D, pflanzt es Alle, weit und breit, 


Gefang 800 


Das if ſehr gut gamehrt, aber ziemlich ſchlecht gedichtet und für 
Männerchöre wenig imtereffant zu fingen. Und werben fi wohl Biele an 
dem Bundesliede unter Nr. 14 begeiftern,. wenn es heißt: 

Herbei zum Bruderbunde, 
ür Wahrbeit, Recht und Licht! 
anft herrſch' in dieſem Runde 
Die Freude mit der Pflicht, 
Drum Hinge n. f. w. — ? 

Es bleibe dahin geftelt, ob das Poefie iſt; was die Logik dieſer 
Zeilen betrifft, fo möchte ich ſie für die eines Unterquartaners erachten. 
Die Schlußftrophe des Bundestiedes lautet: 

Ber Streit und eitle Zänke 

Im Freundesarm vergißt, 

Und, was fein Kopf and denke, 
Das Herz des Edlen fühl! - 
Willkommen, lieber braver Mann, 
Exhließ unferm Bruderkreis dich an! 

Wie kann man dergleihen druden Ioffen! — — Bas den 
mufikaliſchen Theil der Sammlung betrifft, fo ift er. der bei Weiten 
befiere. Es if Melodie da und augemeflene, zwar einfache, aber doch 
nicht triyiale Sarmenifirung nebft guter Sangbarfeit aller Stimmen. 
Bo daber der Herausgeber brauchbare Texte traf, wie unter Ar. 16, 
17, 24, da find ganz leidliche Gefänge entſtanden. Ginzelnes darin 
kann Ih ön genannt werden, ſehr ſchön fogar die Führung des 1. Baſ⸗ 
fes in Nr, 14. Und hiermit follte diefe Anzeige fchließen. Indem ich 
aber noch einen legten Blid in die Partitur werfe, finde ich, daß unter 
Nr. 12 der Lehrer an feinem NRamenstage alfo angefungen wird: 

Dir, dem Bildner des Geſanges, 
Töne heute unfer Chor, 

Dur des Tunftgerechten Ganges 
Zöne lieblich in das Ohr. 


Hier it weniger als Unterquarta, bier ift Kreifchule, GL. D. Ordn. B. 
— Amer Somponif, wer hat dich mit diefem Dichter geäfft! — 


c) Für gemifchte Stimmen. 


1. Chorgefänge zum Gebraude bei den feſtlichen Gottesdien⸗ 
Ken der evangelif »Tutherifhen Kirche. Geſammelt und bears 
beitet von J. 6. Deriog. . Profeffor in Erlangen. Op, 29. Berlag 
von Iheodor Bläfing in Erlangen. 1 fl. 45 fr. 

Die vorliegenden Ghorgefänge gehören zu denjenigen, welche der 
Herausgeber als Cantor an der proteft. Kirche in München zur Ausfüg- 
rung brachte. Ansprüche auf Verbeſſerung ſchon vorhandener Ausgaben, 
auf Berichtigung von Melodien nad) Original⸗Quellen u. dgl. machen fie 
nicht, fie werben vielmehr gegeben, um einem rein praftifchen Bebürfnifle 
zu begegnen. Nach der Folge der Feſtzeiten finden ſich Stüde von (reſp. 
ach) I. ©. Bad, 3. M. Bach, Baſſani (F um 1705), Ealpis 
fius, 3. Erüger, 3. Eccard, G. Erythräus (1608), Goudts 
mel (138%), © Braun, 3. Bastoldo (1591), Ad. Gumpeltz⸗ 





604 Geſang. 


haimer (1619), Andr. Hammerſchmidt (1675), Händel, Pale⸗ 
ſtrina, Prätorius (1609), &. Schröter (1587), 2. Bittoria, 
Bulpius (1609) Dazu fommen nod mehrere Rummern von dem 
Serausgeber, eine dergleichen nach der Pfälzifchen Kirchenordnung (1570), 
endlich auch Berfchiedenes ohne Angabe des Bomponiften. Weber die in 
vorwaltender Zahl gegebenen alten Gefänge fagt der Herausgeber: 
„Freilich werden Biele, die ſich mebr mit anderer Muſik befchäftigt haben, 
Zeit und Mühe brauchen, fih an den hier dargebotenen Styl zu gemöh 
nen. — Ih fand es an mir und meinen bisherigen Schülern von gu 
tem Erfolg, wenn man ſich bei derartigen älteren Säßen vorher ſo recht 
in die einzelnen Stimmen am Klavier hineinfingt, und dann erft das 
Ganze in feinem Zufammenhange hört. Während fo manches Neuere 
gleih von allen Zuhörern verflanden und fa von feinem Sängerkreis 
ganz verdorben werden Tann, werden die meiften älteren Sachen zu dem, 
was der Sänger aus ihnen zu machen weiß: fie verlangen, um ihre 
ganze Schönheit entfalten zu können, von Geite der VBortragenden naͤchſt 
der guten Schule vor Allem ein tiefere Sichseinleben in den Geiſt die 
fer Werke, weldyes zulegt immer den Ernf eines religiöfen Gemüthes 
erfordern wird. Der Ausrede fo Mancher, daß das Bolt folde Mufll 
nicht mehr verftehe und keine Freude an derfelben habe, kann wenig Ge 
- wicht beigelegt werden. Es ift thatfächlihe Erfahrung, daß die Gemein⸗ 
den in der Kirche allmälig zu dem Befferen herangegogen werden Fönnen, 
ja daß auf der andern Seite, wenn das Boll den gefunden Geſchmack 
verliert, Niemand die Schuld trägt, als die Muſiker.“ Bon’ feinen ei⸗ 
genen Compofitionen fagt der Herausgeber, er babe fie nicht den alten 
an die Seite fegen, fondern nur den Beweis liefern wollen, daß ihm 
das Verſtaͤndniß der alten Meifter nicht ganz fremd geblieben. — Es 
ftebt wohl zu erwarten, daß die Sammlung nad ihrer vollen Bedeutung 
werde gewürdigt werden; die vorftehenden Notizen haben das Ihrige dazu 
beitragen wollen. 


2. Kichlihe Ehorgelänge zum Gebrauche bei dem evangeli- 
fhen Gottesdienſte. Herausgegeben von J. Heinrich Lützel. 1. Heft. 
Preis der Partitur: 5 Sgr. oder 18 fr. Preis der vier Stimmen 7 Ext. 
oder 24 fr. Zweibrüden 1856. Berlag von 3. Chr. Herbart. Im Debit 
der Ritter'ſchen Buchhandlung. 

„Sol der religiöfe Ehorgefang feinen Zwed erfüllen, fo darf er 
nur ſolche Gefänge beim Gottesdienfte zur Aufführung bringen, die wahr, 
baft firhlih und in Wort und Ton von ächt chriſtlichem Geiſte durch⸗ 
drungen und getragen find. Diele Eigenfdaften befigen in hohem Maaße 
die Chorgefänge der Meifter des 16. und 17. Zahrhunderts, und es find 
deshalb vorzüglich nur Zonfäpe aus diefer Beit in vorliegende Sammlung 
aufgenommen.” Diefelbe enthält Bolgendes: 1. Heilig, von Rik. 
Prätorius. 2. Ehre fei Gott, von Bortnianefy. 8. O bone Jesu 
von Paleſtrina (mit deutfhem Text). AıChrifte, du Lamm Gottes, 
von M. Prätorius. 5. Adoramus te, von Paleſtrina (mit deutfchem 
Tert). 6. Ich weiß, daß meinErlöfer Lebt, von Mi. Bad (Sf) 
T. Aus tiefer Roth [rei ich gu dir, won J. Eccard (5f.) Par 


Geſang. 605 


titur und Stimmen find höchſt ſplendid gedrudt. Möge das Unterneh 
men den beiten Fortgang finden. 


3. Caecilia, Sammlung vierftimmiger, bisher noch nicht im Drud erfchies 
nener Kirchen » Eompofltionen äfterer italieniſcher Meifter. Zweiter Jahr⸗ 
an 1 aanasenehen von 9. W. Otto Braune, 8. Muflkdirertor ze. 
n erſtadt. 


Der ganze Jahrgang zerfällt in 6 Lieferungen, der Reihe nach zu 
5, 5, 4, 6, 6 und 6 Bogen Partitur, während der Umfang einer ein⸗ 
zelnen Stimme in gleicher Folge 14, 4, 14, 2, 2 und 14 Bogen bes 
trägt. Subferiptionspreis: 24 Ser. pr. Bogen. Nachdem der erfte 
Jahrgang fih einer vielfeitigen Theilnahme zu erfreuen gehabt hat und 
namentlich, einer gedrucdten Mittheilung des Herausgebers zufolge, durch 
die geil. Minifterien in Preußen, Hannover, Medienburg, Baden, 
Heſſen⸗Darmſtadt, Naſſau ꝛc. den refp. Lehr» und Bildungsanftalten, 
Kirchengefangcbören und Gefangvereinen überwiefen, refp. anempfohlen ift, 
- fo fleht zu erwarten, daß auch der vorliegende zweite die verdiente Beachs 
tung finden werde. Auf den trefflihen Inhalt laſſen die Namen der 
Gomponiften: Franc. Gajparini (1665— 1727), Ant. Salieri (1750— 
1825), Leonardo Leo (1694 - 1744), ©. M. Afula (1565), Antonio 
Lotti (1665 — 1740), Ant. Ealdara (1670—1736), Paolo Eolonna 
(1630), Domenico Gallo (1760), Ricolo Zingarelli (1752 — 1837), 
Marco Scachi (1643), Ant. Mazzoni (1710), Girolamo Abos (1760) 
einen Schluß machen. Bemerkt fei noch, daß flatt des Lateinifchen Textes 
eine mit aller Sorgfalt gearbeitete deutſche Weberfegung untergefegt if. 


4, Srifhe Lieder und Gefänge für gemifhten Chor. Zum Ge 
rau auf Symnafen und andern böhern Lehranftalten bearbeitet von 
Erk und wie Erk. In drei Heften. Heft 1. Eſſen, 

dei G. D. Bädeker. 1857. Preis 5 Sgr. 


Das der Sammlung vorgeiehte Motto lautet: 


Friſche Lieder und Gefänge 

reich' Ih Dir, mein Vaterland! 
Neue Töne, alte Klänge — 

um fie ber ein Suftig Band! 

Euer Singen, euer Klingen, 

laßt es dur die Wolken dringen! 


Diefelbe hat den Zweck, eine Ergänzung des von denfelben Ber 
faffern herausgegebenen „Sängerhain's,“ Heft II und III, zu bilden, 
indem fie eine Reihe ähnlicher mußergültiger und von der Jugend gern 
gefungener Lieder darbietet. Die Zerte find, wie dort, nad dem Ins 
halt geordnet und die heitern Belänge den ernflen vorangeſtellt Bei 
der barmonifchen Bearbeitung derfelben haben die noch in der Entwides 
fung begriffenen Tenor» und Baßſtimmen befondere Berüdfichtigung ges 
funden; aud if bdiefelbe, mit wenigen Ausnahmen, in den von den 
Derausgebern geleiteten Singklaſſen und Bereinen erprobt worden. Die 
Bahi der Gefänge beirägt 35. Für die Gediegenheit des Inhalts büre 
gen die Ramen der Serausgeber. Die biographiſchen Notizen, die 


6066 | Geſang. 


ſich durch zuverlaͤſſige Correctheit von denen vieler andern Sammlungen 
unterſcheiden, ſowie die Nachrichten über die Entfichungszeit der 
Zerte und Bompofitionen werden Lehrern und Schülern eine willloms 
mene Beigabe fein. Der Preis von 5 Ger. erfcheint hochſt billig, 
wenn man Die gute Äußere Ausfattung und den zeichen Inhalt des 
Heftes erwägt. 


5. Dreiftimmmige Jugendlieder, herausgegeben von Johann Wepf. 
I. und II. Heft. Dritte Auflage. Schaffpaufen, Druck und Berlag der 
Brodtmann'ſchen Buchhandlung. 1855. 

So loblich die Gefinnung fein mag, aus der diefe, für 2 Kinder 
Rimmen und Baß gefepten Lieder hervorgingen, und fo vortheilhaft die 
3. Auflage des erflen Heftes für daffelbe zu zeugen fiheint, fo bin id 
doch im Hinblid auf das große Ungeſchick, welches ſich bei mehreren 
Aummern in Harmonie und Stimmenführung fund gibt, außer Stande 
den Gebrauch der Sammlung anzurathen. Auf Seite 24 des 2. Heftes 
fommt diefe Muſik vor: 


7 e his 
h eis 7 
g a h 


v 


Bo dergleichen moͤglich ift,; hört Alles auf. 


.6. Bionsharfe, oder: Geiſtliche Chorlteder für Sirdengefang: 
vereine. Gefammelt und herausgegeben zum Gebrauch bei Äralicen 
Feten und fonftigen Yeierlihleiten von Abam Echad, Lehrer, Schaf 
haufen, Brodtmann. 1857, 12 Ser. 

Die Sammlung fol durh Wohlfeilheit und leichte Aus 
führbarkeit der dargebotenen Geſänge die Hinderniffe befeitigen helfen, 
welche ſich immer noch dem Gedeihen des kirchlichen Chorgefanges ent 
gegenftellten. Sie enthält, aus guten Quellen entnommen, auf 116 
Seiten Partitur in Quer-Duart 73 Nummern, als: eigentliche Chor 
lieder, Bfalmen, Motetten, Hymnen, nebft fonfligen Ehorfägen verſchie⸗ 
dener Art. Das Leichte waltet vor; aber doch finden fih auch Städe, 
welche gefteigerte Anfprücde an die Sänger machen, 3. B.. „Die Himmel 
erzählen die Ghre @ottes” won Haydn, „Bor Dir, o Emiger” von 
3.2. Schutz u a. m. Un Gomponiften ‚find ‚überhaupt genannt: 
P. S. Bach, Baͤchtold, Baumann, Frech, Gersbach, Gläſer, 
Grell, Haydn, Heinrich, Hellwig, Zuſti, B. Klein, Mühe 
ling, Raue, Nägeli, Prätorius, Rinck, Roſſini, Seiffert, 
Silcher, Scheibner, J. P. Schulz und Wyß. Die Ordnung bei 
Geſaänge iſt nach dem Kirchenjahre gemacht, mit Hinzumahme von Morgen, 
Abend, Abſchied und Begräbniß. In Betreff der Muſit find Ausſtellun⸗ 
gen nicht gu erheben. Dad wohl gelangene Gange verdient die Beach⸗ 
sung aller Vorſteher Eleinerer Kirchenchoͤre. 





Geſang. 607 


Für mehrerlei Chorgattungen. 


1. Säulgefangbud, bearbeitet von D. Lorenz. I. Theil: Elementar⸗ 

übungen. Eins, zweis und dreiſtimmige Lieder, Winterthur, Steiner'ſche 
- Buchhandlung.‘ 1855. II. Theil: Lieder und Gefänge für drei und vier 

- weibliche, ober ungebrochene Knabenſtimmen. III. Iheil: Lieder und Ges 
fänge für Gopren, Alt, Tenor und Baß. j 
Eine fehr umfaffende Sammlung mit Umficht gewählter Gefänge - 

von bem einfimmigen Kinderliedchen an bis zu der vierſtimmigen Motette 
hinauf. Theil I enthält nad den Borübungen 1) AA zweiſtimm. Lieder 
nad Folge der Tonarten, 2) 20 dergl. für befondere Gelegenheiten, 
8) 15 dergl. gemtichten Inhalts, 4) 11 dreiſt. Lieder; Theil II bringt 
9 Ghoralgefänge, 13 Feftlieder, 11 allgemeine Robgefänge, 18 Rum⸗ 
mern über Tages⸗ und Jahreszeiten, 23 dergl. für Naturgenuß und 
gejellige Freude, 16 dergl. von des Lebens Luft und Leid, endlich noch 
6 Zurns und 11 Baterlandslieder. In Theil III endlich finden fich 
nach denfelben Rubriken 103 Nummern, unter denen jedoch die meiften 
aus Theil II in vierflimmiger Bearbeitung wiederfehren. Theil 1 und 
H koſten zufammen 1 Rthlr., vom Theil III Tauft man Sopran und 
Alt (zufammengedrudt) für 15 Ngr., und ebendafür Tenor und Ba. 
Möge ein ſtarker Abſatz die gewiß fehr bedeutenden Koften des Unter 
nehmens decken! WWermiffen werden Biele die Partitur zu Theil III. 
Zu den Glementarübungen im I. Theile, die nach Abrechnung der ein, 
gefügten einen Lieder etwa 20 Seiten füllen, bemerke ich noch, daß 
fe in üblichet Weife zuerf die Tonart C-dur, dann die Abrigen Ton» 
arten behandeln, in Dur bis Fis und Ges, in Moll mit Beſchränkung 
auf A, D und E,. und daß der Verf. es vermieden bat, durch Anhaͤu⸗ 
fung langweiliger oder allzu ſchwerer Aufgaben den Schülern das Ganze 
zu verleiden. 

2. Ltederſammlung für Schule und Leben, Bon Dr. 2, Kraußolb. 
—* Theil. Preis einzeln 24 Zr., in Parthien von 25 Explt. a 21 Ir, 

rlangen, Andreas Deichert. 1855. 

Der erfe Theil der Sammlung, 145 zweiftimmige Lieder enthals 
tend, if im IX. Bande des Päd. Jahresber. empfehlend angezeigt. Im 
gegenwärtigen zweiten Theile werden nun feruere 92, ſowohl ernfle als 
heitere Lieder und Gefänge, und zwar zum heil ebenfalls für zwei, 
vorwaltend aber für drei und vier Kinder» oder gemifchte Stimmen 
gegeben. In Diefer Mannigfaltigkeit der mufilaliichen Form darf bie 
Sammlung erwarten, Sängerkreiſen verfchiedenfter Art willlemmen zu 
fein. Daß fie es auch in Bezug auf die Muſik felber und auf den 
yoetifihen Inhalt fein werde, flieht außer Zweifel. 

3. Sammlung religidfer Geſänge und Lieder für drei Kinder, ober 
Männerkimmen. Zum Gebraude in Symnafien, Real» und höhern Töchter 
fhulen, Seminarien und Präpdrandenonfalten, wie aud beim Gottes⸗ 
dienfte. Gefammelt und bearbeitet von A. 2, Löchner, Lehrer der Königs 
—* Sarntfonfäule zu Spandau. Leipzig, Verlag von Julius Klin 

edt. . 


Die ſehr beachtenswerthe Sammlung gibt theils Originalfäge, theils 
dreitimmige Bearbeitungen urſprünglich für vollen Chor componirter 


— —— — — — 


608 Geſang. 


Stücke. Der Herausgeber hat ſich fleißig in den Werken eines Cor» 
dans, Rotti, Dh. Em. Bad, Nolle, Braun, Haffe, Haydn, 
Mozart, Spohr, Fr. Schneider, Lindpaintner, B. Klein, 
Bortniansfy, Mendelsfohn, Knecht, Rungenhagen, Breit 
u. U. umgeſehen, und es if ihm gelungen, manden guten Fund für 
das vorliegende Werfchen zu thun, wenn au Kürzungen und Mendes 
zungen nicht felten als unvermeidliche Nothwendigkeit erfchienen. Außer 
den genannten Gomponiften find vertreten: &. U. Wendt, Ferdinand 


Wendel, & Runge, Kelz, Malan, Kühnaf, Shaad, € F. 


Schulz, Bahsmann, Scheidemann und der Herausgeber. fell, 
Bei fleißiger Benutzung ded Ganzen werden die auf dem Titel genann⸗ 
ten Schulen reihen Gewinn davon haben. 


4. Sammlung dreis und vierfimmiger-Gefänge für Gymnaflals 
Mlaffen, Reale, Bürgers, höhere Töchterſchulen und Oberklaſſen der Volkes 
fhulen. Bon H. Silber, Rector beider Bürgerfchulen in Bernburg: 
Magdeburg und Leipzig, Verlag der Gebrüder Baͤnſch. 1857. 

Enthält: I. 43 dreis und vierflimmige Lieder und durchcompo⸗ 
nirte Geſänge, letere vorwaltend, für Kinderfimmen; 1. 17 liturgiſche 
Saͤtze, ebenfalls für den dreiftimmigen Kinderchor; III. 9 Stüde für ges 
mifchten Chor. Der Herausgeber liefert Altes und Neues, Heiteres 
und Ernfles für geübtere Schüler in einer ganz guten, viel Schönes 
darbietenden Auswahl, und löft fo nah Möglichkeit Die ſchwierige Aufe 
gabe, den Gefangkoff für Schulanftalten von viererlei Art in einer 
Sammlung zu vereinigen. Uebrigens konnte er nicht meinen, daß für 
Alle Alles beſtimmt fein follte, z. B. die verſchiedenen, an ſich fehr 
wohl berechtigten Jateinifhen Säpe — Ave regina, von Reufomm, 
Salve regina, von demfelben, Lacrymosa dies illa, aus dem Requiem, 
Sanctus von Bortniansky, Ave verum corpus von Mozart — 
auch für die Volksſchulen; er wollte eben nur ein Magazin öffuen, aus 
welchem Jeder feinen Bedarf entnehmen könnte, je nad Alter, Ger 
fhleht und Bildungsftufe der Schüler. Ich habe keinen Anlaß, ihm 
darin zuwider zu fein. - Die äußere Ausfattung der Sammlung if 
vortrefflich. — 

5. Pater Noster. hä trois Voix égales avec Accompagnement de 

T. 


Piano ou d’Orgue par Gustave Flügel. Op. 48. Pr. 54 Mayence 
chez les fils de B. Schott. 


6. Sanctus o Salutaris & trois Voix ögnles avec Arsompagnemens 
de Piano ou d’Orgue par Gustave Flügel. Op. 49. Pr. 1 fl. 12 kr. 
Mayeuce chez les fils de B. Schott. 

Es Lönnen diefe beiden für Chor und Soli geichriebenen, ſehr ſau⸗ 
beren, mufifalifch intereffanten, aber auch innigen, religiös empfuudenen 
Gompofitionen von Frauen» (Kinders),, fowie au von Männerlimmen 
gefungen werden, erfteres jedoch offenbar mit dem höheren Grade güns 
iger Wirkung. Der lateiniſche Tert läßt fih nach Erfordern mit der 
ebenfalls untergelegten deutſchen Ueberfeßung vertaufchen. Die forgfältig 
gearbeitete Klavier» (oder Orgel) Begleitung gibt durch das harmoniſche 


Fundament neben der Aumuth Würde und. Kraft, während fie die Cin⸗ 





Gefang. 609 


übung erleichtert, das Gelingen der, erhebliche Schwierigkeiten übrigens 
nit bietenden, Aufführung fihern hilft. Op. 48 iR Hm. Provinzials 
Schulrath Landfermann in Goblenz, Op. 49 Hm. Reg.⸗R. Lucas 
ebend. zugeeignet Die angegebenen PBreife beziehen fih auf Partitur 
und Gtimmen zufammen. 


2 Choräle 


a) Einftinmige, 


Gvangellfhes Shulhoralbud. Eine Auswahl der vorzügliäten 
Kirhenmelodien nad der im größeren Theile des Herzogthums Sachſen 
und des Könige. Sachſen üblichen Lesart, fowie zugleid nah der ur 
ſprünglichen Notation. Herausgegeben von Ernſt Hentſchel. Zweite Abe 
theilung, 57 Ghoräle enthaltend. 1/ Sur. Leipzig, C. Merfeburger. 


. 


Nachdem im 1. Hefte diejenigen 57 Melodien dargeboten worden, 
welche in den genannten Gegenden vormwaltend zur Anwendung kommen, 
liefert nun das 2. Heft 57 andere, theils ebenfalls im kirchlichen Ge⸗ 
brauch ſtehende, theils in denfelben nach und nach hinein zu ziehende, 
fall8 e8 damit, daß die Gemeinden wieder in den vollen Genuß der 
von den Boreltern ererbten Liederfhäße gelangen, ein Ernft werden foll. 
Bei der großen Wobifeifpeit diefer Hefte, und bei der namhaften, ents 
ſchiedenen Erleichterung, Nwelche fie für das Einüben der Melodien ges 
währen, ſteht ihre Einführung in der Mehrzahl derjenigen Scähuien, die 
fid Fer noch ohne ein ſolches Hülfsmittel behalfen, wohl in ficherer 
Ausſficht. 


b) Mehrſtimmige. 

1. Choral⸗Melodien in gereinigter Lesart, mit Hinzufügen der ur 
fprünglichen, theils zweis, thells dreiftimmig bearbeitet und im —* 1 
trage der Königlichen Regierung u Stralfund herausgegeben von F. 
Cering. Heft I: Choräle für Boltsfhulen. 1 Sgr. Heft 2: Erweite⸗ 
tung für Seminar und Kirche, 1 Sgr. Gütersloh, Drud und Verlag 
von C. Bertelsmann. 1856. 

Heft 1 enthält 30 zwei⸗ und dreiftimmige Nummern, Heft 2 50 
dergleichen. Wie e8 von mir in meinem Schulchoralbuche geſchehen, 
fo find auch hier die Choräfe in jetzt üblicher Lesart gegeben, der aber 
die urfprünglihe (wenn ſchon mit ausgeglihenem Rhythmus), wo fie 
abweicht, überall beigefügt if. „Durch die zwei⸗, zum Theil dreiſtim⸗ 
mige Bearbeitung wollte Verf. für befondere feftlihe Gelegenheiten eine 
harmonische Ausführung ermöglichen ; an die Stelle der oft unzweck⸗ 
mäßig gewählten Motetten muß kirchlich Bewährtes treten. Für die ges 
wöhnlichen Webungen der Schule aber ift der einftimmige Choral ale 
Debungsftoff anzufehen.‘‘ 

2. Die gotzig Kirchenlieder der drei preußiſchen Regulative 
vom 1., 2. und 3. October 1854 im Urtext. Zum Drud befördert 
durch den Herausgeber des Hauschoralbuchs und der Auserlefenen biblis 
fhen Hiflorien. Ausgabe B. mit Melodien in ihren uriprünglichen 
Zönen (zweiftimmig) und Rhythmen. 2 Sgr. Ausgabe C. mit ——8 

Rade, Iahresberiht. X. 39 j 











610 Geſang. 


dien in Ihrer ſpͤtern Form (zweiſtimmig). tersloh, Druck und Belag 

von E. —ãeã Ge. Riamig). @8 vw 

Die zweite Stimme ift fo gut hergeſtellt, als es ſich unter den 
zum Theil gar fehwierigen Bedingungen wollte thun laſſen. Der nie 
drige Preis empfiehlt die Sammlung. In den öflichen Provinzen Reben 
ihr aber in der Abweichung der Lesarten große Dinderniffe entgegen, 
wie denn, um nur dies anzuführen, in dem fehr bedeutenden Umfange 
des Merfeburger Regierungsbezirts wohl die Hälfte der Melodien anders 
gefungen wird, als fie bier gegeben find. 


⸗ 


3. Dreißig Choralgefänge der evangeliſchen Kirche in ihrer 
urſprünglichen —*8 Nah den Melodien des Deutſchen evangeli⸗ 
hen Kirchengeſangbüchs dreiftimmig für Schulen bearbeitet von J. Heinrich 
üßel. Stuttgart, Berlag der 3. B. Mezler'ſchen Buchhandlung. 1855. 

Eine Reihe der fchönften, rhythmiſchen Melodien des von der 
Gifenacher Kirchenconferenz herausgegebenen Kirchengeſangbuchs mit ein» 
facher, den Liedern (von welden überall wenigftens einige Berfe beige, 
geben find) entfprechender Sarmonifirung. Bei Einübung und Anwens 
dung biefer Weifen möge ja die Beflimmung des Bormwortes beobachtet 
werden, daß überall, wo der Rhythmus wechfelt, ohne alle Abweichung 
nach Vierteln von gleicher Ränge gezählt wird. 

4. Sundert und fünfzig evangeliſche Kernlieder nad ihren Ori⸗ 
inal⸗Texten und Melodien für vierflimmigen Männergefang, zunächſt für 

— * von Johann Meier, Lehrer. Auch zum Gebrauche für 

eminarien, Prediger⸗ und Lehrerkonferenzen, Männergeſangvereine und 

ein Beitrag zur Belebung des Kirchengeſangs. Schaffhauſen, Druck und 

Berlag der Brodtmann' ſchen Buchhandlung. 1356, 

Borliegende Gabe erfcheint als eine Auswahl der verbreitetfien 
Kernlieder aus allen Beiten der epangelifhen Kirche „Der Zert if 
Aberal vriginalmäßig gegeben; nur einige ganz unverfländlide Aus⸗ 
drüde und Sprachfehler wurden verbeutfcht und verbefiert..... Die 
Melodien find nach den beſten Hülfsmitteln in ihrer urfpränglichen 
rhythmiſchen Geftalt mitgetheilt, wo nicht die Ausführung entweder zu 
ſchwierig wäre, oder der Rhythmus ein ganz unnatürlider ifl..... 
Bei der Harmonifirung wurde auf eine ſelbſtſtaͤndige, charaktervolle Fuͤh⸗ 
zung der Mittelftfimmen gefehen; auch ift dieſelbe möglihft leicht und 
einfach, ſelbſt für Ungeübtere ohne Schwierigkeit ausführbar. Tactſtriche 
find überall da weggelaffen, wo dieſelben den eigenthümlichen Rhythmus 
der Melodie zerfhneiden würden. ... Die zahlreihen Zünglinges 
vereine, in welchen evangelifches Leben herrſcht, Geiftlihe und Lehrer, 
welche mit dem rhythuiſchen Choral, überhaupt mit den Befrebungen 
zur Sebung des Kirchengefanges, nicht mehr unbelannt bleiben dürfen, 
Männergefangvereine, welche fih an den fentimentalen Productionen der 
Jetztzeit fatt gelungen haben, mögen fih an dieſen Liedern in ihrer 
urkräftigen Geſtalt erbauen, flärfen und neu beleben laſſen.“ So ſei es. 
5. 72 Choräle für den vierffimmigen —— Mit Be⸗ 

ea 


ruckfichtigung der im 16. und 37. Jahrhundert üblichen Xejearten bear⸗ 
deitet von Ehriſtian Yeintih Hohmann, Seminarlehrer zu Schwad ach. 


Geſang. 611 


Dritte, vermehrte Auflage, Nördlingen, Drud und Berlag der 6. 9, 
Bed’ichen Buchandfunns 1856, 2 r 
Sehr empfehlenswert zur Kenntniß und Webung des rhythmiſchen 
Charals. 

6. Lieder zum Gebrauch beim ſonn⸗und wochentäglichen Gottes⸗ 
dienſt auf katholiſchen Gymnaſien. Herauagegeben pon Bern⸗ 
hard Hahn. Vierte, umgearbeitete Auflage. Breslau, E. C. Reudart, 

Hierzu 
Anhang zu Bernhard Hahn's Kirchenliedern, bearbeitet von 
B. Rothe, ’ 


Bufammen 46 EChorälg mit vollfändigem, theils deutſchem, theils 
Iateinifchem Texte, und zwar in diefer Ordnung: Morgenlied. A. An 
Sonn⸗ und Feiertagen. a. Bormittag. b, Nachmittag. B. An Schul⸗ 
tagen. Montag, yor, nach der Wandlung, u, |. w. Schluß: Für bie 
Berfiorbenen. 

7. Geſangbuch für katholiſche Gemeinden. Herausgegeben von 

Morig Broſig, ObersOrganiit an der Kathedrale zu Breslau, Bresign, 

%. €. ©. Leudart. 1854. Preis 6 Ser. 

52 Ehoräle mit untergelegtem, theils aus einzelnen Strophen, theilg 
aus ganzen Liedern beftebendem Zerte. A. Morgenlieder. B, Predigts 
lieder. C. Meßgeſänge. D. Gefänge für den Nachmittagsgottesdienſt. 
Die Lesart der Melodien entſpricht dem vierft. für Die Orgel bearheis 
teten größeren Choralbuche des Herausgebers. 


3. Sammlungen gemiſchter Art. 


1. Siona. Ehoräle und andere religiöfe Gefänge in alter und neuer Form 
für höhere Schulen und Singvereine. Herausgegeben von den Gebruͤdern 
Friedrich und Ludwig Erk und Wilh. Breef. Bweltes Haft, 35 wien 
und fünfttimmige Gefänge enthaltend, Eſſen, Druck und. Verlag von ®, 
D. Bädelen 1857. 4 Sgr. 

Das 1. Heft der „Siona“ ift im IX. Bande des Päd, Jahresber, 
angezeigt. Im vorliegenden zweiten find vorzugsweiſe Ehnaräle in alter 
(shytämifcher) Form, und zwar getreu nah den Originelen gegeben. 
„An diefen haben fich leider viele ungenaue Sammler durch wiſlkürliche 
Veränderungen und Zuthaten fehr vergriffen; daher iR’s gefommen, daß 
eine große Verſchiedenheit und Unficherheit in Betreff mancher Chorals 
füge herrſcht. Wie nun die wortgetreue Herſtellung der Kirchenlieder 
nah dem Urtert durch die forgfältigen Bemühungen B. Wareruagel’$, 
3. Mützell's u. A. in unferer Zeit vorzüglich gefördert ik; fo fol 
die gegenwärtige Sammlung in firengem Anſchluſſe an die Quellen ber 
Ueberlieferung zur Berbreitung der urfprünglichen muſikaliſchen (rhyth⸗ 
milhen und harmoniſchen) Geſtalt der Choräle beitragen. Zugleich hat 
ſich bei der Durhfiht der Originale Drude auch für biograppifche Än⸗ 
gaben (3. B. über Gallus, Gefius, Gumpelzhaimer) eine größere Sichers 
beit erzielen laſſen, als aus verschiedenen Legicaliihen Werken zu errei⸗ 
en war. Der hier gelieferten Choräle in alter Form find 29, darunter; 
Es iR ein Roſ' eutiprungen — O Lamm Gottes, unfchuldig, fünfkimm, 

39* 





612 | Geſang. 


von Johann Eccard — Ecce, quomodo moritur justas von Gals 
lus (1587), der berühmte Hymnus der Schulpforte zum Gedachtniß 
ihrer Heimgegangenen — Ein’ fehle Burg, fünfſtimmig von Melchior 
Brand — Aus tiefer Noth, fünffimmig von Johann Eccard (ein 
Satz von Hoher Trefflichkeit). Unter den Ghorälen in neuerer Form 
(16 Rummern) ſteht auch — Bielen gewiß recht erwünfht — Mozart’s 
fhönes Ave, verum corpus mit lateinifhem und deutſchem Tert. Möge 
das Heft nah Maaßgabe feines reichen Inhaltes gewürdigt werden ! 

2. Katholiſchet Geſangbuch. Eine Sammlung katholiſcher Gefänge 
für vier Singſtimmen. Serausgegeben von Eh. Echnyder, Seminars 
lehrer in Rathhauſen. Zweite, verbefferte und vielfach vermehrte Auflage. 
Lucern, Kaiſer'ſche Buchhandlung. 1857. 

Die erfte Abtheilung enthält: Predigtlieder, Meßgefänge, Trauer⸗ 
amt, Lieder auf die verfchiedenen Feſte - des Kirchenjahre ꝛc. in 146, 
genau nad der Art ihrer Berwendung bezeichneten Rummern. Das find 
nun zum heil Choräle, ganz übereinfimmend mit den proteflantifchen 
heutiger Form; anderntheils find es Chorlieder mit bewegterem, verfchier 
dentlich ausgefaltetem Rhythmus, fogenannte Arien; drittens auch finden 
fih durcheomponirte, mehr oder weniger motettenartig gehaltene höre, 
jedoh mit Ausſchluß alles fehr Umfänglichen. Vieles darunter mag 
nad Urfprung und Berwendung ſpecifiſch Tatholifch fein, wie 3. B. bie 
Marienlieder, einzelne Meßgefänge ıc.; Underes if Befigtbum der pro» 
teftantifchen wie der Tatholifchen Kirche, nämlich die meiften Ghoräle; 
wieder Anderes, aus verfchiedenen Sammlungen zufammengetragen, ifl 
als mehr oder weniger neu bingeftellt, ohne noch auf der einen oder 
andern Seite zur kirchlichen Zradition geworden zu fein. Unberech⸗ 
tigtes dürfte nicht eingelaufen fein; die muflkalifche Arbeit if frei von 
allem Schüler oder Dilettantenbaften. Schade, daß die Ramen der Com⸗ 
poniſten überall nicht genannt find! — Die zweite, fehwächere Abs 
theilung enthält Gefänge für den nacdhmittägigen Gottesdienft, als Pſal⸗ 
men, Hymnen, Untiphonien, Benedicamus, B. M. Virg. ete., nebſt einem 
Unhange von Lob», Dank» und Bertrauensliedern, im Ganzen 43 
Aummern, zwiſchen denen viele lateinifche Pfalmen ze. theils für bie 
allgemeinen, theils für die befonderen Veſpern abgebrudt find. 


3. Sammlung geiftliher Lieder, für vierfiimmigen Männergeſang 
mit befonderer Rüdfiht auf Zünglingsvereine bearbeitet und herausgegeben 
von einigen jungen Freunden in Baſel. Mit einem Borwort von Pros 
feffor Riggenba in Bafel. Bafel, in Commiſſion bei C. Detloff. 1856. 
Ein gar fhönes Büchlein, enthaltend 100 auserwählte Ehoräle 

und andere geiftliche Tiebliche Lieder „als paflender Gefangftoff für ernſt⸗ 
efinnte Jünglinge, deren Verbindung nicht die Kunfübung zum erflen 
wede hat, die fi aber doch gern an leichter fingbaren Liedern er» 
freuen und erbauen. Der Inhalt if alfo geordnet: Lob Gottes, Ad» 
vent, Weihnacht, Neujahr, Baffkon, Ofen, Himmelfahrt, Bfingften, 
Wort und Neich Gottes, Gemeinfhaftslieder, Lieder von der Liebe zum 
Seren, Rahfolge Chriſti, Morgen» und Abendlieder, Auferfiehung und 
ewiges Leben, Schlußgefänge, Anhang. Der Zert befieht überall im 


Befang. 13 


ganzen Liebe, nidt bloß in einzelnen Berfen. Gegen den vierſtimmi⸗ 
gen Tonſatz, um deffen genaue und getreue Durchſicht ch Hr. Pfarrer 
Barth verdient gemacht hat, if nichts zu erinnern. Gewiß wird die 
Sammlung auch außerhalb des Bereines junger Freunde in Bafel, für 
weichen fie zunächſt beftimmt if, fich befannt machen und gern aufge 
nommen werden. Es Fann dies im Intereſſe der Körderung chriſtlicher 
Gemeinfhaft nur fehr erwuͤnſcht fein. 

4. Katholifhe Männerhhöre für alle Zeiten des Kirhenjahres, 

m Gebrauch für Kirchen, Clerical⸗ und Lehrer-Seminare, Gymnafien und 

ealfchulen, bearbeitet von Bernhard Kothe, Regens chori und Gym 

nafials@efanglehrer. Gommiffiond«Berl. von Giar In Oppeln. 12 Ger. 

Das ſchoͤn gedrudte und im Breife hochſt billig geftellte Wert ent 
halt auf 78 Seiten in Gr⸗Quart 57 größere und kleinere Gefänge für 
die verfchiedenen gottesdienfllihen Beranlaffungen der katholifchen Kirche von 
Baini, Saldara, Eordans, Ballus, Ballo, Grell, Biaco, 
melli, Hoffmann, Kothe, Kreuger, Lotti, Mozart, 3. Otto, 
Balekrina, Philipp, @ Schnabel, J. Schnabel, Stadler, 
Bittoria und dem Herausgeber ſelbſt. Hierzu Tommt eine Reihe 
alter, zum Theil gregor. Ehoräle Auswahl und Bearbeitung verrathen 
den ſachkundigen Muſiker. Was die eigenen Compofitionen des Heraus⸗ 
gebers betrifft (14 an der Zahl), fo verdienen fie Anerkennung, wenn 
fhon ihnen weniger der firenge Ernft und die feierliche Würde eines 
E. Richter, eines ©. Flügel eigen find, als jene ſüdlich weiche 
Melodif, weile wir häufig bei katholiſcher Kirchenmuſik, fofern fle nicht 
der Periode Paleſtrina's ze. angehört, bemerken. Sämmtliche Texte, mit 
Ausnahme der lebten 5 Nummern, find Tateinifh. Das Ganze wird in 
feinem Kreife feinen Zwed erfüllen. _ 

5. ShulsLiederbud, enthaltend ein», zweis und breiftimmige Lieber 
und Ehoräle in der Tonbezeichnung von J. C. F. Thomascik, herausge⸗ 
eben von C. Sartung und $. Schmidt. Heft II: feäig dreiftimmige 
ieder und Choraͤle. Berlin, Berlag von I. C. Huber. 1855. Preis: 
broſchirt 5 Ser. 

Die Auswahl der Gefänge unterliegt einem Zadel. Dem lateinis 
fchen Texte unter Nr. 20 (O sanctissima —) hätte jedoch wohl ein 
deutfcher beigegeben werden follen, da die Sammlung nicht ausfchließlich 
für Gymnafien beftimmt if. 


4. Geſänge für eine Stimme mit Begleitung ıc. 


1. Zur häuslichen Erbauung. Geiftlihe Melodien Jobann Bolf- 
gang Brante aus dem 17. Jahrhundert, mit neuen Texten verfehen 
von Wilhelm Dfterwald und für eine Singftimme mit Begleitung 
des Pianoforte neu bearbeitet von D. H. Engel. Op. 24. Leipzig, 
Drud und Berlag von Breitlopf und Härtel. 15 Sgr. 
Diefe trefflihen Sachen“), welche bereits in weiten Kreifen Ver⸗ 
breitung gefunden haben, gehören in jedes Lehrers und Predigerhaus, 


*) 30 Rummern. Mehrere daraus wurden in den großen Merſeburger 
Kirchenconcerten mit Orgelbegleitung vorgetragen. 


614 Geſang. | _ 


überhaupt in jede Bamilte, wo edle und ernfte Muſik gepflegt wird; 
nicht minder müfen fie höheren Schulanfkalten, namentlih Seminarien, 
angelegenttigft empfohlen werden. Bei Abnahme von größeren Barthien 
gewährt Die Verlagshandlung weſentliche Erleichterung. 

2. Lieder von ®. Kripinger, Karolina Pichter, E. Comteffe 
v. SH. und Anderen mit Begleitung des Piano. Kür böhere, 
befonders weibliche Bildungsanftalten herausgegeben von Bernd. Brähmig. 
Op. 6. Leipzig, ©. Merfeburger. 25 Sgr. 

Es fam dem Herausgeber darauf an, für folhe Sängerinnen, welche 
über die Stufe der Kinderkieder nad Alter und Bildung hinaus find, 
mit Ausihluß von Liebesliedern ein Material zu liefern, worin die relis 
gidfe Lebensanfhauung überall maßgebend wäre, und der Grundton, wels 
Her das Spielen und Singen einer chriſtlichen Jungfrau beiligen foll, fo 
wenig im Seiteren, wie im Ernſten verleugnet würde 4 Munmern find 
von ihm ſelbſt componirt, A andere nad Zonfäßen von Beethoven und 
Mendelsfohn bearbeitet; außerdem finden ſich eine Compoſit. von Lecerf 
und 7 Volksweiſen. — Das Ganze verdient eine vorgügliche Beachtung. 
8, dt el — Ss NR —— und 

er Begleitung. Serandgegeben von Jo epf, Lehrer. 
Scaffhaufen, Brodtmann. ee bann ent, Lebret. I. Heft 

Dem Titel nad) fehlt es dem Herausgeber an Sprachgefühl, dem 
Liede Nr. Ina an jenem Gefühl für Standesehre, welches — außer 
fonfigen Motiven — den Lehrer abhält, fih mit dem Gemeinen gemein 
gu mahen In Nr. 3 „Der Ehefand a la mode” heißt ee: 

Bie ’3 zugeht in manch’ einem vornehmen Hans 
m Rüden des Weibes, 6 ift mandmal ein Braus, 
ipt Manche ganz ruhig im Stübchen und denkt: 
Welch' Glück, daß mir Gott a ſo'n Mann hat geſchenkt. 
Sa, wenn fle's nur wüßt'! 
Kommt er dann zu Haufe, fo iſt fie entzüdt, 
Er ſchwört hoch und theuer, wie fie ihn bealüdt, 
Er drückt fie an’ Herz, ad, mein Alles biñ du! 
Und blinzelt bint'rm Stuhle der Nähmamfell zu. 
Ja, wenn fies nur wüßt'! 
br denft wohl, die Weiber find beſſer als wir? 
n welch' einem ſchrecklichen Irrthum feid ihr! 
Sie find nur viel pfiff' ger, fie treiben's ganz frei, 
Es merkt's nicht der Mann, nein, und fteht doch dabel. 
Ja, wenn er's nur wüßt'! u. f. w. 

Das ift fo ein Lied, wie ein vagabundirender Lumpenkerl es in 
ber Schenke zum Beſten gibt, um noch einen Exrtta⸗Schnaps zu erlan- 
sen. Eine faubere Genoffenfchaft für den Lehrer Wepf!! 


Anhang. 
A, Theorie und Geſchichte. 
1. Lehrbuch der muficafifhen Eompofition. Nah yädagogifchen 


Grundfäpen bearbeitet. ven Chriſtian art ohmann. Seminar⸗ 
lehrer \ Schwabach. IL Thetl. Die re Ai herein und der 


Belang. 8tð 


Aufeumentation. (I. Hälfte.) Altdorf, Druck und Verlag von Peter 
Heflel. In Commiffion bei Miegel und Wießner in Nürnberg. 1857. . 
„Der erſte Band diefer Compoſitionslehre hat den Schüler zunächſt 
mit der Sarmonielehre befannt gemacht. Er ift fih der Harmonien 
bewußt getworden, welche in der Muſik zur Anwendung kommen, lernte 
die Geſetze kennen, nad denen fie fich mit einander verbinden, nahm 
wahr, mie durch den Hinzutritt einer rhythmifchen Gliederung die aus 
einander gereibten Accorde ſich zu finnvollen harmoniſchen Sipen und 
Perioden geftalten, und bemerkte auch, wie hei gehöriger Stimmenführ 
rung aus einer Reihe von Harmonien die Melodie fich entwidelt. Die 
Grundelemente der Muſik, Harmonie, Rhythmus und Melodie, find alfo 
ihrem Weſen nach von ihm erfaßt; auch hat er. die Fähigkeit erlangk, 
aus eigner Kraft harmoniſche Sätze und Perioden zu bilden. Die 
Elementars Compofitionsiehre bat hierdurch ihren Abſchluß gefunden. 
Ein neues Arbeitsfeld foll nun dem Kunftjünger eröffnet werben. Ha⸗ 
ben die feitherigen Aufgaben vorzugsweife den Zwed gehabt, den mufi⸗ 
kaliſchen Sinn des Schülers zu weden und, ein lebendiges Gefühl für 
natürliche Harmonie» Verbindung, für geordneten Rhythmus, für meles 
diſche Stimmenführung in ihm hervorzurufen, und zwar in der Art, 
daß fih überall aud eine Mare Einfiht in die Sache, ein richtiges Bew 
ſtändniß derfelben damit verband; fo follen die neuen Aufgaben haupt 
fächlich dahin zielen, das mit dem Gefühle und dem Verſtande Erfapte 
zu praftifhen Zweden zu verwenden und in größern, felbiifländigeren 
Arbeiten zur Anwendung zu bringen. Als Gegenflaud der neuen Lehre - 
tritt ung zumähft die Harmonifirung gegebener. Melodien entgegen. 
Hieran reiht fich Die Lehre von der Ziguration oder den höhern Bak 
tungen des Contrapunkts. Mit der Figuration tritt die thematische 
Arbeit in Verbindung, und dieſe führt auf die Imitationslehre, weiche 
ihre geeignetfle Unwendung in der Zuge und im Ganon findet. Die 
verschiedenen Kunftformen werden gelegenheitlih dem Schüler zur An 
fhauung und zum Berfländniß gebracht; auch wird er nach jeder erſtie⸗ 
genen höhern Stufe veranlaßt, die gewonnene Einfiht und Kraft an 
bieher gehörigen praftifhen Arbeiten zu erproben. Er lernt Die vers 
fhiedenen Inftrumente und ihre Verwendung zu mufilalifchen Zwecken 
fennen, und wird fo in den Belg al’ der Mittel gejept, welche zur 
Erzeugung eines wohlgeordneten Kunſtwerkes erforderlih find. Sp 
weit das Vorwort. Ich fege nur hinzu, daß hier ein vorzüglich geeige 
neter Führer für Diejenigen gefunden ift, welche nach vollendetem Se⸗ 
mwinarcurfus, wo He das Weientlihfte der Harmonielehre kennen und 
üben lernten, weitere Studien antreten, gu höheren fi rüften wollen. 
2. Vorſchule der mufifalifgen Lompofition. Mit fleter Bezug. 
nahme anf den Choral, inshbefondere für den Unterricht der Schwan 
Präparanden bearkeitet von Emil Poſtel, Kantor und Lehrer in Pad 
wis, correfpondirenudem Mitglieds ber fchlefifhen Geſellſchaft für vaterläns 
diſche Eultur. Mit vielen In den Test gedruckten Notenbeifpielen und 
einer Beilage von hundert Ehorälen. Langenſalza, Schulbuchhandluug 
des Thüringer Lehrer: Dereind, 1856. 


Des Schüler wird auf einfache, elewentarifhe Weile nah und 


816 Geſang. 


nach in die Harmonielehre, ſoweit fie dem Kreiſe der Präparanden-Uns 
terweifung überhaupt angehört, eingeführt. Das gewonnene harmoniſche 
Material aber kommt von der Stufe an, wo die Accorde der Zonica, 
Dominante und Unterdominante feftgeftellt und angeeignet find, überall 
in dreifacher Weile zur Verwendung, indem der Lernende 1. Pleine 
Borfpiele zufammenftellt, 2. Ehoräfe nach Signaturen ausſetzt, 3. Ehoräle 
ſelbſt harmonifirt. Auf der in Nr. 2 und 3 ausgefprodenen Ans 
ſchauung des Verf., daß der Choral fobatd als möglih in den Borders 
grund zu flellen, beruht hauptſaͤchlich die Cigenthümlichkeit feines Lehr⸗ 
ganges. Ich kann diefe Anfchauung nicht theilen. Ich kann es nawent⸗ 
lich nicht gut heißen, daß der Schüler von vorn herein, anfänglich aus 
den dürftigften Mitteln und mit roher, völlig ungeübter Hand, Cho⸗ 
täle harmonifirt. Was da herausfommt, if feine Mufik. 
Ob ſolche Behandlung des Ehorals Entweihung deffelden fei, wos 
gegen fich der Berf. wiederholentli verwahren zu müſſen glaubt, Laffe 
ih ganz dahbingeftellt: meine Bedenken gehen vom rein Tünflerifchen 
Standpunkte aus. Welchen Einn hat es, den Choral zeitig in dem 
Bordergrund zu flellen, wenn er corrumpirt, entitellt, feiner Kraft und 
Schoͤnheit beraubt, auftreten muß, in einer Geflalt, welche ihn für die 
Kirche geradezu unbraudbar maht? — Warum follen ed gerade 
Choräle fein, welche der Berf. unter $. 162 mit allen möglichen Nonen⸗ 
aecorden überladen läßt, ausdrüdlich bemerfend, daß dies nur zur Ue 
bung geſchehe, der Choral alfo im Ernfle gar nicht auf diefe Art 
tractirt werden dürfe! Welche Bedeutung hat der Choral, der Fein 
Choral mehr iſt? — Ih weiß wohl, daß ich mit diefen Fragen den 
Kern des gegenwärtigen Werkes in Frage flelle, weiß aud, daß id es 
mit der Leitung eine® erfahrenen, zwanzig Jahre lang an der Präpa⸗ 
tandenbildung arbeitenden Mannes zu thun habe; allein ich glaube doc 
meine Ueberzeugung nicht verfchweigen zu dürfen. Webrigens muß bier 
das Gefagte genügen. Ich habe die Lefer zunächſt nur zur ſelbſtſtändi⸗ 
gen Erwägung und Prüfung des vorliegenden wichtigen Gegenflandes 
anregen wollen. Döge bderfelbe öffentlih in Belprehung genommen 
werden. Die „Euterpe“ öffnet jedem Berechtigten ihre Spalten dafür. 

Gern bemerfe ich fchließlih, daß unfere „Vorſchule,“ außer ihrem 
Barmonifhen Theile, eine reiche Fülle fonftiger Belehrung über allerlei 
Gegenſtände Cantoren⸗ und Organiſtenkunſt darbietet, gewiß zum großen 
Nutzen der Präparanden. 


3. Katechismus der Mufil. Bon J. ©. Lobe. Dritte, verbeflerte Auf 
Sage. Leipzig, Verlagsbuchhandlung von 3. 3. Weber. 

Iſt in 1. Auflage im VI. Bande des Jahresber. angezeigt. Der 
Fragen und Antworten find 500, aus denen der Anfänger alles We⸗ 
fenttice, was ihm zu wiffen nöthig it, fehr wohl lernen Tann, zumal 
wenn das Wort des Lehrers ihm dabei in Erläuterungen, Erweiteruns 
gen und Ausführungen zu Hülfe kommt. Preis nur 10 Ger. 


4. ElementarsMufillchre. Zum Gebraude für Seminars Afpiranten, 
nad den befieren theoretifchen Werken zufammengeftellt und herausgegeben 


Geſang. 617 


von Earl Heinrich George Davin, Seminarlehrer zu Schlüchtern in 
Kurhefien. Erfurt und Leipzig, G. Wilh. Körner's Berlag. 


Ein fehr gelungenes, beſtens zu empfehlendes Büchlein! 


5. Kurze Geſchichte der mufilalifhen Ideen. Dargeftelltvon F. J. 

A. Keppner. Freiburg (in Baden), Zr. Wagner. 1856. 

1. Harmonie. Idee der polyphonen Form. — Paleſtrina. — 
2. Rhythmus. dee der contrapunktilifhen Form. — Bad. — 
3. Melodie. dee der freimelodifchen Form. — Haydn, Mozart. — 
Dies die Inhaltsüberfiht. Der Verfaſſer if heftig angegriffen worden 
wegen einzelner, allerdings befremdlicher Anfichten und Urtheile; im 
Allgemeinen aber verdient er die Anerkennung, in Betreff der drei „mu⸗ 
. flalifhen Ideen‘ etwas Unrichtiges keinesweges aufgeftellt, wohl aber 
zur Geſchichte der Entwidelung der Tonkunſt von Paleftrina bis auf 
Mozart herab manches Anziehende und Belehrende beigebracht zu haben. 


6. Die mufifatiien Schätze der St Katharinenkirche zu 
Brandenburg a, d. Havel. Ein Beitrag zur muflfafifhen Literatur 
des 16. und 17. Jahrhunderts. Gine kunſtgeſchichtliche Abhandlung von 
I. Fr. Taeglichsbeck, ordentlichem Lehrer am Gymnafium und "Ruf 
director an Per St. Katbarinen » und St. Paulikirche a Brandenburg. 
Brandenburg, Drud und Verlag von Adolph Müller. 

Aur wenige Seiten diefer Abhandlung befchäftigen ſich fyeciell mit 
den durch Zufall in einem bis jegt ganz unbeadhtet gebliebenen Schranfe 
auf dem Schülerchor der Brandenburger St. Katharinenfirche aufgefundenen 
alten Rotendruden, 51 an der Zahl (1564—1671). Den bei Weiten 
größten Zheil der Schrift nimmt ein Abriß der Geſchichte Firchlicher 
Muſik ein, die wichtigſten thatſächlichen Momente hervorhebend, vorzüg⸗ 
lich aber die betreffende Literatur zur Kenntniß des Leſers bringend und 
fie kritiſch beleuchtend. So erfährt man denn u. A. höchſt Anziehendes 
über die alten deutſchen, italieniſchen und niederländifchen Singſchulen, 
über die hiſtoriſche Entwidelung des Ehorals, die Berliner Singakade⸗ 
mie und den Domchor, die Leipziger Thomaner, die kunſtgeſchichtlichen 
Arbeiten Beder’s, Eommer’s, Dehn's, Erk’s, Kiefewetter’s, 
v. Zuder’s, v. Winterfeld’s und Anderer, bauptfählih über 
Becker's großes Wert: „Die Tonwerke des XVI und XVII. 
Jahrhunderts“ 2. Die Abbandlung bat demnach eine Wichtigkeit 
für Jeden, den die kirchliche Tonkunſt etwas angeht; fie ift in hohem 
Grade geeignet, nad) dem Wunfche des Verfafers „das Intereſſe für das 
bis jest noch ziemlich vernachläffigte Kunftftudium der Muſik in engeren 
und weiteren Kreifen anzuregen.‘ 


T. Gottfried Silbermann der Orgelbauer Ein biftorifches Kebens- - 
bifd von Ludwig Moofer. Zum Bellen des Vereins ſächfiſcher Lehrer 
je gegenfeltiger —R in Krankheitsfällen. Langenſalza, Schul⸗ 
uchhandlung d. Tb. L. V. 

Gegenwärtiges Lebensbild iſt gezeichnet nad ſchriftlichen Quellen 
(unter denen Engelhardt's Denkwürdigkeiten, Fiſcher's Sammler 
für ſächſiſche Geſchichte Benzler’s Chronik von Freiberg, eine Bios 
graphie von E. Gottwald hervorgehoben werden) und mündlichen 


bis Geſang. 


Traditionen. Nachdem es zuerſt in einem Loealblatte, aledann tn er 
Saͤchſ. Schulzeitung (1854, 314) erſchienen war, gab ihm der Verf. 
durh Erweiterung und Vervollſtändigung Die gegenwärtige Geſtalt. 
Ber ausſchließlich das biftorifh Beglaubigte aus Silbermann's 
Leben fucht, nehme das Buch nicht zur Hand, denn Hier treten ihm 
Wahrheit und Dichtung in Berfchmelzung entgegen. In diefer Gattung 
aber bat der Berf. mit unverkennbarem Talent etwas ganz Gelungenes 
dargeboten, wenn ſchon mande Züge aus dem Knaben⸗ und Jünglings⸗ 
leben Silbermann’s faſt allzu draftifch erfcheinen und der Abfchnitt, wo 
das Liebesverhältniß des Helden mit einer Nonne, fowie die verfuchte 
Entführung derfelben gefchildert wird, gegen die Zuläffigleit des Buches 
in Schulbibliothefen Bedenken erregt. 


8. Beitrag zur Geſchichte des Drgelwelens Wine Denffäprift zur 
Einweihung der durch Herrn Friedrich Kadegaft erbauten großen Dom⸗Orgel 
zu Merfeburg, nebft Dispofition derfelben. Bon D. H. Engel, Drganift 
an der Domtirche zu Merfeburg 2. Erfurt, ©. W. Körner. 5 Ser. 

Mr. 2 der „Euterpe“ weift den anziehenden und belehrenden Inhalt 
biefer Denkſchrift näher nad. 


B. Orgelfpiel und DOrgelunterridt. 


1. 44 Studien für die Drgel zur ne aan des obligaten 
DedalsSpiels, componist von Julius Schneider, königl. Mufit: 
director, Mitglied der Alademie der Künfte, Lehrer am königl. Inſtitut 
für Kirhenmufll. Op. 48. (Supplement zu Ritter’® „Kunft des Orgelr 
fpield.) 1 Thlr. 15 Ser. Bartiepreis 1 Thlr. Erfurt und Leipzig, 
G. W. Kömer. 

Es ſind dieſe Studien einem unſerer Altmeiſter des Orgelſpiels, 
Hrn. Mufſikdirector A. W. Bach in Berlin, gewidmet. Sie find feiner 
nidht unvürdig. Wer fie durchmacht, wird fich eines weſentlichen Rubens 
gewiß erfreuen: er wird in die mannigfadhen Künfte der Pedalbehand⸗ 
fung gründlich eingeführt werden und zugleich mittelfi diefer 44 Orgel 
Rüde einen Reichthum folider Orgelmuſik in fih aufnehmen. Schade, 
daß der Herausgeber nicht eine oder die andere Bach' ſche Zuge mit 
genauer Bezeichnung der Pedals Applicatur beigefügt hat, ale Anhang 
oder — wie man will — als Krone des Ganzen. 


2. Sch8s und dreißig Nacfpiele für Die Orgel. Gomponirt von - 


Shriftian Het int. Zweite Auflage, beforgt durch Wilhelm 
a Beben und Ornanif = Mders. Ne ne im Dr und 
Derlag von ©. D. Bädeker. 

Diefe Nachſpiele wurden im Jahre 1833 von Rink in erfter 
Auflage herausgegeben. Seitdem bat man den Begriff des kirchlichen 
Orgelſpiels nah und nach firenger gefaßt, auch den des Poſtludiums: 
man verlangt mehr Ernft, mehr Würde, mehr Fernhaltung alles deſſen, 
was an weltliche Muſik erinnert. Dem entiprehen auch die Compofi⸗ 
tionn NRitter’s, Kühmſtedtes, Heffe’s, Brofig’s, Herzog’s, 
von Eyken's ꝛc. gang unzweifelhaft. Die vortiegenden Stüde paflen 
nicht alle mehr in unfere Beit, 3. B. Nr. 7, 10, 15, 16, 25, 38, 


Geſang. 619 


So viel Anmuthiges und Zierliches, Friſches und Frohes auch in diefen 
und anderen Nummern enthalten iſt, während kräftige Effecte durchaus 
nicht fehlen, fo gewählt ferner die Modulation, fo fymmetrifh die 
Rhythmik, fo fein die thematiſche Arbeit if, fo muß man doch fagen: 
die Kirche, wenigſtens die proteftantifche, verlangt andere DOrgelmufif, 
ganz in Uebereinftimmung damit, daß fie fih immer mehr von Haydn’s 
und Mozart’s genialen, aber mehe Annlich heiteren denn religiös 
ernften Gantaten ze. abwendet. Demnach hat das gegenwärtige Wert 
nur einen beziehungsweifen Werth, mehr für das Studium, als für den 
Gottesdienft. 

3. 12 leichte Dorfpiele für die Orgel, compontıt von Earl Feyn. 
Op. 21. Offenbach a. M., bei Joh. Undre. Pr. 36 fr. 

Harmloſe Sahen ohne höheren Anfpruch, welche indeffen auf der 
mittleren Unterrichtsftufe immerhin gebraucht werden fönnen und nicht 
ohne Nupen für den Schüler bleiben werden. 

4 Choralbuch für den katholiſchen Gottesdienfl. Nebft einem 
Anbange: Vorſpiele zu den Melodien der Predigtlieder von Morig 
Brofig, Kapellmeifter an der Kathedrale zu Breslau. Opus 8. Zweite 
Auflage. Preis 1 Thlr. Breslau, Verlag von F. E. C. Leukart. (Con⸗ 
ſtantin Sander.) 

Wurde in 1. Auflage im V. Bande des Jahresber. angezeigt und 
dort auf ©. 320 und 348 nach Berdienft hervorgehoben. Wefentlich 
Neues bietet die 2. Auflage nicht dar. 

5 Rhythmiſcher Ehoralgefang and Orgelſpiel, eine Abhandlung; 
die gebräuchlichften Ehoräle in melodifcher und rhythmiſcher Urform für Die 
Orgel, ein Nachtrag zu jedem Choralbuche. Bon U. ©. Ritter, König 
lihem Mufifdirector, Organiften am Dom zu Magdeburg, der Riederländi- 
fhen Geſellſchaft zur Beförderung der Tonkunſt Verdienftmitgliede. 33. Wert. 
Breis 20 Sor. netto. — Mbhandlung und Nachtrag find jedes einzeln 
zu haben. Erfurt und Leipzig, G. W. Köorner's Berlag. 1857. 
Ueber die Abhandlung wurde bereits berichte. Ein Mehreres dam 

über enthält Nr. 5 der „Euterpe, 1857. Die Zabl der Choräle 
beträgt 56. In ihnen fol zunähft die Urgeftalt der wichtigften derſel⸗ 
den in die Hand gegeben werden; und fodann foll die forgfältig ges 
wählte barmonifhe Begleitung ein Abbild derjenigen Weiſe darftellen, 
in welcher, nach der Meinung des Berfaffers, die Orgel nachhelfend dem 
rhythmiſchen Ehoralgefange Aberführend beigegeben werden müſſe.“ Auch 
in diefen Sarmonifirungen erfennt man Ritter’s Meifterhand. 


C. Klavierfpiel und Klavierunterridt. 


1. Etude pour le Pianoforte ou 42 Exereices dans les differents 
Tons, calculds pour faciliter les progres de ceux, pui se proposent 
d’etudier cet instrument à fond, par 5 B. Gramer, Edition nouvelle, 
soigneusement revue, corrigee et doigtee par Jules Kaorr. Le doig- 
ber est propriets de F’editeur Cahier II. Prix. 10 Sgr. Wolfenbüttel 
chez Louis Holle. 


Das erſte Heft bdiefer berühmten Etüden wurde im -IX. Bande des 
Zahresber. angezeigt. Hier liegt nun aud das gweite, die Nummern 


x 


620 Geſang. 


22 —42 enthaltend, in ſchoͤner Ausſtattung, und verſehen mit J. Anorrs 

Bingerfaß, zu fabelhaft niedrigem Preiſe vor. 

2. Säule durch Tonleiter und Accord. 42 Pianofortestlebungen durch 
alle Durs und MolleTonarten für fon etwas vorgefchrittene Spieler von 
9 W. Etolze, Stadt und Schloßorganiften in dene. Dpus 12. Preis 
10 Sgr. Dritte vermehrte und verbefierte Auflage. Wolfenbüttel, &. Holle. 
Eine umfaffende, mit der Einfiht eines erfahrenen Lehrers geord⸗ 

nete Ausbeutung der im Spielen der ZTonleitern und der gebrochenen 
Accorde Tiegenden Bildungsmittel. Wenn der Herausgeber fagt: ‚Kür 
fhon etwas vorgefchrittene Spieler Fönnen diefe Uebungen, ſobald fie mit 
aller Sorgfalt in der Upplicatur und Strenge im Zafte gefpielt werden, 
wie die vieljährige Erfahrung bereits gezeigt bat, von großem Nutzen 
fein”... fo ift darin unbedingt beizufimmen. Der Preis ift Außerft 
niedrig geftellt. 

3. Praktiſche KRlavter- Schule. Ein methodiſch geordneter, mit Bes- 
— des Fingerſatzes verſehener Uebungsftoff zur leichten und gründ⸗ 
ichen Erlernung des Klavierfpiels. Kür angehende Klavierjpieler bearbeitet 
von Chriſtian Heinrich Hohmann, Seminarlehrer zu Schwabach. 
* erweiterte Auflage. Aus drei Kurſen beſtehend und 360 Uebungs⸗ 
age in allen Tonarten enthaltend. Preis: complett I fl. 36 fr. rhein. oder 
2 Thlr. Gingelne Kurfe 1 fl. 12 Er. rhein. oder 20 Sgr. Nördlingen, 

C. 9. Beck'ſche Buchhandlung. 1856. 

Bei dem Rufe, welchen der Herausgeber als erfahrener, bewährter 
Mufiklehrer in weiten Kreifen namentlih Süddeutfchland’s genießt, wird 
die Borausfegung, daß hier etwas nach Stoff und Methode wohl Berech⸗ 
tigtes dargeboten werde, eine fehr nahe liegende fein. In der That ers 
füllt das Werk durch feine ganze Anordnung, durch die ädyt elementari» 
fhe Weife, wie der Schüler von Stufe zu Stufe geführt wird, durch die 
Auswahl der Uebungsſtücke und den feinen künſtleriſchen Sinn, der fi 
in den eigenen Gompofltionen des Autors ausfpricht, vollftändig die Ans 
fprüde, die an eine „Praktiſche Klavierſchule“ der Gegenwart 
gemacht werden koͤnnen und müflen. Cs füllt aber nur den Elementars 
kreis (das Wort in etwas weiterem Sinne genommen) aus; für höhere 
Ausbildung müffen hernach andere Hülfsmittel in Anwendung gebradt 
werben. 

4. Reue Methode zur Erlernung des Pianofortefpiele (Ge 
frönt von der Alademie in Paris.) Entbaltend eine Anweifung, die Ele⸗ 
mente des Pianofortefpield und der Harmonielehre durch fehr leicht faßliche 
Hülfsmittel fi aneignen zu fönnen, nebft einer Anleitung zur Transpof- 
tion und —— Mit Berückſichtigung für den Selbſtunterricht. 
Bon Bauline Ohswaldt, Mitglied der Akademie der Wiſſenſchaften in 
Paris. Berlin, Drud und Verlag von E. S. Mittler und Sohn. Zins 
merftraße Nr. 84 85. 1856. 
„Das Wort Göthes: Grau, theurer Freund, ift alle Theorie, doch 

grün des Lebens goldner Baum — fand bisher auch in Bezug auf die 

edle Kunft der Muflf feine Anwendung. Treibt aber nicht gerade in ber 
uf diefer Baum des Lebens erft feine grünen Zweige aus den gefuns 
den Wurzeln der Theorie, welche allein die Nahrung für das volle Bers 
ſtandniß und fomit auch das rechte Leben im Spiele giebt! Wo biefe 





Geſang. 621 


Burzein fehlen, kann das eingepflanzte Reis zwar eine Zeit lang grünen, 
doch Früchte trägt es nie, und verweift nur gar zu bald. Die Grund« 
lagen der Theorie alfo felbft für die jüngften Anfänger zugänglich zu 
machen, darauf war mein Suchen und Streben während eines langiaͤh⸗ 
sigen Unterrichts gerichtet, und fand ich denn auch endlich den Schlüffel 
dazu, der aus eigenthümlichen, neuen, aber äußerft leicht faßlichen Hülfs- 
mitteln beftebt. So die Berfaflerin im Vorwort. Dem entjprechend 
giebt fie in der erfien Abtheilung das nad ihrer Anſicht Unentbehrliche 
aus der allgemeinen Mufifiehre, worauf in der zweiten Abtheilung daſſelbe 
in Betreff der Harmonie gefchieht. Für die Erlernung der Noten und 
der Taften ac. werden in der 14. Abtheil. verfchiedene Meine Hülfsmittel 
egeben; in der 2. Abtheil. benupt die Verf. die „harmoniſche Hand‘ 
(weise zuerfi in Anwendung gebracht zu haben das Verdienſt Logier’s 
iſt), um daran Tonarten, Intervalle, Dreiflänge, Septimenaccorde, Ca⸗ 
denzen zc. 'zu lehren, und fie macht das unleugbar in gefchidter, das Ers 
lernen der genannten Dinge erleichternder Weife. Aber wo ift die „Reue 
Methode zur Exrlernung des Pianoforteſpiels“? Ich kann e8 nicht jagen; 
denn darin, daß mitten in den theoretifchen Belehrungen der 1. und 2. 
Abtheilung folgende Paragraphen flehen: 14. Fingerfegung für die Tons 
feitern. 15. Bon der Haltung. 20. Fingerfag im Allgemeinen. 40. Bors 
trag 41. Anwendung des Fortezuges. 71. Fingerſetzung für die Sep» 
timen » Accorde, 89. Uebung für Auge, Finger und Gehör — darin 
wird Niemand eine Methode, viel weniger noch eine neue Methode 
zur Grlernung des Pianofortefpield finden. — Wenn die Herrn Zrans 
zofen das Werkchen gefrönt haben, fo Tann dies nur in Betracht der 
bier dDargelegten Methode theoretifher Unterweifung, wieflejeder 
Muflkiernende braucht, gefcheben fein. Der Titel des Buches paßt nicht 
zum Inhalt. 


5. Muſikaliſche Anthologie. Opern, Vollsmelodien, Lieder ohne Worte 
2, als ein Ergänzungsmaterial zu des Berfaflers fowie zu jeder andern 
— Sant: forgfältig ausgewählt, arrangirt und abgeituft von F. 

Greßler. Zehnte Auflage. "Langenfalza. Shulbuchhandlung des Thuͤ⸗ 
ringer Zehrervereind. Opus 3. 1.—6. Lieferung. 


Eine fehr bekannte Sammlung, die fih durch elementarifhe Stus 
fenfolge, forgfältig gewählten Fingerſatz und fehöne, äußere Ausfattung 
empfiehlt wogegen freilih zu wünſchen bleibt, daB das DOpernelement 
weniger vortreten, das aͤchte Volkslied mehr Berüdfichtigung finden möge. 


6. Sammlung der Klavier-Gomp ofitionen von Johann Sebaftian 
Bach. Herausgegeben von Friedrich Ehryfander II. Band, enihals 
tend: Das wohltemperirte Glavier in 2 Theilen. Nebft Anhang und Por⸗ 
trat. Preis 2 Thlr. 5 Sgr. Wolfenbüttel. Drud und Verlag von 2. Holle, 


Die Wohlfeilheit diefer Tritifch mit großer Sorgfalt redigirten Aus» 
gabe des Wohltemperirten Claviers wirb Manchem die Anfchafs 
fung des unfterblihen Werkes möglich machen, dem daſſelbe fonft unzus 
gänglih war. Mögen recht Viele die hier dargebotene Gelegenheit zu 
folcher Erwerbung benügen! — Drud und Papier find vorzüglich. Ein 





622 | Gefang. 


noch zu ermwartender Nachtrag wird außer erläuternden Bemerkungen auch 
fümmtliche Barianten bringen. 
T. Seazle melodifche Uebungsſtücke für das Pianoforte, von®. 

8. Engel. Op. 21, in 3 Heften, & 15, 20, 25 Ngr. Leipzig, C. F. Kahnt. 

Wegen ihrer Anmuth und Lieblichkeit ſowohl, wie auch wegen bes 
frifchen, kräftigen, naturwüchfigen Lebens, welches ka in ihnen ausfpridt, 
find diefe Stüde vorzüglich zu empfehlen, wie folches auch in allen mir 
zu Gefiht gefommenen Beurtheilungen geſchehen if. Was das Techniſche 
betrifft, fo beginnen fie mit Meinen Sägchen aus fünf Zönen und laufen 
aus in Kompofitionen verfhiedener Form, welche etwa diefelben Kräfte 
{n Anfpruch nehmen, wie Op. 100 der Etüden von Bertint. 

8. Der Ptanofortefhüler. Eine neue Elementarſchule für den Unterricht 

im Pianofortefpiel von Fr. Brauer. Leipzig, C. Merfeburger. 1 Rıblr. 

Der Herausgeber fagt im Borworte: „Der Bianofortefhüler 
ift ein, von meiner bereits in fünfter Auflage erfchienenen und bins 
laͤnglich als brauchbar anerfannten Elementars Bianofortefhule 
ganz unabhängiges Werl, das vorzugsmweife eine Llavierſchule für die 
Kleinen fein will. Breiter angelegt, als die ElementarsPianofortefchule, 
geht es in möglichft Meinen Schritten vorwärts und vermeidet Alles, was 
von Pleinen Händen nicht gut auszuführen wäre. Daſſelbe iſt übrigens 
eine Frucht vieljähriger Erfahrung, und ih kann es daher um fo mehr 
allen Slavierlehrern empfehlen.” Dies fei genug zur Bezeichnung des 
vorliegenden, bis zu den bekannten feinen Rondo's von Elementi ımd 
Duffed hinleitenden Werfes, welches fih wohl fehr bald einen mindes 
ſtens eben fo weiten Kreis gewinnen dürfte, als des Verf. mehrgenannte 
frühere Schule. 

9. Bertini's Etüden. 

Bon der bei 2. Holle in Wolfenbüttel erfchienenen Ausgabe liegen 
vor: Livr. 14, 2. Introduction à celles de J. B. Cramer. Oeur. 29 
82 à 8 Sgr. — Livr. 8. 4. 5 Etudes caracteristignes, Oeuv. 66, 
Cah. 1. 2.8. a7 Sgr. — Livr. 6. 25 Etudes faciles et progres- 
sives. Oeuv. 100.8 Ser. — Livr. 7 Les Repos. Oeurv. 101. 10 Ser. 
— Livr. 8. 12 Petits morceaux. 6 Sgr. — Man fennt den Werth 
diefer jet allgemein in Gebrauch gefommenen Sachen. Die in Rede 
flebenden Hefte bezeichnen ſich durch großen und deutlichen Drud auf 
ſchönem weißen Papier, fowie durd den merkwürdig niedrigen Preis. 
10. Zmmortellen. Auswahl des Bellen aus den Werken der großen Meifter 

im Meiche der Tonkunſt Kür das Pianoforte eingerichtet und herausgege⸗ 

ben von Julius Hopfe. I, Kiefer. 10 Ser, Gisleben, G. Reinhardi. 

9 Nummern von Mozart, Haydri, Beethoven, ©. Bad und 
Händel. Für Schüler mittlerer Stufen (auch höherer) fehr zu beachten 
wegen des gediegenen Inhalte. 

11. Reiſebilder aus dem Jugendleben in 9 harakteriſtiſchen 

Zonftüden für das Piansforte. Set I und 11 a 15 Ser 

Zeipzig, C. Merfeburger. 


„Die vorliegenden kurzen Säpe befunden Talent, gute Bildung und 


Geſang. 633 


Keuntniß des Werihvollſten auf dem Gebiete der muſtkaliſchen Charakters 
Rüde. Namentlich dürfte Robert Schumann auf den Künfler einen 
erfreulihen Einfluß geübt Haben... Hinfihtlih der Technik werben 
diefe Stüde einen großen Spielerkreis finden können, den wir ihnen ihres 
Gehalte® wegen wünſchen.“ So ein Beurtheiler in der „Cuterpe“, ganz 
übereinfimmend mit meinem eigenen Urtheil. 


12. Spiele und Unterbaltungen für die Jugend. Gehe leichte 
Stüde für Violine und Bianoforte. Heft Iund I & 20 Egr. Leipzig, C. 
Merfeburger. 

Sehr intereffante Sachen, geübteren Spielern der Mittelfiufe ent⸗ 
fhieden zu empfehlen, bie fle gern und mit Nugen für bie Bildung eines 
beffern Geſchmacks fludiren werden. 


13. Nordiſche Blumen. Don D. H. Engel. 2 Hefte. Leipzig, C. Mers 
feburger. 
Charakterftüde edlen Styls, befonders geeignet für Vortragsbildung, 
auch für die Technik erfprießlich. 
Noch fei ſchließlich bemerkt, daß 
14. Greßler's Bianofortefhule, eine genetiſche Stufenfolge techniſcher 
Uebungen und Heiner Stüde mit theoretifchen Andeutungen, 6 Lief. à 20 Sgr., 
compl. 3 Rthlr., 
ein bereits im VII. Bande des Jahresber. angezeigtes Werk, in neuer 
Auflage vorliegt. Trotz feiner Umfängfichkeit bat es fich alſo denn doch 
mittelt der fehr zweckmäßigen Anordnung bes Stoffes ein zahlreiches 
Publikum gewonnen. ' 


D. Biolinfpiei. 


1. Erfter Unterrit im Bioltnfpielen in 50 leiten metho⸗ 
diſch fortſchreitenden Lebungsftüden von H. M. Schletterer, 
UniverfitätesMuflfdirector und Lehrer des Befanges am Großherzogl. Bad. 
Lyceum zu Heidelberg. Thlr. 1. fl. 1 ir. 48. Zweibrüden, Verlag und Eis 
gertpum von % Chr. Herbart Debit der Ritterſchen Buchhandlung Lith. 

nft. v. C. ©. Röder in Leipzig. 


„Die Biolinfhule von Spohr — die umtfaffendfie und vollkom⸗ 
menfte Methode des Biolinfpiel’e — zeigt in ihren erften Uebungen 
den richtigften Weg, der zu gehen if, und giebt auch die nöthigen Fin⸗ 
gerzeige, wie die Anfangsjchwierigkeiten am ſchnellſten und leichteſten 
überwunden werden fönnen. Da aber diefes Werk in 66 Uebungen die 
ganze Kunf des Violinſpiels umfaßt, fo kaun es felbfiverfändlich nur 
bei Schülern von außergewöhnlichem Talent gebraucht werden, die befäs 
bigt find, mit Riefenfchritten weiter zu gehen. Jeder Lehrer wird mehr 
oder weniger das Bedürfniß fühlen, andere paflende Zonftüde zwiſchen 
die einzelnen Uebungen jener Schule einzufchalten, durch weiche das Weis 
terfchreiten erleichtert und die nöthige aufmunterude Abwechlelung erzielt 
wird. Während es für vorangeichrittene und geübtere Spieler einen 
Schatz des herrlichſten Gompofitionen gibt, ifs jedoch ſchwierig, gerade 


624 Geſang. 


für die erſten Anfänger eine gute, methodiſch fortſchreitende Auswahl 
von Stüden zu finden. Kür diefe Lebtern nun find zunaächſt die vorlies 
genden Uebungsftüde beflimmt, die dem Schüler Notenkenntniß beibrins 
gen und, die einfachften Striche lehren follen. Da in diefen Uebungsküden 
nie ein Berfegungszeichen vorfommt, man alfo nur auf eine gewiſſe Ans 
zahl von Zonarten beſchränkt war, fo wurde die 2te Biolinfimme darum 
reichlicher bedacht, als es fonft gewöhnlich der Kal if, und wurde das 
dur den Uebungen felbt mehr Dannigfaltigkeit gegeben. Die den 
Nummern vorangehenden Vorübungen follen dem Lehrer Stoff zu münd⸗ 
lihen Erklärungen und Belehrungen bieten, — den Schüler aber auf 
die Schwierigkeiten jeder Webung und auf das, was fie Neues enthält, 
vorbereiten.‘ Dies aus dem Borworte. Der Berf. hat feine Aufgabe 
mit Sachkenntniß und Gefchid gelöft, und es eignen fih vorliegende 50 
Mebungsflüde ganz dazu, zwifchen den erften 22 Rummern des Spohr'⸗ 
fhen Werkes, wie es ihre Beſtimmung if, mit Vortheil eingefchaltet 
zu werben. 


2. Braltifher Lehrgang für den Violin-Unterricht von Moritz 
Schoen, Königl. Preuß. Mufil-Dirktor. Reue Ausgabe. In 12 Lieferuns 
gen 812 Sgr. Breslau, Berlag von F. E. G. Leuckari (Eonitantin Sander.) 

: Bon dieſem Werke liegen vor: Liefer. 1. ABE des Biolim 
fpiels. Vorſchule zur gründlichen Erlernung deffelben nad den Regeln 
der vorzüglichken deutfchen Meifter mit 24 Uebungsftüden. Op. 32 &. 
2.3 und 4 Erſter Lehrmeiſter für den praftifhen Biolin 
unterricht in flufenweife geordneten Uebungen der erfien Bofition durch 
alle Tonleitern und Tonarten. Op. 22 und 27.8.5. 46 FTleine 
UNebungsſtücke mit einer begleitenden 2. Violine für den Lehrer. — 
Es if bekannt, welche große Verbreitung und Anerfennung Morip 
Schoen's inftructive Biolinfahen ſich verdient und gewonnen haben. 
Die neue Ausgabe mit ihren weit Eilligeren Preifen wird wefentlich dazu 
beitragen, diefe ſchaͤtzbaren Sachen in die Hände einer noch ungleich grös 
Beren Anzahl von Schülern zu bringen. 


3. Kurze Anleitung zum Biolinfptelen von C. G. Straub. Dritte 
Auflage. Eſſlingen, Derlag von Contad Weychardt. 24 Gar. 

Die zweite Aufl. wurde im VII. Bande des Jahresber. empfehlend 
angezeigt. Gegenwärtige dritte, aus 46 kleinen melodidfen Duetten und 
mannichfachen Vorübungen beftehend, wird überall den Beifall der Lehrer 
gewinnen, den Schülern eben fo Vergnügen wie Nutzen gewährend. Ans 
erfennung verdient befonders die durchgehende genaue, überall auf beſtimmte 
Regeln zurüdgeführte Angabe der Stricharten. 


4. Vierundzwanzig Studien für die Violine in allen Dur und 
Molltonarten, componirt von dem Blinden Ferdinand Kirms. Nach⸗ 
laß Ar. 2 Heft I. Pr. 124 Ser. Heft. II. Pr. 124 Sgr. Berlin bei ®. 
Damköhler. 162. 103. - . 

Diefe Uebungen find für den Zwed der höheren Ausbildung entworfen, 
dem fie denn auch, abgefehen von gewiſſen, bier nicht vertretenen Kun ſt⸗ 

Rüden neuer und neufter Geiger, fehr wohl entfprechen. Wer fie fpies 


Gefang. 625 


fen Tann, wird immerhin für einen keineswegs unbebeutenden Bioliniften 
zu halten fein. Schade, daß nirgends die Applicaturen angegeben find. 


Nachtrag. 


1. Patriotiſches Volksgeſangbuch. Eine Sammlung der beſten Königs⸗, 
Vaterlands⸗ Kriegs⸗ und Soldatenlieder mit Singweiſen in Roten. Für 
Preußens Heer und Boll gefammelt und bearbeitet von A. L. Löchner, 
Lehrer der Königl. Garnifonfchule in Spandau. Zweite unveränderte Auf: 
lage. Preis 5 Sgr., Partie. 4 Egr. Erfurt, G. W. Körner. 

Die Sammlung ift nicht für Knaben, fondern für Zünglinge und 
Männer beflimmt. Sie enthält 102 Nummern, und was diefe Lieder 
der großen Mehrzahl nad von preußifcher Gefchichte erzählen, was fie 
von preußifcher Gefinnung fagen, das ann nur dazu dienen, ein ächtes 
Preußenherz mit freudigem Stolze zu erfüllen, die Liebe zu König und 
Baterlang zu nähren und immer von Neuem zu entflammen. Bon fraglichen 
Werthe dürften mehr oder weniger diejenigen Dichtungen fein, worin 3. B. 
der tanonier, der Hufar, der Bontonier ıc. jeine fpecielle Waffe und Kriegs⸗ 
thätigfeit befingt, Der Soldat liebt das nicht. Der Dienft iſt eifern und 
ſcheint ſich nicht poetifch verflären zu wollen. — Ohne eine umfaflende 
Bedeutung für Bolf und Heer ift auch der — für ein heitered Beteras 
nenfeft ganz wohl paſſende — Trintwahlfpruh unter Nr. 64. mit den 
folgenden Ausgängen der drei Strophen: Es ftirbt die alte Garde, doch 
fie ergiebt fich nicht. Es trinkt die alte Garde, doch fie betrinkt fi 
nicht. Es trinkt die alte Garde, Doch übergiebt fih nicht.” Der Hers 
ausgeber mag wohl gemeint haben: „Wer Bieles bringt, wird Jedem 
etwas bringen.” — Bon diefem Standpunkte aus dürfte fih auch die 
Aufnahme des Maurerliedes unter Nr. 87 rechtfertigen laflen, wo es 
heißt: „Nichts kann ihn (den gefallenen Krieger) wiederbringen; doch 
Maurer leihen Herz und Ohr. Sie find es, die mit Nath und That 
erfcheinen, wenn arme Wittwen, arme Waifen weinen: und ſolche Maus 
rer ehrt das Baterland.” Es fehlt der Raum, mit Hrn. Löchner hier⸗ 
über zu rechten. Uebrigens thun die in Frage geftellten Einzelnheiten 
dem Werthe des Ganzen feinen wefentlichen Abbruch, und es möge dafs 
felbe daher warm empfohlen fein. 

2. Evangelifde Hymnen und Motettenfürdreiftimmigen Frau. 
enhor und Solo (2 Sopran und 1 Alt) Dy. 4. 2 Hefte & 12 Ger. 
Magdeburg, Heinrihehofen. 

3 B: Sering empfiehlt in der Euterpe diefes „im Ganzen fehr 
gelungene und von der Verlagshandlung gut ausgeftattete Werk allen 
geübten Frauenchören.“ Hr. Brähmig hat es verflanden, aus dem 
zum Grunde gejegten reihen Bibelmorte zu fchöpfen, und durch richtig 
gewählten Zon in deſſen Verſtaͤndniß einzuführen. 

3. Choralbüchlein für Volkosſchulen. Langenfalza, Schulbuchhand 
fung. 14 Ser. ' 

Enthält 77 rhythmiſche Melodien, einſtimmig und ohne Zert. 


Made, Jahresbericht. X. 40 


XI. 
Zeichnen. 


Von 


Auguſt Lüben. 


I, Grundſätze. 
&; lagen zur Benubung vor: 


1. Die am tigen vorkommenden Fehler und Mängel in ber Säulfüprung. 


7. 


8. 


9. 


Vom Schulinſpector Kettiger. Pädag. Monatöfhr. f. d. Schweiz. 185 
2. Heft, ©. 43. 8 Padasg ort Seh 


. Der Unterricht im geometrifchen Zeichnen, mit befonderer Berudficktigung 


der aargauifchen Bezirksfhulen, von H. Zäbringer (und Erziehunge- 
director Hanauer). Ebendaf. 4. Heft, ©. 104-115. 


. Beihäftigungsmaterial für die Kinder im Haufe. Bon Herm. Preuß: 


fer in Ballenberg bei Waldenburg. Sädf. Schulz. 1856, Nr. 28. 


. Unregende Gedanken und praftiiche Winke für den Zeichenunterricht in den 


Bellsihullebrerfeminarien. Bon Herm. Preusker. Ebendaſ. Nr. 44. 


Die Grundgefege einer Reform der Vollserziebung. Bon Pöſche. Rhei⸗ 
nilhe Blätter von Diefterweg, November und December, S. 287 und 288. 
56. 


. Die Elemente des Zeichnens mit freier Sand ıc. Don C. Weiß. Bien, 
1856. 


Analyfe des geichnens nach der Anſchauung. Von N. Fialkowölki. 
Wien, 1856. 


Ueber die Verbindung der Elementarſtufen des Zeichnens mit den Elementen 
der geometriſchen Formenlehre. Bon Deicke. Rordhauſen, 1857. 


Unterrichtskunde für evangeliſche Volkefhullehrer. Bon K. Bormann. 
Berlin, 1856. 











Zeichnen, 627 
1. Bichtigkeit und Zwed des Zeichen unterrichts. 


1. Die Wichtigkeit des Zeichnen wird noch nicht fo allgemein ers 
kannt, als mit Müdficht auf die fo nöthige Entwidlung des Schönheitd- 
finnes und die Bedürfniſſe des Gewerbſtandes wünſchenswerth iſt. Es 
giebt noch immer eine ſehr große Anzahl von Schulen, namentlich Ele⸗ 
mentarſchulen, in denen gar kein Zeichenunterricht oder nur ein ſehr 
mangelhafter ertheilt wird. Schulinfpector Kettiger fagt a. a. D. 
(Heft 2, S. 43): ‚Die Hälfte der Schulen (der Schweiz) vielleicht 
betreibt es (das Preihandzeichnen) entweder gar nicht oder doch nur mit 
Griffel auf die Schiefertafel.” Die Gründe diefer ‚anfallenden Erſchei⸗ 
nung“ fucht er „theils im Mangel an Borlagen, theils in der gerin⸗ 
gen -Liebhaberei und im Mangel an Befähigung zu diefem Unterricht yon 
Seite der Lehrer. Wir flimmen dem Verf. darin für ganz Deutichland 
bei, haben aber den Hauptgrund befonders in der ungenügenden Befär 
bigung der Lehrer zur Ertheilung dieſes Unterrichts gefunden. Die 
Seminare follten dem Gegenftande etwas mehr Aufmerkſamkeit ſchenken 
und nidyt, wie fo Häufig gefchieht, Lehrer dafür verwenden, benen alle 
Kunfbildung abgeht. „Was ich, fagt Preusker in Ar. 44. der Sidf. 
Schulz, von dem Lehrer in der Schule bezüglich des Beichnens geihan 
wünfhe, kann nur von einem in der Kunft gut geſchulten Indivi⸗ 
duum verlangt werden. Zu guter Schule aber rechnen wir: Wo durd 
Webung im Abſchätzen und Meſſen von Berhältniffen und Entfernungen 
durch Betrachten der Geftalt, Lage und Richtung fichbarer Formen, durch 
Darftellen nach einem größeren oder Meineren Maaßſtab und durch Wahrs 
nehmung perfpectivifcher Erfcheinungen die Bildung des Auges erzielt und 
das Auffaffungstalent gefräftigt; wo durch vielfeitige Uebung die Hand 
die nothige Biegfamfeit, Befchmeidigfeit und Freiheit für große und eine 
Dimmenflonen , fowie für alle Arten von Wendungen auf Zafel und Bas 
yier erhalten bat; wo endlich durch Vorführung wirklich fhöner Formen 
an Naturs und Kunftgebilden der Geſchmack hervorgerufen und geleitet 
und das Afthetiiche Urtheil gebildet worden iſt.“ 

2. Das vreußifche Regulativ von 1854 räumt dem Beichenunters 
richt in der Elementarfchule nur dann eine wöcentlihe Stunde ein, 
wern ftatt 26 Stunden 32 ertheilt werden fönnen. Den Bwed deffelben 
et es in „Bertigfeit in Handhabung des Lineals und Manfes, fo wie 
in der Darftellung einfacher Linearzeichnungen, wie fie dad Bebärfniß 
des praftifchen Lebens fordert.’ 

3. Bormann a. a. DO. drüdt diefe gewiß mäßige Forderung noch 
etwas herab und bleibt der Hauptfahe nad beim Beichnen der gradlini- 
gen Grundformen mit Lineal und Zollſtock ſtehen. „Für Uebungen im 
freien Dandzeichnen wird die Giementarfchule ſchon darum wenig 
Gelegenheit bieten können, weil es ihren Schülern dazu an Zeit und an 
dem erforderlichen befferen Material fehlt.” (S. 223.) Wir erfennen 
diefe Uebelftände an, halten aber dafür, daß fie bei ernſtlichem Willen zu 
befeitigen find. 

40 * 





v 


628 Zeichnen. 


2. Lehrgänge für den Zeichenunterricht. 


4.Bormann ſtellt in feiner „Unterrichtokunde“ für die Elemen⸗ 
tarfehule die Uebungen auf, welche mit Lineal und Schiefertafel ausges 
führt werden follen. Er geht von der Betradhtung eines Würfels aus, 
erörtert daran die Ausdrücke oben, unten, rechts, links, rechts oben, links 
oben u. f. w., veranfdhauliht dann durch Punktreihen die Begriffe fent- 
recht, wagerecht, fehräg, gerade, Erumme und gebrochene Linie, läßt gerade 
Linien von verfchiedener Richtung zeichnen und theilen, ebenfo Winkel, 
Bierede, Dreiede und fließt mit „Verſuchen im Zeichnen von Gegenfläns 
den nach unmittelbar vorliegender Anfchauung.’ 

In weldhem Lebensalter diefer Unterricht begonnen werden fol, fin» 
den wir wicht angegeben; nah den erften Uebungen zu fchließen, foll 
damit der Anfang beim Beginn der Schuie gemacht werden. Wir wärs 
den empfehlen ; ihn frühefiens im zweiten oder dritten Schuljahre auf⸗ 
treten zu laſſen. 

Gegen die Uebungen und ihre Folge haben wir nichts einzuwenden ; 
fe find bereits feit langen Jahren fo ausgeführt worden. Aber die große 
Unzulänglichkeit derfelben fällt auf den erften Blid ins Auge: die krumme 
Linie, die eigentlihe Schönheitslinie, hat gar keine Berüdfichtigung ges 
funden, und gewiß aus feinem andern Grunde, als weil fie fih nicht 
mit, dem „Lineal“ darflelen läßt. Wir empfeblen dem Berf., in einer 
neuen Auflage feiner Schrift die aufgeftellten Uebungen ale das Penſum 
der Mittelftufe zu bezeichnen und für die Oberflufe noch Uebungen im 
Beichnen von krummen Linien hinzuzufügen. 

Was der Berf. unter „Beichnen von Gegenftänden nach unmits 
telbar vorliegender Anſchauung“ verfteht, vermögen wir nicht zu enträth“ 
fein; wahrſcheinlich find damit Aufriffe von Fenftern, Thüren u. dgl. gemeint. 

5. Deicke a. a. O. verlangt Verbindung der Formenlehre mit dem 
Beichnen und conftruirt feinen Lehrgang mit Nüdficht hierauf. Es ges 
winnt fa den Anſchein, als glaube er mit dieſer Forderung ziemlich 
vereinzelt dazuftehen. Das ift natürlich nicht der Fall. Im 1. und 3. 
Hefte meiner ‚Anleitung zum Zeichenunterricht“ bin ich 3. B. felbft von 
denjelben Grundfägen ausgegangen. 

6. Weiß a. a. D. hält die Berbindung bes freien Elementarzeich- 
nens mit der Formenlehre für eine ungeeignete, behauptet aber doch, daß 
die Elemente des freien Sandzeichnens „auf geometrifche Grundformen 
baftren müſſen.“ Er ſtellt für öfterreichifche Realfchulen folgende Haupts 
übungen auf: j 

Zormanfchauung. 
Bormauffaffung, 

Das Zeichnen nah Diktaten. 

Freie Auffaffung. 

Das Zeichnen von krummen Linien. 

Die Elemente der Geftalten. 

Das perfpektivifche Zeichnen. 





Zeichnen. 629 


Einzelnes abgereihnet, worauf wir weiter unten zu fprechen kommen, 

fann man fi mit diefem Lehrgange wohl einverflanden erklären. 
‚ T. Zialtowslti a. a O. fellt für die öfterreichifchen Realſchulen 
zwei Eurfe feſt: 
a. Die Formen in der Ebene, 
b. Die Zormen im Raume. 

Erfterer umfaßt das freie Zeichnen der geometrifchen Figuren, mit 
Einfhluß geihmadvoller Berzierungen, Iebterer das Naturzeichnen. Der 
Berf. legt großen. Werth anf das Erfinden verzierter Figuren und bat 
für dieſe Uebung die unten genannte Sammlung herausgegeben. Im 
Maturzeichnen ſchlägt er einen eigenen, durch ſelbſt conflruirte Modelle 
befimmten Weg ein, der wegen der Einfachheit des ganzen Apparate 
Beachtung verdient. Dupuis Lehrgang und Verfahren verwirft er, 
bauptiählih, weil die Modelle deffelben alle über der Horizontlinie ger 
feben werden. Das if allerdings wahr; aber diefer Uehelftand läßt fich 
durch einige Modificationen fo weit befeitigen, daß er unfchädlich erfcheint. 

8. Preusker theilt in Nr. 44 der Sächſ. Schulz. einen Lehrgang 
für den Zeichenunterriht in Seminarien, die Profeminare (Praͤpa⸗ 
randenanftalten) mit eingefchloffen, mit, defien Stufen wir nachſtehend 
wiedergeben. 

Erfter Abſchnitt. Profeminar. lementarzeichenübungen. Dauer 

1 — 2 Jahr. 
a. Zinearübungen, ‚verbunden mit Bufammenftellung eigener 
Erfindungen. 
b. Uebungen im Zeichnen von Geraäthſchaften verfchiedener Art, 
nad Borzeichnungen an der Wandtafel. 
c. Beichnen von Landſchaftstheilen und Details aus der Ar⸗ 
diitektur. 
d. Vorzeigen und Erklaͤren guter HZeichnungen zur Bildung des 
Geſchmacks. ES werden dazu Köpfe, Landſchaften und die 
Schnorrſchen biblifhen Bilder empfohlen. 


Zweiter Abſchnitt. Kopiren. 4. Abtheilung der Eeminariften. 
Dauer 1 Zahr. Privatübungen: Inventiren (eigene Erfindungen). 
Beichnen der Borderanfihten von Modellen (Würfel u. dal.) als 
Anfang des Naturzeichnene. 

Durch das Kopiren von Borlegeblättern bezwedt der Verf. 
ſcharfes Auffaffen gegebener Formen und Gewandheit im Darftellen 
von Gegenftländen, wie die verfchiedenartigen Unterrichtögegenflände 
(Geſchichte, Geographie, Raturfunde) der Schule fie fo oft fordern. 


Dritter Abfchnitt. Naturzeichnen. 3. und 2. Abtheilung der Ser 
minariften. Dauer 2 Jahr. 
41. Stufe. Sreie Gebilde, ſämmtlich in der Frontanficht. 
2. Stufe. Perſpektive. 
3. Stufe. „Uebung im Zeichnen verſchiedener aufgeſtellter Dinge.“ 
Soll wohl bedeuten: Uebung im Zeichnen von verſchiedenen 
Geraͤthſchaften, Gefäßen u. dgl., im Gegenfag zu den für 


630 0. Zeichnen. 


das erfte perfpeftivifche Zeichnen erforberlidien Würfel, Säu- 
len u. dgl. 
In den zu diefem Abſchnitt gehörigen Erläuterungen ſpricht 
ih der Berf. günftig über die Dupuis’fhe Methode im 
Seminar aus. 
Bierter Abſchnitt. Praktifche Uebungen in der Seminarfchule; aufs 
ferdem aber noch Theilnahme am gewöhnlichen Beichenunterricht 
1. Ubtheilung der Seminariften. Dauer 1 Jahr. 

9. Der Verf. ift (oder war) Beichenlehrer am Seminar in Waldau 
(in Sachſen) und fpriht aus Erfahrung heraus und mit Sachkenntniß. 
Sein Lehrgang ift verfländig angelegt und läßt ſich hei vierjäßrigem Kur: 
ſus, wie angenommen wird, bequem und mit Erfolg durchführen, ſelbſt 
bei dreijährigem Kurſus. Die „Anfänge im Naturzeichnen,“ welche der 
zweite Abſchnitt enthält, würden wir weglaffen, auch das Zeichnen der 
„Frontanſichten“ des dritten Abfchnittes nicht weit ausdehnen, da Se⸗ 
minariften befähigt find, das perfpeftivifhe Zeichnen auch ohne diefe 
Uebungen fogleih zu beginnen. Die Kopirubungen können bei dreijäh⸗ 
rigem Kurfus ohne Rachtheil auf ein halbes Jahr befchräntt werden, da 
es angemefien if, fpäter mit dem Naturzeichnen das Kopiren ausgeführ- 
terer Zeichnungen wechfeln zu laſſen. 

10. Eins vermiffen wir in dem aufgeßellten Lehrgange: das geo- 
metrifche Zeichnen. Einige Uebung müflen die Seminariften ſchon des⸗ 
halb hierin erlangen, da viele derfelben Lehrer an fädtifchen Bürgers 
Schulen werden, oft auch Gelegenheit erhalten, ſich dadurch in Fortbildung» 
ſchulen nüglih zu machen. 

11. Für die aarganifhen Bezirksſchulen (Mittelfchulen, die für den 
mittleren Bürgerfland die erforderliche Bildung bieten follen, gleichzeitig 
auch als Unterbau für Gymnafien und Gewerbſchulen betrachtet werden) 
theilt Bähringer a. a. DO. einen vom Grziehungsdiredor Hanauer 
entworfener „Lehrplan für den Unterriht im geometriſchen 
Zeichnen” mit, der von allen Anftalten ähnlicher Tendenz beachtet zn 
werden verdient. Wir befchränfen uns bier auf eine furze Angabe der 
Hauptſtufen deffelben. 

„Im Allgemeinen find der 1. Klaſſe die Uebungen mit den Inſtru⸗ 
menten (Lineal, Zirkel, Winkel, Reißfeder) und die elementaren Conſtruc⸗ 
tionen zuerft mit Bleifift, dann mit Tuſche zugewiefen; der II. Klaſſe 
die Anwendungen der Conftructionsiehre und die Anfänge des Zeichnens 
nah Grundriß, Aufriß und Durchſchnitt; der III. Klaffe die Elemente 
der Projeetionslehre und der Parallelperfpective; der IV. Klafle die Ans 
wendungen derfelben auf Handwerks », architectonifches und Mafchinens 
zeichnen, nebft dem Zeichnen gemeflener Grundflüde (Elemente des topo⸗ 
graphifchen Beichnens). 4. Heft, ©. 111. 


3. Unterrihtsverfahren. 


12. Breuster, Weiß, Fialkowski nd Deide a. a. O. for 
bern fümmilih gemeinfames Zeichnen derganzen Klaſſe. Diele 





Zeichnen. 631 


Forderung iR zwar nicht nen, wird aber im Ganzen felten beachtet, höch⸗ 
ftens für die erfien Anfänge Wie beim Schreiben, fo wird auch beim 
Zeichnen erft ein gründlicher, allfeitig anregender Unterricht möglich, wenn 
die ganze Klaffe oder wenigftend größere Abtheilungen davon ein und 
daffeibe zeichnen. Mit Leichtigkeit if dieſer Forderung nachzukommen heim 
Glementarunterriht, beim erften Kurfus des geometrifchen und bei der. 
Begründung des peripektivifchen Zeicdhnens, fchwer oder wohl gar nicht 
im Kopirkurfus und auf der oberſten Unterrichtöftufe. 

13. &benfo dringen die genannten Schrififieller auf gemeinjas 
mes Analvyfiren der Zeihnungen, bevor diefelben von den Schü⸗ 
fern dargeftellt werden. Auch dieſe Forderung ift fchon oft geftellt wor⸗ 
den, findet aber noch nicht ausreichende Beachtung, am wenigften natürs 
lich da, wo jedes Kind einer zahlreichen Klaffe nach einem andern Bors 
legeblatte arbeitet. Diele Lehrer begnügen fih unter folchen Umſtaͤnden 
mit dem bloßen Austheilen der Vorlegeblätter und bedenken nit, daß 
der Zeichenunterriht in diefer Form nur geringen Erfolg für die Bil 
dung des Auges und Geihmades hat. Befpricht dagegen der Lehrer die 
Zeichnung vorher mit den Schülern, fo hat er reichlich Gelegenheit, die 
Berbältniffe derfelben durch das Auge abfchähen zu laffen, auf das Eben, 
maß, auf den Charakter, auf die angemeflene Bertheilung von Lit und 
Schatten, auf die Berfchmelzung beider, auf die befonderen Schönheiten 
der Zeichnung aufmerffam zu machen. Nur durd ein ſolches Verfahren 
wird der Schüler wirklich gebüdet und ihm zugleich das Nachzeichnen 
wefentlich erleichtert. Weiß, der fih am ausführlichfien und klarſten 
über das Analyfiren der Zeichnungen ausipricht, laͤßt leichtere Zeichnungen 
nad dem Analyfiren aus dem Kopfe zeichnen. 

14. Poſche, Fialkowsſski und Preusker a. a. DO. reden von 
Neuem dem felbffändigen Erfinden beim Beichnen das Wert. 
Poſche fagt in Beziehung hierauf (S. 287.): „Fürs Erſte iſt es grund» 
falfch, wenn man eben nur Kopiren läßt. Es muß vielmehr die freie 
Selbftthätigkeit, das freie Schaffen aus gegebenen Elementen, die 
Hauptſache fein. Aber nicht: Schaffen nah Willkür. Subjective Will» 
für führt immer wieder zur gefeßlofen PBhantafterei, zum Roccoco, zum 
Chineſenthum, zum Arabeskenkram, zur Unnatur und Schnörfelei. Die 
Alten ließen Fußböden und Wände mit der Wiederholnng der berühm⸗ 
teften Gompofitionen durch Mofaikarbeiter und Stubenmaler fhmüden. 
Darin liegt es, daß die griehifche Kunſt fich Tänger als ein halbes Jahr⸗ 
taufend in Blüthe erhielt, weil ſtets Die erfien, großen Mufter gegenwärtig 
blieben. Der vorwiegende Individualismus, die unnmfchränfte Willkür 
lodet die Künſtler, wie Schulkinder, auf die verfhiedenften Bahnen, in 
denen fie fi endlich verlaufen. Die höchſten Kunſtwerke werden immer 
nur an der Hand der Tradition erreicht und find darum auch das ger 
meinfame Product mehrerer Jahrhunderte. — Hätte die Paͤdagogik den 
Beichenunterriht von diefem Standpunfte aufgefaßt, fo würden wir eine 
bikorifhe Methode haben, eine Methode, die nicht jeden Augenblick 
durch den leiſeſten Luftzug einer neu anzüdend über den Haufen geblas 
fin wird. Jeder Lehrer macht Ach den Zeichenunterricht nad) dem eigenen 


632 Zeichnen. 


Kopfe zureht. Bon einem Style, von einem nationalen Gepräge, von 
einer objectiven Kunftanfchauung ift gar Beine Rede.’ Seite 288: „Das 
freie, felbſtſtaͤndige Schaffen innerhalb der Kunftgrenzen, die freie, felbft- 
Kändige Compofition hat ihre ganze und volle Berechtigung. Jenes if 
Ausgang, dieſes Fortgang, jenes die Operationsbafls, dieſes das Biel 
der Arbeit und des Kampfes, der Preis des Siegers. Ohne das pros 
ductive, erfindende und neu fchaffende Clement fliehen wir auf dem 
Kunſtſtand des chineſiſchen Schneiders, der einem engliſchen Offiziere 
einen Rock nach dem Muſter des alten, der aber einen Flicken hatte, 
verfertigen ſollte: Der chineſiſche Held hatte buchſtäblich den Befehl 
ausgerichtet; denn der Flicken des alten befand fich auch ‚gerade fo wies 
der auf dem neuen. Ohne das erfinderifche Element im Vollsſchul⸗ 
unterrichte gebt der Kortfchritt verloren; das gedankenloſe Haften am 
Alten, Pedanterie u. f. f. tritt an feine Stelle.‘ 

In ähnlichem Sinne fpriht Ih Fialfowsfi S. 24 u. f. feiner 
Särift aus. 

In Berlin if durch die Regierung im Jahre 1856 eine Zeichen⸗ 
anftalt für junge Gewerbtreibende errichtet worden, die es vorzugsmeiie 
auf das Erfinden gefhmadvoller Mufter aller Art abgefehen hat. Aehn⸗ 
lihe Bwede verfolgt man bereits feit Jahren in Nürnberg und Mün⸗ 
hen. Kommen diejen Anftalten die Schulen entgegen, fo fann die längſt 
erwünfchte Zeit nicht ausbleiben, wo Kunft und Handwerk fi die Hand 
reihen, um ſelbſt dem gewöhnlichen Bürger in den nüßlichen Geräthen 
zugleich fchöne darzubieten. 

15. Fialkowski a. a. D. läßt die erfundenen Figuren in 
zwei Farben, Roth und Grün, ausführen, um größere Sauberkeit zu 
erzielen und den Sinn für angemeffene Zarbenzufammenfellungen zu 
weden. Wir Pönnen dies Berfahren beſtens empfehlen, auch noch aus 
dem Grunde, weil es große Luſt zum Zeichnen erregt. 


4. Vorlage und Modelle zum Zeichnen. 


16. Bon weſentlichem Einfluß auf Gefhmadsbildung und alſo 
auch auf Veredlung des Handwerfes muß es fein, wenn den jungen 
Beichnern allezeit nur wirklich fchöne Borlagen und Modelle 
zum Beichnen dargeboten werden. Aber leider wird nach diefer Mich 
tung bin noch gar viel gefündigt; es befaſſen fi zu viel Unberufene 
mit der Herausgabe von Beichenvorlagen. 

17. Böfhe fagt in Bezug hierauf a. a. D. 16. 287): „Die 
gewöhnlichen Clementar s Beichenvorlagen können in ihrer jeßigen Geſtalt 
keineswegs Tünftlerifchen Anforderungen genügen.’ — „Die plumpften 
Gefäße, Arabesten, Nafen, Köpfe find die Vorlegeblätter im Zeichens 
untersicht der deutfchen Jugend. Diefer Stand der Methodik des Zeich⸗ 
nens und ber pädagogifhen Praxis ift fchier zum Verzweifeln, und 
noch lange wird biefes willkürliche, geſetz⸗ und kunſtloſe Treiben fort 
geben, wenn nicht ein wahrer Künſtler mit pädagogifhen Schick und 
Bid fi der Vollsſchule annimmt, und den leeren, ſchalen, müſſigen 


% 


Zeichnen. 633 


Künfteleten ein Ende macht.“ — „Künſtleriſche Muftervorlagen müſſen 
gefhaften werden zum Befprechen, Anschauen, Eopiren und freien Wieder, 
geben 

18. Preusker beabſichtigt (Sädhf. Schulz. Nr. 28) die Heraus⸗ 
gabe von Zeichenheften zur —3 chäftigung der Kinder, in 
denen jedes Blatt eine Zeichnung enthält, zugleich aber noch ſo viel 
Raum darbietet, daß dieſelbe noch 2 bis 3 Mal nachgezeichnet werden 
kann. Dieſe, auch ſchon von andern Zeichenlehrern -verfuchte Form ers 
ſcheint uns nicht fo empfehlenswerth, als Borlegeblätter, da das Kind 
die Zeichnung während der Arbeit nur feitwärts anfehen Tann, wodurd 
das treue Nachzeichnen etwas erfchwert wird. Auch der Koflenpunft 
dürfte das Unternehmen faum begünftigen. 

19. BZähringer fordert, wie billig, für das geometrifche Zeichnen 
in den aargauifhen Bezirksfchulen den Gebrauh von Modellen und 
empfiehlt eindringlich die von Schröder in Darmfladt angefertigten. Da 
wir nicht Gelegenheit gehabt haben, diefelben zu ſehen, fo theilen wir 
nachſtehend mit, was derfelbe hierüber fagt. 

„In Bezug auf die für unfere Stufe zu waͤhlenden Körper und 
Modelle müffen wir noch beifügen, daß wir feineswegs etwa vollfländige 
Majchinen verlangen; wir wollen ung ja nur auf der Etufe des Bors 
bereitungsunterrichts, aber des allfeitigen Vorbereitungsunterrichtes, bes 
wegen und begnügen uns daher mit einfachen Körpern, welche eben die 
Elemente der fpätern, zufammengefeßtern find. Der nachfolgende Lehr, 
plan bat befonders die fehr ſchoͤn gearbeiteten und verbältnißmäßig fehr 
billigen Modelle der polytehnifhen Arbeitsanftalt von 3. 
Schröder in Darmfadt im Auge Unfere inländifhen Arbeiter 
Fönnen folche Modelle weder fo fhön, noch jo billig liefern, weil fie 
nicht befonders darauf eingerichtet find und wohl auch nicht die erforder, 
liche techniſche und methodifche Befähigung befipen, wie der Vorſteher 
diefer anerkannten Anftalt. Herr Schröder iſt felbft Lehrer an der Pos 
lytechniſchen Schule und an der Handwerkerſchule in Darmfladt und 
kennt daher die Bedürfniffe des Unterrichts fehr genau. Seine Modelle 
And auf den großen Ausftellungen in London, Münden und Paris von 
Technikern und Schulmännern mit befonderer Auszeichnung hervorgehos 
ben worden und haben auch fchon feit Zahren in Xehranftalten und 
Bereinen vorzügliche Dienfte geleiftet. Herr Schröder überfendet für 
Fr. 1 auf franfirte Anfragen fein vollfländiges Preisverzeichnig mit den 
Beichnungen afler bei ihm vorhandenen Modelle, aus weldem dann nad) 
Belieben ausgewählt werden kann. Was zunähf für unfern Zweck ers. 
forderfich ift, befteht in einer Sammlung einfacher Körper, welche zerlegs 
bar und zu andern Formen zufammenfeßbar find; eine folhe Samms 
lung, 45 Körper enthaltend, ‚liefert Herr Schröder für 25 fl., wenn 
aber gleichzeitig mehrere Sammlungen bezogen werden, 15%, billiger. 
Man ift jedoch nicht gehalten, die ganze Sammlung zu nehmen, man 
kann aud beliebig auswählen. Für die darftellende Geometrie hat Herr 
Schröder 40 Tafeln, welche zuſammen 160 fl. koſten; für unfern Zwed 
reichen aber bie 20 erſten Tafeln, und wohl auch die 6 erfien vollfoms 


634 Zeichnen. 


men aus; file often einzeln 3 fl. 20 kr. Jede Tafel enthält den Körper 
fammt feinem Grundrig und Aufriß, und die erſten Zafeln find mit 
Charnieren verfehen, um beide in die gleihe Ebene umlegen zu Pönnen. 
Wenn wir den Unterricht in der darſtellenden Geometrie, der ſonſt weit 
fpäter einzutreten pflegt, ſchon für Bezirksſchulen empfehlen, jo geſchieht 
es nur in der fihern Borausfiht, dag dafür auch Modelle angefchafft 
werden; follte diefes jedoch unmöglich fein, fo erſcheint uns diefer Un⸗ 
terricht für unfere Schule faum rathfam, er muß alsdann den hoͤhern 
Säulen vorbehalten werden.‘ 


U. Literatur. 


1. Die Elemente des Zeihnens mit freier Hand, geftüßt auf An- 
ſchauung und Darftellung geometrifcher Objekte und ein Syſtem ber freien 
Auffaflung, als Vorbereitung zum perfpeltivifchen Abzeichnen von Linien, 
Flächen und Körpern nad plaftifgen Modellen. Bon Earl Weiß, or 
dentl. Xebrer an der k. k. vollftändigen Unters Realfehule zu St. Johann 
in der Sägergeite Methodifcher Theil. Mit 5 Steintafeln (in qu. er Bol.) 
or. 8. (VII und 95 S.) Bien, L. W. Seidel. 1856. Geh. 1 Thlr. 
- Die Hauptübungen und damit den Hauptinhalt diefer Schrift haben 

wir bereit8 oben (unter 6) angegeben und uns günftig darüber ausge⸗ 
fproden. Der Berf. verfteht feinen Gegenftand und hat ihn Har dars 
eftellt; man wird das Buch nicht ohne Anregung und Belehrung leſen, 
ſelbſt wenn man fid nicht entfchließen könnte, den aufgeftellten Lehrgang 
bei feinem Unterrihte zu befolgen. Mit des Verf. Behandlung der 
„ſchiefen Linie’ haben wir uns nicht befreunden können, da er zur 
Darftellung derfelben gar zu viel Theorie und Berechnung anwendet. 
2. Analyfe des Zeihnend nah der Anfhauung, nebſt Angabe 
einiger neuerdachter Modelle und des Gebrauches der Modelle bei dem 
Beihnungsunterrichte nad der Anfhauung. Don Ricolaus Fialkowski, 
Architekten und LXehrer der Geometrie, der Baufunft und des geometrifchen 
Zeichnens an der Wiener Communal⸗Realſchule a Gumpendorf in Wien. 

Mit 8 Tithographirten Tafeln (in qu. 4). 8. (VIII und 64 ©) Wien, 

Sallmeyer und Comp. 1856. Geh. Ya Thlr. 

Diefe Schrift ift fhon in der I. Abth. berüdfichtigt worden. Der 
Verf. verficht ohne Zweifel fein Zach gründlih und mag aud recht 
guten Beichenunterricht ertheilen; aber zum pädagogifchen Schrififteller 
fehlt ihm doch wohl die nöthige Klarheit und Gewandtheit im Ausdrud. 
Schon das berührt den Lejer unangenehm, daß dem Buche alle äußere 
Bliederung und darım eben auch die leichte Weberfichtlichkeit fehlt. Auf 
des Berf. Apparat zum Naturzeichnen haben wir fchon oben aufmerfjam 
gemaht und ihn feiner Einfachheit wegen der Beachtung empfohlen. 

3. Anleitun ur Zufammenftellun eometrifher Formen 
in der Ebene, fen und "garigne don —X — — E 
Du. gr. 4. Heft I-II. Bien, Selbſtverlag des Verfaſſers. 1854. 

Diefe Anleitung enthält 24 Blatt Zufammenflellungen aus einfachen 
"Linien und geometrifhen Figuren, die fo geſchmacvoll find, daß fie ſich 





Zeichnen. 635 


zur unmittelbaren techniſchen Anwendung empfehlen. Die Ausführung 
in zwei Farben, Grün und Roth, ift fehr anfprechend. Wir empfehlen 
dieſe Blätter zum Anſchauen und Beſprechen, zum Nachzeichnen und als 
Anleitung zu eignen Erfindungen Bürger, Fortbildungss und Bewerb» 
ſchulen. 

4. Ueber die Verbindung der Elementarſtufen des Zeichnens 
mit den Elementen der geometriſchen Formenlehre beim Schul⸗ 
unterricht. Bon C. F. W. Deicke, Schreib⸗ und Zeichenlehrer am Eym⸗ 
nafium und der höhern Töchterfchufe zu Nordhauſen. Gr. 8. (VI und 
21 ©.) Nordhaufen, A. Büchting. 1857. I% Ser. 


5, Die Elementarfufen des Zeichnens in Verbindung mit den Efe- 
menten der geometrifchen Formenlehre. Zum allgemeinen Schulgebrauch 
bearbeitet von &. F. W. Deide. Du. 8. Nordhaufen, A. Büchting. 
2857. Das Heft 72/2 Sgr. 

Erſtes Heft: Die gerade Linie in ihren Verbindungen und Zuſam⸗ 
menftellungen. 108 llebungen. 

Zweites Heft: Die Begenlinie in ihren Verbindungen und Zur 
fammenftellungen. 93 1ebungen. 

Die Schrift zerfällt in drei Abſchnitte: 4) Bemerkungen über den 
Unterrihtsgang. 2) Der pädagogifhe Werth des Zeichenunterrichts, 
wie überhaupt des Unterricht in der Kunſt, als Mittel zur Foͤrderung 
affgemeiner Menfchenbildung. 3) Das Wefentlihe der Beter Schmid’ 
fhen Methode im Vergleich mit der Dupuis’chen. 

Der Verf. fpriht mit Liebe und Sachkenntniß für feinen Gegen- 
fand. Die Bemerkungen über ben lnterrichtsgang find etwas kurz. 
Der zweite Abfchnitt enthält nichts Neues; im dritten fpricht fih der 
Berf. günftig über die Dupuis'ſche Methode aus. 

Die Zeichenhefte enthalten eine gute Stufenfolge. Die zufammen- 
gefeßten Figuren find dem größern Theile nad gefhmadvoll; hier und 
da ftößt man jedoch auf Figuren, die geradezu gegen den guten Geſchmack 
verfloßen, düberladen und für Anfänger fchwierig auszuführen find. 

6. Die Schule des Zeichners. Praktiſche Methode zur Erlernung bes 
Heihnens für Schulen, fowie zum GSelbftunterriht. Insbeſondere für 
ausübende Künftler im Fache des Stahl» und Kupferſtichs, der Lithogra- 
phie und des SHolzfchnittes. Herausgegeben von Dr. 8. Bergmann, 
Mit mehr als 300 Abbildungen als Borlegeblätter und zur Veranſchau⸗ 
lihung. Zweite Auflage. gr. 8. (VII und 212 S) Leipzig, Spamer. 
1855, Geb, 1 Thlr. 

Die erſte Auflage dieſes Werkes iſt im vorigen Bande des Jahres⸗ 
berichtes angezeigt worden. Es enthält folgende Abſchnitte: 1. Gerade 
Linie, Winfel, krumme Linie 2. Zeichnen einfacher Gegenflände im 
Umriffe. 3. Zeichnen einfacher Gegenftände mit Beleuchtung. 4. Blumen» 
und OÖrnamentenzeihnung. 5. Das Landfhaftszeihnen. 6. Das Fir 
gurenzeichnen. 7. Das Thierzeihnen. 8. Bon der Berfpective. 9. Die 
Schattentehre. Anhang: 1. Die Holzfehneidefunf. 2. Die Stahl- 
und Kupferkehertunf. 3. Die Lithographie. 4. Die Glyphographie 
und Galpanoplaſtik. 

Das Bert zeihnet Ah, wie man hieraus erfieht, durch geofe 
Bolländigreit aus. Die darin dargebotene Belehrung if leicht faßlich 


636 Zeichnen. 


und überall ausreichend, die eingedrudten Abbildungen find fauber und 

geihmadvoll, für das Glementarzeichnen jedoch nicht ausreichend. Am 

empfehlenswertheſten erfheint uns das Werf für Gereiftere zum Selbſi⸗ 

unterricht; zum unmittelbaren Gebrauh in Schulen, und namentlich im 

den Händen der Schüler, dürfte e8 fich nach feiner ganzen Einrichtung 

nicht ſonderlich eignen. 

j Die Ausfattung if fehr fhön, der Preis für das Dargebotene 

illig. 

7. Erſte Beſchäftigungen für kleine Kinder zur Uebung des 
Auges und der Hand von R. Weißweiler, Lehrer zu Cdin. 8. 
(16 Seiten Lithographie) Cdln, Fr. E. Eifen. 1856. Gut geb. 4 Ser. 
Diefe Zeichnungen find für die neu in die Schule tretenden Kleinen 

beſtimmt und follen zunähft das Schreiben vorbereiten. Die dargefell» 

ten Gegenflände find dem Anfchauungsfreife der Kinder entnommen. 

Die Zeichnungen find der Mehrzahl nach Aufriffe und empfehlen fidy 

durch Einfachheit, fordern aber zur möglichft richtigen Darſtellung doch 

größere Reife, als Kinder im erſten Schuljahre befigen. Die perfpectie 
vifchen Darftellungen find fänmtlih noch für das dritte Schuljahr zu 
fhwer. Für das Schreiben find übrigens nur fehr wenig Webungen 
nöthig, und wenn diefe durchgemacht find, tritt das Zeichnen am beften 
für einige Jahre zurüd. 

Die Ausführung der Zeichnungen if gut. 

‚8. Stoff und Lehrgang für den erften Unterricht im Linear 
geiämen. Bon S. Fürſtenberg, Maler und ordentl. Gewerbeſchullehrer. 
ehrer an der höhern Bürgers und Provinzial⸗Gewerbſchule in Trier. Mit 
57 in den Text singebrudten Holzſchnitten. 8. (45 ©.) Trier, Ir. Ling. 
1856. Geh. 10 Ear. 
Dies Werkchen iſt eine Anleitung zum Zeichnen geometrifcher Eons 

fiructionen mit Lineal und Zirkel und für die Hand der Schüler bes 

fimmt. Es enthält das Nothwendigſte in Marer Darftellung, etwa in 
dem Umfange, wie es für die unteren Klaffen der Realſchulen erforder 
ih if. Die Schrift eignet fih, da fie ausführlich genug if, auch zum 

Selbſtunterricht. 


9, Elementar⸗Unterricht im Linear⸗Zeichnen für höhere Feier⸗ 
tagsfchulen, Gewerbafhulen und zum Gelbftunterrichte im gewerblichen 
Berufe von Heinr. Weishaupt, Zeichnungsiehrer an der höhern Feier⸗ 
tagsfehule, an dem f. Maximiliand⸗Gymnaſium und im Taubſtummen⸗ 
Snfitut. I an nellung: Beometrifche Zeichnungslehre. (Eonitruction in 
der Ebene) Mit 15 Zafeln in qu. gr. Fol. gr. 8. (VIII um 73 ©. 
mit eingedrudten Holzfchnitten). II. Abtheilung: Geometriſche Projections- 
Iehre. Mit 30 (lith.) Tafeln in qu. gr. Fol. ar. 8. (XV u. 79 ©. 
mit eingedr. Holzſchn.) Münden, Kleifhmann. 1856. 1. Abth. 1 Thlr., 
2. Abth. 2 Thlr. 

Auch dies Wert ift zum Gebrauch für Schüler und zum Selbfl- 
unterricht beſtimmt, zeichnet fi aber vor dem vorigen durch bei weiten 
größere Vollftändigkeit und ſehr ſchöne Zeichnungen aus. Die Anlei⸗ 
tung if fehr Mar und verfändlih, für Anfänger berechnet. In der 
erſten Abtheilung iR auch das Nöthigke über die Beſchaffenheit und den 


Zeichnen. | . 637 


Gebraud der Zeichenmaterialien und die technifche Ausführung der Zeich⸗ 
nungen felbft gelagt. Der Berf. bekundet fi darin, fowie überhaupt 
in der Aufitellung des ganzen Lehrganges, als ein zuverläffiger Kührer. 
Wir halten dies Werk unter allen, die diefen Gegenfland behandeln, für 
das befte und empfehlen es angelegentlichft allen Anſtalten, welche der⸗ 
artigen Unterricht ertheilen. Die Ausfattung ift fehr fhön, der Preis 
für das Dargebotene nicht zu hoch. 

30. Leitfaden fürden Unterrihtim geometrifhen Zeihnen. Don 
Th. Pimpel ‚ Premier » Lieutenant in der Artillerie und Lehrer an der 
vereinigten Artilleries und Ingenieurs Schule. Mit 12 Tafeln Abbilduns 
Er (in re Gr. 8. (VIII und 116 ©.) Berlin, Deder. 1855. 


Diefe Schrift if zunähft als Leitfaden für die Schüler der Ans 
Kalt befimmt, an welcher der Berf. Lehrer if. Mit Näüdficht hierauf 
behandelt dieſelbe den Gegenftand in ziemlicher Ausdehnung und in 
einer den Bedürfniffen gereifterer Schüler entfprechender wiſſenſchaftlicher 
Beife. Die Darftellung if font Mar und verftändlich; jedem Abfchnitte 
find eine Reihe von Webungsaufgaben für den häuslichen Fleiß binzus 
gefügt. Verwandten Anftalten Tann das Werk als ein recht brauchbares 
empfohlen werden; für Bürgers und Gewerbfchulen if das vorige ges 
eigneter. 

Die Ausftattung ift gut, namentlih find die Tithographirten Zeich⸗ 
nungen fauber. 
11. Kleine Zeichen⸗Schule für die Jugend. Du. 4. Garlörube, Veith. 

a Heft 4 Sar. \ 

Bon dieſer ZeihensSchule liegen ung Heit 55 bis 60 und Heft 
73 bis 86 vor. Jedes derfelben iR 4 Blatt far. Die Hefte 55 bie 
60 enthalten theils Schiffe, theils Landfchaften, in denen Wafler und 
Schiffe vorherrſchen, Heft 73 bis 86 vorzugsweife Gebäude mit leichter 
Iandichaftlicher Umgebung. Das Dargebotene if durchweg anſprechend, 
gut ausgeführt und fept von Seiten des Schülers nur mäßige Fertigs 
teit voraus. In andern Heften dieſes Werkes finden fih „Figuren, 
Thiere, Blumen, Ornamente, Staffagen, Geräthſchaften“ 2c.; da wir 
dDiefelben nicht aus eigener Anfchauung kennen, fo vermögen wir nicht 
zu fagen, ob fie von der Güte der vorliegenden find. 


X. 
Allgemeine Pädagogik. 


Bon 


Auguft Lüben. 


Weser allgemeine Pädagogik ift feit 1853 in diefem Werke nicht 
berichtet worden, und vor- diefer Zeit auch nicht in dem Sinne der übris 
gen Arbeiten des Jahresberichte. Es haben nämlich immer nur bie 
ſelbſtſtändigen Schriften, nie die Journalartifel, Berückſichtigung gefuns 
den. Dadurch iſt ein nicht unbeträchtliches Material gänzlich ignorirt 
und den Lefern des Jahresberichtes, denen nur wenige pädagegifche 
Zeitfchriften zu Gebote fliehen, entzogen worden. Geben wir auch gern 
zu, daß es Fein großer DBerluft if, die Mehrzahl der einfchläglichen 
Journalartikel nicht gelefen zu haben, fo fteht doch eben fo ſicher feft, 
dag ſich unter denfelben auch mandes Gute findet. Ueberdies gehört 
es wefentlih mit zur Aufgabe des Pädag. Yahresberichtes, neben dem 
Beachtenswertben auch das Untaugliche aufzuführen und als folches zu 
bezeichnen, theils um die in ihren Anfichten und Grundſätzen nod 
Schwanfenden zu warnen, theild um den unbebeutenden Scribenten ihre 
wahre Stellung auf dem Felde der Pädagogik anzuweifen, d. h. ihnen 
das befcheidene Zuhören und das fleifige Studiren anzuempfehlen. Letz⸗ 
teres thut in Bezug auf allgemeine Pädagogik ganz befonders Noth. 
Man behauptet nicht zu viel, wenn man fagt, daß unter hundert Leh⸗ 
tern, die ſchriftſtellernden mit eingerechnet, neunundneunzig niemals ein 
tüchtiges Werk über allgemeine Pädagogik fludirt, die Grundfäge deis 
felben fich denkend angeeignet haben. Die Folge davon ift lebensläng- 
lies Schwanfen in Bezug auf Erziehung und Unterricht, und Urtheiles 
toftgfeit über neue Erfcheinungen. Außerdem würde Mandes, was jept 
ale Neuigkeit in die Welt gefandt wird, ungefchrieben bleiben, wenn die 
vermeintlichen Entdeder gründlicher mit der allgemeinen Pädagogik, nas 
mentlih auch mit der Geſchichte derfelben, bekannt gewefen wären. 





Allgemeine Paͤdagogik. 639 


So wichtig aber die Berüdfichtigung der Journalartikel in dem 
Berichte über allgemeine Paͤdagogik auch if, fo müflen wir diesmal auf 
Mangel an Zeit und um das Erfcheinen des Jabresberichtes nicht uns 
gebührlih hinauszuſchieben, doch davon abjehen und uns auf Anzeige 
der ſelbſtſtaͤndigen Schriften beſchraͤnken, hoffend, daß der Tünftige Bes 
arbeiter diefes Gegenflandes das Wichtigſte nachholen werde. 


J. Geſchichte der Pädagogik. 


1. Gefhichte des geſammten Erziehungs- und Schulwefend, 
in befonderer Rüdfiht auf die gegenwärtige Zeit und ihre Sorberum en. 
Für Schulauffeber, Geiſtliche, Lehrer, Erzieher und gebildete Eltern. Bon 
Dr. Joh. Fr. Th. Wohlfahrt, 8. & Kirchenräthe. Gr. 8. Erſter 
Band: VIII und 8035. AYweiter Band: X und 9356. Quedlinburg 
und Leipzig, ©. Bafle. 1853 bis 1855. 4a Thlr. 

Das Material des erſten Bandes, der die vorchriftlihe Zeit ums 
faßt, zerfällt in zwei, dem Umfange nad fehr ungleihe Abtheilungen, 
von denen die erfle die Geſchichte der Erziehung und des Schulweſens 
der aflatifchen und afrikanifchen Völker behandelt, die zweite die ber 
Hebräer, Griechen und Römer. Der zweite Band hat die chriftliche Zeit 
zum Gegenſtande. Der Stoff ift bier in ſechs Abtheilungen gebracht, 
von denen nur einige fih als natürliche haben durch befondere Webers 
fhriften ſcharf bezeichnen laſſen. 

Abſicht des Berfaffers war, „in Iebenvollen Umriffen die wichtigften 
Momente der Entwidelung in der Erziehung und dem Unterridte mit 
proftiihen Winfen für die Anwendung in dem wirklichen Lehrers und 
Erzieherleben darzuſtellen.“ Berechnet if die Arbeit vorzugsweiſe für 
yraftifche Lehrer der Volksſchule, für Geifllihe und gebildete Eltern; 
mit Rückſicht hierauf if die Darftellung durchweg populär und frei von 
gelehrten Citaten. Das Streben nah möglichfter Vollſtaͤndigkeit hat 
den Berf. veranlaßt, hier und da Manches aufzunehmen, was für Viele 
entbehrlich if} oder geradezu aar nicht zur Sache gehört und beffer einen 
Play in einem Werke über Eulturgefhichte gefunden hätte, Bielfach 
läßt der Berf. andere Schriftfteller über den Gegenfland reden, was 
zwar an und für fid nicht unangenehm ift, aber dem Werke ein moſaik⸗ 
artiges Anfehen gibt und es weitläuftiger gemacht bat, als es gut war. 
Die Auszüge, welche der Verf. aus den Werfen der befprochenen Päda- 
gogen gibt, tadeln wir natürlich nicht, würden es vielmehr gern geichen 
haben, wenn es noch umfänglicher gefchehen. und das Augenmerk dabei 
vorzugsweife auf das Eharakteriftifche gerichtet worden wäre Die neuere 
Beit dinfte wohl die fchwächfte Partie des ganzen Buches fein. Freilich 
if ihre Bearbeitung aus natürlichen Gründen fehwieriger, als die jeher 
andern Periode, befonders für Jemand, der nicht fein ganzes Leben ber 
Schule und den Erfcheinungen auf dem pädagogiihen Gebiete gewidmet 
batz aber es ift doch auch unverfennbar, daß der Verf. zum Schluß eilt, 
vielleicht auch, um das Buch nicht noch umfangreicher zu machen. Aus 


640 Allgemeine Pädagogik. 


biefem Grunde ift wahrfcheinlich auch das im erften Bande verheißene 
Regifter weggeblieben, was wir bedauern. 

Befriedigt und demnach das Werk auch feineswegs ganz, fo Tönnen 
wir es doch nicht mit Körner als ‚unbrauchbar und wunderlich“ bezeich⸗ 
nen. Daſſelbe enthält neben ſchwachen Bartien auch manche gelungene, um 
derer willen es den Lehrern wohl zum Studium empfohlen werden Tann, 


2. Geſchichte der Pädagogik von den älteften Zeiten bis zur Gegenwart. 
Ein Handbuch für Geiſtliche und Lehrer beider chriſtlichen Eonfeflienen von 
Sriedrih Körner, Oberlehrer an der Realfchule zu Halle. gr. 8. (VIII. 
und 388 ©.) Leipzig, Herm. Eoftenoble. 1857. 14 Thlr. 

Der Berf. legt in der Borrede ein befonderes Gewicht auf bie won 
ihm getroffene Eintheilung und hält diefelbe für fo obiectiv, für fo na⸗ 
türlih, daß ſpätere Bearbeiter des Gegenftandes fi ihrer werden bedienen 
müflen. Er unterf&eidet vier Perioden: 1. Die Beriode-der Erziehung. 
2. Die Periode des Unterrichts zu formalen Bildungszweden. 3. Die 
Periode des realen Unterrichts zu praktifchen Bildungszweden. 4. Die 
Periode der wiffenfchaftlihen Pädagogit und Methodik von Peſtalozzi bis 
auf unfere Tage.“ Sieht man diefe Weberfchriften genauer an, fo wird 
man bald bemerken, daß fie nur wenig Anhalt geben, nicht fonderlich zu» 
treffen und zum Theil nichtöfagend find. Letzteres gilt gleich von der 
Bezeichnung der erfien Periode. Mit dem Ausdrude: „Periode der Ere 
ziehung,’’ if wirklich gar nichts gejagt; in allen Berioden treten Erzies 
bung und Unterricht auf, und legterer dient zu allen Beiten der Er, 
ziehung. Pefflozzi wird, der Chronologie zufolge, zum Schluß der dritten 
Periode aufgeführt, während doch feftfieht, daß derfelbe vorzugsmeife 
nah formaler Bildung firebte. Wir bezweifeln, daß bes Verfaſſers 
Hoffnung, von den fpäteren Bearbeitern als Grundrißzeichner auf dieſem 
Gebiete anerkannt zu fehen, fi) erfüllen wird. 

Der Inhalt des Buches fleht der Eintheilung nicht nah. Nah 
dem eignen Belenntniß des Berfaffers beruht derfelbe nicht auf Quellen» 
fludien, fondern nur auf Benußung der von ihm durchweg als unbrauds 
bar bezeichneten Werke über Gefchichte der Pädagogik von Schwarz, 
Cramer, v. Raumer, Wohlfahrt u. U. Als befonderes Verdienſt rechnet 
fih der Berf. an, das Charakteriftifche jeder Periode und Unterabtbeilung 
fefgeftellt und hervorgehoben, „die Gefchichte der Pädagogik in Fluß ger 
bracht, ihre dialektiſche Entwickelung nachgewieſen zu haben. Es if 
wahr, der Berf. frebt nach folcher Zeichnung; aber viele feiner Urtheile 
zeigen, daß er ſich nicht forgfältig genug zu folder Arbeit vorbereitet 
hatte. Nicht einmal die Beftrebungen der lebten Periode werden richtig 
gewürdigt; fatt der Gruͤnde werden dem Lefer fehr oft Machtſprüche 
und Phrafen vorgelegt, nicht felten in unangemeflener Folge. Wir haben 
das dem Berf. in Bezug auf feine Befprehung der Raturfunde bereits 
an einem andern Orte (vergl. Löw’s Monatsſchrift 1857, Heft 1) nad» 
gewielen und unterlaffen deshalb bier eine weitere Beweisführung. 

Der. Verleger bat das Werk gleich bei feinem Erſcheinen al® „zweite 
Auflage” eingeführt, weil zahlreiche Beſtellungen (R Condition?) noch 
vor deffen Vollendung einen „zweiten Abdruck“ nöthig machten. Sollte 


Allgemeine Paͤdagogik. 841 


wirflich der ghüdtiche Wall eintreten, daß das Werk eine zweite Auflage 
erlebte, jo empfehlen wir dem Berf., deſſen ſchriftſtelleriſche Befähigung 
wir gern anerkennen, in allen Abfchnitten mehr Pofitives zu bieten, als 
jet .geicheben, in den einzelnen Unterabtheilungen mehr Ordnung herzu⸗ 
flellen, die Weberficht in denfelben durch den Drud etwas zu erleichtern, 
alle Phraſen und Machtſprüche zu flreihen und feine Urtbeile durchweg 
beffer zu begründen, das Seite 190 über Rouffeau gefällte (‚in Summa, 
auf mich bat wenigflens der Mann ftets den Eindrud gemadt, als fei 
er durch und durch unwahr, als Eofettire er nur mit feinem Stile, und 
es jammert mid, einen folhen Mann unter die Pädagos 
gen zählen zu follen, weil er auf Anlaß eines Buchhänd—⸗ 
lers aud über Erziehung ſchrieb“) ganz zu befeitigen. 

3. Geſchichte der Pädagogik vom Wieberaufbfühen Maflifher Studien 
bis auf .unfere Zeit. Von Karl von Raumer. Erſter und zweiter Theil. 
Dritte, durchgeſehene und vermehrte Auflage. gr. 8. (XII. und 447, X. und 
528 ©.) Stuttgart, S. G. Liefching. 1857. 4 Tr. 

Dies Berk ifi ein Ergebniß gründlicher Quellenftubien, bat da 
einen ganz entichiedenen Werth. 

Da die Bildungsideale jeder Epoche fih vorzugsweiſe in hervorra⸗ 
genden Perfönlicgkeiten fpiegeln, fo hat der Verf. es verſucht, die Ges 
ſchichte der Paͤdagogik in einer Folge von Biographien berühmter Pädas 
gogen darzuftellen. In vielen Fällen geichieht dies mit den Worten 
gleichzeitiger Schriftfleller oder der in Rede ſtehenden Pädagogen ſelbſt, 
was wir nur billigen fönnen, da dem Lehrer auf diefe Weile der Ges 
nuß zu Theil wird, das Gefagte aus reinfter Quelle zu erhalten. Diefe 
Mittheilungen begleitet der Berf. überall mit feinem Urtbheil, was wir 
nicht nur billigen, fondern verlangen würden, wenn es nicht gefchehen wäre. 
Die Mehrzahl der Leer, die fein Buch zur Hand nehmen, wollen ja aus dem» 
felben lernen, wollen namentlich audy hören, wie ein gebildeter Mann, der ſich 
ein halbes Menfchenalter hindurch gründlich mit feinem Gegenſtande befchäfe 
tigt bat, über die Pädagogen der Bergangenheit und Gegenwart dent. Wir 
Sonnen dem Berf. das Zeugniß geben, daß er in feinen Urtheilen überall 
nah Wahrheit und Gerechtigkeit Rrebt, daher lobt und tadelt, was von 
feinem Standpunfte aus Lob und Zadel verdient. Der Standpunkt des 
Verfaſſers ift, wie bekannt, der pofttivschriftlihe. Sein Urtheil über 
Männer wie Rouffeau und Peſtalozzi kann daher nicht durchweg beifällig 
ausfallen. Aber es muß ausdrüdiich bemerkt werden, daß er fich ficht- 
lich bemüht, das Anerkennenswerthe ihrer Beftrebungen, das ewig Wahre 
in ihren Grundſätzen Hervorzubeben. Nirgends begegnen wir fo einfeis 
tigen und ungerechten Urtheilen, wie fle 3. B. Körner in. feinem eben 
befprochenen Buche fällt. Damit wollen wir natürlich nicht fagen, daß 
wir allen Urtheilen des Berfaflers beipflichteten. Aber auch uns foll 
diefer Umſtand nicht abhalten, dies Werk als ein fehr tüchtiges zu ber 
zeichnen und denkenden, prüfenden Lehrern zu empfehlen. 

Abweihend von Wohlfahrt, Körner u. A. beſchraͤnkt fih der Verf. 
auf die deutſchen Bädagogen, beginnt jedoch einleitend mit den Italie⸗ 
neen (Dante, Boreacio, Petrarca u. |. w.), da dieſe den größten Eins 

Rade, Jahresbericht. X, ‘ 4 





N 


642 Allgemeine Pädagogik. 


flug auf deuifche Pädagogif ausgeübt Haben. Der erfte Theil behandelt 
zwei Perioden, nämlich die Zeiträume von Gerhardus Magnus bie Luther 
und von dieſem bis zum Tode Baco’s, der zweite die „Nenerer“: Ratich, 
Eomenius, Lode, Francke His Peſtalozzi. 

Bon der vorhergehenden Auflage unterfcheidet fi diefe dritte durch 
mancherlei größere und Peinere Zufäge und durch Hinzufügen der Cha⸗ 
rafteriftil von Oieronymus Wolf. 

Die beiden folgenden Theile des Werkes Tiegen noch nicht in neuen 
Auflagen vor. 


4. Die Entwidelung des deutihen Vollsſchulweſens unter Herzog, Erat dem 
rommen. Gin Beitrag zur Geſchichte der Pädagogit von Dr. Mori 
chulze, Schuldirector zu Gotha. Auf Antrag ded allgemeinen gothais 

[hen Lehrervereins aus den Pädagogiihen Blättern des Pre» 

feſſor Dr. Kern (Zabrg. 1855, 1. und 2. Heft) befonders abgedrudt. 8. 

(32 S.) Sotha, ©. Silke. 1855. 

Den Mittelpunkt diefes Schriftchens bildet der Schulmethodus,“ 
den Herzog Ernf der Kromme durch feinen Eifer für das Schulwefen 
feines Landes hervorgerufen hat. Der Verf. theilt Dad Weſentlichſte ans 
demfelben mit und knüpft daran feine Bemerkungen. Wie uns, fo dürfte 
der Schulmethodus auch den meiften unferer Lefer unbekannt und unzus 
gänglich fein. Wir find daher dem Berf. zu aufrichtigem Dante für 
Diefen Auszug aus demfelben verpflichtet. 

Der Schulmethodus erfchien zum erften Mal 1648 und dann 1653, 
1662 und 1672 in neuen Auflagen. Es ift ein Werk voll der vernünfs 
tigen pädagogifchen Brundfäge. Was Natich und Eomenius für die Ge⸗ 
lehrten⸗Schulen aufftellten, macht der Schuimethbodus den Boltsfchnien 
zugänglid. Die Realien finden volle Berückſichtigung, find indeß doch 
wohl durch die faum zu überwältigenden Maffen des Religionsunterrichte 
erdrüädt worden. 

Wir empfehlen das Schriftchen allen Freunden der Geſchichte der 
Paͤdagogik. 

5. A. H. Francke, J. J. Rouſſeau, H. Beraten. Ein Vortrag auf 
Beranftaltung des Evangelifchen Vereins für kirchliche Zwecke zu Berlin 
am 20. Februar 1854 gehalten von Dr. G. Rramer, Director des Konigl. 
Pädagogiums und der Frande'fchen Stiftungen zu Halle gr. 8. (52 ©.) 
Berlin, W. Schultze. 1854. 


Der Berf. ſteht auf dem Raumer’fchen Standpuntte, „urtbeilt daher 
über Rouffeau und Peſtalozzi wie diefer. Rar Srande bat nad ihm die 
Aufgabe der Erziehung und die Mittel zur Erreiung derfelben erkannt. 
Unfere heutige Erziehung trägt „noch den Charakter des Kampfes, den 
wir auf allen Gebieten des geiftigen und focialen Lebens antreffen: Houfs 
ſeau's Naturalismus, Peſtalozzi's Methode, Wolf’ Humanismus find no 
immer bei weitem die überwiegenden Elemente darin.’ 

Eine ‚Beilage‘ zu dem Bortrage enthält Frande’s bis dahin uns 
gedrudte „Instruction für die Praeeeptores, was fie bei der Disciplin 
wohl zu beobachten,” für deren Mittbeilung wir dem Berf. Dank ſchuldig 
find. Wir empfehlen diefelbe recht dringend allen angehenden: Lehrern, 


‚Allgemeine Paͤdagogik. 643 


fo wie denen, die dur lange Praxis ſchlaghart geworden find. Es 
athmet in derfelben der wohlthuendſte Geiſt chriftlicher Milde, ein Geiſt, 
der Lehrern und Schülern die Schule Tieb machen muß. Zugleich Tiefert 
dies werthvolle Aftenküd einen Beweis von Frandes reicher Erfahrung 
auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts. 


D. Schriften über Erziehung. 


6. Ueber das Prinzip der Erziehung. in Konferenz « Bortrag von 
Dr. Friedrich Jacobi, Pfarrer in Rödingen, früher Infpertor an den 
Schuflehrer-Seminarien zu Altdorf und Schwabach. gr. 8. (IV u.44 ©.) 
Rürnberg, v. Ebner’fche Buch. (3. M. Weydner.) 1856. geb. 4 Ger. 


Der Berf. führt in chronologifcher Folge auf und beleuchtet, was 
feit Rouffeau als Prinzip der Erziehung aufgeftellt worden if, und fügt 
dann das eigene hinzu, was da lautet: „Bilde dein Kind zum Chris 
ten!’ Zu dieſem Prinzip befannte fih ſchon Francke, was der fonft 
belefene Verf. überjeben bat. Unter den Pädagogen der Gegenwart, bie 
dem chriftlichen Prinzip buldigen, hat der Berf. auch Gräfe unermähnt 
gelaſſen. 

Neues bringt ſonach die Schrift nicht; dennoch gewaͤhrt fie durch 
Beleuchtung der verſchiedenen Erziehungsprinzipe eine belehrende Lectüre. 
Den Urtheilen über Rouſſeau werden nicht Alle beiſtimmen, am wenig» 
fen die, welche deſſen „Emil” genau kennen. 


7. Kind und Belt. Pätern, Müttern und Kinderfreunden gewidmet von 
Bertbord Sigismund. I. Die fünf eriten Perioden des Kindesalter, 
6 (XUI. u. 221 S.) Braunfhweig, Vieweg u. Sohn, 1856. 1 Thlr. 


Die neuere Naturforfhung begnügt fih nicht mehr damit, einen 
Gegenfand nur in feinem vollfommenften, ausgebildetften Zuflande zu bes 
trachten, fondern geht feiner ganzen Entwicklung nad, beobachtet alfo 
3. B. eine Pflanze vom Keime an durch alle Stadien hindurch bis zur 
Blüthes und Fruchtbildung. Erft wenn das gefchehen, wiederholt gefches 
ben, darf man fagen, daß man eine Pflanze ganz kennt. Auch für den 
Unterricht ift dies Verfahren empfohlen worden, mehrfach auch im Jah⸗ 
resberichte, und wir können aus eigner Erfahrung verflhern, daß nur 
auf diefem Wege wirklicher Erfolg, Einfiht von der Natur und Liebe zu 
derſelben, zu erlangen ift. 

Wenn nun zum Verſtändniß einer Pflanze die Kenntniß ihrer Ent⸗ 
wickelungsgeſchichte nothwendig ift, fo muß das in noch viel erhöhterem 
Maße für die Einfiht der fo ungemein verwidelten geiftigen Lebensthä- 
tigkeit des Menfchen der Fall fein. Diefe Wahrheit hat fi gewiß ſchon 
Manchem aufgebrängt, namentlih manchem Lehrer; aber nur ſchwache 
‚Anfänge find gemacht worden, biefen Gedanken einmal in umfaffender, 
feuchtöringender Weife auszuführen und fich gleichzeitig auch Rechenſchaft 
darüber zu geben. | 

Dies hat der Verfaffer des’ hier genannten Büchleins gethan. Als 
Bater und praftifcher Arzt hatte er Gelegenheit, an eigenen und frems 


41° 


644 Allgemeine Pädagogik, 


deu Kindern vielfach Beobachtungen anzuftellen. Er bat es mit dem 
Auge eines Naturforfchers gethan, alfo gründlih. Die Darftellung feiner 
Beobachtungen iſt ausgezeichnet, anziehend durch Inhalt und Form; man 
lie das Buch mit wahrem Bergnügen. Kein Lehrer follte es ungelefen 
laffen; es giebt nicht nur treffliche Auffchlüffe über die allmähliche Ent⸗ 
faltung des kindlichen Geiſtes, fondern leitet — und darauf legen wir 
großen Werth — zur richtigen Beobachtung an. Manche pädagogifche 
Verkehrtheit würde nicht zu Tage kommen, wenn bie Lehrer ſich eine forge 
fältige Beobachtung der Kinder zum Geſetz machten. 

Die fünf Berioden des Kindesatters, welche der Verf. [hildert, Haben 
folgende Ueberfhriften: 1. Das dumme Vierteljahr. 2. Dom Lächeln 
bis zum Sigenlernen. 3. Bis zum Laufenlernen. 4. Bom Laufen» bis 
zum Sprechenlernen. 5. Bom Sprechen des erflen Wortes bis zu dem 
des erſten Satzes. 

Möchte der Verf. uns recht bald mit einer zweiten Gabe erfreuen! 
8. Haus⸗Pädagogik in Monologen und Anfpraden. Cine Reujahrögabe 

an die Mütter von Dr. Earl Volkmar &toy, Profeffor an der Inivers 

fltät Jena, Dirertor einer Erziehungsanftalt. 8. (VIIL u. 135 &.) Leip⸗ 

sig, B. Engelmann. 1855. 

Den Inhalt des Büchleins Iegt der Verf. ſelbſt folgendermaßen bar. 

„Laß mit einem Aufrufe, einer Mahnung an den göttlichen mütters 
lichen Beruf mich beginnen, und 2. hinzeigen auf die Größe feiner Wirk⸗ 
famteit, laß mid von da aus dann 3. die Lebensformen andeuten, unter 
denen ein Gedeihen des Wirkens nicht denkbar, daneben aber in ber 
4. Gabe unter der Auffchrift „Grenzen des Hauſes“ den Lebenskreis 
beleuchten, welchem ich felber meine beften Kräfte opfere, weichen ich als 
einen im großen Haushalte Gottes geheiligten achte. Aber das enge Haus 
fann auch in günftiger Lage dem heranwachſenden Menſchen nur felten 
Alles fein: es bedarf wie auch die Anftaltsfamilie der Schule. Was 
dünfet dir von der Schulet Was! Wieviel! Wie? Wozu foll dein 
Kind lernen? Die Gaben 5 — 10 wollen Lit und Wärme, Antrieb 
und Wärmung bieten. — Sept fehe ich im Geifte das Auge der Mutter, 
wie e8 den lernenden und arbeitenden Sohn begleitet, leicht wird es ges 
trübt beim Anſchauen von Stillftand oder Rüdfchritt, darum will ich 
Zroft bringen in meiner 11. Anſprache und die Ungeduld mäßigen in 
der 12. Ach nur zu leicht wird das Elternherz unruhig und fordert 
frühen Ernſt! Meine Wanderung durch das „Baradies der Menſch⸗ 
heit“ will diefes in feiner ganzen Lieblichfeit fehen Iaffen und ihm Bes 
fhüper und Wächter gewinnen. Ueberhaupt hat die Jugend jeden Alters 
einen gerechten Anfpruh auf Schup und Schonung; dazu foll bie 14. 
Betrachtung, welche den Kinderbildern gewidmet ift, mithelfen und 
die 15. desgleichen, welche naheliegende Gefahren in ihrer Groͤße auſdeckt. 
— So fteht eine lange Reihe weientlicher Erziehungsaufgaben vor uns. 
Wo werden fle glüdlihe Löfung finden? Nur da, wo „das Eine 
was Noth if“ in das Herz der Mutter einzog. Möge es mir geluns 
gen fein, für dieſes Beſte das beſte Wort gefunden zu haben! Dann 
erft werden die Mahnungen der 47. und 18. Gabe tiefer verflanden, 





Allgemeine Pädagogik. 645 


wenn fie reden von der Gefehgebung, deren Verkündigung und Bollfirefs 
fung ebenfalls als göttliche Amt den Eltern zugetheilt if.’ | 

Es iR ein frifches, anregendes Buch; wer es mit Aufmerkſamkeit 
fie, lernt den Verf. nach feiner ganzen Denkweiſe kennen und — fchäs 
gen. Nirgends find wir auf Grundſätze gefloßen, denen wir unfere Zus 
Rimmung hätten verfagen müffen. Seine Kenntniß der Kindesnatur iſt 
fo groß wie feine Liebe zur Jugend. Nicht bleich gebrauchte und abge» 
griffene Phrafen Iegt er uns vor, fondern eigene Beobachtungen, geſam⸗ 
melt im langen, denkenden Umgange mit der Jugend. Seine Darſtel⸗ 
lungafoxrm iſt anziehend und edel, finnig, faſt poetiſch. 

Zunge Lehrer! Iefet das Buch zwei Mal, drei Mal! Bringt es 
auch in die Hände gebildeter Mütter! Seid ihr fchon verheirathet, dann 
gebt es vor allen Dingen euren Frauen zu lefen! 

9. Ueber Haud- und Schul⸗Polizei. Ein Bortrag geballen im wifjens 
ſchaftlichen Verein zu Berlin, am 19. Januar 1856 von Dr. C. V. Etoy, 
Profeffor in Jena 2c. 8. (32 ©.) Berlin, 2. Dehmigke's Berlag (Fr. Ap⸗ 
peltus.) 1856. 3 Ser. 

Diefer Bortrag gehört zum Beften, was wir feit langer Zeit über 
Haus⸗ und Schulzucht gelefen haben. In’ geifvoller, mit dem köoſtlich⸗ 
fen Humor gewürzter Weiſe zeigt der Verf. aus der Geſchichte nad, 
wie Sitte und Berfall derjelben im Volksleben Nefultate angemefjener, 
oder ſchlaffer Zucht in Schule und Haus find. Seine Beifpiele find 
überaus treffend und befunden den vielbelefenen Profeffor der Pädagogif. 
Bas jemals an Strafen oder Belohnungen angewandt worden ifl, wird 
vorgeführt und fo weit beleuchtet, daß Yedermann zur Einficht darüber 
gelangt. Zur Verhütung von Ungehörigkeiten der Jugend in’ ber Fa⸗ 
milie und in der Schule empfiehlt der Verf. mit allen verfländigen Paͤ⸗ 
dagogen nur ein Mittel: das Intereſſe für einen Gegenftand, eine Des 
ſchaͤftigung in dem Kinde zu erregen. 

Bir empfehlen das Büchlein als etwas Trefflihes Eitern und Lehrern. 
10. AelternsABE für die häusliche Erziehung von Dr, Unverzagt. 8. (50 ©.) 

Berlin, %. A. Herbig. 1856. 

Der Inhalt erhebt fich nicht über das Gewöhnlihe, Bekannte, ifl 
aber leicht verſtaͤndlich und empfiehlt fih daher vorzugsweife für Eitern 
von mäßiger Bildung, für den gewöhnlihen Bürgersmann. Die Lehrer 
werden fich ein Berdienft erwerben, wenn fie das Schriftchen in diefen 
Kreifen verbreiten helfen. 

11. Peſtalozis Miffion an die Mütter, dargeſtellt von Richard Schorn⸗ 

ein, Dirertor der ftädtifchen höheren Töchterfchufe zu Elberfeld. gr. 16. 

(63 &.) Elberfeld, Vadeler ſche Buch. geh. + Thir. 

Der Berf. teilt in diefem Schriftchen eine Weberfiht des Lebens 
Peſtalozzi's mit, hebt jedoch vorzugsweife foldhe Momente hervor, in denen 
defien „Miſſion an die Mütter” am heilften hervortritt. Die Mittheilung 
des Inhalts aus „Lienhard und Gertrud” bildet den Mittelpunkt. Eins 
zeines if daraus wörtlich wiedergegeben, das Meifle jedoch natürlih nur 
als Referat. 

- Pefalozzi’s Miffion an die Mütter bezeichnet der Verf. am Schluß 


646 Allgemeine Pädagogik. 


mit folgenden Worten: „Und wie Gertrud an der Hoffnung feſthielt, 
daß der Herr fie eink in den Ihrigen fegnen würde und dieſe Hoffnung 
auch fi erfüllen fah, fo halte auch Du feR an der Liebe, an dem Ge: 
bet, an der Treue des Wirkens und der Hoffnung; aud Dein Gebet 
und Deine Liebe wird gefeguet und ſelbſt, was unvolllommen daran 
iR, wird von der göttlihen Barmherzigkeit zum Guten binausgeführt 
werden.‘ 

Wir können das mit großer Liebe und richtigem Takt abgefaßte 
Schriftchen allen Müttern als beichrend und anregend empfehlen. 

12. Lienhard und Gertrud. Ein Buch für das Boll von Heinrich Be: 
ſtalozzi. Neue Auflage. Mit vorangefchicter Biographie des Verfaſſers 
und Bruchſtücken aus „Chriſtoph und Tlſe.“ 8, (II, u. 444 ©.) Brandens 
burg, A. Müller. 1856. 24 Sgr. " 

Die jüngere Lehrerwelt befigt jegt nur eine ganz allgemeine Kennt 
niß von Peſtalozzi; feine Werke find ihr unbekannt. Es if daher ein 
fehr nüßlides Unternehmen, wieder an diefelben zu erinnern, fie von 
Neuem vorzulegen. Für mäßigen Preis bietet die Berlagshandlung Per 
Ralozzi’s Hauptwerk: Lienhard und Gertrud, dar, und bat demfelben noch 
fein Bildniß, feine Biographie (von W. Hechel in Brandenburg) und 
Bruchſtücke aus „Chriſtoph und Elfe Hinzugefügt. Aus dem dritien 
Theile des Werles iR nur der Schluß mitgetheilt worden, wogegen nichts 
m erinnern iR. 

Sollte es nit an der Zeit fein, Peſtalozzi's fämmtlihe Werke, in 
dem Sinne, wie fie. Karl v. Haumer in der Vorrede feiner Geſchichte 
der Pädagogit wunſcht, in billiger Ausgabe, etwa in Schillerformat, 
herauszugeben? An Abnehmern würde es nicht fehlen. 

13. Briefe an eine Mutter über Leibes⸗ und Geiftet- Erziehung Ihrer Kin- 
der. Don Dr. Karl Echmidt. 8. (VII. und 160 ©.) Köthen, Schleu⸗ 
ler. 1856. geb. 16 Sgr. 

- Der Berf. behandelt in 17 Abſchnitten (Briefen) die erfte Leibes⸗ 

und Geiftes- Erziehung der Kinder. DaLeib und Geift innig zufammen 

gehören, beide die Einheit „Menſch“ darftellen, fo wird auch beiden gleiche 

Sorgfalt gewidmet. Nachdem als Ziel der Erziehung die Entwidelung 

der dem Menfchen zu Grunde liegenden Gottähnlichkeit, d. i. die Wahr: 

heit, Freiheit und Liebe in Gott, bezeichnet worden und Rathſchlaͤge über 

‘das angemeflene Berbalten der Mutter vor der Geburt ihres Kindes ers 

theilt worden, verbreitet fi) der Verf. über den Körper, deffen Nakrung, 

über die Geiſtesvermögen und deren Thätigfeit im Allgemeinen und zeigt 
darauf fpeciell die Behandlung des Kindes in leiblicher und geifiger 

Beziehung während der .erfien Jahre. 

Jedes Kapitel gibt Zeugniß, daß der Berf. mit des Erziehung voll« 
kommen vertraut if; er kennt die Kindesnatur und die Mittel zur Ent- 
widelung derjelben. Daher dürfen Mütter fein Buch als zunerläffigen 
Führer in die Hand nehmen. 

Das Buch ſetzt aber denkende Mütter voraus, da Manches fehr 
gedrängt gehalten if, fo namentlich alles das, was über die Geiſtesver⸗ 
mögen gejagt wird. Durch ungewöhnliche Ausdrüde und gefuchte Ber 


"Allgemeine Paͤdagogik. 647 


hinbungen wird das Verſtaͤndniß anßerdem noch hier und da erſchwert. 

Darflellungen wie: „Das Weib fühlt, um zu denken, der Mann denkt, 

um zu fühlen; das Weib liebt, um zw leben, der Mann lebt, um zu 

lieben ‚’' kommen wiederholt vor. Dergleichen darf man aber rauen, 
praktiſchen Müttern, nicht bieten, wenn man fie für das Lefen einer Er⸗ 
ziehungsfärift gewinnen will. Die legten acht Briefe find nach unferem 

Urtheile die gelungenen. 

14. Die erfte Erziehung dur die Mutter nad Fr. Froͤbel's Grund» 
fügen. Gr. 8. (32 S. und 4 lith. Tafeln). Leipzig, &. Mayer. 1854. 

Diefe Schrift befchäftigt fich nicht mit den in Preußen verbotenen 

Kindergärten, fondern mit der „erften Erziehung durch die Mutter,” 

alfo mit der Erziehung der Kinder in den erften Lebensjahren. Es 

bandelt fih darin auch nicht um die ganze Erziehung, fondern nur um 

Geiftesentwicdelung dur die befannten Froͤbel'ſchen „Spielgaben,“ alfo 

durch Bälle, Würfel und Walzen. Bon den vorzunehmenden Uebungen 

find viele ganz angemeffen und können Müttern wohl empfohlen werden. 

Die Benugung der Spielgegenflände im Sinne Fröbel's fann nach diefer _ 

Anleitung nicht ſchwer werden, da dem Texte Abbildungen beigegeben 

find. Die eingeflodhtenen Lieder, Producte Fröbel's, find nur zum ges 

ringften Theil brauchbar, da fle fih nicht über gewöhnliche Reimereien 
erheben. 

15, Bür unfere Kinder. Eliſabeth. Gedanken über Erziehung der Kinder 
n ihrer früheften Lebensperiode in kurzen Säpen, befondera für Frauen 
und Jungfrauen niedergefchrieben von Heinrich Hoffmann, Stindergärtner. 
Gr. 16. (126 ©) Hamburg, G. ©. Bürger. 1856. Geh. "/s Thlr. 

Der Berf. ift ein begeifterter Anhänger Br. Fröbel’s. Im Sinne 
deffelben redet er in anregender, jedoch mehr aphoriftifcher Weife über 

Erziehung der Erwachfenen und Kinder und wendet fih in Iepterer Bes 

ziehbung norzugsweife am das Mutterherz. Seine Anfichten und Grunds 

fäße empfehlen fi der Beachtung, ebenfo das, was er am Schluß in 
fünfzig erläuternden Sägen über Fröbel's Kindergärten ſagt. So viel 
wir wiſſen, ift der Verf. gegenwärtig in London, wo die Kindergärten 

Anklang gefunden haben. 

16. Pädagogifhe Winke, oder: Anleitung zum Gebrauche der vier Föl⸗ 
fing’fhen Baufaften. Geſchrieben zunäät für Erzieherinnen und Kinder 
mädden in Familien und Kleinkinderſchulen. Bon Dr. J. Zölfing. 
weite, vermehrte und theilweiſe umgearbeitete Auflage, Befonderer Ab- 
drud aus dem „Elternhaufe und der Kleinlinderfähule” Br, 8. (15 ©.). 
Darnftadt, C. W. Leske. 1856. 

Der Verf. hat dies Schrifichen abgefaßt und neu auflegen lafſen, 
um Erzieherinnen und Kindermädchen Anleitung zum rechten Gebrauch 
feiner „Baukaſten“ zu geben. Sinnige, in der Benupung diefer Spiels 
gaben geübte Erzieherinnen werden mit dieſer Anleitung ausreichen, 
Kindermädcen und Erzieherinnen von mäßiger Begabung nit. Solden 
wizd des Berfaflers „größeres Erziehungswerk“ mit Beichnungen, auf 
deſſen Erfcheinen auf diefen wenigen Seiten zwei Mal bingewiefen wird, 
ermänft fein. Im Jutereſſe der guten Sache, die ber Verf. verfolgt, 


648 Allgemeine Pädagogik, 


bitten wir ihn, feinem „größeren Erziehungswerle” etwas mehr Fleiß 

und Aufmerkſamkeit zu widmen, als den hier genannten „Pädagogifhen 

Winken,“ die in logiſcher und fiyliftifcher Hinficht wirklich viel zu wün⸗ 

ſchen übrig laffen, zu Theil geworden if. Hätte der Jahresbericht für 

Schriftchen diefer Art Raum, fo würden wir dies Urtheil durch zahle 

reihe Beiſpiele belegen. 

An einigen Stellen polemifirt ber Berf. wieder gegen Fröbel’s 
Spielgaben und Zeichnungen, was „SKindermädchen‘ gegenüber zwar 
fehr leicht, aber gewiß Höchft unangemeflen if. Dazu kommt no, daß 
die Kritik ſelbſt unter aller Kritik if. 

17. Antrag zu Gunſten der Klein Kinder: Bemwahranflalten als 
Grundlage der Bolte Erziehung. Beitrag zur Beſtimmung und Feftftellung 
der Aufgabe des Staats in Beziehung auf Vollswohlftand und Gultur 
vom Grafen Auguſt Cieszkowski. Gr. 8. (XI und 52 ©.) Berlin, 
3. Möfer. 1856. Geh. 10 Ser. 

Der Berf. betrachtet die Klein⸗Kinder⸗Bewahranſtalten ald Bo If 
Erziehungs: Anftalten und redet ihnen von diefem Standbpunfte aus 
mit ebenfo viel Wärme als Einfiht das Wort. ‚Um diefelben in Auf 
nahme zu bringen, in Städten und Dörfern erblühen zu fehen, wünſcht 
der Berf., daB der Staat fördernd dafür auftreten, fich aber zugleich 
vor jeder Zwangsmaßregel hüten möge. Diefe Förderung foll der Haupts 
fahe nah in Errihtung von Anfalten zur Ausbildung tüchtiger Er⸗ 
zieberinnen und in Aufmunterung und Unterſtützung unbemittelter Ge⸗ 
meinden beftehen. 

Der Verf. Hat als preußifcher Abgeordneter einen derartigen An⸗ 
trag in der zweiten Kammer flellen wollen, fland jedodh davon ab, als 
er wahrnahm, daß derfelbe in Privatbeiprehungen mit Kammermitglie⸗ 
dern nicht die erwartete Aufnahme fand. Statt an die Kammern, wendet 
er fih nun an das Publikum, um in weiteren Kreifen für feinen Gegen- 
fand anzuregen. 

Wir Lönnen dies Verfahren nur billigen. Was bisher in Preußen 
in Sachen der Klein Kinder» Bewahranftalten gefhah, if vorzugsweiſe 
von praktifhen Pädagogen ausgegangen und bat darum nur mäßigen 
Erfolg gehabt. Treten mit ihnen Männer von hoher bürgerliher Stel⸗ 
lung für diefe Infitution .ein, fo Tann das nur förderlich fein. Im 
AIntereffe der guten Sache wünfchen wir fehr, daß der trefflih motivirte 
Antrag recht bald in weiteren Streifen Gehör finden und namentlich das 
nabe dabei betheiligte Publifum nicht darüber ‚zur Tagesordnung übers 
gehen’ möge! M 
18. Die moderne Erziehung in Schule und Haus und bie Lehren des 

Chriftentbums. Bon Dr. 3. ©. Kröger. 16. (60 S.) Hamburg, 

MR. Kittler. 1854. Geh. Thlr. 

Dies Schriftchen enthält einen Vortrag, den der Berf. in einem 
Samburger Lehrerpereine gehalten und auf mehrfeitigen Wunſch in Drud 
gegeben hat. Die Aufgabe, welche er ſich geftellt, war: bie Anforderun⸗ 
gen des Zeitgeiftes an die Schul, und Schulfehrerbildung darzuſtel⸗ 
len und zu beurtheilen. Als Verlangen des Zeitgeiftes wird hingeftellt; 





Allgemeine Pädagogik, 649 


„Bir (die Vertreter des Zeitgeiftes) wollen eine individuelle, entwidelnde, 
erziehende, eine wahre Menfchenbildung; eine Entwidelung, die das Kind 
zum Selbſtdenken und Selbfturtheilen befähigt, fo daß es fi durch 
feine Autorität berüden, fondern nur das als wahr gelten läßt, was es 
feld als wahr erkannt hat; was die Kinder aber als wahr und gut 
erfennen, Toll aus ihnen entwidelt werden, und diefe Bildung foll frei, 
Niemand foll ausgefchloflen fein, denn alle Wilfenfchaften find nüplid 
und müflen Gemeingut Aller werden.’ Umfaſſend und überzeugend weiß 
der Berf. das Unangemeffene diefer Forderungen nach und flellt der 
Schule dabei die Aufgabe, „in formeller und materieller Hinficht einen 
guten, feſten Grund zu legen.‘ Ueberſchätzt vom Zeitgeifle wird nad 
dem Berf. befonders die Verſtandesbildung und die Natur als 
Dindemittel. Die Beſprechung hierüber iR nicht ganz frei von Webers 
treibungen und nimmt Gegner an, die in diefer Schroffheit kaum eriftis 
ren. Den bildenden Einfluß der Naturkunde fcheint der Verf. zu unters 
ſchätzen, wie er denn überhaupt den Nealunterricht nicht nur als leicht, 
fondern auch als geiftverflachend hinſtellt. Obwohl ich mir bewußt bin, 
dem verfehrten Zeitgeifte nicht zu huldigen, fo Tann ich dem Berf. 
in diefem verwerfenden Urtheil doch durchaus nicht beitreten, aus Grün⸗ 
den, die ſich bier in Kürze nicht darlegen laſſen, die fi indeß in Diefem 
und früheren Bänden des Jahresberichtes ausreichend finden. In Bezug 
auf Naturgefchichte wird für die Volksſchule gefordert: - Kenntniß der 
Raturproducte der nächften Umgebung, „der Hauptmerkmale der Arten 
und Klaffen, der wichtigften Individuen derfelben. „Individuen?“ 
Beruht das auf einem Schreibfehler? Die „„wichtigften Individuen der 
Kiafien” würde beifpielöweife heißen: Die wichtigften Schafe, Sänfe u. f. w. 
einer Heerde oder überhaupt der ganzen Species. Zeigt man beim 
Unterricht ein beſtimmtes Thier, einen ausgeflopften Sperling . B. 
vor, dann geht man von der Betrachtung des Individuums aus, aber 
dies felber iſt nicht Zwed des Unterrichts, fondern die Art, Gattung u. |. w. 


In der zweiten Abtheilung der Schrift (von ©. 28 an) beleuchtet 
der Verf. die Frage: „Was verlangt unfer Zeitgeiſt in Bezug auf jene 
ewigen Wahrheiten, auf religidfe und chriſthliche Bildung? Wie 
in der erſten Abtheilung, fo ſucht der Verf. fih auch bier als Mann 
„der rechten Mitte Hinzuftellen. Gegen die Lichtfreunde und ver- 
wandte Beftrebungen tritt er eben fo entfchieden auf wie gegen die 
Zürfen. Bon den evangelifh schriftlichen Lehrern fordert er aufrichtigen 
Anſchluß „an die Hauptgrundfähe der evangelifchen Chriftenheit,‘‘ 
an das „richtig verfiandene evangelifchschriftliche, kirchliche Bekenntniß.“ 
Die Mehrzahl der Lehrer ift diefer auch von anderer Seite erfolgten 
Mahnung, reſp. Nöthigung nachgefommen, zum Theil vieleicht nur aus 
äußern Gründen. Möge verhütet werden, daß dieſe Strömung nicht zu 
einem andern Extrem führt! 


Des Berfaffers Vortrag hat gewiß einen flarfen Eindrud auf die 


Berfammlung gemacht; aber fehwerlich werden ihm alle Hamburger Lehrer 
überall beigeftimmt haben. Auch unter den Lefern des Schriftcheng wird 


650 Allgemeine Pädagogik. 


es nicht an Oppofition fehlen. Aber die wohlgemeinte Gabe verdient 
gelefen und geprüft zu werden. 
19, Die Erziehung im Lichte der re 

Stadlin. Br he. (XI Fe 360 — ee 

1856. 1 Ihlr. 6 Ser. 

An die „acht Seligfeiten‘ der Bergpredigt, die nad der Verfaſ⸗ 
ferin ganz daſſelbe beabficytigen, was die menfehliche Natur aus eigenem 
Antriebe fuht, if hier eine Erziehungslehre gefnüpft, die Eltern, mits . 
bin aud Lehrern, beftens empfohlen werden Tann. In jedem der bes 
treffenden Abſchnitte wird unter der Ueberfchrift „Auffaſſung“ zuerſt der 
Einn des Schriftwortes in überzeugender und zu Herzen fprechender 
Weife erläutert und dann in einem zweiten Theile, „Paͤdagogiſche Ver⸗ 
wendung‘ überfchrieben, auf die Erziehung angewandt, und zwar fo, 
daß zunähft auf die Verſtoͤße aufmerkfam gemacht wird, Die in jeder 
Zamilie täglich vorlommen, dann aber die zur wahren Erziehung erfors 
derlihen Hülfen geboten werden. Der ernfte, für chriſtliche Gemüther 
unabänderlihe Mapftab, der in den Ausfprüchen Jeſu gegeben ift, er 
- fheint ganz geeignet, Eltern auf ihre erziehliche Thätigkeit aufmerkſam 
zu machen und zur Prüfung derfelben aufzufordern. Die Berfafferin bes 
fundet fih überall als denkende, verfländige Erzieherin. 

Die Darftellung ift in den beiden erſten Abfchnitten etwas abfract, 
in den fpäteren aber für jede gebildete Mutter leicht verfländlich. 


2. Das Bub der Erziehung in Sau und Schule von Julie 
aa a, un —* Körner, goberiehrer der 
ealihule in Kalle. Erſte und zweite theilung. 8. i , gum 
Eoftenobte. 1855. & 27 Ser. — s Kr 
Auch unter den Titeln: 


Des Kindes Bartung und Pflege und die Erziehung der 
Töchter in Haus und Schule Ein Handbuh für Mütter und Gr 
zieher von 3. Burow. (XVI und 294 ©.) , 


Die Erziehung der Knaben in Haus und Schule Ein Hand 

buch für Eltern und Erzieher von Fr. Körner. (XI und 289 S.) 

Beide Schriften haben zwar gleiche Titel und kündigen fih als 
Abtheilungen ein und defielben Werkes an, find indeß doch nicht nad 
einem Schema geazbeitet, entiprechen auch nicht durchweg ihren Specials 
titeln. Die Körnerfche Arbeit repräfentirt gewiffermaßen den allgemeinen 
Theil des gemeinfamen Werkes, die der Burow den fpeciellen, für Mäd⸗ 
hen bereihneten, womit aber natürlich nicht gejagt fein fol, daß darin 
nicht au allgemeine, für beide Geſchlechter paſſende Erziehungsgrunds- 
fäße vorgetragen worden wären. Mütter und Erzieherinnen werden die 
erſte Ubtheilung lieber lejen als die zweite, weil fie vielfach auf Cinzel⸗ 
heiten eingeht und Rathſchlaͤge dafür gibt. Das Allgemeine wird von 
Srauen und angehenden Erziehern wohl aud gelefen, wenn es ihnen 
recht anfhaulih und in einer Ausführlichfeit vorgetragen wird, bie 
wenig oder nichts vorausfept, nicht aber, wenn es fo ſtark zuſammen⸗ 
gedrängt iſt, wie im erſten Buche der Koͤrner'ſchen Schrift. 

Körner folgt, wie wir das auch auf andern Gebieten an ihm ges 





Allgemeine Pädagogik. 651 


wohnt find, anerkannten Schriftfellern des Gegenflandes. In dem Als 
fihnitte über die Temperamente betritt er das Gebiet der Phrenologie 
(und Symbolif) und wählt darin Carus zu feinem Führer. Obwohl 
er zugiebt, daß namentlih die Phrenologie (nicht minder gewiß die 
Spmbolif) „noch viel Unwahres und Widernatürliches“ enthalte, fo trägt 
er doch den mwejentlichen Inhalt, freitih wenig anfhaulih, daraus vor, 
aus der Symbolik auh Säge wie: „Frauen haben langes, weiches 
Haar und kurze Gedanken, Denker oft einen fahlen Scheitel.” Dergleichen 
Urtheile grenzen an Albernheiten oder find es wirklich und follten in 
einer Schrifl für Anfänger, für Mütter feiner Autorität nachgefchrieben 
werden. 

- Die doppelte Beftimmung beider Schriften für „Haus und Schule” 
halten wir nicht für erreicht, überhaupt nicht für erreihbar. Die Burow 
bat faſt ausichließlich für das Haus gearbeitet, Körner für die Schule. 

In Körner’s Vorrede ift und aufgefallen, daß Eltern und Lehrern 
neben andern Schriften zur weitern Belehrung aud die von Rouffeau 
empfohlen werden. Wie flimmt diefe Empfehlung mit der oben ange 
führten Aeußerung des Berfaffers: „es jammert mich, einen folhen Mann 
unter die Pädagogen zählen zu müſſen,“ überein? Wir dürfen es wohl 
dem Leſer überlaflen, hierüber nad eigenem Gutdünfen zu urtheilen. 

Sollten die Verehrer des Verf. das Buch fo fleißig kaufen, daß 
eine neue Auflage deſſelben nöthig wird, fo empfehlen wir namentlid 
die gänzlihe Umgefaltung des erflen Buches in dem Sinne, daß es 
für Unfänger genießbar wird. Die übrigen Bücher enthalten mandes 
Brauchbare. 

Schließlich geben wir noch den Inhalt der Hauptabſchnitte an. 
Erſte Abtheil. 1. Buch. Die Wartung und Pflege des Kindes. 
2. Buch. Schule und Haus. 3. Buch. Das Familienleben und fein 
Einfluß auf die Töchter des Haufes. 4. Buch. Die Stellung des weib⸗ 
lichen Gefchlechts in der bürgerlichen Geſellſchaft. Schluß. — Zweite 
Abtheil. Wichtigkeit der Erziehung. 1. Buch. Das leibliche Leben 
und die Außeren Bedingungen der Erziehung. 2. Bud. Die Bildung 
der geiftigen Fähigkeiten. 3. Buch. Die Erziehung im engern Sinne. 
4. Bud. Schule und Haus. 


21. Bon der fittlichen Diinung Der Jugend im erften Sahrgebend 
des Lebens. Pädagogiſche Skagen für Eltern, Lehrer und Erzieher. 
Bon U. W. Grube. 3. (VII und 344 ©.) Leipzig, Fr. Branditetter, 
1855. Geh. 24 Bar. 

Dies Schriftchen enthält folgende neun Abhandlungen: 1. Ueber 
Charakterbildung und Standeserziehung. 2. Bon hriftlicher Stinderzucht. 
3. Das anfchauende Denken. 4. Wollen und Thun. 5. Von der Macht 
des Beifpield. 6. Bon den praftifchen Begriffen und ihrem Verhaͤltniß 
zur Gemüthsbildung. 7. Vom Gedächtniß. 8. Ueber die Spiele und 
Spielfteudigfeit unferer Zugend. 9. Bon der Einbildungskraft und 
aͤſthetiſchen Bildung. 

Diefe Abhandlungen wurden großen Theils zuerft in den „Illuſtrir⸗ 
im Monatsheften‘‘ mitgetheilt und dort gern gelefen. Dies und der 








652 Allgemeine Paͤdagogik. 


Umſtand, daß alle Auffäbe von einer Grundidee, „der chriſtlichen Kinder, 
zucht,“ durchdrungen find, beflimmten den Berf., fie zu einem befonderen 
MWerfchen zu verarbeiten und erſcheinen zu laſſen. Daran bat er fehr 
wohlgethban. Mögen diefe Auffäge auch in den „Illuſtr. Monatsheften‘‘ 
bereits ihren guten Nutzen gehabt haben; in der jeßt vorliegenden Ger 
ftalt find fie doch erſt dem Publikum zugänglih, das ſich am meiften 
für die Erziehung intereffirt, — den Lehrern. 

Wie die Meberfchriften einigermaßen erfennen laſſen, behandeln die 
Auffäge lauter wichtige Gegenflände, über die gar Mancher, von dem 
man’s erwarten follte, noch nicht im Neinen if. Die Behandlung ders 
felben ift methodifh; fie gebt vom vollen, conereten Leben aus und 
führt den Lefer nach und nach auf einen freien Standpunkt, „wo er im 
Befip des Prinzips den Stoff felber beherrſchen lernt. Dies ift, wie 
wir ſchon bei Körner’s „Erziehung der Knaben’ andeuteten, der einzig 
richtige Weg, den Laien, bier die Eltern, zum Berfländniß allgemeiner 
Erziehungsgrundfäge zu verhelfen. Nur derartige Auffäpe find von 
wirflihem Werth für das größere Publikum, nicht gedrängte Ueberſich⸗ 
ten. In den Hauptfachen finden wir ung mit dem DBerf. in Uebereins 
fimmung und empfehlen daher das Büchlein Lehrern aus voller Webers 
zeugung. Nur in der zweiten Abtheilung fließen wir auf einen Ges 
danfen, der uns nicht gefällt und deffen Widernatürlichkeit fi in neuſter 
Zeit (man denke an die Vorgänge in Baiern!), nah Erſcheinen des 
Büchlein, recht deutlich herausgeflellt bat. Seite 59 fagt nämlich der 
Berfaffer: ‚Leider fehlt uns Proteftanten die Kirhenzudt der Ka⸗ 
tholifen und ihr kärchlicher Organismus, der alle fubjectve Willkür 
in firenge Schule nimmt und aud für die Kinderzucht äußerſt heilſam 
wäre. Möchten die Proteflanten für alle Zeiten vor foldyer „Kirchen⸗ 
und Kinderzucht‘’ bewahrt bleiben! 


22. Die organifhe Erziehungspflege. Aus dem Gefihtöpunfte Der 


Gefundbeit, wvaleih mit Beziehung auf Seldfterziehung dargeftellt. Bon 
8 3. Echnell. Gr. 8. (VII und 207 S.) Leipzig, ©. Mayer. 1856. 
20 Ser. 


Der Berf. ftellt als Ziel aller Erziehung und Bildung die Ger 
-fundheit der Seele hin und findet das Vorbild dazu in der Perſon 
Sefu. Durch diefen Zujag verliert die Erklärung das Unbeſtimmte, 
woran fie fonft leiden würde, fällt aber nun auch mit Feſtſtellungen zus 
fammen, die fhon Andere gemadt haben. Da die gefunde Seele einen 
gefunden Körper vorausfegt, fo macht der Berf. dieſen natürlich auch 
zum Gegenftande feiner Belehrung. Demgemäß handelt fein Buch im 
erften Sauptabfchnitte von der „geſundheitlichen Pflege des Leibes,“ im 
zweiten von der „gejundheitlichen Erziehungspflege des perfönlichen Lebens.‘ 
Die leptere Ueberſchrift Mingt etwas gefchraubt und weicht unnöthigerweife 
vom Herkommen ab. Ein großer Theil der Schrift ift anderen Werken 
über diefen Gegenftand woͤrtlich (mit Angabe der Quelle) entlehnt, ein 
Berfahren, das zwar leicht ift, aber weder für den Verf. noch für das 
Buch einnimmt. Das Entlehnte iſt gut, mehrfach aber durch des Ber» 
faſſers Darfellung matt verbunden. Schriften diefer Art blieben am 





Allgemeine Pädagogik. 653 


beten ungefchrieben. Damit wollen wir indeß nicht fagen, daß nicht 
Anfänger im Erziehungsfache manches Nüblihe aus bemfelben werden 
lernen koͤnnen. 


23. Erziehungs-Mefultate. Geſchichten, Eharakteriftiten und Bilder nad 
dem Leben. Ein Beitrag zur praftifchen Erziehung für Eltern und andere 
Erzieher. 8. (VI und 286 S.) Hannover, 2. Ehlermann. 1857. 26% Sgr. 


ı Zu den unentbehrlichften Kenntniffen für Lehrer und Erzieher ges 
hören die pfychologifchen, da fie es vorzugsweife find, melde zur richtis 
gen Erfenntniß der Kindesnatur führen und namentlich bie zwedmäßige 
Anwendung geeigneter Erziehungsmittel möglihd machen. ine Reibe 
von Fehlariffen würde in Schule und Haus unterbleiben, wenn pſycho⸗ 
logiſche Kenntniffe weiter verbreitet wären, als fie es wirklih find. Von 
einem Lehrer follte man diefelben überall verlangen Fönnen, auch von 
dem angehenden. Leider gefchieht aber für die VBorbildung der Lehrer 
nach diefer Richtung Hin nur fehr wenig, und es bleibt ihnen daher ein 
großes und nicht fo gar leichtes Feld für das fpätere Selbſtſtudium 
übrig. Auf welche Weife dies am erfolgreichften auszuführen fei, können 
wir hier nit anseinanderfeßen, empfehlen jedoch dafür Dreierlei: 
1. ſorgfältigſtes Beobachten der Kinder, wie überhaupt der Menichen, 
nach ihrer Denk⸗ und Handfungsweife ihren Neigungen; 2. fleißiges 
Lefen von gelungenen Biographien, befonders folhen, die den Einfluß 
der Erziehung, der rechten wie der verkehrten, Mar darthun, und 3. bes 
fonnenes Studium eines guten, möglich praktifchen Werkes über Pſy⸗ 
hologie, da die beiden erfien Mittel nicht Jedem zu der nöthigen Klars 
beit verheifen. | 

Für Nummer 2 find bie bier angezeigten „Erziehungs⸗Reſultate“ 
ein ganz vortreffliher Beitrag, deren aufmerkfames Leſen Eltern und 
Lehrern angelegentlichft empfohlen wird. Der ungenannte Verf. iſt ein 
einſichtsvoller Pädagog und namentlich ein gereifter Menſchenkenner. 
In 15 ſehr anfprechend dargeftellten Lebensbildern, von denen 10 aus 
der unmittelbaren Erfahrung des Berfaffers entnommen, die übrigen 
5 nad größeren biographifchen Werfen bearbeitet find, werden geluns 
gene und mißlungene Erziehungsverfahren dargelegt und in allen Stadien 
fo weit zergliedert und aufgededt, daß dem denkenden Lefer Fein Zweifel 
über ihre Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit bleibt. Eine foldhe Bes 
bandlung fann den Lefer nur fördern, und wir machen daher nochmals 
die Lehrer auf diefe Schrift aufmerffam und theilen fchließlih den Ins 
balt derſelben mit. 

1. Die Macht der Erziehung (Prof. K. Witte in Halle), 2. Der 
Egoismus des Berflandes. 3. Karl von Hohenhaufen. A. Deſpotie 
der Mutterliebe. 5. Ein Sprach» Genie. 6. Doch nur ein Driginal. 
7. Sechs Worte. 8, Eine theure Erziehung. 9. Die Furchtſamkeit 
der Kinder. 10. Antipathien des Geſchmacks bei Kindern. 11. Liebe 
oder Furcht. 12. Ein Verbot. 13. Maulfchelle und Ohrfeige. 14. Friedrich 
Augun Wolf, der Philolog, als Lehrer und Erzieher. 15. Der Sohn 
eines berühmten Mannes. 





654 Allgemeine Pädagogik. 
24. Die Gebrechen der bisherigen Bildung bed weiblichen Se— 
Neindhzl. 


ſchlechts und der Weg zur Heilung. Von Dr. Fr. von 
Gr. 8. (48 S.) Nürnberg, Ebner'ſche Buchhandlung. 1854. 4 Sgr. 


25, Grundlage zur zeitgemäßen Bildung des weibliden Ge- 

ſchlechts. Don Dr. Fr. von Reinöhl. 1. u. 2. Thl. Gr. 8. (52 u. 

147 ©.) ÜEbendafelbfi. 1855. 18 Egr. 

Die erfte diefer beiden Schriften bezeichnet der Berf. als Vorläufer 
der zweiten, auf die mehrfach darin als auf ein „großes Werk“ über 
„das ganze weibliche Unterrihtss und Erziehungswefen in ſyſtematiſchem 
Zufammenhange” hingewiefen wird. Seine Abfiht mit bderfelben gebt 
dahin, zu zeigen, daß faft nirgends in Deutfchland und namentlih in 
Defterreih, dem Baterlande des Verfaſſers, das Rechte gefchieht in Des 
treff der Bildung der Mädchen. Nur das Anftitut der Sofenbine 
Stadlin in Zürih und das nah demfelben eingerichtete der Doris 
Lütkens in Hamburg findet Gnade oder wird vielmehr für muſter⸗ 
gültig erflärt. Mit jener als Erzieherin allerdings fehr tüchtigen Dame 
findet fi der Verf. in pädagogifcher Beziehung in voller Uebereinſtim⸗ 
mung. Sagte der Verf. niht am Schluß feiner „Grundlage,“ daß er 
„feine pädagogifchen Prinzipien lediglich aus feiner philofophifch- 
biforifhen Erkfenntniß gewonnen und vermöge feiner Welt» und 
Menſchenkenntniß den beftehenden Verhältniffen angevaßt habe,’ fo wären 
wir vielleiht auf die Vermuthung gekommen, er verdanfe fein pädagos 
gifches Wiffen, wenigftens fo weit, als es die Mädchenſchule betrifft, 
vorzugsweife der Stadlin. Die Höhe indeß, auf der der Berf. fi 
fühlt, weift dergleichen Annahmen als höchſt unangemeffen, ja beleidi⸗ 
gend, fofort zurüd. 

Die erfte der genannten Schriften zerfällt in vier Abfchnitte mit 
folgenden Ueberfhriften: 1. Die Familie in ihrem Berhältniffe zum 
Staate 'und der Beruf der Frauen. 2. Die Gebrechen der bisherigen 
Bildung des weiblichen Geſchlechts und der Urheber derfelben. 3. Der 
Meg zur Heilung. A. Durch wen follen die Mädchen gebildet werden ? 

Die zweite Schrift befteht aus zwei Theilen, von denen der erfle 
auf 52 Seiten „die wahre Bildung des weiblichen Geſchlechts“ behan⸗ 
deit, der zweite einen „Entwurf zur zeitgemäßen Organifation der weibs 
lihen Bildungsanftalten in den deutſchen Etaaten‘‘ enthält. 

In beiden Schriften verlangt der Verf. mit aller Entichiedenheit 
eine höhere Bildung des weiblihen Geſchlechts, verwahrt fich jedoch dabei 
ausdrüdlih vor unpraftifhem Wiffen, will auch das Mädchen durchaus 
nicht der Häuslichfeit entfremdet fehen. Dennoch verlangt er, daß in 
den Anftalten für höhere weibliche Bildung neben den gewöhnlichen 
Wiffenfhaften, neben Deutfh, Franzöfiſch und Englifh auch noch ana» 
Intifhe Logik und Philofophie gelehrt werden ſolle. Seinem Plane 
gemäß fol der Staat vier verfihiedene Arten von Mädcenfchulen erridys 
ten laffen: 1. Elementarſchulen, mit Cinfhluß der Kleinkinderſchulen, 
2. Hauptſchulen, 3. Zortbildungsfchulen und A. Landes⸗Inſtitute. Die 
drei erften follen zufanımen die „weibliche Volksſchule“ bitden, letztere 
die „höheren weiblichen Bildungsanftalten.” Die Kleinkinderſchule foll 


L ) 





Allgemeine Pädagogik. 655 


die Kinder vom 4. Bis zum 6., die Elementarfchule bis zum 10., die 

Sauptichufe Bis zum 14., die Fortbildungsfähufe bis zum 16., das 

Landes» AInftitut bis zum vollendeten 19. Lebensjahre enthalten. Die 

letztere Anflalt dient gleichzeitig zur Bildung von Lehrerinnen. Sobald 

Lehrerinnen ausreichend vorhanden find, follen in den Elementar⸗ und 

Hauptſchulen nur Lehrerinnen wirfen, in den Fortbildungsfchulen und 

den Randes-Inflituten neben denfelben einige Fachlehrer. Die Lehrerinnen 

ſollen mit den Schülerinnen in den Klaffen aufrüden, daber alle in 
gleichem Range und Gehalte flehen. 

Räder auf den Inhalt diefer Blicher einzugeben, tft uns nicht mög» 
lid. Wir erfennen gern an, daß der Berf. in denfelben manchen yuten 
Gedanken ausfpricht, Lönnen ihm indeß in mehreren Hauptpunften nicht 
beiſtimmen. Schon feine Bliederung der Mädchenſchule ift eine künſtliche 
und dürfte fih hochſtens in großen Städten einigermaffen durchführen 
laſſen. Im Landes-Inflitut treten Unterrichtögegenflände auf, die dem 
Mädchen ganz fern liegen, ihm zum Theil gar nicht zugänglich, auch nicht 
zuträglih find. Sehr unangemeflen und dem Gedeihen der Mädchens 
fhulen gar nicht förderlich, haften wir die Forderung, den Unterricht 
vorzug sweiſe Lehrerinnen anzuvertrauen; nad unferem Dafürhalten 
muß aus mehrfachen Gründen ein umgekehrtes Verhältniß fattfinden. 
Große Schwächen bietet der methodifche und ditaftifche Theil der ‚„‚Orunds 
lage‘ "dar. Hier wird der Hochmuth, der fih im „Schlußwort“ in der 
Aeußerung Tund giebt, der Verf. habe feine Einfihyten und Erfenntniffe 
nicht von „der dürren Anfchanungsweife eines trodenen, handwerksmaͤſ⸗ 
figen Schulmeiſterthums entlehnt,“ nad Gebühr beftraft. Der befchränfte 
Praktiker wird freilich niemald umgeftaltend auf das Schulweſen einwirken, 
der bloße Phitofoph aber noch weniger. Nur Bildung und Erfahrung 
fiihren Bier, wie überall zu erwünichten Ergebnifien. Wir würden viel 
Raum gebrauchen, wollten wir Alles zur Sprache bringen, was naments» 
lid) im zweiten Theile der „Grundlage“ der Berichtigung bedarf. Auch 
des Berfaflers Kenntniß der pädagogifchen Literatur fcheint eine fehr mans 
gelhafte zu fein. \ 

26. Ueber weibliche Erziehung von Hanna More (Aus ihrem 
„edsays on varıous subjects.“) Aus dem Engliſchen überfept und mit 
einer Winfeitung über den gesenpa en Stand der Literatur über weibliche 
Dädagogil begleune von Dr. Robert König, Rector der Cäcilienſchule in 
Oldenburg. SeparatsAbdrud aus dem Programm der Bäcilienfchule für 
1856. 8. (72 ©.) Oldenburg, G. Stalling. 1856. 7, Gar. 

In der Einleitung verbreitet fih der Verf. mit Sachkenntniß über 
die neueren Schriften über Töchterfhulen. Er bezeichnet die DBerfaffer 
derfelben nach ihrer Stellung zu diefen Schulen als Gegner, wahre und 
falfche Freunde. Es werden aufgeführt als: 

a. Begner der höheren Töchterfähulen: 

1. Karl v. Raumer in feiner Schrift: „Die Erziehung der 
Mädchen.” 

2. Riehl im 3. Bande feines Werkes: „Die Familie.‘ 

8. Der unbefannte Berfaffer (Wolfgang Menzel) des Auffapes: 


656 Allgemeine Padagogik. 


„Biber die höheren Töchterfähulen” in dee Cotta'ſchen Bierteljahrsfigrift 
(1855, 4. 9.) und des ähnlichen in der Augsb. Allg. Zeitung (1856, 
Mr. 28, 29). 

4. Dr. Fr. Joahim Günther in feinen ‚Briefen an eine Mut⸗ 
ter über die wichtigen Mängel in der jegigen Erziehung der Töchter 
höherer Stände‘ (1851), jedoch mehr der Vollſtändigkeit und Curioſi⸗ 
tät wegen.‘ 

b. falfhe Freunde: 

1. Dr. $r.9. ReindöhL in den eben von uns befprocdhenen Schriften. 

2. Bari Froͤbel nebſt Battin, den Vorſtehern der (in Hamburg 
errichteten, aber bald eingegangenen) „Oochſchule für Mädchen.‘ 

3. Zulie Buromw, weil fie in dem oben angezeigten Werke un« 
verheiratbete Zrauenzimmer als Uhrmacher, WBundärzte, Poſterpedienten 
2. zulaſſen will. 

c. wahre Freunde: 

1. Palmer, troß mancher von bdemfelben in feiner Pädagogik ger 
äußerten Bedenken. j 

2. Bormann und Merget in Berlin. 

3. J. G. Meier und Dr. A. Meier, Bater und Sohn, in Lühed. 

4. Dr. Seinede in Hannover. 

5. Dr. $riedländer und Dr. Shornflein in Elberfeld. 

6 Dr. Kühner in Frankfurt a. M. 

7. Rofa Fiſcher in Breslau. 

8. Die Berfafferin des Buches: „Die Frauen und ihr Beruf,” 
Srankfurt, 1856 (Frau Büchner in Darmfladt). 

9. Das Preußifhe Unterrichtsminiferium. 

Die beiden überfepten Abhandlungen haben die Weberfchriften: 
1. Gedanfen über die Bildung des Herzens und Gemüthe in der Er- 
ziehbung der Töchter. 2. Ueber die Wichtigfeit der Religion für den 
weiblichen Charakter. Sie find mil @infiht und Wärme gefchrieben und 
können als recht lefenswerthe Beiträge zur Erziehung der Mäpchen bes 
zeichnet werden. 


27, Die Grglehung ber Mädchen. Bon Karl von Raumer, fi. 8. (VII. 
u. 184 6.) Stuttgart, S. G. Lieſching. 1853. 

Diefe Schrift if ein Separatabdruck aus der 2. Abtheilung des Ill. 
Bandes der „Geſchichte der Pädagogik’ des Verfaſſers. Sie behandelt 
diefen wichtigen Gegenſtand ausführlich, doch nicht weitfchweifig, befpricht 
die Hauptſachen in anregender Weife, hütet fih aber in richtigem Xafte 
vor dem Aufftellen abflracter Erziehungsregeln.. Stimmen wir aud mit 
dem Berf. nicht in allen Einzelheiten überein, wie 3. B. darin, ſchon 
nach dem 3. Lebensjahre das Einüben des Luther’fhen Katechismus zu 
beginnen, müflen wir auch Manches von dem Gefagten als Webertreibung 
bezeichnen, fo dürfen wir das Buch dennoch Müttern als eine lehrreiche 
Lectüre bezeichnen. 

Des Berfafferse Stellung zu den höheren Töchterfäulen if fchon 
vorher berührt worden. Er proteflirt eigentlich gegen alle Schulen für 


Allgemeine Pädagogik. 657 


Madhen und will nicht nur. Die Häusliche Erziehung, fondern aud einen 

großen Theil dee Unterrichts in die Hand der Mütter gelegt wiſſen. 

Diefe Anfiht halten wir weder für richtig, noch für ausführbar. Das 

Mädchen, das dereinft als Frau für den Mann eben foll, darf nicht 

ohne mannlichen Einfluß auf feine Bildung aufwachſen. 

28. Briefe über fragen aus dem Gebiete weibliher Bildung 
und weiblichen Eebens für Frauen, Zungfrauen und Alle, welde ſolchen 
—* Aufmerkſamkeit ſchenten. Bon 9 ard Sch orntein Dixector der 

ädtiſchen höheren Toqterſchule zu Elberfeld. 8. S.) Elberfeld, Bäde⸗ 

ker'ſche Buchh. 1857. geh. Ya Thlr. 

Der Verf. beabſichtigt, in einer Reihe von Briefen die Bildung der 
weiblichen Jugend zu behandeln, um über dieſen wichtigen Gegenſtand 
nad Kräften Licht zu verbreiten. Er wendet ſich in denfelben zunaäͤchſt 

an die Mütter und Jungfrauen, wünfcht jedoch auch die eigentlichen Paͤ⸗ 
dagogen dafür zu intereffiren. Die drei Briefe, welche das vorliegende 
erſte Heft enthält, find vorzugsweiſe an diefe gerichtet, da fie Fragen 
berühren, welche in jüngfer Zeit namentlih von Gegnern der höheren 

Töchterfchulen aufgeworfen worden find. Der erfte Brief beſpricht: „Die 

rechte Bildungsfchule für ein Mädchen,’ der zweite: „Die Zöchterfchule 

und ihre Gegner,’ der dritte: „Die PBenflonen.‘’ 

Bie andere Pädagogen der Gegenwart, fo verlangt aud der Berf. 
eine gründlichere Bildung für die Töchter, als fie früher gewährt wurde, 
verwahrt fih jedoch vor Ueberſchwenglichkeiten. Ohne feſte Grenzpunkte auf⸗ 

zuſtellen, verlangt er, daß der Unterricht in Sprachen und Wiſſenſchaften 
weit geführt werde, als er ein allgemein menſchliches Intereſſe hat 
und dazu dient, die Seele über fich jeibk, über Gott, Natur und das 

Berhältniß zu andern Menſchen Mar zu mahen. Mit überzeugenden 

Gründen wird nachgemiefen, daß zur vollen Löfung diefer Aufgabe das 

Gamilienleben, wie es ſich gegenwärtig meiſtens findet, nicht ausreicht, 

und die Penfionen in der Regel fatt wahrer Bildung äußere Politur 

darbieten. Nur vom Sufammenwirken einer guten Toͤchterſchule mit der 

Zamilie erwartet er Heil, worin wir ihm völlig beifliinmen. In den 

beiden erfien Briefen, namentlich aber im zweiten, bemüht ſich der Verf., 

Alles zu widerlegen, was Karl v. Raumer, W. Menzel, Riehl u. U. 

gegen die Töchterfihulen vorgebradht haben. Es geſchieht mit Ruhe und 

Humanität und fo überzeugend, daß wir die Gegner für entwaffnet halten. 
Im Intereſſe der guten Sache wünſchen wir, daß der Verf. forts 

fahren möge in der Edition von Briefen über die Bildung der Zöchter. 


29. Briefe über weiblihe Bildung. Ein Hülfsbädhlein für gebildete‘ 


Mütter und Erzieherinnen, von wepdie” Alberg. Zweite, verbefierte Aus» 
gabe. 8. (IV. u. 172 S.) Leipzig, 3. C. Heinriya’fche Buchh. 1856. geh. 
gr. 

Die Borrede diefer Briefe datirt aus dem „Sommer 1852’; wir 
haben es fonady wohl nicht mit einer „zweiten, verbeſſerten,“ fondern nur 
mit einer ZitelsAusgabe zu thun. Wir wünfchen, daB die Berlagshands 
lung ihren Zwed, von Neuem auf das Büchlein aufmerffam zu machen, 
erreichen möge, da ed ohne Frage zu den beſſern über weibliche. Bildung 

Nacke, Jahresbericht. X, 42 





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658 Allgemeine Paͤdagogik. 


gehört. Wie in der Schrift der Zul. Burow, fo if au Hier anf Ulles 
Rüdfiht genommen, was die häusliche Erziehung Beachtenswertbes dar- 
bietet. Ueber den öffentlihen Schulunterricht dagegen verbreitet ſich bie 
Berfaferin nit, alfo natürlih auch nicht über die Frage: ob höhere 
Toͤchterſchulen, oder niht? Das Weſentliche der weiblihen Bildung be 
ruht nah der Berfaflerin viel weniger auf einem befimmten Umfange der 
Kenntniſſe und Fertigkeiten, als auf ihrer zwedmäßigen Gefaltung zu eis 
nem harmoniſchen Ganzen, anf ibrer Berwendung für Kopf und Herz, 
für das praftifche Leben. Richtiges Denken, zarte Empfinden, reines 
Wollen, pflichtmäßiges und geſchicktes Handeln, Züchtigkeit für vericier 
denartige Berhättniffe wird als Zwed der Bildung hingeſtellt. Ernfiid 
verwahrt fih aber die Berfafferin vor der Anfiht mancher Männer, daß 
eine höhere Bildung der Töchter unnäß oder gar ſchädlich fei, da fie 
Anfprüche bervorrufe, die fpäter felten befriedigt werden könnten. Aus 
der Beſtimmung des Mädchens ale Battin, Hausfrau und Mutter weift 
fie nach, daß diefelbe one genfgende Bildung nicht zu erreichen fei. 

Wir empfehlen das Schriften jungen Müttern ımd Erzieherinnen. 
30. Schule und Xeben. Blätter aus der Briefmappe einer Erzieherin. Bon 

Saroline Günther. 8. (188 ©.) Kranffurt a. M., 3. D. Sauerländer. 

4 T. 

Die Berfafferin if, wie ſchon der Titel fagt, Erzieherin, Borfteßerin 
einer Erziehungsanflalt. Sie läßt fih von ihren ehemaligen Schülerin, 
nen oder auch von deren Eltern Briefe fchreiben und darin Rath erbitten 
über mannigfahe Angelegenheiten bes Lebens: über das Berhalten gegen 
eine Stiefmutter, gegen eine Tochter, die immer nur ihrer Vernunft fols 
an, nie Rückſicht auf die Verhältniffe nehmen will, eine leidenfchaftliche 
Romanleſerin u. f. w. Ihre Antworten darauf zeigen von eben fo großer 
Einfiht, als Erfahrung und Wohlwollen; man lief diefelben mit Ver⸗ 
gnügen und fegt fie zuftimmend aus der Hand. 

An mehreren Stellen weift die Berfafferin auf die Nachtheile bin, 
welche aus der Berfürzung der Bildungszeit für Mädchen entfliehen. „Bis 
zum vierzehnten Jahre, heißt es S. AT, kann ein Mädcdyen — Ausnah⸗ 
men abgerechnet — nur lernen, bis zum fechszehnten muß es gebil⸗ 
bet werden, von da ab kann es mit guter Grundlage und in gimflis 
gen VBerhältniffen fich felber bilden.’ In der Sache flimnen wir bei, 
nicht aber in der Unterfheidung von Lernen und Bilden und der Ab⸗ 
grenzung Beider. Zur Erlangung richtiger Bildung fcheint Die VBerfafferin 
den Aufenthalt in einer Benfionsanftalt für am angemeffenflen zu erach⸗ 


ten. Darin fünnen wir ihr nur für ſolche Fälle beipflihten, wo es im 


Wohnorte der Eltern felbft an ausreichender Gelegenheit zu gutem Un⸗ 
terricht fehlt, oder wo die Familienverhäftniffe unglücklicher Art find. 

Hiervon fünnen wir indeß von diefem fonft trefflihen Buche ganz 
abfeben. Die fehler, welche e8 behandelt, fommen ohne Zweifel in vielen 
Familien der höheren Gefellfchaft vor, und ihnen, ebenfo auch Erzieherin« 
nen, fei das Werkchen beftens empfohlen. 


31. Die Frauen und ihr Beruf. Emm Su der weiblichen Erziehung. In 
zufammenbhängenden Auffäpen niedergefchrieben von Frauenhand (Konife 


Allgemeine Bädagogit. 659 


WBäüchuer in Derutabt). Bweite, vermehrte Auflage. 16. (IX, u. 189 ©.) 

Srayffurt a. M., Meidinger Sohn u Co. geb. 24 Ser. 

Diefe Schrift liegt ung nit vor. Sie wird aber von Diefterweg 
in den Rh. Bi. (Jahrgang 1856, Zul. bis Aug., ©. 97) als eine 
vorzügliche lebhaft empfohlen. Die einzelnen Aufläge darin haben fols 
gende Weberfchriften. 1. Bleichberechtigung des Mädchens mit dem Kna⸗ 
ben in der Erziehung. 2. Segen der Arbeit. 8. Erziehung für das 
Haus. A. Die geiflige Erziehung. 5. Das gefellige Leben. 6, Ber 
kehrte Richtungen. 7. Die Inſtitute. 8. Die Ehe. 9. Die Unverheis 
raihete. 10, Die Mutter und Gattin. 11. Das Weib. 

32. Schuldisciphin, befonders zum Behuf der flttliden Hebung der Schul⸗ 
jugend dargeftellt. Für Lehrer an Bolföfchufen, höheren Bürgerfchulen, 
Gymnaſien uud Inftitutm. Bon D. Fr. rufe, Danebrogsmann, Lehrer 
am Königl, Taubſtummen⸗Inſtitute in Schleswig. gr. 8. (VIII. u, 183 ©.) 
Leipzig, 8. Mayer. 1857. geb. %s Thlr, 

Die Schuldigeiplin if das Kreuz vieler Lehrer und der Hemmſchuh 
ihrer Wirkſamkeit. Inconfequente Lehrer mit fchüchternem Blid tragen 
lebenslang daran, werden auch durch die beſten Anmweifungen darüber 
nicht gebeffert. Wegen der großen Wichtigkeit des Gegenftandes follte 
aber fein angehender Lehrer unterlaffen, wenigſtens einmal ein tüchtiges 
Bud über Schuldisciplin ernſtlich zu fudiren; er ift das fich und feiner 
Schule ſchuldig. das hier genannte fann für dieſen Zwed empfohlen wers 
den. Die Grundfäge, von denen der Berf. ausgeht, verdienen Billigung. 
Hier und da hätten, wir gewünfcht, daß derfelbe noch ſpecieller geworden 
wäre, Fälle aus der Praxis zur Sprache gebracht und deren Behandlung 
gezeigt hätte. Dadurch würde fih das Werk gewig auch zu jeinem 
Bortheil mehr von feinen Vorgängern unterjhieden haben, als es jept 
der Fall if. 

Die Unordnung des Materials möge man aus folgender Ueberſicht 
entnehmen. 

Einleitung Erfer Abſchnitt. Meine Disciplinar » Lehre. 
Bom Weſen der Schulzucht. A. Lehre vom Weien der Schulzucht. B. 
‚Befärberungamittel: einer gedeiblihen und wirkſamen Schulerziehung. 
©. Leitende Rorm bei dem disciplinarifchen Verfahren. D. Bon den 
allgemeinen. Dieciplinar » Mitteln. EB. Bon den äußeren Bedingungen 
einer gedeihlichen und wirkffamen Schulzucht. Zweiter Abſchnitt. 
Ungewandte Disciplinarsehre. Bon der Behandlung einzelner ſittlicher 
Gebrechen ober Gharakterfehlen der Schulkinder. 


IH. Schriften über Erziehung und Unterricht. 


33. Einleitung in die allgemeine Pädagogik. Bon Tuiseo Ziller, 
Brivatdocenten an der Univerfität Leipzig. gr. 8. (VLII. 4. 108 ©,) Leipzig, 

B. &, Teubner. 1856. 15 Sgr. Bu 
Diefe Schrift fol eine Darfellung der allgemeinen Bädagogit nad 
Herbart’igen Grundfägen vorbereiten, verfolgt alfo mit der oben be— 
fprochenen Stoy’jgen „‚Hauspäbagogif’’ diefelbe Richtung, Der Berf. 
| | 42° - 








(660 illlgameine Paͤdagogik. 


bezeichmet ſie als, Cinleitung in die allgemeine Padagogik3“ Dit. einzelnen 

Haupttheile dieſer Wiſſenſchaft gedenkt er fpäter gefondert zu bearbeiten. 
. Die Euiehung des Böglings iR das Thema, weldes der Berf. 

‚nach. allen. einfigläglichen Beziehungen .in folgenden 24 Baragraphen hrs 

handelt. 

.. 44 Begriff der Erziehung. 2. Bildfamkeit des Zöglinge. 3. Der 
Fatalismus und die Lehre von der ıranscendentalen Freiheit. A. Einheit 
des Erziehungezweds. 5. Die Hülfewiſſenſchaften der Pädagogik. 6. Die 
Erfahrung... 7.. Der Tact. 8. Schranken, die vor der Erziehung im 
Zöpling liegen. 8. Die Seele und die angehorne Anlage 10 De 
Drganismus und die angeborne Anlage. 11 Die erworbene Raturan 
lage 12. Weitere Urfachen der Unbefimmbarfeit des, Böglinge. 13. Ein 
fluß auf die Grundſätze des Erziehers. 1A. Praktiſche Geſichtspunkte 
in Bezug auf’ die Schranken der Erziehung. 15. Manieren der Erzie⸗ 
bung. 16. Die verfchiedenen Vorftellungsmaffen. 17. Anderweitige Bus 
ſtaͤnde der Borftellungsmaflen. 18. Die Sprache. 19. Grund der Bild 
famfeit und ihre Abnahme. 20. Nothwendigkeit der Erziehung. 21. 
Seibftftändigkeit des Zöglinge. 22. Anfchließen an den Einzelnen. 
23. Die Tugend. 24 Der befondere Inhalt der Pädagogif. 

Die Darftellung ift gedrängt, zumeilen knapp, frei von aller Weit 
ſchweifigkeit und Abjchweifungen, befriedigt daher den geübten Denter, 
weniger den Anfänger. Aus diefem Grunde empfehlen wir es den Pi 
dagogen von Zach, weniger der großen Zahl der praftilchen Lehrer. Uns 
ſprechend if die Milde und Ruhe, mit weldher der Berf. abweichende 
Anfichten beurtheilt; man fühlt e8 jedem Abfchnitt an, daß es fich nur 
um Ermittlung der Wahrheit handelt. 

34. Buch der Erziehung Die Gerfepe der Erziehung und des Unterrichts, 
genründet auf die Raturgefepe des menſchlichen Leibes und Geiftee. Briefe 
an Eltern, Lehrer unb- @rzieber von Dr. Schmidt. Mit 8 Hoelz⸗ 
fgnitten. gr. 8. (XIV u. 536 &.) Köthen, Schettler. 1854, 2. Zhlr. 
"Bas der Berf. in den oben befprochenen „Briefen an eine Mutter” 

- in gedrängter Darftellung giebt, bietet ex in dieſem größeren Werke aus- 

-führlih dar. Beſonders ausführlihd und nach den neueren Korihungen 

fi der anthropologiſche Theil bearbeitet; Doc wird natürlich auch der 

"Entwidelung und Bildung des Geiftes ihr volles Recht. Wir billigen 

diefe Berückſichtigung der Unthropofogie fehr, da es ganz unzweifelhaft 

iR, daß unfere Erkenntniß des Geiſtes ohne Kenntniß des Körpers mans 
gelhaft bleibt. Ueberdies hat ja der Erzieher auch fein Augenmerk auf 
die Entwidelung des Körpers zu richten, befonders die Mutter. Die 

Darftellung des Verf. ift ſehr anregend; nicht leicht wird Jemand das 

Buch wieder auf die Seite legen, nachdem er einige Briefe gelefen hat. 

‚Hier und da gebraucht der Berf. eigenthümliche Wendungen, bildet auch 

wohl neue Wörter, um recht entfprechend auszudrüden, was er tiefinner- 

lih empfindet. Wir können nicht gerade fagen, daß er hierdurch feinen 

Zweck, recht verfkändlich zu werden, beffer erreicht, als wenn er ſich über 

all der gebräuchlichen Darfellungsformen bedient hätte; aber Nachtheil 

AR daraus dem Buche auch in einer Weiſe erwachien. 


N 





Allgemeine Pädagogik. 661 


Um eine Borftelung vom Inhalte und ber Anordnung des Ruches 

I geben, laſſen wir hier noch die Weberichriften der Hauptabſchnitte 
olgn. 
1. Ratur des Erziehers und Begriff der Erziehung. 2. Erziehung 
im Mutterleibe. 3. Erziehung des Verdauungs⸗, Bluts und Athem⸗ 
foftems. 4A, Erziehung des Nerven», Sinness und Bewegungsinftems. 
5. Erziehung der Temperamente. 6. Erziehung ded Denkſyſtems. 7. 
Erziehung des Gefühlsforeme. 8. Erziehung. des Wollensfufeme, 9. 
Knaben⸗ und Mädcenerziebung. 10 Erziehung der Individualität. 

Wir empfehlen das Bud. J 

35. Schulkunde für evangeliſche Volkeſchullehrer auf Grund der 
Preußaſchen Regulative vom 1., 2. u. 3. October 1854 über Cinrich⸗ 
tung des evangeliſchen Seminarz, Präparanden⸗ und Elementarſchul⸗Unter⸗ 
richte, bearbeitet von K. Bormann, Provinzial⸗Schulrath zu Berlin. 
®r. 8. 1. Ihell. Dritte, unveränderte Auflage. (VIII u. 213 ©.) 

24 Sgr. 2. Theil. Linterrichtöfunde. Zweite, unveränderte Auflage. 

Berlin, Wiegandt und Griechen. 1856. 20 Ser. ' 

Bormann's Schul⸗ und Unterrichtsfunde ift gleich bei ihrem Er⸗ 
(deinen als authentifche Auslegung der preußifchen Regulative betrachtet 
und vou den Behörden auch wiederholt als ſolche bezeichnet worden. 
Außerdem hat das Werk noch die Beſtimmung, dem Unterricht in der 
„Schulkunde“ in den svangelifhen Seminarien zu Grunde gelegt zu 
werden. Daraus. ergeben ih die Gefihtspunfte, von denen aus dag 
Werk beurtbeilt werden muß, wenn man dem Berf. gerecht werden will, 
Eine Bergleihung des Werkes mit frei gearbeiteten, wie z. B. mit 
Graͤfe's deutjcher Volksſchule, Waig allgemeiner Pädagogik u. A., halten 
wir für unflattbaft. 

Bei der Verbreitung, welde das Werk in Preußen gefunden hat, 
iR es unnötbig, bier noch näher auf den Inhalt deffelben einzugehen ; 
e8 genügt die Bemerkung, daß es ganz im GBeifte der Begulative ges 
balten if, fih in der Regel buhfäblih an deren Normen bindet, in 
wenigen Fällen, wie z. B. im Satechismusunterridt, noch hinter den 
Zorderungen derfelben zurüdbleibt. Als Grundlage für den Seminats 
unterricht wird das Buch im Ganzen auch genügen, am meiften, wenn 
die Seminardirectoren fich geftatten, es wenigſtens in einzelnen Theilen 
mit einiger Sreitheit zu behandeln. Wird denfelben diefe Freiheit nicht 
gefattet, dann dürften die Preußifchen Seminare ſchon in wenigen Jahren 
binter der unaufbaltfam fortfchreitenden Entwidelung der Pädagogif zus 
rüdgeblieben fein. , 

36. Katechismus des Unterridts und der Erziehung. Bon Dr. C. 

F. Laudhard, Großherzoglich Sähfifhem Schulratb und vortragendem 

Rath im Gr. Stagtöminifterium, Devart. der zu und des Kultus. 

Mit 40 in ben Text gedrudten Abbildungen. Kl. 8. (VI u. 80 ©.) Leips 

sig, J. J. Weber. 1856. geh. 10 Bar. " 

„Gegenwärtiges Schriftchen, „heißt es in der Vorrede“, foll den 
Berfuh machen, auf dem Wege der Belehrung Eltern und Lehrer 
zufammen zu bringen. Schule und Elternhaus ſtehen fich fern und find 
Ah fremd. Sie werden aber bekannter. mit einander werden, wenn 





662 Allgemeine Paͤdagogik. 


beide Theile erſt willen, was für ihren gemeinſchaftlichen Zweck Arbeit 
und Aufgabe iſt.“ 

„Wenn man au annehmen darf, daß die Aeltern über das Was 
und Wie in der Schule der am wenigften belehrte Theil waren, fo iR 
doch nicht zu verfennen, daß auch manche Lehrer nicht immer ihr Ber 
fum zu überbliden im Stande find und über dem vielen pädagogiſchen 
Lehrbüchern den Wald, wie man fagt, vor Bäumen nicht fehen tönnen. 
Es empfiehlt ſich daher, die Unterrichtsgegenflände und ihre Bebandfung, 
fo wie die vornehmften Erziehungsgrundfäpe furz und Par, auf einem 
natürlichen und, wie zu hoffen, plaufibeln Zundamente aufgebaut, zus 
fammen zu ſtellen.“ 


Läßt fich diefer Doppelzweck überhaupt und auf 78 Seiten Hein 
Dctap, zum Theil angefült mit Abbildungen, erreihen? In Bezug 
auf die Lehrer müflen wir dieſe Frage ganz entichieden verneinen. Schon 
ein flüchtiger Einblick überzeugt, daB das Schrifthen über Unterricht 
und Erziehung nur das Oberflächlichſte, kaum ausreichende Anhaltepunkte 
zur weiteren Grörterung für GSeminariften darbiete. Das wichtige 
Kapitel 3. B. über die „Schulerziehung,“ einfchließlich der jungen Lehrern 
oft fo ſchwer werdenden Diseiplin, wird auf noch nicht gang 5 Seiten 
abgehandelt, die durch einen Holzfchnitt unterbrochen find, ber mit dem 
Zert in gar Teiner Beziehung ſteht, überhaupt ganz entbehrlich war, mie 
die meiften übrigen. Dazu fommt auch, daß in diefem Abfchnitt gleich⸗ 
zeitig von den „Bortbildungss und Handwerkerſchulen“ die Rede if, 
was gewiß Niemand erwartet. .\ 


Die atechetifche Form, deren Handhabung immer etwas fchwierig 
it, tritt dem Lefer ziemlich unangenehm entgegen, da die Mehrzahl 
der Fragen geradezu mufterwidrig ift, andere Antworten, oft fogar 
in größerer Anzahl, zuläßt, als die gegebenen, was in einem Werke 
für Lehrer, für angehende Lehrer, als ein belangreicher Uebelſtand ber 
zeichnet werden muß. Die Mitteilung der drei erften ragen mit ihren 
Antworten wird fchon als Probe genügen, odwohl diefelben noch nicht 
zu den mißlungenften gehören. 

„A1. Wie ift der Beruf des Lehrers zu betrachten?‘ 

„Als etwas überaus Schönes und Herrliches: die Jugend väter 
Iih zu lieben und für das Leben tüchtig zu machen, alfo daß fie 
an Geiſt und Herz flarf werden als wackere Menfchen und gute 
Chriſten.“ 

„2. Bas muß ein guter Lehrer wiſſen?“ 

‚Alles, was er lehren will und noch etwas mehr.‘ 

„3. Borauf zielt dieſes?“ 

„Darauf, daß man auch treu und fleißig lernen müffe, mie man 
das Dargebotene den Kindern beibringe, fo daß ſie's nicht ungern aufı 
nehmen, fondern mit Freudigfeit, damit ihnen die Schule zur Lufl 
werde und nicht zur Laſt.“ 


Der Inhalt ließe fih an verfehiedenen Stellen anfechten, hier um 
da auch die Darſteliungsweiſe. Da wir indeß der Meinung find, dei 


Allgemeine Pädogogit. 663 


Das Schrifichen weder won Eltern noch von Lehrern befonders beachtet 
werden wird, fo flehen wir von einem näheren Eingehen hierauf ab. 
37. Lehrbuch der Erziehung und des Unterrichts ven Dr. 3. S. 
Curtman, Director des Schullebrer: Seminars zu Priebberg. Sechste 
Auflage des Schwarz: Curtman’fhen Werkes. Gr. 8. Griter Theil. 
Die Erziehungslehre. (XXVIL u. 435 ©.) Zweiter Theil. Die Unter⸗ 
richtslehre. (VIII u. 651 ©.) Leipzig und Heidelberg, €. 3. Winter'ſche 
Verlagshandl. 1855. 2/a Thlr. Jeder Theil ift auch für ih zu haben. 
Die Schwarz [he Etziehungslehre iſt durch Diefe dritte, durchaus 
freie‘ Bearbeitung ganz Curtman's Werk geworden. Die verbältniß« 
maͤßig raſche Folge der Auflagen beweift, daß das Publikum dem Werfe 
feine Zuneigung geſchenkt bat. Es verdient diefe Zuneigung aber aud. 
Wie kaum ein anderes, berüdfihtigt e8 den ganzen Schulorganismus, 
von der Kleinfinderfhule bis zur Realſchule, höheren Töchterfhule und 
dem Gymnaſium hinauf, verbreitet fi ausführlid über die Erziehung 
und giebt genügenden Auffchluß über die Behandlung fämmtlicher Unter 
richtögegenftände, auch) der neuern und alten Sprachen. Das Dargebotene 
iſt durchaus praktiſch, Mar in der Darftellung, daher auch fchwächeren 

Kräften zugänglid. Den einzelnen Gegenftänden find zugleich die heffern 

Schriften, hier und da mit furzer Beurtbeilung, hinzugefügt, welche 

weitere Belehrung bieten. Diefem Theile des Werkes hätte vielleicht 

noch etwas größere Aufmerffamfeit gewidmet werden fönnen; man vers 
mißt darin mandes gute Werk; andern begegnet man in alten, nicht 
meber exiftirenden Auflagen; auch auf antiquirte Schriftchen ſtoͤßt man, 
ohne daß hierauf hingedeutet wird. 

Der Standpunft des Berfaflere if ein vermittelnder; man begeg- 
net daher nirgends ertremen Tirtheilen. 

Eine angenehme Zugabe für diefe Auflage if ein fpecielles Regifter, 
da hierdurch der Gebrauch des Buches wefentlich erleichtert wird. 

Das Werk Tann Lehrern aller Schulen, Erziehern und Schulauf⸗ 
febern beftens empfohlen werden. 

38. Evangeliſche Pädagogit von Dr. Ehriftian Palmer, ord. Profeſſor 
der Theologie in Tübingen. Zweite, vermehrte u. verb. Auflage, Gr. 8. 
(VIII u, 732 &.) Stuttgart, 3. F. Steintopf. 1855. Geh. 2'/ Ihlr. 

Schon nah zwei Jahren ift von dieſem Werke eine neue Auflage 
nöthig geworden, ein Beweis, daß es Bielen willlommen war und Der 
jegigen Richtung entſpricht. Die neue (2.), um 32 Seiten vermehrte 

Auflage liegt uns nicht vor, weshalb wir uns auf ein kurzes Urtheil 

über das Wert überhaupt beſchränken. 

Balmer Felt Die Pädagogik vom Standpunfte des „evangeliſchen 

Theologen‘ dar, flieht fe aber nicht bloß als einen Uppendig zur prak⸗ 

tifhen Theologie an, fondern „achtet fie vielmehr als einen nothwen⸗ 

digen Ausläufer der rein Firchlichen Thätigkeit in eine allgemeine menſch⸗ 
lie.‘ Das Evangelium giebt ihm das Prinzip der Erziehung, bes 
fimmt deſſen Zweck und Biel und auch die Art und Weiſe derfelben. 

Er findet das wahre Prinzip der Pädagogik in dem Ausſpruch: daß ein 

Menſch Gottes fei volllommen, zu allem guten Werke geihidt. Bei der 








664° Allgemeine Padagogik. 


Einwirkungaweiſe des Erziehers auf das Kind geht er von dem Stand⸗ 
punkte aus, den ihm die Lehre von der Erbfünde anweif. Neben 
dem durch den Sündenfall in dem Menſchen erzeugten Berderben 
nimmt er aber auch deſſen Zähigkeit, das Gute zu empfangen und 
fih dafür zu beflimmen, an, und freut fi aufrichtig alles Guten 
in der Menfchennatur. Maßloſer Entwidelung von Innen tritt er 
oben fo entfchieden entgegen, als mechanifcher Aneignung des Poſi⸗ 
tiven. „Zucht“ if ihm der allgemeine Begriff aller Erziehungsthäs 


. tigfeit, „Zucht der Liebe‘ das, was Andere Erziehung im engern 


Sinne nennen, „Zucht der Wahrheit‘ Unterricht. Aus dem Evangelio 
weift er nach, wie alle erziehlihe Einwirkung beſchaffen fein müfle Die 
Erziehungsiehre ift mit befonterer Vorliebe behandelt und bietet auch 
Denen, die nicht auf des Berf. Standpunft fleben, viel Trefflihes dar, 
wie denn überhaupt anerkannt werden muß, daß Palmer zu den tüch⸗ 
tigften Pädagogen gehört. Der Schulunterricht iſt kürzer behandelt und 
im Grunde nur fo weit harafterifirt, als nöthig war, zu zeigen, wie 
er vom evangelifchen Geift erfüllt fein folle. .Die Borerinnerung (‚Bros 
legomena“) enthält eine Art Gefchichte der Pädagogif, mehr jedoch in 
Beurtheilung, als in Mittheilung der verfchiedenen Erſcheinungen, deren 
Kenntniß vorausgefegt wird. | 
39. Boltefhulfunde Ein Hand» und Hülfobuch für katholifhe Seminare, 
Lehrer und Schulauffeher. Bon 8. Kellner, Regierungs⸗ und Schul⸗Rath. 
Dritte, verbefferte und vermehrte Auflage. Gr. 8. (XVI u. 388 ©.) 
Efien, ©. D. Bäpdeler. 1857. 1 Thlr. 
40. Bäbagonifür Mittheilungen aus den Gebleten der Schule und des 
Lebens. it befonderer Berüdfihtigung auf die Bildung und Fortbildung 


der Volksſchullehrer, für diefe, ihre Leiter und Freunde perangegeben von 
8, Kellner. Zweite, verbefierte und vermehrte Auflage. 8. (IV u. 290 ©.) 
Ebendaf. 1856, 22%°/a Sgr. 

4, Pädagogiſche Mittheilungen x. von 2, Kellner. Fortfegung. 
8. Vu 1 S.) ÜEbeudaf. 1854. Ys Thlr. Fortſehung 


42. Die Pädagogik der Volksſchulein Aphorismen. Bon L. Kell⸗ 
ner. Wünfte, vermehrte Auflage. 8. (VIII und 179 S.) Ebendaſ. 1857. 


15 Ser. 

Diefe Schriften find den Xehrern bereits vortheilbaft befanntz es 
reiht daher bier aus, das Erfcheinen neuer Auflagen derfelben zu 
notiren. - 

Den allgemeinften Beifall haben von Anfang an die „Aphorismen‘‘ 
erhalten; ihrer wird auch von Brof. Stoy im 7. Bande des Jahres 
berichtes fehr ehrenvoll gedadht. Es folgten ihnen die „Paädog. Mit» 
theilungen,“ die als eine umfaflendere Fortſetzung derfelben zu betrach⸗ 
ten find. Wir vermiffen bei denfelben ungern ein Inhaltéverzeichniß und 
Megifter, wie es den ‚Aphorismen‘ und der „Volksſchulkunde“ beis 
gegeben ifl. 

Die „Volksſchulkunde“ bat die „Mittheilungen“ überholt. Ob⸗ 
gleich fpäter (1855) erfchienen, ift fie doch ſchon in dritter Auflage da, 
was fih aber aus ihrem Gebrauch in Seminarien erflärt. Sie if, wie 
der Zitel fagt, für katholiſche Lehrer gefchrieben. Es if die erſte 


“ 


Allgemeine Padagogik. 66 


padagogiſche Schrift, in’ der :fih der Berf. als Ktatholik docamentirt, 
aber auch fo zweifellos, daß manche Abfchnitte für Proteflanten geradezu 
ungenießbar werden; das ſoll fein Vorwurf von unferer Seite fein. 
Wenn Bormann. und Palmer eine ‚evangelifche” Schultunde und PBäs 
dagogik Fönnen- erfcheinen laſſen, fo darf Steiner natürlich auch eine 
„katholiſche“ ſchreiben. Es überraſcht aber, einen Mann, der als päda⸗ 
gogifher Schriftſteller bis jetzt Katholiken und Proteflanten gemeinſam 
angehörte, von Lepteren vieleicht amı meiſten gewürdigt wurde, ben 
neutralen Boden verlaflen zu fehen. Doch das if feine Sache; wir 
machen ihm, wie gejagt, deshalb feinen Borwurf. 

Der Inhalt der „Volksſchulkunde“ if folgendermaßen gegliedert. 

1. Der Menſch nad feinem Weſen und feiner Beftimmung. Ber 
grüf der wahren Erziehung. 2. Das Kind und deffen Eigenthümlich⸗ 
keiten. 3. Die Erziehungsfactoren oder wer erzieht und unterrichtet das 
Kind? 4. Zwed der Volksſchule und’ Berhältniß derfelben zu den ges 
nannten Grziebungsfactoren. 5. Die Schule als Erziehungsanftaft. 
6. Die Schnule als Lehranſtalt. 7. Die Perſönlichkeit des Lehrers, fein 
Leben und Streben. 8. Schuß. Bild einer guten Schule, und Er⸗ 
munterung zur Kinderliebe. Anhang. A. Üeberfichtliche Darftellung des 
Unterrichtszieles und Keetionsplanes einer einklaſſigen Landſchule. B. 
Desgleichen einer zweiklaſſigen Bolfsfchule. 


Katholiſche Lehrer, Seminarien und Schulauffeher haben an diefer 
„Volksſchule““ ein trefflihes Bud. Seminariften und Lehrer, die fi 
feinen Inhalt angeeignet haben, find gut beratben. Alles darin ift Mat, 
faßliy und praktiſch. 

Die „Aphorismen‘ und „Mittheilungen“ Pönnen als weitere Aus» 
führungen vieler Abjchnitte der „Volksſchulkunde“ betrachtet werden, 
ſtehen ſonach mit diefem Werke in Zufanmenhang. 

43, Shul- Pädagogik. Ein Handbuh für angehende Schullehrer und 
Säultesiforen. Berfabt von C. Barthel, König. Regierungs⸗ und 
Schulrath, Ritter zc. Drüte, umgearbeitete, mit den beitefenden Stellen 
aus ten preuß. Regulativen und mir einer Geſchichte des Echul- und Ers 
ziehungsweſens vermehrte Auflage. Gr. 8. (XII u. 450 ©.) Liſſa, €. 
Günther. 1856. Geh. 1’, Thir. 


Der Berf. it Katholik; den Religionsunterricht abgerechnet, tritt 
jedod fein Katholicismus nirgends fo fchroff entgegen, daß PBroteftanten 
das Buch nicht auch lefen fönnten, ohne ſich verlegt zu fühlen. 

Die Erziehungsiehre ift verhältnißmäßig kurz behandelt, die Pſy⸗ 
hologie, der der Berf. übrigens den gebührenden Wertb beilegt, in 
althergebrachter Weile. Als Organ des Gefühle oder Empfindungss 
vermögens wird das Herz bezeichnet, eine Behauptung, die bedeutende 
Zweifel zuläßt. Das „Gemüth“ wird S. 13 als „das Zufammens 
wirfen, die Einheit des Erfenntnißs, Empfindungs⸗ und Billensvers 
moͤgens“ definirt, „Gemüthsbildung“ ſonach als das, was die Erziehung 
vorzugsweife zu erzielen hat. In diefem Sinne müffen wir freilih Ale 
„Semüthspädagogen” werden oder find es vielmehr ſchon längſt, auch 


666 | Allgemeine Pädagogik. 


ohne diefe beliebte Signatur an der Stim gu tragen ober jeben Augen⸗ 

bit im Munde zu führen. 

Das Hauptgewicht legt der Berf., da er fein Buch vorzugsweife 
für den Seminarunterricht beſtimmt hat, auf die Unterrichtsfunde. Nach⸗ 
dem er kurz, doc, genügend angegeben, was und wie gelehrt werden 
fol, gebt er zum Bejondern, zur‘ Metbodif über. Es werden ziemlich 
ausgeführte Lehrgänge gegeben, in der Weltkunde mit ausdrüdlicher Bes 
ziehbung auf Preußen, wodurch fih fein Werk gewiffermaßen zu einer 
„preußiſchen“ Schulvädagogif gefaltet, während Kellner ‚für das ganze 
katholiſche Deutſchland“ gefchrieben hat. In diefem Gegenflande tritt 
des Berf. Streben nah Koncentration des Unterrichts am bdeutfichften 
hervor. Was die preußifchen Regulative über die Unterrichtsgegenftände 
feſtſtellen, laͤßt der Verf. feiner Auseinanderfegung woͤrtlich nachfolgen, 
während Bormann hiervon ausgeht. Dadurch wird überhaupt feine 
Stellung zu den Regulativen bezeichnet; fie haben für ihn feine bindende 
Kraft; fein Buch if daher au fein Kommentar zu denjelben. 

Gegen die Lehrgänge hätten wir bier und da Einiges zu erinnern; 
Doch find fie im Ganzen praftifh, weshalb wir von einem nähern Eins 
gehen abſtehen. Jedem Fache if die entfprechende Literatur hinzugefügt, 
zuweilen mit kurzer Andeutung über den Werth der Schriften. Diefer 
Theil des Buches entjpricht nur fehr mäßigen Forderungen. Gutes, 
Mittelmäßiges und völlig Veraltetes fteht neben einander. Ein nicht uns 
beträchtlicher Theil guter Schriften ifE nirgends genannt. Es ift jegt 
allerdings feine Kleinigkeit, mit der Literatur vertraut zu bleiben. 

Bon der zweiten Auflage unterfcheidet ſich die vorliegende vortheil⸗ 
haft. Der größere Theil der Unterrichtsgegenftände "if umgearbeitel 
worden; der dritte, die Gefchichte des Schuls und Erziehungsmweiens 
umfaffende Theil ift neu hinzugefommen, wahrfcheinlih in Folge der 
regulatorifhen Befimmungen. Auch vier Beilagen: die erziehliche Auf⸗ 
gabe der Volksſchule, die Lehrerinnen» Prüfung, die Lehrer » Conferenzen 
und die Präparandenbildung betreffend, find neu binzugelommen. 

44. Lehren der Erfahrung für chriſtliche Land- und Armens 
Schullehrer. Eine Anleitung zunächft für die Zöglinge und Lehrſchüler 
der freiwilligen Armen» Schullehrer- Anftalt in Beuggen, von Ch 

eint. Zeller, Echulinfpertor. Dritte, durchgefebene Auflage. 1. Band. 

(VIII und 215 ©.). 2. Band. (1485 S.) Bafel, Babnmaier. 1855. 

1 Thlr. 21 Ser. 

Diefe Auflage iR ein unveränderter Abdrud der zweiten, Die im 
VI. Bande des YJahresberihtes von Prof. Stoy als eine praftifche, 
herzliche, feelenforgerifche Anmeifung für Schule und Haus empfohlen 
wird. Diefem Urtheil treten wir gern bei, befonders in Bezug auf den 
2. Band, der von der Schulzucht handelt. Wir wünfchen, daß jeder 
Lehrer einmal Gelegenheit nehmen möchte, wenigftens diefen Band zu 
lefen. Der religidfe Standpunft des Verf. ift, wie befannt, der ſtreng 
orthodoge. 


45. Srundfäge und Kehren vorzüglicher Pädagogifer von Kode 
an bis auf die gegenwärtige Zeit, nad ihrem Wefen und Berbältnifie, 
zur Foͤrderung gründliger Kenntniß der Pädagogif für Erzieher und 





Allgemeine Pädagogik, | 667 


Lehrer in Rinde und Säule bar upeReit; von 3. 8. Ludwig. Zweiter 
Band. Gr. 8. (XXVII und 412 ©.) Bayreuth, Grau. 1856. 1% Thlr. 
Der Berf. bietet in diefem Werke ausführliche, zufammenhängende 

Auszüge aus den bedeutendften Schriften über Pädagogik, denen in ben 
meiften Fällen eine Biographie des Autors vorangebt. Die Auszüge 
und Referate find durchweg der Art, daß man mit den Hauptgrund⸗ 
fägen der Verfaſſe er ausreichend befannt wird. Für Lehrer, die fih mit 
ihren Ausgaben für Bücher befchränfen müffen, fehr ſchapbar, ı wir moͤch⸗ 
ten fogen: unentbehrlid. 


Diefer 2. Band enthält Referate über: 
Dverderg: Anwelfung zum zweckmäßigen Schulunterricht für die Schuls 
Iehrer im Fürſtenthum Rünſter. Muͤnſter, 1835. 
Arndt, Ernft Morip: Zragmente über Menfhenbildung. Altona, 1805. 
Bierthaler: Elemente der Methodik und Pädagogit. Salzburg, 1804. 


Dinter: Die vorgüglichiten Regeln der Padagogit, Methodik und Schul⸗ 
meiſterklugheit. Neuſtadt a. d. D., 184 


Rudolphi, Caroline: Gemälde —8*— Erziehung. Heidelberg, 1838. 
— Betty: Erziehung und Unterricht des weiblichen Geſchlechts. Leipzig, 


Denster: 9 Dolftändiges Handbuch zur Bildung angebender Schullehrer. 
ainz, 1 


Bilder, J. : Handbuch der Pädagogit zum Gebrauch akademiſcher Vor⸗ 
träge und für dentende Erzieher. München, 1832. 


Stapf: Erziehungslehre im Geiſte der katholiſchen Kirche. Innsbruck, 1852, 


NE Erziehungs: und Unterrichtslehre nach Tatholifchen Grundfäpen. 
Sagolftadt, 1 


Roſenkranz: Die Pädagogik «ld Syftem. Königsberg, 1848, 
Riecke: Erziehungslehre. Stuttgart, 1851. 
Balp: Allgemeine. Pädagogif. Braunfchweig, 1852. 


Durſch: Pädagogik oder Wiflenfhaft der chriftlichen Erziehung auf dem 
Standpunkte des fatholifchen Glaubens. Zübingen, 1851, 


Rottels: Erziehungs⸗ und sedldungölehre vom Standpunfte chriftlicher 
Dhilofophie. Regensburg, 1852, 


Palmer: Evangelifche —8 Stuttgart, 1853. 


In dem erfien Bande werden die Grundſätze dargelegt von: 
Rode, Grande, Rouffeau, Bafedow, v. Rochow, Greiling, 
Beiller, Peſtalozzi, Rietfammer, Schwarz, Sailer, Nie 
meyer, J. P. Richter, Stephani, Graſer, Denzel, Belter, 
Berrenner, Harnifh, Hergenröther, Dieferweg, Eurts 
man, Benefe, Gräfe 
46. Die Naturgefepe der Erplesung und des aut Prof 

tifche Menſchenkunde für Eltern und Lehrer. Bon Guſtav Scheve. 8. 

(96 ©.) Stettin, Müller'ſche Buchh. 1855. Geh. 4 Ihlr. 

Der Berf. ift Phrenolog und hat fih als Schriftfteller und durch feine 
in.größeren Städten gehaltenen Borträge auf dieſem Gebiete einen 
Ramen erworben. Die Raturgefebe, welche derjetbe in dieſem Schrift 
ben für Erziehung und Unterricht aufftellt, gründen fi auf dieſe 


— 





668 Allgemeine Paͤdagogik. 


Wiſſenſchaft. Bis jegt ik e8 uns nicht gelungen, und von ber Richtig⸗ 
keit der phrenologifchen Lehren zu überzeugen; aus dieſem Grunde ift 
ung wenigftens ein Theil des hier Vorgetragenen problematiiy. An 
und für fih if das Schriftchen, das einen Abfchnitt in des Verfaffers 
„Phrenologiſchen Bildern‘ bildet, gut und anziehend gefhriehen, der 
Beachtung der Erzieher daher wohl werth. 


47. Das menfhlihe Bewußtſein, wie ed pſychologiſch zu erflären und 
pädagogifh auszubilden ſei. ine gefrönte Preisichrift, —88 Mäs 
danogen und gebildeten Eltern zur Erwägung übergeben von Friedrich 
Dittes. 8. (65 S.) Leipzig, 3. Klinkhardt. 1853, 


48, Naturlebre des Moralifchen und Kunſtlehre ber moraltichen Er⸗ 
diebung. Don Friedrih Dittes. 8. (VII und 114 ©.) Leipzig, ©. 
Mayer. 1856. 18 Sgr. ' 

Der Berf., Lehrer in Sachſen, ift als gründficher Kenner der Bes 
nefe’fhen Pſychologie fängt vortheilbaft befannt. Dom GStandpunfte 
diefer naturgemäßen Piychologie aus beleuchtet derfelbe in beiden Schrifs 
ten zwei überaus wichtige Begenftände: das menſchliche Bewußtſein und 
das Moralifhe. In zwei andern, ung nicht vorliegenden Schriften bes 
handelt der Verf. „das Aeſthetiſche“ und die ‚Religion‘, in allen vier 
Schriften alfo alle Hauptgebiete des menſchlichen Seelenlebens: das ins 
teflectuelle, äfthetifche,, religiöfe und moralifche. 

Wer nur einigermaßen mit der neuen Pfychologie befannt if, dem 
werden diefe Schriften großen Genuß gewähren, deſſen pfychologifche 
Einſicht werden fie weientlich fördern. 

Damit man übrigens nidyt glaube, man finde in biefen Schriften 
nur Theoretifches, fo theilen wir aus dem praftifchen Theile der zweiten 
derfelben einen kurzen Paragraphen mit, der und Alle angeht und der 
Beherzigung wohl werth if. 

Seite 91 u. f. heißt es: „Hier müſſen wir. au einen Blick auf 
die Eigenfchaften und Berhältniffe des Lehrers rihtn Wir ber 
Thränfen uns dabei, in Betracht des Vorausgegangenen und des Nach⸗ 
- folgenden, auf kurze Bemerkungen, die ja ohnehin Punkte betreffen, 
welche der unmittelbaren. Wahrnehmung nahe liegen und bereits vielfach 
abgehandelt worden find.” 

„Ein Lehrer fol die Menfchennatur, befonders die des Kindes, 
fennen und achten (magnn puero ‚debetur reverentin, Quinctilian.) 
und lieben, für deren edle, von dem Schöpfer vorgezeichnete Entwicke⸗ 
Iung begeiftert fein, Intereſſe an allem menſchlich Großen, dem Forts 
fhritte unferes ganzen Gefchlechtes haben, den Förderungen und Hem⸗ 
mungen teffelben rege Aufmerffamteit und Theilnahme widmen, reine 
Grundfäge, einen unerfchütterlihen Charakter und die ermutbigende 
Meberzeugung beſitzen, daß der Herrgott feine Menfchheit nicht verläßt, 
und daß diefe vorwärts kommen fann und will und muß, troß aller 
momentanen Schwanfungen, aller finfteren und bösmwilligen Anfchläge, 
die zu Beiten gegen diefelde zu Tage treten. Er muß ſtark genug fein, 
auszuharren in feinem Streben, wenn aud die Großen der Welt fein 
Werk gering ſchähen, wenn auch vergänglicher Glanz und Reichthum 


Allgemeine Rädagogit. 569 


‚nicht. ſein Antheil iſt, wenn er auch mur mid Kummer in die Aufunft 
‚hauen kann, wo am Ende ‚einer ehrenvollen Laufbahn das graue Haar 
und die Schwäche der Glieder die einzigen äußeren Beiden find, daß 
er fein Leben edlem Dienfte geweiht hat. Er foll fih eifrig fortbilden 
und nad Kräften auch die Eltern feiner Schüler mit den Anforderuns 
gen und Regeln der fortgefchrittenen Erziehungsiehre befannt machen.“ 
„Das if in der That viel, fehr viel verlangt und erfordert ein 
ſtetes Wachen und Streben. Außerdem werden dem Lehrerfiande noch 
von allen Seiten Anforderungen und Verantwortlichkeiten aufgebürdet, 
und ‚wird er einer fo Prengen Kritit unterworfen, wie dies ſonſt in 
Bezug auf feinen Menſchen zu geſchehen pflegt, fo daß, man zu dem 
Glauben verfucht fein. könnte, das Publikum, die verfchiedenen Klaffen 
dar Geſellſchaft und manche Behörden verlangen in Summa, ein Lehrer 
müffe Zauberer und Engel in einer Perſon fein, Man follte aber wiflen, 
‚daß derartige Wehen, wenigflens in unfgrer Zeit, nicht fo billig zu bes 
ſchaffen find, wie Die öffentlichen Jugenderzirber, daß diefeiben ihrer ur⸗ 
ſprünglichen Natur nad nicht weſentlich verfchieden ſind von Zürften 
und Bifhöfen und Bettlern, und daß endlich hinfichtlich der öffentlichen 
Erfcheinungsweife der Perfonen viel darauf ankommt, ob fie vermöge 
ihrer Mittel das Menfchliche vollfländig, oder nur halb, oder gar nicht 
vor der Welt verdeden Lönnen. Der Lehrer aber möge fih durd Uns 
bilden nicht verſtiumen und beirten Iaffen, jedoch das ‚Dichterwort flets 
beadten; „Der kann fih manchen Wunſch gewähren, wer kalt ſich ſelbſt 
und feinem Willen lebt; allein wer Andre wohl zu leiten ſtrebt, "muß 
fähig, fein, viel zu entbehren.“ 
Man wirft den Lehrern oft vor, daß fie hochmüthig und eins 
gebildet auf ihr Willen fein Sie find allerdings in der Gefahr, 
dies zu werden, wenn und fo ferm: fie immer Kindern und minder ger 
bildeten Erwachſenen gegenüberfiehen, ſich in diefen Berhältniffen nur an 
geißig Vefchränkten, meſſen und dabei ihre Vorzüge ſtark und oft vor 
‚Kellen. Umgang mit Gelehrteren in der Form des verfönlichen Ders 
Sehrs: und des Studiumd guter Dücer iR bier das Nadicalmittel ber 
Berhütung und der Heilung.“ 

„Durch Heirathen ohne beſonnene. Wahl und ohne hinlaͤngliche 
Mittel zus Gründung and Erhaltung eines anſtändigen Haushaltes ſetzen 
ſich bekanntlich viele Lehrer großen Gefahren für, ihre Exiſtenz und ihren 
harakter, aus. Und. wir mäflen mit Schmerzen gefichen, daß es auch 
ip unferem Stande Männer gibt, die in ärmlcher Stellung oder ſelbſt⸗ 
verſchuldeter Noth moraliſchen Bankerott gemacht haben, über den Sof⸗ 
gen für des Leibes Nahrung und Nothdurft die Liebe zu den Kindern, 
‚die Treue gegen die Freunde, dag Intereſſe an eigener Vollendung, den 
Monnesfinn, ‚und die Weberzeugungstrene unwürdigen Maßregeln, Zur 
mutbungen und Beranflaltungen gegenüber verloren haben!’ — 

„Degen feine eigenen Kinder hat der Lehrer natürlich die allgemeis 
nen Elternpflichten zu erfüllen und ſich dabei ganz. befonders der Ins 
parteilichfeit und Strenge zu befleißigen. Hinfichtlih feines Standes im 
Berhältniffe. zu. feinen, Kindern gelten die allgemeinen Regeln des vori⸗ 


670 Allgemeine Pädagogik. _ 
gen Baragraphen. Da übrigens der Lehrer feine Kräfte größtentheits 
fremden Kindern widmen muß: fo leuchtet ein, wie nothwendig für feine 
eigenen eine vortreffliche Mutter oder Stellvertreterin derjelben if.’ 


49. Naturwiffenfhaftlid pädagogifhe Briefe von Priedriä 
Mann, Lehrer an der Thurgauifchen Kantonsſchule. Zweite Reihe. Gr. 8. 
y 8 Frauenfeld, A. Reimmann. (Berlags:Eomptoir.) 1855. Geh. 
Der Zitel ſcheint uns nicht glücklich gewählt zu fein; der Inhalt 

iR aber gut, die Darfielung Mar und anziebend. Die „Erke Reihe 

des Werkchens iſt uns nicht bekannt geworden, die zweite enthält Fol⸗ 
gendes: 

1. Die Eigentbümlichkeit der Menfchennatur. 2. Geſchichte, Kunſt 
und Wiffenfchaft in ihrem Zufammenwirken bei der Erziehung. 3. Ger 
ſchichte. A. Die Künfte 5. Die Poeſie. 6. Naturwüchſige und res 
mantifche Poeſie. 7. und 8. Die Dichtungsarten 9. Eine Schulfabel, 
ein WBaldmährhen. 10. Der Organismus der Wiflenfharten (an der 
Geſchichte der deutfhen Literatur zur Anfchauung gebracht). 14. Die 
Wiſſenſchaft. 

50. Phantaften und Gloſſen aus dem Tagebuche eines konſervativen 
Pädagogen. Ein Beitrag zu der Geſchichte der pädagogiſchen Strebungen 
der Gegenwart. 8. (VI u. 224 G.) St. Ballen, Scheitlin und Zoll 
kofer. 1856. % Thlr. 

Der ungenannte, den deutfchen Lehrern durch viele gute Schriften 
gar wohl bekannte Verf. macht es fih in diefem Werfen zur Auf⸗ 
gabe, „die mancherlei Uebertreibungen, die nicht blos linke, fondern auch 
rechts auf dem Felde der Pädagogik Statt finden,” zu gloſſtren. Es 
gefchieht in geiftreicher, oft fatgrifcher, meiſtens zutreffender Weiſe. Doc 
gelingt es ibm nicht durchweg, ſich felbf hierbei von Webertreibungen 
frei zu balten, wie 3. B. in dem „Bericht des ehrwürdigen P. Rob 
(m. i. 1.) an feinen Ordendgeneral ,’' in dem von der „Epidemie ber 
Erklaͤrungsſucht“ in Bezug auf deutſche Ktaffifer die Rede ik. Er 
überfieht dort den großen Unterfchied, der zwifchen einer münd lichen 
Beiprehung und einer ſchrifthichen Erklärung eines Gedichtes Statt 
findet, deren Zweck zugleich Verbreitung fiterarifcher Kenntniffe ik. Neben 
Anderem tadelt er in Bezug auf Schiller's „Taucher,“ der ihm als 
Beifpiel dient, daß die „Schulpedanten“ den „armen Schülern erzähl 
ten, daß der rittertihe Züngling eigentlich fein Edelklnabe, ſondern ein 
berühmter Taucher, Namens Nikolaus, mit dem Zunamen „der Fiſch“ 
(wegen feiner Geſchicklichkeit im Schwimmen fo genannt) gemwejen ſei,“ 
wodurd „von vornherein aller Schmelz und Glanz des WBunderbaren, 
der fchönen Berföntichkeit und fittlichen Hochherzigkeit zerkört und fo 
Die Lertüre der Klaſſiker überhaupt gründlich verleidet werde. Ich bes 
fprehe dies Gedicht alljährlich in einer Oberklaſſe, pflege indeß in der 
Regel die angezogene Erzählung nicht mitzutheilen, ungeachtet fie in 
meinem „Commentar“ ficht. ber ich babe fie auch einige Mal mitges 
theilt, natürlich nit zu Anfange, fondern zum Schluß der Beiprechung, 
und dann jedes Mai erreicht, was ich erreichen wollte, nämlih Bewun⸗ 





Allgemeine Padagogit. 671 


derung bes Dichters, der im Stande war, aus fo elendem Material ein 
fo bedentendes Gedicht zu ſchaffen. Ein foldes Nefultat ſchlage ich 
hoch an, da es zur Wertbfhägung der Klaffiter verbitft und zum Lefen 
desfelden anreizt. Ueberhaupt ift es mir in meiner langen 
Braris noch nie begegnet, dag den Schülern durd eins 
gehende Erklärung die Lertäre der Klaffiter wäre ver» 
leidet worden. Es iſt das eine auf gewiffer Seite jetzt beliebt ges 
wordene Redensart, der ich aber mit aller Entſchiedenheit entgegentreten 
muß. Auch Körner gebraucht fe in feiner „Geſchichte der Paͤdagogik,“ 
während er vor furzer Zeit noch felbft eingehende Gedichtserflärungen in 
feinem „Praktiſchen Schulmann“ gab, fogar meine Bearbeitung des 
„Zaudere. — Bas dem Sküler an einem Gedicht unverfiämdiicdh 
if, das muß erflärt werden; die Klippe, vor der man fidh zu bewahren 
hat, iſt das abſichttiche, ausführlide Anknüpfen von grammatifchen 
Uebungen. 

Dies eine Beiſpiel möge zeigen, daß man auch „Gloffen“ wieder 
gloſſiren kann, beſonders ſolche, die ſich als „Phantaſien“ erweiſen. 
Aber „darum Bine Feindſchaft nicht; das Buch iſt an und für ſich 
vortrefflih und enthält viel Beherzigenswertbes, daher ich es auch hier⸗ 
mit den Lehrern beftens empfehle. 

51. weite Discuſſion des alten Schulmeifters und des in ber 
ädagogik vorherrfchenden Geiſtes. Al. 8. (65 ©.) Duisburg, Joh. 

Gwid. 1855. !/s Ihlr. 

Die „Erſte Diseuffton’ haben wir im vorigen Bande, ©. 544, 
angezeigt und beflens empfohlen; die zweite fleht derfelben in feiner 
Weite nad. Wir flimmen nicht überall mit dem Berf., der fi durch⸗ 
gängig als Idealiſt zeigt, überein, empfehlen das. Schriftchen aber doch, 
da es anregt und belehrt, Erprobtes anempfiehlt. Näher auf den Ins . 
halt einzugehen, fehlt es uns an Raum. Ä 


52. Die zutzuf! der Volksſchule, oder: Drei Geſpräche über Gottes⸗ 
dienſt, Seelſorge und Unterricht für die Jugend. Ein Buch 

für Alle, Die ein Herz für die Volkserziehung haben. 8. (VI u. 178 S.) 

Leipzig. H. Luppe. 1856. 

Der ungenannte, aller Wahrfcheintichkeit nach zu den Leipziger 
Schuldirectoren gehörige Berf. zeichnet in den drei auf dem Zitel ge 
nannten Gefpräden ein Bild der Volksſchule, wie fie fich in nächfter 
Zukunft gefalten fol. Die alte, d. h. die gegenwärtige Volksſchule 
leidet nah ihm an Bernachläffigung der Erziehung und-Ueberfhägung 
des Willens. Die neue Volksſchule foll die fittliche und rekigiöfe Bil: 
dung der Jugend als einen Hauptzweck anfehen und fie durch ange» 
meflenere Behandlung der Kinder, theilweife Nachahmung des Familien- 
lebens und Einführung der Kindergottesdienfte zu erreichen fuchen. Für 
den Unterricht wird „Bereinfahung, Lebendigmakhung und Harmonie‘ 
empfohlen. 

Auf Einzgelnes einzugehen müffen wir uns verfagen. Dagegen 
Önnen wir wicht unterlaffen , auszuſprechen, daß der Geift, der im 
Ganzen herrſcht, ein durchaus anerkennungswerther, ein peſtalozziſch⸗phi⸗ 


x 


672 Allgemeine. Pädagogik. 


lantropifcher, im beflen Einne des Wertes, if, Wickt bloß das Er⸗ 

fenntnißgvermögen, wie fo häufig geichieht, ſondern der ganze Menſch, 

nach Leib und Seele, fol durch die Schule gebildet werden. Mit voller 

Klarheit wird gezeigt, wie dies fehöne Ziel zw erreichen fei, am ums 

faffendftien und treffendfien im zweiten Geſpraͤch. Das dritte if, wie 

der Berf. felbft geftebt, etwas aphoriſtiſch ausgefallen, deutet Vieles nur 
an. In dem wichtigen Begenkande der Welttunde wird die Ausfüh- 
rung der befannten Graſer'ſchen Idee empfohlen, 

Die Darkellung hat durch die Gaſprächoform an Lebendigkeit, nicht 
aber an Weberfichtlichfeit gewonnen, was namentlih im dritten Theile 
fühlbar wird. Die ald Gegner der Schule der Zukunft eingeführten 
Lehrer find mißlungene Perfonen; die Rolle, welche namentlich Herr 
„Dünkelmann“ ſpielt, iſt eine gar zu alberne. In den Schriften ber 
Pädagogen it der Verf. in erfreuticher Weife heimifh. Die Gitate aus 
Werken in lateinifher und franzöfiiher Sprache hätte er mit Kückßcht 
auf die Volksfchullehrer, für die ex doch vorzugsweiſe fchrieb, in Ueber» 
fegungen wiedergeben jollen. 

Wir empfehlen das Büchlein der Aufmerkſamkeit der Lehrer. 

53. Padagogiſches Bilderbuch; aber nicht für Ktinder, ſondern für 
andere Leute. Herau egzen von Chriſtian Frymann. 8. (VIII m. 
288 S.) Zürich, Orell, Füßli und Comp. 1855. I Thlr. 

Seit 1848 wird der Schule der Verwurf gemacht, ſie habe nicht 
geleiſtet, was fie verheißen und was man von ihr gehofft. Dieſer Bor» 
wurf ift eben fo hart als ungereht. In Bezug auf das Unheil, was 
jenes Jahr ung gebracht hat, müflen wir Alle, die Regierenden wie 
Die NRegierten, fagen: „Wir haben Alle mannigfah gefehlt. Damit 
fol nun aber nicht gefagt fein, dag die Schule, insbeſondere die Volls⸗ 
fhule, von der wir bier veden, keiner Verbeflerung mehr fähig, bei 
zwedmäßigerer Einrichtung nicht im Stande fei,. Beſſeres zu leiten; is 
Gegentheil: es wird und muß dahin fommen, daß fie befriedigendere 
Mejultate liefert. Diejer Anficht ift auch der Berf. bes „Pädag. Silder⸗ 
buches.“ Er findet die Haupturſachen für die mangelhaften Leiftungen 
der meitejaule 

a. in der häuslichen Erziehung, 

u in den Vorfteherfchaften und Auffichtsbehörden, 

e. in übertriebenen Anforderungen an die auf das Alter der 
Kindheit befchränkte Schule und in den unverfändigen Er⸗ 
wartungen von berjelben, 

d. in dem ungünftigen Einflufie, den hochgeſtellte Männer durch 
Rede, Schrift und That ausüben; 

1, in manchen Lehrern, nach ihrer Bildung und Gefinnung, ihrer 

Stellung und Thätigkeit. 

Um dem Leſer dieſe Urfachen recht klar zu machen, um recht eins 
dringlich zu wirken, führt der Berf. „Anſchauungen und Darftellungen 
aus dem mirklihen Leben vor. Ueber dieje ſehr gelungenen Bilder 
Rellt er dann in einem beſondern Abſchnitte Betrachtungen an, theilt 
feine Unfihten mit und gibt Rathſchläge. Ueberall erfennt man, Daß ker 


Allgemeine Pädagogik. 673 


Berf. ein erfahrener Mann, ein warmer Freund der Volksſchule und 

ein gewandter Schriftſteller if. Wir empfehlen das Buch Lehrern, 

Schulbehoͤrden, Eltern, überhaupt allen Schulfreunden zum Spiegel. 

Der befiern Einfiht halber theilen wir noch den Inhalt deffelben mit. 
1. Abth. A. Bilder aus häuslicher Erziehung. 2. Lügen. 2. Bet⸗ 

tein. 8. Glaubensfpötterei. 4 Förderung bes Aberglaubens. 5. Bes 

trügerei. 6. Dieberei. 7. Mobheit und Stumpffinn. 8. Sinnlichkeit 
und Berweichlihung. 9. Eitelkeit und Weberforderung. 10. Häusliches 

Leben in Allingen. B. 11. Eine Seffion des Kirchen» und Schulcon⸗ 

ventes in Schiuffingen. C. 12. Rede des Schulpräfidenten vor der 

Wahl eines Lehrers. D. Anfihten über Bolfsbildung, auf „höherem 

Standpunkte‘ gewonnen. Drei Briefe eines Staatsmannes an einen 

Schulmann. 

II. Abth. A. Schattenriſſe aus dem Perſonal der Volksſchullehrer. 

1. Ein todtkranker Lehrer. 2. Ein altersſchwacher Lehrer. 3. Ein 

blutarmer Lehrer. 4. Ein verwirrter Lehrer. 5. Ein verbauerter Lehrer. 

6. Ein fauler Lehrer. 7. Ein eitler Lehrer. 8. Ein leichtfinniger 

Lehrer. B. Notizen aus dem Gedenkbuche eines Schulinfpectors. 

III. Abth. Betrachtungen und Anfichten eines Echulmannes (über 
das Vorhergehende). 

54. Bädagogifhe Samenkörner. Gin Beitrag zur Reform des Volks⸗ 
fhulunterrichts. Gefammelt und herausgegeben von einem Volkaſchullehrer 
des Regierungabegirts Erfurt. 8. (VIO u. 87 ©.) Langenfalza, 3.8. 
Klinghbammer. 1854. Yı Thlr. 
Dies Büchlein enthält eine Reihe von Ausfprücen befannter Bär 

dagogen über den Bolksfchulunterricht und den Volksſchullehrer. Der 

Berf. hofft durch daflelbe die ‚neue Richtung der Schule,’ „kindlich 

und gemüthlich zu unterrichten,‘ zu fördern, ja erhebt fi in reforma⸗ 

torifhen Erregungen fogar bis zu der Kühnheit, fein Büchlein als 

„einen freundlichen Morgenftern’’ zu bezeichnen, „der nach einer dunfeln, 

fürmifchen, unheilvollen- Nacht einen Tieblichen Morgen, und einen nod 

ſchönern Tag verkündet.” Selbſt „Gegner und Feinde, Die dem Kinds 
lein nad dem Leben trachten werden‘, fürchtet er. Beides find arge 

Zäufchungen, von denen der Verf. feit dem Erfcheinen feines Buches 

(1854) wohl bereits zurüdgelommen fein wird. Mit fo barmlofen 

Sammlungen bringt man derartige Wirkungen nicht hervor. 

Neben lebensfriſchen „Samenkörnern“ findet man übrigens in 

diefer Sammlung auch „taube,' fo 3. B. in Nr. 64, wo behauptet 

wird, daß der erfahrene Schulmann das Streben, die Leſebücher 
aus der Schule zu entfernen und die Bibel als alleiniges 

Leſebuch gelten zu laffen, nur gut beißen könne. Fünfund—⸗ 

dreißig jährige Erfahrung (abgefehen von andern Gründen) ber 

fimmt mid, dies Urtheil als eine der unheilvollſten Verkehrt⸗ 
beiten zu bezeichnen, die je erdacht worden if. 

55. Das vaterländifche Element in der deuiſchen Schule. Dier 
Schufreden von Dr. Georg Weber, Profeffor und Gchuldirertor in 
Heidelberg. Gr. 8. (67 ©.) Leipzig, W. Engelmann. 1857, 

Das find Reden, wie fie Herder feiner Zeit im Gymnaſium zu 
Nade, Iahresberidt. X. . 43 


674 Allgemeine Paͤdagogik. 


Weimar gehalten Bat: voll von anregenden, wahren, beherzigenswerthen 
Gedanken, dargeboten in fchöner Form. Die erfle Rede bat die Ueber⸗ 
Schrift: Alte und neue Erziehungswege. Bumamisnus und Realismus 
werden darin beleuchtet. An die Stelle des ‚alten Humanismus mit 
feinem geiflofen Formenweſen und feiner pedantifchen Zucht IR ein neuer 
Sumanismus getreten,’ defien Lehranftalten die Bbilanthropien find, 
denen wir die Realſchulen, die Volksſchulen nebſt Seminaren und das 
Zurnweien danken. Aber diefe Anflalten können ‚weder durch Die mas 
terialiſtiſchen (?) Realwiſſenſchaften noch durch die ſtrengkirchliche Keli⸗ 
gionobildung ihren Zielen nahe geführt werden, wie die Erfahrung ge⸗ 
kehrt bat. Es muß ein neues Element herbeigezogen werden, das dem 
Nealismus die ethifche Grundlage und der chriſtlichen Religionslehre den 
praftifchen Boden bietet; dieſes neue Element fehen wir in eines was 
tional⸗geſchichtlichen und in einer vaterländifdsliteraris 
fhen Erziehung. Bir müſſen die deutiche Geſchichte in das Volke⸗ 
bewußtfein zurüdführen und Ser; und Geil der Jugend an den edten 
Erzeugniffen unferer Dichter und Denker bilden und flärfen.” — „Um 
das vaterländiihe Gefühl in der Jugend zu weden und zu kräftigen, 
müßte man den ganzen Unterricht mehr concentriren und mit dem Deuts 
fyen Land und Volk in die innigfte Beziehung fegen. Die deutſche 
Sprache und Literatur, die Gefchichte und Erdkunde müßten den Mittels 
punft des Unterrichts bilden und bei allen übrigen Lehrzweigen, die 
eine territoriale und völfergefchichtliche Bebandlung zulaſſen, müßte Die 
beimathliche Seite ſtets in den Vordergrund treten.” Dieje und ähn- 
iche Gedanken find es, welche der Berf. in treffliher Weile dariegt. 
ie drei folgenden Reden find fyecielere Ausführungen der Grundge⸗ 
danken ber erflen. Es wird in ihnen gezeigt, wie vaterländifche Geſin⸗ 
nung gewedt und genährt werden muß durch den geograpbifchen, gee 
fhichtlichen, ſprachlichen und literaturbiftorifhen Unterricht. Mehrfach 
werden dieſen Gegenfländen neue und bedeutungsvolle Seiten abgewone 
nen, von deren Hervorhebung wir abflehen, da wir wünjden, bie Lehrer 
mögen fie in dem Büchlein felbft auffuchen. 
56. Ueber nationale Erziehung. Schulrede, gehalten am 15. Drtobeg 
1855 von C. Kod. Gr. 8. (176. Anclam, W. Diege. 1855. 3 Ser. 
Bildung zur Nationalität wird nah dem Verf. erreicht, wenn wiz 
die Jugend befannt machen mit der Größe und Herrlichkeit des Vaters 
Jandes, mit der Weichichte des Volkes, mit den Kunſtwerken der deut⸗— 
fen Sprache und mit der deutichen Mufik. Wir flimmen dem Berf, 
bei und empfeblen feine Rede. 


IV. Schriften über Schuleinrihtung. 


57. Ueber den Bildungsgang des Volksſchullebrers mit beionderer 
Berüdfihtigung der und der Schullehrer⸗Seminarien. Ein But 
achten von Br. A. W. Steglih, Director des reiberrlich p. Flezcher⸗ 
fhen Schuliehrer⸗ Seminars zu Dresden. Gr. 5, (XII und 187 ©.) 
Dredden, R. Kunge. 1857. 1 Thlr. 


Bildungsgang und Bildungsmaß der Volksſchullehrer gehören zu 





Allgemeine Pädagogit. * 


den Gegenfländen, über die man namentlich ſeit 1848 bie verſchieden⸗ 
artigften, oft ganz entgegengefehten Anfichten hört. Beſondere Anfalten, 
Seminare, für Lehrerbildung halten wohl Alle für erforderlich; aber 
über ‚die Vorbereitung zu denfelben und über das Maß der im Seminar 
zu gewährenden Bildung ift man nicht einig. Die Einen verlangen 
Vorbereitung zum Seminar durch Mealfhulen und wünſchen das Bile 
dungsmaß ber Lehrer möglich gefeigert zu ſehen; die Andern halten 
eine Vorbildung in der flillen Familie eines einzelnen Lehrers, wo moͤg⸗ 
lich Landlehrers, oder, wenn auf diefem Wege das Bebürfniß nicht ganz 
befriedigt: werden Tann, in befonderen, nicht zu ausgedehnten Präparanı 
denanflalten für das Beſte, und wollen das Maß der Kenntnifle im 
Ganzen auf das unmittelbare Bebürfnig der Volksſchule beſchraͤnken, 
damit ber Lehrer fih in feinem Wirkungskreife nicht unbehaglich fühle, 
nicht nach höheren Dingen firebe, nicht durch Bildung über die Glieder 
feiner Gemeinde hervorrage, nicht fähig ſei zum Volkslehrer. 

Zu den Lebteren gehört auch unfer Verfaſſer. Wenn er ih auch 
nicht zu Denen zählt, die der Meinung find, daß vorgugsweife die Hal 
tung der: überbitdeten (vexbildeten, hatbgebildeten) Bolfsfchulichrer die 
Begebenheiten von 1848 und 409 herbeigeführt haben, fo glaubt ex 
doch, Daß ein befcheldenes Maß von Kenntniffen ihren Berbältniffen an⸗ 
gemeſſener fei, als ein umfangreicheres Wiſſen, ungeachtet ex andererfeitg 
zugiebt, daß eigentlich nur wiffenfchaftlich, namentlich theologiſch gebildete 
Lehrer im Stande feien, guten Unterricht in der Religion und in der 
beutfhen Sprache zu ertheilen. Seine zwanzigiährige Thaͤtigkeit nie 
Seminardirector hat ihn zu diefer Anfiht gebraht. Wir haben vor 
folher Erfahrung allen Reſpect, können fie indeß doch nicht: maßgebend 
fein laſſen, ba gerade fange Praxis in beftimmter Begrenzung fehr ges 
eignet if, die Freiheit des Umblides zu beengen. Mir bat fih die in 
ullen Lebensverhältniffen für zichtig gehaltene Annahme, daß die Tüchtig⸗ 
keit eines Arbeiters, vom Wollfpinner bis zum Minifter hinauf, mit 
feiner Geſchicklichkeit (Bildung) wächſt, auch im Lehrerkande bewahrheitet. 
Stets habe ich in den Kreifen meiner Beobachtung wahrgenommen, daß 
Lehrer mit mangelhaften Kenntniffen aud bei großer Treue nur Unges 
nügendes leifteten, während Diejenigen, welche tiefer in die Unterrichts⸗ 
gegenflände eingedrungen waren, ihre Schüler fihtlich förderten und für 
Erforfchung der Wahrheit begeifterten. Ebenfo fand ich, daß die kenntniß⸗ 
reicheren Lehrer in der Gemeinde ſtets höher geachtet wurden als Die 
dürftig ausgeftatteten, was natürlich auch fehr bald eine höhere Achtung 
von Geiten der Jugend hervorrief und zur Steigerung der Wirkfamteit 
wefentlih beitrug. Den widerwärtigen Dünfel, über den fo oft, häufig 
auch ohne allen Grund, geflagt wird, fand ich bei balbgebildeten Lehrern 
ſtets greller bervortreten, als bei wirklich gebildeten. Aus dieſen und 
andern Gründen rede ich einer möglihft umfaffenden, immer mehr und 
mehr zur DBervolllommnung reizenden Bildung der Lehrer das Wort 
und lebe der Weberzeugung, daß wahre Bildung, wie fle unfern Volle 
dllerwärts, in Stadt und Land, noth thut, nur er dann wird vers 
breitet werden, wenn Die Lehrer in ihrer Weife, P. h. für ihren 

43* 








676 Allgemeine Pädagogik. 


Beruf, ebenfo durchgearbeitet fein werden, wie bie Prediger für. ben 
ihrigen. 

i Mit Rückficht auf die Wichtigkeit des Gegenſtandes, den die genannte 
Schrift behandelt, gehen wir etwas näher auf den folgendermaßen ges 
gliederten Inhalt ein: 1. Was ift bie Aufgabe der Volksſchule? 2. Wie. 
foll der Lehrer befchaffen fein, der an einer Volksſchule angeftellt wird ? 
8. In wie weit haben die bisherigen Binrihtungen zur Seranbildung 
von Bolfsfhullehrern genügt? A. Unter welchen allgemeinen Voraus⸗ 
fegungen fönnen die Forderungen erfüllt werden, die man an Volksſchul⸗ 
tehrer zu machen hat? 5. Welche befondern Beranflaltungen erfcheinen 
nun ale zwedmäßig zur Heranbildung von Volksſchullehrern? — Anhang. 

Die Antwort auf die erfle diefer Fragen Ichließt fh an eine Bes 
fimmung der Sächfifchen Regierung vom 6. Juni 1835 an. Borläufig 
wird man mit dem geforderten Minimum überall zufrieden fein mäffen. 

Um die Aufgabe der Bolfsfchule glüdlih Löfen zu können, muß 
der Lehrer (nad Kap. 2) vier Korderungen entfprechen; er muß nämlich 
1. im Stande fein, Kinder zu erziehen und die ihm übergebene Kaffe 
oder Schule in der rechten Zucht zu erhalten; 2. mindeflens die Kennt⸗ 
niffe und Fertigkeiten befigen, welche er feinen Schülern mittbeilen fol; 
3. dieſe Kenntniffe mitzutheilen und durch dieſe Diittheilungen erziebend 
und bildend einzumwirfen vermögen; 4. fo viel muflfalifche Kenntniffe und 
Fertigkeiten befigen, al8 zur Leitung des kirchlichen Gejanges erforderlich 
find. Außerdem wird verlangt, daß der Lehrer eine chriftliche Geſinnung, 
kirchlichen Sinn und Liebe zum Baterlande babe. Wo diefen letzteren 
Sorderungen entjprochen wird, „kann man fi) auch mit geringen 2eis 
Aungen in Hinfiht auf Kenntniffe und Fertigkeiten begnügen. Den 
Lehrer fo weit zu bitden, daß er zum Volkslehrer fid eigne, alſo 
‚feine Zeitgenofien (Gemeindeglieder) an Bildung des Geifles und an 
Kenntniffen überrage,“ lehnt der Verf. entjchieden ab, wie Allee, was 
fpeciell Darauf zielt, ihm den Anftrich eines „Gebildeten“ zu geben. Auch 
bie Forderung, den Lehrer zum Taubſtummenunterricht zu befähigen, er⸗ 
Märt er für eine zu weit gehende. 

Da der Berf. fpäter fpecieller das Maß der Kenntniffe, die ein Lehrer 
haben fol, bezeichnet, fo fparen wir unfere Bemerkungen hierüber bis 
dahin auf. 

Im 3. Kap. beleuchtet der Verf. die verfchiedenen Bildungewege für 
die Lehrer. Mit Recht verwirft er die ausschließlich praftifche Borbereis 
tung bei einem 2ehrer, fo wie die theoretifche auf Gymnafien und Unis 
verfitäten und erklärt fich für die theoretifchspraftifche, wie die Seminare 
fie gewähren. „Den Borwurf, daß der Seminarunterridht „zum Uns 
glauben, zur Unzufriedenheit mit der beftehenden Staatsregierung führe, 
die Bielwifferei und Oberflächlichfeit befördere, Düntel und Hochmuth 
bervorrufe, lehnt der Verf. ab oder hält ihn höchſtens für einige Se 
minare zutreffend. 

Zu den allgemeinen Borausfegungen, unter denen die Forderungen 
erfüllt werden fünnen, die man an den Bolksfchullehrer zu machen bat, 


sechnet der Verf. in Kap. 4, daß berfelbe gefund, koͤrperlich tüchtig ſei, 











Allgemeine Paͤdagogik. 677 


ziemlich gute Geiſtesanlagen habe, ſelbſt erzogen fei, die für den Beruf 
nöthigen Kenntniffe befite und nicht vor erreichtem männlichen Alter ans 
gefellt werde, wenigftens nicht definitiv. Mit dieſen Korderungen find 
wir ganz einverflanden, namentlich mit der letzteren. Es tft unglaublich, 
was für amtliche und außeramtliche Ungehörigfeiten von Lehrern ausge» 
ben, die zu jung ins Amt kommen. Zum Schluß warnt der Berf. vor 
dem zu frühen Heirathen der Lehrer, da zu diefem wichtigen Schritte 
größere Reife und Erfahrung erforderlich fei, als ein junger Mann fie 
beige, dem wir ebenfalls nur beipflichten können. 

Das 5. Kap. bildet den Haupttheil des Buches. Es behandelt die 
ganze Zeit der Ausbildung eines Knaben und Sünglings zum Volks⸗ 
fhullehrer, von erfolgtem Austritt aus der Volksſchule an bis zu feinem 
Eintritt in ein fländige& Lehramt, oder vom 14. bis zum 25. Lebens« 
jahre. Diefe Zeit wird naturgemäß in drei Abfchnitte getheilt, nämlich 
in die Zeit 1. vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 17. Lebensjahre; 
2. von da bis zum vollendeten 21. Lebensjahre; 3. von da bis zum 
25. Lebensjahre, als der Zeit des beginnenden männlichen Alters. Hieran 
werden dann noch einige Bemerkungen über die Fortbildung fländiger 
Lehrer gereiht. 

Der erfte diefer Abfchnitte umfaßt die Profeminarzeit. Es 
wird zuerſt fegeftellt, was der Knabe in diefer Zeit lernen fol. Im 
Ganzen wird nur größere Befeftigung deffen verlangt, was eine gute Volls⸗ 
ſchule leiſtet. Im Religionsunterricht und in der Muſik werden die For⸗ 
derungen etwas gefleigert und Anfänge in der lateiniſchen Sprache für 
wünfchenswertb erklärt. 

Nah unferm Dafürhalten genügt das nicht: in allen Gegenflän« 
den Tann und muß über das Ziel auch der beſten Volksſchule hinausges 
gangen werden, wenn es in den Seminarien beffer werben fol. Es 
wird dies mit Leichtigkeit möglich fein, wenn die Knaben in diefer Zeit 
eine gute Realſchule oder, fals diefe fehlt, eine gute Präparandenanftait 
beſuchen. Gegen den Beſuch einer Nealfchule erklärt der Verf. fi uns 
bedingt, weil diefelbe weder für die Erziehung, noch für die religidfe und. 
insbefondere die mufllalifhe Bildung das Erforderliche leifte, die Auf 
merkſamkeit der Schüler außerdem auf viele Dinge richte, die für den 
künftigen Lehrer entbehrlich fein. Wo es fi darum handelt, den fünfs 
tigen Lehrern eine möglich ifolirte Stellung in der Welt zu geben, fie 
für ihren Beruf zu drefiiren, da haben diefe Einwendungen Grund, nicht 
aber da, wo man eine Stellung der Lehrer für nothwendig erachtet, wie 
die Glieder anderer Stände fie haben. So lange man nicht den fünf- 
tigen Zheologen mit dem 14. Jahre in befondere, fpeciell für feinen Bes 
ruf berechnete Anftalten bringt, fann man aud bei denen davon abſehen, 
die fi dem Lehrerberufe gewidmet haben, und ihnen getrof den Beſuch 
einer Realfhule, etwa bie zur Secunda, geflatten. Ich fenne mehrere 
Lehrer, die diefen Bildungsgang eingefchlagen haben, und fih jebt in: 
ihrem Amte auszeichnen. 

Wie die Realfehulen, fo genügen dem Berf. auch die befonderen, 
gewöhnlich mit einem Seminar verbundenen Präparandenanfalten nicht, 


678 Allgemeine Pädagogik. 


da Erziehung und Unterricht jungen, noch unreifen Ouffslehrern und 
Geminariften anvertraut werde. Am vortheilhafteflen erachtet ex es, wenn 
die Anaben einzeln oder allenfalls zu zwei, höchftend zu drei von einem 
tüchtigen Landlehrer in Gemeinfchaft mit dem Pfarrer vorbereitet werden. 
Kann man aber hierzu nicht Lehrer genug finden, fo ſolle man zweiklaſ⸗ 
fige Profeminarien mit befonderen Lehrern errichten, in jeder Klaffe ders 
felben jedoch nicht viel über 20, höchſtens 30 Zöglinge aufnehmen. Der 
praktifchen Vorbereitung halber follen diefelben jedoch nach ein oder zwei 
Fahren die Anftalt verlaffen und fih dann (je 1 -3) bei einem Schul⸗ 
tehrer auf dem Lande wiiter vorbereiten. 

Bir halten diefen Borfchlag für ganz geeignet, die Bildungszeit 
der jungen Leute zu zerreißen, ihr Kortichreiten zu behindern und müſſen 
und deshalb entfchieden dagegen erflären. May laffe die Präparanden 
in Familien wohnen, namentlid in folchen, ıwo kleinere Kinder find, und 
fie werden ſich die erwünfcte Praxis, die Fähigkeit, mit Kindern umzu⸗ 
geben, aneignen. Je fünfllicher die Bildungswege für die Lehrer anger 
legt werden, je mehr fie fih von denen für andere Stände entfernen, dee 
weniger werden fie ihrem Zwede entfprecen. 

Der zweite Abſchnitt behandelt die Seminarzeit, und zwar a. 
den Unterricht, b. die erziehliche Leitung der Geminariften, c. die Ans 
Rellung der Seminarlehrer und die DBertheilung des Unterrichts unter 
diefelben, d. die Lehrmittel des Seminars, e. die Abgangsprüfung, S. Das 
Derhältni des Seminars nach außen. 

Die Seminarzeit wird auf A Jahre fehlgefeßt, und zwar, wie aus 
einem Anhange (S. 172) erfichtli wird, nicht in der Abfiht, daß Die 
Zöpfinge „recht viel lernen, fondern reif werden zur Erziehung der Zus 
gend und zur Verwaltung einer Schule oder Klaſſe.“ Um tas Zuviel 
lernen zu verbüten, empfiehlt der Berf. ausgedehntere Gartens und lands 
wirtbfchaftliche Arbeiten, Beſuch der Werffätten der Handwerker, Buch⸗ 
binders und Drechslerarbeit. 

Sind das nicht trefflihe Zdeen? Sollte man übrigens durch die 
emipfohlenen Handarbeiten die Zeit noch nicht voͤllig conſumiren koͤnnen, 
ſo dürften ſich vieleicht täglich einige Stunden „ſtille Denkübungen,“ 
wie man dergleichen bier und da auch in Schulen antrifft, empfehlen ; 
die Seminariften würden dadurch auch nach dieſer Richtung Hin für ihr 
Amt vorbereitet. 

In Bezug auf den Unterricht fordert der Verf. im Allgemeinen, 
den Lehrer fo zu bilden, daß er im Stande fei, „ſelbſtſtaͤndig und nad 
eigener Weberlegung das für feine Schule Paffende auszuwählen.“ Die 
4 Seminarjahre follen fo vertheilt werden, daß in der Hauptſache die 
erſte Sälfte mehr für den eigenen Unterricht, die zweite mehr für die 
praftifche Unweifung zum Unterrichtertheilen beftimmt wird. Der relle 
giöfe, fprachliche und muſikaliſche Unterricht fol jedoch durch alie A Jahre 
fottgefeßt werden. 

Hierauf wird nun fehgeflellt, was in jedem Unterrichtsgegenſtaude 
zu beißen iſt. Wir ſtizziren diefe Ziele kurz. 

1. Religion. a. Bibliſche Geſchichte, b. chriſtliche Kirchengeſchichte, 





Allgemeine Pädagogik. 679 


6. Bibellefen, d. Katechiomus, e. Unterſcheidungẽlchren der Arifitihen 
Kirchen und Parteien im Baterlande, f. Bekanntſchaft mit den Kernlies 
dern der evangelifhen Kirche, ge. Wiederholung der gehörten Predigt, 
hUnterticht über das Kirchenjahr, i. theoretifche und praktiſche Anteitung 
zur Ertheilung des gefammten Religionsunterrichte. — Grzäblungen, 
welche in den Volksſchulen vorzugsmeife befprochen werden, follen fich 
die Seminariften „wo möglich wörtlich einprägen.’ 

2. Sprade. a. Uebung im richtigen mündlichen und I. ſchrift⸗ 
lichen Ausdrud, c. Anleitung zum guten Borlefen, befonderd zum Bors 
lefen von Bredigten, d. populärer Unterricht der deutichen Sprachlehre, 
e, „einige Kenntniß der befonders für die Bolksfchule und Kirche wich⸗ 
tigſten Literatur (Schriften über die Gegenſtände des Unterrichts, Kin⸗ 
derfchriften, Predigten, Kirchenlieder) — nicht Literaturgefchichte,” ſ. Un⸗ 
terricht in der lateinifchen Sprache, g. theoretifche und praftifche Anlei⸗ 
tung zur Ertbeilung des Sprahunterrichts in der Volksſchule. 

In diefem wichtigen Unterrichtögegenftande vermiffen wir Kenntniß 
und Berkändniß der durch die Schullefebücher verbreiteten profaifchen und - 
yoetifhen Stüde. Bei der außerordentlihen Wichtigkeit, welche das 
Leſebuch in der Schulte hat, gegenwärtig namentlich auch in Bezug auf 
einen fruchtbaren Sprachunterricht, darf Fein Seminarift entlaſſen werden, 
der mit diefen Stoffen nicht ganz vertraut wäre und He fachgemäß zu 
behandeln wüßte. Im Intereſſe der fünftigen Lehrer ſelbſt muß aber 
dad Seminar nod einen Schritt weiter gehen: es muß die Seminariften 
befannt machen mit den vorzüglichfien Gedichten und populär gewordenen 
größeren Schöpfungen unferer Hafliihen Dichter: Goͤthe's, Schiller's, 
Lefling’s, Uhland’s u. A In diefem Material if ein Bildungsftoff ent 
halten, der durch nichts Anderes erfeht werden fann. Werden die Se⸗ 
minariften durch eingebendes Beiprechen bierauf nicht eindringlich hinge⸗ 
wielen, fo bringt man fie oft für ihr ganzes fpäteres Leben um Genüſſe 
der edelften Art, um eins der einflußreihften Mittel für ihre Fortbil⸗ 
dung, gamz abgefehen davon, daß Nichtfenntniß unferer großen Dichter 
fie überall bloßſtellt. Giebt man den ganz entbehrlichen Unterricht im 
Lateinifhen, im dem bei 2 wöchentlichen Stunden doch nur wenig geleis 
Ket wird, auf, fo bleibt Zeit genug, dieſer Forderung Genüge zu leiſten. 
Auch für einen kurzen Ueberbiid der Literaturgefchichte, die der Verf. runds 
weg und ohne alle Gründe abmweift, bleiben dann noch ein paar Dugend 
Stunden übrig. 

3. Mufif. a. Uebung im Gefange, b. Anweiſung zur Ertheilung 
des Gefangunterrichts in der Schule, c. Biolinunterriht, der fo lange 
fortzufegen if, ,‚bi® die Seminariften die in der Schule zu fingenden 
Ghoralmelodien und Arien fe und rein fpielen können,“ d. Unterricht 
m Orgelſpiel, e. Belanntihaft mit der Orgel, um Beine Reparaturen 
ſelbſt beforgen zu können, S. theoretiicher Unterricht in der Muſik, Behufs 
ber gefammten muſikaliſchen Ansbitdung. 

4. Rechnen und Geometrie Im Rechnen wird die erforder 
liche Fertigkeit vorausgeſetzt; der Unterricht bat es daher nur auf Ans 
weifung zum Ertheilen des Rechenunterrichts in der Volkoſchule abzufehen. 


680 Allgemeine Paͤdagogik. 


In der Geometrie foll hauptfählih die Bormenlehre hervorgehoben, in 
der Planimetrie und Stereometrie nur die allerwichtigſten Säge in fteter 
Anwendung auf das praftifche Leben behandelt werden. 

Diefe Forderungen find viel zu niedrig, da der Berf. von den Praͤ⸗ 
paranden im Rechnen auch nur „Befeſtigung deſſen, was in einer guten 
Volksſchule vorkommt,“ fordert. 

5. Gemeinnügige Gegenfände (Weltkunde). Um firebfame 
Lehrer und foldhe, die gern mit ihren Schülern glänzen wollen, vor der 
Verſuchung zu bewahren, dies Unterrichtsgebiet zu erweitern, fol ſich Das 
Seminar, was den Stoff anbelangt, in der Hauptfache nicht mehr geben, 
als in jeder guten Bollsfchule vorfommen muß. Wii ein Zögling mehr 
lernen, fo möge das feinem Privatkudium und feiner Kortbildung nach dem 
Austritte aus dem Seminar überlaffen bleiben. In einem Anhange (S. 181 
u. f.) fpricht der Verf. noch befonders über „die Berüdiidhtigung der Raturs 
wiffenfchaften und der Mathematif bei der Bildung des Volksſchullehrers,“ 
Bleibt aber auch Dort bei dem fchon hier bezeichneten Minimum ftehen. 

. Diefe Beichränfung der Realien ift in einer Zeit, wo namentlich 
die Naturwiſſenſchaften den Mittelpunff und die Orundlage aller indu⸗ 
ftriellen Zortfchritte bilden, unnatürlich, und wir bedauern, fie von einem 
Manne in fo einflußreiher Stelung ausgeben zu fehen. Lehrer mit uns 
genügenden Real» und Literaturfenntniffen find nach unferm Dafürbalten 
jett ſehr befremdliche Erſcheinungen. 

6. Im Schreiben foll nur Anleitung zur Ertheilung dieſes Uns 
terrichtsgegenftandes gegeben werden. 

T. Das Beinen Non vorzugsweife Gegenfand „der eigenen 
Uebung“ fein. 

Wir halten dafür, daB dem Zeichnen größere MWichtigfeit beizulegen 
iR, und zwar hauptſächlich, um den Kunftfinn der Zöglinge zu läutern. 

8. Das Turnen foll möglihft ohne Geräthe vorgenommen werden. 
Militärifche Webungen werden empfohlen. 

9. In der Pädagogik foll vorkommen: a. Anleitung zur Erzie⸗ 
bung, b. zum Unterricht in der Volksſchule, v. Anthropologie, insbeſon⸗ 
dere Piychologie, d. Uebung in der Bildung und Erklärung von Begrifs 
fen, Urtheiten und Schlüſſen (Denfübungen), e. Kenntniß der Schulge⸗ 
feßgebung des Landes, f. Gefchichte der Erziehung und des Unterrichts, 
g. NRatbichläge für das Berhalten der Lehrer in den Lebensverhältniffen, 
in die fie zunächft treten. 

Manches von dem Genannten gehört nicht zur Pädagogif, muß in, 
deß in einem Seminar doch zur Sprache fommen, ob hier oder ander 
* (die Denfübungen z. B. im Sprachunterricht), bleibt ſich zuletzt 
gleich. 

10. Für die praktiſche Bildung der Seminariſten fordert der 
Berf., daß die Seminariften a. mehrere tüchtige Lehrer Tängere Zeit in 
in ihrer Schulthätigkeit, b. Kinder verfchiedenen Alters und Geichlechts 
in und außer der Schule beobachten, c. unter Auffiht und Leitung der 
Lehrer fich feib in den verfchiedenen Klaffen der Schulen im Unterrichte 
und in der Leitung diefer Klaffen üben. 


0 


Allgemeine Pädagogik, 681 


Damit find wir ganz einnerflanden. 

In dem Abfchnitt über „die erziehliche Beitung der Seminas 
riſten“ erklärt fi der Berf. für güt eingerichtete Internate von mäßigem 
Umfange. Seminare niit 100 oder 150 Zöglingen wirken nad feiner 
Anficht in mehrfacher Beziehung verderbli, worin wir ihm gern beis 
pflichten. Wo ein zwedmäßtiges Internat nicht hergeftellt werden kann, 
wi der Berf. auch das Erternat geflatten, bringt indeß viele Bedenk⸗ 
lichkeiten dagegen vor. Wir können diefelben nicht alle theilen und halten 
den Gewinn, der den Seminariften aus dem Verkehr mit Familien ers 
wähf, für fehr belangreich in Bezug auf feine fpätere Lehrerthätigfeit. 


Bon den Seminarlehbrern fordert der Verf., daß ſie chriſtliche 
Erzieher und vertraut mit dem Volksſchulweſen feien. Beide Forderungen 
find bedeutungsvoll; wir hatten häufig Gelegenheit zu feben, daß ihnen 
nicht Rechnung getragen wurde. Der Anftellung von Fachlehrern ift der 
Berf. entjchieden entgegen, da es ſich bei den Seminarzöglingen nicht 
vorzugsweife um Förderung von Kenntniſſen und Fertigkeiten handle. 
Diele Uebelftände, die man der Seminarbildung zur Laft legt, follen in 
der Anftellung von Fachlehrern ihren Grund haben. „Die Anftellung 
von Fachlehrern an Seminarien,” heißt e8 ©. 126, „entrückt Lehrer und 
Schüler dem Kreife der Bolksfchule, und zwar um fo mehr, je mehr fich 
der Fachlehrer in feinem Fache auszeichnet und auszuzeichnen firebt, je 
einfeitiger er feine Zhätigfeit demfelben allein zuwendet, und je weniger 
fein früherer Bildungsgang die Kreiſe der Volksſchule berührt Iat. Die 
Anſtellung eines befondern Fachlehrers für Naturwiffenichaften kann auch 
Gefahren für die religidfe Bildung der Zöglinge herbeiführen und die 
eines befondern Muſiklehrers Nachtheile durch gefellige Verbindungen haben. 
Was das Erfte anlangt, fo weiß ich fehr wohl, daß die Natur auch eine 
Dffenbarung Gottes if, und daß viele Naturforfcher und Raturfundige 
in der Natur Gott fuchen und finden; aber es liegt ja offen zu Tage, 
daß viele naturwiſſenſchaftliche Schriften geradezu Unglauben Iehren, und 
daß viele Männer, die fih mit den NRaturwiffenfchaften befchäftigen, „die 
Natur’ anflatt ihres Schöpfers ehren und preifen. Gin Mann, der fi 
bloß mit Naturwiffenfchaften befchäftigt, wird ſolcher Lectüre und folchen 
Umgangs gar nicht entbehren können, und es gehört große Entſchieden⸗ 
heit und Feſtigkeit der religiöfen Ueberzeugung und des innern religiöfen 
Lebens dazu, wenn er dann derartigen, verderblichen Einfluß ganz von 
fih und feinen Schülern abwehren will. In ähnlicher Weife kann der 
Mufiklehrer, zumal in größeren Städten, in Gefahr fommen, fi in das 
weltliche, Teichtfertige Treiben hineinziehen zu Taffen, welches vielen eigen 
if, die fih mit Geſang und Muſik befchäftigen. Und auf die jungen 
@emüther der Böglinge wirken Reize diefer Art gar zu leicht in hohem 
Grade verderblich ein.’ 


Diefe Anfichten harmoniren mit dem Geifte des ganzen Buches, mit 
dem Streben des Berf., Lehrer zu bilden, die in ihrer Bildung die 
Glieder ihrer Gemeinden nicht überragen, Wir können fie nicht zu den 
unfrigen machen. infeitig gebildete Bachlehrer begehrten wir zwar auch 


682 Allgemeine Pädagogik. 


nicht für Die Seminare, halten aber dafür, daß jeder Unterrigtägegen- 

Rand durd eine küchtige Lehrerfraft vertreten fein müſſe. 

Für die Lehrer, welche Religions» und Sprachunterricht zu ertheifen 
haben, verlangt der Verf. theologifche Rildung ; für die übrigen bäft er 
eine gute Seminarbildung für ausreichend. Das theologiiche Element 
fol im Rehrercollegio vorherrſchen, nicht bloß des Unterrichts, fondern 
auch um des gegenfeitigen Einfluffes willen, den die Lehrer auf einander 
haben. Die nichttheologifchen Lehrer follen fih dur den Umgang mit 
den theologiich gebildeten zu einer höheren, gediegeneren Bildung empor» 
heben und zu denfelben in einem Berbältniß fliehen, daß die Böglinge 
darin ein Vorbild ihres fpäteren Berhältniffes zum Pfarrer erbliden. 

Wird e8 bei folder Anfiht möglich fein, ein in ſich einiges 
Seminarlehrercollegium zu haben? Wir bezweifeln das fehr Hart. Ein 
Seminardirector follte fih forgfältig büten, eine folche Sceidewand im 
Lehrercollegio aufzubauen; fie fann nur zum Unheil gereichen. 

Was der Berf. über die Lehrmittel des Seminars, fiber die Abs 
gangsprüfungen, über das PVerhältnig des Seminars nach außen fagt, 
it im Ganzen angemeffen. Auch die Ermunterung der Seminarlehrer 
zu etwas größerer fchriftftellerifcher Thätigfeit finden wir zeitgemäß. Lei⸗ 
der find aber diefe Männer Durch die immerwährende Ueberwachung der 
Seminariften derart in ihrer Zeit befchräntt, daß ihnen die Luft zur 
freien Production nur ſelten kommt. 

Wenn wir ſchließlich auch gern anerkennen, daß die beſprochene 
Schrift manches Gute und Nachahmungswerthe enthält, fo konnen wir 
doch nicht ſagen, daß durch dieſelbe irgend ein Fortſchritt im Bildungs⸗ 
gange der Volksſchullehrer begründet würde. Sie if ein Abklatſch des 
längft Bekannten, merklich jedoch geſchwächt durch die auf dieſem Gebiete 
in letzter Zeit eingetretenen retrograden Bewegungen. 

58. Ordnung der evangeliſchen Schullebrerfeminare im König 
reih Sadfen vom Jahre 1857. gr. 8. (32 ©.) Leipzig, 3. ©. Ten 
ner. 1857. 4'/s Sgr. 

Diefe Schrift if ein officielles Altenfüd, ein Erlaß des Sächſ. 
Minifteriums, bat alfo ganz die Bedeutung der Preuß. Regulative von 
1854. Biel und Weg, welde fie für die Lehrerbildung anordnet, find 
im Ganzen die durch die Preuß. Regulative feflgeftellten; doch wird in 
einzelnen Fächern etwas mehr verlangt. | 

Da wir unfere Anfichten über den Bildungsgang und das Bildungss 
ziel der Volksſchullehrer bereits bei der Schrift von Steglich mitgetheilt 
haben, fo beſchränken wir uns bier darauf, einige Säße herausjußeben, 
die den Geift der Verordnung charakteriſiren. Sie zerfällt in zwei Theile, 
von denen der erſte allgemeine, der zweite beſondere Beſtimmungen ent⸗ 
hält. Die Anordnung if lichtvoll, der Ausdrud nirgends zweifelhaft. 

8. 8. „Die Aufnahme in das Seminar hat in der Regel nicht 
dor Erfünlüng des 16. Lebensjahres zu erfolgen, folk jedody bei Jüng⸗ 
fingen, die befondere Hoffnungen geben, dispenfationdmeife fräber, in feis 
nem Falle aber vor Erfüllung des 15. Lebensjahres ſtattfinden. Das 
gegen ſollen Junge Männer, welche [id von einem anderen, ba 














Allgemeine Pädagogik. 683 


fonders gewerblihen Lebens berufe dem Lehrerftande zumenden 
wollen, bis zum 25. Lebensjahre ohne Dispenfation, und bis zum 30. 
nah Befinden mit Dispenfation des Minifteriums zur Aufnahme gelane 
gen können.“ 

8. 11. „Die Bildungszeit des Zöglings und deren Aufenthalt im 
Seminare umfaßt den Zeitraum von vier Jahren, foll jedoh auch in 
einzelnen Fällen mit Genehmigung der Kreigdirection um ein Jahr vers 
länger werden Tönnen.‘ 

Die Vorbereitung zum Seminar wird vorzugsweife in Präparan« 
denanftalten, die mit einem Seminar in Verbindung ſtehen, gewünfcht. 

8. 16. „Die Grundlage der Hausordnung bildet das Internat.“ 

$. 18. Die Zöglinge follen zu geeigneten häuslichen Arbeiten bes 
nußt werden, 

$. 22. „Beurlaubungen zu Ausgängen behufs etwgiger Beforguns 
gen ertheilt der Director nur auf Grund eines vorhandenen Bebürfnifies 
und zu Beſuchen in Yamilien nur fparfam und unter einer folchen Bons 
trole, daß die Disciplin der Anftalt darunter nicht Schaden leidet.‘ 

8. 32. In Betreff der Lehrgegenflände wird Bereinfachung und 
Concentration angeftrebt. Als Unterrichtsgegerftände werden feftgeftellt: 
1. Religion, 2. Katechetit, im Anſchluß an die Religion, 3. deutfche 
Sprache, A. Geographie und Gefchichte, 5. Naturkunde und Naturger 
fhichte, 6. Rechnen, 7. Anfangsgründe der Raumlehre, 8. Pädagogik, 
9. Schönfchreiben, 10. Zeichnen, 11. Turnen, 12. Mufl. Weafallen 
fol der Unterricht in der fateinifhen Sprache, und als felbfiftändige 
Segenflände die Logif und Seelenlehre. Lebtere ſoll theild im Katechis⸗ 
musunterricht, Theile in der Pädagogik ihre Stelle finden. 

Die Lehrfächer werden in foldhe erflen und zweiten Ranges einges 
theilt. Zu den erfleren gehört der Mefigionsunterricht, die Katechetik, 
die Mufll, die deutfche Sprache, das Mechnen und die Pädagogik; zu 
ben letzteren die übrigen. 

Der Spradunterrit foll fi auf Grammatit und Styliſtik erftrefs 
fen, bei erflerer jedoch möglichft abfehen von einem dürren und trodenen 
Zormalismus. In einem fpäteren Paragraphen wird auf Ausbildung 
und Läuterung des angeborehen Sprachgefühls uud Erklärung von Mus 
Rerftüden hingewiefen, ohne jedoch die Art der Mufterftücte näher zu bes 
eichnen. " 
| „Das Rechnen, welches ſowohl als Kopfrechnen wie als Tafelrechnen 
zu beireiben if, hat von den vier Grundrechnungsarten in ganzen, ges 
brochenen und benannten Zahlen bis zu den Decimalzahlen, zum Aus⸗ 
ziehen der Quadrats und Kubikwurzel fortzugehen.‘ 

Hierin wird alfo durchweg mehr gefordert, als in den Preuß. Res 
gulativen, weit mehr, als Steglich feſtſetzt. 

Die Kehrfächer zweiten Ranges follen „partienweife nach den Ges 
ſichts punkten des Wichtigften, des Naheliegenden und Leichtverftändlichen, 
des für die allgemeine Bildung und für das tägliche Leben Nüglichen 
und Brauchbaren im Unterrichte‘‘ behandelt werden Die Raturgefchichte 
folk in. den beiden untern, die Naturlehre in den beiden obern Klaſſen 





684 Allgemeine Pädagogik. 


mit einer wöchentlihen Stunde auftreten; Geographie und Gefchichte 
zufammen mit 2—3 wöchentlichen Stunden, Geometrie mit einer Stunde, 
Beichnen mit zwei Stunden. 

In den Realien werden fonach die fächfifchen Lehrer für die Zukunft 
nicht viel Teiften. 

Die Seminarfchule fol zweiklaſſig, höchſtens dreiflaffig fein, und 
jede Klaſſe nicht mehr als AO bis 50 Schüler enthalten. 


59. Der Geiſt der drei Preugifhen Regulative vom 1., 2. und 3, 
Dctober 1854. Drei Vorträge vor einer Lehrer⸗Verſammlung gebalten von 
I. W. Ramm, Pfarrer. gr. 8. (62 S.) Erfurt, Keyſer'ſche Buchh. (E. 
K. Thomaß.) 1855. geb. 6 Sar. 


„Ich möchte — wollte Gott es gelänge mir — dem trodenen Akten⸗ 
flüd, das mit nackten Forderungen vor uns hintritt, den Geiſt der erns 
len Liebe, aus dem es gefloffen, einhauchen ; ich möchte, wo es in feinen 
Motiven und Begründungen feine Forderungen und Befchränfungen rechts 
fertigt, mit warmem Herzen diefe Motive und Begründungen zu Ihnen 
fprechen, daß auch Sie mit voller Seele fi zu den Regulativen befenn- 
ten. Ich möchte den Wahn zerftreuen, als conflatirten fie einen Rück⸗ 
ſchritt, den ein Theil der Zeitgenoſſen in verhängnißvoller Abficht bezwecke, 
amtsmäßig. Ich möchte aus ibnen ein Bild des Lehrers und der Schule 
entwerfen, daß Sie fprähen: Ja das ift unfer Ideal.“ 

Das war die Aufgabe, die der Verf. fich geftellt hatte Ob er fie 
erreicht hat? Wir glauben es nicht. Seine Vorträge find nach jeder 
Beziehung hin fo voll von Webertreibungen, daß es faum etwas Uners 
quidlicheres geben Tann, als fie ganz zu lefen. Auf diefe Weife werden 
ſchwerlich Biele für die Regulative gewonnen werden. 


60. Was wird von dem Geiftlihen verlangt, Damit erden Gegen 
der Regulative vom 1., 2. und 3. Dctober 1854 der Schule 
qumenbet Dortrag gnebalten in der Niederlaufiper Paſtoral⸗Conferenz im 

uguft 1855 von I. E. Fritze, Paftor zu Leuten. Didcele Cottbus. Be: 
fonderer Abdrud aus dem Schulblatf für die Provinz Brandenburg. Heft 
1. 2. 1856. gr. 12. (24 ©.) Berlin, 3. A. Wohlgemuth. 1856, 2'/s Egr. 


Diefer Bortrag if ein Seitenftüd zu dem eben angezeigten Ramm’- 
fhen. Der Berf. bezeichnet die Regulative als eine von Gott Dargereichte 
Segensgabe, für welche die Geiftlichen als Diener der Kirche dem Herrn 
ihr Lob und Danfopfer darzubringen haben. Bon diefem Geſichtspunkte 
aus werden diefelben aufgefordert zum fleißigfien Studium der Regulas 
tive, zur Einrihtung der Schulen nach denfelben, zur ernftlichen Einwirs 
fung auf die Lehrer, welche der „deutſchen Paͤdagogik“ zugetban find, 
desgleihen auf die ParochialsLehrerconferenzen, zur Beauffichtigung und 
Errihtung von Präparandenanftalten. 

Wir halten dafür, daß Diejenigen, welche erſt durch derartige Bors 
träge gewonnen werden, zu den ſchwachen Brüdern gehören, deren Wirk⸗ 
ſamkeit für die Schule zu feiner Zeit hoch anzufchlagen fein wird. 


61. Die neue Boltlsfhule Eine Beurtbeilung der preußifchen Unterrichts⸗ 
Regulative im Begenfag zur Diefterweg'ichen Würdigung berielben. Bon. 








Allgemeine Pädagogik. 685 


K. Kalcher, Lehrer in Torgau. Gr. 8. (102 6.) Berlin, W. Hertz. 1855. 

Geh. 12 Ser. 

Der Berf. hat ſich die Aufgabe geftellt, die Regulative gegen die 
Angriffe zu vertheidigen, welche diefelben von Diefterweg erfahren haben. 
Es geichieht das in der Weile, daß er überall das Gegentheil von dem 
behauptet, was Diefterweg gejagt hat, und fi möglichft bemüht, Dies 
zu beweifen. Es fcheint aber, als wenn der Verf. ſich dieſe Aufgabe 
leichter gedacht habe, als fie in der That if. Einen Mann von Diefters 
wege Schärfe, Kenntniffen und Erfahrungen in der Pädagogik zu widers 
legen, muß man wirklih etwas gründlicher verfahren, als es in der ger 
nannten Schrift gefchieht. Dieflerweg pflegt feine tüchtigen Gegner mit 
Hochachtung zu behandeln; von unferem Berfafler ſpricht er mit Ger 
ringſchaͤtzung. 

So ernſtlich ſich übrigens der Verf. auch der Regulative annimmt, 
ſo dürfen wir doch nicht unerwähnt laſſen, daß er ihnen nicht in allen 
Punkten beiſtimmt. So findet er die Auoſchließung unſerer klaſſiſchen 
Literatur im Seminar ganz und gar nicht in der Ordnung, tadelt auch 
die untergeordnete Stellung, welche der Mineralogie angewieſen iſt, die 
Empfehlung der kleinen Naturgeſchichte von Schubert u. dergl. mehr. 
Das hatten wir kaum erwartet. 
62, Altenſtücke zur Geſchichte und zum Verſtändniß der drei 

Preußiſchen Regulative vom 1, 2. und 3. Oktober 1854. Mit 

erläuternden Bewertungen herausgegeben von F. Stiehl, Geheim. Obers 

Reglerungd» und vortragendem Rath in dem Königl. Minifterium der 

gl lichen, Unterrichts- und Medilcinalangelegenheiten. 8. (96 ©.) Berlin, 

W. Herß. 1855. Geh. Ya Thlr. 

Kenntniß diefer Schrift dürfen wir vorausfepen. 

63. Die drei Preußiſchen Regulative vom 1., 2. und 3. Oftober 1854 
über Ginrichtung des evang. Seminars, Präparandens und Elementarfchuls 
Unterrichts nach ihrem Werthe beurtheilt von einem älteren Pädagogen. 
Mit einer Einleitung von Dieſterweg. (Befonderer Abdruck aus Dieſter⸗ 
weg’d „Mheinifihen Blättern," 51. Band, Heft 2.) 8. (76 ©.) Eſſen, 
G. D. Bädeler. 1855. Geb. 7’/s Sgr. 

64. Die drei Preußiſchen Regulative. I. und II. Würdigung derfelben 
von U. Diefterweg. Gr. 8. (97 u. 134 ©.) Berlin, € H. Schröder. 
1855. Geh. & 12 Sgr. 

Die große und flarfe Verbreitung, welche diefe beiden Schriften 
gleih nach ihrem Erfcheinen gefunden Haben, macht ein näheres Ein« 
gehen auf diejelben überflüffig. Wer eine Bertheidigung der Regulative 
lie, muß auch diefe „ Würdigung‘ derfelben zur Hand nehmen, da Alle 
fi$ darauf mehr oder weniger beziehen. 

65. Pädagogifhe und theologifhe Antworten auf die drei 
Breufifgen Regulative vom 1., 2. und 3. Dftober 1854, zufanmengeftellt 
und herausgegeben von 2, P. D. Emmerich. Erfte Lieferung. 8. (IX 
u. 61 ©.) Bonn, T. Habicht. 1857. Geh. ! Thlr. 

Der Berf. beurtheilt in diefem erſten, uns jetzt nur vorliegenden 
Hefte die Regulative vom Standpunkte des freien Proteflanten aus, „der 
in Glaubensfachen feine menſchliche Auctorität anerfennt,‘ und kommt 


686 Allgemeine Pädagogik. 


zu dem allerdings bedeutungsvoflen Refultat, daß „bie neueflen Schul⸗ 

Regulative den Wöllner’fchen anti» proteflantifchen Geiſt wieder herauf⸗ 

beſchwoören.“ Jedenfalls verdient die Schrift mit derfelben Ruhe, 

Gründlichkeit und Parteilofigfeit geprüft zu werden, durch die fie 

ſelbſt fich auszeichnet. Da die pädagogifhe Seite der Regulative in 

diefem Hefte nicht in den Vordergrund tritt, fo behalten wir uns 
ein näheres Eingehen auf diefe Schrift für den nächſten Band des 

Sahresberichtes vor. 

66. Der organifd vereinfachte wödhentlihe Lehr: und Uebungd- 
plan in der einflaffigen Kandfhule Nah KR. F. Schnell, in 
einem anſchaulichen Bilde aus der Schule praktiſch dargefleit von Auguſt 
Schulz, Lehrer zu Hindenburg bei Prenzlau. Mit einem DVorworte nom 
Dberprediger Duchſtein. 8. (64 ©) GSchwiebus, C. Wagner. 1855, 
sr Ihle. 

Ein fhwacher Berfuh, die Schnell'ſche Gentralifation des Unter⸗ 
richts darzulegen, darum ſchwach, weil der Verf. nicht verkand, das 
Specifiſche von dem Allgemeinen, von dem Verfahren, das auch obne 
Goncentration von guten Lehrern angewandt wird, zu fcheiden. 

67. Schulordnung nebſt Einrichtungs⸗ und Lehrplan für die preußifche 
Volksſchule. Auf Grund älterer und neuerer Verordnungen der Königl. 
Behörden und der drei preußiichen Regulative zufammengeflellt von Dr. 
Wangemann, Arhidiaronus und Seminardirertor zu Gammin in Pom⸗ 
mern. Erſte Abtheilung, welche die Echulordnung und die äußerlichen 
Einrihtungen betrifft. Sr. 8 (XII u. 155 ©.) Berlin, 3. 4. Wohl 
gemuth. 1856. Geh. 12 Sgr. 

Der Berf. bat das ihm zugänglicde Material an allgemeinen und 
fpeciellen Berordnungen und Berfügungen der Schulauffihtsbehörden ges 
fammelt, gefichtet, geordnet und überfichtlih zu einer „Sculordnung‘‘ 
zufammengeftellt, bauptfächlich im Intereſſe der Schulinfpectoren, denen 
wir dies Werk hiermit empfehlen. Die bedeutende Arbeit von 2. v. 
Rönne: ‚Das Unterrihtsweien des preußifchen Staates in feiner ger 
fchichtlihen Entwidelung,,” Berlin, 1854, fcheint der Berf. nicht ge 
kannt zu haben; es hätte ihm viel Mühe erfparen fünnen. 

Die zweite Abtheilung diefes Werkes foll eine Eremplification von 
der Weiſe geben, wie nah des Verfaſſers Ueberzeugung eine Volks⸗ 
fyule auf Grund der Regulative fih ım Innern fruchtbringend ents 
wideln könne, wird alfo ein Geitenfüd zum Golgfh’fchen Lehr⸗ 
plan fein. 


V. Bädagogifche Beitfehriften. 


Unter den Ständen, die das Verlangen nach Belehrung, Anregung, 
gegenfeitigem Austaufh der Ideen und Grfahrungen haben, flebt der 
Lehrerftand vielleicht obenan. Wo ein gutes Bud, oder eine pädagogiſche 
Beitfäprift zu erlangen, wo etwas Nügliches zu feben oder zu hören, 
ein gleichftrebender College zu fprechen iſt: die Lehrer find überall zur 
Hand. „Ich habe unter Lehrern geſeſſen,“ fagt Dieſterweg im Jahr 
Puh für 1857, ©. 245, ich habe fie in Waffe beifammengefehen un? 


Allgemeine Pädagogik. 687 


ib muß fagen: ein aufmerffameres Publikum if mir nirgends zu Ger 
Acht gekommen, ihre Leiber reden ſich, auf ihrem Antlig lie man bie 
Begierde zu hören und zu lernen, nnd wenn man unter vier oder acht 
Augen ihre Bekenntniffe vernimmt, fo gewahrt man auffirebenden Sinn 
und die Begierde, zu wirken, fich einem belebenden Ganzen anzuſchließen, 
ein Glied zu fein in der lebendigen Wechielmirfung des Empfangens 
und Gebens. Das File Studium umd die Beihränfung auf die 
eigene Erfahrung genügt Keinem; Ale verlangen nad Mittheilungen von 
Gleichſtrebenden, mündlichen wie ſchriftlichen. Leptere müſſen, da die 
Lehrer fehr an den Ort ihrer nächften Wirkſamkeit gebunden find, das 
Bedürfniß vorzugsweife befriedigen. Das pafiendfte Mittel dazu find 
Die pädagogifchen Beitfchriften. Inneres Bedärfnig war es überall, 
das fle ins Leben gerufen bat und erhält. Und je mehr der Lehrerr 
Rand ſich herausarbeitete, ſich feiner bewußt wurde, deſto größer wurde 
die Zahl der yädagogifchen Beitfchriften. Nach einer Mittheilung im 
2. Hefte der ‚Pädagogifchen Monatefchrift für die Schweiz’ won Bruns 
Holzer und Zähringer (1856) hatte die Schweiz von 1803 — 1815: 2 
pädag. Beitichriften, von 1815—1830: 2, von 1830—1856: 32, yon 
Denen zwar der größte Theil wieder eingegangen ift, einige aber auch 
noch beſtehen. 1856 beſaß die Schweiz gleichzeitig 7 deutſche und 2 
. franzöffche yädagog. Beitichriften. Aehnliche Erfcheinungen haͤben wir 
in Deutihland. Nah Nr. 8 der „Wügemeinen deutfchen Lehrerzeitung“ 
von Bertbelt (für 1856) haben wir gegmmwärtig 48 (50 mit Diefters 
wegd Jahrbuch und Boͤdeker's Jahrbuch für hannoverſche Volksſchul⸗ 
lehrer) pädagog. Zeitſchriften, eine Zahl, die bei aller Größe im Ver⸗ 
haͤltniß zur Schweiz Bein zu nennen if. Rad der Form des Erſchei⸗ 
nens find 3 Jabrbücher, 18 Zeitungen in ganzen und halben Bogen 
und 28 Zeitſchriften in monatlichen, zweimonatlichen oder —— 
Heften; nach der Confeffion geben ſich im Titel 10 als katholiſch, 2 
als evangeliſch, 1 als Iutherifh zu erkennen; dieſe legten 3 mit einge 
rechnet, gehen 39 von Proteftanten aus. Speciell auf das Volksſchul⸗ 
weien beziehen ſich 34, auf das höhere Unterrichtsweſen (Gymnafien 
und. Realſchulen) 5 auf einzelme Zweige (Turnen) 2; einen allgemeinen 
Charakter haben 8 

Bon‘ diefen FZeitſchriften friſtet die Mehrzahl ein ziemlich trauriges 
Daſein. Es giebt darunter Blätter von 50 Eremplaren Auflage (Fol⸗ 
ſtugs „Elternhaus’‘). Dagegen werden ber „DOeſterreichiſche Schulbote“ 
und der „Schuifremd‘' in 2000 Exemplaren verbreitet. Für den 
„Schutfteund‘‘ beruht diefe Angabe wohl auf einem Irrthum, wie 
denn überhaupt den Angaben über die Stärfe der Auflagen ber 
kanntlich nidet immer zu trauen if. Vom „Praktiſchen Schulmana” 
werden 1500 Exemplare abgezogen, vom „Schulblatt für Die Provinz 
Brandenburg‘ 1450, von Hartmanns „Volksſchule“ 1400, von unferm 
„Zahrespericht” 1250, vom „Trierſchen Schulblatt“ 1200, vom „Süds 
deutſchen Schulboten 1000. Bon den übrigen Journalen erreicht keins 
eine Auflage von I000 Exemplaren. 

Aelteren Beobachtern iR es nicht entgangen, daß die Zahl bar 


688 Allgemeine Paͤdagogik. 


Lefer pädagogifcher Zeitfchriften eher im Ab⸗ als im Bunehmen bes 
griffen if. Die Urfachen. Hiervon liegen nahe. Als eine der erſten muß 
die geringe Befoldung der Lehrer bezeichnet werden, die durch die hohen 
Breife aller Lebensmittel in den legten Jahren auf den halben Werth 
gebracht worden if. Die Mehrzahl der Lehrer muß dem Brivatunters 
richt oder anderen Nebenbefchäftigungen nachgeben und verliert dadurch 
geit und Luf zur Fortbildung, zum geiftigen Verkehr mit Amtsgenofs 
fen; Körper und Geift werden dadurch abgeſchwächt und verlieren die 
erforderliche Elaftieität. Neben Denen, welche die Noth gleichgültig für 
Standesintereffien macht, giebt es aber auch Solche, die überhaupt feine 
Notiz von der pädagogifchen Literatur nehmen. „Es giebt Lehrer,“ fagt 
Diefterweg im „Jahrbuch“ für 1857, ©. 266, die nichts lefen, die 
feine Bücher kaufen, Leine pädagogiſche Zeitfchrift halten, auch fih an 
feiner betheiligen, für welcde Die Xiteratur nicht da if. Wie Diele 
Lehrer das aushalten, verftehe ich nicht. Auch babe ich feine Vorſtel⸗ 
fung davon, wie e8 in ihrem Geiſte ausjehen muß. Ihr Verhalten in 
der angedeuteten Negation, dem vollfändigften Nihilism, zu entſchul⸗ 
bigen, halte ich für unmöglid. Denn auch auf der armfeligften Stelle 
giebt es alljährlich Gelegenheit, einige Mal extra ein paar Groſchen zu 
verdienen oder zu erſparen. Und ein nicht ertöbteter Menſch will doch 
willen, welche Stunde die Uhr der Zeit zeigt. Die Pädagogik kann 
daher folchen Lehrern keine Abfolution ertheilen.‘ 

Zum Theil tragen wohl die Zeitichriften auch felbf die Schuld 
davon, daß die Lehrer gleichgültig gegen fie werden und aufhören, fe 
zu leſen. „Werfe ich,’ jagt Diefterweg a. a. D. Seite 244, „einen Blid 
auf die ganze periodifche pädagogifche Kiteratur, indem ich mich ſumma⸗ 
rifh des Eindruds erinnere, den fie feit Jahren auf mich madt, io 
entwindet fich ein Seufger meiner Bruſt. Alfo, muß ich fagen, fo iR 
fe, die Literatur, fo matt, fo troden, fo ledern, begeifterungsios, ohne 
Auffhwung, obne Leben, fo dogmatifh und triviat, wie eine einge. 
fhrumpfte, vertrodnete Mumie! Ich rede von dem Totaleindrud, und 
ich nehme meine eigenen Blätter nit aus. Was könnte diefe Literatur 
fein, was follte fie fein? fie, die zu bunderttaufend Menichen redet, zu 
den Menfchen, welde unter den Frühlingoknoſpen der Menſchheit leben, 
deren fhlummernde Phantafle zu beleben, die Elemente des Geiſtes zu 
weden, für alles Große und Erbabene zu begeiftern den göttlichen Beruf 
haben? Wo trifft man — fagt e8 mir, Lefer! — aud nur Spuren 
der Begeifterung und des Feuers, Momente, die uns ſelbſt das Herz 
erwärmen, weil fie angebaut find, wenn nicht von der Gluth, Doc 
von der Wärme des Lebens? Sind nicht „4. oder JL oder „I, der 
in den Tournaten enthaltenen Auffäpe, Anreden, Anfpraden, Ermah⸗ 
nungen, Kritiken etwas mehr als trodene Unterfuchungen, lahme Mit 
theilungen, einfchläfernde, ja fogar dummmachende und auf Befchränfung 
des an fich ſchon Pleinen Horigontes des Lehrers berechnete Salbgdereien ? 
Bielleiht bin ich ungerecht, ich rede in umbdüfterter Stimmung; aber ich 
lechze nach beiebenden, ermutbigenden, begeifternden Worten ; immer von 
Meuem öffne ich die Blätter mit zitternder Hand und — finde fo wenig, 








Allgemeine Pädagogik. 689 


fo daß auch diefe Literatur mehr lähmt als ſtärkt. Ich will zugeben, 
daß ich übertreibe; aber wenn diefe Worte auch nur eine halbe Wahr⸗ 
heit enthalten, fo Tann man doch der Frage nicht ausweichen: woher 
diefe Mattheit des Herzens, diefe Lahmheit der Phantafle, diefe Sudt 
zu dämpfen, niederzufchlagen und in audgefahrenen Bahnen wieder ein» 
zulenken, fatt zu erheben und zu beleben und zu freudigem Wirken zu 
entflammen?“ Dieſterweg erflärt fih dieſe Abſchwächung der pädagogis 
fhen Literatur aus dem gegenwärtig herrfchenden Zeitgeifte, „dieſem 
unfihtbaren und doch fo fühl», faft greifbaren Fluidum.“ Die potitifche 
und religiöfe Stimmung ift nah ihm (Jahrbuch 1857 ©. 262 u. f.) 
derart, daß ein frifches pädagogiſches Leben, aller Anläufe ungeachtet, 
nicht entfliehen kann. Auch der durch die preußifchen Regulative gegebene 
Anſtoß if faum noch bemerkbar. 


Trog alledem Lönnte es aber doc etwas befler um die pädagogis 
fhen Beitfchriften fliehen, wenn fich nicht, wie Zähringer im 1. Hefte 
der „Pädagogiſchen Monatsfchrift für die Schweiz‘ richtig bemerkt, die 
„hoͤher geftellten Lehrer, welde durch ihre umfaflendere Bildung und 
ihre rubigere Stellung berufen fcheinen, belehrend, erwärmend und flärtend 
auf die übrigen Lehrer einzuwirken,“ vornehm zurüdzögen oder zu ber 
quem wären. Das if eine Thatſache. Ja, was noch mehr fagen will: 
fie ſchreiben nicht einmal für die Blätter, die direct für fie beſtimmt 
find, ja, was noch fchlimmer if: fie lefen fie nicht einmal. Bon der 
früher fo hoc geſchätzten Mager'ſchen „Revue“ follen in Preußen im 
Ganzen 15, fchreibe funfzehn Exemplare abgefept werden. Diefe 
enorme Theilnahmloſigkeit läßt ſich indeß doch wohl nicht allein aus 
GSteichgültigkeit gegen yädagogifches Streben und Leben erklären, fondern 
iR auch wohl in der Haltung der Journale felbR zu fuchen. In einem 
großen Theile derfelben herricht ein Ton, der zwar in gewiflen Kreifen 
gern gefehen wird, der großen Mehrzahl der Lehrer aber im Herzen 
gänzlich zumider if. Bereinigt ſich damit dann noch die oben gerügte 
Dürre, fo verliert emdlih auch der paffionirtefte Leſer die Luft 
und beſchränkt fih auf gute Bücher. Zingen die Beitfchriften an, Aufe 
fäbe zu liefern, die anregen, das Gemüth beleben, die Gedanken in Ber 
wegung fehen, zu neuen Borflellungen verhelfen, dann würden fie auch 
wieder mehr gelefen werden. Aber ein großer Theil der. Männer, die 
anregend fchreiben koͤnnen, fchweigt, fchweigt aus Nüdfichten verfchiedener 
Art, „aus bewegenden Gründen.’ 


Berlieren wir aber die Hoffnung nicht! Die Lehrer, namentlich 
die Volksſchullehrer, find ein zähes Geſchlecht. Tagtaglich beweifen fie, 
daß fie auch in verunreinigter Luft nicht fogleich zu Grunde gehen, fons 
dern immer noch eine Portion Lebensmuth übrig behalten, der nach einem 
Gange in das grüne Freie immer wieder erhöht wird. Wie auf den 
Verkehr mit der erfrifchenden Natur, fo werden fie auch niemals auf 
frifche Geiſtesnahrung verzichten. Bietet fie nur dar! 

Nach diefer Einleitung gehen wir nun zu einer kurzen Beſprechung 


der gangbarften pädagogifchen Zeitichriften felbft über. Die Hauptartikel 
Nade, Jahreebericht. X. 44 


690 Allgemeine Pädagogik. 


der meiften haben bereits bei der Bearbeitung der verfchiedenen Unter- 
richtögegenfände ihre Würdigung gefunden. 


I. Allgemeine yädagogifhe Zeitſchriften. 


68, Allgemeine deutſche Lehrerzeitung. 8. Jahrgang. Redigirt von 
Ang. Berthelt in Dresden. Leipzig, J. Klinkhardt. Wöchentlich 1 
Bogen in 4. 1 Thlr. 

Dies Blatt if durch die ‚allgemeine deutfche Lehrerverfammlung‘’ 
angeregt worden und vertritt deren Brundfäge Director Schulze in 
Gotha formutirte diefelben auf der 8. Verſammlung folgendermaßen: 
„Keine Umkehr, fondern reger Fortſchritt, fein geifttödtender Mechanis⸗ 
mus, fondern freie Geiftesentwidelung, fein todter Gedächtnißkram, ſon⸗ 
dern ſelbſtſtaͤndiges Denken und lebendiges Wilfen, feine den Forderun⸗ 
gen der Zeit widerfprechende, fondern dem jegigen &tandpunfte der Pä- 
dagogif entfprechende und an das Keben, wie es ift, fi eng anſchließende 
Schuleinrichtung.“ Derartiger Grundfäge braucht fih Niemand zu fchämen. 

Außer Abhandlungen in diefem Sinne bringt die Lehrerzeitung 
Mittheilungen über Schuls, Lehrers, Bereinswefen und Lehrerverſamm⸗ 
lungen, Beitfhriften und kurze Kritiken. 

Der Kreis ihrer tüchtigen Mitarbeiter if nicht fo groß, als im 
Sintereffe des Blattes und der deutfchen Lehrerwelt zu wünſchen wäre. 
Breußifhen Lehrern begegnet man felten darin. Das Blatt Fönnte 
Mittelpunft des ganzen deutfchen Lehrerlebens werden, wenn es anregende 
Artifel aus allen Gegenden bräcdte Der billige Preis geflattet, daß 
es überall befchafft werden kann. 

69. Allgemeine Schulzeitung. 33. Jahrgang. Redigirt vom Präfaten 
Dr. Bimmermann in Darmftadt. 12 Sehte oder 104 Nrn. ('/a Bea.) 
Gr. 4. Darmfladt, Lesſske. 3 Thlr. 

Dies Blatt war lange Zeit das einzige allgemeine, für ganz 
Deutichland berechnete. Ich babe es von feiner Entſtehung an geleien 
und mandes Gute daraus gelernt. Seit Jahren ift feine Blüthezeit 
vorüber; es if ein trodenes, langweilige Blatt geworden. Der viel- 
befäpäftigte Nedacteur defjelben bat wohl faum Zeit, das Volksſchulweſen 
nah allen Richtungen bin zu verfolgen. Mit dem Jahre 1856 bat es 
verjucht, in dem jetzt beliebten Fahrwaſſer zu fegeln, was den bisherigen 
Bertreter der freteren, bumaniftifchen Richtung, Dr. Wagner, veran- 
laßt bat, von der Medaction zurüdzutreten. Er erklärt feinen Rüdtritt 
mit folgenden Worten: 

„Die felbfiftändige Pädagogik, die von Acht hriftlichem Geifte be 
feelt in ihrer Erfahrung bis in’s Alterthum zurüdgebt und aus aller 
Art Wiffenfchaft das bildungskräftigfte Mark erwählet, bat fih, meint 
man, überlebt. Die Schulwiffenfhaft foll fi neu gefalten. Die Er 
ziehung zum reinen, duldfamen Chriſtenthum, zur edlen Humanität und 
Lebenstüchtigkeit, die ein Melanchthon, Herder, Beftalozzi als 
würdigfte Ziele der Schule betrachtet haben, iſt mißliebig geworden und 
ſoll durch confejflonellen Dogmatismus und Gewöhnung zur Kirchlichkeit 
erfetzt und ergänzt werden. Darin hofft man den Rettungsanfer in ber 


Allgemeine Pädagogit. 691 


verfinkenden Menſchheit zu finden. Die Schule kehrt mehr und mehr 
zu ihrem Zuſtande im 16. Jahrhundert zurüd, der Krummſtab und die 
Confiſtorien nehmen fie in Obhut und Vormundſchaft. Ich aber hing 
und hange einer andern Anfiht an, halte diefe auch jept nicht für über . 
wunden und für zurüdgedrängt, und ed bangt mir nicht auf lange Zeit 
hinaus für die wahre Erziehungsweife; aber die nächſte Zukunft, fürchte 
ih, wird das Lehrgeld zahlen müſſen.“ 
Das ift deutlich. | 

70. Rheinifhe Blätter für Erziehung und Unterricht. SHeraudges 


geben von $. U. W. Diefterweg. 53. u. 54 Band. Eſſen, Bäpdefer. 
Alle zwei Monate ein Heft von circa 8 Bogen. 8. 2% Thlr. 


Bie die allgemeine Schulzeitung, fo habe ich auch die NH. Blätter 
von Anfang an gelefen und gern gelefen, weil fie meine Einſicht laͤu⸗ 
terten, neue Ideen in mir hervorriefen und meinen Berufseifer jedesmal 
anfriichten und fleigerten. Sc gehöre daher zu den dankbaren Lefern 
diefes Blattes und nehme feinen Unftand, dies hier auszufprecden. 

In neuerer Beit hat der Herausgeber befonders zwei Gegenftände 
darin betont: die Naturkunde und die Religion. Für Raturfenntniß 
anregen, diefelbe fördern, ift fehr Löblich; ebenfo kann es vom proteſtan⸗ 
tifhen Standpunfte aus nur gebilligt werden, fih über Religion und 
Religionsunterriht Mar zu werden. Diefterweg’s religiöfe Anſicht iR 
aber mißliebig, mie fein pädagogifcher Standpunkt, und man fieht es 
daher nicht gern, wenn die Lehrer die Rh. Blätter, wie überhaupt feine 
Schriften, dien. In Defterreih bat man fie bereits verboten, anders 
wärts fucht man fie ohne Auffehen zu entfernen. Solche Maßregeln 
verdienen Feine Billigung. Der wahre chriftlihe Glaube kann durd 
feinerlei Angriffe verlieren, und wer darin noch nicht fe if, wird es 
am fiherfien durch ernfte Prüfung. Auch den Lehrern kann und darf 
eine folche Prüfung nicht erfpart werden. Lehrer wie Stinder behandeln, 
trägt nie gute Früchte. ' 

71. Bädagogifhe Monatsfhrift. Herausgegeben von F. Löw. 10. Jahre 
gang. 32 Hefte à A Bogen. Gr. 3. -Magdeburg, Fabricius. 3 Ihe, 
Die Monatsfchrift Hat unter Loͤw's Medaction immer werthoolle 

Auffäge, namentlich über deutfche Sprache und Literatur gebradt. Sie 

vertritt eine freiere Richtung und bat ihre Mitarbeiter und Lefer haupte 

fählih in den Lehrern der Mittelfhyulen. In den lebten paar Jahren 
war die Zahl ihrer Mitarbeiter merklich zufammengefchmolgen, in Folge 
der hieraus entflehenden Gintönigfeit auch die ihrer Lefer. Mit dem 

Sabre 1857 iſt die Monatsfchrift in den thätigen Brandfetter’ichen 

Berlag übergegangen, bat eine große Anzahl neuer tüchtiger Mitarbeiter 

erhalten und wird nun auch bald das alte Anſehen wieder erlangen. 

Möchten die Lehrer darauf bedacht fein, das Blatt in doppelter 
Beziehung Fräftig zu unterflügen! 

72. Bädagogifhe.Blätter. Herausgegeben von Dr. Hermann Kern, 
1.—3, Jobrgang a 12 Hefte, jedes zu 3 Bogen. Halle, Schmidt. 


. r. 
Die „Pädag. Blätter“ find von 1856 ab nicht mehr erſchienen. 
Die vorhandenen SZahrgänge enthalten manden guten Aufſatz. 
44* 


— — —— 


692 Allgemeine Paͤdagogik. 


73. Hamburger Säuiblatt. Heraudgegeben vom (hutiiffenfhafttihen 
Bildungdverein. Jahrgang. Verantwortlicher Redacteur: TB. 
mann, — *— 2 Nummern gr. 4 (is ee „Yemburg, Rote und 
Köhler (Herold’fhe Buchhandlung). 1856. 24 & 


Das Schulblatt huldigt dem Fortfchritt und erurtfeit mit ange 
meffener Schärfe alle Anläufe und Maßregeln, die ed auf den Rückgang 
abgejeben haben. Peſtalozzi wird gebührend verehrt. Es bringt Abs 
handlungen, Brotofolle über Lehrerverfammlungen, Beiträge zur Ges 
fhichte des Schulwefens, Perfonalien, NRecenfionen u. dgl. . 

Bon der Mehrzahl der deutihen Lehrer ſcheint das Blatt megen 
feines Titels für ein Localblatt gehalten zu werden, was es aber durch» 
aue nit if. Der billige Preis verflattet eine weitere Berbreitung, als 

es zu haben fcheint. 

74. Der Schulfreund. Eine Quartalihrift zur Förderung des Elementars 
ſchulweſens und der Sugendersiebun Heraudgegeben von J. H. Echmig, 
fathol. Pfarrer, und 2. Kellner, Hegierungd« und Schulrath. 12. Fahr» 
gang. à Heft 7 Bogen. 8 Trier, F. A. Gall. 1856. 1 Thlr. 

Der Schulfreund bringt Abhandlungen und Recenſionen. In den 
uns nur belannt gewordenen 3 erſten Heften dieſes Jahrganges findet 
fih mander gute Aufſatz. Der Tatholifhe Standpunkt der Berfafler 
tritt in der Megel entichieden hervor. Schriften von Proteftanten wer» 
den nicht immer unparteiifch beurtheilt, was wir nicht billigen können. 
75. Volksſchulblätter aus Thüringen. Herauögegeben von Dr. Lauck⸗ 

hard, Schulrath. Erfter Jahrgang. 8. Monatlih 2 Ar & '% Ban. 

Weimar, Herm. Böhlau. 1856. 20 Ser. 

Die Bolksfchulblätter verbreiten fib über das ganze Gebiet ber 
Pädagogik, haben jedoch vorherrfchend eine praktifhe Richtung. Sie 
bringen mehrfach Unterrichtsmaterial zu unmittelbarer Berwendung, na⸗ 
mentlih aus dem Gebiete der MWeltkunde, oft von haus» und landwirth⸗ 
fhaftliher Natur. Für diefen Zwei bat das Blatt nicht Umfang genug. 
Die Necenfionen find meiftens kurz und laffen nicht immer die Beſchaf⸗ 
fenheit des Buches richtig erkennen. Zuweilen gewinnt es den Anfcein, 
als wären die Bücher nur durchblättert worden. 

Die Mitarbeiter fcheinen meiftens Thüringer zu fein; das Blatt 
bat dadurch eine locale Färbung erhalten. 

76. Die Reform. Pädagogifhe Vierteljahrsſchrift. Herausgegeben von 
Dr. E. F. Laudhard, droit. S Sädf. Schulrath in Weimar. Sr. 8. 
Leipaig, F < amt 1857. 2 Ihr. 

‚Reform‘, „Reformator!“ Gin fühner Titel. Nicht Jeder hätte 
es vermocht, ihn fo vorweg zu verwenden. Beabfichtigte Reformen ges 
lingen nicht immer. 

Im Profpectus, der uns allein vorliegt, macht der Herausgeber 
der Volksſchule den jebt beliebten, nur bier und da zutreffenden Vor⸗ 
wurf, daß fie „völlig nuplofes, abfirastes Wiſſen“ erfirebt und „das für’s 
Leben fo wichtige praktifhe Wiſſen und Können vernadhläffigt babe.’ 
Verſtand und Gedächtniß feien auf Koften der Gemüths⸗ und Charakters 
bildung dur fie vernachläffigt worden. Die „Reform“ fol nun die 














Allgemeine Pädagogik. 693 


erforderlich gewordene Umgeflaltung des Volksſchulweſens fördern helfen. 

Städ auf! 

77. Pädagogiſches Jahrbuch für 1857. Bon Adolph Dieſterweg. 
1. ZYahrgang. Er. 8. (XXIV u. 335 S.) Berlin. In Commiſſion 
bei W. Baenf in Leipzig. Geh. %ı Thlr. 

Das Jahrbuch if im Sinne der ‚Rhein. Blätter’ gehalten. Der 
Berf. hebt befonders die Schattenfeiten der jebigen pädagogifchen Bes 
firebungen hervor, ein Berfahren, das ihm zum DBerdienft angerechnet 
werden muß, da hierzu gegenwärtig nur Wenige den Muth haben. 
Benn feine Gegner ihm bieraus einen Borwurf machen, fo thun fie ihm 
jedenfalls Unreht. Das wirklich Gute, was die „neue Schule“ erfirebt, 
Bann durch feine Widerrede unterdrüdt werden. Mögen die Jünger 
derſelben es nur erft, fchaffen! Sept brüſten fie fih noch immer mit 
dem Guten der „alten Schule. 

Inhalt: Vorwort und Einleitung. I. Carl Ludwig Nonne Bon 
Dr. jur. ®. &. Demme. 1. Die norddeutfche Volfsfchule und Herr 
Rendu in Paris. Bon A. D. 11. Wie Herr Rendu fortfährt, die 
norddeutfche Volksſchule zu beurtheilen. Bon A. D. IV. Erziehung 
zur Unvernunft auf ihrem Gipfel. Bon U. D. V. Die drei preußis 
fhen Regulativee Bon A. D. VI. Blide auf Schulblätter. Bon 
A. D. VI. Ueber Gemüthebildung. Vom Seminardirector Dreßler. 
78. Jehrbug fürXebrer, Eltern und Erzieher. Don Joh. Mareſch, 

eltpriefter,, 8. k. Schulrath und Inſpector für Neal» und Volksſchulen. 

22. Jahrg. 1857. Gr. 8. (286 S.) Prag, in Comm. bei F. A. Eredner. 

Die früheren Bände diefes Jahrbuches find uns unbekannt geblieben. 
Der vorliegende enthält: 1. Erbauungsreden (2). I. Biographie 
Dentmale (2). II. Auffäpe. 1. Offenes Sendſchreiben an die Lehrer 
und Lehrerinnen meines Auffichtsfreifes. 2. Die Volfsfhule und das 
Proletariat. 3. Einige Winke für die Behandlung der Lefeftüde. A. Der 
Dreifap in der Volksſchule. 5. Die Geographie als Wiſſenſchaft und 
als Unterrichtsgegenftand. 6. Weber die Sprüchwörter und ihre unter» 
rihtlihe Behandlung. 7. Das Zeichnen in der Volksfchule. IV. Uns 
terrichtsfloffe. 1. Landfchuliehrer und Bienenzudt. 2. Vorträge über 
Leib, Seele und Berfönlihkeit. 3. Die Wanderungen der Zugvögel. 
4. Delonomie und Induſtrie. 5. Das Egerland und feine Bewohner. 
6. Die St. Peterslirhe in Rom. V. Miszellen, Erzählungen x. VI. 
Gedichte, Aphorismen und Zabeln. VII. Berordnungen in Schulfachen. 
VIII. Beurtheilendes Verzeichniß neuer Schul⸗ und Jugendſchriften. 
IX. Verzeichniß der Privat⸗, Lehr⸗ und Erziehungsinſtitute in Prag. 
X, Rechnungsausweis. (Der reine Ertrag des Jahrbuches if zur Unters 
Rüßung braver armer Lehramtszöglinge und armer Lehrerwaifen beftimmt.) 

Das Dargebotene ift empfehlenswertb, manches freilich nur für 
Fatholifche Lehrer, von denen und für die es gefchrieben if. 

79, Blätter für Erziehung und Unterricht. Herausgegeben von 
einem Bereine von Jugendfreunden. Nedigirt von Selurid Reitzen⸗ 
beck. Dritter Jahrgang. Erſtes Quartalheft. 8. (50 S.) Salzburg, 
M. Glonner. 1857. Der Jabrgang 21 Ser. 

Die beiden vorhergehenden Jahrgänge find uns unbefannt geblieben. 


694 Allgemeine Pädagogik. 


Das erfte Heft des dritten enthält: 1. Von einem Landfatecheten (über 
die Nothwendigkeit, auch in Volksſchulen einen Religionsunterricht zu er⸗ 
theilen, der zur Üeberzeugung führt). Weber deutichen Sprachunterricht 
in den Bollsihulen. Bon 3. Sufan. Was foll der Lehrer thun, um 
in feiner eigenen Bildung immer vorwärts zu fchreiten? Bon K. Sulzer. 
Einfluß der Naturgefchichte auf die Bildung der Jugend. Ueber Ers 
ziehbung der Kinder. Bon P. 2. Kaltenegger. Parabeln. Bon P. 9. 
Schwarz Behandlung eines Leſeſtückes. Aus dem Nachlaſſe eines alten 
Schulmeiſters. Altes und Neues. Geſchichte Salzburgs. Bücherfchau. 

Die Auffäbe find alle von mäßigem Umfange und erheben fich 
nirgends über das Mittelmäßige. Wir wünfchen, daß die Berfafler ſich 
beftreben möchten, mehr anzuregen. Die „Behandlung eines Leſeſtückes“ 
(Das Schwert. Bon Uhland.) halten wir für ganz verfehlt, theils 
wegen des eingefchlagenen Ganges, theils wegen der dürren grammatis 
fhen Webungen, die daran geknüpft find. 


80. Blätter über häusliche Erziehung, eine Zeitfchrift für Eltern und 
deren Stellvertreter, verbunden mit einer Kinderzeitung, enthaltend belche 
rende Erzählungen, Schilderungen aus dem Naturleben, Geſchichtliches zc.., 
für Die Augend herausgegeben von mehreren Schulmännern. Gr. 8. Berlin, 
J. Bernbardt. 1856. Monatlich eine Lieferung. Preis vierteljährlich 7'/a Ser. 

Es liegen uns drei Lieferungen vor: Juli, Auguſt und September. 
In der dritten Nr. nennt fi Lehrer E. Senff als Redacteur. Mit 
diefer Nr. erfcheint das Blatt in Commiſſion bei W. Schulge in Berlin. 

Aus den erften drei Nummern läßt ſich ein Urtheil über das Ganze 
nicht fällen. Das Unternehmen ift uns als unbedeutend erfchienen. 


81. Der praftifde Shulmann. Archiv für Materialien zum Unterricht 
in der Neal», Bürgers und Volksſchule. Herausgegeben von Friedrich 
Körner. Fünfter Band. Jährlich acht Hefte. Er. 8. Leipzig, Brand» 
letter. 1856. 2%/s Ihlr. 


Sat fih als zeitgemäß bewährt. 

82, Arhiv. Materialien für die Volksſchule und ihre Lehrer. Unter Mitwir- 
fung von Hartmann, Kochendörfer, Zug, Peibel herausgegeben von I. EB. 
Raiftner, Schullehrer in Stuttgart. In vierteljährlihen Heften. Erſter 
Jahrgang. Erſtes Heft. 8. (5 Bogen.) 

Das „Archiv“ iR eine Nachahmung des eben genannten „Prakti⸗ 
fen Schulmannes,“ bat fi jedody einen engern Kreis gezogen als 
diefer. Die Arbeiten, welche e8 zu bringen beabfichtigt, follen den (für 
Württemberg) geſetzlich normirten Unterrichtsftoff nicht überfchreiten, jedoch 
zugleich wo möglich die Fortbildung der Lehrer fördern. „Einer bes 
fondern Aufmerkfamfeit follen ſich die realiftifchen und ſprachlichen Zwede, 
für die das Lefebuc die Grundlage bildet, erfreuen.‘ 

Bir halten dies Unternehmen in diefer Beichräntung für ganz 
zwedmäßig. Die Arbeiten des erften Heftes ſchließen ſich ſaͤm mtlich an 
das Württemberger Leſebuch an und können durchweg ale brauchbar bes 
zetchnet werben. \ 

Bir werden im nächſten Bande noch einmal auf dies Unternehmen 
zurüdfommen. 








Allgemeine Pädagogik. 695 


83. Repertorium Der pädagogifhen Journaliſtik und Literatur, 
oder: Allgemein Wichtiges aus den neueiten Zeits und andern Schriften 
für Erziehung und Unterricht. Bon Joh. Bapt. Heindl, Lehrer amt. 
Zaubflummen»Inftitute zu Augsburg. Neunter Jahrgang. 8. 6 Hefte, 
zufammen 39 Bogen. Münden, 3. A. Zinfterlin. 1855. 9 Thlr. 24 Sgr. 
Bon diefer Zeitfchrift kennen wir nur den 9. Band und die erflen 

18 Bogen des 11. Sie liefert Abhandlungen, kleinere Mittheilungen, 

Berichte und Recenflonen. Die Abhandlungen find zum Theil andern 

Zeitfchriften und ſelbſtſtändigen Werken entiehnt, zum Theil Originals 

arbeiten; legtere fommen in dem 11. Jahrgange häufiger vor, als in 

dem 9., was wir nur billigen fönnen. Die NRecenfionen fcheinen fämmts 
ih vom Herausgeber herzurühren; fie find in der Regel nur anerfennend. 

Ein in diefem Jahre ausgegebener „Rückblick auf die zehn erften 
Jahrgänge des Repertoriums“ läbt erkennen, daß das Wert einen großen 
Reichthum von meiftens guten Auffägen aus allen Gebieten der Pädas 
gogik enthält. 

84. Das Elternbaus und die Kleinkinderſchule.“ Blätter für die 
Erziehung der Kinder in den erften Kebensjahren. Kür Vorſtände an Klein⸗ 
finderjchulen und Krippen, für Eltern, Erzieher, (Erzieherinnen und übers 
baupt für alle Kinderfreunde, im Verein mit Kachmännern und unter Mit⸗ 
wirfung von Frauen herausgegeben von Dr. J. Fölſing, Lehrer an der 
Großherz. Garniſonſchule zu Darmftadt. VII. Jabraang. Monatlich 1%/a 
Bogen in gr. 8. Leipzig. &. Mayer. 1857. 1% Zhlr. 

Bon den früheren Zabrgängen haben wir nur gelegentlich Dies 
und Jenes gefehen, find daber ohne Urtheil über diefelben. Die erfte 
ung vorliegende Nr. des VII. Jahrganges enthält: 1. Aufſätze und Abs 
bandlungen (Einleitung, in der die Namen aller Derer abgedrudt find, 
die dem Herausgeber feit 1850 Mittheilungen für feine Zeitfchriften ges 
liefert oder ihn brieflih oder mündlich nad dieſer Beziehung bin ans 
geregt haben. Wozu das? Soll man diefe Aufzählung für einen Act 
der Dankbarkeit, oder der — Eitelkeit halten? Ferner: Anerkennung 
der Lehrerinnen.) II. Stoffe zur Entwidelung (Drei neue Kindergeſchich⸗ 
ten. Legen mit Hölzgchen. Zwei Zifchgebete.. Das Räathſel nom Biene 
ben. Das Bienenliedchen. Bienchens Lehren. Die Feier des Weib» 
nachtöfeftes in Familien und Kleinfinderfchulen. Maiglödchen). 111. Ges 
ſchichtliche und ſtatiſtiſche Nachrichten. IV. Literarifche Anzeigen. 

Unter den „Stoffen zur Entwidelung” if mandes Brauchbare, 
zur unmittelbaren Verwendung geeignet. 

Gehen uns die übrigen Arn. zu, fo kommen wir im nächſten Jahrs 
gange noch einmal auf das Ganze zu fprechen. 

85. Feierabend. Ghriftlihes Volks- und Schulblatt. Bafel, 9. 
Fiſcher und Eie. 1856. Wöchentlich 1 Bogen in 4. Der Jahrgang 26 Sgr. 
Zede Nummer enthält an der Spike eine Betrachtung über einen 

bibliſchen ZTert, dann Erzählungen und Gedichte für Alt und Jung, 

Berichte über Kirhe und Schule, Meinere Rotizen, Aphorismen, Anek⸗ 

doten. Es if Alles im frommen Zone gehalten, theilweife aus andern 

Merken entlehnt. Die pädagogifche Ausbeute if fehr mäßig. Es if 

eine Beitfhrift für gemüthliche Landleute. 


695 Allgemeine Pädagogik. 


86. Die Realfäule Ein Organ für tecänifche Kehranftalten und Fach⸗ 
ſchulen. Monatlih 2 Nummern h 1 Bogen in 8. Redacteur: E. Horntg. 
Wien, 2. W. Seidel. 1857. 2 fl. 40 ir, 

Die „Realſchule“ wird bringen: Abhandlungen, Schulnachrichten, 

Literaturs Berichte, bibliographifhe Nachrichten, Journal⸗Revue, Weberficht 

der Verordnungen des Unterrichtsminifteriums, Perſonalnachrichten und 

Notizen. Es liegt uns nur die erfle Nr. vor, nad der wir und noch 

nicht zu einem Urtheil über das Unternehmen für beredhtigt halten. 

Gehen uns die Fortfegungen zu, fo fommen wir im nächſten Bande 

wieder darauf zurüd. 


I. Pädagogiſche Zeitfhriften für einzelne Länder. 


1. Preußen. 


87. Sähulblatt für Die Provinz Brandenburg. Redig. von R. Bor: 
mann, Brooingiel Sähufrast zu Berlin. 21. ahrgang. 6 Hefte à 8 
Bogen in 8. Berlin, Biegandt und Grieben. 1856. 1°, Thlr. 

Dies Blatt wird jebt ganz im Geifte der preuß. Regulative ges 
halten. Einzelne Mitarbeiter fpreizen fih auf diefem Terrain und wer⸗ 
den dabei nicht felten fehr breit und einfchläfernd. Neben ſolchen Aufs 
fäßen finden ſich aber auch recht gute. Die Kritiken befriedigen in der 
Negel, find weder zu gedehnt noch zu kurz, Der frühere Standpunkt 
des Blattes war ein weiterer (freierer), weshalb man es auch außerhalb 
Preußen gern las. 

88. Schulblatt der evangelifhen Seminare Schleſiens, im Verein 
mit den Lehrers Eoflegien der königl. Seminare zu Bunzlau, Münfterberg 
und Steinau und andern Schulmännern der Provinz Sciefien herausger 

eben von den Diretoren Bock und Jungklaaß. Sechster Sabrgan . 

ir 6 Bogen in 8. In Eommifflon von %. Hirt in Bredlau. 185 

3 . 

Das „ſchlefiſche Schulblatt“ haucht den Geift der preuß. Negulative, 
hat diefelben mit vorbereiten helfen. Die Sernusgeber laſſen ſich's ges 
fallen, ihr Streben als „ſchleſiſche Schule‘ bezeichnet zu fehen, was wir 
nicht billigen Tünnen. Sie ftehen in methodifcher Beziehung durchaus 
mitten in der guten alten peflalogzifhen Schule. Was ihnen eigen- 
thümlich if, hängt weit mehr mit ihrem religiöfen, als mit ihrem päda⸗ 
gogiſchen Standpunkte ‚zufammen. Neben reht guten Aufläßen finden 
fih auch fehr matte, breitfpurige, mit allbefanntem Inhalte, fie rühren 
zum Theil von den geiftlichen Schulinfpectoren ber. Die Recenfionen 
genügen im Ganzen. 

89, Preußiſcher Bollsfhulfreund. N. Kolge 10. Jahrgang. Medig. von 
Mt Di Gregor. ®eaniashern — Sion Sefte. 2. Thlr. 
Dies Blatt kennen wir nicht. Dieſterweg ſagt von demſelben im 

Jabrbuche für 1857, ©. 256: „Der Preußifhe Schulfreund theilt mit 

dem Brandenburger Schulblatt das Schidjal des Sinkens feit dem Tode 

feines Stifters; fein Inhalt wird von Zahr zu Jahr unbedeutender. Die 

Kritifen find ohne allen Werth.‘ 


\ 











Allgemeine Pädagogik. 697 


2. Defterreid. 


90. Der dfterreigifhe Schulbote. Wochenblatt für die vaterländifche 
Volksſchule. Im Derein mit Schulmännern und Schulfreunden herausge⸗ 
geben von K. Krombholz und M. U. Becker. 6. Jahrgang. 52 Bogen 
or. 4. Bien, 8 W. Seidel. 1856. 2 Thlr. 

Die Herausgeber haben beide als Pädagogen einen guten Ruf und 
machen demfelben auch in diefem Blatte Ehre. Daffelbe enthält eine 
Heihe von guten pädagogifchen Auffägen, alle einichläglichen Regierungs⸗ 
erlaffe, kurze, aber meiſt treffende Krititen, Schulnachrichten, Conferenz⸗ 
nachrichten u. dgl. 


8. Baiern. 


91. Organ des Vereins katholiſcher Schuͤllehrer in Baiern. 8. 
Jahrgang. Redigirt von Lorenz. 24 Nor. Augsburg, Kolmann. 1856. 
gr. 


92. Evangeliſche Schufzeltung für das diesſeitige und jenfeitige Baiern. 4. Jahr⸗ 
gang; Redig. von Zorn, Seminarinfpector in Katlerdlautern. Wöchent- 
ih !/2 Bogen in 4. Kaiferslautern, 3. Kayfer. 1 Thlr. 


Beide Beitfchriften find uns unbefannt. 


4. Württemberg. 


93. Das Württembergiſche Schulwochenblatt. 8. Jahrgang. Her⸗ 
ausgegeben von C. ©, 8. Stodmayer, Retor am Schullebrer-Seminar 
in Eßlingen. BWöchentlih "/ — 1’ Bogen In 4. Eßlingen, C. Weyhardt. 
1856. 1 Thlr. 16 Ser. 

Das Schulwohenblatt enthält Abhandlungen, Bücheranzeigen, amts 
liche Berfügungen, Nachrichten und fpecielle Angelegenheiten württembers 
giſcher Lehrer. Der darin herrſchende Ton ift ein gemeffener, Tönnte zu 
Beiten etwas frifcher und anregender fein. 

94. Die Volksſchule. Eine pädagogiſche Monatsſchrift. Redigirt im Aufs 
trage des Bürttemberg’fchen Volfäfhulehrer-Bereins von Carl Fr. Hart⸗ 
mann, Mufterlehrer am Schullehrers Seminar in Nürtingen. 16. Jahrgang. 
12 Hefte à 3 Bogen in 8. Stuttgart, Franz Köhler. 1856. 1!/a Thlr. 
Jedes Heft hat die vier Rubriken: Hörfaal, Sprechſaal, Bücerfaal, 

Berichtfaal. Die Mehrzahl der pädagogifchen Arbeiten athmet einen 

freien Geiſt, Huldigt entfchieden dem Fortichritt. Das gilt befonders 

von den tüchtigen Arbeiten Eifenlohrs. Der ftarfen Auflage nach zu 
fhließen, fcheinen die württemberg’fchen Lehrer den Werth diefes Blattes 
auch zu erfennen. Wir wünfchen demfelben ferner glüdliches Gedeihen! 

95. Süddeutfher Schulbote. 20. Jahrgang. Nedig. von Völter, Pfar- 
rer in Zuffenhaufen. Monatlih 2 Bogen in 4. Stuttgart, 3. F. Stein: 
topf. 1856. 1 Thlr. 4 Sgr. 

Dieſen Zahrgang Fenne ich nicht, da ich das Blatt nicht mehr lefe. 
Die früheren enthielten manchen trefflihen Auffag von Palme. Der 
Herausgeber hat in Folge feines religiöfen Standpunftes eine extreme 
Stellung zur Pädagogif; feine Arbeiten And daher nicht für Jedermann 
genießbar. 


698 Allgemeine Pädagogik. 


5. Baden. 


%. Badifher Schulb Redig. von — J— v. Langsdorff, Delan 
und den Lehrern Pflüger und Hepting. Böchentli !/z — 1 Be: 
gen in 4. Pforzheim, 3. M. me 1856. 1 Ihfr. 12 Sgr. 

Pflüger und Hepting treten erfi von Ar. 3 ab als Mitredactenre 
auf. Wir halten dafür, daß das Blatt durch diefe Praktiker gewonnen 
bat. Pflüger felb hat mehrere werthuolle Beiträge zu diefem Jahrgange 
geliefert, einen über: „Analytiſch oder ſythetiſch?“ Brodbeck vertritt die 
Raturwiflenfchaften, läßt fich jedoch auch über Anderes vernehmen, oft 
anregend. 


6. Surheffen. 


97. Schulnachrichten für Kurbeffen. Herausgegeben von Liebermann, 
Lehrer an der le. in Eſchwege. Wöchentlich Y/ Bogen in 8. Beim 
Herausgeber. 1857. 10 S 

Der Herausgeber —* reichlich unterftützt durch feine heſſiſchen 
Collegen, in dieſem Blatte: öffentliche Erlaſſe und Verfügungen der Bes 
boͤrden, ſoweit ſolche die Schule berühren, Nachricht über Erledigungen 
und Beſetzungen der Schulſtellen, Kompetenzmittheilungen, Konferenznach⸗ 
richten, Todesanzeigen und kurze Nachrichten jüngſt verſtorbener Lehrer, 
ſchulſtatiſtiſche Nachrichten, kleine Notizen von allgemeinem Intereſſe, Fragen 
und Antworten zur weitern Erwägung und Beherzigung ꝛꝛc. Daneben 
wollen die Schulnachrichten den Lehrern die Wichtigkeit ihrer Betheiligung 
an einer Wittwenfaffe, einer Feuerverficherungsgefellfchaft 2c. unabläffig 
vor Augen führen, alfo deren materielles Wohl nach Kräften fördern. 
Der Reinertrag des Blattes foll derartigen Inſtituten zufließen. Pädas 
gogiſche Abhandlungen find ausgefchlofien. 

Wir halten dies Unternehmen für nüplih und nachahmungswerth 
und freuen uns über die Ginigfeit der beififchen Lehrer, die fich in dem 
Diatte fundgiebt. Mögen fie fih8 immer vergegenwärtigen, daß Einheit 
ſtark macht! ' 


1. Balded. 


98. Waldedifhes Schulblatt. 8. Jahrgang. Herausgegeben von €. 
Schneider, Rector in Eorbach. Alle 14 Tage Ya Bogen in 4. Selbftverlag 
(in Som. bei Speier in Arofen). 1856. 1 Thlr. 

Ein harmlofes. jedoch dem Fortfchritt dienendes Blättchen, das Abs 
bandlungen, Konferenzberichte, Nachrichten und einige Kritifen bringt. 
Bon den Abhandlungen find viele aus leicht zugänglichen Werfen ents 
lehnt, in dem vorliegenden Jahrgange 3. B. aus den populären, jehr 
billigen naturwiffenfchaftlihen Schriften von Bernflein, aus meinem Com⸗ 
mentar zum Leſebuche u. a. Driginalabhandiungen würden dem Blatte 
ohne Zweifel einen größeren Werth verleihen. 


8. Königreih Sachſen. 


99. Sächſiſche Säulseitung. Redacteur: Aug. Lansky in Dresden. 
23. Jahrgang Wo genuich ne Nr. ven 2 Bogen in 4. Wurzen, Verlags⸗ 
Eomptotr. 1856. 2 Thlr. 


Die Schulzeitung if ein Bereinsblatt für den ganzen fächfifchen 








Allgemeine Pädagogi. 699 


Volksſchullehrerſtand. Sie forget mit Umficht für die Fortbildung der 
Lehrer, liefert Material für den Unterricht, bringt Bücher zur Anzeige, 
theilt alle Arten von Nachrichten mit, welche irgendwie Intereſſe für den 
Lehrerfiand haben, und fördert namentlich auch das materielle Wohl durch 
Mittheitungen über alle Arten wohlthätiger Bereine im Intereſſe der 
Lehrer und ihrer Hinterbliebenen. In diefer letztern Beziehung ſtehen die 
fähfifhen Lehrer wirfiih mufterhaft da. Die Schulzeitung iſt das gei⸗ 
flige Band für Alle Mögen das die fächfifchen Lehrer nie überfehen 
oder gering anfchlagen ! 

Den Recenfionen wünfchen wir eine etwas größere Eutſchiedenheit. 

Es fommt gar nicht felten vor, daB Bücher von geringer Bedeutung bes 

lobt werden, befonders wenn ſie von Männern mit einigem Rufe kommen. 

Auch an andern Lobhudeleien fehlt es nicht. 

100. Leipziger Blätter über Erziehung und Unterricht. Eine Zeit⸗ 
ſchrift für Eltern und Lehrer pet Berfländigung über die vornehmſten Grund» 
fäge der modernen Pädagogit. Herausgegeben von Dr. E. I. Hauſchild, 
Director des Modernen Geſammtgymnafiums und der höheren T — 
in Leipzig. I. Jahrgang. 12 Bogen in 8. Leipzig, Roſtberg. 1855. 1 Thlr. 

Wir kennen nur diefen erften Jahrgang, nicht auch den 1856 ers 
fhienenen zweiten. Er enthält kurze Abhandlungen, die fich zum Theil 
unmittelbar auf des Herausgebers Anftalten beziehen, meiftens jedoch auch 
ein allgemeineres Intereſſe haben. Ihr mäßiger Umfang bat nur felten 
ein tieferes Eingehen auf die Sache zugelaffen; fie werden daber auch 
mehr die bei den Schulanflalten betheiligten Eltern befriedigen, als die 

Lehrer. Indeß bringen die Blätter doch auch manches Beachtenswerthe 

in befriedigender Weiſe zur Sprache. 

Sp viel wir wiffen, if der Herausgeber einem Rufe nah Brünn 
gefolgt. 

9. Braunfhweig. 


101. Braunfämeigifder Schulbote. Zeitſchrift für Beeren des Er» 
gebun smelens Im Säule und Familie. Herausgegeben von J. H. Ch. 
chmidt, Eantor in Lucklum. 5. Jahrgang. Wonatli 1 Bogen in 8. 

Braunſchweig, E. Leibrod. 1856. !/s Thir. 

Dies Biättchen bringt Abhandlungen, beipricht Bereinsangelegenbeis 
ten, theilt Schulnahrichten aus dem Baterländchen und ‚aus aller Herrn 
Ländern’ mit, und befpricht neue literarifche Erfcheinungen. Es verehrt 
die preuß. Regulative fo hoch, daB es meint: Die Regulative fludiren, 
beißt jetzt Pädagogik fludiren. Der herrfihende Zon if der religiös- 
falbungsvolle. Vielleicht wäre das Blatt den Braunfchmweigifchen Lehrern 
nügliher, wenn es im Sinne der fähfifchen Schulzeitung thätig wäre. 


10. Sannover. 


102. Pädagogiſche Beiträge insbefondere rür das Volksſchulwe⸗ 

Ion. Defaudgegeben von bannoverfiyen Lehrern. I. Band. 8 Hefte à 3—4 
Bogen. Hannover, A, Grimpe. Auguft 1855 bis 56, 1'/ı Thlr. 

Die pädag. Beiträge enthalten Abhandlungen, praktiſche Bears 

beitungen der einzelnen Lehrgegenftände, eine Revue über das deutſche 





700 Allgemeine Pädagogik. 


Volksſchulweſen, mit befonderer Berüdfichtigung des Königreichs Hannover, 
furze Mittheilungen und Anzeigen neuer literarifcher Erfcheinungen. Das 
Unternehmen fann als ein ganz zweckmaͤßiges und gut geleitetes bezeich⸗ 
net werden. 


103. Jahrbuch für Hannoverfhe Volkeſchullehrer. Zum Beſten 
der Volksſchulehrer⸗Waiſenfonds im Königreich Hannover. Mit einem Bor- 
worte von ® W. Bodeker, Paſtor zu Hannover. gr. 8. (VI u. 168 ©.) 
Hannover, A. Grimpe 1856. 


Dies Jahrbuch beabfichtigt, „den Lehrern des Königreihs Hannover 
am Schluſſe jeden Jahres eine Weberficht der fämmtlihen Eonfiftorialers 
laffe, der Amtsveränderungen und der flattgefundenen Lehrerconferenzen, 
fo wie andere intereffante Mittbeilungen aus der Geſchichte des Volks⸗ 
fhulwelens des engeren Baterlandes zu geben. Außerdem bringt die 
Medaction (W. Kaftein) noch „Pädagogische Mittheilungen’‘ und „Bädas 
gogifhen Erzählungen,’ die andern guten Schriften über Erziehung und 
Unterricht entlehnt find. 

Für die hannoverfchen Lehrer ift das Jahrbuch wichtig, auch des 
löblihen Zweckes wegen. 


11. DIdenburg. 


104. Dldenburgiſches Schulblatt. Sechster Jahrgang. SENT. a 1Bos 
gen gr. 8. Didenburg, Schulze’fche Buch. 1855. 1%/: Thlr. 

Wir kennen nur diefen Jahrgang. Er enthält Abhandlungen über 
verfchiedene pädagogifche Gegenftände von allgemeinem Interefie, Confe⸗ 
renzberichte, Mittheilungen über das Oldenburgiſche Schulwefen, Perſo⸗ 
nalien, Notizen und Recenfionen. Der Herausgeber wünſcht das Blatt 
niht ale fein, fondern als das Drgan der Dldenburgifchen Lehrer ber 
trachtet zu fehen. Dazu gehört noch größere Unterflügung von Eeiten 
der Gollegen, als dem Redacteur zu Theil zu werden fcheint. Das Blatt 
enthält übrigens manchen guten Aufſatz. 


12. Metlenburg. 


105. Meklenburgiſches Schulblatt. Medigirt von C. Wulff, Hülfs- 
lehrer am Seminar zu Zudwigsfuft. 7. Jahrgang. Wöchentlich "a Bogen 
in 8. Ludwigsluſt, Hinftorff’ihe Hofbuchh. 1856. 1’/s Zhlr. 


Dies Blatt macht ‚ungefähr den Eindrud des „Braunfchweigifchen 
Schulboten. Das religidfe Element berrfcht darin fehr ſtark vor und 
tritt etwas flarr auf. Einzelne Auffäge daraus haben ihre Würdigung 
bereits in der Arbeit über den Meligionsunterricht und an andern Stellen 
gefunden. Wir kennen die Meftenburger Lehrer nur wenig, halten jedoch 
dafür, daß ihre geringe Betheiligung an dem Blatte nicht in ihnen, ſon⸗ 
dern in dem ganzen Zone und der Haltung des Blattes zu ſuchen if. 
Der Herr Redakteur, der allerdings erft feit Michaelis als folcher thätig 
iR, follte eine etwas beweglichere, anregendere Sprache einführen; die 
jegige fchläfert ein. 








Allgemeine Pädagogik. 701 


13. Schleswig - Solftein. 

106. Schulzeitung für die Hergogtbümer Schleswig, Holftein 
und Lauenburg, redigirt von U. h. Soönkſen. Wöhentlih !/s Bogen in 
4. Kiel, Schröder u. Comp. 1856. 2 Thlr. 

Diefe Schulzeitung Huldigt entfchieden dem Fortichritt, enthält fehr 
tüchtige, gewandt gefchriebene Auffäge von allgemeinem Intereffe, Nach⸗ 
richten verfchledener Art, Vereinsangelegenheiten, Conferenzberichte und 
literarifche Anzeigen, letztere ziemlich felten. Befonderen Werth legt dies 
felbe auf Förderung der Realkenntniffe, namentlich der Raturwiflenfchaften, 
was rühmend anerkannt werden muß. Mögen die Lehrer ernftlich fire 
ben, fih das Blatt zu erhalten! 

107. Schul blatt für die Herzogthümer Schleswig und Hofftein. 
Eine pädagogifhe Monatsfchrift für Lands und Stadifhulen. inter Mit- 
wirfung von Paſtor Kahler in Altona herausgegeben von den Volksſchul⸗ 
lehrern H. F. Langenfeldt, Sr. Harder und Er. Saggan in Altona. 


18. Jahrgang. Wonatlid ein Heft von circa 4 Bogen in gr. 8. Olden⸗ 
burg in Soikein, C. Fraͤnkel. Reipzig, in Com, bei ©. Braund. 1856. 


2 Thlr. 12 Ser. 

Dies Blatt unterfcheidet fi) von dem vorigen durch etwas gedehns- 
tere Abhandlungen, von denen mehrere bereits in den vorhergehenden 
Arbeiten angezogen und beurtheilt worden find. Außerdem enthält es, 
wie jenes, Schulnachrichten mannigfacher Art und Beurtheilungen von 
literarifchen Neuigkeiten. Wenn es den Serausgebern beider Blätter ges 
lingt, friedlich neben und mit einander zu gehen, fo werden fie ein fchös 
nes, fruchtbringendes Ganze darftellen, und die Lehrer der Herzogthümer 
werden es ihnen danken. Sie müffen fich gegenfeitig ergänzen, nicht aus 
dem Felde fchlagen wollen. 


14. Schweiz. 


108. Pädagogifhe Monatsfhrift für die Shweiz. Im Auftrage 
des ee Zehrervereind herausgegeben von H. Grunbolzer und 
$. Zaͤhringer. 1. Jahrgang. gr. 8. (24 Bogen), Zürich, Weyer und Zeller. 
1856. 1?/s Ihlr. 

Diefe Zeitfchrift wird im freien, republifanifchen Geiſte redigirt. 

Sie enthält 18 größere Abhandlungen, Mittheilungen über den Zuftand 

und die Entwidelung des ſchweiz. Schulmelens, Necenfionen und verfchies 

dene Nahrichten über die Schweiz und das Ausland. Mehrere der Abs 
bandlungen und Mittheilungen find in den vorhergehenden Arbeiten des 

Sahreöberichtes beurtheilt worden. Wir werden uns freuen, wenn die 

Monatsfhrift fortfährt, fo wackere Arbeiten zu bringen. 





XII. 


Die aͤußern Angelegenheiten der Volksſchule 
und ihrer Lehrer. 


Don 
Auguſt Lüben. 


J. Geſtaltung des Schulweſens in den einzelnen deutſchen 
Staaten. 


1. Preußen. 


1. Lehrermangel. Rah einer der Budgetfommifion officiell 
mitgetheilten Weberfiht find in Preußen 23,200 evangelifche und 10,500 
Tatholifche Elementar-Schulklaffen vorhanden, von welchen erfahrungsmäßig 
jährlich 860 enangelifhe und 420 Tatholifhe Stellen zu beſetzen find. 
Es werden jährlich durchſchnittlich 500 evangeliihe und 350 Tatholifche 
Kandidaten aus den Seminarien entlaffen. Zur Beſchaffung der erfors 
derlichen Lehrerzahl follen zunächft noch ein drittes katholiſches Seminar 
für die Rheinprovinzen, ein zweites katholiſches für den fchlefifchen Me» 
gierungsbezirk Liegnig, und endlich ein zweites evangelifches, jo wie ein 
drittes Fatholifches für die Provinz Pofen errichtet werden. Für den 
Negierungsbezirt Merfeburg fteht die Errichtung eines evangeliihen Ser 
minars (in Eifterwerda) bevor. 

Preußen befigt gegenwärtig 49 Seminare zur Bildung von Lehrern 
und Lehrerinnen, die Gouvernanten-Anftalt in Droyßig mitgerechnet. 

Um den Mangel an Lehrern zu befeitigen, hat die Regierung von 
Potsdam einen halbjährigen Seminarfurfus für Leute von 19 bie 30 
Jahren eingerichtet. In den Rheinprovinzen bezweckt man Achnliches. 
Solche Maßnahmen Lönnen wir nur bedauern, da fie geeignet find, die 





Die Außern Angelegenheiten d. Volksſchule 20. 703 


Entwidelung des Schulwelens zu hemmen und die gute Meinung, welde 
das Bolf von den Lehrern hat, zu ſchwaͤchen. 

2. Befoldung. Der Lehrermangel hat ohne Zweifel feinen Grund 
in der geringen Befoldung der Zehrer, wenn wir auch gern zugeben, daß 
die gegenwärtigen Seminare nicht ausreichen, die erforderliche Lehrerzahl 
zu bilden. Thatſache ift es übrigens, daß fl) gegenwärtig wieder mehr 
junge Leute dem Lehrerftande widmen, als font. Es erklärt fih das 
aus dem Streben der Regierung, die Schuiftellen möglihft zu verbeflern. 
Seit der im Jahr 1852 vom Minifter der geiftlichen Angelegenheiten 
erlaffenen Verordnung, die Negulitung und Erhöhung der Gehälter bes 
treffend, find an dauernden Zulagen bewilligt worden: für Lehrer an 
Gymnaften 72,739 Thaler, für Lehrer an Schullehrer » Seminarien 
9,037 Thlr., für Lehrer an Elementarfchulen 152,591 Thlr. Diefe Zus 
lagen werden theils aus vorhandenen Fonds, theils von den Gemeinden, 
theils aushülfsmweife von den Staatslaffen gewährt. 

Im Ganzen bat fi die Gehaltserhöhung jegt vorzugsweife auf die 
Landſchulen erfredt. Daraus hat der Minifter der geiflihen Angelegen- 
beiten Beranlaffung genommen, unterm 19. Mai 1856 die befondere Aufs 
merkfamfeit der Regierungen auf die Verbeflerung der Befoldungen für 
Lehrer an Rädtifhen Schulen zu lenken. Wird überall im Sinne 
des Erlaſſes verfahren, fo läßt fih erwarten, daß auch die oft große 
Noth der ädtifchen Lehrer bald einigermaßen wird gemindert werden. 
Wir theilen nachſtehend einige Säpe diefes Erlafjes mit. 

„Es bat nur der in den lebten Jahren gemachten Erfahrungen ber 
durft, um darzuthun, daß ſtädtiſche Kehrer mit nur baarem Gehalte drük⸗ 
fender Roth weit eher und nachhaltiger ausgejept find, als Land⸗Schul⸗ 
lehrer, deren geringeres Einkommen zum Theil in Raturalien und Lands 
Dotation befieht. Ein zum Lebensunterhalt der Familie und zur Erzie 
Hung ihrer Kinder ausreichendes Einfommen den flädtifchen Lehrern zu 
fichern, liegt aber im allgemeinen und im Intereſſe der Schule um fo- 
mehr, als jene fih fonft leicht zu Nebenbefchäftigungen bindrängen laflen, 
welche mit der Würde und der gedeihlichen Führung des Schulamtes nicht 
immer vereinbar find.‘ 

In Betreff der zu nehmenden Gefichtspunkte heißt es: „Es muß 
als Regel angefehen werden, daß jede fädtifche Lehrerftelle ihrem Inha⸗ 
ber die Möglichkeit gewährt, fern von jedem Anſpruch des Lurus und 
höherer Lebensverhältniffe, einen einfachen Hausfland zu gründen und dens 
jelben bei Sparfamkeit und Nüchternheit ohne Sorgen der Nahrung zu 
führen. Was hierzu erforderlich if, hat die Königliche Regierung in jedem 
einzelnen Falle unter firenger Berüdfichtigung der LolalsBerhältniffe zu 
prüfen und feſtzuſetzen.“ — — „Es liegt im Inteeeſſe jeder Schule, 
reſp. Schulflaffe, daß ein tüchtiger Lehrer ihr möglichſt Tange erhalten 
bleibe. Diefes wird aber nur dann zu bewirken fein, wenn die betrefs 
fende Stelle ihren Inhaber auch ein für die mit dem fortfchreitenden Les 
bens⸗ und Amts⸗Alter feigenden Bedürfniffe und Anfprüce genügendes 
Einfommen gewährt. Die Gründung und Dotirung fogenannter Anfän- 
gerfellen, hinfichtlih deren man darauf rechnet, Daß fie für unverbeiras 


704 Die äußern Angelegenheiten 


thete Schulamts » Kandidaten nur kurze Zeit dauernde Webergangspoften 
fein follen, ift aus den angegebenen Gründen und weil ſich fehr häufig 
fpäter eine Verſetzung und Beförderung als unthunlich erweiſt, möglihft 
zu vermeiden.’ — „Es iſt nicht felten das Beſtreben flädtifcher Behoͤr⸗ 
den bemerfbar, höhere Unterrichtszwede, namentlich durch Errichtung von 
Real⸗ und Gewerbſchulen, unter Aufmendung erheblicher Mittel zu fördern. 
Die Königl. Regierung wird es ſich nach wie vor angelegen fein fafjen, 
folhe Bertrebungen, wo einem wirklichen Bedürfniß eine gefunde Befries 
digung gewährt werden Tann, nad Möglichkeit zu unterflügen. In jedem 
folhen alle hat aber die Königl. Reg. vorher zu prüfen, ob den Bes 
dürfniffen des Elementarſchulweſens der betreffenden Stadt, au, mas 
die ausreichende Befoldung der Lehrer angeht, genügend vorgefehen if, 
damit nicht durch Bevorzugung von befonderen Intereſſen einzelner Klaſſen 
der Bevölkerung das der Geſammtheit dienende chriftlihe Elementarſchul⸗ 
wefen gefährdet werde. In der Dadurch zu erwartenden Hebung der Öffents 
lihen Elementars und Bürgerfchulen wird auch das erfolgreihfte Mittel 
gefunden werden, dem Ueberbanduchmen der Privatichufen zu fleuern und 
die auf diefe verwendeten Mittel dem öffentlichen Schulwefen zu erhalten.” 
— — „Wenn gegen die nad genauer Erwägung der Berhältniffe für 
nöthig befundene und anzuordnende Erhöhung der Fädtifchen LehrersBe: 
foldungen der Einwand erhoben werden follte, daB das ſtädtiſche Bud» 
get ſchon anderweit zu belaftet oder die Steuerfraft der Einwohner durch 
Gommunal » Abgaben zu fehr angefpannt fei, fo hat die Königl. Reg., 
unter angemeffener Betheiligung Ihrer Abtheilungen des Innern und der 
Finanzen, diefen Einwand zu prüfen und nöthigenfalls unter Feftftellung 
des Grundfages, daß die Unterhaltung des Schulwefens, namentlich der 
Befriedigung materieller Intereſſen gegenüber, nicht in zweiter Linie ber 
ftädtifchen Verpflichtungen fichen dürfen, auf eine Rectifizirung des ſtäd⸗ 
tifhen Budgets hinzuwirken.“ 

Auf höhere Veranlaffung haben die Regierungen auch Veranfaffung 
genommen, die Magiftrate zu Theurungs⸗Zulagen für die Lehrer zu vers 
anlaffen. In dem hierauf bezüglichen Erlaffe der Königl. Regierung zu 
Breslau heißt es: „Dotirt mit einem auch in den beften Zeiten kaum 
ausreichenden Baargehalt, müflen fie (die Lehrer) fi unter den erſchwe⸗ 
renden Einflüffen der Gegenwart, den größten Kümmerniffen und Ent 
behrungen ausgefeßt erbliden, und follen doch zu gleicher Zeit auch mit 
unbeftehlicher Treue und unermüdlichem Fleiße, das Schönfte und Beſte 
der Güter, was die Kamilien ihr eigen nennen, bewahren nicht bloß, fon 
dern auch zu derjenigen Entfaltung, die ihm erſt den rechten Werth giebt, 
e8 bringen.‘ 

3. Präparandenbildung. Die Regulative erachten eine Bor 
biſdung zum Seminar dur den Ortspfarrer und Lehrer für die geeig⸗ 
netſte und halten zugleich dafür, daß die Zahl der von einem Lehrer 
zu gleicher Zeit vorzubildenden Präparanden fih auf höchftens drei ber 
fhränfe. In Folge deffen haben die Königl. Regierungen die Prediger 
und Lehrer aufgefordert, fich bei der Präparandenbildung in diefem Sinne 
zu betheiligen.. Durch die Amtsblätter find hierauf die Namen der ber 


% 


der Volksſchule und ihrer Lehrer. 705 


Rätigten Präparandenhildner befannt gemacht worden. Ganz im Sinne 
bes Regulativs heißt es in der BircularsVerfügung der Königl. Reg. zu 
Branffurt a. d. O. vom 15. October 1855: „Die Lehrerbildung wird 
dur) das Megulativ vom 2. October ejsd. zum großen Theil in die 
Hände des Lehrerftandes felbft gelegt; Diener der Kirche und erfahrne 
Schulmänner follen den Grund legen, auf welhem das Seminar weiter 
baut und feine Zöglinge zur Reife für das Lehramt führt. Der Erfolg 
der Seminarbildung ift bedingt durch die Vorbereitung für das Seminar 
und dieſe erfcheint daher: faum minder wichtig als jene; ihre Thätigkeit 
richtet fi vorzüglich auf die Erziehung des Lehrlinges für das Schuls 
fah. Denn wenn die Tüchtigfeit für das Lehramt hauptſächlich auf der 


gediegenen Perföntichkeit des Lehrers beruht und Diele fih zu einem. 


Eharafter von wahrhaft hriftlihem „Gehalt und Gepräge ausbilden foll, 
fo bedarf es dazu nicht allein des gründlichen Unterrichts, deflen Mittel 
punft die evangelifche Heilslehre ift, ‚fondern vor Allem der Krifllichen 
Erziehung durch DOrgane, melde fie in dem rechten Sinn und Geiſte 
leiten. Aus der frommen Zucht der riftlihen Familie, aus der gefuns 
den Tinterweifung der chriftliden Schule, aus der treuen Pflege der 
chriſtlichen Kirche muß der fünftige Volksſchullehrer hervorgehen, in und 
an der Schule ſich für feinen fünftigen Beruf beranbilden, für denfelben 
nicht nur befonders gefhult, fondern vor Allem befonders erzogen wers 


den. Die Grundiegung diefer Berufserziehung, fällt in die Beit von _ 


dem Austritt aus der Schule bis zu dem Eintritt in das Seminar, das 
Diefelbe vollenden fol; "ohne dieſe Grundlage vorzufinden, arbeitet das 
Seminar an den meiften feiner Zöglinge vergeblihd. Ein fo wichtiger 
Theil der Lehrerbildumg erwartet daher treue Wrbeiter und Pfleger 
außerbalb der Seminare unter den Geifllihen und Lehrern, welche fich 


berufen und verpflichtet fühlen, diefer fegensreichen Aufgabe ihre Kräfte. 
zu widmen. Wo der Lehrer ein geborner Schulmann, ein wahrer Schule” 


meifter "it, der fein Amt liebt und im Segen führt, da wird es ihm 


ſelbſt Bedürfniß werden, ſeine Erfahrungen mitzutheilen, ſeine Wirkſam⸗ 


keit in lebendiger Ueberlieferung fortzupflanzen und fich aus feinen Schu⸗ 
lern auch ſolche zu erziehen, die fein Werk fortſetzen und weiter führen. 
Und wie könnte die Kirche gleichgültig bleiben gegen die Seranbildung 
der Volkoſchullehrer, in denen der Geiftliche feine nächſten Gehülfen für 
bie Seelforge an dem heranwachfenden Geſchlecht, für den Dienft der 
innern Miffion in der Gemeinde überhaupt erhalten fol? Wie follte die 
Kirche nicht die heilige Verpflichtung anerkennen, wenigftens Mithelferin 
an diefem Werke zu fein? Sollen Kirche und Schule nicht auseinander 
geben, fondern feft zufammenwacfen, fo. muß der künftige Lehrer von 
Augend auf an der Kirche feine mütterliche Pflegerin, in dem Geiſt⸗ 
lichen einen väterlichen Zreund und Erzieher finden, dem er die Bes 
gründung feiner chriſtlichen Heilserfenntniß und Berufsrichtung verdankt, 
Es Tann für Schule und Kirche feine Thätigfeit geben, die von größes 
rem Einfluß auf die Zukunft beider und der damit zufammenhängenden 
Buflände unferes Volkes und Baterlandes wäre, als die Vorbereitung 


auf das Lehramt. Je mehr von Geiten der Staatsregierung für die 


Rade, Jahrtsbericht. J. 45 


700 Die äußern Angelegenheiten | 


Lehrerbildung in den Schullehrer⸗Seminarien gethan und die Leitung 
und Geſtaltung dieſer Anſtalten in wahrhaft evangeliſchem, tirchlichen 
und vaterländiſchem Sinn und Geiſte durchgeführt wird, deſto mehr 
liegt es dem geſammten Lehrerſtande ob, dieſen peilfamen Beranr 
faltungen in die Hände zu arbeiten und das hochwichtige Werl 
durch Vorbildung von Geminarpräparınden oder Schulamtsichrlingen 
au fördern.‘ 

Prediger und Lehrer follen ſich ernfllich bemühen, junge Leute für 
den Lehrerberuf zu gewinnen zu fuchen. Dabei follen fie ihr Augenmerk 
nicht auefchließlih auf die geifig reicher begabten Schüler, auf gläne 
zende Talente, fondern vornehmlich auf fittlich geartete und erzogene 
Naturen richten. 

Die Borbereitung fol durdfchnittlih drei Jahre dauern. Der 
Aufenthalt auf dem Lande if dabei dem in der Stadt vorzuziehen. 
Zunge Männer von reiferem Alter, ‘die bereits amdere Berufsiwege ber 


"treten haben, ſich aber entfchließen, zum Schulfach überzugeben, follen 


befondere Berüdfihtigung erfahren. 

Bei den PBrävarandenlehrern wird vorausgeſetzt, daß fe es bei ihrer 
Beſchaͤftigung nicht auf Erwerb abgefehen haben, diefelbe vielmehr treiben, 
weil fie ihnen freude macht. 

4. Lehrerprüfungen. a. In Preußen, wie anderwärts, iR 
es geſtattet, fih auch außerhalb der Seminare zum Lehramte vorzube⸗ 
reiten. Die Prüfung dieſer „Wilden“ findet aber in einem Seminare 
Statt. In Nr. 43 des Medienburgifhen Schulblattes (1856) wird 
über ein derartiges Eramen in Köpenid berichtet. „Die Leitungen liefen 
Manches zu wänſchen übrie.. Ein Graminand meinte, der Bo habe 
einen nördlichen Lauf; ein anderer, der den Lauf der Donau Durd 
Beihnung an der Wandtafel darſtellen follte, zog mit der Kreide eine 
Linie von oben nad unten mit einer Biegung nad links. Wenn auf 
Fragen, wie: „Haben Sie darin oder davon noch Kenntniſſe?“ gewöhn⸗ 
lih ein „o ja’ als Antwort erfolgte, bei einem näheren. Eingehen auf 
die Sache aber faſt nichts zu Tage kam, fo zeigte dies, daß Eraminand 
nicht einmal wußte, ob er etwas wifle oder nit, und das if immer 
ein fchlimmes Zeichen, findet fi aber nicht bloß in Preußen, fondern 
auch anderswo.‘ 

Der Berichterftatter hatte noch Gelegenheit, die Examinanden im 
Gaflbaufe zu beobachten und kennen zu lernen. Nachdem er bierüber 
Einiges mitgetheilt hat, heißt es: „Ploͤtzlich kam Nachricht vom Seminar, 
Alle (19), bis auf zwei, waren beftanden. Gut, daß ihr nicht im 
Mecklenburg eyaminirt feid, dachte ih. ber die Behörde mußte bei 
dent Mangel an Lehrern fih ſchon zufrieden geben; es waren damals 
allein in dem Regierungsbezirk Potsdam über dreißig Lehrerfieden, zu 
denen es an Lehrern fehlte, „‚‚und es if doch beſſer, einen weniger 
tüötigen Lehrer anzuſtellen,““ fagte man, „„als gar keinen.’ 

Die Heetorats- Prüfungen, zu denen nah einer gefch- 
u BeRimmung nur Literaten zugelaffen werden, werben ebeufalls 
Mm den Seminaren abgehalten. Um vielfachen Anfragen zu begegnen, 





der Vollsſchule und ihrer Lehrer. , 707 


bat der Seminar-Dirertor Bock im 1. Hefte des ſchleſſſchen Schulblattes 
von 1856 in dankenswerther Weiſe Alles zuſammengeſtelit, was hierauf 
Bezug bat. Wir entnehmen hieraus Folgendes. 

„Die Prüfung beſteht in Anfertigung einer Clauſur⸗Arbeit über 


ein pädagogifches oder methodifches Thema; es werden dazu A Stunden - 


Zeit gewährt und find Aufgaben wie folgende bearbeitet worden: 1. 
Welches find die bekannteſten Leſemethoden? Worin beſteht das Eigen⸗ 
thümliche einer jeden und welcher gebührt der Vorzug? 2. Welche 
neuere Beftrebungen auf dem Gebiete des Unterrichts verdienen befondere 
Beobachtung? 3. Was hat man unter Eoncentration des Unterrichts zu 
verſtehen? Welche Berechtigung hat fie? Auf welche Unterrichtögegen 
—— it fie beſonders anwendbar und wie geſtalten ſich dieſe durch 
eg uf. w. 

Die mündliche Prüfung erſtreckt ſich vorzugsweiſe auf das Re 
thodiſ he in den verſchiedenen Unterrichtsfächern: Schulkunde, Reli⸗ 
gion, Sprachunterricht, Geſchichte, Geographie, Natur⸗ 
geſchichte, Naturlehre, Rechnen und Raumlehre. 

In der Schulkunde werden Fragen aus der —88 des 
Volksſchulweſens, über Schul⸗Erziehung, Einrichtung des Lehrplanes 
und des Lectionsplanes, Schulordnung und Disciplin, die allgemeinen 
unterrichtlichen Grundiäge, die Cigenſchaften des Lehrers u. dergl. ger 
tan. — In der Religion wird fowohl die Behandlungsweife der 
einzelnen Zweige deflelben: der biblifhen Gedichte, des Bibelleiens, 
der Berikopen«Erflärung,, des Katechismusunterrichts, der Verwendung 
von Sprüchen, Liedern und Pfalmen, als die Geflaltung dieſes Unters 
richts auf den verfchiedenen Stufen beiprodhen. — In dem Sprads 
unterrichte bilden a. Lejelehre, I. Leſebuch und deflen Gebrauch, e. 
Geſtaltung des Sprachunterrichts auf der Grundlage von Lefeüden, 
d, Grammatit, e. Bekanntſchaft mit Volksſchriften die Geſichtspunkte, 
auf welche ſich die Prüfung richtet. — In Geſchichte, Geographie 
und Raturktunde kommt es befonders auf Auswahl und Behandlung 
bes in den Bereich der Bolksichule Gehörigen nad feiner Abflufung für 
eins und mehrklaſſige Schulen an. Auch hier kommt die Verwendung 
des Leſebuches in Betracht, fo wie die Verbindung dieſer Disciplinen 
unter einander. — Im Rechnen wird die Entwidelung des Unterrichts 
von der unterßen bis zur oberfen Stufe unter 'Berädfihtigung eines 
rationellen Verfahrens ins Auge gefaßt. — Die. Raumlehre hält fi 
innerhalb des der Volfsfchule vorgezeichneten Gebietes. — Auch auf die 
Kenutnig einer Anzahl befannter Ehoräle, wie fie fih zu den Schuls 
andachten und Gebeten eignen, wird ‚gefordert. 

Reben der methodifhen Kenntniß wird im den genannten Gegen« 
fänden auch die Bekanntfchaft mit den hervorragenden literaris 
fhen Hülfsmitteln erforfht. Für die Vorbereitung find zu empfeh⸗ 
In: 1, Die 3 preußifchen Regulative, 2. die für den Zwed der Prüs 
fung gehörigen Auffäge in dem Scuiblatte der evangelifhen Seminare 
Shiefiens, 3. Bormann’s Schultunde, 4 Goltzſch Lehrplan für ein 
klaſſige Volksſchulen, 5. Raumers Geſchichte der Padagogik, Thl. 2, 

45” 


= 


a 


708° Die äußern Angelegenheiten 


6. Kellners Pädagogit in Aphorismen, 7. das vom hiefigen Seminar . 
beransgegebene Volksſchul⸗KLeſebuch, 8. Golgfh oder Stubba, Ans 
weifung zum Rechnen, 9. aus Dieflerwegs Wegweiler die Auffäge 
über die weltfundlichen Disciplinen, um eine Einfiht in die Geftaltung 
des Unterrichtes in vielklaſſigen Stadtfhulen zu erlangen. oo. 

Endlich beſteht die Prüfung in zwei Lehrproben, welche mit 
einer Klaſſe der Seminarfhule abzuhalten find: =. im Religions» 
Unterrichte, b. in einem der übrigen Unterrichtsgegen— 
Rände Die Aufgaben dazu werden Tags vorher bei. der Meldung 
gegeben. Nur zur Lehrprobe in der Religion wird ein fchriftlicher 
Entwurf, welcher den Stoff in den Sauptzügen und den Gang ber 
Behandlung überfichtlich angiebt, angefertigt und bei Beginn des Lehrs 
verſuches, auf gebrochene Kolios Seiten gefchrieben, an den Herrn Com⸗ 
wiffarius abgegeben. Für die anderweitige Lehrprobe wird eine ſchrift⸗ 
lihe Borbereitung nicht gefordert. 


Für jene werden die Aufgaben aus der biblifhen Geſchichte, 
dem Katehismus, den Perikopen, LKieder- und PBfalmens 
&rflärungen entnommen; für diefe werden Stüde aus dem erfien 
Lefes, dem vereinigten Sad und Sprach⸗Unterricht, Sprach⸗ 
Rüde mit Auffagübungen, Aufgaben aus dem Rechnen, der 
Raumlehre, der Geographie, Befhihte, Naturgeſchichte 
und Phyſik gegeben. Die betreffenden Seminarlehrer ſorgen für bie 
erforderlichen Lehr⸗ und Beranfhaulichungsmittel. Es find dazu früher 
Aufgaben, wie folgende, geflellt worden: 1. Für Sprachuntericht: 
Beiprehung des ‚‚Rinderliedes von den grünen Sommer » Böglein.‘ 
Aus dem Gedicht: „Ich hatt’ einen Kameraden‘ einen Auffaß, der die 
Gefchichte deſſelben enthält, zu bilden u. f. w. 2: Rechnen und 
Raumlehre: Zu lehren, wie Brüde durch Brüche dividirt werden. 
Das Eigenthümliche der Decimal»- Brüche gegenüber den gemeinen Brüchen 
und Verwandlung jener in dieſe und umgekehrt u. ſ. w. 3 Geſchichte 
und Geographie: 8 follen einige, in die Volksſchule gehörige Bes 
ſchichten ganz kurz erzählt werden, die fih im Rheingebiete von Bafel 
His Mainz bewegt haben. Zum 25. Juni: Webergabe der Augsburgi⸗ 
fen Eonfeffion, Aug. Herm. Srande und die Gründung des Halle'ſchen 
Waiſenhauſes. Es find aus den Pauptflellungen der Erde zur Sonne 
(dur eine Zeichnung veranfhaulicht) die wichtigften klimatiſchen Bers 
. hältniffe abzuleiten, die wir im Laufe des Jahres erleben. Ueber Son» 
nenfinfterniffe u. f.w. 4. Naturkunde: Der Regenbogen. Ueber die 
Neibung der Körper. Weber die Entwidelung der Infecten, an einigen 
Arten nachzuweiſen. Weber den inneren Bau und die dadurd bedingte 
Ernährung der Pflanzen. (Ein Bortrag.) U. f. w. , 

Das Reſultat der Prüfung wird in einer. auf diefelbe folgenden 
Gonferenz der Commiſſion fofort fefgeftellt und durch den Herrn Com⸗ 
miſſarius des Königl. ProvinzialsSchulsCollegii den Eraminanden mits 
geiheilt. Die Zeugniffe jedoch werden ihnen erſt fpäter von der ger - 
- nannten Behörde ſelbſt zugefertigt; dagegen werden die bei der Mel 








der Bettefäue und ihrer Lehrer. 7 oo 


dung beigefügten Ausweiſe nad der Brüfung foglel wieder zurüds 


geſtellt. 

5. Die Unfalt zur Bildung von Bouvernanten in Droy⸗ 
Big bei geiß, auf die ſchon im VIII. 8. des Jahresberichtes hinge⸗ 
wiefen worden, ift am 6. October 1855 errichtet und unter Die Leitung, 
bes Directors des Lehrerinnen» Seminars daſelbſt, Krißinger, geftellt 
worden. Beide Anftalten ſtehen zunähft unter der unmittelbaren Leis 
tung des Minifters der geiftlichen Angelegenheiten. In der die Cröff⸗ 
nung der Gouvernanten s Anftalt betreffenden Bekanntmachung des Minis 
ſters, d. d. Berlin, den 22. Juli 1855, heißt e6: ‚Der Curfus zur 
Ausbildung junger Damen in dem genannten Inſtitute iſt auf zwei 
Jahre berechnet, womit nicht ausgefchloffen ift, daB vorzugsweife begabte 
und mit befonders guten Borkenntniffen eingetretene Böglinge auch bes 
reits nad Jahresfriſt entlaffen werden fönnen. Die Entlaffung erfolgt 
jedesmal nach der vor einer Sönigl. Prüfungs» Eommiffion beftans 
denen Prüfung, und mit einem von der erfleren ausgeftellten Qualificas 
tions » Zeugniß, welches in der Regel auch die Befähigung für den Uns 
terricht an hoͤheren Zöchterfchulen bezeugen wird. 

Die Hauptaufgabe der Anftalt ift, für den höheren Lehrerinnen. 
Beruf geeignete evangelifhe Jungfrauen, zunähf in chriſtlicher Wahrheit 
und im chriſtlichen Leben ſelbſt fo zu begründen, daß fie befähigt und 
geneigt werden, die ihnen fpäter anzuvertrauenden Kinder in Liebe und 
Selbfiverläugnung ihrem Herrn und Heiland zuzuführen. Sodann follen 
fie theoretifh und praktiſch mit einer guten und einfachen Unter 
richts⸗ und Erziehungskunſt bekannt gemacht werden, in melcher letzteren 
Beziehung fie in dem Penfionat lehrend und erziehend mit beichäftigt _ 
werden. Gin befonderes Gewicht wird auf die Ausbildung in der frans 
söfichen und englifchen Sprache, fo wie in der Muſik gelegt. Geborene 
Engländerinnen und Franzöfinnen werden namentlich die. Gonsrlation 
in den genannten Sprachen leiten. Der Unterricht in Geſchichte, Li⸗ 
teratur und fonfligen zur allgemeinen Bildung gehörigen Gegenfländen 
wird feine angemeffene Vertretung finden, aber fireng die Zwecke 
weiblicher Bildung in das Auge faffend, jede Verflahung zu vermeiden, 
und in dem Nothwendigen Bertiefung des Gemüthslebens zu erzielen 
fuchen. - 

Die Einrichtung der Anfalt bietet zur Beiheiligung an häuslichen 
Arbeiten, fo weit diefe das Gebiet auch der Pörperlichen Pflege und Er⸗ 
ziebung angehen, geordnete Gelegenheit. 

Die Böglinge zahlen eine in monatlihen Raten boraus zu ent 
richtende Benfion von 100 Thlrn. jährtich, wofür fie den gefammten Uns 
terricht,, volle Bekoͤſtigung, Belt und Bettwäfche, Heizung und Beleuch⸗ 
tung, fo wie ärztliche Pflege und Medicin für vorübergebendes Unwohls 
fein frei haben. Ermäßigung oder Erlaß der Benflon kann nicht ſtati⸗ 
finden. 

Mit. der Bildungs » Unftalt für Gouvernanten in gleichzeitig ein 
Penſionat für evangeliſche Töchter höherer Stände errichtet 
worden, Die Gelammtanflalt in Droyßig repräfentirt daher für das 


7160 Die äußern Angelegenheiten 


weibliche Biſdungsweſen eine Bereinigung von Mitteln und Kräften, wie 
fe ſich vielleicht nirgends mehr vorfinden. In der Bekanntmachung 
wegen Eröffnung des Penflonats von Eeiten des Miniſters heißt es: 
„Das Penflonat iR zunächſt auf 50 Zöglinge berechnet, die in dem Alter 
von 9 bis 15 Jahren Aufnahme finden fönnen. Diefelben wohnen mit 
den Borfleherinnen und Lehrern, fo wie mit den Gouvernanten in einem 
and demfelben fehr geräumigen Gebäude. Der Ort Droyfig Jiegt im 
einer gefunden, fhönen Gegend und bietet in feiner ländlichen Stille für 
weibliche Erziehung befondere Bortheile dar. Aerztlihe Hülfe if nöthi⸗ 
genfalls jederzeit in dem Orte felbft, fo wie in der ganz nahe gelegenen 
Stadt Zeig zu erhalten. Der Garten der Anftalt, der fürftlihe Schloß» 
part, fo wie der unmittelbar an die Anftalt fih anichließende Bald 
und das für die lebtere eingerichtete Flußbad fihern und befördern 
die Lörperlihe Entwidelung der Zöglinge. ‚Die äußere Einrichtung, 
Lebensordnung und Beipeifung in der Anſtalt if überall reichlich, aber 
einfach. 

. Die Erziehung der Töchter foll eine entſchieden Hriftliche fein, die 
nah den Forderungen und Borfchriften des Wortes Gottes in evanges 
liſchen Freiheit gefaltet wird. Die Vorbereitung ber Töchter auf die 
Einfegnung, fo wie die feßtere ſelbſt kann in der -Anftalt durch den 
Ortsgeiſtlichen erfolgen. 

Die Sitte des Haufe foll einfah und edel, wie fie der deutfchen 
Bamilie geziemt, gehalten, und auch die biefer Sorderung entfprechende 
Form erfirebt werden. Die ftete gewiſſenhafte Leitung und Beauffih- 
tigung der Böglinge findet durch das ausreichende vorhandene Lehrerin» 
nen⸗Perſonal, jo wie durch die Gouvernunten,, flatt. 

Der Unterriht erfiredt ſich von den erflen Giementarftufen bie zu 
dem Ziel einer wohleingerichteten höheren Töchterſchule. Der chriftlichen 
Untermweifung wird überafl eine maßgebende Stellung eingeräumt. In 
Auswahl und Behandlung des Unterrichtsftoffes if wiſſenſchaftliches 
Scheinweſen in jeder Beziehung auegefhloffen, und fol eine Bildung 
erzielt werden, melde zum Cintritt in den Beruf des häuslichen und 
Familienlebens nicht minder wie in den Kreis eines gefunden und ern» 
ſten gejellfchaftlihen Lebens vorbereitet und befähigt. 

Der Unterricht in der franzöfifhen und englifihen Sprade fol durch 
Nationals Lehrerinnen mit vertreten werden. Der Klavier⸗ und Gefang- 
Unterricht bildet einen integrirenden Theil des Geſammt⸗Unterrichts; für 
PrivatsUnterriht in weiter gehenden Leiftungen wird Gelegenheit ges 
geben werden. 

Die Anſtalt forgt für alle Unterrichtss, Erziehungs» und leibliche 
Bedfirfniffe. Bett und Bettwäfche wird von ihr geftellt. Beſorgung 
der Leibwäfche wird befonders berechnet, fo wie die Vergütung für ärzte 
liche Behandlung und Medizin in Krankheitsfällen. Für alle Leiſtungen 
iR eine in vierteljährlihen Raten voraus zu entrichtende Penfion von 
200 Thirn. jährlich zu zahlen. 

G. Ein Refeript an den Minifter der geiftlihen Angelegenheiten und 
den evangrlifchen Dberkirchenrath enthält folgende königl, Entigließung: 


der Vollsſchnle und ihrer Balzer. zu 


„Auf den Bericht won 13. Januar cv. (1856) beſtimme ich hierdurch, 
um den Bebörden der evangeliichen Kirche die Ausübung der ihnen ob⸗ 
tiegenden Pflicht zur Wahrung des Bekenntniſſes beim evangeliſchen Mes 
ftgionsunterrichte in dem Bolksfchulen, den Schullehrer- Seminarien und 
höheren Schulen möglich zu machen, daß die in diefen Unterrichtsanſtal⸗ 
ten zu gebraudhenden NReligionsbücher der Genehmigung der 
Kirhenbehörde unterliegen follen und daß auch bei der Anftellung 
der ordentlichen und außerordentlihen Profefloren der Theologie an den 
Univerfitäten und der evangelifchsgeiftlihen Raͤthe bei den Regierungen, 
infofern dieſelben zugleih Mitglieder der Gonfiftorien find, fowie der 
Directoren an den evangelifchen Schullehrer⸗Seminarien jedesmal das 
Gutachten des Evangeliichen Oberfirhenratbs in Beziehung auf Befennts 
niß und Lehre des Anzuftellenden erforderlich if.“ 

7. Belenntnißftand der evangelifchen Elementarlebrer. 
Unterm 17. Zuni 1856 hat der Minifter der geiftlihen Angelegenheiten 
allen evangelifchen Elementarlehrern durch die betreffenden Behörden nach⸗ 
ſtehende Berordnung zugehen laffen: „Durch die unterm 3. October 1854 
veröffentlichten Grundzüge, betreffend Einrichtung und Unterricht der 
evangelifchen einklajfigen Elementarfchule, if einerfeits der evangelifche 
Religionsunterricht Yinfihtlich feines Inhalte, Zieles und Stufenganges 
. genau feſtgeſtellt, andererjeits if der Geiſt, welcher den Unterricht tragen 
und durddringen muß, und die perfönliche Herzensſtellung des Lehrers 
zu dem Evangelium und zu feinem Herrn und Meifter bezeichnet, welche 
allein feinen Unterricht für das Glaubensieben der Kinder fruchtbar zu 
machen im Stande if. 

Da aber der Elementarlehrer durch den ihm anvertrauten und übers 
tragenen Religionsunterricht in beionderem Maße der enangelifchen Kirche 
verantwortlich if, jo übernimmt er mit feinem Berufe auch die Vers 
pflidtung, fi in feinem Amte und außerhalb deffelben, im Unterricht, 
wie im BZeugniß durch Wort und Wandel, Rets ale ein lebendiges Mits 
glied und als einen treuen Diener der ewangeliihen Kirche zu beweilen 
und an dem Belenntniß det Gemeinde, deren Jugend er für den kirch⸗ 
lichen Unterricht des Pfarrers vorbereitet, unmwandelbar zu halten, damit 
er Denen, die außerhalb der evangeljiſchen Kirche flehen, und Denen, die 
innerhalb derjeiben ihren Verſtand über Gottes Wort und die Regel 
des Belenntniffes Rellen wollen, nicht zu Dienft und Gefallen, und feinen 
Brüdern nicht zum Wergerniß, den ihm anvertrauten Kindern aber nicht 
zam Fallſtrick werde, 

Daß es ſich alſo verhalte, iſt allen bereits im Amte ſtehenden evan⸗ 
geliſchen Elementarlehrern durch Mittheilung dieſes Erlaſſes in Erinne⸗ 
zung zu bringen, und jedem in Das evangeliſche Elementarſchulamt nen 
eintretenden Lehrer bei feiner Berpflihtung oder Einführung an Las 
Gewiſſen zu legen.‘ 


2. Deſter reich. 


1. Behufs Sicherſtellung iſt vom Unterrichts ‚Minifterium angeords 
net worden, über jede Vollsſchule in Ungarn, der Eerbifchen Wojmods 


712 Die Außer Angelegenheiten 


fHaft und dem ZTemfer Banat, Kroatien und Slavonien eine Urkunde, 
Schulfaſſion genannt, aufzunehmen, welche die weſentlichſten "Außern 
Berhältniffe, die Dotation der Schule und des Lebrerperfonals enthält. 
Diefelbe foll dazu dienen, einen geordneten Zuſtand herbeizuführen, Die 
Einfhulung fo wie die Unterrichtsertheilung zu regeln und die vorhan⸗ 
denen Säuldotationen in dem erforderlichen Maße aufzubeflern. „In 
diefer letztern Beziehung haben die Behörden dafür zu forgen, daß jedem 
Schullehrer das nad) den Berbältniffen feines Dienftortes zum Leben 
nothwendige Einfommen ausgemittelt werde und hierbei den Grundſatz 
unverrüdt fefzubalten, daß die Gründung und Erhaltung der Volke⸗ 
ſchulen zunähft auf die Ortsmittel gewieſen if.‘ 


2. In den größeren Städten Ungarns find namentlih durch Is⸗ 
raeliten vielfach Privatfchulen ohne obrigfeitliche Genehmigung errichtet 
worden. Auf Anlaß des Unterrichts-Minifteriums hat die Statthaltereis 
Abtheilung in Ofen überall da die Schließung derfelben anbefohlen, 
wo fi deren Unangemeflenheit herausftellt. Fuͤr die Zufunft if für 
jede neu zu errichtende Privatanftalt obrigfeitlihe Genehmigung er⸗ 
forderlich. 


3. Durd einen Erlaß des Minifteriums iſt der Unterricht folder 
Kinder, welde in Fabriken und Gewerböftätten un Lohn arbeiten, in 
angemeflener Weife geregelt worden. Wir theilen die Hauptbeſtimmun⸗ 
gen deffelben nachflehend mit. 1. Zür die in den Zabrifen und Ges 
werböfätten verwendeten fhulpflichtigen Kinder find Abendſchulen zu 
errichten. Der Unterridht if an fünf Zagen der Woche dur je zwei 
Stunden zu ertheilen, und beginnt von 1. October bis letzten Februar 
nach fünf Uhr, und vom 1. März bis lebten September nad fechs Uhr. 
'2. ®o die verfchiedene Befähigung es erfordert, werden die Kinder im 
zwei oder mehreren Abtbheilungen (und Zimmern) unterrichtet. 3. Jeder 
Fabriks-⸗ und Gewerbsinhaber ſoll gehalten fein, die bei ihm in Bers 
wendung flehenden fchulpflichtigen Kinder bei dem Seelforger oder Lehrer 
anzuzeigen. 4. Durchſchnittlich follen die Kinder erſt im neunten Lebens, 
jahre zur Fabrikarbeit zugelaffen werden. 5. Die Kinder find gleid 
beim Beginn des Schulbefuhs mit den erforderlichen Schulbüdern und 
Lehrmitteln zu verfehen. 6. Kür jede Abendfchule if ein Lehrplan feſt⸗ 
zuftellen. 7. Für jede Schüferabtheilung iſt ein eigener Lehrer, in der 
Regel aus dem Lehrerperfonal der betreffenden Schule, zu beflimmen. 
Der dirigirende' Lehrer der Schule führt die Aufficht über die Abend» 
ſchule. 8. Die, Lehrerbefoldung wird von den Fabrikbeſitzern, unter 
Umftänden auch theilweife von den Eltern der Kinder aufgebracht, im 
leßterem Kalle gleih vom Wochenlohne zurüdbehalten. 9. Behören die 
Kinder der Mehrzahl nah der Klaffe der anerfannt dürftigen Ortes 
bewohner au, fo fann auch die Gemeinde zu einer Beiſteuer zum Schule 
gelde herangezogen werden. 10. Die Fabrikſchulen ſtehen mit den 
Säulen, als deren Theil fie zu betrachten find, unter gleicher Aufficht. 
11. Für das fittliche Verhalten der Kinder während des Unterrichts und 
Heimweges follen Lehrer_und Schulvorfieber mit aller Aufmerkfamteit 





der Volksſchule und ihrer Lehrer. 713 


Sorgen. Nöthigenfalls Tann die Worforge getroffen werden, . daß bie 
Sensdarmerie und Ortspolizei dem Verhalten diefer Kinder (auf dem 
Schulmege) ein wachſames Auge zuwende. 

4. Abkürzung des Unterrichts auf die Hälfte der Unterrihtsftuns 
den foll in vorfommenden Rothfällen auf Antrag des betreffenden bilchäfs 
Iihen Gonfiftoriums nur von der Statthalterei auf beftimmte Dauer 
bewilligt werden, nie von den nächſten Schulvorſtehern. 

5. Kinder, welche in ben Lehrgegenſtänden der Volkoſchule ent, 
weder zu Daufe oder- in Privatſchulanſtalten unterrichtet werden, müſſen, 
wenn ſie zu irgend einem Zwecke ein Schulzeugniß noͤthig haben, ſich 
der Prüfung an einer directivmäßig eingerichteten Pfarrſchule, reſp. 
Hauptſchule, unterwerfen. Dergleichen Prüfungen werden zu Ende jeden 
Schulſemeſters vorgenommen. Für jede Prüfung an einer Trivialſchule 
hat der Schüler 2 Gulden C.⸗M. zu entrichten, für eine Prüfung an 
einer Saupts oder Unterrealſchule 4 Gulden (Miniſterial⸗Erlaß vom 
24. Mai 1856). 

6. Buͤcher für Lehrerbibliotheken. Aus Anlaß eines vor⸗ 
gekommenen Falles erklärt das Miniſterium in einem Erlaß vom 18. Juli 
1856: „Das Minifterium für Cultus und Unterricht findet fi nicht 
veranlaßt, Werke für Lehrerbibliothefen an Volksſchulen eigens zu em⸗ 
pfehlen. In Bezug darauf erſcheint es angemeſſen, daß ein ähnlicher 
Grundſatz in Anwendung komme, wie ihn der 8. 414 der politiſchen 
Schulverfaſſung für die Wahl der Prämienbücher vorzeichnet. Es haben 
nämlich die Länderſtellen ſelbſt im Einvernehmen mit den Ordinariaten 
durch allgemeine Verlautbarung jene Werke namhaft zu machen, welche 
ſie für den angedeuteten Zweck als geeignet und erſprießlich anerkennen. 
Hierbei verſteht es ſich übrigens von ſelbſt, daß die Erwerbung von 
Büchein für Lehrerbibliotheken auf den. Umfang dieſer Verzeichniſſe nicht 
beſchränkt bleiben kann, ſondern daß es den Schulvorſtänden immer frei⸗ 
ſtehen wird, die Ankaufs⸗ oder Aunahmsbewilligung brauchbarer, aber 
in dem Sinne bes bezogenen Paragraphs der politiichen Schulverfaflung 
zufammenftellenden DBerzeichniffe nicht enthaltener Bücher bei der nächſt 
höheren Schulbehörde zu erwirken.‘ 

Im Ganzen fcheint man in Defterreich in Bezug auf die pädagor 
giſche Lectüre der Lehrer etwas peinlich zu Werte zu gehen. Dieſter⸗ 
weg’s Schriften find geradezu verboten und dürfen gar nicht über die 
Orenze gebracht werden. 

Prüfung der Lehrer für. Unterrealfhulen. Nah 
inem Criaß vom 5. April 1856 zerfällt die Prüfung der Candidaten 
des Lehramts an Unterrealfchulen in eine fchriftlide und mündliche. 
Die erſte wird unter Glaufur vorgenommen und hat vorzüglich zum 
Zwei, den Grad oder die Höhe der wiflenfchaftlichen Bildung der zu 
prüfenden Lehramtscandidaten zu erforfhen. Sie bildet für das Zeich⸗ 
nungefah in Verbindung mit den von den Gandidaten vorgelegten 
Beichnungsarbeiten die Grundlage des Urtheils über die Befähigung ders 
feiben. Die mündlihe Prüfung wird nur mit jenen Gandidaten por» 
genommen, bei welchen das Ergebniß der fchriftlichen Prüfung ein gün⸗ 


x 


714 Die äußern Angelegenheiten 


Rige® war. Für bie Chemie tritt an die Stelle der ſdeimmicen Prüfung 
eine Arbeit des Eandidaten im Laboratorium unter Aufſicht Des beirefs 
fenden Lehrers. 

Sämmtlihe Gegenfände, welche an einer Unterrealſchule zu lchren 
find, werden in drei Gruppen getheilt. Kein Candidat kann ein Bes 
fähigungszeugniß erlangen, welder nit wenigfens aus allen Gegen, 
Ränden, die einer Gruppe zugewielen find, genügende Befähigung nach⸗ 
wei. Diefe Gruppen find: 1. Die ſprachlich hiſtoriſche (Religionslehre 
und Erziehungsfunde, deutſches Sprachfach, Geographie uud Geſchichte, 
Raturgefhichte, Arithmetik und Schönfcreiben). 2. Die der zeichnen» 
den Bäder (Religionslehre und Erziehungstunde, Arithmetik und Buch⸗ 
haltung, Geometrie, Linearzeihnen und Baukunſt, Raturlehre und Frei⸗ 
handzeichnen). 3. Die Gruppe der Realfächer (Religionslehre und Er⸗ 
ziehbungsfunde, Chemie, NRaturgefchichte, Raturlehre und Arithmetik). Es 
ſteht jedoch jedem Bandidaten frei, zu den der gewählten Gruppe zu« 
gewiefenen Gegenftänden auch noch einen oder den andern Begenfland 
aus einer andern Gruppe bazu zu nehmen. 

Gandidaten, welche diefe Brüfung mit günftigem Erfolg befkchen, 
find auf die Zeit von drei Jahren berechtigt, fi) um jede offene Stelle 
zu bewerben, für welche fie als befähigt erfiärt wurden. Bat ein Can⸗ 
Didat während dieſer drei Jahre Leine Anftellung an einer Unterreal- 
ſchule gefunden, fo muß er die Brüfung erneuern und dabei nachweilen, 
womit er fih in der Bwifchenzeit befchäftigt, und wenn er nicht bei 
einer Schule in Verwendung war, durch welche Etudien er feine Bile 
dung für das Lehrfach vervollkändigt habe. 

Die Anforderungen an die Bräfungscandidaten in Bezug auf die 
einzelnen Lehrgegenflände find folgendermaßen feRgefellt worden. A. Im 
deutfhen Sprachfache: In Bezug auf das - deutihe Sprachfach 
wird von den Eraminanden gefordert: Gründliche Kenntniß der Satz⸗ 
und Auffaplehre, Sicherheit im fchriftlihen Gedanfenausdrud, reine 
Ansſprache und fo viel literariſche und äftbetifhe Bildung, um ein ger 
gebenes Leſeſtück au in Hinfiht auf die Form mit Gewanbdtheit behan⸗ 
dein zu können. 2. In der Geographie und Geſchichte: Kenntniß 
der Erdoberflähe nach ihrer natürliden Beſchaffenheit und politifchen 
Abtbeilung, genauere Kenntniß der europäifchen Länder und fpecielle 


Bekanntſchaft mit der Geographie des oſterreichiſchen Katferreiches mit 


befonderer Rüdfiht auf Naturereigniffe, Berlehr und Handel und auf 
gelhichtlih merkwürdige Orte. Genaue Kenntniß und Uebung im Ent⸗ 
werfen von Sartenumrifien auf der Schultafel. Kenntnig der denkwür⸗ 
Digften Begebenheiten aus der allgemeinen Geichichte des öflerreidgifcdgen 
Kaiferreiches mit Rüdfiht auf die Berhältnifle, welche die Aufnahme 
der einzelnen Kronländer in die Gefammtmonarchie bedingt haben. 8. In 
der Naturgeſchichte: Kenntniß der allgemeinen Beziehungen der drei 
Matnrreihe und insbefondere Keuntniß jener Raturlörper,, die bei Qün⸗ 
fen und Gewerben und im täglichen Leben vorzüglich verwendet werden. 
Der Eandidat muß Körper biefer Art, die ibm hei der Prüfung vor⸗ 
gelegt werden, erkennen und nach ihren Merkmalen beſtimmen. 4. Ju 


der Volksſchule und ihrer Scheer. 715 


der Arithmetik: Sicherheit im Zahlenrechnen und in der e Anwendung 
der yraktifch wichtigen Rechnungsarten. (Die Grundrechnungsarten in 
ganzen, ein» und mehrnamigen Zahlen, in „gemeinen und Decimal 
brüchen, mit Begründung; die abgefürzten Rechnungsarten in ganzen 
Zahlen und Decimalbrüchen; Unmwendung ber Grundrechnungsarten in 
ganzen und gebrochenen Zahlen auf die verfchiedenen Rechnungsfälle des 
bürgerlichen Lebens; Reduction der ausländifchen Maße, Gewichte und 
Münzen auf inländifche und ungefehrt, ohne Anwendung der Naͤherungs⸗ 
brüche und mit Anwendung derfelben; die Verhältniß⸗ und Proportions⸗ 
Iehre und die Anwendung der geometrifhen Broportion auf die einfache 
und zufammengefehte Regeldetri; Interefſenrechnung; ber Kettenſatz; die 
Theilregel, die Durchſchnitts- und Allegationsrechnung, das Wechſel⸗ 
geichäft und die Discontorechnung; die einfahe Buchführung und das 
Wichtigſte aus der Staats» und. Monopolsordnung.) Dabei wird wenig⸗ 
Rene fo viel Kenntniß aus der allgemeinen Arithmetif oder Algebra ges 
fordert, als zur Begründung der fpeciellen arithmetifchen Operationen 
und zu den Beweifen der phyſikaliſchen Wahrheiten notbwendig iſt. 
5. In der Seometrie und Baukunſt: Kenntniß der ganzen beweis 
fenden (Elementars) Geometrie mit Inbegriff der Stereometrie und ber 
leichteren Lehren der darftellenden Geometrie, infofern fte fich bei letzterer 
auf empirifhen Wege durch Anſchauung erläutern und mittels leicht 
faßliher Säße der Elementargeometrie begründen laffen. Kenntniß ber 
geometrifchen Anfchauungsiehre und ihrer Anwendung auf den Unterricht 
im Beichnen von Gegenfländen nad der Anſchauung in perfpeetivifcher, 
orthogonafer und ſchiefer Projection mit freier Hand. Da in der Uns 
terrealfchule mit der Geometrie das Linearzeichnen, das Situationszeiche 
nen und der Unterricht in der Baufunft verbunden if, fo hat der Can⸗ 
didat — abgefehen von den Beichnungsaufgaben,, die er bei der fehrifte 
Aichen Prüfung erhält — von feiner Hand ausgeführte Zeichnungen von 
geometrifchen Objeeten (mit einfacher Schatten- und peripectivifcher Con⸗ 
Aruction), dann einen Situationsplan' und einen einfachen Bauplan der 
Pruͤfungscommiſſion vorzulegen, und über die für das praftifche Leben 
wichtigften Bauverhältniffe Ausfunft zu geben. In Beziehung auf das 
Sreibandzeichnen hat der Candidat unbefchadet der Vorlagen, die er etwa 
mitbringt, bei der Brüfung zwei Blätter mit freier Hand anzufertigen, 
von denen eines einen menfchlichen Kopf (lebensgroß in Umrißlinien und 
Daneben einen in gleichen Berhältniffen mit Bleiſtift ausgeführten) und 
das andere ein beliebiges Ornament in gleiher Behandlung darftellt. 
6. Aus der Naturlehre: SKenntniß der allgemeinen Experimentalphufit 
und der Grundlehren der Mechanik mit befonderer Rückſicht auf jene 
Kehren, welche im praktifchen Leben häufigere Anwendung finden. Ba 
den Lehrfähen der Phyſik und Mechanik wird wiſſenſchaftliche Begrün⸗ 
dung berfelben jo weit verlangt werden, als die einfachen Hilfsmittel 
der elementaren Mathematit und Geometrie dazu ausreihen. Webung 
im &xperimentiren wird nur in Bezug auf ſolche Erverimente gefordert, 
welche fi mit den einfachften phyſikaliſchen Hilfsmitteln bewerkflelligen 
faflen. 7. In der Ehemie: Keintniß der ErperimentalsChbentie und 


— — — ⁊ —— — — — — — — — re— rq — 6 — — — — —⸗ 


716 - Die äußern Nugelegeriheiten 

zwar der organifhen und unorganifden, der qualitativen chemifchen 
Analyfe und der technifchen Proben auf den Werth der wichtigſten Ma⸗ 
terialien, mit fleter Nüdficht auf Gewerbe und Anwendung der chemifchen 
Grundfäge in den verfehiedenen Fabrikationszweigen. Die Laboratoriums- 
arbeit bat zu beftehen aus einer qualitativen Analyfe eines zufammens 
geſetzten Stoffes und einer techniſchen Probe. 

Es if unerläßlih, Daß der Lehrer an einer Unterrealfchule, ab» 
geſehen von ber Gruppe von Lehrfächern, für welche er verwendet wird, 
auch in jenen Gegenfländen, die zur Bildung im allgemeinen gehören, 
genügend bewandert fei, um nicht den Schülern gegenüber als unwiffend 
zu erfcheinen. Insbeſondere fordert ed der Beruf und die Stellung des 
Lehrers, daB er die heiligen Lehren der Religion in dem Maße inne 
habe, als dies zur Betbhätigung einer dem Lehrerberufe entiprechenden 
Gefinnung nothwendig if. Die Brüfungscommiffion wird demnach nicht 
nur darauf Rüdfiht nehmen, daß der Kandidat außer der Gruppe der 
von ihm gewählten Gegenflände den Stand feiner allgemeinen Bildung 


‚erweife, fondern jeder Gandidat ift verpflichtet, in der Religion jenes 


Maß von SKenntniffen nachzuweifen, welches durch die in einer dreis 
Maffigen Hauptfchule vorgefchriebenen Religionslehrbücher nermittelt wird. 

8. Das mit dem Papſte abgefchloffene Concordat ftelit in Bezug 
auf den Unterricht Folgendes fe: „Der ganze Unterricht der Tatholis 
fhen Jugend wird in allen ſowohl öffentlihen als nicht öffentlichen 
Schulen der Lehre der katholiſchen Meligion angemeffen fein; die Biſchoͤfe 
aber werden kraft des ihnen eigenen Hirtenamtes die religiöfe Erziehung 
der Jugend in allen öffentlichen und nicht öffentlichen Lehranftalten leiten 
und forgfam darüber wachen, daß bei feinem Lehrgegenflande etwas vor⸗ 
fomme, was dem katholiſchen Glauben und der fittlihen Reinheit zus 
widerläuft. Niemand wird die heilige Zbeologie, die Katechetif oder die 
Religionslehre in was immer für einer öffentlichen oder nicht öffentlichen 
Anftalt vortragen, wenn er dazu nicht von dem Bifchofe des betreffen, 
den Kirchenfprengels die Sendung und Ermächtigung empfangen bat, 
und welche derjelbe zu widerrufen berechtigt if. Alle Lehrer der für die 
Katholiken beftimmten Bollsfchulen werden der firchlichen Beauffichtigung 
unterftehen. Den Schuloberauffeher des Kirchſprengels wird Se. Majepät 
aus den vom Bifhof vorgefchlagenen Männern ernennen. Falls in ges 
dachten Schulen für den Religionsunterriht nicht hinlaͤnglich geforgt 
wäre, ſteht e8 dem Bifchof frei, einen Geiftlihen zu befiimmen, um den 
Schülern die Anfangsgründe des Glaubens vorzutragen. Der. Glaube 
und die Sittlichfeit des zum Schullehrer zu Beftellenden muß makellos 
fein. Wer vom rechten Pfade abirrt, wird von ſeiner Stelle entfernt 
werden.‘ 


8. Batern. 


1. ‚Die Abgeordnetenfammer bat auf Untrag des Fürften Waller 
Rein beichloffen, daß die Werktagsfchulpflichtigfeit, die fi) bieher nur 
auf das 12. Lebensjahr erſtreckte, bis zum 13. Lebensjahre verlängert, 





der Volksſchule und ihrer Lehrer. 717 


dagegen die Sonntagsfhulpflicht, feither bis zum 18. Jahre fefgefeht, 
auf das 16. Jahr befchräntt werden foll. Nach den voni koͤnigl. Minifters 
commiffär v. Lerchenfeld gegebenen zuflimmenden @rflärungen läßt fich 
hoffen, daß diefe fo dringenden Wünfche Gewährung finden werden. 

2. Nach einer Mittbeilung des, Schulfehrere Hönig (Allgem. d. 
Lehrerztg. 1856, Nr. 28) hat das koͤnigl. Baierfche protefantifche Ober⸗ 
confiorium zu Münden unlängft ein Eircular an alle proteftantifchen 
Decanate und Pfarrämter ergehen laffen, in welchem fämmtliche Pfarrer 
dringend aufgefordert werden, intelligente Köpfe, bie fie fomohl durch 


den Schul⸗, als auch durch den Religionsunterricht kennen lernen, zw 


veranlaffen, daß fi diefelben dem Schulftande widmen follen. In dies 
fem Rundſchreiben iR der Würdigkeit und Wichtigkeit der Vollksſchule 

vollkommen Rechnung getragen; es if darin mit fehönen Worten bes 
. merkt, wie die Kirche ohne Volleſchule nicht wohl mehr beftehen und 
derſelben fomit nicht entbehren kann; wie nur fie allein die Bermittierin 
zwifchen Staat, Kirche und Volk fei, u. f. fe Diefem Stande, heißt 
ed weiter, widmen ſich aber in letzter Beit nur äußerſt wenig Indivis 
duen, fo daß bald ein gänzlicher Mangel an Lehrern einzutreten droht, 
und unter diefen wenigen find meiftens nur fo geringe Kräfte, die es 
fih nicht wohl zutrauen, in einem andern Stande fortzufommen. Ein 
Berfinten der Volksſchule durch diefe Umftände zu verhüten und zu bes 
feitigen, müffe eine angelegentliche Sorge der Kirche fein, weswegen 
jeder Pfarrer aufgefordert wird, möglihf dazu beizutragen, daß nicht 
nur viele, fondern auch gediegene Kräfte diefen wichtigen, un® folgen» 
reihen Stand zu ihrem Xebensberufe wählen und fegensreich in dem⸗ 
felben wirken, u. f. f. ' 


Dönig bezweifelt mit Recht, daB auf diefe Weife der angeregte 


Zweck wird erregt werden; er empflehlt Gehaltsverbefferungen, ein ans 
gemeffenes Verhaͤltniß des Lehrers zu feiner Schule und eine mwürdigere 


foriale Stellung deffelben als die wirkfamften Mittel. „Ein Schule . 


gehilfe, fagt er, hat -jährlih 150 Fl. Gehalt, alfo täglich 24 Mr. 
24 Pf., und hat damit zu beftreiten: Koft, Kleidung, einige Bücher 
und Mufifalien, an vielen Orten auch Wohnung und noch manches 
Andere, was bei jedem Menfchen, alfo auch bei dem Schulgehilfen, zum 
täglichen Leben gehört. Iſt das wohl möglih?" — — „Später erhäft 
er eine Anftellung und mit derfelben viele Aemter zugleih. 1. Lehrer 
für die Werktagsſchule, 2. Lehrer für die Sonntagsfhule, 3. Cantor, 
4. Organiſt, 5. Meßner, 6. Gemeindefchreiber und 7. erhält er in mans 
ii Orten noch einige Aemter dazu, die ih gar nicht gern nenne, und 
ür alle diefe Aemter und Stellen eine Gefammtbefoldung von jährlich 
200 — 250 Fl.“ Einzelnen Lehrern gelingt es, nah 10 — 12 Jahren 
eine Stelle mit 300 Fl., noch fpäter mit 350 Fl., zuletzt vieleicht gar 
eine mit 400 Fl. zu erhalten; aber diefe befferen Stellen haben ges 
wöhnlich eine fo große Schülerzahl, daß ein Gehilfe angenommen wers 
den muß, was ganz oder doch theilweife auf Koſten des Haupilehrers 


geſchieht. . 
In Bezug auf das Verhältniß des Lehrers zu ſeiner Schule ſagt 


718 Die äußern Angelegenheiten 


der Berfaffer: ‚Der Lehrer darf bei Beratungen über Schulangelegen- 
heiten und Schulgegenſtände nie ein Wort fagen, ibm if bei vorlomr 
menden Ybfimmungen über biefelben Feine Stimme zugeßanden, und in 
feiner eigenen Sache als Lehrer, wie in Angelegenheiten der Schule 
überhaupt, if nur er allein gänzlich ausgeſchloſſen. In Städten, wos 
ſelbſt eine Schulcommiffion beſteht, darf nie ein Lehrer Mitglied ders 
felben fein; auf dem Lande ift der Lehrer, den man ja bie und da die 
Seele der Schule genannt hat, dem Schulvorftande nicht beigezählt. Auch 
hier iR der Ortsgeiſtliche Borftand, der Gemeindevorfteber fpielt den 
Herrn, einige Glieder des Gemeindeausfchufles find die ausſchlaggeben⸗ 
ben Bielwifler, und nur der Lehrer allein ift dabei nicht vertreten, ſon⸗ 
dern gänzlih audgefchloffen, und nur er hat Nichts dazu zu fagen, 
gleich Einem, der amtlich Nichts Davon verflehen darf. Unbegreiflic I” 

„Eben fo ſteht der Lehrer auch im focialen Verhältniß jedem ans 
dern Stande nah. Er bat kein bürgerliches Recht, ift nicht Gemeindes 
mitglied, und if ſomit zu feinem bürgerlichen Amte weder activ noch 
yalfiv wählbar; nicht ‚einmal Mitglied der Drisarmenpflege kann und 
darf er fein, obgleich vielleicht Tein Gemeindeglied fo genau mit dem 
Samilienkänden befannt ift, als gerade er.” — „Ueberall iſt er aus: 
geſchloſſen, unbeachtet, und far möchte ich fagen, abfichtlich vergeffen. 
Nirgends wird er hervorgeſucht, ja vielmehr zurüdgedrängt und untezs 
drüdt. Wie gar oft muß er fühlen, daß man ihn nicht haben will; 
nicht gern if er geduldet in Gefellichaft -von etwas höher gefellten Per⸗ 
fonen, und man if da befungen über feine Anwefenbeit. Ihm wird 
feine Ehre erwiejen, nicht etwa eine befondere Chre, fondern auch nicht 
die Ehre, die man jedem Andern in jedem Stande erweifl. Denkt er 
über Diefe ‚Umflände und Berhältniffe gedrüdien Muthes nah und fagt 
‚er gar ein Wortchen darüber, jo wird er fhonungslos mit der Befchufs 
digung: „Schulmeiſterdünkel“, zurüdgewiefen und vorzugsweife von feis 
nen eigenen Vorgeſetzten. a 

Wir wünſchten, fagen zu können, der Berfafler berichte falfch, über« 
treibe wenigftens; leider müflen wir aber hinzufügen, daß es an andern 
Orten. auch nicht befler, nicht viel beſſer if. 

Nah einer Mittheilung in Nr. 26 der Allgem. D Lehrerztg. von 
1857 fordert ein Minifterial» Erlaß, begleitet von’ einer Inſtruction, 
datirt München, den 27. März 1857, die Regierungen eruftlich auf, 
ungefäumt die Aufbefferung der Schulftellen zu veranlaflen. 

"3. Lehrerfreundliche Gemeinden. Der Stadtrath in Kaiſers⸗ 
fautern bat den Beichluß gefaßt, für fämmtliche Lehrer an den deuts 
fhen Schulen dafelbft die Zahlung des Eintrittsfapitals und die zwei 
Procent Jahresbeiträge zur Lehrers Benfiensanfalt auf die Stadtfafle 
zu übernehmen. Auch viele andere Gemeinden in der Pfalz haben Die 
Einlage der Lehrer zum Penfionsvereine übernommen. 

4. Der Kreis Oberfranten in Baiern hat (1855) 989 deutfche 
Säulen. Das fatonsmäßige Eintommen von 978 dieſer Stellen 
(bei 11 if in der veröffentlichten Weberfiht fein Ertrag angegeben) 
vertheilt fich folgendermaßen: A Stellen fliehen über 550 Il., 6 über 





der Volksſchule und ihrer Lehrer. 719 


500 $1., 20 find dotirt von 450 SI. an, 89 von 400 bis 450 SI, 
98 von 350 bis 400 $1., 132 von 300 bis 350 Fl., 188 über und 
auf 250 Fl., 358 von 200 Fi. und darüber, 83 unter 200 Fl. und 


mindefens 150 Fl. Dabei if zu bemerken, daß fat alle Stellen mehr. 


eintragen‘, als die Zaffion ungiebt, vom 10. bie, zum 3, Theil und 
manche vielleicht noch mehr. 
Alle Stellen mit dem faſſtonsmäßigen Betrage von 250 Fl. und 
Darüber find, mit Kleiner Ausnahme, fländig; dach find 19 derartige 
Stellen unter 250 $. fatirt. Rechnet man hierzu die 11 Stellen, 
deren Ertrag nicht angegeben ift, fo entziffert: fih die Zahl ber wirk⸗ 
lichen Lehrerfiellen auf 567, die der unfländigen auf 422. Dieſes Ber- 
bätiniß bat fich- feither geändert, da 30 — AO dieſer Stellen zu wirks 
lien Stellen dur Gebaltszulagen von Seiten Königl. Regierung ers 
hoben werden. — Die definitive Anfellung tritt im Durchſchnitte in 
dem 10. — 12. Functions⸗, alfo mit dem 28.—30 Lebensjahre ein. 
5. Lehrerinnen. Eifenlohr Hat wiederholt die Frage an⸗ 
geregt, ob Lehrerinnen für den Unterricht, namentlich den öffentlichen 


Volksſchulunterricht geeignet fein. In Rr. 15 der Allgem. D. Lehrerztg. 


(1856) verbreitet Ah Gutbier in Münden hierüber. Wir entnehmen 
feiner Mittgeilung einige Sätze. 
Die proteantifhe Gemeinde zu München hat gegen die Anftellung 
von Lehrerinnen an der proteflantifhen Schule Protef bei der Lönigl. 
Schulcommiſſton eingelegt, da He die Leiftungen der Lehrer denen der 
Rehrerinnen vorziehe. — Lehrerinnen find mit geringerem Gehalte zus 
frieden, als Lehrer. — „Wenn gegenwärtig aud in den proteflans 
tifchen Ländern das Inſtitut der Lehrerinnen beliebt wird, fo mag wohl 
ein. guter Grund Hiervon mit in der jet berrfchenden Anſicht über den 
Religionsunterricht zu ſuchen fein; man will alles Nachdenken über 
religiöfe Wahrheiten verbannen und wählt deshalb Leute, die ausſchließ⸗ 
lich dem Gefühl huldigen.“ — Die meiften jungen Damen widmen ſich 
dem Lehrfache, weil fie meinen, Geld verdienen zu Fönnen, nicht, weil 
Re die Kraft in fi fühlen, durch ihre Kenntniffe und Geſchicklichkeiten 
ein der Welt zu nüben. — Die Erfahrung lehrt, daß fich junge 
Damen zu eben fo tüchtigen Lehrerinnen bilden laflen, als die Herren 
zu Lehrern. — ‚Mit dem 11. Jahre follte das Mädchen der männlichen 
Zeitung übergeben werden.” — „Zn Münden ift das Verhältniß der 
weiblichen und männlichen Lehrer ziemlich gleih. Nach dem Legten amt» 
lichen Bericht über die deutfchen Werktagsichulen waren im verwichenen 
Jahre verwendet: 54 Schullehrer, 2 fländige Hilfsiehrer und 2 Aus- 
hilfstehrer; ferner 50 Schullehrerinnen, 2 Lehrerinnen der franzöfifchen 
Sprache, 28 Arbeitsiehrerinnen, 1 Berweferin und A Arbeits Hilfe» 
iehterinnen. Diefe 50 ordentlichen Lehrerinnen find nur an Mädchen» 
faulen angeflefit und fleigen von der unterken Klaſſe mit ihren Scht- 
leriunen bis zur oberften hinauf. Die’ Kinderzahl if in den Mädchen 


ſchulen fo groß, wie in den Stnabenjchulen, und es mag daher jede 


Lehrerin ihre 80 — 100 Schülerinnen haben. Die Befoldung feigt von 
200 — 500 31.; freie Wohnung u. dergl giebt es nicht; außerdem hat 


. 


* 


720 Die äußern Angelegenheiten 


* jede Lehrerin nod einen guten Nebenverdienft,, der der Beſoldung ganz 
gleifiehen wird. Da nämlih den Eltern weniger daran liegt, daß das 
Toͤchterchen etwas lernt, als daB es einen Preis und ein fhönes Zeugniß 
befommt, fo müſſen die Privatfiunden das Meifte tbun, und diefe find 
ein foftfpieliger Artifel für die Eltern.” — Die Borbildung der Leh⸗ 
rerinnen ift mangelhaft. 


4. Württemberg. 


Das Württembergifche Minifterium des Kirchen“ und Schulmefene 
bat unterm 7. Novbr. 1855 einen „Entwurf eines Gefebes, betreffend 
eirtige Abänderungen des PVolksfchulgefehes vom 29. Septbr. 1836, 
mit einem Anhange fehr gründlidher und ausführlicher Motive zu dens 
felben veröffentlicht und gleichzeitig folgende Verfügung erlaffen: 

„Das Minifterium des Kirchen» und Schulweſens ift ſchon feit 
längerer Seit, unter Bernehmung der beiden Oberfhulbehörden, mit 
Berathungen über die Mittel, die Lage der Volkeſchullebrer 
zu verbeffern, befhäftigt. Das Ergebniß diefer Berathungen if der 
in der Beilage dieſes Blattes (Staatsanzeiger) enthaltene Geſetzesent⸗ 
wurf, welcher in den beigedrudten Motiven ausführlicher begründet if. 
Im Hinblick auf die Wichtigfeit des Gegenftandes haben Se. Königl. 
Majeſtät gnädigft genehwigt, daB der gedachte Entwurf, bevor er feine 
weiteren verfaflungsmäßigen Stadien durchlaufen wird, zur Öffentlichen 
Kenntniß gebracht und der Beurtheilung der Sachkundigen unterſtellt 
werde.‘ 

Das ift lobenss und dankenswerth! _ 

Die Württembergifchen Lehrer haben den Entwurf in ihren Con⸗ 
-ferenzen vielfach berathen und die Mefultate diefer Berathungen dem 
Borftande des ‚Allgemeinen Volksſchullehrervereins“ eingefandt. Nach 
diefen Ergebniffen und mit Berüdfihtigung der dur den Drud vers 
Öffentlichten Gutachten der Seminars Rertoren Eifenlohr und Stock⸗ 
mayer hat der Borfland des Vereins, Mufterfebrer Hartmann in 
Nürtingen, 15 Thefen geftellt und im 7. Hefte der von ihm redigirten 
„Volksſchule“ (1856) veröffentlicht. Am 13. Auguft 4856 baben fid 
darauf die Bolfsfhullehrer Württembergs, die ehrenwertben Seminars 
Rectoren mit eingeſchloſſen, einmüthig in EBlingen verfammelt, die ges 
nannten Theſen in ernfler und würdiger Weiſe befprocden, mit wenigen 
Abänderungen zum Beſchluß erhoben und an die geeignete Behörde bes 
fördert. Das 9. Heft der „Volksſchule“ enthält einen ausführlichen 
Dericht über diefe Verhandlungen, ebenfo Nr. 49 u. 50 der „Allgem. 
d. Lehrerztg.“ (1856) von Berthelt. 

Mit Rückficht auf den uns zugemeflenen Raum müffen wir von der 
Mittbeilung diefer Beſchlüſſe akftehen und ung auf die Verfiherung ber 
fhränten, daß uns diefelben durchweg als angemeflen erſcheinen. Moͤch⸗ 
ten die Wünfche der Württembergifchen Lehrer zu ihrem und des Landes 
Deil recht bald und ohne Befchränkung erfüllt werden! 

Für Diejenigen, welche fi näher für Diefen wichtigen Gegenfland 


der Volksſchule und ihrer Lehrer. 721 


intereffiren, feben wir bier nod den Titel der erwähnten Eifeniohr’s 
fhen Schrift ber: 

Der Entwurf eines Geſetzes, betreffend einige Abänderungen des 
Bollsfchulgefehes für Württemberg vom 29. Septbr. 1836, mit einem ' 
Gutachten von Seminars Recor Dr. Eifenlogr. Gr. 8 (IV u. 
54 ©.) Stuttgart, Franz Köhler. 1856. 

Stodmayer’s Gutachten findet ih in Ar. 6 u. 7 des von ibm 
redigirten ‚„ Württembergifchen Schulwochenblattes' von 1856. 


8 Baden. j 


Die Badenſchen Lehrer haben beim Landtage „um Erhöhung 
der Schullehbrergehalte, beziehungsweife um Reviſion des 
Volksſchulgeſetzes vom 28. Auguf 1835 yetitionirt. Dem treffs 
lichen, mit Sachkenntniß und Liebe zum Vollsſchulweſen und zu den Leh⸗ 
rern von dem Abgeordneten Küßwieder erfatteten Bericht der Petitions⸗ 
Commiſfion entnehmen wir Folgendes. 

Die von den Lehrern geflellten Anträge verlangen: 

1. Erhöhung der durch die Geſetze vom 28. Auguf 1835 und 
vom 6. März 1845 feſtgeſetzten Minimalgehalte, befonders in den beiden 
untern (Gehalts s) Kiaflen. 

2. Erhöhung des Schulgeldes mit der Beftimmung, daß folches 
den Lehrern ausfchließlih zu Gute komme. 

8. Beflerkellung der Hilfe» und Unterlehrer. 

4. Angemeſſene Entihädigung für Nebenversichtungen als Meßner, 
Glockner und Drganiften. 

5. Dotirung der Schulftellen mit Grundbefig. 

6. Eine Klaffeneintheilung nah den Dienfjahren, nicht nach der 
Seelenzaht der Gemeinden. 

In einigen Betitionen wird noch der Wunſch ausgeſprochen, daß 
die Wittwens und Waifenbeneficien aufgebeflert, Lehrern die Webernahme 
von Rebengeichäften nicht erfchwert, und zur Abwendung der dringend 
fen Roth Theuerungszulagen bewilligt werden. 

Durch das Gefeh vom 6. März 1845 find die Gehalte der erften 
Klaſſe auf 175 Fl., der zweiten Klaffe auf 200 Fl., der dritten Klaſſe 
auf 250 Fl. und der vierten Klaffe auf 350 ZI. erhöht worden. 

Es beftehen im Großherzogtbum 1739 chriftlide Schulen oder 
Schulorte, davon kommen 1238 auf fatholifhe, 531 auf evangelifche 
Gemeinden. Die Zahl der fehuipflichtigen Kinder beträgt 204,367, und 
zwar 131,516 fatholifhe und 62,851 evangeliihe. Zu deren Unters 
richt find 2451 Lehrer angeflellt, und zwar 1920 Sauptlehrer und 
531 Unteriehrer. Die Zahl der Hauptlehrer beträgt in der erfien Klaſſe 
596 Tathol. und 195 evangel., in der zweiten Kaffe 540 kathol. und 
277 evangel., in der dritten Klaffe 154 fathol. und 68 evangel., in 
der vierten Klaſſe 48 kathol. und 42 evangel. Die Unterlehrer zers 
fallen ebenfalls in vier Klaſſen; die der erften und zweiten Klaſſe (244 
fathol. und 141 evangel.) erhallen 135 Fl., die der dritten (87 kathol. und 

Nade, JZahredbericht. X. 46 


722 Die aͤußern Angelegenheiten 
esangel.) 150 Il., die der vierten (30 kathol. und 24 evangel.) 
Fl. 


Der Geſammtaufwand zur Deckung des Normalgehaltes beträgt: 
fr 1920 Hauptiehrer 340,715 $., für 531 Unterlebrer 63,960 SL, 
zufanmen 404,675 8. Der effective Mehraufwand mag fi aber um 
20,000 bis 22,000 Fl. höher fielen, da viele Schuldienſte bei 
der Regulirung der Gehalte nad dem Geſetz vom 28. Auguſt 1835 
ſchon höhere Dotutionen hatten, melde ihnen durch dieſes Geſeß nicht 
entzogen werden follten. 

Das Schulgeld, im Durchſchnitt zu 30 Kr. per Kopf angenom- 

men, macht bei 204,367 ſchulpflichtigen Kindern 170,300 Fl., und es 
beträgt fomit die für die Volksſchulen aufzubringende Gefammt + Aus- 
gabe 574,970 A. 
Durch das Gefep vom 6. März 1845 iſt eine Erhöhung dieſer 
Sefamnts Ausgabe eingetreten, welche zur Aufbeflerung der Rormals 
gehalte erfler und zweiter Klaffe 48,160 Fl. beträgt, wovon die betref⸗ 
fenden Schulgemeinden etwa % tragen. 

In einer fpäteren Sigung der zweiten Kammer wurde von ber 
Regierung folgende Abänderung des früheren Voranſchlags vorgelegt: 
a. zu Perfonalzulagen flatt 6000 Fl. 10,000 $.; 

b. zum Penſions⸗ und Hilfsfond für Lehrer ſtatt 28,000 $I. 
86,000 #1.; 

e. für tsraelitifhe Lehrer flatt 976 Fl. 1,190 1. 

Die Kammer nahm diefe erhöhten Sätze an, ja, fie würde mehr 
Hewilligt haben, wenn mehr beantragt worden wäre. 

2. Das Minifterium bat durch Grlaß vom 14. Decbr. 1855 ber 
fchloffen, ‚eine Milderung der durd die früheren Beitverbältniffe bes 
dingten firengen Grundfäge über die Zulaflung der Schullehrer fünftig 
in leineren Randgemeinden, in welchen fidh feine andere zur Beforgung 
der Rathſchreibere taugliche Perſon findet, die Uebernahme diefes Dienftes 
in flets widerrufliher Weife zu geſtatten, falls dadurd für Die Schule 
fein erheblicher Nachtheil zu befürchten if und auch die andermeiten Um⸗ 
flände diefe Uebernahme wünſchenswerth machen. Dieſe für den Lehrer- 
fand erfreuliche Entfchließung beruht auf der Ueberzeugung, baß „in 
Folge der Berflärfung der Disciplinargewalt über die Schullehrer und 
bei dem’ befferen Geifte, welcher im Allgemeinen jept in dieſem Stande 
herrſcht, weniger zu beforgen fei, daß diefelben ihre Stellung als Ratb⸗ 
ſchreiber zu politifhen Umtrieben oder zur Cinmiſchung in die inneren 
Semeindeangetegenbeiten mißbrauchen moͤchten.“ 

3. Das katholiſche Schullehrerfeminar in Eitlingen zählte am 
Schuß des Schuljahres 785, das zu Meersburg 65 Yöglinge. Kür 
Beide Seminare hat Großh. Oberfehulconferenz unterm 23. Juni 1835 
regufatorifhe Beſtimmungen erlaffen, namentlich in Bezug auf Schul⸗ 
Pfunde, deutſche Sprache, Groͤßenlehre, Erdlunde und Mufit. Die Pada⸗ 
gogit als fotche wird durch diefe Beſtimmungen befeitigt und au ibre 
Stelle, ganz wie in Preußen, „Schulkunde“ gefept. Es heit in 
diefer Beziehung: 














der Volksſchule und ihrer Lehrer. 723 


„8. 1. Pädagogik, fei es in wiffenfchaftliher oder in populaͤrer 
-Sorm, Tann mit Erfolg in den Schullehrerfeminarten nicht vorgetragen 
werben, da es bei den Böglingen an der Borbildung zu adfracten Aufs 
faffungen und auf an Zeit mangelt.‘ 

„S. 2. Die Böglinge erhalten durch den Meligionsunterrit, for 
fern derfeibe auf eine verftändige und das Gemüth belebende Weile ers 
theilt wird, über die Beſtimmung des Menfchen, üBer die Kräfte der 
Seele, über die Pflege des leiblichen und geifigen Lebens u. a. die et» 
forderlihen Kenniniſſe. Es muß deshalb bei dem Religionsunterrichte 
außer der allgemeinen Bildung und Erziehung zum religiöfen, ſittlichen 
und kirchlichen Leben auch der Zwei der Bildung und Erziehung der 
Böglinge zu Lehrern und Erziehern an geeigneter Stelle im Auge behal— 
ten werden.’ .. 

„S. 3. Es bietet dann der Unterricht über die Schulfunde — — — 
Anlaß über den Zweck der Volksſchulen und die Aufgabe des Lehrers, 
über die elemmtare und geiftbildende Unterrichtsweife, über die Anregung 
der Schüfer zur Aufmerkfamfeit und Selbſtthätigkeit, Aber die Pflege der 
Gedachtnißübungen, über den Anfhauungsunterricht, über die Anordnung 
der Uebungsaufgaben, über die Pflege der bürgerlichen Tugenden, über 
die Mitwirkung des Lehrers bei dem Religionsunterricht und deffen Aufs 
ficht über die Kinder bei dem Gottesdienfte, tiber die Ueberwachung det 
Betragend der Schüler in und außer der Schul, über das Anhalten 
der Schüler zur Reinlichfeit, über Belohnung und Beſtrafung der 
Schüler, fiber die eigene Haltung des Lehrers in der Schule, über deſſen 
Geduld und Selbfibeherrihung u. a. die Zöglinge zu unterweiſen.“ 

Für die deutfche Sprache wird neben dent Material auch die Ter⸗ 
minologie feſtgeſtellt. 


6. Großherzogthum Helfen. 
Sierüber fehlen ung die erforderlihen Nachrichten. 


1. Kurheſſen. 


"1. „Fulda. Die Unordnung der Regierung, wonach den Schule 
lehrern ein altes Verbot jedweden Wirtbshausbefuches innerhalb fowie 
außerhalb ihres reſp. Wohnortes neuerdings eingefhärft wurde, if für 
die Rädtifchen Lehrer dahin modiflcirt worden, daß fie lediglich gewoͤhn⸗ 
tihe Kneipen zu meiden haben follen.” Mit der Redaction der „Päda⸗ 
gogiſchen Beiträge, herausgegeben von hannoverſchen Lehrern’, denen 
wir diefe Notiz entnehmen, fagen wir: „Dieſe Berordnung fiheint une 
für die größere Mehrzahl der Lehrer eine höchſt überflüffige, ja unwür⸗ 
dige zu fein.” 

2. Nach einer Berordnung vom 9. Det. 1856 find die Oberſchul⸗ 
infpectoren angehalten, zum Schluß des Jahres über die Echulamtscans 
didaten und Lehrgehülfen nach folgenden Rubriken zu berichten: Ramen 
und Geburtsort des Bandidaten und Ramen und Stand der Eltern, 
Heimathsort, dermaliger Wohnort, Belt des Abgangs vom Seminart, 
Sitten⸗ und PBrüfungsnoten des Beugnifles, Beihäftigung, Verhalten in 

46” 


724 Die äußern Angelegenheiten 


allgemein. fittliher und kirchlicher Hinficht, Befähigung und Fortbildung 
und etwaige befondere Berbältniffe. 

3. Unterm 9. Oct. 1856 wurde folgender Beſchluß der Regierung 
der Prov. Niederheſſen erlaffen: „Die Herren Metropolitane bez. fon 
mit Berfebung von Oberſchulinſpectionen beauftragten evangeliichen Geiſt⸗ 
lichen haben dahin Berfügung zu treffen, daß in den ihnen untergeges 
benen Bollsihulen, wenn während des Unterrichts die Betglode vers 
nommen wird, die Lehrer eine kurze Baufe machen, um mit den Kindern 
ein filles Gebet zu halten, wobei man vorausfegt, daß leptere rückficht⸗ 
lid der Bedeutung der Betglode und des Inhalts der zu gebrauchenden 
Gebete eine gehörige Belehrung empfangen haben.” 

4. Unterm 3. Kebr. 1857 bat das Minifterium verordnet, daß 
alle Bacanzgelder zur Aufbefierung der Schuiftellen verwandt werden 
follen. 

5. Die Regierung der Prov. Niederheffen bat unterm 12. Febr. 
1857 die Landräthe und Oberfchulinfpectoren aufgefordert, diejenigen 
Lehrer, welche fich durch ſittliche und kirchliche Haltung, fowie durch 
treue und erfolgreiche Dienflführung ausgezeichnet haben, zu Gehalts« 
zulagen vorzufchlagen. „Behufs thunlihft genauer Vollziehung dieſes 
Auftrages wird Folgendes bemerkt: 1) Die Zulänglichkeit der Mittel 
vorausgefeht, kann bei den Scuiftellen auf dem platten Lande eine Ers 
böhung des Einkommens bis zu 150 Thirn., bei denen in den Städten 
eine foldhe bis zu 200 Thirn. Statt finden. 2) Lehrer, welche ein Dienſt⸗ 
alter von 5 Jahren noch nicht erreicht haben, find unbedingt auszu⸗ 
fließen, und folche, deren Dienftalter zwiſchen 5 und 10 Jahren liegt, 
nur in dem Falle ausgezeichneter Tüchtigkeit oder fonfliger hoͤchſt drin⸗ 
gender Umflände aufzunehmen. 3) Bei der Beurtheilung der Bedürftige 
feit if in Betracht zu ziehen, ob die betr. Pfründe lediglih mit baarem 
Gelde dotirt iR, oder auch Naturaleinnahmen enthält.‘ 

6. In den „Schulnachrichten für Kurheſſen“ werden zwei Fälle 
erwähnt, wo Gemeinden ihren Lehrern, namentlih um häufigen Wechſel 
zu verhüten, freiwillig Gehaltszulagen gegeben haben. 


8 Naſſau. 


Einem Naſſauer Lehrer verdanken wir folgende Wittheilungen : 
1. Das Herzogthum Nafjfau zählt folgende öffentliche Unterrichtsanfuls 
ten: 8 Belehrten-®ymnafien, davon 1 zu Weilburg (vorzugs⸗ 
weiſe proteftantiih), 1 zu Hadamar (vorzugsweife katholifh) und 1 
zu Biesbaden (paritätifch); ein Pädagogium zu Dillenburg; 
ein Real»Öymnafium zu Wiesbaden, welhem dem Bernebmen 
nad demnähft eine Umwandlung bevorfteht; ein landwirthſchaft⸗ 
liches Inſtitut auf dem Geisberg bei Wiesbaden; 2 Schul: 
Iehrerfeminarien, ein evangelifches zu Ufingen und ein katholi⸗ 
fhes zu Montabaur; 10 Realfhulen, nämlih zu Biebrid, 
Diez, Bad-Ems, Geifenbeim, Hahenburg, Höchſt, Bad⸗ 
Shmwalbadh, Limburg, Montabaur und Ufingen; ein Taub 





der Vollksſchule und ihrer Lehrer. 725 


ſtummeninſtitut zu Camberg, und endlich 708 Elementar⸗ 
ſch ulen, an welchen gegenwärtig 996 Lehrer befhäftigt find. — Die 
Schule wird bei der Regierung nicht mehr wie früher durch einen, 
fondern durch zwei Referenten, einen evangelifchen und einen Tatholis 
„Shen, gegenwärtig dur die Herren Regierungsrath Dr. Firnhaber 
und Brofeffor Conr. Müller vertreten. 

2. Bie der Pädag Jahresbericht, Bd. VII S. 337 ſchon mits 
tHeilte, wurde im Herbfte 1851 das Schullehrerfeminar zu Idſtein, das 
einzige  paritätifche in Deutichland, nach den beiden Sauptconfeffllonen 
getrennt. Man folgte den übrigen Staaten Deutſchlands; es war zeite 
gemäß, ob gut, das wird die Folge lehren. „Bier Pietiften, dort 
Zefuiten,’ fo prophezeite Mancher; aber — Irren ift menſchlich! — 
Mit der Trennung des ehemaligen Seminars führte man, gleichwie in 
andern Staaten, das Internat ein, jedoch mit dem wefentlichen und 
gewiß vortheilhafteren Unterfchiede, daß. nur die Zöglinge der beiden 
untern Klaſſen internirt und die der Oberflaffe erternirt find. Den meis 
ſtens vom Lande eintretenden Böglingen ift eine Anbaltung zur Rein⸗ 
lihfeit, Ordnung, zum Anftande, fowie zur gewifienhaften Benupung 
der Zeit und eine Anleitung zum vernünftigen Arbeiten, wie dies Alles 
ihnen durch Ueberwachung von Seiten des Internates geboten werden 
fann, nur zum Nußen und Frommen. Bei vortheilhafter Einrichtung 
muß binnen zwei Jahren der Geift der Anftalt ſich mehr oder weniger 
wünjchenswertb an dem Zöglinge geltend machen, fo daß er im 3. Jahre 
zum Theil dem bürgerlichen Leben, dem er fpäter ganz angehören fol, 
wieder gegeben werden Tann. Für eine fo geringe Anzahl der Schüler 
in der Oberklaſſe laffen fich die gewünfchten Häufer finden und die ſorg⸗ 
fältige Ueberwachung von Seiten des Seminars folder erternirter Schüler 
muß ein Leichtes fein. Gin praftifher Pädagoge aber wird Mittel und 
Wege wiſſen für den, der fi) des Externates unmwürdig zeigt. Den ers 
wähnten Uebergang vom Internat zum öffentlichen Leben fönnen wir nur 
als recht naturgemäß bezeichnen, fowie wir überhaupt die Außere Eins 
richtung beider naſſauiſchen Seminarien als eine recht zweckmäßige benennen 
müflen. Sinfichtlich des Lehrerperfonats herrſcht an beiden Seminarien 
eine ziemliche Uebereinfimmung. Als Dirigent am fatholifhen Ser 
minar zu Montabaur fungirt der aud in weiteren Kreifen befannte Dis 
reetor Rehrein und am evangelifchen Seminar zu Ufingen der Director 
2er, ehemaliger Profeffor am theologifchen Seminare zu Herborn. 

Wenn auch nad der Gründung beider Seminarien erft eine Reihe 
von Fahren verftreihen mußten, um von einem beflimmten Gbarafter 
der beiden Anſtalten reden zu dürfen, fo dünkt es uns doch, als koͤnne 
das Seminar zu Montabaur nicht recht zu fich felbft fommen, und 
finden einmal Grund hierzu in dem mangelnden harmonifchen Zufams 
menwirfen der Lehrer und andrerfeits namentlih in dem zu häufigen 
Wechſel des dortigen Lehrerperfonals. Auch das Seminar zu Uflngen 
fitt in der erften Zeit feines Beſtehens an Schwankungen, feit des volls 
zähligen 2ehrerperfonals if man ſich des Zieles einflimmiger bewußt. 

Die Beforgniffe Mancher, als würden daſelbſt „Mucker“, für 


726 Die äußern Angelegenheiten 


pürgerlihe Leben unbrauchbare Lehrer hervorgehen, find geichwunden. 
Wo pofitives Chriſtenthum neben fräftiger, praktiſcher Handhabung der 
Raturwiffenfchaften gelehrt wird, da wird ein füßer, fränfelnder, ſchwaͤr⸗ 
meriſcher Pietismus nicht zu finden fein, da wird Herz und Verſtand 
eine gleihmäßige Ausbildung finden. Das Eeminar zu Ufiugen will 
evangelifche Bolksfchullehrer bilden, welche pofitiv im Glauben, ficher 
und gründlich unterrichtet in den Fächern des elementaren Wiſſens und 
praftifh für die Schule find. Davon zeugen zur Ehre des thätigen 
Seminardirectore Lex und feiner wadern Gollegen die entlaffenen Zög- 
linge der Anſtalt! — Beiden Seminarien wäre noch, wie dies anders 
wärte auch flattfindet, eine eigene Seminars&lementarfhule 
zur praftifchen Anleitung der Seminariften, fowie eine fpeciellere 
Prüfung der Abiturienten behufs der recht gewiffenhaften Benupung des 
ihnen mit Fleiß und Sorgfalt Gebotenen zu wünfhen Wir leben 
indeß der Hoffnung, daß die Realifirung Diefes den eifrigen Bemähun- 
gen der oben genannten Referenten gelingen wird. — Durch eine jüngf 
erfchienene „Infruetion, die Vorbereitung für den Schullehrerberuf, 
insbejondere die Adfpiranten» und die Concursprüfung, fowie die Res 
gelung der Adfpirantenbildung betreffend,’ ift die in den letzten Jahren 
zit exercirte Adfpirantenprüfung (Prüfung 14jähriger Knaben) wieder 
bergeftellt, werden die unter die Zahl der Präparanden Aufgenommenen 

ihrer weiteren Borbereitung an von der Regierung beſtimmte Ads 
N irantenbilbner gewiefen, die Präparanden im Frühjahre und 
Herb jeden Jahres von dem betreffenden Schulinfpector unter Bugiehung 
nod anderer Adfpirantenbildner einer Prüfung unterworfen, von deren 
Rejultat die Regierung in Kenntnig zu fegen if. Nach zweiiähriger 
Präparandenzeit kann der Betreffende zur Goncursprüfung, welche Die 
Aufnahme in's Seminar entfheidet, zugelaffen werden, und find die 
Forderungen in genannter Prüfung in bejagter Infruction aufs Deuts 
lichſte für alle Bücher ausgeiprohen. Nur auf diefe Weife ift der Ad⸗ 
ſpirant zur gewiſſenhaften Ausfaufung feiner Borbereitungszeit binges 
wiefen, wird Einheit in der PBräparandenbildung bewirkt, dem Seminare 
sin weſentlicher Vorſchub geleitet und eine innige Berbindung zwiſchen 
dem Seminar und den in daffelbe Aufzunehmenden hergeſtellt. 

3. Um den BZufland der Schulen aus eigener Anfhauung 
fennen zu lernen, werden Diele von den Referenten, löblicher Weife, zu⸗ 
weiten ſelbſt befuht. Anfichten von Perfönlichkeiten wie localen Ver⸗ 
bältmiffen können fo berichtigt und Mebelkänden am raſcheſten abgeholfen 
werden. Im Ganzen darf man wohl mit dem Stande der naflanifchen 
Schulen recht zufrieden fein. Was die pecuniären Berhältniffe nament⸗ 
kick der Volksſchullehrer betrifft, fo laſſen diefe, wie faft allerwärts, zu⸗ 
mal in Diefen bedrängten Zeiten, noch viel zu wünſchen übrig. Bet 
dem Landtage für 1856 wurde der Antrag geſtellt: „Die Herzogliche 
Megierung wolle eine Borlage, wodurd die Befoldungen der Elementare 
lehrer den gegenwärtigen Berhöltniffen entiprechend erhält und geregelt 
werden, vorbereiten und mo möglich dem nächften Landiage zus Bexathung 
md Beſchlußfaſſung vorlegen.” Es wäre namentlich zu mimſchen, daß 








der Volksſchule und ihrer Lehrer. 727 


ein Theil der Lebrerbeſoldung tn Naturalien veranſchlagt würde In 
wie weit den gerechten Wünfchen der Lehrer einigermaßen Befriedigung 
zu Theil werden wird, hoffen wir in näcfer Zukunft mitteilen zu 
Töanen, 


9 Waldeck. 


Baldel Hat unterm 9. Zuli 1855 eine neue „Schulordiang‘' ers 
halten, mit der die Lehrer im Ganzen wohl zufrieden fein köͤnnen. Wir 
heben nachſtehend einige Punkte daraus hervor. 

„Zur Borbereitung anf die Elementarſchule dienen die Klein» 
kinderſchulen (Bewahranftalten), zur Fortfegung derjeiben die Jorts 
bildungsfchulen und zur Ergänzung des Unterrichts in derjeiben 
Die Arbeits oder Induftries, insbelondere die Näh- und Stride 
ſchulen.“ 

„Zum Zweck der Unterweiſung der Elementar⸗Schüler in der Baum⸗ 
zucht muß in jeder Gemeinde eine Baumſchule unterhalten werden.“ 

„Kommen Gemeindegrundfüde zur Vertheilung unter Die einzelnen 
Gemeindeglieder, fo muß der Clementar⸗Schule ein gleicher Antheil wie 
jenen zugewielen werden.‘ 

„Das ſchulpflichtige Alter der Kinder beiderlei Geſchlechts beginnt 
mit dem vollendeten 6. Lebensjahre und dauert bei den Mädchen 7 und 
bei den Knaben 8 Jahre.‘ 

„Nur da, wo in zwedmäßig gebildeten Abtheilungen der Unterricht 
ertbeilt wird, dürfen mehr als 50, keinenfalls jedoch über 80 Kinder 
gleichzeitig unterrichtet werden.‘ 

‚An dem Sonntage nad Johanni ſoll alljaͤhrlich nach Uebereinkunft 
mit den oberſten Kirchenbehörden ein Kinder⸗ und Schalfeſt ge 
feiert werden.‘ 

„Der Regel nad follen geprüfte Lekrerinnen nur an Mädchen 
ſchulen oder an ſolchen Schulklaſſen Unterricht ertheilen, weiche au 3 
ſchließlich von Mädchen befuht werden” 

„Bei Anftellungen und Beförderungen der Schuflehrer ift vor allen 
andern Nüdfihten die erprobte Berufstüchtigfeit zum Maßflabe zu 
nehmen. Bei Beförderungen zu einträglichern Stellen insbefonbere follen 
nicht ſowohl vorzugsmeile das Lebenes oder Dienftalter oder die Ber 
mögendumftände und die Familienverhältniſſe der Bewerber, als welmehr 
die gereifte Einfiht und Amtserfahrung, die moralifche Würdigkeit, der 
für Fortbildung bewiefene Eifer und die in dem bisherigen Wirkungs- 
freife erworbenen Berdienfte als Beſtimmungsgründe dienen.’ 

„Den von den Lehrern etwa ertleilten Privatuntetricht find 
Die Kreis» Schulanffeher verpflichtet fo zu befhränten, de⸗ daraus 
für die dffenttihe Schule kein Nachtheil erwächſt.“ 

„Der Staat gewährleiftet den ordentlichen Lehrern an fen bffent⸗ 
lichen Volksſchulen ihren Gehalt nad folgenden Normalfäten: Der erſte 
Lehres (Rector) an einer oberen Botksfchwie ſoll einen jaͤhrlichen Wehalt 
haben van windeftens 400 Xhirn,, der zweite von mindeſtens 275 Thlen., 
der dritte von mindeftene 225 Ihlsn., Der vierte von mindeſtens 175 Thlun., 


728 Die äußern Angelegenheiten 


Die übrigen von 150 Thlen. Die Lehrer an einer untern Bolköfchule 
follen mindeftend einen Gehalt haben: 1) in Schulgemeinden von weniger 
als 200 Einwohnern von 100 Zhirn., 2) in Schulgemeinden von 200 
bis einfhließlih 300 E. von 125 Thirn., 3) in Schulgemeinden von 
300 bis einſchl. 400 E. von 160 Thirn., A) in Schulgem. über 400 
bis einfhl. 500 E. von 190 Zhlrn., 5) in Schuigem. über 500 €. 
von 250 Thlrn.“ — In den Normalgehalt werden auch die aus. kirch⸗ 
lihen Aemtern berrührenden Einfünfte eingerechnet.‘ 

„Kür jeden Schuifreis wird ein Kreisihulvorfland gebildet. Ders 
felbe beftebt aus einem pyädagogifch gebildeten Mann, einem Geiſt⸗ 
lihen und dem betreffenden Streisrath. Die zuerſt genannten Mitglieder 
werden auf Zeit ernannt, das erfle von der Regierung; der Geiſtliche 
von dem Gonfiflorium. Beide Behörden können aber das betreffende 
Amt einer und derfelben Berfon übertragen.” 


10. Königreid Sachſen. 


I. In dem Falle, wenn die Entlaſſung eines Schüler aus der 
Schule vor Beendigung der geſetzlichen adhtjährigen Schulzeit im Wege 
ber Dispenfation nachgefucht wird, foll nad Verordnung des Ninifleriums 
insbefondere darauf: — ob und wie viel Schultage derfelbe während 
der gefammten Schulzeit ohne genügende oder ohne alle Entfchuldigung 
veriäumt bat? — NRüdfiht genommen und das Dispenfationsgefudh zu 
rüdgewiefen werden, wenn zu häufige unentidhuldigte, oder nicht genü⸗ 
gend entfchuldigte Schulverfäumnifle vorliegen. 

2. In Wehlen, Königfkein und Spandau find 1855 Schiffer, 
ſchulen für diejenigen eingerichtet worden, welche fih der Eibichifffahrt 
widmen wollen. 

3. Zn der Stadt Galinberg ift dur die Munificenz des Fürſten 
Dito Biltor von SchönburgeWaldenburg ein Seminar gegründet und 
dotirt worden, welches den Zwed bat, befähigte junge Frauenspers 
fonen, bie ih dem Lehr» und Erziehbungsberufe widmen wollen, 
hierzu auszubilden. Die Einrichtung diefer neuen Anfalt ift der oben 
(bei Breußen) erwähnten in Droyßig ganz aͤhnlich. Die feierlihe Er⸗ 
öffnung fand am 16. Dcthr. 1856 flatt. 

4 Das GSchullehrerfeminar zu Freiberg ift nach Noffen verlegt 
und am 14. Dctbr. dort feierlich eröffnet worden. 

5. In Dresden find fämmtliche Lehrerfellen durchfchnittlich jede 
um 100 Thlr. erhöht worden. 

6. In Leipzig betrugen 1855 die Zuſchüſſe zur Erhaltung 
der Schulen 33,549 Zhir., die Urmenfchule, die mit einem Aufwande 
von circa 10,000 Zhim. erhalten wird, nicht mitgerechnet; 1857: 
37,564 Zbir. Die Geſammtbedürfniſſe des fädtifchen Schulweſens bes 
laufen fi auf 92,581 Thlr. 

7. Neben der ſchon oben erwähnten „Schulzeitung‘ befigen bie 
Lehrer auch einen „Amtslalender für fachliche Brifliche und Lehrer”, 
der von Lehrern und Schuldirectoren zu Dresden „zum Beſten der 





der Volksſchule und ihrer Lehrer. 729 


Lehrerwaifen im KRönigreihe Sachſen“ herausgegeben wird. 
In Betreff der zwedmäßigen Einrichtung diefes ſehr nützlichen und 
Darum nachahmungswerthen Unternehmens verweifen wir auf den vorigen 
Band des YJahresberichtes. 


11. Sahfen:- Weimar: Etfenad. 


1. Im Großherzogthum beftehen gegenwärtig: 1) Zwei Gym⸗ 
nafien, nämlih a) eins in Weimar mit 10 ordentlihen und 4 
Hülfsiehrem und 200 Schülern, b) eins in Eifenadh mit 7 ordents 
lihen und 4 Hälfsiehrern und 96 Schülern. — 2) Ein Realgyms 
nafium zu Eiſenach mit 8 ordentlichen und A Hülfslehrern. Die 
Schülerzahl beläuft fih auf 128. — 3) Zwei Schullehrer⸗Se⸗ 
minare, nämlih a) eins in Weimar, mit 4 ordentlihen und 3 
Hülfsiehrern. Die Zahl der im Jahre 1855 nen aufgenommenen Ser 
minariften beträgt 14, die der abgegangenen 19; die Zahl der daffelbe 
befudhenden 73. b) Eins in Eiſenach, mit 2 ordentlihen und 5 
Hülfsiehren. An Seminariften find ‚1855 neu aufgenommen worden 
4, abgegangen 12, gegenwärtig 21. — 4) Die Gefanmtzahl der in 
30 Schulauffihtebezirte eingetheiften, von 608 angeflellten Lehrern ges 
leiteten und gegenwärtig von 40,000 Schulkindern bejuchten Bois» 
fhulen des Großherzogthums beträgt 460, worunter 17 Tatholifche, 
4 jüdifche, 1 gemifcht jüdifchschriftlicde mit abgefonderter Ertheilung des 
Religionsunterrichts, und ein von einem Director geleitetes, bisher auf 
412 Zöglinge berechnetes, fchon jegt aber die Mittel zu einer Mehraufs 
nahme bietendes Blinden» und Zaubftummen»Inftitut mitbegriffen find. 
361 diejer Stellen find Privat», alle übrigen landesherrlichen Patronats. 

Eiſenach bat eine Höhere Bürgerſchule (Serundarfchule), Die 
unter Dr. Lorey’s Leitung ſteht. In Weimar, Apolda und Neuftadt a. O. 
ſollen ähnliche Anftalten eingerichtet werden. 

2. Die landfländifche Berfammiung bat den Lehrern Gehaltsvers 
befferungen nad folgender Scala verbeißen: 108, 125, 150, 175, 
200 Zhlr. Cine Bekanntmachung vom Gultusminifter änderte Diefe 
Bablen, finanzieller Bedrängniß wegen, in folgende um: 108, 125, 
140 u. ſ. w. 

3. Die im Prinzip anerfannte Emancipation der Schule von der 
Kirche hat jept einen verflärkten geſetzlichen Ausdrud durch einen Nachs 
trag zu dem Volksſchulgeſetz von 1854 erhalten, welcher dem Minifterium 
zur Pfliht macht, darauf Bedacht zu nehmen, daß in allen Städten, in 
welchen 4 oder mehr Vollsſchulklaſſen beftehen, ſolche unter Leitung eines 
Rectors, dem die Kocalihulaufficht zußeht, kommen. 

4 Das „Kirhens und Schulblatt“ für Weimar (1855) enthält 
einen „Nachtrag zu dem Ortsflatut über die hiefige Kortbildungs- 
fhule für Handwerkslehrlinge vom 16. Sept. .1845', in dem 
der Schulbeſuch, wie anderer Orten, nit vom Willen der Lehrlinge 
und Meifter abhängt, fondern bei Strafe befohlen if. Nach den anders 
wärts gemachten Erfahrungen läßt fih dagegen nichts Erhebliches ein» 
‚wenden. (Wiederabdruck in Kern’s „Päd. Blättern, September 1855,) 


— — — — — 


730 Die äußern Angelegenheiten 


12. Sudfen-Eoburg: Gnthe. 


In den „Pädagogifhen Blättern‘ von Kern hat der Schuldirector 
Dr. M. Schulze in Gotha unter dem Titel: „Bergangenbeit und 
Gegenwart des Schulmwefens im Herzogthum Gotha‘ eine 
fehr ſchätzenswerthe Befchichte des Schulweſens dieſes Landes geliefert, 
von der wir wünjchten, daß fie befonders zu haben wäre. Wir heben 
aus dem Abfchnitt, der die „Lehranfalten außerhalb der Stadt 
Gotha“ behandelt, dasjenige aus, was Auskunft über den „gegen» 
wärtigenBefand und Zufand‘ gibt (Juni 1855, &. 284 u. f.). 

1. Zahl der Schulen auf den Dörfern und in den Land» und 
Bergſtaͤdten 204. 

2. Zahl der Schulfinder in abgerundeten Summen 13,508, 
nämlich 6800 Knaben und 6700 Mädchen. Die Bevölkerung der eine 
zeinen Schulen if natürlich fehr verfchieden. Es gibt 33 Lehrer, Die 
nur 7 bis 40 Kinder, aber auch mehr als 20, die über 100 bis 150 
Kinder in ihren Schulen haben. Durchſchnittlich kommen auf eimen 
Lehrer 66 Schulfinder. 

3. Klaffeneintheilung. Im Allgemeinen werden die Schul 
finder, die vom 6. bis 24. Lebensjahre ſchulpflichtig find, in 4 Klaffen 
mit je 2 Altersſtufen eingetheilt. Wo nur zwei Lehrer angefellt find, 
da zerfällt die Schule in eine gemifchte Obere und Unterabtbeilung mit 
je A Zahrgängen der Kinder oder 2 Klaffen. Wo drei Lehrer find, 
da iſt entweder eine gemiſchte Elementarklaſſe, eine Oberflaffe für Knaben 
und eine für Mädchen, oder die Geſchlechter bleiben vereinigt und man 
bildet, um mehr getrennte Klaſſenſtufen zu erhalten, eine gemifchte Ele⸗ 
mentars, Mittels und Oberfioffe Wo vier Lehrer arbeiten, bat man 
ebenfalls entweder A Klaflen mit je 2 Iahrgängen der Kinder bei ger 
mifchten Geſchlechtern, oder es werden befondere Oberklafien für Kuaben 
und Mädchen gebildet. In größeren Orten ift auch die legte (4.) oder 
vorlegte (3.) Oberllaffe in 2 PBarallelflaffen (32 und 3b, Aa und 4b) 
getheilt. — Hat aber ein Lehrer alle A Klaſſen allein zu befotgen, 
was in den allermeiften Dörfern der Fall if, fo werden durchgängig 
Knaben und Mädchen zufammen unterrichtet und nur Die Unterrichtss 
zeiten für die einzelnen Klaſſen verfchieden gelegt. 

4. Lehrer. Der eigentliden Volklsſchullehrer gibt ed auf dem 
Lande 203. Sie werden vom Öberconfiflorium gewählt, von Herzog 
befiätigt und der Gemeinde präfentitt, die fie annehmen muß, falle fie 
nicht gegen Lehre und Wandel des Präfentirten Erhebliches einzuwenden 
bat. Sie werden bei ihrer Anſtellung zugleich Mitglieder der Etautds 
diener-Bittwenfscietät, wozu fle die gejeptichen Beiträge (von 3 Procent, 
Neuangeſtellte 4 MProcent), und Mütglieder der Sterbekaſſe für Lehrer, 
wozu fie 1 Th. 10 Gr. jährlid zu feuern haben. 

5. Lehrerbefoldungen. Die meiſten Schulſtellen haben eine 
Beſeldung von 150 bis 200 Thlrn., die beften (mit denen meh ein 
BHarramt verbunden if) 800 bis 361 Ihle., keine unter 100 Thlxu. — 
Im Einzelnen ergibt ſich folgendes Befoldungsverhättnif: 2 Stellen mit 


der Volksſchule und ihrer Lehrer. 73 


100—125 Thirn., 29 mit 125—150 Thlrn., 48 mit 150-175 Thlrn., 
59 mit 175200 Thlrn, 34 mit 200—225 Thlrn., 15 mit 225 — 
250 Thlrn., 6 mit 250 — 275 Thirn., 5 mit 275—300 Thlrn., 4 
mit 300-350 ZThlrn., 2 mit 350-361 Thlrn. Bei fa allen befteht 
ein Theil der Befoldung in Naturalien. 

6. Schulbehärden Der nähfte Schulauffeher jeder Volks⸗ 
ſchule iſt der Ortsgeiſtliche; Bezirfsbehörde if das Kirchen» und Schuls 
amt, beftehend aus dem Oberbeamten des betreffenden Juſtizamtes und 
bem Superintendenten oder Adjuncten der Ephorie; die Oberbehörde das 
Dberconfiftorium zu Gotha. Jaͤhrlich Halt der Ortöpfarrer die fog. 
Frühlings» und der Ephorus die Sommervifitation, und von 5 zu 
5 Jahren findet eine Generalvifitation Statt, die der Generalfuperins 
tendent als Herzoglicher Commiſſarius Hält. Früher erhielt der Lehrer 
nach jedem Schuleramen ein fehriftliches Memoriale über den Befund 
feiner Schule; diefe Einrihtung ift aber in den letzten Zeiten abgekommen. 

7. Bildungsanfalten, die mit der Volksſchule im Zuſam⸗ 
menhang fliehen. - Wie ed an mehreren Orten Kleinfinderfhus 
len (in Waltershaufen auch 1 Fröbel’fchen Kindergarten) gibt, fo gibt 


es auch Fortbildungsanſtalten für die der Schule entwachſene 


Jugend. Un 19 Orten find Sonntags» und Gewerbfchulen, von denen 
einige aber nur Winterſchulen find. Die arößten Bewerbfähulen 
find zu Ohrdruf, Waltershaufen, Zella, Mehlis, Yriedrihroda, Tambach 
und Ruhla. An 17 Orten find Induftriefhulen für Mädchen 
eingerichtet. Auch if in den meiften GEphorien für Volfsbiblio⸗ 
thefen, bier und da für Shulbibliothefen und für Kefevereine 
geforgt. Diele Lehrer betheiligen fih auch an den landwirthſchaft⸗ 
lihen Bereinen, fowie an den Bereinen für Bienenzucht und 
Seidenbau. 


18. Sadfen : Meiningen - Hilburgbaufen, 


1. Die fädtifchen Schulen in Meiningen beflehen aus der Bürs 
gertfnabenfhule, Bürgermädhenfhure und Volksſchule. 

Die Bürgertnabenfhule hat 6 Klaſſen mit 5 Lehrern, näms 
ih 3 Elewentarklaſſen, 2 Mittelklaſſen und 1 Oberfinffe. Der 1. Lehrer 
diefer Schule iſt zugleich Rector dieſer Abtheilung ſowie der Bolksfchule. 
Die 3 obern Klaffen umfaflen zwei Jahrgänge, die 3 untern je einen. 
Die Zahl der wöchentlihen Unterrichtsſtunden beträgt, von unten auffeis 
gend, 10, 20, 20, 30, 33, 34. Die beiden Unterklaſſen haben nur einen 
Lehrer. In den 3 unteren Klaſſen herrfcht das Klaſſenſyſtem, in den 3 
oberen Das Klaffen« und Fachſyſtem. Die Lehrgegenflände in den Mittel 
und Oberllaffen And: Religion, Deutſch, Rechnen, Geographie, Naturge⸗ 
ſchichte, Geſchichte, Formenlehre, Geometrie, Phyſik, Latein und Zeichnen. 
Der Unterricyt im Latein und im Franzöfifgen if freiwillig und wird ges 
woͤhnlich nur von den Schülern benußt, die das Gymnaſtum ımd die Real⸗ 
ſchule Hefuchen wollen. Nach dem Gymnafium Fönnen die Schüler aus der Z., 
reſp. 2. Klaſſe abgehen, nach der Mealfchule nur, wenn fie 1 Jahr in 
der 1. Klaffe geweien find. 





— RR — — —— — — — — — 


732 Die äußern Angelegenheiten 


Die Bürgermädchenfhule hat 4 Maffen mit 3 Lehrern, nämlich 
2 Elementarfiaffen, 1 Mittelflaffe und 1 Oberklaſſe. Die beiden Ele⸗ 
mentarflaffen werden von einem Lehrer verwaltet. Der 1. Lehrer iſt 
Rector der ganzen Abtbeilung. In allen Klaffen herrſcht das Klaſſen⸗ 
ſyſtem. Lehrgegenflände außer den Elementen find: Rechnen, Deutſch, 
Geographie, Raturgefchichte, Geſchichte, Religion und Zeichnen. Unterricht in 
weiblichen Handarbeiten wird von einer dazu beftellten Lehrerfrau ertheilt. 

Die Bolsfhule, mit gemiſchten Gefchlechtern, hat 4 Klaffen, naͤm⸗ 
li 2 Glementarklaffen, 1 Mittels und 1 Oberklaſſe, und 3 Lehrer. Die 
Lehrgegenflände derfeiben find die der Volksſchulen auf dem Lande. Schul⸗ 
geld wird nicht gezahlt. Die Mädchen erhalten Unterricht in weiblichen 
Sandarbeiten. 

Bas die Befoldungsverhältniffe der ſtädtiſchen Lehrer bes 
trifft, fo if ihr Gehalt nicht an eine beflimmte Klaſſe, welcher fie vorftes 
ben, gebunden; es beſteht vielmehr eine Art Anciennetätsverhättnig. Mit 
Ausnahme der erften der Knaben » und Mädchenſchule, weldhe an und 
700 Gulden Befoldung haben, überfleigt die der übrigen ihrem Dienf- 
alter nad das gefeplihe Minimum von 300 1. rhn. un 30, 60 und 
80 Gulden. Das Cantorat und die Organiftenftelle werden befonders 
bonorirt. Bon Zeit zu Zeit erhalten die Lehrer eine Gratification. Die 
Gehalte befteben bloß in Geld. 

Das Schulgeld wird durch einen Kämmereigehülfen monatlidh in 
den einzelnen Klaſſen feld erhoben. Es beträgt in den Elementarflaflen 
12 Kr., in den folgenden 15, 18 und 20 Kr. monatlid. 

Die nähfte Behörde der Fädtifchen Schulen ift das flädtifche 
Kirchen» und Schulenamt, welches aus dem Ephorus, dem Oberbürger- 
meifter und dem Bürgermeifler zufammengefegt if. Weber diefem fleht 
das Minifterium, Abth. für Kirchen» und Schulſachen; es belebt aus 
dem Staatsrath, der den Borfig hat, dem Schulrath, dem das Schul⸗ 
wefen insbefondere obliegt, und aus zwei geiftlichen vortragenden Raͤthen, 
denen das Kirchliche anvertraut iſt. Einer diefer legten Herren iſt zugleich 
Epborus und Oberpfarrer. 

Neben den flädtifchen öffentlichen Echuten hat Meiningen noch 3 
Privatiehranftalten, eine derfelben ift eine Art höherer Töchterfchufe, Die 
andere hat Knaben und Mädchen, die dritte bloß Knaben. 

2. Ein 1856 erfchienenes Geſetz hat das Dienfleinfommen der 
Volksſchullehrer des ganzen Landes geregelt. Hiernach if in Städten 
von mehr als A000 Einwohnern die MinimalsBefoldung für die zwei 
am niedrigften dotirten Schuflehrerflellen auf je 300 Fl. rhn., für die 
nähftfolgenden auf 350 1. und für jede der übrigen Stellen auf 400 31. 
fefgefept; in Städten von 3 bis A000 Einw. ift der Minimalbetrag 
800 und 350 Fl., und in den übrigen Städten 250 und 300%. Auf 
dem Lande ift bei einem Schulbezirfe von 300 und mehr Einwohnern 
das Diinimum 275 Fl., und bei getheilten Schulen in den Elementarklaflen 
200 $1. und bei den oberen 275 Fl., bei’geringerer Einwohnerzahl 225 Fl. 
In gleich fleigendem Berbältniß werden die Befoldungen der Subflituten 
und Schufgehülfen verbeffert werden. 


— 


der Volksſchule und ihrer Lehrer. 733 


3. Die vereinigten ſtaͤdtiſchen Echulen in Saalfeld beflehen aus 
a. ‚der höheren Zöchterfchule mit 2 Klaſſen, b. 2 Knabenflaflen, e. 2 Mäds 
henflaffen, d. 2. Barallelelementarfiaffen und e. 3 Elementarklaſſen. An 
allen diefen Schulen find 10 Lehrer und 1 Lehrerin thätig. Außerdem 
bat Saalfeld noch eine Realſchule und ein Progymnaflum. 


14, Sadfen: Altenburg. 


Ueber die in Alte nburg beabfihtigte Neorganifation des Volles 
und Bürgerſchulweſens liegen ung keine Nachrichten vor. | 


15. Schwarzburg » Sonderöhaufen, 
Desgleichen. 
16. Schwarzburg⸗ Rubolftadt. 


Ein Gefep vom 17. März 1854 ordnet die Errichtung von Kir⸗ 
Gens und Schulvorſtänden in den evangelifchelutherifchen Kirchen, 
gemeinden an. Nach demfelben befteht in jeder evangelifch » Lutherifchen 

icchengemeinde ein Kirchens und Schulvorfland unter der Aufjicht der 
Kirchens und Schulinfpection und der Abtheilung des fürſtl. Minifteriums 
für Kirchen- und Schulfahen. Mitglieder derfelben find der Orts 
geiftlihe, der Lehrer der Ortsfchule, der erfte Ortsvorftand und hoͤch⸗ 
ftens fo viel andere duch die Wahl der Gemeinde beftimmte Mit⸗ 
glieder, als in dem SKirchens und Schulvorftande Geifliche figen. Hat 
eine Privatyerfon das Patronatrecht, fo ift auch diefe Mitglied, falls fe 
der evangelifch » Iutherifchen Gonfeffion angehört und die Bedingung er⸗ 
füllt, welche für die Wahlfähigfeit der von der Gemeinde zu wählenden 
Mitglieder fergeftellt find. Sind mehrere Geiftlihe in einer Kirchenges 
meinde angeftellt, fo find diefe in der Regel ſämmtlich Mitglieder des 
Kirchen⸗ und Schulvorflandes. Sind mehrere Lehrer angeflellt, fo wird 
auf Vorſchlag des Ortsgeifllihen oder des erften Geiſtlichen die der Zahl 
der geiſtlichen Mitglieder gleichtommende Zahl der Lehrer durch die zus 
Rändige Kirchen» und Schulinfpeetion gewählt. Die Wahl der übrigen 
Mitglieder geſchieht dur die Stimmberechtigten in der Gemeinde aus 
denjenigen Gemeindemitgliedern, welche der Kirchen» und Schulvorftand 
zu diefem Behufe in doppelter Anzahl in Borfchlag bringt. Dafür, daß 
nur würdige Mitglieder der Kirchengemeinde gewählt werden können, und 
daß auch der Gemeinde ein zwedmäßiger Einfluß auf die Wahl gewahrt 
bleibt, if in entiprechender Weile Sorge getragen. Das Umt der ges 
wählten Mitglieder des Kirchen⸗ und Schulvorflandes dauert 6 Jahre; je 
nah 3 Jahren fcheidet die Hälfte aus. — Die erfte Pflicht des Kirchen- 
und Schulvorfiandes iſt die Förderung und Pflege des chriflichsreligiäfen 
und fittlichen Lebens, die Sorge für Zucht und Ehrbarkeit und im 
Befondern die wohlthätige Einwirkung auf die Kindererziehung, die 
Schule und Lie ledige Jugend. Der Geiſtliche if in feiner die Lehre 
und das geiftlihe Amt betreffenden Thätigkeit von dem Sirchen« 
und Schulvorflande abhängig. Bei Beſetzung der geifllihen und Schul⸗ 
ämter ſteht lebterem die Ausübung des fogenannten votum negati- 


vum zu, fraft defien fein Geifliher oder Lehrer in der Gemeine 





734 Die aͤußern Angelegenheiten 


eingeführt werden darf, gegen deffen Lehre, Gaben und Wandel bes 
' gründete und erhebliche Einwendungen gemacht werden. Bor der Wie 
derbefegung eines folden Amtes wird der Kirchen⸗ und Schulvorfand 
mit feiner Aeußerung über etwaige befondere, bei der Belegung 
der Stelle zu berüdfichtigende Bedürfniffe und Berhältniffe der Bes 
meinde vernommen. Er hat ferner zur Dermeidung der Schulver⸗ 
fäumniffe in der durch die Verordnung darüber näher angegebenen 
Beife mitzuwirken (Bäter, welche ihre Kinder ohne genügenden Grund 
vom Schuibefuh abhalten, find weder wählbar noch bei der Wahl ſtimm⸗ 
berechtigt), den Kirchen⸗ und Sculvifitationen, den dffentlihen Schuls 
prüfungen, der Gonftrmation, den Einführungen der Geiſtlichen, Lehrer 
und niedern Kirchendiener beizuwohnen und die Einhaltung der desfall⸗ 
figen Befimmungen zu überwachen. Den Vorſttz in den Sigungen führt 
der Bfarrer (vefp. erſte Geiſtliche). Steht einer PBrivatperfon das Batror 
natredht zu, fo führt ihn diefe, überläßt jedoch dem Beiflichen die Leitung 
der Geſchaͤfte. Sollte ein Beſchluß dem Rechte des Pfarr⸗ oder Lehramts, 
den allgemeinen gefetzlichen Beſtimmungen oder überhaupt dem wohlvers 
Randenen Jutereſſe der Kirche oder der Schule widerftreiten, fo if der ' 
vworfigende Geiftliche verpflichtet, über diefen Beſchluß, Bevor er ihn polls 
zieht, an die Kirchens und Schulinfpection Bericht zu erfatten und Die 
Entſcheidung derfelden oder der betreffenden Minifterialabtheitung einzus 
holen. (Kern, Päd. Blätter, April 1855.) | 


17. Anhalt-Deffau:-Edthen, 


In diefem Lande flieht es gut um das Schulweſen; meuere Raps 
sichten darüber fehlen uns jedoch. 


17. Braunſchweig. 


1. Der Redacteur des „Brauuſchweigiſchen Schulboten“ fagt bei 
der Hinweifung auf die Feier des 2Sjährigen Negimentes des Herzogs: 
„In Beziehung auf das Schulweſen darf das Braunichweigifde Land 
fih mit jedem deutichen Etaate meſſen!“ Nach den Mittheilungen, weiche 
Der 8. Band des Jahresberichtes über Braunfchweig enthält, glauben 
wir das auch. Die Lehrer Plagen aber doch, daß fie mit den Normal⸗ 
gehältern in jepiger Zeit nicht ausfommen Tännen, was wir gern glauben. 
Ein ftädtifcher Lehrer mıt 175 Thlrn. Gehalt ſtellt in Nr. 6 des Schul⸗ 
boten folgende Berechnung auf: 

Wittwenfaffenbeittäge . „ . 5 Thlr. 6 Gear. 
Berfonalfteuer. - ». ». co. 1. BB vo 

Mietbe, Meubel, Aufwartung: 30 „, 
Mittags⸗ und Abend . « 60 „, 
Brot und Butter. . » » - 26 „ 
Dun » - 2 00. . 0 „5 
Lid » 2 2 2 0. dd, 
Bälle. » - 2 0 u. 2 „ 
Säuhwet . . ı.. 10 


...0 „ [dl 
Sa, 159 Thir. 9 Ger. 


[24 


1114161 





ber Vollsſchule und ihrer Lehrer. 735 


Mithin bleiben für Kleidung und fonft Rothwendiges 15 Täler. 
15 Ger. 


Der Redacteur vertröftet auf beſſere Zeiten und fügt dann hinzu: 
„Beziebungsweife ſtehen fich die flädtifchen Lehrer auf Rormalftellen, 
gegenüber denen auf dem Lande, aber noch dadurch befier, daß fie 
nicht fo zum Heirathen gedrängt werden. Ein fehr wahres 
Wort in diefer Beziehung enthält Nr. I des Schulboten (1856), das 
wir bier zur Beherzigung für alle jungen Lehrer mittheilen. Seite 12 
heißt es: „Uebrigens liegt ein gut Stüd der jegigen Lehrernoth aud in 
Uebelſtaͤnden des Lehrerftandes, die ernſte Aufmerffamkeit und Befeitigung 
nöthig machen. Ic zähle dazu das frühe Heirathen der meiften Lehrer. 
Die Regel if, daß der Lehrer mit dem 25. Jahre und früher eine Frau hat. 
Nun denke man fih, mit welchen Mitteln das junge Baar feinen Hausfland 
beginnt und führt! Der Mann bringt vielleicht Schulden mit, und die 
Frau hat kein Dermögen. Seht geht die Wirthſchaft mit Summa 
Summarum 120 oder 150 ZThalern as. Lehrgeld muß auch bezahlt 
werden, denn gewöhnlich verfiehen Maun und Frau vom Haushalten 
zecht wenig. Kinderſegen bleibt in der Negel nicht aus: man vervoll« 
fändige ih das Bild! Es iſt wahrlich nicht erquidiih. Uber die 
gegenwärtige Roth in vielen Lehrerfamilien ift auf und aus dem ges 
zeichneten Sintergrunde fehr erflärlih, Möge ihr jetzt recht gründlich 
abgeholfen werden! Wichtiger aber noch iſt e8, ihre wahren Quellen aufs 
zufuchen und zu verftopfen. Die Frage entfteht alfo: Wie ift dem frühen 
Heirathen der Xehrer vorzubeugen? Allerdings iſt es ein Webelftand, 
wenn ein junger Mann in einen Ort verfchleudert wird, wo er faum 
für fchweres Geld eine nur einigermaßen anfldudige Bewirthung finden 
Tann. Man muß es da erflärlich finden, daß er fich bald zum Heirathen 
entfchließt. Es iR faft eine Nothwendigkeit. Und Doch müßte man um 
der Folgen willen wünfhen, daB es unterbliebe. Doc ein anderer 
Grund drängt die Lehrer gewöhnlih in eine frühe Ehe hinein: frühe 
Berlobung! Und das ift wirklich ein großer Uebelfand, wenn die Se⸗ 
minarzeit gewöhnlich ihren Abſchluß damit erreicht, daß der junge Mann 
neben dem Maturitätszeugnifie zugleich den Verlobungsring an die Hand 
befommt. Oft freilich ſchimmert der fchon an den Fingern, wenn dag 
Zriennium noch lange nicht abfolvirt it. Sa, diefes frühe Berloben ifl 
ein Öegenfland, der wie ein Krebsſchaden fih in das Lehrerweſen hinein» 
gefreffen hat. Woran liegt das? Die Frage if unendlich wichtig und 
drängt zu einer ernften, prüfenden Nachforſchung Über die Einrichtung 
unſrer Lehrerbildungsanſtalten.“ 


2. Ar. 8 des Braunſchw. Schulboten enthält folgende erfreuliche 
Mittpeilung: „Die Gemeinde Gr.» Bahlberg hat ein dankbares He. 
Der 75aͤhrige Cantor ſpricht vor einiger Zeit den Entihluß aus, für 
nächften Winter doch nach einer Hülfe ſich umſehen zu wollen. Kaum 
iR das Wort verflungen, da treten die Gemeindebehörden zufammen und 
fagen: Den Gehülfen bezahlen wir! und raſch find 60 Thlr. und ein 
Malter Holz kewilligt. Liegt das an dem alten Gantor, ader im bes 


736 Die äußern Angelegenheiten ‘ 


Ratur der Bahlberger? Genug, in dem Maße, in welchem eine Gemeinde 
ihren Lehrer ehrt, ehrt fie fich ſelbſt!“ 

3. In Rr. 10 (1856) kommt der Redacteur des Echulboten auf 
die Delonomie als Rebenbefhäftigung der Kehrer zu fpreden. Er 
mag davon nicht viel willen. „Die Sache flieht erfahrungsmäßig fo: 
In den allerfeltenften Fällen if ein guter Delonom auch ein guter Schul⸗ 
meifter. Dazu gehören Vorausfegungen, die bei taufend Ballen nicht 
einmal zutreffen. Sol’s mit der Defonomie fort, fo bleibt die Schule 
zurüd. Soll's mit der Schule fort und die Oekonomie fann und darf 
auch nicht zu kurz kommen, — dann gebt die Idylle über in eine 
Tragödie, deren erflen Aufzug der Bote jüngf mit biutendem Serzen 
ſah. Sie brechen an Leib oder Geiſt, gewöhnlih an beiden, die in 
dieſer Schulmeiftertragddie agiren. Möchte man in Beziehung auf den 
Lehrer den Gedanken fefhalten: Das Amt muß den Mann ernähren, 
nicht die Nebenbefhäftigung. Oder wenn es einmal fo nicht geht, dann 
fehre man den Gedanken um: Die Nebenbefhäftigung muß den 
Mann nähren und nicht das Amt; dann aber fordre man auch nicht, 
daß das Amt einem Manne die Hauptfadhe ſei. Und doch und doch, 
troß alle dem, — es giebt keinen feligern Beruf, als den des Lehrers! 
Und je feliger wir's empfinden, defto näher rüdt die Zeit, wo man 
erkennen wird, daß es recht lieblich ift, wenn ein Lehrer zu — feinem 
Bergnügen, feiner wirflihen Erholung, täglid ein Stündchen um eine 
Beine Detonomie fi befümmern (nicht gleich einem Zagelöhner darin 
ſchwitzen) kann. Wo aber der Lehrer in feiner Delonomie um feine 
Subfiftenzmittel ringen muß, da ift das Schulmefen feinem Ideale noch 
nicht nahe genug gebracht, um alle den Segen entfalten zu können, 
den es wirklich in fi birgt.‘ Diefe Anfichten halten wir für Die 
richtigen. 

4 In Nr. 2 (1856) fagt der Redacteur des Schulboten: „Die 
Paſſionszeit if da. Die kirhlihe Schule muß in derfelben eine 
beffimmte Haltung annehmen. Weldye? Luther fagt: Faſten und Leiblich 
ſich bereiten ift eine feine äußerlihe Zucht. Möchten die Lehrer ſich ſelbſt 
in der heiligen Paſſionszeit in ernfte Zucht nehmen. Bor allen Dingen 
it aber von der Schule aus auch dafür zu forgen, daß die Kinder in 
diefer Zeit durch irgend welche Entfagung zum Bewußtfein über das 
Wort kommen: Führwahr, er trug unfere Krankheit und lud auf fi 
unfere Schmerzen. el. 53, 4. Natürlich) Alles in evangelifcher Frei⸗ 
heit! Es wäre wünſchenswerth, wenn vieljeitige Mittheilungen fämen, 
wie die Paſſionszeit in den Schulen begangen wird.’ — Mit Rüdfidht 
hierauf fehreibt ein College dem Boten in Ar. 3: „Während der Paſ⸗ 
ſionszeit verhänge ich Feine koͤrperliche Züchtigung über ein Kind. Wenn 
ich den Stab Wehe über ein Kind fchwingen will, fo fallen mir immer 
‚die Worte ein: Er iR um unferer Sünde willen zerfchlagen. Und dann 
vergeht mir der Muth, der zu einer Züctigung gehört.” Der Bote 
fügt hinzu: „Dieſe Muthlofigkeit wird der Schule gewiß keinen Schaden 
bringen.” Iſt jenes Berfahren nicht ganz geeignet, in ben Kindern 
ben Wunſch hervor zu rufen: Ach, wenn doch das ganze Jahr über Paſ⸗ 














der Vollefhuk und ihrer Lehrer. 137: 


‚ Ronszeit wäre! Wir halten daſſelbe für durchaus unpaffend und würden - 

“ Jieber fagen: Wer in einer Zeit, die uns lebhaft an unfere Suünd⸗ 

haftigfeit und das dafür gebrachte Opfer erinnent, ſich vergeht, verdient 

doppelte Strafe. Die Kinderzucht iſt eine zu ernfle Sache, als daß zu 

irgend einer Zeit davon Abſtand genommen werben Lönnte Es wäre 

oßnebin geradezu unevangelifh, Strafbases® aus religiöfer Sentimens 

talität ungefraft zu laſſen. Auch das, was der Redacteur oben mit dem. 
Ausdruck „Entiagung” andeutet, if ficher ſehr bedenklich, wenn nicht 

geradezu verwerflid. 


19. Hannover. 


1. Wie anderwärts, fo mangelt e8 auch in Hannover an Lehrern.” 
Im Lüneburgifchen allein waren 1855 zwanzig Stellen vacant. — Mehrr 
fach haben Lehrer ihre gering dotirten Stellen aufgegeben und fid lohnen» 
deren Berufen gewidmet, 3. B. dem Steuerfach. 

2. Hannover befigt 6 Seminare (zu Ablfeld, Hannover, Lünes 
burg, Osnabräd, Stade, Aurih) und eine Schullehres -Borbildunges 
Säule zu Reuenhaus). 

3. Die Gefammtzahl der Volksſchulſtellen beträgt gegenwärtig 
3812. — Für die Taubſtummen, deren Zahl ih 1853 auf 436 belief, 
wird durch 2 befondere Anftalten geforgt, von denen die eine in Hildes⸗ 
heim (mit 90 Zöglingen), die andere in Emden (zu 40-50 Zöglingen 
berechnet) if. In Hannover iſt eine Blindenanfalt. 

4. Die Dotirungen der Schulfellen find in Sannover, wie 
‚ anberwärts, für die gegenwärtigen Zeitverhaͤltniſſe unzureichend. Bon 
den 3812 Bolksfchulftellen haben 

dag Minimum der Einnahme (30 Thlr. und Reihetiſc beiehunge 

weiſe 80 Thlr) . . 4 Stellen, 
eine Einnahme von 80 bis 100 Thirn.. 700 n 
„ ” „ 100 — 120 „ . 307 „ 
7 7 „120 — 150 „ . 47 ,„ 
n „ 350 und darüber . 1374 „ 
274 Stellen haben noch einen Reihetiſch. 
Mit einem Kirchendienft verbunden find. 1519 Stellen. 
Erſte Stellen an mehrklaffigen Schulen . 138 „ 
1657 Stellen. 

Bon diefen haben 730 ein Dienſt⸗Einkommen von 200 Thlrn. und 
Darüber; alle übrigen bleiben zum Theil weit unter diefem Betrage. 

Behufs BVerbefierungen der Schuiftellen hat die Regierung unterm 
11. April 1856 von den Kammern einen Zuſchuß von 20,000 Zhlrn. 
gefordert. Die Kammern haben diefen Antrag unter der Bedingung 
genehmigt, daß diefe Summe zu dauernden Verbeflerungen ver 
wandt werde. 

Bon diefer Summe follen von den 1704 Stellen unter 100 Thlrn. 
eirca 1000 durchſchnittlich um 25 Thlr., von den 734 Stellen zwiſchen 
100— 150 Thlr. etwa 500 Stellen um jährlih 30 Thlrn., und von 

Nacke, Iahresberiht. X. 47 


788 "Die äußern Angelegenheiten 


den 1374 Stellen über 150 Thlr. etwa 600 um 50 Thlr. erheht 
werden 


den 

Das iR Alles dankenswerth, Leider aber noch immer nit aus⸗ 
reihend, um die Roth der Sanndverfchen Lehrer zu befeitigen. 

5. Eine Verordnung vom 28. Februar 1854 bezweckt eine Er⸗ 
fhwerung des zu frühen Berbeiratbens der Lehrer, namentlich ber 
Gehälfen. 

6. In Bolge einer Berfügung des Miniſteriums Hat in Göttingen 
der am Sonntag Nachmittag ertheilte Unterricht in der Gewerbſchule, 
als gegen die Sabbathsorbnung verfloßend, auf den Mittwoh Nach⸗ 
mittag verlegt werden müſſen. Jedenfalls gilt diefe Berorbnung für 
das ganze Land, 


20. Rippe, 


An Lippe war in Folge der deutſchen Grundrechte die Zahlung 
des Schulgeldes in den Volkoſchulen aufgehoben worden. Am 1. Der. 
1856 if die desfallfige Verordnung wieder außer Kraft gefebt und 
das Schulgeld auf 20 Sgr. jährlih für jedes fchulpflichtige Kind bes 
fimmt worden. Arme find von diefer Zahlung befreit, und Dies 
jenigen, welche in die erſte Steuerfiufe eingeihäpt find, follen auch bei 
—— Familie doch nicht für mehr als 2 Kinder das Schulgeld 
ezahlen. 


21. Neuß aͤ. L. 


1. Um das Aufſummen von Schulgeldreſten zu verhüten, ſollen 
die Schullehrer vor Ablauf jeden Quartales ein Verzeichniß der Schuld⸗ 
ner anfertigen und der zuſtaͤndigen Behörde zur gerichtlichen Einklage 
übergeben. 

#5 2. Die Berwendung fchulpflichtiger Kinder zur Arbeit in Fabriken 
und andern gewerblichen Anftalten ift Fürzlich durch ein Geſetz geregelt 
worden, dem mir folgende Paragraphen entnehmen. $. 1. Kinder, 
welche das neunte Lebensjahr noch nicht völlig zurücdgelegt haben, follen 
in Fabriken und andern gewerblichen Anftalten zum Zwede regelmäßiger 
Beichäftigung nicht aufgenommen werden. $. 2. Die Aufnahme folcher 
Kinder, die das neunte Lebensjahr bereits überfchritten haben, zu bes 
fagtem Zwede darf nur gefchehen auf dem Grunde eines Zeugniffes der 
hetreffenden Schulbehörde, daB das aufzunehmende Kind einen dreijähs 
rigen regelmäßigen SchulsUnterricht bereits genoffen und bie dem nem 
ten Lebensjahre entfprechenden Forfſchritte im Lernen bereits gemacht, 
namentlich fertig lefen gelernt habe. 8. 3. Jedem in Arbeit ſtehenden 
Kinde muß außer der zur Einnahme feines Frühſtücks, Mittagseffens 
und Vesperbrotes erforderlichen Zeit noch fo viel arbeitsfreie Zeit ges 
währt werden, daß es täglich einem mindeftens zweiftündigen Unterricht 
beimohnen kann, und darfihm eine längere als mit Einfhluß des Schuls 
unterrichts zwolfſtündige Beihäftigung nicht zugemuthet werden. Diefe 
Beihäftigung mit Einfluß des Schulunterrichts darf nicht vor früh 6 











der Bolksfchule und ihrer Lehrer. ‚739 


Uhr beginnen und nicht über Abends 8 Uhr ausgebehnt werben. Bon dem 
zwei Unterrichtsſtunden muß, mit Ausnahme der trüben Zeit von Mitte 
November bis Mitte Februar, wenigſtens eine bei hellem Tageslicht 
Statt finden. $. 4. Jeder Inhaber einer Fabrik oder andern ges 
werblihen Anſtalt bat die Unterrichtsfeften für die in derfelben ars 
beitenden Kinder zu beflreiten und entweder allein oder im Bufammens 
tritt mit anderen Zabrifinhabern für Lehrlocal, Heizung und ſonſtige 
unentbehrlige Schulbebürfniffe zu forgen, auch einen mit Genehmigung 
der Schulauffihtsbehörde anzuftellenden Lehrer zu beſolden; mehr als 
funfzig Kinder jedoch dürfen in einer folhen Fabrikſchule zugleich nicht 
unterrichtet werden. Unbenommen bleibt e8 den Fabrikinhabern, einen vers 
Hältnißmäßigen Beitrag zu den Koflen von den die Kinder bingenden 
Arbeitern durd Abzug vom Lohne zu erheben. — Die Schulauffichts⸗ 
behörde hat dieſe Fabrikſchulen ebenfo wie die Öffentlichen zu über 
wachen und nad Berlauf eines jeden Halbjahres einer Prüfung zu uns 
terziehen. 8. 5. — — Kinder, welde zu Oſtern zur Confirmation ges 
langen follen, find fpäteftens zu Anfang defielben Jahres aus der Arbeit 
zu entlafjen. 


22. Oldenburg. 


Unterm 7. April 1855 if für Oldenburg ein neues Schufgefeß erlaffen 

worden. Nach demſelben ift, abgefehen von einigen fogenannten Ans 
fangsftellen in ganz Heinen Schuladhten unter 50 Familien, die Normal 
einnahme eines Lehrers in den 10 erfien Dienfjahren 175 Thlr. außer 
Wohnung und Hausgarten; nah 10fähriger Dienftzeit fleigt die Ein» 
nahme um 25 Thlr., nad 20 Dienfljahren wieder um 25 Thlr., nad 
25jährigem Dienfte noch einmal um 25 Thlr., fo daß alfo jeder Lehrer 
(mit den angeführten nicht zahlreichen Ausnahmen) anfangs 175 Thlr. 
und nach 2djähriger Dienftzeit 250 Thlr. Einnahme hat; in den Mars 
ſchen und Städten kommt noch ein entfprechender Zufchlag hinzu. Dabei 
darf nicht unbemerkt bleiben, daß eine Anzahl von Lehrerfellen ſchon 
Bisher mit einer größeren Einnahme dotirt if, wobei es fein Bewen⸗ 
den behält; den Inhabern diefer wird aber jene Alterszulage nicht 
u Theil. 
? Als die hauptjächlichken Verbefferungen, welche das Geſetz gebracht 
hat, werden bezeichnet: die erhöhte Einnahme der Hülfs⸗ und Neben⸗ 
lehrer, die Ernennung von Affiftenziehrern, die Einrichtung des Dienfs 
gerihts, die Alterözulagen und die Penfionen, 

Nah Urt. 43 des Gefepes „iR es dem Oberfchulcollegium übers 
laffen, nad der Dertlichkeit und den in einer Schulacht beflehenden 
Berhältniffen einzelne Hauptiehrerftellen als Anfangsftellen zu bezeichnen, 
deren Inhaber neben freier Wohnung eine jährliche reine Dienfleinnahme 
von mindeflens 90 Thlrn. zu beziehen haben.’ Bon diefem Artikel if 
zum Bedauern der Lehrer vielfach Gebrauch gemacht worden. 

Veber das Verhältniß des Dienſteinkommens der Lehrer zu bem 
folher Beamten, die ungefähr in gleihem Range mit denjelben flehen, 

47* 


2) "Die äußern Angelegenheiten 


giebt Nr. 49 der Allgem. d. Lehrerztg. 1858) intereffanten Aufſchlaß. 
Darnach gehören die Lehrer noch immer zu den fehr mäßig beſoldeten 
Beamten des Landes. | 


238. Medlenburg. 


1. Der Budrang zum Schulamte if in Medtenburg tm Steigen. 
Bad einer Mittheilung in Nr. 41 des Mecklenb. Schulblattes (1856) 
erſchienen zur Affiftentenprüfung 1846: 283 Prüflinge; 1847: 28; 
1848: 20; 1849: 26; 1850: 24; 1858: 34; 1852: 875 1858: 
81; 1854: 67; 1855: 98; 21856: 91. Die Urfachen diefer Erſchei⸗ 
rung werden vom Berichterſtatter folgendermaßen aus den Landesver⸗ 
Hältniffen zu erflären gefucht. „Es if für wiele junge Leute in unferem 
Lande immer fihwieriger geworden, irgend welchen bürgerliden Beruf 
zu erwählen. Das Handwerk if auf dem Lande immer mehr in Ab⸗ 
nahme gefommen, an manden Orten ganz verſchwunden. Die Städte 
nehmen Niemand vom Lande auf, der nicht einen namhaften Vermögens 
fand nachzuweiſen hat, abgefehen davon, daß allerorten der Handwerker⸗ 
Rand in den Städten ein fümmerliches Dafein friftet und wenig Lodens 
des bietet. — Kommt nun bei manchen jungen Leuten dazu, daß fie 
Keine Luft zum Handwerkerſtande haben, die Wahl aller übrigen Berufss 
arten aber auch bedenklich it, fo darf es fo fehr nicht befremden, daß 
man für einen Beruf fich entfcheidet, der am leichteften und fchneliften 
u Brot md Ehren verhilft. — Bin ih nur er glücklich durch's 

eminar, fo bin ich geborgen und habe, wenn auch nur ein befcheides 
ned, Doch ficheres und ehrfiches Ausfommen. So rechnen Viele. Ein 
anderer Grund des flarken Zudranges zum Schuldienft mag diefer fein, 
daß in den lebten Jahren verhältnißmäßig viele junge Lehrer zur Ver⸗ 
Wendung gefommen find. Die Reorganifation vieler fädtifchen Schulen 
namentlih hat eine größere Zahl anftellungsfähiger Lehrer erheifcht, wie 
denn das Seminar in den Jahren 1852 — 1854 30 Zöglinge über Die 
ordnungsmäßige Zahl zufolge zweier einjähriger Curſe entlaffen Bat, 
ohne daß bis jept bei weiteren Entlaffungen ein Mangel an Stellen für 
anftellungsfähige Schulamtsbewerber eingetreten wäre. Wir müffen aber 
au bedenken geben, daß dies Teinenfalls fo fortgehen wird, wie es leicht 
möglih ift, daß die im nächſten Jahre zu entlaffenden Semtnarzöglinge 
nit alle mit zweiten oder andern Elementarſchulſtellen bedacht werden 
Finnen. Schon in diefem Sahre dürften nur äußerft wenig Lehrftellen 
übrig bleiben, die vor der Hand durch Affiftentenftellen verwaltet wers 
den müffen. — Einen dritten Grund des ftarfen Zudranges zum Schule 
dienfle möchten wir auch darin finden, daß neuerdings eine außerordents 
lich ſtarke Nachfrage nah jungen Hauslehrern iſt. Die tepten Jahre 
haben dem Landmanne die Tafchen gefüllt. Jeder irgend wohlſtehende 
Mann, deffen Kinder vielleiht nur einen beſchwerlichen Schulweg zu 
machen haben, nimmt einen Sauslehrer an. Jungen 16°, 17°, 18» 
jährigen Leuten werden 40, 50, 60 Thir. und mehr geboten. Was 
kann verführerifcher fein? Aus Mangel an Gandidaten der Theologie 





x 


der Bolloſchnle und ihrer Lehrer. 741 


greifen auch adelige Häufer nach jangen Sryestuudm, die zen aus Ber 


erfien Vorbereitung lommen.” . 
Die Borbereitung der jungen Leute: zu dem MefRRentenpräfungen, 
forte zur Aufnahme in das Seminar, ap, wach dem Berichterfintter, 


Manches zu wünſchen übrig. Die Memorirfloife (Eyrüdhe, Birder) find 


in ber Megel weder fider genug, noch in gehörigen Waße angeeigwet. 
1852 find im Merklenb. Schulbl. 28 Lieder verzeichnet worden, Die 
jeder Seminaraſpiraut ſich angerignet. haben ſoll. Dieſe Hahl genügt 
dem Berichterſtatter nicht; er erhoht fie auf 30. In der biblifchen Ge⸗ 
Site wird, im Vergleich zu ſrüher, Fertigkeit und Gewandtheit im 
Erzahlen vernift. Biel laͤßt Die ſchriftliche Darſtellung der Gedanken 
zu wunſchen üͤbrig. Auch die Nechenfertigleit IR mangelhaft. Deu 
31 Eraminanden diefts Jahres waren vier UAufgaben geſtell worden, 
Bon dieſen hatten 13 alle, 20 zwei, 23 eine, 38 Teine einzige Auf⸗ 
gabe richtig gelöfl. Ungeübtheit im Denken zeigt fih wiederholt bei der 
Bft ni Prüfungen. Endlich genügen auch die Leiſtnugen in der 


2. „Medlenburg gilt in vieler Beziehung nicht mit Unrecht für das 
dentſche Land, welches noch am tiefen im Mittelalter Felt. Freilich 
nehmen Nderben and Viehzzucht einen hohen Grad der Kultur ein, aber 
das if auch Alles. Gefepgebung und Berwaltung iſt gum großen Theile 
Don der Ritterſchafi abhängig, welche vom Grund und Boden. ungefähre 
die Hälfte des Landes beſitzt. Kür den darauf wohnenden Theil ber 
Beöllerung (ca. 150,000 Einw.) giebt es fein Seminar: Die Anſtalt 
zu Ludwigsfuf liefert nur Kehter für das Domini, und nur in felles 
nen Fällen wird ein dort gebildeter im NRitterfchaftlihen angeflellt, der 
aber, wenn nit befondere Umftände obwalten, eben dadurch auch feine 
Anfprüche auf. zine Ankedung im Kärfikichen aufglebt. Sasf die Städte 
Rofod und Wismar befommen nur ausnahmsweife einen im Lande ges 
bildeten - Seminariften und nehmen vielfach ihre Zuflucht gu Ausländern. 

a dieſe Sigenthümlichkeit? Die genannten Städte und die Ritters 
ſcha tragen nicht gur Unterhaltung des Geminard bei und dürfen daher 
auch nit an den Bortheilen, welche dieſe Anſtalt bietet, Theil nehmen. 
Dee Ritterſchaft haͤſt ein Seminar für überflüſſig, um nicht zu ſagen 
ſchädlich, wenigſtens ein foldes, wie das Ludwigsluſter, das fich great 
nicht zu den beſten Deuiſchlands zählt, aber immerhin wiel zu viel leiſtet. 
Rothdurftig rechnen, Iefen und fchreiben if für eimen Lehrer Im Ritters 
fchaftlichen Hinveichend, um, wenn andere erforderliche Ginenidhaften vers 
handen find, eine Anſtellung zu erhalten. Bu dieſen erforderlichen Eigen⸗ 
ſchaften gehört, daß man noch etwas Anderes verſtehe, als Schule hal⸗ 
ten, z. B. Ehneidern, Beben ıc. Noch zw Unfang dieſes Jahres wurde 
in der Mecklenburger Zeitung ein Lehrer geſucht, der zugbeich das Schnei⸗ 
bern beireiben kann, und vor einigen Fahren erhielt ein Schuhmachert 
aus Schwerin ein Küſteranrt. Zſt eine Gtefle warant, fo ſchaut man 
fh unter den Kindern des Landes um, und der Großknecht, Dirte ır., 
der gan einer andern Arbeit nicht recht mehr tauglich ift und ſich fonft 
qualifieit, wird hei einem’ erfahrenen Lehrer — was man denn fo er. 


742 Die äupern Angelegenheiten 


gemacht, und der Schulmeiſter if fertig. Rewerdings hört man indeß, 
daß die NRitterfgaft eine Lchresbildungsanfleli zu gründen beablichtigt. 
Möchte es nur bald geichehen, uud möchten die eingeleiteten Schritte 
nicht wieder rhdgängig gemacht werden! Daß unter felgen Umſtänden 
ſich ein Refuliat wie nachfolgendes herausfkellt, iR dann aud die natärs 
Hide Folge. Ben den im Herbie 1855 eingeſtellten 882 Rekruten (in 
Medienburgs Schwerin) Tonuten, nad einer vom Divifionscenmando 
vorgenommenen Grmittelung, Gebrudtes gut leſen S61, etwas 405, 
aur budfkabiren 108, gar nit 13. Geſchriebenes laſen gut 208, 
etwas 805, nur buchſtabirend 164, gar nicht 210. Schreiben konnten 
ent 118, etwas 412, nur Buchſtaben 189, gar nit 165. Mechnen 
Sonnten gut 112, etwas 385, gar nicht auch 385. Bu bemerlen if 
bierbei, daß in Medienburg zwar allgemeine VWehrpflicht eingeführt if, 
daß man aber einen Gtelivertreter für ſich ſtellen kann und daß davon 
unter den genannten 882 Rekruten gewiß mande vorhanden. Müßte 
Seder felbR dienen, fo würde das Reſultat wohl etwas modiſficirt wers 
ben; indeß erhellt auch unter den jehigen Umfänden aus Der vorges 
nommenen Prüfung, daß die Volleſchulen in Medienburg im Allgemeinen 
nicht den Aufprüchen der Gegenwart genügen. In Preußen und wehl 
in den weiten deutichen Staaten giebt es immer Einige unter ben 
NRekruten, die weder fchreiben noch rechnen oder. Iefen Löunen; meines 
Biffens if aber das Berhältniß der gefchulten zu ben ungefchulten nirs 
gende ein fo ungünftiges wie bier, wo kaum bie Hälfte gut lefen Tann.’ 
(Allgem. D. Lehrerzig. Rr. 10, Jahrg. 1856.) 


Mn. Schleswig, Solſtein, Lauenburg. 


1. Der Mangel an Lehrern wird immer größer im Lande. Biele 
Hulfslehrerſtellen müffen aus Mangel an Lehrern mit Präparanden befegt 
werden, aber auch an biefen if forkwährend fleigender Mangel. Nicht 
Mangel an Luſt und Liebe zum Lebrerkande, fondern ungenügende Ents 
ſchaͤdigung für Die geforderte faure Arbeit if bier, wie überall, ber 
Grund diefer Erſcheinung. 

2. Bon den circa 1100 Schulſtellen in Holſtein reiht weit mehr 
als die Hälfte mit ihrer gefammten Einnahme, inch Wohnung und 
Fenerung nit au 400 Thlr. R.⸗M. Nach amtlithen Berichten haben 
in Holflein, wenn man Wohnung, Garten und Feuerung nicht in Rech⸗ 
nung bringt, 27 Schulſtellen unter 1063 Thlr. R.⸗M. Einnahme, 83 
haben eine Einnahme von 1063 — 160, 258 haben eine Einnahme von 
160-— 2134, 265 haben eine Einnahme von 2134 — 266%, und 151 
Säuißellen haben eine Einnahme von 2664 — 320 Then. RM. Diefe 
794 Schulßellen bleiben alfo alle unter 400 Thirn. (1 Thlr. = 2} Nat 
bolfein. Gour.) — „Die jebigen Lehrer reichen mit ihrer Bildung unb 
ihren Leiftungen weit über ihre Einnahmen hinaus, einfach deshalb, 
weil fie feit 1814 im fletigem Fortſchritt verharrten, bie Dotirung der 





der Bollefhule und ihrer Lehre. - 743 


ir IRellen Fe ziemlich ſtabil blieb.“ (Schulzig. f. d. Herzogthümer, 
x. 14, . | 

3. In der Sitzung der Schleswigſchen Ständeverfammlung am 
20. Febr. wurde nach längerer Verhandlung befchloffen, daß ein ‚Lehrer 
an einer Oberklaſſe wenigſtens 500 Rthlr., ein Lehrer an einer Mittels 
Mafle oder Elementarklaſſe 400 Rthlr. und Hülfelehrer, die unter dem 
Kamen „unverheirathet“ angeflellt find, außer freier Wohnung 300 Rihir. 
erhalten follen, dazu 50 Rthlr. für Fenerung. Beträgt jedoch die Eins 
nahme eines Lehrers, der zugleih Küfer und Organiſt if, mehr als 
650 Aihlr., fo Tann derfelbe auf Erhöhung feiner Einnahme als Lehrer 
feinen Anſpruch machen. 

4. Unterm 8. Uprit 1856 if ein Gefeg über die Cinrichtung 
einer allgemeinen Wittwenkaſſe für das Herzogthum Holflein erfchienen. 
Nach demfelben erhält eine Wittwe eine ‚‚quartaliter pofinumerando zu 
zahlende Jahrespenſton von AO Thlm. R.⸗M.“ 


=. Bamburg. 


1. Die „Befellfchaft ber Freunde bes vaterländifhen 
Sähuls und Erziehbungswefene in Hamburg’ feierte am 
3. Novbr. 1855 ihr funfzigiähriges Beſtehen. Eine „Denkſchrift 
zur goldenen Jubelfeier” (Hamburg, Nolte u. Köhler) giebt 
Kunde von der Wirkſamkeit diefes Vereins und verbimt in weiteren 
Kreifen gelefen zu werden. Sie enthält: 1. Feſtrede, gehalten von 
J. A. Schlüter. 2. Beriht, abgeſtattet von P. O. S. Pepper. 
3. Hiftoriſche Abhandlung von Dr. F. G. Buek. A. Paͤdagogiſche Ab⸗ 
handlung von Dr. J. C. Aröger. 5. Feſt⸗Cantate, gedichtet von I. F. 
Nichard, componirt von J. H. Schäffer. 

Der Verein bezweckt: 1. Veredlung des Schullehrerſtandes durch 
gegenſeitige Fortbildung, und 2. Verbeſſerung der bürgerlichen Lage 
derſelben und Unterſtühung ihrer nachbleibenden Familien. Den erfien 
dieſer Zwecke ſuchte der Verein durch Verſammlungen, in denen haupt⸗ 
ſaͤchlich paͤdagogiſche Gegenſtaͤnde verhandelt werden, durch Errichtung 
einer Bibliothet, Journalzirkel und einer Unterrihtsanfalt zur Borbes 
zeitung junger Schulgebülfen zum Lehrerberufe zu erreichen, den zweiten 
durch Gründung einer Wittwen⸗, Penſions⸗, Borfhuß- und Kranken⸗ 
kaſſe. Für beide Zwede bat der Berein ununterbroden eine große und 
erfolgreiche Thaͤtigkeit entwidelt, fo daß er mit voller Befriedigung 
auf feine Wirkſamkeit zurüdbliden Tann. Daher wünfchen wir ihm 
fröhliches Gedeihen bis zur fernen Zulunfl! 

KAröger’s Abhandlung if ein „Rückblick auf die legten funfzig Jahre 
Der inneren Entwidelung des hamburgifhen Schulweſens.“ Nachdem 
in ſachkundiger, anzegender Weiſe über die Bergangenheit und das in 
ihr Gewordene Bericht erſtattet worden, fpricht er auch feine Wuͤnſche 
für die Zukunft aus. Seine Wunſche bleiben nicht auf den Verein bes 
fchräntt, er richtet vielmehr feinen Blick auf „Staat und Kirche‘ und 
fordert von ihnen Leitung des geſammten Schulweſens und Errichtung 


714% Die aͤnßern Angelögenbeiten . 


Lines ordentlichen -Beßrer » Seninäre. „Wie man feit Dim Befreiungds 
friege in fa allen deutfchen Staaten ein eigenes Miniſterlum für. Wie 
"geiftichen und Schulangklegenheiten in Anerkennung ihrer hohen Wich⸗ 
tigkeit eingefetzt, und erſt dadurch amd ſeit Diefer Beit Dem Schulweſen 
eine gevrdnete Geſtalt gegeben bat, fo iſt auch unſerem Staate eine 
-Hmfide Einrichtung zur anableugbaren Nothwendigkeit geworden. Wenn 
dieſelbe fon Früher unter uns Anerkennung gefunden, wenn man 
die VBorfihläge von 1836 fegehalten, wenn im Scholarchate eine 
eigene, aus wenigen Wliedern beſtehende Abtheilung, eigeuds für das 
Bolksfchulweſen, als dem umfangreichſten und bisher am wenigſten bes 
achteten, eingerichtet worden wäre, beftehend aus Sachverſtaͤndigen, d- 9. 
theoreliſch und prattifh im Efementar +» Unterricht erfahrenen Geifllichen, 
Schulmannern für die inneren, und anderen innere ans Math ober 
Burgerſchaft für die äußeren Werhäftniffe: wir wärden unendlich ziel 
weiter gefommen fein! denn es bleibt ein wahres Wort: Schulen, ogue 
geregelte Schulordnung, find ein gepußter Leichnam auf einem “Parade 
bette, und gute Schullehrer⸗Seminarien find das Herz, welches gefuns 
des Blut dur alle Adern des Schulweſens treibt — das beflätigt bie 
Erfahrung, und wenn man in neueren Beiten diefe anflagt, fo klagt 
“han fich ſelbſt, d. 5. die Einrichtung, an. Wine ſolche Behörbe Hätte 
mit Leichtigkeit die Baht der Schulen nach der Besölterung beſtiennen, 
in verſchiedene Stufen theifen, jeder Stufe beſtimmte ‚Behrpläne nor: 
‘ füpreiben formen, damit jede einen beſtimmten Charakter erhalte umd 
“nicht die eine Schule mit ihrem Unterricht in die andere hinüberſchweife, 
md dadurch Ihren Sälern ein Allerlei, aber nicht das Nothwendige 
"reiht und auf die rechte Weife gebe. Eine folge Behörbe mühte auch 
fürr eine zurcichende Vorbiſdung angehender Behrer jorgen, ihren Unter 
richt leiten, ihr Wiffen prüfen, ihre Sitten beobachten, um fie Sei eimer 
Varanz beffer würdigen nnd anf den rechten Platz befördern zu Tönnen; 
shr würde es leicht gewefen fein, aus dev Menge der Stchulen in jedem 
Kirchfpiel einige herauszuwählen und fe zu eimer größern zu vereinigen. 
Eine ſolche Behörde Tönnte leicht die fämmtlihen Schulkinder derfeiben 
in gehörige Klaſſen abtheilen und hätte dann, dieſe zu Stadtfchalen 
machend, auch bei guter Befofdung der Lehrer nicht ein Deficit der 
Kaffe Fi fürchten.“ | | 
Man muß fih wundern, daß fo verfländigen Nathfchlägen nicht 
Angft Gehör gegeben worden iR. 

2. Reben diefem Bereine wirkt fet 31 Zahren der „Schuis 
wiffenfhafttihe Bildungsverein’, über deffen wmfaflende und 
erfolgreiche Thätigfeit wir bereits im vorigen Bande des Jahresberichte 
Nachricht gegeben haben. Wie Kröger, fo fordert auch der gegemmärtige 
Praͤſes des VBereins, Theodor Hoffmann, in feiner zur Etiftungefeer 
gcehaltenen Rede Errichtung eines tüchtigen Lehrer ⸗Seminars durch den 
Start. Darauf bezeichnet er als Forderungen unſerer Zeit an bie 
Lehrer: „A., der Lehrer mache ſich ſelbſt Immer tüdstiger für feinen 
Beruf, und 2, die Schule bilde ihre Zögfinge immer mehr für Das 


der. Voltsſchule und ihrer Lehrer. 72%) 


Beben.“ Beine Auſprache if lindriuglich ud wird gewiß wicht erfolg 
bos geblieben fein. 

Mit ner „„Rede”. if zugleich ein „Jahreobericht“, won 3. 6. 
EWiencke abgefaßt, audogegeben worden. Nach dewmſelben bat der. Verein 
iu 7 eneralverfammhrmgen die äußern Angelegenheiten verhandelt, auher⸗ 
dem aber, um den Saupigwed, die eeifige Vervollkommnung feiner Mil⸗ 
glieder nach Kräften gu erreichen, 28. „, Arbeitsverſammluugen“ gehal⸗ 
ten. Das iſt refpectabel! Wo —* ein Verein, der ſich wit dieſen 
meſſen kann? 

3. Die „Bürgerkindergärten“, für die Th. Hoffmann eben⸗ 
fans ſehr thätig iſt, gedeihen in Hamburg vorhrefflich und erfreuen fi 
der. vollen Anerkennung des betheiligten Publifumns. Am 4. Novbr. 
1856 wurde bereits der ſiebente eingerichtet, In der Umterrichts⸗ 
anfast Tür Behrerinnen empfangen gegenwärtig auch die jungen Mäh—⸗ 
‚den, welche fih zu Kinbergärtnerinnen ausbilden wollen, die erſoeder 
liche vadagesiſche Unierweifung. 


2%. Bremen. 


1. In.Bremen beabſichtigt man eine Reorganifation des gefamme- 
an Schalpeſens, namentlich des Bolksſchalweſens. Um vor allen Dingen 
ricchtige Lehrer zu erhalten, mil man ein Seminar errichten. 
2.. Zur Berbefferung der Schalſtellen And in Jahre 1856 nam 
fr Summen. bewilligt worden. Die Vorſteher und Lehrer der Ares 
fhulen erhielten zufammen 2800 Thlx. Zur Berbefferung das Laute 
ſchulweſens find auf Die Jahre 1857 bis 1861 je A235 Thir. bewilligt 
amd der: betreffenden Deputation . zur Erwaͤgung gegeben worden, ab 
nicht DaB Schulgeld erhöht und die Zahl der Schüler in dem einzelnen 
- Hoffen vermindert werben könne. In Betreff der Hauptſchalen if be 
fehloffen worden, den Unterichied von Lehrern 1. und 2. lafle asia 
haben und das Steigen des Gehalts der Vorſteher non 1500 auf 1708 
‚Chr. um 100 Thir. von 5 zu 5 Jahren, das der ordentlichen ‚van 
800 auf 1400 xl. mu 120 Eu. in demfelker Beitmums vintechen 
gu laſſen. 


’ . 


2. eisen. 


: AM. pw einem Burgen Berichte im 8. Hefte der „ Büdäg. —* 
arõge“, hevamögep: von haunoverſchen Lehrern (8856), ſieht es mit Dam 

Aũbecꝰ ſchen Lundſchulweſen noch giemlich tranvig aus. Es iß eine nee 
Sihnlordnuug verheißen worden, aber und Amar sicht erſchienen. Mie 
Beſoldungen ſind ungureichend. 

2. Rübed ces feit 50 Basen, nnilic fit 1806, ein Brhram 
Seminar. Es wurde Bund Die Beſellſchaft gur Befözberung gemein, 
möühiger Thhkigleit” auf Anmegung des Paſtoro Peterſen gegriendet 
uud durch Wohlthaͤter unisrküpt ‚Der Berflend Mas Lehrerperſonal 
Oelſelben benehe gegeuwärtig aus drei Maiſtlichen, zuei Oymnaflelleume 





TA6 Die äußern Angelegenheiten 


and einem praftifchen Bollsſchullehrer, nebſt den Hülfslchrern für Duff. 
Im Ganzen find während des 5Ojährigen Zeitraums 11 Lehrturſe ab⸗ 
gehalten und darin an 9O junge Leute gu Schulichrern gebildet worden. 

3. Neben einer Lehrerwittwenkaſſe beſteht in Lübeck auch eine 
„Eehreraltenkaſſe““, um deren Gründung fih namentlich der. Brediger 
Dr. P. 9. Müngenberger verdient gemacht bat. Bei der Feier ſei⸗ 
nes 2djährigen Amts» Jubiläums haben die Lehrer ibm dafür ihren Danf 
in angemefiener Weile ausgedrückt. 


Ü. Die deutfchen Lehrervereine. 


Mangel an Raum verbietet uns dies Mal, auf bie Thaͤtigkeit ber 
zahlreichen, in allen deutfihen Ländern befleßenden Lehrervereine fpecieller 
einzugehen. Nah den vielen Berichten zu urtheilen, die uns hierüber 
vorliegen, herrſcht überall große Thätigkeit in denfelben, bie regſte jedoch 
in den freien, von Lehrern felb gegründeten und geleiteten. Nicht nur 
die paͤdagogiſchen Tagesfragen werben in denfelben mit Umfiht und auf 
das Mannigfaltigfte behandelt, ſondern auch wiffenfchaftlihe Begenflände 
Somwen zur Erörterung. Dadurch beweifen die Lehrer am beften, daß 
es ihnen ernftlih um ihre padagogiſche und wiſſenſchaftliche Sortbildung 
a thun if, und daß fie die Aufmerkfamkeit, welche man der 

er Außern Lage allerwärts widmet, eben fo fehr verdienen, ale fle 
derſelben benöthigt find. Mogen fie unbeirrt fortfahren, nad biefer 
Doppelten Beziehung hin eifrig an ſich zu arbeiten! 

Die vielfach, ganz gewiß aber mit Unrecht verbädtigte ,„Aliger 
meine deutſche Lehrerverſammlung“ erfreut fidh immer größerer 
Theilnahme und regt in weiten Kreifen wohlthätig an. Am 18., 14. 
u. 15. Met 1856 wurde zu Gotha De achte Sitzung berfelben ge- 
halten. Die Zahl der Anweſenden belief fi auf 230. „Bas wir feit 
mehreren Jahren vermißten,‘ beißt es in Rr. 150 des Hamburger 
Schulblattes, fand in diefem Jahre Statt: eine Beiheifigung aus dem 
Ehden unferes Baterlandes, aus DeRerreih und Württemberg, ja feibkt 
aus dem Nachbarlande Siebenbürgen; nit minder waren Braunſchweig, 
die fähfifchen Staaten Coburg » Gotha, Weimar, Meiningen, die ſchwarz⸗ 
burgiſchen Fürfentbümer, ferner Waldeck, Kübel und Hamburg vers 
treten. Auch darin zeigte fi der allgemeine Charakter, daß Lehrer von 
den verfäjiebenartigken Schulen, unter andern bie am Gymmaſium und 
an der Realſchule in Gotha, daß hochgeſtellte Geiſtliche und Mitglieder 
der weltlichen Behörden von Anfang bis zu Ende den Berfammlungen 
beimohnten und mehr als ein Mal ſelbſt das Wort nahmen.“ 
wurden die Berhandiungen durch einen Vortrag des Director Dr. Schulze 
zu Gotha über das Thema: Was du bi, fei ganz, oder: der Lehrer 
lebe ganz feinem Berufe. Die Berfammlung erkannte folgende Gäße 
einſtimmig an: „Daß der Lehrer, der ganz feinem Berufe Iebt, 1. immer 
der Heiligkeit und Würde feines Lehrerberufes eingedenk bleiben, 2. fein 
Ant ſtets mit Liebe, Gifer und gewiffenhafler Treue führen, 3. aus 






der Volksſchule und ihrer Lehrer. 747 


lem, was die Wiſſenſchaft und das Leben ihm bieten, für feine Schule 
Gewinn ziehen, A. und in biefen drei Beziehungen namentlich auch durch 
rege Betheiligung an den Lehrerverfammlungen fih und fein Werk fürs 
dern fol. Die folgenden Gegenflände der Berhandiungen waren: 
Die Shuldiseiplin (Referenten: Tiedemann aus Hamburg und 
Dr. A. Meier aus Lübel). Wie iR der Unanfmerktfamkeit der 
Schäler zu Reuern? (Ref. Großgebauer aus Gotha). Wie foll 
bie mündlide und ſchriftliche Sprachfertigkeit — abgefehen 
von dem dafür unzureichenden grammatitalifchen. Unterrihte — in den 
Schülern ernſtlich befördert werden? (Ref. Schulrath Lauckhard 
in Weimar). Erziehung zur Arbeit Durch Familie und Schule 
(Ref. Th. Hoffmann aus Hamburg). Da diefer Gegenſtand zu den 
vielen noch nicht ganz Maren Tagesfragen gehört, fo nehmen wir no 
die Refolution bier auf, Die der Redner zum Schluß fielte. „1. Die 
Erziehung zur Arbeit beſteht nit darin, daß die Erwachſenen die 
Arbeitskraft der Kinder zum Nachtheil der Förperlicden und geifligen 
Entwidelung derſelben ausbenten und daß fie die Kinder durch vorzeitige 
Berufsarbeiten zum Geldverdienen anhalten, ſondern vielmehr darin, daß 
die Kinder nicht nur durch Stärkung ihrer Rörperkräfte, fondern auch 
insbefondere durch Weckung ihrer Intelligenz für ihre ganze Lebenszeit 
zur Urbeit willig und tüchtig gemacht werden. 2. Es iR die Aufgabe 
des Hauſes und der Schule, die Arbeitskraft der Kinder zu üben, diefe 
zum Schaffen bes Rützlichen anzuleiten und anzubalten und bei der 
Erziehung und dem Unterrichte derfelben Aberbaupt mehr, ale es bisher 
geichehen if, auf das Leben Rüdficht zu nehmen. 3. Dur die Er- 
ziehung zur Arbeit wird der Zweck, die Menfchen für's Leben zu bilden, 
nur dann erfüllt, wenn diefelbe gleichzeitig eine Erziehung zur Wirth⸗ 
haft ik. 4. Der Lehrer, welter die Hauptlehren der Bollswirth- 
fgaftslehre. nicht kennt, Tann die Erziehung zur Arbeit-nicht mit wahrem 
Erfolge für’s Leben befchaffen.” Dieſer intereffante Gegenſtand war in 
derſelben Berfammiung noch. mehrfach Gegenftand der Berbandlung. 
Laudhard. 3. D. fprach über das Thema: „Wie if es anzufangen, 
daß die Kinder durch Hinübernahme der Elemente der 
Haus⸗ und Landwirtbfgaft und der Gewerbskunde eine 
mehr natürliche und fihere Bafis für's Leben gewinnen? 
(Bol. Hamb. Schulbl. Nr. 155.) Was kann die Ratur dem Lehrer 
werden? (Ref. Tiedemann aus Hamburg. Vergl. oben ©. 295.) 
Die Methode des Unterrichts in der Naturkunde. (Ref. Körting aus 
Kemnade. Bergl. ©. 805.) 

Die neunte Berfammiung wırde am 3., 4. n. 5. Suni 1857 
in Srankfurt a. M. abgehalten. Sie zählte 428 Theilnehmer, die auf 
der Emporbühne befindlichen zahlreichen Lehrerinnen ungerechnet. Bon 
den Frankfurter Lehrern fehlte keiner. Der erfie Gegenkand betraf wieder 
Die Erziehung der Kinder dur Arbeit zur Arbeit (Re. 
Dr. Deinhardt). Hierauf wurde über Mädchenerziehung, angeregt 
durch Director Meier aus Lübel, verhandelt; am erfien Zage nicht 
mit befonderem Grfolg, während man am zweiten folgende Thefen des 


748 Die üngen Angelegenheiten der Bollsſchule :c. 


Dr. Stern ans Freankfurt mit Beifall annahm: „I. Der Bebeusheruf, für ben 
das Mädchen gebildet werben fell, iß für alle Lebensverhaäͤltniſſe derſelbe: 
Gattin, Mutter und Hausfrau gu fen 2. Die Srau hat fih nur fo 
:weit an einer Wirliamfeit für das Leben zu betheiligen, als es Rh wit 
ber vollfändigen Erfüllung. ihres Pflichten gegen das häusliche Leben 
-pesträgt. 3. Dauernde Gelbfftändigfeit im Leben über dieſe Sphäre 
hinaus if eine Berfehlung des Berufs, und die Eryiehung fell nit 
im Beraus auf diefelbe gerichtet werden. 4. Die Dienſtbarkeit des 
Mädchens iR nur nis Borbildung für ihren Beruf, ohne Unterſchied des 
Dienfiverhältniffes, ob im Eltern⸗ oder fremden Haufe, anzuſehen. 
5. Die Borbereitung des Mädchens für ihren Lünftigen Beruf bat nicht 
fo ſehr die Erlangung von Kenntniffen und Zertigbeiten, wie son Fähig⸗ 
Seiten und Zugenden zum Zwed; fte in benfelben zu üben und ver 
Allem die Bitdung des Herzens und edler Weiblichkeit zu erzielen, muß 
Sauptaufgabe fein. 6. Die Standesunterfhiede bedingen nicht die Bew 
fchiedenheit für die Tendenzen und Bwede biefer Vorbereitung, foudern. 
nur für das Maß ihrer Durchführung. 7. Die Schule fell für alle 
Stände die Geſchmackebildung als Hauptmitiel zur Verediung des Go 
milienlebens fördern. Hieran ſchloß ſich ein ſehr beichzendex und mit 
‚großes Theilnahme aufgenemmener Vorttag des Direttors Fathlich and 
Bern. Er ſchilderte zuerſt das verderbliche Wirken der meiſten Ber ſi o⸗ 
nate und „Gouvbernanten⸗xFabriken“ der Franzöfiihen 
Schweiz und gab dann eine Beihreibung feiner Töchter⸗ und 
Zortbildungsfhule, bei welcher die geiflige umd körperliche Aus⸗ 
bildung zugleih, fowie auch eine Bereinigung von Schule und Haus 
angetrebt würden, — Außerdem kamen noch zum Wortrag und gar 
Serhandlung: Die Kleinlindergärten in Hamburg (Beh Th. 
Hefimagn aus Hamburg); Das Maß der Aufgaben, welche bie 
Säule vom häuslichen Fleiß erwartet (Mef. Behrer Oppel 
aus Fraukfurty; der Zeihenunterriht neh der Dupuit 
ſchen Methode (Mef. Dr. Laudherd ans. Weimar); der mufise 
Ratifhe Unterricht nach Dr. Lanz (Ref. Lehrer Stangenbrrger 
aus Tultewitz im Meiningiiden). - 

Die Berbandlusgen. der Berfammiung follen nach deu Aenogrankis 
fen Aufzeichnangen zum Beſten des Peſtalozzivereins gedrucdt werben. 


XIV. 
Nachträgliche Anzeige verfchiedener Schriften. 


Don “ 
Auguſt Lüben. 


1. Bildewerkſtatt. Als Arbeitsübung für die Jugend in Schule und 
Haus, herausgegeben von Dr. J. D. Georgens. Mit Illuſtrationen 
und vielen —*86 und Kunſtbeilagen. Gr. Fol. (118 ©.) Glogau, 
€. Flemming. 1857. Geh. 2 Ihir. 

2. Aus» und Jufdhneide- Schule Als Arbeitübung für die Jugend in 
Säule und Haus herausgegeben von Dr. J. D. Georgend. Gr. go. 
4 älter Zerst und 17 Blätter Abbildungen) Ebendaſ. 1856. Geh. 

gr. 

Der Herausgeber iſt ein Schuͤler Fr. Froͤbel's. Er hat ſich's zum 
Aufgabe gemacht, deſſen Ideen über Erziehung in ganzem Umfange zu 
realifiren, namentlich geeignete Bildungsmittel für die Jugend zu be 
ſchaffen, welche den Froͤbel'ſchen Kindergarten durchgemacht hat. Wie 
Frobel, fo Wegnügt fi auch Georgens nicht damit, bei allem Unterricht 


von der Anfchauung auszugehen, fondern er verlangt, daß die Kinder. 


bei der Borführung der Anfchauungen felbſt thätig find, körperlich und 
geiſtig, alfo die Gegenftände nicht bloß denkend betrachten, fondern daß 
fie denkend damit arbeiten, ſchaffend thätig find. Das ift Acht Peſtaloz⸗ 
ziſch oder richtiger: die volle Berwirkiihung des Pefalozzifchen Principe 
Des Anſchauung, die Peſtalozzi mehr ahnte, ald verwirklichte. 

Dieſe Confequenz des Peſtalozziſchen Prinzips der Anichauung 
Sonnen unfere jeßigen Schulen nicht, weshalb fie fich's denn aud müſſen 
gefallen Iaffen, von Georgens „Hoͤr ſchulen,“ ihre Lehrer „WB ortich- 
rende‘ genannt zu werden. Die äußere Einrichtung unferer Schulen 
it indeß der Art, Daß es zu einer bildenden Arbeit der Kinder 


gar nicht darin bat kommen können. Wo in enger, dumpfer Schulfube. 


100 und mehr Kinder gedrängt beifammen fiben, vom blauen Himmeil 
kanm einen Quadratfuß, von Garten und Blur gar nichts zu fehen be⸗ 


— —— . ur. 


750 Nachträgliche Anzeige verfchtedener Schriften. 


kommen, da kann man weder „Stäbchen legen” noch „RPapparbeiten“ 
ausführen, weder Formen „ausſtechen“ noch „durchnähen,“ weder „Falten“ 
noch „Ausſchneiden,“ weder „Flechten“ noch „Weben,“ weder „Wetter⸗ 
beobachtungen“ anſtellen noch die „Entwickelung von Pflanzen“ beob⸗ 
achten, wie Georgens verlangt. 

Wir erkennen dieſe Mittel alle als trefflich an zur naturgemäßen, 
allſeitigen Erziehung der Jugend; aber ihre Anwendung im Großen 
ſcheitert an äußern, jetzt durchaus noch nicht zu beſeitigenden Hinder⸗ 
niſſen. Nur kleine, günftig fituirte Privatanſtalten werden im Stande 
ſein, Uebungen der bezeichneten Art auszuführen. Ihnen und dem Eltern⸗ 
hauſe ſeien daher für jegt vorzugsweiſe die Georgens'ſchen Bildungsmittel 
empfohlen. Damit wollen wir natürlich nicht ſagen, daß die Lehrer 
der Bolksfchulen jeßt nicht nöthig hätten, Notiz davon zu nehmen. 
D nein! Wir fordern diefelben vielmehr auf, fih gründlich damit bes 
Tannt zu machen. Abgeſehen davon, daß ihnen dadurch das Prinzip 
der Anſchauung erfi volllommen klar werden wird, bezweifeln wir aud 
nit, daß fh Mancher in der Lage befindet, ein oder das andere biefer 
Bildungsmittel entweder ganz oder doch nad den Umfländen mobifleirt 
wird anwenden oder in feinem Kreife zur Anwendung empfehlen Tönnen. 
Rah unferm Dafürbalten ift es eine Gewiſſens⸗ und CEhrenſache, wit 
den FröbelsBeorgens’fhen Beftrebungen völlig vertraut zu fein. 

Um den Lefer etwas genauer mit dem genannten Werke (Rr. 1) 
befannt zu machen, geben wir nachſtehend den Inhalt deffelben an, hin⸗ 
zufügend, daß alle Uebungen durch treffliche Abbildungen veranſchaulicht find. 

Borhafle. I. Das Haus eine Bildewerfkatt für Kinder. 
A. GStufenweife fortfchreitende Arbeitsübungen, wie fie ber Kreis des 
häuslichen und Schullebens ermöglicht. - 1. Legeübungen mit einem 
Stäbchen. 2. Lage und Richtung der Dinge im Raume; Tageszeiten; 
Weltgegenden; Sprehübungen; Poeſie. 3. Die erſten Borübungen zur 
Papparbeit; Sprehübungen und Spielfieder; Einführung in die Stoffs 
welt: Papier, Gummi, Stärkemehl. A. Erſte Uebungen im Zeidmen 
nad Formen mit Stäbchen, eigene Erfindungen, bis zur Darſtellung 
von zufammengefeßten fhönen Figuren. 5. Erſte Zahlübungen an Stäb⸗ 
hen bis zu Biffern. 6. Erfie Mebungen im Schreiben, Lefen an und 
mit Stäbchen. 7. Das Zeichnen auf Sartenpapier, Durchſtechen zur 
Darftellung von Biguren und Gegenfländen, mit Liedchen sc. 8. Das 
Durhnähen, erfler Gebrauch der Nudel, beftebend im Ausnähen vorges 
legter (im Buche abgebildeter) Gegenſtaͤnde: Thiere, Bögel, Menfchen, 
Bäume ꝛc., mit Sprech⸗ und Sprahäbungen, Erzählungen. 9. Das 
Falten und Ausfchneiden — Gebrauch der Scheexe; Bildung der Grundform; 
die Anfänge ber praftifchen Geometrie; WUusfchneiden von Biättern. 
B. Das Yusichneiden. aus Feld und Wald für Klein und Groß. Bon 
Karl Froͤhlich. C. Das Flechten und Beben, eine Beichäftigung für 
Kinder und Erwachſene. Daran fließen fih: Stoffe zur wiſſenſchaft⸗ 
lien Belebung diefer Arbeitsübungen; von der Spinne, der Urmutter 
des Flechtens und Webens; aus dem Buche der Grinnerung in der 
Flecht⸗ und Weberei. 1. Die Werkſtatt der Natur. 1.. Das 











- 


Nachträgliche Anzeige verfihledener Schriften. 751 


Gartenleben der Kinder. Der Zinmergarten: das Blumentagebuch, ent⸗ 
haltend die Lebensgefhicdhte der bunten Zeuerbohne, der Sonnenblume 
und des Senffornd. 2. Die Bergliederung des Auges (von Pöfche) 
für Kinder von 12 — 14 Jahren. II. Die erziehende Verwen⸗ 
dung der Kunf in Haus und Säule 1. Das pädagogiſche 
Bildererfiären. Die vier Elemente. 2. Ueber Stimmbildung, von Jos 
hanna Kintel. IV. Culturhalle. 1. Das Binfenmart. 2. Deutfche 
Kränze. 3. Wo des Armen Reichthümer Tiegen ? 

. Die Darfiellung iſt durchweg Mar. An einzelnen Stellen greift 
der Berf. zu hoc, oder Fällt vollkändig in den Fehler der „Wor tleh⸗ 
renden“ (vergl. 3. B. die Darftellung des Papiers, die Belehrung über 
Gummi und Stärkemehl) ; aber Dergleihen wird der erfahrene Erzieher 
und Lehrer leicht erkennen und ausfcheiden. 

Die „Auss und Zuſchneideſchule“ (Rr. 2) ift eine weitere, voll 
fländige Ausführung der oben angeführten 9. Uebung (unter I. A.) der 
„VBildewerkſtatt.“ Sie enthält in treffliher Ausfattung Folgendes: 
1. Zur Geſchichte. 2. Das geiehliche Ausfchneiden mit Anwendung der 
wagerechten und fchiefen Linien und ihren Berbindungen. Die zehn 
erfien Schnitte mit zehn lithographirten Tafeln in Sarbendrud. 3. Prak⸗ 
tifche Anwendung der zehn erfien Schnitte in freien Erfindungen zu 
Zunftgemäßen Formen für Fußböden, Bimmerdeden, Zifchplatten und 
Schrankverzierungen. Mit zwei Tafeln in Barbendrud. A. Die erfien 
Anfänge einer praktiſchen Zufchneidelehre als Vorfchule zur Papparbeit. 
Mit zwei Tafeln in Sarbendrud und anfprechenden Erzählungen. a. Das 
Zuſchneiden und Kleben von offenen Käſtchen. b. Das Zufchneiden und 
Bappen von Bimmergeräthen. 5. Freie Ausſchneideſtudien in Pflanzen- 
und Zhierformen. Bon K. Froͤhlich. Mit zwei Kunftbeilagen und 
kindlichen Gedichten. 6. Die Pelzmüge mit Gelegenheit. Mit zwei 
Kunftbeilagen. 

Eine ausführlihe Befprechung der „Mittel der Arbeitsübungen“ 
gibt Diefterweg im erften Hefte der Rh. Blätter für 1857. 

3. Reue Unterrihtsmethode in Kormenlchre, Zeichnen, Rede 
nen, Spreden, Denken und Gefang, gegründet auf gleichzeitige 
anziehende velhäftigung der Kinder von 6 bis 8 Jahren. Kür denkende 
Elementarlehrer, Eltern und Erzieher bearbeitet von Eduard Würth, 
Reallehrer. Erſtes Heft, mit vielen Holzfchnitten und einer Bildertafel, 
Gr. 8. (38 S.) Stuttgart, R. Chelius. 1856. Ya Thlr. 

Der Verfafler fieht ganz auf dem Äröbels Georgens’fhen Stand» 
punkte; feine Uebungen und Unterrichtsftoffe find meiſtens ganz diefelben, 
man flößt auf wörtliche Webereinfimmung. Wir können uns baher auf 
eine Inhaltsangabe beſchränken. . 

1. Freies Nahbilden von Formen mit einem Stäbchen. Sprech 
und Sprahübungen; Mährchen, Näthfel. 2. Die Richtung der Dinge. 
Sprahübungen, Räthfel, Lieder. 3. Zeichenübungen. A. Die Bahl 
Eins. 5. Durchſtechen und Durdnähen. Stoff zu Sprahübungen. 

Zur erſten Orientirung auf diefem neuen Gebiete empfehlenswert. 


762: Nadsträgäche Anzeige verſchiedener Schriften, 


& Des Kindes Lefeiuf. Cine Bilderſibü für Eewmentarſchulen von 
5. 3 Hoos. Gr. 16. (120 ©.) Freiburg i. Be, Herder. 1856. 
Um den Kindern das Leien angenehm zu machen, gebt der Verf., 

nad dem Borgange von Bogel, Thomas u, U., von Abbildungen ber 

kaunter Gegenfkände aus, Inüpft an diefe Spreübungen an, fchreibt 
ihre Namen an die Tafel und leitet fo das Leſen eig. Schreiben und 

Leſen treten gleichzeitig auf. Die eingebrudien Büder find gut. Der 

Inhalt beſteht zum Theil aus bloßen Silben und Wörtern, dem größeren 

heile nah aus kurzen Erzählungen und Gedichten. Die angehängten 

Gebete Sönnten theilweife einfacher und Lindlider fein. Der Berf. ik 

Katholik, fein Büchlein daher auch nur fatholifhen Schulen zu empfehlen. 

5. Bibel, Herausgegeben von einem Lehrers Vereine. 31. Aufl 8. 

en Langenſalza, Schulbuchhandlung d. Th. 8. V. 18&6. Geb. 


In veralteter Form. Die erflen 28 Seiten enthalten faſt nur 
Silben und Wörter. Die Hauptwörter werden anfangs wit kleinen 
Anfangsbuchſtaben gedrudt. 

6, Der Menfh und die Natur, oder Ainnlicher, ſittlicher und geifkiger 
Anfhauungsunterricht für Die unteren Klaſſen der deutſchen Volls⸗ und 
Bürgerfhulen. Mit zablreigen Holzſchnitten. 8. (IV u. 144 ©.) Reus 
fladt a. d. H., A. H. Gottſchicks Buchh. (E. Bitter.) 18586, 

Dies Buch iſt für Kinder beſtimmt, welche die erſten Leſeſchwierig⸗ 
keiten überwunden haben. Es zerfällt in fünf Abtheilungen mit folgen⸗ 
den Ueberſchriften: 1. Saͤtze zur Uebung im Leſen, zur Nachbildung 
durch den Schüler und zur gründlichen Betreibung des deutſchen Sprach⸗ 
unterrichts (S. 1— 20). 2. Sinnlicher Anſchauungsunterricht zur Er⸗ 
wedung der Aufmerkfamteit in Verbindung mit Aufgaben zur Selbſtbe⸗ 
Ihäftigung (S. 21 — 38). 3. Sittlider Anfhauungsunterricht zur 
Weckung und Belebung des fittlihen Gefühls, zum Nacherzählen und 
zur fohriftfichen Nachbildung durch den Schüler (S. 39—66). 4. Kleine 
Weltkunde. Gefchichtliches. Geographie. Naturgefchichte. Phyſik. Aſtro⸗ 
nomie. Mathematik, nebft Mechanif. (S. 67—123.) 5. Der Rechen- 
fhüler (S. 124—141). Anhang. Erfter Unterricht in den Roten und 
in Gefange 

Der Inhalt if dem größeren Theile nad gut, im welttunblichen 
Abſchnitte jedoch nicht überall den untern Stlaffen, für die das Buch 
beftimmt ift, angemeſſen. Die naturhiftorifhen Abbildungen bleiben 
hinter den mäßigften Forderungen zurüd. Der Haſe hat die Größe des 
gegenüberfiehenden Elephanten und Nashorns. 


7. Abt Bandtafeln von M. Sehme, 2. Aufl. Bunzlau, Appun. 1835. 
Bergilbt und veraltet. 


8, Sans Unterridt im Shöns und Sähnellfhreiben von 
oſeph Pokorny, Lehrer der Ealigrappie In Brünn. @urrent. 9. und 

2. Heft & 6 Blatt. Brünn, C. Winiker. Geh. à 4 Gar. 
Dies Wert flieht fih an des Berfaffere „Elementar⸗Schreib⸗ 
unterricht" an und bezwedt das ,‚freiere Schreiben.‘ Die erfien Eles 








Nachträgliche Anzeige verfihiedener Schriften. 753 


mente werden noch einmal curforifch vorgeführt, doch ohne den Gebrauch 
von Hälfslinien; an fie fchließt fi eine geläufige, Durch ihre Formen 
fehr anfprechende Geſchäftshand an. Der Stich if überaus fauber, das 
Merk daher recht empfehlenswertb. Es follen erfcheinen: 5 Hefte Eur 
rent, 5 Hefte Englifh, 2 Hefte Fractur und Sierfchriften. 

9, Borlagen zu Prüfungs⸗Schriften für die Unter-, Reals, Haupt« 
und Volksſchulen, welche von den vom h. k. k. Unterrichts Minifterium 
empfohlenen, billigen, mit fyitematifchen Borfchriften verfehenen Schreibens 
büchern Gebrauch machten, von Joſeph Polorny. 17 Blatt. Brünn, 
C. ®iniler. Geh. 12 Ser. 

Die auf dem Titel genannten Schreibebücher kennen wir nicht. 

Die hier dargebotenen Blätter haben eine fehr gefällige, fauber in 

Kupfer geſtochene Schrift, die fih allgemeinen Beifall erwerben wird. 


10. Die Bergeltung. Eine Geſchichte, der deutihen Jugend und dem 

deutſchen Volke erzählt von W. O. von Horn, Verfäjier der Spinnftube: 
Mit 4 Abbildungen. Kl. 8. (71 ©.) Wiesbaden, Kreidel und Niedner. 
7!/a Ser. 

181. Eine Korfarenzagd im inbifien anfelmeere, Eine Geſchichte, 
dem Bolfe und der Jugend erzählt von W. D. von Horn. Mit 4 Ab» 
bildungen. Kl. 8. (80 ©.) Ebendaſ. T7’/s Ser. 

42. Die Biberfänger Eine amerilaniſche Gefchichte, dem Volle und der 
Jugend erzählt von WB. D. von Horn. Mit 4 Abbildungen. RI. 8. 
(107 ©.) Ebendaſ. T7!/a Sgr. | 

13, Das Leben der Kurfürfin Dorothea von Brandenbur 
(genannt die liebe Dorel) und der frommen Zandgräfin Glifaberh 

von Thüringen. Zwei Lebensbilder, für die Jugend und das Volk 

dargeftellt von W. D. von Horn. Mit 4 Abbildungen. Ki. 8. (90 &.) 

Ebendaf. 7'/a Ser. 

Die Bemsjäger ine Gefchichte aus den Alpen in der Schweiz, der 

Jugend und dem Bolfe erzählt von W. D. von Horn. Mit 4 Abbile 

dungen. Ebendaf. 7% Sgr. 


Diefer Jahrgang der Horn’fchen Jugend» und Bollsfchriften gehört 
unftreitig zu den beften der bisher erfchienenen und fann Jugend » und 
Volksbibliotheken beftens empfohlen werden. Die Abbildungen find 
faubere, fhön componirte Stahlftiche. 

15. Rudolph oder der treue Hund, ine Erzählung für die reifere 


Jugend von Guſtav Riedel. Mit 4 Gtahlitihen. Kl. 8. (130 ©.) 
Breslau, Trewendt und Granier. 1856. Cart. T!/s Sgr. 


16. Der Beteran. Wine Geſchichte aus dem Jahre 1848. Der Jugend ers 
zählt von Richard Baron. Mit 4 Stahlſtichen. Kl. 8. (122 ©.) 
Ebendaf. Cart. 7a Sgr. 

17. Die Ueberſchwemmung. Cine Erinnerung an das Jahr 1854. Er» 
zählung für die Jugend und ihre Kreunde von Richard Baron. Mit 
4 —BD Kl. 8. (125 ©.) Ebendaſ. Cart. 7! Sgr. 

Dieſe drei Schriften verdienen das Lob der vorigen. Die beiden 
letzten zeichnen mit lebhaften Farben Bilder nach der Natur, die wir 
zum Theil ſelbſt geſehen haben. Sie lehren, auf den vertrauen, der in 
der Noth allein helfen kann. 

Nade, Jahresbericht. X. 48 


14 


+ 


754 Nachtraͤgliche Anzeige verſchiedener Schriften, 


18. „Unfer Bandel iR im Himmel!“ Feftgabe für zungttnge und 
Zungfrauen aller chriſtlichen Gonfeffionen. Don Yugu . Mü 
einem Stahlſtiche und einem Titelbilde in Farbendrud. Zweite, verbefierte und 
vermehrte Auflage. Gr. 8. (X und 260 ©.) Leipzig, 3. Klinkhardt. 1 Thlr. 
Dies ſchone, bereits in der erſten Auflage mit Beifall aufgenoms 

mene Buch enthält einen reihen Schap von trefflichen Gedichten, Erzaͤh⸗ 

lungen, Betrachtungen ernften, religiöfen Inhalts, geordnet nad folgen» 
den Gefihtspuntten: die Kindheit, die Gonfirmation, der Wanderſtab, 
das Baus, der Beruf, die Begleiter, das Geſchick, die Kirche, die Ratur, 
die Heimath. Wir empfehlen e8 zu Feſtgeſchenken, namentlich au für 

Gonfirmanden, als etwas Treffliches. Die beiden Abbildungen find fehr 

fauber,, wie die ganze Austattung. 

19. Lebensbilder von Iſabella Braun. Gr. 8. (IV und 202 €.) 
Stuttgart, Gebrüder Scheitlin. 1856. 21 Ger. 

Dies Buch enthält 23 aus dem Leben gegriffene, friſch gezeichnete 
Bilder, berechnet, wohlthätig auf Herz und Charakter einzuwirten. Bir 
balten dafür, daß bie reifere Jugend fie gern und mit Nutzen lefen wird. 
20. Höflichkettslehre für Elementarfhüler, aber au zum Rupen 

für Sonntagsſchüler und Erwachſene. Mit befonderer Nüdfiht auf das 

Zandvolk. Rach den Forderungen der Bernunft und des Chriſtenthums. 

Kl. 8. Wieſenſteig, Schmid. 1851. 8 Ger. 

Der Inhalt if gut, die Sprache aber, in der er dargeboten, faft 
mehr als gewöhnlich. 

21. Kurze Anftandslehre für Jung und Alt, befonders auf dem Lande. 
Ein Hüffsmittel zur Erziehung und Selbſtbildung für Schule und Haus 
von F. W. red, Pfarrer In Stotternheim. 8. (24 S.) Erfurt, 
Kaiſer'ſche Buchh. (E. R. Thomaß). 

Dies kleine Büchlein kann Lehrern zur Benutzung für den Unter⸗ 
richt beſtens empfohlen werden; auch zum Selbſtunterricht für Knaben 
und Mädchen iſt es ganz geeignet. 


22, Denk⸗, Sprech⸗, Sprach⸗ und Schreibübungen in Berbins 
dung mit der Heimatbalunde. Win Uebungs⸗ und Wiederbolungss 
büchlein für die Hand der Schüler im zweiten Schuljahre in Unterflafien. 
Don Friedrich Sebald. Ki. 3. (32 ©.) Nürnberg, 3. A. Stein. 

5 ® 


Der Stoff if, wie der Titel fagt, aus ber Helmathefunde, dem 
Anfhauungsunterrichte, genommen Die Aufgaben bezweden meiftens 
richtiges Abfchreiben der dargebotenen Wörter und Säge, zuweilen Bers 
volfändigung angefungener Säge. Solche Mebungen find wohl flatte 
baft, werden aber von Kindern des bezeichneten Alters zu Hauſe 
nicht immer glüdlih ausgeführt werden. Neben einem guten Lefebuche 
balten wir das Echriftchen für völlig überflüffig. 

23. Rurze und leichtfaßliche deutſche Sprach-und Rechtſchreibe⸗ 
lehre in Fragen und Antworten, zunächſt für Landſchulen bearbeitet von 
Joſeph Mothfifher, Schullehrer in Velden. Mit einem Anhange von 
250 deutſchen prachäbungen. Dritte, verbefferte Auflage. KI.8. (IV u. 
93 ©.) Landshut, Joſ. Thoman'ſche Buchh. (3. B. v. Zabursnig). 1856. 


Der Inhalt des Büchleins kann in guten Landſchulen wohl ver⸗ 





2 .. 


er it 


Nachträgliche Anzeige verfchtedener Schriften. 755 


arbeitet werden; doch wird man ihn lieber an das Leſebuch knüpfen. 

Die angehängten Aufgaben gehen mit der Sprachlehre parallel; fie find ' 

zum Theil der Art, wie man fie jegt mit Recht nicht mehr liebt: troden, 

nur auf die Form gerichtet. 

24. Spradformenlecehre für die mittlere und obere Klaffe der Volkaſchule, 
überfichtlich dargeftellt von C. Fa DM, Lehrer an der Knabenſchule zu 
Freiburg im Breisgau. I. Theil. Wortformenicehre 8. (VII u. 
164 ©.) Kreiburg im Br., Herder. 1856. Partieprels 5 Sgr. 


Der Inhalt zerfällt in drei Abjchnitte, von denen der erfle von 


den Wortarten im Allgemeinen, der zweite von den Wortarten insbes 


fondere handelt, der dritte Stoff zu Rechtſchreibeübungen darbietet. Gegen 

Inhalt und Darftellung ift etwas Wefentliches nicht einzuwenden. Nur 

ſteht zu befürchten, daß die gründliche Durcharbeitung des Dargebotenen 

die Beit, welche der Beſprechung von Lefeftüden gewidmet werden muß, 
ſehr beeinträchtigen wird. 

25. Katehismus der deutfhen Orthographie. Bon Dantel Sanı 
ders. 8. (VIE u. 168 ©.) einzig, 3. 3. Weber. 1856. 10 Sgr. 
Der rähmlihft als Sprachforſcher befannte Berf. ſchließt ſich in 

diefem Werkchen dem ‚allgemeinen Gebrauch unbedingt” an und hält 

fih daher von allen Neuerungen der fogenannten biftorifchen Schule 
fern, was wir nur billigen Tönnen. Dadurch ift dem Bürhlein die alls 
gemeine Verbreitung geſichert, Die e8 wegen feiner Klarheit und beques 
men Gebrauchsweiſe verdient. Wir empfehlen es Allen, die fih in der 

Orthographie nicht ficher fühlen, zum Selbflunterricht. 

26, Wörterbuch der deutfhen Sprache in Beziehung auf Abſtammun 
und Begriffebildung. Bon Konrad Schwenck. Bierte, verbefierte Auf⸗ 
lage. 3.—5. Lieferung. Gr. 8. (Bogen 19 bis 49). Frankfurt a. M., 
Sauerländer. 1856. Grete des ganzen Werkes 21/2 Thlr. 

Die beiden erſten Lieferungen diejes trefflihen Werkes haben wir 
bereits im vorigen Bande des Yahresberichtes angezeigt. Wir empfehlen 
dafjelbe den Lehrern beftens zur fleißigen Benutzung, da es vorzugsweife 
geeignet it, Begriffsflarheit zu verbreiten. 

27. Friedrich Schmitthenner's kurzes deutfhes Wörterbuch, 
von umgearbeitet von Dr. $. 8%. 8. Weigand. 5. Liefer. Gichen, 
J. Rider. 1857. %z Ihle. 

Mit diefer Lieferung ſchließt der erfte Band. Derfelbe reicht big 
„Mehlthau.“ Die Beurtbeilung des Werkes fiehe oben, ©. 138. 

28. Der kleine Auffapfhreiber oder Mufter und Aufgaben zu Geſchäfts⸗ 
auffäßen und Briefen nebft vielen fprachlidhen Uebungen. Für Elementar- 
fhulen bearbeitet von einem Lehrer. 8. (16 ©.) dr8, 3. W. Spaars 
mann, 

Für Glementarfchulen brauchbar und ausreichend, in diefer Form 
jedod ſchon von Andern mehrfady dargeboten. 

29. Aufgabenfammlung für mündlide und ſchriftliche Uebun⸗ 

en in der Mutterfprace. (Für die 4. Klaſſe der Sauptiäulen.) 

( 


on K. Schubert, Lehrer am ?. k. Waifenhaufe in Bien. ®r. 8. 
und 170 &.) Bien, Prandel und Meyer. 1856. 15 gr. 


Die Aufgaben bezweden vorzugsweife das Verſtändniß und bie 
48* 


756 Nachträgliche Anzeige verfchiedener Schriften, 


Einprägung der grammatifchen Formen, werden fi jedoch aud zur 
Vebung im fchriftliden Ausdrud förderlich erweifen. Wir halten das 
Buch für die auf dem Titel genannte Stufe für zwedmäßig. 

30. Deutfhe Styifüde und Uebungsaufgaben für das reifere 
Alter, insbefondere für Töchter aus gebildeten Ständen von G. I. 
Ningler, Lehrer in Nürnberg. Wit einem Titelbilde. Gr. 8. (VI u. 
131 S.) Nürnberg, Bauer und Raspe. 1856. 20 Sgr. 

Der Berf. knuͤpft an die Betrachtung von Mufterflüden verwandte 
Aufgaben, zu denen er zuerfi das erforderliche Material in Andeutungen, 
dann bloße Ueberichriften gibt. Dies Verfahren führt auf einer Bils 
dungsftufe, die der Berf. im Auge bat, am ficherften zum Biele und 
gewährt den Uebenden großes Vergnügen. Die Mufterflüde, 25, rühren 
mit den hier und da eingefireuten Gedichten fämmtlich vom Berfafler 
ber und laſſen ihn als gewandten Darfteller erfennen. Wir empfehlen 
deshalb feine Schrift namentlih für den Stylunterriht in höheren 
ZTöchterfchulen. 

31. Die Lehre vom deutſchen Style oder Anleitung zum richtigen deut⸗ 
(den Gedankenausdrucke für Bolksfhulen und einzelne Klaſſen der Real» 
anftalten und Gynnaften, wie zum Brivatgebraude. Bon E. 2. Ritfert. 
Neu bearbeitet von F. Wagner, Yreiprediger und Lehrer an der erften 
höheren Mädchenſchule zu Darmfladt. 6. Aufl. Gr. 8, (X u. 470 ©.) 
Darmſtadt, 3. Ph. Diehl. 1856. Geh. 24 Ser. 

Diefe Schrift umfaßt die ganze Styliftif, fo weit fie für die bes 
zeichneten Bildungsflufen in Betracht fommt. Auf allen Stufen wird 
von Mufterüden ausgegangen, an die ſich zahfreiche Aufgaben, theils mit, 
theil8 ohne nähere Andeutungen anreihen. Wir können das Werk als ein 
ſehr brauchbares für den Schuls und GSelbflunterricht bezeichnen, in 
letzterer Beziehung auch angehenden Lehrern beftens empfehlen. Der 
Preis ift für den Umfang der Schrift fehr billig zu nennen. 

32. Stoff zu ſtiliſtiſchen Uebungen in der MRutterfprade. Kür 
obere Klaſſen von Gymnaſien und höhere Lehranftalten. In ausführliden 
Dispofitionen und Fürzeren Andeutungen von D. ©. Deren, rofeſſor. 
6. Aufl. 8. (XX und 420 ©.) Braunſchweig, C. U. Schwetſchle und 
Sohn (M. Bruhn). 1856. 1 Thlr. 

Dies Werk ift bereits in den früheren Auflagen im SZahreöberichte 
als ein ausgezeichnetes bezeichnet worden. Außer den auf dem Titel 
genannten Anflalten empfehlen wir es aud Lehrern, die fi in der 
fhriftlihen Darftellung vervolllommnen wollen, beftens. 

33, Leitfaden zur Gefhichte der deutſchen Literatur von Dr. 7. 
A. Piſchon. Eifte, vermehrte Auflage Gr. 8. (XVI u. 258 S. 
Berlin, Dunder und Humblot. 1856. 

Diteſe Schrift if befannt als ein bewährter Führer durch das 

weite Reich der deutfchen Literatur. Sie gewährt eine Mare Weberficht 

und laͤßt Dabei nirgends Wefentliches vermiffen. Grläutert durch einem 
tüchtigen Lehrer, wird fie Schülern höherer Lehranftalten bei ihren Res 
petitionen wefentliche Dienfte leiften. _ 

34, Leſebuch zur Geſchichte der deutſchen Literatur alter und 
neuer Zeit. Geordnet von Dr. Georg Weber, Profeffor und Dis 











Nachträgliche Anzeige verfchiedener Schriften. 757 


rector der höheren Buͤrgerſchule in Heidelberg. AZuglei ala Anſchluß an 

deſſen „Grundriß der deutfchen Literaturgefhichte" im ‚Lehrbuch der Welt- 

geihiäte, 7. Auflage und befonderd abaedrudt. Gr. 8. (XX u. 452 ©.) 
eipzig, W. Engelmann. 1856, 26. Ser. 

Dies Werl zerfällt in zwei Ubtheilungen, von denen bie erfie bie 
altdeutfche Literatur in neudeutfcher Mundart, die zweite die neudeutfhe, 
von Opitz bis auf unfere Zeit, umfaßt. Die Auswahl ift eben fo reich 
als für den beabfichtigten Zweck angemeflen. Bon jedem Dichter find 
befonders folhe Stüde gewählt, welche feine Richtung und Eigenthüms 
lichkeit kennzeichnen und zugleich durch ihren Inhalt das Intereſſe der 
jugendlichen Leſer weden und feſſeln. Wie billig, if der größte Nach» 
drud auf diejenigen Werke gelegt, die durch Gediegenheit des Inhalte 
oder dur künſtleriſche Vollendung in der Form für alle Zeiten von 
gleihem Werthe find. Mit feinem Tacte ift dabei Alles vermieden, was 
in religiöfer, politifcher, fittlicher oder focialer Beziehung Anſtoß erregen 
fönnte. Die Gruppirung if fehr überfichtlich. 

Höhere Lehranftalten, die ſich des Berfaffers „Grundriſſes der deut⸗ 
fhen Literaturgefchichte” bedienen, haben an diefem Werke eine vortreff- 
lihe Beifpielfammlung. Auch Lehrern dürfen beide Schriften beftens 
empfohlen werden. 

35. Katehbismus der deutſchen Literaturgefhichte. Don Dr. Paul 
Möbiuß, Adjund I. zu St. Tbomä und Inſpector der Buchhaͤndler⸗ 
Lehranſtalt E Leipzig. 8. (VIII u. 166 ©.) Leipzig, J. J. Weber. 
1856. 10 Sgr. 

Die katechetiſche Form iſt in dieſem Werkchen ſparſam und mit Ein⸗ 
ſicht gebraucht worden, daher nirgends ſtoͤrend, wohl aber foͤrdernd für 
den Anfänger, da fie die Weberficht erleichtert und überall auf den Kern 
der Abſchnitte hinweift. Die Darftellung if einfah, Par und anfpres 
hend; die Auswahl zeigt von richtigem pädagogiſchen Tacte. Des Bers 
faſſers volle Befähigung zu dieſer Arbeit läßt fich auf jeder Seite ers 
fennen. Aus voller Weberzeugung empfehlen wir das MWerfchen der 
reiferen Jugend zum Selbftftudium, halten e8 auch als Leitfaden für 
Realfhulen und verwandte Anflalten für geeignet, wenn ein Leſebuch 
die nöthigen Beifpiele dazu darbietet. | 


36. Der Raterialismus unferer Zeit. Vom naturbiftorifhen Stands 

punkte aus allgemein verfländlich beleuchtet von Dr. G. F. Kod. 8. 

(31 ©.) Kaiferslautern u, Leipzig, H. Meuth. 1856. 3 Sgr. 

Der Berf. tritt gegen den Materialismus auf und bemüht fich, 
barzuthun, daß derfelbe „in feinem legten Grunde allen Beweifes ents 
behrt und darum Fein Recht hat, zu fagen, daß er die naturgemäße 
BWeltanfchauung vertritt.” Dem Zwede gemäß, ift die Darftellung ganz 
populär, für Leſer mittlerer Bildung berechnet; diefe dürfte der Verf. 
wohl befriedigt und, fo weit das hier möglich, überzeugt haben. 


37. Raffau’s Flora Ein Taſchenbuch zum Gebrauch bei botanlſchen 
Excurfionen in die vaterländifche Pflanzenwelt. Bearbeitet von Leop. 
Budel zu Deſtrich im Rheingau. Phanerogamen, Mit einer geognoftis 


758 Nachträgliche Anzeige verfhiedener Schriften. 


je Karte und elf analytifchen Tafeln. 8. (LXIV u. 405 6) Wies⸗ 
aden, Kreidel und Niedner. 1856. 11/s Ihlr. 

Das Werkchen ift für Anfänger beſtimmt. Voran ſteht eine kurze, 
alphabetifh geordnete Erflärung der gebräudlichfien Kunflausdrüde. 
Dann folgt ein „Schlüffel zum Beſtimmen der Gattungen nad dem 
Linne’fhen Syſtem,“ und bieran fließt fich eine Weberfiht und Cha⸗ 
ralterifirung der Arten des Gebietes, geordnet nad Koch’s Synopfis, an 
die der Verf. ih überhaupt und. mit Recht angelehnt bat. Die Dias 
onofen find kurz, die Standörter bei felteneren Pflanzen genauer anges 
geben. Die Drudeinrihtung if in diefer Hauptabtheilung unnöthiger 
Weiſe fplendid; es hätte die Hälfte Raum — zum Nußen für die 
Käufer — erfpart werden können. Die Abbildungen flellen Blüthen- 
und Fruchttheile der Gräfer und Dolden dar, find fauber und werden 
fih dem Anfänger als nüblich ermweifen. Auf die angehängte Karte if 
im Buche Feine Rüdfiht genommen, da fie fih durd gute Eolorirung 
ſelbſt erklärt. 

Bir Tönnen das Buch für die Botaniker des bezeichneten Gebietes 
als ein ganz brauchbares beſtens empfehlen. 


38, Preußiſcher ShulsKalender für 1857. Sehne ehe ang. Mit 
Benugung amtlicher Quellen herausgegeben von Dr. &, Mushacke, ord. 
Lehrer an der Königflädtifchen Realſchule zu Berlin. Zweiter Theil. 
Kl. 8. (VII und 289 &,) Berlin, Deder. 1857. 15 Ser. 

Der erſte Theil, ein aftronomifcher Kalender nebft Notizbuch, Liegt 
uns nicht vor; der zweite entbält genaue Nachrichten über „das koͤnig⸗ 
Iihe Minifterium der geiftlihen, Unterrichts» und MedizinalsAngelegen- 
heiten und alle unter demfelben flebenden Behörden, fowie fämmtlide 
höhere Bildungsanfalten der Monardie. Wir empfehlen diefe ebenfo 
mübfame als dankenswerthe Arbeit allen Lehrern höherer Schulanflalten, 
möchten aber die Berlagshbandlung gebeten haben, für die Zufunft etwas 
größere Schrift für das Werk zu nehmen, damit man fih nicht blind 
baran fieht. 


39. Hypſometriſcher Atlas. Mit Erläuterungen und Höbenverzeichniffen 
von I. M. Ziegler. Quer⸗Folio. Winterthur, 3. Wurſter und Comp. 
1856. 2 Thlr. 2U Ser. 

Anhalt: Weberficht der verſchiedenen Gebirgsformen und Erflärung 
der Zeichen und geographifchen Namen. 1. Zaf. Ueberfiht der Größen» 
verhältniffe und Richtung der. Gebirgszüge aller Erdtheile. 2. Tafel. 
Hypſometriſche Karten: 1. Europa. 2. Deutichland. 3. Gentralalpen 
und Jura (Schweiz). 4. Oftalpen und GSefterreih. 5. Frankreich. 
6. Stalin. 7. Die britifhen Inſeln. 8. Die griechiſche Halbinſel. 
9. Afien. 10. Oſt⸗Indien. 11. Klein⸗Afien. 12. Syrien und Egypten. 
18. Süd» Amerifa. 14. Nord »Amerifa. 15. Vereinigte Staaten von 
Nord⸗Amerika. Hypſometriſche Tafeln: Höhen aus allen Erdtbeilen uud 
befannten Meerestiefen. 

Zur Darftelung der Erboberflähenbefaffenheit find, außer Blau 











Nachträgliche Anzeige verfchtedener Schriften. 759 


für die Gewäfler, fünf verfchiedene Farbentöne angewandt: ein mattes 

Graußraun für Tiefländer His zu 500 Fuß Erhebung, ein gewöhnlicdhes 

Braun für Erhebungen bis zu 1000 F., Saftgrän für Erhebungen bie 

zu 2000 F., ein gelbliches Grün für Erhebungen bis zu 3000 F., und 

Weiß zur Bezeichnung bedeutender Hochebenen und Gebirgskämme. 

Es verfieht ſich von ſelbſt, daß diefe Bezeichnungen nur annähernd 
genau find; aber davon abgefehen, geben die Karten ein ganz auss 
gezeichnetes Bild von den dargeftellten Ländern und Erdtheilen. 
Gute Reliefkarten fönnen kaum eine beffere Anfchauung gewähren. 
Möchten die Schäier überall die Mittel befipen, fich diefen Atlas anzu» 
ſchaffen! 

40. Geographiſche KAartensNepe mit ausgeführten Gebirge für den Un⸗ 
terricht in der Erdfunde und zur Uebung im Kartenzeichnen von J. M. 
Ziegler. Ebendaſelbſt. 8 Sgr. 

Enthält uncolorirte Abdrüde der 15 hypſometriſchen Karten des 
vorigen Werkes. Bon den Flüffen find nur die Quelltheife und einzelne 
verwidelte Partien dargeftellt ; alles Uebrige und die Eintragung von 
Kamen bleibt dem Schüler überlafien. Sydow hat in feinem „Hydro⸗ 
graphifchen Atlas” das umgekehrte Verfahren eingefchlagen: er gibt die 
Flüſſe und läßt die Gebirge und Ortfchaften eintragen. Beides kann 
als empfehlenswerth bezeichnet werden; in der Schule wird man fid 
aber in der Megel auf fogenannte Fauſtzeichnungen befchränten müflen. 
43. Allgemeiner Atlas über alle Theile der Erde in 29 Blättern, Re⸗ 

duction des von J. M. Ziegler nah C. Ritter's Lehre herausgegebenen 

Atlafes in 24 Blättern. Ebendaſelbſt. 1857. 1 Thir. 18 Sgr. 

Die meiften Karten diefes Werkes find gelungen entworfen und 
ausgeführt, einzelne mit Rüdfiht auf den Unterrichtszweck überladen. 
Großbritannien iſt durch zu flarfe Eintragung der Straßen fa uns 
brauchbar geworden. 

Uebrigens ift nicht zu verfennen, daß Schüler, welde im Stande 
find, fih in den Beſitz diefer drei Kartenwerke zu feßen, eın ausreichen» 
des und gutes Material für den geographifchen Unterricht haben. 


Es gehen uns wiederholt Bücher über fremde Sprachen zu, die zu 
beurtheilen außer der Aufgabe des Zahresberichtes liegt. Wir beichränten 
uns deshalb auf eine TitelsAngabe derfelben. 


42, Le Cid Tragedie de Pierre Corneille accompagnde de notes criti- 
ques et litteraires par 6. H. F. de Castres. Leipzig, E. Wengler. 
1857. 12 Sgr. 


43. Auserlefene Shaufpiele für die Jugend gurRüdüberfegung 
in’s Branzöfifähe von G. A. Noack, Lehrer. Erſtes Heft: J. Die Achten» 
Ieferin. IL Der Abfchied. Leipzig, E. Wengler. 1857. 10 Ser. 


44. Auserlefene Schaufpiele für Die Zugend, franzöflfh und deutſch, 
neoß jehlreichen fpradhliden Erläuterungen. Herausgegeben von &. U. 
Noack, Lehrer. Erftes Heft: I. Die Achrenleferin. II. Der Abſchied. 
Leipzig, C. Wengler. 1857. 10 Bar. 


760 Nachträgliche Anzeige verſchiedener Schriften. 


45. Bollftändigepraftifhe Anleitung, das een der regel⸗ 


46. 


mäßigen wie unregelmäßigen franzdfifhen Zeitwörter auf 
eine leſchtfaßliche und viele Zeit erjparende Weife zu lehren und zu erlernen, 
von R. Duval. Vierte, neu durchgeſebene und vervofftändigte Auflage. 
Hamburg und Leipzig, ©. Heubel. 1858. Beh. 15 Ger. 


Parlez-vous francais? oder die nüpliflen und nothwenbigften 
franzöfiſch⸗ deutſchen Geſpräche, Redensarten und Wörterfammlungen, wie 
man fie im Umgange, im Befchäftsverfeht und auf der Reiſe gebraucht. 
6., vermehrte und verbefierte Auflage von G. H. F. de Eaftred. Leipzig, 
@ Bengler. 1857. Geh. 12 Bar. 


47. Parlate italiano? oder die nothwendigften und nügfichften italienifch« 


deutfchen Geſpräche, Nedensarten und Wörterſammlungen 2c. Nebſt einer 
überfitlicgen Grammatik der itafienifhen Sprade. Herausgegeben durch 
3. Ammann. Bweite, durh F. Booch⸗Arkoſſy umgearbeitete und vers 
mebrte Auflage. Leipzig. E. Wengler. 1857, 12 Ger. 


Literariſche Befanntmadhungen. 


4 


Im Verlage von L. Holle in Wolfenbüttel sind erschienen und 
durch alle Buch- und Musikalien-Handlungen zu beziehen : 


Carl Maria von \WVeber’s 
fämmtlide Pianoforte-Compofitionen, 


revidirt und corrigirt 
von M. W. Stolze. 
Erste rechtmüässige Gesammtausgabe. 
Subscriptions - Preis pro Bogen 1! Sgr. 
L Bd, sämmtliche Compositionen für das Pianoforte & 2 ms. in 


29 Nros. mit des Componisten Biographie von Dr. H. Döring 
als Prämie. ’ Preis 3 Thlr. 22'/ Sgr. 


D. Bd. sämmtliche Compositionen für das Pianoforte & 4 ms. in 
14 Nros. mit Weber’s Portrait im feinsten Stahlstich als Prämie. 
Preis 3 Thir. 


Jede Nummer wird auch einzeln zu dem auf dem gratis zu erhal- 
tenden Prospect angeführten billigen Subscriptions-Preise abgegeben. 


Im Berlage der Grau'ſchen Buchhandlung in Bayreuth ift erſchienen 
und in allen Buchhandlungen zu haben: s yreuth iſt erſch 


Sammlung 


von 


Aufgaben 


aus dir 


Aritömetik und Algebra. 


Kür 
Gymnaflen und Gewerbfchulen 
bearbeitet 


Sriedrih Hofmann, \ 


Scofeffor der Mathematik am f. Bymnafium zu Bayrenth. 
Erfter Theil. 
Arithmetiſche Aufgaben. 


Gr. 8. Broſch. 54 Pr. oder 15 Nor. mit den Refultaten 1 fl. 18 fr. 
oder 23 Nor. 
Zweite, vermehrte und verbefferte Auflage. 


Im Berlage von Kriedrid BDieweg und Sohn in Braunfhweig 
iſt erihienen: 


Fauna der Wirbelthiere Dentichlands 


und der angrenzenden Länder von Mitteleuropa. 
Bon 3. H. Blasius, 


Brofefler am GoNegio Garolino in Braunfdmweig. 
Erfter Band: Naturgeichichte der Süngethiere. 
Mit 290 Abbildungen im Terte. Br. 8. Kein Beliny. Geh. 2 Ihr. 16 Bar. 


Bir mahen auf die Erfcheinung eines Werkes aufmerlfam, welches der 
deutſchen Literatur zur wahren Ilerde gereicht, welches die Wiſſenſchaft fördert, 
obwohl es wefentlih dem Gebrauche der Laien beitimmt if. Die Zoologie if 
heut‘ zu Tage ein fehwieriges Thema, wenn fie den Korderungen der ftrengiten 
woiffenfehaftlichen Kritik entſprechen und doch für den Laien genizhbar fein ſoll; 
Diefe Aufgabe zu ldſen bat der Verfaſſer nicht nur erfirebt, fondern es if ihm 
auch vollfändig gelungen zu erreihen, was kaum irgend einem andern deutſchen 
Zoologen zu erreihen möglich geweien fein möchte. 

Das Buch wird drei Bände umfafien, von denen der jeßt erfchtenene erfte 
Band die Raturgeldbichte der Säugethiere Deutſchlands enthält, der zweite, 
unter der Preſſe befindliche, die Vögel, und der dritte die Fiſche und Rep 
tilien Deutſchlande entbalten wird. Das Bu bilder demnach eine vollſtän⸗ 
Dige Fauna der Wirbelthiere Mittel-Europas, eine Raturgefhichte 
der Thierwelt (mit Ausfchluß der wirbellofen Thiere, Inſecten 2c.) des deutſchen 
Baterlandes, für Belchrt und Ungelehrt, wie «8 bislang in äbnlicher Schärfe 
der Beobadtung und Darfkellung noch feine gab. Es wird fiherlih von Be 
lehrten und Liebbabern der Willenihaft ſehr günflig aufgenommen werden, 
aber es dürfte einen viel weiteren Kreis von Käufern gewinnen, wenn es unter 
den Freunden der Naturgefhiäte in Stadt und Land befannt wird. 
Das Bublicum des Buches iſt, außer dem Zachgelehrten, das der Gebildeten 
im Allgemeinen, für die e& ein wahres und vortrefflihee Sausbud für 
viele, viele Jabre werden und bleiben wird. Den Preis haben wir fo billig 
geftellt, als er fich bei der fehönen Ausftattung irgend ftellen laſſen wollte, 


Soeben tft erfchienen: , j 

Profeffor de Caſtres, Herausgeber von Thihaut Dietionnaire, Ele 
mentarbuch zur Erlernung der franzöfifchen Sprache nad 
Seidenſtücker's Methode. 27 Kr. 

James R. Aubrep, Elementarbud zur Erlernung der englifchen 
Sprache nah Seidenſtückers Methode. 3 Auflage. Vielfältig vers 
mebrt von B. Smouth. 27 Kr. 

Brofefior de Caſtres gift jept für die erſte Autorität als Lehrer und 
Kenner der franzöfiihen Sprache, feine Schriften finden jept überafl 
Eingang. Aubrey's @lementarbud erlebte bereits die dritte Auflage 
und uf in Samburg, Berlin, Wiesbaden, Stettin zc. bereits vielfach eins 
geführt. 

Aleinpaul, Dr., Elementarbuch der banifchen Sprache. Brofgirt. 
11! Ed. 

Sleih nach Erfcheinen bat Herr Schelinſpektor Etatsratb Dr. Trede dies 
Buch zur Ginführung auf allen holſteiniſchen Gymnafien beftimmt. 


Verlagsbureau in Altona. 





Im Verlage der Nicolai'ſchen Buchhandlung in Berlin find erſchienen: 
Berndt, 3. C., französische Grammatik und Uebungs- 
buch für Anfänger. Geh. 6 Sgr. 


He, A., der kleine Franzos, zweiter Theil. Auch unter 
dem Titel: Erstes Uebungsbuch in der französischen Sprache, 
enthaltend: leichte Aufgaben zum Uebersetzen aus dem 
Französischen in’s Deutsche und aus dem Deutschen in’s 
Französische, geordnet nach den Redetheilen, mit Erklärung 
der nothwendigsten Regeln. Verfasst zum Gebrauch in den 
unteren Klassen jeder Schule, wie auch zum Privat- und 
häuslichen Unterricht. Geh. 12} Sgr. 


Judae, G., französische Grammatik. Nach der Methode der 
Interlinearisten bearbeitet. Zweite Aufl. Geh. 25 Sgr. 
—— Lehrbuch der brandenburgisch-preussischen, deutschen 
und allgemeinen Geschichte für Bürgerschulen. Zweite Aufl. 

Geh. 15 Sgr. 

Geographischer Leitfaden, zum Gebrauche für Stadt- 
schulen. In Gemeinschaft mit J. Priedeman und O. Rosen- 
thal bearbeitet und herausgegeben von C. Judae. 124 Sgr. 

Rhode, G.E., Schulgeographie, zunächst für höhere Bürger- 
schulen entworfen. Mit 12 lithographirten Figuren und 
einer Sternkarte. Geh, 1 Thlr. - 


Kutscheit, J. V., vollständiger Atlas der neuesten Erdbeschrei- 
bung in 32 Karten, mit genauer Angabe der Eisenbahnen etc. 
Für Schul- und Privatgebrauch. Neue Auflage. 1 Thlr. 

Voigt, F., Schul- Atlas der alten Geographie. 15 Blatt in 
sauberem Farbendruck. Geh. 1 Thlr. 5 Sgr. 

—— Historisch-geographischer Schulatlas der mittleren und 
neueren Zeit, 17 Blatt in Farbendruck. 

Richter, J., Otto Schulz. Ein Denkmal für seine Nachkommen 
und seine Freunde, mit dem Bildniss von Otto Schulz. 
Geh. 1 Thlr. 

Schahl, A., kleiner Schulatlas d&r neuesten Erdbeschreibung 
in 20 Karten. Geh. 18 Ser. ‘ | 

Liere und Rindfleisch, Geschichte und Erklärung der gangbar- 
sten deutsch-evangelischen Kirchenlieder, mit besonderer 
Bezugnahme auf dıe Volksschule Geh. 1 Thlr. 

Rosenthal, 0., Führer durch den deutschen Dichter- - 
hain. Ein Schulbuch zum Gebrauch beim literaturgeschicht- 
lichen Unterricht in höheren weiblichen Bildungsanstalten. 
Geh. 25 Sgr. 

—— Leitfaden für den Unterricht in der Bibelkunde, 
zum Gebrauch in den obern Klassen höherer Schulen. 74 Sgr. 

Schneider, A. F. H., Elementarbuch der Englischen 
Sprache. Mit einem Vorwort vom Gymnasial- Director 


Dr. Ferd. Ranke. Geb. 17% Sgr. 


Schulz, Otto, Tirocinium, d. i. Erste Uebungen im Ueber- 
setzen aus dem Lateinischen, nebst einer kurzen Formlehre. 
Neunte Auflage. Geb. 7% Sgr. 

Deutsche Sprachlehre für Volksschulen, Präpa- 

randen-Anstalten und Schullehrer-Seminare. Sechste Aufl. 

Geb. 12 Sgr. 

BerlinischesLesebuch fürSchulen. Erster Theil. 
Vierzehnte Auflage. 73 Sgr. 

—— Lesebuch für höhere Schulen. (Des Berlinischen 
Lesebuchs zweiter Theil.) Dritte Auflage. 15 Sgr. 

Tollin, E, praktische Anleitung zur Bildung des 
französischen Styles für höhere Klassen der Gymna- 
sien und der Erziehungsanstalten für Jungfrauen aus, den 
gebildeten Ständen. Zweite Auflage. Geh. 174 Sgr 

Wilkinson, Geo. B., elementarisches Lehrbuch der Eng- 
lischen Sprache. Mit einem Vorwort vom Stadtschul- 
rath F. A. Schulze Geh 15 Sgr. ' 

Rudolph, L., Atlas der Pflanzengeographie über alle 
Theile der Erde Für Freunde und Liehrer der Botanik 
und Geographie nach den neuesten und besten Quellen 
entworfen und gezeichnet. 10 Blatt in gr. Fol. in sauberem 
Farbendruck, mit erläuternden Tabellen. Geh. 5 Thlr. 

Die Pflanzendecke der Erde. Populäre Darstel- 

lung der Pflanzengeographie für Freunde und Lehrer der 

Botanik und Geographie. Geh. 2 Thlr. 


— 














Bel Louis Merzbach in Poſen iſt erſchienen und durch alle Buchs 
handlungen zu beziehen: 


Vocabularium latinum, 


LCern- und Spreddudg 
" nad dem 
Srundfage der Ideenverknüpfung und den Erfordernifien 
der zufammenhängenden Rede 
zufammengeftellt von 


Br. Otto t, Br. Henri Krahner, 
Oberlehrer an A 24 FIRE ar De 1 arenbuer, 
zu Polen. zu Potsdam. 


Erſte Abtheilung 
für 


Quinta und Quarta. 
Garton. Preis 7!/a Sgr. 





a J. C. Huber in Berlin if erfgienen und durch alle Buchhandlungen 

zu beziehen: 

Praktiſch methodifche Gefangfchule für den Bolfsgefang » Unterricht 
nah den Principien und für die Tonbezeihnung 3. C. F. Thomaseif’s 
von Franz Schmidt. 8. Geh. Preis mit Gefangübungspeft 
15 Sgr. (das Webungsheft allein 23 Ser.) 

Schul⸗Liederbuch in der Zonbezeihnung von I. C. F. Thomaseif. 
Herausgegeben von C. Hartung und F. Schmidt. 1. u. 2. Heft. 

Preis a Heft 5 Ser. 

Bibtifche Gefchichten. In Rüdfiht auf den Normal» Lehrplan für 
die Unterflaffen der Schulen bearbeitet von 3. W. Myski. 8. Geh. 
Preis 24 Ser. 

Der Geſchichtsfreund. Eine Sammlung von Erzählungen aus der 

Welt⸗ und Böltergefchichte. 8. 25 Bogen. Geh. Preis 1 Thlr. 


Soeben find im Verlage von Friedr. Schultheh in Zürich folgende vor 
züglide Schulbücher erfchienen : 

Behn:Eichenburg, Dr. H. (Profeffor am eidg. Polytechnikum), Engs 
liſches Leſebuch für alle Stufen des Unterrichts berechnet. Erſter 
Kurs. 8. Br. 18 Nor. 

(Des Berfaflers engl. Schulgrammatik erfchelnt auf Oftern in zweiter Auflage.) 

Orelli, C. v. Franzöfifhe Chreſtomathie. Erſter Theil. 4. ums 
gearbeitete Auflage. 8. Br. 223 Rgr. 

Für Lehrer: 

Hug, J. C., Die Mathematik der Volksſchule. Ein methodi⸗ 
ſches Handbuch für einen dem Weſen der Volksſchule entſprechenden 
und alle ihre Stufen umfaſſenden Unterricht. 1 Thlr. 

Zweiter Theil: Geometrie. 8. Broch. 


In der ©. H. Bec'ſchen Buchhandlung in Roͤrdlingen iſt erfchienen 
und in allen Buchhandlungen zu haben: - 

Choräle für den vierstimmigen Männergesang. Mil Berücksich- 
tigung der im 16. und 17. Jahrhundert üblichen Lesearten bear- 
beitet von Ch. H. Hohmann, Seminarlehrer in Schwabach, 
Dritte erweiterte Aufl. Gr. 8. 44 B. ord. 9 Ngr. oder 30 Kr. 
netto 64 Ngr. oder 224 Kr. In Partieen zu 25 Expl. billiger. 

Grundzüge zu einer populären Denk- und Sprachlehre von Ray- 
mund Schlecht. Inspector am k. Schullehrerseminar zu Eich- 
städt. 10 Bog. ord. 10 Ngr. oder 86 Kr. 

Litanie de Beata in C-Dur. Für 4 Singstimmen, Streichquartett, 
2 Clarinetien, Hörner, Trompeten, Pauken. Mit Direktionsstimme, 
Von Max Winkler, Chorregent in Eichstädt. 15 Bag. in hoch 4, 
ord. 25 Ngr. oder 1 Fl. 30 Kr. 


Bei F. Schneider & Co. in Merlin erſchien foeben: 
d’Hargues methodifcher Lehrgang für den Unterricht in ber franzöfifchen 
Sprade. Bine auf die Mutterfprache fich gründende Darftellung für 
Lehrende und Rernende 
Erfter Curſus 10 Ser. 
Zweiter Curſus Abthl. I. 12 Ser. 


Dielfeitige Beurtheilungen rühmen von dieſem Buche dag es mit feltener 
Klarheit Die Schwierigkeiten der Grammatik darlege; den Lehrern gibt es gleich 
zeitig eine reihe Sammlung von Beifpielen. Die 2. Abthl. des 2. Theils 
der Schluß) erfcheint zu Oftern 1857. 


. 


Bei Vandenhoeck & Nuprecht in Göttingen iſt foeben erfchienen und 
in allen Buchhandlungen vorräthig : 

Bodemann, Fr. W., Bibliſche Gefchichte, mit den Worten 
der Bibel erzählt. 8. Aufl. 5 Ser. Partiepreis 3I Ser. 

— — — Spruch und Bersbüchlein zur bibliſchen Geſchichte 
für evangeliſche Schulen. 8. Geh. A Ser. 

Kübhnemund, ©, deutſches Lefebuch für die unteren Maffen 
höherer Lehranftalten. (Mit Befolgung der vom Kgl. Hannov. Ober 
ſchulcoſlegium ausgegebenen „Anleitung zur deutſchen Rechtſchreibung“ 
verfaßt.) 2. Stufe. 8. Geh. 174 Ser. 


Kerner erfchienen bei denfelben: 

Hermann, K. F., Culturgeschichte der Griechen nnd Römer, Aus 
dem Nachlasse des Verstorbenen herausgeg. von K. G. Schmidt, 
1. Theil. Gr. 8. 1 Thlr. 5 Sgr. 

Müller, I. D., Mythologie der griechischen Stämme, 1. Theil. Gr. 8. 
1 Thir. 15 Sgr. 

Auprecht, 2., die deutfhe Rechtſchreibung vom Standpunkte der hiſto⸗ 

.  rifhen Grammatik beleuchtet. 2. vermehrte Aufl. Gr. 8. 20 Sgr. 
Haage, €. F. L., Eompendium der Elementar» Mathematif zum Ges 

brauh beim Gymnafialunterriht. 2. Abtheil., Planimetrie, ebene 

Zrigonometrie und Stereometrie. Gr. 8 1 Thlr. 








Bel uns erichten und empfehlen wir zur Ginführung: 

Sreudenfeldt & Bfeffer, Preußen unter dem Negenten aus 
dem Haufe Hohenzollern. ine Tabelle zum Gebraudye beim Uns 
terricht in der vaterländifchen Gefhichte. 2. Auflage. Preis 8 Bor. 
(in Partieen billiger). | 

Freudenfeldt, Schulfarte, darftellend die Erwerbungen des preußi⸗ 
{hen Staates, colorirt jetzt unr 3 Sr. 

Sehr empfohlen durch das „Schulblatt für Brandenburg, 1857, 7. u. 8.” 

den „Schulfreund 1857 3. Heft,‘ u. A. m. 

Berlin. Berlag von Hugo Bieler & En. 








Pokorny’s 


Rlementar-Schreibunterricht. 


Velksschalausgabe 
24 Schreibtheken, 12 Current und 12 Englisch & 4 Pfen. ° 
| Ausgabe auf starkem Schreibpapier 
18 Schreibtheken, 9 Current und 9 Englisch & 8 Pfen. 


Dieser vom hohen k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht empfoh- 
lene Schreibusterricht fand im In- und Auslande, wie ın Nord- und Süd- 
amerika, schnellen Eingang, so dass im Jahre 1855 über Zwei Millionen 
Pokerny’sche Schreibtheken Absatz fanden, wozu wohl die äusserst gimstigen 
Becensionen aller pädagogischen Blätter auch beigetragen haben. 

Die Lehrer mehrerer deutschen Staaten bewirkten aus eigenem Antriebe 
die Einführung des Pokomy’schen Eiementar-Schreibunterrichts in allen ihren 
Landesschulen. . | 


‚ Ferner erschienen zu diesem Elementar-Schreibunterricht: — 
Pokorny, Methodische Anleitung sum klementar- Schreibanterricht in Volksschulen 
mit freier Benützung ver Taktirmethode, basirt auf die vom hohen 
k. k. Ministerium empfohlenen, mit eystematschen Vorschriften ver- 
sehenen billigen Schreibebücher. 20 Ngr. 
de. 15 fein in Kupfer gestochene Präfangsvorschriften für die erste, zweite 
und dritte Klasse der Volksschulen à 8 Pfen. — Partiepreis für 
Lehrer und Verschleisser bei Abnahme von 25 Blatt à 4 Pfen. netto. 
de. 4 Satlungen ‚blanrastrirte Karteln sa Prüfungsschriften auf Briefpapier 
& 3 Pfen. 
de. Schul - Verschrifien, den ganzen Elementar - Unterricht enthaltend, 
Current 28 Blatt 3’/; Ngr., Englisch 32 Blatt 4 Ngr, 
de. Erlernung der Haar- und Schattenstriche für die ersten Anfänger, 
Blau vorgedruckt zum Nachschreiben. 2 Ngr. 

Nachdem in Jahresfrist dieser Elementar- Schreibunterricht eine so ans 
gedehnte Annahme und Verbreitung fand, sieht der Verleger der sichern Er- 
wartung entgegen, dass jeder Lehrer, dem das Wohl seiner Schule am Her» 
zen liegt, nicht unterlassen wird, diesen Unterricht bei Beginn des jetzigen 
Schulkursus in seiner Anstalt einzuführen. — Lehrer und Verschleisser erhal- 
ten bei Baarzahlung 25 Perc, von allen oben angegebenen Preisen. 


BRÜNN. C. Winiker. 


In dem Derlage von Scheitlin & Zollikofer in &t. Gallen ift erfählenen : 


hantafieen und Gloſſen 


aus dem Tagebuche eines Fonfervativen Pädagogen. 
Ein Beitrag 
zu der Gefchichte der püdagogifchen Strebungen 
der Jgegenwarit, 
24 Nor. 1fL. 20. 3 Sr, 


In humoriſtiſcher Weife befpricht der ungenannt fein wollende Herr Verfaffer, 
— einer der außgezeichnetiten und durch feine frübern Schriften berühmten Yä- 
dagegen Deutſchlands, — vom fonfervativen Standpunft aus die Uebertreibuns 
gen: der Ratinnaliften wie der Witraorthodoxen, und es wird fih das Buch ge⸗ 
wiß der regften Teilnahme feitens der Pädagogen und Schulmänner erfreuen. 


In der Jaͤger'ſchen Buche, Papiers und Landkart d Franf: 

furt 0. M. NN oeben erfchienen: Pay atten handlung in f 

Scholderer, H., Erftes Lefebud für Elementarfhulen. 
Fünfte Auflage. Preis 124 Gar. od. 45 fr. 264 Seiten. 

Diefes vortreffliche EClementarleſebuch, defien bisherige Auflagen ſtets von 
5000 Exemplaren ſich in kurzer Zeit vergriffen, wird überall fih bewähren, 
und erlauben wir uns die Aufmerkſamkeit der Herren Elementarlehrer darauf hin⸗ 
au lenten mit der Bitte, da, wo ein Wedel beabfihtigt und Ein» 

übrung ermöglicht wird, ein Kreise@gemplar von der Verlags: 
Buchhandlung zu verlangen. 


Bei Friedrich Brandftetter | ig 1 eb i d 
allen — zu on n Leipzis IR fo ehen erſchlenen un in 


Naturftudien. 
Skizzen aus der Pflanzen- und Thierwelt 


von 


Dr. Sermann Masius, 
Schuldirector in Halberfladt. 
Zweite Sammlung. 
8. Hoͤchſt elegant geheftet in allegorifch verziertem Umfchlage. 
° Preis: 1 Thlr. 6 Nor. 

Inhalt: I. Norddeutſche Degetationshlider: Die Wieſe. — Die 
Heide. — Der NRadelwmald. — er Laubwald. — Das Kornfeld. — 
II. Bilder aus der Thierwelt: Das Kameel. — Das CElennthier. — 
Das Pferd. — Die Hape. — Der Walfiſch. — Der Floh (Humoreske). — 
UI. Am See IV. Wann der Herbſt fommt. Anmerkungen. 

Freunden einer äſthetiſchen Raturanfhauung. namentlih aud der Damen 
welt, kann keine Tieblihere und geiftreichere Lektüre geboten werben. Weiner 
Talt in der Beobachtung, künftlihe Verknüpfung und eine meifterbafte Korm 
der Darftellung zeichnen die Arbeiten des Berfafiere aus und haben ihnen einen 
höchſt ehrenvollen Ruf erworben. Auf dem Gebiete der poetifhen Naturan⸗ 
ſchauung hat die deutſche Literatur Trefflicheres nicht aufzuwelfen. 


Soeben erfchienen und find dur alle Buchhandlungen zu bezichen: 

Drechsler, Dr. Adolph, Die Zeitabfjnitte in kirchlicher, 
bürgerlicher und aftronomifcher Beziehung allgemein 
verfländlich dargeftellt. 8. Geh. 16 Nor. 

Steglich, Fr. Aug. William, Tirertor des Freih. v. Fletcher'⸗ 
ſchen Schullehrer ⸗Seminars zu Dresden, Ueber den Bildungsgang des 
Vollksſchullehrers mit beionderer Berüdfichtigung der Einrichtung 
der Schullehrer-Seminarien. Ein Gutachten. Gr. 8. Geh. 1 Thlr. 

Stein, WV., Professor der Chemie an der polytechn. Schule zu 
Dresden, Die Organisation des chemischen Unterrichts. Gr. 8. 
Geh. 20 Ngr. 

Audolf Kunße’s Verſagsbuchhandſung 
im Dresden. 


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Press 
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