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HARVARD UNIVERSITY
LIBRARY OF THE
GRADUATE SCHOOL
OF EDUCATION
Paͤdagogiſcher
Jahresbericht
für
Deutfhlands Volksſchullehrer.
Im Berein
mit
Bargolon, Hentſchel, Kellner, Materne und
Prange
bearbeitet und herausgegeben
von
Auguft Lüben,
Rektor der Bürgerfhufen zu Merfeburg-
Zehnter Band.
v
2 Leipzig:
Berlag von Friedr. Brandftetter.
1857.
L IO | HARVARD UNIVERSITY"
GRADUATE SCHOOL OF EDUCATION
‚G3P3 JAN 150883
Io tr ll erh fand
Inhalts⸗Verzeichniß.
Geite
I. Religions-Unterrit, Bon Konrad Materne, Seminarlehrer ı
in Eisleben. .
L Borbemerfungen zur Cparafterifirung der gegenwärtigen Statt
des Religionsunterrichts überhaupt . . ..
DL. Die einzelnen Gebiete des Religlonsunterriäte 0. .
A. Die Unterlafie . . ee
B. Die Mittellaffe-. - © 2 2 0 2 2 rn
©. Die Oberfiufe
I. Eoncentration der verſchiedenen Seiten des Religionsunterriähts
IV, Beftrebungen zur Fordernng des religidfen Sinnes überhaupt .
V. Literatur . .
IL Der Unterrigt in der deutfäen Syrade. Bon 8, Kellner,
Regierungd» und Schulrath in Trier. . . .
Vorbemerkungen über die Methode im Aüigemeinen .
B. —ã F eunten auf dem Gebiete des Un
8 in der Mutterſprache a
OL Der Xefeunterridt. Don Haguf Küben
L Srunbfähe .
eitpunkt für das innen des Sefeunterriäte
efhaffenHeit der Lefeflüde. -. . . en
m Die Abbildungen in Sefebüdern . ER
IV. Anordnung der Lefeflüde . . nen
V. rfabren beim Leſeunterricht ren
A. In Bejug auf das Leſen ſelbſi .. .
B. In Bezug auf Sprachbildung nen
C. In Bezug auf Reafiidung 0.0.
D. In Bezug auf Eharafterbil ung rn.
IL. Literatur . FE ER
IV. Schreiben. Bon Tuguft iben nen
I. Orundfüäge . . Fe Er
II. Literatur . . 0.
V. Jugend» und Bolisſchriften. Bon Aug uft Süden ...
L Anfichten über Jugendbibliotheken und Vollsſchriften...
II. Literatur . . Pa
VI. Rathematif. Bon Dr. Fr. Bartholomai ...
Methode. ...
Zittau oo ori.
IV Inhalts = Berzeichniß.
VIL Naturkunde. Bon Auguſt Büben - - - > 2 2 2.20.
L Grundfüpe . > 22 0 rn
a. Naturkunde im gemeinen . en oo...
c en de . ee.
echnologie. daus⸗ und Sandıirth ft...
n. 10 nn. Lu EEE
I. Raturlunde im gemeinen. ....
II. naturgeigicte FE ...
IIL bunt e . . .g » . . . . . . . . eo [ . U Ü
IV. bemie . . ne.
V. Landwirtbfäaft . .. e.
VoIL 6 ef ch ichte. Bon —2 Prange, GSeminar⸗Oberlehrer in Bunzlau
L Andeutungen über Die gegenwärtige foclale Situation. . .
IL Andeutungen über Die gegenwärtige p —ãR Situation. .
OL IL Jeltgemä e Aufgabe des elhiätunt
tel ur Zöfung der jept zeitgemäßen —2* des Geſchichts
unterri rer.
V. Traditionelle Lehrſtoffe für den gefchichilichen Unterricht in ihrem
Verhältniß zu den Reſultaten der Geſchichtsforſch Bund,
VL Zraditiouele Behandlung geſchichtlicher Schrüoffe im Aulunters
richt, im Verhaͤltniß zu en pävagogtihen, Irt ncipien...
Zur gelb ichtlichen Literatur des Jahres 3 1
L. Bengrapbie Bon ES. P
1 gpreerung bes gsograpbifchen © lurterricht⸗ und ſeiner Methode
—— geoarapbil Ger Kenntaiffe in die Kreife der reiferen
Jugend und des Boll . » >. 2 2 Een -
u Srahtifches Bedürfnis beim gengrapbifgen Unterricht .
IV. Gegenmaͤrtiges Verhaͤltniß des geographiichen Säulunterriäut
ur Biſſenſchaft, zur Bädagogit Ins zum braftifgen Sch .
Sur geographifchen Literatur abres 1856 . . ...
X. Gefang Bon E. Hentſchel ‚ Ruf itertor und Oberlebrer am
Seminar in Weißenfeld -. . - 2 2 2 2 0. ...
I. Sefangleben © = = = = 2er. nee
IL Gefanglehre - > > 2 0 2 0 Er nn
III, Literatur . .. ö
eichnen. Don Gaga Sen. 53
. Grundfäge . . . a
D. Literatur. . . a
XIL Allgemeine Vädagogil. Bon Baguf Bübn.....
L Geſchichte der Pädagogf . 2 2 0 en. Pe
II. Schriften über Erziehung . ‘ . . . . “ eo ®
IL Schriften über Gnlhung u und Unterriät ee
IV, Schriften über Schulunterridt. ern.‘
V. Padagogiſche Zeitjchriften .
XIL Die äußern An ee enheiten der Boltsfhule und
ihrer Lehrer, nguft Rüben
I, @eftaltung des Säulwefene in den einzelnen deutſchen Staaten
IL. Die deuten Lehrervereine .
XIV. EM ae Anzeigen verfäledener Säriften. Bon
Augu
® ‘ ®
— — ⸗ m — — —
Autoren⸗Verzeichniß.
— — — —
Alberg, 657. Becker, C., 116. Bräunlich, 585.
Alrebi, 227. ——, J. Phb., 400. Breidenſtein, 300. 333,
Aumann, 760. ——, K. F., 421, Brem, 501.
Underfen, H. C. 256. Behrens, 193. Brennede, 29. 317.
Anding, 584. Bender, 189. Brenner, 270.
Andreſen, 137. Berghaus, H., 503. 509, Bretfchneider, 426.
Ayfelftebt, 487, Bergmann, 635, Breuler, 487,
Arndt, T. W., 424, Berneck, 421. Breunig, 284.
Arendts, G., 496, Bernhardi, 219. - Brewer, 353,
Amold, 87. Bernhardt, W., 245. Brieger, 102.
Amann, 418, Bernftein, 248. Brotbeck, 356.
Aueröwald, 336, Berthelt, 180. 250, 355. Brüdner, H., 219. 405.
Yulid, 95. 506. 690. Brülow, 518.
Biedermann, 104. 110, Brütt, 208.
Blanc, 505, Büchner, A, 130,
Ba, H., 518. Bol, 302. 696. 707. ——, Dr., 33,
—_——, MR. 331, Bödeler, 700. Bülau, 411.
——, R. 197. Bodemann, 100. Bumüůller, 418,
——, 6c., 641, Bögelamp, 510. Bünz, 214.
Bahr, 297. Boͤhr, 110. . Burmeifter, 332.
Bartbel, 565. Boog, 2837. Burow, 850.
Batrig, 349. Bormann, 661. 627. 628. Yutters, 135.
Bäuchle, 241. 696.
Baumann, J., 345. Böttger, 110.
Baumgardt, E., 338, Boͤttiger, 415. Eantu, 419,
Baumgart, 179. 190. Bouilly, 223. Gasyari, 96.
Be, 414. 428. Bräbmig, 614. 625. Gaffian, 416.
Beder, A., 697. Brandauer, 198. Gaftelhun, 89.
.C. F., 11%. Braune, 603. Caſtres, 759. 760.
VI
Chamloth, 204. 300.
CEhryſander, 621.
Ciesztoweti, 648,
Clemen, 188.
Clemens, 233.
Colberg, 595.
Conſcience, H., 243.
Crouſaz, 423.
Crũger, 101. 355.
Gürle, 337.
Eurtman,, 99. 345, 663,
Gziläty, 255. 236,
Daniel, 492.
Danneil, 118,
Davids, 288,
Davin, 617.
Deide, 628. 635.
Dellier, 223,
Deutſch, 106.
Diefterweg, 505. 685. 691,
693,
Dietlein, 200. 211,
Diezmann, U. 244,
Dilling, 282.
Dittes, 668,
Dittmar, 419,
Döbereiner, 247,
Döf, 339,
Döring, M., 236.
|— R., 418,
Dörr, 239,
Dreher, 181.
Dronfen, 405,
Dunker, 4%,
Duval, 760,
Ebersberg, 228,
Ebner, 282,
Egger, 285.
Ehrich, 489.
Ehrlich, 282,
Gifenlobr, 106.
@lfan, 412,
Ele, 591.
Emmerid, 685.
Engel, 8. G. 3., 514.
——,D. S., 613, 622,
623.
Engelhardt, B., 356.
—, 8 8, 515.
Enslin, 584.
Erichſon, 331.
Ert, 595. 605. 611.
Ernſt, 357.
Eſchweiler, 291.
Fath, 505.
Fern, Yan. 244,
Slallowsti, 629. 634,
Fint, 120,
Fiſcher, Dr., 289,
——, 9H., 608.
Fleiſcher, G., 197.
Fleiſchhauer, 288. 351.
490.
Flotho, 410.
Flügel, G., 598. 608.
Flügge, 198.
Foölfing, 191. 583. 647,
6935,
Förfter, Fr., 402,
Stunt, 119,
Franke, E., 100,
Freihofer, 88,
Frick, J. 354.
Fritze, 684.
Fröblich, C., 221.
Frymann, 672.
Fuckel, 757.
Fürbringer, 85. 89,
Fürſtenberg, 212. 636,
Garbs, 423.
Garde, 340,
GSartenhaufer, 352,
Gatty, 228.
Beisler, A 485. 492.
Autoren⸗Verzeichniß.
Geißler, C., 132, 240.
Georgens, 749.
Gerdauen, H. v., 243.
Gerlach, 413.
Gerftäder, 212.
Gieſebrecht, 409.
Gittermann, 187.
211.
Glaſer, C., 515.
— 2, 323,
Glag, 222.
@lode, 230.
Eolgfd, 105.
Göoſchel, 403.
Gottihalg, 585.
Graf, 201.
Gräfenban, 490.
Graßmann, 107, 514.
Greef, 596. 611.
Greßler, F. ©. 8, 347.
——, 5.2, 621. 623.
Groß, 411. 514.
Grube, U. ®., 238. 253,
419. 651.
Güder, Ed., 368.
Grünewald, 341.
Grunholzer, 701.
Gude, 187. 189,
Guizow, 282,
Gumpreä&t, 511.
Bumpert, Th. v.,224. 229,
254.
Günther, Chr. W., 223.
——, Carol. 658,
@utbier, 719,
Guth, 273.
189,
Sagelweide, 199.
Hahn, L., 406.
—_——, B. 611.
Samm, 357. 581.
602.
Hammacher, 588.
Hanſchmann, 103.
Sanfen, 200,
589,
Sayri, 275.
Harder, 194. 701.
Sams, C. 119,
Sarting, 326.
Hartmann, 697.
Sartung, 595. 613.
Sartwig, 327.
Hafe, R., 222, 293, 301.
Saud, 698.
Hauſchild, 175. 201. 392,
699,
Het, 413.
Heck, 191.
Heger, 225. 231. 417,
Heidemann, 595.
Heim, 588,
Heindl, 695. _
Heiniſch, 137. 181. 185.
Heis, 291.
Sale, 101.
Hentſchel, E., 609.
dervng, 505. 698.
Hercher, 215.
Bering, 295. 319, 348,
Herrmann, %., 129. 277,
——, 9., 586.
Hergiprung, 587.
Herzog. I. ©., 603.
Seplin, 243,
Hildebrand, %. %., 490.
——, 6. R. 257.
Hillebrandt, M., 131.
Simpel, 637.
Hirzel, 9., 355.
Hoffmann, Kranz, 224,
9, 647.
—, 3, 204.
—, 8.1 3. 129.
——, 2. 119. 512,
——, Ip., 692. 744. 747.
Hohmann, 610, 614. 620,
Sollard, 324.
Sönig, 717.
Hopf, J., 19.
G. W. 210.
Hoose, 752,
Autoren⸗Verzeichniß.
Hornig. 69.
Hoͤrſchelmann, 498.
Hubert, 177.
SübnersTrams, 229,
Huisten, 271. 291.
Sumburg, 406.
Jacobi, 643,
Sacobfon, 174.
Kahn, G. A., 353, 501.
Jakob, 595.
Jaͤkel, J. C., 180. 329,
Jaepis, 99. 100. 120.
Imhoff. 330.
Qud, 131. 133.
Jungklaaß, 696.
Kähfer, 97.
Kaifer, H. 131.
Kaldyer, 685.
Kaltiäfh, 94.
Kaifftein, 502.
Kambly, 290. 291.
Kari, 339,
Keller, 258.
Kellner, 668. 692.
Keppner, 617.
Kern, 691.
Kettiger, 200. 626.
Kicffer, 180. 185.
Kiepert, 515. 516. 517.
Kiefel, 418.
Kirmes, 62%.
Kieinpauf, 276.
Kietle, 511.
Klopp, 411.
Kluge, 116.
Rnabe, 201.
Kober, 345.
Koberftein, 197,
Koh, E. E., 116.
——, ©. %., 757.
— , 3, 580. 585,
——, W. 9. 594,
Kol, 67%.
v2
Köhler, 294. 310. 315.
——, ©. €, 424,
Kohlrauſch, 407.
Kolb, 512.
Kolde, 84. 110. 121.
Köfler, 225.
Könen, 213.
König. R., 655.
—, Ih., 428.
Kopp, 401.
Koppftadt, 401.
Körber, 223.
Körner, Fr. 235. 245.303.
406. 488. 640. 650. 694.
Körting, 201. 293. 305.
Kothe, 611. 613,
Kottmeter, D., 526.
Kramer, ©., 642.
Kraußhold, 607.
Kreug, 593,
Kröger, 411, 648. 743,
Krohn, 28%.
Krombholz, 697.
Krüger, A., 406.
Kruſe, 659.
Kugler, 404.
Kühn, Frz., 181.195. 227.
——, 9. Th., 277,
Kuhn, 417. 588.
Külp, 278. 280.
Kurg, 100. 115.
Kutſcheit, 427.
Raiftner, 694.
Lampert, 508.
Zang, 516.
Zange, H., 514.
Zangenfeld, 701.
Langenhahn, 201.
Zangmann, 338,
Langsdorff, 698.
Zansty, 231. 698,
Rau, 410.
Lauckhard, 219. 320. 507.
661. 692.
Paͤdagogiſcher
Jahresbeſricht
hr
für
Deutfhlands Volksſchullehrer.
Sm Berein
mit
Berhelonci— Hentſchel, Kellner, Materne und
Prange
bearbeitet und herausgegeben
von.
Auguf Lüben,
Rektor der ale su Merfeburg.
—
Zehnter Band.
ö—— — — — — — —
2 Leipzig:
Derlag von Friede. Brandſtetter.
—
1857.
x
Beldemann, 98,
” WBeldinger, 468.
Weigemd, 138,
Weinhold, 432.
Belshaupt, 636.
Weiß, C., 628. 634.
Behbans, 108, Bacharid, 349.
Bird, 234. Zähler, 332,
Wiedemann, Fr., 228. Zahringer, 283. 264. 046,
BWidmann, 584. 589, 592. 630. 633. 701.
Bintelmaun, C., 514.517. Behme, 272. 286. 752.
Binter, 6. Ir. 2342. Heller, 666,
Beiß, B., 230. — 6%, 1%. Ziegler, 788. 789.
Beißweiler, 636. Bohlfahrt, 639, Siller, 659. -
Weigel, 199. Bottle, 107. Zimmermann, ©., 286.
Belter, 415. Bollheim de Fonſeca, 425. 690.
Vendel, 101. Boyide, 179. 190. 282. Bippe, B. %, 509.
Bendt, 507. Bulff, 700. —, 343,
Beyf, 599. 603. 606. 614. Würth, 751. file, 201.
Bernide, 419,
Dorwort.
Ungeachtet der Druck des Jahresberichtes mit dem Jamar
Begonnen bat, fo erſcheint er do fpiter, als id gedacht und
im vorigen Bande in Ausfiht geftellt hatte. Die Schuld Tag nicht
an mir; zwei der Herren Mitarbeiter, die durch ihr Amt fehr in
ihrer Zeit verkürzt find, konnten ihr Manuſcript beim beften Willen
nicht zu rechter Zeit einfenden. Bielbefchäftigte Lehrer werden das
zu würdigen wifien.
Einzelne Zeitfchriften haben den großen Umfang einiger Arbeiten
Des Jahresberichts gerügt. Wenngleich nicht zu verkennen ift, daß das
Material, weldyes zur Verarbeitung vorliegt, oft ein höchft umfang-
reiches if, fo muß ich dieſe Rüge Doch für begründet anerkennen;
wir werden und daher Alle bemühen, für die Zukunft das rechte Maß
inne zu halten. Auf den von einer Seite her gemachten Borfchlag,
aur die bedeutendften Schriften zur Sprache zu bringen, können wir
indeß nicht eingehen. Der Jahresbericht fol womoͤglich eine Ueber⸗
ſicht aller einfchläglichen Erſcheinungen des ganzen verfloffenen Jahres -
bringen, muß daher auch die mißlungenen Producte vorführen, um
vor ihnen zu warnen. Leider kann das nicht immer mit der Kürze
geichehen, die dafür wünfchenswertb wäre; denn der Getadelte hat
offenbar ein Recht, Gründe für den Tadel zu fordern. Dagegen
habe ich den Bericht über dad Turnen, das in der Zeitfchrift von
Ko ausreichend für die Betheiligten befprochen wird, aus Grüns
den der Sparfamleit ganz vom Jahresberichte ausgefchloffen.
XII Vorwort.
Herr Profeſſor Dr. Stoy fand ſich auch diesmal nicht in der
Lage, die allgemeine Pädagogik bearbeiten zu Tönnen. lm dieſen
wichtigen Gegenftand nicht wieder ausfallen zu laffen, habe ich den
Bericht Darüber übernommen; für die Zukunft wird ihn Herr Schul⸗
director Dr. H. Gräfe in Bremen Tiefern, was den Freunden des
Sahresberichtes gewiß angenehm fein wird.
Schließlich richte ich an die Herren Herausgeber von pädagogi⸗
ſchen Zeitfchriften die Bitte, im Intereſſe der Pädagogik gefällig
dafür zu forgen, Daß mir Die von denfelben redigirten Blätter moͤg⸗
tiHft regelmäßig und gratis durch Vermittlung des Herrn Verlegers
zugeben. Der Sahresbericht ift jet wirklich die einzige Schrift,
welche die zahlreichen, zerftrenten Arbeiten der pädagogifchen Jour⸗
nale fammelt, gruppirt, forgfältig befpricht und weiteren Leferkreifen
zugängli macht. Es ift das Außerft wichtig und trägt unfehlbar
auch Dazu bei, auf gute Zeitfchriften aufmerffam zu machen, alſo
ihre Berbreitung zu foͤrdern.
Merfeburg, den 11, Ss 1857.
l
„f
A. Küben, |
. I.
Neligions- Unterricht.
N Bon
Soma Moterne,
Seminarlehrer in Eisleben.
I. Vorbemerkungen zur Charakterifirung der gegenwärtigen
Geftalt des Religionsunterrichtes überhaupt.
1. Das neuerwachte religidfe Leben fucht feine Stärfung und
Kräftigung immer entfchiedener auf dem Grunde einer biblifch» gläubigen
Auffaſſung der chriftlichen Heilswahrheiten. Die rationalififche Anſchau⸗
ungsweife, welche das Pofttiv»Chriftlihe zur farblofen Allgemeinheit
bloßer Bernunftideen verflüchtigte, tritt immermehr zurüd; die ganze
Gegenwart ringt darnach, fi mit der pofitiven Religion in die engfte
Berbindung zu ſetzen. Auch die Bolksſchule empfängt immer mehr die
Signatur der Zeit. Sie arbeitet fich zufehends aus der ihr zugleich mit
der ganzen ablaufenden Beitrichtung eigenen Entfremdung von dem Pos
fitivs Chriftlichen heraus und fucht grade aus biefem neue Lebenskraͤfte
zu ziehen. Darum fährt ‚der Religionsunterricht immer entfchiedener
fort, ein hiſtoriſches Gefühl wieder zu erregen und zu flärken
und mit neuer deutlicherer Erkenntniß darauf Hinzuarbeiten, daß die
Iebensleeren Standpunkte anziehungsiofer Allgemeinheiten chne anſchau⸗
baren und genießbaren Kern, mit denen man fih fo -Iange herums
gequält — — , verlaffen und dagegen folche wohlgediehene Erzeugniffe
des religidfen Lebens als Gegenfland für die unterrichtliche Pflege ins
Auge genommen werden, welche um ihrer fcharf beftimmten Ausprägung
willen, wie wegen ihrer tiefen gefchichtlichen Bedeutung von bleibendem
Reize und Werthe find.” (Thilo: Das geiftliche Lied. Zweite Aus⸗
gabe. Berlin 1855 bei Schulze. Seite 6.) Mit allem Ernſt fchaut
der Religionsunterricht fich nach jener Dreizahl um, die, obwohl fie auch
in böfen Zeiten fein eiferner Beftand blieb, doch gar viel von ihrem Ins
halte verloren hatte: Bibel, Ratehismus und Gefangbuh, um
auf ihnen, als auf fefter Grundlage, fich ſicher aufzubauen.
2. Gleih der Volksſchule ‚Tann auch das Gymnaflum fih nicht
ber Geiſtesmacht erwehren, welche Zeit und Leben bewegt. Das Evans
gelium fucht wieder fein ganzes Recht in den Hallen, welche nur ber
Rade, Jahresberiht. X. 1
2 Jteligions = Unterricht,
Beisheit ans Latium und Hellas offen zu ftehen fchienen.” Aber lang⸗
famer doch, als in die Volksſchule, fcheint der neue Lebensodem in das
Gymnafium zu dringen. Es bleibt eine große Aufgabe der Zukunft, die
Säule der höheren Ordnung von Allem, was fih in ihr einer ſpecifiſch⸗
chriſtlichen Regenerirung entgegenfebt, vornämlich von dem vorherrſchen⸗
den Intellectualismus und dem damit zufammenhängenden Mangel von
erzieberifchem influffe zu befreien und fie, ohne mißverfiandene Aus⸗
drängung des Haffifchen Altertbums, in den Dienft einer entfchieden chriſt⸗
lihen Pädagogik zu nehmen.
3, Das veligidfe Leben der Gegenwart charakterifirt ſich außer feiner
Richtung auf das PofltivsChriftliche weiter durch einen beftimmten Zug
zu dem Kirchlich⸗Confeſſionellen. MſeDug offenbart fih nicht allein
in dem ſcharfen Gegenfage zwifchen der Latholifhen und evangelifchen
Kirche, fondern auch innerhalb der evangelifchen Kirche felbft, in der
Iutherifches und reformirtes Belenntniß immer entfchiedener einander die
Unterfeidungslehren zukehren. Zrügen die Beichen der Zeit nicht, fo
wird in Kurzem auch die Volksfchule von der confeffionellen Tendenz
unferer Tage tief einfchneidend getroffen werben. In dem größten, ers
fahrungsmäßig auch auf die ganze Entwidelung der Schule einflußreichften
deutſch⸗proteſtantiſchen Staate Hat die fchärfere Ausprägung des confel-
flonellen Charakters der Bolksfchule ſchon durch die den Gonfeffions»
fatehismen durch die drei Regulative von 1854 in den Volksſchulen
angemwiefene Stellung eine günftige Unterlage gewonnen. Bon noch ums
faflenderer Tragweite if ein im Laufe des Jahres 1856 aus dem preu⸗
Bilden Gultusminifterium ergangenes Refeript, durch welches das feit
1839 geftattete Alterniren von Lehrern verfchiedener Confeſſionen an ges
mifchten Schulen für die Zukunft aufgehoben und verordnet wird, daß
bei neueinzurichtenden und an ſchon beftehenden Elementarfchulen gemifchter
Confeſſion bei eintretendem Lehrerwechjel der confellionelle Charakter der
Säule fefzufßellen und nah Maßgabe deflelben ſtets die Anftellung bes
Lehrers vorzunehmen, daß, wenn nicht in anderer Weile, z. B. durd
den betreffenden Geiftlihen für die nicht zur Confeffion des Lehrers ger
hörigen Schüler geforgt werden fann, der Religionsunterriht wo möge
ih in einigen Stunden der Woche einem benachbarten Lehrer zu übers
tragen, daß ferner die etwa nothwendig werdende Anftellung eines zweiten
Lehrers zur Einrichtung zweier gefonderten Confeſſionsſchulen zu benugen
ift, daß endlich überhaupt die Regierungen die Einrichtung bejonderer
Confeſſionsſchulen, nöthigenfalls duch Trennung beflehender Schulfocies
täten, fo weit e8 die Zwede der Schule geftatten, im Auge zu behalten
haben. Nur vereinzelt find die Stimmen, welche diefer confelfionellen
Richtung gegenüber an dem Gedanken des fogenannten allgemeinen Res
ligionsunterrichtes ferhalten, und noch feltener ſolche Schuleinrichtungen,
wie die noch jept an einzelnen Orten Sachen » Weimars beſtehende chrifte
lich⸗ jüdiſche Simultanfhule mit chriſtlichen und jüdifchen Lehrern, die,
obgleich fie eine Sonderung des Religionsunterrichtes fefthalten, doch nach
ihrer ganzen Conftruction nicht auf einen hriftlichen, geſchweige dena auf
einen kirchlich⸗confeſſionellen Charakter Anjpruch machen kann.
Religtons- Unterricht, 8
4. In dem der Schule mit den übrigen Lebenskreifen gemeinſamen
Ringen verſtummen denn au allgemad bie vor Kurzem noch zur Tages⸗
ordnung gehörigen Klagen, daß vornämlic die Volfäfchule, bei welcher
wir jegt ſtehen bleiben, die Abkehr der lebten Jahrzehnte von dem Poſitiv⸗
Chriſtlichen und mit diefer alles Unheil der Zeit verfchuldet Habe. Es
gewinnt die Weberzeugung immer mehr Raum, daß diefe Abkehr nicht
allein aus der Volksſchule gewachfen ift, und damit mildert fih denn
zufehende das ganze Urthell über die Bergangenheit diefer. Nachdem
bereits vor mehreren Jahren einzelne auf dem Gebiete der Schule wohl
Heimiſche (3. B. Goltzſch) gegen die erhobenen Anklagen Einſpruch ges
than hatten, freilich ohne fonderliches Gehör zu finden, wurden nad und
nach auch gerade in denjenigen Kreifen, in denen man eine der Schule
ſehr ungünftige Haltung gewohnt war, erft leiſe, dann immer lauter
folge Stimmen vernehmbar, die alles Ernſtes behaupteten, baß gerade
unter dem älteren Xehrergefhlechte ganzer Gegenden, welches durchweg
als einem negirenden Geifte anheimgefallen gedacht war, mehr pofitivs
chriſtliche Elemente vorhanden ſeien, als man anzunehmen geneigt ge⸗
weſen war. Wir erinnern in dieſer Beziehung nur an die Berichte ber
yreußifchen Generaltirchenvifitationen. In unfern Tagen weifet man, da
auch die DBerfuche noch andere einzelne Gebiete zu ausfchließlichen Schuld⸗
traͤgern zu machen, gaͤnzlich mißlungen find, ganz entſchieden auf eine
gemeinſame Schuld der Vergangenheit. Die Zeit, in der nah Thilo's
Ausdrude alles Gethier auf die hartbedrängte Volksſchule Tosftürmte,
wie einft auf Reinede, ift vorüber. Das Jahr 1855 brachte diefer eine
befondere, dem Berichterflatter nur durch Thilo (im Brandenburger
Schulblatte) befannt gewordene Schupfchrift aus der Feder eines fchuls
und lebenskundigen Pfeudonymus (Ehriftian Frymann: Pädago⸗
giſche Büder zc.), der Die Frage, warum die Schule nicht geleiftet habe,
was man von ihr verheißen und erwartet hat, wenigſtens zum Theil
aus ben auf fie von Außen her wirkenden Umfländen beantwortet. Als
folge Umfände nennt er die häusliche Erziehung , die übertriebenen Ans
forderungen, die an fie gemacht wurden, die unverfländigen Erwartungen,
die man von ihr hegte, und den ungünftigen Einfluß, den hochgeftellte
Männer durch Rede und Schrift auf fie ausübten. Auch für die Zus
kunft abwehrend und fchüßend ftreitet Thilo, nachdem er bereits 1855
in feinem geiſtlichen Liebe (Seite 155 ff.) entfihieden genug für die Schule
geredet hatte, an die Beiprechung des Frymann'ſchen Buches anfnüpfend,
im Brandenburger Schuiblatte (Juli⸗ und Augufthefte 1856. Seite 426 ff.),
nit nur gegen unbegründete Unklagen, fondern auch gegen bie Thorheit
Derer, welche die afleinige oder hauptſächliche Hoffnung für die Forte
erhaltung des chriſtlichen Lebens auf die Schule ſetzen. Er flellt fie mit
Recht „den überfchwänglichen Pädagogen von Ehedem gleich, welche von
ihren Leitungen fo große Hoffnungen zu erregen mußten, daß wir noch
an ihnen laboriren.“ Es entſpricht völlig der Zeitſtimmung, daß in
einer im Jahre 1856 zu Königsberg in Pr. gehaltenen Conferenz von
Seiſtlichen die von einem geiſtlichen Schulanklaͤger alten Styles aufge
Pte. Behauptung, „die Schule fei ein fehr vornehmer Grund bes zur
4 *
4 Religions = Unterricht,
Beit fo ſchlechten Kirchenbefuches, da jetzt geerntet: werde, was dort fo
lange gefäet fei,' eine verdiente Abfertigung fand: (Evangelifches Ger
meindeblatt aus Oftpreußen Rr. 28. 1856. Seite 130.)
5. Bon dem Standpunkte aus, auf welchem der Berfafler diefer
Berichterflattung ſteht, if der pofitivschriftliche und Firchlich » confejfionelle
Charakter der Volkoſchule der allein berechtigte. Es muß dem Berfafler
bei feinem erften Auftreten in diefen Blättern um fo mehr gefattet fein,
diefes beftimmt ausgufprechen, je weniger er vorausfegen darf, durch feine
in engen Grenzen fi haltenden fehriftfiellerifchen Arbeiten dem umfange
reichen Leferfreife des pädagogifchen Zahresberichtes bekannt geworben zu
fein. Er fleht allein in der Durchdringung und Durchfäuerung aller
unferer Lebensgebiete durch den pofitiven Gehalt des Evangeliums die
heilende und erneuernde Kraft fowohl für unfere ganze Zeit, als ind»
befondere für die Volksſchule. Die damit von ihm für die Bolfsfchule
geforderte chriftliche Bofltivität gilt ihm dabei als unauflöslich verbunden
mit der confeffionellen. Den fogenannten allgemeinen Religiona⸗
unterricht hält er für das Product ‚einer atomiftifchen, philikröfen, pros
faifchen Unficht vom Menfchengeifte, die alle Individualität, alle eigens
thümliche Begeifterung unterdrüdt und die ganze Menfchheit auf vaffeiße
Niveau der Mittelmäßigkeit und Langeweile bringen möchte. Die den
allgemeinen Religionsunterricht fordern, fordern nach feinem Dafürhalten,
daß der Lehrer niemals ein freudiger Chriſt, weit weniger ein entfchies
dener Katholik oder Proteftant fei, daß er als Katholik ſchweige von
der mittelalterlichen Größe der Kirche, von der Herrlichkeit feines Cultus,
daß er als Proteftant nicht mit Begeifterung rede von der gottgeweihten
Perföntichkeit Luthers, daB er jene Lieder weder beten noch fingen laſſe,
die in der Neformationszeit die ganze Kicche mit freudigem Leben durch⸗
fhauerten. Sie legen dem Lehrer, der ein begeikterter Katholik oder
Broteftant if, deffen ganze Anfchauungsweife, deffen ganzes Willen und
Leben von dem Geifte feiner Kirche durchdrungen if, eine drückende.
ſchimpfliche Feſſel auf, unter deren Drude er gendthigt if, fein Beſtes
der Jugend nicht zu bieten, fondern ſich verſtimmt in fich ſelbſt zurück⸗
zuzieben. Sie ſuchen für ihren Dienft fade, indifferentififche Schwäger,
bie defto mehr in hohlen Phraſen fich herumbewegen, je mehr fie alles
Auffihwunges zum Idealen baar und ledig find. Freilich gehört darum
der Berichterflatter noch nicht zu Denen, welche die Jugend zu jener Ins
tolerang erziehen möchten, die nad roͤmiſchem Grundfage alle anderen
Gonfeifionen als durchaus auf falfchem Wege wandelnd anfleht, die über
dem Diffenfus die Einheit in den Zundamentalartifein vergipt und mit
allen andern Waffen, nur nicht mit Liebe und Milde, reitet. Uber er
ſucht den confeffionellen Frieden nicht in jener Lauheit und Rattherzig⸗
feit, die es für das Beſte hält, die gegenüberfehenden Confeſſionen in
ſchwankenden, vieldeutigen Formeln zufammenzuleimen und fcheu und
flüchtig über die Differenzpunfte hinwegzugehen. Als Bedingung bes
eonfeffionellen Friedens verlangt er auch für die Volksſchule eine ihrem
Standpunkte angemeffene Kenntniß der Unterfcheidungsiehren, dazu eine
folhe veligiäfe Unterweifung und Erziehung, welche die Jugend für den
Religions =» Unterricht. 5
Glauben der Väter zu begeiftern vermag, die auch den ſchlichten Bürger
und Landmann befähigt, für fein Bekenntniß in feinen Kreifen ein gutes
Zengniß abzulegen, die vor Allem aber auch in Dingen des religiöfen
Glaubens das Gebot der tragenden und verfühnenden Liebe als das 1dr
nigliche Geſetz in die Herzen ihrer Jünger zu ſchreiben verſteht.
Der Berichterflatter Hält ferner, um auch in dieſem Punkte
ſich mit feinen Lefern zu verfländigen, das in neuefter Zeit geltend ges
machte, 8. 3 von ihm befprochene Urtheil über die Gefammtfchuld der
Bergangenheit für das vollſtändig richtige. Er macht folgenden von
Golzſch 1853 ausgefprochenen Sap zu dem feinigen: „Die Schule
jeder Zeit entfprict den Zuftänden des Staates, der Kirche, der Ges
meinde und Familie diefer Zeit, nicht aber, weil fle als deren Factor,
fondern vielmehr darum, weil fie als deren Broduet angefehen werden
Tann.” Um ferner feinen Zweifel darüber übrig zu laſſen, welchem Le⸗
beusfreife er feinerfeits auf dem Grunde langjähriger, im Dienfte der
Kirche und Schule gefammelter Erfahrungen den meiften Antheil an den
fäweren Berfhuldungen der Vergangenheit, insbefondere der im Allge⸗
meinen nicht wegzulängnenden Entfremdung der Schule von dem Poſitiv⸗
Chriſtlichen zufchreibt, eignet er ſich eine Stelle aus einem Beitfchriften»
artifel an, der mitten unter den Stürmen des Yahres 1848 von der
Rinzig her gefchrieben wurde, und deſſen Durchklingen vielleicht ſchon
in $. 5 Diefem und Jenem bemerklich gewefen fein wird: „Hätte die
Kirche allezeit ihre Aufgabe im Auge gehabt, wären die Geiffichen auf
dem Gebiete des Religionsunterrichtes mit rechter Entfchiedenheit aufs
getreten, fo wäre es mit der Feindſchaft zwifchen Kirche und Schule
nit fo fhlimm geworden. - Richt, daß die Pfarrer das Kirchliche zu
ſehr urgirt hätten, fondern, daß die Lehrer fagen Tonnten: die Pfarrer
And geworden, wie unfer Einer, fle geben den Unterricht mit derfelben
Schlaffseit und Mattigkeit, wie wir, fie find hinfichtlich der Natur⸗
and Gottesbetrachtung eben jo aufgeflärt und jentimental, wie wir: das
bat die Kluft hervorgebracht.‘ Und um endlich fih auch darüber aus⸗
zulaffen, von welder Seite her er, nad hüben und drüben ſich ums
ſchauend, noch immer ſolche Hände vermißt, die nicht bloß anords
nem und anregen, fondern in eigener Arbeit für die Schule ſich rühren,
fo eitirt er die Worte eines nicht allein hochgeftellten,, fondern auch von
Kirche und Schule hochverehrten Kirchenobern, die allerdings zunächſt
ie Bezug auf ein einzelnes Unterrichtsobject geſprochen find, aber
auch in allgemeiner Beziehung Geltung „haben: „Soll unfer Geflecht
dem Worte Gottes näher kommen, ‚fo muß diefes ihm durch einfache
Erklärung in der Jugend näher gebracht werden. Im Confirmanden⸗
Unterrichte, in der fogenannten Bibelftunde, iſt Das nicht vollftändig möge
lich; fchon in der Schule muß Bibelerflärung getrieben werden, und
nicht nur von den Lehrern, — warum niht von den Pfarrern?“
(Zaspis in dem Borworte zu feinem Plane' für das religidfe Unter
richtögebiet. Lit. 6) „Wenn — mande Kräfte dazu (zur Schrift
erklaͤrung) noch nit geeignet find, warum bildet man fie nicht heran?
Lamentiren, conferisen, decretiren if nichts Schweres;
6 Religions» Unterricht.
e8 gilt aber, will man etwas erreichen, zu handeln.‘
(Derfelde im Borworte zum Hülfsbüchlein für den Unterricht in der
bibliſchen Geſchichte zc. Lit. B.)
7. Sat der Berichterſtatter bisher die Richtung, welche die Volks⸗
fhule der Gegenwart nimmt, im Allgemeinen als eine folche bezeichnet,
in welcher er eine beflere Zukunft beranreifen ſieht, fo iſt ed nun auch
feine Pflicht, aus dem gegenwärtigen Entwidelungsftadium diejenigen
Erſcheinungen vorzuführen, die ihm als unberechtigte Schößlinge an dem
neuen Lebensbaume ericheinen, und die gar leicht dem frifchen Stamme
feine Kraft entführen fönnen, wenn fie nicht von Allen, denen Gabe
und Beruf, für das gefunde Wachsſsthum der Schule zu wirken, geworben
iR, in ernfter Zucht gehalten werden.
8. „Die Vollsfchule hat — dem praftifchen Leben in Kirche,
Familie, Beruf, Gemeinde und Staat zu dienen und für diefes
Leben vorzubereiten, indem fie fi mit ihrem Streben auf daffelbe gründet
und innerhalb feiner Kreiſe bewegt.’ (Preußiiches Regulativ vom 3. Detbr.
1854. Seite 64.) Diefer Sag iſt allgemein als richtig anerlannt. Es
wird felbft von Denjenigen, in deren ganzer Anichauungsweife unter ben
verfchiedenen Beziehungen der Schule, die zur Kirche die bervorragendfte
Stelle einnehmen, nicht befiritten, daß außer den kirchlichen auch noch
andere, in den irdifchen VBerhältniffen der Schüler begründete Zwede im
der Schule berechtigt find, und daß es daher Pflicht diefer iR, dem
Schüler aud diejenigen Kenntniffe und Fertigkeiten zueigen zu machen,
welche nicht grade im unmittelbaren Interefle der kirchlichen und relie
giöfen, aber doch in dem der allgemeinen elementaren Bildung liegen.
Diefer theoretifchen Anerkennung gegenüber gefaltet fi die Prazis feit
. ben legten Jahren vieler Orten fo, daß die erftere factifch faſt ganz
aufgehoben wird. In einem an fih wohl erflärlihen, aber um feiner
Maßlofigkeit willen ficherlich bebauerlichen Rüdfchlage gegen den frübern
firhlihen und religidfen Indifferentismus und das Berlieren in ein
buntes, dem eigentlichen Volksleben fernliegendes, dazu oft fehr inhalt⸗
lofes Allerlei tritt uns jeßt von bier und dort eine fo verflärkte Bes
tonung ber kirchlichen und religiöfen Beziehungen der Schule und der
dahin einſchlagenden Thätigfeit der lepteren entgegen, daß bei der wahre
fheinlid nicht ausbleibenden Progreſſion die übrigen ntereffen ber
Säule einem Jedem gefährdet ericheinen müflen, der ſich einer wirklichen
Bekanntſchaft mit der Leiftungsfähigfeit der Schule und den Forderungen
der Beit, alfo einer folchen Bekanntſchaft rühmen darf, die durch die
Erfahrungen eigener fauren Arbeit in der Schule und durch Anſchauung
der Realität des Volkslebens, nicht aus hohlen Abftractionen gewon⸗
nen if.
9. Wir richten dabei unſern Blick vorzüglih auf die preußifche
Bollsihule, und zwar darum, weil fie uns als die heimifche am nächften
Beht und über fie ein ficheres Urtbeil am leichteſten zu gewinnen iſt.
Dabei übernehmen wir aber, wo es gefordert werden follte, ausdrück⸗
lich die Verpflichtung, auch auf anderen Gebieten der Bolfsfchule aͤhn⸗
liche Exrfigeinungen, wie im Preußiſchen, noch in größerer Anzahl nach»
Religions - Unterricht, 7,
zuweilen, als es des und zugemeflenen Raumes wegen am biefer Stelle
geſchehen wird. In Preußen erfihien das Regulativ vom 8. Octbr. 1854
als ein Quos ego gegen die wohlgefchloffene Phalanx aller Derer, die
im übel verſtandenem Gifer für Kirche und Religiön das Schulleſebuch
austreiben, Rechnen, Geſchichte, Geographie und Naturkunde an der
Bibel lehren, dem gottlofen Lautiren ein Ende machen, Bibel, Katechis⸗
mus und Geſangbuch nicht allein als die drei Hauptbücher der Bolls«
ſchule, fondern auch als alleinige Bücher diefer gelten laffen, in Summa
jedes Unterrichtsobjeet, den Religionsunterricht allein ausgenommen, auf
ein faR in Nichts ſich verlierendes Minimum beſchränken wollten. Das
Regulatis und die durch fie veranlaßten Auslegungen der Mittelbehörben
fiherten einer befonnenen, die wirklichen Forderungen der Zeit richtig
bemeffenden und darum das Kind nicht mit dem Bade ausfchüttenden
Richtung einen feſten Boden, auf welchem jenem unverfländigen, in ſub⸗
jeetiver Willkür herumfahrenden Anſtürmen bald gegen diefen, bald gegen
jenen Unterricätszmweig ein befimmter Damm entgegengefeßt werben konnte,
(Der Berichterfatter hätt dieſes für eine wefentliche Geite des Regulatives
vom 3. Detbr. 1854; er hat gerade fie in den vielfachen über das
Regulativ gepflogenen Berbandlungen am wenigften beachtet gefunden und
Rh daraus fein Urteil über die manchem Pro oder Contra hitzig Strei⸗
tenden eigene Bekanntſchaft mit den Zuftänden ber Volksfchule und das
daraus refultirende Recht, in ihren Angelegenheiten mitzureden, abges
leitet.) Dennod ſcheint die Schupwehr des Regulativs nicht vollfländig
fiher zu fein. Jene, wenn auch treu und ehrlich gemeinten, aber durch
and dur einfeitigen Befirebungen haben eine fo eigenthümliche Stel⸗
Inng eingenommen , daß fie fih in Stand gefeht fehen, das als Waffe
iguen gegenäbergehaltene Regulativ als ſchützenden Schild vor fih zu
halten. Aunähf wurde von ihnen die ganz ehtfchiedene Betonung, welche
das Regulativ mit Recht auf das kirchliche und zeligiöfe Element legt,
mit lautem Jubel begräßt und als das endliche Anlangen an dem von
ihnen lange erſehnten Biele bezeichnet. Weber die vielfachen bittern Täu⸗
ſchungen aber, die für einen fo beflimmt ausgeprägten Standpunkt mit
dem Erſcheinen des Megulatives verbunden fein mußten, erhob man
keineswegs bie Klage, die jede irgend genaue Einſchau in die bisherige
Stellung der Barteien erwarten mußte. Daß das Regulativ in beſſerem
Berfkändniffe der Schule und des Lebens hinter folhen Erwartungen
zurückblieb, welche die Aufhebung der Lehrerfeminare und die Einfüh⸗
rang abgedankter Kammerdiener, der Schuhmacher und Schneider in bie
Schulſtube als den Beginn paradiefiicher Urzuſtaͤnde der Schule anfahen,
daß es Das Leſebuch fanctionirte, das Rechnen nicht an die Bibel Inäpfte
und dieſem auch einen formellen Bildungszwed ſetzte, daß ed das Lautiren
nicht verfeßerte, fondern in der Methode des Leſelehrens fogar auf weis
tere Entwidelungen hinwies, daß es in Summa noch andere, als bie
kirchlich⸗ religisſen Zwecke, als in der Volksſchule berechtigte anerkannte:
dad Alles ward: jo ſtillſchweigend übergangen, als ob es factiſch gar
nicht vorhanden wäre. Sicher aber wäre es gefährliche Täufchung, ich
dieſes Schweigen als and einer glüdlicden Berfiändigung über das, was
8 Religions « Unterriät,
der Schule und dem Leben Roth thut, berporgegangen zu denfen. Es
liegt vielmehr der Argwohn nahe, daß es auf eine ſolche Taktik zurück⸗
zuführen ‚iR, die das im Regulativ Gegebene als eine einftweilige Abs
Tchlagszahlung auf die von der Zukunft erwartete, volle Befriedigung
der mißverflandenen kirchlichen und religiöfen Intereffen binnimmt, untere
deß aber von dem Ausgebliebenen fo viel als möglich durch vortheils
bafte Ausdeutung des Gegebenen zu gewinnen ſucht. Diefer Argwohn
hat feine Berechtigung in der Art und Weiſe, in welder wir das Res
gulativ von der bezeichneten Richtung gedeutet und ausgelegt fehen.
Denn es ift eine foldhe Deutung und Auslegung des Regulatives jept
vieler Orten gangbar, daß es augenfällig iR, wie man jetzt „unter bem
Schein des Rechten‘ an fi bringen will, was früher ohne Umfchweif,
als im Intereſſe des kirchlichen und religidfen Lebens liegend, gefordert
ward, nämlich die ganze Arbeitskraft der Volkoſchule. Wo das Regus
lativ in Beziehung auf den Neligionsunterrigt eine Erweiterung feiner
Forderungen durch Angabe eines Minimalfages oder durch allgemein
gehaltene Beflimmungen zugelaften bat, da rühren fich gefchäftige Hände,
das Minimum auf ein Mazimum hinaufzutreiben und dem Allgemeinen
ein gebrüdtes und gerütteltes Maaß GSpecielles als Inhalt zu geben.
Damit hängt eine andere trübe Erfcheinung nothwendig zufammen.
Es iR in den Kreifen, von welchen die übermäßige Betonung der kirch⸗
lichen und religidfen Beziehungen der Schule ausgeht, in der Regel eine
Hare, geordnete Pädagogik nicht heimiſch; es if in ihnen mehr Bewußt-
fein über das angefrebte Ziel, als Keuntniß der geeigneten Wege zu
finden. ‚Dazu renitiren die gefährdeten, weltlichen Unterrichtsobierte gegen
ihre Ausdrängung. Beide Bactoren zufammen produciren im Allgemeinen,
vorherrfchend aber im Reigionaumterriöhte, eine Richtung auf die aus⸗
ſchließlich gedächtnißkäßige Aneignung der Unterrichtsobjecte
und führen fo, gegenüber der früheren Nichtachtung des Gedächtniß⸗
mäßigen, in ein Extrem, deſſen traurige Früchte nicht fange ausbleiben
können. Der directe Gegenfaß zu dem preußifchen Regulative, das vor
Allem innerlihe Durddringung und Aneignung verlangt,
liegt auf der Hand.
Endlih Tann es aud dem ruhigen Beobachter nicht entgehen, daß
die Schule der Gegenwart in Gefahr ift, bei denjenigen Beftrebungen, welche
vorzugsweiſe auf die Erweckung bes religidfen Lebens hingehen, in das
Erkünßelte und Gemachte hineinzugerathen, das unferer ganzen Zeit über-
haupt vorgeworfen werden muß. In der guten Abſicht, bei ber Jugend
bas bei den Alten verlorene Terrain wiederzugewinnen, nimmt auch
He mehr und mehr ihre Zuflucht zu einer Ueberzahl religiöfer Reizungen
und Erregungen, und beraubt fi} durch dieſe der Früchte treu gemeinter,
ar in ben Mitteln und Wegen fih gänzlich vergreifenden Mühen und
tbeiten.
Bir führen jet eine Reihe einzelner Erſcheinungen an, die als
beftimmte Zhatfahen nachweiſen mögen, wie weit die ausgefprochenen
Bedenken, — übermäßiges Betonen der kirchlichen und religiöfen Bes
ziehungen ber Volksſchule ausſchließliche Richtung auf gebächtnifmäfige
Religions - Unterricht, | 9
Aneignung des religiöfen Unterrichtsfoffes und Mißgriffe in ber Er⸗
wedung des religiöfen Lebens überhaupt — gegründet find.
10. Zuerſt erinnern wir an die Operationen, die mit den Beſtim⸗
mungen des NRegulativs über die Morgenandacht in der Schule vorge,
nomfaen werden. „Die Religionsflunde,‘ heißt es Regulativ Seite 68
u.69, „fol überall durch den gemeinfchaftlichen Gefang eines geiſtlichen
Liedes oder Berfes, durch das einleitende Gebet, welches am beften der
Lehrer ſelbſt fpricht, durch Herſagen des Wochenſpruches und Wochen⸗
verſes, durch die ganze Haltung des Lehrers und der Schüler neben dem
unterrichtlichen den erbaulichen Charakter tragen.” In diefer Stelle find
geiliches Lied oder Bers, das vom Lehrer ſelbſt zu fprechende Gebet,
Wochenſpruch und Wochenvers deutlich als die zu der Morgenandadht
zu verwendenden Stüde bezeichnet. Richt zu überfehen ik dabei ber
Ausdrud ‚‚geiftliches Lied oder Vers,’ in dem offenbar die Abwehr
gegen die regelmäßige Wahl eines ganzen, befonders eines langen Liedes
liegt. An Stelle diefer Beftimmung des Regulativs feht Hr. Dr. Hubert,
Paſtor zu Groß⸗Kiethen, in feinem, angeblih in genauer Ueberein⸗
ſtimmung mit dem preußifchen Regulative, gearbeiteten Handbüchlein beim
Religionsunterrichte (f. Jahresbericht 1856, Seite Ai) eine Morgen⸗
andacht in folgender Weife:
Lehrer und Kinder fingen: Morgenlied.
Lehrer und Kinder beten: WMorgenfegen. .
Kinder ſprechen: Pfalm 51, 8. 3. 12. 13.
Lehrer ſpricht: Palm 103, V. 8—18.
- Kinder befennen: Ich glaube an Gott ac.
Lehrer betet frei oder einen Palm.
Kinder fagen den Wochenſpruch her.
Kinder beten: Bater unfer, der ıc.
Lehrer und Kinder fingen einen Vers des Wochenliedes.
Su diefem für das ganze Jahr feſtſtehenden Materiale tritt noch täge
lich das Lefen eines Abfchnittes aus der Bibel, das-feine Stelle nad
dem Gebete des Lehrers und vor dem Baterunfer der Kinder hat. Diefe
Morgenandacht beanſprucht nad) Dr. Hubert täglid 10 Minuten. Sie
erfordert aber, wie der Berichterfiatter fich überzeugt hat, 20 Minuten.
Es wurden bei einer nad Dr. Hubert gehaltenen Andacht im Ganzen
acht Berfe gefungen, (7 Berfe nach der Melodie: „Gott des Himmels zc.,”
Bfalm 8 vor dem Lefen gebetet und ein biblifiher Abfchnitt von 17 Ver⸗
fen gelefen.) Bei diefen 20 Minuten iſt das Herſagen des Wochenliebes
noch nicht mitgerechnet. Nun bat Dr. Hubert in feinem Winterleetiona⸗
plane der ungetheilten Schule die erfie Stunde der vier vollen Schul
tage fo vertheilt, daß die auf die zehn Minuten lange Andacht folgenden
40 Binuten für bie biblifche Geſchichte befiimmt And. Wenn aber die
Andacht 20 Minuten hinwegnimmt, — es fei denn, daß die Gebete,
Roffe citissime hergeplappert werden —, wenn auch bie leiten 10 Mi⸗
unten der Stunde anderweitig ihr gutes Benfum an Liederverfen und
Katechismus haben: was if da — die Frage nad der fonfigen An⸗
gemeſſenheit einer fo vielfach zuſammengeſegten Morgenandacht fei noch
0 Religions «Unterricht.
zurückgeſchoben — in Amal 30 Minuten in der Woche mit biblifchen
Gefhichtspenfen, wie 4 DB. in der 6. Woche nach den Michaelioferien
„Ruth. Buch Ruth 1.” „Eli und Samuel. 1. Sam. 1. 2. 3 ans
zufangen? IA da wohl zu erreichen, was Dr. Hubert (Borwort Seite VII.)
fordert: Erzählen jeder Geſchichte recht treu und lebendig nach der ſenau
bezeichneten Stelle der heiligen Schrift oder nah ©. Schulz oder Zahn;
Zueignung der Geſchichte durch Fragen, melde fih an den Gang der
Geſchichte anfchließen und ben Inhalt derfelben vor den Kindern aus»
reiten; die nöthigen Wort» und Sacherflärungen nach dem Handbuche
von Bormannz Lefen der Gefchichte von den Altern Kindern in dem His
forienbuche oder in der Bibel; noch einmal Erzählen durch den Lehrer
und Daraufhalten, daß die Kinder in den beiden obern Abtheilungen
ſaͤmmtliche Geſchichten mit Berfland erzählen lernen, alfo fleißiges Wieders
erzäßlen. Da wird es dann freilih ganz von felbft gefchehen, daß, auch
nahdem noch 15 Minuten der nächſten Stunde dem Auffchreiben der
bibliſchen Geſchichten, Liederverfe, Katechismusſtücke und Bibelfprüde zur
gewieſen find, ein großer Theil des biblifchen Geſchichtsſtoffes in andere
Stunden, vieleicht in die Behandlung des Lefebuches hineinwandert, und
biefes wird factiſch nicht vorhanden fein, auch wenn die Schüler es tägr
lich hin⸗ und herwärts tragen.
Aus den vier Ordnungen der Morgenandacht, die Hr. Prediger
Solbrig in feinem Lehrgange für den Religionsunterricht in eins und
zweiklaſſigen Elementarſchulen wieder mit ſtrenger Bezugnahme auf das“
preußifche Regulativ vom 3. Octbr. 1854 (Salzwedel 1855. Berlag von
Schmidt) zunähft für die Altmark giebt, führen wir Ordnung D. an:
1) Bibelfprud des Lehrers. 2) Gefang des erften Berfes des Wochen⸗
liedes. 3) Gebet des Lehrers. 4) Bibellection mit kurzer Erfiärung vom
Lehrer. 5) Ein Kind fpridt im Namen Aller das Wochenlied. 6) Die
Kinder fingen ben lebten Vers defielben. 7) Segenöwunfch des Lehrers.
8) Dreimaliges Amen der Kinder. Im einer befondern, Wochenſpruch,
Wochenlied und biblifche Lectionen darbietenden Tabelle find die zu leſen⸗
den und kurz zu erflärenden Bibelfoffe für die beifyielsweife hier ge»
nannte Woche Eſtomihi folgende: Luc. 17, 1—19. Luc. 17, 20 — 18, 14.
Job. 11, 1—57. Matth. 19, 1—30. Matth. 20, 1—16. Matth. 4,
1—11. Auch feine diefer Morgenandadhten dauert nad) Berfideruug
des Hrn. Solbrig länger, als hoͤchſtens 10 Minuten (!).
11. Ein anderes Beifpiel. Das Regulativ fordert Seite 67:
„Weiter find für jede Schule mindeſtens 30 Kirchenlieder zu beſtimmen,
bie fe gelernt werden müffen.‘ Dan bat diefen Minimalfag in ver-
fhiebenen Schulfreifen erhöht. Die Königliche Negierung zu Merfeburg
hat 40 fehgefept, und es if gewiß damit ein rechtfchaffenes Theil Ar⸗
bett gegeben, zumal wenn man zugleich auf alles Andere ficht, was zus
gleich feftes, unverlierbares Eigenthbum der Schüler werben nm. Aber
auch die Forderung der 40 Lieder will Vielen nicht mehr genügen. Durch
alle Zehner hindurch iR man beveits über 100 hinaus, ja bis 120 ges
kommen. Das Unglaubliche feiftet ein Duumpirat aus Kirche und Schule.
In einem des Verwundernswerthen viel enthaltenden Büchlein (Lit. G.)
Religions - Unterricht. 9
berichtet und Hr. Paſtor Fink und Hr. Lehrer Vorbrodt ale:
‚Rimmt man an, baß fie (die Kinder) vom 9. bis zum 14. Jahre, alfe
in 5 Sabren, in jedem nur 20 Lieber lernen, fo muß jedes Kind mins
deſtens 100 Lieder aus der Schule mit ins Leben nehmen.‘ Bon ihrer
eigenen Schule aber redend, laſſen fie fi alfo verlauten: „Die beten
Eonfirmanden nahmen mit bis 120 der beften Kernfieder, 90 bibliſche
Geſchichten aus dem Neuen und über 40 aus bem Alten Tehamente mit
Ausnahme noch einiger längeren Abfchnitte aus dem R. T. wie Gtüde
aus der Bergpredigt ze. und mehrere Pſalmen, bie fie ihrem Gedaͤcht⸗
niſſe eingeprägt hatten.“ Die Herren Fink und Vorbrodt nennen dieſes
Reinitat ein wahrhaft erfreulichee. Wir und manche Andere, denen
das Wort Gottes das erſte Unterrichts object der Volksſchule iſt, die wir,
beiläufig geſagt, auch keine Neulinge in der Bolksihule find, ſchutteln
bedenklich den Kopf zu den 100 und 120 Kirchenliedern. Wir fragen
die beiden Pädagogen in Schönberg, — ob fie alles das, was fie in
ihrem Eden bauen fönnen, auch etwa da gezeitigt wiflen wollen, wo ein
gar fleiniges, dorniges Land zu beadern iſt? Und gar günftige Vers
baͤltniffe müßten es fein, in denen 100 bis 120 Kirchenlieder von Schuls
findern nicht bloß auswendig gelernt, fondern auch innerlich ange»
eignet werden. Als folhen, die ein Regulativbuch geſchrieben haben,
trauen wir den Schoͤnbergern wenigftens fo viel Berfländniß des Res
gulativs zu, daß fie in dem Sinne und Geifle defielben bie Forderung
der innerlichen Aneignung begründet finden. Wie fieht es num .
mit der innerlihen Aneignung und der dahin einfchlagenden Arbeit,
einer ſolchen etwa, wie Thilo fie in feinem geiftlichen Liede befchreißt?
Denn es ſich freilich nur um das bloße Einlernen handelt, kann eine
darauf dreffirte Schule noch mehr leiften. Dann haben wir aber auch
noch die beicheidene Frage nach den ſonſtigen Schulrefultaten, als da
find Schreiben und Rechnen und allerlei andere Dinge. Oder find Die
Schönberger vielleicht jchon weiter, als die bekannte theologiſche Zeit⸗
ſchrift, die jüngft behauptete, daß die Gottesfurcht im Lande viel gräßer
fein würde, wenn das Volk nicht fchreiben lernte! —
Die Kirchenlieder follen fe gelernt werden, und das mit Recht.
Aber: fiher liegt es nicht im Sinne dead Regulativs, daB die Schäler
zu Antworten auf foldhe Kragen einerereirt werden: Wie heißt der 6. Ber?
der zweite? 3. Das mag angebracht fein bei: Allein Bott in der Ss
fei 2e., bei: Eine fee Burg if unfer Gott 2c., aber nicht bei vierzig
oder gar noch mehr Kirchenliedern.
Daß aber nicht” der Berichterflatter der Ginzige if, dem ſolche
Bragis entgegen getreten ift, bezeugen die Auslaffungen eines Unge⸗
neunten im Brandenburger Schulblatt. Mais und Juniheft 1856,
Seite 304 ff. — Zerreißt man denn auch Palmen in ihre Stronben
oder Berfe, und woher kommt die Zeit zu den Zifferegereitin? Bo
nd die Lehrer, die bei 30 bis 40 Liedern die Nummern ber einzelnen
Verſe ſelbſt ſicher im Gebächtniffe haben?! Und weldien Ruben haben
ſolche Uebungen für Herz und Leben? „Ich febe den Fall, es wolle
Gh Jemand wit diefem einzelnen Bere (— B. 7 aus: Befiehl du deine
42 | Religions » Unterricht.
Bege x. —) trößten, fo ift ihm das nicht tröffich, und er frägt auch
nicht darnach, daB es der flebente Vers ift, fondern, daß er anfängt:
„Auf, auf, gieb deinem Schmerze 2. und fo weiter laute, wie er eben
lautet. Oder foll in einer Berfammlung der Vers gefungen werden, fo
wird es Keiner riökiren, bloß auf die Rummer des 7. Berfes hinzu⸗
deuten und zu boffen, Alle follen nun den Anfang willen, fondern er
wird die Worte des Anfangs wohl angeben müflen. — Einen praftifchen
Augen ber bier in Rede flehenden Mühjeligfeit ſieht man alfo nicht ein.’
(Brandenburger Schulblatt a. a. ©.
12. „Eine beftimmte Methode des Lefenlehrens vorzufchreiben, fcheint
mit Rückſicht auf mehrere feit einigen Jahren zu Zage getretene, noch
nicht allfeitig ausgebildete und erprobte Verfuche jeht noch nicht an der
BZeit.“ (Regulativ vom 1. Octbr. Seite 26.) Daß auch diefe offene Baus
Kelle direct für den Religionsunterricht angebaut werden würde, fland
faum zu erwarten. — In einem Leitartifel bes oftpreußiichen Evans
gelifchen Gemeindeblattes (1855. Nr. 24), betitelt: „Hahnenfibel oder
Katzenfibel?“ erzählt ein Herr R., den es in der Erinnerung an die
alte Habnenfibel „anheimelt,“ daß ihm dabei ganz apologetifch zu Muthe
wird, und der in „den hauchigen, fänfelnden, zifchenden Tonlofigkeiten,
mit denen und die überaus rationelle Lautirmethode beſchenkt hat, Die
alten ehrwürbigen Namen der ehrwürdigen Buchſtaben“ verloren fieht,
von. einem "allerdings verunglüdten Berfuche, eine Katechismusfibel zu
entwerfen, die nach Art der ehemaligen Hahnenfibel außer "dem erften
notbwenbigften Lefelernmateriale den Katechismus, das Baterunfer, Ge⸗
bete 2c. zu den erſten Lefeübungen bdarbieten follte. Geſtuͤtzt iR der ganze,
zu weiterm Nachdenken anheimgegebene Gedanke an die Katehismusfibel
durch die Erfahrung, daß Kinder beim Lefenlernen unbemerkt ganze Lefe⸗
abfchnitte ihrer Fibel auswendig lernen und daß bei dem Leſen folder
eingeübten Stüde ihre Worte dem zeigenden Finger immer vorausrüden,
fo daß fie in der Wirklichkeit nicht Iefen, fondern größtentheils berfagen,
was bei den Lefeübungen fih unmillfürlich eingeprägt; weiter auch auf
die Erfahrung, „daß viele Kinder während ihrer ganzen Schulzeit über
diefe erſten Mebungen nicht binausfommen und bei dem Memoriren ber
Sauptflüde und deren Zubehör wegen mangelnder Lefefertigkeit große
Schwierigkeit finden,’ alfo auf die Vorausſetzung, Daß durch ſolches Ab⸗
buchſtabiren und Berbuchflabiren der Hauptſtücke ze. der Stoff für den
Religionsunterricht werde befler auswendig gelernt werden. — — Sicher
hätte die Katechismusfibel, falls fie irgendwo in Oftpreußen Eingang ge»
funden hätte, bald wieder das Feld räumen müffln; aber daß ein ders
artiger Anlauf verfucht wurde, ift charakteriftifch genug für die väda⸗
gogifchen Beſtrebungen gewiffer Kreife überhaupt und die ben Religions
unterricht angehenden im Befonderen.
12. Das Bibellefen fol fih „hauptſächlich“ auf eine Auswahl
aus den Pfalmen, prophetifchen Büchern und neuteſtamentlichen Briefen
erſtrecken. (Regulativ vom 3. Detbr. Seite 67.) Wenn wir mande der
vor uns liegenden Bibelzettel 2c. anfeben, fo müflen wir fagen, daß fie
‚das. Wörtlein „hauptfächli‘' grob mit Füßen treten. Wir greifen. eins
: Religions Unterricht. 8
der Regulativbũcher heraus. Die Herren Fink und Borbrodt ſchreiben
Seite 2: „Bibellefen: Das neue Teſtament nah ber Reihe;
Seite 29: „Lefen im A. Z.: Außer einer Auswahl von Pſalmen
und prophetifhen Büchern dienen nod folgende Abſchnitte
zur Ergänzung und FKortfegung der Geſchichte des A. T.“
Run find 31 Kapitel aus dem 2. bis 5. Buche Mofis angeführt. Dan
heißt e6: ‚Außerdem Stellen aus dem Buche Joſua, der Richter, dem
Buche Ruth;“ dann folgen 8 auserwählte Kapitel aus den Büchern der
Könige; dann wird noch das Lefen folgender Bücher gefordert: Jeſaias,
Jeremias, Daniel, Jonas, Efther, Hiob (Lefen der Kapitel 1. 2. 42),
Tobias, Esra, Nehemia, erfies Buch der Maflabier. Es if auf 44
Schulwochen gerechnet, die Woche doch wohl zu 2 Stunden Bibellefen.
Eine Stunde wird wohl auch in ber Zink» Borbrodtichen Mufterfchule
von den Perikopen vollkändig in Anſpruch genommen. Es bleiben alfo
44 Stunden übrig. Run wolle der geneigte Lefer, fo er. e8 anders der
Mühe werth erachtet, die geforderte Kapitelzahl zufammenaddiren und
darnach das durchfchnittliche Stundenpenfum berechnen, und die Herren
aus Schönberg mögen uns fagen, wie fie Bibellefen treiben und im
welchen Stunden fie es treiben. — Aehnliches als Zink und Borbrodt
bietet ung Hr. Dr. Hubert, der auch die Offenbarung Johannis für die
Schulandahten verwendet. Da find wir denn, nachdem die Regulative
erjchienen find‘, wieder bei dem Satze, der einft (fiche den vorjährigen
Sahresberiht Seite 13—15) in Gumbinnen ausgefprochen wurde: „Alles
fol in der Bibel gelefen werden, von Anfang bis zu Ende.’ Wo bleibt
da der Zwei des Bibellefens? wo das Regulativ?
14. In der Kirche regt fih fühlbar das Bebürfniß nach dem
litusgifchen Elemente der Erbauung. Biele Hände find beichäftigt, das
Bedärfniß zu befriedigen. Die Rührigkeit ift fo groß, daß es den Ans
ſchein gewinnt, als wolle man durch das Liturgifche alle alten Wunden
heilen. Und jüngk find auf einer Berfammlung von Geiſtlichen von
einem Stolbergr Roflaer (Baftor Potel in Uftrungen) Worte geſprochen
worden, die auch Solchen, weldhe mit dem Sprecher biöher auf einem
Glaubensgrunde zu ſtehen dachten, ernſtlich bange machen müſſen. Pa⸗
rallel mit den Maaß und Ziel verfennenden liturgiſchen Beſtrebungen
der Kirche geben die der Schule, oder richtiger, die auf die Schule ſich
binrichtenden. Nicht bloß gewiſſe Lichtpunkte des fehulifchen und kirch⸗
lihen Lebens, wie 3. B. die Borabende der großen kirchlichen Yehtage,
der Geburtstag des Landesherrn 2c., denen eine Auszeichnung durch eine
liturgiſche Andacht ficher gebührt, ſondern faft jede einzelne Gebets⸗ und
Andachhtökunde, Morgengebeie, Nachmittagsſchlußgebete, Kindergottes⸗
diente, Schuimiffionskunde, — Alles muß liturgifh zugerichtet feim.
&r. Dr. Hubert bringt uns außer feinen ſchon angeführten liturgiſchen
Morgengebeten noch eine Ordnung des Kindergottesdienfles, nach welder
der Lehrer funfzehn Mal, die Schüler fechszehn Mal ſprechend umd
ſingend auftreten. Noch weiter, als in Preußen, fcheinen die ſchuliſch⸗
liturgiſchen Beftrebungen in Medienburg zu geben. Wie weit man ſich
dort werirzt, zeigt ein in dem Medienburger Schulblatie 1856 Rr. 35
T Religions Unterricht.
gegebenes Formular zur Abhaltung ber monatlichen Miffiondfiunden in
ber Volksſchule. Es wird ein Kirchenlied gefungen, der Lehrer fpricht
einen Bibelſpruch, der Schülerhor fpricht ein Gebet, der Lehrer Tief
Jeſaias 2, 2—5, der Schülerhor ſpricht Joh. 3, 15, der Lehrer fragt
die Schüler, inwiefern wir Schuldner find den Griehen und den Un
griehen, den Weiſen und den Unweilen. Nachdem ein Schüler darauf
geantwortet hat, werden zwei Bere gejungen, von denen der eine
alſo lautet:
„Die Schwarzen und die Braunen
Laßt Jeſus aufpofaunen -
Aus ihrem Sündenfchlafe.
Der große Hirt der Heerde
\ Geht fuchend durch bie Erbe,
Verliert nicht gern ein einzig Schaf.‘
Dann leſen nem Schüler auf vorhergegangene Aufforderung des Leh⸗
rers neun Schriftftellen, die von der Miffion handeln, darauf folgen
20 Fragen des Lehrers und eben fo viele Antworten der. Schüler, das
zwifchen Lefen von 8 Schriftfiellen, theils durch einzelne Schüler, theils
durch den Schülerchor, theil6 durd den Lehrer, und zweimaliges Singen.
Beifpiele diefer Fragen und Antworten. Frage: „Wie kannſt du durch
Neden den armen Heiden helfen?“ Antwort: „Wenn ih ihnen Durch.
meine Worte mehr thätige Freunde gewinne. Frage: „Findeſt du Das
zu Gelegenheit?‘ Antwort: „Als Maria den Herrn jalbte, berechnete
Judas die Koften und fprah: Wozu diefer Unrath? Man follte das
Geld lieber den Armen geben. Aber in der That fragte er nichts nad
den Armen. Alfo bat auch die heilige Miffion viele Feinde, weil fie
Geld koſtet.“ Frage: „Wie kannt du den armen Heiden heifen durch
bein Leben?” Antwort: „Wenn ich mein Licht leuchten laffe, daß die
Angläubigen meinen guten Wandel fehen und Gott preiſen.“ — Rad
dem Bwiegefpräce der freie Bortrag des Lehrers, dann ein liturgifches
Lobyreifen Gottes (dreimal fprechen die Schüler, dreimal ſpricht dee
Lehrer), das Einſammeln der Mifftonsbeiträge, Schlußgebet des Lehrers
und Schlußgefang. — — Rr. 37 des Medienburger Schulblattes bringt
ung „bie Form, wie in der zweiten Klaffe zu D. der Morgenfegen gebetet
wird.‘ Nach einer Aufforderung des Lehrers zum Beten fpricht ein
Schüler: „Das walt' Bott, Vater ꝛc.,“ dann ein zweiter: „Ich danke
dir, mein himmliſcher Vater, durch ꝛc,“ Darauf ein dritter wieder nach
vorhergegangener Aufforderung den Glauben, ein vierter betet das Vater⸗
unfer. Dann folgt ein für jeden Zag befonders beftimmter Gebetsvers
oder biblifcher Segenswunfch von dem Lehrer gefprochen, dann ein Lieder«
vers von dem Schülerchor gefungen, darauf nach einer befonderd for⸗
mulirten Ankuͤndigung des Lehrers ein Kapitel aus der Bibel oder ein
Lied aus dem Geſangbuche, ein Hauptſtück des Katechismus, — gelefen,
reſp. gebetet. — Der Berichterflatter verwahrt fih ausdrücklich gegen
die Geringfchägung des Hiturgifchen Glementes in der Schule, aber er
bezeichnet folche Lünftliche, vielfach zuſammengeſetzte liturgifche Andachten
in der Vollsſchule ale beklagenswerthe Berireungen. Er erinnert zu⸗
Religions - Unterricht. 15
nihR daran, weich’ ein ſchwieriges Ding es if, eine eingige, nit ein»
mal fehr zufammengefebte liturgiſche Andacht mit den Schülern fo exaet
vorzubereiten, daß jede Störung — auch die geringfle if der Todfeind
der angefirebten Erbauung — vermieden wird. Da giebt es viel Ein-
üben, viel Proben, viel faure Arbeit, ehe das Ganze jo weit hergerichtet
if, daß alle einzelnen Stüde in Einklang kommen. Es if arge Täu—⸗
hung, bei Schülern Erbauung vorauszufegen, denen nach mühevoller,
oft nicht in Liebe und Ganftmuth vollbrachter Einerercirung die Er⸗
innerung an das, was hinter ihnen liegt, und die Ang vor der bei
augenblidlicher Unaufmerkſamkeit anzurichtenden Störung wie ein Kobold
über die Schultern hinweg in Bibel und Geſangbuch hineinfieht. (Dar
zu find beifpielsmweife zu vergleichen die Materialien in dem Bude von
Sydow. Lit. F.) Und ganz abgefehen von den Hinderniflen der Err
bauung, die in der arbeitsvollen Seite liturgifcher Burihtungen Liegen,
it es eine andere arge Zäufchung, aus gänzlicher Unbelanntfhaft mit
dem Tindlichen Geiſte erwachſen, in dem Biel und DBielerlei eine wirk⸗
liche Erhebung nach Oben zu fuchen. „Es ift zu bedenken,‘ fagt Thile
im geiftlicden Liede Seite 148, „daB ein Bielerlei nicht fammelt, ſondern
zeriteut, den Geif nicht in fehle Richtung, fondern in Schwankung ver
ſeht. Was einem Gereiften nicht anzufinnen if, darf man noch wer
niger einem Kinde zumutben. Man hat einen Luxus von Formen ers
mittelt für die Andachtserregung. Dan verfahre haushälterijch mit den⸗
jelben in der Schule. Die Schulandacht muß, fol fie Fein Schein,
d. 5. feine Unwahrheit fein, fo einfach als möglich gehalten werden,
um fo wahrhaftig als möglich fein zu Lönnen. Es ift mehr als eine
Thorheit, das Bitten und Zürbitten, Danken, Loben und Preifen, das
der Herr fich zugerichtet hat in dem Munde der Unmündigen, alle
Augenblide in eine complicirte Mefle einzurenlen und einzufchrauben,
damit es dem Herrn ein wohlgefälliges Opfer fei. „Die Schulliturgien,
Die Schulaltäre werden es aud nicht thun. Muß denn Alles kuͤnſtlich
werden, was Gott einfach begehrt, und will man denn mitten im Abs
ſchaffen der leidigen Leitfäden nun gar methodifche Lehrgänge der Ans
dacht Kiefern?" (Hupe: Brandenb. Schulblatt. Mai» u. Junibeft. Seite
356.) Endlich aber fei wieder die Frage aufgeworfen: Woher Tommi
die Beit zu den nothwendigen Vorbereitungen, und weldes Unterrichts⸗
object wird, da die wenigen Gefangfiunden doch nicht dazu hinzeichen,
und auch an Volkslied, Kirchenlied und kirchlicher Liturgie ihr Theil
haben, geichädigt? Ramen find gehäſſig und überflüfflg; wir wollten
fonk nah Ort, Zahl und Zahr die Beweife liefern, wie es mit ben
Säulen da Reh, wo die Schulinfpeetoren oder Lehrer als Erfinder und
Ausbildende neuer Singelehrmethoden auftreten, oder wo zu pomphaften
Begräbnifien eine Menge künſtlicher Grabegefänge, wo möglich ganz neue,
eingeübt werden wüflen, oder wo das Firchlich-liturgiiche Element über
Die vorkandenen Kräfte hinaus angebaut wird. Die liturgiſchen An⸗
dachten der Volksſchule in ihren Künflichkeit und Ueberzahl müſſen dies
ſelben Früchte tragen.
416 Religions » Unterricht.
15. Hierher einſchlägig iR auch ein Vorſchlag, von einem Nanne
gemacht, von dem man, wenn auch nicht immer Praktifches, fo doch meift
„Friſches und Firnes“ zu bören gewohnt ik. Director Hauſchild
fhlägt (Leipziger Blätter für Erziehung und Unterriht. 1. Jahrgang
1855. Seite 116—117) bei der Erörterung des Gedankens, daß bie
Feſtmomente des bäuslichen Lebens in die Schule binein müffen, vor,
die Geburtstage der Schulkinder auch in ber Schule zu feiern. „Der
Seburtstag muß feine Strahlen auch in das Lehrzimmer werfen. Wenn
die Kinder von wohlthuender Eiternhand mit allerlei Freuden überſchüttet
worden find und ihr Herz lauter, als fonft fchlägt, da kommt der Lehrer
und legt die Gaben geiftiger Weihe dazu. Er betet für das Kind mit
den andern Schülern, er hält eine kurze Anrede an daffelbe, nimmt feine
frommen Berfprehungen an.’ Bo if das Alles ausführbar ?
16. Setzen wir zu dieſem Allen noch unfer Urtheil über den
Stand der Literatur des Meligionsunterrichtes in der Volksſchule im
Allgemeinen. Es ift mit Recht bereits mehrfach ausgeiprochen worden,
daß feit einigen Jahren, namentlich feit dem Erfcheinen der preußifchen
Regulative, eine wahre Schriftftellerwuth unter Schulinfpectoren und
Lehrer gefahren il. Es möchte aber auf keinem Gebiete die Ruͤhrigkeit
fo groß fein, ale auf dem bes Neligionsunterrichtes. Leider fleht Die
Berbienkligfeit der Leitungen in großem Mißverhältniffe zu der Ans
zahl. Ein gutes Theil der in Schaaren erfcheinenden Katechismen, Hands
büchlein, Leetionspläne ift fehr ſchwache Arbeit. Da ift auch nicht eine
Spur von Belanntfhaft mit den Zuftänden und Bedürfniffen der Volks⸗
fhule, mit der Leifungsfähigfeit der Lehrer und Schüler, nicht eine
Spur von pädagogifcher Bildung und Erfahrung überhaupt. Nach mecha⸗
nifcher Zählung werden biblifche Geſchichten, Katechismusftoffe, biblifche
Bücher, Kirchenlieder in größere oder Bleinere Partikeln gefchnitten,
nah einem Divifionsegempel auf eine befimmte Anzahl Schulwochen
vertheilt, und ein „Handbüchlein,“ „ein Kirchenjahr in der Volksſchule“
if fertig. Für Diejenigen aber, welche vor der in Büchern diefer Art
gangbaren Auffpeiherung von Maffen erfchreden, haben die yädagogifchen
Sabrifarbeiter den leidigen Zrof: „Es muß fertig; ja fie verfihern
wohl gar, daB fih die Schwierigkeit höchſtens auf ein Jahr erfirede
und daß die Nutznießer ihrer Machwerle nad wenigen Jahren fidy bie
gegebenen Benfen noch vergrößern werden. (So Fink und Borbrodt
a. 0 O. Seite XII.) Im Jahre 1852 ſchrieb Goltzſch: „Schon if
die Defürdtung nicht mehr grundlos, daB im Eifer um das gefährdete,
der Volksſchule wefentlihe Bildungsmaterial mit der Pädagogik wenig
vertraute Schulauffeher und Lehrer dahin gelangen möchten, eine ſchlecht⸗
bin feindfelige oder gar verächtlidh abweifende Stellung zur PBädagogif
einzunehmen und bamit bie Bolfsfhule der treugemeinten Hülfsleiſtung
einer fehr eifrigen und arbeitsfreudigen Dienerin zu berauben.” (Bors
wort zur erfien Auflage feines Einrihtungs- und Lehrplanes.) Seht,
am Schiuffe des Jahres 1856, wird Golgfh wahrſcheinlich mit uns
einverftanden fein, wenn wir behaupten, daß die fogenannten Regulativ-
bücher, namentlih die in das Gebiet des Neligionsunterrichtes - hinein,
Religions⸗ Untetricht.
ſchlagenden, zum Theil ‚wirflige padagogiſche Armutdezeugniſſe And:
Ce if ſo weit gekommen, daß in andern Kreiſen, als denen, in welden
man, nah dem Worte des trefflihen Thilo, von einer Bädagogif
wenig oder weniger als wenig weiß, die Regulativliteratur überhaupt in
argem Mißfrebite ſteht. Der Mißbrauch, der von den Büchermachern
mit dem Regulative vom 3. Dctbr. 1854 getrieben wird, if freilich zu
entiepfih. Schriftfteller, hinter dem Regulative ber aufgeſchoſſen wie
Pilze nah dem Regen, Leute, die gänzlich unfähig find, Sinn und
Geiſt des Regulatins zu verfiehen, und darum an den Wortlaut fidh
ingflich anflammern, auch Solche. die 28 fi gar nicht übel nehmen,
den ausdrücklichen Beſtimmungen des Regulativs geradezu ine Geſicht
zu ſchlagen, oder aus ihnen herauszudeuten, was zu ihrem eigenen Un«
verkaude paßt: ein ganzer Chorus von hüben und dräben fegt mit une
geheurer Vermeſſenheit feinen Machwerken den Namen des Regulation
an die Stirn und ſchickt die fo geaichte Waare anf ben Büdermarki.
Die armen Bolksſchullehrer aber, vornämlich die älteren, von denen
viele unter dem Ginfluffe vergangener Doctrinen aufgewachſen find,
greifen bei aller Beichränktheit ihrer äußeren Mittel haſtig nach deu ſo⸗
genannten Regulativbüchern. Bon Lofatfchulinfpectoren reichlich mit Vor⸗
fnriften über die Ziele bes Unterridhtes, auch wohl mit allgemein ges
heitenen, meiſtens aus der Theorie und nicht aus der Braris erwach⸗
jenen meihodiſchen Ratbichlägen verfehen, ſuchen fie in den Regulativ«
bachern fo recht eigentlich den flügenden Stab ihrer auf neue Vahnen
gewsiefenen Progie. Uber wie oft wird diefer Stab. ein Stab Wehe,
venn der neue Regulativfetehismus „foröde und fandig’' if, oder alles
Andere, nut nicht die geforderte einfache „Wort- und Sacherklärung“
bietet, wenn die Benfen, die in dem zum führer genommenen „Bands
bũchlein, Blaue zc.’ angelegt find, ſich nit einmal gedaͤchtnißmäßig
abjoßeiren laſſen, wenn breite, hohle Phrafe ale Deutung der Regu⸗
lative ſtudirt werden fol. Die Rathloſigkeit der Lehrenden aber hat
als Bielgefchäftigkeit und unrubige Arbeitshaſt ihren Niederſchlag in der
Schule. Tnter dem unruhigen Drängen und Treiben wid fi die Sab⸗
batharnhe des innerlichen Berfentene in das Heiligtfum des Gottes⸗
worte® nicht mehr finden. Die Schule wird zur Fabrik; Lehrer und
Schüler geratben unter dad Räderwerk eines ertödtenden Mechanismus.
Ee if hohe Zeit, das Rind bei feinem rechten Namen zu nennen, hobe
Zeit auch, daß Diejenigen, die in pädagogiſchen Zeitiäriften das Amt
der Kritik üben, nicht mit Geißeln, fondern mit Ecorpyionen auf die
umächten Regulativbücher zuſchlagen und, fo viel fie e8 vermögen, alle
unnügen Eindringlinge aus der Schule treiben! Es güt, gar manchen
Leuten vie Maste des Regulatives herunterzuziehen und nicht, wie bis⸗
ber leider zu oft geſchehen if, fo fänberlik zu fahren mit den Kindern‘
des Unverflandes und der Bermeffenheit. Schon haben wir e8 uns von’
der katholiſchen Schule (Katholiſcher Schulfrennd 1856. Seite 136 — 137)
müffen fagen lafien, daB dad Regulativ bald fagen wird: „Bewahre
mid, o Herr, vor meinen Freunden; vor meinen Feinden mag ich mich
ſchen ſelbſt fügen!” Auf die Hülfe der Mittelbehörden werben wir
Kade, Zahresbericht. X. 2
18 Religlons⸗Unterricht.
freilich auch rechnen müſſen. Sie geben ab und zu amtliche Empfeh⸗
lungen für neue Bücher; wäre es nicht auch zu ermoͤglichen, daB fe
„falfhe Waare und falfhen Handel mit den Regulativen“ geradezu
Tennzeichneten ?
I. Die einzelnen Gebiete des Religionsunterrichtes.
A. Die Unterftufe.
17. Den Stoff anlangend, if die Uhr Derer lange abgelaufen,
welche die Zeit mit Artigkeits⸗ und Klugheitsregeln, bald in eigende
dazu gefchmiedeten Berschen und Geſchichtchen von Hans und Kunz, bald
in Fabeln von Hape und Maus, und. mit einer aus fentimentaler Natur
und Gottesbetrachtung abgezogenen Moral binzubringen verkanden. Man
iR darüber einig, daB auch der Religiondunterricht der Kleimen ein Mas
terial mit poſitiv⸗chriſtlichem Inhalte, aljo etwas aanz Anderes, als
jenes fo oft unter dem Namen des Borbereitungsunterrichtes bin» und
bergefhobene und breit getretene Geröll verlange. Auch Diejenigen,
welde die Srundanfchauungen einer überwundenen Beitfirämung nicht
verleugnen, dabei aber des neuen poſttiv⸗chriſtlichen Fermentes fich nicht
ganz erwehren fönnen und die, auf beiden Seiten hinkend, Neues und
Altes zu einem wunderlihen Gehräu zufammen tbun, fcheinen immer
mehr und mehr in den Hintergrund zu treten und wenigfiens auf dem
Gebiete der Literatur das Feld zu räumen. Nachdem uns z. B. Here
Director Scharlach in Halle in dem Koörnerſchen praktiſchen Schal⸗
manne noch vor wenigen Jahren eine Reihe Proben folcher Miſchwirth⸗
fhaft gegeben hatte, iR ex feitdem mit der Weiterführung feiner Arbeit
im Rüdfkande geblieben, und nur zwei ähnliche Erfcheinungen hat das
Sabr 1856 uns zu Gefichte gebracht. In Rr. 21 der Sächſiſchen Schul⸗
zeitung giebt ein Herr St. einen Kurfus für den Religionsunterricht
einer Unterfiufe, der „kurze, leicht verftändliche biblifche Gefchichten in
hiſtoriſcher Folge“ und „kurze, leicht faßliche Verschen“ zur Unterlage
bat. Bur Eharakterifivung der Letztern heben wir nur zwei heraus:
„Sm und trink' mit Maaß und Freuden,
Uebermaaß muß Schmerzen leiden.‘
„Haſt du Geld, fo beb’ es auf,
Sammle dir’8 zum Jahrmarkt auf;
Kauf was Ordentliches ein,
Wer's vernaſcht, den wird’s gereu'n.“
Außer dieſem Zeitſchriftenartikel iſt uns noch ein in demſelben Meiſte
verfaßtes Hülfsbüchlein für den erſten Religionsunterricht (Lit.“ Unter⸗
mife) begegnet, in dem es unter Anderem beißt:
„Auf Hitze frinfe nie,
Noch kühle ſchnell dich ab,
Sonft quälen Schmerzen dich
Und früh fintft du in’s Grab,
Religions » Unterriät. | 19
18. Solche verwitterte Waare verwerfend, erfennt bie Gegenwart
ale bereihtigtes Material des NReligionsunterrichtes der Unterflufe an:
Bibliſche Geſchichte, Bibelfprüde, Katehismusflüde, einzelne Verſe des
Kirchenliedes, zum Theil auch ganze, aber nur fürzere und leichtere
Kirchenlieder und Gebetsſtoffe. Auf feiner ahfleigenden Linie fcheint bes
reite ein noch vor wenigen Jahren fehr gangbarer Stoff zu fein, näm⸗
lich ſolche Verschen, die theils die Spige einer biblifhen Geſchichte,
theils unabhängig von dieſer religiöfe Wahrheiten in fich tragen, Die
aljo mit den $. 17 genannten Reimereien nicht zu verwechſeln und mas
teriell nicht zu verwerfen find. Bereits 1855 hatte fih der Berichts
erſtatter ſelbſt (in feinem Büchlein: Der erfte Religionsunterräht für
Kinder erangelifher Chriften sc Gieleben 1855 bei Reichardt) gegen
diefe Verschen erflärt. „Der begrenzte Raum der Volksſchule verlangt,
daß vorzugsweiſe Solche Stoffe dem Gedäctniffe der Kleinen geboten
werden, die nad allen Seiten hin einen bleibenden Wertb haben, an
denen ih noch der Erwachſene nicht nur wegen ihrer Lieblichkeit und
Gemäthlichkeit erfreut, fondern vornämlich erbaut, in Leiden und Zrübs
falen aufrichtet, in der Stunde der Berfuchung im Guten flärft und
befeſtigt. Das bee Verschenbuch der Kleinen ift das kirchliche Geſang⸗
bu, eine verfländige Auswahl natürlich vorausgefept.‘ Damit übers
einfimmend fagt 1856 die Redaction des katholiſchen Schulfreun⸗
bes (12. Jahrgang, 2. Heft) auf Anlaß einer fpäter anzuführenden
Arbeit von Schuth: „Dieſem Zwede — der religidfen Anregung —
ſollten möglihR felten ſolche Berfe dienen, melche, lediglich zu einem ges
wiſſen Zwede gedichtet, den Charakter des Gemachten, der Künftelei, der
Zändelei mit Gefühlen an ſich tragen und eben nur für die Bollsfchule
dienen, nicht aber für’& Leben behalten und ins Leben getragen werden.
Bollen wir biblifhe Geſchichte und Religionsiehre mit Liederverfen unters
Rügen und begleiten, dann empfehlen wir vor allem Lieder aus dem
landesũblichen Geſangbuche. Lern das Kind diefe auswendig, fo lernt
es fie zugleich für den Gottesdienſt feiner Kirche, und wenn es im ſpä⸗
tern Leben dieſe Berfe wieder fingt, dann werden ibm aud bie Ein»
drũcke au6 der Kinderwelt, aus der Schule wieder ins frifche Andenken
fommen und mit magilcher Gewalt auf es einwirken. Diefe Grund»
füge find bei allen Denen, die in biefem Sabre auf dem betreffenden
Gebiete irgendwie wegweifend aufgetreten find, maßgebend geweien, fo
bei Jaspis, bei Wed, bei Bifhoff (vergl. Literatur), ſelbſt bei
den Zührern untergeorbneter Bedeutung, 3.8. Hubert. Auch Kolde
iR im der dritten Auflage feines namentlih in Schlefien viel gebtauchten
Buches (Lit.: Unterfiufe) feinem vorberrfchenden Zuge zum Kirchenliebe
tren geblieben. Eine Ausnahme macht, fomweit die Literatur aus dem:
Gebiete der evangelifchen Volksſchule dem Berichterftatter bekannt iR, nur
em Ynonymus (Lit.: Unterufe), der aber mit feiner Leiftung der uns
teren Ordnung angehört und außerdem dem Stirchenliede dadurch ned)
Aechnung trägt, daß er zugleich mit den ſchon befprochenen Verdchen
auch Berfe aus Kirchenliedern auftreten läßt. ,
' 2
20 Religions⸗Unterricht.
— 19. Mit ziemlicher Uebereinſtimmung wird unter allen zu den
Religionsuntertichte der Kleinen gehörigen Stoffen die bibliſche Geſchichte
als das eigentliche Hauptſtück angeſehen. Die einft von Stolzens
burg im fchlefifhen Schulblatte angebahnte Weife, den Statechiemusfap
in den Mittelpunft zu flellen, fcheint unter den Sachkundigen nicht
Nachahmer zu finden. In allen übrigen Beziehungen gehen die Meis
“nungen fehr weit auseinander.
20. Verſchieden wird ſchon die für den ganzen Religionsunterriäht
der Unterſtufe fo einflnfreiche Frage beantwortet, ob in der ungetheilten
Volksſchule Oberfiufe und Unterflufe ihren Religioneunterricht gleich»
zeitig oder in gefonderten Abtheilungen empfangen follen. Im Preußiſchen
hat das Negulativ vom 3. October 1854 der beiderfeitigen Praxis Raum
gelaſſen. „Wo es nicht zwedimäßig erfcheint, alle Abtheilnngen dem
Religionsunterrichte wenigftens zuhören zu laſſen, da find flifle Beichäfe -
tigungen nur aus dem Gebiete des Neligionsunterrichtes zu wählen.”
(Seite 68.) Unter den uns vorliegenden , leider nur in geringer Ans
zahl erreichbar gewefenen amtlichen Auslegungen des Regulativs enthält
ein von der Königlichen Negierung zu Breslau am 26. Juni 1855
für den betreffenden Regierungsbezirk gegebener Lectionsplan für die ein,
Maffige Schule mit ungetrennten Abtheilungen (— „Verordnungen der
Königl. Regierung zu Breslau, veranlaßt durch die neuen Schulregur
lative. Breslau. Verlag von Karl Dülfer 1856.) über die vorzugsmeife
der bibliſchen Geſchichte gewidmelen Stunden folgende Bekimmung:
„Biblifhe Geſchichte, verbunden mit Bibellefen. Lieder werden gefagt.
Die Kleinen werden berüdfihtigt” In demfelben amtlichen
Schriftſtücke ift aber auch zweimal in der Woche die Arbeit der nächften _
Stunden alfo normirt: ,‚Auffchreiben biblifher Stoffe. Die Jüngern
fehreiben ab, oder es wird ihnen dictirt; mit den Kleinften wird über
entfprehende Gegenſtände gefproden, oder Leſen.“ Unter
den nichtamtlihen Borlagen läßt Dr. Hubert alle Abtheilungen ber uns
getheilten Schule ohne Weiteres an dem in jeder Woche viermat je in
40 Minuten ertheilten Unterrichte in der bibliſchen Befchichte fo Untheil
nehmen, daß die Unterflufe beftimmte Geſchichten aus dem Gefammt-
materiale zu lernen hat, bei der Behandlung der übrigen Geſchichten
alfo nur zubört; außerdem beſtimmt Hubert an jedem Tage 15 Minuten
zum Erlernen der biblifhen Gefchichte, Liederverfe, Katechismusſtücke,
Gebete und Bibelfprühe durch Borfpreden. Bormann (,‚Unterrihtt
Funde für evangelifhe Volkeſchullehrer ꝛc Berlin bei Wiegandt u. Grieben
1856. Seite 238°) thut in feinem Lectionsplan für die einklaffige Volle
ſchule einzelner. Abtheilungen und Etufen gar feiner Erwähnung, feht
biefe aber nad) dem, mas Seite 22 über die den Kleinen befonders zu
widmende Zeit gefapt ift, voraus.
21. 86 ift gegen das Zufammenfaffen aller Stufen anzuführen,
daß dabei ſchwerlich für das Bedürfniß der Kleinen in hinreichendem
Maaße geforgt werden fann. Schon der Lertionsplan der Königlichen
Regierung zu Breslau, der offenbar anf ein nad) Form und Inhalt für
bie Unterflufe einzurichtendes , befonderes Erzählen der bibliſchen Ge
eliglen- Unterricht.
ſchichte hinweiſt, wie denn auch in dem ſchon angeführten amilichen
Shriftlüde (Eeite 68) ausdrücklich das auf eine gefonderte Unterfufe
angelegte Buch von Kolde empfohlen if, dürfte das Bedenken erregen,
ob die für die erſte Stunde geforderte Berhdfihtigung der Kleinen in
der Praxis viele gefchidt ausführende Hände finden und ſich nicht etwa
in ein bloßes BZuhörenlailen verwandeln wird. Durchaus zu verwerfen
uud deutlich aus dem Mangel an eigener Erfahrung hervorgegangen
And die von Dr. Hubert für das gelonderte Vorſprechen der biblifchen
Geſchichte ac. angelepten täglihen 15 Minuten, weil fie ein ganz uner⸗
tägliches BZerreißen wenigſtens der biblifchen Geſchichte und damit ein
ganz troflojes Arbeiten einfließen. Dazu liegt die Frage, ob die ein»
jeinen Gejchichten von den verichiedenen Stufen in gleicher Ausdehnung
und Zaflung gelernt werden follen, ganz außerhalb des Hubertichen Ges
ſichtskreiſes. Wir crinnern Dr. Hubert und die übrigen Pädagogen
feiner Bafis an Das, was Bafor Kolde, deflen Büchlein aus der Er,
führung herausgeſchrieben if, fchon 1845 gelagt hat: „Ich wundere
mich, wie Männer voll Liebe zum Herrn und zu den Kindern, die er
"jo lieb hatte, es aushalten Fönnen, die lieben Kleinen mit ihren für
das Wottesreich fo emipfänglichen Herzen in einer Religionsfunde zu
wiſſen, in der fie als müßige Zubörer fi) gewöhnen müflen, Unvers
Rändliches von dem Geoffenbarten und Offenbarenden fi vorreden zu
laſſen, Thörichtes, Schädliches in den wichtigen, für den hoͤchſten Segen
beftimmien Etunden zu treiben, ihre Luft und Liebe zum Bater im
Himmel und feinen Geboten dämpfen, erftiden zu laffen. Dan fage
nicht, daß die Kleinen mit den Großen (nur zubörend — ohne befon»
dere Derüdfichtigung) genug lernen können; bei dem befien Willen des
Lehrers fallen ihnen Doch nur Brofamlein zu, bei denen Geif und Herz
ſchmachten muß, während die größern Schüler gelättigt werden müflen.
Des Schlechten wird in ſolchen Etunden mehr als des Guten gelernt.‘
(Borwort zur erſten Auflage des Koldefchen Buches. Seite V.) Diefen
gewiß ſehr beherzigenswerthen, von jedem praktifchen Schulmanne ale
richtig anerlannten Auslaffungen Kolde’s fügen wir noch hinzu, daß bei
Befolgung eines fo unverfläntigen, wie des Hubertſchen Planes, fi
gar bald Die traurige Röthigung herausftellen wird, das Vorſprechen der
bibliſchen Geſchichten ꝛc. durch Schuͤler vollziehen zu laſſen. Dr. Hubert
bat dieſes freilich (a. a. O. Vorwort Eeite XIV.) wenigftens theilmeife
von vorn herein zugegeben. „Von den Kindern der vierten (unteren)
Abtheilung werden aus den angegebenen Liedern nur einige Verſe, dar
neben aber noch einige Gebete gelernt und zwar durch Vorſprechen des
Lehrer oder eines Gehülfen, deren fich der Lehrer einige aus ber Zahl
der beſten Schüler und Echülerinnen auswählen und zu fogenannten
Bankoberſten beſtellen muß.’ Das ift eine Garricatur des Religionds
unterrichtes! Jeder verfländige Bauersmann fäet fein Samenkorn felbft
und meifet dabei die Helfer zurüd, wenn er es irgend fann, und ba,
wo es dem Ausfäen des edeiften Samenkorns auf den edeiften Ader
eilt, fol es mit Bankoberſten abgetban fein. Dr. Hubert fagt aller
dings: „‚Diefe Bankoberften follen aber nicht herrſchen über die armen
AR Religions » Unterricht.
Kinder, fondern denfelben in Liebe dienen lernen, aber damit wifcht
er die Garricatur gewiß nicht hinweg. -
22. Eine Theilung in Unter» und Oberfufe verlangen unter den
amtlihen Erlaffen die „Erläuternden Bekimmungen der Königlichen Re
gierung zu Merfeburg vom 2. Zanuar 1855. Rah ihrem Stunden»
plan der ungetbeilten Bolfsfhule (a. a. D. Seite 15) beginnt der Uns
terriht für die Unterfiufe erſt in der zweiten tägliden Arbeitsftumde,
nachdem die erfle für den Religionsunterricht der Oberfiufe verwendet
if. Für den Neligionsunterriht if eine Rachmittageftunde feſtgeſetzt,
während welcher die Oberſtufe mit Schreiben befchäftigt-wird. Unter
den SPrivatarbeiten des lezten Jahres gebt Jaspis fogar von der
Borausfepung dreier getrennt zu haltenden Stufen aus. Derjelbe fordert
wenigſtens zwei balbe Stunden für die mittlere Etufe, eben fo viel für
die unterfle, oder auch eine Bereinigung diefer beiden Stufen, je nad)
dem Standpunkte der Schule, immer alfo eine Sonderung der Obers
und Unterfiufe. Ebenſo ruht der Lectionsplan des Paſtor Wed auf
einer Sonderung der ungetbeilten Schule in 3 Abtheilungen. Auch das
Buch von Biſchoff (Literatur: Unterkufe) hat zwei Stufen zur Voraus⸗
fegung. Sehr zu bedauern if, daß die Herren Fink und Borbrodt,
die fo Unglaubliches Aber die ‚wahrhaft erfreulichen Reſultate“ ihrer
eignen Schule und über Das, was zu leiſten möglich if, berichten, nicht
für gut befunden haben, uns durd eine beſtimmte Angabe, ob Gefammts
unterricht, oder gefonderter, den Weg zu zeigen, auf dem ihnen nachzu⸗
tommen, möglich if.
28. Die Sonderung wenigſtens in zwei Stufen wird ſich jeden.
falls in der Praxis immer mehr als dasjenige Verfahren bewähren, dur
welches den Kleinen am meiften ihr Recht gefchieht. Auch die fo wüns
fhenswerthe Koncentration der Stoffe, die von Kolde, Fürbringer, dem
Berichterflatter felbft und Andere feit mehreren Jahren angebahnt if,
wird nur dadurch möglich fein.
24. Eine gründliche Verhandlung der Frage, wie diefe Conten⸗
tration in der Unterftufe zweckmäßig durchzuführen fei, iR dem Bericht:
erftatter in dem abgelaufenen Jahre nit zu Geſicht gefommen. Nah
der Zahl der Betbeiligten und der auffallend armen Jahresliteratur zu
ſchließen, foheint die Wichtigfeit der Frage überhaupt noch nicht die rechte
Anerkennung zu finden. Die einzige, den Gefammtfloff ſchuliſch zu⸗
richtende Arbeit von Biſchoff ift au in diefem Punkte eine ſchwache
Leiftung, da fie den Katechismusftoff ganz übergeht und auch in der
Wahl der Gebetöftoffe nicht glädlih iR. Das in neuer Auflage er
fhienene Buch von Kolde geht auch in diefer Beziehung den frübern,
wohl erprobten Bang; der 2ectionskalender von Wed überiäßt grade
bet den ganz Kleinen es dem Lehrer ſelbſt, was er jede Woche an Gr
beten, Sprüchen und Berfen innerhalb der durch Geſang und Spruch⸗
buch gezogenem Ganzen einzuäben gedenft und vermag, und läßt über
haupt die Koncentration des Stoffes ganz außer Acht. Der Plan von
Jaspis zeigt auch in Beziehung auf Concentration einen Verfaſſer, von
dem wir auf dem Gebiete der Schule nur Wohlerwogenes ſchon laͤngſi
Religiong- Unterricht.
gewöbhat And. Die Anlehnung ber ,Bibelfprüde und Liederſtrophen“
an die biblifhen Geſchichten iſt wirklich meifterhaft. ’
25. Aus Zeitichriften liegt uns nur eine einzige Arbeit vor, in
der an beſtimmten Beilpielen die Verbindung der einzelnen Stoffe nach
allen Seiten Hin praktiſch durchgeführt if, und zwar aus dem Gebiete
der katholiſchen Volksſchule. Der Latholifche Schulfreund von Shmig
und Kellner bringt (Zwölfter Jahrgang 2. Heft) zwei ins Ginzelne
gehende Ausführungen über „Mofes im Binfentörbchen‘ und „Die
Hirten auf dem Felde.“ Die erfie enthält vier Hauptſtücke: Beichreis
bung des dazu gehörigen Bildes, Erzäblung, Sprüde und Gerichte,
und eime poetifche Bearbeitung. Die zweite hat fünf @eäde: Erzählung,
Bild, Lehren und Gprüde, Gebet, Liedchen, lepteres in fleben Num⸗
mern. — — Wir berichten über diefe Arbeit bier vollkändiger, weil Re
neben manchem Muſtergiltigen, 3. B. der Art und Weife der Erzählung,
zugleich ale warnendes Exempel die Gefahren zeigt, in welche das wohls
gemeinte Streben zu concentriren dur die Heranziehung der $. 18 ber
(prodenen Berfe Hinein geratben kann. Wie man fih in der Wabl der
Verſe vollkändig vergreifen, durch Diefe ganz und gar von dem firdhs
liben Geſangbuche ablommen, wie man aus dem Kindlihen ins Kins
diihe fallen, anderfeits aber auch wieder den Kleinen etwas vollfländig
über ihr Bermögen hinaus Liegendes bieten kann, das Alles if aus
diefem Beifpiele deutlich zu erfehen. Die Kleinen lernen in der „por
tiſhen Bearbeitung‘ auswendig:
„Und der Mann, den fie gerettet,
Selbſt das Retten nicht vergibt;
Denn der Koͤnigstochter Pflegling
Seines Volks Befreier iſt.“
Ucher die Engel unter Anderem:
„Singen auf und fingen nieder,
Schlagen Trillerlein d'rein“ (}).
User die Krippe:
„Und was dort in der Ede Tiegt
Und nah dem Kindlein ſchaut vergnügt,
Ein Oechslein und ein Ejfelein,
Das mögen gute Thierchen fein‘ (E).
Der Redaktion des katholiſchen Schulblattes find wir fhuldig, anzu:
führen, daß fie die von uns $. 18 citirte Stelle in Beziehung auf Diele
Arbeit von Schuth niedergefhrieben und auch im weitern Berlaufe ber
Stele ausdrüdiih darauf hingewiefen bat, wie mißlich es überhaupt
fei, durch poetifche Broductionen ſchwerer Korm den gemüthlich religiöfen
Eindrud der biblifhen Geſchichte verflärfen zu wollen. Beiläuflg die
Stage an Herrn Schuth: Warum ift das, was von Möller entiehnt
iſt, nicht als ſolches bezeichnet, während doch Diepenbrod’s Name
genannt if. War es vielleicht nicht rathſam, den katholiſchen Gläus
bigen zu erzählen, daß in katholiſchen Schulen Verschen gelernt werden,
de von einem lutheriſchen Generalfuperintendenten entiehnt find ?
* Heliglond » Untetticht.
27. Gleich, der Angemeffenheit einer verkändigen Eoncentration iſt
auch die des Anfchlufles an das Kirchenjahr noch wenig anerfannt.
Biſchoff bat ohne alle Rückſicht auf das Kirchenjahr - gearbeitet. Der
Bectionskalender von Wed führt, obwohl die bibliſche Gefchichte von
Pfingſten zu Pfingften vertheitt if, „weil fo die Gefchichten den kirch⸗
Uchen Beiten beffer angepaßt werden konnten und mit ihmen näher zu
fammenfallen ,‘' doch den Anfhluß nur annäherungsweife duch. Die
"Geburt des Herrn und des Johannes wird in der Oberabtheilnng der
‚UnterBlaffe der getheilten Elementarſchule ſchon in der dritten Woche
vor Weihnachten, in der zweiten Abtheilung derfelben Kaffe wird bes
Seren Geburt far ſchon in der dritten Woche nad den Erndieferien
erzählt. Auch in der ungetbeilten Schuie fällt für die untere Stufe
(Hl. Abtheilung b.) die Geburtsgefchichte des Herrn ebenfo unpaflend in
die bei der zweiten Abtheilung der getheilten Schule genaunte Beil. —
Bir meinen, daB damit die Kirche in einem ihrer erſten Anrechte an
die Schule geihädigt if, daß aber auch die Bedärfniffe der Schule,
namentlich der Kleinen, und das religidfe Gefühl eiwas ganz Anderes
fordern. Weihnachtlich ferlich wird den Kleinen in der Schule bei der Er-
zaͤhlung, ja den erzäblenden Lehrer felbft zu keiner andern Zeit fo zu
Muthe, als unter den Weihnachtsklängen der Kirche und des Hauſes. —
Der Blan von Jaspis feht den Anſchluß an das Kirchenjahr voraus,
bietet aber leider eine fpecielle Gintheilung nicht dar.
28. Abweichend von der immermehr fi Bahn brechenden Praris,
die biblifche Geſchichte von vorn herein als Hauptflüd des ganzen He
ligionsunterrichtes der Unterftufe zu behandeln, hält Golgfch in der
dritten Auflage feines Einrichtungss und Lehrplanes für Dorfſchulen
(Berlin bei Wiegandt u. Grieben 1855) an einem vorbereitenden Stoffe
für die Kleinen feſt. „Es bleibt bei diefem Unterrichte,‘‘ fagt Golpfc
a. a. O. Seite 99, „die ganze Unterklaffe in der Regel ungetheilt, doch
nicht in allen Stunden. Es erfordern die Bedürfniffe der Kleinſten einige
Berückſichtigung, und eben fo die der Größeften, die feit längerer Zeit
bereits in der Bibel lefen. Den Kleinften wird in diefer halben Stunde
ein vorbereitender Stoff dargeboten, eine Hinweiſung auf die Dffen⸗
barung Gottes in feinen fihtbaren Werken, Grzählungen darüber, wie
Gott in der Stimme des Gewiſſens, in den Lebensführungen einzelner
Menſchen zu denfelben geredet hat, und es werden während dieſer Zeit
die Größern mit dem Niederfchreiben der vorber behandelten bibliſchen
Geſchichten befchäftigt. -Der eben bezeichnete vorbereitende Stoff kommt
auch noch in dem beiden Abtbeilungen gemeinfamen Unterrichte zur Be⸗
bendlung, aber nicht mehr für fih, fondern im Anfchluffe an die
bibliſchen Erzählungen.‘
Eine eigenthümliche Erfcheinung, die einerfeits mit dem Vorbe⸗
reitungscurfus von Golgfch einige Aehnlichkeit hat, andererfeits aber
auch auf das Beftreben zu concentriren hinweifet, aber nur aus der und
mangelnden, genauen Kenntniß der an Ort und Stelle ausführenden
Praris ihr rechtes Verſtaͤndniß erhält, bietet eine Beſtimmung des Un-
terrichtöplanee des Cantons Bern (,Bädagogifche Beiträge, insbefon-
Reilgtond- Uuterriät, 2
dere fir das Bolloſchulweſen.“ Herausgegeben von Hannoverſchen Leh⸗
rern. Erſter Band. Dritte Lieferung. Seite 141 ff.). Nach dieſer Ber
Rimmung treten außer den in erfter Reihe lebenden bibliſchen Geſchichten
auch auf: ‚‚Religiöfe Geſpräche, in denen die im Anfchauungsunterrichte
gewonnenen Unfchauungen benupt werden, um die Sinder von dem
Sichtbaren auf Das Unfichthare zu führen, ihr religiöfes Gefühl zu bes
ieben und fie zum Nachdenken über religiöfe Dinge anzuleiten. Rad
jedem ſolchen Geſpräche werden Bibelſprüche auswendig gelernt, die das
Behandelte kurz und Fräftig ausdrüden und deren Sinn daher den Kin»
dern Mar und lieb geworden iſt.“
29. Wie viele und welche biblifche Geſchichten auf der Unterflufe
zum Gigentbum der Kieinen zu machen feien, ift in Preußen duch das
Regulation vom 3. October ım Wilgemeinen angegeben. Am engften
ſchließt ſich an diefe amtliche Borfchrift die Stoffuuffellung von Bor;
mann (Echuifunde Seite 102. 103), der 18 biblifche Geſchichten aufs
zählt, wobei aber zu bemerken if, daß in diejer Zählung Gefchichten
von fehr ungleihmäßiger Ausdehnung immer als eine zählen. Die
Shöpfungsgeidicdte, dgl. der Sündenfall, die Sündfluth, Moſis Geburt,
Flucht und Berufung, die Kreuzigung Jeſu, zählen ebenfo je als eine,
wie: „Jeſus fegnet die Kinder‘ und „der Jüngling zu Rain. Auch
Jaspis und Wed fließen fi bei einzelnen Eigenthümlichkeiten an
das Regulativ. Einen weit reichern Stoff bietet wieder Kolde's lange
vor den Regulativen erfhienenes Büchlein, das nicht von der Voraus⸗
fegung deſſelben, in jedem Jahre fireng inne zu haltenden Benfums,
fondern von der Möglichkeit ausgeht, im zweiten und dritten Gchuls
jahre mit den Schälern der Unterklaſſe das Penſum des erften Jahres
zu wiederholen und zugleich das in feinen Zufägen gegebene Material
zu verarbeiten. Biſchoff, obwohl der Titelangabe nach „mit befons
derer Rüdfiht auf die Unforderungen der drei preußifchen Unterrichtes
segnlative‘ fchreibend, lehnt ſich grob Außerlih an die Yorderung der
„‚Grlänternden Beſtimmungen““ der Königlihen Regierung zu Merfeburg,
Daß in jedem Jahre 20 Geſchichten des alten und ebenfo viele Befchichten
ans dem menen Teftamente nach den in den Regwativen angegebenen
Geſichtspunkten auszuwählen find. In überlangen, für die Unterflufe
daraus nit uno tenere zu bemwäftigenden Abjchnitten, die außerdem
nit Selten zwei Geſchichten unter eine Biffer bringen, giebt er einen
überreihen Stoff umd fegt ganz irrtbümlicher Weiſe voraus, daß diefer
gen den geförderten Kindern (!) am Ende des Schuljahres ſelbſtſtaͤndig
erzäptt werden wird.
Meder Gtoffangaben aus der nichtpreußifchen Volksſchule willen
wir wenig zu berichten, Der ſchon arigeführte Berner Unterrichteptan
nennt für die Unterfiufe (1.—3. Schuljahr, wöchentlich 6 oder 5 Stuns
den) außer den bereits berübrten religıöfen Befprächen ‚einzelne Erzäh⸗
Iungen der bibliſchen Geſchichte,“ umd zwar als geeignete aus Dem alten
Teftamente ‚die Samiliengefhichten aus der Urs und Batriarchenzeit,
fomwie die Erzählungen von David,” als geeignete aus dem neuen Te⸗
Peuente ſolche, die Über die Bedeutung der chriflichen Feſte Aufichiuß
26 Religions - Unterricht.
geben, einige Wunderthaten, Jeſus nimmt die Kinder an, die leichteßen
Beichrungen und faßlichften Gleichniffe, 3. B. Lazarus Auferwedung,
der Säemann. (?)
30. Daß Geſchich ten aus der heiligen Geſchichte das Unterrichts
object find, daß es ein vergeblihes Bemühen if, alle einzelnen Ent
widelungen des Reiches Gottes den Kleinen anfhanlich machen zu wollen,
iR in den Arbeiten von Jaspis und Wed und in der neuen Auf
lage des Kolde’fchen Buches von Neuem anerfannt, nur Biſchoff
glaubt wieder irrthämlicher Weile, eine Geſchichte des Meiches Gottes
im Weberblide geben zu müflen und gegeben zu baben.
Si. Fragen wir nun nah Dem, was das legte Jahr für die Ber
Handlung der einzelnen zum Religionsunterricht gehörigen Stoffe gebracht
bat, fo ift namentlih in einer Reihe von Zeitſchriftenartikeln von
Meuem die Korderung aufgetreten, die bibliſche Geſchichte mit genauem
Anſchluſſe an das Bibelmort zu erzählen. Ein Einfprud gegen Diele
Forderung it nicht gethan, "auch wohl nicht mehr gut denkbar, es fei
denn, daß er fi gegen jenes Extrem der Bibeltreue erböbe, von dem
aus ed auch ſchon als ein Modernifiren gilt, wenn lange, über das
Faffungsvermögen der Kleinen binausgebende biblifhe Sapbildungen,
fei es au mit Anſchluß an die Schriftiprache in fürzere Säge zerlegt
oder längere Erzählungen (z. B. Reifen der Brüder Joſeph's nad
Aegypten) auf verfürzten Ausdruck gebracht werden. Nicht won dieſem
estremen Standpunkte der Bibeltreue aus find gearbeitet eine Erzählung
aus dem Leben Abrabams in den pädagogiihen Blättern von Kern,
Jahrgang 1855 Heft 6. Seite 554556, und „Mofes im Binfen
örbchen‘“ und „Die Hirten auf dem Felde“ in dem genannten Artikel
des katholiſchen Schulfreundee. Doch möchte gegen die Arbeit in den
pädagogiſchen Blättern von Kern einzuwenden fein, daß fie fich manche
unnöthige Freiheit erlaubt bat. Auch if fie nah der Ueberſchrift für
eine mittlere Elementarklaſſe einer Anabenbürgerfchule beſtimmt, was
wir bei dem befchräntten Stoffe, im Ganzen neun bibliſche Gefchichten,
für einen Drudfehler hatten würden, wenn nicht die Notig „7 bis 8
Sahre alte Schüler‘ dabei fände.
32. Wie gegen die modernen Umfchreibungen des Schrifttertes hat
fs auch das Urtheil immer entfhhiedener gegen die Rupanwendungen
und das Erbaulihmachenwollen durch lange Exrpofitionen gelehrt. Deuts
ih fcheiden fih aber dabei immermehr zwei Richtungen auseinander.
Die eine, die praktiſch⸗verſtaͤndige, ehrt ihre Polemik gegen die Berg
wäflerung des Zertes durch vermeintlich erflärenden und erbauenden, von
der Geſchichte ganz abirrenden Wortſchwall und befürwortet Dabei das
Servorheben der eigentlichen Spitze der Geſchichte durch Spruch, Heran⸗
ziehen des Katechismus und Liederverfes, befondere die erbauliche Bes
trachtung des Bildes, — fo die meiften Stimmen —, die andere will
faR nichts als das Wort der Geſchichte ſelbſt geftatten, und erwartet
Verſtaͤndniß und die ganze Einwirkung der Geſchichte allein von dem
in rechter Weife erzählten Worte. So vorberrfchend die Stimme
and Medienburg, zum Theil unter Beibringung ganz wunderlicher
Religioub - Unterricht. aM
Gränbe, 3. B. daß es den Kindern zu viel zugemuähet fei, außer der
Geſchichte noch die Erklärungen zu behalten, daß Gottes Wort und
nicht Die Erklärungen mit ins Leben zu nehmen fein. — Sehr ſchwache,
in breited Gerede ſich verlierende, unter dem Worte „Erklären“
bald dieſes, bald jenes verſtehende, dazu nicht einmal Die vwerichiedenen
Stufen der Vollsſchule gehörig Icheidende Auslafjungen, finden ſich reich
ih in dem Medienburger Schulblattee — — ur einzelne
Aenherungen zu Gunften der älteren Weiſe, auch in der Unterkiaffe Die
bibliſche Geſchichte zum Gegenflinde umfangreicherer Beiprechungen zu
machen, find laut geworden. Der ſchon erwähnte Unterrichtsplan des
Gantons Bern fagt: „Der Lehrer unterhalte fih mit den Kindern
über das rzählte, um fie den religiöfen und fttlihen Gehalt finden
“amd auf fi anwenden zu lajfen.’ Wie etwa der darauf folgende Sag:
„Er hat dabei durchaus im Kreife des Kinderlebens zu bleiben,’ zu
verieben if, fagen die Erflärungsmorte: „Er bat z. DB. nie von Fehr
lera zu reden, die.nur unter Erwachſenen, oder doch nur unter älteren
Kindern vorkommen.“ (?!) — Das vorberrichende Urtheil der Gegen
wart läßt fh etwa mit Anſchluß an die Worte Des Waldeck' ſchen
Schulblattes (1856 Nr. 15) fo ausdrüden: „Wir erftreben durch Die
biblifche Geſchichte, daß das abgerundete, concrete, plaſtiſche Geſchichts⸗
bitd ſelbſt als einheitliches Ganze und vorzugsweife mit feinen Grunde .
gedanfen die Kindesjeele erfaſſe und von dieſer liebewoll erfaßt wird.
Dieſes legtere allein if die Beſtimmung der biblifchen Geſchichte und
nur darin ruht ihre pädagogifche Bedeutſamkeit, aber nicht darin, daß
fie ein Material zum Extrahiren religidfer Begriffe und Lehren bergiebt.”
33. Mit Recht wird auf den Ton und die ganze, Außerliche und
innerlide Haltung des Vorerzählers fortwährend ein großes Gewicht
gest. Wir übergehen die Zeitjchriftemartilel, Die neben mancher froͤm⸗
menden Salbaderei auch manches fernbafte Wort enthalten, und geben
eine Stelle aus einer ſelbſtſtaͤndigen Schrift diejes Jahres. ,, Sie — es
iſt zunähf die Rede von den biblifhen Gefchichten bes alten Teſta⸗
mentes — Sollen in ihrer ganz einfachen, naiven Form erzählt werden,
rein hiftoriſch, d. b. ohne alle Nutzanwendung, alfo ohne alles Morali⸗
fiten, Räfonniren, und ohne alle Zumutbung an das Kind, es folle Die
Geſchichte glauben. Das Kind glaubt ohnehin Alles, fo lange es Kind
iR; es bat für Alles eine heilige Pietat. — — Man erhalte es nur,
und fo auch durch diefe bloß naive Erzählung, fo lange Kind, als die
Rasur in ihrer langfamen Entwicklung es wild. Wer diefe bibliſchen
Geſchichten dem Kinde erzählen will, der verfege fih in ihren Geiſt.
Der Geiſt, der in der Menfhheit Kindesalter fo naiv nur fich feiber
war, jener Beil, der noch Beine Bmeifel hatte und folglich noch keine
Beweiſe bedurfte, der Gott jo unmittelbar empfand und Doch jo zutrau⸗
lich, fo ehrfurchtevoll, halt Lindlich mit Gott umging — dieſer Geik
oder do ein ähnlicher Geiſt muß in dem Erzäblenden walten, und im
Stimmung und Wort und Ton und Blick ſich kund geben. Der Er
zähtende muß nicht nebenbei fagen, das feien heilige Geſchichten, das
Kind. muß es ihm abfühlen, muB ed duch die Erzählung ſelbſt uns
ws Keligiond » Unterticht
x
mittelbar empfinden, daß ſie es find. Es kann daher nicht Jedermaun
foiche Gefchichten erzählen. Der frömmelnde Ton und Blick erieht das
einfach frowme, das naiv» fromme Gefühl nicht; die fogenannte als
bung, alles Gemachte überhaupt nügt ganz gewiß nichts. Rur was
som Herzen kommt, gebt zu Herzen. (,Die Erziehung im Lichte ber
Bergpredigt von Zofephine Stadlin.” Yarau bei Sauerländer 1856.
Seite 185.)
34. Die in den legten Jahren ab und zu auftauchende Berirrung,
Die bibliſche Geſchichte durch bioßes Vor⸗ und Nachſprechen den Kleinen
zu eigen zu machen, fheint überwunden. Durchgehend wird die Bers
wendung der Frage behufs der Einführung der Kleinen in das Berkänd-
niß der Geſchichte verlangt. Eine ansführlichere Belehrung über die Fragen⸗
Rellung giebt Bormann in feiner Unterrichtöfunde Seite 112 — 113.
An derfeiben Stelle findet fih auch ein vollfändig durchgeführtes Vei⸗
fyiel, das, wenn auch nicht mit beſtimmter Beziehung auf die Untere
tlaffe gegeben, Doch als für dieſe muftergiltig anzufehen ik. Nöthig
ſcheint uns gegenüber diefer an ſich ganz richtigen Betonung der im
ihrem Inhalte und in ihrer Aufeinanderfolge fih genau an deu Bang
der Erzählung anihließenden Frage die Erinnerung, doch ja mit dieſen
die Geſchichte bis ins Einzelne zergliedernden ragen immer fparfamer
zu werden und immermehr auf das ſelbſtſtaͤndige Wiedererzählen ganger
Säge auszugeben, jemehr fi das ‚Sprachvermögen und die Kraft Des
Aufmerkens bei den Kleinen ſtärkt. Was in den erſten Wochen des Uns
terrichtes unbedingte Nothwendigkeit if, erzeugt nach einem halben Jahre
„ein paſſives Abwarten der Fragen, ein Bedürfniß nad fleter Anregung
von Außen her, eine Berfizeutheit des Gemüthes, zulegt Trägbeit und
Dentihwäde und vor Allem eine große Unficherheit des Gedächtniſſes.
(Golſch: Ginrihtungs- und Lehrplan. Drüte Auflage. Seite 101.)
Und ,‚e6 gebt oft der ganze, Rille und doch fo füblbare Gegen einer
biblifchen Erzählung dur das unnatürliche Zerreißen derfelben in ihre
kleinſten Beſtandtheile mittel zahllofer, leitender Fragen in dem Maaße
verloren, daß nur das Wertblofehe, PBerfonens und Drisnamen und
vereinzelte Thatfachen äußerlich im Gedaͤchtniß neben einander ein Unter»
fommen finden und eben deswegen fi auch bald genug gang oder body
halb daraus verlieren. (Derfelbe a. a. ©.)
85. Einſpruch iR zu thun gegen die im Braunſchw. Schulboten
41856. Seite 78 fi. wieder bevormwortete Begünftigung der Mundart.
Dur Abwehr deffen, was zu Gunften des Plattdeutſchen geltend gemacht
wird, verweilen wir auf Jahrgang 1855 des Braunfhweigiihen Schule
boten. In einzelnen Fällen einen hochdeutſchen Ausdruck dur dem
mundartlichen deutlich zu machen, halten wir für angemeflen.
36. Cinſpruch if ferner zu thun gegen folgende in den Bädas
gogifhen Blättern von Kern (a. a. D.) in Beziehung auf das Wieder»
exzäblen der Schüler angeführte Prarie: „Die Erzählungen werden ans
fange bloß im Groben zugehauen, nach und nah rund geglättet und
enblih geläufig. Die letzte Zeile berüdfichtigt noch den Ausdruck.
Gine ſolche Prarie iR an und für fih nur möglih, wenn, wie in der
Religions» Unterricht, 2}
Sefreffenben Schule zu M., ein verhäftnißmäßig ſehr geringer Se’
durchzuarbeiten ift und die ſchon eingehbten Erzählungen der Reihe nach
in jeder folgenden Lehrſtunde wiederholt werden Tönnen. Sie wird übers
Kafig, wenn nicht, wie freifich far nad fämmtlichen Auslaffungen aus
dem Jahre 1856 gefchehen foll, der erfte Verſuch des Wiedererzäblens
an der ganzen Gefchichte, fondern an einzelnen Abfchnitten gemacht wird.
Der Berichterkatter wiederholt über diefen wichtigen, aber fo wenig bes
* Buntt, was ihm ſelbſt als das einzig Richtige gilt: zuerſt ein
oder zweimaliges Erzaͤhlen der ganzen Geſchichte behufs des Total⸗
eindrudes durch den Lehrer, dann Erzählen einzelner Abſchnitte, Abs
fragen dieſer zugleih mit den nothwendigften Wort: und Gacherfiär
rungen, dann zur Anefcheidung deffen, was durch den Redeverkehr zwiſchen
Lehrer und Schüler zum Tertworte hinzutreten will, nocdmaliges Er⸗
zählten des einzelnen Abfchnittes durch den Lehrer, darauf Wiedererzählen
der Schkler und Einübung, zulegt Erzählen der ganzen Geſchichte durch
die Schuͤler.
37. Ueber das Wiedererzaͤhlen ſtehe hier noch eine Stelle aus dem
Bereits angeführten Buche von Joſephine Stadlin. Es liegt diefer
Stelle eine mangelhafte Kenntniß der Bolköfchule zum Grumbe, aber
eine Barnung gegen das harte Zufahren und unteroffigiermäßige Cin⸗
exerziren, das fi mit dem Drängen aufs Wort fo leicht verbindet, mag
man wenigfens aus ihr entnehmen. „Es muß and bieefalls — nam⸗
lid; beim Wiedererzaͤhlen — ebenfo forgfam der Moment beachtet fein:
e6 darf auch diesfalls ebenfo wenig angedrängt werden. Wird fo er⸗
zählt, daß das Kind mit ganzem Gemüthe es faßt und erfaßt, fo wird
es von Innen zum Wiedererzäblen getrieben, je nah Stimmung und
Zudividualität; wird es aber auch ins ſtille Senken verfenft: — man
geßette auch diefe Art von Forwirkung. — Bat das Kind Etwas oft
und immer gleich erzählen hören, fo wird es faſt mit denſelben orten,
folglich correct nacherzaͤhlen; man Tann und foll ihm dann ohne viel
Berbeflern zuhören. Sobald ein Kind erzäßlt, werben die andern in
der Hegel auch dazu angeregt. Je nad Umftänden läßt der Lehrer,
wenn das erzählende Kind beendigt hat, nur ergänzen, was es chea
vergeflen, oder das eben — ** wiederholen, oder er läßt fruͤher Er⸗
zäbtte6 wiederholen.
38. Vielfach beſprochen ift in Beitihriften der Gebrauch der Bilder,
vernämtich in der Unterfiaffe. Dabinein ſchlagende Artikel, nah Aus⸗
Schuung und Gründlichkeit verſchieden, finden fh 3. B. im Waldreck⸗
fgen Schulblatte (a. a. O.), im Medienburger Schuiblatte 1856. Ar. 8,
Mr. 31, in der Padagogiſchen Monatefchrift für die Schweiz, (Erfter
Jahrgang. Siebentes Heft. Seite 217-214), im Tathelifgen Schul⸗
freunde von Schmig und Kellner a. a. O., im Schuiblatte der evans
Seminare Schleflens 1856, drittes Heft ©. 2083-220 (vom
Geminarbiretor Jungklaaß in Steinau), im fünften Sefte deſſelben
Blattes über die Schnorrſchen Bilder Seite 363—371. Die Berfaffer
aller diefer Artikel find darin einig, daß biblifthe Wilder für den bibliſchen
Geſchichteunterricht ſehr fruchtbar zu verwerthen find. Wür bie gründe.
Mi —
3” Religions - Unterricht.
Ike und am meiſten inſtructive Arbeit halten wir die von Jungklaaß,
weil fie ſich nicht in Allgemeinheiten bewegt, fondern beffimmie Gäße
für die Behandlung des Bildes aufftellt und augenſcheinlich aus eigner
Praxis erwachlen if. Sie fcheint uns ganz geeignet, dem trofliofen
Hin⸗ und Herfabren zu fleuern, in welches viele Lehrer bei der Ber
bandiung des Bildes verfallen. Befonders dankenswerth find die Aus»
führungen der gegebenen Sätze an beftimmten Beifpielen. Bir geben
bier die Sauptfäge. 1. Das biblifhe Bild kann er dann bennpt wer⸗
den, wenn die betreffende biblifche Geſchichte den Kindern bereits er
zählt if. Die Beſprechung des bibliichen Bildes if dann die Grund⸗
lage für Die weitere Auslegung und erbautiche Betrachtung der behan⸗
deiten bibliſchen Gefchichte in derfelben, oder in der nächſten Stunde.
2. Es darf ıhr nie der Ernf und die Weihe des Neligionsunterrichtee
fehlen. 3. Sie darf nie ihre befondere Form, die nämlih, Ans
ſchauungsunterricht zu fein, verleugnen. Die Kleinen follen von -dem
Borerzählen und Nacerzäblen ausruhen; es wird die Phantafle befons
ders in Unfpruch genommen. Der Lehrer gebe deshalb mit feinen Fra⸗
gen Rets vom Bilde aus. 4. Er laffe das Mar Angefchaute ſtets im
klaren, wenn auch einfaden, ganzen Edgen ausſprechen. Fur diefe
Thätigfeit kann je nach Geichichte und Bild Verfchiedenes ind Auge ge⸗
faßt werden. 5. Die eine Aufgabe if, daB die Kinder Das ausſprechen,
was fie aus der eben erzäblten bibliichen Geſchichte dargeſtellt fehen.
Dabei die Regeln: Drdne die Fragen wo möglich fo, daß die Kinder
mit ten Worten der bibfifchen Gefchichte antworten können und in der
Meibenfolge der bibliſchen Geſchichte. Laß die Kernworte und wichtigſten
Sprüche der Gefchichte im Chor wiederhofen. 6. Es iR aber dann anch
das zu beadhten, was der Maler Hinzugetban bat, um die dargefielite
Scene noch anfchauliher zu machen: Ort der Handlung, die dargeſtellten
There, Tracht. 7. Bei der Betradtung des inneren Lebens Der dar⸗
geſtellten Perfonen, das fi theils ſchon in der Kleidung, mehr aber
in ihrer gangen Haltung: und befonders in ihren Geſichtszügen abſpiegeln
wird, geht die Betrachtung der biblifhen Geſchichte unwillkürlich in die
erbaulihe Auslegung der Gedichte über, bei welcher Bibel-
fpräche, Katechismusabichnitte und Liederverfe zu Oülfe genommen wer⸗
den können, ohne daß man, in die fogenannten „nützlichen Lehren‘ ges
rathend, von der biblifchen Geſchichte ganz abirrt. — Wir müffen die
Arbeit des Herrn 20. Jungklaaß, namentlid Die Ausführung feiner Sähe
an den Beifpielen,, dringend der Aufmerfiamkeit unferer Befer empfehten,
Lönnen aber nicht umhin, an Director Jungklaaß die Bitte zu richten,
daß er auch das, was er a. a. D. Seite 207 über die Behandlung des
Beiwerkes und über die Beiradhtung des innern Lebens der dar⸗
geellten Berfonen ausgefprochen bat, an einigen grade auf die Unter
klaſſe berechneten Beifpielen praktiſch ausführen möge. Allerdings findet:
fih Seite 211— 216 dahin Einichlagendes, aber die beiden an dieſer
Stelle bearbeiteten Bilder betreffen Gefchichten, bie offenbar nicht Der
Unterufe angehören, und die Abfonderlihkeiten, in weiche Viele grade
bei den Seite 207 genannten Städen verfallen, find gar arg.
-
%
Heligions- Unterricht, a
Herr Shut (Katholiſcher Schulfreund a. a. ©.) führt uns eine‘
dreifache Weile der Behandlung des biblifchen Bildes vor. a) Erzäblen
der Geſchichte, darauf Borzeigen des Bildes und einfaches Beſchreiben
deſſelben. Dabei längere Ausftellung des Bildes. Schuth ſtellt vier
Bilder zu gleicher Zeit in einem aus vier Abtheilungen bekehenden Bilder,
rahmen aus. (Zu dem längeren Ausftellen ſowohl, als dem viertheiligen
Rahmen machen wir ein großes Fragezeihen.) b) Die Beſchreibung des
Bildes geht der Erzählung voran; Ramen und Würde von Berfonen zc.
wird den Kleinen gefagt. Schuth if der Meinung, daß bei einer ſolchen
vorhergehenden Beſchauung oder Befchreibung des Bildes durch Die
Firirung einer beſtimmten Kocalität und Geenerie der Geſchichte die Ers
zäbtung felb an Unfchautichkeit und leichterer Auffaßbarkeit befonders
gewinne, die Erwartung der Kinder auf die Geſchichte geſpannt und Die
Aufmerkſamkeit gefteigert werde. — Wir halten dafür, daß ein ſehr ger
fidter Lehrer zu diefer Behandlungsweife gehöre, daB namentlich das
durch, daß die Gefchichte in freierer Form am Bilde behandelt wird,
dem nachher doc geforderten Aufmerfen auf das beſtimmt formulirte
Wort eher Eintrag, als Vorſchub gefhieht. So auch Bormann Unter
rigtefunde Seite 120 und Kober (vergl. 8. 39). c) Der Lehrer mad
zuerſt auf die dargeflellten Dertlichfeiten im Allgemeinen aufmerkſam.
„Da if ein Berg, ein Feld, ein Fluß, ein Baum, ein Zimmer, ein
Tiſch, Wer ein Mann, dort ein Kind ıc., trägt dann frifchweg feine Er⸗
zählung vor und wei während derfelben, fo oft Etwas Fommt, das auf
bem Bitde feine Darftellung gefunden hat, mit dem Finger oder einem
Städten auf ſolche Eingelnheiten derſelden.“ — Der Berictesfatter
iR durch diefe® Herumfahren des Stödchens auf dem Bilde unwillkür⸗
li an die FJahrmarftebänfelfänger erinnert worden, die bekanntlich die
Eregefe ihres Geſanges auf diefelbe Weife geben.
Als KAuriofiım erwähnen wir einen Artifel aus dem Medienburger
Schalblatte 1856. Nr. 8, der nach feiner Polemik gegen bildlihe Dar⸗
Beflungen des Heilandes zu dem Nefultate fommt: „Alſo keine bildliche
Darftellungen in der- Schule von unferm Herrn Jeſu Ehrifto, obgleich
er feine göttliche Klarheit in die dunkle Hüfle der menichlihen Ratur
gefleidet und Anechtögeftalt angenommen hat, um unfertwillen. Säße,
durch welche hindurch der BVerfafler zu diefem Neinltäte gelangt, ind:
„ade Darſtellungen unferes Herrn Jeſu Ehrifti werden nur Sarricaturen
fein Bönnen. — Das Kind macht ih ein Bild des Heilandes in feiner
Seele. — Ber weiß, ob nicht diefes Bild viel großärtiger, reiner, edler,
erhabener if, als wir es dem Rinde zu geben vermögen? Wer mölfte
wohl einem Kinde ein ſolches Bild rauben? Gefept nun auch den Fall,
das ſelbſt gemachte Bild des Kindes fei eine Garricatur — was würde
e8 gewinnen, wenn wir dieſe Durch eine andere wegwifchen 7’ — Weiß
denn der Herr Berfafler gar nichts Darüber, daB der Typus der Chriftuss
gekalt, namentlich des Antlides des Herrn, den wir von Jugend auf
in uns tragen, ein wunderbar übereinftimmender ift, und daß auch alle
Känftler, vom höchſten bis zum niedrigften, denfelben Typus mehr oder
weniger feſthalten? Und Tann er, angenommen, er habe mit feiner
E Religions - Unterriäht.
Carricaturhypotheſe Recht, dem Kinde die Augen zubalten, wem es
Chriſtusbilder und Kruzifixe in der Kirche fieht, die doch auch oft Feine
Meifterftüde find? Oder follen wir eine neue Bilderkürmerei anheben ?
39. Eine befondere Beſprechung erfahren die Schnorrſchen Bilder
von Paftor Kober im fünften Hefte des Schuiblattes der enangeliichen
Seminare Schleſiens Seite 364—370. Bei aller Anerlennung, die
den Schnorrfchen Bildern, inebefondere ihrem bibliichen Geifte, gezollt
wirb, werden zwei Bedenken gegen fie erhoben. Das erfle betrifft die
pildiiher Darfellung Gottes und bringt mandes Beherzigens⸗
wertbe. In manden Einzelnheiten flimmen wir dem Verfaſſer nicht
bei, fo 3 3. in feiner Auffaffung des Opfers Noahs, das uns nicht
Bios als Dankopfer, fondern vorberrfchend als ein Belenntniß der Sünd⸗
baftigfeit und der Hoffnung auf Erlöfung gilt. Das zweite Bedenken
beziebt fih auf die Darftellung des Teufels, am welcher der Berfafler
den widerlichen, fürchterlichen Teufel, den die Schrift nicht keunt (— Hör⸗
ner, Efelsohren und langen Schweif), mit Recht rügt. (Bon fonfligen
dogmatifhen Angriffen, welche die betreffenden Auslaffungen des Ver⸗
faffers zulaſſen, jehen wir hier ab.) Außer diefen beiden Hauptbedenken
berührt Kober noch die Darftellung der Berfon des Heilandes: er ſindet
fie nicht gleihmäßig edel und menfhlihsfhön genug gehalten. Wir
ſtimmen ihm bei, innerlich gedrungen, mit den Kirchenvätern des vierten
und fünften Jahrhunderts auf den Seren Pfalm 45, 3 anzuwenden:
„Du bift der Schöne unter den Menſchenkindern.“ — „Die heilige
Schönheit des Herrn mußte auf jedem Bilde alle andern. Figuren, auch.
die fchönften in den Schatten ſtellen.“ (Kober.) Als Regel für die Be⸗
handtung des Bildes überhaupt flellt Kober noch 2 Sätze auf, die unfere
bildereifrige, darum aber auch worteifrige, die angemeflene Behandiungs«
weiſe noch fuchende und vielfach noch in der Manier berumfpringende
Schulpraxis wohl beberzigen mag. a) Erfläre nicht zu viel, b) Des
ginne nicht mit dem Borzeigen des Bildes; das Bild fei nicht Zert
der Unterrichtsſtunde. Zert if die biblifche Erzählung; von ihr gebe
aus, zu ihr fomme wieder zurüd.
40. Golizſch, die Bedeutung des Bildes wohl anerfennend, fügt
feiner Empfehlung der Kaiſerswerther Bilder (a. a. D. Seite 103) den
richtigen Wink binzu: „Es if indeß nicht leicht, folde Beranſchau⸗
lichungs⸗ und Anregungsmittel in der Weiſe zu gebrauden, daß da⸗
dur die Rille Sammfung der ſchauluſtigen Kleinen nicht Gintrag er«
leide. Anfänger im Unterricht dürfen es Daher nicht wagen, davon Ge⸗
brautch zu machen.“
41. Uebergehen wir den Berfafler des fchon angeführten Artikels
des Mecklenburgiſchen Schulblattes Rr. 8 ale zu unbedeutend — «6
eignen fih ihm zu feinem Zwede vorzugsweife Abbildungen von
Gerätbichaften, Anzügen x. — fo flellt fih allein Bormann zu allen
Denen, die fi) 1856 über die Berwenpbarfeit des Bildes ausgelaſſen
baden in Gegenfag. (Unterrichtskunde Seite 120. 121.). Gr begränzs
die Berwerthung des Bildes auf „die guten Dienſte,“ die es zur Gin⸗
prägung der Geſchichte leiſtet. Dabei will er nicht überfehen Haben,
%
Religions - Unterricht. 33
„daß es nur einen Moment ber Geſchichte vergegenwärtigt, aber nicht
ihren Berlauf, daß es ferner nur die finnlihe Seite diefes Mor
mentes zur Erfcheinung zu bringen vermag, aber nicht den ihm zum
Grmde liegenden innern Borgang, endlih, daß es die Kernpunfte
der Erzählung, wo fie in einem ſpruchartig gefaßten Gedanken
hervortreten, nicht zur Erfcheinung zu bringen vermag.” Darnach hält
Bormann die biblifhen Bilder nicht für ein fehr wichtiges Lehrmittel.
Die Biderlegung Bormanns finden wir in der (boffentlich noch weiter
auszubildenden) Bebandlungsweife des Director Jungklaaß.
42. Ueber Borfchläge und Leiſtungen in Beziehung auf die übrigen,
außer der bibliſchen Befchichte zum Religionsunterrichte auf der Unters
Rufe gehörigen Stoffe haben wir zu Dem, was in dem Bieherigen
gelegentlich beigebracht ift, wenig hinzuzuſetzen. Unter Denen, weiche
fämmtlihe Stoffe an die piblifhe Gefchichte anlehnen, hat Jaspis mit
gewohnter Meifterfchaft die Sprüche und Liederverfe ausgewählt, in Bes
ziebung auf Katechismus und Gebete aber die Stoffe nur im Einzelnen
angegeben, ohne fie mit beflimmten einzelnen Geſchichten in Verbindung
zu fegen. Dem Berichterflatter bat fi die von ihm feibft in feinem
don genannten Büchlein im Einzelnen durchgeführte Verbindung aud
des Katechismus und der Gebete mit der biblifchen Gefchichte in lang»
jähriger Praxis befonders bewährt. Abweichend von anderweitigen, auch
amtlichen Befimmungen, 3. B. von denen der Königlichen Regierung zu
Nerfeburg, fordert Jaspis auch die Erflärungen: der zehn Gebote von
der unteren Stufe. In vielen Fällen möchte es nicht möglich fein,
opue die von Jaspis felbft. fd ernft gerügte Aufnöthigung des Unver⸗
daulichen dieſer Forderung zu. genügen. Die bei Jaspis fih vorfindende
Beihränfung der Gebete auf Morgenfegen, Abendfegen, Gratis und
Benedicite und einige wenige andere angemeflene Gebetsverſe wird hoffent-
li auch das Ihrige dazu beitragen, die Tandläuflge Ueberfchüttung der
Keinen mit einer Maffe von Gebeten, „in deren feinem fie dann or-
deutlich zu Haufe werden,‘ auszutreiben und aud den Zufammenhang
der Gebetsübung der Schule mit der des Haufes wieder aufzufuchen. —
Für eine der ſchwächſten Arbeiten in Ordnung, Vertheilung und Zus
ſammenhang des Gefammtmaterials halten wir auch in Beziehung auf
die Unterflufe die von Dr. Hubert.
B. Die Mittelftufe.
43. Das preußifche Negulativ fordert die einflaffige oder zwet⸗
Naffige Volksſchule, ſchließt aber nad Eeite 68 die Einrichtung mehrerer
Abtheilungen für den NReligionsunterricht nit aus. In der Prazis
wird das Bedürfniß einer Mitteltufe immer fühlbarer. Je Meiner um
der feſten Befibergreifung willen der Kreis der Stoffe ift, der auf der
Unterfufe durchgearbeitet wird, und je mehr fih nah allen Seiten bes
Etoffes der einjährige Kurſus empfiehlt: defto größer ift der Sprung
jwifchen Ober» und Unterflufe, und damit defto nothwendiger eine Mittels
Rufe. Daher find auch in dem abgelaufenen Jahre Jaspis, Kolde,
RNade, Jahresbericht. X. 3
+‘
34 Religions - Unterricht.
Wed x. in ihren Plänen für den Religionsunterricht mit Recht von
der Borausfeßung einer hefondern, von den übrigen Abtheilungen ges
trennt zu unterrichtenden Mittelftufe ausgegangen, und ſelbſt foldhe Leute,
die, wie Hubert, alle Altersftufen zufammenfaffen, machen doch gewiffe
Abtheilungen (— Hubert hat fogar vier —), an die bezüglih des
Etoffes verfchiedene Anforderungen gerichtet werden. Jasvpis weifet der
Mittelftufe 46 wieder nach dem Kirchenjahre geordnete biblifche Ger
ſchichten (— 23 waren fchon in der Unterflaffe gelernt —) zu, eben
fo viele an die Geſchichte ſich anlehnende Bibeliprüche, außerdem zwölf
ganze, an das Kirchenjahr fich anfchließende Kirchenlieder, vier für ſich
daſtehende längere Schriftftellen, unter diefen Pſalm 23, und das Aus⸗
wendigiernen des in 46 Penfen (mit Einfluß der Wiederholungen) ges
theilten Lutheriſchen Katechismus, und zwar fo, daß das erſte Hauptſtück
und der erſte Artikel in die feſtloſe Bälfte, alles Uebrige in die feſtliche
Haͤlfte des Kirchenjahres fält. (Das Blatt, weiches für Schulen refor⸗
mirter Konfeffion die Bertheilung des Heidelberger Katechismus in Penſen
eines Jahres enthält, ift ung nicht zu Gefichte gefommen) Wie im
Großen und Ganzen, fo ift auch im Einzelnen diefe Bertheilung mit
Umfiht und Erfahrung angelegt. Wed zerfällt fowohl feine Unter-
klaſſe der getheilten Schule, als auch feine zweite Abtheilung der uns
geteilten Schufe in zwei Unterabtheilungen, hält aber das Kirchenjahr
auch auf den Mittelftufen nicht genug fell. Echon in der dritten Woche
vor Weihnachten ſpricht er in der Oberabtheilung der Unterflaffe der
getbeilten Schule von Johannes und des Herrn Geburt, was in einer
Muftervertbeilung offenbar ein Fehlgriff if, wenn gleich bei den Bands
fungen des Kirchenjahres nicht eine auf jedes Jahr paſſende Bertheilung
gegeben werden konnte und für die Bertheilung jedes Jahres die eigene
Arbeit des Lehrers ausdrüdlich gefordert wird. Der Jahreskurſus des
- Katehismusunterrichtes für die Mittelftufe fowohl der getheilten, als der
ungetheilten Schule geht abweichend von dem in der biblifchen Gefchichte
von Oſtern bis Oftern. Die erſte Abtbeilung der Unterklaffe der ges
theilten und der ungetheilten Schule lernt von Oſtern bis Weihnachten
das erfie Hauptflüd und den erften und zweiten Artikel mit den Erklä⸗
zungen, von Weihnachten bis Oſtern den dritten Artikel und das dritte
Hauptſtück mit den Erklärungen. Jedem Katechismuspenfum iſt ein
Wochenſpruch zugefelli. Die Liedervertheilung gefchieht bei Wed auch
für die Mittelſtufe in zweijährigem Kurfus und will nad Feiner Seite
befriedigen. Wir führen nur ein Beifpiel an. Die Oberabtheilung der
Unterflaffe der getheilten Elementarfchule lernt in dem erften Sabre die
drei erften Berfe aus dem Liede: „Ad, bleib mit deiner Gnade,” je in
einer Woche einen, im zweiten Jahre in derjelben Weiſe die drei lebten.
Ein ſolches rein Außerliches Berfchneiden des ifolirt von den übrigen
Stoffen daftehenden Liedes ift etwas durchaus Verfehltes. Das betreffende
Lied und einzelne andere können auf der Mittelftufe — ohne Weber»
ladbung — recht wohl ganz und mehr uno tenore gelernt werden.
BGoltſch verbindet die beiden Wbtbeilungen der Unterflaffe in
eigentbümlicher Weile. Die obere Abtheilung nimmt in den mit Der
Religions» Unterricht. ° 35
Unterabtheilung gemeinfamen Stunden Antheil an der Durcharbeitung
des vorbereitenden, nun an die biblifchen Erzählungen angefchloflenen,
vorbereitenden Stoffes. Der geſammte Stoff wird vollfländig zweimal
in der Unterklafie behandelt, zwar beide Male in freier Erzählung des
Lehrers, Doch fo, daß die obere Abtheilung, mit der ex zum zweiten
Male behandelt wird, bebufs Vorbereitung, Einprägung und Wieders
bolung zur Benugung der Bibel felbf, theils zu Haufe, theils in der
Leſeſtunde, theild aud fon während der Unterrihtöftunde angeleitet wird.
(Das ſetzt, bemerken wir, freilich eine fehr geförderte Mittelftufe voraus.)
Andere, die Mittelftufe angehenden Arbeiten, die einer Erwähnung vers
dienten, liegen uns nicht vor.
44. Dabei kann der Berichterftatter nicht die Bemerkung zurüds
halten, daß dem Religionsunterrichte auf der Mittelftufe, wie in der
Brazis, fo au von Denen, die fehriftflellerifch auftreten, noch lange nicht
fein Recht geſchieht. Nach feinem Dafürhalten wird der Neligiondunters
riht der Mittelftufe allerdings weitere SKreife zu ziehen haben, als der
der Unterfiufe. Die nunmehr anzuftrebende erfte Einſchau in das Ganze
des Reiches Gottes und die immer reichere Entfaltung des religidfen
Lebens machen eine Mehrung des Stoffes an Geſchichte, Katechismus,
Kirchenlied und Gebeten nothwendig. Doc wird im Wefentlichen dafjelbe
Lebrverfahren, wie auf der Unterflufe, fih noch als das geeignetefte em⸗
piehlen. Die Katehismusfäge (mit den Erklärungen, wenigflens die drei
erfien Hauptſtücke) werden aljo noch nicht der Reihe nach zu behandeln,
fondern an die biblifhen Gefchichten anzufchließen fein, wobei der bes
reits umfangreichere Gefchichtsftoff ein wiederholtes Heranziehen eine®
und deſſelben Katechismusfapes geftattet und auch durch die Geſchichte
das Sachverftändniß der einzelnen in den Erflärungen gegebenen Stüde
am ficherften gewonnen wird. Diefes Berfahren fchließt dann ein in
einer beiondern Stunde zu betreibendes Memoriren und fleißiges Wieder⸗
bolen der einzelnen Katehismusftüde nad ihrer geordneten hauptſtück⸗
mäßigen Gliederung und Zufammenflellung nicht aus. Aehnlich wird
das Kirchenlied vorherrihend in je 2 oder 3 Derfen an die einzelne
Geſchichte fih anfchließen und dann zu einem Ganzen zufammen zu
fhließen fein. Rur wenige kürzere Lieder, auch einzelne Zeftlieder dürften
ſogleich als Ganzes gegeben werden. Auch der Spruch wird am beften
als Zufammenfaffung der biblifchen Gefchichte gebraucht, fo jedoch, daß
mit der einzelnen Gefchichte nach den verfchiedenen Spigen, die an ihr
berwortreten, bereitö mehrere, theild neu zu lernende, theils auf der
untern Stufe fchon gegebene Sprüche in Berbindung treten und bie
ganze Behandlung der Geſchichte fih weiter, als auf der Unterflufe,
ausbreitet. Ebenſo fchließen fich die beigefügten Gebetsftoffe am beften
an die Geſchichte. — Sind diefe Säge richtig, fo hat der Berichts
erfatter fa an Allem, was für die Mittelllaffe von dem abgelaufenen
Jahre gebracht ift, erhebliche Ausftellungen zu machen. Er muß felbf
an dem Plane von Jaspis ausfehen, daß noch zu viel „Aneinander“
und zu wenig „Ineinandergreifen” da ift. Gegen Goltzſch, dera.a.D.
Seite 100 die Verbindung der Bibelfprüce und Liederverje mit ber
3*
36 Religions = Unterricht.
bibliſchen Gefchichte fordert, muß er Fehde erheben, um des’ Mittels
willen, das Goltzſch zur Einprägung diefer Stoffe angewendet wiffen
will. „Es geſchieht dies dadurch,“ fagt Goltzſch, „daß diefe Sprüche
in den folgenden Schreibleſeſtunden und auch wohl zu Hauſe als Auf⸗
gabe für den nächſten Tag von den Kindern auf ihre Tafel aus der
Bibel abgeſchrieben werden, wobei fie zugleich merken und einprägen,
zu welcher biblifchen Gefchichte diefelben gehören, damit Gefchichte, Bibel⸗
fprud und Liedervers fich wechfelfeitig erflären und in Folge der Wieder⸗
holung in den fpätern Schuljahren aflmählig fo in einander verwachfen,
daß ein Jedes an das Andere und Dritte erinnere.” Das bloße Abs
reiben und Bemerfen der zugehörigen biblifchen Gefchichte wird aber,
fo meinen wir, gar wenig helfen; nur durch das lebendige Wort wir
Das erreicht werden, was Golgfh mit uns ſucht. Auch gegen die Weife
Goltzſch's, in der obern Abtheilung den Katechismus ifolirt von der
bibliſchen Gefchichte rein auswendig lernen zu laffen, müſſen wir um
"fo entſchiedener uns ausfprechen, je mehr Goltzſch das Beten des Ka⸗
tehismus am Ende jeder Stunde betont (a. a. D. Seite 105). Der
Derichterflatter gehört nicht zu Denen, die nichts wollen lernen und
beten laffen, es fei denn vorher wie Glas durchſichtig gemacht, — wie
ihm denn ja auch der heimgegangene Nacke (vergl. lebten Jahresbericht
Geite 22) das Lernenlaffen auf Borrath gradezu zum Borwurfe gemacht
hat — , aber gewiffe Seiten müffen doch da fein, an denen das Kind
feinen Gebetsftoff innerlich erfaßt, ſowohl annäherungsweife ihn ver»
ftehend, als auch mit dem Gefühle ihn fich aneignend. Und wird diefes
innerlide Erfaſſen ftattfinden, wenn nicht durd die Hiblifche Geſchichte
das nötbige Licht auf den Katechismus gefallen iſt? Unter den wenigen
Hülfsmitteln für die Mittelftufe, die der Berichterftatter überhaupt kennt,
fheint ihm nad) Anlage im Ganzen — nicht aber in der Ausführung
im @inzelnen — der zweite Theil des LXehrbuches der biblifchen Ge»
fhichte von Fürbringer (Berlin 1854 bei Mohr und Comp.) das
befte zu fein. Bon einem neuen Lehrbuche hat er, die biblifhe Ges
fhichte von Freihuber (Lit.: Mittelftufe) ausgenommen, in dem abges
Inufenen Jahre feine Runde erhalten.
45. In Betreff des DBerfahrens bei der Aneignung des Katechis⸗
mus giebt Goltzſch eine Vorſchrift, a. a. ©. Seite 104, deren Bes
folgung febr viel Zeit erfordert, und die Gleichmaß und Ordnung gänz>
ih aufhebt. „Es findet überhaupt Fein firenges Aufgeben flat. Es
fagt in der Lehrflunde jedes Kind das Stück des Katechismus her, das
es zulept gelernt hat, wobei dann und wann auch einmal nad einem
früher gelernten "gefragt wird. Hat ein Kind mehrere Mal daſſelbe
Stück hergefagt, fo wird nur gefragt, ob es ſchon an dem folgenden
gelernt habe, und ihm aufgegeben, das nächfte Mal diefes folgende aufs
zufügen. Es fagen fomit immer nur wenige Kinder daffelbe Stüd her,
und bei großer Kinderzahl bleiben wenige Stüde übrig, die nicht her⸗
gefagt werden.’ 8 erinnert diefes Verfahren an die alte Zeit, in der
iedes Kind mit feiner Fibel zu dem Lehrer trat und fein Stüd buchſtabirte
oder vorlas, und eine Schule fo viel Abtheilungen, als Kinder hatte.
Religions - Unterricht. 37
46. Bon Golpih und Andern find die Katechismen belobt und
empfohlen worden, in denen die zu betonenden Wörter mit großen Lettern
gedrudt oder fonft bemerkbar gemacht find. Wir fegen dagegen unfere
Erfahrung. Die Katechismen von Krüger und Theel werden mit ihren
märfirten Wörtern fein richtiges Betonen, wohl aber ein unnatürliches
Stoßen und Herausfchreien begänftigen, wenn nicht das Iebendige Wort
des Lehrers das Seine thut. Thut aber diefes das Seine, fo ift alle
Markirung überflüffig. |
47. Manches Eigenthümlihe bat der ſchon angeführte Schulplan|
des Canton Bern. Er fordert für die Berner Mittelftufe (a—7. Schuls
jahr, wöhentiih 5—6 Stunden): a) Die biblifche Geſchichte nach Ricklis
Meiner Kinderbibel in zweijährigem Kurfus, jedes Jahr ein Zeftament
zugleich mit dem Wefentlichften aus der Geographie von Paläſtina. (Die
Schüler, die vier Jahre in der Ktaffe bleiben, machen zweimal das
Ganze durch. —) b) Beiprechung der Gefchichte, um die Schüler den
fittlichen und religiöfen Gehalt finden und auf fi anmenden zu laffen.
e) Lernen, Verſtändlich⸗ und‘ Erbaulihmachen religidfer Lieder. Diefe
drei Uebungen werden neben einander betrieben. — Außerdem wird
der Anfang mit dem Auswendiglernen. des Heidelberger Katechismus ger
macht, wo diefer als Leitfaden für die Unterweifung dient.
48. In den Mittelpunft des ganzen Religionsunterrichtes in ber
Rittelklaſſe wird die Katechismusunterweifung gekellt von dem Sachſen⸗
Meiningenihen Schulratbe Weidemann. Derfelbe fpricht in dem Vor⸗
worte zur dritten Auflage feines Katechismus fich alfo aus: ‚Der Rates
chismus foll in der Mittelftufe der Volksſchule, d. h. erft mit Kindern
von ‚zehn bis eilf Jahren, betrieben werden. Man fange auf diefer
Stufe, obne weitere Einleitung, fogleih mit den Geboten an,
erfiäre diefe dem einfachen Wortfinne nach und laſſe fie vollſtändig nebf
den mit einem Sternchen bezeichneten Bibelftellen auswendig lernen. Nach
den Geboten bebandle man die Glaubensartikel in derfelben Weile. Der
erſte Artikel wird glei ganz gelernt, bei dem zweiten und dritten kann
die Iutherifche Erklärung noch wegbleiben. Auch vom dritten Hauptfüde
werde zunächft nur der Test des heiligen Vaterunſers — — — durch⸗
geſprochen. — — — Das vierte und ſechſte Hauptflüd wird in der
Nittelflaffe noch nicht gelernt; doch if Über Taufe und Abendmahl unter
Benupung einiger darauf bezüglichen Bibelftellen das Gefchichtliche fchon
jeßt mitzutheilen.” Die Vorausfehung ift dabei, „daß die Kinder, ehe
fie den Katechismus in die Hand bekommen, ſchon mit den biblifchen
Geſchichten A. und NR. Teſtaments und mit denjenigen religiöfen Wahr⸗
beiten, die dem kindlichen Gemüthe am nächften liegen und aus der hei»
ligen Geſchichte fich Leicht ableiten laffen, durch das lebendige Wort des
Lehrers, unter Benupung einfacher Bibeliprüche und Liederverfe, bekannt -
geworden und auf diefe Weife zu einem geweckten religiöſen Bewußtfein
gelangt And.” — Wir halten dafür, daß die, wie es fcheint, umfang»
seichere Kenntniß der biblifchen Gefchichte, welche Weidemann für die
Mittelſtufe vorausfept, in der Unterklaſſe nicht erreichbar, Die ganze Stels
bung aber, die W. dem Katechismus in der Mittelklaſſe giebt, verfehlt fei,
>
38 Religions - Unterricht.
49, Noch weiter ale Weidemann geht Eurtman, der, wie aus
feiner neueften Schrift („Elementariſche Katechetit 20.” Darmfladt 1856
bei Diehl) hervorgeht, für die Mittelftufe eine Behandlung des ganzen
Katehismus durch analytifche Katechefe verlangt.
- C. Die Oberftufe.
Der Katehismuß.
50. Der Katehismus galt noch vor wenigen Jahren als bie
"eigentliche Spite des Religionsunterrichtes. Es war der hergebrachten
Praxis eine ausgemahte Wahrheit, daß der Katechismus auf der Obers
ſtufe der Volksſchule Unterlage zu einer mehr oder weniger ſyſtematiſchen
Behandlung der Heilswahrheiten, wenigftens zu einer zufammenfaffenden,
abfchliegenden Unterweifung fel. Das Verhältniß des Schulunterrichtes
zu dem Gonfirmandenunterrichte blieb dabei ein ſchwankendes. Nur felten
erhob fih eine gewichtige Stimme, die (— wie 3. B. Sluymer in
einem ber frübern Jahrgänge des preußifchen WBolfsfchulfreundes —)
ernflih auf die aus diefem Schwanken ſich ergebenden Uebelſtände hin-
wies; noch feltener wurde mit Glüd die Abgrenzung beider Gebiete wirk⸗
lich verfucht. Die Ausdehnung, welche die mehr oder weniger auf die
Volksſchule berechneten Katechismusauslegungen in den letzten Jahrzehnten
allgemach gewonnen haben (— 3. B. Harnifh, Balmer, Niffen,
Materne —), zeigen deutlih die dominirende Stellung, melde die
Katehismusauslegung gegenüber den übrigen Seiten des Religionsunter⸗
richtes eingenommen hatte. In Preußen ift dur die Regulative von
1854 der Katehismus aus Ddiefer feiner dominirenden Stellung heraus
und in eine untergeordnete, nämlich in die der Borbereitung auf den
kirchlichen Sonfirmandenunterricht, getreten. Den Mittelpunkt des ganzen
Religionsunterrichtes nimmt die biblifche Geſchichte ein.
51. Die Brage, wie nun der Katechismus zu behandeln fet, wird
aber in fo fchroffen Gegenſätzen behandelt, daß eine Ginigung der vers
jchiedenen Parteien fat unmöglich erfcheint.” Don den entgegengefebten
Polen aus beruft man fih auf die Regufative, und es hat den Unfchein,
als folle im Kreife Dexer, welche diefelben pädagogifchen Grundanfchaus
ungen zu Haben vermeinen, die Kluft eben fo groß werden, als zwifchen
den ehemaligen Parteien von DiefleitE und Jenſeits. Wiederum aber
ift, zumal bei dem großen Einfluffe, welchen einzelne Regulativausieger
auf die ganze Entwidelung der Schule ausüben, der durch das Chaos
der Auslegungen angerichtete Schade auf feinem Gebiete fo groß, ale
auf dem der Schule ſelbſt. Wir verfuchen es, uns in dem Gewirre der
Meinungen, welde das neue Jahr theils als ganz neue gebracht, theils
beftimmter ausgeprägt hat, zu orientiren.
52. Die eine Außerfle Seite bricht vollfändig mit der bisherigen
Stellung des Katehismus. Diefer if ihr fortan nicht mehr Object
einer befonderen unterrihtlichen Behandlung. Sie war bereits vor Er⸗
fheinen der Regulative vertreten, ohne daß fie irgend eine andere Bes
achtung gefunden hätte, als diejenige, welche ihr die Nothſtaͤnde mancher
Religions - Unterricht. ‚3
Schule factifch gab. Noch kurz vor dem Erfcheinen der Regulative, im
März 1854, äußerte ſich Fürbringer in dem Vorworte zu dem erſten
Theile feines Lehrbuches der biblifchen Gefchichte (Seite V) alfo: „Nach
meiner Unficht fann und darf der Geiſtliche für feinen Katechumenen⸗
unterricht Leine beffere. Vorbereitung verlangen, als die in den Schulen
zu erteihende gründliche Bekanntfchaft mit den widhtigften biblifchen Ges
Ihichten und das gründliche Erlernen der die Grund» und Heilswahrs
beiten des evangelifchen Glaubens und Lebens enthaltenen Bibelfprüche,
Kirhenlieder und Katechismusftüde” In einer Anmerkung (Seite VI)
fucht Fürbringer für feinen Sap eine anderweitige Begründung. „Schon
die einfache Worterflärung bat feine Schwierigkeit; und man will, wie
es nicht felten bei Prüfungen und Probelectionen geſchieht, von einem
elementarifch vorgebildeten Lehrer verlangen, daß er in den tiefen Sinn
der Erklärungen Luthers zu dem 2., 3., 4. und 5. Hauptftüde eindringe
und auch die Patechetifche Zertigfeit und Gewandtheit befige, um bei
eigner Plarer Auffaffung der Heilsiehren den Kindern den Sinn, die Bes
deutung der einzelnen Worte aufzufchließen? Welche tiefe, gründliche
Bildung wird hier vorausgefept? Weiche Lehrer- Bildungs »Anftalt vers
mag fie zu geben?’ — Seit dem Erfcheinen der Negulative wird dieſe
Seite, — die untergeordneten, als Gefolge an die einzelnen Stimms
führer fib anhängenden Stimmen übergehen wir — hauptfächli vers
treten von Bormann. In der Unterrihtsfunde von Bormann wird
Seite 142—143 aus Goltzſch citirt: „Es iſt nicht zweckmäßig, dem
Katechismus ganze Lehrftunden in der Unterflafle zu widmen, fondern
man befiimme dazu einzelne Schlußviertelftunden der biblifchen Geſchichto⸗
nnterrihtöftunde. Die Kinder fehen diefe Schlußviertelftunde als Gebet-
Runde an; fie legen Alles bei Seite, wie vor dem Beginn des Gebets
am Schluſſe der Schule; fie legen nicht blos die Hände zufammen, ſon⸗
dern fie falten fie, eins wie das andere. Es gebrauchen Kinder und
Lehrer keinen andern Ausdrud, als den: den Statehismus beten. Es
erhebt fih ein Kind nach dem andern von feinem Siße und betet fein
Stück ohne Stoden mit der im Buche vorgefchriebenen Betonung.‘
Diefe von Goltzſch für die Unterflaffe geforderte Behandlung des Kater
chismus weilet Bormann der Oberflaffe zu. „Unterrichtskunde“ Seite 143
beißt es: „Nach meinem Dafürbalten entfpricht eine Volksſchule, welche
in Betreff des Katehismusunterrichtes das hier (nämlich von Goltzſch
für die Unterklaſſe) Geforderte leiftet, allen Anforderungen, welche nach
dem Regulativ an fie gemacht werden können.” Seite 141: ‚Die Heils⸗
wahrheiten, welche in der biblifchen Geſchichte thatſächlich zur Erſchei⸗
nung fommen und von deren gläubiger Aneignung die Kirchenlieber
Zeugniß geben, finden in ihm ihren Iehrhaften Ausdrud und eine Ans
ordnung, die dem innern Fortgange des Heildweges jelbft entſpricht.
Bon diefem Gefihtspunfte aus betrachtet, erfcheint der Katechismus als
die Zufjammenfaffung des anderweitig bereits in anfhaus
liher Zorm dargebotenen Inhaltes der göttlihen Offen»
barung im Wort. — Dem Gonfirmandenunterrihte ift es
vorbehalten, den Katechismus zum eigentlihen Inhalte
40 - Religions = Unterricht.
feiner Unterweifung zu machen.“ Seite 144 u. 145 (a. a. O.)
giebt Bormann noch die Erklärung, daß nad feinem Dafürhalten eine
über die von ihm geftedten Grenzen hinausgehende Behandlung des Kar
tehismus auch über die Forderungen binausgehe, die das Regulativ an
die einklaffige Volksſchule macht. Für die mehrflaffige Schüle macht
Bormann die weitergreifende Katechismusbehandlung von dem Urtheile
des betreffenden Pfarrers abhängig. Nah Bormann wäre alſo das
Ende der eigentlichen Katechismusauslegung gefommen und es hätte, ins
fofern eine foldye obne die Latechetifche Lehrweife undenkbar ift, der heim⸗
gegangene Nacke Recht gehabt, als er im vorigen Jahresbericht (Seite 29)
ihrieb: „Aus den preußifchen Schulen if die Katechefe dur das Res
gulativ vom 3. October 1854 thatſächlich entfernt.‘ Befremden mag
es allerdings, daß Bormann nad feinen beflimmten Auslaffungen in
dem für die einklaffige Elementarfchule gegebenen Lertionsplane (Untere
richtöfunde Seite 238) noch eine Stunde wöcentlih unter der Rubrif
„Katechismus“ auftreten läßt. Uber wir werden, zumal auch die dem
Lectionsplane (Seite 239—240 a. a. D.) folgenden Erläuterungen ſich
über dieſe Katechismusſtunde nicht weiter auslaffen, zu der Annahme
berechtigt fein, daß diefe Stunde vorzugsweife dem bei Goltzſch nur
viertelftundenweife auftretenden Beten des Katechismus zugewielen fein fol.
53. Bormann geht in feiner Normirung des Katechismusunters
richtes von folgender Stelle des Negulatives aus: „Der in der Ges
meinde eingeführte Katechismusunterricht wird, fo weit es die Borbes
reitung für den Katechumenenunterricht erfordert, dem Gedächtniſſe ein»
geprägt; er muß von allen Kindern dem Wortinhalte nad verftanden
fein und richtig und ausdrudsvoll bergefagt werden können.” Im weis
tern Berlaufe feiner Auseinanderfeßung hafirt er die bereits oben ans
gegebene Spige feiner Auffaffung, daß es dem Confirmandenunterricht
vorbehalten fei, den Katechismus zum eigentlichen Inhalte feiner Unter»
weifung zu machen, und daß, wie fpäter Mar wird, die Schule ed nur
mit dem ausdrudsvollen Ratechismusbeten zu thun hat, Auf die im Res
gulativ vom 1. October (S. 19) ſich findende, von ihm wörtlih ans
geführte Stelle, in welcher ausgefprochen wird, daß eine ſyſtematiſche
Behandlung der chriflfihen Lehre, fei es in Entwidelung des dog⸗
matifchen und moralifchen Lehrinhaltes des Katechismus, fei es in ſelbſt⸗
fändiger Latechetiiher Behandlung einzelner Lehrpuntte und Bihelftellen,
nicht Aufgabe des Elementarlehrers, fondern Aufgabe des Confirmanden=
unterrichtes if. Der darauf folgende Sap des NRegulativs: „Der Kas
tehismusunterricht der Elementarfchule hat auf den legtern in der Art
vorzubereiten, daB durch eine einfache Fatehetifche Behand⸗
lung der Katehismus feinem Borts und Sadinhalte nad
zum klaren und jihern Berfändniß der Kinder gebracht
und, jo weit erforderlih, ihrem Gedächtniffe eingeprägt wird,“ iſt von
Bormann in folgender Zaffung wiedergegeben: „Dagegen fällt der Eles
mentarfchule die Aufgabe zu, den Katechismus dem Gedädhtniffe einzus
prägen und ihn allen Kindern dem Wortinhalte nad jo weit zum
Verſtändniß zu bringen, daß er richtig und ausdrudsvoll_hergefagt wer⸗
-
Religions « Unterricht. 4
den Tann.’ . Wir glauben, daß beide Säge nicht daflelbe fagen, und
haben die nach unferer Meinung weſentlichen Differenzpuntte durch Die
geſperrte Schrift angedeutet. Bormann hat in feiner Umfchreibung die
von dem Negulative ausdrädiich geforderte einfache katechetiſche Behand
lung des Katechismus nicht erwähnt, desgleichen nur ein Verſtändniß
nad dem Wortinhalte verlangt, während das Negulativ von einem Ber-
Rändnife nach dem Wort» und Sahinhalte redet, und endlich das
Verſtändniß mit einem fo weit begleitet, wie wir es in dem Negulative
nit finden. Diefes fchließt die Forderung. des Auswendiglernens des
Katehismus einfah an die des Berfländnifles an. Schon bier wird es
klar, daß die Bormann’fche Auffaffung eine von dem Regulativ weients
ih verfchiedene, nicht den vollen Inhalt deſſelben wiedergebende if.
Daſſelbe müſſen wir noch entichiedener behaupten, wenn wir das Regu⸗
lativ vom 3. October Seite 68 mit der Bormannſchen Rormirung des
Katehismusunterrichtes vergleihen. Wie die Negulative äußerlich als
ein Ganzes erfchienen find, fo wollen fie auch ihrem Inhalte nach ale
ein Ganzes behandelt und als ein folches gedeutet fein. Und wenn der
auf das Seminar fich beziehende Theil nad dem innigen Zufammens
bange des Seminars mit der Volksſchule nothwendiger Weile bereite
Rh über Ziel und Aufgabe der Volksſchule auslaffen mußte, fo iſt es
andererjeits gewiß auch ganz natürlih, in dem Regulative vom 3. Dce
tober die einzelnen, genaueren Ausführungen zu dem bereits im foges
nannten Seniinarregulative über die Volksſchule Gefagten zu fuchen.
Bon diefer wohl unbeftreitbaren Annahme ausgehend, fehen wir in dem,
was Seite 67 u. 68 über den Religionsunterriht in der Volksſchule
geſagt ift, den Commentar zu den von Bormann aus Seite 19 u. 20
eitirten Beſſfimmungen. Nun lefen wir aber Seite 68: „Die Saupts
aufgabe des Lehrers ift, den auf den befchriebenen Gebieten (— es find
vorher bibliſche Gefchichte, Gebete, Wochenfpruch und Wochenlied, Kirchen
lider, Sprüche, Perilopen, Bibel und Katehismus genannt, —)
beiegenen Inhalt zu entwideln, zum Berfiändniß und zum
Beſitze der Kinder zu bringen. Dazu ift weniger die Kunf
des fogenannten Sofratiftrens, als die des guten Erzählens, Veran⸗
ſchaulichens, des Haren Zufammenfaflens der Hauptgedanken und die
Kraft des eignen Glaubenslebens erforderlich, welche in göttlichen Dingen
ohne große menſchliche Kunft Ueberzeugung und Leben ſchafft.“ Wir
finden bei Bormann auch nicht die geringfte Nüdfichtnahme auf dieſe
Stelle. Go lange fie aber mit ihrem beflimmten Wortlaute dafteht,
wird fchwerlih die Berufung Bormanns auf die Regulative als eine
richtige gelten koͤnnen.
54. Ob es überhaupt moͤglich ſei, den übrigen Seiten des Re⸗
ligionsunterrichtes, insbeſondere der bibliſchen Geſchichte, in der Volls⸗
ſchule eine ſolche Behandlung zu geben, daß durch fie die einzelnen
Heilswahrheiten bereits in folcher Anfchaulichkeit dem Schüler zugeführt
werden, daß der Katehismus nur das Gefchäft der lehrhaften Zufammen-
fafung zu übernehmen bat, und ob an der Hand Bormanns dasjenige
zu erreichen fei, was nach den Negulativen bezüglich des Katechismug
42 . Religions» Unterricht.
erreicht werden fol, if eine Frage, zu der jedenfalls mehr Raum ges
hört, als uns in diefen Blättern zugewiefen if. Wir müſſen bier une
mit furzen Andeutungen genügen. Zunächſt behaupten wir, daß eine
ſehr forgfältige und ausgedehnte Behandlung. der bibliſchen Geſchichte
dazu gehört, wenn durch diefe der Katechismus, wie das Regulativ ver»
langt, nah Wort und Sache, zu einem fihern und Haren Ver⸗
ſtaͤndniß gebracht werden fol. Selbſt dann, wenn der bibliſche Ge⸗
fhichtsunterricht fo recht eigentlich darauf angelegt würde, nicht nur im
Großen und Ganzen, fondern auch für alle einzelnen Säge eine Ka⸗
tehismuserläuterung zu fein, würde gar manches Katehismusftüd übrig
bleiben, das ohne unnatärlihen Zwang feine Behandlung nicht fände.
Auch liegt eine Berwerthung der biblifchen Gefchichte, welche das von
den NRegulativen für den Katechismus Geforderte Teiftet, ficher noch
weiter über den durchſchnittlichen Bildungsftand der Volksſchullehrer hin⸗
aus, als eine einfache Tatechetifche Behandlung des Katehismus. Wir
müffen, zugleih gegen Fürbringer, behaupten, daß dieſe leptere, zu⸗
mal an der Hand eines nicht zu karg audgeftatteten, in Frage und Ante
wort gearbeiteten und darum beftimmte Anhaltepunfte gewährenden Has
techismus, auch für den Schwächern und Ungeübtern nicht grade uns
überwindbare Schwierigkeiten bietet. Zritt zu der Handreichung eines
folden Katehismus noch die Hülfe der theofogifh und hoffentli zu
feiner Zeit auch pädagogiſch gebildeten Pfarrer, fei es in Abhaltung
einzelner Mufterlectionen in der Schule ſelbſt, fei es in Conferenzbe⸗
fprehungen, fo ift ‚eine einfache Tatechetifhe Behandlung‘ fiher für
den Lehrer nicht zu fehwierig. ebenfalls liegt einer gehörig geleiteten
Katechismusauslegung die Gefahr, in das rein Subjective abzuirren,
nicht fo nahe, als einer ſolchen Behandlung der biblifihen Gedichte,
weiche zugleich Die den Katechismus betreffenden Forderungen des Regu⸗
lativs befriedigen fol. In Beziehung auf die biblifche Geſchichte kommt
anßerdem der Umftand in Betracht, daß die Lehrer ſich vergeblich nad
einem Wegweiſer zu dem von Bormann geftellten Ziele umfehen werden.
Es ift für die Durchführung der Stellung, die Bormann der biblifchen
Geſchichte geben will, jedenfalls bezeichnend, daß derfelbe außer feinem
eigenen, vor 15 Jahren erfchienenen und, fo viel wir wiſſen, nicht zur
zweiten Auflage gekommenen Handbuche nur die Bearbeitung der bibli«
fhen Geſchichte von Niffen zu nennen weiß, die bei allen, von uns
an andern Orten gern anerfannten Borzügen doc nicht geeignet iſt,
einer folchen Geftaltung des biblifchen Gefchichtsunterrichtes, wie fie mit
Nothwendigkeit aus den im Megulativ über den Katechismus gegebenen
Befimmungen folgen müßte, Borfchub zu leiften. Was die in der
„Unterrichtstunde‘‘ Seite 308—122 ſich vorfindenden Auslaffungen ans
langt, fo glauben wir nicht, daß der Herr Verfaffer ſelbſt den An⸗
fpruch erheben wird, mehr als Andeutungen gegeben zu haben. Und
wird, fo fragen wir von fern her, eine folde Stellung des Katechismus,
wie die nad) Bormann, nicht auch eine Durchgreifende Megulirung des
Confirmandenunterrichtes notbwendig machen, und wird bie freitende
Kirche mit diefer uns nicht zu lange warten laſſen? Bürbringer
Religions : Unterricht. 43
rerfpricht ſich (a. a. DO. Vorwort Seite VI) einen großen Segen davon,
wenn der Bfarrer nicht mehr mit den Borurtheilen und Irrthümern zu
impfen hat, welche durch eine fubiective, zunähft nur aus Mangel an
tieferer,, theologifcher Bildung hervorgebende,, irrige Auffaffung der evans
geliſchen Heilslehren feinen Confirmanden eingeflößt worden find.” Wir
Rimmen ihm gern Bei, falls nämlich der Unterricht in der biblifchen
Geſchichte leiſtet, mas er nah Bormann leiſten fol. Was foll aber
dann aus dem Konflrmandenunterrichte werden, wenn, wie wir ale Folge
der Bormannfhen Katechismusftellung befürchten, der Pfarrer in Zus
Amft nicht einmal mehr das Wortverſtändniß des Katechismus vorfindet?
IR ſchon jetzt die Mühe und Noth des Gonflrmandenunterrichtes nad
den Ausfagen der Pfarrer fo groß, — wie erfi dann? GSoflte dann
nit noch im höhern Brade wahr werden, was Vater Hübner 1714
ſchrieb: „Es werden oft erwachfene Leute ertapyet, die Eins oder das
Andere ans dem Katechismus entweber gar nicht verfiehn, oder fich eine
ganz falfche Auslegung nah ihrem Sinne darüber gemakht haben.‘
Wir leben ganz entfchieden auf der Seite aller Derer, welche gegen
die hergebrachte Fatechetifche Salbaderei eifern, durch welche der Kates
hismustert bededt und unfichtbar gemacht wird. Wir fagen mit Löhe:
„Den Bortverfiand des Meinen Satehismus haben, if feine Kleinig⸗
kit. — — Man foll vor allen Dingen das Volk wieder zu der Höhe
der Entwidelung bringen, daß es weiß, was im Katechismus fleht und
was es an ihm hat.’ Und eben das, was Feine Kleinigfeit ift — ſetzen
wir anf der Baſis einer langjährigen Erfahrung hinzu, die nicht in der
Höhe des Schulregimentes, fondern in den niedrig gelegenen Kreifen
der eigenen Schularbeit gewonnen if, — wird ſchwerlich Durch die biblifche
Geſchichte allein und dann noch weniger durch den nad Zeit, Dauer,
Veife, Umfang bis jetzt noch in unfihern Grenzen berumfchwimmenden
Eonfirmandenunterricht zu erreichen fein. Hat doch ſelbſt Löhe, der
Eiferer um das ipsissimum verbum, theils in feinen Marginalien,
theils in befondern Fragen und Antworten uns ih feinem Haus, Schuls
und Kirchenbüchlein eine WBorterflärung der verba ipsissima Luthers
gegeben. Bor allem aber müflen wir, — um biefes noch einmal zu
betonen — von unferm poſitiv⸗chriſtlichen und Eirchlich »confefflonellen
Standpunkte aus gegen die Bormannfche- Stellung der biblischen Ge⸗
fhichte und des Katechismus Einſpruch thun. Se ernflliher wir bei
der Behandlung eines jeden einzelnen zum Religionsunterrichte gehörenden
Stoffes fragen: „Was bat die Kirche davon?’ — Deo mehr Bedenken
muß uns eine Behandlungsweife des Katechismus erregen, durch welche
diefer Schiffbruch leidet, defto entfchiedener müflen wir uns auch gegen
eine ſolche Unterweifung in der bibliſchen Gefchichte erklären, welche die
Adirrung in das Subjective fo nahe legte.
55. Bormann verlangt (a. a. D. Seite 141), daß des Katechis⸗
mus in der Efementarfchule fo weit zum Verſtaͤndniß gebracht werde,
„daß er richtig und ausdrudsvoll hergefagt werden kann.“ Wir halten
das richtige und ausdrudsvolle Herfagen des Katehiemus für einen fehr
unfigern Gradmeſſer des Verſtaͤndniſſes. Große und Heine Schüler
44° Religions = Unterricht,
fagen oft Katehismusftüde, Liederverfe zc. mit auffallend guter und
darum auch leicht täufchender Betonung ber, und doc hat diefe keinen
andern Grund, als das forgfältige Vorfprechen des Lehrers. Nur zu
oft fehlt dabei, wie man fih duch bie einfachften ragen überzeugen
fann, jedes Berkändniß, und mander Laie wird z. B. bei Prüfungen
getäufcht,, wenn die Schüler wie ein Uhrwerk aufgezogen werden, das
feine Melodie nah allen Regeln der Kunft richtig abfpielt.
56. Erlaffe der Mittelbehörden, welche mit den Bormannfchen Ans
ſchauungen übereinfimmen, find uns bis jept noch nicht zu Gefichte ger
fommen. Im volländigen Gegenfage zu Bormann flehen außer den in
öffentlichen Blättern viel befprochenen Erlaffen der Königlichen Regierung
zu Potsdam die ‚„‚Erläuternden Befimmungen’ der Königlichen Regie-
zung zu Merfeburg (Seite 5): „Es würde ein arges Mißverſtändniß
fein, wenn man vou dem Katechismusunterrichte das fatechetifche Ele⸗
ment überhaupt, weldhes zur Entwidelung und Aneignung des
Lehrinhaltes unentbehrlih ift, ausgefchloffen glauben wollte. Des⸗
gleichen die Berordnung der Königlichen Regierung zu Breslau vom
22. December 1854: „Der Lehrer bat fih in einfacher und herzlicher
Weiſe über den Inhalt der biblifhen Befchichte oder des Katechismus
mit den Schülern zu beiprechen, wobei Bibel und Katechismus in ftete
Beziehung zu einander zu ftellen find.“
57. Bon Bormann und der von ihm vertreienen, gänzlich mit der
bisherigen Stellung des Katechismus brechenden Richtung wenden wir
uns zu dem andern Exrtreme. Die ganze alte katechetiſche Kunf mit
ihren eflenlangen Herleitungen, mit ihrem Abzielen auf verflandeamäßige
Deweife, mit ihrem Ausgehen von allgemeinen Begriffen und ihrem Zer⸗
legen diejer bis zur Saarfpalterei, mit ihrem UWeberladen des Katechis⸗
mus durch eine Menge von Erklärungen, mit ihrer Unermüdlichkeit im
Aufipüren von hundert» und taufenderlei Einzelnheiten, Die unter ein
beſtimmtes Katehismuswort fallen konnen, mit ihrem Bededen, Uns
fichtbarmachen, Ertödten des Ratechismustertes: fie fucht unter der Firma
„der einfachen Tatechetifchen Behandlung‘ ebenfo eine Berechtigung wie
das Bormannfche Memoriren und Herbeten des Katehismus. Anerfannt
muß freilich werden, daß fie fi nicht mehr um inhaltslofe Allgemein«
beiten herumdreht, fondern daß fle ganz entfchieden in dem Dienfle des
pofltiv » hriftlichen und Tirchlicy »confeffionellen Lebens flieht. Als Reprä«-
fentant diefer Richtung nennen wir den Seminardirettor Dr. Wange»
mann zu Gammin in Pommern, deffen „Bibliſches Handbuch und
Hulfsbuch zu Luthers Meinem Katechismus‘, Treptow a. d. R. Erſte Auf⸗
lage 1855. Zweite Auflage 1856. (Biteratur Dberfufe A.) in feinen
praftifchen Anweifungen für den Lehrer, „wie er den Katechismusunter»
richt im Sinne der drei preußifchen Regulative fegensreich für fih und
feine Schule fruchtbar betreiben koͤnne,“ kaum von den Fehlgriffen der
alten Tatechetifchen Kunſt wird freigefprochen werden fönnen. — Außer
bald Preußens finden wir zu unferer großen Berwunderung einen ſtarken
Zug zu der alten katechetiſchen Kunft bei einem berühmten Schulmanne,
nämlih bei Curtman. Die ſchon genannte ‚, Elementarifche Kates
Religions - Unterricht. 45
chetik“ Curtmans Tann nah unferm Dafürhalten fi von dem alten
Katehifiten nur wenig losldfen.
58. Zwiſchen diefen beiden äußerken Standpuntten, dem Bor
mannfchen und dem Wangemannſchen, bald mehr dem einen, bald mehr
dem andern fich zuneigend, bewegen fi, „die einfache, katechetiſche Bes
bandiung fuchend,“ zahlreiche Fatechetifche Beftrebungen der Gegenwart.
Nur unbedeutend weiht von Bormann die Mehrzahl Derfenigen ab,
welche den Wortverſtand des Katechismus durch nichts weiter als ein
Zergliedern des Katechismustertes nach feiner logiſchen Zufammenfeßung
zu erreichen glauben und denen Franz Berner als der Meifter in
der Katechismusbehandlung gilt. Die Frucht eines folhen, ben Kate⸗
bismus in der Oberkaffe etwa fo wie die biblifhe Geſchichte in der
Unterflafle abfragenden Unterrichtes ift dann, daß die Schüler auf die
kreng an dem Texte hinlaufenden Fragen mit den Qutberifchen Worten
zu antworten verſtehen und den Text fich leicht einprägen, aber nicht, wie
die Analytifer glauben, ein wirkliches Gindringen in das Berfäntniß.
Wir begegnen hier derfelben Verirrung, die fi beim Sprachunterrrichte
in der Behandlung des Lefeftüdes geltend macht, und die bereits vor
längerer Zeit ein fchlefifcher Semmarlehrer fo treffend zeichnete, als er
zeigte, daß man durch diefe falfche Zergliederungsfunft auch ganz treus
berzig mit den Schülern über baaren Unfinn! ein fcheinbar ernfles Frage⸗
und Antwortfpiel machen könne. Daß fol’ Frage- und Untwortfpiel
weder belehren, noch erbauen Tönne, und fomit der wichtigften Eigen»
ihaften des Religionsunterrichtes ermangele, Tiegt auf der Hand. Entſchieden
bat fh im Brandenburger Schulblatte 1856 (Mais und Juniheft) ein
Ungenannter, aber doch wohl Erkennbarer, gegen diefes Zreiben ausges
ſprochen. Nachdem er daflelbe befchrieben, fagt er: „Probatum esset,
wenn nur das Alles Religionsunterricht wäre! Man lefe doch nur, was
in den Regulativen mit Sperrfährift ſteht. Die Neligionsfunde ſoll
einen erbaufichen Charakter tragen. Und trägt fie ihn nicht, jo fchadet
fie fa mehr, als fie nützt. Ich babe aber in jüngfter Beit fo mander
Religionsleetion in verfchiedenen Schulen beigewohnt, in denen nach ber
oben furz gefchilderten Methode Katechismus ꝛc. tractirt wurde. Diefe
kectionen waren aber alles Andere, nur nicht erbaulich, und die Lehrer,
von denen fie gehalten wurden. und die auf diefen Mangel aufmerkſam
gemacht wurden, mußten ihn zugeſtehen und natürlich finden.’ — ‚Meine
Erfahrung bat mich noch auf einen andern Nachtheil aufmerkfam gemacht,
nämliih, daß ſchließlich die Kinder bei dieſen Berfahren
doch Richts lernen, wenigftend nicht das Alles, was fie lernen müffen.
Es handelte fih einmal um die erfle Bitte Die Iutherifche Erklärung
wurde zergliedert: ,, ,,®o wird der Rame Gottes geheiliget?'" Erſtens
da, zweitens da. „„Wo wird er entheiligt?““ Erſtens da, zweitens
ta. Durch Bin» und Herfragen wurden die Refultate den Kindern ges
täuflg gemacht, fo daß fie mit Luthers Worten fih wohl zu bebelfen,
mit Diefen Worten auf die obigen Sauptfragen wohl zu antworten wußten.
Hiermit war die erſte Bitte abfolvirt. Ich frage nun, ob Dies zur
Borterflärung genug ifl. Oder müffen nicht 3. B. die Kinder Doch nun
46 Religions = Unterricht.
auch Rechenſchaft Darüber bekommen, warum ber ben Ramen Gottes entheis
liget, der anders lehret und Iebet, denn das Wort Gottes lehret? warum
alfo Luther grade fo erflärt bat und nicht anders. Hier wlrde meiner
Meinung nad erft das erbauliche Element eintreten können und müflen,
während vorher das logiſche im Bordergrunde fland, welches aber doch
anerfanntermaßen auch in der Dorfichule nicht ſtehen bleiben, fondern
nur einen möglihft bald zu überwindenden Durchgangspunkt bilden darf.
Diefer Durchgangspunkt ik freilich auch noch nicht überwunden und für
die Erbauung und Heiligung des Herzens auch noch wenig oder nichts
gewonnen, wenn nun auch wirklich noch ein oder ein anderer fchwieriger
Begriff erklärt oder angewendet wird. Bielmehr bedarf eine derartige
Borterflärung doch wohl noch eine Vertiefung durch Erklärung und Ans
eignung der tiefen Gedanken, welche in den Worten des Katehismus
ausgedrüdt find. Das wird deswegen immer noch Worterklärung und
von dem weit entfernt fein können, was die Regulative dem Religions»
unterrichte der Schule verfagt Haben.” — Ein Wort zu feiner Zeit!
59. Wir wenden ung zu den katechetiſchen Behrebungen der Mitte,
die nach unferm Dafürbalten auch in dieſem Stüde das Rechte trifft.
Zu diefer Mitte gehört eine Reihe von Namen guten Klanges: Thilo,
Bodund Jungklaaß, Goltzſch, Jaspis zc. Die Schiefier finden ſich,
wie es uns aus der von ihrem Schulblatte genommenen Entwickelung her⸗
vorzugehen ſcheint, auch in Beziehung auf den Katechismus immermehr. in .
eine Bahn zufammen. „Bil du etwa,” fagt Jungklaſaß auf einer
Gonferenz zu Winzig (Schulblatt 2. Seite 305), „weil neuerdings das
Katechifiren und Sofratifiren gewiffernaßen in Berruf gefommen if, in
da8 andere Extrem verfallen, und bringf du den Kindern gar nichts
mehr, namentlich in Glaubensfachen, zum Berftändnig? Läßt du den
Katechismus etwa nunmehr nur noch mechaniſch auswendig lernen? Sch
denke, wir halten uns auf der goldenen, aber nicht tombadenen Mittels
firaße, laſſen tüchtig, recht tüchtig und treu auswendig lernen, bringen
aber Das, was die Kinder lernen, ihnen auch zum Berftändniß, auch
duch Frage und Antwort.‘ Goltzſch (a. a. D. Seite 145): „Es
bedarf jept des näheren, betrachtenden Eingehens in jedes Lehrftüd des
auswendig gelernten Katechismus. Es muß jebt allmählig zu immer
fortfchreitender Erfenntniß des innern Reichthums der fo oft andädhtig
gefprochenen Worte kommen.“ Und Seite 150 fagt Goltzſch: „daß diefer
Unterricht in nichts Anderem, als in einem fortwährenden Ka⸗
techifiren befteben könne, deffen Stoff dem Kinde in Bibelfpruh, in
biblifcher Gefchichte und Xiedervers vorliegt.’ — Was in dem abge,
laufenen Jahre, fei e8 in Beitfchriftenartifeln, fei es in ſelbſtſtaͤndigen
Büchern, wirklich DVerdienftliches für den Katechismus geleiftet if, gehört
den Beftrebungen der Mitte an. Mur eine recht entichiedene Polemik
gegen die Extreme haben wir vermißt. An Kräften zu einem entichies
denen Kampfe fehlt es nicht, und ohne einen folhen Kampf wird es
nun einmal nicht abgehen. Beachtenswerth find namentlich Die Bemühungen
. der Mitte für Provinzial» und Landesfatehismen. Für Pommern hat
Jaspis, in Dem vorangehend, wozu er bei jeder Gelegenheit feine geift»
Religions = Unterricht. 47
lichen Amtsgenoffen ermahnt, nämlich zu tätiger Hülfsleiftung für Die
Schufe, eine befonders für Pommern bearbeitete Ausgabe feines Kate⸗
chismus erfcheinen laſſen; die ſchleſiſche Schule glaubt dem lange erſehn⸗
ten Brovinzials Katehiemus dur die Arbeit von Wendel um ein
gutes Stück näher gelommen zu fein. Außerhalb Preußens if in Baiern
die erfte, nicht amtliche Borlage des von Caspari nach Auftrag der evans
geliſchen Landestirchenbehörde verfaßten Katechismus erſchienen; in
SadbfensMeiningen hat der Landesfchulratf Weidemann feinen
Katechismus in neuer Auflage erfcheinen laſſen. Die von den Männern
der Mitte für die Abfaffung der Provinzial s und Sandesfatehiemen ale
richtig anerkannten Canones finden fih im Wefentlihen in einer
Reibe von Säßen wieder, die Dr. Bangem ann (a. a. D. Borwort
Seite IX) allerdings zunähft für eine höher hinauf gelegene Katechis⸗
musbehandlung aufgeſtellt, aber weder in den höher hinauf, d. i. nach
dem Seminare zu, noch in den weiter abwärts, d. i. nach der Volks⸗
ſchule zu gelegenen Abfchnitten feines Buches befolgt hat. Wir geben,
diefe Säge nur mit denjenigen Beränderungen und Auslaſſungen, welche
dur ihre Anwendung auf den Provinzialfatehismus der Volklsſchule
nöthig werden.
a. Der Provinziallatehismus muß von keinerlei felbfigemachtem
Schematismus ausgeben, fondern in Eintheilung und Anordnung des
Stoffes dem Eonfelfionsfatechismus folgen.
b. Er muß nah allen feinen Einzelnheiten fih fo eng an den
Bortlaut des Eonfefionskatehismus anſchließen und aus demfelben gleich“
fam hervorwachſen, daß wo möglich jede Einzelausführung nur eine Ents
widelung eines im Keime nach in einem Worte des Confeſſionskatechis⸗
mus bereits enthaltenen Gedanken giebt.
e. Die Lehrausführung im Ganzen und im Ginzelnen muß fi
üreng in den Grenzen kirchlich⸗ſymboliſcher Lehre halten.
d. Dieſe muß ſich im Großen und Ganzen, ſowie im Einzelnen,
nicht blos auf den Confeſſionskatechismus, fondern auch auf die heilige
Schrift gründen.
e. Jedoch dürfen die Ausſprüche der heiligen Schrift nirgends als
aur angeliebte Beweisftellen gebraucht werden, fondern fie müflen die
Grundlage bilden, aus weichen der Lehrtert ſelbſt wie ein Ergebniß her⸗
auswähk, fo daß alfo der Schüler ſelbſt jedes Lehrſtück gleichlam aus
der heiligen Schrift jelbft heraus erwachien flieht.
$f. Zu der aus der Schrift zu gewinnenden Grundlage fowohl, ale
au für die fortgehende Erläuterung des Lehrtegtes find nicht nur die
eigentlichen Lehrſtellen der Schrift, fondern auch die biblifchen Beifpiele
zu verwerthen. 2
g. Die zur Erläuterung, vornämlich aber auch zur Forderung des
im ganzen Katechismusunterrichte zu wahrenden erbaulichen Elements zu
verwendenden Liederverſe dürfen nicht irgend woher, ſondern müſſen aus
dem kirchlich eingeführten Geſangbuche, am beſten aus den für die Schule
beſtimmten Kirchenliedern entrommen werden.
Zu dieſen Saͤtzen fügen wir noch zwei, welche vornaͤmlich die ſchle⸗
48 Neligiond ; Unterricht.
ſiſche Schule mit ganzer Entfchiedenheit geltend gemacht hat,’ einen, der
das methodifche Verfahren angeht, einen, der ſich auf das zu verwers
thende Material bezieht.
h. Die ganze Bermittelung zwifchen dem gegebenen Katechismus:
gehalt und der Aneignung des Schülers, der erfennenden und gläubigen,
befleißige ſich moͤglichſter Kürze und Einfachheit. — — Nicht nur die
fang ausgefponnenen Gedanfenbewegungen, die das aus dem Kinde ſelbſt
heraus entwideln wollen, was fein Menfch aus fich felbft erfunden hat,
fondern auch diejenigen, welche fi mit Dem zu tbun machen, was
die Kinder längſt wiflen, find vom Nebel.
i. Auch außerbiblifches Material ift bei der Behandlung des Kater
Hismus nicht zurädzuweifen.
60. In Beziehung auf Sag 3. fchreiben wir einer Auslaffung
aus der fhlefifchen Schule eine befondere Bedeutung zu. Director Bod
fast im Schulblatte für die evangelifhen Seminare Schlefiens (Januar⸗
und Februarheft 1856 Seite 17) bezüglich der im fchlefifchen Lefebuche
für den Katechismus enthaltenen Erzählungen, Gedichte und Sprüche:
„Sie find nicht bloß darauf berechnet, daß fie gelefen werden, vielmehr
ſollen fie dem Lehrer ſelbſt erwünfchten Stoff für die Auslegung ſelbſt
geben. Wir denken uns, daß der Lehrer, indem er fih auf eine Stunde
vorbereiten will, zuerſt nad dem Katechismus felbft greift, dann nad
der Bibel und dem Gefangbuche, auch nach einer ordentlichen Erklärung
des Katechisnus, — — — und nah dem Lefebude, um zu fehen,
welches Material ihm dieſes liefert, wie er dies für feinen Blan benußen
fann. Da werden ihn die Sprüdwörter auf manche, fonft unbeachtet
gebliebene Seite, aufmerffam machen. — — Jedes den Kindern nodh
nicht befannte Sprüchwort ift furz zu erläutern und durch Vor⸗ und
Nachſprechen einzuprägen. Die Gefchichten und lehrhaften Sprüche wers
den oft, wenn man noch die nötbigen Kernſprüche aus der Schrift hin⸗
zunimmo, genügen, um eine innige, gläubige Aneignung des Katechis⸗
mus zu vermitteln.” Un bderfelben Stelle bat der verehrte Bvd noch
ein anderes treffliches Wort gefprochen, über welches fich mit dem Bes
richterftatter gewiß noch viele Andere von Herzen gefreut haben, die in
einer Zeit der Extreme ihre durch eigene ehrliche Arbeit errungene Theorie
und Praris nicht nach dem fubjectiven Dafürhalten dieſer oder jener,
hier oder da auf dem Schulgebiete einflußreichen Perfönlichteit modeln,
auch wenn diefe fih in fchneidenden Gegenſatz eben fo zu dem ſchul⸗
regimentlihen Negulative, wie zu dem Negulative aller gefunden Päda⸗
dogik ſtellt. Er laͤßt fih, von der befcheidenen Anzahl der chriflichen
Geſchichten im fchlefifchen Leſebuche und von fonfligen „ganz vortreffs
lihen Sammlungen chriftliher Geſchichten“ vedend, alfo aus: „Ich fage
aber: Acht geben! Es liegen Zußangeln bier. Die Abneigung Bieler
gegen ſolche chriſtliche Geſchichten hat, wenn fie auch oft aus der Ab⸗
neigung gegen das Wort vom Kreuze überhaupt kommt, doch auch ihren
berechtigten Grund in dem Ungefunten, Gemachten, mas ein großer Theil
diefer Gefchichten an fich trägt. Es gebt mit den Empfehlungen folder
Sammlungen, wie mit allen Empfehlungen, wenn fie einmal ein Echo
Religions = Unterricht. 490
gewonnen haben; ihr Schall geht aus in alle Lande und Hunderte ſprechen
davon, wie der Blinde von der Farbe. Daher flelle ich ſolchen Cupfeh⸗
lungen bloß die nadte Thatſache gegenüber, daß ich ganze Sammlungen
fogenannter chrifllicher Gefchichten durchgeſehen babe, ohne eine einzige
darin brauchen zu können.“ Das Wort ift goldeewerth, ein guter
Shwertfireih nah hüben und drüben, d. h. ſowohl für Diejenigen,
die außer Bibel, Geſangbuch und Katechismusftoff au für die Religions
flunde der Oberftufe fein anderes Material wollen gelten laflen und über
Berweitlihung der Religionsftunde dur Anecdoten und Sprüchwörter
fhreien, als auch für Die, denen die Iandläufigen Gefchichtenfammlungen
Deo angenehmer find, je dider und greller fie die Farben auftragen
und je entfchiedener fie in die Garricatur des Heiligen bineingehören.
61. Eine Probe für den Unterricht im Lutherfchen Katehismus
giebt Director Bo d im Schulblatte der evangelifchen Seminare Schlefiens
Seite 423--442 in einer ausgeführten Behandlung des erften Gebotes.
Ber darnach verlangt, fich gründlich darüber zu unterrichten, wie ber
Katehismusunterricht der Mitte fi) von den Bormannfchen und Wange⸗
mannſchen Ertremen unterfcheidet, mag fie fludiren. Je wichtiger aber
diefe Arbeit dem Berichterflatter iſt, deſto weniger Tann er zwei Bes
denken zurüdhalten, die fih ihm bei derfelben aufdrängen. Das eine
betrifft Die DBertheilung des Stoffes. Die Bockſche Arbeit fleht in Bezug
zu dem im Schulblatte 1854 Seite 329— 8346 mitgetheilten Lehrgange
für den Religionsunterriht. Sie will insbefondere zeigen, „mie man
jedes Stüd des Katechismus, welches ein kleineres, felbfiftändiges Ganzes
bildet, auch als foldhes in einer Stunde zu behandeln habe, damit
man dadurch gendthigt wird, ſtets den Kern im Auge zu behalten und
diefelben Stüde des Katechismus möglichft oft, im Jahre zwei bis drei
Mal, den Kindern vorzubalten.” Darnach wil Bock, wie er an dem
heifpielsweife vorliegenden erften Gebote gethan bat, den zu jedem Ka⸗
tehismuefüde gehörigen Stoff in drei Kurfe getheilt haben, „ſo daß
Alles, was für die Auslegung erforderlich ift, feine Berüdfichtigung findet,
fo jedoch, daß man in jeder Betrachtung nicht bloß einzelne Seiten oder
Etüde, fondern immer das Banze hat. Die drei Kurfe follen in jedem
Jahre abfolvirt werden. Das Centrum, um weldes fich die Behandlung
im erfen Kurfus berumdrebt, find die Worte: „Ich bin der Serr,
dein Gott,’ und die Autheriche Erklärung, im zweiten Kurfus die Worte:
„Du fol nicht andere Götter haben neben mir,’ im dritten Kurfus
wieder die Worte der Erflärung. Nun if das erſte Bedenken, das ſich
dem Berichterflatter bei wiederholter Prüfung der Bockſchen Arbeit immer
feſter gefeßt hat, folgendes: Es if die Aufgabe, die Bod fich geſetzt hat,
nicht erreiht. ES findet in den drei Kurſen Alles, was zur Auslegung
esforderfih ift, feine Berüdfihtigung, aber nicht fo, daß man in jeder
Betrachtung nicht bloß einzelne Seiten oder Stüde, fondern immer das
Ganze Hat. (Der Nachweis im Einzelnen überfchreitet hier den Raum;
iR aber vielleiht an einem andern Orte möglih.) Was aber einem
Meier nicht gelungen if, wird auch fchwerlid den Schülern gelingen.
Die ganze Trias ift zu künſtlich, auch wohl an vielen Stüden des Ka⸗
Rade, Iahreiberiht. X. ' 4
50 Religions = Unterricht.
techismus der Sache nach ganz unausführbar. Wir werden bei der hers
gebrachten Sitte, uno tenore die Lehrftüde des Katechismus zu abſol⸗
viren, bleiben müffen. Damit ift ein Abwechſeln in manchen Stücden
des erläuternden und erbanlichen Materiales, z. B. in den chriftlichen
Geſchichten, vielleicht auch ein Wechſeln zwifchen einer ausführlichern und
fürzern Behandlung ganzer Lehrftüde nicht ausgefchloffen. Nur gegen
die Künftlichkeit der Bockſchen Dreitheilung verwahren .wir und. Das
zweite Bedenken betrifft die Ausdehnung des Materiale. Auf jeden Abs
ſchnitt if eine Stunde gerechnet, fo daß in zehn Stunden das erfle
Hauptftüd abfolvirt werden fann. Wir fagen: Bollftändig unmöglich,
und zwar nad angeftellten Proben an einer guten Oberklaſſe. (Auch
darüber wo möglich mehr an einem andern Orte.) Das legte Bedenken
halten wir nicht für fo bedeutend, als das erfle. Iſt das Auswählen .
aus einem überreihen Stoffe auch für Biele ein ſchweres Ding, wie die
Schiefer uns feld einft entgegen gehalten haben, fo if es doch nicht
ein unmögliches.
62. Auch in dem lebten Jahre haben die Schlefter ihre alte For⸗
derung nach gefonderten Schulfatechismen und Confirmandenfatehismen
mit allem Nachdrucke geltend gemacht. In der Mecenfion des Wendel⸗
fhen Katehismus (Schulblatt 2. Seite 456 — 460) erhebt Director
Jungklaaß gegen diefen mehrfache Ausflellungen, 3. B. über bie in
die Konftrmandenfatechismen gehörigen Einleitungen und die fogenannten
Ergänzungen zu Luthers Katechismus. Sie fließen zuleßt in dem Sape
zufammen, daß der Wendelfche Katechismus durch feine doppelte Beſtim⸗
mung für die Schule und den Conflrmandenunterrit zu reich und
bunt geworden ſei, als daß troß der von dem Verfaſſer getroffenen Bes
zeichnung des für jedes Gebiet gehörigen Stoffes ein Herausfinden des
für die Schule Gehörigen von Lehrern und Schülern erwartet werden
fönne. Ueber Luthers Katehismus fchreibt Director Sungflaaß an einer
andern Stelle (Schulblatt x. Seite 166): ‚Wir halten uns an die Aus⸗
‚wahl der Lehren in Luthers Katechismus und bewundern grade in deſſen
Beſchränkung den pädagogifchen Takt des theuern Gottesmannes.“ Wir
halten die auf gefonderte Schul» und Eonfirmandenfatechismen gehende
Forderung nicht für eine richtige, und zwar aus folgenden Gründen:
a. Bibel, Geſangbuch, Katechismus follen die drei Lebensbücher des
Bolfes fein. Daß der Katechismus zum werthgehaltenen Hausbuche
werde, daraus der Hausvater in der Hausgemeinde den beftimmten Ab⸗
ſchnitt vorlefe, abfrage, oder wie er es fonft vermag, verhandele, iſt das
Biel, auf welches Schule und Confirmandenunterricht gleihmäßig hin⸗
arbeiten follen. Das wird nie erreicht werden, wenn mit dem Conſir⸗
mandenunterrichte der Schuffatechismus zur Seite gelegt, ein neues Buch
in die Hände genommen und in dem oft fo kurzen — grade in Schlefien,
wenigfiens vor einer Reihe von Jahren — auffallend kurzen Eonfir-
mandenunterrichte durchgearbeitet wird. Da ift denn der Schulkatechis⸗
mus gradezu als Schulfnabenwaare bezeichnet und damit abgethan; im
Bonfirmandenfatehiemus aber ift der junge Chriſt aud nicht heimifch
geworden. Wie in diefelbe Bibel und in baffelbe Gefangbuch hinein,
Religions - Unterricht. 51
fo muß unfere Jugend fih auch hinein eben in denfelben Katechismus,
Erkennen wir doch alle die Heinen für die Schule beftimmten Ausgaben
der Kirchenlieder nur als Nothbehelfe an, die wir ficher nicht gebrauchen,
wo die Gemeinde ein Gefangbud der alten, körnigen Zeit hat. ‚„‚Nimmers
mehr,” fagt Easpari im Bormworte zu feinem auf ausdrüdliche Ans
ordnung Des baieriſchen Oberconfiftoriums für den gefammten Schuls
und Eonfirmandenunterricht eingerichteten Katechismus (Seite VII),
„wird ein auf dürftige Zufammenfellung des für die Schule Rothwendigen
fich befchränkendes Lehrbuh zu einem Haus» und Bollsbude
werden. Man vergleiche das Loos der Bergeffenheit, welchem unfere
meiften nach Form und Inhalt nur für die Schule beflimmten Lehr⸗
bücher anbeimfallen, mit der nachhaltigen Bedeutung, die etwa ein
Dresdener Katechismus für ganze Generationen gehabt hat, und man
wird einfehen: Ein Buch, das keine Antworten giebt auf die Fragen,
die im Leben an einen Menfchen geftellt werden, fondern das für's
Biffen und Leben praktiſch Braudhbare in feinen Kreis zu
ziehen verfhmäht, bat mit dem Uebergange aus der Schule ind Leben
feinen Zweck erreicht, und freilich eben damit feinen Zweck auch — vers
fehlt.“ Zu der Berufung auf den Dresdner Katehismug fügt Berichts
erflatter noch eine andere, nämlich die auf den Heidelberger Katechismus,
den er in reformirten Gegenden, mitunter felbft nicht grade in fehr treffs
lihen Bearbeitungen, nod vor wenigen Sahren als werthgehaltenes
Hausbuc getroffen hat. — Rah üunferm Dafürhalten haben Wendel
und Caspari recht daran getban, daß fe die fogenannten Ergänzungen
zum lutheriſchen Katechismus nicht übergingen und die ganze Peripherie
um Den Katechismus weiter zogen, als Bol und Jungklaaß fie ges
zogen wiffen wollen. Wendel hat fih nur kurz über den Streit
yunft ausgelaffen, aber er iſt fiher von dem richtigen Bewußtſein der
Sorderungen, welche das kirchliche Leben an den Katechismus macht,
geleitet worden, und wir fönnten e8 nur bedauern, wenn er dem Bes
gehren des Director Jungklaaß, aus feinem Katechismus für die Schule
einen Auszug zu liefern, willfahren wollte — Selbft das Auslaffen der
Eigenfhaften Gottes bei Wendel — bei Easpari war e8 durch die
Infruction geboten — können wir nicht Billigen. — In der Schule
mag der Lehrer immerhin die göttlichen Eigenfchaften bei ber biblifchen
Geſchichte betrachten und dann im DBerlaufe des Katechismus ganz übers
geben oder nur kurz wiederholen; das Volks⸗ und Hausbuch verlangt
etwas Anderes.
b. Director Jungklaaß fagt a. a. D. Seite 458: „Diele Ers
sänzungen durchbrechen ganz ungehörig den einfachen, Maren Gang des
Katechismus Luthers, und führen die Kinder auf unfhulmäßige Weife
in ein Stüd der Religionsphilofophie, welche, fo chriſtlich, fo evans
gelifh fie fein mag, in die Volksſchule nun und nimmermehr gehört.“
Bir haben freilich noch niemals gewußt, daß, wie aus diefem ins Ertrem
ipringenden Satze zu folgen ſcheint, Religionsphilofophte in den Confir⸗
mandenunterricht gehöre, aber wir hadern mit Jungklaaß nicht um eins
jene Worte. Wir behaupten aber, daB das, mas er Religionsphilos
. | 4*
[4
52 Religions - Unterricht.
fopbie nennt, durchaus und allewege in Die Volfsichule gehöre. Es bes
dingt diefes das Worts und Sacverfländniß des Katechismus. Der
„verlorne und verdammte Menſch,“ das. „erworben, gewonnen von allen
Sünden’ ꝛc. des zweiten Artifels wird, um nur ein einziges Beifpiel
anzuführen, bei gänzlichem Webergeben der Erbfünde nit Mar. Wohin
der Lehrer die fogenannten Ergänzungen ftellt, ob in den Katechismus,
oder in die biblifche Gefhichte, mag offene Frage bleiben; wir halten
dafür, daß fie da am natürlichften ſtehen, wo fie fih ungezwungen
an den Satechismustert anfchließen oder wie im Uebergange vom erften
zum zweiten Artifel, durch den Terxt felbft gefordert werden. Sie
ganz dem Gonflrmandenunterrichte zu überlaffen, iſt Teinesfalls zus
läſfig. Der wird noch genug zu thun haben mit der Vertiefung deflen,
was die Schule gegeben hat und mit der eigentlihen Sakraments-
zubereitung.
c. Ein wefentliher Einwand gegen den Geſammtkatechismus if, Daß
Lehrer und Schüler fih in ihm nicht zurecht finden. Jungklaaß betont
namentlich die Schüler. Wir fagen: Finden fih nur erft die Lehrer zurecht,
fo finden fi auch die Schüler zurecht, und zwar ohne Kreuze und Sterne
(mie bei Wendel). Die Xehrer aber werden fich zurecht finden, wenn wir fie
in den Seminaren gründlich vorbereiten. Freilich müffen wir dann erft auch
einen tüchtigen Provinzialfatehismus unferm Seminarunterrihte zu Grunde
legen und denfelben auch von unfern Seminariften wieder in den Sees
minarübungsfchulen ſelbſt zu feiner Schulgeſtaltung durcharbeiten laffen,
und die Kirhe muß zuvor ihren GConfirmandenunterriht vegulirt und
Diefes und Jenes noch gethban haben. Dann gebt es ficherfih ohne
Kreuze und Sterne. Aber bis jept arbeiten wir an dem Barmer
Katechismus herum und ſeufzen bei aller materialen Vortrefflichkeit des
Buches über feinen Mangel an fchulifhem Zuſchnitte und methodifcher
SHandlichfeit, und nur Einer von allen Denen, die ihn gern wegwünfchen,
hat den Muth gehabt, öffentlich feine Form „eine fpröde und fan»
dige“ zu nennen, und noch Keiner hat etwas Befleres, fet e8 Ei-
genes oder Fremdes, vorzulegen gewußt oder vorzulegen ſich getraut.
Die Synoden aber machen unbefümmert um den Barmer in den Ses
minaren ihre Katechismen und Spruchbücher, — Meine und große, gute
und auch wohl ſchlechte, — eine jegliche nach ihrer Art, und der Confir⸗
mandenunterricht fängt bier von Anfang, dort in der Mitte oder gar
am Ende an und möchte eine wunderliche Muftercharte Fatechetifcher Ars
beit liefern, wenn er nur aus einer Provinz zu einem Gefammtbilde
zufammengeftellt würde. In Summa: Da tft nod viel zu hoffen und
zu bitten. Uber dennoch ift es mit dem Zurechtfinden auch jept nicht
fo etwas Erfchredliches, als Director Jungklaaß anzunehmen fcheint.
Arbeiten nur Pfarrer und Lehrer zufammen, fo wird es erträglich geben,
bis es einft nah Erfüllung mander Wünfche noch beffer gebt. Wozu
find denn die Conferenzen?
d. Director Jungklaaß bewundert grade in der Beihräntung
des Meinen Katechismus den pädagogifchen Taft Luthers. Es kann une
nicht einfallen, irgendwie die pädagogifchen Verdienfte Luthers herab⸗
Religions - Unterricht. 53
ſehen zu wollen. Es fcheint uns aber der Ausfpruch des Director
Jungklaaß (Schulblatt Seite 166) auf einer ganz unpiftorifchen Anficht
über den Zwed, welchen Quiher bei der Abfafjung des einen Katechis⸗
mus hatte, und über das DVerhältniß der einzelnen jegigen Katechismus⸗
ſtücke zu den fchon feit dem dritten und vierten Jahrhunderte feſtſtehen⸗
den drei Hauptflüden des fatechetifchen Unterrichtes, Glaube, Baterunfer
und zehn Gebote, zu beruhen. Was den Zwed anlangt, fo ift dieler
befanntlih zunächſt nur gewefen, den Hausvätern zu zeigen, wie fie
ihren Kindern den Katehismus abhören follten; ein Schuls oder
Kirchenbuch zu ſchreiben, if Luthers Abſicht zunächſt nicht geweſen.
Was das Material der Hauptſätze betrifft, fo bat Luther ſicher feinen
pädagogifchen Takt darin gezeigt, daß er Vaterunſer, Glaubensartifel
und zehn Gebote, deren Kenntniß er noch vorfand, (vergl. die fechfte
Predigt von Matthefius über das Leben Luthers). wörtlich beibehielt
und jo fireng auf „einerlei’ Form drang (vergl. Vorrede zum kl.
Katehismus). Daß aber Luther die von ihm gegebenen Erklärungen
ebenfo für unwandelbar gehalten hat, bezweifeln wir. Er hätte ficher
diefelben vielfach verändert (— wie er es 3. B. mit dem Betbüchlein
getban Hat —), wenn nicht der fchnelle Eingang, den der Katechismus
fand, namentlich der Umftand, daß der Hauskatechismus fo ſchnell Schuler
und Kirchenbuch wurde, ihm den Gedanken nahe gelegt hätte, den erften
Zert fieben zu laffen, um nur nicht durch vielerlei Text Schaden anzus
tihten. „Man vergleihe nur die Erklärung ber erften Bitte mit denen
der folgenden und frage fih, ob Luther nicht auch bei den andern die
Bittform würde baben vortreten laffen, wenn er die Erklärungen mehr
ausgearbeitet hätte, bei der fünften, ſechſten und fiebenten Bitte fehlt
die Frage: „Wie geichieht das?” ganz. Luther hat gewiß ebenjo, wie
jeder andere Lehrer gemerkt, wie leicht die Kinder von der Erklärung
der vierten Bitte in die des erften Artikels übergehn und dur die
Biederholung der Wörter ‚nicht verachten“ in der Erflärung des dritten
und vierten Gebotes verwirrt werden. (Mönkeberg: Die erfie Auss
gabe von Luthers kleinem Katehismus. Hamburg 1851. Seite 79.)
Rebmen wir weiter dazu, Daß auch die Erklärungen, wie fie vor uns
legen, deutlich genug das Beftreben enthalten, die Hauptiäbe zu ers
gänzen und Webergänge zu vermitteln, jo wird man den Umfland, daß
Luther feine Erklärungsjäße in der erfien Form beſtehen ließ und in
ihre Umkreiſe nicht nocy mehrere der fogenannten Ergänzungsftüde hin⸗
einzog, aus der Gefchichte des kleinen Katehismus ſelbſt, aber nicht aus
einer beabfihtigten Stoffbeihräntung zu verftehen. haben. Auch iſt ung,
wenigfiens aus den Werken Luthers, feine Stelle befannt, in der Luther
Ah über eine ſolche Stoffbefhräntung und Auslaffung der Ergänzungse
Rüde, als eine methodifch beplante, ſelbſt ausgelaflen hätte. — So viel
wir wiſſen, bat fi bis ieht auch nur eine Stimme — die amtliche
einer fchlefifhen Regierung — für die ſchlefiſche Seminaranficht über die
Ergänzungsfüde erhoben.
63. Wenig verhandelt iR in dem abgelaufenen Jahre über die in
der Pratis vielfach übliche Weije, nit bloß deu Zext des Lutheriſchen
— . —— Te — — —
—— — — — — —— —— — vr
54 NReligions⸗Unterricht.
Katechismus, ſondern auch die Erläuterungsfragen und Antworten der
eingeführten Katechismusbearbeitung wörtlich auswendig lernen zu laſſen.
Unter Denen, deren Urtheil von Bedentung if, deutet Jaspis auf
Auswendiglernen hin. „Es lag mir fehr daran, die Darftellung jo zu
faffen, daß fie leicht dem Gedächtniß eingeprägt werden Tann, denn wir
wiffen nur fo viel, als wir im Gedächtniß haben.’ (Vorwort zu feinem
für die Provinz Pommern beftimmten Katehismus.) Auf Ausmwendig-
fernen gebt wohl auch Haufhild aus, wenn er .(a. a. DO. Seite 172
mit Beziehung auf einen befiimmten Katechismus) fagt: „Ein Schüler
muß feine Ehre darin feßen Tönnen, 3. ®. beim fünften Hauptflüde
Seite 67 ‚die Sünde bekennen,” mit den Worten von Seite 19 zu
antworten: Sünde ift Uebertretung der Gebote Gottes. Wie oft kommt
diefes Wort Sünde vielleicht vor! Dann muß immer diefelbe Antwort
erfolgen. Dagegen äußert ih Weidemann (a. a. ©. Bormwort
Seite V.) alfo: „Daß die von mir gegebenen erläuternden Paragraphen
und Anmerkungen nicht zum Auswendigiernen dienen follen, würde ich
nicht befonders hervorheben, wenn es nicht fehr häufig vorfäme, daß bie
Kinder grade im Religionsunterrichte Tieber Eingelerntes als Selbſtge⸗
dachtes und Seibflerfundenes zur Antwort geben. — — Bei der Repe⸗
tition iſt e8 beffer, wenn der Schüler über den behandelten Gegenſtand
fh in feiner Ausdrudsweife, ob aud in weniger paflender Form,
ausfpricht, als wenn er das im Buche Stehende mechanifch wiebergiebt.‘‘
Sollte aber nicht, fragt der Berichterfiatter, eine folche Geftalt de8 Ka⸗
techismus möglich fein, in der alle von dem Bearbeiter hinzugefügten Er»
läuterungsfäße fi eng an Spruch, biblifches Beifpiel und Kirchenlied
anfhlöffen und eine einfache Zufammenftellung der in diefen enthaltenen
Momente gäben? Und follte dann nicht au ein — wenigftens theils
weifes Auswendiglernen der Erläuterungsjäge möglih und von Segen
fein? Bir denken bei der Geftalt des Katechismus an ein Weiter⸗
fehreiten auf der in dem Katechismus von Theel eingelihlagenen und
von Goltzſch (a. a. ©. Seire 145 ff.) im Weitern befchriebenen Bahn.
Das wäre immer noch etwas Anderes, als Hauſchild (a a. D.
Seite 154) bei feinem Eifern genen das Entwideln fordert. „Erft wollen
wir lieber Etwas hineinwickeln; auf einer ziemlih hohen Stufe
werden wir aus dem Rinde heraus daffelbe wieder entwideln Tönnen.
Geben wir alfo nach Luthers Beifpiele erft dem Kinde die Begriffsent-
widelungen nebſt dem Beweisfprude, laſſen Beides tätig auswendig
lernen, und verfuchen fpäter einmal, wenn das Kind mit Erklärungen
und Beweisfprühen umzugehn gelernt hat, ob es nun auch verfleht, ſelbſt
Begriffserkiärungen zu bilden und ſelbſt Beweisfprühe in der Bibel
aufzufinden.‘’
64. Wir führen Hier noch in Betreff der Stellung des Katechis⸗
mus in den Gefammtgebiete des Religionsunterrichtes einige einzelne
Stimmen aus der niätpreußifchen Schule auf, um darzulegen, welche
der verfchiedenen in Preußen fich geltend machenden Richtungen auch in
weitern Kreifen vorzugsweiſe ihre Parallele findet. Der Braunſchwei⸗
giſche Schulbote, der es bekanntlich beffimmt ausgefprochen hat, daß
Religions - Unterricht. 55
der Entwidelung des Preußifhen Volksſchulweſens nachgehen, jet weients
ih heiße, Pädagogik Audiren, bringt in feiner Zebruarnummer 1856
„eine Religionsftunde im Sinne der Preußifchen Regulative,’ um gegens
über der Meinung eines Preußiſchen Pfarrers und anderer Leute: „‚Unfer
Katehiömusunterricht könne nad den Regulativen in nichts mehr oder
weniger beſtehen, als in dem Auswendigiernenlaflen und wiederholten
Herjagenlaffen des kleinen Katechismus’ ein Bild feiner Auffaffung der
Regulative zu geben. Auf 34 Seiten behandelt der Berfafler des Ars
tifel6 die vier ragen 282—285 der Ausgabe B. des Katechismus von
Zaspie! Der Süddeutfhe Schulbote bietet eine Reihe ſehr aus⸗
führliher Proben über die fatechetiiche Behandlung der fogenannten würs
tembergifchen Kinderlehre in Kirche und Schule. Im Medienburger
Schulblatte findet fih (Nr. 21—23) der Gebankengang zu einer in
einem Öffentlichen Examen der Seminarfchule gehaltenen Unterredung
„über den Glauben ‚’ die an den Landeskatechismus fich anlehnend, fo -
weite Kreiſe zieht, daß auch die preußiiche Mitte fie nicht als muſter⸗
giltig adoptiren würde, die aber um des Berhältniffes willen, in dem
fie zu einem Mecklenburgiſchen Seminare ſteht, doch die Bedeutung eines
Zeugniffes Hat. In den langen Debatten, weldye in demfelben Blatte
über die biblifche Geſchichte geführt find, iſt mehrfach der Say ausge
ſprochen, daB das Hauptgebiet der lehrhaften Unterweifung in den Heils⸗
wahrheiten der Katechismus und nicht die biblifche Geſchichte ſei. Das
Hamburger Schulblatt eifert in derſelben Stelle (Rr. 155), in
weicher es die Regel giebt: „Frage nicht zu ängfllih, ob die Kinder
Alles ſogleich verſtehen,“ gegen unverſtandene Katechismusjäße, die den
Kindern zum Auswendigiernen aufgegeben werden, obne daß für das
Verſtaͤndniß, wenn auch nicht in dDurchdringender Tiefe, gejorgt wird.
Biblifche Geſchichte.
65. Es Hand zu erwarten, daß diejenige Stellung, welde die
bibtifche Geſchichte nach den preußifchen Negulativen im Religionsunter,
richte der Volkoſchule einnehmen foll, die literarijch » pädagogifchen Kräfte
der Gegenwart zu reger Thätigfeit für die Behandlung der biblifchen
Geſchichte anfpornen würde. Aber es iſt eine fehr dürftige Fruchtleſe,
die ih uns auf diefem Gebiete feit dem Erſcheinen der Regulative und
namentlich in dem abgelaufenen Jahre geboten bat. Die bedeutenderen
water den und vorliegenden pädagogifchen Beitfchriften haben fich mit
der bibliſchen Geſchichte wenig beichäftigt; was in untergeordneten Blät⸗
tern geliefert if, ficht zum großen Theile fo auf dem Niveau des Alle
gewöhnlichen und Mittelmäßigen, daß es faum der Erwähnung werth
fheint. (So 3. B. die langen Berhandlungen über die biblifhe Ger
(dichte im Medtenburger Schulblatte) ine neue, bei der Behandlung
der biblifchen Geſchichte wirklich weientliche Handreichung in einem ſelbſt⸗
Rändigen, geichloffenen Bude ift uns gar nicht zu Gefichte gekommen.
Rur die eigentlichen Siftorienbücher find in den uns vorliegenden neuen
Griheinungen vertreten. Das offenkundige Mißverhaͤltniß zwiſchen den
56 Religions-Unterricht.
Regulativkatechismen und Regulativplänen einerſeits und der die bibliſche
Geſchichte betreffenden Literatur andererſeits, wirft wiederum ein recht
deutliches Licht auf den ganzen pädagogiſchen Habitus eines großen
Therles der Verfaffer der Regulativbücher. Es verräth eine unheimliche
Scheu vor demjenigen Gebiete des Religionsunterrichtes, auf dem, pädas
gogifche Befähigung und eine andere Arbeitstreue als die an den Additions⸗
und Dipvifionserempeln der Pläne und Stoffvertheilungen bewielene vors
ausgefeßt, fowohl ein von jeder Verordnung unabhängiges Berdienft,
als auch der Lorbeer eines den preußifchen Megulativen wahrhaft ent⸗
fprechenden Regulativbuches zu erwerben war. (Daß der Berichterflatter
damit wirklich verdienflliche Leiftungen aus dem reife der Katehismuss
bearbeitung und der Beplanung, wie 3. B. die von Jaspis, nicht
berabfegen will, bedarf wohl feiner Erwähnung.)
66. Dem augenfcheinlichen Mangel abzubelfen, find nad unferm
Urtheile auch felbft die Auslaffungen Bormanns (Unterrichtstunde Seite
103—122) nicht geeignet. Wir find es dem Berfafler fhuldig, uns
fiber dasjenige, was wir vermiffen, in wenigen Worten auszulaffen.
a. Es ift fehr bedenklich, daß in dem betreffenden Abfchnitte bie
bibliſche Geſchichte nicht ſtreng nach einzelnen Stufen gefondert wird.
Während es 3. B. Seite 103 nad Aufzählung des für die Unterfiufe
beſtimmten Stoffes den Anfchein hat, als folle im Folgenden nur von
der Behandlung der biblifchen Gefchichte auf der Oberflufe die Rede fein,
begegnen wir Eeite 113 u. 114 einem Beifpiele des Abfragend ber
bibliſchen Gefchichte, das nach dem ganzen Zufammenbange des Zertes
für die Oberftufe, feiner Faſſung nad aber für die Unterftufe berechnet
if. Mag auch die Unterrichtöfunde von dem fhriftfundigen und ſchrift⸗
fertigen Berfaffer um der augenblicklichen Roth willen eben fo vafdh,
wie zu ihrer Zeit die Schulkunde, niedergefchrieben fein, ‚in der Zeit,
in welder fih die Pädagogifer und Didaktifer noch die Augen reiben,’
fo ift doch der Nachtheil, der aus einem ſolchen Durcheinandergehen der
Stufen entfleht, für die Volksſchullehrer um fo bedeutender, in je grör
Berem Unfehen der verdiente Verfaffer bei diefen ſteht und je lieber
Manche in verba magistri, auch auf die unverftandenen, fchwören.
b. Es ermangeln einzelne Rathfchläge, weil fie fih nur im Als
gemeinen bewegen, der Unfchaulichkeit und darum der Fruchtbarkeit.
©o 3. B. das, was Geite 115 u. 116 über das BZurädführen eines
unverflandenen Wortes auf feinen Stamm und die Berlegung zuſammen⸗
gefepter Wörter auf ihre Beftandtheile gefagt wird. Wir vermiffen an
Diefer Stelle beftinimte Beifpiele deſto mehr, je ernfllicher der Verfafſer
— mit vollem Rechte — auf die Gefahr, die Religionsftunde zu einer
Sprachſtunde zu machen, hinweiſt.
c. Selb da, wo der Berfaffer fi weniger im Allgemeinen bes
wegt, werden viele Lehrer im Unflaren bleiben, fo 3. B. über den Un»
terfchied, der nad) der Anſchauung des Verfaſſers zwifchen dem Crläu⸗
tern der Begriffe (— Hoffnung, Liebe, Geduld ꝛe. —) dur die
in der biblifhen Gefhichte den Kindern nad einander vor die Augen
tretenden Perfonen und durch den Einblid in ihre innern Zuflände einer- -
Religions - Unterridht. 57
feite und dem Umfchreiben der Begriffe andererfeits ſtattſindet.
Mit befonderer Berwunderung haben wir an der Stelle, an welcher von
der zwiefaden Weiſe der Begriffserflärungen gehandelt if, (— außer
mandhem Andern —) diefe Begriffserflärung gelefen: „Froͤmmigkeit if
die Tugend, mit welcher wir all’ unſer Denken und Reden, unfer Thun
und Leiden auf Gott beziehen. Der Berfafler legt allerdings felbk
gegen fie Berwahrung ein, indem er ed beflimmt ausfpricht, daß man
nur in äußerſt feltenen Fällen e8 wird unternehmen fönnen, auf Dem
Bege, auf welchem die in Rede ſtehende Begriffserflärung gewonnen if,
Begriffe zu erläutern. Wir fragen aber: Darf eine folche Begriffe
erflärung,, wie fie vorliegt, wohl überhaupt als ein Beifpiel, fei es
auch für äußerf feltene Zälle in einer „Unterrichtskunde für Vollsſchul⸗
lehrer“ ſtehen? Das „auf Bott beziehen‘‘. erfcheint uns allewege uns
praßtifch für die Volksſchule.
d. Auch bei der Behandlung der biblifchen Geſchichte legt Bors
mann ein großes Gewicht auf das ausdrudspolle und ſchöne Er
zählen der Schüler. Es foll in diefem als in einer Probe zur Erfcheis
aung fommen, „es fei feine Dunkelheit mehr vorhanden, vielmehr eine
Have Weberficht über das Ganze und eine richtige Einfiht in das Ein»
seine gewonnen.’ Daß diefe Brobe eine fehr unfichere ift, glaubt Ber
richterftatter in ſolchen Schulen gefehen zu haben, in denen, um mit
einem Worte aus dem Medienburger Schuiblatte zu reden, die Stoffe
„eingetönt und auch von den Schülern wieder fo nachgetönt werden,
ohne daß irgendwelches Berfiändniß vorhanden ifl.
e. Das erheblichfte Bedenken legen wir in der Frage nieder; Wird
aun die nad Bormannfcher. Anweiſung behandelte bibliſche Gefchichte
dasjenige leiten, was das Regulativ verlangt, was infonderheit Bor⸗
mann nad der Stellung, die er dem Katechismus geben will, verlangen
mug? Allerdings find das Sichſelbſtverſenken des Lehrers in die heis
lige Geſchichte ſelbſt, das Ferhalten an dem Worte der Schrift, das
Durchklingen des innern Lebens des Lehrers durch die Erzählung, das
Abfragen, das mit dem Abfragen fich verbindende Erklären unverſtaͤnd⸗
licher Worte und Sachen, das Erläutern und Umſchreiben der Begriffe
durch die Geſchichte ſelbſt, das ausdrudsvolle und fchöne Wiedererzählen,
das Rachlefen in der Bibel und das Aufichreiben des Gelernten gar
nothwendige und nützliche Dinge: aber wir müflen bezweifeln, ob mit
allen dieſen von Bormann behandelten Stüden „die Kinder zu einem
ſichern Berfländniffe und zu einer innigen, gläubigen Aneignung der
Thatſachen der göttlihen Erziehung des auserwählten Bolfes und des
- ganzen Menſchengeſchlechtes“ (Regulativ Seite 20) werden geführt werden.
Alles, was Bormann über die Behandlung der biblifchen Gefchichte fagt,
fgeint uns hauptfächlich auf das gläubige, wortgetreue Borerzäblen, das
Erfiären einzelner Duntelheiten in Wort und Sache, das Einüben und
Nahherzählen, in Summa: auf eine foldhe Handhabung des Unterrichts⸗
ſtoffes hinauszutommen , die auf der untern Stufe volltändig angemeflen
iR, aber wohl nicht für die Oberfufe ausreicht. Nach Bormann wird
der Unterricht auf der Oberſtufe nur das Cigenthümliche haben, daß dig
58 Religions - Unterricht.
Anzahl der nun dem Kinde vorzuführenden Geſchichtsbilder eine viel
zablreichere und nach ihrem gefchichtlihen Bufammenbange auf einander
folgende if. Die ganze Reihe der Thatfachen heiliger Geſchichte ale
Erziehungsgefchichte der Menfchheit, alfo als ein Großes und Ganzes
zu begreifen, den Zuſammenhang diefer einzelnen Thatſachen Kar zu
erfaffen, „das große Gebäu in feinen Theilen zu betrachten, zu ent
ziffern und zu verſtehen,“ wird nach Bormann faſt ausichließlicd dem
innerlihen Zaffinne des das erzählte Wort aufnehmenden Schülers ſelbſt
überlaffen. Und darin liegt nach unferm Dafürhalten ein „Zu viel”
für die Arbeit des Schülers und ein „Zu wenig‘ für die Arbeit des
Lehrers. Schon jede einzelne biblifche Geſchichte, ſei e8, daß fle vor⸗
zugsweife in die von Gott gefegten Ordnungen des Heils, oder in das
innere Leben einzelner, durch Wort und Geiſt durchſäuerter Gottesmenſchen,
oder in die Tiefe der Sünde hineinfchauen läßt, bedarf einer weitern
durch das Wort des Lehrers zu vernittelnden Auseinanderlegung, wenn
ihr oft unerichöpflic reicher Inhalt nur annäherungsweife dem Schüler
vor die Seele treten fol. Diefe Auseinanderlegung gefchieht freilich
niht dadurch, daß ein Allerlei von Bemerkungen oder ein Wuſt von
nüglichen Lehren in Tatechetifcher Salbaderei an fie geſchmiedet oder aus
ihr berausgewidelt wird, fondern daß die Geſchichte ſelbſt in einer eins
fachen, herzlichen Befprechung, in der fie immer der Mittelpunft bleibt,
die Geſtalt einer mehr oder weniger undurdhfichtigen Materie verliert
und die eines lichten, hellſcheinenden Kryſtalls annimmt, in weldem das
aefchärftere Auge nun auch gar Manches wahrnimmt, was fi dem erſten
Bilde noch entzog. (Bergi. Brandenburger Schulblatt 1856 Seite 526 ff.)
Wie diefes liebende Bertiefen in die einzelne Geſchichte aber fchon nicht
allein der eigenen innern Arbeit des Schälers ohne Bedenken anheims
gegeben werden kann, fo noch weniger die Einfchau in das Große und
Ganze der Heiligen Gefchichtee Daß fih auf der Oberfiufe die fon
den Kleinen zu innerer Anfchauung gebrachten Bilder nun zu Bildern
ganzer Perfönlichkeiten und Charaktere gruppiren, daß ſich Diele größern
Bilder wieder zufammenfügen zu einer Geſchichte des Meiches Gottes und
in diefer es anfchaulich werde, wie die Menfchen fort und fort es ges
dachten böfe zu machen, wie aber die Gnade dennoch nicht aufgehört
hat, immer als diefelbe das Berlorne zu ſuchen: das Alles verlangt
wohl mehr, als die nadte, bin und her durch ein erBlärendes Wort
unterbrochene Geſchichtserzaͤhlung; es verlangt eine liebevolle, forgfame
Wegweiſung in die einzelnen Hallen des großen, „wunderbaren Heilige
thums“ hinein; es verlangt eine Lehrhafte, erbaulide Aus⸗
legung. Auf eine foldhe finden wir bei Bormann nirgends hinge .
wiefen. Die ganze Haltung der Bormannſchen Erdrterungen läßt viels
mehr nur an das einfache, nur durch einzelne Wort» und Sacherklä⸗
tungen unterftügte Erzählen der Geſchichte denken, und darum verliert
. uns aud die Empfehlung des Buches von Niſſen (Seite 106) ihre
Bedeutung.
67. Wir knüpfen an unſere durch Bormann veranlaßten Bedenken
die Erwähnung eines Artikels, der aus demjenigen Sinne und Geifte
x Religions - Unterricht. 69
berausgefchrieben ift, in welchem wir die biblifche Geſchichte auf der
Oberſtufe einer Vollkoſchule behandelt zu wiffen wünfchen: ‚ Gedanken
über Unterricht im Chriſtenthum.“ Brandenburger Schulblatt. Septembers
und Oxctoberheft 1856, Seite 528— 543. Wichtiger als die theoretifchen
Sätze eriheinen uns in diefer Arbeit (von Brandt in Saarbrücken)
die beiden ausgeführten Beifpiele: ‚„Speifung der 5000 Mann’ und:
„Der reihe Mann und der arme Lazarus.” Es find in diefen Auss
führungen fiher alle von Bormann aufgeftellten Zorderungen befriedigt;
dabei if aber noch vielmehr gegeben, nämlich eine wirklich lehrhafte und
erbauliche Behandlung der beiden Geſchichten und zwar ohne die alte
katechetifche Kunft, ohne langgezogene falbadernde Nutzanwendungen.
Mögen wir gleich nicht jedem Einzelnen rathen, Alles dem Berfafler
wörtlich nachzumachen, nach dem alten Sape, daß ein und daſſelbe Wort
anders artet, je nachdem der Sprecher ſelbſt geartet ift, fo Halten wir
doch fein Berfahren im Großen und Ganzen grade für recht geeignet
für eine innige und gläubige Aneignung der heiligen Gefchichte, feine
beiden Beifpiele für Regulativarbeiten im vollen Sinne des Wortes.
(Barum giebt uns der DVerfaffer nicht eine umfangreichere Arbeit? Da
wäre ein reicher Segen darin!)
63. Eine lehrhafte und erbauliche Auslegung der Geſchichte, wenn
auch eime in einem engern Rahmen als bei Brandt und Niffen fich ber
wegende, verlangt auch Goltzſch (a. a. D. Seite 143 u. 144): „Die
Beiprechung der religiöfen Bedeutung jeder biblifchen Geſchichte wird
genau wieder an bdiefelben in Zahn’s biblifchen Hiftorien angegebenen
Bibelfprüche und LKiederverfe gefnüpft, die dazu in der Unterklaſſe be
nugt und menigftens theilweiſe auswendig gelernt waren; ja, es iſt for
gar eine Beiprechung darüber oft yöllig überfläffig und ein einfaches
nochmaliges Herſagen diefer wiederholt auswendig gelernten Sprüche und
Liederverfe das Erfprießlichfte. Bezeichnend if dabei für den Stand»
punkt Solßfch’s, daß er für eine fruchtbare Behandlung der bibliſchen
Geſchichte ein tieferes Verſtändniß Seitens des Lehrers fordert und nad
einem Blide anf den in diefer Beziehung geringen Dienſt ſolcher Erläus
terungs⸗ und Erflärungsfchriften, die darauf ausgehen, den ‚bereits
für den unmittelbaren Schulgebrauch fertig gemachten Stoff vorzulegen,”
das Studium folder Bücher für nothwendig hält, die, wie Dr. Gün»
ther’s Auslegung der bibliſchen Geſchichten 2c. „dem Lehrer die biblifche
Geſchichte als eine innerlich erlebte vorführen, und das Verſtaͤndniß der
großen, reihen Thatſachen der Gefchichte des Neiches Gottes durch Ans
Müpfung an die eigenen innern Erfahrungen und Erlebniffe vermitteln. —
Mehr noch ale Goltzſch fordert von der erbaulihen und Ichrhaften Aus»
legung der biblifhen Geſchichte die Tchlefifche Schule Diefe hat
allerdings in dem abgelaufenen Jahre die an ihrem Schulblatt wirkenden
Kräfte mehr andern Gebieten zugewendet, aber einzelne gelegentliche
Yeußerungen, fowie eine einzelne praftifche Arbeit („Jeſus weint über
Jeruſalem und reinigt den Tempel — Schulblatt: Zweites Heft. Seite
149 ff.) laſſen über den wefentlichen Unterfchieb ihrer Stellung von
Vormann Teinen Zweifel,
60 Religions - Unterricht,
69. Unbedeutend ift meiftens das, was 1856 über biblijche Ges
fhichte in dem allerdings noch nicht vollftändig vorliegenden Mediens
burger Schulblatte in einer langen Reihe von Artikeln verhandelt if.
Es wird in diefen Arbeiten vielfach „über das Erklären" geflritten, ohne
daß Mar bervortritt, ob darunter Wort» und Sacderklärungen oder
weitere erbauliche und lehrhafte Behandlung im Sinne Brandts und
Niſſens verftanden fei; es werden die Lehrentwidelungen, Ermahnungen
und Rupanwendungen altes Styles in einer Weile befämpft, daß der Ges
danke nabe liegt, es fei wenigftend den meiften Streitenden nur dieſes aut,
aut denkbar: entweder die alte, den Text meift aanz bei Seite laſſende
fatechetifche Salbaderei, oder ein bloßes „Eintönen,“ höchftens bier und
dort mit einer Wort» und Sacherklärung. Mit welchen Waffen gegen
das Erklären gefämpft wird, gehe aus der einen Behauptung hervor,
daß die Kinder bei der Maffe des Gefchichtsftoffes Doch nicht im Stande
feien, au noch die Erklärungen auswendig zu lernen. Aufichluß über
den ganzen Stand der Dinge in Medienburg giebt der Umftand, daß
Nr. 36 des Medienburger Schulbattes die „meiſterliche, unvergleichlich
Iehrhaft fhöne Borrede Hübners zu deflen biblifhen Hiſtorien ale ein
Denkmal dieſes reichen Segenftifters der Kinderwelt und Meifters aller
Schulmeifer und als eine Pöflihe Berle und herrliches Kleinod‘
bringt. — „Möge fie," fagt der Mittheiler, „recht von jedem Lehrer
und wiederholentlih fludirt werden, und wir find gewiß, es wird um
Schüler und Familien bald beffer ſtehen. Was unjers Vaters Luther
goldene Vorrede für den Katehismus für ein unerfhöpfliher Brunnen
von Lehrerweisheit und chriftlicher Pädagogik ift, das ik Hübners, des
Baters aller Hiſtorienbücher, Borrede für den Unterricht in der biblifchen
Geſchichte.“ Der Mittheiler empflehlt als gute Ausgabe des alten Hübner
die von Frick und Bang. Gaflel bei Ludhardt. Er fpricht die Hoffe
nung aus, daß fih eine Geſellſchaft oder Kirchenbehörde entſchließen
werde, den alten Hübner mit Ausnahme fprachlicher Unrichtigkeiten im ſchö⸗
nen Außerlichen Gewande der Iutherifchen Kirche Deutſchlands recht billig
wieder herzuftellen. Und ‚grade jetzt, wo viel über die biblifche Ges
fhichte verhandelt und nicht zum Abfchluffe gelommen if,’ legt der Mit⸗
theiler Hübners Vorrede in neuem Abdrude vor. Das ift denn wohl
deutlich genug! Der alte Hübner foll wieder in die Schule hinein.
Nun fällt es gewiß Keinem ein, der etwas von chriftlicher Schulmeißterei
verfteht, zu beftreiten, daß Bater Hübner ein Berngefunder Pädagog war.
AR doch gar Manches, was Hübner 1714 niederfhhrieb, den Herren,
die feit 1854 fo fir mit Büchern fertig find, ein Geheimniß. Aber muß
denn darum ein Buch, das 1714 ein tüchtiges Schulbuch war, es auch
noch 1856 fein? Den langen Streit der Medienburger über Erklären
und Nichterflären würde freilich Hübner am beften enticheiden. Der
alte Hübner hat unter feinen Hiforierf Zragen, unter der Gefchichte
von verlornen Sohn neun und zwanzig. „Diele Ziffern,“ fagt er,
„paſſen accurat auf die Biffern in den Hiftorien zwifchen dem Texte.
Solchergeſtalt kann fich erftens ein jedes Kind, das nur die Ziffern fennt,
felber Raths erholen, was es auf die eine oder die andere Frage zu ant⸗
Religions - Unterriät. 61
worten bat. Darnach Tann fi der Rehrmeifter diefer Fragen bedienen,
wenn er dag Kind probiren will, ob es durch das wiederholte Lefen
Etwas von den Hiftorien gemerft und dem Gedächtniß eingedrüdt hat. —
So wäre das Abfragen geregelt. — Außer den Fragen hat der alte
Hübner noch bei jeder Gefchichte drei nüßliche Lehren, denn: ‚Wenn's
aber gleich mit der Memoria feine Richtigkeit bat, fo ift das Kind des»
wegen noch nicht Müger. Wie diefe müplichen Lehren durch Fragen zu
behandeln feien, zeigt Hühner in der Vorrede in einem beflimmten Beis
fpiele. Der Lehrer fpricht die Lehre aus dem Buche und begleitet fie
mit Fragen, die auf die Gefchichte weifen. („Kannſt du mir das be
weiſen? Woher weißt du das? Woher kannſt du das verfidert fein ?)
Damit wäre denn das geregelt, was in Medienburg ‚Erklären‘ heißt.
„Das Kind ift, fagt aber Vater Hübner weiter, nunmehr Flüger und vers
Rändiger, aber deßwegen noch nicht frömmer. Daher muß man bie
Hände noch nicht in den Schooß legen, fondern man muß drittens
suh den Willen oder das Herz des Kindes dahin bringen, daB es nuns
mehr auf ſolche Erkenntniß auch das Böfe verwerfen und das Gute er
wählen möge.” — „Weil ih nun weiß, daß die Poefie auf die zarten
Kinderberzen, fonderlih was das Gedächtniß betrifft, eine delifate Wir⸗
fung bat, fo babe ich eine jede Hiftorie mit einem kurzen Verſe bes
fhioffen, die allemal einen guten Gedanken in fih Hält.’ — Beifpiel:
„Der ungerath’ne Sohn muß endlich Träber freffen,
Nachdem er Hab’ und But mit Huren hat verpraßt;
So trifft's mit Kindern ein, die das Gebot vergeffen,
Das Gott den Yeltern hat zu Ehren abgefaßt.
Ah Gott, wie will ich mich vor diefer Sünde hüten,
Daß id bei Schweinen mich nicht darf zu Gaſte bitten!”
Das wäre denn aud die Regelung des zu lernenden Liederverfes, des
erbaulichen Elements, und es wäre Alles im guten Geleife, wie ein Uhr⸗
wert, wenn Hüber eingeführt würde. Die ‚Meinen Erinnerungen,‘ die
der wadere Hübner am Ende giebt, möchten freilich dem Mecklenbur⸗
giſchen „‚Eintönen‘ unbequem fein. — Bir Preußen dürfen doch nicht
fagen, wie die Zranzofen: tout comme chez nous! Es iſt doc beſſer
bei uns. Unſer Regulativ fchreibt Zahn, Preuß und Fiedler vor, und
fo viel auf die Mänher unferer Extreme ſich vor der freien Frage
fürdten, wie vor dem bleichen Gefichte eines Zodten, bis zu dem un:
verfälfchten Hübner haben fie e8 doch noch nicht gebracht. Und in den
„Erläuternden Beſtimmungen der Königlichen Regierung zu Merſe⸗
burg” if zu lefen (Seite A): „Nicht geduldet werden koͤnnen ferner
bin die zwar Tängft verhotenen, aber immer noch hier und da fich fin,
denden bibliſchen Gefchichten von Range, Hübner und Rauſchenbuſch.“
70 Begegnen wir fo in der Medienburger Tendenz auf den uns
verfälfchten Hübner zu einem uns bis jegt in Preußen noch nicht in
demfelben Grade entgegentretenden Extreme des gänzlihen Mechaniſirens
der bibliſchen Gefchidhte, fo tritt uns von einem andern ausländifchen
Gebiete ber in überfpannten Korderungen an das Material der Volks⸗
ſchule ein zweites Extrem entgegen. Ein Recenfent des Buches: Die Ber -
J
⸗
62 Religione = Unterricht.
fhichten der heiligen Schrift x. von Schmidt. Vierte Auflage. Greiz,
1854 verlangt (im Südbeutfhen Schulboten Nr. 13 und 14) von
einem Auf die Oberklaſſe der Volksſchule berechneten Hiſtorienbuche, „daß
der Lauf der Begebenheiten nach dem in den biblifchen Gefchichten das
liegenden inneren Zufammenbange, insbefondere auch in Rüdficht auf
den Fortſchritt des Volks im Guten und Böfen möchte möglihft
Har gemacht werden. In wie umfangreichem Sinne dieſes Begehren
getellt if, ergiebt fih aus folgender Anführung: „Die in der Ges
hichte offen daliegende Vorbereitung der Trennung zwiſchen Juda
und Sfrael follte durch andeutende Winke bemerklich gemacht werden.
Diefe finden fih in den Geſchichtsbüchern ſelbſt zwifchen dem anmaßen⸗
den Auftreten der Ephraemiten gegen Jephtha (Richter 12), fodann im
fiebenjährigen Beſtande des Königreiches Zuda unter David, in den
Umtrieben, welche Abfalom vor feinem Aufruhr in den Stämmen Js⸗
raels hauptſächlich machte, in der Eiferfucht der Stämme Israels gegen
Juda nach der Dämpfung des Aufruhrs Abfaloms (2 Sam. 19, 41 ff.),
woraus Seba's Aufruhr entfland, und in Zerobeam, der nah 1 Kön. 11,
28 über alle Laſt des Haufes Joſephs gefebt war 2.” Ebenſo wili
der Necenfent die Gefchichte des Neiches Zuda nicht bloß in die der
„erſten“ und „ſpaͤtern“ Könige getheilt haben. Er zerfällt die erfle
Hälfte in 3, die zweite in 5 Abfchnittee Wir haben allen Refpect
vor den füddentichen Schulen und vor dem, was fie leiften können und
mögen, aber es ergeht wohl dem Süddeutfchen Boten mit feinen Recen⸗
fenten zuweilen nicht beffer, als manden andern pädagogifchen Zeit»
fohriften, nämlih daß er an ſolche geräth, die auf allen Höhen, aber
nicht in der befcheidenen Niedrigfeit der Volksſchule zu Haufe find.
71. Zu den wenigen verdienfllihen Arbeiten des abgelaufenen
Jahres über biblifhe Geſchichte rechnen wir noch einen kürzern Artikel
im Brandenburger Schulblatte. Mais und Juniheft 1856. Seite 292 fi.
Er behandelt die Frage, ob alle biblifche Geſchichten der Hiftorienbücher
wörtlich auswendig gelernt werden follen. Der Berfafler giebt den
aus dem wörtlihen Lernen erwachfenden Segen gerne zu, ftellt aber,
einerfeits fihtlih auf dem Boden der Praxis, andererfeits auf den For⸗
derungen der preußifchen Regulative flebend, die zwei Bedenken: a. Iſt's
möglich, dieſes wörtliche Lernen überhaupt, oder auch nur bei denjenigen
Geſchichten durchzuführen, die, wie z. B. die Gleichniffe des N. ZT. oder
Petri Fiſchzug, ohne Weiteres nach ihrem ganzen Wortlaute aus der
heiligen Schrift genommen werden können? b. Und wenn das Unmög⸗
liche mit Gewalt möglich gemacht wird: entfleht daraus nicht ein Mecha⸗
nifiren des wichtigen Unterrichtszweiges und wo bleibt das „‚Erleben’‘
der heiligen Gefchichte? Weiter befpricht der Verfafler die hier und da
verfuchten Auswege: Beichränfung der einzuprägenden Geſchichten auf
ein Minimum, und mehrjährigen, fogar dreis bis vierjährigen Kurfus !
Gegen den erften führt er an, daß dem Kinde „gleihlam zu Gunften
des Wortes oder gar eined Paradepferdes ein zu großer Theil des eben
jo koöͤſtlichen, als nothwendigen Schatzes an heiligen Gefhichten und
erbaulichen Gedanken vorenthalten‘ werde, gegen den zweiten, „daß den
Religions - Unterricht. 63
einzelnen Generationen der Schulfinder nicht Genüge geleiftet werde.’
„Die biblifche Gefhichte, fo lautet endlich das Reſultat nah Für und
Bider, muß alfo jedenfalls möglichſt mit den Worten der heiligen
Schrift ſelbſt erzählt und behalten werden, und fo weit es möglih if, -
mortgetreu. Aber eben doch nur, fo viel es möglich, und ich füge hinzu,
fo weit es nöthig if, um auch diejenige gottgegebene Weife und Sals
bung beizubehalten und dem Schulfinde nüplih zu machen, die in der
Wahl der Worte liegt, mit denen die heilige Schrift uns ihren feligs
machenden Inhalt darbietet. Dagegen wird es kaum als ein Berdienk
oder als mafßgebendes Brincip angefehen werden Tönnen, die biblifchen
Geſchichten ohne Ausnahme, oder nur mit geringer Ausnahme völlig
ans"der Heiligen Schrift oder aus einem derartig abgefaßten Handbuche
von Wort zu Wort auswendig lernen und berfagen zu laſſen. Dan
täufcht ſich dabei vielleicht fogar noch und glaubt, die Kinder haben die
Geſchichten nun recht inne. Sie haben fie am Ende mit Mühe und
Roth doch nur für's Gedächtniß gelernt, nicht aber par coeur, wie
die Franzoſen bier treffend fagen. Es wird vielmehr für den Lehrer
darin unter Anderm eine rechte Hauptaufgabe beftehen, unter gründlicher
Vorbereitung auf die biblifchen Geſchichten, bei fleißigem Bibellefen und
mit einem feinen, gläubigen Sinne der heiligen Schrift hauptfächlich die
Borte und Stellen abzulaufhen und abzufühlen, in denen befonders
das Lebengebende, das Anſchauliche, das Eharakteriftifche, das Eindring-
liche liegt, und diefe nun beim Einprägen einer bibliſchen Gefchichte fa
nicht zum überfehen, fondern grade recht hervorzuheben. — — Ein befon»
derer Nachdruck if zu legen auf charakteriftifche Ausſprüche der Perſo⸗
nen, die in der heiligen Geſchichte als redend aufgeführt werden. Wenn
irgend Etwas dazu beiträgt, Die heilige Geſchichte mit zu erleben, fo
ſind es doch gewiß ſolche Worte, gewiß aus dem Herzen geiprocen,
darumı auch zum Herzen, zum Mitgefühle dringend.
72. Aehnliche, als die dem in $. 71. redend eingeführten Verfafler
eigenen Bedenken fcheinen in der Provinz DOftpreußen den Verſuch vers
anlaßt zu haben, wenigftens in einklaffigen Schulen an Stelle des
üblichen Hiftorienbuhs von Preuß ein weniger umfangreiches Hiſtorien⸗
buch zu feben: Woike: Zweimal acht und vierzig biblifche Hiſtorien x«.
(2iteratur: Oberfiufe B) Ein ähnlicher Berfuh aus einer andern
yreußifchen Provinz ift uns nicht befannt.
73, Der Beridterflatter hält dafür, daß Alles, was gegen das
wörtlihe Wiedererzählen der einzelnen biblifchen Gefchichten vorgebradht
wird, mit der bis jetzt noch wenig befprochenen,, noch viel weniger ges
fen Frage zufammenbängt: Iſt der eins oder zweijährige Kurſus in
der biblifchen Gefchichte der angemefiene?! Es wird, wenn der zweijäh-
ige Kurfus nicht nur für die einflaffige, fondern auch für Die zweis
Naffige Bolköfchule durchaus Berworfen werden muß, darauf ankommen,
dem einjährigen Kurfus eine folche Beftalt zu geben, daß der mit dem
Säriftworte möglich zufammenfallende Zert des Hiſtorienbuches durch⸗
ſchnittlich beibehalten wird und memorirt werben fann, ohne in Die
jept allerdings von vielen Seiten ankürmende und das Regulativ fal-
64 Religions - Unterricht.
tifch ganz aufhebende Mechanifirung des Unterrichtes zu verfallen. Daß
eine ſolche Geſtaltung nicht möglich ift, wenn ein wörtliches. Einlernen
der erften Geſchichte bis zur letzten verlangt wird, liegt am Zage. Sie
iR aber zu erreichen, wenn der ganze Geſchichtoſtoff in zwei große
Gruppen, eine feſtſtehende und eine jährlich wiederkehrende, getheilt wird.
Bur feftfiehenden Gruppe gehören die Haupt» und Knotenpunkte der
Entwilelung des Reiches Gottes. Sie werden mit firengem Anſchluſſe
an das Kirchenjahr behandelt. Die jährlich wiederkehrende Gruppe bes
faßt die zwiſchen diefen Haupt» und Knotenpunkten liegenden Binde,
glieder, die, obgleich am fich nicht bedeutungsloß, doch die Bedeutung
jener nicht erreihen. Es bat Ddiefe dem Berichterflatter durch eigene '
Praxis bewährte Einrichtung den großen Bortheil, daß die verſchie⸗
denen Generationen der Schüler dabei ihre Berädfihtigung finden, daß
der Zerſtückung der SHeilögefchichte gewehrt wird, daß für ein ruhiges
Berfenten in das Heilige, auch durch das firenge Aufnehmen des Wor⸗
tes, Raum bleibt und dem „Lernen zum Tode‘ gewehrt wird.
Forderungen, wie der $. 70. genannte Recenfent aufftellt, muß man
freifih dabei nicht an die Volksſchule mahen. Solchen Forderungen
werden ja aud ganz andere Leute, als Confirmanden, nicht genügen,
wenn man fle fireng examiniren wollte ©
74. Mehrfach if auch in dem abgelaufenen Jahre der Gedanke
aufgetaucht, die biblifchen Hiſtorienbücher ganz abzufchaffen und bei dem
Erzählen der biblifhen Gefchichte fih nur an die Schrift zu halten.
Die gewichtigfte Stimme ift die von Jaspis: „Ich halte es überhaupt
für einen Uebelftand, daß, wie man der Jugend oft Alles zu mundredht
macht, unfere Kinder grade dur die Sprudhfammlungen und Bibels
auszüge gehindert werden, ihre Bibeln zur Hand zu nehmen; woher es
dann kommt, daß die Bibel ihnen dann fpäter wie ein Gebäude erfcheint,
in deffen einzelnen Gemädern und Vorraͤthen fie fih gar nicht zurecht
finden fönnen. Es ift durdaus nöthig, daß jedes Kind feine Bibel
habe, wie es feinen Rod und Tafchenmeffer bat; fo müſſen auch die
Kinder ſchon frühe gewöhnt werden, mit ihrer Bibel unmittelbar zu
verfehren, alfo beim Unterrichte fih zur Quelle felb und nicht bloß zu
den Ganälen zu halten, damit fie fpäter fogleich wiffen, wie fie für
jedes DBerhältnig und Bedürfniß in der. Bibel die yaflenden Stellen
finden.“ — — Es iſt unftreitig viel Wahres in diefer Klage; dennoch
halten wir aber durchfchnittlih Die Zeit noch nicht für reif, die Hiſto⸗
rienbücher aus den Schulen zu treiben. Selbft in der Oberflaffe küns
nen wir fie nicht miffen. Die tägliche Erfahrung zeigt es, wie lang»
fam .und fchwierig es — namentlih in vollen Klaffen — mit dem
Erlernen der biblifchen Gefchichte da geht, wo ein Hiſtorienbuch nicht
zu erfchwingen if. Es wird bei den Hiftorienbüchern und dem mög»
Ihr zu fördernden Nachlefen in der Bibel wohl noch geraume Beit fein -.
Bewenden haben müſſen.
75. Als ein dringendes Bedürfniß bezeichnen wir ein praktiſches
Handbuch, das in Niſſenſcher Glaubenstreue, aber nicht in Niſſens
Breite, auch wit mehr Einfachheit und mehr nach dem Terte zu ſich
Religions - Unterridht. 65
eoncentrizend den Bolksoſchullehrern für die Behandlung der biblifchen
Geſchichte Handreichung thäte.
Bibelleſen.
76. „Das Vorleſen aus der Bibel erfolgt nur von denje—
rigen Kindern, welche bereits fertig lefen fönnen. Das Bis
beilefen, abgefehen von den Perikopen, erfiredt ſich haupt⸗
fädlih auf eine von dem Pfarrer zu treffende Auswahl aus
den Pfalmen, den prophetifhen Büchern und den neutefa»
mentligen Briefen.‘ (Negulativ Seite 87.) Auf diefer Baſis bewe⸗
gen fi innerhalb der preußiichen Volksſchule mancherlei Fragen und
Beftrebungen. Wir berichten zunaͤchſt über die Schiefer. Ein Confe⸗
renzvortrag von Superintendent Mapfe (Schulblatt 1856. Erſtes Heft.
Eeite 36 — 43.) behandelt die Frage, nach welchen Princivien die Aus⸗
wahl des Lefeftoffes zu treffen fei. Mapke leitet aus der oben angeges
‚denen Stelle des Regulativs die Folgerung her, daß die fogenannte
Bibelkunde weder einziger, noch hauptfähliher Zweck des Bibellefens
ſei. „Hauptzweck ift die Religion felbft, das Eine, was Roth thut.
Die Kinder follen durch das Lefen in der Bibel vor allen Dingen erzo⸗
gen, fie follen fromm und gut werden.” Diefen Zwei fuht Matzke
dadurch zu erreichen, daß er das Bibellefen zu einem für Katechis⸗
mus und biblifhe Geſchichte fubfidiarifchen gefaltet. Nachdem
er den Gang des Katechismus und der biblifchen Gefchichte nach dem
Kirchenjahre geordnet hat, macht er eine Anzahl biblifcher, theils an den
Katechismus, theil® an die biblifche Geſchichte fich anlehnender Abſchnitte
als Stoff des Bibellefens nambaft. Nicht felten ſpalten ſich diefe Stoffe
in zwei faſt ganz auseinanderlaufende Gruppen, die eine nad dem Ka⸗
techismus, die andere nach der biblifhen Gefchichte zu, wie dieſes bei
der zum Grunde liegenden, in ganzen PBartieen mehr fiheinbaren, als
wirflien Gongruenz des Katehismus und der biblifchen Geſchichte nicht
auders fein kann. Die ganze Arbeit Matzke's if mehr in allgemeis
nen Zügen gehalten, als im Einzelnen fiher Weg weifend, aber doch
von beftimmten Grundgedanken ausgehend, und wenn wir gewifle ſchle⸗
ſiſche, wie es fcheint, unvermeidliche Stereotypen abrechnen, auch ver»
dienſtlich. Fur gewichtig halten wir folgende, den Regulativbüchermachern
sicht genug zu empfehlende Säpe: ‚Aus einem doppelten Grunde koͤn⸗
nen aus den Propheten nur fleine Partieen ausgewählt werden. (ins
mal nämlih wird bier vielmehr erklärt werden müflen, alſo weniger
gelefen werden können. Sodann find die Propheten, welche in dunteln,
mußifchen Allegorieen fi bewegen, ganz außer Acht zu laffen. Ic
füließe dies darans, daß die Negulative die Offenbarung Johannis -von
dem Schulleſen ausnehmen. — Demgemäß übergeben wir Propheten,
welche den Gefchichten der Offenbarung Johannis analoge Dunkelheiten
enthalten, aljo namentlich den Ezechiel, far ganz.” —
77. Gründliher, mehr in’s Einzelne gehend, von fiherer Orien⸗
tirung auf dem betretenen Gebiete zeugend und darum bei Weiten ins
Nade, Zahreöberidt. X. 5
66 Religions = Unterricht.
ſtructiver für den Lebrer if eine zweite ſchleſiſche Arbeit: „Das Bibel
iefen in der Echule, Eonferenzvortrag von Diaconus Geißler. (Schul⸗
blatt x. 1856. Drittes Heft. Seite 232— 246). Geißler giebt die
jedenfalls fehr gezwungene Doppelbeziehung des Bibellefens auf Katechis⸗
mus und biblifche Gefchichte von vorn herein ganz auf und nimmt
das Bibellefen entfchieden in den Dienft des Einen ober des Andern.
In der Oberklaſſe der getheilten Schule macht er es fubfidiarifh für
die biblifche Geſchichte. Nach der Weile der ſchlefiſchen Seminarpäda⸗
. gogen fol in der Oberklaſſe der ganze bibliſche Geſchichtoſtoff nicht aus
einen Hiftorienbuche, fondern unmittelbar aus der Bibel gefhöpft wers
den und darnach biblifche Gefchichte und Bibellefen zufammenfallen.
„Der Lehrer, welcher weiß, welche biblifche Gefchichten von den Kindern
auf den vorhergehenden Stufen gelernt worden find, wählt nun zum
Bibellefen ſolche geihichtlihe Abfchnitte aus dem Alten und Reuen Zes
ſtamente, die den Kindern entweder noch gar nicht, oder doch nur ober»
Hächlich bekannt find, und die fich dazu eignen, ihre Kenntuiß der Ges
Shichte Alten und Neuen Teftamentes zu befefligen, zu erweitern und im
Bufammenhang zu bringen. Dabei läßt er fi von der Beitfolge des
Kirchenjahres leiten.‘ Der rotbe Faden bes Bibellefens bleiben dabei
die gefchichtlihen Bücher. Um dieſe ſchlingen fih im Alten Zeftamente
prophetifche Abfchnitte und Pfalmen, nach hiſtoriſchen Geſichtspunkten
geordnet; der Kurfus if zweijäprig. Für das Auffinden dieſer Gefſichts⸗
punkte verweifet Geißler auf das Calwer Handbuch der Bibelerflärung;
auch giebt er ſelbſt einzelne treffliche Winke. Aus dem Neuen Zeflas
mente foll in vierjäßrigem Curſus je eins. der Evangelien oder jedes
Jahr eine Zufammenfaffung der gleichen und verwandten Abfchnitte der
vier Evangelien nah Zahn: „Das Reich Gottes auf Erden“ und die
Upoflelgefchichte gelefen werden. Schließlich empfiehlt Geißler den im
Süddeutichen Schulboten 1838 für die ganze Feſtzeit des Kirchenjahres
nach. Wochenpenfen gegebenen Lehrplan.
Wir haben ein Bweifaches gegen ein folches Bibelleien: a. &s fegt
Schulen voraus, wie wir- fie durchichnittlih nicht haben. b. E& übers
geht die neuteftamentlichen Briefe.
Für die ungetheilte Schule ſchließt ih Beißler an das Regula⸗
tiv, aber nur fcheinbar. Um den ſchlefiſchen Sab von der Eutbehrlich⸗
feit der Hiſtorienbücher auf der Oberftufe mit dem Regulative zu verein.
baren, gebt er von der durchaus unrichtigen Annahme aus, daB das
"Negulativ nur in der einklaffigen Schule die geordnete Reihenfolge eines
Hiftorienbuches inne zu halten gebiete. Sodann findet Geißler das
Bibellefen der einflaffigen Schule nad dem Regulatin darin, daß mit
der biblifchen Geſchichte das Nachlefen der vollfändigen Abſchnitte im
der heiligen Schrift verbunden werde. Damit find offenbar zwei For⸗
derungen des Regulativs in eine, und zwar dergeflalt zuſammengewor⸗
fen, daß die eine gänzlich hinweggeichafft wird. Das Nachleſen voll⸗
ſtaͤndiger gefchichtlicher Abſchnitte einerfeits, und Das Lefen der Pfalmen,
prophetifcher Bücher und neuteftamentliher Briefe andererfeits find nach
dem Sinne des Regulativs zwei ganz gefonderte, neben einander herge⸗
Religions » Unterricht. 67
hende Thatigkeiten, deren erſte möͤglicherweiſe auch als häusliche Auf
gabe gedacht, die zweite aber entſchieden im die Schule gelegt if. Nach
Geißler beſchließt das Nachlefen. der vollkändigen geſchichtlichen AÄb⸗
fhnitte Die ganze Summe des in der einflaffigen Volkeſchule geforderten
VBibelleſens. Das Lefen den Palmen, prophetiſchen Bücher und neus
teßamentiichen Briefe, alſo der eigentliche Kern des Schriftiefns fait
ganz weg. War alſo das Bibellefen der getheilten Schule fo formirt,
daß es Kber die Forderungen des Reqgulativs, wenigſtens theilweiſe, hin⸗
ausging, fo erreicht das der einklaffigen Schule dieſe Forderungen durch⸗
aus nicht. ,
Endiich giebt Geißler für das Vibellefen im Dienfte des Kate⸗
chismus eine meift woblgetroffene luswahl bibliſcher Stoffe.
78. Nach dem Katechismus geordnet, aber im Cinzelnen weniger
glͤcklich gewählt als bei Geißler, find die Bibelleſeſtoffe auch im dem
„Anhange” in der Beinen bereits in fünfter Auflage bei Mohr in
Wittenberg 1858 erfehienenen Bearbeitung des Lutberiichen Katechis⸗
mus, in der zwölften Auflage der Handelſchen evangelifchen Chri⸗
Reniehre, (1854), in der Anweifung zur Behandlung des Heinen
Lutherifchen Katechismus von Hoffmann, Wittenberg bei Zimmers
mann. 1855.
79. Ueber das mit dem Katechismus verbundene Bibellefen fagt
ein Richtpreuße: „Es hieße dies die Bibel in Stüdlein zerbrö⸗
dein und dabei mod, der Katehismusiehre allen Zufammenhang vanben.
Han nehme jeberfeitd die Veiſpiele, welche die Katechismuslehre veran⸗
ſchaulichen follen, nicht aus unferm täglichen Leben — —, fondern
regelmäßig vorerk aus der bibliſchen Geſchichte, d. h. aus ben früßer
im Zufammenhange gelefenen biblifhen Büchern —: das iſt aber eine
biofe Wiederholung des Gelefenen, fo lebensträftig und ſchön fle auch
jeberzeit fein wird, aber nicht die eigentliche Bibellefung,' (Dir. Han
IHila im den einziger Blättern. 1855. Seite 91.) — Die Forde⸗
rung des preußiſchen Regulativs ik „im Zufammenbange Pal
men, prophetiſche Bücher und neuteſtamentliche Briefe zu lefen.“ (Negu⸗
latie Seite 22).
80. Als Hülfemitiel zu einem nicht direet für Katechiämus und
bibliſche Geſchichte Tubfldiarifchen, vielmehr felbſtſtändigen, dabei eher
plaumãäßig geordneten, auf tiefere Einführung in die Heilsge⸗-
ſchichte und Heilslehre ausgehenden Bibellefen empfiehlt ſich das
in der Provinz Sachſen vielfach gebrauchte Büchlein von Dr. Wöller:
Unterlagen der Gotteserkenntniß in der chriſtlichen Volksſchulo. Dritte
Auflage. Erfurt 1855. Wir halten es für unfere Pflicht, zu den im
vorigen Jahresberichte (Seite 549) von anderer Seite über das wor»
trefüiche Buͤchlein ausgeſprochenen Wünſchen Me Bemerkung hinzuzufü⸗
een, daß es Lehrer und Schüler vorausſetzt, wie die Vollaſchule fie
durcqhſchnittlich nicht bat. |
81. Als DBertreter der dritten Hauptrichtung des Bibellefens, der⸗
jenigen,, hie auf Binführung in die Schrift übarbammt Kin
geht, nennen wir Jaspis. Jaspis nimmt (vergl. den Blan für
| 5*
68: Religions » Unterricht.
das religidfe Unterrihtsgebiet) einen zweijährigen aurſus an,
dergeſtalt, daß im erſten Jahre — von Advent an — das Evangelium
Matthäi, dann von Zrinitatid an die Apoſtelgeſchichte und der Brief
an die Philipper oder der erſte Brief Petri, im zweiten Jahre von Ad⸗
vent an Stücke aus den Pſalmen, Propheten und Sprüchen Salomonis,
von Trinitatis an Abſchnitte aus den Geſchichtsbüchern des Alten Teſia-
mentes geleſen werden. Die aus den altteſtamentlichen Büchern zu leſen⸗
den Abſchnitte find unter den Nachträgen zu. dem Plane beſonders nam⸗
haft gemacht. Befremdlich if bei Jaspis die geringe Berüdfihtigung
der neuteftamentlihen Briefe. Dem Regulative entipriht Jaspis das
durch, daß er aus dem Neuen Teflamente das Leſen ganzer Bücher for
dert, im alten Zeflamente die aus eingy und demfelben Bude gewählten
- Kapitel hinter einander folgen läßt.
82. Bu denjenigen Auswahlen, die fih einfach an den Bortlaut
des Regulatives „Pſalmen, prophetifhe Bücher und neuteßamentlidhe
Briefe‘ halten und dabei befondere leitende Grundfäße nicht weiter
erkennen laffen, gehört die von der Synode Marienburg in Weftpreus
fen getroffene. (Evangelifhes Gemeindeblatt 1856. Nr. 4). Sie ent-
hätt 45 Pfalmen, 40 Kapitel aus den Propheten, 43 Kapitel aus den
neuteftamentlichen Briefen. Nur die für die Feſthälfte des Kirchenjahres
beftimmten Abſchnitte find als pieide bezeichnet. Dielenigen Arbeiten,
bei denen e8, wie 3. B. bei Dr. Hubert, allein auf das „Biel» und
Allesleſen“ anfommt, find eingehender Erwähnung nicht werth.
83. Es ergiebt fih aus den vorhergehenden Paragraphen, daß bie
Frage nach dem Lefematerial im Cinzelnen im abgelaufenen Jahre im
Preußen vielfach verhandelt if. . Auslaffungen über das Wie find dem
Berichterftatter faft gar nicht zu Gefichte gefommen. Was Bormann
(Schulfunde. Seite 139 —140) über das Wie: beibringt, beſchränkt fich
auf folgende Säge: „Die Beftimmung des Regulativs deutet an, daß
— — die älteren geübteren Schüler den jüngeren den fchönen Dienſt
zu leiften haben, ihnen aus der heiligen Schrift vorzulefen.
Der, Lehrer hat mit allem Fleiße darauf zu fehen, wie er den
bier von den Kindern erforderten Leitungen diefes edle Bes
präge aufdrüde” Bu dem Iehten an und für fih gewiß unbeftreit-
baren Sage ſei unfererfeits bemerkt, daß uns die von Bormann gege⸗
benen Ausführungen deſſelben ſehr bedenklich erfcheinen. —
84. Entſchiedenen Widerfprud wird Bormann mit der Deutung
finden, die er den Worten des Regulatives „VBorlefen aus der Bis
bei’ giebt. Nah Bormann if unter diefen Worten ein von Feis
nem Worte des Lehrers unterbrochenes Lefen des Schülers, alfo ein
Borlefen im ſtrengſten Sinne zu verſtehen; ein Bibelauslegen fände
alfo mit Ausnahme derAuslegung der Beritopen nicht flat. Bor⸗
mann wird wohl unter den Pädagogen von Fach mit feiner Auffaffung
allein daflehen; bei der Bequemlichkeit, reſp. Untüchtigkeit vieler Schule
meifter und bei vielen Schulinfpectoren, denen das Schriftausiegen der
Lehrer aus diefem oder jenem Grunde lange ein Stein des Anſtoßes if,
wird er Beifall finden. Jaspis: „Die Bernadhläffigung der Schrifte
Religions⸗ Unterricht. 69
erflärung in den Volksſchulen, das Schweigen Bieler dabei, die da reden
follten, iR mir eine ZThorheit und Sünde ohne Gleichen.“
85. Ein doppeltes Ribellefen, ein flatarifches und ein kurſoriſches,
fordert Brandt aus Saarbrück. (Brandenburger Schufblatt a. a. ©).
„Das Leptere, ein mehr hinter einander Fortleſen, etwa mit einzelnen
Bemerfungen und Fragen, um des ganzen nötbigen Etoffes ſich zu
bemädtigen, Das Erſtere, ein bei einzelnen Abfchnitten länneres Bermeis
Ien, um in die Ziefe und den ganzen Reichthum einzuführen.” Es liegt
bier die Frage nahe: ‚Woher in der Bolksichule die Zeit?" Es find
zwei Stunden in der Oberklaſſe für das Bibellefen gegeben; eine wird
für die Beritopen verwendet; es bleibt alfo zu Beiden, dem Turforis
hen und flatarifchen Leien, nur eine Stunde übrig, es fei denn, daß
nach fchlefifcher Weile und auch nah Yaspis, aber gegen das Regu⸗
latis, biblifhe Geſchichte und flatarifches Bibellefen zufammenfallen.
86. Hin und her, 3.8. von Matzke (a. a. O.), iR ernftlich auf
die Schwierigkeiten bingewiefen worden, welche die Bibelauslegung für
nicht theologifch gebildete Lehrer mit fi bringt. Zwei ficher heifende
Mittel hat, wie ſchon berichtet, Jaspis den Geifllihen an die Sand
gegeben, nämlich die Lehrer zu Bibelauslegern beranzubilden und, wo
es nöthig if, die Bibelauslegung in der Schule felbf in die Hand zu
nehmen. Bir fragen: Wo gefchieht, was Jaſspis anräth? Die Sy⸗
node der Diöcefe Marienburg in Weſtpreußen bat befchloffen, ihren Ele⸗
mentarlehrern die für das Lefen in der Volksſchule beflimmten Ab«
fnitte der Schrift in den Lehrerkonferenzen zu erflären und möglichft
lieh und werth zu machen. (Evangelifches Gemeindeblatt 1856. Nr. 4).
Thun diefes aucd andere Eynoden? Jaspis fagt in feinem Plane:
„Es wird vorausgelept, daß während des Jahres des Konfirmanden»
unterrichtes der Pfarrer wenigftens ein Buch der heilinen Echrift den
Kindern zugleih mit dem Nebenzwede erfläre, die rechte Art des Schrifts
leſens und der Schriftbetrachtung ihnen nahe zu legen. Trifft diefe
Boransfegung zu? — — Leber Sandreihungen aus der Kirche an
die Schrift auslegenden Lehrer haben wir nichts zu berichten. Die Rehrer
And in großer Noth und Hülfe bleibt aus. Nicht einmal eine praktiſch⸗
tächtige Perilopenauslegung für den Schufbedarf hat die Literatur aufs
juweifen. Das vielfadh empfohlene Buch von Crüger eignet fi nur
fr fehr wenige Lehrer.
87. Nachdem wir bisher far ausfchließlih auf preußiſchem Ges:
biete Umſchau gehalten haben, geben wir noch einzelne Lefefrüchte aus
nichtpreußiſchen Zeitfchriften.
Aus einem Artikel in der Volksſchule von Bartman (1856.
7):
a. Die Bibel if Feine Fibel. Das neunte oder zehnte Lebensjahr
iR durchfchnitttih als Anfang des Bibellefens anzunehmen. — Der ger
genwärtige Intherifche Text if nicht durchgängig dem Wortfchritte der
Sprache angepaßt. Es if das Verſtaͤndniß durch zweckmaͤßige Erklärung
der biblifchen Redeweiſe zu vermitteln.
b. Die Bibel iR mit Auswahl zu Tefen. Ein Bibelauszug wird
70 | Religions + Unterricht,
fdpwertid, gu Stande fommen; für die Einführung einer gut bearbeiteten
biblifchen Geſchichte Tiegt in dem Koſtenpunkte eine große Gchwierigfeit;
es iR alfo den Schülern die gange Bibel in die Hände zu geben. Daß
das Ausgeſchloſſene mit dee größerer Begier gelefen wird, 1äbt ſich
sicht hindern. Es iR auf das Wirken des heiligen Geißes gu rechnen,
der gu feiner Zeit den rechten Eruf giebt. — Zu leſen ind alle Er⸗
zählungen, Lehren und Weiffagungen, welche weſentlich zur Erkrantaiß
des Heilsplanes Gottes und der Eutwidelung des Reiches Gottes beis
tragen, Auch das alte Teſtament gehört darum in den Lehrplan. Aus⸗
zuſchließen find {nußer deu Apokryphen) unter Andern: Drittes Buch
Moſe, Ruth (2), Giob, Geheslied, Obadja, Nabum, Habalul, Bephanja ;
im neuen Teſtamente: Brief an Titus, Bhilemon, Br. Judä (Apokalypſe ?).
ec. Orduung des Bibelleſens. Es if wicht willfürkich zu leſen,
‚3 B. nicht erſt Evangelien, dann Bialmen, dann Briefe, auch nicht
nach Leitung des Kircgenjahres, fondern nach der Chronologie der Ges
ſchichte und nach der innern Zuſaumengehbrigkeit, „ſo daß z. B. die
ausgewählten Bfalmen einzeln In die altteRamentliche Geſchichte einge»
Hodıten, die Gprüde Salomo's an die Geſchichte Salomo's angefnüpft
werden. Der in der Schrift mehr als einmal erwähnte Gegenſtand
einer Geſchichte iſt aus demjenigen Buche zu Iefen, in welchem er am
ausführlihfien und auſchaulichſten dargeſtellt iR. — Der von dem Bers
faffer nach beffimmter Ordnung im Ginzeinen befimmte Leſeſtoff (— zwei⸗
jähriger Curſus — ) lehnt ih nur im Ganzen an das Kirdgenjahr; die
Beritopen Auden keine beiondere Behandlung. Borausfegung if, daß
die Schüler ſchon zwei Kurfe bibliiher Geſchichte durchgemacht haben.
d. Art und Weiſe der Behandiung des Leſeſtoffes — Es ift daB
Bibellefen mit Gebet anzufangen. Es if in einer Stunde nur fo viel
zu leſen, als beiprochen und erläutert werden kann. Bibeltenntniß im
Großen und Ganzen, aber au Bibelverſtaͤndniß im Einzelnen iR das
Biel: „Oauptſache bleibt das Verfländniß der biblifchen Geſchichte, welche
befonderd durch den Rückblick auf eine Pdurchlaufene Periode nad den
Hauptmiomenten beleuchtet wird, wobei die Kinder ſtets darauf hinzu
weilen find, daß Die Entwidelung des Neiches Gottes fich wie ein goldner
Baden durch die ganze Bibelbetrachtung hinzieht.“ Die Erklärung fei
einfach, kurz, bündig, fern von Grübelei, werde nicht zu Sprahübungen
gemißbraudht. Schriftliche Arbeiten an das VBibellefen zu Inüpfen, iſt
anzurathen.
Sächſiſche Schulzeitung. 1856. Ar. 23: „Wie if die Bibel
in der Volksſchule zu gebrauchen?‘
a. Mit Auswahl. Es ift auszufcheiden das dem ſittlichen Gefühle
Widerſtrebende. Der Borgang mit Potiphar’s Weib könnte leiht ein
Gift fein (1). Berner das Temporelle und Locale, ein unfruchtbares
Biffen Hervorbringende, 3. B. die Cinzelnheiten über den falomonifchen
Tempel, ebenſo alles Das kindliche Faſſungovermögen Weberfleigende,
3. 8. Gal. 8, 15—22.
b. mit vorzugsweifer Berüdfihtigung des Sittlich« Religiöfen, alſo
nicht als Geſchichtsbuch zur Ergänzung ber Profanferibenten, nicht als
Religions -Unteriht. Mi
Mittel zur Kenntniß der Kulturzuftände ber früheren Zeit, nicht als
Nahrung für die äftbetifchen Gefühle, nicht ale Wegmeifer für das als
tägliche Leben (Sprüche Salomo's und Sirach), nicht ale Kingerzeig für
Künſtler und Gewerbtreibende (!):
e. mit Bermeidung alles Mechanismus, alfo nicht bloß ausdrude-
volles Lefen, fondern Lefen mit Erläuterung, mebr ſtatariſch, als kurſoriſch;
d. mit Beobachtung einer richtigen Reihenfolge, alfo nicht von Ans
fang bis zu Ende; Hauptſache ift, daß zufammengelefen wird, mas zus
jammen gebört;
e. mit Bewahrung ber der Bibel fehuldigen Ehrfurdt, nicht mit
der Abfiht, die chronologiſchen, mathematifchen, genealogijchen Irr⸗
thümer, die BVerftöße des Alten Teſtamentes gegen eine geläuterte Moral
bloßzulegen, fondern um die Schüler zu Chriſto zu führen.
Der Berichterftatter erachtet dafür, daß Wahres und Halbwahres
in diefer Arbeit vielfach in einander laufen.
Braunfhweiger Schulbote. 1855. Nr. 2.
„Sie müflen nicht meinen, ald gebe es in folhen Stunden alfo
zu, wie in einer Predigt, und als redete ich die ganze Stunde auf die
Kinder drein. Sondern da wird erfllich gelefen, zweitens wieder ger
liefen und nochmals, dann mit den Kindern geredet, gebetet, auch ger
fungen, wo ſich's paßt, freilich felten.” (Des fchlehten Geſangbuches
wegen.)
Bädagogifhe Beiträge, insbefondere für das Volks»
ſchulweſen. (Herausgegeben von Hatnoverfhben Lehrern.
Erfker Band. Dritte Lieferung.) Aus den an dieſer Stelle bes
findlichen praftifchen Bearbeitungen geben wir folgende Beiipiele: Epiftel
am zweiten Weihnachtsfeiertage, Zit. 3, A—7: „Wodurch
eignen wir uns die Geburt des Sohnes Gottes an? 3) durch Gottes
freie Gnade und Barmherzigkeit, V. A—5; 2) durh die Zaufe und
den heiligen Geil, B. 5 u. 6; 3) durch Glaube und Hoffnung, B. 7. —
Gyangelium am 3. Advent: Zefus von Razareth ift wahrhaftig
der Seiland der Welt. Das beweift 1) feine eigne Erftärung über fi
ſelbſt, B. 2—6; a) Beranlaffung zu derfelben, V. 2—3; 5b) Anhalt
derfelben, B. —6; Jeſus beruft Ah, um feine Mefflaswürde" zu ers
weifen, auf feine Wunder, auf fein Leben und warnt davor, fih an ihm
iu ärgern. 2) Das Amt Sohannis des Zäufers, B. 7—10; denn
diefer if a) ein Randhafter Beuge der Wahrheit, B. 7; b) ein ernfter
Prediger der Buße, V. 8; c) und der verheißene Vorläufer des Meſſias,
3. 9 u. 10. (Bas doch Alles als praktifhe Handweifung gedrudt
wird!) Daß nah ſolchen Dispofitionen irgendwo — in der Auss
führung vielleicht auch erbauliche — Predigten gehalten ſeien, beftreiten
wir nicht. Gicht diefes aber ein Recht, dergleichen als Mufter für die
ſchuliſche Bibelausleguna druden zu laflen ?
Richt als ergiebig für die Volksſchule, fondern um feiner allge-
meinen Bedeutung willen / fei ein Artikel aus dem Süddeutſchen Schul⸗
boten (1856 Mr. 5—7) erwähnt: „Die Bibelüberfegung Luthers,
gewürdigt und mit den jegigen Bebürfniffen der Schule
72 Religions » Unterriäht.
und des Volkes zufammengehalten.” Bon J. G. Baibinger.
Der Berfaffer handelt von dem großen Berdienfte der Lutberfchen Bibel⸗
überfegung, von den Ueberfegungsfeblern und den Umftänden, welche
diefe herbeiführten,, von der Gorruption des urfprünglichen lutherifchen
Textes, von dem Fehlgriffe der Stuttgarter Bibelanftalt, die Ausgabe
Luthers vom Jahre 1545 nicht nur in den Wörtern, fondern auch in
der Biegung und Schreibung diefer unverändert beizubehalten, und mit
befonderem Nahdrude von den Hinderniffen, welche das Lefen der Schrift
bei Geiſtlichen und Weltlihen in den Ueberſetzungsfehlern und nicht
mehr verfländiichen Ausdrüden findet. Unter Berwendung ächt evans
gelifcher Sätze über das Bibellefen entwidelt er den Saß, daß es Pflicht
fei, dem Bolle die Bibel in einer möglihf vollfommenen und fehler
freien Weberfegung zu geben. In Betreff der einzufchlagenden Wege
verwirft er mit der nötbigen Begründung die Berbeflerung einzelner
Stellen, ebenfo eine volländige Umarbeitung, desgleichen das Anbringen
der Berbefferungen am Rande und unter dem Lutherfhen Terte. Er
macht den Borfchlag zu einer neuen, zum Privatgebrauhe beſtimmten
Ueberſetzung zu fchreiten, die Lutherſche Ueberfegung aber als Stirchen»
und Scuibibel beizubehalten. — — Bir empfehlen diefen nach vielen
Geiten bin für den Volksſchullehrer beiehrenden Auflag dringend, fönnen
aber in der Sade felbft die Bemerkung nit zurüdhalten, daß eine
ſolche Ueberſetzung, wie die von Vaihinger angeftrebte, doch nur in fehr
engen Kreifen dem Berfalle des Bibellefene fleuern koͤnnte.
Kirchenlied.
87. Es if deffen, was — unferes Wiſſens — das Jahr 1856
bezüglich des Kirchenliedes für die Volksſchule gebraht hat, Außerlidy
gemeflen, eben nicht viel, doch iſt Bewichtiges darunter. Bon Bedeu
tung if zunähft, daß Hupe ernfllih die Frage angeregt hat, ob die
Schule da, wo die Gemeinde noch mit den verwäflerten Geſangbüchern
der Aufllärungsperiode behaftet it, nad dem alten, Sernigen Terte zu
greifen bat oder nicht. Mit beredtem Munde hatte Thilo (‚Das geiſt⸗
liche Lied ꝛc. Seite 111—113) den Anſchluß an das Geneindegefangs
buch 1855 vertheidig. Wir müflen die ganze Etelle aus Thilo hier⸗
herſetzen, um das ganze Gewicht ſowohl des Für, als aud des Wider
fühlbar zu machen. „Manche trefflihe Männer haben gemeint, daß dem
Uebelſtande zu begegnen fei durch Feine Sammlungen für Schule und
Haus, in welden die Lieder in unveränderter Gehalt mitgetheilt werden.
Sehe man zu, ob man damit dur die Thür offener Berechtigung ein»
trete! Rod will mi es bebünfen, daß fih die Schule mit dem, was
namentlich noch zu Haufe, im Schoofe ber einzelnen Bamilien Geltung
bat und woran die Gemeinde als Ganzes fid) noch erbaut, weder durch
unzeitige Kritik in Widerftreit feßen, noch durth Bernadhläffigung in Ents
fremdung bringen dürfe. Wir bören gegenwärtig vielfach den — — —
Gedanken ausfprechen, daß die Schule, namentlich die Vollksſchule, fich
Religions» Unterricht. 73
im Unfchluffe zu halten habe mit ihrer Thätigfeit an das in GeRait von
Familie und Gemeinde fie umgebende Leben. Soll dieler Gedanke wirk⸗
ih zu Leben werden, fo hat fi die Schule in Abficht der Liederpflege
presse an die Gemeinde zu halten. Welcher Text in ibr gilt, der
wird auch für die Schule Geltung haben müflen. Wenn in der Gemeinde
eine Aenderung der Liedertegte eintreten wird, dann wird aud die Echule
zu folgen haben. — So wenig Gemeinden es ihrer Zeit baben dulden
dürfen und dulden mögen, wenn die Echule Geſangbücher mit neologifchen
Liederänderungen in Gebraud nahm, eben ‘fo wenig, fcheint es, brauchen
es Gemeinden, die fi) aus Gefangbücern mit abgeänderten Liedern ers
bauen , zu dulden, wenn die Schule die alten Terte ohne Weiteres, d. i.
obne Rädfiht zu nehmen auf das, was in der Gemeinde lebt und gift,
in Anwendung bringt. In beiden Pällen handelt die Schule nicht cons
ſervativ, fondern wird als ein Umfhwungsmittel von tendenzidien Hän⸗
den benutzt, die auch nicht die gehörigen fein können. Die Schule wird
in dem beflagenswertben Falle, daß die Gemeinde noch mit eineh Ger
angbuche von breiter Brofa und von ſchmalem Glauben helaftet if, daͤs
Joch dieſes Clendes bis auf Beflerung einftweilen in Geduld mittragen
beifen müflen. Ihr würde, nach meinem Grmeflen, es übel anfteben,
Darüber zu murzen oder eigenmächtig fi aus diefer Lage herausbringen
zu wollen. Wie e8 ehemals von den alten Liedern hieß: es iR noch
ein Segen darin! — fo if au in den neuen Liedern und felb in
den Lieberabänderungen noch ein Gegen, wenn fie in der Gemeinde noch
ein Gegenftand der Liebe und ein Ausdrud ihrer Andacht find.”
So weit Thilo.
Dem gegenüber fagt Hupe (Brandend. Schulblatt. Mais und
Juniheft 1856, Seite 858 ff.): „Die Schule fol fih im Anfchluffe
halten an das in Geftalt von Familie und Gemeinde fie umgebende
Leben; allerdings! aber darum doch nicht 3. B. Aberglauben aufrecht
erhalten, oder fih an inteflectuelle und fittliche Verirrungen anfchließen,
die in jenen Kreifen etwa im Schwange gehen. IR es denn ihre Sache,
die Sünde der Bäter heimzufuchen an den Kindern? Und if denn an
den Blaubensliedern und ihren Sängern wirklich feine Sünde gut zu
machen ? Anfchließen foll fich die Schule, ja, aber doch auch auf Beſſe⸗
rung des zukünftigen Lebens hinwirken; fie hat doch auch, wie der Vers
fafler (Thilo, Seite 107 — „Das geiftliche Lied 3.” —) fagt, Keime
zu legen und zu pflegen, die fich unter göttlicher Gunſt und Gnade nach⸗
mais weiter auszuwachſen haben; fie hat Anfänge zu begründen, Ver⸗
bindungen zu ermöglichen und Anſchließungspunkte dazu herbeizuführen ;
- He hat in Abſicht des Liedes die Aufgabe, den Blid mit feiner Richtung
auf ein Gebiet zu gewöhnen, wo Schönes, ja das Schönfte und Beſte
anzutreffen iſt. Soll der Lehrer aber Diefes, darf er dann da die
Rinder mit den wunderlih zufammengeflidten Wörtern und mit dem
verderbten Bapiere plagen, in dem oft weder Geſchmack noch Saft und
Kraft zu finden iR? Gilt denn etwa von folchen Veränderungen auch,
was der Berfaffer Seite 54 von den Erzeugniffen der Poefle ſagt, daß,
da jeder Theil durch die Idee des Ganzen auf das Deutlichſte beſtimmt
7 Reltgionß- Unterticht.
erſcheint, jedes Wort erwogen, jede Sylbe gemeſſen, jeder Laut geaicht
iſt? Hat denn auch im neuen Dresdner Geſangbuche und Conſ. jedes
Wort da, wo es Hebt, nicht bloß feinen beſten Ort, fondern feine Ges
ſtalt auch die fchärffte Beſtimmtheit und feine Bedeutung .ihren hellſten
Schein? Und wie ftehen die oben abgedrudten Ratbfchläge im Einflange
mit den andern Seite 114, daß die Schule ihre Purziebenden Bewohner,
die Kinder des gegenwärtigen Geichlechtes, mit dem Gele und Glauben
zunähft der Vorfahren in Gemeinfhaft und Zufammenbang zu bringen
babe? Die Liederbefferer find doch unfere Vorfahren hoͤchſtens nach dem
Fleiſch; follen wir nicht unfere Väter fuchen nah dem Geife? Die
Schule hat au, wie Seite 122 fo ſchön entwidelt if, zu ſäen auf
Hoffnung und die Bedürfniffe in's Auge zu faſſen, welche über das Schuls
alter binausreihen,, wenigftens binausdeuten. Und das geichieht gewiß,
wenn nicht alle Zeichen trügen, dadurch, daß fie an ihrem Theile das
Unrecht fühnt, weldes an den Sängern des Glaubens begangen if.
Bielleicht müflen allerdings die Kinder fpäter noch einige Jahre in ben
Kirchen anders lefen und fingen, als fie es in der Schule gelernt haben ;
thut nichts. Gin Waizenkorn wird nicht Iebendig; es flerbe denn. So
flerbe eine Weile, wenn es fein muß, das rechte Wort; vielleicht fommt
die Zeit, wo der Geift Gottes die Trauerafhe von dem noch immer
glühenden Funken weghaucht.“ — Möchten, fegen wir zu diefem Berichte
von büben und drüben hinzu, fih mehr ſolche Männer, wie Thilo
"und Hupe, der fraglihen Sache annehmen!
88. An derfeiben Stelle, von welcher aus Hupe bie angeführten
Worte zu und redet, geht derfelbe, Teife gegen den Gap Thilo's,
„daß für manche Seiten dem Lehrer die freie Wahl der Lieder immer
werde offen zu laffen fein,‘ polemifirend, über einen Punft hinweg, ber
uns fehr gewichtig zu fein ſcheint. Wir geben diefen mit Zhilo’s
Borten: „Jede Gegend hat ihre Dichter, die wie Bäche das Land, fo
die Trodenheit der heimathlichen Bemüthsart mit ihren Dichtungen er⸗
frifhen. Es kommt den Schulen der einzelnen deutſchen Stämme zu,
Diefe ihre Dichter zu ehren und zu pflegen. Außer den Dichtern, welche
dem evangelifchen deutfchen Geſammtvaterlande angehören, mögen ſchlefi⸗
ſche Volksſchulen die von Herrmann, Scheffler, Schmolf, Liebih, Neu
mann 2. pflegen, — — — andere Gegenden aber die ihnen anges
fammten Dichter. — Auf foldhe Weiſe wird in Blut und Adern der
deutfhen Stämme durch die Schule die eigenthümlich ausgebildete geiſt⸗
liche Poeſie ihrer Dichter kommen, die jebt nur wie ein Schemen,
ſchwarz auf weiß, auf dem Papier, unter dem Scheffel und in der Ver⸗
geffenheit ſteht.“ — Allerdings wird, wie Hupe fagt, oft genug fo
gewählt, daß man davon gequält wird. Und wollte man auch auf dent
Gebiete des Provinziellen und Stammhergebrachten die Volksſchullehrer
zu Urmählern machen, fo bätten diefe mit der Wahl auch für fi ſelbſt
mitunter gewiß rechte Qual. Aber müflen denn die Wählenden grade
die Vollsſchullehrer fein, und ift nicht auch ſchon innerbalb der adhtzig
Regulativlieder eine gewiffe Bewegung geftattet?- Daß für einzelne Kräfte
ein nod weiterer Wahlraum erwünfcht gewefen wäre, mag zugegeben
N
Religion » Unterricht. 75
werden. Thilo's fiharfe Betonung des Provingiellen. und Gtamuyen
wandten if jedenfalls ernflich zu beachten.
Bormann fagt in feinem Abſchnitte über die Kirchenliederaus⸗
wahl (Schulkunde Seite 127): „Darüber kann kein Zweifel fein, daß
in die Zahl Der auszumählenden (Lieder) vor Allem diejenigen. Lieder
aufgenommen werden müflen, welche ein Gemeingut der ganzen evan⸗
gelifchen Kirche geworden find. — — Bei den Übrigen weiter noch aus—⸗
zumählenden Liedern wird es möglich fein, infonderheit diejenigen zu
berüdfichtigen, welche in der Bemeinde, der die betreffende
Shuleangehört,,eine befondere Geltung erlangt haben. —
Der erſte Canon if unbeftritten, der zweite in feiner Wichtigkeit wohl
eben fo wenig, ale der vorher befprochene Thilo’iche, anerkannt.
89. Gegenüber dem maſſenhaften Auffpeigern der Lieder im Ge
daͤchtniſſe halt Bormann (a. a. O.) an der im Regulative vorgefchries
benen Zahl dreißig feſt. Thilo adoptirt (a. a. D. Seite 151) eine
Stelle aus Grüger: „20—30 kirchliche Lieder und Pfalmen in Allem,
genau gelernt und angeeignet nach afler möglihen Kraft, find ja wohl
eine ſchoͤnere Mitgabe aus der Schule, als die größere Zahl derer, un⸗
genau im Gedädtniffe und fremd dem Gemüthe.“ —
Es find fiberhaupt nit die alten, lieben Namen Maren, bellen Klanges,
an die ſich die hohen Behner ber zu erlernenden Lieder knüpfen.
90. Als Wegweiſer für die Behandlung des Kirchenliedes bietet
ſich Bormann in feiner Unterrichtskunde. Bei der vorausfichtlich ſehr
großen Verbreitung der Unterrichtskunde wird das, was Bormann ges
boten bat, bald feinen Segen fchaffen. Cs that eine foldhe ſchlichte
Wegweiſung noth; mit dem Kirchenliede war der Lehrſtand vielmehr ale
mit Bibel und Katehiemus auseinander gekommen. Wer eine tiefer
eingehende, dabei auch weit mehr anregende Huͤlfe begehrt, greife nach
Thiloꝰs geiflichem Liede, das zugleich mit der trefflichen Recenſion von
Hupe (Brandend. Schulblatt 1856, Mai⸗ und Juniheft) nicht genug
empfohlen werden kann. Da laͤßt ſich ſo recht aus dem Grunde lernen,
wie es anzufangen ſei, „daß ein geiſtliches Lied recht geleſen, richtig
vorgetragen, entſprechend eingeübt, heilſam erklaͤrt, von Herzensgrunde
geſungen, innerlich angeeignet, fruchtbar beherzigt, in lebendige Verbin⸗
dung mit dem ganzen kindlichen Wiſſen gefegt und baumeiſterlich ale
Bauflein eingefügt werde in das reine Heiligthum unfchuldiger Seelen.‘
Der hohe Preis des Thilo'ſchen Buches wird ihm leider auch in der
zweiten Auflage wieder viele Thüren ganz zufchließen, oder es in die
Bier» bie Sechswochen der Lefezirkel einpferchen. Auch hat Thilo — vor
dem Bertrauen, das er zu der Lehrerwelt bat, haben wir alle Achtung —
wohl feine Saiten wieder zu fehr auf den höbern Chor geftimmt. Da
mögen die Paforen als „„Mithelfer‘ zur Seite ſtehen, wenn die Uns
Rudirten vor Zenor und Balor und allerlei andern Dingen erſchrecken
und mit dem landiäufigen: „Wieder nichts für uns’ fi anfchiden, das
Bud zur Seite zu legen.
Die Literatur der Hütfsbücer zur Behandlung der einzelnen
+‘
76 Ä Keligtond - Unterricht,
Rieder Hat eine Bereicherung durch zwei neue Schriften, von Sau ze
und von Leitritz, erhalten. (Literatur: Oberſtufe D.)
91. Aus den Leipziger Blättern zc. von Hauſchild (Seite 99)
geben wir noch folgende Eäpe:
a. Jeder Fels oder Bußtag if in der Schule mit Bugrundes
Iegung eines biklifhen Textes und eines auf denfelben Tag bezüglichen
Gefangbuchsliedes vorzubereiten. Die Feſtlieder verdienen vor allen
übrigen den Vorzug: fie enthalten die wichtigften Heilsvorfchriften, find
zum größten Theile die fchönften, und, weil das Kind ihnen fpäter
immer wieder begegnet, die nachhaltigſten.
b. Kirche und Schule follten mehr Hand in Hand geben, als es
gefchieht,, fo daB wir unter den Hunderten von Gefangbudsliedern für
Kirche und Schule einen Beinen Schag durchaus populärer, d. b. beim
Volke bekannter und beliebter Lieder erhielten.“
ec. Dann fönnte die Gemeinde in der Kirche aus dem Kopfe fingen.
„Das wäre ohne Zweifel erfi der rechte Geſang, wie jeder weiß, ber
Etwas aus dem Kopfe zu fingen vermag.‘
d. Darum bat die Schule den Liederfreis nicht in thörichtem Eifer
zu erweitern. „Die Feflieder, aber diefe auch feR und un.»
verwüſtlich gelernt, find vollkommen genug. Mande Schule
directoren ſcheinen zu glauben, daß, wenn unfer Geſangbuch feit Luthers
Beiten von 100 auf fat 700 Lieder angewachſen if, feitbem auch das
Gedaͤchtniß unferer Kinder fich verfiebenfacht hat. Nicht fiebenfach, fon-
dern einem Siebe gleich if es vielmehr geworden, da heutzutage alle
Belt Iefen und fchreiben lernt und fich dadurch von felbt das Gedächt⸗
niß unendlich abſchwächt.“ — — Man Hleibe bei dem Wenigen ſtehen,
aber dieſes Wenige muß. au die Schule von der Elementarflaffe an
bis in die Prima der Gymnafien alljährlich und bei allen Gelegenheiten
wiederholen und einüben. Gin Heiner Kreis von Liederh Tehre immer
und ewig wieder. — Bei Auswahl diefer Lieder ift auf die Melodieen
Rüdfiht zu nehmen; es find diejenigen auszufchließen, welche nach fels
tenen oder fehr fihwierigen Melodieen gelungen werden.
Wir erinnern an Thilo’s Wort, daß die dickleibigen Gefangbücher
nicht die fchlechten find, und an das: „Alles if unfer!” Wer hat ein
Neht uns das ;,Alles‘ zu nehmen? Wo bleiben — wenn wir uns
mit H. auf die Feſtlieder befchränten — dann die „weiteren Bedürfniffe
für den Alltag des chriftllihen Lebens?’ Wo bleiben die Lieder,
Durch weiche Chriftenmienfchen ‚im Leben auf Wegen und Stegen, wohin
nicht gerade allemal ein Gefangbuch mitzunehmen if, den Tag in frommer
Weiſe einläuten und einleiten Tönnen, oder womit fie denfelben ber
ſchließen?“ „Wo bleiben ſolche Lieder, die auf allen Wegen den
Chriſten zu leiten und zu beben im Stande find?‘ — Der Satz c.
fußt, wie fo oft die Haufhildf hen Auslaffüngen , auf idealen Zus
Händen. Die gute alte Zeit, in der ein Pfarrer es einem jeiner Bauern
als Hochmuth verwies, daß er aus dem Buche finge, wie der Cantor,
kehrt fchwerlich wieder, und wir müßten ihre Wiederkehr bedauern, ge⸗
ſchaͤhe fie um den Preis der Antiquirung des größten Theiles unferes
Neligions » Unterricht, | 77
jehigen Liederſchaßes. Uebrigens bat der Berichterkatter in einer Ge
meinde, die des eigentlichen Grundflodes ihrer Lieder mächtig war, — und
mehr wird weder zu werlangen, noch im günſtigſten Falle zu erreichen
fein — es oft genug gefehen, daß Dieler und Iener das Buch gar
nicht erſt aufmachte. Andere hatten das Buch aufgefchlagen und fangen,
aber nicht aus dem Buche.
Wochenſpruch.
92. Ueber dieſen nur ein Kuriofum mit liturgiſchem Anklange.
Sm Medienburger Schwiblatte 1856, Nr. 2 findet ſich eine kurze Aus⸗
laffung über den Wochenſpruch. Es wird nicht nur eine ſummariſche
Austegung, -fondern auch eine ſtehende Einleitungsfrage für denfelben
und eine Zufammenfaffung des fo auseinander gelegten Inhalts in ein
Gebet verlangt. „So wird der Wochenſpruch, als ein Stüd der Schuls
mdacht, geifiges Cigenthum bes Schülers. Die voraufgehende Frage
feint mir dem Worhenfpruche fo nothwendig, wie einem Gefäße die
Handhabe und einer geometrifchen Figur der Lehrſatz.“ Beifpiele folder
ſtehenden Fragen And ihrer Antworten: „Welches if der größte Dieb-
Rabe?” — ‚Rue. 8, 12. ‚Warum follte du dich ſtets in Jeſu als
zu Saufe treffen laſſen?“ — „Matth. 11, 28—830.' — „Kann man
wohl felbft dann den Himmel verlieren, wenn man ſchon recht gläubig
it?“ — „Sal. 2, 14. 17. — „Haſt du denn auch deinen Preis,
um den bu feil biſt?“ — „Matt. 16, 26.” (— Und das für die
Unterklaſſe) — Dem Berfaffer iR am ‚Ende doch der alte, unvers
fälfgte Hühner anzurathen.
Gebet.
93. Die feſtſtehenden gottesdienftlihen Gebete follen nad
dem preußifchen Regulative Eigenthum der Schüler werden. In dem
" ganzen Sinne und Geiſte des NRegulatives finden wir aud von ber
Säule gefordert, daß fie den Schüler in das Berkändniß der ganzen
Ordnung bes Gottesdienftes und der Liturgie einführe. . Der Berichte
erfatter bat den Lehrern felbft in einem befondern Büchlein zu dieſer
Einführung Handreihung gethan, ift aber bis jetzt auf diefem Felde
wereinfamt geblieben. Mit Recht erinnerte Georgi (Brandenburger Schuls
blatt. Rov.s und Decemberbeft 1855), daß Bormann in der Schul
kunde an die Pflicht der Lehrer, die weſentlichen Stüde des liturgiſchen
Hauptgottesdienſtes zum Verſtandniſſe zu bringen, hätte mahnen follen.
„Die Gegner der Agende opponiren weit mehr aus einem Nitimar in
vetitam oder überhaupt aus Unverftand und Unkenntniß der Sache, als
aus der Mangelhaftigfeit der Agende heraus. Dem muß bei den Kleinen
begegnet werben; die Großen ind nicht zu Überzeugen. Dann werden
aus aus dem objectiven Theile unfers Gottesdienftes die Beſucher viel
mehr Gegen haben.” — „Es iſt unglaublih, wie unwiflend die Leute
darin find, und doch if diefer Umſtand für die Erbauung fo wichtig.‘
78 Religtons » Unterricht.
Auch nach diefer Erinnerung legt Bormann (Unterritsfunde Geite
124) das Gewicht allein auf das Auswendiglernen. Dabei finden wir
uns auch im Widerfpruche gegen die Weilungen Bormanne über
das Auswendiglernen. „ES wird", fagt Bormann «. a. D., „in den
meiſten Pällen von der Schule kaum eine befondere Beranfaltung zu
treffen fein, um Ddiefer Forderung (— der ‚gebächtnißmäßigen Aneig«
nung —) zu genügen. Leitet der Lehrer die Kinder dazu an, an dem
öffentlichen Gottesdienſte regelmäßig Theil zu nehmen, ermahnt er fie,
das mit Andacht zu thun, gebt er ihnen ſelbſt mit gutem Beifpiele
voran, fo leruen die Kinder die hei diefer Gelegenheit nambaft gemach⸗
ten Gebete won ſelbſt. Wichtig aber iſt e8 und durch Die bezügliche
Anordnung geboten, daß der Lehrer Nachfrage halte, wie weit jene
Aneignung erfolgt ſei. — Zwedmäßig wird es fein, dieſe Gebete bei
geeigneter Gelegenheit zum Gegenflande von Aufſchreibeübungen zu
machen. Aus einer langen Brazis heraus muß Berichterfatter gegen
Bormann behaupten, daß Kinder und felhR Seminariſten jo ex usu
die liturgifhen Säge und Gebete nicht erlernen. Und fo lange die
Jugend nicht durch eine befiimmte Interweifung in Siun.und Geif der
Liturgie eingeführt wird, Kat man im Wefentlichen fchon das, wonach
jeßt Manchen gelüftet, die deutfche Meſſe. So lange if aber au das
oft gehörte Wort: „Wenn ich nur zur Predigt komme‘, mehr als eine
Enfchuldigung der Zrägheit und Gleichgültigkeit.
94. Schulgebete, theils in Anhängen zu Katechismen 2c., theils
in eigenen Büdern, hat auch dag abgelaufene Jahr überreilich gebracht;
etwas Treffliches ift uns gerade nit hegegnet. Hupe emvflehlt (a
a. D.) dringend und vorzugsweife die Berwendung des Liedes. „Mir ſcheint
ein Lied, gemeinfam gebetet oder noch lieber gefungen, allem Undern
vorzuziehen zu fein. Wer oft in den Schulen das Beten, zumal das
freie Beten, und dabei gehört hat, daß der Mund deſſ' übergeht, weil’
das Herz leer iſt; wer es weiß, wie bes Lebens Roth und Sorge vor
und mit und hinter fo Vielen in die Schule ſchleicht, alſo, daß Die
Seele nicht geſtimmt und getrieben iſt, aus Ach felbft zu bein; mer
dann bedenkt, daß es gerade um fo mehr noth iſt, recht zut beten, menn
das Herz nicht beten mag: der weiß auch, wmas zu Diefem Behufe ein
alt gut Lied werth if, ein Lied, welches über das Leid erhebt und Die
matte Seele unwillkürlich emporträgt. Viele fingen e& vielleicht auch
nit mit Andacht, aber Einige, und das härt. fi, heraus und theilt ſich
mit. liegen von einer Schaar Bügel einige auf, fo ſchwirren fe alle
firads in die Höhe, und die fingende Seele verläßt die Welt, der Lerche
gleich, die, wenn fie fi fingend erhebt, die Waſſertropfen und dem
Staub der Exde von ihrem Gefieder fchättelt Singen iſt auch Beten,
und viele hundert Mal in meinen Leben habe ich in Schulen gewänfcht:
wenn es doch bloß bei dem Singen geblieben und das officielle Gebet
weggeblieben wäre! Die landläufigen Gchulgebete warten jo gut wie
die. Schullieder noch immer auf ihren Austreiber. Bon ſelber wollen
he " — weichen, wie die Spinnen ohne Beſen aus Schulſta⸗
en fliehen.‘
Religions - Unterricht. 79
95. An demfelben Orte erhebt Hupe, der befannterweile nicht
Bhantafietüde malt, eine erufle Anklage gegen arge, bei dem Schulge⸗
bete gangbare Mißbraͤuche. Er berichtet, daß Einer alle 800 Lieder
des Gefangbuches zur Morgenandacht der Reihe nach und unbefümmert
um die firchliche Zeit durchſingen, ein Anderer den Betvers durch Schü⸗
fer Rodend und fehlerhaft Iefen läßt, ein Dritter nach einer guten
Beile Suchens Zeile für Beile vorfpricht, ein Vierter Berfe fingen läßt,
welche die Jugend weder gefehen, noch gehört, noch beberzigt hat, ein
Sünfter vor der Andacht die Geige klimpert, Stimmen zufammenftellt,
die Tonart angiebt und heulen und fchreien läßt, trogdem Gott leiſe
hört. Hupe empfiehlt zur Morgenandacht folche Lieder, „deren Tert
und Melodie fer eingeubt, deren Inhalt oft erwogen und befinnet und
fo audy zum Inhalte der Kinder geworden if, in denen fih Alles trau⸗
ih und heimiſch fühlt.” — „Es find in des That nur wenige Lieder
zu biefem Behufe noͤthig.“
96. Yür beherzigenswerth halten wir aud, was Hupe (a. a. D.)
über das Borfprechen des Liedes bei der Schulandacht fagt. Er Ratuirt
das Borfprehen — „das brockenweiſe Sicherbauen” — nur bei klei⸗
nern Kindern oder bei ungetheilten Schulen. Er exfennt mit Zhile
ar, daß es für die Älteren Schüler die Verſtändigung und Würdigung
des Inhalts erleichtert, falls gut vorgefprochen wird, giebt aber dagegen
zu bedenken, daß die Minuten der Herzenserhebung zunähf zu etwas
Anderem da And, und daß jeder rechtfchaffene Lehrer erfahren hat, wie
Das aut behandelte Kind die Lieder oft gefälliger, inniger und durch⸗
weg beſſer fpricht, als wir Alten.
Der liturgiſchen Uebertreibungen und der gangbaren Weberladuns
gen des Schulgebets haben wir ſchon früher Erwähnung gethan.
II. Eoncentration der verfchiedenen Seiten des Religious-
Unterrichtes.
97. In feinen Leipziger Blättern (1855. Seite 91 ff.) Magt Dir.
Hauſchild bezügtih bes Religions» Unterrichte über „einen unge
henern Unterrihtefoff in der Meinen Schulſtube.“ — „Es iſt undenk«
bar, daß unfere Kinder folches Bielerlei behalten könnten. Je mehr
auf den Stundenplänen ſteht, deſto weniger findet fi in den Kinder,
löyfen und Kinderherzen, vollends ein Halbjahr nach dem Austritt aus
der Shut.” Hauſchild läßt die Behrebungen, „eine Aufgabe immer
zegleich mit deu andern abzufertigen’‘ und fo die vierfache Aufgabe des
Keligiond » Unterrichtes (— Katechismus, Bibellefon, Kenntiniß des Kir
chenjahres und Kirchenlied —) auf ein geringes Maaß zurüdzuführen,
Die Reoue paſſiren. Zunaͤchſt ſtellt Hauſchild den Katehiemus in den
Mittelpunkt und unterfucht, ob fich Bibellefen, Betrachtung des Kirchen,
jahres und Kirchenlied in ihn einfügen laffen. Die Einfügung des Bis
Gellefens in den Katechismus weiſet ex mit dem fchen 8. 79 von uns
angeführten Sahe ab. In der Berbindung des Katechismus mit der
80 Religions - Unterricht.
Betrachtung des Kirchenjahres fieht Haufhild eine Unterordnung bes
Katehismus unter das Kirchenjahr und ein unnatürliches Berreißen des
Haren und fchönen Enflemes des Katechismus. ‚Man müßte nothwen⸗
dig in der Weihnachtszeit über Weihnachten (2 Haupifl. 2 Artil.) und
bald nachher in der Ofterzeit über den grünen Donnerfag (5 oder 6
Haupſt.) und in der Pfingfizeit wiederum über Pfingften (2 Haupſt.
3 Artik.) katechifiren“ (— Wir müflen dem Berfafler beiſtimmen und
halten die ſtrenge Anlehnung des Katehismus an das Kirchenjahr,
wie wir fie bei der fchleftfchen Schule finden, für fcheinbar und gefün-
ſtelt. —) Gegen die Verbindung des Kirchenliedes mit dem Katechise
mus führt Haufchild an, daß der Katechismus an den Begriffserfläs
tungen und PBegrifiserläuterungen, fowie an den Sprüchen genug zu
lernen habe, und daß man fehwerlich noch SKirchenlieder auswendig ler⸗
nen laffen dürfe, wenn nicht Eins über dem Anderen vergeflen werden
fol. (— Benn fih an einzelnen Stellen [z. B. „‚Königlies Amt‘
und „König, dem kein König gleichet“] der Anfchluß des Liedes an den
Katehismus empfiehlt, iſt es doch angemeffener, ein in demfelben Ges
dankenkreiſe fih bemegendes Lied lernen zu laffen, als ein anderes —).
Sodann ſtellt Haufhild das Bibellefen in den Mittelpunkt. Wie
gegen das Aufgehen des Bibellefens in dem Katechismus verwahrt er
fih gegen das Aufgehen des Katechismus in dem Bibellefen, als gegen
ein Berbrödeln. Das infügen der Kirchenlieder in das Bibellefen
betrachtet Haufhild als eine Gefährdung der Schönheit und Würbe,
Herrlichkeit und Kraft gerade der meiften Kernlieder, die nicht nur von
bibliſchen Gedanken ausgehen‘, fondern auch gewöhnlich biblifhe Worte
zur Grundlage haben. „Sie erfcheinen dann wie ein matte® Echo von
Davids Saitenfpiel und der Propheten Stimme, wie ein ſchwacher
Wiederhall von unfers Herrn und feiner Jünger Heilebotfchaft, tie
Heine, aus dem Hauptſtrome abgeleitete Bächlein, während fie doch, ale
ſelbſtſtaändige Dichtungen und für fih betrachtet, deutlich zeigen, daß fle
Ausflüffe deffelben heiligen Geiftes find, welcher jene Stimmen mach ges
rufen bat, und daß fie nur in ihrer Form, weldye nothwendig das Ge⸗
präge unferer Beit trägt, von jenen alterthümlichen Zeugniſſen ſich we⸗
fentlich unterfcheiden. (— Wir finden zwiſchen Schrift und Kirchen⸗
lied doch noch einen andern Unterfchied, als den der Form, erlennen
aber das Bedenken Haufhilds als begründet an. Wir fügen noch
binzu, daß in dem von ihm angenommenen Falle fih auch die rechte
Maapvertheilung der zu Iernenden Lieder nur unter großen Unbequeme
lichteiten würde finden laſſen —). Das Kirchenjahr ganz der Bibels
lefung einzuverfeiben, hält Hauſchild fo lange für ganz natürlih und
gut, fo lange ald man unter dem Kirchenjahre nur die eigentlichen Feſt⸗
tage, Zeiertage und Bußtage verfieht. Er bezeichnet diefe Einverleibung
als eine Zerbrödelung der Bibel in mehr als fiebenzig Meine und unzu⸗
fammenhängende Stüde, wenn man jeden einzelnen Sonntag zu dem
Kicchenjahre rechnet. Gegen das fchulifche Eingehen auf die ſonntägi⸗
gen Texte führt Haufhild noch befonders an, a. daß diefe, weil oft
ſchwer und lang, zu viel Zeit verlangen; b. daß es unndthig fei, weil
— — — — — AM — SL Zu o ad __
Religions - Unterricht. | 8
ja der Prediger Sonntags eine Einleitung und Texterklaͤrung der Pre⸗
digt verausfchide; c. daß es flörend und finnverwirrend fei, weil die
Kinder oft nicht im Stande find, die Auslegung der Kirche und der
Säule zufammenzureimen und auszugleihen. (— Dazu bemerken wir
Folgendes: Ein ſolches Borbereiten, in welchem die Stellung jedes
einzelnen Sonntages im Kirchenjahre nachgewieſen würde, halten wir,
wenigftens in der Bolköfchule, für ein vergebliches Bemühen. Die
Beritoyen, wenigflens die Evangelien, kurz zu erflären und auswendig
lernen zu laſſen, halten wir mit dem preußifchen Regulative für uner⸗
laͤßlich. Es if in ihnen ein gutes Theil evangelifcher Gefchichte und
Lehre, und es find Derer gar viel, bei denen die ganze Schriftkenntniß
auf diefe Stücke befchräntt bleibt. Die haben freilih ein Weniges und
verhältnißmäßig doch noch Biel gegen Andere, bei denen der öffentliche
Gottesdienft mit feinen Altarlectionen und Tertlefungen nicht Altbekann⸗
tes immer von Neuem anfrifcht. Feſte, nicht alle drei oder vier Jahre
wechſelnde Perikopen gehören freilih dazu! Die Bedenken b. und c.
feinen uns nicht bedeutend. Die fehulifche Berifopenerflärung iR eine
andere als die der Kirche, eben fo gut, als es überhaupt ein anderes
Ding ik, zu Kindern und zu Erwachſenen lehrhaft und erbaulich zu
reden; ber Zwieſpalt zwifchen Schule und Kirche wird, vorausgefeht,
dag wir überall wirkliche Textauslegungen von der Kanzel her hören,
nicht fo zu fürchten fein, wenn man nur das, was Kinder aus der
Predigt beſtimmt und durchſichtig erfaffen und als Behnitenes beim
ringen, in feiner Wirklichkeit anficht. Das Bedenken a. dünkt uns
ernfilicher und erinnert uns an manchen preußifchen Volksſchullehrer,
dem bei dem befannten Mangel geeigneter Hülfsmittel die fogenannte
Beritopenftunde eine Angſtſtunde if. Aber wir hoffen, daß die fchreibs
fertige Zeit bald Hülfe ſchaffen wird. —) Statt der Perikopenerklaͤ⸗
rung am Sonnabende hält Hauſchild eine Montags zu veranftaltende,
eima auf eine Zeit von 15—20 Minuten fi erfiredende Predigtwie⸗
verholung für erfprießlih. Uns if auch diefe wichtig; aber Eins thun
und das Andere nicht laſſen. |
Während fo bei Haufhild Bibel und Katechismus „eiferſüchtig
über die ihnen zufommende Zeit wachen‘, treten Betrachtung des Kir
chenjahres und Kicchentied In Verbindung mit einander. SO Fefllieder,
vie Hauſchild für die Schule flatuirt, erhalten jährlich circa SO Stun⸗
den zugewielen; dieſe Stunden dienen zugleich dazu, „auf die Feiertage
und Bußtage des Jahres vorzubereiten.‘ (Bergl. $. 91 )
IV. Beftrebungen zur Zörderung des religiöfen Sinnes
überhaupt. |
98. Unter der Ueberfchrift: „Die fhulifche Erziehung zur Kirch⸗
lichkeit durch den Kirchenbeſuch““, berichtet Schuldirector Steinader
aus Weimar in den Volksſchulblättern aus Thüringen (1856. Nr. 12),
durch welches Mittel es ihm gelungen fei, im Betreff des Kirchenbeſuches
Nale, Jahresbericht. Z. . 6
82 Religions - Unterriäht.
einen regen Wetteifer unter feinen Schülerinnen zu entzänden. Das
Mittel if} folgendes. „Die auf die Frage: Wer will nächſten Eonntag
den Gottesdienft beſuchen?“ ſich Meldenden werden in ein dazu beftimmte®
Anmeldebuh geichrieben und übernehmen dadurh eine Berpflichtung,
fofern nicht befondere Hinderniffe eintreten, binfichtlih derer fie fid
durch eine fchriftliche Beglaubigung auszumweifen haben, ihr Wort zu
Halten, und zugleih Etwas, fei e8 auch noch fo wenig (Anfangs nur
Text, dann Zert und Xhema), mit ordentlicher Bezeichnung des Datums,
der Kirche und des MPredigers in ein befonderes Büchlein einzutragen.
Am nähften Montage in der eriten Religionsftunde wird dann im Uns
meldungsbuche neben dem Namen der betreffenden Schülerin deren Ans
oder Abweſenheit in der Kirche angemerft und zugleich beigefeßt, ob
und wie viel die Schülerin von der Predigt aufgezeichnet und gebracht
Hat.” Unterfiügt wird diefe Maaßregel „durch wiederholte, aber mehr
Turze und gelegentlihe Andeutungen, als durch lang ausgelponnene abs
fichtliche Beſprechungen, in den Schülern Luſt und Zrieb zum Beſuche
des Gottesdienfles rege zu machen”, und durch die für das Behalten
erforderlichen praftifhen Erläuterungen und Anmweifungen. Die Forde⸗
rungen an das Behalten find zuerft möglichft gering, fleigern fi aber
allgemach. „Jeder äußere Zwang, ja jeder Tadel der fih zum Kirchens
beſuche nicht freiwillig Meldenden oder mit mangelhafter Aufzeichnung
Erſcheinenden ift zu vermeiden. In Predigten, die wirklich weit über
die Faffungsfraft der Schüler binausreihen, wird doch ein oder Der
andere Gedanke den Kindern nahe zu bringen fein. Die leicht wahrs
nehmbare fremde Hülfe beim Abfchreiben giebt Peinen Auſtoß; Helfen
und Sichhelfenlaflen zeigt von gutem Willen und von Eingehen in Die
Sache. Um Luft und Eifer zu erregen, fpare man das Lob für
die eifrigen und aufmerfiamen Befucher der Kirde nit. Es trägt
dieſes Berfahren außer dem Eifer der Schülerinnen aud die Frucht,
daß die Aeltern, um nicht befhämt zu werden, mit den Kindern in
die Kirche geben.
99. In Nr. 13 deffelben Blattes führt Dr. Morig Schulze in
Gotha das von Steinacker angefchlagene Thema weiter fort. Mit
dem Berfahren Steinaders einverflanden, hebt er als befonders
fruchtbares Mittel, die Schüler zur Auffaffung einer Predigt zu befäs
bigen, einen far und überſichtlich geordneten , die Dispofition ſcharf
:marfirenden Katechismusunterricht hervor. Um die Schüler auch auf
ſolche Predigten zuzurüſten, in denen die Themata und Theile nicht
beſonders angegeben werden, laͤßt Dr. Schulze auch nach Beendigung
ſolcher Unterredungen, in denen er abfichtlich die Theile nicht angekün⸗
digt ımd herausgefehrt hat, Gang und Hauptgedanten wiederhoten. "Mei
„ungeübteren Anfängern‘ begnügt ib Dr. Schulze hinfichts des Wie⸗
dergebens der Predigt mit einem vorgekommenen bekannten Spruche oder
:Berfi. Bon Geübteren wird gefordert; daß ſie „Etwas von der Ausfühs
rung der Theile angeben, wenigftens die Gedanken und Wahrheiten, die
ihr Gemüth befonder& anſprechen, die auf fie befonders Eindrud ger
macht und fie erbaut haben.“ Ernſtlich tabelt es Dr. es menn
Religions = Unterricht. 83
die Schüler fih damit beanägen, die Dispofition nachzuſchreiben und
auf die Predigt dann nicht weiter zu achten.
100. Steinaders Berfahren macht einen peinlich» polizeilichen
Eindrud; manches Einzelne, 3. B. das Nichtiparen des Lobes, halten
wir für geradezu gefährlich; Anderes, z. B. die fremde Hülfe bei dem
Aufſchreiben, erregt uns Anſtoß. Es ift uns im Ganzen des Geſuch⸗
ten, des Gemachten zu viel in der Sache. Das Peinlich > Bolizeiliche
finden wir aub bei Dr. Schulze, mit dem wir darin einverflanden
And, daB Klarheit und Weberichtlichkeit des Katehismusunterrichtes (ſo⸗
wie des ganzen Meligionsunterrichtes) die bee Worbereitung auf das
Ueberſchauen und Auffaffen der Predigt find. Bon dem Auffchreiben«
faffen der Dispofition halten wir fehr wenig, am wenigfien in der
eigentlichen Volksſchule. Wir haben an ihm lange genug die Erfah⸗
tungen gemacht, von denen Balmer in der Katechetik berichtet. Im
Uebrigen halten wir Dr. Schulze's Weiſe, über Die gehörte Predigt
mündliche Rechenſchaft zu fordern, für die angemeffene; auch ſcheint es
uns mit Palmer angemefien, diefe und jene (von dem Leſer felbft
gehörte) Predigt zu ſchriftlichen Ausarbeitungen benugen zu laffen.
108. Kindergottesdpienfte und befondere Schulandach⸗
ten haben auch in dem abgelaufenen Jahre manche Empfehlung gefun-
den. Wir bericfichtigen die erfieren, ala zun ächſſt nicht in das Gebiet
des Lehrers einihlagend, hier nicht weiter. Die befonderen Schulan»
dachten, alfo niht die täglihen Anfangs» und Schlußgebete, wers
den unter Anderm in der Schrift: „Die Zukunft der Volksſchule ꝛec.“
(Eeipzig 1856. Berlag von Luppe. Ohne Namen des Berfaffers) ſehr
bereot verteidigt. Was Dir. Haufhild in feinen Leipziger Blät⸗
ten »e. 1855. Seite 111 ff. mehr fporadifch ausgeſprochen hat, wird
in dem erſten der drei in diefem Büchlein enthaltenen Geſpräche (,Die
Gottesdienfte der Volksſchule“') weiter durchgeführt. Der verehrte Ver⸗
faffer bat fi wohl vergeblich zu verbergen geſucht. Wir empfehlen
namentlich den erſten Abfehnitt der Schrift der Lehrermelt und machen
ned ganz befonders anf diejenigen Stellen aufmerffam, in denen von
dem Künflihen und zu meit Ausgedehnten der Schulgottesdienfte und
fiturgifhen Andachten, die jetzt in den preußiſchen Volksſchulen fo in
Aufnahme kommen, gewarnt wird. Dazu möchten wir noch rüdfichte
der befondern Schulandachten überhaupt die Warnung vor allzu hoch
gefvannten Erwartungen ausfprechen. Die Gewöhnung an das Baus
Goties, an den Gottesdienft der Gemeinde, ift und wichtiger, ale alle
KRindergottesdienfle und befondere Schulandachten, fo hoch mir diefe au
anfchlagen. Immerhin mag die Kirche, mie jeht fo oft gefagt wird,
die kindlichen Bedürfniffe nicht nach allen Seiten befriedigen: den tiefen
Eindrud des Heiligen und der Gemeinſchaft, diefe bis ind fypä«
tee Alter tief eingreifende Macht, giebt nur fie allein.
6’
— — nn
84 Religions = Unterricht.
V. Literatur
Für die Unterſtufe.
1. Erfied NReligionsbuh für Kinder evangelifher Chriſten. Bon
Karl Adolph Kolde. Dritte Auflage. Breslau, bei Trewendt und
Garnier 1855. (VIII u. 112 ©. Geb. 5 Ger.)
Ein waderes, namentlih in Schleflen viel gebraudtes, von uns
bereits unter „II. Unterftufe‘ mehrfach empfohlenes Büchlein. Zu dem
Inhalte der zweiten Auflage if der zufammenhängende Zert bes luthe⸗
rifhen Katechismus binzugetreten.
2. Geſchichte des Reihes Gottes in vierzig bibliſchen Geſchichten mit
angewandten biblifhen Sprüchen, Liederverfen und Gebeten. Yür die
Elementarfchule mit befonderer Rüdfiht auf die Anforderungen der drei
preußifchen Unterrichtd » Regulativen bearbeitet von D. Biſchoff, Rector
in Prettin. Leipzig 1856. Verlag von Müller.
Ein Regulativbuch, ‚aber kein fonderlihes! — Schon der Zitel
fäßt im Unklaren. Wir haben eine biblifche Gefchichte für die Unter⸗
flufe vor uns. Wir halten dafür, daß ein Lehrer (— hier ein Rec⸗
tor! —), der den Kleinen alles Ernſtes eine Gefchichte des Reiches
Gottes geben will, im Neligionsunterrichte der Unterflufe ein Fremdling
if. Der Fremdlingſchaft müſſen wir den Berfafler noch um anderer
Dinge willen beſchuldigen. Er hat, fih an die vierzig biblifche Ge⸗
fhichten fordernden „Erläuternden Beflimmungen der Königl. Regie⸗
rung zu Merfeburg‘ Haltend, vierzig Gefchichten zu feiner Geſchichte
des Reiches Gottes ausgewählt und behauptet, daß nach Jahresfriſt ein
wörtlihes Erzählen derfelben von Seiten der Kinder zu erreichen fei.
Run verlangen die „„Erläuternden Beſtimmungen“, je nach den Berhälte
niffen der ungetheilten oder getheilten Volksſchule, drei, reſp. zwei wöcente
lihe Stunden für die biblifhe Geſchichte. Aber felbft bei 3 Stunden
it das von dem Berfafler bezeichnete Ziel unerreihbar. Auch wird die
Koͤnigl. Megierung zu Merfeburg ſchwerlich einen foldhen Ausleger ihrer
Bierzigzahl als legitim anerkennen, der aus Moſe's Geburt, Flucht und
Berufung, ebenfo aus Jeſu Zaufe und der Hochzeit zu Cana, des⸗
gleihen aus dem Hauptmann zu Gapernaum und dem Sünglinge zu
Hain eine Geſchichte macht! Auf diefe Weiſe kann man freilich alles
Mögliche, möglicherweife auch eine wirkliche Geſchichte des Reiches
Gottes in die Unterlaffe hineinbringen, ohne die Bierzig zu über»
fohreiten. Zu tadeln ift ferner die an Goſſel erinnernde Häufung der
Sprühe Biel Wahl, viel Qual, und wer fi zutraut, einen Weg⸗
weifer für den Neligionsunterrichyt der Unterklafle zu fchreiben, muß fich
auch zutrauen, ſelbſt den pafjenden Spruch zu finden. Mitunter if der
Berfafler in der Wahl der Sprüche auffallend unglücklich, fo 3. B. bei
Mr. 15 im Alten Zeftamente. Daffelbe begegnet ihm bei der Wahl der
Liederverfe. Der Gefhichte: „Der Jüngling zu Nain“ und „Der
Hauptmann zu Capernaum“ ift der Vers beigegeben: „Jeſus lebt! Run
iR der Tod 2c. Eine Berbindung des Katechismus mit der biblifchen
Geſchichte Tennt der Berfaffer nicht. — Die methodifhen Winfe des
Religions » Unterricht. 85
Berfaffers And mitunter ganz unpraktiſch. Der Lehrer fol die Gefchichte
etwa zweimal mit denfelben Worten erzählen, dann abfragen, dann Gag
für Sag vorfprehen und ebenfo nachſprechen laſſen. Eine ganze, wenn
auch zweimal erzählte Gefchichte, noch dazu in ‚der uns vorliegenden
Ausdehnung, läßt fi aber in der Unterflaffe nicht abfragen, es fei
denn, daß nur die fähigern und geförderten Schüler in Anſpruch ges
nommen werden. Das allein Durhführbare ift befanntlih, nad der
erſten, auch wohl zweiten, ben Zotaleindrud bezwedenden Erzählung
einzelne Abfchnitte wieder zu erzählen und dieſe abzufragen. ine ganz
verkehrte Vorſchrift giebt folgender Sag: „Erſt wenn die Gefchichte
feſtes Eigenthum der Kinder geworden if, mag eine Befprehung behufs
des fihern Verſtändniſſes, fowie der Erwedung des fittlihen Gefühle
folgen.’' Rad) den dem Berfafler zu Gebote Rehenden Vorarbeiten mußte
er wiffen, an welche Stellen die beiden lebten von ihm ganz ungehörig
in Eins zufammengeworfenen Thätigleiten gehören. Faſt unglaublich if
der von dem Berfaffer dem Lehrer gegebene Rath, während des Erzähr
lens rubig am Pulte fiken zu bleiben und das Buch vor fih zu neh»
men. Leider gefchieht es noch allzu oft, daß Lehrer die Mühe ſcheuen,
die fie den Kleinen zumutben. Der Berfaffer fchreibt ein Regulativbuch
und hat das Regulativ nicht gelefen.
3, Lehrbuch der biblifhen Geſchichte. Kür die verfäledenen Unter-
richtöftufen der enangeli hen Volksfchulen bearbeitet von Moritz Für
er, Stadiſchulrath In Berlin. Erſter Theil, enthaltend die bibfifchen Ge⸗
chichten für Die Unterklaſſen. Berlin 1854, Verlag von Mohr u. Comp.
Abſchnitt A. enthält eine Sammlung von Sprüchen, Liedern und
Gebeten. Die Lieder, nicht allein aus dem Berliner Gefangbuche ents
nommen, haben von anderer Seite dem Berfaffer den Vorwurf des
Rationalismus zugezogen und feheinen auch uns des chriftlichen Kernes
vielfach zu ermangeln. Die Sammlung der Gebete enthält uns zu Dies
ferlei; die Kleinen werden auf diefe Weile in Teinem Gebete recht heis
miſch. Den Iutberifchen Morgens und Abendfegen, das Benedicite und
Gratias vermiflen wir ungern. Abfchnitt B. enthält eine Auswahl von
zwölf bibliſchen Gefchichten des neuen Teſtamentes. Der Berfaffer wünfcht,
daß das in die Schule aufgenommene Kind bald von Dem höre, nad
weichen es ein Ghriftenkind Heißt. Darauf folgt als eigentlicher Haupts
betandtheil des Buches eine Auswahl biblifcher Gefchichten bes alten
und neuen XTeflamentes. In diefem finden die im Prodromus ſchon
Dagewefenen biblifchen Geſchichten des neuen Zeftamentes ihre Wieder
holung und Erweiterung. — Bir halten den Abfchnitt B. im Prodros
mus nicht für unbedingt nöthig, in manchen Fällen, — da 3. B., wo
Das Schuljahr zu Oſtern anfängt — auch für unausführbar. (Daß
ein ſtrenger Anſchluß an das Kirchenjahr möglich ift, ohne den Kleinen
den Sefusnamen fern zu laffen, if in des Berichterflatters Büchlein ger
zeigt). Die Wahl der Sprücde, desgleichen die Weife des Katechismus⸗
anfchluffes ſcheinen und manches Gezwungene und Bernliegende zu ent
balten. Am wenigften befriedigen uns auch in der zweiten Sauptabtheis
fung die Liedernerfe. Es iſt zu viel defien unter den Berfen, das zum
86 Religions » Unterriht.
Vergeſſen gelernt wird. Die von dem Berfaffer hoch angeiälagene Bor
übung im Memoriren gilt uns als fehr untergeordnet. Die Diction
der bibliſchen Geſchichte ſchließt fich, fo viel thunlich ik, an den Schrift⸗
test. Das Vorwort enthält mandyes beherzigenswertbe Wort,
4 Das Bort Gottes in der Schule Ein Wegweiſer beim linter«
richte in der Religion in Elementare, Bürgers und Mädchen» Schulen und
{n den untern Slaffen höherer Schulen für die Hand der Kinder.
Nach den Anforderungen der preußifchen Megufativen vom 1., 2. und 3.
Detober zufammengeftellt von einem praktiſchen Schulmanne. Rordhauſen
3856. Verlag von Büchting. 98 ©. Ladenpreis 6 Sgr. Schulpreis bei
Einführung 3 Sgr.
Der Berfafler hat ſich nicht genaunt. Er hat wohl daran getban.
Kur weil das Machwerk ein an die Warnungstafet zu fchreibendes Res
gulativbuch ift, widmen wir ihm einige Zeilen. Es dat 17 Abſchnitte:
4. Die Gebote mit Eprüden, biblifhen Gefchichten und Liederverien.
2. Das chriſtliche Glaubensbekenniniß. 93. Das Gebet des Herrn. 4.
Die heilige Taufe. 5. Das heilige Abendmahl. 6. Bibliſche Geſchichte.
7. Die Gleichniffe des alten Teſtamentes. 8. Die Gteichniffe des neuen
Teſtamentes. 9. Die Bergpredigt des Herrn. 10. Das 13. Gapitel
des erften Borintherbriefes. 11. Morgengebet. 12. Tijchgebet vor dem
Eſſen. 13. Tijchgebet nah dem Eifen. 14. Ubendgebet. 15. Bußge⸗
bet. 16. Liturgie. 17. Der Segen. Abſchnitt 1. giebt die Haupt⸗
fäge der zehn Gebote und die Iutherifche Erklärung, zwifchen beiden
. einen Spruch, hinter des Erklärung eine biblifhe Geſchichte. Die Aus⸗
wahl der Sprüde zeigt faR durchgehend von Ungeſchick; auch theilweije
- die der Gefchichten. Abſchnitt 2. ift ähnlich behandelt, nur mit dem
Unterfchiede, daß die bibliſchen Geſchichten mangeln und die Hauptfäße
des Symbolums in einzelne Abſchnitte zerfällt find, deren jedem ein
Sprud beigegeben if. Die Art der Zerlegung und die Auswahl der
Eprüde zeigt, daß dem Berfaffer jedes tiefere Verſtaͤndniß des Katechis⸗
mus mangelt. Er tbeilt, um nur ein Beilpiel anzuführen, die Worte
„an Gott, den Vater“ (Artikel 1) in zwei Säge. Der eine: „an
Gott’ Hat die Stelle Matib. 49, 17 der andere: „den Bater‘
die Stelle Mattb. 6, 31 u. 32 zum beigefügten Spruche. Der dritte
Abſchnitt giebt den Iutherifchen Zert des dritten Hauptflüdes; zwiſchen
dem Hauptfage und den Erilärungen fleht ein Spruch, binter den Er⸗
klaͤrungen eine biblifche Befchichte. Als Beiſpiel die zweite Bitte. Spruch:
Micha 6, 85 Geſchichte: Die Königin von Saba bei Salome. Im
vierten Abjchnitte finden wir zuerft den Spruch Matth. 3, 11 und den
Zert des lutheriſchen Katehismusftüdes von der Taufe, dann die Ges
ſchichte von der Taufe des Herrn aus Matth. 3, zuletzt einen Lieder»
vers. Der fünfte bietet den Spruch Joh. 6, 35, den Text des Kates
hismusflüdes vom Abendmahl und die Einfegung des Paſſahs nad
2 Moſ. 12. Der fehle Abfchnitt enthält „Kernſtellen der biblifchen
Geſchichten des alten Teftaments mit Verschen (größtentheil® von
Möller) und Liederverien; Kernſprüche der biblifchen Geſchichte des
neuen Zeflaments mit Verschen (größtentheils yon Möller) und Lieder»
Religions - Unterridt. | 87
verſen. Beiſpiel: Ueberfährift: „Die Stiftshütte.“ Darunter! „Sechs
Tage ſollt ihr arbeiten; den fiebenten aber ſollt ihr heilig halten, einen
Sabbath der Ruhe des Herrn.” Dann ein Verochen und ein Vers
ans einem Kirchenliede. Unter der Weberfhrift: „Gleichniſſe and dem
alten Teſtamente“ bietet der fiebente Abichnitt die Stellen Richter 8,
8—15: 2 Samuel. 2, 1—14;5 Sef. 5, 1. 2 7. Der adte Abi
ſchnitt bringt auf 44 Seiten die Gteichniffe des neuen Teſtamentes.
Die iturgie in Abfchnitt ſechszehn iſt nicht vollftändig — —. Unter
den Liederverfen ift nur einzelnes Kirchlihe und Kernhafte neben viel
Berwäflertem und Oberflächlikem, unter den Gebeten fehlt der Morgens
umd MAbendiegen, das Benedirite und Gratins. Kein Vorwort, fein
Nachwort giebt Aufihluß über den Gebraud des Buches; auch aus
dem Allerweltstitel ift Nichte zu entnehmen. Auch wir fünnen dem
Schriftchen feinen Pla ausfindig machen. Die größern Schriftſtellen
lernen die Schüler aus der Bibel; eines Abdrudes bedarf ed nidt. Fin
die Unterftufe it das Ganze nach feiner Anlage unbraudbar, für die
Oberſtufe enthält e8 auch nah der Eeite des Gedächtnißſtoffes zu wenig
‚Dazu der Unverfland in der Anordnung, die überall durchfließende Flach⸗
beit, die fchnöde Hintenanfegung des evangeliihen Kernliedes. Und ein
jotches Machwerk will fi aichen durd die Regulative!
5. Sülfsbüdhlein für den erften Religionsunterricht, zunädft
für Die obere Elementarklaſſe der aflgemeinen Bürgerichule zu Leipzig bes
ſtimmt. Dritte umgearbeitete Auflage von Arnold: Die Religion bed Kin⸗
des. Leipzig 1856. Verlag von Barth.
Der urfprünglihe Zweck, Tagen die nicht genannten Herausgeber,
unfern im zweiten Schuljahre. ftehenden Kleinen durdy ausgewählte Bibels
Rellen, Liederverschen und Denkſprüche für den erften Religionsunters
richt pafienden Stoff zum Auswendiglernen zu bieten, iſt unperrückt im
Auge behalten. Die diesmal zuerft den Abihnitten „Bon Gott‘ und
„Zeus Ehriftus, feinem Sohne“ beigegebenen biblifchen Geſchichten follen
den Rindern theils das Büchlein um fo werther und den Inhalt ays
ſchaulicher machen, theild auf den eigentlichen bibliſchen Geſchichtsunter⸗
richt der nächſten Slaffen vorbereiten.” Der bibliihen Gefchichten find
aber in Summa zwei: Die Schöpfung und die Geburt des Heilandes.
Allerdings Tagen die Herausgeber, daß es des Lehrers heilige Pflicht
fei, aus den reihen Schätzen der heiligen Schrift an geeigneter Stelle
mündlich mehr mitzutheilen. Aber warum geben diefes die Herausgeber
nicht felbR? Daran wäre ein Berdienft zu erwerben gewefen, aber fein
Berdienft if an Dem erworben, was fie geliefert haben. Wir charakte⸗
ritten das Buch binfänglih durch Angabe einzelner Ueberfchriften:
„‚Borzüge des Menſchen.“ — „Gebrauche die empfangenen Gaben und
Kräfte nad) Gottes Wohlgefallen.“ — „Sei fleißig und thätig.“ —
„Sorge für Sefundgeit und Leben. — „Sei mäßig. — „Sei vorfid-
tig.“ — „Sei reinlih und ordentlich.‘ — ÜEntfprechend find auch Die
Verschen: ‚Auf Hitze trinke nie ꝛc.“ Dergleichen Reimereien werden als
geiſtliche Koft geboten. Das ift wohl die Weife des Herrn Director
Scharlach in Halle, nicht aber die poſitiv⸗chriſtlicher Schulmäͤnuer!
88 Religions » Unterricht.
6. J. Shnorrs-Bibelin Bildern. 13., 14., 15. 2 . Reipsis
Dash Berlos von Wigand. » r Sleſerunt
Rah der auf dem Umſchlage befindlichen Anzeige werden die 73
Blätter, welche aus den bis jept erfchienenen 120 eine Reihenfolge bils
den, nicht mehr unterbrochen werden, fo daß die fünf Bücher Mofis und
das Buch Joſua abgefchloffen find. Unter den vorliegenden 24 Bildern
find vier neuteftamentliche: Der Engel Gabriel verfündigt Zacharia die
Geburt des Johannes; den Hirten wird die Geburt Chrifti verfündigt;
Hirten die erfien Berlündiger des Evangeliums von Chriſto; die Anbes
tung der Beifen aus dem Morgenlande. Auch aus den neuen Liefer
rungen wird Manches von dem Schulgebrauche ausgeſchloſſen werden
müflen. Der befchreibende, einem großen Theile der Nutznießer durch⸗
aus unentbehrliche Tert fehlt dieſes Mal; eine vollkändige, zufammenhäns
gende Erflärung ift für den Schluß der Sammlung verheißen. Möchte
fie nicht zu lange ausbleiben!.
. Yür de Mittelftufe.
7. Bibliſche Geſchichte —6 für mittlere Schulklaſſen mit
einem Leitfaden zum Bibellefen und einigen Schulgebeten. Herausgegeben
von 3. G. Freihofer, Dekan und Besirksfhulinipertor in Nagold. Tüs
bingen, Verlag von Furs. 1856. 5/a Er.
Die einzige, im Laufe des Jahres 1856 uns zu Gefichte gefoms
mene, direct auf die Mittelftufe berechnete Arbeit. Leitender Grundfag
it nach dem Vorwort: „den heiligen dreieinigen Gott auf den großen
Sähritten feiner Offenbarung zu begleiten, und zu fehen, wie die Mens
fen ihm gefolgt find, oder nicht.” Die Sprade if die der Bibel.
Zum Behufe der Eoncentration find den Geſchichten Bibelſprüche und
Liederverfe beigegeben, welche die Geſichtspunkte bezeichnen follen, aus
denen die gefchichtlichen Abfchnitte aufzufaflen find. An den Hauptab⸗
fehnitten bat auch der lutheriſche Katechismus einige Handreichung ger
than, und „er möge dazu helfen, daß Geſchichte und Lehre einander
ihre Lichtſtrahlen zufenden und fih wechfelfeitig erbellen.“ — Das Bud
iſt nad richtigen Grundfägen gearbeitet, doch if uns in Beziehung auf
den Katehismus zu wenig getban. Des Geſchichtsſtoffes if ſehr viel
gegeben, 48 umfangreiche Baragraphen aus dem alten Zeftamente, 54
aus dem neuen. Wenn die würtembergifchen Mittelklaffen diefen Stoff
bewältigen, fo ſtehen fle auf einer höbern Stufe, als die norddeutfchen.
Der beigegebene Leitfaden zum Bibellefen if ebenfalls fo umfangreich,
daß er für unfere Oberklaflen überreih if. Ein Berzeichniß der auf
der Mittelftufe außer den einzelnen Berfen zu lernenden volländigen
Lieder vermiffen wir; ebenfo fehlt außer den beigegehenen Sprüchen und
Berfen jeder Bingerzeig über die weitere Verwerthung der Geſchichte.
Die Schulgebete in Form des Wechfelgefpräches find uns nicht einfady
genug. Daß der Berfaffer aus den für die Mittelllaffe beſtimmten Ges
ſchichten eine Reihe als für die Unterflaffe geeignet bezeichnet hat, Fön
nen wir ebenfalls nicht billigen. Die Unterklaffe verlangt in vielen ein»
zelnen Geſchichten einen weniger ausgedehnten Stofl. Aud if das von
Religions » Unterricht, sg
dem Berfaffer für fie beſtimmte Material ſchon nad der Zahl der Ges
ſchichten zu umfangreich.
8, Lehrbuch der bibliſchen Geſchichte. Für die verfähiedenen Inter
richtsſtufen der evangelifhen Volksſchulen bearbeitet von Morig Für⸗
bringer, Stadtiſchulrath in Berlin. Zweiter Theil; enthaltend die bibliſchen
Geſchichten für die Mittelllaffe. Berlin 1854. Verlag von Mohr u. Comp.
Bei dem großen Mangel an Hülfsmitteln für die Mitteltufe machen
wir auf diefes ſchon 1854 erfchienene Buch noch befonders aufmerffam.
Es iß in Uebereinfimmung mit den „Il. Mittelſtufe“ ausgelprochenen
Grundfägen gearbeitet. Eine Abweihung findet nur darin flatt, daß
der Berfaffer an die einzelnen Geſchichten ganze Lieder ſchließt. Die
Auswahl -der Sprühe if nicht immer glüdlih; auch gegen die Wahl
der Lieder ift im Einzelnen Manches einzuwenden.
9% Remortirfoffe als Brundlage beim Unterriht in der chriſt⸗
lien Lehre. Kür die Mittelllafle der Vollsſchule von Chriſtoph
elhun in Guntersblum. Zweite unveränderte Auflage. Darmitadt
1856. Berlag von Kern. 12 Selten. 1 Sgr.
A. Die zehn Gebote mit Dr. M. Luthers Erklärung. B. Bibele
frühe. Erſte Abtheilung: Die chriftlihe Glaubenslehre. I. Gott.
(21 Sprüde.) 11. Schöpfung und Vorſehung. (10 Sprüde.) 11. Die
Sünde. (5 Sprüde) IV. Die Erlöfung. (10 Sprüde.) V. Sittliche
Beſſerung. (6 Sprüche) VI. Das zukünftige Leben. (6 Sprüche.)
Zweite Abtheilung: Die hrifliche Sittenlehre. I. Pflichten gegen Gott.
(21 Sprüde.): 11. Pflichten gegen ung ſelbſt. (10 Sprüche.) III. Pflichten
gegen den Nächſten. (20 Eprühe) IV. Belondere Nächſtenpflichten.
(13 Sprüde.) C. Liederverfe. Einzelnes Kernhafte, viel Wafler. („Ich
bin ein Menfh; deß frew ih mid, bin befler, als das hier 2c.‘‘)
Bir wäßten mit dem Büchlein in der Mittelffaffe nichts anzufangen.
Für die Oberfinfe.
A. Bum Katechismus.
10. Bibliſches Hands und Hülfsbuch zu Luther's kleinem Kates
Kismus von Dr. Wangemann, Arhidiafonus und Seminarbirector zu ,
Gammin 1. B. Zweite Auflage. Berlin, New⸗York und Adelaide 1857.
Berlag von Wohlgemuth in Berlin. XVIn. 598 Seiten. 1 Thlr. 20 Sgr.
Die erfie 1855 erfhhienene, in unferm Jahresberichte nicht zur
Anzeige gelommene Auflage führte in ihrem überlangen Titel auch die
Borte: „fowie eine praftifhe Anweifung für den Lehrer,
wie er Den Katehismugsunterriht im Sinne der drei preus
Bifhen Regulative fegensreih für fih, und für feine
Säule frudtbar betreiben Fönne. Das Buch kündigt fih alfo
felbR als ein Megulativbuh an. Die zweite Auflage hat den Titel ab»
gekürzt, ift aber im Uebrigen im Wefentlihen unverändert. Das neue
Berwort verwahrt fi) gegen die mißverfländlihe Annahme, ‚als beab⸗
fihtige das Handbuch, ein Leitfaden zu fein, den ber Lehrer, fei es beim
Uxterrigt von Geminariften,, fei es beim Schulunterricht, ohne Weiteres.
9 Religions + Unterricht.
zu Grunde legen Tönne.” Das Bud foll eine Anleitung für die „Stws
dien“ des Lehrers fein. Der Berichterftatter bat das Mißverſtäͤndniß
getbeilt und kann nach wiederholter Lefung des Vorwortes zur erſten
Auflage daffelbe nur als ein durch den Verfaſſer veranlaßtes anfehen.
Nach einer uns früher zugefommenen und mit Dank an einzelnen
Stellen von uns benußten Vorarbeit des Berfaffers über die Saframente
baben wir das Buch mit großen Ermartungen zur Hand genommen.
Die bis ins Einzelne gebende Aufzählung der für daffelbe gemachten
Studien, desgleihen die hoch einhergehenden Worte des Berfaflers bes
züglich der für einen umfangreicheren Katechismusunterricht bereits vor⸗
hbandenen Bücher mußten diefe Erwartungen noch fleigern. Der Bers
faffer bat nämlich unter den vorhandenen Büchern feine gefunden, das
der von den Requlativen gezeichneten Aufgabe entipräbe „Man fieht
ed den meifien jener Bearbeitungen an, daß ihre Berfafer ihr ganzes
chriſtliches Lehr⸗ und Lebensſyſtem zuerſt unabhängig vom Katechismus
ſich gebildet und daſſelbe hernach mit mehr oder weniger Mühe dem Ka⸗
techismus angepaßt haben, ſo daß der Katechismus mehr den Schema⸗
tismus, als das eigentliche Lebenscentrum zu der Behandlung des vor⸗
her fertig geweſenen Stoffes darbieten mußte. Aehnlich verfuhr man
mit den bibliſchen Beweisſtellen, welche nur als vereinzelte, willkürlich
herausgeriſſene Erläuterungen der vorher völlig fertigen Ausführung als
dienende Magd beigegeben wurden, und mit den biblifchen Beifpielen
und LXiederverfen, welche nur loſe eingefugt, leßtere, mer weiß moher,
aufammengerafft wurden, fo daß der nothwendige Zuſammenbang von
Katehismus, Bibel und Gefangbuh im Religionsunterricht nur in der
Geſtalt emer bunten, unorganifirten Zufammenflellung auftrat.” Der
Derfaffer erklärt ausdrüdlih, daß er damit nur von den befjern der
vorhandenen Katechismusbearbeitungen rede. Als Die von ihm vers
glichenen, und benußten Arbeiten, alfo al® die beffern unter den vors
bandenen, nennt er fpäter die von Spener, Harniſch, Palmer,
Kur, Brieger, Bahmann, Materne, Dümiden, Jasvis,
die Petersburgs Dresdner chriſtliche Katechismusübung,
Stier, Kniewel, Zeller, Theel, Heufer und Sander, Cas—
pari ꝛc. Das vorher noch in's Unbeflimmte binein geworfene Urtheil
wird dadurch zu einem auf einen beflimmten Kreis fi erſtreckendes.
Nimmt man die beiden nicht genannten reinen Praktiker Riffen und
Aretihmar noch zu den genannten Ramen hinzu, und mit der Nach⸗
barſchaft zwifchen den bauenden Königen und den fahrenden Kärnern
es nicht zu genau, betrachtet man dabei den Berichterftatter felbft als
nicht mitgenannt, fo umfaßt die von Dr. W. gemufterte Reihe fo. ziem-
lih die gefammte Tatechetifche Rotabilität der Gegenwart. 8 ift er⸗
ſichtlich, Daß der Berfaffer felbft von feiner Schrift nicht geringe denkt.
Er bat fih zugetraut, ein neue Bahn und Epoche machendes Wert
zu liefern. |
Unfere Erwartungen find nicht befriedigt. Allerdings können wir
dem Berfaffer einen großen Fleiß, dan ganzen Bude andy einzeine
wohlgelungene Partieen nicht abſprechen, aber wir beftreiten. entſchiedeu,
Religions» Unterricht. 9
deß Die AUrheit geeignet fei, den Lehrern zu „Studien“ ein freumblicher
delfer zu fein. Im Gegenfage zu einer Recenfion von Dir. Jungs
llaaß, weiche ihr „Klarheit und Beftimmtheit in Darftellung der Lehre
und allgemein faßlihe Sprache“ nachrühmt, müffen wir zunächſt die
breite und auseinandergehende, darum .aber au die Klarheit und Bes
Rimmtbeit ſehr beeinträchtigende Darflellung entfchieden tadeln. Dazu
bewegt fih dieſelbe nicht felten in wiflenfchaftlicher Terminologie, die ben
meiſten Volksſchullehrern eine verfchloffene Thür ik. Wie fchon in dem
Gebrauche einzelner Ausdrücke, fo zeigt fih noch mehr in der Behand⸗
lung der Materie felbfi, daß die fchmale Straße ziwifchen dem, mas
mon dem Volkaſchullehrer bieten Darf und bieten muß, vielfach vers
fehlt iſt. An einzelnen Stellen in die Tiefe bineingehend, in welche die
verausgefegten Nupnießer kaum nachfleigen können, bleibt der Berfaffer
ki andern auf der Oberflaͤche. Eo wird 3. B. fchwerlih ein Lehrer
ſich darüber Mar, was unter der an zwei Stellen behandelten Eingebung
der Schrift, deogleichen unter dem göttlichen Ebenbilde, ebenfo unter
der Schriftlehre, daß der Tod der Sünde Eold if, zu verfleben fei.
Auch unnüper Spekulation begegnen wir, außer andern Orten 3. B.
in der Engellehre. Am meiften durfte von dem Berfafler erwartet werden,
daß er im Gegenfage zu Dem, was er an feinen Vorgängern fo ent
ſchieden tadelte, „Daß der Katechismus mehr den Schematismus, als das
Zebenscentrum zu der Behandlung darbieten mußte,’ etwas Neues lies
fern werde. Aber grade in dieſem Punkte ift der Verfafler hinter Mans»
dem feiner Borgänger weit zurüdgeblichen. Da ift von einem geord⸗
neten Fortſchreiten im Zerte des Katechismus oft durchaus nicht Die
Rede; der reiche Lehrkoff iR oft ganz unabhängig vom Katechismusterte
in an fich felbfifändigen Gruppen abgehandelt, denen, fo gut es ans
gebt, die einzeinen SKatechismusworte als Weberfchrift dienen müffen.
Auch ganze Maflen von Sprüchen und Liederverfen find nur „dienende
Magd.“ — Als eine befondere Schwäche fcheint uns der Mangel des
apologetifhen Elementes. Es darf diefes Anferes Erachtend in
einer für weitere Studien des Volksſchullehrers beſtimmten Schrift in
einer Zeit, wie der unfrigen, durhaus nicht fehlen. Mancherlei andere
Einzeinheiten (3. B. die Echriftausiegung), in denen Biele, die wie ber
Berichterfatter mit dem Berfaffer auf einem Slaubensgrunde Reben, Ein»
ſpruch erheben werden, mülfen wir übergehen. Rur über den dogmatifchen
Realismus des Verfaſſers fei die Bemerkung geflattet, daß er und zu
weißen jenfeils der Schrift und des Symbols zu liegen ſcheint. Wir
finden unter Anderm den Liedervers von Rift angeführt: „Die Stolzen
werden allzumal dort bei einander figen; die Säufer werden in ber
Qual den- füßen Trank ausfhwigen; den Schindern wird die Gnade
tbeuer; die Hurer wird das Höflenfeuer in Ewigkeit erhitzen.“ Der
gleichen kiegt nahe an dem fegefeuerrealismus der katholiſchen Kirche,
wie fih Diefer wamentlih in SKirchengemälden und Erbauungsbüdern
darſtellt. Auch eines Firchlich-archäologifchen Punktes von allgemeinem
Interefie fei noch gedacht. Der Berfafler leitet den Ramen „grüner
Tonnerstag” ab uea Palm 33, 2: „Er weidet mid auf grüner. Aus,‘
92 Refigiond - Unterricht.
und von den grünen Kräutern bes jüdifchen Ofterlammes. Daß biefe
hergebrachte Ableitung falſch iR, gilt unter den Seortologen als aus⸗
gemachte Sade. Da die Stelle, in welder der Berichterflatter in feiner
„Glaubens⸗ und Sittenlehre“ (2. Auflage) das Hichtige mit Angabe
der Quelle gegeben hat, unglüdlicher Weife durch Druckfehler ganz vers
flümmelt ift, die Quelle ſelbſt aber, die fhäßbare Schrift von Weis
gand, den Volksſchullehrern wenig zugänglich if, geben wir hier noch⸗
mals das Richtige mit Auslaffung der gelehrten Gitate: „Im Mittels
alter fam ber Rame „dies viridium“ (wörtlich: „Tag der Grünen‘)
auf; viridis aber ift, gemahnend an „in viridi.ligno“ (an dem grünen
Holze) Luc. 23, 21, in der mittelalterlihen Kirchen» und Kanzelſprache:
„ein grünender, der da ôn sunde ist, grun;‘‘ alfo dies viridium —
„Tag der von der Sünde Abgethanen,“ ganz entiprechend der für Grüns
donnerstag üblichen mittelhochdeutfchen Benennung der antalz tac —
Tag des Sündenerlaffes, d. i. Tag, an welchem die öffentlichen Büßer
von ihren Vergehungen und Kirchenftrafen entlaffen oder losgeſprochen
und wieder in die Gemeinfchaft der Chriften aufgenommen wurden, um
zum heiligen Abendmahl zugelaffen zu werden. Diefe Handlung aber
war eine Haupthandlung am Gründonnerstage, als dem Einfehunge-
tage des heiligen Abendmahles. In der deutfchen Weberfeßung von
„dies viridium“ nun: der grüne Donnerstag, welcher wir zuerfl
bei Luther begegnen, fellte man den bauptwörtlihen Genitiv viridium
attributin (beimörtlidh), wie in dem mittelhochdeutfchen Ramen der gröze
dunrestag, und trug gleichfam die Benennung der als fündenlo® wieder
aufgenommenen Büßer auf den Tag der Wiederaufnahme, welcher fünden-
108 machte, über. (Weigand. 3. Band. ©. 1198.)
Gar viel haben wir gegen denjenigen Theil des vorliegenden Buches
auszufeßen, der ale „Praktiſche Winke“ für den unmittelbaren Schul⸗
gebrauch berechnet if. Eine folche Weitfchweifigkeit, ein fo weitgezogenes
Serbolen, ein ſolches Sunderterlei und Taufenderlei ift nimmermehr die
einfahe, fatehetifhe Behandlung, welche das Regulativ for⸗
dert. Das if Die alte, übelberüchtigte Katechifirkunft, freilich im Dienfte
des Evangeliums. Aber das Evangelium bedarf ihrer nicht. Bon
Neuem if dem Berichterftatter an diefen „Praktiſchen Winken“ recht deut»
lich geworden, wie wenig dem Lehrer überhaupt mit folchen, wenn audy
noch fo fehr ins Specielle gehenden „Winken“ geholfen il. Eine
einfache Zuſammenſtellung des Stoffes, wie fie Bo cd im fchlefifhen Schul⸗
blatte giebt, oder ein in Frage und Antwort gefaßter, tüchtiger Kate⸗
chismus leiflen ganz andere Dienfte.
Endlich müſſen wir mit dem Verfaſſer noch rechten wegen feiner
ftellenweife überderben — um gelinde zu reden — Ausdrudsweife.
Auch in der zweiten Auflage (Seite 192) läßt der Berfafler den Lehrer
alfo zu den Schülern reden: „Wie oft erlebt man’s, daß wörtlich eins
trifft, was der Lehrer diefen unnüpen Rangen vorher gefagt hat.‘
Mehr Anführungen aus diefem Gebiete, die uns zur Hand find, unter-
laffen wir. Wir follten doch ja die neumodifche Kanzelpopularität, wie
fie bin und ber jept bis ins Barode und Unedle hinein gangbar wird,
Religions » Unterricht. 93
sit nachahmen, am wenigften in einem Buche, das für „Gtubien’ des
Lehrers beſtimmt if. Und je gottgefegneter die ganze Perſoönlichkeit
eines Seminardirectors in feinem Kreife dafteht, je mehr ganze Lehrers
generationen einen beflimmten Typus von ihr empfangen, — wir denken
und den uns perfönlih und nach feiner Lehrerwirkfamfeit unbelannten
Dr. Bangemann nah dem Eindrude, den fein fchriftflellerifches Wirken
macht, als eine folche, — deſto gefährlicher ift die maßlofe Bopularität.
Bir find dem Verfaffer, der uns Hoffentlich bei allen Differenzen
als einen von Denen anerkennen wird, die in Kirche und Schule mit
ifm nach einem Ziele zuftreben, ſchuldig geweſen, uns offen und ohne,
Unſchweif fiber feine Schrift auszulaffen. Wir wünſchen, daß die reiche
ſchriftſtelleriſche Thaͤtigkeit, die ex feit einigen Jahren entfaltet, und fein
Doppelamt in Kirche und Schule ihm Muße laffen, grade feinem „Hand⸗
und Hülfsbuche” immer von Neuem feine Thätigfeit zugumwenden. Wir
find der feften Ueberzeugung, daß eine eingehende Umarbeitung feines
Buches den gewiß ſchon jetzt auf demfelben ruhenden Segen noch reich⸗
lich mehren wird.
11. Evangelifhe Katechismuslehre. Kin Leitfaden beim Schul⸗ und
Gonfirmandenunterrihte zur Erklaͤrung des Rutherifchen Meinen Katechis⸗
mus nad dem in der Provinz Sadfın eingeführten Barlebener (!
Spruchbũchlein für Geiſtliche und Lehrer. Beurbeitet von —X
Moritz Rode, Paſtor. Leipzig, Verlag von €. H. Reclam sen. 1856,
VIII und 247 Seitm. 24 Ser.
Ein Bu mit dem doppelten Zwede, Entwürfe des Lehrfloffes und
Anleitung zu gründlichern Studien des Lehrers zu geben. Den erflen
Zweck Hat der Berfafler fo gut erreicht, als es das in der Provinz
Sachſen weit verbreitete, dabei aber für den Schulgebrauh in mancher
Beziehung untaugliche Barleber Spruchbuch geflattet. Eine Menge Aus-
Reflungen, die wir an dem Buche machen mäßten, werben durch den
Semmichub , der in diefem Spruchbuche ihm angelegt ift, zurüdgehalten.
Nach der zweiten Seite hin, als Anleitung zu weiter gehenden Studien
bes Lehrers, Hat die Schrift wenig Bedeutung. An „Entwürfen
bes Lehrſtoffes“ laſſen fih eben keine befonders weitgehenden Stu⸗
dien machen. Das fich trogdem einzelne trefflihe Expofitionen finden, .
erfennen wir gern an. Manche einzelne Unrichtigkeit iſt uns aufgefallen.
„Bie‘ in dem Satze: „wie wir vergeben unfern Schuldigen” er
Märt der Berfafler: „Mash, nah welchem, Bedingung, unter
weicher dieſe Bitte gewährt, erfüllt wird. Maaß und Bedingung ifl
zit daſſelbe, und am allerwenigften kann hier von einem Maaße die
Rede fein. Es fände ſchlimm mit uns, wenn Gott fein Vergeben nad
dem unfrigen meffen wollte. Offenbares Unrecht thut der Berfaffer in
der Abendmahlsichre der reformirten Kirche. Was er von der refors
mirten Kirche fagt, trifft die orthodoxe reformirte Kirche nicht. Bet ber
Nathloſigkeit, in weiche viele Lehrer durch das Barleber Spruchbuch ver
fept And, wird das Buch bei aller feiner Dürftigkeit fein Publicum
finden und für Diejenigen, welche anderweitige ernſte Arbeit nicht fcheuen,
auch gute Dienſte für die Anordnung bed Materials leiſten. Schließ⸗
=
94 Religions » Unterriät.
lich noch eine Frage an den Berfaffer: Hielt er es nicht für feine
Pflicht, diejenigen Katechismusausleger zu nennen, deren Arbeiten er
benugt hat?
12. Leitfaden für die Hand des Lehrers beim Gebrauche des
Lutherifchen Katechtsmus, insbeſondere des Barlebener (!) Spruch⸗
buches von Ludwig Kalklöſch. Langenſalza, Schulbuchhandlung des
Thüringer Lehrervereins. 1856. 15 Ser.
Wieder ein Verſuch, die Säge des Barleber Spruchbuches fläfftg zu
machen, ein folcher, der dem Rocke'ſchen noch weit nachſteht. Wer
es unternimmt, mit feinem eigenen Leitfaden neben einem übelberathens
den Leiter einherzugeben, müßte wenigflens, foll er anders zum Leiters
geihäft berechtigt fein, auf dem Terrain gehörig orientirt fein, um die
Ums und Abwege feines Nebenmannes geeigneten Ortes grade legen zu
fönnen. Diefe Orientirung fehlt unferm Verfaſſer. Daher die überall
durchblidende Unklarheit und Unficherheit. Beifpiel: Wir lefen: Dae
Spruchbuch behandelt in der Einleitung das Wefen der Dffenbarung,
im Ullgemeinen durch Natur, Gewiſſen und Gefchichte der einzelnen
Menfhen (und ganzer Völker), und im Befondern durh Propheten
und Chriftus, deren Wort und Lehre wir finden in der heiligen Schrift,
die man theilt in das alte und neue Teftament oder in das Geſetz und
Evangelium.’ So fept der Verfaffer „altes Teftament‘ und „Geſetz“
ohne Weiteres als gleichbedeutend. Unmittelbar darauf beißt es: „Das
erfte Hauptſtück bandelt vom Geſetze.“ Zeile 1 derfelben Seite aber
ſteht: „Das erſte Hauptſtück zerfällt in die zehn Gebote und den Schluß
derfelben.” Altes Teſtament, Gefeß, Bebngebote find alfo daſſelbe. Die
Berwirrung ift denn doch zu groß. Nah diefem wirren Gingange
fpricht der DVerfafler, ohne irgendiwie den Zufammenbang der neuen Ges
dankenreihe mit dem Vorhergehenden zu vermitteln, und zwar in einem
fa wörtlih aus der „Glaubens⸗ und Sittenlehre“ des Berichterflattere
(Seite 6 u. 7) entiehnten Sage von der Notbwendigfeit der göttlien
Dffenbarung, dann an die Sprüde des Spruchbuches berantreiend,
wieder von der Offenbarung im Allgemeinen und im Befondern.
Da wird denn das in der beobachteten Reihenfolge die dritte Stelle
einnehmende Medium der Offenbarung im Allgemeinen, die Geſchichte
einzelner Menfchen und ganzer Völker an der Hand der Stelle
Apoſtelgeſchichte 14, 17 fehr einfeitig als die Segnung mit äußerlihen
Gütern dargefellt, während es ein Leichtes war, durch wenige &äße
den Mangel des Spruchbuches zu ergänzen. Es ift überhaupt ein küm⸗
merliher Begriff von Offenbarung, den der Berfafler zu Tage fördert.
Mit der Stelle Micha 6, 8 hat der Verfaſſer nichts Rechtes anzufangen
gemußt. — — Außer der Unflarheit und dem Mangel eigener, gründ⸗
licher Kenntniß charakterifirt den Berfaſſer die den Katehismusauslegungen
einer gewiflen Periode anhaftende Gigenthümtichkeit, die Auslegung des
erften Hauptflüdes und des erſten Artikels recht gemählih in die Länge
und Breite auszudehnen, bei den folgenden Stüden fie aber immermehr
zufanmenfchrumpfen zu laſſen. — — Bir hätten noch viele erhebliche
Ausftellungen zu machen, 3. B. über die Zuthaten au Sprüchwoͤrtern,
Religions - Unterriht. 95
Beröchen, die Verweifung auf Kinderfreundgeichichten, vornämlich über
die Schriftauslegung; es mangelt uns der Raum. Der in dem Vor⸗
wort ausgefprochene Satz, daß das Katechismuswort mehr als hisher
zum Leitfaden des Meligiondunterrichtes zu machen fei, ift der rich
tige. Zur Ausführung beffelben in einem wegmweilenden Bude iſt der
Berfaffer wohl nicht der Mann. Das Buch if durchaus nicht zu
empfeblen.
13. Edulfatehiämus, das iſt der Meine Katechismus Lutheri in Frage
und Antwort erflärt und mit Bibelfprüdhen und Liederverfen verfehen von
F. W. Huli, Pafor. Glogau 1856. Verlag von E. Zimmermann
VI und 188 Seiten. 6 Sgr. x
Der Bwed des Buches iſt nad dem Vorworte: „den gefammten
religiöfen Stoff, welcher unfern Kindern bis zu ihrer Confirmatian zu
eigen zu machen if, zu einem Ganzen zu vereinigen.” Darnach fol
dad Buch fein: 1) ein Spruhbud (auf eine vierflaffige (?) Schule
berechnet) ; 2) ein Geſangbuch (50 Lieder); 3) ein Gebetbuch —
„die meiften der den einzelnen Abfchnitten beigegebenen Verſe haben bie
gorm des Gebets;“ die Iutherifche Hausordnung und die Riturgie find
ebenfalls beigegeben; 4) ein Zingerzeig für die biblifhe Ges
Ihihte und das Bibellefen. ‚Natürlich kann die bibliſche Gefchichte
niht nach dem Gange der Anführungen im Katechismus, fondern fie
aus ſelbſtſtändig, chronologifh gelehrt werden; allein fobald die Haupte
jahen derfelben den Kindern bekannt find, muß fie unabläffig an der
Heilslehre des Katehismus wiederholt werden.‘ 5) Ein Leitfaden
des Eonfirmandenunterrihtes, „Dem die zufammenhängende
Eutwidelung der Heilslehre obliegt.‘ — „Groß ift jedenfalls der Rupen,
wenn auch die Auslegung des Katechismus ſchon den Schulfindern in
Händen ift, und ihnen durch Lefen und gelegentliche Betrachtung befannt -
wird. Es findet fo eine fletige und wahrhafte Vorbereitung auf ben
&onfirmandenunterricht ſtatt.“ Darnac gehört alfo des Berfafler zu
denen, welche die Katechismusauslegung ganz in den Confirmandenunters
richt gelegt wiffen wollen. Seine Fingerzeige über biblifche Gefchichte
und Bibelleſen (vergl. die oben angeführte Stelle) beziehen fich alſo
auch nur auf den Eonfirmandenunterriht. Gewiß koͤnnte es nur heile
iam fein, wenn biefer weiter, als jetzt meiftens geichiebt, ausgedehnt
würde. Der Verfaſſer gehört aber auch zu denen, die auf dem Gebiete
der Schule nicht heimiſch ſind. Was verfieht er unter dem Lefen und
der gelegentlichen Betrachtung des Leitfadens des Confirmanden⸗
unterrichte® feitens der Schulkinder? Das foll eine „flete und wahr»
bafte Borbereitung”’ auf den Gonfirmandenunterriht fein? Oder hätten
wir ihn mißverflauden und wäre Diefes „Leſen und dieſe gelegentliche
Betrachtung“ etwa gar. die in den Kreis der Schule fallende Katechis⸗
musauslegung? Eins fo ſchlimm, als das Andere. — Die Katechismus⸗
ausiegung fetbft iſt meiftens verfehlt. Die Kragen und Antworten laufen
oft in willkürlichen Peripherieen, faum bier und da den Satechismuss
tert berührend, umber; für eine einfache Wort« und Sacherklaͤrung if
an vielen Stellen wenig gethan; dazu viel todtes Vegriffsweſen: Viele
96 Religions - Unterriäht.
einzelne Berfe find nicht aus den 80 Liedern. — Wir legen ganz ent
ſchiedene Verwahrung gegen einen ſolchen Schulkatechismus ein.
14. Dr. Martin Lutber”s kleiner Katehismus. An Fragen und Ant⸗
worten erflärt für Jung und Alt von 8. H. Eadyart, evangelifchsTuthes
riſchem Bfarrer in Münden. Erlangen bei Bläfing 1856. Thlr.
Wir machen vorläufig auf die lange erwartete, bis jebt nichtamt⸗
liche Vorlage des neuen bayeriſchen Landeskatehismus aufmerffam und
behalten uns ein genaueres Eingehen auf denfelben bis zum Erſcheinen
der zu ihm gehörigen „Sammlung von Denffprüden und Liederverfen
zum erflen Unterriht für Kinder nach dem Vorgange des Geilerifchen
Katehismus‘ vor. -
15. Einfahe Erflärung des kleinen Katehismus Dr. Rartin
Zuther’s, in Fragen und Antworten verfaßt und mit Zeugnifien der
heiligen Schrift derfehen. Zum Gebrauch beim Schuls und Konfirmanden-
unterriht. Bon Hermann Geebold, Superintendenten und Primarlats
pfarrer zu Diepholz. Zweite verbeflerte Auflage. Göttingen. Verlag von
Vandenhoek u. Ruprecht. 1856. VIII u. 148 S. 5 Ger.
Einer der tüchtigſten Katechismen der lebten Jahre Möchte es
nur dem Berfaffer gefallen, bei einer neuen Auflage noch mehr von
dem Iutherifchen Texte auszugehen, und aud das Kirchenlied und chriſt⸗
liche Gefchichten zu verwertben. Ausdrüdlich fei bemerft, daß der Ge⸗
brauch des Buches firebfame Lehrer und eine gehobene Schule vorausiept.
16. Luthers Katehismus für Schule und Kirche, ausgelegt von
R. Neflelmann, Prediger wu St. Marten in Elbing. Elbing bei Neu⸗
mann «Hartmann 1856. 95 ©. 4 Ger.
Das Büclein eines Mannes, den Taufende fegnen , die vergeblich
nach feinem Ramen geforſcht haben, nämlich des Berfaflers des von dem
chriſtlichen Bereine im nördlichen Deutfchland herausgegebenen Buches:
„Der evangelifhe Glaube, dargeftellt und vertheidigt in
Briefen. Die vorliegende Schrift if nicht in Fragen und Antworten
abgefaßt, fondern eine fehlichte, am Zertesworte hinlaufende Auslegung.
Sie ift nah dem Borworte „durch die wiederholten Bitten vieler Lehrer”
veranlaßt. Möchten nun auch recht viele Lehrer nad ihr greifen. Auf
wenigen Bogen liefert uns der Verfaſſer einen reihen Schatz. — Bei
einer zweiten Auflage wünfchen wir auch der Verwerthung des Kirchen.
liedes und der dem Berfafler befanntermaßen fo reichlih zu Gebote
ſtehenden „chriſtlichen Geſchichten“ zu begegnen. Ob die Ueberfhrift
Seite 58 „Vom Geber des Heils“ dogmatifch richtig fei, wolle der
Berfafler nochmals prüfen.
17. KRatehismus der Krifffihen Lehre im Sinne der evanges
ftfhen Union, entworfen von einem Geiſtlichen des Herzogtbums Une
halt⸗ Bernburg. Bernburg. In Eommiffion bei Gchmelger 1856. VIII
u. 96 ©. 6 Ser.
Der Berfäfler hat fich nicht entfchließen können, -zu einem der alten
Confeſſionskatechismen zurüdzutehren, weil der ausfchließlihe Gebrauch
bes einen oder des andern ein Sinderniß der voländigen Union if.
„Aber er bat die fünf Hauptflüde wieder mehr, als in einer nicht lange
Religions Unterricht, 97
vergangenen Zeit üblich war, zu Grunde gelegt und an wichtigen Rubes
punkten und in den Anmerkungen die Sauptftellen ber confeffionellen
Katechismen beigebracht, und hofft ſo — — von der Spur des öffent-
lien und allgemeinen Katechismus der unirten evangeliſchen Kirche, den
wir noch nicht haben, ſich nicht zu weit entfernt zu haben.’ Voran⸗
geſtellt ſind die fünf Hauptftüde nad ihrem Zufammenhange im Heidel⸗
berger Katechismus. Auch fonft find die Eintheilungen des Heidelberger
Katehismus, „der vor der Union in Anhalt länger als 200 Jahre
das gebrauchte Lehrbuch gewefen iſt,“ beibehalten. Damit ift der Chas
rafter des Buches, ein reformirter Grundtypus bei forgfältigem Vor⸗
übergehen an dem ſpecifiſch Eonfeffionellen, wohl ſchon angedeutet.
18. Dr. Mart in Luther's kleiner Katechtsmus, durch Frage und Ant⸗
wort erläutert und mit angeführten Spruüchen heiliger Schrift bekräftigt.
Nah dem Dresdner (Kreuzs) Katechismus bearbeitet von einigen lutherifchen
Paftoren der Preuß. Landeskirche. Fünfte Auflage Wittenberg 1856.
Berlag von Mohr. 138 S. Sede Geb. 33/4 Ser.
Seit 1854 die fünfte Auflage. Wir flimmen dem Borberichte,
der das Büchlein als lauteres Bekenntniß der reinen Tutherifchen Lehre
bezeichnet, gerne bei; mit den Forderungen der Gegenwart an einen
Schulkatechismus find die Berfaffer nicht befannt. Die zahlreichen Lehrer,
welche nach dieſem Büchlein unterrichten, werden in feiner flarren Form
Hinderniffe genug finden, das Gegebene in Fluß zu bringen. Das
Ganze ſcheint auf bloßes Ausmwendiglernen angelegt zu fein.
19. Der Meine Katehismus Lutber’s, erläutert durch Bibelſprüche,
fhriftmäßige Ehrifteniehre, Erzählungen aus dem Neiche Gottes und geiſt⸗
liche Lieder. Gin Lern» und Erbauungsbuch für Schule und Haus von
D. 8. F. Kühler, Schullehrer. Zweite Auflage. Hamburg. Agentur
des Rauben Haufes 1857.
Keine Katehismusauslegung in der gewöhnlichen Weile, fondern
ein Sammelwerf, das, mie der Titel angiebt, gar Vielerlei beibringt.
Bon einem verfländigen Lehrer kann das Buch zur Katehismusauslegung
gar wohl benugt werden. Manche Perle ift darin. Daß es fih aud
zum Schullefebuch eigne, wie der DVerfafler meint, bezweifeln wir.
20, Der kleine Katechiomus Dr. Martin Luther's. Als Handbüch⸗
fein zur chriftlihen Haus» und Schulandadt und zum Confirmanden⸗
unterricht nad der heiligen Schrift bearbeitet nebſt Zeittafeln, Untericheis
Dungslehren, Gebeten und Liedern. Der evangclifchen Gemeinde, Schule
und Familie in Liebe dargeboten von der Kreisſynode Halle in Weſtphalen.
Zweite Auflage. Bielefeld 1855. Berlag von Delbagen und Klafing.
Ginzelpreis 6 Ser. .
Als Probe aus diefem wunderlichen, den Katehismus in fortlaus
tenden Sägen behandelnden, unter den Striche mit Fragen begleitenden
Buche diene folgende Stelle:
„37a. Das adhte Gebot lautet alfo: Du folk kein x.
57 b. Das if: Wir follen a) Gott fürdten und lieben, — daß
wir b) unfern Naͤchſten nicht fälfchlih belügen, verratben, afterreden
oder bölen Leumund machen, — fondern cv) follen ihn entfchuldigen,
Gutes von ihm reden und Ale zum Beften fehren.
Rage, Jahresbericht. X. 7
“
98 Religions = Unterricht.
58. Das achte Gebot handelt von der Gefinnung der Falſchheit
und der Pflicht der Wahrhaftigkeit.
59. Bir begeben die Sünde gegen das achte Gebot, wenn wir
vor Gericht oder im gemeinen Leben wiflentlich etwas Falſches gegen den
guten Ruf unferes Nächſten ausfagen und durch Lüge feine Ehre und
die Liebe gegen ihn vertilgen.” — Run folgen die drei Sprüde Ephef. A,
25. 29; Joh. 5, 20; Joh. 8, 44 ausgedrudt und in Klammern vier
bibliſche Beifpiele, und damit ift das achte Gebot abfolvirt.
Unter den Striche ift zu Iefen: „57a. Wie lautet das achte Ges
bot? 57b. Was ift das? 58. Wovon handelt das achte Gebot ?
59. Bann begehen wir die Sünde gegen das achte Gebot? - [Führe
bibl. Beifpiele an zum 8. Gebot! ]'" Die Synodalen zu Halle in Wefts
phalen erinnern an Bater Hübner und das Jahr 1714.
21. Dr. Luther's Meiner Katechtsmus, herausgegeben von Dr. K.
A. Weidemann, Herzogl. S.:Meining. Schulrathe. Dritte Auflage.
Saalfeld 1856. Verlag von Nieſe. VIu. 2126. 6 Egr.
In fortlaufenden Sägen, nicht in Zrage und Antwort, zugleich
für den Lehrer und den Schüler. Für den lepteren „als Sprud und
Gedenkbuch.“ In Beziehung auf den Lehrer fagt der Berfafler im Bors
worte: „Ihren Inhalt (— nämlih der Erläuterungen —) muß fid
der Lehrer zunächft felbft zum klaren Verftändniß bringen und zu feinem
freien Eigenthum machen; dann fol er darüber zu den Schülern ſprechen
und fie auf den Sinn der Baragraphen in einfacher, aber lebendiger Rede
binweifen, bis auch dieſe ihn erfaßt haben. Wir bulten dafür, Daß
ein Buch mit foldem doppelten Zwede immer etwas Mißliches babe.
Uns ſcheint für die Schüler ein befonderer Katechismus in Fragen und
Antworten unentbehrlih. Durd eine Einrichtung, wie die des vorlie⸗
genden Buches, das manche trefflihe Partieen hat, wird das Katechis⸗
muswort zu fehr bedeckt und überfchüttet, auch das Bedürfnig der Schüler
zu wenig berüdfichtigt. Unter den Anhängen findet fih auch ein Ver⸗
zeihniß der zu lernenden Pfalmen (15) und der Kirchenlieder (40).
22. Dr. Martin Rutber’s Fleiner Katechismus mit angedeuteten bib⸗
liſchen Stellen, bibliſchen Beifpielen und geiſtlichen Liedern für Kinder
in Stadt» und Landfehulen. Don Karl Purgold, evangelifhen Paftor
in Ziegenort bei Stettin. Siebente Auflage. Greitswalde 1856 bei Rod.
4168. 3 Exr.
Für die Schüler Tert des Statechismus, hinter jedem Katechis⸗
muoftüde eine reiche Anzahl biblifcher Stellen, biblifher Beifpiele und
Angabe von Liedern. in Anhang giebt Folge und Inhalt der bib⸗
liſchen Bücher, ein zweiter giebt die Abſchnitte der heiligen Schrift ale
Leitfaden für den Unterricht in der biblifchen Geſchichte, ein dritter Ge-
bete und Lieder für Kinder und die chriftlihe Haustafel. In der Hand
der Schüler mag das Buch gute Dienfte feiften; einer genauern Beur-
theilung entzieht es fih uns, da ung die umfangreichere Katechismus⸗
erftärung deſſelben Berfaffers, aus welcher es nur verſtaͤndlich ift, nicht
vorliegt.
/
Religions = Unterricht. 99
B. —— zur Behandlung des kleinen Lutheriſchen Ka⸗
techizmus in der Volksſchule innerhalb 75 Lehrſtunden, mit Räckficht auf
die drei preußifchen Regulative herausgegeben von E. 4. ©. Soffınann,
zweite Diaconus und Garnifonsprediger zu Wittenberg. Wittenberg bei
Zimmermann 1855. 5 Ser.
Seder der 75 Abfchnitte enthält 5 Stüde. 1) Stoff; 2) Behand»
lung; 3) Sprüche; 4) Angabe des Liedes; 5) Angabe der Bibellection.
Es if viel Arbeit in dem Buche, aber viel Einzelnes, namentlih in
2, audy in der Liedernertbeilung bekundet den Verfaſſer eben nicht als
glüdiihen Braktifer. Wir können dem Buche keinen großen Wert
zuſchreiben.
24. Elementariſche Katechetik, mit Anwendung auf den klei⸗
nen Zutber’fhen Katechismus, von Dr. W. J. G. Curtman,
Director des evangeliſchen Schullehrer⸗Seminars in Friedberg. Darmſtadt.
Verlag von Diehl. 1856. IV u. 144 S. 8 Ser.
Im Borworte heißt es: „Was die Zöglinge des hiefigen Seminars
nachzuſchreiben pflegten, was ich denfelben als Präparation zu ihren fas
tehetifchen Berfuchen lieferte, das iſt mit geringer Weberarbeitung in
den Drud gegeben.” — „Wohl auch mander junge Lehrer dürfte fi
nicht zu fchämen haben, wenn er das Büchlein feinen Katechifationen zu
Grunde legte. Zuerſt giebt der Verfaffer unter der Ueberſchrift „„Eles
mentarifche Katechetik“ eine Reihe theoretifher Anmweifungen, wie wir
fie vor Jahren auch in den preußifchen Seminaren zu geben gewohnt
waren. Dann folgen analytifche Katechifationen über den ganzen Luthe⸗
riſchen Katechismus. Diefe fheinen uns noch zu viel mit der alten fas
tehetifchen Kunft gemein zu haben. Es if uns noch zu viel Umfchweif,
zu viel Zragewefen, zu wenig grader, furzer Weg. Daß wenig Sprüde
und Liederverje benupt find, erflärt der Verfafler daraus, dag in dem -
Alter, für welches die Katechifationen gefchrieben find, auf ein beſtimmtes
Maaß von memorirten Sprüchen und Liedern noch nicht zu rechnen iſt.
Es jollen nämlich die Katechifationen unter drei Kurſen des Fatechetifchen
Religionsunterrichtes den erflen bilden. Für den zweiten Kurfus fchlägt
der Berfaffer Kretfhmars furz gefaßtes Handbuh (Zwickau 1854),
für den dritten Niſſen vor. Sn manden, in der geit befchränften
Schulen foll nah dem Urtbeile des Berfaffers das vorliegende Büch⸗
lein die Behandlung des Lutherifchen Katechismus ganz vertreten. —
Unfere unter „I. u. 11.‘ dargelegten methodifchen Grundfäße find wes
fenttih andere als die des berühmten und hochverdienten Verfaflers; wir
fönnen uns eine von Lied und biblifcher Geſchichte Losgelöfte Katechis⸗
musauslegung nicht denken, auf welcher Stufe fie auch auftreten mag.
25. Der kleine Katehiamus Luther's, ans fich felbft erklärt, wie aus
der heiligen Schrift , namentlich ihren Geſchichten erläutert; von M. Albert
Sigismund Jaspis, Königl. Generalfuperintendent der Provinz Poms
mern. Ausgabe B. Abgekürzte und mit andern DBellagen verfebene
Ausgabe der von dem Verfaſſer in eben demſelben Berlage erfchienenen
Katechismuobearbeitung. Dritte Auflage. Elberfeld 1856. Berkag von
Saflel. Geb. 5'/a Sgr.
26. Der Meine Katechismus Luther'o, aus fih felbft erflärt, wie aus
der heiligen Schrift, namentlich ihren Gejchichten erläutert; von M. Albert
er
100 Religions⸗Unterricht.
Sigismund Jaſspis. Ausgabe C. Für die Provinz Pommern bear⸗
beitete Ausgabe des vom Bertafler in eben demfelben Berlage erichienenen
Katechismus. Elberfeld 1856. Verlag von Haffel. Geb. 5'/s Ser.
Die Züchtigkeit der Katechismen von Jaspis ift hinlänglich bes
Yannt; wir haben nichts weiter zu thun, als das Erfcheinen der Aus⸗
gabe C. und die neue Auflage der Ausgabe B. anzuzeigen.
27. Chriſtliche Religionslehre. Nach dem Lehrbegriff der evangelifchen
Kirde. Bon J. H. Kurk, Doctor der Theologie und ordentlicher Pros
feflor an der lniverfität zu Dorpat. Sechſte Auflage. Witau bei Reus
mann 1855. VIII u. 212 ©. 12 Ser. .
Auch der hohe Werth diefes Buches und feine Brauchbarkeit ins⸗
befondere für höhere Lehranſtalten ift. längft anerkannt.
3. Der Meine Katechismus Dr. Martin Zutber’s, In Krage und
Antwort erläutert und mit Bibelfprüchen verfehen von Dr. Emil Franke.
Rogafen 1856. Schulbuchhandlung. 138 ©,
Der bereits durd feinen „Inbegriff der chriſtlichen Glaubensartikel
von Leonh. Hutter’ (Leinzig 1837, Köhler) und fein „Lehrbuch der
chriſtlichen Religion nad Anordnung des lutherifchen Katechismus“ (Leip⸗
zig 1844, Gebhardt u. Reisland) bekannte Berfaffer tritt mit dieſem,
ohne Vorwort entfendeten, anfcheinend aber für die Oberklaſſe der Volks⸗
ſchule beſtimmten Katechismus zum erflen Male — fo viel wir wiflen, —
auf das Gebiet der Volksſchule. Aber dieſes erfte Auftreten if fein
glüdlihes. Den Tert ſchlicht auszulegen, verfteht der Berfafler nicht.
Ganze Stüde der lutheriſchen Erklärung fommen gar nicht zur Ver⸗
werthung. Die Begründung feiner Sätze durd die Schrift if wenig
ſchulgemaͤß. So flehen unter dem auf Frage 117: „Warum gehört die
Höllenfahrt zum Stande Seiner Erhöhung?‘ antwortenden Saße:
„Beil Er, nahdem Er im Grabe Sein Leben wieder angenommen bat,
in die Hölle, den Ort der Verdammten gegangen‘ ıc. — — die beiden
Stellen 1. Petr. 3, 19. 20; Kolofj. 2, 15. Es heißt wahrlih dem
nit theologiſch gebildeten Lehrer zu viel zumutben, wenn er die von
dem Berfaffer gegebene Antwort nad allen ihren Theilen in diefen
Stellen finden fol. Auf ähnliche Weife find eine Menge anderer Säge
gearbeitet. Die Berbindung mit der biblifhen Geſchichte, mit der
Kirchengefchichte, mit dem chriſtlichen Leben, mit dem Kirchenliede fehlt
ganz. Der Berfaffer ift mit den Forderungen der Zeit auf dem von
ihm fchriftflellerifch betretenen Gebiete und mit der Volksſchule wohl
noch unbefannt.
29. Dr. Martin Luther's kleiner Katechismus nebft Bibelſprũchen für
unfere Kinder von Hermann Rättig, Rector. Torgau 1855. Wienbrack.
er.
Haustafel, Text des Katechismus und Sprüche für 3 Stufen.
30. Erklärung der Hauptſtücke des Meinen Katechismus Dr. Mar:
tin Luther's nebit einer reichbaltigen Sammlung ausgedrudter biblifcher
Beweisſtellen von Dr. phil. Guftav Schmidt, Yürftl. Neuß. Kirchenratbe,
Superintendenten und Stadtpfarrer zu Greiz. Bei D. Henning. in Greiz.
276 ©. Preis 32 Sr.
Religions - Unterricht. 101
Es hat uns dieſer Katechismus nicht vorgelegen; als einen ſolchen,
der wahrſcheinlich dazu beſtimmt iſt, Landeskatechismus zu werden, empfeh⸗
len wir ihn der allgemeinen Aufmerkſamkeit. Eine eingehende Beur⸗
theilung findet ſich im Süddeutſchen Schulboten 1856, Nr. 9 und 10.
Zu diefem Katechismus gehört: Leitfaden beim Confirmanden » Unterricht
von Dr. phil. G. Schmidt ꝛtc. Dritte Auflage. Greiz, bei O. Hen⸗
ing. 1854. 7 Kr. (Bol. Süddeutfcher Schulbote Ar. 10).
31. Dr. Rartin Luthers Meiner Ratehismus unter Zugrundelegung
des alten Breslauer (Delfer Katechismus) in Frag' und Antwort für Die
liebe Jugend auf's Neue erflärt und dur Bibelſprüche und bibliſche Ge⸗
ſchichten, fowie durch Kirchenlieder erläutert. Bon Heinrich Wendel,
Paſtor. Breslau 1856. Dülfer. 5% Ser.
Derjenige unter den neuen fhlefiichen Katechismen, der (Schuls
blatt 20. S. 353 — 354. 456 — 460) nach dem Urtheile des Directors
Jungklaaß einem „ſchleſiſchen Schulfatehismus” am nächften kommt.
Die von den fchlefifhen Seminaren erhobenen Ausftelungen haben wir
fhon „Il. Oberfufe: A’ befprohen. Ein genaueres @ingehen, das
uns nöthig ſcheint, müffen wir für den nächften Jahresbericht verſchie⸗
ben, da uns das Buch erft kurz vor dem Schluſſe unferer Arbeit zuge
gangen iſt. \
32. Bistifäe Beweisftellen, nah der Glaubens⸗ und Sittenlehre geord«
net von Dtto Bermann Henke, Rector zu Wollenſtein. LZangenfalza,
Schulbuchhandlung 5. Th. L. V. Ohne Jahreszahl.
Ein Buch, wie es an der Hand einer guten Eoncordanz und eines
Katebismus chne Mühe und Arbeit zufammengefchrieben werden kann.
Säge aus der Glaubens » und Sittenlehre, dahinter ausgedrudte Sprüche.
Ein Anhang enthält Ausfprüche der fymbolifhen Bücher und dogmatis
fe Bemerkungen und Erläuterungen. Eine Menge Anzeichen leichtfers
figer Arbeit find dem Berfaffer bereits im Theologifchen Literaturblatte
1856, Seite 814—817 aufgezählt. Dort ift auch hinlänglich der Bes
weis geführt, daß das Buch ſelbſt da, wo ein beflimmtes Eonfeffions»
buch nicht amtlich vorgefchrieben if, um feiner dogmatifchen Halbheit
willen ganz ungeeignet zu einem Leitfaden if. Zu welchem Zwede die
Schrift gedrudt if, vermögen wir nicht einzufehen; ein Borwort ift
nicht vorhanden. Wir empfehlen das Buch nicht; wir warnen vor ihm.
33, Katechismus für Shule und Haus, enthaltend Dr, Martin Lu⸗
thers Heinen Katehismus, die Haustafel, die Frageftüde, eine Sammlung
von Gebeten, die feftftebenden Theile des liturgifchen Gottesdienfles und
Zeittafeln zur biblifhen Geſchichte und zur Reformationsgeſchichte, jufam-
mengeftellt von Dr. F. E. Johannes Erüger und dem Kehrercollegium
der Stadtſchule zu Zendenif. Hweite, vermehrte Auflage. Erfurt u. Leip⸗
zig 1856. Gotth. Wild. Körners Verlag. Baars Brei 1 Ser.
34. Spruchbuch u Dr. Martin Luthers feinem Katechismus,
für den Schulgebrauch eingerichtet, ein Anbang zu den „Katehismus
für Schule und Haus” von Dr. F. E. Johannes Erüger und
dem Lehrercoflegium der Stadtſchule zu Zehdenik. Dritte Auflage. Erfurt
und Leipzig 1856. Gotth. Wilh. Körner'd Verlag, Baars Preis !s Ser.
Beide Bücher brauchbar für die Hand der Schüler; trefflich die
102. Religiond- Unterricht.
Sammlung von Gebeten. Das Unterftreihen der zu betonenden Worte
und Sylben billigen wir nit.
35. Bibliſches Spruchbuch als Leitfaden bei dem evangeliſchen Religions
unterrichte. Danzlurt am Main, Verlag von Auffarth, 1856. Ohne Ras
men des. Derfaffers.
69 Paragrapfen Sprüdhe mit furzen, meiftens nur in wenigen
Worten ausgedrüdten Weberfchriften, welde die Heilsiehre, zuerſt Glau⸗
bensiehre, dann Sittenlehre, in einer im Ganzen lobenswerthen Anords
nung vorführen. Die Stellung der Dreieinigkeitslehre, die fogleih im
erftien Hauptflüde: „Bon Gott”, auftritt, iſt verfehlt. Der Sprüde
find hin und her zu wenig, ja gerade Hauptflellen fehlen. Durchaus
mangelhaft if 8. 47: ,„Chriftlide Beweggründe zur Erfüllung der
Pflichten.” Da if der Kern der Sache faum angedeutet. Ueber die
Beweife für die Unfterblichkeit der Seele follten wir wohl hinaus fein,
Das Buch ift nicht auf Areng kirchlichem Bewußtſein erwachſen, in
Preußen fhon wegen feiner Loslöfung von den Eonfeffionskatechismen
nicht brauchbar. Nicht zu empfehlen.
B. Zur Bibel und biblifhen Geſchichte insbefondere.
36. Bopuläre Auslegung der Heiligen Paffion. Nah Dr. Bus
genhagens Paffional. Bon Karl Priedrih Brieger. Abdruck aus
defien: „Populäre Ausle ung der Sonns und Befttagsevangelicn.“” Ders
fin 1856. Derlag von Wilhelm Schultze. 185 ©. 12 Ser.
Der Berfaffer läßt einen befondern Abdrud der Paffionsgefchichte
aus feiner Perikopenauslegung erfcheinen „in der Hoffnung, daß es
Manchen, die die genannte Auslegung nicht anfchaffen, lieb fein möchte,
eine Erklärung bdiefes fo äußerſt wichtigen Abſchnittes zu haben, Die
Wort für Wort fortgeht und ein tieferes Verſtändniß zu erzielen trach⸗
tet. Wer eine Erbauung fuht, die durch gründlide Erfors»
[hung des Wortes gewonnen wird, möchte diefe Heine Schrift nicht
vergeblih in die Hand nehmen.” Der Berfaffer hat fi gewiß nicht
getäufht. Beides wird der Lefer finden, Erbauung und Belehrung.
Störend find uns oft die Worterflärungen geweſen. Wir haben das
Gefühl nicht überwinden fönnen, daß Vieles von Dem, was der Bers
faffer zur WBorterflärung beibringt, fich von ſelbſt verflünde An eins
zelnen Punkten haben wir die Gründlichkeit vermißt, fo 3. B. in 34.
Doch rechten wir gerade um bdiefer Stüde willen niht, da das Maaß
Deſſen, was der Verfaffer ohne den Untergrund wiſſenſchaftlicher Bildung
fih felbf erworben hat und zu bieten im Stande iſt, immerhin ehren-
werth bleibt.
37. Bopuläre Erklärung des Evangeliums St. Marci. Mit
einer Einleitung, veruüglih die Aechtheit der Evangelienfammlung betref-
fend. Bon Karl Friedrih Brieger. Zweiter Beitrag zu einem tiefern
Schriftverftändnifie. Berlin, W. Schulge XXXII u. 416 S. 1 Thlr.
61, Ser.
Ein neues Beugniß von des Berfaffers unermüdlichem Fleiße und
feiner Liebe zu dem Worte Gottet. Der Verfaſſer bezeichnet im Vor⸗
Neitgiond - Unterricht, 103
worte feine Arbeit als einen Verſuch; er meint, daß zu einem Berfuche
das Marfuserangelium lang genug fei, und befennt, daß er grade um
der Kürze willen diefes Evangelium gewählt habe Damit ift denn der
Beurtbeilung eine befiimmte Grenze gewiefen. Auch hat der Berfafler
ſicher Recht, wenn er in feinem Vorworte ausfpricht, daß der Sache nur
durch tiefer eingehende Recenfionen gedient if, und fidher wird er auch
unjern Jahresbericht zu denjenigen Zeitichriften rechnen, die zu ſolchen
erihöpfenden Erörterungen, wie fie gerade eine Bibelauslegung verlangt,
aiht Raum haben. Der Berichterfatter Bann alfo nur andeuten, daß
ihm, obwohl er fich mit dem Verfaſſer in demfelben Bekenntniſſe Rehend
weiß, bei manden Auslegungen- ernflliche Bedenken gefommen find, —
daß er von theologifh wiffenfchaftlihem Standpunkte aus in der Ein»
leitung Manches für unhaltbar anfehen muß, daß ferner die Iprachlichen
Grläuterungen am Schluſſe des ganzen Werkes Gewagtes enthalten, daß
endlich auch das Beſtreben: „Alles auszulegen‘, an manchen Orten den
Berfafler zu unnöthiger Breite verführt bat. Nühmend aber muß anerr
kannt werden, daß der Berfaffer fi treu bemüht bat, die Schrift aus
der Schrift zu erflären und „das göttliche Wort den Lehrern eingäng-
ih zu machen. Möchten nur recht viele feiner Amtsgenoſſen feinen
Grundfug theilen, daß auh im Schriftverfländnißg der Lehrer mehr har
ben muß, als der nähfte Schulbedarf erfordert, und dem Zleiße, mit
welchem er gearbeitet hat, es dur Studiren feines Buches nachthun.
38. Doctor Martin Luther als klaſſiſcher Lehrmeiſter auf dem
elde der Kutehefe und populären Exegefe oder evangeliſche
brftoffe aus Luther's praktifcher Bibel⸗ und Katehismuserklärung für
Geiſtliche und Schullehrer ald Vorbild bei dem Religionsunterrichte. Hers
ausgegeben von Dr. 3, G. Hanſchmann, Großh. S. Seminarinfpector
und Bürgerfäguldirecor, auch Sympresbyter bei der Haupt» und Stadts
fire x St. Beter und Paul in Weimar 2. Erſter Band. Weimar
1856. Drud und Verlag von Bernh. Friedr. Voigt.
Bor uns liegt des erfien Bandes erfte Lieferung. Der Berfaffer
wid eine zeitgemäße Ausgabe derjenigen Schriften Luthers beforgen,
„von denen vorzugsweife zu wünfchen if, daB fie in den Händen der
Lehrer umd gewiffer Bamilien als ein evangeliiched Heiligthum neben
der Bibel verbleiben. Er bat bei feinem Unternehmen noch einen
zweiten BZwed. „Gegen bie Berdächtigungen, Madinationen und Des
auneiationen folher Leute, — nämlih der altlutherifhen Partei —
giebt es Zeine Fräftigere Waffe, als die, von und bier gebotene, weil ein
Jeder dadurd in den Stand gefept wird, felbft zu ſehen, zu prüfen
und zu, erfennen, daß „ein eifernder fogenannter Altiutheraner oft Lu⸗
thern eben fo fern fleht, als Belial dem Herrn Chriſtus ꝛc.“ Außer
dem Borworte des Verfaſſers enthält die erſte Lieferung Luthers Bors
rede zu der Auslegung des erfien Buches Mofis und die Auslegung von
1 Mof. 1, 1—11, Anmerkungen unter dem Teste kommen Denen zu
Hülfe, die der alten Sprachen und Fremdwoͤrter nicht mädtig find. —
Einen noch unangenehmern Eindrud, als die wörtlich angeführte Geite
2 des Borwortes, hat das dem Hefte vorgedrudte Fehdeblatt gegen die
Buchhandlung Heider und Zimmer in Frankfurt auf uns gemacht.
“
104 _ Neligtond- Unterricht.
39. Die Bibelffunde für Shule und Haus oder Bier Tabellen
und Die achtzig Kirhenlieder nad den drei preußiihen Regulati⸗
ven vom 1., 2. und 3. October 1854. Gin Leitfaden beim Religionduns
terricht in der evangeliſchen Elementarfchule, fowie bei Hausandadten von
Chriſtoph Friedrih Biedermann, Paſtor in Lettin und Nietleben mit
Granau. Halle 1856. Drud und Verlag von Dtto Hendel,. 80 ©. 3 Bar.
Die erfte Tabelle nennt 80 Geſchichten aus dem alten und 61 aus
dem neuen Zeftamente für den Schulgebraud der Oberklaffe, in Summa
alfo 141 Geſchichten; unter diefen find 40 (— alfo in derfeiben Faſ⸗
fung —) für: die Unterflaffe angezeichnet. Die Penfen überfchreiten
die Kräfte auch einer guten Schule. Die zweite Tabelle giebt 70 aus⸗
gewählte Pjalmen nach ihrem Inhalt und Anfang, dann diefelben Pfals
men zum Gebrauch beim Morgen» und Abendgebete in der Echuls und
Hausandaht nach den Tagen des Monats, endlich diefeiben Pſalmen
zum Gebrauch in befondern Firdlichen und feftlihen Zeiten. Die dritte
Tabelle bietet 42 Kirchenlieder (inclufive die AO der ‚„Erläuternden Ber
fimmungen 20.” auf 43 Schulwochen vertheilt (— mit einer Ausnahme
alfo für alle Schüler der Oberklaſſe wöchentlich ein Lied!), dazu eine
Reihenfolge, in welder der Geiftliche beim Confirmandenunterrichte Die
42 Lieder zu erflären bat. (Unter der einen Weberichrift: „Beim
dritten Gebote in Bezug auf die Kirchenzeiten“ flehen 15 Lieder,
unter denen noch Fein Zrinitatisiied if. — Alfo bei einem Gebote 15
Lieder!) Die vierte Zabelle bringt das Berzeichniß der Bibellectionen
vorn Dr, Möller. Die fünfte Tabelle enthält die SO Kirchenlieder im
Urtegte mit binzugefügten Eollecten. — Außer dem Schulzwede
verfolgt: das Büchlein noch einen häuslichen. Es will ein Leitfaden bei
chriſtlichen Hausandachten fein. Der Berfafler redet eindringlih im
Borworte über das Wiederaufrichten der Hausandaht und giebt Rath⸗
Ihhläge, wie aus den einzelnen Tabellen feines Buches das Material zu
ordnen fei. Er zählt 7 Stüde der Hausandacht auf! Darunter: „Vor⸗
lefung des Bibelabfchnittes mit kurzer Erklärung aus dem Herzen, wie
e8 der Geiſt Gottes eingiebt.“ Eigenthümlich find die Weifungen, Die
er den Hausvätern giebt, wie fie nach feinem in Kürze erfcheinenden
Choralbuche in Ziffern follen fingen lernen. „Haſt du noch nicht nach
Zahlen gefungen, fo faunft du das in einer Stunde lernen. — Wir
verfennen den treuen Sinn, aus dem das Büchlein hervorgegangen ift,
nicht, aber die Schule wird den felbfiitändigen Theil feines Buches eben
nicht fehr verwerthen können. A .
4. Büge aus dem Wert der Bibelverbreitung von Dr. U, Ofter:
tag. Erſtes Bändchen. Stuttgart 1857. Berlag von Gteinkopf, . VI.
174 ©. 10 Sr.
Die in dieſem Büchlein gefammelten, urfprünglih im Auftrage der
Bihelgefellfhaft zu Bafel gefchriebenen Aufſätze find in etwas anderer
Form unter dem Namen der „Bibelblätter” ſchon einmal ausgegangen.
Für Diejenigen, denen die Bibelblätter bisher unbekannt geblieben find,
geben wir die Inhaltsüberfiht des erften Bändchens: 1. Die Entſtehung
der britifhen und ausländifchen Bibelgefellfchaften. II. Die Bibel in
Zeland. I. Das Pfarrhaus auf Jerſey. IV. Die Waidenfer und das
,
Religions - Unterricht. "4105
Answendiglernen der Bibel. V. Die Bibel im Steinthal. VI. Die
Kraft des Wortes Gottes an den Menichenjeelen. VII. Der Bibelträs
ger. Das Büchlein bietet eine gefunde, von allem Gemachten und For⸗
eirten fih fern haltende Kof. Geiftlihe und Lehrer werden auh Mans
bed in ihm finden, das ſich unmittelbar beim Unterrichte verwertben
laäßt. Möchte es in feiner Lehrers und Pfarrerfamilie, auch in feiner
Dorfbibliothek fehlen. Den Verfafler möchten wir im Intereffe der fünftigen
Bänden bitten, Doch ja die Grenzen des Wortes „‚Bibelverbreitung‘ nicht
zu eng zu ziehen, fondern auch mancherlei das Intereſſe für das Wort
Gottes beiebende Nachrichten über Bibelüberfeßungen, alte und neue,
Bibelverfolgungen,, überhaupt Altes und Neues, wie e8 die innere Ges
ſchichte der Kirche fo reichlich darbietet, aufzunehmen. Sehr gern möchten
wir Einzelnem aus Borrow: „The Bible in Spain. 2 Bände. London
1843", begegnen, zumal die deutfche, wenn wir nicht irren, zu Bafel
erfhienene (auszugsweife) Bearbeitung ganz aus dem Buchhandel vers
ſchwunden zu fein fcheint.
4. Täglihes Brod aus dem Worte des Lebens. Den SHaudpätern,
Sausmüttern und Lehrern zur Austheilung an die liebe Jugend zu Haufe
und in der Schule dargeboten von €. T. Boll, Seminars Director
in Stettin. Berlin, bei Wiegandt und Grieben. u. 79 ©. 10 Ser.
Das Vorwort läßt uns hineinfhauen in einen Zug wehmüthigen
Serlangens, der aus dem Herzen des in fpäteren Lebensjahren wieder
für die Seminarthätigkeit gewonnenen Verfaſſers heraus und von dem
Lärmen der großen Stadt und den gelehrten Leuten hinweg und hin zu
dem Glaubensreihthum und der Ölaubenseinfalt der armen Dorfgemeins
den gehet, unter denen er eine Reihe von Jahren mit reihem Segen
gewirkt hat. Das Büchlein if eine Gabe der Liebe an dieſe Gemein:
den. Es enthält zuerft 26 Fragen und Sprüche als Antworten. Wir
geben einige der Fragen: „An welche Sprüche wirft du gedenken, wenn
du in die Kirche oder aus der Kirche geheſt? Wie follft du dich vers
halten, wenn du mit alten Leuten zufammen fommft? Wenn du läffig
und träge wirft zum Lernen und zur Arbeit, an weihe Sprüche follft
du dann denken? Wenn du über den Bottesader geheft, oder eine Leiche
dahin begleitef, an weiche Sprüche foll du dich da erinnern?” Dann
folgen Sprühe und Lieder, welche Hausväter und Hausmütter von
Kindern und Gefinde in ben Seftzeiten ſollen beten laffen. Dann folgen
„Altagsfprüde oder: Woran ein Ehrif bei den gewöhnlichſten Dingen
und Berrichtungen bes täglichen Lebens dur das Wort Gottes erin-
nert wird.” Sie find vornämlih auf die täglichen Anfchauungen des
Landmannes berechnet und erinnern oft an Gotthold's zufällige Ans
dachten, 3. B. 13: „Wenn du das Brod aus dem Ofen ziehe?" 22.
„Die Schwalbenneſter?“ 23. „Die Tauben?‘ Gar Manches wird
auch den von der modernen Kultur angefirnißten Landleuten, die ihre
Lectüre für die Winterabende aus den flädtifchen Leihbibliotheken holen
und bei den hohen Kornpreifen innerlich immer mehr verarmen, gradezu
ein Gel fein, aber es fehlt doch auch in unfern Tagen 1 ganz an
feihen Gemeinden, in denen Bater und Mutter, Großvater Mhd Großs
106 | Religions - Unterricht.
mutter, wie in den Goltzſchen, des Prieftertyumes warten. In folder
mögen Geiftlihe und Lehrer das Büchlein von Golttzſch zum Hauss
buche mahen. Es wird ein Segen darin fein. „Gleichwie die Kirche
Chriſti Jahrhunderte befanden und geblühet bat, und Ströme neuen
Lebens und Lichtes und himmlifche, welterneuernde Kräfte von ihr aus⸗
gefloffen find, ohne eine andre Unterweifung der Kleinen, als die aus
Baters und Muttermund und aus fürbittendem, forgendem und ſegnen⸗
dem Baters und Mutterfegen ihnen zugegangen if: fo wird auch fers
nerhin jede einfältige Darreihung deffen, was aus dem Worte Gottes
und aus der eignen Erfahrung des, Herzens gewonnen ift, des Segens
Gottes nicht entbehren und die Zeit näher bringen helfen, in der auch
eine ſolche Pädagogik zur Anerkennung fomnen wird, die Etwas zu
fagen weiß von den Geheimnifen des Pimmelreiches in der Menſchen⸗
und Sinderfeele und die fidh nicht mehr vergeblih um wahre Menſchen⸗
bildung bemüht. (Goltzſch.)
42, Das Bolt Israel unter der Herrfhaft der Könige Ein
Beitrag zur Einführung in die neueren Verſuche einer organiſchen Auffaſ⸗
ſung der israelitifchen Geſchichte. Bon Dr. Eifenlohr, Seminar - Recter
in Nürtingen.” Zweiter Theil. Mit einer chronologiſchen Tabelle, einem
Berzeihniffe der Bibelftellen und einer Karte von Paläſtina. Leipzig,
Friedrich Brandfletter. 1856. VI u. 409 S. 1 Thlr. 18 Ger.
Es flieht diejes Werk, deſſen erften Theil der heimgegangene Nacke
Seite 45 unferes vorjährigen Jahresberichts angezeigt hat, auf Grund⸗
anfchauungen, die denen des Berichterftatters fchnurfirads entgegen laus
fen. Dazu bewegt es fid auf ‘einem Boden, der weit greifende, theite
hiſtoriſche, theils fpeciell theologifche, immer aber ftreng wiſſenſchaftlichẽ
Erpofitionen nöthig machen würde, wenn wir uns mit dem Berfafler
auseinander fegen wollten. Wir müffen uns alfo begnügen, die wife
fenfchaftlihe Bedeutung des Wuches anzuerkennen und ‘es denjenigen Lehe
rern, denen eine wiffenfhaftlich-theologifche Bildung eigen iſt, zu
befonnener Prüfung zu empfehlen.
43. Biblifhe Gefhichten aus dem alten und neuen Teftamente
für Shule und Haus, mit Berüdfidtigung der Reibenfolge Michael
Morgenbefierd unter ſteter Feſthaltung des innern Zufammenbangts der
heiligen Schrift in Dr. Luther's Ueberjegung möglich wortgetreu nacher⸗
zählt und mit pafienden Vibelfprüchen und erbaulichen Liederverſen beglei⸗
tet von Friedrich Deutſch. Breslau 1856. Graf, Barih u. Comp., Vers
lagsbuhhandlung (E. Zäfhmar). 228 ©. 6 Ser.
Aus dem Vorworte ergiebt fi, daß der Verleger der in Schlefien
fehr verbreiteten biblifhen Geſchichte von Morgenbeſſer durch die Kir⸗
chenbehörde veranlaßt worden ift, „eine völlig neue, auf das Bibelwort
gegründete Bearbeitung der bibliſchen Geſchichte mit Berüdfihtigung
der Neihenfolge Morgenbeffers zu veranftalten.‘ Es kam bei dieſer
Bearbeitung auch darauf an, mande bei Morgenbefler ganz fehlende,
aber für die Heilsentwidelung wichtige Gefchichte nachzuholen, Anderes
weiter auszuführen. Der Bearbeiter hat die ſchwierige Aufgabe glüdlich
gelöſt. Jeder Geſchichte ift ein, rejp. mehrere LXiederverfe und ein Bis
belſpruch Mwigegeben. Die Liederverfe find aus den 80 Kirchenliedern,
Religions - Unterridt. 107
und wo dieſe micht aysreichten, aus dem Geſangbuche von Anders und
Stolzenburg entnommen, wodurd freilich das ganze Buch ein provins
zielles Gepräge erhält. Auch die Wahl der Liederverfe und Sprüche if
meiftens eine glüdliche zu nennen.
4. Biblifhe Geſchichte des Alten Teffamentes zum Gebrauch
für Schulen von R. Graßmann. Mit zwei Karten und mehreren Abs
ohrungen. Stettin 1856. Drud u. Berlag von R. Graßmann. 240 ©.
0 Sgr.
5. Bübliſche Sefhichte des Neuen Teftamentes für Schulen
von R. Graßmann. Mit drei Karten. Stettin 1856. Drud u. Verlag
von R. Graßmann. 156 S. 10 Ser.
Wohl nicht für die Volksſchule, fondern für höhere Lehranftalten
befimmt und foldhen-durhaus zu empfehlen. Das Schriftwort iſt ges
nau inne gehalten, die Kapitel und Berfe der Echrift find an der Eeite
angeführt. Werthvoll werden heide Bücher befonders noch durch Die
Ginleitungen und Beigaben. Unter diejen Geben wir befonders die Abs
bildungen der jüdifchen Heiligthümer, der Stiftehütte, des Salomonis
fhen Tempels, der Bundeslade ae. hervor. Die Zeitfolge im Leben des
Herrn und der Apoftel iſt mit befonderer Sorgfalt im Auge behalten.
4. Bibliſche Geſchichte, nah den Worten der Bibel erzählt von Friedr.
Wilhelm Bodemann, Paſtor zu Echnadenburg an der Elbe. Giebente
Auflage. Göttingen 1856, bei Vandenhoeck u. Ruprecht. 201 S. 5 Sgr.
Sn der Praxis bereits bewährt. Aber ohne einen Spruch und
ohne einen Liedervere.
4. Bruchſtücke aus linterredungen über die biblifhe Geſchichte,
ebalten auf dem Seminar zu Alfeld von Dr. Conrad Mideljen. Al⸗
en. Etegen 1855. VII u 72 ©,
Tiefere Einblide in die biblifche Geſchichte, wie fie den Zöglingen
eines Seminars gegeben werden müffen, wenn fie diefelbe als heilige
Gedichte erfafen und als ſolche einft wieder lehren follen. Wir ems
yiehlen das Büchlein auch den älteren Lehrern, die es ebenfalls nicht
ohne Segen fluditen werden. Manches hätten wir freilich noch einges
bender gefaßt gewünfdt. Jakobs Ringen (1 Moſ. 32, 24) läßt ſich
unferes Grachtens nicht betrachten ohne Jakobs Gebet. Was Seite 7.
Abſchnitt 9 am Ende flieht, halten wir für unrichtig. .
48. — acht und vierzig bibliſche Hiſtorien. Ein Lernbuch
ur evangel. Elementarſchulen, mit Berüdfihtigung. der drei preußiſchen
Regulativen und mit Zugrundelegung der „Bibli ji Geſchichten von
Be enge und mit einem Nachworte für den Lehrer verfe:
. oike Reglerungeſchulrath in Königsberg). Konigs⸗
berg 1856, bei Bon. 31 ©. 3'/ Sgr., gebunden 4 Sgr. 9 Pf.
Das Buch hat uns nicht vorgelegen. In einer Anzeige defjelben
im GEvangeliihen Gemeindeblatte 1856. Nr. 12 heißt es: „Gewiß war
unferes fel. Breuß Arbeit eine verdienftlihe und in vieler Beziehung
fehr brauchbar; aber das fühlte Jedermann, foll einmal ein biblifches
Hiſtorienbuch in den Händen der Unterflaffen (?!) und armen Schüler-
fein, fo it Preuß zu umfangreih und zu theuer. Hier iR nun Die
108 Religions - Unterricht.
Realifirung des lange gebegten und bewegten Gedanfens, ein Peiner
Preuß, aus demjelben Verlage hervorgegangen, dem wir den größern
verdanten.‘ Nr. 26 des genannten Blattes bringt eine „My“ unters
zeichnete Recenfion, die, foweit fi ohne Vorlage des betreffenden Buches
überfehen läßt, allerdings auch nicht aus der Feder eines Schulfundis
gen gefloffen zu fein, aber doch Manches zu enthalten fcheint, was bei
einer neuen Auflage des kleinen Preuß zu berüdfichtigen fein dürfte,
(3. B. über das Fehlen der erſten drei Gefchichten des Alten Teſta⸗
mentes im erſten Kurfus der unterften Abtheilung).
49. Hülfss Büchlein für den Unterricht in der bibliſchen Ge»
ſchichte; in einer nah ſechs Geſichtspunkten getroffenen
Auswahl von Schriftftellen; zugleih ein Griag für fogenannte
bibfifhe Geſchichtsbücher. Herausgegeben von M. Albert Sigismund
Jaspis, Königl. Generals Superintendent der Provinz Bommern. Zweite
verbeflerte Auflage. Elberfeld 1856. Verlag von R. 2. Kriedrihs. 31 ©.
2\/s Sgr.
Den verehrten Berfafler bewog zur Herausgabe diefes Büchleine
„der Umftand, daß mehrern Ausgaben von bibliihen Gefchichten feine
Sprüde beigefügt find und die Erwartung, vielen Lehrern werde eine
Sprubfammlung willlommen fein, bei der man fi nicht durch tiefere
tbeologifch » ascetiſche Grundfäge, fondern durch die Nüdfiht auf die uns
mittelbaren und einfadhen Bedürfniffe der chriftlihen Jugend leiten
ließ.“ — „Bei der Auswahl der Sprüche,“ heißt es an einer andern
Stelle des Bormortes, „leitete mic zunächft der Srundfag, dag man
jede bibliſche Geſchichte Mar und anjchaulich machen, ihre Herrlichkeit an
ſich darthun, bei ihrer Anwendung aber an die einzelnen Seiten der
Geſchichte nicht ein Allerlei von allerlei Bemerkungen fnüpfen, Sondern
vor Allem den Gehalt derfelben für das chriftlihe Glauben und Leben
ausbeuten muß. Wir geben ein Beifpiel. „Jakobs Flucht. 1 Mof.
28. Hauptinhalt: Pjalm 4 9. Spruch aus der Geſchichte:
41 Mof. 28, 13—16. Glaubensfprud: Pſalm 91, 1. 17, 7.
Lebensſpruch: Plalm 37, 5. Einzelne Kehrpunfte: Palm
46, 8. Apoflelg. 17, 27. In dem Borworte findet ſich aud die fhon
früher befprochene, von uns befämpfte Polemik gegen die Hiftorienbücher,
aber auch manches andere wohl zu beberzigende Wort. Das ganze
Büchlein if vol Geiſt und Leben. Möge es viele Geiflesverwandte
unter Geiftlihen und Lehrern finden.
C. Zur Kenntniß des heiligen Landes..
50. Das heilige Land und das Land der israelitiſchen Bandes
rung. Für Bibelfreunde gefchildert von Ludwig Völter, Pfarrer in
Buffenhaufen bei Stuttgart. Mit einer Karte von Paläftina und vom
Beträifchen Arabien. Stuttgart, bei Eteinkoyf. 1855. ‚
Abgerundete, Iebendige Darftellung, forgfältige Benußung der Uns
' terfuchungen und Erfahrungen älterer und neuerer Reifenden, Vollſtän⸗
digkeit in Allem, was dem Lehrer der heiligen Geichichte über Topos
graphie, Bolköleben und flaatlihe BZuflände zu wiſſen wuͤnſchenswerth
Religions » Unterricht. - 109
iR, zeichnen dieſes Werk aus. — Die Zahlen in dem Plane von Jeru⸗
falem find ziemlich undentlich und geben leicht zu Irrungen Anlaß.
5. Damaskus und Libanon oder Briefe eines Engländers aus dem Orient
an das deutfhe Boll. Elberfeld 1855, bei Wilh. Haffel. (1? Sgr.)
Eine englifhe Zeitfchrift (Advertiser) fällt folgendes Urtheil:
„Diefes Wert if befonders reichhaltig an Bemerkungen über moderne
orientalifche Gebräuche, Sitten und Eigenthümlichkeiten in Bezugnahme
auf die heilige Schrift und enthält viele Belehrung darüber, oft von
ſehr unterrichtender Art.” Dieſes Urtheil beftätigen wir, und gern
würden wir das Buch den Volksſchullehrern als außerordentlich inter
effante und auch für das Bibellefen fruchtbare Kectüre empfehlen, wenn es
niht bei feinen vielen Bitaten Kenntniß fremder Sprachen vorausfeßte.
52. Baläfina, oder das heilige Land zur Zeit Jeſu, in geograpbiichen,
religiöfen, häuslichen und bürgerlichen Verhältniſſen. Gin Handbuch für
Lehrer beim Unterricht in der biblifhen Geſchichte. und zugleich zum nüßs
fihen Gebraude für das Haus. Don Theodor Weſthaus, Lehrer an der
fatbolifchen Knabenfhule zu Soeſt. Zweite Auflage. Nebit einer Charte
von Baläftina zur Zeit Zeh. Mit Approbation der Bifchöflichen Behörde.
Soc, Drud und Derlag der Naſſe'ſchen Buchhandlung. 1856. 146 ©.
88.
Daß der BVerfaffer als Katholik Tradition und Sage mit der Ges
ſchichte identificirt, finden wir erflärlih. Als ein Lehrbuch für das
Hans enthält es Mancherlei, das für die Schule überflüffig if, 3. B.
die fieben Klaffen der Pharifier. Bei dem fonftigen Umfange des Bu⸗
bes dürfte wohl mehr über den Zalmud erwartet werden, als die Notiz:
„ein Buch, welches zu den jüdifchen Schriften gehört. Die proteſtan⸗
tiihen Lehrer werden nach vorliegender Schrift wohl nicht greifen; für
katholiſche Schulen mag Ddiefelbe brauchbar fein.
33. Das heilige Land. Zum Verfländnig der bibliſchen Geſchichte und
zum Gebrauche für Elementarfchulen von Theodor Weſthaus Lehrer an
der katholiſchen Knabenfchule zu Soeſt. Ein Auszug aus deflen größerem
Werke über Paläftina oder das heilige Land. Dritte Auflage. Soeft 1855,
Drud und Verlag der Naſſe'ſchen Buchhandlung. 1 Sgr., mit Kärtchen
1% Ser.
Die proteftantifhen Schulen fünnen das Büchlein fchon um der
Ramenformationen „Eliſäus, Gelboe, Esdraelon, Chanaan““ ꝛc. nicht
gebrauchen. Dieſe würden unſere Schüler irre machen. Auch kennen
wir keinen Apoftelfürften Petrus und erachten andere: Einzelnheiten,
die auf Seite 13 und 15 fichen, nicht für gefchichtlich erwiefen.
55. DaB heilige Land aus der Vogelſchau. Darftellung der Orte
und Städte, welche in der heiligen Schrift erwähnt find. Fünfte Aufs
lage. Leipzig, Derlag von Weber. 1853. 10 Sgr.
55. Das biblifhe Jerufalem aus der Bogelfhau. Zweite Auflage.
Leipzig, Derlag von Weber. 1852. 10 Sgr.
Beide Karten fünnen bei der biblifchen Geichichte mit großem Nutzen
gebraucht werden und feien hiermit beflens empfohlen.
110 - Religions : Unterricht.
56.
50,
. Weber: Biedermann
D. Zum Kirchenliede.
Die achtzig Kirchenlieder der Shul-Regulative mit Wochen⸗
fprüchen, nebit Einer tabellarifchen 1leberficht Des Aefammten Religions⸗Un⸗
terrichtöftoffes in der Volksſchule, nah dem Kirchenjahre geordnet von K.
A. Kolde, evangel. Pfarrer in Falkenberg. D.⸗S. Breslau, Verlag von
Irewendt und Granier. 1856. 2'/s Sgr.
: Die Bibelftunde 2c. — und die adhtzig Kirchen⸗
Iteder 2c. fiehe „V. B.“
. Geſangbuch für Schulen, enthaltend die 86 Kirchenlieder
der 3 preußifhen Regulative, nebft einem Anhange anderer, meift
älterer Rieder im Urtext. Zuſammengeſtellt und berausgegeben von $. I.
Böttner, Director der Bürgerfchule zu Zeig. Zeip 1856. Verlag der 3.
Webelihen Buchhandlung. 4 Sgr., geb. 54,3 Sgr.
Geſanabuch für chriſtliche Volksſchulen. Serausgegeben von
Friedrich Böhr, Lehrer an der evang. Stadtſchule zu Bunzlau. Zweite,
vermehrte Ausgabe. Berlin, Rewe Mor und Adelaide, 1857. Berlag von
Juſtus Albert Wohlgemuth in Berlin.
Inhalt nah dem Zitelblatte: Lieder beim Beginne und Schluſſe
der Schulftunden auf 12 Wochen, für befondere Zeiten und Verhält⸗
niffe, 130 Kirchentieder, darunter aud die 80 Lieder der Negulative,
das chriftliche Kirchenjahr, Hauptmomente aus der chriftlihen Religions»
geſchichte, Bibeltunde, Luthers einer Katechismus, Lieder zur Schul⸗
feier am Geburtstage des Königs, die Chöre der Liturgie, Spruchbüch⸗
lein zu Dr. Martin Luthers Katechismus. — In der Wirflichfeit ſtellt
fih die Ordnung etwas anders. — Es fcheint uns Altes und Neues,
äußerlich zufammengefügt, als eine zweite, vermehrte Ausgabe aus⸗
gefendet zu fein. Der ältere Theil enthält viel Weberflüffiges und fönnte
ohne Nachtheil ganz unterdrüdt werden. Der Anhang über das Kirs
henjahr ift fehr dürftig, die Hauptmomente aus der Kirchengefchichte
enthalten Zahlen und Namen, der Abfchnitt Bibelfunde bietet in kurzen
Säpen den Inhalt der biblifhen Bücher. — Was Werthvolles in dem
Buche ift (Katehismus und 8O Lieder), ift auch ohne des Berfaflers
Sammelbuch zugänglih. Wir empfehlen das Buch nid.
60.
Ausführlichere Erflärung der achtzig Kirdenlieder der
Drei preuß. Regulative vom 1., 2. und 3. October 1854 in ihren
Driginaltegten, enthaltend die Angabe der Zeit und Beranlaffung, da fie
gedichtet wurden, ſowie deren biblifche Srundlage und innern Zufammen=
bang, nebit furzen Lebensabrifien der Berfafler. Gin Hand» und Hülfs⸗
buch für Lehrer und Seminariften, fowie zur Selbftbelehrung von Otto
Schulze, Paſtor'zu Sangerhaufen. Berlin, News%York u. Adelaide, 1856.
Berlag von Juſtus Albert Wohlgemuth in Berlin. VIII u. 286 ©. 24 Egr.
„Zeit, Beranlaffung und biblifhe Grundlage des Liedes, fodann
deſſen ausführliche Erflärung und endlich ein kurzer Lebensriß des Bers
faſſers“ find die Bunfte, auf welche in der vorliegenden Arbeit Rüde
ficht genommen if. Weber die den Liedern vorangeftellten Dispofitionen
und den voraudgejehenen Einwurf, „daß die Dichter ficherlich nicht dies
ponirt haben, jondern daß ihre Lieder als ein freier Erguß ihrer Her⸗
zensftimmung anzuichen find”, fagt der Verfaffer im Bormorte: „Ich
balte dafür, daß bei alle Dem, ehe die Dichter ihre Lieder niederfhries
Ed
Religions » Unterriäht. 111
ben, ſchon ihr ganzer Inhalt vor ihrer Seele fland und in gewiffer
Hinficht geordnet war. Auch follen die gegebenen Dispofltionen haupt⸗
fählih dazu dienen, den Lehrer von vorn herein in den Geiſt des Lies
des einzuführen, und find deshalb als eine allgemeine Vorbereitung auf
die nachfolgende nähere Erläuterung bes inneren Gedanfenganges anzus
feben. Es verſteht fi daher von felbft, daB fie zunächſt nicht für ‚die
Kinder beflimmt find. Bormann (Unterrichtskunde Seite 129. Ans
merfung) urtheilt über das Bud von Schulze, daß es in ähnlicher
Beife gearbeitet ſei, wie die bisherigen Liedererflärungen mit ihren
lediglichen Berftandesoperationen,, ‚von denen für die innerfiche Aneig⸗
nung des Liedes, die mehr mit dem Herzen, ale mit dem Kopfe
erfolgen fol, wenig Erfolg zu boffen if.” Allerdings legt Echulze im
Sorworte auf das Verſtändniß der Lieder ein fo großes Gewicht und
bält den erflärenden Zbeil feines Buches fo lebrhaft, daß der Gedanke
nabe liegt, e8 habe die ganze Behandlung des Liedes, wie fie‘ dem Ders
faffer vorfchwebt, mehr den verftandesmäßigen Charakter, ale den erbaus
ihen. Dennoch müffen wir das Buch von Schulze als ein den Forts
ihritt der Liederbehandiung förderndes anerfennen. Der Berfalfer lies
tert in feinen Erflärungen ein Material, das, richtig verwertbet, uns
dem Ziele näher bringt. — Manches Einzelne if, und aufgefallen, fo
3. B. die ganz fehlende Rubrik Zrinitatisiieder und die Erörterung
Seite 172 über „Herr Zebaoth““. — Bei Zebaoth if feineswegs „an die
Mitreiter und wahren Jünger”, fondern an Chriſtum, „den Herrn
aller Herren’ zu denen.
6. Beiträge zu einer frudtbaren Behandlung der durd die
drei preußifchen Negulative beſtimmten evangelifchen Kir»
henlieder, mit befonderen Beziehungen auf den Unterricht im lutheri⸗
[hen Katechismus, der Kirchen »s und Baterlandsgefhichte. Ein Hülfebuch
für Lebrer in Schulen und Kirchen, bearbeitet und herausgegeben von
Wilhelm Leitritz, I. Lehrer der II. Bürgerichufe in Weißenfels. Zeitz,
Hermann Eireiber. 1856. VI u. 220 &. 18 Ser.
„Meine Beiträge wollen ein umfangreicheres, tieferes und darum
fruchtbareres Verſtändniß des evangelifchen Kirchenliedes vermitteln, als es
dur die vorhandenen Hülfsbücher ermögliht wird.” Dazu hält der
Berfaffer ausführliche, lebensvolle Biographien der Dichter, die bei
jedem Liede in den Vordergrund zu ftellen find, für nothwendig. „Die
Kinder müflen den Heiligen Gottes in das Herz ſchauen, foll ihnen das
Leben nahe gebracht werden, welches in einem frommen Liede verborgen
liegt; fie müffen mittelft Heiliger Anfchauung erfahren, dur welche Les
bensführungen der Herr die Sänger feiner Ehre erzogen hat ꝛe.“ Aus
dieſer Anführung ergiebt fich bereits, daß wir es mit einem Buche zu
tbun haben, das ſich weſentlich von feinen Borgängern unterfcheiden
wid. Daſſelbe ergiebt fih aus dem, was wir im Vorworte über die
Darftellung „des Gedankenganges“ Iefen. „Die Aufflelung der glatten
Ihemen in der Form fathedermäßiger Lehrfäge mit auegemeſſenen Haupts
und Mebentheilen erweiſt fich für die Liederpflege als unwirkjam.”’ —
„Mein Beſtreben war, den innern Bufammenhang des Liedes aufzus
‘
112 Religions - Unterricht.
ſuchen und an das Licht zu ſtellen.“ — Bei den einzelnen Liedern bietet
uns der Berfaffer a) Biblifhe Grundlage, b) Hauptinhalt,
c) Gedankengang, d) Biblifhe Anklänge, e) Anmerlungen,
H Geſchichtliches, Kg) die Melodie Betreffendes. Die Ans
merfungen erflären einzelne Ausdrüde und geben Sachliches; die Nor
tigen über die Melodie find fehr kurz gehalten. Am meiften ift das
geichichtlihe Element, ſowohl in den biographifchen Mittheilungen, als
auch in den fogenannten Liedergefchichten, vertreten. Die Reihenfolge der
Lieder ift die gefchichtliche; daher finden fi die von demfelben Dichter
verfaßten zufammengeftellt. — — Gerne erkennen wir die Grundjäße,
welche der Berfafler im Borworte .ausfpricht, als die richtigen an; in
das unbedingte Lob, welches feinem Buche bereits zu Theil geworden iſt,
fönnen wir nicht einflimmen. Die Ausführung fcheint ung fehr Hinter
dem guten Willen zurücdgeblieben zu fein. Wir geben im Intereſſe der
guten Sache unfere Ausftellungen. Der Berfafler giebt Biographien,
damit die Kinder den Heiligen Gottes ins Herz ſchauen. Run ftellen
wir gar nicht in Ubrede, daß einzelne der gegebenen Biographien zu
folhem Schauen ind Herz Handreihung thun, andere, und felbft folde,
für welde die Quellen reichlich fließen, find bei allem Eingehen auf
Ginzelnheiten doch mehr Außerlih gehalten. Es will uns überbaupt
bedünken, ale fei das Heranrüden langer, wo möglid das ganze Leben
der Kirchenliederdichter umfaffender Befchreibungen wieder eins der Extreme,
an welchen unfere Zeit auf dem Gebiete der Schule fo reih if. Ein
liebevolles, lebendiges Darlegen der PBerbältniffe, unter welchen das
Lied entflanden ift, oder, wo dieſes nicht möglich ift, ein Hervorheben
derjenigen Momente aus dem Leben des Berfaflers, die in dem Liebe
ihren Nefleg finden, ift jedenfalls wirffamer, als fange Lebensbefchreis
dungen, die ſchon darum unbehaltbar find, weil fie in eine Menge ges
fhichtliher, dem gangbaren Willen der Volksſchule gang fremder Ver⸗
bältniffe hineinfchlagen. Im diefer Beziehung finden wir bei unferem Bers
faffer große Mängel. Bon hierher Einfchlägigem begegnet ung z. B. bei dem
Liede: „Ein feſte Burg iſt unfer Gott ꝛc.“ weiter Nichte, ald Seite 19
die Brage: „Wann mag wohl das Lied gedichtet jein?‘ und die ges
legentlihe Notiz: „So wie Luthern felbh fein Lied während des Auge-
burger Reichsſstages auf der Feſte Koburg täglich zum Troſte gereichte ꝛc.“
Und wie ergiebig waren da die Quellen! (Daß Berichterftatter eine
umftändlichere Lebensbefchreibung Luthers nicht aus der Schule ver
bannen will, verfteht fi übrigens wohl von ſelbſt.) Daffelbe gilt von
dem Liede: „Befiehl du deine Wege ꝛc.“ und von manden andern.
Eine andere Ausftellung betrifft die Wort» und Saherflärungen.
Wir find mit Hupe (gegen Thilo) der Meinung, daß diefe vielfältig
nöthig find, aber unfer Berfaffer hat 'in feinem, der ganzen Anlage nadı
für Lehrer befiimmten Buche doch gar zu viel erflärt, was fich von
ſelbſt verſteht, z. B. Eeite 19: „Wehr = Schug oder Bruftwehr:
erforen = erwählt; Hahn — ſtehn“ und fo vieles Andere. (Zu
feiner Erflärung Seite 12: „Hort — hoher Ort, Zuflucht,‘ wollen
wir bemerken, daß Hort der altdeutjche Ausdrud iſt für das zur Auf:
Religions - Unterricht, 113
bewahrung Niedergelegte von vorzüglichem Werthe und eines Stammes
mit curace, forgen, custos, Hüter. (Genaueres bei Weigand 1612)
Andrerfeits find die gegebenen Erklärungen auch wiederum mangelhaft,
tbeil8 geradezu falfh, Seite 45: „Gottes Poſaune“ — Gottes
durhdringende Stimme. Seite 28 die den-meiften Lehrern gewiß uns
verRändlichen Worte über „des Papſt's und Türken Mord; (befier bei
Schulze Seite 243 und Genaueres bei Stip: „Das Kleinod ac.”).
An andern Stellen werden Erflärungen ganz vermißt; Seite 105, wo
das Gitat Joh. 20, 25 —27 fihher nicht ausreiht; Seite 107, wo die
Borte: „Wenn ih in deinem Leiden, mein Heil, mich finden ſoll“
einer eingehenden Erklärung bedurften, und der Verfaſſer ſelbſt den
fiebenten Vers ganz falfch verftanden hat. Wir fünnen aus der Menge
der Einzelnheiten bier nicht mehr anführen. — Wir treten an die Lieder⸗
geſchichten. Da ift viel Gemachtes, mit Gewalt Serbeigezogenes, für
die Schule ganz Unpafjendes. Zu dem Liede: „Mitten wir im Leben ꝛc.“
erzählt der Verfaſſer (nah Schubert) eine Schulmeiftergefchichte. Da if
denn die Rede „von dem Unfinn,” daß manche junge Schullehrer ftatt
gefunder Seelennahrung allerhand unnüges und eitles Flickwerk vors
Fringen. Run bat der Berfaffer in der Sache gewiß Net, ſowohl in
Beziehung auf Viele, denen man das Weltfind ſchon von vorn herein
anfiebt, als auch auf Manchen, der vom Kopf bis auf die Behe in
geiklihen Schein gekleidet einherfchreitet und nach allen Seiten Worte
der Salbung ausftreut. Aber gehört die Gefchichte in fein Bu? —
Bie kommen die Gefchichten von Thomas Münzer und Kaifer auf
Exite 12—14? Daß nah dem „Herr Gott, dich Toben ac.’ von Am⸗
brofius die Rede ift, ift gewiß paflend, aber muß denn nun au „Aus
guſtinus“ folgen, weil nad der Tradition Ambrofius und Auguftin 387
zufammen das Lied in der Taufnacht Auguftin’® gefungen haben?
Bußte der Berfaffer Feine andere Stelle für Auguflin? — Auf das
Lied: „Es ift das Heil uns kommen ber ꝛc.“ folgt unter „Geſchicht⸗
lies’ eine Schilderung des 18. Januar 1701. Am Schluffe beißt
es: „Die Berfammlung aber erhob einmüthiglich die Stimme und fang
die zwei letzten Verſe unferes Liedes. Sch meine, der im Himmel oben
wird auch in das Amen des Scluffes mit eingeflimmt haben. Was
wird aber Speratus gefagt haben, als die Stimme feines Liedes an
einem fo hochfeſtlichen Tage gen Himmel ſchrie?“ Das ift denn doch
eine wirklich arge VBermifchung des Geiftlichen und Weltlichen und eine Tact⸗
lofigkeit ohne Gleihen. Wir hoffen, daß auch die enragirteften Con⸗
centrationsmänner ſich gegen ſolche Eonfundirung verwahren werden.
Die Liedergefchichten find einer der fchwächften Theile des ganzen Buches. —
Bir haben mit dem Berfafler noch um vieler Dinge willen zu rechten,
müflen uns aber beichränfen. Seite 1 if von den wenigen Liedern vor
Luther die Rede. „Nur einige Peine Volkslieder und einzelne Seufzer
und Jubelrufe, angefiimmt an hohen Feſttagen und Wallfahrten, waren
der einzige Schmud ꝛc.“ Verſteht das ein Volfsfchullehrer ohne Koch
eder ein anderes Buch? Aehnliche Fälle, in denen mit wenigen Zügen
Nade, Iahresberit, X, 8
114 | Religions » Unterricht.
Belehrung zu fchaffen war, finden wir vie. Raum war durch Weg⸗
laffen mancher Gefchichte zu ſchaffen. — Faſt gar nichts ift für die tiefere
Einführung in den Gedanfenreichthum der Lieder gethan. Der Berfafler
begnügt fi mit der Aufftelung des Gedanfenganges. Da wußten dod)
die Alten ein Lied anders auszulegen. Die Darftellung bat mitunter
etwas Bedenkliches. Wir vermeifen auf Seite A und 9. Eeite 45
mußte der aus Zei. 5, 22 entlehnte Ausdrud „Helden, Wein zu faufen‘‘
ausdrüdlich als ein biblifcher bezeichnet werden. „Es wird fich nicht
fhiden, bei der Beiprechung eines geiftlichen Liedes hinabzufteigen in die
Tiefen des trivialen oder des gar zu alltäglihen Lebens; und wenn es
ja geſchehen muß, fo darf man fih gewiß nur nad Nothdurft dort aufs
halten und den pafienden Ton nicht verlieren.“ (Brandenburger
Schulblatt 1856, Seite 303. An derfelben Stelle noch manches Andere,
was jeder Liederbearbeiter beberzigen follte.) Was ein Ecriver, ein
Alban Stolz an einzelnen Ausdrüden und Wendungen gebraucht haben,
klingt darum eben, weil e8 von ihnen gebraudt if, doch noch ganz
anders, al8 wenn ein Anderer, der fonft wenig von diefen Männern
fein eigen nennen fann, es ihnen nachgebraucht. Anderwärts if bei
unferm Verfaſſer der Ausdrud fehr geichroben. Dazu lingt der ganze
Styl bald an Koch, bald an Heinrich, zuweilen leife an Alban
Stolz an. — Bir rathen dem Berfafler, deffen Zleiß und guten Willen
wir anerkennen, für eine zweite Auflage feines Buches die alten Lieder,
ausleger tüchtig zu fludiren und fein ganzes Buch einer firengen Sich⸗
tung zu unterziehen. Wir wollen nit grade auf feine Schrift ans
wenden, was Thilo von dem Knauthſchen Hülfsbuce fagt: ‚Das
it das Zeichen des Yabrifmäßigen an aller Arbeit, daß es ihr am
Stempel des Geiftes fehlt,‘ aber nach unferer Meinung, die wir allen
anderweitigen Zobeserhebungen gegenüber fefthulten, fehlt der Schrift des
Verfaſſers noch fehr viel. Es erfheint uns gegenüber den mandhers
lei Büchern der füngften Zeit überhaupt als ein fehr gewagtes, entweder
das Ziel, oder die eigene Kraft nicht gehörig bemeflendes Unternehmen,
ohne den Untergrund einer foliden willenfchaftlihen, vornämlich theo⸗
logifhen und ſprachlichen Bildung, ohne hymnologiſche Borkenntniffe,
obne Befanntihaft mit dem, was in den legten Jahren auf dem Ges
biete der Hymnologie geleiftet ift, eine Liederauslegung oder wie man
das Bud, nennen möge, fohreiben zu wollen. Grade um recht prak⸗
tifch zu fein, muß man über ein gutes Theil wiffenfchaftlicher Kennt⸗
Riffe gebieten Fünnen.
62. Paul Gerhards geiftlihe Lieder. Herausgegeben von C. F. Becker.
Mit den Singweifen. Zmeite Auflage. Leipzig. Schlide 1856. VIII
u. 447 Seiten Text und 52 Seiten Wufifbeilagen. 2 Thaler.
Eine Ausgabe, die auch in ihrem Außerlichen Gewande den frommen
Liederdichter ehrt. Zum Grunde gelegt ift die Nürnberger Ausgabe von
1683, doch auch die von Feuftfing von 1707 benupt. Die mitten in
den Berszeilen vorkommenden, veralteten Wörter find mit den jegt üb»
lihen vertaufcht, der Reim ift unverändert geblieben. Wie ſich die
zweite Auflage von der erfien unterfcheidet, oder ob wir nur eine neue
21
Religions⸗Unterricht. 115
Titelausgabe vor uns haben, vermögen wir nicht zu entſcheiden, da die
erte Ausgabe und nicht vorliegt. Möge das Buch viele Freunde finden!
E. Bur Kirchengeſchichte.
63. Abrif der Kirchengeſchichte. in Leitfaden für den Unterricht in
böberen Lehranſtalten. Seitenſtück und Ergänzung zu des Verfaflers Lehr⸗
buch der heiligen Geſchichte. Bon Dr. Joh. Heinr. Kurtz. Dritte, vers
Katie Auflage. Mitau 1856. Berlag von Neumann. VIII u. 209 Seiten.
gr. .
Zu unterfheiden von dem größeren Werke deffelben Verfaſſers
(„Handbuch der affgemeinen Kirchengeſchichte.“ Erfter Band. Erfte Abs
theilung. Mitau 1843. Zweite Abtheilung 1854. Dritte Abtheilung
1854. Die drei Abtheilungen zufammen 70 Bogen. 3 Thlr. 15 Sgr. —
Zweiter Band. Erſte Abtheilung. 1856. 1 Thlr. 24 Sar.) und dritte
Auflage des zuerfi 1852 erfchienenen (zweite Auflage 1853) Wertes:
„Lehrbuch der Kirchengeſchichte,“ das eine Zufammendrängung und auf,
Gymnafialbedürfniſſe eingerichtete Veränderung des urfprünglichen Lehr⸗
buches von 1849 darbot. Die dritte Auflage des bier angezeigten
Werkes führt den Titel: „Abriß 2, um daffelbe von dem Lehrbuche
der Kircyengefchichte für Studirende, zu welchen der Berfaffer allgemach
feine Schrift von 1849 geftaltet bat, fchärfer zu untericheiden. Wo es
ah thun ließ, Hat der Verfaſſer den Stoff vereinfacht und verkürzt.
(Statt der 16 Bogen der zweiten Auflage jeßt 13.) Die Anordnung
und Behandlung ift fonft diefelbe geblieben. — Mit diefer Anzeige if
das Gejchäft des Berichterflatters beendigt. Zeitichriften der theologijchen.
Biffenfhaft haben es vielfach ausgefprochen, daß Kur bei feiner fon»
figen vielfachen literarifchen Zhätigfeit auch ein Meifter in der Bears
beitung der Kirchengefchichte ift, daß namentlich auch der vorliegende Abs
riß durch zweckmäßige Anpaflung an den Kreis feiner Nupnießer, durch
rihtige Auswahl und angemeffene Form, namentlich durch die Kunſt,
dur kurze, treffende Bemerkungen Zeiten, PBerfonen und XThatfachen
zu zeichnen, fih auszeichnet. Der Berichterftatfer Tann nichts Ans
deres, als den Wunfch hinzutbun, daß der dreifahe Bang, den Kurk
jegt mit feinen kirchenhiſtoriſchen Schriften thut, (für Gymnaſium, Unis
verktät und umfaflenderes Selbſtſtudium), auch in Zukunft ein reich ges
fegneter fein möge. -
61. Das Lutberbühlein. ine kurze Gefchichte der Meformation und
ibrer Segnungen. Zu Nup und Krommen für Qung und Alt. Bon
Dr. Wangemann. Berlin, New-York u. Adelaide. Wohlgemuth in
Berlin. 189 Seiten. Duodez. 15 Ser.
Mit 8 Bildern, an denen bei dem hoben PBreife des Büchlein
Manches auszufegen if. Die lange als falfch widerlegte, zuerft bei Nebs
hahn, dann bei Sedendorf auftretende Annahme, daß Luthers Eitern
des Jahrmarktes wegen nad Eisieben gereift feien, findet fich auch bier.
Eisleben hat nie zu Anfang November einen Jahrmarkt gehabt. Falich
iR and) die Annahme, Hans Luther fei fhon in Möhra Bergmann ge
weſen Luther felbft fagt: „ich bin eines Bauern Sohn; mein Vater,
8*
116 . Religions » Unterricht.
Großvater, Ahnherr find rechte Bauern geweien. Hernach ift mein
Bater nah Mansfeld gezogen und bdafelbft ein Berghauer geworden.’
Wald XXII, 2264. Andere Einzelnheiten müffen wir übergehen. —
Auch fo Meine Büchlein follte man nit ohne Quellenftudium fchreiben.
Die Dietion hat wiederum manches Weberderbe.
65. Doctor Martin Luther in den Hauptzügen feines Lebens, gefchildert
von Earl Becker, evangel. lutheriſch. Paftor zu Königsberg in der Reus
mark. Mit einer Abbildung der Luthers Statue in Möhra. Leipzig.
Weber 1856. 368 Seiten. 1 Ihr.
Eine ſchlichte Schilderung der Hauptzüge aus dem Leben Luthers ;
für das Haus beftens zu empfeblen. Für Lehrer zu theuer.
66. Dr. Martin Luthers Leben. Zum Gedächtniß des Jubelfeſtes des
Augsburgifchen Religionsfriedens. Nebft einem Anhange, die Augsbur-
giſche Confeffion, die Schmalfaldiichen Artifel und den Augsburgiſchen
Religionsfrieden enthaltend. Herausgegeben von Karl Zimmermann,
Dr. ei Theologie m. Bweite Auflage. Darmftadt. Lesle 1855.
eiten.
Wir haben uns gefreut, diefem namentlich durch feine Citate unter
dem Texte wertvollen Buche auf feinem zweiten Gange zu begegnen.
Es ſetzt allerdings einen andern Leferfreis als Volksſchullehrer voraus.
67. Stammbaum der Kamille des Dr. Martin Luther, zur dritten
. Säcularfeler feines Todestages () des 18. Februar 1846 (‚) herausgegeben
von Profeffor Robbe in Leipzig. Zweite mit einem Anhang vermehrte
Ausgabe. Leipzig 1856. Verlag der Lutherftiftung. 144 Seiten und
36 Seiten Anhang.
63. Die Lutberftiftung zu Leipzig vom 18. Kebruar 1847 bis zum
18. Kebruar 1856. Zweiter befonders gedrudter Bericht. Keipzig. Verlag
der Lutherftiftung.
Zwei Schriften, zunähft von fpecieller Wichtigkeit für die Luthers
familie und die Genoflen der Autherftiftung, aber auch von Sntereffe
für. jeden Iutherifhen Chriften.
69. Geſchichte der Kriftlihden Kirche. Für Jedermann, infonderbeit
für die Jugend bearbeitet von Dr. J. B. Trautmann, evangeliichslutbe-
riſchem Paſtor zu Waldenburg in Schlefien, fortgefegt von K. U. E.
Kluge, evangeliich = Iutberifchem Paftor in Bernftadt in Ecdhlefien. Dritter
Theil, Gefchichte der Kirche von der Zeit der Reformation bis auf unfere
Tage. Dresden, Naumann. 1857. 531 Seiten. 1 Thlr. 8 Ser.
Die beiden erften Bände find Jahresbericht IV. S. 38, und IX.
S. 64 von dem heimgegangenen Nade günftig beurtbeilt. Wir fönnen
auch den dritten Theil empfehlen. Er wird dem Lehrer felbft manche
Belehrung und paſſendes Material für die Schule liefern. Manche
Partie ift nicht objectiv genug gehalten. Der hohe Preis des Ganzen
wird der Verbreitung unter den Lehrern fehr binderlich fein. ' j
70, Drei und fiebenzig Kriftlihe Geſchichtsbilder nebft ents
ſprechenden Liederverfen zur Erläuterung und Derräftigung fämmtficher
ragen des würtembergifchen Bonfirmationsbüchleing ; eine Lebensmitgabe
für Confirmanden und Confirmirte. Mit Borwort von €, E. Koch,
Dekan und eriten Stadtvfarrer in Heilbronn. Bearbeitet von Dr. A. F. S.
Heilbronn 1856. Scheurlen. IV u. 86 Seiten.
Religions - Unterricht. 117
Die einzelnen Geſchichten fchließen ſich genau an die fragen des
würtembergifchen Bonfirmationsbüchleins an. Zu jeder Frage ein Ges
fhichtebild. Der Hymnolog Koch, der eine ähnliche Arbeit, nur noch
in ausgedehnterem Maaße und in Berbindung mit einichlagenden Kerns
ſprüchen der heiligen Schrift und Kernverfen des Gefangbuches beab»
ſichtigt, aber in unbeflimmte Weite fchieben muß, empfiehlt das vor«
liegende Buch dringend. Wir flimmen feiner Empfehlung bei, hätten
aber mande Gejchichte, die 3. B. in Zrage 17, nicht wiederzufinden
gewünſcht.
71. Mittpeilungen aus der Geſchichte der chriſtlichen Religion
und Kirche für den evangeliſchen Schuls und Confirmandenunterricht
von E. F. M. 8. Marchand, evangel. Pfarrer zu Lindenfeld. Darm⸗
ftadt. Kern. 1856. IV u. 65 Seiten. 4 Ser. - .
Zu viel todtes Gerippe, zu wenig lebensvolle Schilderung. Nicht
zu empfehlen: .
12. Berte des Glaubens. (Erzählungen aus der Kirchengefchichte, für die
Jugend bearbeitet von Neale. Aus dem Englifchen überfegt. Zum Beſten
des St. Hedwig: Krantenhaufes. Berlin 1856. Drud und Verlag von
Janſen. 10 Sgr.
Die Arbeit einer Dame, um des verführeriichen Titels willen, der
Manchen irre führen könnte, von uns hier aufgeführt. Das Buch, aus
dem Schooße der Tatholifhen Kirche hervorgegangen (Vorwort vom
Bropfte Pelldram), verfpricht Erzählungen aus der Kirhengefhicdte,
und bringt unter Anderm die Gefchichte vom heiligen Meinhard, die
Legende des heiligen Wenzeslaus, die Gefchichte der fieben Brüder von
Epbefus 2. Der Borredner fpricht von der einfachen Sprache, die das
Gepräge der Wahrheit an fich trägt; die Weberfegerin ſpricht von den
bochherzigen, edlen Thaten der heiligen Märtyrer und will feine Mähr,
hen erzählen. Sie hätte nur auf den Titel fchreiben follen: „Erzäh—⸗
lungen aus der katholischen SKirchengefchichte.” Der Styl iſt fließend
und gefällig; ab und zu erinnert er an den Dann im Monde. 3. B. am.
Eingange der erften Erzählung: „Es war eine freundliche Sommernacht,“
in der fih nämlich junge, ausjchweifende Römer bei altem Weine über
die Chriſten unterhalten und St. Petrus, „der Apoftelfürft,” noch ein⸗
mal den heiligen Linus zu feinem Nachfolger einfept und der Heiland
dem Petrus auf dem Wege nach dem Appiathore leiblich erfcheint. Das
iſt gut katholiſch, und die Darftellung wird auch dazu beitragen,‘ dem
Büchlein unter der Jugend der höhern Stände Eingang zu verfchaffen.
Die alte, einförmige Form der Heiligengejchichten will der verwöhnten
modernen Bildung ohnehin nicht mehr zufagen. Practica est multiplex !
Alle Wege find gut, wenn fie nach Nom führen. — Für evangelifche.
Lehrer und Kinder alfo das Buch an die Warnungstafel!
F. Bur Schulandacht.
13. Scäulfeier am Chriſtfeſte. Enthaltend Gedichte, Gebete, Anfpracen,
—IE liturgiſche Andachten, Lieder und Arien. Herausgegeben von
Eydow, Lehrer. Landsberg a. d. W. 1857. DBolger. 100 Seiten
Ist, 16 Selten Muſikbeilage. 10 Ger.
118 Religions = Unterricht.
Der Titel giebt den Anhalt an. Gegen die Gedichte thun mir
von vorn herein Einſprache. Unfere Gedichteſammlung ift aud in der
Schulhriffeier das kirchliche Geſangbuch. Die Gebete enthalten viel
Schönes, desgl. die Anfprahen (viel Wafler in dem Gedichte V. 17,
Strophe 5), eben fo die Predigten. Die liturgifchen Andachten find
neumodifch complicirt. Die Wechfelgefpräche haben den Berichterftatter
tebendig an die in feiner Zugendzeit in Schlefien herridende Unfitte
erinnert, bei den öffentlichen, in der Kirche vor der ganzen Gemeinde,
wo möglich der ganzen Nachbarſchaft auf Meilen in die Runde, gehaltenen
öffentlihen Schulprüfungen wohl eindreffirte, hundertmal probirte, os
genannte „Geſpräche“ balten zu laſſen, bald-aus der Kirchengefchichte,
bald aus der vaterländifhen Gefchichte, bald aus der Phyfik, eins immer
gelehrter und von den (50— 60) Rednern immer weniger verflanden,
als das andere. Nun find zwar die vor uns liegenden Gefprädhe bei
weitem nicht fo bunt und raus, als jene, jetzt wohl lange entichlafenen
Schulprüfungsgeiprähe, aber in dem einen Geſpräche figuriren doch
achtzehn Kinder und die Rollen der Dummen Frager und der fupers
lugen Antwortgeber fpufen auch in Landsberg a. d. W. noch. Seite 48
zwei eine geiftlihe Komödien, aufgeführt von Joſeph und Maria, Die
von Echulfindern dargeftellt find. Recht modern. Maria z. B. fpricht:
„Ich bin fo müde! immer ſchwerer
MWird mir’s; auch nicht ein Freund if da!
So fremd hier — fühlt das Herz fich leerer,
Als wandernd durh Samaria!“
Auf eine Meine biftorifche Unwahrheit kommt es dabei nicht an. Herr
Sydow mußte wohl nicht, daß die Zuden, wenn fie von Zudäa nad
Galiläa und umgekehrt reiften, Samaria nicht berührten. Wo flehet
e8 gefchrieben, daB Zofeph und Maria eine Ausnahme machten! —
Seite 62 ff. heißen die Marginalien zu den verfihiedenen Gefangflellen
der Aufführung der Reihe nah: Coro. Recitativ. Choral. Grave. Res
eitativ. Choral. Recitativ. Choral. Coro. Choral. Coro. Recitativ.
Coro. Recitativ. Choral. Affettuofo. Choral. Bine Stimme. Zwei Stims
men. Ein Chor Kinder. Ein Chor Väter und Mütter. Tutti. Doc
genug! Das Buch wird feine Freunde finden. Je bunter, je weniger
evangelifhe Einfalt, je mehr Meffe, — fo heißt es ja leider heutzu⸗
tage vieler Orten —, deſto befier. — An die Barnungstafel!
14. Gebete für evangeliide Schulen, herausgegeben von F. Schau⸗
Ari a autor in Meiningen. 1856. Brüdner und Renner. 90 Seiten.
2 .
Diefe Gebete find furz, nad dem Kirchenjahre geordnet, einfach
und chriſtlich. Wäflriges kommt nur felten vor. Schrift und Kirchen
lied find fleißig gebraudht. Wir lieben folche Sammlungen nit; wer
aber ohne eine ſolche nicht ausfommen kann, mag nad der vorlies
genden greifen.
75. Zwölf Bibelandadten aus dem Gymnaftalleben von Dr. O.
. Sriedrih Danneil, ord. Lehrer am Pädagogium zum Kloſter Unſer
Lieben Frauen in Magdeburg, Cand. minist, Mit einem Vorwort von
Religions - Unterricht. 119
Dr. W. Hoffmann, Generaljuperintendent der Rurmark. Magdeburg 1856.
Heintihehofen. (Erſtes Heft.) VIII und 150 Seiten.
Feder, der dieſe Bibelandachten zur Hand nimmt, wird dem Vor⸗
wörtner beiftimmen. Diefer jagt über die ‚kräftigen, innigen und from⸗
men Zeugnifle des Verfaffers, daß „fie bald wie Schwertflingen in
die Herzen fahren, bald wie Siegespalmen wehen, bald wie Delzweige
des Friedens ſäuſeln.“ — ‚Die Behandlung des Schriftwortes in feiner
lebendigen, farbigen, concreten Geſtalt, — fagt derjelbe —, wie in Auf
fhließung feiner piychologifchen Tiefen und Anwendung auf Herz und
Leben ift fo treffend, veih und fiegreih, daß ich den Bibelandachten
einen gefegneten Lauf nicht nur wünſche, jondern auch vorausjage. Sie
bedürfen darum meiner Empfehlung nicht.‘ Möchte uns der Berfafler
nit zu lange auf dag zweite Heft warten laffen! Möchten aber auch
die Symnafien fih die Bibelandachten unferes Verfaſſers recht em⸗
pfohlen fein laffen!
176. EGvangeliſche Schulreden, gebalten im AZriedrihsgymmas
fium zu Altenburg von Dr. Fr. H. R. Frank, Lic. der Theol.,
Profeffor. Altenburg 1856. Schnupbafe. VI u. 110 Seiten.
Ebenfalls ein Zeichen des neuen Lebens aus den Kreifen, in denen
-
vor nicht langer Zeit mehr Loblieder zu Ehren der Genieen des Alters -
thums, als des dreieinigen Chriftengottes ertönten. Nach Anlage und
Durhführung find diefe Schulreden wefentlih von den Nr. 75 genannten
Bibelandachten Danneil's verfchieden, aber fie finden ihren Einigungs⸗
punkt mit diefen in dem freudigen Bekenntniſſe Chrifi. Das Motto
ber Frankſchen Reden: ‚Alles ift euer ꝛc“ durchdringt fämmtlihe Vor⸗
träge. Klaffifhe Durchbildung, ein offener Sinn für alles Große und
Schöne, die Gabe des Wortes, eine reiche Lebenserfabrung: Alles tritt
in den Dienſt Chriſti.
G. Zur Niffionsfade,
177. Hermannsburger Miffionsblatt. Herausgegeben von C. Harms,
Baftor. Erfter Jahrgang 185%. Zweite Auflage. Dresden bei Zuflus
Raumann. Auch im Wiffionshaufe zu Hermannsburg. 196 Seiten. 10 Spar.
Das immer wiederkehrende Einerlei, oft fogar eine krankhafte Eins
feitigfeit haben fhon Manchem, der an der Miffionsfache felbft den Ich»
bafteften Antheil nimmt, das Lefen der Milfionsblätter verleidet. Grade
in den Häufern der Geiftlihen und Lehrer, von denen aus diefe vornäm⸗
ih ihren Gang in die Gemeinden nehmen, werden fle oft am wenigften
wirklich gelefen. Um fo lieber ergreift der Berichterflatter die Gelegens
heit, die Aufmerkfamfeit der Lehrer auf eine Miffiongfchrift hinzuleiten,
die ſich nad vielen Seiten hin vortheilhaft auszeichnet. Das Hermanns»
burger Miffionsblatt bietet in dem Jahrgange, der uns vorliegt, eine '
Hriftlich gejunde, dabei auch anziehende Speife. Schwerlich wird daffelbe,
wo es erfi einmal eingefehrt ift, das Schickſal der gewöhnlichen Miffions«
blätter theilen. Bejonders den Schullehrerfeminaren wollen wir es drins
gend empfehlen. Grade in ihren Kreifen wird, fo will es ung fcheinen,
in der Art und Weile, in der nıan die Fünftigen Lehrer für die Sache
120 Religions: Unterriät. u
der Miffion zu intereffiren fucht, viel verfehen und nicht felten ber
Grund zu einer in Jahren nicht zu überwindenden Gleichgültigfeit, wohl
gar wirflihen Abneigung gelegt. - "
78. Sreundlide Mitgabe. Düſſelthal. Drud und Berlag der Rettungd«
anftalt. 1854. 24 ©.
Wir haben nicht bald einen beffern Tractat getroffen. Er ift bes
fimmt, von chriſtlichen Hausgenoffen den anflopfenden Handwerksburſchen
als Kiebesgabe gereicht zu werden. 5 Abfchnitte: Anflopfen. Unterwegs.
In der Fremde. Die Herberge. Abfchied. Gelänge e8 dem Lehrer, ihn
behufs der Austheilung auch nur in ein Haus der Gemeinde zu bringen:
e8 wäre ein reicher Segen darin.
H. Lehrpläne
- 79. Das Kirhenjahr in der Schule, behandelt nad dem Lutberifchen
Katechismus in Wochenaufgaben, zufolge des Regulativs vom 3. Dctober
1854. Bon Fink, Paſtor, und ©. Borbrodt. Zehrer zu Schönberg.
Schönebeck. Berger. 1855.
. Der Beweis dafür, daß zwifchen dieſem Dachwerfe und dem Res
Qulative durchaus feine Verwandtichaft flattfindet, if wohl in den eins
“leitenden Bemerkungen unferes Berichtes hinreichend geführt. ,
80. Lectionskalender für den gefammten Unterricht in der Elementarfchule.
Auf Grund der drei preußifchen Negulative vom 1., 2., 3. October 1854
und der „erläuternden Beltimmungen der Königlichen Regierung‘ (zu
Merfeburg ?) entworfen und nad Beiprechungen in einer Zehrerconferenz in
Drud gegeben vom Pf. Wed in Offig. Erfes Heft, den Religions
unterricht betreffend. Jeitz 1856. Webel, 55 Selten. NH Egr.
Eine Doppelarbeit für die getheilte und die ungetheilte Schule.
Der erfte Abfchnitt giebt die Vertheilung des Stoffes der biblifchen Ge⸗
fhihte an. injähriger Kurfus von Pfingften bis Pfingfien. Die
Unterklaſſe der. getheilten Schule fpaltet Wed, von dem richtigen Ge⸗
danfen an eine Mittelftufe geleitet, in zwei Abtheilungen. Auch in der
zweiten Abtheilung der ungetheilten Schule hat er ein a. und ein b.
Die praktiſche Ausführbarkeit dieſer Sonderung beftreiten wir. An der
Stoffvertheilung für die Oberflufen zeigen fih die Schwierigkeiten des
jährlihen Kurfus (im gewöhnlichen Sinne) recht deutlih. Der zweite
Theil bietet die Bertheilung der Katechismusftoffe in jährlihem Kurſus
von Oftern bis Oftern. Auch diefe Bertheilung wird fich in der Praxis
für die Oberftufen wenig bewähren, fo lange der Begriff ,jährlicher
Kurfus‘’ im gangbaren Sinne genommen wird. Der dritte Theil ent⸗
hält den Möllerfchen Bihellefepylan ; der vierte, die Geſangbuchskunde, in
zwei Jahreskurſen, if die ſchwächſte Partie des Kalenderd. Wir vers
weifen für das Einzelne auf die einleitenden Bemerkungen unferes Bes
richtes. Der ganze Kalender ift eine fleißige, auch anregende und das
rum nicht unverdienftliche Arbeit, aber miehr aus der Theorie, als aus
der Praxis erwachſen und für die lebtere wohl wenig nupbar.
81. Plan für das religidfe Unterrihtsgebiet in evangelifden
Voltsihulen. Entworfen von M. Albert Sigismund Jaspis, Ge⸗
Religions » Unterricht. 121
re undent der Proving Pommern. Stettin 1856. Graßmann.
reis 4
Bertheilt die PBenfen nicht nach Wochen, wie Wed, fondern giebt
für die drei Stufen: Unterflafle, Mittelklaffe, Oberfiaffe, einfach die
Stoffe an. Dabei trefflide Winfe über Boncentration, Anſchluß an
das Kirchenjahr 2c- Wir halten diefen Plan für eine der beften Arbeiten
igrer Art. Bu vergleichen find die einleitenden Bemerkungen unferes
Berichtes.
82. Blan für den Religionsunterriht ald Anhang zu dem Nr. 18 genannten
Katechismus.
Wird auf eine Beſprechung wohl keinen Anſpruch machen.
83. Blan in der Ausgabe der 80 Lieder von. Kolde (Lit. Nr. 56).
Die Arbeit eines der Schule wohl Fundigen Mannes, aber erfi am.
Schluſſe unferer Berichterfiattung uns zugegangen. ine genauere Bes
ſprechung behalten wir uns vor.
Nachträglich find noch eingegangen:
84. Dr. Martin Luther großer Katechtsmus. Leipzig 1857. Berlag
der Zutheritiftung. 164 Seiten. 6 Sgr.
Diefe Ausgabe des großen Katehismus Luthers zeichnet ſich vor
andern Ausgaben, 3. B. der des Evangelifhen Büchervereins (Berlin.
Niederlage des Vereins Klofterfiraße Nr. 71) dadurch aus, daß fie die
Auslegungen Luthers in kleinere und größere Abfchnitte zerlegt und
Durch Angabe des Inhaltes in Weberfchriften Lefen und Verftändniß fehr
erleichtert. Aber fie wird an der Ausgabe des GEvangelifchen Bücher
vereins unter den Lehrern einen bedenklichen Soncurrenten haben. Die
leztere tofet gebunden nur A Sgr. und bietet nod Luthers Vorrede
zum feinen Katehismus, den Keinen Katechismus, das Zraubüchlein
und das Zaufbüchlein.
835. Kleine Geſchichten ausder heiligen Geſchichte. Für die Kleinen
bearbeitet von J. Poppe, Mädchenlehrer in Gorsleben. Des Verfaſſers
„Vorlagen gam Schreiben und Leſen“ viertes Heft. Schönebed bei
Berger. 1856.
Bieder ein Büdlein für die Kleinen von einem Manne, der allem
Anfcheine nad niemals, oder doch nur fehr kurze Zeit den Kleinen Res
ligionsunterriht ertheilt hat. Das zeigt ſich zunächſt fchon in der Aus⸗
wahl des Stoffes; Gefhichte 16: „Jakob bei feinem Better Laban,’
giebt die Namen der zwölf Söhne Jakobs, Geſchichte 35 giebt die Ges
feßgebung und die zehn Gebote der Reihe nach, Geſch. 36: Das goldene
Kalb und Mofes zum zweiten Male auf dem Sinai, Gef. 37 (in
13 Zeilen): Die 40 Jahre in der Wüfte, Geſch. 38: Mofes ftirbt,
Geſch. 39: Zofua führt Israel in das verheißene Land, Geſch. 40:
Eli und Samuel 2c. Aus dem neuen Tefamente unter Anderm Johannes
122 Religions - Unterricht.
tauft: die Wahl der Apoflei und die Namen der zwölf Apoftel; die ges
fhichtlihe Einleitung zur Bergpredigt und dahinter 7 Zeilen aus der
BDergpredigt und das Baterunfer; Johannes wird enthauptet, Martha
und Maria; Zahäus, eine fehr umfangreiche Paſſionsgeſchichte; bei der
Pfingftgefhichte fogar Einiges aus der Nede des Petrus. Das Alles
it für die Kleinen! — Das fihtlihe Beſtreben, den geſchichtlichen Zus
fammenhang feflzuhalten, paßt fchleht zu dem Zitel. — "Bei einzelnen
Geſchichten ſtehen Sprüde, bei andern wird auf des Berfaflers Spruch⸗
buch verwiefen. Wer fennt diefes? Liederverfe find nicht gegeben, fon»
dern follen aus dem Gefangbuche gelernt werden. Bon einer Berbins
dung der Gebetöftoffe mit der biblifchen Geſchichte ift feine Spur. Eben
fo wenig von der Anordnung nah dem SKirchenjahre. Die einzelnen
Geſchichten find paſſend in einzelne, durch Ziffern bezeichnete Abfchnitte
getheilt. Ob dieſes des Berfaflers eigene Erfindung if, wiſſen wir freis
lich nit. Die Ziffernabfchnitte treffen wenigftens vielfady mit den Abs
ſchnitten in einem für die Kleinen beflimmten Büchlein eine andern
Berfaflers zufammen. In diefem finden fi) Gedankenftrihe, bei unferm
-Berfaffer Ziffern. Wir empfehlen dem Berfaffer in Beziehung auf feine
Schriftftellerei für den Religionsunterrit in der Unterflaffe ein Sprüch⸗
fein aus dem Schulmeifter-A+B-E von Theophilus Eruft:
„Treib's nicht, eh’ du's ſelbſt verſtehſt;
Lern', eh’ du an's Lehren gehſt.“
un — — — —— a
I.
Der Unterricht in der deutſchen Sprache.
- Don
2. Kellner,
Negierungds und Schul»Rath in Tier.
A. Borbemerkungen über die Methode im Allgemeinen.
Wir dürfen vorausſetzen, daß aufmerkſame Freunde und Leſer
des pädagogiſchen Jahresberichtes mit den Anſichten und Grundſätzen
vertraut find, welche bisher durch denſelben in Betreff des Sprachun⸗
terrichtes empfohlen und vertreten wurden. Beſtimmte Anfichten, feſte
Grundfäge find übrigens nothmwendig, wenn die Beurtheilung der eins
ſchlagenden literarifchen Erfcheinungen nicht charakterlos und ziveideutig
ausfallen foll, obgleich fie Feineswegs fo beengen dürfen, daß nicht auch
dem Guten, weldyes anderen Grundfägen und Anfichten entiprungen if,
Gerechtigkeit und Berechtigung eingeräumt werde. Nur das. abfolut
Schlechte, nur die aus fchulmeifterlich « erfahrungstofem Dünkel und
aus der Unwiſſenheit entfprungenen Machwerle, deren es leider immer
noch mehr als zu viele giebt, find unbedingt und um fo firenger abzus
fertigen, da es fih um einen Gegenftand von Außerfter Wichtigkeit hans
delt, und das Gute oft gerade von der Menge des Unkrautes erflidt
werden Tann. Lehrern ift man übrigens eine gewiflenhafte Kritit um
fo mehr fchuldig, da ihnen Zeit und Geld gleich koſtbar find, und Irr⸗
wege ſich nicht auf fie allein befchränfen.
Es liegt in der Natur des Gegenflandes, der hier zu behandeln
iR, fowie in den Gefegen der allgemeinen Entwidelung, daß ein Jahr
eigentlich nur eine furze Spanne des Fortfihrittes fein Tann, und daß
daher die gegenwärtigen Zuftände im Wefentlichen noch den früheren
gleigen. Da im vorigen Jahrgange die Grundzlige der Methode des
Syrachunterrichtes nochmals möglichft vollfländig, aber auch möglichft
kurz und überfihtlich zufammengeftefft find, fo wird für jept nichts, als
—
424 Der Unterricht in der deutſchen Sprache.
eine Weberficht der Literarifhen Erjheinungen übrig bleiben, und
ed mögen diefer Weberfiht nur noch einige wenige Bemerkungen vors
ausgeſchickt werden, welche mir fowohl durch Die Gegner der bisher bes
folgten methodifchen Grundfäge, als dur deren Vertheidiger an die
Hand gegeben find.
Manche meinen, daß durch die analytifche Methode, nach welder
der Sprachunterricht auf das Leſebuch oder einzelne Mufterftüde bafirt
und in der logifhen und grammatifchen Betrachtung der Ießteren befteht,
der Unterrichtsftoff, das Wiffensmaterial zu fehr zerftüdelt werde,
und daß namentlih die grammatifche Ausbeute diefer Zerftüdelung ans
beim falle und der nothwendigen Ordnung und Ueberfiht entbehre. Ich
fann diefem Einwande nur infoweit einige Berechtigung zugeflehen, ale
man nod immer allzu fehr geneigt ift, in der Grammatif, und nur in
dDiefer, das Ziel und Ende alles Sprachunterrichtes zu erbliden, und
daher auch die Elementarfchulen mit möglichft vielem Regel» und For⸗
menwefen zu bebelligen. Wo dagegen die Grammatif Auf das rechte
Maaß zurücgeführt und nach den Grundfägen ausgewählt wird, welche
ich im vorigen Jahrgange dargeftellt habe, da iſt es nicht fehwer, Die
. desfallfigen Regeln und Erfcheinungen auch in organifcher Reihe auf
einander folgen zu laffen, wie dies fowohl mein Praftijcher Lehrgang,
ale auch ganz befonders die Fürzlich in zweiter Auflage erfchienenen
„Sprahftunden’ (Leipzig, Hartknoch) beweifen. Nur wer das Maaß
überfhäßt, wird in den Ueberfluß feine rechte Ordnung bringen föns
nen; wer aber Haus hält und ſich insbefondere auf den praftifchen
Lebensbedarf befchräntt, der wird finden, daß fih auch die Ordnung
gar bald findet, ja von felbft ergiebt. Wer übrigens glaubt, Daß die
grammatifchen Regeln und Formen durch die zwifchentretenden Logis
{hen und fahlihen Betradhtungen und Uebungen zu weit
„on einander getrennt würden, und daß damit der überfichtlihen Aufs
faffung Abbruch gefchehe, der ift ja durch Nichts gehindert, von den für
den Spradunterriht beſtimmten Stunden regelmäßig einzelne nur dem
grammatifchen, andere wiederum dem logiſchen Berfländniffe der Grunds
lagen zu widmen und dadurch jede Dieciplin mehr zufammenzuhalten.
Ein erfreulihes Ergebniß der neueren Methode des Sprachunter⸗
richtes iſt es übrigens, daß dadurch aud die Poefie mehr Geltung
in der Bolfsfchule gewonnen, und daß au der Gefangunterricdt
mehr in lebenvolle Verbindung mit dem Sprachunterrichte getreten if.
Was zunächft die Poeſie anlangt, fo bemerkt man mit Freuden, daß ein«
zelne Fabeln, Lieder, Heine Balladen, Räthfel ꝛc. nicht bloß häufiger als
fonft erflärt, memorirt und forgfältig mit reiner Ausfpradhe hergeſagt
werden, fondern daß finnige Lehrer fie auch dem Spradunterrichte, fos
wie anderen Diseiplinen an paflender Stelle einlegen und damit dem
Ganzen ein höheres, innigered Leben verleihen. Insbeſondere hat auch
der von Körner herausgegebene „Praktiſche Shulmann‘ nad
diefer Seite bin recht dankenswerthe und wirklich praftifche Gaben ge»
bracht. Es Tann nicht fehlen, daß auf diefem Wege auch die Lehrer
feib mehr mit der Poefle befreundet werden, und dag fi ihnen damit
Der Unterricht in der deutſchen Sprahe 123
ene Quelle frifgen, reinen Lebensgenuffes eröffnet, welche auch auf
die gefammte Lehrerwirffamfeit wohlthätigen Einfluß üben wird.
Bo der Sprachunterricht in rechter Weife betrieben wird, und
daher nicht bloß mit der trodenen Grammatik abfchließt, da iſt es eine
nothwendige und nahe liegende Folge, daß er auch den Gefanguns
terriht befruchtet und mit dem ganzen Schulleben in Berbindung feßt.
Man muß bald erfennen, daß auch der Geſang eine Sprache ift, und
daß die wahrhaft zu Herzen gehende, das Gemüth anfprechende Aus⸗
übung bdefielben im Wefentlichen unter denfelben Gefeben fleht, wie der
hrrahlige Ausdrud. Namentlich hängt es mit der richtigen Anſicht
von der Methode des Sprachunterrichtes zufammen, daß man dem Lies
derfegten und deren Berftändniffe wieder größere Aufmerffamkeit widmet
und es erfennt, daß ein Grfaffen diefer Terte mit dem Kopfe und Her⸗
jen eine weſentliche Bedingung jedes guten Vortrags bleiben wird.
Eine andere, nicht minder erfreuliche Frucht eines Sprachunterrich⸗
tes, wie ihn der Jahresbericht bisher empfohlen bat, if endlich darin
zu nbliden, daB damit zugleich eine wahrhafte und wirkliche Verbin⸗
dung, ein lebendiger Zufammenhang aller Disciplinen bewirft wird,
wilde offenbar zum Spracdunterrichte gehören und nur einzelne Rich⸗
tungen deſſelben find, nichtsdefloweniger aber oft genug ganz getrennt
von einander betrieben wurden. Namentlich gilt dieß vom ſchriftlichen
Sedanfenausdrude oder dem fogenannten Freiſchreiben. Letzteres knüpft
fh ohne Zwang an den Sprachunterricht, fobald diefer nicht in ber
Grammatik fein einziges Ziel und Ende erblidt, fondern durch die
Rufterüde, Grundlagen oder Rormalfloffe, welche das Xefebuch bietet,
ianiger mit der lebendigen Sprade in Berbindung tritt. Die Togifche
Letrahtung der Mufterftüde, das Streben nach‘ vollem, realem Bers
Rindniffe derſelben, und die damit verknüpften Erflärungen von Worten,
Sachen und Thätigfeiten bieten eine reiche Fülle Stoffes für die Uebung
im ſchriftlichen Gedankenauſsdrucke. Höher noch ift es anzuſchlagen, daß
damit zugleich der Unterricht im fchriftlihen Gedankenausdrude auf
leine natürlichen Grenzen zurüdgebracht und-zur Wahrheit wird, wähs
rend die Webertreibungen darin auch in erziehlicher Hinficht Die nach⸗
tteiligſten Folgen haben. Die Uebungen im $reifchreiben werden näms
ih zur Reproduction des Gehörten und Gedachten, und find demgemäß
das Ergebniß der Anfchauung und des gefammten inneren Lebens,
während fie im entgegendefehten Falle, wo der fchriftliche Gebanfenauss -
druck ſelbſtſtändig oder ifolirt dafteht, Teicht zu Webertreibung und zur
Unnatur werden und jene altkluge Frühreife fördern, die im Intereſſe
einer gefunden Jugendbildung nicht weit genug von unferen Schulen
entfernt werden fann. Zugleich bieten die veiflich und eingehend beipros
tenen Grundlagen Mufter in der Form, welche das natürliche Sprach⸗
gefühl, dieſe herrliche Gabe der Natur, weiter ausbilden und flärfen.
Weſentlich if es, und immer muß es noch nachdrücklich hervorges
hoben werden, daß die Sauptfrucht des Sprahunterrichtes nicht im
Biffen, fondern im Können befteht, und fo fange diefer Zundamentals
fag nicht zu entichiedenerer Geltung gekommen ift, wird der Unterricht
-
126 Der Unterricht in der deutfchen Sprade.
immer den Zweck verfehlen. Ueberall, wo die Grammatik noch Haupt⸗
fache ift und als folhe behandelt wird, überall, wo der Spracdhunters
richt nicht mit dem Leſebuche in innigere Verbindung tritt, da muß das
Wiſſen einjeitig hervortreten und die eigentliche Fertigkeit im Sprechen
und Schreiben nachſtehen. Man tröfte fich nicht damit, daß man fagt:
Alle Unterriht müffe ſprachbildend fein. Es gebt mit diefem fehr
richtigen und wichtigen Grundfage nicht viel beffer, als mit dem. beliebten
Ausfpruche: Aller Unterricht folle religiös gemweiht- fein. Ach möchte
um des leßteren Sapes willen keineswegs einen gründlichen Religions»
unterricht entbehren und immerbin des Glaubens leben, daß diefer das
Befte thue. Ich würde fürchten, daß mit allgemeinen Redensarten und
Reflexionen oder Hindeutungen, fo gut gemeint fie auch fein mögen,
feine wahrhaft religidfe Durhbildung erzielt werde, — und ähnlich oder
eben fo iſt's aud mit dem Sprachunterricht. Möge der wohlmeinende
Lehrer immerhin in feinen übrigen Stunden auf reine und deutliche
Ausſprache dringen oder bier und da die Kertigfeit im fchriftlichen Aus⸗
drude fördern, das Alles wird doch nur Stüd- und Flickwerk bleiben,
wo nicht der eigentlihe Sprachunterricht das Befte thut und den Kern
bildet. Wo übrigens in Schulen das Fachſyſtem herricht, und demnach
jeder Lehrer ohne genauen Ueberblid über das Ganze nur feinen Ader
vorzugsweife beftellt, da find die Ergebnifle jenes ſchönen Grundfages
jedenfalls fo ſchwach, daß es höchft mißlich wäre, fih nur einigermaßen
auf ihn zu Rügen. Darum find überall, wo eine greiflihe, praftifche
Frucht des Sprachunterrichtes hervortreten foll, befondere Sprachſtunden
nöthig, welche nicht bloß die Grammatik zu ihrer Aufgabe machen, fons
bern dieſe Aufgabe wefentlich im lebendigen Umgange mit der Sprache
erbiiden. Diefer lebendige Umgang mit der Sprache ift und bleibt auch
das Hauptverdienſt der Methode, welcher wir bisher das Wort geredet
haben. Selbſt Diejenigen, weldhe nur der Grammatif huldigen mögen,
werden durch dieſe Methode mehr und mehr zu fol einem lebendigen
Umgange bingedrängt. Sie find damit wenigſtens genöthigt, ihre Bei⸗
ſpiele nicht inhaltsleer und bloß der Regel zu Liebe zu formiren, Die
Anwendung nicht in gleicher Weile bloß auf mechaniſche Satzmachereien
zu beſchränken, fondern in beiden aufs Mufterflüd, aufs Leſebuch, kurz
auf Die lebendige Sprache zurüdzugehen.
B. Ueberſicht der neueften Erfeheinungen auf dem Gebiete.
des Unterrichts in der Mutterfprache.
1. Brammatifder neubochdeutfhen Sprache, mit befonderer Be-
rückſichtigung ihrer biftorifhen Entwickelung von Friedr. Aug. Schö-
tenfad, Gymnaflallehrer in Stendal. Erlangen, bei Friedr. Ente. 1856.
er. 8. 836 Seiten. 31/5 Thlr.
Diefe mit wahrhaft deutfchem Fleiße verfaßte Grammatif iſt eine
ber umfaffendften, Die wir befigen, und fann fi in ihrer Reihhaltig«
keit fühn den Werfen eines Schmitthenner, Gößinger, Beder u. A. an
die Seite ſtellen. Sie wird zwar in Diefer wiflenfchaftlichen Züle und
Der Unterricht in der deutfhen Sprade. 127
mit ıhrem etwas fchweren Style zunächfk feine Schrift fein, wie fie
der Bolfsfchullehrer für feinen Amtsbetrieb bedarf, dagegen kann fie
Lehrern an Mittels und Realfchulen, wie an Gymnaſien, fowie Allen,
die tiefere Studien in der deutſchen Sprache machen wollen, nachdrück⸗
ih empfohlen werden.
Den Abfchnitt über das Weſen der Sprache haben wir etwas
dürftig gefunden, und es bat uns insbefondere befremdet, daß der Ver⸗
fafler noch der Anficht huldiget, daß die Sprade aus dem lebendigen
Drange nah Mittheilung entflanden, alſo gewiffermaßen eine menjchliche
Erfindung fei. Selb die Forfhungen eines W. Humboldt neigen das
bin, daß die Sprache etwas pofitiv Gegebened, alfo eine Offenbarung
des Schoͤpfers ift. '
Wenn auch Grimm’s und Becker's Anfihten vorwiegend in dem
Werke herrſchen, fo ift doc der Berfafler nirgends unfelbfiländiger Nach⸗
beter. So verwirft er 3. B., abweichend von Beder, den Eonditionalis
als ſelbſtſtändigen Modus. . -
Drud (lat. Lettern) und. Ausftattung find gut, der Preis zwar
hoch, aber im Bergleiche mit dem bedeutenden Umfange des Buches
nit übermäßig. Die Zahl der Drudfehler iſt mäßig.
2. Die deutſche Schreibung und Sapzeihnung, wie fie in den
im Kaiſerſtaate Defterreih vorgefhriebenen Shulbüdern
vorgenommen if. Ein Hülfsbuh mit Webungsfloff und Aufgaben.
Iwelte, vermehrte Auflage Prag 1856, bei Carl Andie. 8,
eiten.
Die Thätigfeit, welche fich gegenwärtig auf dem Gebiete des Schuls
weſens in Defterreich zeigt, hat auch in dem vorliegenden Buche «ine
Frucht reifen laffen, die zu den beften ihrer Art gehört. ine vortrefis
lich gefchriebene, wiflenichaftliche, aber Elare und allgemein faßliche Ein⸗
leitung verbreitet fi zunähft über die Buchftabenfchrift, deren Wefen
und Eutſtehung, und leitet hieraus die Methode unter fleter Berüdfich-
tigung Des Findlichen Geiftes ab. Diefe Einleitung bemeift nicht bloß,
daß der Berfafler mit der Wilfenfchaft als folder vertraut iſt, fondern
Daß ihm auch die Fortfchritte und Forfchungen in der Methode genau
bekannt find. Er unterfcheidet deshalb auch ſcharf zwiſchen der Rechts
ihreibung durchs Ohr und durchs Auge, und beginnt den Kurfus in
swedmäßigen Abftufungen mit der erfteren. Es darf hierbei nicht uns
erwähnt bleiben, daß die Webungsbeifpiele mit befonderem pädagogifchen
Zafte ausgewählt find und nicht bloß den Zwed des Mechtfchreibeng,
jondern auch den der religiös sfittlihen und Afthetifchen Bildung verfol⸗
gen. Diefe Seite des Buches gereicht ihm zu einer Hauptzierde. Der
Berfaffer ift ein Deſterreicher, und als ſolcher vertritt er auch die Aen⸗
derungen, reſp. DBereinfachungen, welde zur Zeit dort in Betreff der
Ortbographie von gewiegten Männern empfohlen und verallgemeinet
werden. Die wichtigiten Abweichungen der öftreich. Nechtichreibung von
der unfern find folgende: ‘
4) Der Doppellaut 9 fällt aus, und es wird Bot, Mos, Mor ıc.
gejchrieben.
N
128 Der Unterricht in der deutſchen Sprache.
2) In Wörtern mit zufammengefepten Ans und Auslauten bleibt
das fonft übliche dehnende h weg, wenn nicht ein biflorifcher Grund
dafür ſpricht, und man fhreibt alfo: flelen, Stral, pralen, Flut, Glut,
Wert, Wirt 2c.; desgleichen in den Nachſylben at und ut, 3. B. Hei⸗
mat, Armut ꝛec.
3) Der Ausgang teren hat durchgehende ie, alfo: addieren, ofus
lieren ꝛc., ebenfo wie buchflabieren, fpazieren ꝛc. Auch gieng, hieng,
fieng ꝛc. nehmen das e wieder an.
4) Der Gebrauh des B wird auf die Stellung nad langen
Srundfauten beihräntt, und ff (ff) Bleibt überall in feinem Rechte,
nur daß am Ende der Wörter dafür ſs gefchrieben wird, 3. B. Fuß,
Buße, müßen, heiß, weiß, — faflt, faſſlich, — Fuſs, Rofſſhirt, Roſs,
dafs ꝛc.
5) Die Nachſylben in und nid haben endwärts einen einfachen;
in der Merlängeräng, einen doppelten Mitlaut, 3. B. Königin, Königin»
nen, Hindernis, Hinderniffe 2c.; desgleichen fchreibt man Misgunft, mis»
lingen 2.
ing 6) Die unbeſtimmten Zabls und Fürwoͤrter, ſowie die zu neben⸗
wörtlichen Fuͤgungen gebraudhten Hauptwörter erhalten in der Regel
nur einen Kleinen Anfangsbuchſtaben. j
7) Häufiger gebraudte Fremdwörter werden nach deutfcher Aus⸗
fprache gefchrieben, namentlich wird in vielen Fällen 9 dur i, € durch
k oder 3, ph durch f, — t, wenn es wie z lautet, durch 3 erfeßt.
Daß diefe Aenderungen gar Manches für fih haben, leuchtet ein.
‚ Vielleicht befprehen wir die ganze Angelegenheit einmal ausführlich im
nädsften Jahrgange. Sept nur noch fo viel, daß wir ung der Bekannt⸗
fchaft mit dieſem Buche herzlich gefreut haben und überzeugt find, daß
ihm die wohlverdiente Anerkennung nirgends fehlen wird.
3. Deutfde Sprachlehre für höhere Lehranftalten und für
eigene Belehrung von W. Stern, Seminar: Director und Profeſſor.
Karlerube, bei Groos. 1856. X u. 261 Seiten in 8. Preis 24 Ger.
Dieſes Buch macht nicht Anfpruch auf einen Fortfahritt in der
Methode, fondern will zunähft nur das höheren Lehranftalten nothwen⸗
dige Wiffensmaterial in der aus der Wiflenfchaft felbft entnommenen
Folge geben. Diefe Aufgabe ift vollfommen erfüllt, wie es fih auch
vom längft bekannten DVerfaffer nicht anders erwarten ließ. Die Darſtel⸗
lung iſt beftimmt und faßlich, auch die Beifpiele find paſſend und anfpres
hend. Das Buch verdient den auf dem Titel bezeichneten Kreifen em⸗
pfohlen zu werden.
4. Den?s und Sprachlehre. Ein Leitfaden zur Ertbeilung eines orgas
nifhen Spracdhunterrichtes, bearbeitet von Raymund Schlecht, Seminar-
mieeter in Eihftädt. Nördlingen, bei Bed. 1856. gar. 8. 107. Seiten.
10 Sgr.
Der Berfaffer gehört zu den denfenden und erfahrenen Schulmän⸗
nern; das bemweifen die Vorrede und feine Schrift ſelbſt. Er if ein
begeifterter Anhänger des Beder’ihen Syſtems und flieht überhaupt im
Der Unterricht in der deutfhhen Sprache. 128
der Durchdringung des Kormellen mit dem Logifchen einen hohen, auch
der Schule zuzumendenden Gewinn. Er fcheint uns im Verfolg dieſer
Anfiht, deren Nichtigkeit überhaupt bezweifelt werden kann, zu weit
zu geben, obgleich wir überzeugt find, daß die Früchte feines Unter«
richtes befriedigen. Er bringt einerfeits feinen Eifer der Sache zu,
und anderntheils wirft er mit der anerfennenswerthen Grundanficht, daß
das Wiſſen der Schüler praftifch fein müſſe, daß es aber nur dann
diefen Ramen verdient, wenn der Sprachunterricht aus dem Leben er-
griffen und wieder in’s Leben zurüdgeführt wird. Wir find hiermit
solllommen einverflanden, und erflären darum auch, daß der Berfafler
bei aller Vorliebe für Beder mit fpyarfamer Umficht ausgewählt hat.
5. Reuboddeutfhe Elementargrammatit. Mit Rüdfiht auf die
Grundfäge der hiſtoriſchen Grammatik bearbeitet von K. U. Julius
ann, Director des Johanneums in Lüneburg. Vierte Auflage.
lausthal, 1856. Verlag von Groſſe. gr. 8. XVI u. 128 ©. 12"/s Gar.
Richt für Volksſchulen, doch aber Volksſchullehrern nüpli und
jum Studium zu empfehlen. Der Berfaffer it für einzelne Neuerungen
in der Orthographie, namentlich für Weglaffung der Dehnungszeichen.
Bad er überhaupt über die Nechtfchteibung in der Vorrede fagt, if
leſens⸗- und beachtenswertb. Der Inhalt des Buches iſt in präciier
Faffung auf Das Nothwendige beſchränkt; der Lehrer aber, welcher diefe
Elementargrammatif denkend durdarbeitet, hat einen guten Grund gelegt.
6. Shulgrammatiflder neubodhdeutfhen Sprache für die untes
ten und mittleren Klaſſen höherer Unterrichtsanftalten, Sekundärſchulen ac.
von Lüning, Profefior in Zürih. Zweite Auflage Zürih, Meyer
und Seller. 1857. 136 ©. N. 8. 12 Ser.
Bereits im Jahresberichte für 1853 Seite 135 angezeigt. Die
Beifpiele, welche ‚wir früher inhaltsleer fanden, find größtentheils mit
befieren vertauſcht. Tas Büchlein empfiehlt fich.
7. Die Sreifhreibungen in der Bollsfhule Cine Sammlung
von Aufgaben mit methodifchen Erläuterungen. Bon Franz Herrmann.
I. Heft. Brag, 1856. J. ©. Calve'ſcher Berlag. N. 8. 136 ©. Ys Ihlr.
Der Berfaffer verdient im Wefentlihen auch in Betreff dieſer
Echrift das Lob, welches wir ihm bei Gelegenheit der oben befproche-
um Rechtichreibelehre bereits zollten. Auch diefes Büchlein bietet ges
ſinde Grundfäge und gefunde Stoffe. Mit Recht wurzeln die Uebun⸗
gen im Freifchreiben im Anfchauungsunterrichte, weshalb auch der Vers
faffer ext im zweiten Theile des II. Kurfus Beihreibunggt, Briefe und
Erzähtungen , - fowie einige Gefchäftsauffäge bietet. Der erfie Kurfus
dagegen enthält Anfchauungss, Denk⸗ und Sprahübungen, welche zu
gleich als Schhreibübungen benußt werden. Die I. Abth. des II. Kurs
fü6 enthält Uebungen aus der Satzlehre und aus der Synonymik, för
wie Vebungen im Erklären fprüchwörtlicher und bildlicher Redensarten.
Den Uebergang zur folgenden Abtheilung bieten Webungen im Umſchrei⸗
ben der Gedanken. Das ganze Bud ift Volksſchulen fehr zu empfehlen
und hilft den Fortfchritt fördern.
Nade, Yahresberigt. X. " 9
130 Der Unterricht in der deutfchen Sprade.
8. Abriß der englifchen Literaturgefhiäte. Zum höheren Schul⸗
gebrauche wie zum Selbflunterrichte beffimmt. Bon Dr. Alexander Bud:
ner. Darmftadt, Hei J. Ph. Diehl. 1856. gr. 8. 122 Seiten. "/s Ihr.
Streng genommen, gehört diefer Abriß nicht in die Kategorie der⸗
jenigen Schriften, mit welchen wir es hier zu thun haben. Doch dürfte
er manchen Xehrer, der fich mit höher gehenden Studien befchäftigen
Tann oder will, intereffiren, weshalb wir gerne bemerken, daß er ein
wohlgelungener Auszug des in demfelben Berlage erſchienenen größeren
Wertes: „Geſchichte der englifchen Poeſie“ (Preis 2 hir.) if.
9. Deutfhe Gtilfhule Eine von Aufenmäßig geordneten Aufgaben
begleitete praltiige Anleitung zur Bildung im deutfhen Stil. Kür höhere
Lehr» und Biltungsanftalten, insbefondere für höhere Volks⸗ Bürger⸗
und Töochterſchulen von K. F. W. Wander. Leipzig 1856. Verlag von
Woller. Preis für VIII u. 155 Seiten in 8. 15 Sgr.
Der ſchreibfleißige Berfaffer ermüdet in feinen tediglich für Ele
mentarfchulen berechneten Schriften dur eine unmäßige Breite und
objective Lückenloſigkeit, weshalb die praktifchen Lehrer genöthiget find,
Bieled aus feinen fehwerbefadenen Schiffen über Bord zu werfen. In
diefer für Höhere Schulen beflimmten Schrift begegnen wir dem erwähn⸗
ten Fehler weniger und finden viel Brauchbares. Doc ift auch manches
Unnöthige, Hochgegriffene und Geſchraubte darin anzutreffen, mie bie
Mebungen im Gloffen» Machen (Seite 151), in der Babrifation von
Zrioletten, Difiihen ꝛc. und endlich gar in der Anfertigung von —
Satyren! — Gott bewahre uns! —
10. Sabbilderſchule. Aufgabenfhag kur Uebung im Entwerfen von Satz⸗
bildern und Anleitung zum Verſtändniß und Bau aller Arten zufammens
efepter Säge und Perioden. Yür höhere Lehr: und Bildungsanflalten,
nöbefondere für höhere Volls⸗ Bürger» und Töchterfchulen, fowie zum
Brivats und GSelbfiunterriht. Bon A. F. W. Wander. Leipzig 1866.
Berlag von Wöller. XII u. 73 Eeiten. 8. 10 Sgr.
Bei einem Schriften, wie das vorliegende, erfennt man auf Der
einen Seite gerne das feiner Abfaffung vorausgegangene gründliche und
mühfame Studium; aber auf der anderen Seite tritt die Prarie ents
gegen und fagt, daß es im Verhältniſſe zus Schulzeit und zu den alls
gemeinen Zweden des Unterrichtes unmöglich fei, einen Zweig des
Sprahunterrichtes wie einen ganzen Baum zu betrachten. Nicht minder
fagt ſich der erfahrene Schulmann, daß zum Sapverfländnifle eine gründ⸗
liche, auch auf das Logifche eingehende Analyfe volllommen ausreiche
ohne jene Perioden» und Sabgefüger Bilder, welche allzu fünklih und
mübfelig find, um wirflid zu lohnen und die Schüler anzufprechen.
Ramentli für Mädchen möchte ein ſolches Stelettiren ermüdend und
geifttödtend fein. Es if unmöglich, fagt der Berfaffer ſelbſt, ein der⸗
artiges Satz⸗ oder Periodenbild zu entwerfen, ohne den Sinn des Sag»
ganzen genau zu erfaflen. Wir geben das in fo weit zu, als das Bild
jedenfalls nur ein Ergebniß des Erfaffens (Berfändniffes) ik, — aber
wenn das Berkändnig errungen, wozu denn noch diefes Skelettiren 7
Bir Pönnen uns mit folder Künftelei nicht befreunden, wollen aber
Jedem feinen Geſchmack laſſen. So viel if gern zuzugeben, def ein
Der Unterricht in ver deutſchen Sprache. 131
Lehrer das Buch nicht ohne Gewinn für das tiefete Verſtaͤndniß der
Saplehre durcharbeiten wird.
11. ABE der Verslehre. Aufgabenfhag für den erften Unterricht In der
ebundenen Mede Zum Gebraud in höheren Lehr» und Bildungsans
alten, insbefondere in höheren Volls⸗, Bürgers und Töchterſchulen, ſo⸗
wie zum Private und Gelbflunterriht. Bon R. F. W. Ban
weite, vielfach verbeflerte und vermehrte Auflage. Leipzig 1856.
erlag von Wöller. XIV u. 105 Seiten. 8. Preis 15 Er.
Unter den drei Schriften des Verfaſſers, melde wir zur Anzeige
gebraht haben, erſcheint diefe als die gelungenfte. Gründliche Stu⸗
dien und eine durch gut gewählte Beifpiele unterflüßte faßliche Darſtel⸗
lung gereidyen dem Büchlein zur Empfehlung.
12, Lehrgang für den Unterriht In der Rechtſchreibung und
Zeihenfepung, fowie Materialien zu Memorir- und Dics
tirübungen 20. Rebſt einem Anhange, enthaltend Andeutungen zur mes
thodifchen Behandlung des Sprachunterrichtes. Bon H. Käfer. Lan-
genſalza, Schulbuchhandlung des Th. 2. V. 1856. VIII u. 153 Selten. 8,
Das Buch if eins von denen, die zu gebrauchen find und manches
Gute für den praftifchen Betrieb bieten, ohne deshalb ein eigentlicyer
Bortfhritt zu fein oder fich irgendwie von gar vielen ähnlichen zu uns
terſcheiden. Die Andeutungen zur methodifchen Behandlung des Sprach⸗
unterrichteß beſtehen im nichts, als in einzelnen ſkizzenhaft bingemworfenen
ſprachlehrlichen Fragen und Webungen.
13. Die deutſche Caſuslehre. in Gonferenzuortrag von K. Juch,
Lehrer an der Xehranftalt der Innungshalle zu Gotha. Leipzig, Verlag
von Yul. Klinkhardt. 1856. 3 Ger.
Lefenswertb und nit bloß in wiffenfMaftlicher Hinſicht, fondern
au deshalb zu empfehlen, weil überall auf die praktiſche Seite binge⸗
wiefen und Rüdfit genommen wird. Am Schluffe verfucht der Ber-
fafler die abgehandelten Regeln in philoſopiſcher Faſſung und in präg-
nanteſter Kürze zu geben. Wir laffen diefe Fafſung no hier folgen:.
1) Der Genitiv ergänzt die relative Pofenz eines Weſens und
macht die Botenz feines Seine zu einer vollſtaͤndigen oder ſelbſtſtaͤndigen,
verwandelt fie in eine abſo lute.
2) Der Dativ bezeichnet die dur eine Efſtcenz (Wirkſamkeit,
Einfluß) betheiligte Differenz, oder Weſenheit eines Weſens.
3) Der Accuſativ bezeichnet das Weſen, auf welches die Efficenz
eined andern übergeht, die Richtung nimmt, ohne jene® gerade in feiner
Differenz zu betheiligen.
&6 iſt uns Deutſchen einmal eigen, daB wir am fi einfache Dinge
gerne in tieffinnige und fchwerfällige Worte verhüllen.
14. Sprach⸗, Rehifhreib> und Auffaglehre in vier Stufen für
deutſche Voltsfhufen von Michael Hillebrand. Landshut 1356,
bei Thomann. Hi. 8. 68 Eeiten. geb. 5 Ser.
Dies planlofe Büchlein beginnt mit der Erklärung: die Sprache
iR Mittheilung der Gedanken und Empfindungen, dann fagt es, was
man unter todten und lebenden Sprachen verfiehet, und daß fih in
jeder Sprache Abweichungen (?) gebildet haben, welche man Mundarten
9*r
132 Der Unterricht in der deutichen Sprache.
oder Dialekte (!) nenne. Hierauf theilt der Berfaffer die Sprache im
die Munds und Schriftfpradhe (!), fagt,. daB man unter Sprachlehre
die Regeln verfiehe (!), nad welchen eine Sprache gefprochen und ges
fehrieben werden foll, und daß fie folgende Theile, nämlih Laute, Syl⸗
ben, Wörter und Sätze (!) umfaffe. Nun kommt er auf die Laute und
iR auf der 13. Seite ſchon bei der Declination. Auf Seite 16 kom⸗
men zur Abwechfelung einige Denk» und Sprahübungen, dann Seite 20
DOrthographie und Seite 27 Wortbildung ꝛc. und fo gehts bunt und
raus durchs ganze Büchlein, von Allem Etwas, bier dieß, da jenes,
bis es endlich mit Briefen, Teftamenten und Titulaturen ſchließt. Wir
bedauern es kaum, daß ſolche Bücher erfcheinen, denn fle entgehen ihrem
Schickſale nit; wir bedauern nur, daß Schriftfieller diefer Kategorie
nichts Wichtigeres zu thun haben, als ihre Kompilationen (nicht Kom⸗
pitalionen, wie der Berfafler in der Vorrede fagt) auch der lieben Zur
gend aufzudrängen, und daß die armen Eltern fie kaufen und die Kin⸗
der ih damit abmühen müflen. Die Verfaſſer folder Bücher mögen
es mit der Sache gut meinen, allein das entfhuldigt und rechifertiget
ihre Frühgeburten niht! —
15. Bildungsgang der deutfhen Sprade, gezeichnet nad den Le⸗
bensbildern —** Dichter und Proſaiker aus der alten, mittlern und
neueſten Zeit. Nebſt einem Anbange über die verſchiedenen Dichtungs⸗
arten der Deutſchen. Bon C. Geißler, Rector der Stadtſchule zu Ei⸗
lenburg und Vorſteher des Privatfeminars, Nitter des rothen Adlerordens
vierter Klaſſe Langenſalza, Schulbuchhandlung des Ih. L. DB. 1857. 8.
IV un. 288 Seiten. 18 gr.
Der Berfaffer hat den Zitel feines Buches nicht glücklich gewählt,
weil derfelbe zunähft die Vermuthung erwedt, daß es damit auf eine
Darftelung der grammatiſchen Entwidelung der Sprache, nicht aber
auf eine Literaturgefchichte abgefehen fei. Eine folche if aber das Budh.
Wefentlih iR TH. Heinfius, Geſchichte der Sprach⸗ Dit» und Res
defunf. 4. Aufl. 1829, benupt worden, und es läßt fih hieraus fchon
entnehmen, daß mande Irrthümer vorlommen, welche dur neuere
Schriften längft widerlegt find. Schon die Einteilung in 7 Beite
‚räume, welche getreu nad Heinfius gefchehen, paßt nicht mehr für une
fere Zeit, if fchief und unbeflimmt und überfieht die große Eigenthüm⸗
lichkeit unferer Literatur, daß fie zwei Höhenpunfte oder Haffiihe Pe⸗
rioden gehabt hat (Hohenflaufen und Schiller und Göthe). Unter den
mannigfahen Irrthümern, welche vorfommen, wollen wir nur Einige
hervorheben. Wenn e8 ©. 5 heißt, die Spradbildung halte mit der
Ortbographie gleihen Schritt, fo-if dies falſch. Nicht bloß die fran»
zöffhe und englifhe, fondern auch die deutfche Sprache bemweilen in
ihrer Orthographie das GBegentheil. Die S. 11 erwähnten deutihen
Barden find eine Zabel, welche auf Mißverſtändniſſen beruht. Bei
ben Deutfchen bat es niemals Barden gegeben, diefe gehören dem Fels
tifhen Volkoſtamme. Das S. 17 mitgetheilte Gelübde an Wodan
ift Feine Achte Probe des Altdeutfchen,, fondern von einem Goslar'ſchen
‚Rathefchreiter des 18. Jahrhunderts ungeihidt nachgeahmt, und nur
+‘
Der Unterricht in der deutfchen Sprahe. 138.
die früher in folchen Dingen herrſchende Unwiffenheit konnte fih durch
diefen Betrug täuifchen Iaffen. Die Aufzählung altdeutfiher Dichtungen
iR unvollſtändig und ohne Kritik, was fi) allein durch den Umſtand
beweiſt, Daß neben dem Nibelungenliede „Budrun’ ganz vergeflen if.
Ebenfo bat ‚‚der arme Heinrich,‘ von Hartmann von der Aue, feine
Erwähnung gefunden. Unter den älteften Sprachdenfmälern if das
wiätige Hildebrandslied ganz vergeflen. Der Roman: „Sebaldus
Nothanker“ if nicht von Thümmel, fondern von Nicolai verfaßt. Die
Abendfkunden eines Einflediers von Peſtalozzi find feineswegs ein Ro⸗
man , fondern geiftreiche Aphorismen aus dem Gebiete der Pädagogik,
Politik und Philoſophie. Vom Nibelungenliede haben wir jept vieh
befiexe Ueberſetzungen, ale die unbrauhbare von Büfhing. Wir können
uns nicht auf fernere Aufzählung folder und anderer Irrthümer ein«
laffen und bemerfen nur no, daß es nicht Mar if, warum in einem
Budye über den Bildungsgang der Sprache Männer, wie Schmitts
benner, Herling und Beder nur mit Rennung ihrer Ramen abs
gefertigt, dagegen Perfönlichkeiten wie Baſedow, Natorp, Bersenner,
Dinter, v. Rochow ıc., ferner Edhoff, Knigge, Vulpius 2c. biograppifirt
werden. Die neueren Dichter find ganz übergangen. ES fehlt überall
an Urtheil, font würde der Verfafler anders gewählt und eingefehen
haben, daß Pädagogen die Sprache nicht in dem Maaße weiter bilden,
weiches ihre Aufnahme in eine Literaturgefchichte rechtfertigt, fondern
dag dazu andere Factoren gehören. Dem Vorſteher eines Lehrerfeminars
möchten wir übrigens ein fchärferes Urtheil über die Leiftungen und
den Werth einzelner Pädagogen zutrauen.- Was 3. B. über Dinter
gefagt if, den der Berfafler als fegensreihen Pharus hinſtellt, möchte
wicht leicht vor der heutigen Kritik zu rechtfertigen und jedenfalls übers
trieben fein.
Bei diefer Gelegenheit können wir für katholiſche Leſer bes
Jahresberichtes nicht unbemerkt laſſen, daß der Verfaſſer durchaus als
Proteſtant urtheilt. Wir wollen ihm daraus keinen Borwurf machen;
wünfchten aber doch, daß er diefen Standpunkt auf dem Titel bezeichnet,
oder weniger einfeitig behauptet hätte. Was foll-man dazu fagen, wenn
er Seite 213 meint, daß auf dem Gebiete der Geſchichte vor Luther
ſehr wenig gefchehen fei, und daß fih die Mönche aus langer Weile
die Mühe gegeben hätten, in barbariihem Latein einige Hauptbegeben⸗
beiten oder fpecielle Creigniſſe aufzufchreiden! — Demnach müflen bie
geiehrten Herren der Gegenwart ihre Gefchichte aus den Fingern ge
fogen haben. Freilich fieht fie oft darnach aus! i
16. Anleitung zur Ausarbeitung fhriftliher Auffäße, nebft
einer Sammlung von Aufgaben von K. Juch. Gotha, bei Scheube. 1856.
er. 8. IV u, 90 Seiten. 10 Ser. °
Der auf dem Gebiete des wiſſenſchaftlichen Sprachunterrichtes thaͤ⸗
tige Berfaffer legt auf das logiſche Moment der fchriftlichen Date
ſtellung mit Medt großes Gewicht und liefert in dieſer Anleitung nicht
bloß eine gute Anweifung zum Disponiren, fondern auch einen
ziemlich reichen Vorrath ypaflender Aufgaben. Das Buch verbient er
134 Der Unterricht in ber deutihen Sprache.
den Lehrern am höheren Gchulankalten warm empfohlen gu werben.
Die Ausfattung if fehr fchön.
417. Erftes Hälfsbuch beim Unterrihte in der deutfhen Sprade
für Kinder in Elementarfchulen von 3. H. Ch. Seffer, DOberfchulinfpector
in Hannover. Siebente Auflage. Hannover, Hahn'ſche Buchhand⸗
fung. gr. 8. VII u. 319 Seiten. Preis 624 Ser.
Ein Schriftchen, welches auf Methode feinen Anfpruch erhebt, jons
dern fih darauf beſchränkt, den für die Bolksfchule nötbigen gramma-
tifgen Lernſtoff in einer mehr aus der Wiſſenſchaft ſelbſt entnommenen
Neibenfolge witzutbeilen, durch Beifpiele zu erflären und mit Uebungs⸗
Büden einzuprägen. Das Wiffensmaterial if etwas reichlich ausgefallen.
Die Saßzlehre zieht Ach durchs ganze Buch, und es fehlt an einer Ueber»
J— welche kaum durch die 24 Seiten ſtarke Anweiſung zum Auflöfen
Der Säge annähernd erzielt werden dürfte Das Schrifichen iſt mit
Renniniß des Sache verfaßt, unterfcheidet fi aber von vielen andern
kaum dadurch, das hier etwas mehr, dort etwas weniger an Lernftoff
gehoten oder ein Begriff anders erklärt if. Die Ausflattung des Buches
verdient Lob.
18. Die Wort: und Saßlehre der Bent ihen Sprade für untere
und mittlere Klaffen der Realfhulen von Werd. Schmitz, Realſchullehrer
ta Barmen. Zweite Auflage Barmen 1856 bei Gartorius. Mi. 8.
64 Seiten. geb. Thlr.
Bon diefem Büchlein gilt im Allgemeinen daflelbe, was vom vo⸗
rigen gejagt worden. Nur bat es Wort: und Saplehre ſcharf getrennt
zu) leptere vecht überfichtlih bargefellt. Das Schriftchen will nichts
yeeiter fein, als ein Lerns und Wiederholungsbuch für Schüler, und
als ſolches if es brauchbar.
10. u. 20. Deutſche Stylproben. Ein ſtyliſtiſches 35 und Uebungs⸗
er für Beiseltieffen, b herausgegeben von H. Etahl. Darmſtadt, Diehl
or. 8
2». Deusiäe Eiyiproben c. für Oberflaflen. Bon demfeiben Berfaffer.
gr. &. 71 Seiten.
31. Die Uebungen im deutfden Styl. Als Zegleiſſhrit zu den Styl⸗
proben für Mittels und Oberklaſſen von 9. Stahl. deeen 1856.
Diehl. Rr. 19: 3% Sgr.; Ar. 20: 6 Sgr.; Nr. 21: 2 ©
Dat Buch geht etwas hoch, und wir wollen chen Get ufeieben
fein, wenn unfere Volksſchulen Das leiſten, was in den Etyiproben
von den Mittelkiaffen verlangt wird. Aber in dem Bude if Geiſt
und Leben, und das iR’s, was um fo mehr anſpricht, da wir nicht
werfennen , daß ber Berfafler auch Methode bat und über feine Auf⸗
gabe nachdachte. Des richtige Erundfag, dag ein guter Styl nur
durch Anſchauung und Rahbildung von gelungenen Muftern
angeeignet werden Tann, hat den Verfaſſer geleitet, und Die darauf hin⸗
"zielenden Uebungen Änd- zwedmäßig, wenn auch bas zweite Heft etwas
dech greift. Im Wllgemeinen if das Rechte getroffen und das Buch
wih Ueherzeugung allen denlenden Lehrern an gehobenen Wolksſchulen zu
empfehlen. Yür gewöhnliche Landſchulen müßte das Ganze Dagegen eins
Der Unterribt in der deutſchen Sprache, BB
facher fein und fi mehr auf bie Meprobucdion bes durch den Bann
richt gewonnenen einfachen Stoffes aus ben näheren Umgebungen un)
den finblichen Erlebniffen beichränfen.
22. Handbuch der deutſchen Sprachlehre für Volkeſchulen. Nag
dem neuen Syſtem bearbeitet von Joh. Schneider, Lehrer. 2. Klaſſe,
3. Mlaffe, 4. Klaſſe I Semeſter, 4. Klaſſe II. Semefter, zuſammen vier
Hefte. Bien 1856 bei Leopold Sommer. 2, u. 3. à 4 Ger., 4. & 5 Ger.
Des Buch foll nach der Erklärung des Berfaflere die nothwen⸗
digen Regeln der deutichen Sprache enthalten und durch pafiende Beis
Ipiele erläutern, damit aber auch zugleich die Binprägung und Rechen⸗
(haft erleichtern. Es iR hiernach für die Schüler beftimmt, hält aber
diefen Zweck infofern nicht fireng feſt, ale auch methodiſche und ent
widelnde Sragenreihen häufig vorfommen, welche mehr in ein Handbuch
iür den Lehrer, als in ein Büchlein für Schüler paſſen. Ber mit uns
der Auficht iR, Daß in gewöhnlichen Volksſchulen die Kinder keines ans
deren fprachiehrlichen Leitfadens und Puches ale ihres Leſebuches bes
därfen, wird diefe Schrift äberfläffig finden, wer jedoch eine andere
Anficht Hat, dem kann das Handbuch empfohlen werden, insbefondere
wegen feiner unterrichtlichen Behandlung des Stoffe.
3. Anleitung zur deutſchen Rechtſchreibung. Ausgabe für Elemen«
tarflaffern der höheren Schulen und für Mittels und Volkoſchulen. Ge⸗
druckt auf Beranftaltung des Königi. Ober: Säulcollegtums zu Hannover.
Hannover, bei C. Rümpler 1857. 36 Seiten in gr. 8. 31/a Gr.
Das Königi. Hannoͤverſche Ober» Schulcollegium laͤßt in Diefem-
Schriftchen dem auf feine Beranftaltung im vorigen Jahre erfchienenen
Bere über deutfche Rechtſchreibung die in Ausficht geftellte Reduction für
Clementarklaſſen 2c. folgen. Es foll damit Einheit in der Rechtſchreibung
für alle Schulen des Landes erreicht werden, ein löblicyes Biel, welches in der
That nur auf Diefem Wege mit Erfolg erfirebt werden kann. Die Regeln find
frz, ſcharf und befimmt, ein kleines Wörterverzeichniß giebt no über
beiondere Fälle Auskunft. Das Büchlein ift allen Lehrern zu empfehlen.
24. Leitfaden für den deutfhen Sprachunterricht in den öſterreichi⸗
fen UntersRealfähulen und ähnlichen Anitalten. Seitenſtück zum „deut⸗
{hen Lefebuche von Theod. Vernaleken. Dritte Auflage Bien,
bei Seidel 1856. 8. 76 Seiten. 6 Ser.
Das brauchbare Büchlein zerfällt in A Abſchnitte. Der I. Abfchnitt
mihäft den Gap und die WBortbiegung ; der Il. Abfchnitt handelt von
den Lauten, des Wortbildung und Nedyifchreibung; der 311. Abſchnitt
bietet Uebungen über die ſtarken Beitwärter und desen Wortfamilienz
der IV. Abſchnitt enthält einen Kurfus in den ſchriftlichen (Styl⸗)
Uebungen.
25. Fänf und in deutſche Auffäpe aus der Schule und für
dr Säule IA x ER —8 Profeſſor in Zweibräden. Neu⸗
Redt s. d. H. Verlag von Gottſchicks Buchhandlung 1856. XIV u.
112 Selten in 8. geb. '/s Ihlr.
Die Schule, welche der Berfaffer im Auge bat, if das Gym⸗
nafum umd zwar hauptfächlich die Secunda deſſelben. Wenn daher dieſe
136 Der Unterricht in der deutfhen Sprache.
Schrift auch nicht zunächſt Hierher gehört, fo haben wir uns doch der
Grundfäge gefreut, welchen der Herausgeber huldigt, und welde wir
felbR in unferen ‚Materialien für den ſchriftlichen Gedanfenausdrud,
3. Aufl., Erfurt bei Otto,“ befolgt und ausgefprochen haben. Unfere
Bolksfchullehrer koͤnnten aus diefem Büchlein fogar noch Methode lernen,
und wir mögen e8 uns nicht verfagen, aus der Borrede einen hübfchen
Baffus als Beweis anzuführen. Es heißt da: „Nach allerhand Vers
ſuchen, die rechte Methode zu finden, bin ich endlich dahin gekommen,
es einfach zu machen wie die Mütter, von denen die Kinder das Reden
fernen durchs Hören. Reden und Unterreden über das gewählte Thema
ſcheint die Sauptpflicht des Lehrers, der von feinen Schülern einen Aufs
fa verlangt. Durchs Reden und Unterreden findet ih die Grenze,
innerhalb welder fih das Bewußtfein der Schüler über den fraglichen
Borwurf bewegt; es erwähft in den Schülern das Berlangen, die eng«
gezogene Grenze zu erweitern; es bildet fih nach und nad das Gefühl,
daß man über einen gewiſſen Gegenftand einigermaßen Herr iR; es ver⸗
Ihwindet der Widerwille, den junge Leute gegen die Zumuthung zu
haben pflegen, über Dinge, die ihnen ferne liegen, zu reden und nun
gar zu ſchreiben. Allein das Alles Tann nur dann erreicht werden, wenn
der Lehrer feines Stoffes vollkommen mädtig ift und es verfieht, den⸗
felben feinen Schülern Mar zu machen.” Dies zu erleichtern, dazu dienen
die 65 ausgeführten deutſchen Auffäpe, welche der Lehrer, ehe er fie
beſpricht, vorber durchzulefen und fi felbft in ihrem wejentlihen In⸗
‚halte eigen zu machen bat. Uber der Berfaffer bat noch einen anderen
nicht minder glüdlichen Gedanfen. Hören wir ibn weiter fpredhen:
„Wenn nun die Schüler den Aufſatz gefertigt haben, fo entſteht eine
neue Schwierigkeit bei der Correctur. Die Fehler am Rande der ein»
zelnen-Aufläge mit rother Tinte anzuzeichnen, macht zwar gewöhnlich wer
niger Schwierigkeit als Mühe; allein wie foll man die Fehler zum Bes
wußtfein Derer bringen, die fie gemacht haben? Hat man eine Klaſſe
von zehn Schülern, fo mag man vielleicht die einzelnen Aufläpe mit
deren Berfaffern fo durchfprechen,, daß das Ganze und das Einzelne das
bei innerhalb einer Stunde beurtheilt wird; bat man zwanzig Schüler,
fo if das nicht möglih ; man muß auf ein anderes Mittel finnen, wie
man mit Einem Biele bedient. Bier nehme ih mir den Hause
vater zum Borbild. Iſt er da, erfcheint er unter feinen Kindern und
feinem Gefinde, fo fühlt ſich jedes derfelben in feine Schranfen zuräd
auf das Rechte bingewiefen ; alle Ueberfchreitungen haben ihren, wenn
auch ſtummen Richter; alles Wohlverhalten kat feinen, wenn auch ſchwei⸗
genden Billiger. Go trete auch der Lehrer felb auf, er gebe ſich ſelbſt
und erfcheine in feiner Eigenthümlichkeit; an ihm mögen ſich feine Schäler
meſſen und zurechtfinden. Mit andern Worten: Der Lehrer muß einen
Mufteranffag geben und indem er ihn dietirt und befpricht, zugleich
Die Fehler feiner Schüler, die er ſich bei der Gorrectur der Arbeiten
gemerkt haben muß, rügen und verbeffern. Die Sache ift nicht ganz
leicht. Es gilt zuerſt eine gewiffe Länge und Kürze einzuhalten, fodann
in diefem Umfange Alles einzunehmen, was für den Aufſatz ‚mit dem
Der Linterricht in der deutſchen Sprache. 137
Schulern befprochen und was in den Auffähen der Schüler war behan⸗
delt worden. Es gilt einen Stoff zu finden, der für die Schüler paßt,
fo daß fie ihn faffen und dur ihm gefördert werden koͤnnen; es gilt
ihn fo zu behandeln, daß fich verfchiedene fprachliche Bemerfungen daran
anfnüpfen laſſen und daß doch das Ganze ebenfalls als ſolches erfcheint
und fih geltend macht.” — Aus folchen gefunden Anfichten, die wir
unfern Lefern gerne ausführlich mitgetheilt haben, Tonnte auch nur ein
gelundes, wahrhaft brauchbares Buch hervorgehen. Möchte daffelbe in
der Sphaͤre, für melde es beſtimmt worden, die wohlverdiente Verbreis
tung finden. Wir wünfchen dies um fo mehr, da wir wohl willen,
daß gerade in dieſen Schulregionen etwas mehr Methode nicht vom
Uebel fein würde,
26, Roriregifter für deutfhe Orthographie nebft grundſätzlichen
Borbemertungen. Bon Dr. 8. G. Andreſen. Mainz, bei Kunze.
1856. gr. 8. 58 Seiten. 8 Ger.
Der Berfafler, melder durch ein größeres im Jahre 1855 erfchies
nenes Wer? über deutfche Schreibung bekannt if, liefert in dem vorlies
genden Büchlein eine gedrängte Weberficht der wichtigſten orthographifchen
Regeln und ein Berzeichniß derjenigen Wörter, welche befonders wichtig
oder ſchwierig und als Anhalt für die Schreibung anderer Wörter dienen
innen. Der Berfaffer erflärt fih für einzelne Abweihungen von der
jest üblichen, ziemlich inconfequenten Schreibung, empfiehlt den Gebrauch
der lateinifchen Schrift und flatuirt die Großfhreibung nur für Eigens
namm, den Anfang der Sätze und die anredenden Fürwörter. Auch
in dem Gebraude der Dehnungss And Schärfungszeichen empflehlt er
Beſchraͤnkungen. Zür das B mwünfcht er ein befonderes Zeichen. Das
Sqhrifichen verräth Sachfenntini und gründliche Studien, weshalb es
Beachtung verdient.
27. Kurze Geſchichte der deutfyen Sprache und Literatur, nad
den Werfen der anerfannteften Schriftfteller diefes Faches für höhere Lehr⸗
anftaften und zur Selbfibelehrung. Mit Proben von Ulfilas bis Klop⸗
Rod. Bon G. Fr. Heiniſch und 3. 2. Ludwig. I. Theil. Dom A.
bis zu Anfang des 17. Jahrhunderts. Bamberg, 1857. Verlag von
Buchner. XVI und 228 Seiten in gr. 8. 28 Ser.
Es if mißlih, über ein Werk zu urtbeilen, fo lange e8 noch
nicht als vollendeies, abgerundetes Ganzes vorliegt. Darum möge hier
des Buches für jetzt nur anzeigend gedacht werden. Berechtigung für
das vorliegende Werk haben fich die Berfafler durch ihre bisherige Thä⸗
tigkeit auf dem fprachlichen Gebiete erworben. Den größten Theil diefer
erſten Hälfte des Buches machen Proben aus den verfchiedenen Dice
tern und Profaitern bis auf „Spener’ aus; doch dürfen wir nicht
unbemerkt laffen, daß eine kurze Grammatik des Gothifhen, Althochs
deutihen und Mittelhochdeutichen das Werk eröffnet. Wir wünfchen
demfelben mit dem Bemerfen guten Fortgang, daß die Ausflattung und
der deutliche Drud das Buch auch äußerlich empfehlen.
28: Anleitung zum Anfertigen von Gefhäftsauffägen. Zum Ge
brauch für Schüler. in Bürger«, Volls⸗ und Kortbildungs« (Sonntags >)
‘
138 Der Unterricht in der deutſchen Sprache.
ne N hen bon ii Füben — * B * a
eburg. weite, vermehrte un erbeſerte u x.
—* 1856. 8. IV und 40 Seiten. { Ser. “ “6
Der Erfahrung gemäß wird Die nothwendige Gewandtheit in ber
Anfertigung von Gefchäftsauffägen am ſicherſten und ſchnellſten erworben,
indem man den Schülern geeignete Mufter vorlegt, diefe mit ihnen bes
fpriht, Regeln daraus ableitet und fie darauf nachbilden läßt.
Diefem Zwede dient nun das vorliegende Büchlein, welches für
die Sand der Schüler beftimmt ift, in ausreichender Weiſe. Raments
lich find die Erklärungen und Regeln, welde die verfchiedenen Arten
der Geichäftsauffäge betreffen, ebenfo präcis ale vollftändig und deutlich.
29. Ergebniffe des grammatifhen Unterrichtes in mehrklaffigen
Bürgerfhulen. Nach methodiſchen Brundfägen geordnet und bearbeitet
von auf Küben. Zweite, verbefferte Auflage. Leipzig, Brandſtetter
1856. u. 44 Selten in 8. Preis 3 Ger.
Bereits im vorigen Jahrgange, Seite 101, wurde der erftien Auf⸗
lage dieſes Schriftchens rühmlih gedacht. Die weiſe Mäßigung und
Beſchränkung, weiche wir an der erfien Ausgabe lobten, ift auch in der
zweiten mit Recht feftgehalten worden. Wir fönnen unfere Empfehlung
nur wiederholen.
30, Friedrich Schmitthenners furzes deutfhes Börterbud,
völlig umgearbeitet von Dr. Friedr. Ludw. Karl Weigand, Profefior.
De naflage Gießen 1853 bis 1856, bi jept vier Lieferungen
42
Profeſſor Weigand, rühmlich durch fein ſynonymiſches Handwörter⸗
buch (3 Bande) bekannt, iſt gewiß ebenſo fähig als würdig, des ver⸗
ſtorbenen hochgeachteten Schmitthenner Woͤrterbuch in neuer, erweiterter
und verbeſſerter Geſtalt herauszugeben. Die Erweiterungen und Ver⸗
befferungen beziehen fich beionders auf die Etymologie, die Synonymik
und die Kremdwörter. Volfsfchullehrern würden wir diefes Wörterbuch
nicht gerade empfehlen, weil e8 weniger dem praßtifchen Gebrauche und
Geſchaͤftsverkehr dient; dagegen iſt es ein wahrer Schatz für Ulle, welche
fich mit tiefer gehenden Sprachſtudien beichäftigen und die Wiſſenſchaft
als folche lieben und üben. Unfern Boltefchullehrern, fo wie dem Ge⸗
fhäftsmanne, dürfte immer noh WBenig’s Sandwöärterbuh (3. Aufl.
bei Dumont »Schauberg in Köln) am meiften zu empfehlen fein. Die
vier Lieferungen des Weigand» Schmittbennerfchen Wörterbuches reichen übris
eng erft bis zum K (fripfen), und wenn das Werk nicht raſcher fortfchreitet,
dürften noch ein paar Jahre bis zu deffen Vollendung verftreichen.
Ueberſicht.
I. ®Wörterbüder: 26. 30.
11. Literaturgefhichten: 8. 15. 27.
N, Wiffenfhaftiide Grammatit: 1. 8. 5. 6. 10. 13. 11.
IV. Volksſchul-Grammatik: A. 10. 14. 17. 18. 22. 24. 20.
V. Stylübungen: 7. 9. 14. 16. 19. 20. 21. 25. 28.
VE Rechtſchreibelehre: 2. 12. 14. 23. 26.
Der Unterricht in der deutſchen Sprade. 139
Schlußbemerkung.
Die obige Ueberſicht zeigt, daß verhältnißmäßig für die Ortho⸗
graphie viel gearbeitet worden, in&befondre, wenn man noch in Ans
fhlag Pringt, daß fowohl die unter 111. aufgeführten wiflenfchaftlichen
Grammatifen, als auch die bloß für Bolksfchulen befimmten fprachs
lehrlichen Schriften diefes Gegenſtandes gedenken, ia ihn theilweiſe ganz
beſonders hervorheben. Eine Urfache diefer Erſcheinung, ja eine Haupt⸗
urfadhe, iR wohl der Umftand, daß man gegenwärtig in Oeſterreich,
wie in Hannover, darauf Bedacht genommen hat, die deutfche Schreis
bung einer Reviflon zu unterwerfen und hiernach eine Gleichheit in bie
DOrthographie zu bringen, welche bisher mannigfach vermißt wurde.
Die Behörden haben die Sache in die Hand genommen, und bies war
auch der einzige Weg, auf dem man zum Biele gelangen Fonnte. Gie
haben endlich der Angelegenheit auch eine reale Folge und Feſtigkeit das
durch gegeben, daß die Lehr» und Lernbücher dieler feſtgeſetzten Ortho⸗
grapbie entiprechen müſſen. Freilich hat man ſich nicht bloß auf das
Streben nad Gleichheit befchräntt, fondern man bat die Schreibung
au der Kritif unterworfen und eine Bereinfahung bderfelben erzielt,
weiche wehr oder weniger befremdet und Widerſpruch hervorrufen muß.
Im Allgemeinen if gegen das Streben und den eingelchlagenen
Beg gewiß nichts einzuwenden; die Widerfprücde können nur dem Maaße
ber mit dieſer Gleichheit erfirebten Vereinfachung und den damit zus
fammenhängenden Beränderungen (Reuerungen) gelten. Es if in der
hat mit unferer Schreibung in den letzteren Jahrzehnten etwas confufe
gewirtbichaftet worden, namentlich feit die Lehrer begonnen haben, auf
eigene Hand Orthographie zu machen, und fi oft auf Reuerungen fos
gar etwas einzubilden, denen jebe wiffenfchaftlihe Rechtfertigung fehlte.
Der Eine Triegte gegen das y oder 2, der Andere gegen das ck oder
ph. Am ärgfien war und ift befanntlich die Confuſion in Betreff des
Gebrauchs des |, B und fl. — Man bat nad diefen Seiten hin oft
Beränderungen in einzelnen Schulen eingeführt, die um fo zweckloſer
fein mußten, da fie im Leben einen Anhalt fanden und mit der Bibel,
dem Katechismus und Geſangbuche in Widerftreit treten.
Ein Bedenken kann man jedoch bei aller Billigung des Strebens
im Allgemeinen nicht unterdrüden. Deutichland enthält viele Staaten,
und wie fih ſchon jept die Drtbographie des Königreihe Hannover
von der Deſterreichs im Einzelnen unterfcheidet, und wie wir alfo ſchon
jet eine hannöverfche und oͤſterreichiſche Orthographie haben, fo wäre es
möglih, daß wir auch noch eine preußifche und bayrifche ac. ac. erhielten.
Bie alfo auf der einen Geite in gewillen Kreiſen Gleichheit bewirkt
wird, muß auf der anderen wieder eine Verfchiedenheit im großen Ganzen
entfliehen, die gegenwärtig nod nicht vorhanden if. Und dieſe Bers
ſchiedenheit kann nicht ohne Einfluß bleiben. Der nächflliegende wird
der jein, daß durch die Berfchiedenheit der Orthograpbie in einzelnen
Staaten ein Abſchluß nach Außen hin und gegen andere Staaten, zus
nächſt im Bereiche der Schulliteratur, entſtehen Tann, Schon jept
140 Der Unterricht in der deutſchen Sprache.
dürfte ein in Preußen gedrudtes Schulleſebuch in Defterreich nicht mehr
Eingang finden können, und. umgelehrt; denn die Orthographie bes
fremdet und ſtoͤßt zurüd, Und was von den Zibeln, biblifchen Ges
fhichten, Lefebühern, Anthologien 20. zunähft gilt, wird fpäter, je
mehr man fich gegenfeitig in die Neuerungen einlebt, oder je mehr man
auf dem Alten befteht, auch von anderen Erzeugniflen der Literatur gelten.
Wenn aud zugegeben werden muß, daß jeder Staat geiftige Kräfte ge⸗
nug bat, um dem Bebürfniffe an Schulliteratur zu genügen und den
Kortfehritt zu fördern, fo hat doch immerhin jeder Abfchluß etwas Be⸗
engendes und feine Nachtheile. Je größer das Feld und die Zhbeilnahme,
defto größer bieibt auch die Arbeitsfreude. — Ungeachtet diefes Bedenkens
hat doch die Sache ihre Berechtigung, und die bisherigen Beftrebungen
haben ein Leben in die Schulwelt gebracht, welches ebenfowohl der Wiſſen⸗
ſchaft als den Unterrichtszweden förderlich werden kann. Iſt doch nicht
in Abrede zu flellen, daß durch größere Vereinfachung der Rechtichreis
bung ſelbſt das Lefenlernen erleichtert werden fann.
Jedenfalls iſt die ganze Angelegenheit noch nicht zum Abjchluffe
oder zum Urtheilsſpruche reif. Vorerſt genügt es, die Aufmerkſamkeit
der Leſer des pädagogifchen Sahresberichtes darauf hinzulenken. Bir
dürften dann vielleicht im nächſten Jahrgange näher in die Sache ein«
geben und die Gründe für und wider abmwägen, welche mittlerweile zur
Sprache gefommen find.
II.
Der Lefeunterricht.
Don
Anguſt Züben.
N
Es gab eine Zeit, in der die Schulbücher durchſchnittlich von
Männern ansgingen, die außerhalb der Schule fanden oder derfelben
dech nah und nad enifremdet worden waren. Diefer Zeit verdanken
wir neben andern Schriften die viel gebrauchten Lefeblicher yon Rochow,
Bilmfen, Berrenner und Eonforten. Nachdem diefelben eine Reihe von
Jahren ſattſam verarbeitet worden waren, entfland in den Lehrern, die
nittlerweile Schiller und Goͤthe fleißig gelefen, gründlicher Widerwille
gegen die Darin dargebotenen Leſeſtoffe. Dentende und Afthetifch gebil«
deie Lehrer wechneten eine Lefeflunde in einer Oberklaſſe zu den Schul-
aualen erſten Ranges und ließen fich nicht felten verleiten, während
dieſer Lection anziehendere Privatbefchäftigungen vorzunehmen und ihr
Ant dem Kiaffenerften zu übertragen. Diefe Qual hatte aber ihr Gutes,
Us diefelbe zuletzt unerträglich wurde, wagten es einzelne Lehrer, fie
abzuwerfen, d. h. fie legten Sand an’s Werk und machten fich felbft
ein Lefebuch. Die erfien Berfuche fielen zwar nicht ganz befriedigend
us, begründeten indeß doch einen weientlichen Yortfchritt durch Aufr
nahme werthvoller, wirklich leſens⸗ und behaltenswerther Stüde. Diefen
Berfuchen reiheten ſich bald neue an, und noch ehe ein Decennium ver-
Hoffen war, fahen wir uns fchon-im Beſitz einer großen Anzahl recht
brauchbarer Lefebüher. Bleiben wir noch zehn Jahre fo im Fluß, fo
werben wir endlich fo viel gute Lefebücher bekommen, daß ſich jede
Schule ein anderes auswählen Tann, was wir freilich nicht wünfchen
fönnen. Aber erfreulich bleibt diefe Thätigkeit der Lehrer immerhin.
Berden auch im Laufe der Zeit manche diefer Lefebücher zu Maculatur
zerden, namentlih, wenn die Behörden einzelne befonders zum Ges
brand empfehlen oder gar vorfchreiben, fo bleibt Doc jeder diefer Ars
keiten das Verdienſt, mit dazu beigetragen zu haben, daß eine fo hohe
Stufe der Bollfommenpeit erreicht worden if, mie fie jept vorliegt.
142 Der Refeunterricht.
Im Nachftehenden haben wir alle uns aus Journalen und Schriften
befannt gewordenen pädagogifhen Anfichten und Grundfäge, den Leſe⸗
unterricht betreffend, üßtrfichtlich zufammenzuftellen verfuht und daran
eine Beurtheilung der uns zugegangenen Bücher gereihet.
J. Grundfäpe.
1. Zeitpunkt für das Beginnen des Lefeunterrichts.
1. Her Lehrer Bräuer in Brünlos in Sachſen hat in der Kon
ferenz zu Dorfchemnig bei Stollberg die Frage beantwortet: „IR es
niht zwekmäßig, den Lefennterricht mit den Kindern der
Elementarfhule er im zweiten Schuljahre zu begin»
nen?” Ein Referat über feinen Vortrag und die dadurch bervorges
rufene Discufflon enthält die „Sächſiſche Schulzeitung‘ von 1856 in
Nr. 13. Es Heißt daſelbſt: „Nachdem derſelbe nachgewiefen hatte, daß
fih der Lehrer an der phyſiſchen Entwidelung der Kinder nicht
verfündige, wenn er den Lefeunterricht fofort beim Gintritte der Kinder
in die Schule beginnt; Diefer vielmehr, zweckmäßig ertheilt, in dieſer
Hinſicht eriprießlih werde, weil dabei auf gerades Stehen und Sitzen
gehalten, das Hin» und Hergeben geübt, bald in's Bud, bald an die
entferntere Lejetafel 2c. gefeben, das Gehörorgan gefchärft wird, auch
lets unrubige Naturen zur Ruhe und Beharrlichkeit genöthigt und ſelbſt
bejehrende Ratbichläge für's Haus gegeben werden — beiahete er die
Frage in Rückſicht auf die phyfifche Entwidelung der Kinder, befon-
ders aus folgenden Gründen:
a. Der Lefeunterriht kann feiner eigentbümlichen Natur nad) bie
gedankenarmen und denkſtumpfen, fiillbodenden und mundfaulen ins
der, wie fie in biefiger Gegend der Schule übergeben werden, nimmer»
mehr in fröhliche, muntere Seelen voll Auf für die Schularbeit und
in Durftige nach geſundem Wiffen umwandeln, wenn man ion bei
deffen Ertheilung alle zu Gebote ſtehenden Vorſchriften und Wegweifer,
Bängelbänder und Necepte, Berfahrungsweilen und Webungswege auf
das Sorgfältigfte ſtudirt hätte und auf das Gewiſſenhafteſte befol⸗
gen wollte.
b. Ein fo früher Lefeunterricht bringt im Geifle der Kinder Mäne
gel und Gebrechen hervor, die im ganzen Lünftigen Leben nicht wieder
gut zu machen find, indem er in den geiflig noch gar nicht geweckten
Kindern, die jeßt die Lautzeichen nur mechanifch lernen und fi eine
prägen Fönnen, eine gewifle Abneigung gegen jedes bewußtvolle Lernen,
eine förmliche Gedankenlofigkeit erzeugt, die um fo gefährlicdder iR, je
häufiger fie in der Megel im Gewande einer Zugend (förperlicher Ruhe
und Anfändigkeit, firenger Aufmerkſamkeit 2c.) auftritt.
ec. Er beanfprudht ein zu großes Maaß von Beit und Kraft, Die
dem Anfchauungsunterrichte, welcher, da er alle Elemente in fih faßt, .
vermöge welcher man das ganze Kind nah Leib und Geiſt erfafjen
Der Lefeunterricht. 143
fann, als Hauptfactor am Bildungswerke der Kinder anzufeben und zu
behandeln if, gexaubt werden muß.‘
„Bei der allgemeinen Debatte belannte fich die eine Partei zu der
Reinung: Es iſt nicht nur unfchädlich, fondern auch befier, den Leſe⸗
unterricht ſchon im erſten Schuljahre anzufangen, und zwar aus folgen»
den Gründen:
a. Benn er recht ertheilt wird, fo hat er viel bildendes Element.
b. Die weiften eingetretenen Kindes lernen wirklich im 1. Zahre
recht hübſch leſen.
©. Bird das Leſen für das 2. Jahr aufgeſpart, fo wird das
Schreiben, namentlih das Richtigſchreiben, vernachläffigt und
erſchwert.
d. Die Transiofation erfordert es, im 1. Jahre zu beginnen.
e. Die Eltern wollen Etwas davon gezeigt haben.“
„Hierauf ſtellte die andere Partei folgende Begengrände auf:
a. Es if ein großer Unterfchied, ob die Schule vom Haufe aus
verdummte oder gewedte Kinder erhält.
b. Benn das Kind nur einmal ſprechen und denken kann, dann
lernt es auch weit leichter lefen und ſchreiben.
©. Das zu yeitige Schreiben und Wbfchreibenlaffen befördert bas
Falſchſchreiben und erſchwert damit das Richtigichreiben.
d. Zängt man erft im 2. Schuljahre an, fo kann noch ebenfo viel
erreicht werden.”
Herr Bräuer hat ohne Zweifel Recht, wenn er großen Werth auf
den Anfhanuungsunterricht legt und die Kinder durch denielben erſt uns
terrichtsfähig zu machen fucht; aber er geht in feiner Forderung offen»
bar zu weit und überfiehbt, daB auch das Auffaflen der Buchſtabenfor⸗
men, ihre Vergleihung und Unterfcheidung ganz hübſchen Anlaß zu
Anfhauungss, Denk» und Sprahübungen geben. Daſſelbe gilt auch
von den Schreibühungen, die Herr Bräuer natürlich mit dem Lefen
zurückſtellen muß. Das Anſchauungs⸗ und Darftellungsvermögen wird
ſehr weſentlich durch die erſten Schreibübungen gefördert. Vielleicht
ſohnte ſich Herr Bräuer mit dem frühen Auftreten des Leſens aus,
wenn er filh der Schreiblefes Methode, aber der reinen, bediente, und
damit den Anfchauungsunterricht, natürlich nicht bloß den an die Schrifte
zeigen gefnüpften, in enge Berbindung brächte. in folcher Unter⸗
ruht läßt keine Spur von „Gedankenlofigkeit“ und „Abneigung gegen
jedes bewußtvolle Lernen’’ auffommen, macht vielmehr wirklich die „ge⸗
dankenarmen und denkſtumpfen, flillbodenden und mundfaulen Kinder‘
ju „fröhlichen, muntern Seelen‘, die Luß haben, mehr zu lernen, die
ſich innig freuen über- jedes Wörtchen, das fie fchreiben und leſen. Sp
deutlich au Herr Bräuer durchfühlen läßt, daß er fih mit allen
Methoden für den Leſeunterricht befannt gemaht habe, fo fcheint es
body faſt, als fei ihm die naturgemäßefte derfelben noch entgangen. Bon
feinen Gegnern iſt noch überfeben worden, daß durch die Lefeübungen,
weil fie jeden einzelnen Laut befonders und anhaltend in's Auge faflen,
das lantreine Sprechen in einer Weife gefördert wird, wie es der An
144 | Der Lefeunterricht.
fhauungsunterriht, wenn er nicht geradezu in Lautiren übergeht, nie
mals vermag. ine Conceffion fann übrigens Herrn Bräuer reiht
gern gemacht werden, die nämlich: "in den erften vier Wochen des erſten
Schuljahres nur Anſchauungsunterricht zu treiben. Gelingt es ihm in
dieſer Zeit nicht, die größere Maſſe der Kinder für den Lefeunterricht,
nämlich für den Schreiblefeunterricht, zu befähigen, fo muß er die Urs
ſache in fih fuchen. Wenn man übrigens Herrn Bräuer die Aufgabe
ftellte, ein volles Jahr lang mit einer Kaffe von etwa 60 fechsjährigen
Kindern täglich drei Stunden Anfhauungsunterricht zu treiben, fo würde
er wahrfcheintih fchon im nächften Jahre von feiner Forderung abſte⸗
ben. Es gehört eine große Energie und Elafticität dazu, Anſchauungs⸗
unterricht in folder Ausdehnung für die Dauer mit Nugen zu ertbheilen.
Dazu kommt noch, daß man foldhen Kindern gegenüber doch auch auf
einen mäßigen Kreis von Anfchauungsmitteln befchränkt ifl, wegen man»
gelhafter Geiftesentwidelung auch nicht tiefe Denkübungen dabei ans
ſtellen kann.
2. In Nr. 1 der „Volteſchulblätter aus Thüringen”, herausgege⸗
ben von Laudbard, Heißt es ©. 8.:. „Bon den Kindern follte vor
Ablauf des erfien Schuljahres das Leſen Fleiner Sätze nicht vers
langt werden. Wenn es früher zu Stande fommt, fo darf man allemal
annehmen , daB e8 auf Koften der Gründlichkeit, oder der weniger Bes
gabten,- oder der Lerniuf Aller geſchah.“
Ich bin ungewiß, ob ich den Berfaffer ganz verflehe; er verſchweigt
zu viel. Bon welcher „Gründlichkeit“ iſt die Meder Doch wohl nur
von der, die auf das Lefenlehren verwandt wird? Wobei foll der Lehrer
mit Gründlichfeit vermeilen? Beim Lefen der einzelnen Laute und finn«-
loſer Sylben? Das wäre eine Gründlichkeit zum Todtmachen, zum Er⸗
fiden aller Lernluſt. In den Elementarklaffen der biefigen Bürgerfchulen
werden grundfäglic fchon nad wenigen Wochen bes erfien Schuljahres
Meine Säbe gelefen und mit Ablauf des Jahres Feine Aufſätze und
Gedichte, und zwar von der ganzen Klaſſe, ein paar ganz Schwache
etwa abgerechnet. So fand ich's auch in andern guten Schulen, und
die Erreichung diefes Zieles ift eben ein ficherer Beweis für die aufges
wandte Gruündlichkeit. Die Gründlichkeit if eine vortrefflide Sache
beim Unterriht; aber ich habe Lehrer fennen gelernt, die famen vor
lauter Gründlichfeit niemals zu einem refpectabeln Ziele. Bor diefer
Art von gründlichen Lehrern möge Gott jedes Schulkind bewahren!
Der ungenannte DBerfaffer ‚des alten Schulmeiſters“ (Duisburg,
Ewich, 1855) fagt ©. 15: ‚Wenngleich ich dem fogenannten Schreib⸗
leſeunterricht abhold bin, weil es nicht prakliſch iR, fi mit zwei Fein⸗
den zugleich herumgufchlagen , im Ball man doc beide trennen kann;
und weil es aller Pfychologie entgegentritt, den Geiſt, der in einer
Sache thätig fein fol, durch Fremde Affociationen zu verwirren, zu
Schwächen: fo muß ich bemerken, daß Lejen und Schreiben mög⸗
lichſt bald mit den Zöglingen und zugleid betrieben wer«
den müffen. Der elende Mechanismus, der die früheren Pädagogen
gegen das frühe Erlernen diefer Disciplinen einnahm, kann durchaus
Der Leſeunterricht. 145
befeitigt und den Uebungen Geiſt und Leben gegeben werden; und
dann liegt hierin ein Hauptmittel zur rafhen Ausbil»
dung in der Sprache.“
Ueber des Verfaſſers Anficht über das Schreiblefen ſiehe weiter unten,
H. Beſchaffenheit der Leſeſtücke.
a. Kür die Fibel.
Die Leſeſtücke der Fibeln find durchſchnittlich:
1. einzelne Buchſtaben,
2. einzelne Silben,
3. einzelne Wörter,
4. Alphabete,
5. einfühe Säge, zum Theil für grammatifche Biwede beſtimmt,
6. Wörter und Saͤtze für die- Orthographie, |
7, kurze, einfache Beichreibungen bekannter Gegenfände,
8. furze, einfache Erzählungen, .
9, Sinn, und Dentiprüde,
10. Heine Gedichte,
11. Gebeie,
12. Wünſche für Eltern zum Geburtstage, zu Weihnachten u. Neujahr,
13. Bibelſprüche, .
14. der Luther'ſche Katechismus,
15. Fremdwoͤrter.
As Anhang finden ſich noch bäufig Borkbungen zum Rechnen,
auch wohl das Einmaleins. |
Einzelne Buhfaben und Silben vorzuführen, kann nüplich
kin, durchaus nothwendig ift es nicht. Das Kind muß von der erflen
Etunde an jeden Laut und alfo auch das Zeichen dafür, als Theil eines
Vortes, und das Wort als Theil eines Satzes auffaflen lernen. Das
mm gebt man naturgemäß vom Sape aus, führt aus demfelben aber”
nur die feichteften Wörter zum Lefen vor. If das einige Wochen lang
geſchehen, fo läßt man fofort einfache Saͤtze leſen und geht dann zu
feinen Auffägen über. Auf dieſe Weiſe erhält man von Anfang an
einen Stoff, der dem Finde Anlaß zum Denken giebt, alfo deffen Ges
mmtbildung, nicht bloß das mechanifche Lefen fördert. |
Die Mehrzahl der neuern und neuften Fibelſchreiber ift nicht von
diefer Anſicht auögegangen,, hat vielmehr für lange Beit nur das mecha⸗
niſche Leſen in’s Auge gefabt und darum große Maſſen von bebeutunge-
leſen Silben und einzelnen Wörtern als Leſeſtoff dargeboten. Mecha⸗
aiſches Lefen laͤßt ſich durch ſolchen Leſeſtoff erreichen, doch ſchwerlich
beſſer und, viel früher, als an Wörtern und Sägen; aber weil man
das Denken fo lange unnatürlih vom Lefen, mit dem es doch fon
hets unzertrennlich verbunden fein muß, trennt, fo macht man die Kinder
Rumyf, erregt Widerwillen gegen die Lefeübungen und leitet zum ge⸗
danlenloſen Leſen an. Aus diefen Gründen table ich alle Fibeln mit
vielen Silben und einzelnen Wortern. — In ähnlidem Ginne ſagt
Rade, Jahreöberiht. Z. 10
146 Der Leſeunterricht.
J. Mseſenbacher in Nr. 83 (1856) des „Deſterreichiſchen Schul⸗
Boten”: ‚Ein Schüler, der daran gewöhnt wird, Silben ohne alle Ber
deutung zu lefen, der wird Fünftig Teicht auch Silben, die eine Beben
tung haben, als bedeutungslos leſen, nnd es gehört eine große Mühe
dazu, feine Aufmerkfamfeit wieder in die rechte Bahn zu leiten. Wir
dürfen uns faum wundern, wenn man in Schulen oft fo viele Schüler
mit der Gedankenlofigkeit und Zerfireutheit behaftet antrifft; es legt ja
fhon der erfte Lefeunterricht häufig den Grund dazu, wenn die Kinder
durch den Unterrichtsgang eine Zeit fang planmäßig In ber Gedanken»
lofigfeit geübt wurden. „„Alle erften Fehler,““ fagt I. PB. Richter,
„„find die größten, und die geiftigen Krankheiten werden, ungleich den
Poden, defto gefährlicher, je jünger man fie bekommt.““
Säpe für grammatiſche Zwede find zu billigen, wenn man
fie benutzt, den Kindern die verfchiedenen Sapformen geläuflg zu machen,
ihr Sprachgefühl zu wedden und zu bilden, nicht aber, um deren Subjeft
und Prädicat und dergleihen Grammatikalien daran erkennen zu laffen.
Der Stoff zu befondern orthographiſchen Uebungen fällt
ftets dürr aus, gehört daher mit den finnfofen Silben und einzelnen
- Wörtern in eine Kategorie. Ich Tann ihn für Lefebücher nicht billigen,
am wenigſten für Fibeln, da er entfchieden die Qualen der kleinen Lefer
vermehren hilft. Es ift genug, wenn die Kinder auf diefer Stufe eine
Anzahl Wörter durch wiederholtes Anfchauen und Bergliedern richtig
ſchreiben lernen; mit Regeln verfchone man fie moͤglichſt.
Befhreibungen, Erzählungen, Gedichte und Denk⸗
fprüde müſſen fih, wie fih von ſelbſt verficht, durch Einfachheit und
leichte Verftändfichleit auszeichnen, dürfen jedoch feine Plattheiten ent»
halten. Zwiſchen den kleinen Gedichten finden fich nicht felten bloße
Reimereien, die nur aufgenommen find, um irgend eine Bebensregel bes
haltbarer zn machen.
Gebete zu Lefeäbungen zu benugen, if unftatthaft; ihre Aufnahme
in Fibeln iſt indeß nicht geradezu zu tadeln; die Kinder fommen auf
diefe Weife am fiherfien in den Befſitz derfelben.
Daffelbe gilt von den Spruchſammlungen, .dem Katechie⸗
mus und den Wünſchen für Feſtlichkeiten.
* Sremdmwörter gehören aus leicht begreiflichen Gründen nicht für
Fibellefer, d. 5. für Kinder, die noch mit den erſten Wlementen der
Mutterſprache vollauf zu thun baden. |
No fremdartiger und völlig überfläffig für eine Fibel And Zif⸗
fern, Einheitstabellen, das Einmaleins, überhaupt Alles, was ſich auf
das Nechnen- bezieht; die Kinder können in diefem Alter weder in der
Säule, noch zu Haufe nüplichen Gebrauch davon machen.
x
h. zür die nach der Fibel folgenden Leſebücher.
Die Leſebucher im engern Sinne, nämtich im Gegenſatze zu den
Fibein, enthalten far durchgängig proſaiſche und poetiſche Stüde Vie
Projaftüde follen der Hauptſache nad belehren, die Poeſien dus Ge
Der. Lefeunterricht. 147
müth und den Gharafter bilden, beide zugleich die Sprachbildung tm
weitern Sinne des Wortes fördern. "
Die belehrenden Brofaftüde feben es befonders anf Förde⸗
rung des Realunterrihts ab, wollen und follen dieſe in manchen
Faͤllen geradezu erfegen. Daher bieten fie Belehrungen dar über Geo»
graphie, Gefchichte, Naturkunde, Anthropofogie, Himmeltkunde. Diefe
beiehrenden Auffäpe treten in drei verfdhiedenen Formen auf; fie find
nämli entweder:
1. ſyſtematiſche, ziemlich trodene Ueberfichten der genannten Wiſſen⸗
ſchaften, oder
2. ausführlihere, im gewöhnlien Lehrtone gehaltene Darftel⸗
fungen, oder
3. Iebensvolle, höheren filitifchen Forderungen entfprechende Bilder.
Je. nach dem Standpunkte, welchen bie Herausgeber im Allgemeinen
einnehmen, oder nach dem Ziele, das fe ſich geftedt haben, laſſen fie
bald die eine oder die andere Art von Aufſätzen vorherrſchen, berück⸗
ſichtigen auch wohl alle drei zugleich.
Bas iſt Hier das Rechte? Diefe Frage if nicht ganz leicht, wird
jedoch mit jedem Jahre übereinftimmender beantwortet, nämlich im Sinne.
von Rummer $.
Zrodene, ſyſtematiſche Weberfichten finden fih wohl nur nod in
ten älteren Lefebüchern, wie 5 B. in den „‚Kinderfreunden” von Zers
renner, Preuß und Better und einigen andern für die Elementarſchule
beimmten. Die Berfaffer gingen bei Aufnahme derfelben von ber Abs
ht aus, den Kindern außer Bibel und Katechismus jedes andere Buch
entbehrlich zu machen; das Leſebuch follte Die ganze Schülerbibliothek
erſetzen. Segen diefe Anfiht iſt an und für ſich Nichts einzumenden,
Alles aber gegen die Ausführwug derfelben. Bon einem Leſebuche muß
man vor allen Dingen verlangen, daB es Stoffe enthalte, die nad
Inhalt uud Form geeignet find, ſofort bildend auf das Kind einzu
wirten. Das können dürre ſyſtematiſche Ueberfichten niemals; fie erhalten
er nach Jahren für das Kind einiges Verſtändniß und find dann aud
nur Anhaltepunkte, Merkzeihen. So Etwas läßt ſich allenfalls nod
auf anderem Wege, nämtich durch ein kurzes Dictat, erreichen, ‚_wenn’s
für nöthig erachtet würde. _ Aber ich halte es für die Elementarſchule
nit Für nöthigz ihre Aufgabe ift es nie geweſen und fann ed nie wer⸗
deu, fyſtematiſches Willen zu erzielen; Alles, was fie erreichen Tann,
iR Kenntniß von wichtigen inzelnheiten, deren Zuſammenhaug im
Großen fi endlich von ſelbſt ergiebt, wenn die Behandlung gut war.
In dieſem Sinne ſpricht ſich W. P. in den Mheinifchen Blättern
(Juli — Auguſt, 1856, ©. 57) aus, wenn er fagt: „In Nüdfiht auf
das Materiale ſteht Tängft fe, daß bloße Veberfichten, Skizzen, Eins
theilungen, Ramenregifter im Unterricht nie als eigentlihfte Hauptſadche
geten dürfen; fie find kaum als ein in der Volksſchule zu erſtrebendes
Ziel, geſchweige als das Hauptziel des Nenlunterrichtes anzufehen.
In fo weit das Lefebuch bloß zur Gewinnung folder Ueberfichten und
Einthelungen anleitet, iR es unerauidlih für Lehrer and Schüler. &s
10*
148 | Der Lefeunterricht,
Iäßt jenem eine große Aufgabe übrig, nämlich die knochigen Skizzen
erft mit Fleifh und Blut zu umfleiden; diefem aber gewährt es die
nöthigen Anhaltspunkte und breitern Stüßen nicht, ohne welche ihm
doch nur ſchlecht gedient if.“
Wie gegen die Meberfihten, fo muß man fih aud ganz entfchieden
gegen alle ausführlicheren Darftellungen im gewöhnlihen Lehrton
(Schulton) ausfprehen, und zwar darum, weil fie die dürre Profa,
den trodenen und austrodnenden Sculftaub, der Jahr aus Jahr ein,
Tag für Tag in den allermeiſten Schulen fchon herrſcht, noch um funfzig
Procent vermehren helfen. Kommt zu folder Schuiprofa no ein pros
faifhes Familienleben, fo find die armen Kinder in geiſtiger Beziehung
nicht beffer daran, ale wenn ihnen für ihre leibliche Entwidelung Mors
gens Kartoffelfuppe, Mittags Kartoffelbrei und Abends Pelllartoffeln
geboten werden. Die Lefebüicher mit folcher Kartoffelfpeife find gar nicht
fo felten; von den neueren bietet fie 3. B. Häfters’ Lefebuch ziemlich
reichlich dar. In dem für die Oberklaſſen beftimmten Theile beißt es
gleih auf der erften Seite: „Wo viele Menſchen nahe zufammenwohnen,
da muß für gute Ordnung geforgt und darauf gefehen werden, daß
ein Menfch dem andern an feiner Berfon oder feinem Eigentbum
feinen Schaden zufüge, daß keiner die Rechte des andern flöre, und
jeder feine Pflicht thue. Hierfür forgt der Bürgermeiſter. Er
Keht darauf, daß die Straßen und die Zeuerlöfchgerätbe in gutem Zu⸗
Rande fih befinden, daß jeder beim Berlaufe das gehörige Maa und
Gewicht gebraude, und daß niemand Eßwaaren verkaufe, weldye vers
dorben und der Gefundheit fchädlich find. Er wacht über die Sicher⸗
beit der Berfon und des Eigentbums, oder er bandhabt die
Bolizei. Ein oder mehrere Polizeidiener, Feldhüter und
Nachtwächter find ihm zunächſt hierbei bebüfflih und fliehen unter .
femem Befehle”. AR das ein Etüd aus der Inftruction für. einen
Burgermeiſter? Es if abgefchmadt, foldhe Sachen in folder Borm Kin
dern in einem Leſebuche darzubieten; Polizeidienern und Feldhütern mag
man fo Etwas in die Hände neben, aber nicht Kindern, deren vor⸗
berrichende Stimmung eine gemüthliche und poetifche iR.
Der „Oeſterreichiſche Schulbote‘ bringt in Nr. 23—28
unter der Weberfchrift: „Der Menſch als Glied der Geſellſchaft,“ 26
„Leieküde für die oberſte Klaffe der Volksſchule.“ Obwohl viefelben
manches Gute enthalten, fo erheben fie fib doch nah Stoff und Dar»
ſtellung nicht über das Mittelmäfige.
Ueber die „Leſeſtücke für den erſten Unterricht in der gothaiſchen
Heimathskunde“ von Dr. M. Schulze, von denen Nr. 18 der Volks⸗
fhulblätter” von Laudhard eine Brobe enthätt, erlaube ich mir
fein Urtheil.
Es bieibt fonah in Bezug auf Realien für die Lefebücher nichts
weiter fbrig, als gut geſchriebene Auffäge über Gegenfände, die
geeignet find, das volle Intereffe der Kinder zu erregen, alle:
‚lebensvolle Bilder, wie man jeßt zu fagen beliebt, doch frei won
lem Bhrafenwert. Wie der Inhalt, jo muß auch die Form eine
Der Leſeunterricht. 449
wärbige, mußergiliige fein. Solche Stücke allein find es, die veredelnd
auf die Sprache des Kindes einwirken, ihm einen Borfchmad von edier
Sprache verfchaffen, zu gewählteren Ausdrude anreizen.
Was den Stoff anbelangt, fo bezeichnet W. PB. in dem oben ans
gezogenen Auflage denfelben S. 38 richtig in Yolgendem: , Pflanzen»
und Zhierbefchreibungen, Darlegungen der natürlichen Bors
Hänge in unferm Bufttreife während Des ganzen Jahresiaufes, ober der
Weiſen und Beränderungen, welche durch Menſchenhand bei den Natur
preducen im mancherlei Arbeitöfätten eingeleitet werben, um fie nutz⸗
barer und werthooller zu machen; umſtändlichere Erläuterungen
der Einrichtung und des Gebrauchs mancher wichtiger Werkzeuge und
dergl.: die ſe find’s, weiche, indem fie nicht über die Sachen firrechen,
ſondern Die Sachen felbft vorführen, unterrichtlih von Nutzen find.
Gerner Befchreibungen von Gegenden, namentlih von vaterlän-
difhen, mit Allem, was durch Natur und Menfchenarbeit darin cha⸗
rafteriif und von hervorſtechender Bedeutung if; Wanderungen, wo⸗
bei mit offergen Auge auf ſich darbietende- Ericheinungen geachtet wird,
olme bloß fogenannte Merkwürdigkeiten zum Stihblatt zu nehmen;
Shilderungen von finnvollen Volkseigenthümlichkeiten, von groß
artigen Leitungen menfhliher Kunſt u. dergl.; Bergleihungen der
Bereutfamkeit mancher Raturdinge und Naturverbältnifie für dns Men
ſchenleben u. a. m. Diefe liefern fruchtbaren Stoff zur weiteren Durch»
arbeitung, nachdem dem näcdften fprachlichen Zwed, dem — um es zu⸗
ſaumenfaſſend zu fagen — „guten Lefen‘ genügt if; fie enthalten
au den wirkſamſten Anreiz, ſolche Stüde außer der Schule und wohl
ſelbſt nad) Ablauf der Schuljahre gern noch wiederholt und mit mad
indem Nutzen zu lefen, und das Lefebuch zum Volkebuch umzuwandeln.
Vitam vitae! — Endlih Geſchichten, kernige, lebensvolle, folgen-
fhwere Charakterbilder aus allen Ständen unſers Bolfs und allen
Bauen unſers engern und weitern Vaterlandes, einzelne ergreifende
Stenen aus dem Leben großer Männer und Frauen, oder aus den '
Hauptereigniſſen der Bolkserlebniffe: das ift vornehmlih das Material,
woran der Unterricht mit Erfolg weiter anknüpfen Tann. Gute Lefes
bücher enthalten es in Ausführungen; das muß fo fein.‘
Die Poefien der Lefebücher find gewöhnlich den verfchiedenften
Ditungsarten entnommen, was zu billigen iR, da die Kinder auf diefe
Beife zugleich mit den verfchiedenen Darftellungsformen befannt werden.
Hanptforderung kann jedoch nur. fein, daß die aufgenommenen Dich
tungen wirkliche Poefien, nicht wäflerige, inhaltsleere und darum
wirfungslofe Reimereien find. Die Zahl der Lefebücher iſt nicht groß,
welche in Diefer Beziehung genügen; es gehört ein feiner Tact und viel
Kenntniß guter Poeſien dazu, um bier nicht fehl zu greifen.
In Berlin iſt in den Lehrerfreifen die Frage aufgeworfen worden,
eb mac dem Erſcheinen der Regulative, die. bekanntlich die klaſſiſche
deutſche Literatur als Bildungsmittel für die Volksſchullehrer befeitigen,
weh Gedichte von Schiller und Göthe für die Schulen, alfo für
die Lefebiniger. zuläffig fein. Merget, Direttor einer. höheren Toͤchter⸗
150 Der Lefennterricht.
ſchule und eines Seminars fir Lehrerinnen in Berlin, bat diefe Frage
aufgenommen und in fehr angemeffener Weife im „Brandenburger
Schulblatte‘ (Heft 7, 1856) beantwortet. Pür die eigentlichen Ele
mentarfchulen lehnt er im Einverfländniß mit allen bedeutenderen Schul⸗
männern Gedichte von Schiller und Göthe ab, fordert fie aber für alle
mehrklaffigen Schulen in noch größerem Umfange, ale z. B. Wacker⸗
nagel und DO. Schulz fie in ihren Lefebüchern barbieten. Ale Grund
für dieſe Forderung führt er an: „— — — weil beiden Dichtern in
böchfter Bolltommenheit von Gott die Gabe geworden, die tiefften und
höochſten Gedanken und Gefühle ber Menfchenbruft, weiche den Menſchen
adeln und ihm, wenn fie vom Glauben durhdrungen werden, die Fülle
der Seligkeit verfchaffen, weit fie die Welt und was in der Welt if,
in einer Weife zu ſchauen und une vor das geiftige Auge zu malen ges
wußt haben, wie fie der religidfen Betrachtung und Auffaffung am näch⸗
fen fommt. Sie erheben uns in ihren befleren Werken durchaus von
dem Riedrigen und Bemeinen, das als die Dornenfaat den Samen des
Wortes Gottes zur Frucht zu gedeihen verhindert; fie heifen das felfens
harte Gemüth erweichen, daß der Samen tiefer eindringen kann, und
laffen, wo fie vernommen werden, nicht zu, daß der Menſch der breiten
Heerſtraße gleihe, auf welcher der gleihgültige Zuß des Wanderer das
echte Samenkorn zertritt. Wir wiflen, daß die platonifche Philofophie,
ja au die Stoa, dem Chriftenthume einigermaßen den Weg in bie
Herzen der gebildeten Heiden gebahnt hat, und der Apoflel Baulus bes
ruft ſich Apoſtelgeſch. 17 auf griechifche Poeten, die da gejagt haben:
„Seines Geſchlechts find wir.‘ Das fagen_ Schiller und Goͤthe auch.
Und Hat ih ja doch unfer gebildetes Leben zum Theil mit auf dem
Grunde der hellenifchen Bildung geftaltet; wir können die Fülle von
Kunſt und Wiffenfchaft, welche wir den Griechen verdanken und von der
Afrael nichts wußte, die aber auch dem Herrn Chriſto dienen fol, nicht
aus unferen Lebenskreifen verbannen, und müflen den Dichtern danken,
welche uns diefelbe in einer Form vorführen, wie fie eben das gefellige
Leben durchdringen kann, und wie auch die Jugend für jene Wiſſen⸗
(Haft und Kunft begeiftert und für das durch fie gebildete Leben vor⸗
bereitet wird. Daß ich diefe Anſicht theile, beweift mein Leſebuch, daB
von Schiller 23, von Böthe 28 Stüde enthält, der großen Mehrzahl nach
alle diejenigen, die Herr Dir. Merget auch als befonders empfehlens-
werth bezeichnet. Der ganze Aufiap darf allen Lehrern, insbefondere
auch Tünftigen Herausgebern von Lefebächern, beftens empfohlen werden.
Vielleicht nimmt daraus mander Lehrer von Neuem Beranlaffung, ſich
gründlich mit unfern deutfchen Claſſikern zu befchäftigen.
Einzelne Lefebücher nehmen noch fpeeielle Rüdficht auf ben gram-
matifchen Unterricht und liefern zu diefem Zwecke Beiſpielſamm⸗
lungen. Diefe Sammlungen find von doppelter Art: man hat nämlich
entweder befondere Stüde für grammatifihe Zwecke ‚gearbeitet, oder Säge
ohne logiſchen Zufammenhang nach den Gprachgefegen zufammengefteilt.
Die erſte Aufgabe ir mit Rückſicht auf die ftuiftifchen Forderungen, welche
man an Leſeſtücke burdand maden muß, fchwer gu Idfen und bis jegt
Der Leſeuaterricht 4
wohl Eaum genügend gelungen, die gmeite dagegen im Ganzes leicht;
nur muß man deu Kindern micht inhalisieere Säge vorführen, ſondern
lolche mit wichtigem Inhalt, z. B. Sprüchwoörter und Sprüche, wie in
den beſſern Lefebüchern bereits geſchehen iſt. Un und für ich halte. ich,
mie {dem oben bemerkt, Diele Rückſichtnahme auf die Grammatik für
ganz gerechtfertigt und zugleich geeignet, von aanmatiſcher Zergliede⸗
rung ʒetiſche Städe abzuleiten,
"IM. Die Adbildungen in gelebuchern.
Illuſtrationen durch Holzſchnitte find gegenwärtig fo an ber Zages⸗
ardnung, DaB nahezu die Hälfte aller exſcheinenden Schriften damit aus⸗
gehattet wird. Das if eine erfreuliche Erſcheinung, namentlich auch mit
Nũckſicht auf den Schulunterricht. Denn gute Abbildungen erleichtern
das Berfändniß von ſchriftlichen Darftellungen weſentlich, verſchaffen
uns richtige Vorſtellungen von Gegenſtänden, die wir in natürlichen
Eyempiaren nicht haben koͤnnen, und ‚gewähren. in ihrer fchönen Ausfüh⸗
zung Sreude, aͤſthetiſches Bohlgefallen. Auch in die Schullefebücher find
De Abbildungen übergegangen, namentlich in die Fibeln, die ſchon ſeit
einem halben Jahrhundert auf dem Zitelblatte mit dem. Bilde deg Hahnes
geziert waren.
Sn den Zibeln haben die Abbildungen meiftene mehrfache Zwecke,
nämlich das Behalten der einzeinen Buchſtaben zu erleichtern, als Anhalt
für deu erſten Anſchauungs⸗ und Renlunterricht zu dienen, und für Deu
erſten, zuweilen auch voch für den fpätern Zeichenunterricht als Vorlagen
beuupt zu werden. Hubert beabſichtigt Damit noch mehr; er fagt im
ſeiner weiter unten gengunten „Anweifung zur Anwendung einer ein
fahen Methode beim erften Unterricht im Lefen und Schreiben’ ©. 6
in Bezug auf die von ihm für feine „Handfibel“ beflimmten Bilder:
„Die Preußiſche Handfibel iR zur Freude umd zum Nuben der Kinder
mit vortreffliben Bildern ausgeftattet worden. Diefe Bilder follen auch
als Borlegeblätter beim Zeichen Unterricht und fpäter bei den Aufſatz⸗
übungen als Themata gebraucht werden. — Die Bilder find mit Rüde
fit: auf die einzelnen Buchſßtaben, ferner für den erſten Unterricht. in
von Meelien und in ‚der Religion, ſowie zur Wedung des Paſriotienu⸗
ausgewählt worden.
Ob das Behalten der Buchſtaben durch Abbildungen erleichtert piin
iß ſehr zweiſelhaft, da Bilder und Buchſtaben, z. B. i und Igel,
und übe. e und Eſel, durdans keine Aehnlichkeit mit einander haben.
Eo iR nicht unwahrſcheinlich, daB Bilder hier eher von ber Buchſtaben⸗
form ablenken, als auf dieſelbe hinweiſen. Man kann mit einiger Sicher»
heit Darauf sehen, daß in vollen. Klaffen mehr Kinder auf den abge
biſdeien &fel, ale auf das daneben ſtehende E ſehen. Ginzelne Ders .
faßer wollen duch die Büder die Wörter verauſchaulichen, welchen ein
einzuhbender Buchſtabe entnommen if, Das hat Sinn, da. auf diefe
Beife mit dem Worte auch die Sache gegeben wird, und, umgekehrt.
run iman:indeh, wie oben bemerkt wurde, bei der Ginübung jedes
15% Der Leſeunterrichi.
einzelnen Lautes und Buchſtabens von Gäpen audgeht, in denen von
befannten Begenfländen die Rede if, dann find die Bilder auch für
diefen Zwed entbehrlich. Verſpräche man fih indeß auch bier noch vom
Anſchauen berfelben einen weientlichen Bortheil, fo möge man fie ale
Bandtafeln benugen und darauf im Leſebuche nur die bezüglichen Buch⸗
Raben, Wörter und Sätze vorführen.
Soollen die Bilder ausfchließlich dem Anſchauungs⸗ und Real⸗
unterrichte dienen, ſo bin ich mit ihrer Anweſenheit in den Fibeln
ganz einverſtanden, ſetze jedoch voraus, daß fie in Verbindung gebracht
ſind mit darauf bezüglichen Aufſätzen, wie das z. B. im erſten Theile
meines Leſebuches der Fall iſt.
Abbildungen für das Zeichnen in der Fibel zu liefern, dürfte
kaum empfehlenswerth fein, da dieſer Gegenfland der Blementarkiaffe
fern liegt. Einige Borübungen zum Schreiben mögten das Ginzige
fein, was bier zutäffig wäre.
In den eigentlihen Lefebühern findet man nur felten Ab⸗
bildungen. Am meiften bedürfen die naturfundlichen derſelben, und dieſe
find es auch vorzugsmweife, welche, 3. B. im Münſterberg'ſchen Volls ſchul⸗
leſebuche, damit ausgeſtattet find. Unangemeſſen erſcheint es mir, in
ſolchen Lefebüchern den knapp zugemeflenen Raum durch Abbildungen bes
Tannter NRaturkförper zu befchränfen. Vielleicht dürfte es überhaupt au⸗
gemeflener fein, alle derartigen Abbildungen aus dem Lejebuche weg zu
faffen und dafür die Anzahl der guten Aufſäthe und Gedichte zu ver-
mehren; man erreicht den Zweck der Abbildungen durchſchnittlich beffer
durch Wandtafeln und — wirkliche: Naturkoͤrper. Rur die Aufnahme
von Detailzeihnungen, die ein tieferes Verſtändniß der Raturköryer ver»
mitteln, oder von fehr Meinen Naturkörpern, würde ich für fatthaft
and nüplich erachten.
IV. Anordnung ber Leſeſtücke.
a. In Fibeln.
Die meiften Fibeln zerfallen in zwei Ubtheilungen,, von denen bie
erſte die Elemente des eigentlichen Lefenlernens enthält, bie zweite kleine
Webungsflüde zur Befefligung der erlernten Elemente. Zür die erſte Ab⸗
theilung ift der Grundſatz, vom Leichtern zum Echwerern fortzufchreiten,
im weitefen Sinne und mehr als irgendwo maßgebend. Daher if denn
auch die Folge des Alphabets, die in Altern Fibeln eingeſchlagen wurbe,
längft verlaffen und eine dem allmäblichen Fortſchritt angemeffenere aufs
geftelt worden. Man könnte die alphabetifche Folge die ſyſtematiſche,
die jeht gebräuchliche die metho diſche nennen. Bier und da madht
fih in den methodiſchen Anordnungen nod etwas Syſtematik bemerktich,
infofern man nämlih das Alphabet in Bolale und Eonfonauten
zerfällt und jene vorweg zur Kenntniß bringt, oder die Fleinen Buche
Raben fämmtlich den großen vorangehen läßt. Für Beides fehit es
an ausreichenden Gründen.
Die methodiſche Mnorduung ber. Elementar Refehbungen faut na’
Der Leſennterricht. Ä 158
türlich verſchieden aus, je nachdem man das Leſen wit der Schreib,
ſchrift oder mit der Druckſchrift beginnt; ja, and innerhalb diefer bes
den Lehrgänge fehlt es noch an Uebereinſtimmung, da die Anfichten über
die größere oder geringere Schwierigkeit einer Buchſtabenform für bas
Schreiben, oder eines Lautes für die Ausfprache verſchieden find,
Für das Schreibleſen if das Abfondern und Voranſchicken der
Bokale, wie es z. B. in den „erſten Uebungen im Schreibleſen“ (Grün,
berg, Levyſohn), tu der ‚Kleinen deutſchen Fibel“ von Baumgart und
Woyſche u. U. awsgeführt iR, ganz unzwedmäßig, da o und a den A
fängern im Schreiben ziemlich ſchwer fallen. Eben fo treten in wielen
Schreibleſe⸗Fibeln die Buchſtuben r, v, w, g, p, k weiftene zu fräb
auf. Hauſchild z. B. beginnt in feinem „erſten Leſe⸗ und Echreibe
Suche” mit dem Worte ami, dans Schreiben alfo wit dem a; in ber
bei Rubens in Unna erfchienenen „Handfibel“ kommen i, u, m, e, a,
o, T, w, v in ben erften fieben Beilen und in der angegebenen Ordnung
vor. Es giebt ‚große Buchſtaben, die leichter darzuſtellen find, als
mehrere der genarnten Meinen, und Die man daher wit Rädficht auf
das Großfchreiben der Sauptwörter benfelben zwedmäßig: worangehen
laſſen kann, wie ich es im erſten Theile meines Lefebuches gethan habe.
In den Fibeln mit bloßer Druckſchrift fällt es oft fchwer, ein
Princip zu entdeden, nach dem die Anordnung erfolgt ifl.- Die ‚Kleine
SHandfibel,‘ weile in Danzig bei Kafemann erfchienen tft, ſtellt auf der
erſten Seite alle guoßen und Meinen Buchſtaben alphabetlich zufammen,
auf der zweiten ſyſtematiſch, d. 5. gruppirt nad den Drganen, bie zum
Serserbringen der Laute erforderlich And, und führt dann Hunt durch
ewander groß und Fein gefchriebene, ein» und mehrſilbige Wörter auf.
Daſſelbe if dor Fall in dem in Regensburg bei Puſtet erfchienenen
„erſten Beier, Schreib⸗ und Sprachbüchlein;“ in den eigenötichen Lehe
Abangen treten jedoch zunähft nur kleine Buchflaben auf, ſelbſt für die
gebrauchten Hauptwörter; auch find dieſelben einigermaßen natürlich
gruppirt, wenn auch nicht conſequent. Aehnliches wiederholt. ſich ix
andern Fibeln
Huf die eigentlichen Elementar⸗Leſeübungen folgen in vielen Fibeln
im der NRegel erſt Saäte zur Befeſtigung des Dagemwefenen. Verfaſſer,
die nichts weiter, als das Leſen im Auge haben, pflegen dieſe Satze
vrinciplos zuſammen zu ſtellen, höchflens ein wenig nach der groößetn
oder geringern Laͤnge zu. ordnen. Diejenigen dagegen, welche neben dein
Seien neh Meallenntniffe bezweden, ordnen bie Säge nad ben
Grgenftänden,, welche die Kinder kennen lemen follen,, liefern alfo kurze,
aus möglich einfachen Sätzen beſtehende Beichreibungen. Andere orbus
Viefe Säge nach fprachlichen Rückſichten, bauptfächli in der Abſicht,
um die Rinder zugleich mit den hauptfächlichſten Supformen, mit der
Sprache der Gebildeten, befannt zu machen. Gine vierte Klaſſe von
Sihelfgreitern endlich verfolgt:neben dem Lefen bie beiden letzteren Zwecke,
alſo real iſt iſche und ſprachliſcche Bildung zugleich, orbnet daber Die
GSaͤze nach ihrem Bau, beſchreibt aber mit ein. und derſelben Gruppe
zagteich Gegenftände: Dieſen "Weg habe ich am. erſtenTheile meines
154 Der Refemterciäg.
Leſebuches eingefhlagen und feld mehreren Jahren gefeben, daß er ſich
bewährt; Andere haben denfelben darnach auch betreten, fo der Berfalfer
des „erfien Leſe⸗, Schreib» und Sprachbüchleins“ (Megentburg), des
. „Schreib » und Leſeſchülers“ (Friedberg) u. 4.
Die zweite Abtheilung der Bibeln beſteht gang allgemein aus
Meinen moralifhen Erzählungen, Belgreibungen befanntes Gegenftände
und kurzen Gedichten; man will alle, wie das auch ganz angemeflen
iR, die Erkenntniß fördern, das Gemüth und den Charakter bilden. Im
vielen Fibeln ift ein leitender Faden für die Anordnung biefer Lefeſtücke
faum aufzufinden, während in andern leicht zu erkennen iR, daß man
in diefem Material zugleich einen geordneten Lehrgang für den Anſchan⸗
ungs» und Realunterricht bat geben wollen. Dieſen Verſuch babe ich
im erften Theile meines Lefebuches gemacht; Häfers dat ihn adoptirt,
eben fo der Verfafler des fihon genannten Friedberger „Schreib» und
Leſeſchulers.“ Wie fehr Ah diefe Anordnung ber bereits allgemein güls
tigen Anficht empfiehlt, das Lefebuch zum Mittelpunft des Säulunterrigis
zu machen, liegt auf der Hand und wird fich weiter unten noch deut⸗
licher zeigen,
b. In den eigentligen Lefebüchern.
Die weiter führenden Lefebücher zerfallen meiftens in ſolche für
Mittels und Oberflaffen
Die Leſebücher für die Mittelklaffen jegen Kb in materieller
Beziehung gewöhnlich die Heimathökunde zum Zweck, ziehen alſo den
Wohnort, Garten, das Feld, die Wiefe, den Wald, Berg und Thal,
Bach, Fluß, Teih und See, die befannteren Blangen, Thiere und
Steine, die gewöhnlichften Raturerfheinungen und dergl. in ihr Gebiet.
Im zweiten und dritten Theile meines Lefehuches babe ich Dies Material
nad) dem Berlauf der Jahreszeiten geordnet und dabei zugleich die lirch⸗
lichen Feſte mit eingefügt. Diefe Anordnung empfleblt ſich für den Au⸗
ſchauungs⸗ und Realunterricht, da fie Directe Anfchauungen der Gegen⸗
Rände und Raturerfcheinungen möglich macht, außerdem auc noch das
buch, daß fie Lehrer und Schüler nöthigt, auf die Borgänge in ber
Natur und im Menſchenleben zu achten. Die aufgenoumenen Gedichte
fiefen mit den Gegenfländen,, die zur Sprache kommen, in genaußer
Beziehung und folgen daher den Profanuffägen unmittelbar. Diefe Au⸗
ordnung hat mehrfache Nachahmung gefunden und empfiehlt ſich auch in
der That. — Lefetüde oder Sammlungen von Gäpen für grammatifähe
Bwede find, wo fie ſich finden, entweder zwifchen die übrigen Aufläpe
geſtellt oder ale Anhang beigegeben. Leiiexed ericheint am
Ren, da fh ſolche Stüde zwifgen Gedichten und guten Brofnuffägen
immer fremdartig auonehmen.
In den Leſebüchern für die DOberflaffen pflegt men das Ma⸗
texial nach den Unterrichtsfächern, die darin vertreten And, anzuordnen
und dann innerhalb diefer Gruppen einen Fortgang vom Leichtern zum
, vom Raben zum Gntferwiern, alfo übeshaupt eine. meihes
Der Leſeunterrichl. 155
diſche Folge anzuſtreben, was auf reiht aut möglich unb bereits mebr⸗
fah zwedmäßig ausgeführt worden ik. Die nöthigen Gedichte werben
dabei theils in die Gruppen aufgenommen, zu denen fie ihrer Natur
nad gehören, theils als eine befondere Abtheilung aufgeführt und inner
halb diefer entweder nad etbifchen Befichtspunften, oder, was noch em⸗
yiehienswerther if, nad den Dichtungsarten geordnet.
Um die Aufmerkiamteit der gereifteren Schüler im ſechs⸗ und mehr⸗
Maffigen Bürgerfihulen erfolgreich auf die allmäbliche Entwidelung unfere
Literatur zu lenken, ift es recht empfehlenswertb, in dem Leſebuche für
viefelben das Material in chronologiſcher Folge, alfo nach den Uns
boren geordnet, vorzuführen und zu Literaturbildern zu gruppiren. Diele
Anorduung het der 6. Theil meines Leiebuches. Eine gründliche Durch⸗
arbeitung deffelben hat ſtets die Folge gehabt, daß die Schüler nicht
uur ausreichend anf dem ganzen Gebiete orientirk waren, fondern aud)
ihre fpätere Lectüre zu regeln wußten.
V. Verfahren beim Lefeunterriät.
A. In Bezug auf das Leſen ſelbſt.
1. Der erſte Ceſennberricht.
a. 2efen und Schreiben getrennt (Lautirmethode).
Wie das Lautiren na und nach Das Buchſtabiren verdrängt bat,
fo ergeht es jet dem getrennten Lefer und Schreibunterricht durch das
verbundene Schreiben und Leſen, durch das Schreiblefen; es tritt mit
jedem Jahre mehr zurüd; die Bahl der im Laufe eines Jahres erſchei⸗
uenden Bibeln für den GSchreibiefeunterricht if weit größer, als die bloß
für das Leſen mit Drudichrift beſtimmten. Bir glauben uns nicht zu
irren, wenn wis aunehmen, daß nad) fpäteftens 25 Jahren das Schreib»
iefen fich allgemeine Geltung wird verfchafft haben. Die Anſicht, daß
Schreiben: und Lefen unzertrennliche ZThätigkeiten find, wird ſchon nicht
mehr befiritten; man glaubt nur hier und da noch, daß es für den An⸗
fang zwedmäßiger fei, fie zu trennen. Der Berfafler des ſchon oben
eitirten „alten Schulmeiftess’’ meint, es ſei unpraktiſch, fi mil zwei
Feinden zugleih herumzuſchlagen, wenn man beide trennen
Einne, es trete aller Pſychblogie entgegen, den Geiſt, der in einer
Sache thätig fen folle, Durch fremde Afjociation zu verwirren, zu
ſchwaͤchen. Durch diefe Gründe erlangt das getrennte Lefen und Schreis
ben Seinen Borzug vor dem Schreibleſen; fie ſprechen ganz entfchieden
für das Schreibleſen. Das Schreibleſen will gar nicht Zweierlei gu
gleicher Zeit; es will nur bewußtes Schreiben von Wörtern, die das
Kind als Theile eines Satzes kennen gelernt hat, und dieſes bewußte
Schreiben fchließt eben das Lefen in fh. Wir können dem Berfaffer
in feinen Behauptungen nur Recht geben für das umeigentliche Schreib»
leſen, bei dem mit der Schreibfchrift die Drudichrift zugleich auftritt.
Bon diefem Verfahren reden wir aber nidyt, wenn wir vom Schreiblejen
ſprechen, d. 5. von ber Methode, die ſchreibend zum. Leſen fährt,
156 Der Lefennterricht,
Sonf hat fih im abgelaufenen Jahre wohl faum noch eine Stimme
für das getrennte Leſen und Schreiben erhoben.
b. Die Schreibleſe⸗Methode.
Als Bertheidiger der Schreiblefes Meihode dagegen find aufgetreten:
Franz Schmidt, Lehrer an der ‚Dorotbeenftädtifchen Realſchule in
Berlin, und Jakob Möfenbaher, Lehrer in Oeſterreich.
Shmidt’s Abhandlung erichten 1855 im Programm der genannten
Säule und ging von da aus in das Brandenburger „„Schulbtatt” (1856,
Heft 1 u. 2) über. Diefelbe it bereits im vorigen Bande unferes Jahres⸗
berichtes (S. 72 u. 78) Burg beſprochen worden, baher wir es bier
unterlaffen,, nochmals näher darauf einzugeben. |
Möfenbahers ſchon -oben eitirte Abhandlung fleht in Mr. 34
des „Defterreichifchen Schulboten” für 1856. Wir entnehmen daraus
Folgendes:
„Der Schreiblefeunterricht hat zur Grundlage die Anficht: dem
Lefen gebt das Schreiben voran, und der Lefeunterriht muß an den
Schreibunterricht angefnüpft werden. Das Schreiben ift das erfle; mit
tels des Schreibens wird das Leſen gelehrt. Dem Schreiben aber gebt
die Analyfe des Wortes vorher. Man muß gleich zu Anfauge ein Wort
aus einem geeigneten Sage herausnehmen und fehreiben iaften, denn der
Schüler fol fi bewußt fein, daB das Wort zur Darſtellung der Rede
gehört. Das Wort, das der Schüler geſchrieben hat, muß er auch gleich
wieder lefen. Das Berfahren dabei ift kurz folgendes:
1) Das gefprohene Wort wird in feine Beſtandtheile zerlegt;
2) diefe Beftandtheile werben durch die Schrift zufammengeftellt ;
8) die Schrift wird aufgelöf, um das Wort zn lefen, und
4) fie wird zufammengefeßt, indem das Wort gelefen wird.
„Ein Beifpiel mag zur Erläuterung des Gegenſtandes hinreichen:
Benn die Schüler durch eine mehrere Wochen lang fortgeführte Uebung
die Fähigkeit, von den ihnen naheliegenden Gegenfländen in Sautrichtigen
Sägen zu forechen, und diefe fodann in Wörter, die Wörter in Silben
und dieſe in Laute gu zerlegen, erlangt, wenn fle fi nebenbei au)
einige Gewandtheit in der. ridgtigen Führung des Griffels angeeignet
haben, fo fehreibe der Lehrer das um leichteſten fchriftlich darzuſtellende
Bort eines Satzes, 3. B. das Wort „in“ aus dem Sage: „Die Bögel
fliegen in der Luft,‘ an die Tafel, mache die Schüler mit dem Zeichen
für Die Laute befannt und fordere fie zum Schreiben des Wortes auf.
Iſt das gefchehen, fo laffe er Das geichriebene Wort in die. Zeichen. für
die Laute zerlegen, und dann wieder zufammenfeßen durch das Kefen.
„Das Tactfehreiben gewährt dabei große Vortheile. Sobald eine
hinreichende Anzahl von Buchſtaben eingeübt if, werden flatt einzelner
Wörter, die aus Sätzen genommen find, Säge gefährieben.
„Die Lefſeſchreib methode dagegen geht den umgekehrten Weg:
fie beginnt mit dem Lefen und knüpft das Sohreiben unmittelbar daran.
Ihr Stufengang if folgender: -
Der Lefeunterrisht, 157
41) Auflöfen der Schrift,
2) Zufammenfepung durch die Ausſprache,
3) Aufldfung des Geſprochenen, und
4) Zufammenfegung durch die Schrift.
„Vergleichen wir beide Berfabrungsarten mit einander, fo gewahren
wir wohl äußerliche Unterfchiede, aber auch ihre Uebereinſtimmung dem
Weſen nad. Beide find analytifch- funthetiicher Natur, und es dürfte
Daher, ob die eine oder bie andere angewendet wird, ein gleicher Er⸗
folg zu erwarten fein.
„Bon bdiefer Betrachtung werden wir noihwendiger Weile zu ber
Frage geführt: IN die das Lefen und Schreiben verbindende Methode
geeignet, der vorher aufgeftellten Forderung au den Lefeunterricht zu
entfprechen ?
„Wenngleich die Antwort fhon in dem früher Gefagten (Nr. 33)
liegt, fo dürfte es doch von Nutzen fein, die Beantwortung Ieher
zu Bellen. '
‚Diefe Methode nimmt glei nom Anfange her die bewußte SelbR-
thaͤtigkeit der Schüler in Unfpruch und leitet fie in derfelben unaufbör«
ih fort. Der Schüler weiß, daß er das Wort zergliedert, welche Be⸗
deutung die Buchhaben haben und wozu fie taugen; er wendet fie an
im der Abſicht, durch fie den Laut zu bezeichnen, mittels der Buchflaben
das Wort und durch diefes Begriffe und Gedanken darzufellen. — Lefen
und Schreiben unterſtützen ich gegenfeitig, das Eine wird durch das Ans
dere geübt und erleihtert. Das Gedankenſpiel des Schülers wird bei
Wörtern und Sätzen, die er ſchreibt, ein tieferes, weil er Zeit gewinnt,
darüber nachzubenfen, was bei einem flüchtigen Veberfchauen oder Hören
nicht fo teicht der Ball if. Die Zertigkeit in der ſchriftlichen Mitthei⸗
Iung fleigert fih in dem Grade, als fich die Lejefertigkeit und mit diefer
bie Begrifieweit der Kinder erweitert. Das allgemeine Schulkreuz, die
unrihtige Orthographie, Tann nicht auflommen; dafür wird aber eine
leichtere Beweglichkeit im fchriftlichen Gedankenausdrud erreiht. Der
erſte Lefennterriht wird eine fee Grundlage für den Sprachunterricht,
der Doch einmal Fein anderes. Endziel haben fann, als ein gewilles, das
Serſtaͤndniß vermitielndes. Eindringen in das Innere des Sprachgebäudes.
Der Schüler wird aus der mechaniſchen Nachmalerei der Buchflaben in
das geifibelebende Gedanlenfchreiben hineingeführt.
„Bir fehen aus diefen flüchtigen Andeutungen, welche Bortheile
bie das Lefen und Schreiben verbindende Methode zu bieten vermag,
und fie find in der That ziemlich große. Sie find keine graue Theorie,
fondern Erfahrungsfäge von Männern der Schule, die diefe Methode
feibR mit dem beten Erfolg angewendet haben. Ich erlaube mir dafür
einen Brafer, der diefe Methode ſelbſtſtaͤndig behandelte, einen Hegener,
der in feinem Derkhen „über den Unterriht in der Schriftfprache ‘‘
das, woo ber Schule in OHinſicht des erſten Leſeunterrichts noth thut,
Ber und überzeugend beſprochen hat, — einen Lüben und Nade ans
zuführen, deren erſtes Leſebuch für Bürgerfchulen einen .mufterhaften
Eis für den Schreibiefeunterricht enthält,
ud
158 _ Der Lefeunterricht.
„Möchten diefe Anfichten über die Schreibfefes und Leſeſchreibme⸗
thode doch den Entſchluß erregen, diefe näher fennen zu lernen! Gewiß
würde dann ihre Anwendung in Schulen freundlich begrüßt werben, die
hoben Orts jetzt ſchon wenigſtens wünſchenswerth erfcheint, was aus
Rr. 7 der von ber k. f. Schuibehörde in Salzburg herabgelangten Kon-
ferenzfragen erfichtlich fein dürfte.‘
Hieran ſchließt der Berfaffer noch eine kurze Widerlegung der Ein»
würfe ter Gegner des Schreibleſennterrichts, in der er, wie ſchon vorher
in Nr. 33, die Lautirmethode und das getrennt auftretende Lefen iden«
tiffeirt, was die Auseinanderfegung dem Uneingetveihten unflar madt.
Selbſtverſtändlich bedarf man beim Schreiblefen auch des Lautirend, das
ja befanntlih nur ein langſames Leſen if.
Bei dem reinen Schreiblefen fowohl, ald auch bei dem verbundenen
Schreib⸗ und Drudichriftiefen kommt 26 häufig vor, daß man bie
Hauptwörter fo lange mit Fleinen Anfangsbuchſtaben [reis
ben laͤßt, al8 man die großen Buchſtaben noch nicht eingeübt bet. Mag
der Nachtheil, der hieraus für die Orthographie erwächſt, auch nicht fehr
bedeutend fein, fo iſt er doc gewiß in Anſchlag zu bringen und leicht
dadurch zu vermeiden, daß man ſich in den erfien Wochen des Untere
richts auf Wörter befähräntt, die klein gefchrieben werden, bann aber
von Seit zu Zeit einen leicht darkellbaren großen Buchflaben einkben
läßt, wie z. B. D, O, A, S. u f. wm. Hubert fagt in feiner „An«
weifung‘ zum Gebrauch; feiner Fibel Seite 6 in dieſer Beziehung: ‚Die
Orthographie ift von Anfang beachtet und beabfihtigt worden, fo Daß
das Kind mie ein falfhes Wortbild zu fehen bekommt, ſondern ſtets
zur Auffaffung und Darftellung nur ridtiger Wortbilder angeleitet
wird. — Alle bisher erjchienenen Bibeln erlauben ſich in diefem Punkte
eine Notblüge, indem die Sauptwörter mit Meinen Anfangsbuchftaben
vorgeführt werden. Aber eine Rothlüge iR und bleibt immer eine Lüge.
Diele it bier fo leicht zu vermeiden, wenn die Kinder mit den Lleinen
gedrudten Buchſtaben zugleich die großen kennen lernen.’ Diefe Ber
jeiämungeiwe fe des entgegenftehenden Verfahrens iR unpaflend und exe
em, ſchon darum, weil man urſprünglich alle Sauptwörter klein fchrieb,
ebenfo die Behauptung: „Alle bisher erfchienenen Fibeln“; denn fchon
vor Huberts „Preußifcher Handfibel für Chriſtenkinder“ gab es Leſe⸗
bücher, in der feiner Forderung nacdhgefommen wurde. Berg. den erfien
Theil meines Leſebuches.
c. Die Jacotot’fde 2efemethode.
Ueber die Jacotot'ſche Lefemethode findet fich ein recht leſenswer⸗
ther GKonferenzvortrag vom Lehrer F. W. Shumann in Nr. 24 ber
„Sächſiſchen Schufzeitung‘ für 1856. Da über diefelbe fihon in früs
beren Bänden des Fahresberichtes ausführlich referirt worden ift, fo
befchränfen wir uns bier auf die Bemerkung, daB der Verfaſſer ich enb⸗
fehieden für dieſelbe erflärt, fie jedoh nur in der Weile angewandt gu
ſehen wünſcht, wie fie bei Thomas in den „‚Lebensbildern 1. auftritt.
Der Leſeunter richt. 159
In Mr. 23 deſſelben Blattes heilt Herr Q. J. Qubler mit, im
welcher Weiſe er dieſt „Lebensbilder L Genupt. Es will und ſchei⸗
nen, als geſchehe dieſe Benutzung nicht ganz im Geiſte des Buches.
Gin Leipziger Lehrer, Herr Klauwell, zeigt in Nr. 16 der
„Sächſ. Schulzeitung”, wie er das „I. Schulbuch“ von Dr. Ram»
born für das Lefen, Schreiben, Beihnen und die Denkübungen benupt.
Die. Darlegung iſt einfah und Har md läßt uns in dem Berfafler
einen tüchtigen Elementariehrer erkennen.
d. Die Pallulirende Methode,
Der Ausdruck „Lallulirende Methode’ rährt von dem Diret⸗
tor Harſchild in Leipzig ber. Das Weſen derſelben if von ihm in
feiner Zeitſchrift: ‚‚Beivziger Biätter über Erziehung und Unterzidt‘‘
(1855. S. 70 — 80) auseinander gefeßt werden und beftcht darin, daß
man 1) dem Schuler beim Beginn des Unterrichts nur das darbieket,
was feiner Baffungstraft gemäß if; 2) fergfältig abmägt, was dem
Eriernten nen hinzugefügt werden fol; 3) mit dem Neuen das te
immer wiederholt und auf diefe Weife 4) verhütet, daß der Schüler
Fehler macht. Das haben die Methodiker, genau genommen, zu jeder
Zeit beabſichtigtz denn ‚wer fan irgend einen Unterrichiögegenfland einen
Lehrgang entwirft, der beabfihtigt einen derartigen Anfang, einen ſtu⸗
feumäßigen Zortichritt und Nebungen zur Befekigung des Dageweienen,
berechnet ober alkulirt“ alſo forgfältig, wenn er feine Methode au
nicht eine „kalkulirende“, fondern mit Müdficht auf die Nuur des Kin
des eine ‚natürliche‘ nennt, ein Ausdrud, den Hauſchild verwirft.
In welcher Beife Hauſchild die kalkulirende Methode auf den
erſten Lefeunterricht anwendet, bat er in dem Schriftchen: ‚Des
Kindes erſtes Leſe⸗ und Schreibebuch“ (Leipzig 1856) gezeigt. In dey
Hanptanlage ſtimmt fein Werk mit Dr. Bogel’s „erſtem Schulbuche“
überein, da es, wie dieſes, mit den zu lefenden Hauptwoͤrtern zugleich
bildliche Darfiellungen der Gegenfände, alſo Worts und Sachbilder
giebt. Die Zolge feiner Uebungen ift jedoch natürlich eine andere, nad
feinem Dafürbalten noch beffer herausfaltulirte; auch macht er dag Zeiche
nen der Gegenflände durch die Kinder nicht zur Bedingung, wie Vogel
ed thut. Jede der 45 Seiten des Buches bringt einen, zwei bis drei
neue Buchſtaben, in Wörtern natürli, und fept diefe mit dem früher
Erfernten in Berbindung, wie das in andern Pefebüchern, wenn auch
in anderer Weiſe, auch gefhieht.
Zur richtigen Würdigung des anzumwendenden Berfahrens theilen
wir noch folgende Stelle aus der Vorrede des Büchleins mit: -
„Balten wir demnach den obigen Grundfag des Directors Dr. Bo»
gel einmal ganz fe und geben wir oo
1) zunähf dem Anfänger ein Sahbild, z. B. einen Hund,
Sen Wortbiid, nämlih ami, fo leicht iR, ats fich eben in der
deuten Sprache ein Wort findet; darnach
2) erzählen wir dem Kinde etwas von diefem Hunde, jo daß es
1680 Der Leſeunterricht.
fich lebhaft für dieſen Gegenſtand intereffirt, ‘auch die eingeflodgtenen Fra⸗
gen. munter und gern beantwortet; und fagen wir munmehr,
3) daß diefer Hund, mie er hier im Bilde gezeichnet und gemalt
if, fih auch ſchreiben laſe und daß ein folder geſchriebenet ami
unter dem. gemalten ami ftebe ; ja,
A) fohreiben wir ihm auch dieſen ami groß und breit an der
Wandtafel vor,
fo wird das Kind, weldhes das, was man ihm vormaht, fo gern
nachmacht, ganz von felbft nach der ihm dargebotenen Feder greifen, um
dieſen vorgefchriebenen Hund nachzufhreiben. Wir haben hier bei deni
ganzen Berfahren nur Eines, was Director Dr. Vogel obenan Rellt,
gleichfam in Frage geſtellt, nämlich Die Zeihnung des Sachbildes
durch das Kind ſelbſt. Schwerlich werden ſich nämlich vice Lehrex
finden, welche diefen ami gut vorzeichnen, und ebenfo wenig niele Feine
Schüler und Schülerinnen finden, welche ihren ami auch nur erträglidg
nachzeichnen koͤnnten. Will es ein Lehrer mit fih und feinen Kindern
wagen, deſto beffer! Nur darf e8 nicht unbedingte Forderung fein, das
Wortbild nicht eher vorzufchreiben und durch die Kinder nachſchrei⸗
ben zu laflen, ale bis das Sachbild von dem Lehrer vorgezeich⸗
net und von dem Kinde nachgezeichnet worden if. Die Gründe dafür
find folgende:
1) Das Kind bat ja ohmedies ein Sahbild im Bude vor ich
Degen, fo daß es, auch ohne ein foldhes Bild ſelbſt verfucht zu haben,
ven Lehrer vollftändig begreift, wenn diefer ihm fagt, Daß es nicht bloß
gezeichnete und gemalte Hunde, fondern au gebrudke und geidriehene
Hunde, z DB. diefen ami, gebe.
2) Der nähfte Zweck ift ja doch, das Kind lefen und ſchrei⸗
ben, nicht aber zeichnen zu lehren, fo daß die obige Frage, ob eine
Sache leichter, als die andere, zu zeichnen fei, ſich ganz von ſelbſt
der viel wichtigern Frage, ob ami leichter, ats Hut und Fiſch, zu lefen
und zu fchreiben fei, unterordnet.‘
„Deshalb nenne ich auch mein Büchlein nur Lefes» und Schreis
bebuch, ohne damit das Beichnen der Bilder auszuſchließen; ftehen
doch die Bilder da: warum follte fie ein Lehrer nicht ſelbſt vorzeichnen
und ebenfo von den Kindern nadhzeichnen laffen? Ein beredter Lehrer
wird, wo möglich, die Dinge ſelbſt noch vorzeigen; doch Tann dies
ebenfo wenig zur unbedingten Forderung erhoben werden.‘
„Ginen fehr großen Bortheil gewährt dieſe Befreiung des Leſe⸗
und Schreibunterrichts vom Zeichnen noch dadurch, daß auf dieſe Weiſe
die Bilder ſelbſt Yon dieſen einfachſten, einfötmigen und faſt nur gera⸗
den Linien befreit werden. Denn eben ſo richtig wie naiv klagen die
Kinder, „es ſei aber in dieſem Buche nicht ein einziges Thier, das
laufen lonnte.“ Nur Leblofes läßt Ach in einfache und gerade Linien
fhließen, die lebensvolle Natur weiß nichts von Lineal und Winkelmaß.“
Der Lefeunterricht. | 161
2. Das Lefen mit Ausdruc.
Das Leſen erfordert nicht bloß auf der unterſten, fondern auf allen
Stufen große Anfrengung und Aufmerkfamfeit von Seiten der Schüler
und Lehrer; denn find die erfien Schwierigkeiten des mechanifchen Les
fens überwunden, dann muß mit aller Energie das verfländige und aus⸗
drudsvolle Lefen angeftrebt werden, eine Aufgabe, die nur in wenigen
Säulen befriedigend gelöf wird. Es iſt das eine alte Klage, von ber
die Urfahe in der mangelhaften Gefammtbildung der Kinder und in
der nachläffigen und falfchen Behandlung der Lefeftüde zu ſuchen if.
Dr Schulinſpector Kettiger fagt in feinem „Bericht an den baſel⸗
landſchaftlichen Kantonallehrerverein‘ (,‚Bädagogifhe Monatgsſchrift für
die Schweiz”, herausgegeben von Grunholzer und Zähringer, Heft 2,
1856): „Betonung. Der Schulton ift noch nicht allerwärts ver⸗
drängt, weder wenn die Schüler einzeln, noch wenn fie im Chor leſen.
Der richtigen Betonung gefchieht namentlich da Eintrag, wo die vers
kehrte Sitte herrſcht, daß die Schüler, wenn fie chorweife lefen, fchreien,
dagegen, wenn fie einzeln leſen, undeutlih murren, d. h. die Stimme
auh nit um's Merken über das Gewöhnliche erheben. Betreffend das
Einzelne, fo flieht es mit der Wortbetonung im Allgemeinen gut und
jedenfalls beſſer, als mit der Betonung des ganzen Satzes. So wird
3. B. das erzählende oder das fragende oder das befehlende Moment
in der Betonung noch lange nicht forgfältig und allgemein genug beim
Lefen beobachtet. Ausdrud. GE iſt uns Allen geläufig und Far, was
wir unter Ausdrud denken, und wie fih Betonung und Ausdrud von
einander unterfcheiden. Sehr deutlich Tpricht fich über die Unterfchiede
von Betonung und Ausdrud Göginger aus (fiehe: Die deutfhe Sprache
und ihre Literatur, von Dr. M. W. Goͤtzinger. Erſter Band. Die deuts
fe Sprade. 2. Theil. Stuttgart, 1839. Seite 220 u. ff.): „Wenn
die Betonung ded Wortes und die des ganzen Satzes etwas ges
ſchichtlich Gegebenes und beſtimmt Vorhandenes iſt, ſo kann dies von
der Betonung im Sage, die wir Ausdruck nennen, nicht geſagt werden.
Gier herrſcht viel Freiheit in Bezug auf das, worauf der Lefende oder
Sprechende den Ausdrud legt, fo viel Freiheit, daß von zwei Lefern
jeder etwas Anderes im gleichen Sage betonen und daß bis auf einen
gewiffen Grad jeder Recht haben kann. Betreffend nun den Stand des
Ausdrudes, fo berricht bei allem Kortichritt, der in den letzten Jahren
gemacht worden, noch hie und da Mattigkeit, oder Hängen am Schollen,
ih meine am Bersbau. ‚Die Gegenfäpe werden nicht immer genug here
vorgehoben. Es liegt der Ausdrud nicht genug. in der Gewalt des
Lehrers, weil jene Uebung, welche auf Seite 31 des Lehrplans nam⸗
haft gemacht if, nicht überall Beachtung findet.”
An Rr. 3 der ‚„Bollsfchulblätter aus Thüringen‘ für 1856, her-
ausgegeben von Dr. Laudhard, heißt es in Bezug hierauf:
„Das betonte Leſen gehört mit zu den fihwierigfien Aufgaben
in Der Volksſchule, hauptfählich darum, weil man fi) über die (unges
Nade, Jahresbericht. X. 11
162 Der Leſeunterricht.
mein ‚aufn Regeln der deutfhen Betonung noch nicht Mar gewor⸗
den i
„Ein guter Maler wird bunte, fchreiende Farben, namentlih une
verträgliche, nie nebeneinander fegen; er wird erſt durch Mifchen und
Dämpfen der Töne ein vorwaltendes Golorit und damit eine Harmonie,
ein Ganzes zu Stande bringen. In ähnlicher Weiſe dürfen die accen⸗
tuirten Wörter nicht fcharf und flechend betont, fondern nur durch einen
leifen Drud der Stimme bezeichnet werden, wenn das Gelefene anges
nehm lauten und als ein zufammenhängendes Ganze ſich darftellen fol.
Das zu flarfe Betonen beweift allemal entweder Mangel an Berftänd-
niß, oder ein ungebildetes Gehör.‘
„Stoß ift der Mißgriff vieler Lehrer, Beine Kinder fchon betont
leſen zu laſſen. Das Betonen, ein Refultat des ganzen Verſtaͤndniſſes,
iſt kaum im 12. Jahre möglich und früher nicht noͤthig. Auf den un⸗
terſten Stufen genügt es, die Leſepauſen richtig einzuhalten, und klar
und laut zu leſen. Dieß iR an fi ſchwer genug, was darüber if, if
vom Uebel. Wenn einmal Augen und Sprecdhwerkzeuge die nöthige
Hebung haben, fo if das Auffaflen des Ganzen die Hauptſache.“
Mit der kurzen Anleitung, die hier gegeben, und in einem ſpäte⸗
rn, in Nr. 8 befindlichen Auffage noch weiter ausgeführt wird, Tann
man fih wohl einverftanden erflären, weniger jedoch mit der Anficıt,
daß es ein großer Mißgriff fei, „Feine Kinder fchon betont leſen zu
laffen.” Wie follen die Kinder bis etwa zum 12. Jahre hin Iefen,
wenn fie nicht betonen follen? Monoton, oder fingend? Beides findet
fih in den meiſten Schulen, und zwar nicht bloß auf der mittleren,
fondern oft genug auch auf der obern Stufe. Das fingende Leſen pflegt
dei Mädchen vorberrfchend zu fein und ift ſchwer auszurotten, wo es
einmal eingerifjien if. Und um fich dieß zeitraubende, anftrengende Aus⸗
zottungsgefhäft zu erfparen, wird man jedenfalls wohlthun, diefen Leſe⸗
ton gar nicht auffommen zu laffen. Nicht ganz fo fchlimm, aber doch
immer ſchlimm genug, flebt es mit dem monotonen Lefeton, dem eingis
gen, der noch zuläffig if, wenn man den Singeton nicht geftatiet.
Rah meinem Dafürhalten darf man aber auch diefen nicht auflommen
laſſen, am wenigften bis gegen das 12. Lebensjahr hin dulden. Wie
alles Falſche und Verkehrte, fo muß auch der falfche Kefeton gleich beim
erfien Entftehen befämpft werden, aber natürlich nicht dur Regeln —
die verfteht das Kind auf der untern und mittlern Bildungsſtufe noch
‚nicht oder doch nur ungenügend —, fondern durch gutes Borlejen, wos
durch überhaupt das ausdrudsvolle Leſen am beften gefördert wird.
Daß daflelbe durch volles Berftändniß des Lefeftüdes, auch durch Kennte
niß des Sapbaues, erleichtert, alfo befördert wird, verftebt fih von
ſelbſt. Aber Verſtändniß eines Lefeftüdes ift nicht bloß Aufgabe der
obern Stufe, fondern aller Stufen.
Eine gedrängte, aber ausreichende Anleitung zum ausdrudsvollen
Lefen enthält der erſte Theil des ‚‚Refebuch » Unterrichts in der Volks⸗
Thule” von Weigel (Stuttgart, 1856). Kenntniß der Hauptleferer
geln, Erklärung des Lefeftüdes, gutes Vorleſen durch den Lehrer, fofors
Der Leſeunterricht. 163
tiges Nachlefen dur die beſten Lefer, richtiges Abfragen des Städes
zur Auffindung der Tonwörter und — fleißige Hebung find die Haupt⸗
Rüde, worauf der Berfafler, und mit ihm jeder verfländige Lehrer, ber
iondern Werth für Erzielung ausdrudsvollen Lefens legt.
Sn Löm’s „Pädagogiſcher Monatsſchrift“ (1856, Heft 2) vers
breitet fh Deinhbardt in einer längern Abhandlung, mit der Webers
ihrift: „Das eurbythmifche Leſen“, über das Schönlefen. Wenn wir
diefe Arbeit auch gern zum aufmerkfamften Lefen empfehlen, fo hätten
wir doch gewünfht, daß der Herr Verfaſſer fih mit Rückſicht auf die
Mehrzahl feiner Lefer etwas populärer gefaßt und durchweg fo praktiſch
geworden wäre, wie gegen den Schluß hin.
Ueber das Lefen der Berfe findet ih in Haufhild’s „Leip⸗
iger Blättern (1855, S. 158—160) eine recht gute, beachtenswerthe
Belehrung, aus der wir folgende Stelle ausheben: „Es iſt durchaus
nicht erlaubt, durch Unterlaffung der Baufen am Ende des Bers
ſes das Versmaß unkenntlich zu machen und den Reim zu verwilchen,
der gewöhnliche Fehler unferer Schaufpieler, welche glauben, denkende
Künfler zu fein, wenn fie nach der Interpunktion allein, und nicht zus
gleich nah dem Versbau declamiren. Wozu das Bersmaß und
der Reim, wenn das Ohr des Hörer nichts davon genie—
Ben ſoll? Wer erlaubt uns, dem Dichter feine äußern Kunftmittel
zu zerflören? Iſt nicht die Kunſt eine Verwirklichung der dee in
äußerer Form? So viel diefe Form leidet, fo viel leidet die Kunft
ſelbſt, und formlofe Berfe find deshalb Feine Verſe mehr. Iſt nur
font der Ton des Sprechenden oder Lefenden richtig und gut,
fo bedarf der Zuhörer dieſer Borfihbt von Seiten des Leſers oder
Spredhers nicht.‘
Nicht minder empfehlenswerth ift, was der Berfaffer S. 161— 164
„Weber Declamation und. freien Bortrag unferer Schüler und Schüle
rinnen” fagt, namentlich für Lehrer an höheren Schulen, in denen bes
fondere Redeübungen angeftellt werden.
B. In Bezug auf Sprachbildung.
Für die Volksſchule ift das Leſebuch die Grundlage für die ges
ſammte Sprachbildung. -Damit ſich daſſelbe aber hierfür vollkommen
geeignet erweiſe, genügt es natürlich nicht, daſſelbe zu leſen und immer
wieder zu leſen, ſondern es muß auf's vielſeitigſte durcharbeitet und
ſowohl zur Erkenntniß, als auch zur Uebung benutzt werden. Kein
Lehrer kann und darf ſich dieſer Forderung mehr entziehen, möge ihm
dieſelbe auch noch ſo ſchwer erſcheinen. Dank allen Paͤdagogen, die
dazu beigetragen haben, daß die Schule endlich in dieſe allein zum Ziele
führende Bahn gekommen iſt!
As ein brauchbarer Beitrag zur Löſung dieſer ſchwierigen Auf⸗
gabe iſt in dieſem Jahre (1856) die ſchon oben genannte Schrift von
Weitzel: „Der Leſebuch⸗Unterricht in der Jolksſchule“, dargeboten
worden. Der Verfaſſer liefert darin einen vollftändigen Lehrgang für
. . 11 *
164 Der Lefeunterricht.
die Benugung des Lefehuches, und zwar des Württembergifchen, und
zeigt durch zahlreiche Lehrproben fein Verfahren fpeciel. Außer der
fhon oben beſprochenen Anleitung zum betonten Lefen, zeigt der Ver⸗
faffer, wie das Lefebud für die Rechtfchreibung und Wortlehre, für bie
Saglehre und Auffaplehre zu benupen if. Für jede zu vermittelnde
Eyztenntnig und Uebung dient ein beflimmtes Lefefüd. Nachdem der
Inhalt deffelben zuerft im Allgemeinen zum Berftändniß gebracht worden
it, geht der Verfaffer auf die fpeciellen Erörterungen ein, die er beabs
fihtigt. Durch die Folge der Stüde im Leſebuche läßt er fich natürlich
hierbei nicht leiten, fondern allein durch die Angemeffenheit derfelben
für die beabfichtigte Belehrung. Daraus erwähf ihm der Bortheil, für
Orthographie, Grammatik und Stiliſtik methodifch geordnete Lehrgänge
aufftellen zu können. Wir billigen dieß Verfahren zur Erreichung dieſer
befonderen Sprachzwecke ganz, da es methodiſchen Fortſchritt möglich
macht und ein abgerundetes, auch endlich für den Schüler überfchaus
bares Wiſſen gewährt.
Im 7. Hefte der „Volksſchule“ für 1856, redigirt von Hartmann,
hat Dr. Eifenlohr eine Anzahl Leſeſtücke des Württembergiſchen Les
febuches ſprachlich behandelt, hauptſächlich in der Abficht, um Allen, die
ihre Dienftprüfungen noch zu beftehen haben, zu zeigen, was rüdfichtlich
bes Lefebuches in den Lehrproben von ihnen erwartet wird. Bir glaus
ben, daß ihm für diefe Proben auch die danken werden, die fhon laͤngſt
im Amte ſtehen; fie find vortrefflic.
In Nr. 16 des „Öldenburgifchen Säulblattes“ für 1855 zeigt
6. 6. C. Schmidt an Uhlands ‚Einkehr‘, ‚mie das Xefebuch als
Grundlage für den deutſchen Sprachunterricht zu behandeln if.” Die
Ausführung ift in dem Sinne von Otto, Kellner und des von mir und
Nade herausgegebenen „Commentars““ gehalten.
e. An Bezug auf Nealbildung.
Ein Blick in die neueren Leſebücher beweiſt, daß man den welt.
tundlichen Gegenfländen einen ganz entfchiedenen Werth für die Ju⸗
gendbildung beilegt, ihren Einfluß für Bildung des Geiſtes, Gemüthes
und Charakters, desgleichen für das praftifhe Leben anerkennt. Manche
Lefebücher beftehen zur Hälfte, ja zu Dreiviertel aus weltkundlichen
Stoffen; eignen die Schüler ſich diefelben vollftändig an, fo haben fie
einen vortrefflihen Grund für die Nealien gelegt und find, die rechte
Behandlung vorausgefegt, tüchtig geiftig gefördert worden. Aber hier⸗
auf, nämlich auf die rechte Behandlung, kommt auch in der That Alles
an. Nichts in der Schule läßt einen größern Mißbrauch zu, als das
Lefebuh. Wie die Lefeftunde fonft, in älteren Zeiten, eine Erholungs
flunde war, fo fann fie e8 auch noch heut werden. Bequeme Lehrer
können fih auch jetzt darauf befchränfen, die welttundlichen Leſeſtücke
tüchtig einleſen zu laſſen, ſo lange, bis die Kinder den Inhalt in der
einen oder andern Weiſe wiedergeben können. Für Sprahbiidung wird
das nit ohne Erfolg fein, für Erwerbung weltkundlicher Kenntniffe
Der Lefeunterricht. | 165
aber zum Theil ganz unbedeutend; die Kinder -werben dann in ben
meiften Zällen nicht die Sachen, fondern nur das darüber Geſchrie⸗
bene kennen; Bücherweisheit wird an die Stelle der Realkennt⸗
niffe treten. Wir begen in diefer Beziehung ernſtliche Beſorgniſſe,
feit man fih durch Anordnungen gendtbigt gefehen hat, für die Ele⸗
mentarjchule den geſammten weltfundlichen Stoff in das Leſebuch zu
verlegen, und werden darum nicht unterlaffen, immer und immer wieder
darauf zurüdzufommen.
Bas zunähft die Naturkunde anbelangt, fo muß als unantafl-
barer Grundſatz fefgehalten werden, daB Fein Leſeſtück gelefen
wird, ehe nicht die erforderlihe Anfhauung der Natur—
gegenfkände fkattgefunden und das das Geſetz erflärende
Erperiment gemacht worden if. Was hierbei von den Kindern
feld wahrgenommen werden fann, das muß auch ferner als ihre Thaͤ⸗
tigkeit verbleiben, weil davon und nur davon der bildende- Einfluß ab»
hängt, den die Raturkunde auszuüben vermag. Was nicht von ben
Kindern beobachtet und aufgefunden werden Tann, das fügt der Lehrer
binzu und fördert dadurch ebenfo die tiefere Einficht, wie durch die ganze
Art und Weile, in der es gefchieht, die Gemüthsbildung der Kinder.
Dies bier kurz bezeichnete Verfahren ift eine, wichtige Errungen-
haft Der methodifchen Beftrebungen der lebten 25 Jahre; es darf uns
um keinen Preis wieder verfümmert werden oder verloren geben. |
Borausgefept, daB ein Naturgegenfland oder eine Naturerfcheinung
fo behandelt worden ift, wie es angegeben wurde, dann tritt Das Leſe⸗
bu ein, ob in derfelben Stunde, oder fpäter, bleibt fih ganz gleich.
Bar die Beiprehung rechter Art und der Lehrer, wie billig, vertraut
mit dem Inhalte des Kefeftüdes, fo kann dafjelbe Nichts mehr darbieten,
mas der Erflärung bedarf. Das Leſeſtuͤck wird nun nichts weiter fein,
ale eine mehr oder weniger umftändliche Wiederholung des Beiprochenen,
Beobachteten und Gefolgerten in fehöner ſprachlicher Darftellung, gewürzt
vieleicht durch eine einfchlägliche Poeſie. Solche Darftellungen ‚werden
num nicht eins, zweimal gelefen, fondern fo lange, bis das Ganze zum
unverlierbaren Eigenthum geworden ifl. Nach ein, zwei Monaten wird
dies Lefen wiederholt und hierbei durch Wort, Bild oder Naturkörper
an das erinnert, was bei der erſten Beiprehung vorgefommen und
nit im Lefeftüde enthalten if. Dann erft haftet das Gelehrte und
Gelernte, und daß man in diefer- volltommenen Weife fo leicht darauf
zurädfommen: fann, das eben ift der fehr hoch anzufchlagende Nupen des
Lefebuche®.
Selbſtverſtaͤndlich gilt das Alles ebenfo fehr für den Anſchauungs⸗
und Menlunterricht der Glementarfhüler, als für den eigentlich welt,
kundlichen der Borgerüdteren, natürlich mit richtiger Würdigung ber
erlangten Geiftesfähigfeit.
Im Sinne des Borfiehenden wird es zu nehmen fein, wenn W.
B. in dem ſchon angezogenen Auffabe: „Das Schulbud und die Rea⸗
lien” (Mhein. Blätter, ©. 40) fagt: „Es gilt nun, die Sachen im
Retur- und Menſchenleben, namentlih fo weit die Augen in nächſter
166 Der Refeunterricht.
Umgebung reihen, und fo weit fie vaterländifches Intereſſe haben, or»
dentlih, verftändig, bündig und ganz an die Kinder bringen, und dabei
die Lefeftücde durd, Ausdeutung und Ausbeutung ihres Inhalts benupen,
Die Pflanze, das Geftein, den Käfer, Schmetterling u. f. w. mußt du,
wenn das Leſeſtück darauf folgt, zugleich feibhaftig- vorzeigen, andere
Raturdinge an erreichbarer Stelle oder im Bilde nachweifen oder vorlegen.‘
Ebenſo verlangt es der Seminar »Öberlehrer Sch olz in Münfters
berg, einer der Mitherausgeber des Münfterberg’fchen „Volksſchul⸗VLeſe⸗
buches.“ Er fagt in Beziehung hierauf im 2. Hefte des Schlefifchen
„Schulblattes“ für 1856, &. 140: „Nur einige Andeutungen über das
zu beachtende Lehrverfahren. ch fchließe fie an ein Lehrobject des Leſe⸗
buches an, nämlid an die gemeine Schwalbe oder Rauchfchwalbe. Bors
ausgefept wird, daß eine wirkliche Schwalbe, oder doch eine naturge⸗
treue Abbildung des Vogels vorhanden if und die Anfchauungen und
Erfahrungen der Kinder in geeigneter Weife benupt werden, und daß
der Lehrer forgfältig vorbereitet den Unterricht beginnt. Bu leßterem
rechne ich in diefem fpeciellen Falle: 1) genaue Kenntniß des Vogels
nad) feiner Förperlichen Befchaffenheit und Lebensweiſe; 2) genaue Ein»
fiht in das zugehörige Leſeſtück vor der unterrihtlihen Behandlung
defielben, um die erforderlichen Erläuterungen in den Unterricht aufneh⸗
men und weitere Sacerffärungen beim Lefen überflüffig zu machen; 3)
Auswahl und Anordnung der zu gewinnenden Refultate, wie auch Feſt⸗
Rellung des Ausdrudes, mit welchem diefelben bezeichnet werden ſollen;
4) welche Beziehungen auf die Lebensweife und auf die aͤußere Natur
anzufchließen find, . und 5) daß dies Alles erwogen werde im Hinblid
auf die verfügbare Zeit und die Gapazität der Schüler. Bei der Be⸗
handlung felbf ift von einem Vordociren fo wenig die Rede, als von
einem ausfchließlihen Auffindenlaffen. Es if ein gemüthliches Zuſam⸗
menwirfen: die Schüler finden und theilen mit; der Lehrer berichtigt,
ergänzt, wählt aus, ordnet die Reſultate und macht Abfchlüffe, die dann
von den Kindern im Zuſammenhange wiedergegeben und dem Gedächt⸗
niß eingeprägt werden. Manche verlangen eine wörtlihe Ginprägung.
IH bin nicht ganz der Anficht und meine, daß es genüge, wenn bie
Schüler die Sache richtig aufgefaßt haben und im Stande find, diefelbe
fpradhgemäß zu bezeichnen.‘
Seite 143 heißt e8 dann weiter: „An die unterrichtliche Naturge⸗
ſchichtsſtunde fchließt fih die Lefeftunde für das entfprechende Leſeſtück
an, welches in derfelben gelefen und nah Maßgabe der Zeit von den
arößeren Schülern im Zuſammenhange erzählt: wird, während die Schwäs
heren einzelne Fragen vorgelegt befommen, deren Antworten fie dem
Lefefloffe entnehmen. In manchen Fällen wird der Lefeftoff den Unter
richt fachlich erweitern und ergänzen, wie ſolches in der Behandlung
der Schwalbe hervortretend bemerkt worden ifl. — In der zugehörigen
Auffchreibeftunde wird jedenfalls (durch die erſte Abtheilung) der Lefes
ftoff aus dem Gedächtniß aufgefchrieben und zwar in der Art, daß die
Schüler abwechjelnd einen Satz laut vorſprechen. Erſt wenn diefer von
allen Kindern aufgefchrieben ift und der Lehrer gegen Schrift, Ortho⸗
Der Leſeunterricht. 167
grapbie 20. nichts mehr zu erinnern findet, folgt ein zweiter Saz ac.
Sollten die fhwächeren Schüler nicht Schritt halten Pönnen, fo mögen
diefe durch Abfchreiben aus dem Buche oder von der Schultafel beichäf-
tigt werden. Leßterer Fall dürfte befonders in Anwendung kommen,
wenn die Schüler no der Borlage einer Schönfhrift bedürfen, um
ihre Handſchrift zu verbeflern. Bon derfelben Uebung Tann die erfte
Abtheilung rüdfichtlich der Iateinifchen Schrift auch nicht entbunden wer⸗
deu. Während dieſes gefchieht, "gewinnt der Lehrer Beit, ſich mehr der
jnelen Abtpeilung zu widmen und fie im Auffchreiben aus dem Kopfe
zu üben.‘ ,
Sn dem fehr tüchtigen Auffabe des Seminars Directors Bod in
Münfterberg: „Die Geftaltung und Behandlung des Unterrichtes auf
der Grundlage des Lefebuches, mit befonderer Bezugnahme auf den 3.
Theil des Volksſchul⸗TLeſebuches“ (Schulblatt der ewangelifchen Semi⸗
nare Schleſiens, 1856, erfles Heft) beißt es &. 23 u. ff. in dieſer
Beziehung: „ES fei bier ein für alle Mal bemerkt, daß fi in den
fämmtlichen naturgefchichtlihen Stoffen das Leſebuch zum Unterrichte fo
Rellt, daß 1) letzterem die genaue, fachlich geordnete Beichreibung nad
Größe, Ausſehen, Theilen, Wachsthum, Lebensweife, Nugen zufällt, fo
daß fihere, Mare Angabe darüber allein feine Sache iſt; 2) daß deshalb
diefe Kenntniffe durch Anfchauung des wirklichen oder im Bilde vorges
zeigten Gegenflandes zu gewinnen find; 3) daß jedoch die ganze münd⸗
lihe Belehrung das Leſebuch zum Hintergrunde, und Berfländniß und
fee Aneignung des in ihm enthaltenen Stüdes zum BZwede haben
muß; dagegen A) im Lefebuche felbft treten die Formenbefchreibungen
oft mitten im Bilde auf, fowie es eine natürlihe Beobachtung draußen
im. Freien ungezwungen mit fich bringt; 5) oft bat, um XTrodenheit zu
vermeiden, die SKörperbefchreibung nur in einigen Strichen angedeutet
werden koͤnnen und in diefen Fällen bleibt das Fehlende die eigenthüms
liche Aufgabe des Unterrichts. 6) Im Wiedergeben laffe man den Kin⸗
dern freie Hand, indem man a. mit dem vorlieb nehme, was fie über:
baupt behalten haben (befonders bei Schwächeren); b. indem man eins
zelne Fragen ftelle, auf welche umfaflendere, aber aus dem Inhalte des
Ganzen ſich beſtimmt herausfchälende Antworten zu geben find; c. ins
dem man die Kinder nie in der zufammenhängenden Rede flöre, ſon⸗
dern ſprachliche und fachliche Fehler hinterher verbeffere oder verbeffern
laffe. 7) Um der Anfchauung zu Hülfe zu kommen, find für die Res
präfentanten unter den Thieren, befonders für die, welche die Kinder
nicht oft zu fehen Gelegenheit haben, Illuſtrationen gegeben, auch für
Giftpflangen; dagegen follen die übrigen Blumen, die alle leicht zu ha⸗
ben find, in natura vorgezeigt und angefchaut werden.‘
Für die Geographie ſetzen wir voraus, daß der Lehrer Äh von
da ab, wo er über den heimathlichen Kreis hinausgeht, unausgefeßt der
Bandkarte bedient, von derfelben ablefen läßt, was von guten Kars
ten, wie die Sydo w'ſchen und Ewald'ſchen, in Bezug auf Lage, Ger
Kalt und gegenfeitiges Verhältniß der Länder» und Waſſermaſſen, auf
Bodenbildung, Bevdlferung, Meereöftrömung u. dgl. abgelefen werden
168 Der Lefeunterricht,
kann. Die Orientirung auf der Karte muß bem Lefen eines geogra⸗
phifhen Stüdes allegeit vorangehen, und außerdem muß die Karte
während des Lefens aufgerollt vor den Augen der Schüler bangen. Wie
in der Naturkunde, fo werden auch bier mancherlei mündliche Ergän-
zungen erforderlich fein, je nachdem das Leſebuch reich oder arm mit
einſchläglichen Stücken ausgefattet iſt.
Director Bock ſagt a a. O. Seite 25: „Die Karte it aud ein
Leſebuch; daß der Schüler auf ihr leſen lerne, ift die erfle Aufgabe
des geographifchen Unterrichts; Karte und Lefebuch haben ſich zu ergän-
zen; auf der Karte Tief und fieht das Kind Grenzen, Umfang, Gefalt,
Blüffe, Gebirge, Städte, Straßen, Handle, Eifenbabnen eines Landes,
auch von der Bodengeflaltung, ob Hochs oder Ziefland, ob Bald, ob
Feld, ob Wüfle oder reichbevöffertes Land u. f. w. Aber weiter fann
die Karte nicht führen; wo fie uns nun verläßt, da übernimmt das
Leſebuch die weitere Leitung: Wie es in einem Lande ausfieht, wie in
den Gebirgen, wie in den Thälern, in den SHauptflädten, wie ſich das
Leben der Bewohner unter dem Ginfluffe der Natur des Landes geftal-
tet, welche Beichäftigungen und Ermwerbszweige fie treiben, wie Charakter
und Volfsfitte fi zeigen, d. h. Landſchafte⸗ und Lebensbilder zu ges
ben, das if die Aufgabe des Lefebuches.’'
Weiter unten beißt es: „Hieraus ergiebt fih, daß der Lehrer zu⸗
erfi ein Bild des Landes an der Karte zu geben und dabei die geos
graphiſche Anſchauung in einfachen Umriffen, aber ganz ſicher und feſt
einzuprägen habe. Hierbei ift fchon fortgehende Rückſichtnahme auf das
Leſebuch nöthig 1) um gerade das, was diefes auch enthält, hervorzus -
heben; 2) um dasjenige, was in ihm nicht gegeben ift, binzuzuthun.‘‘
Für die Geſchichte läßt fih unmittelbar durch das Lefebuch mehr
erreichen, als für Naturkunde und Geographie, da ſich's bier zunächft
und der Hauptfahe nah um volle Aneignung des Inhalts der Lefes
ftüde handelt. So weit es die Befchaffenheit des dargebotenen Mates
rials nöthig macht, wird der Lehrer theils vorher, theils zum Schluß
darnach fireben, den erforderlihen Bufammenbang durch Ergänzungen
zu vermitteln. Denn wenn auch weder in der Gefchichte, noch in irgend
einem der andern weltfundlihen Gegenflände voller Zuſammenhang erzielt
werden Tann, fo darf doch eine gewiffe Abrundung nicht fehlen.
Bon wirflih nahhaltigem Erfolge wird der Eeſchichtsunterricht
aber natürlih nur durch den freien, ergreifenden Vortrag des Lehrers
werden. So verlangt e8 auch Director Bod in dem oben angeführten
Auflage Seite 29: „Der Lehrer erzählt jede Gefchichte vor; dabei richtet
er fih nad dem im Lefebuche Begebenen fo, daß dieſes nicht bloß nach
ihm wiedergegeben wird, fondern feine Erzählung zugleich die Erläutes
rung dazu bildet.“
„Aufgabe des Unterrichts ift: 1) Feſte Einprägung der Thatſachen;
2) Bermittelung derfelben mit dem gefchichtlichen Zufammenhange ſowohl
im Einzelnen, wie im Ganzen. Daß ſich die hronologifche Auffaffung
hinlaͤnglich feftfegt, Teine Verwirrung in diefer Hinſicht entſteht, und
daB namentlich auch die Mittelglieder zwiſchen den Gefchichtegrups
,
. Dex Lefeunterriht. _ 169
ven, wie fe das Leſebuch enthält, gegeben und badurdy der chronologi⸗
füe Zufammenhang fidher geordnet wird, das iſt Sache der mündlichen
Belehrung. “
W. P. fagt in dem mehrfach eitirten Auffage mit Rüdfiht auf
den Zufammenhang in den Realien (Rhein. Blätter, S. 41 und 42):
„Da die Lefebficher meift ſelbſt ſtillſchweigend einen, auf allmäliche Abs
rundung der auf dem Gebiete der Realien zu ergielenden, materialen
Bildung Berechneten Plan innehalten, fo if dadurch der Fingerzeig für
ein Streben Seitens des Lehrers nach jener relativen Ganzheit des
Unterrichts auch auf diefem Gebiete gegeben. Wichtige Stüde aus ber
Pflanzen⸗, Thiers und. Menfchenfunde, Baterländifches aus Geographie
und Geſchichte, aus Erwerbs und Witterungsfunde enthalten alle neuern
guten 2efebücher, bald in geringerer, bald in größerer Ausdehnung; nur
der innere Werth diefes Materiald unterliegt bedeutenden Differenzen,
wie denn freilich die neuern Lefebücher ſich wejentlih in noch ganz ans
dern Stüden, als in den Realien, von den ältern unterfcheiden. Da
bat es denn der Lehrer ganz in feiner Hand, nad feinen gegebenen
Schulverhaͤltniſſen auch eine velative Ganzheit feines Realunters
richts im Anfchluß an das Leſebuch zu erfireben. Diefe Ganz»
beit iſt nit mit ſyſtematiſcher Vollſtändigkeit zu verwechfeln;
Ießtere gehört nun und nimmermehr in die Volksſchule, wohl aber jene,
wie fehr fie auch in den Augen eines Gelehrten Stückwerk erfcheinen
mag. Das Streben nad diefer Ganzheit fihert am Beften vor ben
gedankenlofen Zufälligkeiten, und — hält überdies auch den fleten Ge: .
danfen an Bervolllommnung der Art und Weile des Unterrichts rege,
oßne welche im Lehrerieben eine verderblide Stagnation eintritt, die
der Schule wie dem Lehrer zum Unfegen gereicht.“
Ein Württembergifcher Lehrer, Deder in Sohenader, hat es vers
fat, die gefhichtlihen Leſeſtücke des Württembergifchen Kefebuches
mit der biblifhen Gefhichte in Verbindung zu bringen, die Pers
fonen der Profangefhichte mit denen der bibliſchen zu parallelifizen,
„um Die Aufmerkſamkeit der Schüler zu feigern, dem welt»
geſchichtlichen Leſeſtoffe durh die Berbindung mit. einer
bibliſchen Gefhihte in dem Gedähtniß der Schüler einen
feßeren Halt zu geben, und durch das Auffuhen von Barals
lelen die Hauptmomente beider Gefhichten klarer hervorzus
heben.” Dagegen läßt fi fchwerlih etwas Gegründetes einmwenden.
Da ein Theil der gefchichtlichen Leſeſtücke des Württembergifchen Leſe⸗
buches fih auch in andern Kefebüdern findet, fo theilen wir nachftehend
bie gegebene Zufammenftellung zur weitern Beachtung mit.
Leſebuch. Bibliſche Geſchichte.
117. Die Egypter. Auszug aus Egypten oder das gols
dene Kalb.
118. Die Spartaner. Aufruhr der Juden gegen Mofe in
der Wüſte bei der Zurückkunft
der Kundfchafter,
170
nervtes Boll;
. Der Lefeunterriäht.
(Rerte den Gegenfag: Die Israeliten eim durch fange Sklaverei ent⸗
die Spartaner ein durch frenge Gefepgebung und
harte Erziehung faſt unbefiegbares Volk.)
10
120.
121.
122.
| 123.
124.
125.
126.
129.
130.
155.
137.
138.
140.
142,
150.
176.
180.
182.
183.
183.
188.
190.
194.
196.
213.
214.
F 34.
Lefebud.
Die Athener.
Sofrates.
Die Spiele der Griechen.
Alexander.
Die Römer.
Die lebten Jahrhunderte des
jüdifchen Reichs.
Zerflörung Jeruſalems.
Hermann, ber, Befreier
Deutſchlands.
Leben der Chriften in den
erfien Jahrhunderten.
Ehriftenverfolgungen.
Bölferwanderung.
Auguftin, Kirchenvater.
Einführung des Chriften-
thums in Deutichland.
Bonifacius.
Karl der Große.
Die Trübſale der Borzeit.
Prinz Chriſtophs Flucht.
Guſtav Adolph, der dreißigs
jährige Krieg.
Schlacht bei Lühen.
Der betende Handwerksgeſelle.
Das Halle'ſche Waiſenhaus.
Die Württembergifche Tabea.
Joh. Mofer auf Hohentwiel.
Biethen.
Die franzöfifche Revolution.
Napoleon.
Bibelgeſellſchaften.
Miffion.
Biblifhe Geſchichte.
Baulus.
1 Kor. 9. beim Bibellefen.
Daniel Weiffagung.
Bund der Makkabaͤer mit den Römern.
Dder Daniel. Geſicht des Rebucads
nezars
(Fortfepung der Maftabäer.)
Jeſu Beiffagung. -
Judas Maftabäus.
Apoftelgefhichte 2, 42.
Berfolgung der Apoftel.
Dder: Herodes enthauptet Jakobus
und ſetzt Petrus gefangen.
Oder: Haben fie mich verfolgt, wers
den ıc.
Babylonifhe Gefangenſchaft.
Saulus. (‚Er ift mir ein ausge-
wähltes Rüftzeug.‘‘)
Petrus. (3% will euch zu Men-
fchenftfchern machen.“)
Elias.
David.
Bergleihung der gegenwärt. Zeit.)
er verfolgte David.
Gideon, Midianiter.
Mofes, die Amaleliter. -
Elieſer.
Speiſung der 5000 Wann.
Die bibliſche Tabea.
Daniel in der Löwengrube.
Hauptmann von Gapernaum und
Gornelius.
Micha 1, beſonders aberCap.8. Jeſ. 59.
Nebukadnezar. Dan. 4, 25 ff.
Sleihni vom Senfkorn.
Fortſetung der Apoftelgefchichte : ge⸗
bet hin in alle Welt.
-Der Lefeunterriäht. {71
Wie Deder feine Paralleliſtrung ausführt, zeigt das nachſtehende,
den Schluß feines Aufjages bildende
Muferfüd.
Zohann Jakob Mofer auf Hohentwiel und Daniel in der
Löwengrube.
Mofer war ein gerader, redlicher Mann ohne Falſch. (Leſebuch.)
Daniel war. treu, daß man feine Schuld noch Webelthat an ihm fin
den mochte. (Dan. 6, 4.)
Mofer kämpfte für Recht und Gerechtigkeit; „wider Pflicht und Ge⸗
wiffen wollte er nicht handeln.‘ (Leſebuch.)
Daniel fürdtete Gott von Jugend auf und betete täglih dreimal
zu Gott.
Mofer verfagte dem Minifter des Herzogs, Graf Monmartin — eben
weil e8 gegen fein Gewiſſen ging — den verlangten unbebing>
ten Gehorfam.
Daniel verfagte einem Pöniglichen Befehl, den die Höflinge von dem
König aus Neid gegen Daniel ausgewirft hatten, den Gehorfam.
Mofer wird nach Hohentwiel abgeführt.
Daniel wird in die Lömwengrube geworfen.
Mofer verfaßt in der Einſamkeit geiftliche Lieder.
Daniel betete zu feinem Gott.
Mofer wird nach fünf Jahren in Freiheit gefebt.
Daniel wird ſchon am andern Tage aus dem Löwengraben gezogen.
Moſer fagte ſelbſt: Es fei ihm gegangen wie dem Daniel, von dem
erzählt werde: „Sie zogen Daniel aus dem Braben, und man
fpürte feinen Schaden an ihm, denn er hatte feinem Gott
vertraut.“
Der Herzog ſelbſt ließ Moſer zu ſich kommen und erklärte, daß er
nun wüßte, „er habe an ihm einen ehrlichen Mann, guten Pa⸗
trioten und getreuen Unterthanen.“
Daniel konnte zum König Darius fagen: „Mein Gott hat feinen
Engel gefandt,, der den Löwen den Rachen zugebalten hat, daß
fie mir fein Leid gethan haben. Denn vor ihm bin ich uns
fhuldig erfunden, fo habe ich auch wider dich, Herr König,
nichts gethan.“
Ronmartin mußte fpäter feine Entlaffung nehmen.
Daniels Feinde wurden in den Löwengraben geworfen.
Auf Gott hoffe ih und fürhte mih nicht, was fönnen
mir die Menfhen than? Bi. 56, 12.
B. In Bezug anf Charakterbilbung.
„Die Zörderung der Charatterbildung aber dürfte unter
allen die höchſte formale Schulaufgabe fein, die Aufgabe, welche ſich
nad der Schulzeit nody weiter in das fpätere Leben erſtreckt. „Es Bils
dt ein Gemüth fih in der Stille, und ein Charakter im Geräufih der
Belt, Die Schule kann nur dutch Ordnung, Zucht, Ernſt und Feſtigkeit,
172 Der Lefeunterriäht.
Zorderumg des Gehorfams, Männlichkeit der Begegnung, Borbaltung
von großartigen Lebensbeifpielen, und auf andere, ähnliche Weile. zur
Fundamentirung des Charakters in der Jugend beitragen; die Weiters
führung und Bollendung des Baues liegt über ihre Schranken hinaus.
Diefe Zundamentirung hat aber auf der Unterlage des Bolfslebens zu
geſchehen, und auf die gegebenen Lebensfreife deffelben, Haus, Gemeinde,
Staat und Kirche dergeftalt vorzubereiten, daB das fpätere Leben einen
willensfräftigen, thatenfreudigen, opferbereiten, von Selbſtſucht freien
Sinn vorfinde, deſſen Macht es weiter entwideln, flärfen, begeiftern,
zu praftifcher That verwenden kann. Mag die Schule bei diefer Fun⸗
damentirung wenig oder viel zu tbun in der Lage fein, wenn fie nur
das Nechte thut. Wenn dabei einerfeits die würdige Unterweifung im
Chriſtenthum durch Lehre und zur unentbehrlihen Gewohnheit täglicher
Uebung gewordene Anwendung und Durhdringung bes ganzen Lebens
in dem Sinne, wie e8 Paulus dem Timotheus zu Ende der erfien Epiftel
an ihn empfiehlt, das Meiſte zu thun vermag, fo Tann doch anderers
ſeits eine tüchtige Baterlandstunde, namentlih eine tüchtige Eins
führung in unfere vaterländifhe Geſchichte auch ein unveräct-
liches Scherflein beitragen, und tüchtige, Ternige, patriotifche Lieder und
Gedichte werden die Weihe erhöhen helfen. Siehe da: gute Schullefes
bücher bieten heut zu Tage auch dazu fehr wirkffame Gelegenheit und An«
regung. Wiederum güt e8 nur, fie zu erkennen,‘ zu benupen. Wer
ſelbſt Herz und Auge dafür hat, der wird auch die Saiten anderer,
namentlih jugendlicher Herzen wohl zum Erklingen zu bringen, auch
Anderer Augen wohl zu öffnen im Stande fein. Das Bud thut's nicht
zumeiſt, fondern der lebendige Lehrer muß es thun; — ' offene Thür
dazu hat er heute mehr denn je" DB. B.: „Das Schullefebuh und
die Realien“ Rhein. Blätter für 1856, Juli — Auguſt, pag. 44 u. 45.-
Der Beherzigung und Nachahmung beftens empfohlen!
⸗
I. Literatur.
I. Refebücher für Volks- und WBürgerfchulen.
1. Ceſebücher und MWandtafeln für die Mnterklaffe.
A. Für das Lefen allein. -
1. Kleine Hand⸗Fibel. 8. (265) Danzig, A. W. Kafemann. 1856.
Cart. 1'/ Sgr.
Die beiden erfien Seiten führen die Buchladen des Aiphabets In
verfhiedener Ordnung vor; dann folgen zweifildige Wörter mit großen
und kleinen Anfangsbuchftaben, etwas fpäter Säpe, rein für das Leſen
berechnete, hierauf kommen religidfe Stoffe; den Schluß bilden eine Meine
Anzahl Aufgaben für das Rechnen und zwei Seiten Schreibidrift.
Unter den Sägen und Sapverhältniffen kommt manches Ungeeignete vor,
wie z. B.: Die alte Welt. Der Wolf im Schilf. Du balgſt dig und
Der Leſeunterricht. 173
folg® nicht. Mit Anütteln fehütteln. Der Nerv ſchmerzt. Wer if ent⸗
zerst? Nach den oben dargelegten Anfichten fönnen wir Bibeln diefer
Art nicht empfehlen.
2. Erſtes Leſe⸗, Schreib» und Sprachbüchlein zum Unterricht in den
deutfhen Schulen. Fünfte Auflage 8. (56 ©.) Regensburg, Friedrich
Bullet. 1854. 2 Sgr.
Auch in diefem Büchlein werden auf der erften Seite alle kleinen
und großen Buchflaben vorgeführt, zuerf in foflematifcher, dann in alphas
betiſcher Ordnung. Dann kommen acht Seiten Silben, hierauf zur
Ginübung der Dehnung und Schärfung der Silben vier Seiten Wörter
und? Silben; daran fhließen fi nochmals Behufs Einübung zweier
Auss und Anlaute ſechs Seiten Wörter und Silben, denen dann end»
ih die großen Buchſtaben auf vier Seiten folgen. Vorher find alle
Hauptwörter mit Leinen Anfangsbuchſtaben gedrudt. Das nun folgende
Material (Seite 22 - 52) dient grammatifchen Zweden und if für andere
Zwede kaum braudbar. Den Echluß bilden „Kurze Denkreime über
die Gigenfchaften Gottes,’ von denen einige fehr matt find. Anlage
und Material des Büchleins ift der Art, daß den Kleinen die Leſe⸗
kunde ſchon nach den erfien Wochen dadurch auf lange Zeit hin vers
teidet werden muß. Bir empfehlen dem Berfaffer gründliches Studium
der Kindesnatur.
3. Erſtes Kinderbud für das Leben und aus dem Leben, zum Gebraude
heim Schreiblefeslinterriht. Bon H. J. Gundermann, Lehrer in Rhauders
febn. Vierte, unveränderte Auflage. 16. Geh. 30 ©.) Leer, W. Bol.
Aurich, C. O. Seyde. 2 Gar.
Der Zuſatz auf dem Titel: „Zum Gebrauche beim Schreibleſe⸗
Unterricht‘ beruht wohl auf einer falihen Vorftellung von diefer Mes
thode; es findet fi im ganzen Buche fein einziger Buchflabe in Schreib»
ſchrift. Die erfle Seite enthält ſämmtliche Buchſtaben des Alphabets,
Nein und groß. Auf der zweiten Seite fommen fogleih zwölf Buchs
Raben, das i und elf KKonfonanten, zur Anwendung, auf der fechsten
And bereits alle dageweſen. So fchnelle Fortſchritte können fechsiährige
Kinder nicht machen. Die darauf folgenden Säge find, dem Titel ger
mäß, aus dem Leben genommen, entſprechen aber nur fehr mäßigen For⸗
derungen; 3. B.: „Die Kuh ift nur ein Vieh, und doch, wie gut ifl
fe Bin ich nur gut mit ihr, jo if fie gut mit mir.’ Auf die Frage:
„Was find die Menſchen?“ wird die Antwort gegeben: „Die Menſchen
find Gotted Kinder, der Menfchen Brüder (und Schweftern) und Herren
der Natur. Alfo: Die Menſchen find der Menfchen Brüder! Den
Schluß bilden ſechs biblifche Erzählungen, „Der Glaube und das Leben,’
das Gebet des Herrn, andere Gebete und Sprüche. Bon der elften
Eeite an find einzelne Wörter der Säge mit lateinifchen Lettern ges
drudt. Neben und zwiſchen dem Zerte befinden fich Fleine, nur geringen
Anforderungen genügende Bilderchen, über dem Terte VBorübungen zum
Nechnen. Das ganze Büchlein entfpricht nur fehr mäßigen Anforderungen.
4 Ertes elementarifhes Xefebuc für Kinder zum Lefenlernen. Bon
M. G. 2. Schrader. 13. Auflage, durchgefehen und verbefiert vom Dis -
}
174 Der Leſeunterricht.
tector Dr. ©. el, 8. (XXIV u, 239 &. F. Ch. W.
Vogel. 1866. * gr. * u) Aeiyale, 5 6.
Die „‚Vorübungen‘ find auf den erften Seiten nicht elementar
genug, da den Kleinen zugemuthet wird, hinter einander alle Laute,
ohne Berbindung von Vocalen und Gonfonanten, fennen zu. lernen.
Wir empfehlen daher, mit Hülfe der Lefemafchine noch angemefjenere
‚ Webungen vorweg geben zu laſſen. Der darauf folgende Inhalt des
Buches zerfällt in folgende Abfchnitte: I. Einfilbige Wörter in Sätzen
(S. 1—8). II. Zwei⸗- und mehrfilbige Wörter in Sätzen, mit abge
theilten Silben (S. 9—26). III. Bon dem Menfchen (©. 2732).
IV. Bon ‘den Dingen (S. 33—40). V. Die Elemente (im alten Sinne
des Wortes (S. 41— 43). VI. Bon der Zeit (S. 44—49). VII. Ers
zählungen aus der Natur (S. 50—129); VII. Erzählungen von den
Ständen und Gefchäften der Menſchen (S. 130—178). IX. Moralifie
Erzählungen (S. 179— 224). X. Sprüche, Gebete und Lieder (G. 225 —
239). — Der Inhalt ift gut, leicht faßlich und anfprechend, die Poefie
jedoch fo gut wie gar nicht vertreten, was wir nicht billigen Tönnen.
Die Ausftattung iſt fhön, dem etwas hohen Preife angemeffen.
5. Abtalion. Erſtes Lefes und Sprachbuch für die jisraelitiiche Jugend
ur Weckung religiöfer Gefühle. Deutfcher Ihell. Mit zwei Schreibſchrift⸗
—**8* Herausgegeben von Dr. I. H. Jacobſon, Rabbiner und Pre
diger. Dritte, verbefjerte und fehr vermehrte Auflage- 8. (92 u. 32 ©.)
Breslau, E. F. C. Leudart (Conſt. Sander). 1856. 5 Ser.
Im erfien Theile, der die eigentlichen Glementarübungen enthält,
1äßt der Verfaffer nicht nur gleichzeitig die Meinen und großen Buch»
ſtaben auftreten, fondern auch mit der deutſchen Schrift die Lateinifche,
und zwar in der Abficht, um Zeit zu erfparen. Wir glauben, daB man
Zeit erfpart, wenn man dem Kinde auf einmal nur eine Schriftart
und anfangs daraus nur die Fleinen Buchſtaben vorführt; der Grund
dafür liegt fo.nahe, daß wir nicht nöthig haben, ihn befonders hervor⸗
zubeben. Der zweite Theil enthält viel gute Leſeſtücke, auch angemeflene
Gedichte; in einigen Abfchnitten if befondere Rüdfiht auf die Gram⸗
matif. genommen. Ungehängt ift dem Buche ein „Erſtes Hebraiſch⸗
Lefes Lehrbuch. Unter den Lefebüchern für israelitifhe Schulen dürfte
das vorliegende vielleicht die erſte Stelle einnehmen, Tann daher beften®
empfohlen werben.
6. Zwdlf LefesTafeln zum Gebraud beim erften Leſe⸗Unterricht. Herr
ausgegeben von Joſeph Steuer, Rectot an der St. Matthias: Schule in
Breslau. Zweite Auflage. Br. Zol. Breslau, F. E. C. Leudart (Eonft.
Sander). 12 Sgr.
Der Inhalt dieſer Leſetafeln iſt der hergebrachte: einzelne Buchs
ſtaben, finnlofe Silben und einzelne Wörter. Noch auf der legten Tafel
begegnen wir Silben, wie: fHla, fpli, fprä, freu, pfla, pfrü, pfle, ſtro,
fpien. Mit folhen Sachen quält man die Meinen Schüler unbarmherzig
und verleidet ihnen die Luſt zum Lefen.
Papier und Drud find fchön.
Der Leſeunterricht. 175
B. Für das Sqreibleſen.
a. Schreib⸗ und Druckſchrift kommen zugleich in Anwendung.
7. Des Kindes erſtes Leſe⸗ und Schreibebuch. Nach der kalkulirenden
Methode bearbeitet von Dr. E. J. Hauſchild, Schuldirector in Leipzig.
mu 24 lithographirten Bildern. 8. (X u. 46 &.) Leipzig, Dürr. 1856.
gt.
Mit Beziehung auf das oben Gefagte bemerken wir nur noch, daß
das Büchlein reichlich mit gut ausgeführten, befonders für daffelbe ent⸗
worfenen Bildern geziert if, von denen uns nur die Prügelfcene auf
Seite 33 nicht zuſagt; Beifpiele des Guten empfehlen fih mehr für die
Jugend, als ſolche, die als Abfchrekungsmittel dienen follen. Der Ins
haft bezieht ſich meiftens auf die Bilder oder auf Gegenflände und Vers
hältniffe,, die den Kindern fonk bekannt find; doch greift der Herr Ders
faffer bier und da auch weiter und nennt Dinge, die den meiften Sin»
dern nod fremd find. 8. B.: „Da iſt ein Irrlicht, die Urne iſt rund,
diefe Palme ſticht.“ Der Lefezwed wird häufig fo ausfchließlic verfolgt,
daß der Inhalt der Sätze unbeachtet bleibt, daher mitunter etwas trivial
ausfällt 3. B.: „Er pfiff leiſe, fie laſſen den Affen laufen, fle laffen
das Lama faufen, fie fahen Pauln auf der Meffe, diefer Mann, biefe
Mama, diefes Eis, unfer Ami, das Meffer, der Saum, fie raffeln in
der Baufe hinaus. Hinaus die Maus! Hinaus das Lamm! Hinaus
den Hammel! Hinaus den Pudel!’ Die kalkulicende Methode fordert,
wenn wir fie recht verftehen, daß dem Kinde nie etwas Falſches vorges
führt, daB überhaupt Fehler verhütet werden, wie Herr Dir. Hauſchild
m feinem „Elementarbuch der deutfchen Sprache nad der kalkulirenden
Methode” 3. B. in Betreff der Orthographie zur Bedingung macht, und
mit Net; in diefem Lefebüchlein läßt er die Sauptwörter fo lange mit
Meinen Anfangsbuchſtaben fchreiben, als die großen noch nicht dageweſen
find. In Folge deffen kommen auf ein und derfelben Seite groß und
Hein gefchriebene Hauptwörter vor. Sollte e8 nicht gut fein, wenn der
Herr Berfaffer bier noch etwas beffer kalkulirte? — Papier und Drud
des Werkchens find recht fchön.
8. Des Kindes zweites Leſebuch. Dreißig neue Zabeln, Mährchen
Käthſel, Eharaden und Geſchichten von Augufte Schmidt in Leipzig.
Für die Schule bearbeitet von Dr. E. 3. Yaufild, Schuldirector eben»
daſelbſt. 8. (X u. 84 ©.) Leipzig, Dürr. 1857. geb. 6 Ser.
Der Inhalt if anfprechend, nimmt aber wenig oder gar feine
Räckſicht auf die übrigen Unterrichtögegenflände der Schule, namentlich
nicht auf die weltfundlihen, was wir Doch nicht ganz billigen können. .
Ucer das vom gewöhnlichen abweichende Verfahren, nur von einem
Schriftſteller, hier noch dazu eine Schriftfiellerin, Leſeſtücke darzubieten,
giebt die Vorrede Feine Auskunft. Wir glauben, daß Lefebücher der ges
wöhnlihen Art vorzuziehen find. Jedem Lefetüd if ein Dictat hinzus
gefügt, deſſen Inhalt aus dem Stüd felbft entiehnt if. Die Vorrede,
in der der Serausgeber fi von Neuem über die „kalkulirende Methode‘
verbreitet, giebt über die Verwendung derfelben die nöthige Auskunft,
176 Der Lefeunterriht.
9, Der Schreib» und Xefefhüler in der Elementarklaſſe der Volls⸗
fhufe. Fünfte verbeflerte und vermehrte Auflage. M. 8. (100 ©.) Fried⸗
berg, &. Bindernagel's Buchhandlung. 1856. Geb. 2'/ Ser.
Auf den erfien 12 Seiten fliehen Schreib» und Drudiärift eins
ander gegenüber, woraus der BVortheil erwächſt, daß man das Schreibs
lefen auch allein nad der Schreibfchrift lehren kann. In ähnlicher Weife
treten etwas fpäter die großen Buchflaben auf. Der Berfaffer bat durch⸗
weg finnlofe Silben vermieden und die Hauptwörter bis zum Auftreten
der großen Buchftaben weggelaſſen. Bon da ab werden dem Schüler
dann auch erſt Säge vorgeführt. Der darauf folgende Leſeſtoff verfolgt
in der Sauptfahe fprachlihe Zwede. Im VI. Abfchnitte werden 3. B.
die Formen des einfachen Sapes vorgeführt, im VIII. Stoffe darges
boten, die eine ganz angemefjene Grundlage für den Anfchauungsunters
richt abgeben. Für beide Abfchnitte hat wohl der erſte Theil meines
Lefebuches als Vorbild gedient; manche Abfchnitte find geradezu dar⸗
aus entlehnt.
Die Schreibſchrift ift im Ganzen gefällig, ft und ß abgerechnet.
Zwifhen den Tert in Drudichrift find hier und da Meine Bilder eins
gedrudt. Die Schrift iſt angemeflen.
Wir rechnen das Büchlein nach feiner ganzen Anlage und Aus
führung mit zu den beten für den erflen Schreibs und Lefeunterricht.
10. Die erften Webungen im Schreiblefen. (in Linfübrungsbeftchen
Fi er Elementar⸗Leſebuch. fl. 8. (16 S.) Grünberg, W. Levyſohn.
2 .
Der Berfaffer diefes Büchleins if, wie wir aus der Borrede er»
feben, der Lehrer Puͤſchel in Grünberg. Er hat bereits ein Elementare»
lejebuch herausgegeben, in dem jedoch auf die Schreiblefemethode feine
Rüdficht genommen if. Da diefelbe aber „jetzt beliebt geworden,‘ fo
bat er „auf den Wunfch mehrerer Kollegen‘' diefen Bogen ausgearbeitet
und will ihn der bald erfcheinenden 4. Auflage des genannten Elemens
tarlefebuches einverleiben.
Die erfte Seite enthält Borübungen zum Schreiben und Beichnen,
von denen wir uns nicht viel verfprehen. Bon der folgenden Seite
an ſtehen Schreib» und Drudfchrift einander gegenüber. Leichte Wörter
wechjeln mit finnlofen Silben wie ze, 30, zi, za, uz, ez, 03, iz, az ab,
doch fo, daß letztere vorherrſchen. Es werden nur Beine Buchſtaben ans
gewandt, die vorkommenden Sauptwörter daher Mein gefchrieben. „Die
Schreibübungen auf Seite 15 u. 16 find bloß der Vollftändigfeit wegen
da; zum Lefen auf diefer Stufe eignen fie fih noch nicht“ Welcher
„Bolftändigkeit‘ wegen find diefe Uebungen da? Soll das, was ge
fhrieben wird („Schreibübungen“), nicht auch gelefen werden?! Es
fheint faft, als wenn dem Berfaffer das Wefen der Schreiblefemethode
noch nicht recht Mar wäre Schon, daß er fagt: „Die Schreiblejes
methode ift jetzt beliebt geworden,’ gefällt mir gar nicht recht. Es
ſcheint fat, als habe er dieſe Arbeit weniger aus innerer Weberzeugung
vom Werth der Schreiblefemethode unternommen, als aus äußeren, leicht
zu errathenden Rüdfihten. Das hat denn auch offenbar die Folge ges
0 Der Leſeunterricht. 177
habt, daß fein Dürhlein nur mäßigen Borderungen entfprigt Die
Schreibſchrift if gut, das p abserechnet, das dem Lithographen nir⸗
gends gelungen iſt.
11. Preußiſche Hand⸗ lbel mit echszig Bildern für Chriſten⸗
Er en ber l. HL ae —— Sehr Ah für a den
Unsenigt im Leſen und Schreiben, ausgearbeitet und srauägegeben vo) von
r. J. K. F. u ubert, Baftor in Groß⸗Ziethen. Vierte Aufla .
= ©.) Berlin caerfche Geheime Ober⸗Hofbuchdruckerei. 1856. Nor
12. Preußiſche Hand⸗Fibel für EChriftenfinder Zweiter heil,
Ein Bud für die Kinder zur Uebung im Leſen und eine Sanpreigung
für die Lehrer beim erſten Unterricht in den Realien, in der Mutterſp
z Sub se Religion, ausgearbeitet und herauögegeben von Dr.
Baer in Groß⸗Ziethen. Fünfte Auflage 8. a ©.)
—* se Ser.
Zu beiden * gehört für den Lehrer:
13. Anweifung zur Anwendung einer einfachen Methode beim erften Unter⸗
sit im Lefen und Schreiben nebft Zetärterungen zur Mreupifgen Handfibef
—* Chriſtenkinder. Herausgegeben von Dr. J. K. F. Hubert. 8. (15 ©.)
Bon den 80 Seiten des erſten Theiles enthalten 67 nur Wörter.
Bir bedauern jedes Kind, weldes fi) damit im erflen Schuljahre ab»
quöien muß. Die Bilder dienen zunähft nur, : um das Behalten der
Buchſtaben zu erleichtern. Kür das 3, womit begonnen wird, iſt zu
diefem Zwede ein Igel und ein Iltis in landſchaftlicher Umgebung bare
geſtellt. Ein Neſt mit Eiern, das wahrfcheinlid für den auf einem
Baume figenden Iltis beſtimmt war, bat der Zeichner unmittelbar vor
Die Naſe des geld hingelegt. Seite 22 findet ſich aut Veranſchaulichung
des A neben ‚mehreren ehren auch eine Rispe. "Seite 51 bat der
Zeichner flatt Moos ein Phantafiegebilde gegeben. Sonſt find die Zeich⸗
nungen nad Erfindung und Ausführung im Ganzen gut.
Die Heinen und großen Buchſtaben führt der Verfaſſer gleichzeitig
vor, wofür fih, da 67 Seiten lang nur Wörter dargeboten werden,
gar Fein haltbarer Grund anführen läßt. Seite 65 werden 60 Fremd»
wörter aufgeführt, um die Qual der Kleinen noch etwas zu fleigern.
An diefe ſchließen fich die Wortfamilien der Wurzelwörter jehen und gehen
en. IR das Sprachfloff für das erfle Schuljahr? Nochmals bedauern
wir die Heinen Schüler.
Die religiöfe Anfchauungsweife des Verfaſſers tritt fehr deutlich in
den Meinen Erzählungen zu ae die mit Meinen Gebeten und Wuͤn⸗
ſchen den Schluß bilden. Wir theilen die lebte, Nr.7, ale Probe mit:
„Betet in allen Anliegen.’
„Ein achtjähriger Knabe im Wupperthale hatte eines Morgens die
Zeit verſchlafen. Es war auf der Stubenuhr fat 8 Uhr; der Lehrer
aber ſtraft jedes Zufpätfommen. Der Knabe nimmt rafch feine Bücher
unter den Arm und eilt davon. Da beginnt die Thurmuhr acht zu
fhlagen und der Anabe fängt an zu beten: Herr Jeſu, halt die Uhr
anf. Der Herr ſprach zur felbigen Stunde fein Amen. Er hat zwar
nicht die Uhr aufgehalten; aber der Knabe war‘ duch noch zu früh in
der Säule. Als er nämlich athemlos anfommt, ftehen alle Kinder auf
Rade, Jahresberiht. X. 12
178 Der Leſeunterricht. —
dem Fluͤr und der Lehrer kann die Stubenthür Nicht öffnen, weil der
Bart des Schtüffels abgebrochen il. Ehe der Schloſſer gerufen und
das Schloß von ihm geöffnet war, fehlug das Herz des Knaben nicht
mehr fo fchnefl vom eiligen Laufen, wohl aber vor freude über den,
der zu feinem armen Gebet das Amen fo wunderbar gefprochen hatte.’
Die Abbildungen der Handfibel find mit einem Theile des dazu
gehörigen Textes auch vergrößert als „Wandfibel“ erfchimen, em⸗
pfehlen fih aber in diefer Geftalt nicht fonderlih und werden nichts
zur Veredlung des Geſchmacks der Schuljugend beitragen.
Der zweite Theil ift der Hauptfache nad) den Realien gewidmet.
Mit kurzen Befchreibungen von Thieren und Pflanzen wechſeln Fabeln
und kurze Gedichte ab. Was über die Hauptfladt (Berlin), das Tönig-
liche Schloß und den Thron des Königs gefagt ik, dürfte ſich wohl nur
für Berliner Kinder eignen, nicht für die fern wohnenden. Es ift ja
natürlich recht fihön, auch die zarte Jugend fchon auf den König hin-
zuweifen und Liebe zu ihm zu erzeugen; aber durch eine umfländliche
Beichreibung des -Töniglihen Schloffes und Thronfeflels erreicht man das
nit. Der Seite 85 abgedrudte 21. Pfalm tft für die Kinder, für
welche die Fidel beftimmt tft, zu ſchwer. Sonſt kann der Inhalt diefes
Xheiles, wenige Einzelnheiten abgerechnet, für angemeffen erfiärt werden.
Die „Anweifung” zur Fibel muß mit Nüdficht auf die Wichtigkeit
des Gegenftandes als unbedeutend bezeichnet werden. Seite 8 finden
wir die Notiz, daß der Berfaffer feine Bibel erft nach dem Erſcheinen
der Preußifchen Regulative ausgearbeitet und zum Drud befördert Bat.
Anweifung und Fibel tragen die Jahreszahl 1856. Der erſte Theil der
Fibel liegt uns in vierter, der zweite gar in Fünfter Auflage vor.
Bann find die andern Auflagen erfchienn? In den Hinrichs’fchen
Bücherverzeichniffen von 1854 und 1855 finden wir fie nicht aufgeführt.
Saft fiheint 28, als wenn diefe Angelegenheit nicht ganz Tlar wäre”)
Die Erklärung, welche der Verfaffer tn feiner ‚„‚Anweifung‘ von
dem Dederfihen Wappen giebt, welches auf dem Zitel abgedrudt iſt,
bat der „Defterreichifche Sthulbote‘ in Nr. 47 als ein Curiofum, das
es auch in Wahrheit if, abdruden laſſen.
14. Fibel und erſtes Leſebuch nah der Schreiblefemethode von @. ©.
adeftod und ©. F. Richter, Lehrern an der Armenichule zu Leipzig.
Bierte, mit Stereotypen gedruckte Auflage. 8 (100 S.) Leipzig, B. Zand-
nig, 1856. 3 Sgr. 25 Exempl. 21/4 Thlr.
Die beiden erften Bogen bilden eine Fidel und And auch für ſich
zu haben (25 Exempl. 24 Sgr.). Sie enthält nur Wörter. Die bes
nußten Hauptwörter find mit großen Anfangébuchfaben gefchrieben. Bon
Seite 33 bis 53 an folgen kurze Säpe und einfache Beſchreibungen bes
Tannter Gegenſtände, namentlich von Thieren und Pſtanzen, vie A
zwedmäßig an den vorangegangenen Anſchauungsunterricht auſchließen
und den Inhalt deflelben befeftigen helfen. ‚Seite 36 würde ſtatt Durmn
beſſer Regemourm fiehen. Eben daſelbſt wird die Starte WR Warm
) Aus einer Notiz im Oranbenburger Schulblatte erfeben wir, daß die
Verlagshandlung 5 oder 6 Auflagen fo gut wie — verſchenkt hat. Das hifft abſegen!
Der Leſeunterricht. 479
bezeichnet, was jet nicht mehr gutgeheißen werden Tann. Geite 53
tritt Die lateiniſche Schrift auf; die Uebungen darin fchließen ‚mit Fremd
wörtern, die dem Anfchauungsfreife der Kinder fehr fern liegen. Hieran
reihen fich auf Seite 58—88 moralifche Erzaͤhlungen, die mitunter ein
wenig an Die befannten Kinderfreund» Erzählungen vom guten Anton
und dem böfen Dietrich erinnern; fie enden fämmtlih mit einem kurzen,
die Moral enthaltenden Verschen. Den Schluß bilden drei Gebete, einige
Bibelfprüche, die zehn Gebote, Wörter zur Uebung in Gilbentheilen,
Zahlen, Alphabele und das Einmaleine. Bute, für das Kindesalter
yaffende Gedichte fehlen.
Die angewandte Schreibfchrift ift deutlich, aber auch in a, p, r, 1, b edig,
was der allgemeinen Verbreitung des Bushes nicht foͤrderlich fein dürfte.
15. Leſe⸗, Lehr» und Uebungebuch für ſämmtliche Klafien der Doll
*860 Bearbeitet von Sf. chat * Säle en ſie (63 ©.)
Regensburg, F. Puſtet. 1855. 1% Ser.
Anfangs wechſeln Silben und Böck, fpäter Wörter und Gäße
mit einander ab. Der Orthographie ift von Anfang an Rechnung ger
tragen worden, auf Seite 28 bis 33 “durch befondere Vebungen. Bon
Eeite 36-51 wechſeln Turze Belehrungen über das Weſen und die
Eigenfchhaften Bottes mit Mufgaben zu leichten Sprahübungen ab, was
feinen guten Eindrud maht. Wir halten derartige Belehrungen auf
einer Stufe, auf der das Kind noch mit dem medhanifchen — — zu
tämpfen hat, für ungeeignet. An den Lefefoff fchließen fih von Seite
54— 63 Regenübungen; ihr Werth ift fehr zweifelhaft für Fleine Kinder. _
Die Schrift nimmt ſich nicht fehr gefällig aus, namentlich die
zwifchen den Hülfslinien; hier und da find die Buchflaben geradezu
mißlungen,, ſtehen namentlich auch oft zu dicht neben einander.
16. Erſtes nefebud für ElementarsSchüler. Bearbeitet von den Ber
fafjern der „Lefebüher in Lebensbildern‘ fin obere und mittlere Schul»
Hafien. I, L PR vermehete Auflage. 8. 8. M ©.) Darmſtadt,
Die Berta —* As beſtrebt, möglich Bald finnlofe Silben
zu vermeiden, benupen fie jedoch auf den erfien Seiten. Bon Seite 28
an dient der Lefefoff zugleih befonderen (grammatifchen) Sprachübungen.
Seite 47 fließen ſich hieran kurze Befchreibungen befannter Gegen⸗
Bände, kleine Gedichte und Erzählungen, bier und da durch einen Heinen
Pouieunt illuſtrirt. Den Schluß bilden Sprüche, Gebete und Ziffern.
Der Lefefisff if zweckmaͤßig, anfangs durch Häufung von bloßen
Börtern etwas dürr.
Die Schreibſchrift wird nur ‚für die einzelnen Buchflaben des Alphas
beis angewandt, nicht für Wörter und Sätze; das Buch eignet ſich daher
für das Schreibleſen nicht fonderlich, fo swedhmäßig es fon auch nal
feiner ganzen Anlage if.
Die Ausſtattung if gut. ‘
17. Kleine deutſche Fibel für den verbundenen Leſe⸗ Schreib und Rest
füpreibeu nterri t. Bon Fr. Baumgart und. Ed. Woyfche. MI. 3. (54 ©.)
rt a. * D., Trowitzſch u. Sohn. 1653, @eb. 3 Ser.
12*
180 Der Lefeunterricht,
Die erften 24 Geiten enthalten theils finnlofe Silben, theils
Börter, alfo eine harte Speife für die zarte Jugend. Dann fommen
einige einfache Säpe, Sprüde, Sprüchwoͤrter, Meine Gedichte und Er
zählungen, beide recht anfprechend, Gebete, Bibelfprüche, die fünf Haupts
füde, das Einmaleins und die Eintheilung der gebräuchlichfien Münzen,
Maaße und Gewichte. Die Schreibfchrift wird von Seite 3 an nur in
den einzelnen Buchflaben des Alphabet angewandt.
Das Büchlein entfpriht nur mäßigen Anforderungen. Die -Auss
Rattung if fehr gut, namentlich das Papier vortrefflich. "
38. Erftes Leſebuch nad der Schreiblefemethode Bon Berthelt,
Jäkel, Petermann, Thomas. 8. (77 ©.) Leipzig, Zul. Klinkhardt.
1856. Ladenpreis 3 Sgr., Partieprei 2 Sgr.
Um den Wünfchen folder Lehrer nachzufommen, die fi mit „Les
bensbilder J.“ nicht befreunden können, haben fih die befannten Ver⸗
faffer entfchloffen, dies Lefebuh herauszugeben. Der Inhalt deffelben
zerfällt in vier.Stufen, von benen die erfte die Heinen, die zweite die
großen Buchſtaben in Schreib⸗ und Drudichrift vorführt, die dritte
leichte Xeferüde bringt, die zugleich als Grundlage für den Anſchau⸗
ungsunterricht dienen follen, die vierte endlich Lefeftüde mit lateinifchen
Leitern. Anordnung und Stoff find zwedmäßig, wie ſich erwarten lief.
Im erſten Abfchnitte treten jedoch neben Wörtern auch finnlofe Silben
auf. Die bis Seite 33 gebrauchten Säge haben nirgends innern Zus
ſammenhang, fondern find mit alleiniger Rüdfiht auf das mechanifche
Leſen in bunter Folge vorgeführt worden. Dagegen ließen ſich gegründete
Bedenken erheben. Die Schreibihrift if bis zur Einübung aller Buch
flaben angewandt, tritt jedod zur Druckſchrift etwas zurüd; fie if aber
recht anfprechend.
19. Lehre, Lefe: und Aufgabens Buch für die Unterflafien der katho⸗
liſchen Vollsſchulen von Franz Zaver Kieffer, Volksſchullehrer zu Caſtel
bei Mainz. Zweite vermehrte und verbeſſerte Auflage. Erſte Abtheilung.
(VIII und 55 S. geb. 3 Sgr.) Zweite Abth. (64 S., geb. 3. Sgr.)
Mainz, Zr. Schott. 1856.
Die Heinen und großen Buchflaben werden in der erfien Abthei⸗
lung getrennt vorgeführt, woraus viel dürres Material erwächſt. Um
nur einfilbige Wörter vorzuführen, wird häufig der Apoſtroph ange⸗
wandt, was ſich für diefe Stufe nicht fonderlich empfiehlt. Erf nad
Einübung der großen Buchflaben, nämlich von Seite 43 an, haben die
gebrauchten Säpe innern Zufammenhang; von bier ab treten auch kleine
Gedichte mit auf. Durch die ſtete Rüdficht auf Sprachübungen ift auch
das Material der zweiten Abtheilung anfangs ziemlich dürr, bietet je
Loch jpäterhin anjprechende Gedichte und Beichreibungen. Es erfiheint
ung nicht ganz angemeflen, Sprahübungen, welche nur die Form bes
treffen, im erflen und zweiten Schuljahre fo Rark in den Bordergrund
treten zu laffen, wie es hier geichieht.
Die Schreibfhrift tritt nur in den einzelnen Buchftaben des Alpha⸗
bets, nirgends in Wörtern auf, was feine Anerkennung verdient.
‚Der Lefeunterriht, 181
0. Erſtes Sprach⸗ und Leſebuch für Boltsfhulen. Ein Lefchud
S. Fr Seinjh um I.» Eudoig. Adte, verbefleie Auflage. ©
. 8 . e, verbefierte Auflage. 8.
(ATX w 12 S.) Bamberg, Susner 1856. 4 Sgr.
Bon dieſem Leſebuche iſt jede der drei Abtheilungen auch für ſich
zu haben. Die erſte Abtheilung iſt eine Fibel. Schreib⸗ und Druck⸗
ſchrift ſtehen einander gegenüber; man kann daher jene auch zunächſt
allein denutzen. Bis zu Seite 14 hin, wo die großen Buchſtaben aufs
treten, werden die vorkommenden Sauptwörter Hein gefchrieben. Neben
Börtern kommen auch viel finnlofe Silben vor. Die Säge, welche mit
den Eintritt. der großen Buchſtaben dargeboten werden, flehen nirgends
in innerem Zufammenhange, führen daher den Schüler in einer Stunde
m fo viel Wifiensgebiete, als Säge gelefen werden. Die zweite Abs
theilung if eine kurze Grammatit mit zahlreihen Beifvielen in Sägen; '
fe fol zunächſt zur Befefigung im Lefen dienen, fpäter für den gram⸗
matifchen Unterricht benutzt werden. Für den letzteren Zwed if fie ge
eignet, für das Leſen nur in gegingen Grade. Die dritte Abtheilung
enthält 1) Befhreibungen, 2) kurze Erzählungen, Geſpräche, Babeln.und -
Gedichte, 3) Erzählungen aus der biblifchen Geſchichte, A) Gebete. In
der erſten dieſer vier Unterabtheilungen haben die Nealien eine Stelle
gefunden. Es if die ſchwächſte Partie des Buches; faft jede Seite hat
Ungenauigfeiten und Fehler, die aufzuzählen e8 uns bier an Raum
fehlt. Es if dringend anzurathen, daß die Verfaffer diefen Theil von
einem Sachverftändigen umarbeiten laffen. Die 2.—A. Unterabtheilung
befriedigen. Die biblifhen Gefhichten find in befondern Ausgaben für
latholifche und proteflantifche Schulen bearbeitet. \
21. Handfibel für den Schreibleſeunterricht in der erſten Ele⸗
mentarklaf I Von J. U. Dreher, weil. Mufterlehrer am Königl.
Scäullehrer s Seminar zu Gmünd. Biere Auflage. kl. 8. (52 S.) Wieſen⸗
eig, Schmid. 1852. 3 Ser.
Auf den erften 5 Seiten fliehen in der Folge des Alphabets neben
Meinen Bildern gedrudte und gefchriebene,, Feine und große Buchflaben,
auf der 6. Seite nochmals das Alphabet der Meinen und großen Buche
Raben in Schreibfhrif. Dann folgt bis zum Schluß nur Drudirift.
Nachdem auch hier wieder zuerft beide Alphabete vorgeführt worden find,
folgen Uebungen im Silben» und Wörterlefen, fo troden, wie man fie
fih nur vorflellen kann; beim Eintritt der Säge werden grammatifche
Zwecke verfolgt. Die zweite, etwas kurze Abtheilung der Drudicrift
hat die Ueberfhrift: „Verſtandesübung,“ die dritte: „Herzensbildung,“
und ein Anhang derfelben bietet „einige Lebensregeln“ und „kurze Denk⸗
fprüche“ dar. Wir müffen das Büchlein nad Anlage und Inhalt zu
den veralteten zählen.
22. Erſtes Lefebuh zum Gebrauch in Elementar-Schulen und
beim Privat» Unterricht von Franz Kühn, Lehrer in Breslau. 8. (144 ©.)
Breslau, %. E. ©. Leudart (Conſt. Sander). 1850. 31a Ser.
Dies Buch zerfällt in drei Theile, von denen der erfte die Ele⸗
mentarübungen enthält, der zweite furze Erzählungen, Beichreibungen
J
182 Der Leſeunterricht.
und Gedichte, der dritte Uebungen im lateiniſcher Schrift. Die Schrei,
ſchrift fpiekt im erflen Theile eine fehr untergeordnete Rolle, indem fie
nur in einzelnen Buchflaben neben Maffen von Druckſchriftübungen vor⸗
geführt wird. Der Inhalt des Buches if übrigens gut, dem Kindes⸗
älter ganz entfprechend. -
b. Reines Schreiblefen.
23, Lefebuh für Bürgerfhulen. Herausgegeben von us. Züben,
Rector der Bürgerfchulen zu Merfeburg, und C. Made, weiland Lehrer
der I. Bürgerfchufe dafelöf. Erſter Theil. Dritte, verbefierte Auflage. 8.
(IV u. 76 ©.) Leipzig, Br. Brandfletter. 1856. 4 Sgr.
Die erſten 30 Seiten enthalten nur Schreibſchrift. Der Unterriät
beginnt mit Säßen, aus denen jedoch auf den erften A Seiten nur bie
leichteften Wörter gefchrieben werden. Bon der 5. Seite an treten leicht
zu ſchreibende große Buchſtaben mit auf, und nun werden nur Sätze
gelefen und gefchrieben. Bon Seite 16 an haben die unter einer Ziffer
vereinigten Säße innern Zufammenfihg und dienen zugleih zu einer
geordneten Einübung der Haupt» Sprachformen. Der Inhalt der Säpe
iR dem Kinderkreiſe entiehnt, daher verfländlich; aud der erfle Unter
richt der Kinder hat darin Berücfichtigung gefunden. Mit Geite 31
fritt die Drudichrift auf. Das von hier ab dargebotene Material bes
ſteht aus anfpredhenden Beſchreibungen befannter Gegenftände und Heinen
Gedichten und dient zur Belebung und Befefigung des darnach ertheilten
Anfhauungsunterrichtes. Den Schluß bilden Feine Gebete zum Aus»
wendiglernen. Bwifchen den Tert find zahlreiche beichrende und er⸗
freuende Illuſtrationen eingedrudt.
Die ganze Anlage des Büchleins hat ſich in der Praxis bewährt
und bereits mehrfache Nachahmung gefunden.
24. Der fleine Schreiblefefhüler. Bearbeitet und herausgegeben von
einem Vereine eöthenfäer Lehrer. Zweite Auflage. 8. (104 ©.)
Edthen, PB. Schettler. 1856. Geb. 7'/ Ser.
Die erſten 5 Seiten enthalten VBorübungen zum Schreiben und
Zeichnen, von denen fih einige beim Gebrauch als zu ſchwer erweifen
werden. Bon Seite 6 bis 16 werden die Heinen Buchſtaben in Schreib⸗
fhrift, von Seite 17 bis 24 in Drudfchrift vorgeführt, find zwar ein«
zeln, in finnlofen Silben und ti Wörtern; Hauptwörter find vermieden
worden. Bon Seite 25 bis AO werden die großen Buchſtäben in Schreib»
Ihrift, von Seite 41 bis 57 in Drudisritt vorgeführt; es wechſeln das
bei mit einzelnen Wörtern Sätze ab, die jedoch nirgends Innern Zus
fammenhang haben, auch nicht ſpeciell ſprachliche Zwede verfolgen, die
Dehnung und Schärfung der Bocale abgerechnet, die auf ein paar
Seiten befonders markirt find. Wir halten fol Material nit für ges
eignet, die Kinder zu gewöhnen, daß fie denkend bei einem Gegenſtande
verweilen, worauf es doch die Schule von Anfang an abfehen muß.
Bon Seite 57 dis 96 werden Meine Befchreibungen,, Erzählungen und
Gedichte dargeboten, die ganz für das Kindesalter paffend find; Seite 97
bis 108 Verſe, Gebete und Vibelfprügpe zum Answendiglernen.
Der Leſeunterricht. 4188
Die Shreiffchrift empfiehlt ſich durch ihr gefadlliges Unfehen, die
Druckſchrift Durch Schärfe und angemeffene Größe. Das Papier iſt
ſchoͤn, aber der Preis hoch.
25. Handfibel von J. Lieffem, Hauptlehrer an der Knabenſchule bei St.
Apoſteln zu Köln. —2 verbeſſerte Auflage (bis zur 39. hexaus⸗
egeben in ee ve den nn ptervereine Eike und ein gel ie
N, » DU Mont⸗ er eBuch⸗
— 8
Die Schreibſchrift geht von Seite 8 bis 145 fie if flein, für bie
Anfänger faft zu Mein. Die Seiten 3 bis 12 find der Einübung der
feinen Buchftaben gewidmet; mit finnlofen Silben wechfeln Wörter ab,
auch Hein geſchriebene Hauptwörter. Die großen Buchſtaben werden
Geite 43 und 14 nur einzeln vorgeführt, nicht in Wörtern, was für
das Schreiben nicht empfehlenswertb iſt. Un die Shreibfärift ſchließt
ſich die Druckſchrift, von Seite 21 am mit großen Buchſtaben. Erſt
von der 24. Seite an wechfeln Säbe mit einzelnen Wörtern. Mit der.
43. Seite beginnt die zweite Abtheilung; fie beſteht aus Fleinen Erzaͤh⸗
hungen und Gedichten, die durchweg als zwermäßig bezeichnet wers
deu koͤnnen.
26. Kölner Handfibel. Seraußgegeben vo) u Eebrervereine zu Köln, Erſte
Abtheilung. (48 &,) Zweite Abth. (48 S ‚RM. Du Mont⸗Schau⸗
berg’fche Buchhandlung. 1856, A 2%/s 5*
Das Bud if in feiner Geſammtanlage dem vorigen ſehr aͤhnlich,
auch in der Pleinen Schreibfchrift und im Kieinfchreiben der Hauptwörter;
die großen Buchſtaben werden jedoch nicht bloß einzeln, fondern aud
in Börtern vorgeführt. An die Schreibfährift fchließen fih 2 Seiten
Zeichnungen von allerlei Hausgeräthen, Bauwerken, Pflanzen und Thieren
an. Alle find klein und daher weder zum NRachzeichnen, noch für den
Anfhaunngsuntersicgt befonders brauchbar. Der Leſeſtoff in Drudicrift
iß Durch Häufung von Wörtern in der erfien Abtheilung mehrfach ent
fegfih troden. Die zweite Abtheilung befteht aus gut gewählten Turzen
Beſchreibungen, Erzählungen und Gedichten, die jo gruppirt find, daß
fie zugleih eine zwedmäßige Grundlage für ben Anfhauungsunterricht
* Wir koͤnnen dieſe a heilung beftens empfehlen, bedauern jes
„ daß häufig fo Heine Schrift angewandt worden if.
21. Bandfibel für den Schreib» und Lefeunterrigt, f1.8. (32 S.)
Unna, $. ®. Rubens. 1856.
Die Schreibfehrift ift auf Seite 3 bis 9 befchräntt. Sobald die
erſte Seite gelefen ift, follen die unten angegebenen Drudbuchflaben
eingeübt und dann Lefeübungen in Drudichrift folgen, wie fie Seite 11
darbietet. Das mwibderfireitet dem Prinzip des Schreiblefend und muthet
den Kindern zu, Schreib» und Druckſchrift zugleich zu lernen. In der
Drudihrift wechſeln Wörter mit Sägen ab; leptere haben gruppenweife
innern Zufammenhang. Lateinifche Schrift findet ſich nur auf 2 Seiten.
Un dieſelben ſchließen fih 15 Heine Befchreibungen und Gedichte. Für
einen Jahres urſus wird der Leſeſtoff nur knapp zureichen.
184 Der Lefeimterriäht.
28. Hälfobuch für den Sprede, Sähreib- und Lefesiinterriät
in den (lementarffaffen der Bürger» und Volksſchulen, mit Anwendung
des wechfelfeitigen Unterrichts, von 2, Wangemann. Rebft einem Bors
worte von H. Frobenius. Erfte Abtheilung. Sechfte, unveränderte Aufs
lage. (IX, AXVIII u. 18 &.) Zweite Abtbeilung. Yünfte, unveränderte
Auflage. (TV u. 196 ©.) Leipzig, Fr. Brandftetter. 1856. 1. Abtheilung
3 Sgr. Zweite Abtheilung 7 Ser.
Erfte Abtheilung. Die erſten 28 Seiten enthalten nur Schreib»
ſchrift. Der Verfaſſer geht von vollfländigen Sägen aus, läßt jedoch
anfangs nur die leichteſten Wörter daraus fchreiben. Auf der 14. Seite
treten die großen Buchftaben auf; bis dahin werden die Hauptwoͤrter
mit Meinen Anfangsbuhftaben gefchrieben. Mit den Säpen werden
fprachliche Zwede, Einübung der Sprachformen beabfichtigt. Die letzten
18 Seiten enthalten Uebungsſtücke für das Lefen der Drudichrift. Auch
bier werden vor dem Eintritt der-großen Buchftaben noch die Haupt⸗
wörter Mein gefährieben. Die gebrauchten Säge haben nur felten ins
nern Bufammenhang.
Zweite Abthbeilung. Die Ginübung der Spradformen, die
bereits in der erften Abtheilung angebahnt wurde, tritt hier in den
Bordergrund. Der Berfaffer giebt für alle Formen größere oder klei⸗
nere Gruppen von Sätzen. Die Säße jeder Gruppe haben innern
BZufammenhang und beiprehen bekannte Gegenflände Neben diefen
Sähen treten auch manderlei Stüde auf, die zunächſt nur für das Lefen
berechnet find, namentlich eine Gedichte. Rah Einübung aller Satz⸗
formen werden nod 84 Lefeftüde, Gedichte, Erzählungen und Beichreis
bungen dargeboten, die nach Inhalt und Form zwedmäßig find. Den
Schluß bilden 5 Feſtlieder. '
Anbang.
29. Kleiner dichteriſcher Shuls und Seus ahap für Kinder.
Anhang zu des Elementarfhülers erſtem Lefebüchlein. ine Sammlung
von findlihen Gebeten, Sprüchwörtern, Denkreimen, Liedern, Bildern_zc.
für die evangelifhen Stadtfhulen In Darmftadt herausgegeben von Fr.
Mitfert, evangeliihem Stadtpfarrer in Darmftadt. 8. (5% ©.) Darm
ftadt, 2. C. Wittih und &. Jonghaus. 1855. 2 Ger.
Der Inhalt if gut, aber größtentheils in allen guten neuern Leſe⸗
büchern anzutreffen, daher wohl nur noch für Darmfladt von Werth.
2, Kefebücher für die Mlittel- und Oberklaſſe.
A. Für Volks⸗ und Bürgerfchulen.
a. Ausfchließlih für die mittlere Bildungsftufe.
30. Deutſches Leſebuch für das dritte Schuljahr, von Heinrich
Pickel, Lehrer an ber 3. Dorbereitungetiafle der Handelsſchule in Nürn-
berg. 8. (VI u. 250 S.) Nürnberg, Fr. Kom. 1856. 15 Gar.
Das Buch zerfällt in zwei Adtheilungen, von denen bie erfle 84
profatfhe, Die zweite 74 poetiſche Lefeftlide und ein halbes Hundert
Denkiprüce enthält. Die profaifhen Stüde beſtehen aus Graäblungen,
*
Der Lefeunterriähf. 485
Mischen und naturhiſtoriſchen Belehrungen, die poetiſchen der gräßern
Anzahl nach aus Kabeln und poetifchen Erzählungen. Die Auswahl
fann als gelungen bezeichnet, das Buch daher empfohlen werden.
31. Lehr⸗, Lefes und Aufgaben-Aud für die Mittelflaflen der katho⸗
liſchen Bolksfhulen, von Franz Zaver Kieffer, Volksſchullehrer in Ca⸗
Bel Het Mainz. 1. Theil: Sprachbuch (130 ©.) 2. Theil: Leſebuch
(158 ©.). Mainz, Fr. Schott. 1856. 71/, Sgr.
In beiden Theilen wird derfelbe Gang inne gehalten. Schule,
Haus, Wohnort, Garten, Feld, Wieſe, Weinberg, Wald, Erhöhungen
und Bertiefungen, Waſſer, das engere Vaterland, Deutichland oder das
weitere Baterland, die Frime, Himmel, Aufl, Veränderungen in der
Ratur, Gott und der Menſch find die Gegenflände, welche zur Sprache
kommen. Jeder derfelben wird auf das allfeitigfte behandelt, nad feis
ner realen und idealen Seite, die Schule 3. B. im Lefebucderin folgen»
ben 18 Nummern: Die Schulftube. Webungen zur Vorbereitung auf
Den gergraphifchen Unterriht. Bon den Pflichten eines Schülers. Gehe
gern in die Schule! (Gedicht) Sei reintih! (Gedicht) Der Faule
verdient Strafe. (Gedicht) Borfaß. (Gedicht) Lerne in der Jugend!
Der Kaifer Karl der Große. (Erzählung) Was Hänscden nicht lernt,
lernt Hans nicht mehr. (Die beiden Hunde. Gedicht.) Aufforderung.
(Gedicht.)- Wer in der Jugend nicht hört, muß im Alter büßen. (Er⸗
zählung.) Benuge gewiffenhaft die Zeit. (Gedicht.) Sei rafllos im
Dienfte des Herrn! (Bonifacius. Erzählung.) Die geiftlichen Aemter.
(Ausſpruch Jeſu, Matth. 28, 18—20.) Lied var der Schule. Lied
nah der Schule Gebet vor der Schule. Gebet nad der Schule. Das
Spradhbud bietet zu diefem Abfchnitte in zwei Abtheilungen 58 und
78, alfo zufammen 136 Rummern dar, die theils eine genauere Sach⸗
kenntniß der einfchläglichen Gegenflände vermitteln, theils zu Begriffe
beſimmungen führen, theils ſprachliche Einfiht und Uebung bezweden.
Daß alle dieſe Uebungen unbedingt nöthig find, wollen wir nicht ges
rade behaupten; aber nüplih find fie fiher. Es läßt fih annehmen,
daß die Kinder nach fo allfeitiger Behandlung der betreffenden Gegen⸗
Rande nicht nur genaue Kenntniß derſelben haben, fondern auch weſent⸗
lich dadurch in ihrer Gefammtbildung gefördert worden find. Die Wahl
ber Leſeſtücke im zweiten Theile Tann als eine gelungene bezeichnet wers
den, wenige Nummern abgerechnet. Wir empfehlen daher das Buch der
Aufmerkſamkeit der Lehrer. Die Ausflattung ift anfprechend.
32 Zweiten Sprads und Leſebuch. Ein Lefebuch für die mittlere
Aulffafie. Bon G. Fr. Heiniſch und J. 2. Ludwig. Dritte, vers
befjerte und vermehrte Auflage. 8. (XV u. 280 ©.) Bamberg, Buchner.
1856. 8 Ser. -
Das Buch zerfällt in zwei Abtheilungen, von denen die erfte (©.
1—54) „Säpe zur gründlichen Betreibung des Sprach» Unterrichts‘'
enthaͤn, die zweite das eigentliche Lefebuch bildet. Die Säbe der erften
Abtheilung find überfichtlich geordnet und ganz geeignet, die auch in
der Bolfefhule nöthige grammatifche Einfiht zu begründen. In einem
Undange iR durch Gäpe mit. ähnlich lautenden Wörtern auch für die
186 | Der Lefeunterricht. -
Drthographie geforgt. Das Leſebuch beſteht aus folgenden 7 Abſchnit⸗
ten: Einiges aus der Lehre vom Menſchen (S. 64—75). Einiges aus
der Naturgefhichte (&. 79—131). Einiges aus der Naturlehre (S.
-185—188). Einiges aus der Geographie Deutfhlande (S. 139—168).
Graählungen aus der deutſchen Geſchichte (S. 169—217), Erzäh⸗
tungen, Geſpraͤche, Babeln, Gedichte zc. religiöfen und meralifchen Ins
halts (S. 219-265). Kleine Briefe (S. 267—277). Die Yırswahl
entipricht dem Kindesalter, für welches das Bud beftimmt if; bie mei⸗
ften Auffäge‘ und Gedichte rühren von anerfannten Schriftſtellern und
Dichtern ber. In einigen Abfchnitten haben die Herausgeber auch eigene
Arbeiten dargeboten. Obwohl Beiden eimd gewiffe Gewandtheit in der
Darftellung nicht abzufprechen ift, fo And ihre Aufſätze doch nicht frei
von mandherlei Mängeln und Fehlern. Wir wollen, um das zu beweis
fen, nur auf Einiges aufmerffam machen. Geite 96 heißt es von ben
Schlangen: „Ihr Körper iſt zwar einfach, aber doch ſehr fhön. In
ihrem Blide ift ſehr viel Ausdrud und Geiſt. Sie koöonnen fo zahm
gemacht werden, daß man mit ihnen, wie mit den unſchuldigſten Schooß⸗
bündchen, fcherzen kann.“ Iſt der Körper der Schlangen darum „eins
fach‘, weil ihm die Gliedmaßen und Ohrmuſcheln fehlen? Gewiß nicht.
Die beiden folgenden Eäpe enthalten offenbare Webertreibungen. Geite
97 Heißt es: ‚Die Fiſche athmen nicht durch Lungen, fondern durch
Kiemen oder Kiefern, fie ziehen nämlich das Waſſer mit dem Munde
ein, verfhhließen zu gleicher Zeit die Kiemen mit dem Dedel, preffen
bie in dem Waſſer befindliche Luft aus, worauf fe durch
feine Gefäße in’s Blut gebracht wird. „Kiemen“ und „Kiefer“
werden in der Naturgeichichte von einem Kenner für gleichbedeutend
genommen. Das Ausprefien ber Luft if eine Erfindung des Berfaflere;
die ‚feinen Gefäße‘, durch welche die Luft in das Blut gebracht wird,
find eben die Blutgefäße. Seite 110 wird in fehr allgemeiner, nichto⸗
fagender Weife über die Würmer gefprochen. Gegen den Schiuf heißt
es: „Manchen Menſchen mögen fie unbebeutendes Nichts zu fein ſchei⸗
nen; abes dem Seren find die Würmer fo wichtig, als ihm der En»
get if. Er if der Würmer Bater und Berforger; folte er nun nicht
vielmehr euer Vater und Berforger fein, da ihr, lieben Kinder,
doch noch taufendmal beffer feid, als alle Würmer! Bas
werben die Engel dazu fagen! Geite 111 lefen wir: „Deun bie Ges
wächfe überfleigen an Fruchtbarkeit unfern Berfand. Das heißt: Die
Fruchtbarkeit der Gewächſe if größer, als die Fruchtbarkeit unferes Ber-
Randes, was der Berfaffer gewiß nicht fagen wollte. Ebendafelbf heißt
e6: „Betrachtet ein ausgeädertes Baumblatt näher.” Ein „audges
ädertes“ Blatt iſt ein folches, aus dem alle Adern herausgenommen
find, während der Verfaſſer ein folches& meint, von dem nur nod das
Geäder übrig if. Werner: „Jeder Ring iR ein Jahrgang des Baumes,
indem ſich unter der Ninde alle Jahre frifcher Baſt anſetzt, der fi
im darauf folgenden Jahre in Holz verwandelt.” Das if
wieder reine Erfindung. Allerdings bildet fich jährlich eine neue Baß⸗
ſchicht; aber niemals verwandelt ſich diefelbe in Holy. Eudlich: „Wie
Des Leſeunerricht. 187
wörbet ihr er Raunen, wenn ihr durch ein Bergrößerumgsglas bie
Millionen Sauggefäße diefer Ringe und ber fie umgebenden Schale
näher betrachten Tönntet! Und wie unbegreiflih find die Wirkungen
dieſes wunderwollen Adergewebes!“ „Sauggefäße“ Eennt die Bos
tanik nicht; und ein „Ader gewebe“ fehlt dem Stamme gänzlih. Wir
wünſchen, daB der freundlihe Wunſch des Verfaſſero für die Rinder
zunaͤchſt ihm felber erfüdt werden möge!
33, Daterlännifäeh Leſebuch. Bon C. Gude und 2. Gittermann,
neheen in n Magdeburg. Mittlere Stufe. Bterte, durchgefehene Auflage.
. 8. (IV u. 308 ©.) Wagbeburg, &. Fabricius. 1856. Brod. 10 Ger.
—X roh 7'/a Sar.
. Dies Buch zerfällt in vier Abtheilungen, von denen die drei erften
der Weltkunde gewidmet find, die letzte Mährchen, Erzählungen und
Gedichte darbietet. Ein Anhang enthält „Deutfhe Sprüchwörter, Kerns
und Gittenfprüde”, geordnet nach grammatifchen Kategorien, um nad
diefer Beziehung Hin leigt benupt werden zu Lönnen. Die weltkund⸗
lihen Stoffe zerfallen in naturhiftsrifche, geographifche und gefchichtliche.
Wie fih von den befannten Berfaflern erwarten ließ, find überall nur
Ibentswolle Bilder von anerfunnten Schriftſtellern dargeboten worden,
vie nicht verfehlen werben, vortheilhaft auf die Befammtbildung der Kins
der einzuwirken, die namentlich and für fprachliche Zwede fi vorzug⸗
lich eigum. Für die Mittelllaſſe dreiklaſſiger Schulen liegen mande
der weltkundlichen Stefe vielleicht etwas zu fern; indeß Tann es nicht
als Nachtheil gelten, wenn die Kinder auf Diefe Weiſe auf Späteres
vorbereitet werden; ohnehin werden jährlich eine Anzahl der ſchwaͤchern
Schuͤler aus der Mittelllaffe Tonfirmirl. Wir rechnen das Buch zu den
beiten Befehüdgern, Die wir befigen, und Tönnen es auch den einklaffigen
Säulen für die obere Abtheilung empfehlen. Die Ausfattung ifl gut.
34. Befehuh a —A —— von Aug. Lüben
und ©. Theil. Vierte, vetbeſſerte ufage. (11 Bog., 6 © 1)
Theil. "die, verbefſerte Auflage, (13 Bog., 8 Gar.) Leipzig,
Srandkeiter 185
In beiden —* iſt darauf Bedacht genommen, den Blick des
Kindes auf die Natur, auf das Menſchenleben und auf Gott hinzulen⸗
in, Sinn und Gemüth dafür zu beleben, zugleich aber auch den Schul⸗
unterricht dur Darbieten eintchläglichen Materials zu fördern. Mit
Kückſicht auf dieſen letzteren Zweck hält ſich das Buch genau innerhalb
der Grenzen, welche ein angemeſſener Lehrplan für eine mehrklaſſige
Bärgerfchule feſtſtellt. Das Leſebuch iſt erſt entſtanden, nachdem der
Lehrplan für die hieſigen Schulen ausarbeitet worden war. In beiden
Teilen iſt das Material mit Ruckficht auf den Verlauf der Jahreszeiten
und der chriſtlichen Feſte angeordnet, im dritten jo weit gegliedert, daß
jeder Monat mit feinen Erfcheinungen als ein felbfifländiges Ganzes
auftritt. Alle zur Beſprechung kommenden Gegenſtände werden mög⸗
lichſt allſeitig behandelt, in realer und idealer Beziehung in Angriff ges
nommen, damit das Kind ſich fo vollkändig in biefelben vertiefe, als
es feinem Bildungsgrade nach möglih_if. Es werben daher anfpres
188 Der Lefeunterricht.
ende, aͤſthetiſchen Forderungen genügende Beichreibungen, einfache Er⸗
zählungen, Mähren und Gedichte über diefelben dargeboten. Die
Verarbeitung diefes Materials, verbunden mit den erforderlichen Ans
ſchauungen und Belehrungen des Lehrers, hat die Beftimmung, an die
Stelle der fonk üblichen, meiftens ſehr einfeitig behandelten Denk⸗,
Sprach⸗ und Anfhauungsübungen zu treten, und es bedarf wohl faum
der Berficherung, daß diefe dadurch mehr als erfegt werden. Die Kin,
der fühlen fich bei diefem Unterricgte überaus- wohl; fie durchleben das
Jahr mit allen feinen hervorragenden Erſcheinungen beobachtend, den»
kend, empfindend und werben gehoben durch den poetifchen Hauch, der
über das Ganze, wie über jeden einzelnen Gegenftand, ergoffen if.
Die freundliche Aufnahme, welche das Lefebuch bis jept gefunden
bat, läßt erwarten, daß die Lehrer ihm auch ferner ihre Aufmerffamfeit
fhenfen werden.
35. Kinderheimath. Deutiches Lefebuch, vierte Stufe. Don Louis Muün:
Tel, Lehrer an der Stadttöchterfchufe in Hannover. Zweite, unveränderte
Auflage. (Titelaußgabe.) 8. (XVI u. 343 S.) Hannover, Helwing’fche
Hofbuchhandlung, 1855. 15 Ser.
Nah Seite VIII der Borrede hat der Herausgeber ,Mittelklaſſen
großer und tüchtiger Lehranftalten‘ bei der Auswahl des Materials tim
Auge gehabt. Für diefe ift das Buch auch ganz geeignet, ebenfo aber
auch für Oberflaffen tiefer flehender Schulen. Gegen die Auswahl läßt
fih im Ganzen Nichts einwenden; unter den 352 Nummern findet ih
Irefflihes aus allen Gebieten des Wiſſens für das bezeichnete Kindes⸗
alter; mit PBrofaftüden wechſeln gute Gedichte. Für die Anordnung
fehlt aber ein Teitender Faden, ein Umſtand, der gewiß Urſache gewor⸗
den iſt, daß die Lehrer das Buch nicht in gehoffter Weiſe beachtet has
ben, was die veranftaltete — Titelausgabe beflätigt.
36. Deutſches Leſebuch für Sürgerfäulen und untere Klaffen
höherer Lebranftalten. WB. Elemen, Inſpector
der Töchterfchule in Caſſel. Erfter Theil. Dritte, verbefierte und vermebrte
Auflage. ar. 8. (XVI u. 318 ©.) Caſſel, 3 J. Bohné ſche Buchhand⸗
lung (A. Fiadfhhn 1857. Ungeb. 16 Gar
Dies Lefebuch dient zugleich grammatifäjen Zweden, wie folgende
Anbaltsangabe erkennen läßt.
1. Die verfhiedenen Saparten. 2. Lefezeihen und Sätze gu ihrer
Einübung. 3. Säße zum Unterfheiden ähnlich lautender Wörter. 4.
Sätze, in welden daſſelbe Wort in verfchiedenem Sinne gebraudt if
und finnverwandte Wörter vorfommen. 5. Zur Wortbildung. 6. Zur
Einübung der Zahls, Biegungs» und Zeitformen. 7. Erzählungen (52).
8. Zabeln, Mähren, Parabeln, Sagen (44). 9. Darftellungen, Be⸗
ſchreibungen und Schilderungen aus der Natur (22). 10. Erzählungen
aus der deutichen Gefchichte (12). 11. Geſpräche (8). 12. Räthfel (24)
und furzweilige Fragen (16). 13. Sprüchwörter und Denkſprüche. 14.
Lieder und Gebete (90).
Das Bub Kann ‚feines vortrefflihen Inhalts wegen beflens em⸗
pfohlen werden.
Der Lejennterridt. 189
b. Für die obere Stufe.
37. Leſebuch für Bürgerfhulen. Herausgegeben von Aug. Lüben und
©. Rade 6. Theil. Dritte, verbefierte Auflage. 8. ( u. 320 ©.)
Leipzig, Fr. Brandfletter. 1856. 12'/s Sgr.
Diefer Theil des Lefebuches hat hauptfählich die Beſtimmung, die
Kenntniß und richtige Benupung der Haffifchen Nationalliteratur für die
Büdung der Jugend zu fördern. Zu diefem Zwecke werden von allen
bedeutenderen deutfchen Dichtern und Schriftftellern fo viel Stüde dars
geboten, al& erforderlich find, um von Ddiefen ein Mares Bild zu geben.
Dabei if zugleih Sorge getragen worden, daß auch der Realunterricht
durch geeignete Stüde gefördert werde. Männer wie Joh. v. Müller,
Forſter, Heeren, Hebel, E. M. Arndt, A. v. Chamiffo, Aler. v. Hums
Boldt, Heinrih Steffens, Karl v. Ritter, Barnhagen v. Enfe, Dahle
mann, 8. Immermann, Martius, Pöppig, Kohl u. A. boten hierzu
reichliches Material in ihren trefflihden Schriften dar. Die Anordnung
der Stüde if fo getroffen, daß der Schüler dadurd) zugleich eine Ans
ſchauung von der allmählichen Entwidelung der Sprade befommt. Es
iR Daher mit den großen Epen des Mittelalters der Anfang gemacht
und von ihnen nad und nad bis zu Sen Choryphäen der Neuzeit forte
gefehritten worden, fo jedoch, daß Männern wie Luther, Leifing, Claus
dins, Herder, Boß, Goethe, Schiller, Hebel, Körner, Chamiffo, Hum⸗
boldt, Rüdert, Uhland, Platen vorzugsweile Rechnung getragen wurde.
Damit die Schüler im Stande find, leichter zu überfehen, vefp. zu
wiederholen, was ihnen aus den vorhergehenden Theilen des Lefebuches
bereits von den einzelnen Dichtern und Schriftſtellern befannt geworden,
And diefe Stüde unter den Namen derfelben aufgeführt worden, was
Lehrern und Schülern angenehm fein dürfte.
38. Baterländifhes Leſebuch in Bildern und Mufterftüden für Schule
und Haus. Bon C. Ende und 2, Gittermann, Lehrern in Magde-
burg. Obere Stufe. N. 8. (IV u. 428 ©.) Magdeburg, E. Fabriclus.
1856. Brod. 12/3 Sgr., ungeb. 10 Sgr.
Die Gliederung des Materials entipricht in diefem Theile ganz ber
in der oben angezeigten „Mittleren Stufe.” Wie dort, fo ift auch hier
das Phyſikaliſche ausgefchloflen, ohne daß ein Grund dafür in der Vor⸗
tede angegeben if. Die dargebotenen Aufſätze und Gedichte verdienen
aber alles Lob. Kinder, welche fi den Inhalt dieſes Buches ganz ans
eiguen, befigen einen vortrefflihen Schab. |
39. Häſters Lehr⸗ und Leſebuch oder die Baterlands» und Weltkunde
für die Oberklaſſe der Voltöfchulen. Für evangelifhe Schulen bearbeitet
‘von Ludwig Bender, Rector und evangelifhem Prediger d' Langenberg.
Reue evangeliihe Ausgabe. 8. (X u. 518 5.) Gflen, G. D. Bäbeler.
1856. Ungeb. 10 Ger.
Nach der Berfiherung des Herrn Bender bat man an dem Här
Rers’ichen Lefebuhe „das Gepräge eines pofitivshriflidhen,
evangelifh »Firhlihen und eines preußiſch⸗patriotiſchen
Charakters” vermißt, und diefer Mangel hat die Berlagshandlung bes
wogen, dieſe „evangeliſche Ausgabe‘ zu veranlaflen. So hofft man
190 Der Lefemuterricht.
nun die Concurrenz mit den ſpecifiſch preußiſchen Lejebüchern, bie in
neuerer Zeit erfhienen find, aushalten zu Tönnen. Es kann dem neuen
Dearbeiter das BZeugniß gegeben werden, daß er feine Aufgabe anger
meſſen geföft hat; die Abfchnitte: „Geſchichten aus der Geſchichte der
Deutfchen‘‘ und „Gott und fein Himmelreich“, find es vorzugsmeife,
welche eine Umgeftaltung in dem angegebenen Sinne erfahren haben.
Die zum Theil fehr trodnen und trivialen geographiſchen Abfchnitte,
deren wir ſchon oben gedachten, find aber unverändert geblieben. Wenn
wir auch gern anerkennen, daß das Häfters’fhe Leſebuch viel Gutes ents
hält, fo können wir es doc nicht zu den beften rechnen; es trägt den
Eharakter eines bloß SKenntniffe zuführenden Lehr buches in höherem
Grade an fi, als man von einem Leſe buche erwartet.
Die Ausfattung iſt gut, der Preis billig.
40. Deutſches Leſebuch für die oberen Abtkeilungen eins und mehrklaſſi⸗
ger Glementarfchulen in der Stadt und auf dem Lande, von Fr. Baum⸗
gart und Ed. Woyſche. 8. (VIII u. 411 S) Frankfurt a. O., Tro⸗
wisfeh u. Sohn. 1853. Geb. 10 Sgr.
Die Berfaffer haben, wie fie in der Vorrede mittheilen, ihr Buch
nach der Gharakteriftif gearbeitet, welche Goltzſch in feinem „Cinrich⸗
tungss und Lehrplan” 2c. von einem Lefebuche giebt. Ihr Buch zero
fat in zwei Theile, von denen der erfle (S. 1—148) Erzählungen,
Parabeln, Gedichte u. dgl. enthält, der zweite eine Weltkunde if. Der
erfte Theil enthält viel Gutes, der zweite au, doch hat er aud viel
trodene Partien, wozu namentlich die Spftematif in der Raturgefchichte
gehört. Die Berfaffer haben fich nicht recht klar gemacht, welche Auf⸗
gabe der unmittelbare Unterricht und welche das Leſebuch zu Idfen hat.
Dazu kommt no, daß in allen Abfchnitten vom Allgemeinen zum Bes
fonderen fortgef'hritten, alfo durchweg gegen einen allgemein anerkann⸗
ten pädagogifchen Grundfaß verftoßen wird und die ganze Folge des
Materials (Himmelstunde, Phyſik, Eimtbeilung der Erde nah Graden
und Erdtheilen, Naturgefchichte, Geographie, Geſchichte) ſich durch Nichte
rechtfertigen läßt. Ohne das Gute des Buches zu verfennen, find wir
doch nicht im Stande, es befonders zu empfehlen, zweifeln überhaupt,
daß ihm eine große Verbreitung zu Theil werden wird.
Nah Zällung diefes Urtheils fehen wir von Beinen Unrichtigfeiten,
die uns im naturhiftorifhen Theil aufgeftoßen find, ab und bemerken
nur noch, daß die Verfaſſer fih auch Abweichungen in der Orthogras
phie erlaubt, namentlich überall TE flatt dd gefchrieben haben, was für
ein Lefebuch ganz unftatthaft if. Der Volksſchule und den Vollsſchul⸗
Iehrern kann nie das Recht zugeflanden werden, mit derartigen Neues
rungen voran zu gehen.
41. Lehr⸗ und Leſebuch für Die oberen Klaſſen katholiſcher Bolköfchulen.
—— und bearbeitet,von Dr. G. J. Aund, Dompräs
endat. gr. 8. (VI u. 266 ©.) Fulda, U. Maier. 1856.
Die erſte Abtheilung (S. 1—174) if als „Leſebuch“ bezeichnet,
bie gweite als „Lehrbuch“. Die erfte Abtheilung zerfällt in zwei Ab-
ſchnitte, von denen ber erſte „Leſeſtücke religiöſen und moraliihen In⸗
Der Lefeunterricht. 191
petts”., der weite Leſeſtücke gemeinnügigen Inhalts”, und zwar aus
Ye Neturkunde, Länder⸗ und Bölferkunde und aus der Geſchichte dar
bietet. Die zweite Abtbeilung beſteht aus „funzen Abriſſen“ der Ras
turlehre, Naturgeſchichte, Erdbeſchreibung, Geſchichte und einem Turzen
Unterricht Aber das Kirchenjahr, enthält außerdem noch einen dreitheili⸗
gen Anhang: a. verfhiedene Saparten mit Beifpielen, b. Gelchäftsaufs
füge und c. die in Kurheflen gebräudlichen Maße und Gewichte.
as „Leſebuch“ enthält anfprechende Erzählungen und Gedichte
und wird von den Kindern gern und gewiß nicht ohne NRupen gelefen
werden. Das ‚Lehrbuch‘ dagegen wird ihnen wenig Befriedigung ge
währen, Ya es nur wenig anziehende Partien enthält, für die Geſchichte
geradezu nur Tabellen. Diefen Theil halten wir für ein Leſebuch als
gänzlich wertet Aus einer Anmerkung erfehen wir, daß die Quellen
dafür „J. G. Fiſcher's Meines Handbuch der Realkenntniffe“ und „I.
3. Schhletz's Dentfreund⸗ waren, zwei Werke, die bereits nach jeder
Beztehung hin veraltet find. Im Sinne dieſer Bücher heißt es ©. 188
in Bezug auf die Luft: „Welch' ein Unglüd, wenn wir uns durd die
Luft mit Gewalt hindurharbeiten müßten, wie duch einen Strom! Und
funten wir wohl in folder Luft fprechen?” Das erinnert doch gar
zu ſehr an den befannten Ausruf: „Wie gut if e8 doch, daß die Katzen
gerade da Löcher im Kelle haben, wo fich die Augen befinden!‘
42. Der Baterlandsfreund. Gin Schulleſebuch mit befonderer Beräe
fiptigung des heſſiſchen Baterlandes. Herausgegeben von Dr. 3. Yölfing,
Lehrer an der Großherzogl. Garnifonfchule, Gründer und Borfleber einer
Kleinkinderfhule für Kinder aus höheren Ständen u. f. w., und G. Bed,
echrer ne der „Drobberzogl Sarnifonfchule zu Darmſtadt. Obere Stufe.
6 ©. Mit einer Karte des Großherzogthums Heſſen.)
a 's 14 1856.
Die Berfaffer haben es vorzugsweife auf Kenntniß bes engeren
Batertandes, des Großherzogthzums Heſſen, abgefehen, ihrem Buche daher
enge Grenzen gefebt. Es ift gegen ein foldhes Unternehmen Nichts ein»
zuwenden ; indeß muß ber Schulunterricht fih doch in diefer Beziehung
vor zu großer (Engherzigkeit bewahren und über das Baterfändchen
nicht das gemeinſame deutfehe Baterland und mas darüber hinanstiegt
verabfäumen; wo das geſchieht, da erzeugt man leicht die egoiftiiche
Gefinnung, die aus ber Herrichaft Napoleons in Deutſchland noch in
fo tranrigem Andenken if. Die Verfaſſer des ‚‚Baterlandsfreundes”
Kud feider nicht frei von diefer Engherzigkeit; mas fie Aber Deutſch⸗
land fagen, if faum nennenswertb; von andern Ländern ſchweigen #e
ganz. Hätten die Berfaffer etwas von dem Ballaſt über Bord gewor⸗
fen, womit ihr Buch offenbar beladen ift, fo würde fich auereichender
Raum für das Angedeutete gefunden haben.
Der Baterlandöfreumd hat folgende vier Abtheilungen: I. Natur and
Rutter. I. Geographie. III. Gefchichte. IV. Porfle und Sprachliches.
An Dder erſten Abtheilung find die Bewohner der verſchtedenen Se⸗
genden Heſſens, einheimifche Naturköryer, Gartenanlagen, Die Kabrilas
Hon des Biafea u. f. w. befchrieden. Die ‚zweite umd dritte Abthei⸗
tung Witten faſt nur Einheimifches dar. In ‚der. Iepten Abtheilung haben
—
192 Der Lefeunterricht.
ebenfalls die Heſſiſchen Dichter den Bortrit. Der Ausdrud „Sprach⸗
liches“ bezieht ſich vermuthlid auf die den Schluß bildenden Säge mit
finnverwandten Wörtern, auf die Gefchäftsauffäge und Briefe.
Der größere Theil der Auffäge iſt aus andern Schriften entlehnt;
die übrigen haben wohl die Herausgeber zu Berfaflern, find wenigflens
von ihnen nach andern Borlagen überarbeitet worden. Leider gehören
fie zu den ſchwächſten des ganzen Buches, fowohl nach ihrem Inhalt,
als nach ihrer Darftellungsweife. Wer fih davon überzeugen will, der
ſchlage Nr. 118, „Haus⸗ und Wirthſchaftskalender“, auf; Xrivialeres,
als dort geboten wird, fanden wir noch in feinem Leſebuche. „Ranzige
Butter genießbar zu machen‘, ‚„Aufbewahren der Käſe““, „Aufbewahren
des frifchen Bleifhes bei großer Hitze“, „Das zum Raäuchern beſtimmte
Fleiſch“, „Gegen die Ameifen‘‘, „Wider die Maulwürfe‘‘, „Gegen Rats
tens und Mäufefraß in den Scheunen‘, „BZuverläffiges Mittel der
Raupenvertilgung‘‘ u. |. w. Das find die Dinge, die bier aufgetifcht
werden. Soll damit vielleicht gezeigt werden, wie man den Unterricht
praktiſch macht? Zreibt man in Darmfladt wirklich ſolche Dinge in der
Schule? In dem Darmfladt, das feit einer langen Reihe von Jahren
durch feine „Schulzeitung“ fo vernünftige pädagogifche Grundfäge ver⸗
breitet bat? Muß nicht, wer folhe Dinge lehrt, auch noch Anleitung
geben, wie man am beften die Stube fcheuert, Meſſer und Gabel pußt,
die Eßgefchirre nach gemachten Gebrauche abwaͤſcht, den Kuhſtall rei⸗
nigt? Der Himmel möge die Bildungsanfalten für unſere Jugend
‚vor diefer Afterpraktif bewahren! Das ift nichts weiter, als die erbärm-
lihe, aus dem Mittelalter überfommene Receptwirtbfchaft des Gewerb⸗
ftandes, die auch jetzt noch überall da ſpukt, wo die Naturkunde noch
feinen Boden gefunden bat, wo Phyſik und Chemie noch zu den unbes
kannten, wohl gar verpönten Dingen gehören. Sat Darmftadt den gro⸗
Ben Liebig umfonf in feinem Gießen gehabt? Berdient das Beifpiel
Baierns, das feine Lehrer in die Hörfäle diefes berühmten Chemilers
fhit, Feine Nachahmung? Chemie und Phyſik find es, welche die
wahre Praris in die Schule und in das Leben zu bringen, und bie
gemeine Praris, diefe heillofe Receptwirtbfchaft der bezopften Innungen
zu verdrängen vermögen; ihnen öffne man daher die Tempel der Jugend⸗
bildung, wenn man ſich Berdienft um die Menfchheit erwerben will.
Um von der Logik und Stiliſtik der Verfaſſer eine Vorftellung zum
geben, genügt die Durchſicht der bezeichneten Recepte. Der Gingang zu
Denfelben lautet: „Nachſtehende Mittheilungen beruhen auf Erfahrungen
and gewähren durch die Einfachheit der VBorfchriften und die Nüplichkeit
ihrer Refultate beachtenswerthe Vortheile. Mancher kennt vielleicht über
diefem oder jenen Gegenfland noch ein befleres Mittel; er (?) ſuche
Nath bei Erfahrenen und wende dann zu feinem Ruben Das an,
wos am Bortheilbafteften wirkt.” S. 191: ‚Der Hollundergeruh if
den Thieren (Ratten und Mäufen) fo zuwider, daß die Frucht völ-
Lig gefihert bleibt“ (ftatt: daß fie die Scheunen verlaflen). „Zu⸗
verläffigee Mittel der Raupenvertilgung.” „Gegen die Raupen in den
Gemüjebeeten hilft es, wenn man einige Zabaköftauden zwifchen bins
Der Lefeunterricht. 193
einpflanzt.” „Nun wird ber Hals des umgefehrten Flaͤſchchens im
das oben im Korke befindliche Loch geſteckt, aber fo, daß das Fläfch
den die Deffnung ganz ausfült, daß Leine Bienen nebenbei heraus
friehen Tönnen. Nun kommen die Bienen, ſtecken ihre Saugrüffel durd
ein Löchlein der Blafe und faugen fo den Honig aus dem Glafe, bis
e8 leer if.” ©. 192: „Bretter und Klötze von leichtem Holze bringt
man je nach ihrer Dide auf 10 Minuten bis "Vs Stunde in den Bad
ofen, nachdem das Brot herausgenommen if (alfo in einer Temperatur
von 80— 100°). Auf diefe Weiſe behandeltes Holz zeigte fih nad
17 Jahren noch völlig gefund, während ein anderes Holz derfelben
Art, das nicht gedörrt worden“ u. f. w. Das darauf folgende Mittel:
„Biber das Schlagen der Pferde‘ ift ganz confus, aber zu lang, um
es bier mittheilen zu koͤnnen. „Schipka bat die Lungenſeuche des Mind»
viehs zuverläffig alſo geheilt: jedes erkrankte Stüd erhält fofort 2
Loth Potafche, in a Maß Waſſer aufgelöft und des Morgens und
Abends eingegeben. ©. 193: „Weder Terpentin noch Salz
fäure vertilgt Schmetterlinge, Larven und Gier diefes ſchädlichen In⸗
fecte® gleihermaßen.” ©. 194 if von der Nüplichfeit des Salzes
für das Maftvich die Rede. Hierzu macht der Verfaffer folgende geift-
reihe Bemerkung: „Wie das Salz bei der Fütterung des Viehes von
Augen if und nicht fehlen darf, fo darf noch weniger bei der geiftigen
Nahrung des Menfchen das Salz fehlen; es darf auch nicht dumm wers
den; denn fo das Salz dumm wird, womit foll man denn falgen ?'
Bürdiger laſſen fi die mit der Salzfütterung endende Mittheilung der
Recepte ſchwerlich fchließen. Möchten doch alle Lehrer und Schriftfteller
diefe wohlgemeinte Ermahnung beachten! Sicher mürde es dann weit
weniger Dumm gewordenes Lehrerfalz und Dumm gewordenes
Schriftſteller ſalz geben, als es jeßt leider noch der Fall if.
Mr. 32 handelt von der Fledermaus. Zuerft wird einem Dichter,
der der Fledermaus Worte der Kluge und Trauer über ihr abgefchiedes
nes Leben in den Mund legt, eine Lection gelefen; dann geht der Bers
faffer auf die Natut des Thieres ſelbſt über. Wie billig, nimmt er die
Fledermäufe gegen den unbegründeten Verdacht, daß fie Speck fräßen,
in Schuß, fagt dabei aber in feiner ſtiliſtiſchen Unbeholfenheit gerade
das Gegentheil. Es Heißt daſelbſt: „Wenn man einmal NRagezähne und
dann das Gebiß der Zledermäufe genau angefehen bat, fo wird man.
nicht mehr in Zweifel fein, daß die Fledermaͤuſe Sped und Fleiſch bes
wagen oder tiefe Löcher hineinfreſſen.“ Zum Glück ſteht gleich dahinter
in einem muſterhaften Sage: ‚Dies thun die Mäufe, und, wenn fie
fönnen, die Ratten.‘ In dem darauf folgenden Sabe bereichert der
Berfaffer die Naturgefchichte der Fledermäuſe dur die Mittheilung, daß
ke außer Infeeten auch „Mäufe in großer Menge wegfangen. Thäten
bie Fledermäufe dies, dann wären fle fiher auch Speddiebe. Auf ders
felben Seite heißt es: „Das flieht aber richtig, daß viele Leute
im Heſſenlande dies noch glauben. „Das Maut fipt voller fpigiger
Zähne. „Daß fe aber im Kluge fo fehr gewandt find, das
bat feinen Grund im Bau der Flughäute und der Ohrmuſcheln. Wie
Rade, Jahresbericht. X. 13
194 | Deer Leſeunterricht.
dieſe nämlich von zahlreichen Adern durchzogen werben, fo verlaufen in
ihnen auch eine außerordentlihe Menge von Nervenfäden‘ x. Dies
und das noch Folgende dient zur Erflärung des feinen Gefühle ber Fle⸗
dermäufe, nicht aber, um die Gewandtheit ihres Fluges auf ihre
Urſache zurückzuführen. Der Verfaſſer benutzte zu diefem Auflage eine
Arbeit des Referenten, hat dieſelbe aber volftändig verballhornt.
Wäre damit gedient, wir fönnten die Beifpiele diefer Art bedeu⸗
tend vermehren, auch noch andere Ungehörigkeit vorführen. Sicher
ſtimmen aber unfere Lefer ſchon nach diefen Proben in dem Urtheil mit
uns überein, daß der ‚‚Baterlandsfreund‘ nad) Anlage und Ausführung
eine verfehlte, der Zugend nicht zum Nupen gereichende Arbeit iR. Die
Herausgeber befaßen zu diefem Werke weder den rechten Zact, noch bie
ndthige Durchbildung. Sollte dies Urtheil Manchem hart ericheinen, fo
bitten wir, das Buch felbft zur Hand zu nehmen.
43. Der Zugendfreund für Säule und Haus. Zwölfte Auflage mit
Stereotypen. 8. (310 S.) Gütersloh, C. Berteldmann. 1856. 10 Ser.
Ohne die Lieder im VIII. Abſchnitt 6'/ Gar.
Der Zugendfreund enthält: Erzählungen aus der Weltgefchichte,
Wahrheit in Zabeln, Legenden, Sagen und Parabeln, Weisheit in
Sprühen und Sprühmwörtern, Näthfel, Erzählungen, Briefe an Andres,
die Hermannsſchlacht, das Weltgebäude, der Menfh; als Anhang 142
Lieder in Noten für den Gefangunterriht. Das dargebotene Material
it im Ganzen gut, für Oberklaſſen der Volksſchulen, für die das Bud
beftimmt zu fein fcheint, jedoch nicht ausreichend, am wenigften jept,
wo. man den Nealunterriht in die Lefeftunden verlegt bat. Das Buch
macht den Eindrud eines veralteten und bedarf der Neugeftaltung, wenn
es neben den neuern guten Lejebüchern feinen Platz behaupten foll.
44. Lefebud für Stadt» und Landfhulen. Bon Friedrih Harder,
Lehrer in Altona. Zweiter Theil. 8 (X u. 628 ©.) Altona, 3. Fr.
Hammerich. 1857. 1 Thlr.
Das Buch zerfällt in zwei Abtheilungen, von denen die erſte (S.
41 —464) ‚„Lefeküde in Proſa“, die zweite „Poetiſches zum Lejen und
Declamiren“ enthält. In der erfien Abtheilung iſt der Stoff wieder in
drei Gruppen gebracht: Erzählungen und Briefe (S. 1—105), Bilder
aus der Sage und Gefchichte (S. 106—-226), Darftellungen aus der
Geographie und Naturkunde (S. 226466). Jede diefer Gruppen
bildet ein Ganzes, durch Auswahl und Inhalt vorzüglich geeignet zur
Belebung des Realunterrichts. Daflelbe günftige Urtheil kann über die
zweite Abtheilung gefällt werden, die in ihren 110 Rummern eine
fhöne, dem Bwede ganz entfprechende Auswahl von Dichtungen dars
bietet. Das Leſebuch verdient, zu den beften gezählt zu werden. Aber
wie viel Schulen werden im Stande fein, es einzuführen? Der Preis
iſt viel zu hoch.
45. Leſebuch für eins und mebrflaffige Schulen, zufammengeftclit
und herausgegeben von F. W. Theel, Borfteher der Erziebungsanftalt
im grünen Haufe zu Berlin. Achte, verbefferte Stereotyp»Adflage. 8.
>
Der Lefeunterricht. 195
(VII u. 408 ©.) Berlin, Juſt. Alb. Wohlgemuth. 1856. Broch. 10 Sgr.,
roh 8 Sgr., mit Luthers Meinem Katechismus! /2 Sgr. mehr.
Wie die meiſten neuern Leſebücher für Oberklaſſen, zerfällt auch
dies in zwei Theile, von denen der erſte hauptſaäͤchlich Erzählungen und
Gedichte, der zweite Auffäge über weltfundfiche Gegenflände enthält.
Der zweite Theil zerfällt wieder in folgende ſechs Abfchnitte: Himmels⸗
funde, Erdfunde, Bilder aus der Naturkunde, Grundzüge der Preußis
fhen Geſchichte, Denkwürdigkeiten aus der Geſchichte der chriftlichen.
Kirche, Gefangterte. Speciell auf Preußen berechnet if nur die Ge⸗
ſchichte; die übrigen Abfchnitte find allerwärts brauchbar. Auswahl
und Anordnung .befriedigen; in den Abfchnitten über Geographie und
Raturgefhichte werden neben anregenden Beichreibungen und Schilde⸗
rungen auch trodene Ueberfichten mitgetheilt, offenbar in der Abricht,
um befondere Schriften für diefe Gegenftände ganz überflüflig zu machen.
Die Phyſik if unbeachtet geblieben, was mit Rüdfiht auf die Beſtim⸗
mungen für die Preußifchen einklaffigen Schulen faum zu billigen ift.
46. Deutfches Lefebuh für Schule und Haus, von I. D. Beh:
— Dorum. 8. (VII u. 515 S.) Dorum, bei dem Verfaſſer. 1854.
J .
Dies Leſebuch zerfällt in fünf Abtbeilungen mit folgenden Ueber»
fhriften: Wahrheit und Dichtung (S. 1—133), Naturkunde (S. 134 —
237), Geſchichte (S. 237— 370), Geographie (S. 370-462), Nach⸗
richten, Borbilder und Kehren. Diefe lebte Weberfhrift ift jeher unbes
ſtimmt und 1äßt nicht vermuthen, daß fich neben Erzählung und Ges
dichten auch weltfundlihe Auffäge in dieſem Abſchnitte finden. Die
Auswahl verdient im Ganzen Unerfennung. Für die zweite, dritte und
vierte Abtheilung hat der DBerfafler Vieles ſelbſt nach umfangreicheren
Borlagen bearbeitet. In der Abtheilung über die Naturkunde haben
auch die wichtigften Lehren der Phyſik eine Stelle gefunden, was wir
bifigen. Für den Reatunterricht wird das Buch überhaupt förderlich
fein, da faſt Alles darin befprochen if, was für den Kreis des Volks⸗
(hulunterrihts Beachtung verdient. Die Zahl der Gedichte Fönnte etwas
größer fein.
41. Leſebuch für Die obere Klaſſe der fatbolifhen Stadt» und
Land⸗Schulen, von Felix Rendſchmidt II, Eifte, purchgefehene und
vermehrte Auflage, herauägegeben von Franz Kühn. 8. (VIII u. 520 ©.)
Breslau, %. E. C. Leudart (Conft. Sander). 1856. rob 10 Sgr., geb.
12Y2 Ser. .
Der jegige Herausgeber hat dem Buche manches Neue hinzugefügt,
verfhiedene Aufläge umgeftaltet und alle in folgende Ordnung gebracht:
1. Das Merkwürdigfte aus der Weltgefchichte. 2. Lehre vom Menſchen.
3. Geographie. A. Raturlehre. 5. NRaturgefhichte. 6. Vom Aderbau.
7. Bon der Obſtbaumzucht. 8. Bon einigen Gewerben. 9. Einige
Sitten» und Lebensregein. 10. Gedichte und undere Lefeftüde.
Das Lehrhafte berifcht in dem Buche vor; doch find die dargebos
tenen Stüde meiftens anfprechend. Katholifche Schulen, die eine mitts
lere Stellung unter den Volksſchulen einnehmen, werden zwedmäßigen
Gebrauch von demfelben machen Tönnen.
13 *
196 Der Leſeunterricht.
48. Jugendgarten. Allgemeines Leſe⸗ und Lehrbuch für Stadi⸗ und Land⸗
fhulen. Bon G. U. Winter, Dberlehrer an der Bürgerfchule zu Kirche
berg. Yweiter Theil. Kür die Oberflaffen. Fünfte, gänzlich umgearbeitete
und ſehr vermehrte Auflage. (Ausgabe für evangelifchs Iutherifche Schulen.)
8. (XII u. 481 ©.) Leipzig, Im. Tr. Wöller. 1857. ungeb. 12 Ser.,
Bartiepreis roh 8 Sgr., geb. 2a Ser. mehr.
Inhalt: I. Erzählungen, Gefprähe, Barabeln, Fabeln, Sprüch⸗
wörter, Schilderungen, Räthſel, Lehren und Wahrheiten. (1. Gott. 2.
Der Menfh. 3. Natur.) II. Syſtematiſch geordnete Bilder zu Den
Realien. (1. Zur Naturgefchichte. 2. Zur Lehre vom Menfchen. 3. Zur
Maturlehre. A. Zur Geographie. 5. Zur Weltgeſchichte 6. Zur Gefchichte
der chriſtlichen Religion und Kirche. 7. Gewerbliches.) III. Gefchäfte-
auffäge. IV. Gedichte zu Lefer, Gedächtniß⸗ und Declamiräbungen.
(1. Gott. 2. Der Menſch. 3. Ratur.) V. Skizzen zu einem fiufenmä«
Big fortfchreitenden Unterricht in den Realien.
Dies Buch enthält viel Gutes, if jedoch mehr Lehr», als Leſe⸗
buch. In Schulen mit befchränkten Berhältniffen, 3. B. mit einem Lehrer
und wenig Unterrichtöftunden, wird es daher den Nealunterricht fehr
fördern; aber es wird auch gleichzeitig dazu beitragen, die Schulprofa,
die Schuldürre fehr zu vermehren. Schullefebücher follten fi mehr
die Aufgabe flellen, Poeſie in die Schule und dadurch in das Bolt
zu bringen. .
Der legte Abſchnitt it nur für den Lehrer und hätte vielleicht
ganz wegbleiben Fönnen. |
Der Drud iſt theilweife faft zu Bein.
11. Xefebücher für Gymnaſien und Realfchulen.
von I. Hopf und C. Paulſiek. Erſter Theil. Erfte Abtbeilung. (Kür
Sexta). Zweite Abtheilung. (Für Quinta). Dritte Abtbeilung. (gi
Duarta). 8. (1. Abth. 244 ©.; 2. Abth. 260 S )
Hamm, ©. Grote. 1855 u. 1856. à 15 Sgr.
Die Gliederung des Materials ift, Peine Modiflcationen abgerech⸗
net, in allen drei Abtheilungen folgende:
. Brofa. .
A. Erzählende Profa.
1. Erzählungen und Fabeln.
2. Mähren.
3. Sagen.
4. Aus der Gefchichte.
B. Befchreibende Proſa.
5. Aus der Naturkunde.
6. Aus der Erdkunde.
7. Aus dem Bölker» und Menfchenleben.
N. Poeſie.
A. Epiſche Poeſie.
1. Fabeln und Parabeln.
2. Erzählungen.
Der Lefeunterricht. - 497
3. Sagen und Legenden.
4. Aus der Geſchichte.
B. Lyrifche Poefie.
Die Auswahl if für alle drei Abtheilungen mit Rückſicht auf das
Alter der Schüler und die Klaffenpenfen getroffen worden und kann ale
ſehr gelungen bezeichnet werden. In allen Abſchnitten iſt der Inhalt
muftergültig und daher trefflich geeignet für Foͤrderung allgemeiner und
ſprachlicher Bildung. Wir wünſchen der Jugend an höheren Schulan⸗
alten Glück zu diefem Leſebuche. Anerkennung verdient e8 auch, daß
die Herausgeber bei jedem Stüde die Quelle angegeben haben; dadurch
wird eine Literaturfenntniß herbeigeführt, die für fpäteres Selbſtſtudium
von Wichtigkeit if. B
50. Deutfhes Leſebuch. Elementar- Eurfus. Bon ©, Ditrogge. Vierte,
verbefierte und ſehr vermehrte Auflage. gr. 8. (VIII u. 416 es Hanno
ver, Hahn'ſche Buchhandlung. 1856. 20 Ser.
Dies rühmlichſt bekannte Leſebuch enthält in feinem erften profais
hen Zheile 48 Erzählungen, 28 Fabeln und ZThiermährden, 17 Sa⸗
gen und Mährchen und 8 naturgefchichtliche Befchreibungen ; in feinem
weiten, poetifchen 91 Fabeln und Erzählungen und 124 Lieder. Die
Auswahl if gut und wohl vorzugsweije für das Alter von 7 oder 8
bis 10 Jahren berechnet. Die naturgefchichtlihen Befchreibungen find
in der neuen Auflage um 3 vermehrt, aber immer nocd nicht reichlich
genug vertreten. Geographiſche Schilderungen fehlen ganz, was als
Mangel bezeichnet werden- muß.
31. Deutfhes Leſebuch für Gymnafien und Realfhulen. on Dr. Ri:
eolaud Bad. Zweiter Theil. Dierte, auf’s neue durchgefebene und vers
befjerte Auflage, beforgt von A. Koberftein, Profeffor in Pforte. gr. 8.
I u. 261 &.) Leipzig, Fr. Brandftetter. 1856. 15 Ger.
Dies anerkannt tüchtige Lefebuch enthält im erften, poetifchen Theile
Gabeln, Mähren, Erzählungen, Idyllen, Balladen, Romanzen, Legen»
den, deutfche Volfsepen, Lieder und Sprüde; im zweiten, profaifchen
Mährchen, Sagen und Erzählungen. In allen diefen Abfchnitten ift
nur das Befte der vorzüglichſten deutfchen Dichter und Profaiften gege⸗
ben, fo daß die Schüter in dem Buche eine wahre Mufterfammliung
haben, die ein befonderes Werk für Declamation überflüffig macht. Die
Realien haben keine Berüdfichtigung gefunden. >
Die Ausflattung ift fehr anfprechend.
52, Deutſches Leſebuch für Reals und Bürgerſchulen. Herausgegeben
von Guſtav Fleifcher, erftem Lehrer an der Freifchule, wie auch Lehrer
an der Real⸗ und höheren Töchterſchule zu Einbeck. Zweite, vermehrte
Auflage. gr. 8. (VIII u. 426 ©.) Hannover, L. Ehlermann. 18586.
11!/ı Ser.
Das Buch befteht aus fünf Abtheilungen; die erfte enthält 100
Gedichte, die zweite 46 Bilder aus der Natur und der Länder» und
Bötferfunde, die dritte 54 Bilder aus dem Gewerbsleben und der Nas
turgefpichte, die vierte 32 Geſchichtsbilder, die fünfte 17 Fabeln, Bar
sabeln und Erzählungen. Die Auswahl iſt gut. Wir konnen das
198 Der Lefeunterriäht.
Buch für die Oberflaffen von Bürgerfchulen und für die mittferen Klaffen
von Real⸗ und höheren Töchterfchulen empfehlen.
53. Deutfhed Sprach- und Leſebuch für die Elementarklaſſen der
Gymnafien und Realfhulen. Bon 3. F. Brandauer, Präceptor am Ads
‚ nigl. Gymnaſium zu Stuttgart. Dritte, verbeflerte und vermehrte Aufs
lage. 8. (XXIV u, 328 ©.) Etutigart, H. W. Bed. 1856. 20 Sgr.
Die erfie Abtheilung (S. 1 —48) diefes Buches enthält eine Gram⸗
matit in Beifpielen, ohne grammatifhe Erklärungen; die zweite bildet
das eigentliche Leſebuch. Wir billigen derartige Beifpielfammlungen, da
fle die beabfidhtigte grammatifche Erkenntniß erleichtern. Das Leſebuch
enthält in feinen 230 Rummern einen reihen Schag von guten Ger
dichten, Erzählungen, Befchreibungen, Räthſeln u. dgl., durchſchnittlich
dem Alter von 7—9 Jahren angemeffen, jedoch in bunter Folge. Num⸗
mer 1 lenkt den Blid auf die Natur; Nummer 2 handelt von den drei
Naturreichen, ſtellt Eintheilungen und Deflnitionen an die Spige und
täßt darauf kurze Beichreibungen einzelner Raturförper folgen. Das ift
nnpädagogifh. Für Kinder diefes Alters gehören nur anfprechende Bes
i&hreibungen und Erzählungen von Naturförpern, nicht aber Syftematif.
Sonft fann man das Buch als ganz brauchbar für die Elementarflafen
von höheren Schulanftalten bezeichnen. Die Ausftattung iR gut, der
Breis jedoch ziemlich hoch.
111. Kefebücher für Schullehrer : Seminarien.
54, Leſebuch für Shulflehrer-Seminarien. Bon H. Fr. Flügge,
Hauptlehrer am Seminar zu Hannover. gr. 8. (IX u. 290 ©.) Hannos
ver, C. Meyer. 1856. 15 Sgr.
Der Herausgeber bezwedt mit feinem Leſebuche Sprach⸗ und Bes
sufsbildung,, erftere vorherrfchend, und bat darnach feine Auswahl ger
troffen. Ob Berufsbildung dur ein Leſebuch anzubahnen, oder auch
nur zu unterflüßen fei, erfheint uns fehr zweifelhaft; Seminariften müflen
in alle Unterrichtsgegenflände, natürlih au in die Paͤdagogik, fo
gründlih und umfänglich eingeführt werden, daß fie Die Brudfüde eines
Xefebuches vollftändig entbehren können. Zu dieſem Zwede find, wenn
in Surzer Zeit Tüchtiges geleitet werden foll, für jedes Zach befondere
Schriften erforderiih. Darum würden wir mit einem Lefebuhe für
Seminariften nur ſprachliche Zwecke verfolgen und dafür unfere beften
Profaiften und Dichter ausbeuten. Herr Flügge hat das zum Xheil
auch gethan, doch nicht fo umfänglih, als man erwarten durfte.
Schiller 3. B. ift mit zwei Meinen Gedichten vertreten, Goethe mit
fünf und einem Proſaſtück, Lefjing, Klopſtock und Herder gar
nit. Statt derjelben ftößt man häufig auf Auffäpe von dem auf
manchen Gebieten mehr ats myftifch fchreibenden Schubert, auf Auss
züge aus dem „Süddeutſchen Schulboten‘ von 8, Bölter, aus Zahn’
„Schulchronik““ und andern Größen zweiten und dritten Ranges. Gin
nicht kleiner Theil der Stüde if fentimentaler, als es für Seminariften
reſp. künftige Lehrer gut if! Gern erkennen wir aber an, daß das
.
Der Lefeunterricht. 199
Buch in feinen 217 Nummern auch recht viel Gutes enthält, was ganz
geeignet if, bildend auf die Seminariften einzuwirken.
In der Orthographie if der Herausgeber vom Berlömmlichen abs
gewichen, was dem Bude hier und da den Weg verfperren wird.
Die Ausflattung if vortrefflih, der Preis mäßig.
IV. Schriften über den Lefe- Unterricht.
55. Der Leſebuch⸗Unterricht in der Boltsfhule Lehrplan und
praftifher Lehrgang in Lehrproben. Erſter Theil: Der Sprachunterricht
am württembergifchen Leſebuch mis angewandter höherer Lefelehre, Worte
und Necdtichreibelehre, Satz⸗ und Aluffaplehre für Volksſchulen. Don K.
8. Weigel, Deran und Bezirksfchulauffeher in Kirchheim u. T. 8. (IV
u. 256 &. und eine Tabelle.) Stuttgart, Ehr. Belfer. 1856. 22 Ger.
Schon oben haben wir ung Unerfennend über diefe Anweifung zum
Gebraudy des mwürttembergifchen Lefebuches ausgefprochen. Der Berfafler
geht überall von als richtig anerkannten pädagogifchen Grundfägen aus
und führt den Lehrer fo weit durch directe Belehrung und ausgeführte
Lehrproben in das Weſen der Sade ein, daß er, nad ordentlichen
Etudium der Schrift, im Stande fein wird, einen guten Sprachunter⸗
riht zu ertheilen. Aus diefem Grunde empfehlen wir das Buch auch
Lehrern, Die nicht auf das württembergifche Leſebuch angewiefen find,
zum Gebrauch.
56. Ueber das Leſenlehren; ein Bortrag, in der Lehrer» Konferenz am
21. Mai 1855 im Königl. Seminar zu Ungerberg gehalten vom Director
Hagelweide. 8. (64 ©.) Angerberg, Gräfe und —* 1856. 5 Sgr.
Dies Schriftchen ging uns erſt zu, nachdem wir unfere Arbeit fiber
das Leſen bereits vollendet hatten; wir haben es Daher in dem allge
meinen Theile derfelben nicht benutzen Lönnen.
Der Berfaffer verbreitet fih mit großer Sachkenntniß über den
Leſeunterricht, am ausführlihflen über den erſten; von der Behandlung
der Leſeſtücke in der Oberklaffe iſt nur in einer Nachſchrift die Rede,
doh fo, daß der denfende Lehrer daraus das richtige Verfahren aus»
zeichend kennen lernen Tann. Mit Rüdfiht auf die Provinz, in der
der Verfaffer wirft, beleuchtet er die Vortheile, weldhe das Lautiren dem
Buhfabiren gegenüber gewährt, ausführlicher, als es bei uns, wo
bereits überall fautirt wird, für Lehrer nöthig geweien wäre. In Bes
treff des Lehrverfahrend erflärt derſelbe fih für das ſynthetiſche, mit
der richtigen Belhränfung jedoch, daß die Kinder die Laute zunächſt
aus vorgefprochenen Sätzen kennen lernen. Den Gebrauch der jepigen
Rejetafeln verwirft er, meil ihr Stoff ohne Inhalt iſt, nur Lefefertigfeit
bezweckt; um fie entbehrlich zu machen, empflehlt er, mit der Schteid«
färift zu beginnen, ein Verfahren, dag bekanntlich auch aus andern,
höheren Gründen den Vorzug verdient.
Das ganze Büchlein if voll gefunder Anfihten über das Leſen,
weshalb wir es namentlich angehenden Lehrern beftens empfehlen.
IV,
Schreiben.
gon
Auguſt Luben.
I. Grundſätze.
Der Schreibunterricht hat in den letzten 10 bis 15 Jahren eine
vollſtaͤndige Umgefaltung erfahren; überall, wo man auf den Fortihritt
achtet, iſt an die Stelle des Einzelunterrihts, des Schreibens nad)
Borfäriften, der gemeinfame, der Klaffenunterricht getreten, mit dem
man zwedmäßig das Zaktfchreiben verbindet. Ebenſo ift die Solirtpeit,
in die der Schreibunterricht gelommen war, aufgegeben worden; es
wird jept fehr allgemein auf der unterfien Stufe Das Schreiben mit
dem Leſen innig verbunden, und fpäterhin tritt es in den Dienf des
Spradhunterrichts, namentlih der Orthographie.
In diefem Sinne find faſt alle Aufſätze und Schriften des Jahres
1856 gehalten, fo weit fie die Methode betreffen. Es liegen uns vor:
1. Dietlein, Wegweiſer für den Schreibunterriht. Leipzig. 1856.
2. Das Schreiben in der Schule. Bon A. Hanſen in Üeterfen.
Fcyr pitung für die Herzogthümer Schleswig ꝛc. von Sönkſen. 1856.
Fe Ueber den Schönfhreibunterriät. Bon 3.3.8. BPädagogifche
Noꝛateſchrift für die Schweiz. Bon Grunholzer und Zähringer. 1856.
e
4 Zwölf Regeln für den Schreibunterriht. Schulblatt für die
Provinz Brandenburg. 1856. 9. u. 10. Heft.
5. Kritifche Blide auf den Schreibunterriht, wie er noch häufig
in der Volksſchule befteht. Braunſchweigiſcher Schulbote. Bon Schmidt.
1856. Nr. 8.
6. Schreiben. Bom Schulinſpector Kettiger. -Pädag. Monatsiär.
f. d. Schweiz. 1856. 2, Heft,
Schreiben. 201
7. Gedanten und Bemerkung über den Schoͤnſchreibunterricht in
mehrklaffigen Bollsfhulen. Bon F. Wagner. Medienburgifhes Schul⸗
biaft. 1856. Mr. 32 u. 38.
8. Eine pädagogifche Schreibſtunde in einer getrennten Mittelflafle.
Bon G. Knabe in Stadt Sulza. Bolfsfchulblätter von Laudhard.
1856. Rr. 3 u A.
9. Weber den Kanzlei» oder fogenannten fähfifchen Ductus. Bon
8. Zſchille. Sächſiſche Schulzeitung. 1856. Nr. 19.
10. Beichaffenheit der Schrift im @lementarunterriht. Bon K.
ZIHille. Allgemeine deutfche Lebrerzeitung. 1856. Nr. 22.
14. Mittheilungen über einen von dem ‚„Pädagogifchen Bereine in
Dresden‘ beratbenen Schreibductus. Vom Oberlehrer Graf in Dresden.
Sidi. Schulz. 1856. Nr. 32.
12. Richtige und fhöne Buchſtabenformen. Bon Dr. C. Michelſen.
Bolfefhuiblätter. von Lauckhard. 1856. Ar. 8
13. Das Schreiben auf Schiefer in der. Volksſchule. Bon 2,
kangenhahn. Sächſ. Schulz. 1856. Nr. 1.
14. Meber den Gebrauch der Stahlfeder. Bon O. Körting in
Dresden. Sächſ. Schulz 1856. Nr. 13.
15. Ein Wort über Anwendung der Stahlfeder in der Schule.
Bon 3.3. Schlegel in St. Gallen. Pädag. Monatsſchr. f. d. Schweiz.
1856. 31. Heft.
16. Die Stahlfeder in der Schul. Bon ©. B. Allgem. d.
Lehrerzeitung. 1856. Nr. 52.
17. Körperhaltung beim Schreiben. Bon Haufhild in deflen:
Leipziger Blätter über Erziehung und Unterriht. 1855.
1. Nutzen des Schreibunterriähts.
Im Brandenburger Schulblatt wird a. a. ©. in Bezug auf den
formellen Nutzen des Schreibunterrichts gefagt:
a. Der Einn für Schönheit, Ordnung, NReinlichfeit wird gewedt.
b. Die genaue Befolgung deffen, was die Vorſchrift gebietet, if
eine Webung in Selbfiverleugnung und Gehorfam überhaupt.
Gegen die erfle Behauptung it natürlich nichts einzuwenden und
Acht nur zu wünfchen, daß die Lehrer fich diefes Zwedes ftets bewußt
bleiben, namentlich anf Reinhaltung der Bücher fehen. Lehrer Th. Get⸗
tinger theilt im „Defterreichifhen Schulboten, 1856, Nr. 11, mit,
wie er es anfange, um diefe Aufgabe zu löfen. Wie andere Lehrer, fo
behält auch er die Schreibhefte in der Schule, läßt fie mit Umfchlägen
und Löichblättern verfehen, ertheilt aber außerdem „für jedes matellos
voßigefchriebene Heft eine Heine Belohnung, für unrein gehaltene oder
nachlaͤffig geichriebene Hefte eine entfprechende Strafe Worin Beloh⸗
ung und Strafe befichen, wird nicht angegeben; gehen Diefelben über
tin anerfennendes oder tadelndes Wort hinaus, was der Fall zu fein
ſheint, dann würden wir uns kaum mit dieſem Berfahren einverfanden
erllaͤren Tönnen,
202 Schreiben.
©. Knabe aa. O. fagt: „Much für Erziehung und Gewöhnung
it die Schreibftunde von nicht geringen Nupen. Gleich zu Anfangs
des Schuljahres in der erſten Schreibſtunde ſage ich zu den Kindern:
„„Wer einen Fehler oder einen Klex macht, ſage mir's gleich ſelbſt
laut und offen, dann hat er Verzeihung zu hoffen, im Gegentheil eine
Strafe zu fürchten.“ Dies einfache Mittel iſt von großem Gewinne.“
Damit find wir einverflanden.
Der unter b. angegebene Erfolg ift — fehr weit hergeholt, chi⸗
märiſch. Gehorſam und Selbſtverleugnung haben einen andern Boden.
Es taugt nichts, wenn man mehr von dem Unterricht erwartet, als er
wirklich leiſten kann.
2. Zweck des Schreibunterrichts.
Dietlein giebt als erſten Zweck des Schreibunterrichts an: Die
Schüler zu befähigen, eine feſte, deutlihe, ſchöne Handſchrift zu
fhreiben. Nah und nad follen aber die Schäler auch dahin gelangen,
daß fie ſchnell fchön ſchreiben. Schreibkünfteleien bleiben vom Ynters
richt ausgefchloffen.
8. Anforderungen an den Schreibſchuͤler und den Schreiblebrer.
Beim Schreibſchüler ſetzt Dietlein voraus: 1. Eine gefunde
Hand. 2. Ein gefundes Auge und richtiges Augenmaß. 3. Empfäng-
lichkeit und Sinn für das Schöne und Gefchmadvolle. 4A. Einen feſten
Willen und eine gründliche, geregelte und beharrliche Webung.
Kann man das Alles beim fechsjährigen Elementarfchüler voraus⸗
fepen? Nein; man muß vollfommen zufrieden fein, wenn Sand und
Auge gefund find. Alles Uebrige foll in der Schule exit gewedt und
gebildet werden. .
Vom Shreiblehrer wird verlangt: 1. Eine einfache, gute, regel-
mäßige, (mo möglich) fehöne Handſchrift. 2. Ein umfichtiges Auge und
ein fchneller Ueberblid. 3. Eine unermüdliche Ausdauer und Beharr⸗
lichkeit. A. Eine Genauigkeit, welcher ſelbſt die ſcheinbarſte Kleinigkeit,
fofern fie zum Weſen der Sache gehört, nicht zu gering fcheint.
Mit diefen Forderungen fann man fi wohl einverfianden erflären.
" Wir würden nod die unter Ar. 2 und 3 dem Schüler geftellte Forde⸗
rung hinzufügen und Nr. 4 fo formuliren: Feh Wille, niemals in
den Schreibſtunden ſich mit Nebendingen, z. B. Leſen von Journalen,
Corrigiren von Aufſätzen u. ſ. w., beſchaͤftigen zu wollen.“
4. Objeet des Schreibunterrichts in der Volksſchule.
Die deutſche Currentſchrift, die engliſſche (lateiniſche) Cur⸗
ſivſchrift und die Ziffern.
Diefe Anforderungen werden wohl allgemein gemacht. F. Wagner
a. a. D. hält jedoch die Tateinifhe Schrift für Schulen, ſelbſt für
Stadtſchulen, in denen Beine fremden Sprachen gelehrt werden, für ente
ehrlich und möchte fie nur fo weit berüdfichtigt fehen, als zur Zejen
Schreiben. 203
fertigfeit erforderlich if. Kür einklaſſige Elementarſchulen in fehr bes
ſchränkten Verhältniſſen ließe ſich gegen dieſe Forderung nicht viel eins
wenden; in Gtadifchulen aber fann man von diefer Schrift nicht abs
ſehen, da fie im gewöhnlichen Leben eine zu große Anwendung findet,
Für ſolche Schulen empflehlt fi fogar einige Uebung im Schreiben der
gothifhen und anderer Kunftfchriften.
5. Eigenfhaften einer guten und ſchönen Handſchrift.
Dietlein fordert: 1. Einfachheit. 2. Megelmäßigkeit. 3. Conſe⸗
quenz der Schrift und ein beftimmter Charakter. 4. Deutlichkeit. 5. Freie
beit (Leichtigkeit) und Reinheit. 6. Anmuth und Wohlgefälligfeit.
Diefen Zorderungen entfpriht wohl am meiſten der fogenannte
Hinrigs’fähe oder preußifhe Ductus, der fih nah und nah wohl zum
deutfchen erheben wird, Die fächfifchen Lehrer fireben eine Vereinigung
des fächfifchen und preußifchen Ductus an. Sie fordern außer der
„leichten - Herflellbarkeit der Schrift,” daß fich diefelbe „bei fchwerer Are
heit lange Zeit nach dem Austritt aus der Schule noch deutlich und
leferliy erhalte,’ und glauben, daß Legteres dem fefteren fächfifchen
Ductus mehr nachgerühmt werden konne, als dem flüchtigeren preußi⸗
ſchen. Vergl. Rr. 32 der ſächſ. Schulzeitung. Bichille a. a. O. vers
langt für die Anfänger eine einfachere, edigere Schrift, da die runderen
Formen bed preußiſchen Ductus zu fhwierig fein. Als Uebergang zu
dieſem Ductus betrachtet er die englifche Schrift. Die Begründung feiner
Anſicht Kat uns nicht von der Richtigkeit derfelben überzeugt. Wir
halten. den preußiſchen Ductus nicht für zu ſchwer für Anfänger, Dazu
fommt noch, daß es Immer eine bedenkliche Sache bleibt, Formen eine
juüben, die fpäter als unfchön müſſen fallen gelaffen werden.
Auch Dr. Michelſen a. a. DO. unterfcheidet zwifchen richtigen
und fhönen Buchſtaben und will beide lange Zeit fiteng auseinander
gehalten willen. In feinen ‚richtigen‘ Buchflaben berricht, befonders
m den ‚ Grundbuchſtaben“ (alle Buchſtaben von Grundfirichhöhe), die
gerade Linie und das Geige vor. Die Einübung erfolgt zwifchen einem
Liniennege, das durch fenkrechte Striche in Quadrate geiheilt if, in
weiche die einzelnen Buchftaben gefchrieben werden. Die Unterſcheidung
wilden richtigen‘ und „ſchönen“ Buchflaben erfcheint uns nicht recht
paſſend, da der fchöne Buchſtabe ohne Frage auch der richtige if;
„richtig“ ſcheint bier mit fleif und unangenehm edig gleichbedeutend
zu jein.
A. Hanfen a. a. ©. verlangt: „Es ift dafür zu forgen, daß
bei jedem einzelnen Schüler die Handſchrift einen individuellen Typus
belomme.“
Der Typus der Handſchrift geht, wenn nicht aus dem ganzen
Belen des Menſchen, fo doch gewiß aus ber Feder⸗ und Körperbaltung
des Schreibenden hervor, ſtellt fi daher von ſelbſt ein, oft in uns
angenehmer Weiſe; ihn herbeizuführen, if eben fo unmöglih als
annöfhig.
204 | Schreiben.
6. Hülfsmittel zum Schreiben.
a. Schiefertafel. Langenhahn a. a. O. tadelt das Schreiben:
auf Schiefer, da die Kinder ſich dadurch an ein flarkes Aufdrüden und
„ruſcheliges““ (leichtfinniges) Schreiben gewöhnten, Letzteres, weil miße -
rathene Buchſtaben leicht entfernt werden koͤnnen. Könne aber diefe Urt
des Schreibens nicht befeitigt werden, fo möge man fie möglihf ver⸗
fürzen, für arme Kinder Unterſtützungskaſſen gründen.
In ähnlicher Weife fpricht fih Kettiger a. a. DO. aus. „Griffel
und Zafel,' fagt er, „Toll es anders fommen mit dem Schreibunterricht,
müflen im Gebrauche und befonders bei den Webungen im Schreiben
vom 3. Jahre an fehr beichränkt werben.‘
Wir geben zu, daß das Schreiben mit dem Schieferſtift das zu
ſtarke Aufdrüden befördert, find aber doch der Meinung, daß man vor
Ablauf des erfien Schuljahres nicht zum Schreiben mit der Feder fchreis
ten fann, und zwar mit Rüdfiht auf die unfehlbar eintretende Beruns
reinigung der Hände, Bücher und Kleider. In Schulen mit armen
Kindern kann auch zwei Jahre auf Schiefer gefchrieben werden; nur halte
man mit Strenge darauf, daß die Stifte lang und lang zugefpiht find.
Dietlein fagt: „Das Schreiben der Schüler mit Feder und
Dinte wird in bei weitem häufigeren Fällen verfrüht-, als verfpätigt.’
Rah ihm fol die Elementarklaffe einer zweiklaſſigen Volksſchule nur auf
Schiefer fhreiben. Das ift zu lange.
b. Federſpule und Stahlfeder. Dietlein verlangt, daß
der Schüler bis zum vollendeten zehnten Lebensjahre mit der Federſpule
ſchreiben ſolle, weil zur Einübung der Grundzüge wie überhaupt ber
Buchſtabenformen nur eine Feder tauge, die weder zu hart noch zu
weih ſei. Bon da ab aber if er entichieden für den Gebrauch der
Stahlfeder.
G. B. wuͤnſcht die Stahlfeder auf die Oberklaſſe beſchränkt zu ſehen,
weil es ſich mit der Spule leichter ſchreibe und man beim Unterricht
dem Fortſchritt vom Leichtern zum Schwerern Rechnung tragen müſſe.
Kettiger „möhte für Schüler noch immer die Kielfeder vor⸗
ziehen. 93. 3. B. (Pädag. Monateihr. f. d. Schweis), O. Kör⸗
ting, 3. 3. Schlegel u. A. find für den unbedingten Gebrauch der
Stahlfeder. Kür die Stahlfeder wird' angeführt :-
1. Vollkommne Tauglichkeit zur Darftellung aller Schreibübungen
und einer guten SHandfchrift.
2. Beiterfparniß für den Lehrer, unter Umfänden auch beim Unters
richt ſelbſt.
3. Größere Billigkeit. Nach einer Mittheilung in Nr. 35.der ‚Allgem.
deutfchen Lehrerzeitung“ verhält fih der Preis der in den Schu⸗
Ien verbrauchten Stahifedern zu dem der Federſpulen etwa wie
11 zu 25. In Nr. 18 der Sächſ. Schulzeitung wird be-
fchrieben, wie man untauglih gewordene Stablfedern mittelſt
einer Zeile und eines Schleifſteins wieder verbeflern kann.
. Bir Binnen das Angeführte beftätigen; in den hieſigen Schulen
wisd feit 1850 ganz allgemein mit Stahlfedern gefchrieben, und mit
Schreiben. | 203
gutem Erfolg, Natürlich müffen aber die Lehrer auf gute, nicht zu
barte Stahlfedern Halten. Schlegel empfiehlt für Anfänger Federn
nit breiten, für Geübtere mit mittelbreiten Spitzen. Ebenſo hält er
die mittelmeichen für die zwedmäßigften. Werden diefe Winke beachtet,
fo braucht man nicht, wie Dietlein will, die Kinder erſt vier Jahre
lang mit Spulen fchreiben zu laflen.
e. Dinte Dietlein giebt zum Schluß feines Werkes das
Retept zur ächten Alizarins Dinte an; das preußifche Quart kommt das
nah dem Seldftverfertiger auf 5 Sgr. zu fliehen. .
7. Feder⸗ und Körperhaltung.
Hierüber fpriht ſich Dietlein ausführlih und angemeffen aus.
Hauſchild a. a. D. widmet der Körperhaltung einen befondern
Artifel und fordert. die Lehrer auf, fehr achtfam darauf zu fein, erfors
derlichen Falles firafend einzufchreiten, durch die Genfur auch die Eltern
vom ſchlechten Sipen ihrer Slinder beim Schreibunterridht aufmerffam
zu machen.
Ohne gute Federhaltung giebt es Feine gute Schrift. Der Gegen,
Rand if wichtig, wird aber oft fehr vernachläffigt.
8. Borübungen.
Dietlein empfleblt einige Borübungen, warnt aber vor dem Zur
viel, namentlich vor den Carſtair'ſchen Uebungen, die oft fchwerer feien,
als vie Buchſtaben ſelbſt, und fi hoͤchſtens für ſauigraphen von Fach
eigneten. Seine Uebungen find:
a. Reine Fingerbewegung mit feſtſtehender Hand.
b. Reine Fingerbewegung mit ſteter Fortbewegung des Armes und
der Sand.
e. Das ftete Berbinden der Buchſtaben zur Bildung der Arm⸗
bewegung.
d. Das Großſchreiben der einzuübenden Buchftaben zur Bildung
der Sande», fpäter der Armbewegung.
e. Das Weben der Grundzüge der Schrift.
Das Nähere hierüber if in feinem Werke nachzulefen. -
9. Die Ormbzäge e der Schrift⸗Alphabete, Anſchauen, Auffaſſen,
enennen und Ueben derſelben.
.Hierüber und über Verwandtes ſpricht ſich Dietlein im X. Abs
ſchnitt ſeiner Schrift ausführlich und vollkommen befriedigend aus. Die
ſeinem Werke beigegebenen Vorſchriften beziehen ſich hierauf.
10. Das Sqhreiben auf Linien.
Hierüber geben die Anfichten der Schreiblehrer fehr auseinander.
Dietiein hält Linien für durchaus nothwendig und will die Erfah,
zung gemadt haben, daß Schüler, die 'von Anfang an ohne Linien
Ihrieben, viel fpäter gerade und regehmäßig fchreiben lernten, als folche,
200 Schreiben.
bie fi) der nöthigen Linien bedienten. Er fordert für den Anfang die -
befannten vier wagefechten Linien (zwei enge ober die untere und obere
Grundlinie, eine Hochs und eine Tieflinie) und fchräge Richtungss
linien, drei in jedem Linienſyſtem. Die Grundzüge der zu erlernenden
Buchſtaben läßt er aber von Anfang an auf einem Probeblatte ſtets
ohne Linien üben. Die Frage, wie lange die feflgefeßten Hülfslinien
gebraudyt werden follen, beantwortet er folgendermaßen: „Sobald nun
die Schreibfchüler die Formen der Buchſtaben des Alphabets im Kopfe
und in der Hand haben, und diefelbe mit einem feften, fihern uud ges
läufigen Zuge der Feder zu fchreiben im Stande find, werden ihnen
nah und nad die Hülfslinien genommen, zunächſt die Richtungslinie,
dann die obere Grundlinie und hierauf die Hochs und Tieflinie Die
untere Grundlinie fällt erfi im lebten Kurfus weg. Das Schreiben ohne
Linien bildet den Schlußſtein des Schreibunterrichts in der Volksſchule.“
Zſchille läßt ein Liniennetz conſtruiren, nach welchem verſchobene
Vierecke für die Buchſtaben gebildet werden, Michelſen, wie ſchon bes
merft wurde, Quadrate.
Beides müflen wir nah unfern Erfahrungen nicht nur für völlig
überflüffig, fondern fogar für fchädlih halten. Ein Kind, deffen Feder-
bewegungen fo eingefchnürt werden, achtet viel weniger auf die wahren
Derhältniffe und Stellung der Buchſtaben, als ein foldes, das aus
Mangel an Linien genöthigt ift, hierauf feine ganze Aufmerkfamfeit zu
richten. Kinder mit gutem Auge bedürfen gar feiner Linien; ſolchen
mit wenig gebildetem Auge möge man für das erfte Jahr eine Grund⸗
linie geſtatten, diefe aber nichtemit einem Meſſer einriken, fondern von
Kinde felbf mit einem Lineal ziehen laffen, weil dadurd das Auge ges
bildet wird. Die dabei entfehenden einen Störungen find nicht von
Belang. Stellen einzelne Kinder die Buchſtaben ſenkrecht, fatt ſchräg,
fo gewähre man ihnen vorübergehend einige Hülfen, erwarte aber die
Aenderung der Sauptfahe nah von der richtigen Anſchauung der
Buchſtaben.
11. Correctur des Geſchriebenen.
In früherer Zeit, wo jedes Kind eine beſondere Vorſchrift erhielt,
ſetzte ſich der Lehrer an ſeinen Tiſch oder auf das Katheder, ließ etwa
in der zweiten Hälfte der Stunde ein Kind nach dem andern vorkommen,
ſahe deſſen Schrift an, beſprach das Falſche und ſchrieb das Richtige
mit rother Dinte daneben, die Aufforderung hinzufügend, dieſe Buch⸗
ſtaben beſonders zu üben. Auf dieſe Weiſe ereignete es fih, daß er
über ein falfch gefchriebenes r fich in einer halben Stunde dreißig⸗ und
nod mehr mal ausfprehen mußte, ohne in der nächſten Schreibſtunde
vor der Wiederholung diefer Belehrungen gefichert zu fein. Gewiſſen⸗
bafte Lehrer nahmen auch wohl die Schreibbücder mit nah Haufe und
führten die Gorrectur dort aus, was gewiß wenig Erfolg hatte.
Gegenwärtig fordert man mit Recht, daß alle Kinder einer Klaffe
oder einer Abtheilung daffelbe fehreiben, die Vorfchrift alſo an der Schuls
tafel haben, oder nah Wandtafeln, wie die Decker'ſchen, fchreiben, Der
‚Schreiben. 207
Lehrer geht während des Schreibens zu den Sindern, achtet auf die
von ihnen gemachten Fehler und bringt vorzugsweife ober zunächſt die
zur Sprache, welde von mehreren gemadt werden. Die Berbefferung
iR alfo eine allgemeine, wird vor der ganzen Klaſſe ausgeführt und
durch fofort eintretende Uebungen für die Zufunft möglihft unnöthig
gemacht. Zur Teichtern Ausführung der Gorrectur verlangt Dietlein
beftimmte Benennungen der Buchflabentheile, worin wir ihm beiflinmen.
12. Das Taktſchreiben.
Das Taktichreiben findet immer mehr Anerfennung. Ganz ents
fhieden für daffelbe fprechen fih aus: Dietlein, Wagner, Knabe,
Michelfen, der ungenannte Berfaffer im Brandenburger Schulblatte
u. A., zn denen auch wir gehören. Für. die Oberklaſſe hört das ges
meinfame Taktiren natärlig auf; die Kinder müffen bis dahin fo weit
selommen fein, für fih im Takte und nah einem vom Lehrer anger
gebenen Zempo zu fchreiken. Weber das Zählen beim Taktſchreiben if
man noch nicht einig.“ Dietlein fpricht fih hierüber ausführlich aus
und empfiehlt, bei jedem Buchflaben oder Worte fo viel Zafttheile zu
zählten, als fie Grundzüge oder Stärken haben. Der Berfafler des mit
I. 3 B. (Bädag. BI. f. d. Schweiz) unterzeichneten Aufſatzes verwirft
das Zaftfchreiben für die Volksſchule, während er es höheren Anfalten
und für den Privatunterricht empfiehlt. Die Erfolge, die man dem
Taktſchreiben in der Volksſchule nachrühmt, hält er nur für fcheinbare;
man würde fie bei gebörigem Fleiße auch ohne Zaftiren erreicht haben.
Die unbequeme, forcirte Haltung, der Zwang in der Hand, die pein⸗
lihe Rube, welche erforderlich if, find ihm befonders zumider. Seine
Forderung für den Schreibunterricht lautet: „Noͤthige deinen Schüler
zur geeigneten Haltung des Körpers und der Feder, gieb ihm gute
Schreibmaterialien, und laß es dich ja nicht verdrießen, die Kalligraphie
als ſtrengſten Individualunterricht aufzufaffen, d. h. Dich in jeder Schreib«
Runde mit jedem Einzelnen zu befhäftigen. Es genügt nicht, den
Kindern nur an die Wandtafel vorzufchreiben oder Vorlagen auszus
tbeilen, und die falligraphifchen Webungen als flille Beichäftigung einer
Klaſſe zu betrachten. Es genügt nicht, am Ende der Schreibfiunde
ſchnell die Hefte der Kinder anzujehen, Unreinlichkeit und Sudelei oder
Ungeichidlichkeit zu tadeln oder nad) Taxe zu ſtrafen; fondern es ift
dringend nothwendig, daß der Lehrer während der ganzen Unterrichts»
Bunde auch mit feinem ganzen Selb, und zwar mit einem fehr ges
duldigen Selbſt die Schreibenden beauffichtige und corrigire.‘
18. Lehrgang ded Schreibunterrichts in der Elementarklaſſe.
Dietlein ſtellt hierfür folgende, bereits ziemlich allgemein aners
lanunte Grundſätze auf:
a. Alles, was der Elementarſchüler ſchreiben ſoll, muß er zuvor
fpregend geübt oder ſprachlich angewandt haben.
b. Der Schreibſtoff muß ſtets mit dem keſeſof identiſch ſein.
Pd
208 Schreiben. -
c. Wähle bei dem erſten Unterrichte im Schreiben ſtets nur Eine
Form, und zwar die einfahfte für ein und benfelben Buch⸗
ftaben.
d. Gieb flets den Schülern beim erfien Schreibunterricht nur Ein
Beihen für zwei gleih, oder ähnlich Plingende Laute Erſt
wenn ihr Auge und ihr Schriftgefühl in dem Einen ſicher ind,
darf der zweite, reſp. der britte folgen.
e. Sude durch verfchiedene, zwedentfprechende Uebungn — die
ſtets neben einander anzufellen find? — ben Elementarſchüler
von vorn herein zum Schreiben im weiteſten Sinne des Wortes
zu bringen.
14. Lehr⸗, Unterrichts- und Uebungsſtoffe zum Schreiben ind Heft.
Als oberſten Grundſatz ſtellt Dietlein auf: „Man ſuche durch
den zu gebenden Stoff zum Schreiben, ſo viel nur immer thunlich, für
den geſammten Sprachunterricht ergänzend, urterſtützend und fördernd
zu wirken!‘ Wie diefem gatiden Grundfage nachzukommen, zeigt er
fpecieller in feiner Schrift And liefert in einem „Lehrgange“ das volle
Material dazu. Befondere Anerkennung verdient die Nüdficht, welche
er der DOrthographie widme. Wir machen die Lehrer hierauf ganz bes
fonders aufmerffam.
15. Verteilung des Lehrftoffes für die verfchtedenen Arten der
chulen.
Dietlein vertheilt in ſeiner Schrift den Stoff für eine ein⸗,
zwei⸗, vier⸗ und achtklaſſige Schule, giebt auch Rathſchläge für höhere
Schulanftalten und Seminare. Wir fkigziren diefe Bertheilung kurz.
A. Kür die einflaffige Volkoſchule.
Er theilt die Schüler in drei Sauptabtheilungen, und empflehlt
die Benugung der größeren Kinder zu Helfern.
3. Abtheilung. Kinder von 5— 8 Jahren. Das Tleine und
große Alphabet der deutfchen Eurrentfhrift und die Ziffern. Wöchent-
lid A Stunden. Gebrauch der Schiefertafel.
2. Ubtheilung. Kinder von 8— 12 Jahren. Erſtes Jahr:
das deutfche Alphabet und die Ziffern. Zweites Jahr: das enalifche
Alphabet. Drittes Jahr: wie im erfien. Wöchentlih 2, höchſtens
3 Stunden. Papier und Feder.
1. Abtheilung. Kinder von 12— 14 Jahren. Uebungen im
Schnellſchoͤnſchreiben, abwechſelnd im Schreiben wirklich guter Borfchriften
mit fprachlihem Inhalt. In Ermangelung derfelben: Abfchreiben von
Druckſchrift, und zwar muftergüftiger Meiner Auffäge, namentlich: Rech⸗
nungen, Quittungen, Briefe u. |. w., Gedichte, Bibelfprüde u. f. w.
Woͤchentlich 1 Stunde.
Säreiben. 209
B. Zür die zweiklaſſige Volksſchule.
„2. Klaſſe. 3— 4A Ubtheilungen. Durdgängig Schreiben auf
der Schiefertafel. Das Heine und große Alphabet der deutſchen Current
und die Ziffern in den untern Abtheilungen; die Schüler, welche im
dritten Schuljahre ſtehen, fehreiben das Alphabet der engliſchen Curſiv⸗
Schrift, "gerade zu der Zeit, wo file im Lefen die engliihe Drudicrift
zugleich mit dem Buchflabiren zufammen erlernen. Wöchentlih A Stunden.
Schüler von 6—9, refp. 10 Jahren.‘
Schreib⸗ und Lefeftunden follen auseinander gehalten, für ſich ges
geben werden. „Wenn gefchrieben wird, fchreiben Alle; das Lefen des
Geſchriebenen ift damit nicht ausgefchloffen, vielmehr find die Helfer
fiteng angewiefen, jeden Schüler das, was er gefchrieben hat, aud
lefen zu laſſen. Wenn gelefen wird, Iefen Alle. Das Kopflautiren und
Glementiren der Wörter, das die Helfer während der Lefeftunden fleißig
betreiben muͤſſen, ift zugleich wieder das natürlihfte Band zwiſchen
diefen beiden fo eng verwandten Thätigkeiten. Aeußerlich getrennt, bleiben
fie, alfo betrieben, ſtets innerlich eng verbunden.”
„1. Klaffe. 2 Abtheilungen. Echreiben mit Feder und Dinte
auf Papier. Die 2. Abtheilung betreibt den Echreibunterridyt ganz wie
die Mittelflaffe der ungetheilten Volksſchule. Abwechſelnd 1 Jahr deutfche,
1 Jahr englifhe Schrift. Wöchentlid 2 Stunden. 1. Abtheilung. In
derfelben figen nur diejenigen Schüler, welche nad 2 oder mehr Jahren
ſich eine deutliche, gute Handfchrift angeeignet haben. Woͤchentlich
1 Stunde. Die zweite Stunde können die Schüler diefer Abtheilung
zum Anfertigen fchriftliher Auffäbe ze. nah Maßgabe des deutſchen
Sprahunterrichts benutzen.“
In einer Anmerkung hierzu bezeichnet Dietlein Goltzſch's Anords
nung, für die Oberflaffe gar Feine Schreibftunden anzuſetzen, als extrem.
C. Für eine vierflaffige Bürgerfähule.
4. Klaffe. Das kleine und große deutfche Alphabet nebft den
Ziffern auf der Schiefertafel. Kinder von 6—8 Jahren. Wöchentlich
4 Stunden. 2 Abtbeilungen.
3. Klaffe. Schreiben im Iinürten Hefte. Aljährlih das Peine
und große Alphabet der deutfchen Current nebft den Ziffern. Rur 1 Abs
theilung. Wöchentlih 3 Stunden. Schüler von 9— 10 Jahren.
2. Klaffe. Das englifhe Alphabet alljährlih. Die übrige Beit
Uebungen in der deutfchen Eurrent mit obligaten Uebungen im Schnells
ſchönſchreiben. Ebenfalls nur 1 Abtheilung. Wöchentlih 2 Stunden.
Kinder von S— 12 Jahren.
1. Klaſſe. 1 Stunde wöhentlih. Schüler von 12 — 14 Jahren.
Eiche die 1. u. 2. Klaffe einer achtklaffigen Bürgerfchule.
D. Für eine ahtflaffige Bürgerfäule.
8. Klaffe. Das Heine deutfche Alphabet und die Ziffern auf ber
Schiefertafel. ZTäglih 1 Stunde.
Rade, Jahresbericht. X. 14
210 Schreiben. j
7. Klaffe. Das große dentiche Aphabet, ebenfalla noch auf der
Schiefertafel. Wöchentlid 4 Stunden.
6. Klaffe. Schreiben im liniirten Hefte. Zunaͤchſt Vorüdungen
mit Zeder und Dinte auf Papier, hierauf das Heine und große Alpha⸗
bet der deutfchen Current nebft den Ziffern. Wöchentlih 4 Stunden,
3. Klaffe. Das Heine Alphabet der englifhen Gurfivfchrift, ab»
wechfelnd mit Uebungen in der angewandten deutfchen Current. Buch⸗
flaben, die hierbei im Allgemeinen fehlerhaft und fchlecht gefchrieben
werden, find noch einmal, ganz wie in Kaffe 6 zu lehren und zu
üben. Wöchentlih 3 Stunden. .
4. Klaffe. Das große englifche Alphabet. 2 Stunden wöchents
ih. Die Hälfte der Zeit Anwendung der deutfchen Current. Ders
befferung und Vervolllommnung. Im Uebrigen wie in Klaſſe 5.
3. Klaffe. Mebungen in beiderlei Schriftarten der Eurrents und
Curſtvſchrift, theils nach vom Lehrer an die Wandtafel gefchriehener,
theils nach geiftiger Vorfehrift der Schüler. Hebungen in Schnellfchön.
fhrift. Hierbei Wegfall der Hülfslinien bis auf die untere Grundlinie,
. ferner Beofall des lauten Taktirens. Der Lehrer giebt nur noch beim
Anfange der Zeile das Tempo an, in welchem gefchrieben werden foll,
und fieht fireng darauf, daß alle Schüler zu gleicher Zeit mit dem
Schreiben der Belle fertig werden. Wöhentlih 2 Stunden.
2. Klaffe. 1 Stunde wöchentlid. 1. Uebungen im Schreiben
ohne alle Linien. 2. Schreiben nach guten Borfchriften. 3. Schreiben
frembartiger Alphabete, aber ja nicht zeichnen, fondern fchreiben mit.
freiem Zuge der Hand. Selbſt in Mädchenfchulen ift dies hoöchſt nuͤtz⸗
lich, da fle fpäter im praftifchen Leben beim Wäfchezeichnen, Stiden zc.
davon wefentliche Bortheile genießen fünnen.
1. Klaſſe. Gar keinen Unterricht mehr im Schoͤnſchreiben, oder
wenn er einmal fein foll und muß, Fortſetzung deſſelben aus ber 2. Klaſſe.
16. Probeſchriften.
Gine Probeſchrift iſt nach Dietlein eine vom Schreiblehrer von
Zeit zu Zeit angeordnete und geleitete, aber von dem Schüler ſeltbſt
eigenhändig gefchriebene Schrift zur Beuriheitung feiner Fortſchritie und
feines Standpunftes in der Schreibfertigkeit. Er erflärt NH für das
Anfertigen folcher Brobefchriften, worin wir ganz mit ihm überein»
ſtimmen. Folgende Grundfäbe follen beim Anfertigen derfelben be⸗
folgt werden:
1. Die Probeſchrift muß flets von dem Schüler allein, d. h. eigene
bändig gefchrieben werden; auch nicht Einen Buchfladen darf der
Lehrer in derſelben fihreiben.
2. Die Probeſchriften müffen immer in dem gewohnten und ges
| bräuchliden Tempo — alfo nie langfamer, als in andern Schreib»
flunden — gefchrieben werden. |
3, Die Probeſchriften müſſen flets nach rein geiftiger Vorſchrift der
Schüler angefertigt werden.
2
Schreiben. . ' au
4. Kür gewöhnlih muß Ein und daffelbe von allen Schülern gleicher
Schreibabtheilung bei der Probefchrift gefchrieben werden.
5. Alle Brobefchriften werden flets nur auf Eine, nämlich die untere
Grundlinie gefchrieben. .
Bann und wie oft follen Probefchriften gejchrieben werden?
1. Bunähft nach jeder beendigten Buchflabenfamilie. Hierzu wer⸗
den am beiten befondere Schreibhefte von 2 — 3 Bogen benupt.
2. Sodann nah beendigtem Schreibkurfus jedes Alphabetes..
8. Am Schluffe jedes Schuljahres.
U. Literatur.
A. Schriften.
1. Begmwetfer für den Schreibunterricht. ine theoretiſch⸗vraktiſche
Anweifung zur Begründung und Durchſührung einer allfeitig natur
mäßen Schreiblefemethode, mit befonderer Berüdfihtigung der Volles
—* für Lehrer aller Schulanſtalten, welche Schreibunterricht zu ertheilen
haben, von Herm. Rud. Dietlein, erſtem Lehrer zu Wartenburg an ber
Ede. Mit 22 Hthographirten Tafeln. 8. (VIII u. 184 ©.) Leipzig,
Jul. Klinthardi. 1856. 20 Ser.
Bir haben diefe Schrift in der vorhergehenden erſten Abtheilung
unferes Berichtes fo ‚vielfach angezogen und in ihren einzelnen Theilen
beſprochen, Daß es unndthig if, bier noch näher auf diefelbe einzugehen.
Bir beſchraͤnken uns daher auf das Urtheil, daß wir diefe Schrift für
die bee ihrer Art halten. Der Berfafler hat richtige Anfichten über
den Gegenſtand und trägt biefelben Mar vor. Wir wünfchen, daß fein
Shreiblehrer das Buch möge ungelefen laffen.
2 Anwendung der amerilanifhen Schreib-Lehr-Methode in
Volksſchulen, fowie praßtifcher Iinterricht, in kurzer Beit eine fchöne
und fefte Handfehrift zu erlangen, von H. Stockmar, Lehrer. 8. (14 ©.
und 3 Tafeln Abbildungen in 4.) Greiz, Lothar Henhe. 1856.
Der Berfaffer fpriht im diefem Schriften 1. über das Papier
für den Unterricht, 2. über die Haltung der Feder, 3. über dig Fuh⸗
tung der Sand und Lage des Armes, 4. über die Schreibart. Er
empfiehlt Papier mit Linienfpftemen, die fo dicht mit NRichtungslinien
bedeckt find, daß der Schüler die Grundfirihe in diefelben fchreiben
muB. Die Hand foll, damit der Schüler fie bald richtig halten lerne,
in eine vom Berfaffer erfundene Lederflappe geipannt werden. Wir
finnen uns weder für das empfohlene liniirte Papier, noch für biefe
Handklappe ansprechen, am wenigften für den Volksſchulunterricht,
wollen aber gern der Verficherung des Verfafſers Glauben fchenten,
daß im Schreiben vernachläffigte Erwachfene durch Anmendung biefer
Mittel ‚unter Anleitung eines Lehrers befriedigende Fortſchritte ges
macht haben.
14*
Lı
212 Schreiben.
B. Vorſchriften.
3. nierzig Borlegeblätter zum Shönfchreiben für die Hand ber
Kinder in den Elementarfhulen. Don J. N. Schmid. Zweite, mit las
teinifcher und Fraktur» Schrift vermehrte Auflage. In 40 Quartblättern.
Biefenfteig, Schmid’ihe Buchhandlung. 12 Ser.
Die Schrift ift im Ganzen gefällig, das große R, das B und y
jedod nicht ſchön, erfleres geradezu willkürlich erfunden und kaum zu
erfennen. Im großen H hat die untere Schleife faft durchgängig eine
andere Richtung, als die obere. Der Fortfchritt erfolgt auf den erften
5 Seiten zu ſchnell. Die Hauptwörter werden vor Eintritt der großen
Buchſtaben Fein gefchrieben. Der Inhalt ift belehrend, bier und da
aber nicht glücklich Rilifirt, auch in Bezug auf Orthographie und Inters
punction nicht ganz correct. Die lateiniſche Schrift iſt nur auf 3 Seiten
vertreten.
4. Schulvorſchriften, nach der Schreibleichtigkeit und ſprachunterrichtlich
eordnet, zum Handgebraud für Schüler der Volkoſchulen bearbeitet und
raus egeben von einem Schullebrervereine in der Ephorie Zeig. 1. Heft.
2. Aufl. qu. gr. 8. (22 ©.) Zeig, 3. Webel'ſche Buchhandlung. 1'/s Ser.
Die Schrift iſt gefällig; der Lithograph hat fich jedoch hier und
da Heine Ungenauigfeiten zu Schulden kommen laſſen, 3. B. Seite 10
im Worte Nidda in den Grundftrihen des d. Das große 8 ift im
obern Zheife zu groß. Beim ß würde fih eine Stärke in der Mitte
ber Biegung befier ausnehmen. Am Lleinen ? ift die Schleife zu flein.
Der Kortfhritt if angemeffen. Der Inhalt beftebt aus Silben und
Börtern. Die auf dem Titel angegebene Berüdfihtigung des Sprach⸗
unterrichte haben wir nicht zu erkennen vermögen.
5. NeueBorfäriften für Efementarfhulen von Präceptor Radelin,
Lehrer der Schönfchreibefunft an der k. RealsAnftalt, dem Gymnaflum
und der Gewerbſchule. qu. gr. 8. (30 lith. BI.) Stuttgart, H. W. Be.
cart, 5 Ser. "
Die Schrift ik gefällig; nur die Abweichungen im großen KR der
Gurrentfhrift und im Meinen P der englifhen Schrift befriedigen ung
nicht. Der Fortſchritt ift auf den erften 5 Seiten zu ſchnell; es wird
den Schülern zu viel auf einem Blatte dargeboten. Der Anhalt bes
lebt aus Wörtern und kurzen, inhaltreihen Sprüchen. Blatt 24—30
haben Hateinifhe Zerte, was wir für „Elementarſchulen“ entſchieden
tadeln. Papier und Drud find ſchoͤn.
6. Schreibſchule, enthaltend methodiſch geordnete Mufterblätter und erklä⸗
renden Tert, bearbeitet und herausgegeben von S. Fürſtenberg, Schreib⸗
und Zeichenlehrer an der vereinigten höhern Bürger» und Brovin ials
Gewerbfähule zu Trier. Der deutihen Schrift erited und zweites Heft.
weite Aufl. qu. 4. (VII u. 18 ©. Text u. 14 Blätter Schrift.) Zrier,
. Troſchel. 1856. 122/, Ser.
Daſſelbe Werk. Engliſche Schrift. 1. u. 2. Heft. qu. 4. (10 S. mit
14 Tafeln Schrift.) Ebendaſ. 12°/s Ser.
Der Verfaſſer legt einen entſchiedenen Werth auf das Analyfiren
der Buchftaben und deren Entwidelung auseinander. Seine desfallfige
Schreiben. ü 213
Anleitung if vortrefflih. Die Schrift if f&n und ausgezeichnet in
"Lithographie ausgeführt. Wir empfehlen das Werk beftens.
1. Deutfde Borfhriften für Schulen von F. Könen Erſter
Kurſus. Zweite Aufl. (18 Blatt.). Zweiter Kurſus. Dierte auf. *as 31.)
Dritter Kurfus. (14 Bl.). Solingen, Alb. Pfeiffer. & 15 Sgr.
Dies Werk enthält eine große Anzahl von gut fortfchreitenden Vor⸗
ihriften im Hinrigsſchen Ductus. Die Schrift if durchaus ſchön und
ſehr gut in Lithographie ausgeführt. Drud und Papier laffen nichts
zu wünſchen übrig. Der Inhalt ift gut; das letzte Heft enthält einige
taufmännifhe Gefchäftsauffäge.
— — — —
v
Sugend- und Volksſchriften.
Don
Auguft üben.
— — —
I. Anſichten über Jugendbibliotheken und Volksſchriften.
A. Jugendbibliotheken.
In neuerer Zeit und auch im Verlaufe dieſes Jahres (1856)
find mehrfach abweichende Anfichten über die Jugendbibliotheken, wie fie
bier und da in Städten und Dörfern eingerichtet find, Taut geworden ;
“ die Einen verfprechen fih nur Segen von ihnen, die Undern fehen aus
ihnen nur Nachteil erwachſen. Rah unferem Dafürhalten fann Beides
daraus hervorgehen: Nugen und Schaden, je nachdem die Bibliothek
befhaffen if und von der Jugend benupt wird. Wir wollen hierauf
nach Anleitung des uns vorliegenden Materials kurz eingehen.
Es liegt uns vor:
1. Ein Bericht über die Berfammlung des Dithmarſiſchen
Lehrervereing, enthalten in Rr. 7 der „Schulzeitung für die Her⸗
zogthümer Schleswig, Holftein und Lauenburg“, redigirt von Sönkſen.
Referent ift der Organift Bünz aus Marne. Gr fpricht fih der Haupts
. fahe nad gegen ZJugendbibliothefen aus, wird jedoch von ber Ver⸗
fammlung in allen wefentlihen Punkten widerlegt. Befonders Iebbaft
und mit Umfiht nehmen Pfarrer Brütt und Gantor Pauly fi der
AJugendbibliothefen an. .
2. Ueber Lefenereine in Schulen. Bon U. Müller, Lehrer an
der Nealfchule in Coburg. „Pädagogiſche Blätter” von Kern, III.
Jahrg. (1855), Februarheft. Der Verfaſſer ift gegen Kinderbibliothefen.
3. Die Zugendbibliothefen. „Mecklenburger Schulblatt'' 1856. Nr.
50 und 51. Der Berfaffer fpricht fi ebenfalls gegen bie Jugend⸗
bibliothefen aus,
Iugend- und Volkoſchriften. 212
4. Gedanken und Erfahrungen über Dorfbibliothelen, Volkoſchrif⸗
ten, Schulbibliotheken. Von C. Ed. Thieme in Streumen. „Sächſi⸗
ſche Schulzeitung” von 1856, Nr. 5. Der Berfaffer if für Jugend»
bibfiothefen, geht aber nicht auf Begründung feiner Anfihten ein.
5. Scäulbibliothefen. Bon K. Herder in Vieſelbach. „Volls⸗
[hulblätter aus Thüringen’. Herausgegeben von Dr. Laudhard. 1856,
Rr. 16. Der Berfaffer if ganz entjchieden für Jugendbibliothefen.
1. Nutzen der YJugendbibliothelen.
Der Nupen guter und gut benußter Kinderbibliothefen wird, wie
ſchon bemerkt, von der Dithmarfifchen Lehrerverfammlung nah ſtatt⸗
gefundener Debatte faft einftimmig anerfannt. Es wird für dieſelben
ngeführt:
. Sie füllen Lüden in den verfchiedenften Unterrichtsfächern aus,
wiederholen das Gelernte.
2. Sie erweitern und berichtigen die Lebensanfchauungen der Kinder.
8. Sie fördern die Sittlichkeit, infofern fie das Gefühl und die
Phantafie anregen, paffende Bilder vorführen, unpaffende entfernen.
4. Sie bilden den Sinn für das Schöne.
5. Eie verhäten die bei Kindern oft eintretende Langeweile.
6. Sie fegen Schule und Haus in die rechte Berbindung, indem
das Haus Theil nimmt an der Bibliothef und den. Gebraud
. derfelben überwacht.
Diefe Behauptungen laſſen fih nah unferm Dafürhalten ſchwer
widerlegen, fie haben fih aufmerffamen Beobachtern der Jugend und
&eitern von SKinderbibliothefen überall als wahr erwiefen. Wir reden
guten Kinderbibliothefen daher das Wort.
Bünz ftellt in Abrede, daß die Jugendbibliotheken die Sprachbil⸗
dmg wefentfich förderten, mie man gewöhnlich behaupie. Die Ber-
ſammlung feheint in der Debatte hierauf nicht ernflih zurückgekommen
zu fein. Es erleidet aber gar Teinen Bmweifel, daß das Leſen guter
Bücher die Kinder weſentlich fprahlid fördert, wenn man ihnen, wie
vorausgefeht werden muß, Anleitung zum zweckmäßigen Lefen giebt. Die
meiften Erwachfenen verdanten ihre fprachliche, namentlich ſtiliſtiſche Ges
wandtheit dem Lefen muſtergültiger Schriften. Der Einwand, daß
Kinder keine Erwachſenen ſeien und nicht einen Nutzen, wie viefe vom
Leſen Hätten, if ein ganz nichtiger; Kinder vermehren ihren Wortreich⸗
thum fehr merklich durch Lefen und eignen fich viele gute Wortverbin⸗
dungen und Wendungen an, vorausgefegt, daß ber Sprachunterricht in
der Schule ein ähnliches Ziel verfolgt.
Bon anbern Bertheidigesn der Jugendbibliotheken AR fonft wohl
noch behauptet worden, daß durch diefelben die Ritter» und Näuberges
fichten» Literatur verdrängt werde. Diefe Behauptung iR gewiß nicht
ohne Grund, wenn die Leitung der Bibliothek in guten Händen if,
und wit der nöthigen Vor⸗ und Umficht geführt wird.
216 Jugend» und Bolksichriften.
2. Nachtbeile ber Jugend bibliotbeten.
Gegen die YZugendbibliothefen wendet man ein:
1. Sie befördern die Vielleferei, verwandeln die Lefeluft in Leſe⸗
ſucht und verführen zur Romanleſerei.
. Sie befördern das Verlangen nad) angenehmer Lectüre auf Koften
der nüglichen, da fie „das Nügliche ſtets überzuckert“ reichen.
. Sie gewöhnen die Kinder zum oberflählichen Xefen, zur Gedans
fenflüchtigfeit.
. Sie entwideln die Phantafie auf Koften. der übrigen Seelenträfte.
. Sie erfhlaffen den Geift.
. Sie treten dem Schulzwed hindernd in den Weh, indem fie
a. den häuslichen Fleiß für die Schule befchränfen,
b. Widerwillen gegen die erſten Schularbeiten erregen,
c. den Geihmad der Kinder an Bibel, Katehismus und andern
Schulbüchern verderben,
d. die Einführung guter Schulbücher, namentlih eines guten
Lefebuches, hindern.
7. Sie halten die Kinder von der Bewegung in freier Luft ab.
8. Sie fhwächen die Sehfraft.
Ein langes Sündenregifter! Zum Glück if davon Wenig oder
Nichts gegründet. Nach unferm Dafürhalten trifft das Gefagte nur
den Mißbrauch. Mißbrauch einer Sache darf uns aber befanntlid
niemals beflimmen, vom rechten Gebrauch derfelben abzuftehen. Es
würde uns nicht ſchwer werden, alle diefe Einmwürfe zu entfräften, wie
das die Dithmarfifche Lehrerverfammlung auch der Hauptfahe nah, fo
weit fie dort zur Sprache kommen, gethan hat; aber wir flehen davon
ab, da fie im Nachftehenden ihre Erledigung finden.
RS m u >.
3. Beihaffenheit der Jugendbibliotheken.
Wie es nicht an fchlechten Zugendfchriften fehlt, fo wird es auch
fiherlich JZugendbibliothefen geben, die neben guten Büchern auch fchledhte
‚enthalten. Die Schuld hiervon trifft natürlih nur die Gründer und
Leiter derjelben; denn Niemand ift ja gezwungen, fchlechte Schriften ans
zufhaffen. Wer eine Jugendbibliothek verwalten will; muß 1) befähigt
fein zur Beurtbeitung von Zugendfchriften und 2) fih zum Geſetz mar
chen, jede derſelben ganz zu lefen, ehe er fie aufnimmt.
Soll die Jugendbibliothek ihrem Zwecke entfprechen: die Selbfbil-
dung der Jugend zu fördern, fo muß fie enthalten:
1. Gute Erzählungen für die verfihiedenen Altersftufen. Die Er⸗
zählungen müffen natürlich anziehend fein, aber fie dürfen das
Kind nicht in fleberhafte Aufregung verſetzen. Erzielt ſoll durch
biefelben werden: Gemüthsbildung im Allgemeinen, Charakters
"bildung, religidfe Bildung, Kenntniß des menſchlichen Herzens
und Lebenstenntniß.
2. Gute Poefien, und zwar:
a. Fabeln,
Iugend= und Volksſchriften. 217
b. poetiſche Erzählungen,
e. Mähren,
d. Barabeln, Parampthien, Allegorien,
e. Balladen,
f. einige größere epifche Dichtungen,
g. Iyrifhe Gedichte
3. Beltkundlihe Schriften zur. Ergänzung des Schulunterrichtes,
und zwar:
a. Raturbiftorifche. Am geeigneten find:
aa. Schilderungen einzelner Naturkörper (Thiere, Pflanzen,
Trineralien), gut filifirt, aber ohne Phrafenwerk,
bb. leichtwerftändlihe Belehrungen über den Bau der Thiere
und Pflanzen im Allgemeinen, über die Bildung der
Gefteine, wie überhaupt der Erde,
. cc. über die Gewinnung wichtiger Produkte.
b. Phyſikaliſche. Dazu empfehlen ſich befonders:
aa. Anleitungen zum Darftellen Peiner Experimente,
bb. anfprechende Belehrungen über die großartigeren Raturs
erfcheinungen.
Chemiſch⸗ technologiſche, als:
aa. Chemie der Nahrungsmittel,
bb. Aderbau Chemie,
ce. Belehrungen über die Darftellung allgemein wichtiger Ges
genftände,
dd. Mittheilungen über die wichtigeren Erfindungen.
d. Geographifche, nämlich:
aa. Belehrungen über die Hauptgegenftände der phuflfalifchen
Geographie,
bb, anziehende Schilderungen einzelner Gegenden, großer Städte
und Voͤlker,
ec. kurze Retfebefchreibungen, in denen es nicht auf Aben⸗
teuer abgefehen il.
e. Geſchichtliche, namentlich folche mit guten, nicht zu weit aus⸗
gefponnenen Biographien.
4. Biographien berühmter Männer und Frauen aus dem Gebiete
der Literatur, Kunſt, Wiſſenſchaft und Induſtrie.
3. Biographien kirchengeſchichtlicher Perfonen, zuverläffige Mittheis
"lungen über die Verbreitung des Chriftentbums in der Ge⸗
genwart.
©
‘
4. Benupung der Jugendbibliotheken.
1. Die Wahl der Lectüre wird nicht von der Neigung der Jugend
abhängig gemacht, fondern durch den Lehrer beflimmt.
2. Der Lehrer nimmt aber dabei Nüdfiht auf das Alter, den
gefammten Seelenzufand und die Unterrichtsgegenflände des Kindes.
3, Unterhaltende- und belehrende Schriften wechfeln mit einander ab,
218 Jugend» md Volksſchriften.
4. Jeder Schüler erhält monatlih nur ein Buchz mur von ganz
fleinen Schriften Tönnen monatlich zwei ausgegeben werben.
5. Die Kinder werden veranlaßt, mändlih oder ſchriftlich den In⸗
halt des gelefenen Buches anzugeben.
6. Der Lehrer fordert die Kinder auf, mit der Feder in ber Sand
zu lefen und läßt fi die Ergebniffe diefer Art des Leſens von Zeit zu
Zeit vorlegen.
B. Boltstchriften und Velkoblbliochelen
1. Die Lehrer Thieme und Keller ſprechen ſich in der „Säch⸗
fiſchen Schulzeitung” günftig für Anlegung. von Dorfbibliotheken aus.
Erfterer klagt über Mangel an guten Bollsichriften und weiſt dabei
auf die Schwierigkeiten hin, die deren Abfaffung bat. ‚Ein ädhter
Volksſchriftſteller“, fagt er, „muß eine genaue Kenntniß von dem Bolfe
und feinen Bedürfniffen haben, und diefe Tann er nicht am grifnen
Studirtifhe, fondern nur durch Langen Umgang mit dem Volke ſelbſt
vermöge einer ſcharffilnigen Beobachtungsgabe gewinnen. Er muß fi
ganz in die Neigungen, Wünſche, Gewohnheiten, Anfichten und Sprach»
weile des Volkes verfegen Fönnen, muß mit ihnen leiden, fühlen, ſcher⸗
zen und lachen können, ohne dabei in’s Gemeine und Unedle zu vers
fallen. Wahrbaft gute und Achte VBolksfchriften müffen außer allgemeinen
Delehrungen auch noch befondere für einzelne Stände enthalten, herr⸗
fhenden Sünden und Laftern durch die Schilderung ihrer ſchrecklichen
Folgen Träftig feuern, dem fihwarzen Aberglauben entgegenwirken, fal«
ſche Anfichten berichtigen, thörichte Wünſche in's Lächerliche ziehen, Zus
friedenheit des Standes bei befchränkter Lage begründen, den Werth
geiftiger Bildung und nüßliher Kenntniffe veranfchaulihen, frommen,
chriſtlichen Sinn, Nähfenliebe und Gottvertrauen befeftigen und flärfen.”‘
2. Lehrer Freyer aus Wurzen fpricht ih in Ar. 35 der „Säch—⸗
ſiſchen Schulzeitung‘ über den Nutzen aus, den die Bectüre deutfcher
Volksſchriften dem Volksſchullehrer gewährt. Er findet biefelben in
Bolgendem:
1. Die Volksſchriften bilden feinen Geift;
2. fie gewähren feinem Geifte angenehme Erholung nad) der Aus⸗
übung des Berufs;
. fie erfparen ihm die Ausgaben, welche er für gefellige, oft nach⸗
theilig wirkende Bergnügungen (Spiel) in Gafthäufern madt;
. fie führen ihm manchen brauchbaren Stoff für den Unterricht zu;
. fie helfen feine Stellung (fein Anfehen) in der Geſellſchaft heben,
da fie ihn in Stand feßen, fi) der Gemeinde durch guten Rath
nüglih zu erweifen. |
Wir fügen hinzu:
6. Sie mahen namentlih jüngere Lehrer auf die Art und Weife
aufmerkffam, in der man mit Erfolg auf die Bildung des Bolfes
einwirken kann.
SE |
Jugend⸗ und Volksſchriften. 219
DB. Literatur
Zur Kritik derfelben.
1. Erſter Rachtrag zudem Wegweiſer durch die deutſchen Volke⸗
und Jugendſchriften. Ein Verſuch unter Mitwirkung Mehrerer her⸗
ausgegeben von Karl Bernharbdi, Dr. theol. und erſtem Bibliothekar in
—5* Nebſt einer kurzen Ueberſicht der Volls⸗ und Jugendſchriften von
1854 von U. LZüben, Rector der Bürgerſchulen in Merfeburg. "gr. 8.
° VoOI u. 211 ©.) Leipzig, ©. Mayer. 1856. 24 Sgr.
Diefer „Nachtrag“ bat ganz die Einrichtung des im 7. Bande uns
ſeres Zahresherichtes empfohlenen „Wegweiſers“. In guter Meberficht
macht er und durch kurze Charakterifirung mit den beſten Bolls- und
Zugendfchriften bekannt und Tann deshalb Lehrern und Vorſtehern von
Volks⸗ und Jugendbibliotheken beftens empfohlen werden. Ein genaues
Regifter erleichtert den Gebrauch. .
Als Fortſetzung dieſes „Wegweiſers“ Tann das „Eentral» Organ
für dentſche Vollo⸗ und Jugendliteratur”, in Vierteljahröheften heraus⸗
gegeben von Pfarrer Schwerdt. Gotha, bei H. Scheube, betrachtet
werden. Bir werden feiner Zeit auf dies zeitgemäße Unternehmen zus
rüdfommen.
2. Mittpeilungen über Jugendſchriften an Eltern und Lehrer, nebft
elegentlihen Bemerkungen über DVollöfchriften, von Dr. &. W. Hopf,
ector der Handelsſchule in Nürnberg. Dierte, forgfältig erweiterte Auf⸗
lage. 9. 8. (IV u. 188 ©.) Fürth, I. 2. Schmid. 1856. 19 Gar.
Die früheren Auflagen diefes ſehr zwedmäßig eingerichteten Werk⸗
bene find bereits im V., VI. und VIII. Bande des Yahresberichtes ans
gezeigt und befens empfohlen worden. Der Berfafler bat daſſelbe um
61 neue Schriften vermehrt. Die Urtheile über die Schriften find kurz,
aber durchgängig treffend; das Werkchen wird ſich daher Eltern und
Lehrern als zuverläffiger NRathgeber bewähren.
« I. Jugendfchriften.
u A. Bilderbüder für kleine Kinder.
3.9. Brüdner’s Meine Bilder: Kibel, mit 80 ſchönen Bildern.
Zweite Auflage. 8. (22 ©.) Leipzig, C. Schlicke.
Die beiden erflen Seiten enthalten Meine und große Buchſtaben,
alyhabetifh und fufkematifch geordnet, und Ziffern und Striche zum
Zählen. Dann folgen Bilder in alphabetifher Ordnung, zu jebem
Buchſtaben in der Regel zwei. Hieran fchließen ih vier Sleine Gebete
und einige ebenfalls iffuftrirte Rindergedichte. Die Bilder find natür⸗
ih die Hauptfache in dem Büchlein; fie erweilen ſich für 8— Ajährige
Kinder als ganz brauchbar. Das Papier it fehr ſchön, das Colorit
ganz leidlich.
4 Orbis pictus. Bilderbud zur Anſchauung und Belehrung,
Bearbeitet von Dr. Lauckhard, Großherzogl. Siäflse Schulrath. M
‘
220 Jugend- und Volksſchriften.
circa 600 colorirten Abbildungen. Hoch A. 3. Lieferung. I Bogen Tert
und 3 Blatt Abbildungen. Leipzig, Voigt u. Günther. — Lief. Sgr.
Das Werk iſt beſtimmt, „Eltern und Erziehern ein Mittel an die
Hand zu geben, den Geiſt der Kinder zu wecken, ihn zum Nachdenken
anzuregen, den Kreis der Anſchauungen zu erweitern und zugleich über
die Gegenſtände in und außer dem Hauſe, oder die, welche mit denſel⸗
ben in Berührung kommen, zu unterrichten, überhaupt aber ein klares
Denken zu vermitteln.‘
Die Abbildungen follen die nächſte Umgebung des Kindes,
die Thiermwelt in ihren Beziehungen zum Menfhen, den Menſchkn
in feinen verſchiedenen Befchäftigungen und Verhältniffen, die Pflan⸗
zenwelt und das Ausland in feinen geographifchen und gefchichts
lihen Beziehungen veranfhaulichen. Die in der erften Lieferung vors
liegenden Bilder find gut erfunden, fauber in Stahl geflochen und ges
fällig colorirt. .
Der Tert bietet eine Erklärung ber Bilder, die fo gehalten ift,
daß das Reale, Religids- Sittlihe und Poetifche fih angemeſſen durch⸗
dringen; er wird Müttern und Erzieherinnen treffliche Dienfte bei der
Benugung des Werkes leiſten.
Das Unternehmen Tann bemittelten Eltern empfohlen werden.
B. Unterhaltende Schriften.
Erzählungen, Parabeln, Mährden.
5. Grzäblungen aus der Spiel⸗Schule, von Earoline von Reiche.
Fit einer Widmung an Mütter und Kinderpflegerinnen von Doris Lüt⸗
tens, geb. von Eoffel. 8. (130 ©.) Hamburg, Agentur des Rau«
ben SHaufes. 1856. 15 Ser.
Die auf dem Gebiete der „Kindergärten rühmlichſt befannte Vor⸗
rednerin fagt in ihrer „Widmung: „Die liebe Erzählerin, die in dies
fem Buche zu ung fpricht, hatte in dem Lauenburgifchen Städtchen
Ratzeburg während einer Reihe von Fahren eine fogenannte Spiels
Thule, in der fle als wahre Kinderfreundin, in Chriſti Sinn und
Geift, fegensreih wirkte, unter Liebe und Anerkennung der Kinder und
Eitern, bis fie Oſtern 1854 durch zunehmende Kränklichkeit genöthigt
war, diefelbe aufzugeben. Aber fih ganz von den Kindern zu trennen,
— daß vermodte fie nicht. Sie verfammelte nun zweimal wöchentlich
eine Peine „Schaar Freiwilliger‘ bei fich zu einer Erzählungs- Stunde.
In diefer Zeit befuchte fie einft ein krankes Kind, das immer gern Ges
fhichten erzählt haben wollte, und fchrieb eine Kleine Begebenheit aus
ihrer eigenen Kindheit für daffelbe auf; das Kind hatte nun foldye
Freude hieran, daB es beftändig verlangte, „„Tante Line‘ bei fih
zu haben. — Bon diefem Tage an mußte „Tante Line‘ immer ſchrei⸗
ben, und der „„war dabei zumutbe, als wenn nicht fie ſelbſt fchreibe
und denke, fondern als gäben die Kinder flets den Stoff und Die
Worte.““ — Weiter unten heißt es: „In dem vorliegenden Heinen
Buche haben wir ein Bild des Umganges mit Kindern; wir were
Jugend⸗ nnd Volksſchriften. 221
den bineinverfebt in einen Kreis, wo die wahrhaft berufene Kinberfühs
serin uns gleihfam vorlebt, wie wir's machen follen; und eben
deshalb find dieſe „Erzählungen aus der Spielfchule”, die zwar zus
nah für Kinder gefchrieben wurden, doch recht eigentlih ein Buch für
die, welche mit Kindern und für Kinder leben. Daher fei es aud
allen diefen Frauen recht an's Herz gelegt zur lebendigen Benugung für
und mit Kindern.‘
Wir freuen ung, diefer Anſicht beitreten zu können. Die 24 Erzäh«
lungen, welche das Büchlein enthält, And einfah und anfprechend, wer⸗
den daher gern von den Kleinen gehört und eben fo gern von 8—Yjähs
rigen Kindern gelefen werden. Den Schluß bildet ein recht nettes
Gedicht, „Das Glöockchen“.
Die Ausfattung iſt ſchön, das Papier befonders ſtark und dauerhaft.
6. Ausgewählte Erzählungen, von Earl Stüber. Der Gefammt-
Ausgabe entuonmen. Zweites Bändchen. Mit zwei Bildern von Ludw.
Richter. 8, (IV u. 195 ©.) Dresden, Juſt. Naumann. 1856. art. 10 Ser.
Das erfie Bändchen dieſes allgemein gefchäßten Volks⸗ und Zus
gendfchriftfellers ift bereits im 8. Bande des Jahresberichtes mit gebühs
rendem Lobe angezeigt worden; das vorliegende zweite flieht demfelben
nicht nach. und kann namentlich der gereifteren Jugend beftens empfohlen
werden. Daffelbe enthält folgende 8 Erzählungen: Der Zag im Graben.
Die Amtmännin. Die alte Mühle Der wunderbare Plüfh. Das
Rarrenhaus. Roh Etwas aus einer Reichsſtadt. Das blaue Waſſer.
Handwerk Hat einen goldenen Boden.
Die Ausftattung iſt anfprechend.
7. Reue Stihouetten und Reime für große und Peine Kinder,
von Karl Fröblid. A. (25 Blätter). Berlin, im Seldftverlag des Bers
fafjers. Leipzig, in Commiſfion bei R. Zriefe. 1856. 20 Ser.
Fröhlich hat fih durch feine „Fabeln und Erzählungen in Reimen
und Silhonetten“ bereits einen fo guten Namen erworben, daß es bins
reicht, Dies neue Werkchen zu nennen. Ernſte und fcherzhafte Scenen
aus dem Leben und der Gefchichte find eben fo geiftreih als Tunftgeübt
in Silbouettens Manier dargeftellt und durch anfprechende Gedichte, die
für fih Werth haben und auch ohne die Beichnungen verfländlich find,
erläutert. Es ift in Wahrheit „für große und Beine Kinder‘ eine treffs -
liche Babe, die oft mit Bergnügen genoffen werden Eann.
Um den Inhalt anzudeuten, geben wir nachſtehend die Weberfchrifs
ten der Gedihte an: Gruß. Dom geizigen Büblein. Das arme Eich⸗
fäglein. Die beiden Zänker. Bom armen Kälbchen. Erfülltes Bers
trauen. Feierabend. Waldfrieden. Buko von Halberfladt. Bom hohen
Pferd. Bom Jaͤger Peter Puhſt. Das fchlimme Beifplel. Frühling.
Sommer. Herb. Winter. Das dankbare Hündlein, I. I. Bom ars
men Rinde und der Schwalbe. Friedrich und fein alter Ziethen. Die
rechte Ehre. Bom edlen Meifter Joſeph Haydn, I— II.
Die Ausfattung ift ganz befriedigend.
‘
222 Yugend« und Volksſchriften.
8. Häſschen auf Reifen Zu lehrreicher und hetierer Unierhaliung ber
muntern Jugend erzählt von Dr. Robert Haſe. Mit 10 colorirten Bil⸗
dern. 8.4. (60 ©.) Erfurt, Fr. Bartholomäus. 18 Ser.
Sn echt humorifiifher Weife wird die Wanderfchaft eines Hafen;
Jünglings erzählt, der weder Erfahrungen noch Senntniffe befigt, in
feinem Hochmuthe auch nicht Luft hat, fich letztere zu erwerben. Nach⸗
dem eine alte treue Hundefeele ihn gewarnt, geräth er in die Hände
eines fchlauen Kater, wird von diefem in eine Gefellfchaft Tiederlicher
Burſchen aller Art geführt, im Rauſch der Freude von ihnen ausgeplüns
dert und hinaus in einen Graben geworfen, wo am andern Morgen ein
Dahn ihn wet und er feiner traurigen Rage fih bewußt wird. Ohne
Heifeeffeeten und Geld geht es ihm nun eine Zeit lang fehr kläglich. Auf
Beranlaffung des Löwen, dem er ald Tambour dienen will, fi aber
aus Mangel an Muth auch Hierzu unbrauhbar erweifl, wird er von
einem Adler feinen beforgten Eltern wieder zugeführt. Noch ehe er dazu
fommt, diefen fein Schidfal zu erzählen, fagt er:
„Ein’s nur will ich nicht verhehlen:
Nimmer zieh” ich wieder aus,
Bleibe Fünftig hübſch zu Haus.
Denn wer wandern will zur Ferne,
Sorge, daß er etwas lerne,
“ Bähl’ auch nimmer zum Beruf
Das, wozu ihn Gott nit ſchuf,
Sabe Eugen Sinn und Muth,
Halte auf fein Geld und Gut.
Lieber bleib’ er fonft zu Haus.‘
Mit diefen Zeilen if zugleih der Zwed der ganzen Erzählung.
bezeichnet. Die Bilder find eben fo drollig wie der Text; beide werden
7—10jährigen Kindern viel Vergnügen gewähren.
9, Die erzählende Mutter, oder kurze Geſchichten für Kinder von drei
bis fünt Jahren. Bon Jakob lag, Dritte, gänzlich umgearbeitete
Auflage. Bon K Petermann, Director der evangeliſchen Frei⸗
.G.
ſchule in Dresden. Mit vier Bildern. br. 8. (VI u 182 ©.) Leipzig,
Herm. Fritzſche. 1857. Geb. 22"/ Sur. j
10, Einhundert und funfzig Erzählungen für das Kindesalter
vom fünften bis gum ahten Zahre. AZugleih ein Handbuch für
Mütter zum WBiedererzäblen. Eine Auswahl Peiner Gefhichten aus den
Säriften mehrerer Yugendfreunde. Herausgegeben von Jakob Slatz.
Drüte, gänzlich umgearbeitete Auflage von 8. ©. Petermann. Mit 4
Bildern. br. 8. (VIII u. 283 ©.) Ebend. 1857. Geb. 1 Thlr.
Beide Schriften bilden den erfien und zweiten Band der „Erzaäͤh⸗
lungen für die verfchiedenen Stufen des Jugendalters“. Der erfte Band
enthält 100, der zweite 150 Erzählungen, die zwar nicht alle von
gleiher Schönheit find, aber doch ohne Ausnahme ih zur nüßlichen
Unterhaltung und Belehrung eignen. Wir wünfchen, daß beide Bücher
den Weg in recht viele Familien finden und dort fleißig zur Bildung
des Herzens und zur Uebung im Nacherzählen benupt werden mögen.
- Die Ausftattung beider Bände ift ſchön.
Jugend⸗ und Boltzfchriften, 223
tl. Zunben Geſchichten für eine Mutter und ihre Kinder Dax
anz Wiedemann, Berfaffer der Samenkörner für Kinderherzen. Mit
einem Titellupfer. God 4. (IV u. 176 S.) Dresden, C. C. Meinhold
und Söhne. 18 Ser.
Die meiſtens kurzen Erzählungen find nad einem Syſtem der Pflich-
tenlehre gruppirt, wozu wohl kaum ein zureidhender Grund fich dürfte
auffinden lafien. Gin Theil des Erzählungen kann als gelungen bes
zeichnet werden, andere dagegen find mehr als mittelmäßig nach Erfin⸗
dung. und Darſtellung. Drud und Papier find ausgezeichnet.
1%. Die Kinderkube Ein Geburtstage» und Chriftgefibent für Kinder
von vier bis zehn Jahren. Bon Ottilie Dellier, im Dereine mit meb»
reren Sugendfreunden. Mit 8 fein colorirten Bildern. Hoch 4. (IV u,
6& S,) Ebend. 24 Ser.
Mit Erzählungen wechfeln Gedichte und Raͤthſel, alle für das auf
dem Zitel genannte Alter berechnet, meiſtens auch ziemlich gelungen;
indeß fehlt es danehen auch nicht an matt ausgefallenen Producten;
einzelne find fogar im Ausdruck ziemlich gewöhnlihd. Die Bilder find
gang Kühfch erfunden und werben die Kinder erfreuen. Die Ausftattung
it vortrefflich.
13. Blanberoien eines Ereifes, von J. R. Bonilly. Aus dem Kran-
öfifehen frei bearbeitet von J. A. Luber, quiedcirtem Tönigl. Studien»
Tehter. fl. 8. (IV u. 178 ©.) Landöhut, Jof. Thomann'ſche Buchhand⸗
lung. (3. B. v. Zabuesnig.) 1857. .
Die 13 Erzählungen diefes Büchleins Pönnen im Ganzen ale ge-
lungen bezeichnet werden, find indeß nicht frei von Webertreibungen und
Unnatürlichleiten, die mehr oder weniger allen frangöfiihen Jugend⸗
ſchriſten eigen find. Am meiften dürfte fih das Büchlein für 10» bie
14jährige Mädchen eignen.
16. Qindermährchen, aus mündliden Erzählungen gefammelt von Chr.
Bilh. Günther. Zweite Auflage. Mit vielen Holzſchnitten nach Zeichs
nungen von Schneider. HM. 8. (VI u. 150 ©.) Jena, Fr. Frommann.
1857. 15 Ser.
Um die erfle Auflage diefer Mährchen abzufeben, find 70 Jahre
erforderlich geweſen. Wahrlich, ein langer Zeitraum! Stehen die Mährs
den auch den Grimm’fchen an Naivetät nah, fo fefleln fie doch den
Leſer bie zum Schluß und gewähren der reiferen Jugend eine anges
nehme Lertize. Es find nur drei: Das Bögelchen mit dem goldenen
Gi Weißtäubchen. Der treue Fuchs.
15. Das Kinderjahr. Urzählungen in Profa und Reimflang für die chriſt⸗
liche Iugend von Philipp Körber. Mit 3 großen und vielen Heinen in
den Texit eingedrudten Holzſchnitten. br. 8. (X u. 182 ©.) Nürnberg,
J. Ph. Raw’ihe Buchhandlung. (C. A, Braun.)
Der Inhalt — 88 Nummern — beſteht aus Gedichten und Ers
zäblengen ; Ishtere haben mehr den Zweck der Belehrung als der Unters
haltung, find namentlih oft naturkundlichen Inhalts. Auch für die
religiöfe Bildung ift durch biblifhe Erzählungen und Gedichte geforgt.
Die Ansrduung des Materials iß nah den Jahreszeiten erfolgt. Wenn
das Büchlein daher Kindern zum Weihnachten geſchenkt wisb, wozu es
-
[4
2% Yugend- und Volksſchriften.
ih gut eignet, fo Haben fie das ganze Jahr etwas Entfprechendes.
Die Abbildungen find im Ganzen gut; die Ausfattung if fhön.
16. Schlüffelblumen. Drei Erzählungen für das Alter von 11 bis 1%
Jahren, von Julie Ruhkopf. Mit colorirten Bildern von Carl Zim-
mermann. br. 8. (155 ©.) Leingig, Rob. Friefe. 20 Sar.
Die drei Erzählungen haben die Ueberſchriften: Eine Pilgerfahrt.
Frau Doctorin. Gefpenfter. Sie find anfprechend, fließend in der Dar,
flellung und für das auf dem Titel bezeichnete Alter lehrreich. Ebenſo
find die Abbildungen gut erfunden und ausgeführt. Die Ausſtat⸗
tung iſt gut.
17. Der Heckpfennig. Erzählung für Die Jugend von Thefla von Gum:
pert. Mit einem faubern Titelbilde. Dritte Ausgabe. MH. 8. (40 ©.)
Berlin, 3. A. Wohlgemuth. 1856. 7IAa Ger.
Die einfache Erzählung führt zwei Sandwerkerfamilien vor und
zeigt an ihnen und ihren Kindern einerfeits, wohin Fleiß, weife Spar⸗
famfeit und Froͤmmigkeit, andererfeits, wohin Verſchwendung, Unfriede -
und Nafchhaftigkeit führen. Wir können das Büchlein, das auch durch
fein Aeußeres anfpricht, beftens empfehlen, insbefondere für Heine Mäds
dien von 8 bis 12 Jahren. Der recht faubere Stahlſtich if eine ange»
nehme Zugabe.
18. Ein Mann, ein Wort. Eine Gegäblung für meine jungen Freunde.
Bon Franz Hoffmann. Mit vier Stabiftihen, 16. (109 S.) Gtutt«
Hart, Schmidt und Spring. 1857. !, Ihlr,
19. Dienft um Dienfl. Eine Erzählung für meine jungen Kreunde Bon
a Hofmann. Dit vier Stahlſtichen. 16. (116 &.) Ebend. 1857.
ls r.
20. Das große 2008 (ine Erzählung für meine jungen Kreunde Mit
vier Stahlſtichen. 16. (118 6) Ebend. 1857. 4a Ihlr.
241. Nurimmer brav. Eine Erzählung für meine jungen Freunde. Mit
vier Stahlftichen. 16. (104 ©.) Ebend. 1857. Ya Thlr.
22. Jeder in feiner Weiſe. Eine Erzählung für meine jungen Freunde.
Mit vier Stahlftihen. 16. (100 ©.) hend. 1857. !ı Thlr. —
Dieſe fünf Bücher bilden die 13. Sammlung von Erzählungen,
welche der bekannte talentvolle Franz Hoffmann in dem Verlage von
Schmidt und Spring in Stuttgart hat erſcheinen laſſen. Der Verfaſſer
ſcheint unerſchoͤpflich zu ſein. Wir freuen uns, verſichern zu koͤnnen,
daß dieſe neue Sammlung der früheren in keiner Weiſe nachſteht; ja
wir finden, daß ſich feine Darftellungsgabe immer mehr und mehr ver⸗
vollfommnet, fein Stil immer fließender wird. Auch das müflen wir
lobend anerkennen, daß der Verfaffer nicht mehr, wie früher wiederholt,
die jugendlihe Phantafle durch Einflehten von fchauerlichen Scenen über
Gebühr aufregt, fondern nur eben fo weit anfpannt, als erforderlich ift,
das Intereffe bis zum Schluß rege zu halten.
Da auch die Ausftattung fchön ift, fo koͤnnen wir biefe Samms
lung der Jugend beftens empfehlen.
" Jugend = und Volksſchriften. 225
23. Bas macht gläckl ich? Eine Erzählung zur Unterhaltung und Belch⸗
mung Mr Jugend. Don Mori Heger. 8. (IV u. 126 ©.) Dresden,
©. C. Weinhold u. Söhne. 3856. 10 Ser.
Diefe Schrift Hildet den erflen Band eines neuen Unternehmens,
welches fih als „Leſecabinet der Jugend“ anfündigt. Der Berfaffer
diefes Bändchens ift ſchon länger auf dieſem Gebiete thätig, dem Vor⸗
worte zufolge mit einigem Erfolge. In der bier dargebotenen Erzähs
tung bemüht er fih, zu zeigen, daß das Glück der Menfchen von der
Zufriedenheit abhängt, welche aus Fleiß und Genügfamfeit erwächſt, alſo
nicht von Reichthum. . Diefer Zwed hätte fih mit dem vierten Theile
des verwandten Materials erreichen laſſen. Man merkt es in allen Abs
theilungen, daß der Verfaffer e8 darauf abgefehen hatte, ein umfängs
liches Buch zu fhreiben. Daher ift denn ein großer Theil der Beges
benheiten geradezu mit den Haaren herbeigezogen und ohne Zuſammen⸗
bang mit der Erzählung ſelbſt. Es fehlt der Erzählung an der Einheit,
die fie zu einem wirkungsreichen Kunſtwerke macht. Auch in ftiliftifcher
Beziehung entſpricht die Erzählung nicht den Anforderungen, welde
man am eine gute Zugendfchrift machen muß. Gleich Seite 3 heißt es:
„Die heftige Kälte und die Abfyannung von fo Bielem, was
fie an dieſem Tage gefehen hatte’ u. f. w. Berner ©. 5: „Es if ein
alter Erfahrungsfag, daß von Zeit zu Zeit in großen Städten Gefpen-
Rers oder Wundergeſchichten auftreten, Mein anfangend, dann wie eine
Lawine anfchwellend, bis Kreife um Kreife hineingezogen find und
Jung und Alt der Drehung nicht mehr widerfiehen und dem Zuge
der Gläubigen folgen.” ©. 6: „Karavanen von Hülfsbedürftigen, zu
Fuß, zu Roß und zu Wagen, zogen fa alltäglich dur den Plauen,
[den Grund nah Somsdorf, um fi heilen oder den Schleier der
Zufunft Lüften zu laſſen.“ Zehn Zeilen fpäter heißt es dann
wieder: ‚Nebenbei fuchten manche Leute auch bei der „„Somsdorfer
dran’ Rath und Wiffenfhaft über die Zukunft.” Wir
könnten die Zahl der Beifpiele Teisht vermehren, wenn es nöthig erfchiene,
auch auf DVerflöße gegen die Interpunction aufmerffam machen; aber
wir glauben, daB das Angeführte für den Verfaſſer fchon ausreichen
und ihn zu größerer Sorgfamkeit veranlafien wird. Das Publikum
raͤcht ſich gewöhnlich fehr empfindiih, wenn. es bemerft, daß es geringe
ſchätzig behandelt wird.
Gegen die Ausftattung des Werkchens haben wir Nichts zu erins
nern. Auch der beigegebene Kupferftich ift recht fauber.
24. Die alte Schuld. Eine Erzählung für die reifere Jugend und ihre
Freunde von Dr. ©. $. von Sauber. Geheimrath in Münden. Aus
der zweiten Auflage der „Erzählungen. III. Band’ befonders abgedrudt.
. a ©.) Erlangen, 3. 3. Palm und E. Ente (Adolph Enle). 1856.
Der würdige Berfaffer if als Jugendſchriftſteller rühmlichft bekannt.
Hamentlich zeichnen ſich feine Erzählungen vortheilhaft aus durch natürs
liche Anlage und Entwidelung, durch Einfachheit in der Darfellung
wwd durch echte Neligiofität. Dies Lob Tann auch der „alten Schuld‘
it werben. Die Hauptperfon darin if ein vortreffliher Züngling,
Race, Jahresbericht. X. | 15
226 Jugend = und Bolksfchriften.
befien Univerfltätsjahre und Theilnahme an den Freiheitskriegen in einem
lebensvollen, fehr anfprechenden Bilde vorgeführt werden. Aus diefem
Grunde empfiehlt fih das Buch auch vorzugsweife für Gymnaflafen,
momit wir indeß durchaus nicht fagen wollen, daß nicht auch Füng-
linge, die andern Lebenskreiſen angehören, es mit Nutzen und Bergnüs
gen leſen werden.
25. Beichrende und unterbafltende Bolls- und Jugendbiblio-
thet. Drittes Bändchen: Winkelmann. Ein Lebensbild von Eduard
Köller. Der brave Keffelfliden Erzählt von S. Mi. 8. (99 ©.)
Leipzig, H. Fritzſche. 1857. 5 Ger.
Die beiden erſten "Bändchen biefer Volks⸗ und Jugendbibliothek
find uns nicht bekannt; nach einer Anzeige auf dem Umſchlage des vor⸗
liegenden enthält das erſte Bändchen eine Erzählung („Eliſabeth, ein
weiblicher Robinfon‘‘. Oder: Die Auswanderer nah Amerika), von 3.
Neumann (Satori); das zweite eine von H. Göring (. Der Lebensabend
des Kolumbus’’).
Was die beiden Erzählungen des dritten Bändchens anbelangt, fo
lefen fich diefelben zwar ganz leidlich; aber es fehlt doch beiden in gleis
hem Maße die kuͤnſtleriſche Form. Die BVerfaffer verftehen, um es kurz
gu fagen, weder das rechte Individualiſiren der gewählten Perfönlicy«
eiten, noch die angemefjene Vorbereitung der wirfungsvollen Momente.
In Windelmann’s Leben vermiffen wir außerdem ungern ein näheres
Eingehen auf den Kern der Leitungen diefes gelehrten Kunſtkenners.
Es hätte fih mit Hülfe feines Hauptwerkes hierüber wohl etwas Allger
meinverfländliches fagen laſſen. Glaubte der Berfaffer das aber nicht
u Pönnen, oder fhien ihm daffelbe nicht am Plage zu fein, fo hätte er
indeimann’d Leben gar nicht fchreiben follen. In einer „Volks⸗ und
Jugendſchrift““ if es ohnehin bedenflih, einen Dann zum Gegenftand
ju wählen, der die Religion wie ein Kleid betrachtet, das man auszieht
oder wecfelt, wie es die Umftände gerade erheifhen. Wir find weit
entfernt, über Windelmann zu Gericht figen zu wollen; aber die Ans
ſicht Tönnen wir doch nicht zurüdhalten, daß fein Beben in der vorlie-
genden Behandlung feine angemeflene Lectüre für das Bolt und die
Jugend ift.. — Die zweite Erzählung trifft diefer Vorwurf nit. Wir
loben an derfelben, daß der Berfafler feinen fenntnißreichen, verfländigen
Auguft Merk, die Hauptperfon der Erzählung, in feinem Berufe als
Keſſelfliker beläßt und nachweift, wie jeder Menſch, auch im engften
Derufe, fih nüglid machen könne; aber es fehlt der Erzählung, wie
fon bemerkt, die Pünftlerifche Behandlung. Statt die Perfonen überall
handelnd auftreten zu laſſen, flreicht der Verfaſſer ihre guten Eigen»
fhaften heraus. Am meiften verfeblr ift die Schlußicene; Merk handelt
darin fo ungefhidt, mie er ed in feinem ganzen Leben nicht gethan
bat, nach feiner Gefammibildung auch nicht thun konnte.
Wir empfehlen beiden Berfafiern, bevor fie die Feder zu neuen
Arbeiten anfegen, das forgfältigfte Studium anerlannt guter Erzählungen
und Biographien für das Volk und die Jugend, und zwar in der Zuver⸗
Nicht, daß fie uns fpäter für diefen wohlgemeinten Rath danken werden.
Jugend- und Voltksſchriften. 227
26. Franz, oder ein treuer Diener Üine Erzählung für die reifere
ugend nad einer wahren Begebenheit aus der fchleflihen Geſchichte, von
Frany Kür, 8. (150 S.) Breslau, F. E. C. Leudart. 1855. 20 Sgr.
Der Berfaffer führt uns in feiner Erzählung einen elternfofen
Knaben vor, der die Lehren feines trefflihen Pfarrers nicht bloß im
Gedächtniß, fondern im Herzen bat und fidy überall von ihnen leiten
läßt. Er beginnt feine Laufbahn als Kuhhirt, erweift ſich in dieſem
Dienſte volltommen treu und hat eines Tages Gelegenheit, den Herzog
Ludwig von Brieg, der fi auf der Jagd verirrt und dem Verſchmachten
nahe if, zu retten, ohne ihn zu kennen. In Folge diefer fhönen That
fommt er fpäter an den berzoglichen Hof, wo er, unter ſchwierigen
Berbältniffen, dieſelbe Dienertreue bemweift, feinem Herrn auch einmal -
unter großer Gefahr das Leben rettet. Dem Zuge jener Zeit folgend,
befhließt der Herzog, feinen Dank für die zweimalige Lebensrettung
durch eine Pilgerfahrt nach dem gelobten Lande auszudrüden. Nachdem
der Zwed der Reife glücklich erreicht ifl, wird der Herzog gefangen ges
nommen und endlih als Sklave nach Bagdad verkauft. In der Heis
math erfährt man davon Nichts, ift aber tief befümmert über Das Auss
bleiben des Herzogs. Da Niemand Rath in dieſer Noth weiß, fo macht
fich Franz heimlih auf den Weg nach dem Morgenlande, Seine Mühen
werden endlih von Erfolg gekrönt; es gelingt ihm, den Herzog aufn»
finden, zu befreien und glüdlih beim zu führen.
Obwohl der Berfaffer nirgends verfäumt, dargebotene Gelegenheiten
zur Belehrung feiner jungen Leſer zu benußen, fo verliert er darüber
doch niemals den Faden feiner Erzählung, weshalb denn au das Ins
tereffe beim Leſen immer rege bleibt. Die Charaktere der Hauptperfonen
And gut gefhildet und können der Jugend als Muſter dienen. And
die Darftellung befriedigt. Wir können daher das Buch ald eine gute
Jugendfchrift, namentlih für Mnaben, beftens empfehlen... Die Ausflats
tung iſt gut. Für die beiden Abbildungen hätten fich aber beffere Mo⸗
mente aus ber Erzählung wählen laffen. Der Preis if etwas hoch.
7. Ber Gott vertraut, hat wohlgebaut. Eine Erzählung für Yung
und Alt von Alrebi. 8. (153 S.) Greiz, Henning’fhe Buchhandlung. . -
Eothar Henpe). 1856. 7'/a Sgr.
Der Berfaffer führt uns eine arme Zamilie vor, der es anfangs
wohlgeht, da fie fleißig und fromm if, fpäter aber in Folge eines
ſchlechten Streihes, den ein diebifcher Zude ihr fpielt, eine Zeit lang
iehr traurig. Das frohe Bewußtjein der Unſchuld und das unerfchüts
terlihe Bertrauen auf Gott geben ihr Muth, Alles geduldig zu ertras
gen, bis es endlich gelingt, den Verbrecher zu entlarven und zur Strafe
zu ziehen.
Anlage und Ausführung der Erzählung verdienen Beifall. Obwohl
das Buch von „Yung und Alt“ gern wird gelefen werben, fo empfehlen
wir es Doch ganz befonders den Kindern ärmerer Eltern, insbefondere
den Kindern der Dorfbewohner, da fie ihre Berhältniffe am treueften
darin wiederfinden. j
Die Ausſtattung iſt gut, der Preis billig.
15*
228 Jugend⸗ und Volksſchriften.
28. Das Feiertage⸗Buch. Ein Aranı von neuen Erzählungen, der reis
feren Jugend Deutfhlands und bäusfihen Streifen überhaupt zur Vered⸗
lung des Geiſtes und Kräftigung des Charakters herzlich gewidmet von
Julius Eberöberg. 8. (IV u. 241 ©.) Erlangen, 9. $ Palm und
€. Ente (Adolph Ente). 1856. 16 Ser.
Die 12 Erzählungen, welche der Berfaffer in feinem „Feiertags⸗
Buche“ darbietet, find ganz geeignet, „zur Veredlung des Geiftes und
Kräftigung des Charakters‘ beizutragen, da fie edle Charaktere als em⸗
pfehlenswerthe Mufter vorführen.‘ Wie der Zitel richtig bezeichnet, find
fie vorzugsweife für die „reifere Jugend’ beitimmt und koͤnnen dieſer
wirklih mit Nupen in die Hände gegeben werden; aber Erwachſene wer⸗
‚den fie fiher mit demfelben Intereſſe und ſchwerlich ohne Nutzen leſen.
Der Berfaffer ſtellt für das nächſte Jahr eine ähnliche Babe in Aus
fiht; wir erfuchen ihn im Intereſſe der Eharakterbildung, fein Verſpre⸗
hen zu erfüllen.
Die Ausflattung des Buches if gut.
29. Die Blumen des Waldes. Eine Erzählung für junge Töchter. Aus
dem Engliſchen. Dritte Auflage Mit einem Zitelbilde. HM. 8. (79 ©.)
Greiz, Henning’fhe Buchhandlung (Lothar Henge). 1856. 7Y/s Ser.
Der Berfaffer if ein Herzenskenner; daher find die Zeichnungen,
welche er von mehreren jungen Mädchen entwirft, treu. Die Urbilder
dazu gehören dem Ende des vorigen Jahrhunderts an, find aber noch
nit ausgeftorben; denn überall fehen wir noch Stolz und Eitelkeit
über vergängliche Dinge, namentlid über Schönheit und Kleiderpradht
entfteben und fich über die Jugend erheben. Unſer Berfaffer malt neden
diefen Thorheiten die Demuth fo lieblih und gewinnend, daß wir nicht
daran zweifeln, junge Mädchen werden diefelbe liebgewinnen und ihr
nachfreben. Durch das Ganze zieht fih zugleih der Geiſt des wahren
Chriſtenthums in anfprechender Weife bin. Wir empfehlen das Büch⸗
lein etwas gereifteren Mädchen.
Die Ausflattung ift gut, das Titels Bild in etwas veraltetem Ger
ſchmacke gehalten.
30. Barabeln aus dem Leben der Natur. Aus dem Englifchen der
rd. 4. Gatty. 12. (102 ©.) Leipzig, Arnoldifhe Buchhandlung.
1856. 10 Egr.
Dies fauber ausgeftattete Büchlein enthält folgende 7 Barabeln:
Eine Lehre des Glaubens. Das Geſetz von Herrfhaft und Gehorfam.
Das unbekannte Land. Lenken und Befchränfen. Das Licht der Wahrs
beit. Warten. Eine Lehre der Hoffnung. Die Stoffe zu den Para⸗
bein find, wie der Titel fagt, aus dem Leben der Natur entlehnt. Wahl,
Deutung und Darftellung befriedigen; wir empfehlen daher das Büchse
lein der reiferen Jugend.
31. Spiegelbilder aus dem Menfhenleben. Zur Belebung des Un⸗
terrichtö und zur häuslichen Unterhaltung der Jugend erzählt von Eruft
Julius Raimann. 8. (XVI u, 207 ©.) Breslau, F. E. €. Leudart.
Cart. 12! Ser.
Diefe Schrift enthält 112 Erzählungen, zu denen der Berfafler
alte und neue Quellen benupte. Die Mehrzahl derfelben iR gut erzählt,
Jugend: und Bolkefchriften. 229
der Inhalt won allen bifdend für Geiſt und Herz. Wir empfehlen bie
Schrift Kindern von 10—12 Zahren.
C. Unterbaltende und belehrende Schriften.
32, Bud. Ernfl, Scherz und finnige Spiele der Jugend. Unter
Mitwirtung von namhaften Ingend » Schriftftellern herausgegeben von
Aud. Löwenftein und Hübner: Eramd. Zweiter Jahrgang. Mit fünf
ange von Guſtav Bartſch, vielen Holzſchnitten nad
24 nungen von 8 Zdffler u. And., mit zwei Mufiftüden und fünf
telbeilagen. gr. 4. (IV u. 232 ©.) Berlin, D. Janke. 1857. Geb.
4 Thlr. 22% Ser. '
„Bud, der drolligſte und nedendfte aller Eifengeifter, bringt außer
den auf dem Titel genannten Beilagen Gedichte, Mährchen, Erzählun⸗
gen, naturbiftorifche, geographiſche und technologifhe Schilderungen,
Rätbfel, Gharaden u. dergi. Die größere Mafle des Dargebotenen if
anfprechend und wird von Jung und Alt gern gelefen werden. Am
meiſten wird die reifere Jugend, etwa vom zwölften Jahre an, befrier
digt werden, daher wir ihr den „Puck“ auch beftens empfehlen. Unter
den zahlreichen Spielen finden fi recht anziehende, auch das Denkver⸗
mögen in Anſpruch nebmende. Die Abbildungen find gut, die in Farben⸗
druck ſehr anfprechend. Die Ausfkattung läßt Nichts zu wünfchen übrig.
33, Töhters Album. Unterhaltungen im häuslichen Reeile ur Bildung
des Derftandes und Gemüthes der beranwachienden weibliden Jugend.
Mit Belträgen von Gymnaflals Lehrer Albani, Tante Amanda, Aurelis,
Martin Claudius, Marie —2 Theodor Hermann, Roſalie Koch, Doris
Lütkens, Dr. Moritz, Marie Rathuſius, Dir. Dr. Schneider, Prof. Schön⸗
born, Subrector Schwarze, Herm. Wagner u. A. Mit Lithograpbien
nad Originals Zeichnungen von Prof. H. Brüdner und Illuſtrationen
w den naturbiftorifhen Artikeln von H. Wagner. Herausgegeben von
a von . OD. Band. Lex.⸗8. Glogau, ©. Ylemming.
1856. Gebunden 2 Thlr. .
Diefer Band if, wie der erfle, reichlich ausgeftattet mit belehren⸗
den und unterhaltenden Auffägen und zahlreichen Abbildungen. Die
dargebotenen Arbeiten gehören zu den beften für die gereiftere Jugend,
da fie ganz geeignet find, edle Empfindungen bervorzurufen, den Geiſt
zu bilden und mit nüglihen Kenntniffen zu bereihern. Auch in flilis
ſtiſcher Beziehung entfprechen fie ganz den Forderungen, welche man an
Arbeiten für die Jugend machen muß; orrectheit und Schönheit find
ũberall vereint. Die beigegebenen 29 Abbildungen, Lithographien in
Thondruck, find fehr gut; das fehöne, finnige Bild mit Chr. von
Schmid’s, des bekannten, beliebten Jugendſchriftſtellers, Handſchrift wird
Alle erfreuen, ebenjo das der Herausgeberin.
Die Ausfattung ift fchön. .
34. Berliner Kinder-Zeitung, enthaltend belehrende Erzählungen, Schil⸗
derungen aus dem Naturleben, Geſchichtliches u. ſ. w. für die Jugend.
(Beilage zu den Blättern über häusliche Erziehung. Auguft 1856). Ber
lin, 3. Bernhardt u. Comp.
„Kinders Zeitung‘ — „für die Jugend.‘
Die Berlagshandlung bat und nur das erſte Heftchen von 12
230 Yugend- und Volksſchriften.
Seiten zugeſchickt. Daffelbe enthält vier Aufläge: Der belehrte Weiſe.
Bilder aus dem Drient. Ein Charakterzug von Friedrich dem Großen.
Ein Kampf mit einem Löwen. Pr. 2 und 3 find von E. v. Platen
mitgetheilt. Es ift ſchwer, nad diefen paar Auffägen über den Werth
diefer Kinder » Zeitung zu urtbeilen. Belonders ausgezeichnet if keiner
derfelben, der leßte fogar matt. Ueber den Plan des Unternehmens wird
feine Auskunft gegeben. ' Ä
Papier und Drud find gut; aber ein Heftchen von 12 Seiten
“ ohne Umſchlag empfiehlt fih nicht fonderlih. Wir glauben faum, daß
das Unternehmen befondern Anklang finden wird.
35. Güldenes Shapfäftlein für unfere deutfhe Jugend. Wine
Mitgabe auf die Lebensreife. Bon Ernft Glocke. 12. (VI u. 168 ©.)
Naumburg und Leipzig, 8. Garde. 1856. 71a Gar.
Der Herausgeber flellt in der kurzen Vorrede die gegenwärtige
Jugend ale eine durch die Borgänge von AB grundverderbte dar, als
eine Generation, die fih der „verabfeheuungswürdigften Verbrechen‘‘ bins
giebt. Zur Rettung diefer verderbten, gottlojen Jugend bietet er eine
Heine Sammlung von 37 Auffägen, entlehnt aus Lefebüchern und Ju⸗
gendfchriften, und fordert alle ‚‚aufrichtigen Menfchenfreunde‘ auf, dazu
beizutragen, daß das Büchlein möglihR weit verbreitet werde. Wir
find weit davon entfernt, die Jugend als fehlerlos darzuftellen ; aber das
ſteht feſt, daß fie jept nicht um ein Haar fohlechter if, als vor 48,
baber wir denn auch diefe grundlofe, ungebührliche Beſchuldigung zur
rüdweifen. Es verräth übrigens wenig Takt, der Yugend in einem
Büdlein, das man ihr widmet, mit ſolchem Urtheil entgegen zu treten;
ber Herausgeber muß nicht viel mit der Jugend verkehrt haben. "
Segen den Inhalt des Büchleins haben wir nichts zu erinnern,
nur bätten wir es für angemeffener erachtet, wenn der Serausgeber aus
feinem eigenen „güldenen Schatzkäſtlein“ mitgeteilt, flatt bloß Die
Schriften Anderer zu plündern.
36. Kinder-Converfations:Xerifon in 458 Artiten. Eine Gabe für
die wiß⸗ und lernbegierige Jugend ; auch für (Eltern, Kebrer, Erzieber und
für jeden Kinderfreund. Bon W. Weiß, Lehrer in Dillingen. Zweite,
Ice vermehrte Auflage. Fl. 8. (VIII u. 519 S.) Dillingen, C. Kränzle.
. gr.
Obwohl der Berfafler fein Lerifon zunähft nur „für Kinder von
6 bis 13 Jahren beſtimmt“ hat, fo hält er es doch auch für „Nicht⸗
finder”, namentlih für „Eltern, Lehrer, Erzieher und Kinderfreunde‘’
brauchbar. Darin liegt, wenn man den Inhalt ein wenig durchmuftert,
eine große Beringfhäßung gegen die Lehrer. Nach unferm Dafürhalten
verdient Niemand den Namen eines Xehrers, der noch aus diefer Schrift
feine SKenntniffe bereihern muß. Die Gegenftände find überaus ober-
flächlich behandelt und in der Darftellung oft fo laͤppiſch, daß fie ſelbſt
Kindern des bezeichneten Alters nicht behagen werden. Ein einziges
Beifpiel wird genügen, dies Urtheil zu begründen. „Kalb. Manches
fieht roth, manches weiß, mandes braun und ſchwarz und mandes
ſcheckig aus. — Es if ein muntereg Thier, fpringt gern, und wie gut
⸗
Jugend⸗ und Volksfchriften. 231
ſchmeckt das Fleiſch von dem Kalbe! — Dan nennt fo ein Fleiſch:
Kalbfleifh, und gebraten giebt es den fogenannten Kalbsbraten. —
Auch das Zell kann man fehr wohl brauden. Man macht Leder dars
aus. — Der Dichter „„Hey““ läßt ein Kalb und einen Hund fo mit
einander fpielen:’’ Hier folgt nun die bekannte Hey'ſche Fabel.
Kinder von 6 bis 13 Jahren gebrauchen kein Lerifon zur Beleh⸗
rung über die Gegenflände, welche ein Intereſſe für fie haben; ihnen
müſſen und können Eltern und Lehrer darüber Auskunft geben, und
fher beſſere, als fie hier geboten wird. Der Berf. ſteckt als Schrifts
Reller nod in den Windeln. Wir empfehlen ihm die Leetüre guter Zus
gendfchriften, damit er den Unterfchied zwifchen Pindlicher und Findifcher
Darftellungsweife ferne.
37. Zum Felerabende. Blumen» und Fruchtſtücke für Die reifere Jugend.
Mit Beiträgen von Adermann, 9. Bertbold, G. Bofle, Ottilie Dellier,
Dr. G. Häbler, Hofrath Dr. G. Klemm, Lorenz, G. F. Mäfer, Neubert,
Wilfried von der Neun, G. Rierig, Elife Polko, Hofrath Dr. Reichenbach,
DB. Schopff, A. Semmier, Franz Biedemann, Kirchenratb Dr. Aug. Wil⸗
denhahn, P. Würkner u. A. Herausgegeben von H. 8. Stiehler, Ober-
febrer am grauenfQup- I. und II. Band. Jeder nit vier lithograpbirten
Bildern. Dresden, 6. ©. Weinhold u. Söhne. Jeder Band uber ge⸗
bunden 1 Thlr.
Beide Theile enthatten eine größere Anzahl von Erzählungen, Schil⸗
derungen, Belehrungen und Gedithten, ganz geeignet zur Selbftbelehrung
und zur Herzensbildung. Die belehrenden Aufſätze haben alie eine ans
ſprechende Form; doch haben ſich die Verfaffer glücklich gehütet vor der
auf dieſem Gebiete jet fo beliebten Phrafenmacherei, tiber welcher das
poſitive Wiſſen verloren gebt. Wir empfehlen die Schrift der reiferen
Jugend zum fleißigen Lefen.
Die Ausfattung ift fehr fhön, wenn auch von den Bildern nicht
gerade gefagt werden Tann, daß fie Kunſtwerke feien.
38. Lichtbil der zur Belehrung und Unterhaltung für die Jugend und ibre
Freunde. Don Morig Degen und Auguſt Länsky. I. und II. Band,
jeder mit vier coloritten Abbildungen. Dresden, &. C. Meinhold und
Söhne. Jeder Band fauber gebunden 1 Thlr.
Bie im Aeußern, fo ift diefe Jugendſchrift auch nad ihrem In⸗
halte der vorigen ähnlich; es wechjeln in derfelben beiehrende und unter
baltende Aufiäge mit einander ab. Ebenſo find die beiehrenden Aufſätze
in angenehmer Form dargeboten. Der beffern Beurtheilung wegen theis
len wir nachſtehend den Inhalt beider Bände mit.
l. Band: Der Weihnachtsthaler. Der Bernflein. Die brafilianis
iden Urwälder. Ein Zraum aus meiner Jugendzeit. Die Kinderwelt: -
Der liebe Gott if zu Haufe! Der Auf des Herın. Der Verlorene.
Hänschen. Heinrich Stilling. Gufan Waſa. Das Bogelnefl. Die
Sternjhnuppe. Räthſel. — Il. Band: Der treue Bage. Der arme
Knabe. Der Savoyard und fein Murmeltbier. Die alte Lerche und
ihre Jungen. Solzbader und Zeichenſchläger. Haidebild. Der Ocean
und ſcin Leben. Das Wiederfinden. Der Vogelfieller. Der lahme
Gens. Pat uns Hütten baum. Die Hamburger Börſe. Miß Auna
232 ' Jugend⸗ und Volksſchriften.
Kery und Sophie Gallen. Eine gefahrvolle Beſuchsreiſe. Der Comer⸗
fee. Der barmherzige Elephant. Gruß an den Frühling.
Die Ausfattung ift lobenswerth.
D. Belehrende Schriften.
1. Raturgefhidte.
39. Der Menſch, nad feinem Körper und feinem Geifte dem Kinde gezeich-
net von Dr. Earl Ramshorn, Director der III. Bürgerfchule zu Xeips
ig. Zweite Ausgabe. MM. 8. (XII u. 111 ©.) Leipzig, Arnold'ſche Buch⸗
Danbiung. 1855. 5 Sgr. — 25 Exemplare 3'/s Thlr.
Da diefe ‚zweite Ausgabe‘ eine bloße, auf den halben Preis her⸗
abgefegte Titels Ausgabe if, der Inhalt alfo nicht die geringfte Aende⸗
rung erlitten bat, fo koͤnnen wir auf unfere ausführliche Beurtheilung
dieſes Werkchens im VII. Bande des Zahresberichtes verweilen. Wir
haben dies für Verleger und Autor unliebfame Schickſal vorausgeſehen.
40. Ernfte und heitere Jagdbilder von wilden Thieren aus als
len Zonen. Für die teißere Jugend nach zuverläffigen Quellen gefams
melt und bearbeitet von Julius Zähler, Bchrer an der Schule zu Rath
und That in Dresden. 1, 8. (143 ©.) Dresden, C. C. Weinhold und
Söhne, 10 Ser.
Dies Werkchen bildet den 2. Band des fchon oben erwähnten „Le⸗
fecabinets der Jugend”. Wahl und Barftellung verdienen Anerkennung ;
die Jugend wird das Dargebotene gern und mit Nugen leſen. Um
anzudeuten, was fie zu erwarten bat, geben wir noch nachſtehend den
Inhalt an. - ’
Junge Löwen. Die Löwengrube. Ein Araberangriff auf den Lö⸗
wen. Der rechte Lömwentödter. Ein Elephantenkraal. Der Haifliche
fang. Der Haifiſch und der beidenmüthige Sciffsiunge Die Straus
Benjagd in Nordafrika. Ziger- Schmidt. Die Bären in den Alpen.
Bin feltfamer Bärenkampf. Eine ruffifhe Bärenjagd. Ein Ferkel und
zwei Wölfe. Der Steinadler. Der Steinadler als Kinderräuber. Die
Abgottsſchlange im Kampfe mit einem Tiger. Eine Korallenfchlange auf
dem Magen. Kampf der fchmarzen Schlange mit der Klapperfchlange.
Bang des Störs. Das Geierneft. oo
4. Robinſon's Thierbude. Ein Bilderbud für große und kleinere Kin⸗
der. Mit Verschen und Sefchtchtchen von Julius Bahler, Lehrer an der
Schule zu Rath und That in Dresden, und mit in Thon gedrudten Bils
dern nad Driginalzeichnungen, aufgenommen in der Kreu ergiihen Mes
nagerie von Kedor Flinzer. Quers4. (16 Tafeln Abbildungen und
48 ©. Text.) Dresden, &. C. Meinhold u. Söhne. Cart. mit verzier:
tem Umſchlage coforirt 1Y/s Thlr., ſchwarz 1 Thlr. 6 Sgr.
Die Thiere größerer Menagerien (Affen, Bapageien, Löwen, Gir⸗
affen, Bären, Dromedare und Zrampeltbiere, Wölfe, Hyänen, Elephan⸗
ten, Tiger, Krofodile, Pharaonsratten, Wallroffe, Gemfen u. v. a.) find
in guten Abbildungen, in malerifher Stellung und mit amgemeffener
landfhaftliher Umgebung, dargeftellt und mit einem für Kinder geeig⸗
neten Terte, zum Theil gereimt, begleitet worden. ©. 32 theilt der
Verfaſſer noch mit unzweifelhafter Gemwißheit das „alberne Maͤhrchen“,
Jugend» und Volksſchriften. 233
wie Tſchudi ſich auedrückt, mit, daß die Bemfeniäger ſich die Fußſohlen
anfrigen, um ficherer Über das glatte Eis gehen zu fönnen. Auch die
©. 37 unter der Ueberfprift: „Die Schlange als Tänzerin‘ mitgetheifte
Erzählung Mingt fehr fabelhaft. Die Naturgefchichte bietet fo viel In
tereffantes auch für Die Jugend dar, dag man gar nicht nöthig hat, zu -
Uebertreibungen und fabelhaften, nicht beglaubigten Erzählungen feine
Zuflucht zu nehmen.
Die Ausfattung iſt gut; über die Befchaffenheit des Eolorits ber
Abbildungen Lönnen wir nicht urtheilen, da und nur ein Exemplar mit
ſchwarzen Bildern vorliegt. 2
42, Raturgefhihte des innern Erdballs, oder die Urwelt. Für die
Jugend. Bon Fr. Elemend. Mit zahlreihen Abbildungen. 1.—3. Lies
ferung. El. 8. (Bogen 1—12, mit 14 Tafeln Abbildungen). Hamburg,
Otto Meißner. 1856. Jede Lieferung 6 Ger.
Die Geologie if in neuerer Zeit mehrfach Gegenftand populärer
Schriften gewefen und hat dadurch eine erfreulihe Verbreitung gefuns
den. Der Berfafler hat verfucht, fie auch der Jugend zugänglich zu
machen. Bir halten diefe Aufgabe für fehr fchwierig und glauben, daß
nur mündlicher Unterricht, der fih auf Erperimente Kübt und zugleich
alle wefentlichen Beftandtheile der Erdfrufte dabei zur Anfchauung bringt,
fie Iöfen kann. Die Durchſicht diefer Hefte hat uns in diefer aus eige⸗
ner Erfahrung bervorgegangenen Anficht beftärt. Um recht deutlich zu
werden, bat der Derfafler die Gefprächsform gewählt; leider hat ihm
aber diefelbe nur dazu gedient, . feinen Vortrag durch Herbeiziehen von
Rebenfahen und ganz fremdartigen Dingen breit und ungenießbar zu
machen, ihm die fo nothwendige Weberfichtfichkeit zu rauben. Wir Fönnten
dies, wenn es nothwendig erfchiene, durch zahlreiche Beiſpiele bemeifen.
Aber nit bloß in der Form halten wir das Werk für verfehlt, auch
der Inhalt befriedigt uns nicht. Bei der Belehrung der Jugend muß
ale erfte Bedingung feftgehalten werden, nur Thatfachen, anerkannte, unbes
jweifelte Wahrheit zu geben, nicht ſchwach begründete, nur auf den
Glauben berechnete Hypothefen. Hiergegen fehlt der Verfaſſer in hohem
Maße. Wir wiffen recht gut, daß die Geologie zur Zeit nicht ohne
Benutzzung von Hypotheſen vorgetragen werden kann; aber man muß,
was der Berfaffer nicht thut, unterfcheiden, was davon haltbar ift und
der Jugend frommt. Der Jugend unhaltbare Hypotheſen vortragen,
heißt, Re zum unfruchtbaren Speculiren, flatt zum Beobachten anleiten.
Es würde uns zu weit führen, wollten wir bier eine Zufammenftellung
aler der unnützen Hypotheſen verfuchen, die der Verfaſſer auftifcht; es
wird, um unfere Anficht zu begründen, genügen, auf eine einzige hin⸗
zuweiſen. Es if bekannt, daß man gegenwärtig noch nicht im Stande
iR, überzeugend die Entflehung des Meerfalzes nachzumeifen. Statt
bierbei ſtehen zu bleiben, muthet der Verfaſſer feinen Meinen Lefern zu,
fi} einzuprägen, daß das Meerfalz mit feinen Beimifhungen in großen
Maffen aus dem Weltenranme auf die Erde ‚niedergeftürzt jei, und ſtuͤtzt
Ach Dabei auf das Herabfullen von Meteorfleinen und die von den Aftros
nomen für möglich gehaltenen Stometenflürze. Wer der Ternenden
234 Jugend: und Volksſchriften.
"Jugend gumuthet, fo Etwas zu glauben, der macht fie dumm, flatt fe
aufzuflären. Um wie Bieles wäre der Berfafler der Sache näher ger
kommen, wenn er den Kindern gezeigt hätte, auf welche Weile Salze
durch chemiſche Proceſſe entftehen.
Auch gegen den Plan des Buches Tieße fich Bieles einwenden, wenn
ſich's verlohnte, darauf einzugeben.
Die beigegebenen Abbildungen find für den beabfichtigten Zweck
ganz brauchbar und nehmen fih auf dem gelbbraunen Papiere recht
gut aus.
2. Technologie.
43. Das Buch der Erfindungen, Gewerbe und nur ken Zweite,
geratig urmgearbeitete Auflage. Durägefeben von Fr. G. W Erfter
and. In zwei Abtbeilungen. Br. 8. (XIV, 220 u. 200 * Leipzig,
D. Spamer. 1856. Geh. i!/s Ihlr. leg. geb. 1% Thlr.
Dies Werk hat den erwarteten Beifall gefunden und erjcheint daher
fhon nad wenigen Jahren in einer neuen, durchweg verbeflerten Aufs
lage. Bei dem großen Aufihwung, den die Induſtrie jept genommen
bat, find derartige, von Sachkennern abgefaßte Schriften für Jedermann
von Bedeutung; für die Jugend, die im Begriff iR, fich einen Beruf
zu erwählen, von doppelter Bedeutung. Die Wahl eines Berufes wird
oft aus Mangel an Kenntniß der verfchiedenen Berufsarten ſehr ſchwer;
eine Schrift, welche diefen Mangel befeitigen hilft, wird daher allezeit
eine ſehr willfommene fein. Ganz abgefehen alſo von der Rüglichkeit
derartiger Kenntniſſe an und für fih, empfehlen wir das hübſche Werk
ſchon von diefem Gefihtspunfte aus beſtens. Die Ausfattung deſſelben
iſt ſehr ſchoͤn.
Der vorliegende Band enthaͤlt in ſeinen beiden Abtheilungen Fol⸗
gendes: Die Geſchichte des Papiers. Die Erfindung der Buchdrucker⸗
kunſt. Die Erfindung des Naturſelbſtdrucke und der Chemitypie. Die
Geſchichte der Holzſchneidekunſt. Der Kupfers und Stahlſtich und der
Kuyfers und GStahldrud. Die Erfindung des Steindrude. Die Er⸗
findung der Stenographie. Die Erfindung der Daguerreotypie und
Photographie. Die Erfindung des Bulvers und der Feuerwaffen. Der
Magnetismus und die Electrieität. Die Erfindung des Blipableiters.
44, Unterbaltende geriehrungen jur ARABIEN net
ntlbung. 24. Bändden. Das Glas. Don Joh. Mud. Wagner.
kl. 8. (62 ©.) Leipzig, F. A. Brodhaus. 1855. 5 Ser.
Seit einigen Jahren ift unter obigem Titel eine Reihe von Schrif⸗
ten erjchienen, die den Zwed haben, fih in anfprechender, unterhalten
ber Form über Gegenflände von allgemeinem Sntereffe zu verbreiten.
Die Mehrzahl derfelden ift für Erwachſene beredynet, dies bier genannte
Bändchen Tann aber auch von ber reiferen Jugend, von gut befchulten
12 — 1Ajährigen Knaben mit Nupen gelefen werden, da, die kurze, ganz
unwefentlihe Einleitung etwa abgerechnet, Alles vollkommen verſtaͤndlich
dargeftellt il. Ohne irgendwo breit zu werden, behandelt ber Berfaffer
ben Gegenſtand doch erſchoͤpfend und giebt dabei zugleich eine volllommne
x
Zugend- und Bolksſchriften. 235
Veſchichte deſſelben, hinaufreichend bis auf die neuſten Berbeflerungen in
der —— und in der Verwendung. Bir empfehlen das Schrift⸗
um beßens.
8. Geographie.
45. Das Bollslchen und die Ratur des Standinavifhen Rots
dens von ©. 9. Mellin. I. Lappland. Schwedens Nomaden oder
Bilder aus dem Hirtenleben der Gebirgswüſten. Aus dem Schwediſchen
von Dr. C. %. Schirf. M. 8. (165 S., Leipzig, W. Einhorn Bers
lag. 1856. 10 Ser.
Am Faden einer anziehenden Gefchichte macht dies Werkchen uns
in fehr angenehmer Weiſe mit dem hoben Norden Europa’s, mit Lapp⸗
land, feinen Bewohnern und ihrer eigenthümlichen Lebensweife befannt.
Die Behandlung der Gegenflände ift der in Steffens „Vier Norwegern“
ſehr ähnlich, und wir fönnen verfihern, daß wir dieſe ‚Bilder aus
dem Hirtenleben der Gebirgswüſten“ mit demfelben Intereſſe gelefen
haben, wie jenen trefflihen Novellen» Kranz. Es if ein Werk, das
ganz geeignet ift, den geographifchen Unterricht zu ergänzen, und Tann
der reiferen Jugend, Knaben wie Mädchen, beftens empfohlen werden.
Die Berlagshandlung wird fih ein Berdienft erwerben, wenn fie recht
bald eine Fortfeßung erfcheinen Täßt.
Die Ausftattung iſt gut, auch die Titelverzierung, die Scenen
aus der nordifchen Natur und dem Leben der Lappen darftellt.
46. Das Vaterlandsbuch. Illuſtrirte Hans» und Schulbibliothel zur Er»
weiterung der Heimathskunde, ſowie zur Erwedung vaterländifchen Sinne.
Herausgegeben unter Mitwirtung von Dr. &. Bogel, Jof. Wenzig
und Fr. Körner. V. u. VI. Band.
Aud unter dem Titel:
Sllufrirte Fgeographiſche Bilder aus Preußen. Schilderungen
aus Ratur, Geſchichte, Induſtrie und Volksleben. Herausgeben von
& Körner, Oberlchrer an der Realihule zu Halle. Eriter Band.
Bilder aus Brandenburg und Preußen. Mit über 70 in den Zegt ges
drudten Abbildungen, einem Titelbilde und vier Thondrudbildern. gr. 8.
(X u. 174 S.) Zweiter Band. I. Baterländifhe Bilder aus Schlefien
und Poſen. I}. Vaterländifhe Bilder aus Pommern... Mit 80 in den '
Text gedrudten Abbildungen und drei Thonbildern. (V, 118 u. 66 ©.)
Leipzig, Otto Spamer. 1856 u. 57. & 25 Ger,
‚ Auf das „Vaterlandobuch“ if bereits im vorigen Bande des Jahres»
berichtes bingewiefen worden. Es ift ein ebenfo nüpliches als gut ans
gelegtes Unternehmen, dem Herausgeber und Berleger große Aufmerk⸗
famfeit widmen. Die uns vorliegende Abtheilung umfaßt einen Theil
von Breußen. Vieles daraus haben wir mit Bergnügen gelefen. Der
Verfaſſer bat meiftens gute Quellen benugt und fih einer lebhaften, ans
regenden Darfellung befleißigt, Die eingedrudten Holzſchnitte find fchön
und unterflügen die ſchriftliche Darftellung weſentlich Wir empfehlen
das Werk der reiferen Jugend, auch den Lehrern der Geographie zur
Belebung des Unterrihte. _
Um den reichen Inhalt des Werkes anzudeuten, geben wir nach⸗
Behend Die Ueberſchriften der Hauptabſchnitte an,
x
236 Jngend⸗ und Bolfsfchriften..
I. Band. Einleitung. Preußen und fein Königshaus. — a. Bil«
der aus der Mark Brandenburg. Land und Leute. Echlachtfelder der
Kurmark. Die preußifche Hauptfladt und ihre Merkwürbigkeiten. Aus»
flug nad Charlottenburg und Potsdam. A. v. Humboldt’ Landhaus
zu Tegel. Borfig’s Etabliffement in Berlin. Preußens Wehrfraft und
Heerwefen. — b. Bilder aus Preußen. Land und Leute. Preußens
Krönungsftadt. Das Schloß Marienburg. Danzig und feine Umgebung.
Thorn und fein berühmtefter Sohn. Die Heldenſchlacht bei Tannenberg.
Urwald einer oftpreußifchen Haide. Die Eifenbahnbrüde bei Dirſchau.
Die Gewinnung des Bernfleins. — 11. Band. a. Bilder aus Schleflen.
Land und Leute. Das gewerbreihe Schleflen. Das Niefengebirge und
feine Sagen. Breslau. Die fchlefifhen Schladhtfelder. — b. Die Bros
vinz Pofen. Land und Leute. Städte und Merkwürdigkeiten Poſens. —
c. Bilder aus Pommern. Land und Leute. Die Handelsſtadt Stettin
und die Infeln der Odermündung. Pommerfche Städtegefhichten. Die
Infel Rügen.
4 Geſchichte.
47, Alexander der Große von Makedonien. Ein Rebensbild in epi⸗
[hen Gedichten von Dr. Morig Döring. Mi. 8. (96 S.) Freiberg,
Graz u. Gerlah. 1856. 12 Sgr.
Das Leben Alezanders ift der Jugend mehrfach in bejonderen Schrifr
ten dargeboten worden, ob auch in epifchen Gedichten, ift uns unbe
kannt. Bei der Wichtigkeit epifcher Dichtungen für den Geſchichts⸗
unterriht muß uns jede neue derartige Babe willlommen fein, wenn fie
den Anforderungen entſpricht. Und dies Fann von der hier genannten
gefagt werden. Dreißig Begebenheiten aus dem Leben des großen Kür
nigs führt der Dichter mit Treue und Lebendigkeit vor und weiß dabei
geſchickt zu vermitteln, daß wir den Helden vollftändig kennen und feine
Pläne und Thaten richtig beurtheilen lernen. Wir glauben, daß Schüler
die Gedichte mit Vergnügen und Rupen lefen werden, wenn ihnen in
der Gefchichtsftunde das Leben Alexanders vorgetragen worden ifl.
48. Die Homeriſchen Sung frauen, eine Gabe für Bla land Jung:
frauen, von Hermann ieh ler. 12. (102 ©.) Liffe, € Günther.
1856. Sauber geb. 20 Ser.
Der Berfaffer bietet den deutſchen Jungfrauen in dieſem Büchlein
Spiegelbilder dar, entnommen aus der Vergangenheitsferne. Dieſe Spiegel⸗
bilder find einfache, prunkloſe, erhabene Geſtalten, Muſterbilder, würdig,
von unſern Jungfrauen gekannt und, ſo weit die Verhaͤltniſſe der Gegen⸗
wart es erlauben, nachgeahmt zu werden.
Ein Rachwort abgerechnet, in dem der Berfafler fich über den
Zweck feines Büchleins ausfpricht, zerfällt das Ganze in folgende 10 Abs»
fhnitte. 1. Bon der Heimath der Domerifhen Jungfrauen. 2. Bon
den Unterfchieden der Stände, von Herrfchenden und Dienenden, von
Freien und Sclaven. 3. Bon den himmlifchen und irdifchen Jungfrauen.
4. Bon der Homerifchen Zungfrauen Geburt und Erziehung, von ihrer
Frömmigkeit, ihren Befchäftigungen und Kunftfertigfeiten. 5. Bon der
Sugend= und Volksſchriften. 237
Bohnung, der Kleidung, dem Schmude und Puhe der Mädchen. 6. Von
dem Verkehre der Mädchen unter einander und mit Sünglingen. 7. Bon
der Mädchen Freud’ und Leid, vom Lachen und Beinen. 8. Bon der
Liebe Luf und Leid, vom Küffen und Schwärmen, vom Gcheiden,
Meiden und Nimmerwiederfehn. 9. Vom glüdlihen Brautßand und
von der fröhlichen Hochzeit. 10. Naufifaa.
Die Darkellung iR fehr anfprechend, im Ausdrud gewählt; man
fühlt e8, daß der Berfafler die Ilias und Odyſſee volllommen kennt.
Bo es angemeffen eriheint, da läßt er den Dichter ſelbſt eintreten; das
durch haben die Bilder eine große Friſche bekommen. Wir glauben,
daß ſie von allen nach höherer Bildung frebenden Zungfrauen mit Ver⸗
gnügen und Nutzen werden gelefen werden und wünſchen dies mit dem.
Berfafler.
Die Ausſtattung ift recht ſchön, auch das beigegebene Titelbild.
5. Mythologie.
49. Katehismus der Mythologie von Johannes Mindwis: Mit
72 in den Text gebrudten Abbildungen. M. 8. (VIII u. 263 ©.) Leip⸗
sig, 3. 3. Weber. 1856. 10 Ser.
Bei dem Umfange, welchen das Etubium unferer Klaſſiker gewonnen
hat, wird eine ausreichende Kenntniß der Mythologie immer nothwen⸗
diger,, natürlich auch für die Jugend. Aber die wenigften Schulen has
ben Zeit, die Mythologie in befonderen Unterrichtöftunden und im Bus
fammenhange zu lehren; bie große Mehrzahl derſelben muß fih auf
gelegentliche Mittheilungen beihränten und eine Vervollkändigung ders
felben dem Privatfleiße der Schüler überlaffen. Zür diefen Zwed halten
wir dem hier angezeigten ‚Katechismus der Mythologie‘ für fehr ges
eignet. Er führt alles Weſentliche in fchöner, klarer Anordnung vor
und markirt das Einzelne gut durch die aufgeworfenen ragen. Zum
Lefen eines Katechismus pflegt man ſich in der Negel nur ungern zu
entſchließen, da die mit diefer Darfellungsform gewöhnlich verknüpfte
Breite etwas Abfloßendes hat. . Für den Selbfiunterricht ift diefelbe ins
deß angenehm, da fie den Lehrer am erſten zu erfegen im Stande if,
Dazu kommt außerdem hier noch, daß die Zatechetifche Form in dieſem
Werkchen ganz und gar nicht zu jemer unangenehmen Breite Anlaß ge
geben hat; die Fragen find durchweg nur benugt worden, wie in ans
dera Büchern etwa Paragraphen »Veberfähriften. Die Antworten find
daher auch nicht nackte „Ja's“ und „Nein’s,‘ fondern are, zufammens
hängende Darfiellungen des betreffenden Gegenſtandes. Wo es erfors
derlich war, if der fhriftlihen Darfiellung überall auch eine bildliche,
eim fehöner Holzſtich, beigegeben worden,
Um den reihen Inhalt des Werkchens anzudeuten, geben wir
nachſtehend die Hauptabfchnitte deffelben an.
I. Bedeutung, Anfang und Urfprung der Mythologie. IT. Die
indifche Mythologie. III. Die perfifche Mythologie. IV. Die egyptifche
Aythologie. V. Die griehifchsrömifche Mythologie. VI. Die nordifce
deutſche Mythologie,
238 Jugend⸗ und Bolfsihriften.
Durch ein ausfübrliches Regifer und ein Verzeichniß der Abbil⸗
dungen wird der Gebrauch des Dudes, Das wir hiermit der reiferen
Jugend wie auch Erwachſenen beftens empfchlen, ſehr erleichtert.
50. Der Eivmp oder Myibolegie der Griechen, Römer und
Egrvier. Mit Einfluß der nordifgen und indifhen ®öt>s
teriebre. Zum Ecibüunterridt für Pie ermadfene Jugend und ans
gehende Künttler, fewie für böbere Lehrankaltn von A. Bd. Petiſscus.
zehnte, verbeſſerte Auflage. Mit 67 a Abbildungen in Holz⸗
IGniten. 8 IVu 86) 8 6. F. Amelang's Verlag (Br.
Boldmar). 1 Zbir., fein gebunden 1 Eh
Der „Eiymp’ von Petiscos if ein fo aflgemein gefanntes und
wegen feiner Maren Darſtellung gefhägtes Buch, daB es genügt, auf
das Erfcheinen einer neuen Auflage hinzumeilen. Rur das fei hier noch
hinzugefügt, daß die Berlagshandiung Alles aufgeboten bat, das Werk
innerlih und äußerlih dem gegenwärtigen Stande entſprechend erſcheinen
zu laſſen. Der Zert ſteht auf der Höhe der Wiffenfhaft; die Abbil«
dungen — Holzfike von 2. Krepfdamar jun. in Thondruck — find
vortrefflih , wirflihe Zierden; und Drud und Bapier laffen Richie zu
wünfcen übrig. Wir empfehlen das brauchbare Bud recht angelegent-
lid. Exemplare in dem febr faubern Bande der Berlagshandlung em⸗
pfehlen ch als werthvolle Feſtgeſchenke
6. Aeſthetik.
51. Ehr. Deſer's Briefe an eine Jungfrau über die Hauptgegen⸗
Hände der Aeſthetik. Gin Weihnachtéegeſchenk für — und Jung⸗
frauen. Fünfte, bedeutend —332 und verbef! ker 9 kr Bearbeitet
und herausgegeben von U. IE. Grube ſerg5 dem und Holz⸗
ſchnitten. 8. (X u. 492 ©.) Leipzig, Fr. — 1857. 224. Ihir.
Dies Berk wird mit jeder Auflage vortreffliger und fchöner. Der
Zert it um 25 Seiten vermehrt worden, und zu den bisherigen Ab⸗
bildungen find fünf Portraits binzugefommen, nämlich von Göthe,
Schiller, Kaulbach, Beethoven und Raub. Die Laoloons Gruppe if
ganz neu und größer gearbeitet worden, ale fie in ber vorhergehenden
Auflage war.
Dbwohl dies Wert zunähf nur für „rauen und Jungfrauen‘’
gefchrieben iR, fo halten wir doch dafür, daB es au von Zünglingen
und Männern mit vielem Rupen wird gelefen werden; denn über bie
Gegenſtaͤnde, welche daſſelbe behandelt, muß fi jeder ein Urtheil bilden,
der auf allgemeine Bildung Anſpruch machen will. Die jüngeren Lehrer
namentlih werden ed uns danken, wenn wir fie befonders anf Dies
Buch aufmerffam machen. Um kurz anzubeuten, was fie in bemjelben
finden, geben wir nachſtehend den Inhalt deffelben an.
Beranlaffung der Briefe. Bon den Kräften der Seele. Bon der
Aeſthetik. Aeſthetiſch und fhön. Die Naturfchänheit. Das Schöne in
der Natur und Naturfinn. Die Kunftfhönheit. Die Phantaſie. Das
Phantaſtiſche. Praktiſche Aefibeti. Genie und Talent. Ernſt und
Spiel in der Kunſt. Ernſt und Scherz des Künſtlers. Das Erhabene,
Anmuthige und Reizende. Bon der Eintheilung der Künfte. Bon der
Sugend = und Volksſchriften. 239
Baufunf, beionders der griechifchen. Bon der gotbifhen und neuern
Bankunſt. Das Weſen der Baukunſt überhaupt. Bon der Bildhauerei.
Laofoon. Bom vatifanifhen Apoll. Bon der modernen Bildhanerei.
Hauts und Basreliefs. Kameen und Gemen. Der hohe Styl der
Griechen. Die Prinzeffin Marie von Würtemberg. Bon der Malerei.
Statienifhe Schule. Die deutſche und niederländifhde Schule Styl und
Nanier. Die Mufll der Alten. Die neuere Muſik. Allgemeines über
Muſik und Gefang. Ueber Reinheit der Tonkunſt. Bon der Poeſie.
Die poetifche Schönheit. Von den Redefiguren. Der Big. Der Humor.
Yan Paul. Die Alegorie. Bon der Nhetoril. Der Vers. Vom
Reim und den Dichtern. Die orientalifche Posfie. Die grieadise Poeſie.
Homer. Lyrik der Griechen. Dramatiſche Poeſie der Griechen. Naive
und ſentimentale Poeſie. Die römiſche Poeſie. Romantik. Die ita⸗
lieniſche Poeſie. Shakeſpeare. Die franzöfifche Poeſie. Die deutſche
Boche bis Klopſtock. Die deutſche Poeſie bis Gothe. Göthe und Schiller.
Hermann und Dorothea. Uhland und Rückert. Lord Byron. Nikolaus
Lenau. Alaſſiſche Ruhe bei GOothe und Schiller. Ueber Göthe, den
Menſchen. Neueſte deutſche Poeſie. Bon der Schaufpiels und Tanzkunſt.
Bon der Gartenkunſt. Cinfluß äfthetifcher Bildung auf das Gemüth.
Die Ausfattung des Buches if ausgezeichnet, wie Alles, was aus
dem Brandfetterihen Verlage hervorgeht.
E. Schriften religtöfen Inhalte.
52. Das fromme Kind. Ein — ur häuslichen Erbauung für Kinder
bis zur Confirmation von u By , ordentl. Lehrer an der ver
einigten Raths⸗ und Wendler’ an ger ul. 8. (XI und 112 ©.)
Leipzig, Ed. Haynel. 1856. 12 Ger
Das Büdlein Hat fi den (hönen Bwed gelebt, das Fleinere Kind
za Gott zu führen. Es beginnt daher mit leicht verfändlichen Verochen
und Gedichichen, welche das Kind aufmerffam machen auf die Werke
Gottes, und Liebe, Bertrauen und Dankbarkeit zu demfelben erweden.
Hierauf folgen Verschen, die anregen follen zur Pflichterfülung. An
dieſe fchließen fi Gedichte, weidhe die DHauptmomente aus dem Leben
Jeſu darfiellen. Dann werden eine Anzahl Gebete mitgetheilt, und den
Schluß bilden religlöfe Gedichte für weiter in der Erfenntniß vorge⸗
rädtere Kinder, die fih auf Gott, fein Walten, biblifche und kirchen⸗
geſchichtliche Perſonen ꝛc. beziehen.
Ein Theil der dargebotenen Gaben rührt vom Herausgeher ber,
die übrigen find von anerkannten Dichtern. Wohl alle find geeignet,
religiöfe Gefühle in den jungen Lejern zu erregen und deren Borflels
lungen von Gott und Jeſu zu läutern; daher empfehlen wir das Büchs
kin zu reät fleißigem Gebrauch. Der Verleger hat daffelbe freundlich
ausgefattet.
F. Gedichte. Gedichtſammlungen.
53. Cbriſtabend. Feſtidyll von Fedrich Dörr. 12. (VIiI u. 75 ©.)
Dee, Ed. Anton. 1856. 15
240 Jugend- und Volksſchriften.
Der Dichter ſchildert uns eine Weihnachtsbeſcheerung, wie ſie im
nordlichen Deutſchland in wohlhabenderen, aber einfach lebenden Fa⸗
milien ausgeführt zu werden pflegt. Der gut gewählte Gegenſtand if
würdig behandelt. Wir lernen hier einen jungen Dichter kennen, der
mit Voß wetteifert. Sein „Chriftabend’’ verdient einen würdigen Plaß
neben der „Luiſe;“ Die Hexameter deffelben leſen ſich fogar fließender.
Möchte der Dichter diefe Bahn öfter betreten! Die reifere Jugend wird
ihm für feine Gaben danken.
Die dem Gedicht vorangehende Auseinanderfegung über die befolgte,
fehr flörende Orthographie bätte der Dichter weglaffen follen; Erftlingse
Dichtungen find nicht der Ort dafür. Ehe wir überhaupt fo weit kom⸗
men werden, zu fchreiben, wie unfer Dichter, müflen noch fehr bedeu⸗
tende Reformen auf diefem Gebiete vorangegangen fein. "
54. Das deutfhe Kinderbuch. Altberfömmliche Reime, Lieder, Erzäbe
lungen, Webungen, Rätbfel und Scherze für Kinder, gefammelt von Karl
imrod. BZweite, vermehrte Auflage. 8. (XI u. 348 ©.) Frank⸗
urt a. M., H. 8. Brönner. 1857. %, Thlr.
- . Dies Buch enthält: 1. Ammenfherze. 2. Schooßs und Knie
liedhen. 3. Buchſtabirſcherze. 4. Wiegenlieder. 5. SKindergebete.
6. Kinderpredigten. 7. Allerlei Lieder und Reime. 8. Verkehr mit der
Natur. 9. Rahahmungen. 10. Spiele (1. Beim Abzählen. 2. Reime
bei Spielen. 3. Beim Pfänderlöfen.).. 11. Jahreslieder. 12. Neds
Mährchen und Gedächtnißübungen. 13. Sprehübungen. 14. Deutfch
oder Wälfh? 15. Räthfel.
Wie der Titel andeutet, find das nicht moderne gemadte Reime
und Lieder, jondern „altherkömmliche,“ wie fie im ganzen lieben deut⸗
fhen Vaterlande, in allen SKinderfiuben und auf allen Spielpläßen feit
unbefannten Zeiten bekannt und in Gebrauh find. Sie bilden die eis
gentliche, urdeutſche Kinderpoefie, in der die Mehrzahl von une groß
geworden ift, und die wir auch wieder unfern Kindern überliefern müſſen,
wenn wir ihrer Jugend nicht des Schmelzes berauben wollen. Der
Herausgeber bat fih durch diefe Sammlung ein großes Verdienſt und
taufendfahen Dank der Kinderwelt erworben; fie follte in feinem Haufe
für Mütter, Ammen, Kindermädchen, Erzieherinnen und — Kinder fehlen.
Die Ausflattung iſt anfprechend.
55. Album deutfher Poefie für Deutfhlande Jugend vom frühen
Kindesalter bis zur höhern Entwidelung als Züngling und Jungfrau in
eordneter Stufenfolge zur Einführung derfelben in unfere poetiiche deutfche
ationals Literatur und als Bildungsbuh für Schule und Haus von
5 sahen. 8. (X u. 3%4 ©.) Plauen, Aug. Schröter. 1856.
Die- Sammlung ift nah einem recht verfändigen Plane angelegt
und reichlich ausgeftattet. Sie zerfällt in vier Abtheilungen, von denen
die erſte für die frühefte Kindheit, die zweite für das mittlere Alter,
die dritte für das reifere Kindesalter, die vierte für Jünglinge und
Zungfrauen beflimmt if. In jeder Abtheilung And die Gedichte nach
ben verfchiedenen Beziehungen gruppirt, in melde das Kind kommt, in
‚Sugend= und Volksſchriften. 241
der zweiten 3. B. folgendermaßen: a. Thiers und Pflanzenwelt. b. Die
Gabel befonderd. ce. Das Baterhbaus. d. Die Schule. e. Die Heis
math. f. Tugend und Gottesfurdt. g. Die Reihe der Natur. h. Der
Menib und fein Leben. Diebr als 200 Dichter find für die Samms
lung benupt worden, befannte und unbefannte; auch der Herausgeber
bat einige ganz nette Beiträge geliefert. Schiller und Göthe find aber
faum darin vertreten, was wohl darin feinen Grund hat, daB der Herr
ausgeber feine Sammlung nur zur ‚Einführung in unfere poetifche
deutſche Nationals Literatur’’ beftimmt bat. Aber diefer Zwed hätte ihn
doch nicht abhalten follen, namentlih der legten Abtheilung eine Ans
zahl fchöner Balladen diefer Meifter einzuverleiben. Son fönnen wir
der Jugend dieſe gut ausgeftattete Sammlung beftens empfehlen.
56. Deutihland, feine Natur, Gefhihte und Sage, von feinen
Dichtern befungen. Herausgegeben von 2. Gittermann, Xehrer in Magde⸗
burg. A. gr. 8. (XII u. 296 S.) Magdeburg, E. Yabricius. 1857.
25 Sgr. |
Die vorliegende erfte Abtheilung dieſes Werkes umfaßt insbes
jondere die Ratur des deutichen Landes und Volkes und diejenige
Sage, die fih, ohne gerade hiflorifhe Bedeutung zu haben, daran
fnüpft. Die andere wird hauptfählich die Geſchichte und diejenige
Sage berüdfihtigen, die mehr gefchichtliches Intereffe gewährt. 306
Gedichte unferer befiern und beften Dichter find es, welche der Herauss
geber bier ‚darbietet, nicht in bunter Unordnung, fondern überfichtlich
zufammengeftellt nad den natürlihen Provinzen Deutihlande Das if
lobenswerth, weil es den Gebrauch erleichtert. Empfohlen kann das
Bud jedem Baterlandsfreunde werden, insbefondere auch der herans
teifenden Jugend. „Auch dem Lehrer wird es wefentlihe Dienfte
leiten, infofern es ihn in den Stand ſetzt, feinen geographifchen und
geichichtlichen Unterricht auf eine das Gemüth anregende, den Baters
landsfinn wederde und Präftigende Weije zu würzen.’ Auf diefe Beſtim⸗
mung des Buches legen wir ein befonderes Gewicht; es wird den Lehr
tern nad diejer Richtung hin wefentlich nüßen.
6. Raͤthſel.
57. Rätbjel- Büchlein für Heine Keute. Mit bunten, erflärenden Bil
dern zur Seite. Quer=4. (VIII Tafeln Abbildungen und 14 Seiten
Text.) Stuttgart, 8. Thienemann. _
Diefe Räthjel gewähren mit den dazu gehörigen anfprechenden Bils
dern eine ganz hübfche Beichäftigung für 6— Sjährige Kinder.
58. Schul⸗Räthſel. Eine Sammlung ven 350 geo rapbifchen,, geichicht-
lichen und naturgefhichtlichen Charaden, ort» Rätbteln und Rätbielfragen
zur Belehrung und Unterhaltung für die Jugend. Bon C. P. Bäuchle,
Mädchen -Schufmeifter in Vaihingen a. d. E. MM. 8. (IV, 64 u 40 S.)
Stuttgart, Ehr. Belfer. 1856. 4 Egr.
Der Berfuffer empfiehlt das Büchlein hauptſächlich für den Schuls
gebrauh zur Unterflüßung des Realunterrichts. Wir geben’ zu, Daß es
diefen Zwed fördern kann, indeß doch nicht im Verhältniß zum Zeit
Mate, Iahresbefiht. X. 16
Lo
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sent Toger Tr eb Gb 0 zung np erweiien, den Ktin⸗
' er⁊ nr BE tr Babe en yaar diefer
Buy ze Ense w= zu Sure 8 ira Meint Ihe Rinder
p zigier Beibifigung ihrer Kinder
’e.z. Gizızatız sap tutereifanten
unter Jung und
Ne
NSE.
« Trier Exzmu'rng zehmen Dh zugleih dadurch
and, deß Ge seht bare Get: Urt, zum Theil von namhaften
Tiatern berrũbten. 5; ®. ren Eder, Ritet, made Schmidt
L tes Berfhen befondern Werth
Ynhang-
©. Tie Bedeutung derBer- aber Zaufnanen. mengefellt von
€. Zr. Winter, Scham ta eh
@Q1 ©.) Berim, Ih Gruben. 1856. *
Eine Heine Safe für Kinder, wm fe mit der Bedeutung ihrer
Bornamen belaunt zu machen, im denen eit ein Meburuf zum Streben
nach fitlıher Bernellfommmung liegt. Die Ramen find alphabetiſch ger
orduet, die Griiärungen burdgingig vom folgender Kürze: „Rarl,
Karola, Karelina, altd. Etarfe, Ihätige, Betriebiame.''
I. Bellsfäriften.
A. Unterhaltende Giriften.
TR I
8 Rand. Der mahnfinnige Cine Erzählung aus Südamerika
on Friedrich Serſtäker. (181 ©.)
ur Band. Rage erurn. ‚oder: Tagebuch eines Dorfſchulmeiſters.
Bon Suſtas Rieritz. (139
3. un Der orfgelebete. Bon U. 2. Pua. (220 ©.)
4,5.06. Band. Der —— Lamır Erzählung aus der Dit⸗
marfifhen Geigichte. Bon Geinrig Schmidt. (158, 155 u. 169 ©.)
7.0 8. Band. Onkel Tom’s Hütte. Eine Regergeihihte Bon
S. 8. Etowe. (219, 228 u. 203 ©.)
9%. Band. Der Künfnummern-Teufel. Cine Erzählung aus
den Leben von Heinrich Echmidt. (162 ©.)
10. Band, Der Landffürmer in Tirol. Cine Erzählung von
Y. P. Echwalbe. (118 ©.)
11. Band. Ernſt Bill, oder: Das Leben in der Familie zu Streb⸗
nannaborf Zu Nuß und Frommen erzählt von K. $. Ban:
der. (170 ©.)
12, u.13. Band. Die Zürften ale Eine Erzählung für Jeder⸗
mann von Guſtav Nierig, en 1% S) _ zahlung für Jeder
14. Band. Ein höheres —*8 oder: Die junge Griechin am
Jugend- und Völksſchriften. 243
Safe Nero’s. Eine Erzählung für das Volk und die Jugend von Ferdi⸗
and Schmidt. (134 ©.)
45. Band. Drei Monate auf der Inſel Gube Ein Gemälde
aus dem Regerleben von Hermann v. erbauen; (178 &.)
Die thätige Berlagshandiung bietet uns in Beer fangen Reihe
von Schriften zn einem unglanblid niedrigen Preife einen Bildungs»
Hoff dar, der ſich vortrefflih für Botfsbibliothefen eignet. Eine Reihe
von Lebensverhältnifien, die überall in erfter Linie ſtehen, find darin
in anziebendßer und überzeugendfier Weile gefchildert, werden daher
nicht verfehlen, vortheilhaft auf die Denk» und Handlungsweife der Lefer
einzuwirfen. Auch der reiferen Ingend Tann man diefelben getroft in .
die Hand geben; die Namen der Berfaffer bürgen für den ſittlichen Ges
halt der Schriften. Die Ausfattung ift gut.
2. Der Teufel des Goldes. GSittengemälde aus der höheren und niederen
Geſellſchaft. Don Dr. Bernhard Heßlein. Zweite Auflage. 1. u. 2.
Ihell. gr. 8. (433 u. 428 ©.) Berlin, Hugo Bieler u. Comp. 1856,
2 Thlr. 6%. Sgr.
Der Ausdrud „Sittengemälde“ paßt nur für das Buch, wenn
wir das Wort im weitelten Sinne nehmen; eigentlich lieſert es nur
Gemälde der Unfittlichkeit. Cs if ein Seitenfüd zu den „Geheim⸗
niften von Paris.” Reben einigen guten Charakteren werden uns eine
Reihe von Scheufalen aus allen Klaſſen der Geſellſchaft vorgeführt, die
durch ihre unnatürliche Neigung zum Gelde und den Mißbrauch, den
fie von bemfelben machen, Andere und fi ins Unglüd flürzen. Dies
zu zeigen, war die Aufgabe des Berfaffers; und da ihm das in ber
Hauptſache gelungen if, fo halten wir es ihm zu Gute, daß er die
Zahl der Perfonen fo fehr häuft und die Entwidelung ihres Schids
fals öfter und länger unterbricht, als es in einem Vollsbuche gut if.
Der Verfaſſer fcheint Katholik zu fein; denn unmöglich hätte er
fonk fein Buch mit der Behauptung fchließen können, daß der Sieg
des Proteftantigmus bedeutend dazu beigetragen habe, die Geldſucht zu
einer allgemein herrſchenden Leidenfchaft zu machen und Verachtung der
Armuth zu erzeugen. Gegen fol? eine Befchuldigung müſſen wir ernft-
lich Proteſt einlegen.
3. Hendrik Conſciente. Mutter Hiob. Aus dem Vlämifhen von
Rrof. Karl Arenz. Autoriſirte Ausgabe. M. 8. (169 ©.) Leipzig,
2. Wiedemann. 1856. 10 Sgr.
Der Berfaffer führt uns eine Familie vor, der lange Zeit Alles
nah Wunſch geht, die fich daher eines beneidenswerthen Glückes erfreut.
Ar das Süd if unbefländig; an feine Stelle tritt Krankheit, Ars
muth, Angriff der Ehre. In Glück und Unglüd zeigt Mutter Hiob
fh Aandhaft, vertraut auf Bott und tröftet fi) allezeit mit dem Aus—
ſpruch: es wird wohl einmal beffer gehen. Ihr Mann if ein Bild der
Unzufriedenheit; er kann fi nicht einmal über das eintretende Glüd
recht freuen und verbittert fih und den Seinigen mande Stunde das
durch, daß er an Allem mäbkelt und immer fehwärzer flieht, als nöthig
iR. As ſich indeß nad vieler Noth unerwartet Alles wieder zum Guten
16*
244 Jugend = und Volksſchriften.
wendet, da wird er endlih auch zu dem Bekenntniß gedrängt, daß
Gott barmberzig und gut fei.
Die Erzählung if durchweg fpannend, zuweilen faſt zu fpannend;
die Charaktere find gut gehalten, namentlich iſt die Mutter ein wahres
Mufterbild in der Liebe zu ihren Kindern, in der Ertragung der Schwäche
ibre8s Mannes und in ihrem ehrenwertben Berbalten im Unglüd. Bir
empfehlen das Buch beſtens; es fann auch der reiferen Jugend in die
Hände gegeben werden. Die Ausflattung if fchön.
4 Fanny Ford und Ruth Hall. Zwei Erzählungen aus dem bäus«
lichen Zeben von Fanny Fern. Ins Deufſche übertragen von G. Cleeves.
8 (IV u. 394 ©.) Leipzig, W. Einhorn’ Verlag. 1856. I Thlr.
Die Berfafferin hat in beiden Erzählungen ihre Perfonen und Bes
gebenheiten aus dem gewöhnlichen häuslichen Leben genommen, charak⸗
terifirt dieſelben aber fo vortrefflih, fo’ natürlih, daß man ihr gern
folgt und dabei an Menfchenkenntnig gewinnt, ein Gewinn, der gewiß
nicht gering anzuſchlagen if. Am meifterbafteften find ihr die weiblichen
Charaktere gelungen; Fanny Ford und Ruth Hall find trefflihe Muſter
für reifere Jungfrauen und rauen, denen wir das Buch beflens em⸗
pfehlen. Die Austattung deffelben ift fauber.
5. Martha. ine englifhe Dorfgefhichte von Anthony Smith. Aus
dem (inglifhen von 4. Diezmann. 8. (?48 S.) Ebendaſ. 1856. 18 Egr.
Was man bei uns in Deutfchland unter einer ,, Dorfgefchicdhte‘
verfteht, enthält dies Buch nicht; die Hauptſache in demfelben bildet
vielmehr das Leben ſchlechter Diebsgefellen, Räuber und Hehler, die
fhlieglich ihren verdienten Lohn empfangen. Die Hauptperfon, Martba,
ift ein fchwanfender Charakter, der fich indeß endlihd durch vielfache
Leiden abflärt und Befriedigung gewährt. Das Bud regt durd die
vielen &räuelfcenen, die es vorführt, fehr auf und peinigt den Lefer;
fann daher nicht als Volksſchrift im Sinne von Jeremias Gottbelf
gelten. Es wird feine Lefer unter den Liebhabern des Schauer»
lihen finden.
6. Der Maronite. ine Erzählung auf gefhichtliher Grundlage, von
"Wilhelm Nedenbader. 8. (191 6.) Greiz, Otto Henning. 1855. 12 Egr.
Die Begebenheiten der neueren Zeit in der Zürfei haben den Bers
faffer veranlaßt, manche ältere und neuere Schriften über dies Land
und feine Bewohner zu lefen. Um feine Studien auch Andern zu Gute
fommen zu laffen, bietet er die Nefultate derjelben in diefer „ Erzäbs
lung‘’ dar. Die Begebenheit, welche derfelben zu Grunde liegt, bat
fih vor mehr als hundert Jahren zugetragen. Sind die Türken jetzt
noch diefelben? Begehen fie noch ähnliche Grauſamkeiten, wie die bier
erzählten? Biel beffer fieht es allerdings wohl noch nicht aus; aber
die Türkei befindet fih doch wohl auf dem Wege der Eultur begriffen,
und unter ſolchen Umſtänden iſt es vielleicht nicht ganz zu billigen,
deutjche Leſer gegen fie einzunehmen. Aber TIhatfachen bleiben That⸗
faben. Wer daher mit der Denkweife der Zürfen früherer Zeiten in
angenehmer Weiſe befannt zu werden wünfcht, der mag dies Büchlein
fd
Jugend = und Volksſchriften. 245
fefen. Der Berfaffer erzäplt im Ganzen gut, menngleih man feiner
Erzählung leicht anfieht, daß das Material dazu etwas zufammengefucht
iſt. Hier und da Fönnte auch die Darftellung nod etwas fließender,
der Ausdrud gewählter fein. Der Ton erinnert vielfah an den ber
Miſſionsberichte.
⸗
B. Belehrende Schriften.
1. Raturfunde
7. Dr. Ernft Ehladni der Akuſtiker. "Eine Biographie und gefchicht-
liche Daritellung feiner Entdedungen zur Erinnerung. an feinen hundert»
jährigen Geburtstag, den 30. November 1856, von Dr. W. Bernhardt.
8. (V u. 105 ©.) Wittenberg, Kranz Mohr. 1856. 15 Ser.
Chladni's Verdienſte um die Akuſtik find zu befannt, als daß es
nöthig wäre, bier befonderd darauf aufmerffam zu machen. Dagegen
aber weiß man wenig über fein Leben, und über die Art, wie er feine
wichtigen Entdelungen machte. Die vorliegende Schrift giebt hierüber
fehr dankenswerthe Auskunft, und zwar in anjprechender, allgemein vers
Rändlicher Weile. Dabei bleibt der Berfaffer nicht bei dem Hiſtoriſchen
Regen, fondern führt den Leſer ganz unvermerkt in die Wiffenfchaft
jelbR ein und erläutert die betreffenden Theile in anfchaulicher Weiſe.
Bir empfehlen daher die Schrift denfenden Freunden der Naturwiſſen⸗
haften, in&befondere auch den Lehrern. Das beigegebene Portrait
Chladni's if recht gut gearbeitet.
3. Die Ratur im Dienfte des Menfhen. Kür die erwachfene Jugend
und alle Freunde der Natur dargeflellt von edrih Körner, Ober⸗
lehrer an der Realfchule in Halle. 3. Band. Br. 8 «VIu 181 ©.)
6 ! Bernh. Schlide. 1857. In elegantem Buntumſchlage brofirt.
Auch unter dem Titel:
Das Baffer, feine Wirkung und deren Benupung.
Der Inhalt zerfällt in folgende Abtheilungen: 1. Das Waffer in
feiner elementaren Bedeutung ale ſchaffendes und zerftörendes Element.
1. Die Geftalten des Waſſers. 2. Die Fleineren Anfammlungen des
Baflert. 3. Die größeren Waflerfammlungen. 11. Das Waffer als
erdgeftaltende und belebende Macht. 1. Die Flüſſe. 2. Die Auswafchung
der Erdoberfläde. 3. Die Niederfchläge des Waſſers. 4. Landbildungen
durch Waſſerpflanzen und Waſſerthiere. 5. Das Waffer als Ernäbrer
der Pflanzen. 6. Das Wafler als Ernährer des Menfchen. III. Das
Waſſer als Arbeitskraft und Wafferbauten. 1. Das Waffer als Arbeits»
kraft. 2. Stroms und UÜferbauten. 3. Wie man über’s Waffer kommt.
4. Der Welthandel und die Seeftädte.
Aus diefer Angabe erficht man, daß das Werl, wie die früheren
Bände, manchen intereffanten Gegenfland behandelt, auch ſolche, die
man dem Titel nach nicht hier erwartet, wie die Kapitel aus der Geos
Iogie_und Botanif. Uns würde es widerfireben, das Alles unter dem
Titel: „Das Waſſer“ darzubieten, doch behält der Verfaſſer Recht, wenn
er fagt: Das ſteht ja Alles in Beziehung zum Wafler.
246 Jugend = und Volksſchriften.
Die Darftellungsweife des Berfaffers iR aus den- früheren Bänden
und verwandten Arbeiten befannt. Das Streben, anziehend zu fchreiben,
verleitet ihn, mehr zu fchüldern, als uns gut dünkt. Nebhuen wir auch
an, daß der Verfaffer bei feinen Lefern guten Schulunterricht, naments
lid) naturkundlichen, vorausfegt, fo glauben wir doch, daß eine ruhige,
auf rechte Veranſchaulichung abzmedende Darftellung ſich erfolgreicher
für den Selbftunterricht erweiſen bürfte, insbefondere für die, welche
nur eine mäßige naturwiflenfchaftlihe Schulbildung erhalten haben, ein
Ball, der jetzt noch fehr häufig if.
Was den Inhalt ſelbſt anbelangt, fo haben wir bein Lefen die
Ueberzeugung gewonnen, daß der Verfaſſer der Arbeit wohl nicht ganz
gewachſen war. Wir wollen das durch einige Beifpiele zu beweifen fuchen.
Seite 5 iſt von den feinen Nadeln des „Staubſchnees“ der Polar⸗
gegenden die Rede. Es Heißt dort won ihnen: „ſie gehen durch Die
dichten Pelzfleider bis in die Poren der Haut, oder beim Athmen in
die Lungen und erzeugen gefährliche Strankheiten. Sollten die Eis⸗
nadeln nicht fchmelzen, "wenn fie mit der warmen, von Pelzen beklei⸗
deten Haut in Berbindung fommen oder in Mund und Rafe gerathen,
wenigfiens auf dem warmen Wege bie zur Lunge?
Seite 6. „Jeder Schneeftern beftehbt aus ſeche Treuzweis überein»
ander gelegten Kryſtallnadeln oder aus fech8 Dreieden, die ein geichloffene®
Dreied oder aud einen ausgezadten Stern bilden.‘
©. 9 if vom Hagel die Rede. Ganz allgemein heißt es dafelbſt:
„Die zermalmende Kraft erhalten die Hagelkörner nicht ſowohl durd
ihre Schwere, obſchon fie mitunter ein Pfund wiegen, ale vielmehr
duch die Döhe ihres Falles, da der Hagel aus einer Höhe von
12,750 F. kommt, und in der Sekunde 892 F. durdläuft, fo daß er
die Kraft einer Gewehrkugel erlangt. Wird hiernach nicht der Lefer
glauben müſſen, der Hagel fomme immer aus diefer fo beſtimmt an⸗
gegebenen Höhe und falle in jeder Sekunde 892 F.?
. ©, 12 redet der Berfaffer vom „Steigen und Sinken der Waſſer⸗
atome; S. 17 verlihert er allen Ernfles, daß die Chemie die Körper
in unflhtbare Stoffe fheide, in ihre Urform, „in die Kügelhen
der Atome,’ zerlege, daß diefe aber fo Mein feien, daß fie „felbR
unter dem Mikroſkop nit immer fihtbar würden.” Eine
Blöße der Art kann fih wirflic nur Jemand geben, dem die Anfangs»
gründe der Chemie noch völlig fremd find. Aber man muß fih über
den Muth (!) des Berfaffers wundern, Andere über Gegenftände zu bes
lehren, über die er ſelbſt fo ſehr des Unterrichts bedarf.
Die Seite 12 und 13 verfuchte Erklärung des Gefrierens der
Gewaͤſſer ift viel unflarer, als in den befannteren Lehrbüchern der Phyfik;
des merkwürdigen Gefebes, daß Waffer, welches bi8 zu 3 Grad Wärme
erfaftet ift, fich bei weiterer Abkühlung ausdehnt, wird mit Teinem
Worte gedacht, vielmehr nur gefagt, daß ein Waflertropfen leichter wird,
fobald feine Wärme bis auf A Grad gefunfen ifl.
S. 15 wird gefagt, daß ein Chemiker das Waſſer in zwei uns
fichtbate Safe gefhieden und der forfchende Menſch dann bei genauerer
⸗
Sugend. und Volksſchriften. 247
Beobachtung gefunden babe, daß er daſſelbe in feine Elemente zer⸗
legen fönne. Das ſteht in ein und demſelben Satze.
©. 16 if der Ausdrud, daß Waffer entflehe, fobald man 8 Theile
Sauerftoff mit 1 Theil Wafferfoff verbrenne, für die gewöhnlichen
Lefer völlig unbegreiflih; ſtatt „Theil“ muß auch Gewichtstheil ger
fegt werden.
Auf derfelben Seite heißt es: „Aus einem Maaß Wafler kann
man viele taufend. Maaß der beiden Safe dur LBerlegung erhalten.‘
Stödhardt lehrt in feiner Schule der Chemie: „1000 Maaß Sauerftoff
und 2000 Maaß Waſſerſtoff geben ein reichliches Maaß Waſſer. Zwiſchen
3000 und „viele taufend Maaß“ ift doch ein großer Unterfchied.
Rah ©. 17 erzeugt der in einem Gefäße aus Wafler, Eifenfeils
ſpaͤnen und Gchwefelfäure bereitete Wafferfloff bei feinem Entweichen
eine Erploſion, wenn atmofphärifche Luft hinzutritt. Wer jemals Waſſer⸗
ſtoff bereitet hat, weiß, daß das nicht wahr if, eine Exploflon viel
mehr unter ganz andern Bedingungen bei diefem Berfuche entfteht.
Auf derfelden Seite if in ganz unflarer Weife von den Döbereiners
fhen Fenerzeugen die Rebe.
Ebendafelbft wird gelehrt, daß „8 Atome Sauerfoff und 1 Atom
Bafferftoff Wafler geben.” Darnach müßte alfo Waſſer die Formel HOs
baben. Der Verfaſſer verwechjelt bier Gewichtstheile und Atome.
©. 20 redet der Berfafler von einer „ſchwierig zu erzengenden Art
des Waſſerſtoffgaſes,“ Waflerftofffuperoryd genannt.
Unrichtigkeiten der vorftehenden Art haben wir uns noch in großer
Zahl angemerkt, ſtehen jedoch mit Rückſicht auf unfere Leſer von der
Borführung derfelben ab. Sie werden mit uns die Weberzeugung ges
wonnen haben, daß es nicht genügt, einen paffabeln Gedanken zu einem
Buche zu haben, fondern daß zur Ausführung deffelben auch Kennt⸗
riffe erforderlich find.
9. Rehrungsmitteltehre jür Jedermann, Bearbeitet von Dr. Franz
Döbereiner. 8. (XI u. 309 ©.) Deflau, Gebr. Katz. 1857. re
Diefe Schrift verbreitet pP in populärer Weife über fämmtliche
Rahrungsmittel und trägt darüber fo viel vor, als Jedermann zu wiſſen
nöthig if. Im allen Kapiteln, wo es erforderlich war, wird zugleich
“anf die BVerfälfchungen aufmerffam emacht, welche man leider jetzt in
fo großartigem Maßſtabe bei allen Habrungemitteln ausführt, was wir
nur billigen können. Den Abſchnitt über das Wafler Hat der Verfaffer
durch Seranziehen von Unweſentlichem zu weitläufig behandelt, den über
die Gewürze dagegen, wie er felbft in der Vorrede eingefteht, zu Furz.
Ungesn vermiffen wir einen Abſchnitt über die Verwendung der Nahs
rungsmittel, etwa in dem Sinne, wie er fih in Molefchotts „Lehre der
Rahrungsmittel” findet, die bloße Kenntniß der Nahrungsmittel reicht
für die Mehrzahl der Lefer noch nicht aus.
Die Ausſtattung iſt gut.
10, Rabrungsmittel und Speifewahl nad Aller, Jahreszeit, Ber
j&äftigung und Körper ufand. Don Karl Reclam. 8. (80 ©.) Leipzig,
F. 9. Brodhaus. 1855. 5 Ser.
\
248 Jugend » und Volksſ äriften,
Dies Wert bildet das 23. Bändchen der fhon ofen erwähnten
„Unterhaltenden Belehrungen zur Förderung allgemeiner Bildung.” Ob⸗
wohl daffelbe fehr gedrängt gehalten ift, fo wird doch das MWefentlichfte
fo ausführlih beſprochen, daß der Lefer darüber eine für das gemöhns
liche Bedürfniß ausreichende. Belehrung erhält. Bon befonderer Widys
tigkeit ift die Rückſicht, melde der DVerfafler auf die „Speiſewahl nad)
Alter, Jahreszeit, Beichäftigung und Körperzuftand‘ nimmt, weil der
Lefer dadurch zur Theorie auch die Pragis erhält. Da der Berfafler
ein erfahrener praftifcher Arzt ift, fo fönnen feine Vorſchriften mit
vollem Vertrauen befolgt werden. Wir empfehlen das Büchlein beftens.
11. Naturwiffenfhaftlide Volksbücher. Band XI bis XVI.
Auch unter dem Titel:
Aus dem Reihe der Naturwiffenfhaft. Für Jedermann aus dem
Volke von A. Bernftein. V. bis X. Band. 8. Berlin, Kranz Dunder
(B. Beſſer's Verlagsh.) à 10 gr.
Fünfter Band. Bon den geheimen Naturkräften. II. (VI und
159 ©.) 1855. -
Scehfter Band. Don der Entwickelung des thierifchen Libens. Nupen
und Bedeutung des Fettes im menfchlichen Körper. Nur eine Schiebe⸗
Zampe. (VI u. 157 ©.) 1855.
Siebenter Band. Wandelungen und Wanderungen der Natur. Bon
der Geſchwindigkeit des Lichte. Ueber Bäder und deren Wirkung. -(VI u.
157 ©.) 1855.
Achter Band. Dom Leben der Pflangen, der Thiere und der Men:
fen. I. (VI u. 158 S.) 1855.
Neunter Band. Dom Leben der Pflanzen, der Thiere und Men⸗
fen. II. (VI u. 172 S.) 1856.
Zehnter Band. Die praftifche Heizung. (VI u. 144 ©.) 1856.
Die vorhergehenden Bände der „Naturwiſſenſchaftlichen Volks⸗
bücher‘ haben wir in den früheren Theilen des Sahresberichte zur Ans
zeige gebracht Das unbedingte Lob, welches wir denfelben dort ertheilt
haben, findet feine volle Anwendung auch auf die vorftebend genannten
Bände Wir haben diefelben mit wahren Bergnügen gelejen und dabei
von Neuem nicht nur den Reichthum von SKenntniffen, welche der Vers
faffer befigt, fondern vor allen Dingen jeine Mare Darftellung bewuns
dert. Jeder einigermaßen gebildete Laie kann ohne alle Vorbereitung
jedes beliebige Bändchen vornehmen und darf gewiß fein, daß er zum
Verſtändniß deflelben kommen wird. Wir baben wenig naturmwiflenichafts
liche ES chriftfieller von folher Begabung. -Gefreut haben wir uns, daß
der Berfaffer fih nicht darauf befchränft, feine LXefer über das Leben
und Walten der Natur im Allgemeinen zu belehren, fondern daß er
auch auf praftifche, Direct für das gewöhnliche Leben anwentbare Gegen»
flände eingeht, wie 3. 3. im 6. und 10. Bändchen. Möge er fleißig
fortfahren, Theoretifches und Praftifches in ähnlicher Weife darzubieten!
2. Geographie.
12. Lehrbuch der Erdbefchreibung in narürlicher Verbindung mit Weltgeichichte,
Naturgefchichte und Technologie für den Schul= und Privatunterriht. Bon
Jugend» und Volksſchriften. 249
A. Zachariä. IT. Theil: Bilder aus der Länder und Völker—
Tunde. Bearbeitet und berautgegeben von Louis Thomas, ordentl.
Lehrer an der dritten Bürgerfchule zu Leipzig. gar. 8. (VI u. 390 ©.)
Reipzig, Ernſt Fleiſcher's Buchh. 1856. 1 Thlr.
Diefe und die folgende Schrift And zwar zunähft nur für Lehrer
Behufs Belebung des geograpbifchen Unterrichts beſtimmt, aber wir können
doch nicht unterlaffen, auch bier, in der Abtbeilung der VBolfsjchriften,
auf fie aufmerfjam zu maben. Sa, offen geftanden, halten wir. fie im
Ganzen zur allgemeinen Belehrung für geeigneter, als zur directen Bers
wendung in der Schule. Es Mebt nämlich all’ dieſen geographifchen
Bildern, da fie meiftens aus Neifeberichten entnommen find, fo viel
Nebenwerk an, daß der aus ihrer Mittheilung erwachfende Gewinn für
Geographie oft ſehr unbedeutend if, fich zumeilen in 5 bie 10 Zeilen
zufammenfaflen läßt. Sicher haben das fchon viele Xehrer mit und ges
fühlt, und wir dürfen daher wohl bald der Zeit entgegen feben, wo
man ein ganz anders hbearbeitetes Material an die Etelle der icht fo ber
liebten geographifchen Bilder feßen wird. Aber diefe Anfiht Soll ung,
mie ſchon gefagt, nicht abhalten, Werke, wie die hier genannten,. beſtens
zur allgemeinen Benußung und zur Verbreitung geograpbifcher Kennt⸗
niffe zu empfehlen.
Die 118 Bilder, welche der rühmlichſt befannte Berfaffer in dieſem
Werke darbietet, find nach den Erdtheilen geordnet, zerfallen alfo in:
Bilder aus Aften (28), Afrita (16), Europa (59), Amerifa (10) und
Auftralien (3). In jeder Abtheilung iſt darnach geftrebt worden, ein
möglich anichaulihes Bild von dem Erdtheile zu geben; doch iſt dabei
weniger auf die phyfiſche Beſchaffenheit deſſelben NRüdfiht genommen
worden, als auf das Leben und Zreiben der Bölfer. „Unſer Bud,‘
beißt es in der Borrede, „Toll dem Lefer in einzelnen Zügen bald ihre
bürgerlichen Berhäftniffe vorführen, bald in ihre gefellfyaftlichen Kreife
verfegen, bald an die Stätten ihres religiöfen Eultus leiten und mit
den dafelbft herrichenden religiöfen Begriffen befannt machen. An diefe
Bilder, welche wir weniger in ausführlichen Beichreibungen und Erfläs
tungen, als in einzelnen, fcharf marfirten Bügen zu geben beflifien
waren, reiben fih andere aus dem gemerblichen Leben, wobei befonders
ſolchen, welde die Erzeugung und den Anbau der wichtigften Naturs
producte zum Gegenftande haben, befondere Beachtung gefchenft ward.
Einzelne Landfchaftegemälde und Naturbilder fchließen fih an dieſe an,
doch immer in ihrer Beziehung zum Menfchen. Nach den in diefen
Eigen angedeuteten Beziehungen bin bietet dies Werk viel treffliches
Material dar, was nachſtehendes Mandel von Ueberfchriften aus der
erſten Abtheilung erkennen läßt: Beirut und der Libanon. Das heilige
Land. Jeruſalem und feine heiligen Orte. Damaskus. Ein Mittagss
mahl in einem arabifhen Haufe zu Damaskus. Die Beduinen. Reiſe
von Kairo nah dem Sinai. Die Pilgerfladt Meffa. Ein Befuch beim
Schah von Berfien. Berfiiher Despotismus. Pferd und Dattelbaum
beim Berfer. Ein Zufammentreffen mit Kurden. Benares. Bilder aus
dent religiöjen Leben der Hindus. Die Thugs. Madras. .
250 Jugend- und Volksſchriften.
Wir wünſchen dem Buche eine weite Verbreitung, natürlich auch
fleißige Benutzung von Seiten der Lehrer.
13. Die Geographie in Bildern oder charalteriſtiſche Darſtellungen und
Schilderungen aus der Länder» und Völkerkunde, geſammelt, bearbeitet
und zu einem vollfländigen Ganzen verbunden von a. Berthelt. Zweite,
vermehrte und verbeflerte Auflage. gr. 8. (X u. 381 ©.) Leipsig, Zul.
Klinkhardt. 1856. 1 Thlr.
Dies Werk Bat recht bald den verdienten Beifall erhalten. Es
zeichnet fih vor den verwandten Schriften von Thomas und Grube das
durch aus, daß das den Neifeberichten entnommene Material felbfiflän.
diger und gedrängter bearbeitet und den Bodenverhältniffen mehr Rech⸗
nung getragen worden if. Die Zahl der Bilder beläuft fi) auf 198,
von denen 27 der Erde im Allgemeinen , die übrigen den einzelnen Erd⸗
theilen und Ländern gewidmet find. Hier und da hat der Berfafler dem
Geographiſchen auch Naturhiſtoriſches hinzugefügt, was wir vom pädar
gogifchen Standpunkte aus nicht billigen Eönnen. In einzelnen Bildern
it die Darftelung nicht correct genug. Seite 183 heißt es z. B.:
„Bur Rache führt den Spanier Lift und Gewalt.” _ Weiter umten:
„Aber die Frauen find fehr offen, gut, edelmüthig, lebhaft, zuweilen
unbedachtſam und freu. Alſo: zuweilen — treu. Der Auffag if
übrigens mit H. Stiehler unterzeichuet. Seite 185 iſt ein finnentflel-
lender Drudfehler (feichenförmig flatt linfenförmig) flehen gebtiehen. Abs
gefehen aber von diefen leicht zu befeitigenden Kleinigkeiten, halten wir
diefe Schrift für eine recht leſenswerthe.
3. Geſchichte.
14. Die Geſchichte Helfen in Biographien für das Doll er
zählt von &. Simon, Oberpfarrer zu Michelſtadt. M. 8. Frankfurt a. M.,
Heinr. 8. Brönner. 1855 u. 56.
—Erſtes Bändchen. Das Leben des Heiligen Lubwigs, Lands
tafen zu Thüringen, Fürſten zu Helen, und feiner Gemahlin, der hei
figen Elifabeth. (XI u. 141 ©.) 1855. 15 Ger.
weites Bändchen. Das Leben Heinrichs des Kindes, erflem
Landgrafen von Heſſen. (VII u. 122 ©.) 1856. 10 gr.
Drittes Bändchen. Das Leben Heinrichs des Eiferuen,
Landgrafen von Hefien, und feines Sohnes Dtto, genannt der
Scähug. (VII u. 158 S. nebſt Stammtafel des Heſſiſchen Fürkenhaufes.)
1356.
Biertes Bändhen. Das Leben Ludwigs I, des Fried⸗
famen, Landgrafen von Hefien. (VIII u. 135 G. nebfl Stammtafel.)
1856.
Füänftes Bändchen. Das Leben Philipps des Groß⸗
müthigen, Landgrafen von Heſſen. (VIII u. 160 ©. nebſt Stamm⸗
tafeln.) 1856. .
Der Berfaffer hat fih mit diefem Werke den Iöblichen Zweck ges
ſetzt, das Volk mit feiner Geſchichte befannt zu machen. Als einzig
richtigen Weg hierzu hält er das Vorführen großer Charaktere der
Bergangenheit, der Thaten und Schidjale hervorragender Perſoͤnliſch⸗
Jugend und Bollsfäriften. 251
feiten. Bir flimmen ihm darin ganz bei und freuen uns, baß der
Berfaffer eine fo gute Wahl getroffen und feinen Lebensbildern eine fo
anfprechende Friſche verlieben bat. Der Verfaſſer verfteht es, dem Volke
zu erzählen. Daher empfehlen wir fein Werk als eine recht angenehme,
nügliche Lertüre, und nicht bloß den Heſſen, fondern allen deutfchen
Männern und Frauen des Volkes.
15. Heinrich Friedrich Karl Freiherr vom und zum Stein. Ein
biographiſches Gemälde aus der Geſchichte des deutfchen Taterlandes. Bon
Fran Manritind. 8. (88 ©.) Leipzig, F. A. Brodhaus. 1856. 5 Ser.
Diefe Schrift bildet das 25. Bändchen der „Unterhaltenden Bes
lehrungen zur Förderung allgemeiner Bildung.‘
Nachdem Stein in Berg einen fo ausgezeichneten Biographen
gefunden bat, kann es allen Verehrern defjelben, die nicht Zeit haben,
voluminöfe Bände durdyzuarbeiten, nur angenehm fein, ein kleineres Ger
mälde dieſes verdienten Mannes zu erhalten. Gin ſolches bietet ber
Verfaſſer in dem genannten Schriftchen dar. Er ift, und das mit Recht,
begeiftert für feinen Helden, hält fi aber doc überall frei von Ueber
treibungen, verdedt fogar die Schwächen deffelben nicht. Wie natürlich,
erhalten wir mit Steind Leben zugleich ein tüchtiges Stüd Gefchichte
der neuern Zeit, oder noch befier: den Schlüffel zu vielen wichtigen
Umgefaltungen und Begebenheiten der jüngeren Bergangenbeit. Wer
es noch nicht weiß, der fann es aus diefem Schrifichen lernen, was
Preußen, was Deutjchland diefem großen Manne verdantt. Mit Mecht
fagt der Verfaſſer in der Einleitung von ihm: „Mehr ale von irgend
einem andern Manne unjers Bolfes und Jahrhunderts Tann es von
Stein gefagt werden, daß er ein auserwähltes Rüſtzeug des geichicht-
lien Geiftes, ein geweihter Vorkaͤmpfer der Heiligften fittlichen Ideen,
ein Beiland und Erlöjer feines Volkes geweſen iſt.“ Einer weitern Ems
pfehlung diefes gut geichriebenen Buches wird es nicht bedürfen.
16. Suſtav Adolf, König von Schweden. Ein Lebensbild von Franz
Mauritius. 8. (72 &.) Ebendaf. 1856. 5 Ser.
Dies Werkchen if in echt proteflantifchem Geifte gehalten und bildet
daher in wefentlihen Stüden einen Gegenfag zu der gleichnamigen,
fon fehr tüchtigen Schrift des Tatholifchen Kirchenhiftorikere Gfroͤrer.
Der Berfafler ſchließt feine Einleitung, in der er die neuern Verdäch⸗
tigungen des Proteſtantiemus entfhieden zurückweiſt, mit den Worten:
„Gufſtav Adolf ehe neben Luther im Bantheon des deutfchen Volkes!‘
Im Uebrigen verdient die Schrift diefeibe Empfehlung, wie die
eben beſprochene. Der Berfafler erzählt und fhildert in anfprechender
Beife und läßt fi nirgends zu ungerechten Urtheilen verleiten. Das
Werkchen wird allen Verehrern des großen Helden wie des „Guſtav⸗
Adolf⸗Vereins“ eine willlommene Gabe fein.
17. Bernhard der Große, Herzog au Sachſen⸗Weimar. Nach feinem
Leben und Wirken in Verbindung mit Begebenheiten aus den Zeiten des
Dreißigjährigen Krieges dargeftelt von Ferdinand Schrader, 8. (VIII
u. 76 ©.) Schletz, Carl Hübfcher. 1856. TYya Ser. _ j
252 Jugend- und Volksſchriften. |
Das Werfen ift den Mitgliedern der Guftav » Adolf» Stiftung in
Deutfhland gewidmet und fo gehalten, daß es von dieſen, wie übers
haupt von allen guten Proteftanten, mit Intereſſe wird gelefen werden.
Der Berfaffer erzählt fchliht und treu, bleibt bei den Hauptbegeben⸗
heiten fliehen, beleuchtet aber zugleih das ganze Getriebe jener Zeit,
namentlich den Kampf der Proteftanten gegen ihre Unterdrüder. Das
empfiehlt die Schrift für weitere Kreife.
4. Literaturhiſtoriſches.
18. Gottfried Auguft Bürger. Sein Leben und feine Dichtungen. Bon
Dr. Beinrih Pröhle. 8. (XIV u. 184 S.) Leipzig, Guſt. Mayer.
1856. 18 Egr.
Der vortbehaft als Schriftfteller bekannte Verfaſſer bat in dieſem
Werke eine fehr tüchtige Arbeit geliefert. Eine Reihe von Irrthümern,
die durch Altbofs Biographie über Bürger verbreitet worden find, finden
bier ihre Erledigung, da der Berfaffer ſich feine Mühe bat verdrießen
laffen, überall Nachforſchungen anzuftellen, wo der Dichter gelebt bat.
Dadurch hat diefe Arbeit einen bleibenden Werth erhalten.
Nachdem der Berfaffer mit genügender Ausführlichkeit Bürgers
Leben erzählt und ihn als Dichter gewürdigt hat, gebt er näber auf
folgende Dichtungen deffelben ein: Lenore. Der Kaifer und der Abt.
Das Lied vom braven Mann. Die Kub. Der wilde Jäger. Die
Weiber von Weinsberg. Des Pfarrers Tochter zu Zaubenhain. Der
Raubgraf. Die Entführung. Der Bruder Graurbd und die Pilgerin.
Das. Lied von der Treue. Lenardo und Blandine Den Schluß bildet
ein genauer Abdrud der Gedichte des Muſenalmanachs, die in den Aus⸗
gaben der Bürgerfchen Gedichte fehlen.
Wir empfehlen das Wert Allen, die Intereſſe für unſere National⸗
literatur haben.
19. Schiller. Eine biographiſche am von Zohann Wilhelm
Schaͤfer. 8. (76 S.) Leipzig. F. A. — 1853. 5 Sgr.
Dies Werkchen bildet das 15. Bändehen der ‚‚Unterbaltenden Bes
lehrungen zur Förderung allgemeiner Bildung. Der Berfafler if als
Literaturbiftorifer vortheilbaft befannt, die Arbeit kann daher mit vollem
Bertrauen in die Hand genommen werden. Seine Schilderung iſt an»
ſprechend und führt uns in gedrängter Weile den ganzen Entwidelungs»
gang des großen Dichters vor. Wir empfehlen das Werkchen Allen,
denen es an Zeit gebricht, die befannten Schriften von Soffmeifter und
Viehoff über Schiller durchzuarbeiten, als ein recht brauchbares.
20. Goöothe. ine biograpbifhe Schilderung von Mob. Prutz. 8. (14 5.)
Ebendaf. 1856. 5 Sgr.
Diefe Biographie bildet das 27. Bändchen der, mehrfach genannten
„Unterhaltenden Belehrungen.” Auch bier genügt «8 vollfommen, auf
den berühmten Namen des Biographen binzumeifen. Bei dem großen
Intereffe, welches Goͤthe für jeden gebildeten Deutfchen bat, muß eine
Biographie deffelben aus der Feder eines Kenners und vorurtheilelofen
Jugend- und Volksſchriften. 253
Beurtheilers eine ſehr willkommene fein. Was über den großen Dichter
bis zum Abichluß der Biographie befannt geworden, if forgfältig bes
nußt und zu einem lichtvollen Ganzen verarbeitet worden. Mehr zu jagen,
eriheint uns überflüffig. Aber als Aufmunterung zum Studium folder
Schriften fügen wir noch folgende Stelle aus dem erfien Abfchnitte bins‘
zu. Seite 4 u. f. beißt es: „Erſt in ihren Künftlern, in ihren Did
tern wird eine Zeit fich ihrer felbft wahrhaft bewußt; darum, wer jeine
Zeit und fein Volk gründlich verſtehen will, der fludire ihre Dichter,
der durchforſche nicht bloß ihre Werfe, fondern auch ihren Lebensgang
und überzeuge fih, wie bier das Allgemeinfte und Unfaßbarfte zu pers
fönliher Geftalt und individuellem Ausdrud gelangt. Wer zumal könnte
fein eigenes Volk ‚lieben und richtig verſtehen, ohne feine Dichter zu
lieben? Liebe aber, wenn fie wirklich fruchtbar werden, wenn fie die
Seele veredeln und zu Thaten anfeuern fol, ſetzt VBerfländniß voraus;
darum ift auch das Berftändniß unferer großen Dichter und ihres Les
bendganges ein nothwendiges Erforderniß für jene tiefere volfsthümliche
Bildung, melde, indem fle den Stern des nationalen Weſens begreift,
zugleih die Kraft und Fähigkeit verleiht, denfelben durch Thaten zu
verwirklichen.‘
2). Biograpbifhe Minlaturpilder. Zur bildenden Lectüre für Jung
und Alt verfaßt von U. W. Grube. gr. 8. Erſter Band, in zwei Ab»
theilungen. (VII u. 504 ©.) Zweiter Band. (III u, 443 ©.) Xeipzig,
Fr. Branditetter. 1856 u. 57. Elegant geheftet in allegorifch verziertem
Umſchlage. A Thlr.
Der fleißige, gewandte Verfaſſer bietet uns hier ein Werk dar,
für das wir ihm ſehr dankbar ſein müſſen: abgerundete Biographien
von Männern der Wiſſenſchaft und Kunſt, der Politik und des Krieges.
Zwar befigen wir in unferer Literatur bereits vortrefflihe Biographien
der berühmteften Perſoͤnlichkeiten; aber diefe entweder fo weitfchichtig,
daß ihr Studium fehr zeitraubend und ihre Beichaffung unverhäftnißs
mäßig koſtſpielig iſt, oder fo ffiszenhaft, daß ihre Lectüre ſich erfolglos
erweiſt. Der Berfafler hat in feinem oft bewährten Tafte hier die rechte
Mitte getroffen; er bat Biographien geliefert, die für die große Mehr⸗
zahl der Lefer volllommen ausreichen. Seine Darftellung ift Iebendig,
anſprechend; auf das Wefentliche ift überall der. Nachdrud gelegt.
Der erſte Band enthält Biographien deutfcher Männer (und einer
Dame), der zweite dazu Parallelen des Auslandee. Die Namen ders
feiben find a. im erflen Bande: Keppler, Kant, Heyne, Spener, Las
vater, Mengs, Angelifa Kaufmann, Beethoven, Mendelsfohns Bartholdy,
Nikclaus Lenau, Seydelmann, Rauch, Heim, Werner, Frauenhover,
Steffens, Johann Jakob von Mofer, Juſtus Möfer, Friedrich Perthes,
Wilhelm von Humboldt, Freiherr von Stein, Joachim Nettelbeck, Fer⸗
dinand von Schill, Andreas Hofer, Joſeph Speckbacher, Joachim Hass
pinger, Erjberzog Karl. db. im "zweiten Bande: Raphael Sanzio,
Berer Paul Rubens, Galileo Galilei, Iſaak Newton, James Watt,
Boerhave, Linne, Cuvier, Paskal, Fenelon, William Penn, Benjamin
Zranliin, Waſhington, Wiliam Pitt, Nelfon, Wellington, Palafoz,
254 Jugend- und Volksſchriften.
Auguſtina von Saragoſſa, Romana, Frau von Staël, Talleyrand, Gar⸗
rik, Paganini, Thorwaldſen, Lord Byron, Walter Scott.
Die Ausſtattung iſt vorzüglich.
C. Belehrende und unterhaltende Sehriften.
22. Der vaterländiſche HaAusfreund. Unterhaltungen und Stüdien
aus dem Naturs und Menſchenleben. Herausgegeben von Fr. Ed. Kel:
In en. gr. 8. (VI u. 312 ©.) Suͤtersloh, ©. Bertelömann,
56. d °
Der „vaterländifhe Hausfreund” hat fi den Zweck gefeßt, Kennt»
niß des preußifchen Landes, im weiteren Sinne des Worted, zu vers
breiten, will fich jedoch nicht abfchließend gegen andere Länder Deutſch⸗
lands verhalten. Berechnet iſt derfelbe auf das große Publikum und
daher in feinen Auffägen populär gehalten. Jährlich werden 10 Hefte
erſcheinen, von denen 5 einen Band ausmachen, der 1 Thaler koftet.
Jedem Hefte werden 5— 8 Illuſtrationen in Holzfehnitt beigegeben.
Wir halten dies Unternehmen für ein recht empfehlenewerthes und
wünſchen ihm daher den beften Erfolg. Der und vorliegende erfle Band
enthält folgende größere Auffäge: Die Grafen von Zollern, vom Her»
ausgeber. Luthers Leben, von Dr. ©. E. Burkhardt, Ardidiar
fonus zu Deligih. Die Porta Westphalica, vom Herausgeber.
Bilder aus der Natur und dem Leben: 1. Die Schwalbenfamilie, von
M. Bach, Lehrer an der höheren Stadtichule in Bopyard. 2. Der
Ehwefel, von Dr. W. Sommerlad. 3. Das Waſſer und der Res
gen, vom Herausgeber. Speierer Gefchichten, von Prof. K. Wag⸗
ner in Darmftadt. Der erfte und zweite fchlefifche Strieg, vom Her»
ausgeber. Wanderungen in das fchlefifche Gebirge (mit Panorama),
von Saro⸗Sileſius. Bor hundert Jahren, vom Herausgeber.
Die Marienburg, vom Seminarledrer Lettau. — Wie die Auffäße,
fo find aud die eingedrudten Abbildungen gut. Ein „Feuilleton“, das
jedem Hefte angehängt if, enthält kleinere Mittheilungen von vaterläns
diſchem Intereffe.
B. Schriften reltgiöfen Inhalts.
23, Achte Perlen. Nah dem Englifchen von Thekla von Gumpert. 16.
(80 S.) Berlin, Zuft. Alb. Bohlgemuth. 1856. 3 Sgr.; auf feinerem-
Papier 5 Sgr.; cart. 6 Sgr.; cart. mit Goldſchnitt 10 Sgr.; elegant ges
bunden mit Goldſchnitt 12 Ser.
Dies Peine Büchlein handelt in fententiöfer Weife über folgende
Gegenftände der Religion: Bon der Religion im Allgemeinen. Bon
Gott. Bon der Gottesfurht. Bon der Gegenwart Gottes. Bon der
Liebe Gottes. Bon Chriſto. Bon der Liebe Chrifi. Bon den Gläus
digen. Bon den Sündern. Bon der Sünde. Bon der Reue. Vom
Blauben. Bon der Demuth. Bon der Zufriedenheit. Vom Gtol;.
Bon der Heuchelei. Dom Müffiggange. Bon der Seele. Bom Her
zen und vom Gewiffen. Bon der Gnade. Bon der Berfuhung. Don
der Erde. Bon Gottes Wort. Vom Geſetz. Bon der Vorſehung. Bon
⸗
Jugend- und Volksſchriften. 285
der Betrübniß. Vom Gebet. Bon der Ewigkeit. Vom Tode. Vom
Himmel. Bon der Hölle. |
Man wird den Inhalt des Büchleins am beflen aus einer Probe
zu beurtheilen im Stande fein; wir wählen dazu das, was von der
„Heuchelei“, diefem Krebsſchaden auch unferer Zeit, gefagt if.
„Ein Heuchler if weder fo, wie er fiheint, noch fiheint er fo,
wie er if.‘
„Der Heudler ift das Bild eines Heiligen, aber die Farben wers
den weggewafchen, und dann erfiheint er in eigenen Farben.’
„Bott ift wahrhaftig gut gegen uns, fo follten wir es auc gegen
ibn fein.”
„Der DHeuchler wird oft von der Welt geachtet, weil er einem
Ehriften gleicht, er wird von Gott verachtet, weil er ein Chriſt iſt.“
In diefer Inappen Ausdrudeweife if Alles gehalten. Das Schrifts
hen darf gläubigen Chriften, die zugleih am Denfen Bergnügen fins -
den, zur Förderung ihrer religiöfen Einfiht empfohlen werden.
24. Das wicdergefundene goldene Büchlein: Bon der Bohlthat Ehrifti.
Bon Antonius Balearius. Aus dem Stalienifchen überfeßt von Eric
Stiller, Pfarrer in Harburg. gr. 16. (90 ©.) Hamburg, R. Kittler.
1856. Geh. 5 Spr., elegant geb. mit Goldſchnitt 15 Syr., desgl. fehr
nie vergoldet 18 Sgr., —BE in Leder, reich vergoldet 1 Thlr.
T
Der Berfaffer des Büchleins lebte zur Zeit der Reformation; er
wurde auf Beraulaffung der Jeſuiten in einem Witer von 70 Jahren
mit demfelben verbrannt. Der Weberfeger fagt von dem Schriftchen:
„Ich kenne außer der heiligen Schrift und den A Büchern des Thomas
a Kempis von der Nachfolge Chrifti fein Buch von größerem Werthe,
— und wo in einem Haufe die Bibel und die Nachfolge Chriſti von
Thomas a Kempis fich findet, da follte auch das Schriftchen „„von der
Wohlthat Ehrifi'‘ fein. Schöneres und Werthvolleres kann fein Freund
dem Freunde, kin Bater dem Sohne, fein Lehrer dem Schüler, fein
Bräutigam der Braut reihen. Wo dieſes Schriftchen und bie in dem⸗
felben enthaltene Wahrheit Eingang findet, da wird Gott mit reichem
Segen eintehren, und im Himmel wird Freude fein über folches Haus
und Gerz!"
Seiner Zeit hat dies Bud eine außerordentlihe Verbreitung ger
funden, wurde 3. B. allein in Benedig in mehr als 40,000. Exemplaren
gedrudt und in mehrere Sprachen überfept. Seine Verpflanzung auf
deutfchen Boden Tann als ein dankenswerthes Unternehmen bezeichnet
werden; aber bei der großen Zahl guter Erbauungsbücer bezweifeln
wir doch, daß es bei uns eine ähnliche Aufnahme finden wird, wie bei
feinem erſten Ericdeinen in Italien. Die Ueberfegung if fließend, das
Büchlein daher gut lesbar. |
25. Rreuz und Krone. ine Feſtgabe von C. 3. St. .
Bebentend vermehrte und AAN abe A TG ——
u. 256 ©.) Berlin, Juſt. Alb. Wohlgemuth. 1856. 25 Sgr.
Dos fange Vorwort befteht der Hauptſache nad) aus einer Abs
Sandlung über das Kirchenlied. Der Verfaſſer tadelt darin die Beräns
250 Zugend= und Volksſchriften.
derungen, welche man in früherer Zeit mit den alten Liedern vorge
nonımen, warnt aber zugleich vor dem Extrem, in das man jeßt, wo
man das Alte in feiner Urfprünglichkeit wieder hervorſucht, zu verfallen
Gefahr läuft. Im Ganzen flimmt er damit überein, das Kirchenlied
mit Geflert abzufchließen; doch verwahrt er fih vor dem gänzlichen Aus»
Schließen der fyäteren Dichter, auch der neueften.
Die 121 Lieder und Gebete, welche der Berfaffer darbietet, ruhen
alle auf. bidlifchem Grunde, zeugen von inniger Liebe zu Jeſu und von
der Sündhaftigfeit des Menſchen. Diele derfelben find als wohlgelungen
zu bezeichnen; ob aber eins derfelben den Weg in die Geſangbücher
finden wird, laſſen wir dahin geftelt fein. Mehrfach ſtößt man ſelbſt
in an und für fih guten Liedern auf moderne harte oder doc, nicht
ganz edle Ausdrüde Das möge aber feinen Freund religiöfer Lieder
abhalten, fi in den Befig dieſes fonft guten Buches zu fegen.
E. Poetiſches.
26. Haus und Herz. Kinfahe Dichtungen verfhledenen Inhalts von C.
3. &t. Czilsky. FM. 8. (VIII. u. 165 ©.) Berlin, Juſt. Alb. Wohl⸗
gemuth. 1857. 16 Ser.
Die 151 Gedichte diefes Büchleins find in vier Abtheilungen mit
fotgenden Weberfähriften gebradt: Bamilie und Haus, Zeld und Wald,
Dies und das, Herz und Schmerz. Die Mehrzahl derfelben kann aud
hier als wöhlgelungen bezeichnet werden. Manche davon find für Kin-
der befiimmt, in einzelnen Wendungen jedocd nicht kindlich genug. In
mancen Fabeln erwartet man die hinzugefügte Moral nicht.
27. Bilderbuch ohne Bilder, von H. C. Anderfen. Schfte Auflage.
186. (78 ©.) Leipzig, 8. Biedemann. In englifchem Einband mit Sn:
fhnitt 3/6 Thlr.
In 33 Bildern werden von dem befannten und beliebten Dichter
mannigfache Lebensverhältniffe, Leid und Freud, in anfprecdhender, ers
freuender und belehrender Weife geichildert. Die 6 Auflagen, welde
das auch äußerlich fehöne Buch bereits erlebt bat, fprechen am beften
für feine Gediegenheit. Wir wünfchen ihm recht weite Verbreitung.
28, Der See von Laach. ine poetifche ee nebft einer Zugabe.
8. (21 S.) Duisburg, Job. Ewich. 1856. 7'/a Sgr.
Der See von Laach, von dem Wirtgen im Weltall” von Giebel
eine vortreffliche ausführliche Befchreibung mit Beichnungen geliefert bat,
liegt weftlih von Andernah am Rhein; er ift berühmt durch feinen vul⸗
Panifchen Urfprung und feine Umgebung. Unfer Dichter fcheint diefen
merfwürdigen See oft beſucht und ſich an feiner Echönheit ergößt zu
hoben. In dem vorliegenden Gedichte fchildert er denfelben mit großer
Lebhaftigkeit in gewählter Sprache und fircht darnach, dem Lefer zus
gleich die einftige Bildung des See's zum Berftändniß zu bringen. Wir
haben diefe Echülderung mit Vergnügen gelefen und empfehlen fie nament=
lich allen Beſuchern des See's — natürlich auch Anderen — beſtens.
20. Zr. L. von Soltau's deutſche hiſtoriſche Vollstieder, zwei
88 Hundert. Aus Soltau's und Leyſer's Nachlaß und andern Quellen
Jugend- und Volksſchriften. 257
berausgegeben mit Anmerkungen von H. R. Sildenrand, Dr. phil,
Lehrer an der Thomasſchule zu Leipzig. 8. (ALVI u. 514 ©.) Leipzig,
Auſt. Mayer. 1856. 22% Zülr.
Bon diefen 100 Volksliedern gehören 40 dem 15. und 16. Jahr⸗
hundert an, 20 dem 17. und AO dem 18. und 19. Im Ganzen finden
fh darunter 46 Lieder, Die noch nirgends gebrudt waren, und die
übrigen waren der Mehrzahl noch ſchwer zugänglihd. Dadurch bekommt
die Schrift den großen Werth eines Quellenwerkes, eine Bezeichnung,
die man bereit dem erflen Hundert der Soltau’fchen Bolkslieder zuer⸗
fannt bat. Das Berdienft des jebigen Herausgebers if bedeutender als
das des urfprüänglichen Sammlers: er bat 55 Lieder hinzugefügt und
alle erläutert. Durch diefe Erläuterungen werden diefe Lieder den meis
ſten Lefern erſt wirklich zugänglich.
Da der große Werth der Bolfslieder in geſchichtlicher und literature
biorifcher Beziehung bereits allgemein anerkannt wird, fo if es nicht
nöthig, dieſem Werke noch eine befondere Empfehlung zu widmen; es ver
dient die allgemeinfte Verbreitung. Die Ausflattung deſſelben iR fchön.
Made, Jahresbericht. X. 17 |
‘ s
v1.
2* Mathematik.
a 00.00 Bon
Dr. Fr. Bartholomäi.
Herr Fahle hat ſich uneinverſtanden erklärt mit dem Urtheil,
welches der pädagogiſche Jahresbericht (Band IX. ©. 127) über fein
Bud gefällt hat. In fo fern er nicht einverflanden if, bat er noch
viele Leidensgefährten. Mit diefen fih zu tröften if die Weilung, die
ih ihm gebe. Der Jahresbericht kann fih in feiner Weife auf Antis
fritifen einlaffen, weil fie die Lefer nicht bezahlen wollen. Weitläufig
motivirte Urtheile Tann er auch nicht geben, weil dies feiner Beſtim⸗
mung zumider if. Daher wird das Urtheil kurz zufanmengefaßt und
zwar vom Standpunkte des Berichterftatterse aus. Damit muß der
Autor und der Lefer fi begnügen. Ich bin zufrieden, wenn ich einem
guten Buche Verbreitung fchaffen, oder einem fchlechten den Hals breihen
fann. Sch erwähne dies einmal als Antwort für Seren Fahle, das ans
dere Mal als allgemeine Erklärung. Wer fih falfch beurtheilt weiß,
der ſuche fih ein andres Organ, das unfre ift nicht dazu angethan.
Herr Fable befpricht in 4/, feiner „Anzeige“ die Gefchichte des Buchs
und wirft mir vor, ich habe überfehen a) willenfchaftliche Erklärungen;
b) die allmähliche Einführung in den Gebrauch. der Klammern, alfo Ans
leitung zur mathematifchen Zeichenſprache; c) Erweiterung des mechani⸗
fhen Rechnens durch Hinweifung auf andere Zahleniufteme und die Des
cimalbrüche; d) die feſten mathematifchen Regeln, e) Mufterbeilpiele.
Was habe ich aber gefagt: „Herr Fable giebt die wiffenfchaftlihen Bes
griffe in concreten oder individuellen Zahlen. Darunter gehören, fo
viel ich weiß, die Erklärungen und felbf die Klammerbezeihnung. Die
Zahlenſyſteme und Decimalbrüche verftehen fi) nad dem Zitel des Bude
von ſelbſt und Mufterbeifpiele find fo gewöhnlich, daß ich Fein Buch
ohne diefelben kenne. Daher ift alles gelagt, was ber Lefer zu wiſſen
‚braudt. Mit dem Citat aus meinem Referat kann fih Herr Fable
Mathematik. 259
jogleih darüber beruhigen, daß er abftracte Erklärungen an die Spitze
gefteflt habe. Dann kommt in meinem Referat nur das directe Gegen«
tbeil wor. Er will nur nicht in der Nacbarfchaft des Herrn Dr.
Staupe fein, Und doch gehört er dahin, weil fein Lehrbuch, fowie das
des Letzteren, wefentlih für Schüler gefchrieben, während die übrigen
für den Lehrer beftimmt find. Ich liebe die Breite nicht. Herr Fahle
glaubt ferner, daB auch Bolksfchullehrer etwas aus feinem Buche lernen
lönnten. Ich will ihm dieſen Glauben nicht nehmen, und babe in meis
ner Relation auch Fein Wort gefagt, was andern Leuten diefen Glauben
rauben könnte. Eine andere Frage ift freilich, ob fie denfelben über»
baupt haben. Kurios endlich iſt der Saß der Anzeige: „Die Differenz
über Die Entflebung der fogenannten arabifchen Zahlen if nicht fo erheb⸗
ih, wie Referent zu vermeinen ſcheint. Seine Art führt nur einzelne
Bogen flatt gerader Striche ein. Wir geben zu bedenken, daß die deuts
ide Schrift niemal® Bogen geliebt hat und daß unfre Herleitung von
der gothiſchen Baukunſt wirflih angewandt worden if.’ Wer meine
Angabe lieft und der deutfchen Sprache mächtig ift, wird fehen, daß ich
der betreffenden „Curioſität“ gar feine Wichtigkeit beilege. Dann iſt die
Entkehungsmweife der Biffern, welche ich mitgetheilt habe, nicht meine
Art, fondern es iſt eine traditionelle Anficht der gelehrten Indier, wer
mit Die gothiſche Baukunſt vielleicht etwas zu thun hat, vielleicht aber
auch nicht.
Roc dieſer ärgerlihen Einleitung, deren Art nur Dies eine Mal
seftattet fein mag, zur Sache. Im Allgemeinen macht, aus der hetrefs
feuden Literatur zu fihließen, die Formenlehre als Vorbereitung zur
wiſſenſchaftlichen Geometrie fih immer mehr geltend; die preußis
den Regulative haben angefangen, auch in der Nechenliteratur zu wir
fen, leider in rüdjchreitender Weife.
Methode.
A. Im Allgemeinen.
1. „Der Unterriht in der Geometrie und Algebra dient ſchon in
ſeinen erſten Anfängen dazu, um dem fogenannten Biffer- und kauf
männifchen Rechnen eine Stätte zu bereiten. Weber dem Rechnen hat
man leider oft die geometrifchen Anfänge vernadläffigt. Die engfte
mögliche Verbindung aber zwifchen Geometrie und Rechnen führt allein
zur wiſſenſchaftlichen Klarheit. Beifpiele zur Verdeutlichung ſchlechthin
thun es nicht.“
2. „Die Zahlenbegriffe ſind nicht zur Maturität getrieben, ſo lange
ne mit Anzahlen verwechſelt werden. Bahlen find nicht Summen von
Einheiten; denn fonft müßte der Zahlbegriff aus diverfen Vorſtellungen
eben fo vieler Merkmale des Zahlausdrudes befteben; fondern Zahlen
And Bervielfahungen von Einheiten, gleichviel ob dieſe als Vieles oder
Eins gedacht werden, und deshalb ift der Zahlbegriff aus der einen uns
getheilten Bervielfältigungsvorftellung gebildet. Hieraus erhellet, daß der
17*
S
260 Mathematik.
Nechenunterricht nicht neben der wiſſenſchaftlichen Arithmer
tif her gebe, fondern feine Wurzeln in den mathematifhen Willens
ſchaften liegen hat; fonft -würde er einem verdorrten Gewächſe gleichen,
das, weil es nicht Wurzel hatte, vertrodnete. Der pädagogifhe Werth
des Nechenunterrihts hängt hauptiählih davon ab, wie weit man
das Ganze des Kreifes der Gedanken und Kenntniffe er-
greift. Derfelbe iſt aber ohne die mathematifhe Grundlage nicht zu
erzielen, und bie Forderung der engſten Verbindung des Rechnens mit
der Geometrie iſt deshalb eine unbedingt nothwendige und folglich ge⸗
rechtfertigte. Ehe der Schüler nicht in die Sprache der Mathe⸗
matik eingeführt iſt, wird er nicht einmal im Stande ſein, die leich⸗
teſte Bruchrechnung aufzufaſſen, geſchweige denn, daß er die Gründe
des Verfahrens bei der Ausbildung und Auflöſung der Neguladetri eins
feben wird. Der Bruch ſchon fept den Begriff des Verhältniffes voraus
und 'die Neguladetri den von der Proportion; wie folleı diefe aber an⸗
ders gewonnen werden, als aus der Algebra und Geometrie? — Run
fordert fhon das gemeinfte Rechnen Kenntniß der Brüche und ohne
Regulabetri kann fein intelligenter Geſchäftsmann fertig werden, fchnelt
fertig werden, mithin gehören diefe in den Schulunterricht und zwar
auch u den niederen.” j
8. „Das gefammte Faufmännifche Rechnen läßt ih auf den Res
gufadetri s und Kettenfag zurüdführen, wenn die faufmännifchen Aus⸗
drüde als befannt anzunehmen find, und Reguladetri und Kettenfaß
find nur andere Formen der algebraifchen Gleichungen und ber geomer
trifhen Congruenz und Aehnlichfeit, wie denn überhaupt biefe den ges
fammten Theil der rechnenden Geometrie ausmachen.’
4. „Die Wiffenfchaft der Mathematik bewerkftelligt mehr, als fie
verfpricht, aber die Wiffenfchaft der Metaphyſik verfpricht mehr, ale fie
ausführt. Das Studium der Mathematit beginnt gleich dem Styl mit
Kleindeit und endigt mit Glanz; das Studium ber Metaphyfik beginnt
mit einem übervollen Wortfchwalle und verliert ſich zulegt in Dunkelheit
und Bermuthung, wie der Niger in feinen unfruchtbaren Sandwüften.‘‘ [1]
B. Im Befonderen.
I. Arithmetil,
5. „Aufgaben, Bücher, Unterricht, die fich mit Rechnungen befaffen,
ſollten beſſer Rechnungsaufgaben, Rechnungébücher, Rechnungsunterricht
genannt werden.“ [2]
6. „Wir können bei der Fünf ftehen bleiben, weil wohl wenige
Menfchen es weiter bringen werden, als zum flaren Begriffe von der
Drei. Es ift nicht bloßer Scherz. In der That fann man mit feis
nem Jorfelen über die Drei nicht gut hinaus.’ [3]
7. „Zu Zeiten ift es ſehr wünfchenswerth, ſchriftliche Rechenaufs
fäpe fertigen zu laflen, die dann aber leicht genug fein müffen, um dem
Fair das Intereſſe am Unterricht nicht zu verleiden.“ [4]
E 2
Mathematik. 261
6. „Die Frage, ob es zwedmäßig ſei, dem Rechenſchüler das
Antwortenheft zu feinem betreffenden Aufgabebuch in bie Sand zu geben,
wird bekanntlich von der einen Seite bejaht, von der andern verneint. —
Rah meiner Anficht läßt fich indeß diefe Frage nicht durch ein einfaches
Ja oder Nein beantworten. Während für bie eine Schule die Einfühs
rung des Antwortenheftes fich empfiehlt, ja durch vorliegende Berhälts
miffe geboten wird, dürfte für andre Schulen die Einführung auf Grund
ganz anderer Berhältniffe unzuläffig fein. 5) _
9. „Dem arithmetifhen Anfangspenfum, fonft fo arm an geeigs
netem Webungsmaterial, da die vom Rechnen fommenden Schüler in
ihrer Praxis der Theorie voraus find, liefern die funtaftifchen Opera⸗
tionen reihen Stoff zu den mannigfaltigften Uebungsaufgaben, die dem
Bildungsgrade der betreffenden Schüler ganz entfprechen und um fo
leichter ein lebhaftes Intereffe in Anſpruch nehmen. Dafür fieht man
Ach der Ginübung diefes Stoffes beim Eintritt der rechnenden Syntaktik
überhoben, auf einer Stufe des Unterrichts, wo den Schülern das rein
Medyanifche nicht mehr hinlänglich zufagt, um es fo weit zu verfolgen,
als zum Berfländniß der combinatorifchen Säge notbwendig if.’ [6]
10. „Die Entwidelung der Bahlenbegriffe und das Operiren mit
Zahlen und Bablenverhältniffen if ein Bildungsmittel, auf welches der
menſchliche Geiſt Durch das ihm angeborne BZahlenvermögen von felbft
hinweiſt; das praftifhe Leben aber fordert von jedem Menichen eine
größere oder geringere Gewandtheit im Rechnen, welche Gewandtheit
nicht felten maßgebend if für die fociale Stellung deſſelben. Es kann
darum nicht gleichgüftig fein, ob in diefer Beziehung etwas oder nichts
von der Volksſchule geleiftet werde, und im erften Zalle, wie viel oder
wie wenig, woraus fich die weitere Folge von ſelbſt ergiebt, daß, anger
jeben die Wichtigkeit diefes Unterrichtsgegenſtandes, auch die Art feiner
Behandlung der ernſteſten Erwägung bedarf.’ [7]
I. Geometrie.
11. Dr. W. Zehme läßt während des Ynterrichts den Text nie
mals aufichlagen, dagegen haben die Schüler ununterbrochen die Figu⸗
tentafein vor fih. „Der Lehrgang prägt fih auf diefe Weile fo fe,
ein, daß nicht allein ein Schüler, fondern über die Hälfte einer fre⸗
quenten Klaffe fämmilihe Säbe des Lehrgangs ohne Schwiekigkeit in
der richtigen Reihenfolge aus dem Kopfe, ohne Benugung der Zafel,
eitiren konnte, obgleich die Erwerbung einer folchen Geläufigkeit niemals
zur Aufgabe gemacht wurde.”
12. „Die Figuren find fo zu confiruiren, dag fowohl die Behaups
tung als die Borausfegung eines Lehrfabes in ihnen erkannt wers
den kann.“ [8]
13. „Niemand wird beftreiten koͤnnen, daß die Gedankenoperation,
dar weldhe man eine Aufgabe loͤſt, zwar von anderer Art, aber nicht
minder bifdend und nicht minder wichtig ift, als diejenige, welche das
Beweiſen oder das Auffinden eines Lehrjages erfordert. Auch in Bezier
262 Mathematik.
Sung auf ſtoffliche Anordnung erifirt nad unſerer Ueberzeugung ein
Syſtem der Aufgaben nicht minder als ein Syftem der Lehrfäbe. So
viel iſt fiher, daB die Trennung des Lehrftoffes in Lehrfäge und Auf⸗
gaben möglich und für die Entwidelung beider Theile beilfam if. Mög⸗
lich if diefe Trennung deshalb, weil, wenn zum Beweilen eines Lehr⸗
faßes eine Hülfsconftruction nöthig if, die Beweiskraft nicht davon
abhängt, daß man Punkte, Linien u. f. w. der verlangten Art graphiſch
darftellen, fondern vielmehr davon, daß man fi von der Nothwendigfeit
der Epriftenz diefer Gegenflände überzeugen koͤnne. Heilſam if dieſe
Trennung, weil dann unwillfürlich die Aufforderung entſteht, den Stoff
der Aufgaben zu fihten und zu ordnen; weil, wenn man bei der Löo⸗
fung jeder einzelnen Aufgabe auf das Ganze der Lehrfäge zurückblicken
Tann, verfähiedene Löfungsarten wie von felbft in die Augen fpringen ;
und weil endlich bei einer felbffländigen zufammenhängenden Behand»
fung der »planimetrifhen Aufgaben das Moment der graphifchen Aus⸗
führung ſchärfer und erfolgreicher betont werden Tann. Lebteres ſcheint
ung namentlich im wohlverſtandenen Intereffe der bescriptiven Geometrie
zu liegen, die ja im Grunde nichts anderes zu thun hat, als die gras
phifche Loͤſung jeder flereometrifchen Aufgabe auf die Löfung einer pla⸗
nimetrifhen zurüdzuführen.’
14. „Wir halten unter anderem auch das Beweisen gegebener Lehr⸗
ſaͤtze für eine vecht geiftbildende Uebung; vorausgefept jedoch, daß der
Lehrer nicht octroyire, fondern zum Selbfifinden anleite.“ [9]
15. „Man hat, die rein dDogmatifche Art des Vortrags in der Geo⸗
metrie verlaffend, Bompendien in mehr oder minder heuriſtiſcher Form
entworfen. Wie fchwer es aber if, hierbei das rechte Maß zu treffen,
beweifen die bisherigen Berfuche zur Gnüge Bald find die zur Adfung
ber Aufgaben und Fragen erforderlihen Winke zu ausführlich, Bald zu
dürftig gegeben, oder — ganz weggelaſſen.“ [12]
II. Schulen.
1. ®olfsfäule.
16. „Was ein Poͤhlmann, Peſtalozzi, Schmidt, Tillich u. A. für
den Rechenunterricht in Volksſchulen iclten, iſt bis jetzt noch nicht
gehbrig erkannt worden, namentlich da hier mancherlei ungünſtige Ver⸗
hältniſſe ſtörend auf den Fortſchritt einwirken.“ [11]
17. „So lange nicht Einheit des Münzfußes, Maßes und Ges
wichtes in unfern lieben Deutfchland hergeftellt fein wird, bedarf leider
jedes Band, faſt jedes Ländchen nod feine befondern Rechenanfgaben.
Bis zu jener Herſtellung möchte es aber, wie es fcheint, wohl noch
manches Jahr anftehen.‘‘ [12]
18. „Unſer Rechenunterricht bat nicht die vechte reale Grundlage,
den paffenden Stoff, if, um es kurz zu fagen, noch unpraktiſch.“
19. „Die Lehrer aller Didcefen werden aufgefordert, Rech nungs⸗
beifpiele, wie fie das wirkliche Leben bietet, von der Eier» und Schmalz
Mathematil. B63
rechnung ber Handfrau bis hinauf zu den compficitien ‚Eaicnintioner
der Handwerker, zu fanmeln, wozu ihnen ein bis zwei Jahre Zeit ge⸗
geben werben follte.‘
„Es wärbden nun gewiß alle, die ſich für bie Sache intereſſiren,
die ihnen bereits unter die Hand gekommenen Beifpiele ſammeln und
weitere fuchen. Der eine würde Die rechenbaren ländlichen Berbältniffe
zu ſtudiren ſuchen, ein anderer ſich mehr dem Gewerbsleben zuwenden
und in den Werkſtätten der Handwerker feine Beiſpiele holen.“
„Diefe von den Lehrern eingehenden Aufgaben follten in jedem
Bezirk von einer Commiſſion unter dem Vorſitz des Conſerenzdirectors
.oder Delans nach allgemeinen Gefichtsnuntten geordnet werben.‘
„IR dies in allen Bezirken geſchehen, fo ſetzt die bezügliche Ober
fhulbebörde eine befondere Kommiffion an Geiſtlichen und Lehrern nie
der, melde die aus den Bezirken des Landes einlaufenden Beifpiele
entgegen zu nehmen, zu fichten und endgültig zu ordnen bat. Natürs
iih müßten alle Beifpiele, die ſpeciell Berufliches an fich tragen, ausge,
fhieden werden, und häufig vorfommende Fälle, die allgemeines nterefle
haben, würden in diefe Beifpielfammlung aufgenommen.” [13]
20. „Das Kopfr und Zifferrechnen wird jeßt mehr im Zufammens
menhang vorgenommen, als früher geſchah. Die Behandlung iſt eine
rationelle, die Geiftesfraft bethätigende, mit Ausnahme einer Schule
Durchweg findet der Schlußfag feine Anwendung. Gefehlt wird nod
da und dort darin, daß man auf der mittleren Schuifufe die Schüler
in zu großen Zahlen operiren läßt und weniger darauf bedacht ift, den,
felben zu einer recht klaren Anſchauung und Auffaffung des BZahlenfys
ſtems zu verhelfen; auch in der Darflellung der Rechnungen zeigt fi
nicht Überall die nothwendige Genauigkeit, und zu wenig fehen einzelne
Lehrer auf Deutlichkeit im Schreiben der Ziffern, was doch fo wichtig
it. In den obern Klaſſen dürfte in der Wahl der Aufgaben das prafs
tifche Leben mehr berüdfichtigt werden; ſoll ja doch die Schule auf das
Leben vorbereiten. Erzinger giebt darüber treffliche Winke, die mehr
beberzigt werden follten. In Beziehung auf Schnelligkeit und Sicher⸗
beit im Rechnen und Klarheit der Beweisführung bleibt noch manches
zu winfden übrig, die Schüler werben zu wenig gendthigt, an der
Bandtafel Taut zu rechnen. So zweckmäßig die Aufgabenbüchlein find,
fo bringen fle Teiht auch Gefahr für die Gründlichkeit im Rechnen, wenn
der Lehrer nicht Schritt für Schritt Mechenfähaft fordert.”
21. „Der geometriſchen Formenlehre follte mehr Aufmertfansteit
gefgentt werden, als es der Fall if. Nur in einigen Schulen if fie
berüdfichtigt worden, aber noch viel zum wenig. In den obern Klaſſen
follte den Knaben eine genaue Anleitung gegeben werben über das Meſſen
und Berechnen der Flächen und Körper. Es ließen ſich eine Menge der
ſchönſten Aufgaben aus dem praktiſchen Leben daran knüpfen.“ [14]
22. „Bir wählen aus Blanimetrie und Stereometrie die Grund⸗
Yortieen .aus und ſuchen fie moͤglichſt allſeitig zu behandeln, ohne time
Grihöpfung der eingelnen Bälle anzuftreben. Sole Partieen find 1)
die Bormelemente, 2) das Meffen, 3) die Reproduction der innern An⸗
264 Mathematik,
ſchaunung oder das Zeichnen, A) das Bergleihen der Linien, Flächen und
Körper oder das Berechnen, und biefe enthalten zugleich die weſentlich⸗
Ken Grundlagen aller Geometrie. Un diefen vier Bartieen läßt fich
allerdings noch nicht Geometrie lernen, aber es laſſen fich diefelben zu
einem gewiflermaßen befriedigenden Abſchluß bringen, der für einfache
Lebeneverhältniffe als Grundlage genügt, und auf welchen für einen
erweiterten Beruföfreis Leicht ein ausgebehnteres und tiefere Syſtem
aufgeführt werden kann. Darin liegt uns eben das Weſen der Volks⸗
ſchulgeometrie, daß fie nicht mehr Wiffenichaft, aber immer noch Geo»
metrie ik, d. 5. daß fie nicht ein Syſtem abſtracter Lehren auffellt,
aber doch in ihren Anfhauungen und Conſtructionen eine ſyſtematiſche
Folge einhält und damit fowohl ein wirkliches Wilfen und Können, als
auch geiftige Bildung vermittelt.‘
23. „Der Bollsihulgeometrie fehlen allerdings eine Menge Eigen»
fhaften der ebenen und räumlichen Gebilde; es fehlen uns befonders
alle Lehren, welche auf Berbältniffen und Proportionen beruhen, allein
das find lauter Partien, welche ſich der unmittelbaren Anſchauung ents
ziehen, und welche auch eine weiter gehende Entwidelung der Arithmetif
verlangen, als man fie in einer Volksſchule vorausfegen kann.“
24. „Der Zweck der Schulgeometrie if, die Befähigung des Schüs-
lers, jedes einfache, ebene oder räumliche Gebilde zu erkennen, zu meſſen,
zu zeichnen und zu berechnen.”
25. „Dies alles if eine paflende Grundlage für den Aufbau des
wiſſenſchaftlichen Syſtems der Geometrie, denn der Schüler tritt mit
einer ausgedehnten Kenntnig des Stoffes an das wiilenfchaftlihe Ord⸗
nen befielben heran; er befißt eine große Kertigfeit im Meffen und Con⸗
Aruiren; er bat einen ſolchen Reichthum innerer Anfchauung erworben,
daß er die äußere entbehren kann.” [15]
26. „Die Primärfchule findet bei ihrer gegenwärtigen Ginrichtung
nicht die erforderliche Beit, um die Geometrie als felbftkändiges Fach
gu behandeln, und fo entnimmt fie dann, gleichfam nur als angewandten
heil zum Rechnen, aus ihrem weiten Gebiete etwa dasjenige, was zur
Berehnung und Meffung der am bäufigften vorfommenden Flächen und
Körper dienen Tann. Daß bei diefer Auffaffung des geometrifchen Un⸗
terrihts viel vom eigentlih bildenden und formellen Element verloren
geht, liegt Mar auf der Sand, und doch muß der Lehrer am Ende froß
fein, wenn er bei karg zugemeſſener Zeit die reiferen Schüler auch nur
dahin Hringt, daß fie fih mit der Meßfchnur und dem Kreuzſtabe in
ber Sand, bei der Ausmeflung einfacherer Grundflüde zu helfen wiſſen
and etwa im Stande find, den Lörperlihen Inhalt eines Heuſtockes,
Miſt⸗ oder Erdhaufens annähernd zu berechnen.‘
27. „In den höheren Bolksfchulen oder Secundärfchulen wird zwar
die Geometrie als ſelbſtſtaͤndiges Fach behandelt, aber es gefchieht häufig
wit fo, daß die Schüler auch alle Intereffe an biefem Fache bekommen,
und das Leben diejenigen Früchte, die es mit Recht unfpreden darf,
aus demſelben gewinnen könnte.” [16] \
Mathematik. | 285
28. „Ebenſo fehr, wie wir uns gegen Denkübungen über Gegen»
kände der Formenlehre in der zweiten Abtheilung einer Dorffchule, for
wie in der unterflen Klaffe einer Mittelſchule erklären, ebenfo fehr müflen
wir die Kenntmiß der wichtigen ‚Größen der Bormenlehre in der erfien
Abtheilung einer Dorfihule, wie in der dritten oder doch wenigftene
zweiten Klaffe einer Mittelſchule wünſchen, und zwar um des wichtigen
Einfiuffes willen, den ſie auf andere Unterrichtögegenkände ausübt, und
der miannigfachen praftifchen Bedeutung wegen, welche dieſe Größen im
gewöhnlichen Leben haben. - Unferer Anſicht nach Hätte die Formenlehre
in der Dorfichule am paffendfien ihren Platßz gefunden theils beim Ans
Tdauungsunterricht, theils beim Rechenunterricht.“ [17]
2. Fachſchule.
a. Fortbildungsſchule.
29. „Da ich mich des Glückes erfreue, mit einem Ortsvorſtande
zu verkehren, deſſen Glieder Sinn und Eifer für alles Beſſere, alſo
au für die Kortbildung der Jugend haben, und die nicht zu denen
gehören, welche in dem Wahne befangen find: „haben wir doch fo etwas
auch nicht gelernt und leben doch”, oder die dad Sprüchwort trifft: „wo
der Bauer nicht muß, rührt er weder Hand noch Buß”, fo wurde für
die hiefige Fortbildungsſchule auf Koften des Bemeindeärars nicht nur
das unumgänglich Nothwendige, als Tafelzirkel, Winkelhaken, Reißfchiene
u. ſ. w. angefhafft und für Heizung und Beleuchtung bereitwillig ges
forgt, fondern es erhielt auch jeder Schüler ein Lehrbuch, einen Atlas,
ein Meines Reißzeug, hölzernen Winkel, Lineal mit verjüngtem Maß»
Rabe, wovon der Schüler nur die Hälfte in Fleinen Raten bezahlte und
notoriſch Armen auch diefe Hälfte erlaffen wurde.’
„Ebenſo übernahm auf meine ausdrückliche Beranlaffung der Orts⸗
vorſtand die Handhabung der Disciplin, um nöthigen Falls Ungehor-
ſame, Träge u. f. w. zu maßregeln. An der Schule ſelbſt nehmen junge
Ehemänner Theil.”
„Mögen recht viele Gemeinden unferes Baterlandes biefem rüh⸗
menswerthen Beifpiele folgen.’ [18]
b. Handelsſchule.
30. „Die betreffenden Lehrbücher des vorigen Jahrhunderts erwaͤh⸗
nen mehrfach der Logarithmen und machen von denfelben einen mannig»
faltigen Gebrauch. In diefer Beziehung ſcheint aber in neuerer Zeit
kein Fortſchritt geſchehen zu fein, denn die mir befannten Lehrbücher ber
Gegenwart gedenken der Logaritimen mit feinem Worte, fo vielfach
auch der Gebrauch if, weldger bei den Rechnungen des Kaufmanns und
des Banquiers von den Logarithmen gemacht werden Tann. Sollten aber
nicht gerade die heute an fo vielen Orten aufblühenden Handelsſchulen
vorzugsweife den Beruf in fich fühlen, eine fo gemeinnüßgige Erfindung,
wie diejenige ber Logarithmen iR, welche ſchon länger als zwei Jahr⸗
266 Mathematik.
hunderte befteht, der Taufmännifchen Praris näher zu bringen? Um bie
Zinfeszinfen nicht zu nennen, welde in der Prazis häufiger zur Ans
wendung fommen, als man gewöhnlich glaubt, welche namentlich fchon
hei gewiffen Berechnungen von Gtaatspapieren nicht zu umgeben find
und für welche der Gebrauch der Logarithmen unerläßlich ift, fo bietet
fhon jeder gewöhnliche Kettenſatz, ja jede Meguladetriaufgabe ein Bei⸗
fpiel dar, in weldhem ber Gebrauch der Logarithmen häufig viel rafcher
zum Ziele führt, al® die gewöhnliche Rechenweiſe. Wie leicht und wie
gern aber der Schüler, ſelbſt ohne weitere theoretifche Borfenntniffe, ſich
in die Handhabung der logarithmiſchen Tafeln bineinfindet, das habe
ih bei meinen Schülern an der biefigen Handelsfhule zu beobachten
Öelegenheit gehabt, wo ich diefen Gegenftand leider aus Mangel an
nöthigen Hülfsmitteln nicht weiter babe verfolgen können. Die vorhans
denen fiebenftelligen Logarithmentafeln (Tafeln mit weniger als ſieben
Decimalftellen würden wohl in der Regel nicht die nötbige Genauigkeit
geben) enthalten nämlich neben den gemeinen oder Briggiſchen Logarithmen
immer auch die Logarithmen der trigonometrifchen Zunctionen, welche
für den angezeigten Zwed unbrauchbar find, und man Tann von einem
Schüler nicht wohl verlangen, daß er fih ein Buch anfchaffe, von weis
chem ein großer Theil für ihn nutzlos bleibt. Es würde deshalb nad
meinem Dafürbalten ein danfenswerthes Unternehmen fein, eine Aus⸗
gabe der fiebenftelligen, gemeinen oder Briggifchen Logarithmen für fich
zu veranflalten und in einer vorausgefhidten Einleitung den Gebraud
derfelben für Kaufleute, Banquiers, Rechnungsbeamte u. ſ. w. ausführ«
ih zu erläutern.’ [19]
ev. Seminar.
31. „Genaue Kenntniß des Zehnerſyſtems und Anwendung deflels
den auf die Grundrechnungsarten, Fertigkeit im Rumeriren, fowie im
Angeben der Producte der Zahlenreihen von Eins bis Zwanzig, die
Grundfactoren größerer Zahlen und der Kennzeichen der Theilbarkeit der
Zahlen wird ein Beweis fein, daß für ein methodifches Kortfchreiten im
Kechnen ein angemeffener Grund gelegt worden ifl. Dabei muß die
fihere und raſche Auflöfung von Aufgaben des Bruchrechnens und aus
dem bürgerlichen Leben, fo weit letztere durch Schlüffe ohne Kenntniß
der Proportionsiehre erfolgen Tann, unter Angabe der Gründe des ein-
geſchlagenen Verfahrens erwartet werden.‘
32. „In der Formenlehre und im Beichnen genügt ed, daß ber
Praͤparand die geometrifhen Hauptkoͤrper kennt und zu beichreiben ver⸗
Reht, Linien, Winkel und Flächen mit freier Hand darfellen fann und
im Gebrauche des Zirkels, Lineals und Maßes geübt iſt.“
33. „Demnach wird alfo im Rechnen faR ganz daflelbe von Ge
minariften wie von Präparanden verlangt, was in ber einklaffigen Ele
mentarfchule bereits vorgefchrieben war. Das Mehr, das hinzugefommen,
iſt nicht der Nede wertb. Dort wie bier rechnet man raſch und ficher,
und das Ropfrechnen ift dort noch ausdrücklich genaunt. Warum die
Bathemaftt. 267
Proportionen, bie fo leicht rein praftifh eingeübt und hierdurch aus
fi ſelbſt zur Haren Anſchanung binfichtlich ihres Weſens gebracht wer»
den fönnen, auch bier wegbleiben, das erklärt fih dadurch, daB das
Lehren derfelben felbft in den Seminarien der befonderen Erlaubniß ber
Brovinzialfgulbehörde bedarf. Für einen dreijährigen Seminarkurjus
it folche Vorbereitung zu dürftig, für einen zweijährigen natürlich noch
mehr, oder das Seminar felbft muß wenig zu leiten Zur haben.’
34. Wie neben der wiflenfchaftlichen Arithmetik praktiiches Rechnen
bergeht und für den Seminarfurfus in den Vordergrund tritt, eben fo
muß ein Weg gefunden werden, auf welchem die Seminariften ohne
Anwendung der miffenfhaftlihen Form, aber gründlich mit den geos
metrifchen Figuren, fowohl ebenen als körperlichen, mit ihren wichtigften
Eigenfchaften und mit den Gründen befannt gemacht werden, auf welchen
ihre Ausmeflung und Berechnung beruht.”
35. „Alſo wiſſenſchaftlich ſoll man verfahren im Niedern, in der
Arithmetit, aber obne wiftenfchaftlihe Form foll es gehen im höheren,
in der Geometrie. IM das pädagogiſch zweckgemäß? IM das Con»
ſequenz?“
36. „Das eigentliche Gebiet des Seminarunterrichts bilden Die
vier Grundrechnungsarten in ganzen, gebrochenen und benannten Zahlen
nach folgenden Gefichtspunkten.“
„Der Zahlenkreis von Eins bis Hundert in ſeinen verſchiedenen
Abſtufungen' und Erweiterungen für das ſchriftliche Rechnen, wird ohne
neuen Anſpruch an die Zahlkraft und Operationdfertigkeit der Semis
nariften, aber in methbodifher Beziehung vollfländig überein«
Rimmend mit dem Berfahren der Glementarfhule gründlich durchge⸗
nommen und binfichtlich der Fertigkeit überall Nechenfchaft geben zu können,
zum unverlierbaren und flets bereiten Eigenthum gemacht.“
37. „Hier {ft nicht Mar, ob das bereits Gelernte bloß in methos
difcher Beziehung durchgenommen, oder nicht auch Neues hinzu gelernt
werden fol. Für das erftere fpricht die Beftimmung, daß fein neuer
Anfprud an die Zahlkraft und SOperationsfertigfeit der Zöglinge zu
machen fei, für das lebtere die ‚Erweiterungen für das fchriftliche
Rechnen,“ und da die Fertigkeit, überall Rechenſchaft geben zu Fönnen,
doch nicht ohne Operationsfertigfeit erworben werden fann, fo weiß man
nicht, welches der beſtimmte Sinn diefer Forderungen. ſei.“
38. ‚Während die feßtere Forderung auch für alle ferneren Stus
fen feſtzuhalten if, tritt die neue hinzu, daß die Zahlkraft der Zög⸗
linge geftärkt und geübt, und bei angewandten Aufgaben die Fertigkeit,
die zufammengehörigen Zahl» und Sachverhältniffe mit gefunden Urtheit
raſch und ficher zurecht zu legen und zu vergleichen, erzielt werde, zu
welchem Zweck auch, wo Beit und Berbältniffe es geftatten, die Löfung
afgebraifcher Aufgaben auf mathematiſchem Wege mit Nuben angewendet
werden Tann.‘
39. „Wird dann aber die Zahlkraft ungeftärkt bleiben Tönnen,
wenn des Zögling- auch nur zu dem Zwede mit Zahlen umgeht, bins
ſichtlich feiner methobifchen Wertigkeit, wie fchon vorher verlangt wurbe,
8
‘
268 Mathematik,
„Nechenſchaft (doch wohl über bie Brände feiner Thatigkeit) geben zu
Ynnen?“ Folglich if nicht Mar, in welchem Sinne die Gtärfung der
Zahlkraft eine neue Forderung genannt werden, und man wundert fich,
wie über einen fo befimmten Borftellungsgegenfland fo Unbefimmtes
aufgeftellt werden könne. Denn auch der eigentliche Zielpunkt, bis zu
welchem ber Seminariſt über die vier Grundrechnungsarten hinaus ges
langen folle, tritt nirgends Mar hervor, und nur das iſt einfeuchtend,
daß es hoch Hinaus nicht gehen dürfe.‘
40. „Eine weitergehende Ausbildung der Seminariften — nicht
zum Gebraude in der Schule — fondern zu eigner Förderung — etwa
bis zur Verhältnißrechnung, den Decimalzahlen, dem Ausziehen der
Burzeln, Tann nur ausnahmsmweife von der Provinzialbehörde geftattet
werden, jedoch nur da, wo die Berhältniffe des Seminars und der
Provinz dazu entfhiedenen Anlaß bieten.‘
41. „Die Gefpenfterfurht wären wir los, foll uns dafür — biefer
Gedanke drängt fi uns ganz unwillfürlich auf — eine andere, Die
Zurcht vor dem Denken beſchleichen? Weber diefes gefährliche Geſpenſt
viel zu fagen, lohnt nicht der Mühe. Oben wurde verlangt, es follten
die Seminariftien gründlich mit den geometriihen Figuren, fowohl
ebenen als Förperlihen, mit ihren wichtigften Eigenfchaften und den
Gründen bekannt gemacht werden, auf welchen ihre Ausmeflung und
Berechnung beruht. Soll diefer Forderung nur einigermaßen Genüge
geichehen, fo gebt es ohne Berhältnißrehnung und Wurzelausziehung
nicht ad. Wie will man denn 3. B. die Lehre von der Aehnlichkeit der
Dreiede und Vierede u. f. w. durch Beifpiele aus dem bürgerlichen Leben
fruhtbar machen ohne Anwendung der Berhältnigrehnung? Wie will
man aus dem Inhalte eines Madrats die Seite bdeffelben, aus den
zwei Katheten eines Dreieds die Hypothenuſe, aus dem Inhalte eines
Kreifes den Durchmeſſer, aus der Oberfläche einer Kugel ihren Durch⸗
meſſer berechnen, wenn man die Quadratwurzel nicht ziehen ann? Wie
will man ferner aus dem Inhalte eines Würfels die. Seite deffelben,
oder aus dem Inhalte einer Kugel ihren Durchmeffer finden, obne das
Ausziehen der Kubikwurzel zu verfiehen? Solche Aufgaben müffen aber
geftellt und gelöft werden, wenn „die Ausmeflung und Berechnung“ der
Flächen und Körper nicht eine höchſt unvolllommne fein fol. Bird
nun hiermit das Auszieben der Wurzeln nothwendig, fo verſteht es ſich
von ſelbſt, daß auch die Decimalbrühe nicht fehlen dürfen, denn. bie
meiften Wurzeln find irrationell.‘
„Man fieht: im Geben und Zurüdnehmen if dieſes Regulativ ſtark.
Oben gab es eine wiffenfchaftliche Arithmetit, und verjagt und nimmt
es die Hauptſachen, die zu einer folchen gehören, geftattet fie höchſtens
‘ sausnahmsweife und in befondern Fällen. Was ift es nun für eine bes
fondere Bergünfligung, wenn noch gefagt wird: „Mit Nüdficht auf die
vielen vorhandenen guten Lehrbücher und Leitfäden für den Unterricht
im Rechnen und in der Raumlehre fann bei der Auswahl eines folchen
für Die einzelnen Seminarien den Wünfchen des betreffenden Lehrer und
Mathematik. 269
den lokalen Berbättnifien ein größerer Spielraum gefattet werden, als
bei anderen ſittlichen Inhalt habenden Disciplinen zuläfflg if.’
„Wie aber dann, wenn in einem fo fret gewählten Buche, wo ges
wöhntich die Derimalbrüdye, die Proportionen und das Ausziehen der
Burzein fih finden und zur Weiterverbreitung einladen? Doch mur
ein größerer, nicht ein ganz freier Spielraum ift geſtattet.“
42. „Bei den mannigfaltigften Webungen der Böglinge muß ihnen
do überall ein Berfahren als das für die Elementarfchule geeignetfte
bezeichnet werden, damit hier nicht Sicherheit einer unſicher machenden
Bielfeitigfeit nachgefebt werde.’ [20]
C. Anmerkungen.
31. Traut in Pädagog. Monatsfchrift 1856, 1. Es thut uns
leid, dieſes wahrhaft fürchterliche Gewäſch in der fo mit Recht geachteten
yädagogifchen Monatsfchrift zu finden. Wie der Unterricht in ber Geo⸗
metrie dem Laufmännifchen Rechnen eine Stätte bereiten Tönne, if une
platterdings unverfländlih. Es Tann nicht unfere, Abficht fein, bier den
Herrn Traut belehren zu wollen, da dies bei der gänzlichen Begriffs⸗
Iofigteit feiner Behauptungen ein Ding der Unmöglichkeit fein würde.
Ein paar Bunfte jedoch herauszugreifen,, können wir nicht unterlaffen.
a. Der Zahibegriff wird aus der einen ungetheilten Bervielfäls
tiqungsvorftellung gebildet, deshalb hat der Rechenunterricht feine Wur⸗
zen in der mathematifhen Wiſſenſchaft. Hier iſt zunähft zu fragen:
was ift eine DBervielfältigungsvorfiellung? — was if eine ungetheilte
Borfellung? Bervielfältigungsvorftellung foll wohl heißen die Borftels
lung des Bervielfältigen oder öfteren Setzens des Einen, alfo kurz die
Borftellung des Wie viel — getheilte Vorftellungen habe ich noch nie
mals gehabt, alſo auch Feine ungetheilten. Daher muß ih mir Beleh⸗
rung erbitten. Daher heißt der Schluß jebt: weil die Zahl das Wie
viel it, fo mwurzelt das Nechnen in ben mathematifchen Wiffenfchaften.
Bier müffen wir nun zweitens nad) dem Unterfabe fragen; vielleicht fo:
In der Matbematit handelt es fich in allen Theilen um die Zahl; wer
alfo mit Zahlen arbeiten will, muß die ganze Mathematik kennen. Mag
Herr Zraut fo oder anders fchließen, das Nefultat ift und bleibt Uns
Ann. Die Mathematit bat es nämlich gar nicht mit der Größe zu thun,
fondern mit der Form der Erſcheinung. Run find die drei Formen die
Erifeng, die Räumlichleit und die Bewegung. Die erfte if die leerfte
und abſtracteſte, die lebte die vollſte. Am allerleerſten aber iſt die
Sorm ſelbſt. Daher folgt aus dem Abftracteren nicht das Individuellere,
fondern Diefes letztere muß fich den Geſetzen des erfteren unterwerfen.
Dann if aber zum Rechnen nicht Kenntniß der Mathematit nöthig.
Umgefehrt aber fließt das Abftracte nur aus dem Goncreten, die allges
meine Arithmetik exiſtirt lediglich deshalb, weil es individuelle Zahlen
umd individuelle Zahlenverhältniffe giebt. Wer daher Kegeldetri lernen
wi, braucht nicht die wiflenfchaftliche Arithmetit. \
270 Mathenatik,
b. Sprade der Mathematif. Der Unterricht wird natürlich eins,
zwei, drei u. f. w. fagen, Zähler und Renner unterfcheiden u. f. w.
Dies ift alles mathematifd”, allein zum Verſtehen find alle diefe Worte,
Namen nit von nöthen. Unter 3 wird niemand etwas anderes vers
leben, als das Dreifache des vierten Theils von Eins u. f. w., mag
er den Begriff des Berhältniffes Tennen oder nicht. Und vorausgejfeßt,
daß der Begriff des Berhältniffes wirklich nothwendig ift, fo fieht man
wiederum nicht die Nothwendigfeit der Algebra und Geometrie ein, wie
ih Herr Traut leicht überzeugen fann, wenn er ein beliebiges Lehr⸗
buch der Arithmetit anjehen will, welches die Lehre von den Verhaͤlt⸗
niffen und Proportionen’ zu behandeln der Mühe für werth hält.
c. „Reguladetri und Kettenfaß find nur andre Formen der alges
braifchen Gleichungen und der geometrifchen Congruenz und Aehnlichkeit,
wie denn überhaupt diefe den gefammten Theil der rechnenden Geometrie
ausmachen. ES fcheint faſt, als habe der Berfaffer alle ihm zu Ges
bote ftehenden Berkehrtheiten in diefen menigen Worten zufammenfaflen
wollen. Der „geſammte Theil’ der rechnenden Geometrie? — welches
Aind denn die übrigen Zheile derfelben? — Soll es vielleicht die ganze
rechnende Geometrie fein? — Dann bürfte doch die Eurvenlehre 3. 2.
auch etwas fein, was ſich von Gongruenz und Aehnlichkeit weſentlich
unterfheidet. — Und iſt die Neguladetrigleihung a: b == m: x oder
a.x=b.m wirklih eine andere Form der Gleichung:
amt m _ ı m ir... +32 x +3, x +9 — 0.
Feder Schulbube wird einfehen, daß bie erflere Form nur ein befonderer
Zall der zweiten if. Nicht minder it nicht a.x OD b.m oder
a.xcob.m, fondern eben nur a.x = b.m.
d. So wie Herr Zraut fih in der Mathematit als fehr unwiflend
erweift, fo auch als Philoſoph. Er fehimpft mit den Worten eines bors
nirten Ausländers, welcher von der Metaphyfit und der Mathematik
ohngefähr daffelbe verfteht wie Herr Zraut, nämlich Nichts, auf die
Metaphyfil und erhebt die Mathematik, obgleich er ſelbſt ſeinen Zahl⸗
begriff in einem philoſophiſchen Buche nachgelucht und fehr mißverkanden
reprodueirt zu haben fcheint. Eine Wiffenfchaft verfpricht gar nichts,
fondern fie ftellt fi ihre Probleme und ſucht, fo weit die Kräfte
reihen, die Auflöfung. Es ift geradezu eine Lüge, wenn behauptet
wird, daB das Studium der Metaphufit mit einem übervollen Wort⸗
ſchwalle beginnt; eine Unwahrheit, daß fie fi in Dunkelheit und Ver⸗
muthung verliert. Denn obgleih die Metaphyſik nicht alles wien kann
und ein Gebiet der Vermuthungen laffen muB, fo verliert fie fich nicht
in demfelben, fondern fie flieht wie ein treuer Wächter an der Gränze
deffelben , jeden, der auf fie hört, warnend, daß er nicht den Theil des
Gebiets betreten folle, den er nicht betreten darf, falls er- niht dem
Irrthum verfallen will. Wir rathen Seren Zraut ernflih, nicht eher
wieder auf diefem Gebiete zu erfcheinen, als bis er etwas gelernt hat.
2. Brenner: Weber Berehnungsaufgaben in: Volksſchule von
Hartmann 1856, 6. Daß die Schulmeifter doch das Schulmeiftern
Mathematik. 271
nicht laſſen kͤnnen. Beim Nechnen werden doch nicht nur Rechnungen
gemacht, ſondern auch gerechnet. — In demſelben Heft iſt noch ein
Auffag üher Mifchungsrehnung von Bofinger.
3. Braunschweiger Schulbote 1856, 6. Das Rechnen im Gebiete
der fünf erfen Zahlen nad Grube'fcher Methode. Die Zahlen werden
auch gefungen. Das hat vielleiht noch niemand gewußt, daß er nur
von den drei erfien Zahlen einen Maren Begriff bat. Die Mathematifer
vollends werden fi) wundern, welche bis jeßt einen Haren Begriff von
der Zahl zu haben meinten und nun auf einmal erfahren, daß ihr Wiffen
nur bis zur Drei gebt. Der Berfafler meint offenbar aber etwas ans
deres: er glaubt, daß fih der Menſch nur hoͤchſtens drei Gegenflände
gleichzeitig klar vorftellen köͤnne. Die genauere Unterfuchung fann nur
mit Hülfe der mathematifchen Pſychologie gemacht werden, würde aber
bier zu weit führen. Ein allgemeines Geſetz aber ift die Behauptung
des Berfaffers nicht, denn ich kann immer fünf und in günftigen Zeiten
noch mehr Dinge gleich Mar in der Borftellung halten; der Mufifer unters
fheidet in einem Concert ganz genau die verfchiedenen Töne, Dahfe
faßt ungeheure Mengen mit faft gefpenftifcher Klarheit auf u. f. w.
4. Zraut a. a. O. Das Intereffe verleiden, ift auch ein etwas
kühner Ausdrud.
5. Huisken, Geometriſches Aufgabenbuh. Hannover 1855.
Dann müffen aber die Verhältniffe, welche das zweite fordern, geändert
werden. Diefe Uenderung herbeizuführen, ift Aufgabe der Schule.
6. Müller, Arithmetif und Algebra. Berlin 1857. Die Syn,
taktik oder die praktiſche Combinatienslehre gehört gar nicht in das
Syſtem der Arithmetif und überhaupt nicht in die Mathematif, denn
fie bat es mit allen möglichen Elementen zu thun. Sie gehört zum
Theil in die Logik, zum Theil in die Piychologie. Die Uebung im
Sombiniren gehört aber fiher nirgends anders als dorthin, wohin fie
Herr Müller fell, Denn das ſelbſtſtaͤndige Fortſchreiten, ich möchte
fagen, das mechanische Schauen in die Zukunft, in das Gebiet der
neuen Probleme, ift nur einem im Combiniren geübten, ans Gombiniren
gewöhnten Geifte möglih. Weil das Combiniren nicht etwas ſpecifiſch
Mathematiiches if, fo hat auch der übrige Unterricht feine Vortheile
davon.” Alle Eintheilungen 3. B. find combinatorifher Art. Ob das
combinatoriihe Intereffe fo bald verfliegt, mag ich nicht enticheiden.
Meine Erfahrung lehrt das Gegentheil. Die Armuth des arithmetifchen
Arfangsrenfums an Uebungsaufgaben muß ich entfchieden beftreiten.
Denn jegt kaun man die Säge auf das früher Erlernte anwenden.
Die Ei z. B: a+h)tce= kat) ab und a(66410)
— (a tb) +e erhalten eine nicht nur intereſſante, ſondern auch
fördernde Anwendung in jeder Subtractionsaufgabe, z. B.: 8765 —
7393 — (8000 + 700 + 60 +5) — (7000 + 800 + 90 + 3)
= ({[(8000 + 700 + 60 + 5) — 7000) — 800 } — 90)
— 3 = ({f8000 — 7000) + 700 + 60.+ 5] — 800 } — 90)
[(1000 + 700 + 60 + 5) — 800) - 09} — 3 =
—_— 3 =
272 Mathematik.
f{(1000 — 800) + 700 + 60 + 5] — 90} — 3 = [(200 + 708
+60 + 5) — 90] — 3 = [(900 + 60 + 5) — 90] — 3 ==
{900 + 60 + 5) — 60] — 30} — 3 = [(900 + 9) —
30] — 3 = [(800 + 100 +5) — 30] — 3 = [800 +
(100 — 30) + 5] — 3 = (800 + 70 + 5) — 3 = 800 +
70 + (5 — 3) = 800 + 70 + 2 = 872.
7. 3. Hofmann: das Kopfrehnen. Freiburg 1855. Wir haben
diefen Paſſus nur deshalb aufgenommen, weil er uns recht deutlich
zeigt, in welche. Widerfprüche die Hypotheſe des Angeborenfeins vers
widelt. Denn wenn das Bahlenvermögen angeboren ift und fi nicht
er bildet, fo if die Bildung überhaupt unnüß und wenigftens unndthig.
8. W. Zehme: Lehrbuch der Geometrie. Hagen 1856. Ich
- weiß nicht, was das aus dem Kopfe in der richtigen Reihenfolge citiren
beißt. Denn nach des Berfaffers Anordnung fann die Neihenfolge auf
gar mancherlei Weife eine richtige werden. Soll das Eitiren verſtanden
werden, jo braucht man Feine befondern Hülfsmittel, denn diefes findet
fich überall, wo der Unterricht entwidelt. Iſt endlich die im Lehrbuche
gegebene Folge zu betonen, fo haben wir es mit einer ziemlich brodloſen
Kunft zu thun, welche allerdings nach der vorgefchlagenen WVeife erlernt
werden Tann. Bei weitem wichtiger if eine Zolge von Zolgen, indem
die Säge nach gewiffen Kategorien zufammengeftellt werden. Endlich
fheint eine WBandtafel doch beffere Dienfte zu thun, als die Tafeln
des Verfaſſers.
9. Die Eriftenz eines Syſtems von Aufgaben neben einem Syſtem
von Aufgaben wird niemand beftreiten können, aber eine andere Frage
ift es, ob dieſe Syſteme getrennt find und ſich getrennt entwideln. Bir
werden gewiß den Anatomen nicht fchelten, wenn er ein Knochens, Muskel⸗,
Mervens u.f.w. Syſtem annimmt, aber wir würden fehr unzufrieden '
,‚ mit ihm fein, wenn feine Knochen für fi beleben follten. Wir prüfen
zunähft die Gedanken des Verfaſſers. Er hält beide Syſteme neben
einander für moͤglich, weil es nur auf die Einfiht in die Rothwendig«
feit eines Objects anfomme, nicht auf die graphiſche Conſtruetion. Die
reine Geometrie hat es niemals mit graphifchen Conftructionen, fondern
lediglich mit der Entwidelung der Begriffe zu thun. Jede Hälfscons
firuction if aber für fih ein Syſtem von Begriffen. Wird alfo die
Möglichkeit der Eonftruction vorausgefeßt, fo ift das zu ihr gehörige
Syſtem von Begriffen nicht entwidelt, und die Geometrie hat ihre
Schuldigfeit nicht gethan. Daher muß es bei der Ausführung der Eon»
firuction fein Bewenden haben. Etwas ganz anderes ift aber die „Heil⸗
famfeit.” Für dieſe führt Herr Mann an, weil dur die Scheidung
unwillfürli die Aufgabe entfleht, den Stoff der Aufgaben zu fihten
und zu ordnen. Wir können nicht abfehen, wie in der Scheidung die
genannte Aufforderung liegt. Denn ift irgend eine Anzahl von Con⸗
fiructionen im Bewußtfein, fo bilden fie als Gonftructionen eine Vor⸗
ftellungsmaffe, deren Elemente in dem Maße ihrer Gleichheit und ihres
Gegenſatzes ſich gruppiren, reſpective Sonderungen, Richtungen, Ein-
Mathematik. 273
theilungen und fo weiter bewirken. Ob dabei die Gonftructionen in
ununterbrochener Folge gelernt worden find, iR von feinem Belang, denn
da fämmtliche Gonftructionen in demfelben Denken vorkommen, fo finden
fe ih von felbft zufammen. Ja, diefe Richtung und Ordnung muß
um fo mehr hervorgerufen und gefordert werden, je größer das Durch⸗
einander if. Zum zweiten legt Herr Mann Gewicht auf verfchiedene
Loͤſungsarten. Dies ift ganz in der Ordnung; aber daß man durch
das Aufgabenfyftem mehr Löfungen erhält, oder daß diefelben mehr in
die Augen fpringen, if nicht wahr. Denn hat eine Aufgabe mehrere
Auflöfungen, fo tritt auch die Aufgabe an verſchiedenen Stellen auf.
Dadurch verliert auch der dritte Grund — der Vortheil für die deferips
tive Geometrie — feine Stihhaltigkeit. Denn ohne das Aufgaben«
ſyſtem iſt die Anzahl der Conſtructionen diefelbe, als mit Syſtem, der
Gewinn für die deferiptive Geometrie derſelbe. Damit fol jedoch einer
wiederholenden Bufammenflellung und Ausführung nicht entgegen
getreten werden. Um das Verhältniß zwifchen Lehrfag und Aufgabe zu
begreifen, muß man fih in den Denkakt verfepen. Die allgemeinfte
dorm in ber Bewegung der Begriffe ift, daß fie fih im Denken bes
gegnen. Sie werden durch die Einheit des Bewußtfeins zufammenger
mt, und es entfleht die Frage, ob und mie fie zufammen gehören.
Die urfpränglice Form ift alfo immer die Frage, das Problem, und
jeder Lehrſat foll nichts weiter fein, als die Antwort auf eine Frage,
die Zöfung eines Problems.
10. Oppel: Elementarmathematit. Zranffurt 1856.
411. Herrmann: Der praktifche Nechenmeifter. Leipzig 1856.
12. Ebner: Aufgabenfammlung für das fchriftlihe Nechnen.
Ghlingen 1856.
13. Guth in der Boltsfhule von Hartmann 1856, 8. Dielen
Borfchlag habe ich bereits ſchon einige Male öffentlich und privatim ger
mwaht — auch im pödagogifchen Jahresberichte. — Es hält aber ſehr
ſchwer, ihn auszuführen. Trotz aller Aufforderungen bat ſich bis jetzt
bloß einer bereit erklaͤrt, mitzuarbeiten. .
14. Ein verfländiger Bericht eines verfländigen ſchweizeriſchen
Schulinſpectors, der da weiß, worauf es ankommt. Ich babe ſchon
anderwärtd ſolche Berichte gefordert. Enthielten diefe auch noch Zahle
befimmungen, fo fönnte durch fie in furzer Zeit eine Statiftif des
Rechenunterrichts gefchafft werden. Paͤdagogiſche Monatsichrift für die
Schweiz 1856.
15. Zähringer in der Pädagog. Monatsſchrift für die Schweiz
1856, 8. In dem betreffenden Auffape giebt der Berfaffer Methode
und Stoff in ziemlich concreter Darftellung und beweift fih als denken⸗
den Didaltifer. Ein zweiter Artifel enthält die Hülfsmittel.
16. Egger: Geometrie. Bern 1856.
17. Rindfteifh im Schulblatt für die Provinz Brandenburg
1856, 7.8. So if’s ja faſt allerwärts, und wird auch noch lange
jo bleiben. Die Abhandlung des Herrn Berfaffers ift überhaupt viel
Gerede mit wenig Grund und Begründung.
Nade, Jahresbericht. X. 18
TA Mathematik.
18. Fleiſchhauer in feiner Geometrie sc. Langenfalza 1856. Das
Beiſpiel wird gegeben in: Schwarze, einem Dorfe bei Gotha, welches
nah Ritters geographifhen Lerifon 480 Einwohner hat.
19. Wittftein in Aufgabenfammlung von Meyer Sannover
1856. Der pädagogifche Jahresbericht hat bereits (V, 205) auf eine
hierher gehörige Echrift von Matzka aufmerffam gemacht und diefelbe
empfohlen.
20. Die Regulative find befannt. Es wird aud für den Jahres
bericht vollftändig an dem mitgetheilten Neferat genügen. Auch bat mich
die beigefügte Kritit des Veteranen Dieſterweg der unangenehmen Mühe
enthoben, einige Gloffen hinzuzufügen. Der Lefer wird obne große
Ueberlegung die Säge der Negulative von den Sätzen Dieſterwegs unter-
ſcheiden, und auch ohne dieſe einjehen, wie die Sade behandelt if.
Mach der Natur des Menihengeiftes wird dieſes Zurückſchrauben nicht
viel helfen. Die Arbeit der Fortbildung und des Kortfchritts wird nur
andere Arbeiter erhalten. Das einzige Mittel, durch weldyes ein wirfs
licher Rüdfchritt auf die Dauer bewirkt werden fann, if dermalen nur
die Berbreanung aller Bücher und die Vernichtung des Sandels und
Berkehrs und der Induftrie mit fammt den großartigen Verkehrs⸗ und
Broductionsmitteln.
giteratur
A. Arithmetik.
4. Lehrbücher.
1. Elementare.
a. Kür den Lehrer.
I. Das Kopfrehnen. Im Vereine mit mehreren Schulmännern metho⸗
difch bearbeitet von 3. Hoffmann, Lehrer an der obern Rnabenflaffe ir
Bumngen. Zreiburg im Breisgau, Herder. 1855. (XI u. 169 ©.)
Us .
Inhalt: 3. Das Rechnen mit ganzen Zahlen: 1. Die Berbältnifle
der Zahl 1; 2. die Berhältniffe der Zahl 2 u.f.w. Il. Das Rechen
mit Brüchen. Ill. Vermiſchte Beifpiele.
Das Eigentbämtiche des Buchs Liegt in dem erflen Abfchnitt. Diefe
Eigenthümlichkeit if aber eine bloße Reproduciion ber Methode von
Bähringer, weldye ich im vorigen Bande des pädagogifchen Jahresberichte
harafterifirt habe.
2. Gründliche Anwetſung zum Rechnen mit gemeinen Brüden und
Decimalbrücen für den Schul⸗ und den Gelbflunterrihr, mit vielen Rufen
mäßig geordneten Hebungsaufgaben. Bearbeitet von & Buchner, Se
minariehrer am f. Gchullebrerfeminar für Schwaben und Reuburg in
Zauingen, Münden, Finfterlin. 1856. (VIII u. 208 ©) 2% Ihlr.
Mathemait. 275
Anhalt: I. Boräbungen für das Rechnen mit Bruchzahlen. I. Das
Rechnen mit Bruchzablen, das Rechnen mit Decimalbrücen.
Anſchaulichkeit, Klarheit und Gründlichkeit hat der Verfaſſer an»
gefrebt. Außerdem hat er auch noch Umſtändlichkeit und Weitläufigfeit
erreicht; aber auch Allfeitigfeit. Er giebt uns nicht gerade etwas Ligen»
thümliches, aber doch etwas Leſenswerthes.
3, Praktiſche Kopfrechenſchule mit beſonderer Rückſicht auf die gleiche
eitige Beichäftigung mehrerer in einer Klaſſe verſammelten Abtheilungen, von
fr. Hawis. 5. Aufl. Langenfalza, Schulbuchhandlung. (365 ©.)
Is r.
Wir fagten früher (VII, 164): „Die ſchnelle Aufeinanderfolge der
Auflagen ſpricht dafür, daß das Buch fleißig gebraucht wird. Es iſt
für die Hand des Lehrers beſtimmt, welcher ohne Weiteres woͤrtlichen
Gebrand; davon machen kann. Eben fo ſoll es den Gehülfen bei
der werbfelfeitigen Schuleinrihtung in die Hand gegeben werden, damit
He ohne weiteres an die Stelle des Lehrers treten. Im Ganzen gefallen
mir die Aufgaben recht gut, fo wohl nad ihrem Inhalte, als nad
ihrer Unfeinanderfolge.” Die neue Auflage if verbefiert und vermehrt.
4 Rechenbuch für Volksfhulen, auf Grund der preußifchen Regulatine bes
arbeitet von A. &tubba, Oberlehrer am Seminar in Bunzlau. Leipzig,
Kummer. 1856. %ıs Thlr.
Har Stubba rechtfertigte vor zehn Jahren Die Herausgabe feines
Rechenbuchs durch den Umftand, daß der dreijährige Seminarcurfus
auf einen zweilährigen Curſus rveducirt worden fei. Die Serausgabe
des jegigen Buchs enthält eine abermalige Neduction, welche durch die
preußifchen Regulative bewirkt if. Wenn diefe Reductionen fo forts
gehen, fo wird am Ende das Zählen in der Volksſchule verboten, und
der Lehrer darf nicht eine mehrflaffige Volksſchule durchgemacht haben.
Ser Stubba berüdfihtigt nur die Volksſchule, ordnet die Webungen
zwedmäßig an, giebt viele fpecielle, wenn auch individuelle Winke, und
ſchreibt Mar und lichtvoll.
Doffelbe laͤßt fih von einer zweiten Schrift fagen:
5. Die gemeinen Brühe. Anmelfung zur leichten und gründliden Er -
lernung der Bruchrechnungen für Seminarifien, PBräparanden und reifere
Schüler in Stadt und Landſchulen, fo wie auch zum Selbſtunterricht von
4. Stubba, Oberlebrer am Seminar in Bunzlau. 2. Aufl. Leipzig,
Kummer. 1856. (XII u. 178 ©) 3% Thlr.
Der Inhalt if: I. Bon den Theilern und Diviforen ganzer Zahlen.
1. Die Bruchrechnung ſelbſt: 1. Einleitungen und Voräbungen; 2. die
vier Grumdrednungsarten. III. Proben und Bortheile bei den vier
Species in ganzen Zahlen.
Außer der Entwidelung find noch eine menge Fragen gegeben und viel
Fragen geflellt,, die aber leider nur die Reproduktion des Tertes fordern.
b. Für den Schüler.
5. Anmwelfung zum praftifden Rechnen. Kür den Gebraud in
Heals, Handels⸗, Gewerb⸗ und Bürgerfhulen, fo wie zum Gelbftunter
18*
U
276 | Mathematik.
richt für Lehrer, Handelslehrlinge, Commis und ſelbſtiſtändige Geſchäfts⸗
leute bearbeitet von Dr. Ernſt Kleinpaul, Lehrer an der Kealfeule in
Barmen. 2. Aufl. Barmen, Zangewieiche. 185%. (VIII u. 440 ©.)
1! Thlr. .
Inhalt: 1. Die widtigften Abkürzungen. 2. Cinleitung in die
Negeldetri. 3. Die einfache Megeldetri unter Anwendung der Proportion.
4. Multiplicationsregeldetri. 5. Diviflonsregeldetri. 6. Multiplicationgs
und Divifionsregeldetri in wechfelfeitiger Verbindung. 7. SKettenfag.
8. Zufammengefepte Negeldetri. 9. Decimalbrüde. 10. Zinsrehnung.
11. Münzrechnung. 12. Disconto, Rabatt, Provifion. 13. Einfachere
MWaarencalculationen. 14. Gefelfchaftsrehnung. 15. Wechfelreductionen.
16. Terminrehnung. 17. Zufammengefegtere Waarencalculationen. 18. Bes
rehnung der Gontocorrenten. 19. Mijhungsrehnung. 20. Berech⸗
nung der Staatspapiere. 21. Berechnung der Flächen und Körper.
22. Münze, Maßs und Gewichtsverhältniffe.
„Was das Leben, der bürgerliche und infonderheit der kaufmaͤnniſche
Verkehr im Gebiet des Nechnens fordert, das und nur das allein if
berüdfichtigt.. Ich habe deshalb mit geringer Ausnahme nur folde Bei⸗
fpiele gewählt, wie fie wirflih im Gefchäftsieben vorfommen. Richt
bloß andeuten, fondern faft durchgängig an vollftändig berechneten Beis
fpielen bis in das Einzelnfte hinein das praftifhe Verfahren zeigen,
das war meine Abfiht.” Damit charakterifirt der Verfaſſer fein Bud
felt it und zwar richtig. Doch darf man nicht glauben, als liefere er
eine Anweifung zum mechanifchen Rechnen, vielmehr wird überall bie
Folge aus dem Grunde abgeleitet. Auch die Klarheit ift lobend her⸗
vorzuheben.
7. Leitfaden und Beifpielfammlung für das praktiſche Rechnen
zum Selbftunterriht und für Lehranftalten von Edmund Schäfer, Lehrer
an dem köuigl. Athenäum in Maftriht. Köln u. Reuß, Schwan. 1856.
Kl; zb. (133 S.) Ys Thlr.; 2r Ih. (85 S.) %Yı; Thlr.
—Indhalt: I. Grundrechnungen: 1. Einleitende Kenntniffe, 2. 3. Grund»
rechnungen mit eins und mehrfortigen Brößen, 4. dekadiſches Syſtem,
5. defadifhes Syſtem und Sorten, 6. Beitrehnung, 7. Berwandelung
mebrfortiger Größen in einfortige, 8. Verwandelung einfortiger Größen
in mehrfortige, 9. Bruchrehnung, 10. Kopfrechnen. 11. Der Dreifag:
1. Der einfache Dreiſatz, 2. der Kettenſatz, 3. der zufammengefeßte Dreis
fa, 4. Kopfrehnen. 11. Die Procentrehnung: 1. Abzug von der
Baare und dem Preife, 2. Berechnung des Gewinnes und Berluftes,
3. Zinsrehnung. IV. Umwandlung von Werthbausdrüden und die das
rauf beruhenden Berechnungen. V. Die Bertbeilungsrehnung: 1. Ges
fellfhaftsrehnung, 2. Mifhungsredhnung, 3. Metallmiihung Vi. Münz⸗
und Wechſelrechnung.
Die Decimalbrühe find berüdfihtigt; das Kopfrechnen gehört nicht
herein, oder ift wenigftens zu kurz abgefertigt. Sonft if die Samm-
lung der Aufgaben brauchbar, wenn aud nicht ausgezeichnet.
8. Leitfaden der praftifhen Rechenkunſt. Kür höhere Bolkäfchulen,
niedere Gymnafien, Reals und Gewerbſchulen, zum Selbflunterridt und
Mathematif. 277
für den Behrauc bes Handwerkers bearbeitet von Franz Locher, Lehrer
an der Realfchule zu Ellwangen. Regensburg, Puftet. 1832.
Inhalt: I. 1. Die vier Species mit unbenannten Zahlen, 2. von
den vier Species mit benannten Bablen. II. Arithmetifche Aufgaben,
gelök durch Raifonnement. III. Berechnungen aus den Werkſtätten nebfl
den Deeimalbrücen: 1. Die pier Species mit Deeimalbrüchen, 2. Zlächen-
berechnungen, 3. Körperberechnungen.
Diefer Inhaltsangabe muß noch hinzugefügt werden, daß jedem
Abſchnitt eine Erflärung der betreffenden Berhältniffe, eine kurze Ans
gabe der BZahlengefege mei ohne Begründung, eine Reihe berechneter
und erflärter Beifpiele, fo wie den fogenannten Raumrechnungen die
nöthigen Lehrfäpe ohne Beweis beigegeben find. Ebenfo feblt die noths
wendige Ausziehung der Wurzeln nicht. Die Behandlung flieht ganz
von der PBroportionsiehre ab, die Beifpiele und Aufgaben find meifteng
recht gut; ob aber alle auf dem Titel Genannten ‚von ihnen Gebrauch
machen Tönnen, ift ſtark zu bezweifeln.
9. Der praktiſche Rechnenmeiſter. Lehr⸗, Hülfs- und Uebungöbuch
des Denkt», Kurz⸗ und Schnellrechnens für alle Borfommnifie im Ges
ſchäfts⸗ und Gewerbsleben, nad zuverläffiger, naturgemäß einfacher und
faßlicher Methode in kürzeſter Zeit gründiid u lehren und zu Ternen.
Kür Lehrer und Schüler der Rechenfunft, Behäfe. und Gewerbsleute
aller Branchen, Rechnungsbeamte 2c. bearbeitet von Friedrich Herrmann,
£ehrer der Mathematik und Raturwifienfhaft. Leipzig, Wöller. 1856. |
ir Ih.: Metbodifhes Lehrbuch der gefammten praftifchen Rechnenkunſt.
Ein Beitrag AUT pereinladung, Abkürzung und Erleichterung des Rechnens
unterriäts. (VIII u. 107 ©.) %s Zilr.
2r Th.: Tabellarifhes Hülfsbuch zur Teicht überfichtlichen, zuver⸗
fäffigen Vergleihung und Berehnung der Münzen, Maße und Gewichte
aller Staaten, zur Zinfeszinss und Rentenrehnung, nebft wielen andern
beim praftifchen Rechnen unentbehrlichen Tabellen. (44 S.) ?/s Thlr.
3r Th.: Methodiſches Uebungébuch zc. (63 ©.) Ys Thlr.
4 Th.: Facitbuch. (33 ©.) Y,s Thlr.
Ein furdtbarer, marktichreierifcher Titel. Nicht minder fürchters
lich iſt auch flellenweife der erſte Theil, denn theilweife fehlt die Bes
gründung , theilweife ift fie fehlerhaft, faft niemals den didaktiſchen For»
derungen genügend. Die Aufgaben jedoch enthalten recht hübfches Mas
terial. Der Berfafler bat offenbar die Anwendung im Auge, und des⸗
halb ift auch fein Buch für gewiffe Kreife brauchbar.
10. Lehrbuch der bürgerlichen Rechenkunſt von Dr. $. Th. Kühne,
Brofeflor der Matbematit am Gymnafium zu Gotha. 2. Aufl Leipzig,
Hirzel. 1856. (VIII u. 184 ©.) Yıs Thlr .
Anhalt: Einleitung: Zahl, Zahlwort, Bahlzeichen, defadifches
Zahlenſyſtem, Rumerivn. I. Das Bor- und Rüdwärtszählen als
Grundlage des Rechnens, die vier Rechnungsarten in benannten und
unbenannten Zahlen. Il. Rechnung mit Summe, Unterfchieden und
Brodueten, Entwidelung einiger Haupteigenfchaften der Zahlen. III. Rech⸗
nung mit Quotienten und Brüden. IV. Rechnung mit Decimalbrüchen:
V. Entwidelung der Quadrate und Quadratwurzeln, eins und mehr-
zifftiger Decimalzahlen. VI. Die Lehre von den Berbältniffen und
—i —— — —
278 Mathematik.
Proportionen. VII. Anwendung der Lehre von den Verhaltniſſen und
Proportionen: 1. einfache Regeldetri, 2. zufammengefeßte Regeldetri,
8. Kettenregel. VIII. Weitere Anwendung der Lehre von den Berbält:
niffen: 1. Geſellſchaftsrechnung, 2. Alligationsrechnung. Zabellen.
Der Berfafler behandelt feinen Gegenftand obgleich elementar, doch
wiſſenſchaftlich. Daher if fein Buch für Volfsfchulen nicht zu brauden,
wohl aber für höhere Lehranftalten,, vielleicht auch für Seminare Für
eine Schule, welde durch den Unterricht im praktiſchen Rechnen den
wiſſenſchaftlichen vorbereitet und den elementarifhen hinter fi hat, wird
das Bub am Plage fein.
2. Wiſſenſchaftliche.
11. Lehrbuch der Algebra für Induſtrieſchulen, Gymnafien und höhere
Bürgerſchulen, fowie zum Selbftunterriht, von Johann Orelli. Zürich,
Meyer u. Zeller. 1856. (XII u. 278 ©.) 1 Thlr.
Anhalt: Einleitung. 1. Bon den negativen Größen. 2. Die
vier erfien Operationen mit Monomen und Polynomen, mit Einfluß
der algebraifhen Brühe und der Potenziehre. 3. Bon den WBurzels
größen und der Ausziehung der zweiten und dritten Wurzel. 4. Bon
den Bleichungen des erfien Grades. 5. Gleichungen des zweiten Grades.
6. Bon den imaginären Größen, Progreffionen, Logarithmen ,- Kettens
brüdhen. 7. Säge über Bahlen und WBurzelgrößen. 8. Combinations⸗
Iehre, binomifcher und polynomiſcher Lehrfag, Ausziebung der mten
Wurzel aus Polynomen und defadifchen Zahlen. 9. Zufammengefepte
Binsrechnungen, Rentenrechnung, Summation der Kugelhaufen. 10. Alls
gemeine Auflöfung der Gleichungen des dritten Grades.
„Abgeſehen vom Beihen if (+ 45) :(+ 9). (+ 45):(— 9),
(— 45) : (+ 9), — 45) : (— 9) offenbar überall = 5. Das ifl
doch mohl nicht richtig. In der Aufgabe (— 45): (— 9) — x if
von vorn herein weder die Qualität noch die Quantität von x bes
ſtimmt. Nur fo viel iR nach dem Begriffe der Divifion Mar, daß
— 45=(—9).x if. Hieraus aber und aus dem Multiplications»
geſetz ergiebt fi, daß x pofitiv oder x —= + y fein muß. E86 if
alſo — 45 — (— 9) (+ yY)-= —9.y, folglich 45 — 9.Y,
mithin y = 5, alfo x = + 5. Genau genommen, kennt die Aritbs
metit gar keine benannten Zahlen, weder im Multiplicand, noch im
Muitiplicator. Die Einrichtung der logarithmiſchen Zafeln in einem
Lehrbuche zu erflären ift Ueberfluß. Die Darftellung und Entwidelung
hat nichts Ausgezeichnetes. ine nicht unbedeutende Anzahl von Aufs
gaben find ziemlich umfändlich gelöft, einige Excurſe nicht unintereffant
und dürften das Eigenthümliche des Buchs ausmachen. Zum Selbfs
Rudium reiht brauchbar.
12. Die Differentials und Integralrehnung und deren Anwendung
auf die Geometrie in der Ebene. Bon Dr. Edmund Mälp, Profeflor
der Phyſik und Mathematit an der böhern @ewerbichule Ep Daımftadt.
Darmftadt, Ernft Kern. 1856. (XVI u. 678 ©.) 3, Thlr.
Wir müflen uns verfagen, den Inhalt mitzutbeilen. Denn wollten
Mathematik. 270
wir's thun, fo daß aus dem Inhalte ſelbſt ein Schluß auf Das Bug
gemacht werden Fönnte, fo würden wir die und geſteckten Gränzen weit
überfchreiten, zumal. da Lehrbücher über höhere Matbematif überhaupt
im Jahresbericht nicht angezeigt gu werden pflegen. Einen etwas pein⸗
lichen Eindrud macht es, daß der Verfaſſer noh in der Differentials
rechnung den Begriff der Funktion entwidelt. Doch das ift dermalen
noch allgemein üblich. Bei jeder Disciplin, fo auch bei der Differentials
und Integralrechnung, kommt es vor Allem auf die ſchärfſte Faſſung und
Entwidelung der Begriffe an. Vier würde befonders die Entwidelung
zu betonen fein. Diefe aber ſcheint ung für den Differentiafquotienten
und das Unendliche nicht hinreichend. Wir haben es zwar mit einem
Lehrbuche zu thun, das einen Lehrer verlangt, allein das Feſtbalten
an unferer Forderung würde auch manche andre Uebelflände vermieden
haben. Un die Spiße flellt HOerr Külp die Relation
im 144) e.
Dies zwinge ihn zu fchwierigen ober wenigſtens künſtlichen Entwides
Iungen. Denn fo finnreih die Cauchy'ſche Darflellung if, fo wenig
weiß fie von Geneſis; fie gleicht einem infinktmäßigen Hineingreifen und
iR von genetifhem Standpunkte aus fpgar unwiſſenſchaftlich. Hoͤchſt
unbebaglih wird es mir auch zu Muthe bei den gnoniometriihen und
cyllometrifchen Funktionen. Diefe entBehben in der fogenannten alge⸗
braifhen Analyſis und follen gar feine geometriiche Bedeutung haben. -
Die Geometrie hat nur nachzuweiſen, daß ihr Sinus u. f. w. derfelbe
iR, wie der in der Analyfis gefundene. Didaktifch freilich wird diefer
Nachweis erſt in der Differentialrehnung vorzunehmen fein. Daß es
nicht gefchieht, halten wir flür einen Mangel. Für die Bezeichnung if
die Form
1296) * (0)
auf jeden Fall der vom Verfaſſer meiſt gebrauchten
ymu+v,
wo u und v Funftionen von x bedeuten, vorzuziehen. An Motwirung
der Ummandlungen und Subfitutionen fehlt es gar fehr. So fchreibt
der Berfafler ftatt ’
Ay __ fa+4u) —f (w)
Ix Ax
blos deshalb, weil man es „kann,“ in Wahrheit aber, weil er das
Refultat ſchon voraus weiß
dy_ Sfla+A)— fm) Au
Ax Au "Ax’
Dies find die hauptfächlihften Ausftellungen, welche wir an dem Bude
zu machen haben; fie verfchwinten aber gegen die fonfligen Vorzüge
deſſelben. Der Verfaffer bat alle Urbeiten in dem betreffenden Gebiete
280 Mathematil.
,
benutzt und verarbeitet, und Bietet uns ein vollfländiges Syſtem der
Infiniteſimalrechnung, welches für die Schule wohl meiſt zu vollſtändig
ſein wird. Vor Allem loben wir die Behutſamkeit, mit welcher überall
verfahren wird, wo eine Wahrheit nicht unbeſchränkte Anwendung ges
ftattet, die arbeit in den Beweifen bei verhäftnißmäßiger Kürze und
die Eleganz einzelner Darftellungen.
13. Die algebraifche Analyſis. Bon Dr. Edmund Kulp, Profeflor
der Be und Mathematit an der höheren Gewerbfchule in Darmftadt.
Darmftadt, Ernft Kern. 1856. (VIII u. 242 ©.) ıs Thlr.
Die algebraifhe Analyfis leidet in fuflematifcher und ardhiteftos
nifcher Sinfiht vielleicht am meiften unter allen mathematifchen Diss
eiplinen. Auch Herr Külp hat diefes Leiden nicht vermindert, wie
{don aus der Inhaltsanzeige hervorgeht. Denn fein Bud enthäft:
1. Die Grundzüge der Combinationsiehre. 2. Den binomifhen Lehrs
faß. 3. Die Reihen. 4. Die Erponentialgrößen und Logarithwen.
5. Die trigonometrifchen Funktionen. 6. Die imaginären Zunftionen.
7. Die Summe der reciprofen Potenzen der natürlichen Zahlen. 8. Die
Kettenbrühe. Noch mehr überzeugen wir uns davon, wenn wir das
Buch ſelbſt auffchlagen. Es find bier, wie überall, eine Reihe Probleme
geftellt und gelöft, ohne daß die Nothmwendigfeit und der Zufammenbang
nachgewiefen wird. So fängt die Entwidelung ber Reihen mit den
Worten an: „Mit Hülfe der trigonometrifhen Formel
sin (ce + Pf) + sin ( — P) = 2 sin @. cos 4
erhält man u. f. w.“ Hier follte e8 doch wenigſtens heißen, eine “
Funktion zu beflimmen, für welche .
(a +)+Yyl— N) =2ypla).Y1-—[p (a)] ?
iR. Die Sinusreihe mag entfliehen, wo und wie fie will; und fie tritt
in der That bei genetifher Entwidelung an vielen Stellen auf, aus
der Geometrie darf nichts entlehnt werden. - Sept man z. B. in der
Erponentialteiie x — a yY —1, fo iſt
a J a2 at a6 |
* ta Taste )
a5 a’
+ (a - at Tas 1.23.4.5.0.77° „ai
Sind hier die eingeflammerten Reihen bereits bekannt, fo erhält man
ay—1i
e =cosa+tsina/y_— |
—ay—i
e — co a—ainay_ 1
Methematll. 281
fi '
sin a? + cos a? — 1
uf. w Sind fie nicht bekannt, fo erhalten fie jebt ihre Namen.
Diefer Vorwurf trifft aber nicht allein Seren Külp, fondern fat alle
Bearbeiter der algebraifhen Analyfis, faft ohne Ausnahme. Wir find
entfchieden hinter Thibaut zurüdgegangen. Sonft find die einzelnen
Abtheilungen unferes Buchs tadellos gearbeitet, und daffelbe zu empfehlen.
14. Aritbmetil und Algebra für Gymnaflen und Realſchulen von F.
G. Müller, Brofefior am Berlinifhen Gymnafium zum grauen Klofter.
Berlin, H. Springer. 1857. (XII u. 279 ©.) %s Thlr.
Inhalt: Einleitung von den Ordnungszablen und ſyntaktiſchen
Operationen. I. Bon den einfachen Zahlenverbindungen — Arithmetif
im engern Sinne — 1. Sunme und Differenz, 2. Product und
Quotient, 3. Potenz und Wurzel, A. Zahlenſyſteme, Theilbarfeit der
Zahlen, 5. von den Decimalbrücen, 6. von den Berhältniffen und Pros
yortionen. Il. Bon den zufanınıengefegten Zahlenverbindungen — Buchs
Rabenrehnung und Algebra — 1. Buchflabenrehnung überhaupt —
Rechnung mit eins und mehrgliedrigen Ausdrüden, 2. von der Aufs
löfung der Gleichungen, 3. Logarithmen, Progreffionen, Kettenbrüche
und diophantifhe Aufgaben. -
Eigenthümlich if die Auffaffung der Zahl. Es iſt nämlich
a—= 0 Fi ++ ıi +11 +1H+..... +1
daraus entſteht
ab=0+a+a+art......+a
am — 1.8... DR .............. a
Das Einzelne hat mir im Allgemeinen recht wohl gefallen, nicht aber
die GSefammtentwidelung, welche fowohl vom, logifhen als genetifchen
Standpunkte Fehler verräth. So angemefien 3. B. die Syntaktik an
der Spitze flieht, fo unbegreiflich if "die Trennung der Logarithmen von
der Potenz. Doch dürfte dies in den Augen Vieler nicht als Fehler gelten.
*
U. Qufgabenfammlungen.
1. Elementare.
13. Aufgabenfammlung über Wechſelrechnungen, Waarenrechnungen und
Contocorrenten. Zum Gebraude für die Handelsſchule bearbeitet und
berausgegeben von 3. Eh. Meyer. Mit einer Einleitung von Profeſſor
Dr. Th. Wittſte in. Hannover, Hahn. 1856. (28 u. 291 ©.) 9, Thlr.
Der Inhalt if im Allgemeinen auf dem Titel angegeben. Ich
babe nur noch hinzuzufügen, daß ich das Buch für das vorzüglichfte
unter den mir über diefen Begenftand bekannten halte. Die Yülle des
Materials befteht wefentlich darin, daß dem Schüler alle möglichen Vers
bältniffe vorgeführt werden, welche in dem betreffenden Gebiete vorkommen
Können, Die Aufgaben find faſt alle praktiſch.
282 Mathematik.
16. Aufgaben aum praktiſchen Rechnen für ſchweizeriſche Volkäfchuien.
Don H. Zähringer. X. Kettenfap und vermifchte Uebungen. 2. Auflage.
Züri, Meyer u. Zeller. 1856. (32 S., Antworten 39 ©.)
Entbält praktiſche, intereffante und, wo es geht, auf reelle Zahlen
bafirte Aufgaben.
17. Aufgaben zum Rechnen. Zufammengeftellt von E. Woyſche. 1. Seft.
Aufgaben gem Zifferrechnen mit unbenannten Zahlen (27 &.).— 2. Heft.
Die einfachen Rechnungsarten mit mehrfach benannten Zahlen (3? S.). —
3. Heft. Einfache Rehnungsarten mit Brüden (32 ©). — 4. Heft. Die
zufammengefeßten Rechnungsaufgaben. — 5. Heft. Flächen s und Körper:
berehnung (24 S.). Frankfurt a. d. D., Trowitſch. (Ohne Jahreszahl.)
Im erfien Hefte nur BZahlenbeifpiele. Umfang und Material ſtim⸗
men recht gut zufammen. Bon ſchwierigeren Berhältnifien wird im
Allgemeinen abgefehen.
18. Praktiſches Rechenbuch für Schulen in ſyſtematiſcher Gtufenfolge
von Wilhelm Adolph Guizow, Lehrer an der Realfchule zu Güſtrow.
2. Theil, 2. Auflage. Güſtrow, beim Verf. (64 ©.)
In VII. 877 vourde das Schriftchen dur das Urtbeil charakteri⸗
Art: „Zeichnet fih durch Kürze und Beflimmtheit der Erläuterungen
aus, und gewährt eine reiche und gute Auswahl von Aufgaben, die vor⸗
zugsweife aus dem Bereiche des praktifchen Lebens genommen find.‘
19. Aufgabenfammlung für das ſchriftliche Rechnen, von G. $.
Ebner, Hauptlehrer an der obern Nealllafle des Pädagogiums zu Eßlin⸗
gen. Eßlingen, Weychardt. 1856, 1. Heft. Die vier Species in reinen
und gleihhenannten Zablen. (VII u. 140 ©.) %s Ihr. — 2. Seft. Die
vier Species in ungleich benannten Zahlen. (TV u. 160 ©.) °/ı2 Thlr.
Die Aufgaben find vorzugsweile auf tüchtiges Einüben berechnet,
betonen fehr die Gewandtbeit im Operiren mit dem NReductionszahlen
und enthalten brauchbares Material. — Rur für fübdeutfche Schulen.
20. Aufgabeblätter zum Kopfrehnen, von Ehrlid. Soeſt, Nafie.
1856. (48 ©.) 2. und 5. Auflage. ’
Ein fehr mageres und zum Theil fehr ungereimtes Büchlein. Da
follen fih zwei Kinder in 19,000 Aepfel theilen. Dazu braucht jedes
einen Kaften von mindefiens SO Cubikfuß Inhalt.
2. Wiſſenſchaftliche.
21. Sammlung von Uufgaben und Beiſpielen aus der befondern
und allgemeinen Aritbmetit, fowie aus der Lehre von den Gleichungen
oder Algebra. Zum Gebrauche für Gymnaſien, Realfhulen, höhere Bürs
gerſchulen, Bewerb», Handels⸗ und Militärfchulen bearbeitet und heraus
. gegeben von Albert Billing, Dr. phil. und Gnwnafiallebrer. Braun
Iuweig, C. A. Schwetichte u. Sohn. 1857, (XVI uw 431 ©.) 1 Ahlr.
gr.
Inhalt; Elemente der Arithmetif, I, Befondere Arithmetil: 1. von
Mathematik. 283
ber Theilbarkeit der Zablen, dem Theiler, dem größten gemeinſchaftlichen
Factor, dem größten gemeinſchaftlichen Producte uf. w.; 2. von den
Brüdhen; 3. von den Derimalbrähen; A. einfache Rechnungen mit uns
gleih benannten Zahlen; 5. die wichtigeren Rechnungen des bürgerlichen
Lebens. II. Allgemeine Zahlenlehre oder Arithmetik: 1. Rechnung mit
allgemeinen Bahlausdrüden, in welchen nur Potenzen mit ganzen pofi⸗
tiven GErponenten vorfommen; 2. Rechnung mit allgemeinen Bablaus-
drüden, in welchen Potenzen mit ganzen pofitiven und negativen Expo»
nenten vorfommen; 3. von den reellen Wurzelgrößen; 4. Rechnungs»
operationen mit allgemeinen Zahlausdrüden, in welden Potenzen mit
ganzen oder gebrochenen, poſitiven oder negativen Erponenten vorkom⸗
men; 5. Rechnung mit imaginären WBurzelgrößen; 6. Umänderung der
Zorm allgemeiner Bahlgrößen; 7. Logarithmen; 8. Kettenbrühe: 9. von
den Theilbrüchen und Theilbruchrechnen; 10. Bermutationen, Combina⸗
tionen und Variationen; 11. Bildung von Binomialproducten binomis
Iher Factoren, binomifcher Lehrfag; 22. Progrefforien, figurirte Zablen,
Bolygonals und Pyramidalzahlen, aritbmetifhe Reiben höherer Orb»
nung, Zacultäten und Zacteriellen, III. Algebra.
Die Sammlung ift im Allgemeinen vollftändig. Bei der Diviflon
vermiffen wir Aufgaben von der Form aE:b E. Sie bietet die Zah⸗
lenverhaͤltniſſe in möglihft vielen Berbindungen. Befonderd nett find
einige Abfchnitte, welche die Verbindung mehrerer Operationen enthalten.
Bon Einzelnheiten iſt mir nur die auch anderwärts gebraudte Abkür⸗
zungsgleichung 1 + A == P in der Binfeszinsrehnung als unzwed⸗
mäßig aufgefallen. Viele Aufgaben find der Art, daß der Schüler
bartes Holz bohren lernt. Daher if die Sammlung zu empfehlen.
22. Sammlung von Aufgaben aus der Arithmetik und Algebra
für Gymnafien und Gewerbſchulen. Bayreuth, Grau'ſche Buchhandlung.
1856. 1. Tb. 2. Aufl, 178 S. Aufldfungen (60 ©.). "Ja Thlr. — 2. Th.
(286 ©.) %% Zhle.
Burde fhon im Pädagog. Jahresberiht VIII. S. 172 charakteri⸗
firt und empfohlen. Die Bahl der Aufgaben iſt vermehrt worden.
III. Monographie.
23. Diophantifhe Aufgaben für Kunde des Mechnens, befonders aber _
für Seminarpräparenden, Seminariften und Lehrer, von Ludwig Rap
low, Lehrer in Melzow. Langenfalza, Schulbuchhandlung. 1856. (98 ©.)
Enthält beinahe hundert Aufgaben mit ihren Löfungen. Nach mei
nem Dafürbalten And die Auflöfungen unbeftimmier Aufgaben durch
Rafionnement fchwerer uud unvolßändiger, ale dur die algebraifche
Sprade. Auch der Berf. muß zur allgemeinen Bezeichnung der Zahlen
teine Zuflucht nehmen. Sonſt if die Arbeit eine recht nette.
=
ee — — — — — —
284 Mathematik.
B. Geometrie.
J. Lehrbücher.
1. Elementare.
a. Für den Lehrer -
24. Leitfaden für den Unterricht in der Geometrie in f&hwelzeris
fen Vollsſchulen, von H. Zähringer. Luzern, Kaifer. 1856. (X u.
158 ©.) 3 Thlr. -
Inhalt: I. Anſchauen und Zeichnen. 11. Das Meflen und Zeich⸗
nen der Linien und Flähen: 1. Punkte und gerade Linien; 2. Theilen
und Bervielfältigen gerader Linien; 3. Kreislinie und Kreisflähe: 4A.
Winkel und Bögen; 5. der verjüngte Maßſtab; 6. die Dreiede; 7. die
Vierecke; 8. die Vielecke. III. Die Berechnung der Flächen: 1. Flaͤche
der Quadrate und Redtede; 2. Fläche der Dreiede; 3. Fläche der Pas
rallelogramme; A. Fläche der Zrapeze; 5. Fläche der unregelmäßigen
Dierede; 6. Fläche der Vielecke; 7. Fläche des Kreifes: "IV. Das Zeich⸗
nen der Körper. V. Die Berechnung der Körper: 1. Berechnung der
prismatifchen Körper; 2) Berechnung der pyramidalen Körper: 3. Bes
rechnung der Kugel.
Der Berf. bat uns fchon oben einige Andeutungen über die Geos
metrie der Volksſchule gegeben. Hier find diefelben ausgeführt. Der
Lehrer findet an dem Buche einen guten Führer und gefchidten Bors
lehrer, au wenn er Fein Schweizer iſt. Manche Einzelheiten dürften
au dem Höheren Schulunterricht als methodifches Moment frommen.
Die Beichenaufgaben 3. B. würden auch bier ihre Früchte tragen.
25. seitfaben zur Kormens und Raumlehre für Volfefchulen, nebft
einer Sammlung aufgelöfter Aufgaben. Bearbeitet von Anton Breunig,
Hauptlehrer in Heidelberg. KHeidelberg, Julius Groß. 1856. (VIII u.
865) !ı Thlr.
inhalt: I. Formenlehre: 1. Vom Punkt und den Richtungen;
2. die Linie; 3. Theilung der Linie; A. nähere Betrachtung der Linie;
5. von den verbundenen geraden Linien; 6. von den Winkeln; 7. wech⸗
felfeitige Beziehung der Winkel; 8. von den Figuren. II. Raumlehre:
1. Borbegriffe; 2. das Meffen der Linien; 3. das Meffen der Winkel;
4. Slächenberehnung; 5. Betrachtung von Körpern; 6. vom Zeichnen
der Koͤrpernetze; 7. Berechnung der Oberfläche der Körper; 8. Körs
perberechnung.
In der Formenlehre findet man einiges Beachtenswerthe der Ma⸗
nier. Sonft für Volksſchulen brauchbar.
26. Lehrſtoff und Lebrform der Geometrie für Schulen und zum
Selbftunterriät, von P. H. Krohn. Hamburg, Würger. 1857. (XVIu.
153 ©.) 16. 221% Ger.
Anhalt: J. 1. Punkt und Linie; 2. Winkel: 3. Dreied; 4.
Biered; 5. Kreis; 6. Würfel; 7. das dreifeitige Prisma; 8. der Cy⸗
Mathematik. 285
linder. I. 1. Der Punkt; 2. die Linie; 3. der Winkel; 4. das
Treied; 5. das Biered; 6. der Kreis; 7. das Dval; 8. allgemeine
Bemerkungen über Raumgrößen; 9. der Würfel; 10. das breifeitige
Prisma; 11. das vierfeitige Prisma; 12. dhs fünffeitige Prisma; 13.
die dreifeitige Pyramide; 14. die vierfeitige Pyramide; 15. Allgemeines
über Pyramiden und Prismen; 16. der Cylinder; 17. der Kegel; 18.
das Tetraeder; 19. das Octaeder; 20. das Dodecaeder; 21. das Iko⸗
faeder; 22. die Kugel. III. 1. Vorbemerkungen; 2. Punkt und Linie;
3. der Winkel; 4. die geradlinigen Figuren; 5. von der Aehnlichkeit
der Figuren; 6. vom Kreiſe; 7. die Ebene; 8. die Körper.
Der Inhalt lehrt uns, daß der Verf. Methode für nothwendig und
eine Zurechtlegung des Materials für den Schüler unerläßlih Hält. Er
giebt das Lehrverfahren und in diefem viel Nachahmenswerthes und if
ſpecifiſch praktiſch. Sein Büchlein fei daher empfohlen.
b. Für den Sküler.
27. @eometrie für gehobene Volksſchulen, Seminarien, niedrige Gewerbes
und Sandwerlerfhulen, mit circa 3000 Uebungdaufgaben und mit 200 in
den Text eingedrudten Figuren. Als Leitfaden beim Unterricht und zur
Selbſtbelehrung, mit befonderer Rüdficht auf's praktiſche Xeben bearbeitet
vn Jakob Egger, Seminarichter zu Mündenbuchlee. Bern, Wyß.
Der Inhalt laͤßt füh nicht kurz angeben. Betont werden die Bes
rechnung der Linien, Flächen und Körper und Conſtructionen. Gewiß
nad der Beſtimmung des Buches mit Recht. Die Darftellung if Mar.
und folgt der gewöhnlichen Weile. Die Aufgaben fireben nach dem
Braktifhen und nehmen oft eine intereffante Form an.
28. Der praftifhe Geometer, oder Anleitung aur gewerblichen Geomer
trie. Gin Lern» und Lehrbud für Sonntogs⸗ oder Bewerbs» und Ports
bildungsfchulen, fowie für Lehrlinge der Landwirtbfchaft und fonftiger Ges
werbe zum Selbſtunterricht. Mit mehreren Tabellen, vielen eingedrudten
Holzſchnitten und einem arithmetifhen Anhange vom Pfarrer Stelfhauer
und Emil Fleifhhauer, Mafchinenbauer und Graveur. Langenfalza,
Schulbuchhandlung. (XIV u. 250 ©.) Ya Ihr.
Inhalt: I. Longimetrie: 1. Die geraden Linien; 2. die krummen
Linien; 3. die Lehre von den Winkeln; 4A. die geradlinigen Figuren;
5. die Barallelogramme und irregulären Figuren; 6. der Pythagoras;
7. die Bolygone; 8. die Verwandlung und XTheilung der Ziguren; 9.
die arcdhitektonifchen Glieder und Linien. 11. Die Planimetrie: 1. das
Bermeffen geradliniger Figuren; 2. das Vermeſſen frummliniger Figur
ren. III. Die GStereometrie: 1. die Polyeder, Prisma und Walze,
Byramide und Kegel, Kugel; 2. die regulären, geometrifch meßbaren
Körper; 3. Ermittelung des Volumens der Nundbölzer, Bäffer und Zus
ber; 4. Hohlmaße für trodene und flüffige Körper; 5. die Gewichte,
IV. Maß⸗ und Gewichtstabellen; arithmetifcher Anhang: Deeimalbrüdhe,
Broportionen, Wurzelausziehung.
Das Bad macht auf wiſſenſchaftliche und methodifche Darftellung
feinen Anfprud. Es giebt die Geſetze hiſtoriſch, die Bonftructionen
286 Mathematil-
obme Beweis, bödftens Tommi es zu Beranihanlidungen. ber in dem,
was es giebt, iR Das Bud vortreflih. Es enthält eine Reihe netier
praftiiher Geuftrwetienen, fyriht die Geſehe Mar umd deutlich aus und
giebt Die Gonfructiomen präcis am und führt fie fanber aus. Daher
fann es von den auf dem Titel Demerfien mit Rupen gebraucht werden.
Die Herren Berfaffer beabfidtigen eine dazu gehörige Aufgabenfamm-
Iung zu wranfalten.
2. Biftenfheftlide.
29. Lebrbud der Geemerrie neh Mepelitienstafeen. Kür Neal» und
inobefentere tehniihe Schulen, frwie zum Sebftunterrichte entworfen von
Dr. 8. Zehme,. Direaer Der Kömigi. Previnzlalgewerbeihule zu Sagen.
2. Uuflage- Lagen. Gulae Dup 1856. (IV u. 195 ©.) 1% Ihle.
Yubalt: 1. Die elementare Pienimetrie für untere Klaſſen: 1.
Borbegriffe;: 2. Lebriige mit ausführlichen Beweilen; 8. Beiträge zu
dem bisherigen Lehrgange. 11. Die weitere Planimetrie für höhere
Kiaſſen: 1. Lehriige und Unteutungen ihrer Beweife; 2. Fortfegung
des Lehrgangs des erfien Theils; 3. Hectification und Quadratur des
Kreifes; A. das matbematifche Zeichnen.
Die Gliederung in zwei Kurie if eine nur äußerlihe Die Art
der Bebandiung iR in beiden wejentlich dieſelbe. Die Darftellung bes
wegt ſich in den fyaniichen Stieſeln des Cuklidianismus und ordnet Die
Beweife jo an, daß die Gleihungen der Art ein- und ausgeübt were
den, daß jeder Schluß eine Folge aus den zunächſt eingerüdten Glei-
dungen if. Die äußere Unortuung der Beweile if allerdings nicht
unwichtig, ob aber die vom Berf. beiichte Urt fehr zwedmäßig if, dürfte
erſt zu entjcheiben fein. Wunderbar if es, daß bei der Freiheit, weiche
die euflidifhe Methode gefattet, wicht überall die bequemfte Beweisform
gewählt wurde. So wäre S. 27. Rr. 56 der Beweis nad Kunze ger
wiß befier. Zwedmäßig hingegen if es, daß die Sätze, welche gemein⸗
bin als Zufäge auftreten, den Titel Lehrfäpe erhalten haben. Einzelne
Bartien find etwas breit. Richt umintereffant if der Ercurs über den
einzeinen Beweis, die bilblihde Darfielung des Zuſammenhanges der
Lehren, die Rothwendigfeit der Lehrſähe in der Geometrie, die Geſetz⸗
mäßigteit mathematifcher Entwidelungen, den apagogiſchen Beweis, Die
Sätze über Winkel an Barallelen, den Zufammenhang der Eäpe der
Kreisiehre. Bei Gelegenheit der Winkel, welche bei Parallelen entſtehen,
führt der Berf. ſechs Paare an. Dies berubt auf einem Irrthum.
Denn in Bezug auf die gefchnittenen Linien entfliehen äufere und innere,
alfo in der Zufammenfaffung innere und äußere, in Bezug auf die
fchneidende Linie Winkel büben und drüben, oder in der Zuſammen⸗
faſſung getrennte und ungetrennte. Durch Gombination entſtehen nun
vier verfchiedene Winkel. Auch jo Tann man fich leicht überzeugen. Sind
a, ß, y, I die Winfel an der einen gefcnittenen und a’, P’, y’, 0’ die
an der andern, fo erhält man für den einen Winkel & vier, aber auch
nur vier Berbindungen a, @'; 8, 3 9, y'3d, 0.
Mathematil: 287
30. Ausführlides Lehrbuch der böhern Geometrie zum Selbflini«
ferridt, weit Rückſicht auf das Rosbiwendigfte und Wichtigſte bearbeite! von
5. B. Lübſen. 3. Wuflage Leipzig, Brandſtetter. 1855. (XVI u.
214 ©.) 1° Thlr.
Im Zahresbericht (V. 117) fagten wir unter anderem: „Ausführs
lie und lichtvolle Darfellung zeichnet diefes Buch aus — Alles Mar,
mit großer Anſchaulichkeit Dargefellt. Wer fi in die höhere Geometrie
bineinarbeiten wid, dürfte kaum eine befjere Schrift finden.‘ ch habe
hinzuzufügen, daB ich auch jet noch feine beflere weiß.
3. Lehrbuch derebenen Geometrie. Zum Gebrauch für Schulen don
J. Den Hilfslehrer der Rathematik an der techwifhen Schule zu rs
langen. (Erlangen, Ente. 1356. (95 ©.) ?hs Thlr.
Inhalt: J. 1. Schneidende und parallele Linien; 2. das Dreis
ed; 3. das Bieled und insbejondere das Biered und Parallelogramm:
4 der reis. 11. 4. Die PBroportionalität der Linien nnd Wehnlichkeit
der Figuren; 2. Ausmeſſung der Flächen geradliniger Figuren; 8 Kreis
vielede und Kreismeffung; 4. algebraijch » geometrifche Aufgaben. An
bang: Lehrfäbe und Aufgaben.
Die Darſtellung if euklidiſch, Neues nicht enthaltend, kaum das
Nothwendigſte biedend. Sonſt aber klar, überfihtlic und angenehm zu lefen.
32. Geometrie. Dargeſtellt in entwickelnder Metbode für höhere Lehran⸗
Ralten und zum Schhtunterricht von Friedrih Mann. I. Planimetrie.
Züri, Meyer u. Seller. 1856. (VII n. 184 &.) !ııs Thlr.
Inhalt: Die erfien geometrischen Anſchauungen; PBlanimetrie: plas
nimetrifche Lehrfäge, fpecieller Theil: Richtung, Länge, Winkel; Rich⸗
tung, parallele Linien, Congruenz; das gleichfchenkelige Dreied; Uns
gleichfchenkefigfeit, Ungleichwinfeligkeit, Entfernungen u. f. w.; vom
Barallelogramm; Linien und Winkel am Kreis; vom regelmäßigen
Bieled; von der Gleichheit und von Meſſen; Broportionalität und Aehn⸗
lichkeit; Berbindung der Proportionalitätss und Aehnlichkeitsfäge mit
früheren Entwidelungen; Erweiterungen; planimetrifhe Lehrfäge, allge
meiner Theil. Planimetrifche Aufgaben, fpeeieller Theil: einkeitende Bes
merfungen, die Sundamentalaufgaben, der Kreis, eine abgeleitete unbes
Kimmte Aufgabe, zwei unbeflimmte Aufgaben; eine Reihe beftimmter
Aufgaben, die geometrifchen Derter, beftimmte Aufgaben, welche zu geo⸗
metrifchen Dertern führen, Aufgaben, Erweiterungen; planimetrifche Aufs
gaben ; allgemeiner Theil.
Ein recht intereffantes, fleißiges, wohl durchdachtes, anregendes und
befehrendes Bud. Nur leidet es an dem Fehler der Unüberfichtlichkeit.
Der Berfafler führt uns nit minder in der Irre herum als der Eus
Nidianer und flellt ung mei das Biel, nach welchem er hinſtrebt, nicht
vor Augen. Richt wenig hat zu biefer Unklarheit über das Ganze die
Zreumung in Lehrfäge und Aufgaben beigetragen, von der fih Herr
Mann viel verfpriht. So lange man aber die Probleme nicht im
Ganzen und Großen faßt und mit bloßer Heuriſtik an dem bekannten
Material herum ſucht, wird das Intereſſe für's Ganze nicht erhöht,
288 Mathematik.
Dann ziehen ſogar viele Naturen den Euklid der Heuriſtik vor, zumal
die Schlauheit des Euklidianers um nichts größer if, als die des Heu⸗
riſtikers. Doc ſteht die Heuriſtik auf der böhern Stufe, indem fie wer
nigftens in einem Sinne ſich eine allgemeine Aufgabe ſtellt, nämlich das
aufzufuchen, was aus den früheren Abfchnitten folgt. Doc wird und
ann diefe Aufgabe nicht immer durchgeführt werden, da jeder neue Abs
fehnitt mit neuen Begriffen beginnt. Der Berf. beruft fi auf Hegel,
nach welchem die Methode nichts anderes ift, als die Form der Selbſt⸗
bewegung vom Inhalte derjenigen Wiffenfhaft, um die es fih handelt.
Wenn er feiner Autorität gefolgt wäre, fo würde er nichts erhalten
haben, als Fragen, welche ihre Beantwortung fordern. Denn die Selbſt⸗
bewegung ſetzt einen Weg voraus und das Bewußtfein, daß derfelbe
eingefchlagen werden müſſe. Damit foll aber nicht gefagt fein, daß der
Berf. überall nur heuriſtiſch verfahre, er bietet uns vielmehr auch Abe
fpnitte, wo uns das Biel Mar bingeflellt wird. Hätte der Verf. jedoch
das Problem an die Spige geftellt, fo würden aud feine Erörterungen
in den allgemeinen Theilen, welche als logifche Unterfuchungen oder auch
als Beiträge zur Philofophie der Mathematif gelten können, ein anderes
Ausfehen erhalten haben, obgleich fie fih auch jegt ganz angenehm leſen
laffen, und zwar deshalb, weil fie zum Denken herausfordern.
33, Leitfaden zum Unterrihtin der Geometrie, von C. Davids,
Privatiehrer In Altona. Erfter Eurfus. Erſtes Heft. Ebene Geometrie. —
Zweites Heft. Stereometrie und Kegelſchnitte. Altona, Heftermann. 1856.
(32 u. 40 ©.) */ Thlr. und */10 Thlr.
Anhalt: I. Ebene Geometrie: 1. von den geraden Linien, von
ebenen Flächen und von Winkeln; 2. von den Dreieden; 3. Bierede,
Barallelogramme, Bislede; A. Zlächengleichheit, Berwandelung gerablinis
ger Ziguren; 5. vom reife. II. Stereometrie: 1. Lage gerader Linien
gegen eine Ebene, und von der Lage der Ebenen gegen einander; 2.
von den Lörperlihen Eden; 3. von den Körpern; 4. Ausmeſſung der
Körper. III. Kegelfchnitte: 4. die gerade Linie; 2. der Kreis; 3. die
Parabel; 4. die Ellipfes 5. die Hpperbel.
Eine Menge Säße find nicht bewiefen, 3. B. das Verhältniß der
Winkel bei Parallelen, die Bongruenzfälle werden bewiefen durch die
Worte: „Die Beweife ergeben fich bei einiger Weberlegung von ſelbſt.“
Das ift immer fo. Noch größer wird die Zumuthung des Lehrers an
bie Glaubensſtärke im zweiten Hefte, wo auf unbewiefene Edge recurrirt
wird und Formen we V=4(G + g + YG.g) h gan un
befangen ohne Beweis, ja fogar als BZufäge auftreten. Zum Lernen
mag das Büchlein nicht viel bieten.
34. Die elementare Stereometrie; zum Gebraude für Schulen und
dum Seldftunterrihte von J. C. H. Ludowieg, Artilierielapitän a. D.,
beriehrer der Mathematik und Phyſik am Gymnafium zu Stade. Stade,
Steudel. 1856. (VIII u. 120 ©.) 1'/s Ihir.
Anhalt: 1. Erflärungen und vorbereitende Sätze; 2. von den
Conftructionen der verfchiedenen Lagen gerader Linien gegen eine Ebene
Mathematik, 289
und den daraus fliegenden Sähen; 3. von den Conſtructionen, "welche
die gegenfeitige Lage zweier oder mehrerer Ebenen betreffen; 4. von der
förperlihen Ede; 5. von der Konftruction der Körper mit ebenen Eeie
tenflähen und den näcften Eigenfchaften derfelben; 6. von der Ausmels
fung des körperlichen Inhalts und der Oberfläche der Polyeder; 7. von
der Conſtruction der drei krummflächigen Körper, des Eylinders, Kegels
und der Kugel; 8. von der Ausmeſſung des Lörperlihen Inhalts und
der Oberflaͤche der frummflächigen Körper.
Ein recht anmutbig und klar gefchriebenes Buch, weldhes, bin und
wieder an Thibaut erinnernd, ohngefähr den Stoff behandelt, der auf
Gymnafien durchgenommen zu werden pflegt. Für Nealfchulen bietet
ed zu wenig.
35. Lehrbuch der algebraifhen Geometrie, ebenen und fohärifchen
Zrigonometrie und PBolygonometrie, von’ Dr. phil. Fiſcher, LXebrer der
reinen Mathematik und praftifhen Geometrie an der Gewerbſchule zu
Darmfladt. Darmftadt, Emft Kern. 1856. (VIII u. 183 ©.) ’%ı; Ihr.
Inhalt: I. Algebraifche Geometrie: 1. Die Anwendung der Alges
bra auf die Löfung geometrifcher Aufgaben; 2. die Bedeutung der Beis
Gen in der algebraifchen Geometrie; 3. geometrifhe Conſtruction alges
braifcher Ausdrüde zwifhen Linien und Flächen. II. Die ebene und
fphärifhe ZTrigonometrie, nebft der Bolygonometrie: 1. Grundprincipien ;
2. die trigonometrifchen Bunctionen; 3. Goniometrie; 4A. ebene Trigos
nometrie; 5. die fphärifche Trigonometrie; 6. die Grundformeln der
Bolygonometrie; 7. die Ausführung der Zahlenrechnung; 8. Anhang.
Die Ableitung der Formel des Radius eines dem Sreife einge
friebenen und umfchriebenen Dreieds ift recht nett. Weniger anfpres
hend ift die Unterfuchung über Homogenität der Zunctionen. Die tris
gonometrifchen Functionen follten die Definitionen '
nam
r
x
co se= — u. ſ. w.
r
erhalten, wo x die Abſeiſſe, y die Ordinate, r den Radius vector bedeu⸗
tet. Denn dadurd werden alsbald alle Winkel umfaßt und der Kreis
fogleih mit hineingezogen. Das Buch if zwar nicht fehr eigenthüm⸗
lid, aber Har und in gewiffem Sinne vollftändig.
36, Lehrbuch deranalytifhen Geometrie in der Ebene, von Dr.
phil. Fiſcher, Lehrer der reinen Mathemätit und praftifhen Geometrie
an der Gewerbfehule in Darmfladi. Darmftadt, Ernft Kern. 1856. (VIII
u. 310 ©.) 2 Thlr.
Inhalt: I. Die Eoordinatenmethode: 1. Begriff der Eoordinaten;
2. Betrachtung des Punktes mit Hülfe der Eoordinatenmethode; 3. Ber
tradtung der geraden Linien mit Hülfe der Coordinatenmethode; 4. Bes
trachtung des Kreifes mit Hülfe der Goordinatenmethode; 5. die vers
ſchiedenen Coordinatenſyſteme; 6. das Polarcoordinatenſyſtem; 7. das
Nade, Iahresberiht. X- " 19
— —— — * — —
290 Mathematik.
Winlelcoordinatenfoftem; 8. das Liniencoordinatenfpßem; 9. Zrandfers
mation des Coordinaten.
An Auffaflung der Probleme im Ganzen und Großen if nicht zu
denken, dennoch empfehlen wir das Buch wegen der einzelnen Entwides
lungen und wegen feiner Reichhaltigkeit.
37. Die ebene Trigonometrie; für den Schulunterricht bearbeitet von
L. Kambly, Proicfior am Gymnafium zu &t. Glifabeth in Brealau.-
2. Auflage. Breslau, Hirt. 1856. (VI u. 45 ©.) »/ ia Thlr.
38. Die fphärifhe Trigonometrie, von Demfelben. Gbend. (IV u.
25 ©.) */12 Thlr.
Das erflere diefer Schriftchen haben wir bereits (VII. 172) anges
zeigt und haben bier nichts hinzuzufügen. Der Inhalt des lepteren iſt:
1. Die rechtwinkeligen fphärifchen Zriangel. Il. Die fohärifchen Trian⸗
gel im Wllgemeinen. Il, Flächenberechnung der ſphäriſchen Zriangel.
Die Fundamentalformeln werden recht einfach entwidelt und die betref:
fenden Aufgaben gelöf.
39. Leitfaden für den Unterricht in der Elementarmatbematit
an böbern Lehranftalten, von Dr. 3. 3. Oppel, Lehrer der Mathematit
und Phyfik am Gumnaflum zu Kranffurt a. M. Erſter, gesmetrif er
Theil. Frankfurt a. M., Brönner. 1856. (XVI u 221 ©.) *s hir.
Anhalt: I. Ebene Geometrie: 1. Bon den Linien, Winkeln und
Dreieden; 2. vom Kreiſe; 3. von den Vierecken, insbefondere den Pas
rallelogrammen und dem Blächeninhalte der Figuren; 4. von den regus
lären Polygonen und der Kreisberechnung. II. Stereometrie: 1. Linien
und Ebenen; 2. parallele Ebenen, ſich fchneidende und insbefondere
fenfredhte Ebenen; 3. Körperwintel oder Eden; A. prismatifhe Körper;
5. pyramidaliſche Körper; 6. die Kugel. III. Ebene Zrigonometrie:
1. Goniometrie; 2. das rechtwinkelige Dreied; 3. das fchiefwinfelige
Dreied; 4. Fläheninhalt des Dreieds. IV. Sphärifche Trigonometrie:
1. Das rechtwinkelige Dreieck; 2. das fchiefwinkelige Dreied. V. Grund⸗
begriffe der analytifhen Geometrie, insbefondere die Lehre von den Ke⸗
gelfchnitten: 1. Die gerade Linie; 2. der Kreis; 3. die Parabel; 4. die
Ellipfe; 5. die Hyperbel; 6. Richtung der Zangenten; 7. Größe der
Zangenten, Subtungenten, Rormalen und Subnormalen; 8. Krüm⸗
mungsfreife und Krümmungsradien; 9. die Kegelfchnitte als folde; 10.
vermifchte leichtere Webungsaufgaben aus der Gurvenlehre.
Das Buch foll nicht ohne Lehrer gebraucht werden. Der Berf.
meint, die Dichotomie im Begriff der Aehnlichkeit habe fih bis jeht noch
nit entfernen laflen. Ich meinestheils Tenne gar keine. Im Ganzen
genommen hat mir das Schriftchen gefallen, aud Cinzelnes muß aner⸗
fannt werden, 3. DB. der Beweis des Sapes, daß jedes Parallelopiped
durch jede Diagonalflähe in zwei glei große dreifeitige Prismen zere
fällt. Das rechtwinkelige Dreied jedoch darf nicht zur Erklärung der
trigonometrifchen Aunctionen benußt werden; die Gurvenlehre ift etwas
kurz. Die Beweife find meift nur angedeutet und mutben wohl dem
Schüler hin und wieder zu viel zu. Die Größe der Kugeloberfläcdhe
— — —
Mathematik. 291
3. B. dürfte manchem Schüler bei der Nepetition zu reprodneiren uns
möglich werben.
0. Lehrbuch der Geometrie zum Gebrauch an höheren Lebranſtalten,
von Dr. Eduard Heiß, PVrofeflor der Matbematit an der fönigl. Atlas
demie zu Münfter, und Thomas Joſeph Eſchweiler, Direrter der bös
bern Bürgerfchule zu Köln. Erſter Theil. Blanimetrie. Köln, Du Monts
Schauberg. 1855. (VII u. 270 6.) %% Ihlr.
Inhalt: 1. Die Elemente: 1. Winkel, Parallelen; 2. Eigenfchaften
der Dreiede, Parallelogranıme, Trapeze und Polygone mit Rüdfiht auf
die Seiten und Winkel; 3. vom Kreiſe; 4. Inhalt der Figuren; 5. von
den Proportionen; 6. die regulären Figuren und die "Kreismeflung.
1. Erweiterung der Elemente und fortgefepte Uebung in der geomettis
fhen Gonftruction: 1. Uebungsaufgaben und Eäpe als Anwendungen
der ſechs erften Kapitel; 2. Aufgaben über Dreiede und Bielede; 3.
Lehrfäge und Aufgaben über den Kreis; 4. Säße und Aufgaben über
den Inhalt der Figuren; 5. geometrifhe Derter; 6. Marima und Mis
nima; 7. Zransverfalen, barmonifche Zheilung, Bol und Polare beim
Kreife; 8. Sätze und Aufgaben über das apollonifche Zactionsproblem,
Die Darftellung iſt euflidifch, kurz, einfach, Mar — der Inhalt,
wie Thon Das Inhaltsverzeichniß lehrt, reich, wohl geordnet. Daher fei
das Buch beftens empfohlen.
4. Die Planimetrie. Kür den Schulunterricht bearbeitet von 2. Kam:
bly, Profeſſor am Gymnafium zu St. Elifabetb in Breslau. 3. Auflage.
Breslau, Hirt. 1855. (VIII u. 96 ©.) Sıa Thlr.
Das Büchlein behandelt in fieben Abfchnitten das gewöhnliche
Benfum der Schulplanimetrie kurz und Mar, aber ohne befondere Eis
genthümlichfeit.
42, Lehrbuch der Geometrie Kür den Schuls und Selbſtunterricht bes
arbeitet von Dr. Fr. Reuter, ordentl. Lehrer an der großen Stadifchule
u Bismar. Erſter Theil: Planimetrie. Wismar und Ludwigsluſt, Hin-
orff. 1855. (104 ©.) a Ihlr.
Die Einleitung enthält einen Anfhauungscurfus und geometrifche
Gonfiructionen. Jener entwidelt am Würfel und am Cylinder faft
lämmtliche Begriffe. Dazu reichen offenbar die gewählten Objecte nicht
bin. Weiter it der Inhalt: von den geraden Linien und Winkeln,
Congruenz der Dreiede, von den Bier» und Vieleden, Blächengleichheit
ber Dreiede und Parallelogramme, geometrifche Aufgaben, Aehnlichkeit
der Dreiede, Proportionalität gerader Linien am Kreife, Broportionas
litäͤt der Flaͤchenräume ähnlicher Figuren, geometrifche Aufgaben, einige
Ergänzungsfäße, Berechnung des Inhalts ebener Figuren, Anwendung
ber Algebra auf die Geometrie. |
Euftidifch, kurz, alles Meberflüffige und Weiterführende ausgefchieben.
II. Aufgabenfammlung.
43. Geometriſches Aufgabenbud für Glementarfäufen, fowie für Real⸗
Bürgere, Gewerbes und Aderbaufdulen, von A. G. Huisſsken. Hannos
wer, Hahn. 1855. (VII u. 165 ©.) Ya Thlr.
Inhalt: I. Geometrie der Ebene: 1. die Linie; 2. die Flaͤche:
ı19*
\ 292 | Mathematif.
a. die geradlinige Figur: a. das Dreied, A. das Biered, y. das Biel-
ed; b. frummiinige Figuren: a. der Kreis, 8. die Ellipſe. 11. Geo⸗
metrie des Raums: 1. oberflähige Körper: a. der Würfel, b. die Säule:
a. die Edfäule, A. die Spigfäule, y. die abgeſtumpfte Spigfäule; 2.
frummflächige Körper: a. die Kugel, b. der Hohlkegel; 3. unregelmäs
ßige Körper: a. maffive Körper, b. hohle Körper.
Der Berf. bietet die Definitionen und Lehrfäpe ohne Ableitung
und Beweis und weiſt diefe Gefchäfte dem Unterricht zu. Weber jede
„Regel find eine nicht unbedeutende Anzahl Aufgaben mitgetheilt, fo
daß der Stoff zur Einübung der Lehren volltommen hinreiht. Gemeine
Brüche find faſt ganz vermieden,- die Aufgaben faft alle neu gebildet,
zum Theil vecht nett und intereffant.
VI.
Naturkunde.
Von
Anguſt Lüben.
I. Grundſaͤtze.
Wir den nachſtehenden Vericht haben uns folgende Auffäpe und
Schriften vorgelegen:
4 Für Naturdunde im Allgemeinen.
1. Bas kann die Natur dem Lehrer werden? Bon Ziedemann.
Allgem. deutfche Lehrerzeitung, 1856, Nr. 29.
2. Das Studium der Naturkunde für den Lehrer. Dithmarfifche
Lehrerverſammlung. Schulzeitung für die Herzogth. Schleswig, Holftein
und Lauenburg. 1856, Nr. 7..
3. Ueber den Einfluß der Naturkunde auf Intelligenz und Sitt⸗
Iihfeit. Bon Chr. Saggau. Schulblatt f. d. Herzogthumer Schles⸗
wig und Holſtein. 1856. December » Heft.
4. Die Bedeutung der Naturwiffenihaft für alle Lebensgebiete.
Bon Dr. R. Hafe. Allg. d. Lehrerz. 1856, Nr. 33.
5. Bür unfere Lehrerwelt. Don Hd. Leipziger Tageblatt, 1855,
Rr. 312. Daraus in: Allg. d. Lehrers. 1856, Nr. 1.
6. IR der Unterriht in der Naturkunde für alle Schulen, nas
mentlich auch für unfere Landſchulen, denn wirflih nöthig? _ Bon —t
in H. Schulblatt f. d. Herzogth. Schleswig und Holflein, 1856, No⸗
rember s Heft.
7. Geſchichte der Pädagogit von Er. Körner. Leipzig, 1857.
8. Die Methode des Unterrichts in der Naturkunde. Bon Kör-
ting. Allg. d. Lehrerz. 1856, Rr. 26. Hamburger Schulbl. Rt. 156.
294 Raturkunde.
9. Das konkrete Element beim naturkundlichen Unterriht. Bon
M. Lehmann, Lehrer an der Stadtfehule zu Hechingen. Low's Mos
natsihrift, 1856, 3. Heft.
10. Verbindung der weltfundlihen Gegenflände. Allgemeiner Hol⸗
fteinifcher Lehrerverein. Allg. d. Lehrerz. 1856, Nr. 1.
B. Für Naturgeſchichte.
11. Die Pflanzentunde in Berbindung mit der Auffaglehre. Bon
H. H. Mönd. Coblenz. 1856.
12. Die Naturgeſchichte in der Volksſchule. Von Köhler, Lehrer
an der Bürgerfchule in -Budiffin. Sächfiihe Schulz. 1856, Nr. 1.
13. Symbolik der Natur im naturbiftorifhen Unterriht. Bon
J. Niffen in Glückſtadt. Schulblatt f. d. Herzogth. Schleswig und
Holftein. 1856, Märzs Heft. 2
14. Die Naturwiflenfhaften in ihren Beziehungen zu den mates
riellen und geiftigen Interefien der Menſchheit von W. Stein. Dres-
den, 1856. \
15. Gemüthehildung durch den Tnterriht in der Naturkunde. '
Bon Schlichting, Lehrer. Schulzeitung f. d. Herzogth. Schleswig,
Holftein und Lauenburg. 1856, Nr. 48.
16. Ueber den Unterricht in der Zoologie an der Unterrealjchule.
Bon Dr. ©. B. Deſterreichiſcher Schulbote. 1856, Nr. 15.
17. Die NRaturgefchichte in der Volksſchule. Meldorfer Lehrers
verein. GSchufzeitung f. d. Herzogth. Schlesw., Holſt. u. Lauenb.
1856, Nr. 45.
18. Ueber die Bedeutung der Pflanzen» Geographie für den bos
tanifchen und geographifchen Unterriht. Bon & Rudolph. Bran-
denburger Schulblatt. 1856. 1. Heft.
19. Bas kann jur Hebung des naturgefchichtlichen Unterrichts in
der Volksſchule gefchehen? Bon HK. Die Volksſchule. Bon Behre und
Münkel. 1855 Februarheft.
20. Ueber das Sammeln, Einlegen und Aufbewahren von Pflanzen.
Bon I. ©. Deſterr. Schulbote 1856, Nr. 30.
21. Zum Schutz der Vögel. Eben daſelbſt Nr. 17.
22. Dritter Jahresbericht für die Rädtifche Realſchule in Pofen.
Dom Direstor Brennede Poſen, 1856.
23. Der naturgefchichtliche Unterricht in der Volksſchule. Bon
a r. Chlamloth in Braunfchweig. Braunfchweiger Schulbote, 1856,
r. 12,
C. Für Phyftt.
24 Schlichting's unter Nr. 15 genannter Auffah.
25. Die Naturlehre in der Bollsfhule. Bon W. PBrange.
Schleſiſches Schulblatt. 1856, 2. Heft.
26. Ueber den Unterricht in der Raturlehre in Volksſchulen mit
befonderer Berüdfihtigung eines. für die Bwede derſelben hinreichenden
Naturkunde. 203
vyſtkaliſchen Apparats. Bon Bering, Burgerſchullehrer in KReichen⸗
bach. Sachſ. Schulz. 1856, Ar. 32.
27. Die allgemeinen Eigenſchaften im phyſikaliſchen Unterricht.
Bon E. N. Allg. d. Lehrerzeitung 1856, Nr. 27.
B. Für Technologie, Haus: und Landwirthſchaft.
28. Schule und Arbeit. Bon %. Sch: in M. Brandenburger
Schulblatt 1856, 11. u. 12. Heft.
29. Die Ertheilung des landwirthſchaftlichen Unterrichts in den
Volksſchulen. Durlacher Lehrerconferenz. Volksſchulblaͤtter aus Thür
ringen von Lauckhard. 1856, Nr. 7.
30. Landwirthſchaft. Eben dafelpft, Nr. 9 und 10.
A. Naturkunde im Allgemeinen.
a Wirkung des Naturfiudiums und naturlundliden
Untewichts.
1. Tiedemann aus Hamburg bat in der 8. allgemeinen deut⸗
fügen Lehrerverfammiung in einem längeren Bortrage die Frage beant-
wortet: „Bas kann die Natur dem Lehrer werden?!" Auf
den Wunſch der Verſammlung ift derfeibe in der Allgem. d. Lehrerz.
abgedrudt worden. Nach dem Redner ift die Natur dem Lehrer:
1. eine Lehrerin, indem fie ihn hinweift
a. auf die rechte Erziehungsmeife,
b. auf die geeignetfien Bildungsftoffe;
2. eine Tröferin,
a. wenn er glaubt, vergeblich an feinen Schätern zu arbeiten,
b. wenn er Auswüchſe befämpfen muß, die der freien Ent-
widelung des Geiſtes hinderlich zu fein feheinen,
ec. wenn er durd Leiden gebeugt wird; .
3. eine Helferin in Bezug
a. auf feine Gefundheit,
b. feine Erholung,
feine Seiftesfrifche.
Diefe nadte Meberficht' deutet den anfprechenden Inhalt nur ſchwach
an; wir empfehlen, die Rede ſelbſt zu leſen, und fügen hier nur noch
die Wünſche bei, mit denen dieſelbe ſchließt:
1. Der Lehrer ſuche die Natur!
2. Der Lehrer erforſche die Natur!
3. Der Lehrer führe feine Schüler in die Natur!
2. Das Studium der Natur ift in neuerer Zeit wiederholt vers
daͤchtigt worden, hauptſächlich, weil man glaubte, daß es materialiftifche
Auſichten erzeuge und zum Atheismus führe. Anlaß zu diefer Meinung
hat der Umſtand gegeben, daß einige als populäre Schriftfteller in dem
Raturwiflenfchaften hervorragende Perſönlichkeiten zum Materialismus
und Atheismus hinneigen. Diefe Meinung muß aber fo fange als uns
200 | Naturkunde.
begrundet zurũückgewieſen werden, als nicht nachgewieſen worden, daß bie
angedeuteten Perſonen wirkliche durch gründliche Naturſtudien zu Mas
terialiſten und Atheiſten geworden find. Die Geſchichte der Menfchbeit
lehrt, daB man dazu auch durch andere Studien, ja fogar durch inhalt«
loſes Bhilofophiren gelangen fann. Wir finden feine gefunde Logik in
dem Schiuß: da X. M. 3. Naturforfcher und Atheiften find, fo führt
Raturforfchung zum Atheismus. Saggau a. a. O. fagt: „Daß die
Träger der Naturwiſſenſchaften vielfah dem Unglauben verfallen find,
beweift noch eben fo wenig etwas gegen die Naturwiflenichaften, wie es
nichts genen das Chriſtenthum beweiſt, daß 3. B. die „„Statthalter““
Chriſti auf Erden, die Bäpfte, nicht felten in fittliher Beziehung
wahre Scheufale waren.’
Die Verdächtigung der Naturmiffenfchaften if vorzugsweile von
Denjenigen ausgegangen, die in Folge ihres ganzen Bildungsganges
den Nuturwiflenfchaften von Jugend an fern geftanden haben und daher
fo vollfommen unwiffend darin find, daß fie fih nicht einmal in die
Sprache der jeßigen Raturforfhung finden fönnen, daher an jedem
Worte Anſtoß nehmen, Religion And Kirche in Gefahr fehen. Mit
folhen Menſchen läßt fih durchaus nicht erfolgreich über diefen Gegen»
fand verhandeln; fie reden wie der Blinde von der Farbe und können
ſich nur erſt wieder an der Debatte betheiligen, wenn fie etwas dafür
werden gelernt haben. Für Müller, Ule, Roßmäßler u. A. war die
gegnerifhe Unwiſſenheit wahrſcheinlich auch ausreichender Grund, Die
vom Prediger Weber in Stendal gegen fie gerichtete Schrift: „Der
Materialismus und die chriftliche Volksſchule,“ unbeantwortet zu laffen.
Stein fertigt die bezüglichen Verdaͤchtigungen zum Schluß feiner
Schrift mit Bolgendem ab: „Man hat behauptet, die Naturs
wiffenfhaften raubten uns das Jenſeits, weil fie alle Räume
nah und nah durchdrungen haben und mehr und mehr durchdringen,
die fonft, in ein geheimnißvolles Dunkel gehüllt, für die Sige deffelben
gelten Tonnten und gelten, und hält es für hohe philofophifche Weis⸗
beit, daß man den armen Menfchen dur die Annahme aus der Vers
legenheit hilft, das Urtheil der Sinne fei trüglich. Vergißt man denn,
dag man im Altertfum nur 1026 Sterne am Himmelszelt erkennen
fonnte, daß Galiläi deren weit mehr mit einem fchwachen Fernrohr, ers
fannte, daß Berfchel mit einem befferen an einer einzigen Stelle der
Milchſtraße 116,000 unterfchied, und fieht man denn nicht ein,- daß
es unjern Sinnen, felbft mit den Fräftigften Waffen, nie gelingen wird,
das ganze Weltall zu durchdringen? Ich behaupte dreift, daß die Naturs
forfhung (und gerade die Erleuchtetfien unter ihnen werden dies am wenige
Ken in Abrede fielen), je tiefer fie in’s Innere ber Ratur eindringen und
je mehr fi in der That ihre pofitive Kenntniß erweitert, um fo mehr
einfehen lernen, wie Bieles ihnen noch verborgen if; daB fie aber
in dem Dieſſeits überall, wo fie mit gefundem, unbefangenem Sinne
foriden, die Spuren eines ewigen Gottes finden und dadurch in ihrem
Ölauben an ein Jenfeits, das außer dem Bereiche, wie außer der Möge
lichkeit ihres Forſchens Liegt, beftärtt werden müffen. Die pofitive
Raturkunde. 297
Forſchung führt Hets zur Wahrheit, nur Die unange,
meffene Spyeculation führt auf Irrwege; Zweifel an das
Jenſeits können nur durch eine trüglihe Sophiſtik, nicht
aber durch die Raturforfhung erregt werden.‘
„Kann die Raturforfhung zum Atheismus führen?
Die Antwort auf diefe Frage liegt ſchon im Vorhergehenden, ich brauche
dem nur Weniges hinzuzufügen. Der Phyfiker alaubt, Daß es eine
magnetifche, eine elektriſche, daß es eine Schwerkraft giebt, daß ein
Aether das Weltall durchdringt, deffen Schwingungen die Erfcheinungen
des Lichts erzeugen: der Ehemifer glaubt an eine chemilche Anziehung,
der Phyfiolog an eine Seele. Sie müffen daran glauben, weil fie die
son ihnen beobachteten Birfungen nur durch die Annahme von Urfachen,
die der directen Beobachtung unzugänglich find, zu erklären vermögen.
Darum aber müflen fie auch an Gott glauben, weil der Uriprung aller
Dinge, die entferntefte Urſache aller Erfcheinungen ohne einen allmäch⸗
tigen Schöpfer nicht denkbar if. Wie wäre es alfo möglih, in die
geheimnißvollen Tiefen der Natur einzudringen und den zu vergeflen,
deffien Werk fie if?’ |
„Benn einzelne Raturforfcher in unbegreifliher Selbſtüberſchätzung,
in unglüdjeliger Berbiendung den Herrn verläugnen, fo kann dafür
das Studium der Natur nicht verantwortlih gemacht werden. Der
Bahn ift eine Geißel der Menſchheit; vom Wahn Bethörte hat es zu
allen Beiten in allen Berufsflaflen und in allen Schichten des Volks
gegeben und wird es geben, fo lange die Welt fiebt. Aber Eines
Rebt fer — wie weit auch die Naturmwiffenihaften ihre
leudtende Fackel auf dem Pfade, den die Menſchheit zu
geben berufen ift, Hinaustragen mögen, fie werden an
einer Grenze der Erfenntniß anlangen, über die hinaus
nur der zwingende Glaube reiht, daß eine göttliche All
macht die Welt regiert!”
Auch unter den Lehrern fehlt es nicht an Verdächtigern der Na⸗
turwiſſenſchaften. Bahr aus Süderhaftedt flellte auf der 6. Berfamms
lung des Dithmarfifchen Lehrervereins (Schulzeit. f. d. Herzogth. Schlesw. ꝛc.
1856, Nr. 7) folgende Thefis:
„Das in der Lehrerwelt jetzt fo beliebte Studium der Naturwiſſen⸗
ſchaften hat in unferer Zeit für Lehrer und Schüler feine großen Ges
fahren.‘ Denn:
„3. Es raubt Zeit, Kraft und Mittel, die der Lehrer zu wid
tigeren Dingen nöthig Hat.” .
„2. Es gewährt leicht nur ein unfruchtbares Wiſſen und verhin⸗
dert fo die Erkenntniß der Wahrheit.‘
„3. Es nährt leicht den irdifchen Sinn und verhindert damit das
rechte Freiwerden.
„A. Es veißt leicht 108 vom lebendigen Bott und macht den Mens
ſchen zum Thier.“
Und darum empfahl er;
S
208 Raturkunde,
„3. Der Lehrer halte im Studium und im Unterricht der Haturs
wiffenfchaften das rechte Maß.“
‚2. Er treibe Beides in rechter Weiſe.“
„3. Er prüfe namentlih aud feine Lehrmeiſter.“
D wie weife! Paſtor Brütt flimmte dem Thefenfteller bei und
fügte no hinzu: ‚Die Gefahren feien zu fuchen
1. bei Denjenigen, die diefe Wiflenfchaft pflegen, namentlich für
die Schule bearbeiten, populär machen;
2. in dem Streben der Gegenwart, das realiſtiſche Prineip, gegen»
über dem bumaniflifchen, zur Geltung zu bringen;
3. in dem Umfichgreifen des Materiafismus und der Genußfucht,
weldem dur die Raturwiffenfchaften Vorſchub geleitet werde.‘
Die Berfammlung if allen diefen unbegründeten, von Unfenntniß
bes Gegenſtandes zeugenden AUnfichten ganz entichieden entgegen getreten,
bat fchlagend das Gegentheil bewielen und fhließlich mit allen Stimmen
gegen eine, nämlich gegen Bahr's, die von Tieſſen gefellte Thefis
angenommen:
„Das Studium der NRaturwiffenfhaften bat für
Lehrer und Schüler großen Rußen, und daher ift
jeder Lehrer verpflichtet, fih demfelben binzur
geben.
So ift es recht! Wären die Gegner nicht auf fo eflatante Weife ab»
geführt worden, fo würden wir uns die Mühe nicht verdrießen laflen,
ihre Anfichten hier zu beleuchten und als durchweg haltlos darzulegen.
Aber empfehlen möchten wir ihnen, dem gebaltwollen Auffag von Sag⸗
gau: ‚Weber den Einfluß der Naturkunde auf Intelligenz und Sitte
lichkeit”, die verdiente Aufmerffamfeit zu fchenten. Der Verfaſſer bes
Handelt diefen Gegenftand allfeitig und ohne Borurtheil. Er verwirft
ganz entfchieden die materialiftifche Richtung der Raturforfhung als eine
der Religiofität und Eittlichkeit gefährliche, fordert einen evangelifchen
Standpunft des Raturforfchers, namentlich des Lehrers der Naturkunde,
und weift dann mit Sachkenntniß nach, welch’ bedeutenden Einfluß der
Unterriht darin auf die Intelligenz und die Sittlichkeit ausübt. Aber
er erwartet denfelben nur da, „wo der Lehrer ſelbſt ausreichende Kennts
niffe auf dem Gebiete der Natur erworben hat.” Wir können ung
nicht verfagen, die Stelle hier mitzutheilen, in der fich der Berfaffer
über den bildenden Einfluß des naturkfundlichen Unterrichts ausſpricht,
ungeachtet wir nicht überfehen, daB Manches davon auch fhon von Ans
dern in ähnlichem Sinne gefagt worden if. Es heißt Seite 720 u. f.:
„Bir wollen nicht das größte Gewicht legen auf die bei einem methodifchen
Unterriht in der Naturfunde unauebleibliche Anregung und Pflege des
fogenannten Anfhauungsvermögens, des Gedächtniſſes und der Phantafle,
benn diefe Richtungen der geiftigen Thätigkeit können durch eine einſei⸗
tige und unverhältnißmäßige Ausbildung fehr leicht eine gefunde geiftige
Conftitution gefährden (!), und es iſt ohnehin im Unterricht genug Ber
anlafjung und Gelegenheit, fie in einem gebührenden Maße zu fürdern.
Als eine fhon höher anzyfchlagende Frucht ‚eines guten naturkundlichen
Naturkunde. 200
Unterrichts muß das anf forgfältige und auhaltende Besbachtung fi
gründende Nachdenken und Ueberlegen, das ragen nad dem genauen
„Die und ‚Barum‘ der Erfcheinungen und Ereigniffe, und das dar
raus mit Rotbwendigfeit bervorgebende befonnene und richtige Urtheilen,
Entſchließen und Eingreifen bezeichnet werden. Die Beichäftigung mit
der Naturkunde heifcht bei jedem Schritte die genaueſte Beobachtung,
elfeitige Erwägung, behutfames Urtheil, berechnete Handeln. Eben
durch Dielen Charakter wird fie zu einem vorzüglichen Bildungsemittel,
das dem menfhlichen Geile wahre AIntenfität verleiht; eben dadurch
empfiehlt fie fih in unferer leichtinnigen und leidhifertigen Zeitz durd
die Gefegmäßigfeit und die nothwendige Einfügung des Einzelnen in
das Ganze, weile die Naturkunde überall predigt, gewährt fie den
nachhaltigen Damm gegen die zügellofe Subjectivität und den niedrigen
Egeismus, welche fo Häufig Berderben dringend hervorbrechen. Faſt
noch höher muß der Einfluß der Naturkunde auf die Sprache des Mens
ſchen geihäßt werden. Sie erfchtießt uns eine nie verflegende Quelle
von Anfhauungen und Begriffen, Gebanfen und Ideen. Und dieſe
And nicht bloß todte Yormen und Abftractionen, fondern fie find lebens
dig umd concret im höchfken Grade. Sie gleichen einem in befländiger
Entwidelung begriffenen Organismus; denn der befländige Kreislauf in
ber Natur frifht fie immer wieder auf, gefaltet fie immer beflimmter
und klarer und veranlaßt immer neue Gedanftencombinationen in Die
Ziefe hinein fowohl, wie in die Weite. Darum bleibt auch die Ger
danfenwelt und Sprache des kundigen Preundes und Beobadhters der
Ratur Immer frifh und warm und rei. Ihren Reichthum an Ber
gleichen, Bildern und Analogien verdankt die Sprache hauptſächlich dem
geiftigen Erfaffen des Naturlebens. Ya, die rein geiftigen Begriffe laſſen
fh zumal dem jugendlichen Begriffsvermögen fat nur durch Heranziehung
bekannter Erſcheinungen in der Natur nahe bringen. Und alle Poefle
wäre froflig und ohne praftifche Wirkung, wenn fie des warmen Hauches
der Natur ermangelte. Ja, die Kenntniß der Natur öffnet dem Mens
fhen den Mund und adelt feine Sprache. Man führe nur einen Natur»
fundigen und einen Unkundigen in der Natur über Geld, Wieſe md
Bald, Über Berg und Thal, Haide und Moor, durch die flille, ſternen⸗
belle Nacht oder im Sturm an das empörte Meer. Welcher Kontra!
Bäprend diefer, bald körperlich, bald geifig ermattend, mit flumpfen
Sinnen gedanken» und gefühllos ſich fortfchleppt und nur felten in we⸗
rigen abgebrochenen Worten von der völligen Unbehaglichkeit, die fich
feiner bemädtigt, oder von einem dumpfen Erflaunen Beugniß giebt,
trägt jener alle Befchwerden mit Leichtigkeit, eine zahlloſe Welt befreuns
deter Geftalten tritt fragend und erzählend an ihn heran und regt ein.
Meer von Gedanken und Gefühlen in ihm auf, deſſen Wogen fort und-
fort in lebendigen und warmen Worten und in kautem Jubel über die
Lippen firömen. — Sobald ich das Arbeitszimmer verlaffe oder über
haupt eine andere Unterhaltung fuche als die, welche eine Bibliothef
oder der Berufsmenfch gewährt, Tenne ich Seinen langweiligeren Geſell⸗
ſchafter, als einen in der Naturkunde unmiffenden Menfchen.”
300 | Naturkunde,
„Als die fhönfte Frucht eines guten Unterrichts in ber Natur⸗
Funde ift aber ohne Zweifel das Intereſſe an der Natur und das aus
demfelben nach und nach ſich entwidelnde Verſtändniß des Berbältnifles,
in welhem der Menfh zur Natur ſteht, anzufehen. Der Menſch, er
mag wollen oder nicht, bat nun doch einmal, fo lange er hienieden
weilt, Feine andere Heimath und feinen andern Boden als die Natur.
Sein Leibesleben, das’ Organ des aus Gott geborenen und zu Gott
firebenden Geiftes, gehört ganz in die Sphäre der Körperwelt und Deren
Geſetze. Wehe ihm, wenn er das weiß und nicht beachtet; beklagens⸗
werth, wenn er es nie erfannte. Wer fi völlig aus der Natur, aus
dem Leben, wie es die Natur bedingt, flüchten will in die höhere gei⸗
flige Welt, if eben fo fehr ein Verächter göttliher Ordnung wie der,
welcher nie zum Fluge im Geifte fih anſchickt; er ift verirrt und blind.
Richt die Natur und das irdifche Leben verläugnen wollen, um nur
geiftig und himmliſch zu fein, und nicht den Menfchen abftreifen wollen,
um nur den Chriften zu fördern. Das Geiflige muß ſich im Körper»
lihen entwideln, der Ehrift muß reifen im Menſchen. Ein Ehrift ohne
den vollen Inhalt des Menfchen ift ein Phantom. D, wenn das dod
Alle erfenneten, wenn das doch Alle erkennen wollten! Es würden
mehr Menſchen glüdlih und zufrieden bier auf Erden, und es würden
mehr felig dort im Himmel fein. Darum verläugne nicht länger deine
gegenwärtige Heimath, o Menſch, der du immer nur von der Heimath
im Simmel fprihft; dieffeits des Grabes biſt du doch nur „ ‚eine Brille,
die nach kurzem Fluge wieder im Grafe zirpt.““ Lerne die Natur vers
fliehen: du lernſt in ihr dich ſelbſt verfiehen. Eine große Zahl der Uebel
im Menfchenleben hat darin ihren Grund, daß der Menfch die Forde⸗
rungen der Ratur nicht erfannte, oder daß er fie verläugnete. Biel
Jammer würde verflummen, wenn man ihn nicht durch unnatürliche Ges
genmittel nährte und aufs Neue berporriefe. Und wenn überall reges
Intereffe an der Natur gewedt würde, welch eine Quelle reiner Freude
und Erquidung würde der Menfchbeit geöffnet! Der innige Berfehr
mit der Ratur muß nothwendig Herz und Sinn des Menfchen ergreifen
und erheben, denn jedes Anfchauen der Werke Gottes muß den nad
dem Bilde Gottes gefchaffenen Geift, der in keinem Menfchen ganz er.
ſtorben ift, erregen und nähren. Es ift ja bekannt genug, daß der
unmittelbare Eindrud der Natur viele Lörperliche und feelifche Krank⸗
heiten vollfändig heilt. Aber Taufende treten täglich die Wunder der
Ratur, welche ihnen Heilung und reiche Freude gewähren fönnten, mit
Füßen. Wen jammert nit des Volles Blindheit? Wer bilft, daß
ihm die Binde vom Auge genommen werde? — Alle Belt ‚jagt und
rennt nah Genüflen, nad Freuden. Biele rennen in’s Berderben.
Richt daß der Menſch fih freuen will, if zu tadeln, denn wie der
Menſch zur ewigen Freude und Seligkeit beflimmt ift, fo if er ficher
auch zur zeitlichen geboren; daß der Menfch verderblihe Freuden fucht,
das iſt der Schaden, vor dem er zu bewahren ifl. Da zeige man ihm
die wahre Freude. Man Ienfe ibn bin zu dem Brunnen des göttlichen
Friedens, aber man weife ihm auch folhe Quellen, aus welchen Labe
Naturkunde. 301
fließt, wie fie ihrer der Menſch als finnlich⸗geiſtiges Weſen bedarf,
Eine ſolche Duelle if die Natur. Der Weg zu ihr ift nicht weit; er
koſtet meder viel Mühe nody Geld. Ihre Freuden betäuben und ſchwaͤchen
weder Körper noch Geiſt.“ i
„Ferne fei die Anfiht, daß man erft ein Raturforfcher werden
müffe, ehe man zur Freude an der Natur gelangen könne. Es ift mir,
der ich täglich die Naturkunde tractive, nur zu befannt, wie wenig eis
gentlich durch den naturfundfichen Unterricht fi) erreichen läßt bei Kin
dern. Aber die Weberzeugung halten wir auch fe, daB der begeifterte
Lehrer feine Schüler zu Freunden der Natur, zu aufmerffamen und
nachdenkenden Beobachtern derjelben im Großen und im Sleinen berans
jieben, daß er in ihnen den Sinn für die Erfheinungen und Schöns
heiten, für die Gelege und Wunder der Natur anregen und flärken
fonn. Und mit Hülfe diefes Sinnes lernt der Menſch in reiferen Jahren
fein Verhältniß zur Natur verſtehen; ex erfennt nah einer Seite feine
Abhängigkeit und feine Beflimmung zur Herrſchaft über diefelbe. Diele
Erkenntniß aber ift ein integrirender Theil wahrhaft menfhlicher Vils
dung; fie iR eine Grundbedingung eines wahrhaft glüdlichen irdifchen
Lebens.’
Den Einfluß des naturkundlihen Unterrihts auf das religiöfe
Leben der Schüler macht der Berfaffer ‚völlig abhängig von dem res
ligiöfen Standpuntt des Lehrers.” Daher fchließt er denn feinen Aufs
faß auch in würdiger Weife mit den Worten: „Der fchönfte Erfolg des
naturkundlichen Unterrichts iſt ohne Zweifel Dazu ſuchen, wo der Schüler
im Religionsunterrichte die Grundanſchauung gewonnen bat, daß die
Natur das urfprüngliche und fortgehende Werk eines lebendigen, allmäch⸗
tigen, weifen und Tiebevollen Gottes ift, das zur Offenbarung feiner
Herrlichkeit und zur Beftärkung des Menſchen wie aller andern Ges
Ihöpfe dient. Klingt diefer Grundton dur die ganze Naturkunde, fo
braucht nicht erfi da und dort gefagt zu werden: das ift Gottes Finger,
fondern man weiß, daß man überall auf heiligem Boden ſteht und in
Gottes Tempel wandelt. Die Dinge und Erfcheinungen reden jelbft
und bedürfen feines ungeſchickten Dolmetſchers. „„Es if feine Sprache
noch Rede, da man nicht ihre Stimme höre." Man lernt die Ratur,
igre Geſetze und Kräfte kennen und freut fich ihrer mit Loben und
Preifen als DOffenbarungen Gottes; man tritt mit den gewonnenen Kennt⸗
niſſen hinaus in’s thätige Leben und wirft damit die Werke deffen,
der uns zu feinem Ebenbilde erjhaffen und durch Erlöfung erneuert bat.‘
3. Dr. Rob. Hafe in Weimar verbreitet ih a. a. D. in einem
ingeren Aufſatze über „Die Bedeutung der Naturwiffenfchaften für alle
Lehensgebiete. Seine Arbeit zerfällt in zmei Abtheilungen. In ber
erſten wei er nach, welchen mittelbaren und unmittelbaren Einfluß die
naturwiſſenſchaftlichen Fortfchritte auf die ideelleren Intereflen, auf Wiſſen⸗
fHaft, Kunſt und Technik ausüben; in der zweiten zeigt er, daß von
dem Materialiemus durchaus Nichts für den Glauben zu fürchten, weit
eher Yörderung defielben zu erwarten fei. „Nicht alfo eigentlich die
äußere Naturwiſſenſchaft überhaupt, heißt es zum Schluß, „ſondern
302 Naturkunde.
gerade nur eine gewiſſe Cinſeitigkeit und Mangelhaftigkeit in
der Ausbildung derſelben, ſei es im Großen, ſei es in einzelnen In⸗
dividuen, begünſtigt den Materialismus und tritt dem Glauben feind⸗
ih entgegen. Die Naturwiflenihaft im Großen und Allgemeinen wirkt
nur fördernd. Ihr ift der unſchätzbare Vortheil gewährt, daß das freie
Forſchen in ihr und der freie Ausſpruch ihrer Wahrheiten nicht fo leicht
durch Gefege und Verordnungen verwehrt und verkümmert werden wird,
als dies rüdfichtlih des Ausfpruhs der Wahrheit auf andern Gebieten
der Ball fein kann; und fomit if die Naturwiſſenſchaft gleichſam Die
immer brennende Leuchte, an der jedes andere Licht, das eine tyranniſche
Furcht vielleiht ausidjchen mag, jederzeit wieder angezündet werden kann.’
4. Bel directen Einfluß ein ordentliches Raturfudium des Lehrers
auf rihtige und würdige Behandlung der Kinder auszuüben
vermag, zeigt ein kurzer Aufſatz im „Leipziger Tageblatt‘ vom 8. Nov.
1855, aus dem er in Nr. 1 der Allg. d. Lehrers. von 1856 über-
gegangen if. Da derfelbe wenig Naum einnimmt, fo theilen wir ihn
unverfürzt zur Beherzigung mit.
„Für unfere Lehrerwelt.
‚„Unvergeflich bleibt mir die Stunde meines Lebens, in welcher
Brofeffor Dr. Bod in den Borlefungen für die biefige Lehrerwelt mit
zwei geöffneten Hirnſchalen in den Händen durch unfere Reiben fchritt
und fagte: „Hier haben Sie das Gehirn eines Erwachſenen, da fühlen
Sie, wie kräftig und derb; und dba haben Sie das Gehirn eines Kindes,
fühlen Sie es an, wie zart und weich; und nun, meine Serren Lehrer,
haben Sie Erbarmen!” Ber fo nicht Schonung des Kinderlopfes
lernt, wer fo nicht die Grauſamkeit alles abftracten Unterrichts begreift,
wer fo nicht die Strafbarkeit roher Berlegungen des Kinderkopfes fühlt,
der iſt zum Lehrer nicht zu brauchen, fo brauchbar er vieleicht ſonſt
auch fein mag. Gerade diefe Unbekanntſchaft mit der finnliden und
leiblihen Seite der Kindesnatur hat die Bedingungen einer gedeihe
lichen Erziehung und eines wirffamen Unterrichts heutzutage fo oft und
fo arg verfennen laflen und verführt gerade heutzutage noch fo Viele
dazu, durch Weberbürdung der Kinderfeele mit fehlecht berechneter Arbeit
das koſtbare Werkzeug des Geiſtes, den Körper, zu untergraben,
zu verfräppeln und für alle Zeit zu ſchwaͤchen. Durch nichts befier, als
gerade durch ſolche Anfchauungen und Belehrungen, wie der Lehrer fie
bei Profeffor Bo jetzt wiederum findet, wird der Schulmeifterdünfel
und die pedantifche Aufgeblafenheit jener Lehrer geheilt, welche Das
reiche Wiffen und Können des Mannes alfobald auch in den armen
Kinderkopf bineinzwängen wollen, nie hoch genug und nie weit genug
greifen koͤnnen und nicht felten durch ihr ewige® Drängen und Zreiben
auch das Elternhaus dahin bringen, bie beliebte geifige Stallfütterung
bei den armen Kindern des Dauſes einzuführen. Wahr ift’s, daß folche
Kinder unglaubli viel Lernen; Schade nur, daß fie fo gar wenig bes
balten! Durch nichts beſſer, als gerade durch ſolche Anfchauungen
und Belehrungen, wie wir fie jegt wiederum bei Prof. Bod finden,
R
Naturkunde. 203
wird ferner auch dem gutmüthigen Communismus auf dem Gebiete der
Schule entgegengenrbeitet, welcher noch immer bie und da unternimmt,
dad mit trodenen und höchſtens in Häringslale getauchten Kartoffeln
auferzogene Armenkind neben das Fräftige, mit Zleiih und Brot wohl⸗
genährte Kind des Wohlhabenden auf diefelbe Schulbank zu fegen.
„Halt!“ höre ich hier mir zurufen, ‚gehe weg mit Deiner fegerifchen
Lehre, als ob das Kind mit dem Magen und Hirn, und nicht mit
feinem unfterblichen Geiſte lernte; Du bift ein grober Materialiſt!“
Auf folhe Dinge muß fih allerdings ein jeder Lehrer gefaßt halten,
welcher dergleichen naturwiſſenſchaftliche Belehrung aufſucht; aber ift ders
jenige, welcher fagt, das Kind lerne nur mit feinem unfterblichen Geiſte
und nicht mit feinem flerblihen Leibe, nicht ein grober Idealiſt?
Die Wahrheit liegt alfo auch hier in der Mitte: fo wenig ein guter
Echreiber mit fchlechter Feder gut fehreiben und ein guter Arbeiter mit.
ſchlechtem Meffer gut fehnigen wird, fo wenig wird — die Genie’s als
Ausnahmen von der Regel bier nicht mitgerechnet — ein fhlechtgenährtes
Hirn flott denen und ein heruntergefommenes Nervenſyſtem richtig
empfinden und fühlen. Pürchte fi) demnad ja Keiner vor Verführung
zum Materialismus, wenn er foldhen Belehrungen über die Leibliche Seite
ver Kindesnatur nachgeht. Allerdings wird ihn der Profeffor zu manchen
Malen an einen Punkt führen, wo er ihm fagt: „So weit reicht unfer
Secirmefler, fo weit unfer Filter, fo weit unfer Mifroflop, und bier
bört unfer Wiſſen auf, bier muß ih ſchweigen!“ Aber ift diefes
Schweigen nicht fo beredt, als eine ganze Predigt? Wer hindert Dich,
bier, wo unfer Wiffen aufhört, Dein Credo aus voller Seele anzus
Rimmen und taufend Mal gläubiger noch, als Du hereingefommen bift,
wieder binauszugeben? Die Raturwiffenfchaft wenigftens, welche fi
beicheidet, nun nichts mehr zu wiſſch hindert ihm nicht; oder wo hat
denn die Naturmiffenfbaft, wie fie und geboten wird, je gefagt, daß
da, wo das Secirmeſſer am Ende angefommen iſt, auch die Schöpfung
aufhöre und die Allmacht Gottes aufböre? Dazu if} die Raturs
wiffenfchaft viel zu vernünftig und viel zu befcheiden. — Ich habe
Schubert und Oken und Schelling jahrelang in Münden und
anfern Bod jahrelang in Leipzig gehört; aber alle Raturwiffenfchaft
und Philoſophie Hat das ſchöne dreifarbige Banner des Glaubens, der
Liebe und der Hoffnung nur um fo fefter in meinem Herzen angepflangt.
So dachte und fühlte auch jener Lehrer, welcher dem uneigennügigen
Manne, der jene Borlefungen den biefigen Lehrern gehalten hatte, einfl
beim Sceiden zurief:
Ein Zweifler Du? Und haft fo Elar bewiefen,
Wie ich Gebilde ew’ger Weisheit bin?
Beredt des Leibes Wunderbau geprielen
Und Pſyche's hehres, heil’ges Walten drin!
Hat Zheolog auf Glauben nur gedrungen,
Haſt Du zur Gottesmahnung mich gezwungen.’ Ha
5. Lehrer Schlichting a. a. ©. veripriht ih vom naturfunds
*
304 | Naturkunde.
lichen Unterricht wohltgätigen Einfluß auf Gemüthobildung, will
es jedoch vorzugsweife darauf abgejehen wiflen, daß die alte daͤmoniſche
Raturanfchauung ſchwinde und einer freundlicheren Pla made. Wir
vermögen hierin nichts Anderes zu erkennen, als was man fchon Tängft
angeftrebt bat, namentlih durch die Phyſik: Vertreibung des Aberglaus
bens, des Glaubens an Gefpenfter, Kobolde und andere böfe Geifter.
Diefe Aufgabe des naturkundlichen Unterrichts iſt eine löblihe, da fie
das Gemüth von Furcht befreit; aber dazu bedarf man natürlich nicht
der Mittel, die man gegenwärtig für Gemüthsbildung durch Naturkunde
fordert; dazu ift nur Mare Einfiht in die Geſetze und Kräfte der Ras
tur erforderlich.
b. Nothwendigkeit des Unterrichts in der Naturkunde
für alle Schulen.
1. Wenn der Unterricht in der Naturkunde ben oben von Sag» ”
gau bezeichneten Einfluß auf die Bildung des Kindes ausübt, wie nicht
zu bezweifeln, fo ift damit natürlich zugleich die Rothwendigkeit deſſelben
fattfam dargethan. Tropdem fehlt es aber, wie befannt, nit an Lehr
rern und Schulbehörden, die diefe Anficht nicht theilen und den naturs
kundlichen Unterricht daher fehr zurüddrängen, unter Umftänden fallen
laffen, alfo für entbehrlih erklären. Ein zu diefer Partei gehöriger
ungenannter Holſteiner Lehrer hat im Novembers Hefte des „Schulbl.
f. d. Herzogth. Schlesw. u. Holſt.“ (1856) feine Stimme hierüber abs
gegeben. In der in diefem Jahre bei Kiel abgehaltenen Berfammlung
des „allgemeinen Holſteiniſchen Lehrervereins“ if nämlich die Frage,
ob der naturfundliche Unterricht in allen Schulen nothwendig fei,
ganz entfchieden bejaht worden. Dieſer Erklärung tritt nun der Uns
genannte zunächft entgegen. Er zeigt fih nicht gerade als Gegner der
Naturkunde, fondern ift nur nicht von ihrem großen Ruben überzeugt;
fie ift ihm ein entbehrlicher Gegenftand, den er überall da aufzugeben
empfiehlt, wo in den notbwendigften Gegenftänden noch nicht Genügendes
geleitet werde. Er fagt zum Schluß feiner Arbeit: „Nach dem bisher
Geſagten tönnen wir alfo durchaus nicht zu der Anfiht fommen, daB
die Naturkunde für jede Schule ein unabmweisliches Bedürfniß und daher
der Unterricht in derfelben unbedingt nothwendig fei. Aber eben fo
weit find wir entfernt, denfelben aus allen Schulen gänzlich verbannen
zu wollen; vielmehr ift unfere Anficht die: Wo die Berhältniffe der Art
find, daß durch den Unterricht in der Naturkunde dem Nothwendigſten
fein Abbruch gefchieht, da mag er gerne vorkommen, aber das Beil
der Schule erwarten wir von ihm nicht.”
Wir geben zu, daß es in Holftein, wie anderwärts, Schulen giebt,
in denen in den überall als nothwendig anerfannten Unterrichtsgegens
ftänden noch nicht das Erforderliche geleitet wird, aber in ſolchen Fällen
liegt die Schuld doch wohl nur am ſchwachen Lehrer, und ein folder
würde freilih auch in der Naturkunde Nichts leiften. Sf es aber recht,
baß eines untauglichen Lehrers wegen eine ganze Generation eines Ortes
-
‚Naturkunde. - 305
feidet? Gewiß nit. Bei angemeflener Organifation der Schule, brauche
barer Lehrerfraft "und gutem Lefebuche läßt fi ohne Bernadhläffigung
anderer Unterrichtsgegenftände in jeder Elementarfchule für die Natur⸗
funde die erforderlihe Zeit finden. Aber guten Willen und eine beffere
Anfiht von dem Wertbe der Naturkunde muß man haben, als unfer
Ungenannter fie befigt. Wir ftehen bier ab davon, ihn zu befehren, ba
wir der Ucherzeugung find, daß er ſelbſt ohne ausreichende naturwiffen»
ſchaftliche Kenntniffe if. Und mit folchen Leuten läßt fih, wie wir
fhon oben bemerkten, nicht über den Werth der Raturfunde verhandeln.
2. Der Oberlehrer Fr. Körner in Halle weiß einen‘ bildenden
Unterriht in ber Naturkunde auch nicht recht zu würdigen. Darum
wirft er in feiner „Geſchichte der Paͤdagogik“ S. 368 die Frage auf:
„Was bringt die Naturkunde wefentlih Neues in die Schule?” Eine
Betrachtung, die den Zwed hat, genauer mit den Naturförpern befannt
zu machen und gleichzeitig den Schüler im Beobachten und in der Maren
ſprachlichen Darftelung des Wahrgenommenen zu üben, ift nad feiner
Meinung Formalismus. Die Naturkunde hat für ihn nur fo weit Werth,
als fie ſich materiell nüglich erweift, alfo einen vorberrfchend techno⸗
logiſchen Charakter hat. Wir erkennen die Berechtigung der Technologie,
wenn auch nicht der gewöhnlichen, vollfommen an und wünſchen, daß
ihr überall fo viel Zeit gewidmet werde, wie wir felbft ihr einräumen;
aber darum erwarten wir von der Naturkunde doch noch einen größern
Einfluß auf die Bildung der Schüler, als Körner, und begründen bie
Nothwendigfeit des naturfundlichen Unterrichts nicht vorzugsweiſe aus
dem materiellen Nutzen, den er gewährt.
Ausführliher, als es hier geihehen Tann, haben wir uns über
diefen Abſchnitt der Körner/schen ,, Geſchichte der Pädagogik‘ im erften
Hefte der ,,Pädagogifchen Monatsſchrift“ von Löw (für 1857) ausge⸗
forochen, worauf wir uns zu verweifen erlauben,
e. Methode des Unterrihts in der Naturkunde.
1. Lehrer Körting aus Kemnade in Braunfchweig fprad in ber
8. allgem. d. Lehrerverfammlung über Zwei und Methode des Unters
rihts in der Naturkunde Mach feinem Bortrage erfannte die Bers
ſammlung folgende Grundſaͤtze für richtig und befolgenswerth an:
1. Der Unterricht in der Naturkunde fei naturwüchſig, d. h.
a. er flübe fih auf unmittelbare Anfchauung,
b. er gehe vom Belondern zum Allgemeinen über.
2. Er führe die Schüler zur felbfiffändigen Forſchung.
3. Er fei praktiſch, indem er die Anwendung der Naturkörper
und Naturerfcheimungen zeigt.
Diefe Grundfäge find für mich feit 30 Jahren maßgebend gewefen;
ich babe mich gefreut, fie von diefer Berfammlung angenommen zu
fehen. — Der Antragfteller lebt leider nicht mehr.
2. Lehrer Lehmann in Hechingen bat fih in Loͤw's Monats⸗
fchrift, 3. Heft, in einem längern Aufſatz über „Das konkrete Element
Nade, Jahreöberiht. X. 20
Sn
306 | | Naturkunde.
beim naturfundlichen Unterricht” ausgefprohen. Wirklich Neues entHält
Die Arbeit nicht; Doc fpricht ſich der Berfaffer ausführlih, in Folge
vielfaher Wiederholungen zu ausführlich, über einige noch nicht allge»
mein anerfannte Richtungen und Berfabrungsarten beim Unterricht aus.
Er Hat dabei übrigens mehr die Raturgefchichte, als die Naturkunde
im Ganzen vor Augen.
Das „konkrete Element’ ift dem Berfaffer natürlich nichts Underes,
ale was gewöhnlid mit „Anſchauung“ bezeichnet wird. Durch Ber-
wirflihung deſſelben ſoll das „Gemüth,“ „die Grundlage alles Ers
kennens,“ „die Baſis aller geiſtigen Funktionen,“ gebildet werden. Die
Anfhauung foll nicht beim Aeußern ſtehen bleiben, fondern fih auch
auf die Entwidelung des inneren Lebens der Naturförper richten. „Die
Formen der Ratur find nur Wirkungen des innern Lebens. Glaubt
der Berfafler, diefen Sab in der Schule oder überhaupt veranfchaulichen
zu können? Wo if, um nur Durch ein Beiſpiel auf die Tragweite
diefes Sapes aufmerkſam zu machen, das „innere Leben‘ zu erkennen,
das der Roſe eine fünfblättrige, der Levkoje eine vierblättrige Blume
giebt, dem Quarz eine fechsfeitige Doppelpyramide, dem Granat ein
Rautenzwölfflah, dem Inſekt 6 Beine, der Spinne 8? Läuft jener
Sag nit für die Schule auf eine Phrafe hinaus?
Rah dem Verfaſſer tritt das „konkrete Element‘’ in ſechs verſchie⸗
denen Bormen auf, die er fpeciell unter folgenden Ueberſchriften befpricht :
Das biographifhe Element und feine Anwendung.
Die Sprache der Raturobjecte.
Das religiöfe Element beim Unterricht.
Daß geographifche und naturfunbliche "Rebeneinander.
Die Stiliſtik und die Naturkunde.
Das poetifche Element beim naturfundlichen Unterricht.
Man fieht aus diefer Zufammenftellung, daß der Berfafler den
Ausdrud „konkretes Element’ gewaltig gedehnt und Dinge fubfummirt
bat, die man nicht erwartet. Bei folhem Berfahren fommt es zulegt
mit dem Ausdrud „Anſchauung“ dahin, wohin es bereits mit dem
Worte „Gemüth“ gekommen ift, dahin nämlih, daB man das Wort
gar nicht mehr verſteht, Jeder etwas Anderes ſich darunter vorftellt.
Das Wort „biographiſch“ wuchert jeht förmlich in der Natur⸗
funde, refp. Raturgefchichte. Alle Naturförper follen biographiſch behan⸗
beit werden, der Kiefel, das Veilchen, das Pferd und wahrfcheinlich
auch der Menſch. ine Biographie if, wie Jedermann weiß, eine Les
bensgeſchichte. Eine Lebensgefchichte ift aber die Geſchichte eines bes
fimmten Individuums Werden folhe Lebensbefchreibungen von den
Bertretern des „‚biographifchen Elements“ den Kindern dargeboten ?
Gewiß nur von Wenigen, obfchon fie einen ganz entſchiedenen Werth
haben. Aber e8 gehört Etwas dazu, folhe Biographien zu gewähren;
eine Biographie eines Veilchens z. B. feht voraus, daß man vor den
Augen der Kinder Beilchenfamen äet. das Keimen, Wachen, tägliche
Berändern, Blühen, Fruchttragen und Abfterben beobachten läßt. Unſer
Berfaffer zeigt am Froſch, was er unter biographifcher Behandlung vers
„mo —
Naturkunde. 307
ſteht. Das Beiſpiel iſt vortheilhaft für die Darſtellung und auch ſchon
von Andern für dieſen Zweck gewählt worden. Aber bei wie vielen
Tbieren fann man fo die Yugendzuftände zur Anfchauung bringen, wie
bier? Die Darftellung trifft übrigens unfer ſchon ausgelprochener Zabel;
der Berf. glaubt eine Biographie zu geben, in dem er die Metamorphofe
der Froͤſche erzählt. Kine Biographie nach dem wahren Sinne des Wortes
würden die Kinder nur erhalten oder noch richtiger: erleben, wenn man
im Frübjahr Froſchlaich in ein Glas mit Waffer legte, dies in die Schuls
Rube oder an einen andern paflenden Ort flellte und täglih fo lange
beobachten ließe, bis man junge, ungefchwänzte Fröſche, die fih ihre
Nahrung ſuchen, daraus erhalten hätte. Was unfer Berfaffer und viele
Andere mit ibm unter Biographien verfteben, find nichts weiter, als
ausführlichere Befchreibungen von Raturkörpern, ausführlicher nämlich,
als die gewöhnlichen Handbücher der NRaturgefchichte fie darbieten. —
Ein Seitenfüd zu dem oben ale Phrafe bezeichneten Sage findet ſich
in diefem Abfchnitte in dem Ausſpruch: „Man geht (bei den Biographien)
vom Urfeim des Kebens aus.” War der Berfafler fih der Bedeu-
tung dieſes Gedankens wirklich bewußt? Wir bezweifeln es.
Bas der Berfaffer unter „Sprache der Raturobjecte” ver
Rebt, möge der Leſer aus folgenden Säpen erfehen: ‚Die Kinder ver⸗
nebmen die Stimme der Ratur; der Knabe ſetzt ſich an den geichwäßigen
Quell und, in ſich verfunten, horcht er auf fein Murmeln; er fieht fein
Bild im Maren Waſſer und lächelt ihm entgegen. Das Kind figt im
raufchenden Walde: die Blätter werden vom leifen Winde gefchättelt,
umd in den Zweigen lispelt es wie banges Klagen: meint ihr, das
Kind fühle nit das Seufzen des Waldes? Gebt ihm die Sprache für
dieſes gebeimnißvolle, file Rauſchen, und ihr habt gethan, was wir
verlangen!’ Um zu zeigen, wie der Verfaſſer ſelbſt diefe Sprache der
Raturobjecte angewendet zu ſehen mwünicht, theilt er „die Klagen der
Rerbenden Roſe“ mit. Wir tbeilen, um dem Lefer auch davon eine
Borftellung zu geben, ein paar Eäpe daraus mit. „Dein holder Schein,
fagt die Rofe zur Sonne, vergrößert nur die Qual; dein Licht verzehrt
nur die beilen, Maren Thautropfen, die meine ermattete Stirn fühlen.
Sieh mich an! ich ringe mit dem füßen Leben! Vergiß nicht unfere
treue Freundſchaft: oder bift du mir fo untreu geworden, daß du did
auf ewig von mir wendet? Die Treue allein reicht uns hienieden den
ſchönſten Lebenskranz. Ich will dein eigen fein auf ewig, wenn du Die
legten Geifter meines Lebens verfhonft: ich will nur in deinen Reizen
ſchwelgen und baden in der Fluth deines Sifberlichtes, das verfchwen«.
derif von Dir ſtrahlt.“
„Aber es ift fchwer, fügt der DVerfaffer weiter unten hinzu, die
Dbierte der Ratur aus dem „„Stegreif““ fprechen zu laſſen. Dazu
gehört von Seite des Lehrers eine tiefgemüthliche, ideelle Naturinnigkeit.
Adein nicht Alle And geifiig und gemüthlich derart organifirt, daß fie
ſich zu dieſer Zartheit und Innigkeit, zum diefem poetiſchen Reichthum
enporſchwingen können. „„Was ale Krebs geboren wurde, bleibt
Krebs!‘ Aber der Gipfelpunkt aller Naturwiſſenſchaft und aller Ras
. 20*
308 Naturkunde.
8
turbeobachtung iſt das Verſtändniß der Naturpoeſie, iſt die Be⸗
kanntſchaft mit der Sprache der Naturgegenſtände, iſt das „„Ein⸗
geweihtſein““ in die dus der feinften Beobachtung hervorgegangene
Allegorie und Symbolif der Naturweſen.“
Diefe Proben und Auéſprüche werden ja wohl gerade ausreichen,
um des Verfaſſers Ueberfchwenglichkeit nach diefer Richtung bin erfennen
zu laſſen. Wir haben fo viel Vertrauen zu dem natürlichen Zafte der
Lehrer, daß wir uns überzeugt halten, e8 werde dem Verfaſſer Nies
mand folgen, ſelbſt auf die Gefahr Hin nit, fammt und fonders von
ihm für „Krebſe“ gehalten zu werden. Laffen wir ihm diefe „Dich
teriihen und warmgemäüthlichen Sentenzen“ ungeftört allein. Möge es
ihm vergönnt fein, noch recht lange in diefer Gefühlsſeligkeit zu fchwelgen !
Ueber „das religidfe Element beim naturfundlichen Unterricht‘
fpricht der Berfaffer etwas gemäßigter, will wenigftens überall „die Ab⸗
fihtlichleit von Seite des Lehrers‘ vermieden ſehen. Nur das, was
unmittelbar aus der Tiefe des Herzens kommt, läßt er gelten und bes
zeichnet alles Andere als ‚‚Sentimentalität, Wortſchwall und Gepolter,
Slitterwerf und Schein.’
Sm vierten Abfchnitt giebt der Verfaſſer die Schilderung eines
„brafilianiſchen Urwaldes“ zum Beſten, um zu zeigen, wie er das „geo⸗
graphiſche und naturkundliche Nebeneinander‘ verſtehe.
Es kommen darin außer Parafiten⸗ und Schlingpflanzen vor: „der
ſtachlichte Fernambukbaum,“ „der Tulpenbaum,“ „die Lebenseiche,“ „Die
rieſige Magnolie,“ „das Smaragd eines uralten Palmwaldes,“ „der
angenehme Vanilleduft der Blüthen,“ „die melodienreichen Töne des
Bülbũl,“ „Lianen,“ „die fußhohe feuerfarbene Blüthe einer Tillandfie,’‘
„Riefenananas,’' „reizende Orchideen,’ „Hesperiden,“ „der blaufpies
geinde Menelaus, der Neflor, Adonis und Laertus, die bläulichweiße
Ida, der große, mit Augen bemalte Eurilohus‘ und viel anderes Ger
thier. Welchen Zwed kann eine fo gehaltene Schilderung eines Urmwaldes
wohl für Kinder haben? Sind denn alle diefe fremden Namen und die
Säpe, in denen fie gebraucht werden, etwas Anderes, ale „Wortſchwall
und PBhrafengepolter, Klitterwert und Schein?" Welche Schule faun
denn von allen diefen Dingen eine Anfchauung gewähren? Wo bleibt
da das „konkrete Element beim naturkundlichen Unterricht?” Das Uns
weten, das jept in den Schulen, mehr wohl noch in den Schuifchriften,
mit diefer Art von geographifch-naturfundlihen Bildern getrieben wird,
hat in des Berfaffere Schilderung feinen -Döhenpunft erreicht und wirb
auf diefer Höhe, deß find mir fiher, recht bald vom Schwindel ergriffen
werden und in Gefühlsfeligkeit hinunterflürgen, um der wirklihen Ratur
Plap zu machen.
Was der Berfaffer über „die Stitiffit und die Natur-
kunde“ fagt, iſt oft und lange vor ihm verlangt worden, neuerlich
auh von Moͤnch in feiner „Pflanzenkunde. Wie zu erwarten, betont
ex befonders das „äfthetifche Gepräge,“ wogegen wir nichts zu erinnern:
haben, wenn der Schüler nicht dabei zur Phrafenmacherei angeleitet wird.
Auch im letzten Abſchnitt hält der Verfaſſer fih in natürlichen
Raturkunde, 809
Grenzen und redet der Boefle in der Schule überhaupt das Wort, worin
wir mit ihm übereinflimmen. N
3. In einer Berfammiung des „Allg. Holfteinifhen Lehrervereing‘‘
nahm die Verſammlung nach flattgefundener Beſprechung den Gap an:
„Die für die Volksſchule geeigneten Kenntniffe aus den Raturs
wifienfhaften, der Geographie und Geſchichte dürfen nicht zu einem
Unterrichtögegenftande, der fogenannten Weltkunde, verfehmolzen, ſon⸗
dern müflen in getrennten, ſelbſtſtaͤndigen Rurfen gelehrt werden. Eine
Berüdfihtigung der Berbindung des aus verfchiedenen Unterrichtss
gegenftänden Zufammengehörigen ift indeß für die Volksſchule zu
empfehlen.‘’ (Allg. d. Lehrerz. 1856, Rr. 1.)
Damit find wir einverftanden.
B. Raturgefäidte.
In Nr. 12 des „Braunſchweigiſchen Schulboten” von 1856 bes
richtet W. Chamloth aus Braunfchweig nach allen Beziehungen hin
über den naturbiftorifchen Unterricht im Sinne meiner Arbeiten im
Jahresbericht, weshalb ich hier nicht näher darauf eingebe, fondern nur
darauf hinweiſe.
a. Aufnahme der Raturgefhichte in die Elementarfänte.
Um die Pflanzenkunde in die Elementarfhule zu bringen, empflehlt
Mönd in feiner „Pflanzentunde in Verbindung mit der Aufſatzlehre,“
Re den Gtilübungen zu Grunde zu legen, alfo lebende Pflanzen für die
Stilſtunde in die Klaffe zu bringen, fie betrachten und bejprechen und
darauf befchreiben zu Taflen.
Dies Mittel iſt fiher empfehlenswerth, wo die Berhältniffe nicht
geRatten, eine Stunde für Naturgefchichte auf den Lectionsplan zu fegen.
Ein paar Sommer. hindurch fann man, ohne Einfeitigkeit zu befürchten,
wohl Pflanzen befchreiben laſſen, namentlih, wenn man in der Dars
Rellungsweife- Wechfel eintreten läßt.
h. Raturförper, niht Abbildungen.
„Rod immer machen einzelne Lehrer bei dem Unterricht einen zu
häufigen Gebrauch von bildlihen Darftellungen und einer zu feltenen
von den zur Hand ftehenden Gegenfländen der: Natur. Die Gegen⸗
Rände der Natur find in jedem Falle, wo fie zu haben find,
den oft fehr mangelhaften bildlihden Darfkellungen vor»
zuziehen. Gin jeder Lehrer follte fih’8 zur Aufgabe machen, jene
GSegenflände, die er den Schülern, namentlich den Fleineren, vorzuzeigen
gedentt, zu fammeln; 3. B. die Getreidearten und Hülſenfrüchte. Felder,
Biefen und Gärten bieten alljährlich eine reiche Auswahl von Pflanzen
dar, die den Kindern zur nüglichen Betrachtung vorgezeigt werden koönnen.“
(Beobadhtungen auf Infpectionsreifen. Oefterr. Schub. 1856, Ar. 30.)
Seminarlehrer Breidenftein bat ‚„‚Mikroffopifche Pflanzenbilder“
geliefert, nit um die Natur zu erfeben, fondern um gehabte Raturs
8310 Raturkunde,
anſchauungen durch diefe Bilder oft wiederholen zu Lönnen. Das if
ſehr zwedimäßig.
ec. Berfand, Gemüth, Symbolik.
1. Köhler a. aD. ſpricht fih für das Vorwalten der gemüth-
lihen Beſprechung der Naturförper aus, will indeß dem Verſtande auch
fein Recht gewahrt wiffen. ‚Kann man nicht,“ fagt er, „Beſchreibung
der äußern Theile eines Thieres jo mit Darftellung der Lebensweife
deffelben verfchmelzen, daß Alles wie aus Einem Guſſe erfcheint? —
Wahrlich, es thut Roth, Ach fo recht in Einzelheiten zu vertiefen, das
Reben der Pflanzen und Thiere, die Bildung des Steine fo zu bes
trachten, wie man etwa den Entwidelungsgang eines liebgewordenen Mens
fhen verfolgt, oder eine hiftorifche Begebenheit in ihren Urfachen und
ihren Folgen betrachtet. AU das Jagen, unferer Zeit ganz eigen, ges
ſtattet feinen Blick in's Innere, in’s Tiefe. Wohl if die fpecielle Kennt⸗
niß der Naturkörper die Grundwiſſenſchaft aller Weisheit, wie aller Zus
duftrie und Gewerbe; doch ift fie bloß dies? Lenkt folche Kenntniß
nicht auch den Blick auf uns ſelbſt, auf unfern Geiſt zurüd, lenkt fie
ihn nicht auch auf den Herrn und Meifter! — Kern iſt von mir der
Gedanke, die Naturgefhichtsftunde zugleich zu moralifchen Betrachtungen
benugen zu wollen. Solche Seblgriffe hat man in früherer und in
neuerer Zeit gethban, und anerfannte Pädagogen haben darüber ihr Urs
theil geſprochen.“
Ebenſo ſpricht fich der Verfaſſer für ſchoͤne ſprachliche Darftellungen
aus und' wuͤnſcht Gedichte mit herangezogen und mit dem Unterrichte
verflochten zu ſehen.
Wenn der Verfaſſer von mir behauptet, daß ich „ein Hauptgewicht
auf Kenntniß des Syſtems lege,“ ſo hat er dabei überſehen, daß ich
ſtets auch einer gemüthlichen und äſthetiſchen Behandlung das Wort ge⸗
redet habe. Wenn das in meinen Büchern ſelbſt nicht fo auffallend her⸗
vortritt, fo ift das daraus zu erflären, daß ih mich von Anfang an
beftrebte, auf befchränfterem Raume vorzugsweife der methodiſchen For⸗
derung Genüge zu leiften. Als eine Ergänzung meiner Schriften nad
der gemüthlichen und äfthetifchen Richtung hin betrachte ih das mit
Made von mir herausgegebene „Leſebuch für Bürgerfchulen. Bon den
für dies Wert von mir verfaßten Befchreibungen naturbiftorifcher Gegen⸗
Rände find viele in die Lelebücher folcher Pädagogen übergegangen, die
ganz entichieden zu den „Semütbspädagogen‘ gehören. Un Gedichten,
welche die Natur und einzelne Naturförper zum Segenftande haben, if
das genannte Lefebuch fo reich, daß man im naturbiftorifchen Unterricht
fhwerlich noch mehr zur Verwendung wird bringen können.
2. Brof. W. Stein hält die Raturwiffenfchaften als befonders
geeignet, „die vernadpläffigte Eultur des Gemüthslebens“ zu fördern,
worin wir ihm ganz beipflihten. „Ich wüßte,” fagt er ©. 34 feiner
Schrift, „in der That feinen zweiten Gegenfland, der mehr als die Be⸗
trahtung der Natur geeignet wäre, das Gemüth zu erheben und zu vers
edein, gleichviel ob das Teibliche Auge auf einer fhönen Laudſchaft rubt,
Naturkunde, 318
oder der Geiſt nach den verborgenen Urſachen der Erſcheinungen forfcht.
Ber mit offenem Herzen und gefundem Sinn in das Walten der Ratur
bineinfhaut, den ergreift es mit Allgewalt, und in feine Seele zieht
der Friede ein, den die Ahnung des Allmächtigen bringt. Weflen Herz
niht warm wird bei der Betrachtung der Wunder der Natur, „„dem
it die Geiſterwelt verfchloffen, fein Sinn if zu, fein Herz if todt!“
„Um als Bildungsmittel für das Gemüth zu dienen’‘, heißt es ©.
35, „erfordern allerdings die Naturwiſſenſchaften eine ganz andere Bes
handlung, als wenn fie Fachſtudien fein follen. Es gehören dazu Lehr
rer, welche nicht bloß ihre Aufgabe ganz begriffen haben, fondern auch
vollfommen ihren Gegenftand beherrichen. Denn bald if es nöthig, in
die kleinſten Details einzugehen, bald dürfen nur allgemeine Umriffe
gegeben werden. Befonders aber hat man fi vor den Spitemen zu
hüten. Das Spftematifiren if fo ausfchließlih Sache des Berflandes,
daß es fogar fein befferes Mittel giebt, jede Gemüthsthätigkeit zu unters
drüden, als den Aufbau oder die Abwidelung eines Syſtems. Man
wird bei dem naturwiffenfchaftlichen Unterrichte vorzüglich in's Auge zu
faffen haben, daß die heranwachſende Jugend vor allen Dingen befannt
gemacht werde mit dem eigenen Innern, d. h. mit den von der Natur
dem Menfchen verliehenen Anlagen; daß gelehrt werde, auf welche Weife
diefe Anlagen entwidelt, und ganz befonders, wie mit Hülfe der guten
die fogenannten ſchlimmen, d. h. zur böfen Leidenfchaft ausartenden, bes
kämpft werden Tönnen. Es muß fodann die Weltordnung anſchaulich
gemacht und nachgewielen werden, wie alle Theile der Schöpfung bald
als Bedingendes, bald als Bedingtes in nothwendiger Abhängigkeit von
einander flehen, aber alle benfelben Gefegen unterthan find. Wie viel
vom Allgemeinen und Einzelnen gegeben werden müſſe oder koͤnne, iſt
bier nicht der Ort, fpecieller auszuführen; wohl aber muß ich bemer⸗
fen, daß ich weit entfernt bin, die Naturwiſſenſchaften ausſchließlich für
den vorliegenden Zweck anwendbar zu halten. Im Begentheil erkenne
ih ſehr wohl nicht bloß die Nüplichkeit, fondern die Nothwendigkeit
anderer Bildungsmittel. Aber das glaube ich behaupten zu dürfen, daß
fe zu den beften diefer Art gehören, ganz’ befonderd darum, weil fie
geeignet find, einen wahrhaft und tief religiöfen Sinn im Menfchen zu
mweden und zu erhalten. Daß diefer allgemein werde, muß aber das
Ziel fein, wonach wir fireben müſſen; nur dadurch find wir im Stande,
den Materiolismus zu befämpfen und auszurotten. Bedenken, welche
man gegen die Naturwiffenfchaften bier und da erhoben hat und erhebt,
Eönnen, wie jeder vorurtheilsfrei Prüfende erfennen muß, nicht die
Sache, fondern nur ihren Mißbrauch treffen, und diefer entfpringt ders
felben Quelle, aus welcher die übrigen oben berührten Gebrechen unjerer
Beit Rammen.”
Hier wird der Berfafler einfeitig. Nicht nur zur Gemuͤthsbildung
if die Ratur und der Unterricht über fie da, fle foll auch erkannt,
arändiich ertannt werden, und dazu if neben genauer Beobachtung
auch ein verkkändiges Gruppiren der Raturlörper erforderlih, alfo uns
gefäht das, was man unter dem hier verpönten Syſtematiſiren verſteht.
312 Naturkunde,
Gemüth und Berftand können gar wohl dur ein und denfelben Gegen⸗
Rand und in ein und derfelben Stunde angeregt und gebildet werden.
Ueber die Obfecte für den naturwiſſenſchaftlichen Unterriht Hält .
fih der Berfafler zu ſehr im Allgemeinen, als daß wir hierauf eingeben
Fönnten, ohne in Gefahr zu kommen, ihm Unrecht zu thun. Wir find
aud gern bereit, bei der Auswahl NRüdficht auf ſolche Gegenflände zu
nehmen, die fi vorzugsweife für eine gemüthlihe Behandlung empfeh⸗
len; aber geradezu maßgebend darf diefe Befchaffenheit niemals werden.
2. Niffen ſpricht a. a. DO. über „Symbolif der Natur im naturz
hiftorifhen Unterricht.” Er fagt: „Unter Symbolik der Natur verflehe
ih die Abfpiegelung höherer, fittliher Kräfte und Zuflände in den
einzelnen Raturgegenfländen.‘ In diefem Sinne ift ihm der Hamſter
ein Eymbol des Geizes, die Henne ein Symbol der Mutterliebe. Er
unterfhheidet eine zweifache Naturſymbolik: eine objective und eine ſub⸗
jeetive. Objectiv nennt er die Symbolif, weldhe in Wahrheit im Nas
turgegenftande liegt, bei etwas tieferer Beobachtung durch die Lerblichkeit
durhfcheint, wie eben der Geiz beim Hamfter, die Mutterliebe bei der
Henne; ſubjectiv dagegen, wenn die Symbolifirung der Natur mehr
willkürlich if, mehr in unferem Geifte, in der Denkthätigkeit deſſel⸗
ben liegt. Nur der objectiven Spmbolif will er den Eintritt geftatten
und möchte fie mehr beachtet ſehen, als bisher. Dabei iſt er aber weit
entfernt, der Naturgefchichte ats folder dadurh Eintrag thun zu wollen.
Auch die Gefahren diefer Behandlungsweife der Naturgeſchichte verfennt
er niht, warnt deshalb ausdrüdlich vor abfichtlihem Suchen nad fols
hen Deutungen. Um nicht zu irren, foll der Lehrer flets „mit der
heiligen Schrift und mit einem frommen Sinn an diefe NRaturdeus
tungen gehen.‘
Wir finden uns in Webereinftimmung mit dem Gefagten und glaus
ben, daß im wirklichen Unterricht, wo derfelbe in guten Händen if,
mehr nach diefer Richtung hin gefdieht, als der Verfaſſer anzunehs
men ſcheint.
Saggau berührt S. 725 feines oben angezogenen Aufjapes auch
kurz „die äfthetifche und ſymboliſche Auffaffung der Ratur. Wir em⸗
pfehlen, was er nachſtehend fagt, zur Beherzigung. „Beide find in der
‚gegenwärtigen Erfcheinung neueren Urfprungs, beide machen Anfprud
darauf, wefentlih Das religiöfe und fittliche Leben fördern zu können;
beide laſſen fih aber noch wenig nad ihrem praktiſchen Erfolge ſchaͤtzen.
So viel ift wohl gewiß, daß diefe Richtungen, wenn fle einfeitig herr⸗
fhen, den Ertrag an reellen Kenntniſſen ſtark beeinträchtigen. Wo
bereits tüchtige Kenntniffe erworben find, da mögen fle in reichen Maße
zulälfig fein, da fie wenigftens das Berdienft haben, Sinn und Inter⸗
effe für die Ratur warm zu pflegen. Für das religidfe Leben des Schüs
lers find fle von wenigftens fehr bedingtem Werthe; einmal ſchon des⸗
halb, weil fie Leicht ein affectirtes Gefühlsleben und eine fentimentale
Sprade an der Stelle klarer Erkenntniß und Fräftiger That fördern,
bejonders aber darum, weil fle der ſchrankenloſeſten Subjectivität und
Naturkunde. 318
Myftik Thür und Thor offnen. Ihr Werth haͤngt rein von einem ge
funden Charakter des Lehrers ab.”
d. Methode.
1. Zm „Meldorfer Lehrerverein‘ (Schulzeitung für das
Herzogthum Schleswig 1. 1856. Nr. 45) ift neben Anderem aud die
Raturgefchichte Gegenſtand der Berathung geweien. Der Bericht dars
über if fehr aphoriſtiſch. Der nicht genannte Referent lehnt fich ganz
an Gabriel an umd nennt meine Methode „unpraktiſch und langweilig‘,
weil ih „von unten auf dur Arten, Familien (!), Gattungen, Ord⸗
nungen, Klaffen, Reihe aufwärts liege.“ Wer meine verfchiedenen Ars
beiten über Methode der Naturgeſchichte Tennt, der wird mit mir fagen:
Das Geflecht, das die Kämpfer gegen die Windmühlen liefert, if noch
nicht ausgeflorben.
2. Im Deſterreichiſchen Schulboten, 1856, Nr. 15, verbreitet fih
Dr. ©. 3. „Ueber den Unterricht in der Zoologie an Unterreciſchulen. “
Er klagt zunähft über Weberfüllung der Klaffen, über mangelhafte Bors
bereitung der Schüler und über die zu geringe Stundenzahl, 2 Etuns
den wöchentlich, für die Naturgeichichte und giebt dann die Mittel an,
weiche unter den beftehenden Verhältniffen Hülfe gewähren Tönnen.
Zunächſt verlangt er die „forgfältigke Auswahl des Lehr,
ſtoffes“, giebt aber dafür nicht die mindeften Anhaltepunkte. Gold
ein Rath if ſehr wohlfeil. Der Berfaffer würde fih ein Verdienſt er
worben haben, wenn er für feine Kollegen das Material nach den allge
meinen Beflimmungen des „Organifationsentwurfes für die Realjchulen‘
ausgewählt und namhaft gemacht hätte.
Die meifte Beiterfparniß erwartet der Berfafler von einer zweck⸗
mäßigen LKehrmethode. Unabhängig von der Anordnung des Biys
pe’fchen Lehrbuches, das in den Händen der Schüler zu fein fcheint,
fol der Lehrer mit dem Befondern beginnen und zum Allge⸗
meinen auffleigen und fi dabei unausgefeßt auf die vorausgegan⸗
genen Anfchanungen berufen. Rur die Repräfentanten der Famir
lien follen ausführlich behandelt werden, die übrigen wiflenswärdis
gen Thiere vergleihend zur Sprache gebraht werden. Da die
Sääler „durch die zahlreichen Stunden des Zeichenunterrichts ohnehin
im Auffaffen und Feſthalten äußerer Formverhältniſſe binlänglich geübt
werden‘‘, fo foll man fie feltener zu den ausführlidheren Bes
freibungen verwenden, fondern unter fletem Borzeigen felbf
befchreiben, wodurch man verhütet, daß fich die nicht betheiligten Schuͤler
langweilen; durch übermäßige Haſchen nah dem formalen
Nupen des naturgefchichtlichen Unterrichts verfplittere man die Zeit.
Hauptaufgabe der Raturgefchichte fei, eine gewiſſe Summe
vofitiver, praftifhsnüglidher, im Leben unmittelbar vers
wendbarer Kenntniffe beizubringen. Den Schülern die Merk⸗
mafe abfragen zu wollen, wird für eine unfruchtbare Sifte erklärt.
Bas fol man zu Ueußerungen, wie die lepteren, fagen? Soll man-
.
314 KRaturkunde.
‘es unternehmen, einen Dann zu bekämpfen, ber die gefundeſten, allge⸗
mein anerfannten Grundfähe der Methode mit Füßen tritt, flatt eines
bildenden Unterridhts die alte Einpfropfmethode empflehlt, die Jugend
alfo bearbeitet feben will, wie Gänſe bei der bekannten Nudelmethode ?
Bir fleben davon ab, empfehlen aber den bedrängten Kollegen des Ver⸗
faffere, das Material für den Unterridt zu beihränfen,
Ratt zu dem Mittel des Herrn Dr. ©. 2. zu greifen. Nicht auf die
Maffe des Wiſſens fommt es an, fondern auf die Art und Beife,
wie e8 erworben wird. Director Brennede fagt im „Dritten
Jahresbericht für die -Rädtifchen Realfchulen zu Poſen“ in Bezug hier
auf ganz richtig: „Auch bei dem naturwiffenfchaftlichen Unterricht bat
der Lehrer mehr darauf zu fehen, die geiftige Kraft des Schülers zu
weden und zu beleben, eine fittlihe Einwirkung auf den Schüler aus»
zuüben, ihn zu begeiftern und feinem innern Leben eine edle Richtung
zu geben, als allerlei nüßliche Kenntniſſe mitzutheilen oder den Unters
richtsſtoff zu erfhöpfen.‘‘
In Bezug auf das Selbft beichreiben empfehlen wir dem Berfafler,
was Lehrer Chamloth in Braunfchweig über die Lehrform des naturs
gefhichtlihen Unterrichts in Nr. 12 des „Braunſchweigiſchen Schul⸗
boten‘ von 1856 jagt. 8 heißt daſelbſt: „Der Unterricht fei dialo⸗
giſch, wenn ein Gegenftand zur Belehrung vorliegt, von dem es leicht
if, Manches von felbft zu bemerfen. Hier wird die Aufforderung des
Lehrers genügen, daß die Kinder von demfelben ausfagen möchten, was
fle an demfelben bemerfen: und der Lehrer hat nur bier und da Hand»
bietung zu leiften, um auf das etwa unbeachtet Gelaſſene durch zweck⸗
dienlihe Fragen binzuleiten, daſſelbe gleihfam dadurch herauszuloden.
Kurz, die Form des naturgefihichtlichen Unterrihts muß am häufigſten
die fragend sentwidelnde fein. Sie fei nur jelten afroamatiih. Letßz⸗
teres fei fie etwa dann, wenn der Lehrer das dem Schüler durd die
Frage zur Erkenntniß Gebrachte no dur etwas dem Gegenflande
Weſentliches vernolländigen möchte, das er nicht ſchicklich und ohne
großen Beitverluft aus demfelben herausloden kann; oder wenn der Ges
genftand geeignete Veranlaſſung zu einer religiöfen Betrachtung bietet.
Der zufammenhangende Bortrag fei indeffen möglichft kurz und werde,
wenn es die Befchaffenheit defielben erlaubt, wieder abgefragt, um ſich
zu überzeugen, ob bderfelbe beachtet und begriffen ik. So wechſeln
Dialog nnd Akroama. Doch muß in ber Volksſchule die Frage ſtets
vorherrfchend fein und bleiben.‘
Bermieden beim Unterricht will ferner der Berfafler alles Anek⸗
dotenhafte feben, es fei denn, daß es „hier und da als Mittel zur
Verhütung der Geiftesabipannung‘ benußt werde.
Sobald das „Anekdotenhafte“ dazu dient, einen Blid in das See»
lenleben der Thiere thun zu laſſen, hat es feine berechtigte Stelle im
Unterricht, als Amüfement dagegen gar Feine.
In Bezug auf Syſtemkenntniß bezwedt der Berfaffer nicht
Bolftändigkeit, fondern will ſich mit einer überfihtlihen Zufammenftele
"bung begnügen. Dagegen haben wir Nichts einzuwenden, befonders,
Raturkunde. 318
wenn der Schüler durch dieſe Uebung im Gruppiren befähigt wird,
fpäter feine Syſtemkenntniß nad Beduͤrfniß ſelbſt zu vernollfländigen.
Bas der Berfafler über die Benußzung der Thiere und Abbildun⸗
gen fagt, iR gut; nur irrt er fich fehr, wenn ex meint, es erfordere in
ber Regel Feine Hunftfertigkeit von Seiten des Lehrers, Thierzeichnungen
an der Zafel zu entwerfen.
Als Hörderungsmittel des Unterrichts werden Ereurfionen empfoh⸗
ln. Sammeln follen die Schüler durdhfchnittlih nur für die Schule.
3. Köhler a. a. ©. beginnt den Unterricht in der Thierkunde
mit den niedern Zhieren, den Infuforien, und zwar nicht bloß ‚des
Anſchauens einer flufenweifen Ausbildung der einzelnen Zhierformen
(Syſtematik)“ halber, fondern weil er „auf diefe Weile noch zur Bes
ſprechung der iritereffanten Inſektenwelt gelange, ehe die Natur in ihren
Schlaf gefallen.‘ Der lebte Grund if ohne alle Bedeutung, da die
Auswahl für den erften Kurfus mit Leichtigkeit fo getroffen werden
fann, daß man noch im Sommer zu den Inſekten kommt, wenn man
dies überhaupt beabfichtigt.. Und was das „Anfchauen der flufenweifen
Ausbildung der einzelnen Thierformen‘ anbelangt, fo fann das unmögs
lich Zweck des erſten Maturgefchichtsunterrichts fein. Eine Ahnung
biervon befommt der Schüler erft nach volllommener Kenntniß des gan»
zen Baues der Hauptthierformen, alfo etwa in der Oberklaſſe. Obwohl
ſich der Berfaffer bei Betrachtung der Infuſorien des Mikroſkops bes
dient, fo können wir ibm doch nicht zugeſtehen, daß Kinder, mit denen
er den naturbiflorifchen Unterricht beginnt, fähig find, den Ban der im
Baflertropfen nie raftenden, ihre Geftalt fo oft verändernden Infuforien
aufzufafien. Dazu fommt noch, daß es fa niemals gelingt, in einem
für das Mifroflop beſtimmten Waflertropfen nur eine, und zwar eine
erwünfchte Art zur Beranfchaulichung zu bringen.
Wenn der Berfaffer übrigens von mir behauptet, duß ich die nie
dern Thiere überhaupt vom Unterricht wolle ausgeichloffen haben, fo
irrt er fih, wie der 8. Kurfus meines Leitfadens ihm beweifen kann;
ich verlange nur, fie da vorgeführt zu fehen, wo das Kind im Stande
it, fie zu verfehen.
4. Einen reiht beachtenswerthen Auffag: ‚Weber die Bedeutung
der Bflanzen» Geographie für den botanifchen und geographifchen Unter
richt, hat 2. Rudolph in Berlin, bekannt dur feine Schrift und
Abbildungen über Pflanzen» Geographie, im erſten Hefte des „Branden⸗
burger Schulblattes“ von 1856 geliefert. Er beantwortet darin fol
gende drei Fragen:
a. Welches find die bildenden Elemente, welche die Pflanzen «Geo,
graphie darbietet? .
b. Wie if der botanifche Unterricht einzurichten, um der Pflanzen»
Geographie 'ihren bildenden Einfluß möglich zu machen?
‚©. Welche Rüdfiht hat der geographifche Unterriht auf die Plans
gen» Geographie zu nehmen?
Uns intereffirt bier zunähf nur die zweite Frage. In der Ber
antwortung derfelben charafterifirt der Verfaſſer bie drei Unterrichts⸗
4;
-
316 Naturkunde.
ftufen, welche in höheren Schulen für den botaniſchen Unterricht aufge⸗
ſtellt zu fein pflegen; darnach umfaßt die erſte Lehrſtufe die Ter mi⸗
nologie oder beſſe: „Morphologie und Organographie“,
angefnüpft an die Beſchreibung einzelner Pflanzen, die zweite die
Syſtemkunde, namentlih Kenntniß des natürlichen Pflanzenſyſtens,
die Dritte die Anatomie und Phyfidlogie der Botanik. Gegen
die erfte und legte Etufe hat der DVerfaffer Nichts einzuwenden; von
der zweiten dagegen behauptet er, daß fie die Schüler nicht ausreichend
zu feffeln vermöge und die Pflanzenfunde in Mißeredit gebracht habe.
"Statt den Schüler, wie bisher, mit den Charakteren von mehreren
hundert Familien zu beiäftigen, folle man die 20 Gruppen, die Hums
boldt für die Phyſiognomik der Gewächſe aufgeftellt habe, zu Grunde
legen und neben diefen noch die bedeutungsvollen Pflanzenfamilien beobr
achten, welche in diefen Hauptformen nicht vertreten find. Die Kennts
niß des natürlihen Syſtems an fih foll indeß dadurch nicht bejeitigt
werden. Eine Schilderung der Gewächſe nach diefer Richtung bin, alfo
mit Rülfiht auf den Zotaleindrud, den fie gewähren, hält er für fehr
anziebend; zugleich Zönne dabei dem äfthetifhen Momente Rechnung
getragen werden, wie das Humboldt meifterhaft gethan; beachte man
dabei zugleih die Eulturgemächfe, fo werde auch dem praktiſchen
Momente des Unterrichts Genüge geleiftet.
Die Idee hat Manches für fih; nur wird man recht darauf achten
müflen, daB der Schüler fih immer des Unterfchiedes zwifchen den
Hauptformen der Pflanzen» Phyfiognomit und den natürlihen Pflanzen»
familien bewußt bleibt. Des Berfaffere Idee findet die Lehrer im
Ganzen nicht fehr vorbereitet dazu; es wäre daher erwünfcht, wenn er
hierauf Bedacht nähme und durch praftifhe Arbeiten die Ausfüh-
rung erleichterte.
Ale Ergänzung zu dem, was bereits oben über die Afthetifche Des
bandlung der Naturgegenftände gefagt worden if, fügen wir noch des
Berfaffere Anfiht hierüber hinzu. Er fagt zum Schluß feines Aufs
fages: „Auch wir wollen einer äftbetifhen Behandlung der Raturgegen-
fände das Wort reden, aber nur infofern fie das Gepräge der Cinfach⸗
heit und der Wahrheit an fih trägt. Die Literatur der Gegenwart
“aber, die fo überreich an äftbetifirenden Darflellungen .aus dem Gebiete
der Natur ift, giebt zu fehr ernften Neflesionen Anlaß. Nichts if den
Naturwiffenfchaften unwürdiger, ja nichts ift ihnen nadhtheiliger, als den
wiſſenſchaftlichen Boden verlaflen und die Natur mit fremdem Flitter⸗
ſtaat auszupugen, während fie doch gerade in ihrer Einfachheit afle
Elemente des Geiftreihen, des Schönen, des Erhabenen in ſich verei⸗
nigt, die nur irgend zur Erhebung des Gemüthes dienen Pönnen. Das
Meberfättigen mit äfthetifirenden Darftellungen muß nothwendiger Weiſe
den Geſchmack an ernfler Beſchäftigung verleiden, und eine Menge von
Gompilationen, welche mehr darauf ausgeben, die Genußſucht der Lefer
zu befriedigen, als dem Gegenftande einen Dienft zu leiften, find Schuld
daran, daB „„die hohe Kraft der Wiffenfchaft der ganzen Welt verbors
gen’ Bleibt. „„Und wer nicht denkt, dem wird fie geſchenlt; er hat
Naturkunde. 317
ke ohne Sorgen’ — das if das trügeriihe Motto, weldhes zwar
Birke anlodt, aber Riemanden dauernd zu feffeln vermag. Der wahre
Raturfreund muß gegen die Art und Weile, wie fo mande „„Natur⸗
bilder, Eharafterbilder, Bilder aus dem Weltall’ zc. zufammengefellt
find, feierlich proteſtiren. Nichts iſt bequemer, als überall die ſchönſten
Biüthen heranszufchneiden, die doch nur ale das Product einer nature
gemäßen Entwidelung Werth haben. Die köftlihflen Dinge, unaufhör-
li genofien, verlieren ‚bald ihren Reiz umd erzeugen Efel und Ueber
druß. Bor Allem aber darf die Schule ſich nicht zu fo unwürdigem
Dienk erniedrigen. Wir haben unfere Jugend weder zur Eitelkeit, noch
zur Genußfucht zu erziehen. Cine günftige Einwirkung auf Gefittung
und Charakter if nur möglih, wenn man die nächſten Anforderungen,
die der Gegenſtand macht, mit Ernft fefbält, ohne jedoch die hoͤheren
Geſichtspunkte aus dem Auge zu verlieren.“
f. Das Anlegen von Sammlungen.
Ohne Naturalienſammlungen läßt Ach, davon find Alle überzeugt,
ein gedeihliher naturhiftorifcher Unterricht nicht ertheilen. Aber die
Beſchaffung derfelben ſtoͤßt auf große Schwierigkeiten, von denen die
Juptlähtife der Geldmangel, demnächſt aber die Bequemlichkeit vieler
if. Ä
In der „Volksſchule“ von Behre und Müntel (1855. 2. Heft)
macht ein Ungenannter (8.) den Borfchlag, Raturalienfammlungen für
Schulen durch gegenfeitigen Tauſch von Naturalien zu grüns
den. Das if ein fehr vernünftiger Gedanke. Aber wo findet fih Je⸗
mand, der die Mühe übernimmt, ihn zu verwirklihen? Wie viele Lehrer
giebt es, welche die Raturkörper ihrer Gegend für die Schule und zum
Tauſch gelammelt haben? Wie viel Lehrer haben überhaupt die dazu
erforderlihen Kenntniffe? Mit bloßer Bücherweisheit läßt ſich hier
nichts anfangen.
Bas felbft Schüler im Sammeln leiften koͤnnen, wenn fie ernſtlich
wollen, erſehen wir aus einer Bemerkung des Director Brennecke in
dem ſchon oben genannten ‚„Sahresberichte‘‘.. „Einer meiner Schüler“,
fagt er, „der gegenwärtig fich ausschließlich dem Studium der Natur⸗
beireibung widmet, hatte ald Quartaner des Gymnaflums zu Jever
(am Jahdebuſen) fih eine dreifahe Sammlung angelegt: 1. eine oryk⸗
tegnofifhe, 2. eine geognoftifhe, 3. eine paläontologifche. Jede ders
felben enthielt grundfäglich nur felbfigefundene Stüde, entnommen aus
den Pflaſterſteinen der Beinen Stadt Jever. Jede diefer Samm⸗
lungen war reichhaltig, namentlih die paläontologifche, welche eine
große Anzahl Species verfleinerter Korallen enthielt. In der orykto⸗
anoftifchen befanden ſich 3. B. eine fchöne Drufe mit Amethyften, ſchoͤne
Schwefelkieskryſtalle, Schörl u. f. w.“
In Br. 30 des „Defterreihifchen Schulboten“ von 1856 giebt
ein Ungenannter (3. ©.) eine zwedmäßige Anleitung zum Sammeln,
Einlegen und Aufbewahren von Pflanzen.
318 Naturkunde.
Auf das Naturalienfammeln von Seiten der Schäfer hat der Lehrer
befondere Aufmerkſamkeit zu richten, damit es nicht nach der einen oder
andern Seite hin ausarte. Das Anlegen von Eierſammlungen if
in diefem Jahre von Geiten des preußifchen Minikeriums fireng gerügt
und verboten worden, ‚worüber fich jeder Raturfreund gefreut hat.
Der „Deſterreichiſche Schulbote bringt in Nr. 17 (1856) unter
der Ueberfhrift: „Zum Schuge der Vögel‘, eine „Mittheilung ans einer
Lehrertonferenz zu Großfonntag in Steiermark‘, die wir den Lebrern
‚zur Beberzigung empfehlen. Es wird darin auf den großen Nutzen der
Bögel aufmerffam gemacht, zugleich aber aud darauf hingewiefen, daß
es fündiger Muthwille fei, ein Geichöpf Gottes in feiner Entwide-
lung zu flören.
C. Phyfik.
1. Lehrer Schlihting hat auf der ſchon oben erwähnten Bere
fammlung des Holfteinifhen Lehrervereind die Thefis aufgeftellt:
„Der Unterriht in der Raturlehre darf in keiner Schule ganz
fehlen.” Das Minimum bderfelben if Belehrung über die allge
meinen @igenfchaften der Körper und über die Lufterſcheinungen.“
Mit dem erften Theile der Cheſis find wir ganz einverflanden ;
aber warum gerade „‚Belebrungen über die allgemeinen Eigenſchaften“
ald das Nothwendigſte bezeichnet werden, vermögen wir nicht einzufehen.
Nach einer Anmerkung in Nr. 48 der „Schulzeitung für das Herzog»
thum Schleswig ac.’’ zu fchließen, fcheint Schlichting hierüber felb nicht
ganz Mar zu fein; er ließ nämlich im Laufe der Debatte die „allgemei⸗
nen Gigenfchaften” für die Schule fallen, hält fie aber in feiner fchrifte
lihen Darlegung wieder fe, jenes Fallenlaffen ‚auf Rechnung der Zer⸗
fireuung ſchiebend, in welche einige erienreifen ihn verfegt hatten.”
Wenn der Verfaſſer damals fo zerfireut war, daß er NRotbwendiges und
Entbehrlihes nicht unterfcheiden konnte, fo hätte er nicht reden follen.
Nach unferm Dafürhalten giebt es für die Volkéſchule viel wichtigere
Kapitel aus der Raturlehre, als die allgemeinen Eigenfhaften es find.
2. SeminarsDberlehrer Brange redet a. a. D. der Naturlehre
in der Bolfsfchule mit Wärme, doch ohne Webertreibung, das Wort
und tritt, wie ſchon in einem früßeren Artikel (4. Jahrgang des Schle⸗
fiſchen Schulblattes) der Aeußerung eines Schulmannes, „es laſſe fidy
in der Bolfsfhule mit der Naturlehre nicht viel anfangen’, entſchieden
und mit Erfolg entgegen. In feiner Vertheidigung des Gegenſtandes
nimmt er Rüdfiht auf die preußifche Regulative und zeigt dabei, wie
nothwendig es fei, daß der Lehrer fih nad einem guten Leitfaden für
die Naturlehre das zu verarbeitende Material zurecht lege, Rh alfo nicht
auf gelegentliche Erläuterung und Erweiterung deſſen beichränte, was
das Lefebuch davon darbiete.
Das tft auch unfere Meinung, und wir freuen uns, baß ſich der
Berfaffer Hierüber ar ausgefprochen hat. Wir find feſt überzeugt, daß
die ganze Weltfunde in eine unerträgliche Planloſigkeit verfällt, wenn
Naturkunde. 319
die Lehrer Ah auf Erläuterung der Leſeſtücke beſchränken. Kein Lehre
buch kann den Stoff fo ausreihend und fo amgemeflen angeordnet dar»
bieten, daß ein Leitfaden dafür entbehrlich wäre.
3. Dürgerfullehrer Hering aus Reichenbach hielt auf der 8. all»
gemeinen ſächſtſchen Lehrerverſammlung in Blauen einen Bortrag „über
den Unterricht in der Naturiehre in Volksſchulen mit befonderer Berüd-
ſichtigung eines für die Zwecke derfeiben binreichenden phyſikaliſchen
Apparates.‘ "Nachdem er im Allgemeinen angedeutet hat, was aus der
Naturlehre für die Bollsfhule und für die weiter gehende Bürgerfchule
gehöre, ſtellt ex folgende Säke für die Ertheilung eines fru&ptbringenden
vnnRtaliigen Unterrichts auf:
a. „So viel nur immer möglih, führe man dem Schüler beim
Unterrihte die zu erklärenden Erfjcheinungen und Borgänge vor die
Augen, oder man fnüpfe den Unterricht an Verſuche und Beobachtungen
an, die der Schüler vor Augen hat. Denn hat der Schüler auch das,
was ihm beim Unterrichte abfichtlich vorgeführt wird, im Leben fchon
oft wahrgenommen, fo war es doch in den meiften Fällen nur ein Sehen
defielben , nicht ein Beobachten, und da in der Natur ein Borgang nie
allein vor ſich gebt, fo if der noch Ungeübte nicht im Stande, zu
gleicher Zeit das Ganze zu überbliden und das Einzelne beſtimmt
aufzufaffen, während bei dem angeflellten Berfuhe oder Experi-
mente ed möglich if, die Aufmerkfamkeit auf eine beſtimmte Erſchei⸗
nung zu lenken.‘
b. „Man veranlafle den Schüler, durch aufmerffames Beobachten
der ibn umgebenden Ericheinungen außer der Schule neue Belege und
Beifpiele für das ihm bereits Mitgetbeilte aufzufinden, wodurd das
Beobachtungsvermoͤgen gefchärft und der praftifhe Sinn gefördert wird.
Man berüdfihtige daher‘
ec. „zunächſt das, was für den Stile von praktiſchem Werthe
und von Bedeutung iſt, damit es z. B. nicht vorkomme, daß er von
Zuftfpiegelung zu ſchwatzen wifle, ohne daß er weiß, welche Bewandtniß
e6 mit der Dämmerung und der Morgens und Abendröthe hat, oder
daß er die Namen und Eigenfchaften aller bei uns nicht vorkommenden
Giftwinde an den Fingern herzählen könne, aber nicht weiß, was er zu
thun und zu laſſen hat, um in feiner Wohnung eine gefunde und reine
Luft herbeizufhaffen und zu erhalten, und“
d. „quaͤle man den Schüler nicht Stunden lang mit bloßen trodes
nen Begriffserflärungen, womit man die Freude und das Intereſſe an
der Ratur nur zerfiören würde, fondern man gebe fie nicht hinter eins
ander und auf einmal, wie es gewöhnlich mit den Eigenfchaften der
Körper geſchieht, fondern nad und nah, wie und wenn fie Bebürfniß
werden. Dan gebe den Begriff von Iuftförmigen Körpern, wenn von
der Luft, den Begriff von tropfbarflüffigen Körpern, wenn vom Waller
gehandelt werden foll u. f. w.“
e. „Suche man. bie zu verfchiedenen Beiten ſich darbietende Gele⸗
genheit, über Gegenkände der Naturlehre zu ſprechen, zur feſtern Ein»
prägung des Dageweſenen zu benupen. So Tann das Nöthigfle über
—
320 Naturkunde.
den Regenbogen den Kindern bald ohne Schwierigkeit beigebracht wer⸗
den, wenn eben einer am Himmel ſteht, und das Weſen des Rebels
wird ihnen nicht ſchwer begreiflich zu machen fein, wenn fle beim Nebel
mit ziemlich feuchter Jade in die Schule fommen und von diefer aus
des Nachbar Haus nicht zu erkennen im Stande find, bis endlich gegen
Schluß der Schule die höher fleigende Sonne fo weit die Dünfte aus⸗
dehnt, daß fie auch von einer höhern, leichtern Luftſchicht wieder als
Bolten getragen werden können. Ganz befonders möchte dieſes geiles
gentlihe Mittheilen und Belehren über Gegenftände aus der Naturlehre
auch den Schulen zu empfehlen fein, in denen wegen Mangel an Zeit
diefem Gegenflande nur ganz kurze Zeit zugemeffen werden fann. Dazu
hat es midy bedünfen wollen, als wenn gerade folche gelegentliche Mit⸗
theilungen fetter im Gedächtniß hafteten, als das im fortlaufenden Kurs
ſus Gegebene.“
Die Wahrheit dieſer Saͤtze läßt fich nicht beſtreiten; möchten fie
nur erſt allgemein befolgt werden!
Darauf zeigt der Berfaffer, wie fi die wichtigen Lehren der
Phyſik zum Theil ohne, zum Xheil durch einfache, leicht herſtellbare
Apparate zur Anſchauung bringen laſſen. Er Hat fi viel mit dem
Gegenſtande befchäftigt und ertheilt daher praktiſche Rathſchlaͤge. Auf
feinen für Bürgerfchulen hergeftellten verkäuflichen Apparat fommen wir
weiter unten zurüd.
4. In Nr. 27 der „Allgemeinen Lehrerzeitung“ von 1856 weift
ein Ungenaunter (E. N.) in anfprehender Weiſe nah, daß es feine
„pädagogiſche Sünde‘ fei, den phyfifalifchen Unterricht mit den allge
meinen Eigenfchaften zu beginnen. Der Verfaſſer vergißt aber dabei,
daß das Intereſſe der phyſikaliſch noch unbefchulten, für den Gegen»
fand erft zu gewinnenden Schüler viel größer it, wenn man ein recht
augenfälliges Experiment macht, 3. B. mit der Magnetnadel, als wenn
man nachweiſt, daß jeder Körper einen Raum einnimmt. Darauf if
einiger Werth zu legen.
D. Technologie. Haus und Randwirthfchaft.
1. Ueber den Werth diefer Gegenftände für Volks⸗ und Bürgers
ſchulen liegen uns die widerfprechendften AUnfichten vor, zu denen noch
die eigene, wieder davon abweichende hinzukommt. Schulrath Lauck⸗
Hard in Weimar empfiehlt in feinen „Volksſchulblättern aus Thürin⸗
gen’ namentlich die Haus» und Landwirthſchaft lebhaft; im „Branden»
burger Schulblatt“ (Schlußheft von 1856) flellt dagegen ein Unger
nannter (F. Sch.) den Sa auf: „Technologie, Hauswirthſchafts⸗ und
Aderbaulehre u. dergl. unter ‚die Lehrgegenflände der Glementarfchuie
aufzunehmen, ift überflüffig und ſchädlich.“
2. Derfelbe Berfafler fagt von der Tehnologie: „Die Techno⸗
logie, die man in die Lehrpläne der Stadtichulen einfchieben will, iR
ſelbſt für Viele, welche fie fordern, eine Art Z, ein nebelbaftes Gebilde,
über deffen Zwei, Inhalt und Bedeutung fie fih ganz und gar nidt
Naturkunde. 321
Mar find. Wir haben Technologien, vortrefflihe Werke, aber wenn fie
ihrem Zweck recht entiprechen, dann find fie nicht für Bürgerfchulen,
fondern für höhere Anflalten, für technifhe Beamte der Regierungen ,
und ähnlihe Leute gefchrieben. Das Wiſſenswertheſte daraus bietet
fpäter das Leben dem einzelnen Handwerker und zwar weit ausführlicher
und genauer, als eine Technologie ed darbieten Tann; und was die
Zechnologie bat, ohne daß das bejondere Gewerbe davon etwas weiß,
das ift auch für den Handwerksmann von Heberfluß und vom Uebel.’
Was der Berfaffer über die Unklarheit in technologifhen Dingen
und über die Lehrbücher der Technologie fagt, unterjchreiben wir gern,
da e8 uns fattfam aus Erfahrung bekannt ift, nicht aber das Folgende.
Ramentlich halten wir den Ausſpruch: „was die. Technologie hat, ohne
daß das befondere Gewerbe etwas davon weiß, das ift au für den
Handwerksmann von Ueberfluß und vom Uebel“, für höchſt nachtheilig
für die Entwidelung der Gewerbe. Um dies darzuthun, brauchen wir
nur auf die Gewerbe hinzuweifen, welche bei Darftellung ihrer Producte
chemiſche Proceſſe auszuführen haben. Wonach verfahren unfere gewoͤhn⸗
lihen Seifenfieder, Bäder, Bierbrauer, Gerber, Färber, Glasfabrifanten
u. f. w.? Nach Necevten und abgefehbenen Handgriffen. Und die Folge
davon ift, daß ihre Producte leicht mißrathen, daß fie ihr Gewerbe trop
neuer Entdeckungen nicht zu vervolllommnen im Stande find, daher hinter
dem allgemeinen Kortfchritt zurüdbleiben und endlihd — verarmen.
Ber als Handwerker heut noch unter dem Banne gegebener Recepte
ſteht, if verloren.
Hiermit haben wir die Seite des Gegenflandes berührt, die uns
als die weſentliche in der Technologie erfcheint: die hemifche. Alle
Gewerbtreibende, Handwerker wie Fabrifanten, die chemifche Proceſſe
bei ihren Arbeiten bervorzurufen haben, müſſen in der Schule zur Eins
ſicht ſoſcher Proceffe gebracht werden, damit fie Diefelben denkend und
beobachtend zu ihrem und des Publitums Nupen ausführen, nach den
Sortfchritten der Chemie heilfam ‚verändern koͤnnen Nicht das Geifen-
kochen foll alfo die Schule lehren, wohl aber ſoll fie Aufſchluß geben
über die Darftellung der Pottafche, der Soda, der Zettfäuren und ihre
Verbindung mit Kali und Natron. Ein fo ausgerüfteter Schüler wird
ein die Seifenfiederei mit Leichtigkeit erlernen und mit Vortheil betreis
ben. Der Einwand, daß von den jährlich abgehenden Schülern viel
leicht nur einer oder zwei Geifenfieder werden, Tann bier nicht gemacht
werden. Die Einficht, welche wir in der Technologie angefirebt zu ſehen
wänfchen, fommt fehr vielen Gewerbtreibenden zu Statten, if überhaupt
der Art, daß Jeder, der unfere Zeit verflehen will, fie befigen muß. '
> Chemiſche Technologie ıft es alfo, was wir verlangen, oder, um
allen Mißverftändniffen zu begegnen: eine Chemie, weldhe ein ein»
fihtsvolles Erlernen und Betreiben der Gewerbe mög»
li macht.
Und einen ſolchen Unterricht verlangen wir für jede Stadtfchule,
3. Ebenfo denen wir über die Landwirthſchaft. Diefer wid
tige Erwerbszweig hat in neuerer Beit große Kortjchritte gemacht, muß
Rare, Iahreöberiht. X. 21
322 Naturkunde.
aber noch bedeutend gehoben werden. Was er aber jeßt ik, das dankl
er vorzugsweiſe der Ehemie, der Einſicht von dem Verhältniß, in dem
Boden, Dünger und Pflangennahrung zu einander fliehen. Wir verlan-
gen nicht, dag dem Knaben in der Schule das Pflügen, Säen, Ernten
und Drefchen beigebracht, fondern daß er den Aderboden prüfen lerne
und mit den chemiihen Beftandtheilen des Düngers, mit dem, was zur
Nahrung für die verfchiedenen Fruchtarten, für die Hausthiere un. f. w.
erforderlich ift, befannt gemacht werde.
Sonach trägt alfo auch die Landwirthickaftstunde weſentlich einen
chemiſchen Charakter. Und die für die Landwirthſchaft erforbderfiche
Ehemie fol nicht nur jeder Bauerjunge in feinem leßten Schuljahre
erlernen, fondern au die Knaben in den Städten mit Landbau, ja es
ſoll fie jeder lernen, der feine Zeit begreifen will.
Was in Lauckhardt's „Volksſchulblättern“ als Beſchluß der ‚Dur
facher evangelifchen Lehrerconferenz“ über den landwirthſchaftlichen Un⸗
terricht in Volksſchulen gefordert wird, bleibt zum großen Theil beim
Aeußexn leben, entipridt Daher den von uns geftellten Forderungen
nit. Die Herren müffen tiefer in die Sache eingehen und z. B. eins
mal den ‚Katechismus der Aderbau s Chemie” von Hamm und Std
hardt's „Feldpredigten“ zur Hand nehmen.
Erfreulich ift es übrigens, daß man jetzt in verſchiedenen Ländern,
3. DB. in Weimar, Baden, Heffen, DOefterreich, Unterricht in der Lands»
wirtbfhaft für die Volksſchulen verlangt. Sf der Gegenſtand erſt als
nothwendig anerfannt, dann wird man auch nad und nad erfennen,
worauf e8 der Hauptfahe nad beim Unterricht darin anfommt. Der
Math einfichtsvoller Männer wird dabei fehr förderlich fein. Dan frage
Stödhardt, Hamm, Babo u A.
D. Literatur
I. Raturkunde im Allgemeinen.
1. Die Raturwiffenfhaften in ihren Bee ungen zu den materiellen
und geiftigen Interefjen der Menfchheit, von W. Stein, Prof. der Che⸗
mie an der König. polytehn. Echule u Dresden. 8. (38 S.) Dresden,
G. Echönfeld’s Buchhandlung (E. A. Werner). 1856. 7i/s Sgr.
Der Inhalt diefes Schriftchens zerfällt in zwei Theile. Der erfle
Theil weit nah, daß das materielle Wohlergehen die Grundlage für
die fittliche DVeredlung und die geiftige Erhebung des Volkes if, und
weſentlich durch die Naturwiſſenſchaften gefördert wird; der zweite dage⸗
gen, daß in der harmonifchen Ausbildung der Gemüthsanlagen und der
Verſtandeskräfte das wahre Glück des Menſchen ruht, zur Eultur des
Gemüthsiebens aber faum noch ein Unterrichtsgegenftand - fo geeignet
fei, wie die Naturkunde. Ueber Beides verbreitet fi der Verfaſſer
ziemlid ausführlich, am ausführlichften über den materiellen Augen der
Naturkunde. Die Hauptgedanken des zmeiten Theiles haben wir bes
Naturkunde. 323
reits oben angezogen und beleuchtet, geben deshalb hier nicht noch⸗
mals darauf ein.
Das Schriftchen verdient gelefen und geprüft zu werden.
Die Ausſtattung if fehr anſprechend.
2. Der Materialiemus und die Hriftlihe Volkoſchule. Ein Auf
ruf an das deutſche Volk und feine Obrigleiten von Theodor Weber,
Brebiger der reformirten Gemeinde zu Stendal. 8. (50 ©.) Stendal,
Franzen u. Große. 1856. 8 Ser.
Der Berfaffer hat es in feinem Schriftchen darauf abgefehen, nad»
zuweifen, daß die in neuerer Zeit durch ihre naturwiffenichaftlichen Ars
beiten ſehr populär gewordenen Männer, wie Ule, Müller, Roßmäßler
u. A., materialiftifche Anfichten verbreiten und dadurch den Glauben an
Gott und Unfterblichkeit erfchüttern und vernichten. Er fucht dies durch
Stellen aus den Schriften diefer Männer, namentlih aus den Auffäben
der „Natur“, zu erweifen, und verlangt dann von den Behörden, diefen
Leuten das Handwerk zu legen, vor allen Dingen aber den Volksſchulleh⸗
ern, diefen Unmündigen, das Lefen ſolcher Schriften fireng zu verbieten.
Einige obrigkeitlihe Anfragen an Lehrer abgerechnet, haben die
Behörden durch — Schweigen geantwortet. Möchte fih doch der Bere
fafler die Behörden hierin zum Muſter nehmen! Außerdem empfehlen
wir ibm noch, in feinen Mußeftunden etwas Naturwifienfchaft zu treiben;
fie belehrt auch nach diefer Richtung bin vortrefflih. -
3. Die Neturlunde in ihrer Beziehung zu den gewöhnlichfien Verhält⸗
nifien und Beſchäftigungen des Lebens, des Haushalts und der Feldwirth⸗
(haft, zur Bildung rationeller Haus: und Feldwirtbe, ſowie naturfunds
licher Hausfrauen, Teicht faßlich dargeftellt: von Dr. Ludwig Glaſer,
Großherzogl. Heſſiſchem Realfchuldirigenten. Mit gabfreichen fiuftratios
nen. 8. (XII u. 400 ©.) Frankfurt a. M., I. D. Eauerländer. 1856.
Das Berk befteht aus zwei Theilen, von denen der erfle allges
weine, der zweite angewandte Raturkunde enthält. Die allgemeine Ras
turkunde bietet Kolgendes dar: A. Aſtronomie und mathematifche Geo⸗
grapbie. B. Phyſitkt. C. Phyfikaliſche Beographie und Meteorologie.
D. Ehemie. E. Der thieriihe Organismus und das thierifche Leben.
F. Die Organe und Berrihtungen der Pflanzen. Die angewandte
Naturkunde behandelt: A. Gefhäfte und BVerhältuiffe des Hauſes. B.
Berhältniffe des Gartens und Feldes. Ein Anhang enthält eine über
fichtliche Zuſammenſtellung der Maße und Gewichte.
Das Berl fol ein „Vollsbuch“ fein, zugleih aber auch „den
weiblichen Grziehungsanftalten der gebildeteren Klaſſen“ dienen. Wir
hatten daffelbe weder für den einen, nod für den andern Zweck taug⸗
ih. Das Material der erfien Abtheilung iſt zwar an und für fi
‚ein wiffenswerthes, aber es ift durchweg nicht in der Form dargeboten,
die allein für das Volk paſſend if. Statt von einfachen Verſuchen
und Bahrnehmungen auszugehen und aus dieſen die Gefehe überzeu-
gend zu entwideln, Felt der Berfaffer diefe an die Spitze und bringt
Zaun einige Beilpiele zur Erläuterung. Das iſt weder anziehend, noch
21”
324 Naturkunde.
anregend. Die zweite Abtheilung iſt etwas populärer gehalten, bringt
aber dafür wieder Manches zur Sprache, was das Leben überall ohne
Mühe ſelbſt lehrt. Jedenfalls würde eine innige Verſchmelzung beider
Theile ein viel beſſeres Buch gegeben haben, als es hier vorliegt. Wir
verweilen auf Schödlers „Buch der Natur“, ganz beſonders aber,
was den rechten Ton für die Darftellung anbelangt, auf die oben ans»
gezeigten Schriften von Bernflein. Zum Bolksfchriftfteler haben aber
nicht Alle die nöthige Begabung.
4 Das Bud der Natur oder das Wiffenswürdigfte aus allen Gebieten
der Naturwiflenfhaften für die Gebildeten aller Stände. Dargeſtellt von
8 Dollard, Dr. med. und Prof. der Naturgeſchichte. Ein von der
efelfchaft der chriſtlichen Moral in Paris gekröntes Werl. Aus dem
Kranzöfifhen überfept don A. v. 9. Neue wohljeile Ausgabe. Mit
einer Vorrede von uard Riehm, Lic. theol. und Barnifonsprediger
in Eannbeln. 8. (XVI u. 630 ©.) Ludwigsburg, Ferd. Richm. 1856.
Der Vorredner Hält dies Werk feines „religiöſen Elementes’' we⸗
gen für befonders geeignet, die fhädlichen Wirkungen der Schriften zu
befeitigen, weldhe, wie Bühners „Kraft und Stoff’, „ben gröbften
Materialismus lehren.’ Um diefen Zwed zu erreichen, müßte das Bud
eine ganz andere Anlage, ja einen ganz andern Inhalt haben; es müßte
direct eingehen auf die gegnerifche Anfiht und das Falſche derſelben
nachweiſen; dürd ein bloßes Hinweiſen „auf die weife Ordnung und
einheitlihe Zwedmäßigfeit in der Schöpfung‘, worauf der Verfafler ſich
nach diefer Richtung hin befchränkt, wird wenig erreiht. Wie das
Buch vorliegt, entfpricht es nur fehr befcheidenen Forderungen. Die
Darftellung ift zwar populär, aber nicht anfchaulih, nicht entwidelnd
genug. Bon dem Inhalte fagt der Vorredner, der Berfafier habe nur
„feſtſtehende Thatfachen‘’ vorgetragen, während die Materialiften „viel
fah das unredliche Mittel gebrauchten, fehr beflrittene Hypotheſen vor
dem Volke als unbezweifelte, feſtſtehende Thatfachen vorzutragen.” Das
fönnen wir leider nicht beflätigen; wir müffen vielmehr erfiären, daß
der Inhalt des Buches in vielen Theilen völlig veraltet if, mit den
neueren Forſchungen geradezu in Widerfpruh flieht. Gleich Seite 11
wird von den Atomen behauptet, daß man fie zwar ihrer außerordent⸗
lihen Kleinheit wegen felbft durch das befte Mifroflop nicht fehen, wohl
uber dur den Geruch wahrnehmen koͤnne. Das ift gleich eine fehr
ſtarke, durch Nichts zu ermeifende Behauptung. Bon dem, was der
Verfaſſer über die Organifation der Pflanzen fagt, find drei Viertel nicht
mehr wahr. Bon folhen Büchern läßt fi eine Wirkung, wie die an⸗
gegebene, nicht erwarten; fie find zu nichis weiter gut, als zu Macus
latur. Der Herr Licentiat hat fi durch feine Empfehlung des Buches
nicht als Raturkundiger zu erkennen gegeben und von Neuem den Bes
weis geliefert, daß es nicht wohlgethan ift, fih mit Sachen zu befaffen,
die man nicht verfleht.
5. Die Dreieintgkeit der Kraft. Ein Beitrag zur näheren Erkennt⸗
ntß Gottes in feiner materiellen Schöpfung. Kür die Gebildeten aller
Stände, befonders auch des fchönen Geſchlechts. Bon Prof. Dr. M. Ohm,
Naturkunde. 325
gr 8 345 S., mit In Stahl geſtochenem Titel.) Nürnberg,
ern. gm 4. 2 Thlr., in engl. Cinband 2!/, Thlr,
Der Titel Mingt ein wenig dunkel, der Inhalt ſelbſt iſt dafür defto
Marer: Die Dreieinigfeit der Kraft it dem Berfafler die Anziehunges
kraft, die Wärme und die Polarfraft. Hieraus erflärt ex die Haupters
fheinungen auf der Erde und bringt fie nach der Zahl feiner Vorle⸗
fungen in folgende Gruppen: 1. Bom Stoff und von der Materie
überhaupt. Die vom Stoff unzertrennliche Anziehungsfraft. 2. Einige
Folgen der Anziehungstraft. Schwere. Gewicht. Das Fallen der Körper.
Das Fliegen der Gewäfler. Beflimmungen der Stoffmengen. 3. Weitere
Solgen der Anziehungskraft. Bewegung der Planeten um die Sonne,
und der Monde um ihre Planeten. 4. Weitere Folgen der Anziehungs»
fraft. Fluth und Ebbe. Nothwendige Geftalt der tropfbar»flüffigen Körs
yer. Büdung fehler Körper. 5. Entferntere Folgen der Anziehungskraft.
Baflerdrud. Quellen. Arteſiſche Brunnen. Erdbrüde. 6. Der Luftdrud,
eine nothwendige Folge der Anziehungskraft. Das Barometer. 7. Die
vom Stoffe unzertrennlihe Dehnkraft ale Wärme. Das Thermometer.
8. Freie und gebundene Wärme 9. Frei leitende und freie ftrahlende
Bärme. 10. Nähere Beflimmung des Begriffs der Dichtigkeit und des
Eigengewichts der Stoffe. Einige allgemeine Geſetze der Kräfte Schwer⸗
punft. 11. Die Wärme als Urſache der Winde und des Wetters. Wie
die klimatiſchen Berhältniffe fich geftalten würden, wenn die Erdachſe
auf der Ebene der Erdbahn ſenkrecht flünde 12. Wie die durch die
Sonnenhige veranlaßte Witterung bei der wirklichen, etwas gegen die
Ebene der Erdbahn geneigten Lage der Erdachſe gegen die Erdbahn ſich
geftalten muß. 13. Die Wärme in Berbindung mit der Anziehungss
kraft ala Urſache der Meeresfirömungen. 14. Die Polarkraft in ihren
Erfcheinungen als Magnetismus und Elektricität. 15. Die Polarkraft
in ihrer Erſcheinung als Galvanismus. 16. Chemiſche Eigenſchaften
des Stoffes in Folge der Polarkraft. 17. Fortſetzung der chemiſchen
Betrachtungen. Organiſche Stoffe. 18. Von den Veraͤnderungen, welche
der Erdkorper fihtbar erleidet und bisher erlitten bat. 19. Frühere
größere Wärme auf der Erdoberflähe. 20. Das Zufammenwirken der
drei, dem Stoffe innewohnenden Kräfte iſt die wefentliche Urſache der
jeßigen Gefalt der Erde und der Mevolutionen, welche fie feit ihrer
Erſchaffung hat durchmachen müffen. 21. Verſuch eines Gemäldes der
Erdbildung und der Entflehung des Planetenſyſtems, wie foldhe den
drei wirkenden Kräften gemäß fatifinden konnten und mußten.
Die Borlefungen find,. wie der Berfafler verfichert, wirklich gehals
ten worden und waren für ein gemifchtes Publikum beflimmt; der Vers
faffer durfte daher fo gut wie gar feine naturwiffenfchaftlichen Vorkennts
niffe vorausfegen. Dadurd haben diefelben allerdings für den, der
mit den Gegenfländen vertraut ift, eine gewiffe Breite, deutfche Gründ«
lichkeit befonmen, nicht aber für Uneingeweihte, für die fie ja auch nur
beſtimmt find. Wir koͤnnen das Werk Lehrern und andern Gebildeten
als ein recht gutes empfehlen. Die Ausſtattung iſt ſchoͤn.
w— — [Tr Te
326 Naturkunde,
6. Der Erdlörper, ein fosmifhes Ganzes. Für Sebildete in all⸗
gemein faßlichen Umriſſen gefhildert von Dr. Suido Sandberger, Gym⸗
nafiallehrer in Wiesbaden. Mit 29 naturgetreuen Holzichnitten von Franz
Duerbah und 5 angehängten lithographirten Täfelchen. gr. 8. (VIII
u. 151 ©.) Hannover, Sahn. 1856. 1 Thlr.
Inhalt: 1. Aufgabe. Natur. Raturwiffenfhaft. Gliederung
derfelben. 2. Geologie. Erdball, als Weltkörper. Hauptmaflen. Orga⸗
nismen. Entwidelungsgefchichte des Erdkörpers und feiner Organismen.
3. Aftronomifche Srundlage. Allgemeines über Erdkern, Gewäller und
Luftfreis. A. Das Feſte. Seine Gliederung. Form von Gebirgen und
Ihälern. 5. Wafler und Luft. Wärmeverhältniffe. Heiße Quellen. Buls
kane. Magnetifche Erfheinungen. Nordlicht. Meeress und Luftfirömuns
gen. Wäfferiges und euerflüffiges. Wechfelbeziebung und Bedeutung
diefer beweglihen Maffen für Pflanzen» und Thierwelt. 6. Gefleine.
Berfchiedenartigfeit. 7. Alter der Gefleine. Geologifhe Chronologie.
Hauptepochen des Erdballd. Die Organismen, ihre Unterfheidung von
den Mineralin. 8. Die Organismen der Jetztwelt. Bedingung ihrer
eigentbümlichen Entfaltung und Berbreitung. Die Leitverfieinerungen
der geologischen Epochen. 9. Der Menſch, als Naturweſen und in jeis
ner höheren Bedeutung. Sprache, Cultur, Geſchichte, Religion. Unfere
irdifche Schranke. Wiſſenſchaft.
Diefe Schrift behandelt ihren Gegenftand, mie man fieht, allfeitig,
doch etwas gedrängt. Der Lefer wird nicht, wie in dem vorhergehenden
Werke, fo ganz allmählich und mit der für ein volles Verſtändniß erfor«
derlihen Ausführlichkeit in die Sache hineingeführt, fondern es wird
ihm vorweg gefagt, was fommen foll, worauf es abgefehen fei. In diefem
Sinne iR auch die Einleitung („An den Leſer“) und das ganze erfte
Kapitel gehalten. Das iſt die dogmatifirende Methode der Gelehrten,
für Anfänger weder beliebt, noch geeignet. Dod wünſchen wir, daß
fih daran Niemand floßen möge, der Inhalt des Buches iſt qut und
intereffant; viele Bartien find auch durchaus anſchaulich dargeſtellt. Die
beigegebenen Abbildungen find nach Auswahl und Ausführung zweckmä⸗
fig. Die Austattung if tadellos.
7. Prof. P. Harting's Skizzen, aus der Natur. Aus dem Hollän⸗
difchen überteßt von 9. €. y Martin. Mit einem Borworte don Dr.
M. 3. Schleiden, Prof. in Jena. gr. 8. IL (XIV u. 103 S., wit
18 Holzſchninten umd einer litbograpbirten Tafel). IL. (X u. 167 S., mit
16 Sofafänitten und einer lithographirten Tafel). Leipzig, W. Engels
mann. 1854 u. 1857. 22/2 Sgr. und 24 gr.
Das erſte Bändchen enthält folgende vier Abhandlungen: 1. Der
Pflanzenwuchs in den Tropengegenden. 2. Der Hagel. 3. Das Leuch⸗
ten der Thiere. A. Etwas über Fiſchzucht. Das zweite ſechs: 1. Die
fernfte Bergangenheit und die fernfte Zukunft. Ein Blid in die Schö⸗
yfung des Weltalle. 2. Die Mineralien. 3. Das fhlummernde Leben.
4. Waſſertropfen. Sfizzen nad dem Leben. 5. Kork und Korkbildung.
6. Der Wunderbaum im Haarlemer Holz.
Diefe beiden Bändchen bilden ein würdiges Seitenftüd zu der im
6. Fahrgange von und angezeigten und empfohlenen „Macht des
Naturkunde. IRY-
Kleinen. Der Verfaſſer if Naturforfcher von Fach, glüdliher Beob⸗
achter, Barer Denker und gewandter, geiftreicher Schriftfleller. Dabei
iſt ihm das Berfahren eigen, den Lefer jo recht allmählich mit dem
Gegenſtand befannt zu maden, volllommen gründlich, aber ohne allen.
Gelehrten» Kram. Das nterefle, was die bearbeiteten Gegenflände an
und für fih fchon haben, wird durch diefe Behandlungsweife noch bes
fonders erhöht. Was der Berfaffer über den Hagel fagt, darf als das
Bedentendſte bezeichuet werden, was feit langer Zeit über diefen ſchwie⸗
rigen Gegenſtand geichrieben worden if. Die Abbildungen find ausges
zeichnet, wie die ganze Ausflattung des Werkes, das wir hiermit weis.
teren Kreiien beſtens empfehlen.
8. Raturftudien. Skizzen aus der Pflanzen» und Thierwelt von Dr.
Serm. Maftus. Bmsite Sammlung. br. 8, (X u. 218 ©.) Leipzig,
Fr. Brandfletter. 1857. 11, Thlr.
Für Freunde äfbhetificender Naturfchilderungen genügt es, das Er⸗
ſcheinen diefer Fortfegung der fehr bald beliebt gewordenen „Natur⸗
Audien‘ anzuzeigen. Der Berfafler bietet in denfelben dar: I. Rord⸗
deutfche Begetationsbilder: Die Wieſe, die Haide, der Nabelwald, ber
Sanbwald, das Kornfeld. 11. Bilder aus der Thierwelt: Das Kameel,
das Glennthier, das Pferd, die Kape, der Walflich, der Floh. HL Am
Se. IV. Wenn der Herbft kommt. Keine diefee Arbeiten fleht den
früheren nah; man wird fie mit Bergnügen lefen, auch die durchweg
bumeriftifhe über den Floh. Kür die Schule wird man von feiner
Diefer Schilderungen directen Gebrauch machen Fönnen, ber Lehrer fie
aber- fiber mit Nutzen für die Schule lefen.
Die Ausfattung des Buches iR fchön.
9. Unterhaltungen aus der Natur. Herauögegeben unter Mitwirkung
der Herren 3. Baßlinger, H. Bolze, A. Clemend, %. Cohn u. U. von
Defterreihifhen Lloyd in Trief. Mit Iluftrationen im Holzs
f&nttt. 6. Lieferung. (4 Bogen Imp.24.) Trieft, Literarifch » artiftifche
Abtheilung des Oeſfterreichiſchen Lloyd. 1856. Ys Thlr.
Die erfien fünf Lieferungen biefes Wertes haben wir im vorigen
Jahrgange angezeigt und unfern Lefern beſtens empfohlen. Es genügt
daher, bier zu bemerken, daß diefe Schlußlieferung folgende drei Auf⸗
füge enthält: Das Ei des Columbus, von M. K. (hierzu eine Figuren,
Zafel in Farbendrud). Die thierifhe Wärme und die Kleidung des
Menſchen, von Dr. A. Clemens. Die Hauptumriffe des Baues und der
Entwidelungsgefchichte unferer Erdrinde, von Prof. Albert Müller. —
Alle drei beiehren in anfprecgender Form.
10. Das Keben des Meeres. Eine Darftellung für Gebildete aller Stände
ven Dr. Georg Fartwi „ Badearzt in Oſtende. Zweite unveränderte
Auflage. gr. 8. (VI u. 415 ©.) Frankfurt a. M., Meidinger Sohn u.
Comp. 1857. 1 Thlr. 22 Ser.
"Dies Verl zerfällt in drei Abtheilungen, von denen bie erfte „bie
phyſiſche Geographie des Meeres’ in 5 Kapiteln, die zweite „die Bes
wohner des Meeres’ in 16 Kapiteln umd die dritte bie „Geſchichte der
Gutöellungsreifen zus See bis auf die neueſte Zeit’ in 5 Kapiteln,
328 Raturkunde.
behandelt. Der Berfafler befpricht die Gegenftände feines Gebietes mit
Liebe und großer Sachkenntniß und Hat fih zugleich bemüht, die Dars
ſtellung anziehend zu halten. Die erfte Abtheilung ift eine zwar nicht
erihöpfende, aber das Bedürfniß gebildeter Lefer ganz befriedigende
Raturgefchichte des Meeres; die zweite, den Saupttheil des Werkes bil-
dende, behandelt die Bewohner des Meeres, vom riefigen Wallfiſch bie
zur mifroffopifchen Foraminifere, und ebenjo die Seepflangen. Die
große Muffe der organifchen Gefchöpfe machte natürlih eine Auswahl
nöthig; dieſe if fo getroffen, daß in allen Klaſſen das Intereſſanteſte,
für den Menſchen Wichtigſte hervorgehoben und ausführlicher dargeftellt
wurde als Nebenfächliches. Viele der hierher gehörigen Partien find
ganz vorzüglich gelungen und werden mit Bortheil auch in der Schule
benugt werden können, ganz abgefeben davon, daß fie fih dem Lehrer
an und für fih zum Studium empfehlen. Die dritte Abtheilung zeigt
in ebenfalls anjprechender Weife, wie der Menfch allmählich mit der
Größe und den Grenzen des DOceans befannt geworden if, wobei
natürfih auch der neueften Reifen Franklin's und Kane's gebührend
gedacht wird,
Bir Lönnen verfihern, das Werk mit voller Befriedigung gelefen
zu baben.
Die Austattung iſt fchön.
11. Die gefammten Naturwiffenfhaften, populär dargeftelt von
Dippel, Gottlieb, Koppe, Kottner, Mädler, Mafius, Moll, Naud,
Mögetatd, Duenftedt, v. Rußdorſ. gr. 8. ©. D. Bädeker in Eſſen.
Bon diefem Werke Liegen und nur bie beiden erften Lieferungen
vor, und diefe find fo gut wie gar nicht geeignet, einen Schluß auf
das Spätere machen zu laffen, da es Koppe, der den Inhalt geliefert,
nicht fonderlich gelungen ift, fih von dem Gange und Tone feiner bes
Tannten „Anfangsgründe der Phyſik“ loszumachen, was für ein Werk,
wie es bier beabfihtigt wird und zu dem Mafius die Einleitung
ſchreiben foll, durchaus erforderlih war. Wir erwarten indeß mit eini⸗
ger Sicherheit, daß wenigſtens der größere Theil der übrigen Mitarbeiter
einen glüdliheren Weg einfchlagen und den Ton beffer treffen werde;
glüdt das, fo wird das größere Publitum ein Werk erhalten, durch
welches es fih in geiſt⸗ und berzerfreuender Weife mit den wichtigften
Raturerfcheinungen, Raturförpern und Erfindungen befannt machen kann.
In einzelnen Theilen if diefe Aufgabe von andern naturwiflenfchaftlichen
Schriftſtellern ſchon gelöft worden, in einem das ganze Gebiet umfaffen-
den Werke noch nicht.
Das ganze Werk wird aus drei Bänden, mit etwa 500 Abbils
dungen, beftehen und in circa 20 Lieferungen, A 10 Sgr., bis Ende
1857 vollſtaͤndig erſcheinen.
Alerander v. Humboldt hat geſtattet, ihm das Werk zu wid⸗
men. Nach dem vorgedruckten Briefe erwartet derfelbe, daß „die begon⸗
nene Schrift ein Gegengift fein wird für die vielen inhaltleeren popu⸗
Hiren Schriften, mit denen Deutſchland mehr als die Nachbarſtaaten
Naturkunde. 329
Überfgwennmt iR, im denen freilich „„die Begeiſtigung bes Tannenhol⸗
zes’ fi auch forterhält.‘‘
Bir kommen im nähftlen Bande ausführlih auf das zeitgemäße
Unternehmen zurüd und bemerken nur noch, daß die Ausflattung der
vorliegenden Lieferungen ſehr fhön if.
II. Raturgefeichte.
a. Kür Lehrer.
1. Anthropologie
A. Abbildungen.
12, Raturgefhihte für die Volksſchule. Mit über 230 colorirten
Abbildungen. Tafel I—X und volftändigem Abriß der Naturgefchichte
aller Drei Reihe. Herausgegeben von Johannes Stangenberger. Neu⸗
Ruppin, bei Dehmigfe und Riemfäneider. 24 Sgr.
Der „vollkändige Abriß der Raturgefchichte aller drei Reiche‘, den
ber Zitel verheißt, ftebt auf drei Seiten des Umfchlages und umfaßt
nicht nur die drei Reiche, fondern auch ‚Bau und Natur des Men-
fen”, und giebt zum Schluß fogar noch Anweiſung zum Anlegen „na⸗
turgefhichtliher Sammlungen‘, wobei e8 dem Berfafler begegnet, von
Ehmetterlingsfammlungen und Infettenfammiungen in gefon-
derten Abſchnitten zu reden.
Die Abbildungen haben eine fehr mäßige und daher nicht weit
erfennbare Größe, find vielfach incorreet und ohne alle Aus»
nahme Fehr Thleht und falfh colorirt. Gchnabelthier und
Hamfter, die neben einander fleben, find z. B. mit ein und bderfelben
Farbe angeftrihen, der Hamſter ganz einfarbig.
Bir warnen hierdurch ausdrüädiih vor dem Gebrauche
biefes Werkes,
Nikroſkopiſche Pflanzenbilder zc. von Breidenſtein. Siehe unter:
„3. Botanik.“
B. Schriften mit und ohne Abbildungen.
13. Der menſchliche Körper. I. Abtheilung: Kenntniß deſſelben. Don
Theod. Leonhardi⸗Aſter, Dr. med. und pralt. Ar und J. €. Jadel
Schuldirector in Dresden. Mit Abbildungen. II. Abtheilung: Pflege deie
felden. Bon Rudolph Walther, Dr. med. und praft. nt in Kreis
berg, und I. €. Zadel. 8. (I. Abth. V u. 111 ©., II. Abth. VI u.
124 S.) Leipzig, Zul. Klinkhardt. 1856. Jede Abth. 7% Ser.
Dies Berk kann nad Anlage und Ausführung als zweckmaͤßig
begeichnet werden. In der erften Abtbeilung ift die Anordnung im
Ganzen die gewöhnliche. Die Darfellung befchräntt fih der Hauptfache
nah auf die Anatomie; die Phyfiologie iſt ausgefchloffen worden, was -
wir bedauern, da fie gerade ein befonderes Intereſſe darbietet, Antwort
giebt auf Die intereffanteften Erfcheinungen. Da das Buch auch in
der gegenwärtigen Geſtalt nicht für den unmittelbaren Unterricht bes
rechnet if, fo hätte diefe Seite des Gegenflandes nicht unberüdfiche
230 Raturkunde.
tigt bleiben follen. Cine bloße Kenntniß der Theile des Körpers if
nur eine halbe Kenntniß.
De gweite heil iſt folgendermaßen gegliedert:
I. Abſchnitt. Bon den auf den Körper und fein Wohlſein von
Außen wirkenden Einflüſſen.
1. Kapitel. Die Nahrungsmittel.
2. Kapitel. Der Wohnort nnd die Wohnung.
3. Kapitel. Die Kleidung.
II. Abfchnitt. Bon dem Verhalten im gefunden und beziehend«
lich kranken Zuftande des Körpers.
1. Kapitel: Die Pflege der einzelnen Organe und Syſteme.
2. Kapitel. Bon der Ruhe und Bewegung.
3. Kapitel. Bon der Gewöhnung und den Gewohnheiten.
111. Adfchnitt. Bon der Krankheit.
Diefer Theil iſt recht praktiſch gehalten; der Lehrer wird daraus
viel guten Rath für Rh, feine Schüler und feine Gemeindeglieder ers
halten. Ueber die beiden Hauptklaſſen der Nahrungsmittel, die ſtickſtoff⸗
Haltigen und ftidftofflofen, Hätten die Berfaffer im Sinne Liebigs etwas
ausführlicher werden koͤnnen.
2. Zoologie.
14. Anleitung zum Studium der Thierwelt. Bon E. A. Roß⸗
mäßler. Äls dritte gänzlich umgearbeitete Auflage von des Berfaflers
„Spyftematifche Ueberficht des Thierreiche.” gr. 8. (VIII u. 560 es)
Leipgig, Arnold'ſche Buchhandlung. 1856. 22% Thlr.
Die erſten 24 Bogen diefer Schrift find bereits 1847. erſchienen,
enthalten alſo nicht überall die neueren Entdeckungen. Dem vorange⸗
henden allgemeinen Theile (&. 1 — 207) if hierans fein Nachtheil ers
wachen, den niederen Thieren im Ganzen auch nur fo weit, als es die
Klaſſifikation betrifft; indeß find auch bier die mittlerweile eingetretenen
Aenderungen bereits genügend angedeutet. Alles Uebrige entſpricht dem
gegenwärtigen Standpunkte der Wiffenfchaft.
Bor ähnlichen Werfen zeichnet fih das vorliegende befondere durch
feinen allgemeinen Theil aus, der fo ausführlich und dabei fo Mar if,
daß der Lehrer durch denfelben ganz vertraut wird mit der Organifa-
tion der Thiere. Im befondern Theile if Kberall fo viel gegeben, als
für das Verſtändniß der Klaſſen, Ordnungen, Bamilien, Gattungen und
verbreitetften Arten erforderlich if. Das Werk eignet fih daher ganz
befonders für Diejenigen, welche es auf eine möglich gründliche Ueber»
ht vom ganzen Zhierreich abfehen, ſonach wielleicht auch als Leitfaden
für die oberen Klaſſen höherer Schulanftalten.
15. Verſuch einer Einführung In das Studium der Koleoptern.
Don Dr. Ludwig Imboff, In zwei Theilen und einem 25 Zafeln litho⸗
grapbirter Abbildungen ne f Text enthaltenden Anhange. Ler.»8. (XXXI,
114 u. 272 ©.) Baſel, Bahnmaier. In Comm. 1856. 4'/s Ihlr.
Dies Werk beſteht aus einem allgemeinen und einem beſonderen
Theile. Der erſtere bringt die allgemeinen Verhaͤltniſſe der Käfer im
Naturkunde. 931
ausführlicher, doch nicht breiter Weife zur Sprache und handelt im erfien
Abſchnitt von dem Verhältniß der Käfer zum Menſchen und zur übris
gen Natur, im zweiten von der Gefalt, Organifation und Lebensvers
rihtung derfelben, im dritten von deren foflematifcher Stellung. Der
zweite diefer Abſchnitte if natürlich der bedeutendſte; er enthält Alles,
was zu wiflen nöthig if, um fich erfolgreich an das eigene Unterſuchen
der Käfer begeben zu können. Um den Anfänger bei den fo fchwierig
zu ertennenden, für die Unterjcheidbung der Gattungen aber fehr wichtis
gen Freßwerkzeugen nicht in Ungemwißheit zu laffen, find zwei Zafeln
Abbildungen beigegeben worden. Es würde nicht unzwedmäßig geweſen
fein, wenn der Berfaffer auch die mancherlei Modificationen des Mittels
leibes bildlich dargeſtellt hätte. Der zweite Theil enthält eine ſyſtema⸗
tifche Meberfiht der Käfer. Die ganze Ordnung (Klaſſe) wird in Ser
fionen, Bamilien und Gruppen gegliedert und jede diejer Ubtheitungen
ausführlih charakteriſirt. Zum Verſtändniß diefer Charakterifif dienen
die im Anhange gegebenen Abbildungen. Auf 25 Zafeln find 661
Gattungsrepräfentanten dargeftellt, in Umriflen natürlih, aber fo das
rakteriftifh und correct, daB fie auf den erften Blid erkannt werben.
Wie bei der Charakteriſtik ſelbſt, fo find aud in den Abbildungen die
Käfer der ganzen Erde in Betracht gezogen.
Bir freum uns, das Wert als ein bedeutungsvolles, für alle
Freunde der Entomologie und namentlich der Käfer ſehr brauchbares
bezeichnen zu koͤnnen; wer daſſelbe gründlich durcharbeitet und die Abs
bildungen fleißig betrachtet, Tann getroft an das fpecielle Studium der
Käfer nah Erichſon, Burmeiſter, Redtenbacher u. U. gehen, ohne bes
fürdten zu müflen, daß er hülflos darin fleden bleiben wird. Die
Austattung ift gut, ber Preis für das Dargebotene fehr mäßig.
36. Käferfauna für Nord- und Mitteldeutfhland, mit befonderer
Rückſicht auf die preußifchen Mbeinlande. Bon M. Bach, Lebrer an der
böberen Stadtfhule zu Boppard. 3. Band. 1. Lieferung. Bogen 1—9,
Coblenz, 3. Hoͤlſcher. 1856. Geh. 28 Sgr.
Den erfien und zweiten Band diefes Werkes haben wir bereits in
den früheren Jahrgaͤngen angegeigt und als fehr brauchbar zum Stu⸗
dium der Käfer durch eigene Unterfuchung empfohlen. Die vorliegende
erſte Lieferung des dritten Bandes enthält die Cerambieinen, Donacien
und den größeren Theil der Chryfomelinen. Das Einzige, was wir
an dem Werke auszuſetzen haben, ift fein fehr langfames Ericeinen.
Bir empfehlen dem Verfaſſer wie dem Berleger, fich nicht gar fo fehr
von dem bereits in zweiter Auflage erfcheinenden „Redtenbadher‘
überholen zu laffen.
17. Raturgefhiähte der Inſekten Deutfhlands Begonnen von
Dr. er on, —2 von Di ‘ . Schaum, 6 Kreaatz
und H. v. Kieſenwetter. Erſte Abtheilung: Colespiera. Erſter Band,
Bogen I—1?. Zweiter Band, Bogen 1—24. Vierter Band, Bogen 1—11.
Berlin, Nicolai'ſche Buchhandlung. 1856 u. 1857. 4 Thlr.
Bas der talentvofle, viel zu früh für die Wiſſenſchaft geftorbene
Crichſon begonnen, ſetzen drei feiner Sreunde fort. Die neuen Verfaſſer
832 Naturkunde,
find Tängft als bebentende Entomologen bekannt; das Publikum barf
daher ihre Arbeiten mit dem vollftien Vertrauen entgegennehmen. Schaum
hat die Bearbeitung des erfien, Kraah die des zweiten, Kiefenwetter die
des vierten Bandes übernommen; der dritte Tiegt bereits vollendet vor.
Eine raſche Vollendung des Werkes iſt zugefagt und Iäßt fi von diefen
Kräften mit Sicherheit erwarten. Gelänge es, aud für die übrigen
Abtheilungen der Infelten ſolche Kräfte zufammenzubringen, fo würde
Deutfhland ein Werk erhalten, wie feine andere Nation es aufzuweifen
‚bat. Möchte diefer Wunſch in Erfüllung geben!
18, Zoonomiſche Briefe Allgemeine Darftellung der thierifchen Orga
nifation. Bon Prof, Dr. gem. Burmelifter. fi 8. 1. Theil. (VIII
u. 367 ©.) 2. Theil. (A u. 470 ©.) Leipzig, O. Wigand. 1856.
Als Ihle. |
Diefe beiden Theile umfaflen die niederen Thiere, mit Ausſchluß
der Inſekten, und entbalten Alles, was bis zum Erfcheinen berfelben
mit Sicherheit unterfuht und ermittelt worden war. Das Werk fließt
alfo einmal ab und bietet Alles überfichtlich dar, was in den verfihies
denfien ins und ausländifchen Zeitfchriften und theuern Werfen bis
dahin niedergelegt war. Wie dankenswerth eine folhe Arbeit ik, na⸗
mentlih wenn fie aus der Feder eines Mannes, wie Burmeifter, kommt,
braucht nicht erſt sera! zu werden; fle wird vielfach Anlaß zur Revi⸗
fion der vorhandenen Lehrbücher geben, namentlich auch der für Schulen
befimmten. Um Lebteres möglich zu machen, hatte Profeffor Oscar
Schmidt in Krakau ſchon vorher in einem Deſterreichiſchen Schul
blatte für Gymnaſien, deſſen Zitel uns leider nicht befannt ik, kurz
zufammengeftellt, was für die niederen Thiere als zuverläffig zu betrach⸗
ten fei. Möchte er darin von Zeit zu Zeit fortfahren, aber dafür fors
gen, daß feine Arbeiten zugänglicher werden. Wir verdanken feiner
Freundlichkeit einen befondern Abdrud feiner Arbeit.
19. Skizzen aus der niedern Lebenswelt des Waffers, von Au-
uf ÖRenzel. gr. 4. (23 S. mit 1 lithographirten Tafel Abbildungen.)
Birig beim Verfafſſer. 1857. Preis mit 5 Dagl gehörigen Präparaten in
tut 1 Ihr. 6 Sgr., mit 6 Präparaten 1 Thlr. 11 Sgr.
In diefen „Skizzen“ behandelt der Verfaſſer die Wurzelfüßer (Rhi-
zopoda), nfuflonsthierhen (Infusoria), Kieſelſtäbchen (Baecillariac)
und Waflerfhwämme (Spongiae), alſo lauter Gegenflände, über die es
in weiteren Kreifen, auch in der Lehrermwelt, noch an richtiger Erfennts
niß fehlt. Die Darftellung if populär, felb der etwas reiferen Ju⸗
gend verfändlih, und Tiefert uns abermals einen Beweis von den ums
faffenden naturwiffenfchaftlihen Kenntniffen des Verfaffere. Nach feinen
und anderer Raturforfher Anfichten müffen die Waflerfhwäume, zu
denen befanntlih auch unfere zum Abwifchen benupten Zafelfhwämme
gehören, dem Thierreiche beigezählt werden.
Die beigegebenen Präparate dienen als Belege zu der fchriftlichen,
ſchon dur recht gute Abbildungen erläuterten Belehrung. Sie And
eben fo fauber als inftructiv. Eins dieſer Präparate enthält Infufos
vien, und hiermit hat der Herausgeber bewiefen, was man bei natür«
aturkunde. 333
Uchem Geſchick, Uebung und Uusdauer zu leiſten vermag. Denn bie
jegt war es wohl noch Riemandem gelungen, weiche Infuſorien zu läns
gerem Gebraudy zu präpariren. Schon diefes Umſtandes halber verdie-
nen die dargebotenen Präparate die größte Beachtung. Sie enthalten:
Polythalmien aus den Tegeln des Tertiärbedens von Brünn.
Meteor» oder Himmelspapier aus Litthauen.
Bacillarien aus dem Bergmehl von Wildſtein bei Franzensbad.
heile von Bafferfhwämmen, nämlich ein Städ Nepgerüf mit
eingebetteten Nadeln vom Capo das Agulhas, und Stnöspchen
(Gemmulae) und Schwammnadeln (Spienla) von Florida, 2
Bräparate.
Ophrydium versatile, grünes Gallertglödchen (Infuforium). Dies
Präparat fehlt, wenn man nur 5 derfelben verlangt.
8. Botanik.
20. Mitroftopifhe Pflanzenbilder in fehr flarker Vergrößerung zum
Gebrauche bei dem linterrichte in der Botanik, nebft einem Grundriß der
Anatomie und Phnflologie der Pflanzen zur Erläuterung der Abbildungen
von W. Breidenftein. 42 Tafeln mit 75 Figuren, davon 16 in Far⸗
bendrud. gr. 4. (I uw. 15 ©. mit chromolith. Zitel). Darmfladt, J.
PH. Diehl. 1856. 2 Thlr. 12 Gar.
Was meine „Hauptformen der Außern Pflanzenorgane
in ſtark vergrößerten Abbildungen‘ (Leipzig, Barth) für den
erſten botanifhen Unterricht fein follen, nämlih ein Mittel, gehabte
Anſchauungen harakteriftifher Pflanzentheile oft zu wiederholen, das
ſollen diefe „Mikroſkopiſchen PBflanzenbilder‘ dem fpäteren
Unterricht gewähren; man fann daher beide Werke als zufammengehds
rig, fich gegenfeitig ergänzend, betrachten. In der That war ed meine
Abfiht, einmal Abbildungen, wie die vorliegenden, herauszugeben, und
aur Beitmangel if die Urfache davon geweſen, daß es nicht bereits ges
heben. Ich freue mich, verfihern zu können, bag mein Plan dur
diefe Arbeit vollkommen realifirt worden if. Der Berfaffer hat ein für
den Unterricht fehr brauchbares Werk geliefert. Alle Hauptformen bes
innern Pflanzenbaues, von der einfachen Belle an bis zu der merk
würdigen Befruchtung der Samenknospe bin, find durch fchöne, große,
zum Theil vortrefflich colorirte Abbildungen dargeftellt.
Der richtige Gebrauch des Werkes wird darin beflehen, daB man
die einzelnen Zafeln in dem Schulzimmer aufhängt und Wochen lang
der Denupung übergiebt, nahdem die Schüler den dargeftelle
ten Gegenftand dur ein gutes Milroffop in natura ge»
fehen haben; der falfhe dagegen darin, daB man fih auf das
Borzeigen und Befprechen diefer Blätter beſchränkt.
Der Text dient nicht bloß zur Erläuterung der Abbildungen, fons
dern enthält eine gedrängte, recht brauchbare Anatomie und Phyflologie
der Pflanzen, empfehlenswerth zur Einführung in biefen intereffanten
Gegenſtand.
334 Naturkunde.
Die Austattung des Werkes iſt ausgezeichnet. Wir empfehlen baffelbe
allen höheren Anfalten, desgleichen den Oberflaffen guter Bürgerfchulen.
21. Shwammfunde. Dritte Gruppe von zehn der eßbarften Schwämme,
in zwanzig nad der Ratur entworfenen und colorirten Modellen nebft Ber
ſchreibung von Dr. Büchner, Prof. am Herzogl. Gymnaſium zu Hild⸗
burghaufen. Zweite Auflage. Hildburghaufen, im Selbfiverlag des Ver⸗
faflers, und Berlin, bei Theob. Grieben. 1856. In elegantem Bappfaften
3 Thlr., in Holzfaften 12 Grofchen billiger.
Die erfie und zweite Sammlung haben wir im vorigen Sahress
berichte angezeigt und als ein ausgezeichnetes Unterrichtsmittel empfohlen.
Das Werk hat eine überaus günftige Aufnahme gefunden und ift bereits
in viele Schulen übergegangen, worüber man fih nur freuen kann.
Die uns vorliegende dritte Gruppe enthält folgende Schwämme:
Maifhwamm (Ag. Pomonze); Goldſchwämmchen (Ag. puniceus); Pas
rafolfhwamm (Ag. procerus); Stoppelfhwanmm (Hydnum repandum);
Habichtsſchwamm (Hydnum imbriratum); Kapuzinerpil (Bol. scaber) ;
Sallimafy (Ag. melleus); Morchel (Morchella esculenta); Speiſe⸗
morchel (Helvella eseulenta); Trüffel (Tuber album),
Wir können verfihern, daß die Modelle dieſer dritten Gruppe deren
der beiden vorigen in feiner Weife nachſtehen, diefelben eher Hbertreffen.
Der Text enthält ausführliche Befchreibungen diefer zehn Schwämme.
22. Die Pflanzenwelt. Führer durch das Reich der blühenden Gewächfe
(Pbanerogamen). Herausgegeben und mit einem SHerbarium in Berbin=
dung gebracht von Herm. Wagner. Grfte Lieferung. Mit einer chro⸗
molith. Begetationsanfiht. 8. (64 S.) Bielefeld, U. Helmid. 1856.
Text: 7'/a Sor., Herbarium: 15 Ser.
Was der Berfaffer auf diefem Gebiete zu feiften vermag, hat er
durch feinen „Fuͤhrer in's Reich der Kryptogamen““ und durch die Ber
arbeitung der „„Sräfer und Halbgräfer‘‘, über die wir im vorigen Jah⸗
resberichte uns empfehlend ausgefpruchen, bereits hinreichend bewiefen.
Die fehr günftige Aufnahme feiner Unternehmungen hat ihn veranlaßt,
in ähnlicher Weife die Phanerogamen zu bearbeiten. Der Zweck diefer
neuen Arbeit ift: 1. Den Bau der wichtigften Pflanzenfamilien an ein»
zelnen im Herbarium beifolgenden Arten anfchaulih zu machen; 2. einen
Deberblid der zu einer Familie gehörigen Glieder, fowie deren geogras
phifche Berbreitung daran zu ſchließen; 3. die nöthigen Mittbeilungen
über Die technifhe und medizinifche Benutzung zu machen und 4. phy⸗
fiologifche,, anatomiſche, gefchichtliche 2c. Bemerkungen hinzuzufügen, wo
fi) deren bieten. Diefe Zwede erfüllt das Werk, fo weit eine Liefe-
rung eine Beurtheilung zuläßt, vollfommen. Wer das Dargebotene
mit Benutzung des Herbariums fleißig fudirt, wird ſichtliche Fortſchritte
in der Botanif machen und fiher bald im Stande fein, mittel einer
geeigneten Flora das Selbfibeftimmen unbelannter Gewächſe vornehmen
zu koͤnnen.
Die erfte Lieferung des Herbariums enthält 25 Pflanzen, auf weis
Sem Schreibpapier mit grünen GStreifchen befeftigt und mit gedrudten
Namen verfehen. Alle find tadellos gepreßt und präſentiren fih in
ihren natürlichen Farben wie fchöne Gemälde.
Raturkunde. 338
Möchten doch alle Lehrer, die ih noch ſchwach in der Botanik
fühlen, dieſe ausgezeichnete Gelegenheit zur Vermehrung ihrer Kennt
nife recht eifrig benugen! Auch der Jugend, Knaben wie Mädchen,
fanı das Werk beftens empfohlen werden.
9. Die vier Jahreszeiten. Bon E& U. Noßmöfler. Mit einer Des
ationdanfiht und 95 in den Text gebrudten Zuftrationen iu Holz⸗
chnitt und IypensRaturfelbidrud non Ed. Kregfhmar. Volltaus⸗
gabe. gr. 8. (XVI u, 285 ©.) Gotha, Hugo Scheube. 1856. 1 Thlr.
Es war ein guter Gedanke von der Berlagshandlung, von diefem
in einer Prachtausgabe vorhandenen Werke auch eine billige Volksaus⸗
gabe zu veranſtalten; dadurch iſt daffelbe den Volksſchullehrern, denen
biefe Ausgabe ohnehin gewidmet if, zugänglih geworden. Und daß
biefe diefelbe vwerwertben werden, wie der Verfaſſer bofit, darauf kann
er rechnen. Mebrigens darf bei dem Worte „‚Bollsausgabe” Niemand
an eine Löfchpapierene deuten; das Werk hat fehr Ichönes Papier und
eben fo trefflichen Drud wie die Pracdtausgabe, die nur mit mehr Bes
getationsanſichten geziert ifl.
Bie der Titel erwarten läßt, bietet das Werl eine Reihe von
Schilderungen dar, zu denen der Jahreswechſel Anlaß giebt. Die Schile
derungen find lebendig, naturgetreu, nicht in bem überfchwenglichen Tone
unferes äſthetiſirenden Naturpfufcher, aber dennoch äfthetiiche Kunſtpro⸗
ducte. Hat der Berfaffer den Lefer im Allgemeinen orientirt, dann
lenkt er den Blick auf das Einzelne, auf das, was der Boden unmitr
telbar darbietet. Es find vorzugsweife die Pflanzen, welche fpecieller
beachtet werden. Der Berfaffer befchreibt diefelben nicht fchulgemäß,
jondern hebt in furzen Zügen das bervor, was ihnen befonders eigen»
thümlich iR, oder vorzugsweife erfreut. Bon der Species wird der
Leſer allmaͤhlich zur Gattung und zu den befannteren Zamilien geführt.
Um aber auch vom Unfundigen immer verkanden zu werden, bietet der
Berfaffer überall die dazu erforderlihen Hülfen durch die Kunſt dar:
vortreffliche Abbildungen, theild won ganzen Pflanzen, theild von einzel⸗
uen charafterikifchen Theilen derjelben. Hier und da find auf einem
einzigen Blatte durch 20 — 80 Beichnungen ganze Familien verfinnlicht
und in ihren Gattungen -unterfchieden. Wer das Büchlein ein Jahr
long fleißig lief, am beſten an foldhen Plägen, wie der Berfaffer fie
Wildert, wird einen reichlihen Gewinn für Botanik davon haben und
viele frohe, recht innig frohe Stunden genießen. Wir geben zum Schluß
noch den Inhalt kurz an:
1. Der Wechſel der Jahreszeiten.
H. Der Frühling 1. Durch Buſch und Heden. 2. Feld und
Wieſe. 3. Ein Maitag. A. Das Heer der Bräfer.
1. Der Sommer. 1. Der Sumpf. 2. Sonntagsvartie. 3. Moos»
bruch und Haideland. A. Auf bebautem Boden. '
IV. Der Herbſt. 1. Blide in. die Ferne. 2. Der herbſtliche Wald.
3. Letzter Herbfigang. |
V. Der Winter. 1. Wintergefellfhaften. 2. Die Weihnachtszeit
und das Neujahrsfefl. 3. Winterlandfchaften.
336 Naturkunde.
ührer in die Pflanzenwelt. Ifebu Aufn
2 —A der in — wild adlenben —* —Xã
Poſtel, Cantor und Lehrer in Parchwitz. Mit zahlreichen in den Text
—* Abbildungen. gar. 8. 1. Heft. (119 ©.) Langenſalza, Schule
uchhandlung. 1856. 15 Ser.
Die Idee zu diefem Werke darf eine glüdliche genannt werden.
Der Berfaffer beabfihtigt, angehende Botaniker auf eine leichte und
fihere Art mit den verbreitetfien Pflanzen Deutichlande bekannt zu
machen. Zu diefem Zwede hat er das Material in „Exeurfionen‘ vers
theilt, die in den Wald, auf Aeder und Brachen, Graspläge, Weges
und Straßenränder, Zäune, Gaſſen, Schutt, an und in das Waſſer
führen. Das vorliegende Heft, dem noch vier folgen follen, enthält
fünf derartige Frühjahrs⸗Exrcurſionen. Die in denfelben beichriebenen
„nd ganz oder theilweife abgebildeten Pflanzen foll der Anfänger an
den bezeichneten Orten auffuchen und dann nah dem Buche fludiren.
Als Hülfen dafür werden ihm in jeder „Excurſton“ eine tabellarifche
Ueberficht und ausführliche Beſchreibungen der Pflanzen dargeboten, letz⸗
tere erläutert durch zablreihe Abbildungen. Terminologie und Syſte⸗
matif werden gelegentlich hinzugefügt, fo daß der Anfänger ſich diefels
ben ohne Befchwerde aneignet.
Bir halten diefen Weg für das Selbſtſtudium ganz geeignet und
glauben, daß das Werk auch von firebfamen Knaben mit Nupen für
diefen Zweck wird gebraucht werden Tönnen, von Lehrern, die in ber
Botanik noch zuräd find, unbedingt.
Die Abbildungen find gut, Hier und da ein wenig ſteif. Die
Ausftattung iſt ganz befriedigend. Wir fehen der Fortfegung des Wer⸗
es mit Dergnügen entgegen.
25. Botanifhe Unterbaltungen zum Werfländniß der heimathlichen
lora. Bon B. Auerswald und ©. U. Mofmäßler. gr. 8. (In 6
ieferungen). Leipzig, Mendelöfohn. 1856. & A Thlr.
Bon bdiefem Werke haben wir nur eine Lieferung geſehen, und
diefe Liegt uns jetzt nicht wor. Zweck deffelben if, an allgemein bes
Tannten Pflanzen die Elemente der Botanik zu entwideln, ungefähr in
der Weife, wie es in meinem erfen Curſus der Pflanzenkunde geſchieht.
Es find dazu 48 Pflanzen gewählt, nad der Blüthezeit geordnet und
\ vortrefflih in Holzſchnitt dargeftellt worden. Wir dürfen das Werl als
ein brauchbares bezeichnen.
26. Die Pflangenlunde in Berbindung mit der Aufſatzlehre.
Bir Elementarfäulen bearbeitet von Seine. Hubert Mönd. 8. (72 ©.)
oblenz, R. F. Hergt. 1856. 5 Ser.
‚ Schon oben haben wir uns beifimmend über den Borfchlag des
Berfaflers, die Pflanzen ale Material zu Stylübungen zu benupen .und
auf diefe Weiſe die Pflanzenfunde in die Elementarſchule zu bringen,
ausgefprohen. Um die Ausführung diefes Gedankens zu erleichtern,
bietet bderfelbe den Lehrern in dem genannten Büchlein Befchreibungen
Naturkunde. 337
son 145 einheimiſchen und 7 ausländiſchen Pflanzen dar. Bir glau⸗
ben nit, daß es diefer Befchreibungen zur Ausführung des ohnehin
nicht neuen Gedankens bedurft hätte, da wohl jeder Kehrer eine Schrift
über Pflanzen befigt; wo dies indeß wider Erwarten nicht der Fall
fein follte, da möge man ſich des billigen Schriftchens bedienen. Der
Swliſtik würde es übrigens fehr förderlich geweien fein, wenn der Bers
faffer die Befchreibungen felber etwas fauberer ausgeführt und fich dabei
verfchiedener Darftellungsformen bedient hätte; wenigſtens wäre dadurch
Das Erfcheinen des Büchleins einigermaßen gerechtfertigt geweſen.
27. 8. F. Cũrie's Anleitung, die im mittleren und nördlichen Deutſch⸗
land wild wachfenden und angebauten Pflanzen auf eine leichte und ſichere
Weife durch eigene Unterfuchung zu beftinmen. Ganz neu bearbeitet von
Auguſt Lüben, Rector der Bürgerfhulen zu Merfeburg. Reunte Auf⸗
lage. 8. (VIII u. 464 ©.) Kittlig in der Oberlaufig, C. G. Zobel.
1856. 1 Thlr.
Cüries Anleitung” ift zu befannt, als daß es nöthig wäre, bie
Einrichtung derfelben bier noch darzulegen; nur was ich für die neunte
Auflage diefes Buches gethan babe, erlaube ich mir, kurz mit einem
Theile der DBorrede anzudeuten.
„Der allergrößte Theil des Werkes ift ganz neu gearbeitet worden,
und was aus der vorigen Arbeit in die neue Überging, hat vielfadhe
Beränderungen erfahren. Der Inhalt der „Einleitung‘ fand mit dem
Refultaten der Forſchungen Schleiden’, v. Mohl's, Unger’s, Schacht's
u. A. an vielen Stellen vollſtändig in Widerfpruch, weshalb ich dies
ſelbe fallen ließ und dafür die „Vorbereitung zum Pflanzenbeſtimmen“
ſchrieb. Neben der unentbehrlihen Terminologie if. darin fo viel aus
der allgemeinen Pflanzentunde, namentlich aus der Morphologie enthals
ten, als erforderlich erfchien zur richtigen Auffaffung des Pflanzenbaues.
Ebenfo ift die erfte, zur Beflimmung der Gattungen dienende „Tabelle
ganz neu gearbeitet worden, und zwar mit Zugrunblegung des Linne’
fhen Syſtems, das für diefen Zwed nad dem Urtheil aller Sachver⸗
Rändigen unübertroffen daſteht. In der II. Abtheilung find die Pflanzen
nach dem natürlihen De Candolle'ſchen Syſtem aufgeführt worden, was
eine vollſtändige Umgeftaltung der bisherigen Anordnung nöthig machte.
Zür den Anfänger erwächft daraus der große Vortheil, daß er ganz
gelegentlich mit einer anerfannt guten natürlichen Unordnung bekannt
wird. Die Tabellen zur Beflimmung der Arten find dem größten Theile
nad neu gearbeitet und zwar mit Beachtung folcher Merkmale, welche
namentlih in den artenreihen Gattungen eine natürliche Gruppirung
gewähren, fomit zu einer allgemeineren Kenntniß diefer wichtigen Glies
derung des ganzen Reiches führen. Zur Charakterifirung find überall
jo viel Merkmale aufgenommen, daß der Anfänger nirgends ungewiß
über eine Art bleibt, daher nicht nöthig hat, noch in andern Schriften
nacdhzulefen. Während Cürie fih namentlich bei Gattungen mit einer
Art meiftens auf Angabe des bloßen Namens beichräntte, babe ich volls
Kändige Diagnofen gegeben. Auch in der leider nicht mehr zu entbeh⸗
Nade, Jahresbericht. X. 22
— — — 0 ——
338 Naturkunde,
—5 Synonomy iſt weit mehr geſchehen, als in den vorhergehenden
uflagen.
„Der urſprüngliche Umfang des Gebietes iſt nicht erweitert wor⸗
den; was ſich aber innerhalb deſſelben an wild wachſenden, verwilderten
oder haͤufiger angebauten Phanerogamen und kryptogamiſchen Gefäßpflanzen
findet, iſt ohne alle Ausnahme aufgenommen worden, und zwar einmal,
um dem angehenden Botaniker ein Buch zu bieten, was für feinen Zweck
Überall ausreicht; dann aber auch, um ihm ein für allemal bei verfehlten
Unterfuhungen die Ausrede abzufchneiden: „„Dieſe Pflanze ſteht wahre
Theinlich nicht in meinem Buche.‘ Ich bin feft überzeugt, daß diefe
Bollfändigkeit Des Werkes viel zur Erzielung von richtigen Beſtimmun⸗
gen beitragen wird. Die bisherige Zahl der Gattungen ift durch dieſe
Bervollſtaͤndigung um 70, die der Arten um 317 vermehrt worden.’
„Ohne meine Arbeit irgendwie zu überſchätzen, glaube ich Doch,
daß fie geeignet ift, den Anfänger fiherer zu führen, als die früheren
Auflagen des Buches es im Stande waren. Getroſt darf ich daber
baffelbe Allen zum Gebrauch empfehlen, welche die Abficht haben, fid
durch eigene Beobachtung und Unterfuchung mit den lieblichen Kindern
Flora's befannt zu machen, namentlid auch den Böglingen der Lehrers
Seminare, von denen in richtiger Würdigung des Gegenfandes in Preus
Ben nach den „„Regulativen‘’ die Fähigkeit gefordert wird, mit Zuhülfe⸗
nahme eines geeigneten Leitfadens die bedeutendften wild wachfenden
Pflanzen felbft befiimmen zu Lönnen.’
Die Ausfattung des Werkes ift bedeutend ſchoöner, als in den
früheren Auflagen, und der Preis dabei um 5 Sgr. niedriger.
28. Flora von Nord» und Mitteldeutfhland, mit befonderer Bes
rüdfihtigung der beiden Großherzogthümer Medienburg; für Schulen und
zum Gelbflunterriägt analytifch bearbeitet von J. F. Kangmann, Lehrer
an der Mealfchule zu Neuſttelitz. Zweite, verbefierte und ſtark vermehrte
yuflage. 8. (XVI, 144 u, 463 ©.) Neufteelig, ©. Barnewig und bei
dem Berfaffer. 1856. 1a Thlr.
Diefe Flora hat im Ganzen, aud) was die Syflematif betrifft, bie
Einrichtung meines eben befprochenen Gürie, obwohl wir Beide ganz
unabhängig gearbeitet Haben; denn beide Werke verließen faſt zu berjels
ben Zeit die Prefie. In einem Anhange behandelt der Berfafler noch
die Bellenpflangen, jedoch fo allgemein, daß für das Beflimmen daraus
fein Nutzen erwachfen kann. Ebenfo führt er, nach natürliden Fami⸗
lien geordnet, die wichtigften und merfwürdigften ausländifchen Pflanzen
auf. Dan erfieht Hieraus, daß der Berfaffer vorzugsweife feine Schule
im Auge hatte, für diefe ein anderes Buch über Botanik entbehrlich
machen wollte. Es 1äßt ſich dagegen nichts einwenden; aber für andere
Gebraucher wird das Buch durch diefen Anhang als Ereurfionsbucd
etwas unbequemer, d. h. es befchwert die Tafche mehr, als wunſchens⸗
werth ift. Abgeſehen hiervon, darf das Buch aber ald ein brauchbares
bezeichnet werden.
29. Flora der Mittelmart, mit befonderer Verüdfiätigung der Umge⸗
gend von Berlin und Potsdam. Bon Dr. E. Baumgardt, Diredor der
Raturkunde. 339
Realſchule zu Potadam. Nebft einer Karte des Gebiets. gr. 16. CXX
u. 240 S.) Berlin, &. Reimer, 1856. geb. "es Thlr.
Dem Haupttheile des Buches geht eine Befchreibung der natürs
lichen Befchaffenheit des Gebietes und der Pflanzenorgane voraus; erflere
iR zu lang durch Aufnahme von MNebenfächlihem, letztere zu kurz.
Zür die Beftimmung der Gattungen iſt das Linne’fhe Syflem zu Grunde
gelegt, für die der Arten das Bartlings Bifhofffche. Größere Klaſſen
und Gattungen find in Unterabtheilungen zerlegt, jedoch ohne Anwen»
dung des analytifchen Berfahrens, die Arten und Gattungen in gewöhns
liher Weife diagnofirt. Die Fundorte find bei den felteneren Arten
angegeben, in der Negel aber fo allgemein, daß fie für den Suchenden
nicht viel Werth haben. Es fcheint fat, als wenn dem Berfaffer das
Gebiet ſelbſt noch nicht aus eigener Anfchauung befannt wäre. Oxy-
tropis pilosa wird bei Potsdam mit Fragezeichen dufgerührt; Veronica
peregrina L., das nad Garde „bei Potsdam an der Landesbaumfchule‘
vorkommt, fehlt ganz.
Zum Gebraud für die Schüler des DBerfaffers wird das Büdplein
ih wohl empfehlen, für weitere Kreife aber ſchwerlich. Dielleicht wäre
auh Schülern eine Flora von Rords und Mitteldeutfhland, wie der
Garde oder Cürie, zuträglicer.
30. Klora der Provinz Weſtphalen. Ein Taſchenbuch zu botanifchen
Excurfionen für Schulen und zum Selbftunterriät, bearbeitet von Prof.
Dr. * Sri. 12. (LVIII u. 287 S.) Münfter, Afchaffendorf. 1856,
ned. 3% Thlr.
Das Bert umfaßt die Phanerogamen und Gefäßfryptogamen des
bezeichneten Gebiete. An der Spipe deſſelben fleht eine alphabetiſch ge»
ordnete „Erklärung der in der Flora angewandten Kunftausdrüde‘‘, die
ſehr knapp gehalten if, faſt froftig ausfiebt. Dann folgt: A. Ueberfidt
der Klaſſen Linnes. B. Schlüſſel zu den Gattungen. C. Schlüſſel zu
den natürlichen Bamilien. Hierauf fommt nun mit newer Seitenzahl
der Haupttheil des Buches, die Charakteriftit der Arten, geordnet nad
dem De Gandollefhen Syſtem. In der Abtheilung B. if das Liane’
ide Syſtem zu Grunde gelegt; der Berfafler charakterifirt darin aber
nur die einzeln flehenden Gattungen; die, welche innerhalb der Linné'⸗
ſchen Klaſſe eine“ natürliche Familie bilden, werden erfi im Haupttheile
des Buches unterfhhieden, ein Berfahren, deffen Zwedmäßigkeit wir nicht
zu erfennen vermögen. Uebrigens ermweifen fih die Diagnofen als aus
teichend zum Beſtimmen.
Als Schulbuch dürfte das Werfchen für die Provinz Weſtphalen
brauchbar fein; indeß müflen wir auch hier, wie bei der vorigen
Schrift, hinzufügen, daB wir es für angemeflener halten, Schülern eine
Zlora in die Hand zu geben, die ein weiteres Gebiet umfaßt, damit fie
nicht bei jeder Grenzüberfchreitung in Berlegenheit kommen.
31. Klora des Sroßherzogtbums Baden, bearbeitet von Prof. I.
5. DON in Garlörube, Öxfer Band. 8. (VI u. 482 &.) Garlöruße,
©. Braun. 1857. 2 Ihle,
Im vorigen Sahrgange haben wir die erfte Lieferung dieſes Wer⸗
kes, die Gefaͤßkryptogamen, angezeigt und freuen ung, nun melden zu
22 *
340 Naturkunde.
koͤnnen, daß bereits der ganze erſte Band deſſelben vollendet iſt. Er
umfaßt außer jenen Kryptogamen die Coniferen und die Monokoty⸗
ledoneen; ein zweiter, etwas flärferer Band wird die Dikotyledoneen bringen.
Wie wir ſchon bei der Anzeige der Gefäßfryptogamen bemerkten,
haben wir e8 hier nicht mit einem Schulbuhe zu thun, fondern mit
einer wiflenfchaftlichen Arbeit, und zwar mit einer foldhen, die nicht
bloß für die Botaniker Badens, fondern für jeden Botaniker, der fidh
vervollfommnen will, entjchiedenen Werth bat. Der Berfaffer hat feit
einer langen Reihe von Jahren namentlich umfaffende morphologifche
Forſchungen angeftellt und hier in diefer Flora an paflender Stelle
niedergelegt. Nicht eine Zamilie ift dargeftellt, ohne nach diefer Bes
ziehung in’s Auge gefaßt worden zu fein; was man vielleicht längſt
feld vereinzelt wahrgenommen, fih aber nicht zu deuten gewußt, das
wird einem bier fofort Far.
Die höheren foftematifchen Gruppen Hat der Verfaffer überall aus⸗
führlih charakterifirt, die Arten mit Diagnofen von angemeffener Länge
verfeben, wo es nöthig war, ausführlicher befchrieben. Die Synonomy
bat die gebührende Berüdfichtigung. gefunden und ift überall aus den
Quellen gefchöpft worden. Eben fo find die vorhandenen Abbildungen
eitirt. Die Angabe der Standörter iſt ganz genau.
Wir empfehlen das Werk nochmals beftens.
32, Flora von Halle, mit näherer Berüdfihtigung der lmgegend von
eißenfels, Naumburg, Freiburg, Bibra, Nebra, Ouerfurtd. Allſtedt,
Artern, Eisleben, Hettſtedt, Sandersleben. Aſchersleben, Staßfurth, Bern⸗
burg, Köthen, Deſſau, Oranienbaum, Bitterfeld und Delitzſch, von
Dr. Auguft Garde. Zweiter Theil. Kryptogamen mit einem Nach⸗
trage zu den Phanerogamen. 8. (VII u. 2766.) Berlin, K. Wiegandt.
1856. 2 Thlr.
Der erſte Theil diefes Werkes bildet eine fehr ſchaͤtzbare Anleitung
zum Beftimmen der Phanerogamen des auf dem Titel genannten Ges
bietes; der vorliegende zweite enthält eine foftematifche Aufzählung aller
Sattungen und Arten der Kryptogamen diefer Gegend, verbunden mit
Hinzufügung der nöthigen Synonyme und genauen Angaben der Fund⸗
orte. Diefer Theil gewährt fomit dem Anfänger nicht die Hülfe, welche
der erfle bietet; aber nüßlich wird er ihm deBungeadhtet bei feinem Stus
dium der Kryptogamen werden, da er den Kreis der Arten, mit deren
Beftimmung der Anfänger diefes Gebietes es zu thun hat, fehr heilfam
beſchraͤnkt und dadurch das Auffinden wefentlich erleichtert. Einen höhern
Werth erhält das Verzeichniß durch den Nachweis des Vorkommens und
der Verbreitung einer großen Anzahl früher nicht vermutheter krypto⸗
gamifcher Gewähfe im Gebiete für die Pflanzengeographie, was von
‚ Seiten der Wiffenfchaft dankbar anerfannt werden wird.
Im Intereffe der immer zahlreicher werdenden Freunde der krypto⸗
gamifchen Gewächſe wünfchten wir, daß der Verfaſſer ſich entfchlöffe,
eine zum Beftimmen ausreichende Kryptogamenflora Nord» und Mittels
deutfchlands zu fehreiben, ein Seitenftüd zu feiner fo brauchbaren Pha⸗
nerogamenflora diefes Gebiets; er befigt dazu neben ber Befähigung Die
nöthige Muße.
Naturkunde. 341
3. Analytiiher Pflanzenfhlüffel zur leichten Auffindung und Bes
fimmung aller Geſchlechter (Genera) der In Deutfhlands Flora vorkom⸗
menden Pflanzen von Dr. 3. R. Linke. Aus defien großem Werke:
„Deutfhlands Flora in ausführliden Beſchreibungen“ befonders abges
drudt. gr. 8. (VIu. 74 S.) Leipzig, C. B. Polet. 1856, geb. Y/a Thir.
Die Gattungen find nad dem Linné'ſchen Syflem aufgeführt, inner
halb der Klaſſen und Ordnungen überfichtlich gruppirt und mit Diagnofen
von mittlerer Länge verfehen. Am Schluß der Diagnofe iſt noch an⸗
gegeben, zu welcher Familie die Gattung gehört.
Bir halten diefe Arbeit für ganz brauchbar, glauben aber doch,
daß fie nur für die Befiper der auf dem Titel genannten, uns nicht
befannten Flora einigen Werth hat; denn wer Pflanzen kennen lernen
will, muß ja ein Werk haben, in dem außer den Gattungen auch die
Arten charakterifirt find.
4. Mineralogie.
34, ShulsNaturgefhiähte Cine analytiſche Darftelung der drei Natur⸗
reihe, zum Selbfibeftimmen der Naturlörper. Mit vorzüglicher Berüds
fihtigung der nützlichen und ſchädlichen Naturkörper Deutichlands für
höhere Zehranftalten und zum Selbftunterrichte bearbeitet von Dr. Joh.
Leunid, Profefjor in Hildesheim. Dritter Theil. Oryktognoſie und
Geognofie. Zweite, fehr verbefierte und mit der etymologifchen Erliäs
rung der Namen vermehrte Auflage. Dit 431 in den Text eingedrudten
Abbildungen. gr. 8. (XX u. 324 S.) Hannover, Hahn. 1856. 271/2 Ser.
Die erfte Auflage diefes Werkes haben wir bereits im 7. Bande
des Jahresberichtes ausführlich beſprochen und als empfehlenswerth für
die Oberflaffen höherer Schulanflalten und zum Selbftunterricht bes
zeichnet. Letzteres kann von dieſer neuen Auflage noch in erhöhterem
Grabe gefagt werden, da fie beinahe um 100 Seiten flärker if. Um
Raum zu erfparen, ift das, was über die Benußung gefagt wird, mit
Meiner Berlfchrift gedrudt, was wir bedauern; denn wer vermag ders
gleichen Schrift ohne Befchwerde zu leſen. Wir nehmen daher für uns
fern Gebrauch Tieber die alte Auflage zur Hand. Sonft haben wir
aber an dem Werke gar nichts auszufegen.
b. Für Schüler.
35. Leitfaden zu einem bildenden Unterricht in der Raturs
efhichte zunächſt für Säuttehrtinge und Schulfeminariften von Ephr:
rünewald, Präfelt am königl. Schullehrerfeminar zu Kaiferdlautern.
Bierte, ſtark vermehrte und verbefierte Auflage. 8. (VII u, 37% ©.)
Katferdlautern, 3. 3. Zafcher. 1856. geb. S/s Thlr.
Die 3. Auflage diefes Werkes erihien 1848 und ift im 5. Bande
des AJahresberichtes von uns angezeigt worden. Was wir an. derjelben
permißten, bat der Berfaffer in diefer neuen zu geben verfucht. Die
Stufen find jept treffender jo bezeichnet:
1. Reiche und Klaſſen.
11. Klaffen und Ordnungen.
1). Ordnungen und Familien.
J
342 Naturkunde.
Ratürtih Handelt es ſich auf der erſten und zweiten Stufe nicht
ausfhließlih um das, was die Weberfchriften fagen; es wird vielmehr
zugleih ein tüchtiges Stüd aus der fpeciellen Naturgeſchichte dargeboten,
ja man kann dies Specielle als die Hauptfache betrachten, aus dem
jene höheren Begriffe nur refultiren.
As einen nicht ganz unerheblihen Mangel des Buches müſſen
wir hervorheben, daß der Berfaffer nirgends den Gattungs»(Genus-)
Begriff zur Geltung bringt; überall ift es nur die Art (species), welche
in Betracht fommt, und immer ohne Rüdfiht auf die Gattung. Hier
und da findet man die Arten einer Gattung fogar getrennt durch fremd»
artige Einfhiebungen. So beginnt das Thierreich auf der zweiten Stufe
unter Nummer 1 mit der Hauskatze, und unter Rummer 4 if vom
Löwen die Rede, der doch mit jener zu einer Gattung gehört. Unter
Nr. 3 wird der Buchs charakterifirt, dabei aber mit feinem Worte des
Hundes, der ja auch ein Gattungsverwandter ift und auf der erften
Stufe beiprochen wird, gedacht. Derfelbe Mangel zeigt fih an andern
Stellen; Seite 63 wird der Sperling fogar als zur Gattung Pyrrhula
gehörig aufgeführt und glei darauf der Stieglitz unter Fringilla, wos
zu der Sperling belanntlih auch gehört. Wir würden dieſen Mangel
ſchon an einem Buche für Kinder tadeln, müffen es darum um fo
mehr an einem für Seminariften. Sein Seminarift lernt ja eine Pflanze
befimmen, wenn ihm der Gattungsbegriff nicht vollfommen flar ges
worden if.
Uebrigens verfennen wir fon nicht, daß das Buch in der neuen
Auflage ‚gewonnen hat und fi mehr zum Unterricht eignet, als vorher.
36, Lehrbuch der Naturgefhichte für Schulen und zum Selbſtunter⸗
tigt von Dr. &. 9. v. Schubert. Achtzehnte, vermehrte und verbefierte
Auflage. 8. (X u. 501 ©.) Frankfurt a. M. und Erlangen, Heyder u.
Zimmer. 1856. 1%/ Sgr.
Der wirkliche Werth dieſes Buches befieht, wie wir fchon früher
wiederholt ausgeiprochen haben, in dem kindlichsfrommen Zone und dem
nicht felten glüdlichen Symbolifiren der Naturföryer; nad diefer Rich⸗
tung hin fann es als gelungen bezeichnet werden, während es dagegen
in wiflenihaftliher Beziehung von Haufe aus verfehlt und auch in dieſer
neueften Auflage unendlich weit hinter dem gegenwärtigen Standpunfte
der Raturgefchichte zurüd geblieben iſt, ungeachtet zwei Bollegen des
Verfaſſers, die Profefforen A. Wagner und Joh. Roth, den zoologifhen
Theil durchgefehen haben. Ein paar Proben mögen dies Urtheil
beftätigen.
Seite 137 heißt e8: „Die Gerfte (Hordeum vulgare) if ſchon
feit uralten Zeiten als Getreide benugt worden. Rimm fle in die Hand
und vergleihe fie mit dem Weizen und fage dir dann felber, wodurdh
fih die beiden unterf&heiden, denn die Stadtleute verwechſeln manchmal
beide mit einander, worüber freilich einer, der auf dem Dorfe auferzogen
it, lachen muß. Die Gelehrten unterfcheiden die Gere durch je drei
und drei feitwärts bei einander flehenden, aus zwei Bälglein zufammens
gefepten Andpfen, welche nur ein fruchtbares Bluͤthchen einſchließen.“
Raturfunde. | 244
Was hat nun der Schüler von dieſem ganzen Gerede? Geradezu
gar nichts; denn wenn er die Gerfte noch nicht kennt, hiernach Iernt ex
fie ficher nicht Sennen, auch dann noch nicht, wenn er fi) ansignet,
was „die Gelchrten‘ darüber fagen. Welcher Gelehrte gebraugt Knoͤpf⸗
hen“ für „Aehrchen?“ Hätte der Raum nicht zu einer ganz ſach⸗
gemäßen Auseinanderfegung ausgereiht? Gelb für den beabfihtigten
Scherz konnte noch ein Pläbchen gewonnen werden, wenn der Verfaſſer
ſich etwas Fürzer gefaßt hätte,
Seite 201 fagt der Berfaffer ganz treuberzig, daß man die wilden
Roſen nach der Gefalt ihrer Hagebutten eintheile, was doch bekanntlich
fein Botaniker thut, auch nicht thun Tann. Die Kennzeichen der Hecken⸗
rofe (Rosa canina) foll der Schüler fi in folgendem Reime merken:
„&ünf Brüder find’s, zu gleicher Beit geboren,
Doch zweien nur erwuch® ein voller Bart;
Zwei andern blieb die Wange umbehaart,
Dem fünften iR der Bart zur Hälft gefchoren.”
Wußte denn der DVerfaffer wirklich nit, daß man an biefen Kenn,
zeichen die Hedenroſe gar nicht von ihren naͤchſten Verwandten unter⸗
ſcheiden kann?
Seite 296 u. 297 werden die Blaſenwürmer noch als beſondere
Gattung aufgeführt, während doc, feit Jahren bekannt if, daß es uns
entwidelte Bandwürmer find.
Diefe beim Durchblättern eines unaufgefchnittenen Exemplares ohne
alle Mühe aufgefundenen Beifviele find vollkommen ausreichend, das
Buch als wiſſenſchaftlich werthlos zu bezeichnen. Wir empfehlen ber
Berlogshandlung, die nähfle Auflage von Tundiger Hand, von einem
naturwiſſenſchaftlich gebildeten Pädagogen, bearbeiten zu laſſen, von
einem Manne, der den anſprechenden Ton des Buches ſchont, aber der
Wiſſenſchaft dabei Rechnung trägt. Es 1Aßt fi Beides vereinigen,
37. Lehrbuch der Raturgefhiäte Berfaßt von 9. X. M. 3 *
Brof. der Mineralogie an der Univerfität zu Wien. gr. 8.
334 ©. mit einer Tafel Mbbildungen. Bien, Säulbücer -Beriag. Rei:
zig, E. F. Steinader. 1856. 18 Ser.
Der Berfaffer fchreitet in althergebrachter wiffenfhaftlicher Weife
vom Allgemeinen zum Befondern fort und ordnet die Naturksrper felbft
ſyſtematiſch. Das Buch eignet fi) daher nicht als Leitfaden für dem
Unterricht, fondern if nur in Oberklaſſen von Schulen mittleren Ranges:
einigermaßen zur Wiederholung brauchbar. -
Der Borrede zufolge hatte der Berfafler fih vorgenommen, übers
all die Charakteriſtik der Arten (species) von der der Gattung (genus)
getrennt zu Halten. Diefer Borfag war löblicy und Acht wiſſenſchaftlich,
iſt aber wenig vom Verfaſſer ausgeführt worden, was wir durch ein
Beifpiel beweifm wollen.
Seite 120 Heißt es: „Der Maikäfer Hat kurze fächerförmige
Zühler, fünfgliederioe Wüße, rothbraune Flügelbeden, Kopf, Bruft,
Unterleib und Füße find ſchwärzlich; an deu Seiten find Heine dreiecige
344 Naturkunde.
weiße Fleckchen und das letzte Glied deſſelben endigt in eine abwärts
gebogene Spitze.“
Bon diefen Merkmalen gehören die ‚‚fächerförmigen Fühler‘ der gane
zen großen Familie der Scarabäen an, die „‚fünfgliederigen Füße““ vielen
taufend Gattungen, das mit „abwärts gebogener Spitze“ verfehene End-
glied des Körpers kommt der ganzen Gattung Laubfäfer (Melolontha
Fabr.) zu; die übrigen Kennzeichen paflen zur Noth auf den gemeinen
Maitäfer (Melalontha vulgaris Fahr.), unterfheiden ihn jedoch noch
nicht ausreihend von Melolontha Hippocastani Fahr. ; ftatt „Füße“
follte das zweite Mat „Beine“ ftehen, flatt „ſchwärzlich“ „hell braunroth.“
Defchreibungen dieſer Art hat das Buch zu Hunderten aufzuweifen.
Da daffelbe fih auch font dur Nichts von ähnlichen auszeichnet, fo
find wir nicht im Stande, die Nothwendigkeit feines Erfcheinens eins
zufeben; den Schulen wenigftens kann ein befonderer Nugen für den
naturgeſchichtlichen Unterricht daraus nicht erwachſen.
Die angehängte Tafel enthält 25 Zeichnungen von Kryſtallformen,
auf die jedoch im Buche felbf gar feine Rüdfiht genommen if.
38, Naturgefhiähte des Pflanzenreiches. Berfaßt von Alois Po:
Porny, Lehrer der Naturgefhichte am 2. 8, alademifchen Gymnafium zu
Bien. gr. 8. (XX u. 167 S©.) Bien, Schulbücher» Berlag. Leipzig,
E. F. Steinader. 1856. 10 Sgr. i
Naturgefhihte des Thierreihes. Verfaßt von A. Pokorny.
(XU u. 212 ©.) Ebendaſ. 1856. 12 Ser.
Das Ziel des naturgefhichtlichen Unterrichts in den öfterreichifchen
Unter» Symnaflen belebt in einer „auf Anfchauung gegründeten, im
Unterfcheiden und charakteriſtiſchen Beflimmen geübten Belanntichaft
mit dem Wichtigften aus den drei Reichen.” Da es in Deflerreih an
einem Buche fehlt, was diefer officiellen Beftimmung entſpricht, fo ber
mühen fi) gegenwärtig die Pädagogen diefes Landes um die Wette,
dies Bedürfniß zu befriedigen. Wie wir eben an der Zippe'ſchen Schrift
gefehen haben, nehmen auch Unberufene, den Schulen Fernſtehende, bie
Sache in die Hand. Erfreulicherweife gehört unfer Berfafler nicht zu
dieſen. Er bat nach unferm Dafürhalten ein Buch geliefert, was jener
gefeglihen Forderung im Ganzen entſpricht.
Die Anordnung ift in beiden Zheilen fuftematifh; da aber der
Berfaffer durchweg nur Arten befchreibt und das Gemeinfame größerer
Gruppen immer nur zum Schluß einer folhen Gruppe giebt, fo kann
jeder Lehrer fih nach Belieben das Material für den Unterricht zurecht
legen. Die Auswahl darf als eine gelungene bezeichnet werden; bie
meiften Unter» Öpmnafien werden indeß noch manche Art ſtreichen müflen.
Im zoologifhen Theile find die Säugethiere und Inſecten bevorzugt
worden, was wir ganz zwedmäßig finden. Die Befchreibungen find
leicht faßlih und halten etwa die Mitte zwiichen Diagnofen und aus⸗
führlihen Darftellungen; der Verfafler bat beim Abfaſſen derfelben Die
Natur und gute Schriften zu Rathe gezogen, daher Brauchbares geliefert.
Nicht gefallen bat uns an dem Buche, daß der Berfaffer die Gat⸗
Fung als ſolche gaͤnzlich ignorirt, wohl in der Abſicht, der geieplichen
Naturkunde. | 345
Bekimmung recht buchſtaͤblich nachzufommen. Da indeß diefe ausbrüd«
ih „Webung im Unterfcheiden‘ fordert, fo lag wirklich nichts näher,
als Hierzu die Gattung zu benugen, die jeden Augenblid dazu Anlaß
giebt. Dazu fommt au noch, daß durch Gattungskenntniß das Lernen
wefentlich erleichtert wird, was wir dem kundigen Berfaffer gewiß nicht
erſt zu bemeifen brauchen; wir verweiſen ihn einfach auf ſeine Beſchrei⸗
bung des Haushundes, der Wolf und Buchs folgen; in derſelben find
neben den Artlennzeichen wirklich die Gattungskennzeichen enthalten ;
hätte der DVerfafler diefe dem Schüler zum Bewußtfein gebracht, jo war
zugleich Material für die Kenntniß des Wolfes und Fuchſes gewonnen.
39. I. Baumann’d Raturgeſchichte für Volkaſchulen. Durchgeſehen
von Dr. ®, 3.6. Curtman, SeminarsDirector zu Briedberg. Mit
120 in den Text eingedrudten Abbildungen. Vierte unveränderte Auflage.
gr. 8. (IV u. 156 ©.) Frankfurt a M., 3. D. Sauerländer, 1856.
eh 10 Sgr.
Die zweite, 1851 erſchienene Auflage haben wir im 6. Bande des
Jahresberichtes angezeigt und auf Fehler in den Abbildungen aufmerk⸗
fans gemacht; die uns vorliegende vierte ift ein unveränderter Abdrud
der vorhergehenden Auflagen, zeigt daher noch dieſelben Fehler. Die
ziemlich raſche Folge der Auflagen beweiſt, daß es ein großes Publikum
giebt, das nichts nach Fehlern frägt, vielmehr ſchon ganz zufrieden ift,
wenn ein Büchlein billig it und Abbildungen bat. Der Wahrheit ges
mäß, müflen wir übrigens bemerfen, daß die meiften Abbildungen gut
find. Warum forgt aber die Verlagshandlung nicht dafür, daß dies
von allen gefagt werden kann?
40, Leitfaden der Naturgeſchichte von Julius ober, Lehrer am
Rraufeihn Snftitute in Dresden. Erſtes Heft. Zoologie. 8 (IV u.
65 ©.) Dresden, Adler u. Dietze. 1857. geh. 5 Ser.
Als Ziel des naturgefchichtlichen Unterrichts gilt dem Verfaſſer eine
angemeflene Einfiht in die DOrganifation, Kenntniß der befannteften
Arten und ihres Verhältniſſes zum Menſchen und der Charaktere der
wichtigſten Familien, fowie die Befähigung des Schülers, naturge⸗
ſchichtliche Werke zu verſtehen und ſelbſtſtaͤndig leichtere Beſtimmungen
auszuführen. Damit kann man ſich im Ganzen einverſtanden erklaͤren;
doch müffen wir tadeln, daß der Verfaſſer fo geringen Werth auf die
Battung legt, in der Borrede geradezu ausſpricht, daß „Kenntniß der
Gattungsmerkmale dem Schüler nur felten nützlich“ fei, während fich
doch das Gegentheil fo leicht beweifen läßt, wie wir fchon bei der Schrift
von Pokorny andeuteten. Die Anordnung des Materials if ganz
wiſſenſchaftlich, weshalb fih das Büchlein nur für Oberflaffen zur Re⸗
yetition eignet. Der Berfafler nimmt an, daB es auch zum Beflimmen,
wenigftens der Familien, brauchbar ſei; dazu if es aber zu aphoriſtiſch.
Ueberhaupt fchredt es durch feine Trodenheit etwas ab; der fperielle
hell enthält mehr Namen als Beſchreibung. Wir glauben nicht, daß
das Büchlein eine große Berbreitung finden wird.
41. Mineralogifhe Anfbauungsiehre Kür die k. k. öfterreichifchen
Unter Snmsaflın —* von Seſen Stocker, proviſoriſchem Gym⸗
348 Naturkunde.
Mebrige Materie hervor, die das Thier zu Faden verfpinnt; giebt es
wohl etwas Ekelhafteres?“ ‘
„Sinterliftig lauert das Ungethüm in feinem verftedten Schlupfs
winkel. Wie ein Pfeil ſchießt es hervor auf feine Beute, bindet fie
mit unzerreißbaren Striden und faugt ihr langfam das Blut aus. —
Widerfiehen kann nichts dem Ungeheuer, denn mie alle Kerfen hat es
eine ungeheure Muskelkraft. Wäre es jo groß wie der Löwe und im
Kampfe mit dieſem, fo drüdte es ihn zufanmen wie Wache.“
Nicht wahr, das ift Doch naturgetreu? Jammerſchade, dag Schiller
nicht Gelegenheit hatte, des Verfaſſers „‚Naturgemälde” zu lefen! Statt
den „Kampf mit dem Drachen‘ zu fchildern, würde er den „Kampf
einer Greßler'fhen Spinne mit — — einem Löwen’ gewählt und ein
Kunfwerk von höchſter Bewunderung geliefert haben. DBielleicht untere
nimmt ein fpäterer großer Dichter Died no. Möge nur der Himmel
geben, daß das Buch bis dahin noch in einer Originalausgabe zu
haben ift!
Die beigegebenen Bilder Reben in vollfter Harmonie mit den ‚Ras
turgemälden.‘'
111. Phyſik.
A, Beranfhaulihungsmittel,
45. Bürgerfhullehrer Hering in Reichenbach in Sachen, defien
wir ſchon oben gedachten, hat einen phyfifalifchen Apparat angefertigt,
der nad feiner Mittheilung in der Sächfiſchen Schulzeitung, Ar. 32,
1856, für die Bedürfniffe der Bürgerfchule ausreicht und mit Gebrauchs⸗
anmweifung 12 Thlr. Toftet. „Derſelbe enthält in einem hölzernen Ge⸗
häufe von der Größe, daB man e8 bequem auf dem Lebrpulte placiren
ann, folgende dauerhaft und in der nöthigen Groͤße gearbeitete Gegen⸗
fände: 1. Zwei Pendel. 2. Den gleicharmigen und ungleicharmigen
Hebel mit den nöthigen Gewichten. 3. Die bewegliche und die unbes
wegliche Rolle mit Gewichten. A. Einen Flaſchenzug. 5. Eine fchiefe
Ebene. 6. Einen Apparat, um die Wirkungen des Stoßes nachzu⸗
weifer. 7. Einen Apparat, um die Diagonalbewegung nachzuweiſen.
8. Einen Apparat zum Nachweis der Größe des Luftdruds. 9. Einen
biedernen Heber. 10. Einen Saugheber. 11. Eine-gläferne gangbare
Wafferpumpe mit ledernen Ventilen. 12. Eine communicirende Röhre,
13. Einen Springbrunnen. 14. Ein Thermometer. 15. Ein Prisma.
16. Eine Farbenſcheibe. 17. Eine Camera obscura, fo Eingerichtet,
daß der Vorgang des Sehens und aud die Zurüdwerfung der Lichts
firahlen daran gezeigt werden kann. 18. Einen Magnet, 4 Pfund _
tragend. 19. Einen Kompaß. 20. Eine Eleftrifirmafchine Der Cy⸗
linder 7 Zoll in der Länge und 5 Zoll im Durchmefler. 21. Einen
Apparat zur Erzeugung der galvanifchen @lektricität. (Kupfer » Zinke
Flaſche). 22. Einen Eleltromagnet. 23. Einen eleftromagnetifchen
Telegraph.“
Wir haben dieſen Apparat nicht geſehen, halten ihn indeß mit dem
Naturkunde, 349
Berfertiger für gewöhnliche Bürgerfhulen für ausreichend. Der Preis
it "ein beifpiellos billiger. Bewährt fich diefer Apparat, fo darf ſich
für die Zukunft Feine Schule mehr über Mangel an Beranfchaulihungss
mitteln für den phyfikaliſchen Unterricht beflagen.
Aus dem „Amiskalender für fähftfche Geiftlihe und Lehrer‘ für
1857 erjehen wir, daß bie fächfiihen Schulbehörden Beranfaffung ges
nommen haben, den Hering'ſchen Apparat zu empfehlen.
46. Im vorigen Jahrgange gedachten wir S. 179 eines Werkchens
unter dem Titel: „Die Dampfmafdine, erflärt für Gewerbes und
Handwerkerſchulen,“ und bemerften, daß uns die dazu gehörige große
Abbildung unbekannt geblieben fei. Wir find jept im Beſitz derfelben
und freuen uns, fie als ganz vorzüglich bezeichnen zu können. Die
Dampfmafchine ift auf weiße Leinwand in Zarben gedrudt, A Fuß hoch
und faft eben fo breit, und Foftet 1 Thlr.; aufgezogen, gefirnißt und mit
polirten Rollen verfehen 24 Thlr. Wir haben uns Ddiefer Abbildung
bereit& beim Unterricht bedient und Lönnen verfihern, daß fle allen
Gorderungen genügt. Die Zeihnung ift correct, die“ Farben find leb⸗
haft, dem Material (Eifen, Meffing, Mauerwerk 20.) angemeffen; der
Drud iſt ganz rein. Bei der bedeutenden Größe des Blattes kann es
in den vollften Klaſſen mit Nuben verwandt werden.
Zu haben ift das Blatt nebſt Befchreibung (5 Ser.) in Sferlohn
bei Zul. Bädeker.
47. Künf Bandtafeln für den Unterriht in der Phyfik. Für
Volksſchulen, als Begleiter des in den Xefebüchern für Oberklaffen ents
baltenen phyfikaliſchen Lnterrichts- Material, entworfen und gezeichnet
von Guſtav Battig, Lehrer am königl. katholiſchen SchullehrersSeminar
in Breölau. Imp.⸗Fol. mit 1 Bogen Text. Erfurt u. Leipzig, G. W.
Körner. 1857. 24 Ser. .
„Der Unterricht in der Phyſik bedarf der Experimente; ohne Appa⸗
rate laſſen fich diefe nicht anflellen. Sind fomit Abparate nicht vors
Banden, fo fann man nicht unterrichten! Run, dann muß man den
Schülern wenigftens Zeichnungen vorlegen. Beſſer Zeichnungen, als
nichts haben. Zudem: wie will man den Kindern Begriffe von Lufts
ballon, Luftpumpe, Feuerfpripe, Zaucherglode, Lokomotive, Telegraph
beibringen, da man nicht im Stande ift, diefe Infrumente, Mas
ſchinen zc. herbei zu fchaffen? Meine 5 Tafeln bieten, fo hoffe ich,
nichts Weberflüffiges.‘
Das ift die ganze Vorrede zu dem Werke. Den erfien. Sa ders
felben erkennt Zeder an; der zweite ift nur zum Theil wahr, ba es
eine nicht geringe Anzahl von Erſcheinungen giebt, die fih ohne „Appa⸗
rate’ veranfhaulichen laſſen. Der dritte Sag: „Sind ſomit“ ꝛc, er«
leidet durd den eben gemachten Einwand große Beichränfung. Das
Uebrige ift für die Volksſchule ganz bedeutungslos, in der Regel ſchäd⸗
ih. Der Schüler einer Volksſchule, der feine phyfikaliſchen Kenntniffe
aus dem „Leſebuche“ erwerben foll, braucht die vom Berfafler genannten
Inſtrumente und Mafchinen gar nicht Tennen zu lernen; fie liegen über
feinen Gefichtökreis hinaus. Dazu fommt, daB es auf einer Taͤuſchung
—— —— — —— m — —— — — — — —
— — mm u. ——
352 Naturkunde,
Bi. Gemeinfaßliche Naturlehre, auf befannte Erſcheinungen des tägs
lihen Lebens und auf Verſuche geftüpt. Gin Leitfaden zum Sebrauche a
Scäullehrers Seminarien und in Unterflaffen der Mittelſchulen, fowte zum
Selbftunterrichte für Lehrer und Alle, welche durch Beſprechung befannter
Erſcheinungen des täglichen Lebens und durch einfache Verſuche die An⸗
fangsgründe der Raturlehre kennen lernen wollen. Bon Dr. ©. G.
Gartenbaufer. Mit 64 Abbildungen auf 9 litbogr. Tafeln. 8. (X u.
144 ©.) Karlerube, &. Braun’fhe Buch. 1856. 16 Sgr.
Der Inhalt diefes Werkes zerfällt in zwei Theile, von denen der
erfte „Luft und Waſſer“ und „die Aufterfcheinungen‘ zum Gegenftande
hat, der zweite „die Naturlehre in ihrem Zuſammenhange“ darflellt. Zu
diefer eigenthümlichen Anordnung hat ſich der Berfaffer durch Zweierlei
beſtimmen laffen: durch eine Minifterials Verordnung und durch die Ab⸗
fiht, fein Buch gleichzeitig für Volksſchulen und Seminare, nebenbei
dann noch für alle Volksfchullebrer und Alle, die fi überhaupt über
Naturlehre unterrichten wollen, alfo mit einem Worte: für die ganze
eivilifirte und lernbegierige Welt. Weber minifterielle Vorſchriften kann
ein Lehrer freilich nicht hinausgehen; aber über die Beſtimmung eines
Buches hat dem Autor Niemand Vorfchriften zu machen, und in dieſer
“ Beziehung hätte der Verfafler nicht überfehen follen, daß man in der
Regel Keinem genügt, wenn man Alle befriedigen will. Außerdem glaus
ben wir, daß ih der Berfaffer mehr dur die minifterielle Verfügung
bat beengen laffen, als es in der Abfiht der Behörde gelegen. Wir
in feiner Stelle würden einen ganz andern Weg eingefchlagen, 3. B. mit
der Wärmelehre begonnen haben, und dennoch der Verordnung nad»
gefommen fein. Bon unferm pädagogifhen Standpunkte aus können
wir der Volksſchule den im erfien Theile eingefchlagenen Weg nicht
empfehlen, wenn wir auch gern zugeben, daß fi der Verfaſſer nicht
ohne Erfolg bemüht, populär und im neuern Sinne des phnflfalifchen
Unterrichts zu verfahren.
Im zweiten Theile, der hauptfählich dem Seminarunterridt wird
zu Grunde zu legen fein, hält der Verfaſſer folgende Ordnung inne:
1. Die allgemeinen Eigenfchaften der Körper. 2. Bom Fall der Körper.
3. Dom Schall der Körper. A. Bon der Wärme. 5. Bon dem Lichte.
6. Einiges von Magnetismus. 7. Einiges von der Eleftricität.
Auch bier würden wir eine andere Folge beobachtet, 3. B. die
Lehre vom Magnetismus voran, die Lehre vom Licht an den Schluß
geftelt haben, um einen Fortſchritt vom Leichtern zum Schwerern zu
ermöglichen.
Die Auswahl ift im Ganzen angemeffenz doch vermiffen wir Dans»
ches, worüber wenigſtens Seminariften beiehtt werden müflen, 3. B.
über das Mikroſkop, über die Telegraphen, über Galvanoplaſtik, Pho⸗
tographie u. U. Hier und da trifft man wieder Kapitel, wie 3. B. $. 36.
Einfluß des Lichtes auf die organifchen Körper, die der Raturgefchichte
(der Phyſiologie) angehören.
Einzeine Abfchnitte koͤnnten, unbefchadet der Popularität, etwas
gründlicher behandelt worden fein. In der Lehre vom Lichte hätte der
Berfafler das Glasprisma nicht unbeachtet laſſen follen. Hier und da
Raturkunbe. 353
Rößt man auf Ungenanigfeiten, refp. Unrichtigfeiten, worauf der Berfafler
fhon von andern Necenjenten aufmerffam gemacht worden if. Nach
Entwidelung der Raturgefege pflegt der Berfafler Beranlaflung zu nehmen,
auf Gottes Weisheit und Güte hinzuweifen. Wir haben an und für
fi) dagegen natürlich nichts einzuwenden, erwarten aber, daß es durch⸗
ſchnittlich geſchickkter und zwingender geſchieht, ale hier.
Nach den gemachten Ausſtellungen finden wir uns nicht in der
Lage, das Buch unbedingt empfehlen zu können, Gelingt es, im engern
Baterlande fo viel Eyemplare abzufeßen, daß eine neue Auflage nöthig
wird, fo rathen wir, diefelbe recht gründlich vorzubereiten und aus⸗
zuführen.
52. Katechismus der Naturlchre oder die Erfcheinungen von Wärme,
Luft, Licht und Schall. Nah der neunten Auflage des Englifhen Dris
ginals von Dr. C. ©. Brewer. Mit 34 in den Text gedrudten Abs
ee ft. 8 (VOII u. 258 S.) Leipzig, 9. 9. Weber. 1855,
Der Titel giebt Thon an, daß wir es hier nicht mit einer volls
Rändigen Naturlehre, fondern nur mit einigen wichtigen Theilen ders
felben zu thun haben. Diefe find aber ziemlich erfchöpfend behandelt,
fo daß der Lehrer darüber für gewöhnliche Verbältniffe genügende Aus⸗
funft erhält. Die Patechetifche Form ift für den Selbflunterriht nicht
zu verachten; bier tritt fie jedoch faſt zu flark auf; wir würden Mans
bes zufammengezogen, die Fragen mehr als Paragraphen »Veberfchriften
betrachtet haben. Uebrigens find aber die Fragen fonft gut geftellt und
klar beantwortet. Die Seite 159 vorgetragene Lehre von der Hagel
bildung muß als veraltet bezeichnet werden. Das beigegebene, fehr ſpe⸗
cielle Regiſter macht das Büchlein fehr bequem zum Nahfchlagen, für
welchen Zweck wir es befonders empfehlen. Die Ausflattung iſt ans
ſprechend.
33. Katechtsmus der Aſtronomie. Belehrungen über den geſtirnten
Himmel, die Erde und den Kalender. Bon G. U. Jahn. it einer
Sternfarte und 50 in den Text eingedrudten Abbildungen. Zweite, dere
behlent jerte und vermehrte Auflage. Fi. 3 (VIII u. 136 ©.) Ebendaſ. 1853,
Ser.
Der rühmlihf als Aſtronom bekannte, nun auch ſchon heim⸗
gegangene Verfaſſer hat in dieſem Katechismus ein Werfchen geliefert,
das genügende und jehr faßliche Auskunft über alles auf dem Titel
Genannte giebt. Wer nicht befondere Neigung zu aftronomifhen Stu⸗
dien in fi verfpürt, Tann fi) mit dem Dargebotenen vollkommen bes
gnügen, und wer weitere Studien machen will, für den ift diefer Ka»
techismus eine gute Grundlage. Die Fatechetifche Form iſt nicht Rörend,
da der Berfafler fih im Fragenftellen mehr gemäßigt hat, als Brewer.
Die beigegebene Sternfarte ift eine fogenannte Alignementsfarte, d. h.
eine folhe, auf der die wichtigfen Sterne durch grade Linien verbunden
find. Sie if fauber, wie die eingedrudten Zeichnungen.
Nade, Japreöberigt. X 23
354 Naturkunde.
b. Für Schüler.
b4. Anfangsgründe der Naturlehre von Prof. Dr. J. Frick, Vor⸗
ſtand der —728*— Burgenqui⸗ und Lehrer der Phyfik am Lyceum zu
Freiburg. Dritte, verbefierte yuflage, Mit 221 in den Tett gedrudten
Solfänitten. 8 (XIV u, 26° ©.) Freiburg, Sr. Wagner. 1856,
gr. "
Die Phyſik im engern Sinne wird in neun Kapiteln ig Der ge
wöhnlichen Folge abgehandelt; ein Anhang enthält außerdem noch bie
phyſiſche Afronomie, die phyfiſche Geographie und Meteorplagie. Der
Berfaffer bemerkt ausdrüdlich, daB fein Buch nicht zum Selbftunterricht,
fondern ausfchließlih zum Gebrauh für Schüler an höheren Bürgers
ſchulen und den mittleren Slaffen der Gymnaſien beflimmt fi. Mit
Ruͤckſicht hierauf gebt derfelbe nicht, wie der Unterricht es erfordert,
von Verfuchen aus, fondern giebt vielmehr die Mefultate eines metho⸗
difhen Unterrichts. Abfchnitte, die beim erfien Unterricht wegbleiben
fönnen, find entweder durch Fleineren Drud oder durch ein Sternchen
bezeichnet, eine Einrichtung, die Beifall verdient, Der Inhalt felbft
it Mar dargeftellt und dem gegenwärtigen phufllalifchen Wiffen ange
meflen, wie von dem durch feine „Phyſikaliſche Technik“ (Braunſchweig)
ruͤhmlichſt bekannten Verfaſſer zu erwarten war; die eingedrudten, fauber
ausgeführten Beichnungen dienen zur Veranſchaulichung deffelben. Das
Wert Tann daher für die genannten Anftalten als ein recht brauchbares
bezeichnet werden, was die raſch aufeinander gefolgten Auflagen auch
ohnehin beweifen.
55, Unserhbaltungen aus der Naturichre Ein Feſtgeſchenk für die
Jugend, von J. Spitzer, Lehrer ay der Herrmann'ſchen — in
Bien. Mit einem colorirten Titelbilde und 82 Holzſchnitten. & (Xu.
126 &.) Bien, Pfautfh u. Voß. 1856. cart. 27 Ser.
Nah der „vieljährigen Erfahrung‘ des Verfaſſers erzielt man
„ſtaunenswerthe Nefultate in kürzeſter Zeit,” wenn der Lehrer fh in
der Phyfik der akroamatiſchen Lehrform bedient, der Schüler. aber ein
in erotematiſcher Lehrform abgefaßtes Buch in die Hand erhält. Und
diefe Erfahrung hat ihn bewogen, die bier genannten „Unterbaftungen‘
in diefer Weife zu bearbeiten. |
Es find uns im Gebiete der Methodik ſchon recht wunderliche Ans
fihten vorgefommen, eine Abnormität diefer Art aber doch noch nicht.
Gründe führt der Berfaffer für fein Verfahren nicht an; wo follte er
fie auch hernehmen? Würde nicht die finpelfte Mutter im Stande fein,
ihn zu widerlegen? Wir halten es für eine Unbilligfeit gegen unfere
Lefer, dem Berfaffer bier widerlegen zu wollen, und bemerfen darum
nur, daB auch die einzelnen Abfchnitte des Buches höchſt unmethodiſch
bearbeitet find. Statt 3. 3. bei der Erflärung des Windes yon dem
befannten Berfuche mit einem brennenden Lichte auszugehen, ſtellt und
beantwortet der Verfaffer folgende Fragen: Was verftehen wir unter
dem Worte Wind? Wie entflehen die Winde? Wodurch Tann das
Bleihgewicht der Luft geflört werden? Wonad werden die Winde bes
nannt? U f. w. Bielfah find die Erflärungen auch ungenügend,
RNaturkunde. 335
Das Deſte am Bude iſt die ſchöne Auskattung, die wirklich Nichts
zu wünfden übrig läßt. Schade, daß fie keinem würdigeren Inhalte
zu Theil geworden if!
56. Grundzüge der Phyſik, mit Rüdfiht auf Chemie and met beſon⸗
berer Hervorhebung der neueften Entdeckungen als Leitfaden für die mittlere
phyfikaliſche Lehrſtufe methodiſch bearbeitet von Dr, $. ©. I. Erüger.
Dierte, verbefferte Auflage. Mitt 156 in den Text eingedrudten Holz⸗
fnitten. gr. 8. (XVI u. 180 S.) (Erfurt u. Leipiig, ©. W. Körner.
1856, Ha Thlr., 24 Exrempl. bear 8 Thlr. .
Das Bu empfiehlt fih zum Gebrauch für Schüler in guten Bür⸗
geriulen und für Seminariften. Die für dieſe Anftalten erhsrdertichen
Lehren der Phyſik find anfhaulih, wirklich methodiſch erläutert und Die
aus den Berfuchen abgeleiteten Geſetze augenfällig aufgeführt. Die Abs
bildungen find. gut. Der Zufag auf dem Titel: „mit befonderer Her
vorbebung der neueften Entdeckungen,“ ſcheint uns ein ſehr überflüffiger
zu fein, wenn damit mehr gefagt fein foll, als daß das Wer? mit voller
Berückfichtigung unſeres 'Hegenwärtigen phyſtkaliſchen Willens geurbeitet
it, alfo nicht hinter der Zeit zurüd ſteht. Bon „den netten Ent»
dbedungen‘ Tann die Schule font nur Notiz nehmen, wenn fie nach
irgend einer Beziehung belangreich find.
IV. Chemie,
57. Katechismus der Chemie von Dr. Seineid Hirzel, Privatbocent
der Ehemie an der lniverfität zu Leipzig. Mit 33 in den Text gebiudten
mboidungen. 1.8. u. 178 S.) Leipzig, 3. 3 Weber. 1855.
gr.
Nachdem in einer längeren Einleitung die nöthigen Vorbegriffe ent«
widelt worden find, gebt der Verfaffer zur Beiprechung der Glemente
über und theilt diefelben in Verbrennungsunterhalter und verbrennlicdhe
Elemente. Un die Behandlung der Elemente ſchließt Nch die Pflanzen-
hemie und an biefe die Thierchemie. Sonach bietet diefer Katechismus
die Zundamente der gefammten Chemie dar. Die Darſtellung ift ohne
Ausnahme klar und leichtfaßlich und durch infiructive Mbbilbungen unter
Rügt. Bum Schiuß größerer Abſchnitte flellt der Verfaſſer zuſammen⸗
fafende Rückblicke an, wodurch der Anfänger gut orientixt wird. Die
katechetiſche Form wird nicht Iäfig, da der Derfafler fih vor gu bäus
figem Frageſtellen bewahrt hat. Bier und da wünſchten wir, daß die
elementare Entwidelung die Ezaminationsform mehr zurückdrängen möchte,
was durch — von Berfuchen leicht geworden wäre Stödhardt
bleibt in Diefer Beziehung ein unübertreffbares Muſter.
Bir gmpfehlen das Büchlein Lehrern, die ſich in die Chemie him
einarbeiten wollen, aber nicht über große Mittel zu verfügen haben.
3. Chemie fir Schulen und zum Gelbftunterrihte Bon %.
I, MU Abbildungen. Zweite, vermehrte und verbeſſerte Auflage.
8. (IV 113 ©.) Reiyzig, Jul. Mlinfgesdi, 1856. 7 Sour,
Eine Bergkeihung diefer Auflage mit der erflen zeigt, daß det Ver⸗
faffer bemüht geweſen if, feiner Schrift die moͤglichſte Vollkommenheit
23*
356 Naturkunde.
zu geben. Wir Tönnen daher das günftige Urtheil, welches wir über
dieſe Schrift ſchon im 8. Bande des Jahresberichtes ausgeſprochen haben,
wiederholen und diefelbe als eine für Lehrer und Schüler recht brauch⸗
bare bezeichnen.
V. Landwirthſchaft.
59. Einfache und leichtfaßliche Grundregeln zur gedeihlichen
Bienenzucht, auf eigene und anderer Bienenwirthe gemachten Erfah⸗
rungen gegründet. Geſchrieben für Schulen und zum Privatunterrichte
von einem Bienenfreunde. Mit einem Borworte von Brotbeck, Mini⸗
fterfals Regiftrator. MM. 8. (II u. 138 ©.)
Das Büchlein if reih an Erfahrungen und empfiehlt fih von
diefer Seite Landiehrern, die Bienenzudt treiben wollen, dabei aber
ſchülerhaft Kitifirt, wie fchon der Titel erkennen läßt.
60. Die Rabrung der Pflanzen von W. Engelhardt. 8. (214 ©.)
Zeipzig, Guſtav Mayer. 1856. 20 Ser. -
Die Nahrung der Pflanzen if in diefem Werke mit Rückſicht auf
die Landwirthſchaft behandelt; dafjelbe hat daher nad diefer Richtung
bin ein befonderes Intereſſe. Alles, was auf diefe wichtige Frage Bes
zug bat, bringt der Berfaffer zur Sprache, Mar und mit Sachfenntniß,
ftellenweife jedoch etwas breitfpurig. Bei der überaus großen Wichtige
feit des Gegenſtandes, namentlich in unferer Zeit, Tönnen wir nur
wünfchen, daß das Werk von allen verfländigen Landwirthen möge ges
lefen werden. Wo die Landiehrer fi nicht felbf in der Lage befinden,
von derartigen Schriften direct Gebrauch machen zu Tönnen, follten fie
wenigſtens Landleute, die für Belehrungen zugänglich find, darauf aufs
merffan machen. |
61. Katehismus der landwirtbfhaftliden Botanik. Bon €.
Müller, Lehrer am landwirthſchaftlichen Inftitute zu Lützſchena. Mit 57
in den Text gedrudten Abbildungen. MM. 8. (VI u. 174 ©.) Leipzig.
% 3. Beber. 1856. 10 Ser.
Das Büchlein ift mit Sachkenntniß gefchrieben und entfpricht feiner
Beſtimmung. Sein Inhalt zerfällt in zwei Abtheilungen von fehr uns
gleihem Umfange. Die erfte Abtheilung, S. S—17, enthält bie allges
meine Botanif. Nachdem die nöthigen Begriffsbefimmungen gegeben
find, verbreitet fi der Verfaffer über die Lebensbedingungen, Entwides
lung, Nahrung und Stoffverfhiedenheit der Pflanze, theilt Einiges über
ben innern Bau und die Glieder derfelben mit und verfchafft dem Leſer
eine Borftellung von den verfchiedenen Pflanzenfuflemen. Die ganze
Abtheilung if etwas zu gedrängt gehalten, das fehr beiehrende Kapitel
über die innere Organifation faſt nur angedeutet. Die zweite Abthei⸗
Iung, die allerdings den Haupttheil des Buches bildet, trifft dieſer Bors
wurf nit. Nach Anordnung des Reichenbach'ſchen Syſtems führt der
Berfaffer alle der Landwirthichaft nüplichen und fchädlihen Gewächſe
auf, befchreibt fie fachgemäß und ausreichend ausführlich und fügt das
Nöthige über Anbau und Werth hinzu. 55 der befchriebenen Arten
Naturkunde. 357
find in faubern, naturgetreuen Abbildungen beigegeben, in einem Ans
bange noch 34 der Hauptfruchtformen. Die Illuftrationen geben dem
Werkchen einen befondern Werth und erhöhen feine Brauchbarfeit nas
mentlich für Anfänger. Ä
62. Das Nothwendigſte und Gemeinnügigfte aus der Obſt⸗
baum⸗Zucht in Fragen und Antworten. Ein Handbüdlein für Schule
und Haus auf dem ande. Sufammengeteit und beraußsgegeben von
J. Erh. Ernſt, Schullehrer. Mit 4 Tafeln Abbildungen und einer
Mufitbeilage. 8. (X u. 40 &.) Bamberg, Buchner. 1856. geb. 6 Sgr.,
in Partien billiger.
Das Büchlein behandelt in 9 Abfchnitten Folgendes: Die Obſt⸗
baumfhule. Erziehung und Vermehrung der Obfibäume. Behandlung
der Wildlinge bis zu ihrer Beredlung. Lepte Berfegung. Befchneiden
der hochſtämmigen Bäume. Erziehung der Spaliers und niederfläns
migen Bäume. Krankheiten der Bäume. Derzeichniß der vorzüglichften
Obſtſorten. Berbandmittel bei Veredlung der Obftbäume.
Obwohl der Berfaffer nicht fehr gewandt fchreibt, fo if feine Dar»
Rellung doch Mar und das Büchlein ganz geeignet zum Schufs und
Selbfunterrigt. Die Baierfhe Regierung hat daflelbe den Schul⸗
gemeinden zur Anfchaffung als „ſehr brauchbar“ empfohlen.
63. KRatehismus der Aderbauschemie, der Bodenkunde und
Düngerlehre. Bon W. Hamm. Wit 33 in den Text gedrudten Sch.
f&pnitten. Dritte, vielfach vermehrte und verbefierte Auflage kl. 8.
(ZU u. 9% ©.) Leipzig, 3. 3. Weber. 1854. 10 Sgr.
Schon oben haben wir auf diefe Schrift hingewiefen und fie als.
brauchbar bezeichnet; wir koͤnnen uns daher hier auf Angabe ihres Ins
halts befchränten. Sie zerfällt in zehn Abfchnitte mit folgenden Ueber,
ſchriften: Allgemeine Zufammenfeßung der Pflanzen. @lemente, aus
welchen der organiſche Theil der Pflanzen zufammengefebt if. Orga⸗
niſche Rahrung der Pflanzen. Organiſche Beſtandtheile der Pflanzen.
Bodentunde. Unorganifche Beltandtheile und Nahrung der Pflanzen.
Birkung des Anbau’s auf den Boden. Düngerlehre. Befondere Bus
fammenfeßung der pflanzlichen Erzeugniffe. Die Pflanzen als Futter.
Anhang: Anleitung zu einer einfachen chemifchen Bodenunterfuhung.
Berzeichniß der Gerathſchaften und ſonſtigen Erforderniffe zur Anftels
lung fänmtliher in dem Katechismus enthaltenen Verfuche und Unters
ſuchungen.
Man findet alſo in dem Büchlein Alles, was ein verſtändiger Land⸗
wirth zu wiſſen nöthig hat. Die Darſtellung iſt durchweg klar und
leichtfaßlich, wird durch gute Abbildungen unterſtützt und feßt feine
großen Borkenntniffe voraus. Lehrer, welche fih den Inhalt des Werks
chens ganz aneignen, werden daraus für ihren Unterricht ficher großen.
Ruben ziehen und aud im Stande fein, vortheilhaft auf ihre Gemeinde
einzuwirken.
Lu
VIII.
Geſchichte.
Von
W. Prange,
Seminar⸗Oberlehrer in Bunzlau.
Bei einer mehr als zehn Jahre nach einander im dieſer pädago⸗
giſchen Jahresſchrift fortgeſetzten Rundſchau und Berichterſtattung über die
literariſchen Erſcheinungen auf dem Gebiete des Geſchichte⸗PEnter⸗
richte hat es nicht fehlen können, daß zugleich eine Reihe von Zeit⸗
fragen üben denſelben zur Beſprechung gelangten, welche fo recht mitten
in das. praftifhe Unterrichts⸗ und Schulleben hineingriffen. Diefe: Fra⸗
gen waren, wie man vieleicht geneigb fein wird anzueriennen, wicht
oberflächlich und willfüslich gewählt, fie waren vielmehs nach ihrer Bes
deutung für Wefen und Aufgabe des Gefchichtsunterrichts. bemeſſen, und
in flets nächfte Beziehung gelebt zu den im Laufe der Jahre auftau⸗
henden neuen Gedanken über bie für wahre Bildung möglich aucgie⸗
bige, ſchulmäßige Betreibung dieſes Lehrgegenftandes. Ihre Beſprechuug
konnte, ohne irgend mit dem Anſpruch auf maßgebende Bedeutung auf⸗
zutreten, nur zur ſorgfältigen denkenden Erwägung anzegen helfen wollen.
Vielleicht iſt dieſer Zweck bei denen, welche der Sache mit unbefangenem
Sinn gefolgt ſind, und außer einem allgemeinen, lebendigen Jutereſſe
an der Schule noch ein beſonderes warmes für den bezüglichen Lehr⸗
gegenftand: haben, nicht fo völlig verfehlt, daß für ſchulgerechte Wür⸗
Digung und Behandlung deffelben nicht wenigſtens einiger Ertrag ges
wonnen wär.
Eime große Anzahl. von Lehrern und Schulpflegern. if nun, einmal
nicht in der günfligen Lage, ſei e8 zu ihrer Eurrenterbaltung mit der
pädagogilchen Literatur, fei e8 zu ihrer zeitgemäßen Weiterbildung, von
den zahlreichen neuen Erfcheinungen auf dem Unterrichtsgebiete fortlaus
fend genauere Kenntniß nehmen zu können. Andere, denen manche ders
jelben zu Geficht kommen, koͤnnen ſich nicht die erforderliche Zeit und
Geſchichte. | 35%
Mühe zu deren gründlicher Prüfung ımd Dürcharbeitung gönnen. Ihnen
affen wird es ja fecherlich swilllommen fern, fortlaufend von einigen der
wichtigern, nach Geltung und praftifcher Ausgeſtaltung ringenden Ges
danken, wie fie in verfchiedenen Werten und Beitfchriften zerfkreus les
dergeledt A finden, Jahr fir Zahr fummarifchen Bericht zu erhalten.
Das Beduͤrfniß darnach exiſtirt ohne Zweifel in weiten Kreifenz eine
angemefiene Befriedigung Beffelben Iiegt in Vieler Wunſch. Der Päda⸗
gogifche Jahresbericht hat feinen Fleiß daran gefeht, dieſe Befriedigung
nad Möglichkeit zu gewähren. So if’s gefchehen, daß auf geſchicht⸗
lichem Gebiet eine nicht geringe Anzahl von Werfen für bie vers
ihiedenften Bitdungsverhättniffe vorgeführt, mund auch eine ganze Reihe
mehr ode? minder praftifder Ydeen für unterrichtlihe Behandlung
ventilirt worden find. Dadurch Iönnte die Vermuthung genährt fein,
daB Jahr Aus ZYahr ein auch immer wieder netie Grundgedanfen
auf den Pian gebracht würben, welché fich in den Iherarifchen Jahres⸗
erfheinungen charalteriſtiſch veflecfirten. Jeboch dem iſt nit fo. Der
geiftige Acker bewähtt fü wenig als der phyſiſche eine immer aleidye
Productivitat.
Es Faß fi namentlich gegenwärtig kaum verkennen, — und wer
in der Lage iR, den Fluetuatiönen der Erfſcheinungen auch nur .auf ein
Baar Unterrichtsgebieten mit wmfaffendem, ſachkundigem Blicke zu fol⸗
gen, wirb es Befläfigen, — daß auf dent Felde des Gefhichtds Un,
terrichts wefentiß neue Gedanken mid nem Carbdinakfragen jeqzt
nur fehr fpärlich, wenn überhaupt, auftauchen. Bwar wäre 69 ein Irr⸗
tum, annehmen zu Wollen, daß der Schatz zu erwägender praktiſcher
Fragen wohl bereits erfchäpft fein möge. Go lange das praktiſche Schul⸗
leben geiflig im Fluß bietdt, kann es nicht an immer new ſich erzen⸗
gender Veranlaffung zw didaktiſchen und allgemein paͤdagogiſchen Erdr⸗
terungen mangeln. Aber in der durch den Paädagogiſchen Jahresbericht
beabſichtigten Rundſchau findet die Tendenz moͤglichſter Heranziehung
anch ſolcher, immerhin an Mich nicht unintereſſanter Fragen, welche zu
den jedesmaligen neuen Jahreserſcheinungen in keiner directen und
frachtbaren Beziehung ſtehen, doch keinen berechtigten Boden. Vielmehr
hat ſich ſelbſtverſtändlich die RAufgäbe jährlicher Berichterſtatiung in engere
Kreife zu ziehen, wenn des folgewichtigen Neuen weniger vorliegt.
Unverkeunbar if im gefammten Unterrichtsweſen gegenwärtig
ein Wendepunkt erreicht: Auch auf dem Gebiete des Geſchichtßun⸗
terrichts ift ein folder Werdepunft eingetreten. Es find neue Bah⸗
nen geöffnet, neue Impulſe ertheilt; Vieles iſt im Stadium eines neuen
Anfangs, und organifirt fi noch in den neu angewiefenen Sphären.
Die erflen Schritte, welche nach den keuen Richtungen bin gethan wer⸗
den, kragen meiſt den Charakter zögernder Bedächtigkeit; fie werben
wieder und wieder erwogen, ehe Re aus felbfigewonnener Ueberzeugung
entfchteden fortgefeßt werden, und die darüber erwachfenden Gedanken
bleiben häufig für’s Erſte noch unausgefprochen. Darin Tiegt fo wenig
etwas Tadelnswerthes, daß vielnichr die gefleigerte Befonnenheit und
Sortglichkeit dnf Schütt und Tritt des neuen Thuns als löbliche Frucht
Te Te er U gr ee —— er 77 ———— — —*—
360 Geſchichte.
der neuen Impulſe angeſehen werden darf. Abgeſehen von dem Geiſt
und der Tendenz dieſer Impulſe iſt es ja an und für ſich ſchon wich⸗
tig, daß überhaupt nach längerer, in geruhigem Geleiſe durchmeſſener
Zeit einmal wieder neue Gedanken und Anregungen in ſie hineinge⸗
worfen werden, um die Geiſter friſch zu erhalten. Dem Geſchichts⸗
unterricht in den Schulen konnte es eben ſo leicht, als thatſächlich
dem Religions⸗ und dem Sprachunterricht begegnen, in feinen Formen
zu veralten und zu verfnöchern; ja noch mehr, er konnte auch in dem
Geifte feiner Auffaffung abirren, daß eine Umlenkung wohlthätig wurde.
Die neuen, für ihn gefehten Grenzen und Ziele, die anempfohlenen For⸗
men feiner Ausprägung, der für feine Erfaſſung bezeichnete Geiſt tragen
großen Theils den Charakter einer ſolchen Umlenfung, wenigitens
zunähft für die Volks⸗ und Bürgerfchulen, welde hier zu berüds
fihtigen find. Daß Ziele, Formen und Geift der neuen Epode nicht
von Jedermann fofort erfannt und begriffen werden, daß mande prin⸗
cipiell damit antiquirten Gedanken und Anfhauungen faktiſch nod
mit in die neue Zeit hinübergenommen und einftweilen feftgehalten wers
den, bis der wachſende Strom allgemeiner Anerkennung fie mit hinweg⸗
nimmt: das darf nicht zu befremdlich gefunden werden. Liebgeworde⸗
nes Alte, das von Allen gepflegt und amtlich auch lange mit Nachdruck
gefordert wurde, vergißt fih nicht über Nacht.
Schon im vorigen Jahresbericht ift auf diefe neuen Principien
und neuen Bahnen, fo weit fie den Befchichtsunterricht betrafen, hinge⸗
wiefen worden. Weiter reicht ohnehin die Aufgabe des Berichts nicht.
Statt das Neue entweder zu befämpfen, oder zu vertreten, das Verhälts
niß des feitherigen, aus der vieljährigen Erfahrung zu erkennenden Ents
widelungsganges zu den zu hoffenden neuen Modalitäten und deren
Refultaten abzumwägen, bat der Bericht nur von dem im Schooße der
Geifter erkennbar liegenden Neuen und deffen eventueller Ausgefaltung
Nachricht zu geben. Ein bis zwei Jahre aber find Fein zulänglicher
Zeitraum, um dieſe factifche Ausgeftaltung überfehen zu können. Wohl
find die neuen Theorien öffentlih mannigfach erörtert, — und wer
wollte fagen, daß dies nicht mit viel Eifer gefchehen wäre! oder wer
wollte in Abrede flellen, daß das Neue im Kampf bisher nicht mehr
gewonnen, als eingebüßt hätte! — jedoch in wie weit ihre gelungene
Hinüderführung in die neue Praxis über das Stadium mehr oder
minder hoffnungsreicher Anfänge binausgelangt if, if zur Zeit darum
noch nicht feftzuftellen, weil die Literatur davon den Mefleg noch nicht
ſtark genug giebt. Was in einzelnen, günftig fituirten Kreifen möglich
geworden fein mag, darf noch nicht für ein allgemein erreichtes Stadium
angefehen werden. In diefer Beziehung alfo wird noch zuzuwarten
fein. Ebenſo wird zuzumarten fein, welde Verzweigung der neue geis
flige Reim, der etwa jeßt zwei Jahre lang in Entfaltung begriffen iſt,
erlangen werde. Organiſches Wahsthum verlangt Zeit, wenn es ger
fund und gedeihlich verlaufen foll, und es hat aud Zeit.
Inzwiſchen ift es für den denfenden und ſtrebſamen chriſtlichen
Lehrer, der ja mitten in ein bebeutfames Leben geftellt ik, und fein
Geſchichte. 361
ganzes Denken und Arbeiten zum Segen für daſſelbe aufwenden ſoll,
iſt es namentlich für den Geſchichtslehrer von Wichtigkeit, den
Blick auf den geiſtigen Zuſammenhang des für die neuen Bah⸗
nen der Bolfserziehung und Volksbildung Berordneten mit den allge
meinen focialen Verhältniſſen gerichtet zu erhalten. So wenig wie
der Religionsiehrer, kann ſich der Gefchichtsiehrer der in der Beit wal⸗
tenden Ausprägung der allgemein geiftigen und namentlih aud der
fittlihen Potenzen verfchließen wollen. Denn diefe Ausprägung ber
dingt den Grundcharakter feiner Arbeitsaufgabe, die Natur der verfüg⸗
baren, wie der zu wählenden Mittel zu ihrer Löſung, und beeinflußt
die ganze pädagogiſche Situation der Zeit. Die Diagnofe der focialen,
wie fpeciell der pädagogiſchen Zeitlage if nun freilich nicht fo uns
ihwer, daß fie flüchtigen Blides im Borübergehen, und etwa bei Ges
legenheit des Durchblätterns unferer einflußreichften politifchen und pär
dagogiſchen Zeitblätter zu gewinnen wäre. Sie fordert Sammlung,
Bertiefung in die Verhältniſſe, umfichtigen, Maren Blid und einen laus
teren Sinn. So weit diefe Dinge mangeln, — und wer wäre, der
fich ihres Bolbefipes rühmen wollte! — mangelt aud die Gabe richtis
ger Würdigung der geiftigen Zeitverhältniffe in Leben und Schule.
Dennoch if diefe Würdigung nöthiger, und in ihrer Rüdwirfung au
auf das amtliche Leben folgenreicher, als ſelbſt die feine Babe methos
difher Zurechtlegung des einen oder andern Lehrftoffs; namentlich iſt
fie dem Geſchichtslehrer unentbehrlih. Wer nicht mechanifch von
‚der herrſchenden Zeitfirömung mit binweggefpült fein will, muß feften
Boden zu gewinnen fuchen, das Auge vor Allem unverwandt auf die
Haupiſache richten, und dann nah dem Maaß feiner Kraft in feinem
Berufskreife feinen Mann ſtehen. In Zeiten, wo nicht eine ephemere
Idee die andere, Well’ an Welle, jagt, wo vielmehr Alles nach einem
fundamentalen Status quo ringt, und wo Zeit zur Befinnung und
DOrientirung vergönnt wird, um zur Einfachheit und zu den Kernflüden
alles Lehrens und Lernens zurüdzufehren, wird ed ja auch möglich, mit
mehr Ruhe fih zu fammeln, und, fih mit der Zeitaufgabe bewußt, in
das rechte Berhältniß zu feben. Das geſchieht felbftverfländlich nicht
durch bloße Prüfung, Aneignung und Ausjpinnung von allerlei Methos
den. Wie werthvoll immerhin verftändige, fachgemäß entwidelte Metho⸗
den dem Lehrer in jeiner Berufsarbeit bleiben werden, das Wefents
lich ſte find fie nicht; fie find Formen, in weldhe der rechte Geift
nothwendig erſt das rechte Leben bringen muß. Daß und mie er dies
bineinzubringen vermöge, hängt von dem Verhältniß ab, worin der Träs
ger des Geifles, der Lehrer, focial und ypädagogifch zu- feiner Zeit fleht.
Es wird fi deshalb für den diesmaligen Jahresbericht empfehlen,
Blicke auf die fociale Situation der Gegenwart den Bliden auf
die pädagogiſche Situation voranzufhiden und dann der gegen»
wärtig zeitgemäßen Aufgabe des Geſchichtsunterrichts
und der Mittel zu ihrer Löfung zu gedenken. Daran mögen fid
noch einige Erörterungen über traditionelle Lehrfoffe für den
geſchichtlichen Schulunterricht in ihrem Verhältniß zur
362 Geſchichte.
Geſchichtsforſchung und einige andere aber trabitisnelte Vehnud⸗
lung geſchichtlicher Lehrſtoffe im Schulunterricht in ihren
Verhäktniß zu den pädagogiſchen Princtpien anfchliegen.
L Andeutungen uͤber die gegenwärtige foctale Sttuatton.
Politiſche Eroͤrterungen über ſociale Zeitverhaͤltniſſe, wie le Stadts⸗
männern nahe liegen mögen, bedarf der ſchlichte Geſchichtslehret nicht
Aber fo wenig er mit verdundenen Augen einherzugehen verpflichtet iſt,
fo werig auch mit verfchloffenen Ohren, daß er nidyt fehen und verneh⸗
men dürfte, welche Bewegungen im Großen und Ganzen durd feine
Beit geben, Bewegungen, welche mit ihren letzten Undnlatidnen ficher Bis
an ihn heran und bis m feine Lebens⸗ und Amtserhältniſſe hincin⸗
wirfen. Wem nicht die divinatdrifhe Gabe verliehen FR, die Zehen
feiner Zeit zu merken und zu deuteh, dem darf, wenn et von Units
wegen fle dennoch zu beachten veranlaßt if, wenigflens angefonrien wer⸗
den, daß er auf die Stimmen derer Hört, welche nit bloß durch Lief⸗
und Weitblick des Geiftes, fondern auch durch hohen ſitklichen Erf
eines in reihen Erfahrungen gevrüften, meannbaften chtiſtlichen Sinnes
befähigt find, diefe Zeichen zu erkennen umd zw verftehen. Fir den
Geſchichtslehrer iſt hierzu datum befonderet Anlaß vorhanden, weil Inter
den Urtheilsfaͤhigen die Ueberzeugung beſteht, baß ganz votzugẽéweiſe die
Geſchichte mit den Beruf habe, nach Kräften foͤrderſam in die foriafe
Situation des Volks einzugreifen.
Nun differirt aber der Eharafter ber Grundanſchaunngen vom biefer
focialen Situation gar weit je nady den politifcyen und kirchlichen Heer⸗
lagern, in denen fie herrfchen. Er ift bei den Evangeliſchen ein: ande⸗
rer, als bei den Katholiken; bei denen, weiche Tiherafen und Mwterkrfie
ftifhen Principten folgen, wieder ein anderer, als bei dendt', welche
confervative Grundfäße hegen und den geiftigen Natkonalgütern ben
Borrang vindiciren. Dennoch ſtimmen die ernfteften Geifler der Haupt⸗
parteien in manchen iwefentlichen Punkten überein.
Da anzunehmen tft, daß die überwiegende Mehrzahl ber Leſer des
Pädagogifchen Jahresberichte der evangelifichen Kirche angehört, ud
da der Bolfsfchullehrer ganz vorzugsweiſe den Beruf bat, in verfühns
Iihem, confervativ.em Sinne zu arbeiten, und die Jugend demgentäß
zu erziehen, fo wird es gerechffertigt erfiheinen, die Andeutungen über
die gegenwärtige fociale Situation in evangelifchen und confſervattvem
Sinne zu geben. Hierzu bietet fih das Vorwort zu Prof. Dr. G.
Selzer’s „Proteffantifhgen Mondtshliättern” (Januärheft
1856) dar. Die Grundgedanken darin find folgende:
Unfere Zeit ift vor riefenhafte Schilfalsfragen geſtellt; ſowohl die
äußere Weltlage, als die religiöfen Zuflände, beide voller Wetterzeihen
nahender Stürme, fordern durch ihren erjähütternden Ernſt zu deren
Prüfung und Löfung auf. Dennoch fleht die große Mehrzahl der Zeit⸗
genoſſen, Hohe und Niedere, Gelehrte und Laien, entweder in verwor⸗
Geſchichte. 368
vener Matblofigleit, oder im fiimpfer und frivoler Gleichgutigkeit ihnen
Am Geiſte der- Einen nagt der fataliſtiſche Yweifel, Undere
verbergew ihren innen Bankerott hinter Stügfid abwartendem Schwei⸗
gen, es den Narren üderlaffend, ihre umveifen Gedanken laut werden zu
laffen. Das find die, welde an die Stelle Gottes und feines mit
heiligen Gerichten durch die Geſchichte ſchreitenden Geifles ein fremdes
Idol erhöhen, welche ftatt der ewigen Lebens quelle irgend eine vom
Leben verlaffene Hülle feſthaſten, und in den Formen, aus denen ſich
das Leben Kingfl zurückgezogen, mit felbffücztiger und verbiendeter Bis
gotterie dennoch das Leben ſuchen, und wenn fle vergeblich geſucht, feig
und eigenſinnig ſich Befügen, fie hätten es doch gefunden. GEs find bie,
welche den heiligen und gerechten Gott, der nicht mit ſich ſpotten läßt,
zum Parkeigäten erniebrigen möchten, dem zu Zeiten Weihrauch geopfert
wird, damit er alle Getüfte ihres felbfifhen Herzens, alle Vortheile
und Vorurtheile ihrer fleifchliden Kaſte, allem Dünkel ihres ererbten
Wahnes befkätige. Auch die conferwative Partei if in lirchlichen, wie
in polktifden Dingen von diefen Schäden mil ergriffen, und es if als
das verheißungsvollſte Wert unſerer Zeit, die weltgeſchichtliche Scheidung
des wahrhaft. Gefunden, Lebensfählgen von dem innerlich Abgeftorbenen
zu begeichnen, ein Proceß, welcher im Gebiete der Meligion, der Polis
tie, der Wiſſenſchaft die wahrhafte, conſervative Ehrfurcht vos Recht
und Wahrheit von der nur conſervativ geheißenen Ausbeutung Des
Gewalt und äußerlihen Satzung mit ihrer Feffelung des Geniffens und
Lähmung des Geiftes: zu trennen hat. Dieſer Rinigungs⸗Proceß des
wahrhaft erbaftenden Mächte des Lebens ficht, wie andern hervorragen⸗
den Bölfern, fo auch den Deutfcher ale das für ihr Wohl und Wehe
Entfcheidendfte bevor. Mit Partei Stiwörtern und BZauberformein if
nicht zu helfen; fie terrorifiren nur, die Confervativen ſowohl, als ihre
Gegner. Zu heffen if nur dich die Geſinnung, melde pofitiv ech»
tes Leben in. file trägt, und ſtärkend und Lehen weckend auf ihre
Zeitgenoffen - einwirkt. Diefe allen ift im Stande, der fittlichen und
geifigen Rech der Gegenwart, der Erichlaffung und Verfunkenheit hier,
der Ueberreiztheit und Berfliogendeit dort: zu wehren, das leibliche, wie
daB geifliche Brod denen bringen zu helfen, denen es fonft nicht gereicht
wird, die gvenzenlofe Verwirrung und Berflüftung in ber geifigen und
religidfen: Welt zu befeitigen, und bie zunehmende Erbitterung und Ben
wilderung: in den Maffen zu befchwören. Gie allein Hilft fo vielen
edlen Kräften und Beſtrebungen aus ihrer Berwailung und Bereinze-
lung heraus, erldſt von den unfüglichen Beiden, welche in der Ziefe der
Gefellſchaft und der Geifter gähren, von Lüge, falfcher Parteifchminte
u. dergl., und reitet eben fo von den Folgen Inabenhafter Umwälzungss
luſt und greifenhafter Zurückzwaͤngung zum Alten, worin feit vier Jahr⸗
zehenten die unſchätzbarſten Kräfte und Gaben auf den Gebieten des
Staates und der Kirde, der Schule und der Literatur vergeudet wur⸗
den, wie von den bösartigen Nachwirkungen der für die Menge beredis
neten Schlag» und Schredwörter der Parteien, womit dieſe gegenfeitig
ein verwerfliches Einfhüchterungs » Syflem aufzurichten fuchen, das jedem.
364; Geſchichte.
lebendigen, wahrhaft aufbauenden und befreienden Fortſchritte wie ein
böfer Dämon im Wege ſteht. Dies unlautere Cinſchüchterungs⸗Syſtem
muß geftürzt, der falfche Eirkel, in welchem ſich jene Partei⸗Geſichts⸗
punkte bewegen, muß durchbrochen werden, wenn die grenzenlofe Desor-
ganifation auf den Gebieten der Religion, Sitte und idealen Wiſſenſchaft
nicht immer weiter um ſich greifen fol. Es fehlt im Großen der relis
giöfen wie der politiſch⸗ſocialen Welt ein wahrhaft pofitines,
eroberndes, jchöpferifches Brincip, es gebriht am Glauben an fid
und der Zufunft. Hülfe iR nur anzubahnen durch praktiſches Ber-
ftändniß der Gefhichte und unabläffige Bertiefung in den urs
fprüngliden Sinn des Chriftentbums Wie arm find wir ge
genwärtig an Männern, die mit dem tiefen Ernſt religiöfer und fittlicyer
Ueberzeugung auch Iebendigen gefhichtlihden Sinn, mit praftifchem
Geiſte für das Wirklihe und Thatfähhlihe auch die Gabe der Darflels
Iung verbinden. Das giebt einen Barometerfand an für unfere theo⸗
retifche und praktifhe Bildung, und offenbart das fchreiende Mißver⸗
hältniß zwifchen den Zufländen der Gefellfchaft, den Forderungen und
Bedürfniffen des wirklihen Lebens und zwifchen der theoretifchen Aus⸗
rüſtung, womit die Mehrzahl in Schule und Kirche zur Zeit fich noch
abfindet. — Bor Allem thut ung jetzt Noth: religiöfe und hiſtoriſche
Vertiefung *) der proteftantifhen Gefinnung, und unermidliche Schärs -
fung des Gewiflens für die ſitthich⸗praktiſchen, organifchen Aufs
gaben der bürgerlihen und Firchlichen Gemeinde. Aus dem Chaos ber
jegigen Schul», Kirhens und Sectens Meinungen wird uns auf die
Dauer nichts fo ficher befreien, als ein neuer fchöpferiiher Bund des
religidfen und geſchichtlichen Geiftes, eine Durddrins
gung des Evangeliums mit der welthiftorifhen Erfahe
rung! —
Das find ſummariſche Pinfelftrihe zum Bilde der heutigen ſo⸗
cialen Situation. Sie find in der Hauptſache ernfl und trübe, und
dabei doch marfig genug, um auch von dem Volksſchullehrer nicht
überfehen werden zu koͤnnen, wenn er nachdenklich feine Zeitaufgabe als
Religions» und Geſchichts lehrer zu begreifen fuchen will. Mag auch
der Ring, den feine Kraft und feine Wirkfamkeit in der Kette der Pos
tenzen bildet, welche das Volksleben heilbringend umfaflen wollen, nur
ein unfcheinbar Meiner fein; er ift doch an einer fehr wichtigen Stelle
eingefügt, nämlich bei der Bildung und Erziehung der Jugend unfers
Bolfes, die an den oben gezeichneten focialen Schäden mitleidet. Und
wie bedeutfam feine Thätigkeit an diefer Stelle erachtet wird, gebt
*) Prof. Dr. Dorner (in Göttingen) fagte in der evangelifhen Confe⸗
renz zu Paris unter Anderem: ‚Im lebendigen Verſtändniß der Geſchichte
und ihres Sinnes verlernt der gebildetfte Theil unfers Volles jene hoble Cin⸗
bildung, die fi allein weife dünkt, und Alles von vorne anfangen will, lernt
vielmehr auch jenen edeln Nefpect vor der Weisheit der Väter; aber verlernt
auch nicht minder den Reſpect und die Furcht vor der blinden Gewalt und
dor Kar Autorität, die nicht im fittlichen Bewußtfein ihren ewigen Halt hat
un u .' 0
Geſchichte. 365
genugfam aus der Ungelegenttichleit bes Blicks hervor, den alle Weit
Darauf gerichtet Hält, und aus dem Maaß intenfin gefleigerter An⸗
forderungen an diefelbe, wie aus der Sorge, fie ſtets in richtigen Bah⸗
nen zu erhalten.
Der Geſchichtslehrer findet darin Aufforderung genug, um bes Ge⸗
wiffens und der rechten Zrucht feiner Arbeit willen, den Blid anf die
fociaten Berhältniffe im kirchlichen und bürgerlichen Leben mit aller ihm
möglichen Schärfe zu richten, und zwar fill und unbeirrt durch wirres,
unflares Parteigezänt. Es ift auf feine energifche, gefunde Mithülfe
gang weſentlich mit gerechnet.
Unfere gegenwärtige Situation zeigt aber zugleih in Einzelnen
noch wichtige Phaſen, welche auch dem fchlichteften Lehrer in Land und
Stadt fidh aufdrängen, und ihn zur Erwerbung klaren Bewußtſeins über
Art und Maaß feiner fördernd oder hindernd dabei zu entwidelnden
Thaͤtigkeit nöthigen. An diefer Stelle find nähere Ausführungen dars
über nicht zuläfftg, weil ein Pädagogifcher Jahresbericht über Geſchichte
nur die auch literarifch bier und da niedergelegten Meinungsäußer
rungen in kurzen Andeutungen und Auszügen wiederzugeben ſich ver-
Ratten barf. Das Leben felbf liegt ja vor Jedermann, der offene Aus
gen und ein Herz für das Bollswohl hat, ausgebreitet da.
Charabkteriſtiſch if für unfere Beit der maaßloſe Materialismus, der
erſtaunliche Aufichwung in Induftrie und Handel, die Sucht nach immer
größerem Erwerb und Genuß, gefleigerte Concurrenz aller dazu in Wirk⸗
ſamkeit zu fegenden Kräfte; und dagegen ber. grelle Gegenſatz wachſender
Armennoth, wachfender fittlicher und religiöfer Berwilderung in allen
Bolksſchichten. Charakteriftifch find die Triumphe der materiellen Cultur
und äußern Givilifation, bes verflandesmäßigen Maffinements bei Aus»
beutung und Dienfbarmahung der Natur, der Eultus der Mafchinen,
welche zu unglaublicher Steigerung der Production in Rüdfiht auf
Menge, Zweckdienlichkeit, Werthänderung, Mannichfaltigfeit und Schön,
beit verholfen haben, und als‘ ein Haupthebel äußeren Fortſchritts anzu⸗
feben find. Charafterifiifh find aber auch die erfchütternden Folgen
diefer Triumphe für das geſammte fociale Leben, dem für Millionen
durch Diefelben das fichere Zundament gefunder Entwidelung, nämlich
die chriſt liche Grundlage für Herz und Sinn verrüdt, wenn nit
gar untergraben if. Das Naffinement in der Kunſt des Genuffes und
im Lufrus if von großer fittliher Gefahr, das Drängen nach immer
höherer äußerer Bollfommenheit gefährdet die Neigung und das Bes
wußtfein von der Nothwendigkeit innerer Vollkommenheit in Geſin⸗
nung und ganzem geiftigen Weſen. Die Arbeit, ftatt als Selbſt⸗
zweck umd Princip, flets nur als Mittel zur Erreichung höherer Lebens»
zwecke auf der Bahn des irdifchen Berufs angefehen, ‚verdirbt die
Seele, während fie den Leib tödtet, erzeugt bier Weberreizung, dort Abs
Rumpfung, entleert das Herz und bahnt in den Tiefen der Seele eine
gewifle Gottentfremdung vor, welche alle moralifchen oder organischen
forialen Bande endlih auflöfl.” So iſt's nicht bloß in den Fabriken,
ſondern auch bei der Arbeiterbeuälferung auf dem Lande und bei denen,
866 Geſchichte.
welche geiſtig zu arbeiten berufen find in mancherlei Lebenskreiſen, ſofern
in denſelben die Grundſätze des Chriſtenthums und die Wahrheiten ber
Geſchichte hintangeſetzt werden. Auch die Stimme der Geſchichte iſt
hier gerade von befonderer Bedeutung, fo weit fie Wahrheit, Berechtige
keit, Unabhängigkeit won der Macht des blinden Vorurtheils und den
Glauben an einen tiefern Sinn und Bwed in den Geſchicken der Menſch⸗
beit zur Geltung zu bringen, und dadurch thatſächlich eine Lehrerin des
Lebens zu werden fuht. Mit vollem Recht wird diefe Stimme ſchon
für die Zugend erhoben, um fle vor fittlihen Zeitſchäden fo viel ale
möglich zu bewahren, und im Verein mit der Stimme der Religion fie
auf die Bahnen zu höheren, ewigen Bielen zu rufen, und mit ber Waf⸗
fenrüfung, Ach darauf erfolgreich burdhzufämpfen, zu verfeben. Selbſt⸗
fucht, Sinnendienk, Zucht⸗ und Furchtmangel, auch ſchon bei der Ju⸗
gend bemerkbar, weichen bloßen moraliſtrenden Ytosldn nun einmal
nit; die chriſtliche Grundlage des Glaubens allein, welche
Vernunft, Sinn und Geift zugleih durchdringt, ſchafft fichere Hälfe
unter Mitwirkung gefhidhtlicher Erfahrung.
Dem Lehrer, der hinreichend fein organifirt if, um feine Zeitlage
aus der ihm übergebenen Bollsjugend zu lefen, und hinreichend Liebe
und Glauben im Herzen trägt, mit Dranfegung feiner ganzen Kraft
und feines Eifers den beiligften Bebürfniffen diefer Jugend zu entſpre⸗
hen, if’s von großem Werth, und es dient gar fehr zu feine Ermu⸗
thigung, zu wiflen, daß eine weit» und tiefgreifende Thaͤtigkeit orgeni-
firt iR, um ihm Dabei zu Hülfe zu fommen. Dieſe von den edeiften
Gemüthern angebahnte Thätigfeit, welche Stärkung und Nahrung der
beften Steime, Zurückführung der verfplitierten und zerfnittertn Geiſter
zur Einfachheit chriſtlichen Weſens, Mettung des DBerirrien und Ver⸗
wahrloften,, des Gefallenen und in äußern und innerm Elend Verkom⸗
menen beswedt, entwidelt fi auf vaterlaͤndiſchem und Tirchlichem Boden
mehr und mehr. Ein Blick in die Arbeit der innern Miffton lehrt das
aufs Klarſte. Chriftlihe Vereine, Anflalten, Bemühnngen, Schriften
aller Art find in allen Bolksichichten und für alle Stände bereits in
voüfter Wirkſamkeit, um den mannichfaltigften Nöthen, dem äußern Jam⸗
mer und der geiftigen Veroͤdung, der fittlichen Berliederung und ber
kirchlichen Bodenloſigkeit, wo fe dieſen focialen Feinden nur beizukom⸗
men vermögen, entgegenzutreten, heilend und beffernd. Mit großartiger
Aufopferung von Geld, Zeit, Kraft, Liebe und Ausdauer verbindet ſich
der fefte Glaube an den Segen diefer Arbeit. Der Lehrer kann Das
feben; es gebt ihn ganz nahe an; er hat fih daran zu betheiligen.
Und als Geſchichtelehrer hat er wirffame Hebel in der Hand, die
Bolksjugend von früh an mit Gedanken zu durchdringen, welche chriſt⸗
liches Weien, Sinn und Leben, Bietät, Heilighaltung der edeiften
Bolfsgüter und Begeifterung für deren Wechterbaltung pflanzen und
pflegen, und fo die gejunde Frömmigkeit unſers Volks wieder berbeis
führen helfen, die daflelbe in früheren ſchweren Betten als feften Lebens»
anfer beſaß. Er darf mit Sicherheit daranf rechnen, daß eine ſolche
Deuupung dieſer Hebel eben fo fehr erwartet und willfommen geheißen
Geſchichte. 867
von Allen, welche die Beitlage verfieben, ala nach Möglichkeit unterfkigt
werden wird. Die Sache if nicht etwa für die oft fehr befpeidenen
und Heinen Kreife der Wirkſamkeit eines Lehrers zu ſublim; de die
offenen Schäden auch in diefen kleinen Kreifen zu Zage liegen, jo if
and) bie vetiende Hülfe dagegen in denſelben an berechtigter Stelle.
Wenn jlngf öffentlich geäußert wurde: „in allen Ständen Ireie Die
Sucht, mehr zu fcheinen und zu gelten, ala man if, bervor; überall
ein ruheloſes Getreibe, ein Jagen nah immer neuem Beil und Genuß,
obue daß doch das Merz irgend fatt wÄrde, vielmehr fchlieflich immer
nur dumpfe Leere und Verzweifung“, wenn ala Quell dieſes Elends
„bie Glaubensiofigkeit'' bezeichnet wurde: fo if damit impheite gefagt,
daß auch ländliche Schulkreiſe von diefen Mißſtaͤnden berührt wer,
den, und es iſt die wirkſame Arznei dagegen bezeichnet. Ja, an derſel⸗
ben Stelle wurde won einem praktiſchen Kenner der Vollszuſtände ganz
befondera nom Lande das Hinichwinden der Furcht vor dem Ernſt der
Geſetze und der Strafe, und das Gebrochenſein der Autorität als der
Krebaſchaden von unberechenbarer Tragmeite hervorgehoben, aus dem Die
von Jahr zu Jahr wachfende Entfittlichung unfers an ſich guten Land»
volle berfomme Und ein berühmter national» ötonomifer Schriftftefler
und Lehrer fagt neuerdings: „Die wahre hriftliche Bildung der Land»
wirtfe und afler übrigen Gelhäftsieute im Gebiete der Wirthfchaft bes
Regt nicht darin, daß fe fick von diefen irdiſchen Geſchäften möglich
zurückziehen, ſandern vielmehr darin, daß fie die Beichäftigung mit irdi⸗
ſchen und geikliden Dingen in fReter Richtung auf Das Himmlis
ſche und Gwige verrichten.” — Diefe Richtung bilft auch die Ges
fhichte vermitteln, ja, fie iſt in dieſer Beziehung faſt wirkfamer als
bloße veligidfe Doctrin. Sie verkörpert nämlich fofort den religiöfen
Gedanken, des, wie 2. Ranke treffend fagt, in Deutfchland mächtiger
in und war, ala ales Andere. Sie wet auch, wie im Geiſt gereifter
Minnes die Gewißheit, jo im Findlihen Gemüth der Jugend die Ahr
nnug „bon ber unergrändlichen und doch unleugbaren Berfnüpfung der
menfchlichen Sehickſale, die Ehrfurcht vor jenen gebeimnißvollen Fügun⸗
gen, bie fa oft in Einem Augenbiide die Berechnung der Flügen und
die Wagniſſe der Kühnſten durchkreugen. „Alle großen, weithißoriſchen
Moments erfüllen die Seele (auch der Jugend) mit Ernſt; man fühlt
die Mähe einer unfichtbaren Macht, deren man in der dumyfen Gewöh⸗
nung des alltäglichen Treibens Teicht vergibt. Dies Gefühl, worin der
Sinn für alles Tragiſche, ja für die Gelchichte überhaupt feine tieffte
Wurzel bat, unterſcheidet den denfenden Beobachter der Beitereignifle
von dem oberflächlichen Pöbel mit feinem Neuigkeitss und Unterhals
magſ⸗Hunger auf allen Stufen der Geſellſchaft.“
Der Geſchichtslehrer hat ganz eigene die Aufgabe eines ſolchen
denkenden Beobachiers ; es Tieidet ihn in der That fchlecht, wenn er den
Mangel eigener Dentarbeit nur unter falbungswollen Redensarten und
unter einem hoben Pathos, was allerdings ziemlich mühelos if, vers
Deden wollte. Es gilt weniger den Umfang als die Tiefe der Beobach⸗
Yung; wub rim deuticher Geſchichtslehrer mag vorläufig fich befonders
368 Geſchichte.
auf die Würdigung vaterländiſcher Lebensverhäftniffe einlaffen, um
im Hinblick auf diefe an die Löfung feiner Aufgabe zu gehen. Weit
genug if bereits dies Gebiet für große Kräfte; und wie Vielen find
folche verfagt!
Mit Rüdfiht hierauf werde nur noch an ein paar Gtimmen
erinnert.
Ed. Büder in Bern erwähnt in der Darftellung deutfcher Noth⸗
fände, daß felbft von denen, welche fih vom Schimmer der Bortrefflich-
keit der Gegenwart beftechen laſſen, je länger deſto weniger in Abrede
geftellt werde, daß die Noth des chriftlihen Volks in ihren mancherlei
Formen und Verzweigungen nahezu allerwärts eine unüberſehbare fei.
Es werde dies Bolt jetzt thatfählih nur fehr obenhin von den Lebens
Träften des Evangeliums berührt. Statt die Nahrung feines geifligen
Lebens bei Chriſto und feiner freimahenden Wahrheit zu ſuchen, lafſe
es fih von den nächftliegenden kleinen Intereſſen der Welt und Zeit,
die im Urgen liegen, dahin nehmen. Diefe Intereſſen ermangeln aber
der höhern Einheit; fie gehen ihrem Wefen nach in zufällige Mannich⸗
faltigfeit auseinander, fo daß von ihnen eine desorganifirende, das Bolf
zur Maſſe atomifirende Wirkung ausgeht. „Der Strom des Berders
bens, der feine tieffte Quelle in der fo weit verbreiteten Abkehr der Ges
müther vom Gott des Heils hat, ergießt in tauſendfach verſchiedener
Geſtalt feine giftigen Wafler durch alle Schichten der Geſellſchaft.“ Sie
dringen auch bis in Haus und Familie, in diefe bleibende Baſis alles
Volkslebens, und vermüften beide durch moderne Berlotterung, aus wels
cher fie wieder auf den urfräftigen Boden des Neiches Gottes hinübers
zuziehen eine eben fo ſchwierige, ald bochnöthige Arbeit bleibt.
Ferner: In feinen Gedanken über das Mißverhältniß der (theolo⸗
gifchen) Wiſſenſchaft und des chriftlichen Lebens äußert H. Thierſch:
„Ber die heilige Schrift — alfo auch die Geſchichte darin — ohne
Anbetung Gottes und ohne Leben aus Gott fudirt, für den muß fte
zum abgeftorbenen Buchſtaben werden, und das Abgeflorbene muß zulept
verweien ... Wer kann die Maffe von bewußter und unbewußter Heu»
chelei ermeflen, wozu das gegenwärtige Gefchleht durch die von den
Herrſchenden begünftigte und eingehaltene Nichtung verleitet wird !"’
Damit möge e8 der fummarifchen, wie der einzelnen Andeutungen
über die gegenwärtige fociale Situation genug fein. Ahr Charakter
fpringt daraus deutlich genug in die Augen, um zugleich darüber außer
Zweifel zu laffen, was für ein Heilverfahren und welde Heilmittel das
gegen zeitgemäß fein werden. Wie viel oder wenig ein Lehrer an
feinem kleinen Theile dazu beitragen kann, bei richtiger Erfenntniß diefer
Situation, ihrer Nöthen, wie der bereits Dagegen in Wirkſamleit gefepten
Hülfen, im Kreife der ihm anvertrauten Jugend einen gefundern Sinn,
hriftlich geläuterten Willen und pietätvolleres Wefen anzubahnen und
einzuleben: nicht das kommt in Frage, fondern Daß er überhaupt mit
Ernft und Eifer nur in diefer Richtung um des Gewiflens willen arbeis
tet, die dargebotenen Hülfen weislich und wirkfam anwendet, und fid
felbſt treu in der Wahrheit erfinden läßt. Diefer Geift muß auch feinen
Geſchichte. 369.
efgidtlichen Unterricht durchwehen; dann wird der Gegen nie ganz
fehlen. Er wird, bei eigener Sammlung und Wintehr feines Gelſtes
und bei Reinigung des eignen Herzens, den hellen Blick zur Würdi⸗
gung der geſchichtlichen Entwidelungen und Charaktere, er wird aber
auch damit eine Macht über die Herzen gewinnen, aus der leicht aller
übrige Einfluß fich berleitet. Daß todtes MWorts, Namens und Zahlen⸗
werk, daB flüchtige Blide in Allgemeinheiten biforifher Zufände, daß
auch vorſchnelles Aburteln des Werthes von Thaten und Gefinnungen
Diefe Macht nicht zu erſetzen vermögen, darüber beſteht Fein Zweifel.
HU. Andeutungen über die gegemvärtige pudagogiſche
Situation. |
Nachdem lange Zeit hindurch den pädagogifhen Entwidelumgen tm
der Schulwelt fat völlig freier Raum belaffen war, haben höhere regms
latorifche Anordnungen die Grundzüge des zufünftigen Charakters und
Ganges dieſer Entwidelung durch befiimmte Normen feſtgeſtellt. Ders
gleihen Anordnungen find von den höchſten Schufbehörden mehrerer
deutſchen Länder in den legten beiden Jahren erlaflen, im andern find
verwandte vorbereitet und durch einleitende Schritte angebahnt. Dieſe
neuern Beftimmungen betreffen nicht bloß den Stoff und die Unter»
richt sform, fie reguliven nicht bloß im qualitativer und quantitativer
Rückſicht, was in den Eulen zu lehren fei, und die Methode, wonad
dies verarbeitet werden folle, fondern fie ſchreiben auch den Geiſt vor,
welcher das ganze Werk der Bildungsarbeit zu durchdringen habe, und
die Tendenzen, welche verfolgt werden ſollen. Sie find ferner nidt
bloß für die niedern, fondern au für die höheren Schulen gege
ben, und umfaflen daher den größten Theil der gefammten Ingend⸗
bildung und Jugenderziehung des Boll. Wegen threr Umfaſſenheit
und großartigen Tragweite find fie bald von allen Pädagogen und
Sähulmännern, die den erforderlichen Tief» und Weitblick dazu heftigen,
als ſehr bedeutjame Erſcheinungen angefehen worden. Es dat wicht ger
fehlt, daß die paͤdagogiſche Welt dadurch Immer mehr und mehr in zwei
Heerlager auseinander getreten iR. Es if ein Kampf unter den Ber
treten der ältern und denen der neuern Richtung entbrannt, in weichem
die innern Gegenfäge beftimmt fotmulirt zu Tage getreten find, und
bei weldyem auch, wie die Brincipien, fo die Eonfequenzen eine ſpe⸗
cieflere Entwidelung gefunden haben. Zur Klärung des Zerrains iR
das ſehr willfommen gewefen, fo weit die Sache fe im Auge behalten
iſt. Wo hüben und drüben fih Perſoͤnlichkeiten eingemifiht haben, iß
manches Unerquidliche nicht ausgeblieben.
Im Weſentlichen zweden die nenern Beſtimmungen auf eine fer
nige national⸗chriſtliche Volksbildung ab; fle fiheiden und,
was zu diefer theil® gar nit, theils nicht mit erweislich zweifelloſem
Erfolge zu verhelfen vermag, befhränten alfo den Umfang des
Made, Yahreöberiht. X 2%
370 Gecchichte.
Bildungsgebiets; ſie betonen dagegen mit erhöhterm Nachdruck, inner⸗
halb des eingeſchränkteren Gebiets, alle die Momente, welche das nicht
fowchl neu formirte, als nur neu eingeſchärfte alte Ziel mit der durch
zahlreiche Erfahrungen bewährter Pädagogen und Schulmänner verbürg⸗
ten, möglihft größten Wahrfcheinlichfeit erreichen zu helfen, für befons
ders geeignet erachtet find. Deshalb legen fie das Hauptgewicht auf
Hriflihe und vaterländifhe Unterrihtsftoffe, auf evans
gelifhen (biblifhen) Sinn und ähte Baterlandsliebe; anf
Klarheit, fihere Befeftigung und geiftige Beherrfhung eines zunächſt
engern Bildungsgebietes, und auf praktifhe Anwendbarkeit im natios
nalen Leben.
Die früheren Bildungs» Principien gingen auf möglihft tüdhtige
und umfaffende geiftige Bildung im Sinne der Humanität hinaus.
Sie ſchloſſen deshalb eben fo mannichfaltige als vielfeitige Bildungsmoe
mente in den Kreis des Unterrichtögebietes ein, fahen die religiöfen und
nationalen unter denfelben zwar als fehr wichtige, aber nicht als die
allein fundamentalen an, auf welchen alle deutſche Bolfsbildung zu
erbauen fei, und pflegten die Erfenntniß und die Spontaneität
des Geiftes direct mehr, als die Befruchtung des Gemüths und
die Befeuerung des Willens. Nach ihnen follte erft allgemein das
sein Menſchliche durd Wedung und Uebung der natürlichen Anla-
gen entfaltet und geklärt, und dann das fpeciell Religidfe und
Volksthümliche berüdfihtigt werden; erft allgemeine geifige
Entwidelung, dann die nah einzelnen wichtigen Richtungen bin.
Sener follten die Stoffe wie die Wege, an und auf denen, nah Maaß⸗
gabe der Lehren der Geſchichte der Pädagogik, der menfchlihe Geif face
tiſch fich bereichert, geübt und gefhärft, möglihft alle zu Nutze kommen,
und der Reihthum und die Mannichfaltigkeit des erworbenen allgemein
geiltigen Guts follte als Aequivalent für etwaige Unficherheit und Uns
fertigfeit im Einzelnen gelten.
.. Auf den durd die ältern Principien vorgezeichneten Wegen haben
viele Tauſende der Wackerſten ihre Bildung erhalten und thatfächlich
erworben; dieſe Wege waren überdies fo gut wie ihre iele früher
obligatorifh. Es ift darum nicht fein, fle unbefehens heut zu perhor⸗
zesciren; fie haben in der That fehr viel Lebensfähigkeit in fi. Aber
fie find nicht die ausfchließlichen Zräger und Erzeuger alles geiftis
en Lebens. Jedoch wie Manches von den flrebfamften Kräften auf den
Prügern Wegen nicht erreicht werden Fonnte, ja wie fogar Abirrungen
and Zielverfehlungen dabei fih ergaben, fo fönnten gleihe Mängel bei
serfehrter Verfolgung der neuen Weifen auch mit der Zeit zu bekla⸗
gen fein. Es wird wahrſcheinlich bald durch die Erfahrung conflatirt
werden, daß, wie Manches von den neuern als Gorrectiv und Com⸗
plement für die älteren Principien gelten darf, fo fiherlid aud ums
gelehrt, Sofern es an richtiger Stelle und im rechten Geift angewendet
wird, Die neuen Principien flüpen alle Bildung auf den hriftli-
‚hen Glauben und fehen als deren Ziel das hrifllihe Leben an;
fie weijen, als mehr gefährdend denn förderlih für diefe Zwede, vie
Geſchichte. 374.
große Maunichfaltigkeit des Bildungsſtoffs und die eminente Verwendung
defielben zur intellectwellen Entwidelung ab, und halten fh mit
bikorifcher Treue an den immer doch auch gar großen Kıeiß der reli«
giöfen und vaterländifhen Büdungsfloffe. Diefe find fer, Mar,
geordnet, mit Geift und Herz fo anzueignen, daß fie für das chrifliche
und patriotifche Leben praktifhe Erfolge liefern. Darin liegt eine
gewifie Einfhränfung, und diefe wird noch dadurch ſtraffer angezogen,
daß nicht auf den heterogenften methodifchen Wegen, fondern auf bes.
Rimmt zum Biele führenden die Bildung vermittelt werden fol.
Gegen dieſe zwiefahe Berengung des pädagogiihen Thuns if
manche ſcharfe Gontroverfe gerichtet; aber gefeglihe Abänderungen find.
darauf nicht erfolgt. Deshalb bleibt es bei den gegebenen Borfchriften
zunächſt unverrüdbar fleben, und die pädagogijche Arbeit iſt darnach zu
reguliren. Da letztere übrigens den Ertrag aller wahren didactiſchen
Sortichritte, fofern er mit dem Geiſte der neuern Beflimmungen harmo⸗
nirt, benugen fann, ja weitern derartigen Fortfchritten auf dem Wege
praftifcher Bewährung nachzuſinnen ungehindert find, fo mag mindeſtent
von Diefer Seite kein billiger Wunſch übrig bleiben, dem nicht Ges
währung in Ausfiht fieht. Freilich bleibt defienungeachtet der Kampf,
der mit der Einprägung der Lehrſtoffe bis zur Unverwüflichkeit des
Defiges bei der Jugend zu führen if, fehr fhwer, weil er die inten«
ſivſte Anfrengung erfordert; und er wird auch mit Wufbietung aller
didastifchen Kunſt nicht mwefentlich leichter. Hier liegt für die neue Zeit
das ſauerſte Stüd Arbeit.
Klare innere Organifation des gefammten Unterrichts auf Kriflich«
nationaler Grundlage, Goncentration des Stoffs, Befchräntung des Um⸗
fange, Bertiefung in den Inhalt, folide Aneignung bis zur Beherr⸗
ſchung, praftiiche Berwertbung für’s echte Volksleben: das etwa if die
Summe der neuen Anforderungen, — groß genug für die angeflzeng«
teſte paͤdagogiſche Praxis.
Wie weit und tief dieſe Anforderungen bei den einzelnen Lehrern
durchgedrungen find; wie angelegentlich letztere ihnen thatſächlich zu ent
ſprechen ſuchen; welche Erfolge überhaupt, und ob größere ale auf vors
maligen Wegen bisher ſchon errungen find; ob die Ueberzeugung von
der Nothwendigkeit und praktiſchen Zreffenheit fih verallgemeinert, und
das Neue als das zugleich Zeitgemäßefle, herrſchenden Willfürlichkeiten
Abhelfende, Zufunftreiche, fih in Sinn und Herz der Lehrer fegefeht
bat: das vermag ein Einzelner nicht zu fagen. Biele Lehrer fepen
befimmt Ales daran, was fie an Kraft der Liebe, Einfiht und yädas
gegiſcher Geſchicklichkeit haben, um auch auf den neuen Bahnen Züchtis
ges zu erringen; Andere warten noch zu; Manche mögen auch ſtill und
laut enigegenfireben. Proben von anerkennenswerthen Erfolgen werden
ar vielen Orten aufzuweifen fein; allgemein fchlagende Refultate bedürs
fen einer längern Zeit, um fich zweifelfrei zu ergeben.
In fpecieller Beziehung auf die pädagogiſche Situation des Ger
ſchichts unterrichts in der Schule treten bei prüfender Rundſchau
nater anderm folgende Fragen entgegen:
» % -
24°
37% Geſchichte.
| Dal die Beachtung der grographiſchen Verbältniffe im Geſchichto⸗
untertichte bereits in größeren Umfange und mit ſtärkerem Nachbruck
ald früher Platz gegriffen, fo daß bei allen Geſchichten der charakleriſti⸗
ſche Boden, worauf fie fih entfalteten, zur Anſchauung gebracht wird?
Iſt die alte Geſchichte in den Volksſchulen kein ſelbſt ſtändi⸗
ger Abſchnitt des Geſchichtsunterrichts mehr; ſondern werden die erfor⸗
derlichen Lehrſtücke aus derfelben überall in die biblifche Geſchichte vers
weht, und erhalten fie dabei zugleich ihre Beleuchtung vom bibfifchen
Standpunfte?
Wird überhaupt in den Volksſchulen der Gefchichtäunterricht auf
vaterländiſche Geſchichtsverhältniſſe befhräntt, und find es neben den
äußeren Staats» und Volk «verhältniſſen vorzugsweife noch die
kürchlichen, welche zu eingehender Berückfichtigung kommen, um über
diefelben zu Parem, feftem Bemwußtfein, und an ihnen zu treuer, darafe
tervoller Gründung auf aͤcht riftliche Fundamente zu verheifen? ,
ZA bei der gebotenen Befchränfung des äußern Stoffe die in»
nere, geiffige und gemüthliche Durhdringung fo gewiſſenhaft an«
Geftredt, daß die erwartete Beherrfchung des Materiald, die underwäß-
fihe Aneignung, das befriedigende Berfländniß, gepaart mit patriotiſcher
Begeifterung und herzlicher Glaubenstreue, auch in der That erreicht iR?
Können die Kinder, dem Maaß ihrer gefammten Kräfte entfprechend,
Aus dem Schage behanbelter Gefchichten, die denfwürdigften ordentlich,
fertig und gut erzählen, ohne fie wörtlich auswendig gelernt zu haben ?
Geben Augen und Worte Zeugniß ihrer innern warmen Antheilnahme
daran, daB weder todtes Zahlen» und Namen», noch todtes, fleriles
Thatfahene Werk über die Lippen fommt? Sind namentlich den fähi⸗
dern Kindern die Dispofitionen ber geſchichtlichen Erzählungen ges
läufig; haben fie figniflcante hiſtoöriſche Ausfprüce wörtlich inne;
Äind fie mit patriotifhen Liedern fo weit und in der Art vertraut,
daß diefelben zur Belebung der erworbenen Geſchichtskenntniß dienen ?
Hat die Schule Borforge getroffen wegen Markirung patriotie
ſcher Gedenktage; hat fie bei den wichtigſten derfelben eine Schul⸗
feier veranftaltet, und wirkt davon aud etwas in das Leben des
Boltd hindert
Rrugdt zugleich der Geſchichtsunterricht auf folider Hriklicher
Brundlage, und wird er vom chriſtlichen Geiſte durchweht und ges
tragen, daß er harakterbildend wirken kann? Oder folgt er nur dus
Bern Tendenzen und findet fein Genüge in Außerlicher Abwidelung von
allerlei Berfonal», Kriegs» und Staats» Händeln ?
"Die Antwort auf dieſe und ähntihe Fragen würde die faktiſche
Situation des gegenwärtigen Gefchichtsunterrichtd in volles Licht Rellen ;
aber ein Einzelner kann diefelbe nicht geben. Seine Bognition fann
nur über feine unmittelbarfte Nähe und über äffentlihe Berichte ſich
erfireden. Nach den Erfundiguingen tiber Beide zu urtheilen, find erfolg:
reihe Anfänge, die mit Erf and Eifer verfolgt werden, bis jegt
noch die einzigen Wahrnehmungen in dieſer Beziehung. "Das if auch
zur Zeit noch nicht andere zu‘erwarten; es iſt erſt noch weitern "Ent
| Geſchichte. 38
wickelungen entgegengufehen. Welche Stimmen auderweit öffentlich fh
haben vernehmen laſſen, kann bier nur kurz angedeutet werden.
Sn einem Schul, infpeetorats s Bericht über Schulprüfungen im
Graubündtenfchen (ef. die „Pädagog. Monatsfhrift für die Schweiz‘‘
von Grunhbolzer und Bähringers 1. Jahrg. Heft 5. Zürich, Meyer und
Belle. 1856. 14/, Thlr.) mird geklagt, es fei zu tadeln, daB im Uns.
terriht in der Geſchichte das Biographiſche und das fittlih Bil⸗
dende zu wenig hervortrete; daß man dagegen zu viel Schlachtendarſtel⸗
fungen böre. „Immer klirren die Schwerter, und zu wenig wernimmt
man aus Bud und Mund des Vehrers das, mas, aus tühtiger Ge⸗
finnung bervorgehend, Einzelne und Biele zum Wohl der Gemeinde
und des Baterlandes getban haben, durch edle Thaten, aufopferndes
Leben und ſtilles Wir
In den „Bollefhulblätten aus Thüringen’ (herausgeg. von Dr.
Laudhard, 1856. Ar. 14) beipriht W. Zeifchel „zwei wichtige Uns
terrichtsfächer“ (Religion und Geſchichte). In der Geſchichte erkennt
er zwar „eine ununterbrochen fortichreitende Dffenbarung der göttlichen
Beltregieruug , einen Zeugen der Wahrheit, einen Spiegel der Vergan⸗
genheit, eine Yadel für die Gegenwart, ein Orgkel der Zukunft und die
treuefte Lehrerin erprobter Lebensweisbheit“, fo daß fie verdiene, „Ges
meingut der Menſchheit“ zu fein. Aber er emvartet ihre vornehmfe
Wirkung befremdlicher Weile davon, daß dem Kinde die Iebenvolle, die
„heitere Seite“ der gefepichtlichen Data gezeigt werde. „Erf dan
fiebewollen Vater der Menfchen im der Natur, ehe du deu gerecht firas
fenden Erzieher in feinem heiligen Ernſte um Wahrheit und Tugend
darſtellſt. Eher die Tugend als das Lafer! — Wähle vorfichtig und
weisti nach Alter, Stand und Verhältnifien ber Zöglinge; aber was
du dann mittheilft, lomme friich, heiter und fröhlich aus warmem,
tbeilnehmendem Herzen, fo daß Alle inne werden, wie du di ſelbſt
felig fühlſt in der gefchihtlihen Dffenbarung Gottes. Gin für Goit
und Brudermohl entflammtes Herz foll die Wahl leiten.‘
An diefen Aeußerungen fpiegelt fi) zwar eine wohlmginenbe und
in einzelnen Beziehungen zu billigende, aber doch den Kern der Aufs
gabe aus den Augen verlierende Anſchauung des Geichichtsunterrichts.
Mit der bloß heitern Seite und dem allegeit fröhlichen Berfahren
Bei der Darfellung iſt's auch nit zur Hälfte gethan; man freift das
mit nur an einigen Stellen die Dberflähe der Sache, und .ift ter Ges
fahr nur zu leicht ausgeleht, von vorn herein dem auch Kindern erkenn⸗
bar zu machenden Ernft der Sache viel zu vergeben. In der biblis
hen Geſchichte wäre auf dieſt Weile rein gar nicht durchzulommen.
Dem neuern regulatoriſchen Beſtimmungen würde damit eben fo werig
entfprochen.
Ueber die „Stoffwahl für den Geſchichtounterricht“ ſpricht ſich
T. 8. in dem ‚Hamburger Schulblatt““ (herausgeg. vom« ſchulwiſſen⸗
ſchafnichen Bildungsverein, Medasteur E. Hoffmann, Homburg, Nolte
und Köhler. 1856. Nr. IN6) dahin aus, daß bei dem, mas an. Daten,
Treigniſſen und Babken den Schülern zu geben, und was durch wiehers
874 Geſchichte.
holtes Ueben und Fragen fo einzuexereiren ſei, daB es für. jeden Mor
ment gegenwärtig fei, ja nicht zu viel gefordert werden dürfe. „Se
mehr man verlangt, deſto weniger wird erlangt. Je mehr das Bes
daächtniß bat faflen müflen, deflo mehr wird es wieder fahren laſſen“,
fo daß ſelbſt der nächſte Zweck der DOrientirung werde verfehlt werden.
„se mehr wir üben, deflo weniger werden wir einüben.” Und doch
fei die Zeit koſtbar. Der Berf. empfiehlt vor Anderm das Lernenlaffen
der Königsreihen (!). — Da derfelbe den Gebildetern nicht bloß ge-
dächtnißmäßiges Wiſſen, fondern auch Einſicht in den wahren gefchicht-
lichen Inhalt und in den Charakter der einzelnen Zeiträume, nicht bloß
Kenntniß der Ramen vieler Helden und Schlachten, fondern mehr noch
Kenntniß der auszeichnenden Eigenfchaften der Helden und bes Berlaufs
der Schlachten vindieirt, womit außer dem allgemeinen Bildungsgmede
auch der fpecielle in dem fraglichen Object erreicht werde, fo empfiehlt
‘er, die einzelnen Entwidelungen in jedem Zeitraum zu verfolgen.
Alfo den Staat in feinen Entwidelungs» Phafen (Diigardie, Demos
kratie des Alterthums, Vaſallenthum des Mittelalters, Organifation ber
neuern Zeit), die Kirche (in Lehre, Berfaffung, Bräucen, Streitigfei«
ten, fo weit dies für Die jedesmalige Beit wichtig war), die Literar
tur (Wiſſenſchaft und Poeſie) und Kunſt; endlih den Menſchen
ſelbſt, feinen Zeitharakter, feine Zwede, Grundfäge, Neigungen, Stim⸗
mungen, feine Bildung und Erziehung. — Dies foll aber nur fo weit
in Betracht kommen, als die Fähigkeit der Schüler, ihr Verſtaäͤndniß
"und Intereffe dabei entgegenfonmt; deshalb foll von den innern Zu-
Händen und Kämpfen abgefeben werden. Was Kinder „nicht begreis
fen" Tönnen, ift zu übergeben; was ihnen faßlich iR, dabei if zu
verweilen, denn „das ift für fie der wichtigfte Theil des Geſchichtsunter⸗
richte." — In Betreff der Behandlungsweife verwirft der Berf.
-mit Recht alle bloß abRracten Beiprehungen und Schilderungen eines
-GSittenzuftandes, einer Eulturentwidelung, und redet Dafür der concre»
ten Veranſchaulichung dieſer Verhältniſſe an einem glüdlich gewählten
Beifpiele das Wort, woran fi eine verallgemeinernde Belprehung knü⸗
pfen 1äft. (Papſtthum an Urban II., religiöfe mit äußerer Kraft der
paarte, mittelalterliche Lebensauffaflung an die Nitterorden; verfallendes
Baſallenthum an Friedrich Barbaroffa und Heinrich dem Löwen). In
"den Erzählungen ſelbſt foll dann ſtets irgend eine eigenthümliche
Seite des Zeitalters, welche der Zaflungsfraft und dem Intereſſe des
Kindes zugänglich if, zur Anſchauung gebracht werben (einen Feld⸗
"zug, eine Schlaht, das Bild von einem Tempel, eine Gedicht⸗
- probe, — dies aber ausführlich, flatt vieler unausgeführter!), Da
Kindern die Gefchichte nur in der Form von Geſchicht en zu geben tft,
fo fällt die Beforgniß vor Zerflüdelung, vor Vernichtung des Zufam-
menhangs u. f. w. hinweg. Das Zortipinnen des gefchichtlichen Fadens
im Sinne wer Herftellung des Zufammenhange if für Kinder
vergeblich. Aber bei aller Bereinzelung fol do der Lehrer für ſich
bei feiner Auswahl Ordnung und innern Zuſammenhang im Auge bes
halten, manches fehr ausführlich, anderes kurz behandeln, Das Detail
Geſchichte. 375
aus den unmittelbarfien Quellen fchöpfen, und durch glückliche Epifoden
Manches über Sitten und Zeiteigenthümlichfeiten einfleckten, was hei
lebhaftem, anſchaulichem Bortrage geeignet ift, wieder Leben, Theilnahme
und Liebe zur Geſchichte zu erweden.
An diefen Gedanken if Vieles ald ganz praftifh anzuerkennen,
wenngleih Belehrungen über die Entwidelungsphafen des Staats, der
Kirche, der Eultur und des Menfchen felbft mehr auf eine Philofo»
phie der Geſchichte, als auf einen Elementar-Eurfus derfelben hin«
auslaufen könnten. Es fpiegelt fih darin Manches wieder, mas die
neuen regulatorifhen Beflimmungen anordnen; nur der Geift iR nicht
gekennzeichnet, der durch das Ganze wehen fol. Wenigftens tritt nicht
far entgegen, ob der fpecififh bibliſch⸗chriſt liche, .oder der all»
gemeinsreligidfe Geift dabei zur Geltung gebracht werden fol,
oder ob von aller Betonung religiöjer Erfaffung abzufehen und nur
der hiſtoriſche Standpunft zu wahren ifl.
Für die letztere Alternative hat fih einem Neferat in Berthelt's
‚ „allgemeiner deutfcher Lebrerzeitung” zufolge (cf. 1856. Nr. 28. ©.
206) die am 26. März d. 3. zu Braunfchweig von 70 und einigen
Lehrern abgebaltene Ofterverfammlung des Landesvereins Braunſchwei⸗
giſcher Volksſchullehrer entſchieden. Sie nahm in Beziehung auf den
Geihichtsunterricht in der Volksſchule folgende Thefen des Lehrers
Behrens an: Diejenige Volksſchule entipricht nicht den Anforderuns
gen der Gegenwart, die den Geſchichtsunterricht ausfhließt.
Der gefchichtliche Unterricht entfpriht micht den gerechten Anforderuns
gen, wenn er nicht in den urfähligden Zufammenhang der wid
tigen Entwidelungs Momente der Menſchheit führt, ohne jedoch
durch Erzählung zu vieler Begebenheiten fi in die Breite zu verlieren.
Der Gelchichts » Unterricht fei der Art, daß der Schüler darin einen
Spiegel für feine eigene Entwidelung findet, doch ohne in Moralpres
digten und fittlihe Reminiscenzen auszuarten. Der Gefchichts » Unter
riht muß allein vom hiſtoriſchen Standpunkte aus, mithin rein
objectiv aufgefaßt und vorgetragen werden.
Ob in einer Schule gefhichtliher Unterricht zu ertheilen ſei oder
nicht, das machen die neuern regulatorifchen Feftfeßungen von der Mög»
lichkeit der Zeitgewinnung dafür wefentlih mit abhängig. Bei nur
12 — 16flündigem wöchentlichen Unterriht ift mit der Zeit auch die
Möglichkeit dazu faſt völlig abgefchnitten. Ferner verwerfen diefe Feſt⸗
fegungen für Volfsfhüler die pragmatifche Behandlung und naments
lih die Verfolgung der Hauptmomente der Entwidelungsgeichichte der
Menſchheit, indem fie nur den vaterlänbifchen und kirchlichen
Geſchichtskreis geftatten, und auf fchlihte, warme Erzählung dringen,
bei der die Ermwerbung des Verftändniffes der Entwidelung nit als
Hauptziel aufgefaßt werden fol. Vielmehr foll dem Gemüth und
Charakter des Kindes Nahrung und Borbild gegeben werden. —
Bas den rein objectiven Standpunkt hiftorifher Darftellung ande
trifft, fo if darüber ſchon im VIL Zahrgange des Pädagogiichen Jah
sesberihts, ©. 424 ff. das Nähere erörtert. Er erweiſt ſich praftifch
376 Geſchichte.
für Kinder mit nichten fo fruchtbar, als auf den erſten Aublid gehofft
werden möchte, zumal da ohnehin die Zahl der Lehrer, welche wiſſen⸗
ſchaftlich völig befriedigend ausgerüftet find, fi auf denfelben zu ſtellen,
in Volkeſchulen klein if.
Mehr ale die Anſchauungen der Braunfchweiger Lehrerverſammlung
fließt fi das, was in dem „Schulfreund“ von Schmitz und Kell⸗
ner (cf. diefe „Quartalfchrift zur Förderung des Elementar s Schutwes
fen® und der Jugenderziehung”, 12. Jahrg. 2. Heft. S. 152 ff. Trier
1856) bei Gelegenheit der Aufftellung einer Dispofltion zu einer Con⸗
ferengarbeit „überden Befhihtsunterriht in unfern Bolfe»
ſchulen“ gefagt if, den neuen Beflimmungen an. Dort wird zwar
auch von der Gefhichte als von der „Geſchichte der Menſchheit durd
Gott zu Gott“ geredet; aber es wird auch deren enger Anſchluß an
die bibliſche Gefchichte, als deren vielfeitige Ergänzung und Forts
feßung gefordert. Indem fie auch der Landfchule vindicirt wird, if
doch ganz Fategorifh ihre pragmatifche Form abgewiefen, ſelbſt bei
der Geichichte Des Baterlandes, und es if als Grund die Zeitfürze und
die Ungeeignetbeit diefer „trodnen und unfruchtbaren““ Form für die
Kindesnatur angegeben. Da die treibende Kraft der Geſchichte nit am
bloßen Ramenregiftern, nicht am Wer und Was, fondern am Wie hängt,
fo werden nur Geſchichten aus der Gefchichte, friſche, lebendige, ans
forehende Bilder in gefälligem Rahmen empfohlen, angefnäpft an
biblifche Geſchichte, Leſebuch, einzelne wichtige Gedenktage des Vaterlan⸗
des, an die Seimathfunde und Geographie des VBaterlandes, und fo ges
wählt, daB fie die Entwidelung und Ausbreitung des Chriſtenthums,
fowie die Entſtehung, das Wachsſsthum und Gedeihen des Baterlandes
darlegen, und Liebe zu diefem in die Herzen pflanzen. Man kann nur
beifimmen, wenn auf lebendige, freie Erzählung mit anſchaulich⸗ſchil⸗
derndem Wort, fowie auf Mittheilung und @inübung paflender geift-
liher und weltliher Lieder bis zur Unvergeßlichkeit aller Nachdruck ges
legt wird; aber die Abweifung alles Borlefens wird fih nicht allge
meiner Zufimmung zu erfreuen haben.
Zu Wefentlihen find hier diefelben Grundgedanken wie in den
„Regulativen‘ enthalten. Zu bedauern if, daß in dem katholiſchen
„ Sulfreund“ in manden Beurtheilungen gejchichtlicher und anderer
Zehrbücher von proteftantifchen Berfaflern eine fehr feindfelige
Stimmung, oft ein giftiger Sohn (zumal bei dem Recenfenten th) fich
ausfpricht, welche niederreißt, ftatt zu bauen, und bisweilen fogar der
erforderlichen Gerechtigkeit vergißt. —
Auf die pädagogifhe Situation der Gegenwart werden
außer durch obige Stimmen und Gedanken auch noch von ein Paar
andern ' Seiten räftige Schlaglichter geworfen.
In einem großen politifhen Tagsblatte wurde einige Rummern
bindurd die Frage erörtert: „Was it Geſchichte, und zu wel»
chem Zwede wird fie auf Schnien gelehrt?" Wenn au
zunähf bei dieſer Grörterung nicht die Boltsfhulen, fondern hä»
here Schulen aufs Korn genonmen wurden, fo liegen mehrere Bezies
Geſchichte. 377
Hungen auf jene doch keineswegs fern. — Es heißt dort, In deu meets
fen Schulen werde die Gefchichte fo gelehrt, als fei He nur Lehrobject,
um das Gedächtniß zu flärfen. Namen, Thatfechen und Jahreds
ahlen werden gelernt und abermafs gelernt, bis vielleicht der Schüler
fein Gompendium auswendig wiſſe. Damit könne es auf nichts Ande⸗
res, als auf bloße Scheinbildung abgefehen fein; es folle die Tin»
annehmlichkeit verbütet werden, dag der Schüler manche allen Geſchichts⸗
kundigen geläufige Namen entbehre. Aber ein bloßes fcheinbares Willen
gefährde die Befcheidenheit, mache aufgeblafen und dänkelhaft. „Bill
man Gefchichte nur in außerlicher, mechanifcher Weiſe lehren, dann
lieber fort mit derſelben von unfern Schulen, — im Sntereffe
der Wahrheit!“ Obgleich troß der Prayis befritten werde, dag man
mit dem hiſtoriſchen Unterriht nur eine Scheinbildung beabſichtige, fo
ergebe doch die Durhmufterung der Lehrbücher (z. ®. von Büp,
Shmidt, Beber) nnd das Befragen der Lehrer ſelbſt, daß man
thatſachlich ſowohl bemüht fei, die Schüler mit einer Menge Thatſachen
befannt zu machen, als fie in deren pragmatifchen Bufammenhang eins
zuführen, damit fle einfehen, wie das @ine aus dem Andern folgt. Der
Stoff fei zum Zheil von der Art in den Lehrbüchern, daß ihn wohl ein
die Univerfität verlaffender Student, aber feine Schufe vornehmen könne.
(Putz über den Gegenſatz der ſcholaſtiſch⸗ariſtoteliſchen Philoſophie zur
nenplatonifhen und zu den Schulen der Myſtiker. — Schmidt furze
Borführung aller Gebiete des Gulturfebens, Gntwidelung der Kirche,
des religidfen Lebens, des Staats, der Geſetzgebung, der Berichtövers
faffang , Philoſophie, Literatur, Kunſt — und zwar fpeciell der Baus
fun, Plaſtik, Malerei, Myſtik, Dichtkunſt u. f. w. Und dies Alles
nicht etwa bloß bei der deutſchen Gefchichte, fondern bei allen hiſto⸗
rifhen Bölfern und Staaten) „Solchen Unterricht, ber unverftandene
Dinge in den Kopf bringt, lieber weg von der Schule!‘
Der Berfafler jener Erörterungen mag wohl Gelegenheit gehabt
haben, viel Fehlgriffe im praktiſchen gefchichtlichen Unterricht Fennen gu
fernen; Doch ſteht wohl faum zu fürchten, es werde in den meiften
Schulen mit prämeditirter Abſicht auf pure Schein bildung bingears
beitet. Vielmehr dürften Abſicht und Streben in beſtimmt fehr
vielen Fällen löblih, aber Mittel und Wege oft vergriffen fein. Hier
wäre alfo Remedur von Nöthen. Der Verf. deutet auch darüber noch
Einiges an.
Es if eine der heiligften Pflichten der Schule, unter Gottes Bei⸗
fand dafür zu forgen, daß die Glieder unfers Volko von defien Ver⸗
gangenheit, den Thatfachen und Geflnnungen, woraus dieſe hervorge⸗
gangen find, Kunde erhalten, um auf Grund diefer Vergangenheit bans
dein zu Fönnen, naddem Gefühls⸗ und Willensrichtung daran
gebildet find. Zu dem Ende genügt eine bloße Kenntnißnahme
von den Thatſachen nicht, fondern vor allen Dirgen muß der Schükr
vom Geifte der Wergangenheit angeweht werden, ſich in die Geſin⸗
aung hinein verfegen lernen, aus der unfere Vorfahren handelten, und
fomit hiſtoriſchen Sinn gewinnen. Es iſt auch irrig, zuerſt nad
378 Gecſchichte.
Pragmatiſchem Zuſammenhange zu fragen, und dieſen im Einzelnen
‚aufzeigen zu wollen, ehe jener hiſtoriſche Sinn erworben iſt; denn das
führt nur zu eiteln, tönenden Worten. Jener, Zufammenhang if zu
feiner Zeit an der Gefchichte eines Volkes (des israelitifchen oder bes
angeftammten) nachzuweiſen, ehe er in der Gefchihte überhaupt her
geRellt wird. „In erfter Linie bezwedt der Gefchichts » Unterricht Bils
dung des Gemüths und Willens, und erfi in zweiter Entwider
lung des Denkens und das Begreifen der Geſchichte als eines
wohlgeordneten geiftigen Kosmos.’ — „Unfere Bildung entflammt theils
aus unfern eigenthümlichen nationalen Lebenselementen, theils aus dem
Chriſtenthum, theils aus griechifchen und römifcgen Elementen, theils
endlih aus ſolchen, welche durch den materiellen und geifligen Verlehr
mit andern Völkern der Gegenwart aufgenommen find. Die Elemen»
tarſchule hat nur die erfien beiden Bildungsquellen zu benugen,
und-aud der Weg der Realfchule hat in nationale Bildung hineins
zuleiten und fo für's bürgerliche Leben zu befähigen. UWeberladung mit
nicht zwedentfprechenden Bildungselementen fchadet der Gründlichkeit,
‘indem fie Geiftesträgheit und Gedankenloſigkeit fördert.‘
Der Verf. verwirft bei der praftifchen Ausführung die Geſtaltung
folder concentrifchen Lebrkreife, wonah den untern Unterrichtöfufen
die alte, mittlere und neuere Gefhichte in befhränfterm, und
den obern diefelbe in nur erweiterterm Umfange geboten werden
würde. Er will für die unterſte Stufe nur biblifche Gefchichte im
genauen Anſchluß an den Bibeltert, ungeftört durch Reflegionen und
moralifche Betrachtungen, damit einmal der Schüler feſten Zuß in diefer
Geſchichte faßt. Dann möge Einiges von den wichtigen Zügen ber
vaterländifhen Geſchichte angefchloffen werden. Bon Quarta eines
Gymnaflums an fol alte Gefchichte in einigen ausführlichen Dar⸗
ftellungen (die großen Kämpfe zumal) concret anfhaulich im engen
Anſchluß an die Quellen gelehrt, von der alten Culturgeſchichte
aber abgeſehen werden. In Die folgende Klafle gehören verwandte Dar⸗
ſtellungen aus der mittlern und neuen Gefchichte, vor Allem aber vas
terländifche Gelchichte. In der Realſchule bedarf die 3. Klaffe der
Geſchichte des deutſchen Mittelalters, der Gefhichten und Sagen
‚ und Helden der einzelnen germanifchen Böllerfämme bis auf Karl den
Großen in einer Faſſung, wie die griechiſche Jugend die Helden des
Zrojanifhen Krieges kennen lernte. Daran fchließt ſich fpäter bie
neuere, namentlih die preußiſche Geſchichte. Erf die oberfte
Klaffe ordnet das Ganze mit Hülfe eines Compendiums, fährt tiefer in
den Geift der biblifchen, alten und vaterländifchen Gefchichte, und lehrt
fie als einen Complexus, als einen Organismus von Thatfachen
kennen. „Erſt lerne der jugendliche Geiſt ih vor den Thatſachen
beugen; dann mag er urtheilen. Nicht aber Tann und darf das Um⸗
gekehrte geſchehen!“
Auch in dieſen Gedanken ſpiegelt ſich die neuere Situation der
vpaͤdagogiſchen Anſchauungen vom Geſchichtsunterricht wieder, Die den
Grundprincipien der neuern Beſtimmungen adäquat iſt; während einige
Geſchichte. 379
vorhin angezogene Citate davon Zeugniß gaben, daß and die Altern
Brincipien noch ihre Nachfolger finden. Wieder und immer wieder
werden Chriſtenthum und Nationalität, beide echt und gefund
‚vorausgefeßt, als die beiden Angeln angeſprochen, in denen fi die
neuere Volksbildung zu bewegen babe, und es wird auf Bildung des
Gemüths und des Willens ein ungleich Rärferer Accent gelegt, als
auf bloße hervorragende intellectuelle Bildung. Die Ueberzeugung,
weiche jüngf ein Meferent bei Beurtheilung der Schrift von Prof. Dr.
Meißner: „Heinrich Heine und fein Ende‘, ausſprach: „Auch das
glaͤnzendſte Talent ohne fittlihe Denkart, ohne einen feſt auf ewigem
Grunde flebenden Charakter vermag fich auf die Länge nicht zu halten;
deun gleich wie der von Mark des Lebens erfüllte Anochenbau dem
Menſchenleibe die feſte, aufrecht ſtehende Geſtalt giebt, eben fo verleiht
nur der auf das ewig Eine und fi unmwandelbar Gleiche gerichtete
Charakter dem Menfchengeifte Feftigkeit und Dauer”, — bricht ſich
immer weiter auch wieder in der pädagogiihen Welt heut zu Tage
Bahn; obwohl fie ja eigentlich eine bereits alte, bewährte if. Die heu⸗
tige Padagogik hat deshalb ihr Abfehen mehr auf die Kindesfeele,
als auf den Kindes kopf, und wendet jener auf allen geeigneten We⸗
gen möglihf viel Zeit und Pflege zu, unterfkügt durch das Bewußtſein
göttliher Beibülfe Darauf deutet auch ein fchönes Wort des ©. R.
Ule im Schuiblatt der Provinz Brandenburg hin (1856. Mais und
Juni⸗Heft. S. 302): ‚Man wird dem Entwidelungsgange und dem
Leben des Kindes, vorzüglich aber dem Geifte des Herrn Vieles, viel⸗
leicht das Meifte überlaflen müflen, dagegen aber gewiß eben fo ſehr
feiner Berpflihtung gegen eine Kindesfeele genügen, wenn man gleich-
ſam durchs Gedächtniß hindurch Samenkörner in den Ader
bes kindlichen Herzens bringt, an welden der heilige Geiſt und
das Leben nachher feine befruchtende Kraft offenbaren fann.... Sols
ches wollte ih auch um der tbeuern Zeit willen gelagt haben, Die
für ein Schulkind viel zu theuer ift, als daß fie durch ein unzweckmä⸗
Bige® Lehrverfahren follte ertödtet werden.” Und daflelbe hielt bei der
neulihen Wiedereröffnung der Ritterafademie in Brandenburg deren
Director Dr. E. Köpke feinem Goetus vor, in Worten, melde, ent⸗
fprechend dem gegenwärtigen pädagogifhen Streben, im Beginnen mit
und im Führen zu Gott die beiden ewigen, fhügenden und fräftigen«
den Schranken marfirten, in welchen fi) das Schulleben bewegen muß,
um die jugendlichen Seelen zum ernten Dienſt und fröhtihen Schmud
des Lebens beranzubilden, zur Ehre Gottes und zu ihrem eignen Heil.
Innerhalb diefer Schranken, die da lehren, freie Knechte Gottes zu fein,
müflen ſich Erziehung und Unterricht bewegen, wenn fie charakter⸗
feRe Männer Hilden follen, vor Allem feR in der Treue. „Unfere
Zeit befragt alles irdiſch Große und Alts Ehrwürdige gleiblam um ſei⸗
nen Paß nad der Ewigkeit, und wenn e8 feinen befipt oder kei⸗
nen Durch Demuth gewinnen will, verfällt es dem Gericht, und wird
vom Zeitgeiſt in den Staub gezogen und verderbt.“ —
Zum Schluß fei noch an die Austaffungen des Pfarrers 2. Bölter
330 Geſchichte.
erinnert, welche darauf abzwecken, ben neutern Unfchamungen in Rezie⸗
bung auf bedeutend verflärfte pädagogiſche Pflege des chriſtlichen
Elements im Schulweſen breitere Bahn zu machen. Verwandte Gedan-
fen mit Beziehung auf den Geſchichteunterricht find bereits im VII,
Paädagogiſchen Jahresberiht S. 389 ff. angeführt. Bei Gelegenheit der
Beivrehung des ‚Bandes zwifhen Kirche und Schule‘ (Saddentfcher
Schulbote 1856. Nr. 16 ff.) kommt 2. Bolter auf die „Bildung der
zum Schulſtande Auserwählten” zu fprechen, und wiederholt ausbräds-
fi, daß ale Prineip diefer Bildung nicht die entfhiedene Ges
ringſchätzung des chriſtlichen Elements, und die Bevorzu⸗
‘gung der Fächer zu gelten habe, welche zur fogmannten allgemeinen
Menſchenbildung führen, und vorzugsweife den Verſtand
aufflären und das Wiffen möglihf Reigern follen. Dadurch
würde diefe Bildung decentralifirt und depotenzirt. Bielmebr, da unfer
Bolk ein Hriftlihes if und alle Bildung ſich an ſchöpferiſch Gege⸗
benes anfchließen muß, das Wrelement im Bildungsproceß unferer Ras
tion aber das Chriſtenthum if, fo muß e6 au das Lebensceutrum
an den Bildungsherden fein, da, wo das Bolf aus feinem geiftigen
Lebensgrund ſich immer wieder neu aufbaut. Der chriſtliche (evan⸗
gelifche) Charakter muß der Character indelebilis der Volkeſchule umd
der Seminare fein; diefe Bildungsftätten müffen darin leiben und leben,
um den erwarteten Einfluß auf das Boll zu gewinnen. Indem das
chriſtliche Bildungs» Element ſowohl eine centrale ale univers
felle Dignität bat, fammelt 2. Vöolter alle Bildung um daffelbe,
und will dadurch zugleih das echt nationale Element unferes Bolfes
eultiviren. Ueberall dringt er auf organifhen Zuſammenſchluß der
Bildung, gegenüber dem centrifugalen Auseinandergehen und den ertra«
vaganten Forderungen an die wiffenfhaftlihe Bildung der Vollsſchullehrer.
Was ſpeciell für den Zweck der Herſtellung des Bandes wifhen
Kirhe und Schule, namentlich über Seminar» Ginritung, Tonft noch von
2. Bölter gefagt wird, ift bier zu übergehen; indem es bier nur dar⸗
auf anfommt, die vädagog iſche Situation der Schule in einigen Orund⸗
zügen zu kennzeichnen, in fo weit fle auch den unmittelbarften Einfluß
auf Befaltung des geſchichtlichen Schulunterrichts haben muß.
IH. Beitgemäße Aufgabe des Geſchichtsunterrichts.
Aus den bisherigen Erörterungen und den in biefelben eingefledh-
tenen Stimmen ergibt fih die gegenwärtig zu Iöfende Aufgabe
des Geſchichtsunterrichts. — Da wo die Gefchichte nicht als ein bloß
menfhlihes Durdelnander und Nacheinander von Gtrebungen umd
Kämpfen für vergänglihe Zwecke der Herrſchaft und bes Beſißzes, wo
fie vielmehr als eine wunderfame, von Gott geordnete, großartige Eut⸗
widelungs » Arbeit des gefammten Menſchengeſchlechts wie der einzelnen
Bolker ericheint, wird es ſelbſwerſtaͤndlich ſchon langſt nicht mehr ale
x
Geſchichte. 361
Sufanbe des geſchichtlichtn Unterrichts gegolten haben, rein äußer⸗
HH und mechanifch dieſe Beſtrebungen und Kämpfe ſorgfältig zu
regtſtriren, und die Ramen der darin verwidelten Perfonen gu merken.
Denn das Hiefe auf unfrudhtbare, bloße Gedächtnißarbeit hinaus,
deren Werth mit der Bein, die fie Schülern verurfadgt, in gar feinem
Berhättnin Rände. Wie viel Reiz es für den, der fich feine klare Res
chenſchaft vom Zweck feiner pädngagifchen und feiner Lehrers Thätigkeit
zu geben vermag, auch immerhin haben Lönnte, eine große Fülle äußern
geſchichtlichen Willens feinen Schülern eingeimpft zu haben, womit ſich
gelegentlich brilliren ließe; den Berftändigern täuſcht das nimmermehr.
Diefer will die Unterlagen jener Beſtrebungen, die Örundideen,
welche dabei obwalten, er wil Anlaß und Ziel der Kämpfe bei deren
Entfaltung, und wo möglich and die wichtigen Stadien Dabei erfah⸗
ren, und die enticheidenden, fördernden oder bemmenden Einfläfie
Pennen fernen, weiche unter höherer, göttlicher Leitung im Ganzen und
Großen zuleßt au das Ziel bringen helfen. Nicht die äußerlichken Aeu«
Sertidgleiten im tebensbunten Gemif find es, fondern der Geiſt in den
Extiwidtiungen, das Getriebe der mitwirkenden Kräfte, der Werth der
anf dem Spiele ſtehenden höheren Güter iſt's, worauf es wefentlich
Ankommt. Berner if’e nicht die allgemein⸗menſchlich intereffante
Seite all dieſer gefchichtlichen Bewegungen, worauf im Schulunterricht
der vorzäglihe Rachdruck fällt, auch nicht die philofophifche Bes
rech nung det am meiteften ſchauenden Köpfe, welche diefe Bewegungen
einleiten, diecipiiniren und ihnen Bahnen anweifen; fondern es ift aus
paädagogiſchen Nädfihten der höhere Zweck derſelben für geiſti⸗
ges und geiftliches Leben der Bölfer, zumal der eignen angeflammten
Nation, welden alle Aufmerffamteit zuzumenden ik. Diefem Bwed
fol fih das Auge des Schüters öffnen, für denfelben fol er ein Herz
gewinnen, zu feiner Erreichung fol er in feinen Lebenskreiſen nadmale
beitragen zu won, ſchon früh Neigung, Antrieb umd fittliche Kraft
gewinnen. Zu dem Ende wollen bie höheren Zwecke des Bölkerichens
aflerdings auch allmählih zum Verſtändniß gebracht fein. Aber das
bloße Talte Berkändniß reicht nicht aus, es hat feinen Werth, wenn es
A nicht mit dem Willen und der charakterſtarken Entichließung yaart,
ähnlichen Höheren Zwecken fein eigenes Leben zu weihen. Auf Ddiefe
energifhe Willensbefimmung, auf dieſe charaktervolie
Hingabe an die höchſten Lebensgüter kommt «6 an. Beide finden
ihren Ketnyunkt, ihre Centrum, im Chriſtenthum — im weitehen
Bortfinne — , und ihre Beripberie zunähft im eigenen Nationals
leben. Die chriſtlich⸗nationale Haltung des Geſchichtsunterrichts
iR e8-alfe, worin der Charakter des jegt zeitgemäßen nefehichttichen
Sthulunierriches ſich ausprägt. Was jener förderlich if, ſoll herange⸗
gogen, was ihr widerſtrebt, oder fie nur beeinträchtigt, ſoll fern gehalten
werden. Dieſe Fernhaltung greift wicht bloß in das Gebiet der Stoffe
etn, worauf Zweckwidriges ausgeſchieden werden muß, fie vetrifft auch
den Seiſt, worin die heranzuziehenden Stoffe behandelt werden follen;
da; fe made ſih auch in den Modalitäten der VBehandlung felbk
330 Geſchichte.
erinnert, welche darauf abzwecken, ben neuen Anſchauungen in Meztes
bung auf bedeutend verftärkte pädagogiſche Pflege des chriſtlichen
Elements im Schulwefen breitere Bahn zu machen. Verwandte Gedan«-
ten mit Peziehung auf den Gefchichtsunterriht find bereite im VII.
Pädagogifchen Jahresberiht S. 389 ff. angeführt. Bei Gelegenheit der
Defvrehung des ‚Bandes zwifchen Kirche und Schule‘ (Gäddentfher
Schulbote 1856. Nr. 16 ff.) fommt 2. Bölter auf bie „Bildung ber
zum Schulftande Auserwählten‘‘ zu fprechen, und wiederholt auedrück⸗
ih, daß als Prineip dieſer Vildung nicht die entſchiedene Ges
ringſchätzung des hrififiden Elemente, und die Bevorzu⸗
“gung der Fächer zu gelten babe, welche zur fogenaunten allgemeinen
Menfhenbildung führen, und vorzugsweife den Berfand
aufflären und das Wiſſen möglihft Reigern follen. Dadurch
würde diefe Bildung decentralifirt und depotenzirt. Vielmehr, da unfer
Volk ein chriſtliches if und alle Bildung ſich an ſchöpferiſch Gege⸗
benes anfchließen muß, das Urelement im Bildungeproceh unferer Ras
tion aber das Chriſtenthum if, fo muß es auch das Lebenscentrum
an den Bildungsherden fein, da, wo das Boll aus feinem geiftigen
Lebensgrund fi immer wieder neu aufbaut. Der chriſtliche (evan⸗
gelifche) Charakter muß der Character indelebilis der Botksihute und
der Seminare ſein; diefe Bildungsftätten müffen darin leihen und leben,
um den erwarteten Einfluß auf bas Bolt zu gewinnen. Indem das
Hriftlihe Bildungs» Element fowohl eine centrale als univer-
felle Dignität bat, fammelt @. Vöolter alle Bildung um daffelbe,
und will dadurch zugleich das echt nationale Element unferes Bolfes
euftiviren. Weberall dringt er auf organifhen Zuſammenſchluß der
Bildung, gegenüber dem centrifugalen Auseinandergehen und den extra-
vaganten Forderungen an die wiffenfchaftliche Bildung der Vollsſchullehrer.
Bas fyeriel für den Zweck der Herſtellung des Bandes \wifgen
Kirche und Schule, namentlich über Seminar » Ginritumg, ſonſt noch von
2. Bölter gefagt wird, ift bier zu übergehen; indem es bier nur dar»
auf anfommt, die pvädagog iſche Situation der Schule in einigen Grund»
zügen zu kennzeichnen, in fo weit fie auch den unmittelbarften Einfluß
auf Geſtaltung des geſchichtlichen Schulunterrichts haben muß.
III. Zeitgemäge Aufgabe des Gefchichtsunterrichts.
Aus den bisherigen Grörterungen und ben in biefelben eingeflo ch⸗
tenen Stimmen ergibt fih Die gegenwärtig zu Idfende Aufgabe
des Gefchichtsunterrihte. — Da wo die Gecſchichte nicht als ein bloß
menſchliches Durkeinander und Nacheinander von Strebungen und
Kämpfen für vergängliche Zwecke der Herrſchaft und des Beſizes, wo
fie vielmehr als eine wunderfame, von Bott geordnete, großartige Cut⸗
widelungs » Arbeit des gefammten Menſchengeſchlechts wie der einzelnen
Volker erfcheint, wird es ſelbſtverſtaͤndlich ſchon Hingft nicht mehr als
*
Geſchichte 361
Aafgube des geſchichnichtn Unterrichts gegolten haben, rein äußer⸗
lich und mechamiſch dieſe Beſtrebungen und Kämpfe ſorgfältig zu
regiſtriren, und die Ramen der darin verwickelten Perfonen gu merken.
Denn Das liefe auf unfruchtbare, bloße Gedächtnißarbeit hinaus,
deren Werth mit der Bein, die fie Schülern verurſacht, in gar feinem
Berhäitnig Mände. Wie viel Neiz es für den, der fich keine klare Res
Genfchaft vom Zweck feiner paͤdagogiſchen und feiner Lehrer» Thätigleit
zu geben vermag, auch immerhin haben koͤnnte, eine große Fülle äußern
geſchichtlichen Wiſſens feinen Schülern eingeimpft zu haben, womit fi
gelegentlich brilliten ließe; den Berfiäudigern täufcht das nimmermehr.
Dieſet will die Unterlagen jener Beflrebungen, die Örundideen,
weidhe dabei obwalten, er will Anlaß und Ziel der Kämpfe bei deren
Entfaltung, und wo möglich auch die wichtigen Stadien Dabei erfah⸗
ren, und die enticheibenden, fördernden oder bemmenden Cinfläſſe
fennen fernen, welche unter höherer, göttlicher Leitung im Ganzen und
Großen zuleßt au das Ziel dringen beifen. Nicht die äußerlichiien Aeu⸗
Ferlicgteiten im lebensbunten Gemiſch find es, fondern der Geiſt in den
Entwidelungen, das Getriebe der mitwirkenden Kräfte, der Werth der
auf dem Spiele fiehenden höheren Güter iſt's, worauf es weſentlich
anfommt. Ferner iſt's nicht die allgemein⸗menſchlich intereffante
Seite all dieſer gefchichtlichen Bewegungen, worauf im Schulunterricht
der vorzäglihe Rachdruck füllt, auch nicht die philoſophiſche Bes
rechnung det am meitehen fchauenden Köpfe, welche diefe Bewegungen
einleiten, diecipliniren und ihnen Bahnen anweiſen; fondern es ift aus
padagogiſchen Rädfihten der höhere Zweck derfelben für geifis
ges und geiftliches Leben ber Volker, gumal der eignen angeflammten
Ration, welpen alle Aufmerffamteit zuzumenden ik. Diefem Zweck
fol fi das Auge des Schüters Öffnen, für denfeiben foll er ein Herz
gewinnen, zu feiner Erreigung fol er in feinen Lebenskreiſen nachmals
beitragen zu wohn, ſchon früh Neigung, Antrieb und ſittliche Kraft
gewinnen. Zu dem Bude wollen die höheren Zweite des Bölferichens
aflerdings auch alimählih zum Verſtändniß gebracht fein. Aber das
Hope Talte Berkändniß reicht nicht aus; es hat feinen Werth, wenn es
ſich nicht mit dem Willen und der harafterftarfen Entfchließfung paart,
übnlichen Höheren Zweden fein eigenes Leben zu weihen. Auf diefe
energifhe Willensbefimmung, auf diefe charaktervolle
Hingabe an die höchſten Lebensgüter Tommt «6 an. Weide finden
ihten Ketnynnkt, ihr Centrum, im Chriſtenthum — im weiteſten
Wortſinne —, und ihre Peripherie zunaͤchſt im eigenen Rational⸗
leben. Die chriſtlich⸗nationale Haltung des Geſchichtsunterrichts
{R es alſo, worin der Charakter des jetzt zeitgemäßen geſchichtlichen
Sqehulunterrichts ſich auspraͤgt. Was jener foͤrderlich ik, ſoll herange⸗
Bogen, was ihr widerſtrebt, oder fie nur beeintraͤchtigt, ſoll fern gehalten
werden. Diele Berahaltung greift wicht bloß in das Geblet der Stoffe
ein, worauf Zweckwidriges auögefchleden werden muß, fie vetrifft auch
den Geift, worin die heranzuziehhenden Stoffe behandelt werben follen;
da, fie made ſich auch in den Modalitäten ber Behandlung ſelbſt
— u A en ee a — — — —
3823 | Geſchichte.
geltend. Was das Höhere geiſtige und ſtttliche Leben ber Schüler ge⸗
fäbrdet, ja nur nicht nährt und fördert, das ift gegenwärtig auch nicht
an der Zeitz alfo 3. B. fernliegende, dem kindlichen Verſtändniß und
findlihen Gemüth nicht wohl anzupaflende Verhältniffe fremder Natior
nen, bedenkliche Geiftesrichtungen und Charakters Ausprägungen, deren
innere Entfehung und deren unbeilwoller Verlauf nicht. genügend vorzus
führen find, und wogegen kindliche Gemüther noch nicht genugfem befer
Rigt find. Ebenfo iſt es nicht zeitgemäß, Kindern die ihnen ſonſt wohl
vorzuführenden Geſchichten in einem Sinne nahe zu bringen, der der
Heiligkeit des Chriſtenthums und der Würde des gefunden Nationalges
fühls entgegen ift, ja auch nur in einem Geiſte, Der -diefe beiden Güter
im Kerzen der Jugend nicht vertieft und immer wichtiger macht. Und
auch das iſt nicht zeitgemäß, in den Unterrihtsmweijen die wird
famen Hülfen, welche die neuere Zeit in fo reicher Fülle darbietet, un«
beachtet zu laffen, und in den Formen der Uebermittelung ſich ber prak⸗
tifch bewährten Ausführung zu entfchlagen — vieleicht aus Lauheit
und Mangel an ernflem Eifer, das BeRe in beſter Urt zu geben —,
welche den befriedigendfien Erfolg am ficherfien verbürgen. Dagegen
gehören heut zu Tage diejenigen geſchichtlichen Stoffe recht eigene für
die Schule, welche, in naher Beziehung zur Gefchichte des Volkes Gottes
in alter und neuer Beit, und beleuchtet von dem Lichte des Evans
geliums, Den göttlihen Erziehungsplan in ber Entwidelung- der
Menſchheit und der einflußreihfien Bölfer zur Anſchauung bringen;
Ferner gehört ganz vorzugsweife die vaterländifche Geſchichte in
unfere deutfchen Schulen, und zwar fo, daß fie das Hauptgebiet bils
det, um welches fich die fremdländifchen Gefchichtsfoffe, welche überhaupt
nur für den Fall einflußreicher Beziehungen zu unferer Nationalgeſchichte
Beachtung finden koͤnnen, in geeignete Gruppen fammeln laften, und
von welchem fie auch ihr Licht mit empfangen.
Die Zeitkürze verflattet feine Berweitiäuftigung in die Ger
ſchichte anderer Voller, ja, fie verfagt ſchon die gleihfärmige Aus
führlichteit in allen Parthien der vaterländifchen Geſchichte — Zu
Betreff des Geiſtes, der die GBefchichtserzählung tragen fol, if der
ernſt⸗ch riſtliche Sinn maaßgebend, der den göttliden Segnungen
wie den göttlichen Strafgerichten finnig nachſpürt, fie in Perfonen wie
in Thatfachen lebendig und warm darlegt, um das kindliche Gemüth
mit jenen zu befrucdhten, vor diefen aber zu bewahren, und dabei bie
Bucht des Lebensernftes ihnen vorzubalten, der überall da, we es fi
um das Hohe und Heilige unfers Bolfes handelt, zur Anerkennung ge
bracht werden fol. Zodte Gleichgültigkeit if in diefer Beziehung eben
fo unheilvoll, als feindfelige Stellung; beides gefährdet, ja vernichtet
den Eindlih frommen Sinn der Jugend. ..Der Lehrer aber hat — wie
das Recht, fo die heilige Pflicht, Alles gu deffen Pflege und Kräftigung
anzuwenden; denn bie Schule iſt da für das Leben. — Fexner if die
Geichichtserzählung von warmem Patriotismus zu tragen Diefer
ſoll die Flamme werden, woran der vaterländijche Sinn der Jugend ſich
entzündet, der dann mit hoher Pietät vor den ureigenen Rationalgäterg
Geſchichte. 383
unſers Volks erflillt werden, und auch die Stammes⸗ECEigenthümlichkeit
lieb gewinnen ſoll, an der unſere Väter mit ganzer Seele gehangen has
ben. Fremdländiſches Weſen, fremde Sitte, fremder Volksgeiſt if in
feinem Gegenfage gegen unfern deutfchen Volksgeiſt hinzuftellen, um den
legtern in feinem ganzen Werthe aufzuzeigen, und dafür zu befeuern.
Mur dadurch erwächſt die wünſchenswerthe Frucht einfichtsvoller, Mars
befonnener Baterlandsfiebe, welche zu nöthiger Opferbereitfchaft willig
iR, fo es gefordert wird. — Da aber diefer Geiſt, obſchon er ſich durch
unfere ganze Geſchichte binzieht, doch vorzugsmeife in beftimmten Pers
fonen und Begebenheiten fih ausprägt, fo iſts nicht jene früher gewöhn⸗
liche, gleihmäßige Behandlung des Minderwichtigen wie des Wichti⸗
gen, wodurd derfelbe zu recht bezeichnender Anjchauung für Kinder
gebracht werden Tann; fondern auf die wichtigern Momente ift durch
Ausführlichkeit und befonderes Eindringen in den Kern der Sache,
unter Vermeidung des leider nur zu leicht ſich einfchleidhenden hohlen
Bhrafenwefens, der Hauptaccent zu legen. Die ganze Wärme eigener
Theifnahme iſt's, womit in frifhen Lebensbildern die Hauptzüge folder
Momente, der Tindlihen Saffungsfraft entiprechend, fo zufammenzufaflen
find, daß fie ein Gedächtniß der Zeiten ftiften und auf Einn und
Weſen der Kinder einen fo nachhaltigen Eindrud machen können, daß
auch der jugendlihe Charakter daraus Lebensträfte zu ziehen vermag.
Mit tabellarifcher Aufzählung ift fein Leben zu erzeugen, mit flüchtigen,
notizgenähnlichen Angaben ebenfalls nit. Und mit bloßen hiſtoriſchen
Anefdoten wird im Ernft Niemand, der die Sache Verſteht, ein würdis
ges Aequivalent für die ernſte, bedeutfame Gefchichte felbft zu bieten
wagen. Untergeordnete Beigaben erfeßen nimmermehr die Hauptſache.
Ausgezeichnete Perfonen, in denen, wie 8. v. Raumer fagt, „das
bildende Ideal wie perfonifteirt auftritt”, üben neben ausgezeichneten
Begebenheiten den größten Einfluß auf Gemüth und Willen. ‚in
großes Mufter wet Nacheiferung und giebt dem Urtheil höhere Geſetze.“
Blidt man die beffern, für den Schuls und Jugendgebraud bes
rechneten gefchichtlihen Lehr⸗ und Handbücher, fo wie bie zur bildenden
Lectüre für die heranreifende Jugend beftimmten Gefchichtsfehriften mit
Sorgfalt durch, fo läßt es fich nicht verfennen, daß deren Berfaflern die
eben geßennzeichnete Aufgabe des gefchichtlihen Unterrichts für das ges
genwärtige Bedürfniß vorgefchwebt Bat, und daß fie zu ihrer Lö⸗
fung beizutragen bemüht find. Aber wie groß die Anzahl gefchichtlicher
Lebrfchriften an und für fih immer if, wie viel bald in der einen,
bald in der andern Beziehung fehr werthvolle darunter gefunden wer
den, ein Buch, welches den neuern Anforderungen fo recht nah allen
Seiten entfpricht, wird dennody von Männern vermißt, welche mit dem
gediegenen Einblick in die Gefchichte auch den hohen Ernft und Eifer
der wirffamften Beförderung derfelben bei unferer deutſchen Jugend
verbinden. Es ift ein eben fo erfreuliches, als fehr bedeutſames Zeis
hen, daß in neuefter Zeit von dem „evangelifben Schulver»
ein” namhafte Opfer daran gefeht werden, um ein „Lehrbuch der
Geſchichte für Schüler“ zu gewinnen, welches in ber Hand des
384, Geſchichte,
chriſtlichen Lehrers „die deutſche Jugend gleichwie zum Bewußtſein der
allwaltenden Güte und Gerechtigkeit Gottes, fo insbeſondere zum Be⸗
wußtfein der unferm Bolle eigenthümlich verliebenen Gaben und
des Berufs zu führen, den daſſelbe eben damit im Reiche Wottes
zu erfüllen bat.’ In diefem Lehrbuche fol ‚nicht etwa die evangelilche
Auffaffung des zu behandelnden Stoffs in einzelnen Zwiſchenbetrach⸗
tungen und Nuganwendungen bloß durchblicken, fondern es foll nach der
ganzen Anlage und Durchführung getragen fein wejentlih von dem Ges
danken, daß die Weltgefchichte eine Darftellung der Entwidelung des
Reiches Gottes in der Menichheit if.” „Auf Grund des Wortes
Gottes und einer lebendigen evangelifchen Erkenntniß, zugleich aber
auch einer gründlichen und unbefangenen Forſchung follen darin bie
gefchichtlich hervorragenden Völker und Individuen nah ihrer nähern
oder entfernteren Beziehung zu der Entwickelung des Reiches Gottes,
nah den eigenthümlichen Gaben und Gnadenerweifungen, die fie von
Gott empfangen haben, wie nad den Gerichten, die über fie ergangen
find, dargefellt werden. „Das lepte und höchſte Ziel foll fein des
Nachweis jener Thatfachen in Bezug auf unfer deutfhes Volk,
ſowohl auf politifhem, wie kirchlichem und Bulturgefchichtlichem Gebiete,”
um dadurd die Jugend nah allen Seiten „zu einer wahrhaft Deuts
fhen Haltung in chriſt licher Zucht und Treue zu führen.‘
Das if jedenfalls fehr fignificant für die unter hervorragenden
Sachkundigen waltende Auffaffung von der Natur der jegt zeitgemäßen
Aufgabe unfers Gefchichtsunterrihte. Es iſt damit ein wefentlich ans
deres Stadium der Behandlung deſſelben ausgeiprocden, wie es bisher
gemein üblich war, zumal auf höheren Schulen.
Zragt man in den einzelnen deutſchen Rändern nad, jo finden fich
an maaßgebender Stelle durchgehends verwandte Auffafjungen ; und Diele
kündigen fi in den bezüglichen Erlaffen und deren Erläuterungen Deuts
Üch genug an. Es iR alfo der Charakter diefer Auffaflungen fein fo
ifolirter, verfprengter, fondern ein ziemlich allgemeiner, für böhbere
wie für Volksſchulen geltend gemachter. Die jepige Zeit drängt mit
fühlbarer Energie nach dieſem Ziele hin, und es wird fih auch der
ſchlichte Schullehrer dem Zuge nicht ganz zu entziehen vermögen, wenn
er nit ſammt feinem Ihun zu den Acten gejchrieben werden will
Richt bloß gedähtnißmäßiges, auh nit bloß verſtandes⸗
mäßiges hiſtoriſches Wiffen, fondern eine vom Evangelium er
leuchtete, auf Sinn und Gemüth, Willen und Charafter der
Jugend entfchieden einflußreiche gefchichtliche Keuntniß, welche den kürch⸗
lihen und den Rationaljinn begründet, vertieft, bewußter und
werther macht: diefe iſt's, welche jegt allein wirklichen Werth bat.
Danad würde auch zeitgemäß die Bedeutſamkeit der hiſtoriſchen
Hülfsmittel, namentlich der Lehrbücher und der Commentare, zu bes
meflen fein, fobald der neuere pädagogifhe Maafftab allein an die⸗
felben gelegt werden follte. Jedoch nicht wenige derfelben begehrten eigens
für ich den objectivswiiienfhaftliden Maaßſtab, weil Tie nicht
ſowohl paͤdagogiſche als wifienfchaftlich » hiorifche Ziele verfolgen wollen,
Geſchichte. 385
IV. Mittel zur Löfung der jept zeitgemäßen Aufgabe des
Geſchichtsunterrichts.
Auf die allgemeinen, bekannten Mittel zur Loſung der Aufgabe
des geſchichtlichen Schulunterrichts erneut hinzuweifen,, thut weder Roth,
noch liegt es in der Aufgabe des Jahresberichte. Anfchaulichkeit, Klar⸗
beit, Lebendigkeit und Gindringlichfeit der Erzählung, Anordnung Heiner,
gerundeter Penſen, fleißige Wiederholung mit Heranziehung der mög
lichſten Selbfithätigfeit der Kinder, fichere Einprägung der Kardinal⸗
Jahreszahlen u. dgl. m. find Anforderungen, welche heut zu Zage als
ſelbſtverſtaͤndliche gelten, fo daß gegen biefelben Fein Widerſpruch weiter
zu begründen fein dürfte. Die Anforderungen flellen, und ihnen
praftifh genügen: das find freilich zwei gar verfchiedene Dinge,
von denen das letztere allein erforderlihen Werth hat. Mit Umfiht und
Eifer diefen Anforderungen nachzukommen ſuchen, das gehört auch gegen»
wärtig zur unerläßlichen Arbeit bei Röfung der jebt zeitgemäßen Aufs
gabe des Gefchichtsunterrichtse. Aber die wechfelnden Zeiten und die
jeder derfelben befonders vorgezeichnete Aufgabe machen auch befondere
Mittel nöthig, objective wie fubjective. Bu den objeettiven if
im Sinne der neuen Beftimmungen vor. Allem die Beſchränkung
auf die vorgefchriebenen Kernfloffe Firchengefchichtlicher wie vaters
ländifchgefchichtlicher Natur zu rechnen, mit Fernhaltung einer Menge
geſchichtlicher, fachlicher wie perfönlicher, Verhältniffe, welche, wie werths
vol immerhin an und für fih, doc nicht geeignet ericheinen koͤnnen,
jene beiden nächſten Gebiete zu runder und Marer Ausfhälung und Aufs
faffung gelangen zu laſſen. — Es gehört ferner die Durddringung
diefer Stoffe mit ht chriſtlichem und Acht patriotifhem Geiſte
dazu. Oberflächliches Darüberhinreden, hobler Wortreihthbum, Genügen⸗
laſſen an einzelnen pifanten Momenten, Vertrrung in bloß äußerliches
Aneinanderreihen der Facta, und todtes Memoriren derfelben: das find
nicht die rechten und wirkſamen Mittel, welche zur Anwendung zu
bringen wären. Sn einer Zeit, wo der leeren Phrafe und dem todten
Mechanismus leider nur zu leicht und zu viel gebuldigt wird, und wo
dem würdigen Inhalt nur zu gern durch die Fipelnde Anekdote aus,
gewichen wird, gilt es befonders doppelts angelegentliches Feſthalten am
Ernf und der Bucht der Sache mittelft Verfolgung des geifligen,
bedeutfamen Inhalts derfelben, und defien Entwidelung unter göfte
liher Waltung. — Es gehört au, um eine derartige Stoffdurchdringung
zu ermöglihen, eine aus der Sache ſelbſt herausgenommene Glie⸗
derung des Material dazu, damit ein befkimmter, feRer Baden in
die Darftellung kommt, das fihere Befinnen auf den Gang der Sache
und die Behaltbarfeit der wefentlichften Momente dabei erleichtert, und
das geiſtige Verhättniß der einzelnen Stadien der Entwidelung zur Ges
fammtaufgabe einer ganzen Zeit aufgehellt wird. So lange diefe Glie⸗
derung außer Acht gelaflen wird, verfließen die Station „bildenden Mos
mente in einander, und es kommt kein hinreichend Flares Lebensbild von
Made, Zahresbericht. X. 26
386 Geſchichte.
Perſonen und Begebenheiten zu Stande. Somit wird aber nicht bloß
das udthige Verſtändniß, ſondern au die ſittliche Wirkung
der Geſchichte bei der Jugend beeinträchtigt. Um dieſer letztern willen,
deren Werth den Werth des bloßen Verſtaͤndniſſes noch weit überwiegt,
iR Alles aufzubieten, was nur irgend zu würdiger, nachhaltiger Foͤrde⸗
zung des Unterrichts gefchehen Tann.
Es werden vornehmlih um degwillen Geſchichten flatt Gefchichte
gelehrt, es wird den hiftorifchen Ausfprücen berühmter Männer
dur wörtliche Benupung befonderer Werth beigelegt, hiſtoriſche
Lieder und Gedichte werden in die Erzählungen verflodten, die denke
würdigften Ereigniffe vaterländifcher Geſchichte werden zu förmlichen
Schulfeierlichke iten benupt, und ihre Erzählung wird durch dra⸗
matifhe Schilderung für Gemüth und Willensbildung der Jugend
moͤglichſt verlebendigt; auch werden die das geiftige und fittlich » religidfe
Leben befonders betreffenden Seiten dabei vorzugsweife heransgehoben.
Run, denfelben Zwecken ift auch die fachentiprechende Stoffgliedes
rung dienflbar, wenn fie nur mit feiner Sinnigfeit darauf angelegt ifl.
Dazu mitzuwirken, daß diefe objectiven Mittel der Löfung der
gegenwärtigen gefchichtsunterrichtlihen Aufgabe der Schule zu Gute kom⸗
men möchten, if ein Streben, das fi aus der Anlage und Durchfüh⸗
sung einiger der neuften gefchichtlichen Lehr» und Hülfsmittel nicht wohl
verfennen läßt. Sind fie doch zum Theil ganz fpeciell im Hinblid auf
die neuern regulatorifchen Befimmungen abgefaßt; zum heil hat wenig»
fiens der Einfluß der letztern in einigen Hauptbeziehungen ſich ſtillſchwei⸗
gend in ihnen geltend gemacht.
Neben den ebenerwähnten Mitteln breitet fi gegenwärtig noch eines
mehr und mehr aus, nämlich die Benutzung hiſtoriſcher Abbil⸗
dungen beim Schulunterrigt. In früheren Zeiten gab es zwar audh
ſchon Hiftorifche Bilder genug, und fie fanden auch in den Hänfern
und Schulen fehr weite Verbreitung, wiewohl ihnen Kunfwert5 und
Treue in vielen Faällen gänzlich abgingen. Es wurden Bücher für dag,
Bott damit illuſtrirt, man klebte fie feib in ben ſchlichteſten Bürgers
und Bauerhäufern an die Wände. Das Boll hat entichieden große
Bilderluſt, Die Kinder haben fie au. Gegenwärtig, wo der Stahlſtich
wie die Lithagraphie, namentlich aber die Zylographie, fo viele in der
That fhöne und dabei beiſpiellos billige Bitder liefern, ift es viel leichter
als je früher gemacht, auch im hiſtoriſchen Unterricht gute Bilder
zu benupen. Für den biblifchen Gefchichtsunterricht find in den legten
5— 19 Jahren dergleichen mit entſchieden günftigem Erfolge angewendet,
und dad bat den weiten Anftoß zur Herausgabe fhulgereshter guter
Bilderfammlungen gegeben. Für den vaterländifhen Geſchichts⸗
unterricht hat die nenfte Zeit auch viel Dankenswerthes geliefert, naments
ih in Bortraits von Fürften, Helden, Staatsmännern, Batrioten
und dergl. MBute gefchichilihe Scenen find feltener. In einigen deut⸗
(hen Rändern iR die Aushängung der Negentenbilder in ben Schule
zimmern anempfohlen, in einigen — wenn Nachrichten darüber nicht
Geſchichte. ab⸗
tauſchen — geradezu angeorbnet.*) — Der pädagogiſche Werth einer
weiten Verwendung hiforifher Abbildungen im Unterricht iſt unbeftreits
bar; in einen förmlichen Bilderdienft, den alle geſchichtliche Unters
weifung nur an die Bilder anſchließen will, darf diefe Verwendung
freilich eben fo wenig übergehen follen, als in eine Schönbeſchrei⸗
bung und Kunſtkritik verjelben. Beides widerftrebt ſelbſtvedend
den richtig gewürdigten pädagogiichen Yweden in der Schule. Gute
Bilder fprehen fhon an und für ih, — ſchlechte allerdings auch;
aber diefe find fern zu halten —, fie commentiren die Geſchichtserzäh⸗
lung, fiziren irgend ein bald mehr bald minder allgemein bedeutfames
Moment, und unterflügen, indem fie den Gefichtsſinn mit in Auſpruch
uehmen, die Erinnerung, wie die Vertiefung des Eindruds der Ges
Ihichte und deren Einprägung. Sie üben zugleich dur ihre Akhetifche
Wirkung unvermerkt einen fittlich veredeinden Einfluß, würzen das
Wort, fpyannen die Aufmerffamfeit, verkläsen und veranfchaulichen bes
Bimmte Situationen, und wirken, mit geböriger intenfiver Sammlung
reeipirt, auch productiv. Das verleiht ihnen eben den pädas
gogifhen Werth. Bei der Fluth jchlechter Bilder, die allenthalben
colportirt und gur Schau geboten, und die in unglaubliden Mengen
verfauft werden, fo daß fie einen unberechenbaren Schaden anrichten,
wäre auch der Umſtand zu erwägen, daß die Schule dur treff-
liche hiſtoriſche Bilder wenigſtens einigermaßen zur Abwehr jenes Scha⸗
dens beitragen helfen Tann, ohne ihren nächften unterrichtlihen Zwecken
Abbrud zu thun.
Bu ben anzumendenden objectiven Mitteln müſſen aber ganz bes
fonders noch [ubjective hinzulommen. Die erforderliche Lehrgewandt«
beit, Stoffbeberrfhung u. A. m., wodurch der Lehrer er zum Lehrer
wird, verfichen fih von ſelbſt. Uber es giebt noch andere, die nicht
überall auch da angetroffen werden, wo ein didaktiſch gewandter, mit
feinem Unterrichtsmaterial vertrauter Mann in der Schule fleht. Zur
Löfung der gegenwärtigen pädagogiichen Aufgabe des gefhichtlichen Schul⸗
unterrihis gehört heut zu Tage mehr denn früher Selbſtverläug⸗
ver fittliher Ernf, patriotifher Sinn, Hriflide
eihe.
Die Selbfiverläugnung muß da Zaum und Bügel anlegen
beifen, wo das noch fehlende innere Einverftändnig mit den neuern Bes
ſtimmungen, fowie die Liebe zum Gegenflande quantitativ wie qualitativ
über das in der Schule jetzt berechtigte Maaß der Untesweifung hinauss
zugehen in Berfuhung bringt. Der fittlihe Ernſt muß die Auf
fafung der Perſonal⸗ und Sachverhäliniffe leiten, damit bie ernſte
Sache auch in der ihr gebührenden Wichtigkeit dem kindlichen Sinn
entgegengebracht werde, keinerlei Leichtfertigkeit in Darfellung und Urs
*) Auf Beranlaffung des Minifteriums haben die preußifchen Regierungen
die weiter unten aufgeführten ‚„Brandenburgtfch» Breußlichen Regenten aus dem
lem’ An en und Aufbängen in den Schulzimmern
—— kefe Abb ungen mi aber u alt ic ſehr —2
25*
388 Geſ Hiqhte.
theil den Standpunkt der Sache verſchiebe und einen Nißklang in bie
Würde des Gegenflandes bringe, und damit ihren Einfluß flöre. Der
patriotiſche Sinn hat die Momente, welche auf Bildung und Stär-
tung des Nationalgefühls und der Baterlandsliebe am ſtaͤrkſten zu in
fluiren vermögen, auch dergeflalt zu durchdringen, daß die Kinderherzen
dem Lehrer die eigene warme Begeifterung dafür abfühlen und fi das
ran ſelbſt für vaterländifhen Sinn, vaterländifhe Großthat und jegliche
andere Bethätigung eines patriotifhen Strebens entflammen können.
Gene Beife, welche fiheelfüchtig den Ruhm und Werth der hervorragens
den Männer des Baterlandes nach dem Maaßſtab eigener Jämmerlichkeit
zu meſſen fich nicht entbiödet, die Größe Anderer in den Staub zieht,
oder durch perfide Accentuirung allfälliger fittliher Makel in ein ſchiefes
Licht zu ſtellen trachtet, um mit wohlgefälliger, leerer Phrafe darüber
zu richten, if ein ungefchichtliches und unpatriotifches, ein nicht minder
gefährliches, als widerwärtiges Beginnen, wozu bisweilen leider der
politifche oder religidfe Barteis Standpunkt des Verurtheilten ausgebeutet
wird. Sole Schnöde baut nicht, fle reißt alle Pietät nieder, und er
zeugt jenes vorfchnelle Abfprechen bei der Jugend, das jedem Berfläns
digen gerechten Ekel erregt, und fpäter zu der elenden Blafirtheit führt,
in welcher fih die Jugend vor Feiner Größe mehr beugen, ſich von
nichts Außerordentlichem mehr imponiren laffen mag. Der ächt patrio:
tifhe Sinn freut fi Achter Mannsgröße und feiert fie im Herzen und
mit dem Munde; er gebt aber auch, bei aller Befcheidenheit, gerade
und freimüthig mit feinem wohlerwogenen fubjectiven gefchichtlihen Urs
theil heraus, in dem wohlgegründeten Bewußtfein, daß todte Objectivität
in der Jugend fein Leben zu erweden vermag. Schon K. v. Raumer
äußerte in der Borrede zur erften Ausgabe feiner „Geſchichte der Paͤ⸗
dagogik“ (iebt, 1857, 3. Aufl. Stuttgart, Liefhing. Th. I. u. 13):
„Dan verlangt eine objective Darftellung, frei von Liebe und Haß.
Mit Recht wird eine Wahrheit und Gerechtigkeit verlangt, welche weder
Blind iſt gegen das Ente am Feinde, noch gegen das Böfe, welches
dem Freunde anflebt. Aber frei von Liebe und Haß bin ich nicht, und
will es nicht fein; ich will nad beftem Willen und Gewiſſen das Böfe
baffen und dem Guten anhangen, auch fauer nicht füß und füß nicht
fauer nennen.‘ So darf auch der Lehrer mit feinem freien perfänlichen
Urtheil fi) über Thatfahen und Charaktere herauswagen, wenn er ans
ders die Fähigkeit dazu nachweisbar errungen hat; und er foll es dann,
um durch das Einftehen mit feiner ganzen eigenften Perfoͤnlichkeit für
edel patriotifche Beftrebungen in der Jugend Muth und Liebe zu ähn⸗
lichen zu entzünden. Wenn ihn dagegen Fr. v. Raumer’s Zabel noch
mit trifft (cf. Borrede zur 3. Aufl. der „Geſchichte der Hohenſtaufen“
©. XI: „In Folge der Tagesmode und Afterweisheit unferer Tage if
eine faſt allgemeine Gleichgültigkeit gegen den Inhalt, fowie gegen bie
Lehren und Warnungen der deutfchen Vorzeit eingetreten... In uns
fern Tagen ift es Gebrauch, nad der Geſinnung zu fragen, Darunter
aber oft nur beliebte Barteiungen zu verſtehen.“), fo thut ex beffer,
feine eigenen Urtheile zu fuspendiren, weil fie weder von Unbefangen-
Geſchichte. | 384
beit, noch von’ Wahrbeitsliebe getragen fein würden. Indolenz wert
feinen Patriotismus, zu deſſen Anbahnung aber recht eigens der Ges
ſchicht s lehrer berufen if.
Endlich die chriſtliche Weihe. In Verbindung mit ordentlicher
Sachkenntniß, tüchtiger Lehrgefchidlichkeit und Marem, unverhohlenem
Batriotismus, ift die Faͤhigkeit, das gefchichtliche Leben der Individuen
wie der Völker im Lichte der göttlihen Offenbarung zu erfennen,
feinen Werth am Prüfftein des göttlichen Wortes zu meflen, und bie
im Innern empfundene Nothwendigkeit, der Menſchen Scidfale nicht
biindem Zufall, fondern dem Alles durchdringenden Walten des lebendigen
Gottes zugufchreiben, und den Spuren diefes Waltens überall mit heis
liger Ehrfurcht nachzugehen; — es ift diefe Fähigkeit und diefe Roth»
wendigfeit leiht das Wichtigfte und Höchſte für den Geſchichts⸗
lehrer, zumal der Schuljugend gegenüber. Der baarjpaltende Verſtand,
der mit ſchwungvoller Phantafle in ſtarken Farben aufgetragene Patrio⸗
tismus, und was fonft noch, weicht doch an frucdhtbringender Einwirr
fung am legten Ende diefem entfcheidendften aller Mittel bei der Jugend.
Kein Wunder, daß die neuen Anordnungen ſolche Weihe fordern.
Aber diefe läßt fih nicht machen, nicht erlernen und ausfpintifiren; fie
wi von Oben erbeten und empfangen fein. Wer fie hat, dem if fie
anzumerken; wer fie nicht hat, dem ift auch deutlich genug deren Mangel
anzumerken; verdeden läßt es fi nun einmal nicht.
V. Traditionelle Lehritoffe für den gefchichtlichen Unterricht
in ihrem Berhältnig zu den Refultaten der Geſchichts⸗
forſchung.
Die Geſchichte, in ihrer abſoluten Weſenheit aufgefaßt, iſt fuͤr
Jedermann die eine, gleiche. Aber für die verſchiedenen Bildungs⸗ und
Lebenszwecke wird aus ihrem Born in verſchiedenem Maaß und Sinn,
und in verſchiedener Art geihöpft. Für die Schulbildungszwecke
Gaben fih im Lauf der Zeit feit Hilmar Euras und Effig gewifle Lehrs
Hoffe aus der großartigen Zülle des gefammten gefchichtlichen Wiſſens⸗
ſchatzes berausgeihält, die nunmehr, meift ohne erneute Prüfung ihrer
Baffenheit, von Jahrzehend zu Jahrzehend fih forterben. Hunderte
yon Tleinern und garößern Leitfäden, Lehr» und Handbühern bewegen
sh fort und fort um diefelben Angeln diefer Stoffe; fle fcheiden nur
etwa bie und da aus, fehen anderwärts zu, faflen die eine, Die andere
Eeite überwiegend in's Auge, ftellen fie mannigfaltig modiflcirt für
dieſen oder jenen nächſten Zweck dar, und ericheinen alfo als Variationen
über das an fih gleiche Thema. Es bedarf kaum einer befonders ans
gefärengten, forgfältigen Prüfung, um in fehr zahlreichen gefchichtlichen.
Lehrbüdern für die Schule, wie für die Hand der Lehrer zu erkennen,
Daß immer diefelben Stoffe, manche mit gleichförmiger fpeciellerer, andere:
390 Geſchichte.
mit gleichförmig kürzer abgefundener Darſtellung, wieder erſcheinen.
Daraus ergiebt fih u. A., daß ſich nach und nach ein ziemlich allgemein
anerkanntes, feſtes Urtheil über die Wichtigkeit gerade dieſer aus⸗
gehobenen Lehrſtoffe gebildet hat; nämlich theils tiber die allgemein ges
ſchichtliche Wichtigkeit, theils über die für die befimmten, vorliegenden
Bildungszwecke beredimete Wichtigkeit. Gar Manchem dürfte es kaum
noch in den Sinn fommen, daß noch vieles Andere in den Bereich ber
Geſchichte gehöre, als was. Hunderte von Lehrbüchern mit überrafchender
Einhelligkeit darftelen. Dennoch giebt es foldher Partieen noch genug,
und es fehlt nicht, daß in neuerer Zeit in einzelnen Lehrbüchern bereits
- mande derfelben Aufnahme und glückliche Bearbeitung gefunden haben,
welche früher bei Seite liegen gelaffen wurden, und die doch gegenmwärs
tig als fo felbfiverftändlich erfcheinen, daß Mancher fi wundern würde,
wenn er entdedte, daß frühere Lehrbücher fie nicht enthielten. Für
den, der mit der Gefchichte einigermaßen in weiterm Umfange vertraut
if, als fie in fchulmäßigen Lehrbüchern aufgeftellt zu fein pflegt, bedarf
es der Anführung von Beijpielen nit. Für Andere wäre beiſpiels⸗
weife eine Zufammenbaltung von Bredow mit Weber, Dittmar, Wernide
und Zeiß, oder von Kohlrauſch mit Schmitthenner, Duller, Benedey zu -
empfehlen, ja es liefern fchon die verfchiedenen Ausgaben von Kohle
rauf angemeffene Beispiele. Es ift alfo durch Traditton eine Art
geſchichtlichen Normal⸗Lehrſtoffs entflanden, fowohl in den drei großen
Beitaltern der allgemeinen Weltgeſchichte, als in den Perioden ber
dDeutfhen und der ſpeciell⸗vaterländiſchen Gefchichte Eine nicht
geringe Anzahl von Lehrbüchern faßt traditionell nur die volitiſche
Seite diefes Stoffs vorwiegend in’s Auge; alles Andere wird kurz abs
gefertigt. An die Regentenreiben, an meift friegerifche Begebenheiten,
an einzelne Hervorragende Mrchlihe Bewegungen (mie durch Wilteff,
Huß, Luther) wird der äußere Geſchichtsverlauf angefnüpft, indem
bäufig nur eine Aneinanderreifung von Ergebniffen in Form von
Erzählungen Hingeftellt wird, nicht aber die Lebendige Entwides
lung ſelbſt, an deren Schluß diefe Ergebniffe erfchienen. Nähere Prü⸗
fung der Stoffdarlegung ſtößt auf viele allgemeine Phrafen und Zus
fammenfaffungen, denen alle voranzufchidende Auseinanderbreitung des
ſpeciellen gefhichtlihen Inhalts abgeht. Hier waltet ein offenbarer
Mangel; jene bloßen Wort» Zufammenfaffungen und allgemeinen Redens⸗
arten helfen nichts, fie führen fogar irre. — Undere Lehrbücher machen
es fih zur Aufgabe, die Fulturgefhichtlichen Seiten geordnet mit
zu beachten. Zheild am Schluß der Perioden, theils bei den bedeut⸗
famften gefchichtligen Perſonen findet das dahin gehörende, wiederum
meift tradittonelle Material feinen Platz, — feltener in einzelnen
Ausführungen, häufiger in faſt tabellarifch Parzen Leberbliden. Bei
der vaterländifihen Geſchichte pflegt mit Ber Darſtellung der Regierung
der einzelnen Zärken die Berückſichtigung der gerade zu ihrer Zeit bes
merkbar gewordenen Aullurerfcheinungen Hand in Sand zu gehem Selten
geſchieht es, daß die Entwickelung des einzelnen Seiten des KRultur⸗
Iebens im Zufammenhange auf den bezüglichen Stationen verfolgt
Geſchichte. 391
wird, und. dabei die Bezeichnung des Antheils, ben die einzelnen Re⸗
gierungen daran haben, fich geeigneten Orts einfügt. — Kategorie des
Stoffe, Qualitaͤt feiner Auffaffung, Modus der Iehrmäßigen Verwen⸗
bung, Bemeffung der Proportionen nad Alter, Kraft und Lebensftels
fang der Schüler find hiernach in mehr als einer Beziehung für die
Säule traditionell.
Sobald es nun verfudt wird, dies fchulmäßig gewordene tradi⸗
tionelle hiftorifche Material mit den Befultaten der Geſchichtsfor⸗
fhung zufammenzubalten, ergiebt fi dem unbefangenen Blide bald
ein befremdlicher Gegenſatz zwiſchen beiden in manden Stüden. Die
vom Lehrbuch hingeftellte kategoriſche Beftimmtheit vieler Ihatfachen löſt
Die Forſchung in anzuzweifeinde Bermuthungen auf; den Gang und Zus
fammenbang, welchen jenes darlegt, corrigirt diefe auf Grund der
Quellen oft fo wejentlih, daß das Gepräge beider ein gang anderes
wird; das Urtheil in jemem erweiſt fich gegenüber dem gründlichen Ars
bitrium bei diefer oft als wnhaltbar. Es fällt gar nicht ſchwer, eine
ganze Lie von Momenten zufammenzubringen, wo diefer Gegenfah vecht
greifbar ik. Wem die Maffifehen Geſchichtswerke unferes Bolfs zugäng⸗
(ih And, der kann in jeder Periode, ja faR bei allen großen hiſtoriſchen
Berföntichkeiten, Einzelheiten Davon entdeden, die in den gangbaren Lehre
büdern entweder in ganz anderm Lichte erfiheinen, oder durch die Alls
gemeinheit ihrer Andeutungsweiſe leicht zu irriger Auffaſſung und Aus⸗
iyianmg verleiten. Zür den fihlichten Lehrer if das ein mißlicher Um⸗
Rand, da ihm in der Regel die Möglichkeit abgeht, dem wahren
Sachverhaͤltniß auf den Grund zu bommen. Ihm mangeln Quellichriften:
und MHaffifhe, danach verfaßte Schriften; er hat nur Die gewöhnkichen
Schul⸗ und Handbücher, und indem er diefen auf guten Glauben folgt,
wird er in der Tradition derielben auch unvermeidlich gefangen und irrt.
Man wolle nicht fagen, daß Das nichts verſchlage. Den Ernf feines
Fleißes fegt man doch am Tiebfien an die ächtefte Sache. Und warum.
fol Mangelbaftes, Ungenaues, Irrthümliches fort umd fort für voll
endete hiſßtoriſche Wahrheit gelten? Aus diefem Dilemma hilft nur
Eins: die Durharbeitung tühtiger gefhihtlider Werke,
allgemein⸗ und vaterländifch geſchichtlicher ſowohl, als namentlich mono,
graphiſcher und biographifcher, die von gründfigen Geſchichtsforſchern
aus den Quellen gefhöpft und faßfich bearbeitet find. Wir baden deren
mehrere. Der Lehrer muß das Eine oder Andere folcher Werke leih⸗
weiße zw erlangen fuchen, ſollte es auch Fleine Opfer koſten. Sie öffnen
ihm erſt den Blick in die geſchichtlichen Einzelheiten der Borgänge und
Beziehungen, und begründen dadurch die Möglichkeit eines felbftfländigen
Urtheils. Wer die Schriften von Mommfen, Dunder, Riebuhr u. 9.
gelefen, erhält eine ganz andere Anſchauung von den Geſchichten des
Atterthums, ats wie fie die meiften either gangbaren Lehrbücher ger
währen. Wer die von Leo, Rehm, Ranke, Rüdert, Menzel u. U. tief,
der wird das Mittelalter, wer die von Schloffer, Ranke, Wachsſsmuth,
Menzel u. A. lie, wird die Neuzeit würdiger kennen lernen. Mit der
Deatihen und der ſpeciellern Vaterlandsgeſchichte iſt ea Ahnlich; ja gerabe
392 Geſchichte.
auf dieſen Gebieten ergeben ſich viele, recht ſtarke Contraſte der Forſcher⸗
werke gegen die gangbaren Aufſtellungen mehrerer verbreiteter Bücher.
Es braucht bloß an das Zeitalter der drei kaiſerlichen Ottonen, der drei
Heinriche, Rudolphs v. Habsburgs, Maximilians I. und Karls des
Fünften, Ferdinands II. und Joſephs 11. erinnert zu werden; oder an
die Auffaffung, welche die brandenburgiſchen Markgrafen und Kurfürften,
3. B. Waldemar, Albrecht Achilles, Joachim 1. u. Il., Friedrich IM.,
und die Könige Kriedrih Wilhelm I. u. Ill. erfahren.
Gegenwärtig erſcheint es befonders erforderlich, bei der verlangten
biographifchen und monographiihen Methode in der Schule größere Acht⸗
famfeit auf die Aechtheit des Lehrftoffs in feinen [pecielleren Zü-
gen zu verwenden, um nicht Durch Die generalificenden Darkelungen
der Lehrbücher entweder auch auf bloße Allgemeinheiten, oder bei [per
cieflerer Ausführung auf falfhe Fährte zu gerathen. Unfere größeren
vaterländifchen hiſtoriſchen Werke, foweit fie nicht der bloßen Gelehrten⸗
Arbeit dienen wollen, und auch wiederum nicht bloße Sammelwerfe find,
bieten allein dem Lehrer die nöthige Garantie gründlidher Sachkenntniß
und reiflich erwogenen Urtheils, wie die erforderliche Umfaffenheit der
im hiſtoriſchen Leben der Völker wichtigen Momente. Dieſe Rüdfiht
iſt's denn auh, womit die Sinweifung auf folhe Werke im Pädago-
giſchen Jahresbericht fih von felb rechtfertigt, da fie fonft als nicht
an richtiger Stelle angebracht erfcheinen müßte. Der in der Regel zieme
lich hohe Preis folder Werke, der ihre Anfhaffung nur den Bemittels
tern geftattet, durfte nicht von folder Hinweiſung abhalten. — So
wie die Aechtheit der geſchichtlichen Lehrſtoffe, fo verdient auch deren
Baffenheit für die Schule Beachtung.
Gegen eine gewifle Kategorie traditioneller gefchichtlicher Lehrſtoffe,
nämlich gegen die krieg sgeſchichtlichen Ausführungen, bat fih jüngſt
der Dr. &. 3. Haufhild, Director des Modernen Gefanmt-Öymnafiums
und einer höheren Zöchterfchule in Leipzig, erhoben. In feinen „Leip⸗
ziger Blättern über Erziehung und Unterricht‘ (Beitfchrift für El⸗
tern und Lehrer zur Berfändigung über die vornehmflen Grundfäge der
modernen Pädagogik; Leipzig, Roßberg 1855), einer nicht gerade
Ternigen, mit — wie es fiheinen will — wenig energilcher Geiſtes⸗
anfrengung gefhriebenen Sammlung von Sonntags⸗Natizen, kommt
es ©. 83, 122 u. 151 auch auf die Geſchichte zu fprechen, um fid
gegen einen großen Webelftand zu erflären. Berfafler beklagt, daß die
Weltgeſchichte nad der gewöhnlichen Behandlung faf nur Krieges
geſchichte, „d. h. mit andern Worten nur Mord und Todtfchlag, Blut⸗
vergießen und Schlachtgewühl“ darftellt. „Iſt der Krieg nicht die tieffle
Derabwürdigung der Menfchheit? Erſcheint da nicht oft der Menih als
reißendes Zbier, nicht bloß völlig entfittlicht, fondern wahrhaft ent»
menſcht? Diefe Kriegsicenen auszumalen und diefe Helden, die, von
Raubgier, Bergrößerungsfudht, Ehrgeiz u. f. w. angeflachelt, den Krieg
mit eingefleifchter Mordiuft führen, iR eine traurige, unendlich ſchwere
Pflicht und. Aufgabe für einen frommen, befonders chriſtlichen Geſchichts⸗
ſchreiber. Den Kuaben wollen wir ja Sein anderes Wohlgefallen an
Geſchichte. 393
dieſen Großihaten ber Eroberer einflößen, als die. ſchene Bewunderung,
weihe der Anbiid eines maiefkätifchen Löwen einflößt. Traurig, daß
der Menfch nicht bloß zum Vieh, fondern bis zum reißenden Thier, zur
Beſtie herabfinten Tann. Es müßte wahre Serzensangelegenheit jedes
Menfchen fein, den didften Schleier über die ganze Kriegsgeſchichte zu
gieben; wir follten uns derfelben als Ehriften ſchämen... Statt defien
verberrlicht fogar auch die Geographie einzig nur dieſe Menſchen⸗
ſchlaͤchterei: fie kennt nur eine Art von Denkmälern auf der Karte, näm«
ih die Schwerter an Orten, wo Schlachten geliefert find... Das Wort:
die Weltgeſchichte iR das Weltgeriht — wird erft wahr werden, wenn
„das Chriſtenthum unferer Tage darüber zu Gericht ſitzt.“ (!)
Daß in unfern Schulen nicht lauter Kriegsgefhichte, ja
auch nit vorzugsweise Kriegägefchichte zu lehren if, — wie e8 auch
thatfaͤchlich jept nicht geſchieht — ſteht bei befonnenen Pädagogen feſt,
welche übrigens wohl Far genug fehen, um den Krieg nit aus lauter
Mord und Zodtfchlag zur Beftie herabgefunfener, auf lauter Menſchen⸗
fhlächterei ausgehender Entmenfchter beftebend anzuerkennen. Biele Lehre
bücher betonen die Kriegsgeſchichte überftart, das ift nicht recht; aber
fie liefern weder Lauter Darftellungen mörderifcher Scenen der Schlach⸗
ten, noch fordern fie dur Anführung der Schlahten zu deren Des
taillirung heraus. Da jedodh in dem Böllerieben der Krieg feit Jahr⸗
taufenden unter Gottes Zulaffung eines der entfcheidendften und wich⸗
tigden Mütel if, zu weitern innern Entwidelungen den Impuls zu
geben, und da ſich darin fo oft die höchſte menfchliche Anſtrengung der
ausgezeichnetfien, zu Fuͤhrern der Völker verordneten Perfonen, die Ber
währung ber überlegenen Intelligenz, der edeiften Charaktere zeigt, fo
tännen fie nicht übergangen werden.
Die von Haufchild gehegte Anfchauung von den Kriegen if übers
trieben, fie paßt böchftens auf Kämpfe zwiſchen Kannibalen; Fein edler,
chriſtlicher Krieger Tann fie theilen, auch fein weiterfchauender, chriflicher
Paͤdagog. Unfere Jugend ſoll von den Kämpfen, namentlih von den
saterländifchen, Hören, u. A. auch deshalb, weil fie leicht zu ähnlichen
berufen fein tönnte, und dann fi darin zu bewähren hat, ohne Rück⸗
ſichtnahme auf das moderne Urtheil des problematifchen Chriſtenthums
„unferer Tage,“ das leichter wiegen dürfte als das Ehriftentbum,
das der Herr Chriſtus felbft gepredigt hat. Die Kriegsgefhichte behält
namentlich für Anaben ihre Berechtigung ; aber der Lehrer hat die Pros
portionen weife zu bemeflen, und fich des Geiftes der Behandlung ges
börig bewußt zu bleiben, worin er von derſelben, namentlih von
Schlachtenbildern, Gebrauch zu machen hat. Auch Triegsgeidhicht»
liche Stoffe find ein traditionelles UnterrihtssPenfum, und müflen
ed bleiben. Daß ihr Inhalt aus den Geiſt der Zeit, welcher ſte an»
gehören, erklärt werde, wie Haufchild aud überhaupt von den Hands
Iungen weltgefchichtlicher Perfonen meint, verlangt die geſchichtliche Ges
rechtigkeit; daß Alles aber von „„unferm Standpunkte‘ aus „beurs
tHeilt und gerichtet‘ werden müfle, läßt fih durchaus nicht unbes
dingt fordern und involvirt nur zu leicht Berfündigungen an der Wahre
3m Geſchichte.
heit. und Gerechtigkeit. Der moderne und gerade darum probkematifche
Charakter des mit der Bezeihnung „unfer Standpunkt‘ eingefegten
Gerichts ift wandelbar genug, um zu bereditigten Competenz⸗ Gonfliften
zu führen. — Das Richtige an der Sache if, daß mit kriegsgeſchicht⸗
lichen Erzählungen weifes Maaß gehalten und im Sinne ber jet gels
tenden Befimmungen nicht darauf der Hauptnachdruck, fondern auf ſolche
geſchichtlichen Momente gelegt werden muß, welche Herz und Char
rakter der hriftlichen Jugend am entfchiedenfen zu bilden geeignet
find. Den Sharalter Hilft auch ein edles Kriegerbild bilden. — Wenn
oben auf die hohe Wichtigkeit der Beachtung der Refultate gründlicher
Geſchichts forſchung auch für den fchlichten Lehrer hingewiefen wurde,
fo lag dabei theils die Thatfache zum Grunde, daß mannigfadh in den
gebrauchten gefchichtlichen Lehrs und Haudbüchern von diefen Refultaten,
in Bezug auf thatſächliche Verhältniſſe, wie auf deren Beurtbeilung,
nicht die wünfchenswertbe Nüdficht genommen ift; theils aber auch der
Umſtand, daß nicht abzufehen if, warum nit, an Stelle unhaltbarer
tsaditioneller Anfhauungen, die richtigern allmählich durch die Schule
Gemeingut werden follen. Es wird doch fonft fo angelegentlich nach bes
gründeter Wahrheit gefragt, und wird mit Recht fo viel Werth darauf
gelegt, fo daß eine Reviſion des Hergebrachten bei den geſchichtlichen
Lehrſtoffen und eine Collationirung mit den Originals Acten gewiß ihr
gutes Recht für fih hat. Die Beachtung jener Refultate oft ſehr viel⸗
jähriger, mühfeliger Studien lohnt fi) gewöhnlich mit den lehrreichſten,
alte Vorftellungen corrigirenden, ergänzenden, aufbellenden Ginblidten.
(Des Beifpiels halber fei u. A. auf Dr. 8. Weinhold's „altnordiſches
Leben,” Berlin, Weidmann. 1856, bingewiefen) Auf Gelehrſam⸗
feit hat es eine ſolche Beachtung nicht abzufehen, aber zur beuechtigten
Prüfung der gangharen Lehrfoffe und zur Gewinnung ordentlichen Urs
theils über diefelben trägt fie fehr viel bei; und überdies beiebt fie bei
dem Lehrer das Intereffe erft recht eigentlich. Zwiſchen einer in All⸗
gemeinheiten ſich bewegenden Geſchichte, z. DB. von dem großen Kurs
fürfen oder dem großen König von Preußen unb einer auf Quellen
geſtuͤtzten Forſcherſchrift über beide geniale Männer, if doch ein gewaltiger
Unterſchied. Jene generalifirt auch zuletzt das Juteref fe, dieſe nimmt
es ganz Ipeciell für ihre Helden in Anſpruch, und beliebt — damit auch
für andere Geſchichts⸗Partieen.
So weit alſo einem Lehrer irgend die Gelegenheit und die Möge
lichkeit geboten ift, feine geſchichtlichen Lehr⸗ und Handbücher für den
Schulgebrauch wenigſtens in Haupt⸗Parthieen mit klaſſiſchen Werken
gediegener Forſcher über dieſe Parthieen zuſammenzuhalten, möge es
doch nicht verſäumt werden. Letztere behalten Jahrzehende lang ihren
Werth, jene ſchwinden oft innerhalb weniger Jahre aus dem Gebrauch
und der Erinnerung.
Geſchichtẽ. 398
VI. Traditionelle Behandlung geſchichtlicher Lehrſtoffe im
Schulunterricht, im Verhaͤltniß zu den pädagogiſchen
Principien.
Daß zwiſchen den pädagogiſchen Principien, deren allgemeine Gel⸗
tung nicht deſtritten wird, und der unterrichtlichen Behandlung geſchicht⸗
licher Lehrfioffe in der Schule, alfo zwiſchen Theorie und PBraris, nicht
felten eine ſehr fehneidende Differenz obmaltet, mag mehrfache Gründe
haben Richt ausreichende Lehrgefchictichkeit überhaupt, Mangel an
geiſtesfriſcher Hingabe an die Sadye, Feftgefahrenfein ‚in verkehrte Geleiſe
und Abneigung, in beffere, neue Bahnen fich einzugewöhnen, Taͤuſchung
über das Verhaͤltniß des eigenen Thuns zu den pädagogifchen Principien,
Mangel an Beherrfhung und Durddringung des Stoffs: das mögen
woht bie und da einige der flarfen Sinderniffe fein, welche e8 zu Feiner
prineipgemäßen Behandlung der Gefchichte fommen laſſen. Es giebt
aber noch andere: Unflarheit über den wahren Zwed des Bes
ſchichtsunterrichte, Irrung in den Mitteln zur Erreichung bes rich»
tigen Zweds, individuelle innere Geiftes- und Gemüths⸗Or⸗
ganifation, in Folge deren der Lehrer zu der obligatorifchen Rich»
tung des Gefhichtsunterrichts, zu defien Geil und Tendenz fi im
Widerſpruch weiß, Bindung an ungeeignete Leitfäden md
Lehrbücder.
Bon den zuerfi genannten Sinderniffen möge bier ganz abgeſehen
werden. Was aber Die Iehtern betrifft, fo iſt's Thatſache, dag über
den wahren Zwed des gefchichtlihen Schulunterrits noch genugſam
Unklarheit beſteht. Es hat ja fange die Erwerbung eines geſchichtlichen
Wiffensſchatzes und die Hebung der intellectuellen Kräfte daran als oberftes,
anzuftrebendes Ziel diefes Unterrichts gegolten. Heut hat dies Biel
feine frühere Geltung verloren, jedoch nicht fo, als ob Dies gedächt⸗
nigmäßige Wellen gar nicht mehr erworben, auf die Uebung der in.
tellectuellen Kräfte gar fein Werth mehr gelegt werden follte. Sondern
das foll Beides, aber in untergeordnetem Maaße, beſtehen bleiben,
und es fol jept ale hoͤch ſtes Ziel die hriftlihe und patriotiſche
Durchbildung des Sinnes und Eharafters der Jugend auch
durch den Geſchichtsunterricht angerrebt werden. Dies Ziel wird weder
durch fleißiges Memoriren der Gefchichtstabellen, noch durch ſtrenges Ab⸗
fragen zur häuslichen Einprägung aufgegebener Geſchichtspenſen der
Dietate oder Lehrbücher, weder durch eifriges Eraminiren und Gertiren,
nod durch Igeiftreiche Deliberationen über die Gefchichte erreiht. —
Sowohl für vorwiegende Gedächtniß⸗, als Berftandes- Pflege iſt die
Natur des Gefhichtsfloffes zwar durchaus nicht völlig, aber in viel
höherm Grade gleichgültig, als für Gemüths» und Charakterpflege zur
Erzielung chriſtlichen und patriotifchen Sinnes. Maſſen von Bahlen,
Namen und Thatfahen, originelle und pikante Auffaffungen der Ger
ſchichte u. dergi. befruchten das Gemüth nidt. Die pädagogiſchen
Brincipien legen aber auf Bildung des Gemuͤths und Charakters für'o
300 Geſchichte.
Leben mit Recht einen höhern Werth, als auf Bilbung des Gedächt⸗
niſſes und Verſtandes allein. Soweit jenen Principien zugeſtimmt
und doch den letztern Tendenzen vorwaltend gehuldigt wird, iſt die
Differenz zwiſchen Theorie und Praxis — und letztere Tendenzen regelten
die frühere Praxis — offenbar.
Ferner. Da wo allein ſchon durch die traditionelle Gliederung
des geſchichtlichen Lehrftoffs in alte, mittlere und neuere Zeit, oder in
die andere nah den Regentenfamilien, oder in die noch andere nad
rein politifchen und nah Hulturs Verhältniffen, oder wo durch fogenannte
concentrifhe Geſchichtskreiſe, durch faſt ausfchließliche Beichäftigung mit
der vaterländifchen Geſchichte — aber in rein Außerliher Weile —,
durch vieles Vorlefen aus fpecieller eingehenden Gefchichtsbüchern, ober
durch abſichtliche Gleichförmigfeit der Behandlung der auseinander ſich
entwidelnden oder in einander eingreifenden Thatfahen u. dergl. das
Biel des Gefchichtsunterrichts zu erreichen verſucht wird: da if wies
derum die Differenz zwifchen den richtigen Principien und der Prazis
offenbar. Diefe iſt jener augenfcheinlich inadäquat. AN jene Mittel,
wie löblih und unter Umftänden fehr zwedmäßig an fih, werden doch
erft recht wirffam, wenn bei der Stoffwahl die für den oberſten Zwed
tauglichſte Partieen herausgegriffen, und bei der Durchführung jene
Friſche, Lebendigkeit, Wärme der perfönlichen Hingabe und Durchs
dringung niit chriftlihem Geifte, in vollfter Unmittelbarkeit vom Herzen
des Lehrers ausgehend, zur Anwendung kommt, die auch bei andern
Modalitäten der äußeren Methode die ſtarke Hoffnung entſchiedenſten Ers
folges für ih bat. — Es ift ja ganz fhön und nothwendig, den Untere
right — der Tradition gemäß — abzuftufen, jeder Stufe ein relatives
Ganzes zuzuweilen, der Unterftufe die fchlihte Erzählung zur Wedung
des geſchichtlichen Sinnes, der Mittelftufe die Einführung in das Bers
Bändniß der wichtigen Thatfachen und Erjcheinungen, der Oberſtufe Die
Eröffnung des geiftigen Zufammenhangs, des Gaufalnerus, des Prags
matismus, zu vindieiren. Uber das Penſum und die äußere Ab»
widelung deſſelben thun es allein nit. Der Geiſt des Thuns ents
ſcheidet; letztern Ipricht nun zwar das pädagogiſche Princip aus, aber
die bloße Form obiger Mittel genügt demfelben nicht. Der rechte
Geiſt ift ſelbſt das befte Mittel! Nur in Berbindung mit ibm,
und durch ihn getragen, hat die anregende Friſche des lebendigen Wortes,
die plaftifch anfchaulihe Dramatif der Schilderung, die Unterſtützung
derfelben durch geographifche Hülfsmittel und Abbildungen, die Bemeflung
nach Alterss und Gefchlechtsverfchiedenheit, die combinatorifche Beziehung
zu den andern Lehrgegenfländen, und was fonft noch von Mitteln zur
erfolgreichen Behandlung des Gefchichtsunterrihts aus den voranges
gangenen Zahrzehnden auf unfere Tage gekommen if, er den vollen
Werth.
Ferner. Welche Geſtalt dem Geſchichtsunterricht zu geben, in
welcher Richtung er zu erhalten iſt, das ſteht in unſerm Lande durch
die gegebenen Vorſchriften nunmehr feſt. Es iſt aber nicht zu läugnen,
daß mancher Lehrer feiner ganzen Geiſtes⸗ und Gemüthsrichtung nach
Geſchichte. 397
ſchwer dahin gelangt, das in ihm noch waltende Widerſtreben dagegen
zu befiegen. Die Begeiſterung für vaterländiſches Weſen und
Leben iſt noch keineswegs bei Allen Gemeingut, und die Ueberzeugung,
daß vor Allem die ſolide Befeſtigung unferer Volksjugend auf dem Boden
lebendigen Chriſtenthums erforderlich ſei, ebenfalls nicht. Damit
fehlen aber die beiden ſtarken Hebel zur fruchtbaren Ertheilung des
jet zeitgemäßen gefchichtlihen Schulunterrihte. Wo ſtatt entfchieden
ausgefprochener, gefunder Liebe zum Baterlande Gleichgültigkeit, ober
gar Bergdtterung ausländifcher Ideen waltet, wo am eignen Volksleben
nur die Schäden, am fremden aber die Glanzfeiten ind Auge gefaßt
werden, wo ohne Treue und Pietät ind Geheim an Kronen und Thronen
gefündigt wird, da if der Widerfpruch gegen alle volksthümliche, deutfche
Pädagogik offenbar. — Daflelbe gilt von dem Bemühen, die Geſchichte
von aller religiöfen Unterlage im Volke Ioszulöfen, und fie als
bloßes Menfchengetriebe hinzuftellen, worin bie reinmenfchliche Tugend
und Geiſtesſtaͤrke im flets fi erneuernden Ringen gegen fittlihe und
geiflige Schwäche, Leidenfchaft, Auflehnung und Anmaßung begriffen if.
Solch Beginnen ſtreitet gegen alle deutſche Volksthümlichkeit,
wie es zugleich gegen alle Wahrheit ſtreitet. Dem deutſchen chrift»
lichen Lehrer liegt für den Gefhichtsunterricht nichts näher, als unfer®
Deutfchen Volks Achten nationalen Kern in Weltanſchauung, Sinn,
Sitte, Streben, Bollseinrichtungen, Zuftänden, Kämpfen und Siegen,
beſonders deſſen hrifflichde Grundanſchauung des Völkerlebens und die
darauf geftübten Veranſtaltungen, Gefebe, fowie die dafür gebrachten
großen Opfer, zur Geltung und Anerkennung zu bringen, fo daß die
Jugend voll Pietät und Bewunderung vor die Glanzbilder deutfchen
Lebens und Weſens treten, es aus ganzer Seele lieb gewinnen, und
mit treuer Hingabe ſich begeiftert an die Heldengeſchlechter anschließen
lernt, die unter Gottes Segen in ihrem engern Baterlande zu deffen
Größe und Blüthe beigetragen haben.
Darin würde fih, fo dies erfirebt würde, richtige nationale und
chriſtliche Pädagogik offenbaren, deren Prineipien eben fo die Formen
als die Stoffe berühren, um dur ihren Geiſt beide zu verflären.
Es würde dabei die Bereicherung des Wiſſensfſchatzes, die Uebung afler
geifligen Kräfte, des Bedächtniffes, des Verſtandes, der Denkkraft, der
Phantafle nicht fehlen, fondern fogar noch der edelfte Enthuflasmus ger
nährt, und das Herz an den theuerfien Gütern erwärmt und erquickt,
farz der ganze Menſch erfaßt, gehoben, und in die rechte nationale
Lehensftellung gebracht werden. Denn ‚nichts iſt mächtiger, als der res
figidfe Gedanke!’ Die heranwachſende Jugend würde wiederum mehr
mit chriſt lichem Leben erfüllt, lebendiger in die Kirche eingefügt, fie
würde aber auch wieder mit mehr Ehrfurcht vor vaterländif hem
Weſen in das fpätere bürgerliche Leben eintreten.
Endlih. Die traditionelle Behandlung des Geſchichtsunterrichts
wird vielfach durch die ihr zu Grunde gelegten Lehrbücher mit bes
fimmt. Diele der in der Schule lange gebrauchten, halfen bloß die
Erwerbung äußerer Geſchichtokenntniß vermitteln; fie blieben innerhalb
398 Geſchichte.
der Kreiſe des außern Lebens ſtehen und kümmerten ſich wenig darum,
auch auf die innern Factoren hinzuweiſen, welche erſt jenes äußere
Leben verſtaͤndlich machen. Manche dieſer Bücher find lediglich wi ſſen⸗
ſchaftliche Abriſſe, mit einer Hülle und Fülle von Angaben über
Negentenwechſel, Berfonalbeziehungen der Fürſten, Walten ber Zürfen
zur Hebung der äußern Bollswohlfahrt durch Förderung der Agzicultur,
der Induftrie, des Handels, der Kunft, der Willenfchaft; ferner über
Kriege, Schlachten, Ländererwerbungen und fonfige politifhe Händel,
Degen dieſer Bülle find fie jchon an fich fchwer lesbar, aber auch im
Webrigen if ihre Darftellung meift nicht anziehend. Sie überlaflen deu
Einfluß der Gefchichte der vox viva des Lehrers; fte nehmen den Kopf,
nicht aber das Herz in Anfpruch, und haben für vaterländifche Begeben⸗
beiten obngefähr Diefelben Raumes» und Kraft» Proportionen als für
aller andern Völker Geſchichte. Solche Bücher leiten kaum in einer ge⸗
fhidten Hand zu dem jeßt normirten Ziele, gefchweige in einer un⸗
geübtern. Gegenwärtig thun Lehrbücher Roth, welche, mit fehnellerer
Webergehung der flerilern Bartieen, den verflärkten Nachdruck auf die
andern, bedeutfamen legen, die im Bolfsbewußtfein entweder forts
Leben, oder wieder lebendig zu machen find, und welche für diefe wich⸗
tigen Partieen fogleih die rechte Leuchte geben und auch den vater»
ländifchen Sinn des Verfaflers edel doeumentiren. Sie können an Stoff
etwas ärmer, fle müffen aber an gefundem Geift reicher fein.
Solcher Lehrbücher giebt es jetzt kaum eins. Freilich ift auch die Zeit
feit Emanirung der neuen Normen noch zu kurz, um Gediegenes haben
an’s Licht treten laffen zu fönnen. Mit einem den neuen Rormen ans
gepaßten Aushängeichilde und etlichen danach formirten Abfchnitten giebt
es ſchon welche; fie paflen aber zu der Altern Tradition viel eher, als
zu den neuem Befimmungen. Denn fie befchränten nicht richtig, vers
tiefen nicht, bauen und heilen nicht, begründen aud Fein gewifles Urs
tbeil über den Geift und die Bedeutung der Zeiten und Bölker, und
führen nicht in den innerfien Kern des Lebens, die religiöfen Ideen ein.
Und doch „hängt alles menfchliche Thun und Laflen von dem religiäfen
Begriff ab, in dem man lebt.“ Wo foldhen Lehrbüchern und Leitfäden
ohne eignes Urtheil auf guten Glauben nachgegangen wird, da Tann für
den Hauptzweck des Gefchichtsunterrichts nicht viel herausfommen.
Andere Lehrbücher entbehren eines patriotifchen Hauches nicht; fie
enthalten an paſſender Stelle manch fchönes, zündendes Wort, wo es
gütt, Helden und ihre Thaten, Leiden und Berbängniffe Einzelner wie
des ganzen Volks und ähnliche gipfelnde Situationen darzuflellen; fie
führen auch in die früheren, die Keime fpäterer Entwidelung enthals
tenden Zeiten finnig ein, und laſſen 3. B. den Zufammenhang zwifchen
den mittelalterlihen Begriffen und Zuftänden und den Anfhauungen und
Geftaltungen der folgenden Jahrhunderte erfennen. Aber es geht ihnen
die befriedigende Würdigung der Stellung des evangelifchen
Chriſtenthums zum Völferleben ab; letzteres erfcheint in ihnen von
dem Chriſtenthum in fo hohem Grade gefchieden, daß dies nur bei ein
paar traditionellen Momenten beachtet, ſonſt aber weiter nicht erwähnt
Geſchichte. gos
und Sei Bildung des Urtheils nicht zu Hülfe genommen wird. Das
bat für den nach biefen Büchern ertheilten Unterricht die Folge, daß
auch dieſer ich mit dem Chriſtenthum an ein paar Stellen abfindet, das
ganze übrige gefchichtliche Leben aber feine eigenen Wege gehen Täßt.
Es werden darum die Charakterbilder hoͤchſtens menfhlich fhön aus⸗
geführt, aber zu Weiterm kommt es nicht; alfo mangelt auch das exem⸗
pliflcatorifche Element für die Achte Charakterbildung, in der das Chris
ſtenthum nie fehlen Tann.
Noch andere Lehrbücher verbinden Sachfälle und volkothümliche Auf⸗
faſſung des Stoffs mit einem gewiffen Geiſtes reichthum. Bliztzende
Gedanken, überrafchende Eombinationen, pilante Situationen, draftifche
Sprüde, ungewöhnlide Deutungen und Erllärungsweilen geben ihnen
bei der meif gewandten und eleganten Darftellungsweife einen befondern
Heiz. Dergleihen Bücher find in befonderm Grade für den ſchlichten
Lehrer verführerifch. Ahnen mündlich gleichzulommen, ift ſchwer, es nur
zu verſuchen, kaum räthlich bei dem geruhigen Unterricht von Kindern;
indem minder die Sache als die Form fpannen würde. Viel nöthiger
it einfache, klare, faßliche, aber eindringliche Form der Darftellung,
kindlichen Kräften entfprehend, und mit feiner Sinnigfeit für diefelben
berechnet. Gewöhnlich gebt den an überfehwänglichem Geiftesreichthum
leidenden Lehrbüchern die geruhige Klarheit und die zum Herzen drin«
gende Kernigkeit ab. Sie nehmen Verſtand und Phantafle lebhaft in
Anfpruch und laſſen Herz und Gemüth Teer ausgehen. — Es giebt
einen ähnlichen praktiſchen Geſchichtsunterricht; man glaubt, etwas vors
gerädteren Schülern damit das ihnen Entfprechende bieten zu müſſen.
Diefe Tradition widerfirebt auch gefunden pädagogifchen Principien.
Auch vorgerüdtere Schäler bedürfen gar fehr des zum Herzen fprechen»
Den, charakterbildenden Gefchichtsunterrihts, und fie koͤnnen viel
eher der Eleganz und der Geiſtesblitze, als der flillen, unwiderſtehlichen
Cindringlichkeit feffelnder, aber klarer Darflellung entbehren. Jene Tiefe
leicht auf eitle Schauflellung der Lehrergewandtheit hinaus, diefe if auf
des Schülers wahre Intereſſen berechnet.*)
9 68 möge hierzu an den Rath erinnert werden, welchen Dr. Joſ. Bed
im Borwort zur 6. Auflage feines „Leitfadend der allgemeinen
Weltgefhichte‘ (Hannover. Hahn. 1856) in Bezug auf methopdifche
Behandlung des Gefhichtäunterrichts ertheilt. Ihm bat es fih als das
Fruchtbarſte erwiefen, wenn in untern und mittleren Klaſſen höherer Unter⸗
richts anſtalten zuerft der Xehrer in einem klaren, freien, aber gemeffe-
nen und nicht abfhweifenden Bortrage den zu behandelnden Abſchnitt
waählt, dann Dielen At ſqanin im Lehrbuch vorleſen läßt, um etwa dunkel
Gebliebenes nebenbei zu erklären, und darauf von einem oder mehreren Schü⸗
lern den Berfuh im Nacherzählen machen läßt. Das fo Durchgenommene
iſt für Die nächſte Stunde zu lernen; die Frageftellung hat darauf hinzuwirken,
daß das Belernie nicht mechaniſch, fondern mit geiftiger Selbſtthä—
tigleit reproducirt werde. Sind die eine bißorifhe Gruppe bildenden
Abſchnitte beendet, fo wird bDiefelbe ald Ganzes wiederholt und dabei auf
Anbahnung des Deritändnifles von der Innern nwidelung und deu Zus
[emmenb unge bed Einzelnen das Abſehen gerichtet. Dabel find die wich⸗
tigern Derbindungdglieder an beſtimmte Jahreszahlen feſtzu⸗
400. Geſchichte.
In Summa: Bei der althergebrachten unterrichtlichen Behandlung
der Geſchichte wird es zwar gelingen, den früher maaßgebenden Anfors
derungen in Betreff größern Reichthums der gefchichtlihen Kenntniffe
und größerer Uebung der intellettuellen Kräfte zu entfpredhen; aber das
neuerdings kategoriſch gebotene Ziel nationalshrifliger Charak⸗
terbildung der Jugend, worauf die chrifllihe, volksthümliche Päda⸗
gogik principiell den färkften Accent legt, if damit erfahrungsmäßig
nicht zu erreichen gewefen. Darum ift es Gewiflenspflicht, in andere,
erfolgreichere Bahnen einzulenten, die Breite, Höhe und Länge
gegen fittlihe Tiefe daran zu geben, und all die Mittel zu verfuchen,
weiche bei einzelnen, weiterfchauenden Pädagogen fchon feither das rich-
tige Biel haben erreichen helfen, und genugfam bewährt erfunden find,
um zu allgemeiner Anwendung empfohlen zu werden. Auf diefen neuen
Bahnen gilt es Vorwärts mit Gott in Treuen!
Zur geſchichtlichen Literatur des Jahres 1856.
Die bibliſchen und firhenbiflorifhen Lehrers, Hand» und
Hülfsbücher, welche in früheren Jahren mit in die literarifche Nach⸗
weifung an diefer Stelle aufgenommen zu werben pflegten, werden fortan
nur beim Bericht über die religidfen Schriften zur Beſprechung
kommen, wo fie deshalb nachzufehen find. Wenn einige dem Geſchichts⸗
lehrer jedenfalls willlommen erfcheinende Schriften in dem diesmaligen
Bericht Feine Beiprehung erfahren konnten, fo liegt das nur daran,
daß es feither nicht gelungen ift, fie zu dieſem Behufe zu erlangen.
Es konnte nicht über Schriften berichtet werden follen, die nur aus
buchhändterifchen Anzeigen belannt find. Aehnliches gilt von Lieferungs-
Werken, von denen nur Anfangslieferungen vorlagen, indeß ſchon weitere
erfchienen find. Nur die möglichfte Nüdfihtnahme auf den bemeffenen
Raum ift der Grund, weshalb überall, wo es nur tbunlich fchien, ſehr
fnappe, das Weientlihfte hervorhebende Beſprechungen gegeben worden
find; befonders gilt dies bei neuen Auflagen von Werken, auf
welche bereits in früheren Jahrgaͤngen des Pädagogifchen Jahresberichte
die Aufmerffamkeit gelenkt if. Solche Schriften werden durch ein * mars
firt werden.
A. Boterlänbifche Befchichte.
a. Preußiſche Geſchichte.
J. J. v Becker, Lehrer: Brandenburgiſch⸗Preußiſche Geſchichte.
ür Bürger⸗, Neal» und — 533 3. Aufl, (von Lehrer
. Hehel in Brandenburg) mit Rückſichi auf die drei preußiſchen
fnüpfen, minder bedeutende aber an jene angureiben. Nach Abſchluß einer
rößeren Gefhtchtspertode iſt die betreffende KR ifhe Weber:
ihtötaäbelle zu erflären und die Hauptfacta find in ihrem Rebens
einander fireng zu lernen, doch iſt dabei Maaß zu haften,
Geſchichte, 401
Begulative umgearbeitet. Altena, Verlags⸗Büreau. 1856. 116 ©,
Der Text dieſer für Töchterſchulen mitbefimmten 3. Aufl. iſt
dem in der 2. (cf. 9. Päd. Jahresber. S. 450) für Militärfchulen
mitbeftimmten far wörtlich gleih. Einige Kürzungen betreffen die Staats⸗
einrichtungen und die Zeiten feit 1848, einige Ergänzungen dagegen
einige charakteriſtiſche Züge (z. B. Tod der Königin Louiſe), eine. Eins
leitung und eine Weiterführung der Zeittafel, welhe mit der im Büch⸗
lein von Höfh (IX. Pad. Jahresber. S. 449) übereinfimmt. Der Ver⸗
mer? des Titels in Bezug auf die drei preußifchen Regulative wird
durch das Büchlein ſelbſt nicht gerechtfertigt.
2. Dr. Kopp, Gymnaflallehrer: Die brandenburgiſch⸗preußiſche
Geſchichte bis 1740. Zum Gebrauch für obere Gymnaſialklaſſen
und für greunde der nationalen Geſchichte. Berlin, Springer. 1857.
130 S. 9% Sgr.
Das find kurze Summarien aus der vaterländifhen Gefchihte für
Diejenigen, welche die Details bereits gelernt haben, und nun eine
mehr als durch bloße Gefhichtstabellen erreichbare, eingehendere, fachlich
teihere Erinnerung an die Sauptzüge gewinnen wollen. Weniger zu
einem Leitfaden als zu einem willlommenen Repetitionss Hülfsmittel
eriheint das Büchlein deshalb befonders geeignet. In die Data find
übrigens an mehreren Stellen aud aneldotenartige Einzelzüge mit ver⸗
webt, welche über die Grenzen des Repetitionszwecks hinaus Tiegen
(ef. S. 32. 36. 64. 79. 112. 115). Dit der brandenburgifchen Ges
ſchichte iſt die Gefchichte Of» Preußens und Pommerns ſynchroniſtiſch
verflochten, die Gefchichte der andern preußifchen Provinzen fehlt. Bon
den Zeiten Friedrihs II. an finden fi nur ganz kurze Umriffe Die
Darftellung if gewandt, mande Charakteriſtik von Berfonen und Zeiten
recht herb und einfchneidend. Eine Zeittafel fehlt.
3, $ Kopftadt, Scheer: Geldiät: er Preußifhen Staats, Hagen,
Buß. 1856. 390 Thlr.
Nicht ſowohl eine — — ale eine auf gute, aus den Quells
ſchriften geichöpfte Werke geftügte „‚überfichtlihe und zufammenhängende
Erzählung deſſen, bat der Berf. liefern wollen, was ein Gebildeter
von der Geſchichte feines DVaterlandes willen ſollte.“ Seine fehr wadere
Arbeit, getragen von eben fo viel patriotifcher Liebe als edelm Frei«
mut — namentlih da, wo es perfönlidhe und ſachliche Mängel zu
rügen gab —, zeugt von viel Fleiß und Genauigkeit in der Sache und
von viel Sorgfalt in der Darftellung, welche überall lichtvoll, gerecht
und wohlthuend zu fein firebt. Das entfaltete Bild der Thatfachen iſt
klar, überfgaubar » ausführlich, gerundet und wohl zufammengefchloffen,
obgleich einige Abfchnitte etwas lang hinausgefponnen jind, fo daB
wenigftens einige marfirte Ruhepunkte wünfchenswerth fcheinen. Un
dem Buche treten zwei charakterifiifche Seiten entgegen. In der Korm
iR infofern eine von andern Bearbeitungen abweichende Einrichtung, al$
der Stoff nicht nach den üblichen Zeiträumen, fondern nad anders bes
Nade, Iahresberiht. Z 26
402 Geſchichte.
grenzten Abſchnitten aufgeſtellt iſt. (3. B.: „2. Kämpfe zwiſchen Slaven
und Deutſchen. Gründung der Mark Brandenburg. Die Askanier bis
u ihrem Ausferben.” „A. Brandenburg unter den Wittelsbahern und
Buremburgern bis zur Ankunft Sriedrihe I. 1412.“ ,,6. Gründung
der Macht der Hohenzollern in Brandenburg. Bezwingung des Adels
und der Städte dur die 3 erſten Hurfürften bis auf Johann icero.
1846.” etc.) In der Sache if die fonchroniftifhe Einfügung der
Geſchichte des Ordenslandes Preußen in die des Kurfürftenthums Bran⸗
denburg charakteriſtiſch. (So 3. B.: „3. Kämpfe des deutſchen Ordens
in Preußen bis zur völligen Unterwerfung des Landes. 1283. „5. Macht
des deutichen Ordens bis zur Niederlage bei Zannenberg. 1410.” ....
„14. Preußen unter eigenen Herzögen bis 1617.) Bemerkenswerth -if
es au, daß die Urtheile über die Fürften (z. B. Joachim IT., die Fürs
fen vom großen Kurfürften bis auf den vorigen König) in manchen
Stücken etwas herb gegeben find, daß ferner die geiftige Entwidelung
des Staates nicht in befonderen Abſchnitten (über Kunſt und Wiflen-
Schaft) dargeftellt, und die Geſchichte der Jahre 1840 — 1848 nur furz
er ii Das Bub if der Beachtung fehr wert. (S. 148:
ablunfa.
4. Dr. Fr. Förfter: Neuere und neueſte Preußifhe Geſchichte.
Seit Friedrich des Großen Tode bis auf unfere Tage. Mit Benugung
vieler ungedrudter Quellen. 3. Aufl. Liefer. 61—65. 5 Sgr. A u.d. T.:
Preußens Helden in Krieg und Frieden. 95—94 Lief. III. Abth.
3. Br. S. 601—800. Berlin, Hempel. 1856.
5. Deffen: Geſchichte der Befreiungsfriege 1813, 1814. 1815.
Nach theilweiſe ungedrudten Quellen und mündlichen Auffchlüfien bedeus
tender Zeitgenofien, fo wie vielen Beiträgen von Mitkämpfern dargeftellt
unter Mittheilung eigener Erlebniſſe. (c. 24 Lief. a5 Egr.) 1. Lief.
S. 1—48 mit Titelbild. Dafelbit 1856:
Bon einer einzigen Lieferung (des Werkes b.) läßt fi fein völlig
fiheres Urtbeil über das neue Werk gewinnen. Es fcheint jedoch, daß
es eine fehr ungenirte Tendenz verfolgen wolle, wie man fie auch fonft
beim Berf. gewohnt if. Theils ift das in Ueberfchriften wie „Friedrich
Wilhelm III. und der freie Wille fündigen Napoleon und dem Despotens
thum,” ‚Alles für und dur das Volk,“ ‚Diplomaten » Gefäufel‘‘ zc.
theils durd die charakteriſtiſche Anſchauungs⸗ und Urtbeilsweife aus⸗
gefprohen. 3. B.: Ob der König und feine vertrauteften Natbgeber,
melde die Aufforderung zum Zreimilligens Dienft, die Aufrufe an das
Bolt u. f. w. erließen, die Tragweite ihrer Worte und Verheißungen,
fowie das Einzige ganz ermaßen, dem der Kampf galt, läßt Berf.
dahingeftellt fein, er fagt aber, „das allgemeine Bolfsbewußtfein hatte
Darüber Gewißheit. „Der freie Wille war der zündende Blik der Ber
geifterungsflammen.” „Die Waffen der Monarchen felbft wurden des
mofratifh. „In Preußen war Alles Selbſtbeſtimmung; die Vöolker
flanden gegen Napoleon auf‘ 2c. Berfaffer regiftrirt 16 Seiten bins
Durch die zahlreichen Opfer, welche damals die Berliner und Breslauer
Beitungen antündigten! Die Briefe der Prohasſska, Marſans Briefe,
Geſchichte. ad
Die Erinnerung am ben Hardenbergſchen Heiratheplan u. dergl. ſcheinen
für die obige Zendenz markant, fowie das zweifelhafte Lit, worin
fon gefeierte Männer bier erfcheinen. Die Ankündigung macht ause
drücklich darauf aufmerkfam, daß fi Hier „allerdings manche vermeinte
Heldenthat anders darſtellt; fo z. DB. werde man erfahren, daß ein
. General, von der Geſchichte als Sieger in einer bedeutenden Schlacht
mit dem Lorbeer befränzt, während berfelben im Delirium lag.“ Es
muß der weitere Berfolg lehren, in wie weit pifante, mit unverkenn⸗
barer Abſichtlichkeit auch Schwächen und Schattenfeiten fonft gefelerter
Berfonen bioßftellende Behandlung der großen Menge dienen, oder Groß⸗
artigfeit bes Urtheils und Adel der ganzen Auffaffung den echten Bas
triotismus unfers Volls wird fördern follen. Dem Berf. leben beſon⸗
ders leicht die Urkunden zu Gebote, wie dies auch feine Schrift be⸗
weiß: „Sechs Jahre Breußifher Geſchichte (1807 — 1813).
Rah tbeilweife ungedrudten Quellen. Daſelbſt 33 Thir.
6 ©. Schwminger: Die Preußiſche Geſchichte in Schilderungen
und Darftellungen von Helwing, v. Raumer, Droyfen, v. Lancizofle,
Villen, Buchholz, Pauli, Ranke, Cosmar, v. Pölnig, v. Orlich, Frie⸗
drich D., Graf v. Herpberg, Graf v. Dohna, Häuffer, Horn, Stenzel,
Barnbagen v. Enfe, Preuß, v. Retzow u. m. A. Berlin, Hempel. 1856.
385 ©. geb. 1 Thle. 17! Ser.
In neuerer Zeit ift fowohl bei der allgemeinen Gefhichte als
auch bei der deutfchen der Gedanke der fchildernden Bearbeitung der
hervorragendften Momente mit entſchiedenem Glück verſucht, und dadurch
Stoff wie Impuls gegeben, fatt einer gleichförmig fortgehenden Dars
Rellung des Bedeutenden wie des Minderbedeutenden, mehr der Feſthal⸗
tung des Wichtigſten in runden, vollſtändigern Darftellungen fi zuzu⸗
wenden. Dadurdy hat die Anfchaulichkeit der Gefchichtserzählung bedeutend
gewonnen. Für die Preußiſche Gefcichte liefert obige Sammlung
von über 50 Abfchnitten, welche die entfcheidendften Höhen⸗ und Wende⸗
punkte derfeiben enthalten, viel fchönes Material, das nad den vers
fhiedenften Beziehungen bin, namentlich auch in Nüdfiht auf Kampfes⸗
gefchichte, zu benugen ift, zumal da darin der hiftorifche Berlauf des
allmählichen Emporblühens unfers Staates fih abfpiegelt. Der Glanz
des Hohenzollern Haufes, namentlih in Friedrih Wilhelm dem großen
Kurfürſten und SFriedrih dem Großen, leuchtet daraus Mar hervor.
Wenn auch in einzelnen Beziehungen fih Manches anders wünfchen ließe,
fo ift doch das Ganze fehr beachtenswerth.
7. ©. Weidinger: Das Leben und Birken Friedrichs des Gros
Ben, Königs von Preußen. Vornämlich mit Aüdfiht auf die reifere
Jugend geſchildert. 2. Aufl. Mit 12 Stahlſtichen. Leipzig, Zeubner.
1857. 325 ©. 1 Ihr
Nicht fowohl in einer für die Bebürfniffe des Volls im Ganzen
berechneten Popularität der Darſtellung, als in einer für die gebildetere
Jugend berechneten Form, mit mancherlei Reflectionen, fowie hie und
. 26* .
— —— —— —— — — — —
—— — Tr — — — nn —
am Gefchichte.
da mh denifchen und franzsſiſchen Dichterſprüchen durchwebt, iR bier in
faſſelnder Schilderung das reiche Leben des großen Könige dergeſtalt
ontfalteh, Daß ſich Devon wohl eine begeiſternde Wirkung auf das jugend⸗
He Gemüig erwarten Mßt. Der Berf. will „echte Mannesgröße als
Hielpuntt des Strebens jugendlicher Herzen“ hinfellen, und „Ooffnung,
Liebe und Begeifterung dadurch weden helfen. Gin geſchichtlicher Rück⸗
blick auf die Drei vorhergehenden Regierungen leitet das Ganze ein,
und liefert dabei einzelne Binfelftriche zum Bilde Friedrich Wilhelms
6 großen Kurfürſten und feiner beiden Nachfolger. Ziemlich detaillirt
wird Friedrichs IL Zugendgefchichte dargeſtellt, ohne deſſen Berirrungen
zu befchönigen, aber auch ohne die große Zukunft dieſes außerordent⸗
lichen Mannes unvorbereitet zu laſſen. Den Haupttheil der Schrift
nehmen die Kriegstbaten ein, wobei viele dharakteriftifihe Cinzelzüge über
die mit dem Könige in nahe Berührung gefommenen denkwürdigen Ber»
fonen vorfommen. (8. B. auch über Hodig, v. d. Trenf u. A.) Des
Königs philofophifches Leben, fowie feine Iandesväterliche Fürſorge tritt
zwar, ein paar Abſchnitte („Zwei Briedensjahre. „Heilung der Wun⸗
den.9 nicht im befonderer Behandlung auf, es ift aber vieljeitig bes
rührt. Eigenthüwmlich find dem Buche die Einflehtung der eigenen
Subjectivität des Verfaſſers durch Grimmerungen an Züge königlider
Huld gegen feine Boreltern, und die intereffanten Nachrichten über die
Mitglieder der Föniglichen Kamilie: die Königin, die Prinzen Heinrich
und Auguf Ferdinand, Friedrich Wilhelm II. und die unglüdtiche
ringeß Amalie. Die Stahlftiche find ſehr ſauber. Das Bud lief
ch gut und verdient empfohlen zu werden.
8. Franz Kugler: Geſchichte Friedrihs des Großen. Mit 406 Illu⸗
Krationen von U. Menzel. Neue durchgefehene Aufl. Leipzig, Men⸗
beldfohn. 1856. 513 ©. 4 Thlr.
In geiſtvoller, edler Weiſe, anfpruchelos, nicht breit und vers
ſchwommen, fondern in feften, Maren, durch die Zeichnung der Cha⸗
raktere und Taten fefleinden Zügen if in vier Büchern des Könige
„Jugend,“ „Glanz,“ (bis 7jähr. Krieg), „Heldenthum“ (bis Huberts⸗
burger Srieden), und „Alter dargefielt. Die Entwidelung der außer⸗
ordentlihen Anlagen Friedrichs in frühefter Jugend, die häusliche Stels
fung zu den Eltern, die Zugendverirzungen, namentlih der Zwieſpalt
mit dem Vater und die Folgen davon, find unverhüllt, doch würdevoll,
wie au die Kampfesgeſchichte und das koͤnigliche Xeben für Kunft,
Wiffenfchaft und Friedenswerke aller Art lebendig dargelegt. Bei der
Ausfünrlichkeit des Ganzen erwartet man viele Specialzüge, und fle
fehlen in der That au nicht. Sowohl die Kriege» ale die Friedens⸗
geſchichte Liefert viel Stoff dazu. (cf. Kap. 39 die Erzählung des thüs
ringifhen Gandidaten, ferner mehrere Briefe, Denkſchriften, geiftvolle
Urteile, Poekes Proben und dergl.) Auf bloß poetiſchen und philo⸗
ſophiſchen Schmud ift verzichtet; das iR aber durch lebendige Anfchane
lichkeit, wie dur großartige Blide in das reiche Geiſtesleben des
Monarchen aufgemogen. Es if eine trefflihe, zur Pietät anregende
Geſchichte Ms
diſtoriſche Lectüre, welche die ungeheuten Unftrengängen und Gorgen
des Königs zur Hebung und Heilung ſeines Staats und deren Erfoige
donımentirt, und dabei zugleich die merfwärdigken Chavaliere bamaliger
Zeit, Freunde wie Zeinde, fowie die ganze. bamalige europäifche Welt⸗
lage anfhaufih macht. Die meißlerhaften Illuffrationen, fiinvollen
Snitialen, Bortraits, Scenen, Gebäude u. f. w., den Seitversärbiih
treu angepaßt, find ein höchſt würdiger Schmud dis Werd. Für Uns
Gemittelte wäre eine wohlfeile Ausgabe des Tegted zu wünſchen. (S. 8%
fieht ein hartes Wort über U. H. Francke's „unchriſtlichen Eifer gegeü
Wolf in Halle) | .
93 ©. Droyſen: Geſchichte der, Preußiſchen Bolitit. 1 Thl.:
Gründung. Berlin, Beit u. Go. 650 S. 3'/s Ihlr.
Lag nit vor, und dürfte für Lefer des Pädag. Jahresberichte
au ſchwerlich mit Heftimmti fein.
10. „Brandenburgifch » Preußifhe Negenten aus dem Haufe
Hohenzollern.” 17 .Bilbniffe, gezeichnet von Hugo Bürlner,
von MRebreten in Holz gefchnitten. 4 G. Bigand. 1856. 1 hir.
Diefe 17 Duartblätter enthalten ſaͤmmtliche Hohenzollernſche Kurs
fürßen von Brandenburg und Könige von Preußen, nach ben beften
Driginalen in Tondruck ausgeführt: Den Werth diefer Bildniſſe bes
gründet, außer der faubern, edeln und künſtleriſchen Nusführung, wor
durch fie ſchon allein fih zu einem fchönen Schulzimmerfhämud eignen
würden, die Benupuig der gleichzeitigen Originale. (Ftiedr. B, IE
nah Kernigins, Albrecht Achilles nah Schrenk, Johann Eicero nad
Beter Fiſcher, Joachim I. nach Dürer zc., König Friedrich 3. nad Wolf⸗
gang, Friedrich Wilhelm I. nad Pesne und Wolfgang, Friedrich I,
nah Groff und Baufe, Friedrich Wilhelm II. nad Gihröter, Friedtich
Wilhelm 111. nah Krüger, Friedrich Witgelm IV. nah Otto.) Außerd
dem empfiehlt fie der Außer billige Preis. Schulfreunde können fie
alfo ohne nennenswerthes Opfer auch den Armeren Schulen als ©
ſchenk darbringen.
11. © F. Göoſchel: Luife Amalie, Prinzeffin von Preußen, geb.
AN von —A „Bolfenbüitel un Belmahtienhe A Sr
erlin, Selbftverlag. 1856.
An Lebensbildern edler Hohenzollern Fürftinnen ift der. Schule
pisher nur wenig zugänglich gewejen. Der genannte Gelehrte, früher
Gonfikorial» Präfident in Magdeburg, bat feit einer Reihe von Jahren
fhon 15 dergleichen erfcheinen laffen. (Kurfürfin @lifabeth, Gemahlig
des Kurfürften Friedrich I.; Kurfürfin Eliſabeth, Joachims I. Gemahlin;
Aurfürfin Sabina, Johann Georgs 2. Gemahlin; Katharina, Joachim
Friedrichs Gemahlin; Elifabeth Charlotte, Georg Wilhelms Gemahlin;
Dorothea, des großen Kurfürften zweite Gemahlin; Königin Sophie
Charlotte, Zriedrihs I. zweite Gemahlin u. f. f.) Obiges Lebensbild
fhildert die Mutter des Königs Friedr. Wilhelm II., alſo die Urgroße
zuntter unſers jebigen Könige. Es darf, wie auch Die andern von
derſelben Hand geichriebenen, Jedermann empfohlen werden.
42. U. Krüger, Lehrer: Beittafel der Brandenburgiſch⸗Preußi⸗
fen Geſchich te. Ein Hüffsmittel zum Wiederholen für Lernende, bes
fonders in Bürger» und Landfchulen. Nach den Hauptbegebenheiten über:
fichtlich geordnet. 2. Aufl. Berlin, Wohlgemuth. 31854. 16 ©. 5 Ser.
Früher war diefe Tafel in einem einzigen großen Blatt, jept ik
fle in Form eines Meinen Octav»Büchleins angeboten. Weder nad Ans
ordnung no nah Durchführung iſt recht zweckmäßiger Plan erfennbar,
wenn auch die wichtigern Thatfachen alle darin flehen. Die erfie Eos
Iohne enthält die Regierungsjahre der Fürften, die zweite alle übrigen
Sabre und Daten durchmiſcht. Das erfchwert die Zurechtfindung wie
die Veberfiht. Es fehlt nicht an chronologiſchen Irrungen, an Aus⸗
laffungen bergehöriger und Aufnahme entbehrliher Momente. Die Auf-
nahme von allerlei Rotizen über Leben und Regierung, in Art eines
reerpts, mag mit der Beſtimmung ſich allenfalls erflären, aber Ans
gaben wie: „viele Berbefierungen,‘ ‚mehrere Bauten,’ und mande
breite. Phrafen ſollten fehlen.
43. D. Sumburg: Tabellariſche Ueberſicht der brandenburgifä-
preußifhen Geſchichte von den älteften Zeiten bis auf die Gegen»
wart. Für Schule und Haus. Berlin, Bibliogr. Infit. 1856. 5 Ser.
Ein Doppel» Riefenblatt enthält in der erſten Colonne gleichzeitige
Begebenheiten aus der „allgemeinen Weltgefchichte‘ (richtiger faſt nur
. aus ber Deutfchen Gefhichte) von Armin an. In der Haupt⸗Colonne,
der 2., ift der Stoff nach den Regentenhäufern umd den einzelnen Res
genten geordnet, deren herausgerüdte Regierungsjahre die einzelnen Sta⸗
tionen bilden für die übrigen Bahlen und Daten. Mit Sorgfalt if
überall auf Gebietserweiterung und Machtentwidelung, fowie namentlich
in fpätern Beiten auf die einzelnen Kriege geachtet (fo bei Friedrich II.
und Friedrich Wilhelm III.); wogegen die Fulturgefihichtlihen Andeu⸗
tungen mehr zurücktreten. Im Ganzen iſt dieſe Tabelle der vorigen
auch in der Anordnung ähnlich, nur daß lebterer die Colonne der als
gemeinen Weltgefchichte fehlt, und die von Humburg nit ganz fo viel
Material enthält. (1799 Friede zu Campo Fotenio flatt Campo Yormio.)
14.* Dr. Lud. Hahn: Leitfaden der vaterländifhen Geſchichte für
Schule und Haus. Mit Tabellen und einer Zeittafel. Dritte unveränderte
Auflage. Berlin, W. Herp 1 Befler’fche Buchh.). 1856. 10 Gear.
Dies Werkchen iſt bereits im IX. Bande des Jahresberichtes als
„eine gute, fchulgerecht geordnete Weberfiht der vaterländifchen Gejchichte‘*
bezeihnet worden. Der Inhalt diefer dritten Auflage flimmt ganz mit
dem ber zweiten überein.
b. Deutfhe Geſchichte.
15.* Fr. Körner, Oberlehrer: Charaktergemälde aus dem Geſchichte⸗
und Kulturleben des dDeutfhen Volks. 2. Bändchen: Die Grün⸗
bung bes römifchen Kaiſerthums durch die fähflihen und fränkifchen Kö⸗
Geſchichte. 407
nige. Per oi Brantfirtter. 1856. 228 ©. 24 Bgr. (of. IX. P. Jahre
| it der dem Berfaffer reichlich zu Gebote flehenden Gabe frifcher
und lebendiger Darftellung, bei welcher er durh Anwendung betaillire
tefler Schilderungen und dramatiſcher Effekte in der That Charakter⸗
gemälde geſchaffen hat, find im vorliegenden Bändchen vornämlich die
Zeiten der Kaifer Heinrichs J. Otto's 1., Konrads II., Heinrichs IM.
und Heinrichs IV. bearbeitet. Geſchickte "und Mare Auseinanderlegung
der in der Gefchichte diefer Kaifer in einander gewobenen Berhältniffe,
markirende Charakteriftif des Öffentlichen und privaten Lebens diefer Fürs
ften und ihrer Beftrebungen in Staat und Kirche, fehmüdende Einfled-
tung mander Cinrichtungen und Situationen ihrer Zeit, worin fi
deren Geift und Gepräge abfpiegelt (S. 6, 7, 9, 15, 32, 47, 65, 94),
hinreichende Ausführlichkeit auch in allerlei Meinen, nebenan liegenden
Epifoden, endlih das unverkennbare Streben, wo möglid Glanze
bilder in den Heroen unferer vaterländifchen Gefchichte hinzuftellen,
ohne ihre Mängel und Fehlgriffe zu verdeden: Das ift die Tendenz und
der Charakter dieſes Buchs. Heinrich I. und fein großer Sohn, ebenfo
Konrad II. und Heinrih III. treten als folhe Glanzbilder entgegen.
Doch auch das religiöfe und wiflenfhaftliche Leben in einigen Vertretern,
eben jo das fociale und namentlih das Städteleben, der Verkehr, die
politifhe Entwidelung, das Kunftfireben (S. 96—105, 112, 139 ff.),
die Formen der äußern Lebensfitte, und was diefe Zeit fonft Bedeuts .
fames erzeugt hat: Alles ift in durchſchaubaren, intereffanten Bildern
aufgerollt. Dadurch ift das Buch geeignet, neben manchem dürren Com⸗
pendium ald belebende Ergänzung, fowie als anziebente und erfrifchente
häusliche Lectüre benußt zu werden. Obwohl der Verf. fichtlih bemüht
iR, in’s Ecöne zu melen, fo verfäumt er doch auch die Schatten in
manchen Charakteren und Zeiterfcheinungen nidt. Ja, 3. B. Erzbifchof
Hanno und die Sachlen werden faft ungünftiger aufgefaßt, als die ges
rechte Gefchichte verftattet, indeß Adalbert v. Bremen faft zu vortheilhaft
beleuchtet if. Gregor VII. Charalterbild ift viel gerechter entworfen,
als in manchen gangbaren Büchern, und auch die fehr bunfeln Züge
fehlen darin nicht, obwohl deren noch in andern Beziehungen mehrere
hätten herangezogen werden können. Gut iſt's, daß auch weibliche Cha⸗
raftere (S. 137 ff. Gifela) Pla gefunden haben.
16.* Kohlrau Kurze Darſtellung der deut en a ich te.
a ra ae 1855. 255 ©. 2 1918
Im Anſchluß an deffelben Verfaffers größeres Bud üben Deut he
Geſchichte, und dem Charakter defielben deshalb verwandt, verbindet
obiges verbreitete Buch den Zweck eines Leitfadens mit dem eines Leſe⸗
buchs. Es ſtellt in einfacher, faßlicher Sprache vorzugsweiſe Die Ges
ſchichte der deutſchen Könige und Kaiſer, und von deren Aufhoͤren an
die Gefchichte der einzelnen deutſchen Staaten fo dar, daß fowohl ges
ordnete Bufammenfaffungen der wefentlichften Kiftorifchen Momente, ale
fpeciellere Einblide in einzelne, befonders hervortretende Begebenheiten
(namentlich Kriege und Schlachten) und Charaktere leicht vermittelt werben.
man — — -
— — — —— —
“08 Geſchichte.
Bauptfähli bildet die äußere Geſchichte in der ſonſt üblichen Glie⸗
derung den Inhalt; die Kulturgeſchichte iſt nur ſelten in beſondern Ab⸗
ſchnitten (7. 19. 46. 55), bis zur Zeit des Mittelalters, ſpäter aber
nicht ausdrücklich hervorgehoben. Aehnliches gilt von den kirchlichen Ber
wegungen, die Zeit der Einführung des Chriſtenthums und der Refor⸗
mätion abgerechnet. Bon Zahlenangaben iſt nur ein fparfam bemeffener
Gebrauch gemacht, auch in der Zabelle. Das Ganze geht in ruhiger,
gedrungener und überfichtliher Faffung bis Ende März 1855, Das
Buch verdient fort und fort, in dem von ihm gewünfchten Bereiche,
worin es fih bewährt hat, gebraucht zu werben.
17. 3. Propſt, Pfarrer: Die Schweizer⸗Geſchichte für dad Schweizer
Sit und {le Säulen. 4. auf ’ a ben 1852. Ss 5.
gr.
In 233 meiſt kurzen, überaus ſchlichten und volksfaßlichen Erzähs
Inngen, bei denen der Verf. auf Alles, was wie wiſſenſchaftliches Zus
behor erſcheinen koͤnnte, verzichtet hat, um nur dem einfachften Lands
vofte recht mundrecht zu bleiben, find die Hauptzüge der Schweizergeihichte
und eine große Anzahl von Einzelzügen dargeftellt, worin fich felbf oft
ſchlichte Männer ein Ehrengedächtniß gefiftet haben. Vorzugsweiſe find
es allerlei Kämpfe und Nubmesthaten, um die es ſich Handelt; einige
Winke über die ſittlichen und religidöfen Zufände laufen mitunter,
Specielleres über das, was auch von Schweizern im Gebiete der Kultur⸗
efchichte geleiſtet if, fehlt Hier, der Tendenz der Schrift gemäß. Eben
o wird nur ganz gelegentlih von der Geſchichte der Nachbarlaͤnder Notiz
gekommen, etwa einmal von Deutfchland oder Frankreich. Nur die
Sqhweiz und ihr Volk gilt. Mit vieler Mäßigung wird von den cons
fefflonellen Berhältniffen gehandelt, obwohl auch Ausſchweifungen auf
Beiden Seiten nit unerwähnt bleiben. Bis zum Beginn der neuern
Het iſt die Ausführlichkeit größer als hernach, wo nur die bedeutfamern
äußern Wirren in größeren Umriffen angemerkt find, etwa bis 1849.
In den neuften Bewegungen nimmt der Berf. gegen den Sonders
Bund Bartei.
18. A. Pfaff: Deutſche Geſchichte von den älteften Seiten bis auf die
Gegenwart. In 4 Bänden. 20., 21. Lief. 3. Bd.: Bon Rudolph v. Haba⸗
art bis Mazimilian I. (S. 481 — 641). Braunſchweig. Weſtermann.
1856. à Lief. 5 Ser. (cf. VIII. B. Zahresber. ©. 503.)
19.* 3. Venedey: Geſchichte des deutſchen DoLts von den älteften Zei⸗
ten bis auf die Gegenwart. In 4 Bänden. Lief. 11. 12. (Schluß des
2. Bos. 614 ©.) à 10 Sgr. Berlin, Dunder. 1855. II. Bd. 2 Thlr.
(I. Bd. 2 Thlr.)
Seit und Tendenz diefes in mehrfacher Beziehung ausgezeichneten
Geſchichtswerks find bereit? im VIII. Bädag. Jahresber. S. 504 ges
kennzeichnet. Es ift durchaus Fein gewöhnliches Bud. Seinen weſent⸗
lichen Charakter erhält es dur das mit Glück verfolgte Streben, die
Eontinuität der nationals deutfchen Ideen von den früheften Beiten bie
auf unfere Tage herab darzuftellen, den unverwüſtlichen, immer wieder
Geſchichte. 408
frifch. hervorbrechenden, und ih in großen Strebungen, wie in großen
Kämpfen bewährenden Geil und Kern unfers Volls und feiner Zürften
aufzuzeigen, und den innern Bang der Ereigniffe darzulegen, in welchen
fe nach großartigen Gefehen mit innerer Rothwendigfeit fi bewegten
und gefalteten. Reiches Quellenftubium, deſſen Frucht allerdings oft
aur in wenige Bellen zufanmenzudrängen war, verratben die in Den
Tert gewebten wörtlidhen Citate und Vergleihungen. Mit feiner fchöneh
Gabe geifivoller, Iebendiger und feffelnder Darſtellung, feiner Würdigung
und Abwägung der Berhältniffe, fowie treffender Gharafterfchilderung
gefaltet der Berf. aus den Quellen oft ein böchf intereffantes Roſaik⸗
bild, welches die Situation der Zeit wie der handelnden Berfonen ans
ſchaulich vor Augen flellt. Befonders gelungen erfcheinen alle Bartieen,
wo großartige nationale Kämpfe und die Verfolgung weltgefchichtlich ges
wordener flaatöfluger, oft verbängnißvoller Pläne darzuflellen waren,
fowie die ganze Lebenszeichnung der Hauptträger derfelben. So Dito 1.
(eſ. &. 109 ff.), Heinrih IV. und fein gewaltiger Gegner Gregor VIE
(eine, der ergreifendfien Epifoden des ganzen 2. Bandes mit fehr ge
rechtem Urtheil, cf. ©. 333), fo auch Friedrich Barbaroffa, Friedrich IE.
und die beiden yäpftlihen Gegner derjelben. Die eingewebten Einzels
züge über den kirchlichen Zuftand, fowie ſolche, welche die Vorbereitung
fünfliger großer Ereigniffe bilden, und andere Nebenpartieen flören den
Hauptgang der Darftellung nit. Zeiten der Ruhe, Darlegungen der
foeialen Volkszuſtände, der Kunftentwidelung und der mehr in der Stille
forttrömenden Ideen find überall nur knapp behandelt, fo daß darüber
fein gerundeter Gefammtüberblid zu gewinnen if. Ebenſo ift Alles,
wo der deutſche Genius nicht vollkraͤftig erfcheint, kürzer abgethan. Was
aber der Berf. einmal mit voller Seele ergreift, flößt in feiner Behand⸗
fung dagegen flets ein um fo größeres Intereffe ein. Das Wert if bes
mittelten Lehrern aus voller Ueberzeugung zu empfehlen.
208. A. Menzel: Neuere Geſchichte der Deutfchen feit der Refor⸗
mation. 2. Aufl. in 6 Bdn. mit Regiiter von C. 3. Löſchke. 6. Br.
Breslau, Graß, Barth u. Go. 1855. 1856. 2 Ihlr. (cf. IX. P.
Sapreöber. ©. 467).
Hierin if die Geſchichte Friedrichs II., Joſephs IE. und die Zeit
von 1763 bis zur Feſtſtellung der deutfchen Bundesverfaflung und der
Schluß des Werkes. Sein Werth bedarf bier feiner Worte mehr.
21°. Menzel: Geſchichte der Deutfchen bis auf die neueften Tage.
II. - V. —*8* 5. Aufl. nat — 1855. 4 Thlr. r 8
Dies für Geſchichtskenner erft werthvolle Werk liegt nun wieder
ganz vor.
2278. Gieſebrecht: Geſchichte Der deutſchen Katlferzeit. J. Bd.:
Geſchi ei des % a; 2. Abth. al Buch mit Quellen» Beilage.
Braunfhweig, Schwetſchke. 1855. 1856. (S. 321—827.) 2 Ihlr.
ıL Bd. 3% Ihe.)
Auf diefes gelehrte, ausgezeichnete Werk if fchon im IX. Pädag.
Jahresber. ©. 464 bingewieien. Das 3. Buch, womit der erfte
Band ſchließt, behandelt die Gründung des heit. zömifchen Reichs deuts
410 Geſchichte.
ſcher Nation und das Kaiferthum der Ottonen bis 1082. Bär Lehrer
hat das Werk darum Werth, weil es aus deuticher chriſtlicher Geſinnung
Rammend,, und von deutſchem Geſichtspunkte die Begebeuheiten betrach«
tend, zugleich in edler, gefälliger Darfellung die reichen Schäße gründe
lihften Studiums ausbreitet, Verbürgtes wie Unverbürgtes fharf aus⸗
einander Hält und auch fremdem- Werth feine gerechte Anerkennung
gewaͤhrt.
23. Fr. v. Raumer: Geſchichte der Hohenſtaufen und ihrer Bett.
3. Ausg. in 12 Halbbänden & "a Thlr. Leipzig, Breckhaus. 1856. 1857.
Iſt im GErfcheinen begriffen; nur der erfte Halbband lag feither vor.
24. Dr. Thadd. Lau: Der Untergang der Sohenfaufen. Hamburg,
Hoffmann u. Eampe. 1856. 506 S. 1% Thlr.
Das ift feine populäre, fondern eine Pritifch» gelehrte Geſchichts⸗
fhrift, weldhe auf den Quellen und der Kritif anderweiter Bearbeitungen
derfelben (befonders Fried. v. Raumers u. Höflers) ruht und mit reichen
Eitaten durchzogen iſt. Der Berfaffer würdigt in umfaflender Dars
ftellung die Politik der Ghibellinen und Welfen, befonders jene glori⸗
fleirend , diefe aber in ein minder vortheilhaftes Licht flellend, und die
Wechſelfälle namentlich der Kämpfe Konrads IV. und Manfreds zeich⸗
nend. Wegen der gründlichen Urtheile, der gewährten Ueberfichten und
des reihen Details ift das Wert höchft fehrreih, und wegen feiner
Darfellung fehr anziehend. Es ik für Männer berechnet, und Das
Drama des Untergangs der Hohenflaufen, der nicht in Conradins Ents
bauptung, iondern | in Friedrichs 11. Tod gefept wird, hoͤchſt würdig
behandelt.
2. Dr. Hartwig Flotho: Kaifer Heinrih IV. und fein Zeitalter.
. Bd. Stuttgart, Beſſer. 1856. 1 Thlr. 27 Sgr.
m erſten Buch ift Staat, Kirche und Kultur Deutfchlands im
11. Jahrhundert behandelt, nämlich die deutfchen Stämme, der Lehns⸗
faat, die Beftandtheile der Nation, die religiöfe und wiffenfchaftliche
Bildung jenes Zeitalter. Im zweiten Buch wird das Berhältniß
zwijchen Kaifer und Papft bis zur Zeit Heinrichs IV. geihildert. Durch
diefe quellengemäße Behandlung fällt ein fehr ungünftiges Licht auf Die
durch die Untreue der Fürften herbeigeführten zerrütteten Zuftände Deutſch⸗
lands während des Kaifers Jugend, und auf die Art der Politik, wos
mit Gregor VII. diefe Zuflände für feine Zwecke benutzte. Was fpäter
über Gregor’s neue Sapungen, und den Kampf der Geiftlihen, wie der
Fürſten dagegen, fowie auf die Revolutionirung des Volks Bezug neh⸗
mend ausgeführt wird, erwedt dur die Citate aus den gleichzeitigen
Quellenjhriften hohes Intereſſe. Das Buch iſt nur für gebildete Leſer,
heit aber bei Löfung feiner nähften Aufgabe zugleich eine Menge mittels
alterliher Verhältniffe auf. Der 2. Band fol die Ränpfe Heinrichs
gegen Hildebrand näher ausführen.
20. Die Geſchichtsſchreiber ber deutfäen Vorzeit; herausgeteben
ertz, Grimm, Lachmann, Ranke, *ite Lief. 25—29. Berlin,
Beer. 1856. 24 Sgr. (cf. VIL u. IX. P. Jahresber. ©. 467.)
Geſchichte. 411
Es find mit jenen fünf Meinen Lieferungen wieder nur Bruchſtück
aus verichiebenen Bänden gegeben. Liefer. 25 enthält das Leben ber
Kaiferin Adelheid (Kaifer Dtto’s I. Gemahlin) von Odilo v. Elugny,
überfegt von Dr. H. Hüffer; Liefer. 26: Ermoldus Nigellus Lobgedicht
auf Kaifer Ludwig (den Frommen) und Elegien an König Pippin, übers
feßt (in poetifcher Form) von Dr. Th. &. Bfund; Lief. 27: des Bis
ſchofs Willehad (erfien Bremer Biſchofs) Leben von Anskar, überfeht
von Dr. 3. C. M. Laurent; Lie. 28: Leben der Erzbiihöfe Anskar
und Nimbert (von Bremen), überfegt von Demfelben; Liefer. 29: die
Uebertragung des heil, Alegander von Ruodolf u. Meginhart, überfegt
von B. Richter.
27. F. Bülau, Brof.: Deutſche Geſchichte in Bildern mit erflärendem
Ze. 1 Bd 1—4 Heft. Dresden, Weinhold u. Söhne. 1856,
à Lief. 7/2 Sgr. (Lag nicht originaliter vor.)
28. Bon F. Groß Weltgeſchichte in Bildern und Text, eingeführt durch
Dr. C. W. Böttiger. Stuttgart, Mepler feit 1853; enthält das
4. Heft: Guſtav Adoph, Hermann der Cheruster; das 5. u. 6. Heft: Götz
v. Berlihingen, Martin Luther, Ernft v. Schwaben und Karl XII. von
Schweden.
29. Dr. Klopp's deutfhe Geſchichtsbibliothek. Hannover. Rümpler,
iR im laufenden Jahre um den 4. Bd. (1 Thlr.) vermehrt. (cf. VIII.
Bid. Jahresber. S. 505 ff.)
30.*Dr J. €, Kröger: Nord deutſche Freiheits- und Helden»
kämpfe. Zur Kenntniß deutichen Lebens und zur Beförderung vaterlän«
diſchen Sinnes bei Yung und Alt, 3. Theil. Leipzig, Brandfletter.
1856. 52 ©. 2 Thlr.
. Ueber die beiden erſten Theile dieſes überaus frifch und anregend,
aus ferniger deutiher Geflunung heraus gefihriebenen Werkes ift im
VII, Badag. Jahresber. S. 502 und im IX. Pädag. Zahresber. S. 468
mit aller, demfelben mit vollem Recht gebührenden Anerkennung berichtet.
Ze mehr die Zeiten, welche die Darftellung fchitdert, unfern Zagen fich
nähern, um fo mehr wähft auch das Intereſſe des Berfaflers, der fie
zum guten heil mit durchlebt hat, und die Lebendigkeit und Eindring⸗
lichkeit feiner Erzählung. Man merkt ihr daneben die forgfältige Ber
nugung der reihen Memoiren » Literatur und die Vergleichung klaſſiſcher
deutſcher Gefchichtswerke ab, die mit aller Umfiht und viel Gefchi zu
ſelbſtſtandigen Urtheilen über die Zeitverhältniffe und Perfonen verwendet
iſt. Der 3. Theil behandelt in ſechs Hauptabfchnitten dreierlei geſchicht⸗
fihe Gebiete, die geiftigen Kreiheitsfämpfe für deutfche Sitten und
Sprade, Kunf und Wiffenfchaft, die Schwertfämpfe gegen Frank⸗
zei und Branzofentfum, und SchleswigsHolfleins Freiheitsfämpfe.
Auf dem erften find es die Gefalten von Leibnitz, A. H. Francke, Leffing
und Klopfiod, welche nach voraufgefhidten Bliden auf die Entartung
durch Nachahmung der Ausländer vorgeführt werden; auf dem zweiten
Die Helden Ferdinand v. Braunfchweig, v. Dörnberg, v. Schill, Friedrich
Bilhelm v. Braunſchweig, ‚Scharnborft, Dorf, Bülow, Kleiſt, Gneifenau,
Blucher, v. Stein, ferner Nettelbed, Amalie v. Weimar und ihr Sohn
Karl Auguf, E. M. Arndt und 9. v. Humboldt, welche in ausgeführtern
412 | Gefchichte.
Eebensbeſchreibungen hingeſtellt And. Auf den dritten iR eine zuſammen⸗
bangende Geſchichte der norddeutſchen Kämpfe gegen Die Dänen, nad
ihren Sauptflationen bis auf unfere Tage herab geliefert. Wie die Ent
artung mit fräftigen Zügen und mit Aeußerung gerechter Entrüſtung,
fo find die wichtigſten Geiflesarbeiten der genannten Gelehrten und
Dichter, auch den Inhalt ihrer Werke Pritifh durchmuſternd und ge
bührend anerfennend, ſowie den Charakter dieſer Männer fchildernd,
nachgewieſen. Dabei it manche Gpifode eingelegt, welche zwar nid
fireng zum Zitel des Werks zu paflen fcheint (namentlich bei Klopflod
S. 69 ff.), aber doch intereffant genug genannt werden muß, um ihre
Stelle zu verdienen Am meıften in’s Einzelne gehend find die Lebens,
fhilderungen der oben genannten deutichen Kriegsbelden und Staates
männer, befonders aus der Zeit der deutfchen Befreiungstriege, in welde
auch ein bejonderer Abfchnitt über Deutfchland in feiner tieffien Ernie
drigung und über Hamburgs Erhebung und Zodesfampf eingefügt if.
Je reiher Dazu die vorhandenen Quellen floffen, deſto fyecieller find
auch bier die Ausführungen, worin ein echter beutfcher Mannesfinn
überall fih fräftig fundgiebt, mit farem Urtheil und edeim Batriotismus,
Die Kämpfe Schleswig sHolfleins gehören recht eigentlich in Den Bereich
des Werkes. Man lief mit großer innerer Befriedigung die Krafts
anftrengungen gegen däniſchen Uebermuth, wann und mo er fich zeigte,
und wird von Bewunderung über Die Ausdauer eines Volkes erfüllt, das
bis auf die neuefte Zeit fo ungeheuere Opfer. gebracht und gelitten hat.
Wohin des Berfaffers Urtheil fih neigt, das kann bei feinem Sinn
nicht zweifelhaft fein, und die Geſchichte felbit begründet daffelbe genug»
fam. — Das ganze Berk erwedt hohes Intereſſe, und da fein Zweifel
darüber iſt, daß es in der That zur Belebung vaterländifhen Sinnes
in befonderem Grade beizutragen geeignet ift, auch in viele anziehende
Special » Situationen einführt, fo Tann es nur zu fehr verbreiteter Bes
achtung empfohlen werden.
B. Allgemeine Gefchichte.
31. M. Elan, iöraelit. Lehrer: Leitfaden. beim linterriht in der
Geſchichte der Jöraeliten von den frübeflen Zeiten bis auf unfere
Tage, nebit einem kurzen Abrig der Geographie Paläſtina's. Für
1 he Schulen. 4. Aufl, Deynhauſen, Eßmann. 1855. 144 ©.
Au für hriflige Lehrer if dies Schulbuch, Bas die Geſchichte
wefentlih andere auffaßt und behandelt, als Leitfäden für ibre Schulen
die Geſchichte der Israeliten behandeln, in vielen Stüden lehrreich, wenns
gleich die ſpecifiſch israelitiſchen ntereffen ihnen fern liegen mäfjen.
Die Ausbildung von Lehre und Cultus, namentlich durch die Rabbinen,
die Stellung des Volks Israel nach der Berfireuung unter alle Völker,
die namenlofen Leiden deſſelben und die bewundernswerthe Zähigkeit im
Geſchichte. 413
deren Ertragung, die Umformungen in neuerer Zeit, Spaltungen und
— Tendenzen laſſen fi Hier in den Grundzügen erkennen.
32. echt: Israels Befhihte von der Zeit des Bibelab-
el ed bis zur Gegenwart Kür jüdiſche Kebranftalten, höbere
Bürgerfhulen und Gymnaſien, Familien u. f. w. Mit einem Vorwort
von Dr. 8. Philippfon. Reipzig, Baumgärtner. 1855. 318 S. 21 Ser.
Für den Geift diefes Buchs iſt es charakteriſtiſch, daß es die Ders
urtheilung Chriſti nur als die That eines Nömers anficht, woran das
ganze jüdische Bolt weder Theil nahm, noch Theil nehmen konnte; daß
es ferner fagt, Chriſtus habe eine geifige Erlöfung verkündet, während
das jüdische Volk nur eine politifche gewollt und bedurft habe, indem
fie e8 für Sache jedes Einzelnen hielten, ſich ſelbſt von Sünden frei
zu machen; und daß ed das Dajein Joraels zum Zwei der Menden»
liebe darftellt, indem es der Menfhheit einen. Gott zu geben babe —
was ed zum großen Theil bereits gethban habe — dem ed nun noch alle
Erdenkinder als eine Familie zuführen ſolle. Vom Gange der Gefchichte
der chriftlichen Völker, umter denen die Juden leben, fieht der Verf. faſt
ganz ab; er legt Alles nur für feine Volkszwecke zurecht. Daraus
läßt fih lernen. Was den Inhalt im Einzelnen betrifft, fo ift er
reicher als im Eifanfchen Leitfaden. Es wird mit der miacedonijchegries
chiſchen Weltherrfchaft begonnen ; die Epochen find: die Krringung der
unbeftrittenen Serrfchaft der Maccabäer, die Zerftörung Jeruſalems, der
Abſchluß des Talmuds, das Erlöfchen des Gaonats (1038) und bie‘
Zeit M. Mendelsfohns (1786). Außer den Außern Begebenheiten der
israelitifhen Gefhichte, den Helden und Parteien, wird namentlih das
innere vollös und gottesdienftlihe LXeben verfolgt, die Rational» Eins
rihtungen, Selten, die Gelehrten und Rabbinen, ihre Wirkſamkeit, ihre
Säriften (mit Proben). Gerade das Leben der Rabbinen und die Broben
aus den Bauptihriften (Mifchnah und Gemara), und der Blil auf die
äußere und innere Volkslage der Juden in den aflatiichen wie euros
päifchen Staaten iſt auch hriftlihen Lehrern zur Beachtung zu em⸗
pfehlen, Den größten Theil des Buchs bildet der 5. Abichnitt, der die
Leiden und Verfolgungen der Zuden darftelt. Im 6. Abichnitt if die
Lage der Juden unter den Mosiemin, die Reihe der Cmuncipationgs
Kämpfe, und die Stellung Israels in Gegenwart und Zufunft behans
delt, — Alles größtentheils von der Lichtfeite für das Judenthum und
feine Barteien.
33. Sb. Gerlach: Leitfaden für den Unterridht in der Weltger
j Site Kür Dolls und Bürgerfehulen. 2. Aufl. Halle, Hendel. 1855.
gr
Die Bildungfphären der Volks⸗ und Bürgerfchulen find dem Ges
brauch eines beiden beflimmten Leitfadens der Gefchichte entgegen; jenen
iR fein befonderer Kurfus der Weltgeſchichte mehr verftattet. Kir Bürs
gerſchulen aber reiht obiger Leitfaden weder in den alten, nod in ben
außerdeutfchen Geſchichtspartien aus; er gewährt auch das Material nicht
in Der ihnen dienlihen Zorm. Was zur Entſchuldigung der beiden eins
414 | Geſchichte.
geſtandenen Mängel der Ungleichmäßigkeit und Unüberfichtlichkeit geſagt
wird, beſeitigt die Mängel ſelbſt nicht; eben ſo iſt es kein Vorzug, daß
faſt von allen, in ausführlichern Lehrbüchern aufgenommenen Thatſachen
hier Andeutungen aufgenommen find. Mit feinem Takt das einer bes
flimmten Lehrftufe Gehörige auswählen, dabei in Sachen und Zahlen
angaben ganz genau fein, SHauptyerfonen und Hauptfachen gehörig zu
ihrem Rechte kommen laffen, fie mögen deutfä oder auferdeuffch fein,
das if} fchwieriger, als auf wenigen Seiten von allen alten Bölfern
etwas fagen, und von den neuern vornehmlich die Revolutions⸗ und
Kampfesgeſchichten fpecieller erzaͤhlen. — Manche Bahlenangaben führen
irre (Chlodwig 456—481, Heinrich IV. 1065—1076), ebenfo Sachs
angaben. („Mit Ludwig d. Kind [+ 911] erloſch das karolingiſche
Haus und Hugo Eapet nahm vom fränfifhen Throne Beſitz.“) Die
Andeutungen aus der griehifhen SHeroenfage, während von den
deutfchen Heldenfagen, von Sitten⸗ und Hulturzufänden nur fo Dürfs
tiges angemerft iſt, verſchieben den richtigen Geſichtspunkt. Auch bei
Leitfäden diefer Art würde e8 gut fein, den Ertrag gefchichtlicher For⸗
ſchungen zu benugen. (Vid. oben die Abhandlung V.)
34.78. Nöffelt: Kleine Weltgeſchichte für Toöch terſchulen und zum
Brivatunterricht hberanwachfender Mädchen. 15. Aufl. Breslau, ar.
1855. 135 ©. Ta Sgr. (Wie früher noch dürftig und mit alten
‘eo
J. Seemann, Gymnafiallehrer: geitfaden für den erfien welt»
yet Unterridt auf Gymnaſien und Realſchulen.
nit Borrede von Dr. Wiſſowa. 3. Aufl. Breslau, Keudart. 1855.
cf. Dr. Diehermeg‘ 's „Wegweiſer für deutſche Lehrer.” A. Aufl. Ges
ae ehe 0; 0, fer fü ſche Leh fl.
36.6. U. ©. Etüve, Gymufat- dr Leitfaden für den Unter-
riht in der Weltgeſchichte. Erſter Curſus für die untern und
mittleren Gymnafialklaffen. 10. Auflage Jena, Frommann. 1855.
128 S. TY/ı Sgr.
Eine ſo große Fülle des Stoffes, wie dieſer jetzt bis zum Jahre
1850 fortgeſetzte Leitfaden ſie in kurzen Grundzügen enthält, findet ſich
in wenigen ähnlichen Schulbüchern. Es ſcheint kaum moͤglich, dieſelbe
in einem erſten Curſus bis zur Unvergeßlichkeit einzuprägen, ſie über⸗
dies noch zu erläutern und den Schülern Raum zu freien Erzählungen
zu ſchaffen. Dennoch muß fih der Leitfaden durch feine gute äußere
Anordnung, feine knappſte Zufammenfaflung und die Ermöglihung eines
leichten Ueberblicks des Wichtigften feine weite Verbreitung wohl vers
dient haben. Ganz praftifh für beflere Behaltbarkeit der Yahlenangas
ben benupt die chronologiſche Tabelle deren Verwandtſchaft (80, 180,
280; 222, 333, 444, 555; 211, 311, 411, 511 bie 1111 zc.)
37” Dr. 3. Bed, Geheimer Hofrath: aehrhuß der allgemeinen Ge⸗
ſchichte für Schule und Haus. Erſter Curſus. A. u Lehr⸗
buch der allgemeinen —— für die untern und mitiferen Klaffen
höherer Unterrichtsanſtalten. 6. Auflage. 2. Abdrud. Sannover, Sabn.
1856. 246 S. 20 Ser. (ef. V. Bad. Yahreöber. ©. 245.)
Obwohl dies Lefebuh für Höhere Lehranftalten beſtimmt if, 1äßt
Geſchichte. 415
fig doch Vieles auch für niedere Schulen aus demfelben Iernen. Längſt
gehört es zu den gediegenften Lehrbüchern wegen confequenter Feſthal⸗
tung des wiſſenſchaftlichen Principe, würdiger und edler, gründlicher und
zugleich coneinner Darfielung, praktiſcher Weberfichtlichkeit durch gute
Gliederung des Materials in Perioden und Paragraphen im Ganzen
wie im Einzelnen und feiner und ficherer Auswahl des Wichtigen, der
Schule Angemeflenen; ferner: wegen umfichtigen, namentlich in religiöfen
Dingen milden und gerechten Urtbeils (der Berf. ift Katholik), wegen
Anſchluſſes des Notbwendigen aus der Literatur und Kunſt⸗Geſchichte
in allen Epochen, und wegen periodifcher. Berüdfichtigung der öffentlichen
Zufände in Staat, Kirche und Haus. Es unterfcheidet Sage und Ges
ſchichte, führt in den Kern der Thatfahen, in den Grund und das
Wefen der Entwidelungen und der diefelben mitbefimmenden Einflüffe
ein, kennzeichnet die wichtigen hiſtoriſchen Charaktere feſt und lebendig,
Hält Maaß in den Zahlen, orientirt in den geographifchen Berhältniffen,
und notirt die wichtigften Hülfsmittel zum Weiterfiudium über die ganze
Gefchichte, wie über die Hauptperioden und wichtigften einzelnen Staaten.
Das Bud if allen Gebildeten, namentlih auch Lehrern, zum jchnellen,
fiyern Ueberblid zu empfehlen. Es reicht bis zum Tode Kaifer Nicos
laus I. Den Anhang bildet ein Abriß der Gefchichte Badens in 8
Paragraphen; in der Borrede find gute methodifche Winke mitgetheilt.
(S. 212 if verdrudt Inſel Leoben flatt Lobau.)
33.78. Puütz, Gymnafial⸗Oberlehrer: Grundriß der Geographie
und Geſchichte der alten, mittleren und neueren Zeit für die mitts
leren Klaſſen der Gymnaſien und böhern Bürgerihulen. Grfte Abtheil.
Altertbum. 9. Auflage. Zweite Abtbeil. 1854. 7. Aufl. (Mittelals
ter). Dritte Abtbeil. Neuere Geſchichte. 6. Auflage. (157 ©.) a Abt.
10 Sgr. Coblenz, Baedeker. 1856. (Bergl. Dr. Dieſterweg: Wegweiſer
für deutſche Lehrer. VIII. C. 51.)
39.* Dr. K. W. Boͤttiger, PBrof.: Die allgemeine Geſchichte für
Säule und Haus. 12. Auflage. Frankfurt a. M. und Erlangen, Heyder
und Zimmer. 1856. 467 S. 10 Sgr.
Der Berf. hat jept feine allgemeine Geſchichte in zwei Theile
zerfegt, deren erfter, bis 1815 reichend, den Inbalt obiger 12. Auflage
ausmaht. (Der 2. Theil, bie 1852 reichend, iſt im IX. Pad. Jah⸗
zesber. S. A473 befprodhen.) Mit geringen Aenderungen (Eitaten u.
dergi.) ift der Tert der 12. Auflage dem der 11. (1849) vuchſtäblich
gleich (cf. V. Päd. Zahresber. S. 243). Anziehende, poetifhe Friſche
der Darftellung eines gtüdlich zufammengefaßten reichen Stoffe, Literas
tur s Veberfichten (zum Answendigiernen jedoch nicht geeignet) und eine
ziemlich fpecielle chronologiſche Tabelle fihern dem Buche noch jept einen
ehrenvollen Platz unter ähnlichen Büchern.
40.* 35.8. Welter: Lehrbuch der Weltgeſchichte für Oymnafien
und höhere Bürgerfchulen. 1. Theil. Alte Gefchichte. 15. Aufl. 1855.
3746. 2. Theil. Mittelalter. 14. Aufl. 1855. 220 ©. & 15 Sgr.;
und Deffen: Lehrbuch der Weltgeſchichte für Schulen; ein frei
bearbeiteter Ausſszug 2c. 12. Aufl. 1855. 25 Sgr. Münfter, Coppenrath.
418 Geſchichte.
(of. V., VIII., * Fires Sahresberiät und Dr. Diefterweg’d Wegwei⸗
fer. vi. C.1
4.* Dr. 9 Eafftan, Gymnaſial⸗Prof. Materialien für den bios
grep biſchen Befhihtsunterridt zum Schul» und Privatgehraud.
Theil. Geſchichte des Ratelalters und der Neuzeit, Chur, Hip.
1856. 472 S. 1 Thlr. 6 Sur.
Ueber den 1. Theil Bike Werkes if im VII. Pad. Jahresber.
©. 401 und 443 mit aller verdienten Anerkennung gejprocden. Der
2. Theil ſchließt fih dem erflen ebenbürtig an. Dem Berf. war es
nicht fowohl darum zu thun, ein Lehrbuch mit allen nur möglichen bes
ziehungsreichen Thatfachen aller Völker und Staaten zu liefen, fondern
er wollte eben nur Materialien für den biograpbifchen Unter-
right, und zwar in einer für beginnende Jünglinge auf der Realfchule
geeigneten Form liefern. Aus dem Buche ſelbſt ergiebt fich, daß er Die
Idee des Dr. Peter (jetzt Rector in Schulpforta), möglihR direct aus
den Quellen zu fchöpfen, für feinen Schülerkreis zu verwirklichen ſtrebte
(ef. die zahlreichen Citate aus römifchen Geſchichtsſchreibern, mittelalters
lihen Chroniſten und fpätern gediegenen Werken). Die plane, lichtwolle
Erzählung, welche jedoch dem Lehrer noch Raum zu weitern Ausfühs
sungen läßt, die überficgtliche Anordnung und Zertheilung des Stoffe,
das befonnene und gerechte Urtheil und die deutfche, religiöfe Gefin-
nung, die aus dem Buche herporleuchtet, machen daffelbe zu einem ganz
ſchätzbaren Hülfsmittel zu mündlichen Vorträgen und zur Privatbelche
rung. Mit Vermeidung aller Weberfhwänglichkeit in den Zahlenanga-
ben — es Fönnten eher mehr als weniger aufgenommen fein —, flet6
den Accent auf das Wefentliche der Charakteriftiten von Perſonen, Zus
ftänden und Entmwidelungen legend, ift der Gefammtftoff in 31 Paras
grapben mit etwa 150 mäßig langen Abfchnitten vertheilt. Davon
gehören die erften 97 dem Mittelalter an. Abweichend von fonft
übliher Stoffaufftellung hat Verf. das innerlich zufammengebörige Mas
terial unter einende Weberfchriften gefammelt. („Chriſtenthum und die
römischen Kaifer. „Der Islam im Drient und das Chriſtenthum im
Oecident.“ „Kriegszüge der Normannen und Angellachfen.” „Die.
Zeit der Kreuzzüge.“ „Eigenthümlichkeit des Mittelalters.” „Morgens
röthe eines neuen Zeitalters.“) Aus der Neuzeit find vornehmlich Zus
ther's Reformation, der 30jährige Krieg, die englifhe Revolution, Lud⸗
wige XIV. Zeitalter, Beter d. Gr., Sriedrih d. Gr., die deutfchen
Sreiheitsfriege 30. Sammelpunfte für den darauf bezüglichen Stoff. Aus
der Zeit von 1815 bis heut ift faſt gar nichts aufgenommen. Der
Grund davon liegt nahe. Alles, was Verf. giebt, ift für den feflgehals
tenen Zwed gut. Doch laͤßt fi über einiges Andere vielleicht mit ihm
rechten: 1. Die Abweihung von der fon üblichen Stoffaufftellung ift
für den Gebrauch neben Lehrbüchern, welche letztere beibehalten, Teicht
beeinträßgtigend. Ohnehin lag zu erfterer für den vorgefepten Bwed
faum eine zwingende Nothwendigfeit vor. 2. Die Zeit feit Friedrich
db. Gr. ift merklich fürzer abgehandelt, als deut ſche Schulen es wün⸗
ſchen müſſen. 60 Seiten find im Vergleich zu der Ausführlichkeit bet
Geſchichte. 417
andern Parthien (rid. Ausgang der Hohenſtaufen) wenig, da ſo unge⸗
mein viel, was unſer Volksleben bis in die Fundamente erſchütterte,
ſich in dieſe Zeiten zuſammendraͤngt. 3. Verf. hat überwiegend die
äußere Staatengeſchichte im Auge behalten, und die geiſtigen und ſitt⸗
lichen Zuſtaͤnde ſowohl bei den Deutſchen, als deren Nachbarvoͤlkern
kurz abgefunden. (cf. Einleitung; Reformation; $. 21. 22.) Bei dem
großen Nachdruck, welchen man jegt auf Beachtung der Culturverhaͤlt⸗
niffe legt, und der geringen Schwierigkeit, fie — wie auch fehr zweck⸗
mäßig von Dittmar gejchehen — mit den äußeren Entwidelungen ziems
fih parallel zu erhalten, hätte durch diefe Beachtung dem Bedürfnig der
Gegenwart ganz entfprochen werden koͤnnen. 4. Im Einzelnen begegnet
man Anfchauungen, welche von neuern Forfcherarbeiten abweichen. (Se
über die Urheberſchaft der Kreuzzüge, über Gottfried von Bouillon, über
Pomul, über die Art der Ermwerbung der Mark Brandenburg dur die
Hohenzollern, den Zuftand des Preußifchen Heeres 1806 y. ſ. w) —
Jedoch dies hindert nicht, das Buch für NRealfchulen zu fleißigem Ges
brauch zu empfehlen. (Entdedung des Caps der guten Hoffnung nicht
1426, jondern 1486; der Liegniper Erbvertrag nicht 1507, ſon⸗
dern 1537.)
42. Pater Katy. Kuhn: Geſchichts⸗Kalender oder tägliche Erinneruns
en aus der Welt⸗, Kirchen», Kunft» und Literatur» Geihichte In 6 Lie⸗
erungen. 1. Lief. Augsburg, Kollmann. 1856. ©. 1— 128. T!/s Gar.
Lag noch nicht vor.
43. Mor. Beger und Mor. Schlimpert: Weltgeſchichte in hundert
Abſchnitien der Jugend erzählt. Nebſt Eharafterbildern in gebundener
und ungebundener Rede. Zugleich ein Handbuch für Lehrer, Lehrerinnen
und Seminariften. Dresden, Meinhold u. Söhne. 1856. 687 ©. 1 Thlr.
24 Sur.
Dies Buch erfcheint nicht ſowohl als eine Weltgefchichte für die
Jugend, wie als eine Sammlung von Materialien biftorifcher und poes
tifcher Natur. Schwerlich werden die hundert Erzählungen darin viel
Beifall finden, weil fie meift fehr fummarifch verfahren, den Stoff weder
pädagogiſch gut genug wählen, noch kritiſch genug fihten, noch gerecht
genug würdigen, und dazu ihn nicht fo ausprägen, daB er der Aufgabe
guter Gefhichtserzählungen befriedigend entfpräche. (In der neuern Zeit
waltet die franzdjifche Geſchichte vor— — Was die Zugaben an-
betrifft, fo ift deren profaifcher Theil von ſehr verfchiedenartigem
Werth; Manches fehr interefiant (S. 343, 359, 424, 474), Anderes
fehr entbehrlich. Es find darunter theils Charakteriftifen, größere und
Heinere Lebensbilder, pilante Einzelzüge, Anekdoten, Sagen, Notizen
über Gultur» Momente, Religion, Sitten, Erfindungen, ältere und neuere
Schlachtenbeſchreibungen bis herab zu den Zeitungsnachrichten über die
Schlacht bei Rovara und die Erftürmung Sebaſtopols. Die Charakte⸗
riftifen von einer Menge Perfonen find bald fürzere, bald erweitertere
Skizzen, aus weniger georbnet durchgearbeiteten, als mehr zufällig zus
-fammengefügten Notizen (Luther, andere Reformatoren, Zofeph 11.); fie
erjegen den Mangel der Darftellung hiſtoriſcher Entwidelungen nicht.
Nacke, Iahresberidht. X- 27
8
418 Geſchichte.
Andere Beigaben Hätten kerniger ausgeprägt, umſichtiger ausgewählt
werden ſollen. Einen ungleich größeren Werth haben aber die zahlrei⸗
chen hiſtoriſchen Poeſien; es And darunter viele der fchönften,
und fle bilden einen wahren Schap in dem Bude, der aus vielen
Büchern er hat gefemmeit werden müflen, und der bier zwifchen bie
Geſchichten vertheitt If. Leptere laſſen ſich nicht füglich im Unterricht
zu Grunde Tegen, aber die Gedichte und Charafterzäge bieten wiel bear»
beitbaren Stoff in glüdticher Hand. — Unfere vaterländifche neueſte
Geſchichte if hier unter Weberfchriften wie Napoleon, die Juli⸗NRevolu⸗
tion x. angebracht.
44,* Dr. W. Aßmaun, Brof.: Handbud der allgemeinen Geſchichte.
Kür höhere Kehranftalten und zur GSelbfibelehrung für Gebildete. 4. Tb.
A. u. d. T. Geſchichte der neueften Zeit von 1789—1848, zum Bers
Räneniß der Gegenwart. Braunfchweig, Bieweg u. Sohn. 1855. 330 ©.
gr.
Ueber Theil 1. ch. VII. Päd. Jahresber. S. 516, wo au der
ganzen Zendenz des Buches ehrend gedacht if. Im IX. Päd. Jahres
ber. ©. 487 if auch deſſelben Berfaflere „Geſchichtskatechismus in Ges
dächtnißverſen“ gedacht, wovon die größere Ausgabe in 4 Abtheilun⸗
gen in gleichem Berlage (1855. 873 ©. 20 Sgr.) erfäienen if.
45. Dr. ®. Döring, Gymnaſial⸗Oberlehrer: Lehrbuch der Geſchichte,
mit befonderer Berüdfihtigung der politifchen, focalen und religiöfen
Kortbildung des Menſchengeſchlechts. Zur Selbfibelehrung für Gebildete,
insbefondere zur Vorbereitung auf das Abiturienten» und Fähnrichs⸗ECra⸗
men. I. Band. 1. Lieferung. Brieg, Schwarp. 1855. à Lieferung 5 Ser.
(15—16 Lief. in 2 Bänden).
Aus diefer erften Lieferung If noch Feine hinreichend begründete
Zolgerung auf Geil und Art der Behandlung des Werkes zu machen,
welche zwiſchen Zrodenheit und Gefchwägigkeit durch präcife, lebendige
Umriffe die glückliche Mitte zu treffen fuchen will. Die erfien 3 Bogen
enthalten zunächft eine allgemeine Einleitung (Begriff, Nutzen, Hülfswife
[enfhaften, Quellen der Geſchichte u. |. w.), welche das Herkoͤmmliche
n furzen Andeutungen enthält. Die Gelchichte felbft beginnt mit den
femitifgen Bölkern und Staaten (Aegypter, Babyignier und Affys
rer, Phönizier, Juden), und ift allerdings kurz und gedrängt umrißlich,
aber darum eben nicht anziehend.
46.* 3, Bumäller: Die Weltgeſchichte. Ein Lehrbuch für Mittelſchu⸗
Ien. 3. Aufl. 3. Theil. A u. d. T. Gefchichte der neuen Zeit. Seel
durg im Breisgau, Herder. 1855. 689 S. und 3 Foliotabellen 1'/s Thlr.
Und dDeffelben Derfaffers Geſchichte der neueften Zeit von 1815—
1855. 1. und 2. Aufl. Daf. 1855. 279 ©. 20 Ser.
Lagen noch nicht originaliter vor. Aber über die hohe Brauchbars
feit der früheren Theile ef. IX. Päd. Jahresber. S. 478, wo auch der
fatbolifhen Stimmen darüber gedacht ifl.
4. Dr. 8. Kieſel: Die Weltgeſchichte für Höhere Schulen und zum
Selbflunterriht üderfihtlich dargefellt. IL. Band: Vorchriſtliche Zeit.
Geſchichte. NY,
H. Band: Die Arifttt et. 1. Abth. 15 nderte.
im Breiögan, —R 3 © 1 Ei. 9 — e. Breiburg
In Reliners „Schuffreund” 1856 ©. 194 von katholiſcher
Seite fehr günſtig beurtheitt in Betreff gründlichen Quekllenſtudiums,
poſttiv chriſtlichen Standpunkts, guter culturgeſchichtlicher Nachweiſe über
den Zuſammenhang des religiöſen und politiſchen Lebens.
48. &, Cautu: All ine Beit ihte. Rab der 7. Ö
Origtnat. Autgabe von Dr. m. 34 das er if 5 ng
fand. Schaffhauſen, Hufter. 1856. 47—50 Le. & 51%, Ser. (Band 8,
©. 833-1579).
29, A. W. Grube: Charakterbilder aus der Gefchichte und Sage
für einen propaͤdeutiſchen Geſchichtsunterricht geleamek bearbeitet und
genen, 3 Theile. 4. unveränderte Auflage. Leipzig, Branbfetter. 1856,
Bereits im VI. Pad. Jahresber. S. 395 ff. ausführlih und mit
aller Anerkennung befprochen.
50* Dr. 8, Dittmar: Die Geſchichte der Welt vor und nad Chri⸗
Rus mit Müdficht auf die Entwidelung des Lebens in Religion und Pos
ſitik, Kunſt und Wiſſenſchaft, Handel und Induſtrie der weltbiftorifchen
Bölfer. IV. Band. 2. Hälfte 1.3. Lief. Heidelberg, Winter. 1854,
1856. 3 Thlr. 5 Ser. (L—IV. 1. 2. a. b. c. 13 Thfr. 13% Ser.)
Leider lagen die neueften Fortſetzungen diefes ausgezeichneten Wer⸗
kes noch nicht vor. Unter Rüdweifung auf VI. Bid. Jahresber. ©.
248 und VII. Pad. Jahresber. S. 462 und 520 fei berichtigend zus
nähft erwähnt, daß an letzter Stelle durch einen Drudfehler die Been⸗
digung des ganzen 4. Bandes flatt der erfien Hälfte deſſelben ans
gezeigt if. Diefe erfie Hälfte geht bie zu Ende des 22. Buchs,
und ſtellt darin das Zeitalter unumfchräntter Fürſtenmacht und willkür⸗
licher Kabinetspolitit, namentlich die Zeit Ludwig XIV. bis zum Rys⸗
wider Frieden dar, mit all’ der Meiterfchaft der Behandlung in Biel
feitigfeit der Entwidelung der politifhen und EultursBerhältniffe, in
Grändlichkeit der Würdigung derfelben und außerordentliher Umfaffen-
beit des Blicks. Es giebt Fein ähnliches ausführliches deutſches
Geſchichtswerk, worin ein fo tief ernfler chriftlicher Geift, verbunden mit
Harer Einfhau in den großartigen Gang der Geſchichte, fi ausprägte.
(ef. IX. Pad. Jahresber. S. 479).
54.* Dr. & Wernide: Die Geſchichte der Welt, zunähft für das
weibliche Geflecht bearbeitet. 3. Ihell. Neue Zeit Berlin, Dunder.
1855. 1856. 3 Thlr. 20 Sgr. (I—TI complet 7% Thlr.)
Der 3., das ganze fchöne Wert vollendende Band lag leider bisher
noch nicht vor. Dem, was über Theil 1 und 2 im IX. Päd. Jah⸗
resber. S. 519 rühmend gefagt iR, haben ſich feitden mehrere Stims
men oͤffentlich angefchloffen, welche auch über die Vollendung des Ganzen
einhellig lobend berichten. Der Berf. ift jüngft dur Berleihung der
großen goldenen Medaille dafür ausgezeichnet.
52. %. ©. Echloffer's weltgel ihte für das deutſche Volk. Unter
wirkung des Verfaſſers bearbeitet von G. 2, Kriegt. XVOI Band,
(Schluß'des Textes!) Frankfurt a. M., Expedition von GSchloffer’s
27*
429 Geſchichte.
Belt eiöläe. 1856. 479 &. 25 Gyr. I XVMI 15 Ihlr. ohne
egifter.
Endlich ift auh dies Wert nun zu Ende gebradht. Der letzte
Band eilt wit ziemlich ſchnellen Schritten vom Lüneviller Frieden bis
ur Transportation Napoleons nah Helena, womit das Ganze fchließt.
ine Kette fehr bitterer Urtheile, vor dem nur die Strebungen Weniger
Gnade finden, zieht fich durch diefen Band bin, fo daß die deutſchen
Fürften, die Staatslenfer, die Heerführer und wer ſonſt auf das allge
meine Wohl maafgebenden Einfluß in den erften anderthalb Jahrzehen⸗
den unfers Jahrbunderts ausübte, in einem meift fehr ungünftigen Lichte
erfheinen. Am meiften verföhnend erfcheinen allein die leten friegeris
fhen Erfolge des wieder erwachten deutfchen Geiſtes; doc hätten billig
auch die Urtheile über manche Hochgeftellte Perfönlichleit mit mehr Glimpf
abgefaßt werden können, ohne der gefchichtlihen Wahrheit etwas zu ver⸗
geben. — Das Negifter zum ganzen Werke if augenblidlih noch
nicht erfchienen.
53,8 € Schloſſer: Geſchichte des 18. und 19. Jahrhunderts
bis zum Sturz des franzöfifhen Katferreihs. Mit befons
derer Rüdfiht auf ‚geige Bildung. 5. Band. (Bis März 1797). 4. Aufs
lage. Heidelberg, Mohr. 1856. 686 S. 2/s Ihlr.
Lag nicht vor. \
54.* Dr. 9. Leo: Lehrbuch der Univerſalgeſchichte. A. Band. Das
Revolutionszeitalter bis zu Ende des Feldzugs Napoleons nad
Rußland. 3. Auflage. Halle, Anton. 1856. 1338 ©. 4 Thlr. 2% Sgr.
Als ein hoͤchſt geiftvolles, ausgezeichnetes Beichichtswerk ſchon aus
frübern Auflagen befannt, aber nur für denfende Geſchichtskenner bes
rechnet, fo daß fh für den gewöhnlichen Gefchichtsunterricht davon fein
leichter Gebrauch machen läßt. Ä
55 W. Rogge: Geſchichte der neueften Zeit feit dem Sturze Napo⸗
leons bis auf unfere Tage. 36 Lieferungen. Bis 17. Liefer. vorgerüdt.
Berlin, Hempel. 1856. & Lief. 5 Ser.
56. H. Rückert, Prof.: Lehrbuch der Weltgeſchichte in organiſcher
arſtellung. 2 Theile. Leipzig, Weigel. 1857. 6°%/s Thlr.
Diervon lag nur der erfte Theil (600 S. Fark) vor. — Das
ift ein von ber in den bekannten größeren gelehrten Lehrbüchern ges
wählten Behandlungsweife der Gefchichte ganz abweichendes, höchf inter-
effantes Werk, welches für gewöhnliche Lehrer weit über ihren Berufes
Freis und ihr Bedürfniß hinaus liegt. Es ift eine Culturgeſchichte
in dem Sinne des Wortes, daß darin die Totalität der aus der Selbfl-
Rändigfeit und Eigenthümlichkeit der höheren menſchlichen Anlagen bers
vorgegangenen Erſcheinungen al8 eine organifhe Einheit in ihrem
Berhältniffe zur allgemeinen Idee der Menfchheit und der Geſchichte
behandelt wird ; alfo nicht bloß Wiffenfchaft, Kunft, Sitte, Religion und
materielle Gultur an und für fich, in ihrer Abgetrenntheit von einander.
Die Behandlungsweife ift philofophifh, und ſetzt das fpeciellere Stu⸗
dium des bezüglichen hiftorifchen Materials voraus, um nur die Höheren
idealen Beziehungen organisch zu entwideln. Die gelehrten Deductionen
Geſchichte. 321
Find von hohem, fpannendem Intereſſe für hinreichend vorgebifdete Lefer,
und fie öffnen bei ihrer geiftoollen, gewandten und doc faßlichen Dars
ſtellung den Blid in den geifligen Bufammenhang ziwifihen Idee und
Lebensausgeftaltung in den verfchiedenflen Weiſen. Ueber den Inhalt
ſollen hier nur des Beifpiel® Halber einige wenige Angaben bergefteflt
werden, um eine Abnung von der Art der Gefchichtsanfchauung des
Werkes zu ermöglihen. In fünf Abfchnitten wird die Bor» und Yo
geſchichte der Menfchheit, die Alteften gefhichtlichen Volker des Orients,
die Griechen, die Römer, das Judenthum und das Chriſtenthum in feis
ner Beziehung zum Judenthum und der griechifcherömifchen Cultur
behandelt. Jeder der. Abfchnitte ift in mehrere Kapitel zerlegt, und von
letztern find ‚unter Anderem figniflcant: Problem der Einheit oder Viel⸗
beit des urfprünglihen Menſchengeſchlechts; SIndividualitäten und ihre
Begründung; Bildungsgefeße der menfihlichen Individualitäten; Verhaͤlt⸗
niß verfchiedener Culturreihen zu einander; Gulturkreis der kaukaſiſchen
Raffe; ägyptiſche, ältefte femitifche Eulturwelt; arifkofratifches und des
mofratifches Element in den DVerfaffungen der griechiichen Städte oder
Staaten; griechifihe Neligion, Kunf, Wiflenfhaft, Philofopbie; PBerföns
lichkeit Chriſti als weltgefchichtliches Moment; Stellung des Chriſten⸗
thum® zur heidnifchen Welt im roͤmiſchen Reiche; Aufnahme beidnifcher
Glemente in das kirchliche Chriſtenthum u. f. w.
STE K. F. Becker's Weltgeſchichte. 15. Band. Gefchichte der Teßten 40
Jahre, ale Supplement zu. allen Ausgaben. Herausgegeben von E. Arnd,
2. Abtheil. (did ©. 598). Schluß; 7. Lief. Berlin, Dunder u. Humblot.
1855. 10 Egr.
Lag nicht originaliter vor. (cf. IX. Päd. Zahresber. S. 482.)
3 8. G. v. Berneck, 8. Preuß. Major: Das Buch der Schlachten.
Leipzig, Gumprecht. 1856. 409 ©, 13% Ihlr.
Hierin werden die Schlachten bei Marathon, Arbela, Cannae, Phar⸗
falus, im Teutoburger Walde, auf den catalanniſchen Feldern, bei An⸗
tiochia, Pavia, Lutzen, Hochſtaͤdt, Pultawa, Leuthen, Marengo, Trafal⸗
gar, Aufterlitz, Jena⸗-Auerſtädt, Leipzig und Waterloo zwar nicht fo
ſehr detaillirt in Rrategifcher und taftifcher Beziehung gefhildert, wie
es für Militärs zweddienlih wäre; aber doch infoweit, daB Gebildete
ein Hares Bild der Hauptactionen, der gegenfeitigen Kräfte und ents
heidenden Momente erhalten, modurd großartige Kämpfe ausgefochten
wurden. Der Berf. erfennt- in dem Kriege die „volifiredente Bewalt
der Beltgefhichte‘, als die „großen hiftorifhen Anknüpfungs⸗ und
Bendepunfte‘, die Schlachten aber als „die Gipfelpunfte der Kriegfüh⸗
rung und in der Regel deren Abſchluß.“ Er bat befonders die deut⸗
fhe Baffenehre im Auge, und will das jüngere Gefchleht in das
Berfändnig alter und neuer Schlachten einführen. Dur klare, ans
fhauliche und gewandte Darftellung wird in der That das Verſtändniß
Des Huuptganges obiger Schlachten und der Bedingungen ihres Erfolgs
vermittelt, und da der Berf. auch zur Erkennung der jedesmaligen gan⸗
zen Situätion anleitet und die handelnden Charaktere belenchtet, auch
Mängel nicht verfchweigt (Jena⸗Auerſtädt, Leipzig, Waterloo und die,
- 5%. Dr. 8
422 Geſchichte.
Borbereitungsgeiten dazu), fo kaun das Buch zu einem guten Commenica
bei den Page Schlachtenbildern wohl benugt werden.
Beinhold, Brof.: Altnordifhes Lehen. Berlin, Weld⸗
mann, 1856. 512 ©. 2%. Ihe.
Zu Auffchläffen über die deut ſche Bergangenheit bietet dies hochſt
ntereffante Buch daram fo reiche Gelegenheit, weil es erkennen IAßt,
wie tief und Sreit die Rebenswurzeln berfelben geſchlagen find, und wie
viele bedeutſame Züge der heutigen Bußdade des focialen Lebens in das
fruͤheſte Gefipichtsakter zurückweiſen. Jadem die Sehens bedingungen
des Rordens und feine Lehbensäußerungen, die leiblichen wie bie
geiftigen, dargelegt werben, geſtalten ſich Bilder des Nordens, an denen
mean, nach bes Berfaflers Hoffnung, ih fRärfen und woraus man Geile
mittel gegen Heutige faule Zuflände entnehmen kann, um bie malte,
&Sarakterlofe Gegenwart wieder zu einer flarken, mannhaften Bet ums
bilden zu helfen. Es wird die vorgermaniſche Zeit und dann das Leben
der Rordgermanen, ihre äußeren Zuflände (Viehzucht, Jagd, Ader- unb
Obſtbau, Gewerbe, Handel, Schifffahrt, Nahrung, Kleidung, Schmuck,
Waffen, Wohnung), und die innern Zuſtände (S. 287 bis Schluß:
be, Kinder, Namen, Erziehung, Spiele, Fertigkeiten, geiflige Thatig⸗
fit, Dichtkunſt, Sagas, geographiſche und aftronsmifhe Kenntniffe,
Heilkunſt, Gefebes- und Sprachkunde, bildende Kunſt; Gefinde, Gäfle,
gefellige Freuden, Alte, Zodte und deren Beſtattung) gang ſperiell dar⸗
gelegt, nnd zwar auf den drei nordifchen Befchichte» Theatern, der ſchwe⸗
diſch⸗ norwegifhen Halbinfel, dem daniſchen Infellande und Island.
Das veranlaßt allenthalben die Rüdihau auf Deutfhland, welches
ohne Wall gegen die nordifchen Geſchichtsſtrömungen if und defien naffe
Straßen fa alle nach dem Norden weiſen, wo ein zweites Germanien
aufging, welches in Reinheit Berhältniffe fekhielt, die im Mutterlande
untergingen. — Es kann bier der Inhalt nicht im Ginzeinen näher
angegeben werden, aber er if fo intereffant und mannigfaltig, daß das
Buch vollauf werth Rn von Gefchichtsfreunden unter den Lehrern einge
end beachtet zu werden
60.” Dr. 2. Stade, Bnmnaflaliehter: Erzählungen aus der alten Ge⸗
ſchichte In blographifdger Form. 2. u. Ban 9— Geſchichte. 2 Auf
lage. Oldenburg. Stalling. 1856. 220 ©. T
Im VII. Bad. Jahresber. ©. 401 u. 443 * bereits der erſt en
Auflage anerkennend gedacht. Taktvolle Abrundung der einzelnen Erzaͤh⸗
lungen und ihrer größern Abtheilungen, leicht faßliche und anziehende
Darfellung, weldye die wichtigeren biforifchen Berhältniffe, ſoweit der
Zweck es erforderte, anziehend erfchließt, empfehlen das Buch für die
über den erfien Anfangs» Unterricht hinausgehende Altersftufe, welche
fon zur Privatlectüre anzuhalten iR, in hohem Grade. Wie billig
And diefem Alter nur die vorzugeweiſe dem äußern Leben angehdrigen
Begebenheiten (Kriege), nicht aber die Erfcheinungen des wiſſenſchaftli⸗
Gen und kanſtleriſchen Lebens, fowie die innern Berfaffungslämpfe bar»
geboten. Am ausführlichen unter den 34 Erzählungen ſind die über
Geſchichte. 423
die Zeiten von den puniſchen Kriegen bis zum Zode des Kaiſers
Augufus, namentlih über Hannibal, Marius, Bompeius und Yulins
Gäfer; Die Kaifergefhichte, nur bis zum Tode M. Aurelius geführt,
iR nur furz. Für Lehrer und Schüler, welche der römi ſchen Geſchichte
nähere Aufmerkſamkeit zuzumenden haben, if das Bud ein lehrreiches
Hülfsmittel
61. U. v. Eroufaz, Hauptmann: Handbuch der alten Geſchichte Eu-
ropa's in Verbindung mit Erläuterungen , Eitaten und anregenden Fra⸗
ren Zum Schul⸗ und GSelbfunterriht. Pofen, Merzbach. 1856. 232 ©.
gr.
Der Berf. führt dies Buch als einen „Leitfaden für Schüler in
einer doch wohl ziemlich neuen Art‘ vor, und hat darin, um „die
befondere Manier vorerſt an einem Abfchnitte der Weltgeſchichte fi bes
währen zu laſſen“, eine Art probeweiler Bearbeitung der Geſchichte
Briedentands (bis Philipp von Macedonien), Macedoniens (bis zur
Theilung der Reiche Aleganders d. Gr.), Roms (bis 375 n. Chr.), Alts
Sermaniens (bis 375) und Europa’s während der Völkerwanderung,
fowie zum Schluß eine ſummariſch zufammengefaßte Gulturgeichichte des
europdifchen Alterthums gegeben. Der römifhen Gefchichte iſt der
meife Naum gewährt. — Die „ziemlich neue Art’ und „befondere
Manier‘ tritt nit in der Stoffwabl und der Geſtaltung ter größeren
Abſchnitte, auch nicht in vorangeftellten geograpbifchen Weberbliden und
der zu Ende angebrachten kulturgeſchichtlichen Weberficht, fondern in Fol⸗
geadem entgegen: Der Zertdrud zertheilt den Inhalt jeder einzelnen
Seite in fo viele (6—8) Abſätze, daB auf jeden derfelben eiwa I—2
furze Säge kommen. (E6 ſcheint, daß eine faſt tabellarisch aufgeſtellte
Dispofition des Stoffe Feabfichtigt ſei; jedoch der Gedankenzuſammen⸗
bang Heidet daruntkr, und Schüler, die dies Buch gebrauchen ſollen,
mäflen zur Auffaſſung zufammenhangenden Bortrags unbedingt fähig
kin.) Berner iſt der Zert mit einigen in die Anmerkungen gefellten
fshlihen Erläuterungen, ferner wit vielem Eitaten der Quelfidien und
noch zahlreichern anregenden Fragen in Berbiadung gebracht. Manche
‚Erläuterungen‘ hätten durd ein paar Worte im Text gegeben werben
Bunen. Die „Citate“ würden vorausfegen, daf der Schüler eine Biblio⸗
thek fa aller Quellenſchriftſteller und mehrerer großen Geſchichtswerke
sur Sand und and Meife und Zeit Hätte, die Driginale nachzuleſen.
(Ahufydides, Herodot, Xenophon, Pintarh, Arrian, Zuftin, Joſephus,
Livius, Dionyſius, Cor. Nepos, Florus, Salluſt, Dio Caſſins, Eäfer,
Tacitus, Eufebius, Cutrop, Ammian, Jornandes, Böttiger, Dittmar,
Gryſar, Hume x.) Unter den „anregenden Fragen“ ſind zum Theil gm
wicht, zum Theil, nämlich wo geograpbifche Auffuchungen, Definitionen,
Namen » Umdeutungen ꝛc. begehrt werden, ziemlich entbehrlich, weil das
im Unterricht fchnell abzuthun if, zum Theil ohne vorgängige umfäng-
lie Belchrungen gar nicht Idehar (3. B. Beleuchtung der Grundfäge
und Wirkungen der alten Berfafungen. Die Scheidung von Geſchichte
und Boefie in den Mythen. Beurtheilung der Beveutung großer Män⸗
mr, als Philoſophen, Dichter ac. (f. auch Frage 24). Entwickelung der
FT Geſchichte.
Wirkungen der Principien Solons und feiner Geſetzgebung. Ueber Eis
eero’s Charakter, Faͤhigkeiten, politifche und rhetorifche Thätigleit. Ber
gleihung der griechifhen Tragädiendichter unter fi, fo wie der griechi⸗
ſchen mit der modernen Tragddie. — Das ift zu viel!) ſelbſt nicht
fofort von jedem fludirten Manne. Eben fo find in den Aufgaben zu
freier Bearbeitung mehrere viel zu ſchwer (Nr. 5. 6. 13. 14. x.) —
Schwerlih wird Dies Buch die bereits unterrichtlich bewährt erfunbes
nen verdrängen. |
62.* Dr. M. Dunker, Prof.: Geſchichte Des Alterthums. 1. Band.
2. Aufl. 1855. 626 S. 2% Thlr. 2. Band. 2. Aufl, 1856. 674 ©,
3 Thlr. 3. Band oder Geſchichte der Griechen. I. Band. 41 Bog. 2%
Thlr. 1856. Berlin, Dunder und Humblot.
Eine body gerühmte, gelehrte Foricherarbeit! (cf. VIII. Päd. Jah⸗
resber. S. 521.)
63.* Th. Mommfen: Romiſche Geſchichte. 1. Band. 2. Aufl. 1857.
c. 650 ©. 11/s Thit. 2. Band. 1855. 439 S. 1 Thir. 3. Band. 1856,
582 ©. 1 Thlr. 6 Sgr. Leipzig und Berlin, Beidmann. (of. IX. Päs
dagog. Jahresbericht. S. 481.)
Ebenfalls eine fehr gerühmte, gelehrte Forfcherarbeit, von der ein
THlichter Kehrer nur wenig Ausbeute für fih davon tragen möchte. Das
Berk feht nicht bloß das Detail der Gefchichte bei den Lefern voraus,
fondern erfordert auch eine höhere geiftige Neife zum Verſtändniß feiner
Darlegungen. Wer diefe aber befißt, dem gehen die Augen heller auf
über Gang und Bedeutung der Geſchichte der Nömer; er erfennt den
ungeheuern Unterfchied zwifchen der gangbaren Zradition und der wirk⸗
lichen quellenmäßigen Gefchichte, und er bewundert den Scharffinn des
gelehrten Berfaflers bei feinen Deductionen. Bon dem alltäglich colpors
tirten Lehrfloff der römischen Gefchichte findet fich bier faft nichts, im
Gegentheil wird deffen eine nicht unbedeutende Maſſe geradezu als ganz
unhaltbar charakteriſirt. Band I. geht bis zur Schlacht bei Pydna,
Band II. His auf Sulla's Tod, Band III. His zur Schlacht von Thap⸗
fus. Schon der Umfang des Werkes bezeugt, daß es in Die einzelften
hiftorifchen Verhältniffe, äußere wie innere, eindringen konnte. Dies
gefhieht mit gründlicher Kritit und fo fehr mit Vermeidung aller Breite
der Darfiellung, daß man vielmehr allen rhetorifchen und ſchildernden
Aufwand befeitigt findet, um der firengen Geſchichte allein Raum au
laffen. Die Screibart ift fehr Mar und anziehend, doch nit für Schh«
lerfräfte berechnet.
84. ©. ©, Köhler: Das Griechen- und Röomervolk im Alters
thum. 2 Theil. Römer. 3. Abth. Zwickau, Verlag des Volksſchrif⸗
tenvereins. 1856. 160 ©. T’/a Sgr.
Lag nicht vor.
65, Dr. C. W. Arndts, Meg. Rath: Chronologie der griechiſchen Be
ſchichte. Trier, Linz. 1856. 40 ©., und deſſelben Verfaſſers: Chroe
nologie der römifhen Gef. 2. Aufl. Daf. 1856. 67 ©.
Bon dem Schulrath Kellner als eine ſachkundig, überſichtlich und
Geſchichte. | 423
praktiſch gearbeitete Grundlage des Geſchichtsunterrichts und als Wieder
bolungshälfsmittel darum empfohlen, weil fein bloßes Zahlen» und Na⸗
mensGerippe, fondern auch eine furze, trefiende Angabe der Thatfachen
darin enthalten iſt.
66. Dr. S. Nohl: Das Buch der Mythologie. Die Sagen der Goͤt⸗
terwelt und Heldengefhichten des Maffifchen Alterthums und der nordifchen
Bölker. Mit vielen Abbildungen. Leipzig, Spamer. 1856. 1'/s Thlr.
Zag noch nicht vor.
67. Dr. 4. E. Wollheim de Fonſeca, Dorent: Allgemeine verglei⸗
hende Mythologie Mit zahlreichen in den Text gedruckten Holzs
ſchnitten und Kunftbellagen. 16 Lieferungen à 10 Sgr. 1. Lieferung.
Berlin, Hempel. 1856. S. 1—72.
Diefes in Auffaffung und Darſtellung rein wiffenfhaftliä
gehaltene Werk, das die Mythologie anerfennt-als „den erhabenften
Ausdrud der erhabenften Wahrheiten, als die wunderbare Brüde zwi⸗
Then Sinnlihem und Ueberfinnlihem, zwiſchen Zeit und Ewigkeit, als
die im großartigften Lapidarſtyl gefchriebene Urgefchichte des Weltalls,
ja als die Urgefchichte der Menfchheit und jeder einzelnen Völkerfamilie,
weiche das ganze geiftige Weſen und die Gulturgefchichte eines Volkes
fhärfer und deutlicher als Anderes ausprägt”, — hat es auf eine
Bergleihung der Religionen aller . Eulturs und rohen Bölfer abs
geieben. Es ordnet feinen Stoff nach einem in den einleitenden Ges
banfen näher angegebenen, befonderen philoſophiſchen Syſtem, und wird
fh dadurch weſentlich von populären Bearbeitungen der Mythologie
unterfcheiden. Die erfte Lieferung beginnt mit Afien, namentlich mit
Indien, giebt in Sprachproben den innern Zufammenhang der Bölker
an, legt in Bitaten aus den heiligen Schriften der Inder und ihrer
Borfie die Schöpfungs» und Sündfluths⸗Sage, fowie die Thaten und
die geiftige Beziehung Brahmuͤn's, Wiſchnu's und Ciwas dar, und führt
fo in deren inneres Berftändniß ein. Das Buch fept zum gehörigen
Berfiändniß einen reihen Schatz gelehrter Kenntniſſe voraus, und ifl
nicht zu Jedermanns Handgebrauch beftimmt.
C. Gefhichts - Karten.
68. ©. 2. Obmann: Schul⸗Wandkarte zur bibliſchen Geſchichte nad
den neueften Quellen. 9 Blatt. Berlin, Kortmann. 1856. 1a Thfr.
(Mit Carton: Paläftina zu Chriſti Zeit).
Bei der bedeutenden Größe und der befriedigenden Darftellung
auch der oro⸗ und hydrographiſchen Darftellung erſcheint dieſe Karte
für den Schulgebrauch wohl anwendbar, zumal da die Zeichnung kräf⸗
tig und das Material nur auf das Nothwendige beſchraͤnkt if.
69.* 3.4 Garbs: Geographifäe Wandkarte. Zum Gebraud beim
ellefen und beim Unterricht in der bibliichen Geſchichte, unter fleter
Sinweifung .auf Bibelfiellen und mit Bezug auf bie alte Geſchichte und
428 ‘ Geſchichte
y3.* Th. Anig: Hiſtoriſch-geographiſcher Sandatlas zur älteren,
mittleren und neueren Geſchichte. Zu den Beinihtöwuten von Schloſſer,
Beer, Nöſſelt, Pölitz, Rotieck, Volger u. U. 4. Auflage. 15 Karten.
Wolfenbüttel, Holle. 1855. 1'/s Thlr,
Lag nicht vor. (ef. V. Päd. Jahresber. S. 245, VI. Päd, Jah
resber. S. 254.)
Tr MN. v. Wedel: Hiftorifhsgeograpbifher HandsAtlas in 36
Karten. Mit Text. 2. Auflage. Slogan, Flemming. 1856. 1. Lief. 12 Ser.
Lag nicht vor. (cf. VIII. Pad. Jahresber. S. 525.)
75.* Dr. 8, v. Spruner: Siftorifhegeograpbifher Hand⸗Atlas.
II. Aotbeilung. 13. (Schluß⸗) Lieferung. 2. Auflage. 27 Karten. Gotha,
Perthes. 1856. 6%, Thlr.
Lag nicht vor. Died ausgezeichnete Kartenwerk bedarf es
nicht mehr, daß es charafterifirt werben müßte. Jeder Geſchichtskundige
kennt es, befibt e8 wo möglich und intereffirt fi nur noch mehr für.
deffen jeßt noch weiter gefteigerte Vervollkommnung in der 2. Auflage.
76. Dr. 3. Bed: HStftorifh-geograpbifäher Atlas für Schule und
—X 25 colorirten Karten. Greiburg im Breisgau, Herder. 1856.
Unter den manderlei biftorifchen Kartenwerfen nimmt biefer Atlas
eine fehr ehrenvolle Stelle ein. Er ift nicht allein fehr Mar und forge
fältig in feiner tehnifhen Ausführung, Hat nicht allein einen völlig
ausreihend großen Maaßſtab (dem des v. Spruner’fhen Hand Atlas
glei), nimmt auf die Terrains Geftaltung möglichſte Rüdficht (außer
da, wo das biftorifche Moment darunter zu fehr leiden müßte) und if
wohlgefällig und ganz angemeflen colorirt, fondern feine ſachl i che Bes
arbeitung iR mit großer Sachfenntniß und befonderer pädagogifher
Umfiht bewirkt, fo daB in der That dem Schulbedürfniß dabei auf's
Beſte Rechnung getragen if. Dadurch gewinnt er eine vorzüglicde
Brauchbarkeit. Nicht in der Weberfülle der Eintragungen von Gebiets-
tenzen und Namen, fondern in der wohlerwogenen Wahl des wirklich
ihtigen, in der Ueberſichtlichkeit und Zuverläffigleit deſſel⸗
den ift der Werth der Schulatlanten zu fuchen. Hier ift dies vereint,
und die genauere Durchmuſterung ergiebt, außer großer Correctheit im
Einzelnen und Ganzen, einen noch fehr bedeutenden Reichthum des auf
den einzelnen Blättern niedergelegten Inhalte. 10 Blätter find der
vorchriſtlichen Zeit beſtimmt (u. a.: Perfiſches Neich, Aleranders d.
Gr. Reich, römifches Reich, Nords und Mittelgriehenland, Peloponnes
(legtere beide fehr groß, Mar und reich für die Zeit von 500 — 300
v. Ehr.), Vorderafien, Ztalien bis zur Kaiferherrichaft — groß; 7 dem
Mittelalter Edarunter: Reich Karls d. Gr., die chriſtlichen und mu⸗
hamedanifhen Staaten zu Anfang des 9. Jahrhunderts, drei Karten
für Deutfhland bis Ende des 12., 14. und 15. Jahrhunderts),
und 8 der neuen Zeit (darunter die für Euroya im 16., 17., 18,
Jahrhundert, eine für Europa von 1789 — 1814 und eine für Eus
ropa feit 1830, eine für Srankreich vor 1789 und zwei für Deutſch⸗
land vor 1801 und jept). Befonders inftructiv find die Karten von
Geſchichte. 429
Europa und Deutihland; fie werden fehr willtommene Mathgeber nisht
bloß bei Auffuhung wichtiger Hiftorifcher Ortihaften, fondern auch bei
Betrachtung der Länder» und Gtantengebiete und der Vergleichung der
Wechſel darin duch die Zeiten bin fein. Der Atlas verdient darum
alle Empfehlung.
77. K. Menzel: Chriftlihspatriotifhe Gedenktafel. 3. Auflage.
Bunzlau, Boigt. 1856. Klein Format !/a Sgr., groß Format a Ser.
Diefe Auflage hat einige Irrungen berichtigt und einige Austaus
ſchungen in den denfwürdigen Momenten erfahren. Unter den mehr als
4100 Daten find etwa 14 Hauptmomente der preufifchen und 5 Haupt⸗
momente der Neformationg s Gefchichte. (cf. VIII. Päd. Jahresber. S.
525 über die Einrichtung der Gedenftafel.)
Die Ned. fügt diefer Ueberficht noch hinzu:
78. 8. Voigt, Oberfehrer an der Königl. Realfchule in Berlin: Hiſt oriſch⸗
eograpbifher Shulatlas dermittleren und neueren Zeit.
erfin, Nicolaiſche Buchhandlung. 1857. geh. 2 Thlr.
Inhalt: 1. Die Volkerwanderung. 2. Die Karolingifchen Reiche.
3. Die alten deutfchen Herzogthümer. 4. Die Herrſchaft der Araber
und Seldfhuden. 5. Das Iateinifhe Kaiſerthum. 6. Die englifche
franzöfifchen Kriege. 7. Die Bürgerkriege in England. 8. Die Reli⸗
gionskriege in Frankreich. 9. Italien im XV. und XVI. Jahrhundert.
10. Die zehn Kreife Deutfchlands. 11. Der dreißigjährige Krieg. 12.
Der ſpaniſche Erbfolgefrieg.. 13. Der nordifhe Krieg und die Theis
lung Polens. 14. Der fiebenjährige Krieg. 15. Die franzoͤfiſche Re⸗
publik und Kaiſerherrſchaft. 16. Die wichtigften geographiihen Ente
Dedungen. 17. Der preußifhe Staat nach feiner allmählichen Ver⸗
größerung.
Diefer Atlas ift höheren Schulanftalten und Lehrern zum Privats
gebrauch beſtens zu empfehlen. Die Karten find eben fo fauber ale
correct ausgeführt, die Gebirge braun, wie bei Sydow; das Colorit if
nirgends zu flarf,
Bon demfelben Herausgeber erfchien früher: „Schulatlas der alten
Geographie in 14 Karten”. 1 Thlr. 15 Sur.
Schlußbemerkung.
Welche Richtung die Literarifchen Erzeugniffe auf dem Felde
des Gefchichtsunterrichts verfolgen, auf welche Ziele fie losfteuern, —
Das wird fich wenigftens annähernd aus dem erkennen laflen, was zu
ihrer Kennzeichnung gefagt if. Die neuen Schulbahnen verfatten fort
und fort ein fleißiges Studium des gefchichtlihen Stoffs und eine
umfichtige Erwägung der geſchichtlichen Lehrmethode; es foll weder
der Blick eingeengt, noch die Arbeit allerlei Zufälligfeiten überlaſſen
werden. Aber die praftifche Lehrthätigleit in der Schule foll
430 Geſchichte.
mehr und mehr auf zuverlaͤſſigem Boden ſich bewegen, zuerſt in engerem
Gebiet eine befriedigende Ertuchtigung wirklich erreicht haben, bevor ſie
über deſſen Grenzen hinausgeht, und vornehmlich ihr Augenmerk auf die
hriſt liche und nationale Charakterbildung ber Jugend rich⸗
ten. Hierin den neuern Anforderungen völlig Genüge zu leiſten, iſt
auch für die tüchtigen Lehrer noch ſehr ſchwer, wenn fie gewiſſenhaft zu
Werke gehen wollen. Es gilt die ganze Hingabe ber eigenen Kraft und
Liebe zur Sade, das ganze pädagogifche Geſchick, unermüdliche Ausdauer,
au wo Zweifel am befriebigenden Gelingen erwachen; es gilt Selbſt⸗
verläugnung und ernfiefles Streben, den Sinn fi felb ganz zu eigen
zu maden, worin die Zugend gebildet und erzogen werden foll. Je
mehr die Augen auf den Lehrer gerichtet find, je höher die Unforderums
gen an fein intenfives Arbeiten geſpannt werden, um fo weniger darf
er irgendwie nachlaſſen, auch durch guten vaterländifchen Ge⸗
fSihtsunterricht feine Lebensaufgabe Iöfen zu helfen. Endlich
bleiben die Erfolge nicht aus; zu einer tühtigen, volksthümli⸗
hen Bildung im Geifle lautern und lebendigen Chriſtenthums
giebt auh Gott der Herr Seinen Segen!
IX.
GSeograpbie
Don
W. Prange,
Seminar s Oberlehrer in Bunzlau.
&; if eine feit mehreren Jahren fich gleiääbleibende Erſcheinung,
Daß eine ganz ungewöhnliche Thätigkeit auf dem Gebiete der Geographie
bericht. Die Zeit, wo vorzugsweife dem deutſchen Sprachunterrichte
und dem Mechenunterrihte die allgemeine Aufmerkſamkeit zugewendet
wurde, if allmählich der andern gewichen, in welcher die Religion und
die Baterlandsfunde den hervorragenden Fleiß in Anfprudh nehmen. Der
Sprachunterricht und noch mehr der Nechenunterrigt if zu einem feſten
Abſchluß gelommen; es find die alten Bahnen, in denen beide fi vor⸗
mals bewegten, aufgegeben, und bie neueren haben ſich @eltung errungen,
fo dag im Wefentlihen und Hauptſächlichen über Materie und deren
ſachliche und formelle Behandlung ein befriedigendes Einverfländniß ob⸗
malte. Mit dem geographiſchen Unterrichte iſt es nicht genau
ebenfo. In Rüdficht auf diefen kommen mehrere Umflände zufammen,
weile ihn noch in lebhafteren Fluß erhalten, als manchen andern Lehr⸗
gegenfland. Dahin gehören, was den fachlihen Inhalt anbetrifft, die
fortgehenden Forſchungen, weldye den Gefichtskreis erweitern, und nach
umd nach neue Gebiete erfchließen, oder altbefannte, aber verfäumte, für
das Intereffe wieder zurüderobern. Es gehören die ausgebreiteten Stu⸗
dien dazu, welche auch die verfchiedenen Hülfägebiete ausbeuten, die Um⸗
gefaltungen der Altern geographifchen Verhältniſſe im Laufe der Beit
ficherer nachweiſen, die Gründe dafür erläutern, und den jebigen status
quo firiren. Es gehören auch die Bemühungen dazu, das Kapital der
Refultate der Arbeiten auf naturgefchichtlihen und geſchichtlichem Felde
für die Zwecke comparativer geographifcher Betrachtung wirffam anzu⸗
legen. Dadurch hellen fih die natürlichen Berhältniffe der Erdlokale,
wie fie aus der Configuration und aus der Wechfelbeziehung ihrer Lage
432 Geographie.
hervorgehen, es hellen fich auch die damit in einigem Zufammenhange
ſtehenden Tlimatifhen und organographifhen Eigenthümlichkeiten auf,
welche dann wiederum auf das Maaß der Bedeutung Einfluß üben, das
dieſe Lokale für gefchichtliches Voͤlkerleben erfahrungsmäßig haben.
Aber es ift nicht bloß der Umfang und die Tiefe fachlicher Kenntniß,
weldhe durch die Arbeiten zahlreicher gründlicher und unverdroffener geos
graphiſcher Forſcher gefteigert find; der nachhaltige Fleiß hat fih in
neuerer Zeit auch auf den Zortfchritt in der Darſtellungsweiſe ge
rihtet. Man hat das geographifhe Material anziehender und genieß⸗
barer gemacht, ed mit mehr Geift und Leben durchhaucht, und ihm im
Gegenſatze zu feiner früher fprödern Form, welche überwiegend nur das
Gedähtniß in Anſpruch nahm, eine Geftalt verliehen, wodurd es über
das engere SchülersIntereffe weit hinaus den Gebildeten im Volk, wie
den fchlichteften Mann anfpridt, und in ihm das Berlangen rege zu ers
balten vermag, mit der Erde und ihren natürlichen und fonftigen Ver⸗
hältniffen näher befannt zu werden. Und zwar fo, daß auch dem denken⸗
den Kopf hinreichender Stoff zu Vergleihungen und Gombinationen, fo
wie zur Begründung des richtigern Verſtändniſſes menfchlicher Verhält⸗
niffe auf der Erde die erforderlichen Unterlagen dargeboten werden.
Jene Forfhungen und Studien befunden das hohe und verbreitete
wiffenfchaftliche Intereffe, das die Geographie fort und fort bei fehr ber»
vorragenden Männern findet, und die Durcharbeitung der auf denfelben
beruhenden Schriften Tann den Ernft und die Umfaſſenheit berfelben
lehren. In der That if die Summe der Momente, welche zur gründlichern
und vollftändigern Erkenntniß geographifcher Berhättniffe gegenwärtig in
wiffenfhaftlichen geographifhen Werken in Betracht gezogen wird, ſehr
merklich vergrößert. Insbeſondere find es die phyſikaliſchen und die ethno⸗
graphifchen Forſchungen, welche in der neuern Zeit den Kreis der mit
zu erwägenden Ericheinungen und Thatfachen mächtig erweitert haben.
Diele Bemühungen um vollendetere und zugleich genießbarere Dar
Rellung weifen auf ein zwiefaches Streben hin: die Ausbeute der nach
immer größerer Bervolllommnung ringenden Wiſſenſchaft für weitere
Kreife Gebildeter zu verwerthen, und durd eine heut zu Zage mehr als
vormals geforderte, anfprechende Außere Form den Anreiz nad) geogra-
phiſcher Kenntniß ebenfo zu wecken und zu erhöhen, als die Neigung zu
geographifcher Belehrung fo zu befriedigen, daß nicht zu bedeutende Ans
firengung des Geiſtes zu ihrer Erwerbung erforderlich if. Diele Reis
gung ift verbreiteter, als das Maaß der Kraft, gelehrte geographiſche
Berle zu fudiren, und als die Möglichkeit der Erübrigung der zu
ernftem Studium nöthigen Zeit; ihr zu entiprechen, if in der That eine
wahre Zeitaufgabe geworden, an deren Löfung mehrere tüchtige Kräfte
fih mit entſchiedenem Glück verfuht haben. In gar mannigfaltigen
Weifen if das Metall geographiihen Wiffens geprägt, theild um dem
wirklihen Bedürfniß der Belehrung, theils um deren bloßer Unterhaltung
abzuhelfen. Und es fehlt nicht, daß es auf diefem Wege gelungen if,
geographifche Kenntniß und Freude an derfelben aud in folde Schichten
der forialen Welt einzuführen, die derfelben vormals fehr fern flanden.
Geographie 4
Pit Diefer allgemeinern Verbreitung derartiger Kenniniſſe iſt auch mehr
ale der bloße vereinzelte Wunſch, es iſt Die ziemlich allgemeine For de⸗
rung erwacht, wit angemeſſenem Fleiß den geogzaphifchen Unterricht in
der Schule anzubauen, um befimmte Reſultate für das Bebürfnig des
Lebens zu erzielen, und nah binterlegter Schulzeit einen befriedigenden
Schatz geatraphiſchen Willens, fowie eine genügende Befähigung zur
Hrientirung in geographiſchen Verhaͤltniffen den verſchiedenen Berufs⸗
kreiſen zuzuführen. Je nach der Stellung der Schule kann der Umfang
die ſea Schatzes, dat Maaß dieſer Befähigung verſchieden ſein; aber den
völligen Mangel beider will men fortan um fo weniger mehr entſchul⸗
digen, ald ed ohne Bweifel auch von fittlicher und namentlich pas
triotifcher Bedeutung ift, daB auch der geringfte Hann im Volf wer
nigſtens fein Baterland kennen foll, um as auch recht lieben zu können.
Gerade hierin Liegt ein eigenthümlicher Charakterzug der neuern
Zeit, und es begreift fi daraus, daB fo viele Kedern und Grabftichel
fih in Bewegung feben, die mannigfaltigſten Hülfsmittef"zur leichteru
und gründlihern Aneignung geographifcher Kenniniffe zu fchaffen, und
daß mehr ats früher das vaterländifche Gebiet der Tummelplag der
Lernenden Kräfte geworden if. Denn Geographie if ja freilich ſchon
feit langen Jahren gelehrt und gelerut; aber das eigene Vaterland
wurde vormals bei Weiten nicht mit jener eminenten Vorliebe Gegen⸗
Rand des Lerneng, als heut zu Tage. Bielmehr waren die Propors
tionen von Kraft und Zeit, welche dem Baterlande zugewendet wurden,
nur wenig günftiger als die, welche jedem audern Lande gewährt wurs
ben. Der für nötbig erachtete allgemeine, univerfelle Bid, dem ein
Land wie Deutſchland im Vergleih zu andern und zun Ganzen der
Ländermaſſen leicht zu unerheblich ſchien, weil feine nähere Beachtung
von dem ganzen wiflenichaftlichen Princip feitab gelenkt hätte, geſtattete
Beine Bevorzugung eines einzelnen Landes, felbft wenn ganz ausgezeich⸗
nete Beziehung deſſelben dazu eingeladen hätte. Seit jedoch die Aufs
merkſamkeit auf das eigene Baterland fozufagen zu deſſen Neuentdedung,
zur Auffindang gar vieler bemerkenswerther Beziehungen, zur Erkennung
früher kaum geahnter Ratur-Zujammenhänge, und zu der Ueberzeugung
bei einer nicht unbetraͤchtlichen Zahl flimmberechtigter Männer geführt
bat, daß bier. ein des befondern Fleißes auch im mehr als einer Bes
ziehung bejonders würdiger Gegenſtand vorliege, hat fih das Verhältniß
ber Beachtung des Ganzen und Einzelnen begonnen, nahezu umzukehren.
Dennoch iſt ed nicht dag patriotifche Intereſſe allein, was Diefen
Umfhwung hervorgerufen bat, fondern auch das ‚wiflenfchaftlihe Streben
Sat daran infofern feinen guten Antheil, als es auf beſtimmtem, nahe⸗
gerücktem Boden, an den tauſend Lchensfäden anknüpfen, Die Mannig:
faltigfeit der geographifchen Momente zur Erhöhung des Interefles an
Der Sache ſelbſt dargelegt und zur beichrendfien Anſchauung zu erheben
geſucht Hat. Die Gengrapben von Zach haben wohl auch früher das
eigne Baterland genau gekannt, aber im Volke iſt das Intereffe für dieſe
Kenniniß nit ſehr verbreitet und fehe groß geweſen, und in den
Schulen if fie wobl nicht zu felten in fehr todtes Werk verlaufen. Jeßt
Nade, Iahreöberiht. X. :28
434 Geographie.
it das zum Theil ſchon anders, zum Theil wird es fort und fort in
beffernder Weiſe auch in den kleinſten Schuffreifen andere. Dan ertennt
das aus den literarifchen Jahreserſcheinungen nicht zu undeutlich heraus.
In den zahlreichen Leitfäden ift eigens den vaterländifchen Gebieten,
wie billig, der meifte Raum und Nachdrud verliehen, und in den Karten
find dieſe Gebiete am meiften fpezialifirt. Alſo iR in dieſen Stüden
ein Bebürfniß erkannt, dem in unfern Tagen mit mehr Angelegentlich«
feit als früher Befriedigung bereitet wird.
Wegen des ununterbrochenen Eifers um die Körderung der Wiſſen⸗
haft ſelbſt, und wegen des Strebens, deffen Ertrag mit Erfolg aud
in weitere Kreife zur Freude und zur Weiterbildung daran zu benußen,
ja felbft die Volksſchule daran participiren zu laffen, foweit es ſich mit
der Natur der Sache und mit dem praftifhen Bedarf diefer Schule rechts
fertigen läßt, ift auch die geographifhe Lehrmethode immer noch im
Fluß. Sie bildet ein Object, worüber bis diefe Stunde vielerfahrene
Schulmänner nod ihre Anfichten weiter cultiviren zu mäflen glauben,
und worüber den minder erfahrenen in mehrern pädagogifchen Organen
noch immer allerlei Winke zu unterrichtlicher Behandlung gegeben werden.
Wie viel auch feither bereits über geograpbifche Methode gefchrieben,
und wie wenig zumal die jegige Zeit noch von Enthufiasmus für Vers
befferung derjelben hingeriſſen zu werden pflegt, fo bat doch auch das
verfloffene Jahr feinen Beitrag zu diefer Brage nicht vorenthalten. Es
läßt fich im Allgemeinen jedoch feine radicale Umänderung der feit Jahren
befonders praftifabeln Methode mehr anerkennen; das Neue befchräntt
fih nur auf Modifteationen eines Berfahrens, welches in feinen Grunde
zügen früheren Jahrzehenden angehört. Und es feheint auch mehr auf
Flüffigerhaltung methodifcher Behrebungen und Erwägungen, als auf
viel radical Neues abgefehen zu fein; als wolle man den Gefahren gei⸗
fliger Stagnation auf geographifchem Unterrichts» @ebiete wehren, wo
allerdings die Gelegenheit zu Pedanterie und Einfeitigfeit, wie zu vers
fhmimmender Allgemeinheit nahe genug liegt.
Mit diefem Streben gebt in neuer Zeit mehr denn je das Bes
fireben Hand in Dand, befonders der reifenden, wie der gereiftern
Jugend mit Hülfsmitteln zu geographiſcher Weiterbildung nützlich zu
werden. An fih ift das Streben gewiß ganz loͤblich; aber die Richtung,
welche es in verfchiedenen Schriften findet, ift Doch eben fo wenig uns
bedenklich. Neben mehreren fehr empfehlenswerthen, dahin einfchlagenden
Schriften nämlich erfcheint auch das eine und andere, dem der Ernf der
Sugendförderung in höherem. Grade fremd if, als die Specufation auf
buchhändterifhes Honorar. Es tft recht flüchtige und Leichte Waare anf
den Markt gebracht, welche mit viel Oberflächlichkeit und außerem Schein
die Prätenfion wohlgemählten Stoffes verbindet und leiht den Unfundi«
gen täufcht. Berechnet auf Befriedigung eines nach Seltfamfeiten ſtehen⸗
den Sinnes, haben folhe Bücher für die Jugend ihre befonderen Bes
denfen, da fie den Geſchmack an folideren Schriften abflumpfen. Bei
der Fülle bereits präparirten Materiald wäre es zwar Beine übergroße
Mühe, etwas Gutes zu liefern; aber man kann fi bei dem Blicke auf
Geographie 435
einige der für Die reifere Jugend, oder auch „für das Haus’ beſtimmte
Schriften des Gedankens Teichtfertiger Bücherfabrikation kaum erwehren,
fo principlos und fo bunt gemifcht find diefelben zufammengefchrieben.
Es if durchaus nicht als ein unberechtigtes Bemühen anzufehen, neben
den fireng wiflenfchaftlichen Büchern, fei e8 zum Zwed belehrender, oder
vorzugsweife geiftvoll unterhaltender geographifcher Lectüre, auch andere
Schriften zu verfaflen, welche der ernften Strenge ſich infoweit enthalten,
als fie nicht Angflih auf Gontinuität des innern Sachzufammenhanges
Bedacht nehmen, fondern vielmehr bejonders Iehrreiche und zugleich an«
fprechende SHauptpartieen hervorheben, um an ihnen eine Quinteflenz
deffen zu geben, wovon ein Gebildeter fih gern Kenntniß erwirbt, ohne
nah den wiflenfchaftlihen Zufammenhängen und Begründungen weiter
zu forichen. Aber ein ſolches Bemühen ifk immer gar weit von Der
Sorglofigfeit verfähieden, womit ein geographifches Potpourri abgefagt
zu fein pflegt.
Die Thatjache, daß einerfeits die Förderung geographifcher Wiffen-
fhaft einen entfchiedenen rüdwirkenden Einfluß auf den vorbereitenden
wiſſenſchaftlichen Schulunterricht ausüben muß, welcher — wie die Er»
fahrung gelehrt bat — leicht dahin kommt, die Anforderungen des prafs
tifchen Lebens zu ignoriren; fowie daß andrerfeits auch in der Schule
der geographifche Unterricht der Verirrung leicht unterliegt, flatt fih auf
beflimmte, bedeutfame Lehrftüde zu befchränfen, in zufällige, ausgedehnte
Schilderungen zu verfließen, aus denen Kinder den behaltbaren Kern
nicht herausfinden: das, und noch anderes hat dazu beigetragen, in
neufter Zeit das Augenmerk fefter auf das Bedürfniß des praftis
then Lebens zu richten und feine Anforderungen an geographifche
Unterweifung in der Schufe beftimmter zu formulicen. Insbeſondere iſt
dies für die Volks- und Bürgerfchulen, fowie für die Nealfchulen ger
ſchehen, und die geographifche Literatur reflectirt die Modalitäten der
Anforderungen für diefe Schulen ziemlich Tenntlich und beflimmt. Wie
fer im Ganzen genommen aber gegenwärtig auch die Kategorien des
geographifchen Lehrftoffs für diefe Schulen beftimmt fein mögen, inner«
halb diefer Kategorien iſt der Stoffwahl und der unterridtlihen Bes
handlung doh noch viel Spielraum belaflen. Daher fann es nicht
under nehmen, in den verfchiedenen Lehrbiüchern und Keitfäden einer
fo großen Ungleichheit im Maaß des Stoffs, wie in den Proportionen
feiner Hauptflüde zu begegnen, — eine Erſcheinung, die theils mit den
perfönlichen Anfchauungen ihrer Verfaffer, theild mit den gegebenen, mehr
oder minder günftigen Schulverhältniffen, in welchen fie meiſtens felbft
praktiſch thätig find, im innigen Zufammenhange fteht.
Der diesjährige Bericht wird es, um das bisher Angedeutete in
Kürze näher darzulegen, zu thun haben mit den Bemühungen und
Rathſchlägen, welde neuerdings zur Förderung des geographifchen
Schulunterrihts und feiner Methode befannt geworden find, mit den
Befirebungen, welche die Einführung geographifcher Kenntniffe in die
Kreife der reiferen Jugend und des Volks zum Zweck haben, mit
den neuern Bedanfen über Feſtſtellung des praftifchen Bedürfniffeg
28*
436 Geogtaphie
bei der geographiſchen Schulunterricht, und mit dem im Leben
tHatfählich befiehenden Verhältniß des geographiſchen Schule
inferrichts zur Wiffenfchaft wie zu Ben Anforderungen ber neuern
Hhagogit und Didaktik und des praktiſchen Lebens.
f. Forderung des Be Schalumierrichts und feiner
ethode.
Die Nothwendigkeit des geographiſchen Schulunterrichts iſt
felt einer nun ſchon langen Reihe von Jahren unter den urtheilsfähigen
Shulmännern ein unbeflrittenes Arlom, ein paͤdagogiſcher Glaubens,
artitel. Wer dent Gange der Entwidelung der VBerhandfungen über
diefe früher disputabele Frage gefolgt ift, weiß es, daß den eindring«
lichen Anempfehlungen und der mit beredten Worten verfochtenen Eins
führung der Geogtaphie in die Schulen viel Adfelzuden und Kopfſchüt⸗
tein, befonders in ländlichen Schulkreiſen, entgegengeftellt if. Gegenwärtig
It auch in Iehfern die Sache als ausgemaht. Wenn vor nicht vielen
Ponaten in ein paar größeren Rehrerverfannmlungen die Nothwendigkeit
der Geographie auch in der Volksſchule noch zum Beſchluß erhoben wer⸗
den mußte, fo fleht das allerdings wie ein befremdlicher Anachronismus
Aus. Denn, obwohl über andere dahin einfchlagende Momente die Acten
noch offen find, über die Nothwendigfeit diefes Unterrichts find fle laͤngft
geſchloſſen; das Urtel darüber ift gefällt. Aber jener Beſchluß tk Immer
noch lehrreich. In jenen Berfammlungen muß e8 nody Elemente gegeben
haben, für die eine ſolche Entjcheidung noch erforderlih war; weldye
alfo erſt allgemach hinter den andern Schulmännern herfommen, Dit,
durch Studium und praftifhe Erfahrung fachlich und methodiſch gereift,
längft Über die Fragen der Zuläffigfeit, Näthlichfeit oder Nothwendigfeit
ber Geographie in der Schule ein begründetes und klates Urthell er-
worden und demgemäß fi in der Schule eingerichtet haben. Wer kann
19 das wundern laffen, fo lange er audy in andern Dingen es fort und
ort waßrnehmen Tann, daß pädagogifhe Wahrheiten, von den tüchtigern
Kräften längft erobert und benußt, nod immer von Männern angefocdhs
ten werden, deren beſchränkter Arbeits» und Gefichtöfreis nicht ſelten mit
einer geringern Befähigung und Erfahrung Hand in Hand geht! Letztere
flegen die Erfahrungen und Rathſchläge der erfteren gewoͤhnlich für ihre
eziellen Berhältniffe als unzutreffend zu erachten.
Man wird fih aber Feiner Illuſion bingeben dürfen bei dem Glau⸗
Den, daß überall, wo die Nothwendigkeit geographifchen Schulunterrichte
in thesi zugeftanden wird, derfelbe in praxi auch angemeflen und ums
fichtig gepflegt werde. Theorie und Praris coincidiren nicht immet.
Dennoch if jenes Zugeſtaͤndniß ſchon von einiger Wichtigkeit, und ſollte
es nur fein, um ein Selbftgericht über etwaige mangelhafte Prazis zu
jeden. In Folge der Anerkennung der Nothwendigkeit der Geographie
n allen Schulen hat fi die einſichtige Sorge der richtigen Auswahl,
Eaographie, gi
Mliederung, Anordnung, mehr oder minder egacten Begraͤnzung des geg«
graphifchen Materials, ſowie den Mitteln und Wegen RP womit
und wie diefer Unterrichtsgegenftand den Schülern erfolgreih nahe ger
bracht werden fann. Welche Wahl und Anordnung getroffen if, welche
Hauptwege als die fachentfprehendften, am ſicherſten zum Ziele führenden
erfannt, welche wefentlihen Hülfen dabei erforderli, welche Didaktlj
Rüdfihten dabei zu nehmen find: dies und noch vieles Andere iſt In
den feitherigen Bänden des Pädagogifchen Jahresbericht? im Einzelnen
wie in der Summe zur Genüge auseinandergefeßt. Es wird alfo dar⸗
über weiterer Nachweifungen um fo weniger bedürfen, als die Kenntnifs
nahme von dem in den Früßern Jahresberichten VBorgeführten Jedermann
in den Stand feßen kann, theils die Altern, theils die neuern und neuften
Anſichten darüber In genfgender Umfaffung kennen zu lerven. Vöollige
Uebereinſtimmung in den Mitteln und Wegen beim geographiſchen Schul⸗
unterricht daxf man nicht erwarten wollen. So lange das friſche Ay»
beitsleben denfender Schulmänner in Iebendigem Fluß ift, Tann feine
Uniformität erwartet werden; fie if auch weder nöthig, noch wuͤnſchens⸗
werth. Das Biel ift mit großer Einhelligfeit als das gleiche erkaͤnnt;
aber in den Wegen und in den ſachlichen wie formellen Mitteln, es
erreichen, herrſcht noch jetzt eine große Verſchiedenheif. Wo letztere wit
ebenfoviel gründficher Einficht als tactpoller Umficht angewendet merden,
fol au eine billige Berückſichtigung der individuellen Berhättniffe um ſo
weniger ausgefchloffen werden, als gerade der Anpaſſung an die Indivis
duellen Berhältniffe in vielen Fällen überraſchendere Erfolge erzielen hilft,
als folhe bei Benugung fremder Schablonen erreihbar fein würden.
aralteriſtiſche Selbftftändigfeit hat Aberall im praktiſchen Schulleben
ipre Berechtigung, fo lange fie die wefentlihen Aufgaben des Unterrichts
im Auge behält. — |
Lernen wir nun fennen, was im Laufe des perfloffenen Jahres zum
Theil zu weiterem Ausbau, zum Theil zu Anregung neuer Gedanken
Zörderfames für den geographifhen Schulunterricht und feine Methode
Öffentlich zur Erwägung gebracht worden ift.
1. Erzielung geographiſchez Anihauungen.
a. In der „Pädagogiihen Monatsfhrift für die Schweiz’ von
Grundolzer und Zähringer (1. Jahrgang 5. Heft S. 147) fagt ‚ein
ShulsInfpector in feinem Bericht über Prüfungen in Graubündener
Schulen: „Dem geographifchen Unterrichte wird die meifte Zeit des
widmet, und die Leiftungen treten darin aud am entſchiedenſten hervbr.
Die Schüler zeigen recht gute Kenntniffe; nur bleibt das Wiſſen, das
in einigen Schulen vermittelt wird, zu fehr nur Wort» und Gedaͤchtniß⸗
fahe. Es fehlt die Anfhauung Biel zu wenig wird von den
Lehrern darauf hingewirft, von Land und Bolt klare, begrenäte
Bilder zu entwerfen, antnüpfend an die Heimath und nädfte Ums
gebung. Auch im Orientiren find viele Schüler zu wenig geübt.“
Diefer Bericht if ein [höner Spiegel für den geographifchen Unter⸗
438 Geographie.
terriht auch in andern Schulen. Die Schäden, worauf er bindeutet,
find keineswegs bloß in Graubündner Schulen heimifh, und die genanns
ten Heilmittel find auch nicht bloß zum Repariren zu verwenden. Auf
leere Gedaͤchtnißbelaſtung foll diefer Unterricht nicht abzweden; fein riche
tiges Ziel ift unter Anderem: fichere Orientirung und Gewinnung klarer
Anfhauungen von der Natur und dem Menfchenleben in den verfchies
denen Ländern, im Anſchluß an die gründliche Kenntniß des Heimaths⸗
und des Baterlandes. Diefe Anfhauungen aber laffen fih bei der ges
gebenen Beitfürzge und den gegebenen Schülerkräften nicht über alle
Länder der Erde gleichmäßig fpeziell ausdehnen; fie find deshalb nur
auf harakteriftifche, repräfentative Gebiete zu beſchränken. Das fchärfen
ältere und neuere Stimmen in der pädagogifchen Welt immer wieder ein,
zumal für die Volksſchule.
b, Mit Rüdfiht auf Iehtere gibt F. Wagner im „Mecklenburgi⸗
fen Schulblatt, von Wächtler und Kliefoth (7. Zahrg. 1856. Ar. 17.
18. 19) in feinen Worten: „Zum GeographiesUnterricht in der Volks⸗
ſchule“ einige befondere Winke. Wagner Tchließt fih dem bekannten
Lehrgange von der Heimath aus zum engern Baterlande, dann zu Deutſch⸗
land, zu den Erdtheilen und zur Erde als Weltlörper an, ordnet feinen
Stoff jedoch fo, daß er über die außereuropäifchen Erdtheile und Europa
zu Deutfhland und dem Heimathlande zurückkehrt, und am Schluß des
Ganzen erft zu den nothwendigen Belehrungen aus der mathematijchen
und allgemeinen phyfiſchen Geographie übergeht. Bei der Vorbereitung
auf die Heimathlunde foll die Drientirung nah den Simmelsgegenden
eingeübt, und das Bewußtfein über naheliegende geographifche Begriffe,
wie über die Beichäftigungen der Leute gewedt werben. Wegen der
fpätern Befhäftigung mit dem Kartenzeichnen legt der Berf. auf
das Zeichnen der Windrofe befondern Werth, ebenfo auf das allmähs
liche. Entftehenlaffen der Karte vom Heimathsorte vor den Augen der
Kinder, bis zulept der vom Lehrer felbft gefertigte Plan in feiner Voll⸗
Rändigkeit, und außerdem noch eine Karte der 3—A Meilen weiten Ums
gebung vorgelegt und benupt wird. Kenntniß der Bodengeflalt und
Bodennatur, der Beichäftigungen der Leute in Stadt und Land, ber
charakteriſtiſchen Sitten und Gebräuche der heimathlichen Gegenden, der
wichtigen Drtfchaften: das etwa if der Umfang des Anfangs unter
rihts, in welchen noch die Kenntniß von Deutfhland „in groben
Umriffen‘ und eine „allgemeine Weberfiht über Europa mit hineinger
zogen werden foll.” Nur die großen Gebirgs⸗ und Fluß⸗Syſteme Deut ſch⸗
Sands, die wichtigften politifchen Eintheilungen und bedeutendfien Städte
follen zur Unterfcheidung und Einprägung gelangen, und durh & Has
tatterbilder vom Leben und den Beichäftigungen der Leute aus ver⸗
fchiedenen deutfchen Gegenden (nach Grube u. U.) belebt werden. Und
bei Europa find zunähft nur die einzelnen Länder zu unterſcheiden
und mit ihren Refidenzflädten zu merken. — Die folgende Stufe des
Unterrichts führt die Erde als Ganzes am Erdglobus und an Planis
globien vor, geht alsbald näher auf die Zonen-Eintheilung ein, und bes
nupt die Dadurch gewonnene Bafls zu Charakteriflifen großer Erdräume
Geographie. 439
und der Eigenihämlichkeiten ganzer Bölker (3. DB. bei Amerika:
Bampus, Prairien, Urwälder, große Stromfpfteme, die Anden als Ganzes,
GharaftersZhiere und Charakters Pflanzen Amerifa’d. Driginelle Volks⸗
fämme und ihr Leben. — Aehnlich bei den übrigen Erdtheilen, nur
iR Europa und darin irieder Deutfchland und das engere Vaterland nun
fpezieller zu behandeln.) Die mathematischen Belehrumgen denkt fi
Wagner in der bekannten Hebel’fchen Weife.
Man fieht Hieraus deutlih, daß die zu erzielenden lehendigen An⸗
fhauungen dur die Charakterbilder vermittelt werden follen, und
würde nur Bedenken haben müſſen, wenn dergleichen ohne Weiteres nad)
Grube's an fih fo werthvollen Charakterbildern gegeben werden ſollten.
Für die Volsſchule find diefelben gar nicht direct beſtimmt und nicht
ohne eigens vorgenommene Umarbeitung verwendbar. Aber Wagner hat
noch den andern Gedanken, dieſe Bilder nicht bloß in Worten und
Schilderungen, fondern in wirklichen Abbildungen und zwar fo
vorzuführen, daß Ieptere durch ein großes BanoramensGlas, ähnlich
wie bei Guckkaſten, bejehen werden. Das ift neu *. Abbildungen
charakteriftiicher Landfthaften und Gegenden gibt es in Menge; es wäre
nur eine Auswahl davon anzufchaffen. Ihre Beichauung durch Guck⸗
Taten « Öläfer dürfte Kindern wohl eben fo angenehm als lehrreich fein,
und würde eine nicht zu verfennende Steigerung des Intereſſes, wie der
Anfchaulichkeit im Gefolge haben. Es fragt fih nur, ob die Ausfühs
sung in gefüllten Klaffen nicht auf manche Bedenken ftößt? Beitraubend
iR das Bilderbefehen, wobei hoͤchſtens zwei Kinder gleichzeitig heran⸗
fommen tönnen, jedenfalls, und Unzuträglichfeiten für die Disciplin in
der Klaffe dürften auch fchwer vermeidlich fein. Aber es liche fih wohl
eine angemeflene Kortführung des Unterrichts beim Bilderbefehen, und
eine Befeitigung etwaiger Störungen denken, vorausgefept, daß Ver
Lehrer ein umfichtiger Mann ifl.
Bas Wagner über den maaßgebenden Gefihtspunft heim
geograpbifchen Unterriht in der Volkoſchule jagt, der nämlich der hrift-
lihe und yatriotifche fein fol, und der u. U. in der Rückſichtnahme
auf die Miſſtonsfelder fich zu befunden hätte, das foll weiter unten
erörtert werden, da wo aud Anderer Gedanken hierüber Erwähnung ges
fhehen wird. Ebenfo wird auch weiter unten auf das Kartenzeichnen
in der Bolfsfchule zurüdgelommen werden. Ueber den Gefammts-
Plan Bagner’s im Einzelnen bedarf es keiner Bemerkungen weiter. Das
Für und Wider lehren die früheren Jahrgänge des Bädagogifchen Jahres»
bericht fpeziell genug. Hier kam es nur auf Hervorhebung der Ans
fhauungen, welche durch Eharatterbilder vermittelt werden folken,
an. Man wird zugeben, daß auch diefe nicht ohne Weiteres ausreichen,
um ein treues Bild der geographifchen Berhältniffe ganzer Exrdiheile vor
*) Bereits feit einigen Jahren habe ich interefjante Gegenden und Ges
baude mitteld eines Inſtrumentes, das man bei Optikern unter dem Namen
olyorama erhält, mit beftem Erfolg im geographifchen Unterriet verans
chaulicht. A. Luben.
440 VGecsgraphie.
der Seele eines Schulers zu erzeugen, wenn nicht noch beſondere Süffen
Dabei angewendet werden. Es iſt ſelbſt Erwachſenen noch ſehr ſchwer,
Dergleichen Bilder zu gewinnen, wenn fie in ihrem Lebens⸗ und Ans
ſchauungskreiſe der Anſchauungs⸗ und Bergleihungspuntte entbehren.
Das Reſultat alles Redens, Schilderns, aller Bilderbetrachtung und aller
Sharaftergemälde bleibt nur zu oft amd Bei nur zu Vielen ein wenig
befriedigendes.
e. Nach dem „Schleswig⸗Holſteiniſchen Schulblatt“ von Kirchmann
(17. Jahrg. 1855. Aprilheft S. 157) wurde ſchon im IX. Pädagogifchen
Jahresberichte S. 240 der „Fahlen im Geographie⸗Unterricht“
gedacht. Denſelben Gegenſtand hat zum Behuf der Erzielung größerer
Anſchaulichkeit Jemand (Chiffer E. A. ©.) in Berthelt's „Allgemeiner
deutſcher Lehrerzeitung (1856. Nr. 21) noch einmal aufgenommen, um
eine entſprechende Vorſtellung von der Groͤße einer Cubikmeile ans
zubahnen. Sämmtlide Städte, Dörfer, Schlöffer, Bauwerke, Schiffe ꝛc.
in allen Erdtheilen zuſammengenommen, füllen den Raum einer Kubik⸗
elle kaum zur Hälfte! Alles Stroh und Baumlaub auf Erden reichte
erſt etwa bin, um ein weiches Lager für die Menfchen und Thiere zu
ſchaffen, mit denen die gweite Hälfte — obwohl aud noch nicht ganz,
- zu füllen wäre. Bei 2 Fußbreite gehen 12000 Menſchen in eine Reihe,
bei 6 Fuß Ränge aber 4000 Reihen in eine Schicht, d. h. 4000 X 12000
z= 48 Millionen Menfchen, alfo etwa fo viel als in Amerika leben.
Sanmmtliche Menfchen auf Erden geben erfi 20 folder Schichten und es
müßten 290 Mat fo viel GErdbewohner, als wirklich leben, vorhanden
fein, um 4 SKubitmeite zu füllen! Deshalb werben, außer allen Men⸗
ſchen, auch alle lebenden Thiere noch in den Raum zu füllen fein, ımd
Das Fehlende würde noch Raum zu großen Felfenmaffen bieten! Kine
Maſchine, welche in jeder Secunde einen Ziegelſtein von 1 [I in den
Raum einer Kubifmeile legt, würde in einem Jahre erfi 81,536,000
Steine Tiefen, während die Bodenfchicht Des Raumes 24000 X 24000
== 576 Millionen erforderte! Erf in etwa 18 Jahren bei Zag und
Macht fortgefeßter Arbeit würde die Bodenſchicht einen Fuß hoch, alfo
eh in 438,356 Jahren 1 Stunde 26 Minuten und 24 Secunden ber
ganze Raum einer Kubikmeile gefüllt fein!
Es mag immerhin einmal gefhehen, durch ein foldhes frappantes
Beiſpiel der Leichtfertigfeit bei dem Nennen ungeheuver Zahlen, ohne
innere Borftellung ihrer Werthe, ermtgegenzutreten; im Ganzen muß c6
dennoch beim kurzen Nennen folder Zahlen — felbft ohne Die volle Bes
deutung zu würdigen — in der Schule fein Bewenben behalten. Uebris
gene hat man es nicht immer mit großen Bahlen zu thum; es fehlt
auch bei Meinen häufig den Kindern bie Mare Borfellung ihrer Werthe.
Mit Rüdficht hierauf mag obiges Beiſpiel daran erinnern helfen, daß
es im praktiſchen Unterricht gut fei, öfter durch angemeflene Werthver⸗
gleihungen jener Vorftellung nachzuhelfen. So z. B. bei Vermittelung
der anſchaulichen Auffaſſung gewiſſer Entfernungen, Flächengröͤßen, Ber⸗
geshöhen.
d. Wenn eine zweckmaͤßige Vorbereitung des geographiſchen Unter⸗
n
Sengranhie. | äg1
richts durch die Elemente der Ortss und Horizont⸗Kunde, durch klares
Sprechen, richtiges Vorſtellen der nächfen geographiſchen Verbältniffe,
durch Zuhülfenahme bildlicher Darfellungen; wenn ferner ausgeführtere
Charakterbilder, vielleicht unterftügt durch Abbildungen von Landfchaften
u. drgli, wenn überlegies Kartenzeichnen, und veranfshaulichende Ders
gleihungen direct dem geographiichen Unterrichte bei Erzielung fachges
mäßer Unfhauungen zu gut fommen; fo darf nit vergefien werden,
Daß die Erreichung dieſes Zieles imdirect von einer weilen Bes
fhräntung des Stoffes und von einer planmäßigen, verfändigen
Behandlung deffelben gar wefentlih mit abhängig if. Ueberall, wo
man pädagogifchen Heußerungen über den geographiſchen Bolfsfchulunters
riet begegnet, veden dieſe gerade in unfern Tagen mehr als früher der
Stoffbeſchränkung das Wort, weil hierin die Möglichkeit zur Ges
wiruung gerubiger, Harer Anichauungen, bei den fonft obwaltenden Ber,
hältniffen, wefentlich mit begründet if. Diefe Beſchraͤnkung bleibt eine
Hauptbedingung alles guten Erfolge. In Nädfiht auf Blanmäßig-
Leit des geographifchen Unterrichts if in neuerer Zeit faft einige Ger
fahr erwachſen, welche mit der Benutzung des Leſebuchs dabei zuſam⸗
menhängt. Es if gut, daß fich auch jeßt immer von Neuem nod Stim⸗
men für die Planmäßigkeit äußern.
2. Planmäßigkeit.
a. Die „Volksſchule“, eine pädagogiſche Monatsſchrift des
Bürtemberger Volksſchullehrer⸗Vereins (herausgegeben vom Mufterlehrer
&. 3. Hartmann in Nürtingen) bringt im Sahrgange 1856, 6. Heft,
eine längere, fehr beberzigenswerthe Abhandlung des Schulmeifter Luz in
HOeubach: „Gedanken über den geographifcdhen Unterricht in
der Volksſchule.“ Dem Berf. hat in feiner früheren Stellung ale
Seminarlehrer fi ohne Zweifel viel Gelegenheit Dargeboten, den geos
graphiſchen Unterricht nad feiner wiſſen ſchaftlichen Seite aufzufaſſen,
und feine Schüler deren Weſen und Bedeutung wenigſtens durch bes
meſſene Andeutungen kennen zu lehren. Als nunmehriger Volksfchullehrer
wird er den praßtifhen Bedürfniſſen der Volksſchule unmittelbarer haben
in's Auge ſchauen Lönnen, fo daß feine Aeußerungen um fo lehrreicger
werden, da fie mit Berüdfihtigung der Anforderungen der Sache, des
Lebens und der Volksſchule getban werden. In wie fern nur ernente
Ginfhärfung bereits befannter Bxforderniffe und Gedanken, oder weſent⸗
lich Neues darin geboten wird, kann ein Refume derſelben am beſten
lehren; ebenfo in welchem Berhältniffe feine Brundanfhauungen fern von
aller Neberſchwenglichkeit zu den auch von andern Praktileın gehegten
en.
Luz zieht um des Bedürfnifies im praktiſchen gewöhnlichen Bolls-
leban willen die Geographie allen andern RealsLehrgegeuftänden, ſelbſt
der GSeſchichte, vor. Ohne der Geſchichte ihre ‚größere Bedeutſamkeit
für die Eharakterbildung gu befreiden, weshalb er fie in geeigneten
Bartieen der Hhexklaſſe der Volksſchule als obligatoriſch vindicirt, if
"442 Geographie.
er doch der Meinung, daß fie dem Volksleben ferner liege, als die Geo⸗
graphie. Mit diefer Meinung, welcher ats einer gegenwärtig jedenfalls
noch fehr disputabeln nicht ohne Weiteres beizuftfimmen fein dürfte, ſteht
es im Bufammenhange, daß er eben fo gegen eine fletige unterricht⸗
lihe Berbindung der Gefchichte mit der Geographie, ald gegen die
beute vielfeitig geforderte Goncentration der Volksſchul⸗Lehrgegen⸗
fände if. Er will jedem ſelbſtſtaͤndigen Lehrgegenftande auch feine Selbſt⸗
fländigfeit gewahrt wiffen, um feinen unnatürlich zu beeinträchtigen, und
ftreitet deshalb gegen das Bemühen, entweder die Sefchichte gelegents-
tich beim Unterricht in der Geographie mit zu abfolviren, oder umges
kehrt. Hiſtoriſch Wichtiges im geographifchen Unterrichte mit anzudenten,
ift eben fo zuläffig als räthlich, alterirt jedoch die ſelbſtſtändige Stellung
Ber Geographie und Geſchichte auch in der Bolksfchule nit. — Mit
diefer Anfhauung vom Volksfchulunterricht tritt Luz neuern Anfihten
direct entgegen, welche namentlich Angefihts der factiſch beftehenden Volls⸗
ſchulverhaͤltniſſe ſowohl jener Kombination, als diefer Goncentration das
Bort reden (cf. darüber die früheren Jahrgänge des Päd. Jahresberichts).
Weit ſelbſt der fchlichte Mann im Voll am häufigften auf allerlei Geo⸗
graphifches gelenkt wird (durch Hören und Leſen von Auswanderuns
gen, Reifen, fremden Ländern, Staaten u. f. w.), fo tritt ihm das Bes
dürfniß geographifhen Wilfens näher als andere reale Wiſſens⸗
zweige. Aus dieſem runde erfcheint die Pflege geographifcher Beleh⸗
rungen in der Volksſchule hinreichend gerechtfertigt. Zhatfählih kommt
aber gegenwärtig an vielen Orten noch nichts Befriedigendes, in den
Stoffen und in den Beiten Zufammenhängendes dabei heraus. Deshalb,
meint Luz, fei, wenn etwas Ordentliches werden folle, eine „ener giſche
Neform des geographifchen Unterrichts‘ nothwendig.
Die Geographie hat die Aufgabe, eine finnige, lebendige, frifche, ans
ſchauliche und treue Befchreibung der Erde zu liefern, in fräftiger, charak⸗
teriffifher Ausprägung des Darzuftellenden. Die Löfung diefer Auf⸗
gabe richtet”fihh nach den befondern, dabei zn verfolgenden Zwecken; fie
wird eine andere da, wo e8 wiffenfchaftliche Behandlung überhaupt
gibt, eine andere für populäre Belehrung Erwachſener, und eine
andere bei der volfsfhulmäßigen Elementar-Geograpbie.
Leptere, welche nur grundiegende Anfänge bieten fol, muß alle Wiffens
ſchaftlichkeit und ſyſtematiſche Vollſtändigkeit bei Seite laffen, und flatt
magerer Belehrungen Iebensfrifche Belehrungen geben, fo daß das Merk⸗
würdigfte und Wichtigfte voll greifbaren Inhalts, Kern und Leben, eins
fach aber charakteriſtiſch geſchildert wird, und daß der Schüler fehon frühe
fih im Allgemeinen Mar und orbentlih auf unferm Wohnplatz orientiren
lernt. Bu diefem Ende legt Luz mit Recht viel Werth auf einen feften,
verfländigen Plan.
Indem er auf den Mangel eines für die Volksſchule volllommen
paſſenden Buche hinweiſt, worin die Erde nad ihren hervorſtehendſten
Dauptbeziehungen befchreibend kennen gelehrt werde, und an Grube's
Charakterbildern eine gewiffe Breite und Flachheit erfennen -will, welche
ſelbſt Erwachjenen feinen rechten realen Gewinn gewähre, fragt er, ob
“ Geographie. 443
feit 20 Jahren, wo der geographifche Unterricht fo weſentliche Umgeſtal⸗
tungen erfahren habe, für die Volksſchule ſchon der gehoffte große
Bortheil abgefallen fi? Er ift geneigt anzunehmen, daß er für dieſe
auch gegenwärtig weder erhöhtes Leben, noch verflärfte Neigung geweckt
babe, und daß er noch nicht zu einem ergiebigeren Bildungsmittel ges
ſtaltet ſei, welchem der denkende Geift des Kindes Liebe und Intereſſe
abzugewinnen vermöge. Vielmehr erſcheine er noch wie ein bloßer „Ein⸗
trichterungs⸗Gegenſtand.“ (Man wird, um der ganzen Wahrheit die
Ehre zu geben, wohl thun, viele rühmliche Ausnahmen fi in das Ges
dächtniß zurüdzurufen, welche allerdings einen greifbaren Kortfehritt zum
Beffern befunden. Denn in der That if das Bild, das die geogras
pbifche Unterrichts» Praris gegenwärtig in vielen Schulen gibt, an welchen
durch erfolgreichen SeminarsUnterricht verfländig vorgebildete Lehrer ars
beiten, nicht ein fo allgemein ungünfliges, als es Luz in feinem Ges
fihtsfreife noch zu finden ſcheint.) Er flügt fein Urtheil u. U. auf
die Natur der oft angepriefenen, auch jedenfalls viel gebrauchten Lehr:
bücher der Geographie, in welchen die Belebung des Unterrichts durch
eine Ueberfülle von Notizen, Raritäten u. drei. verfucht werben zu follen
fiheine, wie auf andere, deren Umfang durch Dutzende von Tabellen
(Caps, Flüffe, Bergeshöhen 30.) angefchwellt werde, und in den vielleicht
gar bie und da —* auf politiſche oder kirchliche Parteien vor⸗
kämen. Die Lehrbücher allein werden nicht ſchlechthin als Documente
für die beſtehende Unterrichts⸗Praxis gelten dürfen; letztere iſt zum Glück
nicht ſelten zweckmäßiger als erſtere es find. Aber darin hat Luz unbe⸗
dingt Recht, daß bloße Raritäten und intereſſante Notizen weder der
Befriedigung edler Wißbegierde, noch dem Denken und der geiſtigen
Elaſticität der Jugend aufhelfen, daß im Gegentheil die überſchwenglichen
Maſſen alle Mare Ueberſchau und gründliche Einſicht dem Schüler uns
möglich machen. Es if nun einmal nicht möglich, ein Land mit allen
Darin möglicherweife zur Sprache zu bringenden topographifchen, phyſi⸗
kaliſchen und ftatiftifchen Verhättniffen in der Schule vorzuführen. Ebenfo
hat er bei den bloßes Knochenwerk darbietenden Leitfäden Net, daß
fie nicht geeignet find, dem Schüler Geſchmack und Freude an ihrem
Inhalt zu erwecken, alfo Anfängern nichts nügen koͤnnen. Leider ents
fpricht manches Lehrbuch und mancher Leitfaden nicht der dafür beſtehen⸗
den Aufgabe und den aufgeftellten Prineipien, nämlich ein anfchauliches
Bild der gefammten Erdoberfläche nah ihren Hauptgebieten, und der
einzelnen Landkörper nach ihren charakteriſtiſchen Phyflognomieen zu
geben, wenngleih in ihnen viel Nachdtuck auf Gebirgs⸗ und Stroms
foReme, Producte, politifche Berhältniffe u. drgl. gelegt wird. Sie dienen
der Bielwifferei und dem Namenwerk. ‚Bo find die Tandichaftlichen
Bilder, die Detailgeinälde, die Charakterzüge bedeutfamer Gegenden, die
plaftifchen Darftellungen aus dem Volkerleben?“ Laufcht doch felbft das
Dorflind mit Spannung wirklich Iebendigen Darftellungen, reigenden,
abgerundeten Schilderungen, während es feine Luft an geographifchem
Lernen durch allerlei Pedanterie erkäftet und verfümmert flieht.
Die Reform, worauf Luz hinarbeitet, will er aber nicht bloß auf
444 Geographie.
Lebrbücher oder Leitfäden, ſondern auch auf bie Karten ausgedehnt
wiffen. Er hält mit Recht die Karten für ein weſentliches Bebürfniß
heim geograpbifchen Unterricht und für das fachgemäßefte Erſatzmittel
der mangelnden eigenen Länderanfhauung. Durd die Karten muß das
Wort belebt, das Borgetragene gefügt, die Auffaflung gefspärft, die innere
Regſamkeit des Kindes gewedt, ja felbit die Ausdrudgweife geübt wers
den. Es ift Thatſache, daB Kinder die ausgehängten Karten gern bes
trashten. Sie können ohnehin „von denjelben viel ablefen’, und s6
iß erforderlih, daß fie Diefelben verftehen und nach vorausgegangener
Belehrung auch erklären können. Zu diefem Zwede find die mit Namen
überladenen, wie Die afler Namen eutbehrenden Schulfarten ungeeignet.
Bei Schulkarten liegt ihr Werth nicht in der Fülle des dargeftellten
Materials, fondern In der glücklichen Gompofition eines charafteriftifchen
Befammtbildes, in Anfhaulichkeit, Deutlichleit und Ueberfichtlichkeit. In
vielen Fällen, obwohl nicht in allen, kann facliche Sründlichfeit und
Gediegenheit damit Hand in Hand gehen. Was das Kartenzeichnen
der Schüler betrifft, fo bekämpft Luz Die Angemeſſenheit der zeichwen-
ben Lehrmethode für die Bollsfhule — mit Redt —, und will es
an einzelnen, die fihere Einübung unterftügenden Fauſtzeichnungen genug
fein laſſen. Aus praßtifhen Gründen if er auch gegen allen wilfen-
ſchaftlichen Anſchluß an analytifches oder ſynthetiſches Berfahren.
„Der Lehrer ift die Seele des Unterrichts, feine Methode, fein Bars
trag it — er ſelbſt.“ Ohnehin wird jeder gute Unterrihf zulept von
ſelbſt Syntheſe. — Um nun einen feften Plan gu verfolgen, bält
fih Luz an fünf Stufen: das engere Vaterland, Deutſchland,
Europa, die übrigen Erdtheile, die Erde im Berhältujß
zur Welt. Er fordert wöchentlich 21/, Lehrftunden, und überdieß jm
Winter zur Ausführung intereffanter Bartieen wochentlich noch eine
Abendſtunde (!). Intereſſant if feine weitere Anführung deſſen, was er
im praktiſchen Unterricht thatſächlich durchgenommen, und daß er fc
dabei an das Leſebuch angefchloffen hat. (Das if für die Volls⸗
ſchulen in Würtemberg ebenfo wie in Preußen geboten.) Ohne diefe
Stoffe hier zu regiftriren, fei nur bemerkt, daß er beim engern Baters
lande alle in’s Feine gehenden, minutidfen Anführungen, fowie alle
unergiebigen,, pbilißerhaften Kleinigfeitsfrämereien abweiß, und ohne
einen förmlich ſyſtematiſchen Gang Ah nur an das Hauptfächlichkte
hält. (8. B. der Schwarzwälder und feine Beidhäftigung, der Weinbau
im Nedarland, das Salzlager im ſchwäbiſchen Hügellande, die ſchönſten
Bergfpigen im Nechar⸗ und Nemds Lande, der Bodenfee, Reife tn die
12 größten, und in die 12 durch gefhichtliche Ereigniffe, Landwirtbfchaft,
Gewerbfleiß u. dergl. intereffanteften Orte) — Bei Deutfhland
verzichtet er eben Jo auf ſyſtematiſche Vollfkändigkeit und auf Dinge
wie Aufführung aller Kleinſtaaten, der Arenlgröße und Ginmahnerzähl,
ber Grenzen, Flüßchen, Landeseintheilungen u. vig er beſchraͤnkt ſich
nur auf einzelne größere Bilder, welche nah ihrer ganzen Auswahl
über das Gebiet von den Alpen bis zur Word» und Offer ganz trefilih
geeignet find, Luft zum Lernen gu erzeugen und das Denten anzuregen.
Gevgtaphie. LT
a 25 Momente, nady dem Leſebuche herausgeböben.) — Bei beit
rdtheilen find wiſſenswürbige, großartige Einzelgemälde, land⸗
ſchaftliche Charakterbikder und Volkerſchiſderungen vol Mark und Ge
haft die Säulen, von denen das übrige Materlat getrager wird. Er
läßt fih an ifoftrten &cenen aus bem Nature und Bolferiehen bier ges
nügen; doch hat er Berem nicht weniger als über 70 ausgewählt, theit®
mehr befchreibender, theils fhildernder Natur, mit Meinern Detailbildent
durchflochten. (3.8. Juſte und Eskurial; Rom; Veſuv; Matta; Dardas
nellen; Bakuſeuer; xuſſiſche Walbungen; Polens Land und Leute; der Tun⸗
nel; chineflfhe Mauer; Kokospalme; Tigerjagd; Perlfiſcherei; Katharinen⸗
kloſter am Horeb; Kameel; Pyramiden; afrikaniſches Leben; Ebbe und
Fluth; Scenen zur See u. ſ. w.) Das find denn in der That Stücke, die
an und für fidy Iehrreich genannt werben müſſen, und zugleich für ans
derer Lehrer Hülfsmittel einen exempfiflcatorifchen Charakter haben. —
In Betreff des Stoffs für die Tepte Lehrftufe ift Luz auch der Meis
nung, daß Vieles davon nit bloß Kindern, fondern felbft Jünglingen
über ihren Horizont hinausgehe, Anderes dagegen wohl faßlich und fruchte
Bar fei, im Fall es nur ordentlich demonftrirt werde. Er bezeichnet 12
Städe; darunter: Himmelsraum und Weltall; Firfterne, Milchftraße,
Sternbilderz Thierfreis; Sonne; Planetenſyſtem; Mond; Kugelgeftatt
der Erde, Rotation derfelben und Stellung in den A Jahreszeiten; Schil⸗
berung der Zonen. Das find allerdings faßlihe Momente, wenn ihre
naheliegenden Beziehungen allein feftgehalten werden; ſonſt läßt fick
babei leicht Alles zufammenfaffen, was aus der mathematifchen Geogras
phle zu lehren bleibt. Unter allen Umftänden wirb für diefe Partieen
ein recht Plarer, elementar zu Werke gehender Lehrer erfordert; fonft
ltidet die Sache Schiffbruch.
Darauf fann nicht genugfam bingewiefen werden, daß fefter Phan
— namentiih bei Benugung des Leſebuchs — innegehalten werde. Ein
buntes Durcheinander ift unpädagogifh; Mancher fönnte aber in ge
danfenlofer Berfolgung bes „Leſebuchs“ dazu verführt werden. Des
halb dringt Luz auf nachdenfliche Vorbereitung aus dem Leieduh, und
auf wefentlih afroamatifche Lehrform im Wechfel mit der eraminirenden.
Daß er häusliche Arbeiten der Schüler — Excerpte aus dem Lefebuche,
firirende Dictate u. drgl. — verlangt, geht über vieler Schulen Zeit und
Kraft hinaus; daß er aber die Anregung gegeben wiffen will zum nründs
lichen Reprodutiren durch die Schuͤler, weil darin eine befondere Zücht
der Kraft durch Selbſtthätigkeit Tiegt, {ft Praktifern ebenſo aus der
Serle gefprochen, wie feine Empfehlung möglichft reihhaltiger Erläuter -
ring durch Bilder.
b. Eine zweite Stimme für planmäßigen Unterriht, nament⸗
Uch im Anſchluß an das Leſebuch, ift vom Director Bod im erften
Hrft (1856) des „Schulblatts der ewangelifhen Seminare Schlefiens“
erhoben. Im einem ausführlichen, fehr beherzigenswerthen Aufſatze legt
derfelbe feine Gedanken über „die Seftaltung und Behandlung
des Wnterrichts auf der Grundlage des Leſebuchs, mit befonderer Bezugs
nahme auf den 8. Theil des Volksfchuk⸗Leſebuches datr. Für den vor⸗
446 Geographie.
liegenden Jahresbericht darf die Rechtfertigung bes umſichtigen Planes
dieſes Volksſchulleſe⸗Buches, die allgemeine Stellung des Leſebuchs zum
Unterriht und die Schwierigkeit der damit zu Löfenden Aufgabe eben
fo übergangen werden, wie Alles, was nicht direct auf geographiſche
und gefchichtliche Belehrung Bezug nimmt, obgleich das Ganze feinem
Werthe nah erſt dann vollfändig zu würdigen if, wenn es als aus
einem Guffe eniftanden betrachtet wird.
Director Bock bat nicht ausfchließlih den Lehrſtoff, fondern er
bat recht eigens auch die Unterrichts zeit erwogen. Alles was jener
aus dem Naturleben des Baterlandes gibt, if auf zwei Som⸗
merhalbjahre geordnet vertheilt. Iu das Winter-Halbjahr
find die geographifchen Bilder aus Deutfchland und dem preußis
fhem Baterlande, die Rundfhau über Europa, die Eharakterbilder
aus den übrigen Erdtheilen (Geographifches und Naturkundliches
mit Nachrichten über die Miffionen verbindend), der Blid auf das Meer
und feine Bewohner, wie der Blid in das Weltall verlegt. Durd
das ganze Schuljahr aber ziehen fi, eingelegt in die naturfundlichen
und geographifchen Stoffe, Geſchichtsbil der aus der preußiſchen
und Reformation Gefchichte behufs der Feier vaterländifder
und kirchlicher Gedenftage. Die deutfhen Geſchichten und übrigen
kirchengeſchichtlichen Erzählungen find, chronologiſch geordnet, in's zweite
Schuljahr nad) den naturkundlichen Stoffen fo gelegt, daß He nach den
Sommerferien vorfommen. Es foll dabei auf Wiederholung des bereits
behandelten geographiſchen Stoffes abgefehen fein, und zugleich eine
Derwendung defielben für gefchichtlihe Zwecke unter fleter Benugung der
Karten beim geſchichtlichen Unterrichte möglich gemaht werden. Der
fpezielle Plan der Stoffvertheilung bringt im erften Schuljahr vom Des
tober an die Geographie von Deutichland, mit eingelegten Geſchichts⸗
bildern, von Weihnachten bis Mitte Februar die Geographie von
Preußen, ähnlich durchweht, und für Die übrige Zeit des Jahres bis
Dfern Europa. Das zweite Schuljahr, worin naturfundliche und
geſchichtliche Stoffe bis Ende October vorkommen, bringt yon November
an die Geographie der Nordpolarländer, Afrika's, Afien’s
und Auftralien’s bis Weihnachten, dann Amerifa, das Meer
und Blide in’s Weltall, mit Gefchichtöbildern durchflochten bis
Ende März.
Dir. Bol weiſ't ganz ausdrüdliih auf den „beftimmten Lehrgang‘
hin, der im Leſebuche vorgezeichnet fei, und den man gewiflenhaft inne
halten müſſe. „Es if einmal unabweisliche Forderung, planmäßig
den Unterricht Durch das Leien des Behandelten weiter zu befeftigen, zu⸗
fammenhängende Darftellung beffelben zu fördern und Ausdrud und
Berftändniß beim Lefen durch die Belanntfchaft mit dem Inhalte zu ers
leihtern.‘ Eine nur theilweile Verbindung zwifchen Leſen und Unter»
zicht genügt dazu nicht, wie in der gerade diefen Punkt näher ausfühs
senden Abhandlung fchlagend erwiefen if.
* Bon dem, was Dir. Bo über die Behandlung des Unterrichts
auf der Grundlage des Lejebuhs im Ganzen und Einzelnen jagt, Tann,
Geographie. 447
indem hier nur das auf Die Geographie Bezägliche kurz angeführt
werden fol, nur darauf aufmerkfam gemacht werden, daß ber Berf. dieſen
Unterriht auf der Grundlage des Leſebuchs, alfo nicht nach einem
neben dieſem einhergehenden eignen Wege betrieben, von gewiſſen⸗
bafter Borbereitung auf den Sach⸗ und Sprachgehalt des bezüglichen
Leſebuch⸗Abſchnittes getragen, und nit ohne Roth durch Stoffzuthat
angeſchwellt wiffen will. Im Cinzelnen find Zugaben jedod dann bes
rechtigt, wenn die DBerhältniffe es nöthig erfcheinen laſſen.
Weſentlich erfcheint von vorn herein die Benubung der Karte *).
Sie it auch ein Leſebuch; fie leſen zu lernen if die erfie Aufgabe
des geographifchen Unterrichts. Grenzen, Umfang, Geftalt, Flüſſe, Ges
birge, Städte, Straßen, Kanäle, Eifenbahnen, Bodengeftaltung, Bodens
natur u. f. w. find von der Karte zu lefen. „Weiter kann die Karte
nicht führen; wo fie ung nun verläßt, da übernimmt das Leſebuch bie
weitere Leitung‘; 3. B. in den Belchrungen darüber, „wie es in einem
Lande ausficht, wie in den Gebirgen, Thälern, Hauptflädten, im Leben
der Bewohner (unter den gegebenen Einflüflen der Landesnatur), in
Betreff der Erwerbszweige, des Bolkscharakters, der Volksfitte u. f. w.
Dergleichen ift dur die Landfchafts- und Lebensbilder des Leſebuchs
zu lernen. Zum feflen Einprägen fünnen nur die Hauptſachen fommen,
um alle Ueberladung des Gedächtniffes zu vermeiden. Dazu gehört zus
nahft Gewinnung eines einfachen, aber fichern Kartenbildes, welches
dann durch weiter ausführende, veranfchaulichende Bilder, die der Lehrer
frei beberrfchen, alfo felbft inne haben und verftehen muß, zu beleben
iſt. Manche Einzeldilder folgen erſt dem Unterrichte. Bei größern
9 Im 6. Jahrg. des Dfdenburgifhen Shulblatts, 1855, Nr. 18,
finden fih unter ber Ueberfährift: „Zum Unterricht in der Geographie”
ein paar Andeutungen, in denen der Berf. meint, dur das Kartenlefen
werde der wichtige Zweck dieſes Unterrichts nicht erreicht. „Das Bild der Karte
muß in die Wirklichkeit übertragen werden, damit die Schüler fih, anftatt
das Bild der Karte zu denken, das Land nad der wahren Richtung und
Gntfernung und in richtiger Lage zu andern Ländern vorftellen.” Daß das
Kartenlefen allein den Zwed des geographifchen Unterrichts nicht erreichen
ann, iſt ſelbſtverſtändlich. Was der Verf. aber von „Uebertragen in die Wirt
lichkeit“ fagt, und wie er's deutet, iſt mindeitend ungenau audgedrüdt und
nur einfeitig aufgefaßt. Richtung, Entfernung, Lage u. f. w. erfchöpfen bes
fanntli die Sache nicht. Warum bloßes Kartenlefen ſchon tadeln, da es doch
jegt noch gute Wege bat, daß darin zu viel gefhäbe? „In der Uebertragung
des Bildes in die Wirklichkelt Ilegt das bildende Element, durch Schär«
fung des Verſtandes und der Einbildungskraft.“ Das ift wiederum nur halb»
wahr; denn das bildende Element liegt auch noch in etwas ganz Anderem.
Was der Derf. weiter von Nüplihkeit größerer Touren zur Gewinnung
einer Borftellung von großen Entfernungen, was er von Mängeln der Drien⸗
tirung, dig nur von einem Standpunfte fait von mehreren ausgeht, jagt, und
von der Beranfchaulichung der Wechfellage von Ortſchaften, Gebirgen, Flüſſen zc.
durch Aufftellung der Kinder, um Ridtung und Entfernung vergleichs⸗
weife zu treffen, iſt Taft noch etwas fchlimmer als unpraktiſch. Dies Alles In
der Bolfefchule und mit Volksſchülern!! Glücklicherweiſe hat bereits in dem⸗
felsen Blatt Nr. 22 eine andere Stimme fi kurzweg gegen dieſes dubidfe
„Uebertragen in die Wirklichkeit‘, als etwas für Kinder Unmögliches, erkläͤrt.
448 Geographie.
Erdraͤumen, & B. Europa, geht eine zufammenfaffende, orientirende
Rundſchau dem Lefen voran, wobei in gedrungenem Bilde durch mars
firte Züge die Eigenthümlicgfeiten der Länder ausgeprägt werden. Der
Brill über die ganze Erde vermeidet trockne Anfzählungen von Momen⸗
ten am beften dadurch, daß er nad Art einer Reife die Haupt⸗Ge⸗
genden erfaßt, und vormaltend fi von dem Gefihtspunkte der Ansbrei⸗
tung evangelifher Miffionen und der Auswanderung leiten
läßt. Das „geographiſche Willen‘ ift aber dabei „nicht als Selbſt⸗
zweck“ anzufehfen! — Rah Abfolvirung der Länderfunde folgt noch
Einiges über das Meer und feine Bewohner, und foviel über das Weltall,
as durch zugängliche Berfinnlichungsmittel ſicher und richtig zur Veran⸗
ſchaulichung gebracht werden kann.
Indem Dir. Bock die Anknüpfung des weltkundlichen und ſonſtigen
Volksſchulunterrichts an das Leſebuch in einem überbachten, feſten
Plane nachweiſt, ſucht er eine ganz vorzugsweiſe für die gegenwärtige
vaterkändifche Vollsſchule brennende Frage Idjen zu helfen. Der Blan
beruht aber vornehmiih auf der Idee der Goncentration des Um
terrichtss mit diefer flieht und fällt er. Wo es fi deshalb um ge»
fonderten geographifchen Unterricht handelt, if fein Plan bedeutenden
Kbänderungen unterworfen. Schon das Kırtenlefen iſt dann einer
weiteren, durchaus nicht etwa überflüffigen und unfrudhtbaren Ergänzung
bedürftig; es reichen dann auc die bloßen Rundblicke und vereinzelt ein»
gelegten Charafterbilder nicht aus. Jedenfalls wird es aber ſchwer, Die
für's praftifche Volksleben fehr wünfchenswertbe nähere Kenntniß von
noch andern geographiſchen Verhäftniffen zu vermitteln, als fie bloße
Rundſchauen und Lefebudy» Abfchnitte gewähren können. Gehörige Mare
Einſicht und feſte Einprägung find erfahrungsmäßig dur Beide nicht
in erforderlihem DMaaße zu gewinnen. Was über Die Tendenzen in Ber
teeff der Beachtung der evangeliihen Miffienen als Leitfaden bei Bes
trachtung der Erdtheile zu fagen wäre, davon weiter unten.
e. Für Schulverhältniffe, welche über die Grenzen der Volksſchule
merklich hinausgehen, ift ein fachlich ſeht anfprechender Plan des geos
graphifchen Unterrichts in dem 3. Jahresberichte für die ſtädtiſche
Realſchule zu Bofen von deren Director Brennede (Bofen 1856)
aufgeftelt. — Der untern Stufe find in zwei einjährigen Curſen
der beiden unteren Klaſſen als zu löfende Aufgaben zugemwiefen: 1. „Kennts
niß der Erde in den roheften Umriffen, ausgehend von der Heimath,
fortfägreitend zur Provinz, zu Preußen, Europa und zur ganzen Erde.“
(SyntHetifher Bang.) 2. „Aeberſicht der Erdoberfläche mit Benupung
des Erdglobus.“ (Analytiſcher Gang.) Bei der erfien Aufgabe gilt
es, im Anfhluß an die eigenen Wahrnehmungen der zu Beobadhtungen
anguleitenden Schüler, diefe Wahrnehmungen zu benugen, um die Schüler
badurch zu geographiſchen Anfchauungen zu befähigen. Die Spazier⸗
ginge find zu Pleinen geographifchen Entdelungsreifen zu geſtalten; and
namentlich if auch fchon auf die naheliegenden Himmelserfheinuns
gen zu achten. (Drientirung; Himmelsgegenden; Sonnenhöhe zu Mittag
im Laufe des Jahres; Auf und Untergangspunft; Mondphafen u. |. w.)
Geographie. | 449
‚Bei der zweiten kommt es auf eine allgemeine Ueberſicht über Erd
theile und Meere, ihre Vertheilung und Gliederung an. Der Erdglobuß,
die von Sydow'ſchen Planiglobien, die Anleitung zum Unfertigen von
Karten, ein Meiner Leitfaden (etwa den von Daniel) bieten Stoffe und
Wege zur Behandlung. Jedenfalls ift aber vorzugsweife der Karten»
gebrauh im Auge zu behalten, indem von den Karten mehr als aus
dem Buche gelernt werden fol. Was gelernt if, it mündlich zu
reprodutiren. Schriftliche Ausarbeitungen fallen auf der Unter
flufe weg.
Auf der mittleren Stufe ift die topifhe, phyſiſche und
ſtatiſtiſche Beichreibung der Länder der ganzen Erdoberfläche
das firirte Benfum. Der untern Klaſſe fällt die Befchreibung der Länder
der außereuropäiichen Erdtheile, der obern die Beſchreibung der Ränder
Europas zu. Der leitende Gedanke für das Maaß der den einzelnen
Ländern zuzumwendenden Beachtung ift von ihrer Bedeutfamfeit für Ges
winnung der wihtigften Rohſtoffe und Fabrikate (!) herge
nommen. Damit hängt die Beachtung der Handelswege zu Land
und Waſſer zufammen. (Hütfswerke: Kohl's Reiſewerke; Andre’s
Nordamerika.) Man fieht, wie dieſe Tendenz im Zuſammenhange mit
den Realſchul zwecken ſteht. Als weſentliche häusliche Arbeit zur
Forderung des Schulunterrichts iſt das Zeichnen von Karten „mit
vorzüglicher Berückſichtigung der Hſshendimenſionen“ be
gehrt. Dieſe Aufgabe iſt jedenfalls eine gar ſchwierige. Bloße Fauſt⸗
zeichnungen, welche immer nur ein ohngefähres Bild zu geben vermögen,
entiprechen ihr nicht; es muß alfo mehr Beit, Fleiß, Aufmerkjamteit
und Genauigfeit daran geſetzt werden. Uber es. if nicht zu zweifeln,
daß bei der Vorliebe, womit Knaben an SKartenzeichnungen zu geben
pflegen, die aufgewendeten Opfer an Zeit und Kraft bei verftändiger
Zeitung fehr merkliche Unterflügungen für den Ertrag des geographifchen
Unterrichts gewähren werden, wenn aud nicht alle vollendet befriedigende
Kartenbilder zu Stande bringen.
Der Oberftufe fällt endlih die vergleichende geographifche
Behandlung der fünf Erdtheile mit Hervorhebung der bedeutendften
Bartieen (Europa, Deutihland und deſſen Nachbarländer) dabei zu.
Aus der phyfiſchen Geographie hat befonders die Klimalehre Anſpruch
auf näher eindringende Behandlung. Den Abſchluß des ganzen Unter
tits, der in feiner Spige, als afjociirende Wiffenfhaft, den Mittels
und Bereinigungspunlt für Mathematit, Phyſik, Naturbefchreibung und
Geſchichte bildet, machen Wiederholungen einzelner, bejonders wichtiger
heile der topifhen, phyfiſchen und politifchen Geographie, ferner
Skizzen aus der Gefchichte der verfchiedenen nachweisbaren Erdumbils
dungen und Umwälzungen, und näbere Ausführungen, welche die Erde
als Wohnplatz der Menfchen erfcheinen laffen. (Anbau und Verbreitung
der verfchiedenen vorzüglichen Culturgewächſe. Verbreitung der Menſchen⸗
und Sprachenſtämme u. dergl. Ethnographiſche Nachweiſe.)
Es bedarf keiner Hinzufügung, daß ſolch ein Plan nicht für
Bolksſchulen paßt; damit ift aber fein Werth nicht herabgeſetzt. Auch
Nade, Jahresbericht. x 29
.
450 Geographie.
"dem Bolksſchullehrer Tann es nützen, durch den Einblick in ſolche Pläne
ſich vor Einſeitigkeiten in feinem Unterrichte hüten zu lernen.
d. In ganz befonders bervorzubebender Weile iſt in einem hochſt
beachtenswerthen geographifchen Unterrihts-Hülfsmittel des-Dr. E. Stöß-
ner, Lehrer an der Mealfhule zu Annaberg, dem planmäßigen geos
grapbifchen ElementarsUnterriht ein erneuter, wichtiger Anftoß gegeben.
Unter dem Zitel: „Elemente der Beograpbie in Karten und
Zeyt methodiſch dargeftellt (Annaberg, Rudolph u. Dieterici 1853— 1866
2 Thlr. 7 Sgr.)“ bat derfelbe nämlich ein Elementarwerk veröffentlicht,
das nicht verfehlen Tann, viel Aufmerffamfeit zu erregen, da es, geſtützt
auf gefunde und bewährte pädagogifhe und didaktifche Principien, prak⸗
tiſch das gleich fertig hinſtellt, was für den Grundslegenden geographi⸗
fen Schulunterriht in Art und Maaß des Stoffe, wie in planmäßiger
Methode unterrichtlicher Verwendung erforderlih if. Seine ‚Elemente‘
beftehen aus drei Meinen Atlanten mit nebengeftelltem Tert, jeder Atlas
einem beflimmten Kurſus entfprechend, von denen der fpätere den voran-
gegangenen concentriſch einſchließt, und fo eingerichtet, daß Karten
amd Text einander genau entfprehen, und daß dem freien Karten-
‚zeichnen der Schüler die unerläßlichen Hülfen zu Gute fommen. Sie
find infofefn einzig in ihrer Art, als fie fi) wie eine wohlberechnete
Realifirung der methodifh Tängft empfohlenen Idee eines der flufen-
weifen Sefammt-Entwidelung des Schülers Schritt für Schritt anſchließen⸗
den geographifchen ElementarsUnterrichts darftellen, welcher auf eben jo
einfade, als finnreihe und anziehende Art in concentriſchen, alfo fid
nur allmählich erweiternden Gebieten das früher Gelernte ſtets wieder
in's Gedähtniß zurücdrufen, erläutern, bereichern, tiefer begründen, in
feinen Beziehungen vermannigfaltigen helfen fol. Die drei Kurſe find
Teine, erſt wieder zur Auswahl des erforderlichen Lehrſtoffs aufgekellte,
überfigtliche Sammlung des Materials, fondern die Karten, fowie der
unmittelbar daneben geftellte aphoriftifche Zert treffen diefe Auswahl
gleich ſelbſt. Die folgenden Karten enthalten in ſchwarzem Drud
ſtets die Quinteffenz des auf einer verwandten frühbern Karte Dargebo-
tenen, und außerdem in rothem Drud das neu Hinzufommende, weldyes
angeſchaut, eingeprägt und durch freies Entwerfen der Karten zum lebens
digen Eigenthum der Schüler gemacht werden fol. (In ähnlicher Weite
‚enthält der Text das hinzufommende Neue fletE groß gedrudt) Das
auf Dies ‚‚freie Entwerfen’ befondere Rüdfiht genommen if, ergibt ſich
aus den anfänglich generellen Bontourlinien der Landbilder, der ſpar⸗
famen Füllung derfelben mit Flüſſen, Gebirgs- Andeutungen, Städte-
namen, Staaten» Begrenzungen u. dergl., und der erft allmählich eintre-
tenden größern Detaillirung des Tartographifchen Materials, fo daß erft
im 3. Kurfus ausgeführtere Kartenbilder auftreten. Doch überfchreiten
auch Iebtere nicht die Grenzen des SchulsBedürfniffes für die Ele
mentar⸗Stufe, indem die „Elemente eben nur der Schule und nicht
zugleich auch dem Leben dienen wollen, obwohl fie auf den Gebrauch
‘der für den Bedarf des praktifchen wie des wiflenfchaftlichen Lebens bes
Rimmten Karten» und Bücherwerke ganz trefflich vorbereiten. Mit dem
‚Geographie. 451
Schwlzmwede der „Elemente fichen einige Umfände in nahem Zuſam⸗
menbauge, von welchen bei andern elementaren Kartenwerken abgeſehen
zu werden pfleat; 3. B. die Angabe mancher nur der mathematiſch⸗geo⸗
graphiſchen Bofition halber, fonft aber für Anfänger nicht weiter beach⸗
tenswertben Dertlichfeiten, die anfängliche — übrigens nichts weniger
ale abſchreckend ausgeführte — „Raupenform“ der Gebirge, die zum
Theil noch älterer, durch die neuere kritiſche Forſchung befeitigter Aufe
faffung angeordnete Gruppirung der Gebirge, die Scheidung der polls
tifhen Eintheilungen vom topifch s phyffatifchen Landbilde, die Berfchneis
dung der Erdtheile und Deutſchlands in gewiſſe, Abliche Haupttheile, bie
allmähliche Bereicherung der Simmelsfärtchen, die Hinzufügung von bes
fondern Kärtchen zur Einübung charakteriſtiſcher Baralleien und Meriv
diane (Kurfus II, Karte 13), der veränderlichen, wie der periodifchen
und yermanenten Windfirömungen u. dergl. Dur die Grundidee war
Die Wiederkehr ſchon einmal genereller dargeſtellter Aänderräume auf fpäs
teren, ausführliheren Karten — mit bereicherten geographiſchen Momens
ten und in detaillirter Darſtellung geboten. (Ef. 3. B. Kurf. II, Karte 1Q
und Kurf. 111. Kart. 8 u. 12.) Ebenſo mag Ah damit die meiſt Eräfe
tige, in die Augen fpringende Eolorirung und in einigen Fällen Die
Bahl generalificender, den gangbaren nicht abäquater Benennungen für
Söbenzüge (Kurf. III. Karte 12) rechtfertigen. Fur den den Karten
gleich gegenüberftehenden Text ift es charafteriifch, daß er, ſchon des
beſchränkten Raumes wegen auf das Nothwendigſte in kurzen, präciſen
Eägen befchräntt, fo ausgeprägt if, dag doc eine elementar⸗wiſſenſchaft⸗
Ihe Anordnung feftgehalten und der weſentliche Inhalt der Karten —
alfo event. Topik, Bhyfkalifches, Staatentundliches — wenn au wur
umrißtih, doch planmäßig erläutert if. Des Lehrers anregender Vor⸗
trag fol das Weitere thun, wie der Unterricht auch die leicht von ſelbſt
zu gewinnenden Grundbegriffe aus der Geographie bei der Kartenbes
unpung zu Plarem Bemußtfein bringen fol, ohne durch den Tept dazu
befonders aufgefordert zu werden. — Jeder Kurfus umfaßt Lehrſtücke
aus ber mathematifchen, phyſikaliſchen und politifhen Geographie auf
den Karten wie im Text, und indem der 2. und 8. Kurfus nad beiden
Beziehungen bin reichhaltiger werden, geben fie auch mehr Anlaß zu
weiter führenden Erläuterungen.
Unverfennbar ift in dieſer praftifchen Durchführung einer oft ein
geihärften pädagogifchsdinaktifchen Idee ein fehr beachtenswerthes methe⸗
difches Unterrichtss Hülfsmittel dargeboten, das für Die unmittelbarfe
Praxis ſich als fehr inſtructive Grundlage in der Hand bes Behrens,
und ass fiherer Anhalt für die Schüler erweifl. Die „Blemente‘ halten
weife® Maaß, vergeben der Sache nichts, indem fie der Metbode Kech⸗
mung tragen, runden fee Kreife des Willens ab, recapitnliren und ers
weitern ebenmäßig, Ichren und üben ein, und helfen das Gewonnene bis
zur freien Selbſtdarſtellung erheben, fo daß fle ein Fundament etabliven,
auf welchem die höheren Unterrichteftufen geordnet fortarbeiten Fönnen.
Gs muß wicht vergeffen werden, daß Stößner nicht die Boll,
Sondern Pie Realſchule im Auge gehabt Hat, weiche feine Heinen At
29°
ne Geographie.
danten von 12, 13 und 18 Karten anſchaffen und Jahre lang darnach
‚unterrichten Bann; aber der Volksſchullehrer kann für feinen Un⸗
terricht aus diefen ‚Elementen‘ viel lernen, obwohl er den wiffen-
Thaftlihen Gang, welden diefelben innehalten, nicht anwenden fann.
Der fachkundige Blid wird auf der Stelle den methodiſchen Werth
der „Elemente“ erkennen; um diefes letztern willen gehören fie auch in
‚sen diesmaligen Jahresbericht. Weber die fpeziellere Einrichtung der drei
‚Atlanten fiehe unten den Literatur Bericht Mr. 11.
*
3. Beſondere Tendenzen.
Die frühere Zeit hat bei den einzelnen Schulunterrichts⸗Gegen⸗
ſtaͤnden vornehmlich Zweierlei im Auge gehabt: die geiſtigen Kräfte der
Jugend zu entwickeln und zu üben, und die Schüler in deu materiellen
Inhalt der Lehrgegenfände einzuführen. Bei diefem letztern Bemüben
‚pflegte man fih auf die Sonderzwecke des jedesmaligen vorgenommenen
einzelnen Unterrichts⸗Gegenſtandes zu beſchränken, nämlich fo, daß man
‚heim geograpbifchen Unterriht nur die geographiſchen, beim ges
ſchichtlichen die Geſchichts⸗Zwecke beachtete. Bon der Berfolgung anderer,
der Sonderaufgabe mehr oder weniger zur Seite liegenden Zwede wurde
abgefehben, um das Intereſſe auf jene zu concentriren. So hat man
damals namentlich die welttundlichen Zwede nicht mit ſprachlichen und
Tirhlihen oder patriotifhen amalgamirt, wenngleich feit Begründung
einer: „Weltkunde für die Volksſchule“ durch den theuren Bater HKÄarniſch
‚der welttundliche Unterricht flets eine chriftliche, ernf religidfe Tendenz
Haben follte. — In der neuern und neuſten Zeit iR in dieler Ber
ziehung ein Umfchwung der Ideen erfolgt. Der vormals oft nur zu
duͤrre, ſterile Sprachunterricht hat mit großem Erfolg nach fernigem,
Jahlihem Inhalt gerungen, und diefen vornehmlich mit aus dem Gebiete
des weltkundlichen Unterrichts herbeigeholt. Der früher allgemein
verlaufende Geſchichts unterricht hat jetzt eine präcifere Richtung
auf Baterländifches und Kirchliches erhalten. Wie fehr auch im Gin-
zenen und von Einzelnen noch heut zu Tage derartige Verbindungen
and Tendenzen angefochten — reſp. tguorirt — werden mögen, fie find
dennoch gegenwärtig in weiten Kreifen der Schulwelt ein fait nceompli,
and erfahren vielfeitige Billigung und Empfehlung. Sehr weientlih bat
zu diefen neuern Berbindungen und Tendenzen die Idee der Concen⸗
tration des Unterrichts und die neuſte Phafe der Stellung bes Leſſe⸗
buchs im Schulunterrichte beigetragen. Wo und fo weit es ald Grund»
Lage eines großen Theils des Volksſchulunterrichts gilt — und bie
neuften Conjuncturen find diefer Stellung in hohem Maaße günſtig, —
da fehlt es nit, daß ſprachliche, weltkundliche, patriotifhe
und kirchliche Tendenzen in inniger Verſchmelzung durch den ganzen
Bolfsfhulunterricht fich hinziehen, und daß nach Umftänden bald biefe,
bald jene derfelben mit flärferer Betonung auftritt. Weber Recht oder
Unrecht, Maaß und Modalität diefer Verfchmelzung zu diskutiren, iſt
hier der Ort nit, Ohnehin tritt noch dazu, daß es in der Volkeſchule
+
Geographie. 453
nicht vor allen Dingen darauf anfommt, den einen oder andern Lehr,
gegenkand pure, oder in irgend welcher Kombination durchzuarbeiten,
fondern der chriſtlichen Bollsjugend die ihr nöthige Grundbildung
zu vermitteln. Welche Wege und Beifen am frifcheften, ſicherſten und
vollendetſten an dies Ziel führen: die find die vorzüglichfen. An
diefer Stelle iR e8 nur Aufgabe, daran zu erinnern, daß mit den ein⸗
zelnen Volksſchullehrgegenſtänden, namentlich mit den weltfundfichen, gegen,
wärtig mebrfeitige Zwede angeftrebt werben follen, und daß in dem
alfo erzielten geiftigen Erwerb die Sicherheit des Befiges durch die Fähig⸗
keit freier Reproduktion erwiefen werden muß. Auch mit dem geogras
phiſchen Schulunterrichte werden gegenwärtig außer dem Streben nach
geographifchem Willen und Können die oben genannten Tendenzen vers
bunden. Ä
a. Sprachliche. Seit der gefonderte grammatifche Unterricht
von den Lehrplänen der Volksſchule geftrichen if, um der geifligen Durchs
arbeitung des Gedanfen» und Sprachſtoffs, wie der Ausdrudsformen Platz
zu maden, if jeder Unterrichtö-Gegenfland und jede Unterrichtsflunde
in den Dienf des Spracdhunterrichts genommen. Auch der geogras
phiſche Unterricht fol den fprachlichen Zweden zu Hülfe kommen. Es
fann nur von einer Unterfügung und Börderung der Sprads
bildung au in den geographifchen Lehrſtunden, nicht aber davon die
Rede fein, den geographifchen Unterricht im Sprachunterricht aufgehen
zu loffen und etwa grammatifhe Eyercitien am geographifchen
Material vorzunehmen. Man kennt die eben fo unausfehliche, als uns
verzeihliche Art, wie in größter Sorglofigfeit um Ausdruds» und Dar⸗
Rellungsweife in geographifchen Lehrfiunden gefragt und geantwortei
wurbe. Unbehoifene, abgeriffene, oder weitſchweifige, zwei und drei Mal
umgeänderte Sragen, ungenau ausgeprägte, fragmentarifche, unbeholfene
Antworten gehören nicht zu den Seltenheiten. Der geographifche Lehr⸗
ſtoff involvirt aber fo wenig auch nur die feifefte Nöthigung zu derglei⸗
hen ſprachlich trümmerhafter Behandlung, daß er im Gegentheil zu
präcifer Ausdrudsweife, zu georbneten, voliftändigen Unführungen und
Aufzählungen, ſowie zu fprachlich tadelfreien, ausführlicheren Darfelluns
gen die vielfeitigfte Nöthigung und Gelegenheit bietet. Das SKartentefen,
das Definiren geographifcher Grundbegriffe, die charakteriſtiſche Beſchrei⸗
bung der Lage und Gliederung der Länder, der Gebirge, der Lauf und
die Speifung der Flüffe, die Darftellungen der Bodenbefchaffenheit, der
Produktion, des Handelsverkehrs, der nationaten Sitten und geiftigen
Eigenthümlichleiten der Bölfer, der Bedeutung der Städte u. dergl.
fordern allenthalben zu ſprachgewandter Darftellung auf. Barum follte
unbefonnen darauf verzichtet werden? Mündliche und im Leſebuch ents
haltene Beſchreibungen und Schilderungen, deren freie Wiederholung mit
Recht gefordert wird, find die natürliche Veranlaſſung, auch auf reine
lihe, yrägnante, geordnete und gerundete Darftellung von Seiten der
Schüler zu dringen. Das hilft der ſprachlichen Bildung fehr weſentlich
nad, und beeinträchtigt nicht nur die geographifchen Unterrichtszwecke
nit, fondern fördert fie vielmehr. Es wird dadurch ohne befondere
44 Geographie.
Beranſtaltungen der Anforderung des „Regulativs vom 3. Oktober 1854”
entiproden, „daB ein Unterrichtsfach das andere ergänzt und dem Ges
fammtzmed dient.“
Wie in neuerer Zeit von mehreren andern Echulmännern, fo if
in neufler auch vom Director Bol in feinem fchon oben erwäbnten
Bortrage („Schulblatt der evangelifhen Seminare Schleflens; 1856
1. Heft) auf die Förderung der Sprahbildung zur Kombination der
ſprachunterrichtlichen Zwecke mit den welttundlichen hingewieſen, indem
er Das Leſebuch als die volfsihulmäßige Grundlage für den ſprachlich⸗
weittundliben Unterricht binftellt, wodurd dem leptern eine „concen⸗
trirende Geſtaltung““ gegeben werden müfle. Gr verlangt dabei, daß
der Lehrer das bezügliche Stück aus dem Leſebuche nicht nur fachlich
ſich volftändig aneigne, fondern auch fpracdlich in fo weit, „daß er
alle ſchweren, unverfländlichen Ausdrüde, um fie gleih zu erklären, mit
in feinen Unterriht aufnehmen Tann, und diefen überhaupt fo einzurichten
weiß, daß er die für's Verfländniß des Stücks erforderlichen Erklärun⸗
gen fließend, obne Stodern und Belinnen, ohne Makel und Flickwerk
zu geben im Stande if.” Um für die Verfolgung der combinirten
Tendenzen auch die nöthige Zeit zu haben, begehrt er für den Unter»
richt wöchentlich 3, für das Lefen 2, für das Aufichreiben der hier eins
fhlagenden Stücke auch noch 2 oder 3 Stunden. Das Lefen fließt
ſich ſtets erfi dem vorangegangenen Unterrihte an, foll ihn alſo
nicht erfeßen, wie dies irrthümlicher Weife vor Zeiten in manchen Schulen
wohl geicheben if.
86 leidet alfo keinen Zweifel, daß eine Förderung und Unterſtützung
der ſprachlichen Zwede auh im geographiſchen Unterrihte eben fo
zuläffig und möglich, als heut zu Tage befondere nothwendig it. Daß
eine gleiche Förderung auch im naturfundlichen und gejchichtlichen Unters
I am Orte if, leuchtet jelbfiverftändlich ein, gehört aber nicht weiter
icher.
b. Weltkundliche. Kür die wiffenfhaftliche Behandlung
des geograpbifchen Unterrichts find von flimmfähigen Sadlundigen Die
weltkundlichen Zendenzen darum befeitigt, weil fie, das Intereſſe
—A and damit die Vertiefung in die Hauptſache beeinträchtigen.
n den für den wiflenfchaftlichen Unterricht beſtimmten Lehrbüchern,
3 D. von v. Roon, Berghaus, v. Raumer, von Kalkftein, von Rouges
miont, Rhode, Polsberw u. U. treten zwar beflimmte Abfchnitte auf,
welche naturkundliche, ja wohl auch geichichtlihe Verhältniffe betreffen,
ja Reufchle hat faſt die ganze Phyſik, Völter und K. F. V. Hoffmann
baben umfängliche naturgefchichtlihe Ueberſichten in ibre Lehrbücder aufs
genommen; aber einestheils erfreut ih Schouw's Anficht (cf. VII. Pädag.
Sahresber. ©. 206 ff.) in Betreff des Widerfpruhs gegen die „Uns
häufung ungehörigen Stoffe‘ im geographifhen Unterricht ſehr verbreis
teter Anerkengung, anderntheils find es keineswegs ſpezifiſch weltkundliche
Tendenzen, welche dur die Aufnahme fener Abfchnitte zur Geltung ges
bracht werden follen. Dagegen für die Behandlung der Geographie in
Real⸗ und gemöhnlihen Bürgerjchulen, und noch mehr in ges
Geographie. HS
habenen Volkaſchulen ſtellt fi die Sache weientlih anders. Mi
baben die weltkundlichen Beziehungen der Geographie zu dem übrigen
Realien eine erhöhte Berechtigung. Man rufe fich Tobler's Beſtrebun⸗
gen (ILL, Pädag. Jahresber. S. 175 f.), Harniſch's „Weltkunde“, das
„Lehrbuch“ von Zachariä und andere ähnliche Schriften in’s Gedächtniß
zuräd, um daran erinnert zu werden, daß die Geographie als die
Grundlage des weitkundlichen Unterrichts anzuſehen if, aljo ihrem Weſen
nad welttundliche Tendenzen geftattet und fordert. Der befannte Aus⸗
ſpruch Herbart’6, daß die Geographie eine „aſſociirende Wiſſenſchaft“ fei,
weiſt auf gleiche Tendenzen bin. Mindefens im Volksſchul unterricht
werden diefe Tendenzen im Auge behalten werben müflen, da derjelbe
die gejfonderte Bebandlung der einzelnen welttundlichen Unterrichts⸗
zweige gegenwärtig nicht mehr geftattet, fondern hier recht eigentlich eine
Gombination und Goncentration verlangt. Daß letztere mit Glück bes
wirft werden kann, mögen Zachariä's ‚Lehrbuch,‘ fowie Blanc’ „Hands
buch des Wiſſenswürdigſten ꝛc.“ beweilen; daß fle auch verfehlt ange⸗
griffen werden Kann, wird Schinkel’s ‚Leitfaden‘ (IX. Pädag. Jahresber.
©. 262) lehren fönnen. Nachdem ſchon in früberen Jahrgängen des
Paͤdag. Jahresberichte auf die weltkundliche Stellung des geographiichen
Volkoſchulunterrichts hingewieſen ift, bedarf es hier keiner Recapitulation
der Wege und Weifen, derfelben gerecht zu werden; fondern ed genügt, anzu⸗
merken, daß die bevorzugte Stellung des „Leſebuchs“ in der Volksſchule
den welttundlichen Tendenzen des geographifchen Unterrichts erneuten und
verfärkten Vorſchub leitet. Es wird aber vor jener unglücklichen Diss
membsation der Geographie zu warnen fein, welche zulegt allen innern
geographiichen Zuſammenhang vernichtet, und die Grundlage zu einem
bloßen dürren Rahmen macht, wovon allerlei andere Lehrftoffe follen uns
ichloffen werden. Die Geographie if ſachlich bedeutſam genug, um nicht
überall zu bloßer Einrahmung anderer Kenniniffe verwendet zu werben.
e. Batriotifhe. Geit das Bedürfnig größerer Theilnahme an
ven vaterländifcen Intereſſen wiederum lebhaft gefühlt wird, hat
ih auch die Energie bei der Anbahnung eingehender Berüdfichtigung
derfeiben geſteigert. Der Schule iſt dabei die Aufgabe gekellt, vater⸗
tändifches Weſen und Leben in den Mittelpunkt ihres realen Uns
terrichts zu vüden, und auf Begründung und Belebung vaterländin
fher Gefinnung angelegentlih hinzuarbeiten. Den Seminarien if
die Befähigung der Zöglinge zu einem „einfachen und fruchtbringenden
Unterricht in der Vaterlands kunde“ als Aufgabe gegeben; und wo
ſich Stimmen über geographifchen Unterricht erheben, — die Geographis
des engen und weitern Baterlandes betonen fie gegenwärtig einhellig
mit beionderm Nahdrud. Jener Tosmopolitifchen Liebhaberei, wonach
mit fcheinbar gerechter Gleichförmigfeit die Kunde aller Länder der Erde
angefirebt werden follte, ohne Das eigene Baterland dabei vorzuziehen
und eingehenden und mit mehr innerer Antheilnahme zu behandeln, if
damit ein verdientes Ende gemabt. Es wird nicht mehr mit Portugal
angehoben, und zu den mancherlei außerdeutfchen Ländern weiter fort»
geſchritten, und bei der Zeitkürze gegen das Ende Hin Deutſchland übers
456 Geographie.
Knie gebroden; und e& ſoll nicht mehr den außerbeutfhen Ländern zu
Benachtheiligung des auf Deutfchland zu verwendenden Fleißes fibergroße
Ausführlichkeit gewidmet werden. Die gangbaren Lehrbücher fielen
nicht felten auch ganz äußerlich fhon Deutfchland an die Spige ihrer
ansführlichern Darftellung, midmen ihm vielleicht ausſchließlich einen
ganzen Sahrescurfus, und heben alle bedeutfamen Berhältniffe des Landes
und Bolfes einzeln eingehender hervor. Die Leſe bücher gewähren Deuts
fhen Landesverhäftniffen den meiften Raum und die meiſte Sorgfalt;
die Prüfungs- Aufgaben wählt man am öfterftien aus der Baterland s⸗
funde: kurz, fchon dem bloßen äußern Gebiete nah zu urtbeilen,
fpringt eine patriotiſche Tendenz des geographifchen Unterrichts in’s
Ange. — Jedoch der äußere Länderraum aflein, und feine nad
Zeit und Anftrengung bevorzugte Behandlung iſt's noch nicht, worin
die patriotifchen Tendenzen zur vollen Geltung fommen. Auf die innere
Hingabe an das Vaterland und feine Beichreibung und Schilderung
aus frijcher Liebe und Tebendiger Begeifterung fommt mehr an, und auf
Diefe iſt's vornehmlich abgefehen, um diefelbe Hingabe in den Schülern
zu entzünden. Diefe follen fih mit Xiebe wie an ihre Heimath, fo an
ihr Baterland anflammern, feine Schönheiten, feinen Reichthum, feinen
Verkehr, feine geifiige und flaatliche Bedeutenheit Tennen und ehren
lernen. Hierin liegt der eigentliche Charakter des „vaterländis
Then Geſichtspunktes,“ aus welchem der geographifche Unterriht bes
trieben und angefehen werden fol. Die Ratürlichfeit deffeiben und die
Gründe dafür liegen zu nahe, um wieder und immer wieder nachge⸗
wiefen werden zu müffen. Dennoch will daran von Zeit zu Zeit wieder
erinnert fein, weil über die Grenzen des Baterlandes hinaus Manches
liegt, das Reiz genug bietet, um dabei länger, als für Schulzwecke nötbig
iR, zu verweilen. Es will au daran erinnert fein, daß felb hei Ber
trachtung der außerdeutfchen Länder an vielen Stellen Gelegenheit
geboten if, den patriotifchen Sinn zu bewähren.
Gegenwärtig teidet die geographifche Literatur faſt noch einigen
Mangel an allgemein brauchbaren Schriften über deutfche und preu⸗
Bifhe Vaterlandskunde. Die Zahl von befondern Leitfäden, Lehr»
und Handbüchern derfelben ift befremdlich Meiner als man glauben follte,
und der mäßig ausführlichen, guten ift vollends nur eine Meine Zahl.
Aber in den für die gefammte Geographie vorhandenen Schriften if
allerdings ein höchft refpektabler Erſatz dieſes Mangels in fofern geboten,
als die ausführlihern Abfchnitte über unfer Vaterland mie ein ſelbſt⸗
fländiger Leitfaden zu gebrauchen find.
Unter Denen, weldye neuerdings die vaterländifchen Tendenzen
durch Säffentliches Schriftwort wieder hervorgehoben haben — denn im
ſtillen Unterricht werden wohl ganze Schaaren von waderen Lehrern zus
fammenzubringen fein, die ihnen überzeugungstreu und eifrig anbangen,
und die Seminare thun Hoffentlich allenthalben in diefen Stüden ihre
Schuldigkeit —, mögen der Director Bol (ef. „Schulblatt ꝛc.“ 1856
1. Hft.), Wagner (cf. das oben bereits erwähnte „Mecklenburgiſche Schuls
blatt” 1856 Rr. 17—19) und S. Steinharb genannt werden. Leßterer
Geographie 457
hat nit durch einen bloßen Journal» Artikel, fondern dur ein ganzes
Bud: „Deutfhland und fein Bolt’ (Gotha, Scheube. 1856)
eine fleißigere Befchäftigung mit dem Baterlande aufs Reue angeregt,
— hoffentlih recht Bielen, welche das Buch lefen, zur freudigen Befrie⸗
digung. Im Borwort dazu fagt Steinhard: „Die vaterländifhe Ges
finnung, das nationale Bewußtfein, das Gefühl der Zufammengehörig,
feit von Land und Leuten bei aller ‚vorhandenen Bielartigkeit und
Mannigfaltigfeit des deutihen Bodens und der deutihen Bolfsftämme, —
mit Einem Worte: die Liebe zum deutfhen Baterlande bedarf
noch fehr der Belebung und Kräftigung. Gar mande betrübende Er»
fheinung in unferm öffentlichen Leben und in unfern nationalen Bus
fänden findet ihre Erklärung einzig und allein in dem Mangel oder
der Schwäche allgemein deutſchen Sinnes in ten Individuen des viels
gegliederten deutichen Volkes. Diefer Mangel und diefe Schwäche haben
wenigftens theilweife ihren Grund in dem noch allzugroßen Mangel an
Kenntniß des Vaterlandes rüdjichtlich feiner Eigenthümlichkeiten und
Borzüge. Eine folbe Kenntniß in wahrhaft belebender und befruchten⸗
der Weiſe zu vermitteln, war bis in die neufte Zeit weder der geogras
pbifhe Unterricht in den Schulen, noch die für die Erwachſenen bes
Rimmte Literatur geeignet.” Un jenem tadelt Steinhard Dürre,
Dürftigkeit, Unlebendigkeit, an diefer die vorwiegende Richtung auf die
Sremde, bei Berfäumung der vaterländifchen Angelegenheiten und Ver⸗
bältniffe, fowie entweder belletrifiihe Oberflächlichfeit oder übergründ⸗
lie Trodenheit und. allgemein den Mangel an Lebendigfeit, An»
ſchaulichkeit und Volksthümlichkeit. Gegen die Allgemein«
heit dieſes Tadels ließen fich zwar berechtigte Einwendungen machen,
aber der Tadel ſelbſt ift leider feineswegs ohne viel Grund. Richl's
„Land und Leute, Grube’s „Deutſche Charakterbilder,‘’ Körner’s „Unſer
Vaterland,“ NReimann’s „Naturleben unfers Baterlandes‘' ſtammen erft
aus dem Jahre 1854, Kutzen's „Deutſches Land,” und Vogel⸗Wenzig⸗
Körner’s „Vaterlandsbuch“ erfi aus dem Jahre 1855, und nicht jedem
diefer Bücher kann beiletriftifche Oberflächlichkeit, oder Mangel an Leben»
digkeit und Volfsthümlichfeit vorgeworfen werden. Und was den prafs
tifchen Unterricht betrifft, fo werden die rühmlichen Fälle, wo die Kenntniß
des Baterlandes wirklich in „belebender und befruchtender Weiſe“ vers
mittelt ift, nicht zu den verfprengten Ausnabmen gehören, wenn fie
auch nicht ganz allgemein angetroffen werden. Dennoch ift e8 nur freudig
zu begrüßen, daß für den geographifchen Unterricht überhaupt die vater,
ländifchen Tendenzen auf's Neue urgirt werden, und daß es durch
Steinbard nicht bloß in einem jJesbaren, edels populären, fondern aud
gründlich und frifchstebendig gefchriebenen Buche gefchieht. (CA. Näheres
Darüber im LiteratursBeriht.) Die deutfche Schule hat auf deutſche
Beife, mit deutſchem Sinn, für dDeutfche Zwecke ohne Zweifel mit
vorzugsmeifer Berüdfichtigung des deutſchen Baterlandes, und in dems
felben des engeren Baterlandes der Schüler denfelben die Geographie
zu Ichren, wie es bekanntermaßen die franzöflfche, engliſche, rufſiſche
Säule in ihrer Weile, ihrem Sinn, für ihre Bwede mit ihrem
488 Geographie.
Vaterlande machen. Barum foll der Deutliche allein alleathalben mehr
als bei fi zu Haufe orientirt fein! Dit Recht wird deshalb die Hufe
gabe des geographifchen Unterrihts in unfern Schulen alſo formulizt,
daB vaterländifche Tendenzen darin zu ihrem vollen Rechte gelangen.
(CH. VII. Pad. Zahresber. ©. 205 ff.)
d. Kirchliche. Bereits im VI. Zahrgange des Pädagog. Jahres⸗
berihts (1852) S. 219 ift darauf hingewiefen, daB von ſehr achtbarer
Seite, im Intereſſe möglichfter Concentration des Volksſchulunterrichts,
vorgelchlagen war, den ganzen Religions» Unterriht (biblifche
Geſchichte und Katehismuslehre) mit der Geographie und
Gefhichte in ein Ganzes zu verfchmelzen. In diefem Borfchlage,
welcher als eine Modiflcation der Ideen des Pfarrers 2. Völter (VII.
Pad. Jahresber. S. 182 ff. und „Süddeutſcher Schulbote““. 1852.
Ar. 6— 9) erfcheinen mußte, leuchten die kirchlichen Tendenzen auch
des geographifchen Unterrichts offenbar hervor, ganz wie aus 2. Böls
ter's Ideen. Fr. Körner regte in feinem „Volksſchullehrer“ (1853)
den Gedanken an, „die Geographie müffe, fobald fie überhaupt im rich»
tigen Geifte gelehrt wird, im religiöfen Geifte gelehrt werden.‘
(Bergl. VII. Padag. Jabresber. S. 205.) Die preußifhen „Regular
tive’ (1854) flellen als „die Aufgabe evangelifch » hrifllider Schulen’
bin, „daß die Jugend in chriſtlicher, vaterländifcher Gefinnung erzogen
werde,’ und fie fchreiben für den Unterricht in der mit der Geographie
in innigfter Beziehung zu behandelnden Befchichte vor, „daß die Auffafs
fung von ſchriſtlichem Geif und Bemußtfein durchdrungen und ges
tragen werden müfle.” Wenn bei dem zuerft erwähnten Vorſchlage durch
Heranziebung kirchlicher Lehrſtoffe die kirchlichen Tendenzen unters
Rüpt werden follten, fo meifen die zufegt genannten Anordnungen nur
auf den chriſtlichen Geift Hin, worin die fpezifiichen Lehriloffe aus
der Geſchichte und Geographie in der Bolksfchule zu behandeln find.
Die Forderung eines ſolchen Geiſtes der Behandlung if in hriftlis
Ken Volksſchulen unbezweifelt in ihrem vollen Rechte.
In der neuften Zeit find noch Forderungen an den geograppis
hen Schulunterriht erhoben, die mit der Behandlung in chriflichem
Geiſte infofern innig zufammenhängen, als die Wahl des Kehrftoffs,
namentlih auf den außereuropäifchen Gebieten, durch das Intereffe
der evangelifhen Miffionen beeinflußt werden fol. Der Gedanke
it neu, und ähnelt gewiffermaßen dem in Lehrbüchern der Geographie
von Fatholifchen Verfaffern regelmäßig inne gehaltenen Streben, ſorg⸗
fältig auf die Sige der Erz» und Bisthümer, der katholiſchen Bildungs»
Anftalten und Kloͤſter und ähnliche die AIntereflen der katholiſchen
Kirche tangirende Verhältniſſe hinzuweiſen; jedoch iſt er damit keines⸗
wegs identifch.
aa. (ine praftifhe Ginführung diefes Gedankens erfolgte durch
das „Volkſchul⸗Leſebuch,“ das unter Mitwirfung der evangelifchen
Schullehrer⸗ Seminare zu Bunzlau und Steinau im Jahre 1855 vor
dem Lehrer⸗Collegio des evangelifgen Schullehre Seminars zu Nünfers
Gesgraphie. 133
berg herausgegeben wurde *).. In dieſem Leſebuche find bei Grönland,
beim Gaplande, bei Dftindien, China, den Südſee⸗Inſeln, Weftindien
und den ndianers Ländern Rordamerilas mehrere einfchlägige Züge
aus der Gefhichte und dem Weſen der evangeliihen Miffion eingewebt,
und dagegen if des rein Geographifchen Manches ausgelaflen. Damit
iR ein Zingerzeig gegeben, was für dieſe Länder in der Echule zus
Behandlung gelangen jolle, und was nicht. Director Bod, welcher bie
bezüglichen Abjchnitte des Lefebuchs gearbeitet hat, äußert ſich Darüber im
„Schulblatt der evangel. Seminare Schleflens‘ (1856 1. Hft. ©. 27):
„Als vorwaltend leitender Gefihtspunft iſt dabei die Kenntniß der frem⸗
den Erdtheile im Intereife und behufs des rechten Verftändnifies der
Ausbreitung des Reiches Gottes, befonders der evangeliihen Miſſion,
angefehben worden. In leicht faßlicher Form und nur ın Haren Haupts
umriffen flellen fich deshalb die gegebenen Mittheilungen dar; auch
find aus demfelben Grunde befonders diejenigen Länder in den Vorder,
grund geftellt worden, die in der Miffionsgefhichte am meiſten
vorkommen.“ Schon die bloße Durchſicht der betreffenden Abfchnitte
läßt erfennen, daß in der That nicht mehr denn einzelne „Haupt⸗
umriſſe,“ feine fpezieller einführende Miffionsgefchichte, mit dem geogra⸗
phiſchen Material, von welchem das Leſebuch ja aud nur einige beſon⸗
ders charakteriftifhe Momente darbieten fann, verbunden worden find.
Die Geographie geht alfo nicht in eine einfeitige Miſſions geographie
auf. Je weniger mancher Lebrer überhaupt mit der evangelifhen Miffion
vertraut, je weniger er derfelben vielleicht geneigt ift, deſto befremdlicher
mag ihm wohl diefer neue Gedanke vorfommen. An Widerfireben wird
eö bei den einen fo wenig, als an freudigem Ergreifen bei den andern
fehlen, ie nachdem der Einzelne im Herzen zum Neiche Gottes fituirt
iR. Wem das wiflenfchaftliche Material mehr am Herzen liegt, der wird
nit ohne Sprödigfeit an die Miſſions⸗Mittheilungen gehen; wer die
Miffion um Gottes willen lieb hat, wird eher einige Brofamen des geo⸗
gaben Wiffens derfelben opfern. Jenen genirt es, daß das Firchliche
Veſen ihm zu allen Zenftern in feinen Unterricht hineinleuchtet, dieſen
erfreut ed. Dan wird den neuen Gedanken erft nod wie ein ausger
fäetes Senflörnlein anfehen dürfen, auf Hoffnung ausgefireut, und wird
ihm Zeit laſſen müflen, ob er die Schollen des geograpbiihen Willens
und Lehrens durdbricht, oder von denfelben erdrüdt werden wird. Möge
die Pflege diefes Körnleins nicht befohlen werden, — fonf incoms
modirt es ficherlich Viele doppelt und verfümmert —, möge fie aber an»
empfohlen werden, wo verfländige und nachdenkſame Bereitwilligfeit
zu finden if.
bb. In dem Märzs und April⸗Heft (1856) des „Schulblatte
für die Provinz Brandenburg,” finde ih S. 170 — 181 ein
Huffag von F. Heydemann in Zerpenfchleufe über die Frage: „Welche
*) Ganz verwandte Gedanfen find au in dem vom Geminarlehrer: Goflegie
in Copenidc herausgegebenen „Schul⸗Leſebuche“ durchgeführt.
ı 1) Geographie.
Anfprühe mat die evangeliſche Kirche hinſichtlich des Unterrichts
in der Geographie?
Dem Berf. erfcheint es zweifelhaft, ob die Schule den gerechten
Anforderungen der evangelifhen Kirche im geographifchen Unterrichte
nachkomme. Mit der bloßen Beachtung der Geographie des Heiligen
Landes hält er diefe Forderungen noch nicht für befriedigt. Im Uebri⸗
gen aber werde bei den Belehrungen über die Geſtalt der Erde, über
Waſſer und Land, über die Erdtbeile und die Neidhe darin, bei der
eingehendern Behandlung des Baterlandes und der Belebung dieſes
Unterrichtsſtoffs durch gefchichtlihe Erzählungen, naturgefchichtlihe Merk⸗
würdigkeiten und auffallende Erfcheinungen im Leben fremder Bölfer,
gerade die Berüdfihtigung der Heidenmiffion überfehen, welche doch
alle evangelifchen Lehrer und Schüler befonders intereffiren folle.
Beil unfer Jahrhundert fo großartige Erfolge der Mifflonen erlebe,
größere als felbft das apoſtoliſche Jahrhundert; weil ferner, außer diefen
äußern Erfolgen, die Rückwirkung der Miffion auf das innere Leben
der evangelifhen Kirche, auf Weckung größern Eifers, Verſcheuchung
von Lauheit und Echlaffheit, Betbätigung willigerer Opferbereitfchaft fo
hoch anzuſchlagen fei; weil endlich die hriftlihe Kirche die Aufgabe
vom Herrn erhalten habe, der Miffion zu dienen, und das innere Leben
einbüße, wenn fie fih der Nothwendigkeit des Milfionsberufs entziehe:
fo dürfe fih auch die evangelifhe Volksſchule dem Miſſtonswerke
nicht entziehen. Alle Einwendungen dagegen feien eitel, - zumal da Die
Erfaffung des Milfionswerkes weder zu ſchwierig, noch aud für Kinder
zu unfruchtbar genannt werden koͤnne. Beweggrund, Ziel und Mittel
der Miffionen feien Mar, und das Einleben in diefelben helfe den eignen
Glauben der Kinder Mlären und befefligen. Wolle man fagen, den Kin»
dern gebe noch das volle Verſtändniß für die Miffionsarbeit und Die
Miffionsgeihichte ab, wie flehe es dann um das volle, tiefe Verſtaͤndniß
anderer in die Geographie eingeflochtener Befchichten? Auf tieferes Ein»
dringen in die Beweggründe der letztern iſt felbfiredend zu verzichten,
und höcdftens wird das Genüge in der Anregung des patriotifchen Ger
fühle zu fuchen fein. Beim Mifflonswerke findet der Berf. Alles Flar
und einleuchtend, felb noch mehr als bei Bildern aus der vaterländts
Shen Geſchichte, weiche immerhin den SKinderherzen weniger nahe liegen
follen, al& jenes. So wie nun die Milfionsgefchichte für das fpätere
Leben wichtig if, indem fie das innere Leben nährt, mehr Liebe erwedt,
umfaffenderen Sinn für Mitbhülfe einflößt, aus den beengenden Kleinlich⸗
feiten des Alltagslebens rettet, indem fle den böchften und weiteften Ge⸗
fihtofreis öffnet, und doc zugleich Zufriedenheit in Heinen Lebenskreiſen
ſchafft, fo if fie auch ſchon für das Schulleben wichtig. Die Züge
aus derjeiben find praktifche Belege für die Lehren der heiligen Schrift
und die überwindende Kraft des Evangeliums, fowie eine unerfchöpfliche
Bundgrube auch zur Katehismusiehre. Heydemann meint, daß die Geo⸗
graphie dadurch nicht nur nicht verfümmert, fondern das Intereſſe daran
noch mehr gefeflelt und auf das Innere des Volkerlebens gerichtet werde,
fo daß fie dur die Miffionsgefchichte ‚‚eine Sache des Gemüthe und
Geographie. 461
des Herzens,“ und dadurch viel eher umverlierbar werde, als fonft wohl
vorfomme. Daß manche Ericheinungen im Heidenthum mit der Lans
desnatur zufammenhangen und aus derfelben erklärt werden, komme ohnes
bin dem Lehrer noch zu Statten. Er will übrigens weder befondere
Stunden für diefe mit der Geographie zu verbindenden Stüde aus der
Miſſtonsgeſchichte anfegen, noch hater es auf eine eigentliche „„Miffion ss
geographie“ abgefehen; vielmehr ift er dafür, nur einzelne, treffende
Züge zur Charakteriſtik des heidnifchen Zuſtandes, wie der Miffions-
arbeit und des Lebens der Mifftonäre und keinesfalls zu viel zu geben.
Zeit und Erfahrung werden über Zuläffigfeit oder Rothwendigkeit
ber MRiffionssZendenzen und ihre Vorwiegenheit beim Unterricht in
ber Geographie erft noch zu enticheiden haben, wenn auch gegen die Moͤg⸗
lichkeit ihrer Berückſichtigung keine Einwendungen zu erheben find, und
fogar der wohltfuende Anreiz, den jugendliche Herzen dadurch empfan⸗
gen, unbeflreitbar genannt werden darf. Abirrungen und Einfeitigkeiten
liegen übrigens hierbei in mehr als einer Beziehung nahe, wie Jeder
weiß, der das Miffionsweien kennt, und die Literatur deffelben in den
lesten 25 Jahren aufmerffam verfolgt bat. Es darf nicht vorſchnell
und unliebfam überall da ſchon eine Abneigung gegen das Wort vom
Kreuz und feine Predigt an die Heiden präfumirt werden, wo einige
Schüchternheit obwaltet, in die vorgefchlagene neue Idee fogleih mit
vollen Segeln bineinzufteuern. Die einzelnen Miſſionsgeſchichten trifft —
wie die treuften Miffionsfreunde mit Betrübniß am Flarften ſehen —
leider nicht felten der Vorwurf des Gemachten und Ungefunden mit
unfeugbarem Recht, und es gehört ein eben fo unbefangener und feiner
Sinn, ale Weisheit und eine recht umfaflende Kenntniß der Miſſions⸗
fiteratur dazu, um allenthalben nur das Befunde, den fihlichten Ver⸗
bältniffen wahr und treu Entfprechende für die unterrichtliche Verwen⸗
dung herauszufinden. Man wird ferner alle Urſache haben, vor Webers
fhwänglidpfeiten eben fo, wie vor Berzettelung des Unterrichts- ns
tereffes zu hüten, auch ſelbſt bei Sachen, welche an und für fih dem
Ehrißenherzen theuer und folgewichtig erfcheinen müffen. Es ſchickt fi
nicht nur Eines nicht für Ale, fondern es ſchickt ſich auch das Belle nicht
bei jeder Gelegenheit, und es wird dabei ſchon verbleiben, daß der Natur
der Sache nad eine wefentliche und direete Förderung der Haupts
zwede des Religionsunterrihts durch den geograpbifchen Unterricht
nit zu gemärtigen fleht, und daß den leßteren auch noch andere
Berhältniffe, die von großer praftifcdher Bedeutung für das Leben find,
nicht weniger nahe angehen, als die Mifften.
Mit den erwähnten befonderen Tendenzen des geographifchen
Unterrichts in der Volksſchule dürften die jept praktiſch bald mehr
bald weniger betonten erichöpft fein. Daß in Real» und Handels-
faulen auch die befondere Tendenz der Berüdfihtigung des äußern Böls
kerverkehrs in Handel und Wandel verfolgt wird (ef. oben 2. c.
„Jahresbericht” von Dir. Brennede), if für diefe, nicht aber für bie
462 Geographie.
Volks ſchule von beſonderer Bedeutung, indem zu deſſen Verſtäͤndniß am»
dere mehr grundlegende geographiſche Kenntniß erforderlich iſt, als die
Volkoſchule zu erzielen den Beruf hat.
II. Einführung geograpbifcher Kenntniſſe in die Kreife der
reiferen Sugend und des Volks. *)
1. Keine Zeit if fo reih an Hülfsmitteln gewefen, um geogras
phiſche SKenntniffe auch der Teiferen Jugend und den verſchiedenen
Schichten des Voifs zuzuführen, als die unſrige es if. Für das
Schulbedürfniß hat e8 vormals fhon Bücher und Karten gegeben, die
jedog nach Form und Anhalt von der Art waren, daß fie für die aus
der Schule Geſchiedenen feinen erheblichen Reiz behielten; für die zeifere
Jugend und das Volk, oder wie auf den Büchertiteln gegenwärtig häufig
zu fagen beliebt wird, für „Säule und Haus’ war fein großer Schag
vorhanden. Erf unfere Zeit hat, dem Mangel abzubelfen, Fleiß gethan.
Ber aber möchte jagen, daB es von allen Seiten in billigenswertber
Weiſe gefcheben fei! Bor nunmehr 25 Jahren gab der in der Schul
welt noch unvergeflene Dr. W. Harnifh den legten 16. Theil feiner
„wichtigen neuern Lands und Seereifen für die Jugend und
andere Leſer“ heraus, und ſchloß damit nach mehr als IQjähriger Arheit
ein Werk für die reifere Jugend, wie vor ihm ein äbnlihes, nach
fehgeordnetem Plane gearbeitetes, noch nicht vorhanden geweſen
war. Jedem, der fih die Mübe gegeben bat, das Werk zu leſen,
‚muß, wenn er's fonft verfteht, klar geworden fein, daß daran mit einem
eben jo hohen Maaße des rühmlichften Fleißes, als mit umfidhtiger Sach⸗
fenntniß und feinem pädagogischen Takte gearbeitet if, — Vorzüge,
weiche fi bei manchen der fpätern zahlreichen Bearbeiter verwandter
Schriften leider nicht gefleigert haben. (Es iſt ohne Selbfttäufchung nicht
in Abrede zu flellen, daß bei lebteren zum Theil andere, als pädag o⸗
giſche Rüdfihten in den Bordergrund getreten find, welche dann ihre
eigenthämlichen Bedenken weden müflen, — wadere Ausnahmen abge
rechnet.) Heut zu Zage zwar hat es fchon Feine Schwierigkeit mehr,
fa ganze Bibliothefen von Schriften zufammen zu bringen, welche in
‚mehr oder minder zahlreichen Bänden den geographiſchen Stoff in der
verfchiedenartigften Bearbeitung gerade der reifern Jugend zuführen
wollen. Den unbefangenen Beobachter diefer Erfcheinung aber wandelt es
wie eine nicht ungegründete Vermuthung an, daß fie nicht ſowohl einem
debhaft empfundenen pädagogifhen Bedürfniß als dem Umfande
ihren Urſprung verdanfen, Daß manchem Herausgeber und manchem Ver⸗
*) Diele Auseinanderfegung greift in das Gebiet der „ Jugend» und —*8*
ſchriften“, die eine ſelbſtſtändige Stellung im Jahresbrichte Baden. Wir laf
dieſelbe diesmal bier flehen, weil fie den @egenfland ganz a ——
e Redaction
‘
Geographie. | 463
feger, nach vorgängiger Recognoseirung des literarifchen Terrains, und
Sondirung der Beitverbältniffe, die Gonjuncturen eben für ein rentableg
Geſchäft günftig erfchienen fein. Zu unglaublih if es darum mich,
daß die zuverſichtliche Hoffnung des lepteren mehr als andere, im fach.
lichen Zwed begründete Anläffe, den Impuls in einzelnen Faällen zur
Unternehmung neuer geographifcher Werke gegeben haben mögen; will
e8 Doch ſcheinen, als Iäfe man gerade die ſe Signatur dem einen und
andern derjelben an der Stirn. In fofern dabei dennoch Zreffliches
geleiftet if, Tann ſich die pädagogifche Welt der Arbeit, wie der Concu⸗
renz freuen; wo e8 aber — wie Thatfähhen belegen — zu flüchtiger,
jalopper Arbeit geführt hat, welche fih mit allen Mitteln äußerer Ans
reisung zur Anfchaffung empflehlt, durch fcheinbar billigen Preis, liefes
rungsweifes Erfcheinen, draftifche und kecke Illuſtration, elegantes Aeußere
in Drud und Umfclag u. dergl., da wird fie wohl thun, bei geiten
ihre Wächter anfs Pidet zu ſtellen. Daffelbe gilt auch für die Fälle,
wo bei Gelegenheit geographifcher Darftellungen ganz andere Dinge
no mit an den Mann gebracht werden follen, wie 3. B. dies in Be
ziehung auf allerlei politifche Invectiven, republifanifhe und freigeifle-
riſche Rodomontaden in widerliher Weife vielfah in dem nur zu vers
breiteten Meyer'ſchen „Univerſum“ der Fall war. Hier traten die boden-
Iofen Imtentionen roh und frech genug auf, um fofort erfannt zu werden
und edfere Raturen anzuwidern; aber Zaufende haben doch ihr Wohls
gefallen daran gefunden, taufend Andere, Arglofe, find dadurch bethört,
— und if in wichtigeren Dingen unendlich viel mehr geichadet, als
durd allen Apparat von Geiftreichigfeit und poeteriſchem Wortſchwall
bei minder wichtigen zu nüßen war, wenn damit Überhaupt zu nützen
gewefen wäre. Ohne Weiteres iſt alfo die bloße Menge und Mannigfal
-tigfeit der für die geographifche Belehrung der reiferen Jugend und des
Beils jept vorhandenen Bücher noch keineswegs eine Hocherfreuliche Er⸗
fheinung; es bedarf doppelt genauer- Sichtung gar fehr, um nur bloßen
Köder von wirklich trefflicher, guter Koft zu ſcheiden. Es if nun eins
mal für die gefleigertern und andersartigen Bedürfniſſe nach Hinterlegter
Schulzeit nicht lauter Unverfänglihes und Zreffliches geboten, daß nicht
auch hinter manches Iodende Aushängefchild mit prüfendem Blide ge
ſchaut, und außerdem das Beſte verfprecdhende Proſpect das Wert ſelbſt
in feiner ganzen Tendenz und Durbführung durdforfcht werden müßte.
Zwar bringt jept jedes Jahr nene, für dieſe Bedürfniffe beſimmte Werke,
aber das fteigert nur die Rothwendigfeit der forgfältigen Sichtung.
2. In den bisherigen Jahrgängen des pädagog. Jahresberichte
ind ſchon mamhe derartige Schriften befprochen worden, ohne ihre gahl
zu erfchöpfen. Die Zeitblätter, worin neben Anderm, au geo gra⸗
phiſche Kennmiſſe zugeführt, und die bereits erworbenen bereichert wer⸗
ben follen, find in dieſen Berichten dabei noch ganz bei Seite gelaffen,
obwohl fie in den häuslichen Kreifen unter allerlei Firmen ale Jugen d⸗
leetüre vielfältig kurſiren, ja graffiren. Der vorliegende Jahr⸗
gang wird auch wieder neue Erfcheinungen von diefer Art Werken vors
zuführen haben. Zur Erleichterung des kurzen Ueberblicks fei Daran er⸗
464 Geographie.
innert, daß beſprochen ſind im II. Jahrgange S. 230 die „neue Biblio⸗
thek der Unterrichts⸗Lectüre“ von Dr. F. Richter; im III. Jahrg. ©.
249: „Die Länder und Volkskunde“ von Dr. Külb, „die Böller des
Erdballs“ von Dr. H. Berghaus, die „Weltkunde“ (Umarbeitung von
Dr. Harniſch, „Lands und Seereifen‘) von Fr. Heinzelmann, die „Reifen
und Länderbefchreibungen” von Dr. Wiedemann und Dr. Hauff, bie
„geographifchen Bilder aus Europa’ von F. Laudhardt, „Germania’”“
von Dr. ©. Bogel; im V. Jahrg. „die Bibliothek der Länder» und Bölfers
tunde von Dr. H. Berghausund H. Rebau,“ „Kosmos’’ von Dr. Giebel,
„Geographifhe Charakterbilder‘ von A. W. Grube; im VI. Jahre.
„Bilder und Scenen ꝛ⁊xc.“ von A. W. Grube, „Unterhaltung und Stu⸗
dien’ von A. W. Grube und C. Bude; „geographiſche Landfcaftsbilder‘‘
von Dr. €. Bogel, „Skizzen“ von Kohl, „Reifen in Deutſchland“ von
Kohl; VII. Zahrg.: „, das Meer’ von W. F. A. Zimmermann, „der
Erdball und feine Wunder“ von demfelben, „Briefe über U. v. Hum⸗
boldts Kosmos’ von Dr. Cotta, ‚Bilder und Erzählungen‘ von Lips
hold, „Zonen⸗Gemälde“ von Schäppi, „neue Neifebilder” von I. ©.
Fels, „Reiſebilder“ von E. Scheuermann, „Keiſebilder“ bei Hirt in
Breslau; im VI. Jahrg.: „Reue Reiſebilder“ von 3. Hoffmann; im
IX. Jahrg.: „unſer Vaterland“ von Zr. Körner, „das Baterlandsbudy‘‘
von Dr. Bogel, J. Wenzig und Fr. Körner, „Vollsbibliothel der Läns
ders und Bölkerkunde” von S. Steinhardt, „Charakterbilder“ von Lampert,
„Portfolio“ von Dr. Ungewitter, „Das Buch der Welt“ von Er. Körner
und Dr. Morig. (Uebrigens find, bei Gelegenheit der Fortfegungen
und Beendigungen einzelner diefer genannten Werke, diefelben in me h⸗
teren Jahrgängen ergänzend beiprodhen.) Man fieht, es if eine ziem-
lihe Anzahl folder Schriften für die reifere Jugend,“ für „das Volk,“
für ‚gebildete Laien“ u. f. w. von ſehr verfchiedenem Werthe vorhanden.
Es hat auch nicht fehlen fönnen, Daß bereits bei einzelnen der genannten
in den Sabresberichten Ausftellungen und Bemängelungen zu maden
waren, die von der Anfchaffung wohl Manchen abhalten werden. Biel-
leicht hätte dabei noch ſtrenger verfahren fein follen, zumal da, wo oft
gepriefene Namen das Borurtheil begünftigen, daß Ulles, was von ihnen
herrührt, gediegen fein werde; und eben fo Da, wo der äußere Schein
des Fleißes den flüchtigen, erſten Einblick des nach folchen Schriften
Greifenden täufchen möchte, indem nur der tiefer eingehenden Prüfung
fih der Mangel an Gewiflenhaftigkeit der Urbeit nicht wohl zu verbergen
vermag.
Ob es aber nicht disputabel ericheinen muß, im Pädagogifchen
Sahresberiht für Deutſchlands Volksſchullehrer die Literatur und
ihren Geift zu ventiliren, welche ſich als über die engen Schuigrenzen
binausgelegen, für die reifere Jugend und für's Volk befimmt, an⸗
Tündigt? Ganz unberehtigt iſt dieſe Prüfung an dieſer Gtelle gewiß
nicht. Wer da bedenkt, daB durch buchhändlerifche Zufendungen, weiche
bis in's Meine Dorf, durch Buchhaͤndler⸗Colporteure, welche bis in die
einzelnen Häufer und Hütten dringen, allerlei Schriften für's Volk an
den Mann zu bringen gefucht werden, gleich viel, welchen innern Werth
Geographie, 465
fe haben, und weicher Oeiſt in ihnen weht; wer das beſtehende Aeußere,
den mitunter befonders pilanten Inhalt der jedesmaligen erften Lieferuns
gen und Bogen und daneben die erſte Arglofigkeit und augenblidliche
Urtheilsunfähigkeit bedenkt, worin ſelbſt Lehrer überrumpelt werden können,
der wird die Hinweifung auf vorhandene Schäden in den bezüglichen
Säriften nicht mißbilligen. Gerade ‚der nicht felten um Vorſchläge zu
weiterbildenben und ımterhaltenden Schriften angegangene Lehrer kommt
dadurch in die Lage, Gutes zu empfehlen und Bebenklides abzuhalten,
und gerade ihm darf der Durch ſolche Schriften in den Häufern genäbrte
Geiſt nicht gleichgültig fein.
Das Bedürfnig auch nad weiterer geographifcher Belehrung
der reifern Jugend beſteht faktiſch; der Wunſch nah Zheilnahme an
ſolchen Belehrungen ift bie und da ſelbſt im fchlichten Handwerkerleben
wirklich rege. Geeignete, das Bedürfniß in trefflihem Geifte bes
friedigende, dem Wunſche angemeffene entgegenfommende Schriften wird
darum jeder Pädagog willfommen heißen können, und der Volksſchullehrer
wird fietheits ſelbſt gern zu feinem Handgebraud; bei Präparationen und zum
Beiterkudium benupen, theils fie gern in den Häufern und Händen derer
fehen, deren Lebensſtellung den Befig begünfigt. Diefer trefflide
Geiſt wird Ach aber ausprägen müſſen in gründliher Sachkennt⸗
niß, edler Darftellung and Sriflich- vaterländifcher
Haltung und Auffaffung des mit glüdlichem Takt forgfältig aus⸗
gewählten und tüchtig durchgearbeiteten Stoffes. Gründliche Sachlennts
niß iR nicht identifh mit Zach » Gelehrfamkeit, edle Darftellung nicht
mit dem Styl der gefeierteften deutſchen Klajfiker, chriflichevaterländiiche
Haltung und Auffaffung nicht mit Askefe und erclufivem Deutſchthums.
Aber jene drei Stüde bilden doch einen ziemlich greifbaren Gegenſatz
gegen das, was in Inhalt, Darfiellung und Auffaffung in mans
Gem neuen, für die erwachfenere Jugend und das Volk beflimmten
Buche entgegentritt.
3. Faſt Icheint es fo, als wenn es jebt zur Lieblings⸗Idee gewors
den wäre, Volks⸗Lectüre durh Compilation zu ſchaffen. Bei com⸗
pilatoriſchen Arbeiten iſt vorhandenes Gutes in fertiger Ausprägung,
die entweder gar Feiner oder nur wenig modifleirender Umgeitaltung bes
Darf, zu benußten; es ift eine Bielen erwünſchte Mannigfaltigfeit darzu⸗
bieten, und die ohnehin nicht zu mühfelige Arbeit hat nur mit Abruns
dung, Gintbeilung, Anordnung zu thun, ohne das Material ſelbſt erf
fchaffen zu müſſen. Ergänzungen, Erläuterungen, Süuftrationen find ents
weder an fich ziemlich Teicht, oder werden es da, wo man das gefammte
Material von Andern vorbereitet, fertig zum Weberblid vor fi hat.
Gleiches gilt von eventueller Zurechtmachung für den beſtimmten Zwed.
Daß der Bearbeiter und Sammler ohne feinen Takt und Fleiß verfühs
ren, fein Vublikum gering und fich eigentlich für viel zu gut für dafe
ſelbe fchägen dürfe, Tann damit nicht gefagt fein follen; jedoch es gibt
leider. Sammelwerfe ohne diefen Takt und Fleiß. Welche Meinung
deren Herausgeber von der Jugend, dem Bolle und A ſelbſt haben
kann hier dahin gefellt bleiben, wo fein Zribunal der Perſonen errichtet,
Rade, Jahresbericht. X. 30
x
466 | Geographie.
werden fol. Zum Glück gibt es aber auch Sammelwerke, mit dieſen
feinen Zaft und mit mehr Fleiß veranflaltet, als ihnen von manchen
Seiten, die an vornehmthuendes, vorfchnellee Abſprechen gewöhnt
find, und damit zu impontren gedenfen, zugefanden wird. Die Bahn
brechenden haben es mühenoller gehabt, als ihre Nachfolger, welche die
gleiche Idee nun ausbeuten beifen, und bie und da mit vielleicht fchärferer
Kritit im Einzelnen zu Werke geben. Gompilatorifches Verfahren läßt
feine Arbeiten aus Einem, aus eigenfreiem Guß zu; aber es fann
reiht werthvolle Büůcher ſchaffen, wie deren unter den oben erwähnten thatſaͤch⸗
find, welche im Publitum immer weiter wachfenderen Anklang gefunden
haben. Dennoch bleibt es in vielen Stüden ein äußerliches, faft calcus
fatorifches, das oft nur auf die Moſaik des Ganzen und nicht zugleich
auf Gehalt und Geift maßgebend influirt, fondern diefe eben nimmt,
wie fie vorliegen.
4. Jedoch es if dies Berfahren zugleih die Beranlaffung gewor⸗
den, auch auf Gehalt und Geiſt hie und da abändernd einzuwirken;
und dazu hat beſonders die Idee der Genrebilder beigetragen, in
deren Gewand man den Stoff dargeboten hat. Wenngleich dieſe Idee
durchaus nicht die Nothwendigkeit der Abſchwächung der Gründlichkeit
der Sache involvirt, ſo hat ſie doch, wie die Erfahrung nunmehr ſatt⸗
ſam bekundet, die Gefahr der Oberflächlichkeit der Genrebilder nicht
bloß nahe, ſondern die Oberflaͤchlichkeit ſelbſt oft in dieſe mitten hinein
gerückt. Die Compofition der Genrebilder ſcheint, nach nachweisbaren
Beiſpielen zu ſchließen, einen gewiſſen Eklektieismus und Dilettantismus
in Bezug auf die Sachen zu fordern, während der Darſtellung im
Einzelnen eine gewiffe Eleganz und Glätte, fo wie dem Ganzen eine
Art belletriftifher Haltung und Kärbung eigen fein zu müffen fcheinen,
wenn Alles die berechnete Wirkung auf Verſtand, Gemüth und — Ge
ſchmack thun fol. Darin liegen aber für folide Bildung der reiferen
Jugend insbefondere große Gefahren. Es wird leiht von vielerlei Mas
terien in nur geiftvoll fcheinendem, rafchem Wechfel bie eine Blüthe und
da eine Blüthe zu flüchtigem Beriehen, bie und da eine nicht durch
eigene anftrengende Arbeit gezeitigte Frucht zum Koften, und daneben
allerfei Confect in Appereüs und draſtiſchen Situationen dargeboten; dar
gegen der ernften Straftanftrengung, dem mühfamen Erringen weniger zu⸗
gemuthet. Ein Lehrs und Handbuch miede jenes, und forderte dieſes, und
wäre deshalb für mannbafte, nachhaltige, durch die Schale zum Kern
dringende, auch aus ferilern Partieen noch Gewinn ziehende Geiſtesar⸗
beit jedenfalls bedeutfamer. Man weicht dur Genrebilder dieſer
Arbeit aus; freilich man will fie durch diefelben auch eigentlich nicht.
Genrebilder follen auch unterhalten, fie follen theild Ergänzungen
eines an fih trodnern Materials, follen Gen uß⸗Abſchnitte nah ermü⸗
denderer, directer Lernarbeit, follen auch wohl Lichtbilder des Gegen⸗
flandes gewähren, um zur fleißigern Befchäftigung mit biefem anzufeuern.
Weiſe gebraucht werden fie, wenn fie fonk im Gehalt bedeutfam, in der
Form ohne Meberfhwänglichkeit und hohle Schöngeifterei gehalten find,
auch ihre guten Dienfte thun; fle find dann wohlthuende Reizmittel,
Geographie. 467
Gewürz, Wollte man aber feine ganze Kortbildung durch bloße Genre
bilder verfolgen, fo fleht eine Berfchiefung und Berflahung derfelben mit
Grund zu beforgen; eben fo ein Abircen von den foliden. Fundamenten
ber Bildung, welche, wenn auch in ihrem Weſen zunaͤchſt von wiffen»
ſchaftlicher, doch in ihrer Wirkung zugleich noch von tief fittliher
Bedeutung find. Baco’s altes Wort: „Oberflählihes Rippen
am Becher der Wiffenichaft führt ab vom Glauben, tiefere Züge
er zu ihm zurück“ — if nocd heute eine beberzigenswerthe Wahr⸗
eit.
5. Als vorhin angedeutet wurde, daß die Compilation der für bie
zeifere Jugend beftimmten weiterbildenden geographifhen Bücher auch
auf den Geiſt und die Tendenz des vorgefundenen Stoffes in manchen
Faͤllen Einfluß geübt habe, war es noch ein befonderer Umftand, der. in
“manchen diefer Bücher Bedenken erwedt. Zugegeben, daß diefer Eins
Aug von mancher Herausgeber in würdigfter Art fo ausgeübt if, daß
nidyt bloß alles Ungehörige, Anftögige, oder alles Magere, Breite ent
fernt, Sondern auch ein Hauch über die Arbeit ausgegoffen worden if,
frifh, wie jugendlichen Herzen es wohlthut, und edel, wie fie es bedür⸗
fen; ja, daß er dem vaterländifchen Wefen feine ausgefuchtefte Liebe und
dabei allen ehrwürdigen Beziehungen zum chriflihen Leben eine ehrer⸗
bietige Beachtung zuwendet; fo fteht fo viel doch auch fehl, daß bei ans
dern, wenigftens in den letztern beiden Beziehungen, nicht nur viel wenis
ger als der Jugend und dem Volle nöthig, fondern daß fo ziemlich das
Gegentheil davon dargeboten ift. Kosmopolitifche Lobpreifung der Fremde,
und mehr oder minder unverhohlener Materialismus und NRaturas
lismus find die Devife einiger, darum nicht unbedenklicher Bücher für
Zugend und Boll, während andere, Falt und farblos, gerade nicht
eben Bedenkliches, aber auch nichts poſitiv in vaterländifcher und chriftlis
ber Beziehung Bauendes und Belebendes darbietet. Bei der vornehm⸗
lih in den induſtriellen Volksihichten weit aus vorherrfchenden Neigung
zum baaren Materialismus, und bei dem felbft von manchen Gelehrten
immer von Neuem unter das Boll geworfenen Anreiz zu bloß natus
ralikifher Weltanfhauung, wodurd bei der. Jugend die Bias
Airtheit und beim Volk eine troftlofe Geiftesöde hervorgerufen wird, if
e8 doppelt bedrohlich, in glatter, gewandter, geififchimmernder Darftellung
den Sinn und Gedanken für diefe Auffaffung noch mehr zu Pödern,
und beide von ernflerer, würdiger Anjchauung abzulenken, Die bunten
Zarbenflittern fchön Elingender Worte, womit die leichte Waare verhüllt
wird, verführen manchen arglofen Urtheildunfähigen, der vor flarfer Koſt
zurüdchredt, und nehmen ihn für Inhalt und Form von Anfhauungen
gefangen, deren völlige Entbehrlichkeit zu erkennen - auch das geringfte
Maaß pädagogifcher Einficht Thon hinreicht. Was foll für folide geogras
phiſche Fortbildung der reiferen Jugend und des Volkes gewonnen wer⸗
den, wenn 3. B. in flüchtiger Scigzirung eine große Stadt vorgeführt
wird, von deren Paläften, prachtvoll aufgepugten Waarenläden, glänzens
den Hotels und Gonditoreien, öffentlichen Plaͤtzen, Bergnügungssocalen
u. dergl. ein möglihit pikantes Bild hingeworfen wird, und in der ma
30*
— — ——
468 Geographie.
hingewieſen findet auf draſtiſche Charakter⸗Vigenthümlich keiten der mittlern
und untern Bevoͤlkerungsſchichten, auf Schwaͤchen und Makel des Alls
tagsverkehrs mit einem Anfluge von beißender Ironie und ſelbſtgefälliger
Ueberhebung, und vielleicht mit einigen billig zu habenden ſocialen Er⸗
güffen. Vom höhern Geiftesieben, von chriftlihen Pfleganftalten, vom
Charakter der markigern Naturen, welche überall erfi den Kitt zu den
focialen Berbänden abgeben müflen, von der großartigen Bereinsthätige
keit zur Steuer von allerlei Nöthen und zur Hebung und Beredlung de
innern Lebens, von dem nationalen Streben, alle edlen Kräfte in fels
een Hauptlädten um einen Brennpunkt zu fammeln, einen Kern zu con⸗
fruiren, um melden fi) alles Gute in mancherlei Formen kryſtalliſtren
bonne u. dergl., von alle Diefem kein Wort! Und doh fragt man mit
Ing, vb man nicht an einem der letzteren Stüde, fo es gehörig aus⸗
einander gelegt wäre, der Jugend und dem Volke mehr gäbe, als mit
jenem geſammten, Doch Teer Laffenden Gemiſch von allerlei glänzenden
Aeußerlichleiten in überfchwänglichen Worten. Gebt beffere Sachen, bie
prandenden, beiiehenden Worte wollen wir euch erlaffen! Oder was
foll es helfen für folide Kenntnißerwerbung, wenn bier eine vergnügliche
Reife mit gelegentlichen Waggons » Anetdötchen, dort eine luſtige Jagdge⸗
fhidyte, wiederum hier etwas viel Ungeheuerlichleit und Grauenhaftes,
und dicht daneben dort entgegengefepte Scenen u. dergi. Aehnliches eins
gewebt it, — lauter nichtige Materie, die den Sinn der daran ſich feſ⸗
Feinden eben fo ficher vom beflern Geiſt abhält und abientt, als manche
ganz abfihtlih, den fchalen Naturalismus preilenden, mit wiätig thuen⸗
der Diiene auftretenden anderen Genrebildern ihn noch directer infls
eiren. Wahrlich Gottes Ehre ift es nicht, wozu dergteichen beitragen
heifen Tann.
Kein vernünftiger Pädagog wird der reiferen Jugend auch bei ihrer
geographiichen Weiterbildung erfreuende, Erholung gewährende, minder
anfrengende PBartieen in dazu beflimmten Büchern mißgönnen; aber Uns
ffrengung, Nachdenken, Uebung und Wiederholung fordernde Wartieen,
tüchtige Lehrfiüde in markiger Korm müſſen daneben nit nur nicht
fehlen, fondern überwiegen. Und die Grundtendenz muß den Lichtblickſauf
das Höhere, Söttliche, fo wie auf Fräftige, bewußte Vaterlandésliebe und ihre
Gonfequenzen wohlberechnet offen halten. Das führt weder zur Miſan⸗
thropie, noch zu krankhaftem Gefühlsweſen, fondern macht Hug, und klar
und frei Dazu.
Hiernach kann das Urtheil a priori nicht zweifelhaft fein, daß über
neuere Erjcheinungen der geographifchen Literatur für die „reifere Yun
gend und das Volk,“ wie fie weiter unten im Literaturbericht zu erwähs
nen fein werden, zu fällen fein dürfte Es möge demſelben an diefer
Stelle nicht vorgegriffen werden; indem es bier nur auf Feſtſtellung der
Geſichtspunkte zur Beurtheilung diefer literariſchen Erſcheinungen
anfam, auf welche die Erfahrung nöthigt, mit nicht zu vertrauensvols
lem Blicke hinzuſehen.
6. Iſt ſchon gehörige Aufmerkſamkeit erforderlich, um unter den
vorhandenen Schriften für den Haus gebrauch des Volks das Worth⸗
Geographie. 469
volle von dem leichten InduftriesBrodufte zu fondern, fo noch mehr für
ben Schulgebraug. Da für den geographiſchen Vollksſchulunterricht
die Forderung befteht, nicht bloß leeres und todtes Gedaͤchtnißwerk in
Länderformen, Ramen, Zahlen und allerlei fogenannten Merf- und Se⸗
benswürdigkeiten zu lehren, fondern das unentbehrliche Gerüſt der Grund»
fegenden Anſchauungen und Binyrägungen auch angemeffen auszufüllen,
die Knochen mit Iebendigem Fleiſch und Blut zu überfleiden, fo bat_ber
Lehrer dazu brauchbare Stoffe nöthig. Er will fih ia auch ſelber in
die Einzelzüge des Charakterbildes prägnanter Erdlokale, vaterländifiher
wie fremder, noch mehr einieben, fi felber gründlicher orientiren und
weiter bereichern, um dann nad Bebürfniß aus eigenem Schatz hervor⸗
langen und etwas Gutes darbieten zu können. Jüngere Lehrer, welche
in den Seminaren nach Kräften von der Genüge an inhaltlofen Rede
reien über geographiiche Dinge entwöhnt werden, und es lernen müffen,
wirklich probehaltige Sache in den Unterricht zu bringen, fünnen
Bei der Dürftigkeit der ihnen meiftens nur zu Gebote flehenden Geld,
und Hülfsmittel faum anders, als aus tüchtign Sammelwerlen fchöpfen.
Gehlgriffe paſſiren ihnen beim Mangel an praftifcher Erfahrung und an
gehörig umfaffender ſenntniß und Durddringung des Gegenflandes nur
zu leicht, indem fie im Drange mannigfaltiger Vorbereitung wohl nebs
men, was fie beim erſten Zugreifen in die Hand befommen. Für den
direeten Schulgebrauh paflen aber die Abfchnitte folder Sammel
werke in der Regel nicht, und flets dann um fo weniger, je mehr fie
unterhaltend find, und je mehr dadurch dilettirend im bunteſten Durch
einander mit gefchmeidigen, biendenden Worten überall nur an der Ober
Häche herumgenaſcht wird. Uber auch aus fehr tüchtigen derartigen
Schriften, die ihrem ganzen Inhalte nad eigentlich förmlich ſtudirt fein
wollen (3. B. Berghaus, Bögefamp, Rougemont), iſt nicht ohne Weite
red der Inhalt in den Schulunterricht zu tragen. Deshalb kann nicht
genug daran erinnert werden, daß zuvor Stoff, Form, Geil und Tem
denz deſſen geprüft werden, was in den Unterricht verwendet werden fann
und fol, um es deffen Bedürfniffen adäquat zu maden Solide Ums
geſtaltung if freilich nicht Jedermanns Ding; es gehört mehr als der
bloße gute Wille dazu, und darum gelingt fie nicht fo oft, als fie ver⸗
ſucht wird. - Es wird wohl noch dahin geſtellt bleiben müflen, ob der
Leſebuchston dafür das gültige Mufer abzugeben habe. Sollte Ich»
terer auch für die Bolksfhulen ſehr angemefien erſcheinen, fo doc ſchwer⸗
fh in allen Schulen, wo lebendige Eharakterbilder in ausgefährterer
Darftellung ihren berechtigten Platz finden. Jedoch darüber if kein
Bweifel, daB, flatt die Oberflächlichkeit, das dilettirende Durcheinander in
flüchtigem Wechſel, Die bloße bebagliche Unterhaltung und allerlei
vur mouterialifiige und naturaliſtiſche Anfchauungen zu unterüßen,
die Schule nichts Geringeres ald das gerade Gegentheil biervon anzu»
Rreben bat, wenn ſie aus weiterführenden Stoffbüchern ſich den Inhalt
für ihren Unterrihtsbedarf entnimmt.
470 Geographie.
M. Prattifches Beduͤrfniß beim’ geographifchen Schul-
unterricht.
Richt nur der Wiſſenſchaft willen hat die Volks⸗ und Bür
gerſchule die Geographie zu lehren, fondern um der Anforderung wils .
len, welche das praftifche Leben macht. So viel ſteht heut zu Tage
feſt. Dennoch könnte es fcheinen, als wenn Alles, was bei geograpbi-
fhen Belehrungen irgend welchen wiffenfhaftlihen Charakter trüge,
aus diefen Schuien fern gehalten werden müßte. Das würde dann zu
ziemlich befremdlichen Gonfequenzen führen. Der geographiſche Lehrſtoff
iR feinem eigentlichen Wefen nah wiffenfhaftlider Natur, und
kann diefer nicht ohne Selbfivernichtung entlleidet werden. Es kann fi
auch die Lehrweiſe der Rüdfichtnahme auf dies Verhältniß fo wenig
ganz entſchlagen, daß fie vielmehr ihren elementaren Charakter daher er ents
‚nehmen muß. Der gefammte fundamentale Unterricht in der Geographie,
die einzelnen Stüde und Seiten der Betrachtung, ihre Vorbereitung und
ihr fpäterer Ausbau, Bang und Berfabren fügen fich erft hierauf. Mag
Alles noch fo faßlich gefaltet, noch fo einfach an das Raheliegende an-
gefnüpft, noch fo fern von allem Schein der Gelehrfamfeit gehalten wers
den: diel Ratur der Sache ift und bleibt wiffenichaftiih. Nun fragt
es fih für die Schul zwecke bloß, welche Partieen daraus benfelben
eignen und förderlich werden, und welche Betrachtung und Behandlung
die praftifch fruchtbare für das wirkliche Leben fein möge! — Da,
wo, wie auf Gymnmaſien, der gefammte Unterricht eine wiffenfhaft-
Lie Tendenz haben foll, hat auch der geographbifche Unterriht in
Stoff und in Form der Behandlung ſich dieſer Tendenz anzufchließen.
Bie das geſchehen könne, lehren am beften die für folche höheren Lehr-
anftalten beffinmten Lehrs und Handbücher. Auf welche Weile nad der
ren Anleitung zu beginnen und ftufenmweife fortzuführen, weiche Bezie⸗
bungen zu betonen, welche Wechſelverhältniſſe aufzubellen, welche andern
dagegen minder zu beachten, weiches Ziel und welcher Abſchluß anguftreben if,
das gehört nicht hieher, darf auch als befannt vorausgefept werden. Es
genüge an die Lehrbücher von von Roon, von Raumer und ähnliche
bereits oben I. 3. b. erwähnte zu erinnern. Auch höhere Realfhu-
len haben ähnliche Tendenzen, namentlich im Gebiete der Realien, und
der für fie angemeffene geographifche Unterricht geftaltet ih faſt eben fo
wie in den Gymnafien.
Anders if es für Bürgers und Volksſchulen, deren Auf
gaben und Zwecke andere find, als die der höheren Schulen. Da fi
aber die Geſtalt des geographiichen Unterrichts aus den wiſſenſchaft⸗
lien Elementen des Gegenftandes herausgebildet hat, fo hat es wohl
geſchehen Lönnen, daß unter Berfennung oder Zeifeitfegung dieſer Aufs
gaben und Zwecke, eine mehr wiſſenſchaftliche Betrachtungsweife auch in
diefe Schulen übertragen if. Ehe in neuerer Zeit ein vorbereiten«
der Kurfus, etwa der der Heimathskunde, für nöthig erachtet
Geographie. : 471
wurbe, pflegte man in Bürgers und Volksſchulen etwa gerade fo mie ik
Gymnaflen ben geographifhen Unterricht zu beginnen, 3. B. mit Definis
tionen, Gintheilungen, Ueberfichten u. dergl. Beim weitern Fortſchreiten
war es eben fo nicht fowohl die Art als das Maaß des Stoffes,
worin dieſe Schulen abwichen, unbefümmert darum, ob dem Leben
praftifch erheblich gedient werde. Man übte allerdings die Kraft; dazu
hätte e8 aber auch noch andere Mittel gegeben. -
2. Für die Volksſchulen iR nun der entfcheidende Schritt und
Schuitt ſchon gefchehen; fie find wefentlih nur auf die „Baterland&
Funde’ und auf die „‚unentbehrlihen Kenntniffe‘‘ daraus angewiefen, .
die duch „Erläuterung der betreffenden Abfchnitte des
Lefebuhs, ‚verbunden mit dem Gebrauch der Karte’ und bereichert
durch „ausführlichere Befchreibung und Bergleichung‘ erworben werden
follen. Bird es nun mit den „Erläuterungen der Leſebuchs⸗Abſchnitte“,
dem „Kartengebrauch“ und den „ausführlichen Befchreibungen und Ver⸗
gleihungen‘’ gewiflenhaft und nicht zu engherzig genommen, dann if
das Gebiet durchaus: nicht etwa fo beichräntt, als es beim erften flüch«
tigen Blide zu fein fcheint. - Vielmehr kann es fraglich werden, ob bei
der angewiefenen Beit nicht fchon mehr als genug damit gefordert fein
mögte. M
Die guten Bürgerfhulen innen etwas mehr thun. Es läßt
fih Art und Maaß des von bewährten Praktikern für dieſelben bezeich-
neten Stoffes aus den für ihr Bedürfniß verfaßten Leitfäden entnehs
men, deren bereite viele in den Jahresberichten aufgeführt find, und
deren Zahl fich jet wiederum vermehrt bat. Das den Volks ſchulen
jegt zugemeflene Gebiet, nach Weſen und Umfang in den „Regulativen“
abgegrenzt, findet faft widerfpruchelos Die Anerkennung: es entipreche dem
praktiſchen Bedürfniß, bleibe weder dahinter zurüd, noch gehe es dar»
über hinaus. Bei den Bürgerfchulen iſt's noch nicht bis zur wider,
fpruchstofen Entfcheidung gediehen; bald wird viel, bald wenig für das
Richtige gehalten, und namentlich was die Eharafterbilder ande
trifft, fo divergiren die Anflchten über deren Nutzbarkeit in herkömmli⸗
Ger Art und Berwendung mehr, als es oft angenommen wird. Wo
der Lehrcurſus etwas breit angelegt ift, finden fle darum nur ſchwer
Raum, weil mit der Zeit nicht auszufommen iſt; und wo der Eurfus
allenfalls oftere Einfchaltung von Charakterbildern zuläßt, da iſt man
nicht durchweg mit der jetzt beliebten Art und Durchführung diefer Cha⸗
tafterbilder einverfkanden. Man fürdtet damit viel Zeit Fruchtlos für
das wirkliche Lernen zu verbringen, und bringt Erfahrungsbemeife
dafür bei, denen nicht wohl ſchnurſtraks widerfprodhen werden fann. In
gleicher Art, wie tiefer eingehende Befaffung mit der Länders Configura-
tion, mit dem oros und hydrographiſchen Charakter der zu behandelnden
Gebiete, der Abhängigkeit der Art und des Reichthums der Produfte vom
Klima, namentlih vorn den thermiſchen Verbältniffen, von ter Regen⸗
menge und den vorherrfchenden WBindrichtungen, mit den ethnographi⸗
fen und mathematijh » aftronomifchen Momenten der Erde u. dergl. m.
zu viel geben und darum beſtimmt nicht dem praktiſchen Berürfnig
472 Geographie.
der Bürgerſchule und des Bürgerlebens entſprechend erachtet werden, —
fürchtet man zu wenig reelle Ausbeute für dieſe praktiſche Seite in den
vielen theils zu bunten, theils zu küͤnſtlich zuſammengeſtellten Landſchafts⸗
bildern, für deren befriedigende Erfaſſung Kinder nicht immer das Or⸗
gan zeigen, auf das dabei gerechnet werden muß. Ohne allen Grund if
diefe Beforgniß in der That nicht; es ift wirklich die nachweisbar er
zielte, reelle Ausbeute nicht felten weit geringer als die Erwartung. Aber
es fragt fih, ob diefe Ausbeute überall nah Pr. 1. 2. 3 nachweisbar
Durch Frage und Antwort feftzuftellen, und als fertiger Erwerb glei
auf der Stelle abſchlußfähig zu fein braucht? Oder ob nidt, wie die
mancherlei Stoffe und Säfte, welche eine Pflanze zu ihrer gefunden Ents
widelung vor der Beitigung der Frucht bedarf, und welche in fie durch
Affimilation übergehen, ohne daß fih in jedem Moment nachweijen ließe,
wo Dies und jenes Atom davon verwendet fein möge; — ob nit auch
gerade ſolche belebenden Charakterbilder — gut angewendet — doch ſehr
weſentlich in der Sache fördern, wenn auch das Ktraftmoment nicht ugs
nachgewogen werden kann, welches zulept ja doch der praftiihen Bil
dung zu Gute kommt? Damit wäre dann ein Theil jener Kurt wer
nigſtens als vorzeitig zu bezeichnen. Berfehrte Anwendung mag aud bier
viel verderben, aber gerade fie gibt ja auch Feinen richtigen Maaßſtab
des Werths der Sache ab. Nichtig componirte Landfchaftsbilder werden
aber auch durch die darin eingelegten Momente ganz trefflich geeignet -
fein, vornehmlich den Blick für's praftifche Leben zu fchärfen, man
halte nur bei diefen Momenten bewußt und Mar die einfachen praktiſchen
Tendenzen feft, und wolle nicht poetifchen Schmud und immerdar reichen
Wechſel in jedem Bilde als das unerläßlihe Merkmal folder Bilder bes
gehren. Der einfihtsvolle Lehrer hat ja die Sache ganz in feiner Hand,
und kann fie fi fo praftifh als möglich zurecht legen.
3. Benn vom praftifchen Bedürfniß des geographiihen Shuls-
unterrichts die Rede ift, fo pflegt damit mindeflend ein doppelter Sinn
verbunden zu werden. Diefer Unterriht foll keine bloße Gedächtnißbe⸗
fäftung, er ſoll eine Uebung der geiſtigen Kräfte herbeiführen,
doch ſo, daß ein beſtimmter Fonds von Kenntniſſen dabei ſicher
erworben werde; und eben dieſer Fonds ſoll ein im praktiſchen Le⸗
ben nutzbar zu machendes Kapital ſein. Alſo es ſoll die Behandlungs⸗
weiſe nicht geiſtlaͤhmend, ſondern geiſtbil dend, der Stoff nicht ein ali⸗
quoter Theil geographiſcher Gelehrſamkeit, ſondern eine Summe für
jeden denkenden Menſchen erforderlicher Kenntniſſe ſein, zum Verſtänd⸗
niß der ihn im Leben vorkommenden, darauf bezuüglichen Verhältniſſe.
Die Frage vom geiftbildenden Unterricht ift dahin entfchieden, daß
der Unterricht nicht anders als geiftbildend jein dürfe, d. h. aber nicht
in bloß formalen Kraftübungen zu beftehen habe; da auch die Subs
ftanz, woran dieſe Uebungen vorgenommen werden, für ſich felbft bedeuts
fam fein und angeeignet werden muß. Die andere Trage dagegen, we⸗
gen der Summe und Art der erforderlichen Kenntuiſſe, if nicht ebenjo
einhellig entfchieden; hier divergiren die Anjichten. Bon den Einen wird
eine Hinneigung zu den wiflenfchaftlichen Momenten, welche alles übrige
Geographie. 473
Berſtändniß begründen und erleichtern, von den Andern eine größere
Fernhaltung von denſelben empfohlen, weil darin eine Bürgſchaft für
mehr Praktifches zu liegen ſcheint.
a. Director Dr. Bolger fagt im Vorwort zur 9. Aufl. feiner
Schulgeographie für die mittleren Klaffen der Gymnaſien, für Bürs
gers, Real» und Töchterfchulen (,,1856':) Bekanntlich erhebt jet die for
genannte neue Schule ihre Stimme und behauptet, der bisherige Weg,
die Geographie zu lehren, fei unpaliend und des jepigen Standpunktes
der Wiſſenſchaft nicht würdig, Nah neuer, wiffenfcaftlicher Methode
fol der Unterricht betrieben und ſchon der Sertaner mit den Anfichten
befannt gemacht werden(!), durch welche Zeune, Ritter, v. Bud,
Link u. a. Herren der geographiſchen Wiſſenſchaften Die Aufmerkjamkeit
der gelehrten Welt auf fich ziehen; von dem politiſch⸗ſtat iſtiſchen
Elemente der Geographie darf kaum mehr die Rede fein(?). Ih
bin nie ein Freund des alten Schlendrians geweien, aber eben fo wenig
babe ich mich überzeugen koͤnnen, daß das neue Geograpbenthu mil)‘
zwedmäßig und nothwendig fei. Die rein wiffenfhaftlihe Gew
grapbie gehört nit für die Schule... Die Schule fordert mehr
das Praktiſche, und das bietet die von Ritter u. U. befolgte
Methode nicht dar.... Man vermeide die Extreme, behalte den alten
fideren Grund, benuße aber — und dies ift jehr wohl möglich, ja nach mei»
ner Ueberzeugung die eizig zweckmäßige Weife — die neueren Ans
Achten, und gebrauche davon, was jeder Klaffe von Schülern angemefs
jen if.
Sebt find es faſt 30 Jahre, Seit Director Bolger zum erften
Mal mit feinem „Handbuch der Geographie für höhere Schulanftalten
und für gebildete Leer,‘ und mit feiner „Anleitung zur Länders
und Bölferfunde,” die mehr für Kinder und Ungelehrte, befonders für
den eigentlichen Bürgerſtand“ beſtimmt war, Öffentlih auftrat. In
jenem wollte er erflärtermaßen nicht rein wiffenfhaftlidhen, ſon⸗
den praktiſchen Zmeden folgen; daß die von ihm unter Befeitigung
der Länder-Eintheilung nach Zeune’fhen Naturgrenzen (welche neue Geos
grapben „oft fehlecht verſtanden und noch fchlechter angewendet” haben
ſollen (2); vergleiche dagegen 3. B. Schlacht's und Dittenberger’s
geographiiche Lehrbücher —), durch Aufnahme fpecielifter Länder» und
Staaten» Eintheilungen, zablreicherer Städte und Ortjchaften, und einer
Hülle hiſtoriſcher und naturhiſtoriſcher, ſowie Ratiftifher Notizen gefcheben
ik, ift befannt. Eben fo if bekannt, daß damit die alte Methode von
Fabri, Cannabich und Stein u. f. w. fortgepflanzt wurde. Der forts
fhreitenden Wiſſenſchaft konnte diefe Methode nicht genügen;
aber die neuere, ihr, adäquatere Methode machte weder den abftrufen
Behler, „Sextaner“ mitden „Anſichten“ der geographifchen Herren
zu bebelligen, noch verfiel fie in den fchwerlich minder feltjamen Feh⸗
ier, durch Die Weberfüle von Eintheilungen, Ortfchaften und Notizen
alle Kraft und Neigung zu erdrüden, welche implicite oben „Schlen⸗
drian“ fignirt if. Dagegen ift es wahr, daß dag fatiftifchrpolis
tifche Element der Geographie wirklig mehr als räthlich in den Hig-
°
=
474 Geographie.
8
tergrund geſtellt ward. U. v. Roon gab in feinen 1834 zuerſt erſchie⸗
nenen „Anfangsgründen der Erd⸗, Voölker⸗ und Staatenkunde“ nur ein
Analogon deſſelben; Viehoff (1835) und Polsberw (1838) nahmen eben⸗
falls in ihren „Leitfäden“ nur das „Wichtigſte“ oder eine „Vorſchule'
der politiſchen Geographie auf, — Berghaus hatte in ſeinen „erſten
Elementen der Erdbeſchreibung“ (1830) davon gar nichts; — aber von
den 40r. Jahren an kam auch dies Element wieder zu mehr Recht. 3.8.
Rhode rehabilitirte daſſelbe in feiner „Schulgeographie für die höhere
Bürgerfchute‘ (1845), Daniel in feinem ‚Lehrbuch der Geographie”
(1845); und ſchon in den beginnenden 30r. Jahren hatte Fr. Voigt
in feinem „Leitfaden beim geograpbifchen Unterricht,“ wie feit 1820
Selten der politifchen Geographie in feinem „‚hodegetifchen Handbuche“
für niedere Unterrichtöfreife ihren Pla gewahrt. Alle waren aber doc
von dem „alten‘ Grunde zurüdgetreten und hatten fi den neueren Ans
fihten angefhloffen. Das that in folhem Umfange der Director Bols
ger aber heut noch nicht, er Hält an feinen Altern Anftchten feft, und es
ift auch gut, daß ſolche Stimmen immer einmal wieder auf das Alte zus
rüdweifen, indem dies zu einem vielleicht nöthigen- Korrectiv einfeitiger
Meuerungen dienen ann. ebenfalls behält er darin Recht, daß die
Schule feine wiffenfhaftliche Geographie ohne praftifch bedeut-
fame politiſche Geographie gebrauchen Tann, befonders nicht die Reafs
und Bürgerfchule; nur if das Ne quid nimis nicht zu vergeffen.
b. Inſtituts⸗Vorſteher Dr. Geisler bemerkt in dem Vor worte zu feinem
„Leitfaden beim Unterriht in der Erdkunde‘ (1856): „Der Ges
fihtspunft, der dem Berf. beim Abfaflen Ddiefes Leitfadens vorjchwebte,
it der praftifche, die Methode die concentrirende.. Wie geiſt⸗
reich und wiffenfchaftlih auch die neuſte geographifche Lehrmethode fein
mag, die nah Nitterfhen Grundfägen von Berghaus und Roon bes
gründet wurde, fo vermochte der Verf. doch das Bedenken nit zu uns
terdrüden, daß wir ung damit in ein abftraftes Gebiet verirren, das
Leben, welches der Menſch auf der Erde gefchaffen, unbillig vernacdhläf-
figen, und namentlich dem Schüler, weldher aus den untern und mitt⸗
leren Gymnaſial⸗ und Realklaſſen in's Gefchäft tritt, nichts mit auf den
Weg geben, was er in feinem Lebensberufe verwerthen kann. Der Berf.
bat fich daher beftrebt, die Anforderungen der Praxis mit denen ber wiſſen⸗
ſchaftlichen Methode möglichft zu verſchmelzen.“ — Dr. Geisler hat mit
anerfennenswertbem Takt feine Gedanken in dem ‚Leitfaden‘ realiftrt,
ber für deutfche Mittelfchulen beſtimmt ift, welche „binfichtli der res
ligiöfen Grundlagen mit den Elementarfchulen,, binfihtlich der zweckmä⸗
Bigen Ausdehnung des realiſtiſchen Materials und der gediegenen Vor⸗
bildung im deutfchen Gedanfenausdrud mit den höhern Bürgerfchulen
zufammentreffen, von diefen und den Gymnaflen aber dur die Aus⸗
fhließung alles Unterrichts in den alten Spraden vom öffentlihen
Lektionsplan unterfchieden werden.” Inder That ift er der wiffenfchaftlis
hen Methode, wie fie jetzt verftändig gehandhabt zu werden pflegt, gefolgt,
er bat aber hiſtoriſche und naturkundliche Notizen, ale „beleben
den Schmuck“ eingewebt, um der geifligen Anregung willen, und um
" Geographie. 475
Ye für Weltkunde in den Mittelſchulen zugemeffene Bett möglich aus⸗
zukaufen, und er Täßt die politifche Geographie in angemeffener Art
zur Geltung fommen. (Bergi. unten Näheres im Literaturberidtt).
Was im „Vorwort“ noch über das bei Mittelfehulen in den Mittels
punkt alles welikundlichen Unterrichts zu flellende Vaterland, fo wie
über die ‚‚zufammenfaffenden Bilder” fagt, welche der Jugend „zur Freude‘
vorzuführen find, flimmt im Grunde mit dem weiter oben hier ſchon
darüber Gefagten überein. Dan fieht, hier iſt auch die Berüdfichtigung
politifhsfkatiffifcher Momente für ein wefentlihes, praltis
ſches Bedürfniß erachtet. Der Verf. hat nicht Unrecht, wenn er noch
auf die Zufammenftimmung feiner Auswahl und Behandlung des
Stoffe mit dem preußifchen „Regulativ‘ vom 1. Oktober 1854hinweift.
e. Director Bock kommt in dem mehrerwähnten Sanuar » Heft des
„Sähulblatts 2c’” (1856) ebenfalls auf dies praftifche Bes
dürfniß zurüd. Beim Gehrauh der Karte weißt er auf „Städte,
Straßen, Bandie, Eifenbabnen, reihe Bevölkerung‘ u. dgl. bin; er will
hei Deutſchland nicht die Staaten und ihre Hauptflädte, bei Europa nicht
die Länder mit ihren Hauptflädten, bei Preußen nicht die Provinz und ihre
Sauptftädte überfehen wiffen. Ex verwirft ferner bloße eompendienartige Zus
fammenftellungen, die „viel Knochen und wenig Fleiſch“ geben, und verlangt
dagegen, die Gegenſtaͤnde zu lebendiger Anfchauung zu bringen, und damit
einder Wirklichkeit entfprechendes Wiflen zu verntitteln, von dem
bie Jugend einen „realen Gebrauch‘ machen kann. ‚Man enthalte ſich
in der Geographie des compendiarifchen Wiſſens, das Wichtiges und Unwich⸗
tiges durch einander mengt, treffe eine gefunde Auswahldeffen, was für
die einfachen Berbältniffe, in denen unfere Bauers- und Bürger
ten te leben, gehört. |
Was man gibt, das trete in frifchen Karben als Lebensbild
auf. So fchildere man das Vaterland, fo werfe man Blide in die Fremde,
fo weit fie in Beziehung zum Leben des Volkes ſteht. Alles Webrige,
was in diefen Rahmen keinen Platz hat, laffe man lieber weg, als daß
man durch die Häufung das Berechtigte beeinträchtigt und um eine
anſprechend anſchauliche und Tebendige Darftellung bringt.‘ —
Für Volksſchulen werden das immer leitende Geſichtspunkte fein,
wenngleich es fi in der Schulpraxis wohl fo geftalten wird, daB nicht
Alles, was gegeben wird, „in frifchen Farben als Lebensbild auftreten
Tann, weit der fihern Einübung des wenn auch noch fo geringen Quantums
pofitiven, immer dann etwas Dürren Materials auch Raum gelaffen werdeumuß. .
d. In feinen „Beiträgen zum geographiichen Unterricht‘’ (1856)
weit Dr. R. Nagel noch auf einen befondern Gedanken hin, der zwar
in feinem Urfprung ber neuern Wiffenfchaft, in feiner Bedeutung aber
doch der Praxis angehört. Nicht an allen Orten liegt die Rothwendig-
feit der beflimmteften Berüdfichtigung des praftifchen Lebens gleich nahe.
An Indufrieflätten, Handelsplätzen, in Produetensreichen Gegenden, an
lebhaften Verkehroſtraßen u. dergl. Punkten iſt Jung und Alt wie mit
allen zehn Fingern auf das praftifche Leben in der Nähe und Werne
gewiefen ,. fo daß eine Beſchraͤnkung auf rein topiſch⸗, phyſikaliſch⸗ und
476 | Geographie.
wathematifch » geographifche Verhaͤliniſſe, ohne auf das ſleißige Regen
und Leben der Leute und das, was damit im Zuſammenhange fteht, ein»
zugehen, ein wunderlicher Mangel fein würde. Aber an folden Erd⸗
ſtellen ift zugleich die Unruhe des Treibens groß genug, um es rathlich
ericheinen zu laffen, derjelben im Schulunterricht ein fiheres Gegengewicht
geben zu helfen. Dies würde nicht durch zerfplitternde Details, auch
wenn fie bie praktifch bedeutfamen Staaten-Eintheilungen beträfen, nicht
durch Aufzählung aller der wichtigen nahen und fernen ähnlichen Ver⸗
febrsorte und durch ähnliche Dinge gelingen können, wohl aber durd
den Hinweis darauf, wie jedem Lande durch feine Naturgeflalt bereits
gleihfam feine Beftimmung, und damit auch fein Plag im „großen
Gottesreih der Weltgeſchichte“ angewielen ift, fowie darauf, daß, „wie
es jest in jedem Lande ausfieht, nicht blinder Zufall, fondern
das Werk innerer, höherer Nothwendigkeit“ iſt. Ein folder
immer wiederholter Hinweis öffnet mit der Zeit fowohl den Blick in die
höhere, als in die und umgebende irdifche Weltorduung, und darin
liegt fein für jugendliche Geifter eutfchieden bedeutender praftifcher Werth.
e. Auf das praktiſche Bedürfniß meifen auch die oben unter
1. 3. erwähnten „befonderen Tendenzen” bin. Die weltkundli⸗
hen und patriotifchen liegen äußerlich für Schule und Leben
befonders nahe, die ſprachlichen und firhliden zielen mehr auf
das innere Beduͤrfniß. Jene erflern beiden werden wabrfcheinlich ſich
verbreiteter Zuſtimmung zu erfreuen haben, als diefe feßtern beiden, dad
das hat der Jahresbericht nicht näher zu begründen und zu erörtern.
Umfhau und DOrientirung in den BWeltverhältniffen, patriotifches Gefühl
und Bewußtfein, Benutzung diefer Momente für das praktifche Leben in
volksthümlichem Sinn, überlegt und männlih: da8 wird wohl Manchem
Directer. erreihbar vorkommen, al& namentlih genügende Beachtung
der auf firhliches Leben bezüglichen Momente, welche er für andere
Unterweifung vorbehalten zu müffen glauben wird, Im Princip der
Aufgabe Hriflicher Volksſchulen finden freilih letztere faſt flichhaltigere
Begründung als erftere; aber es ift ſchwer, darauf fußende Forderungen
exact genug zu formuliren. Für das welttundlichspatriotifhe Bedürfniß
find deshalb neuerdings viel mehr und lautere Stimmen erhoben, ale
für das kirchliche, welches im Gegentheil gerade von manchen recht lauten
Stimmführern am meiſten hintenan geſetzt if.
IV. Gegenwärtiges Verhältnig des geographifhen Schul-
unterrichts zur Wiſſenſchaft, zur Pädagogik und zum
praftifchen Leben.
Wiffenfhaft, Pädagogik und praktiſches Leben find die
drei Faktoren, "welche den geographiihen Schulunterricht gefalten. Die
Wiſſenſchaft liefert das Material, die Pädagogik die Maaßgaben, wie
bie Wege zu defien bildender Verwendung, das praktiſche Leben die ans
-
Geographie 477
zuteebenden, IrBtgerlich erforderlichen Ziele. Alle drei müffen Sand in
Hund gehen, eimanber wechfelweife durchdringen, für einander zum nöthis
gen Gorrectiv beim Schulunterricht dienen, wenn nicht die Sache felbſt
and ihr möglicher Erfolg für geiflige Bildung und äußeres Leben bes
einträhtigt werden fol. Vorliebige Betonung der wiſſenſchaftlichen Seite
führt zu Ergebniſſen, Die den praktiſchen Beben nicht proportional bleiben,
fondern nur das abftraftere Gebiet des Wiffens cultiviren würden; über»
wiegende pädagogifhe Rüdfichten führen leicht auf das unendliche Gebiet
mwechfelnder Theorien, deren formelle Ausgeftaltung erfahrungsmäßig wer
niger Frucht Schafft, als die erſte Begeifterung für diefelben fih davon
verſpricht; auoſchließliche Berilfichtigung der Bebürfniffe des praftijchen
Lebens führt zu Banaufismns. Die gegenwärtige Zeit ſcheint durch
mindere Werthſchaͤßung der Wiffenfchaft als folcher, fowie der vor 10 — 20
Jahren fo lebhaft bewegten Fragen, nad den padagogiſchen Grundſätzen
‚und didaktiſchen Werfen, Ddiefelben in’ Leben erfolgreich hinüberzuleiten,
einiger Gefahr platter Utilitäͤts⸗Beſtrebungen in den niedern Schulfreifen
ausgefegt zu. fein. Es kann bei jährlichen Ruhepunften zur Rückſchau
md Umſchau nur von Nupen fein, der beſtehenden Verhältnifie des Uns
terrichts zur Wiſſenſchaft, zur Pädagogik und Didaktik und
zum bürgerlichen Leben fi einmal wieder bewußt zu werden.
1. Verhältniß zur Wiſſenſchaft.
Der Schwerpunkt der neuern geographifchen Wiſſenſchaft fiegt
m dem Nachweiſe des großartigen Zuſammenhangs zwifhen dem
Lehen der Natur und der Gefhichte des Menfhen einerfeits
mit dem Befammtihauplap beider, der Oberflähe der Erde
andrerfetts; in der Erkennung und Darftellung des Ganges der ein«
fachſten und am allgemeinften verbreiteten geographifchen Geſetze für Die
Rebenden, bewegten und belebten Bildungen der Natur; in der Erfaflung
der Einheit beim Zufammenwirden ihrer Kräfte in der Fülle und Mans
nigfaltigfeit der Erfcheinungen. — Diefe Idee der geographifchen Wiſſen⸗
haft iR allumfaſſend; fie if der mütterlihe Schooß, aus welchem
eine Reihe vormals nicht geahnter Korfchungen nah EinzelsBerhälts
niſſen auf allen Gebieten des Natur» und Völkerlebens, eine Kette
bon vergleichenden Betrachtungen derfelben in Bezug auf Urfprung,
fortgehende Gntwidelung und Bollendung hervorgegangen iſt, welchen
beiden die Tendenz innewohnte, die Wechfelbeziehungen und den
den höhern Naturgeſetzen unterliegenden, innigen Zufammenhang auf
allen Stationen und Sproſſen der Stufenleiter der Entfaltung diefer
Serhältniffe zu erfahren, um das richtigfte und würdigte Gefammtr
bild, den allein wahren Begriff des Lebens im Großen
und Ganzen zu gewinnen. Hier gibts Männerarbeit, Arbeit für -
ein ‚ganzes, davon ausſchließlich in Anſpruch genommenes Leben! Die
Bedeutfambeit der Formen des Starren wie des Flüffigen auf der Erd»
oberflaͤche, in ihrer fpeziellen, gefonderten Ausarbeitung und Ausbreitung,
wie im ihrer Configuration umd gegenfeitigen Proportion; die Bedeut⸗
478 Geographie.
famfeit der Richtungen, Maaße, Zahlen, Gliederungen, Wechſelſtelungern,
des Innen und Außen, Hoch und Tief, der Iſolirung und der Verbin⸗
dung, kurz der räumlichen Anordnung; ferner der phyſikaliſchen Gewal⸗
ten, kosmiſchen Einflüſſe, der ethnographiſchen Phänomene, ihrer Unter⸗
lagen, ihrer Abhängigkeit von äußern und innern Cinflüſſen, ihrer
Auspraͤgung im geſellſchaftlichen, ſtaatlichen wie im geſammten Cultur⸗
leben, nach Maaßgabe angeborner Stammeseigenthümlichkeiten u. ſ. w.
Dies und vieles Andere iſt wiſſenſchaftliches Object und Inhalt der
neuern allgemeinen Erdfunde —
Es ift faum mehr nöthig, als nur die ſe Aufgabe und ihr Ziel
umrißlih anzudeuten, um bei Denen, welche die gegenwärtige Situation
des geographiihen Schulunterrichts kennen, den ungeheuern Abfland
wieder in's Bewußtfein zurüdzurufen, der zwifchen der gesgrapbifchen
Wiſſenſchaft und dieſem Unterricht fort und fort beſteht. Das kann
und fol gar nicht anders fein. Keine Gelehrtenfchule, geſchweige eine
niedere, vermag die weite Kluft zwifchen beiden auszufüllen; felbR jene
bereitet Außerftiens in etwas umfaflenderm und tiefer gehendem Sinne
auf das Lebensftudium der Wiſſenſchaft vor, fle erichöpft es aber nicht.
Die weit aber bleibt vollends jede andere Schule vom Kern der Willen»
fhaft entfernt, welche nur einzelne fporadifche Berhältniffe, iſolirte
Glieder jener großartigen Kette des Einen ganzen Lebens der Erde, der
Natur und des Menfchen in ihren nächften, meift nur Außerlihfien Bes
ziehungen in Betracht zieht! 3. B. die äußere Gliederung in horizon«
taler und vertifaler Richtung, die Proportion der Contoure zum Areal,
die Arealgröße der Flußſyſteme, die Bedingungen der Unfledelungen der
Menfhen, den Einfluß maritimer oder continentaler Lage auf äußern
Berkehr und geiftige Bildung. In der That, dafür if in der Wiſſen⸗
fhaft gründlich geforgt, daß die Bäume unfers geographifchen Unter»
richte nicht in den Himmel wachſen. Darum kann nur das wiſſenſchaft⸗
lihe Streben bei dieſem Unterridte Sorge machen. Entweder ift es
für gegebene Berhättniffe fchlechthin unberehtigt — wie in- der
Volks ſchule —, oder es ift irrig geleitet, wie in manden Bürger
und Nealfhulen. Mehr als Lineamente werden felbf im günftigften
Falle auch die ſen Schulen nirgends erreihbar fein, wenn man die
erftaunfiche Aufgabe der erdfundlihen Wiffenfchaft dabei anfieht. Was
über dieſe Lineamente binausgreift, geräth auf Irrbahnen, die den
Schülern keinen Segen bringen. Gegenüber der unermeßlihen Summe
des Stoffes im Gefammtgebiete diefer Wiſſenſchaft, iſt's kaum mehr als
ein Senftörnlein, womit fih die Schule zu ſchaffen machen kann. Aber
dies Senftörnlein ift doch dann nicht richtig erkannt, wenn man es in
der bloßen detaillirten Zopif, in den gefonderten phyſikaliſchen, mathe⸗
matijhsaftronomifchen und ethnographifchen Srundiehren zu haben vers
meint, und diefe deshalb mit Sorgfalt behandelt. Das find zwar Baus
fteine, aber noch obne innern organifhen Zufammenhang. Wer nur
jene, niht auh die ſen im Auge behält, der bat im Grunde genom-
men das eigentlih wiffenfchaftlihe Element doch nit erfannt.
Nun aber ſteht es nicht felten alfo, daß in irrthümlichem wiſſenſchafte
Bevgraphie. 479
lichen Streben jene loſen Baufleine mit diefem Elemente im Unterrichte
verwechfelt werden; jene werden ſchon für wiffenfchaftlih gehalten, und
And doch nur äußeres Material, das ohne einenden Gedanken eben
zu der oft beflagten Gedächtnißs Belafung führt, von der kein Gegen
zu Hoffen if. Das Baumaterial iſt zum Bau ſelbſtverſtaͤndlich nöthig,
aber feine fachgemäße Ineinanderfügung iſt's erſt, wodurch es den rechten
Werth erhält. Um Ieptere nun flieht es noch nicht überall zum Beften
aus. Im Unterricht, der auch ein äußerlich für Andere erfennbares,
greifbares Refultat liefern will, wird viel auswendig gelernt, ohne inneres
Verſtaͤndniß der natürlichen Beziehungen, ja wohl ohne Anregung der
Ahnung derfelben. Dagegen, wo dies Berfiändniß erfchloffen werden
fol, wird theils auf eine Menge unverbundener Materialien verzichtet
werden müflen, theils nicht auf fofort auf der Wagfchale nachzumägende
Nefultate gebächtnißmäßigen Erwerbs ber Accent gelegt werden dürfen.
Faſt alle Lehrbücher und Leitfäden ſtellen das Material pure bin, bie
Karte allein faßt Vieles davon bereits zufammen, und macht ſchon bilde
lich anf Wechfelbeziehungen aufmerkſam. Jenes aber todt einprägen,
und diefe nur todt anbliden, führt Beides nicht zum Biel.
Das weiß der bejfere geographiſche Unterricht gegenwärtig. Ihm
kommt es darauf an, für folhe Schulen, deren ganze Aufgabe wiflen«
Ihaftlihe Begründung des Unterrichts erfordert ‘oder zuläßt, das dien»
lie Material . richtig auszuwählen, wiflenfchaftli anzuordnen und im
Sinne der Wiſſenſchaft bildend zu behandeln. (Das Kriterium zweds
dienlicher Stoffe liegt in ihrer Beeignetheit zu gründlicher und würdiger
Belehrung über die wirklichen Erdverhältniffe im Ganzen und Einzelnen
nad den vier befannten Haupibeziehungen derſelben.) Alles bloß Kurze
weilige, aphoriſtiſch Notizenhafte, allen banauflfhen Ballaſt fcheidet er
aus; den fernigen Stoff dagegen ordnet er-theils allgemein in große
Sauptfiufen — cf. von Roon’s Were —, theils fpeciell in dieſen
Stufen nad feRen Kategorien (Dreanographie. Hydrographie. Oro⸗
graphie. . . . Klimatologie, . . . Ethnographie), und verfolgt nun diefe
af gefondert und dann comparativ, bis er dur den gewon«
nenen Stoff und die unter Anderm auch durch gründlihes Karten⸗
lefen und bewußtvolles, freies Kartenzeichnen erlangte Herrſchaft
feiner Betrachtungsweife endlih zur Zufammenfaffung der Elemente
in wiffenfhaftlihem Geifte aufſteigt. Richtswiflenichaftlicher Uns
terricht if fofort an dem Mangel diefer Anordnung und Betrachtungs⸗
weife, und namentlihd an dem Mangel vergleihender Behandlung
und der eben bezeichneten Zufammenfajfung zu erfennen, bei welcher
legtern im wiflenfchaftlihen Unterricht, dag kulturgeographiſche
Moment beſonders aecentuirt wird. — Dem wiflenfchaftlichen Unters
‚ richte war anfänglich auch das geordnete und planmäßig durch den ganzen
Eurfus durchgeführte Kartenzeichnen allein eigen; gegenwärtig wirb
das Kartenzeichnen in befchränfterem Maaße auch in nicht» wiſſenſchaft⸗
ligem wit benußt. Leßterer hat genau genommen nur in den geogras
phiſchen Landfhafts» und Charakterbildern ein Analogon
wiffenfchaftlicher Auffaffung. Uber wie ſtechen folhe Bilder nur zu
480 Geographie.
häwfig von dem ab, was ſie fein müßten, wenn ihnen wiffenihuft«
licher Werth zuerfannt werden folte! Es iſt nur zu oft ein pele
mele oberflächlicher, buntſcheckiger Notizen, mit einiger Keckheit und nicht
fetten mit viel ſtyliſtiſcher Gewandtheit zurecht gemadt, was man dann
für charakteriſtiſche Landſchaftebilder ausgibt! Wenn auch von
vergleichender Betrachtung der Erdräume etwas im wicht, wiſſen⸗
ſchaftlichen Schulunterriht vorfommt, fo iſt's in der Regel mır eine
Bergleihung räumlicher Lagen, Größen⸗ Höhen-, Gliederungs⸗, Bes
wäfferungs«, Produktions», Bendlferungs« m. dergl. Verhältniffe zwi⸗
ſchen zwei einander gegenüber gefellten Erdräumen, — alſo
etwas gar fehr Aeußerlihes, was zwar die Wiſſenſchaft auch gebraucht,
worüber fie aber infofern merklich weiter hinausgeht, als fie auf den
einzelnen Erdfiellen die dort gegebenen Naturbedingungen
mit dem faktiſchen Beftand der daraus entwidelten Raturs
und MenfcheneBerhältniffe gufammenbält. Lebtere® er führt zu
wiflenfhaftlich werthvollen Refultaten. Diefe Art comparativer
Betrachtung ift am meiften bildend; fie iſt's, welche die ächteften Cha⸗
rafterbilder Kefern kann. Sie feht aber eine Höhe geweonnener geogras
Philher Reife voraus, wie die Kinder niederer Schulen fie nit haben
and nicht Haben können; und darin liegt der tiefere Grund, weshalb
foihe wiflenfchafttiche Arbeit mit ihnen auch gar nicht anguftveben if.
Dergleihen Kinder find in niederen Sphären auf populäre Art zu
Aben, und haben eine vollauf ausreichende Aufgabe an der Durcharbeis
Yung der wiätigften vaterländifchen geographiichen Verhältniſſe amd
einer mäßigen Summe von ſolchen anderen, welde die europäifhen
Länder und in noch Fürzeren Skizzen die außereuropäifhen Erds
theile und die allgemeinfien mathematifch«aftroenomifhen Berbältnifie
der ganzen Erde betreffen, — was die zmedmäßigere unter den gang»
baren Leitfäden gegenwärtig auch nur zu umfaſſen pflegen. Zur Beach»
tung des maaßlofen Aggregats von fogenannten Merfwürdigkeiten ift im
feiner Schule Raum und Zeit.
- 2. Berhältniß zur Pädagogik und Didaktik.
a. Der geographiiche Unterricht flebt feinem pädagogiſchen
Werthe nach nicht in erfter Linie Er Hat dem jugendlichen Geiſte
zwar einen gewiflen Schatz nußbarer Kenntniffe zuzuführen, Die verfchies
denen geiftigen Kräfte zu befchäftigen, zu üben, fie entwideln gu beifen,
auch Durch ſtrammes Heranziehen des jugendlichen Weſens, und entichies
Denes, geordnetes Feſthalten bei den durchzugebenden Penſen bie geiftige
Zucht deffelben mit zu fördern; jedoch hat die Pädagogik zur Erreichung
derſelben Zweche auch nod andere, mehr in's Gewicht fallende Gegen⸗
fände. Tintergeordnet, wie die Stellung des geographiſchen Unterrichts
in der Säule feinem Weſen nah if, bat er fih alfo auch als ein
Lehrgegenſtand zweiten Ranges in den Geſammtkreis der jugendlichen
Bildungsgebiete einzufügen. In der neufen Zeit hat er für die Bolt
ſchule alle Selbſtſtaͤndigkeit verloren, er ift jetzt Vehikel, oder hochſtens
Sesgraphie; 44
integrirender Theil des populären weltkundlichen — realen —
Unterrichts. Auch in den niedern Bürgerfhulen erhebt er fi
zu feiner eigentlihen Selbffländigfeit, fondern geht darin der Regel
nad an der Hand des Geſchichts unterrichts einher. Die höhern
Bürger: und Realfhulen laffen ibm dagegen den vollern, freiern
Spielraum. So ent[priht es den gegenwärtigen päbagogifchen Ans
fdauungen.
Dbgleih der geographifche Unterricht aber in der Volksſchule
feine Selbſtſtändigkeit, die er durch die Peftalozzianer, namentlih durch
Tobler und Henning u. A., errang, wicder eingebüßt bat, wohl auch
mit darum, weil der in ihm liegende eigenthümliche Reiz für die Zus
gend, und die namentlich in jeinem Bereich eben fo vielfeitig dargebotenen,
als ausgebeuteten Gelegenheiten zu den mannigfaltigfen didaktifchen Er⸗
perimenten, die Bedeutfamkeit fünftlich über das berechtigte Maaß hinaufs
geſchraubt hatte; jo hat er Doch darin noch eine pädagogifche Stellung
inne. Für Hütelinder mag er ad acta gefchrieben fein; aber ſchon die
ſchlichteſte Dorfihule ſoll ihre Vaterlandskunde und fogar etwas
mehr auch heute noch haben, und daraus pädagogifh und focial
einen gar nicht zu gering anzufchlagenden Gewinn ziehen. Sie fol dag
engere und weitere Vaterland auch nach feinen geographiſchen Eigen»
thümlichkeiten und VBorzügen kennen und fchäßen lernen, um es dann
bewußt zu lieben und, fo es erforderlich werden follte, [hüßen und vers
theidigen zu helfen. Für die ſtädtiſche Volksſchule und niedere Bürger
ſchule ift fein Umfang und Inhalt ſchon größer und reicher, feine Pflege
auch ausgedehnter. Er gibt fein Material fördernd wohl auch für
ſprachliche, beflimmt aber für geihichtliche Zwecke — im weiteren
Sinne des Worted — ab, erweitert den jugendlichen Gefichtsfreis äußer⸗
ih und innerlich, felbf wo es unfatthaft if, einen weitumfaflenden geos
graphifchen Lehrplan durchzuführen, und if in feinen pädagogiſchen Bes
ziehungen alfo durchaus unverächtlih. Die einfache Elementrfhule mag’
ihre Geographie aus ihrem Lefebuche und einigen Karten lernen, die
gehobeneren Schulen werden aus verwandten pädagogifhen Gründen auch
noch anderer, breiterer Unterlagen fi bedienen müſſen, um den reichern
Erfolg zu garantiren, zumal wenn in ihnen die Geographie die Grunds
lage und das Bindemittel weltkundlicher Belehrungen nah feſtem
Plane werden fol; — So wird es auch in der Regel in diefen
Säulen jept gebalten, wo man mit Parem Bewußtfein über die päda⸗
gogifche Aufgabe die Sache treibt Willfür und fublectives Belieben
bat da feine berechtigte Stimme. So lange die neuere Pädagogik, wenn
auch mit gegen frühere Zeiten größerer Einſchränkung, den geographis
ſchen Unterricht fordert, — und fie fordert ihn ſchon zur Unterflüßung
patriotifcher, ja, 3. B. beim heiligen Lande und den vom Chriſtenthum
in ältern und neuern Zeiten eroberten Gebieten, auch zur Unterftübung
firchengefchichtlicher Zwede —, To lange fordert fie auch deffen für die
geifige und gemüthliche Ausbildung der _ Jugend ergiebigfte Ausbeus
tung, — gleihviel ob derfelbe in zweiten oder noch anderm Range
Beht. Auf dieſe Weife erobert fie allein deffen pädagogifcde Birfins
Nade, Jahresbericht. X 31
482 Geographie.
gen und Früchte, die bekanntlich nicht in der Menge von Bergess, Fluß⸗
und Städtenamen, Zahlen⸗Angaben aller Art und ähnlichen Dingen bes
ſtehen, welche dem Gedächtniffe aufgebürdet find, fondern in einer Ans
regung der jugendlichen Kräfte, einer Rihtung ihrer Uebung auf Ob»
jecte, welde dem jugendlichen Sinne nicht allein zufagen und dem Geifte
nit allein eine Mannigfaltigfeit von Anſchauungen, fowie eine viel
feitige Gelegenheit zum Nachdenken und Beurtheilen darbieten, welde
vielmehr aud außerdem für das Leben ein unentbehrliher Schaz find,
zumal bei denen, die fich über bie Kreife der Ungebildeten erheben wollen.
Erfrifhung und Erfreuung, Antrieb zur fpontanen Geiftesthätigfeit, Er⸗
wärmung für fociale Intereffen und innere Theilnahme daran entwidelt
fh wie von ſelbſt dabel, ohne Tag mit Nothwendigkeit Vorliebe zu mas
terialiftifchen, nur in eitfe, weltliche Dinge ſich verlierenden und von
Gott fi entfremdenden Beftrebungen dadurch entzlindet werden müßte.
So die pädagogiſche Stellung des geographifhen Schulunterrichts
an und für fi, wie fle jegt il. Ob in der einzelnen Schule, von dem
und jenem Lehrer diefe Stellung richtig gewürdigt wird, ob nicht über
das verordnete Ziel hinausgefchritten, manche taube Blüthe und wurms
ſtichige Frucht da und dort zu Zage fommt, — das tangirt jene Stel⸗
fung ſelbſt nit; das find fubjective Ubirrungen und Gebrechen, wie
ähnliche auf allen andern Unterrichtsgebieten vorkommen.
b. Was das Verhältnig des geographiichen Unterrichts zur Dir
daktik anbetrifft, feine gegenwärtige Stellung in Betreff der Methode
feiner Behandlung, fo haben far alle Jahrgänge des Pädagogifchen
Jahresberichte davon zu reden gehabt, und der Ruͤckblick auf das darin
Beigebrachte überhebt der Nothwendigfeit, dies Berhältniß aufs Reue
umfändlih zu recapituliren. Es iR eine große Buntheit der methodi⸗
ſchen Borfäpläge vorzuführen gewefen. Je nachdem ein rein analytiſches
oder rein fignthetifches, oder ein aus beiden combinirtes Berfahren, eine
mehr elementare oder mehr wiffenfchaftliche Behandlung, mit oder ohne
Bugrundelegung von freien Karten⸗Conſtructionen, eine fefte Unterfcheis
dung von aus der Sache, oder aus der allmählichen fubjectiven Ent⸗
widelung des Schülers hergeleiteten Stufen, eine Kombination mit alten
welttundiihen Fächern oder nur mit einzelnen (etwa Geſchichte und
Raturkunde), eine Befchränfung auf die faßlichften Stüde, oder eine Aus⸗
dehnung bis zur @ulturgeographie u. U. m. von den einzelnen Stimm:
führern für das didaktiſch Richtige gehalten wurde, je nachdem find dieſe
Borfhläge formulirt. Neben fehr Durchdachtem, Trefflihen, Praktiſchem
findet fih unter ihnen, wie die Sahfundigen fattfam wiffen, manches
Halbe, mandyes Ertravagante, mandes Thörichte und entſchieden Ver⸗
fehrte. Es find fo viel Köche an diefe Speife herangetreten, daß es
fein Wunder ift, wenn diefelbe nicht einfach, nahr⸗ und. fhmadhaft ger
blieben und zuletzt alle „unpraktiſche Reflexion und alles für die Zwecke
einfacher und gefunder Volfsbildung erfolglofe Erperimentiren“ böhern
Orts an den Seminarien geradezu inhibirt worden if. Wie vielgeſtaltig
aber im Einzelnen die methodifche Behandlung des geographifhen Unter⸗
richts auch zur Zeit in den Schulen noch fein möge, das ſtellt ſich
Geographie. 483
doch als das Gemeinſame heraus, daß ein anfchaulidker Eurfus ber
Heimathskunde dem eigentlichen geographiſchen Unterrichte wie eine
Art Propädeutif deflelben vorangefchidt zu werden pflegt, namentlid
auch zum Zwed der elementaren Gewinnung der geographifchen Grund⸗
begriffe. Den Unterricht ſelbſt knüpft dann die Bolfsfhule an’
Leſebuch, die Bürgerfhule in der Megel an einen kurzen Leit⸗
faden, bei fletem Gebrauch der Karten. In beiderlei Schulen wird
das Vaterland vorzugsmweife berudfihtigt, in der Bärgerfchuie
dad Uebrige entweder in concentrifchen Gurfen fo erledigt, daß man
fämmtliche wichtigen geographiſchen Berhältniffe an jedem der Erd⸗
theile befonders, oder daß man jede der Hauptkategorien diefer Verhälte
niffe einzeln dur alle Erdtheile verfolgt. Werden noch belebende
Landfhaftsbilder eingelegt, und wird noch Pas freie Karten⸗
zeichnen Hinzugefügt, fo entivriht mar damit den neuen didakti⸗
ſchen Anforderungen der Einen, während die Kombination der Geogra⸗
phie mit andern realen Lehrgegenfländen, oder die Goncentration be#
ganzen welttundlichen Unterrichts auf biblifcher Grundlage den Ans
forderungen der Andern entſpricht.
3. Berhältniß zum bürgerlichen Leben.
Das Bedärfniß geographifcher Kenntniffe für die mancherlei Kreife
des bürgerlichen Lebens ift fo verfchieden, wie dieſe ſelbſt. Go iſt gering
für den fehlichten Landmann, größer für den mehr unterrichteten, denken⸗
den Sandmann, noch größer für den in lebendigen und ausgebehnterem
Geſchaͤftsverkehr flehenden Birrger und für viele Beamte, welche ihre
allgemeine Borbildung für ihren fpegiellen Beruf in ber Bürger» und
Nealſchule fuchen und finden. Mit bloßer Hebung des Geiſtes
an geographifchen Objecten ift dem bürgerlichen Leben nicht gedient, es
begehrt außerdem einen bald größern bald Meinern Schat beherrichten
geographifcher Kenntniffe zum Behuf leiter Drientirung in ben drikie
ben, ſtaatlichen, Productions⸗, Handels» und Berfehrsverbältniiien, auf
welche der Lebensberuf die Einen wie die Andern hiuweiſt. Der Mangel
eines ſolchen Schatzes wird fyäter meiſtens lebhaft beftagt, weil er mit
mehr Schwierigkeit in fpätern Jahren zu eriegen iR, ats ihm in dem
Schuljahren hätte vorgebeugt werden koͤnnen. Der Wanderburſch, des
Soldat, der Gefhäftsreifende, der Fahrikant, der Kaufmann, der Aufe
fihtebeamte über arößere Gebiete, der Poſtbeamte und viele Andere ind
weit beffer daran, wenn ihnen die Schule au eine angemeflene geogsae
phiſche Mitgift überliefert hat, als wenn fie genöthigt find, im prakti⸗
fhen Leben erſt dieſe Kenntniß zu erwerben. Bon den höher Gebildeten
fann ihrer feiner entrathen; in taufend Faͤllen erſchließt Ach durch fie
er das Verſtändniß vieler ihnen in ihrem Amt und ihren Studien vor
tommenden Berhältniffe. Aus dem Allen geht aber unlängbar hervor,
daß die Schule bei ihrem geographiſchen Unterricht nidyt nach abſtratten
Theorien verfahren, und das Bedärfniß des bürgerlichen Be»
bens ignoriven darf; fondern fie hat demfelben gereht zu werden.
Mag immerhin mancher Einzelne feinen geographifcken Srwerd nachmale
8 Geographie.
gar nicht oder nur zum geringen Theile verwerthen, das gibt der Schule
fein Recht, ihre Schuldigkeit zu verfäumen. Mancher, der in der Ju⸗
gend viel Fleiß auf die alten Sprachen verwendet bat, eultivirt fie im
foätern Amt aud nicht weiter, fei’s aus Geſchäftsüberbürdung, ſei's
ans Indolenz oder welch’ andern Gründen. Gelehrt und gelernt müſſen
diefe Sprachen darum doc werden.
Es ift wahr, die Bebürfniffe des äußeren bürgerlichen Lebens find
überwiegend materieller Natur, und es könnte bedenklich ſcheinen, um
dieſer Ratur derfelben willen ibnen mit allerlei Hülfen entgegenzufommen.
Man vergeffe jedoch nicht, DaB die materielle Seite des Lebens ihr gutes
Recht hat, die einestheils beberricht, und der anderntheild aud gedient
fein will. Beides hat übrigens feine Schranke ja eben fo gut, ale fein
Recht, wie es feine Gefahr ebenfomohl haben mag, als feinen Segen. —
Außer den bloß materiellen Anforderungen, namentlich in Rüdficht auf das
Gewerbss und Handelsleben, gibt es jedoch auch nach andere von höherer
Ratur. Als oben I. 8 der befondern Tendenzen des geographiſchen
Eäuiunterrichte gedacht wurde, ift erwähnt worden, daß gegenwärtig Die
voterländifhen und kirchlich⸗chriſtlichen Regungen, weldhe unfer
Volks⸗ und Staatsleben durchziehen, auch praftifche Bedürfniffe in’s
bürgerliche Leben pflanzen, auf welche der geographiſche Schulunterridht
ebenfalls Rülächt zu nehmen bat. Gr bat die auf's Neue beichten pas
triotifhen Intereſſen zu nähren, den Blick darauf mehr als auf Die
Nachbarlaͤnder und NRachbarvoͤlker gerichtet zu erhalten, den engen vater⸗
Undiſchen Zufammenfhluß der Gedanken und Behrebungen zu unter⸗
Rügen, um die natürlichen Kräfte und Quellen des Baterlandes immer⸗
mehr entwideln und Öffnen zu beifen, um fo das Bewußtiein der Ger
meimnjamfeit der urfprünglichfien Lebenselemente unſers Volkes auf ein
and derſelben vaterländifchen Erde in den verfchiedenften Bauen derfelben
anzuerzieben und feR in bie Gemüther einzupflangen. Diefe Stellung
zum bürgerlichen Leben if wichtig. Sie if zwar jener vorhin bezeich⸗
weten nicht congruent, fie widerfirebt derfelben aber auch nicht; es fan
beiden gang wohl mit einander am gleichen Lehrobiect entiprochen wer«
Den. — Außerdem werden es noch in jehr vielen Faͤllen locale Um⸗
ſtände fein, weiche auf die Berülfichtigung im geographiichen Unterricht
in der Schule ein Anrecht haben. Wo ein Ort oder feine nächte Ums
gebung unter dem befonders greifbar nahen Einflug von geographifchen
Berbältniffen fleht, welche das gefellfchaftliche Leben darin weſent⸗
lich mit geftalten helfen, da if es auch ein befonderes Bedürfniß, den⸗
feiden im Unterriht ihr befonderes Recht widerfahren zu laflen. Die
Nahe geographiſch bemerkenswerther Einzelpunfte, Landſchaften u. dergl.,
wohin die Wanderzüge der Fremden gerichtet ſind, nahe Fürſten⸗ und
Herrenſitze, welche durch Lage und Naturumgebung hervorragen, Bäder
in romantiſchen Gegenden, hiſtoriſch denkwürdige Erdſtellen, deren nationale
Bedeutſamkeit von Geſchlecht zu Geſchlecht forterben ſoll, u. drgl. m.:
das find ſolche loeale Umftände, welche nicht füglich übergangen werden
Es wäre Unnatur, davon ſchlechthin zu ſchweigen, oder fig
anch nur zu nerfäumen.
4
Geographie. 485
le ſolche und ähnliche Momente heifen die Stellung bes geogra⸗
phiſchen Schulunterrichts zum proßtifhen bürgerlichen Leben befiinw
mer. — Ob und wie ihnen thatfähli in .den einzelnen Schulen in
Stadt und Land Rechnung getragen wird, das fann ein Jahresbericht,
wie der vorliegende, nicht nachweiſen; die Gognition davon liegt vor
nehmlich in den Händen der Behörden. Jedoch da die ganze Strömung
der Jetztzeit anf Beahtung gegebener Berhältniffe und der damit im
Zufammenbange flebenden Bedürfniffe des wirklichen Lebens gerichtet
iR, fermer, da die Lehrerbildung ganz vorzugsweife fo geordnet wird,
daß die angehenden Lehrer viel an die einfahe Pragis gewöhnt werden,
um fie zum bildenden Anſchluß an die Wirklichkeit und zur erfolgreichen
Förderung ihrer wohlverflandenen Intereffien durch die Schule zu befähis
gen; fo laͤßt fi mit Grund hoffen, daß im Bergleich zu früheren Jahren
ein merkbarer Fortfchritt im der praßtifch richtigen Geſtaltung des ges⸗
graphiſchen Unterrichts für die mittleren und niedern Volksſchichten ger
than fein werde. . ' M
In den bisher erftatteten Jahresberichten vom Jahre 1845 an bis
1856 find der Seiten des geographilchen Unterrichts nach und nad eine
ziemliche Anzahl dargelegt. Die Geographie ericheint wie ein edles Ger
Rein, an welchem durch befonnene und nahhaltige Arbeit viel glänzende
Flaͤchen berausgefchliffen werden können, in denen fi das Licht mannig⸗
fach bricht, und von denen es wohlthuend wiederfirabtt. Es find an ihr
noch immer Gebiete, welche eine nicht unbelehrende Beſprechung zulaſſen.
Sobald Die Literatur oder das praftifche Schulleben fie mehr an’s Licht
ziehen wird, und fo Gott Leben, Befundheit und die Möglichfeit der
Arbeit ferner ſchenkt, fol in fommenden Zeiten darauf das nähere Augen
mer? gelenkt werden. Bis dahin gibt es an dem Geitherigen immer
noch viel zu erwägen, zu lernen und in die Pragis einzuführen.
Zur geographifhen Literatur ded Jahres 1856.
1. Leitfäden, Lehrbücher, Handbücher. .
I. Dr. A. Geisler, Infituts» Borficher (in Brieg): Leitfaden beim
Unterridt in der Erdfunde In drei Curſen. Für deutfche Mitte
faulen. Zweites Bändchen: Das Königreich Preußen für preußiiche
ittels und mehrBlaffige Elementarſchulen. Halle, Schmidt. 1856. 56 ©.
Na pr.
Die Einrichtung des Leitfadens wird bei der weiter unten
(Ar. 13) erfolgenden Befprehung des erſten Bändchens näher bes
zeichnet werden. * Auch im 2. Boch. ift der Stoff in drei einander ers
gänzende Curſe vertheilt, indem der Inhalt der laufenden Paragra⸗
phen bald dem erfien, bald den beiden erfien, ober dem zweiten ober
— wie bei den Städten — allem drei Curſen zugewieſen iR, Es
486 Geographte.
Zommen der Reihe nach alle geographiſchen Beziehungen Vreußens zur Sprache,
außer den rein topiſchen namentlich noch: Verfaſſung, Verwaltung, Recht
soflege, Meberfihten von Hauptſtädten, Regierungs-Bezirten, Appellationss
und Kreis⸗Gerichtsſitzen, Unterrichtsweien, Klima und PBroducte, Ir
duſtrie, Handel, Abflammung und Religion der Bevölkerung, Lands und
See⸗Kriegsmacht. Ob nicht etwas ahgeindert zu ei ordnen geweien wäre,
iſt irrelevant. Bei jeder Provinz wiederholen fih — nad Umfänden —
dieſelben Rüdfichten, und werden angemeflen ergänzt. (Kanäle, Eiſen⸗
bahnen, Städte in den Regierungsbezirten nad der Lage an Gewäſſern.)
Bier für den ganzen Staat, fo find für jede feiner Provinzen Die wid
tigſten bitorifchen Momente in tabellarifcher Form aufgeſtellt. Schle⸗
fien macht durch ausführlichere Darfieflung eine Ausnahme; indem der
Bert. dabei das Material zur ſchleſiſchen Heimathkunde darbieten,
sbeild die Behandlung der übrigen Brovinzen daran exemplificiren wollte.
(In 8.92 find deshalb auch die induftriel wichtigen Flecken und Dörfer
aufgeführt) Zum Schluß find Fragen und Aufgaben zur Bearbeitung,
fowie eine Städtetabelle, nach der Bemwohnerzahl geordnet, zur Bergleis
Sun ‚ nebft Anhaltepunkten für die Geſchichte des Königreichs Preußen
angehängt. Das Buch iſt ganz brauchbar und gut; für @lementarfchulen
bürfte des Stoffes ſchon zu viel fein.
.2. Aug. Lüben: Leitfaden zu einem metbodiſchen Unterricht in
den Geo rapbie für Bürgerfhulen, mit vielen Aufgaben und Bragen
zu mündlicher und ſchriftlicher Löfung. Yünfte, verbefferte ee
(VIII u. 184 ©.) Leipzig, ©. Felfder. 7 7! Ser., cart.
[®orrede. „Die vierte, Oſtern 1855 erfchienene — dieſes
Eeitfadens war bereits nach wenigen Monaten ſoweit vergriffen, daß ein
teuer, unveränderter Abdruck derfeiben veranflaltet werden mußte Nach⸗
den auch diefer wieder volländig in die Eulen übergegangen if, ers
ſcheint jetzt eine neue Auflage, für deren Berbefferung der Verfaſſer Aus
getban hat, was ihm wünſchenswerth erfchien. Namentlich baben im
dritten Curſus viele Abjchnitte wefentlihe Zufäge, andere Berichtigungen
erhalten, foweit die Forſchungen reifender Seographen dazu Anlaß gaben.“
A. Lüben.)
3. Dr. G. ©. Leo, Conſiſtorialrath: Baterlandöfunde für Säule und
- Haud im Königriig Sachſen. Mit einer Karte. Leipzig, Klinkhardt
856. 7768. 6 Sour.
ein in wohlthuend «gemüthlicher , aniprechender Weife nad dem
Wanderpiane der ‚‚Befchreibung des Königreihe Sachſen“, eines von
demſ. Verf. herausgegebenen Leſebuchs (ef. VII. Pad. Jahresber. S. 238),
angelegtes Schulbüchlein, worin, nach einer die allgemeinen geographi⸗
ſchen Berbättniffe Sachſens zufammenfaſſenden Einleitung, die vier Kreis⸗
directions⸗Bezirke durchwandert werden. Die Ortsbeſchreibung iſt durch
CEinwebung der wichtigſten geſchichtlichen, induſtriellen, merkantilen, fünf-
leriſchen, wiſſenſchaftlichen, baulichen u. ſ. w. Merkwürdigkeiten verleben⸗
digt und patriotiſch geſtaltet. Selbſt der Gofnirtäfgaften ift öfter ges
dat! Außer allgemein berühmter Männer wird auch örtlid beachtens⸗
wertber gedacht; darunter find Autoren, Zonfeper, flernkundige Bauers⸗
v
Geographie. A
leute, Induſtrielle, patriotifhe Menfchenfreunde u. dergl. Bei Beinern
Ländern hat das befondere Bedeutung, und Sachſen hat von jeher auch
in dem ſchlichten Land» und Bürgersmann einen gewiſſen geiftigen Bus
fammenhang mit Kunft und Gelehrſamkeit zu erhalten geſucht. Für
Kinder dürften die Urtheile über Bildyngsanflalten noch in Wegfall
zu bringen fein. Wegen ber Einflehtung der denkwürdigſten geſchicht⸗
lihen Greigniffe in die Ortsbefchreibung fehlen befondere geſchichtliche
Abfchnitte. Landfchulen wird das Büchlein beſtimmt willtonımen fein,
zumal da eine ganz befriedigende Karte aus Ktunſch Atlas (VIII. Ba.
Jahresber. ©. 286) beigegeben if.
4.3.9.5. Upfelkedt: Heimathokunde des Fuͤrſtenthums Schwatzburh⸗
Sonderöhaufen. 2. Heft. Sondershaufen, Cupol. 1856. 10 Egr.
5. F. Breuker, Retor: Leitfaden in der Erd» und Waterlands-
Tunde für Bollsfhulen. Mit Vorwort non Sentor VBödeler. Alfeld,
Oſterode. 164 S. 12mo. 3%, Sgr.
6. Dr. W. Ehwanb: Das deutfhe Gebirgéland in phyfialiſcher
Bestebung. it 1 Karte. Kaflel, Luckhardt. 1855. 36 S. 10 Bar.
7. &. Steinbard: Deutfhland und fein Bolk. Ein Leſe⸗ und Haus⸗
buch für Jung und Alt zur Körberung und Belebung vaterländifdgen Sinnes
und Wiſſens. 1. Bd,. (Blef. 1-3). Deutihland im Allgemeinen.
(a. u. d. T.: Volksbibliothet der Länders und Vöolterkunde,
oder geographifche Haus» und Lefebüder für Jung und Alt. 1. ®b.)
Gotha, Scheube. 1856. 658 S. 1 Thlr. |
In der genannten „Vollksbibliothek 2c. fol mit Benugung der
Form von Beifebeichreibungen in edel volfötbümlicher, lebendig veran⸗
ſchaulichender Darfellung von Land und Leuten der einzelnen Staaten
in ihrer Entwidelung die Summe der Ergebniffe geogmphifcher For⸗
fchungen dem Volke näher gebracht werden durch belehrende und unters
haftende Lectüre. Der Anfang if mit Deutfchland gemaht, wovon
der 1. Band das Land behandelt. Förderung und Belebung des deute
Shen Sinnes und Willens fol durch anziehende Friſche in Berbindung
mit gehöriger fachlicher Gründlichkeit erzielt werden. Es ‚läßt ih nur
rũhmlich anerkennen, daß der erfte, vorliegende Band die Verſprechun⸗
gen erfüllt. Obwohl die Anlage etwas weitausfehend erſcheint, jo find
doch fehr fhöne und lehrreiche Abichnitte ſchon jept hervorzuheben.
(3. B. Deutichland ein Land der Mitte in oro⸗, hydro⸗, phytho⸗, ethno⸗
grapbifcher, biforifher und geiftiger Hinfiht. Die Alpen) Es vereinis
gen fi in dem Buche mehrere Elemente, welche es für die gebildetere
Zuaend zu einem jehr angenehmen und belehrenden Lejebuche machen:
unigfaltigkeit und Reichthum der darin behandelten Sachen, große
Sorgfalt der Details in vielen Bartieen, tactvolle Benupung guter
Sorfeherarbeiten (Riedl, Schlagintweit), Anfchaulichkeit der beſchreibenden
Darftellung , die fi oft zu poetiiher Schilderung von Landfchaften und
Naturſcenen erhebt und mit zahlreichen, gutgewählten poetifchen Remis
nis geſchmückt iſt, umfichtige Wahl und Abwägung des vorzugs⸗
meife Wichtigen und Behandlung deſſelben mit warmer, patriotifcher Hin»
abe. GBeiſpiele liefern außer den vorhin genannten „Alpen“ aud
inzel⸗Abſchnitte dieſes mit großer Ausführlichkeit behandelten Momente,
ww Geographie,
"namentlich die natürlihe Befchaffenheit der Alpen, die Mimatifchen Ver⸗
hättniffe, das Pflanzens und Thierreich derfelben, die Gletſcher und Las
winenz ferner der Küftenfaum des norddeutfchen Tieflandes, die deut⸗
fen Zlüffe u. f. w.) Die Alpen in ihrer reichen Gliederung, die an
einzelnen Stellen bis in's Spezielffte verfolgt und mit allerlei Wander
bildern und Retfebliden ifluftrirt if (Br.-Slodner S. 67 ff., Ortler
S. 127. 131 ff, Alpenthäler, Straßen, Päffe, Erdftürze u. f. w.) füllen
fa eine ganze Hälfte des Bude. Das deutfche Mittelgebirgsland bat
anf faft 200 Seiten in fehr überfichtlicher, wohlgegliederter Ausführung
eine ebenfalls recht anziehende Darftelung gefunden. Daffelbe gilt vom
Rhein und feinem Gebiet, mo ohnehin viel Anlaß aud zu poetiſchem
Schmuck und frifher, gehobener Schilderung war. Berbäftnißmäßig
kurz find Deutſchlands künſtliche Wafferfiraßen und Seen, fein Klima
nnd feine Raturproducte behandelt. (S. 837 —658). — Das Ganze
bietet ungemein viel lieblihe Seiten dar, fpricht oft mit großer Leben»
Digfeit zum deutfchen Gemüth und if ohne Zweifel recht geeignet, Liebe
zur nähern Kenutniß unfers Baterlandes zu entzünden. Ueber ben
Haus bedarf geht die Detaillirung öfter weit hinaus, zumal da fie nicht
ohne genaue topographifche Karten verftändlih werden dürfte.
8. Dir. Dr. Vogel in einzig, Joſ. Wenzig, Schulrath in Prag, und
Fr. Körner, Dberlehrer AI f ne 58 er * de HR ch. —
ei raphiſche Bilder aus der Heimath in Schilderungen aus Ratur, Ges
chihte, Induftrie und Dollaleben. Leipzig, Spamer. 1856. Erſte Abs
theilung in 4 Bon.: Yüuftrirte neograpbifäe Bilder aus Defterreid;
1. 3d.: Bilder aus Rieder» und Ober:-Defterreih, Salzburg und Steier⸗
mark, nebft Einleitung: Kaiſerthum Defterreih und ſein Herrſcherbhaus.
Bon Fr. Koͤrner. Mit über 60 Abbildungen. 221/ Ser. 2. Bd: Bilder
aus Tyrol, Kärnthen und Krain, Rüftenland und Trieſt, Lombardei und
Benedig. Mit 90 Abbild. 1 Thlr. — 2. Abtbeil. Geographiſche Bilder
aus dem Ktönigreih Preußen. 1. Halbband: Brandenburg und Preußen.
n Schilderungen aus Natur, Geſchichte, Induftrie und Vollsleben. Don
Br Körner. it vielen Abbild. 2. 96 S. 12, Sgr.; 2. Halbband
6. 174. 1856. 12% Bar.
Das find in Wahrheit bunte, raſch wechjelnde Bilder, pilant, nad
modernem Zeitgefhmad gewählt, friſch und anziehend gefhrieben, und
durch eine Menge meift recht hübſcher Bildchen (Gebäude, Denkmäler,
Schlachtenſcenen, landſchaftliche und komiſch⸗geſellige Bildchen), ſowie
durch eine überaus ſplendide Ausſtattung illuſtrirt. Zunächſt nehmen
fie nur das äußere Intereſſe in Anſpruch, und es macht fich bisweilen
" etwas forcirte Neberfhwänglichfeit nach der einen, und leichtes Darüber-
bingleiten nach der andern Seite bemerkbar. Hervorſtechende äußere Ei»
tuationen,, draftifhe Scenen, Außerlih Frappantes in Luxus, Pracht,
materiellen Leiftungen, Volksverkehr und Bolfsfitte: das bildet überwie⸗
gend den gemifchten Stoff. Es ift ein Leicht ffizzirtes, auf leichte Eins
gänglichkeit in Vieler Sinn und Gedanken berechnetes Enfemble, belle⸗
triſtiſch anregend, mofaifartig gefügt und womöglich lebhaſt befeuchtet,
um die Phantafle zu befchäftigen, und ein, wenn auch bei der leicht
binfließenden Darftelung nur vorübergehendes Intercfie zu erweden. Die
Bändchen werden nicht fludirt, fondern überhaupt nur einmal gelefen
’
Geographie. 488
fen wollen, um Beit für die folgenden zu behalten. Es wäre ungerecht,
mander ganz bübfchen Partie in denfelben ihren relativen Werth abzu⸗
ſprechen; aber fo weit diefe Bilder bis jetzt erfennen laſſen, geben fie
doch auch gerechten Bedenken einigen Raum. Richt bloß mas fie ent-
Halten, fondern was fie übergehen, erwedt diefe Bedenken, indem über
jenem all’ das ernfter und tiefer in das Volksleben Eingreifende
noch ausgeſetzt erſcheint. Das Volksleben wird nicht weſentlich
durch Erinnerungen an Dentmäler, Tandfchaftlihe Scenen, Refidenz-
Merfwürdigfeiten u. dergi., fondern durch viel bedeutfamere Dinge ges
tragen. Werden diefe ühergangen und jene ausfchließli betent, fo hat
das volfspädagogifche Nachtbeile, weil die Tendenzen des Volksfinnes
dadurch Teicht verfchoben werden. Dieſer wird von feiner weſentlich relis
giödfen Bafis nicht fo meit wegzurüden fein, daß faft Nichte, was direet
dazu in Beziehung ſteht, vorkommen ſollte. Geographifhe und gefchichts
liche Darftellungen find ja an und für ſich ganz wohl zufäffig, in einem
„‚Baterlandsbuche” dürfte aber denjenigen Erfcheinungen im Lande und
bei den Xeuten, welche mehr ernften Kern darbieten als manches Ge:
mälde ſelbſt von Schlahten und Grabmälern,- au ein Platz gebühren.
Der Plan des Buchs fcheint dies jedoch nicht zu begünfligen, und —
das iſt's, was hei einer Lectüre für's Volk nicht ohne Bedenken ifl. —
Der erſte Halbband von Preußen enthält 3. ®. in der Einfeitung: '
„Preußen und fein Königshaus’‘ einen fehr gedrängten Weberbiid über
die alten Hohenzollern, die Burg in Nürnberg, die Erwerbung der
Mark dur die Hohenzollern, den großen Kurfürften, die Königsfrönung,
Friedrich II. und fein Denkmal, den Schloßbau, die Gultur in Preußen:
Alles auf nur 20 Seiten Dann folgen für Brandenburg: Land und
Leute (Hiſtoriſches, Spreewald, Havelland... Randleute aus der Mark,
Stralauer Fiſchzug), Schlachtfelder der Kurmark, Preußens Hauptftadt
und ihre Merkwürdigkeiten (illuftrirt u. A. durch eine Kaffeehaus-Scene
bei Kranzler!), Ausflug nad Chorlottenburg (Maufoleum) und Potsdam
(Sansfouci, Babelsberg ꝛc.), U. v. Humboldt’s Landhaus zu Tegel,
Borfig’s Etabliffement in Berlin ze. — Man fleht, da fehlt gar Manches,
das zum Theil gegen das Gegebene ausgetaufcht werten Lönnte —
Doch das Buch wird, weil es dem bei Vielen herrfchenden Beitgefhmad
entfpricht, wohl fein Publitum finden. Lehrern find für daffelbe die
rechten Augen zu wünfchen, um das Beffere von dem zu feichter, vers
geßliher Lectüre Befimmten zu unterfcheiden.
9. J. C. Ehrich, Oberlehrer: Leitfaden für den geographiſchen
Unterricht. 4, Aufl. Halle, Handel. 1856. 119 & 4 GSgr.
Die in der erſten Ausgabe tacwoll fehgehaltene Stoffbeſchränkung
iR leider aufgegeben, um es Vielen recht zu machen. Dadurch hat die
praftifche Brauchbarkeit des Leitfadens nicht gewonnen. Jetzt ift mancher
Ballaft für die Stufe darin, welcher er zunächſt nüben fönnte; und das
Büchlein nimmt fih wie ein Ercerpt aus, worin kurze Säge, Schlag-
wörter, Kürzungen u. dergl. möglihf Alles andeuten follen, was im
—— — — — —
400 Geographie.
geographiſchen Unterricht an die Kinder zu bringen iſt. Es wärden un»
erfhöpflihe Erläuterungen nöthig werden, wollte man alle Notizen er
klaͤren. (Städtebefchreibungen, Producten» Angaben.) Durd dies Zus
fammenpreffen if die Lesbarkeit des Büchleins verloren gegangen; der
Stoff iR verfchränkt, der Sinn oft mehrdeutig. Was bis ©. 12 unter
den Rubrifen Allgemeines’ und „unſere Erde’ gefagt if, bedarf ge
nauer Prüfung; im wmatbematifch »geographifhen Theil ift leider fehr
wenig völlig haltbar. (Geht der Mond „allnächtlich am öſtlichen
Himmel’ auf? Wer will von den Bahnen derjenigen Fixrſterne
reden, welche „auch mit den flärfften Fernroͤhren für uns nicht fichtbar
find? Wer beweift die „unendliche Zahl der Kometen? If, wenn
- die polare Erdabplattung ya beträgt, das Berhältniß des Aequatorials
Durchmeſſers zur Erdaxe wie 504 : 295? Wozu fagen solstitium
aestivum und bibernum? „Die Pole find von der Ebene der Erd»
bahn abs und zunehmend zwifchen. 664 bis 1324 9 entfernt‘ — was
hat das für einen Sinn?) Anderes beruft auf Ungenauigkeiten (IR
Napoleon 111. feit 1850 Kaifer? Heißt der jetzige dänifche König Chris
ftian VIII, der jebige boländifche König Wilhelm 11.2) -und Ungleich⸗
förmigfeiten. (Angabe der Einwohnerzahlen bei Europa fehr ſpärlich,
bei andern Erdtheilen reichlich) — Kurz, in jegiger Art if das Bü»
lein nicht zu empfehlen.
10. $. U. Hildebrand: Leitfaden für den erfien Unterridt in der
Geographie. 2. Eurfus. Zielenzig, Range. 1856. 92 ©. 5 Sgr
(Mit befonderer Beltimmung für Stadifchulen und mit Berüdfichtigung
des Megulativs vom 1. Octob. 1854.)
11. Dr. 4. Graͤfenhan: Geogravhiſcher Leitfaden für die unter:
fen Gymnaſialktlaſſen. Eisleben, Sräfenhan. 1857. 53 S. 5 Ser.
Der Berf. hat für Sertaner von 9— 11 Jahren das kurz zufam-
mengeftellt, was fie aus der topifchen Geographie fe zu lernen
haben, und was ferner aus der Geographie von Europa in Betreff der
Staaten, ibrer Bevölkerung und ihrer Hauptftädte, jowie über den Um:
fang und Staateninhalt des deutjchen Bundes und über den preußifchen
Staat insbefondere (nah Provinzen und Regierungsbezirten) hinzuzu-
nehmen if. In 233 kurzen Säpen und Lehrflüden if der Memorir⸗
floff gegeben, welcher „ziemlich wörtlich der Reihe nach” gelernt, und
bei welchem der Lehrer durch Fragen und Bergleihungen nur „das todte
Ableiern“ verhüten- fol. Das Ganze ift ein in 2 Theilen für Anfänger
gefertigte Excerpt aus v. Roon's „Anfangsgründen 2c.” (1. topifche
Geographie, 2. yolitifhe Geographie von Europa), wozu Einiges über
Preußen binzugenonmen if. Wiffenfchaftliche Gruppirung und Aufſtel⸗
lung, Sparſamkeit der Angaben, ohne Spaͤrlichkeit derfelben, Vorſorge
wegen Bergleihung und Wiederholung durch eine Weberfichtstabelle der
Raumgrößen und jonflige paflende Anordnung, Weglaffung des an der
Karte ſelbſt fofort zu Erkennenden: das find Merkmale des Büchleins. —
©. 45 Sollte es Friedrich VI. heißen. Die Definition: „Breite“ bes
zeichnet die Richtung von Süden nah Norden und umgekehrt — if
nicht gut.
Geographie. 4
12.8. allehrer: Erdbeſchreibun s die untern Klaſſen
3 — *— ale und — — he Rückficht —
und Vöolkerkunde. (Nach des Verf. s „‚Zehrbucd der Erdkunde.) Regene⸗
burg, Puftet. 1853, 337 ©. 12 Ser.
Mach dem antiguirten Plane von Fabri, Bannabich, Stein bearbeitet,
tbeilt das Buch deren Mängel (in dem mathematifchen und phyſikaliſchen)
und deren gute Geiten (in dem topographifch« politifhen Theile). Die
Bermeidung alles Gedaͤchtnißballaſtes, die der Verf. verſücht Haben will,
it, wie der flüchtigſte Blick erkennt, nicht gelungen; vielmehr iſt des
nicht Lernenswertben gar viel beibehalten. Die hie und da eingelegten
poetifchen, hiſtoriſchen und ſonſtigen Neminiscenzen heben den Werth
des Ganzen afein noch nicht. Ohnehin find eine Menge Sach⸗ und
Drudfehler untergelaufen. (Sudeten — Glatzer⸗Gebirge? Lauflger Ge
birge = ſächſiſche Schweiz? Das Fichtelgebirge bis zu den hbchſten
Bunkten angebaut? Laufißer und Görliper Neiße, von der fränfi»
fhen Laufig fommend, münden links bei Kroffen? Beinahe jede
preußifhe Stadt hat ein Zeughaus? Tylly? Hammeln? Begedorf?)
Allenthalben werden überwiegend die Tatholifchen Intereſſen vorgezogen.
13. &, Wöber: Geograpbifge Mittheilungen über Europa, Afien
und Afrika c. Reue (Titel — 1853) Ausgabe, Duedlinburg, Baſſe. 1856.
364 5. 25 Sp.
Ueber diefe abenteuerliche Geographie in Reimen cf. VEN. Päd.
Sahresber. ©. 301.
1& Dr. @. Stößner, Lehrer an der Realſchnle: Elemente der Beogra-
phie in Karten und Tert metbodifch dargefiellt I.— IH. Curſus.
Annaberg, Rudolph und Dieterici. 1853— 1856. 21m. —= 2 Thlr. 7 Ser.
Dben in der Abhandlung ift unter 1. 2. d. dieſes methodiſchen
Hülfsmittels bereits näher gedacht. Hier if deshalb nur noch Einiges
über die Einrichtung deffelben nachzutragen. Der erſte Curfus enthält
12 Karten in Querquart; eine mathematifche (zur Erläuterung der Be
griffe von den fundamentalen Linien an den Planiglobien, den Zonen,
der Öftlichen und weſtlichen Halbkugel und der Lands und Waflervertheis
lung auf benfelben) , eine zur Darftellung der öftlihen und weftlichen,
ſowie der füdlihen und nördliden Halbkugel, mit Eintragung einiger
der wichtigen Kaps und einiger wichtiger Meerestheile; eine Erdkarte
nah Mercator, zu dem Frühern einige Namen von Ländern, Infeln,
Gebirgen und Plüffen fügend. Dann folgen die rudimentären Dar;
Rellungen der Erdtheile mit einigen Hauptgebirgen, Flüſſen, Ländern,
Städten (das geographifche Neg auf die Eharafterlinien beſchraͤnkt; bei
Europa aud eine Karte mit colörirter Abgrenzung der Hauptſtaaten),
dann A Karten zu allmählig vollſtändigerer Darfiellung Deutichlande.
(Erf bloß die bedeutendften Gebirge und größten Flüſſe mit ein paar
Städten und einigen Nebenflüflen; dann das Flußneß etwas vervolls
Rändigt, mit etwas mehr Städtenamen, und den Heinern Gebirgen;
dann nod etwas mehr Städte, zulept die Staaten ohne Gebirgszeich-
nung.) — Der auf der Rebenfeite gleih vis à vis der Karte aufge
ſtellte Tent erläutert kurz die Topik und Phyſtk der Länderräume, und
492 | Gesgraphie.
gibt nah Umfänden Andeutungen über Producte, Berdlferung, Stadie
und Staaten und zwar ſtets leicht, überfichtlich geordnet.
Sm zweiten Eurfus find 13 Karten. Außer einer. mathematis
fhen Karte, welche namentlich den nördlichen geſtirnten Himmel in der
Märp, April, Augufe, September und December — Januar⸗Stellung
und die vergleichsweile Größe der Planeten darfellt, find Karten für
die topiſch⸗phyſikaliſchen Verhältniffe der außereuropäifchen Ertheile und
Deutſchlands, fowie für Aften, Amerika, Europa und Deutfchland poli⸗
tifhe Karten — leptere beiden gefondert für das öftlidhe und nördliche,
und dann für das füdlihe Europa, fowie gefondert für Nord», Mittels
und Süddeutfchland — ferner eine für die Alpen und die Schweiz und
eine für die öfterreihifhe Monarchie gegeben, und eine Karte zur Gin»
übung der wichtigſten Meridiane und Paraflelfreife für die Auffaffung
des Bildes der Erdtibeile macht den Beſchluß. Auf den politifchen
Karten fehlen Rets die Gebirge. Der Text nimmt, außer auf Phyfſika⸗
liſches und Topifches, namentlihb auch auf die mathematifche Lage, auf
politifhe Staateneintheilung, auf Größe der Städte und Bedeutung ders
felben Rüdfiht. —
Der dritte Curſus umfaßt 18 Karten: eine mathematifche mit
weiteren Ausführungen der Darftellungen des nördlichen geftirnten Him⸗
mels, Erläuterungen der Mond» und Erdbeleuchtung und der Antipoden»
Lage, andere mit vollendeterer Ausführung der Bodenverhältniffe Amerifas
und Afiens, andere mit Angabe der Staaten Aftens und Amerikas,
7 Karten für europäifche Länder — aähnlich der Ausführung in den
gebräuchlichen Echulatlanten (Alpenkarte befonders plaftifch anſchaulich),
5 Karten für deutfche Länder (— die Tiefebenen zum Theil grün übers
drudt — außerdem ein Eifenbahnfärthen), eine Karte zur Einübung
der Meridiane und Purallelfreife, der Wind» und Meereöftrömungen und
eine PBroductensKartee — Daraus leuchtet der gefunde Plan vollftändig
bervor, der den Schulgebraud begründet.
Kleine Detailmängel find irrelevant. (Sorato — Sorata; On⸗
taria; Ispaham, Lurenburg, Heime, Siegmaringen, Mogator — Mas
gador, Reus, Zesrel, Bergano. Zeichnung der Sudeten und des mäh-
tifhen Gebirges, der Iller⸗ und Lech⸗Quelle u. 4.) Für den Gebraud
bei Abend macht die rothe Schrift den Augen Schwierigkeit. Uebri⸗
gens Tann das Elementarwerk nur empfohlen werden.
15. Th. Schacht (Oberftudienrath): Kleine Schulgeographie 7. Aufl. Mit
einer Karte in Karbendrud. Mainz, Kunze. 1856. 124 ©. 11 Gar.
Vergl. 7. Päd. Jabresber. S. 241 über die 6. Aufl., welche in
ber neuen feine totalen Umgefaltungen erfahren bat.
16. Brof. Dr. H. 9. Daniel: Leitfaden für den Unterricht in der
eograpbie. 7. Aufl. Halle, Waiſenhaus. 1857. 149 ©. T7'/a Ser.
Aus den frühern Auflagen hinlänglich befannt.
17. Dr. A. Geisler, Inftituts:Borficher (in Brieg): Leitfaden beimln-
terriht in der Erdkunde In drei Curſen. Für deutfhe Mittel:
ſchulen. 1. Bändchen: Die mathematifche Geographie, Die phyſiſche und
Geographie. | 493
yolltifhe Geographie yon CQuropa, Deutfland, en Afrika, Amerika und
Auftralien. Halle, Schmidt. 1856. 144 ©.
Bereits oben in der Abhandlung (III. 3. Re " dieſes ‚Leitfaden‘
gedacht, und das 2. Bändchen defielben oben unter Ar. 1 erwähnt. Die
leitenden Gefichtspunfte des Verfaſſers find 1. Boranflellen des Stus
biums der Karte und des Vortrags des Lehrers, und Zurüdtreten des
Lehrbuchs gegen die Beichenfpradhe der Globen und Karten; da legteres
nur die Auswahl und Eintheilung des Stoffes zur Norm binftellen und
dem Schülergedächtniß eine Hülfe bieten fol; 2. Feſthalten des prakti⸗
chen Bedürfniffes und der concentrivenden Methode, fo daß nicht vors
wiegend die Ritter'ſchen Principien zur Anwendung fommen, fondern dem
volitiſchen Element ein größerer Raum verfattet, auch die Ausſchmückung
wit gefhichtlihen und naturkundlichen Angaben beibehalten iſt. — Aeu⸗
Berlich laſſen fih in dem „Leitfaden“ Leicht die drei Curſe herausfinden,
indem der wiffenichaftlich geordnete Stoff nad dem Maaße feiner Faß⸗
lichkeit in den fortlaufenden 88. theils für die Oberklaffe gehohes
ner Volksſchulen (1), theils für die untern Klaffen der Mittelihule (2),
theils für die obern Klaffen der letztern (3) beftimmt iſt. Der Stoff für
jeden einzelnen der 3 Curſe if aljo weder dicht nacheinander, noch
für güe drei in jedem einzelnen $. aufgeführt. Die Zwifcheneinanders
Rellung foll die Wiederholung der frühern Curſe beim legten erleichtern.
Außerdem fordern viele ganz pafjende Aufgaben zur weiteren Durcharbei⸗
tung und Wiederholung auf. Der Leitfaden iſt mit unvertennbarem
praktiſchen Tact, im Wejentlihen den preußifchen Regulativen entfprechend,
kurz, überfichtlih und Mar verfaßt; die Proportionen des Materials find
angemefien, und namentlich die orographifchen Angaben nicht breit aus«
gedehnt. Das politiicheflatiftifche Material iR in gedrängte Tabellen
gebracht ($. 89 für Eusopa, $. 118 für Deutjchland, 88. 137. 155.
172. 173 für Aflen, Afrifa und Amerika), eben fo die größten euros
päifhen ($. 90) und deutfchen Städte ($ 119), desgleichen die Länders
Ueberfihten, ProductensAngaben ($. 48—50), Eifenbahnen und dergl.
GSeſchichthliche Anhaltspunkte (F. 91. 120. 138. 156. 176), Angaben
der Lage und Größe von Ländern, Städten, Inſeln, Halbinſeln, Seen,
Fluͤſſen, Heeren, Flotten ꝛc. finden fi) auf beſondere 88. vertheilt. Man⸗
ches der Naturlehre Angehörige flechten nach concentrirender Methode
die 88. 36 — 47 in die phyſiſche Geographie ein. Den Schluß bildet
die kurze topographiiche Befchreibung von c. 100 Städten ($. 191), meift
deutſcher und europälfcher. Ein paar Irrungen in der mathematifchen
Geographie ($. 15. d, 20. (2)), fo wie in Höhenangaben und Namen
(S. 99 bei Schiller) abgerechnet, ift der Leitfaden fehr correet, und
verdient empfohlen zu werden. Bdch. 3 foll Defkerreich enthalten.
18. ©. 3. Peters, Lehrer an der Navigationsſchule: Mathematiſche, yhy
fifheund yotitifhe Geographie. Mit 36 Biguren und einer Sterne
karte. Füt Navitgationsſchulen bearbeitet. 2. Wufl. Wismar und
Ludwigsluſt, Hinftorff. 1855. 256 ©. 15 Ser.
Die BeRimmung des Buchs für angehende Seemaͤnner rechtfertigt
vollfommen in dieſem Lehrbuche die Aufnahme und naähere Behandlung
494 Geographte.
mancher vorzugsweife diefen nöthigen Belehrungen, welche in fonfligen
Lehrbüchern zu fehlen pflegen, fo wie die Weglaffung anderer Lehrfüde,
welche diefe aufnehmen. Mathematiſch⸗ und phufifchegeographifche Kennt⸗
niffe find dem Seemann nöthiger als fpezielle Kenntniß binnenländiſcher
Staaten-Eintheilungen, Städte-Sehenswürdigkeiten und verfprengte hiſto⸗
rifhe Reminiscenzen. Nur Rheden, Hafen», Haupt» Handelspläge für
den Seehandel u. drgl. intereffiren ihn aus der politiſchen Geographie.
Mit ziemlicher Ausführlichkeit hat der Berf. in 30 88., durch angemefs
fene Figuren unterftüßt, das Wichtigſte aus der mathematifhen Geogra⸗
phie behandelt, mit befonderer Hervorhebung deſſen, was zu fchneller
Drientirung über die Stellung gewifler zu Beobachtungen, Weffungen
und Berechnungen gewöhnlich verwendeter Geftirme anleitet, und was zur
Begründung mander nautifhen Ermittelungen dient. Er bat dazu aud
geeignete Zundamentafftüde aus der theoretiſchen Phyſfik angezogen.
Ferner hat er über die dem Seemann befonders widytigen Berner
gungen des Meeres, über die Bindfrömungen, Wärmeverhältniffe fi
fpeeieller verbreitet, und die borizontate Gliederung der Erdtheile, Die
SInfelgruppen, Zlüffe u. f. w. mit mathematiſch⸗ geographifcher Poſitions⸗
bezeihnung aufgeftellt. Bei der politifchen Geographie if im Ber
fentlihen der fiblichen Dispofition gefolgt, namentlih aber find Betrieh-
famfeit und Handel, Münzen, Maaße und Gewichte, bei den Ste
ſtädten die Hafenverhältniffe, die Seewege u. drgl. beachtet worden. ( Oa⸗
fentiefe, Rheden, Löfchpläge, Brandungsftellen, Einfahrten, Leuchtihürmen
». drei.) Das Buch ift zmwedentfprechend, die erläuternden Figuren find
inftructiv, die Sternfarte für Anfänger ausreichend. Das Berfändniß
einiger Berechnungen erfordert trigonometriſche Kenntniſſe (S. 30). ©. 5
werden die Rectafcenfionskreife auh Declinationstreife genannt,
S. 9 Sternbild und Sternzeichen des Widders indentifch gebraucht!
19, Dr. 8. Fr. Bolger, Dir.: Shulgeographie für die mittleren Klaſſen
der Symnafien, für Bürgers, Neal: und Töchterſchulen. 9. Aufl. Hannover
Hahn. 1856. 322 &. 26 Ger.
Des Berfaffers Anfichten über Ritter's und die praktiſche Metbode
And oben in der praftifchen Abhandlung (IH. 8. a.) erwähnt. Prak⸗
tifch findet derfelbe das Weberwiegen der Staaten» Geographie; dieſe
füllt hier 18 Bogen, indeß der mathematifchen Geographie die feit Can⸗
nabich flereotypen 16 Seiten allgemeiner Einleitung zufallen. Detaillirte
Beſchreibung der Drtfchaften mit irgend welcher hiftorifcher, naturkund⸗
licher, merkantiler oder fonftiger Merkwärdigfeit bildet den Kern dieſer
Stofffammiung, die nurzur Auswahl, nicht zur völligen, geord⸗
neten Durcharbeitung beftimmt, und darum eigentlich feine Schulgeo⸗
graphie if. Das Negifter führt über 5000 Artikel auf! Anordnung
und Ueberſichtlichkeit, Ruͤckſichtnahme auf die hiftorifche Zufammenfegung
der Staaten, manche tabellazifchen Aufftelungen, z. B. der Städte Eu-
ropa's, nach Flußgebieten, UequatorialsAbfländen, Bewohnerzahlen n. |. w.
und der deutfchen Städte, mit Rückficht auf ihre Bedeutung im Leben
(38. 45—48, 69 ff 197), ferner der Höhen, Zlüffe, Seren u. dergl., —
das Alles verdient anerlannt zu werden 5 es läßt ih davon nad Um⸗
Geographie. 493
ſtanden Gebrauch machen. Der Ballaſt der, Merkwürdigkeiten“ erinnert
dagegen gar ſehr an P. L. Berfenmeyer’s ‚neuen, vermehrten curieufen
Antiquarius, d. i. allerhand auserlefene geographifche und hiſtoriſche Merk⸗
würdigfeiten, fo in denen Europäifchen Ländern zu finden.’ Hamburg,
Herold. 7. Aufl. 1738! |
20. U. v. Moon, Anfangsgründe der Erd», Völler: und Staas
tenfunde. Ein Leitfaden für Schüler von Gymnafien, Militair- und
böbern Bürgerſchulen. Für einen flufenmeilen Unterrichtsgang berechnet.
3, Abthl. 10. Aufl. Berlin, Reimer. 1850. 322 ©. 15 Sgr.
Seit 1834 zum 10. Male erweitert ausgegeben, und mit Recht
in höhern Lehranftalten als trefflihes, für den wiſſenſchaftlichen
Anfangsunterricht in der Geographie beſtimmtes Lehrbuch fehr verbreitet,
bat Dies noch jet feine alten 3 Stufen: topifche Geographie, phyfikalifche
Geographie, Voͤlker⸗ und Staatenkunde. — Oceanographie, Anfänge
der Oro⸗ und Hydrographie mit Einäbung der mathematiſch geographis
fhen Bofitionen, letztere Penſa an die Erdiheile angefchloffen, und bei
Europa und Deutſchland befonders detaillirt, bilden die 1. Stufe. Auf
der zweiten wird nach kurzen mathematifchen Erörterungen die all⸗
gemeine Phyſit der. Erde (Elemente und Kräfte, Atmofphäre, Ocean,
Feſtland, Klima) und dann hei den einzelnen Erdtheilen detaillirt die
orsgraphifche Natur in wiffenfchaftlicher Gliederung, die Waſſerſyſteme,
Alima und organifhe Natur behandelt. (Europa am ausführlichken.)
Die dritte Stufe flellt die allgemeine Völkerkunde voran (Zahl,
Berbreitung, Eintheilung, Sprach⸗ und Bölferkämme, Lebensweife, Ges
ſtttung, ſtaatliche und religidfe Verhaͤltniſſe), und läßt dann die einzels
nen Erdtheile in ethnographiſcher und politifcher Hinficht folgen (Staa⸗
tengruppen, Ginthellung, Wohnplätze — ohne Berfwürdigkeiten! —),
mit fpezielleren Nachweiſen über die einzelnen Volks⸗ und Staatsverhält⸗
niffe (Bertheilung der Bevölkerung, Abſtammung, Sprache, Religion, Ges
Ättung, Nahrungszweige 20). Das möge zur Andeutung des reichen Ins
balts deſſen, was der Berf. zu den „Unfangsgründen‘' rechnet, genügen.
Jeder Lehrer faun fi dasan die Erinnerung an wiflenfshaftliche Erde
funde wach erhalten, die des Berfaffere „Grundzüge (IX. Bäd. Jah⸗
resber. ©. 272) vollflaͤndig darlegt.
21. J. W. Schubert, Director: Grundzüge der allgemeinen Erbds
funde für die untern Klafien der Gymnaflen und Realſchulen. Mit 3
lith. Zafeln u. Holzfchn. Wien, Gerold 1856. 92 ©. 10 Sgr.
22. 9. Biehoff, Dirertor und Profeffor: Zeitfaden für den geogras
phiſchen Unterriät auf Gymnafien und andern böhern Lehranftalten
in drei Lehrfufen, mit vielen Kragen und Aufgaben zu ſchriftlicher und
mũndlicher Läfung. 1, Lehrſtufe. U. u. d. T.: Umriffe der topifchen
Beograpbie; ein Leitfaden für den geographiſchen Unterricht in der
unterften Klaſſe höherer Lehranſtalten. 4. Aufl, Emmerich, Rome. 1855,
16 und v8 S. T'yı Sgr. (Schr braudbar.) Ä
23. B. Walther, Oberichrer: Leitfaden und Lehrſtoff zum methos
bifhen Unterricht in der Geographie. Ein Handbud in 3
Gurien oder Lehrgängen für Xehrer und Schulen nach einer neuen zweck⸗
mäßigen ſynthetiſchen und anakytifchen Metyode. 2. (Titel-)Iusg. (1837
198 Ä Geographie:
— 1839). Mit 8 Kartchen. Leipzig, Polet.
132. 2. he 1 A valg, Pole. Ohne Jahreszahl. 72
Das Bud if heute veraltet — 1837 hieß der Verf. 2. Walther
in der Vorrede, jept B. Walther auf dem Titel. Wenn auch mandes
Gute darin nicht zu verfennen if, fo find ſowohl eine Menge Zablens und
Namens Angaben (Einwohnerzahlen, Regenten 20) jet unbrauchbar ges
worden, als aud die Methode, welche einen ganzen Curfus faſt nur mit
Definitionen füllt, antiquirt il. Was aus v. Roon, von Raumer, 2.
Hoffmann u. A. vor 20 Jahren entnommen if, namentlich im topiſch⸗
phyfikaliſchen Theile, iſt ganz gut, aber der flaatenkundliche Theil, der
einen beträchtlichen Raum füllt, paßt nicht mehr. Die winzigen Sedez⸗
kärtchen genügen nicht mehr. Dies Handbuch faͤllt der Vergeſſenheit ans
beim.
23, ©. Nieberding, Symnafial- Director; Keitfaden bei dem Unterricht
in der Erdkunde für Oymmaften. 5. Aufl. Redlinghaufen, Me⸗
ſcher 1856. 110 ©, 8 Ser.
Wenige Beränderungen in den Zahlenangaben und in der Reibens
folge der Abfchnitte ausgenommen, ift im Uebrigen der Text der 5. Aufl.
der A. ganz gleih. Jedoch in ber tabellariihen Anordnung des Druds
iſt ſchulgerechtere Weberfichtlichkeit in ber jegigen Aufl. gewonnen. Daß
in Accommodation der Orthographie fremder Ramen nad der Ausſprache
bei manchen derjelben eine demgenäße Schreibweife beibehalten ift, bat
infofern große Uebelſtaͤnde, ale dies Verfahren nicht confequent durchge⸗
führt if, und als die Landkarten dieſe Schreibweife nicht auch ſubſtitui⸗
ren. So, wie es dies als Merkbüchlein macht, führt es leicht zu
Irrungen. (Breiten — Brighton, — Manſcha, Tſchitſcheſter, Mulhaſ⸗
feu, Lago Madſchore ꝛ2e.). Daß in den topiſchen und politiſch⸗ſtatiſti⸗
ſchen Angaben Maßgehalten, und das Ganze ſo angelegt iſt, daß der
Unterricht es erſt beleben muß, if fchon bei frübern Auflagen (ef. V.
Bid. Zahresber. S. 183 und VIII. S. 296) angedeutet.
25, Dr. C. Arendts, Prof, in Münden: Geographiſche Tabellen:
Kür den wiffenfdaftlichen Unterricht zufammengepellt und bearbeitet. Ber⸗
lin, Gebrüder Scherk. 1856. 115 ©. . -
Für wiffenfhaftlidhe Berechnungen und Bergleihungen und
verwandte geographiiche Arbeiten bieten diefe, aus bewährten Schriften
von Berghaus, Engelhardt, Gehler, v. Humboldt, Lamont, v. Reden,
v. Sydow u. U. theils entlehnten, theild vom Verf. ſelbſtſtändig bearbei⸗
teten Tabellen, ein äußert willlommenes und empfehlenswerthes Hülfs⸗
mittel dar. So weit, ohne jede Zahl in jeder Tabelle dur Bers
gleihung mit den Quellen zu prüfen, aus der Gegenüberhaltung meh⸗
rerer diefer Tabellen mit denen der Gewährsmänner zu erkennen war, find
jene nicht allein mit in der That großer Sorgfalt ausgearbeitet, fondern
fie find auch zum erleichterten Gebrauch bequem eingerichtet, Ein Lehr⸗
buch der Geographie wollen und fönnen fie ſelbſtredend nicht erfegen. —
Am Ganzen find 38 Tabellen aufgeflellt: 11 zur mathematifhen, 15
zur topiſch⸗phyfikaliſchen, 10 zur politifchsflatiftifichen Geographie und 2
im Anhange zu Bergleihungen von Maaßen und Gewichten mit den
Geographie. 497
bayriſchen, und voneuropäifhen Rechnungs Münzen mit denen der
nordameritanifchen Freiftaaten. Den Inhalt bilden: Maaß⸗ und
Gewichtstabellen deutſcher, europäifcher und nordamerifanifcher Staaten,
verfchiedener Länder Meilen» Mauße, Pendellängen in verichiedenen geos
graphiſchen Breiten, geographiihe Pofttionen von faſt anderthalb Tau⸗
fend Städten aller Erdtbeile, Gradlängen der Meridiane und Parallels
freife, der mathematiichen Klimate, Verwandlung von Raumes Bogen in
Zeit und umgekehrt, Elemente zur Ermittelung der Meereshöhen aus dem
Barometerfiande von 261 bis 340 Linien bei einem Thermometerftande
von — 5° his + 25°, Vergleihung der Barometers und Thermomer
tersSfalen, Größen von Gontinenten und Meeren und ihren Theilen,
Dimenfionen und Areal, GebirgesGipfelhöhen, Stromgebiets-, und Stroms»
entwidelungs;» Räume, Größen der Landfeen, Regenmenge, Windrich⸗
tungen, abjolute Pöhen bewohnter Orte, mittlere Zemperatur von
c. 100 Städten aller Erdtbeile, Iſothermen für fieben Breitengürtel,
Areals und Bevölkerungs⸗Groößen außereuropäifcher, europäifcher und
deutfcher Ränder, Finanzen- und Militair » Stand europäifcher und deuts
cher Staaten, Regententafel u. f. w. u. f. w. Das möge den Reiche
thum und die Art des Inhalts charakterifiren. Se feltener Hülfsmittel
diefer Art find, um fo willfommener müffen fie zu wiffenfchaftlihen Ars
beiten fein. (Vide unten Nr 62: Kolb's vergleichende Statifik.)
26. W. Bü, Oberlebrer. in Köln: Lehrbuch der vergleihenden
Erdbefhreibung für die obern Klafien höherer Zehranftalten und zum
Selbftunterricht. 2. Aufl. Freiburg i. Br., Heder 1856. 430 ©. 18 Ser.
Meber dies fehr treffliche Werk iſt bereits im IX. Päd. Jahresber.
©. 270. 271 mit aller Anerkennung berichtet, fo daß darauf zurückge⸗
wiefen werden fann. Diefe 2. Auflage iR in der That eine mannige
faltig verbeflerte und vermehrte. Außer vielen kurzen erläuternden Gins
ſchaltungen an den einen, und Streihungen an andern Stellen, Beriche
tigungen von Zahlenangaben, Undersftellungen einzelner Abſätze (88. 7.
14. 19. 32) find auch Umarbeitungen einzelner Partieen im Intereſſe
größerer Bräcifion und Stlarheit zu bemerken. Ergänzungen finden fid
u. U. bei den Gründen für die Kugelgeftalt der Erde, dem See» und
Gontinental» Klima, der. Nordweits Baffage bei Nordamerika, den Vulka⸗
nenreidhen des flillen Deceans, den Atolls, dem Einfluß der Rords und
der Süd «Hälfte des Nordofts Continents auf Cultur, bei Weſtafien,
Phönizien und Nord - Syrien, dem Iſthmus von Sue u. f. w. Europa
allein ift um c. 1'/s Bogen vermehrt. — Das Werk fei mit gefteigerter
Anerkennung empfohlen!
27. Dan. Bölter, Prof. am Eeminar: Lehrbuch der Geographie,
6. (Schluß⸗) Kiefer. 2. Aufl. Eßlingen, Weychardt. 1856. S. 856—101
und 40 Seiten Regifter. Das Werk cpl. 2 Ihlr. 24 Ser.
Nunmehr liegt das reichhaltige, mit großem Fleiß und großer Ges
nauigfeit gearbeitete Werk endlich ganz vollendet vor; es iſt gegen das
Ende hin etwas gedrängter. gehalten, bietet aber dennoch eine ungemeine
Fülle des Materials bei Amerifa und Auftralien (auf c. 150 Seiten),
in ähnlicher Diepofition wie früher. Der wiſſenſchaftliche, wie der prak⸗
Race, Jahresbericht. X. 32
498 Geographie.
fihe Werth des Werkes fpringt bei jedem 8. in die Augen md tärfte
das umfaffende Detail alle praftifchen Bedärfniffe vollfändig befriedigen.
Ein Lehrbuch für Schulen fann es in feiner jegigen Geſtalt nicht
mehr fein; aber es ift eın wahres Magazin auh für Lehrer, das Re⸗
‚ fyeet vor der Geographie einzuflößen vermag, und aus welchem gedies
gener Kebrftoff auf allen Schulen entnommen werden fann. Als ein
foiher Schag fann es erneut lebhaft empfohlen werden. (Cf. IX. Bad.
Aubresber. S. 270.) Daß Regiſter weift auf 40 Seiten in je 5 com⸗
prefien Eolonnen wohl an 12—-14000 Xrtifel nad !!
28. Dr. F. €. R. Ritter: Erdbefhreibung für Gymmaſien und
bbobere Lebranitalten. Mit 1% in den Text gedrudten Holzfchn. 2. Aufl.
Frankfurt a. M., Brönner. 1856. 361. 20 Sgr.
„ch Il. Pad. Jahresber. S. 240.
2 Dr. K. F. R. Schneider: Handbud der Erdbefhreibung und
Staatenkunde. Lief. 4—48 (Schluß) fi 5 Epr. Glogau, Flemming.
1856—57. (Tas Ganze 2302 Eeiten Text, 190 Seit. Reg. excl. Inhalter
Verzeichniß. 8 Thlr.)
Endlich, nah 10jähriger Arbeit, iſt auch dies Wert vollendet!
Statt der anfangs projectirten 60 —80 Bogen find es über 145 (!!)
Bogen Tert und außer Bogen langen Inhalts s Verzeichniffen noch 12
Bogen Regifter geworden, alfo beinahe noch ein Mat fo viel als das
äußerfie Maaß des erften Broipectes in Ausficht ſtellte. So exorbitante
Meberfchreitungen find für Abnehmer eine ungerechte Zumuthung. — Das
von abgejehen, ift das Werk mit erflaunflihem Sammelfleiß, mit zähem
Befthulten des geordneten, umfaflenden Planes und unverkennbarer Liebe
and Ausdauer, fo wie mit Eachfenntniß gefchrieben. Seinem innern
Werthe würde eine größere Gedrängtheit nicht gefchadet haben. Es fann
nicht fehlen, daß während des Erfceinens bereits ein gutes Theil der
Angaben veraltet find, alfo jetzt nur noch relativen Werth haben.
3%. Dr. C. G. D. Stein u. Dr. F. Hoͤrſchelmann: Handbuch der Geogra⸗
phie und Statiſtik für die gebildeten Stände. 7. Aufl. ven Dr.
J. €. Bappdus, Prof. in Böttingen. Leipzig, Hinrichs. 1849-1835.
Bisher find erfchienen: I. Bd. 1. Liefer. 14 Ban. 28 Sge. Wlle
gemeiner Theil: Afronomijche, phyſiſche und politifche Geograpbie.
Befonders ſpeziell if der Abfchnitt über phyſiſche Geographie. Bei der
politifchen if auch der allgemeinen ſtatiſtiſchen Verhältniſſe gedacht. 2—7
Lief. Amerika. (Bisher nur die vereinigten Staaten von Rordamerifa
ale 2. Abtheil. des erſten Bds. fertig. 54 Ban. 3 Thlr. 12 Ger.)
— 68 find bier fowohl die allgemeinen oros und hydrographiſchen Bers
bältniffe, als die der fämmtlihen inzelländer, und zwar legtere mit
viel Ausführlihfeit behandelt,” und die Natur wie der Menih in
vielfeitigen Beziehungen betrachtet. (Bodenverhältniffe, Production, Hans
def, Eivilifation, Verwaltung, Statifit, Bölfervertbeilung (Entdeckungs⸗
geihichte!), fociale Verbältniffe, Bildung, Religion, Recht, Berfaflung.)
Lebendige und klare Schilderungen führen in das amerifanis
Ihe Etanten » und Städteleben anſchaulich ein, und laffen die Grundla⸗
gen des ungemein raſchen Aufſchwungs und ihrer wachfenden Bedeutung
.
=
Geographie. 409
erkennen. — II. Bd. 1. Lief. 1853. Afrika von Dr. T. E. Gum⸗
precht 224 Bon. 1 Thlr. 16 Sgr., ſehr intereſſant geſchrieben, zumal
Guinea, Senegambien, das innere Nord⸗Afrika u. d. Sahara. 2. Abtlg. 1854;
Auſtralien von Dir. Prof. Dr. Meinicke, 3 Bgn. 6 Sgr., überwiegend
die Natur⸗ und Bölferverhältniffe betrachtend. — Als nächſte Ergänzung
find in Ausſicht geſtellt; J. Bd. 3. Abth. Europa (Allgemeiner Theil
v. Wappäus, und Rußland von Prof. 8. U. Poſſart.) II. Bd. 8. Abth.
Afien von Dr. 3. H. Plath. — Das Werk bat durch eyacte Bearbeitung
und tiefere Einführung befonders in das Weſen der amerifaniichen Bere
bältniffe viel gerechte Aufmerkſamkeit erregt; es wird vorausfihtlih ein
ausführliches und koſtſpieliges werden.
31. ©. Leypoldt, Ingenieurs Offizier: Die Himmelskunde, mit befon«
derer Berüdfichtigung des im gemeinen Leben Anwendbaren, ald der Kunft,
fi) nad der Eonne und den Eternen zu orientiren, die Zeit aus ibnen
u finden u. f. fe — Das Sonnenfuflem, veranihaulicht Durch die
teilung der Erde und den übrigen mit freiem Auge fichtbaren Planeten
im Jahre 1856. Für Freunde der Aftronomie, dann im Allgemeinen für
Militair, Forſtleute u. A. gemeinfaplich dargeftellt. 3. Ausg. Nürnberg,
Beh. 1856. 132 ©. u. 4 Karten. 20 Sgr.
Der Titel beſchränkt den Zwed der Schrift vornehmlih auf Orien⸗
tirung, 3. B. bei Märjhen, und auf die Zeitermittelung aus
dem Stande der Sonne, ded Mondes und der Eterne. Es if fchon
im IX. Päd. Jahresber. S. 273 auf die mancherlei Beifpiele hingewie⸗
fen, wodurch dieſe Ortentirungsfunft erlernt. werden fol. Für fchlichte
Leute ift dieſe Methode, welche einen Schatz parater Zahlen, Zabellens
angaben und Erwägungen vorausfept, zu umfländlih. Gute topogras
phifche Karten und eine genau gehende Uhr machen thatjählic die meis
hen diefer Berechnungen und Combinationen entbehrlich. Da, wo es
gilt, Beifpiele zu nahe liegenden matbematifchen Belehrungen über Hims
melskörper durchzudenken, laffen. fih viele aus vorliegendem Schriftchen
gebrauhen Ein Theil des Inhaltes ſteht zum näcften Zwed des Buchs
in nur Lofer Beziehung, und erfeßt eine geordnete, populäre Himmelsfunde
nicht. Man findet theild nur das Allgewöhnliche, theils dieſes zu nicht
eben erheblichen Betrahtungen verwendet. — Dagegen mas die Auffindung
der Planeten zu den verfchiedenen Zeiten und über ihre jedesmalige Stel⸗
lung gefagt if, unter Zubülfenabme der beiden für 1856 entworfenen
Karten, fo wie das über Ermittelung der Mondfinfterniffe Beigebrachte,
iR gut und brauchbar. Das beigegebene Sternfärtchen ift ſehr rudimentär.
32. Piarrer Fleiſchhauer: Gemeinjaßlihe naturwiffenfhaftlide
Borlefungen. (Zweiter Cyllus.) Zweite Vorlefung: Die Sonne.
Eine Monographie derfelben mit Rückſicht auf die Gentralfonne und mit
einer populären Erläuterung der Weltgeiepe. Mit Holzſchn. 1856. 139 S.
12 Sar. Dritte Borlefung:. Die Benefis der Planetenwelt.
Mit einer Monographie der beiden zulegt entitandenen Planeten. Mit Holz«
fanitten. Zangenjalga, Schulbudhhandlung d. Ih. L. V. 67 Seiten
gt.
Im 9. Bid. Jahresber. ©. 244 iß die intereffante erfke Vorle⸗
32*
500 Geographie.
fung des zweiten Eyffus bereits befprochen. Auch die zweite if fehr
intereffant.. Eie ift Mar und faßlich geichrieten. Echwieriger erfaßs
bare Berbältniffe find mit Glück und Geſchick populär erläutert, und die
für Laien bemerfenswertheften Beziehungen der Sonne ziemlich erichöpft.
Inden der Berf. fih nicht ausfchließlih auf eine Monographie der
Sonne befhränft, fondern in dem vorangeftellten matbematifchen
Theile auch die Kepplerſchen und die Echmere:-Gefepe, die Beſtimmung
der Maſſen und Dichtigkeiten der Himmelskörper, die Fallgeſetze u. a. m.
beranzieht, findet er zugleich. Gelegenheit, Mittbeilungen über das Leben
und die Arbeiten mehrerer der größten Aftronomen zu machen, die
E chwicerigfeiten der Unterfuhungen und ihrer praßtifchen Anwendung
anihaufih zu beiprehen, aftronomifche Berehnungen in Ddurchfichtiger
Weiſe einzufchalten und die Möglichkeit ihres VBerftändniffes zu begründen.
(öröße und Entfernung der Sonne, Parallaxe, Merfurs u. Venus⸗Durchgänge,
Halley's Berdienfte, Maffens und GewichtaesBerehnung u. f.w) — Im
pbyiifaliichen Theile wird die Natur der Sonne - (das Leuchtende
an ihr, Sonnenflecken, Sonnenfackeln), Rotation und Revolution (mit
Rerechnungen), Milchſtraße und Centralſonne behandelt, mit einer Reihe bes
Iehrender Binblide in die Dieinungen großer Aftronomen über dieje Mas
terien. Den Schluß bitten Zugaben über Eonnenfinfterniffe, folare und
terreftrüihe Erſcheinungen dabei, Eonnenzeit, Uenderung der Eone
nenwenden u. | w. Der Lehrer bedarf einiger, Trigonometrifher und
arithmetriiher Vorkenntniſſe zum Verſtändniß, doch hilft Die klare und an⸗
ztebende Vortragsweiſe tiber manche Schwierigkeiten dabei leicht hinweg.
Die dritte Vorleſung entbält die Grundzüge der Hppotbeien von
Eiplace » Littrom, Fourier s Nürnberger und Petzhold über die Entſtehung
unſers Planetenſyſtems ın faßliher Darſtellung. Kür Leute aber, denen
nur gemeinfaßliche Vorlefungen, wie die des Verfaſſers, zuzumutben
fleben, mögen überhaupt wohl diefe Hypotheſen obne reiten Belang
ericheinen. Intereſſanter find dagegen die Belehrungen über die mathes
matifchs und pbyliihsaftronomifhen Berbältniffe der Planeten Merkur
und Venus, die durch Zeichnungen erläutert werden. (Größe, Entfere
nung, Mafle, Dichtigkeit, Rotationes und Revolutionds Periode, Lichtphas
fen, Durchgänge, Eichtbarfeit für die Erdbewohner, verbunden mit
darauf bezüglichen Berehnungen.) Was fonft von allerlei Phantaften
über Hermo⸗ und Apbroditos Bolıten, dem etwaigen organiſchen Leben
u. A. auf Merkur und Venus vorkommt, begleitet jeder bejonnene Lefer
wohl von ſelbſt allentbalben mit den nöthigen Fragezeichen.
33, Prof. Pfleiderer: Entwurf einer matbematifhen Geographie.
I. Theil. Stuttgart. 1855. 29 ©. 1 lütbegrapb. Tafel. 10 Ser.
31. A. F. Möbiud, Die HSauptiäße der Altronomie zum Gebrauch
bei feinen Borlejungen für Gebildete, 3. Aufl, Yeipzig, Göſchen. 1853.
32 ©. 5 Sgr. '
In 36 kurzen 88., nad Art eines gedrängten Dictats, hat der Verf.
Die wejentlichfien DVerkältniffe, Thatſachen und Geſetze niedergelegt, über
welche bei Betrachtung der Erde, der Sonne, des Mondes, ter Pla⸗
“neben, Kometen und Fixſterne die näheren Belchrungen fih zu verbreis
Geographie. 501
ten pflegen. Der Umfang des durd Schlagwörter, Sapfürzen u. drgl.
kurz marfirten Etoffs if, mit Ausſchluß einiger Lehrflüde über Kometen,
Firſterne, veränderlihe und Doppels Sterne und Nebeifleden, etwa der,
welcher beim mathematifchrgeograpbifchen Unterricht in Neals und Bürs
gerichufen abfolvirt zu werden pflegt. Die Andeutungen zur weitern wif
fenichaftlihen Erörterung im Vortrage find zwar nur aphoriſtiſch, Fön»
nen aber dem der Sache fundigen Lehrer zu Fingerzeichen und Anhalts⸗
punkten dienen. (3. 9. bei nähern Ermitteiungen über Bahn, Größe
und Bewegung der Sonne und des Mondes) Für die Hand geförderter
Schüler in Reals und Bürgerichulen dürfte dieſer Pleine Leitfaden ganz
dienlich fein. ,
35. ©. 9. Rikolais Wegweiſer durch den Sternenbimmel, ora
Anleitung, auf eine leichte Art die Sterne am Simmel zu finden und fen»
nen zu lernen. 4. von Dr. ©. Jahn bearbeitete Auflage. Mit 1 Sterns
farte. Leipzig. Haynel. 1856. 76 S. 15 gr. (In Bartieen 10 Ser.)
Dieſer ſchon faſt 50 Jahre alte Wegweiſer ift in feiner jcgigen,
mit Benugung der gegenwärtigen Senntniß bearbeiteten Auflage wohl
geeignet, die elementarften Belehrungen über den Eternenhirmmel im Als
gemeinen, fo wie fpeziell über unfer Sonnerfyftem und über die einzels
nen dazu gehörigen Welten zu gewähren. Der Inhalt ift der, welden
ſolche Büchlein von vorn herein erwarten laffen (der Planetoiden find
die bis September 1854 befannten 37 aufgeführt), die Erläuterungen
deſſelben find fo faßlih, daß dazu feine mathematischen Borkenntniiie ers
forderlich find. Das legte der fieben Kapitel, das der Beſtimmung
des Büchleins gemäß am ausführlichſten erwartet werden möchte, da es
eine Aftrognojie fein will, erfüllt jedoch genau genommen feinen Zwed
darum nicht, weil es nur von den Sternbüldern im Allgemeinen handelt,
fo wie von denen des Thierfreijes, deren Abbildung und Stellung be
fprigt, und dann die Eternbilder der Alten und Reuern bloß naments
lich aufführt, eine alphabetiſche Lifte von mit beiondern Namen bezeichs
neten Sternen aufftellt,- kurz vom Alignement ſpricht und Dies durd cin
Beiſpiel erläutert. (Sirius, Procyon, Beteigeuze.) Nur für den erften
Anfang wird das Büchlein genügen; es follte billiger fein. |
36. I. Brem: Anleitung zum Kalender: Vertändniß, zugleich ala
Einleitung in das Studium der Altronomie. Kempten, Dannheimer. 1338.
131 ©. mit 3 Figurentafeln. 10 Egr.
Das ift feine nennenswertbe Bereicherung der Literatur. In Ge⸗
ſprächsform mird erfi die Nichtigfeit des Kopernikaniſchen Eonnens
ſyſtems durch Aufftellung der allgemöbnlichen Beweiſe für die Stugelger
Kalt der Erde und für die Erdbewegungen darzuthun geiucht, und dann
folgen in fieben Geſprächen Belebrungen über Sonnenſyſteme, Gonjunc
tionen, Mondgeftatten, Knoten, Zinfterniffe, Durdgänge, Quadraturen,
DOppofltionen, über Zeiteintheilung, Sternbilder, Mondelauf, Sonnen»
und Monds:Circel, goldne Zahl, Oſterfeſtsberechnung 2c, und zum Schluß
in Bortragsform noch einige Mittheilungen über die Schiefe der
Efiptit und deren Einflüffe. Die Darftellung ift breit, wenig anregend,
fo ad hominem eingerichtet, und dabei zugleich ohne vechte Ordnung und
502 ’ Beographie.
Ueberſichtlichkeit. Eine Einleitung in das Studium ter Afronomte
if das Büchlein vollends gar nicht.
37. Dr. M. v. Kaldftein, Dffider: Srundlinien einer pbyfilalts
[hen Erdbefhreibung zum Selbititudium und um Gebraud für
höhere Lehranſtalten, inöbefonbere ailitäridulen. 2, Aufl. Berlin, E chneis
der und Comp. 1856. 71 ©. 10 Ser
Der Berf. hat das Intereſſe diefer Meinen, aber forgfältig gears
beiteten Schrift, deren 1. Aufl. ſchon im VII. Bädag. Jahresber. ©. 248
unter näherer Angabe ihres Inhaltes anerfennend Erwähnung gefcheben
if, noch durch Hinzufügungen erhöht. So find ©. 49 -51 noch Nos
tigen über die optifchen Meteore, aber, ohne nähere Begründung, und
S. 59--71 unter der Ueberſchrift: „Unſere Erde der Wohnplag des
Menſchengeſchlechts“ noch Belehrungen über den Urfprung des Menfchens
geichlehts (durch mehrere Menfchenpaare!), über die Unterfchiede der
Dölferracen und manche intereffante, auch pfychologiſche Wahrnehmun⸗
gen bei ihren DVölferzweigen binzugefommen. Die Schrift ift wirklich
recht leſenswerth.
38. A. v. Teichmann, Artillerie⸗Lieutnant: Fr if der Erde, ein Hands
duch für Lehrer und Schüler der höhern Bildungsanitalten 2. nah den
neuften Quellen bearbeitet. Mit 9. lith. Taf. Berlin, Reimer. 1854. 254 ©.
1 Thlr. 20 Ser.
Der Inhalt zerfällt in drei Theile: Geologie (mit Beognofle),
Hydrographie und Meteorologie. In der Geologie werden die
allgemeinen Eigenſchaften der Erde (Raumsverhälftniffe, Temperatur, Mag⸗
netismus, vulfanifche Reaction des Erdinnern), Erdbildung (Eintbeilung,
Beihreibung und relatives Alter der Gefteinarten und Erdſchichten) und
Oherflähengeftalt (horizontale und vertikale) beiproden. Der hydro⸗
graphiſche Theil ift nach dem herfömmlichen Plane behandelt. Beide
erfte Theile find verhältnifmäßig kurz erledigt, indem nah Abzug der
ziemlich fpeziellen Definitionen des Uebrigen vom erften heil relativ
wenig auf den erfien 60 Seiten Platz erhalten bat. Mehr bietet der
2. Theil, 3. B. über Ebbe und Fluth, Fluthwellen, Strömungen u. dgl.
(die Apologie der Auflöfungs» Theorie bei Bildung von Mineralwäflern
gehört wohl faum hieber), auch treten geographifche Nachweiſe hier etwas
offen auf. Der befondere Rahdrud ift auf den dritten, meteoros
Togifhen Theil gelegt, welcher die ganze zweite Hälfte des Buches füllt,
und vom atmofphärijchen Drud, der Temperatur und Feuchtigkeit ber
Atmofphäre, den Winden, elektrifchen und optiichen Erſcheinungen hans
delt. Indem nach den berühmten Gemwährsmännern U. v. Humboldt,
Dove, Berghaus, Kämtz, fo wie nah Burmeifter und Hoffmann, alle
hieher gehörigen Berhältniffe und ihre neuern Erklärungen fpezieller vors
eführt werden, flellt der Verf. gerade hierüber Vieles gut und übers
—26 zuſammen, was anderwärts zerſtreut vorkommt. (Dove und
Kämtz find beſonders oft benutzt und erwähnt.) Hter liegt der Haupt⸗
werth der Schrift, aus welcher man ſich über die bedeutendſten meteoro⸗
logiſchen und atmoſphaͤrologiſchen Erdverhaͤltniſſe ganz befriedigend beleh⸗
Geographie. ⁊ m
ven kaun. Nach dieſer Seite Bin iſt fe anch mit Met zu empfehlen.
Dagegen wird die Prävonderanz der Meteorologie in einer „Bhnflt dar
Erde,’ Die Seltenheit geograpbiiber Nachweiſe, die Befhränfung am
vielen Stellen auf furze Angabe des factiihen Beſtandes und auf De
fiitionen, die Heranziebung fotcher Etüde der theoretiiben Phyũk, die
weder auf geograpbiiche Berbättniffe angewendet, noch zu voller Evidekz
erboben werden, oder die den Anfangegründen angebören, während der
Berf. Ibon das Verſtändniß logarithmiſber Zormeln vorausicht, — _
kurz dies und einiges Undere wird flrittig bleiben. — Die Kırten vers
anſchaulichen die Iſogeethermen nah Kämg, die Iſogonen für 182731,
die Ifotynamen für 1830, die Verbreitung der Vulkane, der Meeres⸗
frömungen, den Zug der Iſothermen, Ifotberen und Ifochimenen, der
Kpdrome'eore und Luftfirömungen. Das Buch ſelbſt erläutert aber die
Karten nur wenig. Aehnliches gilt von der Theorie der geometriſchen
und barometriſchen Höhenmeſſungen (S. 17. 142) und der Meilung der
Spannfraft der Dämpfe.
39. Dr. 8. Berghaud: Srundlinien der vbufitalifben Erdber
fhreibung. Zur Belehrung für die reifere Jugend, den Bürgers und
Landmann. 2. Aufl. Stuttgart, Haliberger. 27 Sgr. (Titel 1847).
Schen im Il. Päd. Jahresber. &. 145 if über dies Buch nähere
Andeufung gegeben. Es if jept mit den „Grundlinien der Ethno⸗
graphie“ 2, (Titel: 1855) Ausgabe und denen der „allgemeinen
Staatentunde‘ 2. (Titel: 1846) Ausgabe zum ermäßigten Preife
(& 27 Sgr.) dargeboten. (Brüher a 1'/, Thlr.)
40. Dr, 8. FJ. 4. Simmermann: Der Erdball und feine Natur
wunder. @in populäres Handbuch der phyſiſchen Erdbeſchreibung.
4. Aufl. 1. Lief. Berlin, Hempel 1855. Mit vielen Abbild. und Karten.
& Lief. (3 Bogen) 7'/ Gyr.
Des Berfaffers geographifche Schriften haben eine meite Verbrei⸗
tung gefunden, weil darin der Gegenſtand nicht bloß von feinen faßlich⸗
fien Seiten, fondern auch in leicht verfländlicher Darftellung, Mar, an«
fhauli und anregend behandelt zu werden pflegt. In Ddiefer Neuen
Schrift if es nicht der ſtrenge Ernft, fondern ein leichteres, heiteres, bie
und Da humorifliiches Gewand, wodurd viele folder Leſer befriedigt wer⸗
den, welche ohne befondere geiftige Anftrengung das Bedeutjamfte vom
Gebiete geographifchen Willens kennen lernen wollen. Der Berf. ver
fäumt es nie, von dem Kern der Sachen etwas zu bieten, aber er weiß
ſtets das fvezifiih Wiflenfchaftliche mit Gewandtheit auszufcheiden, und
nur das Anziehendſte tactvoll zu treffen und — bisweilen etwas breit
— vorzutragen. Bür Lefer, welchen es mehr an Mannigfaltigkeit als
wiffenfchaftlicher Gründlichkeit des Wiſſens, mehr an leichtem Erwerb als
an tüchtiger Durchdringung des Stoffes fiegt, it das Buch auch nur
berimmt. — Die nur vorliegende 1. Lieferung beginnt, nach andentens
den Blicken auf die älteren Erdanfichten, die Behandiung der allgemeis
nen irdifchen und fosmifchen Verhältniſſe. Geſtalt und Größe der Erde,
Gründe; erſte Erdumfegelung ; Gravitation, Gratmeffung, Abweichung
von der Kugelgeftalt, Dictigkeit, mathematiſche Eintheilung, Beſtim⸗
.
504 j Geographie.
mung der geographifchen Länge und Breite, Berhäftniß” der -Exde‘ wu
den Belttörpern, ältere und neuere Anfichten von unferm Ptanetenſyſtem,
Kepplerſche Geſetze, Sonne und Mond, — dies Alles iſt ſchon auf den
erſten 80 Seiten in fehr faßlicher Art nad feinen näcdfliegenden Bes
ziehungen befprohen. Schlichten Lehrern, welche eben nicht tiefer in den
Kern der Sache eindringen können und wollen, fann das Buch jedenfalls
nüglich werden.
41. Deſſelben Derfaflerd: Wunder der Urwelt, eine populäre Darftellung
der Geſchichte der Schöpfung, iſt in 2. Ausg. in 8 Lief. à 7/ Egr.
ebenfalls mit vielen Abbildungen erſchienen.
42. D. Rittershauſen, Lehrer: Die Welt: und Baterlandelunde.
Gin Lebrbud für den auf geographiſcher Grundlage zu ertbeilenden
Unterriht in den Realten. Zugleih als welttundliches Lern « und Leſe⸗
buch für Die Jugend. Mit Karten und Abbildungen. Grfurt, Körner.
1856. 201 ©. 24 Ser. (Partiepreis 20 Ser.)
Der Berf. will hiermit Lehrern eine fefte methodifche Handhabe beim welt»
Fundlidhen Unterridte, und Schülern der Oberflaffe einer ſtädtiſchen
Volksſchule ein anziehend gefchriebenes Lern⸗ und Leſebuch gemwäbren,
worin die Realien weder in übermäßiger Fülle und nadter fyRematifcher
Aufzählung, noch in verfchmimmender poetifcher Schilderung gegeben wer»
den follen. Der Stoff if für ein Jahr berechnet. Zu dieſem Bebuf
find die einzelnen Realfächer nicht getrennt nach einander, fondern in
naher Beziehung zu einander und in gewählter Mifhung durch einander
behandelt, — alle auf der Bafls der Geographie. Kurze Belchrungen
über Sonne, Mond und Eterne, über die Erde ale Himmelskörper, den
Luftmantel und das Meer im Allgemeinen bereiten in der erfien Abs
theilung die fpegiellere Betrachtung zuerft der Dceane und dann der
außereuropäifchen Erdtheile mit ihren SInfelgruppen, Sauptländern und
einigen ihrer charafterififhen Thier- und Pflangenformen vor.
Dabei find phyſikaliſche Belehrungen (Waſſer⸗ und Luftpumpe, Baro⸗
meter, Knallbüchſe, Senkblei, Taucherglocke, Segel» und Dampfihift,
Magnet, Compaß, Nordlicht, Elektifirmafchine ze.) und hiſtoriſche
Mittheilungen (Diaz, de Gama, Muhamed, alte Negypter, Rapoleon,
Columbus ꝛc.) angeeigneten, auf diefe Stüde leicht bezüglihen Stellen
eingelegt, jene auch durh ein paar — nicht mehr ald 4 — Figuren
erläutert. — Die zweite Abtheilung behandelt die Länder Europas.
Dabei ik Deutfhland nit nach feinen einzelnen Staaten, fondern
nach Alußgebieten zerlegt. Bei der Hämus +» Halbinfel find Mittheilungen
aus der alten griechiſchen Gefchichte, bei der Appeninen⸗Halbinſel ders
gleihen aus der römifchen und maurifchen Gefchichte angefchloffen. Außer⸗
dem find allenthalben Schilderungen der Natur, Befchreibungen wichtiger
Etädte, Producte, Volksfitten, induftriellen Bewegungen u. dgl. paſſend
eingefügt. Bei Deutfhland folgen die an mehreren Stellen einger
legten hHiftorifhen Stüde im Wefentlihen dem chronologiſchen Faden;
es ift dabei jedes der größern deutichen Länder, bei Preußen aud jebe
einzelne Provinz bedacht. Hie und da find auch hier noch phyfilaliſche
. Geugraphie. 505
Belehrungen angebracht. (Brei Berlin über Waſſerleitungen, Gasbe⸗
leuchtung, Telegraphie) Die brandenburgiſch⸗preußiſche Geſchichte iſt von
S. 142 an am meiſten im Zuſammenhang und am ſpeziellſten behan⸗
delt. — Das Lehrbuch iſt als ein brauchbares zu bezeichnen; es iſt
geordneter Plan darin, und die Darſtellung if ſchlicht und faßlich.
Uebrigens werden ſich in vielen Stücken die Lehrſtoffe auch anders wäh⸗
len laſſen, ohne des Rechten zu verfehlen, und in den erſten Lehrſtücken
wird fogar größere ſachliche Genauigkeit wünſchenswerth fein. Die Meinen
rudimentären Kärtchen find fo unerbeblih, daß der Titel fie gar nicht
nennen follte.
43. Fridol. Septing, Hauptlebrer in Biberah, und Georg Fath, Haupt⸗
lehrer in Botmann: Der Realunterridht für das fünfte und fechfle
Schuljahr. Selbſtverlag. 1855. 247 S. 17 Sgr.
"Nur der erſte Abſchnitt des Buchs bat es mit geographiſchem
und geichichtlihem Etoff zu thun; der zweite enthält Naturgefchichte
(Beichreibungen einzelner Naturproducte aller 3 Naturreiche), der Dritte
Raturlehre, der vierte den Spracdunterriht; der Anhang eine ge
ordnete Sammlung von Mufterfägen. — Hier if bloß der erfte Ab⸗
ſchnitt in’s Auge zu faflen. [Die Verf. legen den Hauptaccent auf bie
Berbindung des Nealunterrihts mit dem Spradunteridt. Schon
oben in der Abhandlung ift das Brinciv beleuchtet, das bei derartigen
Verbindungen leitend fein muß. (CF. oben 1. 3. a)] In diefem Abs
ſchnitt if durch eine Menge Fragen den Kindern Beranlaffung gegehen,
über die Pörperlichen und geiftigen Bedürfniffe der Gemeindeglieder, über
Dorf, Stadt, Gemarkung, Bezirf u. ſ. w und mancherlei Berbältniffe
berfelben Grundbegriffe zu gewinnen, welche dann zu einer kurzen geo⸗
grarbifchen Ueberfiht von Baden benupt werden. Hieran reiben fi
Meine Ginzelbilder der Naturbeichaffenbeit einiger ausgemählter Xocale
(Thäler, Wälder, Berge), die Weberficht der politiihen Eintheitung und
einige Züge der badenfchen Landesgefchichte. (Lebenebilder von Kürften
und andern Perfonen: Hebel, Lingg, Etulz ... Die beiden Eautirr.)
So ift dem fonthefifchen und biograpbiihen Princip entſprochen; und
es werden bie und da einzelne methodifche Winfe für. Lehrer gegeben,
die, wenn auch nicht neu, doch praftiich find. Des Etoffes ift viel mehr
ale der methodiichen Anleitung. Hervorragenden Werth hat das Bud
niht, obwohl es brauchbar genannt werden fann.
44. Dr. 9. Diefterweg: Dr. L. G. Blancd Handbuch des Wiffens:
würdigften aus der Natur und Geſchichte Der Erde und ibrer Bemobner.
7. Aufl. (Ausg. in 15 Hft.) 1. bis 5. Heft (& 10 Bogen). Brauns
fhweig, Schwetichfe. 1856. à 10 Ser.
Wie hat fih dies Werk in feinen ſechs frühern Auflagen, naments
fi durch den früh verftorbenen Dr. Mahlmann verrollfommne! Wie
bat das Intereſſe daran in weiten Kreifen : fidh erhalten und gefleigert!
Reicher, wohlgemwählter Stoff, anfprechende Verbindung naturkundlicher
und hiſtoriſcher Ubfchnitte mit der geographifchen Grundlage hat das
Buch von jeber mit Recht Vielen lieb gemacht. Wiſſenſchaftliche Ergebs
niffe ſind darin in faßlicher Art faſt auf jeder Seite niedergelegt. Vor⸗
—
506 Geographie.
ausſichtlich wird des neuen Herausgebers Sand den Werih no merklich
ſteigern. Volksſchullebrern wird deehalb daſſelbe erneut zum Vrivat⸗
ſtudium empfobſen. Die 5 erſten Lieferungen bilden den erſten Band
Des Werkes. Derielbe enthält auf den erften 24 Bogen eine „Allge⸗
meine Einleitung“, in der die matbematifche und phyffaliice Geogra⸗
phie in anſchaulichſter Weile vorgetragen und durch chen fo fchöne ale
lebrreihe Holzſchnitte illuſtrirt if, namentlich der Abfchnitt über Geo»
logie. Hieran Tchlicht ſich Europa. Daraus find auf Bogen 25 bis
50 bebandelt: die pyrendiſche Halbinſel, Frankreich, das britiihe Neich,
Die Niederlande und die Schweiz. Gin großer Tbeil des Werkes if
ganz nen und mit Benugung der beten und neuflen Quellenſchriften,
zum Theil wohl nah eigener Anſchauung, wie der trefflihe Abſchnitt
über die Echweiz, bearbeitet.
45. U. Berthelt: Die Geographie in Bildern, oder charakteriſtiſche
Darftellungen und Echilterungen aus der Länders und Mölferfunde, ae
fammelt, bearbeitet und zu einem velltändigen Ganzen verbunden. 2. Aufl.
Leipzig. Klinkbartt. 1856. 330 S. I ihlr.
Diefes mit Umfiht angelegte Buch if fhon im IX. Päd. Jahres⸗
beriht ©. 278 anertennend beiprodhen. Die neue Auflage hat die meis
fien frübern Nummern unverändert gelaffen: es find aber noch adt
Bilder binzugelommen: Lima, die Cochenille, Toulon, die Pirten in Une
garn, die Eifengruben in Danemora, die Feier der Weihnachtszeit in
Schweden, die Sciffswerfte und Märkte in Amfterdam und Hamburg.
Das Ganze wird in der Schule, wie in der Hand der Lebrer zur nüßs
lihen Anwendung gelangen können, indem die Sorgfalt in der Sache
und die ſchulgerechte Zertheilung in Beinere Ubfchnitte, verbunden mit
einer würdigen, angemeffenen Durdführung im Einzelnen, ihm zur Em-
pfehlung dienen werden. .
46. 8. Thomas: Bilder aus der Länder: und Böllerkunde, als
2. Tbell zu „Zachariäs Kebrbuch der Erdbeſchreibung in natär-
liher Verbindung mit Weltgeſchichte, Naturgefchichte, Zechnologie 2c.”
Ben Schul⸗ und Privarunterridht. Leipzig, Zleifher. 1856. 390 ©.
1 r.
Zur größern Belebung des Unterrichts beſtimmt, und einem in
Aufnahme gekommenen neuern Gedanken, der Illuſtration des geographi⸗
ſchen Unterrichts durch bunte Bilder folgend, iſt dies Buch zwar voll
recht mannigfaltigen Stoff, der aus gar verfchiedenen Büchern gefchöpft
iſt; aber es ift nicht nur nicht fo aus einem gleichförmigen Guffe ges
arbeitet, fondern hat manche fhwächere Partieen mit eingeflochten, Die
wegbleiben konnten. Ferner erwehrt man fih der Beforgniß nit, daß
mehr dilettirendes als Bildungs-Intereffe dadurch angeregt werden dürfte,
obne nachhaltigen Eindrud auf ernfles, charaftervolles Streben *). Es
it Schönes, auch bier und da Tüchtiges gegeben; jedoch was der Schule
*) In einer bedeutſamen kirchlichen Zeitfchrift. wird „das zierlihe Bear-
beiten allerliebiter Meiner Senrebilder, die journaliftifhe Aleinmalerei, die Ge
ledtheit der Schreiblunft” in unfern Tagen als ungünftiges Zeidhen der
Zeit erwähnt,
Geographie. | 507
am dringendfien Roth thut, tritt nicht ſtark hervor. Die Bilder find
nach den Erdtheilen gruppirt, und Europa iſt vorzugeweife bedacht; fie
ſtammen von vielerlei Autoren, haben naturfundlichen, ethnographiſchen
und hiftoriihen Stoff mit der Geographie verwoben, — dagegen iſt ja
an ſich nichts zu fagen. Aber je bunter die Bilder, deſto ablenkender
für den Einn, auch für den innern; darum dürften Diele Pilder nicht
ganz fo unbefangen als die von Berthelt in die Schule zu Abertragen fein.
4. E. Wendt: Erläuterungen zum Bilder: Atlas der Länderkunde
mit bejonderer Rückſicht auf Bölkerfunde, Geſchichte und Naturgeſchichte.
Leipzig, Dörffling und Franke. 1856. 196 S. 20 Ser.
Ueber den ausgezeichneten „Bilders Atlas‘, der nun in feiner
Vollendung 65 vortrefflihe Stahlfiihe in ſehr glüdliher Wabl ber
Länder wie der Gegenftände enthält, if ſchon im III. Päd. Zabresber.
©. 248 mit aller Empfehlung berichtet. Sauberfte Ausführung des
Stihe, überlegter Plan in der Combination deffen, was jede der Tafeln
darſtellt, Reichhaltigfeit des Ganzen wie des Einzelnen und Raturtreue:
das find einige der unverkennbaren Vorzüge diefes vortrefflihen Bilder⸗
werfs. Bu demfelben gibt es dreierlei Erläuterungen. Den Belders
tafeln ift eine Anzahl von Tertblättern hbeigegeben, welche deren Inhalt
fummariih erflären. Cine weitere Ausführung des Inhalts dieſer
Blätter bilden die oben genannten Erläuterungen, melde die Gegen
fände der Bildtafeln ganz ſpeziell theils beichreiben, theils Ihildern, und.
kunſtgeſchichtliche, gefchichtliche, geograpbifche, ethnographiſche, naturge⸗
ſchichtliche Belehrungen beifügen. Dieſe Erläuterungen find deshalb ein
fhöner Commentar zu den Bildern, der auch für fih fchon eine liebs
liche Lectüre gewährt, z. DB. zu Serufalem ©. 95 ff. Noch ausführs
lihere Schönbefchreibungen der Bilder bieten die „maleriſchen Wandes
zungen”, welche in der That ganz das find, was ihr Titel fagt. Der
Atlas der Bilder iſt zu dem fehr billigen Preife von 543 Thlrn., der
Band der „maleriſchen Wanderungen” zu 4 Thlr. 10 Sgr. zu haben.
Allen Zreunden und bemitteltern Lehrern der Geographie ift dieſes fchöne
Werk aufs Angelegentlichfte zu empfehlen. — j
48. ©. 9. Lauckhard, Freiprediger und Lehrer: Geograpbiſche Ailder
aus Afrita. Mit Illuſtrationen in Karbendrud. Darmſtadt. Bauer
keller's Präganſtalt. Jonghans und Benator. (Ohne Jabreszabl, 1856
erfähtenen.) 62 ©. Text und 11 Taf. Abbild. in groß Folio. 21/2 Thir.
Das landſchaftliche Enfemble der chromolithographirten Abbilduns
gen mag billigenswertb und relativ naturgetreu genannt werden, aber
fowohl an der Deutlichfeit Im Einzelnen, als an der Auswahl der Ob⸗
jecte ift Manches auszufegen. Die üppigen Nuditäten tanzender Ne
gerinnen und der Weiber bei den Gruppen der Kuffern und Dottentotten
müffen manches Auge beleidigen; mehrere Thierbilder (Krokodil und
Flußpferd, Schafals und Giraffen, Strauße, Gnus und Zebras) und
das Bild der Kapfladt find mangelhaft oder befriedigen nur zum Tbeil.
Am ebeften genügt die Löwenjagd, und die Abyifinier und Buſch⸗
männer. — Der Text ift unter folgenden Rubriken zufammengefaßt;
1. Bewohner (Neger, Abjfinier, Kafftrn, Hottentotten ... Kahylen,
1 Geographie.
Araber), 2. Länder und Städte (Sahara, Alexandrien, Rilthal
und Aegypten, die Pyramiden, Kahira, Algier und die Metidſcha, Bi⸗
ferta in Tunis, Carthago, Sierra Leona; Niger, St. Helena, Karrn,
Kapradt); 3. Pflanzen; 4 Thiere (bei 3. und A. nur die charafte-
riſtiſchen); 5. Veberfiht von Afrifa. — Wenn aub für Nichtge⸗
lehrte beftimmt, hätte doch Gründlicheres und Nichtigeres in — wes
nigftens Zrivislitäten vermeidender — gewäblterer Darftellung gegeben
werden follen. Recht ſchwach if, was unter 1. über Wohnung, Kleis
dung, Religion, Eitten u. ſ. w. geſagt if. Weder lebendig noch geifl
voll geichrieben, wird ethnographiſch und geſchichtlich Bedeutſameres “über
Unerbebliherm weggelafien. Das Landidaftlihe unter 2. iſt etwas
befler, aber auch ohne rechte Frifche, und ohne Benupung der neuern,
bereits zugänglih gemachten Forſchungen (3. B. über Eierra Leona,
iger, Eüdafrita), ohne Rückfichtnahme auf evangelifche Diffionsthätig-
feit, welche bier fo nabe lag. Die Etädtebüder, obwohl nicht klaſſiſch,
genügen meiftens. Was unter 3. gefagt if, ift kurz, ohne befriedigende
Kenntniß zu gewähren; Das unter 4. Gegebene bringt ebenfalls nichts
weſentlich Intereffantes. Die kurze Ueberfiht (5) befriedigt, ſtellt aber,
abweichend von der Auffaffung der geographiihen Glieder Afrika's, die
Inſeln Madagaskar, Helena und die Ganarifchen Inſeln ale fehfes
Glied dieſes Erdtbeils bin. — Strebſame Leſer können weder Foͤr⸗
derung, noch Bereicherung, noch Berichtigung ihrer Kenntniſſe in diefer
Schrift finden. Sie dient oberflählihem Materialismus.
49, G. Rampert: Cbarakterbilder aus dem Sefammtgebiete der
Natur. Kür Eule und Haus gelammelt und herausgegeben. Mainz,
Kunze. 125%. 2 Be. (330 und 384 ©.) 2%, Thlr.
Echon im IX. Päd. Jahresber. S. 280 mit vieler Anerfennung
befprocden, liegt nun auch der 2. Bd. ganz vor. Uns den Werfen von
48 Original⸗Schriftſtellern und Forſchern (das älteſte der Werke reicht
nur bis 1834 zurüd), unter denen Namen wie Berghaus, Burdadh,
Yurmeifter, Euler, Humboldt, Liebig, Mädler, Martius, Pöppig, Ritter,
Schacht, Schubert, Schouw, Tihudi u. A. vorfonmen, find mit feinem
Zact nur recht wertbvolle und intereffante, fürzere und längere Abs
hnitte zuſammengeſtellt. Aftronomifches, Geologiſches, Etbnographifches,
Geographiſches, Naturfundiiches aus allen Gebieten findet fih zwar in
hunter Miſchung, obne daß ein ordnendes wiſſenſchaftliches Princip dabei
erfennbar märe; aber der Etoff iſt nirgends oberflählih. Oft ifk es
ſowohl an fib als in der gewählten Darftellung fehr Ihön. Das Bud
wird wohlvorbereiteten Echülern und aud Lehrern viel Erfrifhung und
Belehrung gemäbren. Außer den ſchon im IX. PB. 3. angedeuteten Bei»
fpielen mögen nod erwähnt werden: Fönwind von F. v. Tſchudi; Eierra
von Peru von 3 v. Tſchudi; Gletſcher von Meyer; tropiicher Urwald
und Farbe des Meeres von Burmeiſter; Temperatur der Erdzonen von
v. Schubert; Staubbahfall von Berghaus; Alpen von Th. Schacht.
50. Dr. H. Berghaus: Was man von der Erde weiß. Gin Leſebuch
jur Sclbitbelevrung Für die Gebildeten aller Stände. An c. 15 Kief.
uA—5 Bog. A 7’ Sgr. 1. Lief. Berlin, Safjelberg. 1856. ©. 1
is 80, (Thl. I 208 ©. II. Borgerüdt bis zur 4. Lieferung.)
Geographie. 509.
Der Zweck dieſes Buchs ift, „die durch Die Wiffenfchaft in neufter
Zeit ergründeten Thatfahen und Refultate der Kenntniß der Erdober«
fläche und der auf ihr befindlichen Drganiemen zum Gemeingut aller
GSebildeten zu machen, deren Beruf naturmiflenichaftlihe Studien nicht
geſtattet.“ Nach einem einfeitenden Kapitel (‚Erinnerungen aus der
Schule vor 50 Zahren‘‘) führt der Berf. die Gefchichte der allmählichen
@rmeiterung der geographiſchen Keuntniffe und Wiſſenſchaft in fieben
Kapiteln durch die Zeit des Alterthbums bis auf Claudius Ptolomäus,
und dann bis zum Beginn des zweiten Kapitels in’s Mittelalter hinein.
Der Anfangs angefchlagene gemüthlichere Ton weicht bald dem wiflens
fhaftlihen, der die Reſultate gedrängt zufammenfußt. Es wird die Ges
fhichte der Erdfunde hei den Phöniziern, Aegyptern, Hebräern, Griechen
Bis auf Herodot und Eratoſthenes, der Römer bis auf Cäſar und big
auf Cl. PBtolomäus vorgeführt, und die Anſchauung des leptern ſpezieller
dargelegt. Im Mittelalter find es zuerſt kurze Andeutungen über
die geographifchen Beftrebungen im Abendlande mährend des erften Jahre
taufends der chriftlihen Zeitrehnung, und im 2. Kap. find eben die
Mittheilungen über die Berdienfte der Araber (700 bis 1700 n. Ch.)
Begonnen. Mehr als einen kurzen Weberblid über die Geſchichte der
Erdkunde fann man bei der Anlage des Buchs nicht wohl erwarten ;
Der gegebene iſt Far und lebrreih, an manden Etellen (bei Herodot,
Eratoſthenes, Strabo, Ptolomäus) auch etwas näher einführend, um
deren Anſchauungen zu erkennen. Man muß den weiteren Lieferungen
erſt entgegenieben, um den Charalter der Schrift genügend zu erkennen.
(Liefer. 2—-9 lagen noch nicht vor.)
51. F. v. Rougemont: Geſchichte der Erde nah der Bibel und der
Geologie. Mit Zuftimmung und Berbifferungen des Verf.'s aus dem
Kranzöfiihen überjept von E. Fabarius. Berlin, Schröder. 18 Bog.
1 Thlr. 3 gr.
Zn einem großen politifhen Zeitungsorgane ift über dies Wert
geſagt, „daß es aus dem Etudium der beilg. Echrift und der Dielen
Gegenftand betreffenden franzöſiſchen, engliſchen und deutjchen Literatur
bervorgegangen, die Uebereinfimmung der Offenbarung und der
Naturwiſſenſchaften, indbefondere der Geologie, nachzuweiſen fuche; daß
Die Ueberfegung des Originals wortgetreu, die Echöpfungsgefchichte der
Bibel klar ausgelegt, und die Entftehungsgeichichte der gegenwärtigen
Erdoberflähengefalt, fammt den Grundzügen der phyſiſchen Geſchichte
der Menichheit mit Benupung der betreffenden anziebenden Voölkerſagen
anfchaulich vorgeführt fei.” — Rougemont iſt durch Gelehrfamteit und
Gefinnung mehr als viele Andere zu ſolchem Werke befähigt.
52. Dr. R. Ragel: Beiträge zum geographiſchen Unterricht. Halle,
Edmwetihie. 54 ©. 5 Egr.
Dieſe kleine, aber recht interefjante und leſenswerthe Brofchüre ent«
bält 3 Aufjäge: 1. Zur vergleichenden Charakteriſtik der Welttheite;
2. In wiefern if die Eulturbedeutung einer Stadt durd ihre Lage ber
dinge ? 3. Ueber geographifche Aufeınanderfolge der deutichen Kaiſerge⸗
ſchlechter. — Wie die Idee, die diefen Auseinanderjegungen zu Grunde
510. Geographie.
liegt, fo if deren Durdführung nit minder anfprehend, zumal da
der Ritter'ſche Gedanke geographifcher Anihauung bindurchleuchte. Im
erſten Aufiag ift eine Bergleichung der Erdtheile in der Art vorges
nommen, wie fie der, der Karten zu lefen verfteht, gern anſtellt. Sie
it nicht nah allen, fondern nur- nah einigen Seiten durchgeführt.
(Aeußerer Umriß; borizontale @liederung; Richtung der Gontourlinien
zu einander; Grundformen der Hauptmaflen; vertifale Ausarbeitung der
Dberflähe; Flußreichthum u, dgl) Das „ungefhlahte” Afrika kommt
überall fhlimm weg. Umfiht und Gewandtheit bei diefer Bergleihung
find unverkennbar; wenn aber der Berf. den Einfluß der Erdtheile auf
die Eulturentwidelung der Menichheit a priori conftruirt, jo muß das
ale eine bedenklidhe Divination angefehen werden. Mit dem Schage der
jeßigen Kenntniß und der Erfahrung ausgerüftet, läßt fih wohl zurüds
deuten; aber es führt auf haltlofe Phantaſien, wenn in die Karten
allerlei Hineingelefen wird, was fie dem, welchem dieſer Schatz abgeht,
nicht erfchließen Tann. Das Erdlocal ift ein wichtiger Factor der Bölfere
eultur, aber nicht der einzige, vielleicht nicht einmal der wichtigſte. Die
- Rationalität und geifiige Raturanlage fpielt eine überaus einflußreiche
Rolle. Alle Prophetie über die Zukunft der Gulturentwidiung, z. B.
bei der neuen Welt, unterliegt großer Unfiherbeit. — Der 2. Auf⸗
fag, eine Art Apologie Ritterfcher Erbbefchreibung, ift weniger eine den
Fragepunkt genau treffende Antwort, als ein biftorijcher Nachweis, daß
eine Menge Städte (durch Handel, Production, Indufttie, Bildungs:
anftalten, Bertheidigungswerke u. |. w.) an der Stelle, wo fie liegen,
bedeutjam geworden find. Berf. verbehlt es nicht, daß die Stelle dazu
richt allein verholfen hat, fondern der Genius des Volls und der Bang
der Gefchichte, und er modifleirt danach fein Prineip; aber er weicht
der Unterfuchung aus, weshalb andere, jenen ganz nabe und unter ganz
ähnlichen Natureinflüffen gelegenen Städte nicht diefelbe Bedeutfamfeit
erlangen fonnten. — Der 3. Aufſatß ift ein kurzer Gang durch Die
Geſchichte der Deutfchen, mit der Tendenz, den Ecülern die Eins
prägung der Uufeinanderfolge der Urfige der deutfchen Staiferhäufer zw
erleihtern.. Das ließe fih leichter mit einer Hafenlinie über die Karte
hin erreichen, welche, am Rhein anhebend, erfi in die ſächfiſchen, dann
in die fränfifchen, fhwäbifchen und habsburgiſchen Gaue führt. Ob
— wie Verf. wüniht - Diefe Linie nunmehr nah Preußen zu ver-
fängern fei, das pflegen gegenwärtig die bebächtigfien Preußen am wer
nigften zu wünſchen. Der Menfh denkt — Gott lenkt!
53. Dr. H. Bögefamp: Geographiſche Kharakteriſtiken für die Ein-
führung in die wifienfhafttiche Erdfunde, gefanmelt, bearbeitet und
gruppirt, Mainz, Kunze. 1856. 416 ©. 1 Thlr. 9 Sgr.
Bon andern geograpbifchen Werfen, welche Charafteriftifen enthals
ten, unterfcheidet fi dies wefentlich durch feine überwiegend wiffens
ſchaftliche Tendenz. Es ift weder ein für Schulzwede noch zur
unterbaltenden Leetüre gefammeltes Buch; vielmehr foll der status
quo der gegenwärtigen geograpbifhen Wiſſenſchaft darin repräſen⸗
tirt werden. Bu diefem Ende find aus den Werken von C. Witten,
- Geographie. 511
4. v. Humboldt, von Roon, von Reden, Guyot, v. Rougemont, Mens
delsſohn, v. Klöden, Niehl, v. Cotta u. U. 50 größere Abſchnitte auds
gehoben, eingerichtet und fo gruppirt, daß ſowohl allgemeine Berbältniffe
der ganzen Erde, als die individuellen der bedeutjamften einzelnen Länder
zur Darftellung fommen. Es find 5 Gruppen. In der erften ents
halten fechs Charakterifiifen: die Gliederung der Erdflähe, die Gegen⸗
ſätze der verfchiedenen Erdhalbfugeln und Gontinente, die Steppen und
Wüſten und Auftralien; in der zweiten adt Charafteriftifen: Aſien
und feine einzelnen Länder, befonders die ſüdlichen und ſüdweſtlichen; in
der dritten zehn Charakteriſtiken: die Mlafiifchen Gegenden um das
Mittelmeer ber, namentlich reich bedacht Griechenland; in der vierten
verbreiten fih fünf Charafteritlifen über die allgemeine Charafteriftif und
Statifif Europa’s, über Zranfreih, den Eultus der griechiſchen Kirche
und ufrainifche Dörfer; und in der fünften, größeflen, 21 Abſchnitte
über das germanifhe Europa, England, Norwegen, Echweiz, und mit
16 derjelben allein über die verfchiedenen Lander und Gaue Deutfch
lands. — Ein bloßes flüchtiges Durchlefen diefer Abfchnitte reicht nicht
bin, fie wollen denfend durchgearbeitet fein, wenn fie rechten Nugen ges
währen follen. Sie fepen aud bereits eine gute Grundlage geographis
ſcher Kenntniffe zu ihrem Berfländniß voraus. Dadurch, daß nicht fos
wohl philoſophiſche Allgemeinheiten, als vorzugsweiſe charakteriſtiſche
Betrachtungen der einzelnen Länder und ihrer Bewohner geboten ſind,
erhöht ſich das Intereſſe, und dadurch, daß ferner die Darſtellung geiſt⸗
vol und edel, und nicht zu leicht faßbar ift, vielmehr eine Borbildung
auch in der Mlaffiichen Alterthumskunde vorausfept, iſt eine ſehr empfebs
lenswerthe geifige Beichäftigung angeregt, welche zu gründliher Ers
fafjung der geographifchen Gefammtverhältniffe und zum Studium der
Driginalwerfe Bahn madıt.
54. H. Kletke: A. v. Humboldt’s Reifen in Amerika und Afien.
Eine Daritellung feiner wichtigſten Forſchungen. 2. Aufl. 1.—18,
Lief. (a 5 Nor.) Berlin, Haffelberg. 1856. I. IL. IIL Bod. 3 Thlr.
55. Dr. T. &. Gumprecht: Zettfhrift für allgemeine Erdkunde.
6. Bd. 6 Hfte. Mit Karten. Januar bis Juni 1856. Berlin, Reimer.
1856. 22/5 TIhlr. (Die Tendenz cf. VIU. Päd. Jahresber. S. 278 ff.).
56. Dr. 8. Neumann: Zeitfhrift für allgemeine Erdkunde. Neue
Folge. 1. Bd. 6 Hefte. Mit Karten. Juli — December 1856, Berlin,
Reimer. 1856. 2%, Thlr.
57. Dr. 9. Petermann: Mittheilungen aus 3. Perthes geograpbifcher
Anftalt über wichtige neue geograpbihe Erfahrungen auf dem Geſammt⸗
gebiete der Seographte. Gotha, RPerthes. 1856. 6 Hfte à 10 Egr.
Die Tendenz erhellt aus den Andeutungen im IX. Päd. Zahresber.
©. 242. — Im erften Heft des Zahrgangs 1856 finden fih u. A.
folgende Mittbeilungen: Staaten im Stromgebiete des La Plata in
ihrer Bedeutung für Europa von Dr. v Reden; die Pulneyberge und
ihre Bewohner von Dr. Graul; Ehrhardt's Memoiren zur Erläuterung
der von ihm und J. Nebmann zufammengeftellten Karte von Oft» und
EentralsAfrifa, mit Bemerkungen von Desborougb und Petermann zc.
*
512 Geographie.
58. W. Hoffmann: Encyklopädie der Erd⸗, Volker⸗und Staaten⸗
kunde. Leipzig, Arnold. 1356. 7—20. Lieferung à 4 Sar. (Cf. IX.
Padag. Jahresbericht ©. 282 über die Ausführung.)
59. ©. F. Kolb: Sandbud der vergleibenden Statiftif der Völker⸗
zuſtands⸗ und Staatenfunde Für den algemeinen praftifhen Gebrauch.
Züri, Meyer und Heller. 1857. 387 ©. 2 Iblr.
Indem in diefem Werke, mehr ale in den oben erwähnten Tabels
len von Arendts, eine Darfiellung der Staaten, ihrer Zuftände, Kräfte
und focialen Verhältniffe gewährt werden foll, wobei die Zahlen nur
als Bezeihnungsmittel dienen, geht der Verf. in feinen vergleichenden
Erläuterungen vornehmlich darauf aus, die Geſetze erkennen zu laffen,
deren Ergebniffe die vorhandenen Geftaltungen find. Die Ziffer it ihm
dabei nur Mittel zum Zwed; er benutzt fie, um Prüfungen, Beurtheis
lungen, Hinweiſungen auf Urfahen und Wirfungen daran zu fnüpfen,
um fo die geiellfchaftlihen Zuftände faßbar zu machen. Verf. flieht die.
Statiſtik nicht bloß als Firirung des Moments der Jezzt zeit als „Mills
ftebende Geſchichte, ruhende Wirklichkeit, und Querdurdfchnitt durch die
geihichtlihen Entwidelungen des Lebens‘ an, fondern er achtet auch
auf die Vergangenheit, beleuchtet deren Berbältniffe und Zuflände,
um, wie für Geſchichte und Politik, fo befonders für die Nationals
öfonomie daraus Nutzen zu ziehen. Zu dieſem Zwed beichränft er
das Material auf das thatfählih allgemein Wichtigſte, zieht zunächft
die Großmächte und dann fpeciel Deutfchland, Stalien und die
übrigen europätfchen Staaten, dann Amerifa in Betradht, und fnüpft
daran allgemeine Ueberfichten über die allgemeinen menſchlichen Verhaͤlt⸗
niffe. Dennoch if eine große Fülle des Materials aufgeftellt. Bei den
Großmächten werden Land und Leute (Volkszahl, Auswanderung, Con⸗
fefion, Productenreihthum, Städte 2c.). Finanzen, Mılitair, fociale und
Handelsverhältniſſe (Verbrauch, Sparkaſſen, Tagelopn, Einfommengröße,
Eiſenbahnen, Poſten, Handel, Schifffahrt, Banknoten, Münzen, Maaße,
Gewicht), auswaͤrtige Beſitzungen u. ſ. w. ſtatiſtiſch durchgegangen. Mit
Ausnahme der Staaten Amerikas, wo aähnliche Detaillirung beibehalten
it, find die übrigen Staaten kürzer bedacht. Die allgemeinen Webers
fihten flellen bei den europäifhen und amertifanifhen Staaten — aud
beziebungsweife bei denen der andern Erdtheile — zufammen. Größe,
Bevölkerung, Confeſſion, Staatseinkünfte, Etaatsfchulden, Kriegskoſten,
Groöße der Heere früher und jetzt, Beſchäftigungen der Hauptſtaaten,
Eiſenbahnen, Ausbeute edler und unedler Metulle, Colonialproducte ...
Sterblichkeit, zumal in Städten, Unterſchied der Geſchlechter, Wirkung
guter und ſchlimmer Jahre auf Geburt und Sterblichkeit, Einfluß von
Wohlſtand und Armuth auf Sterblichkeit, dsgl. der höhern Cultur, der
verſchiedenen Etände (Militär; Gefängniffe), der Krankheiten u. ſ. w.
Das Bud ift dadurch äußerſt lehrreih, und indem es jowohl auf frübere
Zeiten wie auf die jepigen bis in die leßtern fünfziger Jahre berab
Rüdiiht nimmt, ıft es cin willkommenes praftifhes Handbuch zu allerlei
ftatiftiichen Bergleihungen und Combinationen.
\ Geographie. 543°
U, Kartenwerke.
In der kartographiſchen Literatur ift allem Anfchein nad eine
Panufe eingetreten. Der ganz neuen SKartenwerke find im abgelaus
fenen Jahre nur fehr wenige erfchienen. Gewiffe Schulatlanten und
Bandlarten haben eine fee Einbürgerung in den Schulen und in
den Rebrerfreifen gefunden, und werden nad Bedürfnig in erneuten
Auflagen an den Markt gebradt. Die tehnifhe Ausführung der
Hands wie der Wandkarten hat gegenwärtig einen hohen Grad der Boll»
endung erreicht, und e8 wird nur in der Manier der Darftellung
mit mehr oder minder Glück einmal ein Wechfel vorgenommen. Das
Biel Tartographiicher Darftellungen bleibt möglihft treue Nachbildung der
Plaſtik des Landoberflädenbildes, planmäßige und fachkundige Wahl des
politifhsgeographifchen Materials und Klarheit des Gefammtbildes in
Formen, Farben, Schrift u. drei. Sn der Art und dem Grade ber
Annäherung an dieſes Biel geben ſich bei den verichiedenen Karten die
Differenzen Fund... Am meiften differirt die Darftellung der vertika⸗
len Gliederung. Die ältere Maré'ſche auf den Schropp'ſchen Karten,
weiche überall den Bufammenhang der Höhen durch Züge ausdrüden
zu müffen meinte, ift faft völlig befeitigt, und tritt nur noh auf Schuls
arten für die erfien Anfänger auf, denen die Raupenform der
Gebirge einen elementaren Anhalt für die erfte rudimentäre Auffaffung
von Gebirgen gewährt. Auch die Rühle von Lilienftern und Desfeld
gebrauchte Manier, welche auf die Hocflächen» Ausarbeitung und die
Detail» Öliederung eine zwar ben Naturverhättniffen mehr angenäberte,
aber fehr fchwer im @inzelnen verfolgbare Darfellung forgfältige Mühe
wendete, hat nicht viel Freunde unter denen mehr, welche die Karte zum
Unterricht oder Selbſtſtudium und nicht zur bloßen Zimmerzierde ges
brauchen wollen. Die Lehmann’she Manier behauptet Dagegen ihre vers
diente Anerfennung (cf. Etieler’d Atlanten, Reymann’d Deutichland)
auch in neueren Atlanten (v. Lichtenftern, Adami u. A.), neben der
v. Sydow'ſchen, welche anfänglih in Anbequemung an die Lithograpfie
eine mehr wolfige, fpäter aber wieder eine deutlich fchraffirte Darftels
lung verfolgte, und jet die Terrainverhäftniffe auch noch durch Far⸗
bendeckung und eigenthümliche Schraffirung mit Glück beftimmter zu
barakterifiren fuht. Es if von Einigen (Bogel, Lange — Kichtenftern)
eine verbältnigmäßig überfräftige Darftelung der. bedeutendern Höhen
benugt, theild um die Plaficität charakterifiifcher hervortreten zu laſſen,
theils um die Proportionalität der Höhen unter fi annähernd ſicherer
verfinnlichen zu können; jedod wird von diefem Verfahren nicht allges
mein Gebrauch gemacht. Die Engel’fhe Manier dürfte nicht einmal aus
elementarsunterriähtlichen, gefchweige aus geographiſchen Rüdfichten auf An⸗
ertennung Anfpruch haben; fie ift in übelm Sinne des Wortes einfeitig.
ueberhaupt wird es mehr als bloß disputabel fein, in wieweit zur Teich»
tern Auffaſſung des Reliefbildes es unterrichtlich vortheilhaft genannt
werden kann, die Gebirgszeichnung fo einzurichten, daB die Höhen von '
Nacke, Jahresbericht. X. 33
514, | Geographie.
einer Seite beleuchtet, alfo nad diefer Beleucdhtungs » Seite fehr Licht,
und nad der andern fo zu fagen mit Schlagfchatten, und deshalb ver,
hältuißmäßig überwiegend dunkel erfcheinen. Der naturwirfiihe Abfall
wird nad der Lichtfeite fo fa jedesmal, der nah der Schattenfeite
in vielen Zällen nicht dadurch repräfentirt fein Fönnen, zumal wenn
für alle Gebirge das Licht von ein und derfelben Geite angenom⸗
men wird, — wie e8 kaum anders würde fein können. So z. B. bei
Annahme der Beleuchtung von Rordweft ber; wie follen die Anden, die
inneraflatifhen Randgebirge der Weſt⸗ und Oſtſeite des Hochplateaus,
die Kidlen u. a. m. auf der Weflfeite den Charakter ihres impofanten
jäben Abfalls erhalten können, oder die Oſtſeite und Süpdfeite mancher
Gebirge die fehr allmähliche Abflachung, welche fie wirklih haben? Die
Zeichnung muß unausweihlid in Widerfprüche gegen die Raturwirks
Sichkeit abirren. — In neufter Zeit hat der Zondrud wieder auf
die in den Atlanten vor 100 Jahren beliebte FZarbendedung der
Länder zurüdgeführt. Für den unterrihtlidhen Gebraudh werden
farbig gededte Karten denen mit bloßen colorirten Grenzlinien meiftens
vorzuziehen fein. Bisher kommen in den Atlanten gewöhnlid nur
einige derartige Karten vor; unter den Wandkarten find die
v. Stülpnage’fhen (Europa und Deutfchland) hieher zu zählen, indeß
die v. Sydow’fhen nur die Höhenunterfhiede der Tieflandſtrecken
durch verfchiedenen Ton des Grün, die Vogel'ſchen (Pleinen) die phyfi⸗
falifhen Zerrainverhältniffe verfchiedenartig braun abgetont darfellen.
A. Handkarten. x
41. R. Graßmann's: Schulatlas für den erflen Unterriht in der Geo⸗
gravble Zum Leitfaden der Geographie von R. Brapmann und Dr. €.
ribel. Stettin, Graßmann. 1856. 6 Gyr. (Enthält nur 3 Karten.
2. Dr. E. Stoͤßner's: Elemente der Geographie in Karten und
Text find bereits oben näher befproden. (Cf. oben I. 2. d.)
3. Th. dv. Kiechternftern’d und H. Lange's: Schulatlas, 2. Section,
iſt durch eine bisher noch fehlende Karte vom ſüdweſtlichen Deutfchs
land, welde in Marer, fhöner Ausführung fi dem Ganzen würdig ans
ralicht, vervollftändigt. Braunſchweig, Dieweg und Weflermann. (1855 u.)
4. Dr. 8. ©. 3. Engel’d: Elementar-Atlas der Anfhauung beim
Unterriht in der Geographie nach einer naturgemäßen (?) Grbirgegeich-
nung, worüber {m IX. Päd. Jahresber. S. 287 bereits das Urtheil abges
eben, ift durch die Lieferungen 4—6 nun in 24 Blättern vollſtändig.
eipzig, Henpe. (1855 u.) 1856. Auf gewöhnligem Popier koftet jede Lie
ferung 6 Sgr., auf Porzelans Papier 1 Thlr.
5. Deffelden: Neuefer Handatlas nah den bewährteften Hülfsmit-
ten von H. Kunfch ausgeführt, ift in 2 Aufl. (24 Kart. 1 Thlr. 6 Ser.)
daſelbſt 1856 erſchienen, in gleicher Manier,
d6. E. Winkelmann's: Elementar- Atlas für den geographbifchen Unter⸗
richt, eingeführt dur Prof. Dr. Völter,
hat in der.4. Auflage (Eßlingen, Weychardt. 1855. 26 Starten.
26 Sgr.) gegen die frühern Ausgaben (cf. IX. Päd. Zahresber. S. 286)
vielfeitige Veränderungen erfahren. Zür die mathematiſche Geogras
Geographie. 515"
phie iR ein Blatt hinzugekommen, die phyſikaliſchen Berhältniffe Europa’e
find jegt auf einem ganzen Blatte größer und deutlicher dargeſtellt, desgleis
A
Gen die Schweiz. Andere Karten haben eine andere Gintheilung erbalten -
(3. B. Franfreih), und in allen find mannigfadhe neue Eintraguns
gen bewirkt. Lepteres iſt Manchem wohl erwünſcht (3. B. in Betreff
der Eifenbahnen), aber eine wachſende Ramenfülle bat unterrihtlid -
ihre gerechten Bedenken, welche mit der Schwierigkeit, die fehr Kleine
Shrift gut zu leſen, noch wachſen. Anfänger bedürfen recht Harer,
nicht überfüllter Kartenbilder; zu weit gehende Detaillirung des Zerrains
ift ihnen mehr hinderlich als förderlih. Jetzt geht der Atlas über das
Elementar» Bebürfniß weit hinaus; er hat auch die Mefultate neuerer
Forſchungen (Amurland, Afrika, Nordamerika) bereits aufgenommen, und
iR mit wenigen Ausnahmen fehr corred. (BI. 8 in Iſtrien ſteht Ro⸗
veredo flatt Rovigno, BI. 12 Aldenau flatt Adelnau in Poſen) Die
irifhen Seen auf Bl. 15 find fchwer erfennbar, und Baldfina BI. 21
minder charakteriſtiſch dargeſtellt. Durchweg if der Atlas reich aus⸗
gefattet.
1. R. Groß: Neuer geographiſcher Päulatias in 28 flthogr. BL.
(Karbendrud), if} in 2. Aufl. im 2. Abdrud erfhienen. Stuttgart, Sc;weizers
bart, 1856. 2 Thlr. 12 Sgr. (Die 1. Aufl. ift vom Jahr 1846.)
8. Dr. €, Glaſer's: Topo avbifä- phufitatif@er Atlas in '
n 2.
18 Bl. (Karbendrud) mit 50 ©. Text, iſt i ufl. von Tr. Bromme
(Stuttgart, Krais und Hoffmann. 1856. 2'/s Thlr.) wieder ausgegeben.
(Cf. IX. Päd. Zahresber. &. 293.)
9. Dr. 8. Kiepert's: Neuer Handatlas (Berlin, Reimer. 1856, In Xiefer.
zu 1 Thlr. 18 Sgr.), worüber im IX. Päd, Jahresber. S. 290 fehr em⸗
pfehlend berichtet wurde, tft bis zur 4 Lief. vorgefchritten.
Er gehört zu den vorzüglichſten Kartenwerfen. — (So weit
Dr. Kiepert auch Hei den neuen im Weimar’fchen Tartographifchen Ins
ſtitut erfcheinenden Karten mitgewirkt Hat, find auch diefe wefentlich
beffer als die frühern diefer Anftalt.) ,
10. 9. Kiepert: Eompendidfer allgemeiner Atlas der Erde und
des Himmels. Gifte, verbefferte und vermehrte Auflage Weimar, Geo»
grapbifches Inſtitut. 1855. 1, Thlr.
[Bon den 35 Karten diefes bekannten Werkes gehören die 5 erſten
zur phyfſikaliſchen, die beiden legtern zur mathematifchen und aftronomis
fhen, alle übrigen der Hauptſache nah zur politifhen Geographie. Bon
diefen letztern find mande mit Rüdfiht auf den Unterrihtszwed mit
Namen etwas überladen, wodurd bier und da die Zerrainzeichnungen
leiden, namentlih, wenn gleichzeitig die politifhe Eintheilung durch
Farben markirt if. Sonft ift übrigens der Stich fehr fauber, auch
das Kolorit ganz angemefien. A. Lüben.
11. F. F. Engelhardt Hat bei Schropp in Berlin eine fhöne Generals
farte vom Preußiſchen Staate mit den Grenzen der Peyrrange-
bezirke und der landräthlichen Kreife herausgegeben. 1856. 2 Zhlr.
12. Hands Atlas der Erde und des Himmels. 70 Karten in Kupfer
geochen, 23” : 28° , mit hiſtoriſch⸗geographiſch⸗ſtatiſtiſchen I Ber
ntwürfe und Zeichnungen der Karten von H. Kiepert, Weiland, C.
33*
546. Gaogradhia.
mann, C. und A. Graf; redigirt von beiden 2 .Prach t⸗Ausgabe.
Geo —RX Inſtitut in Be 1856. Bi arte 10 Eat. ar
der Profpert lag vor.)
13. H. Ktepert: Karte von Paläſtina für Schulen. Berlin, Reimer.
1857. 6 Ger.
Das ift eine der fauberftien, auf die Heutige Kenntniß des Landes -
Palaͤſtina gegründeten Karten deſſelben. In hinreichend großem Maaß⸗
ſtabe (c. 9°: 134°), mit Höchft exacter Terrainzeichnung und mit bes
richtigten Pofltionen, die alten, die römifchen und die heutigen Namen
neben einander und doch ohne wechfelfeitige Beeinträchtigung enthaltend,
binreihend ausführlih und doc nichts weniger als überladen, gibt die
Dauptlarte ein fehr anfchauliches und ſchoͤnes Bild des ganzen Landes.
von Byblus bie Harma. Ein Eeitenfürtchen enthilt Canaan vor
dem Exil, und ein Garton den Grundriß von Serufalem. Als Schuls
karte if diefe Karte fehr zu empfehlen.
B. Bandfarten.
14. H. Lang: Wandkarte von Deutfhland. Für Säulen. Ren ger
23% 3
zeichnet. 3. Aufl. Nürnberg, Benerlein. 1856. 6 Blätter. a 1 Ihlr.
18. ©, 2. Obmann: Schulwandfarte von Europa. 16 BI. Ganz
neue Ausgabe mit Berüdfichtigung der phyſiſch⸗geographiſchen Berhältniffe.
Berlin. 1855. 2 Zhle
16. E. v. Sydow: Wandkarte von Afrika mit Begleitworten. Wiederum
erneute Ausgabe mit Benugung der jegigen Kenntnifie (Gotha, Perthes.
1856, 1 Thir.), in Folge deren das Oberflaͤchenbild gegen früher nament-
lich im Innern Afrika berichtigf erjcheint. Auch Die äußere Ausführung
bat noch gewonnen.
17, @. von Sydow: Band»Wilas. 1. Nord⸗ und Süd- Amerika.
Nach politiicher Eintbeilung colorirt. Zehn Sectionen nebft Begleitworten.
2 Ihlr. Auf 2einwand gezogen mit Mappe 31 Tbir. — 2. Auftralien.
Sechs große Sectionen, in vier Farben colorirt, nebſt Begleitwort (8. 72 S.).
I ‚a Zar, Auf Leinwand gezogen mit Mappe 2'/s Thir. Gotha, I. Perthes.
0, !
Was die bereits erfchienenen trefflihen Sydow'ſchen Wandkarten
für die phyſikaliſche Geographie find, ſollen diefe newen für die poli«
tifche werden. Sie flimmen im Maßſtabe und ganzen Grundriffe mit
jenen überein, laffen auch Behufs richtiger Auffaffung die natürlichen
Berhältniffe reihhaltig durchſchimmern, find aber jonft nad yolitifcher
Cintheilung colorirt, und zwar nicht bloß auf den Grenzen der Länder,
fondern auf der ganzen Fläche derfelben, was wir als fehr angemeflen
bezeichnen müffen. Die Namengebung befchränkt fi auf einige Abkür⸗
zungen wichtiger Wohnpläge, um die Deutlichfeit des Kartenbildes nicht
zu beeinträchtigen. Damit werden die vielbefchäftigten Lehrer nit alle
zufrieden fein. Durch Peine, nur in der Nähe lesbare Schrift hätte
fih wohl einige Hülfe geben laffen. Die Namen der Staaten find übris
gend auf einem in einer leeren Ede befindlichen Weberfichts-Tableau ans
gegeben, Auf der, Karte von Auftralien if der weite Meeresraum ans
| Geographie. 17
genehm blau colorirt, Die „Begleitworte”, namentlich vie zu Yılfkca-
ien, find von wiſſenſchaftlichem Werthe,' da ——— waͤsbis
Ende 1856 zuverläffig darüber bekannt war. Manche ae Bert
"fung won ber Bodendefihaffenheit Auftraliens Hat darin Ihre Berläftigühg
‚gefunden.
Bei der anerkannten Tüchtigkeit des Hetdaehebets und den ehren⸗
werthen Beſtrebungen ber Verlagshandlung auf dieſem Gthikte? bedarf
es Taum der Empfehlung dieſes neuen Unternehmens. A. Lüben.]
18. Ed. Winkelmann: Bandfarte von Deutfhland, dem preußi
und öfterreichtfehen Staate, on, ber en ee In
Belgien, im Maafflaabe von 1 : 1,000,080 bearbeitet. Mevidirt von Brö-
ſeſſor D. Bölter. (In 9 colorirten Blättern.) Niueſter Abdruck. Eßlin⸗
gen, Conr. Weychardt. 1857. 2 Thlr.
[Diefe Karte gehört zu den empfehlenswertheften für den Schuhge⸗
brauch, denn fie verbindet mit der nöthigen Größe vollkommene Dents
lichkeit in Bezug anf Gebirge, Blüffe, Seen, Strafen: (Eifenbahnen, Ka⸗
naͤle) und politifche Eintheilung. Von Ortfchaften iR Nur Aufgenommen,
‘was wirklich bemerlenswerth if. Die Schrift if überall’ deutlich, Tür
die Länder und Hauptgebirge fo groß, daß fie auch aus igrüßerer üZerhe
zu leſen if. Letzteres erfcheint uns für den Unterricht nicht ganz’ zweck⸗
mäßig; wir winden eine nur für den nabe ſtehenden Vehrer lesbare
Schrift vorziehen. A. Lüben.)
19. Dr. 9. Kiepert: Erdfdrte in’Mitcatörs Brojetttidn. 85’.
Berlin, Reimer. 1856. 4“Thlr.
Nur der Brofpect Ing vor. Danach if diefe Karte beſtimmt, nicht
nur überhaupt eine either auffaßende Lüde in der Nartenfiteratur aus⸗
Zifüllen, fondern Bei’ hinreichender Spezialität des’ Einzelnen "Die ver
haltnißmaͤßige Lage der einzelnen Erdtheile beſſer als bei der Planigloben⸗
Projection überfehbar zu machen. Daß das wiſſenſchaftliche Material
dabei Fritifch werde benupt fein, und die äußere Ausführung ſehr volls
endet ausfallen werde, laͤßt fih von Kiepert's Namen erwarten. Es
follen die Staatengruppen überfihtlich vereinfacht, die Meeresfirämungen,
Schiffscurſe u. dergl. mit eingetragen werden.
2%. Dr. H. Riepert: Wandfarte von Paläftina für den Schulgebraud.
Berlin, Reimer. 1857. 2% Thlr. Aufgez. 4% Thlr.
In einer Höhe von eiwa 6 Fuß hei entfpredgender Breite ſtellt
dieſe Karte denfelben ‚Länderraum ‘dar wie bie vorbin erwähnte Hand»
Tarte. Die Gebirge in Grimm⸗Sydow'ſcher lithographiſcher Manter Mar
und ziemlich detaillirt gehalten, die Colorirung räftig, wie "die Contou⸗
tirung und die Ortöbezeichnungen, dazu auf gleiche wiſſenſchaftliche
Grundlage geftitgt, wie die Meine Handfarte, um die Orkspoſitionen tren
wiederzugeben, hat diefe Karte wefentlihe Vorzüge vor den fonft bes
kannten Wandkarten von Ernf, Schneider, Sallmaͤnn, Möller u. U.
Die Namen find in ſechs verfchiedenen Schriftarten eingetragen, nament⸗
th auch, um die Alteften, ſpätern und heutigen Namen fihon an ber
Schrift zu erkennen. Ehen fo find die ungefähren Etammedgrenzen
farbig eingetragen, oͤbwohl der Plaſtiſche Eindruck des Ganzen dadurch
518 - ‚Geographie.
etwas gefört wird. Bon dem Inhalte der eben genannten Karten weidht
„diefe neue zum Theil erheblich ab, ſowohl in der richtigern Terrains
zeichnung, als in der Topographie der alten Zeit. Weber die Ausfprache
‚der zur Ramenbezeichnung gewählten Buchftaben, wie über einige andere
Umftände in der Karte gibt das begleitende Tertblatt nähere Auskunft.
21. Strübing und Städel, Seminariehrer: Wandkarte der Provinz
Brandenburg für den Schulgebraud. Berlin, Schropp u. Ep. 1855.
1 Thlr. 20 Ser.
\ Im Brandenburger „Schulblatt“, März u. AprilsHeft 1856,
‚bat E. v. Sydow über diefe fat A Fuß breite und 24 Fuß hohe Karte
.ein fehr anerfennendes Urtheil abgegeben. Große Genauigkeit in den
Naturverhaͤltniſſen, tactvolle Berüdfichtigung des Schulzweds, befonders
forgfältige Ausprägung der Bodengliederung auch bei den geringen Höhen
und figniflcante Bezeichnung von Sand, Wald, Wiefe 2c. werden ihr
nachgerühmt. — Un einer andern Stelle hat Strübing im felben
Schulblatt die Karte und ihren Gebrauch näher erläutert. („Begleite
worte zu der Karte der Mark Brandenburg‘ ꝛc. Berlin. Selbfiverlag.
1855. Rovembers und Decembers®eft des Brandenburger „Schulblatte”
1855. Seite 724— 742.) Der Kürze halber muß bier darauf verwiefen
werden. — Wie durch obige Karte für die Schulen in Brandenburg,
fo wird, zuverläffigen Mittbeilungen nad, für Schlefien die Adami’fche
Karte in zweiter, billigerer Ausgabe (c. 1 Thlr.), und für Sachen eine
von gewandter Hand unternommene Umarbeitung der Altern Stubba’s
ſchen Karte in nicht zu ferner Zeit zu haben fein.
22. Dr. 9. Bruͤllow, Oberlehrer: Geognoſtiſche Wandkarte. Zum
Gebrauch für Gymnafien, Militär, Meals, höhere Bürgers und Bergamtös
Säulen. 11 Bog. Roy.» Kol. Farbendruck. Nebft Zeitfaden für die
Hand des Lehrers beim Gebrauch der Karte. 3 Bog. — AZufammen
5%, Thlr. — Für die Hand der Schüler iſt eine Derfleinerung dieſer
naanbfarte in einem Blatt veranftaltet, in Farbendruck 15 Sgr., ſchwarz
gr.
Das Preußiſche Unterrichts» Minikerium bat dieſe Karten amtlich
durch Univerfitäts-Profefforen revidiren laſſen.
23. S. Bad, IngenieursTopograph: Geognoſtiſche Ueberſichtskarte
von Deutſchland, der Schweiz und den angrenzenden Ländertheilen.
Nah de Billy, von Bud, de Beaumont, Cotta, Dufrenoy, Dumont,
Eicher, v. d. Linth, Hatdinger, Hoffmann, Raumann, Studer u. 4. —
9 Sertionen in 32 Karben, Mit Text. 1 :1,000,000. In Mappe aufs
gezogen 10—10'/a Thlr., unaufgezogen 8 Thlr. Gotha, Peribes. 1855.
Es foll von vorn berein zugeflanden werden, daB die Erwähnung
diefer vortrefflihen Karte an diefer Stelle faft unberechtigt erfcheinen
Tann; fie ift eine wiffenfhaftliche, gründliche Arbeit für wiederum
wiffenfhaftlihen Gebrauch. Aber wenn auch Fein Volks ſchul⸗
lehrer von derfelben Nutzen ziehen möchte, mancher firebfame Lehrer an
höhern Schulen in der Stadt möchte fol. eine Karte wohl "mal durch⸗
ſtudiren, um fi über die geognoſtiſchen Verhältniffe unferes Vaterlandes
außer durch bloße Bücher auch durch das Studium guter bildlicher Darts
Rellungen derfelben in’s Klare zu feßen. Es fliehen nun einmal die
Geographie. 519
äußern Gebirgöformen in innigfer, naturgemäßer Beziehung zu den
innern Gefleinsmaffen, zu deren Art, Zufammenfehung, Richtung, Lager
rung, Wechſelung, und die wiflenfchaftlihe Geographie kann gar nicht
mehr umhin, auf diefe geognoftifchen Berhältnifle mit zu adhten. (Cotta:
Geologifhe Bider!) Was Berghaus in feinem „phyſikaliſchen
Atlas’ davon auf Meinem Raume gegeben hat, if bier für Deutfchland
und die Schweiz in bedeutend größerm Maaßſtabe, Far, forgfältig in
der Sache und deren technifcher Darftellung und exact colorirt vorgelegt.
Eine detaillirte topographifche Unterlage der Flußnetze und Ortfchaften
erleichtert die DOrientirung und ſchon der flühtige Blid kann das Ber
fentliche überfichtlich zufammenfaflen, während dem forgfamern viele Der
tails fih erfchliegen, die den Charakter der einzelnen Gegenden beftims
men helfen. Bufammengefügt geben diefe Sectionen ein hoöchſt lehrreiches
Bandtableau des geognoftifchen Bau's unfers Baterlandes und feiner
Nachbarländer. Auf eine fpeziellere Nachweifung des Inhalts muß hier
verzichtet werden, aber fo viel flieht feſt, daß derfelbe fo reich, deutlich
und anziehend ift, daß das Lefen und Studiren diefer Karte einen wahren
Genuß gewährt, eben weil. es Arbeit zugleich koſtet. Ein paar Meine
Namen⸗Irrungen Koppenſtedt für Kroppenſtedt, Appenweiler für Appen⸗
weier, Nordhein für Nordheim ꝛc.) find voͤllig unerheblich — Der
Text liefert nur kurze, ganz allgemeine Erläuterungen der Darſtellungs⸗
art und Golorirung det Karte.
In welhem Sinne und nah welcher Richtung hin die Mannigfal⸗
tigkeit des Strebens auf geographiſchem Gebiete ſich auch‘ im Jahre
1856 offenbart hat, wird der diesmalige Jahresbericht hoffentlich nicht
ganz verfennen laſſen. Er Hat hier und dahin nur Streiflichter fallen
laffen fönnen, doch bat er auch Schatten und Bebenklichkeiten nicht vor»
enthalten, wo fie zu Zage treten, wenngleich er lieber fi den tüchtigſten
Leitungen und den fruchtbarften neuen Ideen al® den Abirrungen oder
dem Verlebten zumwendete. Da allenthalben in der That von den edelften
Kräften Ernſt gemacht wird, der Schule mit dem Beſten zu dienen, fo
liegt e8 nun an der Lehrerwelt, den Erwerb dieſer Kräfte fich durch
zege Belheiligung an der Mithülfe zum innen Aufſchwung im beflen
Sinne zuzueignen. Noch liegt das Biel vor und; es gefund und zum
eignen Segen, wie zum Heil der Sugend zu erreichen, verlangt unab⸗
läfiges, rüftiges, befonnenes, charaktervolles Streben. Darum in Gottes
Namen redlich weiter!
‚X.
Geſang.
Bearbeitet von
E. Hentſchel.
L Geſangleben.
A. Allgemeines.
1. Weſen und Werth des Geſanges. Einen trefflichen, auch
‚anf den Gefang bezüglichen Auffaß über „die Bedeutung der [hr
nen Kunſt“ Tieferte A. E. K. im Volksblatte für Stadt und
Land... „Iſt die Kunf eine wefentlide Aeußerung des Geiftes-
lebens, fo muß fle ihren Ehrenſtuhl haben in allen Gebieten und Bars
teien, ſowohl bürgerlichen als fRaatlihen und kirchlichen. Iſt fie uns
weſentlich, ein Ding, das da fein kann ober auch nit: nun fo werfe
man fie aus als fhädlihen Lurus, und nehme dafür Kartenfpiel und
Würfelluſt: fle ſchaden der Seele minder als das unzüchtige Buhlen mit
der Schönheit. Daß aber Kunft und Schönheit fehr wefentliche Dinge
find zum wahren Leben, das empfindet das unbefangene Gemüth fo aut,
‚wie die Weltweisheit es zu erweilen tradtet. Die neuere Weltweisheit
(feit und nah Kant) ift bemühet geweien, ſowohl das wefentlidhe Bes
dürfniß der Kunſt nachzuweiſen, als ihren Lebensgehalt in Gedanken»
fraft auszulegen. Einige fee Säße find gewonnen; man bezeichnet das
Schönpeitleben im Schattenriffe etwa durch folgende Sätze allgemeiner
Anerkennung: „Schönheit ift die Lebensgeftalt, welche Geiſt und Natur
verföhnt darftellt. Die Natur geiftig erfcheinend, der Geift natürlich
wirkend, iſt ſchön. Landfchaft, Thier, Menfch zc. ift fchön, in welchem
das Natürliche verflärt erfcheint — und umgekehrt: in welchem der gei⸗
fige Inhalt nah Weife bewußtlos wirkender Natur hervortritt. — Kunft
iR die von Menſchen gewirfte Schönheit. Ihre nähfte Wirkung if, das
Herz unmittelbar zu ergreifen, ohne Borurtheil und Nachdenken, obne
Billen und Lehre, und durch felbfleigene Kraft die Menfchenfeele in vers
Geſang. 521
‚wandte Schwingung zu ſetzen. Ihre Fern⸗ umnd Grundwirkang ober
Quelle und Biel der Kunft ſteht darin, Daß fie ſei ein Spiegel des
wirklichen Geiſtes, ein Bild des Bildes, zur Lu, nit zur Arbeit. —
Bas ein Volk erlebt, erarbeitet, gewonnen, die Blüthe feines Lebens, den
Kern feiner Thaten, das Grgebniß feiner Beltanfhauung — fiellt es
in Bildern der Schönheit vor die Seele. So if das Kunftwerk nicht
Sittlichkeit an fi, aber fittlihes Ergebniß, Beugniß und Denkmal der
Derrlichkeit verklärter Menfchennatur in Höhen und. Tiefen, ein menfche
liches Werk: göttlihen Scheins, eine Schöpfung neben der Echöyfung,
bie flächtigen Erdenbilder zu dauernder Geflalt verewigend, auf daß ſie
Wahrheit hegen und tragen und die Seele befruchten mit Lebensathem.“
— So ungefähr die Hauptjäpe neuerer Weltweisheit. Und die Gottes⸗
weisheit widerfpricht nicht, fondern beflätigt -den Grund der Schönheit.
Nicht bloß, daß ihre Worte: felbft voll Heiliger Schönheit find, auch die
Berte Gottes oft genannt werben: gut, groß, heilig, wunderbar — was
doch wohl nicht „häßlich“ bedeuten fann: nein, es find auch beſtimmte
Beugnifle des Schönen in Gottes Wort vorhanden, wenn der Kerr ges
nannt wird: „Schönfter aller Menſchenkinder“ (Pf. 45, 3 — dir Sep⸗
maginta 44, 3 nennt ihn fogar wosaiog jugendlich ſchön fiber alle Mens
ſchen), oder wenn es heißt:. „feine Lippen voll hotdfeliger Anmuth' (Luc.
4, 22) 2e. — Nicht unerheblich if auch, dag Gut und Schön in alt
teffamentlicher Sprache oft einerlei iſt, was an mehreren Stellen bie Sep⸗
tmaginta beweift, 4. B. Genefis 1, 10. ‚Hierauf gründet ſich Lavaters
Bort: „Wie kann der fromm fein, der das Schöne nicht tiebt? da
Brömmigfeit nichts if als Liebe des Schönften?‘ (5. Gelzer, N. Deuts
fhe Liter. 2. Ausg. 2, 86)... 2.2000 Gott iſt der Bater der
Shönpeit, weil er allein wahres Leben if. Aus feinem ewigen Leben
iſt alles vergängliche Leben der Greaturen durch freie Liebe erfchaffen,
jedes in feiner Weiſe fih ſelbſt und andern Ddienend, jedes feine Natar
erfülend und überfchreitend. (Vgl. Schubert, Geſchichte der Seele, 4.
Ausg. Th. 1. ©. 32.) — Dieſes Erfüllen und Üeberfchreiten — Sät-
-Sgung und Ueberfluß — iſt der unbegreiflihe Segen der Schöpfung.
Denbend betrachtet erfcheint dieſe doppelte Richtung ale Nahrung und
Beugung, Zweckmäßigkeit und Schönheit, Sitte und Liebe, Wirktichkeit
.und Dichtung. — Diefes wahre Leben in menſchlicher Darftellung gu
verkünden ift Beruf der fchönen Kunft, indem fle der gefallenen Ratur
gegenüber das verlorme Urbild binzüftellen fucht. — Der Dichter macht
dicht, was zerfireuet if in diefer Welt der Zerfreuung. — Alſo ift die
wahre Kunftichönheit eine Wiederbringung der erſten Naturfchönheit, wie
die wahre Weisheit eine Wiederbringung iſt der erflen ungebrochenen
„lautern Bernunft vor dem Sündenfalle” — Und mit diefem Worte
des theuren Gottesmannes halten wir jenes andere zufammen: „Das
Evangelium if niht gefommen, die Künfte zu Boden zu
ftagen, fondern fie zu brauchen im Dienfle deß, der fie
gemacht hat.‘ |
2. Bortfegung In Rr. 20 des Deferr Schulboten
findet fih als Mitteilung aus einer Lehrerconferenz in Oedenburg ein
522 Geſang.
anregender Aufſaz „über den Werth und den Nutzen des Sin⸗
gend,’ worin der Gefang als eines der berrlichften, wirkfamften und
nachhaltigſten Mittel zur religids» fittlichen Bildung der Jugend gepries
fen wird. Der Berf. beruft fih, außer dem von ihm felbft gegebenen
pſychologiſchen Nachweiſe, theils auf das Fatholifche Schulblatt aus
Breslau, theils auf- Stellen aus andern Journalen und Büchern, haupt⸗
fählih und zumelfi aber auf Ausfprüdhe Benelon’s, Dverberg’s,
Auguftin’s *) ꝛe. fowie endlich der heiligen E hrift ſelbſt. Zugleich giebt
er eine anziehende Bufammenfellung von Thatſächlichem in Betreff der
Uebung und der Wirkung des heiligen Gefanges, zunähft an dem Faden
der bibl. Gefchichte, dann aber auch aus fpäterer Beit..... „Als vor
1500 Jahren zu Mailand ein Zrupp heidnifcher Soldaten in einen
Tempel flürmte, um die Chriſten zu verfolgen, blieb ber ganze Haufe
-plöglih vor Erflaunen und Ehrfurcht wie eingewurzelt fliehen; denn der
andachtsvolle Geſang, in welchem die Ehriften eben begriffen waren, machte
-einen fo tiefen Eindrud auf die Verfolger, daß fe auf der Stelle zum
Ariktiipen Glauben übergingen”. .. . So weit der Defterr. Schul⸗
ote
„Der Sefang ifk unfere eigene, die wahre, recht eigentlihe Men-
fhenmufll. Die Stimme if unfer eigenes, angebornes Inftrument; ja,
fie ift viel mehr, fie if das lebendige, ‚[ympathetifhe Organ unferer Seele.
Bas fih nur in unferm Innern regt, was wir fühlen und leben, das
verlautbart fich fogleich in unferer Stimme und verlörpert fi dadurd.
Der Gefang ift die Sprache der Empfindung, und es liegt ein tiefes
Bedürfniß in der Menfchennatur, diefe Sprache zu fprehen. Kein In⸗
firument Tann uns den Gefang erfeßen, den die eigene Seele aus eiges
ner Bruſt zieht; nicht tiefer können wir ein Tonverhältniß, eine Melodie
empfinden, nicht inniger in unfere und des Hörer Seele dringen, als
durch feelenvollen Gefang. Der Gefang, fowohl der der Freude, ald auch
der des Schmerzes, iſt das Beftreben, fi der Empfindungen, die dem
Herzen zu mächtig werden, durch das räftige Mittel, wodurch fidh die Natur
‚ zu äußern pflegt, durch die Stimme, zu entledigen. In feiner fünflichen Aus⸗
bildung if der Geſang der Vortrag poetifcher Worte mittelf eines befondern
Gebrauchs der Stimme in einer Reihenfolge von Tönen, die ihrer Höhe und
Tiefe nach beſtimmt find.” Mit diefen Worten Dr. Lindner’s, eines rechten n.
ächten Pädagogen, der für den Gefang auch perfönlich viel gewirkt hat, eroͤff⸗
net Dr. Schlad ebach ſeine Abhandlung „Ueber die Bildung der
menfhliden Stimme zum. Geſang,“ abgebrudt in dem von Dr.
Homberg redigirten periodifhen Werke: „Die Wiffenfhaften im
19. Jahrhundert. I. Band.’ Leipzig, Romberg. 1856.
Ballien erflärt in 2öw’s Monatsjchrift den Gefang nächſt
*) „D, wie babe idy oft geweint bei den Lobgefängen und geiftlichen Lie⸗
dern! Wie fharf und fräftig berührte die Stimme deiner lieblich fingenden
Kirche, o Gott, meine Seele! Deine Worte floffen mir da in die Ohren, und
durch fie ergoß fi deine Wahrheit in mein Gerz; mein Gemüth ward zur Ans
dacht erwärmt, Thränen entfloffen meinen Mugen und mein Herz wurde mit
Bonne erfült bei der Anhörung diefer Geſänge.“ Auguſtin.
Geſang. "583
. der bibliſchen Geſchichte wegen feiner fittfichen,, verebeinden Ginwirkung
auf das Gemüth für den wichtigfen Unterrichtögegenftand... „Den mei⸗
ften Volksſchulen ift er die einzige Uebung in der Kunſt, daher ift ihm die
größte Sorgfalt zu widmen.”
Diefen Zeugniffen würden fih andere in großer Anzahl beifügen
laffen. Ih führe jedoch nur no an, daß Sieber in feinem „Lehr⸗
bude der Geſangkunſt“ den Gefang „eine wundermächtige Sprache
in Toͤnen“ ‚nennt, daß nah dem „Syfem der Geſangkunſt“ von
Dr. Schwarz fh im Gefange „die Seele nach ihrer ganzen Tiefe
offenbart” und derfelbe „ein herrliches Mittel zur Veredelung ber Ges
danken und Gefühle” if, während in Merling’s Schrift: „Der de
fang in der Schule” gefagt wird: „Geſang verflärt die Seele;
Geſang befchwichtigt die böfen Lüfe und macht den unbeugfamen Sinn
milde; Gefang hebt die Schranken der Trennung auf und vereinigt die
Gemüther zu inniger Gemeinſchaft; Befang zieht die Seele hinweg vom
‚Riedern, Gemeinen, und pflangt in diefelben ein den Sinn für Schön.
beit und (gute Sitte.‘
3. Innerlichkeit des Geſanges. Vielſeitig wurde auf
ihre Nothwendigkeit hingewieſen, und es iſt gerade dies bezeichnend für
die Auffaſſung welche der Geſang durch die Jetztzeit erfährt.
Wehe dringt auf Befeelung der Schüler durch den Ges
fang und tadelt die gänzliche Vernachlaͤſſigung des Aeſthetiſch⸗ Gemüth-
lichen, des idealen Zwedes. ‚Wir lefen und hören allerdings oft ges
nung, daß der Gefang das Gefühl für Schönheit und Erbabenheit, die
Empfänglichkeit für äſthetiſche, moraliſche und religiöfe Empfindungen
beleben, fchärfen und verftärten fol. Das ift ein hohes Ziel; es läßt
fi aber viel leichter darüber parliren, als daß man es mit allen Kräfs
ten zu erreichen firebt. Wenigſtens iſt uns in vielen Schulen ein Vor⸗
berrfchen des Aeußern, des Mechanismus aufgefallen... Viele Gefang«
lehrer find nur fpecififhe Muſiker, es fehlt ihnen daher der bewußte
geiftige Halt. Sie fafen ihre Aufgabe zu wenig im Großen und ha,
ben Feine Ahnung von dem Reichthum und der Xiefe, welche in der
Schatzgrube des deutichen Liedes zu finden find.... Che aber eine in»
nerlihe Auffaffung bes Liedes angebahnt werden Tann, muß alles
Aeußerliche erſt vollffändig überwunden fein.” („Der Ge⸗
fangunterricht," in 2Zöw’s Monaisfchrift).
„Die Seele ſelbſt muß aus allen Tönen leuchten, dies
iR das höchſte Ziel alles Singensd Der Ton muß eine Hülle
der Seele fein; der Gefang wurzelt im Iebendigen Körper und in der
lebendigen Seele zugleih. So Dr. Shwarza a. D.
Derfelbe fagt dann audh:... „Die Wahrheit des Eapes: „Der
Buchſtabe tödtet, der Geiſt macht lebendig,‘ findet im Gefange ibren
ergreifendften Beweis. Die Kunftfertigkeit allein, ohne die Raturwahrs
heit feelifcher Buflände, ift leere Spielerei... Dagegen aber firömt das
Gefühl aus der Seele des Sängers in bie Seele des Hörers: je mehr
die im Worte Mar und deutlich ausgeiprochene Idee den Eänger begeis
tert, defto mehr begeiftert fie auch den empfänglichen Hörer: mit elels
824 Geſang.
triſcher Schnelligkeit folgt dem Ergriffenfeln Des Einen‘ das Ergriffenſein
des Andern.“
Aus dem Beftreben, den "Belang zur Sache Der Skele-zu mas
hen, gebt auch die Korderung hervor, welche Bormdnn-in feiner „Un
terrichtskunde“ alfo auiefpricht:... „Dadurch bekommt der menſch⸗
lihe Gefang jene unterfcheidende, nur Ihm eigenthuͤmliche Schönheit, daß
er den Gedanken, die Empfindung und den Ausdrück für beide: das
Wort zu feiner Grundlage bat. - Das neuere Mufiftreiben Bat dieſes
urfprüngliche Verhaͤltniß Teider vielfach verwifht, und die natfirliche,
aber darum nicht minder beklagenswerthe Folge davon {ft die’gewefen,
daß der Volksgeſang je fänger fe mebr zutüdgetreten
and Kellenweid ganz verfhwunden if. Das kann Hur anders
und beffer werden, wenn man: überall, namentlich aber in "den Bolks⸗
ſchulen darauf ausgeht, Wort und Ton wieder in bas'rtichtige
Berdältniß-zu einander zu fegen. Dem Bott 'gehährt
die erſte Stelle, dem Ton erfi die zweite; zu’dem Worte
Tommt der Ton hinzu, niht zu dem Tin Das Witt...
Das hat die Schule zu erſtreben, daß man in ihr aus Dem Serzen
deransfinge‘ u. f. w. |
In gleihem und ähnlihem Sinne äußerte fi namentlich auth
Merling a.a. O., wo man befonders die wichtigen Kapitel über Eins
führung der Schüler in das Verſtändniß des Tertes wie der Mufil be⸗
achten wolle.
Den Schluß diefer Anführungen mache folgende Aenßerung ©. SFä-
gel's im Brandenb. Schulbl. „Bei allem edlen Mufiktreiben, und beim
Gefang insbefondere, hängt unendlich viel vonder Ausbildung des ganzen
Menſchen ab; namentlich aber davon: daß wir bei all’ unferm Than und
Zreiben nicht unfre eigne Ehre, fondern die Ehre deſſen ſuchen,
von dem alle guten und vollfommenen Gaben herabkommen.“
4 Schönheit des Geſanges. Immer allgemeiner wird es
erfannt, immer energifcher betont, daß der Gefang feine Aufgabe nur im
Schönen erfüllen fönne Neinheit der Intonation, Bräcifion im Taete,
Beobachtung der Bortragszeichen, richtige Ausſprache, vor Allem aber
correcter, wohlklingender Zon werden mit Entfchiebenheit gefordert. In
Diefem Sinne äußerten fih u. 4. Bormann, Dr. Shwarz, Mer⸗
ling und Sieber in den bereits genannten Ecdhriften, ſowie Dr.
Schladebach und Wehe in den ebenfalls. ſchon angeführten Abhand⸗
lungen. Nur in Bezug auf Ausſprache und Tonbildung mögen
einige nähere Mitiheilungen folgen.
Im 3. Theile der Schwarz'ſchen Schrift beißt es u.W... „Damm
nur Tann die Seele Nar fich offenbaren nah ihren Begriffen und Ges
fühlen, wenn die Stimmbildung fowohl als die Sprahbüldung rein nur
der Seele dienfibar geworden find.’
Sieber fagt: „Schon der bloße Klang einer ſchönen und edlen
Stimme ift weit geeigneter, das mienfchlidye Herz zu rühren, als es die
Klänge aller andern Inſtrumente vermögen... Um wie viel größer und
mächtiger muß der Bauber fein, den der mit dem Worte verbuns
\
| Geſang. 528
dene Klang ausübt! Hier wirkt neben. oder mit der Mufit and:
die Poefie auf den Hörer ein; Die menfchliche Stimme kann bes
Eomponiften und des Dichters Werk gleichzeitig zur Anſchauung bringen,
und dies hat fie vor allen Inftrumenten voraus. Wie unbegreiflich ers
ſcheint e8 daher, daß diefer fhönfe Schmud des Gefanges in der Res
gel faſt ganz außer Acht gelaffen wirb!... Der Sänger, welcher undeut⸗
lich ausſpricht, verfündigt. ſich gleichzeitig gegen den Dichter und Com⸗
poniften, deren Schöpfungen erſt durch eine vollfommen Mare Ausfprache
in ihrem ganzen Werthe reproducirt und veranfchaulicht werden, — nur
jo ihre volle Wirkung machen koͤnnen.“
Wehe fordert „kryſtallklare Ausſprache.“
Nauenburg ſagt in der Halle’fhen Zeitung: „Die Sprache
iR der eigentliche Körper, welcher ſich nur in. der beſeelten Hülle
des atheriſchen Klanges verklärt; deutlihe Ausfprache iſt jomit
ganz ſelbſtverſtaͤndlich die erſte und wunerläßlihe SHauptforderung,
welche die Theorie dem Sänger ftellen muß..... Verliert fi das Wort
in der Zonmaffe, wird es ungenau, unrichtig gebildet, gehemmt, verfchludt,
fo if die Wirkung des Gefanges nur eine finnlihe: der Gefang
verliert fo feine Höhere Bedeutung, feine vollgültige geifige Wahr»
heit.“
5. Fortfegung Vom Geſangtone heißt es bei Merling
u. A.: „Das Biel alles Geſangunterrichts läuft darauf hinaus, in dem
Gefange den Adel der Menſchheit und durch diefen das Höchſte, das
Goͤttliche erkennen zu laflen, was in der Muſik und durch die Mufit
die Menfchheit erziehen heifen .foll zu einem göttlihen Geſchlecht. Soll
der Gefang nım ein ſolches Erziehungsmoment werden, fo muß der Ton
und durch ibn der Geſang verbreitet werden. Mit der Entwidelung des -
Zones vom erfien Stadium bis hinauf zu der Höhe der Aeſthetik geht
die Entwidelung von Geiſt und Gemüth, fowie die Entwidelung des
Schönpeitsfinnes Hand in Hand.‘
Sieber fagt: „Man fönnte mit Recht den guten Ton den Hör.
yer, den fchönen Ton die Seele des Gefanges nennen.’
Dr. Schladebach bezeichnet die Stimmbildung als die Grunds
hedingung des gangen Geſangweſens.
Wehe ftellt unter den 4 Hauptſtücken, welche ihm von ganz befons
derm Einfluß für die innere Entwidelung erfheinen: Tonbildung,
Liederauswahl, Lehrgeſchichtlichkeit und finngemäße, flei⸗
Bige Einübung, die TZonbildung, wie man flieht, obenan.
6. Pflege des Geſangweſens. A.K. fagt a. a. O.: „Iſt
das Schönheitsleben ein wefentliches Glied des geiftigen Lebens überhaupt,
fo Dürfen es die Waltenden nicht gleichgültig betrachten... Sie haben
dafür zu wirken, und zwarnicht nur durch Negation, fontern eben ſowohl,
ja mehr noch, durch Bofition.....
Kür die Tonkunſt wäre doc, zumal bei überwuchernder Unsbreitung
diefes Gebiets, von oben herab mehr zu thun, als gefchieht. Eine fünf
tige deutfche Hochfchule der Tonkunſt würde vom parifer Eonfervatorium
mit Beſcheidenheit entnehmen, was dort für mechanifche Technik geleiftet
526 Geſang.
wird; aber fie müßte breiter und tiefer in’s Hiſtoriſche und Ideale ein⸗
dringen, ald man bisher fowohl in Paris ale in Leipzig verfucht hat,
damit die Quellpunkte wahren Zonlebens, feine zeit⸗ und volfsthümliche
Geftaltung, endlich die lebendige Fortbildung und fruchtbare Ausübung
in Kirche, Haus und Welt durch Choral, Kammermuflt und Volkslied
innig erfannt würden, um das elende, Zeit und Gefundheit zerfiörende
Gequike und Gedudle endlich zu überwinden‘... „Mehr noch als die Wal⸗
tenden,‘‘ fo heißt es weiterhin, ‚‚baben Lehrer und Gelehrte die Pflicht,
in Sachen der Kunf zur Vernunft zu leiten.’ Der Berf. wirft in Dies
fem Sinne Blide auf alle Lebens» und Kunftgebiete. Was er dabei in Bezug
auf die Tonkunſt in Kirche und Schule beibringt, if fpäteren Orts zuerwähnen.
Nach diefen einleitenden Mittheilungen allgemeiner Art folge nun
die Beiprechung des Befanglebens in einzelnen Lebenskreifen.
B. Der kirchliche Kreiß.
I. Allgemeines.
7. Bedeutung der kirchlichen Tonkunſt. Auf diefelbe
weiß u. A. Dr. David Kottmeier Hin in feiner Schrift: „Die
Darftellung desHeiligen durch die Kunft, vornehmlich in
ihrer Anwendung auf den evangelifhen Cultus,“ Bremen,
1857. Gebühre, fo fagt er, den bildenden Künſten eine größere Be⸗
ruͤckſichtigung (als fie diefelbe bisher fanden), fo fei dies nicht minder
hei der bis jetzt oft vernadhläffigten Kirchenmufll und dem Kirchengefange
der Fall, auch die Figural- und Inſtrumentalmuſik nicht ganz abzuweifen
und die bäufigen Vorführungen von Gantaten, Dratorien und Paſſions⸗
A außerhalb der gottesdienſtlichen Zeiten in den Kirchen wünſchens⸗
werth.
‚Die Macht der Töne, vom heiligen Geiſt getragen, reicht oft bis
in das Innerſte des Herzens, bereitet fo der Predigt den Boden und führt
das Gehörte in's Herz ein. Die Leute find nicht allein, wie Dr.
Wichern fagt, aus der Kirche Hinausgepredigt, fie find auch hin⸗
ausgefungen und hHinausgefpielt. Unſere Aufgabe iR es, fie wieder
greinpufngen und hereinzufpielen. So Thormann im Brandenb.
chulbl.
8. Nenue Lebengregungen auf dem Gebiete kirchlicher
Tonkunſt. „Winterfeld's Darſtellungen evangeliſcher und römiſch⸗
katholiſcher Tonkunſt haben in dieſem Gebiete heilige Schönheit eröffnet
vol neuer Fruchtkeime des firhlichen Lebens. So A. E. K. a. a. 0.
Es if dies eine Hinweifung auf Winterfeld’s großes Werk: Der
Evangelifhe Kirhengefang und fein Berhältniß zur
Kunft des Tonfapes. 3 Theile 46 Thir., ein Wert, welches freilich
weniger ſchwer zugänglich fein müßte, wenn fein reicher, koͤſtlicher Inhalt
auch dem Bollsfchullehrer zu gute kommen follte.
„Unſere Zeit bat das ganz. beſtimmt nicht zu beflreitende Verdien, .
Geſang. "527.
die kirchliche Muſik wieder. zum Bewußtſein ihrer Pflicht und göttlichen
Kraft gewedt, ihr neue Verehrer und hochbegabte Börderer zugewendet
zu haben. Allgemeine deutfhe Lehrergeitung, 38.
9. Eorrecte Herfellung der firhlihen Muſik. „Die
evangelifche Kirche Deutfchlands fleht jeßt in einer Zeit der Befinnung
und feiert gleichfam ein Erinnerungsfeft, welches zugleich eine Bußfeier
iR, indem fie alle ihre vorigen Thaten und Leiden, alle ihre zum Theil
vergeſſenen Schäße, auch alle Güter, die ſie aus der alten Kirche herübere
genommen und noch nicht genupt bat, ſich in’s Gedächtniß zurückruft.
Den Anftoß dazu verdankt fie großentheild der Erneuerung der auf
folhe Erinnerungen gegründeten Liturgie, einer That, die vielleiht -
durch ihre. Wirkung auf die allgemeine Richtung des Geiftes noch weit
wichtiger if, als das, was fie zunächſt beabfihtigte. Nun iſt zu wüns-
ſchen, daß die Liturgie aud in Beziehung auf den Bortrag den vollen
Segen davon genieße, und eine correcte KHerftellung des liturgiſchen
Bortrags im weiteſten Sinne die Frucht davon fei, fowohl für den Vor⸗
trag des Liturgen, als für den Efors und Gemeindegefang, wie dazu .
auch die Anfänge gemacht find. Für die Durhführung aber iſt eine
muſterhafte allgemeine Bildungsfchule erforderlich, deren Einflüffe durch
die Schuflehrer-Seminare bis auf jeden einzelnen Schullehrer, Gantor,
Drganiften und endlich auf jede Gemeinde herab geleitet werben Füns
nen.‘ Dr. Schwieder: Gutachten, die liturgifhen Bedürf-
niffe der Landeskirche betreffend. Adgedrudt, fo wie.die Gut⸗
achten über denfelben Gegenitand von Dr. Stier, Abelen und El»
teſter, in den Actenfüden aus der Berwaltung des evans
gelifhen Oberkirchenrathes; dritten Bandes zweite Lie-
ferung. Berlin 1856.
10. Bermifhtes Die Evangelifge Kirchenzeitung
weit in der ſehr ernf und eindringlich, wie zugleich mit mehr als ges
wöhnliher Sachkenntniß gefchriebenen Abhandlung: „Kirche und Ton»
kunſt,“ aus dem R. T. die Verpflihtung nah, die Muflt im Gots
tesdienfte fleißig und würdig anzuwenden. „Wiedergeburt und Gottes»
verberrlichung müflen die Zwede fein, welche tie der Kirche angebörige,
chriſtliche Tonkunſt zu verfolgen bat. Und zwar ift es nicht bloß der
ausübende, fondern au der börende und empfangende Theil der Ges
meinde, an den diefe Mahnung ergeht.‘ Leider nöthige die Wahrheit
zu dem Geftändniffe, daß der Gegenwart eine Entfremdung von der Acht
Hriftlihen Auffaffung der Muſik vorgeworfen werden müfle. Kirche und
Tonkunſt feien auseinander gegangen. Das liege theild in dem Mangel
des rechten Geiftes, theils in den nach diefer Seite hbemmenden und bins _
dernden liturgifchen Ordnungen, theils in dem unzureichenden, zu wenig
geübten Perfonal und den fehlenden Geldmitteln. Es fei aber die uns
abweisliche Notbwendigfeit vorhanden, Zonfunf und Kirche wieder zus
fammenzuführen, um dem göttlihen und heiligen Gebote des Apoſtels
zu gehorfamen, der Muſik ihre volle bereihtigte Stelle in dem Gottes⸗
dienfte wieder, zu verfhaffen. „Bor allen Dingen gebietet es die Chriſten⸗
pflidyt, wieder gute Choralſchulen und Seminare für Ehorfänger und Ins .
5238 Geſang.
ſtrumentaliſten zu ſtiften ober in's Leben zurädgarafen.... Es müſſen
die Capitalien wieder herbeigeſchafft werden, wo fie... eingezogen und
befeitigt find. Die kirchlichen Kräfte mäflen thunlichſt zu kirchlichen
Zwecken ausfchließlich verwandt werden.... Der geiſtliche Stand muß fi
bei heiligen und gottesdienfllihen Leiflungen der Tonfunf direct betheis
ligen. Die Theologie Studirenden find zu fleißiger Uebung der Kerchen⸗
muſik zu verpflichten, Geiftliche nicht anzuftellen ohne Nachweis mufifalis
fher Kenntniffe (wenn Anlage da ift).... DOrganiften, Käfer, Schule
lehrer müffen in Hinfiht auf Muſik gehörig beauffidtigt, und nur ſolche
Drganiften angeflellt werden, welche eine geiftfihe Vorbildung erhalten
haben und nicht vorher in ungeeignete Verhältniffe und Studien gerathen
find. Ueberhaupt muß man dem muflfalifhen Altare und Chordienft die
gebührende Achtung und Pflege angedeiben laſſen, und auch für die Er»
banung der bloß hörenden und empfangenden Gemeinde die Tonkunſt zu
einem integrirenden Theil des Gottesdienftes wieder erheben. Dies die
Grundzüge einer Regeneration der Kirchenmufit im apoftolifhen Sinne
und Umfange, einer Reform des gefammten evangelifhen Gultus nad
diefer Seite hin, die freilich von der Kirchenobrigkeit ausgehen
muß, damit ein haltbares, dauerhaftes Wert mit thunlichſter Gleichförs
migfeit durch das ganze Land, oder am liebſten durdy die ganze evans
gelifche Chriftenbeit im Sinne des apoftolifchen Befehls gebildet werde.
Dem Gintritt eines folhen definitiven Zuſtandes muß freilih ein
Interim, ein PBroviforium vorangeben. Da foll der einzelne Geiftliche
mit feinem Gantor und Organiften nad beſtem Vermögen und in aller
Liebe und Nahfiht dahin wirken, daß die Gemeinde ihren Choral tacts
gemäß fingen lerne und aus der Entfremdung gegen den Theil des mus
fikaliſchen Cultus, welcher ihre paffive Erbauung bezwedt, berausfomme.
Wo ferner noch Inſtitute egiftiren, wie Currenden, Umgänge der ſin⸗
genden Schuljugend in der Stadt, fo ſuche der Geiſtliche diefelben aus
der Lethargie und dem Echlendrian zu mweden... Außerdem befümmere
fi der Geiftliche, auch der nicht muflfatifche, um Die Liedertafeln, Geſang⸗
vereine, Mufiffefte in feiner Gemeinde und fuche, nach dem Urtheile
Sahverftändiger, die fähigen Affociationen dieſer Art für die Kirche zu
gewinnen. Go ift es praßtifch zu mahen, was Deligfch darunter
verfieht, daB die Kunf in den Dienft des Heiligen genonmen werde.
Es dürfen aber die Anftrengungen für die heilige Muſik nicht als ein
etwa noch zu vermeidender Luxus betrachtet werden, welcher wichtigeren,
bringenderen Ausgaben nachftehen müfle. Es follte ohne Ausnahme je⸗
dem evangelifchen Chriſten ernfllih am Herzen Tiegen, die Kunf zu
pflegen, welche bisher unleugbar zum Nachtheil der Kirche und im ent»
ſchiedenen Widerfpruche? mit dem apoftolifhen Gebote vernachläffigt und
gering gefchäßt worden if.‘
11. Der Chor.
11. Berfall der Kirhendhöre. Biel babe man fonft für die
Chöre gethban! „Hier wurden in friedliher Eintracht Paflor und Can⸗
Sefang. 329%
tor gebildet.” Die Trennung von Kirche und Schule habe das mit
zerriffen. „Die Gymnafiallehrer waren zugleih Gantoren, Eänger an
den einzelnen Stadtfirhen, und beziehen zum heil noch heute von das
ber ihren Gehalt. Später ſchämten fie fich Ddiefes heiligen Amtes und
ließen Schufter und Schneider für fih fingen. Der Zeufel bat mit Lies
dertafeln und Sängerfeften das Terrain erobert, was die Kirche aufges
geben hat. So Potel in feinem Bortrage auf der Gnadauer Früh
jahrversſammlung. Volksblatt 36. Zu dem Paſſus über die Lieder⸗
tafeln und Sängerfefte fagt übrigens der Redacteur des Molfsbluttes:
„Das fo geftellte Urtheil über die Liedertafeln fann ich nicht unters
fchreiben. Sie find an fih unzweifelhaft etwas Löbliches. Herrſcht nicht
der rechte Geiſt darin,. fo ift das eine Sache apart.’
12. Der Berliner Domdor, „ein völlig einziges Inſtitut,“
verdient es, hier eine befondere Nummer zu erhalten. Die Signale
fagen über ihn: „Der Eindrud, den die Vorträge des Domchors machen,
iR ein unvergleichlicher, wunderbarer. Der von der gewöhnlichen melts
lihen Mufif fo ganz verfchiedene Charakter, die firengere Harmonik der
geiftlichen Mufif iſt es nicht allein, was diefen Eindrud bedingt. Die
Art des Bortrags ift ein zweites, nicht weniger wefentlihes Moment:
es ift faſt durchgehends reine Bocalmufif ohne alle Inſtrumentalbeglei⸗
tung, welde die vom Domchor ausgeführten Gompofitionen geben; die
Menichenftimme, die erfte, natürlichfte und zugleih höchſte Offenbarung
der Mufif, feiert den Geiſt ihres Schöpfers. Der hoͤchſte Zauber end«
ih bei diefem muſikaliſchen Genuſſe liegt in der Art der Menſchenſtim⸗
men, die bier fingen. Nicht von der befondern Begabung und Aueabils
dung der einzelnen Sänger fprehen wir, fondern von dem einen harafs
teriftifchen Elemente im Geſange des Domchors: von den Knabenftims
men. Es if dies ein Element, das fonft bei. mufifalifhen Auffübruns
gen ganz fehlt; der reinften und edeiften Gattung des Gejanges ift es
zu bejonderem Borreht vorbehalten, und hier übt es einen Zauber, dem
in aller Mufit nichts zu vergleihen if, Es ift als ob in Dielen ges
ſchlechtsloſen Stimmen, fo zu jagen, die Stimme ertöne, wie fie in ihrer
Z3dealität vor ihrem Eintritte in den Erdenleib gedadht werden mag.‘
13. Neiner Kindergefang. Derfeibe „ertönt noch, Gott fei
Dank, in der jüngern evangel. Gemeinde zu Neuwied.’ ©. Flügel
a. a. O.
14. Currende. Dos Evangeliſche Sing⸗Inſtitut in
Berlin, welches für die Diaconiſſenanſtalt Bethanien ſo wie für die St.
Bartholomäusgemeinde die Kirchenchöre hält, auch den erneuerten Ums
gangsgeſang leitet, erfreut fich eines guten Gedeihens. Außer dem ges
wöhnlichen Jahresbeitrage, wofür der Umgangshor allſonntäglich auf
dem Schloßhofe zu fingen hat, gewährte Se. Majeſtät der König auch
am Schluſſe der diesjährigen Reſidenz dem Inftitute ein Onadengefchen?
von 30 Thlrn.
Zür verwerflich, weil gefahrbringend für die Gefundheit, erklaͤrt
Rade, Iahresberiht. X. 34
530 Geſang.
freilich Dr. Schladeb ach a. a. D. die Currenden. Dies wird immer⸗
bin wenigſtens als eine Mahnung gelten müſſen, bei der Einrichtung des
Dienſtes der Currenden die Vorficht nicht aus den Augen zu fepen.
IN. Die Kirdenmufit im engern Sinne.
15. Ihre Stellung. Die Stellung der Kirchenmufif in der
evangelifchen Liturgie iſt noch Feine beftimmte, klare und zweifelloſe.
Benn Abelen a. a. DO. meint, „daß für ein ausgeführteres Mufik⸗
oder Gefangftüd (Motett) des Chors, etwa an hohen Peften, wohl nad
alter ewangelüiher Sitte ein Raum hinter dem Halleluja nad der Bors
leſung der Berifopen zu geftatten fein dürfte,‘ fo fchließf Dies cine Aner⸗
fennung der Berehtigung der Kirdenmufif wohl niht ein. Auf
etwas mehr als bloße Duldung derfelben deutet zwar der folgende Paſ⸗
fus bin: „Ich glaube nicht, daß man die, höhere Gefangfunft gunz
aus dem Gottesdienſte ausfchließen ſollte; nur darf fie die charafteriftis
ſchen Ucte deflelben nicht in ſich abſorbiren“ — allein aud bier wird
ihr eine erhebliche Bedeutung offenbar nicht beigelegt. — In dem Gute
achten Eitefter s a. a. D. heißt e8:.. „Die Reiponfe würde ich weg⸗
laffen, dafür mir aber ſowohl einen Pfalm zum Anfange, als aud) größere Kir»
chenmuſiken, insbejondere nach dem Rahmittagsgottesdienfte, um fo lieber
gefallen laſſen.“ Auch hieraus dürfte ein Mehreres, ale aus dem Vo⸗
tum Abeken's, für die Berechtigung der Kirchenmufif nicht abzuleiten fein.
Die Ev. Kirchenzeitung beflagt e8 a. a. O., „daß mit feltenen, ans
zuerfennenden Ausnahmen die Aufführung der Kirhenmufif als ein der
Kirche fremdes, von dem Gottesdienfte durchaus getrenntes Beiwerk von
der Geiftlichkeit betrachtet zu werden pflegt, dem eigentlich die Kirchen
verfhhloffen werden müßten. Es findet fein Gottesdienft flatt, in welchem
die Mufik ein integrirender Theil des Mituals wäre und die Zwecke der
Predigt oder des Sacraments unterſtützte.“
16. Styl der Kirhenmufit Bon vielen Seiten ber wird
mehr Würde und heiliger Ernf gefordert, und es bereitet fih eine Res
forn in diefer Richtung immer fihtbarer vor.
‚Zange genug hat die verweltlihte Muſik die geheiligten Etätten
entweibt, wo früher die hehren Accorde der alten italienifchen und deut⸗
[hen Tonmeifter erlangen. Die Aufflärungsperiode hat die wahrhaft
firdhliche, die „„ heilige‘ Zonfunf aus unfern Gottesbäufern eutfernt;
die Chriftenheit unferer Zeit, verwöhnt und verbildet durch die der
Kiche aufgedrungene WWeltförmigfeit der Kirchenmuſik, bat allmälig
den Geſchmack an den dem Haufe des Herrn würdigen Klängen einge⸗
büßt. Bei dem neuen Aufihwung des chriftlichen Bewußtſeins, das
über die Bergangenpeit gerichtet bat, muß auch die muflfalıfhe Hands
fung in der Kirche, dieſer wichtige, leider nicht genug gewürtigte Theil
unſeres evangelifchen Gottesdienfted, in das Gebiet des chriſtlich begeir
ſterten Strebens derjenigen mit eingefaßt ſein, welche ſich ſehnen nach
einer Auferweckung des alten, tiefinnerlichen chriſtgläubigen Sinnes in
den evangeliſchen Gemeinden und dazu Bauſteine herantragen wollen.
Geſang. 5
Wer anders bat allernächft die Aufgabe, als ber Lehrerſtand, dem ber
muſikaliſche Dienſt in der Kirche anvertraut iR? Der Lehrer faffe dag,
was nun in neuerer Zeit beinahe überall von den Kanzeln ertönt, als
ungefälichte Auslegung des Gottesworts, in eine, dem alten, heiligen,
‚göttlichen Worte angemefiene muffalifche Form, und präge, was er felbR
als gläubiger Chriſt fühlt, aus in dem, was er feiner Gemeinde zu
hören gibt, im Orgelſpiel und im vorbereitenden Chorgefang. Was er .
da außer dem verordneten Choralgefange vorbringt, muß heilige Mufit
fein; denn „er fingt und ſpielt dem Herrn, dem dreimal
Heiligen.“ Fr. Krauß (Pfarrer in Hattenhofen) in dem Vorworte
zu 3. Ch. Weeber's „Kirchlichen Männerchören.“
Im Vorworte zu Lützel's „Kirchlichen Chorgeſängen“
heißt es: „Soll der religiöſe Chorgeſang ſeinen Zweck erfüllen und der
kirchliche Saͤngerchor mit den beſonderen, ihm verliehenen Gaben der
Gemeinde dienen, fo darf er nur ſolche Geſaͤnge beim Gottesdienfte zur
Aufführung bringen, die wahrhaft firdlich und in Wort und Ton von
ächt chriſtlichem Geifte durchdrungen und getragen find. Diefe Eigen»
fhaften befigen in hohem Maaße die Chorgefänge der Meifter des 16.
und 17. Zahrhunderts.... Die fo vielfach verbreitete Meinung, daß
die Gemeinde die alten Gefänge nicht mehr verfiebe, kann ich durchaus
nicht theilen‘ u. ſ. w.
17. Alte Muſik. Bon der alten Paffifchen Kirchenuunfil, im
Gegenfage zu der wie fid das Volksblatt ausdrüdt — modernen,
unbeiligen und heillofen Givilifationsmufil, wird von Dr. C. Trummer
in feinem Werke: „Die Mujil von Bormals und Geht, von
Dieffeits und Jenſeits,“ Frankfurt a. M. 1856 u. U. ges
fügt, es fei nicht blos der „gregorianiſche Choral in feiner contrapunfs
tiihen Mehrſtimmigkeit,“ fondern namentlih auch „der tiefe Glaubens
grund und das fromme, flille, beiheidene Gemüth jener Meiſter,“ mweldes
die alte Mufif fo überlegen mache.
„Die urchriſtliche mufiktalifhe Antike”. Dieſe Zons
fprache der vollfländigften „Keuſchheit, Entfagung und Seibftverläugnung‘‘,
wie fih Dr. Laurencin in der Neuen Zeitfhrift für Muſik auss
drüdt, tritt und entgegen in Gari Prosfe’s Musica divima,
4 Bünde, Regensburg, und zwar innerhalb der Grenzen abfoluter Kar
tholicität. Meſſen, Motetten ꝛc. von Balefrina, Orlando di
Laſſo, Vittoria und anderen altitalieniichen , altniederländiihen und
altdeutichen Somponiften bilden den Inhalt der Sammlung, Teren Herauss
gabe als eine Erweckungsthat uralter Heiliger Muſik Hier nicht unberührt
bleiben durfte.
18. Bach und Händel. Es iſt rin fehr erfreuliches Zeugniß
für den Ernf, womit die ächte Kirchenmuſik erfaßt wird, daß in immer
weiteren Kreifen ein Zurüdgeben auf Bach und Händel, ein hinges -
bungsnolles Etudiren und Darftellen ihrer unfterblichen Werke bemerflic
wird. Die Reipziger Bach⸗Geſellſchaft Sept ihre Thätigfeit in ber
Herautgabe der Kompofitionen des großen Meifters erfolgreich fort und hat
jegt erleichterude Bedingungen für die Anfchaffung der bereits erſchienenen
34*
1 — — — — — — — — — ——
532 Geſang.
Bände geſtellt. In Berlin hat fih ein Bach⸗Verein gebildet. Die
Boffifche Zeitung fagt u. A. über denfelben, zugleich auch mit Hindeus
tung auf die Bachs Gefellihaft: „Wir weifen nur auf die Bedeutung
bin, die ein Gefangsinfitut, das fi far ausichließlih mit den Werfen
von Seb. Bach beichäftigt, in heutiger Zeit für die Erhaltung der
Klaffieität in der Muſik gewinnen kann. Auf den erften Blick fcheint
die Tendenz eines Bach⸗Vereins auf einer gewiſſen Einfeitigfeit zu bes
ruhen, die ftreng feftzubalten nicht, ratbfam wäre. Erwägt man indeß,
von wie großer Wichtigfeit mitten in den mannigfachften Strömungen
des Kunſtlebens, das fi theils in finnlicher, und deshalb gefährlicher
Schwäche weithin verbreitet, theils mit keckem Uebermuthe die Schranken
gebeiligter Kunſtgeſetze durchbricht, ein confervatives Prinzip ift, fo wird
man fhon aus diefem Gefichtspunfte die Grundrichtung dieſes neuen
Inſtituts anerfennen und willtommen heißen. Wer mit Bach aber nur
einigermaßen vertraut ift, wird wiſſen, daß er in Betreff der Form,
der für die Mufif fo überaus wichtigen architeftonifchen Gelege, eigents
lich der Meifter aller Meifter if. Mit diefem feinem Kormfinn verbindet
fi) indeß auch ein ideeller Gehalt, dem eine fo gewaltige feelifche Macht
innewohnt, daß man fich feiner Herrſchaft unbedingt überlaffen kann.
Es it ein Vorurtheil, wenn man das Verſtändniß Bach's für ein
fhwieriges anfieht. Seine Technik ſteht allerdings in einem ziemlich
bedeutenden Gegenfage zur heutigen Zeit; fie iſt aber zu überwinden,
und der Genuß, welcher dann durch die ganze umfaffende Eigenthümlich⸗
feit diefed gewaltigen und zugleich findlichen Geiftes dem Kunflfreunde
dargeboten wird, wiegt jede auf ihn verwendete Mühe um das Hundert⸗
fache auf. Zu dem Unternehmen, von dem wir reden, geſellt fi noch
ein zweiter günftiger Umftund, ja eine Pflicht, der muflfalifhen Kunſt⸗
welt: die gegenwärtig mit Umfiht und Eifer betriebene Herausgabe der
Bah’ihen Werke durch die Bach⸗Geſellſchaft. Das Gebiet des Geſang⸗
werts Bach's ift fo umfaſſend, daß Geſang⸗Vereinen die Pflicht obliegt,
diefen reihen Schatz theils in's Leben zurüdzurufen, theils zu erhalten,
und man hat, wenn felbft nur Die Motetten, Cantaten und Meflen in’s
Auge gefaßt werden, wahrlich einen genügenden Stoff auf Jahre Welchen
muſikaliſchen Einfluß endlich Bach's Werfe auszuüben vermögen, wird
Jeder erfahren haben, der fi) nur mit einem derfelben anbaltend befhäf-
tigt hat. Man trete mit gutem Willen, mit einem für das Edle über,
haupt nur enpfänglihen Sinne an diejen Meifter: der Kohn wird reich⸗
lich ausfallen. ine fchließlihe Bedingung aber für die Gründung und
den Fortgang eines Bach Vereins ift die fachkundige und mit Bach durch
und durch vertraute Leitung‘ u. f. w.
) Was Händel betrifft, fo hat fih unter dem Protectorate Er. Ho⸗
heit des funffinnigen Herzogs von SachfensEoburg-Gotha eine „Deuts
ſche Händels»Gefellfchaft zu dem Zwecke gebildet, dem ehrwürdi⸗
gen Todten außer dem Denkmal, welches man ihm in feiner Geburts
ſtadt Halle zum 14. April 1859 — feinem bundertjähr. Geburtstage —
errichten will, nod ein zweites, weiteres Denkmal in dem deutichen Volke
zu fliften, durch eine vollftändige Pritiiche Muflerausgabe feiner Werke,
Sefang. 533 .°
„Es if eine Ehrenſchuld, die Deutfhland zu entrichten hat, und bie in
dem Jahrhundert feit Händel’8 Tode ausſtehen geblieben iſt ).“ Möge
das Unternehmen den beften Fortgang finden!
19. Nochmals Bah und Händel. 8. J. Keppner
fagt in feiner „Kurzen Gefhihte der mufifalifhen Ideen‘
(Freiburg, 1856): „AR Bach der Mann des Geſetzes, fo it Händel
in feinen Werfen die Freiheit im Gefeß; iſt Bach ewiges Mufter für
eonfequentes Denfen, fo hat Händel die Moefie des Kontrapunftes zur
Anfhauung gebracht; bat Bach die Form ale folhe bewundernswürdig
verkörpert, fo bat Händel den diefer Form eigenen boben und fräfs
tigen Geiſt in feinen Werfen niedergelegt: obne daß Bach des Geiſtes,
Händel der Technik entbehrte. Zufolge diefes Verhaltens wird Bach
bei allen Sadverfländigen, Händel in allen geiund»fühlenden Herzen
fortleben durch Jahrhunderte.“ Offenbar findet Seb. Bach in diejer
Parallele nicht die ihm zufommende Würdigung. Da es fih aber bier
um ein Urtheil über den größeften deutfhen Meiſter kirchlicher
Zonfunf bandelt, fo möge es erlaubt fein, einen Echritt auf das
ſpecifiſch mufifalifhe Gebiet zu thun und aus Dr. Kranz Brendel’s
„Geſchichte der Mufif in 3talien, Deutfchland und Frank
reich, Leipzig 1855, Folgendes zur tieferen und richtigeren Auffaſſung
Sebafian Bach's fomohl wie Händel's anzuführen:
„Bad hat an der Orgel ſich berangebildet, von diejer feinen Aus
gangspunft genommen; dies verleiht feinen gefammten Kunftleiftungen
ihren befimmten Charakter. Händel hat zwar gleichfalld Dielen Auss
gangspunft genommen, bald aber ganz entgegengejepten Einflüjlen fi
bingegeben. Bach's Thätigfeit mar dein entiprechend eine mehr nad
Innen gefehrte, feine vormwaltende Neigung eine grüblerijche Verfenfung ;
fein Leben ein inneres.’
„Händel wendete fih früh nach Außen, den Menfchen und ber
Beobachtung derjelben zu, ringend und kämpfend, die mannigfaltigften
Eindrüde in fih aufnebmend. Bach's Verſtaͤndniß erfchließt fich daher
nur von Innen beraus Es if nicht die Äußere, finnliche Klangwirs
fung, welde für fih allein zu, feffeln vermag. Dem inneren Einn erft
geht das Großartige der GBeftaltung auf, durch das Innere hindurch)
gebt der Weg zum Aeußern. Händel if plaftifh, Händel gewährt
der finnlihen Seite der Kunft ihr Recht, und von dem Aeußeren gelangen
‘wir zum Inneren. Bach, als ächter Deutfcher, war dem inftrumentalen
Element überwiegend zugeneigt, er fchrieb fräter für fein Thomanerchor,
für zwar muffatiih, aber nicht eigentlich funftgebildete Eänger. Händel
wirmete fich früh jchon dem Geſange, und verkehrte bald mit den größten
Sängern und Sängerinnen der Welt. Darum erbliden wir bei Händel
als hervorflehenden Grundzug jene Popularität im großen und hoben
Einne, die Fähigkeit, auf Maffen zu wirken, die mehr augenblidtiche
*) Zäbrlih werden durch die Herren Breitlopf und Härtel in Leipzig
3 Bände, die fih durcbfchnittlid auf etwa 120 Bogen überfhlagen laflen, zu
dem in zwei halbjähr. Raten von 5 Thlen. zu zahlenden Betrage von 10 Thlrn.
geliefert.
534 Geſang.
Eingänglichkeit und Eindringlichkeit. Bach zeigt ih als Gegenſatz; er
iſt nicht eingänglih, minder fangbar, er iſt der am wenigſten populäre
aller. Zonfeßer. In Bach gelangte jene, einft von den Niederländern
begründete, in Deutfchland fortgebildete Richtung zu ihrem Abſchluß,
fein Geift ermwacte unter dent Zongewebe contrapunktifch verbundener
Stimmen; er bezeichnet die Spihe diefer Entwidelung. Händel flebt
mit dem einen Buße in Stalienz er ift innerhalb diefer Epoche die Spige
der fchon früher charakterifirten italienifch »deutfchen Richtung. Bad
dharafterifirt darum der Mangel äußerer Echönbeit, wie fie Ztalien bes
fist, Händel zeigt fi berührt von dem Zauber diefes Landes. Bad
und Händel find, wie Schiller und Göthe, die Culminations⸗
punkte ihrer Beit innerhalb ihrer Kunſt, nah den entgegengefepten
Seiten gewendet. Händel bewegt ſich in allgemein menſchlichen Stim⸗
mungen, in den Stimmungen der Maflen; was in der Bruft eines relis
gidjen, aber gefunden, freifinnig männlichen Volkes fih regt, das hat cr
ausgefprochen, mit einer Urkräftigkeit und Gefundheit, daß ed durch
Sahrhunderte ſchallt; Bach ſpricht nur ih aus, fein religiöfes Gemüth,
er. vergräbt fich immer tiefer in fi hinein, und kann ſich nicht genug
thun, um diefe Tiefe zu erfhöpfen. Händel leiht der ganzen Menſch⸗
heit feine Stimme, Bach ift nur infomeit allgemein, al® Jeder dieſen
Proceß des religidien Bemußtfeins in fih durchlebt. Händel in feinen
Gefaltungen zeigt fehon eine Borahnung des jpäteren Kunitideald, Bad
bat nur religiöje Zmede vor Augen, und die Kunft flebt bei ihm nod
ausſchließlich im Dienſt der Kirche. Händel if objectiv, epifb, Bach
fubjectiv, lyriſch. Bach's Natur neigt überwiegend dabin, zur abge
ſchloſſenſten Belonderheit fih auszubilden, das Gewöhnliche, zur Hand
Liegende abzumeijen, ein jedes Werk bis in das Kleinfte und Einzelnſte
bin auszugeftalten.. Händel arbeitet mehr aus dem Bollen und Ganzen,
richtet feine Blicke überwiegend auf die Gefammtwirfung. Das eigens
tbümliche Verhalten aller Derer, welde an den Werfen Beider Antheil
nehmen, liegt zum Theil hierin begründet. Der Verehrer Bach's rüblt
fi zu immer neuem Forſchen angeregt, in einen Kreis nie endender
Thätigkeit hineingezogen, alle feine Kräfte find in Unfpruch genommen,
immer Tieferes glaubt er zu entdeden, und fo geicicht es leiht, daß
einem Solchen das Einfache und Populäre feiht und geringhaltig ers
ſcheint, weil es faßlih ihm entgegentritt, weil er das Verſtaͤndniß nicht
zu erringen braudt, daß ein Solcher demnach in ein durdaus ſchiefes
Berbältniß der geſammten Kunft gegenüber geräth. Händel findet feine
Berebrer unter Denen, welche die mächtigfte Wirkung fogleih von dem
erftien Eindrud verlangen, welche nicht von dem Ginzeluen zum Ganzen
hinauf, fondern von dem Ganzen zum Einzelnen herabfleigen wollen.
Auch die Stellung beider Meifter bei ihren Lebzeiten fheint eine dem
entiprechende gemwefen zu fein. Bach war überwiegend doch wohl nur
als DOrgelipieler bewundert; feine großen Oefangswerfe haben jedenfalls
nur eine geringe Verbreitung und Anerfennung, außer bei dem kleinen
Kreije der Eingeweihten, gefunden; dem Bolfe if er fletd fremd geblies
ben. Händel fand ſchon in früheren Jahren der Geſammtheit des
Geſang. 53%
Bublicums gegenüber, und als er fpäter wit feinen Oratorien einmal
Durchgedrungen war, wurde er mebr und mehr der Gegenſtand der Vers
ebrung des geſaumten Englands. —
„Beide Männer find Meifter ihrer Kunſt, Beide in eminenter Weile.
Beiden aber‘ ift die gewaltige Kunft nie Zwed, flets nur Mittel zum
Zweck. Sie find fo weit entfernt, damit zu prunfen, daß fie allein,
wo es die Nothwendigkeit der Sache erfordert, damit bervortreten, und
es find Mibverfländniffe einer fpäteren Zeit, einer Zeit, welche diefen
Geiſt nicht zu faffen vermochte, wenn insbeiondere Bad als Mann der
Kunſtgelehrſamkeit, als trodner Contrapunktiſt, betrachtet wurde. Bad
befigt Alles. In der Gewohnheit dieſes Befiges ergreift er überall nur
das Gehörige und Nöthige. Jene Kunft war der notbwendige und ents
fprechende Ausdrud für den Geiſt jener Zeit, und es iſt deshalb eine
ganz unfatthafte Thätigfeit der Abfraction, Form und Inhalt trennen
zu wollen. —
20. „Der melodifhe Kirchenſtyl“ wurde in einem Auf
faße von Dr. Laurencin — Neue Zeitfhrift für Mufit,
10. Octbr. — fowie auch in einem, von demfelben Berf. berrübrenden
Artikel in 2. A. Zellner’s Blättern für Muſik, Theater und
Kunf in treffender und geiftvoller Weiſe befprocen. . „Dieſe neue,
etwa feit Spohr herausgebüldete Art beruht auf der Voüherrichaft eines
in allen Stimmen bewegungsreihen Geſanges. ... Jede Stimme wird,
ohne Rüdiiht auf deren bauptfächliche Geltung oder nur untergeordnete
Etelle, zum Träger einer völlig ſelbſtſtändigen Offenbarung des melodi⸗
fhen Inhalts gefchwungen. Es waltet in dieſer Art Kirhenmufil ein
freithätiges Singen aller Stimmen, ohne Bedacht auf den Umſtand, ob
fie zu oberfi, mitten oder unten liegen... . Dan erfennt das Bollges
wicht des Spruchrechtes diefer jelbfiredend eingeführten muſikaliſchen Or⸗
gane.... Dun verwechfele aber diefe neuerftandene Art der Polyphonie ja
nicht mit jener Bach's und Mendelfohn’s Hier if, trotz feinſter
Detailarbeit, doc immer eine große machtvolle Tonidee der Kern, das
porwiegende mufifalifhe Princip. Dort aber geht der volle, weltbedeu-
tende Gedanke meift auf, oder befier geſagt — unter in einer Fülle
von Rebenthbemen. Der Hauptgeſang wird auf dem Felde jenes foges
nannten melodiſchen Kirchenfiyls durch eine Maffe von Melismen auf
gehoben, gleihfam verneint. Die große religiöfe Charakteriſtik gebt auf
diejem neu entdedten Felde in eine Menge einzelner, charakteriftiider
Momente auseinander. Der Zotaleindrud ſolch' geiftreicher Moſaik if,
je finniger und meifterhafter ſolch' feine Arbeit fich offenbart — eben
wicder ein mixtum compositum reizpoller muſikaliſcher Anregungen;
entjchiedenfted Wohlgefalen an Allem, was da geboten wird; endlich eine
von erſter bis zu legter Note wach erhaltene, ja fogar immer gefeigerte
Spannung des äußeren und inneren Menſchen. Doch mit der Erbauung,
dem eigentlihen Zwecke der Kirchenmufit, bat es feine guten Wege.” —
Ueber Haydn und Mozart wird unter Underem Folgendes gefagt:
„Haydn und Mozart, wie ihre begabten Anbänger, als deren Haupt
Weigl in feiner wahrhaft blüthenüppigen Kirchenmuſik anzuſehen fein
536 Belang:
dürfte, bewegen fih auf geiffihem Zonboden auch in entſchiedenſter
Metodienipbäre. Uber ihr Melos hat faft allezeit den Charakter volls
ftindigfter Durdfichtigkeit. Meift fchwebt er, gleich einem Seraph, zus
ober, oder er wird in den Baß gelegt. Die mittleren Stimmen vers
halten fib in ihren Kirchenwerken meift nur begleitend oder ausfüllend,
fpielen alfo mit feltenen Ausnahmen ...... meift eine hoͤchſt gleichgültige
Nolle, fo daB es ein Leichtes wäre, fehr viele kirchliche Scöpfungen
Haydn's, Mozart’s und feiner Schule aus der nur ſcheinbar poly
phonen Gefalt in eine weientlih bomophone, oder hoͤchſtens zweiſtim⸗
mige umzufeßen..... Weiterhin wird einer dem melodifchen Kirchen⸗
fiyle verwandten Art gedacht, melde fih aber, unmittelbar aus dem
HaydnsMozartiemus hervorgegangen, leider als unheilvolles Extrem, ale
gefährliche Irrfahrt ..... ergeben hat. Es if dies jene Aus» und
Mißgeburt der Zlachheit, Die nach nichts Anderem, dern nach allgemeinfter
Wohlgefaͤlligkeit firebt. Diefe Allermeltsmufit jagt lediglich nah Me⸗
Todie, thürmt ein Inftrumentals oder Befangfolo auf das andere, ganz
unbefümmert um deſſen edfe oder gewöhnliche Klangfarbe, und nod
minder bedacht auf das bier fo äußerſt hochwichtige Element charakteriſti⸗
[her Wahrheit. Der Umfhwung diefer Abart von Kirchenmuſik ift von
unberehenbar. [hädlihen Folgen und hat durch die leidige fophiftifche
Berufung feiner Borfechter auf das Vorbild Haydn's und Mozart’s
einen ganz erbärmlichen Dedmantel der Geiftesträgheit,, Gedankenlofig⸗
feit und Bildungsleerheit um den Altar oberpriefterlicher Tonkunſt ges
breitet... . Wer Ohren bat zu hören, der höre! —
21. Reform. „Zu durchgreifender Reformation in der Kirchen,
mufif find derzeit drei Dinge erforderlih: 1) Anerkennung und Wiebers
einführung des Palekrina’ichen Grundfapes: „Zum Preife des Aller
hoöchſten ift die menfchliche Stimme das einzig würdige Organ.” 2) Ges
naue Kenntniß der drei mufifalifchen Hauptideen (Harmonie, Rhythmus,
Melodie) und ausreichende technifhe Befähigung, um Selbſt in jeder
Idee Tüchtiges feiften zu Fönnen. 3) Angeborne, gefühlte Religioſität.“
$ 3. A. Keppnera.a O.
22. Ausführung der Kirchenmuſik. Die Monatfhrift
für Theater und Mufit (Wien, Wallishaufer) enthält einen Auffatz
„über Kirhentempi und über den auf unferen Chören üb
Iihen Bortrag geiftliher Tonwerke,“ worin vor Ueberſtürzung
der Zeitmaaße bei kirchlichen Aufführungen und vor mechaniſchem, geifts
und feelenlofen Abfingen und SHerunterfpielen religiöfer Tonwerke ges
warnt wird.... „Das auf Pirdlihem Boden mürdegemäß allein zus
läffige Allegro iſt auf gleihe Stufe mit unferm weltlichen Andante, dieſes
mit unferm Adagio u. f. w. zu ſetzen. Selbſt Haydn’s und Mozart’s
Kirhenmufit verträgt fein übermäßiges Eilen und Dabhinfluthen ibrer
Klänge; denn felbft in ihr tönt, trog aller Uebergriffe, zumeilen die hehre
Antike mit ihrem Ernfle und Tieffinne, mit ihrer geiftesmahren Andacht
und ihrer eben fo gläubigen, überzeugungsvollen Gottbeſchaulichkeit, und
ihr weltlicher Beigefchmad ift nur ein Firniß, nur eine Lockſpeiſe für
bie verarımte BWelt..... Und tönt gar ein Palefrina oder ein
Gefang. “ ‚587
anderer ewig junger Alter auf Die betende Menge hernieder, vergeffe
man ja nicht, feine Schöpfung im firengfien religiöfen Pathos würdig,
getragen, bedaͤchtig . .. mit einem Worte fo barzuftellen, daß der Hörer
ein bei aller fubjectiven Lebensfarbe dennoch welentlih objectives Ton⸗
bild in fih aufzunehmen vermöge..... Für die froflige, feelenlofe, bios
dem äußeren Notenwertbe Rechnung tragende Ausführung der kirchlichen
Merle führt man oft den wefentlih in ſich verfenkten, allem äußern
Glanze fremd gegenüber ftehenden Charakter der religiöfen Muſik an... ..
Aber ift denn Dbjectivität mit Seelenloflgfeit und flarrer Mechanik Eines
und Daffelbe?..... Hat nicht eben die fogenannte alte Schule die
Berföhnung des firengfien Ernſtes mit der finnigften Lieblichfeit und
zarteften Gefühlsinnigkeit in jeder Art erſtrebt? ... Strömt nicht aus
dem durchdachteſten Kanon Baleftrina’s, aus der verwidiungsreichfien
Zuge Bach's das fchönfte Gemüth, die andachterglühteſte Seele, die
reinfte Zonfprade der Berflärung, welche fi nur denken läßt? Und
it es nicht Pfliht der Darftellenden, dieſe innige Eintracht den Hörern
in lebendigfter Bedeutung zu vergegenwärtigen?” —
23. Bermeidung zu ſchwerer TZonmwerfe „Leider fommt
ed immer noch vor, daß Dirigenten, welche To glücklich find, einen Ges
fangverein- für gemifchten Chor in Meinern Städten zu leiten, große
Gefangftüde, wie Oratorien, zur Einübung wählen. Die Refultate eines
foihen Treibens Reben fat ohne Ausnahme mit der monatelangen Uebung
und Anſtrengung in feinem Verhältniß. Kommt die öffentlihe Auffüh⸗
rung endlich zu Stande, fo fieht und hört man allenthalben nur Mühe,
Anftrengung und Arbeit, eine ſchwungvolle, künſtleriſche Erfcheinung, die
freilich eine volle Beherrfhung des Kunftwerfs vorausjegt, tritt dem
Hörer nicht entgegen. Tragikomiſch find gewöhnlich die Soli, hefonders
die Necitative. Die Freude an dem Kunftwerke ift dem Dirigenten und
dem Cbor unter qualvollen Uebungen längit verloren gegangen, und als
gluͤcklichſtes Refultat Felt fih bin: es ifk bei der Hauptaufführung nicht
umgeworfen worden. Wenn ſich aber Gefangvereine mit ſchwachen Kräfs
ten, wie fie doch meiftbin in Bleineren Städten und auf dem Lunde find,
auf Fleinere, wenig Umfang babende Piecen beſchränken, fo if eine ge
diegene Aufführung gefichert und die Liebe am Singen dur ein bal⸗
diges Gelingen gefördert.” R. Lange im Brandenb. Schulblatt.
IV. Liturgifches (im engern Sınne).
24. Riturgifhe Gottesdienfle. Die von D. Lenz, Su⸗
perintendent in Wangerin, herausgegebenen „Liturgifben Bespern,”
Etettin b. Weiß, wollen der fubjectiven Willfür bei den liturg.
Abendgottesdienften fleuern und dieſe zu ihrer rechten Haltung bringen,
„daB fie nämlich nicht fentimale Kunſtgenüſſe fein, nichts Neues und Pi⸗
fante® geben, fondern nur die alten reichen liturgiihen Schäge und
Klernodien der reforınatoriichen Gottesdienftordnungen, fowie den priefters
lihen Altargefang und den rbythmiihen Gemeindegefang wieder an's
Licht fördern und in Webung bringen ſollen.“
538 Geſang. |
Mector Neintbaler fuhr fort, Die Sache der Titurgifchen Gottes⸗
dienſte, als eines gemeinfamen Bibel⸗ und Riederlebens in Kirche, Schule
und Haus, durch neue Ausgaben feiner dahin einfchlagenden Zuſammen⸗
ftellungen von Wort, Ton und Bild zu fördern. Zur dritten Auégabe
der „heiligen Baffion’ fagt er u.%.: „Was für ein Segen könnte
durch fo eine eier der heiligen Paſſion gewirfet und noch mehr anges
teget werden, wenn die Kirche auf Die Weiſe fortführe, auch die boben
Feſte und alle Heilstbaten unfers Herrn von Eonntag zu Sonntag
liturgifch zu feiern, und von Jahr zu Jahr in derfelben Ordnung zu
wiederhofen, in welcher fie für uns geſchehen find und in uns forts
wirfen follen; wenn die Kirche ihre Kinder auf die Weile gemöhnte,
mit jedem Abſchnitte der heiligen Echrift einen Kernvers ihres Lieder:
fchaßes fo zu verbinden, als fei fein Wort und Ton aus dem Kerzen
fhon der damaligen Perſonen wie der gegenwärtigen Eänger entquollen,
und alfo nicht blos zubörend, fondern aud mithandelnd aufs
und anzunehmen, was für Alle getban if und in Jedem
erfüllt werden foll. Das wäre wieder ein neutefaments
liher Gottesdienſt nah apoſtoliſcher Vorſchrift“ u. f. w.
„Auf Grund der reichen, neu wieder aufgetbanen Hülfsmittel“ if
der mufltalifhe Theil von Schultze's „Vesperglocke“ gearbeitet,
während, wie das Belf&blatt fagt, die kernhafte Einleitung beſonders
den liturgifch noch nicht tiefer Gingeweihten als guter Anfang dienen wird.
25. „Die Refponlorien werden vom Chor nur als leiter
nothmendigem Eurrogat der eigentlih antworten follenden Gemeinde ges
fungen. Alle Berfuhe, dem Chor eine feibfiffändige Bedeutung und
Function als Drittem zwiſchen Liturgen und Gemeinde beizulegen, ſchei⸗
tern an einfacher Feſthaltung des Grundprincips für evangeliichen Gottes»
dient. Alles zu fünitleriiche Auftreten des Chores ift wenigflens für
die regelmäßigen Sonntage vom Uebel, weil ſtets im Auge behalten
werden muß ale Ziel, daß die Gemeinde miteinzuftimmen lerne und fich
gewöhne. Dr. Stier, „Gutachten“ x.
In demfelben Sinne Abeken: „Als weientlih muß die Eins
fimmung, die Thätigkeit der Gemeinde in irgend einer Form
erachtet werden.... Der Chor kann immer nur zu der Gemeinde oder
zu den Geiſtlichen hinzukommen, er Bann die eine oder die anderen
unterfüßen, aber er darf fie nie vertreten oder erfeßen, wie er es in
der katholiſchen Kirche thut.“
Auch Potel verlangt a a. D. daß die Gemeinde wieder zur Mit»
thätigfeit erwedt werde. „Dan wird in einem liturg. Gottesdienfle nie
Schläfer finden, wie bei einer fo und fo vieltheiligen Predigt.“
Eltefter hält es für gut, an einzelnen Stellen flatt der Refponfe
oder neben denſelben Choralgeſang zuzulaſſen. Er glaubt bemerkt zu
haben, „daß befonders Landgemeinden lieber und zu allfeitig größerer Er⸗
bauung mit einem Choralverfe, ald mit den üblichen Singſtücken reſpondiren.“
Desgleichen äußerte man fih in der legten Gnadauer Berjammiung
niehrfeitig dafür, daß die Gemeinde die Liturgie mitfinge, „nicht bios da»
fiehe und zuhoͤre.“
Befang. 639
Schließlich weile ih auf einen Auffah im Brandenburger
Scäulblatte: „Für Geſangſtunden in der Volksſchule“ hin.
Dort heißt es u. A.; „Man wird anzunehmen haben, daß der Sängers
chor in der Liturgie lediglih Die Gemeinde zu vertreten habe, die
von vorn herein noch ‚unfähig zu fein fchien, in der Liturgie ihre Stelle
zu verfehen. If aber dieſe Auffaffung die richtige, fo wird auf das
ganze Verhältniß zmwiihen Chor und Gemeinde das Wort anzuwenden
fein: „Er muß wadfen, ih aber muß abnehmen.” Die Gemeinde muß
hineinwachſen in die Gefangfähigfeit auch für die Titurgifchen Reſpon⸗
forien, und in dem Maaße, als fie hineinwähkt, muß der Chor zurüds
treten, um refp. nur nocd die den Geſang leitende und fihernde Bunction
zu übernehmen‘ u. f. w.
26. Der Altargefang des Geiflihen. Dr. Stier führt
a. a. D.: aus Ebrard“s Praftifcher Theologie, folgende Etelle an:
„Ein Sologefang des Pfarrers ift eben fo widerlich als das Im⸗Chore⸗
Sprechen der Gemeinde ftörend if. Die Rede im Munde des Predigers,
der Geſang im Munde der Gemeinde, das find überhaupt Die zwei
Grundformen des Cultus.“ Dr. Stier ſelbſt feßt dann hinzu: „Ent
weder ganz würdig und erbaulid muß der Geiftliche fingen, was eben
Wenigen gegeben iſt und fogar Ddiefe meift in fpäteren Jahren verläßt,
oder lieber gar nit, damit er nicht durch den gegebenen Anftoß den
Sottesdienft verunziere und die Würde feiner gottesdicnfllihen Perſon
berunterfege. Letzteres geichieht aber nicht bloß etwa durch ſchlechten,
fondern andrerfeits faft noch ſchlimmer durch ſchönen, mit bier leicht fich
einfchleichender Eitelfeit producirten Sologeſang.“
Eltefter „tann..... nichts Dagegen haben, daß — wo es von den
firhlihen Organen gewänfht wird — bei Intonationen und Colleeten
Altargefang des Liturgen ſtattfinde.“ — „Ich liebe es nicht: aber ich
lefe und habe auch ſenſt gehört, daß eigentlich ‚die Gemeinden nur da
fingend folen reipondiren fünnen — jept thun fie es zwar auch ders
ohne — wo ihnen Gejang entgegenfonmt. So mag 6 fein ; doch
frage man ja recht genau Prediger und Gemeinde.“
V. Der Choralgefang.
27. Seine Bedeutung „Den Austrug ihrer Selbſtthaͤtig⸗
feit, fowohl Vorbereitung zum Hören, als Berfiegelung des Gehörthabens,
befigt die Gemeinde feit der Reformation zu allernähf in dem Choral⸗
gejange, welcher von Anfang fih fo bewährt, und gang naturgemäß im
Fortgang auch die „deutſche Meſſe““ überwogen hat, mithin von Rechts⸗
wegen eine fo hochmwictige Stelle behauptet, daß zwar Ueberfülle tanzen
Gemeindegeſangs, wo fie jeßt etwa noch (mie vielleicht in Wittenberg) vor⸗
kaͤme, beſchränkt, jedoch dus gebührende Maaß, bei weichem der Einzelne
fh in ganze Lieder ordentlich hineinfingen fann, durchaus nicht ver
fürzt werden folte.‘ Dr. Stier.
„Das aber ift jedenfalls feftzubalten, daß auch der Choralgefang
der Gemeinde eine wirkliche Theilnahme derfelben an dem gotteadienklis
hen Acte enthalte, und nur unter diefem Geſichtspunkte aufzufaflen fei,
540 Geſang.
nicht unter dem einer Abtheilung zwiſchen den einzelnen Acten, oder
einer Ausfüllung der Pauſen, während deren die Gemeinde es ſich in
der Kirche bequem macht. Der Geſang iſt die eigentliche höchſte Tbä⸗
tigkeit der Gemeinde und ſoll nicht als Ruhepunkt, ſondern als die
Spitze des Gottesdienſtes, als der Ausdruck des erköhten Gefübls ers
ſcheinen. Das Singen iſt etwas Höheres als das Sprechen, geſchweige
denn als das Denken oder das erbauliche Empfinden; der Menſch fingt
nicht, wenn er in gedrückter, ſondern wenn er in erhobener Stimmung
iſt, namentlich in Gemeinſchaft; der Geſang iſt eine Form, und für
die Gemeinſchaft die hoͤchſte Form des Gebetes, er iſt recht
eigentlich das Gebet der Gemeinde.“ Abeken.
28. Der rhytomiſche Choral. Die betreffenden Eroͤrterun⸗
gen find zum Abſchluſſe auch in dem vergangenen Jahre noch nicht ges
diehen; eine Einigung zwifcben den Freunden und Gegnern der fraglis
chen Ehoralform hat nicht flattgefunden; die Vermittelungöverſuche find
fruchtlos gemefen, Angriff und Bertheidigung fortgefept worden.
Für den rhythmiſchen Choral haben u. U. gefprochen oder thatſächtich
Zeugniß abgelegt: 1. Ein Ungenannter in einem Aufjage der Sächſiſchen
Schulzeitung. — „Weber den rbytbmifhen Choralgefang.”
2. Rector Reinthaler in dem Begleitwort zur 3. Ausg. der „Hei
tigen Baffion.” 3. Euperint. Arndt zu Walternienburg bei den
Berbandlungen der Gnad. Berfammlung. Reben ihm 4. mebrere andere
Mitglieder der Berfammlung. 5. Johann Meier in dem Borworte
zu feinen „150 evangel. Kernliedern,” 6. 3.Heinrih Lützel
in feinen „dreißig Choralgefängen der evangel. Kirche in
ihrer urfprünglidhen Form.’ 7. C. H. Hohmann in dem Vor⸗
worte zu feinen „72 Chorälen für den A.flimmigen Männerge
fang. 8. DO. Lenz inden „Liturg. Vespern.“ Etettin, Weiß, 1855.
Sehr wichtig erfcheint endlih 9. als offlcielle Kundgebung die von
dem K. Rayriſchen Broteft. Oberconfiftorium erlaffene „Inſtruction
zum Gebraude des neuen Choralbuhs für die evange-
lifhelutberifhe Kirche in Bayern.‘
Mr. 1. fußt Hauptfählih auf Dr. Kraußoldt's „Muſikaliſchem
Handbuche für den Kirhens und Choralgefang,'‘ Erlangen,
1855 , und fordert angelegentlih zum Studium dieſes Werkes ſelbſt
auf. Der Verf. fagt im wmefentlihen Folgendes: Es kommt darauf an,
daß den Chorälen insgefammt ihre urfprüngliche Gefalt und Form, nas
mentlih der ihnen eigenthümliche Rhythmus, der durh Hiller und
andere Choralbuchſchreiber vermwifcht worden iſt, zurüdgegeben werde, d. 5.
daß fie wieder fo gefungen werden, wie fie componirt und in den erften
beiden Jahrhunderten der Reformation gefungen worden find. Die alten
Choräle bieten DMannigfaltigfeit und Originalität des Rhythmus dar,
und wenn Die (oft angefochtenen) Melodieen mit rhythmiſchem Wechfel (zwei⸗
theiliges und dreitbeiliges Maaß in derjelben Melodie, wie 3. B. bei
„Befiebl du deine Wege‘) mehr der zmeiten als der erften Hälfte der
Dlüthezeit des proteft. Choral angehören, fo bemeift dies, daß mir bier
eine wirkliche rhythmiſche Bortbildung und Ausgeflaltung vor uns haben,
Geſang. 541
nicht etwa ſchwankende und wankende unreife rhythmiſche Kormen einer noch
in halb rohem, oder nur theilweife cultivirtem Zuflande ſich befindenden
Tonkunſt. — Der Verfall des Chorals hat zur nächſten Urfache den Pietis⸗
mus. Das Kirchenlied nahm durch letzteren einen füßlichen Liebeston
mif hüpfenden Rhythmen an; dem trat die Orthodogie entgegen: um die
neuen, üppigen Singweifen zu befeitigen, legt man Dand an die alten,
herrlichen Choräle, und auch bald war Alles befeitigt, was in feiner
rhythmiſchen Form an die pietiftifche Form anſtreifte. Die fpätere Zeit
konnte in ihrer rationaliſtiſchen Nüchternheit eine Regeneration nicht volls
ziehen, zumal da die Kenntniß und das Berftändnig der Borzeit ihr
abgıng. Anders die Gegenwart. „Die Nothwendigkeit einer Wiederges
burt des Kirchenfiedes.... ift eine fo allgemein erkannte Thatſache, daß
eben damit auch die Regeneration des Chorals nothwendig ihrer Ausfüh⸗
rung entgegen gehen muß, und ihre Bollenduhg nicht mehr Tange auf
fih ‚warten laſſen kann.” Der jepige Kirchengefang, fo beißt es dann
weiter, iſt herzlich ſchlecht. Ihm kann nicht anders aufgehoffen werden
als durch Wiederherftelung des rhythmiſchen Chorals, wie er ohne Zwei⸗
fel früher mwirflih gefungen ward. Möglich iſt dieſelbe. Vieles if
fon angeregt und ausgeführt, tbeils amtlich, tbeils in anderer Weile.
Der Einwurf, daß der rkythmifche Choral etwas Weltliches, beim dreitheilis
gen Tact fogar Tanzartiges habe, berubt auf dem Irrthum, daß rhythmiſch
fingen, ſchnell fingen heiße. In dem rhythmiſchen Wechfel mundyer
Choräle liegt nichts, was gegen ihre Einführung ſpräche. — Durum
friſch an's Wert! doh werde mit Vorſicht, Umfiht, Nachſicht
verfahren. Bor Allem ftudire man felbft erſt gründlich den rhythmiſchen
Choral, ehe man ihn in Angriff nimmt; und dann nichts überflürzen,
wohl aber die Gemeinde belehren, leiten, unterflüßen, durch Die
Schule wirfen u. f.w. Der Sieg wird am Ende nicht fehlen.
„Der Rath und das Werfift aus Gott: Keiner von uns wird es darum auch
dämpfen können, dämpfen wollen.” Im Anbange weift der Verf. dann
noch auf einen in der Allgem. D. Xehrerzeitung enthaltenen Pes
richt aus der Neuftädter (a. d. Orla) pädag. Geiellihaft bin, wonad in
vielen Gemeinden dortiger Gegend die rhythmiſchen Melodieen eingebürgert
find.
Rector Reinthaler bezeichnet Diejenigen, „welche gegen die Re⸗
formation des Kirchengefanges noch eingenommen find,’ als Solche,
„die nicht mit David und Luther wieder fingen und fpringen wollen,
fondern behaglich fortichleichen hinter Gregor ber und in dem romiſchen
Chorafe mehr Befriedigung zu haben vermeinen.“
Bon der Gnad. VBerjammlung erzählt das Volksblatt: „Beim traus
lihen Zufammenfigen des Abends aber flimmten unfer Etliche noch ein»
mal zum thätlihen Argumente die fihönen rhythmiſchen Gefänge an,
und gleihfam wie in einer Liturgie ward allemal abwechſelnd von den
Zuhörern, die fih darum gefammelt hatten, das Thema „rhythmiſch oder
nichtrhythmiſch“ befprehen, das Für und Wider vorgebradht, aber
mit einem neuen Schwunge einer einfallenden prächtigen Melodie wur⸗
den ihre Bedenken überfungen”... C. 9. Hohmann fagt u. A.:
543 Gefang.
„Mancher Kampf wurde gelämpft ob diefes alten, Togenannten rhyihmi⸗
ſchen Ghorals, und noch ift der Streit nicht ganz beendigt. Doch läu«
tern fih die Anfihten. Dan gibt auf der einen Seite zu, daß auch
der feitherige Choral rhythmiſch fei,.... anderjeits lernt man einfeben,
dag — in fo hohem Grad aud die bisherige Zorm geeignet ſcheint,
ernften und erhabenen Gefühlen einen entiprechenden Ausdrud zu geben,
fie doch nicht berufen fein koͤnne, die Alleinberrfhaft in der Kirche zu
beſitzen“ u. ſ. w.
In der unter Nr. 9 erwähnten „Inſtruction“ ze. wird u. U. ges
fagt, daß der Rhythmus die Auffaffung einer Melodie nit erſchwert,
wie fälichlich behauptet wird, fondern erleichtert. Bon der allgemei«
nen Ginführung des rhythm. Chorale dürfe, fo beißt es dann ebenfalls,
„die feit Jahren gewünjchte allfeitige Hebung und Neubelebung des kirch⸗
lichen Gemeindegejanges mit Recht erwartet werden.‘
29. Bortiegung Abweiſend und mehr oder weniger vers
werfend äußern fih über den rhythmifchen Choral u. U: 1. F. ©. in
der Saͤchſ. Schulzeitung. 2. Ein Ungenannter ebend. 3. H. in
B. ebend. 4. Emil Poſtel in feine Borfhule der muſikali—
fhen Compofition. — Nicht eigentlih gegneriih, fondern mehr
nur zur Wahrung des Rechtes der heutigen Choralform fprehen fi aus:
5. Ein Aufiag „Ueber die Pflege des geiftlihen Liedes‘ im
Medienburger Schulblatte 6. Der Aufjaß „Für Geſang⸗
tunden in der Bollsfhule” im Brandenburger Schul⸗
biatte. 7. Ein Mufikderiht in der Voſſiſchen Zeitung. 8. Louis
Kindſcher bei Gelegenheit einer Necenfion in der Neuen Berliner
Muſikzeitung.
Nr. 1 u. 3 legen ihre Anſicht in einer Weiſe dar, welche mitunter
hart an die lebte Grenze Des Angemeſſenen freift. Namentlich geſchieht
dies von Ar. 3, 3. B. in Folgendem: „Jeder, der diefe Melodie („Be⸗
fiehl du deine Wege’ mit wecjelndem Rhythmus) abfcreibt, um fie
anzuwenden (außer als corpus delicti), entehrt feine Feder; jeder Or⸗
ganift, der dieſe Muftermelodie in diefem maflacrirten Zuftande im Haufe
des Herren ertönen länt, ift werth, daß ihn Schmach treffe, und muß wes
niger Geift haben als der Junge, der feine Heerde in beffern Rhythmen
mit der Beitfche zufammenfnallt. Wehe dem heiligen Haufe, wo Einer
amtirt, der ſolche Berunglimpfung gut heißt; — „‚deine Heiligen haben
fie zertreten.”'
Ich gebe nun das von Nr. 1 —3 gegen den rhythmifchen Choral und
feine Vertreter Beigebradhte in nachſtehender Zujammenftellung.- 1. Es
giebt „eine Partei,“ die den rhythmiſchen Choral darum will, weil er
alt iſt, unbefümmert darum, ob er gut if. „In der Kirhe muß Als
les Rarr fein; aus ihr muß aller Kortichritt entfernt bleiben, fo verlans
gen es gerade Diejenigen, die für den rhythmifchen Choral ſchwärmen... Es
verachtet die Partei planmäßig die Fortſchritte der Künfte; ihr ift Das
herrliche Lapidar unſers Chorals nicht finntih genug... Was der beis
lige Geiſt jeit 300 Jahren gefchaften bat, ift Alles eitel u. f. w. 2.
Der heutige Choral iR nicht verkümmelt, if fein Zerrbild, if nicht
Belang. 243
unerbaulih u. f. w. Der Charakter des Chorals liegt in den gleich
langen Tacttheilen (menige Ausnahmen abgerechnet). So if er durch
die deutihe Zonkunft feigeftellt, fo haben ibn Bach, Graun, Rolie,
Homilius, Doled, Schneider, Mendelsfohn u. U. anerkannt
und in ihre Mufitwerfe aufgenommen. Alle, die äfthetifche Bildung mit
religibiem Sinne vereinigen, ehren ihn hoch. „So lange nicht wirkliche
Künſtler (kleine Leute haben fein Recht zu reden) auf die Vernichtung
feiner edlen plaftifchen Form dringen, haben Ale ein Recht, mißtrauifch
zu fein gegen die Gelehrten oder Alterthümler und ihre Nachtreter, die
auf Grund des Alters eine Umgefaltung beantragen.” 3. Es ift zweis
felhaft, ob die rhythmiſchen Choräle jo Frick, wie wir fie gedrudt feben,
jemals find vom Volke gefungen worden. 4. Die alten Rhythmen And
großentheits ihrem Charakter nach nichtig, unwürdig, ſinnlich, leichtfer⸗
tig, — ihrem Bau nach unordentlich, (rhythmiſcher Wechſel) Tiederlich,
verzerrte Gebilde. „Der dem lichten Leben abgeforbene,’’ fo jagt 9. in
DB. in Bezug auf den Rhythmus von: Seelen» Bräutigam ac. — „ſei
es durch Folianten oder Meppigfeit; der Kalte, den nie Kun und Schön»
heit erwärmte, dem Satzung das Höchfle, Flug der Seele, Schwingen
einer heiligen Phantaſie Leichtfertigfeiten find, der fühlt allerdings einen
folhen Rhythmus mehr als den jebigen.... Solche werden von der
Sinnlichkeit gefigelt, und in Unkenntniß der Seelendürre halten fie Dies
fee für beitiges Durchſtrömen“ u. |. w. 5. Die Gemeinden find nicht
mufifalifch gebildet genug- für den rbythmifchen Choral. Wo der alte Rhyth⸗
mus befohlen ift, gibt es gewaltſame Störungen der Andacht. „Lächers
lih if es, und glauben zu machen, eine zahlreiche Gemeinde koͤnne in
diefen Birrwarr von Rhythmen (bei Mel. mit rhythmiſchen Wechfel) hinein
gebracht werden, denn das natürliche Gefühl wird ſich dagegen ſtemmen.
Dder will man jede Syibe mit einer großen Trommel angeben laſſen?“
u. ſ. w. 6. Die Frage vom rhythmiſchen Choral hängt mit dem Glaubens»
leben nit zufammen. Man rühmt fo oft den Geſang und den Glau⸗
ben der Herenhutifchen Gemeinden. Diefe fingen aber nicht in dem
uralten, fondern in dem jeßigen NRhytbmus.... „Zur Belebung des
Glaubens gehört etwas mehr ald Nhytbnus’ u. f. w.
Emil Bofel fagt: „Jedenfalls if nit der Berfal des Glaus
bens Die Urfache des Untergangs der alten Rhythmen geweſen, fondern
die Nothiwendigfeit führte zur Bereinfachung der Choralmelodien. Es
ift nicht denkbar, Daß eine zahlreiche... Gemeinde die rhythmiſchen Cho⸗
täle gut ausgeführt habe oder ausführen werde, ganz abgefehben Davon,
dag die alten Rhythmen fa durchgängig nur zu Einem, dem unfprüngs
lichen Liede paſſen und daß auch dabei noch Vieles vorkommt, was uns
ferm Gefühl widerfirebt, 3. B. die Dehnung tonlofer Sylben.“
In Nr. 5. wird der rhythmiſche Choral für „Lurus‘' erklärt. Rr. 6
Reilt in fehr milder Weiſe die Meinung auf, daß man der Volksſchule
wohl den alten (heutigen) Choral nod eine Weile werde laflen müſſen.
„Es wurde in einer Schule die Melodie: Seelenbräutigam x.
rhythmiſch eingeübt. Ich habe wohl gehört, daß die Kinder dieſen auch _
außer der Schule in Garten und Geld fangen. Uber fie fingen glüdlis
⸗
544 Gefang.
her Weile die alten Choräle doch auch in Garten und Feld.’ — Nr. 7.
meint, der rhythmiſche Choral fei muſikaliſch intereffanter, der heutige, wer
gen des gleichmäßigen Fortichreitens in Iangen Tönen, erbaulicher. —
Louis Kindfcher fagt, daß dem gegenwärtig gefungenen Choral feit
mehr als 10 Jahren ven einer orthodogen Partei der Umſturz drohe,
„Die nämli, und zwar fonderbar genug, den fogenannten rhythmiſchen,
bewegten, weltlich-frivolen, der darum gar nicht in die Kirche paßt und
auch da von der Gemeinde unausführbar ift, wieder einführen wollen.’
In einer Anmerkung ſetzt er hinzu: „Ob derjelbe überhaupt für die Ger
"meinde und nidt vielmebr für den geichulten Chor exiſtirt babe, ift noch
eine ſtarke Frage; auch bat er ſich ſchon fehr bald in unfern gegenwärs
tigen fo würdevollen und ächt kirchlichen Volksgeſang verklärt.“
30. Fortſetzung. In eigentbümlicher Weile, bier vermittelnd,
dort rechts und links polcmifirend, äußert ih AU. G. Ritter in feiner
Abhandlung: „Rhythmiſcher Choralgefang und DO rgelfpiel.”
Sein Botum verdient nicht nur als das neufte, fondern vorzüglich darum,
weil es von einem der erſten DOrganiften der Septzeit herrübrt und weil
es nicht in einer Wiederholung hundertmal vorgebradhter Dinge beftebt,
befondere Beadhtung. „Dem Princip nah mar der evangeliiche Ge⸗
meindegefang zu feiner Zeit ein tacts und rhytbmuslofer, weder im
16. noch im 19. Zahrbundert..... Die Choralmelodieen murden ſtets
rhythmiſch durch das Metrum geregelt, und durch den Zact gemeflen,
freilich zu verfchiedenen Zeiten auch unter verjchiedenen Bedinguns
gen. Die ausfchließlihe Bezeihnung „rhythmiſcher Choralgefang‘
für eine einzelne, belondere Gattung deſſelben, nämlich für jene des mans
nigfaltig rhythmiſch gegliederten, ftellte die heutige, allerdings an vielen
Drten mangelbafte Ausführung mit der ältern Aufzeihnung
des Choralgelanges in Vergleih, ohne den Beweis für die damalige
Uebereinftinnmung zwiſchen Aufzeihnung und Ausführung zu liefern;
fie war in fofern eine unvpaflende, und gab zu einer unrichtigen Auffaſ⸗
fung Anlaß.” So Ritter über die Bezeichnung der fraglichen Sache.
Er unterfcheidet alddann, der Sache felbft näher tretend, dreierlei Mer
lodien: 4. rhythmiſch wechſelnde, 2. nicht rhythmiſch wechſelnde, aber
doch mannigfach rhythmiſch gegliederte, 3. ausgeglichene (beutige Form).
Die Melodıen der erflen Art fammen aus dem 16. Jahrhundert, wo
der Tact fo gut wie keinerlei rhythmiſche Eigenfchaft beſaß, wo er das
einfache Maaß der Zeitdauer war, wo unabhängig von ihm der Goms
ponift das rhythmiſche Verhältniß feiner Melodien geftaltete, indem er
entweder dem Worte allein es überließ, das ihm innewohnende Sylben⸗
gewicht dem muſikaliſchen Zone aufzuprägen, oder indem er zu flärferem
Ausdrud und belebterer Geſtaltung der ſchweren Sylbe eine längere, der
leichten eine fürzere Note gab. Diefe Choräle widerfprechen unſern heu⸗
tigen Sunftgefeßen, weshalb gegen fie fich die meiſten Stimmen erbeben.
„Sollen und dürfen wir die Ergebnifle einer Zeit des Suchens und
Strebens als ein für alle Zeiten Gültiges aufftellen, und zwar ges
rade in derjenigen Beziehung, welche vorzugsweife die Entwidelung bes
traf?’ — Die Ausübung der rhythmiſch wechjelnden Choräle reicht bie
Gefang. 545
gegen die Mitte des 17. Jahrhunderts, von wo ab fie fih allmälig
verlor. — Es folgte dann die zweite Art der Choräle, derjenigen näms
lich, „die neben lebendiger rhythmiſcher Gliederung und Ausgeflaltung
durch längere und kürzere Roten zugleich alle Eigenſchaften des moder⸗
nen accentwirenden Tactes befitzen.“ ... „Ihre Ausführbarkeit findet feitens
der Gemeinden... fein Hinderniß, denn in Allem entſpricht ihre Form
den augenblicklich geltenden Kunſtgeſetzen.“ Es ift indeß auch diefe Form
nad) und nad zurüdgetreten und dagegen der ausgeglichene Choral der
berrichende geworden. Woher das? ‚Kann man in der Befeitigung des
rhythmiſchen Wechfeld nur eine aus der Fortbildung der Kunſt hervors
gegangene Rothwendigkeit erfennen, und liegt in dem Zwieſpalt zwifchen
ibm und der Kunftlehre der Grund, warum eine Wiedereinführung defs
felben in den Gemeinden unthunlich erfcheint: fo war bei der zu Ans
fang des 18. Jahrh. befchloffenen... Ausgleihung ein Geſetz der Kunſt⸗
lehre nicht thaͤtig. Es mögen hierbei die bequemere Ausführbarkeit des
gieihmäßigen Chorals durch eine zahlreiche Gemeinde, der erhebende Eins
drud der langſam dahinfchreitenden einfachen Klänge auf den „Zuhörer
wejentlich mitgewirft haben: vom entfchiedenften Einfluffe war aber die
Drgel, welche feit etwa der Mitte des 17. Jahrh. zur Leitung des
Chorald beffimmt war.’ Nicht aus Schuld der Organiften, wie von
fo Bielen mit großem Unrecht behauptet wird, fam die Uenderung. —
Wie aber wirkte die Orgel? So wie file ihrer Natur nah wirken mußte.
Unabänterlich gleihmäßiges Forttönen ift die hervortretende Eigenthüm⸗
lichkeit des Orgeltones, — die gebundene Spielart mithin die für die
Orgel einzig richtige. Mit diefer Spielart aber, welche den Organiften
dur) die Wefenheit ihres Inftrumentes unabweislich geboten wurde, ift
unvereinbar die Turze, fcharfe, einfchneidende Angabe der Pleinern Tact⸗
theile mannichfach gegliederter Melodien — und fo mußte fid die Aus
gleihung vollziehen. — Diefelbe Wendung wird unter gleichen Umftäns
den ſtets wiederfehren. Die Orgel wird ihre Natur behaupten, fi nicht
dauernd mißhandeln,. fih niemals eine Lüge aufdrängen laflen. „Ein
Drganift, der Jahre lang die gebundene Spielart vermiede, wird endlich
doch der Gewalt des Inftrumentes fi beugen und feine Ausnahmeges
lüſte fallen laſſen müſſen.“ — Mit dem Bisherigen iſt A. &. Ritter’s
Stellung zur Frage vom rhythmiſchen Choral bereits im Wefentlichen
angegeben. Es fei jedoch erlaubt, fie nun aud in der Schärfe zu bes
zeichnen, wie er felbft es am Schluffe feiner Abhandlung in folgenden
Worten getban Hat: „Einen erneuten Auffhwung unferes Gcmeindes
Gefangs, eine entjchiedenere, bewußtvollere Begleitung deffelben durch den
Drganiften Hält der Berfafler für nothwendig. Was in diefer Beziehung
gefchieht, muß aber mit den allgemeinen muflfalifchen Gefegen, die jept
dem Volke geläufig find, im Einklange ſtehen. Diefen entfprechen nicht
die rhythmijch » wechfelnden Choräle, die deshalb eine Umgeftaltung der
einen oder der andern Art erfahren müffen. Sie werden erſt dann blei⸗
bend wieder eingeführt werden fönnen, wenn die Werke eines Mozart
und Beethoven aus unfern Häufern verfchwunden, wenn Bach und Häns
dei von dem flegreich betretenen Wege zurüdgedrängt, wenn die Lieder
Nade, Jahresbericht. X. 35 ‚A
346 5 Geſang.
unſerer Kinder verſtummt find! — Die nicht rhythmiſch⸗wechſelnd ges
ſchriebenen Ehoräle dagegen entfpredhen unferen muſikaliſchen Geſetzen,
ihre Einführung if wünfchenswerth, ihre Einführbarkeit — zweifelhaft,
wenigftend von gewiſſen, ſehr mefentlihen Borbedingungen abhängig.
Hindernd bei einem jeden jchärfer gegliederten rhythmiſchen Gefange ifl
die Orgel; denn er widerfirebt ihrer Natur, daher iſt es eine arge
Täufhung, ſich nach erfolgter Wiedereinführung des rhythmifchen Cho⸗
rals eine fortgefeßte Orgelbegleitung zu denken. Die Orgel kann und
darf nur bei dem allmäligen Uebergange behülflih fein; je früher man
fie dann ſchweigen läßt, um fo förderlicher wird es fein, denn fle wirft,
ſelbſt beim vorfihtigften Gebrauche, öfter verdediend, als leitend, und wird,
ehe man es ahnt, ganz naturgemäß wieder zum ausgeglichenen Ehorale zurüds
führen. Ein wohleingefungener Sängerhor von Knaben darf nicht fehlen, da
die Gemeinde fih den Singſtimmen leichter anfchließen, und diefe letzteren
ſelbſtverſtaͤndlich bei weitem nicht fo leicht dominirend erfcheinen werden, ale
die Klänge der Orgel. Glaubt man aber die Orgel nit entbehren zu
fönnen, worüber ja einige wohlvorbereitete Verfuche einen hinreichenden Aufs
ſchluß geben dürften, fo verfchließe man in feiner Neigung für's Alte, oder in
dem Beftreben, ihm gerecht zu werden, nicht das Auge den Bedingungen, welche
dem Choralgefang die ung überfommene Umgefaltung gaben und geben müfs
fen; man überfehe nicht die verfchiedenen Verfuche, die gleich im erften Jahr⸗
hundert der Kirchenverbefferung zur Herftellung, Reinigung und Leitung
gemacht wurden; man fuche, was nothwendig war, nicht als das Ers
gebniß der Laune darzuftellen, und hüte fi) vor Allem, den Dienft der
Drgel, der in der Kirche unter dem Auge und zur Ehre Gottes empor»
gewachſenen Orgel, indem man fie mit fih ſelbſt in Widerfprud febt,
zu einem innerlih unmwahren zu machen.“ So weit Ritter.
A. W. Gottſchalg, ein Gegner des altrhythmifchen Chorals,
(vergl. den IX. Jahrg. des Zahresber. S. 310) hat fih doch, wie er
in der Allgem. deutſch. Lehrerzeitung mittheilt, durch feinen
jungen ftrebjamen Geiftlichen veranlaßt gefunden, einen Verſuch mit der Eins
führung der fraglichen Weifen zu maden. Er fäuberte fie von ihren „Deh⸗
nungen, melismatifchen Berzerrungen und ärmlichen Harmonien“ und
paßte fie dem jegigen Mufifzuftande an, ohne jedoh den Grundtypus
kirchlichen Gefanged zu verwifchen. In Ddiefer „neuen Geftalt‘‘ brachte
er die Choräle an die Gemeinde, die fie leicht faßte und willig aufnahm *).
So hatte die Angelegenheit ihren guten Fortgang; als jedoch ein
anderer Geiftlicher fam, „der an diefer Singmweife kein Behagen findet,“
mußte man fie wieder fallen laffen, obſchon oft gefragt wurde, warum
nicht mehr rhythmiſch gefungen werde, „da es doch etwas Schönes ge
wefen ſei.“
31. Der heutige Choral. Daß derfelbe in den meiften Kirs
hen tadelnswerth vorgetragen werde, das wird auch von feinen Vertre⸗
tern meiſtens bereitwillig zugeflanden. „Diefer gerechte Tadel trifft euch
r Nur sin Cinziger erklärte diefe Weifen für „Schelmenflüdchen‘ und vers
lieh fofort Die Kirche wenn eine ſolche angeſtimmt wurbe,
Gefang. 347
deshalb,“ fo ſagt H. in B. a. a. O., weil ihr in den ganzen Choral
feinen Rhythmus bringt, indem ihr eine Fermate 3, die andere &, die
dritte 5 Viertel haltet und für die Zwifchenfpiele fein geregelt Maaß
habt. Eine Fermate von A Bierteln und ein Zwifchenfpiel von 5 Biers
teln iR Schon Unordnung, eben fo umgekehrt. Die neue Zeile muß
allemal mit einem erſten oder dritten Biertel beginnen oder, bildet fich
durch beſtimmt gemeflene Fermate und rhythmiſch richtiges Zwifchenfpiel
ein J⸗Takt, — mit einem fünften Viertel. Das müßt ihr auf dem
Papiere üben, um euch Far zu werden.’
8 ©. empfiehlt a. a. O. 10 Punkte: Ein nicht zu langſames
Zempo — Entfernung aller Zwifchennoten, Schnörkel und Schleifen —
Halten auf gute Ausfprahe — Berpönung des Schreiend — gleiche
Dauer ber erfien und zweiten Syibe beim Anfange des Berjes — Auss
Hlingenlaffen der Drgel vor dem Anfange des Geſanges — Bermeidung
des zu ſtarken Orgelipield — kurze Zwiſchenſpiele — zeitmeilige Weg
lafjung der Zwiſchenſpiele — Anerkennung aud der neuern LXieder und
ihrer Weifen, „die nicht minder aus frommen, gläubigen Gemüthern
kamen, als die alten.’
VI. Specififh Katholiſches.
32. Allgemeines. Ueber die geſammte katholiſche Kirchen⸗
muſi! verbreitet ſich der umfaſſende und gediegene Aufſatz: „In
Sachen der Kirchenmuſik an die katholiſchen Vereine
Deutſchlands“ in der Augsb. Poſtzeitung, aus welcher derſelbe in
die Urania überging. „Welches die rechte Kirchenmuſik ſei? Ja, wer
einmal Das fo recht eigentlih fagen könnte! Ich will es verfuchen,
meine Herren.” .... Nach einer unter 1. gegebenen Einleitung, bie
Geſammtentwickelung der kirchl. Tonkunſt betreffend, folgen dann unter
1.— VI. die praktiſchen Ausführungen und VBorjchläge II. Choral
und Lied, angemeffen harmonifizt, haben ihre Berechtigung. Aber nicht
überall fol das Volk fingen. Wir wünſchen der kleinſten Kirche ein
moͤglichſt flarkes, befonderes Gefangperfonal, in deſſen Weifen das Volk
nur bei geeigneten Anläffen einfimmen fol.‘ III. Neben Choral und
Lied, die an den einfachen Sonntagen ac. ihre Stelle finden, fol der
tontrapunktiſche Geſang, der freilich einen wohlgeübten, gut beſetz⸗
ten Saͤngerchor fordert, in Anwendung kommen, und zwar an den höch-
Ren Feſten, „wo die eier der erhabenften Geheimniffe zu heiligem Ernfte
mahnt.‘ IV. Was die Begleitung des Gefanges durch Inftrumente bes
trifft, fo if nur ihr Mißbrauch verwerflih... Alles ift mißbraucht
worden: der Contrapunkt zu ſcholaſtiſcher Grübelei und Bleinlicher Spitz⸗
findigkeit, die Inftrumente zu tollem Lärm und wehmüthigem Geflüfter,
die Sarmonie zu beſtechendem Effect und plölicher Ueberrafhung. Machet
aus demfelben Leder neue Schläuche und gießet alten Zohannisberger,
will fagen „Liebe aus Glauben‘ hinein: Den will ich fehen, der ſolchen
Bein verachtet.“ — V. In Oeſterreich hat der Erzbiſchof das Schwe i⸗
gen der Ruſik unter der Wandlung befohlen. So ſollte 15
.
548 Geſang.
überall gehalten werden. VI. Betrachtungen über Beethoven'ſche Muſik,
mit dem Gegenftande der Abhandlung nur im Schlußfage: „Die Muſik
iR, wie jede Kunft, der Spiegel des Zeitgeiſtes“ zufammenhängend.
VII Die contrapunftifhe Muſik iR wie aus dem Mittelalter herausges
geſchnitten. Sie iſt wirflih ein Stüd Zeitgeift, in einem Stüde der
ganze Geil. Später fam die Herrſchaft der Melodie, wit ihr der
Berfall. Eine Umkehr ift nothwendig. ... „Iſt denn Seiner unter ung,
der Künftler, Dichter und Seher genug wäre, uns die Bahn vorzuzeidhe
nen, die wir wandeln follen fortan?...... Der es Tonnte, ift nicht
mehr; auch bat er uns niemals angehört. Er hieß Mendelsſohn⸗Bar⸗
tholdy.“ VIII. Die heutige Kunft fpiegelt den Geift unferer Zeit ab, den
Geif der Regation..... Wahrheit und Schönheit werden erft wieder
bei. un einkehren, wenn wir einmal den Muth.... haben, die Regation
zu negiren, das Gegentheil, nämlich das Göttliche, Heilige zu poniren,
in uns felbft zu poniren..... Hingabe feiner ſelbſt an Gott if Selbſt⸗
gewinn.... Wer fih zum Gefangenen Gottes macht .... bat fi
als freies Gefhöpf in der Selbfiberrfihaft.... Auch die Kunſt muß
wieder Gott dienen, wenn fie frei und ihrer felb würdig werden will...‘
33. Ballfahrts» und Prozeffionslieder. . „Uebel ſteht
es,“ fo fagt der Deflerr. Schulbote a. a. D., „um die religiöfen
und heiligen Befänge, die bei kirchlichen Prozeffionen und öffentlichen
Wallfahrten follen gefungen werden, wenn die Schule nicht vorforgt.
Es wird unter dem Namen geiftlicher Lieder allerlei Zeug von Leuten,
die damit haufiren gehen, oder an Wallfahrtsorten ſich binlagern, aufges
fauft, und die Melodie dazu durch ein eins oder zweimaliges Borfingen
der Liederfrämer eingelernt. Der nichtsfagende, häufig auch ganz uns
firchliche, dem Ausdrud und Styl der Sprache nad des heiligen Zwedes
völlig unmwürdige, gewaltfam in Verſe gefnebelte rohe Text fann nicht
nur den gebildeten Sänger, welcher ſich böchftens an der Melodie unter-
hält, nicht erbauen, fondern er muß den gebildeten Zuhörer vollends an⸗
efein und im Eifer für die heilige Sache entrüften. Es wäre wirflid
wünſchenswerth, bei Wallfahrten und ähnlichen religiöfen Gelegenheiten
die Gefänge im Allgemeinen ftreng zu beauffihtigen und durdaus nicht
zu geftatten, daß andre Lieder als foldhe, welche in gedrudten und mit
bifhöflicher Approbation verfebenen Geſang⸗ oder Andahtsbüchern ent⸗
balten find, gefungen werden; ja einzelne fogenannte geiſtliche Gefänge
und Ballfahrtslieder, welche größtentheils nur aus Speculation zufammens
gekoppelt und von Hauſirern feil geboten werden, follte man gar nicht
zum Drud zulaffen, oder den Handel damit verbieten‘ u. |. w.
C. Säule und Haus.
1. Die Säule.
a. Allgemeines.
34. „Wir wollen etwas fingen.” „Eo iſt, ald ob mit die
Ten vier Worten bei Schulprüfungen, oder auch fonft, die Sonne durch
Geſang. 549
die Wolken bräde, und ihre Iufligen Strahlen in der düftern, dumpfigen
Schulſtube auf einmal neues Licht und neue Farbe erweckten, ale ob
eine frifche froͤhliche Luft zu den Fenſtern bereinftrömte, und aller Orten
Luft und Leben aufgeben ließe, wie die Frühlingsſonne im Lenzmonat.
Die Gemüther werden friſch, die Züge erheitern ſich, die Augen glänzen,
und die Kehlen bleiben dann auch nicht zurück, wenn der Lehrer nur halb⸗
wege Geſchmack hat und fingen läßt, was die Jugend verfieht und freut
und bei fröhlichen Liedern das Tempo nicht zu ſchnell nimmt. Go ein
Artikel in den Bollsfhulblättern aus Thüringen. Den Grund
diefer Erfcheinung findet der Berf. ſowohl in dem Inhalte der. Lieder,
wie in der Mufll. „Aber es if noch etwas: Das Kind ift gern thäs
tig und ift froh, wenn man ihm etwas zu thun giebt, was innerhaib
des Kreifes feiner Einfiht und feiner Kräfte liegt. Das Kind freut fich,
wenn ed mit Andern zufammen thätig fein fann, der im Ber
eine verflärkten Kraft. Das Kind fieht und hört gern, was es mit
Andern vereint zu Stande bringt. Diefe drei Beobachtungen ers
geben fih beim Gefange und find eben fo viele goldene Regeln für die
Behandlung des Schulunterrihts. .
35. Biel des Unterrichts. „Die Aufgabe des Gelangunters
richte iſt nicht, möglichft viele und immer neue Lieder und Weiſen fin
gen zu laflen, die einflaffige Elementarfchule zu einer Borfchule mufls
Balifcher Kunſt zu machen, oder einen Chor beranzubilden, der mit mehr-
Rimmigem Geſange glänzen kann; fondern Schüler zu ziehen, die von
der unterfien Stufe an bis zur oberflen fleißig und zu ihrer Luft ge
übt find, eine mäßige Anzahl edier Lieder, geiflicher wie weltlicher, und
zwar die vollffändigen Terte, zuvörderſt nach dem Gehör, einflimmig
rein und wohllautend zu fingen, und darin fo ficher geworden find, daß
fie einzeln und ohne Hülfe, weder eines Buches noch des Lehrers noch
der Mitihüler, die eingeübten Lieder fingen können. Nur wo diefes Biel
erreicht iſt, darf mehrſtimmig gelungen werden.” Anmwelfung zur
Ausführung der in den Grundzügen, betreffend Einrich—
tung und Unterricht der evangelifhen einflaffigen Eles
mentarfhule, vom 3. Detober 1854 getroffenen Befim-
mungen über den Unterriht für die evangelifhen ein
Slaffigen Elementarfhulen der Rheinprovinz.
Merling weiſt a. a. D. auf die Wichtigkeit richtiger Abmarkung
des Gefangzieles hin und nennt dann als diefes Ziel „das Lied, das
einfache, volksthümliche.“ ...... „Alles was darüber hinausgeht, gehört nicht
mehr in den Bereich der Schule, fondern in das Gebiet der Privat⸗
Rudien. Das Terrain, auf dem ſich die Liedform bewegt, foll und kann
der Schüler bei feiner Entlaffung in’s Leben mit Leichtigkeit beherrſchen
und deshalb wird er fih auf demfelben fo recht wohl fühlen und daſ⸗
felbe zu feinem eigenen Heile nah jeder Richtung bin aud ferner zu
erforfhen und auszubeuten bemüht fein. Das Lied enthält die einfach.
fen und darum anfprecendfien Kunftformen. Schwierigere und com»
plieirtere Runftformen würden den Schüler mit Scheu erfüllen und ihm
"350 | Geſang.
vielleicht mit dem Gedanken bed Unmoglichen bie Pflege einer Kunſt
verleiden, die ja alle Herzen zu gewinnen und zu veredeln beſtimmt iſt.
36. Keine halbe Leiftung in der Schnie! Bas gefum-
gen wird, fol gut gefungen werden. — Diefer Grundfag iſt mehr und mehr
in feiner Wichtigkeit erfannt und namentlih au von Bormann,
Merling, Wehe und Ballien mit aller Entfchiedenheit zur Geltung
gebracht worden. So weit 3. B. Ballien in Löw’s Bid. No»
nats ſchr. auf correcte Ausfprache, Zactrichtigkeit, Reinheit der Intonas
tion, Beobachtung der Bortragszeihen, vor Allem aber auf gute Ton
bildung (richtigen Anfaß, angemeffenes Wachen und Schwinden bes
Zones, Dermeiden des Prefiens und Quetſchens) ald auf unumgäng-
lich notbwendige Eigenichaften des Geſanges bin.
387. Auswendiglernen der Terte. „Der Menih fingt erft
. dann, wenn ein Gedanke, eine Empfindung in ihm fo lebhaft wird, daß
‘er dem wörtlihen Ausdrud für fie noch den Ton binzufügt...... Pier
aus folgt, daß zu der Einübung eines Chorals oder eines Bollstiedes
er dann geichritten werden kann, wenn der betreffende Zert
fider auswendig gelernt if und von Einzelnen, fowie im Chor,
nicht nyr lautrichtig, fondern ſch dn’gefprochen wird. Bormanna.a.dD.
Uebereinftinnmend hiermit fagt Merling: „Alle Lieder find dem
Gedaͤchtniſſe feſt einzuprägen ...... damit der göttliche Inhalt von Poe⸗
fie und Muſik das Findliche Gemüth tief durchdringe.“
38. Berwendung der eingeübten Gefänge Sie ent
fpriht, wie Bormann fagt, dem Geifte des Kernens in der Volksfchule
überhaupt, und if darum von großer Wichtigkeit. „Choräle alfo bei
den Schulanfängen, in der Religionsftunde, bei befonderen Schulandach⸗
ten, endlich aber im Sirchengefange ſelbſt. Volkslieder im Anſchluß an
‚bie Lefeftunde, in Verbindung mit der Baterlandsfunde, bei der Feier
vaterländifcher Gedenktage 2c. — außerdem als Belebungs- und Erfri⸗
ſchungsmittel, wenn beim Unterrichte die Aufmerffamkeit und geiſtige
Zhätigfeit der Schüler nachläßt.“
In demfelben Sinne fagt die Anweifung für die einkl. Ele
mentarfhulen der Rheinprovinz: „BZunähf kommt es darauf
an, bie Kinder zu einfahem und würdigem Gefang bei den Andachten
der Schule und bei deren fefllihen Feiern, ſowie als gelegentlide Er⸗
munterung während des Unterrichts, und zu lebendiger Theilnahme am
Geſang beim Bottesdienft der Gemeinde und bei den Hausandachten,
fowie zu frifcher Benupung der erworbenen Uebung im Kreife des Fa⸗
'milienlebens zu befähigen.‘
In ähnlicher Weife äußert fih Merling an mehreren Stellen fei-
ner Schrift. Wenn übrigens derfelbe fagt: „Auch in Toöchterſchulen
- (höheren) müffen von Zeit zu Zeit Schulgefangfefle gefeiert werben, wie
es in Gymnaſien und Nealfchufen geſchieht,“ fo möge das wenigftens als
Gegenftund weiterer Prüfung und G@rörterung bier angeführt fein.
Meriing feiner Seits feht hinzu: „Daß dergleichen Feierlichkeiten ge⸗
rade bet Mädchen etwas Bedenkliches haben follen, ift wohl nur ein
Vorurtheil. Jeder Schulvorſtand wird ein ſolches Arrangement in ber
Belang. Sy
Zeierlichkeit ſowohl, als in der Wahl des Auditoniums zu dreffen wiſſen
daß dadurd alle Bedenken befeitigt werden können.“
bh Der Choral. .
39. Die Pflege des Ehoralgefanges if abermals vielſei⸗
tig empfohlen und angeordnet worden. Merliug nennt die Choräſe
„die wichtigßen Hebel zur Förderung religiöfer Erbauung.‘ Mit befon-
derer Wärme verbreitet Ah u. A. auch ein Artikel im Miedienburger
Schulblatte: „Die Pflege des geiſtlichen Liedes“ über dan
Choral. „Wenn Jemand das geiftliche Lied in der Schule nicht ken⸗
wen, fingen und lieben lernt, wo foll er es denn lexnen? Und vergehs
lih barren wir anf die Wiedereinführung der Hausandachten, bis die
Bamilien fangesfähige Hausgemeinden geworden find.‘
Bie 3. W. Sering in dem Borworte zu feinen Choralheften jagt,
hat die Septzeit „das unferm reichen Schag von Kirchenmelodien im
Laufe der Zeit angetbane Unrecht — die vielfachen Abweichungen von
der Urmelodie — wieder gut zu machen und die urfprünglide Weiſe
wieder in ihr gutes Recht einzufehen.” Daß die Einführung der leß-
teren in die Kirche (wenn auch ohne urfprüngliche Rhythmen) bet voller
Dingabe des Geifllihen und des Lehrers recht wohl ‚möglich fei, habe er
mehrfach erfahren.
Ich meinerfeits habe manches Bedenken gegen eine allgemeine und
durchgreifende Reform in diefer Richtung. Ich kann die Entfernung der
Barianten für eine Angelegenheit von fo hoher Wichtigkeit nicht erachten,
daß man um ihretwillen fih über die unvermeidlich damit verbundenen -
Störungen hinwegfegen müſſe. — Ein Anderes ift es mit der Befeitis
gung ‚jener Schnörkeleien und Melismatifirungen der Melodien, die in -
manchen Gemeinden vorfommen. Gegen diefe Entitellungen des
Chorals muß, wie u. U. auh Merling fordert, entſchieden angelämpft
werden. Der fchon genannte Auffag im Brandenb. Schulblatte
redet freilich dagegen wieder zu Gunften einer Uniformität der Melos
dien, wenn ſchon er Dies in befchränfendem Sinne und einer fehr maaß⸗
sollen, mehr vermittelnden als in ſchroffen Gegeniäben fich gefallenden
Beife thut. „Man follte doch wenigftens in Meineren Kirchenkreifen, etwa
in einer und derjelben Didzeje oder in einer und derſelben größeren
Parodie Einfimmigfeit herbeizuführen verfuchen, damit nicht die HER
widerlichen Störungen noch länger bleiben, die entfichen, wenn ver»
ſchiedene Leute bei demfelben Choral nad verſchiedener Weiſe fingen.
Die Boltsfchule kann hier Hülfe bieten, und der Schylinfpertor muß -
darauf halten und .ernfllih darauf Halten, daß fie es Ahut....... ‚Soll
aber die Schule im Stande fein, den wahrlich nicht leichten Kampf mit
einer Gemeinde aufzunehmen, fo muß fie natürlich dazu wohl gerüftet fein.’
Eiwa 40 Ghoräle, und zunächſt nicht mehr, follen bis zu zäber Feſtig⸗
keit eingefungen, die Stimmen der Kinder möglichſt ‚gelärt, die Kinder
ſelbſt aber angehalten werden, ‚daß fie auch wiyflih in die Kirche kom⸗
552 Geſang.
⸗
men, um bie der Schule obliegende Einwirkunge beim öffentlichen
Gottesdienfte auszuüben.
40. Die Zahl der einzuübenden Ehoräle wird verſchie⸗
Den angegeben. So eben wurde die Zahl 40 genannt, freilich unter
einer befondern Borausfegung. Das Mecklenb. Schulblatt meint
6. a. D. unter der Borausfegung einer vielfältigen Praxis des geiſtli⸗
Ken Liedes in Schule, Kirche und Haus, ‚daß hundert Lieder und Mo
lodien nicht zu viel find.” Die Mehrzahl der Lehrer wird dem doch
nicht beflimmen fünnen. Die meiften Geſangbücher enthalten freilich eine
fo große Zahl von Melodien; es frägt ſich aber fehr, ob es die Auf⸗
gabe der Schule fei, fe alle einzuüben, und ob nicht die Einwirkung
der Kirche felbft auf die den Gottesdienſt befuchenden Kinder und Crwach⸗
fenen mit Recht ebenfalls in Anfchlag zu bringen fei.
41. Einſtimmigkeit und Mehrkimmigfeit des Chorals,
Merling fagt: „Der Choral ift Gemeindegefang und als folder der
Einfimmigfeit überwiefen, und vorberrfchend einfimmig follte er aud
in den Schulen gefungen werden.’ Hat man die Weberzeugung ger
wonnen, daß die Choralmelodie Cigenthum jedes Geſangſchülers gewors
den if, fo möge man diefelbe mehrſtimmig fingen laſſen. Belonders
fingen die Schüler gern einen zweiftimmigen Choral, aber nur einen
ſolchen, deffen zweite Stimme fie leiht von ſelbſt finden. Das möge
denn für den Lehrer ein Fingerzeig fein, nur die Choräle zweiftimmig
fingen zu laffen, welche natürliche, ungefünftelte Sarmonieen erzeugen.‘
35 bin nit für den, allerdings auch von Andern empfohlenen ‚Ras
tur⸗Second“ beim Choral.
ec. Das weltliche Lied.
42. Seine Beredtigung „Das weltlihe Lied.... wünfde
ih aus der Schule fort. Es ift Luxus, und wir leiden noch Mangel
andem Nöthigen.“ So heißt es in dem ſchon erwähnten Auffage „Ueber
bie Pflege des geiftlihen Liedes im Mecklenb. Schulblatte.
Diele Anficht ſteht faſt ganz tfolirt da. Allgemein wird die Berechtigung
des weltlichen Liedes anerkannt, wenn ſchon die Meinungen über feine
Dedeutung und über die Art feiner Pflege zum Theil noch wefentlidy
auseinander gehen.
43. Schuls und Lebensgefang. Die SHauptdifferenz der
Meinungen betrifft das Berhältniß des Schulg efanges zum
Lebensgefange. Ich ordne die folgenden Mittheilungen mit vorwalten-
der Rückſicht auf diefe Differenz. Rittinghauſen in feinem Auflage:
„Weber Sefang und Lieder,” Allgemeine deutfhe Lehrer
zeitung Rr. 16, weil auf die in Sachen wie am Rhein und anderwärts
beobachtete Erfcheinung hin, Daß der Volksgeſang nit veredelt
fei, daß das Bolt feine Baffenlieder lieber finge, als gut gehaltene
Schul⸗, ja zum Theil Volkslieder. Man habe feit Jahren alles Mögs
liche gethan, dem abzuhelfen; man babe berechtigte Tette, berechtigte Weir
fen durch die Schulen dargeboten,... es habe nichts geholfen. Woran
Geſang. 553
Tiegt das? 1. „Das Bolk fingt Lieder von Liebe und Bein, von Liebes,
web und Liebesheldenthat, Lieder zu der Stimmung bei fröhlichen Ge⸗
lagen ..... .; ſolche Lieder aber dürfen in unfern Schulen nicht Eingang
finden. Hätten die Schullieder volfsmäßigen Inhalt, fie würden im
Volke fpäter gäng und gebe bleiben und immer mit gefungen werden.’
— 2. „Das Boll lernt feine Lieder zwang- und harmlos und fingt fie
von freien Stüden, mit Luſt und Gewinn, „weil es fo flott gebt.‘
Und nun halte man dagegen die Methodik, nach der ein Kind ein Schul-
lied lernt, lernen muß. Welche Bedanterie findet dabei ſtatt! Meiſtens
Alles gezwungen. Den Text verfieht es nicht, die Melodie faßt es nicht,
es muß fingen um des Lehrers willen, der fonft ein mürrifher Mann
iR und fhlägt und Arreſt giebt. Geht endlich mit aller Mühe ein Lied,
haben die Stinder nad manchen Strapazen die erzielte Höhe erreicht, fo
wird das Lied in Freuden ein paar Mal gefungen, und dann Zutfchirt
man weiter, wieder durch Raubes und Dorniges, dur Thränen und
Beh, und vergißt gern über dem Neuen das Alte, weil man es zu
Nichts hat gebrauchen lernen. Kein Wunder, wenn das Kind fpäter
die in's Leben mit Mühe gebrachten Lieder meift haßt, fie nie oder fel-
ten fingt, und gern an ihrer Stelle ein Erfagmittel auch nur in leid»
liches Bolksliedern fucht ımd findet. So troden und profaifch das nach⸗
herige Leben der Menfchen nach der Schule auch immerhin fein mag, es
liegt Doch viel Poetifches darin, und für diefes bat die Mafle des Volks
regen Sinn, aber fo reizend wir auch das Schulleben darftellen mögen,
poetifchen Sinn muß und Tann es nicht erweden, weil es ſelbſt zu try⸗
den, pedantiſch und quälend if; wo aber Sang und Klang foll fein, da
muß Poeſie vormwalten.“
In demfelben Sinne, nur unter dem Einfluffe noch tiefer gehender
Erwägungen, if der Auffah: „Die Schule und das Volkslied" in
dem Medlenburger Schulblatte gefchrieben. Der Verf. verwirft
niht das weltliche Lied im Schulkreiſe, ‚Relit aber geradezu
Die Pfliht der Schule in Abrede, weiter hinaus zu wirr
ten. ‚Bas brad und wüſt liegt auf dem Boden unferes Vollslebens,
das fol die für „allmächtig““ gehaltene Schule anbauen und in grüne
Auen verwandeln; durch fi? Toll die Bildung gehoben, Vollsglück bes
gründet, Gottesfurht und Frommigkeit ins Leben gebracht werden; auch
fol fie den verflummten Volksgeſang wieder zum fröhlihen Erklingen
bringen. Ghemals, ale das Volt noch dichtete und fang, follten da
wohl die Schulen den Impuls gegeben haben? — Ganz gewiß nicht;
jegt aber, wo Gang und Klang verſtummt if, fol die arme Schule das
für auffommen, daß das Leben wieder voll Boefie und Liederklang werde.
Und durch welche Mittel foll fies ausführen? — Dadurch, „daß fie das
echte, deutfche Volkslied in Pflege nehmen und dur Wiederbelebung
defielben eine neue Bildungsfhule für das deutfche Vollk herftellen ſoll.“
Es gab allerdings eine Zeit, wo das Volk ſich felb und feine Geſchichte
aus feinen Liedern kennen lernte, wo es feine Gigenthümlichkeit in Lies
dern ausprägte und fertpflanzte; wenn uns aber in heutiger Zeit diefe
Bildungsjchule fehlt, fo haben wir. dafür auch andere Bildungsmittel,
384 Belang.
weiche die „gute, alte Zeit“ nicht kannte und hatte. Freilich wär's vet
ſchoͤn, wenn wir die unfrigen behalten und jene bes elten Zeit noch ba»
zu nehmen Tönnten; ob aber die Schule im Stande if, Dielen guien
Griff rüdwärts auszuführen, if eine andere Frage.‘ Der Berf. führt
nun aus: 1.daß man nur die wenigften Volkslieder, da die allermeiften
von der Liebe handeln, mit gutem Gewiſſen in die Schule bringen könne.
Selbſt die patriotifchen Lieder find ihm zum größeften Theile wegen ihres
geringen poetifchen Werthes ohne Bedeutung. Er jagt 2., die Schön
beit der Vollsmelodien ſpreche allerdings für ihre Aufnahme in die
Säule, allein felten fei ein paflender Tert zu finden, und außerdem ge
reiche, wenn der Driginaltest in der Gemeinde lebe, der Sculgelang
derfelben zum Aergerniſſe Ueberhaupt fei 3. nicht einzufehen, warum
gerade die Schule für Conſervirung folder Sachen forgen folle, die gar
nicht für fie beſtimmt und paffend find, welche ohne ihr Zuthun entflan»
den und ohne ihre Beibülfe ih theilmeis nod erhalten Haben.....
Boltsmelodien find folde, die nicht von Kindern, fondern vom Volke
gefungen werden. Alles hat feine Zeit. Die Trennung der Volksterte
von ihren Melodien if eine Gewalithat.... Die Schule fol fih nicht
damit abquälen, den Kindern einen Liederfchag für Die Reife Durchs Les
ben mitzugeben. Sol ängfllihes Sorgen für die Zukunft taugtübers
all nichte.... „Wer dem Leben vorausgreift... der wird erfahren, daß
fih das Leben auch zu rächen verfieht” u. |. w. Aus diefem Geſichts⸗
punkte erfcheinen A. felbf die volfsthümlichen Lieder neuerer Dichter , fo
fhön fie an fih fein mögen, dem Verf. als fraglih. ‚Man fühlt ſtets
das Unnatürliche, wenn Knaben fingen: „Was blafen die Trompeten‘ x.
„Schier dreißig Jahre biſt du alt“ zc. „Ich hatt’ einen Kameraden‘ x.
„Morgenroth“ ze. und man fühlt e8 um 'fo mehr als eine altfluge
NRachäfferei, wenn man Gelegenheit gehabt bat, ſolche Lieder aus den
Meihen wmarfchirender Krieger zu vermehren. — Es folgen dann
5. Andeutungen für das Richtige. „Der-Schulgefang beichränfe fid auf
Lieder, die des Kindes Herz und Phantafie anfprechen und büdend er
regen,’ und zwar nur mit Rädfiht auf die Gegenwart, nicht im Ins
terefie einer unmittelbaren, unbefimmten Zukunft. Wenn des Kindes
Lieder ibm zu Ergüſſen feiner gegenwärtigen Empfindungen werden, dann
ift die kindlihe Natur zu ihrem ‚Rechte gelommen, dann haben die Lie
der ihren Zwed erreicht und find zu einer Vorſchule für den fpäteren
Gejang geworden. Fades und lappiges Zeug ift natürlich zu vermeiden:
Lehrervereine und Conferenzen follen mit aller Sorgfalt die Auswahl
treffen ; Hoffmann von Kallersichen hat eine ganze Reihe poeti-
fer Kinderlieder geſchrieben, es fehlt alfo nit an Stoff, u. f. w.
44. Sortfehung Wird nun im Vorſtehenden die Rothwen-
digkeit, ja die Möglichkeit einer Hinwirkung durh den Schulge⸗
fang auf den Lebensgefang in Frage geftellt, fo finden wir das Ge
gentheil, obſchon mehr oder weniger entfchieden ausgefprocden, in folgen»
den Kundgebungen, die eben in diefem Sinne alle auf das Eine, was
Roth thut, Hindringen: Richtige Wahl der Lieder, zu welder
Geſang. 555
auch gehört, daß ſie eine Tinheitlihe mb auf einen Pleinen Kreis
befhräntte fe.
Der Deſterr. Schuibote fagt a. a. D.: „Die gewöhnlichen
Schullieder werden beim Austritt aus der Schule, da fie ja eben nur
Schullieder find, größtentheit® allen gwei und dreißig Winden preidgeges
ben. Der Züngling, die Jungfrau, der Lehrburfche, der Gefelle, der
Knecht, die Magd ꝛc. wollen nicht mehr fingen: „Ich hab’ ein Lämm⸗
hen weiß wie Schnee” ıc. Wird ihnen Daher wicht von der Schule
aus ein geeigneter Borrath von ‘Liedern mitgegeben, fo fehen fie fich bes
gierig nah andern Liedern um; fie raffen auf, was fie bier und da
von ſchlechten Zoten und Gaffenliedern hören’ ze. Hiernach kommt «es
alfo doch nur darauf an, daß die Schule den .Anfprüden des Lebens
gegenüber ihre Pflicht erklenne und erfülle.
„Wenn es auch nicht am Liedern fehlen darf, welche fchon die Unter-
Maffe mit Theilnahme und ahnendem Verſtändniß fingen kann, fo if
doch die Auswahl Teinesweges nur auf fogenannte Kinderlieder, noch
weniger auf ſogenannte eigentlihe Schullieder, deren wenige dem kindli⸗
hen Geifte friſche, gefunde Nahrung bieten, gu richten. Vielmehr find
aus dem reihen Schage edler, frifcher, vollsmäßiger und von anfpre-
chenden Weilen getragener Lieder folhe zu wählen, welche nicht bios in
der Schule gelten, fondern an denen auch das reifere Alter fich noch
erfreuen fann, und von denen erwartet werden darf, daß fie aus der
Säule in das Leben übergeben werden.” Anweiſung ı., für die
eintt. Elementarfäulen der Rheinprovinz. '
Im Braunſchw. Shulboten lieferte Stieger einen Aufſatz
„ueber den Sefang der Volkslieder in den Volksſchulen,“
worin er, ausgehend von der bekannten Beflimmung des Pr. Regula⸗
tivs (wornach die Kinder „eine möglichft reihe Anzahl guter Bolkslieder‘‘
mit in das Leben hinübernehmen follen) im Wefentlichen Kolgendes fagt:
„Das Vollslied gelangt mun wieder zu feinem guten Rechte in der Volks⸗
faule und dadurch hoffentlich auch im Volke ſelbſt. — Bisher geſchah
zu wenig für das Volkslied; man Dichtete und componirte felbft, und
fo fam eine Fluth von gemachten, gekünſtelten, verzerrien, ſchwächlichen
Broducten in die Schule. — Diefer Unratb muß fort. Wir greifen
zu dem Schatze älter, altbewährter Volkslieder, wenn ſchon mit Aus»
wahl, da das Kind nit fingen fann, was das Herz des Jünglings
und die Bruf des Mannes erfüllt.‘
Bei Bormann a. a. D. heißt 88: „Jedenfalls müſſen die aus⸗
zuwählenden Volkslieder folche fein, deren Zerte und Weifen aus dem
Volke ſelbſt entfprungen find, oder, weil fie von den größten Meiftern
deutfcher Tonkunſt Herrühren, von Mund zu Mund fortgepflangt zu
werben verdienen. Daß Lehrer, die von ihnen ſelbſt componirten Ges
fänge in der Elementarfchule fingen laſſen, und dadurch die in dem
Bolle lebenden Lieder zurüddrängen, ift eine Anmaßung, die nirgend ger
dufdet werden follte.‘
45. Bortfeßung.... „Haben wir niht Schufliederfammiuns
‚gen leider in großer Zahl, wo ‚die urfpränglichen Volksliedworte den
/
556 | Geſang.
mageren, verſchleimten Moralterten weichen müffen vom guten Kind, von
der loyalen Schülerfreudigkeit, vom. Nußen des Frühaufſtehens, vom
Segen des Unterrichts? Lauter Salzmann » Bafebom’fche Philanthro⸗
pie» Brofa! Es if gleih unwahr wie unfhön, den Waldklang an
die Holzbank ſchrauben, mit einem Sägerton ein Lied vom Tintenfafle
zeimen.... Eben fo verwerflih, obwohl feltener, iſt der umgekehrte
Mißgriff; grundarmfelige unfingbare Melodien in die Schulen zu brin
gen, um frommer oder moralifcher Zerte willen. Weit beffer, man ent
fagt allem Volkslied in der Schule, als daB man es unmahr malt.
Ehe wir eine ächte Sammlung guter Volkslieder für die Schule befipen,
möge man fi begnügen am Choralgefang, wo Ton und Wort gleid
fhön und wahr find.... Die Schule tft wie alle Zudt nur Mittel
zum Zweck; denn gleichwie alle Zucht des Geſetzes auf Chriſtus hin
leitet, fo it auch die Schule beftimmt, die Zöglinge zur Freiheit zu
führen, zu der Freiheit, welche zugleih Ende und Erfüllung der Säule
if. Wer daher die Schule zum Selbſſtzweck macht, und fomit jene
albernen Liederterte gut beißt, der verſteht auch 1 Mof. A, 26 falſch,
als wäre die erfie Predigt jenem Zeitalter zum Lobe gefagt: fie if
vielmehr ein Zeugniß, daß die Menſchen, der erften Welt immer weiter
entfremdet, nicht mehr göttlich dachten, fondern an Bott durch die Schule
erinnert werden mußten.” So E. K. im Boltsblatte
Schließlich weile ich auf den mehrerwähnten Artikel: „Zür Ge
fangflunden in der Volksſchule“ im Brandenb. Schulblatte
Bin. „.... Man hat ja nun eine Anzahl Kirchenlieder ausgewählt,
die in den Schulen des preußifchen Baterlandes auswendig gelernt wer,
den follen .... wie denn, wenn die oberfle Schulbehörde auch eine
Anzahl gediegener Volkslieder zur beflimmten Einübung in allen Schulen
des Preußenlandes feſtſetzte? ... Wenn wirklich auch nur 20 wahr
bafte Volfslieder im ganzen Preußenlande gefungen werden könnten, fo
wäre das doch aud ein hübſcher Beitrag zu der Lebensgemeinfchaft, die
alle Glieder eine® Volkes vereinigen fol.” .... Zür den Fall, daf
diefer Gedanke fi nicht zur Ausführung eigne, wünfcht der Verf. wer
nigſtens Einhelligkeit in der Wahl der Volkslieder für eine und bielelbe
Didzefe, einen und denfelben Regierungsbezirk. *) Aufrecht zu erhalten
*) In der Anweiſung ac. für die einkl. Säulen der Rhein:
provinz if ein Kreis von Liedern angegeben, in welchem — die Ginübung
von Heil Dir im Siegerkranz 2. und IH bin ein Preuße x. vor
ausgefeßt, die Auswahl fi zunächſt nur bis zur ſichern Aneignung von 20
Nummern zu bewegen habe. lm der Wichtigkeit der Sache willen, möge dieſes
Berzeichnig bier mitgetbeilt fein: 1) Was blafen die Trompeten. 2) In dem
wilden Kriegeötange. 3) Bei Kolberg auf der grünen Au. 4) Es zog aus
Berlin ein tapferer Held. 5) Als der Sandwirtb von Paſſeyer. 6) Erhebt
eu von der Erde. 7) Friſch auf zum fröhlichen Jagen. 8) Zottelbär und
Pantherthier. 9) Nehmt euch in Acht vor den Bächen. 10) Feinde ringsum.
11) Schön iſt's unterm freien Himmel. 12) Kein ſchönrer Tod iR in der
Welt. 13) Flamme emyor. 14) Wo iſt das Doll, das kühn von That.
15) Dem König fei mein erfled Lied. 16) Preifend mit viel fchönen Reden.
17) Prinz Eugen der edle Ritter. 18) Gott grüß’ Euch, Alter, ſchmedt dad
Gefang. 557
fei dabei mit aller Strenge die Forderung, daß nur ächte, gute
Bolfslieder gefungen werden, wo dann freilich Die meiften Lieder, wo
man einer Bolfsweife einen neu gedichteten Text untergelegt habe, wo
alfo die Originalität des Zuſammenhanges zwiſchen Wort und Zon
fehle, würden fallen müſſen.
2%. Das Baus.
46. Berfhiedenes zur Würdigung und Förderung der
Hausmuſik. Gufav Flügel nennt im Brandenb. Schulbl.
„mit gutem Zug und Recht die fingende Mutter die allererfie Geſangs⸗
Giemientarlebrerin noch vor der Schule,’ hinweifend zugleih auf Dr.
Eduard Krüger’s „Beiträge für Leben und Wiffenfchaft
ber Tonkunſt,“ mo es heißt: „Wo fromme, gottesfürdtige Mütter
in einem Hausweſen walten, da wird ficher der Gejang nicht ganz brach
liegen, denn deren Rede bedarf nicht der fchönen Stimme, fondern viels
mehr der Serzinnigleit und ‚wahren Religiofität..... „Es gibt gar
nichts Lieblicheres bei den Hausandachten chriftlicher Familien,“ fagt
außerdem ©. Flügel feinerfeits, „als Kindergefang, abgefeben davon, -
daß ſolche Kinder fchon fehr frühe Ehoräle kennen und fingen lernen,
die fi dem Gedächtniß unausiöfchlih einprägen.‘
Die Signale rügen in einer „Umfchau‘ 2c., womit fie den Jahr⸗
gang 1857 eröffnen, die Entartung der Hausmufll. ‚Man vergißt
nad unjerer Meinung zu häufig, daß wir in der Stille des Haufes, in .
Pfeifhen? 19) Schier dreißig Jahre bit du alt. 20) Hinaus in die Kerne.
21) Morgenrotb, Morgenroth. 22) Ich hatt’ einen Kameraden. 23) Ih hab’
mid ergeben. 24) Stimmt an mit beilem, hohem Klang. 25) Was iſt des
Deutihen Baterland? 26) Sie follen ihn nicht haben. 27) Auf, auf zum
fröplihen Jagen. 23) Mit dem Pfeil, dem Bogen. 29) Im Wald und auf
der Haide. 30) Ein Jäger aus Sourpfa 31) 35 bin vem Berg der Hirten»
fnab. 32) Bas kann fchöner fein. 33) Spinne, Mägbdlein, fpinne 34) Komm,
lieber Mat, und made. 35) Der Mai if auf dem Wege. 36) Alles neu macht
der Mai. 37) Der Mat, der alle Sinne pflegt. 38) Der Frühling bat fi
eingeftellt. 39) Seht den Himmel, wie heiter. 40) Ward ein Blümlein mir
efhentet. 41) Sab’ ein Knab' ein Röslein ſteh'n. 42) Ich ging im Walde
ß für mid hin. 43) Geh’ aus, mein Herz und ſuche Feud 44) Hört wie
die Wachtel im Felde dort fchlägt. 45) Trarira, der Sommer, der iſt da.
46) Bei einem Wirthe wundermild. 47) D Tannenbaum, o Tannenbaum.
48) Es famen grüne Vögelein. 49) D, wie ift es Talt geworden. 50) Winter,
Ade. 51) Der Sonntag iſt gelommen. 52) Der Mond iſt aufgegangen.
PN Goldne Abendfonne. 54) Was kann fchöner fein, was kann mehr erfreu’n.
55) Willlommen, 9 feliger Abend. 56) Bald ift ed wieder Nacht. 57) Die
Sterne find erblichen. 58) Und die Sonne, fie machte den weiten Ritt. 59) In
dem gold’'nen Strahl. 60) Wer wollte fih mit Brillen plagen. 61) Es wollt’
ein Mädchen brechen geh'n. 62) Web’ immer. Treu’ und Redlichleit. 63) Wie
lieblich iſt's hiemieden. 64) Der Menſch hat nichts fo eigen. 65) Ein getreues
Herz zu wiflen. 66) Der befte Freund ift in dem Himmel. 67) O du fröhliche,
o du felige. 68) Ihr Kindelein,, fommet, o Tommet doch all. 69) Weißt du,
wie viel Sterne flehen. 70) Es gebt ein fliller Engel. 71) Wo findet die
Seele die Heimath der Ruh'. 72) Schönfter Herr Jeſu. 73) Wer if ein
Nann? der beten Tann. 74) Aus dem Dörflein da drüben, vom Ihurm herab.
558 Geſang.
dem langjaͤhrigen Gange der Erziehung, in dem ungeheuren Wirrwan
der modernen Bildung die Mufif nicht treiben, um ihrer eigenen fünf,
lerifhen Zwecke wegen, fondern als eine Diätetil der Seele, eine Heil
gymnaſtik des Gemüthes, die uns von den Mühen der Urbeit und des
Studiums wieder aufrichtet und flets von Neuem des Lebens unficte
bares Theil im Stillen in Erinnerung bringt. So betrachtet if bie
Mufit im Haufe, bei den Jungen und Alten, fo wichtig, wie das täg
lihe Brot, wie die gefunde Luft, das frifche Wafler und die tägliche
Bewegung.‘
Dr.3. #dlfing lieferte in feiner Zeitfhrift „Das Elternhaus”
abermals Beiträge für eine finnvolle, gemüthbildende Anmendung des
Befanges Bei der Erziehung der Jugend, namentlich faßte er dabei den
Familienfreis und die Elementars, namentlih aber die Kleinkinderſchulen
ins Auge. Weſentliche Unterflügung leiftete ibm Richard Kreil
(Schullehrer in Steinberg bei Bad Liebenſtein). Derſelbe tbeilte mehrere
gelungene Compofitionen von Sinderliedern mit; außerdem gab er vier
Programme zu Heinen Jugendfeflen: Frühling, Sommer, Herbſt,
Weihnacht. Geſang und Rede wechſeln nach feiner Anordnung ans
muthig ab; die Ging» und Spredftoffe felbft werden von ibm in wahl
bemeffener Auswahl vollftändig- Dargeboten.
| D. Andere Kreife,
1. Die Männergefang-Bereine.
47. Zur Bürdigung derfelben. In dem Auffage: „Die
Bildungsmittel in der Geſchichte“ abgedr. in Dr. Romberg's:
„Die Wiffenfhaften im 19. Jahrhundert” ꝛc. heißt es: „Ein
mächtige Propaganda für die Muſik Haben Die Liedertafeln gemalt,
Männergefangvereine, die fih in Deutfchland bis in das 17. Jahrhun⸗
dert rückwäris verfolgen laffen. Einer der älteften diefer ausſchließlich
der Kirchenmuſik gewidmeten früheren Vereine dürfte derjenige fein, wels
cher in der lebten Hälfte des 17. Jahrhunderts in dem pommer'ſchen
Orte Greiffenberg beftand *). Die Ausgangspunfte der neuern Liedertafeln
find die Vereine, welche Zelter in Berlin und Nägeli in der Schweiz
gründeten. Die mehreren taufend Liedertafeln Deutſchlands, welche gegen”
wärtig in Städten, Dörfern und Flecken beſtehen, find eben fo viele
Candle, in denen mufifatifhe Bildung durch alle Schichten der Bevöoͤlke⸗
*) Die Mitglieder Dichteten geiſtliche Lieder und fegten fie felbft in Muft.
Es exiftirt ein Liederwerk diefes Vereins in vier Foliobänden, das von 1673
bie 1675 in Altfettin erfäpienen iſt. Der vollſändige Titel ik: Greiffenbergiſche
Pfalter⸗ und Hartenluft wider allerlei Untufl, welde unter Gottes mächtigen
Schutze, Kurfürftlich brandenburgifhem Gnabdenfchatten von der bafelbk Got
Äingenden Geſellſchaft in vertraulichen Juſammenkünften durch zweier Geſell ſchafter,
Johann Möller's geiſtliche Leder und Thomas Hoppen neue Melsdeyen, zu
—— Gemuͤthsergießungen ordentlich angeſtellt und bewährt gefunden
en 9*
Geſang. 559
rund fich verbreitet. Hätten fie auch feinen weitern Ruben, als den,
die todte Scholle des Spießbürgertfums zu zerflüften und mit befruch⸗
tenden @fementen in geiftige Berührung zu feßen, fo wollten wir fie
ihon um deswillen hochachten. Das robe Brüllen gemeiner Lieder ges
hört bereits zu den felteneren Erſcheinungen, um fo häufiger hört man
vierftimmig fingen. Vorzugsweiſe auf den Volkégeſang hingewieſen,
haben die Liedertafeln in deffen Pflege Borzügliches geleiftet, und felbft
die höhere Mufik hat ihnen Dank abzuftatten. Die Muſikfeſte, an denen
die Liedertafeln einen hervorragenden Untheit nehmen, haben unfern großen
Meiftern der Kirhenmufit die Möglichkeit gegeben, ihre Schöpfungen zu
Gehör zu bringen, und zu neuen Arbeiten aufgemuntert. Die Rüdwirs
fung diefer Feſte auf die Zuhörer und vorzüglich auf die Mitwirkenden
iR eine außerordentliche. Die ernſte Muflt bat bedeutende Zortichritte
in den Kern des Volkes hinein gemacht; neben den neueren Compofſi⸗
tionen find die älteren Meifterwerke allgemein befannt geworben.’
48. Repertorium des Männergelanges. Die Lieder
tafeln ſcheinen fi zum großen Theile an den fentimentalen Mondfcheinges
fängen und an den Kneipenſpäßen, womit fie von gewiffen Seiten ber
fo reichlich verforgt wurden, fatt gefungen zu haben. Dan wendet fich
feit einiger Zeit mehr dem Soliden zu, wenn au das, was zur vor⸗
übergehenden Ergoͤtzung dient, nicht ausgefchloffen bleibt. Möge diefer
Umfhwung ein vollfländiger werden! Mögen die Männervereine zu
Herzen nehmen, was in den Signalen von Greef’s „Geiſtlichen
Männerhören‘ Il. gefagt wird: „Sn ſolchen Werken beruht das Heil
des Männergefangwefene, das einer gediegenen Literatur fo werth ale
bedürftig iſt.“ — Man vergleiche mit dem Vorſtehenden folgende Stelle
ans einer Recenfion D. Engel’s in der Brendel’fchen Zeitfchrift:
„Die Fluth des Trivialen, Bäntelfängerhaften in der Männergefang«
Riteratur hat eine Höhe erreicht, Die wahrhaft erfchredtih if. Man fühlt
fih gedrumgen, an vorfündfluthliche Zuftände zu denfen, wirft man einen
Blick in die Nepertorien der Kiedertafeln, wohin dieſe Sewäfler fih naturs
gemäß verlaufen und nachgerade zu einer Höhe angefammelt haben, Die
wahre Nothfkände zur Folge haben mußte. Die fangesiuftige Menge if
wohl fehr geneigt, dem Gemeinen ein williges Ohr zu leihen, doch wenn
bie Grenze der menfchlichen Natur überjchrittn, wenn dieſe lebtere
mißbraucht wird, wie hier gefchehen ift, fo muß Weberdruß und Widers
wifle gegen ſolch' einen Liederjammer eintreten und das Bedürfnig, durch
edlere Kunft von diefen Zufländen befreit zu werden, in jedes Menſchen
Druſt erwachen. Daß ſolche Stimmungen in unfern Männergefangvers
einen bereits wach geworden find, haben wir oft wahrzunehmen Gelegen⸗
beit gefunden“ u. f. w.
49. Das Bolfslied als Männergelang. In einem Bes
richte Aber ein Concert des Männergefangvereins zu Wien heißt es:
„Es war eine fehr glücdliche Idee, das Volkslied in fo vollendeter Aus⸗
führımg in das nachgerade etwas einförmig werdende Regiſter des Männers
geſangs hineinzuleiten. Ban bat in der letzten Zeit viel mit den Männers
Rimmen egperimentirt und Kunftküdhen gemacht, gebrummt und gefäufelt,
— —— — —— — — nn — — — ..
Am 8 __ m
560 Geſang.
gedudelt und gejodelt, es hat ſich aber dabei herausgeſtellt, daß am
Schluſſe dieſer Anfangs unter dem ſtürmiſchen Beifall aller Kneip⸗ und
Tanz⸗Genies betretenen Bahn die Abſpannung und Geſchmackloſigkeit
liegt. Jedes Zurückkehren zu der einfacheren Schönheit des Geſanges
it daher eine wirkliche „beilfame Umkehr. (Signale 1857. 2.)
50. Mehrfiimmige Kompofitionen fubjectiver Texte.
Die Liedertafeln find oft angegriffen worden wegen des mehrflimmigen
Bortrages ſolcher Lieder, die ausſchließlich fubjectiver Ratur find. In
der That iſt e8 ohne Sinn, wenn in einem Concert vierzig Mann aufs
treten (darunter vielleicht graubärtige Familienväter) und fi in Liedern
wie „Du, du liegſt mir am Herzen‘ oder „Liebchen, öffne doch Dein
Fenſter“ zc. ergehen. Man nimmt indeflen feinen Anftoß an dergleichen,
noch weniger an der cormäßigen Ausführung von: „Zu Straßburg
auf der Schang, „Ich hatt ein’n. Kameraden‘ und ähnlichen Liedern.
Borin liegt das? Zur Löfung dieſer Frage kann es dienen, wenn
Dr. Stanz Brendel in feinen Anregungen für Kunf, Leben
und Wifjenfhaft (Leipzig, C. Merfeburger) in der Abhandlung
„Die Melodie der Sprache Folgendes fagt: „Die principielle
Kritit der neueren Zeit bat Anftoß genommen an der oft fehr unpafs
fenden Zertwahl, an der mehrfliimmigen Bearbeitung folder Gedichte, Die
ganz fubjectiver Natur find. _Die Tonfeper haben auf dieſe Weife ofts
mals die größten Widerfinnigkeiten zu Tage gefördert, und die Kritik
war in ihrem großen Recht. Uber es wohnt in jener Behandlungsweife
auch eine Wahrheit, welche die neuere Kritit noch nicht erfannt Hat.
Ein Anderes ift es, wenn die Sänger, fo zu fagen, mit ihrer ‘Berfon
in das Kunftwerk eins, wenn fie als ſelbſtſtaͤndige Individuen auftreten
follen. Dann erfordert auch der Vorſtellungs⸗, nicht blos der Gefühls⸗
inhalt des Gedichts feine Berüdfihtigung. Ein Anderes, wenn fie, wie
oben erwähnt, nur als Klangwerlzeuge erfcheinen, wenn nur die allges
meine Stimmung des Gedichts muſikaliſch zum Ausdrud gebracht wird.
Trotz des logiſchen Unfinns fann hier eine gewiſſe fünftlerifche Berech⸗
tigung flatt finden. Auf diefelbe Weife erklärt fih auch noch gegen.
wärtig das Verfahren der beiten Meiſter; e8 erklärt fi, daß die Kritik
relativ im Recht ift und jene doch infinctiv nah anderen Grundjägen
verfahren. So hat Franz, — um ein mir naheliegendes Beifpiel zu
erwähnen, — in einer Beilage zur „Reuen Zeitfhrift für Muſik“ ein
Gedicht von anfcheinend durchaus ſubjectiver Natur vierſtimmig behan⸗
delt. Die Rechtfertigung liegt hier in der alterthümlichen Art und Weiſe
des Textes, eines Volksliedes, das einen mehr typiſchen, als individuellen
Charakter bat. Zahlreichere Beifpiele noch deffelben Berfahrens finden
fi bei Schumann. Trotz des logifhen Unfinns waltet hier fogar eine
über das blos verfländige Moment hinausgehende fünftierifche Berechti⸗
gung vor. — Natürlih ift es nicht meine Abfiht, durch eine ſolche
‚Lehre dem kaum balbweg befeitigten Unfinn aufs Reue Zhor und Thür
zu Öffnen; aber die nothwendige Ergänzung, welche eine einjeitig ratio⸗
naliſtiſche Auffaſſung zu erfahren hat, konnte hier nicht verſchwiegen
werden,”
Geſang. 561
51. Die Herren Liedertäfler werben es wohl ertragen,
wenn in 2: U. Bellner’s Blättern für Muſik, Theater und
Kunſt der Berichterfiatter über die Stiftungsliebertafel des Wiener
Männergefangvereind die Bhyftognomie derartiger Berfammlungen, „‚beren
äfkhetifcher Charakter vorzugsweife in einer ſtark ausgefprothenen Sins
neigung zum Gaſtronomiſchen fih Fund gibt, wo die Kunfgenäffe
für das Herz und jene andern Stunftgenüffe, welche das dem Herzen
nabe liegende Organ eifrig fordert, einander nicht felten die Oberherr⸗
ſchaft ftreitig machen,’ als bekannt vorausfeßen zu dürfen glaubt. —
52. Ein ernſtes Wort an die Serren entnehme ich noch dem
fhon gen. Werke von Sieber: ‚Das unmittelbare Singen vor oder
nad einer großen Mahlzeit it der Stimme entfchieben nachtheilig.
Man kann daraus erfehen, wie verderblich die Gewohnheit der meiften
Liedertafeln if, inmitten ihrer gefelligen Soupers oder Bwedeffen fechs,
acht bis zehn Sefänge anzufimmen! Die Wirkung foldhes Berfahrens
wird fi vorzüglich bei den Tenoriften fehr bald herausftellen, die
überhaupt durdy den unausgefehten und angefirengten Gebraud ihrer
hoben und hochſten Töne in den Männer »Gefangvereinen gewöhnlih in
(wenig mehr ale) Jahr und Tag ihre Stimme verlieren.” —
2. Das gefammte Boll.
58. Ueber den Einfluß der Schule auf den allgemei«
nen Volksgeſang äußert fih, wie im Defterr. Shulboten an»
geführt wird, ein fehr wäürbiger Tatholifcher Priefter und Schulfreund
- folgendermaßen: „Wenn man die Uebungen im Singen und die Ermah⸗
nungen zum auferbaulichen Singen fleißig und auf die rechte Art in
der Schule fortfegt, fo wird man bald das Bergnügen haben, nicht nur
in der Schule, fondern auch in den Häufern, auf den Aedern und auf
offenem Feld, in den Gärten, Wiefen, Büfchen und Wäldern, hinter den
Heerden und hinter dem Pflug das Lob des Schöpfers von allen Seiten
erfhallen zu hören; man wird die Freude haben, wahrzunehmen, daß
dabei die wahre Gottfeligkeit, guter Muth, Menfchenfreundlichleit, Einige
feit und andere ſchoͤne Tugenden in der Welt merklih zunehmen.”
Möge ſich dies beftens erfüllen! —
54. Der geiftlide Volksgeſang. A. NR. warnt in der
Evang. Kirhenzeitung (Rr. 89 und 90) vor der Benußung welt
licher Bollsmelodien zur Herſtellung eines geiftlihen Vollsgeſanges mit⸗
teiſt untergelegter Zerte. Hierzu hat ein Ungenannter im Volksblatte
tür Stadt und Land „ein kurzes Gegenbedenken“ gegeben. Er hält
e8 zwar für ein gefundes Gefühl, weiches ſich gegen eine maffenhafte
Fabrikation geiflicher Volkslieder fräubt, muß aber urtheilen, daß fi
A. R. von diefem gefunden Gefühle in der Praxis zu einer unhaltbaren
Behauptung in der Theorie fortreißen läßt, wenn er die Unterlegung
von Volkomelodieen zu geiftlichen Liedern überhaupt befreitet.......
„Dieſe irrige Theorie beruht, fo viel ich verflehe, auf zwei irrigen PBräs
miſſen, nämlih 3) auf einem übertriebenen Rigorismus gegen das, was
KRadı, Zahresbericht. X. 36
562 Geſang.
„welilich“ heißt, und 2) einer irrigen Vorausſetzung über ben Ausdruck,
deſſen die Muſtk fähig if.” ... Zu 1) wird u. U bemerkt: „Wellliche
Lieder, was man berfömmlih fo nennt, bilden eben fo wenig einen
grundſätzlichen Gegenſatz gegen „geiſtliche,“ als ber „weltliche Stand"
einen grundfäglichen Gegenſatz bildet gegen den „geiſtlichen.“ Die Be
nennung meint nicht den bibliſchen Gegenſatz gegen das Reich Gottes,
bezeichnet nicht, daß fie ungeiflliche, nur daß fie nicht ſpecifiſch und
gleihfam von Brofeifton geiftlihe find; fie koͤnnen (gerade wie der
weltliche Stand) in ihrer Art eben fo wahrhaftig, ehrbar, gerecht, keuſch,
lieblich, wohllautend, tugendfam, Löblich fein als jene.” In Bezug auf
2) wird gefagt, daß der Zonkunft Teineswegs die beffimmte und befims
mende Wirkung auf das Gemüth gegeben iR, wie dem Worte und Bilde,
. daß der Inhalt in ihr fat verfchwindet vor der fchönen Sorm,
die das Gemüth überhaupt erhebend und bewegend anſpricht; daß fie ein
Gefäß if, das den verfchiedenften Inhalt in fich faflen fann.... Bei
der Vocalmuſik ift e& der von der Melodie und Harmonie nur dienend
geiragene Zert, der den ganz vorwaltend beflimmenden Einfluß auf
den Hörer übt. ...... Diefe und ähnliche Erwägungen führen den
Berf. am Ende zu dem Ausfprude: ... „Die abfichtliche und fabrik⸗
artige Anfertigung von Liedern if allerdings nicht das Rechte. Solches
iR überhaupt nicht die Manier zu dichten, am wenigften die, um zu
geiftlichen Liedern, und am allerwenigften, zu Volks liedern zu ges
langen. Uber unverwehrt fol es auch ferner fein, wenn Einer jeit
langem oder kurzem eine gute alte Melodie im Herzen und auf den
£ippen hat, daß er in guter Stunde, wenn der Geift über ibn Tommi
und es ibm fo recht warn um's Kerze wird von einer Freude im Seren,
fich ein Lied dazu fingt.... Auf diefe Art werden die alten Melodien
„bon Neuem geboren. Und kann ein Meufh, ob er alt if, von Neuem
geboren werden, warum nicht auch eine Melodiet.... Ob eine Mer
lodie ſich dazu eignet, hängt nicht davon ab, was man bisher für einen
Zert dazu gefungen bat... . fondern davon, ob die Melodie ſelbſt
feelenhaft if, einen edlen und reinen Styl bat, ob fie Züge von der
einen, ewigen Schönheit enthält, von ihrer Friſche, Kraft, Bartheit,
Wahrheit (nit fowohl des Ausdrucks, denn den empfängt fie erſt,
fondern in ihrem ganzen Bau und Wefen). Zu der Melodie alfo: „Pier
fig’ ih auf Raſen, mit Veilchen bekränzt,“ wird ein Menſch von gefundem
Gefühl nicht um deßwillen feinen geiftlichen Zert machen, weil fie einen
albernsjentimentalen und noch dazu künſtlich gelehrt-frivolen, gleimiſch⸗
anakreontiſchen Zert befipt, fondern um deßwillen, weil die Melodie an
Rich ſelbſt ein Ahnliches, höherer Schönheit entbehrendes Gedudel if, wie
bie Melodie: „Eins if noth, ach Herr, dies Eine”... Ohne in Bezug
auf letztgenannte Melodie dem Berf. beiftimmen zu wollen, meine id
doch, daß er in der Frage von der geißlihen Umdichtung weltlicher
Lieder unzweifelhaft das Rechte getroffen hat. Es if in der That, wie
er geiftvoll und begeichnend fagt, in den Liedern, wie in aller Kun,
eine lebendige, unabgebrochene, mächtige Tradition.” .:. „Die Umdich⸗
tungen in des Neformationgzeit find ung gerade befannt, aber es if
Belang. 508
nit etwa ein Neues, damals zuerſt Praktitirtes geweſen. Und eben fa
wenig iſt's etwas Beraltetes. Diefe ewige Metamorphofe alter Lieder
und Weiſen iR auch heute noch unverwerflih, und iſt deshalb wm fo
beherzigenswerther, weit neue felbfigemachte Melodien in unferer Seit
namentlich ſehr felten fo ausfallen, daß fe als Volkslieder ſortzudanern
Bebensteaft hätten.” —
55. Das Bolkslied. ‚Einige Betrachtungen darüber” Tieferte
in feiner geiftvollen Weiſe U. 3. Marz in Nr. 52 der Neuen Bew
iiner Muſikzeitung. Ih Tann es mir nicht verfagen, wenigſtens
folgende Stelle daraus mitzutheilen: „Das Volkslied if die Unferblich«
Reit der Muſik. Denn indem jedes einzelne ſtirbt, erzeugt fih aus dem⸗
felben Stoffe dab neue Lied, wie der junge Phöntr aus der Aſche des
Vorgängers. Es if ewig daffelbe, wenngleich es in feiner Ausprägung
nah Zeit und Ort ewig wechſelt. Es gehört der graueſten Vergangen⸗
beit an, wie der blühenden oder beffänbten Gegenwart; und zugkeich TR
es die eigentliche Yukunftmufll. Es iſt die unantaflbare Muſik von
Gottes Gnaden. — Denn fein Schöpfer und fein Inhalt ift überall und
alte Zeit derfelbe: das Volk felber, und der in Lied übergebende Inhakt
des Volkslebens. Was das Bolt mit regem Gemuͤthsantheil an Ereigniffen
erlebt, oder an Stimmungen durchlebt, oder In finniger Betrachtung fich
zum Schab feiner Seele zurücklegt: das if der unverfiegbare Inhalt
feines Lied's wie feines Lebens. Die Volksſtimmung — die Stimmung
jedes Volle Für fih und in jedem feiner Lebensmomente, in jeder Rich⸗
tung feines‘ Gemüths — das if der Grundgehalt des Vollslieds. Den
foricht er aus, bald unachtfam daran hingehend und nur die allgemeine
Stimmung austönend, bald — in einzelnen Momenten und Zügen —
zutreffend, dann aber den einen Punkt mit der ganzen Kraft ungefrter,
unverfünftelter, völlig rüdfichtlofer Natürlichkeit und Hingebung, gleich
dem wahren Dichter, treffend. Mehr Tann und mehr mag es nich
geben, denn mehr febt nicht aus feiner Gemütäsdämmerung in Wort
und Ton hinein. — Aber eben deshalb if das Lied fo weit und tief,
wie das klare Element des unergründeten See's. Jedem Sänger fpie
get es das zuräd, was gerade Er Verwandtes im Gemüthe trägt; jeder
fühlende Sänger trägt das hinein, was es feiner geflaltenden Bhantafe
angedeutet und erregt bat, und fein Sänger erfhöpft den Inhalt, eben
weil er der Allen gemeinfame, jedem ein eigends andrer if. Jeder
natur⸗ und wahrhaftstreue Sänger findet da Gewinn, und um fo reicyern,
je treuer er das Allen Gemeinfame faßt und die ganze Fülle feiner Ins
dividnalität daran gibt, es in fih und durch fie zu befeelen, es gleich.
fam zu perfönlich »leiblichem Dafein zu befeftigen. Nur dies darf ihm
gelten, denn nur dies gilt im natürlichen Dafein des Volks. Alles was
die Säule mit Recht oder Unreht an der Muſik gemobelt, if dem
Bolke nebenfähhlich, die augenblidtiche Megung und deren Yeuferung das
Befentliche und durchaus Beflimmende. Der Sänger muß eben fo willig
iein, tsäumerifh fi von Wellenfyiel der Melodie hintragen zu laſſen,
vorbei allen „Intentiowen ‚ die der Kunflfänger fi klüglich nicht ent⸗
geben laſſen würde, als beweit, alles Tact⸗ und Ebenmaaß, alles dem
86*
564 Geſang.
Kunſtſanger Unentrathſame, wo der Drang bes Inhalts gebietet, gu ver⸗
geſſen. Da zeigt ſich denn das Unberechenbare des Bollsliebs wie der
Boltefimme. Da mag der Funfigebildete Sänger erproben, wie wiel
Raturgefühl und Unmittelbarkeit die amerikaniſche Malm⸗Muühle ſechsjäh⸗
riger Solfeggien in ihm übrig gelaffen. — Aus derfelben Natur des
Boltstieds iſt auch zu begreifen, weshalb die tiefern Componiſten es
wohl lieben, felten aber hervorbringen; der Gehalt ihres Geiſtes iſt eben
nicht der allgemeine, fondern ein ihnen eigenthümlicher, eigenſter Ger
fang’ — wie Göthe von Byron bezeugt. Der alte. Hiller, Schulz,
der alte Reichardt, viele achtbare neuere Sänger baben Vollksliedern
Entſtehung gegeben, andre Lieder — 3. B. das unfterblige „Allons
enfans‘“ — find von Nichts Muflfern, andre von ungenannten Aelp⸗
fern, Jägern, Kriegsgenoſſen ausgegangen. Bach dagegen, Gluck,
Beethoven Haben das Volkslied geliebt, denn fie haben es in ihren
Werken vielfach benußt; aber dagegen geben fie ihm nichts, fo wenig
wie Mozart; nur Haydn hat ein Lied und Karl, Marie
Weber einige Melodien (die er zum Theil wieder dem Volle dankt) bei⸗
geſteuert. Das if das Volkslied. Unberechenbar if feine Wichtigkeit.”
Dieran Tchließe fi eine Stelle aus dem Vorworte der von ber
Agentur des „Rauhen Hauſes“ herausgegebenen „Lieder für Hands
werker.“ ... „Leben ohne Singen if halbes Leben, und wer aus
ganzer Seele fingen mag, deffen Herz bleibt friſch und helle, und feine
Arbeit und Gebet haben Flügel. In's deutiche Land muß wieder die
Zeit kommen, da in den Werkſtätten bei Hobelbank und Hammerſchlag,
und in den Serbergen beim Trunk in der Feierſtunde, und auf ben
Heerfiraßen, wo die Wandergeſellen ziehen, das beutfähe Volkslied men
ertlingt, wie es unfre Vaͤter gefungen.
Es if nicht gut, daB der Handwerfer Mund zum Singen fo ſtumm
ward. Wenn im Wald die Lieder ſchweigen, dann iſt der Frühling
vorbei. Durch den deutihen Wald hat ein Herbfiwind geweht, Daß
die heiligen Lieder verfiummt find. Aber viel unfauberes Mabengefchrei
macht fih breit, von rohen Seelen aus wühen Kehlen gefchrien - in
Gaſſen, Werkſtaͤtten und Herbergen, davor ein Feufcher Mann roth wer⸗
den muß. Das zum Berflummen zu bringen und auszutilgen, if Ehren»
ſache für den Handwerkomann.“
II. ®efanglehre.
1. Der Gefanglehrer.
56. Seine Ausrüftung. „Was verlangen wir aber von dem
Lehrer, der die hohe Aufgabe des Geſangunterrichts in der Schule Id»
fen fo? Nicht Birtuofentyum, dem eine glatte Technik das Hoͤchſte
iſt, — nicht Künſtlerlaune, die es verſchmäht, zu den Unwürdigen
in der Kunf herabzuſteigen, — nicht Unverſtand, der die Stimmen zu
Tode hetzt, — nicht Reizbarkeit, die bei jedem Mißton bie Stirn
in alten zieht, — nicht übertriebene Empfindfamkfeit,. der du
Geſang. 668
muntere Jugend Schnivpchen ſchlägt, — nicht trockene Theorie,
die atıf leere Abſtractionen Gewicht legt, — nicht ſchulmeiſterliche
Engherzigkeit, die unter Formenkram den Geiſt der Tonkunſt ers
tödBtet, — nicht Gelehrtheit, die nicht aufhört, yofitiven Wiſſenskram
anszufhütten: — Nichte von alle -dem. — Was verlangen wir von
einem guten Gefangiehrer? 1. Einfiht in den Geift der Sprache und
der Muſik, insbefondere in die Theorie des Gefanges und das Weſen
des Stimmorganismus, 2. natürliden Sinn für Muſik und alles
Schöne und Bute, 3. einen Maren pädagogifchsFritifihen Blick und 4.
Billenstraft, Strebfamkeit und Ausdauer.” Merling a. a. D.
2. Gtimmbildung.
57. Rügen. Nachbem bie Pädagogik ſich jeit beinahe einem hal⸗
ben Jahrhundert bemüht hat, dem Geſangunterrichte in höheren und nie
deren Schulen Ziel und Bahn beſtmoͤglichſt zu bezeichnen, fo muß es
jegt erlebt werden, daß von dem mehr künſtleriſchen Standpunkte aus
Ihonungsios über den Schulgefang, wie er fih im Allgemeinen darkellt,
der Stab gebrodhen wird. — — — (8 fehle der rechte Geſangton,
mithin die erſte, nothwendigfte Bedingung des wahren Geſanges. Die
Urſache liege in den Lehrern! „Die Lehrer thun nichts, oder doch
nicht das Rechte für Stimmbildung, denn fie verliehen nichts
davon.’ Das ift der Punkt, worin die Urtheile zufammenlaufen, welche nas
mentlih von Mr. Schladebach, Dr. Schwarz und Ferdinand
Sieber in der bezeichneten Richtung ausgefprocdhen wurden. 8. Sies
ber fagt: „Möchten doch die Kinder in den Schulen (fatt daß fie meis
ſtentheils nur zum Notenlefen, Tacte zählen, Töne treffen, und Schreien
angehalten werden) von verfländigen und gefangfundigen Lehrern in Zus
funft mehr und mehr mit den (wahren) Grundlagen des Gefanges ber
fannt und fo ſchon früh für die feinere Seite der Geſangkunſt empfäng⸗
lich gemacht werden! — Läßt fidy nicht beftreiten, daß dies in neuerer
Zeit in manchen Schulen gefchieht, fo Lönnen doch einzelne rühmens-
werthe Ausnahmen nicht für Die allgemeine Galamität entichäbigen.‘'
Bollffändiges Lehrbuch der Geſangkunſt zc. 1856. —
Sn dem Syfem der Geſangkunſt von Dr. Schwarz heißt
68%... „Leider aber if diefe Gefanglehre (in den Gymnaften und Volls⸗
ſchulen) meiftentheils fo beichaffen, daß der Lehrer mit dem Rotentreffen
und einiger Abwechſelung von piano und forte zufrieden if... In allen
andern Schulfächern wird nur den Bewährtefien das Lehramt zugetheilt,
im Gefangunterricht aber war es bisher faſt allenthalben dem Zufall übers
laſſen, ohne Ueberzeugung von der Kenntniß und Züchtigleit des Lehr
rers, ohne eine vorbergegangene Prüfung” ....
Dr. Schladebach fchleudert Worte des härteften Tadels gegen
den ſchlechten Gefang in Kirchen und Schulen, Familien und Vereinen.
„Es if ein ſüßer Selbfihetrug, den die gegenwärtige Generation ſich
vorgaufelt, wenn fie meint annehmen zu dürfen, daß die Wahrnehmuns
gen ber Geſangthaͤtigkeit in den verſchiedenſten Kreifen zu dem Schluſſe
866 Geſang.
auf eine beſondere Pflege der ſchͤnen Kunſt des Geſanges in unfırer
Zeit berechtigen.... Zritt man in die Schulen und hört da in dem mei⸗
ſten das widrige Gefchrei, diefes verſtändnißloſe Serplärren, biefe ohren⸗
zerzeißende Uureinbeit, und gewahrt die Verzerrungen der Muskeln, die
tirſchrothe Gefichtöfarbe..... fo wird uns in tiefler Seele der Jammer
erfafien über folhen Mißbrauch und über die grenzenlofe Berblendung,
welche hier noch ein gutes Werk gethan zu haben glaubt. Hier if es,
wo das äfhetifche Gefühl, der Geſchmack, das feine Ohr, die gute Stimme,
ja wo die Heicht. verleßtichen Befangsorgane für das ganze Leben oft rui⸗
nirt werden.’ — Achnlihes wird über den Hausgeſang, über die Leis
ungen der Liedertafeln 2c. gefagt. „Es fehlt,“ fo heißt es dann weis
ter, „die eigentlihe Stimmbildung, die. Erzeugung des correcten und
fhönen Zones.... unfere Cantoren, Drganiften, wie die Schullehrer über»
haupt, find amtlich dazu verpflichtet, ohne daß fie die geringfte Befähi-
gung dazu befiben... das klingt hart und abfprechend, aber es iR Teiber
wahr.... Einen Theil der Schuld an dem in riefig wachſender Potenz
fortfchreitenden Berfall der Geſangkunſt tragen aber au die Auffichte
bebörden, die fi einer wunderbaren, ganz eigenthümlichen Täufchung in
Bezug auf Lehrfähigbeit für den Geſangunterricht hingeben.‘ So Dr.
Schladebah inNRomberg’s: Die Wiffenfhaften im 19. Jahrh.
58. Was fagen wir dazu? Es if nicht gerecht, daß Dr.
Schladebach die Lehrer — die freilih daran gewöhnt find — in
Bauſch und Bogen verurtheilt bat. Hätte er feinen Tadel um 23%
Procent redueirt, fo würde er der Wahrheit näher gefommen fein. Das
iſt: nun aber gewiß ſchon fhlimm genug, und wir haben alle Urfache, mit hoch⸗
flem Ernfte die Frage an uns zu richten, wie ein [höner Gefang all⸗
gemeiner herzuftellen fei, ale es bisher der Fall war. Theilt doch aud
G.Flügel im Brandenb. Schulblatt aus feiner mehrjährigen Erfah⸗
rung mit, daß faſt alle in das Seminar eintretenden Zoͤglinge ſo gut
wie feine Stimm⸗Ausbildung genoſſen haben. (Er fordert, daß hierin
mehr geſchehe und daß der Seminar⸗Aspirant auch wenigſtens anges
fangen habe, „fein angebornes Inftrument, die meſtſchliche Stimme,
fo weit fennen zu lernen, um vor dem Ruin berfelben bewahrt zu
bleiben.“ *)
59. Was wird uns geboten? Mit Net wird man übri⸗
gene fragen, ob denn Dr. Schladebach, nachdem er gegen die Lehrer
fo ſchwere Anklagen wegen Vernadhläffigung der Zonbildung erhoben, nun
feinerfeits eine praftifhe Unweifung zur Behandlung der Stiume er-
theile. Es Tann dies nicht im weiteſten Sinne bejaht werden. Aller»
dings. giebt er eine auf neuere Beobachtungen und Forfhungen gegräns
dee, ganz in's Einzelne gehende Belchrung über die Stimmorgane und
ihre Thätigkeiten, woraus ſich theoretifch alles Weſentliche über die Her⸗
7
9 Bon Wichtigkeit find die beigefügten biätetifchen Winke in Betreff der
Schaltung der Stimme (eiätiger Tonanſatz, Maaßhalten im Singen und Spres
Ken, Vermeidung von Branntwein, Rum 2c., Vorfiht im Biergenuß, Enthal⸗
ang von Schnupftabak, gleichmäßig warıne Kleidung, Pflege der Zähne. ze.)
—
Geſang. 367
ſteluug des guten Geſangtones entnehmen läßt; wie aber nun in zahl⸗
reihen Schulklaſſen diefe Kenntniß zu verwerthen, was yon Stufe zu
Stufe für den Zwed. der Stimmbildung zu thun fei, das iR eine
Trage, deren Beantwortung — die freilih in das genannte, für einen
genifchten Lefefreis beffimmte Werf nicht gehörte — Mancher mit Ber
Dauern vermiflen wird. Möge Dr. Schladebach fich herbeilaſſen,
den Volksſchullehrern für die fehwierige Aufgabe der Zonbildung im
Maffenunterricht eine Anleitung zu geben, die ihnen genau und fpeciell
fagt, was fie während der ganzen Dauer des Schulcurfus und nad als
len Richtungen bin zu thun und zu vermeiden haben. Nah der Stel
lung, weldye er zur Sache genommen, dürfte es eine Pflicht für ihn fein,
folshe Handreidungen zu leiften.
Was nun Dr. Schwarz und Ferdinand Sieber betrifft, fo
findet der Bolfsihullehrer in benannten Schriften diefer Männer: freilich
auch keine Directe Belehrung über das, was gerade er an feiner Stelle
zu thun habe, da diefe Schriften, von denen übrigens die Sieber’iche
nur in erker Lieferung vorliegt, die Bildung des Einzelnen, nicht die
von Klafien und Maflen, in’s Auge fallen. Indeſſen ift ihm doch das
Studium beider Werfe angelegentfih zu empfehlen: e8 wird ſich ihm jes
den Falle Manches daraus ergeben, was mittelbar alddann auch für feine
Schularbeit fruchtbar werden dürfte. Einiges Nähere glaube ich Hier.
wenigfiens noch über 58. das „Sy ſtem des Dr. Schwarz beibringen
zu müffen, da daflelbe als etwas wefentlich Neues angekündigt und aufs
genommen worden ift, wie denn 3. B. Dr. Homeyer in der Neuen
Beitfärift für Muſik verfidert, Dr. Schwarz habe fo helles
Licht in die lang beftandene Dunfelheit gebradt, daß die Hisheris
gen Gefangunterrihti8- Methoden nur in einer hiſtori—
ſchen Rumpellammer fürder Geltung haben fönnen.‘
Dr. Schwarz hat in ausgedehnter Weife Unterfuchungen über
das menjhliche Stimmorgan an todten Kehlköpfen vorgenommen; ed has
ben fi) ihm dabei die phyſiologiſchen Gefehe für den Gebrauch des Or«
gans ergeben, und nach diefen Geſetzen brachte er die Gefangkunft in
ein förmlihes Syflem. Grundzüge: 1. Zur Erzeugung des Tons
nah Höhe und Tiefe ift wefentlih der Kehlfopf mit der vers
ſchiedenen Spannung der Stimmbänder, und untergeordnet wirfen mit:
a. ein ſchwacher Athem, b. eine mäßige Mundöffnung. 2. Zur Rüan«
eirung des Z ones in der Stärke if wefentlicdh die Lunge mit
der verichiedenen Stärke der Luft, und untergeordnet wirken mit: a. das
Nachlaſſen und Anziehen der Stimmbänder, b. die kleinere oder größere
Mundöffuung 3. Zur Nüancirung des Tons im Klange (mit
telfarbiger, heller, dunkler Ton) ift wejentlich das Anſatzrohr (Schlund -
und Mundhöhle) mit der verfchiedenen Stellung feiner Theile, und uns
tergeordnnet wirken mit a. der Grad der Erregung des Athems, b. der
Grad der Intenfion der gefpannten Stimmbänder. Auf diefen im erften,
dem phyſiologiſchen Theile des Syſtems gegebenen Grundlagen baut
fi4 der zweite, der tehnifche Theil. des Syſtems auf, deilen Aufgabe
es if: 1. das Maaß des Athems zu finden, mit welchem alle Töne dey
en -
568 Geſang.
Scala in gleicher Stärke hervortreten können, 2. diejenige Art der Mus
felthätigfeit bei Spannung der Stimmbänder zu finden, bei welcher alle
Tone in gleicher Leichtigfeit anfprechen, 3. den Grad der MRundöffnung
zu finden, bei welchem alle Töne in gleichem lange möglich find. Ad.
1. Die betreffenden Uebungen beginnen mit Herfiellung der gleichen, moͤg⸗
Nlichſt piano gehaltenen Scala. Hat der Sänger diefe erreicht, fo iſt der
fefte Boden für alles Weitere gewonnen, denn diejenige Luftmaſſe,
welche der Sänger braudt, um alle Töne feiner Scala
gleich pianoerklingenlaffenzu fönnen,welde fomitimdus
fammenbang jedem Tone zulommt; eben diefelbeLuftmafie
mußernun auch für jeden einzelnen Ton für fich allein,
er mag liegen wie er will, fefbalten. Dieſes ik fo zu fagen
das primitive AthbemsBolumen für jeden Ton; von ibm muß
jede weitere Athementwidelung ausgeben und zu ihm wieder zurückkehren
Es folgt dann die Herfiellung der gleich mittelftarfen, der gleich ſtarken
und der ans und abgefchwellten Scala. Ad. 2. Das Mittel zur An⸗
wendung der richtigen Musfelthätigkeit ift die Beibehaltung Des
möglihf ſchwächſten Athems für die ganze Scala. Das Sin⸗
gen berubt vor Allem auf Mustelthätigkeit (Schwingung der Stimmbän-
der), diefe kommt aber nicht zu ihrer vollen Geltung, wenn die Athem⸗
fraft fih an ihre Stelle fegen will. Aber nur bei ganz ſchwachem Athem
läßt fih die Scala durch Muskelthätigkeit allein (ohne Nachhelfen wit
dem Athem) berftellen u. f. w. Die Muskelthätigfeit if aber eine ans
dere bei der auffleigenden, eine andere bei der abfleigenden Scala.
Erftere macht (was in großer Ausführlichkeit nachgewiefen wird) ein feharfes
Einfchneiden der Kehle, leptere ein langes Durchziehen nothwendig. Demnach
it bein erfien Studium die auffteigende Scala staccato (nicht raſch a b⸗
fhneidend die Töne, fondern nur fie rafch und beflimmt eintreten laffend)
zuüben, die abfteigende Scala portamento (aber nicht heulend). Später, wenn
gleich Leichte Anfprache aller Töne, Leichtigkeit und Schnelligkeit der Bes
wegung im ganzen Umfange der Stimme erreicht iſt, folgen die ver-
fhiedenen Bariirungen des Anſatzes bei der fleigenden und fallenden
Scala und die Herftellung der Coloratur. Ad. 3. Zur Herſtellung ber
Gleichheit des Klanges der Töne muß vor Allem jede unnöthige Beis
bälfe bei Erzeugung und Bortfchreitung der Töne ganz und gar vers
mieden werden. Alfo Befeitigung des Gaumen» und des Nafentones
(des Quetſchens und Näſelns) und dann Herſtellung der gleichen mittels
farbigen, der gleichen hellen und der gleichen dunkten Scala dur Res
gelung der Thätigkeit des Anfagrohres, die wieder durch Regelung der
Munddffnung beftimmt wird. — Wie dies und alles Borige im Eins
zeinen auszuführen, muß in dem Buche felbft nachgelefen werden. Ich
bemerkte nur noch, daß dem zweiten, dem tehnifchen Theile, noch ein
dritter, der pſychohlogiſche, folgt, wo der Belang „als lautende
Seele” behandelt wird. Hier wird viel Gutes über Ausſprache, Bors
trag und Anderes beigebracht, jedoch nichts wefentlich Neues und Eigen⸗
thümliches, wie dies allerdings im I. und 11. Theile der Fall if. Die
Beurtheilung des in diefen heilen Gegebenen bleibe vorläufig den Mu⸗
Geſang. 569
ſttzeitſchriſten überlaffen; s es Sam hier nur darauf an, dem Lefer ganz
im Allgemeinen einige Senntniß des neuen Syſtems zu verichaffen.
60. Zortfegung. Noch if in Bezug auf Zonbildung der Bes
Rrebungen Merling?’s in feiner oft erwähnten Schrift zu gedenken. I
babe dies abfichtlih bis hieher verfhoben, um den Abihluß mit dem»
jenigen Buche zu machen, welches für ben Elementarlehrer das zugängs
liche, faßlichke und am meißten praktifche ik. Merling polemiflrt nicht
gegen die Beſchaffenheit unferes Schulgefanges, auch nicht gegen die zahl⸗
reichen Anmeifungen zum Gefangunterrichte, welche alles Mögliche lehren:
Rhythmik, Melodit, Harmonik, Bortrag, Yremdwörter zc., nur das Eine
nicht, nämlih das Singen; er legt einfach dasjenige dar, worauf es
anlommt: Bildung des Zones an fih, Bertnüpfung der
Zöne zur Scala, — und giebt genau die Uebungen an, welche für
den einen und den andern Zweck vorgenommen werden müffen. Er thut
dies nicht, ohne vorher auf Grund der beflen Werke fo viel über den
Stimmorganismus mitgetheilt zu haben, als jeder Gefangiehrer willen
muß. Was die Vebungen felbft betrifft, fo beſtehen fie im Darftellen
des einzelnen Tones und der Tomteiter (einfchließlih der aus ihr emts
widelten Golfeggien) nad verſchiedenen Stärkegraden, Anfaparten und
rhythmiſchen Maaßen. In bemerfenswerther Zufammenflimmung mit dem erfi
fpäter erfähienenen Werke von Dr. Schwarz legt Merling ein gros
Bes Gewicht zunähft auf das Bianofingen, wenn fchon ihn mehr
die Erfahrung darauf hingeleitet haben dürfte, während Dr. Schwarz
von der Beobadhtung des Stimmorganismus geleitet wurde.
Zwei Regeln werden aufgeftellt: 1. Der Zon beginne leiſe, halte leiſe
aus und emdige leife. 2. Der Zon bilde Rh crescendo und decrescendo.
„Die erſte der beiden Regeln ermöglicht eine ficbere Intonation; ohne
die Regel iſt Tonreinheit gar nicht in eine volle Klaſſe hineinzubringen.
Sie if unansgefegt zu üben” u. f. w. Es muß dies genügen, um
auf die Arbeit Merling’s hinzumeifen und fie als eine pädagogifce
That zu bezeichnen, die nicht ohne Einfluß auf den Schulgefang bleiben
und gewiß dazu beitragen wird, nach und nach den Tadel zu entkraͤften,
den man fo reichlich über die Lehrer ausgegofien bat.
3. Die Tonzeihen.
61: Tonzeichen oder keine? Ballien fchreibt in feinem
Schulplane — L5nw’s Monatsihrift Nr. 422 — auch für die
obere Stufe vor: „Einſtimmiges Singen nah dem Gehör, ohne
Roten.” Dieler Anſicht gegenüber wird befanntlih von vielen Andes
ren die Anwendung einer Tonbezeichnung in Schulen jeder Art für
zwedmäßig erklärt.
62. Die Ziffern „Das Singen nad ‚Biffern it faft ganz
aus der Mode und dafür die Rote immer mehr in Aufnahme geloms
men. Gewiß ein bedeutender Kortfchritt! Denn mag die Ziffernfchrift
auch immerhin ihr Gutes haben, erfegen kann fie die Notenfchrift keines⸗
wegs; ieme hat fih auch nur in der Schulſtube einige Geltung zu vers
370 | Geſang.
ſchaffen gewußt, während dieſe in's Leben hineinreicht und fomit der
Sangesoluſt einen möglichſt freien Spielraum eröffnet.“ So Neehuſen
in, feiner Elementargefanglehre. Er jegt aber freilich Hinzu:
„Sierüber jedoch darf nicht vergefien werden, daß der Sieg der Note erſt
dann ein wirklicher ift, wenn die Schule ihre Zöglinge auch fo weit zum
Verſtändniß der Notenfchrift führt, als erforderlich, wenigſtens leichtere
Geſänge und Lieder ohne fremde Beihülfe nach Noten richtig abfingen
zu können. Bleibt diefes Ziel unerreicht, dann freilich if es gleichgäls«
tig, durch welche Beichenfchrift dex Gefangunterricht für's Auge unters
Kügt wird, und fann nur von einem Singen die Rede fein, bei dem
die Zeichenfchrift entweder als eine leere Spielerei oder garals ein mäjs
figer Blagegeift erſcheint!“
AS einen „Zifferiften” bezeichnet IH Koch in feiner Geſang⸗
ſchule. Er will aber damit nicht ſagen, daß er nah Ziffern ſingen,
fondern nur, daß er die in Roten dargeſtellten Tonverhältniſſe anf die
Art, wie e8 beim Biffernfingen gefchiebt, auffaflen laſſe. Mit andern
Worten: Der Schüler ſoll fih nicht die relatinen, fendern die abfos
Iuten Intervalle vergegenwärtigen. Denken wir uns die Melodie „Je⸗
fus, meine Zuverfſicht“ in D-dur gefchrieben. Hier läßt Koch uun fo
lefen: Zünfte a, Dritte his, Sechſte b, Siebente cis u. ſ. w. Das find
die abfoluten, nad der Zonica beflimmien Intervalle. Relativ,
von Zon zu Ton meſſend, faßt der Sänger die genannten Zöne fo auf:
a, fallende Terz fis, fleigende Quarte h, fleigende Setunde eis u. f. w.
Koch läßt nah „Zahlnoten‘ fingen, ohne jedoh mit Thomascik
von den NRotennamen ganz abzufehen.
63. Die „ßZahlnoten“ Thomascik's und das ihnen zum
Grunde liegende Syſtem der abfoluten Zutervalle. fanden eine nene
Bertretung in der „PBraftifhsmethodifhen Geſangſchule“
Franz Schmidts... ‚Indem wir das nolle Verſtändniß und den
freien bewußten Gebrauch der Gefangfchriit als nothwendige Bedingung
zur lebenskräftigen Entwidelung des Volksgeſanges verlangten und als
letztes Biel des vorliegenden Buches hinftellten, war es nöthig, ſowohl
das ganze bisherige Notenſyſtem umzuſchaffen, als aud den gewöhnlichen
methodifhen Weg zu verlaffen‘ u. f. w... „Unfer InftrumentalsRos
tenfoftem ift nicht geeignet, eine allgeniein verftändliche Geſangſchrift für
das ganze Volk zu werden, das lehrt ein Blick auf die Schwierigkeit und
Complicirtheit deffelben, fowie auf die dem Gefangunterrichte zugemeſſene
Zeit, das zeigen auch hinlänglich die feither durch den Schuls@efangun-
terricht erzielten Refultate. Wir haben deshalb die gebräuchliche Noten⸗
Thrift aufgegeben und an ihre Stelle das vereinfachte, natärlihere Sys
ſtem Thomascif’8 geftellt, welches allen Forderungen, ſowohl ber Büdas
gogik als auch der Geſangkunſt und der Mufif überhaupt Genüge keiftet.‘‘
Mittelt der Zahlnoten foll das Berfländniß der muſikaliſchen Bezeichnung
zu der Unmittelbarfeit erhoben werden, welche die Schrift beim Leſen
bat: „daß der bloße Anbtid der Zeichen genüge, den Inhalt des Bezeiche
neten. unmittelbar dem Geifte und Ohre zur Erjcheinung. zu bringen.“ —
Ein Weiteres darüber unter einer fpäteren Nummer.
Gefang. 571
Fur die Zahlnote erklärte ſich auch T. Wonner in Nr. 22 des
Süddeutſchen Schulboten.
64. Die modificirten Zahlnoten, wie fie Rector Rein»
tbaler vorgefchlagen hat, wurden von demfelben fleißig in Anwendung
gebracht und bei jeder Gelegenheit durch Schrift und Wort vertreten.
Thamascik, Reinthaler und Koch haben das Gemeinfame,
daß fie nach abfoluten Intervallen fingen laſſen; fie unterfcheiden fich
darin, daß Thomaseit die Thonica ſtets auf die erfle Linie ſtellt,
Reinthaler nach Erfordern bald auf diefelbe Stufe, bald in den
zweiten Bwifchenraum, Koch endlih nad Umftänden auf jede beliebige
Stufe, wie. 28 eben in ber gewöhnlichen Notenſchrift gefchieht.
4 Das Singen nach ZTongeichen.
65. Ziel des Unterrihts. Nah Neehuſen if das Biel,
„DaB die Schüler wenigftens leichtere Lieder und Gefänge nach Roten
richtig, abfingen lernen,’ bis jegt nicht erreicht. „Wer berechnet, daß je
der Schüler bei wöchentlih nur einer Stunde nahe an 400 Stunden
feines Schullebens auf die Erlernung des Gefanges verwendet, und fich
überzeugt hat, daß die Schule im Allgemeinen ſchon Sangesiuft vorfindet,
die Jugend aber da, wo fie Luſt und Liebe mit in die Schaale legt,
auch nicht leicht eine Schwierigkeit ſcheut: dem mag es kaum denkbar
ericheinen, daß in einem fo ausgedehnten Zeitraum ein fo nahe gefted-
tes Ziel nicht erreicht werden folltel Welche Schule aber hat Schüler in
hinreichender Anzahl aufzuweifen, die ein befriedigendes Zeugniß für die
Grreihung deflelben ablegen könnten? Nur ſehr wenige möchten dazu
im Stande fein, und diefe wenigen fünnen den im Allgemeinen ‚geringen
Erfolg des Gefangunterrichtes in der angeregten Beziehung nicht in Ab»
rede ftellen. Daß das genannte Biel aber zu erreichen, fcheint von
Neehufen nicht bezweifelt zu werden, wenigftens iſt es die Beſtimmung
feiner Elementargefangiehre, „günftigere Erfolge zu erzielen.“
„Der Bolksfänger foll vom Blatte fingen.” Mit dies
fer Zorderung tritt Franz Schmidt a. a. D. in entjchiedenfter Weife
auf. Hören wir ihn felbft:.... „Sprechen ift Denken, und Singen ift Ems
pfinden. Verſtand und Herz aber find die Quellen wie die Mündungen
der Wiffenfchaft und Kunſt. In diefer weiten Peripective foll und muß
die Geſanglehre die Geſangkunſt erfaffen, um diefe in ihrer ganzen hohen
Bedentſamkeit und in ihrem großen Einfluffe auf den Menfchen vecht zu
würdigen; die Pädagogik wird dann dem Gefangunterridte
diejenige wichtige Stellung nicht länger vorenthalten, die ihm
vermöge feines Einfluffes auf Erziehung und Bildung gebührt, und die.
fie ihm, fowohl die Menfchennatur als auch Weſen und Stellung der
Kunft zu derfelben verkennend, nur zu. lange verfagte.” Hat diefe „Vers
fagung,’ fo fragen wir, wirklich fattgefunden, mehr denn vierzig Jahre
lang, um auch nur von den Pefalozzianern an zu rechnen? Die Padas
gogik hätte damit eine ſchwere Verſchuldung auf fi geladen! — Wie
meint es Franz Schmidt mit diefer Anklage?
N
572 Geſang.
Es ſcheiden ſich ihm wie und Anderen in Anſehung ſowohl des Geſang⸗
ſtoffes als auch der wirklichen muſikaliſchen Darſtellung zwei Gattungen
des Gefanges, der Natur» und der Kunftgefang. „Sener if tra
ditionell, geht unmittelbar von Ohr zu Ohr, von Mund zu Mund und
bat zum Stoff das einfache eins und zweiflimmige Volfslied ; diefer iR
das Product der Lehre und des Studiums, verlangt muflfalifche Einficht
und mufifalifches Bewußtfein und bat zum Stoff den nad allen Regeln
der Kunf und mit der ganzen Mannichfaltigkeit künſtleriſcher Freiheit
behandelten dreis und vierflimmigen Satz. — Es fragt fi: Soll die
fer Kunfgefang das Ziel der Vollsgefangbildung fein, und Tiegt dieſes
Biel innerhalb der Grenzen der allgemeinen gegenwärtigen Volksbildung
überhaupt? Wir bejahen diefe Frage mit Entichiedenheit. Der deut»
ſche Volksgeſang frebt, fi zum Kunfgefang zu gefalten, trotz der mans
geibaften und verkehrten Gefangbildtung und Erziehung. ..... Der
Kunftgefang flellt aber an den Sänger die große Bedingung der völlie
gen Ueberwindung der Beichentechnik, um das im ganzen Umfange fein
zu Pönnen, was er fein foll: unmittelbarer Erguß des innern Seelenle⸗
bene, Träger gemeinfamer Erhebung und Begeifterung, Mittel zur äſt⸗
betifchen Erziehung und Bildung. Diefe Borderung an die Geſangbil⸗
dung des Volkes ift eine umfaffende; der Volksſänger foll leiſten, was
bisher nur Sänger vom Bach und auch diefe nicht immer leiten konn⸗
ten, er fol vom Blatte fingen; dieſe Forderung if unerläßlih: nur
beim Singen vom Blatte tritt der muflfalifh geiftige Inhalt unmittels
bar in die Serle des Sängers. Eben fo ficher alfo wie das Boll nad
Buchſtaben lief, fol es nah Noten fingen. Mechanismus, d. b. Uns
mittelbarkeit der Anſchauung und Darftellung ohne vermittelnde Thätige
feit des Berftandes tft, wie beim Lefeunterricht, das Ziel der Unterweis
fung. Diefes Ziel if ganz und fiber zu erreichen.” — —
Bugefanden wird, daß meift die ganze Schulzeit erforderlih fein wird,
bis die Schüler an's Ziel gelangen, während fie das mechaniſche Lefen
in einem Jahre lernen. „Die Gründe der größern Langſamkeit in der techni⸗
fhen Geſang⸗Entwickelung And: 1. Die Schwierigkeiten, welche Die Natur des
Gegenfandes und feine Behandlungsmeife bietet; 2. der Mangel an
ſtofflichem Vorrath und floffliher Vorbereitung der Sänger beim Beginn
des Unterrits; 3. die vom Alter und der Natur bedingte Schwierigkeit
und Langfamkeit, mit der die Stimme und das Gehör zu bilden, gegen-
über den meif vollendet ausgebildeten Sprachorganen und der weitentwils
telten Sprache des Lefefhülers; A. der große Umfang und die Com⸗
plicirtbeit des Xehrftoffes; endlich 5. die Kürze der für den Gegenftand
zugemeffenen Zeit.... Es gehört darum großer Muth und die ganze
Liebe, Bingebung und Begeifterung für die Sache dazu, um nicht. ...
auf halbem Wege ermüdet ſtill zu fiehn. Dafür erwartet aber den uns
verdroffenen Arbeiter der fchönfte Kohn“ u. f. w. Zum Belege dafür
verweit Franz Schmidt auf die von Thomascik und auf die von
ihm felbR in Verbindung mit & Hartung erzielten Refultate.
66. Hortfegung. Wad nun meine Etellufg zu der vorliegen»
den Angelegenheit betrifft, fo ſteht mir natürlich fein Recht zu, Die Her
Belang. 573
fultate, welche ein Anberer erreicht zu haben verfichert, in Zweifel zu
ziehen; eben fo wenig aber liegt mir diele Verpflichtung ob, meine Ans
ſicht nach andern Beobachtungen und Erfahrungen ale den -meinigen zu
befimmen, Und fo erkläre ich denn kurz und rund, daß nad meiner
feften Ueberzeugung das Volk nie dahin gebracht werden Tann, fo nady
Roten oder. Zonzeichen irgend einer Art zu fingen, wie es nad Buchs
ftaben lie! Die angefizengteften Bemühungen in diefer Richtung werben
immer nur dahin führen, daß einige reicher begabte Schüfer eine jenem
Biele mehr oder weniger nahe kommende Sicherheit im Singen nad No⸗
ten erreichten, die große Mehrheit der übrigen aber dennoch blos m itfingt,
nadfingt, oder, falls fie auf fich felbft angewiefen wird, nad) einem ge
wiffen Gefühle des Zufammengehörigen die Töne an einander reiht, an»
Ratt fie aus der innern Anfhauung heraus zu treffen. Sch werde
das immer von Neuem wiederholen, fo lange ich eines Andern nicht übers
zeugt bin. Es kommt mir darauf an, Klarheit und Wahrheit in eine
Sache zu bringen, wo noch jo viel Zäufhung malte. Man foll von
dem Lehrer ferner nicht fordern, die Schüler zu felbfiftändigen Rotenfängern
zu machen, damit die Kinder erlöft werden von der Qual endlofer Treffs
übungen, er felbf aber aus der Bein des Gedankens herauskomme, ein
ihm vorgefledtes Biel aus perfönliher Unfähigkeit nicht erreichen zu koͤn⸗
nen. Es foll die Unfittlichkeit ein Ende nehmen, welche darin liegt,
daß Lehrer und Schüler den Schein annehmen”), als würde frei nad
Moten gefungen, während doc das Gegentheil flattfindet. Diefen meis
nen Zweden gegenüber if es mir fehr gleichgültig, welche nachtheiligen
Folgerungen für meine paädagogiſch⸗muſikaliſche Einfiht und Befähigung
Der oder Zener aus meiner Behauptung zu ziehen Beranlaffung nehmen
möchte. Biel beffere Leute haben viel Schlimmeres erfahren. — Ganz
übereinſtimmend mit der von mir flets vertretenen Anficht heißt es bei
Bormann: „Es fommt in der Bolfsfchule nicht darauf an, den Schü⸗
fer in den Stand zu fehen, ein notirtes Befangfüd vom Blatt
zu fingen, wohl aber ift es gerathen, die Hülfe nicht zu verfehmähen,
welche für Einübung und Wiederholung der Gefänge durch Einführung
des Schülers in das Verſtaͤndniß der Notenſchrift ohne große Schwierig«
feit gewonnen werben Tann.’
Auch in der Anweifung für die einkl. Schülen der Rheinprovinz
wird durchaus nicht die Forderung gefellt, die Schüler zum ſelbſtſtaͤn⸗
digen Singen nach Noten zu führen.
Ballien befiimmt a. a. O. für die obere Stufe „befondere Stimm»
und Gehörübungen, nit Treffübungen.’ Das ift alfo der fharf
zugeſpitzte Gegenfaß der Anfiht Franz Schmidt?s, ber fich übrigens bei
Dallien im Weſentlichen ſchon aus der Nichtanwendung den Zonzeichen
ergiebt.
e) ... „man fo thun,“ wie der Berliner ſagt.
67% Geſang.
5. Die Methode der Unterweiſung im Notenfingen.
67. Zwei Hauptformen des Verfahrens ind, obſchon in
verfähiedener Ausprägung, erkennbar: a) man flellt das Lied, von ihm
ausgehend oder doch Alles fofort auf daffelbe beziehend, in den Mittel
punft der Unterweifung; b) man thut dies nicht. Alſo Berbindbung
oder Trennung der Elementarübungen und der Lieder.
Um mit der zweiten Berfahrungsweife zu beginnen, fo if fle vertreten
in den weiter unten mit vollfändigem Titel aufzuführenden Lehrgängen und
Uebungsbühern von Franz Schmidt, Fr. W. Sering, O. Lorenz,
Dr. Eifter, Joh. Bapt. Hamm, Joh. Koh und P. Wed. Franz
Schmidt fagt: „Das Kind kann nur Eines auf einmal treiben und
üben, auf diefes Eine muß es feine ganze Thätigkeit und Aufmerkfams
feit richten, diefes Eine muß es mit vollem Bewußtfein bis zur Fertige
feit lernen. Daraus folgt die Nothwendigfeit der Trennung aller zur
Erlangung der Gefangfertigkeit nöthigen Webungen. Alſo Trennung
1) des technifchen Gefangunterrichts von dem Singen der Gefangfläde,
2) der reinen Gehörübungen von den Gefangübungen, 3) des melodifchen
Theile der Sefangübungen von dem rhythmiſchen.“ Hiernach behandelt
er in vier auf einander folgenden Abfchnitten I. den melodifchen, IE. den
rhythmiſchen Theil, III. die Verbindung der Melodie und des Rhythmus,
IV. die unmittelbare Anmendung der erworbenen Gefangtehnil. Unter
I.-III. treten ausfchließlih Solfeggien (Uebungen ohne Zext) auf, 224
an der Zaft. |
Fr. W. Sering difponirt fo; I. Einfache rhythmifche Mebungen.
II. Eigenfchaften des Tones. III. Einfache melodifhe Hebungen unter
Anwendung der bereits aufgefaßten Notengattungen und Zactarten, wobei
Hare Säpchen mit Terxt nur als Beigabe auftreten. IV. Grmeiterte
rhythmiſche Uebungen V. Erweiterte melodifche Uebungen (bis zum Abs
fchluß der Zonart C-dur). VI. Lieder und Choräle in C-dur. VII. Zer-
nere Erweiterung der Melodik (die transponirten Dur⸗Tonarten und die
MollsTonart). VII. Anwendung auf Lieder und Choräle.
D. Lorenz verfolgt im Wefentlichen einen ähnlihen Gang, nur
daß er gleich von vorn herein die vhythmifchen und melodifchen Erwer⸗
bungen in Bleinen Liedern zur Anwendung bringt, fo daß alfo ‚eine gleich⸗
zeftige Behandlung bes rhythmiſchen, melodifchen und ſprachlichen Ele⸗
ments in gemeinfamem flufenweifen Fortſchreiten“ fattfindet, bis emdlich
mit Erledigung aller Elementarübungen fi) der Eintritt in das Gebiet
der freien Liederübung öffnet.
Dr. Elſter verfährt, mit unmwefentlihen Abweichungen, in gleicher
Weile. |
Bei Joh. Bapt. Hamm ordnet fih det Uebungsftoff fo: I. C-dur.
A. Rein melodifhe Uebungen in Secunden. B. Rhythmiſch⸗melodiſche
Uebungen diefer Art. C. Vebgngen in Terzen, Quarten ꝛc. fämmtliche
ohne Rhythmiſirung. 11. Andere Tonarten, jedoch blos durch die Ton⸗
leitern vertreten, ohne irgend welde Uebungen. — Den Secunden und
Belang. 875
Terzen in G-der fchlisfen fich einige Sätzchen mit Zert an; fonft nir⸗
gends dergleichen.
Bei Johann Koch folgen die Uebungen in nachſtehender Ordnung
aufeinander: 1. Tact, Zactarten, Zaetfchlagen. II. III. Roten und Baufen.
IV. Zartübungen. V. VI. Tonleiter von C, Dreiflang, Intervallen.
VU. Secundens und Zergenübungen in G, D und F. - VIII. Zweiſtim⸗
miger Gefang. IX. Die Zeonarten A, E, B, Es und As. X. Quarten.
Dreiſtimmiger Geſang. Dynamiſche Zeichen und Tempowörter. XL.— XII.
Quinten, Septen, Septimen und Octaven. XIV. Halbe Töne. XV. Triolen.
XVI. Die Tactarten der Choräle. XVII. Die MollsLeitern. Anhang:
Die alten Tonarten — Neben den rhythmiſch⸗ melodifchen Uebungen
geht ein unabhängiger Liedercurfus hin. |
P. Bed ſchließt fi dem bekannten fynthetifchen Verfahren Sch ärtr
lich's an, läßt jedoch neben dem elementariſch⸗theoretiſchen Theile des
Unterrichts von vorn berein den praktifchen hergeben, wobei er übrigens
fagt: „Ob der theoretifche Unterricht Für ſich oder in Berbindung wit
dem yraftifchen extheilt werden möge, bleibt dem Geſchick und dem Fleiß
des Lehrers überlaffen.”
68. Fortſetzung. Als Bertreter der Methode, welche das Lied
in den Mittelpunkt auch der Elementarübungen ftellt, find Merling,
Wehe, A. A. J. Neehuſen zu nennen. Auch die Redaction des Sch uls
blattes der Schleſ. evang. Seminare foheint fi dieſer Methode
zuzuneigen, wenn fie in den Erläuterungen zu der befannten Preisauf⸗
gabe über den Gelanguntersicht zur Nachweiſung auffordert, in wie weit
die theoretiſchen (methodifchen) Uebungen unbeichadet einer zwedmäßigen
Stufenfolge zu vereinfachen und „an die zu übenden Befangftüde
anzuſchließen find.”
Der Berebungen Merling’s if ſchon im vor. Jahrg. gedacht
worden. Ich weiſe noch einmal darauf zuräd, und zwar darum, weil
unterdeffen ein Commentar zu den Damals angezeigten A Heften des theo«
retiſch⸗praktiſchen Geſangs⸗Curſus erfchienen if, in welchem näher anges
geben wird, wie „die lebendige Mufit des Liedes zum Mittelpunfte des
Unterrihtes” zu machen fei. An 219 Lieder, vertheilt auf A Unter
richtsſtuſen, knüpft Merling in Amal 12 Lectlonen Belehrungen und
Vebungen in Bezug auf: Mundflelung, Athmung, Notenfhrift, Auss
Sprache, Tact, Notenwerth, Auftact, Tempo, Legato und Staccato, Stimms
organismus und Eharakter der Stimmen, Tonbildung, Tonleiter, Rhyth⸗
mus, Stimmarten, Lieder mit einförmigem, mit verziertem Rhythmus,
mufifalifhes Berftändniß, epiſche Texte, Inrifche Texte, Iyrifcher Tonaus⸗
druck und Zonform. Derfelbe Gegenfland kommt meiftens in. verfchies
denen, zum Zheil auf verfchiedenen Stufen liegenden Lectionen zur Ber
bandiung,, 3. DB. die Tonleiter in Let. 2, 3, 10 und 12 der zweiten,
ſowie in Lect. 2 und 12 der dritten Stufe. Das Rähere muß der
Lefer an Ort und Stelle nachſehen; ich bemerke nur zur Melodik, das
Merling zwar mancerlei Gehörübungen anftellt, mechanische Treff⸗
übungen ohne Text jedoch nicht fingen läbt, fondern mit allex Entfchier
benheit den Brundfag feſthaͤlt, „dem Schüler ſtets Tongebilde norzuführen,
576 Geſang.
bie als lebendiges Ganzes Stoff zum Nachdenken geben, und Elemenle
zur Beförderung des aͤſthetiſchen Sinnes enthalten.‘‘
H. Wehe ſtellt für Elementarſchulen einen ſehr genau bemeſſenen Lehr⸗
gang nad folgender Diſpofition auf: I. Surtut: Dttavenumfang. 40 Lieber.
II. Curſus. Erweiterter Tonumfang. A. C-dur, 12 Lieder. B. Andere
Zonarten, 79 Lieder. Bon vorn herein treten das melodiſche und das
rhythmiſche Element in Berbindung auf, und zwar auf jeder Stufe
Anfangs für fih, dann aber fo, daB fie im lebendigen Bufammenbange
von Bollsliedern zur Anſchauung gebracht werden. Bei biefer Einrich⸗
tung fonnten die reinen Elementarübungen auf ein möglichk erſprieß⸗
liches Maaß reducirt werden; übrigens ift ein großer Theil berfelben den
fpäter einzuübenden Liedern felbf entnommen. und benfelben vorausge⸗
drudt worden, „ſo daß man während der Einübung nicht nöthig Bat,
bei Schwierigkeiten immer wieder die Melodie zu zerreißen.“
A. A. 3. Neehuſen Hat in dem Bemühen, an einer Reihe von
Liedern im Berein mit den entiprechenden Lectionen zu zeigen, daß ein
foftematifcher Gefangunterricht es Teinesweges nothwendig macht, denfel-
ben der Jugend durch fchale Zreffübungen, Golfeggien 2. zu verleiden
„00. im Wefentlihen ganz denfelben Weg eingefihlagen wie Wehe,
wenn Thon im Einzelnen Differenzen flattfinden.
69. Bas thun? Ich für meine Berfon befenne mid zu der
Anfiht, wornah alle weientlihe Belehrung, auf anſchaul ich em
Wege vermittelt, dem Liede vorausgeht, alle wefentlihe Nebung mit
dem Liede verknüpft wird. Ich verdamme aber Keinen, der es anders
macht, falls er nur die materielle Aufgabe des Unterrichts nach der Seite
der Choraͤle und Lieder hin vollkändig und den Forderungen des
Schönen gemäß erfüllt, und wenn er die melodifchen, rhythmiſchen und
thythmifchamelodifhen Uebungen im Anfchluffe an irgend einen Leitfaden
ohne übermäßigen Zeitaufwand und ohne daß die Schüler gedrangfalt
werden, betreibt. —
II. Literatur.
A. Schriften über Geſang.
1. Der Sefang in der Schule, feine Bedeutung und Behand»
lung zur Förderung muſikaliſcher Einftiht und veligids-
ißbetifhrgemütbliher Bildung. Bon Julius Merling, Lehrer
an der höhern Zöchterfchule in Magdeburg. Leipzig, Verlag von CT. Merſe⸗
burger. 1856.
Das Werk it ein Kommentar zu des Verf. Theoretiſch⸗prak⸗
tifhem Sefangs-Eurfus (im vor. Jahrgange des Päd. Jahresber.
angezeigt). Was diefer auf einzelne Lectionen verteilt hat, bringt ber
Gommentar, zu Kapiteln vereinigt, im Bufammenhange und mit Sins
weis auf die betreffenden Xectionen in dem Eurfus. Das Bud iR ger
fprieben zunächſt für Lehrer, denen zu ihrer mufllalifhen Weiterbildung
die koſtſpieligen größeren tbeoretifchen Werke nicht zu Gebote Reben;
für Lehrer, welche dem Gefangunterrichte in der Schule biefelbe hohe
. Geſang. ° - 877
Aufgabe zugefteben, wie der Berfafler...... . Dann auch foll es allen
Mufifern empfohlen fein, damit fle daraus erfahren, wie viel vor Allem
die höhere Schule im Gefange zu leiften habe, um das heranwachſende
Geflecht für wahren Kunftfinn und wahre Kunftleiftungen empfaͤnglich
zu machen. Endlich allen Eltern, Erziehern, Gelangsfreunden, welche
Die pädagogifche Bedeutung und den hohen Inhalt des Gefangunters
richtes in der Schule bis jegt noch nicht erfannt haben. Inhalt: Eins
leitung. Körperhaltung. Mundflellung. Athmung. Notenfhrift. Aus⸗
ſprache. Tact. Notenwerth. Auftact. Tempo. Legato und Staccato.
Der Stimmorganismus und die Berfihiedenheit des Toncharakters der
Stimmen. Tonbildung. Zonleiter. Muftfalifcher Rhythmus. Stimms
arten. Das Lied mit einförmigen Rhythmus, der Choral. Das Lied
mit verzierterem Rhythmus, und verfchiedene Arten von Geſangsſtücken.
Muſikaliſches Verſtändniß. Zerte mit Nachahmungen äußerer Crfcheis
nungen (Tonmalerei). Epifche und didactiſche Texte (mufikaliſches Ge⸗
wand). Lyriſche Texte. Lyriſcher Tonausdruck und Tonform. Epiſch⸗
lyriſche Texte. Zerſtreute Bemerkungen. Unter dieſen Ueberſchriften
hat der Verf. eine Fülle wichtiger und ſchäͤtzbarer Belehrungen zuſam⸗
mengeſtellt, welche in dieſer Art und mit ſteter, beſonderer Beziehung
auf den Geſang in der Schule noch nicht gegeben wurden. Die
faßliche, anziehende Darſtellungsweiſe des Verf, die Wärme, mit welcher
er feinen Gegenſtand, der ihm ſelber Herzens⸗ und Gewiſſensſache iſt,
behandelt, machen das Buch doppelt empfehlenswerth. Möge daſſelbe
viele Lefer finden! Bemerkt fei nur noch, daß es für jeden Gefang-
Ichrer feinen Werth behält, wenn auch es ganz abgetrennt von des Berf.
Theor.⸗prakt. Geſangs⸗Curſus als ſelbſtſtändige, für fich beftehende Schrift
aufgefaßt und fludirt wird.
2. Syftem der Gefangstunft nad ALFA IE, hen Gefepen.
Ein theoretifch» praßtifches Lehrbuh von Dr. warz. Hannover,
Helwing'ſche Hofbuchhandiung. 1857.
„Es gibt nur Eine einzige, richtige Gefangs» Methode, und dies
iR offenbar diejenige, welche Die Natur felbft vorichreibt. Alle fkimmen
darin überein, daß die Gefühlsbildung in Berbindung zu bringen jei
mit der mechanifchen Bildung des Gefangs Organs. Aber welches eben
der richtige Weg zur Bildung Ddiefes Organs fei, muß vor Allem deuts
licher und befiimmter fefigeftellt werden, als es bisher geichehen if; und
die einzig fichere Grundlage dazu geben uns die Unterfuthungen am
todten, ausgefchnittenen Kehlkopf: die bier bei Erzeugung der Zöne herr⸗
fhenden Gelege müſſen aud vom Sänger gebraucht werden; da jedoch
beim Sänger der Gebrauch des Kehlkopfs und feiner Muskeln nicht
für uns fihtbar if, fo muß einerjeits aus den erzeugten Tönen ſelbſt
erſt zurüdgefchloffen werden, ob die Thätigfeit die richtige war, andrers
feits durch Vormachen des richtigen langes auf die richtige Thätigkeit
des Organs hingeleitet werden. .... „Niemandem ift es bisher eins
gefallen, aus den befonders von dem Phyflologen Zoh. Müller ange
ſtellten Unterfuchungen am ausgefchnittenen Kehlkopf auch nur die naͤch⸗
ſten und einfahften Folgerungen für den Gefang felb zu ziehen, wenn
Racke, Jahresberiht. X. 37
578 Geſang.
ſchon ſeit jenen Unterſuchungen man in den Geſangſchulen, weiche früher
hoͤch ftens mit Notenbeiſpielen begleitet waren, auch anatomiſche Zeichnm⸗
gen und Beſchreibungen der einzelnen Theile des menſchlichen Stimm⸗
organismus gegeben hat. Weshalb aber jene phyſiologiſchen Unterfu⸗
‚Gungen, welche am todten Organe fih machen laflen, bis jetzt für die
Geſangskunſt ohne Refultat geblieben find, bat offenbar darin feinen
Grund, daß auch die befiern Gefanglehrer immer nur bei der Betrach⸗
tung des Organs in feinem rubenden Zuftande fliehen geblieben
find, flatt, was die Hauptſache ift, nach der Art und Weife der Thaͤtig⸗
feit deffelben, befonders der betreffenden Muskeln, zu fragen.” Lebteres
bat der Berf. getban. Er hat mit dem todten Stimmorgane in Der
Art exverimentirt, daß drei Octaven zu Gehör kamen. Hauptfädlicd
auf Grund dieſer Verſuche hat er ein Syftem aufgeftellt, weiches im
drei Theile zerfällt: 1. Der Ton an und für Rh; MM. der Zorn ale
Glied einer Reihe; IM. der Sefang als lautende Seele. Im erflen
Theile, der die Grundlage des Ganzen bildet, werden die allgemeinflen
Erforderniffe zu jedem guten Tone befprochen und befonders jedem der
zur Erzeugung und Nüancirung eines Tons zufammenwirfenden Fartozen
fein beftimmter, hauptfähliher Wirkungsfreis angewiefen; im zweiten
Theile wird durch Herſtellung der gleichen Scala, Ausgleihung der
Megifter und Uebung in der richtigen Thätigkeit der Kehle (Coloratur)
die volle Derrfchaft im Mechanismus der Stimme erreicht; tm dritten
Theile endlich wird der phyfifch richtige Ton mit der Sprache verbun⸗
den und durch richtigen, edien Vortrag- und gefchidte Wahl. der Ton.
farben zum Maren Ausdrud der Gedanken und Empfindungen der Seele
befähigt. — Das Buh if bevorwortet durch den Ganitäteratb
“ Dr. Homeyer in Hannover. Derfelbe fagt m A., daß der Berf. mit
feinem Geſangſyſteme ein Gebiet betreten babe, „wo nur der Anatomie
und Phyfiologie das Richteramt zuſteht,“ und fügt binzu: „Bon biefem
Gefihtspunfte aus erfenne ich daher den Eifer und das Gtüd, womit
er diefe Disciplinen zu Gunften feined neu gefhaffenen Syſtems ber
Gefangshunk ausgebeutet, nicht nur mit voller Weberzeugung an, fondern
Darf demfelben auch das unzweifelhafte Horoscop flellen, daB es im feinen
Gonfequenzen richtig, noch zu viel weiter veichenden Reiultoten die Wer
fähigung in fich ſchließt.“ Was nun den praftifchen Theil betrifft, fo muß
ih bemerken, daß ernfles Studium, ein ſcharfes Auffaflungsvermögen,
viel Umfiht und Beobachtungsfähigkeit dazu gehört, um nach den Ans
gaben des Berf. den Unterricht nicht nur tm Allgemeinen zu ordnen,
fondern auch im Einzelnen zu gefalten. Möchte er ung hierin etwas
zu Hülfe kommen dur eine ganz einfache Unweifung, wie man wit
einem Anfänger zu verfabren, welche Uebungen man vorzunehmen, welde
Sülfsmittel zu benupen habe, wie dann der Fortſchritt zu regeln, Die
höhere Stufe für die höchſten auszmbenten fei u. f. w. Alles Weſent⸗
liche iR freilich für wirklich Sachkundige gefagt, aber für viele Andere
verliert es ſich zu fehr in ber Mafle phyſtologiſcher Groͤrterungen, fie
fehben den Wald vor Bäumen nicht. Uebrigens glaube ich, daß gegen
waͤrtiges Syſtem nicht blos im theoretiichen, ſondern auch im praltiſchen
Belang. 179
Sinne allerdings eine Bufunft habe; wenn auch nit fowohl den Volks⸗
ſchullehrern, als vielmehr dem Geſanglehrer von Profeffion die Aufgabe
obliegt, diefe Zukunft herbeiführen zu helfen.
3. Vollſtändiges Lehrbuch der Geſangekunſt zum Gebrauche für
Lehrer und Schüler des Sologeſanges, verfaßt von Ferdinand
@ieber, Geſanglehrer an der neuen Akademie der Tonkunſt in Berlin,
Erfte Lieferung. Magdeburg, Verlag der Heinrichehofen’fhen Buch⸗ und
Drufifaliens Handlung. 1856,
Die vorliegende erfie Lieferung des Werkes enthält die Einleitung
und die „tbeoretifche Lehre‘; die andere Hälfte wird die „‚praftifche Mes
thode” und die Bortragsiehre umfaflen. Der Berfafler legt in diefer
Arbeit die Früchte langiähriger eifriger Studien unter den beten Meis
ſtern Deutichlande und Italiens, fowie diejenigen eigenen Erfahrungen
nieder, welche er als praftifcher Sänger an fih, wie als Gejanglehrer
an Hunderten der verfhiedenften Stimmen feit geraumer Zeit gefams
melt Bat. Er weift nebenbei an den geeigneten Stellen — theils beis
pflichtend, theils beurtheilend oder widerlegend — auf die Anfihten und
Lehren aller namhaften älteren und neueren Gefanglehrer bin, die dazu
beigetragen haben, die Kunft des Gefanges mehr und mehr in beftimmte
Regeln und Grundfäge zu faflen. Inhalt der erfien Hälfte: Einleir
tung, in 7 Abfchnitten Folgendes behandelnd: Akuſtiſche Vorbegriffe. —
Anatomiſch⸗ phyſiologiſche Vorkenntniſſe -— Nothwendige Erforderniffe
zum Studium des GSefanges. — Eintheilung und Umfang der vers
fhhiedenen Stimmllafen. — Aufweifung der Stimmregifter. — Zeit
des Anfanges und Unterbrehung der Studien. — Gefundheitspflege
der Stimme. — Erſter Theil: Theoretifhe Befanglehre.
Enthält folgende Abjchnitte: Theorie der Tonbildung. Theorie der
Ausfprache. -— Theorie des Tonichwellens und der Verbindung der Töne.
— Theorie der Betonung. — Theorie der Kehlfertigkeit. — Wer gründs
liche und anziehende Belehrung über die genannten Materien fucht,
nehme das vorliegende Buch zur Hand, weldem die Anerfennung ges
bührt, unter den neueren Werken diefer Art eine hervorragende Stellung
zu behaupten. Gar mande der vielen Sünden, die im Öffentlichen wie
im Privatunterrichte gegen den guten Befang, gegen die Stimme und
die Gefundheit der Schüler begangen werden, würden unterbleiben, wenn
alle Lehrer eine Schrift wie die gegenwärtige fludiren fönnten und —
wollten. Möge dies nicht in den Wind gefprochen fein!
4, Kurze Anleitung um Gefangunterricht in der Vollsſchule
von Sr. W. Sering. Güterdloh, Drud und Derlag von C. Bertels⸗
mann. 1857.
Diefe Anleitung bildet zunähft "die Grundlage für des Berf. Ges
fangimterriht im Koͤnigl. Schullehrers Seminar zu Barby, wird aber,
wie darſelbe mit Recht hofft, auch anderweitig von firebfamen Lehrern
benugt werden Fönnen. „Die in den drei preußifchen Regulativen vom
1., 2. und 3. Octbr. 1854 nenannten Lehrgänge fommen bier zur näheren
Erörterung.” ... Der erfte Lehrgang , der das Singen nah dem Ges
hör beipricht,, findet feine praftiihe Anwendung vorzugsweife in der
37*
580 Geſang.
Unterklaſſe der dreiklaſſigen Volksſchule. Er zerfällt in ſechs Stufen,
von denen die fünf erſten die noͤthigen Vorübungen darbieten, die ſechſte
dagegen das Einüben von Chorälen und Volksliedern behandelt. Das
Verhältniß dieſer ſechs Stufen zu einander iſt nicht ſo anzuſehen, als
müßten vor der Einübung der Choraͤle und Lieder die Vorübungen ihre
volle Erledigung finden, fondern die lebteren find fchon dann, nachdem
fie ein einigermaßen genügendes Biel erreicht haben, in ihrer ausfchließs
lihen Behandlung aufzugeben und neben den Chorälen und Liedern
hinzuführen. In der Mittelflaffe beginnt der zweite Lehrgang, das
Singen nad Noten, und zwar erfcheinen auf deſſen erſter Stufe einfache
rhytbmiſche Uebungen (auf einem Tone auszuführen), während auf der
zweiten von den Eigenfchaften des Tones gehandelt wird. Gleichzeitig
Choräle und Volkslieder nah dem Gehör. Der Oberklaſſe find des
zweiten Lehrganges dritte bis fiebente Stufe zugetheilt. Stufe 3, 4
und 5 behandeln Die Tonart C-dur und erweitern die Rhythmik, Stufe
6 bringt Geſänge in C zur Einübung nah Noten. Auf Stufe 7 ende
lih werden die andern DursZonarten entwidelt, Uebungen für diefelben
jedoch nicht gegeben, fondern nur die einfchlagenden Choräle und Lieder
bezeichnet. „Die Einführung von Gefängen in Mod findet hier ihren
geeigneten Platz. Befondere Unterweifungen über die Moll» und chro⸗
matifhe Leiter kann die Volksſchule entbehren.“ — Die Anweiſung
erfuhr bereits vortheilhafte Beurtheilungen und empfiehlt fih in ber
That durh ihre Einfahheit und Durchſichtigkeit. Für eine
neue Auflage wäre indeflen doch eine Reviſion des Planes anzurathen.
Muß nicht auch die Mittelllaffe ihren Antheil an den melodifhen Ele⸗
mentarübungen haben? Und wäre nicht eine umfaffendere, recht in’s
Einzelne gebende Anleitung zur Erzielung des ſchönen Gefanges in
hohem Grade wünfchenswerth ?
5. Geſanglehre für Gymnaſten, Sekundar⸗, Reale, Bürger⸗
und höhere Töchterſchulen von Johann Koch. Frauenfeld, Ver⸗
lags⸗Comptoir. 1856. |
Enthält eine große Zahl von elementarifch geordneten, theild von
dem Berf. componirten, theils aus den Gefangfhulen von Silcher,
Gantter und Lüthi entnommenen, rhythmifchs melodifchen Webungen,
durch welche die Schüler ein ficheres Treffen der Intervalle und eine
unerfchütterliche Zactfeftigkeit erlangen follen, während zugleich durd die
aufgenommenen Ganons ein unabhängiges Bufammenfingen angeftrebt
wird. Wie viel Zeit wird aber erforderlich fein, Diefe Sunderte von Sols
feggien, 84 Seiten kleinen Notendruds in gr. 8 füllend (einſchließlich
der Erflärungen 30), mit den Schülern durchzumachen? Zum Glüd
fäßt der Verf. neben diefem methodiſchen Eurfus einen freien Lieder»
eurfus binlaufen, fo daß außer dem formalen Zwede doch auch zugleich
dem materialen Rechnung getragen wird. Unter diefen Umſtaͤnden mögen
Gymnaflaften, Realſchüler ꝛc. fih immerhin mit den vorliegenden rhyth⸗
mifh smelodifhen Uebungen weidlich abmühen; dagegen bitte ich, mit
ber Zöchterfchule ein wenig glimpflicher zu verfahren.
Gefang. 581
6. Lectiondkalender für den gefammten Unterricht in der
Elementarfhule. Auf Grund der preußiſchen Regulative und der
„„erläuternden Beſtimmungen“ der Königlichen Megierung entworfen und
nah Beiprebungen in einer LZehrerconferenz in Drud gegeben vom !Pf.
Wed in Dffig. Eine Liebesgabe an Lehrer und Localfhulinfpertoren mit
dem Motto: 1 Petri 4 v. 10—11. 2, Heft, den Geſangunterricht
betreffend. -(Zür die getheilte und ungetbeilte Elementarſchule.) Zeig,
Derlag der J. Bebelfden Buchhandlung. 1856.
Eine mit großem Fleiße gearbeitete Bertheilung des gefammteh, den
Geſang betreffenden UnterrichtSmaterial® nad Lehre und Uebung auf
acht Schuljahre in vier Stufen, fowohl für die ungetheilte als die ges
theilte Clementarſchule. Was den elementarifchstheoretifchen Theil anbelangt,
fo hat für die Unterflafien ein Amtsbruder dem Verf. beigeftanden; für
die Oberflaffen wurde Schärtlich's Geſangſchule benugt. Der prak⸗
tifhe Theil umfaßt die Choräle, die Volkslieder und die Liturgie. In
Betreff des Kirchenlieds wird auf Cantor Nelle’s (in Zeitz) „Schul⸗
choralbuch“ verwiefen; die Volkslieder find aus meiner „Kinderharfe“
und meinem „Liederhain““ mit Nüdfiht auf Zeit und Umflände ausge⸗
wählt worden; „die liturgifchen Chöre finden fi in dem kirchlichen Ins
ventar jedes Ortes und jeder Schule.” Möge die fehr tüchtige Arbeit
die verdiente Beachtung finden! Uebrigens iſt es nicht unbedingt noth⸗
wendig, bei den elementarifchstheoretifchen Webungen gerade der Geſang⸗
iehre von Schärtlich zu folgen; dem umfichtigen Lehrer kann es nicht
ſchwer werden, den Lebrfioff aus einem andern Leitfaden zu nehmen und
ihn nad) dem hier gegebenen Muſter auf die Schulzeit zu vertheilen.
7. Praktiſcher Singlehrer von Joh. Bapt. Hamm, Geſanglehrer am
Gymnafium fowie an der höhern Bürger» und Provinzials Gewerbfchufe
& Fi a q verbefjerte und erweiterte Auflage. Trier, Verlag von
Nah Aufftellung der C-dur-Zonleiter werden 25 nit rhythmifirte
Vebungen für das Treffen der Secunden gegeben. Alddann treten die
shythmifchen Zeichen auf, und es wird die Zonleiter durch 50 Num⸗
mern in allen Zactarten rhythmiſirt. Als Zwifchenflation einige Sätz⸗
hen mit Text. Dann Uebung aller Intervalle an fehr vielen, wiederum
nicht rhythmifirten, nur in Vierteln, ohne Zacteintheilung, gegebenen
Beifpielen, die freilich des Formloſen, Harten, Unfangbaren nicht wenig
enthalten. Webungen mit Text werden nicht mehr fichtbar. Zum Schluß
folgt die Borführung der DVerfegungszeihen und der. chromatijchen
Zonleiter, fowie hernach der transponirten Tonarten, in denen aber
weder rhythmiſch noch unrhythmiſch, weder mit noch ohne Text irgend
etwas geübt wird. Material für Zonbildung, Ausfprade,
Uebung im Zweiftimmigen ac. fuht man vergebend. Das Ganze
entbebrt der vollen pädagogifchen und muflfalifchen Berechtigung.
8. Theoretifhepraltifhe@lementargefanglehre fürdie Schule,
bearbeitet von U. U. 3. Neehuſen. Erſter Eurfus. Hamburg, News
Dort, Schuberth und Eomp.
Eine von gefhicter Hand gemachte Zufammenftellung von 12 Ue⸗
dungen zur Einführung der Schüler in das nothwendigfle Willen von
582 Belang.
den Tönen und ihren Beichen, fowie zur Anbahnung jener Anfhauung
der Tonverhältniffe, welche die Bafls alles Singens nach Roten if.
Beides jedoch, bier im erften Curſus, nur im Bereihe von C-dur.
Der zweite Curſus wird die übrigen Tonarten vorführen. Beigegeben
iR das weiter unten mit aufgeführte Liederbeft zu dem doppelten Zwede,
nit nur der Jugend für die mittlere Periode des Schullebend den
geeigneten Singftoff zu bieten, fondern aud im Verein mit den aufge,
führten Lectionen zu zeigen, „daß ein ſyſtematiſcher Unterricht es keines⸗
weges nothwendig macht, denfelben der Jugend dur fchaale Treffübun⸗
gen, Solfeggien ꝛe zu verleiden, fondern auch ohne diefe an Singweifen,
die dem durch den Liedtert angeregten Gefühl einen entfprechenden Aus⸗
drud gewähren, ausführbar if.’
9. Praktiſche Schreibfingfhule Ein Uebungsbuh für das Schreis
ben und Singen einfacher Tonfäpe und Lieder, bearbeitet von H. Wehe.
Iwei Curie. Magdeburg, Heinrichöhofen’fche Buch⸗ und MuftfaliensYands
ung. .
„Diefer Lehrgang foll in der Einfachheit und genauen Berückſich⸗
tigung defien, was den Schülern nach ihren gewöhnlichen Anlagen und
Fähigkeiten zugemuthet werden darf, feine Rechtfertigung finden.....
Man wird daher den Ballaft der verſchiedenen Schlüffel, Notentafeln,
verminderten und übermäßigen Intervalle, Dur⸗ und Molltonarten bis
zu ſechs Kreuzen und Been und viele andere Dinge, mit welchen mander
Befanglehrer das Gedächtniß feiner Schüler überladet, hier vergebens
fuden. ... Die manderlei Schwierigkeiten des Ton» und Notenweſens
find deshalb nicht in jpRematifcher Meberficht zufammengedrängt, fondern
auf einen größern Raum vertheilt worden. Die Elemente treten Ans
fange für fih, dann im lebendigen Zufammenhange von VBolfsliedern
zur Unjhauung. Die Iebteren find aber wiederum nach der auffleigen-
den Schwierigkeit, welche Rhythmus, Intervalle, fowie der angemeflene
Vortrag darboten, geordnet worden.‘ Weber den Gebraud der Schreibs
ſingſchule gedenkt ſich der Verf in einer befonderen Schrift noch aus
zufprehen. Die von ihm durchgeführte Analogie zwiſchen Sprach⸗ und
Sefangunterricdt drüdt er folgendermaßen aus: 1) Der Lefeunterriät
beginnt mit den Lauten: der Gefangunterricht, wie er in der Schreibs
fingfehule vorliegt, mit den erften Tönen einer Leiter. 2) Aus den Lauten
werden Wörter zufammengefept: aus den Tönen werden mufitafiie
Säge und Liedchen gebildet. 3) Die Wörter werden durch Buchſtaben
dargeſtellt: Die Töne werden durch Roten bezeihnet (Toni, 2,3, An. f. w.).
4) Drthographiſche Webungen zur Befefligung der Rechtſchreibung (nad
Auge und Ohr): Schreib» und Gingübungen als Prüfflein der Ton»
erfenntniß des Schülers, welche dur das Auge (am Rotenfykem) und
durch das Gehoͤr (BZahlenfingen) geleitet wird. 5) Auswahl von Mufters
Rüden im Leſebuch und logiſche und grammatifche Zergliederung derſel⸗
ben: Auswahl von Mufterliedern in der Schreibfingfchwie, Dur deren
Anfhauung die Schüler unter Beihülfe des Lehrers den größten Theil
ihrer Zonerkenntniß nehmen. 6) Umformungen und Nachbildungen der
Muferfäde: Umformung und Nachbildung der Muſterlieder. — Die
Geſang. 583
AUrbeit verdient ihrem p&dagogifchen Theile nad als eine fleißige, ums
fihtige und Act elementarifche empfohlen zu werden; von mufſikaliſcher
Seite verräth fie nicht minder den Beruf des Berf., für die Gefangbik
Dung in weiteren Kreifen als Mithelfer aufzutreten.
10. Praktiſch-methodiſche Befangfhule für den Volfsgelang»
Unterriht nah den Principien und für Die TZonbezeihnung
3,8 F. Thomascik's. Bon Franz Schmidt. Berlin, I. K. Huber.
Der fih für die Thomascik?’fche Tonbezeichnung entfcheidet, der
wird bier in Bezug auf höhere Echulen (während Hoppe für Die
VBolksſchule gearbeitet hat — vergl. den VII. Band des Päd. Jahresber.
S. 305) einen fihern Führer finden, felbft dann, wenn er dem Berf.
in dem Sage: „Der Schüler foll die Roten fingen, wie der
Lefende die Schrift lieh” nicht in dem weiteflen Sinne beiſtim⸗
nen follte. Das Buch if an fih mit Geſchick gemacht, verräth übers
dies Energie, fordert andy Energie, und wird fih daher unter den Züns
gern Thomascik's Freunde erwerben. Damit ik indeß nicht gelangt,
daß diefelben auch die ironiſche, perſönlich werlegende Weife, womit er
anf ©. 16 einer von der feinigen abweichenden Anficht erwähnt, für die
wärdigfte und nahahmungswerthefte erachten müßten.
11. Das Elternhaus und die Kleintinderfhule Blätter für Die
Erziebung der Kinder in den erften Xebensjahren 2c. Herausgegeben von
Dr. P. Fölfing. VI. Jahrgang.
Auch in dem vorliegenden Jahrgange Tieferte diefe wichtige Zeit⸗
ſchrift manches Schätzbare über die rechte Behandlung des Gefanges im
Säule and Hans, während zugleih wiederum Dies und Jenes an ges
eigneten Gefangfoffen mitgetheilt wurde. '
Be Geſangſoff.
1. Biguralgefänge.
a) Für Kinder: und weibliche Stimmen.
1. Volkslieder für Die Säulen der Provinz Preußen. Zuſam⸗
mengeflelt von ten Schulräthen bes Provinzial-Gchultollegiums gu Königs⸗
berg in Preußen. Königöberg, Berlag von Gräfe und Unzer. 1857.
Preis: 2 Sgr.
Die Sammlung if in zwei Ausgaben erfhienen, nämlih im G-
oder Biolinfhlüffel und im Thomasciffhen Einsichlüffel oder Zahlen»
notenfpftem, welches Ieptere für das maturgemäßefte, einfache und faß⸗
lichſte erflärt wird. Gingeleitet wird das Ganze durch das Metto:
Bo man fingt, da Inf’ Dich traulich nieder,
Boſe Menfchen haben Feine Xieder. —
und durch das zweite:
Bin Du den Vortrag des Liedes ergründen,
lixforfihe den Text, dann wir Du un finden.
584 Geſang.
Für die Unterklaſſe ind 12, für die Oberklaſſe AO Nummern ges
geben, unter den letzteren 30 zwei- und 10 dreifiimmige. Daß ein
von fo wichtiger Stelle ausgehendes Liederbuch nichts Unberechtigtes
enthalten Tönne, werden die Leſer fich felber fagen. Es liegt hier in
der That eine Mufterfammiung vor.
2. Schulliederbuch, enthaltend flufenwelfe geordneten Singeftoff für drei
Curſe, berüdfichtigend Kirche, Schule und Bürgerliches Leben. SHeraudge
eben von J. M. Anding, Seminarlehrer. Op. 11. Hildburghauien,
erlag und Eigenthum der Keſſelring'ſchen Hofbuchhandlung. 1856.
Das Ganze zerfällt in 8 Curſe, von denen der erſte 56 Lieder
und Ehoräle für die Unterflaffe, der zweite 54 dergleichen für bie Mittels
klaſſe, der dritte 81 dergl. für die Oberflaffe enthält. Curſ. 1 liefert
nur @infimmiges, während Eurf. 2 und 3, mit Ausnahme eines An
hanges von 5 dreiſt. Nummern, nur Bweiftimmiges bieten. Ueber den
zweiflimmigen Gefang in der Volksſchule hinauszugehen, hält der Heraus⸗
geber nach feinen gemachten Erfahrungen für bedenklich, „wenn nicht
Alles auf Zäufhung und Dreffur beruhen fol.“ Die Choralmeilen
fteben einftimmig. „Einffimmig — wie aus einem Munde foll das
Lob des Hoͤchſten erfchallen! und der mehrfimmige Choralgefang in der
Schule vorbereitet den aus mehr ald aus einem Grunde verwerflichen
mehrflimmigen Singfang in der Kirche; deshalb fand jener auc feine
Berudfihtigung in dem Liederbuche.“ — Die Anordnung der Lieder
iR im 1. Eurfus mit Rüdfiht auf die allmälige Erweiterung des Stimm
umfanges von den Mitteltönen aus gemacht, im 2. und 3. dagegen
nach der Folge der Tonarten, und zwar fo, daß jeder DursZonart fd
die gleichnamige Moll⸗Tonart anfchließt. Eine Beigabe von 25 rhyth⸗
mifhen Chorälen und ein biographifches Verzeichniß der Dichter und
Gomponiften erhöhen den Werth der mit Umficht angelegten, auch äußers
ih ſchoͤn ausgeflatteten Sammlung.
3. Liederquelle. 100 Gedichte für die Jugend, von Karl Enslin
Mit 1⸗, 2» und 3: ftimmigen Originals Compofltionen und Bollöweilen.
Herausgegeben von Benediet Widmann. Bier Hefte à 2 Sgr. 24 El.
eines einzelnen Heftes A 11/a Sgr. und eins frei. Erfurt und Leipzig,
G. W. Körner.
Heft 1 iſt tm VIII. Bande des Jahresber. angezeigt. Seitdem
find die übrigen Hefte erfchienen, dem erften gleich an forgfältiger Aus
wahl der Terte und der Mufll. Die Gedichte waren theils bisher um
gedrudt, theils find fie des Dichters befannten Sammlungen: „Lebend
frühling,“ „Lieder eines Kindes,” „Fromm und frei entnommen. Was
die Gompofltionen betrifft, fo finden fich deren von Abt, Andre, Bald,
Chriſt, Drinnenderg, Enslin, Erf, Zeye, Fifcher, Frech, Gellert, Boll
mid, Harder, Hauff, Henkel, Juſt, Keller, Lanz, Meffer, Methfeflel,
Neeb, Builling, Reif, Reiffiger, Richter, Ruͤhi, Schädel, Schill,
Schnyder von Wartenfee, Seeger, Sicher, Speyer, Weber, Wendt und
Widmann, außerdem eine gute Anzahl Volfsweifen. Das Ganze ift ald
eine wefentliche Bereicherung des Liederfchages für die Jugend zu be
trachten. Möge demſelben als einem Originalwerke, nicht zu verwech⸗
-Gefang. 585
fen mit irgend einem zuſammengeleſenen Lieberbuche irgend eines eben
fo unmuftfalifchen als umpoetifchen Speculanten, die verdiente Beachtung
zu Theil werden.
4. Boltslieder, nad den Korberungen der dreiflaffigen Vollsſchule geordnet
und im hoben Auftrage der Stöniglichen Regierung zu Stralfund heraus
geneben von F. W. Sering. Heft I.: Volkslieder für die Unter- und
ittefflaffe. Preis 1 gr. Heft II.: Volkslieder für die Oberflaffe.
Preis 1 Ngr. Gütersloh, Drud und Derlag von C. Bertelömann. 1856,
Heft I enthält in Abtheil. 1 27 Lieder für die Unterflaffe, in
Abtheil. 2 Lieder für die Mittelflaffe, worauf dann in Heft II 30 Nums
mern für die Oberflaffe folgen. Der Herausgeber war bemüht, . foldhe
Lieder zu wählen, die, unanftößig nah Inhalt und Weife, ihren ächten
Volkston und ihre Lebensfähigkeit hinreichend bewährt haben. „Da das
Bolt vorberrfchend zmeiftimmig fingt, tritt auch in diefer Sammlung
der zweifimmige Sag in den Vordergrund; einige dreiflimmige Lieder
dürften vorgefchrittenen Schülern zwedmäßigen Webungsftoff bieten.‘
Die Sammlung ift eine wohlgelungene und vollftändig berechtigte.
5. Sähuls®efänge (ins, zweis, dreis und mehrſtimmig. Bearbeitet und
herausgegeben auf Beranlafiung des Großherzoglich Badiſchen Oberſtudien⸗
rathes. Erſte Abtheilung: Einſtimmige Lieder. Zweite Abtheilung: Zwei⸗
ſtimmige Lieder. Dritte Abtheilung: Dreiſtimmige Lieder. Karlsruhe,
Friedrich Gutſch.
Abtheil. 1 enthält 27, Abtheil. 2 52, Abtheil. 3 24 Nummern.
Leptere find in Partitur (20 Kr.) und in einzelnen Stimmen gedrudt.
Gegen die Auswahl iſt nichts einzuwenden.
6. Baterländifhes Liederbud, im Auftrage der allgemeinen Weimari⸗
fhen Zebrerverfammlung unter Witwirlung von Hoffmann von Fal⸗
lersleben und Friebrich Kühmftedt herausgegeben von A. Bräun⸗
lich und W. Gottſchalg. Weimar, Herrmann Böhlau. 1856. I. Abs
tbeilung: Lieber für die Elementarklaſſe. Preis 1'/a Sr II. Abthei⸗
lung: Lieder für die Mittelflaffe. Preis 2! Sgr. I. Abtheilung:
Lieder für die Oberklaſſe. 5 Sgr.
Die Herausgeber haben, wie fie im Borworte fagen, die bedeutend»
fen Liederlammlungen benupt, und aus ihnen das gewählt, was fle für
gut und Acht volfsthümlich hielten. Sie haben dem eigentlichen Volks⸗
liede überall den Vorzug gegeben, wie dem weltlichen, fo auch dem geif-
lichen. In Iepterer Beziehung iſt befonders ‚auf den chriſtlichen Feſt⸗
freis Nüdfidt genommen, damit die Sammlung auch dem kirchlichen
Leben dienftbar, werde. Heft 1 enthält 34 einflimmige, Heft 2 47
zweiftimmige, Heft 3 79 zwei» und dreiftimmige Lieder, wozu noch in
Deft 2 8 Kanons und in Heft 3 12 dergleichen fommen. Die Aus
wahl verdient alle Anerkennung. Der Reinertrag der Sammlung
iR dem Beim. Beftalogzivereine übermwiefen.
7. Preußens Liederkranz für Schule und Haus. Eine Sammlung
der vorzüglichften -Lieder mit den beliebteften Volksweiſen, ein» und mehr⸗
flimmig. Herausgegeben von F. 8. Schröder. I. Heft. Zum Bellen
der allgemeinen Landesftiftung als Rationaldant. Gütersloh, Drud und
Berlag von C. Bertelsmann. 1856.
Die Sammlung if Sr. König. Hoheit dem Prinzen von Preußen
586 Geſang.
zugeeignet. Sie enthält nicht, wie man vielleicht nad dem Titel ſchließen
dürfte, ansfchließlich patriotifche Lieder, fondern umfaßt im Bereiche von 71
Nummern das ganze Gebiet des Bolfsgefanges (mit Ausichluß des Cho⸗
tale), wenn ſchon die Vaterlands⸗, Könige und Heldenlieder eine vors
waltende Bexückfichtigung fanden. Mit Recht bat der Berf. hauptſäͤch⸗
ih VBolfsweifen gegeben, darunter anch mehrere bisher noch nicht
gedrudte. Die meiften Lieder ſind zweiſtimmig, andere drei, auch, wie
3. B. das Schwertlied, vierflimmig. Lepteres kann ich micht billigen.
Das Schwertlied if überhaupt weder von drei noch von vier Kinders
flimmen, fondern einzig und allein vom donnernden Männercdhore zu
fingen. — Im Mebrigen- fei diefer Liederfranz als eine der beffern
Sammlungen biermit empfohlen, aud in Hinfiht auf feine [hönen geif-
lichen Volkslieder, die ihm zu befonderer Bierde gereichen.
8. Liederfirauß. Yünfundfünfzig zweis und mebritimmige Lieder. Herause
gegeben von Julius Rod. Dritte Stereotgp- Auflage. Gotha, bei E. F.
hienemann. 1856.
Nach Berfügung des Herzogl. Sächſ. OberrConfifloriums zu Gotha
vom 13. März 1856 foll die Sammlung bei den Gelangübungen in
fämmtlichen Schulen des Landes in Gebrauch genommen werden, für
weldhen Zwed fie den Eltern der Schulkinder von der genannten Ber
börde zum Ankauf empfohlen wird. Außer diefer Berfügung find auf
dem Umfchlage die beifälligen Urtheile von fieben Gantoren und Lehrern
über das Liederbuch abgedrudt. Unter Jolchen Umfländen darf man mit
befonderen Erwartungen und gefleigerten Korderungen an das Werkchen
gehen. Diefen entfpricht es niht, daB unter 55 Nummern 29, fage
neun und zwanzig! von der Compofltion des Berausgebers find. If
denn das deutihe Voll fo arm an Sang und Sllang, daß man das
Lieder s Mepertoir für die Jugend eines ganzen Landes zur größeren
Hälfte aus den Servorbringungen eines einzigen Mannes zufammenfellen
muß? — — Es fommt gar nicht darauf an, wie gut oder übel Herr
Julius Koh feine Weiſen fang; ibn trifft der Vorwurf, der reichen
Fülle bereits vorhandener, längft bewährter, in den Säulen und im
Volke lebender, zu einem unferer edeiften Gemeingüter gewordener Lieder
viel zu wenig Rechnung getragen zu haben. Bon Erf, Greef, Jacob,
Zölfing, Richter und dreißig Anderen war zu lernen, wie man fi dem
Volksliede gegenüber zu verhalten bat.
9. 50 Iugendlieder für Töchterſchulen, in zweiftimmiger Bearbeitung
herausgegeben von Heintich Herrmann. Heft I. II. III. IV. Preis
3 Spr. Göttingen, Diemich ſche Buchhandlung.
Die A Hefte Äind nur Abtheilungen eines einzigen Lieberbudkes von
44 Seiten und werden, wie es den Anſchein bat, nicht einzeln ausge⸗
geben. Sie enthalten nah ihrer Anfeinanderfoige 1212-124 14
Lieder, wozu noch ein Unhang von 5 Liedern und 8 Ganons Tommi.
Gegen die Auswabl ift nichts zu erinnern, mit Ausnahme des Gebete
in Heft IV Rr. 14:
D güt’ge Gottheit, Mech’ der Unſchuld bei,
Dap wir ſtets kindlich find und gut und treu; —
welches fh im Munde von Ehriftenkindern etwas fonderbat auenimmt.
Geſang. 887
10. Llederheft zur theoretiſch⸗-praktiſchen giemeutärgefangiehre
für die Schule, bearbeitet vor A. A. 3. Neehufen. Üürſter Curſus.
Hamburg und NeusPork, Schuberth und Comp. 3 Gar.
Schade, daß unter den gegenwärtigen 50, im Allgenginen ganz
wohl gewählten Nunmern jene Art von Liedern mit erfcheint, wo die
Jugend fih ſelber anfingt und aliling über ihre Zuflände reflectirt.
Sp heißt es in Nr. 11:
.... Hinweg drum die Sorgen, fie machen uns alt,
Sie drüden und nieder und machen uns kalt.
Im Herzen der Jugend glühe nur Luft,
Und Heiterkeit Fülle mit Wonne die Bruſt.
Und iſt fie geſchwunden, die göttliche Zeit,
Dann find wir zum Ernſte des Lebens bereit,
Erinnerung malt dann lieblich ein Bild
Der glücklichen Tage, mit Jugend umhüllt.
Ich mache mich anheifchig, in vorfiehenden acht Zeilen die entichies
dene Berkehrtheit nachzuweiſen, bin jedoch überzeugt, daß der geichägte
Herausgeber diefen Beweis gar nicht fordern, fondern mir zugeben werde,
er habe hier mehr die anfprechende, zugleich einem inftructiven Zwecke
dienende Melodie, als den Text in das Auge gefaßt, und erkenne die
Nothwendigkeit an, in zweiter Auflage etwas Befleres an diefer Stelle
darzubieten. Im Uebrigen verdient das Büchlein Beachtung, zumal da
es die Grundlage für des Verf. geſchickt angelegten, einfachen und ſach⸗
gemäßen theoretifchspraftifchen Elementar⸗Curſus bildet.
11. anni beitere Lieder für fröhliche Kinder Herausgegeben
von @. W. Derbfbrung, Sefangichrer an der Zoutfenftädtifchen Reals
au A n. Zweite Auflage Berlin, Gebauer’fhe Buchhandlung.
Petſch.
„Dieſes Buch will kein beſtehendes verdrängen; es kann mit feinen
ausſchließlich fröhlichen Liedern neben jedem andern benutzt
werden.” Borwaltend find die Lieder von H. v. Kallersleben mit den
Volksweiſen, die fie, wie befannt, hauptfächlich den Bemühungen 2. Erf’ s
verbanfen. Einiges auch if älteren Sammlungen oder unmittelbar dem
Bolfsmunde entnommen. Für Glementarklaffen,, Kleinkinderfchulen und
den häuslichen Kreis mag das muntere Büchlein empfohlen jein.
1%. Liederglöckchen. Wine Auswahl von Liedern und Geſängen aus alter
und neuer Zeit für die Elementars, Mittels und Oberklaſſen der Volles
ſchulen. Herausgegeben von F. U. Schulz. Zweites Heft. Oſterode,
Verlag der U. Sprga’fchen Buchhandlung. 2'/s Ser. |
10 einfimmige Nummern für Glementarflaffen, 19 zweifttmmige
für Mittels, 89 zweis und dreiſtimmige für Oberklaſſen. Vierſtimmiges
it mit Recht ausgeichloffen. Die Auswahl verdient Anerkennung, fo
au der billige Preis. Unter den vom Herausgeber ſelbſt componirten
Liedern ift manches Gelungene, doch hätte er immerbin ein wenig zurüds»
baltender mit feinen eigenen Erzeugniflen fein und das Achte Volkslied
noch weht, als es geichehen iR, bevorzugen koͤnnen. Ob folgendes Lied
für Elementarklaſſen geeignet fei:
588 Belang.
Ich möchte wohl der Kaiſer fein!
Dann wollt ich alle Welt beglüden
Und mid mit himmliſchem Entzücken
‚Dem Dienft der Menfchenliebe weih'n, u. f. w.
gebe ich zu bedenfen. Der Humor des befannten Originals if in diefer
Umdihtung fort, an feine Stelle find nüchterne Gedanken getreten, die
dag Kind in folder Allgemeinheit gar nicht faßt, von denen es alfo
auch nicht angezogen und erwärmt werden Tann, und die fogar an fid
auf einer irrigen Borausfeßung beruhen, nämlich darauf, daß der Kaifer
allmächtig fei, was ja eben nur im Humor Berehtigung findet. Ich
bitte mich eines Befferen zu belehren. Im Allgemeinen fol damit gegen
die Sammlung nichts gefagt fein; fie wird mit gutem Nupen gebraudt
werden können.
13. 25 neue dreiſtimmige Jugendlieder zum Gebraud in Bolkafcu-
len, Bürgerfihulen und Lyceen, componirt von @ Kuhn, Organiſt.
Dp. 43. 2 Sgr., in Bartien 1'/s Sgr. Erfurt, ©. W. Korner.
Der Herausgeber hat es unternommen, 25 Originalcompofitionen
theils zu bekannten und bereit componirten Terten (Das ifk der Tag
des Herrn — Bei der flillen Mondeshelle — Droben flehet die Ka
pelle — Ich bin vom Berg der Hirtenfnab’ — Ein getreues Herz zu
wiffen — u Q.), zu liefern. Ohne Zweifel if das eine ganz bedeus
tende Aufgabe, und wir müßten Hrn. Kuhn bedauern, wenn er fi ders
felben unterzogen hätte, ohne das Zeug dazu zu haben. Er hat jedoh
feine Sache nicht übel gemacht: die Melodien find frifh und die Stim⸗
men erfreuen fih im Ganzen einer gewandten, zwanglofen und doch
wohlberecäneten Führung. So Iäßt fi) denn wohl erwarten, daß
diefen Liedern, oder doch wenigftens diefem und jenem unter ihnen,
mehr als ein ephemered Dafein befchieden fein wird.
14. Jugendluſt. Cine Auswahl beliebter Jugend» und Volkslieder für
Aule und Haus. Herausgegeben. von einem praktiſchen Schulmanne.
— in Roten.) Friedberg in der Wetterau. C. Scriba's Bud»
andlung. 1856. 2 Ger.
Al Rummern, theils zweis, theils dreiſtimmig. Nichts dagegen.
15. Liederbuh für Schule und Haus. Zwei und fiebenzig volksthüms
liche Lieder mit zweiftimmigen Singweifen. Herausgegeben von E. Ham:
mader. Preis 2!/; Ser. Unna, Verlag von F. W. Rubens. 1855.
Mit der Auswahl der Lieder kann man einverftanden fein; in ber
Geftaltung der zweiten Stimme zeigen fi bie und da Unfertigkeiten,
die ein Mufifus von Profeffion dem Herausgeber leicht nachweifen wird.
16. Der bürgerligde Sänger Cine Auswahl von 55 Jugendliedern, zum
Gebrauche in höbern Bürgerſchulen und obern Elementarklaffen gefammelt
und die meiften mit —— der Kräfte und des Geſchmackes ber
Schüler 2⸗, 3s, oder Aftimmig bearbeitet von Ferdinand Beim, Lehrer
der höhern Bürgerfchulfe zu Conſtanz und Ghorregent zu St. Stephan
bafelöft. Donauefhingen, Berlag der 2. Schmidt'ſchen Hofbuchhandlung.
55 Nummern, ‚aus den beften älteren und neueren Sammlungen
gezogen.” Paſſirt.
Geſang. 589
17. Sammlung polypboner zweis und dreiftimmiger Hebungen
und Befänge für böbere Töchterfchulen und Mädcheninſtitute. Methos
dDifch geordnet und herausgegeben von Benediet Widmann. Erſtes
Heft, 40 zweiftimmige Webungen und Gefänge.. 5 Sgr. Zweites Heft,
30 dreiftimmige Uebungen und Geſänge. 6 Gyr. Leipzig, ©. Ani
urger. .
„Borliegende Sammlung hat den Zwed, jenen höheren weiblichen
Schulanſtalten, welche mehr Zeit und Mittel auf den Gefang verwenden
und denſelben mehr als Kunftobject behandeln Tönnen, als den Volks⸗
und Bürgerfchulen möglich if, eine Auswahl ſolcher Webungen und Ges
fänge zu bieten, welche auf den polyphonen Befang, wie man ſolchen
im höhern Style der Oratorien, Meffen und Motetten vertreten findet,
vorbereiten. Die vorhergehenden, methodifch geordneten contrapunktiſchen
Uebungen werden zunähft dazu beitragen, das felbfiftändige Auftreten
der einzelnen Stimmen zu begründen; und die Auswahl, zum Theil
eclaffifcher Befänge, gibt Gelegenheit, die erreichte Singfertigkeit und
Feſtigkeit erfprießlichft anzuwenden.’ So das Vorwort. Ic fege nur
binzu: Diefe Sahen find vortrefflih und föllten nirgends fehlen, wo
man über das gemöhnlihe Schullied hinausgehen Tann. Hier kommt
auch der Alt zu feiner vollen Geltung, bier ift au ihm Raum geger
ben zu freier, felbfifländiger Entwidelung. Das muß ja überall bildend
und erfreuend für die Schülerinnen fein. Wie viel Schönes, Erquick⸗
liches und Erbauliches bieten namentlih im 2. Hefte die Stüde von
Händel, Bad, Beethoven, Mendelsfohn, Löwe, Cherubini zc., fowie auch
von altitafienifhen Deiftern dar! Dan fäume niht, Gebrauch von
diefen Heften zu machen, die übrigens ganz wohl auch für Knaben» und
namentlid für Präparandenfchulen geeignet find.
18. Zweiftimmige Feſtgeſänge au boben Feſttagen des Kriftlis
Gen Kirchenjahrs. Zum Gebraude für Volksſchulen herausgegeben
von 5 A. —2 Oſterrode, Verlag der Sorge'ſchen Buchhandlung.
25 Nummern, nach der Ordnung des Kirchenjahres, von Selmar
Müller, Franz Abt, Th. Wiegand und F. A. Schulz, theils
liebförmig, theils nah Art Peiner Chöre componirt. Der Herausgeber
wollte eine Reihe von kirchl. Zeftgefängen auch für folhe Schulen dars
bieten, wo die Zahl der Kinder fo geringe ift, daB für das Einüben
einer dritten Stimme feine Sänger zu haben find. Diefen Zwed hat
er in angemeffener Weife erreicht. Freilich will es fcheinen, daß für den
kirchlichen Gebrauch folder Sachen eine Orgelbegleitung, die den beiden
Kinderfiimmen ein tragendes und füllendes Fundament zu gewähren hätte,
ein fchwer zu entbehrendes Erforderniß fei.
19. Praktiſcher Singlehrer. Zweite Abtheilung: 56 zweis und dreis
flimmige Lieder. Eomponirt von Joh. Bapt. Hamm, Gefangfehrer am
Gymnaflum fowie an der höhern Bürger: und Provinzials@ewerbfchule zu
Trier. Trier, F. A. Gall. 1857. .
Folgende Texte: Stimmt an mit hellem, hohem Klang — Kommt,
laßt uns geh’n fpazieren — Böglein fingen, Vöglein fpringen — Zage
der Wonne, kommt ihr fo bald?! — Ich Bin vom Berg’ der Hirten»
590 Geſang.
knab — Kennt ihr das Land, fo wunderſchön — Go leb' denn wohl,
du flilles Haus — Aller Menſchen Bater, höre — Der Schnee zer
tinnt, der Mai beginnt — Morgen erwachet, Dunkel entflieft — Gingt,
Kinder, beim Spazierengeh’n — Wenn in die Berne vom Bellen ih
ſeh' — Komm, Freude, fei gefegnet — Dort finfet die Gonne im
Velen — Wie lieblih hallt —, weiche fi mit ihren Melodien bereits
in taufend und aber taufend Schulen eingebürgert baben und darım
mit Recht zu dem Repertoir des allgemeinen deutfchen Jugend», um nidi
zu fagen Lebensgefanges gerechnet werden, bat Dr. Hamm neu come
yonirt. Warum? weiß ich nicht zu fagen. Man kann freilich wohl
dergleichen zu feiner Uebung thun; darf man aber die neuen Weiſen,
fo gut fie auch gelungen fein möchten, ohne Weiteres an Gtelle ber
alten, zur Tradition gewordenen, dem Bolfe darbieten? — — Uuter
ben übrigen Zerten findet fich leider Manches, womit der Herausgeber
im offenbaren Widerſpruche gegen die Grundfäge fleht, welche die neuere
Bädagogit in Bezug auf Wort und Ton des Jugendliedes unwiderzuf
lich und unumfößlich fergeftellt bat. Nur Vorzügliches an Tert
und Muſik if berehtigt, alles Andere verwerflid. Hier
nad prüfe man Folgendes;
Zufriedenheit.
Selig, wer mit jedem Morgen
Nur zu Freud' und Luft erwacht,
Dem, entfernt von bangen Sorgen,
Stets ein heit'rer Himmel lacht;
Der des Lebens kurze Tage
Frohen Muth's genicht;
Deſſen Leben ohne Klage,
Ohne Vorwurf ſanft entfließt,
Der im ſtillen Ktreiſe
Lebt als wahrer Menſchenfreund.
Ich ſehe ab von der Formlofigkeit dieſer Zeilen. Ich frage nur:
Wo ift der Menſch, deffen Leben ohne Klage und ohne Vorwurf fanft
entfließt? — Hat die Schule nichts Befleres zu thun, als illuſo⸗
rifche und chimärifche Zufände felig zu preiſen? Die Schrift fagt:
Selig find, die Gottes Wort hören und bewahren; — aber fie fagt
nichts, was ſolche Träumereien, wie fie oben zu lefen, nur entfernt
zechtfertigte. —
Unter Ar. 23 ſteht:
Vaterlandslied.
Hell dem deutſchen Vaterland,
Tas fi hoch erfreuet,
Schöner Saaten, von der Hand
Edler ihm geftreuet.
In beglüdter Menſchen Kreis
Zdnt dem Baterlande Preis.
Helt ihm! Edlen Thaten weiht
Noch die Nachwelt Lieder,
Geſang. . 594
au blicken hocherfreut
Auf den Edlen nieder.
Noch in ſpäter Nachwelt Kreis,
Tönt dem edlen Manne Preis.
Dies if das ganze PBaterlandelied, mit genauer Reibehaltung der
Interpunction. Ich darf es mir wohl erlaffen, das Sciefe und Schie⸗
lende in dem Inhalte Diefer Reimerei naczuweifen. — Wie fchlimm
wäre es um unfer fchönes Vaterland befteflt, wenn folcher Verſuch einer
Stylübung zu dem Beten gehörte, was wir von ihm zu fingen und
zu fagen wiffen! —
Nr. 26 lautet:
Preis der Säule.
D wie herrlich, o wie ſchön
Iſt es in Die Schule geh'n!
Schnell laͤßt fi die Zeit vertreiben;
Lernt man Rechnen, Leſen, Schreiben!
D wie herrlich zc.
In der Schule ſtrahlt uns Licht,
Gähnt man nur wie Faule nicht;
D fo lernt man tägli Sachen,.
Die und gut und glüdlih machen!
Drum iſt's herrlich ꝛc.
Recht ſehr bedaure ich die Schüler des Gymnafſiums, der höheren
Bürger» und der Provinzial⸗Gewerbſchule in Trier, wenn fle mit derlei
bölzerner und ſtroherner Poefle regalirt werden! Wie indeß Alles feine
zwei Seiten hat, fo fcheint mir das vorkiegende Mufergediht — da ja
der Geſangſtoff auch ſprachlich verarbeitet werden fol — eine Wichtig⸗
Peit für Die Auffaplebre zu befipen, indem ſich bier u. A. das neue
und anziebende Thema darbietet: „Wie wird Lichtausfrahlung durch
Gähnen gehemmt?”
20. Geſangbuch für die Gemeindefhulen des Kantons Aargau
Bearbeitet von D. Elfter, Seminariehrer in Wettingen. Aarau. Drud
und Verlag von 3. 3. Ehriften.
Diefes Geſangbuch, veröffentlicht auf Anordnung der Erziehungs»
behörde des Kantons, liegt in zwei ParallelsAusgaben, der reformirten
und der Fatholifhen, vor. Daflelbe führt in drei Abtheilungen vom
Leihtern zum Schwerern, berüdfihtigend ‚Sowohl die Fähigkeiten der
Kinder auf der erſten Singftufe, wie ihre weitere Ausbildung im Ge⸗
fange. Die erſte Abtheilung if für die untern Schulklaſſen beſtimmt
(Kinder von 6— 9 Jahren). Preis ungeb. 24 Rp., in R. E. Leder gebunden
44 Np. Die Bahl der Lieder beträgt 102, wozu noch 14 Ganons und für
teformirte Schulen 18 Choräle kommen. Nr. 1—62 der Lieder find eins
Rimmig, die übrıgen zweiſtimmig — Der zweiten Abtheilung der Geſänge
geht eine „kurzgefaßte Anleitung, nad Noten fingen zu lernen‘ voran,
20 88. einnehmend und auf befannte Weije die Schüler zuerk in C-dar,
dann in die Übrigen Zonarten einführend, Die Zahl der Gefänge ſelbſ
592 Geſang.
]J
beträgt 76, wovon 43 nach der Folge der Tonarten (einſchließlich auch
der Molltonarten) geordnet, die übrigen frei zuſammengeſtellt find. Als
Anbang find a) 7 Kirchenlieder für beide Eonfeffionen, b) in der refor⸗
mirten Ausgabe 10 zweiſtimmige Choräle, in der Tatholifhen 4 Marien
lieder beigefügt. Der Preis diefer für die mittleren Schulklaſſen
(Kinder von 9— 12 Zahren) beftimmten Abteilung if 26 Rp., in
R. E. Leder gebunden 46 Ay. Die dritte Abtheilung Bietet für die
obern Schulklaſſen (Schüler von 12 — 15 Jahren) und für diefelben
Klaffen der Bezirfsfchulen 55 dreiftimmige Lieder und fleine Chöre, 12
Canon, desgl. 8 reformirte Choräle in der einen, 12 Meßs und Pre
Digtgefänge in der andern Ausgabe dar. Preis 20 Rep., geb. AO Rp. —
Dem Ganzen gebührt die Anerkennung einer forgfältigen, umfichtigen,
auf Bewährtes in Wort und Zon gerichteten, den wichfigften Lebens
beziehungen, namentlih auch den vaterländijchen, im rechter Weife und
in rechtem Maaße Rechnung tragenden Auswahl des Singfloffse. Somit
darf gefagt werden, daß die Schulen des Kantons Aargau mit diefem
Geſangbuche wohl berathen find. Möge der Inhalt deffelben einem recht
großen Theile nach zum fichern, unverlierbaren Eigenthume der Aargaui⸗
Ihen Jugend werden! Dies wird dem wadern Verf. der erwünfchte Kohn
für feine eben fo mühevolle als verdienftlihe Arbeit fein.
21. geomm und Fröhlich! Geiftlide und weltliche Volkslieder und neuere
efänge für mittlere und obere Klafjen katbolifcher Volksſchulſen. Gefam-
melt und herausgegeben von Benediet Widmann. Erſtes Heft. Rebſt
einem Borworte vom Negierungd» und Schulratb Kellner. Eſſen, G.
D. Bädeler. 1857.
In dem Borworte fagt Hr. RR. Kellner u. A: ..... Bi
man oft genug beim Spradhunterricgte nur die äußerlihe Erſcheinung
der Sprache, die reine Grammatik, lehrte und darüber vergaß, daß die
Sprache der Ausdrud des inneren geifligen Lebens iſt; fo bat man
nicht minder auch den Sefangunterricht oft zu äußerlich blos in Betreff
der Technik aufgefaßt, und hat überfehen, daß auch er Ausdrud erhoͤh⸗
ten geiftigen Lebens und Empfindens if. Nunmehr aber darf man e%
warten, daß unfere Volksſchullehrer auch dem Terte des Liedes Auf
merffamfeit widmen, und den Zuſammenhang, die Wechſelwirkung nicht
außer Acht Laffen werden, welche zwifchen Text und Melodie, wie zwis
fhen Seele und Leib beftehen. Es wird ihnen klar werden, daß gerade
beim religiöfen und weltliden Volksliede diefer innige Zufammen
bang fih am reinften ausprägt, und daß darin der hohe Zauber liegt,
welchen fle auf Jung und Alt ausüben. Er ſetzt dann hinzu: „Bon
ſolchen Anfichten fcheint mir auh Hr. B. Widmann bei der Zufam-
menftellung feiner Liederfammiung ausgegangen zu fein. Ich glaube,
Daß diefelbe aus den rechten Lebensquellen geichöpft und darum m
Wahrheit geeignet if, eine fromme und fröhliche Jugend beranzubilden.
AR doch nur der wahrhaft Fromme aud wahrhaft ias Ich habe
daher gerne dem Wunſche des Hrn. Verf. entſprochen und einen Lieder⸗
kranz mit dieſem Vorworte begleitet, deſſen Blumen ſo haͤufig auf katho⸗
liſchen Grund und Boden gepflückt und mit beſonderer Rückſicht auf
Geſang. 303
katholijches Leben und Denken zuſammengeſtellt ſind.“ — Ih füge
dem nur noch hinzu, daß das Heft in 3 Abtheilungen zerfällt: J. Geift⸗
lihe Lieder, 14 Nummern; 1. Weltliche Bolkslieder, 13
Nummern; III, Neuere Gefänge, 10 Nummern, und daß der Berf.
feinen fchon anderweitig nachgewieſenen pädagogifchen wie mußlaliſchen
Beruf für deriei Arbeiten aud bier Dargetban hat.
22, Liederbud für die oberen Glafien der Bürgerfchulen fowie für Gym»
naflen und Realſchulen. Herausgegeben von —* Kr Lehrer in
Köthen. Enthaltend: drei⸗ und vierſtimmige Lieder und Selinge. Kalle,
Drud und Berlag von 9. W. Schmidt.
79 dreiftimmige Lieder und 9 Canons. Die Sammlung zeugt in
dem vielen Guten und Trefflihen, das fie bietet, von dem Fleiße und
der Umficht des Herausgebers. So gern ich dies anerlenne, fo entſchie⸗
den muß ich gegen das Lied Nr. 17 protefliren, wo abermals jene Phi⸗
lofophie des Genießens gepredigt wird, die man nur einmal ernflich
beim ‚Worte zu nehmen braucht, um ihr nachzuweiſen, daß fie nicht
zeitig genug unfere Schufbuben zu Gigarren und Lagerbier, Kartenfpiel
und Würfelluf, Schaufpiel und Tanzvergnügen und jeder fonfigen locken⸗
den Form des Fidel»Seins hinführen kann. Ich fehe das in Rede
fiehende Lied vollftändig her und frage jeden ernſten Pädagogen, ob bie
bier ausgefprochene Lebensanfhauung mit ihren Gonfequenzen von einer
chriſtlichen Schulanftalt gegenüber den Eltern ihrer Zöglinge vertreten
werden fann, zumal in unferer jegigen genußfüchtigen Zeit.
Lebensgenuß.
Kurz und flüchtig ift des Menfchen | Kümmert oft fi mitten im Genießen,
Leben, | Macht fich ſelbſt die reinfte Luk zum
eid,
Und fo reich des Sebeng Etröme
geben, en,
Raub er ſich Durch Zögern den Genuß. Martert er fih durch Enthaltſamkeit.
Geht der Freude, die am Wege winter, Er vergißt der Jahre Flügelſchnelle,
Blind vorüber, bangen Zweifel voll; Daß, was einmal flieht, auf immer
Wenn, was lebt, aus ihrem Beer
weicht;
trinket, Schoͤpft erſt dann aus deafegten
Fragt er grübelnd fi erſt: Darf ich's uelle,
wohl? (!!!) Wenn der Tod Ihm feinen Becher reicht.
Ab! Genuß mit reinem, edlem Herzen
Soft’ er immer ſich verfagen nie;
Eon genug find der Entbehrung Schmerzen,
Warum tböricht noch vermehren fie?
Gab uns Gott denn unfer Herz vergebens ?
lößt umfonft er ihm Empfindung ein?
ein, er fchentt es uns ale Glück des Lebens,
Und genießen Heißt ihm dankbar fein.
23. 50 Kinderlieder zum Gebraud in den Elementarklafien höherer und
‚niederer Schulen. Herauögegeben von H. Wehe, Leipzig, Friedrich
Branpdftetter. 1856. Motto: Ich finge, wie der Bogel fingt, der in den
Zweigen wohne. (Göthe.)
„Die vorliegende Sammlung if für Elementarklaſſen beſtimmt.
NRacke, Sabreöberiht. X. 38
Und wie oft verfäumt er den Genuß!
Zreuden, ihm aus voller Sand ges
’
594 ' Gang.
Auf diefer erften Unterriäitshufe fol der dargehotene Sefangesſtoff den
freien Ueberfirömen der kindlichen Seelen im Gefang auf die rechte
Weife befördertich werden und zugleich Material für den AnfGauungss
Unterriht Kiefern. Das Bedürfniß einer Sammlung von Liedern,
weiche dem Lehrer für den Anſchauungs⸗Unterricht einen frifehen Quell
und reichhaltige Anknüpfungspunfte darbietet, iſt in Tepterer Zeit mehr
fach laut geworden. Leider enthalten aber die meiften Sanmlungen
diefer Art nichts weiter als einen wäflerigen Sentenzenfram, sin maly
armes Liedergebrän voll abgeſchmackter, unkindlicher Reflerionen, das
einer ſtarken, befeelenden Wirkung auf die muntern, gefunden Kinder
feeien, eines geiftigen Kernes und einer muflfalifihen Pointe meiſt ganz
entbehrt. Unfere Sammlung ift indeß ganz und gar aus der Kinder
ſchule hervorgewachſen ımd bietet nur folche Lieder dar, welche bie
Kinder mit größter Freude und Luft in der Schule lernten und zu
Baufe fangen, wo fie gingen und flanden.” So der Herausgeber im
Borworte. Wenn er alddann noch wünſcht, „daß diefe Lieder ſich auf
anderswo bewähren und beitragen mögen, den Beobachtungstrieb ber
Kinder gu weden, ihr Herz und Sinn dem Böttlihen und Schönen zu
öffnen und einer Lection, die fo oft in langweilige und unvernünftige
Berftandeslhungen ausartet, Friſche und Interefſe zu verleihen,” fo
fimme id diefem Wunſche gern bei. Bemerkt fei noch, dag das Buͤch⸗
lein weſentlich nicht ſowohl Neues, als vielmehr eine Auswahl des Been
aus den vorhandenen Sammlungen gibt. Alle Lieder And einftimmig,
heitere finden fih 40, ernfie 12.
24. Sangesfreuden. Drei und fünfzig zweis und dreiftimmige Lieder für
Padagogien, Mealichulen, fowie für Die oberen Alaffen ——
bearbeitet von Wilhelm Heinrich Koch, Geſanglehrer am Herzoglich
Naſſauiſchen — zu Dillenburg und Lehrer an der obern Mabdchen⸗
ſchuie daſelbſt. Dillenburg, Verlag von Heinrih Jacobi. 1836.
‚ Ernſte und heitere Lieder, entfprechend dem Bedürfniffe der am
dem Zitel genannten Schulen, einige nicht übel gerathene Rummern
auch von der Gompofition des Herausgebers. Ausgenommen von dem
Beifalle, den ih dem Ganzen ſchenke, heibt Nr. 25 „‚Zeitgefang,” wo
abermals die Philofophte des flotten Bebenzgenuffes ihre bedenflicen
Lehren ertheilt, und eine Lebensanfhauung fi fund gibt, zu der in
threr Oberflächlichkeit und Aeußerlichkeit aud der heitere Chriſt fid
nicht befennen kann.
» . . „Brüder, lernt die Kreuden finden!
Sie erhafchen ift Gewinn.”
„Dieſes Leben gleicht dem Feſte
— Freund Ay a e Sit.
Kreunde find wir, Freund’ und Gaͤſte
Eines Freundes, der uns liebt.
Brüder, winkt dereinſt die Paufe,
Laßt uns unerſchrocken fteb'’n,
Und vom freundſchaſtliichen Schmaufe (!!!)
Als verjüngte (2°?) Bäfte gehn
u... Bedarf e8 weiteren Gloffen über ſolthen Singſangk —
ln 05
25. Gang und Rinng für Madchenſchulen von.
Angaſt ——* In
drei Heften. Erſtes Heft: enthaltend 106 einfimmige Rieder. Dritte vers
mehrte Auflage, berauögegeben von Carl Colberg, Königlider Doms
fänger und Gefanglehrer an der Königlichen Realfchule und der Königli⸗
chen ae Höheren — zu — —8 Verlag
von Rudolph Gärtner. elang ſche Sortiments⸗Buchhandlung.
frage 11. 1837.. B Sr 6 Bräden
Eine bewährte, in vielen Mädchenſchulen bereits eingeführte Gau
fung, vorherrihend Volksweiſen enthaltend.
26,
Schullieder. Zweite Lieferung. Preis 1a Nor. Bütersioh, Verl
von C. Bertelsmann. 1856. i b, Berlag
Die erſte Lieferung liegt nicht vor. GBegenwärtige zweite enthält
54 zweis und breiftimmige Nummern geiſtlichen und weltlichen Inhalts
in guter, volfömäßiger Auswahl und Zufammenftellung. |
1.
2
=
.
In neuen Auflagen liegen vor:
Roacks „Liederkranz,“ Heft 1, 95 zweiflimmige Volkslieder und 13
Canons enthaltend. Bierte Gtereotyp-Ausgabe. (Text und Noten uſam⸗
En hi Nor, Schneeberg, Br. Fr. Goediche. (Dergl. Band V de P.
ahresber.
Ludwig Erk's und Auguſt Jakob's Deutſcher Liedergarten“
(für Wädchenfhulen). Heft I, 70 eins und zweiſtimmige Lieder enthaltend.
Dritte (Stereotyp=) Auflage. 2a Sgr. n, ©. D. Bädeker.
. U. 8, Löchner's Deutſches eerbug für Knabenſchulen. Obere
verb. Aufl.
Stufe, 64 meiſt dreiſtimmige Lieder. 2.
3 Rar. Reipsig,
Jul. Alinkpardt. (Berg. Band IX.) Rat. Reipsig
. Liederkranz für deutfäe Schulen x. Herausgegeben von Lehrern
. ber Grafſchaft Mansfeld. Zweites Heft, 3. —**
e Auflage, 58 2
und Iftimmige Lieder enthaltend. (Eisleben, Kuhnt (E. Gräfenhan). 3 Ser,
(Bergl. Band V.)
C. Hartung's und F. Schmidts „Schulfiederbud in der Ton
— von F C. J. Thomascit.“ v 1, 2 Auflage. 100
1: und zittmmige Lieder und Ehoräte. Berfin, 9. E. Huber. 5 Ser
(Zergi. Band VIII.)
. Mein „Liederhain,” und zwar Heft 1 in 8., Heft 2 in 5. Stereotyp⸗
Ausgabe. Heft 1 enthält 37, Heft 2 36 zweis und dreiftimmige Lieder
von fiherfter Bewährung. Der Preis jedes Heftes if 1’/. Gyr. Werfag
von C. Merſeburger in Leipzig. (Bergl. Band IX.)
. Meine „Kinderharfe,“ 46 erprobte Kleber Tür Anaben und MM
(hen
von 5—8 Jahren enthaltend. 3. Stereotyp⸗Ausgabe. 1%, rt. Seipgig,
G Meike (Best. Band IX) nagate. I gr, Belnäig
b) Für Maͤnnerſtimmen.
(Nur Kirchliches und Vollsmäßiges.)
. Liturgiſche Chöre. Sammlung von Eompofitionen zu Bibeli
ſprocher
und andern geiſtlichen Texten für Männerſtimmen. Zum Gebrauche Gel
‚iturgüfchen Andachten, ſowie anderen gotteödienftlihen Feierlichkeiten iu
der Stiche, in Seminarien und andern höhern Unterrichtsanftalten übers
haupt, heranögegeben von Earl Mettner, Seminar Mufllichier. Op. &
38*
596 | Geſang.
Gubfertpiiond » Breis 1 Thlt. Partiepreis won 12 und mehr Gyewplaren
baar & 20 Egr. und bei 24 Egemplaren noch eins frei. Erfurt und Leipzig,
G. W. Körner's Verlag.
Nachdem diefes Werk bereits mehrere anerkennende und empfeb-
ende Beurtheilungen erfahren hat, auch von dem Hrn. Minifer der
geiftlihen Unterrichts» und Medicinals Angelegenheiten in einer Anzabl
von Exemplaren an verfchiedene höhere Unterrihtsanflalten vertheilt
worden ift, fo möge fih die gegenwärtige Anzeige auf Nachſtehendes
beihränten. Die Zahl der Gefänge beträgt 76, wozu ein Anhang von
26 Sätzen (verichiedene Amen, Heilig 2.) für die gewöhnlihe Sonn⸗
tags⸗Liturgie kommt. Neben ganz furzen Stüden von 8 Tacten x.
ſtehen ausgeführte Chöre, die zum Theil in Partitur den Raum von
3 Seiten füllen. Bieles hat Hr. Mettner felbfi geliefert (33 Num⸗
mern), außerdem finden ſich Eompofltionen von U. Bergt, Bort⸗
niansty, ©. Zlügel (14 Rummen), Hillmer, 9. €. Kelz,
B. Klein, 9 ©. Nägeli, & Schnabel und F. W. Sering,
auch ein älterer Sag von U. Oumpeltzhaimer. Georbnet if das
Ganze in diefer Weife: Advent, Paffion, Oftern, Pfingften, Trinitatis,
Haus und Wort Gottes, Buße, Bitte, Glaube, Lob und Dank, chriſi⸗
licher Wandel, Tod und ewige Seligkeit. Ein Salrum far regem
bildet den Anhang. Dem Bernehmen nah wird die Sammlung bereits
in mehreren Seminarien für den Zwed liturgifcher Andachten gebraudt.
Auch abgeichen von der erbaulihen Berwindung diefer Ehorgefänge
wird das Singen berfelben für den Seminariften fehr erfprießli fein,
indem fie ihm in den einfachften Formen durch ihren Ernſt und ihre
Würde das Weſen kirchlicher Tonkunſt unmittelbar zur Anfchauung und
zum Bemwußtfein bringen und ihn fo für die Einführung in größere
Werke diefer Gattung befähigen.
2. Geiſtliche Männerhöre, alte und neue, für Freunde des ernſten
Männergefangee. Herausgegeben von Wilhelm Greef. Zweites Heft
(mit Berüdfitigung der kirchlichen Kefte), 123 Gefangnunmern, worunter
72 Originals Gompofitionen, enthaltend. Gtereotyp» Ausgabe. Eſſen,
G. D. Bädeler. 10 Ger.
Nachdem in unfern Tagen fich vielfah das Bebürfnig Liturgifcher
Andachten ausgeſprochen hat, fo foll das vorliegende Heft für Diele Ans
dachten und für religiäfe Feiern überhaupt, wie für die Pflege der hei⸗
ligen Zonfunf und des kirchlichen und chrifllichen Lebens einen zweck⸗
dienlichen Beitrag liefern. „‚Sachlenner werden willen, warum und
wozu die biblifhen Borlefungen und die Choräle bei den Titurgifchen
Ehören angedeutet, und weshalb bei den meiften Gefangnummern noch
andere angegeben find, jedoch ſtets im Anfchluffe an die liturgifchen Ans
dachten der Königl. Hofs und Domkirche zc., von Fr. A. Strauß
(Berlin, W. Herp). Gewiß iſt es, daß bei fefflehender Ordnung eine
belebende Abwechfelung, bei übereinftimmender Grundform eine evange⸗
Yifchsfrete Bewegung, bei heilfamer Einheit eine fortbildende Mannigfal⸗
tigkeit, welche eine zeitgemäße Wiederherftelung manches Xelteren nicht
ausſchließt, fattfinden Fann, was die Geſchichte der Liturgifchen Andach⸗
Geſang. 607
ten befätigt, und ſelbſt förderlih für das Gefühl der chriſtlichen Ge⸗
meinfchaft wirft. Diefe Gemeinſchaft ift au in den Stimmen frommer,
chriſtlicher Männer verfchiedener Zeiten und Länder, in den mit dem
Evangelium übereinfimmenden alten KRirchengefängen als Träger der un⸗
getrübten, wunderbaren Einheit des Glaubens zu finden; es ſind fomit
ſolche Ehorgefänge als gemeinfames, rechtmäßiges Erbeigenthum von der
Chriftenheit, erbaut auf dem Felſen des Bibelmortes, feftzuhalten und
zu benupen. Laſſe man ſich bei reicher Auswahl durch das, was man
etwa anders wünſchen mag, nicht von dem gefegneten Gebrauche desje⸗
nigen abhalten, was an» und hinaufzieht. Wird doch der Sinn für
bas Schöne und Erhabene durch die Erſcheinung deffelben am ſicherſten
gebildet, und die Erkenntniß des Zwedmäßigen, oft erfchwert von bes
engender und bemmender Gewohnheit, dur die Erfahrung nicht felten
ſchnell gefördert.” Nach dieſen Anfihten und Grundfägen hat der
Herausgeber gearbeitet. Er giebt als Hauptfache 12 vollkändige Litur⸗
gien für Weihnachten, Jahresfhluß, Sonntag nad Weihnachten, Anfang
der Paffionszeit, Charfreitag, Oſtern, Bußtag, Himmelfahrt und Pflug
fen, Reformationsfeſt, Todtenfeſt, Begräbnißfeier, fonntäglihe Vesper.
Dieſe Liturgien enthalten circa 100 größere und kleinere Tonfäge älterer
und neuerer Beit, und es if fein geringes Berdienft des Herausgebers,
biefe Stüde zufammengebraht, zum Zheil neu bearbeitet, geordnet und.
zum bequemften Gebrauche dargeboten zu haben. Biele Nummern find
von Ernſt Richter, dem wir auf dem Gebiete des kirchlichen Männer⸗
gefanges ſchon manche werthvolle Gabe verdanken und dem es vor
mandem Andern verliehen fein dürfte, in der Weile und im Geifte
B. Klein’s zu componirn. Der Anbang liefert Refponforien und
Ghorgefänge für den ſonntäglichen Gottesdienft, 14 Nummern. Dann
folgt eine Zugabe von 30 Gefängen verichiedenen Umfanges für mans
cherlei kirchliche Beranlaffungen, meiſt vortrefflihde Sachen, unter denen
befondere mehrere uralte Säge von Felice Arnerio, Giov. Nanini,
Ant. Lotti, Zosquin de Pres, fowie aud eine Reliquie von B. Klein,
ein durheomponirter Pſalm mit Bianofortebegleitung, zu nennen find.
So erfheint denn das Ganze als eine gar wichtige Handreichung für
die Uebung heiliger Tonkunſt auf dem Gebiete des Männergefanges,
und man bat nur zu wünfchen, daß ein recht umfaffender Gebrauch
möge davon gemacht werden. "
3. Trauerllänge Vierſtimmige Gefänge für den Männerdor, zum Bes
brauche bei Trauerfeierlichkeiten Herauögegeben von J. 9 Lüßel,
Erfurt und Leipzig. Gottf. Wilh. Körner's Berlag.
Eine Auswahl recht angemeflener Gompofitionen von Faißt,
Schletterer, Weigl, Zac. Handi (Gallus) Reihardt, Flem-
ming, Rind, Elfäffer, Bifhoff, BU Weber, 8.28. Haß⸗
ler, Ciſenhofer, Beneken, Fr. Schneider, Kloß, Graun,
Grell, Spohr, Hellwig, Seyfried und Lützel, im Ganzen 26
Rummern, theils liedförmig, theils motettenartig. Hervorzuheben find:
das uralte Ecce quomodo moritur justus (1587) mit deutfchem Tert,
Spohr’s: „Selig find die Todten,“ Rind’s: „Selig find des Him⸗
508 Geſang.
mels Erben,“ Bifhoff’s: „Wiederſehen,“ ein kleines Requiem von
Hellwig, ein dergleichen von Lützel, Grell's: „Chriſtus if die
Auferſtehung und das Leben,’ auch H. M. Echletterer’s: „De
Herr hars gegeben, der Herr hat's genommen.’ Kür eine zweite Aufs
lage gebe ich den Rath, das befannte: „Raſch tritt der Tob den Mew
fhen an,” weldes Hr. Zügel ‚am Grabe eines in der Kraft der
Jahre Vollendeten“ fingen läßt, doch lieber zu befeitigen. So ſchoͤn
auch Dichtung und Gompofition an fih fein mögen, fo hat doch ber
kirchliche Chor an einem Grabe der bezeichneten Art nicht bios won
fänellem Tode und ungeahnt bereinbrechendem Berichte zu fingen, fon
dern auch von der Hoffnung und dem Trof des Chriften, von be
Sreudigkeit feines Glaubens und von der Zwerſicht, womit er dem Herm
allein walten läßt und feiner Gnade fein Heil vertraut. — Würde
Schillers immerhin klaſſiſche Dichtung in dem bezeichneten Kalle auf
die Gemüther einer Trauerverfammlung, einer fchmerzerfüllten Wittwe
und ihrer verwalten Kinder, den Eindrud machen, den ein Grabgeſang
doch machen foll?
.”
4. Bibel⸗Hymnen mit lateiniſchem und deutſchem Texte, für den geiſtll⸗
Gen Männerhor comvonirt von Guſtav Flügel. Partitur, Op. 41.
18 Ser. Erfurt und Leipzig, ©. W. Körner.
Eine neue, fchäpbare Babe des fleißigen Eomponiften, dem das
Nepertoir des kirchlichen Männerchors ſchon manche Bereicherung ver
dankt. Vorliegende Chöre, 16 an der Zahl, find über Bibelfpräde,
lateiniſch und deutſch, gefchrieben. Sie beſtehen ſämmtlich blos ans
einem, mehr oder weniger motettenartigen Satze. Was fe beſonders
bezeichnet und für Seminare, Gymnaſien, Lehrervereine, Kirchenchoͤre x.
in hohem Grade empfehlungswerth macht, if entfchiebene Würde bes
Style, verbunden mit intereffanter Erfindung, große Durchfichtigkeit der
durchaus edlen, jede Trivialität vermeidenden Harmonie, freie, charaller⸗
volle Führung der einzelnen Stimmen und ein fo geringes Maaß von
Schwierigkeit, daß auch Meine und minder gelibte Chöre dieſe Mufll
bewältigen, fi und Andere dadurch erfreuen und erbauen fünnen. Herr
Regierungsratd Dr. Trinkler in Magdeburg hat die Zueignung ange
nommen.
5. Kirchliche Männerdhöre aus alter und neuer Bett, zur Diene ded
edleren Kirchengeſangs gefammelt und bearbeitet von Joh. Ehr. Weber,
Oberlehrer der Rufe am Seminar und Muflldireltor an der Gtadtliche
ir Rürtingen. Stuttgart, Ebner'ſche Kunfs und Wufitalien s Handlung.
856.
Eine vortrefflige, aus Künſtlerhand hervorgegangene Samm⸗
hang von meiß älteren Männergefängen ächt kirchlichen Style, ein Re
yertorium, das keiner höhern Schulanftalt und Teinem kirchlichen Männer
Gore fehlen folte! Wie Bfarrer Fr. Krauß in dem Borworte ſagt,
iR die Sammlung bauptfächli zu dem Zwecke bearbeitet, daß durch Die
Debung diefes kirchlichen Chöre der muſikaliſche Sinn der Lehrer wieder
mehr anf das Ernſte umd Heilige der Kirchenmufil gelenkt werde -I9
ſede gern Hinzu, daß fie dazu vorzüglich geeignet find. Ju zwei Hälften
Geſang um
difert das Wert 82 Nummern nah folgender Osbnung: 1. Das Lch
Gottes (19 N.) AL. Die Beftgeiten.. 1. Weihnachten (6 R.), 2. Paſ⸗
fion und Abendmahl (11 N.), 3. Oſtern (I R.), 4. Himmelfahrt (IN),
5. Pfingſten (3 R.), 6. Reformationg» oder Bibelfeſt (1 N.) III, Das
chriſtliche Leben. 1. Sottvertrauen (5 N.), 2. Das Gebet des Ghriften
(18 R.), 3. Dienſt Gottes (AR), 4 Tod und Ewigkeit (8 N.),
5. Der Segen des Herrn (3 NR.)
6. Reformationd-Gantatin«a für vier Männerfiimmen mit Begleitung
won Cornet, 2 Trompeten, Temorpofaune, Bombardon und Orgel, eompo⸗
nirt von Auguſt Nauſch, Organiſt zu Waltershaufen, Herausgegeben zum
Beten des PefalozzisVereins von (dem Verleger) H. Waltenba I Gotha.
7. ZempelsKlänge. Gefänge für vier Männerfiimmen, componirt und dem '
Sergogl. Hochpreisol. Dbercenfiftorte d Gotha In tiefiter Unterthäniglkeit
gewidmet von Auguſt Raufch zc. Ebend. 20 Gr,
Leichte, . einfache Chöre, die einen Anſpruch auf hervorſtechende
Genialität und auf den Vorzug des niemald Dageweienen allerdings
nit machen können, jedoch nicht ohne Gewandtheit gefchrieben find
(namentiih Nr. 7, wo einige ganz gut abgerundete Fugato's vorloms»
men) und nichts gegen die Würde der Kirche enthalten. Kleinen Dorf
hören, die verfändig genug find, fih nicht an umfangreihe und ſchwere
Sachen zu wagen, werden fie willkommen fein,
8. Der Liederfreund. Sammlung vierfiimmiger Lieder für den Männer
chot, mit einer Zugabe von Alpenliedern, herausgegeben von J. ,
gehen. 1. He. Schaffhauſen, Druck und Verlag der Brodtmann'fchen
uhhantlung. 1856.
Die Zahl der Lieder beträgt 58, mozu wor 16 Alpenlieber Toms
men. Us Gomponiften werden genannt: F. Abt, Baymann, U.
Bergt, Bühler, Baumgartner, Calliwoda (Kallimodaf),
Barow, Frech, 8. Gräber, U. Gersbach, Geißler, 3. Iuß,
Kocher, Krauskopf, Kündig, Lorenz, Lucan, Mendel,
Mehul, U. Müller, Mozart, Nedelmann, Dtto, DOverbed,
Salleneuve, Salerie, Sommer, Silder, Schulz, Zobler,
C. M. vp. Weber, Waltburg, Bwilfig. ine bedeutende Zahl
von Liedern if ohne Angabe des Componiſten, und es mögen diefe von
dem Hexausgeber fein. Hat er aus Beicheidenheit feinen Namen unge⸗
nannt gelaflen, fo ift das recht wohl gethan; er hätte nur auch darin
Befcheidenheit üben follen, daß er feine Gompofltionen vor dem Abdrud
einem Künftler vom Fach zur Correctur vorgelegt hätte. Er befigt ohne
Zweifel eine hübſche Gabe für helle, anfprechende, einfache, leicht ſing⸗
bare Melodie, hat aber zu wenig Muflf gelernt, um nicht bei vielen
Gelegenheiten Berföße gegen harmoniſche Conſtruction und correcte
Stimmenführung zu machen. Richt beſſer fcheint es mi Hrn. Zwiffig
beſtellt zu fein, der unter Rr. 49 und 55 den Beweis, daß er die
Kunf des reinen Sapes nicht verſteht, unmwiderlegbar geliefert hat.
Als Dritten in diefer Michtung muß ih Hrn. Tobler hezeishnen, von
dem fi unter Nr. 13 ein fo fchülerhaftes Stüd Arheit findet, daß Einem
die Raivetät, womit fol” Machwerk veröffentlicht wird, faſt ruhrend er⸗
00 Geſang.
fcheint. — Nah dem Vorſtehenden hat alſo der „Liederfreund“ nır
einen bedingten Werth, da die beſſeren Sachen von Abt, Kocher,
Bergt x. das vorhandene Unfertige nicht decken koͤnnen.
9. Preußiſche Krons und Vaterlandslieder für vierſtimmigen
Männergeſang, herausgegeben von Friedr. Wilh. Sering. Op. 28.
Preis cplt. 7’/ Sgr. Heft I 3 Sgr., Heft II 5 Sgr. Magdeburg,
Berlag der Heinrichahofen’ihen Buchhandlung.
*r Die Kreugzeitung fagt bierüber: „Durch die vielen Liedertafeln find
die vierfimmigen Lieder für Männerfiimmen fehr verbreitet worden, fie
haben den Sinn für volfsthümlichen Geſang neu auffommen und auf
leben laflen; aber wie gern wir dies einerfeits anerkennen, fo müſſen
wir Doch andrerfeits das tendenziöfe Treiben, das fih in manchen Lieber
tafeln fund gegeben, verwerflich finden. Vielen fogenannten Bolfstiedern
der Neuzeit fehlt das treue Herz und der reine Sinn des alten Volls⸗
liedes, und das Feuer, welches darin die Bemüther der Sänger entflam
men fol, if nicht felten ein Brand des Aufruhrs gegen Alles, was
den Bätern theuer und werth gewefen. Außerdem Fränteln die neumo
diſchen Lieder nur zu oft an einer wäflerigen Empfindelet, deren erſchlaf⸗
fender Einfluß der ohnehin garaffirenden Nervenſchwäche den größten
Vorſchub thut. Denn ein gefungener Siegwart wirft am Ende not
fhädliher als ein gelefener, und ſchlechte Muflfalien find noch ärgere
Giftppiolen für das Herz ale fchlechte Romane für den Geiſt. Darum
heißen wir diefe Sammlung patriotifcher Lieder doppelt willfommen.
Es find zwar viele alte gute Befannte darunter, aber eine gute alte Bes
kanntſchaft erneuert man immer gern wieder, und ber gefunde Sinn
wird der alten Lieder, die man ſchon in der Jugend gefungen, fo wenig
überbrüffig, wie der heimathlihen Luft und der vaterländifchen Erde.
Der Herausgeber hat diefe Kron« und Baterlandslieder zunächſt für die
Seminarien beſtimmt und in den Lehrerfchulen zu Gardelegen, Köslin,
Sranzburg, Altdöbern, Barby, Stettin u. f. w. find fie bereits einge
führt worden. Möchten auch die Preußiſchen Liedertafeln fie zw ihrem
Eigentfum machen! Huch die Kunft des Gefangs erfcheint fa, mie
jede Kunft, um fo höher, je inniger fie fih an das Baterland, an das
theure, anfchließt. Und der nationale Klang in Wort und Gang wird
ſtets der befte Ton des treuherzigen Volksliedes fein und bleiben.‘
Ich unterfchreibe dies,
10. Boltslieder für vierfiimmigen Männergefang, herausgegeben bon
Friedr. Wilh. Sering. Op. 30. Preis 3%, Sgr. Magdeburg, Verlag
der Heinrichshofen'ſchen Buchhandlung.
22 Nummern, darunter drei neue, von der Compofition des Heraus⸗
gebers, Die freilich erſt wirkliche Volkslieder werden müffen.*) Liebes
und Trinflieder find ausgefchloffen. Der Herr Minifter der geiftlichen
Unterrihts« und Medicinalangelegenheiten in Berlin hat eine Anzahl
*) Als vorzüglid gelungen bezeichne ich den „Trompeter an ber Xaß
bad’; es gehört dieſes Lied zu denen, welche in meinem Kreife mit befonderer
Borliebe gelungen werden.
Geſang. 601
von Exemplaren dieſer Lieder zur Vertheilung an die Gymnaſten und
Seurinare angefauft. Da die Sammlung einen ſpeeifiſch preußifhen
Charatter nicht bat, fo dfrfte fie in ganz Deutfchland Verbreitung
finden, was auch ganz wünfchenswerth ifl.
11. Siederbug für Handwerker. Hamburg, Agentur des Rauhen Hauſes.
Enthält 111 zweis und dreiftimmige heitere und ernfle Lieder.
„Ro man einfam oder gemeinfam if, da mag man an bdiefen Lies
dern fih freuen, aufrichten und tröften.” Möge fiih dies in weiten
Kreifen erfüllen!
12. Reuer Liederhaln. Sammlung mehrflimmiger Lieder für Schule und
Haus. Zweite Abthellung: Jünglings⸗ und Männerlieder, Erſtes und
zweites Heft. Dritte Abtheilung: Baterlandes, Krieger, WBanderlieder,
dreiftimmig für Mämerchor gefegt und Deutfchlands Kriegern, fowie
ber geiſern Jugend gewidmet. Hannover, Hahn'ſche Hofbuchhandlung.
Gegenwaͤrtige, aus zwei einander gegenſeitig ergänzenden Abtheilun⸗
gen beflehende Liederfammlung, deren erſte Abtheilung für das Träftis
gere Knabenalter beftimmt ift, will dazu beitragen, den herrlichen Schatz
unjerer Bolfslieder durch die Jugend zum lebendigen Eigenthum des
Volkes zu machen. Bon andern Sammlungen unterfheidet fie fih das
durch, Dad fie eines Theile für beſtimmte Altersfiufen berechnet ift, an»
dern Theile ‚fern von Verfolgung eines außerhalb liegenden, auch noch
fo löblichen Zweckes nur folche Lieder und Weiſen enthält, welche von der
Jugend gern gefungen werden.” Abtheil. II., für das Zünglingsalter
etwa bis zum funfzehnten Jahre berab („indem die noch vorfommenden
Altſtimmen mit großem Nutzen für den erfien Zenor verwendet werden‘),
nah Klaffen für die Prima, Secunda und Obertertia der Gymnafien
befimmt, enthält im 1. Hefte 38, im 2. Hefte 32 vierfimmige Lieder.
Die Auswahl, refp. Bearbeitung erſcheint als eine fehr wohl berechtigte,
vorausgefeßt, Daß man mit dem Herausgeber die Anficht theilt, es dürfe
das an fi) unverfängliche, gefunde und reine Liebeslied (wie 3. B. Aenn⸗
hen von Tharau, — Morgen muß ich fort von hier, — So viel Stern’
am Himmel ftehen 20.) der Jugend immerhin mit dargeboten merden.
Die dritte Abtheilung will befonders dem deutfhen Wehrſtande
die vorzüglichften volfsmäßigen Lieder als Gefangftoff darbieten. Es
find demnach hauptfählich folche Lieder aufgenommen, in denen Liebe
zum Baterlande und Kampfesfreudigkeit ihren Ausdrud finden. „Der
dreifimmige Sap if gewählt, weil bderfelbe eines Theils am
meiften geeignet ift, innerhalb der verhäftnigmäßig engen Begrenzung der
Männerfiimmen die Intervalle gehörig auseinander zu halten, andern
Theils in feinen einfachen Harmonien, namentlich in der begleitenden
zweiten Stimme, fih am ungefuchteften dem Naturgefange anfchmiegt
und eben dadurch für Einübung bei größeren Maflen von verfchiedener
mufltalifcher Befähigung den Borzug größerer Leichtigkeit darbietet.“
Die Zahl der Lieder beträgt 44. Daß neben den Baterlandes, Kampf⸗
und Siegesliedern auch dene Lieder vom-Scheiden und Meiden, von Heim⸗
602 | Geſang.
kehr und Wiederſehen, von treuer Liebe und ihrem Lohn sc., weidhe die
Soldaten fo gern zu fingen pflegen, Aufnahme gefunden haben, mar eine
Nothwendigkeit, deren Verkennung Zadel verdient hätte Der dreiſtin⸗
mige Sap if unter Verzicht auf Tünflichere Ausgefaltung ganz volle
mäßig gehalten. Lützow's wilde Jagd hat freilich bei dem dreiftimmigen
Arrangement ziemlih verblaffen müſſen, zumal da nad den Worten:
„Und wenn ihre die ſchwarzen Gefellen fragt,‘ die Macht des erfien be
rühmten Einfages: „Das iſt“ ꝛc. dadurch gebrochen iſt, daß der Bear
heiter — man erräth nicht, warum? — bdenfelben nicht in die Bäfle,
fondern in die Tendre gelegt Hat.
413. AUlpenlieder für Männerſtimmen, herausgegeben von Joh. .
Scaffhaufen is Drud und Berlas der hen —
16 Nummern: 1. Des Sennen Morgengebet. 2. Die Auffahrt
zur Alpe. 3. Der Appenzeller Milchma. A. Das Ulperdsli m. f. w. Die
einfachen Melodien treffen den Schweizerton. In Bezug auf die Har⸗
monifirung zeigen ſich leider manche dilettantifhe Schwächen, zum Theil
fogar offenbare Fehler. Eine Revifion, reſp. Eorreetur von kundiger
Seite iſt daher überall anzuratben, wo man von dem fonft nicht Abel
gerathenen Hefte Gebrauch machen will.
14. Vierundzwanzig Aflimmige Befänge, für Höhere Säul-Ar
falten und zur gefelligen Unterhaltung componirt von J. B.
Hamm, Gefanglehrer am Gymnafium und der höhern Bürger und Pre
vinzial⸗Gewerbſchule zu Trier. Trier, 1857. F. A. Bell.
Der Cinblick in bie Partitur lehrt, daß hier Geſaͤnge für Männer
ſtimmen vorliegen, was der Titel zu fagen vergeflen hat. Muß man id
daher Jünglinge und (da ja auch gefellige Unterhaltung beabſichtigt wird)
Männer als Sänger denken, fo macht der Tert von Nr. 1, ‚Kinder
glück“, einen fonderbaren Eindrud, wenn es heißt:
Hoher, füßer Friede
Wohnt in unſrer Bruſt;
Nie der Arbeit müde,
Lernen wir mit Luft.
Nichts von Bram und Leiden
Weiß noch unfer Serz,
Wenn wir Böſes melden,
Nichts von Sorg und Schmerz.
Das Wunderlihe der Situation, in welche diefer Text unter den
bärtigen Sängern gerathen ift, wird durch feine Zrivialität nicht gemin
dert. — Daß die übrigen Texte ſämtlich beffer gewählt feien, Four
man leider nicht fagen. In Nr. 10, „das Blümchen,‘ wird zwei Stro⸗
pben lang ein ſchoͤnes Blümchen, welches irgendwo in einem Garten Reit,
gepriefen. Dann fagt die 3, Strophe:
O, tenntet ihr mein Blümchen ganz,
Ihr würdet nach ihm geizen!
Der [hönften Blumen Yarbenglang
Würd euch nicht fürder reizen.
Es heißet frohe Willigkeit,
D, pflanzt es Alle, weit und breit,
Gefang 800
Das if ſehr gut gamehrt, aber ziemlich ſchlecht gedichtet und für
Männerchöre wenig imtereffant zu fingen. Und werben fi wohl Biele an
dem Bundesliede unter Nr. 14 begeiftern,. wenn es heißt:
Herbei zum Bruderbunde,
ür Wahrbeit, Recht und Licht!
anft herrſch' in dieſem Runde
Die Freude mit der Pflicht,
Drum Hinge n. f. w. — ?
Es bleibe dahin geftelt, ob das Poefie iſt; was die Logik dieſer
Zeilen betrifft, fo möchte ich ſie für die eines Unterquartaners erachten.
Die Schlußftrophe des Bundestiedes lautet:
Ber Streit und eitle Zänke
Im Freundesarm vergißt,
Und, was fein Kopf and denke,
Das Herz des Edlen fühl! -
Willkommen, lieber braver Mann,
Exhließ unferm Bruderkreis dich an!
Wie kann man dergleihen druden Ioffen! — — Bas den
mufikaliſchen Theil der Sammlung betrifft, fo ift er. der bei Weiten
befiere. Es if Melodie da und augemeflene, zwar einfache, aber doch
nicht triyiale Sarmenifirung nebft guter Sangbarfeit aller Stimmen.
Bo daber der Herausgeber brauchbare Texte traf, wie unter Ar. 16,
17, 24, da find ganz leidliche Gefänge entſtanden. Ginzelnes darin
kann Ih ön genannt werden, ſehr ſchön fogar die Führung des 1. Baſ⸗
fes in Nr, 14. Und hiermit follte diefe Anzeige fchließen. Indem ich
aber noch einen legten Blid in die Partitur werfe, finde ich, daß unter
Nr. 12 der Lehrer an feinem NRamenstage alfo angefungen wird:
Dir, dem Bildner des Geſanges,
Töne heute unfer Chor,
Dur des Tunftgerechten Ganges
Zöne lieblich in das Ohr.
Hier it weniger als Unterquarta, bier ift Kreifchule, GL. D. Ordn. B.
— Amer Somponif, wer hat dich mit diefem Dichter geäfft! —
c) Für gemifchte Stimmen.
1. Chorgefänge zum Gebraude bei den feſtlichen Gottesdien⸗
Ken der evangelif »Tutherifhen Kirche. Geſammelt und bears
beitet von J. 6. Deriog. . Profeffor in Erlangen. Op, 29. Berlag
von Iheodor Bläfing in Erlangen. 1 fl. 45 fr.
Die vorliegenden Ghorgefänge gehören zu denjenigen, welche der
Herausgeber als Cantor an der proteft. Kirche in München zur Ausfüg-
rung brachte. Ansprüche auf Verbeſſerung ſchon vorhandener Ausgaben,
auf Berichtigung von Melodien nad) Original⸗Quellen u. dgl. machen fie
nicht, fie werben vielmehr gegeben, um einem rein praftifchen Bebürfnifle
zu begegnen. Nach der Folge der Feſtzeiten finden ſich Stüde von (reſp.
ach) I. ©. Bad, 3. M. Bach, Baſſani (F um 1705), Ealpis
fius, 3. Erüger, 3. Eccard, G. Erythräus (1608), Goudts
mel (138%), © Braun, 3. Bastoldo (1591), Ad. Gumpeltz⸗
604 Geſang.
haimer (1619), Andr. Hammerſchmidt (1675), Händel, Pale⸗
ſtrina, Prätorius (1609), &. Schröter (1587), 2. Bittoria,
Bulpius (1609) Dazu fommen nod mehrere Rummern von dem
Serausgeber, eine dergleichen nach der Pfälzifchen Kirchenordnung (1570),
endlich auch Berfchiedenes ohne Angabe des Bomponiften. Weber die in
vorwaltender Zahl gegebenen alten Gefänge fagt der Herausgeber:
„Freilich werden Biele, die ſich mebr mit anderer Muſik befchäftigt haben,
Zeit und Mühe brauchen, fih an den hier dargebotenen Styl zu gemöh
nen. — Ih fand es an mir und meinen bisherigen Schülern von gu
tem Erfolg, wenn man ſich bei derartigen älteren Säßen vorher ſo recht
in die einzelnen Stimmen am Klavier hineinfingt, und dann erft das
Ganze in feinem Zufammenhange hört. Während fo manches Neuere
gleih von allen Zuhörern verflanden und fa von feinem Sängerkreis
ganz verdorben werden Tann, werden die meiften älteren Sachen zu dem,
was der Sänger aus ihnen zu machen weiß: fie verlangen, um ihre
ganze Schönheit entfalten zu können, von Geite der VBortragenden naͤchſt
der guten Schule vor Allem ein tiefere Sichseinleben in den Geiſt die
fer Werke, weldyes zulegt immer den Ernf eines religiöfen Gemüthes
erfordern wird. Der Ausrede fo Mancher, daß das Bolt folde Mufll
nicht mehr verftehe und keine Freude an derfelben habe, kann wenig Ge
- wicht beigelegt werden. Es ift thatfächlihe Erfahrung, daß die Gemein⸗
den in der Kirche allmälig zu dem Befferen herangegogen werden Fönnen,
ja daß auf der andern Seite, wenn das Boll den gefunden Geſchmack
verliert, Niemand die Schuld trägt, als die Muſiker.“ Bon’ feinen ei⸗
genen Compofitionen fagt der Herausgeber, er babe fie nicht den alten
an die Seite fegen, fondern nur den Beweis liefern wollen, daß ihm
das Verſtaͤndniß der alten Meifter nicht ganz fremd geblieben. — Es
ftebt wohl zu erwarten, daß die Sammlung nad ihrer vollen Bedeutung
werde gewürdigt werden; die vorftehenden Notizen haben das Ihrige dazu
beitragen wollen.
2. Kichlihe Ehorgelänge zum Gebrauche bei dem evangeli-
fhen Gottesdienſte. Herausgegeben von J. Heinrich Lützel. 1. Heft.
Preis der Partitur: 5 Sgr. oder 18 fr. Preis der vier Stimmen 7 Ext.
oder 24 fr. Zweibrüden 1856. Berlag von 3. Chr. Herbart. Im Debit
der Ritter'ſchen Buchhandlung.
„Sol der religiöfe Ehorgefang feinen Zwed erfüllen, fo darf er
nur ſolche Gefänge beim Gottesdienfte zur Aufführung bringen, die wahr,
baft firhlih und in Wort und Ton von ächt chriſtlichem Geiſte durch⸗
drungen und getragen find. Diele Eigenfdaften befigen in hohem Maaße
die Chorgefänge der Meifter des 16. und 17. Zahrhunderts, und es find
deshalb vorzüglich nur Zonfäpe aus diefer Beit in vorliegende Sammlung
aufgenommen.” Diefelbe enthält Bolgendes: 1. Heilig, von Rik.
Prätorius. 2. Ehre fei Gott, von Bortnianefy. 8. O bone Jesu
von Paleſtrina (mit deutfhem Text). AıChrifte, du Lamm Gottes,
von M. Prätorius. 5. Adoramus te, von Paleſtrina (mit deutfchem
Tert). 6. Ich weiß, daß meinErlöfer Lebt, von Mi. Bad (Sf)
T. Aus tiefer Roth [rei ich gu dir, won J. Eccard (5f.) Par
Geſang. 605
titur und Stimmen find höchſt ſplendid gedrudt. Möge das Unterneh
men den beiten Fortgang finden.
3. Caecilia, Sammlung vierftimmiger, bisher noch nicht im Drud erfchies
nener Kirchen » Eompofltionen äfterer italieniſcher Meifter. Zweiter Jahr⸗
an 1 aanasenehen von 9. W. Otto Braune, 8. Muflkdirertor ze.
n erſtadt.
Der ganze Jahrgang zerfällt in 6 Lieferungen, der Reihe nach zu
5, 5, 4, 6, 6 und 6 Bogen Partitur, während der Umfang einer ein⸗
zelnen Stimme in gleicher Folge 14, 4, 14, 2, 2 und 14 Bogen bes
trägt. Subferiptionspreis: 24 Ser. pr. Bogen. Nachdem der erfte
Jahrgang fih einer vielfeitigen Theilnahme zu erfreuen gehabt hat und
namentlich, einer gedrucdten Mittheilung des Herausgebers zufolge, durch
die geil. Minifterien in Preußen, Hannover, Medienburg, Baden,
Heſſen⸗Darmſtadt, Naſſau ꝛc. den refp. Lehr» und Bildungsanftalten,
Kirchengefangcbören und Gefangvereinen überwiefen, refp. anempfohlen ift,
- fo fleht zu erwarten, daß auch der vorliegende zweite die verdiente Beachs
tung finden werde. Auf den trefflihen Inhalt laſſen die Namen der
Gomponiften: Franc. Gajparini (1665— 1727), Ant. Salieri (1750—
1825), Leonardo Leo (1694 - 1744), ©. M. Afula (1565), Antonio
Lotti (1665 — 1740), Ant. Ealdara (1670—1736), Paolo Eolonna
(1630), Domenico Gallo (1760), Ricolo Zingarelli (1752 — 1837),
Marco Scachi (1643), Ant. Mazzoni (1710), Girolamo Abos (1760)
einen Schluß machen. Bemerkt fei noch, daß flatt des Lateinifchen Textes
eine mit aller Sorgfalt gearbeitete deutſche Weberfegung untergefegt if.
4, Srifhe Lieder und Gefänge für gemifhten Chor. Zum Ge
rau auf Symnafen und andern böhern Lehranftalten bearbeitet von
Erk und wie Erk. In drei Heften. Heft 1. Eſſen,
dei G. D. Bädeker. 1857. Preis 5 Sgr.
Das der Sammlung vorgeiehte Motto lautet:
Friſche Lieder und Gefänge
reich' Ih Dir, mein Vaterland!
Neue Töne, alte Klänge —
um fie ber ein Suftig Band!
Euer Singen, euer Klingen,
laßt es dur die Wolken dringen!
Diefelbe hat den Zweck, eine Ergänzung des von denfelben Ber
faffern herausgegebenen „Sängerhain's,“ Heft II und III, zu bilden,
indem fie eine Reihe ähnlicher mußergültiger und von der Jugend gern
gefungener Lieder darbietet. Die Zerte find, wie dort, nad dem Ins
halt geordnet und die heitern Belänge den ernflen vorangeſtellt Bei
der barmonifchen Bearbeitung derfelben haben die noch in der Entwides
fung begriffenen Tenor» und Baßſtimmen befondere Berüdfichtigung ges
funden; aud if bdiefelbe, mit wenigen Ausnahmen, in den von den
Derausgebern geleiteten Singklaſſen und Bereinen erprobt worden. Die
Bahi der Gefänge beirägt 35. Für die Gediegenheit des Inhalts büre
gen die Ramen der Serausgeber. Die biographiſchen Notizen, die
6066 | Geſang.
ſich durch zuverlaͤſſige Correctheit von denen vieler andern Sammlungen
unterſcheiden, ſowie die Nachrichten über die Entfichungszeit der
Zerte und Bompofitionen werden Lehrern und Schülern eine willloms
mene Beigabe fein. Der Preis von 5 Ger. erfcheint hochſt billig,
wenn man Die gute Äußere Ausfattung und den zeichen Inhalt des
Heftes erwägt.
5. Dreiftimmmige Jugendlieder, herausgegeben von Johann Wepf.
I. und II. Heft. Dritte Auflage. Schaffpaufen, Druck und Berlag der
Brodtmann'ſchen Buchhandlung. 1855.
So loblich die Gefinnung fein mag, aus der diefe, für 2 Kinder
Rimmen und Baß gefepten Lieder hervorgingen, und fo vortheilhaft die
3. Auflage des erflen Heftes für daffelbe zu zeugen fiheint, fo bin id
doch im Hinblid auf das große Ungeſchick, welches ſich bei mehreren
Aummern in Harmonie und Stimmenführung fund gibt, außer Stande
den Gebrauch der Sammlung anzurathen. Auf Seite 24 des 2. Heftes
fommt diefe Muſik vor:
7 e his
h eis 7
g a h
v
Bo dergleichen moͤglich ift,; hört Alles auf.
.6. Bionsharfe, oder: Geiſtliche Chorlteder für Sirdengefang:
vereine. Gefammelt und herausgegeben zum Gebrauch bei Äralicen
Feten und fonftigen Yeierlihleiten von Abam Echad, Lehrer, Schaf
haufen, Brodtmann. 1857, 12 Ser.
Die Sammlung fol durh Wohlfeilheit und leichte Aus
führbarkeit der dargebotenen Geſänge die Hinderniffe befeitigen helfen,
welche ſich immer noch dem Gedeihen des kirchlichen Chorgefanges ent
gegenftellten. Sie enthält, aus guten Quellen entnommen, auf 116
Seiten Partitur in Quer-Duart 73 Nummern, als: eigentliche Chor
lieder, Bfalmen, Motetten, Hymnen, nebft fonfligen Ehorfägen verſchie⸗
dener Art. Das Leichte waltet vor; aber doch finden fih auch Städe,
welche gefteigerte Anfprücde an die Sänger machen, 3. B.. „Die Himmel
erzählen die Ghre @ottes” won Haydn, „Bor Dir, o Emiger” von
3.2. Schutz u a. m. Un Gomponiften ‚find ‚überhaupt genannt:
P. S. Bach, Baͤchtold, Baumann, Frech, Gersbach, Gläſer,
Grell, Haydn, Heinrich, Hellwig, Zuſti, B. Klein, Mühe
ling, Raue, Nägeli, Prätorius, Rinck, Roſſini, Seiffert,
Silcher, Scheibner, J. P. Schulz und Wyß. Die Ordnung bei
Geſaänge iſt nach dem Kirchenjahre gemacht, mit Hinzumahme von Morgen,
Abend, Abſchied und Begräbniß. In Betreff der Muſit find Ausſtellun⸗
gen nicht gu erheben. Dad wohl gelangene Gange verdient die Beach⸗
sung aller Vorſteher Eleinerer Kirchenchoͤre.
Geſang. 607
Für mehrerlei Chorgattungen.
1. Säulgefangbud, bearbeitet von D. Lorenz. I. Theil: Elementar⸗
übungen. Eins, zweis und dreiſtimmige Lieder, Winterthur, Steiner'ſche
- Buchhandlung.‘ 1855. II. Theil: Lieder und Gefänge für drei und vier
- weibliche, ober ungebrochene Knabenſtimmen. III. Iheil: Lieder und Ges
fänge für Gopren, Alt, Tenor und Baß. j
Eine fehr umfaffende Sammlung mit Umficht gewählter Gefänge -
von bem einfimmigen Kinderliedchen an bis zu der vierſtimmigen Motette
hinauf. Theil I enthält nad den Borübungen 1) AA zweiſtimm. Lieder
nad Folge der Tonarten, 2) 20 dergl. für befondere Gelegenheiten,
8) 15 dergl. gemtichten Inhalts, 4) 11 dreiſt. Lieder; Theil II bringt
9 Ghoralgefänge, 13 Feftlieder, 11 allgemeine Robgefänge, 18 Rum⸗
mern über Tages⸗ und Jahreszeiten, 23 dergl. für Naturgenuß und
gejellige Freude, 16 dergl. von des Lebens Luft und Leid, endlich noch
6 Zurns und 11 Baterlandslieder. In Theil III endlich finden fich
nach denfelben Rubriken 103 Nummern, unter denen jedoch die meiften
aus Theil II in vierflimmiger Bearbeitung wiederfehren. Theil 1 und
H koſten zufammen 1 Rthlr., vom Theil III Tauft man Sopran und
Alt (zufammengedrudt) für 15 Ngr., und ebendafür Tenor und Ba.
Möge ein ſtarker Abſatz die gewiß fehr bedeutenden Koften des Unter
nehmens decken! WWermiffen werden Biele die Partitur zu Theil III.
Zu den Glementarübungen im I. Theile, die nach Abrechnung der ein,
gefügten einen Lieder etwa 20 Seiten füllen, bemerke ich noch, daß
fe in üblichet Weife zuerf die Tonart C-dur, dann die Abrigen Ton»
arten behandeln, in Dur bis Fis und Ges, in Moll mit Beſchränkung
auf A, D und E,. und daß der Verf. es vermieden bat, durch Anhaͤu⸗
fung langweiliger oder allzu ſchwerer Aufgaben den Schülern das Ganze
zu verleiden.
2. Ltederſammlung für Schule und Leben, Bon Dr. 2, Kraußolb.
—* Theil. Preis einzeln 24 Zr., in Parthien von 25 Explt. a 21 Ir,
rlangen, Andreas Deichert. 1855.
Der erfe Theil der Sammlung, 145 zweiftimmige Lieder enthals
tend, if im IX. Bande des Päd. Jahresber. empfehlend angezeigt. Im
gegenwärtigen zweiten Theile werden nun feruere 92, ſowohl ernfle als
heitere Lieder und Gefänge, und zwar zum heil ebenfalls für zwei,
vorwaltend aber für drei und vier Kinder» oder gemifchte Stimmen
gegeben. In Diefer Mannigfaltigkeit der mufilaliichen Form darf bie
Sammlung erwarten, Sängerkreiſen verfchiedenfter Art willlemmen zu
fein. Daß fie es auch in Bezug auf die Muſik felber und auf den
yoetifihen Inhalt fein werde, flieht außer Zweifel.
3. Sammlung religidfer Geſänge und Lieder für drei Kinder, ober
Männerkimmen. Zum Gebraude in Symnafien, Real» und höhern Töchter
fhulen, Seminarien und Präpdrandenonfalten, wie aud beim Gottes⸗
dienfte. Gefammelt und bearbeitet von A. 2, Löchner, Lehrer der Königs
—* Sarntfonfäule zu Spandau. Leipzig, Verlag von Julius Klin
edt. .
Die ſehr beachtenswerthe Sammlung gibt theils Originalfäge, theils
dreitimmige Bearbeitungen urſprünglich für vollen Chor componirter
— —— — — —
608 Geſang.
Stücke. Der Herausgeber hat ſich fleißig in den Werken eines Cor»
dans, Rotti, Dh. Em. Bad, Nolle, Braun, Haffe, Haydn,
Mozart, Spohr, Fr. Schneider, Lindpaintner, B. Klein,
Bortniansfy, Mendelsfohn, Knecht, Rungenhagen, Breit
u. U. umgeſehen, und es if ihm gelungen, manden guten Fund für
das vorliegende Werfchen zu thun, wenn au Kürzungen und Mendes
zungen nicht felten als unvermeidliche Nothwendigkeit erfchienen. Außer
den genannten Gomponiften find vertreten: &. U. Wendt, Ferdinand
Wendel, & Runge, Kelz, Malan, Kühnaf, Shaad, € F.
Schulz, Bahsmann, Scheidemann und der Herausgeber. fell,
Bei fleißiger Benutzung ded Ganzen werden die auf dem Titel genann⸗
ten Schulen reihen Gewinn davon haben.
4. Sammlung dreis und vierfimmiger-Gefänge für Gymnaflals
Mlaffen, Reale, Bürgers, höhere Töchterſchulen und Oberklaſſen der Volkes
fhulen. Bon H. Silber, Rector beider Bürgerfchulen in Bernburg:
Magdeburg und Leipzig, Verlag der Gebrüder Baͤnſch. 1857.
Enthält: I. 43 dreis und vierflimmige Lieder und durchcompo⸗
nirte Geſänge, letere vorwaltend, für Kinderfimmen; 1. 17 liturgiſche
Saͤtze, ebenfalls für den dreiftimmigen Kinderchor; III. 9 Stüde für ges
mifchten Chor. Der Herausgeber liefert Altes und Neues, Heiteres
und Ernfles für geübtere Schüler in einer ganz guten, viel Schönes
darbietenden Auswahl, und löft fo nah Möglichkeit Die ſchwierige Aufe
gabe, den Gefangkoff für Schulanftalten von viererlei Art in einer
Sammlung zu vereinigen. Uebrigens konnte er nicht meinen, daß für
Alle Alles beſtimmt fein follte, z. B. die verſchiedenen, an ſich fehr
wohl berechtigten Jateinifhen Säpe — Ave regina, von Reufomm,
Salve regina, von demfelben, Lacrymosa dies illa, aus dem Requiem,
Sanctus von Bortniansky, Ave verum corpus von Mozart —
auch für die Volksſchulen; er wollte eben nur ein Magazin öffuen, aus
welchem Jeder feinen Bedarf entnehmen könnte, je nad Alter, Ger
fhleht und Bildungsftufe der Schüler. Ich habe keinen Anlaß, ihm
darin zuwider zu fein. - Die äußere Ausfattung der Sammlung if
vortrefflich. —
5. Pater Noster. hä trois Voix égales avec Accompagnement de
T.
Piano ou d’Orgue par Gustave Flügel. Op. 48. Pr. 54 Mayence
chez les fils de B. Schott.
6. Sanctus o Salutaris & trois Voix ögnles avec Arsompagnemens
de Piano ou d’Orgue par Gustave Flügel. Op. 49. Pr. 1 fl. 12 kr.
Mayeuce chez les fils de B. Schott.
Es Lönnen diefe beiden für Chor und Soli geichriebenen, ſehr ſau⸗
beren, mufifalifch intereffanten, aber auch innigen, religiös empfuudenen
Gompofitionen von Frauen» (Kinders),, fowie au von Männerlimmen
gefungen werden, erfteres jedoch offenbar mit dem höheren Grade güns
iger Wirkung. Der lateiniſche Tert läßt fih nach Erfordern mit der
ebenfalls untergelegten deutſchen Ueberfeßung vertaufchen. Die forgfältig
gearbeitete Klavier» (oder Orgel) Begleitung gibt durch das harmoniſche
Fundament neben der Aumuth Würde und. Kraft, während fie die Cin⸗
Gefang. 609
übung erleichtert, das Gelingen der, erhebliche Schwierigkeiten übrigens
nit bietenden, Aufführung fihern hilft. Op. 48 iR Hm. Provinzials
Schulrath Landfermann in Goblenz, Op. 49 Hm. Reg.⸗R. Lucas
ebend. zugeeignet Die angegebenen PBreife beziehen fih auf Partitur
und Gtimmen zufammen.
2 Choräle
a) Einftinmige,
Gvangellfhes Shulhoralbud. Eine Auswahl der vorzügliäten
Kirhenmelodien nad der im größeren Theile des Herzogthums Sachſen
und des Könige. Sachſen üblichen Lesart, fowie zugleid nah der ur
ſprünglichen Notation. Herausgegeben von Ernſt Hentſchel. Zweite Abe
theilung, 57 Ghoräle enthaltend. 1/ Sur. Leipzig, C. Merfeburger.
.
Nachdem im 1. Hefte diejenigen 57 Melodien dargeboten worden,
welche in den genannten Gegenden vormwaltend zur Anwendung kommen,
liefert nun das 2. Heft 57 andere, theils ebenfalls im kirchlichen Ge⸗
brauch ſtehende, theils in denfelben nach und nach hinein zu ziehende,
fall8 e8 damit, daß die Gemeinden wieder in den vollen Genuß der
von den Boreltern ererbten Liederfhäße gelangen, ein Ernft werden foll.
Bei der großen Wobifeifpeit diefer Hefte, und bei der namhaften, ents
ſchiedenen Erleichterung, Nwelche fie für das Einüben der Melodien ges
währen, ſteht ihre Einführung in der Mehrzahl derjenigen Scähuien, die
fid Fer noch ohne ein ſolches Hülfsmittel behalfen, wohl in ficherer
Ausſficht.
b) Mehrſtimmige.
1. Choral⸗Melodien in gereinigter Lesart, mit Hinzufügen der ur
fprünglichen, theils zweis, thells dreiftimmig bearbeitet und im —* 1
trage der Königlichen Regierung u Stralfund herausgegeben von F.
Cering. Heft I: Choräle für Boltsfhulen. 1 Sgr. Heft 2: Erweite⸗
tung für Seminar und Kirche, 1 Sgr. Gütersloh, Drud und Verlag
von C. Bertelsmann. 1856.
Heft 1 enthält 30 zwei⸗ und dreiftimmige Nummern, Heft 2 50
dergleichen. Wie e8 von mir in meinem Schulchoralbuche geſchehen,
fo find auch hier die Choräfe in jetzt üblicher Lesart gegeben, der aber
die urfprünglihe (wenn ſchon mit ausgeglihenem Rhythmus), wo fie
abweicht, überall beigefügt if. „Durch die zwei⸗, zum Theil dreiſtim⸗
mige Bearbeitung wollte Verf. für befondere feftlihe Gelegenheiten eine
harmonische Ausführung ermöglichen ; an die Stelle der oft unzweck⸗
mäßig gewählten Motetten muß kirchlich Bewährtes treten. Für die ges
wöhnlichen Webungen der Schule aber ift der einftimmige Choral ale
Debungsftoff anzufehen.‘‘
2. Die gotzig Kirchenlieder der drei preußiſchen Regulative
vom 1., 2. und 3. October 1854 im Urtext. Zum Drud befördert
durch den Herausgeber des Hauschoralbuchs und der Auserlefenen biblis
fhen Hiflorien. Ausgabe B. mit Melodien in ihren uriprünglichen
Zönen (zweiftimmig) und Rhythmen. 2 Sgr. Ausgabe C. mit ——8
Rade, Iahresberiht. X. 39 j
610 Geſang.
dien in Ihrer ſpͤtern Form (zweiſtimmig). tersloh, Druck und Belag
von E. —ãeã Ge. Riamig). @8 vw
Die zweite Stimme ift fo gut hergeſtellt, als es ſich unter den
zum Theil gar fehwierigen Bedingungen wollte thun laſſen. Der nie
drige Preis empfiehlt die Sammlung. In den öflichen Provinzen Reben
ihr aber in der Abweichung der Lesarten große Dinderniffe entgegen,
wie denn, um nur dies anzuführen, in dem fehr bedeutenden Umfange
des Merfeburger Regierungsbezirts wohl die Hälfte der Melodien anders
gefungen wird, als fie bier gegeben find.
⸗
3. Dreißig Choralgefänge der evangeliſchen Kirche in ihrer
urſprünglichen —*8 Nah den Melodien des Deutſchen evangeli⸗
hen Kirchengeſangbüchs dreiftimmig für Schulen bearbeitet von J. Heinrich
üßel. Stuttgart, Berlag der 3. B. Mezler'ſchen Buchhandlung. 1855.
Eine Reihe der fchönften, rhythmiſchen Melodien des von der
Gifenacher Kirchenconferenz herausgegebenen Kirchengeſangbuchs mit ein»
facher, den Liedern (von welden überall wenigftens einige Berfe beige,
geben find) entfprechender Sarmonifirung. Bei Einübung und Anwens
dung biefer Weifen möge ja die Beflimmung des Bormwortes beobachtet
werden, daß überall, wo der Rhythmus wechfelt, ohne alle Abweichung
nach Vierteln von gleicher Ränge gezählt wird.
4. Sundert und fünfzig evangeliſche Kernlieder nad ihren Ori⸗
inal⸗Texten und Melodien für vierflimmigen Männergefang, zunächſt für
— * von Johann Meier, Lehrer. Auch zum Gebrauche für
eminarien, Prediger⸗ und Lehrerkonferenzen, Männergeſangvereine und
ein Beitrag zur Belebung des Kirchengeſangs. Schaffhauſen, Druck und
Berlag der Brodtmann' ſchen Buchhandlung. 1356,
Borliegende Gabe erfcheint als eine Auswahl der verbreitetfien
Kernlieder aus allen Beiten der epangelifhen Kirche „Der Zert if
Aberal vriginalmäßig gegeben; nur einige ganz unverfländlide Aus⸗
drüde und Sprachfehler wurden verbeutfcht und verbefiert..... Die
Melodien find nach den beſten Hülfsmitteln in ihrer urfpränglichen
rhythmiſchen Geftalt mitgetheilt, wo nicht die Ausführung entweder zu
ſchwierig wäre, oder der Rhythmus ein ganz unnatürlider ifl.....
Bei der Harmonifirung wurde auf eine ſelbſtſtaͤndige, charaktervolle Fuͤh⸗
zung der Mittelftfimmen gefehen; auch ift dieſelbe möglihft leicht und
einfach, ſelbſt für Ungeübtere ohne Schwierigkeit ausführbar. Tactſtriche
find überall da weggelaffen, wo dieſelben den eigenthümlichen Rhythmus
der Melodie zerfhneiden würden. ... Die zahlreihen Zünglinges
vereine, in welchen evangelifches Leben herrſcht, Geiftlihe und Lehrer,
welche mit dem rhythuiſchen Choral, überhaupt mit den Befrebungen
zur Sebung des Kirchengefanges, nicht mehr unbelannt bleiben dürfen,
Männergefangvereine, welche fih an den fentimentalen Productionen der
Jetztzeit fatt gelungen haben, mögen fih an dieſen Liedern in ihrer
urkräftigen Geſtalt erbauen, flärfen und neu beleben laſſen.“ So ſei es.
5. 72 Choräle für den vierffimmigen —— Mit Be⸗
ea
ruckfichtigung der im 16. und 37. Jahrhundert üblichen Xejearten bear⸗
deitet von Ehriſtian Yeintih Hohmann, Seminarlehrer zu Schwad ach.
Geſang. 611
Dritte, vermehrte Auflage, Nördlingen, Drud und Berlag der 6. 9,
Bed’ichen Buchandfunns 1856, 2 r
Sehr empfehlenswert zur Kenntniß und Webung des rhythmiſchen
Charals.
6. Lieder zum Gebrauch beim ſonn⸗und wochentäglichen Gottes⸗
dienſt auf katholiſchen Gymnaſien. Herauagegeben pon Bern⸗
hard Hahn. Vierte, umgearbeitete Auflage. Breslau, E. C. Reudart,
Hierzu
Anhang zu Bernhard Hahn's Kirchenliedern, bearbeitet von
B. Rothe, ’
Bufammen 46 EChorälg mit vollfändigem, theils deutſchem, theils
Iateinifchem Texte, und zwar in diefer Ordnung: Morgenlied. A. An
Sonn⸗ und Feiertagen. a. Bormittag. b, Nachmittag. B. An Schul⸗
tagen. Montag, yor, nach der Wandlung, u, |. w. Schluß: Für bie
Berfiorbenen.
7. Geſangbuch für katholiſche Gemeinden. Herausgegeben von
Morig Broſig, ObersOrganiit an der Kathedrale zu Breslau, Bresign,
%. €. ©. Leudart. 1854. Preis 6 Ser.
52 Ehoräle mit untergelegtem, theils aus einzelnen Strophen, theilg
aus ganzen Liedern beftebendem Zerte. A. Morgenlieder. B, Predigts
lieder. C. Meßgeſänge. D. Gefänge für den Nachmittagsgottesdienſt.
Die Lesart der Melodien entſpricht dem vierft. für Die Orgel bearheis
teten größeren Choralbuche des Herausgebers.
3. Sammlungen gemiſchter Art.
1. Siona. Ehoräle und andere religiöfe Gefänge in alter und neuer Form
für höhere Schulen und Singvereine. Herausgegeben von den Gebruͤdern
Friedrich und Ludwig Erk und Wilh. Breef. Bweltes Haft, 35 wien
und fünfttimmige Gefänge enthaltend, Eſſen, Druck und. Verlag von ®,
D. Bädelen 1857. 4 Sgr.
Das 1. Heft der „Siona“ ift im IX. Bande des Päd, Jahresber,
angezeigt. Im vorliegenden zweiten find vorzugsweiſe Ehnaräle in alter
(shytämifcher) Form, und zwar getreu nah den Originelen gegeben.
„An diefen haben fich leider viele ungenaue Sammler durch wiſlkürliche
Veränderungen und Zuthaten fehr vergriffen; daher iR’s gefommen, daß
eine große Verſchiedenheit und Unficherheit in Betreff mancher Chorals
füge herrſcht. Wie nun die wortgetreue Herſtellung der Kirchenlieder
nah dem Urtert durch die forgfältigen Bemühungen B. Wareruagel’$,
3. Mützell's u. A. in unferer Zeit vorzüglich gefördert ik; fo fol
die gegenwärtige Sammlung in firengem Anſchluſſe an die Quellen ber
Ueberlieferung zur Berbreitung der urfprünglichen muſikaliſchen (rhyth⸗
milhen und harmoniſchen) Geſtalt der Choräle beitragen. Zugleich hat
ſich bei der Durhfiht der Originale Drude auch für biograppifche Än⸗
gaben (3. B. über Gallus, Gefius, Gumpelzhaimer) eine größere Sichers
beit erzielen laſſen, als aus verschiedenen Legicaliihen Werken zu errei⸗
en war. Der hier gelieferten Choräle in alter Form find 29, darunter;
Es iR ein Roſ' eutiprungen — O Lamm Gottes, unfchuldig, fünfkimm,
39*
612 | Geſang.
von Johann Eccard — Ecce, quomodo moritur justas von Gals
lus (1587), der berühmte Hymnus der Schulpforte zum Gedachtniß
ihrer Heimgegangenen — Ein’ fehle Burg, fünfſtimmig von Melchior
Brand — Aus tiefer Noth, fünffimmig von Johann Eccard (ein
Satz von Hoher Trefflichkeit). Unter den Ghorälen in neuerer Form
(16 Rummern) ſteht auch — Bielen gewiß recht erwünfht — Mozart’s
fhönes Ave, verum corpus mit lateinifhem und deutſchem Tert. Möge
das Heft nah Maaßgabe feines reichen Inhaltes gewürdigt werden !
2. Katholiſchet Geſangbuch. Eine Sammlung katholiſcher Gefänge
für vier Singſtimmen. Serausgegeben von Eh. Echnyder, Seminars
lehrer in Rathhauſen. Zweite, verbefferte und vielfach vermehrte Auflage.
Lucern, Kaiſer'ſche Buchhandlung. 1857.
Die erfte Abtheilung enthält: Predigtlieder, Meßgefänge, Trauer⸗
amt, Lieder auf die verfchiedenen Feſte - des Kirchenjahre ꝛc. in 146,
genau nad der Art ihrer Berwendung bezeichneten Rummern. Das find
nun zum heil Choräle, ganz übereinfimmend mit den proteflantifchen
heutiger Form; anderntheils find es Chorlieder mit bewegterem, verfchier
dentlich ausgefaltetem Rhythmus, fogenannte Arien; drittens auch finden
fih durcheomponirte, mehr oder weniger motettenartig gehaltene höre,
jedoh mit Ausſchluß alles fehr Umfänglichen. Vieles darunter mag
nad Urfprung und Berwendung ſpecifiſch Tatholifch fein, wie 3. B. bie
Marienlieder, einzelne Meßgefänge ıc.; Underes if Befigtbum der pro»
teftantifchen wie der Tatholifchen Kirche, nämlich die meiften Ghoräle;
wieder Anderes, aus verfchiedenen Sammlungen zufammengetragen, ifl
als mehr oder weniger neu bingeftellt, ohne noch auf der einen oder
andern Seite zur kirchlichen Zradition geworden zu fein. Unberech⸗
tigtes dürfte nicht eingelaufen fein; die muflkalifche Arbeit if frei von
allem Schüler oder Dilettantenbaften. Schade, daß die Ramen der Com⸗
poniſten überall nicht genannt find! — Die zweite, fehwächere Abs
theilung enthält Gefänge für den nacdhmittägigen Gottesdienft, als Pſal⸗
men, Hymnen, Untiphonien, Benedicamus, B. M. Virg. ete., nebſt einem
Unhange von Lob», Dank» und Bertrauensliedern, im Ganzen 43
Aummern, zwiſchen denen viele lateinifche Pfalmen ze. theils für bie
allgemeinen, theils für die befonderen Veſpern abgebrudt find.
3. Sammlung geiftliher Lieder, für vierfiimmigen Männergeſang
mit befonderer Rüdfiht auf Zünglingsvereine bearbeitet und herausgegeben
von einigen jungen Freunden in Baſel. Mit einem Borwort von Pros
feffor Riggenba in Bafel. Bafel, in Commiſſion bei C. Detloff. 1856.
Ein gar fhönes Büchlein, enthaltend 100 auserwählte Ehoräle
und andere geiftliche Tiebliche Lieder „als paflender Gefangftoff für ernſt⸗
efinnte Jünglinge, deren Verbindung nicht die Kunfübung zum erflen
wede hat, die fi aber doch gern an leichter fingbaren Liedern er»
freuen und erbauen. Der Inhalt if alfo geordnet: Lob Gottes, Ad»
vent, Weihnacht, Neujahr, Baffkon, Ofen, Himmelfahrt, Bfingften,
Wort und Neich Gottes, Gemeinfhaftslieder, Lieder von der Liebe zum
Seren, Rahfolge Chriſti, Morgen» und Abendlieder, Auferfiehung und
ewiges Leben, Schlußgefänge, Anhang. Der Zert befieht überall im
Befang. 13
ganzen Liebe, nidt bloß in einzelnen Berfen. Gegen den vierſtimmi⸗
gen Tonſatz, um deffen genaue und getreue Durchſicht ch Hr. Pfarrer
Barth verdient gemacht hat, if nichts zu erinnern. Gewiß wird die
Sammlung auch außerhalb des Bereines junger Freunde in Bafel, für
weichen fie zunächſt beftimmt if, fich befannt machen und gern aufge
nommen werden. Es Fann dies im Intereſſe der Körderung chriſtlicher
Gemeinfhaft nur fehr erwuͤnſcht fein.
4. Katholifhe Männerhhöre für alle Zeiten des Kirhenjahres,
m Gebrauch für Kirchen, Clerical⸗ und Lehrer-Seminare, Gymnafien und
ealfchulen, bearbeitet von Bernhard Kothe, Regens chori und Gym
nafials@efanglehrer. Gommiffiond«Berl. von Giar In Oppeln. 12 Ger.
Das ſchoͤn gedrudte und im Breife hochſt billig geftellte Wert ent
halt auf 78 Seiten in Gr⸗Quart 57 größere und kleinere Gefänge für
die verfchiedenen gottesdienfllihen Beranlaffungen der katholifchen Kirche von
Baini, Saldara, Eordans, Ballus, Ballo, Grell, Biaco,
melli, Hoffmann, Kothe, Kreuger, Lotti, Mozart, 3. Otto,
Balekrina, Philipp, @ Schnabel, J. Schnabel, Stadler,
Bittoria und dem Herausgeber ſelbſt. Hierzu Tommt eine Reihe
alter, zum Theil gregor. Ehoräle Auswahl und Bearbeitung verrathen
den ſachkundigen Muſiker. Was die eigenen Compofitionen des Heraus⸗
gebers betrifft (14 an der Zahl), fo verdienen fie Anerkennung, wenn
fhon ihnen weniger der firenge Ernft und die feierliche Würde eines
E. Richter, eines ©. Flügel eigen find, als jene ſüdlich weiche
Melodif, weile wir häufig bei katholiſcher Kirchenmuſik, fofern fle nicht
der Periode Paleſtrina's ze. angehört, bemerken. Sämmtliche Texte, mit
Ausnahme der lebten 5 Nummern, find Tateinifh. Das Ganze wird in
feinem Kreife feinen Zwed erfüllen. _
5. ShulsLiederbud, enthaltend ein», zweis und breiftimmige Lieber
und Ehoräle in der Tonbezeichnung von J. C. F. Thomascik, herausge⸗
eben von C. Sartung und $. Schmidt. Heft II: feäig dreiftimmige
ieder und Choraͤle. Berlin, Berlag von I. C. Huber. 1855. Preis:
broſchirt 5 Ser.
Die Auswahl der Gefänge unterliegt einem Zadel. Dem lateinis
fchen Texte unter Nr. 20 (O sanctissima —) hätte jedoch wohl ein
deutfcher beigegeben werden follen, da die Sammlung nicht ausfchließlich
für Gymnafien beftimmt if.
4. Geſänge für eine Stimme mit Begleitung ıc.
1. Zur häuslichen Erbauung. Geiftlihe Melodien Jobann Bolf-
gang Brante aus dem 17. Jahrhundert, mit neuen Texten verfehen
von Wilhelm Dfterwald und für eine Singftimme mit Begleitung
des Pianoforte neu bearbeitet von D. H. Engel. Op. 24. Leipzig,
Drud und Berlag von Breitlopf und Härtel. 15 Sgr.
Diefe trefflihen Sachen“), welche bereits in weiten Kreifen Ver⸗
breitung gefunden haben, gehören in jedes Lehrers und Predigerhaus,
*) 30 Rummern. Mehrere daraus wurden in den großen Merſeburger
Kirchenconcerten mit Orgelbegleitung vorgetragen.
614 Geſang. | _
überhaupt in jede Bamilte, wo edle und ernfte Muſik gepflegt wird;
nicht minder müfen fie höheren Schulanfkalten, namentlih Seminarien,
angelegenttigft empfohlen werden. Bei Abnahme von größeren Barthien
gewährt Die Verlagshandlung weſentliche Erleichterung.
2. Lieder von ®. Kripinger, Karolina Pichter, E. Comteffe
v. SH. und Anderen mit Begleitung des Piano. Kür böhere,
befonders weibliche Bildungsanftalten herausgegeben von Bernd. Brähmig.
Op. 6. Leipzig, ©. Merfeburger. 25 Sgr.
Es fam dem Herausgeber darauf an, für folhe Sängerinnen, welche
über die Stufe der Kinderkieder nad Alter und Bildung hinaus find,
mit Ausihluß von Liebesliedern ein Material zu liefern, worin die relis
gidfe Lebensanfhauung überall maßgebend wäre, und der Grundton, wels
Her das Spielen und Singen einer chriſtlichen Jungfrau beiligen foll, fo
wenig im Seiteren, wie im Ernſten verleugnet würde 4 Munmern find
von ihm ſelbſt componirt, A andere nad Zonfäßen von Beethoven und
Mendelsfohn bearbeitet; außerdem finden ſich eine Compoſit. von Lecerf
und 7 Volksweiſen. — Das Ganze verdient eine vorgügliche Beachtung.
8, dt el — Ss NR —— und
er Begleitung. Serandgegeben von Jo epf, Lehrer.
Scaffhaufen, Brodtmann. ee bann ent, Lebret. I. Heft
Dem Titel nad) fehlt es dem Herausgeber an Sprachgefühl, dem
Liede Nr. Ina an jenem Gefühl für Standesehre, welches — außer
fonfigen Motiven — den Lehrer abhält, fih mit dem Gemeinen gemein
gu mahen In Nr. 3 „Der Ehefand a la mode” heißt ee:
Bie ’3 zugeht in manch’ einem vornehmen Hans
m Rüden des Weibes, 6 ift mandmal ein Braus,
ipt Manche ganz ruhig im Stübchen und denkt:
Welch' Glück, daß mir Gott a ſo'n Mann hat geſchenkt.
Sa, wenn fle's nur wüßt'!
Kommt er dann zu Haufe, fo iſt fie entzüdt,
Er ſchwört hoch und theuer, wie fie ihn bealüdt,
Er drückt fie an’ Herz, ad, mein Alles biñ du!
Und blinzelt bint'rm Stuhle der Nähmamfell zu.
Ja, wenn fies nur wüßt'!
br denft wohl, die Weiber find beſſer als wir?
n welch' einem ſchrecklichen Irrthum feid ihr!
Sie find nur viel pfiff' ger, fie treiben's ganz frei,
Es merkt's nicht der Mann, nein, und fteht doch dabel.
Ja, wenn er's nur wüßt'! u. f. w.
Das ift fo ein Lied, wie ein vagabundirender Lumpenkerl es in
ber Schenke zum Beſten gibt, um noch einen Exrtta⸗Schnaps zu erlan-
sen. Eine faubere Genoffenfchaft für den Lehrer Wepf!!
Anhang.
A, Theorie und Geſchichte.
1. Lehrbuch der muficafifhen Eompofition. Nah yädagogifchen
Grundfäpen bearbeitet. ven Chriſtian art ohmann. Seminar⸗
lehrer \ Schwabach. IL Thetl. Die re Ai herein und der
Belang. 8tð
Aufeumentation. (I. Hälfte.) Altdorf, Druck und Verlag von Peter
Heflel. In Commiffion bei Miegel und Wießner in Nürnberg. 1857. .
„Der erſte Band diefer Compoſitionslehre hat den Schüler zunächſt
mit der Sarmonielehre befannt gemacht. Er ift fih der Harmonien
bewußt getworden, welche in der Muſik zur Anwendung kommen, lernte
die Geſetze kennen, nad denen fie fich mit einander verbinden, nahm
wahr, mie durch den Hinzutritt einer rhythmifchen Gliederung die aus
einander gereibten Accorde ſich zu finnvollen harmoniſchen Sipen und
Perioden geftalten, und bemerkte auch, wie hei gehöriger Stimmenführ
rung aus einer Reihe von Harmonien die Melodie fich entwidelt. Die
Grundelemente der Muſik, Harmonie, Rhythmus und Melodie, find alfo
ihrem Weſen nach von ihm erfaßt; auch hat er. die Fähigkeit erlangk,
aus eigner Kraft harmoniſche Sätze und Perioden zu bilden. Die
Elementars Compofitionsiehre bat hierdurch ihren Abſchluß gefunden.
Ein neues Arbeitsfeld foll nun dem Kunftjünger eröffnet werben. Ha⸗
ben die feitherigen Aufgaben vorzugsweife den Zwed gehabt, den mufi⸗
kaliſchen Sinn des Schülers zu weden und, ein lebendiges Gefühl für
natürliche Harmonie» Verbindung, für geordneten Rhythmus, für meles
diſche Stimmenführung in ihm hervorzurufen, und zwar in der Art,
daß fih überall aud eine Mare Einfiht in die Sache, ein richtiges Bew
ſtändniß derfelben damit verband; fo follen die neuen Aufgaben haupt
fächlich dahin zielen, das mit dem Gefühle und dem Verſtande Erfapte
zu praftifhen Zweden zu verwenden und in größern, felbiifländigeren
Arbeiten zur Anwendung zu bringen. Als Gegenflaud der neuen Lehre -
tritt ung zumähft die Harmonifirung gegebener. Melodien entgegen.
Hieran reiht fich Die Lehre von der Ziguration oder den höhern Bak
tungen des Contrapunkts. Mit der Figuration tritt die thematische
Arbeit in Verbindung, und dieſe führt auf die Imitationslehre, weiche
ihre geeignetfle Unwendung in der Zuge und im Ganon findet. Die
verschiedenen Kunftformen werden gelegenheitlih dem Schüler zur An
fhauung und zum Berfländniß gebracht; auch wird er nach jeder erſtie⸗
genen höhern Stufe veranlaßt, die gewonnene Einfiht und Kraft an
bieher gehörigen praftifhen Arbeiten zu erproben. Er lernt Die vers
fhiedenen Inftrumente und ihre Verwendung zu mufilalifchen Zwecken
fennen, und wird fo in den Belg al’ der Mittel gejept, welche zur
Erzeugung eines wohlgeordneten Kunſtwerkes erforderlih find. Sp
weit das Vorwort. Ich fege nur hinzu, daß hier ein vorzüglich geeige
neter Führer für Diejenigen gefunden ift, welche nach vollendetem Se⸗
mwinarcurfus, wo He das Weientlihfte der Harmonielehre kennen und
üben lernten, weitere Studien antreten, gu höheren fi rüften wollen.
2. Vorſchule der mufifalifgen Lompofition. Mit fleter Bezug.
nahme anf den Choral, inshbefondere für den Unterricht der Schwan
Präparanden bearkeitet von Emil Poſtel, Kantor und Lehrer in Pad
wis, correfpondirenudem Mitglieds ber fchlefifhen Geſellſchaft für vaterläns
diſche Eultur. Mit vielen In den Test gedruckten Notenbeifpielen und
einer Beilage von hundert Ehorälen. Langenſalza, Schulbuchhandluug
des Thüringer Lehrer: Dereind, 1856.
Des Schüler wird auf einfache, elewentarifhe Weile nah und
816 Geſang.
nach in die Harmonielehre, ſoweit fie dem Kreiſe der Präparanden-Uns
terweifung überhaupt angehört, eingeführt. Das gewonnene harmoniſche
Material aber kommt von der Stufe an, wo die Accorde der Zonica,
Dominante und Unterdominante feftgeftellt und angeeignet find, überall
in dreifacher Weile zur Verwendung, indem der Lernende 1. Pleine
Borfpiele zufammenftellt, 2. Ehoräfe nach Signaturen ausſetzt, 3. Ehoräle
ſelbſt harmonifirt. Auf der in Nr. 2 und 3 ausgefprodenen Ans
ſchauung des Verf., daß der Choral fobatd als möglih in den Borders
grund zu flellen, beruht hauptſaͤchlich die Cigenthümlichkeit feines Lehr⸗
ganges. Ich kann diefe Anfchauung nicht theilen. Ich kann es nawent⸗
lich nicht gut heißen, daß der Schüler von vorn herein, anfänglich aus
den dürftigften Mitteln und mit roher, völlig ungeübter Hand, Cho⸗
täle harmonifirt. Was da herausfommt, if feine Mufik.
Ob ſolche Behandlung des Ehorals Entweihung deffelden fei, wos
gegen fich der Berf. wiederholentli verwahren zu müſſen glaubt, Laffe
ih ganz dahbingeftellt: meine Bedenken gehen vom rein Tünflerifchen
Standpunkte aus. Welchen Einn hat es, den Choral zeitig in dem
Bordergrund zu flellen, wenn er corrumpirt, entitellt, feiner Kraft und
Schoͤnheit beraubt, auftreten muß, in einer Geflalt, welche ihn für die
Kirche geradezu unbraudbar maht? — Warum follen ed gerade
Choräle fein, welche der Berf. unter $. 162 mit allen möglichen Nonen⸗
aecorden überladen läßt, ausdrüdlich bemerfend, daß dies nur zur Ue
bung geſchehe, der Choral alfo im Ernfle gar nicht auf diefe Art
tractirt werden dürfe! Welche Bedeutung hat der Choral, der Fein
Choral mehr iſt? — Ih weiß wohl, daß ich mit diefen Fragen den
Kern des gegenwärtigen Werkes in Frage flelle, weiß aud, daß id es
mit der Leitung eine® erfahrenen, zwanzig Jahre lang an der Präpa⸗
tandenbildung arbeitenden Mannes zu thun habe; allein ich glaube doc
meine Ueberzeugung nicht verfchweigen zu dürfen. Webrigens muß bier
das Gefagte genügen. Ich habe die Lefer zunächſt nur zur ſelbſtſtändi⸗
gen Erwägung und Prüfung des vorliegenden wichtigen Gegenflandes
anregen wollen. Döge bderfelbe öffentlih in Belprehung genommen
werden. Die „Euterpe“ öffnet jedem Berechtigten ihre Spalten dafür.
Gern bemerfe ich fchließlih, daß unfere „Vorſchule,“ außer ihrem
Barmonifhen Theile, eine reiche Fülle fonftiger Belehrung über allerlei
Gegenſtände Cantoren⸗ und Organiſtenkunſt darbietet, gewiß zum großen
Nutzen der Präparanden.
3. Katechismus der Mufil. Bon J. ©. Lobe. Dritte, verbeflerte Auf
Sage. Leipzig, Verlagsbuchhandlung von 3. 3. Weber.
Iſt in 1. Auflage im VI. Bande des Jahresber. angezeigt. Der
Fragen und Antworten find 500, aus denen der Anfänger alles We⸗
fenttice, was ihm zu wiffen nöthig it, fehr wohl lernen Tann, zumal
wenn das Wort des Lehrers ihm dabei in Erläuterungen, Erweiteruns
gen und Ausführungen zu Hülfe kommt. Preis nur 10 Ger.
4. ElementarsMufillchre. Zum Gebraude für Seminars Afpiranten,
nad den befieren theoretifchen Werken zufammengeftellt und herausgegeben
Geſang. 617
von Earl Heinrich George Davin, Seminarlehrer zu Schlüchtern in
Kurhefien. Erfurt und Leipzig, G. Wilh. Körner's Berlag.
Ein fehr gelungenes, beſtens zu empfehlendes Büchlein!
5. Kurze Geſchichte der mufilalifhen Ideen. Dargeftelltvon F. J.
A. Keppner. Freiburg (in Baden), Zr. Wagner. 1856.
1. Harmonie. Idee der polyphonen Form. — Paleſtrina. —
2. Rhythmus. dee der contrapunktilifhen Form. — Bad. —
3. Melodie. dee der freimelodifchen Form. — Haydn, Mozart. —
Dies die Inhaltsüberfiht. Der Verfaſſer if heftig angegriffen worden
wegen einzelner, allerdings befremdlicher Anfichten und Urtheile; im
Allgemeinen aber verdient er die Anerkennung, in Betreff der drei „mu⸗
. flalifhen Ideen‘ etwas Unrichtiges keinesweges aufgeftellt, wohl aber
zur Geſchichte der Entwidelung der Tonkunſt von Paleftrina bis auf
Mozart herab manches Anziehende und Belehrende beigebracht zu haben.
6. Die mufifatiien Schätze der St Katharinenkirche zu
Brandenburg a, d. Havel. Ein Beitrag zur muflfafifhen Literatur
des 16. und 17. Jahrhunderts. Gine kunſtgeſchichtliche Abhandlung von
I. Fr. Taeglichsbeck, ordentlichem Lehrer am Gymnafium und "Ruf
director an Per St. Katbarinen » und St. Paulikirche a Brandenburg.
Brandenburg, Drud und Verlag von Adolph Müller.
Aur wenige Seiten diefer Abhandlung befchäftigen ſich fyeciell mit
den durch Zufall in einem bis jegt ganz unbeadhtet gebliebenen Schranfe
auf dem Schülerchor der Brandenburger St. Katharinenfirche aufgefundenen
alten Rotendruden, 51 an der Zahl (1564—1671). Den bei Weiten
größten Zheil der Schrift nimmt ein Abriß der Geſchichte Firchlicher
Muſik ein, die wichtigſten thatſächlichen Momente hervorhebend, vorzüg⸗
lich aber die betreffende Literatur zur Kenntniß des Leſers bringend und
fie kritiſch beleuchtend. So erfährt man denn u. A. höchſt Anziehendes
über die alten deutſchen, italieniſchen und niederländifchen Singſchulen,
über die hiſtoriſche Entwidelung des Ehorals, die Berliner Singakade⸗
mie und den Domchor, die Leipziger Thomaner, die kunſtgeſchichtlichen
Arbeiten Beder’s, Eommer’s, Dehn's, Erk’s, Kiefewetter’s,
v. Zuder’s, v. Winterfeld’s und Anderer, bauptfählih über
Becker's großes Wert: „Die Tonwerke des XVI und XVII.
Jahrhunderts“ 2. Die Abbandlung bat demnach eine Wichtigkeit
für Jeden, den die kirchliche Tonkunſt etwas angeht; fie ift in hohem
Grade geeignet, nad) dem Wunfche des Verfafers „das Intereſſe für das
bis jest noch ziemlich vernachläffigte Kunftftudium der Muſik in engeren
und weiteren Kreifen anzuregen.‘
T. Gottfried Silbermann der Orgelbauer Ein biftorifches Kebens- -
bifd von Ludwig Moofer. Zum Bellen des Vereins ſächfiſcher Lehrer
je gegenfeltiger —R in Krankheitsfällen. Langenſalza, Schul⸗
uchhandlung d. Tb. L. V.
Gegenwärtiges Lebensbild iſt gezeichnet nad ſchriftlichen Quellen
(unter denen Engelhardt's Denkwürdigkeiten, Fiſcher's Sammler
für ſächſiſche Geſchichte Benzler’s Chronik von Freiberg, eine Bios
graphie von E. Gottwald hervorgehoben werden) und mündlichen
bis Geſang.
Traditionen. Nachdem es zuerſt in einem Loealblatte, aledann tn er
Saͤchſ. Schulzeitung (1854, 314) erſchienen war, gab ihm der Verf.
durh Erweiterung und Vervollſtändigung Die gegenwärtige Geſtalt.
Ber ausſchließlich das biftorifh Beglaubigte aus Silbermann's
Leben fucht, nehme das Buch nicht zur Hand, denn Hier treten ihm
Wahrheit und Dichtung in Berfchmelzung entgegen. In diefer Gattung
aber bat der Berf. mit unverkennbarem Talent etwas ganz Gelungenes
dargeboten, wenn ſchon mande Züge aus dem Knaben⸗ und Jünglings⸗
leben Silbermann’s faſt allzu draftifch erfcheinen und der Abfchnitt, wo
das Liebesverhältniß des Helden mit einer Nonne, fowie die verfuchte
Entführung derfelben gefchildert wird, gegen die Zuläffigleit des Buches
in Schulbibliothefen Bedenken erregt.
8. Beitrag zur Geſchichte des Drgelwelens Wine Denffäprift zur
Einweihung der durch Herrn Friedrich Kadegaft erbauten großen Dom⸗Orgel
zu Merfeburg, nebft Dispofition derfelben. Bon D. H. Engel, Drganift
an der Domtirche zu Merfeburg 2. Erfurt, ©. W. Körner. 5 Ser.
Mr. 2 der „Euterpe“ weift den anziehenden und belehrenden Inhalt
biefer Denkſchrift näher nad.
B. Orgelfpiel und DOrgelunterridt.
1. 44 Studien für die Drgel zur ne aan des obligaten
DedalsSpiels, componist von Julius Schneider, königl. Mufit:
director, Mitglied der Alademie der Künfte, Lehrer am königl. Inſtitut
für Kirhenmufll. Op. 48. (Supplement zu Ritter’® „Kunft des Orgelr
fpield.) 1 Thlr. 15 Ser. Bartiepreis 1 Thlr. Erfurt und Leipzig,
G. W. Kömer.
Es ſind dieſe Studien einem unſerer Altmeiſter des Orgelſpiels,
Hrn. Mufſikdirector A. W. Bach in Berlin, gewidmet. Sie find feiner
nidht unvürdig. Wer fie durchmacht, wird fich eines weſentlichen Rubens
gewiß erfreuen: er wird in die mannigfadhen Künfte der Pedalbehand⸗
fung gründlich eingeführt werden und zugleich mittelfi diefer 44 Orgel
Rüde einen Reichthum folider Orgelmuſik in fih aufnehmen. Schade,
daß der Herausgeber nicht eine oder die andere Bach' ſche Zuge mit
genauer Bezeichnung der Pedals Applicatur beigefügt hat, ale Anhang
oder — wie man will — als Krone des Ganzen.
2. Sch8s und dreißig Nacfpiele für Die Orgel. Gomponirt von -
Shriftian Het int. Zweite Auflage, beforgt durch Wilhelm
a Beben und Ornanif = Mders. Ne ne im Dr und
Derlag von ©. D. Bädeker.
Diefe Nachſpiele wurden im Jahre 1833 von Rink in erfter
Auflage herausgegeben. Seitdem bat man den Begriff des kirchlichen
Orgelſpiels nah und nach firenger gefaßt, auch den des Poſtludiums:
man verlangt mehr Ernft, mehr Würde, mehr Fernhaltung alles deſſen,
was an weltliche Muſik erinnert. Dem entiprehen auch die Compofi⸗
tionn NRitter’s, Kühmſtedtes, Heffe’s, Brofig’s, Herzog’s,
von Eyken's ꝛc. gang unzweifelhaft. Die vortiegenden Stüde paflen
nicht alle mehr in unfere Beit, 3. B. Nr. 7, 10, 15, 16, 25, 38,
Geſang. 619
So viel Anmuthiges und Zierliches, Friſches und Frohes auch in diefen
und anderen Nummern enthalten iſt, während kräftige Effecte durchaus
nicht fehlen, fo gewählt ferner die Modulation, fo fymmetrifh die
Rhythmik, fo fein die thematiſche Arbeit if, fo muß man doch fagen:
die Kirche, wenigſtens die proteftantifche, verlangt andere DOrgelmufif,
ganz in Uebereinftimmung damit, daß fie fih immer mehr von Haydn’s
und Mozart’s genialen, aber mehe Annlich heiteren denn religiös
ernften Gantaten ze. abwendet. Demnach hat das gegenwärtige Wert
nur einen beziehungsweifen Werth, mehr für das Studium, als für den
Gottesdienft.
3. 12 leichte Dorfpiele für die Orgel, compontıt von Earl Feyn.
Op. 21. Offenbach a. M., bei Joh. Undre. Pr. 36 fr.
Harmloſe Sahen ohne höheren Anfpruch, welche indeffen auf der
mittleren Unterrichtsftufe immerhin gebraucht werden fönnen und nicht
ohne Nupen für den Schüler bleiben werden.
4 Choralbuch für den katholiſchen Gottesdienfl. Nebft einem
Anbange: Vorſpiele zu den Melodien der Predigtlieder von Morig
Brofig, Kapellmeifter an der Kathedrale zu Breslau. Opus 8. Zweite
Auflage. Preis 1 Thlr. Breslau, Verlag von F. E. C. Leukart. (Con⸗
ſtantin Sander.)
Wurde in 1. Auflage im V. Bande des Jahresber. angezeigt und
dort auf ©. 320 und 348 nach Berdienft hervorgehoben. Wefentlich
Neues bietet die 2. Auflage nicht dar.
5 Rhythmiſcher Ehoralgefang and Orgelſpiel, eine Abhandlung;
die gebräuchlichften Ehoräle in melodifcher und rhythmiſcher Urform für Die
Orgel, ein Nachtrag zu jedem Choralbuche. Bon U. ©. Ritter, König
lihem Mufifdirector, Organiften am Dom zu Magdeburg, der Riederländi-
fhen Geſellſchaft zur Beförderung der Tonkunſt Verdienftmitgliede. 33. Wert.
Breis 20 Sor. netto. — Mbhandlung und Nachtrag find jedes einzeln
zu haben. Erfurt und Leipzig, G. W. Köorner's Berlag. 1857.
Ueber die Abhandlung wurde bereits berichte. Ein Mehreres dam
über enthält Nr. 5 der „Euterpe, 1857. Die Zabl der Choräle
beträgt 56. In ihnen fol zunähft die Urgeftalt der wichtigften derſel⸗
den in die Hand gegeben werden; und fodann foll die forgfältig ges
wählte barmonifhe Begleitung ein Abbild derjenigen Weiſe darftellen,
in welcher, nach der Meinung des Berfaffers, die Orgel nachhelfend dem
rhythmiſchen Ehoralgefange Aberführend beigegeben werden müſſe.“ Auch
in diefen Sarmonifirungen erfennt man Ritter’s Meifterhand.
C. Klavierfpiel und Klavierunterridt.
1. Etude pour le Pianoforte ou 42 Exereices dans les differents
Tons, calculds pour faciliter les progres de ceux, pui se proposent
d’etudier cet instrument à fond, par 5 B. Gramer, Edition nouvelle,
soigneusement revue, corrigee et doigtee par Jules Kaorr. Le doig-
ber est propriets de F’editeur Cahier II. Prix. 10 Sgr. Wolfenbüttel
chez Louis Holle.
Das erſte Heft bdiefer berühmten Etüden wurde im -IX. Bande des
Zahresber. angezeigt. Hier liegt nun aud das gweite, die Nummern
x
620 Geſang.
22 —42 enthaltend, in ſchoͤner Ausſtattung, und verſehen mit J. Anorrs
Bingerfaß, zu fabelhaft niedrigem Preiſe vor.
2. Säule durch Tonleiter und Accord. 42 Pianofortestlebungen durch
alle Durs und MolleTonarten für fon etwas vorgefchrittene Spieler von
9 W. Etolze, Stadt und Schloßorganiften in dene. Dpus 12. Preis
10 Sgr. Dritte vermehrte und verbefierte Auflage. Wolfenbüttel, &. Holle.
Eine umfaffende, mit der Einfiht eines erfahrenen Lehrers geord⸗
nete Ausbeutung der im Spielen der ZTonleitern und der gebrochenen
Accorde Tiegenden Bildungsmittel. Wenn der Herausgeber fagt: ‚Kür
fhon etwas vorgefchrittene Spieler Fönnen diefe Uebungen, ſobald fie mit
aller Sorgfalt in der Upplicatur und Strenge im Zafte gefpielt werden,
wie die vieljährige Erfahrung bereits gezeigt bat, von großem Nutzen
fein”... fo ift darin unbedingt beizufimmen. Der Preis ift Außerft
niedrig geftellt.
3. Praktiſche KRlavter- Schule. Ein methodiſch geordneter, mit Bes-
— des Fingerſatzes verſehener Uebungsftoff zur leichten und gründ⸗
ichen Erlernung des Klavierfpiels. Kür angehende Klavierjpieler bearbeitet
von Chriſtian Heinrich Hohmann, Seminarlehrer zu Schwabach.
* erweiterte Auflage. Aus drei Kurſen beſtehend und 360 Uebungs⸗
age in allen Tonarten enthaltend. Preis: complett I fl. 36 fr. rhein. oder
2 Thlr. Gingelne Kurfe 1 fl. 12 Er. rhein. oder 20 Sgr. Nördlingen,
C. 9. Beck'ſche Buchhandlung. 1856.
Bei dem Rufe, welchen der Herausgeber als erfahrener, bewährter
Mufiklehrer in weiten Kreifen namentlih Süddeutfchland’s genießt, wird
die Borausfegung, daß hier etwas nach Stoff und Methode wohl Berech⸗
tigtes dargeboten werde, eine fehr nahe liegende fein. In der That ers
füllt das Werk durch feine ganze Anordnung, durch die ädyt elementari»
fhe Weife, wie der Schüler von Stufe zu Stufe geführt wird, durch die
Auswahl der Uebungsſtücke und den feinen künſtleriſchen Sinn, der fi
in den eigenen Gompofltionen des Autors ausfpricht, vollftändig die Ans
fprüde, die an eine „Praktiſche Klavierſchule“ der Gegenwart
gemacht werden koͤnnen und müflen. Cs füllt aber nur den Elementars
kreis (das Wort in etwas weiterem Sinne genommen) aus; für höhere
Ausbildung müffen hernach andere Hülfsmittel in Anwendung gebradt
werben.
4. Reue Methode zur Erlernung des Pianofortefpiele (Ge
frönt von der Alademie in Paris.) Entbaltend eine Anweifung, die Ele⸗
mente des Pianofortefpield und der Harmonielehre durch fehr leicht faßliche
Hülfsmittel fi aneignen zu fönnen, nebft einer Anleitung zur Transpof-
tion und —— Mit Berückſichtigung für den Selbſtunterricht.
Bon Bauline Ohswaldt, Mitglied der Akademie der Wiſſenſchaften in
Paris. Berlin, Drud und Verlag von E. S. Mittler und Sohn. Zins
merftraße Nr. 84 85. 1856.
„Das Wort Göthes: Grau, theurer Freund, ift alle Theorie, doch
grün des Lebens goldner Baum — fand bisher auch in Bezug auf die
edle Kunft der Muflf feine Anwendung. Treibt aber nicht gerade in ber
uf diefer Baum des Lebens erft feine grünen Zweige aus den gefuns
den Wurzeln der Theorie, welche allein die Nahrung für das volle Bers
ſtandniß und fomit auch das rechte Leben im Spiele giebt! Wo biefe
Geſang. 621
Burzein fehlen, kann das eingepflanzte Reis zwar eine Zeit lang grünen,
doch Früchte trägt es nie, und verweift nur gar zu bald. Die Grund«
lagen der Theorie alfo felbft für die jüngften Anfänger zugänglich zu
machen, darauf war mein Suchen und Streben während eines langiaͤh⸗
sigen Unterrichts gerichtet, und fand ich denn auch endlich den Schlüffel
dazu, der aus eigenthümlichen, neuen, aber äußerft leicht faßlichen Hülfs-
mitteln beftebt. So die Berfaflerin im Vorwort. Dem entjprechend
giebt fie in der erfien Abtheilung das nad ihrer Anſicht Unentbehrliche
aus der allgemeinen Mufifiehre, worauf in der zweiten Abtheilung daſſelbe
in Betreff der Harmonie gefchieht. Für die Erlernung der Noten und
der Taften ac. werden in der 14. Abtheil. verfchiedene Meine Hülfsmittel
egeben; in der 2. Abtheil. benupt die Verf. die „harmoniſche Hand‘
(weise zuerfi in Anwendung gebracht zu haben das Verdienſt Logier’s
iſt), um daran Tonarten, Intervalle, Dreiflänge, Septimenaccorde, Ca⸗
denzen zc. 'zu lehren, und fie macht das unleugbar in gefchidter, das Ers
lernen der genannten Dinge erleichternder Weife. Aber wo ift die „Reue
Methode zur Exrlernung des Pianoforteſpiels“? Ich kann e8 nicht jagen;
denn darin, daß mitten in den theoretifchen Belehrungen der 1. und 2.
Abtheilung folgende Paragraphen flehen: 14. Fingerfegung für die Tons
feitern. 15. Bon der Haltung. 20. Fingerfag im Allgemeinen. 40. Bors
trag 41. Anwendung des Fortezuges. 71. Fingerſetzung für die Sep»
timen » Accorde, 89. Uebung für Auge, Finger und Gehör — darin
wird Niemand eine Methode, viel weniger noch eine neue Methode
zur Grlernung des Pianofortefpield finden. — Wenn die Herrn Zrans
zofen das Werkchen gefrönt haben, fo Tann dies nur in Betracht der
bier dDargelegten Methode theoretifher Unterweifung, wieflejeder
Muflkiernende braucht, gefcheben fein. Der Titel des Buches paßt nicht
zum Inhalt.
5. Muſikaliſche Anthologie. Opern, Vollsmelodien, Lieder ohne Worte
2, als ein Ergänzungsmaterial zu des Berfaflers fowie zu jeder andern
— Sant: forgfältig ausgewählt, arrangirt und abgeituft von F.
Greßler. Zehnte Auflage. "Langenfalza. Shulbuchhandlung des Thuͤ⸗
ringer Zehrervereind. Opus 3. 1.—6. Lieferung.
Eine fehr bekannte Sammlung, die fih durch elementarifhe Stus
fenfolge, forgfältig gewählten Fingerſatz und fehöne, äußere Ausfattung
empfiehlt wogegen freilih zu wünſchen bleibt, daB das DOpernelement
weniger vortreten, das aͤchte Volkslied mehr Berüdfichtigung finden möge.
6. Sammlung der Klavier-Gomp ofitionen von Johann Sebaftian
Bach. Herausgegeben von Friedrich Ehryfander II. Band, enihals
tend: Das wohltemperirte Glavier in 2 Theilen. Nebft Anhang und Por⸗
trat. Preis 2 Thlr. 5 Sgr. Wolfenbüttel. Drud und Verlag von 2. Holle,
Die Wohlfeilheit diefer Tritifch mit großer Sorgfalt redigirten Aus»
gabe des Wohltemperirten Claviers wirb Manchem die Anfchafs
fung des unfterblihen Werkes möglich machen, dem daſſelbe fonft unzus
gänglih war. Mögen recht Viele die hier dargebotene Gelegenheit zu
folcher Erwerbung benügen! — Drud und Papier find vorzüglich. Ein
622 | Gefang.
noch zu ermwartender Nachtrag wird außer erläuternden Bemerkungen auch
fümmtliche Barianten bringen.
T. Seazle melodifche Uebungsſtücke für das Pianoforte, von®.
8. Engel. Op. 21, in 3 Heften, & 15, 20, 25 Ngr. Leipzig, C. F. Kahnt.
Wegen ihrer Anmuth und Lieblichkeit ſowohl, wie auch wegen bes
frifchen, kräftigen, naturwüchfigen Lebens, welches ka in ihnen ausfpridt,
find diefe Stüde vorzüglich zu empfehlen, wie folches auch in allen mir
zu Gefiht gefommenen Beurtheilungen geſchehen if. Was das Techniſche
betrifft, fo beginnen fie mit Meinen Sägchen aus fünf Zönen und laufen
aus in Kompofitionen verfhiedener Form, welche etwa diefelben Kräfte
{n Anfpruch nehmen, wie Op. 100 der Etüden von Bertint.
8. Der Ptanofortefhüler. Eine neue Elementarſchule für den Unterricht
im Pianofortefpiel von Fr. Brauer. Leipzig, C. Merfeburger. 1 Rıblr.
Der Herausgeber fagt im Borworte: „Der Bianofortefhüler
ift ein, von meiner bereits in fünfter Auflage erfchienenen und bins
laͤnglich als brauchbar anerfannten Elementars Bianofortefhule
ganz unabhängiges Werl, das vorzugsmweife eine Llavierſchule für die
Kleinen fein will. Breiter angelegt, als die ElementarsPianofortefchule,
geht es in möglichft Meinen Schritten vorwärts und vermeidet Alles, was
von Pleinen Händen nicht gut auszuführen wäre. Daſſelbe iſt übrigens
eine Frucht vieljähriger Erfahrung, und ih kann es daher um fo mehr
allen Slavierlehrern empfehlen.” Dies fei genug zur Bezeichnung des
vorliegenden, bis zu den bekannten feinen Rondo's von Elementi ımd
Duffed hinleitenden Werfes, welches fih wohl fehr bald einen mindes
ſtens eben fo weiten Kreis gewinnen dürfte, als des Verf. mehrgenannte
frühere Schule.
9. Bertini's Etüden.
Bon der bei 2. Holle in Wolfenbüttel erfchienenen Ausgabe liegen
vor: Livr. 14, 2. Introduction à celles de J. B. Cramer. Oeur. 29
82 à 8 Sgr. — Livr. 8. 4. 5 Etudes caracteristignes, Oeuv. 66,
Cah. 1. 2.8. a7 Sgr. — Livr. 6. 25 Etudes faciles et progres-
sives. Oeuv. 100.8 Ser. — Livr. 7 Les Repos. Oeurv. 101. 10 Ser.
— Livr. 8. 12 Petits morceaux. 6 Sgr. — Man fennt den Werth
diefer jet allgemein in Gebrauch gefommenen Sachen. Die in Rede
flebenden Hefte bezeichnen ſich durch großen und deutlichen Drud auf
ſchönem weißen Papier, fowie durd den merkwürdig niedrigen Preis.
10. Zmmortellen. Auswahl des Bellen aus den Werken der großen Meifter
im Meiche der Tonkunſt Kür das Pianoforte eingerichtet und herausgege⸗
ben von Julius Hopfe. I, Kiefer. 10 Ser, Gisleben, G. Reinhardi.
9 Nummern von Mozart, Haydri, Beethoven, ©. Bad und
Händel. Für Schüler mittlerer Stufen (auch höherer) fehr zu beachten
wegen des gediegenen Inhalte.
11. Reiſebilder aus dem Jugendleben in 9 harakteriſtiſchen
Zonftüden für das Piansforte. Set I und 11 a 15 Ser
Zeipzig, C. Merfeburger.
„Die vorliegenden kurzen Säpe befunden Talent, gute Bildung und
Geſang. 633
Keuntniß des Werihvollſten auf dem Gebiete der muſtkaliſchen Charakters
Rüde. Namentlich dürfte Robert Schumann auf den Künfler einen
erfreulihen Einfluß geübt Haben... Hinfihtlih der Technik werben
diefe Stüde einen großen Spielerkreis finden können, den wir ihnen ihres
Gehalte® wegen wünſchen.“ So ein Beurtheiler in der „Cuterpe“, ganz
übereinfimmend mit meinem eigenen Urtheil.
12. Spiele und Unterbaltungen für die Jugend. Gehe leichte
Stüde für Violine und Bianoforte. Heft Iund I & 20 Egr. Leipzig, C.
Merfeburger.
Sehr intereffante Sachen, geübteren Spielern der Mittelfiufe ent⸗
fhieden zu empfehlen, bie fle gern und mit Nugen für bie Bildung eines
beffern Geſchmacks fludiren werden.
13. Nordiſche Blumen. Don D. H. Engel. 2 Hefte. Leipzig, C. Mers
feburger.
Charakterftüde edlen Styls, befonders geeignet für Vortragsbildung,
auch für die Technik erfprießlich.
Noch fei ſchließlich bemerkt, daß
14. Greßler's Bianofortefhule, eine genetiſche Stufenfolge techniſcher
Uebungen und Heiner Stüde mit theoretifchen Andeutungen, 6 Lief. à 20 Sgr.,
compl. 3 Rthlr.,
ein bereits im VII. Bande des Jahresber. angezeigtes Werk, in neuer
Auflage vorliegt. Trotz feiner Umfängfichkeit bat es fich alſo denn doch
mittelt der fehr zweckmäßigen Anordnung bes Stoffes ein zahlreiches
Publikum gewonnen. '
D. Biolinfpiei.
1. Erfter Unterrit im Bioltnfpielen in 50 leiten metho⸗
diſch fortſchreitenden Lebungsftüden von H. M. Schletterer,
UniverfitätesMuflfdirector und Lehrer des Befanges am Großherzogl. Bad.
Lyceum zu Heidelberg. Thlr. 1. fl. 1 ir. 48. Zweibrüden, Verlag und Eis
gertpum von % Chr. Herbart Debit der Ritterſchen Buchhandlung Lith.
nft. v. C. ©. Röder in Leipzig.
„Die Biolinfhule von Spohr — die umtfaffendfie und vollkom⸗
menfte Methode des Biolinfpiel’e — zeigt in ihren erften Uebungen
den richtigften Weg, der zu gehen if, und giebt auch die nöthigen Fin⸗
gerzeige, wie die Anfangsjchwierigkeiten am ſchnellſten und leichteſten
überwunden werden fönnen. Da aber diefes Werk in 66 Uebungen die
ganze Kunf des Violinſpiels umfaßt, fo kaun es felbfiverfändlich nur
bei Schülern von außergewöhnlichem Talent gebraucht werden, die befäs
bigt find, mit Riefenfchritten weiter zu gehen. Jeder Lehrer wird mehr
oder weniger das Bedürfniß fühlen, andere paflende Zonftüde zwiſchen
die einzelnen Uebungen jener Schule einzufchalten, durch weiche das Weis
terfchreiten erleichtert und die nöthige aufmunterude Abwechlelung erzielt
wird. Während es für vorangeichrittene und geübtere Spieler einen
Schatz des herrlichſten Gompofitionen gibt, ifs jedoch ſchwierig, gerade
624 Geſang.
für die erſten Anfänger eine gute, methodiſch fortſchreitende Auswahl
von Stüden zu finden. Kür diefe Lebtern nun find zunaächſt die vorlies
genden Uebungsftüde beflimmt, die dem Schüler Notenkenntniß beibrins
gen und, die einfachften Striche lehren follen. Da in diefen Uebungsküden
nie ein Berfegungszeichen vorfommt, man alfo nur auf eine gewiſſe Ans
zahl von Zonarten beſchränkt war, fo wurde die 2te Biolinfimme darum
reichlicher bedacht, als es fonft gewöhnlich der Kal if, und wurde das
dur den Uebungen felbt mehr Dannigfaltigkeit gegeben. Die den
Nummern vorangehenden Vorübungen follen dem Lehrer Stoff zu münd⸗
lihen Erklärungen und Belehrungen bieten, — den Schüler aber auf
die Schwierigkeiten jeder Webung und auf das, was fie Neues enthält,
vorbereiten.‘ Dies aus dem Borworte. Der Berf. hat feine Aufgabe
mit Sachkenntniß und Gefchid gelöft, und es eignen fih vorliegende 50
Mebungsflüde ganz dazu, zwifchen den erften 22 Rummern des Spohr'⸗
fhen Werkes, wie es ihre Beſtimmung if, mit Vortheil eingefchaltet
zu werben.
2. Braltifher Lehrgang für den Violin-Unterricht von Moritz
Schoen, Königl. Preuß. Mufil-Dirktor. Reue Ausgabe. In 12 Lieferuns
gen 812 Sgr. Breslau, Berlag von F. E. G. Leuckari (Eonitantin Sander.)
: Bon dieſem Werke liegen vor: Liefer. 1. ABE des Biolim
fpiels. Vorſchule zur gründlichen Erlernung deffelben nad den Regeln
der vorzüglichken deutfchen Meifter mit 24 Uebungsftüden. Op. 32 &.
2.3 und 4 Erſter Lehrmeiſter für den praftifhen Biolin
unterricht in flufenweife geordneten Uebungen der erfien Bofition durch
alle Tonleitern und Tonarten. Op. 22 und 27.8.5. 46 FTleine
UNebungsſtücke mit einer begleitenden 2. Violine für den Lehrer. —
Es if bekannt, welche große Verbreitung und Anerfennung Morip
Schoen's inftructive Biolinfahen ſich verdient und gewonnen haben.
Die neue Ausgabe mit ihren weit Eilligeren Preifen wird wefentlich dazu
beitragen, diefe ſchaͤtzbaren Sachen in die Hände einer noch ungleich grös
Beren Anzahl von Schülern zu bringen.
3. Kurze Anleitung zum Biolinfptelen von C. G. Straub. Dritte
Auflage. Eſſlingen, Derlag von Contad Weychardt. 24 Gar.
Die zweite Aufl. wurde im VII. Bande des Jahresber. empfehlend
angezeigt. Gegenwärtige dritte, aus 46 kleinen melodidfen Duetten und
mannichfachen Vorübungen beftehend, wird überall den Beifall der Lehrer
gewinnen, den Schülern eben fo Vergnügen wie Nutzen gewährend. Ans
erfennung verdient befonders die durchgehende genaue, überall auf beſtimmte
Regeln zurüdgeführte Angabe der Stricharten.
4. Vierundzwanzig Studien für die Violine in allen Dur und
Molltonarten, componirt von dem Blinden Ferdinand Kirms. Nach⸗
laß Ar. 2 Heft I. Pr. 124 Ser. Heft. II. Pr. 124 Sgr. Berlin bei ®.
Damköhler. 162. 103. - .
Diefe Uebungen find für den Zwed der höheren Ausbildung entworfen,
dem fie denn auch, abgefehen von gewiſſen, bier nicht vertretenen Kun ſt⸗
Rüden neuer und neufter Geiger, fehr wohl entfprechen. Wer fie fpies
Gefang. 625
fen Tann, wird immerhin für einen keineswegs unbebeutenden Bioliniften
zu halten fein. Schade, daß nirgends die Applicaturen angegeben find.
Nachtrag.
1. Patriotiſches Volksgeſangbuch. Eine Sammlung der beſten Königs⸗,
Vaterlands⸗ Kriegs⸗ und Soldatenlieder mit Singweiſen in Roten. Für
Preußens Heer und Boll gefammelt und bearbeitet von A. L. Löchner,
Lehrer der Königl. Garnifonfchule in Spandau. Zweite unveränderte Auf:
lage. Preis 5 Sgr., Partie. 4 Egr. Erfurt, G. W. Körner.
Die Sammlung ift nicht für Knaben, fondern für Zünglinge und
Männer beflimmt. Sie enthält 102 Nummern, und was diefe Lieder
der großen Mehrzahl nad von preußifcher Gefchichte erzählen, was fie
von preußifcher Gefinnung fagen, das ann nur dazu dienen, ein ächtes
Preußenherz mit freudigem Stolze zu erfüllen, die Liebe zu König und
Baterlang zu nähren und immer von Neuem zu entflammen. Bon fraglichen
Werthe dürften mehr oder weniger diejenigen Dichtungen fein, worin 3. B.
der tanonier, der Hufar, der Bontonier ıc. jeine fpecielle Waffe und Kriegs⸗
thätigfeit befingt, Der Soldat liebt das nicht. Der Dienft iſt eifern und
ſcheint ſich nicht poetifch verflären zu wollen. — Ohne eine umfaflende
Bedeutung für Bolf und Heer ift auch der — für ein heitered Beteras
nenfeft ganz wohl paſſende — Trintwahlfpruh unter Nr. 64. mit den
folgenden Ausgängen der drei Strophen: Es ftirbt die alte Garde, doch
fie ergiebt fich nicht. Es trinkt die alte Garde, doch fie betrinkt fi
nicht. Es trinkt die alte Garde, Doch übergiebt fih nicht.” Der Hers
ausgeber mag wohl gemeint haben: „Wer Bieles bringt, wird Jedem
etwas bringen.” — Bon diefem Standpunkte aus dürfte fih auch die
Aufnahme des Maurerliedes unter Nr. 87 rechtfertigen laflen, wo es
heißt: „Nichts kann ihn (den gefallenen Krieger) wiederbringen; doch
Maurer leihen Herz und Ohr. Sie find es, die mit Nath und That
erfcheinen, wenn arme Wittwen, arme Waifen weinen: und ſolche Maus
rer ehrt das Baterland.” Es fehlt der Raum, mit Hrn. Löchner hier⸗
über zu rechten. Uebrigens thun die in Frage geftellten Einzelnheiten
dem Werthe des Ganzen feinen wefentlichen Abbruch, und es möge dafs
felbe daher warm empfohlen fein.
2. Evangelifde Hymnen und Motettenfürdreiftimmigen Frau.
enhor und Solo (2 Sopran und 1 Alt) Dy. 4. 2 Hefte & 12 Ger.
Magdeburg, Heinrihehofen.
3 B: Sering empfiehlt in der Euterpe diefes „im Ganzen fehr
gelungene und von der Verlagshandlung gut ausgeftattete Werk allen
geübten Frauenchören.“ Hr. Brähmig hat es verflanden, aus dem
zum Grunde gejegten reihen Bibelmorte zu fchöpfen, und durch richtig
gewählten Zon in deſſen Verſtaͤndniß einzuführen.
3. Choralbüchlein für Volkosſchulen. Langenfalza, Schulbuchhand
fung. 14 Ser. '
Enthält 77 rhythmiſche Melodien, einſtimmig und ohne Zert.
Made, Jahresbericht. X. 40
XI.
Zeichnen.
Von
Auguſt Lüben.
I, Grundſätze.
&; lagen zur Benubung vor:
1. Die am tigen vorkommenden Fehler und Mängel in ber Säulfüprung.
7.
8.
9.
Vom Schulinſpector Kettiger. Pädag. Monatöfhr. f. d. Schweiz. 185
2. Heft, ©. 43. 8 Padasg ort Seh
. Der Unterricht im geometrifchen Zeichnen, mit befonderer Berudficktigung
der aargauifchen Bezirksfhulen, von H. Zäbringer (und Erziehunge-
director Hanauer). Ebendaf. 4. Heft, ©. 104-115.
. Beihäftigungsmaterial für die Kinder im Haufe. Bon Herm. Preuß:
fer in Ballenberg bei Waldenburg. Sädf. Schulz. 1856, Nr. 28.
. Unregende Gedanken und praftiiche Winke für den Zeichenunterricht in den
Bellsihullebrerfeminarien. Bon Herm. Preusker. Ebendaſ. Nr. 44.
Die Grundgefege einer Reform der Vollserziebung. Bon Pöſche. Rhei⸗
nilhe Blätter von Diefterweg, November und December, S. 287 und 288.
56.
. Die Elemente des Zeichnens mit freier Sand ıc. Don C. Weiß. Bien,
1856.
Analyfe des geichnens nach der Anſchauung. Von N. Fialkowölki.
Wien, 1856.
Ueber die Verbindung der Elementarſtufen des Zeichnens mit den Elementen
der geometriſchen Formenlehre. Bon Deicke. Rordhauſen, 1857.
Unterrichtskunde für evangeliſche Volkefhullehrer. Bon K. Bormann.
Berlin, 1856.
Zeichnen, 627
1. Bichtigkeit und Zwed des Zeichen unterrichts.
1. Die Wichtigkeit des Zeichnen wird noch nicht fo allgemein ers
kannt, als mit Müdficht auf die fo nöthige Entwidlung des Schönheitd-
finnes und die Bedürfniſſe des Gewerbſtandes wünſchenswerth iſt. Es
giebt noch immer eine ſehr große Anzahl von Schulen, namentlich Ele⸗
mentarſchulen, in denen gar kein Zeichenunterricht oder nur ein ſehr
mangelhafter ertheilt wird. Schulinfpector Kettiger fagt a. a. D.
(Heft 2, S. 43): ‚Die Hälfte der Schulen (der Schweiz) vielleicht
betreibt es (das Preihandzeichnen) entweder gar nicht oder doch nur mit
Griffel auf die Schiefertafel.” Die Gründe diefer ‚anfallenden Erſchei⸗
nung“ fucht er „theils im Mangel an Borlagen, theils in der gerin⸗
gen -Liebhaberei und im Mangel an Befähigung zu diefem Unterricht yon
Seite der Lehrer. Wir flimmen dem Verf. darin für ganz Deutichland
bei, haben aber den Hauptgrund befonders in der ungenügenden Befär
bigung der Lehrer zur Ertheilung dieſes Unterrichts gefunden. Die
Seminare follten dem Gegenftande etwas mehr Aufmerkſamkeit ſchenken
und nidyt, wie fo Häufig gefchieht, Lehrer dafür verwenden, benen alle
Kunfbildung abgeht. „Was ich, fagt Preusker in Ar. 44. der Sidf.
Schulz, von dem Lehrer in der Schule bezüglich des Beichnens geihan
wünfhe, kann nur von einem in der Kunft gut geſchulten Indivi⸗
duum verlangt werden. Zu guter Schule aber rechnen wir: Wo durd
Webung im Abſchätzen und Meſſen von Berhältniffen und Entfernungen
durch Betrachten der Geftalt, Lage und Richtung fichbarer Formen, durch
Darftellen nach einem größeren oder Meineren Maaßſtab und durch Wahrs
nehmung perfpectivifcher Erfcheinungen die Bildung des Auges erzielt und
das Auffaffungstalent gefräftigt; wo durch vielfeitige Uebung die Hand
die nothige Biegfamfeit, Befchmeidigfeit und Freiheit für große und eine
Dimmenflonen , fowie für alle Arten von Wendungen auf Zafel und Bas
yier erhalten bat; wo endlich durch Vorführung wirklich fhöner Formen
an Naturs und Kunftgebilden der Geſchmack hervorgerufen und geleitet
und das Afthetiiche Urtheil gebildet worden iſt.“
2. Das vreußifche Regulativ von 1854 räumt dem Beichenunters
richt in der Elementarfchule nur dann eine wöcentlihe Stunde ein,
wern ftatt 26 Stunden 32 ertheilt werden fönnen. Den Bwed deffelben
et es in „Bertigfeit in Handhabung des Lineals und Manfes, fo wie
in der Darftellung einfacher Linearzeichnungen, wie fie dad Bebärfniß
des praftifchen Lebens fordert.’
3. Bormann a. a. DO. drüdt diefe gewiß mäßige Forderung noch
etwas herab und bleibt der Hauptfahe nad beim Beichnen der gradlini-
gen Grundformen mit Lineal und Zollſtock ſtehen. „Für Uebungen im
freien Dandzeichnen wird die Giementarfchule ſchon darum wenig
Gelegenheit bieten können, weil es ihren Schülern dazu an Zeit und an
dem erforderlichen befferen Material fehlt.” (S. 223.) Wir erfennen
diefe Uebelftände an, halten aber dafür, daß fie bei ernſtlichem Willen zu
befeitigen find.
40 *
v
628 Zeichnen.
2. Lehrgänge für den Zeichenunterricht.
4.Bormann ſtellt in feiner „Unterrichtokunde“ für die Elemen⸗
tarfehule die Uebungen auf, welche mit Lineal und Schiefertafel ausges
führt werden follen. Er geht von der Betradhtung eines Würfels aus,
erörtert daran die Ausdrücke oben, unten, rechts, links, rechts oben, links
oben u. f. w., veranfdhauliht dann durch Punktreihen die Begriffe fent-
recht, wagerecht, fehräg, gerade, Erumme und gebrochene Linie, läßt gerade
Linien von verfchiedener Richtung zeichnen und theilen, ebenfo Winkel,
Bierede, Dreiede und fließt mit „Verſuchen im Zeichnen von Gegenfläns
den nach unmittelbar vorliegender Anfchauung.’
In weldhem Lebensalter diefer Unterricht begonnen werden fol, fin»
den wir wicht angegeben; nah den erften Uebungen zu fchließen, foll
damit der Anfang beim Beginn der Schuie gemacht werden. Wir wärs
den empfehlen ; ihn frühefiens im zweiten oder dritten Schuljahre auf⸗
treten zu laſſen.
Gegen die Uebungen und ihre Folge haben wir nichts einzuwenden ;
fe find bereits feit langen Jahren fo ausgeführt worden. Aber die große
Unzulänglichkeit derfelben fällt auf den erften Blid ins Auge: die krumme
Linie, die eigentlihe Schönheitslinie, hat gar keine Berüdfichtigung ges
funden, und gewiß aus feinem andern Grunde, als weil fie fih nicht
mit, dem „Lineal“ darflelen läßt. Wir empfeblen dem Berf., in einer
neuen Auflage feiner Schrift die aufgeftellten Uebungen ale das Penſum
der Mittelftufe zu bezeichnen und für die Oberflufe noch Uebungen im
Beichnen von krummen Linien hinzuzufügen.
Was der Berf. unter „Beichnen von Gegenftänden nach unmits
telbar vorliegender Anſchauung“ verfteht, vermögen wir nicht zu enträth“
fein; wahrſcheinlich find damit Aufriffe von Fenftern, Thüren u. dgl. gemeint.
5. Deicke a. a. O. verlangt Verbindung der Formenlehre mit dem
Beichnen und conftruirt feinen Lehrgang mit Nüdficht hierauf. Es ges
winnt fa den Anſchein, als glaube er mit dieſer Forderung ziemlich
vereinzelt dazuftehen. Das ift natürlich nicht der Fall. Im 1. und 3.
Hefte meiner ‚Anleitung zum Zeichenunterricht“ bin ich 3. B. felbft von
denjelben Grundfägen ausgegangen.
6. Weiß a. a. D. hält die Berbindung bes freien Elementarzeich-
nens mit der Formenlehre für eine ungeeignete, behauptet aber doch, daß
die Elemente des freien Sandzeichnens „auf geometrifche Grundformen
baftren müſſen.“ Er ſtellt für öfterreichifche Realfchulen folgende Haupts
übungen auf: j
Zormanfchauung.
Bormauffaffung,
Das Zeichnen nah Diktaten.
Freie Auffaffung.
Das Zeichnen von krummen Linien.
Die Elemente der Geftalten.
Das perfpektivifche Zeichnen.
Zeichnen. 629
Einzelnes abgereihnet, worauf wir weiter unten zu fprechen kommen,
fann man fi mit diefem Lehrgange wohl einverflanden erklären.
‚ T. Zialtowslti a. a O. fellt für die öfterreichifchen Realſchulen
zwei Eurfe feſt:
a. Die Formen in der Ebene,
b. Die Zormen im Raume.
Erfterer umfaßt das freie Zeichnen der geometrifchen Figuren, mit
Einfhluß geihmadvoller Berzierungen, Iebterer das Naturzeichnen. Der
Berf. legt großen. Werth anf das Erfinden verzierter Figuren und bat
für dieſe Uebung die unten genannte Sammlung herausgegeben. Im
Maturzeichnen ſchlägt er einen eigenen, durch ſelbſt conflruirte Modelle
befimmten Weg ein, der wegen der Einfachheit des ganzen Apparate
Beachtung verdient. Dupuis Lehrgang und Verfahren verwirft er,
bauptiählih, weil die Modelle deffelben alle über der Horizontlinie ger
feben werden. Das if allerdings wahr; aber diefer Uehelftand läßt fich
durch einige Modificationen fo weit befeitigen, daß er unfchädlich erfcheint.
8. Preusker theilt in Nr. 44 der Sächſ. Schulz. einen Lehrgang
für den Zeichenunterriht in Seminarien, die Profeminare (Praͤpa⸗
randenanftalten) mit eingefchloffen, mit, defien Stufen wir nachſtehend
wiedergeben.
Erfter Abſchnitt. Profeminar. lementarzeichenübungen. Dauer
1 — 2 Jahr.
a. Zinearübungen, ‚verbunden mit Bufammenftellung eigener
Erfindungen.
b. Uebungen im Zeichnen von Geraäthſchaften verfchiedener Art,
nad Borzeichnungen an der Wandtafel.
c. Beichnen von Landſchaftstheilen und Details aus der Ar⸗
diitektur.
d. Vorzeigen und Erklaͤren guter HZeichnungen zur Bildung des
Geſchmacks. ES werden dazu Köpfe, Landſchaften und die
Schnorrſchen biblifhen Bilder empfohlen.
Zweiter Abſchnitt. Kopiren. 4. Abtheilung der Eeminariften.
Dauer 1 Zahr. Privatübungen: Inventiren (eigene Erfindungen).
Beichnen der Borderanfihten von Modellen (Würfel u. dal.) als
Anfang des Naturzeichnene.
Durch das Kopiren von Borlegeblättern bezwedt der Verf.
ſcharfes Auffaffen gegebener Formen und Gewandheit im Darftellen
von Gegenftländen, wie die verfchiedenartigen Unterrichtögegenflände
(Geſchichte, Geographie, Raturfunde) der Schule fie fo oft fordern.
Dritter Abfchnitt. Naturzeichnen. 3. und 2. Abtheilung der Ser
minariften. Dauer 2 Jahr.
41. Stufe. Sreie Gebilde, ſämmtlich in der Frontanficht.
2. Stufe. Perſpektive.
3. Stufe. „Uebung im Zeichnen verſchiedener aufgeſtellter Dinge.“
Soll wohl bedeuten: Uebung im Zeichnen von verſchiedenen
Geraͤthſchaften, Gefäßen u. dgl., im Gegenfag zu den für
630 0. Zeichnen.
das erfte perfpeftivifche Zeichnen erforberlidien Würfel, Säu-
len u. dgl.
In den zu diefem Abſchnitt gehörigen Erläuterungen ſpricht
ih der Berf. günftig über die Dupuis’fhe Methode im
Seminar aus.
Bierter Abſchnitt. Praktifche Uebungen in der Seminarfchule; aufs
ferdem aber noch Theilnahme am gewöhnlichen Beichenunterricht
1. Ubtheilung der Seminariften. Dauer 1 Jahr.
9. Der Verf. ift (oder war) Beichenlehrer am Seminar in Waldau
(in Sachſen) und fpriht aus Erfahrung heraus und mit Sachkenntniß.
Sein Lehrgang ift verfländig angelegt und läßt ſich hei vierjäßrigem Kur:
ſus, wie angenommen wird, bequem und mit Erfolg durchführen, ſelbſt
bei dreijährigem Kurſus. Die „Anfänge im Naturzeichnen,“ welche der
zweite Abſchnitt enthält, würden wir weglaffen, auch das Zeichnen der
„Frontanſichten“ des dritten Abfchnittes nicht weit ausdehnen, da Se⸗
minariften befähigt find, das perfpeftivifhe Zeichnen auch ohne diefe
Uebungen fogleih zu beginnen. Die Kopirubungen können bei dreijäh⸗
rigem Kurfus ohne Rachtheil auf ein halbes Jahr befchräntt werden, da
es angemefien if, fpäter mit dem Naturzeichnen das Kopiren ausgeführ-
terer Zeichnungen wechfeln zu laſſen.
10. Eins vermiffen wir in dem aufgeßellten Lehrgange: das geo-
metrifche Zeichnen. Einige Uebung müflen die Seminariften ſchon des⸗
halb hierin erlangen, da viele derfelben Lehrer an fädtifchen Bürgers
Schulen werden, oft auch Gelegenheit erhalten, ſich dadurch in Fortbildung»
ſchulen nüglih zu machen.
11. Für die aarganifhen Bezirksſchulen (Mittelfchulen, die für den
mittleren Bürgerfland die erforderliche Bildung bieten follen, gleichzeitig
auch als Unterbau für Gymnafien und Gewerbſchulen betrachtet werden)
theilt Bähringer a. a. DO. einen vom Grziehungsdiredor Hanauer
entworfener „Lehrplan für den Unterriht im geometriſchen
Zeichnen” mit, der von allen Anftalten ähnlicher Tendenz beachtet zn
werden verdient. Wir befchränfen uns bier auf eine furze Angabe der
Hauptſtufen deffelben.
„Im Allgemeinen find der 1. Klaſſe die Uebungen mit den Inſtru⸗
menten (Lineal, Zirkel, Winkel, Reißfeder) und die elementaren Conſtruc⸗
tionen zuerft mit Bleifift, dann mit Tuſche zugewiefen; der II. Klaſſe
die Anwendungen der Conftructionsiehre und die Anfänge des Zeichnens
nah Grundriß, Aufriß und Durchſchnitt; der III. Klaffe die Elemente
der Projeetionslehre und der Parallelperfpective; der IV. Klafle die Ans
wendungen derfelben auf Handwerks », architectonifches und Mafchinens
zeichnen, nebft dem Zeichnen gemeflener Grundflüde (Elemente des topo⸗
graphifchen Beichnens). 4. Heft, ©. 111.
3. Unterrihtsverfahren.
12. Breuster, Weiß, Fialkowski nd Deide a. a. O. for
bern fümmilih gemeinfames Zeichnen derganzen Klaſſe. Diele
Zeichnen. 631
Forderung iR zwar nicht nen, wird aber im Ganzen felten beachtet, höch⸗
ftens für die erfien Anfänge Wie beim Schreiben, fo wird auch beim
Zeichnen erft ein gründlicher, allfeitig anregender Unterricht möglich, wenn
die ganze Klaffe oder wenigftend größere Abtheilungen davon ein und
daffeibe zeichnen. Mit Leichtigkeit if dieſer Forderung nachzukommen heim
Glementarunterriht, beim erften Kurfus des geometrifchen und bei der.
Begründung des peripektivifchen Zeicdhnens, fchwer oder wohl gar nicht
im Kopirkurfus und auf der oberſten Unterrichtöftufe.
13. &benfo dringen die genannten Schrififieller auf gemeinjas
mes Analvyfiren der Zeihnungen, bevor diefelben von den Schü⸗
fern dargeftellt werden. Auch dieſe Forderung ift fchon oft geftellt wor⸗
den, findet aber noch nicht ausreichende Beachtung, am wenigften natürs
lich da, wo jedes Kind einer zahlreichen Klaffe nach einem andern Bors
legeblatte arbeitet. Diele Lehrer begnügen fih unter folchen Umſtaͤnden
mit dem bloßen Austheilen der Vorlegeblätter und bedenken nit, daß
der Zeichenunterriht in diefer Form nur geringen Erfolg für die Bil
dung des Auges und Geihmades hat. Befpricht dagegen der Lehrer die
Zeichnung vorher mit den Schülern, fo hat er reichlich Gelegenheit, die
Berbältniffe derfelben durch das Auge abfchähen zu laffen, auf das Eben,
maß, auf den Charakter, auf die angemeflene Bertheilung von Lit und
Schatten, auf die Berfchmelzung beider, auf die befonderen Schönheiten
der Zeichnung aufmerffam zu machen. Nur durd ein ſolches Verfahren
wird der Schüler wirklich gebüdet und ihm zugleich das Nachzeichnen
wefentlich erleichtert. Weiß, der fih am ausführlichfien und klarſten
über das Analyfiren der Zeichnungen ausipricht, laͤßt leichtere Zeichnungen
nad dem Analyfiren aus dem Kopfe zeichnen.
14. Poſche, Fialkowsſski und Preusker a. a. DO. reden von
Neuem dem felbffändigen Erfinden beim Beichnen das Wert.
Poſche fagt in Beziehung hierauf (S. 287.): „Fürs Erſte iſt es grund»
falfch, wenn man eben nur Kopiren läßt. Es muß vielmehr die freie
Selbftthätigkeit, das freie Schaffen aus gegebenen Elementen, die
Hauptſache fein. Aber nicht: Schaffen nah Willkür. Subjective Will»
für führt immer wieder zur gefeßlofen PBhantafterei, zum Roccoco, zum
Chineſenthum, zum Arabeskenkram, zur Unnatur und Schnörfelei. Die
Alten ließen Fußböden und Wände mit der Wiederholnng der berühm⸗
teften Gompofitionen durch Mofaikarbeiter und Stubenmaler fhmüden.
Darin liegt es, daß die griehifche Kunſt fich Tänger als ein halbes Jahr⸗
taufend in Blüthe erhielt, weil ſtets Die erfien, großen Mufter gegenwärtig
blieben. Der vorwiegende Individualismus, die unnmfchränfte Willkür
lodet die Künſtler, wie Schulkinder, auf die verfhiedenften Bahnen, in
denen fie fi endlich verlaufen. Die höchſten Kunſtwerke werden immer
nur an der Hand der Tradition erreicht und find darum auch das ger
meinfame Product mehrerer Jahrhunderte. — Hätte die Paͤdagogik den
Beichenunterriht von diefem Standpunfte aufgefaßt, fo würden wir eine
bikorifhe Methode haben, eine Methode, die nicht jeden Augenblick
durch den leiſeſten Luftzug einer neu anzüdend über den Haufen geblas
fin wird. Jeder Lehrer macht Ach den Zeichenunterricht nad) dem eigenen
632 Zeichnen.
Kopfe zureht. Bon einem Style, von einem nationalen Gepräge, von
einer objectiven Kunftanfchauung ift gar Beine Rede.’ Seite 288: „Das
freie, felbſtſtaͤndige Schaffen innerhalb der Kunftgrenzen, die freie, felbft-
Kändige Compofition hat ihre ganze und volle Berechtigung. Jenes if
Ausgang, dieſes Fortgang, jenes die Operationsbafls, dieſes das Biel
der Arbeit und des Kampfes, der Preis des Siegers. Ohne das pros
ductive, erfindende und neu fchaffende Clement fliehen wir auf dem
Kunſtſtand des chineſiſchen Schneiders, der einem engliſchen Offiziere
einen Rock nach dem Muſter des alten, der aber einen Flicken hatte,
verfertigen ſollte: Der chineſiſche Held hatte buchſtäblich den Befehl
ausgerichtet; denn der Flicken des alten befand fich auch ‚gerade fo wies
der auf dem neuen. Ohne das erfinderifche Element im Vollsſchul⸗
unterrichte gebt der Kortfchritt verloren; das gedankenloſe Haften am
Alten, Pedanterie u. f. f. tritt an feine Stelle.‘
In ähnlichem Sinne fpriht Ih Fialfowsfi S. 24 u. f. feiner
Särift aus.
In Berlin if durch die Regierung im Jahre 1856 eine Zeichen⸗
anftalt für junge Gewerbtreibende errichtet worden, die es vorzugsmeiie
auf das Erfinden gefhmadvoller Mufter aller Art abgefehen hat. Aehn⸗
lihe Bwede verfolgt man bereits feit Jahren in Nürnberg und Mün⸗
hen. Kommen diejen Anftalten die Schulen entgegen, fo fann die längſt
erwünfchte Zeit nicht ausbleiben, wo Kunft und Handwerk fi die Hand
reihen, um ſelbſt dem gewöhnlichen Bürger in den nüßlichen Geräthen
zugleich fchöne darzubieten.
15. Fialkowski a. a. D. läßt die erfundenen Figuren in
zwei Farben, Roth und Grün, ausführen, um größere Sauberkeit zu
erzielen und den Sinn für angemeffene Zarbenzufammenfellungen zu
weden. Wir Pönnen dies Berfahren beſtens empfehlen, auch noch aus
dem Grunde, weil es große Luſt zum Zeichnen erregt.
4. Vorlage und Modelle zum Zeichnen.
16. Bon weſentlichem Einfluß auf Gefhmadsbildung und alſo
auch auf Veredlung des Handwerfes muß es fein, wenn den jungen
Beichnern allezeit nur wirklich fchöne Borlagen und Modelle
zum Beichnen dargeboten werden. Aber leider wird nach diefer Mich
tung bin noch gar viel gefündigt; es befaſſen fi zu viel Unberufene
mit der Herausgabe von Beichenvorlagen.
17. Böfhe fagt in Bezug hierauf a. a. D. 16. 287): „Die
gewöhnlichen Clementar s Beichenvorlagen können in ihrer jeßigen Geſtalt
keineswegs Tünftlerifchen Anforderungen genügen.’ — „Die plumpften
Gefäße, Arabesten, Nafen, Köpfe find die Vorlegeblätter im Zeichens
untersicht der deutfchen Jugend. Diefer Stand der Methodik des Zeich⸗
nens und ber pädagogifhen Praxis ift fchier zum Verzweifeln, und
noch lange wird biefes willkürliche, geſetz⸗ und kunſtloſe Treiben fort
geben, wenn nicht ein wahrer Künſtler mit pädagogifhen Schick und
Bid fi der Vollsſchule annimmt, und den leeren, ſchalen, müſſigen
%
Zeichnen. 633
Künfteleten ein Ende macht.“ — „Künſtleriſche Muftervorlagen müſſen
gefhaften werden zum Befprechen, Anschauen, Eopiren und freien Wieder,
geben
18. Preusker beabſichtigt (Sädhf. Schulz. Nr. 28) die Heraus⸗
gabe von Zeichenheften zur —3 chäftigung der Kinder, in
denen jedes Blatt eine Zeichnung enthält, zugleich aber noch ſo viel
Raum darbietet, daß dieſelbe noch 2 bis 3 Mal nachgezeichnet werden
kann. Dieſe, auch ſchon von andern Zeichenlehrern -verfuchte Form ers
ſcheint uns nicht fo empfehlenswerth, als Borlegeblätter, da das Kind
die Zeichnung während der Arbeit nur feitwärts anfehen Tann, wodurd
das treue Nachzeichnen etwas erfchwert wird. Auch der Koflenpunft
dürfte das Unternehmen faum begünftigen.
19. BZähringer fordert, wie billig, für das geometrifche Zeichnen
in den aargauifhen Bezirksfchulen den Gebrauh von Modellen und
empfiehlt eindringlich die von Schröder in Darmfladt angefertigten. Da
wir nicht Gelegenheit gehabt haben, diefelben zu ſehen, fo theilen wir
nachſtehend mit, was derfelbe hierüber fagt.
„In Bezug auf die für unfere Stufe zu waͤhlenden Körper und
Modelle müffen wir noch beifügen, daß wir feineswegs etwa vollfländige
Majchinen verlangen; wir wollen ung ja nur auf der Etufe des Bors
bereitungsunterrichts, aber des allfeitigen Vorbereitungsunterrichtes, bes
wegen und begnügen uns daher mit einfachen Körpern, welche eben die
Elemente der fpätern, zufammengefeßtern find. Der nachfolgende Lehr,
plan bat befonders die fehr ſchoͤn gearbeiteten und verbältnißmäßig fehr
billigen Modelle der polytehnifhen Arbeitsanftalt von 3.
Schröder in Darmfadt im Auge Unfere inländifhen Arbeiter
Fönnen folche Modelle weder fo fhön, noch jo billig liefern, weil fie
nicht befonders darauf eingerichtet find und wohl auch nicht die erforder,
liche techniſche und methodifche Befähigung befipen, wie der Vorſteher
diefer anerkannten Anftalt. Herr Schröder iſt felbft Lehrer an der Pos
lytechniſchen Schule und an der Handwerkerſchule in Darmfladt und
kennt daher die Bedürfniffe des Unterrichts fehr genau. Seine Modelle
And auf den großen Ausftellungen in London, Münden und Paris von
Technikern und Schulmännern mit befonderer Auszeichnung hervorgehos
ben worden und haben auch fchon feit Zahren in Xehranftalten und
Bereinen vorzügliche Dienfte geleiftet. Herr Schröder überfendet für
Fr. 1 auf franfirte Anfragen fein vollfländiges Preisverzeichnig mit den
Beichnungen afler bei ihm vorhandenen Modelle, aus weldem dann nad)
Belieben ausgewählt werden kann. Was zunähf für unfern Zweck ers.
forderfich ift, befteht in einer Sammlung einfacher Körper, welche zerlegs
bar und zu andern Formen zufammenfeßbar find; eine folhe Samms
lung, 45 Körper enthaltend, ‚liefert Herr Schröder für 25 fl., wenn
aber gleichzeitig mehrere Sammlungen bezogen werden, 15%, billiger.
Man ift jedoch nicht gehalten, die ganze Sammlung zu nehmen, man
kann aud beliebig auswählen. Für die darftellende Geometrie hat Herr
Schröder 40 Tafeln, welche zuſammen 160 fl. koſten; für unfern Zwed
reichen aber bie 20 erſten Tafeln, und wohl auch die 6 erfien vollfoms
634 Zeichnen.
men aus; file often einzeln 3 fl. 20 kr. Jede Tafel enthält den Körper
fammt feinem Grundrig und Aufriß, und die erſten Zafeln find mit
Charnieren verfehen, um beide in die gleihe Ebene umlegen zu Pönnen.
Wenn wir den Unterricht in der darſtellenden Geometrie, der ſonſt weit
fpäter einzutreten pflegt, ſchon für Bezirksſchulen empfehlen, jo geſchieht
es nur in der fihern Borausfiht, dag dafür auch Modelle angefchafft
werden; follte diefes jedoch unmöglich fein, fo erſcheint uns diefer Un⸗
terricht für unfere Schule faum rathfam, er muß alsdann den hoͤhern
Säulen vorbehalten werden.‘
U. Literatur.
1. Die Elemente des Zeihnens mit freier Hand, geftüßt auf An-
ſchauung und Darftellung geometrifcher Objekte und ein Syſtem ber freien
Auffaflung, als Vorbereitung zum perfpeltivifchen Abzeichnen von Linien,
Flächen und Körpern nad plaftifgen Modellen. Bon Earl Weiß, or
dentl. Xebrer an der k. k. vollftändigen Unters Realfehule zu St. Johann
in der Sägergeite Methodifcher Theil. Mit 5 Steintafeln (in qu. er Bol.)
or. 8. (VII und 95 S.) Bien, L. W. Seidel. 1856. Geh. 1 Thlr.
- Die Hauptübungen und damit den Hauptinhalt diefer Schrift haben
wir bereit8 oben (unter 6) angegeben und uns günftig darüber ausge⸗
fproden. Der Berf. verfteht feinen Gegenftand und hat ihn Har dars
eftellt; man wird das Buch nicht ohne Anregung und Belehrung leſen,
ſelbſt wenn man fid nicht entfchließen könnte, den aufgeftellten Lehrgang
bei feinem Unterrihte zu befolgen. Mit des Verf. Behandlung der
„ſchiefen Linie’ haben wir uns nicht befreunden können, da er zur
Darftellung derfelben gar zu viel Theorie und Berechnung anwendet.
2. Analyfe des Zeihnend nah der Anfhauung, nebſt Angabe
einiger neuerdachter Modelle und des Gebrauches der Modelle bei dem
Beihnungsunterrichte nad der Anfhauung. Don Ricolaus Fialkowski,
Architekten und LXehrer der Geometrie, der Baufunft und des geometrifchen
Zeichnens an der Wiener Communal⸗Realſchule a Gumpendorf in Wien.
Mit 8 Tithographirten Tafeln (in qu. 4). 8. (VIII und 64 ©) Wien,
Sallmeyer und Comp. 1856. Geh. Ya Thlr.
Diefe Schrift ift fhon in der I. Abth. berüdfichtigt worden. Der
Verf. verficht ohne Zweifel fein Zach gründlih und mag aud recht
guten Beichenunterricht ertheilen; aber zum pädagogifchen Schrififteller
fehlt ihm doch wohl die nöthige Klarheit und Gewandtheit im Ausdrud.
Schon das berührt den Lejer unangenehm, daß dem Buche alle äußere
Bliederung und darım eben auch die leichte Weberfichtlichkeit fehlt. Auf
des Berf. Apparat zum Naturzeichnen haben wir fchon oben aufmerfjam
gemaht und ihn feiner Einfachheit wegen der Beachtung empfohlen.
3. Anleitun ur Zufammenftellun eometrifher Formen
in der Ebene, fen und "garigne don —X — — E
Du. gr. 4. Heft I-II. Bien, Selbſtverlag des Verfaſſers. 1854.
Diefe Anleitung enthält 24 Blatt Zufammenflellungen aus einfachen
"Linien und geometrifhen Figuren, die fo geſchmacvoll find, daß fie ſich
Zeichnen. 635
zur unmittelbaren techniſchen Anwendung empfehlen. Die Ausführung
in zwei Farben, Grün und Roth, ift fehr anfprechend. Wir empfehlen
dieſe Blätter zum Anſchauen und Beſprechen, zum Nachzeichnen und als
Anleitung zu eignen Erfindungen Bürger, Fortbildungss und Bewerb»
ſchulen.
4. Ueber die Verbindung der Elementarſtufen des Zeichnens
mit den Elementen der geometriſchen Formenlehre beim Schul⸗
unterricht. Bon C. F. W. Deicke, Schreib⸗ und Zeichenlehrer am Eym⸗
nafium und der höhern Töchterfchufe zu Nordhauſen. Gr. 8. (VI und
21 ©.) Nordhaufen, A. Büchting. 1857. I% Ser.
5, Die Elementarfufen des Zeichnens in Verbindung mit den Efe-
menten der geometrifchen Formenlehre. Zum allgemeinen Schulgebrauch
bearbeitet von &. F. W. Deide. Du. 8. Nordhaufen, A. Büchting.
2857. Das Heft 72/2 Sgr.
Erſtes Heft: Die gerade Linie in ihren Verbindungen und Zuſam⸗
menftellungen. 108 llebungen.
Zweites Heft: Die Begenlinie in ihren Verbindungen und Zur
fammenftellungen. 93 1ebungen.
Die Schrift zerfällt in drei Abſchnitte: 4) Bemerkungen über den
Unterrihtsgang. 2) Der pädagogifhe Werth des Zeichenunterrichts,
wie überhaupt des Unterricht in der Kunſt, als Mittel zur Foͤrderung
affgemeiner Menfchenbildung. 3) Das Wefentlihe der Beter Schmid’
fhen Methode im Vergleich mit der Dupuis’chen.
Der Verf. fpriht mit Liebe und Sachkenntniß für feinen Gegen-
fand. Die Bemerkungen über ben lnterrichtsgang find etwas kurz.
Der zweite Abfchnitt enthält nichts Neues; im dritten fpricht fih der
Berf. günftig über die Dupuis'ſche Methode aus.
Die Zeichenhefte enthalten eine gute Stufenfolge. Die zufammen-
gefeßten Figuren find dem größern Theile nad gefhmadvoll; hier und
da ftößt man jedoch auf Figuren, die geradezu gegen den guten Geſchmack
verfloßen, düberladen und für Anfänger fchwierig auszuführen find.
6. Die Schule des Zeichners. Praktiſche Methode zur Erlernung bes
Heihnens für Schulen, fowie zum GSelbftunterriht. Insbeſondere für
ausübende Künftler im Fache des Stahl» und Kupferſtichs, der Lithogra-
phie und des SHolzfchnittes. Herausgegeben von Dr. 8. Bergmann,
Mit mehr als 300 Abbildungen als Borlegeblätter und zur Veranſchau⸗
lihung. Zweite Auflage. gr. 8. (VII und 212 S) Leipzig, Spamer.
1855, Geb, 1 Thlr.
Die erſte Auflage dieſes Werkes iſt im vorigen Bande des Jahres⸗
berichtes angezeigt worden. Es enthält folgende Abſchnitte: 1. Gerade
Linie, Winfel, krumme Linie 2. Zeichnen einfacher Gegenflände im
Umriffe. 3. Zeichnen einfacher Gegenftände mit Beleuchtung. 4. Blumen»
und OÖrnamentenzeihnung. 5. Das Landfhaftszeihnen. 6. Das Fir
gurenzeichnen. 7. Das Thierzeihnen. 8. Bon der Berfpective. 9. Die
Schattentehre. Anhang: 1. Die Holzfehneidefunf. 2. Die Stahl-
und Kupferkehertunf. 3. Die Lithographie. 4. Die Glyphographie
und Galpanoplaſtik.
Das Bert zeihnet Ah, wie man hieraus erfieht, durch geofe
Bolländigreit aus. Die darin dargebotene Belehrung if leicht faßlich
636 Zeichnen.
und überall ausreichend, die eingedrudten Abbildungen find fauber und
geihmadvoll, für das Glementarzeichnen jedoch nicht ausreichend. Am
empfehlenswertheſten erfheint uns das Werf für Gereiftere zum Selbſi⸗
unterricht; zum unmittelbaren Gebrauh in Schulen, und namentlich im
den Händen der Schüler, dürfte e8 fich nach feiner ganzen Einrichtung
nicht ſonderlich eignen.
j Die Ausfattung if fehr fhön, der Preis für das Dargebotene
illig.
7. Erſte Beſchäftigungen für kleine Kinder zur Uebung des
Auges und der Hand von R. Weißweiler, Lehrer zu Cdin. 8.
(16 Seiten Lithographie) Cdln, Fr. E. Eifen. 1856. Gut geb. 4 Ser.
Diefe Zeichnungen find für die neu in die Schule tretenden Kleinen
beſtimmt und follen zunähft das Schreiben vorbereiten. Die dargefell»
ten Gegenflände find dem Anfchauungsfreife der Kinder entnommen.
Die Zeichnungen find der Mehrzahl nach Aufriffe und empfehlen fidy
durch Einfachheit, fordern aber zur möglichft richtigen Darſtellung doch
größere Reife, als Kinder im erſten Schuljahre befigen. Die perfpectie
vifchen Darftellungen find fänmtlih noch für das dritte Schuljahr zu
fhwer. Für das Schreiben find übrigens nur fehr wenig Webungen
nöthig, und wenn diefe durchgemacht find, tritt das Zeichnen am beften
für einige Jahre zurüd.
Die Ausführung der Zeichnungen if gut.
‚8. Stoff und Lehrgang für den erften Unterricht im Linear
geiämen. Bon S. Fürſtenberg, Maler und ordentl. Gewerbeſchullehrer.
ehrer an der höhern Bürgers und Provinzial⸗Gewerbſchule in Trier. Mit
57 in den Text singebrudten Holzſchnitten. 8. (45 ©.) Trier, Ir. Ling.
1856. Geh. 10 Ear.
Dies Werkchen iſt eine Anleitung zum Zeichnen geometrifcher Eons
fiructionen mit Lineal und Zirkel und für die Hand der Schüler bes
fimmt. Es enthält das Nothwendigſte in Marer Darftellung, etwa in
dem Umfange, wie es für die unteren Klaffen der Realſchulen erforder
ih if. Die Schrift eignet fih, da fie ausführlich genug if, auch zum
Selbſtunterricht.
9, Elementar⸗Unterricht im Linear⸗Zeichnen für höhere Feier⸗
tagsfchulen, Gewerbafhulen und zum Gelbftunterrichte im gewerblichen
Berufe von Heinr. Weishaupt, Zeichnungsiehrer an der höhern Feier⸗
tagsfehule, an dem f. Maximiliand⸗Gymnaſium und im Taubſtummen⸗
Snfitut. I an nellung: Beometrifche Zeichnungslehre. (Eonitruction in
der Ebene) Mit 15 Zafeln in qu. gr. Fol. gr. 8. (VIII um 73 ©.
mit eingedrudten Holzfchnitten). II. Abtheilung: Geometriſche Projections-
Iehre. Mit 30 (lith.) Tafeln in qu. gr. Fol. ar. 8. (XV u. 79 ©.
mit eingedr. Holzſchn.) Münden, Kleifhmann. 1856. 1. Abth. 1 Thlr.,
2. Abth. 2 Thlr.
Auch dies Wert ift zum Gebrauch für Schüler und zum Selbfl-
unterricht beſtimmt, zeichnet fi aber vor dem vorigen durch bei weiten
größere Vollftändigkeit und ſehr ſchöne Zeichnungen aus. Die Anlei⸗
tung if fehr Mar und verfändlih, für Anfänger berechnet. In der
erſten Abtheilung iR auch das Nöthigke über die Beſchaffenheit und den
Zeichnen. | . 637
Gebraud der Zeichenmaterialien und die technifche Ausführung der Zeich⸗
nungen felbft gelagt. Der Berf. bekundet fi darin, fowie überhaupt
in der Aufitellung des ganzen Lehrganges, als ein zuverläffiger Kührer.
Wir halten dies Werk unter allen, die diefen Gegenfland behandeln, für
das befte und empfehlen es angelegentlichft allen Anſtalten, welche der⸗
artigen Unterricht ertheilen. Die Ausfattung ift fehr fhön, der Preis
für das Dargebotene nicht zu hoch.
30. Leitfaden fürden Unterrihtim geometrifhen Zeihnen. Don
Th. Pimpel ‚ Premier » Lieutenant in der Artillerie und Lehrer an der
vereinigten Artilleries und Ingenieurs Schule. Mit 12 Tafeln Abbilduns
Er (in re Gr. 8. (VIII und 116 ©.) Berlin, Deder. 1855.
Diefe Schrift if zunähft als Leitfaden für die Schüler der Ans
Kalt befimmt, an welcher der Berf. Lehrer if. Mit Näüdficht hierauf
behandelt dieſelbe den Gegenftand in ziemlicher Ausdehnung und in
einer den Bedürfniffen gereifterer Schüler entfprechender wiſſenſchaftlicher
Beife. Die Darftellung if font Mar und verftändlich; jedem Abfchnitte
find eine Reihe von Webungsaufgaben für den häuslichen Fleiß binzus
gefügt. Verwandten Anftalten Tann das Werk als ein recht brauchbares
empfohlen werden; für Bürgers und Gewerbfchulen if das vorige ges
eigneter.
Die Ausftattung ift gut, namentlih find die Tithographirten Zeich⸗
nungen fauber.
11. Kleine Zeichen⸗Schule für die Jugend. Du. 4. Garlörube, Veith.
a Heft 4 Sar. \
Bon dieſer ZeihensSchule liegen ung Heit 55 bis 60 und Heft
73 bis 86 vor. Jedes derfelben iR 4 Blatt far. Die Hefte 55 bie
60 enthalten theils Schiffe, theils Landfchaften, in denen Wafler und
Schiffe vorherrſchen, Heft 73 bis 86 vorzugsweife Gebäude mit leichter
Iandichaftlicher Umgebung. Das Dargebotene if durchweg anſprechend,
gut ausgeführt und fept von Seiten des Schülers nur mäßige Fertigs
teit voraus. In andern Heften dieſes Werkes finden fih „Figuren,
Thiere, Blumen, Ornamente, Staffagen, Geräthſchaften“ 2c.; da wir
dDiefelben nicht aus eigener Anfchauung kennen, fo vermögen wir nicht
zu fagen, ob fie von der Güte der vorliegenden find.
X.
Allgemeine Pädagogik.
Bon
Auguft Lüben.
Weser allgemeine Pädagogik ift feit 1853 in diefem Werke nicht
berichtet worden, und vor- diefer Zeit auch nicht in dem Sinne der übris
gen Arbeiten des Jahresberichte. Es haben nämlich immer nur bie
ſelbſtſtändigen Schriften, nie die Journalartifel, Berückſichtigung gefuns
den. Dadurch iſt ein nicht unbeträchtliches Material gänzlich ignorirt
und den Lefern des Jahresberichtes, denen nur wenige pädagegifche
Zeitfchriften zu Gebote fliehen, entzogen worden. Geben wir auch gern
zu, daß es Fein großer DBerluft if, die Mehrzahl der einfchläglichen
Journalartikel nicht gelefen zu haben, fo fteht doch eben fo ſicher feft,
dag ſich unter denfelben auch mandes Gute findet. Ueberdies gehört
es wefentlih mit zur Aufgabe des Pädag. Yahresberichtes, neben dem
Beachtenswertben auch das Untaugliche aufzuführen und als folches zu
bezeichnen, theils um die in ihren Anfichten und Grundſätzen nod
Schwanfenden zu warnen, theild um den unbebeutenden Scribenten ihre
wahre Stellung auf dem Felde der Pädagogik anzuweifen, d. h. ihnen
das befcheidene Zuhören und das fleifige Studiren anzuempfehlen. Letz⸗
teres thut in Bezug auf allgemeine Pädagogik ganz befonders Noth.
Man behauptet nicht zu viel, wenn man fagt, daß unter hundert Leh⸗
tern, die ſchriftſtellernden mit eingerechnet, neunundneunzig niemals ein
tüchtiges Werk über allgemeine Pädagogik fludirt, die Grundfäge deis
felben fich denkend angeeignet haben. Die Folge davon ift lebensläng-
lies Schwanfen in Bezug auf Erziehung und Unterricht, und Urtheiles
toftgfeit über neue Erfcheinungen. Außerdem würde Mandes, was jept
ale Neuigkeit in die Welt gefandt wird, ungefchrieben bleiben, wenn die
vermeintlichen Entdeder gründlicher mit der allgemeinen Pädagogik, nas
mentlih auch mit der Geſchichte derfelben, bekannt gewefen wären.
Allgemeine Paͤdagogik. 639
So wichtig aber die Berüdfichtigung der Journalartikel in dem
Berichte über allgemeine Paͤdagogik auch if, fo müflen wir diesmal auf
Mangel an Zeit und um das Erfcheinen des Jabresberichtes nicht uns
gebührlih hinauszuſchieben, doch davon abjehen und uns auf Anzeige
der ſelbſtſtaͤndigen Schriften beſchraͤnken, hoffend, daß der Tünftige Bes
arbeiter diefes Gegenflandes das Wichtigſte nachholen werde.
J. Geſchichte der Pädagogik.
1. Gefhichte des geſammten Erziehungs- und Schulwefend,
in befonderer Rüdfiht auf die gegenwärtige Zeit und ihre Sorberum en.
Für Schulauffeber, Geiſtliche, Lehrer, Erzieher und gebildete Eltern. Bon
Dr. Joh. Fr. Th. Wohlfahrt, 8. & Kirchenräthe. Gr. 8. Erſter
Band: VIII und 8035. AYweiter Band: X und 9356. Quedlinburg
und Leipzig, ©. Bafle. 1853 bis 1855. 4a Thlr.
Das Material des erſten Bandes, der die vorchriftlihe Zeit ums
faßt, zerfällt in zwei, dem Umfange nad fehr ungleihe Abtheilungen,
von denen die erfle die Geſchichte der Erziehung und des Schulweſens
der aflatifchen und afrikanifchen Völker behandelt, die zweite die ber
Hebräer, Griechen und Römer. Der zweite Band hat die chriftliche Zeit
zum Gegenſtande. Der Stoff ift bier in ſechs Abtheilungen gebracht,
von denen nur einige fih als natürliche haben durch befondere Webers
fhriften ſcharf bezeichnen laſſen.
Abſicht des Berfaffers war, „in Iebenvollen Umriffen die wichtigften
Momente der Entwidelung in der Erziehung und dem Unterridte mit
proftiihen Winfen für die Anwendung in dem wirklichen Lehrers und
Erzieherleben darzuſtellen.“ Berechnet if die Arbeit vorzugsweiſe für
yraftifche Lehrer der Volksſchule, für Geifllihe und gebildete Eltern;
mit Rückſicht hierauf if die Darftellung durchweg populär und frei von
gelehrten Citaten. Das Streben nah möglichfter Vollſtaͤndigkeit hat
den Berf. veranlaßt, hier und da Manches aufzunehmen, was für Viele
entbehrlich if} oder geradezu aar nicht zur Sache gehört und beffer einen
Play in einem Werke über Eulturgefhichte gefunden hätte, Bielfach
läßt der Berf. andere Schriftfteller über den Gegenfland reden, was
zwar an und für fid nicht unangenehm ift, aber dem Werke ein moſaik⸗
artiges Anfehen gibt und es weitläuftiger gemacht bat, als es gut war.
Die Auszüge, welche der Verf. aus den Werfen der befprochenen Päda-
gogen gibt, tadeln wir natürlich nicht, würden es vielmehr gern geichen
haben, wenn es noch umfänglicher gefchehen. und das Augenmerk dabei
vorzugsweife auf das Eharakteriftifche gerichtet worden wäre Die neuere
Beit dinfte wohl die fchwächfte Partie des ganzen Buches fein. Freilich
if ihre Bearbeitung aus natürlichen Gründen fehwieriger, als die jeher
andern Periode, befonders für Jemand, der nicht fein ganzes Leben ber
Schule und den Erfcheinungen auf dem pädagogiihen Gebiete gewidmet
batz aber es ift doch auch unverfennbar, daß der Verf. zum Schluß eilt,
vielleicht auch, um das Buch nicht noch umfangreicher zu machen. Aus
640 Allgemeine Pädagogik.
biefem Grunde ift wahrfcheinlich auch das im erften Bande verheißene
Regifter weggeblieben, was wir bedauern.
Befriedigt und demnach das Werk auch feineswegs ganz, fo Tönnen
wir es doch nicht mit Körner als ‚unbrauchbar und wunderlich“ bezeich⸗
nen. Daſſelbe enthält neben ſchwachen Bartien auch manche gelungene, um
derer willen es den Lehrern wohl zum Studium empfohlen werden Tann,
2. Geſchichte der Pädagogik von den älteften Zeiten bis zur Gegenwart.
Ein Handbuch für Geiſtliche und Lehrer beider chriſtlichen Eonfeflienen von
Sriedrih Körner, Oberlehrer an der Realfchule zu Halle. gr. 8. (VIII.
und 388 ©.) Leipzig, Herm. Eoftenoble. 1857. 14 Thlr.
Der Berf. legt in der Borrede ein befonderes Gewicht auf bie won
ihm getroffene Eintheilung und hält diefelbe für fo obiectiv, für fo na⸗
türlih, daß ſpätere Bearbeiter des Gegenftandes fi ihrer werden bedienen
müflen. Er unterf&eidet vier Perioden: 1. Die Beriode-der Erziehung.
2. Die Periode des Unterrichts zu formalen Bildungszweden. 3. Die
Periode des realen Unterrichts zu praktifchen Bildungszweden. 4. Die
Periode der wiffenfchaftlihen Pädagogit und Methodik von Peſtalozzi bis
auf unfere Tage.“ Sieht man diefe Weberfchriften genauer an, fo wird
man bald bemerken, daß fie nur wenig Anhalt geben, nicht fonderlich zu»
treffen und zum Theil nichtöfagend find. Letzteres gilt gleich von der
Bezeichnung der erfien Periode. Mit dem Ausdrude: „Periode der Ere
ziehung,’’ if wirklich gar nichts gejagt; in allen Berioden treten Erzies
bung und Unterricht auf, und legterer dient zu allen Beiten der Er,
ziehung. Pefflozzi wird, der Chronologie zufolge, zum Schluß der dritten
Periode aufgeführt, während doch feftfieht, daß derfelbe vorzugsmeife
nah formaler Bildung firebte. Wir bezweifeln, daß bes Verfaſſers
Hoffnung, von den fpäteren Bearbeitern als Grundrißzeichner auf dieſem
Gebiete anerkannt zu fehen, fi) erfüllen wird.
Der Inhalt des Buches fleht der Eintheilung nicht nah. Nah
dem eignen Belenntniß des Berfaffers beruht derfelbe nicht auf Quellen»
fludien, fondern nur auf Benußung der von ihm durchweg als unbrauds
bar bezeichneten Werke über Gefchichte der Pädagogik von Schwarz,
Cramer, v. Raumer, Wohlfahrt u. U. Als befonderes Verdienſt rechnet
fih der Berf. an, das Charakteriftifche jeder Periode und Unterabtbeilung
fefgeftellt und hervorgehoben, „die Gefchichte der Pädagogik in Fluß ger
bracht, ihre dialektiſche Entwickelung nachgewieſen zu haben. Es if
wahr, der Berf. frebt nach folcher Zeichnung; aber viele feiner Urtheile
zeigen, daß er ſich nicht forgfältig genug zu folder Arbeit vorbereitet
hatte. Nicht einmal die Beftrebungen der lebten Periode werden richtig
gewürdigt; fatt der Gruͤnde werden dem Lefer fehr oft Machtſprüche
und Phrafen vorgelegt, nicht felten in unangemeflener Folge. Wir haben
das dem Berf. in Bezug auf feine Befprehung der Raturfunde bereits
an einem andern Orte (vergl. Löw’s Monatsſchrift 1857, Heft 1) nad»
gewielen und unterlaffen deshalb bier eine weitere Beweisführung.
Der. Verleger bat das Werk gleich bei feinem Erſcheinen al® „zweite
Auflage” eingeführt, weil zahlreiche Beſtellungen (R Condition?) noch
vor deffen Vollendung einen „zweiten Abdruck“ nöthig machten. Sollte
Allgemeine Paͤdagogik. 841
wirflich der ghüdtiche Wall eintreten, daß das Werk eine zweite Auflage
erlebte, jo empfehlen wir dem Berf., deſſen ſchriftſtelleriſche Befähigung
wir gern anerkennen, in allen Abfchnitten mehr Pofitives zu bieten, als
jet .geicheben, in den einzelnen Unterabtheilungen mehr Ordnung herzu⸗
flellen, die Weberficht in denfelben durch den Drud etwas zu erleichtern,
alle Phraſen und Machtſprüche zu flreihen und feine Urtbeile durchweg
beffer zu begründen, das Seite 190 über Rouffeau gefällte (‚in Summa,
auf mich bat wenigflens der Mann ftets den Eindrud gemadt, als fei
er durch und durch unwahr, als Eofettire er nur mit feinem Stile, und
es jammert mid, einen folhen Mann unter die Pädagos
gen zählen zu follen, weil er auf Anlaß eines Buchhänd—⸗
lers aud über Erziehung ſchrieb“) ganz zu befeitigen.
3. Geſchichte der Pädagogik vom Wieberaufbfühen Maflifher Studien
bis auf .unfere Zeit. Von Karl von Raumer. Erſter und zweiter Theil.
Dritte, durchgeſehene und vermehrte Auflage. gr. 8. (XII. und 447, X. und
528 ©.) Stuttgart, S. G. Liefching. 1857. 4 Tr.
Dies Berk ifi ein Ergebniß gründlicher Quellenftubien, bat da
einen ganz entichiedenen Werth.
Da die Bildungsideale jeder Epoche fih vorzugsweiſe in hervorra⸗
genden Perfönlicgkeiten fpiegeln, fo hat der Verf. es verſucht, die Ges
ſchichte der Paͤdagogik in einer Folge von Biographien berühmter Pädas
gogen darzuftellen. In vielen Fällen geichieht dies mit den Worten
gleichzeitiger Schriftfleller oder der in Rede ſtehenden Pädagogen ſelbſt,
was wir nur billigen fönnen, da dem Lehrer auf diefe Weile der Ges
nuß zu Theil wird, das Gefagte aus reinfter Quelle zu erhalten. Diefe
Mittheilungen begleitet der Berf. überall mit feinem Urtbheil, was wir
nicht nur billigen, fondern verlangen würden, wenn es nicht gefchehen wäre.
Die Mehrzahl der Leer, die fein Buch zur Hand nehmen, wollen ja aus dem»
felben lernen, wollen namentlich audy hören, wie ein gebildeter Mann, der ſich
ein halbes Menfchenalter hindurch gründlich mit feinem Gegenſtande befchäfe
tigt bat, über die Pädagogen der Bergangenheit und Gegenwart dent. Wir
Sonnen dem Berf. das Zeugniß geben, daß er in feinen Urtheilen überall
nah Wahrheit und Gerechtigkeit Rrebt, daher lobt und tadelt, was von
feinem Standpunfte aus Lob und Zadel verdient. Der Standpunkt des
Verfaſſers ift, wie bekannt, der pofttivschriftlihe. Sein Urtheil über
Männer wie Rouffeau und Peſtalozzi kann daher nicht durchweg beifällig
ausfallen. Aber es muß ausdrüdiich bemerkt werden, daß er fich ficht-
lich bemüht, das Anerkennenswerthe ihrer Beftrebungen, das ewig Wahre
in ihren Grundſätzen Hervorzubeben. Nirgends begegnen wir fo einfeis
tigen und ungerechten Urtheilen, wie fle 3. B. Körner in. feinem eben
befprochenen Buche fällt. Damit wollen wir natürlich nicht fagen, daß
wir allen Urtheilen des Berfaflers beipflichteten. Aber auch uns foll
diefer Umſtand nicht abhalten, dies Werk als ein fehr tüchtiges zu ber
zeichnen und denkenden, prüfenden Lehrern zu empfehlen.
Abweihend von Wohlfahrt, Körner u. A. beſchraͤnkt fih der Verf.
auf die deutſchen Bädagogen, beginnt jedoch einleitend mit den Italie⸗
neen (Dante, Boreacio, Petrarca u. |. w.), da dieſe den größten Eins
Rade, Jahresbericht. X, ‘ 4
N
642 Allgemeine Pädagogik.
flug auf deuifche Pädagogif ausgeübt Haben. Der erfte Theil behandelt
zwei Perioden, nämlich die Zeiträume von Gerhardus Magnus bie Luther
und von dieſem bis zum Tode Baco’s, der zweite die „Nenerer“: Ratich,
Eomenius, Lode, Francke His Peſtalozzi.
Bon der vorhergehenden Auflage unterfcheidet fi diefe dritte durch
mancherlei größere und Peinere Zufäge und durch Hinzufügen der Cha⸗
rafteriftil von Oieronymus Wolf.
Die beiden folgenden Theile des Werkes Tiegen noch nicht in neuen
Auflagen vor.
4. Die Entwidelung des deutihen Vollsſchulweſens unter Herzog, Erat dem
rommen. Gin Beitrag zur Geſchichte der Pädagogit von Dr. Mori
chulze, Schuldirector zu Gotha. Auf Antrag ded allgemeinen gothais
[hen Lehrervereins aus den Pädagogiihen Blättern des Pre»
feſſor Dr. Kern (Zabrg. 1855, 1. und 2. Heft) befonders abgedrudt. 8.
(32 S.) Sotha, ©. Silke. 1855.
Den Mittelpunkt diefes Schriftchens bildet der Schulmethodus,“
den Herzog Ernf der Kromme durch feinen Eifer für das Schulwefen
feines Landes hervorgerufen hat. Der Verf. theilt Dad Weſentlichſte ans
demfelben mit und knüpft daran feine Bemerkungen. Wie uns, fo dürfte
der Schulmethodus auch den meiften unferer Lefer unbekannt und unzus
gänglich fein. Wir find daher dem Berf. zu aufrichtigem Dante für
Diefen Auszug aus demfelben verpflichtet.
Der Schulmethodus erfchien zum erften Mal 1648 und dann 1653,
1662 und 1672 in neuen Auflagen. Es ift ein Werk voll der vernünfs
tigen pädagogifchen Brundfäge. Was Natich und Eomenius für die Ge⸗
lehrten⸗Schulen aufftellten, macht der Schuimethbodus den Boltsfchnien
zugänglid. Die Realien finden volle Berückſichtigung, find indeß doch
wohl durch die faum zu überwältigenden Maffen des Religionsunterrichte
erdrüädt worden.
Wir empfehlen das Schriftchen allen Freunden der Geſchichte der
Paͤdagogik.
5. A. H. Francke, J. J. Rouſſeau, H. Beraten. Ein Vortrag auf
Beranftaltung des Evangelifchen Vereins für kirchliche Zwecke zu Berlin
am 20. Februar 1854 gehalten von Dr. G. Rramer, Director des Konigl.
Pädagogiums und der Frande'fchen Stiftungen zu Halle gr. 8. (52 ©.)
Berlin, W. Schultze. 1854.
Der Berf. ſteht auf dem Raumer’fchen Standpuntte, „urtbeilt daher
über Rouffeau und Peſtalozzi wie diefer. Rar Srande bat nad ihm die
Aufgabe der Erziehung und die Mittel zur Erreiung derfelben erkannt.
Unfere heutige Erziehung trägt „noch den Charakter des Kampfes, den
wir auf allen Gebieten des geiftigen und focialen Lebens antreffen: Houfs
ſeau's Naturalismus, Peſtalozzi's Methode, Wolf’ Humanismus find no
immer bei weitem die überwiegenden Elemente darin.’
Eine ‚Beilage‘ zu dem Bortrage enthält Frande’s bis dahin uns
gedrudte „Instruction für die Praeeeptores, was fie bei der Disciplin
wohl zu beobachten,” für deren Mittbeilung wir dem Berf. Dank ſchuldig
find. Wir empfehlen diefelbe recht dringend allen angehenden: Lehrern,
‚Allgemeine Paͤdagogik. 643
fo wie denen, die dur lange Praxis ſchlaghart geworden find. Es
athmet in derfelben der wohlthuendſte Geiſt chriftlicher Milde, ein Geiſt,
der Lehrern und Schülern die Schule Tieb machen muß. Zugleich Tiefert
dies werthvolle Aftenküd einen Beweis von Frandes reicher Erfahrung
auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts.
D. Schriften über Erziehung.
6. Ueber das Prinzip der Erziehung. in Konferenz « Bortrag von
Dr. Friedrich Jacobi, Pfarrer in Rödingen, früher Infpertor an den
Schuflehrer-Seminarien zu Altdorf und Schwabach. gr. 8. (IV u.44 ©.)
Rürnberg, v. Ebner’fche Buch. (3. M. Weydner.) 1856. geb. 4 Ger.
Der Berf. führt in chronologifcher Folge auf und beleuchtet, was
feit Rouffeau als Prinzip der Erziehung aufgeftellt worden if, und fügt
dann das eigene hinzu, was da lautet: „Bilde dein Kind zum Chris
ten!’ Zu dieſem Prinzip befannte fih ſchon Francke, was der fonft
belefene Verf. überjeben bat. Unter den Pädagogen der Gegenwart, bie
dem chriftlichen Prinzip buldigen, hat der Berf. auch Gräfe unermähnt
gelaſſen.
Neues bringt ſonach die Schrift nicht; dennoch gewaͤhrt fie durch
Beleuchtung der verſchiedenen Erziehungsprinzipe eine belehrende Lectüre.
Den Urtheilen über Rouſſeau werden nicht Alle beiſtimmen, am wenig»
fen die, welche deſſen „Emil” genau kennen.
7. Kind und Belt. Pätern, Müttern und Kinderfreunden gewidmet von
Bertbord Sigismund. I. Die fünf eriten Perioden des Kindesalter,
6 (XUI. u. 221 S.) Braunfhweig, Vieweg u. Sohn, 1856. 1 Thlr.
Die neuere Naturforfhung begnügt fih nicht mehr damit, einen
Gegenfand nur in feinem vollfommenften, ausgebildetften Zuflande zu bes
trachten, fondern geht feiner ganzen Entwicklung nad, beobachtet alfo
3. B. eine Pflanze vom Keime an durch alle Stadien hindurch bis zur
Blüthes und Fruchtbildung. Erft wenn das gefchehen, wiederholt gefches
ben, darf man fagen, daß man eine Pflanze ganz kennt. Auch für den
Unterricht ift dies Verfahren empfohlen worden, mehrfach auch im Jah⸗
resberichte, und wir können aus eigner Erfahrung verflhern, daß nur
auf diefem Wege wirklicher Erfolg, Einfiht von der Natur und Liebe zu
derſelben, zu erlangen ift.
Wenn nun zum Verſtändniß einer Pflanze die Kenntniß ihrer Ent⸗
wickelungsgeſchichte nothwendig ift, fo muß das in noch viel erhöhterem
Maße für die Einfiht der fo ungemein verwidelten geiftigen Lebensthä-
tigkeit des Menfchen der Fall fein. Diefe Wahrheit hat fi gewiß ſchon
Manchem aufgebrängt, namentlih manchem Lehrer; aber nur ſchwache
‚Anfänge find gemacht worden, biefen Gedanken einmal in umfaffender,
feuchtöringender Weife auszuführen und fich gleichzeitig auch Rechenſchaft
darüber zu geben. |
Dies hat der Verfaffer des’ hier genannten Büchleins gethan. Als
Bater und praftifcher Arzt hatte er Gelegenheit, an eigenen und frems
41°
644 Allgemeine Pädagogik,
deu Kindern vielfach Beobachtungen anzuftellen. Er bat es mit dem
Auge eines Naturforfchers gethan, alfo gründlih. Die Darftellung feiner
Beobachtungen iſt ausgezeichnet, anziehend durch Inhalt und Form; man
lie das Buch mit wahrem Bergnügen. Kein Lehrer follte es ungelefen
laffen; es giebt nicht nur treffliche Auffchlüffe über die allmähliche Ent⸗
faltung des kindlichen Geiſtes, fondern leitet — und darauf legen wir
großen Werth — zur richtigen Beobachtung an. Manche pädagogifche
Verkehrtheit würde nicht zu Tage kommen, wenn bie Lehrer ſich eine forge
fältige Beobachtung der Kinder zum Geſetz machten.
Die fünf Berioden des Kindesatters, welche der Verf. [hildert, Haben
folgende Ueberfhriften: 1. Das dumme Vierteljahr. 2. Dom Lächeln
bis zum Sigenlernen. 3. Bis zum Laufenlernen. 4. Bom Laufen» bis
zum Sprechenlernen. 5. Bom Sprechen des erflen Wortes bis zu dem
des erſten Satzes.
Möchte der Verf. uns recht bald mit einer zweiten Gabe erfreuen!
8. Haus⸗Pädagogik in Monologen und Anfpraden. Cine Reujahrögabe
an die Mütter von Dr. Earl Volkmar &toy, Profeffor an der Inivers
fltät Jena, Dirertor einer Erziehungsanftalt. 8. (VIIL u. 135 &.) Leip⸗
sig, B. Engelmann. 1855.
Den Inhalt des Büchleins Iegt der Verf. ſelbſt folgendermaßen bar.
„Laß mit einem Aufrufe, einer Mahnung an den göttlichen mütters
lichen Beruf mich beginnen, und 2. hinzeigen auf die Größe feiner Wirk⸗
famteit, laß mid von da aus dann 3. die Lebensformen andeuten, unter
denen ein Gedeihen des Wirkens nicht denkbar, daneben aber in ber
4. Gabe unter der Auffchrift „Grenzen des Hauſes“ den Lebenskreis
beleuchten, welchem ich felber meine beften Kräfte opfere, weichen ich als
einen im großen Haushalte Gottes geheiligten achte. Aber das enge Haus
fann auch in günftiger Lage dem heranwachſenden Menſchen nur felten
Alles fein: es bedarf wie auch die Anftaltsfamilie der Schule. Was
dünfet dir von der Schulet Was! Wieviel! Wie? Wozu foll dein
Kind lernen? Die Gaben 5 — 10 wollen Lit und Wärme, Antrieb
und Wärmung bieten. — Sept fehe ich im Geifte das Auge der Mutter,
wie e8 den lernenden und arbeitenden Sohn begleitet, leicht wird es ges
trübt beim Anſchauen von Stillftand oder Rüdfchritt, darum will ich
Zroft bringen in meiner 11. Anſprache und die Ungeduld mäßigen in
der 12. Ach nur zu leicht wird das Elternherz unruhig und fordert
frühen Ernſt! Meine Wanderung durch das „Baradies der Menſch⸗
heit“ will diefes in feiner ganzen Lieblichfeit fehen Iaffen und ihm Bes
fhüper und Wächter gewinnen. Ueberhaupt hat die Jugend jeden Alters
einen gerechten Anfpruh auf Schup und Schonung; dazu foll bie 14.
Betrachtung, welche den Kinderbildern gewidmet ift, mithelfen und
die 15. desgleichen, welche naheliegende Gefahren in ihrer Groͤße auſdeckt.
— So fteht eine lange Reihe weientlicher Erziehungsaufgaben vor uns.
Wo werden fle glüdlihe Löfung finden? Nur da, wo „das Eine
was Noth if“ in das Herz der Mutter einzog. Möge es mir geluns
gen fein, für dieſes Beſte das beſte Wort gefunden zu haben! Dann
erft werden die Mahnungen der 47. und 18. Gabe tiefer verflanden,
Allgemeine Pädagogik. 645
wenn fie reden von der Gefehgebung, deren Verkündigung und Bollfirefs
fung ebenfalls als göttliche Amt den Eltern zugetheilt if.’ |
Es iR ein frifches, anregendes Buch; wer es mit Aufmerkſamkeit
fie, lernt den Verf. nach feiner ganzen Denkweiſe kennen und — fchäs
gen. Nirgends find wir auf Grundſätze gefloßen, denen wir unfere Zus
Rimmung hätten verfagen müffen. Seine Kenntniß der Kindesnatur iſt
fo groß wie feine Liebe zur Jugend. Nicht bleich gebrauchte und abge»
griffene Phrafen Iegt er uns vor, fondern eigene Beobachtungen, geſam⸗
melt im langen, denkenden Umgange mit der Jugend. Seine Darſtel⸗
lungafoxrm iſt anziehend und edel, finnig, faſt poetiſch.
Zunge Lehrer! Iefet das Buch zwei Mal, drei Mal! Bringt es
auch in die Hände gebildeter Mütter! Seid ihr fchon verheirathet, dann
gebt es vor allen Dingen euren Frauen zu lefen!
9. Ueber Haud- und Schul⸗Polizei. Ein Bortrag geballen im wifjens
ſchaftlichen Verein zu Berlin, am 19. Januar 1856 von Dr. C. V. Etoy,
Profeffor in Jena 2c. 8. (32 ©.) Berlin, 2. Dehmigke's Berlag (Fr. Ap⸗
peltus.) 1856. 3 Ser.
Diefer Bortrag gehört zum Beften, was wir feit langer Zeit über
Haus⸗ und Schulzucht gelefen haben. In’ geifvoller, mit dem köoſtlich⸗
fen Humor gewürzter Weiſe zeigt der Verf. aus der Geſchichte nad,
wie Sitte und Berfall derjelben im Volksleben Nefultate angemefjener,
oder ſchlaffer Zucht in Schule und Haus find. Seine Beifpiele find
überaus treffend und befunden den vielbelefenen Profeffor der Pädagogif.
Bas jemals an Strafen oder Belohnungen angewandt worden ifl, wird
vorgeführt und fo weit beleuchtet, daß Yedermann zur Einficht darüber
gelangt. Zur Verhütung von Ungehörigkeiten der Jugend in’ ber Fa⸗
milie und in der Schule empfiehlt der Verf. mit allen verfländigen Paͤ⸗
dagogen nur ein Mittel: das Intereſſe für einen Gegenftand, eine Des
ſchaͤftigung in dem Kinde zu erregen.
Bir empfehlen das Büchlein als etwas Trefflihes Eitern und Lehrern.
10. AelternsABE für die häusliche Erziehung von Dr, Unverzagt. 8. (50 ©.)
Berlin, %. A. Herbig. 1856.
Der Inhalt erhebt fich nicht über das Gewöhnlihe, Bekannte, ifl
aber leicht verſtaͤndlich und empfiehlt fih daher vorzugsweife für Eitern
von mäßiger Bildung, für den gewöhnlihen Bürgersmann. Die Lehrer
werden fich ein Berdienft erwerben, wenn fie das Schriftchen in diefen
Kreifen verbreiten helfen.
11. Peſtalozis Miffion an die Mütter, dargeſtellt von Richard Schorn⸗
ein, Dirertor der ftädtifchen höheren Töchterfchufe zu Elberfeld. gr. 16.
(63 &.) Elberfeld, Vadeler ſche Buch. geh. + Thir.
Der Berf. teilt in diefem Schriftchen eine Weberfiht des Lebens
Peſtalozzi's mit, hebt jedoch vorzugsweife foldhe Momente hervor, in denen
defien „Miſſion an die Mütter” am heilften hervortritt. Die Mittheilung
des Inhalts aus „Lienhard und Gertrud” bildet den Mittelpunkt. Eins
zeines if daraus wörtlich wiedergegeben, das Meifle jedoch natürlih nur
als Referat.
- Pefalozzi’s Miffion an die Mütter bezeichnet der Verf. am Schluß
646 Allgemeine Pädagogik.
mit folgenden Worten: „Und wie Gertrud an der Hoffnung feſthielt,
daß der Herr fie eink in den Ihrigen fegnen würde und dieſe Hoffnung
auch fi erfüllen fah, fo halte auch Du feR an der Liebe, an dem Ge:
bet, an der Treue des Wirkens und der Hoffnung; aud Dein Gebet
und Deine Liebe wird gefeguet und ſelbſt, was unvolllommen daran
iR, wird von der göttlihen Barmherzigkeit zum Guten binausgeführt
werden.‘
Wir können das mit großer Liebe und richtigem Takt abgefaßte
Schriftchen allen Müttern als beichrend und anregend empfehlen.
12. Lienhard und Gertrud. Ein Buch für das Boll von Heinrich Be:
ſtalozzi. Neue Auflage. Mit vorangefchicter Biographie des Verfaſſers
und Bruchſtücken aus „Chriſtoph und Tlſe.“ 8, (II, u. 444 ©.) Brandens
burg, A. Müller. 1856. 24 Sgr. "
Die jüngere Lehrerwelt befigt jegt nur eine ganz allgemeine Kennt
niß von Peſtalozzi; feine Werke find ihr unbekannt. Es if daher ein
fehr nüßlides Unternehmen, wieder an diefelben zu erinnern, fie von
Neuem vorzulegen. Für mäßigen Preis bietet die Berlagshandlung Per
Ralozzi’s Hauptwerk: Lienhard und Gertrud, dar, und bat demfelben noch
fein Bildniß, feine Biographie (von W. Hechel in Brandenburg) und
Bruchſtücke aus „Chriſtoph und Elfe Hinzugefügt. Aus dem dritien
Theile des Werles iR nur der Schluß mitgetheilt worden, wogegen nichts
m erinnern iR.
Sollte es nit an der Zeit fein, Peſtalozzi's fämmtlihe Werke, in
dem Sinne, wie fie. Karl v. Haumer in der Vorrede feiner Geſchichte
der Pädagogit wunſcht, in billiger Ausgabe, etwa in Schillerformat,
herauszugeben? An Abnehmern würde es nicht fehlen.
13. Briefe an eine Mutter über Leibes⸗ und Geiftet- Erziehung Ihrer Kin-
der. Don Dr. Karl Echmidt. 8. (VII. und 160 ©.) Köthen, Schleu⸗
ler. 1856. geb. 16 Sgr.
- Der Berf. behandelt in 17 Abſchnitten (Briefen) die erfte Leibes⸗
und Geiftes- Erziehung der Kinder. DaLeib und Geift innig zufammen
gehören, beide die Einheit „Menſch“ darftellen, fo wird auch beiden gleiche
Sorgfalt gewidmet. Nachdem als Ziel der Erziehung die Entwidelung
der dem Menfchen zu Grunde liegenden Gottähnlichkeit, d. i. die Wahr:
heit, Freiheit und Liebe in Gott, bezeichnet worden und Rathſchlaͤge über
‘das angemeflene Berbalten der Mutter vor der Geburt ihres Kindes ers
theilt worden, verbreitet fi) der Verf. über den Körper, deffen Nakrung,
über die Geiſtesvermögen und deren Thätigfeit im Allgemeinen und zeigt
darauf fpeciell die Behandlung des Kindes in leiblicher und geifiger
Beziehung während der .erfien Jahre.
Jedes Kapitel gibt Zeugniß, daß der Berf. mit des Erziehung voll«
kommen vertraut if; er kennt die Kindesnatur und die Mittel zur Ent-
widelung derjelben. Daher dürfen Mütter fein Buch als zunerläffigen
Führer in die Hand nehmen.
Das Buch ſetzt aber denkende Mütter voraus, da Manches fehr
gedrängt gehalten if, fo namentlich alles das, was über die Geiſtesver⸗
mögen gejagt wird. Durch ungewöhnliche Ausdrüde und gefuchte Ber
"Allgemeine Paͤdagogik. 647
hinbungen wird das Verſtaͤndniß anßerdem noch hier und da erſchwert.
Darflellungen wie: „Das Weib fühlt, um zu denken, der Mann denkt,
um zu fühlen; das Weib liebt, um zw leben, der Mann lebt, um zu
lieben ‚’' kommen wiederholt vor. Dergleichen darf man aber rauen,
praktiſchen Müttern, nicht bieten, wenn man fie für das Lefen einer Er⸗
ziehungsfärift gewinnen will. Die legten acht Briefe find nach unferem
Urtheile die gelungenen.
14. Die erfte Erziehung dur die Mutter nad Fr. Froͤbel's Grund»
fügen. Gr. 8. (32 S. und 4 lith. Tafeln). Leipzig, &. Mayer. 1854.
Diefe Schrift befchäftigt fich nicht mit den in Preußen verbotenen
Kindergärten, fondern mit der „erften Erziehung durch die Mutter,”
alfo mit der Erziehung der Kinder in den erften Lebensjahren. Es
bandelt fih darin auch nicht um die ganze Erziehung, fondern nur um
Geiftesentwicdelung dur die befannten Froͤbel'ſchen „Spielgaben,“ alfo
durch Bälle, Würfel und Walzen. Bon den vorzunehmenden Uebungen
find viele ganz angemeffen und können Müttern wohl empfohlen werden.
Die Benugung der Spielgegenflände im Sinne Fröbel's fann nach diefer _
Anleitung nicht ſchwer werden, da dem Texte Abbildungen beigegeben
find. Die eingeflodhtenen Lieder, Producte Fröbel's, find nur zum ges
ringften Theil brauchbar, da fle fih nicht über gewöhnliche Reimereien
erheben.
15, Bür unfere Kinder. Eliſabeth. Gedanken über Erziehung der Kinder
n ihrer früheften Lebensperiode in kurzen Säpen, befondera für Frauen
und Jungfrauen niedergefchrieben von Heinrich Hoffmann, Stindergärtner.
Gr. 16. (126 ©) Hamburg, G. ©. Bürger. 1856. Geh. "/s Thlr.
Der Berf. ift ein begeifterter Anhänger Br. Fröbel’s. Im Sinne
deffelben redet er in anregender, jedoch mehr aphoriftifcher Weife über
Erziehung der Erwachfenen und Kinder und wendet fih in Iepterer Bes
ziehbung norzugsweife am das Mutterherz. Seine Anfichten und Grunds
fäße empfehlen fi der Beachtung, ebenfo das, was er am Schluß in
fünfzig erläuternden Sägen über Fröbel's Kindergärten ſagt. So viel
wir wiſſen, ift der Verf. gegenwärtig in London, wo die Kindergärten
Anklang gefunden haben.
16. Pädagogifhe Winke, oder: Anleitung zum Gebrauche der vier Föl⸗
fing’fhen Baufaften. Geſchrieben zunäät für Erzieherinnen und Kinder
mädden in Familien und Kleinkinderſchulen. Bon Dr. J. Zölfing.
weite, vermehrte und theilweiſe umgearbeitete Auflage, Befonderer Ab-
drud aus dem „Elternhaufe und der Kleinlinderfähule” Br, 8. (15 ©.).
Darnftadt, C. W. Leske. 1856.
Der Verf. hat dies Schrifichen abgefaßt und neu auflegen lafſen,
um Erzieherinnen und Kindermädchen Anleitung zum rechten Gebrauch
feiner „Baukaſten“ zu geben. Sinnige, in der Benupung diefer Spiels
gaben geübte Erzieherinnen werden mit dieſer Anleitung ausreichen,
Kindermädcen und Erzieherinnen von mäßiger Begabung nit. Solden
wizd des Berfaflers „größeres Erziehungswerk“ mit Beichnungen, auf
deſſen Erfcheinen auf diefen wenigen Seiten zwei Mal bingewiefen wird,
ermänft fein. Im Jutereſſe der guten Sache, die ber Verf. verfolgt,
648 Allgemeine Pädagogik,
bitten wir ihn, feinem „größeren Erziehungswerle” etwas mehr Fleiß
und Aufmerkſamkeit zu widmen, als den hier genannten „Pädagogifhen
Winken,“ die in logiſcher und fiyliftifcher Hinficht wirklich viel zu wün⸗
ſchen übrig laffen, zu Theil geworden if. Hätte der Jahresbericht für
Schriftchen diefer Art Raum, fo würden wir dies Urtheil durch zahle
reihe Beiſpiele belegen.
An einigen Stellen polemifirt ber Berf. wieder gegen Fröbel’s
Spielgaben und Zeichnungen, was „SKindermädchen‘ gegenüber zwar
fehr leicht, aber gewiß Höchft unangemeflen if. Dazu kommt no, daß
die Kritik ſelbſt unter aller Kritik if.
17. Antrag zu Gunſten der Klein Kinder: Bemwahranflalten als
Grundlage der Bolte Erziehung. Beitrag zur Beſtimmung und Feftftellung
der Aufgabe des Staats in Beziehung auf Vollswohlftand und Gultur
vom Grafen Auguſt Cieszkowski. Gr. 8. (XI und 52 ©.) Berlin,
3. Möfer. 1856. Geh. 10 Ser.
Der Berf. betrachtet die Klein⸗Kinder⸗Bewahranſtalten ald Bo If
Erziehungs: Anftalten und redet ihnen von diefem Standbpunfte aus
mit ebenfo viel Wärme als Einfiht das Wort. ‚Um diefelben in Auf
nahme zu bringen, in Städten und Dörfern erblühen zu fehen, wünſcht
der Berf., daB der Staat fördernd dafür auftreten, fich aber zugleich
vor jeder Zwangsmaßregel hüten möge. Diefe Förderung foll der Haupts
fahe nah in Errihtung von Anfalten zur Ausbildung tüchtiger Er⸗
zieberinnen und in Aufmunterung und Unterſtützung unbemittelter Ge⸗
meinden beftehen.
Der Verf. Hat als preußifcher Abgeordneter einen derartigen An⸗
trag in der zweiten Kammer flellen wollen, fland jedodh davon ab, als
er wahrnahm, daß derfelbe in Privatbeiprehungen mit Kammermitglie⸗
dern nicht die erwartete Aufnahme fand. Statt an die Kammern, wendet
er fih nun an das Publikum, um in weiteren Kreifen für feinen Gegen-
fand anzuregen.
Wir Lönnen dies Verfahren nur billigen. Was bisher in Preußen
in Sachen der Klein Kinder» Bewahranftalten gefhah, if vorzugsweiſe
von praktifhen Pädagogen ausgegangen und bat darum nur mäßigen
Erfolg gehabt. Treten mit ihnen Männer von hoher bürgerliher Stel⸗
lung für diefe Infitution .ein, fo Tann das nur förderlich fein. Im
AIntereffe der guten Sache wünfchen wir fehr, daß der trefflih motivirte
Antrag recht bald in weiteren Streifen Gehör finden und namentlich das
nabe dabei betheiligte Publifum nicht darüber ‚zur Tagesordnung übers
gehen’ möge! M
18. Die moderne Erziehung in Schule und Haus und bie Lehren des
Chriftentbums. Bon Dr. 3. ©. Kröger. 16. (60 S.) Hamburg,
MR. Kittler. 1854. Geh. Thlr.
Dies Schriftchen enthält einen Vortrag, den der Berf. in einem
Samburger Lehrerpereine gehalten und auf mehrfeitigen Wunſch in Drud
gegeben hat. Die Aufgabe, welche er ſich geftellt, war: bie Anforderun⸗
gen des Zeitgeiftes an die Schul, und Schulfehrerbildung darzuſtel⸗
len und zu beurtheilen. Als Verlangen des Zeitgeiftes wird hingeftellt;
Allgemeine Pädagogik, 649
„Bir (die Vertreter des Zeitgeiftes) wollen eine individuelle, entwidelnde,
erziehende, eine wahre Menfchenbildung; eine Entwidelung, die das Kind
zum Selbſtdenken und Selbfturtheilen befähigt, fo daß es fi durch
feine Autorität berüden, fondern nur das als wahr gelten läßt, was es
feld als wahr erkannt hat; was die Kinder aber als wahr und gut
erfennen, Toll aus ihnen entwidelt werden, und diefe Bildung foll frei,
Niemand foll ausgefchloflen fein, denn alle Wilfenfchaften find nüplid
und müflen Gemeingut Aller werden.’ Umfaſſend und überzeugend weiß
der Berf. das Unangemeffene diefer Forderungen nach und flellt der
Schule dabei die Aufgabe, „in formeller und materieller Hinficht einen
guten, feſten Grund zu legen.‘ Ueberſchätzt vom Zeitgeifle wird nad
dem Berf. befonders die Verſtandesbildung und die Natur als
Dindemittel. Die Beſprechung hierüber iR nicht ganz frei von Webers
treibungen und nimmt Gegner an, die in diefer Schroffheit kaum eriftis
ren. Den bildenden Einfluß der Naturkunde fcheint der Verf. zu unters
ſchätzen, wie er denn überhaupt den Nealunterricht nicht nur als leicht,
fondern auch als geiftverflachend hinſtellt. Obwohl ich mir bewußt bin,
dem verfehrten Zeitgeifte nicht zu huldigen, fo Tann ich dem Berf.
in diefem verwerfenden Urtheil doch durchaus nicht beitreten, aus Grün⸗
den, die ſich bier in Kürze nicht darlegen laſſen, die fi indeß in Diefem
und früheren Bänden des Jahresberichtes ausreichend finden. In Bezug
auf Naturgefchichte wird für die Volksſchule gefordert: - Kenntniß der
Raturproducte der nächften Umgebung, „der Hauptmerkmale der Arten
und Klaffen, der wichtigften Individuen derfelben. „Individuen?“
Beruht das auf einem Schreibfehler? Die „„wichtigften Individuen der
Kiafien” würde beifpielöweife heißen: Die wichtigften Schafe, Sänfe u. f. w.
einer Heerde oder überhaupt der ganzen Species. Zeigt man beim
Unterricht ein beſtimmtes Thier, einen ausgeflopften Sperling . B.
vor, dann geht man von der Betrachtung des Individuums aus, aber
dies felber iſt nicht Zwed des Unterrichts, fondern die Art, Gattung u. |. w.
In der zweiten Abtheilung der Schrift (von ©. 28 an) beleuchtet
der Verf. die Frage: „Was verlangt unfer Zeitgeiſt in Bezug auf jene
ewigen Wahrheiten, auf religidfe und chriſthliche Bildung? Wie
in der erſten Abtheilung, fo ſucht der Verf. fih auch bier als Mann
„der rechten Mitte Hinzuftellen. Gegen die Lichtfreunde und ver-
wandte Beftrebungen tritt er eben fo entfchieden auf wie gegen die
Zürfen. Bon den evangelifh schriftlichen Lehrern fordert er aufrichtigen
Anſchluß „an die Hauptgrundfähe der evangelifchen Chriftenheit,‘‘
an das „richtig verfiandene evangelifchschriftliche, kirchliche Bekenntniß.“
Die Mehrzahl der Lehrer ift diefer auch von anderer Seite erfolgten
Mahnung, reſp. Nöthigung nachgefommen, zum Theil vieleicht nur aus
äußern Gründen. Möge verhütet werden, daß dieſe Strömung nicht zu
einem andern Extrem führt!
Des Berfaffers Vortrag hat gewiß einen flarfen Eindrud auf die
Berfammlung gemacht; aber fehwerlich werden ihm alle Hamburger Lehrer
überall beigeftimmt haben. Auch unter den Lefern des Schriftcheng wird
650 Allgemeine Pädagogik.
es nicht an Oppofition fehlen. Aber die wohlgemeinte Gabe verdient
gelefen und geprüft zu werden.
19, Die Erziehung im Lichte der re
Stadlin. Br he. (XI Fe 360 — ee
1856. 1 Ihlr. 6 Ser.
An die „acht Seligfeiten‘ der Bergpredigt, die nad der Verfaſ⸗
ferin ganz daſſelbe beabficytigen, was die menfehliche Natur aus eigenem
Antriebe fuht, if hier eine Erziehungslehre gefnüpft, die Eltern, mits .
bin aud Lehrern, beftens empfohlen werden Tann. In jedem der bes
treffenden Abſchnitte wird unter der Ueberfchrift „Auffaſſung“ zuerſt der
Einn des Schriftwortes in überzeugender und zu Herzen fprechender
Weife erläutert und dann in einem zweiten Theile, „Paͤdagogiſche Ver⸗
wendung‘ überfchrieben, auf die Erziehung angewandt, und zwar fo,
daß zunähft auf die Verſtoͤße aufmerkfam gemacht wird, Die in jeder
Zamilie täglich vorlommen, dann aber die zur wahren Erziehung erfors
derlihen Hülfen geboten werden. Der ernfte, für chriſtliche Gemüther
unabänderlihe Mapftab, der in den Ausfprüchen Jeſu gegeben ift, er
- fheint ganz geeignet, Eltern auf ihre erziehliche Thätigkeit aufmerkſam
zu machen und zur Prüfung derfelben aufzufordern. Die Berfafferin bes
fundet fih überall als denkende, verfländige Erzieherin.
Die Darftellung ift in den beiden erſten Abfchnitten etwas abfract,
in den fpäteren aber für jede gebildete Mutter leicht verfländlich.
2. Das Bub der Erziehung in Sau und Schule von Julie
aa a, un —* Körner, goberiehrer der
ealihule in Kalle. Erſte und zweite theilung. 8. i , gum
Eoftenobte. 1855. & 27 Ser. — s Kr
Auch unter den Titeln:
Des Kindes Bartung und Pflege und die Erziehung der
Töchter in Haus und Schule Ein Handbuh für Mütter und Gr
zieher von 3. Burow. (XVI und 294 ©.) ,
Die Erziehung der Knaben in Haus und Schule Ein Hand
buch für Eltern und Erzieher von Fr. Körner. (XI und 289 S.)
Beide Schriften haben zwar gleiche Titel und kündigen fih als
Abtheilungen ein und defielben Werkes an, find indeß doch nicht nad
einem Schema geazbeitet, entiprechen auch nicht durchweg ihren Specials
titeln. Die Körnerfche Arbeit repräfentirt gewiffermaßen den allgemeinen
Theil des gemeinfamen Werkes, die der Burow den fpeciellen, für Mäd⸗
hen bereihneten, womit aber natürlich nicht gejagt fein fol, daß darin
nicht au allgemeine, für beide Geſchlechter paſſende Erziehungsgrunds-
fäße vorgetragen worden wären. Mütter und Erzieherinnen werden die
erſte Ubtheilung lieber lejen als die zweite, weil fie vielfach auf Cinzel⸗
heiten eingeht und Rathſchlaͤge dafür gibt. Das Allgemeine wird von
Srauen und angehenden Erziehern wohl aud gelefen, wenn es ihnen
recht anfhaulih und in einer Ausführlichfeit vorgetragen wird, bie
wenig oder nichts vorausfept, nicht aber, wenn es fo ſtark zuſammen⸗
gedrängt iſt, wie im erſten Buche der Koͤrner'ſchen Schrift.
Körner folgt, wie wir das auch auf andern Gebieten an ihm ges
Allgemeine Pädagogik. 651
wohnt find, anerkannten Schriftfellern des Gegenflandes. In dem Als
fihnitte über die Temperamente betritt er das Gebiet der Phrenologie
(und Symbolif) und wählt darin Carus zu feinem Führer. Obwohl
er zugiebt, daß namentlih die Phrenologie (nicht minder gewiß die
Spmbolif) „noch viel Unwahres und Widernatürliches“ enthalte, fo trägt
er doch den mwejentlichen Inhalt, freitih wenig anfhaulih, daraus vor,
aus der Symbolik auh Säge wie: „Frauen haben langes, weiches
Haar und kurze Gedanken, Denker oft einen fahlen Scheitel.” Dergleichen
Urtheile grenzen an Albernheiten oder find es wirklich und follten in
einer Schrifl für Anfänger, für Mütter feiner Autorität nachgefchrieben
werden.
- Die doppelte Beftimmung beider Schriften für „Haus und Schule”
halten wir nicht für erreicht, überhaupt nicht für erreihbar. Die Burow
bat faſt ausichließlich für das Haus gearbeitet, Körner für die Schule.
In Körner’s Vorrede ift und aufgefallen, daß Eltern und Lehrern
neben andern Schriften zur weitern Belehrung aud die von Rouffeau
empfohlen werden. Wie flimmt diefe Empfehlung mit der oben ange
führten Aeußerung des Berfaffers: „es jammert mich, einen folhen Mann
unter die Pädagogen zählen zu müſſen,“ überein? Wir dürfen es wohl
dem Leſer überlaflen, hierüber nad eigenem Gutdünfen zu urtheilen.
Sollten die Verehrer des Verf. das Buch fo fleißig kaufen, daß
eine neue Auflage deſſelben nöthig wird, fo empfehlen wir namentlid
die gänzlihe Umgefaltung des erflen Buches in dem Sinne, daß es
für Unfänger genießbar wird. Die übrigen Bücher enthalten mandes
Brauchbare.
Schließlich geben wir noch den Inhalt der Hauptabſchnitte an.
Erſte Abtheil. 1. Buch. Die Wartung und Pflege des Kindes.
2. Buch. Schule und Haus. 3. Buch. Das Familienleben und fein
Einfluß auf die Töchter des Haufes. 4. Buch. Die Stellung des weib⸗
lichen Gefchlechts in der bürgerlichen Geſellſchaft. Schluß. — Zweite
Abtheil. Wichtigkeit der Erziehung. 1. Buch. Das leibliche Leben
und die Außeren Bedingungen der Erziehung. 2. Bud. Die Bildung
der geiftigen Fähigkeiten. 3. Buch. Die Erziehung im engern Sinne.
4. Bud. Schule und Haus.
21. Bon der fittlichen Diinung Der Jugend im erften Sahrgebend
des Lebens. Pädagogiſche Skagen für Eltern, Lehrer und Erzieher.
Bon U. W. Grube. 3. (VII und 344 ©.) Leipzig, Fr. Branditetter,
1855. Geh. 24 Bar.
Dies Schriftchen enthält folgende neun Abhandlungen: 1. Ueber
Charakterbildung und Standeserziehung. 2. Bon hriftlicher Stinderzucht.
3. Das anfchauende Denken. 4. Wollen und Thun. 5. Von der Macht
des Beifpield. 6. Bon den praftifchen Begriffen und ihrem Verhaͤltniß
zur Gemüthsbildung. 7. Vom Gedächtniß. 8. Ueber die Spiele und
Spielfteudigfeit unferer Zugend. 9. Bon der Einbildungskraft und
aͤſthetiſchen Bildung.
Diefe Abhandlungen wurden großen Theils zuerft in den „Illuſtrir⸗
im Monatsheften‘‘ mitgetheilt und dort gern gelefen. Dies und der
652 Allgemeine Paͤdagogik.
Umſtand, daß alle Auffäbe von einer Grundidee, „der chriſtlichen Kinder,
zucht,“ durchdrungen find, beflimmten den Berf., fie zu einem befonderen
MWerfchen zu verarbeiten und erſcheinen zu laſſen. Daran bat er fehr
wohlgethban. Mögen diefe Auffäge auch in den „Illuſtr. Monatsheften‘‘
bereits ihren guten Nutzen gehabt haben; in der jeßt vorliegenden Ger
ftalt find fie doch erſt dem Publikum zugänglih, das ſich am meiften
für die Erziehung intereffirt, — den Lehrern.
Wie die Meberfchriften einigermaßen erfennen laſſen, behandeln die
Auffäge lauter wichtige Gegenflände, über die gar Mancher, von dem
man’s erwarten follte, noch nicht im Neinen if. Die Behandlung ders
felben ift methodifh; fie gebt vom vollen, conereten Leben aus und
führt den Lefer nach und nach auf einen freien Standpunkt, „wo er im
Befip des Prinzips den Stoff felber beherrſchen lernt. Dies ift, wie
wir ſchon bei Körner’s „Erziehung der Knaben’ andeuteten, der einzig
richtige Weg, den Laien, bier die Eltern, zum Berfländniß allgemeiner
Erziehungsgrundfäge zu verhelfen. Nur derartige Auffäpe find von
wirflihem Werth für das größere Publikum, nicht gedrängte Ueberſich⸗
ten. In den Hauptfachen finden wir ung mit dem DBerf. in Uebereins
fimmung und empfehlen daher das Büchlein Lehrern aus voller Webers
zeugung. Nur in der zweiten Abtheilung fließen wir auf einen Ges
danfen, der uns nicht gefällt und deffen Widernatürlichkeit fi in neuſter
Zeit (man denke an die Vorgänge in Baiern!), nah Erſcheinen des
Büchlein, recht deutlich herausgeflellt bat. Seite 59 fagt nämlich der
Berfaffer: ‚Leider fehlt uns Proteftanten die Kirhenzudt der Ka⸗
tholifen und ihr kärchlicher Organismus, der alle fubjectve Willkür
in firenge Schule nimmt und aud für die Kinderzucht äußerſt heilſam
wäre. Möchten die Proteflanten für alle Zeiten vor foldyer „Kirchen⸗
und Kinderzucht‘’ bewahrt bleiben!
22. Die organifhe Erziehungspflege. Aus dem Gefihtöpunfte Der
Gefundbeit, wvaleih mit Beziehung auf Seldfterziehung dargeftellt. Bon
8 3. Echnell. Gr. 8. (VII und 207 S.) Leipzig, ©. Mayer. 1856.
20 Ser.
Der Berf. ftellt als Ziel aller Erziehung und Bildung die Ger
-fundheit der Seele hin und findet das Vorbild dazu in der Perſon
Sefu. Durch diefen Zujag verliert die Erklärung das Unbeſtimmte,
woran fie fonft leiden würde, fällt aber nun auch mit Feſtſtellungen zus
fammen, die fhon Andere gemadt haben. Da die gefunde Seele einen
gefunden Körper vorausfegt, fo macht der Berf. dieſen natürlich auch
zum Gegenftande feiner Belehrung. Demgemäß handelt fein Buch im
erften Sauptabfchnitte von der „geſundheitlichen Pflege des Leibes,“ im
zweiten von der „gejundheitlichen Erziehungspflege des perfönlichen Lebens.‘
Die leptere Ueberſchrift Mingt etwas gefchraubt und weicht unnöthigerweife
vom Herkommen ab. Ein großer Theil der Schrift ift anderen Werken
über diefen Gegenftand woͤrtlich (mit Angabe der Quelle) entlehnt, ein
Berfahren, das zwar leicht ift, aber weder für den Verf. noch für das
Buch einnimmt. Das Entlehnte iſt gut, mehrfach aber durch des Ber»
faſſers Darfellung matt verbunden. Schriften diefer Art blieben am
Allgemeine Pädagogik. 653
beten ungefchrieben. Damit wollen wir indeß nicht fagen, daß nicht
Anfänger im Erziehungsfache manches Nüblihe aus bemfelben werden
lernen koͤnnen.
23. Erziehungs-Mefultate. Geſchichten, Eharakteriftiten und Bilder nad
dem Leben. Ein Beitrag zur praftifchen Erziehung für Eltern und andere
Erzieher. 8. (VI und 286 S.) Hannover, 2. Ehlermann. 1857. 26% Sgr.
ı Zu den unentbehrlichften Kenntniffen für Lehrer und Erzieher ges
hören die pfychologifchen, da fie es vorzugsweife find, melde zur richtis
gen Erfenntniß der Kindesnatur führen und namentlich bie zwedmäßige
Anwendung geeigneter Erziehungsmittel möglihd machen. ine Reibe
von Fehlariffen würde in Schule und Haus unterbleiben, wenn pſycho⸗
logiſche Kenntniffe weiter verbreitet wären, als fie es wirklih find. Von
einem Lehrer follte man diefelben überall verlangen Fönnen, auch von
dem angehenden. Leider gefchieht aber für die VBorbildung der Lehrer
nach diefer Richtung Hin nur fehr wenig, und es bleibt ihnen daher ein
großes und nicht fo gar leichtes Feld für das fpätere Selbſtſtudium
übrig. Auf welche Weife dies am erfolgreichften auszuführen fei, können
wir hier nit anseinanderfeßen, empfehlen jedoch dafür Dreierlei:
1. ſorgfältigſtes Beobachten der Kinder, wie überhaupt der Menichen,
nach ihrer Denk⸗ und Handfungsweife ihren Neigungen; 2. fleißiges
Lefen von gelungenen Biographien, befonders folhen, die den Einfluß
der Erziehung, der rechten wie der verkehrten, Mar darthun, und 3. bes
fonnenes Studium eines guten, möglich praktifchen Werkes über Pſy⸗
hologie, da die beiden erfien Mittel nicht Jedem zu der nöthigen Klars
beit verheifen. |
Für Nummer 2 find bie bier angezeigten „Erziehungs⸗Reſultate“
ein ganz vortreffliher Beitrag, deren aufmerkfames Leſen Eltern und
Lehrern angelegentlichft empfohlen wird. Der ungenannte Verf. iſt ein
einſichtsvoller Pädagog und namentlich ein gereifter Menſchenkenner.
In 15 ſehr anfprechend dargeftellten Lebensbildern, von denen 10 aus
der unmittelbaren Erfahrung des Berfaffers entnommen, die übrigen
5 nad größeren biographifchen Werfen bearbeitet find, werden geluns
gene und mißlungene Erziehungsverfahren dargelegt und in allen Stadien
fo weit zergliedert und aufgededt, daß dem denkenden Lefer Fein Zweifel
über ihre Zweckmäßigkeit oder Unzweckmäßigkeit bleibt. Eine foldhe Bes
bandlung fann den Lefer nur fördern, und wir machen daher nochmals
die Lehrer auf diefe Schrift aufmerffam und theilen fchließlih den Ins
balt derſelben mit.
1. Die Macht der Erziehung (Prof. K. Witte in Halle), 2. Der
Egoismus des Berflandes. 3. Karl von Hohenhaufen. A. Deſpotie
der Mutterliebe. 5. Ein Sprach» Genie. 6. Doch nur ein Driginal.
7. Sechs Worte. 8, Eine theure Erziehung. 9. Die Furchtſamkeit
der Kinder. 10. Antipathien des Geſchmacks bei Kindern. 11. Liebe
oder Furcht. 12. Ein Verbot. 13. Maulfchelle und Ohrfeige. 14. Friedrich
Augun Wolf, der Philolog, als Lehrer und Erzieher. 15. Der Sohn
eines berühmten Mannes.
654 Allgemeine Pädagogik.
24. Die Gebrechen der bisherigen Bildung bed weiblichen Se—
Neindhzl.
ſchlechts und der Weg zur Heilung. Von Dr. Fr. von
Gr. 8. (48 S.) Nürnberg, Ebner'ſche Buchhandlung. 1854. 4 Sgr.
25, Grundlage zur zeitgemäßen Bildung des weibliden Ge-
ſchlechts. Don Dr. Fr. von Reinöhl. 1. u. 2. Thl. Gr. 8. (52 u.
147 ©.) ÜEbendafelbfi. 1855. 18 Egr.
Die erfte diefer beiden Schriften bezeichnet der Berf. als Vorläufer
der zweiten, auf die mehrfach darin als auf ein „großes Werk“ über
„das ganze weibliche Unterrihtss und Erziehungswefen in ſyſtematiſchem
Zufammenhange” hingewiefen wird. Seine Abfiht mit bderfelben gebt
dahin, zu zeigen, daß faft nirgends in Deutfchland und namentlih in
Defterreih, dem Baterlande des Verfaſſers, das Rechte gefchieht in Des
treff der Bildung der Mädchen. Nur das Anftitut der Sofenbine
Stadlin in Zürih und das nah demfelben eingerichtete der Doris
Lütkens in Hamburg findet Gnade oder wird vielmehr für muſter⸗
gültig erflärt. Mit jener als Erzieherin allerdings fehr tüchtigen Dame
findet fi der Verf. in pädagogifcher Beziehung in voller Uebereinſtim⸗
mung. Sagte der Verf. niht am Schluß feiner „Grundlage,“ daß er
„feine pädagogifchen Prinzipien lediglich aus feiner philofophifch-
biforifhen Erkfenntniß gewonnen und vermöge feiner Welt» und
Menſchenkenntniß den beftehenden Verhältniffen angevaßt habe,’ fo wären
wir vielleiht auf die Vermuthung gekommen, er verdanfe fein pädagos
gifches Wiffen, wenigftens fo weit, als es die Mädchenſchule betrifft,
vorzugsweife der Stadlin. Die Höhe indeß, auf der der Berf. fi
fühlt, weift dergleichen Annahmen als höchſt unangemeffen, ja beleidi⸗
gend, fofort zurüd.
Die erfte der genannten Schriften zerfällt in vier Abfchnitte mit
folgenden Ueberfhriften: 1. Die Familie in ihrem Berhältniffe zum
Staate 'und der Beruf der Frauen. 2. Die Gebrechen der bisherigen
Bildung des weiblichen Geſchlechts und der Urheber derfelben. 3. Der
Meg zur Heilung. A. Durch wen follen die Mädchen gebildet werden ?
Die zweite Schrift befteht aus zwei Theilen, von denen der erfle
auf 52 Seiten „die wahre Bildung des weiblichen Geſchlechts“ behan⸗
deit, der zweite einen „Entwurf zur zeitgemäßen Organifation der weibs
lihen Bildungsanftalten in den deutſchen Etaaten‘‘ enthält.
In beiden Schriften verlangt der Verf. mit aller Entichiedenheit
eine höhere Bildung des weiblihen Geſchlechts, verwahrt fich jedoch dabei
ausdrüdlih vor unpraftifhem Wiffen, will auch das Mädchen durchaus
nicht der Häuslichfeit entfremdet fehen. Dennoch verlangt er, daß in
den Anftalten für höhere weibliche Bildung neben den gewöhnlichen
Wiffenfhaften, neben Deutfh, Franzöfiſch und Englifh auch noch ana»
Intifhe Logik und Philofophie gelehrt werden ſolle. Seinem Plane
gemäß fol der Staat vier verfihiedene Arten von Mädcenfchulen erridys
ten laffen: 1. Elementarſchulen, mit Cinfhluß der Kleinkinderſchulen,
2. Hauptſchulen, 3. Zortbildungsfchulen und A. Landes⸗Inſtitute. Die
drei erften follen zufanımen die „weibliche Volksſchule“ bitden, letztere
die „höheren weiblichen Bildungsanftalten.” Die Kleinkinderſchule foll
L )
Allgemeine Pädagogik. 655
die Kinder vom 4. Bis zum 6., die Elementarfchule bis zum 10., die
Sauptichufe Bis zum 14., die Fortbildungsfähufe bis zum 16., das
Landes» AInftitut bis zum vollendeten 19. Lebensjahre enthalten. Die
letztere Anflalt dient gleichzeitig zur Bildung von Lehrerinnen. Sobald
Lehrerinnen ausreichend vorhanden find, follen in den Elementar⸗ und
Hauptſchulen nur Lehrerinnen wirfen, in den Fortbildungsfchulen und
den Randes-Inflituten neben denfelben einige Fachlehrer. Die Lehrerinnen
ſollen mit den Schülerinnen in den Klaffen aufrüden, daber alle in
gleichem Range und Gehalte flehen.
Räder auf den Inhalt diefer Blicher einzugeben, tft uns nicht mög»
lid. Wir erfennen gern an, daß der Berf. in denfelben manchen yuten
Gedanken ausfpricht, Lönnen ihm indeß in mehreren Hauptpunften nicht
beiſtimmen. Schon feine Bliederung der Mädchenſchule ift eine künſtliche
und dürfte fih hochſtens in großen Städten einigermaffen durchführen
laſſen. Im Landes-Inflitut treten Unterrichtögegenflände auf, die dem
Mädchen ganz fern liegen, ihm zum Theil gar nicht zugänglich, auch nicht
zuträglih find. Sehr unangemeflen und dem Gedeihen der Mädchens
fhulen gar nicht förderlich, haften wir die Forderung, den Unterricht
vorzug sweiſe Lehrerinnen anzuvertrauen; nad unferem Dafürhalten
muß aus mehrfachen Gründen ein umgekehrtes Verhältniß fattfinden.
Große Schwächen bietet der methodifche und ditaftifche Theil der ‚„‚Orunds
lage‘ "dar. Hier wird der Hochmuth, der fih im „Schlußwort“ in der
Aeußerung Tund giebt, der Verf. habe feine Einfihyten und Erfenntniffe
nicht von „der dürren Anfchanungsweife eines trodenen, handwerksmaͤſ⸗
figen Schulmeiſterthums entlehnt,“ nad Gebühr beftraft. Der befchränfte
Praktiker wird freilich niemald umgeftaltend auf das Schulweſen einwirken,
der bloße Phitofoph aber noch weniger. Nur Bildung und Erfahrung
fiihren Bier, wie überall zu erwünichten Ergebnifien. Wir würden viel
Raum gebrauchen, wollten wir Alles zur Sprache bringen, was naments»
lid) im zweiten Theile der „Grundlage“ der Berichtigung bedarf. Auch
des Berfaflers Kenntniß der pädagogifchen Literatur fcheint eine fehr mans
gelhafte zu fein. \
26. Ueber weibliche Erziehung von Hanna More (Aus ihrem
„edsays on varıous subjects.“) Aus dem Engliſchen überfept und mit
einer Winfeitung über den gesenpa en Stand der Literatur über weibliche
Dädagogil begleune von Dr. Robert König, Rector der Cäcilienſchule in
Oldenburg. SeparatsAbdrud aus dem Programm der Bäcilienfchule für
1856. 8. (72 ©.) Oldenburg, G. Stalling. 1856. 7, Gar.
In der Einleitung verbreitet fih der Verf. mit Sachkenntniß über
die neueren Schriften über Töchterfhulen. Er bezeichnet die DBerfaffer
derfelben nach ihrer Stellung zu diefen Schulen als Gegner, wahre und
falfche Freunde. Es werden aufgeführt als:
a. Begner der höheren Töchterfähulen:
1. Karl v. Raumer in feiner Schrift: „Die Erziehung der
Mädchen.”
2. Riehl im 3. Bande feines Werkes: „Die Familie.‘
8. Der unbefannte Berfaffer (Wolfgang Menzel) des Auffapes:
656 Allgemeine Padagogik.
„Biber die höheren Töchterfähulen” in dee Cotta'ſchen Bierteljahrsfigrift
(1855, 4. 9.) und des ähnlichen in der Augsb. Allg. Zeitung (1856,
Mr. 28, 29).
4. Dr. Fr. Joahim Günther in feinen ‚Briefen an eine Mut⸗
ter über die wichtigen Mängel in der jegigen Erziehung der Töchter
höherer Stände‘ (1851), jedoch mehr der Vollſtändigkeit und Curioſi⸗
tät wegen.‘
b. falfhe Freunde:
1. Dr. $r.9. ReindöhL in den eben von uns befprocdhenen Schriften.
2. Bari Froͤbel nebſt Battin, den Vorſtehern der (in Hamburg
errichteten, aber bald eingegangenen) „Oochſchule für Mädchen.‘
3. Zulie Buromw, weil fie in dem oben angezeigten Werke un«
verheiratbete Zrauenzimmer als Uhrmacher, WBundärzte, Poſterpedienten
2. zulaſſen will.
c. wahre Freunde:
1. Palmer, troß mancher von bdemfelben in feiner Pädagogik ger
äußerten Bedenken. j
2. Bormann und Merget in Berlin.
3. J. G. Meier und Dr. A. Meier, Bater und Sohn, in Lühed.
4. Dr. Seinede in Hannover.
5. Dr. $riedländer und Dr. Shornflein in Elberfeld.
6 Dr. Kühner in Frankfurt a. M.
7. Rofa Fiſcher in Breslau.
8. Die Berfafferin des Buches: „Die Frauen und ihr Beruf,”
Srankfurt, 1856 (Frau Büchner in Darmfladt).
9. Das Preußifhe Unterrichtsminiferium.
Die beiden überfepten Abhandlungen haben die Weberfchriften:
1. Gedanfen über die Bildung des Herzens und Gemüthe in der Er-
ziehbung der Töchter. 2. Ueber die Wichtigfeit der Religion für den
weiblichen Charakter. Sie find mil @infiht und Wärme gefchrieben und
können als recht lefenswerthe Beiträge zur Erziehung der Mäpchen bes
zeichnet werden.
27, Die Grglehung ber Mädchen. Bon Karl von Raumer, fi. 8. (VII.
u. 184 6.) Stuttgart, S. G. Lieſching. 1853.
Diefe Schrift if ein Separatabdruck aus der 2. Abtheilung des Ill.
Bandes der „Geſchichte der Pädagogik’ des Verfaſſers. Sie behandelt
diefen wichtigen Gegenſtand ausführlich, doch nicht weitfchweifig, befpricht
die Hauptſachen in anregender Weife, hütet fih aber in richtigem Xafte
vor dem Aufftellen abflracter Erziehungsregeln.. Stimmen wir aud mit
dem Berf. nicht in allen Einzelheiten überein, wie 3. B. darin, ſchon
nach dem 3. Lebensjahre das Einüben des Luther’fhen Katechismus zu
beginnen, müflen wir auch Manches von dem Gefagten als Webertreibung
bezeichnen, fo dürfen wir das Buch dennoch Müttern als eine lehrreiche
Lectüre bezeichnen.
Des Berfafferse Stellung zu den höheren Töchterfäulen if fchon
vorher berührt worden. Er proteflirt eigentlich gegen alle Schulen für
Allgemeine Pädagogik. 657
Madhen und will nicht nur. Die Häusliche Erziehung, fondern aud einen
großen Theil dee Unterrichts in die Hand der Mütter gelegt wiſſen.
Diefe Anfiht halten wir weder für richtig, noch für ausführbar. Das
Mädchen, das dereinft als Frau für den Mann eben foll, darf nicht
ohne mannlichen Einfluß auf feine Bildung aufwachſen.
28. Briefe über fragen aus dem Gebiete weibliher Bildung
und weiblichen Eebens für Frauen, Zungfrauen und Alle, welde ſolchen
—* Aufmerkſamkeit ſchenten. Bon 9 ard Sch orntein Dixector der
ädtiſchen höheren Toqterſchule zu Elberfeld. 8. S.) Elberfeld, Bäde⸗
ker'ſche Buchh. 1857. geh. Ya Thlr.
Der Verf. beabſichtigt, in einer Reihe von Briefen die Bildung der
weiblichen Jugend zu behandeln, um über dieſen wichtigen Gegenſtand
nad Kräften Licht zu verbreiten. Er wendet ſich in denfelben zunaäͤchſt
an die Mütter und Jungfrauen, wünfcht jedoch auch die eigentlichen Paͤ⸗
dagogen dafür zu intereffiren. Die drei Briefe, welche das vorliegende
erſte Heft enthält, find vorzugsweiſe an diefe gerichtet, da fie Fragen
berühren, welche in jüngfer Zeit namentlih von Gegnern der höheren
Töchterfchulen aufgeworfen worden find. Der erfte Brief beſpricht: „Die
rechte Bildungsfchule für ein Mädchen,’ der zweite: „Die Zöchterfchule
und ihre Gegner,’ der dritte: „Die PBenflonen.‘’
Bie andere Pädagogen der Gegenwart, fo verlangt aud der Berf.
eine gründlichere Bildung für die Töchter, als fie früher gewährt wurde,
verwahrt fih jedoch vor Ueberſchwenglichkeiten. Ohne feſte Grenzpunkte auf⸗
zuſtellen, verlangt er, daß der Unterricht in Sprachen und Wiſſenſchaften
weit geführt werde, als er ein allgemein menſchliches Intereſſe hat
und dazu dient, die Seele über fich jeibk, über Gott, Natur und das
Berhältniß zu andern Menſchen Mar zu mahen. Mit überzeugenden
Gründen wird nachgemiefen, daß zur vollen Löfung diefer Aufgabe das
Gamilienleben, wie es ſich gegenwärtig meiſtens findet, nicht ausreicht,
und die Penfionen in der Regel fatt wahrer Bildung äußere Politur
darbieten. Nur vom Sufammenwirken einer guten Toͤchterſchule mit der
Zamilie erwartet er Heil, worin wir ihm völlig beifliinmen. In den
beiden erfien Briefen, namentlich aber im zweiten, bemüht ſich der Verf.,
Alles zu widerlegen, was Karl v. Raumer, W. Menzel, Riehl u. U.
gegen die Töchterfihulen vorgebradht haben. Es geſchieht mit Ruhe und
Humanität und fo überzeugend, daß wir die Gegner für entwaffnet halten.
Im Intereſſe der guten Sache wünſchen wir, daß der Verf. forts
fahren möge in der Edition von Briefen über die Bildung der Zöchter.
29. Briefe über weiblihe Bildung. Ein Hülfsbädhlein für gebildete‘
Mütter und Erzieherinnen, von wepdie” Alberg. Zweite, verbefierte Aus»
gabe. 8. (IV. u. 172 S.) Leipzig, 3. C. Heinriya’fche Buchh. 1856. geh.
gr.
Die Borrede diefer Briefe datirt aus dem „Sommer 1852’; wir
haben es fonady wohl nicht mit einer „zweiten, verbeſſerten,“ fondern nur
mit einer ZitelsAusgabe zu thun. Wir wünfchen, daB die Berlagshands
lung ihren Zwed, von Neuem auf das Büchlein aufmerffam zu machen,
erreichen möge, da ed ohne Frage zu den beſſern über weibliche. Bildung
Nacke, Jahresbericht. X, 42
a ww we 7007 Teer eg — en
658 Allgemeine Paͤdagogik.
gehört. Wie in der Schrift der Zul. Burow, fo if au Hier anf Ulles
Rüdfiht genommen, was die häusliche Erziehung Beachtenswertbes dar-
bietet. Ueber den öffentlihen Schulunterricht dagegen verbreitet ſich bie
Berfaferin nit, alfo natürlih auch nicht über die Frage: ob höhere
Toͤchterſchulen, oder niht? Das Weſentliche der weiblihen Bildung be
ruht nah der Berfaflerin viel weniger auf einem befimmten Umfange der
Kenntniſſe und Fertigkeiten, als auf ihrer zwedmäßigen Gefaltung zu eis
nem harmoniſchen Ganzen, anf ibrer Berwendung für Kopf und Herz,
für das praftifche Leben. Richtiges Denken, zarte Empfinden, reines
Wollen, pflichtmäßiges und geſchicktes Handeln, Züchtigkeit für vericier
denartige Berhättniffe wird als Zwed der Bildung hingeſtellt. Ernfiid
verwahrt fih aber die Berfafferin vor der Anfiht mancher Männer, daß
eine höhere Bildung der Töchter unnäß oder gar ſchädlich fei, da fie
Anfprüche bervorrufe, die fpäter felten befriedigt werden könnten. Aus
der Beſtimmung des Mädchens ale Battin, Hausfrau und Mutter weift
fie nach, daß diefelbe one genfgende Bildung nicht zu erreichen fei.
Wir empfehlen das Schriften jungen Müttern ımd Erzieherinnen.
30. Schule und Xeben. Blätter aus der Briefmappe einer Erzieherin. Bon
Saroline Günther. 8. (188 ©.) Kranffurt a. M., 3. D. Sauerländer.
4 T.
Die Berfafferin if, wie ſchon der Titel fagt, Erzieherin, Borfteßerin
einer Erziehungsanflalt. Sie läßt fih von ihren ehemaligen Schülerin,
nen oder auch von deren Eltern Briefe fchreiben und darin Rath erbitten
über mannigfahe Angelegenheiten bes Lebens: über das Berhalten gegen
eine Stiefmutter, gegen eine Tochter, die immer nur ihrer Vernunft fols
an, nie Rückſicht auf die Verhältniffe nehmen will, eine leidenfchaftliche
Romanleſerin u. f. w. Ihre Antworten darauf zeigen von eben fo großer
Einfiht, als Erfahrung und Wohlwollen; man lief diefelben mit Ver⸗
gnügen und fegt fie zuftimmend aus der Hand.
An mehreren Stellen weift die Berfafferin auf die Nachtheile bin,
welche aus der Berfürzung der Bildungszeit für Mädchen entfliehen. „Bis
zum vierzehnten Jahre, heißt es S. AT, kann ein Mädcdyen — Ausnah⸗
men abgerechnet — nur lernen, bis zum fechszehnten muß es gebil⸗
bet werden, von da ab kann es mit guter Grundlage und in gimflis
gen VBerhältniffen fich felber bilden.’ In der Sache flimnen wir bei,
nicht aber in der Unterfheidung von Lernen und Bilden und der Ab⸗
grenzung Beider. Zur Erlangung richtiger Bildung fcheint Die VBerfafferin
den Aufenthalt in einer Benfionsanftalt für am angemeffenflen zu erach⸗
ten. Darin fünnen wir ihr nur für ſolche Fälle beipflihten, wo es im
Wohnorte der Eltern felbft an ausreichender Gelegenheit zu gutem Un⸗
terricht fehlt, oder wo die Familienverhäftniffe unglücklicher Art find.
Hiervon fünnen wir indeß von diefem fonft trefflihen Buche ganz
abfeben. Die fehler, welche e8 behandelt, fommen ohne Zweifel in vielen
Familien der höheren Gefellfchaft vor, und ihnen, ebenfo auch Erzieherin«
nen, fei das Werkchen beftens empfohlen.
31. Die Frauen und ihr Beruf. Emm Su der weiblichen Erziehung. In
zufammenbhängenden Auffäpen niedergefchrieben von Frauenhand (Konife
Allgemeine Bädagogit. 659
WBäüchuer in Derutabt). Bweite, vermehrte Auflage. 16. (IX, u. 189 ©.)
Srayffurt a. M., Meidinger Sohn u Co. geb. 24 Ser.
Diefe Schrift liegt ung nit vor. Sie wird aber von Diefterweg
in den Rh. Bi. (Jahrgang 1856, Zul. bis Aug., ©. 97) als eine
vorzügliche lebhaft empfohlen. Die einzelnen Aufläge darin haben fols
gende Weberfchriften. 1. Bleichberechtigung des Mädchens mit dem Kna⸗
ben in der Erziehung. 2. Segen der Arbeit. 8. Erziehung für das
Haus. A. Die geiflige Erziehung. 5. Das gefellige Leben. 6, Ber
kehrte Richtungen. 7. Die Inſtitute. 8. Die Ehe. 9. Die Unverheis
raihete. 10, Die Mutter und Gattin. 11. Das Weib.
32. Schuldisciphin, befonders zum Behuf der flttliden Hebung der Schul⸗
jugend dargeftellt. Für Lehrer an Bolföfchufen, höheren Bürgerfchulen,
Gymnaſien uud Inftitutm. Bon D. Fr. rufe, Danebrogsmann, Lehrer
am Königl, Taubſtummen⸗Inſtitute in Schleswig. gr. 8. (VIII. u, 183 ©.)
Leipzig, 8. Mayer. 1857. geb. %s Thlr,
Die Schuldigeiplin if das Kreuz vieler Lehrer und der Hemmſchuh
ihrer Wirkſamkeit. Inconfequente Lehrer mit fchüchternem Blid tragen
lebenslang daran, werden auch durch die beſten Anmweifungen darüber
nicht gebeffert. Wegen der großen Wichtigkeit des Gegenftandes follte
aber fein angehender Lehrer unterlaffen, wenigſtens einmal ein tüchtiges
Bud über Schuldisciplin ernſtlich zu fudiren; er ift das fich und feiner
Schule ſchuldig. das hier genannte fann für dieſen Zwed empfohlen wers
den. Die Grundfäge, von denen der Berf. ausgeht, verdienen Billigung.
Hier und da hätten, wir gewünfcht, daß derfelbe noch ſpecieller geworden
wäre, Fälle aus der Praxis zur Sprache gebracht und deren Behandlung
gezeigt hätte. Dadurch würde fih das Werk gewig auch zu jeinem
Bortheil mehr von feinen Vorgängern unterjhieden haben, als es jept
der Fall if.
Die Unordnung des Materials möge man aus folgender Ueberſicht
entnehmen.
Einleitung Erfer Abſchnitt. Meine Disciplinar » Lehre.
Bom Weſen der Schulzucht. A. Lehre vom Weien der Schulzucht. B.
‚Befärberungamittel: einer gedeiblihen und wirkſamen Schulerziehung.
©. Leitende Rorm bei dem disciplinarifchen Verfahren. D. Bon den
allgemeinen. Dieciplinar » Mitteln. EB. Bon den äußeren Bedingungen
einer gedeihlichen und wirkffamen Schulzucht. Zweiter Abſchnitt.
Ungewandte Disciplinarsehre. Bon der Behandlung einzelner ſittlicher
Gebrechen ober Gharakterfehlen der Schulkinder.
IH. Schriften über Erziehung und Unterricht.
33. Einleitung in die allgemeine Pädagogik. Bon Tuiseo Ziller,
Brivatdocenten an der Univerfität Leipzig. gr. 8. (VLII. 4. 108 ©,) Leipzig,
B. &, Teubner. 1856. 15 Sgr. Bu
Diefe Schrift fol eine Darfellung der allgemeinen Bädagogit nad
Herbart’igen Grundfägen vorbereiten, verfolgt alfo mit der oben be—
fprochenen Stoy’jgen „‚Hauspäbagogif’’ diefelbe Richtung, Der Berf.
| | 42° -
(660 illlgameine Paͤdagogik.
bezeichmet ſie als, Cinleitung in die allgemeine Padagogik3“ Dit. einzelnen
Haupttheile dieſer Wiſſenſchaft gedenkt er fpäter gefondert zu bearbeiten.
. Die Euiehung des Böglings iR das Thema, weldes der Berf.
‚nach. allen. einfigläglichen Beziehungen .in folgenden 24 Baragraphen hrs
handelt.
.. 44 Begriff der Erziehung. 2. Bildfamkeit des Zöglinge. 3. Der
Fatalismus und die Lehre von der ıranscendentalen Freiheit. A. Einheit
des Erziehungezweds. 5. Die Hülfewiſſenſchaften der Pädagogik. 6. Die
Erfahrung... 7.. Der Tact. 8. Schranken, die vor der Erziehung im
Zöpling liegen. 8. Die Seele und die angehorne Anlage 10 De
Drganismus und die angeborne Anlage. 11 Die erworbene Raturan
lage 12. Weitere Urfachen der Unbefimmbarfeit des, Böglinge. 13. Ein
fluß auf die Grundſätze des Erziehers. 1A. Praktiſche Geſichtspunkte
in Bezug auf’ die Schranken der Erziehung. 15. Manieren der Erzie⸗
bung. 16. Die verfchiedenen Vorftellungsmaffen. 17. Anderweitige Bus
ſtaͤnde der Borftellungsmaflen. 18. Die Sprache. 19. Grund der Bild
famfeit und ihre Abnahme. 20. Nothwendigkeit der Erziehung. 21.
Seibftftändigkeit des Zöglinge. 22. Anfchließen an den Einzelnen.
23. Die Tugend. 24 Der befondere Inhalt der Pädagogif.
Die Darftellung ift gedrängt, zumeilen knapp, frei von aller Weit
ſchweifigkeit und Abjchweifungen, befriedigt daher den geübten Denter,
weniger den Anfänger. Aus diefem Grunde empfehlen wir es den Pi
dagogen von Zach, weniger der großen Zahl der praftilchen Lehrer. Uns
ſprechend if die Milde und Ruhe, mit weldher der Berf. abweichende
Anfichten beurtheilt; man fühlt e8 jedem Abfchnitt an, daß es fich nur
um Ermittlung der Wahrheit handelt.
34. Buch der Erziehung Die Gerfepe der Erziehung und des Unterrichts,
genründet auf die Raturgefepe des menſchlichen Leibes und Geiftee. Briefe
an Eltern, Lehrer unb- @rzieber von Dr. Schmidt. Mit 8 Hoelz⸗
fgnitten. gr. 8. (XIV u. 536 &.) Köthen, Schettler. 1854, 2. Zhlr.
"Bas der Berf. in den oben befprochenen „Briefen an eine Mutter”
- in gedrängter Darftellung giebt, bietet ex in dieſem größeren Werke aus-
-führlih dar. Beſonders ausführlihd und nach den neueren Korihungen
fi der anthropologiſche Theil bearbeitet; Doc wird natürlich auch der
"Entwidelung und Bildung des Geiftes ihr volles Recht. Wir billigen
diefe Berückſichtigung der Unthropofogie fehr, da es ganz unzweifelhaft
iR, daß unfere Erkenntniß des Geiſtes ohne Kenntniß des Körpers mans
gelhaft bleibt. Ueberdies hat ja der Erzieher auch fein Augenmerk auf
die Entwidelung des Körpers zu richten, befonders die Mutter. Die
Darftellung des Verf. ift ſehr anregend; nicht leicht wird Jemand das
Buch wieder auf die Seite legen, nachdem er einige Briefe gelefen hat.
‚Hier und da gebraucht der Berf. eigenthümliche Wendungen, bildet auch
wohl neue Wörter, um recht entfprechend auszudrüden, was er tiefinner-
lih empfindet. Wir können nicht gerade fagen, daß er hierdurch feinen
Zweck, recht verfkändlich zu werden, beffer erreicht, als wenn er ſich über
all der gebräuchlichen Darfellungsformen bedient hätte; aber Nachtheil
AR daraus dem Buche auch in einer Weiſe erwachien.
N
Allgemeine Pädagogik. 661
Um eine Borftelung vom Inhalte und ber Anordnung des Ruches
I geben, laſſen wir hier noch die Weberichriften der Hauptabſchnitte
olgn.
1. Ratur des Erziehers und Begriff der Erziehung. 2. Erziehung
im Mutterleibe. 3. Erziehung des Verdauungs⸗, Bluts und Athem⸗
foftems. 4A, Erziehung des Nerven», Sinness und Bewegungsinftems.
5. Erziehung der Temperamente. 6. Erziehung ded Denkſyſtems. 7.
Erziehung des Gefühlsforeme. 8. Erziehung. des Wollensfufeme, 9.
Knaben⸗ und Mädcenerziebung. 10 Erziehung der Individualität.
Wir empfehlen das Bud. J
35. Schulkunde für evangeliſche Volkeſchullehrer auf Grund der
Preußaſchen Regulative vom 1., 2. u. 3. October 1854 über Cinrich⸗
tung des evangeliſchen Seminarz, Präparanden⸗ und Elementarſchul⸗Unter⸗
richte, bearbeitet von K. Bormann, Provinzial⸗Schulrath zu Berlin.
®r. 8. 1. Ihell. Dritte, unveränderte Auflage. (VIII u. 213 ©.)
24 Sgr. 2. Theil. Linterrichtöfunde. Zweite, unveränderte Auflage.
Berlin, Wiegandt und Griechen. 1856. 20 Ser. '
Bormann's Schul⸗ und Unterrichtsfunde ift gleich bei ihrem Er⸗
(deinen als authentifche Auslegung der preußifchen Regulative betrachtet
und vou den Behörden auch wiederholt als ſolche bezeichnet worden.
Außerdem hat das Werk noch die Beſtimmung, dem Unterricht in der
„Schulkunde“ in den svangelifhen Seminarien zu Grunde gelegt zu
werden. Daraus. ergeben ih die Gefihtspunfte, von denen aus dag
Werk beurtbeilt werden muß, wenn man dem Berf. gerecht werden will,
Eine Bergleihung des Werkes mit frei gearbeiteten, wie z. B. mit
Graͤfe's deutjcher Volksſchule, Waig allgemeiner Pädagogik u. A., halten
wir für unflattbaft.
Bei der Verbreitung, welde das Werk in Preußen gefunden hat,
iR es unnötbig, bier noch näher auf den Inhalt deffelben einzugehen ;
e8 genügt die Bemerkung, daß es ganz im GBeifte der Begulative ges
balten if, fih in der Regel buhfäblih an deren Normen bindet, in
wenigen Fällen, wie z. B. im Satechismusunterridt, noch hinter den
Zorderungen derfelben zurüdbleibt. Als Grundlage für den Seminats
unterricht wird das Buch im Ganzen auch genügen, am meiften, wenn
die Seminardirectoren fich geftatten, es wenigſtens in einzelnen Theilen
mit einiger Sreitheit zu behandeln. Wird denfelben diefe Freiheit nicht
gefattet, dann dürften die Preußifchen Seminare ſchon in wenigen Jahren
binter der unaufbaltfam fortfchreitenden Entwidelung der Pädagogif zus
rüdgeblieben fein. ,
36. Katechismus des Unterridts und der Erziehung. Bon Dr. C.
F. Laudhard, Großherzoglich Sähfifhem Schulratb und vortragendem
Rath im Gr. Stagtöminifterium, Devart. der zu und des Kultus.
Mit 40 in ben Text gedrudten Abbildungen. Kl. 8. (VI u. 80 ©.) Leips
sig, J. J. Weber. 1856. geh. 10 Bar. "
„Gegenwärtiges Schriftchen, „heißt es in der Vorrede“, foll den
Berfuh machen, auf dem Wege der Belehrung Eltern und Lehrer
zufammen zu bringen. Schule und Elternhaus ſtehen fich fern und find
Ah fremd. Sie werden aber bekannter. mit einander werden, wenn
662 Allgemeine Paͤdagogik.
beide Theile erſt willen, was für ihren gemeinſchaftlichen Zweck Arbeit
und Aufgabe iſt.“
„Wenn man au annehmen darf, daß die Aeltern über das Was
und Wie in der Schule der am wenigften belehrte Theil waren, fo iR
doch nicht zu verfennen, daß auch manche Lehrer nicht immer ihr Ber
fum zu überbliden im Stande find und über dem vielen pädagogiſchen
Lehrbüchern den Wald, wie man fagt, vor Bäumen nicht fehen tönnen.
Es empfiehlt ſich daher, die Unterrichtsgegenflände und ihre Bebandfung,
fo wie die vornehmften Erziehungsgrundfäpe furz und Par, auf einem
natürlichen und, wie zu hoffen, plaufibeln Zundamente aufgebaut, zus
fammen zu ſtellen.“
Läßt fich diefer Doppelzweck überhaupt und auf 78 Seiten Hein
Dctap, zum Theil angefült mit Abbildungen, erreihen? In Bezug
auf die Lehrer müflen wir dieſe Frage ganz entichieden verneinen. Schon
ein flüchtiger Einblick überzeugt, daB das Schrifthen über Unterricht
und Erziehung nur das Oberflächlichſte, kaum ausreichende Anhaltepunkte
zur weiteren Grörterung für GSeminariften darbiete. Das wichtige
Kapitel 3. B. über die „Schulerziehung,“ einfchließlich der jungen Lehrern
oft fo ſchwer werdenden Diseiplin, wird auf noch nicht gang 5 Seiten
abgehandelt, die durch einen Holzfchnitt unterbrochen find, ber mit dem
Zert in gar Teiner Beziehung ſteht, überhaupt ganz entbehrlich war, mie
die meiften übrigen. Dazu fommt auch, daß in diefem Abfchnitt gleich⸗
zeitig von den „Bortbildungss und Handwerkerſchulen“ die Rede if,
was gewiß Niemand erwartet. .\
Die atechetifche Form, deren Handhabung immer etwas fchwierig
it, tritt dem Lefer ziemlich unangenehm entgegen, da die Mehrzahl
der Fragen geradezu mufterwidrig ift, andere Antworten, oft fogar
in größerer Anzahl, zuläßt, als die gegebenen, was in einem Werke
für Lehrer, für angehende Lehrer, als ein belangreicher Uebelſtand ber
zeichnet werden muß. Die Mitteilung der drei erften ragen mit ihren
Antworten wird fchon als Probe genügen, odwohl diefelben noch nicht
zu den mißlungenften gehören.
„A1. Wie ift der Beruf des Lehrers zu betrachten?‘
„Als etwas überaus Schönes und Herrliches: die Jugend väter
Iih zu lieben und für das Leben tüchtig zu machen, alfo daß fie
an Geiſt und Herz flarf werden als wackere Menfchen und gute
Chriſten.“
„2. Bas muß ein guter Lehrer wiſſen?“
‚Alles, was er lehren will und noch etwas mehr.‘
„3. Borauf zielt dieſes?“
„Darauf, daß man auch treu und fleißig lernen müffe, mie man
das Dargebotene den Kindern beibringe, fo daß ſie's nicht ungern aufı
nehmen, fondern mit Freudigfeit, damit ihnen die Schule zur Lufl
werde und nicht zur Laſt.“
Der Inhalt ließe fih an verfehiedenen Stellen anfechten, hier um
da auch die Darſteliungsweiſe. Da wir indeß der Meinung find, dei
Allgemeine Pädogogit. 663
Das Schrifichen weder won Eltern noch von Lehrern befonders beachtet
werden wird, fo flehen wir von einem näheren Eingehen hierauf ab.
37. Lehrbuch der Erziehung und des Unterrichts ven Dr. 3. S.
Curtman, Director des Schullebrer: Seminars zu Priebberg. Sechste
Auflage des Schwarz: Curtman’fhen Werkes. Gr. 8. Griter Theil.
Die Erziehungslehre. (XXVIL u. 435 ©.) Zweiter Theil. Die Unter⸗
richtslehre. (VIII u. 651 ©.) Leipzig und Heidelberg, €. 3. Winter'ſche
Verlagshandl. 1855. 2/a Thlr. Jeder Theil ift auch für ih zu haben.
Die Schwarz [he Etziehungslehre iſt durch Diefe dritte, durchaus
freie‘ Bearbeitung ganz Curtman's Werk geworden. Die verbältniß«
maͤßig raſche Folge der Auflagen beweift, daß das Publikum dem Werfe
feine Zuneigung geſchenkt bat. Es verdient diefe Zuneigung aber aud.
Wie kaum ein anderes, berüdfihtigt e8 den ganzen Schulorganismus,
von der Kleinfinderfhule bis zur Realſchule, höheren Töchterfhule und
dem Gymnaſium hinauf, verbreitet fi ausführlid über die Erziehung
und giebt genügenden Auffchluß über die Behandlung fämmtlicher Unter
richtögegenftände, auch) der neuern und alten Sprachen. Das Dargebotene
iſt durchaus praktiſch, Mar in der Darftellung, daher auch fchwächeren
Kräften zugänglid. Den einzelnen Gegenftänden find zugleich die heffern
Schriften, hier und da mit furzer Beurtbeilung, hinzugefügt, welche
weitere Belehrung bieten. Diefem Theile des Werkes hätte vielleicht
noch etwas größere Aufmerffamfeit gewidmet werden fönnen; man vers
mißt darin mandes gute Werk; andern begegnet man in alten, nicht
meber exiftirenden Auflagen; auch auf antiquirte Schriftchen ſtoͤßt man,
ohne daß hierauf hingedeutet wird.
Der Standpunft des Berfaflere if ein vermittelnder; man begeg-
net daher nirgends ertremen Tirtheilen.
Eine angenehme Zugabe für diefe Auflage if ein fpecielles Regifter,
da hierdurch der Gebrauch des Buches wefentlich erleichtert wird.
Das Werk Tann Lehrern aller Schulen, Erziehern und Schulauf⸗
febern beftens empfohlen werden.
38. Evangeliſche Pädagogit von Dr. Ehriftian Palmer, ord. Profeſſor
der Theologie in Tübingen. Zweite, vermehrte u. verb. Auflage, Gr. 8.
(VIII u, 732 &.) Stuttgart, 3. F. Steintopf. 1855. Geh. 2'/ Ihlr.
Schon nah zwei Jahren ift von dieſem Werke eine neue Auflage
nöthig geworden, ein Beweis, daß es Bielen willlommen war und Der
jegigen Richtung entſpricht. Die neue (2.), um 32 Seiten vermehrte
Auflage liegt uns nicht vor, weshalb wir uns auf ein kurzes Urtheil
über das Wert überhaupt beſchränken.
Balmer Felt Die Pädagogik vom Standpunfte des „evangeliſchen
Theologen‘ dar, flieht fe aber nicht bloß als einen Uppendig zur prak⸗
tifhen Theologie an, fondern „achtet fie vielmehr als einen nothwen⸗
digen Ausläufer der rein Firchlichen Thätigkeit in eine allgemeine menſch⸗
lie.‘ Das Evangelium giebt ihm das Prinzip der Erziehung, bes
fimmt deſſen Zweck und Biel und auch die Art und Weiſe derfelben.
Er findet das wahre Prinzip der Pädagogik in dem Ausſpruch: daß ein
Menſch Gottes fei volllommen, zu allem guten Werke geihidt. Bei der
664° Allgemeine Padagogik.
Einwirkungaweiſe des Erziehers auf das Kind geht er von dem Stand⸗
punkte aus, den ihm die Lehre von der Erbfünde anweif. Neben
dem durch den Sündenfall in dem Menſchen erzeugten Berderben
nimmt er aber auch deſſen Zähigkeit, das Gute zu empfangen und
fih dafür zu beflimmen, an, und freut fi aufrichtig alles Guten
in der Menfchennatur. Maßloſer Entwidelung von Innen tritt er
oben fo entfchieden entgegen, als mechanifcher Aneignung des Poſi⸗
tiven. „Zucht“ if ihm der allgemeine Begriff aller Erziehungsthäs
. tigfeit, „Zucht der Liebe‘ das, was Andere Erziehung im engern
Sinne nennen, „Zucht der Wahrheit‘ Unterricht. Aus dem Evangelio
weift er nach, wie alle erziehlihe Einwirkung beſchaffen fein müfle Die
Erziehungsiehre ift mit befonterer Vorliebe behandelt und bietet auch
Denen, die nicht auf des Berf. Standpunft fleben, viel Trefflihes dar,
wie denn überhaupt anerkannt werden muß, daß Palmer zu den tüch⸗
tigften Pädagogen gehört. Der Schulunterricht iſt kürzer behandelt und
im Grunde nur fo weit harafterifirt, als nöthig war, zu zeigen, wie
er vom evangelifchen Geift erfüllt fein folle. .Die Borerinnerung (‚Bros
legomena“) enthält eine Art Gefchichte der Pädagogif, mehr jedoch in
Beurtheilung, als in Mittheilung der verfchiedenen Erſcheinungen, deren
Kenntniß vorausgefegt wird. |
39. Boltefhulfunde Ein Hand» und Hülfobuch für katholifhe Seminare,
Lehrer und Schulauffeher. Bon 8. Kellner, Regierungs⸗ und Schul⸗Rath.
Dritte, verbefferte und vermehrte Auflage. Gr. 8. (XVI u. 388 ©.)
Efien, ©. D. Bäpdeler. 1857. 1 Thlr.
40. Bäbagonifür Mittheilungen aus den Gebleten der Schule und des
Lebens. it befonderer Berüdfihtigung auf die Bildung und Fortbildung
der Volksſchullehrer, für diefe, ihre Leiter und Freunde perangegeben von
8, Kellner. Zweite, verbefierte und vermehrte Auflage. 8. (IV u. 290 ©.)
Ebendaf. 1856, 22%°/a Sgr.
4, Pädagogiſche Mittheilungen x. von 2, Kellner. Fortfegung.
8. Vu 1 S.) ÜEbeudaf. 1854. Ys Thlr. Fortſehung
42. Die Pädagogik der Volksſchulein Aphorismen. Bon L. Kell⸗
ner. Wünfte, vermehrte Auflage. 8. (VIII und 179 S.) Ebendaſ. 1857.
15 Ser.
Diefe Schriften find den Xehrern bereits vortheilbaft befanntz es
reiht daher bier aus, das Erfcheinen neuer Auflagen derfelben zu
notiren. -
Den allgemeinften Beifall haben von Anfang an die „Aphorismen‘‘
erhalten; ihrer wird auch von Brof. Stoy im 7. Bande des Jahres
berichtes fehr ehrenvoll gedadht. Es folgten ihnen die „Paädog. Mit»
theilungen,“ die als eine umfaflendere Fortſetzung derfelben zu betrach⸗
ten find. Wir vermiffen bei denfelben ungern ein Inhaltéverzeichniß und
Megifter, wie es den ‚Aphorismen‘ und der „Volksſchulkunde“ beis
gegeben ifl.
Die „Volksſchulkunde“ bat die „Mittheilungen“ überholt. Ob⸗
gleich fpäter (1855) erfchienen, ift fie doch ſchon in dritter Auflage da,
was fih aber aus ihrem Gebrauch in Seminarien erflärt. Sie if, wie
der Zitel fagt, für katholiſche Lehrer gefchrieben. Es if die erſte
“
Allgemeine Padagogik. 66
padagogiſche Schrift, in’ der :fih der Berf. als Ktatholik docamentirt,
aber auch fo zweifellos, daß manche Abfchnitte für Proteflanten geradezu
ungenießbar werden; das ſoll fein Vorwurf von unferer Seite fein.
Wenn Bormann. und Palmer eine ‚evangelifche” Schultunde und PBäs
dagogik Fönnen- erfcheinen laſſen, fo darf Steiner natürlich auch eine
„katholiſche“ ſchreiben. Es überraſcht aber, einen Mann, der als päda⸗
gogifher Schriftſteller bis jetzt Katholiken und Proteflanten gemeinſam
angehörte, von Lepteren vieleicht amı meiſten gewürdigt wurde, ben
neutralen Boden verlaflen zu fehen. Doch das if feine Sache; wir
machen ihm, wie gejagt, deshalb feinen Borwurf.
Der Inhalt der „Volksſchulkunde“ if folgendermaßen gegliedert.
1. Der Menſch nad feinem Weſen und feiner Beftimmung. Ber
grüf der wahren Erziehung. 2. Das Kind und deffen Eigenthümlich⸗
keiten. 3. Die Erziehungsfactoren oder wer erzieht und unterrichtet das
Kind? 4. Zwed der Volksſchule und’ Berhältniß derfelben zu den ges
nannten Grziebungsfactoren. 5. Die Schule als Erziehungsanftaft.
6. Die Schnule als Lehranſtalt. 7. Die Perſönlichkeit des Lehrers, fein
Leben und Streben. 8. Schuß. Bild einer guten Schule, und Er⸗
munterung zur Kinderliebe. Anhang. A. Üeberfichtliche Darftellung des
Unterrichtszieles und Keetionsplanes einer einklaſſigen Landſchule. B.
Desgleichen einer zweiklaſſigen Bolfsfchule.
Katholiſche Lehrer, Seminarien und Schulauffeher haben an diefer
„Volksſchule““ ein trefflihes Bud. Seminariften und Lehrer, die fi
feinen Inhalt angeeignet haben, find gut beratben. Alles darin ift Mat,
faßliy und praktiſch.
Die „Aphorismen‘ und „Mittheilungen“ Pönnen als weitere Aus»
führungen vieler Abjchnitte der „Volksſchulkunde“ betrachtet werden,
ſtehen ſonach mit diefem Werke in Zufanmenhang.
43, Shul- Pädagogik. Ein Handbuh für angehende Schullehrer und
Säultesiforen. Berfabt von C. Barthel, König. Regierungs⸗ und
Schulrath, Ritter zc. Drüte, umgearbeitete, mit den beitefenden Stellen
aus ten preuß. Regulativen und mir einer Geſchichte des Echul- und Ers
ziehungsweſens vermehrte Auflage. Gr. 8. (XII u. 450 ©.) Liſſa, €.
Günther. 1856. Geh. 1’, Thir.
Der Berf. it Katholik; den Religionsunterricht abgerechnet, tritt
jedod fein Katholicismus nirgends fo fchroff entgegen, daß PBroteftanten
das Buch nicht auch lefen fönnten, ohne ſich verlegt zu fühlen.
Die Erziehungsiehre ift verhältnißmäßig kurz behandelt, die Pſy⸗
hologie, der der Berf. übrigens den gebührenden Wertb beilegt, in
althergebrachter Weile. Als Organ des Gefühle oder Empfindungss
vermögens wird das Herz bezeichnet, eine Behauptung, die bedeutende
Zweifel zuläßt. Das „Gemüth“ wird S. 13 als „das Zufammens
wirfen, die Einheit des Erfenntnißs, Empfindungs⸗ und Billensvers
moͤgens“ definirt, „Gemüthsbildung“ ſonach als das, was die Erziehung
vorzugsweife zu erzielen hat. In diefem Sinne müffen wir freilih Ale
„Semüthspädagogen” werden oder find es vielmehr ſchon längſt, auch
666 | Allgemeine Pädagogik.
ohne diefe beliebte Signatur an der Stim gu tragen ober jeben Augen⸗
bit im Munde zu führen.
Das Hauptgewicht legt der Berf., da er fein Buch vorzugsweife
für den Seminarunterricht beſtimmt hat, auf die Unterrichtsfunde. Nach⸗
dem er kurz, doc, genügend angegeben, was und wie gelehrt werden
fol, gebt er zum Bejondern, zur‘ Metbodif über. Es werden ziemlich
ausgeführte Lehrgänge gegeben, in der Weltkunde mit ausdrüdlicher Bes
ziehbung auf Preußen, wodurch fih fein Werk gewiffermaßen zu einer
„preußiſchen“ Schulvädagogif gefaltet, während Kellner ‚für das ganze
katholiſche Deutſchland“ gefchrieben hat. In diefem Gegenflande tritt
des Berf. Streben nah Koncentration des Unterrichts am bdeutfichften
hervor. Was die preußifchen Regulative über die Unterrichtsgegenftände
feſtſtellen, laͤßt der Verf. feiner Auseinanderfegung woͤrtlich nachfolgen,
während Bormann hiervon ausgeht. Dadurch wird überhaupt feine
Stellung zu den Regulativen bezeichnet; fie haben für ihn feine bindende
Kraft; fein Buch if daher au fein Kommentar zu denjelben.
Gegen die Lehrgänge hätten wir bier und da Einiges zu erinnern;
Doch find fie im Ganzen praftifh, weshalb wir von einem nähern Eins
gehen abſtehen. Jedem Fache if die entfprechende Literatur hinzugefügt,
zuweilen mit kurzer Andeutung über den Werth der Schriften. Diefer
Theil des Buches entjpricht nur fehr mäßigen Forderungen. Gutes,
Mittelmäßiges und völlig Veraltetes fteht neben einander. Ein nicht uns
beträchtlicher Theil guter Schriften ifE nirgends genannt. Es ift jegt
allerdings feine Kleinigkeit, mit der Literatur vertraut zu bleiben.
Bon der zweiten Auflage unterfcheidet ſich die vorliegende vortheil⸗
haft. Der größere Theil der Unterrichtsgegenftände "if umgearbeitel
worden; der dritte, die Gefchichte des Schuls und Erziehungsmweiens
umfaffende Theil ift neu hinzugefommen, wahrfcheinlih in Folge der
regulatorifhen Befimmungen. Auch vier Beilagen: die erziehliche Auf⸗
gabe der Volksſchule, die Lehrerinnen» Prüfung, die Lehrer » Conferenzen
und die Präparandenbildung betreffend, find neu binzugelommen.
44. Lehren der Erfahrung für chriſtliche Land- und Armens
Schullehrer. Eine Anleitung zunächft für die Zöglinge und Lehrſchüler
der freiwilligen Armen» Schullehrer- Anftalt in Beuggen, von Ch
eint. Zeller, Echulinfpertor. Dritte, durchgefebene Auflage. 1. Band.
(VIII und 215 ©.). 2. Band. (1485 S.) Bafel, Babnmaier. 1855.
1 Thlr. 21 Ser.
Diefe Auflage iR ein unveränderter Abdrud der zweiten, Die im
VI. Bande des YJahresberihtes von Prof. Stoy als eine praftifche,
herzliche, feelenforgerifche Anmeifung für Schule und Haus empfohlen
wird. Diefem Urtheil treten wir gern bei, befonders in Bezug auf den
2. Band, der von der Schulzucht handelt. Wir wünfchen, daß jeder
Lehrer einmal Gelegenheit nehmen möchte, wenigftens diefen Band zu
lefen. Der religidfe Standpunft des Verf. ift, wie befannt, der ſtreng
orthodoge.
45. Srundfäge und Kehren vorzüglicher Pädagogifer von Kode
an bis auf die gegenwärtige Zeit, nad ihrem Wefen und Berbältnifie,
zur Foͤrderung gründliger Kenntniß der Pädagogif für Erzieher und
Allgemeine Pädagogik, | 667
Lehrer in Rinde und Säule bar upeReit; von 3. 8. Ludwig. Zweiter
Band. Gr. 8. (XXVII und 412 ©.) Bayreuth, Grau. 1856. 1% Thlr.
Der Berf. bietet in diefem Werke ausführliche, zufammenhängende
Auszüge aus den bedeutendften Schriften über Pädagogik, denen in ben
meiften Fällen eine Biographie des Autors vorangebt. Die Auszüge
und Referate find durchweg der Art, daß man mit den Hauptgrund⸗
fägen der Verfaſſe er ausreichend befannt wird. Für Lehrer, die fih mit
ihren Ausgaben für Bücher befchränfen müffen, fehr ſchapbar, ı wir moͤch⸗
ten fogen: unentbehrlid.
Diefer 2. Band enthält Referate über:
Dverderg: Anwelfung zum zweckmäßigen Schulunterricht für die Schuls
Iehrer im Fürſtenthum Rünſter. Muͤnſter, 1835.
Arndt, Ernft Morip: Zragmente über Menfhenbildung. Altona, 1805.
Bierthaler: Elemente der Methodik und Pädagogit. Salzburg, 1804.
Dinter: Die vorgüglichiten Regeln der Padagogit, Methodik und Schul⸗
meiſterklugheit. Neuſtadt a. d. D., 184
Rudolphi, Caroline: Gemälde —8*— Erziehung. Heidelberg, 1838.
— Betty: Erziehung und Unterricht des weiblichen Geſchlechts. Leipzig,
Denster: 9 Dolftändiges Handbuch zur Bildung angebender Schullehrer.
ainz, 1
Bilder, J. : Handbuch der Pädagogit zum Gebrauch akademiſcher Vor⸗
träge und für dentende Erzieher. München, 1832.
Stapf: Erziehungslehre im Geiſte der katholiſchen Kirche. Innsbruck, 1852,
NE Erziehungs: und Unterrichtslehre nach Tatholifchen Grundfäpen.
Sagolftadt, 1
Roſenkranz: Die Pädagogik «ld Syftem. Königsberg, 1848,
Riecke: Erziehungslehre. Stuttgart, 1851.
Balp: Allgemeine. Pädagogif. Braunfchweig, 1852.
Durſch: Pädagogik oder Wiflenfhaft der chriftlichen Erziehung auf dem
Standpunkte des fatholifchen Glaubens. Zübingen, 1851,
Rottels: Erziehungs⸗ und sedldungölehre vom Standpunfte chriftlicher
Dhilofophie. Regensburg, 1852,
Palmer: Evangelifche —8 Stuttgart, 1853.
In dem erfien Bande werden die Grundſätze dargelegt von:
Rode, Grande, Rouffeau, Bafedow, v. Rochow, Greiling,
Beiller, Peſtalozzi, Rietfammer, Schwarz, Sailer, Nie
meyer, J. P. Richter, Stephani, Graſer, Denzel, Belter,
Berrenner, Harnifh, Hergenröther, Dieferweg, Eurts
man, Benefe, Gräfe
46. Die Naturgefepe der Erplesung und des aut Prof
tifche Menſchenkunde für Eltern und Lehrer. Bon Guſtav Scheve. 8.
(96 ©.) Stettin, Müller'ſche Buchh. 1855. Geh. 4 Ihlr.
Der Berf. ift Phrenolog und hat fih als Schriftfteller und durch feine
in.größeren Städten gehaltenen Borträge auf dieſem Gebiete einen
Ramen erworben. Die Raturgefebe, welche derjetbe in dieſem Schrift
ben für Erziehung und Unterricht aufftellt, gründen fi auf dieſe
—
668 Allgemeine Paͤdagogik.
Wiſſenſchaft. Bis jegt ik e8 uns nicht gelungen, und von ber Richtig⸗
keit der phrenologifchen Lehren zu überzeugen; aus dieſem Grunde ift
ung wenigftens ein Theil des hier Vorgetragenen problematiiy. An
und für fih if das Schriftchen, das einen Abfchnitt in des Verfaffers
„Phrenologiſchen Bildern‘ bildet, gut und anziehend gefhriehen, der
Beachtung der Erzieher daher wohl werth.
47. Das menfhlihe Bewußtſein, wie ed pſychologiſch zu erflären und
pädagogifh auszubilden ſei. ine gefrönte Preisichrift, —88 Mäs
danogen und gebildeten Eltern zur Erwägung übergeben von Friedrich
Dittes. 8. (65 S.) Leipzig, 3. Klinkhardt. 1853,
48, Naturlebre des Moralifchen und Kunſtlehre ber moraltichen Er⸗
diebung. Don Friedrih Dittes. 8. (VII und 114 ©.) Leipzig, ©.
Mayer. 1856. 18 Sgr. '
Der Berf., Lehrer in Sachſen, ift als gründficher Kenner der Bes
nefe’fhen Pſychologie fängt vortheilbaft befannt. Dom GStandpunfte
diefer naturgemäßen Piychologie aus beleuchtet derfelbe in beiden Schrifs
ten zwei überaus wichtige Begenftände: das menſchliche Bewußtſein und
das Moralifhe. In zwei andern, ung nicht vorliegenden Schriften bes
handelt der Verf. „das Aeſthetiſche“ und die ‚Religion‘, in allen vier
Schriften alfo alle Hauptgebiete des menſchlichen Seelenlebens: das ins
teflectuelle, äfthetifche,, religiöfe und moralifche.
Wer nur einigermaßen mit der neuen Pfychologie befannt if, dem
werden diefe Schriften großen Genuß gewähren, deſſen pfychologifche
Einſicht werden fie weientlich fördern.
Damit man übrigens nidyt glaube, man finde in biefen Schriften
nur Theoretifches, fo theilen wir aus dem praftifchen Theile der zweiten
derfelben einen kurzen Paragraphen mit, der und Alle angeht und der
Beherzigung wohl werth if.
Seite 91 u. f. heißt es: „Hier müſſen wir. au einen Blick auf
die Eigenfchaften und Berhältniffe des Lehrers rihtn Wir ber
Thränfen uns dabei, in Betracht des Vorausgegangenen und des Nach⸗
- folgenden, auf kurze Bemerkungen, die ja ohnehin Punkte betreffen,
welche der unmittelbaren. Wahrnehmung nahe liegen und bereits vielfach
abgehandelt worden find.”
„Ein Lehrer fol die Menfchennatur, befonders die des Kindes,
fennen und achten (magnn puero ‚debetur reverentin, Quinctilian.)
und lieben, für deren edle, von dem Schöpfer vorgezeichnete Entwicke⸗
Iung begeiftert fein, Intereſſe an allem menſchlich Großen, dem Forts
fhritte unferes ganzen Gefchlechtes haben, den Förderungen und Hem⸗
mungen teffelben rege Aufmerffamteit und Theilnahme widmen, reine
Grundfäge, einen unerfchütterlihen Charakter und die ermutbigende
Meberzeugung beſitzen, daß der Herrgott feine Menfchheit nicht verläßt,
und daß diefe vorwärts kommen fann und will und muß, troß aller
momentanen Schwanfungen, aller finfteren und bösmwilligen Anfchläge,
die zu Beiten gegen diefelde zu Tage treten. Er muß ſtark genug fein,
auszuharren in feinem Streben, wenn aud die Großen der Welt fein
Werk gering ſchähen, wenn auch vergänglicher Glanz und Reichthum
Allgemeine Rädagogit. 569
‚nicht. ſein Antheil iſt, wenn er auch mur mid Kummer in die Aufunft
‚hauen kann, wo am Ende ‚einer ehrenvollen Laufbahn das graue Haar
und die Schwäche der Glieder die einzigen äußeren Beiden find, daß
er fein Leben edlem Dienfte geweiht hat. Er foll fih eifrig fortbilden
und nad Kräften auch die Eltern feiner Schüler mit den Anforderuns
gen und Regeln der fortgefchrittenen Erziehungsiehre befannt machen.“
„Das if in der That viel, fehr viel verlangt und erfordert ein
ſtetes Wachen und Streben. Außerdem werden dem Lehrerfiande noch
von allen Seiten Anforderungen und Verantwortlichkeiten aufgebürdet,
und ‚wird er einer fo Prengen Kritit unterworfen, wie dies ſonſt in
Bezug auf feinen Menſchen zu geſchehen pflegt, fo daß, man zu dem
Glauben verfucht fein. könnte, das Publikum, die verfchiedenen Klaffen
dar Geſellſchaft und manche Behörden verlangen in Summa, ein Lehrer
müffe Zauberer und Engel in einer Perſon fein, Man follte aber wiflen,
‚daß derartige Wehen, wenigflens in unfgrer Zeit, nicht fo billig zu bes
ſchaffen find, wie Die öffentlichen Jugenderzirber, daß diefeiben ihrer ur⸗
ſprünglichen Natur nad nicht weſentlich verfchieden ſind von Zürften
und Bifhöfen und Bettlern, und daß endlich hinfichtlich der öffentlichen
Erfcheinungsweife der Perfonen viel darauf ankommt, ob fie vermöge
ihrer Mittel das Menfchliche vollfländig, oder nur halb, oder gar nicht
vor der Welt verdeden Lönnen. Der Lehrer aber möge fih durd Uns
bilden nicht verſtiumen und beirten Iaffen, jedoch das ‚Dichterwort flets
beadten; „Der kann fih manchen Wunſch gewähren, wer kalt ſich ſelbſt
und feinem Willen lebt; allein wer Andre wohl zu leiten ſtrebt, "muß
fähig, fein, viel zu entbehren.“
Man wirft den Lehrern oft vor, daß fie hochmüthig und eins
gebildet auf ihr Willen fein Sie find allerdings in der Gefahr,
dies zu werden, wenn und fo ferm: fie immer Kindern und minder ger
bildeten Erwachſenen gegenüberfiehen, ſich in diefen Berhältniffen nur an
geißig Vefchränkten, meſſen und dabei ihre Vorzüge ſtark und oft vor
‚Kellen. Umgang mit Gelehrteren in der Form des verfönlichen Ders
Sehrs: und des Studiumd guter Dücer iR bier das Nadicalmittel ber
Berhütung und der Heilung.“
„Durch Heirathen ohne beſonnene. Wahl und ohne hinlaͤngliche
Mittel zus Gründung and Erhaltung eines anſtändigen Haushaltes ſetzen
ſich bekanntlich viele Lehrer großen Gefahren für, ihre Exiſtenz und ihren
harakter, aus. Und. wir mäflen mit Schmerzen gefichen, daß es auch
ip unferem Stande Männer gibt, die in ärmlcher Stellung oder ſelbſt⸗
verſchuldeter Noth moraliſchen Bankerott gemacht haben, über den Sof⸗
gen für des Leibes Nahrung und Nothdurft die Liebe zu den Kindern,
‚die Treue gegen die Freunde, dag Intereſſe an eigener Vollendung, den
Monnesfinn, ‚und die Weberzeugungstrene unwürdigen Maßregeln, Zur
mutbungen und Beranflaltungen gegenüber verloren haben!’ —
„Degen feine eigenen Kinder hat der Lehrer natürlich die allgemeis
nen Elternpflichten zu erfüllen und ſich dabei ganz. befonders der Ins
parteilichfeit und Strenge zu befleißigen. Hinfichtlih feines Standes im
Berhältniffe. zu. feinen, Kindern gelten die allgemeinen Regeln des vori⸗
670 Allgemeine Pädagogik. _
gen Baragraphen. Da übrigens der Lehrer feine Kräfte größtentheits
fremden Kindern widmen muß: fo leuchtet ein, wie nothwendig für feine
eigenen eine vortreffliche Mutter oder Stellvertreterin derjelben if.’
49. Naturwiffenfhaftlid pädagogifhe Briefe von Priedriä
Mann, Lehrer an der Thurgauifchen Kantonsſchule. Zweite Reihe. Gr. 8.
y 8 Frauenfeld, A. Reimmann. (Berlags:Eomptoir.) 1855. Geh.
Der Zitel ſcheint uns nicht glücklich gewählt zu fein; der Inhalt
iR aber gut, die Darfielung Mar und anziebend. Die „Erke Reihe
des Werkchens iſt uns nicht bekannt geworden, die zweite enthält Fol⸗
gendes:
1. Die Eigentbümlichkeit der Menfchennatur. 2. Geſchichte, Kunſt
und Wiffenfchaft in ihrem Zufammenwirken bei der Erziehung. 3. Ger
ſchichte. A. Die Künfte 5. Die Poeſie. 6. Naturwüchſige und res
mantifche Poeſie. 7. und 8. Die Dichtungsarten 9. Eine Schulfabel,
ein WBaldmährhen. 10. Der Organismus der Wiflenfharten (an der
Geſchichte der deutfhen Literatur zur Anfchauung gebracht). 14. Die
Wiſſenſchaft.
50. Phantaften und Gloſſen aus dem Tagebuche eines konſervativen
Pädagogen. Ein Beitrag zu der Geſchichte der pädagogiſchen Strebungen
der Gegenwart. 8. (VI u. 224 G.) St. Ballen, Scheitlin und Zoll
kofer. 1856. % Thlr.
Der ungenannte, den deutfchen Lehrern durch viele gute Schriften
gar wohl bekannte Verf. macht es fih in diefem Werfen zur Auf⸗
gabe, „die mancherlei Uebertreibungen, die nicht blos linke, fondern auch
rechts auf dem Felde der Pädagogik Statt finden,” zu gloſſtren. Es
gefchieht in geiftreicher, oft fatgrifcher, meiſtens zutreffender Weiſe. Doc
gelingt es ibm nicht durchweg, ſich felbf hierbei von Webertreibungen
frei zu balten, wie 3. B. in dem „Bericht des ehrwürdigen P. Rob
(m. i. 1.) an feinen Ordendgeneral ,’' in dem von der „Epidemie ber
Erklaͤrungsſucht“ in Bezug auf deutſche Ktaffifer die Rede ik. Er
überfieht dort den großen Unterfchied, der zwifchen einer münd lichen
Beiprehung und einer ſchrifthichen Erklärung eines Gedichtes Statt
findet, deren Zweck zugleich Verbreitung fiterarifcher Kenntniffe ik. Neben
Anderem tadelt er in Bezug auf Schiller's „Taucher,“ der ihm als
Beifpiel dient, daß die „Schulpedanten“ den „armen Schülern erzähl
ten, daß der rittertihe Züngling eigentlich fein Edelklnabe, ſondern ein
berühmter Taucher, Namens Nikolaus, mit dem Zunamen „der Fiſch“
(wegen feiner Geſchicklichkeit im Schwimmen fo genannt) gemwejen ſei,“
wodurd „von vornherein aller Schmelz und Glanz des WBunderbaren,
der fchönen Berföntichkeit und fittlichen Hochherzigkeit zerkört und fo
Die Lertüre der Klaſſiker überhaupt gründlich verleidet werde. Ich bes
fprehe dies Gedicht alljährlich in einer Oberklaſſe, pflege indeß in der
Regel die angezogene Erzählung nicht mitzutheilen, ungeachtet fie in
meinem „Commentar“ ficht. ber ich babe fie auch einige Mal mitges
theilt, natürlich nit zu Anfange, fondern zum Schluß der Beiprechung,
und dann jedes Mai erreicht, was ich erreichen wollte, nämlih Bewun⸗
Allgemeine Padagogit. 671
derung bes Dichters, der im Stande war, aus fo elendem Material ein
fo bedentendes Gedicht zu ſchaffen. Ein foldes Nefultat ſchlage ich
hoch an, da es zur Wertbfhägung der Klaffiter verbitft und zum Lefen
desfelden anreizt. Ueberhaupt ift es mir in meiner langen
Braris noch nie begegnet, dag den Schülern durd eins
gehende Erklärung die Lertäre der Klaffiter wäre ver»
leidet worden. Es iſt das eine auf gewiffer Seite jetzt beliebt ges
wordene Redensart, der ich aber mit aller Entſchiedenheit entgegentreten
muß. Auch Körner gebraucht fe in feiner „Geſchichte der Paͤdagogik,“
während er vor furzer Zeit noch felbft eingehende Gedichtserflärungen in
feinem „Praktiſchen Schulmann“ gab, fogar meine Bearbeitung des
„Zaudere. — Bas dem Sküler an einem Gedicht unverfiämdiicdh
if, das muß erflärt werden; die Klippe, vor der man fidh zu bewahren
hat, iſt das abſichttiche, ausführlide Anknüpfen von grammatifchen
Uebungen.
Dies eine Beiſpiel möge zeigen, daß man auch „Gloffen“ wieder
gloſſiren kann, beſonders ſolche, die ſich als „Phantaſien“ erweiſen.
Aber „darum Bine Feindſchaft nicht; das Buch iſt an und für ſich
vortrefflih und enthält viel Beherzigenswertbes, daher ich es auch hier⸗
mit den Lehrern beftens empfehle.
51. weite Discuſſion des alten Schulmeifters und des in ber
ädagogik vorherrfchenden Geiſtes. Al. 8. (65 ©.) Duisburg, Joh.
Gwid. 1855. !/s Ihlr.
Die „Erſte Diseuffton’ haben wir im vorigen Bande, ©. 544,
angezeigt und beflens empfohlen; die zweite fleht derfelben in feiner
Weite nad. Wir flimmen nicht überall mit dem Berf., der fi durch⸗
gängig als Idealiſt zeigt, überein, empfehlen das. Schriftchen aber doch,
da es anregt und belehrt, Erprobtes anempfiehlt. Näher auf den Ins .
halt einzugehen, fehlt es uns an Raum. Ä
52. Die zutzuf! der Volksſchule, oder: Drei Geſpräche über Gottes⸗
dienſt, Seelſorge und Unterricht für die Jugend. Ein Buch
für Alle, Die ein Herz für die Volkserziehung haben. 8. (VI u. 178 S.)
Leipzig. H. Luppe. 1856.
Der ungenannte, aller Wahrfcheintichkeit nach zu den Leipziger
Schuldirectoren gehörige Berf. zeichnet in den drei auf dem Zitel ge
nannten Gefpräden ein Bild der Volksſchule, wie fie fich in nächfter
Zukunft gefalten fol. Die alte, d. h. die gegenwärtige Volksſchule
leidet nah ihm an Bernachläffigung der Erziehung und-Ueberfhägung
des Willens. Die neue Volksſchule foll die fittliche und rekigiöfe Bil:
dung der Jugend als einen Hauptzweck anfehen und fie durch ange»
meflenere Behandlung der Kinder, theilweife Nachahmung des Familien-
lebens und Einführung der Kindergottesdienfte zu erreichen fuchen. Für
den Unterricht wird „Bereinfahung, Lebendigmakhung und Harmonie‘
empfohlen.
Auf Einzgelnes einzugehen müffen wir uns verfagen. Dagegen
Önnen wir wicht unterlaffen , auszuſprechen, daß der Geift, der im
Ganzen herrſcht, ein durchaus anerkennungswerther, ein peſtalozziſch⸗phi⸗
x
672 Allgemeine. Pädagogik.
lantropifcher, im beflen Einne des Wertes, if, Wickt bloß das Er⸗
fenntnißgvermögen, wie fo häufig geichieht, ſondern der ganze Menſch,
nach Leib und Seele, fol durch die Schule gebildet werden. Mit voller
Klarheit wird gezeigt, wie dies fehöne Ziel zw erreichen fei, am ums
faffendftien und treffendfien im zweiten Geſpraͤch. Das dritte if, wie
der Berf. felbft geftebt, etwas aphoriſtiſch ausgefallen, deutet Vieles nur
an. In dem wichtigen Begenkande der Welttunde wird die Ausfüh-
rung der befannten Graſer'ſchen Idee empfohlen,
Die Darkellung hat durch die Gaſprächoform an Lebendigkeit, nicht
aber an Weberfichtlichfeit gewonnen, was namentlih im dritten Theile
fühlbar wird. Die ald Gegner der Schule der Zukunft eingeführten
Lehrer find mißlungene Perfonen; die Rolle, welche namentlich Herr
„Dünkelmann“ ſpielt, iſt eine gar zu alberne. In den Schriften ber
Pädagogen it der Verf. in erfreuticher Weife heimifh. Die Gitate aus
Werken in lateinifher und franzöfiiher Sprache hätte er mit Kückßcht
auf die Volksfchullehrer, für die ex doch vorzugsweiſe fchrieb, in Ueber»
fegungen wiedergeben jollen.
Wir empfehlen das Büchlein der Aufmerkſamkeit der Lehrer.
53. Padagogiſches Bilderbuch; aber nicht für Ktinder, ſondern für
andere Leute. Herau egzen von Chriſtian Frymann. 8. (VIII m.
288 S.) Zürich, Orell, Füßli und Comp. 1855. I Thlr.
Seit 1848 wird der Schule der Verwurf gemacht, ſie habe nicht
geleiſtet, was fie verheißen und was man von ihr gehofft. Dieſer Bor»
wurf ift eben fo hart als ungereht. In Bezug auf das Unheil, was
jenes Jahr ung gebracht hat, müflen wir Alle, die Regierenden wie
Die NRegierten, fagen: „Wir haben Alle mannigfah gefehlt. Damit
fol nun aber nicht gefagt fein, dag die Schule, insbeſondere die Volls⸗
fhule, von der wir bier veden, keiner Verbeflerung mehr fähig, bei
zwedmäßigerer Einrichtung nicht im Stande fei,. Beſſeres zu leiten; is
Gegentheil: es wird und muß dahin fommen, daß fie befriedigendere
Mejultate liefert. Diejer Anficht ift auch der Berf. bes „Pädag. Silder⸗
buches.“ Er findet die Haupturſachen für die mangelhaften Leiftungen
der meitejaule
a. in der häuslichen Erziehung,
u in den Vorfteherfchaften und Auffichtsbehörden,
e. in übertriebenen Anforderungen an die auf das Alter der
Kindheit befchränkte Schule und in den unverfändigen Er⸗
wartungen von berjelben,
d. in dem ungünftigen Einflufie, den hochgeſtellte Männer durch
Rede, Schrift und That ausüben;
1, in manchen Lehrern, nach ihrer Bildung und Gefinnung, ihrer
Stellung und Thätigkeit.
Um dem Leſer dieſe Urfachen recht klar zu machen, um recht eins
dringlich zu wirken, führt der Berf. „Anſchauungen und Darftellungen
aus dem mirklihen Leben vor. Ueber dieje ſehr gelungenen Bilder
Rellt er dann in einem beſondern Abſchnitte Betrachtungen an, theilt
feine Unfihten mit und gibt Rathſchläge. Ueberall erfennt man, Daß ker
Allgemeine Pädagogik. 673
Berf. ein erfahrener Mann, ein warmer Freund der Volksſchule und
ein gewandter Schriftſteller if. Wir empfehlen das Buch Lehrern,
Schulbehoͤrden, Eltern, überhaupt allen Schulfreunden zum Spiegel.
Der befiern Einfiht halber theilen wir noch den Inhalt deffelben mit.
1. Abth. A. Bilder aus häuslicher Erziehung. 2. Lügen. 2. Bet⸗
tein. 8. Glaubensfpötterei. 4 Förderung bes Aberglaubens. 5. Bes
trügerei. 6. Dieberei. 7. Mobheit und Stumpffinn. 8. Sinnlichkeit
und Berweichlihung. 9. Eitelkeit und Weberforderung. 10. Häusliches
Leben in Allingen. B. 11. Eine Seffion des Kirchen» und Schulcon⸗
ventes in Schiuffingen. C. 12. Rede des Schulpräfidenten vor der
Wahl eines Lehrers. D. Anfihten über Bolfsbildung, auf „höherem
Standpunkte‘ gewonnen. Drei Briefe eines Staatsmannes an einen
Schulmann.
II. Abth. A. Schattenriſſe aus dem Perſonal der Volksſchullehrer.
1. Ein todtkranker Lehrer. 2. Ein altersſchwacher Lehrer. 3. Ein
blutarmer Lehrer. 4. Ein verwirrter Lehrer. 5. Ein verbauerter Lehrer.
6. Ein fauler Lehrer. 7. Ein eitler Lehrer. 8. Ein leichtfinniger
Lehrer. B. Notizen aus dem Gedenkbuche eines Schulinfpectors.
III. Abth. Betrachtungen und Anfichten eines Echulmannes (über
das Vorhergehende).
54. Bädagogifhe Samenkörner. Gin Beitrag zur Reform des Volks⸗
fhulunterrichts. Gefammelt und herausgegeben von einem Volkaſchullehrer
des Regierungabegirts Erfurt. 8. (VIO u. 87 ©.) Langenfalza, 3.8.
Klinghbammer. 1854. Yı Thlr.
Dies Büchlein enthält eine Reihe von Ausfprücen befannter Bär
dagogen über den Bolksfchulunterricht und den Volksſchullehrer. Der
Berf. hofft durch daflelbe die ‚neue Richtung der Schule,’ „kindlich
und gemüthlich zu unterrichten,‘ zu fördern, ja erhebt fi in reforma⸗
torifhen Erregungen fogar bis zu der Kühnheit, fein Büchlein als
„einen freundlichen Morgenftern’’ zu bezeichnen, „der nach einer dunfeln,
fürmifchen, unheilvollen- Nacht einen Tieblichen Morgen, und einen nod
ſchönern Tag verkündet.” Selbſt „Gegner und Feinde, Die dem Kinds
lein nad dem Leben trachten werden‘, fürchtet er. Beides find arge
Zäufchungen, von denen der Verf. feit dem Erfcheinen feines Buches
(1854) wohl bereits zurüdgelommen fein wird. Mit fo barmlofen
Sammlungen bringt man derartige Wirkungen nicht hervor.
Neben lebensfriſchen „Samenkörnern“ findet man übrigens in
diefer Sammlung auch „taube,' fo 3. B. in Nr. 64, wo behauptet
wird, daß der erfahrene Schulmann das Streben, die Leſebücher
aus der Schule zu entfernen und die Bibel als alleiniges
Leſebuch gelten zu laffen, nur gut beißen könne. Fünfund—⸗
dreißig jährige Erfahrung (abgefehen von andern Gründen) ber
fimmt mid, dies Urtheil als eine der unheilvollſten Verkehrt⸗
beiten zu bezeichnen, die je erdacht worden if.
55. Das vaterländifche Element in der deuiſchen Schule. Dier
Schufreden von Dr. Georg Weber, Profeffor und Gchuldirertor in
Heidelberg. Gr. 8. (67 ©.) Leipzig, W. Engelmann. 1857,
Das find Reden, wie fie Herder feiner Zeit im Gymnaſium zu
Nade, Iahresberidt. X. . 43
674 Allgemeine Paͤdagogik.
Weimar gehalten Bat: voll von anregenden, wahren, beherzigenswerthen
Gedanken, dargeboten in fchöner Form. Die erfle Rede bat die Ueber⸗
Schrift: Alte und neue Erziehungswege. Bumamisnus und Realismus
werden darin beleuchtet. An die Stelle des ‚alten Humanismus mit
feinem geiflofen Formenweſen und feiner pedantifchen Zucht IR ein neuer
Sumanismus getreten,’ defien Lehranftalten die Bbilanthropien find,
denen wir die Realſchulen, die Volksſchulen nebſt Seminaren und das
Zurnweien danken. Aber diefe Anflalten können ‚weder durch Die mas
terialiſtiſchen (?) Realwiſſenſchaften noch durch die ſtrengkirchliche Keli⸗
gionobildung ihren Zielen nahe geführt werden, wie die Erfahrung ge⸗
kehrt bat. Es muß ein neues Element herbeigezogen werden, das dem
Nealismus die ethifche Grundlage und der chriſtlichen Religionslehre den
praftifchen Boden bietet; dieſes neue Element fehen wir in eines was
tional⸗geſchichtlichen und in einer vaterländifdsliteraris
fhen Erziehung. Bir müſſen die deutiche Geſchichte in das Volke⸗
bewußtfein zurüdführen und Ser; und Geil der Jugend an den edten
Erzeugniffen unferer Dichter und Denker bilden und flärfen.” — „Um
das vaterländiihe Gefühl in der Jugend zu weden und zu kräftigen,
müßte man den ganzen Unterricht mehr concentriren und mit dem Deuts
fyen Land und Volk in die innigfte Beziehung fegen. Die deutſche
Sprache und Literatur, die Gefchichte und Erdkunde müßten den Mittels
punft des Unterrichts bilden und bei allen übrigen Lehrzweigen, die
eine territoriale und völfergefchichtliche Bebandlung zulaſſen, müßte Die
beimathliche Seite ſtets in den Vordergrund treten.” Dieje und ähn-
iche Gedanken find es, welche der Berf. in treffliher Weile dariegt.
ie drei folgenden Reden find fyecielere Ausführungen der Grundge⸗
danken ber erflen. Es wird in ihnen gezeigt, wie vaterländifche Geſin⸗
nung gewedt und genährt werden muß durch den geograpbifchen, gee
fhichtlichen, ſprachlichen und literaturbiftorifhen Unterricht. Mehrfach
werden dieſen Gegenfländen neue und bedeutungsvolle Seiten abgewone
nen, von deren Hervorhebung wir abflehen, da wir wünjden, bie Lehrer
mögen fie in dem Büchlein felbft auffuchen.
56. Ueber nationale Erziehung. Schulrede, gehalten am 15. Drtobeg
1855 von C. Kod. Gr. 8. (176. Anclam, W. Diege. 1855. 3 Ser.
Bildung zur Nationalität wird nah dem Verf. erreicht, wenn wiz
die Jugend befannt machen mit der Größe und Herrlichkeit des Vaters
Jandes, mit der Weichichte des Volkes, mit den Kunſtwerken der deut⸗—
fen Sprache und mit der deutichen Mufik. Wir flimmen dem Berf,
bei und empfeblen feine Rede.
IV. Schriften über Schuleinrihtung.
57. Ueber den Bildungsgang des Volksſchullebrers mit beionderer
Berüdfihtigung der und der Schullehrer⸗Seminarien. Ein But
achten von Br. A. W. Steglih, Director des reiberrlich p. Flezcher⸗
fhen Schuliehrer⸗ Seminars zu Dresden. Gr. 5, (XII und 187 ©.)
Dredden, R. Kunge. 1857. 1 Thlr.
Bildungsgang und Bildungsmaß der Volksſchullehrer gehören zu
Allgemeine Pädagogit. *
den Gegenfländen, über die man namentlich ſeit 1848 bie verſchieden⸗
artigften, oft ganz entgegengefehten Anfichten hört. Beſondere Anfalten,
Seminare, für Lehrerbildung halten wohl Alle für erforderlich; aber
über ‚die Vorbereitung zu denfelben und über das Maß der im Seminar
zu gewährenden Bildung ift man nicht einig. Die Einen verlangen
Vorbereitung zum Seminar durch Mealfhulen und wünſchen das Bile
dungsmaß ber Lehrer möglich gefeigert zu ſehen; die Andern halten
eine Vorbildung in der flillen Familie eines einzelnen Lehrers, wo moͤg⸗
lich Landlehrers, oder, wenn auf diefem Wege das Bebürfniß nicht ganz
befriedigt: werden Tann, in befonderen, nicht zu ausgedehnten Präparanı
denanflalten für das Beſte, und wollen das Maß der Kenntnifle im
Ganzen auf das unmittelbare Bebürfnig der Volksſchule beſchraͤnken,
damit ber Lehrer fih in feinem Wirkungskreife nicht unbehaglich fühle,
nicht nach höheren Dingen firebe, nicht durch Bildung über die Glieder
feiner Gemeinde hervorrage, nicht fähig ſei zum Volkslehrer.
Zu den Lebteren gehört auch unfer Verfaſſer. Wenn er ih auch
nicht zu Denen zählt, die der Meinung find, daß vorgugsweife die Hal
tung der: überbitdeten (vexbildeten, hatbgebildeten) Bolfsfchulichrer die
Begebenheiten von 1848 und 409 herbeigeführt haben, fo glaubt ex
doch, Daß ein befcheldenes Maß von Kenntniffen ihren Berbältniffen an⸗
gemeſſener fei, als ein umfangreicheres Wiſſen, ungeachtet ex andererfeitg
zugiebt, daß eigentlich nur wiffenfchaftlich, namentlich theologiſch gebildete
Lehrer im Stande feien, guten Unterricht in der Religion und in der
beutfhen Sprache zu ertheilen. Seine zwanzigiährige Thaͤtigkeit nie
Seminardirector hat ihn zu diefer Anfiht gebraht. Wir haben vor
folher Erfahrung allen Reſpect, können fie indeß doch nicht: maßgebend
fein laſſen, ba gerade fange Praxis in beftimmter Begrenzung fehr ges
eignet if, die Freiheit des Umblides zu beengen. Mir bat fih die in
ullen Lebensverhältniffen für zichtig gehaltene Annahme, daß die Tüchtig⸗
keit eines Arbeiters, vom Wollfpinner bis zum Minifter hinauf, mit
feiner Geſchicklichkeit (Bildung) wächſt, auch im Lehrerkande bewahrheitet.
Stets habe ich in den Kreifen meiner Beobachtung wahrgenommen, daß
Lehrer mit mangelhaften Kenntniffen aud bei großer Treue nur Unges
nügendes leifteten, während Diejenigen, welche tiefer in die Unterrichts⸗
gegenflände eingedrungen waren, ihre Schüler fihtlich förderten und für
Erforfchung der Wahrheit begeifterten. Ebenfo fand ich, daß die kenntniß⸗
reicheren Lehrer in der Gemeinde ſtets höher geachtet wurden als Die
dürftig ausgeftatteten, was natürlich auch fehr bald eine höhere Achtung
von Geiten der Jugend hervorrief und zur Steigerung der Wirkfamteit
wefentlih beitrug. Den widerwärtigen Dünfel, über den fo oft, häufig
auch ohne allen Grund, geflagt wird, fand ich bei balbgebildeten Lehrern
ſtets greller bervortreten, als bei wirklich gebildeten. Aus dieſen und
andern Gründen rede ich einer möglihft umfaffenden, immer mehr und
mehr zur DBervolllommnung reizenden Bildung der Lehrer das Wort
und lebe der Weberzeugung, daß wahre Bildung, wie fle unfern Volle
dllerwärts, in Stadt und Land, noth thut, nur er dann wird vers
breitet werden, wenn Die Lehrer in ihrer Weife, P. h. für ihren
43*
676 Allgemeine Pädagogik.
Beruf, ebenfo durchgearbeitet fein werden, wie bie Prediger für. ben
ihrigen.
i Mit Rückficht auf die Wichtigkeit des Gegenſtandes, den die genannte
Schrift behandelt, gehen wir etwas näher auf den folgendermaßen ges
gliederten Inhalt ein: 1. Was ift bie Aufgabe der Volksſchule? 2. Wie.
foll der Lehrer befchaffen fein, der an einer Volksſchule angeftellt wird ?
8. In wie weit haben die bisherigen Binrihtungen zur Seranbildung
von Bolfsfhullehrern genügt? A. Unter welchen allgemeinen Voraus⸗
fegungen fönnen die Forderungen erfüllt werden, die man an Volksſchul⸗
tehrer zu machen hat? 5. Welche befondern Beranflaltungen erfcheinen
nun ale zwedmäßig zur Heranbildung von Volksſchullehrern? — Anhang.
Die Antwort auf die erfle diefer Fragen Ichließt fh an eine Bes
fimmung der Sächfifchen Regierung vom 6. Juni 1835 an. Borläufig
wird man mit dem geforderten Minimum überall zufrieden fein mäffen.
Um die Aufgabe der Bolfsfchule glüdlih Löfen zu können, muß
der Lehrer (nad Kap. 2) vier Korderungen entfprechen; er muß nämlich
1. im Stande fein, Kinder zu erziehen und die ihm übergebene Kaffe
oder Schule in der rechten Zucht zu erhalten; 2. mindeflens die Kennt⸗
niffe und Fertigkeiten befigen, welche er feinen Schülern mittbeilen fol;
3. dieſe Kenntniffe mitzutheilen und durch dieſe Diittheilungen erziebend
und bildend einzumwirfen vermögen; 4. fo viel muflfalifche Kenntniffe und
Fertigkeiten befigen, al8 zur Leitung des kirchlichen Gejanges erforderlich
find. Außerdem wird verlangt, daß der Lehrer eine chriftliche Geſinnung,
kirchlichen Sinn und Liebe zum Baterlande babe. Wo diefen letzteren
Sorderungen entjprochen wird, „kann man fi) auch mit geringen 2eis
Aungen in Hinfiht auf Kenntniffe und Fertigkeiten begnügen. Den
Lehrer fo weit zu bitden, daß er zum Volkslehrer fid eigne, alſo
‚feine Zeitgenofien (Gemeindeglieder) an Bildung des Geifles und an
Kenntniffen überrage,“ lehnt der Verf. entjchieden ab, wie Allee, was
fpeciell Darauf zielt, ihm den Anftrich eines „Gebildeten“ zu geben. Auch
bie Forderung, den Lehrer zum Taubſtummenunterricht zu befähigen, er⸗
Märt er für eine zu weit gehende.
Da der Berf. fpäter fpecieller das Maß der Kenntniffe, die ein Lehrer
haben fol, bezeichnet, fo fparen wir unfere Bemerkungen hierüber bis
dahin auf.
Im 3. Kap. beleuchtet der Verf. die verfchiedenen Bildungewege für
die Lehrer. Mit Recht verwirft er die ausschließlich praftifche Borbereis
tung bei einem 2ehrer, fo wie die theoretifche auf Gymnafien und Unis
verfitäten und erklärt fich für die theoretifchspraftifche, wie die Seminare
fie gewähren. „Den Borwurf, daß der Seminarunterridht „zum Uns
glauben, zur Unzufriedenheit mit der beftehenden Staatsregierung führe,
die Bielwifferei und Oberflächlichfeit befördere, Düntel und Hochmuth
bervorrufe, lehnt der Verf. ab oder hält ihn höchſtens für einige Se
minare zutreffend.
Zu den allgemeinen Borausfegungen, unter denen die Forderungen
erfüllt werden fünnen, die man an den Bolksfchullehrer zu machen bat,
sechnet der Verf. in Kap. 4, daß berfelbe gefund, koͤrperlich tüchtig ſei,
Allgemeine Paͤdagogik. 677
ziemlich gute Geiſtesanlagen habe, ſelbſt erzogen fei, die für den Beruf
nöthigen Kenntniffe befite und nicht vor erreichtem männlichen Alter ans
gefellt werde, wenigftens nicht definitiv. Mit dieſen Korderungen find
wir ganz einverflanden, namentlich mit der letzteren. Es tft unglaublich,
was für amtliche und außeramtliche Ungehörigfeiten von Lehrern ausge»
ben, die zu jung ins Amt kommen. Zum Schluß warnt der Berf. vor
dem zu frühen Heirathen der Lehrer, da zu diefem wichtigen Schritte
größere Reife und Erfahrung erforderlich fei, als ein junger Mann fie
beige, dem wir ebenfalls nur beipflichten können.
Das 5. Kap. bildet den Haupttheil des Buches. Es behandelt die
ganze Zeit der Ausbildung eines Knaben und Sünglings zum Volks⸗
fhullehrer, von erfolgtem Austritt aus der Volksſchule an bis zu feinem
Eintritt in ein fländige& Lehramt, oder vom 14. bis zum 25. Lebens«
jahre. Diefe Zeit wird naturgemäß in drei Abfchnitte getheilt, nämlich
in die Zeit 1. vom vollendeten 14. bis zum vollendeten 17. Lebensjahre;
2. von da bis zum vollendeten 21. Lebensjahre; 3. von da bis zum
25. Lebensjahre, als der Zeit des beginnenden männlichen Alters. Hieran
werden dann noch einige Bemerkungen über die Fortbildung fländiger
Lehrer gereiht.
Der erfte diefer Abfchnitte umfaßt die Profeminarzeit. Es
wird zuerſt fegeftellt, was der Knabe in diefer Zeit lernen fol. Im
Ganzen wird nur größere Befeftigung deffen verlangt, was eine gute Volls⸗
ſchule leiſtet. Im Religionsunterricht und in der Muſik werden die For⸗
derungen etwas gefleigert und Anfänge in der lateiniſchen Sprache für
wünfchenswertb erklärt.
Nah unferm Dafürhalten genügt das nicht: in allen Gegenflän«
den Tann und muß über das Ziel auch der beſten Volksſchule hinausges
gangen werden, wenn es in den Seminarien beffer werben fol. Es
wird dies mit Leichtigkeit möglich fein, wenn die Knaben in diefer Zeit
eine gute Realſchule oder, fals diefe fehlt, eine gute Präparandenanftait
beſuchen. Gegen den Beſuch einer Nealfchule erklärt der Verf. fi uns
bedingt, weil diefelbe weder für die Erziehung, noch für die religidfe und.
insbefondere die mufllalifhe Bildung das Erforderliche leifte, die Auf
merkſamkeit der Schüler außerdem auf viele Dinge richte, die für den
künftigen Lehrer entbehrlich fein. Wo es fi darum handelt, den fünfs
tigen Lehrern eine möglich ifolirte Stellung in der Welt zu geben, fie
für ihren Beruf zu drefiiren, da haben diefe Einwendungen Grund, nicht
aber da, wo man eine Stellung der Lehrer für nothwendig erachtet, wie
die Glieder anderer Stände fie haben. So lange man nicht den fünf-
tigen Zheologen mit dem 14. Jahre in befondere, fpeciell für feinen Bes
ruf berechnete Anftalten bringt, fann man aud bei denen davon abſehen,
die fi dem Lehrerberufe gewidmet haben, und ihnen getrof den Beſuch
einer Realfhule, etwa bie zur Secunda, geflatten. Ich fenne mehrere
Lehrer, die diefen Bildungsgang eingefchlagen haben, und fih jebt in:
ihrem Amte auszeichnen.
Wie die Realfehulen, fo genügen dem Berf. auch die befonderen,
gewöhnlich mit einem Seminar verbundenen Präparandenanfalten nicht,
678 Allgemeine Pädagogik.
da Erziehung und Unterricht jungen, noch unreifen Ouffslehrern und
Geminariften anvertraut werde. Am vortheilhafteflen erachtet ex es, wenn
die Anaben einzeln oder allenfalls zu zwei, höchftend zu drei von einem
tüchtigen Landlehrer in Gemeinfchaft mit dem Pfarrer vorbereitet werden.
Kann man aber hierzu nicht Lehrer genug finden, fo ſolle man zweiklaſ⸗
fige Profeminarien mit befonderen Lehrern errichten, in jeder Klaffe ders
felben jedoch nicht viel über 20, höchſtens 30 Zöglinge aufnehmen. Der
praktifchen Vorbereitung halber follen diefelben jedoch nach ein oder zwei
Fahren die Anftalt verlaffen und fih dann (je 1 -3) bei einem Schul⸗
tehrer auf dem Lande wiiter vorbereiten.
Bir halten diefen Borfchlag für ganz geeignet, die Bildungszeit
der jungen Leute zu zerreißen, ihr Kortichreiten zu behindern und müſſen
und deshalb entfchieden dagegen erflären. May laffe die Präparanden
in Familien wohnen, namentlid in folchen, ıwo kleinere Kinder find, und
fie werden ſich die erwünfcte Praxis, die Fähigkeit, mit Kindern umzu⸗
geben, aneignen. Je fünfllicher die Bildungswege für die Lehrer anger
legt werden, je mehr fie fih von denen für andere Stände entfernen, dee
weniger werden fie ihrem Zwede entfprecen.
Der zweite Abſchnitt behandelt die Seminarzeit, und zwar a.
den Unterricht, b. die erziehliche Leitung der Geminariften, c. die Ans
Rellung der Seminarlehrer und die DBertheilung des Unterrichts unter
diefelben, d. die Lehrmittel des Seminars, e. die Abgangsprüfung, S. Das
Derhältni des Seminars nach außen.
Die Seminarzeit wird auf A Jahre fehlgefeßt, und zwar, wie aus
einem Anhange (S. 172) erfichtli wird, nicht in der Abfiht, daß Die
Zöpfinge „recht viel lernen, fondern reif werden zur Erziehung der Zus
gend und zur Verwaltung einer Schule oder Klaſſe.“ Um tas Zuviel
lernen zu verbüten, empfiehlt der Berf. ausgedehntere Gartens und lands
wirtbfchaftliche Arbeiten, Beſuch der Werffätten der Handwerker, Buch⸗
binders und Drechslerarbeit.
Sind das nicht trefflihe Zdeen? Sollte man übrigens durch die
emipfohlenen Handarbeiten die Zeit noch nicht voͤllig conſumiren koͤnnen,
ſo dürften ſich vieleicht täglich einige Stunden „ſtille Denkübungen,“
wie man dergleichen bier und da auch in Schulen antrifft, empfehlen ;
die Seminariften würden dadurch auch nach dieſer Richtung Hin für ihr
Amt vorbereitet.
In Bezug auf den Unterricht fordert der Verf. im Allgemeinen,
den Lehrer fo zu bilden, daß er im Stande fei, „ſelbſtſtaͤndig und nad
eigener Weberlegung das für feine Schule Paffende auszuwählen.“ Die
4 Seminarjahre follen fo vertheilt werden, daß in der Hauptſache die
erſte Sälfte mehr für den eigenen Unterricht, die zweite mehr für die
praftifche Unweifung zum Unterrichtertheilen beftimmt wird. Der relle
giöfe, fprachliche und muſikaliſche Unterricht fol jedoch durch alie A Jahre
fottgefeßt werden.
Hierauf wird nun fehgeflellt, was in jedem Unterrichtsgegenſtaude
zu beißen iſt. Wir ſtizziren diefe Ziele kurz.
1. Religion. a. Bibliſche Geſchichte, b. chriſtliche Kirchengeſchichte,
Allgemeine Pädagogik. 679
6. Bibellefen, d. Katechiomus, e. Unterſcheidungẽlchren der Arifitihen
Kirchen und Parteien im Baterlande, f. Bekanntſchaft mit den Kernlies
dern der evangelifhen Kirche, ge. Wiederholung der gehörten Predigt,
hUnterticht über das Kirchenjahr, i. theoretifche und praktiſche Anteitung
zur Ertheilung des gefammten Religionsunterrichte. — Grzäblungen,
welche in den Volksſchulen vorzugsmeife befprochen werden, follen fich
die Seminariften „wo möglich wörtlich einprägen.’
2. Sprade. a. Uebung im richtigen mündlichen und I. ſchrift⸗
lichen Ausdrud, c. Anleitung zum guten Borlefen, befonderd zum Bors
lefen von Bredigten, d. populärer Unterricht der deutichen Sprachlehre,
e, „einige Kenntniß der befonders für die Bolksfchule und Kirche wich⸗
tigſten Literatur (Schriften über die Gegenſtände des Unterrichts, Kin⸗
derfchriften, Predigten, Kirchenlieder) — nicht Literaturgefchichte,” ſ. Un⸗
terricht in der lateinifchen Sprache, g. theoretifche und praftifche Anlei⸗
tung zur Ertbeilung des Sprahunterrichts in der Volksſchule.
In diefem wichtigen Unterrichtögegenftande vermiffen wir Kenntniß
und Berkändniß der durch die Schullefebücher verbreiteten profaifchen und -
yoetifhen Stüde. Bei der außerordentlihen Wichtigkeit, welche das
Leſebuch in der Schulte hat, gegenwärtig namentlich auch in Bezug auf
einen fruchtbaren Sprachunterricht, darf Fein Seminarift entlaſſen werden,
der mit diefen Stoffen nicht ganz vertraut wäre und He fachgemäß zu
behandeln wüßte. Im Intereſſe der fünftigen Lehrer ſelbſt muß aber
dad Seminar nod einen Schritt weiter gehen: es muß die Seminariften
befannt machen mit den vorzüglichfien Gedichten und populär gewordenen
größeren Schöpfungen unferer Hafliihen Dichter: Goͤthe's, Schiller's,
Lefling’s, Uhland’s u. A In diefem Material if ein Bildungsftoff ent
halten, der durch nichts Anderes erfeht werden fann. Werden die Se⸗
minariften durch eingebendes Beiprechen bierauf nicht eindringlich hinge⸗
wielen, fo bringt man fie oft für ihr ganzes fpäteres Leben um Genüſſe
der edelften Art, um eins der einflußreihften Mittel für ihre Fortbil⸗
dung, gamz abgefehen davon, daß Nichtfenntniß unferer großen Dichter
fie überall bloßſtellt. Giebt man den ganz entbehrlichen Unterricht im
Lateinifhen, im dem bei 2 wöchentlichen Stunden doch nur wenig geleis
Ket wird, auf, fo bleibt Zeit genug, dieſer Forderung Genüge zu leiſten.
Auch für einen kurzen Ueberbiid der Literaturgefchichte, die der Verf. runds
weg und ohne alle Gründe abmweift, bleiben dann noch ein paar Dugend
Stunden übrig.
3. Mufif. a. Uebung im Gefange, b. Anweiſung zur Ertheilung
des Gefangunterrichts in der Schule, c. Biolinunterriht, der fo lange
fortzufegen if, ,‚bi® die Seminariften die in der Schule zu fingenden
Ghoralmelodien und Arien fe und rein fpielen können,“ d. Unterricht
m Orgelſpiel, e. Belanntihaft mit der Orgel, um Beine Reparaturen
ſelbſt beforgen zu können, S. theoretiicher Unterricht in der Muſik, Behufs
ber gefammten muſikaliſchen Ansbitdung.
4. Rechnen und Geometrie Im Rechnen wird die erforder
liche Fertigkeit vorausgeſetzt; der Unterricht bat es daher nur auf Ans
weifung zum Ertheilen des Rechenunterrichts in der Volkoſchule abzufehen.
680 Allgemeine Paͤdagogik.
In der Geometrie foll hauptfählih die Bormenlehre hervorgehoben, in
der Planimetrie und Stereometrie nur die allerwichtigſten Säge in fteter
Anwendung auf das praftifche Leben behandelt werden.
Diefe Forderungen find viel zu niedrig, da der Berf. von den Praͤ⸗
paranden im Rechnen auch nur „Befeſtigung deſſen, was in einer guten
Volksſchule vorkommt,“ fordert.
5. Gemeinnügige Gegenfände (Weltkunde). Um firebfame
Lehrer und foldhe, die gern mit ihren Schülern glänzen wollen, vor der
Verſuchung zu bewahren, dies Unterrichtsgebiet zu erweitern, fol ſich Das
Seminar, was den Stoff anbelangt, in der Hauptfache nicht mehr geben,
als in jeder guten Bollsfchule vorfommen muß. Wii ein Zögling mehr
lernen, fo möge das feinem Privatkudium und feiner Kortbildung nach dem
Austritte aus dem Seminar überlaffen bleiben. In einem Anhange (S. 181
u. f.) fpricht der Verf. noch befonders über „die Berüdiidhtigung der Raturs
wiffenfchaften und der Mathematif bei der Bildung des Volksſchullehrers,“
Bleibt aber auch Dort bei dem fchon hier bezeichneten Minimum ftehen.
. Diefe Beichränfung der Realien ift in einer Zeit, wo namentlich
die Naturwiſſenſchaften den Mittelpunff und die Orundlage aller indu⸗
ftriellen Zortfchritte bilden, unnatürlich, und wir bedauern, fie von einem
Manne in fo einflußreiher Stelung ausgeben zu fehen. Lehrer mit uns
genügenden Real» und Literaturfenntniffen find nach unferm Dafürbalten
jett ſehr befremdliche Erſcheinungen.
6. Im Schreiben foll nur Anleitung zur Ertheilung dieſes Uns
terrichtsgegenftandes gegeben werden.
T. Das Beinen Non vorzugsweife Gegenfand „der eigenen
Uebung“ fein.
Wir halten dafür, daB dem Zeichnen größere MWichtigfeit beizulegen
iR, und zwar hauptſächlich, um den Kunftfinn der Zöglinge zu läutern.
8. Das Turnen foll möglihft ohne Geräthe vorgenommen werden.
Militärifche Webungen werden empfohlen.
9. In der Pädagogik foll vorkommen: a. Anleitung zur Erzie⸗
bung, b. zum Unterricht in der Volksſchule, v. Anthropologie, insbeſon⸗
dere Piychologie, d. Uebung in der Bildung und Erklärung von Begrifs
fen, Urtheiten und Schlüſſen (Denfübungen), e. Kenntniß der Schulge⸗
feßgebung des Landes, f. Gefchichte der Erziehung und des Unterrichts,
g. NRatbichläge für das Berhalten der Lehrer in den Lebensverhältniffen,
in die fie zunächft treten.
Manches von dem Genannten gehört nicht zur Pädagogif, muß in,
deß in einem Seminar doch zur Sprache fommen, ob hier oder ander
* (die Denfübungen z. B. im Sprachunterricht), bleibt ſich zuletzt
gleich.
10. Für die praktiſche Bildung der Seminariſten fordert der
Berf., daß die Seminariften a. mehrere tüchtige Lehrer Tängere Zeit in
in ihrer Schulthätigkeit, b. Kinder verfchiedenen Alters und Geichlechts
in und außer der Schule beobachten, c. unter Auffiht und Leitung der
Lehrer fich feib in den verfchiedenen Klaffen der Schulen im Unterrichte
und in der Leitung diefer Klaffen üben.
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Allgemeine Pädagogik, 681
Damit find wir ganz einnerflanden.
In dem Abfchnitt über „die erziehliche Beitung der Seminas
riſten“ erklärt fi der Berf. für güt eingerichtete Internate von mäßigem
Umfange. Seminare niit 100 oder 150 Zöglingen wirken nad feiner
Anficht in mehrfacher Beziehung verderbli, worin wir ihm gern beis
pflichten. Wo ein zwedmäßtiges Internat nicht hergeftellt werden kann,
wi der Berf. auch das Erternat geflatten, bringt indeß viele Bedenk⸗
lichkeiten dagegen vor. Wir können diefelben nicht alle theilen und halten
den Gewinn, der den Seminariften aus dem Verkehr mit Familien ers
wähf, für fehr belangreich in Bezug auf feine fpätere Lehrerthätigfeit.
Bon den Seminarlehbrern fordert der Verf., daß ſie chriſtliche
Erzieher und vertraut mit dem Volksſchulweſen feien. Beide Forderungen
find bedeutungsvoll; wir hatten häufig Gelegenheit zu feben, daß ihnen
nicht Rechnung getragen wurde. Der Anftellung von Fachlehrern ift der
Berf. entjchieden entgegen, da es ſich bei den Seminarzöglingen nicht
vorzugsweife um Förderung von Kenntniſſen und Fertigkeiten handle.
Diele Uebelftände, die man der Seminarbildung zur Laft legt, follen in
der Anftellung von Fachlehrern ihren Grund haben. „Die Anftellung
von Fachlehrern an Seminarien,” heißt e8 ©. 126, „entrückt Lehrer und
Schüler dem Kreife der Bolksfchule, und zwar um fo mehr, je mehr fich
der Fachlehrer in feinem Fache auszeichnet und auszuzeichnen firebt, je
einfeitiger er feine Zhätigfeit demfelben allein zuwendet, und je weniger
fein früherer Bildungsgang die Kreiſe der Volksſchule berührt Iat. Die
Anſtellung eines befondern Fachlehrers für Naturwiffenichaften kann auch
Gefahren für die religidfe Bildung der Zöglinge herbeiführen und die
eines befondern Muſiklehrers Nachtheile durch gefellige Verbindungen haben.
Was das Erfte anlangt, fo weiß ich fehr wohl, daß die Natur auch eine
Dffenbarung Gottes if, und daß viele Naturforfcher und Raturfundige
in der Natur Gott fuchen und finden; aber es liegt ja offen zu Tage,
daß viele naturwiſſenſchaftliche Schriften geradezu Unglauben Iehren, und
daß viele Männer, die fih mit den NRaturwiffenfchaften befchäftigen, „die
Natur’ anflatt ihres Schöpfers ehren und preifen. Gin Mann, der fi
bloß mit Naturwiffenfchaften befchäftigt, wird ſolcher Lectüre und folchen
Umgangs gar nicht entbehren können, und es gehört große Entſchieden⸗
heit und Feſtigkeit der religiöfen Ueberzeugung und des innern religiöfen
Lebens dazu, wenn er dann derartigen, verderblichen Einfluß ganz von
fih und feinen Schülern abwehren will. In ähnlicher Weife kann der
Mufiklehrer, zumal in größeren Städten, in Gefahr fommen, fi in das
weltliche, Teichtfertige Treiben hineinziehen zu Taffen, welches vielen eigen
if, die fih mit Geſang und Muſik befchäftigen. Und auf die jungen
@emüther der Böglinge wirken Reize diefer Art gar zu leicht in hohem
Grade verderblich ein.’
Diefe Anfichten harmoniren mit dem Geifte des ganzen Buches, mit
dem Streben des Berf., Lehrer zu bilden, die in ihrer Bildung die
Glieder ihrer Gemeinden nicht überragen, Wir können fie nicht zu den
unfrigen machen. infeitig gebildete Bachlehrer begehrten wir zwar auch
682 Allgemeine Pädagogik.
nicht für Die Seminare, halten aber dafür, daß jeder Unterrigtägegen-
Rand durd eine küchtige Lehrerfraft vertreten fein müſſe.
Für die Lehrer, welche Religions» und Sprachunterricht zu ertheifen
haben, verlangt der Verf. theologifche Rildung ; für die übrigen bäft er
eine gute Seminarbildung für ausreichend. Das theologiiche Element
fol im Rehrercollegio vorherrſchen, nicht bloß des Unterrichts, fondern
auch um des gegenfeitigen Einfluffes willen, den die Lehrer auf einander
haben. Die nichttheologifchen Lehrer follen fih dur den Umgang mit
den theologiich gebildeten zu einer höheren, gediegeneren Bildung empor»
heben und zu denfelben in einem Berbältniß fliehen, daß die Böglinge
darin ein Vorbild ihres fpäteren Berhältniffes zum Pfarrer erbliden.
Wird e8 bei folder Anfiht möglich fein, ein in ſich einiges
Seminarlehrercollegium zu haben? Wir bezweifeln das fehr Hart. Ein
Seminardirector follte fih forgfältig büten, eine folche Sceidewand im
Lehrercollegio aufzubauen; fie fann nur zum Unheil gereichen.
Was der Berf. über die Lehrmittel des Seminars, fiber die Abs
gangsprüfungen, über das PVerhältnig des Seminars nach außen fagt,
it im Ganzen angemeffen. Auch die Ermunterung der Seminarlehrer
zu etwas größerer fchriftftellerifcher Thätigfeit finden wir zeitgemäß. Lei⸗
der find aber diefe Männer Durch die immerwährende Ueberwachung der
Seminariften derart in ihrer Zeit befchräntt, daß ihnen die Luft zur
freien Production nur ſelten kommt.
Wenn wir ſchließlich auch gern anerkennen, daß die beſprochene
Schrift manches Gute und Nachahmungswerthe enthält, fo konnen wir
doch nicht ſagen, daß durch dieſelbe irgend ein Fortſchritt im Bildungs⸗
gange der Volksſchullehrer begründet würde. Sie if ein Abklatſch des
längft Bekannten, merklich jedoch geſchwächt durch die auf dieſem Gebiete
in letzter Zeit eingetretenen retrograden Bewegungen.
58. Ordnung der evangeliſchen Schullebrerfeminare im König
reih Sadfen vom Jahre 1857. gr. 8. (32 ©.) Leipzig, 3. ©. Ten
ner. 1857. 4'/s Sgr.
Diefe Schrift if ein officielles Altenfüd, ein Erlaß des Sächſ.
Minifteriums, bat alfo ganz die Bedeutung der Preuß. Regulative von
1854. Biel und Weg, welde fie für die Lehrerbildung anordnet, find
im Ganzen die durch die Preuß. Regulative feflgeftellten; doch wird in
einzelnen Fächern etwas mehr verlangt. |
Da wir unfere Anfichten über den Bildungsgang und das Bildungss
ziel der Volksſchullehrer bereits bei der Schrift von Steglich mitgetheilt
haben, fo beſchränken wir uns bier darauf, einige Säße herausjußeben,
die den Geift der Verordnung charakteriſiren. Sie zerfällt in zwei Theile,
von denen der erſte allgemeine, der zweite beſondere Beſtimmungen ent⸗
hält. Die Anordnung if lichtvoll, der Ausdrud nirgends zweifelhaft.
8. 8. „Die Aufnahme in das Seminar hat in der Regel nicht
dor Erfünlüng des 16. Lebensjahres zu erfolgen, folk jedody bei Jüng⸗
fingen, die befondere Hoffnungen geben, dispenfationdmeife fräber, in feis
nem Falle aber vor Erfüllung des 15. Lebensjahres ſtattfinden. Das
gegen ſollen Junge Männer, welche [id von einem anderen, ba
Allgemeine Pädagogik. 683
fonders gewerblihen Lebens berufe dem Lehrerftande zumenden
wollen, bis zum 25. Lebensjahre ohne Dispenfation, und bis zum 30.
nah Befinden mit Dispenfation des Minifteriums zur Aufnahme gelane
gen können.“
8. 11. „Die Bildungszeit des Zöglings und deren Aufenthalt im
Seminare umfaßt den Zeitraum von vier Jahren, foll jedoh auch in
einzelnen Fällen mit Genehmigung der Kreigdirection um ein Jahr vers
länger werden Tönnen.‘
Die Vorbereitung zum Seminar wird vorzugsweife in Präparan«
denanftalten, die mit einem Seminar in Verbindung ſtehen, gewünfcht.
8. 16. „Die Grundlage der Hausordnung bildet das Internat.“
$. 18. Die Zöglinge follen zu geeigneten häuslichen Arbeiten bes
nußt werden,
$. 22. „Beurlaubungen zu Ausgängen behufs etwgiger Beforguns
gen ertheilt der Director nur auf Grund eines vorhandenen Bebürfnifies
und zu Beſuchen in Yamilien nur fparfam und unter einer folchen Bons
trole, daß die Disciplin der Anftalt darunter nicht Schaden leidet.‘
8. 32. In Betreff der Lehrgegenflände wird Bereinfachung und
Concentration angeftrebt. Als Unterrichtsgegerftände werden feftgeftellt:
1. Religion, 2. Katechetit, im Anſchluß an die Religion, 3. deutfche
Sprache, A. Geographie und Gefchichte, 5. Naturkunde und Naturger
fhichte, 6. Rechnen, 7. Anfangsgründe der Raumlehre, 8. Pädagogik,
9. Schönfchreiben, 10. Zeichnen, 11. Turnen, 12. Mufl. Weafallen
fol der Unterricht in der fateinifhen Sprache, und als felbfiftändige
Segenflände die Logif und Seelenlehre. Lebtere ſoll theild im Katechis⸗
musunterricht, Theile in der Pädagogik ihre Stelle finden.
Die Lehrfächer werden in foldhe erflen und zweiten Ranges einges
theilt. Zu den erfleren gehört der Mefigionsunterricht, die Katechetik,
die Mufll, die deutfche Sprache, das Mechnen und die Pädagogik; zu
ben letzteren die übrigen.
Der Spradunterrit foll fi auf Grammatit und Styliſtik erftrefs
fen, bei erflerer jedoch möglichft abfehen von einem dürren und trodenen
Zormalismus. In einem fpäteren Paragraphen wird auf Ausbildung
und Läuterung des angeborehen Sprachgefühls uud Erklärung von Mus
Rerftüden hingewiefen, ohne jedoch die Art der Mufterftücte näher zu bes
eichnen. "
| „Das Rechnen, welches ſowohl als Kopfrechnen wie als Tafelrechnen
zu beireiben if, hat von den vier Grundrechnungsarten in ganzen, ges
brochenen und benannten Zahlen bis zu den Decimalzahlen, zum Aus⸗
ziehen der Quadrats und Kubikwurzel fortzugehen.‘
Hierin wird alfo durchweg mehr gefordert, als in den Preuß. Res
gulativen, weit mehr, als Steglich feſtſetzt.
Die Kehrfächer zweiten Ranges follen „partienweife nach den Ges
ſichts punkten des Wichtigften, des Naheliegenden und Leichtverftändlichen,
des für die allgemeine Bildung und für das tägliche Leben Nüglichen
und Brauchbaren im Unterrichte‘‘ behandelt werden Die Raturgefchichte
folk in. den beiden untern, die Naturlehre in den beiden obern Klaſſen
684 Allgemeine Pädagogik.
mit einer wöchentlihen Stunde auftreten; Geographie und Gefchichte
zufammen mit 2—3 wöchentlichen Stunden, Geometrie mit einer Stunde,
Beichnen mit zwei Stunden.
In den Realien werden fonach die fächfifchen Lehrer für die Zukunft
nicht viel Teiften.
Die Seminarfchule fol zweiklaſſig, höchſtens dreiflaffig fein, und
jede Klaſſe nicht mehr als AO bis 50 Schüler enthalten.
59. Der Geiſt der drei Preugifhen Regulative vom 1., 2. und 3,
Dctober 1854. Drei Vorträge vor einer Lehrer⸗Verſammlung gebalten von
I. W. Ramm, Pfarrer. gr. 8. (62 S.) Erfurt, Keyſer'ſche Buchh. (E.
K. Thomaß.) 1855. geb. 6 Sar.
„Ich möchte — wollte Gott es gelänge mir — dem trodenen Akten⸗
flüd, das mit nackten Forderungen vor uns hintritt, den Geiſt der erns
len Liebe, aus dem es gefloffen, einhauchen ; ich möchte, wo es in feinen
Motiven und Begründungen feine Forderungen und Befchränfungen rechts
fertigt, mit warmem Herzen diefe Motive und Begründungen zu Ihnen
fprechen, daß auch Sie mit voller Seele fi zu den Regulativen befenn-
ten. Ich möchte den Wahn zerftreuen, als conflatirten fie einen Rück⸗
ſchritt, den ein Theil der Zeitgenoſſen in verhängnißvoller Abficht bezwecke,
amtsmäßig. Ich möchte aus ibnen ein Bild des Lehrers und der Schule
entwerfen, daß Sie fprähen: Ja das ift unfer Ideal.“
Das war die Aufgabe, die der Verf. fich geftellt hatte Ob er fie
erreicht hat? Wir glauben es nicht. Seine Vorträge find nach jeder
Beziehung hin fo voll von Webertreibungen, daß es faum etwas Uners
quidlicheres geben Tann, als fie ganz zu lefen. Auf diefe Weife werden
ſchwerlich Biele für die Regulative gewonnen werden.
60. Was wird von dem Geiftlihen verlangt, Damit erden Gegen
der Regulative vom 1., 2. und 3. Dctober 1854 der Schule
qumenbet Dortrag gnebalten in der Niederlaufiper Paſtoral⸗Conferenz im
uguft 1855 von I. E. Fritze, Paftor zu Leuten. Didcele Cottbus. Be:
fonderer Abdrud aus dem Schulblatf für die Provinz Brandenburg. Heft
1. 2. 1856. gr. 12. (24 ©.) Berlin, 3. A. Wohlgemuth. 1856, 2'/s Egr.
Diefer Bortrag if ein Seitenftüd zu dem eben angezeigten Ramm’-
fhen. Der Berf. bezeichnet die Regulative als eine von Gott Dargereichte
Segensgabe, für welche die Geiftlichen als Diener der Kirche dem Herrn
ihr Lob und Danfopfer darzubringen haben. Bon diefem Geſichtspunkte
aus werden diefelben aufgefordert zum fleißigfien Studium der Regulas
tive, zur Einrihtung der Schulen nach denfelben, zur ernftlichen Einwirs
fung auf die Lehrer, welche der „deutſchen Paͤdagogik“ zugetban find,
desgleihen auf die ParochialsLehrerconferenzen, zur Beauffichtigung und
Errihtung von Präparandenanftalten.
Wir halten dafür, daß Diejenigen, welche erſt durch derartige Bors
träge gewonnen werden, zu den ſchwachen Brüdern gehören, deren Wirk⸗
ſamkeit für die Schule zu feiner Zeit hoch anzufchlagen fein wird.
61. Die neue Boltlsfhule Eine Beurtbeilung der preußifchen Unterrichts⸗
Regulative im Begenfag zur Diefterweg'ichen Würdigung berielben. Bon.
Allgemeine Pädagogik. 685
K. Kalcher, Lehrer in Torgau. Gr. 8. (102 6.) Berlin, W. Hertz. 1855.
Geh. 12 Ser.
Der Berf. hat ſich die Aufgabe geftellt, die Regulative gegen die
Angriffe zu vertheidigen, welche diefelben von Diefterweg erfahren haben.
Es geichieht das in der Weile, daß er überall das Gegentheil von dem
behauptet, was Diefterweg gejagt hat, und fi möglichft bemüht, Dies
zu beweifen. Es fcheint aber, als wenn der Verf. ſich dieſe Aufgabe
leichter gedacht habe, als fie in der That if. Einen Mann von Diefters
wege Schärfe, Kenntniffen und Erfahrungen in der Pädagogik zu widers
legen, muß man wirklih etwas gründlicher verfahren, als es in der ger
nannten Schrift gefchieht. Dieflerweg pflegt feine tüchtigen Gegner mit
Hochachtung zu behandeln; von unferem Berfafler ſpricht er mit Ger
ringſchaͤtzung.
So ernſtlich ſich übrigens der Verf. auch der Regulative annimmt,
ſo dürfen wir doch nicht unerwähnt laſſen, daß er ihnen nicht in allen
Punkten beiſtimmt. So findet er die Auoſchließung unſerer klaſſiſchen
Literatur im Seminar ganz und gar nicht in der Ordnung, tadelt auch
die untergeordnete Stellung, welche der Mineralogie angewieſen iſt, die
Empfehlung der kleinen Naturgeſchichte von Schubert u. dergl. mehr.
Das hatten wir kaum erwartet.
62, Altenſtücke zur Geſchichte und zum Verſtändniß der drei
Preußiſchen Regulative vom 1, 2. und 3. Oktober 1854. Mit
erläuternden Bewertungen herausgegeben von F. Stiehl, Geheim. Obers
Reglerungd» und vortragendem Rath in dem Königl. Minifterium der
gl lichen, Unterrichts- und Medilcinalangelegenheiten. 8. (96 ©.) Berlin,
W. Herß. 1855. Geh. Ya Thlr.
Kenntniß diefer Schrift dürfen wir vorausfepen.
63. Die drei Preußiſchen Regulative vom 1., 2. und 3. Oftober 1854
über Ginrichtung des evang. Seminars, Präparandens und Elementarfchuls
Unterrichts nach ihrem Werthe beurtheilt von einem älteren Pädagogen.
Mit einer Einleitung von Dieſterweg. (Befonderer Abdruck aus Dieſter⸗
weg’d „Mheinifihen Blättern," 51. Band, Heft 2.) 8. (76 ©.) Eſſen,
G. D. Bädeler. 1855. Geb. 7’/s Sgr.
64. Die drei Preußiſchen Regulative. I. und II. Würdigung derfelben
von U. Diefterweg. Gr. 8. (97 u. 134 ©.) Berlin, € H. Schröder.
1855. Geh. & 12 Sgr.
Die große und flarfe Verbreitung, welche diefe beiden Schriften
gleih nach ihrem Erfcheinen gefunden Haben, macht ein näheres Ein«
gehen auf diejelben überflüffig. Wer eine Bertheidigung der Regulative
lie, muß auch diefe „ Würdigung‘ derfelben zur Hand nehmen, da Alle
fi$ darauf mehr oder weniger beziehen.
65. Pädagogifhe und theologifhe Antworten auf die drei
Breufifgen Regulative vom 1., 2. und 3. Dftober 1854, zufanmengeftellt
und herausgegeben von 2, P. D. Emmerich. Erfte Lieferung. 8. (IX
u. 61 ©.) Bonn, T. Habicht. 1857. Geh. ! Thlr.
Der Berf. beurtheilt in diefem erſten, uns jetzt nur vorliegenden
Hefte die Regulative vom Standpunkte des freien Proteflanten aus, „der
in Glaubensfachen feine menſchliche Auctorität anerfennt,‘ und kommt
686 Allgemeine Pädagogik.
zu dem allerdings bedeutungsvoflen Refultat, daß „bie neueflen Schul⸗
Regulative den Wöllner’fchen anti» proteflantifchen Geiſt wieder herauf⸗
beſchwoören.“ Jedenfalls verdient die Schrift mit derfelben Ruhe,
Gründlichkeit und Parteilofigfeit geprüft zu werden, durch die fie
ſelbſt fich auszeichnet. Da die pädagogifhe Seite der Regulative in
diefem Hefte nicht in den Vordergrund tritt, fo behalten wir uns
ein näheres Eingehen auf diefe Schrift für den nächſten Band des
Sahresberichtes vor.
66. Der organifd vereinfachte wödhentlihe Lehr: und Uebungd-
plan in der einflaffigen Kandfhule Nah KR. F. Schnell, in
einem anſchaulichen Bilde aus der Schule praktiſch dargefleit von Auguſt
Schulz, Lehrer zu Hindenburg bei Prenzlau. Mit einem DVorworte nom
Dberprediger Duchſtein. 8. (64 ©) GSchwiebus, C. Wagner. 1855,
sr Ihle.
Ein fhwacher Berfuh, die Schnell'ſche Gentralifation des Unter⸗
richts darzulegen, darum ſchwach, weil der Verf. nicht verkand, das
Specifiſche von dem Allgemeinen, von dem Verfahren, das auch obne
Goncentration von guten Lehrern angewandt wird, zu fcheiden.
67. Schulordnung nebſt Einrichtungs⸗ und Lehrplan für die preußifche
Volksſchule. Auf Grund älterer und neuerer Verordnungen der Königl.
Behörden und der drei preußiichen Regulative zufammengeflellt von Dr.
Wangemann, Arhidiaronus und Seminardirertor zu Gammin in Pom⸗
mern. Erſte Abtheilung, welche die Echulordnung und die äußerlichen
Einrihtungen betrifft. Sr. 8 (XII u. 155 ©.) Berlin, 3. 4. Wohl
gemuth. 1856. Geh. 12 Sgr.
Der Berf. bat das ihm zugänglicde Material an allgemeinen und
fpeciellen Berordnungen und Berfügungen der Schulauffihtsbehörden ges
fammelt, gefichtet, geordnet und überfichtlih zu einer „Sculordnung‘‘
zufammengeftellt, bauptfächlich im Intereſſe der Schulinfpectoren, denen
wir dies Werk hiermit empfehlen. Die bedeutende Arbeit von 2. v.
Rönne: ‚Das Unterrihtsweien des preußifchen Staates in feiner ger
fchichtlihen Entwidelung,,” Berlin, 1854, fcheint der Berf. nicht ge
kannt zu haben; es hätte ihm viel Mühe erfparen fünnen.
Die zweite Abtheilung diefes Werkes foll eine Eremplification von
der Weiſe geben, wie nah des Verfaſſers Ueberzeugung eine Volks⸗
fyule auf Grund der Regulative fih ım Innern fruchtbringend ents
wideln könne, wird alfo ein Geitenfüd zum Golgfh’fchen Lehr⸗
plan fein.
V. Bädagogifche Beitfehriften.
Unter den Ständen, die das Verlangen nach Belehrung, Anregung,
gegenfeitigem Austaufh der Ideen und Grfahrungen haben, flebt der
Lehrerftand vielleicht obenan. Wo ein gutes Bud, oder eine pädagogiſche
Beitfäprift zu erlangen, wo etwas Nügliches zu feben oder zu hören,
ein gleichftrebender College zu fprechen iſt: die Lehrer find überall zur
Hand. „Ich habe unter Lehrern geſeſſen,“ fagt Dieſterweg im Jahr
Puh für 1857, ©. 245, ich habe fie in Waffe beifammengefehen un?
Allgemeine Pädagogik. 687
ib muß fagen: ein aufmerffameres Publikum if mir nirgends zu Ger
Acht gekommen, ihre Leiber reden ſich, auf ihrem Antlig lie man bie
Begierde zu hören und zu lernen, nnd wenn man unter vier oder acht
Augen ihre Bekenntniffe vernimmt, fo gewahrt man auffirebenden Sinn
und die Begierde, zu wirken, fich einem belebenden Ganzen anzuſchließen,
ein Glied zu fein in der lebendigen Wechielmirfung des Empfangens
und Gebens. Das File Studium umd die Beihränfung auf die
eigene Erfahrung genügt Keinem; Ale verlangen nad Mittheilungen von
Gleichſtrebenden, mündlichen wie ſchriftlichen. Leptere müſſen, da die
Lehrer fehr an den Ort ihrer nächften Wirkſamkeit gebunden find, das
Bedürfniß vorzugsweife befriedigen. Das pafiendfte Mittel dazu find
Die pädagogifchen Beitfchriften. Inneres Bedärfnig war es überall,
das fle ins Leben gerufen bat und erhält. Und je mehr der Lehrerr
Rand ſich herausarbeitete, ſich feiner bewußt wurde, deſto größer wurde
die Zahl der yädagogifchen Beitfchriften. Nach einer Mittheilung im
2. Hefte der ‚Pädagogifchen Monatefchrift für die Schweiz’ won Bruns
Holzer und Zähringer (1856) hatte die Schweiz von 1803 — 1815: 2
pädag. Beitichriften, von 1815—1830: 2, von 1830—1856: 32, yon
Denen zwar der größte Theil wieder eingegangen ift, einige aber auch
noch beſtehen. 1856 beſaß die Schweiz gleichzeitig 7 deutſche und 2
. franzöffche yädagog. Beitichriften. Aehnliche Erfcheinungen haͤben wir
in Deutihland. Nah Nr. 8 der „Wügemeinen deutfchen Lehrerzeitung“
von Bertbelt (für 1856) haben wir gegmmwärtig 48 (50 mit Diefters
wegd Jahrbuch und Boͤdeker's Jahrbuch für hannoverſche Volksſchul⸗
lehrer) pädagog. Zeitſchriften, eine Zahl, die bei aller Größe im Ver⸗
haͤltniß zur Schweiz Bein zu nennen if. Rad der Form des Erſchei⸗
nens find 3 Jabrbücher, 18 Zeitungen in ganzen und halben Bogen
und 28 Zeitſchriften in monatlichen, zweimonatlichen oder ——
Heften; nach der Confeffion geben ſich im Titel 10 als katholiſch, 2
als evangeliſch, 1 als Iutherifh zu erkennen; dieſe legten 3 mit einge
rechnet, gehen 39 von Proteftanten aus. Speciell auf das Volksſchul⸗
weien beziehen ſich 34, auf das höhere Unterrichtsweſen (Gymnafien
und. Realſchulen) 5 auf einzelme Zweige (Turnen) 2; einen allgemeinen
Charakter haben 8
Bon‘ diefen FZeitſchriften friſtet die Mehrzahl ein ziemlich trauriges
Daſein. Es giebt darunter Blätter von 50 Eremplaren Auflage (Fol⸗
ſtugs „Elternhaus’‘). Dagegen werden ber „DOeſterreichiſche Schulbote“
und der „Schuifremd‘' in 2000 Exemplaren verbreitet. Für den
„Schutfteund‘‘ beruht diefe Angabe wohl auf einem Irrthum, wie
denn überhaupt den Angaben über die Stärfe der Auflagen ber
kanntlich nidet immer zu trauen if. Vom „Praktiſchen Schulmana”
werden 1500 Exemplare abgezogen, vom „Schulblatt für Die Provinz
Brandenburg‘ 1450, von Hartmanns „Volksſchule“ 1400, von unferm
„Zahrespericht” 1250, vom „Trierſchen Schulblatt“ 1200, vom „Süds
deutſchen Schulboten 1000. Bon den übrigen Journalen erreicht keins
eine Auflage von I000 Exemplaren.
Aelteren Beobachtern iR es nicht entgangen, daß die Zahl bar
688 Allgemeine Paͤdagogik.
Lefer pädagogifcher Zeitfchriften eher im Ab⸗ als im Bunehmen bes
griffen if. Die Urfachen. Hiervon liegen nahe. Als eine der erſten muß
die geringe Befoldung der Lehrer bezeichnet werden, die durch die hohen
Breife aller Lebensmittel in den legten Jahren auf den halben Werth
gebracht worden if. Die Mehrzahl der Lehrer muß dem Brivatunters
richt oder anderen Nebenbefchäftigungen nachgeben und verliert dadurch
geit und Luf zur Fortbildung, zum geiftigen Verkehr mit Amtsgenofs
fen; Körper und Geift werden dadurch abgeſchwächt und verlieren die
erforderliche Elaftieität. Neben Denen, welche die Noth gleichgültig für
Standesintereffien macht, giebt es aber auch Solche, die überhaupt feine
Notiz von der pädagogifchen Literatur nehmen. „Es giebt Lehrer,“ fagt
Diefterweg im „Jahrbuch“ für 1857, ©. 266, die nichts lefen, die
feine Bücher kaufen, Leine pädagogiſche Zeitfchrift halten, auch fih an
feiner betheiligen, für welcde Die Xiteratur nicht da if. Wie Diele
Lehrer das aushalten, verftehe ich nicht. Auch babe ich feine Vorſtel⸗
fung davon, wie e8 in ihrem Geiſte ausjehen muß. Ihr Verhalten in
der angedeuteten Negation, dem vollfändigften Nihilism, zu entſchul⸗
bigen, halte ich für unmöglid. Denn auch auf der armfeligften Stelle
giebt es alljährlich Gelegenheit, einige Mal extra ein paar Groſchen zu
verdienen oder zu erſparen. Und ein nicht ertöbteter Menſch will doch
willen, welche Stunde die Uhr der Zeit zeigt. Die Pädagogik kann
daher folchen Lehrern keine Abfolution ertheilen.‘
Zum Theil tragen wohl die Zeitichriften auch felbf die Schuld
davon, daß die Lehrer gleichgültig gegen fie werden und aufhören, fe
zu leſen. „Werfe ich,’ jagt Diefterweg a. a. D. Seite 244, „einen Blid
auf die ganze periodifche pädagogifche Kiteratur, indem ich mich ſumma⸗
rifh des Eindruds erinnere, den fie feit Jahren auf mich madt, io
entwindet fich ein Seufger meiner Bruſt. Alfo, muß ich fagen, fo iR
fe, die Literatur, fo matt, fo troden, fo ledern, begeifterungsios, ohne
Auffhwung, obne Leben, fo dogmatifh und triviat, wie eine einge.
fhrumpfte, vertrodnete Mumie! Ich rede von dem Totaleindrud, und
ich nehme meine eigenen Blätter nit aus. Was könnte diefe Literatur
fein, was follte fie fein? fie, die zu bunderttaufend Menichen redet, zu
den Menfchen, welde unter den Frühlingoknoſpen der Menſchheit leben,
deren fhlummernde Phantafle zu beleben, die Elemente des Geiſtes zu
weden, für alles Große und Erbabene zu begeiftern den göttlichen Beruf
haben? Wo trifft man — fagt e8 mir, Lefer! — aud nur Spuren
der Begeifterung und des Feuers, Momente, die uns ſelbſt das Herz
erwärmen, weil fie angebaut find, wenn nicht von der Gluth, Doc
von der Wärme des Lebens? Sind nicht „4. oder JL oder „I, der
in den Tournaten enthaltenen Auffäpe, Anreden, Anfpraden, Ermah⸗
nungen, Kritiken etwas mehr als trodene Unterfuchungen, lahme Mit
theilungen, einfchläfernde, ja fogar dummmachende und auf Befchränfung
des an fich ſchon Pleinen Horigontes des Lehrers berechnete Salbgdereien ?
Bielleiht bin ich ungerecht, ich rede in umbdüfterter Stimmung; aber ich
lechze nach beiebenden, ermutbigenden, begeifternden Worten ; immer von
Meuem öffne ich die Blätter mit zitternder Hand und — finde fo wenig,
Allgemeine Pädagogik. 689
fo daß auch diefe Literatur mehr lähmt als ſtärkt. Ich will zugeben,
daß ich übertreibe; aber wenn diefe Worte auch nur eine halbe Wahr⸗
heit enthalten, fo Tann man doch der Frage nicht ausweichen: woher
diefe Mattheit des Herzens, diefe Lahmheit der Phantafle, diefe Sudt
zu dämpfen, niederzufchlagen und in audgefahrenen Bahnen wieder ein»
zulenken, fatt zu erheben und zu beleben und zu freudigem Wirken zu
entflammen?“ Dieſterweg erflärt fih dieſe Abſchwächung der pädagogis
fhen Literatur aus dem gegenwärtig herrfchenden Zeitgeifte, „dieſem
unfihtbaren und doch fo fühl», faft greifbaren Fluidum.“ Die potitifche
und religiöfe Stimmung ift nah ihm (Jahrbuch 1857 ©. 262 u. f.)
derart, daß ein frifches pädagogiſches Leben, aller Anläufe ungeachtet,
nicht entfliehen kann. Auch der durch die preußifchen Regulative gegebene
Anſtoß if faum noch bemerkbar.
Trog alledem Lönnte es aber doc etwas befler um die pädagogis
fhen Beitfchriften fliehen, wenn fich nicht, wie Zähringer im 1. Hefte
der „Pädagogiſchen Monatsfchrift für die Schweiz‘ richtig bemerkt, die
„hoͤher geftellten Lehrer, welde durch ihre umfaflendere Bildung und
ihre rubigere Stellung berufen fcheinen, belehrend, erwärmend und flärtend
auf die übrigen Lehrer einzuwirken,“ vornehm zurüdzögen oder zu ber
quem wären. Das if eine Thatſache. Ja, was noch mehr fagen will:
fie ſchreiben nicht einmal für die Blätter, die direct für fie beſtimmt
find, ja, was noch fchlimmer if: fie lefen fie nicht einmal. Bon der
früher fo hoc geſchätzten Mager'ſchen „Revue“ follen in Preußen im
Ganzen 15, fchreibe funfzehn Exemplare abgefept werden. Diefe
enorme Theilnahmloſigkeit läßt ſich indeß doch wohl nicht allein aus
GSteichgültigkeit gegen yädagogifches Streben und Leben erklären, fondern
iR auch wohl in der Haltung der Journale felbR zu fuchen. In einem
großen Theile derfelben herricht ein Ton, der zwar in gewiflen Kreifen
gern gefehen wird, der großen Mehrzahl der Lehrer aber im Herzen
gänzlich zumider if. Bereinigt ſich damit dann noch die oben gerügte
Dürre, fo verliert emdlih auch der paffionirtefte Leſer die Luft
und beſchränkt fih auf gute Bücher. Zingen die Beitfchriften an, Aufe
fäbe zu liefern, die anregen, das Gemüth beleben, die Gedanken in Ber
wegung fehen, zu neuen Borflellungen verhelfen, dann würden fie auch
wieder mehr gelefen werden. Aber ein großer Theil der. Männer, die
anregend fchreiben koͤnnen, fchweigt, fchweigt aus Nüdfichten verfchiedener
Art, „aus bewegenden Gründen.’
Berlieren wir aber die Hoffnung nicht! Die Lehrer, namentlich
die Volksſchullehrer, find ein zähes Geſchlecht. Tagtaglich beweifen fie,
daß fie auch in verunreinigter Luft nicht fogleich zu Grunde gehen, fons
dern immer noch eine Portion Lebensmuth übrig behalten, der nach einem
Gange in das grüne Freie immer wieder erhöht wird. Wie auf den
Verkehr mit der erfrifchenden Natur, fo werden fie auch niemals auf
frifche Geiſtesnahrung verzichten. Bietet fie nur dar!
Nach diefer Einleitung gehen wir nun zu einer kurzen Beſprechung
der gangbarften pädagogifchen Zeitichriften felbft über. Die Hauptartikel
Nade, Jahreebericht. X. 44
690 Allgemeine Pädagogik.
der meiften haben bereits bei der Bearbeitung der verfchiedenen Unter-
richtögegenfände ihre Würdigung gefunden.
I. Allgemeine yädagogifhe Zeitſchriften.
68, Allgemeine deutſche Lehrerzeitung. 8. Jahrgang. Redigirt von
Ang. Berthelt in Dresden. Leipzig, J. Klinkhardt. Wöchentlich 1
Bogen in 4. 1 Thlr.
Dies Blatt if durch die ‚allgemeine deutfche Lehrerverfammlung‘’
angeregt worden und vertritt deren Brundfäge Director Schulze in
Gotha formutirte diefelben auf der 8. Verſammlung folgendermaßen:
„Keine Umkehr, fondern reger Fortſchritt, fein geifttödtender Mechanis⸗
mus, fondern freie Geiftesentwidelung, fein todter Gedächtnißkram, ſon⸗
dern ſelbſtſtaͤndiges Denken und lebendiges Wilfen, feine den Forderun⸗
gen der Zeit widerfprechende, fondern dem jegigen &tandpunfte der Pä-
dagogif entfprechende und an das Keben, wie es ift, fi eng anſchließende
Schuleinrichtung.“ Derartiger Grundfäge braucht fih Niemand zu fchämen.
Außer Abhandlungen in diefem Sinne bringt die Lehrerzeitung
Mittheilungen über Schuls, Lehrers, Bereinswefen und Lehrerverſamm⸗
lungen, Beitfhriften und kurze Kritiken.
Der Kreis ihrer tüchtigen Mitarbeiter if nicht fo groß, als im
Sintereffe des Blattes und der deutfchen Lehrerwelt zu wünſchen wäre.
Breußifhen Lehrern begegnet man felten darin. Das Blatt Fönnte
Mittelpunft des ganzen deutfchen Lehrerlebens werden, wenn es anregende
Artifel aus allen Gegenden bräcdte Der billige Preis geflattet, daß
es überall befchafft werden kann.
69. Allgemeine Schulzeitung. 33. Jahrgang. Redigirt vom Präfaten
Dr. Bimmermann in Darmftadt. 12 Sehte oder 104 Nrn. ('/a Bea.)
Gr. 4. Darmfladt, Lesſske. 3 Thlr.
Dies Blatt war lange Zeit das einzige allgemeine, für ganz
Deutichland berechnete. Ich babe es von feiner Entſtehung an geleien
und mandes Gute daraus gelernt. Seit Jahren ift feine Blüthezeit
vorüber; es if ein trodenes, langweilige Blatt geworden. Der viel-
befäpäftigte Nedacteur defjelben bat wohl faum Zeit, das Volksſchulweſen
nah allen Richtungen bin zu verfolgen. Mit dem Jahre 1856 bat es
verjucht, in dem jetzt beliebten Fahrwaſſer zu fegeln, was den bisherigen
Bertreter der freteren, bumaniftifchen Richtung, Dr. Wagner, veran-
laßt bat, von der Medaction zurüdzutreten. Er erklärt feinen Rüdtritt
mit folgenden Worten:
„Die felbfiftändige Pädagogik, die von Acht hriftlichem Geifte be
feelt in ihrer Erfahrung bis in’s Alterthum zurüdgebt und aus aller
Art Wiffenfchaft das bildungskräftigfte Mark erwählet, bat fih, meint
man, überlebt. Die Schulwiffenfhaft foll fi neu gefalten. Die Er
ziehung zum reinen, duldfamen Chriſtenthum, zur edlen Humanität und
Lebenstüchtigkeit, die ein Melanchthon, Herder, Beftalozzi als
würdigfte Ziele der Schule betrachtet haben, iſt mißliebig geworden und
ſoll durch confejflonellen Dogmatismus und Gewöhnung zur Kirchlichkeit
erfetzt und ergänzt werden. Darin hofft man den Rettungsanfer in ber
Allgemeine Pädagogit. 691
verfinkenden Menſchheit zu finden. Die Schule kehrt mehr und mehr
zu ihrem Zuſtande im 16. Jahrhundert zurüd, der Krummſtab und die
Confiſtorien nehmen fie in Obhut und Vormundſchaft. Ich aber hing
und hange einer andern Anfiht an, halte diefe auch jept nicht für über .
wunden und für zurüdgedrängt, und ed bangt mir nicht auf lange Zeit
hinaus für die wahre Erziehungsweife; aber die nächſte Zukunft, fürchte
ih, wird das Lehrgeld zahlen müſſen.“
Das ift deutlich. |
70. Rheinifhe Blätter für Erziehung und Unterricht. SHeraudges
geben von $. U. W. Diefterweg. 53. u. 54 Band. Eſſen, Bäpdefer.
Alle zwei Monate ein Heft von circa 8 Bogen. 8. 2% Thlr.
Bie die allgemeine Schulzeitung, fo habe ich auch die NH. Blätter
von Anfang an gelefen und gern gelefen, weil fie meine Einſicht laͤu⸗
terten, neue Ideen in mir hervorriefen und meinen Berufseifer jedesmal
anfriichten und fleigerten. Sc gehöre daher zu den dankbaren Lefern
diefes Blattes und nehme feinen Unftand, dies hier auszufprecden.
In neuerer Beit hat der Herausgeber befonders zwei Gegenftände
darin betont: die Naturkunde und die Religion. Für Raturfenntniß
anregen, diefelbe fördern, ift fehr Löblich; ebenfo kann es vom proteſtan⸗
tifhen Standpunfte aus nur gebilligt werden, fih über Religion und
Religionsunterriht Mar zu werden. Diefterweg’s religiöfe Anſicht iR
aber mißliebig, mie fein pädagogifcher Standpunkt, und man fieht es
daher nicht gern, wenn die Lehrer die Rh. Blätter, wie überhaupt feine
Schriften, dien. In Defterreih bat man fie bereits verboten, anders
wärts fucht man fie ohne Auffehen zu entfernen. Solche Maßregeln
verdienen Feine Billigung. Der wahre chriftlihe Glaube kann durd
feinerlei Angriffe verlieren, und wer darin noch nicht fe if, wird es
am fiherfien durch ernfte Prüfung. Auch den Lehrern kann und darf
eine folche Prüfung nicht erfpart werden. Lehrer wie Stinder behandeln,
trägt nie gute Früchte. '
71. Bädagogifhe Monatsfhrift. Herausgegeben von F. Löw. 10. Jahre
gang. 32 Hefte à A Bogen. Gr. 3. -Magdeburg, Fabricius. 3 Ihe,
Die Monatsfchrift Hat unter Loͤw's Medaction immer werthoolle
Auffäge, namentlich über deutfche Sprache und Literatur gebradt. Sie
vertritt eine freiere Richtung und bat ihre Mitarbeiter und Lefer haupte
fählih in den Lehrern der Mittelfhyulen. In den lebten paar Jahren
war die Zahl ihrer Mitarbeiter merklich zufammengefchmolgen, in Folge
der hieraus entflehenden Gintönigfeit auch die ihrer Lefer. Mit dem
Sabre 1857 iſt die Monatsfchrift in den thätigen Brandfetter’ichen
Berlag übergegangen, bat eine große Anzahl neuer tüchtiger Mitarbeiter
erhalten und wird nun auch bald das alte Anſehen wieder erlangen.
Möchten die Lehrer darauf bedacht fein, das Blatt in doppelter
Beziehung Fräftig zu unterflügen!
72. Bädagogifhe.Blätter. Herausgegeben von Dr. Hermann Kern,
1.—3, Jobrgang a 12 Hefte, jedes zu 3 Bogen. Halle, Schmidt.
. r.
Die „Pädag. Blätter“ find von 1856 ab nicht mehr erſchienen.
Die vorhandenen SZahrgänge enthalten manden guten Aufſatz.
44*
— — ——
692 Allgemeine Paͤdagogik.
73. Hamburger Säuiblatt. Heraudgegeben vom (hutiiffenfhafttihen
Bildungdverein. Jahrgang. Verantwortlicher Redacteur: TB.
mann, — *— 2 Nummern gr. 4 (is ee „Yemburg, Rote und
Köhler (Herold’fhe Buchhandlung). 1856. 24 &
Das Schulblatt huldigt dem Fortfchritt und erurtfeit mit ange
meffener Schärfe alle Anläufe und Maßregeln, die ed auf den Rückgang
abgejeben haben. Peſtalozzi wird gebührend verehrt. Es bringt Abs
handlungen, Brotofolle über Lehrerverfammlungen, Beiträge zur Ges
fhichte des Schulwefens, Perfonalien, NRecenfionen u. dgl. .
Bon der Mehrzahl der deutihen Lehrer ſcheint das Blatt megen
feines Titels für ein Localblatt gehalten zu werden, was es aber durch»
aue nit if. Der billige Preis verflattet eine weitere Berbreitung, als
es zu haben fcheint.
74. Der Schulfreund. Eine Quartalihrift zur Förderung des Elementars
ſchulweſens und der Sugendersiebun Heraudgegeben von J. H. Echmig,
fathol. Pfarrer, und 2. Kellner, Hegierungd« und Schulrath. 12. Fahr»
gang. à Heft 7 Bogen. 8 Trier, F. A. Gall. 1856. 1 Thlr.
Der Schulfreund bringt Abhandlungen und Recenſionen. In den
uns nur belannt gewordenen 3 erſten Heften dieſes Jahrganges findet
fih mander gute Aufſatz. Der Tatholifhe Standpunkt der Berfafler
tritt in der Megel entichieden hervor. Schriften von Proteftanten wer»
den nicht immer unparteiifch beurtheilt, was wir nicht billigen können.
75. Volksſchulblätter aus Thüringen. Herauögegeben von Dr. Lauck⸗
hard, Schulrath. Erfter Jahrgang. 8. Monatlih 2 Ar & '% Ban.
Weimar, Herm. Böhlau. 1856. 20 Ser.
Die Bolksfchulblätter verbreiten fib über das ganze Gebiet ber
Pädagogik, haben jedoch vorherrfchend eine praktifhe Richtung. Sie
bringen mehrfach Unterrichtsmaterial zu unmittelbarer Berwendung, na⸗
mentlih aus dem Gebiete der MWeltkunde, oft von haus» und landwirth⸗
fhaftliher Natur. Für diefen Zwei bat das Blatt nicht Umfang genug.
Die Necenfionen find meiftens kurz und laffen nicht immer die Beſchaf⸗
fenheit des Buches richtig erkennen. Zuweilen gewinnt es den Anfcein,
als wären die Bücher nur durchblättert worden.
Die Mitarbeiter fcheinen meiftens Thüringer zu fein; das Blatt
bat dadurch eine locale Färbung erhalten.
76. Die Reform. Pädagogifhe Vierteljahrsſchrift. Herausgegeben von
Dr. E. F. Laudhard, droit. S Sädf. Schulrath in Weimar. Sr. 8.
Leipaig, F < amt 1857. 2 Ihr.
‚Reform‘, „Reformator!“ Gin fühner Titel. Nicht Jeder hätte
es vermocht, ihn fo vorweg zu verwenden. Beabfichtigte Reformen ges
lingen nicht immer.
Im Profpectus, der uns allein vorliegt, macht der Herausgeber
der Volksſchule den jebt beliebten, nur bier und da zutreffenden Vor⸗
wurf, daß fie „völlig nuplofes, abfirastes Wiſſen“ erfirebt und „das für’s
Leben fo wichtige praktifhe Wiſſen und Können vernadhläffigt babe.’
Verſtand und Gedächtniß feien auf Koften der Gemüths⸗ und Charakters
bildung dur fie vernachläffigt worden. Die „Reform“ fol nun die
Allgemeine Pädagogik. 693
erforderlich gewordene Umgeflaltung des Volksſchulweſens fördern helfen.
Städ auf!
77. Pädagogiſches Jahrbuch für 1857. Bon Adolph Dieſterweg.
1. ZYahrgang. Er. 8. (XXIV u. 335 S.) Berlin. In Commiſſion
bei W. Baenf in Leipzig. Geh. %ı Thlr.
Das Jahrbuch if im Sinne der ‚Rhein. Blätter’ gehalten. Der
Berf. hebt befonders die Schattenfeiten der jebigen pädagogifchen Bes
firebungen hervor, ein Berfahren, das ihm zum DBerdienft angerechnet
werden muß, da hierzu gegenwärtig nur Wenige den Muth haben.
Benn feine Gegner ihm bieraus einen Borwurf machen, fo thun fie ihm
jedenfalls Unreht. Das wirklich Gute, was die „neue Schule“ erfirebt,
Bann durch feine Widerrede unterdrüdt werden. Mögen die Jünger
derſelben es nur erft, fchaffen! Sept brüſten fie fih noch immer mit
dem Guten der „alten Schule.
Inhalt: Vorwort und Einleitung. I. Carl Ludwig Nonne Bon
Dr. jur. ®. &. Demme. 1. Die norddeutfche Volfsfchule und Herr
Rendu in Paris. Bon A. D. 11. Wie Herr Rendu fortfährt, die
norddeutfche Volksſchule zu beurtheilen. Bon A. D. IV. Erziehung
zur Unvernunft auf ihrem Gipfel. Bon U. D. V. Die drei preußis
fhen Regulativee Bon A. D. VI. Blide auf Schulblätter. Bon
A. D. VI. Ueber Gemüthebildung. Vom Seminardirector Dreßler.
78. Jehrbug fürXebrer, Eltern und Erzieher. Don Joh. Mareſch,
eltpriefter,, 8. k. Schulrath und Inſpector für Neal» und Volksſchulen.
22. Jahrg. 1857. Gr. 8. (286 S.) Prag, in Comm. bei F. A. Eredner.
Die früheren Bände diefes Jahrbuches find uns unbekannt geblieben.
Der vorliegende enthält: 1. Erbauungsreden (2). I. Biographie
Dentmale (2). II. Auffäpe. 1. Offenes Sendſchreiben an die Lehrer
und Lehrerinnen meines Auffichtsfreifes. 2. Die Volfsfhule und das
Proletariat. 3. Einige Winke für die Behandlung der Lefeftüde. A. Der
Dreifap in der Volksſchule. 5. Die Geographie als Wiſſenſchaft und
als Unterrichtsgegenftand. 6. Weber die Sprüchwörter und ihre unter»
rihtlihe Behandlung. 7. Das Zeichnen in der Volksfchule. IV. Uns
terrichtsfloffe. 1. Landfchuliehrer und Bienenzudt. 2. Vorträge über
Leib, Seele und Berfönlihkeit. 3. Die Wanderungen der Zugvögel.
4. Delonomie und Induſtrie. 5. Das Egerland und feine Bewohner.
6. Die St. Peterslirhe in Rom. V. Miszellen, Erzählungen x. VI.
Gedichte, Aphorismen und Zabeln. VII. Berordnungen in Schulfachen.
VIII. Beurtheilendes Verzeichniß neuer Schul⸗ und Jugendſchriften.
IX. Verzeichniß der Privat⸗, Lehr⸗ und Erziehungsinſtitute in Prag.
X, Rechnungsausweis. (Der reine Ertrag des Jahrbuches if zur Unters
Rüßung braver armer Lehramtszöglinge und armer Lehrerwaifen beftimmt.)
Das Dargebotene ift empfehlenswertb, manches freilich nur für
Fatholifche Lehrer, von denen und für die es gefchrieben if.
79, Blätter für Erziehung und Unterricht. Herausgegeben von
einem Bereine von Jugendfreunden. Nedigirt von Selurid Reitzen⸗
beck. Dritter Jahrgang. Erſtes Quartalheft. 8. (50 S.) Salzburg,
M. Glonner. 1857. Der Jabrgang 21 Ser.
Die beiden vorhergehenden Jahrgänge find uns unbefannt geblieben.
694 Allgemeine Pädagogik.
Das erfte Heft des dritten enthält: 1. Von einem Landfatecheten (über
die Nothwendigkeit, auch in Volksſchulen einen Religionsunterricht zu er⸗
theilen, der zur Üeberzeugung führt). Weber deutichen Sprachunterricht
in den Bollsihulen. Bon 3. Sufan. Was foll der Lehrer thun, um
in feiner eigenen Bildung immer vorwärts zu fchreiten? Bon K. Sulzer.
Einfluß der Naturgefchichte auf die Bildung der Jugend. Ueber Ers
ziehbung der Kinder. Bon P. 2. Kaltenegger. Parabeln. Bon P. 9.
Schwarz Behandlung eines Leſeſtückes. Aus dem Nachlaſſe eines alten
Schulmeiſters. Altes und Neues. Geſchichte Salzburgs. Bücherfchau.
Die Auffäbe find alle von mäßigem Umfange und erheben fich
nirgends über das Mittelmäßige. Wir wünfchen, daß die Berfafler ſich
beftreben möchten, mehr anzuregen. Die „Behandlung eines Leſeſtückes“
(Das Schwert. Bon Uhland.) halten wir für ganz verfehlt, theils
wegen des eingefchlagenen Ganges, theils wegen der dürren grammatis
fhen Webungen, die daran geknüpft find.
80. Blätter über häusliche Erziehung, eine Zeitfchrift für Eltern und
deren Stellvertreter, verbunden mit einer Kinderzeitung, enthaltend belche
rende Erzählungen, Schilderungen aus dem Naturleben, Geſchichtliches zc..,
für Die Augend herausgegeben von mehreren Schulmännern. Gr. 8. Berlin,
J. Bernbardt. 1856. Monatlich eine Lieferung. Preis vierteljährlich 7'/a Ser.
Es liegen uns drei Lieferungen vor: Juli, Auguſt und September.
In der dritten Nr. nennt fi Lehrer E. Senff als Redacteur. Mit
diefer Nr. erfcheint das Blatt in Commiſſion bei W. Schulge in Berlin.
Aus den erften drei Nummern läßt ſich ein Urtheil über das Ganze
nicht fällen. Das Unternehmen ift uns als unbedeutend erfchienen.
81. Der praftifde Shulmann. Archiv für Materialien zum Unterricht
in der Neal», Bürgers und Volksſchule. Herausgegeben von Friedrich
Körner. Fünfter Band. Jährlich acht Hefte. Er. 8. Leipzig, Brand»
letter. 1856. 2%/s Ihlr.
Sat fih als zeitgemäß bewährt.
82, Arhiv. Materialien für die Volksſchule und ihre Lehrer. Unter Mitwir-
fung von Hartmann, Kochendörfer, Zug, Peibel herausgegeben von I. EB.
Raiftner, Schullehrer in Stuttgart. In vierteljährlihen Heften. Erſter
Jahrgang. Erſtes Heft. 8. (5 Bogen.)
Das „Archiv“ iR eine Nachahmung des eben genannten „Prakti⸗
fen Schulmannes,“ bat fi jedody einen engern Kreis gezogen als
diefer. Die Arbeiten, welche e8 zu bringen beabfichtigt, follen den (für
Württemberg) geſetzlich normirten Unterrichtsftoff nicht überfchreiten, jedoch
zugleich wo möglich die Fortbildung der Lehrer fördern. „Einer bes
fondern Aufmerkfamfeit follen ſich die realiftifchen und ſprachlichen Zwede,
für die das Lefebuc die Grundlage bildet, erfreuen.‘
Bir halten dies Unternehmen in diefer Beichräntung für ganz
zwedmäßig. Die Arbeiten des erften Heftes ſchließen ſich ſaͤm mtlich an
das Württemberger Leſebuch an und können durchweg ale brauchbar bes
zetchnet werben. \
Bir werden im nächſten Bande noch einmal auf dies Unternehmen
zurüdfommen.
Allgemeine Pädagogik. 695
83. Repertorium Der pädagogifhen Journaliſtik und Literatur,
oder: Allgemein Wichtiges aus den neueiten Zeits und andern Schriften
für Erziehung und Unterricht. Bon Joh. Bapt. Heindl, Lehrer amt.
Zaubflummen»Inftitute zu Augsburg. Neunter Jahrgang. 8. 6 Hefte,
zufammen 39 Bogen. Münden, 3. A. Zinfterlin. 1855. 9 Thlr. 24 Sgr.
Bon diefer Zeitfchrift kennen wir nur den 9. Band und die erflen
18 Bogen des 11. Sie liefert Abhandlungen, kleinere Mittheilungen,
Berichte und Recenflonen. Die Abhandlungen find zum Theil andern
Zeitfchriften und ſelbſtſtändigen Werken entiehnt, zum Theil Originals
arbeiten; legtere fommen in dem 11. Jahrgange häufiger vor, als in
dem 9., was wir nur billigen fönnen. Die NRecenfionen fcheinen fämmts
ih vom Herausgeber herzurühren; fie find in der Regel nur anerfennend.
Ein in diefem Jahre ausgegebener „Rückblick auf die zehn erften
Jahrgänge des Repertoriums“ läbt erkennen, daß das Wert einen großen
Reichthum von meiftens guten Auffägen aus allen Gebieten der Pädas
gogik enthält.
84. Das Elternbaus und die Kleinkinderſchule.“ Blätter für die
Erziehung der Kinder in den erften Kebensjahren. Kür Vorſtände an Klein⸗
finderjchulen und Krippen, für Eltern, Erzieher, (Erzieherinnen und übers
baupt für alle Kinderfreunde, im Verein mit Kachmännern und unter Mit⸗
wirfung von Frauen herausgegeben von Dr. J. Fölſing, Lehrer an der
Großherz. Garniſonſchule zu Darmftadt. VII. Jabraang. Monatlich 1%/a
Bogen in gr. 8. Leipzig. &. Mayer. 1857. 1% Zhlr.
Bon den früheren Zabrgängen haben wir nur gelegentlich Dies
und Jenes gefehen, find daber ohne Urtheil über diefelben. Die erfte
ung vorliegende Nr. des VII. Jahrganges enthält: 1. Aufſätze und Abs
bandlungen (Einleitung, in der die Namen aller Derer abgedrudt find,
die dem Herausgeber feit 1850 Mittheilungen für feine Zeitfchriften ges
liefert oder ihn brieflih oder mündlich nad dieſer Beziehung bin ans
geregt haben. Wozu das? Soll man diefe Aufzählung für einen Act
der Dankbarkeit, oder der — Eitelkeit halten? Ferner: Anerkennung
der Lehrerinnen.) II. Stoffe zur Entwidelung (Drei neue Kindergeſchich⸗
ten. Legen mit Hölzgchen. Zwei Zifchgebete.. Das Räathſel nom Biene
ben. Das Bienenliedchen. Bienchens Lehren. Die Feier des Weib»
nachtöfeftes in Familien und Kleinfinderfchulen. Maiglödchen). 111. Ges
ſchichtliche und ſtatiſtiſche Nachrichten. IV. Literarifche Anzeigen.
Unter den „Stoffen zur Entwidelung” if mandes Brauchbare,
zur unmittelbaren Verwendung geeignet.
Gehen uns die übrigen Arn. zu, fo kommen wir im nächſten Jahrs
gange noch einmal auf das Ganze zu fprechen.
85. Feierabend. Ghriftlihes Volks- und Schulblatt. Bafel, 9.
Fiſcher und Eie. 1856. Wöchentlich 1 Bogen in 4. Der Jahrgang 26 Sgr.
Zede Nummer enthält an der Spike eine Betrachtung über einen
bibliſchen ZTert, dann Erzählungen und Gedichte für Alt und Jung,
Berichte über Kirhe und Schule, Meinere Rotizen, Aphorismen, Anek⸗
doten. Es if Alles im frommen Zone gehalten, theilweife aus andern
Merken entlehnt. Die pädagogifche Ausbeute if fehr mäßig. Es if
eine Beitfhrift für gemüthliche Landleute.
695 Allgemeine Pädagogik.
86. Die Realfäule Ein Organ für tecänifche Kehranftalten und Fach⸗
ſchulen. Monatlih 2 Nummern h 1 Bogen in 8. Redacteur: E. Horntg.
Wien, 2. W. Seidel. 1857. 2 fl. 40 ir,
Die „Realſchule“ wird bringen: Abhandlungen, Schulnachrichten,
Literaturs Berichte, bibliographifhe Nachrichten, Journal⸗Revue, Weberficht
der Verordnungen des Unterrichtsminifteriums, Perſonalnachrichten und
Notizen. Es liegt uns nur die erfle Nr. vor, nad der wir und noch
nicht zu einem Urtheil über das Unternehmen für beredhtigt halten.
Gehen uns die Fortfegungen zu, fo fommen wir im nächſten Bande
wieder darauf zurüd.
I. Pädagogiſche Zeitfhriften für einzelne Länder.
1. Preußen.
87. Sähulblatt für Die Provinz Brandenburg. Redig. von R. Bor:
mann, Brooingiel Sähufrast zu Berlin. 21. ahrgang. 6 Hefte à 8
Bogen in 8. Berlin, Biegandt und Grieben. 1856. 1°, Thlr.
Dies Blatt wird jebt ganz im Geifte der preuß. Regulative ges
halten. Einzelne Mitarbeiter fpreizen fih auf diefem Terrain und wer⸗
den dabei nicht felten fehr breit und einfchläfernd. Neben ſolchen Aufs
fäßen finden ſich aber auch recht gute. Die Kritiken befriedigen in der
Negel, find weder zu gedehnt noch zu kurz, Der frühere Standpunkt
des Blattes war ein weiterer (freierer), weshalb man es auch außerhalb
Preußen gern las.
88. Schulblatt der evangelifhen Seminare Schleſiens, im Verein
mit den Lehrers Eoflegien der königl. Seminare zu Bunzlau, Münfterberg
und Steinau und andern Schulmännern der Provinz Sciefien herausger
eben von den Diretoren Bock und Jungklaaß. Sechster Sabrgan .
ir 6 Bogen in 8. In Eommifflon von %. Hirt in Bredlau. 185
3 .
Das „ſchlefiſche Schulblatt“ haucht den Geift der preuß. Negulative,
hat diefelben mit vorbereiten helfen. Die Sernusgeber laſſen ſich's ges
fallen, ihr Streben als „ſchleſiſche Schule‘ bezeichnet zu fehen, was wir
nicht billigen Tünnen. Sie ftehen in methodifcher Beziehung durchaus
mitten in der guten alten peflalogzifhen Schule. Was ihnen eigen-
thümlich if, hängt weit mehr mit ihrem religiöfen, als mit ihrem päda⸗
gogiſchen Standpunkte ‚zufammen. Neben reht guten Aufläßen finden
fih auch fehr matte, breitfpurige, mit allbefanntem Inhalte, fie rühren
zum Theil von den geiftlichen Schulinfpectoren ber. Die Recenfionen
genügen im Ganzen.
89, Preußiſcher Bollsfhulfreund. N. Kolge 10. Jahrgang. Medig. von
Mt Di Gregor. ®eaniashern — Sion Sefte. 2. Thlr.
Dies Blatt kennen wir nicht. Dieſterweg ſagt von demſelben im
Jabrbuche für 1857, ©. 256: „Der Preußifhe Schulfreund theilt mit
dem Brandenburger Schulblatt das Schidjal des Sinkens feit dem Tode
feines Stifters; fein Inhalt wird von Zahr zu Jahr unbedeutender. Die
Kritifen find ohne allen Werth.‘
\
Allgemeine Pädagogik. 697
2. Defterreid.
90. Der dfterreigifhe Schulbote. Wochenblatt für die vaterländifche
Volksſchule. Im Derein mit Schulmännern und Schulfreunden herausge⸗
geben von K. Krombholz und M. U. Becker. 6. Jahrgang. 52 Bogen
or. 4. Bien, 8 W. Seidel. 1856. 2 Thlr.
Die Herausgeber haben beide als Pädagogen einen guten Ruf und
machen demfelben auch in diefem Blatte Ehre. Daffelbe enthält eine
Heihe von guten pädagogifchen Auffägen, alle einichläglichen Regierungs⸗
erlaffe, kurze, aber meiſt treffende Krititen, Schulnachrichten, Conferenz⸗
nachrichten u. dgl.
8. Baiern.
91. Organ des Vereins katholiſcher Schuͤllehrer in Baiern. 8.
Jahrgang. Redigirt von Lorenz. 24 Nor. Augsburg, Kolmann. 1856.
gr.
92. Evangeliſche Schufzeltung für das diesſeitige und jenfeitige Baiern. 4. Jahr⸗
gang; Redig. von Zorn, Seminarinfpector in Katlerdlautern. Wöchent-
ih !/2 Bogen in 4. Kaiferslautern, 3. Kayfer. 1 Thlr.
Beide Beitfchriften find uns unbefannt.
4. Württemberg.
93. Das Württembergiſche Schulwochenblatt. 8. Jahrgang. Her⸗
ausgegeben von C. ©, 8. Stodmayer, Retor am Schullebrer-Seminar
in Eßlingen. BWöchentlih "/ — 1’ Bogen In 4. Eßlingen, C. Weyhardt.
1856. 1 Thlr. 16 Ser.
Das Schulwohenblatt enthält Abhandlungen, Bücheranzeigen, amts
liche Berfügungen, Nachrichten und fpecielle Angelegenheiten württembers
giſcher Lehrer. Der darin herrſchende Ton ift ein gemeffener, Tönnte zu
Beiten etwas frifcher und anregender fein.
94. Die Volksſchule. Eine pädagogiſche Monatsſchrift. Redigirt im Aufs
trage des Bürttemberg’fchen Volfäfhulehrer-Bereins von Carl Fr. Hart⸗
mann, Mufterlehrer am Schullehrers Seminar in Nürtingen. 16. Jahrgang.
12 Hefte à 3 Bogen in 8. Stuttgart, Franz Köhler. 1856. 1!/a Thlr.
Jedes Heft hat die vier Rubriken: Hörfaal, Sprechſaal, Bücerfaal,
Berichtfaal. Die Mehrzahl der pädagogifchen Arbeiten athmet einen
freien Geiſt, Huldigt entfchieden dem Fortichritt. Das gilt befonders
von den tüchtigen Arbeiten Eifenlohrs. Der ftarfen Auflage nach zu
fhließen, fcheinen die württemberg’fchen Lehrer den Werth diefes Blattes
auch zu erfennen. Wir wünfchen demfelben ferner glüdliches Gedeihen!
95. Süddeutfher Schulbote. 20. Jahrgang. Nedig. von Völter, Pfar-
rer in Zuffenhaufen. Monatlih 2 Bogen in 4. Stuttgart, 3. F. Stein:
topf. 1856. 1 Thlr. 4 Sgr.
Dieſen Zahrgang Fenne ich nicht, da ich das Blatt nicht mehr lefe.
Die früheren enthielten manchen trefflihen Auffag von Palme. Der
Herausgeber hat in Folge feines religiöfen Standpunftes eine extreme
Stellung zur Pädagogif; feine Arbeiten And daher nicht für Jedermann
genießbar.
698 Allgemeine Pädagogik.
5. Baden.
%. Badifher Schulb Redig. von — J— v. Langsdorff, Delan
und den Lehrern Pflüger und Hepting. Böchentli !/z — 1 Be:
gen in 4. Pforzheim, 3. M. me 1856. 1 Ihfr. 12 Sgr.
Pflüger und Hepting treten erfi von Ar. 3 ab als Mitredactenre
auf. Wir halten dafür, daß das Blatt durch diefe Praktiker gewonnen
bat. Pflüger felb hat mehrere werthuolle Beiträge zu diefem Jahrgange
geliefert, einen über: „Analytiſch oder ſythetiſch?“ Brodbeck vertritt die
Raturwiflenfchaften, läßt fich jedoch auch über Anderes vernehmen, oft
anregend.
6. Surheffen.
97. Schulnachrichten für Kurbeffen. Herausgegeben von Liebermann,
Lehrer an der le. in Eſchwege. Wöchentlich Y/ Bogen in 8. Beim
Herausgeber. 1857. 10 S
Der Herausgeber —* reichlich unterftützt durch feine heſſiſchen
Collegen, in dieſem Blatte: öffentliche Erlaſſe und Verfügungen der Bes
boͤrden, ſoweit ſolche die Schule berühren, Nachricht über Erledigungen
und Beſetzungen der Schulſtellen, Kompetenzmittheilungen, Konferenznach⸗
richten, Todesanzeigen und kurze Nachrichten jüngſt verſtorbener Lehrer,
ſchulſtatiſtiſche Nachrichten, kleine Notizen von allgemeinem Intereſſe, Fragen
und Antworten zur weitern Erwägung und Beherzigung ꝛꝛc. Daneben
wollen die Schulnachrichten den Lehrern die Wichtigkeit ihrer Betheiligung
an einer Wittwenfaffe, einer Feuerverficherungsgefellfchaft 2c. unabläffig
vor Augen führen, alfo deren materielles Wohl nach Kräften fördern.
Der Reinertrag des Blattes foll derartigen Inſtituten zufließen. Pädas
gogiſche Abhandlungen find ausgefchlofien.
Wir halten dies Unternehmen für nüplih und nachahmungswerth
und freuen uns über die Ginigfeit der beififchen Lehrer, die fich in dem
Diatte fundgiebt. Mögen fie fih8 immer vergegenwärtigen, daß Einheit
ſtark macht! '
1. Balded.
98. Waldedifhes Schulblatt. 8. Jahrgang. Herausgegeben von €.
Schneider, Rector in Eorbach. Alle 14 Tage Ya Bogen in 4. Selbftverlag
(in Som. bei Speier in Arofen). 1856. 1 Thlr.
Ein harmlofes. jedoch dem Fortfchritt dienendes Blättchen, das Abs
bandlungen, Konferenzberichte, Nachrichten und einige Kritifen bringt.
Bon den Abhandlungen find viele aus leicht zugänglichen Werfen ents
lehnt, in dem vorliegenden Jahrgange 3. B. aus den populären, jehr
billigen naturwiffenfchaftlihen Schriften von Bernflein, aus meinem Com⸗
mentar zum Leſebuche u. a. Driginalabhandiungen würden dem Blatte
ohne Zweifel einen größeren Werth verleihen.
8. Königreih Sachſen.
99. Sächſiſche Säulseitung. Redacteur: Aug. Lansky in Dresden.
23. Jahrgang Wo genuich ne Nr. ven 2 Bogen in 4. Wurzen, Verlags⸗
Eomptotr. 1856. 2 Thlr.
Die Schulzeitung if ein Bereinsblatt für den ganzen fächfifchen
Allgemeine Pädagogi. 699
Volksſchullehrerſtand. Sie forget mit Umficht für die Fortbildung der
Lehrer, liefert Material für den Unterricht, bringt Bücher zur Anzeige,
theilt alle Arten von Nachrichten mit, welche irgendwie Intereſſe für den
Lehrerfiand haben, und fördert namentlich auch das materielle Wohl durch
Mittheitungen über alle Arten wohlthätiger Bereine im Intereſſe der
Lehrer und ihrer Hinterbliebenen. In diefer letztern Beziehung ſtehen die
fähfifhen Lehrer wirfiih mufterhaft da. Die Schulzeitung iſt das gei⸗
flige Band für Alle Mögen das die fächfifchen Lehrer nie überfehen
oder gering anfchlagen !
Den Recenfionen wünfchen wir eine etwas größere Eutſchiedenheit.
Es fommt gar nicht felten vor, daB Bücher von geringer Bedeutung bes
lobt werden, befonders wenn ſie von Männern mit einigem Rufe kommen.
Auch an andern Lobhudeleien fehlt es nicht.
100. Leipziger Blätter über Erziehung und Unterricht. Eine Zeit⸗
ſchrift für Eltern und Lehrer pet Berfländigung über die vornehmſten Grund»
fäge der modernen Pädagogit. Herausgegeben von Dr. E. I. Hauſchild,
Director des Modernen Geſammtgymnafiums und der höheren T —
in Leipzig. I. Jahrgang. 12 Bogen in 8. Leipzig, Roſtberg. 1855. 1 Thlr.
Wir kennen nur diefen erften Jahrgang, nicht auch den 1856 ers
fhienenen zweiten. Er enthält kurze Abhandlungen, die fich zum Theil
unmittelbar auf des Herausgebers Anftalten beziehen, meiftens jedoch auch
ein allgemeineres Intereſſe haben. Ihr mäßiger Umfang bat nur felten
ein tieferes Eingehen auf die Sache zugelaffen; fie werden daber auch
mehr die bei den Schulanflalten betheiligten Eltern befriedigen, als die
Lehrer. Indeß bringen die Blätter doch auch manches Beachtenswerthe
in befriedigender Weiſe zur Sprache.
Sp viel wir wiffen, if der Herausgeber einem Rufe nah Brünn
gefolgt.
9. Braunfhweig.
101. Braunfämeigifder Schulbote. Zeitſchrift für Beeren des Er»
gebun smelens Im Säule und Familie. Herausgegeben von J. H. Ch.
chmidt, Eantor in Lucklum. 5. Jahrgang. Wonatli 1 Bogen in 8.
Braunſchweig, E. Leibrod. 1856. !/s Thir.
Dies Biättchen bringt Abhandlungen, beipricht Bereinsangelegenbeis
ten, theilt Schulnahrichten aus dem Baterländchen und ‚aus aller Herrn
Ländern’ mit, und befpricht neue literarifche Erfcheinungen. Es verehrt
die preuß. Regulative fo hoch, daB es meint: Die Regulative fludiren,
beißt jetzt Pädagogik fludiren. Der herrfihende Zon if der religiös-
falbungsvolle. Vielleicht wäre das Blatt den Braunfchmweigifchen Lehrern
nügliher, wenn es im Sinne der fähfifchen Schulzeitung thätig wäre.
10. Sannover.
102. Pädagogiſche Beiträge insbefondere rür das Volksſchulwe⸗
Ion. Defaudgegeben von bannoverfiyen Lehrern. I. Band. 8 Hefte à 3—4
Bogen. Hannover, A, Grimpe. Auguft 1855 bis 56, 1'/ı Thlr.
Die pädag. Beiträge enthalten Abhandlungen, praktiſche Bears
beitungen der einzelnen Lehrgegenftände, eine Revue über das deutſche
700 Allgemeine Pädagogik.
Volksſchulweſen, mit befonderer Berüdfichtigung des Königreichs Hannover,
furze Mittheilungen und Anzeigen neuer literarifcher Erfcheinungen. Das
Unternehmen fann als ein ganz zweckmaͤßiges und gut geleitetes bezeich⸗
net werden.
103. Jahrbuch für Hannoverfhe Volkeſchullehrer. Zum Beſten
der Volksſchulehrer⸗Waiſenfonds im Königreich Hannover. Mit einem Bor-
worte von ® W. Bodeker, Paſtor zu Hannover. gr. 8. (VI u. 168 ©.)
Hannover, A. Grimpe 1856.
Dies Jahrbuch beabfichtigt, „den Lehrern des Königreihs Hannover
am Schluſſe jeden Jahres eine Weberficht der fämmtlihen Eonfiftorialers
laffe, der Amtsveränderungen und der flattgefundenen Lehrerconferenzen,
fo wie andere intereffante Mittbeilungen aus der Geſchichte des Volks⸗
fhulwelens des engeren Baterlandes zu geben. Außerdem bringt die
Medaction (W. Kaftein) noch „Pädagogische Mittheilungen’‘ und „Bädas
gogifhen Erzählungen,’ die andern guten Schriften über Erziehung und
Unterricht entlehnt find.
Für die hannoverfchen Lehrer ift das Jahrbuch wichtig, auch des
löblihen Zweckes wegen.
11. DIdenburg.
104. Dldenburgiſches Schulblatt. Sechster Jahrgang. SENT. a 1Bos
gen gr. 8. Didenburg, Schulze’fche Buch. 1855. 1%/: Thlr.
Wir kennen nur diefen Jahrgang. Er enthält Abhandlungen über
verfchiedene pädagogifche Gegenftände von allgemeinem Interefie, Confe⸗
renzberichte, Mittheilungen über das Oldenburgiſche Schulwefen, Perſo⸗
nalien, Notizen und Recenfionen. Der Herausgeber wünſcht das Blatt
niht ale fein, fondern als das Drgan der Dldenburgifchen Lehrer ber
trachtet zu fehen. Dazu gehört noch größere Unterflügung von Eeiten
der Gollegen, als dem Redacteur zu Theil zu werden fcheint. Das Blatt
enthält übrigens manchen guten Aufſatz.
12. Metlenburg.
105. Meklenburgiſches Schulblatt. Medigirt von C. Wulff, Hülfs-
lehrer am Seminar zu Zudwigsfuft. 7. Jahrgang. Wöchentlich "a Bogen
in 8. Ludwigsluſt, Hinftorff’ihe Hofbuchh. 1856. 1’/s Zhlr.
Dies Blatt macht ‚ungefähr den Eindrud des „Braunfchweigifchen
Schulboten. Das religidfe Element berrfcht darin fehr ſtark vor und
tritt etwas flarr auf. Einzelne Auffäge daraus haben ihre Würdigung
bereits in der Arbeit über den Meligionsunterricht und an andern Stellen
gefunden. Wir kennen die Meftenburger Lehrer nur wenig, halten jedoch
dafür, daß ihre geringe Betheiligung an dem Blatte nicht in ihnen, ſon⸗
dern in dem ganzen Zone und der Haltung des Blattes zu ſuchen if.
Der Herr Redakteur, der allerdings erft feit Michaelis als folcher thätig
iR, follte eine etwas beweglichere, anregendere Sprache einführen; die
jegige fchläfert ein.
Allgemeine Pädagogik. 701
13. Schleswig - Solftein.
106. Schulzeitung für die Hergogtbümer Schleswig, Holftein
und Lauenburg, redigirt von U. h. Soönkſen. Wöhentlih !/s Bogen in
4. Kiel, Schröder u. Comp. 1856. 2 Thlr.
Diefe Schulzeitung Huldigt entfchieden dem Fortichritt, enthält fehr
tüchtige, gewandt gefchriebene Auffäge von allgemeinem Intereffe, Nach⸗
richten verfchledener Art, Vereinsangelegenheiten, Conferenzberichte und
literarifche Anzeigen, letztere ziemlich felten. Befonderen Werth legt dies
felbe auf Förderung der Realkenntniffe, namentlich der Raturwiflenfchaften,
was rühmend anerkannt werden muß. Mögen die Lehrer ernftlich fire
ben, fih das Blatt zu erhalten!
107. Schul blatt für die Herzogthümer Schleswig und Hofftein.
Eine pädagogifhe Monatsfchrift für Lands und Stadifhulen. inter Mit-
wirfung von Paſtor Kahler in Altona herausgegeben von den Volksſchul⸗
lehrern H. F. Langenfeldt, Sr. Harder und Er. Saggan in Altona.
18. Jahrgang. Wonatlid ein Heft von circa 4 Bogen in gr. 8. Olden⸗
burg in Soikein, C. Fraͤnkel. Reipzig, in Com, bei ©. Braund. 1856.
2 Thlr. 12 Ser.
Dies Blatt unterfcheidet fi) von dem vorigen durch etwas gedehns-
tere Abhandlungen, von denen mehrere bereits in den vorhergehenden
Arbeiten angezogen und beurtheilt worden find. Außerdem enthält es,
wie jenes, Schulnachrichten mannigfacher Art und Beurtheilungen von
literarifchen Neuigkeiten. Wenn es den Serausgebern beider Blätter ges
lingt, friedlich neben und mit einander zu gehen, fo werden fie ein fchös
nes, fruchtbringendes Ganze darftellen, und die Lehrer der Herzogthümer
werden es ihnen danken. Sie müffen fich gegenfeitig ergänzen, nicht aus
dem Felde fchlagen wollen.
14. Schweiz.
108. Pädagogifhe Monatsfhrift für die Shweiz. Im Auftrage
des ee Zehrervereind herausgegeben von H. Grunbolzer und
$. Zaͤhringer. 1. Jahrgang. gr. 8. (24 Bogen), Zürich, Weyer und Zeller.
1856. 1?/s Ihlr.
Diefe Zeitfchrift wird im freien, republifanifchen Geiſte redigirt.
Sie enthält 18 größere Abhandlungen, Mittheilungen über den Zuftand
und die Entwidelung des ſchweiz. Schulmelens, Necenfionen und verfchies
dene Nahrichten über die Schweiz und das Ausland. Mehrere der Abs
bandlungen und Mittheilungen find in den vorhergehenden Arbeiten des
Sahreöberichtes beurtheilt worden. Wir werden uns freuen, wenn die
Monatsfhrift fortfährt, fo wackere Arbeiten zu bringen.
XII.
Die aͤußern Angelegenheiten der Volksſchule
und ihrer Lehrer.
Don
Auguſt Lüben.
J. Geſtaltung des Schulweſens in den einzelnen deutſchen
Staaten.
1. Preußen.
1. Lehrermangel. Rah einer der Budgetfommifion officiell
mitgetheilten Weberfiht find in Preußen 23,200 evangelifche und 10,500
Tatholifche Elementar-Schulklaffen vorhanden, von welchen erfahrungsmäßig
jährlich 860 enangelifhe und 420 Tatholifhe Stellen zu beſetzen find.
Es werden jährlich durchſchnittlich 500 evangeliihe und 350 Tatholifche
Kandidaten aus den Seminarien entlaffen. Zur Beſchaffung der erfors
derlichen Lehrerzahl follen zunächft noch ein drittes katholiſches Seminar
für die Rheinprovinzen, ein zweites katholiſches für den fchlefifchen Me»
gierungsbezirk Liegnig, und endlich ein zweites evangelifches, jo wie ein
drittes Fatholifches für die Provinz Pofen errichtet werden. Für den
Negierungsbezirt Merfeburg fteht die Errichtung eines evangeliihen Ser
minars (in Eifterwerda) bevor.
Preußen befigt gegenwärtig 49 Seminare zur Bildung von Lehrern
und Lehrerinnen, die Gouvernanten-Anftalt in Droyßig mitgerechnet.
Um den Mangel an Lehrern zu befeitigen, hat die Regierung von
Potsdam einen halbjährigen Seminarfurfus für Leute von 19 bie 30
Jahren eingerichtet. In den Rheinprovinzen bezweckt man Achnliches.
Solche Maßnahmen Lönnen wir nur bedauern, da fie geeignet find, die
Die Außern Angelegenheiten d. Volksſchule 20. 703
Entwidelung des Schulwelens zu hemmen und die gute Meinung, welde
das Bolf von den Lehrern hat, zu ſchwaͤchen.
2. Befoldung. Der Lehrermangel hat ohne Zweifel feinen Grund
in der geringen Befoldung der Zehrer, wenn wir auch gern zugeben, daß
die gegenwärtigen Seminare nicht ausreichen, die erforderliche Lehrerzahl
zu bilden. Thatſache ift es übrigens, daß fl) gegenwärtig wieder mehr
junge Leute dem Lehrerftande widmen, als font. Es erklärt fih das
aus dem Streben der Regierung, die Schuiftellen möglihft zu verbeflern.
Seit der im Jahr 1852 vom Minifter der geiftlichen Angelegenheiten
erlaffenen Verordnung, die Negulitung und Erhöhung der Gehälter bes
treffend, find an dauernden Zulagen bewilligt worden: für Lehrer an
Gymnaften 72,739 Thaler, für Lehrer an Schullehrer » Seminarien
9,037 Thlr., für Lehrer an Elementarfchulen 152,591 Thlr. Diefe Zus
lagen werden theils aus vorhandenen Fonds, theils von den Gemeinden,
theils aushülfsmweife von den Staatslaffen gewährt.
Im Ganzen bat fi die Gehaltserhöhung jegt vorzugsweife auf die
Landſchulen erfredt. Daraus hat der Minifter der geiflihen Angelegen-
beiten Beranlaffung genommen, unterm 19. Mai 1856 die befondere Aufs
merkfamfeit der Regierungen auf die Verbeflerung der Befoldungen für
Lehrer an Rädtifhen Schulen zu lenken. Wird überall im Sinne
des Erlaſſes verfahren, fo läßt fih erwarten, daß auch die oft große
Noth der ädtifchen Lehrer bald einigermaßen wird gemindert werden.
Wir theilen nachſtehend einige Säpe diefes Erlafjes mit.
„Es bat nur der in den lebten Jahren gemachten Erfahrungen ber
durft, um darzuthun, daß ſtädtiſche Kehrer mit nur baarem Gehalte drük⸗
fender Roth weit eher und nachhaltiger ausgejept find, als Land⸗Schul⸗
lehrer, deren geringeres Einkommen zum Theil in Raturalien und Lands
Dotation befieht. Ein zum Lebensunterhalt der Familie und zur Erzie
Hung ihrer Kinder ausreichendes Einfommen den flädtifchen Lehrern zu
fichern, liegt aber im allgemeinen und im Intereſſe der Schule um fo-
mehr, als jene fih fonft leicht zu Nebenbefchäftigungen bindrängen laflen,
welche mit der Würde und der gedeihlichen Führung des Schulamtes nicht
immer vereinbar find.‘
In Betreff der zu nehmenden Gefichtspunkte heißt es: „Es muß
als Regel angefehen werden, daß jede fädtifche Lehrerftelle ihrem Inha⸗
ber die Möglichkeit gewährt, fern von jedem Anſpruch des Lurus und
höherer Lebensverhältniffe, einen einfachen Hausfland zu gründen und dens
jelben bei Sparfamkeit und Nüchternheit ohne Sorgen der Nahrung zu
führen. Was hierzu erforderlich if, hat die Königliche Regierung in jedem
einzelnen Falle unter firenger Berüdfichtigung der LolalsBerhältniffe zu
prüfen und feſtzuſetzen.“ — — „Es liegt im Inteeeſſe jeder Schule,
reſp. Schulflaffe, daß ein tüchtiger Lehrer ihr möglichſt Tange erhalten
bleibe. Diefes wird aber nur dann zu bewirken fein, wenn die betrefs
fende Stelle ihren Inhaber auch ein für die mit dem fortfchreitenden Les
bens⸗ und Amts⸗Alter feigenden Bedürfniffe und Anfprüce genügendes
Einfommen gewährt. Die Gründung und Dotirung fogenannter Anfän-
gerfellen, hinfichtlih deren man darauf rechnet, Daß fie für unverbeiras
704 Die äußern Angelegenheiten
thete Schulamts » Kandidaten nur kurze Zeit dauernde Webergangspoften
fein follen, ift aus den angegebenen Gründen und weil ſich fehr häufig
fpäter eine Verſetzung und Beförderung als unthunlich erweiſt, möglihft
zu vermeiden.’ — „Es iſt nicht felten das Beſtreben flädtifcher Behoͤr⸗
den bemerfbar, höhere Unterrichtszwede, namentlich durch Errichtung von
Real⸗ und Gewerbſchulen, unter Aufmendung erheblicher Mittel zu fördern.
Die Königl. Regierung wird es ſich nach wie vor angelegen fein fafjen,
folhe Bertrebungen, wo einem wirklichen Bedürfniß eine gefunde Befries
digung gewährt werden Tann, nad Möglichkeit zu unterflügen. In jedem
folhen alle hat aber die Königl. Reg. vorher zu prüfen, ob den Bes
dürfniffen des Elementarſchulweſens der betreffenden Stadt, au, mas
die ausreichende Befoldung der Lehrer angeht, genügend vorgefehen if,
damit nicht durch Bevorzugung von befonderen Intereſſen einzelner Klaſſen
der Bevölkerung das der Geſammtheit dienende chriftlihe Elementarſchul⸗
wefen gefährdet werde. In der Dadurch zu erwartenden Hebung der Öffents
lihen Elementars und Bürgerfchulen wird auch das erfolgreihfte Mittel
gefunden werden, dem Ueberbanduchmen der Privatichufen zu fleuern und
die auf diefe verwendeten Mittel dem öffentlichen Schulwefen zu erhalten.”
— — „Wenn gegen die nad genauer Erwägung der Berhältniffe für
nöthig befundene und anzuordnende Erhöhung der Fädtifchen LehrersBe:
foldungen der Einwand erhoben werden follte, daB das ſtädtiſche Bud»
get ſchon anderweit zu belaftet oder die Steuerfraft der Einwohner durch
Gommunal » Abgaben zu fehr angefpannt fei, fo hat die Königl. Reg.,
unter angemeffener Betheiligung Ihrer Abtheilungen des Innern und der
Finanzen, diefen Einwand zu prüfen und nöthigenfalls unter Feftftellung
des Grundfages, daß die Unterhaltung des Schulwefens, namentlich der
Befriedigung materieller Intereſſen gegenüber, nicht in zweiter Linie ber
ftädtifchen Verpflichtungen fichen dürfen, auf eine Rectifizirung des ſtäd⸗
tifhen Budgets hinzuwirken.“
Auf höhere Veranlaffung haben die Regierungen auch Veranfaffung
genommen, die Magiftrate zu Theurungs⸗Zulagen für die Lehrer zu vers
anlaffen. In dem hierauf bezüglichen Erlaffe der Königl. Regierung zu
Breslau heißt es: „Dotirt mit einem auch in den beften Zeiten kaum
ausreichenden Baargehalt, müflen fie (die Lehrer) fi unter den erſchwe⸗
renden Einflüffen der Gegenwart, den größten Kümmerniffen und Ent
behrungen ausgefeßt erbliden, und follen doch zu gleicher Zeit auch mit
unbeftehlicher Treue und unermüdlichem Fleiße, das Schönfte und Beſte
der Güter, was die Kamilien ihr eigen nennen, bewahren nicht bloß, fon
dern auch zu derjenigen Entfaltung, die ihm erſt den rechten Werth giebt,
e8 bringen.‘
3. Präparandenbildung. Die Regulative erachten eine Bor
biſdung zum Seminar dur den Ortspfarrer und Lehrer für die geeig⸗
netſte und halten zugleich dafür, daß die Zahl der von einem Lehrer
zu gleicher Zeit vorzubildenden Präparanden fih auf höchftens drei ber
fhränfe. In Folge deffen haben die Königl. Regierungen die Prediger
und Lehrer aufgefordert, fich bei der Präparandenbildung in diefem Sinne
zu betheiligen.. Durch die Amtsblätter find hierauf die Namen der ber
%
der Volksſchule und ihrer Lehrer. 705
Rätigten Präparandenhildner befannt gemacht worden. Ganz im Sinne
bes Regulativs heißt es in der BircularsVerfügung der Königl. Reg. zu
Branffurt a. d. O. vom 15. October 1855: „Die Lehrerbildung wird
dur) das Megulativ vom 2. October ejsd. zum großen Theil in die
Hände des Lehrerftandes felbft gelegt; Diener der Kirche und erfahrne
Schulmänner follen den Grund legen, auf welhem das Seminar weiter
baut und feine Zöglinge zur Reife für das Lehramt führt. Der Erfolg
der Seminarbildung ift bedingt durch die Vorbereitung für das Seminar
und dieſe erfcheint daher: faum minder wichtig als jene; ihre Thätigkeit
richtet fi vorzüglich auf die Erziehung des Lehrlinges für das Schuls
fah. Denn wenn die Tüchtigfeit für das Lehramt hauptſächlich auf der
gediegenen Perföntichkeit des Lehrers beruht und Diele fih zu einem.
Eharafter von wahrhaft hriftlihem „Gehalt und Gepräge ausbilden foll,
fo bedarf es dazu nicht allein des gründlichen Unterrichts, deflen Mittel
punft die evangelifche Heilslehre ift, ‚fondern vor Allem der Krifllichen
Erziehung durch DOrgane, melde fie in dem rechten Sinn und Geiſte
leiten. Aus der frommen Zucht der riftlihen Familie, aus der gefuns
den Tinterweifung der chriftliden Schule, aus der treuen Pflege der
chriſtlichen Kirche muß der fünftige Volksſchullehrer hervorgehen, in und
an der Schule ſich für feinen fünftigen Beruf beranbilden, für denfelben
nicht nur befonders gefhult, fondern vor Allem befonders erzogen wers
den. Die Grundiegung diefer Berufserziehung, fällt in die Beit von _
dem Austritt aus der Schule bis zu dem Eintritt in das Seminar, das
Diefelbe vollenden fol; "ohne dieſe Grundlage vorzufinden, arbeitet das
Seminar an den meiften feiner Zöglinge vergeblihd. Ein fo wichtiger
Theil der Lehrerbildumg erwartet daher treue Wrbeiter und Pfleger
außerbalb der Seminare unter den Geifllihen und Lehrern, welche fich
berufen und verpflichtet fühlen, diefer fegensreichen Aufgabe ihre Kräfte.
zu widmen. Wo der Lehrer ein geborner Schulmann, ein wahrer Schule”
meifter "it, der fein Amt liebt und im Segen führt, da wird es ihm
ſelbſt Bedürfniß werden, ſeine Erfahrungen mitzutheilen, ſeine Wirkſam⸗
keit in lebendiger Ueberlieferung fortzupflanzen und fich aus feinen Schu⸗
lern auch ſolche zu erziehen, die fein Werk fortſetzen und weiter führen.
Und wie könnte die Kirche gleichgültig bleiben gegen die Seranbildung
der Volkoſchullehrer, in denen der Geiftliche feine nächſten Gehülfen für
bie Seelforge an dem heranwachfenden Geſchlecht, für den Dienft der
innern Miffion in der Gemeinde überhaupt erhalten fol? Wie follte die
Kirche nicht die heilige Verpflichtung anerkennen, wenigftens Mithelferin
an diefem Werke zu fein? Sollen Kirche und Schule nicht auseinander
geben, fondern feft zufammenwacfen, fo. muß der künftige Lehrer von
Augend auf an der Kirche feine mütterliche Pflegerin, in dem Geiſt⸗
lichen einen väterlichen Zreund und Erzieher finden, dem er die Bes
gründung feiner chriſtlichen Heilserfenntniß und Berufsrichtung verdankt,
Es Tann für Schule und Kirche feine Thätigfeit geben, die von größes
rem Einfluß auf die Zukunft beider und der damit zufammenhängenden
Buflände unferes Volkes und Baterlandes wäre, als die Vorbereitung
auf das Lehramt. Je mehr von Geiten der Staatsregierung für die
Rade, Jahrtsbericht. J. 45
700 Die äußern Angelegenheiten |
Lehrerbildung in den Schullehrer⸗Seminarien gethan und die Leitung
und Geſtaltung dieſer Anſtalten in wahrhaft evangeliſchem, tirchlichen
und vaterländiſchem Sinn und Geiſte durchgeführt wird, deſto mehr
liegt es dem geſammten Lehrerſtande ob, dieſen peilfamen Beranr
faltungen in die Hände zu arbeiten und das hochwichtige Werl
durch Vorbildung von Geminarpräparınden oder Schulamtsichrlingen
au fördern.‘
Prediger und Lehrer follen ſich ernfllich bemühen, junge Leute für
den Lehrerberuf zu gewinnen zu fuchen. Dabei follen fie ihr Augenmerk
nicht auefchließlih auf die geifig reicher begabten Schüler, auf gläne
zende Talente, fondern vornehmlich auf fittlich geartete und erzogene
Naturen richten.
Die Borbereitung fol durdfchnittlih drei Jahre dauern. Der
Aufenthalt auf dem Lande if dabei dem in der Stadt vorzuziehen.
Zunge Männer von reiferem Alter, ‘die bereits amdere Berufsiwege ber
"treten haben, ſich aber entfchließen, zum Schulfach überzugeben, follen
befondere Berüdfihtigung erfahren.
Bei den PBrävarandenlehrern wird vorausgeſetzt, daß fe es bei ihrer
Beſchaͤftigung nicht auf Erwerb abgefehen haben, diefelbe vielmehr treiben,
weil fie ihnen freude macht.
4. Lehrerprüfungen. a. In Preußen, wie anderwärts, iR
es geſtattet, fih auch außerhalb der Seminare zum Lehramte vorzube⸗
reiten. Die Prüfung dieſer „Wilden“ findet aber in einem Seminare
Statt. In Nr. 43 des Medienburgifhen Schulblattes (1856) wird
über ein derartiges Eramen in Köpenid berichtet. „Die Leitungen liefen
Manches zu wänſchen übrie.. Ein Graminand meinte, der Bo habe
einen nördlichen Lauf; ein anderer, der den Lauf der Donau Durd
Beihnung an der Wandtafel darſtellen follte, zog mit der Kreide eine
Linie von oben nad unten mit einer Biegung nad links. Wenn auf
Fragen, wie: „Haben Sie darin oder davon noch Kenntniſſe?“ gewöhn⸗
lih ein „o ja’ als Antwort erfolgte, bei einem näheren. Eingehen auf
die Sache aber faſt nichts zu Tage kam, fo zeigte dies, daß Eraminand
nicht einmal wußte, ob er etwas wifle oder nit, und das if immer
ein fchlimmes Zeichen, findet fi aber nicht bloß in Preußen, fondern
auch anderswo.‘
Der Berichterftatter hatte noch Gelegenheit, die Examinanden im
Gaflbaufe zu beobachten und kennen zu lernen. Nachdem er bierüber
Einiges mitgetheilt hat, heißt es: „Ploͤtzlich kam Nachricht vom Seminar,
Alle (19), bis auf zwei, waren beftanden. Gut, daß ihr nicht im
Mecklenburg eyaminirt feid, dachte ih. ber die Behörde mußte bei
dent Mangel an Lehrern fih ſchon zufrieden geben; es waren damals
allein in dem Regierungsbezirk Potsdam über dreißig Lehrerfieden, zu
denen es an Lehrern fehlte, „‚‚und es if doch beſſer, einen weniger
tüötigen Lehrer anzuſtellen,““ fagte man, „„als gar keinen.’
Die Heetorats- Prüfungen, zu denen nah einer gefch-
u BeRimmung nur Literaten zugelaffen werden, werben ebeufalls
Mm den Seminaren abgehalten. Um vielfachen Anfragen zu begegnen,
der Vollsſchule und ihrer Lehrer. , 707
bat der Seminar-Dirertor Bock im 1. Hefte des ſchleſſſchen Schulblattes
von 1856 in dankenswerther Weiſe Alles zuſammengeſtelit, was hierauf
Bezug bat. Wir entnehmen hieraus Folgendes.
„Die Prüfung beſteht in Anfertigung einer Clauſur⸗Arbeit über
ein pädagogifches oder methodifches Thema; es werden dazu A Stunden -
Zeit gewährt und find Aufgaben wie folgende bearbeitet worden: 1.
Welches find die bekannteſten Leſemethoden? Worin beſteht das Eigen⸗
thümliche einer jeden und welcher gebührt der Vorzug? 2. Welche
neuere Beftrebungen auf dem Gebiete des Unterrichts verdienen befondere
Beobachtung? 3. Was hat man unter Eoncentration des Unterrichts zu
verſtehen? Welche Berechtigung hat fie? Auf welche Unterrichtögegen
—— it fie beſonders anwendbar und wie geſtalten ſich dieſe durch
eg uf. w.
Die mündliche Prüfung erſtreckt ſich vorzugsweiſe auf das Re
thodiſ he in den verſchiedenen Unterrichtsfächern: Schulkunde, Reli⸗
gion, Sprachunterricht, Geſchichte, Geographie, Natur⸗
geſchichte, Naturlehre, Rechnen und Raumlehre.
In der Schulkunde werden Fragen aus der —88 des
Volksſchulweſens, über Schul⸗Erziehung, Einrichtung des Lehrplanes
und des Lectionsplanes, Schulordnung und Disciplin, die allgemeinen
unterrichtlichen Grundiäge, die Cigenſchaften des Lehrers u. dergl. ger
tan. — In der Religion wird fowohl die Behandlungsweife der
einzelnen Zweige deflelben: der biblifhen Gedichte, des Bibelleiens,
der Berikopen«Erflärung,, des Katechismusunterrichts, der Verwendung
von Sprüchen, Liedern und Pfalmen, als die Geflaltung dieſes Unters
richts auf den verfchiedenen Stufen beiprodhen. — In dem Sprads
unterrichte bilden a. Lejelehre, I. Leſebuch und deflen Gebrauch, e.
Geſtaltung des Sprachunterrichts auf der Grundlage von Lefeüden,
d, Grammatit, e. Bekanntſchaft mit Volksſchriften die Geſichtspunkte,
auf welche ſich die Prüfung richtet. — In Geſchichte, Geographie
und Raturktunde kommt es befonders auf Auswahl und Behandlung
bes in den Bereich der Bolksichule Gehörigen nad feiner Abflufung für
eins und mehrklaſſige Schulen an. Auch hier kommt die Verwendung
des Leſebuches in Betracht, fo wie die Verbindung dieſer Disciplinen
unter einander. — Im Rechnen wird die Entwidelung des Unterrichts
von der unterßen bis zur oberfen Stufe unter 'Berädfihtigung eines
rationellen Verfahrens ins Auge gefaßt. — Die. Raumlehre hält fi
innerhalb des der Volfsfchule vorgezeichneten Gebietes. — Auch auf die
Kenutnig einer Anzahl befannter Ehoräle, wie fie fih zu den Schuls
andachten und Gebeten eignen, wird ‚gefordert.
Reben der methodifhen Kenntniß wird im den genannten Gegen«
fänden auch die Bekanntfchaft mit den hervorragenden literaris
fhen Hülfsmitteln erforfht. Für die Vorbereitung find zu empfeh⸗
In: 1, Die 3 preußifchen Regulative, 2. die für den Zwed der Prüs
fung gehörigen Auffäge in dem Scuiblatte der evangelifhen Seminare
Shiefiens, 3. Bormann’s Schultunde, 4 Goltzſch Lehrplan für ein
klaſſige Volksſchulen, 5. Raumers Geſchichte der Padagogik, Thl. 2,
45”
=
a
708° Die äußern Angelegenheiten
6. Kellners Pädagogit in Aphorismen, 7. das vom hiefigen Seminar .
beransgegebene Volksſchul⸗KLeſebuch, 8. Golgfh oder Stubba, Ans
weifung zum Rechnen, 9. aus Dieflerwegs Wegweiler die Auffäge
über die weltfundlichen Disciplinen, um eine Einfiht in die Geftaltung
des Unterrichtes in vielklaſſigen Stadtfhulen zu erlangen. oo.
Endlich beſteht die Prüfung in zwei Lehrproben, welche mit
einer Klaſſe der Seminarfhule abzuhalten find: =. im Religions»
Unterrichte, b. in einem der übrigen Unterrichtsgegen—
Rände Die Aufgaben dazu werden Tags vorher bei. der Meldung
gegeben. Nur zur Lehrprobe in der Religion wird ein fchriftlicher
Entwurf, welcher den Stoff in den Sauptzügen und den Gang ber
Behandlung überfichtlich angiebt, angefertigt und bei Beginn des Lehrs
verſuches, auf gebrochene Kolios Seiten gefchrieben, an den Herrn Com⸗
wiffarius abgegeben. Für die anderweitige Lehrprobe wird eine ſchrift⸗
lihe Borbereitung nicht gefordert.
Für jene werden die Aufgaben aus der biblifhen Geſchichte,
dem Katehismus, den Perikopen, LKieder- und PBfalmens
&rflärungen entnommen; für diefe werden Stüde aus dem erfien
Lefes, dem vereinigten Sad und Sprach⸗Unterricht, Sprach⸗
Rüde mit Auffagübungen, Aufgaben aus dem Rechnen, der
Raumlehre, der Geographie, Befhihte, Naturgeſchichte
und Phyſik gegeben. Die betreffenden Seminarlehrer ſorgen für bie
erforderlichen Lehr⸗ und Beranfhaulichungsmittel. Es find dazu früher
Aufgaben, wie folgende, geflellt worden: 1. Für Sprachuntericht:
Beiprehung des ‚‚Rinderliedes von den grünen Sommer » Böglein.‘
Aus dem Gedicht: „Ich hatt’ einen Kameraden‘ einen Auffaß, der die
Gefchichte deſſelben enthält, zu bilden u. f. w. 2: Rechnen und
Raumlehre: Zu lehren, wie Brüde durch Brüche dividirt werden.
Das Eigenthümliche der Decimal»- Brüche gegenüber den gemeinen Brüchen
und Verwandlung jener in dieſe und umgekehrt u. ſ. w. 3 Geſchichte
und Geographie: 8 follen einige, in die Volksſchule gehörige Bes
ſchichten ganz kurz erzählt werden, die fih im Rheingebiete von Bafel
His Mainz bewegt haben. Zum 25. Juni: Webergabe der Augsburgi⸗
fen Eonfeffion, Aug. Herm. Srande und die Gründung des Halle'ſchen
Waiſenhauſes. Es find aus den Pauptflellungen der Erde zur Sonne
(dur eine Zeichnung veranfhaulicht) die wichtigften klimatiſchen Bers
. hältniffe abzuleiten, die wir im Laufe des Jahres erleben. Ueber Son»
nenfinfterniffe u. f.w. 4. Naturkunde: Der Regenbogen. Ueber die
Neibung der Körper. Weber die Entwidelung der Infecten, an einigen
Arten nachzuweiſen. Weber den inneren Bau und die dadurd bedingte
Ernährung der Pflanzen. (Ein Bortrag.) U. f. w. ,
Das Reſultat der Prüfung wird in einer. auf diefelbe folgenden
Gonferenz der Commiſſion fofort fefgeftellt und durch den Herrn Com⸗
miſſarius des Königl. ProvinzialsSchulsCollegii den Eraminanden mits
geiheilt. Die Zeugniffe jedoch werden ihnen erſt fpäter von der ger -
- nannten Behörde ſelbſt zugefertigt; dagegen werden die bei der Mel
der Bettefäue und ihrer Lehrer. 7 oo
dung beigefügten Ausweiſe nad der Brüfung foglel wieder zurüds
geſtellt.
5. Die Unfalt zur Bildung von Bouvernanten in Droy⸗
Big bei geiß, auf die ſchon im VIII. 8. des Jahresberichtes hinge⸗
wiefen worden, ift am 6. October 1855 errichtet und unter Die Leitung,
bes Directors des Lehrerinnen» Seminars daſelbſt, Krißinger, geftellt
worden. Beide Anftalten ſtehen zunähft unter der unmittelbaren Leis
tung des Minifters der geiftlichen Angelegenheiten. In der die Cröff⸗
nung der Gouvernanten s Anftalt betreffenden Bekanntmachung des Minis
ſters, d. d. Berlin, den 22. Juli 1855, heißt e6: ‚Der Curfus zur
Ausbildung junger Damen in dem genannten Inſtitute iſt auf zwei
Jahre berechnet, womit nicht ausgefchloffen ift, daB vorzugsweife begabte
und mit befonders guten Borkenntniffen eingetretene Böglinge auch bes
reits nad Jahresfriſt entlaffen werden fönnen. Die Entlaffung erfolgt
jedesmal nach der vor einer Sönigl. Prüfungs» Eommiffion beftans
denen Prüfung, und mit einem von der erfleren ausgeftellten Qualificas
tions » Zeugniß, welches in der Regel auch die Befähigung für den Uns
terricht an hoͤheren Zöchterfchulen bezeugen wird.
Die Hauptaufgabe der Anftalt ift, für den höheren Lehrerinnen.
Beruf geeignete evangelifhe Jungfrauen, zunähf in chriſtlicher Wahrheit
und im chriſtlichen Leben ſelbſt fo zu begründen, daß fie befähigt und
geneigt werden, die ihnen fpäter anzuvertrauenden Kinder in Liebe und
Selbfiverläugnung ihrem Herrn und Heiland zuzuführen. Sodann follen
fie theoretifh und praktiſch mit einer guten und einfachen Unter
richts⸗ und Erziehungskunſt bekannt gemacht werden, in melcher letzteren
Beziehung fie in dem Penfionat lehrend und erziehend mit beichäftigt _
werden. Gin befonderes Gewicht wird auf die Ausbildung in der frans
söfichen und englifchen Sprache, fo wie in der Muſik gelegt. Geborene
Engländerinnen und Franzöfinnen werden namentlich die. Gonsrlation
in den genannten Sprachen leiten. Der Unterricht in Geſchichte, Li⸗
teratur und fonfligen zur allgemeinen Bildung gehörigen Gegenfländen
wird feine angemeffene Vertretung finden, aber fireng die Zwecke
weiblicher Bildung in das Auge faffend, jede Verflahung zu vermeiden,
und in dem Nothwendigen Bertiefung des Gemüthslebens zu erzielen
fuchen. -
Die Einrichtung der Anfalt bietet zur Beiheiligung an häuslichen
Arbeiten, fo weit diefe das Gebiet auch der Pörperlichen Pflege und Er⸗
ziebung angehen, geordnete Gelegenheit.
Die Böglinge zahlen eine in monatlihen Raten boraus zu ent
richtende Benfion von 100 Thlrn. jährtich, wofür fie den gefammten Uns
terricht,, volle Bekoͤſtigung, Belt und Bettwäfche, Heizung und Beleuch⸗
tung, fo wie ärztliche Pflege und Medicin für vorübergebendes Unwohls
fein frei haben. Ermäßigung oder Erlaß der Benflon kann nicht ſtati⸗
finden.
Mit. der Bildungs » Unftalt für Gouvernanten in gleichzeitig ein
Penſionat für evangeliſche Töchter höherer Stände errichtet
worden, Die Gelammtanflalt in Droyßig repräfentirt daher für das
7160 Die äußern Angelegenheiten
weibliche Biſdungsweſen eine Bereinigung von Mitteln und Kräften, wie
fe ſich vielleicht nirgends mehr vorfinden. In der Bekanntmachung
wegen Eröffnung des Penflonats von Eeiten des Miniſters heißt es:
„Das Penflonat iR zunächſt auf 50 Zöglinge berechnet, die in dem Alter
von 9 bis 15 Jahren Aufnahme finden fönnen. Diefelben wohnen mit
den Borfleherinnen und Lehrern, fo wie mit den Gouvernanten in einem
and demfelben fehr geräumigen Gebäude. Der Ort Droyfig Jiegt im
einer gefunden, fhönen Gegend und bietet in feiner ländlichen Stille für
weibliche Erziehung befondere Bortheile dar. Aerztlihe Hülfe if nöthi⸗
genfalls jederzeit in dem Orte felbft, fo wie in der ganz nahe gelegenen
Stadt Zeig zu erhalten. Der Garten der Anftalt, der fürftlihe Schloß»
part, fo wie der unmittelbar an die Anftalt fih anichließende Bald
und das für die lebtere eingerichtete Flußbad fihern und befördern
die Lörperlihe Entwidelung der Zöglinge. ‚Die äußere Einrichtung,
Lebensordnung und Beipeifung in der Anſtalt if überall reichlich, aber
einfach.
. Die Erziehung der Töchter foll eine entſchieden Hriftliche fein, die
nah den Forderungen und Borfchriften des Wortes Gottes in evanges
liſchen Freiheit gefaltet wird. Die Vorbereitung ber Töchter auf die
Einfegnung, fo wie die feßtere ſelbſt kann in der -Anftalt durch den
Ortsgeiſtlichen erfolgen.
Die Sitte des Haufe foll einfah und edel, wie fie der deutfchen
Bamilie geziemt, gehalten, und auch die biefer Sorderung entfprechende
Form erfirebt werden. Die ftete gewiſſenhafte Leitung und Beauffih-
tigung der Böglinge findet durch das ausreichende vorhandene Lehrerin»
nen⸗Perſonal, jo wie durch die Gouvernunten,, flatt.
Der Unterriht erfiredt ſich von den erflen Giementarftufen bie zu
dem Ziel einer wohleingerichteten höheren Töchterſchule. Der chriftlichen
Untermweifung wird überafl eine maßgebende Stellung eingeräumt. In
Auswahl und Behandlung des Unterrichtsftoffes if wiſſenſchaftliches
Scheinweſen in jeder Beziehung auegefhloffen, und fol eine Bildung
erzielt werden, melde zum Cintritt in den Beruf des häuslichen und
Familienlebens nicht minder wie in den Kreis eines gefunden und ern»
ſten gejellfchaftlihen Lebens vorbereitet und befähigt.
Der Unterricht in der franzöfifhen und englifihen Sprade fol durch
Nationals Lehrerinnen mit vertreten werden. Der Klavier⸗ und Gefang-
Unterricht bildet einen integrirenden Theil des Geſammt⸗Unterrichts; für
PrivatsUnterriht in weiter gehenden Leiftungen wird Gelegenheit ges
geben werden.
Die Anſtalt forgt für alle Unterrichtss, Erziehungs» und leibliche
Bedfirfniffe. Bett und Bettwäfche wird von ihr geftellt. Beſorgung
der Leibwäfche wird befonders berechnet, fo wie die Vergütung für ärzte
liche Behandlung und Medizin in Krankheitsfällen. Für alle Leiſtungen
iR eine in vierteljährlihen Raten voraus zu entrichtende Penfion von
200 Thirn. jährlich zu zahlen.
G. Ein Refeript an den Minifter der geiftlihen Angelegenheiten und
den evangrlifchen Dberkirchenrath enthält folgende königl, Entigließung:
der Vollsſchnle und ihrer Balzer. zu
„Auf den Bericht won 13. Januar cv. (1856) beſtimme ich hierdurch,
um den Bebörden der evangeliichen Kirche die Ausübung der ihnen ob⸗
tiegenden Pflicht zur Wahrung des Bekenntniſſes beim evangeliſchen Mes
ftgionsunterrichte in dem Bolksfchulen, den Schullehrer- Seminarien und
höheren Schulen möglich zu machen, daß die in diefen Unterrichtsanſtal⸗
ten zu gebraudhenden NReligionsbücher der Genehmigung der
Kirhenbehörde unterliegen follen und daß auch bei der Anftellung
der ordentlichen und außerordentlihen Profefloren der Theologie an den
Univerfitäten und der evangelifchsgeiftlihen Raͤthe bei den Regierungen,
infofern dieſelben zugleih Mitglieder der Gonfiftorien find, fowie der
Directoren an den evangelifchen Schullehrer⸗Seminarien jedesmal das
Gutachten des Evangeliichen Oberfirhenratbs in Beziehung auf Befennts
niß und Lehre des Anzuftellenden erforderlich if.“
7. Belenntnißftand der evangelifchen Elementarlebrer.
Unterm 17. Zuni 1856 hat der Minifter der geiftlihen Angelegenheiten
allen evangelifchen Elementarlehrern durch die betreffenden Behörden nach⸗
ſtehende Berordnung zugehen laffen: „Durch die unterm 3. October 1854
veröffentlichten Grundzüge, betreffend Einrichtung und Unterricht der
evangelifchen einklajfigen Elementarfchule, if einerfeits der evangelifche
Religionsunterricht Yinfihtlich feines Inhalte, Zieles und Stufenganges
. genau feſtgeſtellt, andererjeits if der Geiſt, welcher den Unterricht tragen
und durddringen muß, und die perfönliche Herzensſtellung des Lehrers
zu dem Evangelium und zu feinem Herrn und Meifter bezeichnet, welche
allein feinen Unterricht für das Glaubensieben der Kinder fruchtbar zu
machen im Stande if.
Da aber der Elementarlehrer durch den ihm anvertrauten und übers
tragenen Religionsunterricht in beionderem Maße der enangelifchen Kirche
verantwortlich if, jo übernimmt er mit feinem Berufe auch die Vers
pflidtung, fi in feinem Amte und außerhalb deffelben, im Unterricht,
wie im BZeugniß durch Wort und Wandel, Rets ale ein lebendiges Mits
glied und als einen treuen Diener der ewangeliihen Kirche zu beweilen
und an dem Belenntniß det Gemeinde, deren Jugend er für den kirch⸗
lichen Unterricht des Pfarrers vorbereitet, unmwandelbar zu halten, damit
er Denen, die außerhalb der evangeljiſchen Kirche flehen, und Denen, die
innerhalb derjeiben ihren Verſtand über Gottes Wort und die Regel
des Belenntniffes Rellen wollen, nicht zu Dienft und Gefallen, und feinen
Brüdern nicht zum Wergerniß, den ihm anvertrauten Kindern aber nicht
zam Fallſtrick werde,
Daß es ſich alſo verhalte, iſt allen bereits im Amte ſtehenden evan⸗
geliſchen Elementarlehrern durch Mittheilung dieſes Erlaſſes in Erinne⸗
zung zu bringen, und jedem in Das evangeliſche Elementarſchulamt nen
eintretenden Lehrer bei feiner Berpflihtung oder Einführung an Las
Gewiſſen zu legen.‘
2. Deſter reich.
1. Behufs Sicherſtellung iſt vom Unterrichts ‚Minifterium angeords
net worden, über jede Vollsſchule in Ungarn, der Eerbifchen Wojmods
712 Die Außer Angelegenheiten
fHaft und dem ZTemfer Banat, Kroatien und Slavonien eine Urkunde,
Schulfaſſion genannt, aufzunehmen, welche die weſentlichſten "Außern
Berhältniffe, die Dotation der Schule und des Lebrerperfonals enthält.
Diefelbe foll dazu dienen, einen geordneten Zuſtand herbeizuführen, Die
Einfhulung fo wie die Unterrichtsertheilung zu regeln und die vorhan⸗
denen Säuldotationen in dem erforderlichen Maße aufzubeflern. „In
diefer letztern Beziehung haben die Behörden dafür zu forgen, daß jedem
Schullehrer das nad) den Berbältniffen feines Dienftortes zum Leben
nothwendige Einfommen ausgemittelt werde und hierbei den Grundſatz
unverrüdt fefzubalten, daß die Gründung und Erhaltung der Volke⸗
ſchulen zunähft auf die Ortsmittel gewieſen if.‘
2. In den größeren Städten Ungarns find namentlih durch Is⸗
raeliten vielfach Privatfchulen ohne obrigfeitliche Genehmigung errichtet
worden. Auf Anlaß des Unterrichts-Minifteriums hat die Statthaltereis
Abtheilung in Ofen überall da die Schließung derfelben anbefohlen,
wo fi deren Unangemeflenheit herausftellt. Fuͤr die Zufunft if für
jede neu zu errichtende Privatanftalt obrigfeitlihe Genehmigung er⸗
forderlich.
3. Durd einen Erlaß des Minifteriums iſt der Unterricht folder
Kinder, welde in Fabriken und Gewerböftätten un Lohn arbeiten, in
angemeflener Weife geregelt worden. Wir theilen die Hauptbeſtimmun⸗
gen deffelben nachflehend mit. 1. Zür die in den Zabrifen und Ges
werböfätten verwendeten fhulpflichtigen Kinder find Abendſchulen zu
errichten. Der Unterridht if an fünf Zagen der Woche dur je zwei
Stunden zu ertheilen, und beginnt von 1. October bis letzten Februar
nach fünf Uhr, und vom 1. März bis lebten September nad fechs Uhr.
'2. ®o die verfchiedene Befähigung es erfordert, werden die Kinder im
zwei oder mehreren Abtbheilungen (und Zimmern) unterrichtet. 3. Jeder
Fabriks-⸗ und Gewerbsinhaber ſoll gehalten fein, die bei ihm in Bers
wendung flehenden fchulpflichtigen Kinder bei dem Seelforger oder Lehrer
anzuzeigen. 4. Durchſchnittlich follen die Kinder erſt im neunten Lebens,
jahre zur Fabrikarbeit zugelaffen werden. 5. Die Kinder find gleid
beim Beginn des Schulbefuhs mit den erforderlichen Schulbüdern und
Lehrmitteln zu verfehen. 6. Kür jede Abendfchule if ein Lehrplan feſt⸗
zuftellen. 7. Für jede Schüferabtheilung iſt ein eigener Lehrer, in der
Regel aus dem Lehrerperfonal der betreffenden Schule, zu beflimmen.
Der dirigirende' Lehrer der Schule führt die Aufficht über die Abend»
ſchule. 8. Die, Lehrerbefoldung wird von den Fabrikbeſitzern, unter
Umftänden auch theilweife von den Eltern der Kinder aufgebracht, im
leßterem Kalle gleih vom Wochenlohne zurüdbehalten. 9. Behören die
Kinder der Mehrzahl nah der Klaffe der anerfannt dürftigen Ortes
bewohner au, fo fann auch die Gemeinde zu einer Beiſteuer zum Schule
gelde herangezogen werden. 10. Die Fabrikſchulen ſtehen mit den
Säulen, als deren Theil fie zu betrachten find, unter gleicher Aufficht.
11. Für das fittliche Verhalten der Kinder während des Unterrichts und
Heimweges follen Lehrer_und Schulvorfieber mit aller Aufmerkfamteit
der Volksſchule und ihrer Lehrer. 713
Sorgen. Nöthigenfalls Tann die Worforge getroffen werden, . daß bie
Sensdarmerie und Ortspolizei dem Verhalten diefer Kinder (auf dem
Schulmege) ein wachſames Auge zuwende.
4. Abkürzung des Unterrichts auf die Hälfte der Unterrihtsftuns
den foll in vorfommenden Rothfällen auf Antrag des betreffenden bilchäfs
Iihen Gonfiftoriums nur von der Statthalterei auf beftimmte Dauer
bewilligt werden, nie von den nächſten Schulvorſtehern.
5. Kinder, welche in ben Lehrgegenſtänden der Volkoſchule ent,
weder zu Daufe oder- in Privatſchulanſtalten unterrichtet werden, müſſen,
wenn ſie zu irgend einem Zwecke ein Schulzeugniß noͤthig haben, ſich
der Prüfung an einer directivmäßig eingerichteten Pfarrſchule, reſp.
Hauptſchule, unterwerfen. Dergleichen Prüfungen werden zu Ende jeden
Schulſemeſters vorgenommen. Für jede Prüfung an einer Trivialſchule
hat der Schüler 2 Gulden C.⸗M. zu entrichten, für eine Prüfung an
einer Saupts oder Unterrealſchule 4 Gulden (Miniſterial⸗Erlaß vom
24. Mai 1856).
6. Buͤcher für Lehrerbibliotheken. Aus Anlaß eines vor⸗
gekommenen Falles erklärt das Miniſterium in einem Erlaß vom 18. Juli
1856: „Das Minifterium für Cultus und Unterricht findet fi nicht
veranlaßt, Werke für Lehrerbibliothefen an Volksſchulen eigens zu em⸗
pfehlen. In Bezug darauf erſcheint es angemeſſen, daß ein ähnlicher
Grundſatz in Anwendung komme, wie ihn der 8. 414 der politiſchen
Schulverfaſſung für die Wahl der Prämienbücher vorzeichnet. Es haben
nämlich die Länderſtellen ſelbſt im Einvernehmen mit den Ordinariaten
durch allgemeine Verlautbarung jene Werke namhaft zu machen, welche
ſie für den angedeuteten Zweck als geeignet und erſprießlich anerkennen.
Hierbei verſteht es ſich übrigens von ſelbſt, daß die Erwerbung von
Büchein für Lehrerbibliotheken auf den. Umfang dieſer Verzeichniſſe nicht
beſchränkt bleiben kann, ſondern daß es den Schulvorſtänden immer frei⸗
ſtehen wird, die Ankaufs⸗ oder Aunahmsbewilligung brauchbarer, aber
in dem Sinne bes bezogenen Paragraphs der politiichen Schulverfaflung
zufammenftellenden DBerzeichniffe nicht enthaltener Bücher bei der nächſt
höheren Schulbehörde zu erwirken.‘
Im Ganzen fcheint man in Defterreich in Bezug auf die pädagor
giſche Lectüre der Lehrer etwas peinlich zu Werte zu gehen. Dieſter⸗
weg’s Schriften find geradezu verboten und dürfen gar nicht über die
Orenze gebracht werden.
Prüfung der Lehrer für. Unterrealfhulen. Nah
inem Criaß vom 5. April 1856 zerfällt die Prüfung der Candidaten
des Lehramts an Unterrealfchulen in eine fchriftlide und mündliche.
Die erſte wird unter Glaufur vorgenommen und hat vorzüglich zum
Zwei, den Grad oder die Höhe der wiflenfchaftlichen Bildung der zu
prüfenden Lehramtscandidaten zu erforfhen. Sie bildet für das Zeich⸗
nungefah in Verbindung mit den von den Gandidaten vorgelegten
Beichnungsarbeiten die Grundlage des Urtheils über die Befähigung ders
feiben. Die mündlihe Prüfung wird nur mit jenen Gandidaten por»
genommen, bei welchen das Ergebniß der fchriftlichen Prüfung ein gün⸗
x
714 Die äußern Angelegenheiten
Rige® war. Für bie Chemie tritt an die Stelle der ſdeimmicen Prüfung
eine Arbeit des Eandidaten im Laboratorium unter Aufſicht Des beirefs
fenden Lehrers.
Sämmtlihe Gegenfände, welche an einer Unterrealſchule zu lchren
find, werden in drei Gruppen getheilt. Kein Candidat kann ein Bes
fähigungszeugniß erlangen, welder nit wenigfens aus allen Gegen,
Ränden, die einer Gruppe zugewielen find, genügende Befähigung nach⸗
wei. Diefe Gruppen find: 1. Die ſprachlich hiſtoriſche (Religionslehre
und Erziehungsfunde, deutſches Sprachfach, Geographie uud Geſchichte,
Raturgefhichte, Arithmetik und Schönfcreiben). 2. Die der zeichnen»
den Bäder (Religionslehre und Erziehungstunde, Arithmetik und Buch⸗
haltung, Geometrie, Linearzeihnen und Baukunſt, Raturlehre und Frei⸗
handzeichnen). 3. Die Gruppe der Realfächer (Religionslehre und Er⸗
ziehbungsfunde, Chemie, NRaturgefchichte, Raturlehre und Arithmetik). Es
ſteht jedoch jedem Bandidaten frei, zu den der gewählten Gruppe zu«
gewiefenen Gegenftänden auch noch einen oder den andern Begenfland
aus einer andern Gruppe bazu zu nehmen.
Gandidaten, welche diefe Brüfung mit günftigem Erfolg befkchen,
find auf die Zeit von drei Jahren berechtigt, fi) um jede offene Stelle
zu bewerben, für welche fie als befähigt erfiärt wurden. Bat ein Can⸗
Didat während dieſer drei Jahre Leine Anftellung an einer Unterreal-
ſchule gefunden, fo muß er die Brüfung erneuern und dabei nachweilen,
womit er fih in der Bwifchenzeit befchäftigt, und wenn er nicht bei
einer Schule in Verwendung war, durch welche Etudien er feine Bile
dung für das Lehrfach vervollkändigt habe.
Die Anforderungen an die Bräfungscandidaten in Bezug auf die
einzelnen Lehrgegenflände find folgendermaßen feRgefellt worden. A. Im
deutfhen Sprachfache: In Bezug auf das - deutihe Sprachfach
wird von den Eraminanden gefordert: Gründliche Kenntniß der Satz⸗
und Auffaplehre, Sicherheit im fchriftlihen Gedanfenausdrud, reine
Ansſprache und fo viel literariſche und äftbetifhe Bildung, um ein ger
gebenes Leſeſtück au in Hinfiht auf die Form mit Gewanbdtheit behan⸗
dein zu können. 2. In der Geographie und Geſchichte: Kenntniß
der Erdoberflähe nach ihrer natürliden Beſchaffenheit und politifchen
Abtbeilung, genauere Kenntniß der europäifchen Länder und fpecielle
Bekanntſchaft mit der Geographie des oſterreichiſchen Katferreiches mit
befonderer Rüdfiht auf Naturereigniffe, Berlehr und Handel und auf
gelhichtlih merkwürdige Orte. Genaue Kenntniß und Uebung im Ent⸗
werfen von Sartenumrifien auf der Schultafel. Kenntnig der denkwür⸗
Digften Begebenheiten aus der allgemeinen Geichichte des öflerreidgifcdgen
Kaiferreiches mit Rüdfiht auf die Berhältnifle, welche die Aufnahme
der einzelnen Kronländer in die Gefammtmonarchie bedingt haben. 8. In
der Naturgeſchichte: Kenntniß der allgemeinen Beziehungen der drei
Matnrreihe und insbefondere Keuntniß jener Raturlörper,, die bei Qün⸗
fen und Gewerben und im täglichen Leben vorzüglich verwendet werden.
Der Eandidat muß Körper biefer Art, die ibm hei der Prüfung vor⸗
gelegt werden, erkennen und nach ihren Merkmalen beſtimmen. 4. Ju
der Volksſchule und ihrer Scheer. 715
der Arithmetik: Sicherheit im Zahlenrechnen und in der e Anwendung
der yraktifch wichtigen Rechnungsarten. (Die Grundrechnungsarten in
ganzen, ein» und mehrnamigen Zahlen, in „gemeinen und Decimal
brüchen, mit Begründung; die abgefürzten Rechnungsarten in ganzen
Zahlen und Decimalbrüchen; Unmwendung ber Grundrechnungsarten in
ganzen und gebrochenen Zahlen auf die verfchiedenen Rechnungsfälle des
bürgerlichen Lebens; Reduction der ausländifchen Maße, Gewichte und
Münzen auf inländifche und ungefehrt, ohne Anwendung der Naͤherungs⸗
brüche und mit Anwendung derfelben; die Verhältniß⸗ und Proportions⸗
Iehre und die Anwendung der geometrifhen Broportion auf die einfache
und zufammengefehte Regeldetri; Interefſenrechnung; ber Kettenſatz; die
Theilregel, die Durchſchnitts- und Allegationsrechnung, das Wechſel⸗
geichäft und die Discontorechnung; die einfahe Buchführung und das
Wichtigſte aus der Staats» und. Monopolsordnung.) Dabei wird wenig⸗
Rene fo viel Kenntniß aus der allgemeinen Arithmetif oder Algebra ges
fordert, als zur Begründung der fpeciellen arithmetifchen Operationen
und zu den Beweifen der phyſikaliſchen Wahrheiten notbwendig iſt.
5. In der Seometrie und Baukunſt: Kenntniß der ganzen beweis
fenden (Elementars) Geometrie mit Inbegriff der Stereometrie und ber
leichteren Lehren der darftellenden Geometrie, infofern fte fich bei letzterer
auf empirifhen Wege durch Anſchauung erläutern und mittels leicht
faßliher Säße der Elementargeometrie begründen laffen. Kenntniß ber
geometrifchen Anfchauungsiehre und ihrer Anwendung auf den Unterricht
im Beichnen von Gegenfländen nad der Anſchauung in perfpeetivifcher,
orthogonafer und ſchiefer Projection mit freier Hand. Da in der Uns
terrealfchule mit der Geometrie das Linearzeichnen, das Situationszeiche
nen und der Unterricht in der Baufunft verbunden if, fo hat der Can⸗
didat — abgefehen von den Beichnungsaufgaben,, die er bei der fehrifte
Aichen Prüfung erhält — von feiner Hand ausgeführte Zeichnungen von
geometrifchen Objeeten (mit einfacher Schatten- und peripectivifcher Con⸗
Aruction), dann einen Situationsplan' und einen einfachen Bauplan der
Pruͤfungscommiſſion vorzulegen, und über die für das praftifche Leben
wichtigften Bauverhältniffe Ausfunft zu geben. In Beziehung auf das
Sreibandzeichnen hat der Candidat unbefchadet der Vorlagen, die er etwa
mitbringt, bei der Brüfung zwei Blätter mit freier Hand anzufertigen,
von denen eines einen menfchlichen Kopf (lebensgroß in Umrißlinien und
Daneben einen in gleichen Berhältniffen mit Bleiſtift ausgeführten) und
das andere ein beliebiges Ornament in gleiher Behandlung darftellt.
6. Aus der Naturlehre: SKenntniß der allgemeinen Experimentalphufit
und der Grundlehren der Mechanik mit befonderer Rückſicht auf jene
Kehren, welche im praktifchen Leben häufigere Anwendung finden. Ba
den Lehrfähen der Phyſik und Mechanik wird wiſſenſchaftliche Begrün⸗
dung berfelben jo weit verlangt werden, als die einfachen Hilfsmittel
der elementaren Mathematit und Geometrie dazu ausreihen. Webung
im &xperimentiren wird nur in Bezug auf ſolche Erverimente gefordert,
welche fi mit den einfachften phyſikaliſchen Hilfsmitteln bewerkflelligen
faflen. 7. In der Ehemie: Keintniß der ErperimentalsChbentie und
— — — ⁊ —— — — — — — — — re— rq — 6 — — — — —⸗
716 - Die äußern Nugelegeriheiten
zwar der organifhen und unorganifden, der qualitativen chemifchen
Analyfe und der technifchen Proben auf den Werth der wichtigſten Ma⸗
terialien, mit fleter Nüdficht auf Gewerbe und Anwendung der chemifchen
Grundfäge in den verfehiedenen Fabrikationszweigen. Die Laboratoriums-
arbeit bat zu beftehen aus einer qualitativen Analyfe eines zufammens
geſetzten Stoffes und einer techniſchen Probe.
Es if unerläßlih, Daß der Lehrer an einer Unterrealfchule, ab»
geſehen von ber Gruppe von Lehrfächern, für welche er verwendet wird,
auch in jenen Gegenfländen, die zur Bildung im allgemeinen gehören,
genügend bewandert fei, um nicht den Schülern gegenüber als unwiffend
zu erfcheinen. Insbeſondere fordert ed der Beruf und die Stellung des
Lehrers, daB er die heiligen Lehren der Religion in dem Maße inne
habe, als dies zur Betbhätigung einer dem Lehrerberufe entiprechenden
Gefinnung nothwendig if. Die Brüfungscommiffion wird demnach nicht
nur darauf Rüdfiht nehmen, daß der Kandidat außer der Gruppe der
von ihm gewählten Gegenflände den Stand feiner allgemeinen Bildung
‚erweife, fondern jeder Gandidat ift verpflichtet, in der Religion jenes
Maß von SKenntniffen nachzuweifen, welches durch die in einer dreis
Maffigen Hauptfchule vorgefchriebenen Religionslehrbücher nermittelt wird.
8. Das mit dem Papſte abgefchloffene Concordat ftelit in Bezug
auf den Unterricht Folgendes fe: „Der ganze Unterricht der Tatholis
fhen Jugend wird in allen ſowohl öffentlihen als nicht öffentlichen
Schulen der Lehre der katholiſchen Meligion angemeffen fein; die Biſchoͤfe
aber werden kraft des ihnen eigenen Hirtenamtes die religiöfe Erziehung
der Jugend in allen öffentlichen und nicht öffentlichen Lehranftalten leiten
und forgfam darüber wachen, daß bei feinem Lehrgegenflande etwas vor⸗
fomme, was dem katholiſchen Glauben und der fittlihen Reinheit zus
widerläuft. Niemand wird die heilige Zbeologie, die Katechetif oder die
Religionslehre in was immer für einer öffentlichen oder nicht öffentlichen
Anftalt vortragen, wenn er dazu nicht von dem Bifchofe des betreffen,
den Kirchenfprengels die Sendung und Ermächtigung empfangen bat,
und welche derjelbe zu widerrufen berechtigt if. Alle Lehrer der für die
Katholiken beftimmten Bollsfchulen werden der firchlichen Beauffichtigung
unterftehen. Den Schuloberauffeher des Kirchſprengels wird Se. Majepät
aus den vom Bifhof vorgefchlagenen Männern ernennen. Falls in ges
dachten Schulen für den Religionsunterriht nicht hinlaͤnglich geforgt
wäre, ſteht e8 dem Bifchof frei, einen Geiftlihen zu befiimmen, um den
Schülern die Anfangsgründe des Glaubens vorzutragen. Der. Glaube
und die Sittlichfeit des zum Schullehrer zu Beftellenden muß makellos
fein. Wer vom rechten Pfade abirrt, wird von ſeiner Stelle entfernt
werden.‘
8. Batern.
1. ‚Die Abgeordnetenfammer bat auf Untrag des Fürften Waller
Rein beichloffen, daß die Werktagsfchulpflichtigfeit, die fi) bieher nur
auf das 12. Lebensjahr erſtreckte, bis zum 13. Lebensjahre verlängert,
der Volksſchule und ihrer Lehrer. 717
dagegen die Sonntagsfhulpflicht, feither bis zum 18. Jahre fefgefeht,
auf das 16. Jahr befchräntt werden foll. Nach den voni koͤnigl. Minifters
commiffär v. Lerchenfeld gegebenen zuflimmenden @rflärungen läßt fich
hoffen, daß diefe fo dringenden Wünfche Gewährung finden werden.
2. Nach einer Mittbeilung des, Schulfehrere Hönig (Allgem. d.
Lehrerztg. 1856, Nr. 28) hat das koͤnigl. Baierfche protefantifche Ober⸗
confiorium zu Münden unlängft ein Eircular an alle proteftantifchen
Decanate und Pfarrämter ergehen laffen, in welchem fämmtliche Pfarrer
dringend aufgefordert werden, intelligente Köpfe, bie fie fomohl durch
den Schul⸗, als auch durch den Religionsunterricht kennen lernen, zw
veranlaffen, daß fi diefelben dem Schulftande widmen follen. In dies
fem Rundſchreiben iR der Würdigkeit und Wichtigkeit der Vollksſchule
vollkommen Rechnung getragen; es if darin mit fehönen Worten bes
. merkt, wie die Kirche ohne Volleſchule nicht wohl mehr beftehen und
derſelben fomit nicht entbehren kann; wie nur fie allein die Bermittierin
zwifchen Staat, Kirche und Volk fei, u. f. fe Diefem Stande, heißt
ed weiter, widmen ſich aber in letzter Beit nur äußerſt wenig Indivis
duen, fo daß bald ein gänzlicher Mangel an Lehrern einzutreten droht,
und unter diefen wenigen find meiftens nur fo geringe Kräfte, die es
fih nicht wohl zutrauen, in einem andern Stande fortzufommen. Ein
Berfinten der Volksſchule durch diefe Umftände zu verhüten und zu bes
feitigen, müffe eine angelegentliche Sorge der Kirche fein, weswegen
jeder Pfarrer aufgefordert wird, möglihf dazu beizutragen, daß nicht
nur viele, fondern auch gediegene Kräfte diefen wichtigen, un® folgen»
reihen Stand zu ihrem Xebensberufe wählen und fegensreich in dem⸗
felben wirken, u. f. f. '
Dönig bezweifelt mit Recht, daB auf diefe Weife der angeregte
Zweck wird erregt werden; er empflehlt Gehaltsverbefferungen, ein ans
gemeffenes Verhaͤltniß des Lehrers zu feiner Schule und eine mwürdigere
foriale Stellung deffelben als die wirkfamften Mittel. „Ein Schule .
gehilfe, fagt er, hat -jährlih 150 Fl. Gehalt, alfo täglich 24 Mr.
24 Pf., und hat damit zu beftreiten: Koft, Kleidung, einige Bücher
und Mufifalien, an vielen Orten auch Wohnung und noch manches
Andere, was bei jedem Menfchen, alfo auch bei dem Schulgehilfen, zum
täglichen Leben gehört. Iſt das wohl möglih?" — — „Später erhäft
er eine Anftellung und mit derfelben viele Aemter zugleih. 1. Lehrer
für die Werktagsſchule, 2. Lehrer für die Sonntagsfhule, 3. Cantor,
4. Organiſt, 5. Meßner, 6. Gemeindefchreiber und 7. erhält er in mans
ii Orten noch einige Aemter dazu, die ih gar nicht gern nenne, und
ür alle diefe Aemter und Stellen eine Gefammtbefoldung von jährlich
200 — 250 Fl.“ Einzelnen Lehrern gelingt es, nah 10 — 12 Jahren
eine Stelle mit 300 Fl., noch fpäter mit 350 Fl., zuletzt vieleicht gar
eine mit 400 Fl. zu erhalten; aber diefe befferen Stellen haben ges
wöhnlich eine fo große Schülerzahl, daß ein Gehilfe angenommen wers
den muß, was ganz oder doch theilweife auf Koſten des Haupilehrers
geſchieht. .
In Bezug auf das Verhältniß des Lehrers zu ſeiner Schule ſagt
718 Die äußern Angelegenheiten
der Berfaffer: ‚Der Lehrer darf bei Beratungen über Schulangelegen-
heiten und Schulgegenſtände nie ein Wort fagen, ibm if bei vorlomr
menden Ybfimmungen über biefelben Feine Stimme zugeßanden, und in
feiner eigenen Sache als Lehrer, wie in Angelegenheiten der Schule
überhaupt, if nur er allein gänzlich ausgeſchloſſen. In Städten, wos
ſelbſt eine Schulcommiffion beſteht, darf nie ein Lehrer Mitglied ders
felben fein; auf dem Lande ift der Lehrer, den man ja bie und da die
Seele der Schule genannt hat, dem Schulvorftande nicht beigezählt. Auch
hier iR der Ortsgeiſtliche Borftand, der Gemeindevorfteber fpielt den
Herrn, einige Glieder des Gemeindeausfchufles find die ausſchlaggeben⸗
ben Bielwifler, und nur der Lehrer allein ift dabei nicht vertreten, ſon⸗
dern gänzlih audgefchloffen, und nur er hat Nichts dazu zu fagen,
gleich Einem, der amtlich Nichts Davon verflehen darf. Unbegreiflic I”
„Eben fo ſteht der Lehrer auch im focialen Verhältniß jedem ans
dern Stande nah. Er bat kein bürgerliches Recht, ift nicht Gemeindes
mitglied, und if ſomit zu feinem bürgerlichen Amte weder activ noch
yalfiv wählbar; nicht ‚einmal Mitglied der Drisarmenpflege kann und
darf er fein, obgleich vielleicht Tein Gemeindeglied fo genau mit dem
Samilienkänden befannt ift, als gerade er.” — „Ueberall iſt er aus:
geſchloſſen, unbeachtet, und far möchte ich fagen, abfichtlich vergeffen.
Nirgends wird er hervorgeſucht, ja vielmehr zurüdgedrängt und untezs
drüdt. Wie gar oft muß er fühlen, daß man ihn nicht haben will;
nicht gern if er geduldet in Gefellichaft -von etwas höher gefellten Per⸗
fonen, und man if da befungen über feine Anwefenbeit. Ihm wird
feine Ehre erwiejen, nicht etwa eine befondere Chre, fondern auch nicht
die Ehre, die man jedem Andern in jedem Stande erweifl. Denkt er
über Diefe ‚Umflände und Berhältniffe gedrüdien Muthes nah und fagt
‚er gar ein Wortchen darüber, jo wird er fhonungslos mit der Befchufs
digung: „Schulmeiſterdünkel“, zurüdgewiefen und vorzugsweife von feis
nen eigenen Vorgeſetzten. a
Wir wünſchten, fagen zu können, der Berfafler berichte falfch, über«
treibe wenigftens; leider müflen wir aber hinzufügen, daß es an andern
Orten. auch nicht befler, nicht viel beſſer if.
Nah einer Mittheilung in Nr. 26 der Allgem. D Lehrerztg. von
1857 fordert ein Minifterial» Erlaß, begleitet von’ einer Inſtruction,
datirt München, den 27. März 1857, die Regierungen eruftlich auf,
ungefäumt die Aufbefferung der Schulftellen zu veranlaflen.
"3. Lehrerfreundliche Gemeinden. Der Stadtrath in Kaiſers⸗
fautern bat den Beichluß gefaßt, für fämmtliche Lehrer an den deuts
fhen Schulen dafelbft die Zahlung des Eintrittsfapitals und die zwei
Procent Jahresbeiträge zur Lehrers Benfiensanfalt auf die Stadtfafle
zu übernehmen. Auch viele andere Gemeinden in der Pfalz haben Die
Einlage der Lehrer zum Penfionsvereine übernommen.
4. Der Kreis Oberfranten in Baiern hat (1855) 989 deutfche
Säulen. Das fatonsmäßige Eintommen von 978 dieſer Stellen
(bei 11 if in der veröffentlichten Weberfiht fein Ertrag angegeben)
vertheilt fich folgendermaßen: A Stellen fliehen über 550 Il., 6 über
der Volksſchule und ihrer Lehrer. 719
500 $1., 20 find dotirt von 450 SI. an, 89 von 400 bis 450 SI,
98 von 350 bis 400 $1., 132 von 300 bis 350 Fl., 188 über und
auf 250 Fl., 358 von 200 Fi. und darüber, 83 unter 200 Fl. und
mindefens 150 Fl. Dabei if zu bemerken, daß fat alle Stellen mehr.
eintragen‘, als die Zaffion ungiebt, vom 10. bie, zum 3, Theil und
manche vielleicht noch mehr.
Alle Stellen mit dem faſſtonsmäßigen Betrage von 250 Fl. und
Darüber find, mit Kleiner Ausnahme, fländig; dach find 19 derartige
Stellen unter 250 $. fatirt. Rechnet man hierzu die 11 Stellen,
deren Ertrag nicht angegeben ift, fo entziffert: fih die Zahl ber wirk⸗
lichen Lehrerfiellen auf 567, die der unfländigen auf 422. Dieſes Ber-
bätiniß bat fich- feither geändert, da 30 — AO dieſer Stellen zu wirks
lien Stellen dur Gebaltszulagen von Seiten Königl. Regierung ers
hoben werden. — Die definitive Anfellung tritt im Durchſchnitte in
dem 10. — 12. Functions⸗, alfo mit dem 28.—30 Lebensjahre ein.
5. Lehrerinnen. Eifenlohr Hat wiederholt die Frage an⸗
geregt, ob Lehrerinnen für den Unterricht, namentlich den öffentlichen
Volksſchulunterricht geeignet fein. In Rr. 15 der Allgem. D. Lehrerztg.
(1856) verbreitet Ah Gutbier in Münden hierüber. Wir entnehmen
feiner Mittgeilung einige Sätze.
Die proteantifhe Gemeinde zu München hat gegen die Anftellung
von Lehrerinnen an der proteflantifhen Schule Protef bei der Lönigl.
Schulcommiſſton eingelegt, da He die Leiftungen der Lehrer denen der
Rehrerinnen vorziehe. — Lehrerinnen find mit geringerem Gehalte zus
frieden, als Lehrer. — „Wenn gegenwärtig aud in den proteflans
tifchen Ländern das Inſtitut der Lehrerinnen beliebt wird, fo mag wohl
ein. guter Grund Hiervon mit in der jet berrfchenden Anſicht über den
Religionsunterricht zu ſuchen fein; man will alles Nachdenken über
religiöfe Wahrheiten verbannen und wählt deshalb Leute, die ausſchließ⸗
lich dem Gefühl huldigen.“ — Die meiften jungen Damen widmen ſich
dem Lehrfache, weil fie meinen, Geld verdienen zu Fönnen, nicht, weil
Re die Kraft in fi fühlen, durch ihre Kenntniffe und Geſchicklichkeiten
ein der Welt zu nüben. — Die Erfahrung lehrt, daß fich junge
Damen zu eben fo tüchtigen Lehrerinnen bilden laflen, als die Herren
zu Lehrern. — ‚Mit dem 11. Jahre follte das Mädchen der männlichen
Zeitung übergeben werden.” — „Zn Münden ift das Verhältniß der
weiblichen und männlichen Lehrer ziemlich gleih. Nach dem Legten amt»
lichen Bericht über die deutfchen Werktagsichulen waren im verwichenen
Jahre verwendet: 54 Schullehrer, 2 fländige Hilfsiehrer und 2 Aus-
hilfstehrer; ferner 50 Schullehrerinnen, 2 Lehrerinnen der franzöfifchen
Sprache, 28 Arbeitsiehrerinnen, 1 Berweferin und A Arbeits Hilfe»
iehterinnen. Diefe 50 ordentlichen Lehrerinnen find nur an Mädchen»
faulen angeflefit und fleigen von der unterken Klaſſe mit ihren Scht-
leriunen bis zur oberften hinauf. Die’ Kinderzahl if in den Mädchen
ſchulen fo groß, wie in den Stnabenjchulen, und es mag daher jede
Lehrerin ihre 80 — 100 Schülerinnen haben. Die Befoldung feigt von
200 — 500 31.; freie Wohnung u. dergl giebt es nicht; außerdem hat
.
*
720 Die äußern Angelegenheiten
* jede Lehrerin nod einen guten Nebenverdienft,, der der Beſoldung ganz
gleifiehen wird. Da nämlih den Eltern weniger daran liegt, daß das
Toͤchterchen etwas lernt, als daB es einen Preis und ein fhönes Zeugniß
befommt, fo müſſen die Privatfiunden das Meifte tbun, und diefe find
ein foftfpieliger Artifel für die Eltern.” — Die Borbildung der Leh⸗
rerinnen ift mangelhaft.
4. Württemberg.
Das Württembergifche Minifterium des Kirchen“ und Schulmefene
bat unterm 7. Novbr. 1855 einen „Entwurf eines Gefebes, betreffend
eirtige Abänderungen des PVolksfchulgefehes vom 29. Septbr. 1836,
mit einem Anhange fehr gründlidher und ausführlicher Motive zu dens
felben veröffentlicht und gleichzeitig folgende Verfügung erlaffen:
„Das Minifterium des Kirchen» und Schulweſens ift ſchon feit
längerer Seit, unter Bernehmung der beiden Oberfhulbehörden, mit
Berathungen über die Mittel, die Lage der Volkeſchullebrer
zu verbeffern, befhäftigt. Das Ergebniß diefer Berathungen if der
in der Beilage dieſes Blattes (Staatsanzeiger) enthaltene Geſetzesent⸗
wurf, welcher in den beigedrudten Motiven ausführlicher begründet if.
Im Hinblick auf die Wichtigfeit des Gegenftandes haben Se. Königl.
Majeſtät gnädigft genehwigt, daB der gedachte Entwurf, bevor er feine
weiteren verfaflungsmäßigen Stadien durchlaufen wird, zur Öffentlichen
Kenntniß gebracht und der Beurtheilung der Sachkundigen unterſtellt
werde.‘
Das ift lobenss und dankenswerth! _
Die Württembergifchen Lehrer haben den Entwurf in ihren Con⸗
-ferenzen vielfach berathen und die Mefultate diefer Berathungen dem
Borftande des ‚Allgemeinen Volksſchullehrervereins“ eingefandt. Nach
diefen Ergebniffen und mit Berüdfihtigung der dur den Drud vers
Öffentlichten Gutachten der Seminars Rertoren Eifenlohr und Stock⸗
mayer hat der Borfland des Vereins, Mufterfebrer Hartmann in
Nürtingen, 15 Thefen geftellt und im 7. Hefte der von ihm redigirten
„Volksſchule“ (1856) veröffentlicht. Am 13. Auguft 4856 baben fid
darauf die Bolfsfhullehrer Württembergs, die ehrenwertben Seminars
Rectoren mit eingeſchloſſen, einmüthig in EBlingen verfammelt, die ges
nannten Theſen in ernfler und würdiger Weiſe befprocden, mit wenigen
Abänderungen zum Beſchluß erhoben und an die geeignete Behörde bes
fördert. Das 9. Heft der „Volksſchule“ enthält einen ausführlichen
Dericht über diefe Verhandlungen, ebenfo Nr. 49 u. 50 der „Allgem.
d. Lehrerztg.“ (1856) von Berthelt.
Mit Rückficht auf den uns zugemeflenen Raum müffen wir von der
Mittbeilung diefer Beſchlüſſe akftehen und ung auf die Verfiherung ber
fhränten, daß uns diefelben durchweg als angemeflen erſcheinen. Moͤch⸗
ten die Wünfche der Württembergifchen Lehrer zu ihrem und des Landes
Deil recht bald und ohne Befchränkung erfüllt werden!
Für Diejenigen, welche fi näher für Diefen wichtigen Gegenfland
der Volksſchule und ihrer Lehrer. 721
intereffiren, feben wir bier nod den Titel der erwähnten Eifeniohr’s
fhen Schrift ber:
Der Entwurf eines Geſetzes, betreffend einige Abänderungen des
Bollsfchulgefehes für Württemberg vom 29. Septbr. 1836, mit einem '
Gutachten von Seminars Recor Dr. Eifenlogr. Gr. 8 (IV u.
54 ©.) Stuttgart, Franz Köhler. 1856.
Stodmayer’s Gutachten findet ih in Ar. 6 u. 7 des von ibm
redigirten ‚„ Württembergifchen Schulwochenblattes' von 1856.
8 Baden. j
Die Badenſchen Lehrer haben beim Landtage „um Erhöhung
der Schullehbrergehalte, beziehungsweife um Reviſion des
Volksſchulgeſetzes vom 28. Auguf 1835 yetitionirt. Dem treffs
lichen, mit Sachkenntniß und Liebe zum Vollsſchulweſen und zu den Leh⸗
rern von dem Abgeordneten Küßwieder erfatteten Bericht der Petitions⸗
Commiſfion entnehmen wir Folgendes.
Die von den Lehrern geflellten Anträge verlangen:
1. Erhöhung der durch die Geſetze vom 28. Auguf 1835 und
vom 6. März 1845 feſtgeſetzten Minimalgehalte, befonders in den beiden
untern (Gehalts s) Kiaflen.
2. Erhöhung des Schulgeldes mit der Beftimmung, daß folches
den Lehrern ausfchließlih zu Gute komme.
8. Beflerkellung der Hilfe» und Unterlehrer.
4. Angemeſſene Entihädigung für Nebenversichtungen als Meßner,
Glockner und Drganiften.
5. Dotirung der Schulftellen mit Grundbefig.
6. Eine Klaffeneintheilung nah den Dienfjahren, nicht nach der
Seelenzaht der Gemeinden.
In einigen Betitionen wird noch der Wunſch ausgeſprochen, daß
die Wittwens und Waifenbeneficien aufgebeflert, Lehrern die Webernahme
von Rebengeichäften nicht erfchwert, und zur Abwendung der dringend
fen Roth Theuerungszulagen bewilligt werden.
Durch das Gefeh vom 6. März 1845 find die Gehalte der erften
Klaſſe auf 175 Fl., der zweiten Klaffe auf 200 Fl., der dritten Klaſſe
auf 250 Fl. und der vierten Klaffe auf 350 ZI. erhöht worden.
Es beftehen im Großherzogtbum 1739 chriftlide Schulen oder
Schulorte, davon kommen 1238 auf fatholifhe, 531 auf evangelifche
Gemeinden. Die Zahl der fehuipflichtigen Kinder beträgt 204,367, und
zwar 131,516 fatholifhe und 62,851 evangeliihe. Zu deren Unters
richt find 2451 Lehrer angeflellt, und zwar 1920 Sauptlehrer und
531 Unteriehrer. Die Zahl der Hauptlehrer beträgt in der erfien Klaſſe
596 Tathol. und 195 evangel., in der zweiten Kaffe 540 kathol. und
277 evangel., in der dritten Klaffe 154 fathol. und 68 evangel., in
der vierten Klaſſe 48 kathol. und 42 evangel. Die Unterlehrer zers
fallen ebenfalls in vier Klaſſen; die der erften und zweiten Klaſſe (244
fathol. und 141 evangel.) erhallen 135 Fl., die der dritten (87 kathol. und
Nade, JZahredbericht. X. 46
722 Die aͤußern Angelegenheiten
esangel.) 150 Il., die der vierten (30 kathol. und 24 evangel.)
Fl.
Der Geſammtaufwand zur Deckung des Normalgehaltes beträgt:
fr 1920 Hauptiehrer 340,715 $., für 531 Unterlebrer 63,960 SL,
zufanmen 404,675 8. Der effective Mehraufwand mag fi aber um
20,000 bis 22,000 Fl. höher fielen, da viele Schuldienſte bei
der Regulirung der Gehalte nad dem Geſetz vom 28. Auguſt 1835
ſchon höhere Dotutionen hatten, melde ihnen durch dieſes Geſeß nicht
entzogen werden follten.
Das Schulgeld, im Durchſchnitt zu 30 Kr. per Kopf angenom-
men, macht bei 204,367 ſchulpflichtigen Kindern 170,300 Fl., und es
beträgt fomit die für die Volksſchulen aufzubringende Gefammt + Aus-
gabe 574,970 A.
Durch das Gefep vom 6. März 1845 iſt eine Erhöhung dieſer
Sefamnts Ausgabe eingetreten, welche zur Aufbeflerung der Rormals
gehalte erfler und zweiter Klaffe 48,160 Fl. beträgt, wovon die betref⸗
fenden Schulgemeinden etwa % tragen.
In einer fpäteren Sigung der zweiten Kammer wurde von ber
Regierung folgende Abänderung des früheren Voranſchlags vorgelegt:
a. zu Perfonalzulagen flatt 6000 Fl. 10,000 $.;
b. zum Penſions⸗ und Hilfsfond für Lehrer ſtatt 28,000 $I.
86,000 #1.;
e. für tsraelitifhe Lehrer flatt 976 Fl. 1,190 1.
Die Kammer nahm diefe erhöhten Sätze an, ja, fie würde mehr
Hewilligt haben, wenn mehr beantragt worden wäre.
2. Das Minifterium bat durch Grlaß vom 14. Decbr. 1855 ber
fchloffen, ‚eine Milderung der durd die früheren Beitverbältniffe bes
dingten firengen Grundfäge über die Zulaflung der Schullehrer fünftig
in leineren Randgemeinden, in welchen fidh feine andere zur Beforgung
der Rathſchreibere taugliche Perſon findet, die Uebernahme diefes Dienftes
in flets widerrufliher Weife zu geſtatten, falls dadurd für Die Schule
fein erheblicher Nachtheil zu befürchten if und auch die andermeiten Um⸗
flände diefe Uebernahme wünſchenswerth machen. Dieſe für den Lehrer-
fand erfreuliche Entfchließung beruht auf der Ueberzeugung, baß „in
Folge der Berflärfung der Disciplinargewalt über die Schullehrer und
bei dem’ befferen Geifte, welcher im Allgemeinen jept in dieſem Stande
herrſcht, weniger zu beforgen fei, daß diefelben ihre Stellung als Ratb⸗
ſchreiber zu politifhen Umtrieben oder zur Cinmiſchung in die inneren
Semeindeangetegenbeiten mißbrauchen moͤchten.“
3. Das katholiſche Schullehrerfeminar in Eitlingen zählte am
Schuß des Schuljahres 785, das zu Meersburg 65 Yöglinge. Kür
Beide Seminare hat Großh. Oberfehulconferenz unterm 23. Juni 1835
regufatorifhe Beſtimmungen erlaffen, namentlich in Bezug auf Schul⸗
Pfunde, deutſche Sprache, Groͤßenlehre, Erdlunde und Mufit. Die Pada⸗
gogit als fotche wird durch diefe Beſtimmungen befeitigt und au ibre
Stelle, ganz wie in Preußen, „Schulkunde“ gefept. Es heit in
diefer Beziehung:
der Volksſchule und ihrer Lehrer. 723
„8. 1. Pädagogik, fei es in wiffenfchaftliher oder in populaͤrer
-Sorm, Tann mit Erfolg in den Schullehrerfeminarten nicht vorgetragen
werben, da es bei den Böglingen an der Borbildung zu adfracten Aufs
faffungen und auf an Zeit mangelt.‘
„S. 2. Die Böglinge erhalten durch den Meligionsunterrit, for
fern derfeibe auf eine verftändige und das Gemüth belebende Weile ers
theilt wird, über die Beſtimmung des Menfchen, üBer die Kräfte der
Seele, über die Pflege des leiblichen und geifigen Lebens u. a. die et»
forderlihen Kenniniſſe. Es muß deshalb bei dem Religionsunterrichte
außer der allgemeinen Bildung und Erziehung zum religiöfen, ſittlichen
und kirchlichen Leben auch der Zwei der Bildung und Erziehung der
Böglinge zu Lehrern und Erziehern an geeigneter Stelle im Auge behal—
ten werden.’ ..
„S. 3. Es bietet dann der Unterricht über die Schulfunde — — —
Anlaß über den Zweck der Volksſchulen und die Aufgabe des Lehrers,
über die elemmtare und geiftbildende Unterrichtsweife, über die Anregung
der Schüfer zur Aufmerkfamfeit und Selbſtthätigkeit, Aber die Pflege der
Gedachtnißübungen, über den Anfhauungsunterricht, über die Anordnung
der Uebungsaufgaben, über die Pflege der bürgerlichen Tugenden, über
die Mitwirkung des Lehrers bei dem Religionsunterricht und deffen Aufs
ficht über die Kinder bei dem Gottesdienfte, tiber die Ueberwachung det
Betragend der Schüler in und außer der Schul, über das Anhalten
der Schüler zur Reinlichfeit, über Belohnung und Beſtrafung der
Schüler, fiber die eigene Haltung des Lehrers in der Schule, über deſſen
Geduld und Selbfibeherrihung u. a. die Zöglinge zu unterweiſen.“
Für die deutfche Sprache wird neben dent Material auch die Ter⸗
minologie feſtgeſtellt.
6. Großherzogthum Helfen.
Sierüber fehlen ung die erforderlihen Nachrichten.
1. Kurheſſen.
"1. „Fulda. Die Unordnung der Regierung, wonach den Schule
lehrern ein altes Verbot jedweden Wirtbshausbefuches innerhalb fowie
außerhalb ihres reſp. Wohnortes neuerdings eingefhärft wurde, if für
die Rädtifchen Lehrer dahin modiflcirt worden, daß fie lediglich gewoͤhn⸗
tihe Kneipen zu meiden haben follen.” Mit der Redaction der „Päda⸗
gogiſchen Beiträge, herausgegeben von hannoverſchen Lehrern’, denen
wir diefe Notiz entnehmen, fagen wir: „Dieſe Berordnung fiheint une
für die größere Mehrzahl der Lehrer eine höchſt überflüffige, ja unwür⸗
dige zu fein.”
2. Nach einer Berordnung vom 9. Det. 1856 find die Oberſchul⸗
infpectoren angehalten, zum Schluß des Jahres über die Echulamtscans
didaten und Lehrgehülfen nach folgenden Rubriken zu berichten: Ramen
und Geburtsort des Bandidaten und Ramen und Stand der Eltern,
Heimathsort, dermaliger Wohnort, Belt des Abgangs vom Seminart,
Sitten⸗ und PBrüfungsnoten des Beugnifles, Beihäftigung, Verhalten in
46”
724 Die äußern Angelegenheiten
allgemein. fittliher und kirchlicher Hinficht, Befähigung und Fortbildung
und etwaige befondere Berbältniffe.
3. Unterm 9. Oct. 1856 wurde folgender Beſchluß der Regierung
der Prov. Niederheſſen erlaffen: „Die Herren Metropolitane bez. fon
mit Berfebung von Oberſchulinſpectionen beauftragten evangeliichen Geiſt⸗
lichen haben dahin Berfügung zu treffen, daß in den ihnen untergeges
benen Bollsihulen, wenn während des Unterrichts die Betglode vers
nommen wird, die Lehrer eine kurze Baufe machen, um mit den Kindern
ein filles Gebet zu halten, wobei man vorausfegt, daß leptere rückficht⸗
lid der Bedeutung der Betglode und des Inhalts der zu gebrauchenden
Gebete eine gehörige Belehrung empfangen haben.”
4. Unterm 3. Kebr. 1857 bat das Minifterium verordnet, daß
alle Bacanzgelder zur Aufbefierung der Schuiftellen verwandt werden
follen.
5. Die Regierung der Prov. Niederheffen bat unterm 12. Febr.
1857 die Landräthe und Oberfchulinfpectoren aufgefordert, diejenigen
Lehrer, welche fich durch ſittliche und kirchliche Haltung, fowie durch
treue und erfolgreiche Dienflführung ausgezeichnet haben, zu Gehalts«
zulagen vorzufchlagen. „Behufs thunlihft genauer Vollziehung dieſes
Auftrages wird Folgendes bemerkt: 1) Die Zulänglichkeit der Mittel
vorausgefeht, kann bei den Scuiftellen auf dem platten Lande eine Ers
böhung des Einkommens bis zu 150 Thirn., bei denen in den Städten
eine foldhe bis zu 200 Thirn. Statt finden. 2) Lehrer, welche ein Dienſt⸗
alter von 5 Jahren noch nicht erreicht haben, find unbedingt auszu⸗
fließen, und folche, deren Dienftalter zwiſchen 5 und 10 Jahren liegt,
nur in dem Falle ausgezeichneter Tüchtigkeit oder fonfliger hoͤchſt drin⸗
gender Umflände aufzunehmen. 3) Bei der Beurtheilung der Bedürftige
feit if in Betracht zu ziehen, ob die betr. Pfründe lediglih mit baarem
Gelde dotirt iR, oder auch Naturaleinnahmen enthält.‘
6. In den „Schulnachrichten für Kurheſſen“ werden zwei Fälle
erwähnt, wo Gemeinden ihren Lehrern, namentlih um häufigen Wechſel
zu verhüten, freiwillig Gehaltszulagen gegeben haben.
8 Naſſau.
Einem Naſſauer Lehrer verdanken wir folgende Wittheilungen :
1. Das Herzogthum Nafjfau zählt folgende öffentliche Unterrichtsanfuls
ten: 8 Belehrten-®ymnafien, davon 1 zu Weilburg (vorzugs⸗
weiſe proteftantiih), 1 zu Hadamar (vorzugsweife katholifh) und 1
zu Biesbaden (paritätifch); ein Pädagogium zu Dillenburg;
ein Real»Öymnafium zu Wiesbaden, welhem dem Bernebmen
nad demnähft eine Umwandlung bevorfteht; ein landwirthſchaft⸗
liches Inſtitut auf dem Geisberg bei Wiesbaden; 2 Schul:
Iehrerfeminarien, ein evangelifches zu Ufingen und ein katholi⸗
fhes zu Montabaur; 10 Realfhulen, nämlih zu Biebrid,
Diez, Bad-Ems, Geifenbeim, Hahenburg, Höchſt, Bad⸗
Shmwalbadh, Limburg, Montabaur und Ufingen; ein Taub
der Vollksſchule und ihrer Lehrer. 725
ſtummeninſtitut zu Camberg, und endlich 708 Elementar⸗
ſch ulen, an welchen gegenwärtig 996 Lehrer befhäftigt find. — Die
Schule wird bei der Regierung nicht mehr wie früher durch einen,
fondern durch zwei Referenten, einen evangelifchen und einen Tatholis
„Shen, gegenwärtig dur die Herren Regierungsrath Dr. Firnhaber
und Brofeffor Conr. Müller vertreten.
2. Bie der Pädag Jahresbericht, Bd. VII S. 337 ſchon mits
tHeilte, wurde im Herbfte 1851 das Schullehrerfeminar zu Idſtein, das
einzige paritätifche in Deutichland, nach den beiden Sauptconfeffllonen
getrennt. Man folgte den übrigen Staaten Deutſchlands; es war zeite
gemäß, ob gut, das wird die Folge lehren. „Bier Pietiften, dort
Zefuiten,’ fo prophezeite Mancher; aber — Irren ift menſchlich! —
Mit der Trennung des ehemaligen Seminars führte man, gleichwie in
andern Staaten, das Internat ein, jedoch mit dem wefentlichen und
gewiß vortheilhafteren Unterfchiede, daß. nur die Zöglinge der beiden
untern Klaſſen internirt und die der Oberflaffe erternirt find. Den meis
ſtens vom Lande eintretenden Böglingen ift eine Anbaltung zur Rein⸗
lihfeit, Ordnung, zum Anftande, fowie zur gewifienhaften Benupung
der Zeit und eine Anleitung zum vernünftigen Arbeiten, wie dies Alles
ihnen durch Ueberwachung von Seiten des Internates geboten werden
fann, nur zum Nußen und Frommen. Bei vortheilhafter Einrichtung
muß binnen zwei Jahren der Geift der Anftalt ſich mehr oder weniger
wünjchenswertb an dem Zöglinge geltend machen, fo daß er im 3. Jahre
zum Theil dem bürgerlichen Leben, dem er fpäter ganz angehören fol,
wieder gegeben werden Tann. Für eine fo geringe Anzahl der Schüler
in der Oberklaſſe laffen fich die gewünfchten Häufer finden und die ſorg⸗
fältige Ueberwachung von Seiten des Seminars folder erternirter Schüler
muß ein Leichtes fein. Gin praftifher Pädagoge aber wird Mittel und
Wege wiſſen für den, der fi) des Externates unmwürdig zeigt. Den ers
wähnten Uebergang vom Internat zum öffentlichen Leben fönnen wir nur
als recht naturgemäß bezeichnen, fowie wir überhaupt die Außere Eins
richtung beider naſſauiſchen Seminarien als eine recht zweckmäßige benennen
müflen. Sinfichtlich des Lehrerperfonats herrſcht an beiden Seminarien
eine ziemliche Uebereinfimmung. Als Dirigent am fatholifhen Ser
minar zu Montabaur fungirt der aud in weiteren Kreifen befannte Dis
reetor Rehrein und am evangelifchen Seminar zu Ufingen der Director
2er, ehemaliger Profeffor am theologifchen Seminare zu Herborn.
Wenn auch nad der Gründung beider Seminarien erft eine Reihe
von Fahren verftreihen mußten, um von einem beflimmten Gbarafter
der beiden Anſtalten reden zu dürfen, fo dünkt es uns doch, als koͤnne
das Seminar zu Montabaur nicht recht zu fich felbft fommen, und
finden einmal Grund hierzu in dem mangelnden harmonifchen Zufams
menwirfen der Lehrer und andrerfeits namentlih in dem zu häufigen
Wechſel des dortigen Lehrerperfonals. Auch das Seminar zu Uflngen
fitt in der erften Zeit feines Beſtehens an Schwankungen, feit des volls
zähligen 2ehrerperfonals if man ſich des Zieles einflimmiger bewußt.
Die Beforgniffe Mancher, als würden daſelbſt „Mucker“, für
726 Die äußern Angelegenheiten
pürgerlihe Leben unbrauchbare Lehrer hervorgehen, find geichwunden.
Wo pofitives Chriſtenthum neben fräftiger, praktiſcher Handhabung der
Raturwiffenfchaften gelehrt wird, da wird ein füßer, fränfelnder, ſchwaͤr⸗
meriſcher Pietismus nicht zu finden fein, da wird Herz und Verſtand
eine gleihmäßige Ausbildung finden. Das Eeminar zu Ufiugen will
evangelifche Bolksfchullehrer bilden, welche pofitiv im Glauben, ficher
und gründlich unterrichtet in den Fächern des elementaren Wiſſens und
praftifh für die Schule find. Davon zeugen zur Ehre des thätigen
Seminardirectore Lex und feiner wadern Gollegen die entlaffenen Zög-
linge der Anſtalt! — Beiden Seminarien wäre noch, wie dies anders
wärte auch flattfindet, eine eigene Seminars&lementarfhule
zur praftifchen Anleitung der Seminariften, fowie eine fpeciellere
Prüfung der Abiturienten behufs der recht gewiffenhaften Benupung des
ihnen mit Fleiß und Sorgfalt Gebotenen zu wünfhen Wir leben
indeß der Hoffnung, daß die Realifirung Diefes den eifrigen Bemähun-
gen der oben genannten Referenten gelingen wird. — Durch eine jüngf
erfchienene „Infruetion, die Vorbereitung für den Schullehrerberuf,
insbejondere die Adfpiranten» und die Concursprüfung, fowie die Res
gelung der Adfpirantenbildung betreffend,’ ift die in den letzten Jahren
zit exercirte Adfpirantenprüfung (Prüfung 14jähriger Knaben) wieder
bergeftellt, werden die unter die Zahl der Präparanden Aufgenommenen
ihrer weiteren Borbereitung an von der Regierung beſtimmte Ads
N irantenbilbner gewiefen, die Präparanden im Frühjahre und
Herb jeden Jahres von dem betreffenden Schulinfpector unter Bugiehung
nod anderer Adfpirantenbildner einer Prüfung unterworfen, von deren
Rejultat die Regierung in Kenntnig zu fegen if. Nach zweiiähriger
Präparandenzeit kann der Betreffende zur Goncursprüfung, welche Die
Aufnahme in's Seminar entfheidet, zugelaffen werden, und find die
Forderungen in genannter Prüfung in bejagter Infruction aufs Deuts
lichſte für alle Bücher ausgeiprohen. Nur auf diefe Weife ift der Ad⸗
ſpirant zur gewiſſenhaften Ausfaufung feiner Borbereitungszeit binges
wiefen, wird Einheit in der PBräparandenbildung bewirkt, dem Seminare
sin weſentlicher Vorſchub geleitet und eine innige Berbindung zwiſchen
dem Seminar und den in daffelbe Aufzunehmenden hergeſtellt.
3. Um den BZufland der Schulen aus eigener Anfhauung
fennen zu lernen, werden Diele von den Referenten, löblicher Weife, zu⸗
weiten ſelbſt befuht. Anfichten von Perfönlichkeiten wie localen Ver⸗
bältmiffen können fo berichtigt und Mebelkänden am raſcheſten abgeholfen
werden. Im Ganzen darf man wohl mit dem Stande der naflanifchen
Schulen recht zufrieden fein. Was die pecuniären Berhältniffe nament⸗
kick der Volksſchullehrer betrifft, fo laſſen diefe, wie faft allerwärts, zu⸗
mal in Diefen bedrängten Zeiten, noch viel zu wünſchen übrig. Bet
dem Landtage für 1856 wurde der Antrag geſtellt: „Die Herzogliche
Megierung wolle eine Borlage, wodurd die Befoldungen der Elementare
lehrer den gegenwärtigen Berhöltniffen entiprechend erhält und geregelt
werden, vorbereiten und mo möglich dem nächften Landiage zus Bexathung
md Beſchlußfaſſung vorlegen.” Es wäre namentlich zu mimſchen, daß
der Volksſchule und ihrer Lehrer. 727
ein Theil der Lebrerbeſoldung tn Naturalien veranſchlagt würde In
wie weit den gerechten Wünfchen der Lehrer einigermaßen Befriedigung
zu Theil werden wird, hoffen wir in näcfer Zukunft mitteilen zu
Töanen,
9 Waldeck.
Baldel Hat unterm 9. Zuli 1855 eine neue „Schulordiang‘' ers
halten, mit der die Lehrer im Ganzen wohl zufrieden fein köͤnnen. Wir
heben nachſtehend einige Punkte daraus hervor.
„Zur Borbereitung anf die Elementarſchule dienen die Klein»
kinderſchulen (Bewahranftalten), zur Fortfegung derjeiben die Jorts
bildungsfchulen und zur Ergänzung des Unterrichts in derjeiben
Die Arbeits oder Induftries, insbelondere die Näh- und Stride
ſchulen.“
„Zum Zweck der Unterweiſung der Elementar⸗Schüler in der Baum⸗
zucht muß in jeder Gemeinde eine Baumſchule unterhalten werden.“
„Kommen Gemeindegrundfüde zur Vertheilung unter Die einzelnen
Gemeindeglieder, fo muß der Clementar⸗Schule ein gleicher Antheil wie
jenen zugewielen werden.‘
„Das ſchulpflichtige Alter der Kinder beiderlei Geſchlechts beginnt
mit dem vollendeten 6. Lebensjahre und dauert bei den Mädchen 7 und
bei den Knaben 8 Jahre.‘
„Nur da, wo in zwedmäßig gebildeten Abtheilungen der Unterricht
ertbeilt wird, dürfen mehr als 50, keinenfalls jedoch über 80 Kinder
gleichzeitig unterrichtet werden.‘
‚An dem Sonntage nad Johanni ſoll alljaͤhrlich nach Uebereinkunft
mit den oberſten Kirchenbehörden ein Kinder⸗ und Schalfeſt ge
feiert werden.‘
„Der Regel nad follen geprüfte Lekrerinnen nur an Mädchen
ſchulen oder an ſolchen Schulklaſſen Unterricht ertheilen, weiche au 3
ſchließlich von Mädchen befuht werden”
„Bei Anftellungen und Beförderungen der Schuflehrer ift vor allen
andern Nüdfihten die erprobte Berufstüchtigfeit zum Maßflabe zu
nehmen. Bei Beförderungen zu einträglichern Stellen insbefonbere follen
nicht ſowohl vorzugsmeile das Lebenes oder Dienftalter oder die Ber
mögendumftände und die Familienverhältniſſe der Bewerber, als welmehr
die gereifte Einfiht und Amtserfahrung, die moralifche Würdigkeit, der
für Fortbildung bewiefene Eifer und die in dem bisherigen Wirkungs-
freife erworbenen Berdienfte als Beſtimmungsgründe dienen.’
„Den von den Lehrern etwa ertleilten Privatuntetricht find
Die Kreis» Schulanffeher verpflichtet fo zu befhränten, de⸗ daraus
für die dffenttihe Schule kein Nachtheil erwächſt.“
„Der Staat gewährleiftet den ordentlichen Lehrern an fen bffent⸗
lichen Volksſchulen ihren Gehalt nad folgenden Normalfäten: Der erſte
Lehres (Rector) an einer oberen Botksfchwie ſoll einen jaͤhrlichen Wehalt
haben van windeftens 400 Xhirn,, der zweite von mindeſtens 275 Thlen.,
der dritte von mindeftene 225 Ihlsn., Der vierte von mindeſtens 175 Thlun.,
728 Die äußern Angelegenheiten
Die übrigen von 150 Thlen. Die Lehrer an einer untern Bolköfchule
follen mindeftend einen Gehalt haben: 1) in Schulgemeinden von weniger
als 200 Einwohnern von 100 Zhirn., 2) in Schulgemeinden von 200
bis einfhließlih 300 E. von 125 Thirn., 3) in Schulgemeinden von
300 bis einſchl. 400 E. von 160 Thirn., A) in Schulgem. über 400
bis einfhl. 500 E. von 190 Zhlrn., 5) in Schuigem. über 500 €.
von 250 Thlrn.“ — In den Normalgehalt werden auch die aus. kirch⸗
lihen Aemtern berrührenden Einfünfte eingerechnet.‘
„Kür jeden Schuifreis wird ein Kreisihulvorfland gebildet. Ders
felbe beftebt aus einem pyädagogifch gebildeten Mann, einem Geiſt⸗
lihen und dem betreffenden Streisrath. Die zuerſt genannten Mitglieder
werden auf Zeit ernannt, das erfle von der Regierung; der Geiſtliche
von dem Gonfiflorium. Beide Behörden können aber das betreffende
Amt einer und derfelben Berfon übertragen.”
10. Königreid Sachſen.
I. In dem Falle, wenn die Entlaſſung eines Schüler aus der
Schule vor Beendigung der geſetzlichen adhtjährigen Schulzeit im Wege
ber Dispenfation nachgefucht wird, foll nad Verordnung des Ninifleriums
insbefondere darauf: — ob und wie viel Schultage derfelbe während
der gefammten Schulzeit ohne genügende oder ohne alle Entfchuldigung
veriäumt bat? — NRüdfiht genommen und das Dispenfationsgefudh zu
rüdgewiefen werden, wenn zu häufige unentidhuldigte, oder nicht genü⸗
gend entfchuldigte Schulverfäumnifle vorliegen.
2. In Wehlen, Königfkein und Spandau find 1855 Schiffer,
ſchulen für diejenigen eingerichtet worden, welche fih der Eibichifffahrt
widmen wollen.
3. Zn der Stadt Galinberg ift dur die Munificenz des Fürſten
Dito Biltor von SchönburgeWaldenburg ein Seminar gegründet und
dotirt worden, welches den Zwed bat, befähigte junge Frauenspers
fonen, bie ih dem Lehr» und Erziehbungsberufe widmen wollen,
hierzu auszubilden. Die Einrichtung diefer neuen Anfalt ift der oben
(bei Breußen) erwähnten in Droyßig ganz aͤhnlich. Die feierlihe Er⸗
öffnung fand am 16. Dcthr. 1856 flatt.
4 Das GSchullehrerfeminar zu Freiberg ift nach Noffen verlegt
und am 14. Dctbr. dort feierlich eröffnet worden.
5. In Dresden find fämmtliche Lehrerfellen durchfchnittlich jede
um 100 Thlr. erhöht worden.
6. In Leipzig betrugen 1855 die Zuſchüſſe zur Erhaltung
der Schulen 33,549 Zhir., die Urmenfchule, die mit einem Aufwande
von circa 10,000 Zhim. erhalten wird, nicht mitgerechnet; 1857:
37,564 Zbir. Die Geſammtbedürfniſſe des fädtifchen Schulweſens bes
laufen fi auf 92,581 Thlr.
7. Neben der ſchon oben erwähnten „Schulzeitung‘ befigen bie
Lehrer auch einen „Amtslalender für fachliche Brifliche und Lehrer”,
der von Lehrern und Schuldirectoren zu Dresden „zum Beſten der
der Volksſchule und ihrer Lehrer. 729
Lehrerwaifen im KRönigreihe Sachſen“ herausgegeben wird.
In Betreff der zwedmäßigen Einrichtung diefes ſehr nützlichen und
Darum nachahmungswerthen Unternehmens verweifen wir auf den vorigen
Band des YJahresberichtes.
11. Sahfen:- Weimar: Etfenad.
1. Im Großherzogthum beftehen gegenwärtig: 1) Zwei Gym⸗
nafien, nämlih a) eins in Weimar mit 10 ordentlihen und 4
Hülfsiehrem und 200 Schülern, b) eins in Eifenadh mit 7 ordents
lihen und 4 Hälfsiehrern und 96 Schülern. — 2) Ein Realgyms
nafium zu Eiſenach mit 8 ordentlichen und A Hülfslehrern. Die
Schülerzahl beläuft fih auf 128. — 3) Zwei Schullehrer⸗Se⸗
minare, nämlih a) eins in Weimar, mit 4 ordentlihen und 3
Hülfsiehrern. Die Zahl der im Jahre 1855 nen aufgenommenen Ser
minariften beträgt 14, die der abgegangenen 19; die Zahl der daffelbe
befudhenden 73. b) Eins in Eiſenach, mit 2 ordentlihen und 5
Hülfsiehren. An Seminariften find ‚1855 neu aufgenommen worden
4, abgegangen 12, gegenwärtig 21. — 4) Die Gefanmtzahl der in
30 Schulauffihtebezirte eingetheiften, von 608 angeflellten Lehrern ges
leiteten und gegenwärtig von 40,000 Schulkindern bejuchten Bois»
fhulen des Großherzogthums beträgt 460, worunter 17 Tatholifche,
4 jüdifche, 1 gemifcht jüdifchschriftlicde mit abgefonderter Ertheilung des
Religionsunterrichts, und ein von einem Director geleitetes, bisher auf
412 Zöglinge berechnetes, fchon jegt aber die Mittel zu einer Mehraufs
nahme bietendes Blinden» und Zaubftummen»Inftitut mitbegriffen find.
361 diejer Stellen find Privat», alle übrigen landesherrlichen Patronats.
Eiſenach bat eine Höhere Bürgerſchule (Serundarfchule), Die
unter Dr. Lorey’s Leitung ſteht. In Weimar, Apolda und Neuftadt a. O.
ſollen ähnliche Anftalten eingerichtet werden.
2. Die landfländifche Berfammiung bat den Lehrern Gehaltsvers
befferungen nad folgender Scala verbeißen: 108, 125, 150, 175,
200 Zhlr. Cine Bekanntmachung vom Gultusminifter änderte Diefe
Bablen, finanzieller Bedrängniß wegen, in folgende um: 108, 125,
140 u. ſ. w.
3. Die im Prinzip anerfannte Emancipation der Schule von der
Kirche hat jept einen verflärkten geſetzlichen Ausdrud durch einen Nachs
trag zu dem Volksſchulgeſetz von 1854 erhalten, welcher dem Minifterium
zur Pfliht macht, darauf Bedacht zu nehmen, daß in allen Städten, in
welchen 4 oder mehr Vollsſchulklaſſen beftehen, ſolche unter Leitung eines
Rectors, dem die Kocalihulaufficht zußeht, kommen.
4 Das „Kirhens und Schulblatt“ für Weimar (1855) enthält
einen „Nachtrag zu dem Ortsflatut über die hiefige Kortbildungs-
fhule für Handwerkslehrlinge vom 16. Sept. .1845', in dem
der Schulbeſuch, wie anderer Orten, nit vom Willen der Lehrlinge
und Meifter abhängt, fondern bei Strafe befohlen if. Nach den anders
wärts gemachten Erfahrungen läßt fih dagegen nichts Erhebliches ein»
‚wenden. (Wiederabdruck in Kern’s „Päd. Blättern, September 1855,)
— — — — —
730 Die äußern Angelegenheiten
12. Sudfen-Eoburg: Gnthe.
In den „Pädagogifhen Blättern‘ von Kern hat der Schuldirector
Dr. M. Schulze in Gotha unter dem Titel: „Bergangenbeit und
Gegenwart des Schulmwefens im Herzogthum Gotha‘ eine
fehr ſchätzenswerthe Befchichte des Schulweſens dieſes Landes geliefert,
von der wir wünjchten, daß fie befonders zu haben wäre. Wir heben
aus dem Abfchnitt, der die „Lehranfalten außerhalb der Stadt
Gotha“ behandelt, dasjenige aus, was Auskunft über den „gegen»
wärtigenBefand und Zufand‘ gibt (Juni 1855, &. 284 u. f.).
1. Zahl der Schulen auf den Dörfern und in den Land» und
Bergſtaͤdten 204.
2. Zahl der Schulfinder in abgerundeten Summen 13,508,
nämlich 6800 Knaben und 6700 Mädchen. Die Bevölkerung der eine
zeinen Schulen if natürlich fehr verfchieden. Es gibt 33 Lehrer, Die
nur 7 bis 40 Kinder, aber auch mehr als 20, die über 100 bis 150
Kinder in ihren Schulen haben. Durchſchnittlich kommen auf eimen
Lehrer 66 Schulfinder.
3. Klaffeneintheilung. Im Allgemeinen werden die Schul
finder, die vom 6. bis 24. Lebensjahre ſchulpflichtig find, in 4 Klaffen
mit je 2 Altersſtufen eingetheilt. Wo nur zwei Lehrer angefellt find,
da zerfällt die Schule in eine gemifchte Obere und Unterabtbeilung mit
je A Zahrgängen der Kinder oder 2 Klaffen. Wo drei Lehrer find,
da iſt entweder eine gemiſchte Elementarklaſſe, eine Oberflaffe für Knaben
und eine für Mädchen, oder die Geſchlechter bleiben vereinigt und man
bildet, um mehr getrennte Klaſſenſtufen zu erhalten, eine gemifchte Ele⸗
mentars, Mittels und Oberfioffe Wo vier Lehrer arbeiten, bat man
ebenfalls entweder A Klaflen mit je 2 Iahrgängen der Kinder bei ger
mifchten Geſchlechtern, oder es werden befondere Oberklafien für Kuaben
und Mädchen gebildet. In größeren Orten ift auch die legte (4.) oder
vorlegte (3.) Oberllaffe in 2 PBarallelflaffen (32 und 3b, Aa und 4b)
getheilt. — Hat aber ein Lehrer alle A Klaſſen allein zu befotgen,
was in den allermeiften Dörfern der Fall if, fo werden durchgängig
Knaben und Mädchen zufammen unterrichtet und nur Die Unterrichtss
zeiten für die einzelnen Klaſſen verfchieden gelegt.
4. Lehrer. Der eigentliden Volklsſchullehrer gibt ed auf dem
Lande 203. Sie werden vom Öberconfiflorium gewählt, von Herzog
befiätigt und der Gemeinde präfentitt, die fie annehmen muß, falle fie
nicht gegen Lehre und Wandel des Präfentirten Erhebliches einzuwenden
bat. Sie werden bei ihrer Anſtellung zugleich Mitglieder der Etautds
diener-Bittwenfscietät, wozu fle die gejeptichen Beiträge (von 3 Procent,
Neuangeſtellte 4 MProcent), und Mütglieder der Sterbekaſſe für Lehrer,
wozu fie 1 Th. 10 Gr. jährlid zu feuern haben.
5. Lehrerbefoldungen. Die meiſten Schulſtellen haben eine
Beſeldung von 150 bis 200 Thlrn., die beften (mit denen meh ein
BHarramt verbunden if) 800 bis 361 Ihle., keine unter 100 Thlxu. —
Im Einzelnen ergibt ſich folgendes Befoldungsverhättnif: 2 Stellen mit
der Volksſchule und ihrer Lehrer. 73
100—125 Thirn., 29 mit 125—150 Thlrn., 48 mit 150-175 Thlrn.,
59 mit 175200 Thlrn, 34 mit 200—225 Thlrn., 15 mit 225 —
250 Thlrn., 6 mit 250 — 275 Thirn., 5 mit 275—300 Thlrn., 4
mit 300-350 ZThlrn., 2 mit 350-361 Thlrn. Bei fa allen befteht
ein Theil der Befoldung in Naturalien.
6. Schulbehärden Der nähfte Schulauffeher jeder Volks⸗
ſchule iſt der Ortsgeiſtliche; Bezirfsbehörde if das Kirchen» und Schuls
amt, beftehend aus dem Oberbeamten des betreffenden Juſtizamtes und
bem Superintendenten oder Adjuncten der Ephorie; die Oberbehörde das
Dberconfiftorium zu Gotha. Jaͤhrlich Halt der Ortöpfarrer die fog.
Frühlings» und der Ephorus die Sommervifitation, und von 5 zu
5 Jahren findet eine Generalvifitation Statt, die der Generalfuperins
tendent als Herzoglicher Commiſſarius Hält. Früher erhielt der Lehrer
nach jedem Schuleramen ein fehriftliches Memoriale über den Befund
feiner Schule; diefe Einrihtung ift aber in den letzten Zeiten abgekommen.
7. Bildungsanfalten, die mit der Volksſchule im Zuſam⸗
menhang fliehen. - Wie ed an mehreren Orten Kleinfinderfhus
len (in Waltershaufen auch 1 Fröbel’fchen Kindergarten) gibt, fo gibt
es auch Fortbildungsanſtalten für die der Schule entwachſene
Jugend. Un 19 Orten find Sonntags» und Gewerbfchulen, von denen
einige aber nur Winterſchulen find. Die arößten Bewerbfähulen
find zu Ohrdruf, Waltershaufen, Zella, Mehlis, Yriedrihroda, Tambach
und Ruhla. An 17 Orten find Induftriefhulen für Mädchen
eingerichtet. Auch if in den meiften GEphorien für Volfsbiblio⸗
thefen, bier und da für Shulbibliothefen und für Kefevereine
geforgt. Diele Lehrer betheiligen fih auch an den landwirthſchaft⸗
lihen Bereinen, fowie an den Bereinen für Bienenzucht und
Seidenbau.
18. Sadfen : Meiningen - Hilburgbaufen,
1. Die fädtifchen Schulen in Meiningen beflehen aus der Bürs
gertfnabenfhule, Bürgermädhenfhure und Volksſchule.
Die Bürgertnabenfhule hat 6 Klaſſen mit 5 Lehrern, näms
ih 3 Elewentarklaſſen, 2 Mittelklaſſen und 1 Oberfinffe. Der 1. Lehrer
diefer Schule iſt zugleich Rector dieſer Abtheilung ſowie der Bolksfchule.
Die 3 obern Klaffen umfaflen zwei Jahrgänge, die 3 untern je einen.
Die Zahl der wöchentlihen Unterrichtsſtunden beträgt, von unten auffeis
gend, 10, 20, 20, 30, 33, 34. Die beiden Unterklaſſen haben nur einen
Lehrer. In den 3 unteren Klaſſen herrfcht das Klaſſenſyſtem, in den 3
oberen Das Klaffen« und Fachſyſtem. Die Lehrgegenflände in den Mittel
und Oberllaffen And: Religion, Deutſch, Rechnen, Geographie, Naturge⸗
ſchichte, Geſchichte, Formenlehre, Geometrie, Phyſik, Latein und Zeichnen.
Der Unterricyt im Latein und im Franzöfifgen if freiwillig und wird ges
woͤhnlich nur von den Schülern benußt, die das Gymnaſtum ımd die Real⸗
ſchule Hefuchen wollen. Nach dem Gymnafium Fönnen die Schüler aus der Z.,
reſp. 2. Klaſſe abgehen, nach der Mealfchule nur, wenn fie 1 Jahr in
der 1. Klaffe geweien find.
— RR — — —— — — — — —
732 Die äußern Angelegenheiten
Die Bürgermädchenfhule hat 4 Maffen mit 3 Lehrern, nämlich
2 Elementarfiaffen, 1 Mittelflaffe und 1 Oberklaſſe. Die beiden Ele⸗
mentarflaffen werden von einem Lehrer verwaltet. Der 1. Lehrer iſt
Rector der ganzen Abtbeilung. In allen Klaffen herrſcht das Klaſſen⸗
ſyſtem. Lehrgegenflände außer den Elementen find: Rechnen, Deutſch,
Geographie, Raturgefchichte, Geſchichte, Religion und Zeichnen. Unterricht in
weiblichen Handarbeiten wird von einer dazu beftellten Lehrerfrau ertheilt.
Die Bolsfhule, mit gemiſchten Gefchlechtern, hat 4 Klaffen, naͤm⸗
li 2 Glementarklaffen, 1 Mittels und 1 Oberklaſſe, und 3 Lehrer. Die
Lehrgegenflände derfeiben find die der Volksſchulen auf dem Lande. Schul⸗
geld wird nicht gezahlt. Die Mädchen erhalten Unterricht in weiblichen
Sandarbeiten.
Bas die Befoldungsverhältniffe der ſtädtiſchen Lehrer bes
trifft, fo if ihr Gehalt nicht an eine beflimmte Klaſſe, welcher fie vorftes
ben, gebunden; es beſteht vielmehr eine Art Anciennetätsverhättnig. Mit
Ausnahme der erften der Knaben » und Mädchenſchule, weldhe an und
700 Gulden Befoldung haben, überfleigt die der übrigen ihrem Dienf-
alter nad das gefeplihe Minimum von 300 1. rhn. un 30, 60 und
80 Gulden. Das Cantorat und die Organiftenftelle werden befonders
bonorirt. Bon Zeit zu Zeit erhalten die Lehrer eine Gratification. Die
Gehalte befteben bloß in Geld.
Das Schulgeld wird durch einen Kämmereigehülfen monatlidh in
den einzelnen Klaſſen feld erhoben. Es beträgt in den Elementarflaflen
12 Kr., in den folgenden 15, 18 und 20 Kr. monatlid.
Die nähfte Behörde der Fädtifchen Schulen ift das flädtifche
Kirchen» und Schulenamt, welches aus dem Ephorus, dem Oberbürger-
meifter und dem Bürgermeifler zufammengefegt if. Weber diefem fleht
das Minifterium, Abth. für Kirchen» und Schulſachen; es belebt aus
dem Staatsrath, der den Borfig hat, dem Schulrath, dem das Schul⸗
wefen insbefondere obliegt, und aus zwei geiftlichen vortragenden Raͤthen,
denen das Kirchliche anvertraut iſt. Einer diefer legten Herren iſt zugleich
Epborus und Oberpfarrer.
Neben den flädtifchen öffentlichen Echuten hat Meiningen noch 3
Privatiehranftalten, eine derfelben ift eine Art höherer Töchterfchufe, Die
andere hat Knaben und Mädchen, die dritte bloß Knaben.
2. Ein 1856 erfchienenes Geſetz hat das Dienfleinfommen der
Volksſchullehrer des ganzen Landes geregelt. Hiernach if in Städten
von mehr als A000 Einwohnern die MinimalsBefoldung für die zwei
am niedrigften dotirten Schuflehrerflellen auf je 300 Fl. rhn., für die
nähftfolgenden auf 350 1. und für jede der übrigen Stellen auf 400 31.
fefgefept; in Städten von 3 bis A000 Einw. ift der Minimalbetrag
800 und 350 Fl., und in den übrigen Städten 250 und 300%. Auf
dem Lande ift bei einem Schulbezirfe von 300 und mehr Einwohnern
das Diinimum 275 Fl., und bei getheilten Schulen in den Elementarklaflen
200 $1. und bei den oberen 275 Fl., bei’geringerer Einwohnerzahl 225 Fl.
In gleich fleigendem Berbältniß werden die Befoldungen der Subflituten
und Schufgehülfen verbeffert werden.
—
der Volksſchule und ihrer Lehrer. 733
3. Die vereinigten ſtaͤdtiſchen Echulen in Saalfeld beflehen aus
a. ‚der höheren Zöchterfchule mit 2 Klaſſen, b. 2 Knabenflaflen, e. 2 Mäds
henflaffen, d. 2. Barallelelementarfiaffen und e. 3 Elementarklaſſen. An
allen diefen Schulen find 10 Lehrer und 1 Lehrerin thätig. Außerdem
bat Saalfeld noch eine Realſchule und ein Progymnaflum.
14, Sadfen: Altenburg.
Ueber die in Alte nburg beabfihtigte Neorganifation des Volles
und Bürgerſchulweſens liegen ung keine Nachrichten vor. |
15. Schwarzburg » Sonderöhaufen,
Desgleichen.
16. Schwarzburg⸗ Rubolftadt.
Ein Gefep vom 17. März 1854 ordnet die Errichtung von Kir⸗
Gens und Schulvorſtänden in den evangelifchelutherifchen Kirchen,
gemeinden an. Nach demfelben befteht in jeder evangelifch » Lutherifchen
icchengemeinde ein Kirchens und Schulvorfland unter der Aufjicht der
Kirchens und Schulinfpection und der Abtheilung des fürſtl. Minifteriums
für Kirchen- und Schulfahen. Mitglieder derfelben find der Orts
geiftlihe, der Lehrer der Ortsfchule, der erfte Ortsvorftand und hoͤch⸗
ftens fo viel andere duch die Wahl der Gemeinde beftimmte Mit⸗
glieder, als in dem SKirchens und Schulvorftande Geifliche figen. Hat
eine Privatyerfon das Patronatrecht, fo ift auch diefe Mitglied, falls fe
der evangelifch » Iutherifchen Gonfeffion angehört und die Bedingung er⸗
füllt, welche für die Wahlfähigfeit der von der Gemeinde zu wählenden
Mitglieder fergeftellt find. Sind mehrere Geiftlihe in einer Kirchenges
meinde angeftellt, fo find diefe in der Regel ſämmtlich Mitglieder des
Kirchen⸗ und Schulvorflandes. Sind mehrere Lehrer angeflellt, fo wird
auf Vorſchlag des Ortsgeifllihen oder des erften Geiſtlichen die der Zahl
der geiſtlichen Mitglieder gleichtommende Zahl der Lehrer durch die zus
Rändige Kirchen» und Schulinfpeetion gewählt. Die Wahl der übrigen
Mitglieder geſchieht dur die Stimmberechtigten in der Gemeinde aus
denjenigen Gemeindemitgliedern, welche der Kirchen» und Schulvorftand
zu diefem Behufe in doppelter Anzahl in Borfchlag bringt. Dafür, daß
nur würdige Mitglieder der Kirchengemeinde gewählt werden können, und
daß auch der Gemeinde ein zwedmäßiger Einfluß auf die Wahl gewahrt
bleibt, if in entiprechender Weile Sorge getragen. Das Umt der ges
wählten Mitglieder des Kirchen⸗ und Schulvorflandes dauert 6 Jahre; je
nah 3 Jahren fcheidet die Hälfte aus. — Die erfte Pflicht des Kirchen-
und Schulvorfiandes iſt die Förderung und Pflege des chriflichsreligiäfen
und fittlichen Lebens, die Sorge für Zucht und Ehrbarkeit und im
Befondern die wohlthätige Einwirkung auf die Kindererziehung, die
Schule und Lie ledige Jugend. Der Geiſtliche if in feiner die Lehre
und das geiftlihe Amt betreffenden Thätigkeit von dem Sirchen«
und Schulvorflande abhängig. Bei Beſetzung der geifllihen und Schul⸗
ämter ſteht lebterem die Ausübung des fogenannten votum negati-
vum zu, fraft defien fein Geifliher oder Lehrer in der Gemeine
734 Die aͤußern Angelegenheiten
eingeführt werden darf, gegen deffen Lehre, Gaben und Wandel bes
' gründete und erhebliche Einwendungen gemacht werden. Bor der Wie
derbefegung eines folden Amtes wird der Kirchen⸗ und Schulvorfand
mit feiner Aeußerung über etwaige befondere, bei der Belegung
der Stelle zu berüdfichtigende Bedürfniffe und Berhältniffe der Bes
meinde vernommen. Er hat ferner zur Dermeidung der Schulver⸗
fäumniffe in der durch die Verordnung darüber näher angegebenen
Beife mitzuwirken (Bäter, welche ihre Kinder ohne genügenden Grund
vom Schuibefuh abhalten, find weder wählbar noch bei der Wahl ſtimm⸗
berechtigt), den Kirchen⸗ und Sculvifitationen, den dffentlihen Schuls
prüfungen, der Gonftrmation, den Einführungen der Geiſtlichen, Lehrer
und niedern Kirchendiener beizuwohnen und die Einhaltung der desfall⸗
figen Befimmungen zu überwachen. Den Vorſttz in den Sigungen führt
der Bfarrer (vefp. erſte Geiſtliche). Steht einer PBrivatperfon das Batror
natredht zu, fo führt ihn diefe, überläßt jedoch dem Beiflichen die Leitung
der Geſchaͤfte. Sollte ein Beſchluß dem Rechte des Pfarr⸗ oder Lehramts,
den allgemeinen gefetzlichen Beſtimmungen oder überhaupt dem wohlvers
Randenen Jutereſſe der Kirche oder der Schule widerftreiten, fo if der '
vworfigende Geiftliche verpflichtet, über diefen Beſchluß, Bevor er ihn polls
zieht, an die Kirchens und Schulinfpection Bericht zu erfatten und Die
Entſcheidung derfelden oder der betreffenden Minifterialabtheitung einzus
holen. (Kern, Päd. Blätter, April 1855.) |
17. Anhalt-Deffau:-Edthen,
In diefem Lande flieht es gut um das Schulweſen; meuere Raps
sichten darüber fehlen uns jedoch.
17. Braunſchweig.
1. Der Redacteur des „Brauuſchweigiſchen Schulboten“ fagt bei
der Hinweifung auf die Feier des 2Sjährigen Negimentes des Herzogs:
„In Beziehung auf das Schulweſen darf das Braunichweigifde Land
fih mit jedem deutichen Etaate meſſen!“ Nach den Mittheilungen, weiche
Der 8. Band des Jahresberichtes über Braunfchweig enthält, glauben
wir das auch. Die Lehrer Plagen aber doch, daß fie mit den Normal⸗
gehältern in jepiger Zeit nicht ausfommen Tännen, was wir gern glauben.
Ein ftädtifcher Lehrer mıt 175 Thlrn. Gehalt ſtellt in Nr. 6 des Schul⸗
boten folgende Berechnung auf:
Wittwenfaffenbeittäge . „ . 5 Thlr. 6 Gear.
Berfonalfteuer. - ». ». co. 1. BB vo
Mietbe, Meubel, Aufwartung: 30 „,
Mittags⸗ und Abend . « 60 „,
Brot und Butter. . » » - 26 „
Dun » - 2 00. . 0 „5
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Sa, 159 Thir. 9 Ger.
[24
1114161
ber Vollsſchule und ihrer Lehrer. 735
Mithin bleiben für Kleidung und fonft Rothwendiges 15 Täler.
15 Ger.
Der Redacteur vertröftet auf beſſere Zeiten und fügt dann hinzu:
„Beziebungsweife ſtehen fich die flädtifchen Lehrer auf Rormalftellen,
gegenüber denen auf dem Lande, aber noch dadurch befier, daß fie
nicht fo zum Heirathen gedrängt werden. Ein fehr wahres
Wort in diefer Beziehung enthält Nr. I des Schulboten (1856), das
wir bier zur Beherzigung für alle jungen Lehrer mittheilen. Seite 12
heißt es: „Uebrigens liegt ein gut Stüd der jegigen Lehrernoth aud in
Uebelſtaͤnden des Lehrerftandes, die ernſte Aufmerffamkeit und Befeitigung
nöthig machen. Ic zähle dazu das frühe Heirathen der meiften Lehrer.
Die Regel if, daß der Lehrer mit dem 25. Jahre und früher eine Frau hat.
Nun denke man fih, mit welchen Mitteln das junge Baar feinen Hausfland
beginnt und führt! Der Mann bringt vielleicht Schulden mit, und die
Frau hat kein Dermögen. Seht geht die Wirthſchaft mit Summa
Summarum 120 oder 150 ZThalern as. Lehrgeld muß auch bezahlt
werden, denn gewöhnlich verfiehen Maun und Frau vom Haushalten
zecht wenig. Kinderſegen bleibt in der Negel nicht aus: man vervoll«
fändige ih das Bild! Es iſt wahrlich nicht erquidiih. Uber die
gegenwärtige Roth in vielen Lehrerfamilien ift auf und aus dem ges
zeichneten Sintergrunde fehr erflärlih, Möge ihr jetzt recht gründlich
abgeholfen werden! Wichtiger aber noch iſt e8, ihre wahren Quellen aufs
zufuchen und zu verftopfen. Die Frage entfteht alfo: Wie ift dem frühen
Heirathen der Xehrer vorzubeugen? Allerdings iſt es ein Webelftand,
wenn ein junger Mann in einen Ort verfchleudert wird, wo er faum
für fchweres Geld eine nur einigermaßen anfldudige Bewirthung finden
Tann. Man muß es da erflärlich finden, daß er fich bald zum Heirathen
entfchließt. Es iR faft eine Nothwendigkeit. Und Doch müßte man um
der Folgen willen wünfhen, daB es unterbliebe. Doc ein anderer
Grund drängt die Lehrer gewöhnlih in eine frühe Ehe hinein: frühe
Berlobung! Und das ift wirklich ein großer Uebelfand, wenn die Se⸗
minarzeit gewöhnlich ihren Abſchluß damit erreicht, daß der junge Mann
neben dem Maturitätszeugnifie zugleich den Verlobungsring an die Hand
befommt. Oft freilich ſchimmert der fchon an den Fingern, wenn dag
Zriennium noch lange nicht abfolvirt it. Sa, diefes frühe Berloben ifl
ein Öegenfland, der wie ein Krebsſchaden fih in das Lehrerweſen hinein»
gefreffen hat. Woran liegt das? Die Frage if unendlich wichtig und
drängt zu einer ernften, prüfenden Nachforſchung Über die Einrichtung
unſrer Lehrerbildungsanſtalten.“
2. Ar. 8 des Braunſchw. Schulboten enthält folgende erfreuliche
Mittpeilung: „Die Gemeinde Gr.» Bahlberg hat ein dankbares He.
Der 75aͤhrige Cantor ſpricht vor einiger Zeit den Entihluß aus, für
nächften Winter doch nach einer Hülfe ſich umſehen zu wollen. Kaum
iR das Wort verflungen, da treten die Gemeindebehörden zufammen und
fagen: Den Gehülfen bezahlen wir! und raſch find 60 Thlr. und ein
Malter Holz kewilligt. Liegt das an dem alten Gantor, ader im bes
736 Die äußern Angelegenheiten ‘
Ratur der Bahlberger? Genug, in dem Maße, in welchem eine Gemeinde
ihren Lehrer ehrt, ehrt fie fich ſelbſt!“
3. In Rr. 10 (1856) kommt der Redacteur des Echulboten auf
die Delonomie als Rebenbefhäftigung der Kehrer zu fpreden. Er
mag davon nicht viel willen. „Die Sache flieht erfahrungsmäßig fo:
In den allerfeltenften Fällen if ein guter Delonom auch ein guter Schul⸗
meifter. Dazu gehören Vorausfegungen, die bei taufend Ballen nicht
einmal zutreffen. Sol’s mit der Defonomie fort, fo bleibt die Schule
zurüd. Soll's mit der Schule fort und die Oekonomie fann und darf
auch nicht zu kurz kommen, — dann gebt die Idylle über in eine
Tragödie, deren erflen Aufzug der Bote jüngf mit biutendem Serzen
ſah. Sie brechen an Leib oder Geiſt, gewöhnlih an beiden, die in
dieſer Schulmeiftertragddie agiren. Möchte man in Beziehung auf den
Lehrer den Gedanken fefhalten: Das Amt muß den Mann ernähren,
nicht die Nebenbefhäftigung. Oder wenn es einmal fo nicht geht, dann
fehre man den Gedanken um: Die Nebenbefhäftigung muß den
Mann nähren und nicht das Amt; dann aber fordre man auch nicht,
daß das Amt einem Manne die Hauptfadhe ſei. Und doch und doch,
troß alle dem, — es giebt keinen feligern Beruf, als den des Lehrers!
Und je feliger wir's empfinden, defto näher rüdt die Zeit, wo man
erkennen wird, daß es recht lieblich ift, wenn ein Lehrer zu — feinem
Bergnügen, feiner wirflihen Erholung, täglid ein Stündchen um eine
Beine Detonomie fi befümmern (nicht gleich einem Zagelöhner darin
ſchwitzen) kann. Wo aber der Lehrer in feiner Delonomie um feine
Subfiftenzmittel ringen muß, da ift das Schulmefen feinem Ideale noch
nicht nahe genug gebracht, um alle den Segen entfalten zu können,
den es wirklich in fi birgt.‘ Diefe Anfichten halten wir für Die
richtigen.
4 In Nr. 2 (1856) fagt der Redacteur des Schulboten: „Die
Paſſionszeit if da. Die kirhlihe Schule muß in derfelben eine
beffimmte Haltung annehmen. Weldye? Luther fagt: Faſten und Leiblich
ſich bereiten ift eine feine äußerlihe Zucht. Möchten die Lehrer ſich ſelbſt
in der heiligen Paſſionszeit in ernfte Zucht nehmen. Bor allen Dingen
it aber von der Schule aus auch dafür zu forgen, daß die Kinder in
diefer Zeit durch irgend welche Entfagung zum Bewußtfein über das
Wort kommen: Führwahr, er trug unfere Krankheit und lud auf fi
unfere Schmerzen. el. 53, 4. Natürlich) Alles in evangelifcher Frei⸗
heit! Es wäre wünſchenswerth, wenn vieljeitige Mittheilungen fämen,
wie die Paſſionszeit in den Schulen begangen wird.’ — Mit Rüdfidht
hierauf fehreibt ein College dem Boten in Ar. 3: „Während der Paſ⸗
ſionszeit verhänge ich Feine koͤrperliche Züchtigung über ein Kind. Wenn
ich den Stab Wehe über ein Kind fchwingen will, fo fallen mir immer
‚die Worte ein: Er iR um unferer Sünde willen zerfchlagen. Und dann
vergeht mir der Muth, der zu einer Züctigung gehört.” Der Bote
fügt hinzu: „Dieſe Muthlofigkeit wird der Schule gewiß keinen Schaden
bringen.” Iſt jenes Berfahren nicht ganz geeignet, in ben Kindern
ben Wunſch hervor zu rufen: Ach, wenn doch das ganze Jahr über Paſ⸗
der Vollefhuk und ihrer Lehrer. 137:
‚ Ronszeit wäre! Wir halten daſſelbe für durchaus unpaffend und würden -
“ Jieber fagen: Wer in einer Zeit, die uns lebhaft an unfere Suünd⸗
haftigfeit und das dafür gebrachte Opfer erinnent, ſich vergeht, verdient
doppelte Strafe. Die Kinderzucht iſt eine zu ernfle Sache, als daß zu
irgend einer Zeit davon Abſtand genommen werben Lönnte Es wäre
oßnebin geradezu unevangelifh, Strafbases® aus religiöfer Sentimens
talität ungefraft zu laſſen. Auch das, was der Redacteur oben mit dem.
Ausdruck „Entiagung” andeutet, if ficher ſehr bedenklich, wenn nicht
geradezu verwerflid.
19. Hannover.
1. Wie anderwärts, fo mangelt e8 auch in Hannover an Lehrern.”
Im Lüneburgifchen allein waren 1855 zwanzig Stellen vacant. — Mehrr
fach haben Lehrer ihre gering dotirten Stellen aufgegeben und fid lohnen»
deren Berufen gewidmet, 3. B. dem Steuerfach.
2. Hannover befigt 6 Seminare (zu Ablfeld, Hannover, Lünes
burg, Osnabräd, Stade, Aurih) und eine Schullehres -Borbildunges
Säule zu Reuenhaus).
3. Die Gefammtzahl der Volksſchulſtellen beträgt gegenwärtig
3812. — Für die Taubſtummen, deren Zahl ih 1853 auf 436 belief,
wird durch 2 befondere Anftalten geforgt, von denen die eine in Hildes⸗
heim (mit 90 Zöglingen), die andere in Emden (zu 40-50 Zöglingen
berechnet) if. In Hannover iſt eine Blindenanfalt.
4. Die Dotirungen der Schulfellen find in Sannover, wie
‚ anberwärts, für die gegenwärtigen Zeitverhaͤltniſſe unzureichend. Bon
den 3812 Bolksfchulftellen haben
dag Minimum der Einnahme (30 Thlr. und Reihetiſc beiehunge
weiſe 80 Thlr) . . 4 Stellen,
eine Einnahme von 80 bis 100 Thirn.. 700 n
„ ” „ 100 — 120 „ . 307 „
7 7 „120 — 150 „ . 47 ,„
n „ 350 und darüber . 1374 „
274 Stellen haben noch einen Reihetiſch.
Mit einem Kirchendienft verbunden find. 1519 Stellen.
Erſte Stellen an mehrklaffigen Schulen . 138 „
1657 Stellen.
Bon diefen haben 730 ein Dienſt⸗Einkommen von 200 Thlrn. und
Darüber; alle übrigen bleiben zum Theil weit unter diefem Betrage.
Behufs BVerbefierungen der Schuiftellen hat die Regierung unterm
11. April 1856 von den Kammern einen Zuſchuß von 20,000 Zhlrn.
gefordert. Die Kammern haben diefen Antrag unter der Bedingung
genehmigt, daß diefe Summe zu dauernden Verbeflerungen ver
wandt werde.
Bon diefer Summe follen von den 1704 Stellen unter 100 Thlrn.
eirca 1000 durchſchnittlich um 25 Thlr., von den 734 Stellen zwiſchen
100— 150 Thlr. etwa 500 Stellen um jährlih 30 Thlrn., und von
Nacke, Iahresberiht. X. 47
788 "Die äußern Angelegenheiten
den 1374 Stellen über 150 Thlr. etwa 600 um 50 Thlr. erheht
werden
den
Das iR Alles dankenswerth, Leider aber noch immer nit aus⸗
reihend, um die Roth der Sanndverfchen Lehrer zu befeitigen.
5. Eine Verordnung vom 28. Februar 1854 bezweckt eine Er⸗
fhwerung des zu frühen Berbeiratbens der Lehrer, namentlich ber
Gehälfen.
6. In Bolge einer Berfügung des Miniſteriums Hat in Göttingen
der am Sonntag Nachmittag ertheilte Unterricht in der Gewerbſchule,
als gegen die Sabbathsorbnung verfloßend, auf den Mittwoh Nach⸗
mittag verlegt werden müſſen. Jedenfalls gilt diefe Berorbnung für
das ganze Land,
20. Rippe,
An Lippe war in Folge der deutſchen Grundrechte die Zahlung
des Schulgeldes in den Volkoſchulen aufgehoben worden. Am 1. Der.
1856 if die desfallfige Verordnung wieder außer Kraft gefebt und
das Schulgeld auf 20 Sgr. jährlih für jedes fchulpflichtige Kind bes
fimmt worden. Arme find von diefer Zahlung befreit, und Dies
jenigen, welche in die erſte Steuerfiufe eingeihäpt find, follen auch bei
—— Familie doch nicht für mehr als 2 Kinder das Schulgeld
ezahlen.
21. Neuß aͤ. L.
1. Um das Aufſummen von Schulgeldreſten zu verhüten, ſollen
die Schullehrer vor Ablauf jeden Quartales ein Verzeichniß der Schuld⸗
ner anfertigen und der zuſtaͤndigen Behörde zur gerichtlichen Einklage
übergeben.
#5 2. Die Berwendung fchulpflichtiger Kinder zur Arbeit in Fabriken
und andern gewerblichen Anftalten ift Fürzlich durch ein Geſetz geregelt
worden, dem mir folgende Paragraphen entnehmen. $. 1. Kinder,
welche das neunte Lebensjahr noch nicht völlig zurücdgelegt haben, follen
in Fabriken und andern gewerblichen Anftalten zum Zwede regelmäßiger
Beichäftigung nicht aufgenommen werden. $. 2. Die Aufnahme folcher
Kinder, die das neunte Lebensjahr bereits überfchritten haben, zu bes
fagtem Zwede darf nur gefchehen auf dem Grunde eines Zeugniffes der
hetreffenden Schulbehörde, daB das aufzunehmende Kind einen dreijähs
rigen regelmäßigen SchulsUnterricht bereits genoffen und bie dem nem
ten Lebensjahre entfprechenden Forfſchritte im Lernen bereits gemacht,
namentlich fertig lefen gelernt habe. 8. 3. Jedem in Arbeit ſtehenden
Kinde muß außer der zur Einnahme feines Frühſtücks, Mittagseffens
und Vesperbrotes erforderlichen Zeit noch fo viel arbeitsfreie Zeit ges
währt werden, daß es täglich einem mindeftens zweiftündigen Unterricht
beimohnen kann, und darfihm eine längere als mit Einfhluß des Schuls
unterrichts zwolfſtündige Beihäftigung nicht zugemuthet werden. Diefe
Beihäftigung mit Einfluß des Schulunterrichts darf nicht vor früh 6
der Bolksfchule und ihrer Lehrer. ‚739
Uhr beginnen und nicht über Abends 8 Uhr ausgebehnt werben. Bon dem
zwei Unterrichtsſtunden muß, mit Ausnahme der trüben Zeit von Mitte
November bis Mitte Februar, wenigſtens eine bei hellem Tageslicht
Statt finden. $. 4. Jeder Inhaber einer Fabrik oder andern ges
werblihen Anſtalt bat die Unterrichtsfeften für die in derfelben ars
beitenden Kinder zu beflreiten und entweder allein oder im Bufammens
tritt mit anderen Zabrifinhabern für Lehrlocal, Heizung und ſonſtige
unentbehrlige Schulbebürfniffe zu forgen, auch einen mit Genehmigung
der Schulauffihtsbehörde anzuftellenden Lehrer zu beſolden; mehr als
funfzig Kinder jedoch dürfen in einer folhen Fabrikſchule zugleich nicht
unterrichtet werden. Unbenommen bleibt e8 den Fabrikinhabern, einen vers
Hältnißmäßigen Beitrag zu den Koflen von den die Kinder bingenden
Arbeitern durd Abzug vom Lohne zu erheben. — Die Schulauffichts⸗
behörde hat dieſe Fabrikſchulen ebenfo wie die Öffentlichen zu über
wachen und nad Berlauf eines jeden Halbjahres einer Prüfung zu uns
terziehen. 8. 5. — — Kinder, welde zu Oſtern zur Confirmation ges
langen follen, find fpäteftens zu Anfang defielben Jahres aus der Arbeit
zu entlafjen.
22. Oldenburg.
Unterm 7. April 1855 if für Oldenburg ein neues Schufgefeß erlaffen
worden. Nach demſelben ift, abgefehen von einigen fogenannten Ans
fangsftellen in ganz Heinen Schuladhten unter 50 Familien, die Normal
einnahme eines Lehrers in den 10 erfien Dienfjahren 175 Thlr. außer
Wohnung und Hausgarten; nah 10fähriger Dienftzeit fleigt die Ein»
nahme um 25 Thlr., nad 20 Dienfljahren wieder um 25 Thlr., nad
25jährigem Dienfte noch einmal um 25 Thlr., fo daß alfo jeder Lehrer
(mit den angeführten nicht zahlreichen Ausnahmen) anfangs 175 Thlr.
und nach 2djähriger Dienftzeit 250 Thlr. Einnahme hat; in den Mars
ſchen und Städten kommt noch ein entfprechender Zufchlag hinzu. Dabei
darf nicht unbemerkt bleiben, daß eine Anzahl von Lehrerfellen ſchon
Bisher mit einer größeren Einnahme dotirt if, wobei es fein Bewen⸗
den behält; den Inhabern diefer wird aber jene Alterszulage nicht
u Theil.
? Als die hauptjächlichken Verbefferungen, welche das Geſetz gebracht
hat, werden bezeichnet: die erhöhte Einnahme der Hülfs⸗ und Neben⸗
lehrer, die Ernennung von Affiftenziehrern, die Einrichtung des Dienfs
gerihts, die Alterözulagen und die Penfionen,
Nah Urt. 43 des Gefepes „iR es dem Oberfchulcollegium übers
laffen, nad der Dertlichkeit und den in einer Schulacht beflehenden
Berhältniffen einzelne Hauptiehrerftellen als Anfangsftellen zu bezeichnen,
deren Inhaber neben freier Wohnung eine jährliche reine Dienfleinnahme
von mindeflens 90 Thlrn. zu beziehen haben.’ Bon diefem Artikel if
zum Bedauern der Lehrer vielfach Gebrauch gemacht worden.
Veber das Verhältniß des Dienſteinkommens der Lehrer zu bem
folher Beamten, die ungefähr in gleihem Range mit denjelben flehen,
47*
2) "Die äußern Angelegenheiten
giebt Nr. 49 der Allgem. d. Lehrerztg. 1858) intereffanten Aufſchlaß.
Darnach gehören die Lehrer noch immer zu den fehr mäßig beſoldeten
Beamten des Landes. |
238. Medlenburg.
1. Der Budrang zum Schulamte if in Medtenburg tm Steigen.
Bad einer Mittheilung in Nr. 41 des Mecklenb. Schulblattes (1856)
erſchienen zur Affiftentenprüfung 1846: 283 Prüflinge; 1847: 28;
1848: 20; 1849: 26; 1850: 24; 1858: 34; 1852: 875 1858:
81; 1854: 67; 1855: 98; 21856: 91. Die Urfachen diefer Erſchei⸗
rung werden vom Berichterſtatter folgendermaßen aus den Landesver⸗
Hältniffen zu erflären gefucht. „Es if für wiele junge Leute in unferem
Lande immer fihwieriger geworden, irgend welchen bürgerliden Beruf
zu erwählen. Das Handwerk if auf dem Lande immer mehr in Ab⸗
nahme gefommen, an manden Orten ganz verſchwunden. Die Städte
nehmen Niemand vom Lande auf, der nicht einen namhaften Vermögens
fand nachzuweiſen hat, abgefehen davon, daß allerorten der Handwerker⸗
Rand in den Städten ein fümmerliches Dafein friftet und wenig Lodens
des bietet. — Kommt nun bei manchen jungen Leuten dazu, daß fie
Keine Luft zum Handwerkerſtande haben, die Wahl aller übrigen Berufss
arten aber auch bedenklich it, fo darf es fo fehr nicht befremden, daß
man für einen Beruf fich entfcheidet, der am leichteften und fchneliften
u Brot md Ehren verhilft. — Bin ih nur er glücklich durch's
eminar, fo bin ich geborgen und habe, wenn auch nur ein befcheides
ned, Doch ficheres und ehrfiches Ausfommen. So rechnen Viele. Ein
anderer Grund des flarken Zudranges zum Schuldienft mag diefer fein,
daß in den lebten Jahren verhältnißmäßig viele junge Lehrer zur Ver⸗
Wendung gefommen find. Die Reorganifation vieler fädtifchen Schulen
namentlih hat eine größere Zahl anftellungsfähiger Lehrer erheifcht, wie
denn das Seminar in den Jahren 1852 — 1854 30 Zöglinge über Die
ordnungsmäßige Zahl zufolge zweier einjähriger Curſe entlaffen Bat,
ohne daß bis jept bei weiteren Entlaffungen ein Mangel an Stellen für
anftellungsfähige Schulamtsbewerber eingetreten wäre. Wir müffen aber
au bedenken geben, daß dies Teinenfalls fo fortgehen wird, wie es leicht
möglih ift, daß die im nächſten Jahre zu entlaffenden Semtnarzöglinge
nit alle mit zweiten oder andern Elementarſchulſtellen bedacht werden
Finnen. Schon in diefem Sahre dürften nur äußerft wenig Lehrftellen
übrig bleiben, die vor der Hand durch Affiftentenftellen verwaltet wers
den müffen. — Einen dritten Grund des ftarfen Zudranges zum Schule
dienfle möchten wir auch darin finden, daß neuerdings eine außerordents
lich ſtarke Nachfrage nah jungen Hauslehrern iſt. Die tepten Jahre
haben dem Landmanne die Tafchen gefüllt. Jeder irgend wohlſtehende
Mann, deffen Kinder vielleiht nur einen beſchwerlichen Schulweg zu
machen haben, nimmt einen Sauslehrer an. Jungen 16°, 17°, 18»
jährigen Leuten werden 40, 50, 60 Thir. und mehr geboten. Was
kann verführerifcher fein? Aus Mangel an Gandidaten der Theologie
x
der Bolloſchnle und ihrer Lehrer. 741
greifen auch adelige Häufer nach jangen Sryestuudm, die zen aus Ber
erfien Vorbereitung lommen.” .
Die Borbereitung der jungen Leute: zu dem MefRRentenpräfungen,
forte zur Aufnahme in das Seminar, ap, wach dem Berichterfintter,
Manches zu wünſchen übrig. Die Memorirfloife (Eyrüdhe, Birder) find
in ber Megel weder fider genug, noch in gehörigen Waße angeeigwet.
1852 find im Merklenb. Schulbl. 28 Lieder verzeichnet worden, Die
jeder Seminaraſpiraut ſich angerignet. haben ſoll. Dieſe Hahl genügt
dem Berichterſtatter nicht; er erhoht fie auf 30. In der biblifchen Ge⸗
Site wird, im Vergleich zu ſrüher, Fertigkeit und Gewandtheit im
Erzahlen vernift. Biel laͤßt Die ſchriftliche Darſtellung der Gedanken
zu wunſchen üͤbrig. Auch die Nechenfertigleit IR mangelhaft. Deu
31 Eraminanden diefts Jahres waren vier UAufgaben geſtell worden,
Bon dieſen hatten 13 alle, 20 zwei, 23 eine, 38 Teine einzige Auf⸗
gabe richtig gelöfl. Ungeübtheit im Denken zeigt fih wiederholt bei der
Bft ni Prüfungen. Endlich genügen auch die Leiſtnugen in der
2. „Medlenburg gilt in vieler Beziehung nicht mit Unrecht für das
dentſche Land, welches noch am tiefen im Mittelalter Felt. Freilich
nehmen Nderben and Viehzzucht einen hohen Grad der Kultur ein, aber
das if auch Alles. Gefepgebung und Berwaltung iſt gum großen Theile
Don der Ritterſchafi abhängig, welche vom Grund und Boden. ungefähre
die Hälfte des Landes beſitzt. Kür den darauf wohnenden Theil ber
Beöllerung (ca. 150,000 Einw.) giebt es fein Seminar: Die Anſtalt
zu Ludwigsfuf liefert nur Kehter für das Domini, und nur in felles
nen Fällen wird ein dort gebildeter im NRitterfchaftlihen angeflellt, der
aber, wenn nit befondere Umftände obwalten, eben dadurch auch feine
Anfprüche auf. zine Ankedung im Kärfikichen aufglebt. Sasf die Städte
Rofod und Wismar befommen nur ausnahmsweife einen im Lande ges
bildeten - Seminariften und nehmen vielfach ihre Zuflucht gu Ausländern.
a dieſe Sigenthümlichkeit? Die genannten Städte und die Ritters
ſcha tragen nicht gur Unterhaltung des Geminard bei und dürfen daher
auch nit an den Bortheilen, welche dieſe Anſtalt bietet, Theil nehmen.
Dee Ritterſchaft haͤſt ein Seminar für überflüſſig, um nicht zu ſagen
ſchädlich, wenigſtens ein foldes, wie das Ludwigsluſter, das fich great
nicht zu den beſten Deuiſchlands zählt, aber immerhin wiel zu viel leiſtet.
Rothdurftig rechnen, Iefen und fchreiben if für eimen Lehrer Im Ritters
fchaftlichen Hinveichend, um, wenn andere erforderliche Ginenidhaften vers
handen find, eine Anſtellung zu erhalten. Bu dieſen erforderlichen Eigen⸗
ſchaften gehört, daß man noch etwas Anderes verſtehe, als Schule hal⸗
ten, z. B. Ehneidern, Beben ıc. Noch zw Unfang dieſes Jahres wurde
in der Mecklenburger Zeitung ein Lehrer geſucht, der zugbeich das Schnei⸗
bern beireiben kann, und vor einigen Fahren erhielt ein Schuhmachert
aus Schwerin ein Küſteranrt. Zſt eine Gtefle warant, fo ſchaut man
fh unter den Kindern des Landes um, und der Großknecht, Dirte ır.,
der gan einer andern Arbeit nicht recht mehr tauglich ift und ſich fonft
qualifieit, wird hei einem’ erfahrenen Lehrer — was man denn fo er.
742 Die äupern Angelegenheiten
gemacht, und der Schulmeiſter if fertig. Rewerdings hört man indeß,
daß die NRitterfgaft eine Lchresbildungsanfleli zu gründen beablichtigt.
Möchte es nur bald geichehen, uud möchten die eingeleiteten Schritte
nicht wieder rhdgängig gemacht werden! Daß unter felgen Umſtänden
ſich ein Refuliat wie nachfolgendes herausfkellt, iR dann aud die natärs
Hide Folge. Ben den im Herbie 1855 eingeſtellten 882 Rekruten (in
Medienburgs Schwerin) Tonuten, nad einer vom Divifionscenmando
vorgenommenen Grmittelung, Gebrudtes gut leſen S61, etwas 405,
aur budfkabiren 108, gar nit 13. Geſchriebenes laſen gut 208,
etwas 805, nur buchſtabirend 164, gar nicht 210. Schreiben konnten
ent 118, etwas 412, nur Buchſtaben 189, gar nit 165. Mechnen
Sonnten gut 112, etwas 385, gar nicht auch 385. Bu bemerlen if
bierbei, daß in Medienburg zwar allgemeine VWehrpflicht eingeführt if,
daß man aber einen Gtelivertreter für ſich ſtellen kann und daß davon
unter den genannten 882 Rekruten gewiß mande vorhanden. Müßte
Seder felbR dienen, fo würde das Reſultat wohl etwas modiſficirt wers
ben; indeß erhellt auch unter den jehigen Umfänden aus Der vorges
nommenen Prüfung, daß die Volleſchulen in Medienburg im Allgemeinen
nicht den Aufprüchen der Gegenwart genügen. In Preußen und wehl
in den weiten deutichen Staaten giebt es immer Einige unter ben
NRekruten, die weder fchreiben noch rechnen oder. Iefen Löunen; meines
Biffens if aber das Berhältniß der gefchulten zu ben ungefchulten nirs
gende ein fo ungünftiges wie bier, wo kaum bie Hälfte gut lefen Tann.’
(Allgem. D. Lehrerzig. Rr. 10, Jahrg. 1856.)
Mn. Schleswig, Solſtein, Lauenburg.
1. Der Mangel an Lehrern wird immer größer im Lande. Biele
Hulfslehrerſtellen müffen aus Mangel an Lehrern mit Präparanden befegt
werden, aber auch an biefen if forkwährend fleigender Mangel. Nicht
Mangel an Luſt und Liebe zum Lebrerkande, fondern ungenügende Ents
ſchaͤdigung für Die geforderte faure Arbeit if bier, wie überall, ber
Grund diefer Erſcheinung.
2. Bon den circa 1100 Schulſtellen in Holſtein reiht weit mehr
als die Hälfte mit ihrer gefammten Einnahme, inch Wohnung und
Fenerung nit au 400 Thlr. R.⸗M. Nach amtlithen Berichten haben
in Holflein, wenn man Wohnung, Garten und Feuerung nicht in Rech⸗
nung bringt, 27 Schulſtellen unter 1063 Thlr. R.⸗M. Einnahme, 83
haben eine Einnahme von 1063 — 160, 258 haben eine Einnahme von
160-— 2134, 265 haben eine Einnahme von 2134 — 266%, und 151
Säuißellen haben eine Einnahme von 2664 — 320 Then. RM. Diefe
794 Schulßellen bleiben alfo alle unter 400 Thirn. (1 Thlr. = 2} Nat
bolfein. Gour.) — „Die jebigen Lehrer reichen mit ihrer Bildung unb
ihren Leiftungen weit über ihre Einnahmen hinaus, einfach deshalb,
weil fie feit 1814 im fletigem Fortſchritt verharrten, bie Dotirung der
der Bollefhule und ihrer Lehre. - 743
ir IRellen Fe ziemlich ſtabil blieb.“ (Schulzig. f. d. Herzogthümer,
x. 14, . |
3. In der Sitzung der Schleswigſchen Ständeverfammlung am
20. Febr. wurde nach längerer Verhandlung befchloffen, daß ein ‚Lehrer
an einer Oberklaſſe wenigſtens 500 Rthlr., ein Lehrer an einer Mittels
Mafle oder Elementarklaſſe 400 Rthlr. und Hülfelehrer, die unter dem
Kamen „unverheirathet“ angeflellt find, außer freier Wohnung 300 Rihir.
erhalten follen, dazu 50 Rthlr. für Fenerung. Beträgt jedoch die Eins
nahme eines Lehrers, der zugleih Küfer und Organiſt if, mehr als
650 Aihlr., fo Tann derfelbe auf Erhöhung feiner Einnahme als Lehrer
feinen Anſpruch machen.
4. Unterm 8. Uprit 1856 if ein Gefeg über die Cinrichtung
einer allgemeinen Wittwenkaſſe für das Herzogthum Holflein erfchienen.
Nach demfelben erhält eine Wittwe eine ‚‚quartaliter pofinumerando zu
zahlende Jahrespenſton von AO Thlm. R.⸗M.“
=. Bamburg.
1. Die „Befellfchaft ber Freunde bes vaterländifhen
Sähuls und Erziehbungswefene in Hamburg’ feierte am
3. Novbr. 1855 ihr funfzigiähriges Beſtehen. Eine „Denkſchrift
zur goldenen Jubelfeier” (Hamburg, Nolte u. Köhler) giebt
Kunde von der Wirkſamkeit diefes Vereins und verbimt in weiteren
Kreifen gelefen zu werden. Sie enthält: 1. Feſtrede, gehalten von
J. A. Schlüter. 2. Beriht, abgeſtattet von P. O. S. Pepper.
3. Hiftoriſche Abhandlung von Dr. F. G. Buek. A. Paͤdagogiſche Ab⸗
handlung von Dr. J. C. Aröger. 5. Feſt⸗Cantate, gedichtet von I. F.
Nichard, componirt von J. H. Schäffer.
Der Verein bezweckt: 1. Veredlung des Schullehrerſtandes durch
gegenſeitige Fortbildung, und 2. Verbeſſerung der bürgerlichen Lage
derſelben und Unterſtühung ihrer nachbleibenden Familien. Den erfien
dieſer Zwecke ſuchte der Verein durch Verſammlungen, in denen haupt⸗
ſaͤchlich paͤdagogiſche Gegenſtaͤnde verhandelt werden, durch Errichtung
einer Bibliothet, Journalzirkel und einer Unterrihtsanfalt zur Borbes
zeitung junger Schulgebülfen zum Lehrerberufe zu erreichen, den zweiten
durch Gründung einer Wittwen⸗, Penſions⸗, Borfhuß- und Kranken⸗
kaſſe. Für beide Zwede bat der Berein ununterbroden eine große und
erfolgreiche Thaͤtigkeit entwidelt, fo daß er mit voller Befriedigung
auf feine Wirkſamkeit zurüdbliden Tann. Daher wünfchen wir ihm
fröhliches Gedeihen bis zur fernen Zulunfl!
KAröger’s Abhandlung if ein „Rückblick auf die legten funfzig Jahre
Der inneren Entwidelung des hamburgifhen Schulweſens.“ Nachdem
in ſachkundiger, anzegender Weiſe über die Bergangenheit und das in
ihr Gewordene Bericht erſtattet worden, fpricht er auch feine Wuͤnſche
für die Zukunft aus. Seine Wunſche bleiben nicht auf den Verein bes
fchräntt, er richtet vielmehr feinen Blick auf „Staat und Kirche‘ und
fordert von ihnen Leitung des geſammten Schulweſens und Errichtung
714% Die aͤnßern Angelögenbeiten .
Lines ordentlichen -Beßrer » Seninäre. „Wie man feit Dim Befreiungds
friege in fa allen deutfchen Staaten ein eigenes Miniſterlum für. Wie
"geiftichen und Schulangklegenheiten in Anerkennung ihrer hohen Wich⸗
tigkeit eingefetzt, und erſt dadurch amd ſeit Diefer Beit Dem Schulweſen
eine gevrdnete Geſtalt gegeben bat, fo iſt auch unſerem Staate eine
-Hmfide Einrichtung zur anableugbaren Nothwendigkeit geworden. Wenn
dieſelbe fon Früher unter uns Anerkennung gefunden, wenn man
die VBorfihläge von 1836 fegehalten, wenn im Scholarchate eine
eigene, aus wenigen Wliedern beſtehende Abtheilung, eigeuds für das
Bolksfchulweſen, als dem umfangreichſten und bisher am wenigſten bes
achteten, eingerichtet worden wäre, beftehend aus Sachverſtaͤndigen, d- 9.
theoreliſch und prattifh im Efementar +» Unterricht erfahrenen Geifllichen,
Schulmannern für die inneren, und anderen innere ans Math ober
Burgerſchaft für die äußeren Werhäftniffe: wir wärden unendlich ziel
weiter gefommen fein! denn es bleibt ein wahres Wort: Schulen, ogue
geregelte Schulordnung, find ein gepußter Leichnam auf einem “Parade
bette, und gute Schullehrer⸗Seminarien find das Herz, welches gefuns
des Blut dur alle Adern des Schulweſens treibt — das beflätigt bie
Erfahrung, und wenn man in neueren Beiten diefe anflagt, fo klagt
“han fich ſelbſt, d. 5. die Einrichtung, an. Wine ſolche Behörbe Hätte
mit Leichtigkeit die Baht der Schulen nach der Besölterung beſtiennen,
in verſchiedene Stufen theifen, jeder Stufe beſtimmte ‚Behrpläne nor:
‘ füpreiben formen, damit jede einen beſtimmten Charakter erhalte umd
“nicht die eine Schule mit ihrem Unterricht in die andere hinüberſchweife,
md dadurch Ihren Sälern ein Allerlei, aber nicht das Nothwendige
"reiht und auf die rechte Weife gebe. Eine folge Behörbe mühte auch
fürr eine zurcichende Vorbiſdung angehender Behrer jorgen, ihren Unter
richt leiten, ihr Wiffen prüfen, ihre Sitten beobachten, um fie Sei eimer
Varanz beffer würdigen nnd anf den rechten Platz befördern zu Tönnen;
shr würde es leicht gewefen fein, aus dev Menge der Stchulen in jedem
Kirchfpiel einige herauszuwählen und fe zu eimer größern zu vereinigen.
Eine ſolche Behörde Tönnte leicht die fämmtlihen Schulkinder derfeiben
in gehörige Klaſſen abtheilen und hätte dann, dieſe zu Stadtfchalen
machend, auch bei guter Befofdung der Lehrer nicht ein Deficit der
Kaffe Fi fürchten.“ | |
Man muß fih wundern, daß fo verfländigen Nathfchlägen nicht
Angft Gehör gegeben worden iR.
2. Reben diefem Bereine wirkt fet 31 Zahren der „Schuis
wiffenfhafttihe Bildungsverein’, über deffen wmfaflende und
erfolgreiche Thätigfeit wir bereits im vorigen Bande des Jahresberichte
Nachricht gegeben haben. Wie Kröger, fo fordert auch der gegemmärtige
Praͤſes des VBereins, Theodor Hoffmann, in feiner zur Etiftungefeer
gcehaltenen Rede Errichtung eines tüchtigen Lehrer ⸗Seminars durch den
Start. Darauf bezeichnet er als Forderungen unſerer Zeit an bie
Lehrer: „A., der Lehrer mache ſich ſelbſt Immer tüdstiger für feinen
Beruf, und 2, die Schule bilde ihre Zögfinge immer mehr für Das
der. Voltsſchule und ihrer Lehrer. 72%)
Beben.“ Beine Auſprache if lindriuglich ud wird gewiß wicht erfolg
bos geblieben fein.
Mit ner „„Rede”. if zugleich ein „Jahreobericht“, won 3. 6.
EWiencke abgefaßt, audogegeben worden. Nach dewmſelben bat der. Verein
iu 7 eneralverfammhrmgen die äußern Angelegenheiten verhandelt, auher⸗
dem aber, um den Saupigwed, die eeifige Vervollkommnung feiner Mil⸗
glieder nach Kräften gu erreichen, 28. „, Arbeitsverſammluugen“ gehal⸗
ten. Das iſt refpectabel! Wo —* ein Verein, der ſich wit dieſen
meſſen kann?
3. Die „Bürgerkindergärten“, für die Th. Hoffmann eben⸗
fans ſehr thätig iſt, gedeihen in Hamburg vorhrefflich und erfreuen fi
der. vollen Anerkennung des betheiligten Publifumns. Am 4. Novbr.
1856 wurde bereits der ſiebente eingerichtet, In der Umterrichts⸗
anfast Tür Behrerinnen empfangen gegenwärtig auch die jungen Mäh—⸗
‚den, welche fih zu Kinbergärtnerinnen ausbilden wollen, die erſoeder
liche vadagesiſche Unierweifung.
2%. Bremen.
1. In.Bremen beabſichtigt man eine Reorganifation des gefamme-
an Schalpeſens, namentlich des Bolksſchalweſens. Um vor allen Dingen
ricchtige Lehrer zu erhalten, mil man ein Seminar errichten.
2.. Zur Berbefferung der Schalſtellen And in Jahre 1856 nam
fr Summen. bewilligt worden. Die Vorſteher und Lehrer der Ares
fhulen erhielten zufammen 2800 Thlx. Zur Berbefferung das Laute
ſchulweſens find auf Die Jahre 1857 bis 1861 je A235 Thir. bewilligt
amd der: betreffenden Deputation . zur Erwaͤgung gegeben worden, ab
nicht DaB Schulgeld erhöht und die Zahl der Schüler in dem einzelnen
- Hoffen vermindert werben könne. In Betreff der Hauptſchalen if be
fehloffen worden, den Unterichied von Lehrern 1. und 2. lafle asia
haben und das Steigen des Gehalts der Vorſteher non 1500 auf 1708
‚Chr. um 100 Thir. von 5 zu 5 Jahren, das der ordentlichen ‚van
800 auf 1400 xl. mu 120 Eu. in demfelker Beitmums vintechen
gu laſſen.
’ .
2. eisen.
: AM. pw einem Burgen Berichte im 8. Hefte der „ Büdäg. —*
arõge“, hevamögep: von haunoverſchen Lehrern (8856), ſieht es mit Dam
Aũbecꝰ ſchen Lundſchulweſen noch giemlich tranvig aus. Es iß eine nee
Sihnlordnuug verheißen worden, aber und Amar sicht erſchienen. Mie
Beſoldungen ſind ungureichend.
2. Rübed ces feit 50 Basen, nnilic fit 1806, ein Brhram
Seminar. Es wurde Bund Die Beſellſchaft gur Befözberung gemein,
möühiger Thhkigleit” auf Anmegung des Paſtoro Peterſen gegriendet
uud durch Wohlthaͤter unisrküpt ‚Der Berflend Mas Lehrerperſonal
Oelſelben benehe gegeuwärtig aus drei Maiſtlichen, zuei Oymnaflelleume
TA6 Die äußern Angelegenheiten
and einem praftifchen Bollsſchullehrer, nebſt den Hülfslchrern für Duff.
Im Ganzen find während des 5Ojährigen Zeitraums 11 Lehrturſe ab⸗
gehalten und darin an 9O junge Leute gu Schulichrern gebildet worden.
3. Neben einer Lehrerwittwenkaſſe beſteht in Lübeck auch eine
„Eehreraltenkaſſe““, um deren Gründung fih namentlich der. Brediger
Dr. P. 9. Müngenberger verdient gemacht bat. Bei der Feier ſei⸗
nes 2djährigen Amts» Jubiläums haben die Lehrer ibm dafür ihren Danf
in angemefiener Weile ausgedrückt.
Ü. Die deutfchen Lehrervereine.
Mangel an Raum verbietet uns dies Mal, auf bie Thaͤtigkeit ber
zahlreichen, in allen deutfihen Ländern befleßenden Lehrervereine fpecieller
einzugehen. Nah den vielen Berichten zu urtheilen, die uns hierüber
vorliegen, herrſcht überall große Thätigkeit in denfelben, bie regſte jedoch
in den freien, von Lehrern felb gegründeten und geleiteten. Nicht nur
die paͤdagogiſchen Tagesfragen werben in denfelben mit Umfiht und auf
das Mannigfaltigfte behandelt, ſondern auch wiffenfchaftlihe Begenflände
Somwen zur Erörterung. Dadurch beweifen die Lehrer am beften, daß
es ihnen ernftlih um ihre padagogiſche und wiſſenſchaftliche Sortbildung
a thun if, und daß fie die Aufmerkfamkeit, welche man der
er Außern Lage allerwärts widmet, eben fo fehr verdienen, ale fle
derſelben benöthigt find. Mogen fie unbeirrt fortfahren, nad biefer
Doppelten Beziehung hin eifrig an ſich zu arbeiten!
Die vielfach, ganz gewiß aber mit Unrecht verbädtigte ,„Aliger
meine deutſche Lehrerverſammlung“ erfreut fidh immer größerer
Theilnahme und regt in weiten Kreifen wohlthätig an. Am 18., 14.
u. 15. Met 1856 wurde zu Gotha De achte Sitzung berfelben ge-
halten. Die Zahl der Anweſenden belief fi auf 230. „Bas wir feit
mehreren Jahren vermißten,‘ beißt es in Rr. 150 des Hamburger
Schulblattes, fand in diefem Jahre Statt: eine Beiheifigung aus dem
Ehden unferes Baterlandes, aus DeRerreih und Württemberg, ja feibkt
aus dem Nachbarlande Siebenbürgen; nit minder waren Braunſchweig,
die fähfifchen Staaten Coburg » Gotha, Weimar, Meiningen, die ſchwarz⸗
burgiſchen Fürfentbümer, ferner Waldeck, Kübel und Hamburg vers
treten. Auch darin zeigte fi der allgemeine Charakter, daß Lehrer von
den verfäjiebenartigken Schulen, unter andern bie am Gymmaſium und
an der Realſchule in Gotha, daß hochgeſtellte Geiſtliche und Mitglieder
der weltlichen Behörden von Anfang bis zu Ende den Berfammlungen
beimohnten und mehr als ein Mal ſelbſt das Wort nahmen.“
wurden die Berhandiungen durch einen Vortrag des Director Dr. Schulze
zu Gotha über das Thema: Was du bi, fei ganz, oder: der Lehrer
lebe ganz feinem Berufe. Die Berfammlung erkannte folgende Gäße
einſtimmig an: „Daß der Lehrer, der ganz feinem Berufe Iebt, 1. immer
der Heiligkeit und Würde feines Lehrerberufes eingedenk bleiben, 2. fein
Ant ſtets mit Liebe, Gifer und gewiffenhafler Treue führen, 3. aus
der Volksſchule und ihrer Lehrer. 747
lem, was die Wiſſenſchaft und das Leben ihm bieten, für feine Schule
Gewinn ziehen, A. und in biefen drei Beziehungen namentlich auch durch
rege Betheiligung an den Lehrerverfammlungen fih und fein Werk fürs
dern fol. Die folgenden Gegenflände der Berhandiungen waren:
Die Shuldiseiplin (Referenten: Tiedemann aus Hamburg und
Dr. A. Meier aus Lübel). Wie iR der Unanfmerktfamkeit der
Schäler zu Reuern? (Ref. Großgebauer aus Gotha). Wie foll
bie mündlide und ſchriftliche Sprachfertigkeit — abgefehen
von dem dafür unzureichenden grammatitalifchen. Unterrihte — in den
Schülern ernſtlich befördert werden? (Ref. Schulrath Lauckhard
in Weimar). Erziehung zur Arbeit Durch Familie und Schule
(Ref. Th. Hoffmann aus Hamburg). Da diefer Gegenſtand zu den
vielen noch nicht ganz Maren Tagesfragen gehört, fo nehmen wir no
die Refolution bier auf, Die der Redner zum Schluß fielte. „1. Die
Erziehung zur Arbeit beſteht nit darin, daß die Erwachſenen die
Arbeitskraft der Kinder zum Nachtheil der Förperlicden und geifligen
Entwidelung derſelben ausbenten und daß fie die Kinder durch vorzeitige
Berufsarbeiten zum Geldverdienen anhalten, ſondern vielmehr darin, daß
die Kinder nicht nur durch Stärkung ihrer Rörperkräfte, fondern auch
insbefondere durch Weckung ihrer Intelligenz für ihre ganze Lebenszeit
zur Urbeit willig und tüchtig gemacht werden. 2. Es iR die Aufgabe
des Hauſes und der Schule, die Arbeitskraft der Kinder zu üben, diefe
zum Schaffen bes Rützlichen anzuleiten und anzubalten und bei der
Erziehung und dem Unterrichte derfelben Aberbaupt mehr, ale es bisher
geichehen if, auf das Leben Rüdficht zu nehmen. 3. Dur die Er-
ziehung zur Arbeit wird der Zweck, die Menfchen für's Leben zu bilden,
nur dann erfüllt, wenn diefelbe gleichzeitig eine Erziehung zur Wirth⸗
haft ik. 4. Der Lehrer, welter die Hauptlehren der Bollswirth-
fgaftslehre. nicht kennt, Tann die Erziehung zur Arbeit-nicht mit wahrem
Erfolge für’s Leben befchaffen.” Dieſer intereffante Gegenſtand war in
derſelben Berfammiung noch. mehrfach Gegenftand der Berbandlung.
Laudhard. 3. D. fprach über das Thema: „Wie if es anzufangen,
daß die Kinder durch Hinübernahme der Elemente der
Haus⸗ und Landwirtbfgaft und der Gewerbskunde eine
mehr natürliche und fihere Bafis für's Leben gewinnen?
(Bol. Hamb. Schulbl. Nr. 155.) Was kann die Ratur dem Lehrer
werden? (Ref. Tiedemann aus Hamburg. Vergl. oben ©. 295.)
Die Methode des Unterrichts in der Naturkunde. (Ref. Körting aus
Kemnade. Bergl. ©. 805.)
Die neunte Berfammiung wırde am 3., 4. n. 5. Suni 1857
in Srankfurt a. M. abgehalten. Sie zählte 428 Theilnehmer, die auf
der Emporbühne befindlichen zahlreichen Lehrerinnen ungerechnet. Bon
den Frankfurter Lehrern fehlte keiner. Der erfie Gegenkand betraf wieder
Die Erziehung der Kinder dur Arbeit zur Arbeit (Re.
Dr. Deinhardt). Hierauf wurde über Mädchenerziehung, angeregt
durch Director Meier aus Lübel, verhandelt; am erfien Zage nicht
mit befonderem Grfolg, während man am zweiten folgende Thefen des
748 Die üngen Angelegenheiten der Bollsſchule :c.
Dr. Stern ans Freankfurt mit Beifall annahm: „I. Der Bebeusheruf, für ben
das Mädchen gebildet werben fell, iß für alle Lebensverhaäͤltniſſe derſelbe:
Gattin, Mutter und Hausfrau gu fen 2. Die Srau hat fih nur fo
:weit an einer Wirliamfeit für das Leben zu betheiligen, als es Rh wit
ber vollfändigen Erfüllung. ihres Pflichten gegen das häusliche Leben
-pesträgt. 3. Dauernde Gelbfftändigfeit im Leben über dieſe Sphäre
hinaus if eine Berfehlung des Berufs, und die Eryiehung fell nit
im Beraus auf diefelbe gerichtet werden. 4. Die Dienſtbarkeit des
Mädchens iR nur nis Borbildung für ihren Beruf, ohne Unterſchied des
Dienfiverhältniffes, ob im Eltern⸗ oder fremden Haufe, anzuſehen.
5. Die Borbereitung des Mädchens für ihren Lünftigen Beruf bat nicht
fo ſehr die Erlangung von Kenntniffen und Zertigbeiten, wie son Fähig⸗
Seiten und Zugenden zum Zwed; fte in benfelben zu üben und ver
Allem die Bitdung des Herzens und edler Weiblichkeit zu erzielen, muß
Sauptaufgabe fein. 6. Die Standesunterfhiede bedingen nicht die Bew
fchiedenheit für die Tendenzen und Bwede biefer Vorbereitung, foudern.
nur für das Maß ihrer Durchführung. 7. Die Schule fell für alle
Stände die Geſchmackebildung als Hauptmitiel zur Verediung des Go
milienlebens fördern. Hieran ſchloß ſich ein ſehr beichzendex und mit
‚großes Theilnahme aufgenemmener Vorttag des Direttors Fathlich and
Bern. Er ſchilderte zuerſt das verderbliche Wirken der meiſten Ber ſi o⸗
nate und „Gouvbernanten⸗xFabriken“ der Franzöfiihen
Schweiz und gab dann eine Beihreibung feiner Töchter⸗ und
Zortbildungsfhule, bei welcher die geiflige umd körperliche Aus⸗
bildung zugleih, fowie auch eine Bereinigung von Schule und Haus
angetrebt würden, — Außerdem kamen noch zum Wortrag und gar
Serhandlung: Die Kleinlindergärten in Hamburg (Beh Th.
Hefimagn aus Hamburg); Das Maß der Aufgaben, welche bie
Säule vom häuslichen Fleiß erwartet (Mef. Behrer Oppel
aus Fraukfurty; der Zeihenunterriht neh der Dupuit
ſchen Methode (Mef. Dr. Laudherd ans. Weimar); der mufise
Ratifhe Unterricht nach Dr. Lanz (Ref. Lehrer Stangenbrrger
aus Tultewitz im Meiningiiden). -
Die Berbandlusgen. der Berfammiung follen nach deu Aenogrankis
fen Aufzeichnangen zum Beſten des Peſtalozzivereins gedrucdt werben.
XIV.
Nachträgliche Anzeige verfchiedener Schriften.
Don “
Auguſt Lüben.
1. Bildewerkſtatt. Als Arbeitsübung für die Jugend in Schule und
Haus, herausgegeben von Dr. J. D. Georgens. Mit Illuſtrationen
und vielen —*86 und Kunſtbeilagen. Gr. Fol. (118 ©.) Glogau,
€. Flemming. 1857. Geh. 2 Ihir.
2. Aus» und Jufdhneide- Schule Als Arbeitübung für die Jugend in
Säule und Haus herausgegeben von Dr. J. D. Georgend. Gr. go.
4 älter Zerst und 17 Blätter Abbildungen) Ebendaſ. 1856. Geh.
gr.
Der Herausgeber iſt ein Schuͤler Fr. Froͤbel's. Er hat ſich's zum
Aufgabe gemacht, deſſen Ideen über Erziehung in ganzem Umfange zu
realifiren, namentlich geeignete Bildungsmittel für die Jugend zu be
ſchaffen, welche den Froͤbel'ſchen Kindergarten durchgemacht hat. Wie
Frobel, fo Wegnügt fi auch Georgens nicht damit, bei allem Unterricht
von der Anfchauung auszugehen, fondern er verlangt, daß die Kinder.
bei der Borführung der Anfchauungen felbſt thätig find, körperlich und
geiſtig, alfo die Gegenftände nicht bloß denkend betrachten, fondern daß
fie denkend damit arbeiten, ſchaffend thätig find. Das ift Acht Peſtaloz⸗
ziſch oder richtiger: die volle Berwirkiihung des Pefalozzifchen Principe
Des Anſchauung, die Peſtalozzi mehr ahnte, ald verwirklichte.
Dieſe Confequenz des Peſtalozziſchen Prinzips der Anichauung
Sonnen unfere jeßigen Schulen nicht, weshalb fie fich's denn aud müſſen
gefallen Iaffen, von Georgens „Hoͤr ſchulen,“ ihre Lehrer „WB ortich-
rende‘ genannt zu werden. Die äußere Einrichtung unferer Schulen
it indeß der Art, Daß es zu einer bildenden Arbeit der Kinder
gar nicht darin bat kommen können. Wo in enger, dumpfer Schulfube.
100 und mehr Kinder gedrängt beifammen fiben, vom blauen Himmeil
kanm einen Quadratfuß, von Garten und Blur gar nichts zu fehen be⸗
— —— . ur.
750 Nachträgliche Anzeige verfchtedener Schriften.
kommen, da kann man weder „Stäbchen legen” noch „RPapparbeiten“
ausführen, weder Formen „ausſtechen“ noch „durchnähen,“ weder „Falten“
noch „Ausſchneiden,“ weder „Flechten“ noch „Weben,“ weder „Wetter⸗
beobachtungen“ anſtellen noch die „Entwickelung von Pflanzen“ beob⸗
achten, wie Georgens verlangt.
Wir erkennen dieſe Mittel alle als trefflich an zur naturgemäßen,
allſeitigen Erziehung der Jugend; aber ihre Anwendung im Großen
ſcheitert an äußern, jetzt durchaus noch nicht zu beſeitigenden Hinder⸗
niſſen. Nur kleine, günftig fituirte Privatanſtalten werden im Stande
ſein, Uebungen der bezeichneten Art auszuführen. Ihnen und dem Eltern⸗
hauſe ſeien daher für jegt vorzugsweiſe die Georgens'ſchen Bildungsmittel
empfohlen. Damit wollen wir natürlich nicht ſagen, daß die Lehrer
der Bolksfchulen jeßt nicht nöthig hätten, Notiz davon zu nehmen.
D nein! Wir fordern diefelben vielmehr auf, fih gründlich damit bes
Tannt zu machen. Abgeſehen davon, daß ihnen dadurch das Prinzip
der Anſchauung erfi volllommen klar werden wird, bezweifeln wir aud
nit, daß fh Mancher in der Lage befindet, ein oder das andere biefer
Bildungsmittel entweder ganz oder doch nad den Umfländen mobifleirt
wird anwenden oder in feinem Kreife zur Anwendung empfehlen Tönnen.
Rah unferm Dafürbalten ift es eine Gewiſſens⸗ und CEhrenſache, wit
den FröbelsBeorgens’fhen Beftrebungen völlig vertraut zu fein.
Um den Lefer etwas genauer mit dem genannten Werke (Rr. 1)
befannt zu machen, geben wir nachſtehend den Inhalt deffelben an, hin⸗
zufügend, daß alle Uebungen durch treffliche Abbildungen veranſchaulicht find.
Borhafle. I. Das Haus eine Bildewerfkatt für Kinder.
A. GStufenweife fortfchreitende Arbeitsübungen, wie fie ber Kreis des
häuslichen und Schullebens ermöglicht. - 1. Legeübungen mit einem
Stäbchen. 2. Lage und Richtung der Dinge im Raume; Tageszeiten;
Weltgegenden; Sprehübungen; Poeſie. 3. Die erſten Borübungen zur
Papparbeit; Sprehübungen und Spielfieder; Einführung in die Stoffs
welt: Papier, Gummi, Stärkemehl. A. Erſte Uebungen im Zeidmen
nad Formen mit Stäbchen, eigene Erfindungen, bis zur Darſtellung
von zufammengefeßten fhönen Figuren. 5. Erſte Zahlübungen an Stäb⸗
hen bis zu Biffern. 6. Erfie Mebungen im Schreiben, Lefen an und
mit Stäbchen. 7. Das Zeichnen auf Sartenpapier, Durchſtechen zur
Darftellung von Biguren und Gegenfländen, mit Liedchen sc. 8. Das
Durhnähen, erfler Gebrauch der Nudel, beftebend im Ausnähen vorges
legter (im Buche abgebildeter) Gegenſtaͤnde: Thiere, Bögel, Menfchen,
Bäume ꝛc., mit Sprech⸗ und Sprahäbungen, Erzählungen. 9. Das
Falten und Ausfchneiden — Gebrauch der Scheexe; Bildung der Grundform;
die Anfänge ber praftifchen Geometrie; WUusfchneiden von Biättern.
B. Das Yusichneiden. aus Feld und Wald für Klein und Groß. Bon
Karl Froͤhlich. C. Das Flechten und Beben, eine Beichäftigung für
Kinder und Erwachſene. Daran fließen fih: Stoffe zur wiſſenſchaft⸗
lien Belebung diefer Arbeitsübungen; von der Spinne, der Urmutter
des Flechtens und Webens; aus dem Buche der Grinnerung in der
Flecht⸗ und Weberei. 1. Die Werkſtatt der Natur. 1.. Das
-
Nachträgliche Anzeige verfihledener Schriften. 751
Gartenleben der Kinder. Der Zinmergarten: das Blumentagebuch, ent⸗
haltend die Lebensgefhicdhte der bunten Zeuerbohne, der Sonnenblume
und des Senffornd. 2. Die Bergliederung des Auges (von Pöfche)
für Kinder von 12 — 14 Jahren. II. Die erziehende Verwen⸗
dung der Kunf in Haus und Säule 1. Das pädagogiſche
Bildererfiären. Die vier Elemente. 2. Ueber Stimmbildung, von Jos
hanna Kintel. IV. Culturhalle. 1. Das Binfenmart. 2. Deutfche
Kränze. 3. Wo des Armen Reichthümer Tiegen ?
. Die Darfiellung iſt durchweg Mar. An einzelnen Stellen greift
der Berf. zu hoc, oder Fällt vollkändig in den Fehler der „Wor tleh⸗
renden“ (vergl. 3. B. die Darftellung des Papiers, die Belehrung über
Gummi und Stärkemehl) ; aber Dergleihen wird der erfahrene Erzieher
und Lehrer leicht erkennen und ausfcheiden.
Die „Auss und Zuſchneideſchule“ (Rr. 2) ift eine weitere, voll
fländige Ausführung der oben angeführten 9. Uebung (unter I. A.) der
„VBildewerkſtatt.“ Sie enthält in treffliher Ausfattung Folgendes:
1. Zur Geſchichte. 2. Das geiehliche Ausfchneiden mit Anwendung der
wagerechten und fchiefen Linien und ihren Berbindungen. Die zehn
erfien Schnitte mit zehn lithographirten Tafeln in Sarbendrud. 3. Prak⸗
tifche Anwendung der zehn erfien Schnitte in freien Erfindungen zu
Zunftgemäßen Formen für Fußböden, Bimmerdeden, Zifchplatten und
Schrankverzierungen. Mit zwei Tafeln in Barbendrud. A. Die erfien
Anfänge einer praktiſchen Zufchneidelehre als Vorfchule zur Papparbeit.
Mit zwei Tafeln in Sarbendrud und anfprechenden Erzählungen. a. Das
Zuſchneiden und Kleben von offenen Käſtchen. b. Das Zufchneiden und
Bappen von Bimmergeräthen. 5. Freie Ausſchneideſtudien in Pflanzen-
und Zhierformen. Bon K. Froͤhlich. Mit zwei Kunftbeilagen und
kindlichen Gedichten. 6. Die Pelzmüge mit Gelegenheit. Mit zwei
Kunftbeilagen.
Eine ausführlihe Befprechung der „Mittel der Arbeitsübungen“
gibt Diefterweg im erften Hefte der Rh. Blätter für 1857.
3. Reue Unterrihtsmethode in Kormenlchre, Zeichnen, Rede
nen, Spreden, Denken und Gefang, gegründet auf gleichzeitige
anziehende velhäftigung der Kinder von 6 bis 8 Jahren. Kür denkende
Elementarlehrer, Eltern und Erzieher bearbeitet von Eduard Würth,
Reallehrer. Erſtes Heft, mit vielen Holzfchnitten und einer Bildertafel,
Gr. 8. (38 S.) Stuttgart, R. Chelius. 1856. Ya Thlr.
Der Verfafler fieht ganz auf dem Äröbels Georgens’fhen Stand»
punkte; feine Uebungen und Unterrichtsftoffe find meiſtens ganz diefelben,
man flößt auf wörtliche Webereinfimmung. Wir können uns baher auf
eine Inhaltsangabe beſchränken. .
1. Freies Nahbilden von Formen mit einem Stäbchen. Sprech
und Sprahübungen; Mährchen, Näthfel. 2. Die Richtung der Dinge.
Sprahübungen, Räthfel, Lieder. 3. Zeichenübungen. A. Die Bahl
Eins. 5. Durchſtechen und Durdnähen. Stoff zu Sprahübungen.
Zur erſten Orientirung auf diefem neuen Gebiete empfehlenswert.
762: Nadsträgäche Anzeige verſchiedener Schriften,
& Des Kindes Lefeiuf. Cine Bilderſibü für Eewmentarſchulen von
5. 3 Hoos. Gr. 16. (120 ©.) Freiburg i. Be, Herder. 1856.
Um den Kindern das Leien angenehm zu machen, gebt der Verf.,
nad dem Borgange von Bogel, Thomas u, U., von Abbildungen ber
kaunter Gegenfkände aus, Inüpft an diefe Spreübungen an, fchreibt
ihre Namen an die Tafel und leitet fo das Leſen eig. Schreiben und
Leſen treten gleichzeitig auf. Die eingebrudien Büder find gut. Der
Inhalt beſteht zum Theil aus bloßen Silben und Wörtern, dem größeren
heile nah aus kurzen Erzählungen und Gedichten. Die angehängten
Gebete Sönnten theilweife einfacher und Lindlider fein. Der Berf. ik
Katholik, fein Büchlein daher auch nur fatholifhen Schulen zu empfehlen.
5. Bibel, Herausgegeben von einem Lehrers Vereine. 31. Aufl 8.
en Langenſalza, Schulbuchhandlung d. Th. 8. V. 18&6. Geb.
In veralteter Form. Die erflen 28 Seiten enthalten faſt nur
Silben und Wörter. Die Hauptwörter werden anfangs wit kleinen
Anfangsbuchſtaben gedrudt.
6, Der Menfh und die Natur, oder Ainnlicher, ſittlicher und geifkiger
Anfhauungsunterricht für Die unteren Klaſſen der deutſchen Volls⸗ und
Bürgerfhulen. Mit zablreigen Holzſchnitten. 8. (IV u. 144 ©.) Reus
fladt a. d. H., A. H. Gottſchicks Buchh. (E. Bitter.) 18586,
Dies Buch iſt für Kinder beſtimmt, welche die erſten Leſeſchwierig⸗
keiten überwunden haben. Es zerfällt in fünf Abtheilungen mit folgen⸗
den Ueberſchriften: 1. Saͤtze zur Uebung im Leſen, zur Nachbildung
durch den Schüler und zur gründlichen Betreibung des deutſchen Sprach⸗
unterrichts (S. 1— 20). 2. Sinnlicher Anſchauungsunterricht zur Er⸗
wedung der Aufmerkfamteit in Verbindung mit Aufgaben zur Selbſtbe⸗
Ihäftigung (S. 21 — 38). 3. Sittlider Anfhauungsunterricht zur
Weckung und Belebung des fittlihen Gefühls, zum Nacherzählen und
zur fohriftfichen Nachbildung durch den Schüler (S. 39—66). 4. Kleine
Weltkunde. Gefchichtliches. Geographie. Naturgefchichte. Phyſik. Aſtro⸗
nomie. Mathematik, nebft Mechanif. (S. 67—123.) 5. Der Rechen-
fhüler (S. 124—141). Anhang. Erfter Unterricht in den Roten und
in Gefange
Der Inhalt if dem größeren Theile nad gut, im welttunblichen
Abſchnitte jedoch nicht überall den untern Stlaffen, für die das Buch
beftimmt ift, angemeſſen. Die naturhiftorifhen Abbildungen bleiben
hinter den mäßigften Forderungen zurüd. Der Haſe hat die Größe des
gegenüberfiehenden Elephanten und Nashorns.
7. Abt Bandtafeln von M. Sehme, 2. Aufl. Bunzlau, Appun. 1835.
Bergilbt und veraltet.
8, Sans Unterridt im Shöns und Sähnellfhreiben von
oſeph Pokorny, Lehrer der Ealigrappie In Brünn. @urrent. 9. und
2. Heft & 6 Blatt. Brünn, C. Winiker. Geh. à 4 Gar.
Dies Wert flieht fih an des Berfaffere „Elementar⸗Schreib⸗
unterricht" an und bezwedt das ,‚freiere Schreiben.‘ Die erfien Eles
Nachträgliche Anzeige verfihiedener Schriften. 753
mente werden noch einmal curforifch vorgeführt, doch ohne den Gebrauch
von Hälfslinien; an fie fchließt fi eine geläufige, Durch ihre Formen
fehr anfprechende Geſchäftshand an. Der Stich if überaus fauber, das
Merk daher recht empfehlenswertb. Es follen erfcheinen: 5 Hefte Eur
rent, 5 Hefte Englifh, 2 Hefte Fractur und Sierfchriften.
9, Borlagen zu Prüfungs⸗Schriften für die Unter-, Reals, Haupt«
und Volksſchulen, welche von den vom h. k. k. Unterrichts Minifterium
empfohlenen, billigen, mit fyitematifchen Borfchriften verfehenen Schreibens
büchern Gebrauch machten, von Joſeph Polorny. 17 Blatt. Brünn,
C. ®iniler. Geh. 12 Ser.
Die auf dem Titel genannten Schreibebücher kennen wir nicht.
Die hier dargebotenen Blätter haben eine fehr gefällige, fauber in
Kupfer geſtochene Schrift, die fih allgemeinen Beifall erwerben wird.
10. Die Bergeltung. Eine Geſchichte, der deutihen Jugend und dem
deutſchen Volke erzählt von W. O. von Horn, Verfäjier der Spinnftube:
Mit 4 Abbildungen. Kl. 8. (71 ©.) Wiesbaden, Kreidel und Niedner.
7!/a Ser.
181. Eine Korfarenzagd im inbifien anfelmeere, Eine Geſchichte,
dem Bolfe und der Jugend erzählt von W. D. von Horn. Mit 4 Ab»
bildungen. Kl. 8. (80 ©.) Ebendaſ. T7’/s Ser.
42. Die Biberfänger Eine amerilaniſche Gefchichte, dem Volle und der
Jugend erzählt von WB. D. von Horn. Mit 4 Abbildungen. RI. 8.
(107 ©.) Ebendaſ. T7!/a Sgr. |
13, Das Leben der Kurfürfin Dorothea von Brandenbur
(genannt die liebe Dorel) und der frommen Zandgräfin Glifaberh
von Thüringen. Zwei Lebensbilder, für die Jugend und das Volk
dargeftellt von W. D. von Horn. Mit 4 Abbildungen. Ki. 8. (90 &.)
Ebendaf. 7'/a Ser.
Die Bemsjäger ine Gefchichte aus den Alpen in der Schweiz, der
Jugend und dem Bolfe erzählt von W. D. von Horn. Mit 4 Abbile
dungen. Ebendaf. 7% Sgr.
Diefer Jahrgang der Horn’fchen Jugend» und Bollsfchriften gehört
unftreitig zu den beften der bisher erfchienenen und fann Jugend » und
Volksbibliotheken beftens empfohlen werden. Die Abbildungen find
faubere, fhön componirte Stahlftiche.
15. Rudolph oder der treue Hund, ine Erzählung für die reifere
Jugend von Guſtav Riedel. Mit 4 Gtahlitihen. Kl. 8. (130 ©.)
Breslau, Trewendt und Granier. 1856. Cart. T!/s Sgr.
16. Der Beteran. Wine Geſchichte aus dem Jahre 1848. Der Jugend ers
zählt von Richard Baron. Mit 4 Stahlſtichen. Kl. 8. (122 ©.)
Ebendaf. Cart. 7a Sgr.
17. Die Ueberſchwemmung. Cine Erinnerung an das Jahr 1854. Er»
zählung für die Jugend und ihre Kreunde von Richard Baron. Mit
4 —BD Kl. 8. (125 ©.) Ebendaſ. Cart. 7! Sgr.
Dieſe drei Schriften verdienen das Lob der vorigen. Die beiden
letzten zeichnen mit lebhaften Farben Bilder nach der Natur, die wir
zum Theil ſelbſt geſehen haben. Sie lehren, auf den vertrauen, der in
der Noth allein helfen kann.
Nade, Jahresbericht. X. 48
14
+
754 Nachtraͤgliche Anzeige verſchiedener Schriften,
18. „Unfer Bandel iR im Himmel!“ Feftgabe für zungttnge und
Zungfrauen aller chriſtlichen Gonfeffionen. Don Yugu . Mü
einem Stahlſtiche und einem Titelbilde in Farbendrud. Zweite, verbefierte und
vermehrte Auflage. Gr. 8. (X und 260 ©.) Leipzig, 3. Klinkhardt. 1 Thlr.
Dies ſchone, bereits in der erſten Auflage mit Beifall aufgenoms
mene Buch enthält einen reihen Schap von trefflichen Gedichten, Erzaͤh⸗
lungen, Betrachtungen ernften, religiöfen Inhalts, geordnet nad folgen»
den Gefihtspuntten: die Kindheit, die Gonfirmation, der Wanderſtab,
das Baus, der Beruf, die Begleiter, das Geſchick, die Kirche, die Ratur,
die Heimath. Wir empfehlen e8 zu Feſtgeſchenken, namentlich au für
Gonfirmanden, als etwas Treffliches. Die beiden Abbildungen find fehr
fauber,, wie die ganze Austattung.
19. Lebensbilder von Iſabella Braun. Gr. 8. (IV und 202 €.)
Stuttgart, Gebrüder Scheitlin. 1856. 21 Ger.
Dies Buch enthält 23 aus dem Leben gegriffene, friſch gezeichnete
Bilder, berechnet, wohlthätig auf Herz und Charakter einzuwirten. Bir
balten dafür, daß bie reifere Jugend fie gern und mit Nutzen lefen wird.
20. Höflichkettslehre für Elementarfhüler, aber au zum Rupen
für Sonntagsſchüler und Erwachſene. Mit befonderer Nüdfiht auf das
Zandvolk. Rach den Forderungen der Bernunft und des Chriſtenthums.
Kl. 8. Wieſenſteig, Schmid. 1851. 8 Ger.
Der Inhalt if gut, die Sprache aber, in der er dargeboten, faft
mehr als gewöhnlich.
21. Kurze Anftandslehre für Jung und Alt, befonders auf dem Lande.
Ein Hüffsmittel zur Erziehung und Selbſtbildung für Schule und Haus
von F. W. red, Pfarrer In Stotternheim. 8. (24 S.) Erfurt,
Kaiſer'ſche Buchh. (E. R. Thomaß).
Dies kleine Büchlein kann Lehrern zur Benutzung für den Unter⸗
richt beſtens empfohlen werden; auch zum Selbſtunterricht für Knaben
und Mädchen iſt es ganz geeignet.
22, Denk⸗, Sprech⸗, Sprach⸗ und Schreibübungen in Berbins
dung mit der Heimatbalunde. Win Uebungs⸗ und Wiederbolungss
büchlein für die Hand der Schüler im zweiten Schuljahre in Unterflafien.
Don Friedrich Sebald. Ki. 3. (32 ©.) Nürnberg, 3. A. Stein.
5 ®
Der Stoff if, wie der Titel fagt, aus ber Helmathefunde, dem
Anfhauungsunterrichte, genommen Die Aufgaben bezweden meiftens
richtiges Abfchreiben der dargebotenen Wörter und Säge, zuweilen Bers
volfändigung angefungener Säge. Solche Mebungen find wohl flatte
baft, werden aber von Kindern des bezeichneten Alters zu Hauſe
nicht immer glüdlih ausgeführt werden. Neben einem guten Lefebuche
balten wir das Echriftchen für völlig überflüffig.
23. Rurze und leichtfaßliche deutſche Sprach-und Rechtſchreibe⸗
lehre in Fragen und Antworten, zunächſt für Landſchulen bearbeitet von
Joſeph Mothfifher, Schullehrer in Velden. Mit einem Anhange von
250 deutſchen prachäbungen. Dritte, verbefferte Auflage. KI.8. (IV u.
93 ©.) Landshut, Joſ. Thoman'ſche Buchh. (3. B. v. Zabursnig). 1856.
Der Inhalt des Büchleins kann in guten Landſchulen wohl ver⸗
2 ..
er it
Nachträgliche Anzeige verfchtedener Schriften. 755
arbeitet werden; doch wird man ihn lieber an das Leſebuch knüpfen.
Die angehängten Aufgaben gehen mit der Sprachlehre parallel; fie find '
zum Theil der Art, wie man fie jegt mit Recht nicht mehr liebt: troden,
nur auf die Form gerichtet.
24. Spradformenlecehre für die mittlere und obere Klaffe der Volkaſchule,
überfichtlich dargeftellt von C. Fa DM, Lehrer an der Knabenſchule zu
Freiburg im Breisgau. I. Theil. Wortformenicehre 8. (VII u.
164 ©.) Kreiburg im Br., Herder. 1856. Partieprels 5 Sgr.
Der Inhalt zerfällt in drei Abjchnitte, von denen der erfle von
den Wortarten im Allgemeinen, der zweite von den Wortarten insbes
fondere handelt, der dritte Stoff zu Rechtſchreibeübungen darbietet. Gegen
Inhalt und Darftellung ift etwas Wefentliches nicht einzuwenden. Nur
ſteht zu befürchten, daß die gründliche Durcharbeitung des Dargebotenen
die Beit, welche der Beſprechung von Lefeftüden gewidmet werden muß,
ſehr beeinträchtigen wird.
25. Katehismus der deutfhen Orthographie. Bon Dantel Sanı
ders. 8. (VIE u. 168 ©.) einzig, 3. 3. Weber. 1856. 10 Sgr.
Der rähmlihft als Sprachforſcher befannte Berf. ſchließt ſich in
diefem Werkchen dem ‚allgemeinen Gebrauch unbedingt” an und hält
fih daher von allen Neuerungen der fogenannten biftorifchen Schule
fern, was wir nur billigen Tönnen. Dadurch ift dem Bürhlein die alls
gemeine Verbreitung geſichert, Die e8 wegen feiner Klarheit und beques
men Gebrauchsweiſe verdient. Wir empfehlen es Allen, die fih in der
Orthographie nicht ficher fühlen, zum Selbflunterricht.
26, Wörterbuch der deutfhen Sprache in Beziehung auf Abſtammun
und Begriffebildung. Bon Konrad Schwenck. Bierte, verbefierte Auf⸗
lage. 3.—5. Lieferung. Gr. 8. (Bogen 19 bis 49). Frankfurt a. M.,
Sauerländer. 1856. Grete des ganzen Werkes 21/2 Thlr.
Die beiden erſten Lieferungen diejes trefflihen Werkes haben wir
bereits im vorigen Bande des Yahresberichtes angezeigt. Wir empfehlen
dafjelbe den Lehrern beftens zur fleißigen Benutzung, da es vorzugsweife
geeignet it, Begriffsflarheit zu verbreiten.
27. Friedrich Schmitthenner's kurzes deutfhes Wörterbuch,
von umgearbeitet von Dr. $. 8%. 8. Weigand. 5. Liefer. Gichen,
J. Rider. 1857. %z Ihle.
Mit diefer Lieferung ſchließt der erfte Band. Derfelbe reicht big
„Mehlthau.“ Die Beurtbeilung des Werkes fiehe oben, ©. 138.
28. Der kleine Auffapfhreiber oder Mufter und Aufgaben zu Geſchäfts⸗
auffäßen und Briefen nebft vielen fprachlidhen Uebungen. Für Elementar-
fhulen bearbeitet von einem Lehrer. 8. (16 ©.) dr8, 3. W. Spaars
mann,
Für Glementarfchulen brauchbar und ausreichend, in diefer Form
jedod ſchon von Andern mehrfady dargeboten.
29. Aufgabenfammlung für mündlide und ſchriftliche Uebun⸗
en in der Mutterfprace. (Für die 4. Klaſſe der Sauptiäulen.)
(
on K. Schubert, Lehrer am ?. k. Waifenhaufe in Bien. ®r. 8.
und 170 &.) Bien, Prandel und Meyer. 1856. 15 gr.
Die Aufgaben bezweden vorzugsweife das Verſtändniß und bie
48*
756 Nachträgliche Anzeige verfchiedener Schriften,
Einprägung der grammatifchen Formen, werden fi jedoch aud zur
Vebung im fchriftliden Ausdrud förderlich erweifen. Wir halten das
Buch für die auf dem Titel genannte Stufe für zwedmäßig.
30. Deutfhe Styifüde und Uebungsaufgaben für das reifere
Alter, insbefondere für Töchter aus gebildeten Ständen von G. I.
Ningler, Lehrer in Nürnberg. Wit einem Titelbilde. Gr. 8. (VI u.
131 S.) Nürnberg, Bauer und Raspe. 1856. 20 Sgr.
Der Berf. knuͤpft an die Betrachtung von Mufterflüden verwandte
Aufgaben, zu denen er zuerfi das erforderliche Material in Andeutungen,
dann bloße Ueberichriften gibt. Dies Verfahren führt auf einer Bils
dungsftufe, die der Berf. im Auge bat, am ficherften zum Biele und
gewährt den Uebenden großes Vergnügen. Die Mufterflüde, 25, rühren
mit den hier und da eingefireuten Gedichten fämmtlich vom Berfafler
ber und laſſen ihn als gewandten Darfteller erfennen. Wir empfehlen
deshalb feine Schrift namentlih für den Stylunterriht in höheren
ZTöchterfchulen.
31. Die Lehre vom deutſchen Style oder Anleitung zum richtigen deut⸗
(den Gedankenausdrucke für Bolksfhulen und einzelne Klaſſen der Real»
anftalten und Gynnaften, wie zum Brivatgebraude. Bon E. 2. Ritfert.
Neu bearbeitet von F. Wagner, Yreiprediger und Lehrer an der erften
höheren Mädchenſchule zu Darmfladt. 6. Aufl. Gr. 8, (X u. 470 ©.)
Darmſtadt, 3. Ph. Diehl. 1856. Geh. 24 Ser.
Diefe Schrift umfaßt die ganze Styliftif, fo weit fie für die bes
zeichneten Bildungsflufen in Betracht fommt. Auf allen Stufen wird
von Mufterüden ausgegangen, an die ſich zahfreiche Aufgaben, theils mit,
theil8 ohne nähere Andeutungen anreihen. Wir können das Werk als ein
ſehr brauchbares für den Schuls und GSelbflunterricht bezeichnen, in
letzterer Beziehung auch angehenden Lehrern beftens empfehlen. Der
Preis ift für den Umfang der Schrift fehr billig zu nennen.
32. Stoff zu ſtiliſtiſchen Uebungen in der MRutterfprade. Kür
obere Klaſſen von Gymnaſien und höhere Lehranftalten. In ausführliden
Dispofitionen und Fürzeren Andeutungen von D. ©. Deren, rofeſſor.
6. Aufl. 8. (XX und 420 ©.) Braunſchweig, C. U. Schwetſchle und
Sohn (M. Bruhn). 1856. 1 Thlr.
Dies Werk ift bereits in den früheren Auflagen im SZahreöberichte
als ein ausgezeichnetes bezeichnet worden. Außer den auf dem Titel
genannten Anflalten empfehlen wir es aud Lehrern, die fi in der
fhriftlihen Darftellung vervolllommnen wollen, beftens.
33, Leitfaden zur Gefhichte der deutſchen Literatur von Dr. 7.
A. Piſchon. Eifte, vermehrte Auflage Gr. 8. (XVI u. 258 S.
Berlin, Dunder und Humblot. 1856.
Diteſe Schrift if befannt als ein bewährter Führer durch das
weite Reich der deutfchen Literatur. Sie gewährt eine Mare Weberficht
und laͤßt Dabei nirgends Wefentliches vermiffen. Grläutert durch einem
tüchtigen Lehrer, wird fie Schülern höherer Lehranftalten bei ihren Res
petitionen wefentliche Dienfte leiften. _
34, Leſebuch zur Geſchichte der deutſchen Literatur alter und
neuer Zeit. Geordnet von Dr. Georg Weber, Profeffor und Dis
Nachträgliche Anzeige verfchiedener Schriften. 757
rector der höheren Buͤrgerſchule in Heidelberg. AZuglei ala Anſchluß an
deſſen „Grundriß der deutfchen Literaturgefhichte" im ‚Lehrbuch der Welt-
geihiäte, 7. Auflage und befonderd abaedrudt. Gr. 8. (XX u. 452 ©.)
eipzig, W. Engelmann. 1856, 26. Ser.
Dies Werl zerfällt in zwei Ubtheilungen, von denen bie erfie bie
altdeutfche Literatur in neudeutfcher Mundart, die zweite die neudeutfhe,
von Opitz bis auf unfere Zeit, umfaßt. Die Auswahl ift eben fo reich
als für den beabfichtigten Zweck angemeflen. Bon jedem Dichter find
befonders folhe Stüde gewählt, welche feine Richtung und Eigenthüms
lichkeit kennzeichnen und zugleich durch ihren Inhalt das Intereſſe der
jugendlichen Leſer weden und feſſeln. Wie billig, if der größte Nach»
drud auf diejenigen Werke gelegt, die durch Gediegenheit des Inhalte
oder dur künſtleriſche Vollendung in der Form für alle Zeiten von
gleihem Werthe find. Mit feinem Tacte ift dabei Alles vermieden, was
in religiöfer, politifcher, fittlicher oder focialer Beziehung Anſtoß erregen
fönnte. Die Gruppirung if fehr überfichtlich.
Höhere Lehranftalten, die ſich des Berfaffers „Grundriſſes der deut⸗
fhen Literaturgefchichte” bedienen, haben an diefem Werke eine vortreff-
lihe Beifpielfammlung. Auch Lehrern dürfen beide Schriften beftens
empfohlen werden.
35. Katehbismus der deutſchen Literaturgefhichte. Don Dr. Paul
Möbiuß, Adjund I. zu St. Tbomä und Inſpector der Buchhaͤndler⸗
Lehranſtalt E Leipzig. 8. (VIII u. 166 ©.) Leipzig, J. J. Weber.
1856. 10 Sgr.
Die katechetiſche Form iſt in dieſem Werkchen ſparſam und mit Ein⸗
ſicht gebraucht worden, daher nirgends ſtoͤrend, wohl aber foͤrdernd für
den Anfänger, da fie die Weberficht erleichtert und überall auf den Kern
der Abſchnitte hinweift. Die Darftellung if einfah, Par und anfpres
hend; die Auswahl zeigt von richtigem pädagogiſchen Tacte. Des Bers
faſſers volle Befähigung zu dieſer Arbeit läßt fich auf jeder Seite ers
fennen. Aus voller Weberzeugung empfehlen wir das MWerfchen der
reiferen Jugend zum Selbftftudium, halten e8 auch als Leitfaden für
Realfhulen und verwandte Anflalten für geeignet, wenn ein Leſebuch
die nöthigen Beifpiele dazu darbietet. |
36. Der Raterialismus unferer Zeit. Vom naturbiftorifhen Stands
punkte aus allgemein verfländlich beleuchtet von Dr. G. F. Kod. 8.
(31 ©.) Kaiferslautern u, Leipzig, H. Meuth. 1856. 3 Sgr.
Der Berf. tritt gegen den Materialismus auf und bemüht fich,
barzuthun, daß derfelbe „in feinem legten Grunde allen Beweifes ents
behrt und darum Fein Recht hat, zu fagen, daß er die naturgemäße
BWeltanfchauung vertritt.” Dem Zwede gemäß, ift die Darftellung ganz
populär, für Leſer mittlerer Bildung berechnet; diefe dürfte der Verf.
wohl befriedigt und, fo weit das hier möglich, überzeugt haben.
37. Raffau’s Flora Ein Taſchenbuch zum Gebrauch bei botanlſchen
Excurfionen in die vaterländifche Pflanzenwelt. Bearbeitet von Leop.
Budel zu Deſtrich im Rheingau. Phanerogamen, Mit einer geognoftis
758 Nachträgliche Anzeige verfhiedener Schriften.
je Karte und elf analytifchen Tafeln. 8. (LXIV u. 405 6) Wies⸗
aden, Kreidel und Niedner. 1856. 11/s Ihlr.
Das Werkchen ift für Anfänger beſtimmt. Voran ſteht eine kurze,
alphabetifh geordnete Erflärung der gebräudlichfien Kunflausdrüde.
Dann folgt ein „Schlüffel zum Beſtimmen der Gattungen nad dem
Linne’fhen Syſtem,“ und bieran fließt fich eine Weberfiht und Cha⸗
ralterifirung der Arten des Gebietes, geordnet nad Koch’s Synopfis, an
die der Verf. ih überhaupt und. mit Recht angelehnt bat. Die Dias
onofen find kurz, die Standörter bei felteneren Pflanzen genauer anges
geben. Die Drudeinrihtung if in diefer Hauptabtheilung unnöthiger
Weiſe fplendid; es hätte die Hälfte Raum — zum Nußen für die
Käufer — erfpart werden können. Die Abbildungen flellen Blüthen-
und Fruchttheile der Gräfer und Dolden dar, find fauber und werden
fih dem Anfänger als nüblich ermweifen. Auf die angehängte Karte if
im Buche Feine Rüdfiht genommen, da fie fih durd gute Eolorirung
ſelbſt erklärt.
Bir Tönnen das Buch für die Botaniker des bezeichneten Gebietes
als ein ganz brauchbares beſtens empfehlen.
38, Preußiſcher ShulsKalender für 1857. Sehne ehe ang. Mit
Benugung amtlicher Quellen herausgegeben von Dr. &, Mushacke, ord.
Lehrer an der Königflädtifchen Realſchule zu Berlin. Zweiter Theil.
Kl. 8. (VII und 289 &,) Berlin, Deder. 1857. 15 Ser.
Der erſte Theil, ein aftronomifcher Kalender nebft Notizbuch, Liegt
uns nicht vor; der zweite entbält genaue Nachrichten über „das koͤnig⸗
Iihe Minifterium der geiftlihen, Unterrichts» und MedizinalsAngelegen-
heiten und alle unter demfelben flebenden Behörden, fowie fämmtlide
höhere Bildungsanfalten der Monardie. Wir empfehlen diefe ebenfo
mübfame als dankenswerthe Arbeit allen Lehrern höherer Schulanflalten,
möchten aber die Berlagshbandlung gebeten haben, für die Zufunft etwas
größere Schrift für das Werk zu nehmen, damit man fih nicht blind
baran fieht.
39. Hypſometriſcher Atlas. Mit Erläuterungen und Höbenverzeichniffen
von I. M. Ziegler. Quer⸗Folio. Winterthur, 3. Wurſter und Comp.
1856. 2 Thlr. 2U Ser.
Anhalt: Weberficht der verſchiedenen Gebirgsformen und Erflärung
der Zeichen und geographifchen Namen. 1. Zaf. Ueberfiht der Größen»
verhältniffe und Richtung der. Gebirgszüge aller Erdtheile. 2. Tafel.
Hypſometriſche Karten: 1. Europa. 2. Deutichland. 3. Gentralalpen
und Jura (Schweiz). 4. Oftalpen und GSefterreih. 5. Frankreich.
6. Stalin. 7. Die britifhen Inſeln. 8. Die griechiſche Halbinſel.
9. Afien. 10. Oſt⸗Indien. 11. Klein⸗Afien. 12. Syrien und Egypten.
18. Süd» Amerifa. 14. Nord »Amerifa. 15. Vereinigte Staaten von
Nord⸗Amerika. Hypſometriſche Tafeln: Höhen aus allen Erdtbeilen uud
befannten Meerestiefen.
Zur Darftelung der Erboberflähenbefaffenheit find, außer Blau
Nachträgliche Anzeige verfchtedener Schriften. 759
für die Gewäfler, fünf verfchiedene Farbentöne angewandt: ein mattes
Graußraun für Tiefländer His zu 500 Fuß Erhebung, ein gewöhnlicdhes
Braun für Erhebungen bis zu 1000 F., Saftgrän für Erhebungen bie
zu 2000 F., ein gelbliches Grün für Erhebungen bis zu 3000 F., und
Weiß zur Bezeichnung bedeutender Hochebenen und Gebirgskämme.
Es verfieht ſich von ſelbſt, daß diefe Bezeichnungen nur annähernd
genau find; aber davon abgefehen, geben die Karten ein ganz auss
gezeichnetes Bild von den dargeftellten Ländern und Erdtheilen.
Gute Reliefkarten fönnen kaum eine beffere Anfchauung gewähren.
Möchten die Schäier überall die Mittel befipen, fich diefen Atlas anzu»
ſchaffen!
40. Geographiſche KAartensNepe mit ausgeführten Gebirge für den Un⸗
terricht in der Erdfunde und zur Uebung im Kartenzeichnen von J. M.
Ziegler. Ebendaſelbſt. 8 Sgr.
Enthält uncolorirte Abdrüde der 15 hypſometriſchen Karten des
vorigen Werkes. Bon den Flüffen find nur die Quelltheife und einzelne
verwidelte Partien dargeftellt ; alles Uebrige und die Eintragung von
Kamen bleibt dem Schüler überlafien. Sydow hat in feinem „Hydro⸗
graphifchen Atlas” das umgekehrte Verfahren eingefchlagen: er gibt die
Flüſſe und läßt die Gebirge und Ortfchaften eintragen. Beides kann
als empfehlenswerth bezeichnet werden; in der Schule wird man fid
aber in der Megel auf fogenannte Fauſtzeichnungen befchränten müflen.
43. Allgemeiner Atlas über alle Theile der Erde in 29 Blättern, Re⸗
duction des von J. M. Ziegler nah C. Ritter's Lehre herausgegebenen
Atlafes in 24 Blättern. Ebendaſelbſt. 1857. 1 Thir. 18 Sgr.
Die meiften Karten diefes Werkes find gelungen entworfen und
ausgeführt, einzelne mit Rüdfiht auf den Unterrichtszweck überladen.
Großbritannien iſt durch zu flarfe Eintragung der Straßen fa uns
brauchbar geworden.
Uebrigens ift nicht zu verfennen, daß Schüler, welde im Stande
find, fih in den Beſitz diefer drei Kartenwerke zu feßen, eın ausreichen»
des und gutes Material für den geographifchen Unterricht haben.
Es gehen uns wiederholt Bücher über fremde Sprachen zu, die zu
beurtheilen außer der Aufgabe des Zahresberichtes liegt. Wir beichränten
uns deshalb auf eine TitelsAngabe derfelben.
42, Le Cid Tragedie de Pierre Corneille accompagnde de notes criti-
ques et litteraires par 6. H. F. de Castres. Leipzig, E. Wengler.
1857. 12 Sgr.
43. Auserlefene Shaufpiele für die Jugend gurRüdüberfegung
in’s Branzöfifähe von G. A. Noack, Lehrer. Erſtes Heft: J. Die Achten»
Ieferin. IL Der Abfchied. Leipzig, E. Wengler. 1857. 10 Ser.
44. Auserlefene Schaufpiele für Die Zugend, franzöflfh und deutſch,
neoß jehlreichen fpradhliden Erläuterungen. Herausgegeben von &. U.
Noack, Lehrer. Erftes Heft: I. Die Achrenleferin. II. Der Abſchied.
Leipzig, C. Wengler. 1857. 10 Bar.
760 Nachträgliche Anzeige verſchiedener Schriften.
45. Bollftändigepraftifhe Anleitung, das een der regel⸗
46.
mäßigen wie unregelmäßigen franzdfifhen Zeitwörter auf
eine leſchtfaßliche und viele Zeit erjparende Weife zu lehren und zu erlernen,
von R. Duval. Vierte, neu durchgeſebene und vervofftändigte Auflage.
Hamburg und Leipzig, ©. Heubel. 1858. Beh. 15 Ger.
Parlez-vous francais? oder die nüpliflen und nothwenbigften
franzöfiſch⸗ deutſchen Geſpräche, Redensarten und Wörterfammlungen, wie
man fie im Umgange, im Befchäftsverfeht und auf der Reiſe gebraucht.
6., vermehrte und verbefierte Auflage von G. H. F. de Eaftred. Leipzig,
@ Bengler. 1857. Geh. 12 Bar.
47. Parlate italiano? oder die nothwendigften und nügfichften italienifch«
deutfchen Geſpräche, Nedensarten und Wörterſammlungen 2c. Nebſt einer
überfitlicgen Grammatik der itafienifhen Sprade. Herausgegeben durch
3. Ammann. Bweite, durh F. Booch⸗Arkoſſy umgearbeitete und vers
mebrte Auflage. Leipzig. E. Wengler. 1857, 12 Ger.
Literariſche Befanntmadhungen.
4
Im Verlage von L. Holle in Wolfenbüttel sind erschienen und
durch alle Buch- und Musikalien-Handlungen zu beziehen :
Carl Maria von \WVeber’s
fämmtlide Pianoforte-Compofitionen,
revidirt und corrigirt
von M. W. Stolze.
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14 Nros. mit Weber’s Portrait im feinsten Stahlstich als Prämie.
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und in allen Buchhandlungen zu haben: s yreuth iſt erſch
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bearbeitet
Sriedrih Hofmann, \
Scofeffor der Mathematik am f. Bymnafium zu Bayrenth.
Erfter Theil.
Arithmetiſche Aufgaben.
Gr. 8. Broſch. 54 Pr. oder 15 Nor. mit den Refultaten 1 fl. 18 fr.
oder 23 Nor.
Zweite, vermehrte und verbefferte Auflage.
Im Berlage von Kriedrid BDieweg und Sohn in Braunfhweig
iſt erihienen:
Fauna der Wirbelthiere Dentichlands
und der angrenzenden Länder von Mitteleuropa.
Bon 3. H. Blasius,
Brofefler am GoNegio Garolino in Braunfdmweig.
Erfter Band: Naturgeichichte der Süngethiere.
Mit 290 Abbildungen im Terte. Br. 8. Kein Beliny. Geh. 2 Ihr. 16 Bar.
Bir mahen auf die Erfcheinung eines Werkes aufmerlfam, welches der
deutſchen Literatur zur wahren Ilerde gereicht, welches die Wiſſenſchaft fördert,
obwohl es wefentlih dem Gebrauche der Laien beitimmt if. Die Zoologie if
heut‘ zu Tage ein fehwieriges Thema, wenn fie den Korderungen der ftrengiten
woiffenfehaftlichen Kritik entſprechen und doch für den Laien genizhbar fein ſoll;
Diefe Aufgabe zu ldſen bat der Verfaſſer nicht nur erfirebt, fondern es if ihm
auch vollfändig gelungen zu erreihen, was kaum irgend einem andern deutſchen
Zoologen zu erreihen möglich geweien fein möchte.
Das Buch wird drei Bände umfafien, von denen der jeßt erfchtenene erfte
Band die Raturgeldbichte der Säugethiere Deutſchlands enthält, der zweite,
unter der Preſſe befindliche, die Vögel, und der dritte die Fiſche und Rep
tilien Deutſchlande entbalten wird. Das Bu bilder demnach eine vollſtän⸗
Dige Fauna der Wirbelthiere Mittel-Europas, eine Raturgefhichte
der Thierwelt (mit Ausfchluß der wirbellofen Thiere, Inſecten 2c.) des deutſchen
Baterlandes, für Belchrt und Ungelehrt, wie «8 bislang in äbnlicher Schärfe
der Beobadtung und Darfkellung noch feine gab. Es wird fiherlih von Be
lehrten und Liebbabern der Willenihaft ſehr günflig aufgenommen werden,
aber es dürfte einen viel weiteren Kreis von Käufern gewinnen, wenn es unter
den Freunden der Naturgefhiäte in Stadt und Land befannt wird.
Das Bublicum des Buches iſt, außer dem Zachgelehrten, das der Gebildeten
im Allgemeinen, für die e& ein wahres und vortrefflihee Sausbud für
viele, viele Jabre werden und bleiben wird. Den Preis haben wir fo billig
geftellt, als er fich bei der fehönen Ausftattung irgend ftellen laſſen wollte,
Soeben tft erfchienen: , j
Profeffor de Caſtres, Herausgeber von Thihaut Dietionnaire, Ele
mentarbuch zur Erlernung der franzöfifchen Sprache nad
Seidenſtücker's Methode. 27 Kr.
James R. Aubrep, Elementarbud zur Erlernung der englifchen
Sprache nah Seidenſtückers Methode. 3 Auflage. Vielfältig vers
mebrt von B. Smouth. 27 Kr.
Brofefior de Caſtres gift jept für die erſte Autorität als Lehrer und
Kenner der franzöfiihen Sprache, feine Schriften finden jept überafl
Eingang. Aubrey's @lementarbud erlebte bereits die dritte Auflage
und uf in Samburg, Berlin, Wiesbaden, Stettin zc. bereits vielfach eins
geführt.
Aleinpaul, Dr., Elementarbuch der banifchen Sprache. Brofgirt.
11! Ed.
Sleih nach Erfcheinen bat Herr Schelinſpektor Etatsratb Dr. Trede dies
Buch zur Ginführung auf allen holſteiniſchen Gymnafien beftimmt.
Verlagsbureau in Altona.
Im Verlage der Nicolai'ſchen Buchhandlung in Berlin find erſchienen:
Berndt, 3. C., französische Grammatik und Uebungs-
buch für Anfänger. Geh. 6 Sgr.
He, A., der kleine Franzos, zweiter Theil. Auch unter
dem Titel: Erstes Uebungsbuch in der französischen Sprache,
enthaltend: leichte Aufgaben zum Uebersetzen aus dem
Französischen in’s Deutsche und aus dem Deutschen in’s
Französische, geordnet nach den Redetheilen, mit Erklärung
der nothwendigsten Regeln. Verfasst zum Gebrauch in den
unteren Klassen jeder Schule, wie auch zum Privat- und
häuslichen Unterricht. Geh. 12} Sgr.
Judae, G., französische Grammatik. Nach der Methode der
Interlinearisten bearbeitet. Zweite Aufl. Geh. 25 Sgr.
—— Lehrbuch der brandenburgisch-preussischen, deutschen
und allgemeinen Geschichte für Bürgerschulen. Zweite Aufl.
Geh. 15 Sgr.
Geographischer Leitfaden, zum Gebrauche für Stadt-
schulen. In Gemeinschaft mit J. Priedeman und O. Rosen-
thal bearbeitet und herausgegeben von C. Judae. 124 Sgr.
Rhode, G.E., Schulgeographie, zunächst für höhere Bürger-
schulen entworfen. Mit 12 lithographirten Figuren und
einer Sternkarte. Geh, 1 Thlr. -
Kutscheit, J. V., vollständiger Atlas der neuesten Erdbeschrei-
bung in 32 Karten, mit genauer Angabe der Eisenbahnen etc.
Für Schul- und Privatgebrauch. Neue Auflage. 1 Thlr.
Voigt, F., Schul- Atlas der alten Geographie. 15 Blatt in
sauberem Farbendruck. Geh. 1 Thlr. 5 Sgr.
—— Historisch-geographischer Schulatlas der mittleren und
neueren Zeit, 17 Blatt in Farbendruck.
Richter, J., Otto Schulz. Ein Denkmal für seine Nachkommen
und seine Freunde, mit dem Bildniss von Otto Schulz.
Geh. 1 Thlr.
Schahl, A., kleiner Schulatlas d&r neuesten Erdbeschreibung
in 20 Karten. Geh. 18 Ser. ‘ |
Liere und Rindfleisch, Geschichte und Erklärung der gangbar-
sten deutsch-evangelischen Kirchenlieder, mit besonderer
Bezugnahme auf dıe Volksschule Geh. 1 Thlr.
Rosenthal, 0., Führer durch den deutschen Dichter- -
hain. Ein Schulbuch zum Gebrauch beim literaturgeschicht-
lichen Unterricht in höheren weiblichen Bildungsanstalten.
Geh. 25 Sgr.
—— Leitfaden für den Unterricht in der Bibelkunde,
zum Gebrauch in den obern Klassen höherer Schulen. 74 Sgr.
Schneider, A. F. H., Elementarbuch der Englischen
Sprache. Mit einem Vorwort vom Gymnasial- Director
Dr. Ferd. Ranke. Geb. 17% Sgr.
Schulz, Otto, Tirocinium, d. i. Erste Uebungen im Ueber-
setzen aus dem Lateinischen, nebst einer kurzen Formlehre.
Neunte Auflage. Geb. 7% Sgr.
Deutsche Sprachlehre für Volksschulen, Präpa-
randen-Anstalten und Schullehrer-Seminare. Sechste Aufl.
Geb. 12 Sgr.
BerlinischesLesebuch fürSchulen. Erster Theil.
Vierzehnte Auflage. 73 Sgr.
—— Lesebuch für höhere Schulen. (Des Berlinischen
Lesebuchs zweiter Theil.) Dritte Auflage. 15 Sgr.
Tollin, E, praktische Anleitung zur Bildung des
französischen Styles für höhere Klassen der Gymna-
sien und der Erziehungsanstalten für Jungfrauen aus, den
gebildeten Ständen. Zweite Auflage. Geh. 174 Sgr
Wilkinson, Geo. B., elementarisches Lehrbuch der Eng-
lischen Sprache. Mit einem Vorwort vom Stadtschul-
rath F. A. Schulze Geh 15 Sgr. '
Rudolph, L., Atlas der Pflanzengeographie über alle
Theile der Erde Für Freunde und Liehrer der Botanik
und Geographie nach den neuesten und besten Quellen
entworfen und gezeichnet. 10 Blatt in gr. Fol. in sauberem
Farbendruck, mit erläuternden Tabellen. Geh. 5 Thlr.
Die Pflanzendecke der Erde. Populäre Darstel-
lung der Pflanzengeographie für Freunde und Lehrer der
Botanik und Geographie. Geh. 2 Thlr.
—
Bel Louis Merzbach in Poſen iſt erſchienen und durch alle Buchs
handlungen zu beziehen:
Vocabularium latinum,
LCern- und Spreddudg
" nad dem
Srundfage der Ideenverknüpfung und den Erfordernifien
der zufammenhängenden Rede
zufammengeftellt von
Br. Otto t, Br. Henri Krahner,
Oberlehrer an A 24 FIRE ar De 1 arenbuer,
zu Polen. zu Potsdam.
Erſte Abtheilung
für
Quinta und Quarta.
Garton. Preis 7!/a Sgr.
a J. C. Huber in Berlin if erfgienen und durch alle Buchhandlungen
zu beziehen:
Praktiſch methodifche Gefangfchule für den Bolfsgefang » Unterricht
nah den Principien und für die Tonbezeihnung 3. C. F. Thomaseif’s
von Franz Schmidt. 8. Geh. Preis mit Gefangübungspeft
15 Sgr. (das Webungsheft allein 23 Ser.)
Schul⸗Liederbuch in der Zonbezeihnung von I. C. F. Thomaseif.
Herausgegeben von C. Hartung und F. Schmidt. 1. u. 2. Heft.
Preis a Heft 5 Ser.
Bibtifche Gefchichten. In Rüdfiht auf den Normal» Lehrplan für
die Unterflaffen der Schulen bearbeitet von 3. W. Myski. 8. Geh.
Preis 24 Ser.
Der Geſchichtsfreund. Eine Sammlung von Erzählungen aus der
Welt⸗ und Böltergefchichte. 8. 25 Bogen. Geh. Preis 1 Thlr.
Soeben find im Verlage von Friedr. Schultheh in Zürich folgende vor
züglide Schulbücher erfchienen :
Behn:Eichenburg, Dr. H. (Profeffor am eidg. Polytechnikum), Engs
liſches Leſebuch für alle Stufen des Unterrichts berechnet. Erſter
Kurs. 8. Br. 18 Nor.
(Des Berfaflers engl. Schulgrammatik erfchelnt auf Oftern in zweiter Auflage.)
Orelli, C. v. Franzöfifhe Chreſtomathie. Erſter Theil. 4. ums
gearbeitete Auflage. 8. Br. 223 Rgr.
Für Lehrer:
Hug, J. C., Die Mathematik der Volksſchule. Ein methodi⸗
ſches Handbuch für einen dem Weſen der Volksſchule entſprechenden
und alle ihre Stufen umfaſſenden Unterricht. 1 Thlr.
Zweiter Theil: Geometrie. 8. Broch.
In der ©. H. Bec'ſchen Buchhandlung in Roͤrdlingen iſt erfchienen
und in allen Buchhandlungen zu haben: -
Choräle für den vierstimmigen Männergesang. Mil Berücksich-
tigung der im 16. und 17. Jahrhundert üblichen Lesearten bear-
beitet von Ch. H. Hohmann, Seminarlehrer in Schwabach,
Dritte erweiterte Aufl. Gr. 8. 44 B. ord. 9 Ngr. oder 30 Kr.
netto 64 Ngr. oder 224 Kr. In Partieen zu 25 Expl. billiger.
Grundzüge zu einer populären Denk- und Sprachlehre von Ray-
mund Schlecht. Inspector am k. Schullehrerseminar zu Eich-
städt. 10 Bog. ord. 10 Ngr. oder 86 Kr.
Litanie de Beata in C-Dur. Für 4 Singstimmen, Streichquartett,
2 Clarinetien, Hörner, Trompeten, Pauken. Mit Direktionsstimme,
Von Max Winkler, Chorregent in Eichstädt. 15 Bag. in hoch 4,
ord. 25 Ngr. oder 1 Fl. 30 Kr.
Bei F. Schneider & Co. in Merlin erſchien foeben:
d’Hargues methodifcher Lehrgang für den Unterricht in ber franzöfifchen
Sprade. Bine auf die Mutterfprache fich gründende Darftellung für
Lehrende und Rernende
Erfter Curſus 10 Ser.
Zweiter Curſus Abthl. I. 12 Ser.
Dielfeitige Beurtheilungen rühmen von dieſem Buche dag es mit feltener
Klarheit Die Schwierigkeiten der Grammatik darlege; den Lehrern gibt es gleich
zeitig eine reihe Sammlung von Beifpielen. Die 2. Abthl. des 2. Theils
der Schluß) erfcheint zu Oftern 1857.
.
Bei Vandenhoeck & Nuprecht in Göttingen iſt foeben erfchienen und
in allen Buchhandlungen vorräthig :
Bodemann, Fr. W., Bibliſche Gefchichte, mit den Worten
der Bibel erzählt. 8. Aufl. 5 Ser. Partiepreis 3I Ser.
— — — Spruch und Bersbüchlein zur bibliſchen Geſchichte
für evangeliſche Schulen. 8. Geh. A Ser.
Kübhnemund, ©, deutſches Lefebuch für die unteren Maffen
höherer Lehranftalten. (Mit Befolgung der vom Kgl. Hannov. Ober
ſchulcoſlegium ausgegebenen „Anleitung zur deutſchen Rechtſchreibung“
verfaßt.) 2. Stufe. 8. Geh. 174 Ser.
Kerner erfchienen bei denfelben:
Hermann, K. F., Culturgeschichte der Griechen nnd Römer, Aus
dem Nachlasse des Verstorbenen herausgeg. von K. G. Schmidt,
1. Theil. Gr. 8. 1 Thlr. 5 Sgr.
Müller, I. D., Mythologie der griechischen Stämme, 1. Theil. Gr. 8.
1 Thir. 15 Sgr.
Auprecht, 2., die deutfhe Rechtſchreibung vom Standpunkte der hiſto⸗
. rifhen Grammatik beleuchtet. 2. vermehrte Aufl. Gr. 8. 20 Sgr.
Haage, €. F. L., Eompendium der Elementar» Mathematif zum Ges
brauh beim Gymnafialunterriht. 2. Abtheil., Planimetrie, ebene
Zrigonometrie und Stereometrie. Gr. 8 1 Thlr.
Bel uns erichten und empfehlen wir zur Ginführung:
Sreudenfeldt & Bfeffer, Preußen unter dem Negenten aus
dem Haufe Hohenzollern. ine Tabelle zum Gebraudye beim Uns
terricht in der vaterländifchen Gefhichte. 2. Auflage. Preis 8 Bor.
(in Partieen billiger). |
Freudenfeldt, Schulfarte, darftellend die Erwerbungen des preußi⸗
{hen Staates, colorirt jetzt unr 3 Sr.
Sehr empfohlen durch das „Schulblatt für Brandenburg, 1857, 7. u. 8.”
den „Schulfreund 1857 3. Heft,‘ u. A. m.
Berlin. Berlag von Hugo Bieler & En.
Pokorny’s
Rlementar-Schreibunterricht.
Velksschalausgabe
24 Schreibtheken, 12 Current und 12 Englisch & 4 Pfen. °
| Ausgabe auf starkem Schreibpapier
18 Schreibtheken, 9 Current und 9 Englisch & 8 Pfen.
Dieser vom hohen k. k. Ministerium für Cultus und Unterricht empfoh-
lene Schreibusterricht fand im In- und Auslande, wie ın Nord- und Süd-
amerika, schnellen Eingang, so dass im Jahre 1855 über Zwei Millionen
Pokerny’sche Schreibtheken Absatz fanden, wozu wohl die äusserst gimstigen
Becensionen aller pädagogischen Blätter auch beigetragen haben.
Die Lehrer mehrerer deutschen Staaten bewirkten aus eigenem Antriebe
die Einführung des Pokomy’schen Eiementar-Schreibunterrichts in allen ihren
Landesschulen. . |
‚ Ferner erschienen zu diesem Elementar-Schreibunterricht: —
Pokorny, Methodische Anleitung sum klementar- Schreibanterricht in Volksschulen
mit freier Benützung ver Taktirmethode, basirt auf die vom hohen
k. k. Ministerium empfohlenen, mit eystematschen Vorschriften ver-
sehenen billigen Schreibebücher. 20 Ngr.
de. 15 fein in Kupfer gestochene Präfangsvorschriften für die erste, zweite
und dritte Klasse der Volksschulen à 8 Pfen. — Partiepreis für
Lehrer und Verschleisser bei Abnahme von 25 Blatt à 4 Pfen. netto.
de. 4 Satlungen ‚blanrastrirte Karteln sa Prüfungsschriften auf Briefpapier
& 3 Pfen.
de. Schul - Verschrifien, den ganzen Elementar - Unterricht enthaltend,
Current 28 Blatt 3’/; Ngr., Englisch 32 Blatt 4 Ngr,
de. Erlernung der Haar- und Schattenstriche für die ersten Anfänger,
Blau vorgedruckt zum Nachschreiben. 2 Ngr.
Nachdem in Jahresfrist dieser Elementar- Schreibunterricht eine so ans
gedehnte Annahme und Verbreitung fand, sieht der Verleger der sichern Er-
wartung entgegen, dass jeder Lehrer, dem das Wohl seiner Schule am Her»
zen liegt, nicht unterlassen wird, diesen Unterricht bei Beginn des jetzigen
Schulkursus in seiner Anstalt einzuführen. — Lehrer und Verschleisser erhal-
ten bei Baarzahlung 25 Perc, von allen oben angegebenen Preisen.
BRÜNN. C. Winiker.
In dem Derlage von Scheitlin & Zollikofer in &t. Gallen ift erfählenen :
hantafieen und Gloſſen
aus dem Tagebuche eines Fonfervativen Pädagogen.
Ein Beitrag
zu der Gefchichte der püdagogifchen Strebungen
der Jgegenwarit,
24 Nor. 1fL. 20. 3 Sr,
In humoriſtiſcher Weife befpricht der ungenannt fein wollende Herr Verfaffer,
— einer der außgezeichnetiten und durch feine frübern Schriften berühmten Yä-
dagegen Deutſchlands, — vom fonfervativen Standpunft aus die Uebertreibuns
gen: der Ratinnaliften wie der Witraorthodoxen, und es wird fih das Buch ge⸗
wiß der regften Teilnahme feitens der Pädagogen und Schulmänner erfreuen.
In der Jaͤger'ſchen Buche, Papiers und Landkart d Franf:
furt 0. M. NN oeben erfchienen: Pay atten handlung in f
Scholderer, H., Erftes Lefebud für Elementarfhulen.
Fünfte Auflage. Preis 124 Gar. od. 45 fr. 264 Seiten.
Diefes vortreffliche EClementarleſebuch, defien bisherige Auflagen ſtets von
5000 Exemplaren ſich in kurzer Zeit vergriffen, wird überall fih bewähren,
und erlauben wir uns die Aufmerkſamkeit der Herren Elementarlehrer darauf hin⸗
au lenten mit der Bitte, da, wo ein Wedel beabfihtigt und Ein»
übrung ermöglicht wird, ein Kreise@gemplar von der Verlags:
Buchhandlung zu verlangen.
Bei Friedrich Brandftetter | ig 1 eb i d
allen — zu on n Leipzis IR fo ehen erſchlenen un in
Naturftudien.
Skizzen aus der Pflanzen- und Thierwelt
von
Dr. Sermann Masius,
Schuldirector in Halberfladt.
Zweite Sammlung.
8. Hoͤchſt elegant geheftet in allegorifch verziertem Umfchlage.
° Preis: 1 Thlr. 6 Nor.
Inhalt: I. Norddeutſche Degetationshlider: Die Wieſe. — Die
Heide. — Der NRadelwmald. — er Laubwald. — Das Kornfeld. —
II. Bilder aus der Thierwelt: Das Kameel. — Das CElennthier. —
Das Pferd. — Die Hape. — Der Walfiſch. — Der Floh (Humoreske). —
UI. Am See IV. Wann der Herbſt fommt. Anmerkungen.
Freunden einer äſthetiſchen Raturanfhauung. namentlih aud der Damen
welt, kann keine Tieblihere und geiftreichere Lektüre geboten werben. Weiner
Talt in der Beobachtung, künftlihe Verknüpfung und eine meifterbafte Korm
der Darftellung zeichnen die Arbeiten des Berfafiere aus und haben ihnen einen
höchſt ehrenvollen Ruf erworben. Auf dem Gebiete der poetifhen Naturan⸗
ſchauung hat die deutſche Literatur Trefflicheres nicht aufzuwelfen.
Soeben erfchienen und find dur alle Buchhandlungen zu bezichen:
Drechsler, Dr. Adolph, Die Zeitabfjnitte in kirchlicher,
bürgerlicher und aftronomifcher Beziehung allgemein
verfländlich dargeftellt. 8. Geh. 16 Nor.
Steglich, Fr. Aug. William, Tirertor des Freih. v. Fletcher'⸗
ſchen Schullehrer ⸗Seminars zu Dresden, Ueber den Bildungsgang des
Vollksſchullehrers mit beionderer Berüdfichtigung der Einrichtung
der Schullehrer-Seminarien. Ein Gutachten. Gr. 8. Geh. 1 Thlr.
Stein, WV., Professor der Chemie an der polytechn. Schule zu
Dresden, Die Organisation des chemischen Unterrichts. Gr. 8.
Geh. 20 Ngr.
Audolf Kunße’s Verſagsbuchhandſung
im Dresden.
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