Skip to main content

Full text of "Pädagogischer Jahresbericht für die Volksschullehrer Deutschlands und der Schweiz"

See other formats


Google 


This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world’s books discoverable online. 

It has survived long enough for the copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to copyright or whose legal copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to {he past, representing a wealth of history, culture and knowledge that’s often difficult to discover. 


Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book’s long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 


Usage guidelines 
Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 


public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 





‘We also ask that you: 


+ Make non-commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individual 
personal, non-commercial purposes. 





and we request that you use these files for 


+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google’s system: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 


+ Maintain attribution The Google “watermark” you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 


+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in copyright varies from country to country, and we can’t offer guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book’s appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 






About Google Book Search 


Google’s mission is to organize the world’s information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world’s books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the full text of this book on the web 
alkttp: /7sooks. google. com/] 














Google 


Über dieses Buch 


Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei — eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 


Nutzungsrichtlinien 


Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 


+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 


+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 





+ Beibehaltung von Google-Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 


+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 





Über Google Buchsuche 


Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser Welt zu entdecken, und unterstützt Autoren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter|'http: //books .google.comldurchsuchen. 




















NIVERSITY 


IF TBE 


SCHOOL 
ATION 


Bädagogiiher 7 
Sahbresberidt 


für die 
Volksſchullehrer Deutihlands und der Schweiz. 
Im Verein 
mit 


Bartholomäi, Gräfe, Dentichel, Hopf, Kellner, 
Lion, Prange, Schlegel und Schulze 


bearbeitet und herausgegeben 


bon 


Anguſt Tüben, 


Eeminardirector In Bremen. 


Sünfz3ehbnter Band. 


Rei pzig: 
Friedrich Brandſtetter. 
1863. 


—ñi 


— 2 


LIO | 7 ARRVARD UNIVERSITM 
(7 25 KHADIUATE SCHOOL OF EDUCATION 


ale 
[5 HL 4 


/ d 
CHUR — C. CC. 
c 











Inhalts - Berzeichniß. 


I. Religionsunterridt. Bon Dr. Morig Ehulze . 


II. Mathematik. Bon Dr. Fr. Bartholomät 


XII. Die neueften Erfheinungenaufdem Gebiete des deuts 
fen Spradunterridte. Zuſanmengehert und beleuchtet 


von 2. Kellner... .. 
IV. Literaturkunde. Bearbeitet von a. Lüben. 


V. Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. Bon. Lüben. 


VI. Jugend» und Volksſchriften. Bon Dr. Georg Wilhelm 
FE . . 183 


Sof. . x... 0. 
VNH. Raturlunde Bon U. Lüben 
VII. Geographie. Bon W. Prange. . 
IX. Geſchichte. Bon W. Prange. 
X. Zeichnen. Don A. Lüben 
XI. Gefang. Bon €, Hentſchel. 


AT. Allgemeine Pädagogik. Bon Dr. H. Bräfe. . . 


XI. Pädagogiſche Zeitfhriften. Don U. Lüben 


XIV. Die äußern Angelegenheiten der Boltsfhule und 


ihrer Lehrer. 
Deutfhland. Bon U. Lüben 
Die Schweiz. Don J. J. Schlegel 
XV, Mufitwiffenfhaftl. Snfrumentalmufit. 
Bentidel . 


XVI Zurnen. Bon Dr. J. 6. Zien en 


——-.— — 


Don ©, 


Seite 
1 


73 


121 
145 
164 


221 
244 
310 
388 
394 
470 
501 


504 


532 


565 
588 


Verzeichniß der Schriftiteller. 


Allan, 191. 

Anbree, 219. 

Angerftein,Eo., 598.600. 
619. 

— — 8.593 (2). 614. 

Apel, 582. 

Arendts, 217, 

d’Argy, 596. 

Arnold, 62. 

Aſchenborn, 106. 

Aßmann, 368. 

Auerbach, 593. 

Auerswald, 230. 

Auras, 178. 

Aurelie, 190. 204, 


Baader, 451, 

Pad), 305. 

— — J. S. 467. 584. 
Padmeilter, 610. 
Bäge, 98. 
Ballantyne, 203. 
Ballien, 66. 

Bär, E., 619. 

— — J. 6., 307. 
Barth, C. G. 206. 
— — W., 494. 
Bäßler, 215. 375. 
Battig, 175. 
Baudiſſin, v., 212. 
Bauer, C., 305. 309. 
— — 6, 13%. 


Baumgartner, 453. 
Bed, F., 162. 
Beder, C., 451. 
— — RR. 8, 31. 
— — MU, 123. 
Behrens, 580. 
Benedix, 163. 
Benlard, 356. 
Benfer, 178. 
Benz, 392. 
Perger, 613. 
Berghaus, H., 305. 309. 
369. 
Berlepſch, 297. 
Berlet, 367. 
Berlioz, 566. 
Berthelt, 280. 
Berwind, %., 180. 
Bieste, 379. 
Binder, 392. 
Birlinger, 185. 
Birnbaum, 301. 
Blod, 294. 
Blum, 241. 
Bod, CL, 453. 
— — ©, 499. 
Bode, 614. 
Bodemann, 63. 69. 
Boden, 151. 
Bodenburg, 613; 
Böhme, A., 92.94 (?). 
Böhner, 224. 


du Bois-Reymond, 593 
(2). 

Bone, 122, 

Bönig, 228. 

Bormann, F. M., 997. 

8., 165 

Böfe, 274. 

Böttcher, 613 (2). 

Bötticher, 61. 

Brachelli, 295. 

Brähmig, 566. 573.585. 

Brandt, 374. 

Brauer, 574. 

Braun, 213 (3). 214. 
218. 

Bredow, 871. 

Brehm, 4. &., 229. 

Brenner, 403. 576. 

Brinfmann, F., 299. 

Broderhoff, 471. 

Bromme, 306. 

Bronn, 32. 

Bronfart, v., 586. 

Brofig, 574. 375. 

Bruhns, 305. 

Brünnert, 61. 

Buchner, 162. 

Bucruder, 18. 

Bumüller, 168. 240. 

Burchard, 584. 

Purgmüller, 582. 

Buſchen, v., 294. 


VI 


Buttmann, 88. 
Buͤttner, 612. 


Cameniſch, 168. 
Cammerer, 286. 
Cannabich, 290. 
Garlyle, 355. 
Caſelmann, 198. 
Cholevius, 143. 
Chwatal, 582. 584, 
Claudius, M., 187. 188, 
Colshorn, 160. 358. 
Commer, 453. 
Confeld, 584. 

Coſel, E. v., 307. 
Grüger, 25. 
Gurtman, 229. 
Cʒersty, 582. 


Daniel, 280. 290. 
Dedenroth, 880. 
Deverih, 369. 
Delitzſch, 307. 
Depe, 176. 
Deihner, 392. 
Deumlih, 574. 
Dielmann, 241. 
Dielig, 382 (2). 
Dieftelmann, 16. 
Dietrih, D., 227. 
— — J. F. W., 482. 
Diez, 195 (3). 196. 
Dillmann, 495. 
Diſſelhoff, 159. 
Doffind, 134. 
Dommer, v., 394. 459. 
565. 
Dommerich, 284. 
Döring, C., 596. 
— — 6, 566. 
Drath, 574. 
Drechsler, 182. 
Dreßler, 470. 
Düder, 31. 189. 
Düringsfeld, 3. v. 200. 
380. 


Ebeling, 574. 876. 
Cherlin, 574. 

Edardt, 62, 

Eder, ®., 298. 
Eoner, 454. 

Egli, 281. 289. 296. 
Ehrlih, 467. 

Eifelen, 853. 


‚Emsmann, 239. 


Endrulat, 382. 
Engelhardt, 307. 
Engelien, ®., 130. 
Enthaufen, 459. 

Ertl, 451.459. 462.576. 
Ettig, 391. 

Eulenburg, 593. 593. 
&, 214. 

Elert, 219. 


Faber, D., 600. 
Yeaur, 120. 

Feye, 453. 
Siedler, F. 70. 
Fiſcher, Nob., 182. 
Fir, 173. 175. 
Flinzer, 186. 
Flügge, 9. F., 64. 
Fölfing, 3., 236. 
Förfter, Ed. 157. 
— — Emit, 152. 
Stande, A. 2., 388. 
Frank, 163. 566. 
Frank, 491. 
Stanz, 463. 467. 
Frege, K. A. 127. 
Freudenfeldt, 385. 
Frey, 279. 

Fride, 180. 
Sridhöffer, K., 98. 
Friedlaͤnder, 619. 
Friedrich, 5883. 
Krige, 273. 
Froͤbel, 489. 


Gallenkamp, 120. 
Gehrife, 600. 
Geisler, 273. 


Verzeichniß der Schriftfteller. 


Georgi, 607. 

Geppert, 134, 141. 

Gerber, 495. 

Gerbing, 236. 239. 241. 

Gerbarbt, 585. 

Gerlach, H. 120. 

L. 141. 

Giebel, 229. 

Giefers, 384. 

Gieſebrecht, 359. 

Giffhorn, 112. 

Girard, 232. 

Gleich, 566. 

Gnerlich, 178. 

Göhring, 194. 

Görme, v., 592. 599. 
615. 621. 

Goſſel, A., 69. 197. 

Gottſchalg, 575. 

Sößinger, 161.' 

Sräf, €. und A., 308. 

Graf, €., 134. 

Gräfe, 191. 

Graßmann, 278. 304. 

Greef, 574. 

Gribel, 276. 

Grobe, 596. 

Groß, R., 305. 

— — V. 173. 

Groſſe, 231. 

Großmann, 613. 

Grube, 203. 226. 

Grumbkow, v., 302. 

Grundemann, 386. 

Grünewald, 242. 

Gruppe, 150. 

Grüzmader, 170. 

Gude, 157. 

Gumpert, v., 185. 207. 

Günther, 158. 

Gurde, 167. 

Guth, 97. 

Gutſche, 134. 


Haberkorn, 390. 
Hagen, 869. 
Hagenmater, 181. 





Derzeichnig der Eihriftfteller. 


Halben, 166. 
Hallier, 472. 
Samma, 454. 
Hammer, 203. 
Händel, 453. 
Sandrod, 580. 
Hanſen, 162. 
Harder, 165. 
Harms, 154. 
Hartmann, 286. 
Hartwig, 233. 299. 
Hafe, 209. 
Haflenftein, 308. 
Häfter, 308. 
Häfters, 96. 
Hauſchild, E. J., 598. 
Häuſſer, 361. 
Haydn, 584. 586. 
Hed, 305. 
Hedelmann, 101. 
Heim, 453. 459. 
Heiniſch, 168. 173. 274. 
Heinrichs, 126. 
Helmes, 116. 
Helmholtz, 305. 
SHentel, 579. 
Hennig, 617. 
Henning, Fr., 199. 
— — 585. 586. 
Herbſt, 201. 
Herchenbach, W., 210. 
Herzog, 575 (2). 
Hefe, 575 (2). 
Hettmer, 148. 
Heubner, 206. 212. 
Heuer, 100. 
Heufinger, 467. 
Hildebrandt, 382, 
— — 5%., 601. 
Hiller, 464 (2). 
Hirſchl, 25. 
Hirtb, 606. 619 (2). 
Hoffmann, Yranz, 208. 
214 (3). 
— — Qulie, 209. 
— — 18.5 V. 298. 
Homer, 158. 


Hopfe, 586 (2). 

Horn, F., 126. 

— — ®.D. 0,193 (2). 
214. 215 (2). 220. 

Hoͤrſchelmann, 293. 

Huber, 579. 

Hübner, 227. 

Hübner-Trams, 208. 

Hug, 114. 

Hutberg, 188. 

Hüttner, 202. 


Jacoby, 3., 151. 
A, 2 


Imle, 305. 309. 
Stielin, 597. 
Iſrael, 566. 
Junghaͤnel, 138. 
Sütting, 129. 


Kadlacek, 585. 

Käbler, 463. 

Raijer, 593. 

Ralkitein, v., 283, 

Kapell, 619. 

Kari, 230. 

Kleber, 365. 

Referftein, 212. 

Kehrein, 144. 

Keil, 599. 

Keller, 272. 

Kellner, 124. 125. 

Reitiger, 497. 

Kiepert, 305. 

Kieß, 495. 

Kingfton, 203. 

Kirchner, 889. 

Rlaiber, 71. 159. 

Klauwell, 464. 582 (2). 

Kleinpaul, 100. 

Klober, 619, 

Kloß, 593. 594. 598. 
602. 612 (2). 620. 

Kluge, 616. 


vu 


Klumpp, v., 610. 

Rlun, 287. 

Klöden, v., 282. 291. 

Knappe, 374. 

Rnauth, F., 159. 459. 

Knees, 171. 

Kobell, v., 233. 

Koch, Dr., 598. 

— — 6.5. 121 (2). 
163. 


Köhler, A., 398. 
— — €, 70. 

— — J. 213. 
— — 8., 579 (2). 582. 
Kohlmann, 300. 
Kolb, 276. 

Kolde, 59. 

Koͤnig, 185. 
Königk, 601. 
Körner, 217. 
Kothe, 566. 
Kozenn, 284. 
Krauß, 574. 
Krenn, 4980. 
Kriebitzſch, 371. 
Kröger, 24. 
Krug, 583. 
Krummader, 29. 
Kuhn, 453. 484. 
Kühn, F., 199. 
Kühner, 488. 
Kunel, 198. 
Kunkel, 453. 566. 
Kunze, 105. 

Küß, 58. 

Küßing, 288. 
Kutzner, J. G. 128. 302. 


Lang, 69. 

Zange, H., 304. 805. 
306. 

-CO. 177. 178. 
374. 383. 


VII 


Lange, Rud., 452. 579. 
586. 

— W., 474. 489. 

Langrohr, v., 295. 

Laſch, 228. 

Laudien, 188. 

Laurencin, 565. 

Leeder, 388. 

Reiäner, 228. 

Lenz, F., 586. 

— — 9. 0.,322. 

Leo, 364. 

Lion, 593. 

Liſt, 210. 

Liſzt, 575. 

Lübed, 6083 (2). 

Lüben, 127. 158. 173. 
175. 176. 287. 238. 
278. 

Ludwig, 380. 

Luther, M., 42. 57. 80. 
60. 61.- 

Lützel, 459: 

Luz, 495. 


Magerſtädt, 585. 
Maier, E., 72. 
Margaraff, 8685. 
Märter, 106. 
Maſius, 207. 
Matthes, R., 72. 
Maybe, 206. 
Mevicus, 242. 
Meier, €., 188. 
Meißer, 138. 
Mendelſohn, 612. 
Menge, 152. 
Menzel, 372. 
Mertens, 599, 616. 
Meſſerer, 189 (2). 
Mettner, 585. 
Meyer, 306. 
— — € 9. 150. 
——, 9, 5%. 
— —, J. B., 485. 
— —, Ratl, 153. 
Mieg, 615. 


Minck, 113. 
Mindermam, 189. 
Möbus, 177. 
Moleſchott, 225. 
Molitor, 134. 
Möller, 372. 

Moltk, 454. 
Mommfen, 376. 
Mönd, 617. 
Möfmer, 481. 
Müller, A W., 566. 
— —, Carl, 204. 
— —, $t., 452. 

— —, J. G. L., 72. 
— —, O. Chr., 454. 
— —, W., 368. 
Mygsti, 169. 


Naͤgeli, 464. 

Neff, 141. 

Nehr, 467, (2), 566. 

Nehry, 161. 

Neukirch, 205, 238. 

Neumann, A. C., 394, 
599. 

— —, €, 99, 1%. 

Nieberding, 285. 

Nienhaus, 187. 

Niggeler, 608. 

Nieter, 32. 

Nitol, 461. 

Nifien, 23. 

Nitzſche, 619. 

Nitzſchke, 273. 

Noad, 153. 

Noll, 217. 

Nordheim, 98. 

Nöfielt, 150, 366. 

Noftiz, 140. 


Oberhoffer, 453. 
Ohm, 105. 
Dpig, 41. 
Oppel, 204. 
Deften, 582. 
Otto, 128, 


Verzeichniß der Schriftſteller. 


Paldamus, 177. 

Paſſavant, 492. 

Perin, 189. 

Petermann, 299, 300, 
307, 308. 

Peterſen, 129. 

Petreins, 576. 

Petſch, 153. 

Pfahler, 368. 

Pfeffer, 385. 

Pichler, 196, (3), 197, 
(3). 

Pilz, 472. 

Pitſchner, 29T. 

Blato, 584. 

Pletih, 184. 

Poppe, 102. 

Pöſche, 489. 

Pracht, 382. 

Priedemann, 183, 200. 

Prinzhauſen, 142. 

Prohl, 191. 

Pulch, 92. 


Mävih, 618. 
Rebling, 459 (2). 
Rechenberg, 156. 
Rehſener, 33. 
Reichard, 450. 
Rein, V., 186, 213. 
Reinhard, A. 153. 
Heinsberg, v., 210. 
Reinſch, H. 231. 
Reiſer, 243. 
Rengier, 174. 
Reuß, 228. 

Riccius, 454. 

Rich, 386. 

Richter, 179. 

Riedl, 603. 

Rind, 574. 
Rindfleifch, 102. 
Rinne, 137. 
Ritter, C, 289. 
— — G. A., 463, 467. 
Rode, 48 4. 

Rolfus, 485. 





Verzeihniß der Schriftfteller. 1X 


Roquette, 148. Schmitthenner, 144. Stade, 370. 
Rotbflein, 581, 592, Schneider, F. F. R., 462. Stahlberg, 367. 
593 (2) — —, Iobh,, 575, Stohr, 154. 
Rotter, 495. — —, K. F. R. 297. Stein, Ch. ©. D., 293. 
Rudolph, 143. Sänell, 472, 494, 593. — —, ®., 201. 
Ruge, 178. Schnizlein, 226. Steinbaufen, 453, 
Rupredt, 579. Scholl, 240. Steinhäufer, 451. 
Scholz, 500. Steudel, 619. 
Sandberger, 233. Schön, 585. Etieler, 305. 
Sattler, 565. Schönhuth, 158. Stöber, 191. 
Schaab, 566. Schreber, 594,595,597, Stolze, 575. 
Schacht, 280. 600, 618 Stößner, 277. 
Schachtmeyer, v., 617. Schreiber, 461, Strad, 380. 
Schäfer, A. 381. Schrey, 134. Etredfuß, 358. 


— —, €. 5, 390. Schröter, 216 9. Streih, 214. 
Scauenburg, 299. Schubert, F. 2., 453, Stülpnagel, v., 307. 


Schaumann, 366. 565 (3 ). Stüße, 134, 
Scheffer, 211. — —, J. 6, 467. Sulze, 12. 
Scheidler, 601. Schuchardt, 157. Süs, 188. 
Sceinpflug, 356, 374. Schulke, R. 598. Sutermeifier, 144, 186. 
Scherer, ©. 450, 451. Schul, F., 615. 
——, 241.26. ——, 8,617. Taneeff, 475 (2), 493. 
Scherf, v, 599, 615. — —, D., 165. Taubert, 459, 464. 
Scherz, 133. Schulze, 8. 7) 98, 614. Thiel, 142. 
Schierhorn, J. A. F., 131, — —, Dtto, 65. Thomas, 2., 299. 
172, 178. Schuſter, 168, 240. — — 574, 
Schilling, 238. Schüth, 128. Zluftel, 496. 
Scindelmeifier, 463. _ Echütt, 181, Todt, 451. 
Schirrmacher, 282, Schüse, 5. W., 575. Töppen, 3583. 
Schmidt, F., 160. — —, K. 155. Trahndorff, 353. 
— —, Ferd. 154,185, Schwenk, 141. Traut, 140. 
187 (2), 194 (2), Schwerin, 450 (2). Truhn, 464. 
215 (2), 218 (2), Seeliger, 60. Tſchirch, 452, 454. 
323, 355, 377. Seibel, 393. 
— —, FJ. 4, 192. Seifriz, 454. le, 219. 
— —, Fr., 393. Seltzſam, 174. Unger, 450. 
— —, Julian, 149. Gering, 464 (2), 573. Urlihs, 152. 
— —, Rarl, 471, 492. Seydlitz, v., 282. Urfinus, 29. 
——, L. 155. Sieber, 464 (2). Uſchner, 158. 
— —, 8,611. Siegemund, 593. 
— —, NM. S. 464. Silcher, 453. Vaders, 242. 
— —, W. 101. Sobolewsti, 92 (2), 100 Venedey, 360. 
Sänwibt s Sommerfeld, (8). Vierling, 464. 
491. Solle, 585. Vincent, 565. 
Schmidt » Meißenfel, Sollmann, 232, Viohl, 159, 160. 
154. Spieß, 867. Virgien, 99. 
Schmitt, J., 595. Spindler, 584, Vogel, C., 307. 
I* 


A 





x Verzeichniß der Schriftſteller. 


Vogel, H., 287. 


Vogeler, 304, 602 (2). 


Voigt, F., 352 374. 


Volckmar. W., 674 (3). 


575 145), 983. 
Volkmar, W., 381. 
Vormbaum, 351, 


Rune, C. 497. 
93 


Weber, 50. 
Wedewer, 122. 
Weeber, 452. 
Wehe, 454. 
Meider, 471. 
Weigand, 144. 


Weiß, Gottfr., 464. 


Weiſſer, 597. 
Weitling, 71. 
Wendel, 60. 


——, 5. 205, 216, Denkel, 199. 


209. 

Mägner, 375, 
BWaldbah, 482. 
Walder, E., 98. 
Malter, 229. 
Walther, 57. 
Wanzenried, A., 134. 
Wappäus, 293. 
MWahmanısdarj, 620. 


Wepf, 459. 
Werner, 299. 
Mepel, 139. 
Wichern, 490. 
Mictl, 586. 
Wilhelmi, 614. 
Willkomm, 231. 
Winlelmann, 307, 
Winkler, 295. 


Winter, 97. 

Winterfeld, v., 646. 
MWippermann, 71. 
Mirth, 361. 

Wohlfahrt, 579 (2), 582. 
Wohlthat, 194. 
Wollenhaupt, 580, 
MWörl, 275. 

Wullow, 93. 


Böhler, 213. 
Zähringer, 108. 
Zextler, 450, 

Zehnder, 400. 

Ziegler, 305. 
Zimmermann, %,, 618. 
m, W., 198. 

— —, W. g. A., 298. 
gſchille, 180. 





Negifter der Sammelwerke, Zeitjhriften und ano: 
nymen Büder. 


Alphabete nebft Zahlen, 169. 

Benjamin Spyivefter, 191. 

Beridt über die Hauptverfammlung 
des Turnvereins in Mien, 619. 

Mündyener Bilderbogen, 184. 

Neue Blätter für die Volksſchule, 
502. 

Deutſchlands Flüſſe 2c., 275. 

Glemente des Kopfs und Tafelrech⸗ 
nens, 98. 

Encyclopädie des geſammten Grzie: 
bungs: und Unterrichtsweſens, 470. 

Entwurf eines ıc. Berichts und Ge: 
ſetzes, 474. 

Grinnerungsblätter an Jean Paul, 
152, 

„Ss war einmal’, 213. 

Geradlinige Figuren, 391. 

Der Fink. Eine Erzählung, 190. 

Freya, 209. 

Zür allgemeine Einführung des Tur⸗ 
nens in Bayern, 614. 

Gebet der Schule 2c., 483. 

Gebetbüdlein, 63. 

Katholifches Geſangbuch, 576. 

Geſchichte des brandenburgijch:preuß. 
Staats, 351. 

Globus, 219. 

Handbüdlein für den Religionsunter: 
ri,bt, 59. 

Handreihung ıc., 71. 

Hilfefibel zu Vogel’ Lehrgang, 166. 

Jubelkalender, 357. 

Der Yugend Luft und Lehre, 207. 

Deutfhe Yugenpblätter, 217. 

Sugenpblätter, 206 

Der neue deutſche Jugendfreund, 208. 

Rabe und Hund, 190. 

Der Kinderengel, 213. 


Der poetifhe Kinverfreund, 160. 

Zand und Leute des preußiichen Staats, 
293. 

Erſtes Leſebuch (Grünberg), 172. 

Leſebuch für die anhaltiihen Volle: 
ſchulen, 174. 

Mertbüclein für den Realunterricht, 
234. 

Mittheilungen aus J. Perthes geogr. 
Anftalt, 300. 

Deutjche Nationalbibliothet, 218, 377. 

Naturwiſſenſchaft der Landwirthichaft, 
240, 242. 

Neallehrbud, 234. 

Schulblatt für Norbdeutfchland, 501. 

Schulblatt, Yuremburger, 502. 

Schulblatt, DOftfriefiihes, 502. 

Schulgeſangbuch, 64. 

Schulzeitung, Allgem. Preuß., 502. 

Dramatiſche Spiele, 161. 

Sprudhbud, 63. 

Spruchbuch nebſt vorangeftelltem Ka⸗ 
techismus, 63. 

Töchter⸗Album, 207. 

Die Turnkunſt und die Wehrverfaſ⸗ 
fung, 610. 

Die deutſche Turnkunſt ıc., 592. 

Ueberfiht der deutfchen Turnvereine, 
607. 

Das Vaterlandsbuch, 192. 

Volksbibliothek, Evangeliſche, 71, 
159. 

Volksſchulgeſetz für das Herzogthum 
Gotha, 474. 

Vorleſungen über Kriegsgeſchichte, 379. 

Eine Wallfahrt zur Laterne des Dio⸗ 
genes, 211. 

Württembergs Gebirge 2c., 275. 

Beichenvorlagen, 392. 


en 


I. 


Neligionsunterrict. 
Bon 
Dr. Moritz Schulze, 


Daß die Forderung: „Der Religionsunterriht joll der Beit- 
bildung Rehnung tragen,‘ welche ich im vorigen Jahresbericht 
aufftellte und die ih als ein Hauptkriterium bei Beurtbeilung der Erfchei- 
nungen in biefem Unterrichtögebiete betrachtete, — daß dieſe Yorderung 
unabweislich ift und nicht ungeftraft mißachtet werden darf, dafür liefert 
das Jahr 1862 einen recht augenfälligen Beweis. Er tritt uns entgegen 


in dem 
Sannover’ichen Katechismusftreit. 


Dieſes Ereigniß ift von fo großer Wichtigkeit und tiefeingreifender 
Wirkung nicht bloß für das bannover’ihe Land, ſondern für alle evange- 
liſchen Ränder Deutichlands, und nicht bloß für das kirchliche und Gemeinde⸗ 
leben, fonvdern auch für den Schulunterridht, daß es nothwendig in dem 
diesmaligen Yahresberiht die erſte Stelle einnehmen muß. Freilich eine 
ausführlide Schilderung deſſelben nad feinen Cinzelnheiten und mit An- 
führung aller darauf bezüglichen Actenftüde würde zu ſpät fommen. Denn 
wo wäre der Lehrer, gleichviel ob Beförberer oder Gegner des zeitgemäßen 
Fortſchritts, der nicht alle Berichte über die erften Vorgänge in Hannover 
mit dem größten Intereſſe geleien und fich über den weiteren Verlauf des 
Streites immerwährend in Kenntniß erhalten hätte? Gäbe es aber einen 
Lehrer, der indolent genug wäre, auch bei ſolchen Vorgängen theilnahmlos 
zw bleiben, der würde auch jebt Fein Intereſſe an ſolchem Berichte nehmen, 
der iſt gewiß fein Lefer des „Pädagogishen Jahresberichts.“ 

Belanntlih bat der König von Hannover am. 14. April 1862 „ſiatt 
des jegigen lutherifhen Landeskatechismus“ einen neuen — „Dr. Martin 
Luther's Keiner Katehismus mit Erflärung” (ſ. u. Literatur Nr. 15) — 
eingeführt, und es liegt etwas darin, daß babei der Tag der Einführung 
näber bezeichnet wird als der Tag der Confirmation des Kronprinzgen. In 
dem Eonfiftorialausfchreiben wird der neue Katechismus als ein unmittel- 

BAD, Jahresbericht XV. 1 


2 Religionsunterricht. 


bares Gnadengeſchenk Gottes bezeichnet, indem geſagt wird: Die Erklaͤrung 
„ſchließt ſich an ein Vorbild von anerkanntem Werthe, des weiland General: 
ſuperintendenten Walther zu Celle Erklärung des kleinen Katechismus Luther's 
eng an,” — „ein Bert, in welchem feiner Seit unfre Lüneburger Landes: 
theile ein bejonders aud in weiten Kreijen gemwürdigtes und benugtes Ge: 
ſchenk göttlider Gnade zu erlennen gehabt haben.” 

Schon diefer Anfang der Streitgeſchichte gibt viel zu beventen. Gs 
ift bier die Rede von einem neuen Landeslatehismus, der den alten 
verdrängen fol. Nimmt man aber beide Bücher in die Hand, fo wird 
man ganz confus in den Begriffen „neu” und „alt” Denn Ilieft man 
nur ein paar Seiten in dem „neuen, fo weiß man fogleih, daß man 
eigentli einen uralten Katechismus vor fih bat, während der „alte” ihm 
gegenüber als ein neuer erjcheinen muß, obgleid aud ihn ſchon das Alter 
von 72 Jahren drüdt. Was find aber 72 Jahre gegen 209 Jahre?! Und 
diefe zählt der fogenannte neue Katechismus; denn er ift fchon im Jahre 
1653 erfchienen und trägt nur in feinem neuen Aufpuß die Jahreszahl 
1862. Ja, er gibt fih ein noch weit älteres Anſehen, da er an manden 
Stellen nod ſchroffer und obfcurer ift, als der Walther'ſche (z. B. in der 
Lehre von der Vergebung ber Sünden). 

Wir haben aljo in der That nicht einen neuen Katechismus vor ung, 
fondern die kirchliche Reaction hat um 200 Jahre zurüdgegriffen und führt 
uns den Waltherus redivivus aus dem 17. Jahrhundert vor; fie bietet 
(wie die Proteſt. Kirchenzeitung 1862, Nr. 32, ©. 710 fagt) „das völlig 
verlebte Alte in bäßlihem Gewande der Neuzeit dar.” Und wer find nun 
die Verfaſſer oder richtiger: Herausgeber des Walther'ſchen Katechismus 
unfrer Zeit? Es werden die Herren Lührs, Petri, Niemann u. 4. 
genannt. Sie ſcheinen ſich die Arbeit nicht ſchwer gemacht zu haben und 
von dem Grundfage ausgegangen zu fein, je fchroffer die Lehren mit ber 
geitbildung in Widerſpruch treten und je alterthümlicher und baroquer die 
Form ift, in der fie erfcheinen, deſto ehrwürdiger und glaubhafter müffen 
fie fein. Wie gedankenlos Sup. Lührs, der bauptfädhlichfte Redacteur 
des neuen Katechismus, gearbeitet hat (jagt die Proteft. Kirchenzeitung 1862, 
Nr. 29, S. 643) fieht man daruus, daß er Antworten gibt, die zu den 
aufgeftellten ragen, — Bibelftellen, die zu den Antworten nicht paflen. 
Der Superintendent Dr. Hildebrand, der jelbft ein Mitglied der großen 
Commifjion war, aus welcher der erſte Entwurf des neuen Katechismus hervor⸗ 
gegangen ift, verfichert zwar in ber Vorrede zu feinem Echriftchen „der neue 
Katechismus,“ er habe feit vier Jahren den erften Entwurf defielben gebraucht 
und dabei die erfreulichiten Früchte von feinem Religionsunterrichte erzielt; 
aber kann dies nicht die bloße Folge feiner Lehrgefchidlichleit, feines from⸗ 
men Eiferd und feiner ehrwürdigen Perjönlichleit fein? muß man ſich gleich: 
wohl nicht wundern, daß ihn eine fo lange Prüfung zu feinem beſſeren 
Refultat in Betreff des Buchs geführt hat? muß man fi nicht noch weit 
mehr wundern, daß Männer der Willenfchaft, daß die Univerfitäts: 
tbeologen zu Göttingen, denen dad Buch zur Prüfung vorgelegen bat, es 
approbirt haben, es mit übertriebenem Lob überbäufen, ja, den Ratehis- 
mus als Sclüfiel der heiligen Schrift betrachten? ſowie daß in Folge 











Religionsunterricht. 3 


davon das Gonfiltorialausfchreiben vdenjelben als ein unmittelbares 
Gnadengeſchenk Gottes bezeichnet? 

Warum hat man überhaupt vor der Ausführung eines jo wichtigen 
Unternehmens nicht lieber, ftatt ein Gutachten der Univerfitätstheologen 
einzufordern, Männer dabei zu Nathe gezogen, die in der Praxis bes 
Lebens ftehben? warum nicht die Geiftlihen und Lehrer, warum nicht die 
Gemeinden befragt? Das ift ed, was befonders Schenkel in feiner 
Allgemeinen kirhlihen Zeitſchrift (Jahrg. 1862, Hft. 6) tadelt, wo er auf's 
überzeugendfte darlegt, wie rechtswidrig das Verfahren ift, das man bei der 
Einführung des „neuen, altorthodoxen Katehismus beobachtet hat, da in 
diefer hochwichtigen Angelegenheit weder die Landesgeiſtlichkeit, 
nod die Gemeinden vorher um ihr Urtheil befragt wurden. 
Wber freilih die Orthodoxie, die fih ftets mit Hierarchie gepaart findet, 
liebt nun einmal das Octropiren. 

Doch nicht ungeftraft wurde dem Rechte hohngeſprochen. Das Ge 
meinbebewußtjein fträubte fi gegen den Glaubenszwang, mit dem das 
Land dur die gemwaltfame Maßregel bedroht wurde. Eine ungeheure Auf: 
regung der Gemüther mar die Folge derjelben. Sie wurde aber nicht durch 
die Wortführer der Gemeinden hervorgerufen, die von den Drtbodoren als 
gewifienloje Boltsaufwiegler verleßert werden, jondern fie war die notbs 
wendige Folge von dem fchroffen Berfioßen gegen Vernunft und Recht. 
Dagegen haben die Stimmen der Wortführer allerdings dazu beigetragen, 
das Urtbeil der Gemeinden zu Elären und ihren Forderungen eine be- 
fiimmte Richtung und einen entjprehenden Ausprud zu geben. Und vie 
größte Anerlennung verdienen jene Männer wegen ihrer offenen Freimüthig- 
keit, wegen ihrer gründlihen und Maren Worte der Verftändigung, wegen 
ihrer edlen Charakterfefligleit und megen ihres durchaus reinen Strebens 
und würbigen Verhaltens. Bor Allen traten der Generaljuperintendent 
Rettig zu Göttingen und der Paſtor Baurfhmidt aus Lüchow gegen 
den „neuen Katehismus in die Schranlen. 

Ich übergehe nun die Vorfälle zu Hannover im Auguft vorigen ‘Jahres. 
Es if befannt genug, daß Baurſchmidt ebenfo, wie ſchon der Paftor 
Sulze im Februar vorher, wegen feiner Glaubensanſichten vor ein In⸗ 
quifitionstribunal zu Sannover geftellt wurde. Es ijt belannt, melde 
Dvationen ihm dabei zu Theil wurden und welch' einen guten Kampf er 
gelämpft hat. Wie beilagenswerth es auch ift, daß dabei einzelne Exceſſe vor: 
fommen, die niemand billigen kann, fo ift e8 doch aud nicht zu billigen, 
daß diefelben dem wadern Baurfhmidt angerechnet werben, der ſich dabei 
ſtets würdig und gemeflen verhielt, und der ja ebenſowenig ahnen konnte, 
welche Huldigungen ihm in Hannover bevorftanden, als jemand ahnen konnte, 
daß der Waltherus redivivus ſolchen Spul anrichten würde. 

Die fteigende Aufregung zahlreiher Gemeinden und das entjchiedene 
Auftreten ehrenwerther Geiſtlichen bewog den König, den „neuen“ Katechis⸗ 
mus, wenn auch nicht zurüdzunehmen, jo doch ihn nicht mehr den Ge 
meinden aufpringen zu lajien. Aber freilich ift damit der Friede noch nicht 
wieder hergeftellt und leider wird er durch den Starrſinn orthodor-bierarchifcher 
Geiftlihen noch an vielen Orten geftört. Gefichert kann er dann erft fein, 

1* 


4 Religionsunterricht. 


wenn die Rechte der Gemeinden erft gefeglih anerlannt und dur eine 
Synodalverfaſſung verbrieft werden. Darauf zielt denn aud das 
Streben der Liberalen hin, das fi namentlih in der Cellaer PBaftoral: 
conferenz vom 7. Det. v. 3. ausſprach. Nun ſcheint zwar die k. Ne: 
gierung ihnen zuporlommen und durch Herftelung einer Synodalverfafiung 
den Forderungen der Zeit Rehnung tragen zu wollen; allein man hat 
fein rechtes Vertrauen zu ihrem Vorgehen und vermutbet, daß bie Raͤthe 
der Krone darauf ausgehen, neben der Synodalverfafjung die alte Eon: 
fiftorialverfafjung fortbeftehen zu laflen und jene durch dieſe zu paralpliren. 
Inzwiſchen baben fi) dadurch die Liberalen mohl veranlaßt gejeben, das 
Abhalten einer zweiten Conferenz zu vertagen, aber aufgegeben haben ſie 
ibr Unternehmen nit. Erſt neuerdings haben ihre Bertreter mit der An⸗ 
zeige jener Vertagung eine Erklärung veröffentlicht, die es verdient, hier 
mitgetheilt zu werden, weil fie Sachlage und Tendenz Har vor Augen jtellt; 
und felbjt die Namen der Unterzeichner derjelben verdienen alle bier genannt 
zu werden, weil fie nicht nur zeigen, welch’ ebrenwertbe Männer an der 
Spitze der liberalen Partei ftehen, ſondern auch wie in berjelben vie ver: 
fchiedenartigften Elemente der Gemeinde vertreten find. 

In dieſer Erllärung beißt es: 

„Was es jept eigentlih gilt, ift die offene und ehrliche Befeitigung 
der Lieblingsjagungen der neuen hochkirchlichen Strömung des überfpann: 
ten Amtsbegriffs und der willlürlihen Hemmung der Bort- 
entwidelung der Lehre; — es ift vor allem das entſchiedene Bor- 
anftellen und die Sicherung des Grundprincipes des Proteftan: 
tismus felber. Wenn es vielleicht faum eine andere Landeskirche gibt, 
in welcher unfer Luther fo hochgeftellt wird, als in der hannover ſchen, — 
— — fo ift e8 doch eben Luther, wie er innerlichft war, der freie und 
fefte Mann, der Widerfaher jeglihen Papfttibums, ber Mann 
des Gewiſſens, der dem Volle jo viel gilt, dem es ſich treu weiß im 
MWiderfpruche gegen die Uebergriffe der Ueberlieferung über das Anjehen der 
beiligen Schrift und ihre Erfafiung: In diefem Sinne haben die Ge: 
meinden fi) ausgeſprochen und durch die Einhelligkeit und den Ernſt, momit 
fie es thaten, den Vorwurf widerlegt, daß es ihnen an chriſtlichem Sinne 
und an Theilnahme für ihre Kirche nicht mangele. — — — Die Stim: 
mung im Lande ift entjchieden und feft; feiner täufche fich über ihre Nach: 
baltigteit. 


Das Comitd der am 7. Det. zu Celle gehaltenen Paftoralconferenz. 


Rettig, Gen.:Sup. in Göttingen; Baurfhmidt, Arhivialonus 
in Lühow; Boyſen, Bürgermeifter in Hildesheim; W. U. Braun, 
Kaufmann in Hildesheim; Eberhard, Prof. in Göttingen; Ewald, 
Prof. in Göttingen; Carl Götting, LDbergerihtsanwalt in Hildesheim ; 
Greiling, Ardidiat. in Celle; Rud. Gröning, Kaufmann in Hann; 
DB. 8. Hoffmann, Kaufm. in Celle; Oberdied, Probſt in Uelzen; 
Nedepenning, Kirchenrath in Ilfeld; Schaller, Mevdicinalrath in Celle ; 
Volkmann, Schuldirecor in Osnabrüd. 

Doh genug der Schilderung des bannoverihen Katechismusſtreites. 





Religionsunterricht. 5 


Ich fürdte, für Manche ſchon des Belannten zu viel wiederholt zu haben. 
Es fragt Ah nur noch: follen wir dies Ereigniß beflagen over uns deſſen 
freuen? 

Bellagen müflen wir bie große Verblendung, mit welcher bort bie 
oberftien Lenler der kirchlichen Angelegenheiten, obne auf die Mahnungen 
der Zeit zu bören, ohne die Wunſche und Bedürfniſſe des Volles zu bes 
achten, ohne zuvor die Vertreter deſſelben zu hören, yplößlich fo eigenmächtig 
Maß und Ziel der religiöfen Bildung zu befchränten und diefelbe um zwei 
Jahrhunderte zurüdzuftellen verſuchten; — beklagen müflen wir es, daß 
man in einem proteftantiihen Lande fo unproteftantifh verfahren und fo 
gänzlich das oberfte Princip des Proteftantismus verleugnen konnte, indem 
man den Katechismus zum Herren über die Bibel erhob und die Menfchen« 
fagungen eines Walther als ein unmittelbares Gnabengefchent Gottes an: 
pries; — beklagen müflen wir es, daß dadurch eine fo große Ber- 
wirrung der Gemüther, ein jo großer Zwieſpalt der Parteien, eine fo 
empfinvliche Störung des Friedens in vielen Gemeinden hervorgerufen und 
— die Freiheit des Glaubens, ſowie die fortfchreitende Entwidelung ber 
Volksbildung mit jo großer Gefahr bedroht wurde. 

Wohin hätte es auch kommen müflen, wenn die gewaltjame Maß: 
regel gegen religiöfe Yortbildung zur Ausführung gelommen mwärel Indem 
man den Lehrern das Anfinnen machte, den Katehismus im Jahre 1862 
ebenjo zu erflären, wie im ‘Jahre 1662, mar e3 ja deutlich ausgefprocen, 
daß man nichts willen wollte von der zweihundertjährigen Entwickelung 
der Slaubensanfichten‘, der Pädagogik, der Volksbildung, nichts von ber 
Umgeftaltung der Wifjenfhaften, nichts von dem geiftigen Fortfchritte. Ver: 
dummen wollte man das Bol. Sage ich damit zu viel? D nein! Man 
böre nur einen der Hauptvertheidiger des Walther'ſchen Katechismus, ven 
Gonfiftorialratb Müncdhmeier zu Osnabrüd, der auf dem legten Jahres: 
fefle der ewangelifch = Iutherifchen Miffion zu Leipzig (nad den Zeitungs= 
berichten) folgende haarfträubenden Gedanken von fi gegeben bat: „Mo 
no& keine Luft zum Lefen (beim Volke) ift, rege man fie nidt an. 
Es ift nicht zu fürchten, daß der Bauer Beitungen lief. Auch das Ber: 
langen nad guter Lectüre foll, wenigftend unter Landleuten, nicht 
hervorgerufen werben. Selbit Erbauungsbücder reihe man nur ſparſam. 
Bibel, Sefangbud, Katehismus, die Hauspoftille, ein Gebets 
buch genügen, dazu am ebeften noch ein Miffionsblatt.“ Nun, mehr 
kann man nicht thun, um alle „Luft zum Leſen“ todtzuſchlagen; deutlicher 
kann man nicht zu erfennen geben, was die reactionären Beftrebungen jener 
Katechismushelden eigentlich für ein Ziel haben. 

Do die Klage verwandelt fi) in Freude, bliden wir auf die Männer 
des Fortjchritts, auf ihr edles Wirken und auf die Anzeichen einer befjern 
Zukunft. Freuen müſſen wir uns, daß Männer von Charakter, offen 
und ehrlich, feſt und entſchloſſen, Männer ohne Furcht und Tadel für 
Recht und Wahrheit in die Schranken treten und fo befonnen dabei zu 
Werte geben, jo unverkennbar nur die heilige Sache wahrer Religiofität 
dabei im Auge haben. Freuen müfien wir uns über den gefunden Sinn 
des: Boltes, das die edle Wirkſamkeit diefer Männer zu würdigen weiß und 


6 Religiondunterricht. 


fich nicht wieder in das Joch abgelebter Menihenfakungen ſchmieden laflen 
wil, ſondern nad einer chrültlihen Belehrung für feine Kinder verlangt, 
die dem Zeitbedürfniſſe entipricht und wahres Chriftenthum fürbert. Freuen 
müflen wir uns, daß bies der Sieg der Wahrheit jo ſchoͤn angebahnt und 
daß damit die Hofinung gegeben ift, fie werbe mehr und mehr zur Geltung 
fommen. 

Es ift auch ganz natürlich, daß es jo lam, da man fo rückſichtslos 
die Zeitftimmung und die Zeitforderung mißachtete. Schenkel jagt (a. a. 
O. S. 363) ſehr richtig: „Die Abſchaffung des Katechismus aus dem 18. Jahr⸗ 
hundert und die Einführung des ſtrenggläubigen aus dem 17. Jahrhundert 
ift ein bewußter Schlag, der gegen die anderthalbhundert— 
jährige Entwidelung der neudeutſchen Theologie und des 
deutſchen evangeliihen Volkslebens jeit Spener geführt 
wird.“ Und es iſt auch gewiß, daß die Wahrheit, wenn auch nach langen 
ſchweren Kämpfen, fiegen, — daß der blinde Autoritätöglaube nie wieder 
zur vollen Geltung kommen wird. In biefer Hoffnung beſtaͤrkt uns ein 
Blid in die Natur des Menfchengeiftes und auf die Geſchichte feiner fort: 
fchreitenden Entwidelung. Darauf weift uns aud ein Mann der Willen 
haft, Ehalybaeus, bin, der in feinem trefflihen Werte, „Hiftorifche 
Entwidelung der jpeculativen Philoſophie won Kant bis Hegel’ (5. Aufl. 
Leipzig 1860.) S. A folgente beberzigenswerthe Worte jchreibt: 

„Der Baum der Erlenntnif war ed, von dem gleih am Anfange 
geloftet worden ift; war dieſe Frucht wirklich eine verbotene für den Dien: 
fen, jo hätte er fich freilich nie mit dem Denken einlaflen follen; uns 
aber ift es nun feit Adam einmal angetban: wir können ed nit mehr 
laffen, und jo müffen wir weiter, weil wir nicht mehr zurüdtönnen.“ 

„Der blinde Autoritätöglaube ift, — das kann man fagen, — 
aus dem Geifte der Gebilveten geſchwunden und es ſchlägt keine 
Formel mehr an, die ihn zurüdbeihmwören foll; ja dieſe vergebliche 
Bemühung muß recht eigentlih als die Dual unferes Zeitalter bezeichnet 
werben. Es wird alfo auch in allen hohen und heiligen Dingen nichts 
mehr übrig bleiben, als freie und vernünftige Selbftüberzeugung.“ 

„Jeder Verſuch, jenen naiven Glauben (den verlornen Stinderglauben) 
wieder zu erzeugen, ift nichts als ein poetiiher Traum, der uns erft recht 
daran erinnert, was wir unmiederbringlich verloren haben.“ 

Hierzu füge ich ein herrliches Wort unfers großen Herder, das auch 
hierher gehört, und das den Reactionären nicht oft und ernſt genug an's 
Herz gelegt werben kann; das Wort: „Das Herz des Menſchen will 
felbftgefühlte Religion, der Berftand des Menſchen will 
ſelbſtgedachte Wahrheit. — 

Ehe ih mid nun von den Berichten und Bemerkungen über den han⸗ 
noner’jhen Katechismusſtreit, der unſtreitig eines der wichtigſten und folge: 
reichſten Greignifie auf dem Gebiete des Religionsunterrihts ift, zu anderen 
Vorgängen auf diefem Gebiete wende, muß ich noch auf die fegensreihen 
Früchte diefes Streites aufmerkſam machen, die bereits zu Tage gelommen 
find, Die Erfahrung, daß jeder Glaubensftreit die Wahrheit fürbert, bes 
fätigt fi) au bier. „Marcet sine adversario virtus,“ „ohne Kampf 





Neligionsunterricht. 7 


mit ver Berfuhung ſchlaͤft der Tugenbeifer ein,” fagt ein Weiſer des Alter 
thums, und mit demfelben Nechte lünnen wir fagen: Ohne Kampf mit 
Wahn und Irrthum fchläft der Glaubenseifer ein. Im Kampfe ftäblt ſich 
die Kraft, im Hampfe mit entgegenftebenden Meinungen klärt fich ver 
Glaube, wird unfere Ueberzeugung feſter und beftimmter, fleigert ſich ber 
heilige Gifer für Erhaltung und Kortbildung der gewonnenen Wahrheit. 
An wie vielen Gemeindeglievern in Hannover bat fi das jetzt bewährt! 
Aber die fegensreichften Früchte, die der bortige Streit bereit3 gegeitigt, 
find die vortrefflihen Schriften, melde verjelbe hervorgerufen bat und 
die zur Aufllärung des Volles und zur Belehrung der Lehrer jo viel bei- 
tragen. Was hätte denn den Baltor Baurſchmidt bewegen können, ſich 
über ven ſtatechiomus fo offen und entichieven zu ertlären, wenn nicht die 
Reaction Beranlaffung dazu gegeben hätte? Sind die Bemerkungen zu 
diefer Schrift, vie Sulze in feinem Sendſchreiben An Baurfhmidt in 
jo milpfreundlicher Weife gibt, nicht des Dankes wertb? Geben nicht die 
gehaltoollen Auffäge Schenkel's (in feiner Allgem. klirchl. Beitfchrift, 1862, 
Heft 6 „Die Grundfäge,” Heft 7 „Der Inhalt‘) über die Maßnahmen in 
Hannover und über die Katechismusfrage felbft die belehrendſie Aufklärung ? 
Und wie fjchäsbar ift vor Allem Sulze's Werd „Die Hauptpuntte der 
kirchlichen Glaubenslehre” (f. u. Nr. 1), das eine reihe Fundgrube für 
alle die ift, die fih mit dem beutigen Standpunkte der chriftlihen Reli» 
giomslehre befannt machen wollen! Wie lehrreih die Vergleichung des 
Alten und Neuen in der Schrift Diefielmann’s: „Die Katechismus 
Angelegenheit in der ev.⸗luth. Landeskirche Hannovers, ihre vorläufige Ent- 
ſcheidung und der Weg zu ihrer entgiltigen Erledigung” (f. u. Nr. 2)1 
Auch Curioſa fehlen nicht bei diefem Katechismusſtreit. Wir wärben 
fie gang unerwähnt lafien, menn fie nicht zur Charalterifirung der ſtreng⸗ 
confeffionelien Partei dienten und jehr ernfte Zeichen ber Zeit waͤren. 
Man höre 5. B. das Gebet, welches Harms zu Hermannsburg für ben 
Aatechismus hält: „Siehe, deine Gnadenhand reiht unferm Boll die Gottes: 
gabe eines vortrefflihen Katechismus, einen Katechiamus, deſſen Verluſt einft 
unfre Vater bitterlich beweint haben, und wir verachten dieſe Gabe deiner 
Sottesband und ftoßen fie ſchmaͤhlich zurüd und rufen über dic das Kreuzige, 
indem wir den Katechismus freugigen, den deine Hand uns gibt! Der 
fethe Katechismusheld empfiehlt angelegentlid die „alte Sitte, fidh zu ſegnen 
mit dem heiligen Kreuz!" Man höre die Gtrafbrohung des Dsnabrüder 
Conſiſtoriums (Mündymeier), daß die Eltern, melde für ihre Kinder den 
neuen Katechismus nicht anjchaffen wollen, mit einer Strafe von 10 Sgr. 
und bei fortgefeßter Weigerung mit einer Strafe von 20 Sgr. bebroht! 
Man höre die lieblofen, hoͤhniſchen, ja oft gemeinen Reden in den Schmaͤh⸗ 
ſchriften, deren Titel 3. Th. ſchon den Geift der Berfafler verrathen, wie 
3. 8. „Bom Baftor Baurſchmidt und dem Kleinen GSchentel,” „Auf grobe 
Züge derbe Antwort.” Ja, Müntel nennt Alles, was ſich gegen den 
neuen Katechismus, dieß göttliche Gnadengeſchenk, erhebt, einen Stant! — 
Han höre namentlih, wie felbft eine thbeologifhe Yacultät dem neuen 
Ratehismns das Wort redet und ſichs gefallen läßt, ihr Urtheil auf höheren 
Befehl in ver auffallendſten Weijſe eingejchräntt zu ſehen. Ehrenfeuchter, 


8 Religionsunterricht. 


ein Mitglied der theolog. Facultaͤt zu Göttingen, ſagt ſelbſt: „Uns wurde 
die Yrage vorgelegt, ob der Entwurf mit der Lehre der lutheriſchen 
Kirche durchweg fiimme, ob er auch Nichts als gewiß binftelle, was nad 
der Lehre der Kirche für unentſchieden gehalten werben muß. Dem eignen 
Ermeſſen der Yacultät wurde verftellt, auf die Yrage einzugeben, ob ber 
Entwurf in praftifher, namentlih pädagogifher Beziehung dem 
Zwecdce entipredhe.” Nam e3 denn nicht gerade barauf vor Allem an? und 
hätte nicht gerade darüber das Urtheil der Facultät gehört werben müſſen, 
ob das Bud) feiner praktischen Beftimmung entſpreche? Welch eine traurige 
Rolle fpielt bier die Facultät, die fi gerade Das unterjagen läßt! Und 
in welchen Widerſpruch mit fich felbit ift die Facultät duch das von ihr 
gefällte Uxtheil gerathen! Dieftelmann (f. u. Nr. 2) hat dies im An⸗ 
bange feiner Schrift noch bejonders nachgewieſen. 

Gewiß, auch folge Erſcheinungen, die fih an den bannover’schen Hate: 
chismusſtreit nüpfen, dürfen nicht überfehen werben, fo wie biefer Streit 
jelbft und das Object des Streited — der neue bannover’fhe Kate 
chismus (f. u. Nr. 15) — in diefem Jahresberiht eine befonvere aus: 
führlihe Beiprehung forderte. Denn die Emiffion dieſes Katechismus und 
das Disciplinarverfahren des hannov. Confiftoriums gegen ben Baftor Sulze 
find hervorragende Seitereignifle, bebeutungsvoll für die Entwidelung ver 
evangeliichen Kirche und Schule; fie machen aufmerffam, wohin Hierarchie 
und Ortboborie führen; fie warnen vor der fatholifivenden Tendenz bes 
reactionären ReligionsunterrichtS und vor dem unevangeliihen Streben, die 
confeffionelle Richtung zur biblifhen zu ftempeln; fie treiben zur Feftflellung 
der Rechte der Gemeinden an und nöthigen, bie Forderungen an einen 
zeitgemäßen Neligionsunterricht zu beachten und ihnen nadzulommen. — 

Wie in Hannover, fo gibt es nun aber aud in noch gar manchen 
andern deutſchen Ländern ähnliche Lehroorfchriften über den Religionsunter: 
sicht, die auch dem evangeliſchen Geiſte, ver Beitforderung und ber praftifchen 
Pädagogik wideriprechen, wie in Braunfhmweig, wo ber Erneftifche, in 
Schwarzburg-Sondershbaufen und Rudolftabt, wo ber Kolbe'fche 
Katechismus eingeführt ift, und namentlih in Preußen, wo immer noch 
bie Regulative in Geltung find. Theils aber ift der Widerfland nicht in 
fo fchroffer Weife gereizt worden, mie in Sannover, theils zeigen die Ges 
meinden und jelbft die Lehrer zu viel Indolenz, als daß fie vereinigt und 
mit Energie das Bellere gu fordern wagten. 

Beſonders bellagenswerth ift es, daß in dem Staate der Intelligenz 
der Krebsſchaden der Regulative immer noch beftebt, und daß dadurch 
die veligiöfe Bildung des Volles gewaltfam zurüdgebrängt wird. Mag auch 
Herr von Bethmann-Hollweg noch fo befriebigt über die Wahrnehmungen 
von ber beilfamen Wirkung ver Regulative berichten; fein Zeugniß bat keine 
Giltigkeit, da er auf feiner Rundreiſe den Verfafler der Regulative zur Seite 
hatte und durch defien ober⸗kirchenraͤthliche Brille ſah. Wie hätte er fonft 
jo ungerechte, wahrheitswidrige Urtheile über das Wirken der früheren Lehrer 
am Breslauer Seminar fällen lönnen? Wie Har und überzeugend aber 
auch von dem ehrenwertben Pfarrer Loöſchke, ver früher an dem Bress 


Iquer Seminar wirkte, dieſe Urtheile widerlegt worben find, wie unermünfich 


Religionsunterricht. 9 


andy der wadere Dieftermeg gegen die Requlative anlämpft, die Ber: 
ehrer der leßteren find taub gegen dieſe Stimmen bewährter Pädagogen. 
Die Folgen davon fiebt man an den Neligionsjchriften, bie von den 
preußiſchen Lehrern ausgeben und die mit geringen Ausnahmen nur von 
dem Regulatiogeifte ſich leiten lafien. Nicht eher aber, ala bis dieſer Geift 
gebannt ift und in Preußen und andern deutſchen Ländern ftatt des 
kirchlichen Confeſſionalismus wieder das lautere biblifche 
Ehriftentbum geltend gemacht und ber Zeitforderung Rechnung getragen 
wird, kann ed mit dem NReligionsunterricht befler werden. Wohl werde ih 
wegen ſolchen Urtheild von den Orthoboren verketzert; aber ich Tann nicht 
anders. Ich bin ein abgefagter Feind der Regulative, nicht aus Gigen- 
fun, fondern weil ih feit 33 Jahren als Neligionslehrer der Erfahrungen 
viele gemacht babe, die mich überzeugen, daß durch foldhe Lehreinrichtung 
die Religiofität und Kirchlichkeit ruinirt, der Lehrerſtand irregeleitet und vers 
dorben, dadurch eine Verderbniß auf Generationen hinaus berbeigeführt wird 
unb vie finder des Bolles zu Finfterlingen over zu Neligionsverächtern 
berangebildet werben. 

Es ift bier nicht der Ort, ein Lehrſyſtem über religiöfe Pädagogik aufs 
zuflellen, aber die Mißſtaͤnde, die fih auf diefem Gebiete zeigen und bie 
namentlich in den Ereignifien, Verordnungen und literariihen Erſcheinungen 
des zu beſprechenden Jahrganges hervortreten, müflen bier offen bargelegt 
werben, um vie oben bezeichneten Nachtheile verhüten zu belfen. Während 
nun bei der Beurtbeilung der im vorigen Jahre erfchienenen Religions: 
ſchriſten viele Einzelheiten zur Beiprechung kommen, foll bier noch einiges 
Allgemeine, was fi in den meiſien diefer literariichen Erſcheinungen zeigt, 
befprochen werden. Ich befchränte mid dabei diesmal auf folgende Uebel: 
fände, welche eine gedeihliche Wirkſamkeit des Religionsunterrichtes bilden, 

41. Berfrübung des ſyſtematiſchen Religiondunterridhts, 
namentlich der Anwendung des Katechiomus. Meift wird die Einrich⸗ 
tung getroffen, daß jchon in der Unterklaſſe der Katechismus, doch nur ber 
Zert ver fünf Hauptitüde, in Unwendung kommt, in der Mittelllafle die 
Erklaͤrung Luther's binzutritt, in der Oberklaſſe das ganze Syſtem durch 
Bibelleſen, Bibellunde, kirchlihe Symbolik und Lernſtoff vervollſtaͤndigt wird. 
Daneben wird von unten auf bibliſche Geſchichte in zunehmender Erweiterung 
gelehrt und aus Bibel und Geſangbuch das dazu Paſſende gelernt. Gs iſt 
aber gewiß viel naturgemäßer, ganz ohne Rüdjicht auf den Katechismus mit 
den einfachften, für Heine Kinder nicht nur veritändlichften, ſondern auch für 
ihe Alter anwendbarſten Religionslehren zu beginnen, dieſelben an ver Hand 
der bibliſchen Geſchichte und klarer Bibelſprüche zu vervollftändigen und erfl 
dann, wenn die Finder in der reinen Bibellehre auf die einfachite Weiſe 
unterwiejen und befeftigt worden find, den Katechismus folgen zu lafien, und 
biefen nad der Bibel, nicht die Bibel nah ihm zu erllären. Wie unge 
börig es iſt, den Katechismus ſchon bei Heinen Kindern, ja vom britten 
Sabre an (1) zu gebrauden, bedarf keines Nachweiſes, und wie ungehörig 
fein Gebraud in den erften Schuljahren ift, das habe ich in meinem Auf: 
fape über den „Religionsunterricht für Schullinder der beiden erſten Schulz 
jahre“ (Allgem. deutſche Lehrerzeitung 1852, Nr. 11—14) nachgewieſen. 


10 Religionsunterriht. 


Ganz befonders muß aber darauf aufmerkfam gemacht werden, daß der „‚Zert”‘ 
des Katechismus für die Kinder der erften Schuljahre oft viel ſchwieriger iſt, 
als die „Erklaͤrung.“ Man vente nur an das erfte Gebot! 

2. Die Betreibung des Confirmandenunterrihts als eines 
vollftändigen ſyſtematiſchen Religionsunterrihts. Es if 
eine Schande für den Lehrer, wenn er feine Slinder bis zur Confirmation 
nicht jo weit zu bringen vermag, daß fie die zu derſelben nöthigen Reli⸗ 
gionstenntnifie haben. Wenn aber das die Schule leiften kann und leiften 
muß, wozu dann nocd ein neuer HReligiongunterricht für die Confirmanden 
bei dem Pfarrer? Dieſer mag allerdings bei feinen Beſprechungen mit den« 
jelben prüfen, ob fie binlänglich vorbereitet zu ibm kommen, aber er darf 
fh nicht einbilden, daß er fie in der kurzen Zeit und bei dem einmaligen 
Eurfus feiner Unterweifung vollftändig unterrichten könne a, er kam 
leicht dazu beitragen, daß bie Kinder dadurch irre gemacht werden, wenn 
ee ein ganz anderes Syſtem befolgt, als ver Lehrer und wenn er eine 
Ausdrudss und Erklärungsweife bat, die den Kindern fremd ift, fie auch 
wohl mit vielen Aufgaben von neuen Liedern und Sprüden quält und mit 
gelehrten lirchenhiſtoriſchen Kenntniſſen überjhüttet. Die Hauptſache aber 
iſt, daß er dabei den eigentlichen Zweck dieſer Vorbereitungsſtunden verfehlt. 
Dieſer iſt unſtreitig nicht der Unterricht, ſondern die Erbauung. Gr ſuche 
daher nicht, den Ktiindern etwas Neues zu geben, ſondern baue fort auf dem, 
was die Kinder mitbringen, indem er fie lehrt, das, was fie inne haben, 
in feiner Wichtigkeit für ihr religiöfes Leben zu erlennen und ſeſtzuhalten. 
Der Eonfirmandenunterricht foll nicht ausführlicher und gründlicyer, als der 
Schulunterricht fein, ſondern vielmehr einfacher, indem er gleihfam die Eons 
fequenzen aus dem vorausgegangenen langjährigen Unterricht zieht und dieſe 
mit den Kindern in einer Weiſe bejpriht, daß fie dadurch erbaut, zu guten 
Grundſaͤtzen für's Leben geführt uud auf eine recht ernfte, würdige Weile 
für den heiligen Tag der Konfirmation vorbereitet werben. Ich habe daher 
die Gewohnheit, bei meinem Confirmandenunterriht in jeder Stunde auf 
einen Hauptgebanten binzuzielen, dem alles Andere dienen muß, was ba- 
neben zur Sprache kommt, und veranlafje die Kinder, zu Haufe in einigen 
Zeilen das niederzufchreiben, was den meiften Eindruck auf fie gemacht bat, 
und das if faft immer jener Gedanke, den ih im Auge hatte. Es 
tommt wohl dabei vor, daß unbedeutendere Nebengevanten wiedergegeben 
werben; aber das thut nichts, wenn es nur auf das Gemüth und Gewifien 
der finder einen tiefen Cindrud gemacht bat, der ja überhaupt nad ben 
verſchiedenen Seelenftimmungen und Lebensverbältnifien ein verfchienener 
fein muß. Neue Verſe und Sprüche gebe ich dabei nur felten auf, ſuche 
aber das Borgefundene recht fruchtbar zu machen. 

8. Undeutſche Ausdrudsmweife. Die Orthoporen fuchen eiwas 
darin, nicht nur recht antike, veraltete Lehren aufzuftellen, fondern ihnen 
auch eine recht antike, veraltete Form zu geben. Sie beventen dabei nicht, 
wie fehr fie dadurch Lehrern und Schülern das Verſtändniß erfchweren, wie 
fehr fie dadurch Zeit und Nugen des Unterrichts beeinträchtigen, und wie 
viel mehr doch auf den Gehalt, ald auf vie Form der Lehren anlommt. Jh 
will jest gar nicht von ben viel zu gelehrien Ausoruden und von ben 








Religionsunterricht. 11 


Fremdwörtern reden (mie Benedicte, Gratias), die in manden der zu bes 
fprebenden Schriften häufig vorlommen, fondern nur von den deutſchen 
Worten und Wendungen, die Luther gebraucht hat, und die darum immer 
noch beibehalten werben, wie fehr fie auch der Redeweiſe unfrer Zeit und 
den grammatifchen Regeln wiberfpredhen, deren ftrenge Beobachtung wir von 
unfen Schülern fordern müflen. Da aber bei der nachfolgenden Beurtbeis 
Iung der Religionsſchriften vielfache Gelegenheit geboten wird, auf folche 
Uebelftände aufmerlfam zu machen, jo wähle ih bier nur ein kutherifches 
Wort aus, das zwar an fi) ganz vortrefflid ift und jehr häufig gebraucht 
wird, das aber zur Genüge beflätige wird, was ich von der Unzwedmaͤßig⸗ 
keit folder Redeweife in der Schule behaupte. Es ift das ſchöne Wort 
Luthers: „Das walte Gott!“ Wir finden es in vielen Lefe: und Nelis 
gionsbüdhern. Wird es aber au von den Kindern recht verftanden? ja, 
wird es von den Lehrern recht erllärt? Beides muß ih nad meinen Er: 
fahrungen,, die ich als Schuldirector gemacht habe, verneinen. Die Lehrer 
wußten nicht, was fie mit diefem undeutſchen Ausprud anfangen, mie fie 
ihn den Kindern erklären follten. Der Eine fagte den Kinden: „Das 
walte Gott‘ ſei ein Drudfebler, es mülle beißen: „Daß malte Gott.“ 
Gin Anderer fagte, es folle heißen: „Das wolle Gott;“ ein Dritter: „Darüber 
walte Bott” — oder: „Das gebe Gott,“ womit allervings der Sinn ge 
troffen, aber vor den Kindern das Sprachwidrige des Ausbrudes nicht ge 
rechtfertigt war. Den Lehrern, die das Lateinische nicht verftehen und da⸗ 
zum nicht wiſſen, daß Luther bier das hoc regat Deus deutſch wiedergibt 
und „das“ daher ein Accufativ ift, konnte ich es nicht zum Vorwurf 
machen, wenn fie das Wort falſch erllärten. Ich frage aber, warum diefen 
Gap, der zwar aus deutihen Worten befteht, aber doc undeutſch ift, den 
Kindern aufnöthigen , die ihn nicht verftehen können, nod dazu, da man 
ganz daſſelbe mit dem verftändlihen Worte „Alles mit Gott!” oder „Mit 
dem Herm fang Alles an!” erreihen kann. Nur der orthodore Eigenſinn 
beftebt auf Beibehaltung folder veralteten Yormen, in denen ja doch das 
Weſen der Sade nicht zu ſuchen ift, und die den guten Fortgang bes 
Unterriht3 hemmen. Auch bierin muß der Beitforderung Rechnung ger 
tragen werben. 

Zum Schluſſe fei bier noh ein Wort Schenkel's erwähnt, von 
dem ſich jeder Religionslehrer leicht die Anwendung auch auf den NRelis 
gionsunterriht machen kann. Er Hagt (in der Allgem. kirchl. Zeitſchrift 1862, 
Heft 8, Seite 471), daß die Kirche die Erfüllung ihrer nationalen Aufs 
gabe und Pflichten feit längerer Beit verfäumt habe, — daß fie aufgehört 
babe, mit den Velten und Hervorragendfien der Nation Hand in Hand zu 
geben, — daß fie mit den Yortjchritten der nationalen Bildung längft 
wicht mehr Schritt halte, von allen Wiſſenſchaften überflügelt fei; — vie 
tirchliche Krife babe ihren Ausgangspuntt in einer begriffswibrigen Stellung 
der Kirche zu den Berürfnifien und Anforderungen der modernen Bildung 
und Wiſſenſchaft, dem ganzen Geifte und Charakter unferer Zeit. 


12 Religionsunterricht. 


Literatur. 


A. Religionslehre. 
a) Für Lehrer: 


I. Die Hauptpunkte der kirchlichen Glaubenslehre mit den Worten 
der Bekennmiſſe dargeftelt und an der heiligen Schrift und den Forde⸗ 
rungen des Glaubens geprüft von E. Sulze, Paſtor zu St. Marien in 
Denebrüd. Hannover. Karl Rümpler. 1862. 8. XVI und 248 ©. 
27 Sgr. 


Wie bei der Relation über die den Neligionsunterricht berührenden 
Borgänge des Jahres 1862 der hannover'ſche Katechismusſtreit die erfte 
Stelle einnahm, weil er das wichtigſte und folgenreichfte Ereigniß in dieſer 
Beziehung if, fo muß auch diefe hannover’ihe Schrift bier allen andern 
vorangeftellt werden. Sie ift zwar nicht unmittelbar aus dem Katechismus: 
fireit hervorgegangen, aber fie ift dur den in Hannover herrſchenden Geift 
der Glaubensprspotie dem Verfaſſer abgenöthigt worden. Belanntli war 
derfelbe wegen feiner Abweichung von der Kirchenlehre in eine Disciplinar: 
unterfuhung gezogen worden und mußte im Februar 1862 vor dem Con: 
fiftorium gu Hannover ein viertägiges Colloquium beſtehen*“). Auf Grund 
defielben wurde ihm eine unummundene Crflärung über die Hauptpunkte 
feiner Lehre abgeforbert, deren Abgabe am 30. Juni v. J. erfolgen follte. 
Die gegebene Frift benußte der Verfaſſer, „zunächft ſich felbft eine möglichft 
Mare Darftellung feiner Weberzeugungen unter fleter wortgetreuer Darlegung 
der kirchlichen Lehre auszuarbeiten,” die dann feiner Erklärung zu Grunde 
Hegen ſollte. So entftand die vorliegende Schrift, die der Verf. dem Drude 
beitimmte, „um ſich felbft zu möglichfter Vollendung derjelben zu zwingen.“ 

Eine Schrift, die, wie die vorliegende, aus ernftem Ringen nah Wahr: 
heit und aus heißen Seelentämpfen hervorgegangen ift (der Perf. hatte 
früher der ftrengeren Richtung nahegeftanden ), — eine Schrift, mit welcher 
der Verf. in entfheidungsvoller Zeit vor feinen Glaubensrichtern ein reiflich 
erwogenes Beugniß ablegen will, und die im tiefempfundenen Gefühl der 
heiligen Aufgabe abgefaßt ift, muß an fi ſchon anziehend erſcheinen und 
verdient mit warmem Sinterefle aufgenommen zu werden. 

Noh mehr aber wird das Intereſſe für diefe Schrift dadurch erregt, 
daß fi der Verf. in der Vorreve als einen Mann zu ertennen gibt, ver 
es nicht nur redlich mit der Wahrheit meint und der edelſten Gefinnungen 
vol ift, fondern der aud mit echt proteftantiihem Geifte die Lehren der 
Riche und ſich jelbft gewiſſenhaft prüft. und der bier nur unummwunden und 
ohne Menſchenfurcht „feine Auffafiung des Glaubens” varlegt. Nicht im 


*), Jetzt (Mitte April 1863) Tief man In den Beitungen, daß er nach ber 
Entfheidung des hannover'ſchen Kirchenregiments im Amte bleiben darf, da man 
boffe, „daß er bei feinem Suchen nad Wahrheit endlich den rechten Weg finden 
werde !!" 





Religionsunterricht, 12 


Intereſſe der Wiſſenſchaft, nicht um feine Gelehrfamleit zu zeigen, fchreibt 
er; nein, Erfahrungen des innern Lebens find es, um die es fih ibm 
bandelt. „Ich möchte, jagt er (S. IX d. Vorr.), ih möchte ver Form 
des innern Glaubenslebens, die fi) mir als die allein bejeligende dargethan 
bat, das Bürgerrecht erwerben helfen in der Kirche. So treibt mid ein 
Herzensbedürfniß zu dem, was ih thue. Und als Frucht der innern 
Erfahrung, des innern Erlebens babe ih meine Anfchauungen darlegen 
wollen, nicht andere. An den Forderungen des beilsbedürf: 
tigen Herzens die Kirhenlehre zn prüfen, das it im Grunde 
meine Hauptaujgabe gewejen. Die Prüfung an den Gejeben des Dentens 
follte ald minder wichtig nur nebenher gehen. 

Und mie viele trefflihe Grunpjfäge und Winke gibt der Berf. ſchon 
in der Vorrede! wie fehr wird au dadurch ſchon das Intereſſe für die 
Schrift felbft erwedt. Bor Allem hält er feit an dem Rechte des Chriften, 
Alles zu prüfen, feft an dem Grundprincipe des Proteftantismus, die Kirchen⸗ 
lehre nah Maßgabe der Schriftlehre zu beurtbeilen, und fragt feine Gegner: 
„Weiſt nicht unſre Kirche felbft über fich felbft hinaus? Erkennt fie nicht 
die heil. Schrift als ihre Meifterin an? Denen aber, die ihm voriwerfen 
möchten: „eure Stellung zur Schrift ift jelbit eine andere, als die der Kirche; 
ihr findet an ihr eine menfchliche Seite, nennt fie nur Heilskunde, während 
fie der Kirche Gottes unfehlbares Wort iſt,“ — entgegnet er: „Wie aber, 
wenn nun die Schrift felbft nur unfre, nicht die kirchliche Stellung zu ihr 
ald die wichtige darftellte, wird dann die Kirche nicht auch in diefem Punkte 
von ihrer oberften Richterin in Glaubensſachen ſich müſſen weiſen laſſen?“ 
Ueberdies meint der Verf. mit dem beflen Gewiſſen behaupten zu können, 
daß feine Art zu glauben nur „die endliche Frucht, vie legte Confequenz 
des Glaubensprincips ſei, das die Reformation durch Gottes Gnade unver 
lierbar der hriftlihen Kieche gewonnen hat.” — Bon der Prüfung der 
beil. Schrift felber aber jagt er: „Es beweift nur den Unglauben 
unferer Zeit, wenn man vor einer Prüfung der Schrift fi 
fürdtet. Sie ſcheint den ängftlihen Gemüthern fehr wenig göttlid) zu 
fein, fonft würden fie willen, daß das Feuer der Prüfung fie nur bewähren 
fünne. Sie fcheint nad ihrer Anfiht jehr wenig ewigen Lebensgebalt in 
fi) zu tragen, fonft würden fie willen, daß das gerade ihren Werth bes 
funden müßte, wenn troß aller menſchlichen Unvolllommenbeiten, die man 
an ihr entdeden könnte, ihr innerer Werth doch unbeftreitbar bliebe.” — 
Und recht veutlih charalterifirt er den Grundzug feines ganzen Wertes, 
„damit feiner feiner Gegner in Zweifel jein könne, worin tie neue Herzens» 
ftellung zu Gott, die neue Geftaltung des Heilslebens beftehe, vie er vers 
fündigt,” indem er ©. XI jagt: wer da meint, nur buch den Glauben 
an das biutige Opfer Chrifti könne man vor Gott gerechtfertigt werben, ber 
kann vor Gott nur auf Grund einer gerihtlihen Thatſache gerechtfertigt er: 
icheinen. „In geihichtlihen Dingen aber ift' niemals volle Gewißheit 
möglich) ; in ihnen hat erft die Wiſſenſchaft den Thatbeſtand feitzuftellen.‘ 
Wer fi nun der befieren Erkenntniß zum Trotz zum Glauben zwingt, deſſen 
Glaube kann nur ein gefeßlicher, nicht ein evangelifcher fein. „Die neue 
Geftaltung des Heils in uns, die wir lehren, ift num dieſe. Wir fagen: 


14 Neligionsunterricht. 


nicht Ehrifi Tod und Auferfiehung, nur unfer eignes inneres Sterben und 
Auferfiehen, nur die Wiedergeburt rechtfertigt ung vor Gott. Nicht 
alfo ein Greigniß in der Geſchichte, fondern ein Ereigniß in 
unferm Herzen, Gott in uns. Jenes kann auch zweifelhaft fein, 
Dies ift ung gewiß. Es hat die Gewißheit unfere Lebens, unfrer Eriftenz; 
es fteht ganz in der Gewalt unſers Bewußtjeind. Aber die gejchichtlidye 
Thatſache wollen wir deshalb nicht verachten 2c.“ 

Noch müſſen wir als einen bejonvderen Vorzug diejer Schrift hervor: 
beben die Liebe, die fie athmet, — die ſchonende Liebe gegen bie Wider⸗ 
ſacher, die heilige Liebe zur Wahrheit, zur Religion. Es ift fürwahr für 
den Verf. nichts Leichtes geweſen, bei dem vollen Bewußtjein redlicher chriſt⸗ 
liher Geſinnungen fih auch in keinem Worte gegen die Widerſacher zu ver: 
geben, wie verleßend au für ihn der Vorwurf war, daß er Unchriſtenthum 
predige ıc. Er bat ſich aber zu beberrihen gewußt, und das verdient alle 
Anerlennung. Wie nun ſchon um biejes milden, ſchonenden Geiftes willen 
feine Schrift einen böchft wohltbuenden Eindrud macht, jo auch durch den 
Geiſt der Wahrheitsliebe, durch den innigen, heiligen Sinn für das echt 
Religiöfe, der aus ihr fpricht, der fie ganz durchdringt. 

Wenden wir uns nun zu dem Inhalt, der Schrift felbit, fo zerfällt 
derjelbe in folgende fünf Haupttheile: 

L Die Bekenntniſſe. Die Verpflihtung auf diefelben, fagt der 
Berf., „ſetzt die drei Weberzeugungen voraus, daß die Fülle des Heils nur 
in Ehrifto fei, daß dies Heil nur in freiem, freudigem Glauben 
auf die rechte Weife angeeignet werde, und daß nur die h. Schrift als 
die lautere Quelle für die Erkenntniß des chriftlihen Heils, als die oberfte 
Richterin in Glaubensſachen könne angejehen werden. Der Mangel ber zu: 
erft genannten Ueberzeugung würde einen Bruch mit der allgemeinen chriſt⸗ 
lichen, der Mangel der beiden legteren ein Verlafien der evangelifchen Lehr: 
und Lebensentwidelung befunden. Beides darf innerhalb der Kirche nicht 
geftattet werden. In allem Uebrigen bindet den, der ein kirchliches Amt 
übernimmt, da die Kirchenlehre, wie alles Menſchliche, unab- 
läflig im Werden ift, nichts anderes als feine eigene Gewiſſenhaftig— 
keit.” Bei der Ausführung diefer Säße jagt er unter Anderem fehr 
richtig: „Die Behörden, die jept auf Grund des Bekenntnißbuchſtabens über 
die kirchliche Buläffigkeit einer Lehre entjheiden, haben von der Kirche ein 
Mandat gewiß nicht aufzumeifen.‘ 

H. Die heilige Schrift. — Wie im erften und in dem folgenden 
Abſchnitt, gebt der Verf. auch bier von der Kicchenlehre aus. Diefer Ab- 
jchnitt iſt unftreitig der wichtigfte im ganzen Bud, weil er die Grund: 
principien der evangelifchen Kirche erörtert und fomit den Mafftab für die 
Beurtheilung aller übrigen Kirchenlehren und des Standpunltes, den ein 
proteſtantiſcher Chrift einnehmen joll, an die Hand gibt. Der Berf. jagt 
bier: „Es darf die Unterfuhung darüber, ob eine Schrift mit Recht 
den hiblifhen Büchern beigezählt wird ober aus ver Zahl ber: 
felben zu entfernen ift, oder ob noch andere Bücher in die Sammlung 
bibliſcher Schriften aufzunehmen find, in der enangeliihen Kirche niemals 
als unberechtigt abgewieſen oder durch kirchliche Machtſprüche in ber Frei: 











Religionsunterricht. 15 


beit ihrer Gntwidelung gehindert ober gefeilelt werben. Aber auch das ſchon 
bieße den evangeliihen Standpunlt freier, liebevoller Aneignung des Schrift: 
inhalts vernichten und ben des knechtiſchen Gehorſams an feine Stelle ſetzen, 
wenn bie Kirche durch eine bloße Verordnung den ganzen Umfang gewifjer 
als bibliſch anerlannter Schriften ohne Weiteres als Gotteswort hin- 
flellen und die Unterfuhung darüber, ob in ihnen eine menſchliche 
Seite, die Möglichkeit einer mangelhaften Ertenntniß, ja eines Irrthums 
fih finde, durch ein bloßes Machtgebot entſcheiden oder hemmen wollte. 
Für die Entjdeidung darüber, was biblifh und was in dem Biblis 
ihen Gotteswort fei, gibt es nur zwei Bellimmungsgründe, einen 
innerlihen und einen äußerlichen, dag Gewiſſen und das Bild des Herrn 
Chriftus. Nur das fann Gottes Wort fein, was dem Ge- 
wiljen eine Förderung und Bereiherung gewährt, was ung 
erhebt, indem es und demüthigt und beugt, und jo thatjählid feinen gött- 
lihen Lebensgehalt bezeugt. Die höchſte Bereicherung und Lebensförderung 
findet unjer Gewiſſen aber erfahrungsgemäß an der Perjon des Herrn. 
Es wird daher unbedingt mit Quther zu jagen fein: „was Chriftum 
nit lebret, das ift auch nicht apoftolijch, wenn's gleih St. Petrus 
oder Paulus lehret, wiederum, was Chriftum prediget, das wäre apoſtoliſch, 
wenn es gleih Judas, Hannas, Pilatus und Herodes thät.” Die Unter: 
juhung nun, was nah dem Urtheil des Gewiſſens und nad dem un 
fehlbaren Maßftabe, den die Perfon des Heren uns bdarbietet, Gottes 
Wort fei, wird, wie jede menfchliche Arbeit, nur eine unabläffig 
fortfhreitende, nie eine volllommen abgeſchloſſene fein können. Aber 
es findet im Laufe ihrer Entwidelung eine Wechſelwirkung ftatt zwiſchen 
dem Gewillen und der Schrift. Die Schrift erflärt und verfchärft durch 
das Bild des Herrn, das fie in ſich trägt, das Gewiſſen immermehr und 
befähigt es dadurch jelbjt, immer ficherer zu erlennen, was bibliſch und 
was in der Bibel Gottes Wort iſt.“ 

Dieje kurzen Andeutungen, in melde der Verf. das Nefultat der hoch: 
wichtigen Unterſuchungen dieſes Abjchnittes zujammendrängt, und bie er 
(mie er es auch bei jedem der übrigen zu thun pflegt) als Ueberſicht des 
Ganzen an die Spiße defjelben ftellt, führt er dann gründlich in 14 Paragraphen 
aus. Iſt ed nun an ſich ſchon interefjant, diefer Ausführung zu folgen, weil 
fie die Begründung diefer wichtigen, Manchem gewagt fcheinenden, ven 
orthodoxen Glaubensrichtern verwerflihen Behauptungen in ruhiger, klar 
überzeugender Weije geben, fo es ift doch dadurch noch befonders anziehend, 
ja an manden Stellen ergreifend, da fie ganz bejonders die fromme Liebe 
athmet, deren Geift das ganze Werk durchweht, und einen tiefen Blid in 
das edle Herz des Verfs. thun läßt, das jo ehrlich gelämpft, jo eifrig nad 
Wahrheit gerungen bat. Gern möchten wir daher noch ganze Paragraphen 
diejes Abfchnittes mittheilen; doch wir hoffen, jchon das Wenige, was bier 
gegeben wurde, wird zum Lejen und Studiren bes ganzen Wertes ermuntern. 
Beſonders machen wir auf die beiden 88. 9 und 10 aufmerljam; „Die bloß 
gefdhichtlihe Beantwortung der Frage, was bibliih und was Gottes Wort 
fei, und die daraus hervorgehende gejeßliche Stellung zur heiligen Schrift” 
— und „das Gewiflen als Organ, Gotted Wort zu erlennen und von bem 


16 Religionsunterricht. 


Nichtgöttlichen auszufondern.” Dort zeigt der Verf. trefflih, wie zerftörend 
das gewöhnliche Verfahren ift, für fo erhaltend es fi au ausgibt, — 
das Verfahren, nur die gefhihtlihen Zeugniffe für die h. Schr. 
zu prüfen und, ſobald ſich ergibt, dak die betreffende Schrift wirklich den 
prophetiſchen oder apoftolifhen Berfafler hat, nah dem fie genannt ift, fie 
als eine unfehlbare Quelle der Heilswahrbeit gelten zu lafien. Hier aber 
weiſt er eben fo treffend nah: „Was mit dem Gemwiffen nidht über: 
einfimmt, das kann nicht heilige Schrift, nicht Gotteswort 
fein, und wenn aud alle Welt, und wenn es fich felbft dafür ausgäbe. 
Was aber mit dem Gewiſſen jtimmt, das ift Gotteswort, mag es lehren 
wer da will. So haben wir denn in uns felbft einen Brüfftein, das Gött- 
lihe von dem Ungöttlihen auszufcheiden; wir find nicht mehr dem Zufall, 
der Willlür, einer äußerlihen gefeglihen Anordnung in unferer SHeilser- 
fenntniß preisgegeben.. Wir nehmen die Schrift an als unfre Führerin auf 
dem Heilöwege, weil unjer Gewiſſen fein Ja und Amen fpriht zu dem, 
was göttlih in ihr iſt.“ -— 

Die folgenden Abſchnitte behandeln III. die Rechtfertigung 
ausdem Glauben, IV. die Lehre von Chrifto und V. die Gna- 
denmittel. Nur ungern verjagt es ſich Ref., auch aus diefen Abfchnitten 
einige Brucftüde anzuführen; er fürchtet aber, für eine Anzeige in dieſem 
Sahresbericht zu ausführlich zu werden. Muß er doch auch in Betreff des 
Mitgetheilten bedauern, daß er eben nur Bruchſtüde liefern konnte, da die 
weitere Begründung und Ausführung venjelben erft vollen Werth gibt und 
da überhaupt das Ganze in einem Guſſe gejchrieben ift. So viel aber hofft 
Ref. durch das Mitgetheilte bewirkt zu haben, daß die Begierde nad) dem 
vortrefflihen Werte und die hohe Achtung, die ber ehrenwerthe Verf. vers 
dient, bei den Leſern erregt worden ift. Er felbft kommt zum Schluffe auf 
die oben S. 7 der Einleitung ausgejprochene Behauptung zurüd, daß Sulze's 
Wert als eine der ſegensreichſten und banlenswertheften Früchte, welche die 
hannover'ſchen Glaubenswirren gezeitigt haben, anerlannt werden muß. 

2. Die Katechtsmus⸗Angelezenheit in der evangelifch-Tutherifägen 

Landeskirche Hannover’s, ihre vorläufige Entfcheidung und der Weg zu ihrer 

endgiltigen Erledigung. Ein — Votum von Th. Dieffelmann, 


Stadtprediger in Belle. — Eelle, Verlag der Schulze'ſchen Buchhandlung. 
1862. groß 8. 115 ©. geb. !s Thlr. 3 chh 8 


Auch diefe Schrift ift eine jegensreiche Frucht der hannover'ſchen Wirren, 
indem fie die Mängel des neuen Katehismus Kar vor Augen legt, aber 
auch wor Meberihägung der Vorzüge des alten warnt. Zwar kündigt fie 
ſich als ein „theologiſches Votum‘ an, aber fie ift gleihwohl den Lehrern 
zu empfehlen, weil fie, Allen Har und verftändliy, die beiden Katechismen 
vergleiht und auf das Beſſere binweilt, das in dieſem Gonflict zu er= 
ftreben ift. 

Der Verf. hält es nad dem Vorwort felbft für wünſchenswerth und 
angemefien, daß, da „bie Zeit der erften Aufregung über die beabfichtigte 
Einführung eines neuen Landeskatechismus vorüber ift,” nun „in eine ruhige, 
gründliche, ſachliche Erörterung von Seiten derer eingetreten werde, die ih 
bewußt find, eben fo wohl ein warmes Herz für die Kirche zu haben, als 








Reltgionsunterricht. 17 


auh Etwas zur Löfung der Frage beitragen zu können.’ Er thut es bier 
nun jelbft in der zwedmäßigften Weife, indem er in drei Abſchnitten (die 
den Haupttheil der Schrift ausmahen) 1. den Gang und die Ans 
ordnung beider Katehismen, 2. ihre Sprache und 3. ihre Lehre vers 
gleiht, und dann in einem 4. Abjchnitte die zu wünjhende Ber: 
befferung des Katehismus und den Weg, um zu ihr zu ge: 
langen, bejpridt. 

Im erften Abſchnitt zeigt der Verf, daß Gang und Anordnung 
im alten Katechismus von 1790 weit naturgemäßer fei, als im neuen 
von 1862 (1653). Namentlich bezeichnet er es als einen Vorzug des alten 
Katechismus, daß er die Sittenlebre befonders und ausführlich bebanvelt, 
während fie der neue allein aus ben zehn Geboten ableitet, weshalb es 
diefem nicht nur an Ordnung und Zuſammenhang fehlt, fondern au Vieles 
in die Worte des Katechismus hineingelegt wird, was nicht darin begründet ift. 
Dabei vernachläffigt, wie der Berf. nachweiſt, der alte Katehismus keineswegs, 
die Sittenlehre auch bei der Slaubenslehre zu berüdfichtigen, und thut das in 
fo trefflicher Weife, daß mit gleihem Rechte von der Glaubenslehre im alten 
Katechismus behauptet werben darf, was die Freunde im neuen Katechismus 
von diefem rühmen: „daß fidh jedes Stüd defjelben wirkſam zur Heiligung des 
Einnes und Wandels erweiſe.“ — Als Beifpiel, wie Fünftlih und ge⸗ 
jwungen ber neue Katechismus bie Sittenlehre aus den zehn Geboten ab: 
leitet, führt der Berf. das fünfte Gebot an, auf welches die Lehre von ber 
Nächftenliebe gegründet und mo die Frage aufgeworfen wird: „Wie 
wird der Todtſchlag innerlih verübt?” — Außer dem Unzufam- 
menhängenden und Springenden, das ſich bejonders auch in der Glaubens: 
lehre des neuen Katechismus findet, rügt der Verf. mit Recht, daß in demjelben 
viel zu viel Shulterminologie vorlomme Iſt doch ſchon in dem 
erften Abſchnitt von den zehn Geboten (alfo in ver Vorftufe) vom göttlichen 
Ebenbild, von der Wiedergeburt, von den Sacramenten, von der Dreieinig- 
fit, vom Teufel ıc. die Nede, und zwar ohne daß dieſen Worten eine 
Erklärung beigegeben wäre. Aber auch falſche Erklärungen meilt 
der Berf. im neuen Katechismus nad; jo 3. B. in der Antwort auf die Frage 
40 im erften Hauptflüd: „Was beißt ſchwören?“ — „Nicht der 
Eid überhaupt; fondern wenn wir bei dem ſchwören, das 
nit Gott iſt!!“ 

Sehr treffend ift die Bemerkung des Verfs. S. 27: „Es wäre befier 
geweien, man hätte bei einem Katechismus mehr den Zwed eines Lehr: 
buchs für die chriftlihe Jugend, als den eines „Belenntnißbuces,“ 
jenen wenigftens an erjter Stelle im Auge gehabt. So aud die Warnung 
vor Veberfhägung des Hatehismus (S. 31), entgegen dem Worte von 
Juſtus Jonas, mit welchem Münchmeier vergebens fucht, einen niederfchmet- 
ternden Eindrud auf und zu machen: „Der Katechismus Luther's ift ein Hein 
Büchlein, fo etwa ſechs Pfennige koftet, aber 6000 Welten vermögen ihn nicht 
zu bezahlen, wenn man venjelben nah feinem Werthe jollte anſchlagen.“ 

Rüdfihtlih der Sprache, jagt der Berf., „fehlt es im alten Rates 
chismus nicht an einzelnen ſprachlichen Auffälligkeiten, doch Juht er Manie. 
rirtes zu vermeiden umd iſt von einfaher Popularität,” bin und 

Bir. Sahresberigt XV. 2 


18 Religionsunterricht. 


wieder ſollte fie noch mehr das bibliſche Gepraͤge tragen, doch iſt daſſelbe 
nirgend gefliſſentlich verſchmaͤht. Dagegen redet der neue Katechis mus 
in Ausdrüden und Satzfügungen, die veraltet find, der Schultheologie 
und dem gemeinen Leben angehören, nicht die „gejalbte Sprache,” wie fie 
Sup. Hildebrand nennt, nicht die „gewaltige Sprache Luther's,“ fondern die 
„Modeſprache“ des 17. Jahrhunderts, — Ref. möchte jagen: die 
gezierte Rococoſprache der Strengconfeffionellen. Beifpiele find: „Stüde 
(== Theile) des Wortes Gottes,” „Nießung, Lieb: und Lobung,“ „Ueberſatz 
und verbotene Griffe, „feſtiglich,“ ſonderlich ofjenbaret,” „pie jonderbare 
Kirchengewalt,“ „die zehn Gebote werben durd die Haustafel in eines Jeden 
Haus gehänget und gezogen,” „das Beten ift eine heilige Kunft der Kinder 
Gottes,” „vie Berfon, fo ausgehet und uns beiliget, „eine Losſprechung, 
da Gott nicht zurechnet” u. f. w. u. f. w. 

Mit Recht fagt der Berf.: „Das lieft man in alten Schriften ganz 
gern, denn da iſt's theils naturwüchfig und naiv, theils zur Kenntniß ber 
Sprachbehandlung und Bildung, felbit in Beziehung auf vorhanden ge: 
weſene Sprachmoden lehrreih; in moderner Aufmärmung aber wird es 
fomish, ja unter Umjftänden allerdings „widerlich,“ denn man merkt bie 
Abſicht und wird verftiimmt. Das ift eine PVerbejlerung nad rüdwärts, 
die nah dem Grundſatz jchmedt: „vie Wiflenfchaft muß umlehren,” und 
zwar bier in ber Handhabung der Sprahe beim Bolksunterridt.ii! 

Bom größten Gewicht find envlih bie Ausftellungen, die ber Berf. 
im dritten Abfchnitt an der Lehre des neuen Katehismus madt. Die 
Vertheidiger defjelben erklären zwar „einfliimmig, daß der alte Katechismus 
nichts Falſches lehre. Sa, immer mehr wendet fi die Taktik dahin 
zu behaupten, daß der neue Katechismus gar nichts lehre, was nicht der 
alte, recht angefehen audy enthalte, oder umgelehrt; wobei nur wunderlich 
wäre, daß und warum man denn alddann den alten ſchon längft wie ein 
unbraubbares Gefäß in den Winkel geworfen, den neuen wie ein 
ganz beſonderes himmliſches Gnadengefhent angepriefen bat.‘ 
— Freili wird von dem neuen Ratehismus fehr gerühmt, daß er „ber 
reine, treue Ausdrud unjers Belenntnifies,” daß er von der theologiſchen 
Facultät zu Göttingen als „ſehr gelungen’ bezeichnet fei und die Autorität 
der Kirche für fi habe; — aber eben darum wirft ihm der Verf eine 
tatbolijirende Tendenz vor und zeigt diefe wie im Principe, jo in 
den einzelnen Lehren nah. So in der Lehre von ber Beichte und von 
ver Schlüfjelgemalt, „wo die menſchlichen Verfonen der Träger 
dieſes Amts in den Vordergrund geftellt und ihre Macht als eine willkür⸗ 
lich und unbeihräntt zu übende gefaßt wird, ohne die Bebingungen jcharf 
in's Auge zu fajien, unter denen felbjt der barmberzige Gott allein Sünden 
vergibt und vergeben wiflen will. Bei der Lehre von der Einheit und 
Dreieinigleit Gottes zeigt der Verf. die logiſchen Widerſprüche des 
Katehismus nad, der bald von dem allein wahren Gott, dem Vater unfers 
Herm Jeſu Chrifti, bald von Gott Vater, Gott Sohn ıc. redet. So kritifirt 
der Verf. auch die Lehren von der Berfon und dem Werte Ehrifti, von der 
Grbfünde, von den Engeln und Teufeln, und tadelt noch vieles Gin- 
zelne, was nicht ſchriftgemaͤß ift, was über die Belenntnifle hinausgeht, was 








Religionsunterricht. 19 


bie Gniwidelung ber Lehre feit dem 17. Jahrh. unberüdjichtigt läßt, dem 

Kindesalter nicht faßlich und überhaupt nicht angemefien ift. 

Seine Beweisführung iſt überzeugend und Kar; nur in Einigem nod 
nicht entfchieden genug im Ausſcheiden dejlen, was der wahren chriftlich 
religiöfen Bildung hemmend entgegen tritt. Iſt es nicht ganz unpraltifch, 
für die Kinder verwirrend und leicht auf unevangeliihe Vorftellungen 
führend, wenn die fcholaftiihe Eintheilung der Lehre vom Amte Jeſu, als 
einem prophetiſchen, hobenpriefterlichen und königlichen, beibehalten wird? 
Kann fi ein vernünftiger Menſch einen Haren Begriff von dem’ (unbiblifchen) 
Ausprud „Gottmenſch“ mahen? Iſt es nicht verwirrend, wenn von 
einer angebornen Sündbhaftigleit die Rebe ift, da wir doch damit 
nur die Neigung zum Böjen meinen lönnen und doch Niemand von einer 
angebornen Zugenphaftigleit redet, obgleich jeder Menſch aud die Anlage 
zum Guten mit auf die Welt bringt? Der Verf. felbft Shaudert ja vor dem 
Gedanken, die ungetauften Kinder ald geborne Teufel anzufehen 
und vor ber nothwendigen Conjequenz, „daß alle ungetauft verfterbenven 
Kinder rettungslos verloren und verdammt jeien.” 

Was der Verf. im legten Abfchnitt über die zu wünfchende Ver: 
bejjerung des Katehismus und den Weg um zu ihr gelangen 
jagt, jo läuft es darauf hinaus, daß fich eine Presbyterial: und Synodal⸗ 
verfafjung nothwendig macht, daß Glaubens: und Gewiflens;wang fern ges 
halten, daß ber Landestatehismus von Geiftlihen und Nichtgeiftlichen ges 
prüft und gebejjert werde. 

In einem Nachwort fpriht der Verf., veranlaßt durch die Schrift“ 
des Oberconfiftorialraths und Prof. Dr. Ehrenfeuhter „die Natechis 
musfrage in der hannov. Landeslirhe, vom theologifhen Standpunlte ers 
oͤrtert· über den großen Widerſpruch, in melden vie theologiſche Fa- 
cultät zu Göttingen durch ihr Urtheil über den neuen Katechismus mit 
ihrer eigenen freilinnigen Erllärung von 1854 gerathen ill. Er findet durch 
Ehrenfeuchter nicht widerlegt, was er bereitd ©. 47 ff. feiner Schrift über 
biefen auffallenden Widerſpruch gejagt hatte. 

3. Welches if die Bemeinfhaft des Ehriften mit Bott? Ein Leit- 
faden zum Katehiemusunterricht in der Volfsfhule. Bon Carl Buch. 
ruder, Pfarrer in Oberlaimbah. Nürnberg U. E. Sebald'ſche Buchdruderei 
und Verlagshandlung. 1861. gr. 8. und 318 ©. 24 Ner. 

4. Der Gefangbuhsunterridht oder: Wie übt die Kirche ihre Gemeins 
[haft mit Bott? Gin Leitfaden zum @efangbuchsunierriht in der Volkes 
faule. Bon Earl Buchruder, ac. Berleger und Preis wie bei Nr. 3, 
ZU und 352 ©. 

Veide Werke führen au den gemeinſchaftlichen Titel: 
Der chriſtliche Religtonsunterricht in der Volksſchule. 

Mr. 3: Zweites Bändchen: Der Katechtsmusunterricht oder: 

Welches iR die Gemeinſchaft des Chriſten mit Got? Nr, 4: Drittes 

Bändchen: Der Gefangbugsunterrigt oder: Wie übt die Kirche 

ihre Bemeinfdaft mit Gott? 

Das erfte Bändchen dieſes Werks enthält die Bearbeitung ber 
bibliſchen Geſchichte und mit den beiden vorliegenden Baͤndchen foll 
nun dad Wert „zu einem wohlgeordneten Ganzen’ abgejchlofien fein, 
„weiches den geſammten NReligionsunterriht in der Vollsſchule befaßt,‘ 

2" 


20 Religionsunterricht. 


Der Berfafier will nämlich den Lehrer in den Stand ſetzen, „jeinen Ge 
genftand einheitlih und lebensvoll mittheilen zu können.” Das 
Eigenthümliche feines Werts fegt er darein, daß er, „ven berfümmlichen 
und vielfah abgenugten Weg der rein doctrinären Behandlung verlafjend, 
Alles auf den Grund der Gejhichte und im lebendigen Zujammen: 
bang der Vergangenheit mit der Gegenmwart gefaßt wiljen will.” 
Nach feinem Plan hat der bibliihe Gejchichtdunterriht die „Heilsver: 
gangenbeit,” der Katechismusunterricht die „Heildgegenwart‘ zum 
Gegenftand und der Gefangbuchsunterriht, der das gottesdienſtliche 
Leben der Kirche darlegt, foll „vie Jugend einführen in die hauptſäch⸗ 
lichſten Stüde der Liturgie, namentlih in den Schag unferer alten trefflichen 
Kirchenlieder.“ Diefer Plan ift gewiß fehr zu billigen, ijt aber doch nicht 
fo ganz „eigenthümlih, wie der Verf. meint; denn jebt wird wohl in 
allen gut eingerichteten Schulen die bibliſche Geſchichte dem fyftematifchen 
Katechismusunterricht vorausgefhidt und nad diefem das Gottesdienftliche 
erörtert, ja die Vorbereitung auf das „gottesdienftliche Leben in der Kirche‘ 
noch durch Mebreres, als bloß durch Geſangbuchsnterricht befördert, indem 
die Sonntagsevangelien erklärt, die gehörten Predigten befprochen, die heili⸗ 
gen Zeiten gewürdigt, die heiligen Handlungen ihrer Bedeutung und ihrer 
Wichtigkeit nad aufgefaßt werden. Somit fcheint Ref. das Eigenthümliche 
des vorliegenden Werks nicht ſowohl in dem Plane, als in der Aus« 
führung defielben zu liegen. Wie diefe gejcheben, foll nun kurz angedeutet 
merben. 

Nr. 3 gibt nad einer Einleitung über den Unterriht im Katechismus 
und über den Katechismus felbft im ftrengen Anjchluß an den Gang dei 
jelben zu den ſechs Hauptftüden Crörterungen über: 1. Die-Gefins 
nung, ohne bie es feine Gemeinſchaft mit Gott gibt (Pflichtenlehre), 2. die 
Herftellung unferer Gemeinjhaft mit Gott (Glaubenglehre), 3. die Erwei⸗ 
fung unferer Gemeinfhaft mit Gott (Gebet), 4. die Aufnahme in die Ges 
meinfchaft mit Gott (Taufe), 5. die Stärkung unferer Gemeinſchaft mit 
Gott (Abendmahl), 6. die Art unferer Gemeinihaft mit Gott (Gnaden⸗ 
mittel, Beichte). Ueber die Behandlung dieſer Abjchnitte ftellt der Verf. 
drei „Geſetze“ auf: 1. Der Katechismus felbft foll „ausgelegt“ 
und es follen in den Zert nicht etwa „anderswoher gefüllte Schubfächer 
eingefügt” werden. Hat er aber nicht felbft diefem Geſetz entgegengehandelt? 
Schon die obige Rubricirung der ſechs Hauptftüde und die ſyſtematiſirende 
Bufammenfaflung derjelben unter einen Gefihtspunft iſt do gewiß etwas 
Hinzugebradhtes. Wie viele Lehren aber find nicht überdies theils recht 
zwedmäßig aus dem Gvangelium, theild aber auch aus den „Schubfächern“ 
der mittelalterlihen Scholaftit „in den Text eingefügt” worben! Ref. er: 
wäbhnt nur die dem zweiten Hauptftüde eingefügten Lehren von der Erb⸗ 
fünde, vom Teufel, vom Propheten-, Hohepriefter: und Koͤnigsamt Sefu, 
von der Dreieinigkeit ıc. — 2. Die Lehren follen „von felbft aus dem 
Zerte herauswachſen.“ „Es fcheint mir, fagt der Berf., z. B. nicht 
rihtig, zuerſt, wenn aud nur einleitungsweife, die Merkmale des chrift- 
lichen Gebets zu beſprechen und barauf die Erllärung des Baterunfer folgen 
zu lafjen. Ref. ift darin anderer Meinung. Gr hält es für durchaus 








Religionsunterricht. 21 


zwedmäßig (um bei dieſem Beifpiel fiehen zu bleiben), erft die Befchaffen, 
beit de3 wahren Gebet3 aus den verſchiedenen Stellen der h. Schrift zu 
entirideln und dann das unübertrefjlihe Muftergebet des Erlöfers zu bes 
traten und in demſelben alle Gigenfchaften des frommen Gebets wieder 
auffinden zu lafien. Er bält dies um jo nöthiger, da Jeſus felbft diefen 
Gang einfhlägt und erft nachdem er öfters über bie religiöfen Gefühle, die 
uns zum Gebet begleiten follen, geſprochen und auf die Fehler hingewieſen 
hatte, welche beim Beten gemacht werben, auf die Bitte der Jünger „Herr, 
lebre ung beten!” eingeht und das Waterunfer mittbeilt. Diejer Gang 
empfiehlt fi aber auch nad des Berfs. eigner Methode, der ja dem flates 
chismusunterricht die biblifche Geſchichte vorausihidt und doch natürlicher 
Weile bei jenem an die aus biefer gewonnenen Refultate anfnüpfen und auf 
fe die Katechismuslehre bauen follte. Aber freilich ftimmt dieſes Berfahren 
nicht zu der Anſchauung, die der Verf. vom Katechismus bat. Denn dieſen 
vergöttert er fo, daß er ihn nicht nur ber Bibel gleichftellt, fondern daß er 
ed auch gleihfam für einen Frevel hält, die hriftlihen Wahrheiten deſſelben 
erft noch durch die Ausſprüche ver Bibel zu beweifen. Uebrigens handelt 
ber Berf. feinem eigenen zweiten „Geſetz“ zuwider; benn gerade beim 
dritten Hauptitüd redet er, ehe er zum Vaterunſer felbft kommt, erft „eins 
leitungaweife” (S. 199—201) von der Nothwendigkeit zu beten, die aus 
dem Zufammenbange de3 dritten mit dem zweiten Hauptftüde bewiefen wird, 
— von dem Fehler (?), das Gebet für ein Gnadenmittel zu halten, — 
von dem Begriff des Gebets, — von dem Unterſchied zwiſchen Gebet und 
Andacht („dort ‚rede id, zu Gott, hier redet Gott zu mir‘). Wenn er nun 
auch die „Regeln des chriſtlichen Gebets“ nicht worausfchiden, fondern aus 
dem Baterunfer entwideln will, fo hat er ja doch felbft fhon genug aus 
„anderswoher gefüllten Schulfaͤchern“ mit dem hier Mitgetheilten beigefügt. — 
3. Der Katechismus jol „als ein zufammenhängendes Ganzes 
ausgelegt’ werden. Der Verf. jagt zwar felbft (S. 7), „daß Luther in 
feinem Katechismus nicht ein logifhes Syftem, fondern nur geniale Ges 
banten geben wolle,” und „daß eine ſolche Syſtematik dem Bedürfnis unfers 
Volkes fern liege;“ aber gleichwohl hat er jelbft mit großer Runft und vielem 
Fleiß ein Syftem aus dem Katehiemus gefchaffen, an welches Luther nicht 
gedacht bat. Ref. tabelt das nit und ift vielmehr der Meinung, vie fuftes 
matiſche Religionslehre noch zwangsloſer auf Grund des Evangeliums auss 
zubilden. Das Spftem aber, welches der Verf. ſich gebildet bat, verleitet 
ihn zu nicht unbedeutenden Abmeihungen von den bisher angenommenen 
Beziehungen der Hauptitüde auf einander. Unftatt ganz einfach zu jagen: 
bie beiden eriten Hauptftüde lehren: was wir als Chriften zu glauben und 
zu thun baben, die legten aber: wodurch chriſtlicher Glaube und chriftliches 
Leben geftärkt, gefördert und erhalten wird, — muß fi) nad des Verfs. 
Syſtem Alles in feine Anjhauung von der „Gemeinschaft mit Gott“ fügen. 
Gr findet es für gut, die Sittenlehre wor der Glaubenslehre zu nehmen, 
um ja nicht von der Ordnung des Katechismus abzuweichen, obgleich es 
viel natürliher wäre, erſt von der „Herftellung unfrer Gemeinſchaft mit 
Bott” zu reden, ehe die „Geſinnung,“ die und derſelben würbig macht, zur 
Sprache kommt. Cr will das Gebet nit als ein Gnabenmittel gelten lafien 





22 Religiondunterricht. 


und findet in demfelben die „Ermeifung unferer Gemeinjhaft mit Gott,’ 
was mit der Gefinnung, bie und der Gemeinſchaft mit Gott würdig macht, 
nahe zufammenfältt. Er ftellt das Hauptftüd von der Beichte und Abfo: 
Iution, nicht vor, fondern als jechftes hinter das vom h. Abendmahl. Dies 
Alles nur feinem Syſtem zu Liebe. 

Anerkennenswerth ift der große Fleiß, mit welchem der Verf. fein Werl 
dieſem Syftem gemäß bearbeitet bat, fo wie die Liebe zur heiligen Sache 
ber Religion, die aus demſelben ſpricht. Deshalb kann es auch den Reli⸗ 
giondlehrern empfohlen werden, denen ed zwar (nad des Verfs. eigenem 
Ausſpruche) mehr nur den inneren Faden der Hauptftüde aufzeigt, ald eine 
allfeitige Ausführung gibt, denen aber doc in demfelben viele anregende 
und praktiſche Winke gegeben werden. Empfeblen kann es aber Rei. nur 
den Lehrern, welche fi auf gleihem Glaubensftandpuntte befinden, wie der 
Verfaſſer. Daß diefer Standpunkt der altorthopore ift, werben jchon einige 
Andeutungen im Vorſiehenden Har gemacht haben. Hier nur nody einige Be: 
lege dafür, daß der Berf., jo mild er auch auftritt, jo wenig er darauf ausgeht, 
fh mit feiner Orthodoxie zu brüften, doch Aeußerungen thut, die in ihren 
Gonjequenzen wehe tbun und gegen das beflere Gefühl verftoßen. So jagt 
er 6. 269 bei der Lehre vom h. Abendmahl, der Beilag „ber. wahre‘ 
(Zeib und Blut) weile den zwingli'ſchen wie den calvin'fhen Ge 
genſatz zurüd; — warum doch immer noch biefen Neligionszwift nähren, 
und ſchon bei den Kindern? ©. 264 beißt es: „Wir erfahren in der 
Taufe Ehrifti Tod. und Begräbniß an uns;“ — ift das den 
Kindern verftänplih? Die Confirmation foll ja nicht ale eine Er— 
gänzung der Taufe betrachtet werden (S. 259); ift das nicht Jeſu Worten 
entgegen, der vor der Zaufe bie Lehre verlangt, und ift dann die Taufe 
nicht ein magiſches opus operatum? Am ftörendften ift die Orthodorxie 
bei Neligionsgegenftänven, die vor Allem das Gefühl in Anfprud nehmen, 
wie beim Gebet. Wie erlältenn wirkt bier die Bemerkung (6. 22), daß 
die Anreden im Vaterunfer auf den dreieinigen Gott hinmweifen, denn — „weil 
Bater, Sohn und Geift auf das unzertrennlichite mit einander verbunden 
find, jo kann man nie zu einer Perjon beten, ohne die andere mit anzu» 
beten. Iſt es wohl recht, hier dem Sinne Jeſu und dem trefflichen Worte 
Luther's jo ganz entgegen nur die lalte Dogmatik zu bringen, anftatt dafür 
ju erwärmen, daß wir wie bie lieben finder zu dem lieben Vater beten ? 
— Auch ift e3 bezeichnend für den Standpunlt des Verfs. daß er fih nur 
an die Grgebnifje der gläubigen (!) Theologie neuerer Zeit halten 
will (S. VID, und daß er (S. VD) es fehr billigt, „in der Ausdruds⸗ 
weife ſich vornehmlih unfere gottfeligen Alten zum Mufter zu 
nehmen.“ — 

Ueber Nr. A, den „Sefangbudsunterricht,” können wir kurz 
jein, da der Geift dieſes Werts verjelbe ift, der foeben bei Nr. 3 darak: 
terifirt wurde. Wie mit biefem Buche der Plan des ganzen Unternehmens 
abgeſchloſſen jein ſoll, ift oben gejagt worden. Hier handelt es fich um die 
Trage: „Wie übt die Rirhe ihre Gemeinjhaft mit Gott?" Diefer 
legte Band aber, jagt ber Berf. felbft (S. VI), hat eine mehr locale Fär⸗ 
bung, „indem er fih auf die (34) in der baierifhen Landeskirche 








Religionsunterricht. 23 


zum Auswendiglernen vorgeſchriebenen Lieder beſchränken 

mußte.” Doch bat der Verf. dieſen Liedern noch „b ältere von ent⸗ 

ſchiedener Bedeutung hinzugefügt, jo daß die Geſammtzahl derſelben auf 
vierzig fih beläuft.” Der Verf. theilt ven Stoff diefes Bandes in zwei 

Theile: J. Unfer Erbe aus der alten Kirche (Liturgie, Litanei), und zwar 

aus der Apofte und aus der Märtyrerzeit, aus dem Zeitalter Conſtantin's 

d. Gr. und Karl's d. Gr. (S. 12—85), O. Unfer Erbe aus der erneuers 

tem Kirche (Lieder), und zwar aus ber Zeit a) Luther's, b) Paul Gerhard's, 

c) Spener’d, d) Gellert’3 (S. 97— 349). Aus der legteren Beit find aber 

nur zwei Lieder: „Dies ift der Tag, den Bott gemadt” und „Jeſus lebt, 

mit ihm auch ich‘ angeführt worden, fo daß alle bie ſchönen Lieder: „Wie 
groß ift des Allmächt'gen Güte,” „Auf Gott und niht auf meinen Rath,” 

„Rie bift du, Höchſter, von uns fern,” „Wenn ih, o Schöpfer, beine 

Macht“ ꝛc. bier fehlen — Uebrigens ift auch dieſe Abtheilung des Werts 

empfehlenswerth, namentli für die Lehrer, die mehr das Alte, als das 

Gute der Neuzeit zu würdigen wiflen. 

5. Unterredungen über den kleinen Katehismus Luther's. — 
Gin praktiſches Handbuch für Schullehrer von J. Niffen, weiland Schul⸗ 
lebrer in Glückſtädt. Stebente Auflage. Kiel, Ernft Homann 1862. gr. 8. 
XVI und 744 ©. 2 Thlr. 

Dieſes Buch hat jo große Anerlennung gefunden, daß e3 im fieben Jahren 
fieben Auflagen erlebte. Und das ift ganz natürlich; es ertlärt fi) namentlich 
aus jeiner Entſtehungsgeſchichte! in ftrebfamer, Tenntnißreidher, von heili⸗ 
ger Liebe für feinen Beruf begeifterter Lehrer bereitet ſich auf gewiſſen⸗ 
baftefte für feine Lehrſtunden vor, arbeitet fich forgfältig für jede derfelben 
fein Penſum aus, verbeflert diefe Arbeiten von Jahr zu Jahr, ftellt fie zu 
einem wohlgeorbneten Ganzen zufammen und bietet nun die Frucht feines 
Fleißes, feiner Liebe, feiner Erfahrungen bier feinen Berufsgenojien bar. 
Gewiß, da kann, da muß ein Jeder Vertrauen fafien zu folhem Werte 
und er barf in ihm ein reiches, gefichtete® Material, viele anregende, er: 
wärmende Gedanken, viele gute praktische Winke zu finden hoffen. Und 
dieſes Bertrauen wird auch bier in feiner Weife getäufcht. Darum ift auch 
dieſes Wert ftets jo warm empfohlen worden und wird auch hier wieder im 
feiner fiebenten Auflage allen Lehrern empfohlen. Sa, allen ehren, 
auch denen, bie den ftrengconfeffionellen Stanppuntt des (verftorbenen) 
Berfs. nicht theilen. Denn ift es ſchon wichtig und pflichtmäßig, nicht aus 
bloßen Borurtheil die Schriften der Gegner bei Seite liegen, fondern auch 
durch fie fih belehren und in den eigenen Anfihten durch Erwägung des 
Gegenfages fih Hären und feftigen lafien, fo ift es aud von moralifcher 
Wirkung, fo gründliche, umfichtige und fleißige Arbeiten eines Lehrers zu 
betrachten, um dadurch an eigener Gewiſſenhaftigkeit im Berufe zu gewinnen. 
Dazu fommt, daß der Berf. des vorliegenden Bucdhs feine ftrenggläubigen 
Anfihten nicht mit zelotiſcher Härte verfiht und nicht mit alterthümlichen 
Formen zu prunten und mit ber Jeßtztzeit in jchroffem Widerſpruch zu treten 
fucht, wie das z. B. bei dem hannov. Katechismus der Fall ift, ſondern 
daß man ihm anmerkt, er rede vom Herzen und aus tiefer Weberzeugung, 
und er wolle der fortgefhrittenen Bildung Rechnung tragen, 


24 Religionsunterricht. 


Wenn Ref. dies Werl. aus den angegebenen Gründen allen Lehrern 
empfohlen bat, fo febt er dabei voraus, daß die Lehrer auf eigenen Fuͤßen 
zu ftehen gelernt haben, und daß fie namentlih in Sachen des Glaubens 
eine jelbitftändige Anfiht gewonnen haben und feit genug in berfelben ge 
worden find, um fih nicht burd fremde Lehren blenden unb irve führen zu 
laſſen. Darum kann es auch Ref. nicht billigen, daß dies Wert für 
Seminarien aufs eifrigfte empfohlen worden if. Denn die Seminarifien 
dürfen durchaus nicht auf ein beftimmtes confefionelles Syſtem dreffirt, 
fondern müfjen vor Allem angeleitet werden, aus der reinften Quelle, dem 
Evangelium felbft, ihre Religionsanfihten zu fhöpfen und in freier Ent: 
widelung ihres Glaubens felbit gewiß zu werden. Sind fie darin fiher 
geworben, haben fie feite Grundfäße gewonnen und ift ihr Urtbeil reifer ges 
worden, dann werden fie auch gejhidt fein, den Katechismus fchriftgemäß 
auszulegen und werden ſich nicht täufchen laflen, wenn ihnen auch bie alte 
Orthodoxie noch fo plaufibel aus der h. Schrift demonftrirt wird, wie es 
in vorliegendem Werte geſchieht. Dann erft werden fie im Etande fein, 
3 2. das zu beurtheilen, was der Verf. S. 331 fj. von den Teufeln, 
ihrem Rei, ihren Orbnyngen und Namen, ihrem Charakter und Zuftand, 
ihrem Werk und ihrer Wirkſamkeit jagt, oder Sätze zu deuten, wie diefe: 
„Die die guten Engel auf die Erde fommen können und auf den Menſchen 
wirken, fo tünnen es aud die böfen Engel, und wirken bier“ (6. 333); 
oder: „die Sünde ift nit ein Sleden, ein Mangel, ein Fehler 
an dem einzelnen Menſchen; fie ift ein Reich mit Genofien, mit 
einem Fürften an der Spige” (©. 335); oder: „die feinen Teufel 
glauben, die hat der Zeufel ſchon halb“ u. f. w. u. f. w. 

Ueber folhe und aͤhnliche Behauptungen, die der Berf. aus dem Rates 
chismus geholt oder in denjelben hineingetragen hat, mit ihm zu rechten, 
unterläßt bier Ref., da er auf viele derfelben bei ber Befprehung über den 
bannover’fhen Katehismus zu reden kommen wird. Das aber muß er 
zurüdweifen, was der Verf. S. V behauptet: „Je genauer man Luther's 
Erklaͤrung anfieht, defto mehr wird man von der Herrlichkeit des Katechis⸗ 
mus mitiprehen lönnen.” Denn Ref. hat die Erfahrung gemacht, daß fich 
die Katechismuslehre um fo weniger halten läßt, je mehr man in den Einn 
der h. Schrift eindringt und ſich an die einfahen Wahrheiten verfelben, 
namentlih an die Haren Ausſprüche Jeſu felbft hält. Er bat es bei einem 
mehr denn breißigjährigen Katechismusunterricht empfunden, wie ſehr ver 
Neligionsunterricht dur die Unmendung bed Katechismus erſchwert wird, 
wie viele Zeit namentlih damit verloren gebt, daß der Lehrer genöthigt iſt, 
die veralteten Ausprüde und Sapgefüge bes Katechismus den Kindern ver: 
ftändlich zu maden, fowie mit dem Verſuch, die Lehren deſſelben mit der 
b. Schrift in Webereinftimmung zu bringen, ein Verſuch, der öfters gänzlich 
fcheitern muß, mie 3. 3. bei der Lehre vom b. Abendmahl. 

Bas übrigens an dem vorliegenden Werke ganz beſonders zu rühmen 
ift, das find bie vortrefflihen Grundſätze, bie ber Berf. S. VI ff. jungen 
Lehrern in Betreff des Religionsunterrihts an die Hand gibt. Aus ihnen 
hebt Ref. namentlih die Aufforderung zum Fortftudiren und Anlegen von 
Gollectaneen, fowie zum Auswendiglernen von Bibelſprüchen und Lieber: 


Religionsunterricht. 25 


verfen hervor. Ref. hat es felbft bei ben Kirchen: und Subvifitationen, 
bie er zu balten bat, oft übel empfunden, daß die Lehrer das, was fie von 
den Kindern berfagen ließen, felbft nicht auswendig mußten. Es war ihm, 
wie dem Verf., „als fagten die finder zu dem Lehrer: Wie kannſt du ver 
langen, daß wir auswendig wiſſen follen, was du ſelbſt nicht auswendig 
weißt? und fie haben recht.” Der ift noch nicht reif zum Volksſchullehrer, 
der bei dem, was er docirt, ‚fragt? oder antworten läßt, zum Buche feine 

Zuflucht nehmen muß. 

6. Entwurfeinerentwidelndben Katechismuslehre, zugleich als ein 
Beitrag zur Eillärung und Behandlung von Sprüden und gefhidhtlichen 
Schrifiſtellen bei der Auslegung des Meinen Katechismus Dr. M. Luther’e 
bearbeitet von Dr. Johannes Grüger. Dritte, verbefierte und mit 
einem dreifaden Anbang vermehrte Auflage. Erfurt und Leipzig. Berlagds 
Schulbuchhandlung von Bortbilf Wilhelm Körner. 1862. gr. 8. VIu. 
267 S. Preis 24 Sgr, in Partieen zu 24 Exemplaren & 20 Egr. und 
1 $reiegemplar. 

Ref. hat ſich nah feinen Principien mit dem Stanbpunfte des Verf. 
nit einverſtanden erllären koͤnnen, bat aber die relativen Vorzüge feines 
Werls im vorjährigen Jahresbericht anerlannt und die Ueberzeugung aus» 
geiprochen, daß daſſelbe gewiß allen Lehrern, in deren Schulen „vie Erflä- 
rung des Kleinen Katechismus“ von demjelben Berfafier eingeführt ift, ge: 
wiß ein höchſt willlommenes Hilfsbuch fein werde. Als ſolches hat es denn 
auch jchon eine ſolche Anerkennung und Verbreitung gefunden, baß es jeit 
dem Sabre 1860 bereits in dritter Auflage erfchienen ift. Man darf fi 
darüber nicht wundern, ba der als ein geſchickter Schriftiteller belannte und bes 
liebte Berfafler fih von dem Geifle der Regulative leiten läßt, die nun einmal 
im Königreich Preußen die Lehrnorm für die Religionslehre beftimmen. 


Bermehrt ift dieſe Auflage durd einen breifahen Anhang: 1. das 
brifllide Kirchenjahr, 2. der fonntäglihe Hauptgottespienft in 
der preußifchen Landeskirche, und 3. nad) dem Katechismus geordnete Schrift: 
abfhnitte zum Bibellefen. Lebteren Anhang findet Ref. befonders zwed: 
mäßig (obgleidy es noch zwedmäßiger, wenigftens für den Lehrer bequemer 
wäre, wenn der Verf. dieſe Stellen fogleih den betreffenden Paragraphen 
beigefügt hätte); doch ift dabei auffallend, daß hier circa 30 altteftament: 
lie Stellen über Chriſtus zum Leſen citirt find, während aus dem 
N. T. nur 7 geboten werden. Uebrigens ift die dritte Auflage mit ber 
zweiten gleichlautend. 

7. Gedanken über Religion und veligtdfes Leben in freien Vor⸗ 
“ trägen von Dr. Joſ. Hirſchl, Religiondiebrer an der f. Studienanflalt 
und ?. Kreis-Landwirtbichaftes und Gewerbs⸗Schule zu Palau. Mit Ger 
nehmigung des hochwürdigen bifhäfliden Ordinariate haflau. . Zandehut 

1862. Verlag von I. ©. Bölfle (Krüll'ſche Univerfiräts - Buchhandlung). 

gr. 8. VI und 376 ©. 

Es ift anerlennendwertb, daß der Verf. „vie wenigen ftillen Stunden, die 
ihm feine Berufsarbeiten übrig ließen, dazu benußte, eine Reihe von Gebanlen, 
die er in den Unterrihtöftunden feinen Schülern gegenüber bei verjchiedener 
Gelegenheit ausgeſprochen hatte, in Kürze niederzujchreiben,’ aus benen bieje 
ausgeführten Vorträge entftanden find; denn damit legt er Beugnik ab, 


26 Religionsunterricht. 


wie er felbft in dem lebt, was er feine Schüler lehrt, und meld’ eine 
heilige, hochwichtige Angelegenheit ihm der Neligionsunterriht if. Aber 
no anerlennenswertber it es, daß er von feinem katholiſchen Stand» 
punkt aus feinen Angriff auf Andersdenkende, einen verädhtliden Seiten⸗ 
blid auf die verleßerten Kirchen ſich erlaubt, fondern nur auf eine möglihft 
gründliche und fruchtbare Darlegung feiner Slaubensanfichten ſich befchräntt ; 
denn dadurd bekundet er, daß er, fern von lieblofer Verkeherungsſucht, nur 
die religiöfe Bildung feiner Schüler im Auge bat. Die Thbemata, welde 
der Berf. behandelt, find folgende: 1. Die Nothwendigkeit ver chriſtlichen 
Religion zur geiftigen Erleuchtung des einzelnen Menſchen und der ganzen 
Menſchheit, 2. die Sünphaftigleit des Menſchengeſchlechts und die vorchriſt⸗ 
lihen Sühnungsmittel, 3. die Nothmwendigleit der chriftlichen Religion zur 
Gntfü: dDigung und Heiligung der Welt und der Menſchheit und 4. zur Bes 
feligung des Menſchen in Gott, 5. die NRothwendigleit des religiöfen Glau⸗ 
bene, 6. die verjchiedenen Formen der göttlihen Offenbarung und ihre 
Gegenſaͤßze, 7. die göttlichen Gebote und a) der Weg zum Himmel, 8. b) 
das göttlide Ebenbild im Menschen, 9. die Nothwendigkeit der Gnade 
Gottes und die Gnadenofienbarung Gottes in Chriſto, 10. das Gnadenreich 
oder die übernatürliche Lebensregion des Menſchen, 11. die Aufnahme des 
Menihen in dad Gnadenreich oder die Wiedergeburt in das Gnadenleben, 
12. die übernatürlie, euchariftiiche Lebensipeife und deren Nothwendigleit 
für das Gnadenleben, 18. die euchariftiihe Opferſpeiſe und ihr Verhaͤltniß 
zum Opferleben des Chriften, 14. die beilige Euchariftie und ihr Verhaͤlmiß 
zur leiblihen Verklärung des Chriften, 15. der Untergang des Gnaden⸗ 
lebens in der Todfünde, 16. die Wiederherftellung des Gnabenlebens oder 
das YBußfacrament als Gottesgericht der Barmherzigkeit über die Sünber, 
17. die gottmenfchliche Heilsthätigkeit zur Wiederberitellung des unterges 
gangenen Gnabenlebens, 18. die äußere Entfaltung des innern Gnaden⸗ 
lebens oder das hriftlihe Lebensbild, a) auf dem Grunde des Glaubens, 
19. b) auf dem Grunde der chriſtlichen Hoffnung. 

In der Ausführung diefer Themata tritt durchweg das ſtreng⸗katholiſche 
Dogma hervor, und das kann bier, mo ein katholiſcher Religionslehrer 
auftritt, nicht ald ein Vorwurf gelten, wie fehr es auch den Anfichten und 
dem Gefühl des wahren Proteftanten widerſtreitet. Cine große Rolle fpielt 
daber bier die Tatholifhe DOpferivee und ihre Anwendung bei der Euchariftie. 
Sie tritt ſchon bei dem 2. Thema ftarl hervor. Dort heißt es, nachdem 
das Ungenügende der vordriftlihen Sühnungsmittel hiftorifch dargelegt ift, 
daß „alle Opfer nur Todtenopfer, niht Dpfer des Lebens find“ 
und Leine erlöfende und fühnende Kraft haben; denn nur was den Tod 
felbft verfhuldet hat und dem Tode unterworfen if, kann ber 
Men ſch in den Opfertop bingeben; was aber jelbft dem Tode unterworjen 
ft, Tann fein Erlöfer vom Zode und lein Urheber des Lebens 
fein. Es gibt nur Ein Opfer des Lebens, — -- wenn Gott felbft 
in die menjchlide Natur nieberfteigt und in dieſer als Gottmenſch fi zum 
Sühnopfer für die Sünden der Welt hingibt x” Solche Borflellungen 
führen natürlich weit von dem recht verftandenen Bibelmort ab, führen 
aber auch zu fehr unklaren und unverländlihen Auseinanderſetzungen. Se 








Religionsunterricht. 27 


nimmt z. B. der Verf. folgende dreifache Offenbarung Gottes an (S. 112): 
„Gott bat ſich geoffenbart erft als unfihtbarer Gott, ver über ber 
Welt und der Menfchbeit in himmliſcher Herrlichkeit wohnt, der durd die 
Schöpfung, Erhaltung und Regierung der Welt und der Menfchheit fein 
unfidhtbares Dafein und Weſen kundgibt; fodann als fihtbarer Gott, 
der als Menſch mit und unter den Menjhen gewandelt ift in Perſon Jeſu 
Ehrifti des Gottmenſchen; endlich als unfihtbarsfihtbarer Gott, 
indem er im neuen Bunde, unter die Menfchen erniebrigt, in Brotesge⸗ 
ftalt beftändig unter uns bleibt” Vorher ftellt ver Verf. fogar den Duas 
lismus offen bin, indem er (S. 109) als Gegenfab gegen die Offen⸗ 
barung Gottes eine „Offenbarung bes Teufels annimmt, bie 
ſich durch die ganze Gefchichte der Menfchheit fortſetzt“ 

Was die Form diefer Vorträge betrifft, fo unterjcheidet fie der Berf. 
ſelbſt ausprüdlih von „gewöhnlichen Predigten“ und mödte fie „Be: 
trachtungsreden“ nennen. In der That aber unterfcheiden fie ſich 
nur dadurch von Predigten, daß ihnen nicht ein Bibeltert zu Grunde ge 
legt ift,; denn im Uebrigen haben fie ganz biefelbe Anlage und firenge 
Dispofition, welche die Predigten zu haben pflegen. 

Den Ruben, den diefe Borträge bringen können, findet Ref. theils 
darin, daß die Schüler des Verfs., nad der Schulzeit, die Lehren deſſelben 
in guter Ordnung und gründlidder Ausführung fich wieder vorführen können, 
theils darin, daß fie andern Lehrern ein Muſter find von dem Eifer und 
gewifienhaften Fleiße, den fie auf den NReligionsunterricht zu menden 
haben. 


8. Moterialien und Ideengänge zu Katehifationen mit Ober- 
claffen in Bürger» und Volleſchulen über die Hauptftüde des kleinen 
futber. Katechismus für einen einjährigen Religionecurfus von E. G. 
Kohl Leipzig. Drud und Derlag von Zulius Klinkhardt. 1863. 8. XI 
und 155 &. 15 Sgr. 


. Wenn es nicht der Titel andeutete, daß bier „Materialien und Ideen⸗ 
gänge” dargeboten werben, die der Lehrer „zu Katechifationen‘ benußen 
foll, und wenn es nicht der Verf. ſelbſt S. VI beſtimmt ausſpraͤche, daß 
das bier Dargebotene „ven Lehrer für einen wirkfamen Unterricht in ben 
Stand ſetzen“ foll, fo würde Ref. diefe Schrift nit unter die Religions: 
bücher „für die Lehrer,“ fondern unter die „für die Schüler” aufgenommen 
baben. Die einzelnen Penfa geben nämli ein kurzes, klar georbnetes 
Neſumé deſſen, was in der einzelnen Religiondftunde mit den Schülern 
latechetiſch behandelt werben foll, und biefes würde ausreichend und zwed⸗ 
mäßig für die Schüler fein, um fie zu einer gründlichen NRepetition des 
Dageweſenen anzuleiten, während es dem Lehrer nur eine Skizze deſſen 
bietet, was er fih als Aufgabe jeder Lehrftunde feftzufegen und wonach er 
den aus fich felbft oder aus anderen Hilfsmitteln zu entnehmenven Stoff 
für die katechetiihe Ausführung zu orbnen hat. Für den erfahrenen und 
geübten Lehrer ift das auch genug; aber ein ſolcher wird ſich auch mohl 
fchon feinen eigenen Lehrgang gebildet haben und nicht gern won bemfelben 
abgehen. Der Anfänger dagegen wird fi) gewiß zu der Skizze auch Winte 
über die Ausführung derſelben mwünfchen. | 





28 Religionsunterricht. 


Die Grundſätze, von welchen der Verf. ſich leiten Iäßt, und die er 
für einen feuchtbringenden Religionsunterricht fordert, find fehr zu billigen. 
Diefer Unterricht fol einjährig fein und in wöchentlich drei Stunden 
fo abfolvirt werben, daß „nichts Wefentliches meggelafien, nichts Wichtiges 
oberflächlich behandelt” wird und für Repetitionen, jowie für Religions: und 
Kirchengeſchichte noch Beit übrig bleibt. Ferner foll diefer Unterriht „überall 
Har, übergeugend und erwärmend ertheilt” und dabei namentlich 
das „zur Mode geworbne wortreihe, ſüßliche Salbadern, ber ungeheure 
Gedächtnißballaſt von Bibelfprüdhen, Liedern ꝛc.“ vermieden werben. Denn 
nur die Schule wird Bott wahr und tief verebren und feine Gebote beilig 
halten lehren, die feine Erhabenheit und Größe, feine Liebe und Batertreue 
in Haren Begriffen, feften Ueberzeugungen, mit Freude und Danl, mit Chr: 
furht und Bewunderung, mit einem Worte — feelifch auffafien läßt.” 
„Nur Geift erzeugt Geift, Klarheit allein Klarheit, Wärme wieder 
Wärme” „Demgemäß firebte der Verf. überall nach einer Haren, durch⸗ 
fihtigen Begrifisentwidelung, nad einer ftrilten, Ueberzeugung ers 
zwingenden Beweisführung und einer Gemütb und Willen erfaflenden 
prattifhen Anwendung.” Wer müßte diefen Grundfägen nit feinen 
vollen Beifall ſchenken? und wer müßte darum nicht auch dem Verf. mit 
Bertrauen entgegenlommen, der nad benfelben bereits 34 Jahre gelehrt 
und aus feiner langjährigen Praris die vorliegende Schrift hat hervorgehen 
laſſen? — Auch das ift zu loben, daß der Verf. ſich offen für die Kate⸗ 
hifationen’ erklärt, die von einer gewiſſen Partei fo ſehr geihmähet 
werben; ficherli hat er fi felbit au nah Dinter, dem Meifter in ber 
Katechiſirkunſt gebildet, wenigftens ſcheint aus feinen Skizzen, obgleih den» 
felben nirgends eine katechetiſche Ausführung beigegeben ift, Dinter's Geift 
zu ſprechen. — Ebenſo ift es anzuerlennen, daß er fih nit auf die Eeite 
der engberzigen Vergötterer des Katechismus ftellt, fondern „die erheblichen 
Schwierigkeiten, die fi bei der katechetiſchen Behandlung des lutheriſchen 
Katehismus fühlbar mahen und die theild in feiner veralteten, 
ber Gegenwart faum noch verftändpliden Spradform, theils 
und bauptfächlich in dem Unterjhiede des religiöfen Bedürfniffes 
der Schulen zu Luther's Zeit und jest liegen, zu verringern 
ſucht.“ 

In dem Gange ſeines Religionsunterrichts richtet ſich der Verf. ſtreng 
nach dem des Katechismus, indem er nach einer Einleitung über Religion, 
Bibel und Katechismus mit dem erſten Hauptſtück beginnt, demſelben einen 
„Nachtrag zur Pflichtenlehre“ (über die Pflichten gegen uns ſelbſt) beigibt 
und dann zu den übrigen vier Hauptftüden fortſchreitet, deren legten er 
bie Lehre von der Beichte folgen läßt. Da aber der Berf. fi dod einige 
Abweihungen vom Gange des Hatehismus erlaubt, wie 3. B. die Uns 
fterblichleitslehre nicht beim 3. Artilel behandelt, ſondern beim erften (8. 70: 
Gott ſendet ven Tod und giebt der Seele Unfterblichleit, und $. 71: Bes 
gründung des Glaubens an Uinfterblichleit), fo it ed zu verwundern, daß 
er nicht auch die Glaubenslehre der Sittenlehre voranftellt. Roc auffallender 
ift es, daß aud die Lehre von der Vergebung der Sünden beim 3, Artikel 
fehlt und überhaupt gar nicht beſonders verhandelt wird; denn die Erwäh⸗ 


Religionsunterricht. 29 


nung berfelben bei der 5. Bitte genügt für diefe wichtige Lehre nicht. 
Dagegen ift der Berf. viel zu ausführlich bei der Lehre über die Seelen- 
thätigeiten des Menſchen ($. 39—45). 

Obgleich nun der Berf. im Allgemeinen einem ziemlich freien Stand: 
punkt einnimmt, fo bängt ihm doch noch viel von dem veralteten Syſteme 
an. Das zeigt fih namentlich bei der Lehre von Jeſu als einem wahren 
Gott, bei der Lehre von der Dreieinigleit, vom heil. Abenpmahle ꝛc. 


So klar übrigens der Verf. immer zu fein ftrebt, fo unlogiſch ift doch 
oft feine PDispofition. Das tritt 3. B. in den 88. 70 und 71 hervor, 
wo er erft von der Wichtigleit des Glaubens an Uniterblichleit redet 
und dann von der Begründung deſſelben. Noch ſtärker aber zeigt es 
ſich bei den Eintheilungen der Paragraphen jelbft. Als „Arten der Reli: 
gion“ (&. 2) unterſcheidet er: 1. wahre, 2. falfhe, 3. wirkliche, 4. ſchein⸗ 
bare und 5. kirchliche oder confeſſionelle Religion. Nun würde man wahre 
und wirkliche Religion gar nicht zu unterjcheiden willen, wenn der 
Berf. nicht felbft erllärte, daß er unter der „wirklichen“ Religion die 
Religiofität verftehe, die aber eben fo wenig zu den „Arten der Reli- 
gion‘ gerechnet werben darf, wie die „ſcheinbare“ Religion, d. i. nad 
des Verfs. Erklärung die „Heucelei,” richtiger: die Scheinheiligteit. 
Am allerwenigften aber darf von einer kirchlichen oder confejfionel: 
len Religion geredet werben; denn das tft ein Widerſpruch: eine con: 
feifionelle Religion gibt es gar nidt. Cine Confefjion ift ja der 
beſondere Belenntnipausprud einer mehreren Kirchenparteien gemeinjchaftlichen 
Religion. Oder haben, etwa die Ratholiten darum, weil fie eine andere 
GConfeffion haben als wir, aud eine andere Neligion, als mir? haben fie 
nit aud die hriftliche Religion? Es bleiben aljo von jenen 5 Arten 
der Religion nur die beiden erften als zu unterfheidende „Religionen“ 
uũhrig. 

Trotz dieſer Ausſtellung iſt aber doch dies Religionsbuch zu empfehlen, 
da es im Allgemeinen den religiöjen Bebürfniffen der Gegenwart entſpricht 
und fih durd Klarheit und praltiſche Tendenz vor vielen andern Religions: 
büchern auszeichnet. 

9 Dr. Zadariad Urfinud’ Einleitung in den hriſtlichen Relis 
gion, sunterricht, wie er in dem Heidelberger Katechismus enthalten if. 
in Auszug aus deffen Corpus doctrinae orthodoxae — Mit einem 

Borworte beraudgegeben von E. W. Krummacher, Lic. theol., Baftor 

an d. größ. evang. Gemeinde zu Duisburg am bein. Der Reinertrag tit 


für die Dialonen: Anflalt zu Duisburg beitimmt. Duisburg 1863. Druck 
und Gommifflonsverlag von Joh. Ewid. 3 Sgr. 


Es hat gewiß für den Religionslehrer ein großes biftorifches Intereſſe, ges 
lehrte und fromme Männer über die zwedmäßigfte Einrichtung eines beilfamen 
Religionsunterricht3 ſich äußern zu hören. Gin folder wird in dem vor 
liegenden Schriftchen uns vorgeführt. Urfinus, geb. zu Breslau 1534, 
ein Schüler Melanchthon's, belanntlid der gelehrte Verfaſſer des Heidel⸗ 
berger Katehismus (1563), äußert fi hier über die Methodik des 
Religionsunterricht3 von feinem Standpunfte aus. Er jchrieb diefe „Ein 
leitung,” weldhe ein Auszug aus dem Corpus doctrinae catecheticae _ 


30 Religiondunterricht. 


sive catecheticarum explicationum D. Zacharise Ursini opus ab- 
solutum: D. Davidis Parei opera extrema recognitum it, um den 
Unterriht nad dem SHeibelberger Katechismus recht fruchtbar zu machen, 
zugleich aber auch die beitehenden Gegenfäbe zu vermitteln. Bon der Ge: 
wiſſenhaftigleit und Zreue, mit der er fich jelbft recht Har zu werden fuchte, 
wird beridtet, daß er, nur um zu einer gewiſſen Ueberzeugung über bie 
für die reformirte Kirche entſcheidende Lehre von der Präbeftination zu ges 
langen, die ganze h. Schrift won Anfang bis zu Ende durchlas, und nad: 
dem er dann bdieje Lehre in Gottes Wort gegründet gefunden hatte, an ihr 
zeitlebend unerſchütterlich feithält; — von der Gewifienhaftigfeit und Treue, 
mit der er feinem Lebrerberufe diente, wird — ein guter Wink für Lehrer 
— erwähnt, daß er feine Zuhörer aufforverte, nad jeder Stunde ihre 
Zweifel und Bedenken ihm fchriftlih mitzutbeilen, damit er fie zu Haufe 
in Erwägung ziehe und dann in der nächſten Stunde beantworte. Er war, 
wie auf feinem Grabdentmal zu Neuftadt a. d. Haardt (mo er 1582 ftarb) 
zu lefen ift: „Ein großer Theologe, ein Belieger der Irrlehren von der 
Perſon und dem Abendmahle Chrifti, begabt mit kräftigem Wort und jeder, 
ein fcharffinniger Philofoph, ein weiſer Mann und ftrenger Unterweifer der 
Jugend.” 

Sp war der Mann, deſſen Wort wir in dem vorliegenden Schriftchen 
vernehmen und deſſen Lebensbild der Herausgeber im Vorworte in kurzen 
Zügen zeichnet. Es läßt ſich daher etwas Gründlihes und Gelehrtes von 
ihm erwarten; da aber jeine Zeit und fein Standpunft ein ganz anderer 
al3 der unfrige ift, fo läßt fi natürlih auch feine Methode nicht mehr 
als eine praktifhe empfehlen. Gr ift zwar ein Lobredner der Katecheſe, 
fie ift ihm nicht die fragend sentwidelnde, ſondern nur die eraminatorifch: 
abfragende Methode. So ift er zwar jehr gründlih und gelehrt in feinen 
Argumentationen,, aber nicht einfah und praltiih genug. Gr führt 5. 2. 
„für die Gewißheit der chriftlihen Religion oder (?) der Lehre ver chrift: 
fihen Kirche“ (S. 8—1?) 14 Beweife auf (Fefthalten der Kirche an den 
beiden Zafeln des Geſetzes, das Alter der Lehre, die Wunder, die Mei: 
fagungen, das Belenntniß der Yeinde und des Teufels felbft, ver Haß bes 
Satans, die Strafen der Feinde u. |. w.), während er volllommen genug 
gehabt hätte, wenn er den vierzehnten Beweis — das Zeugniß des h. Geiftes 
im Herzen — allein im Sinne Jeſu (Joh. 16, 17: So Jemand will deß 
Willen thun, der wird inne werben 2c.) burchgeführt hätte. Gelbft ber 
Herausg. jagt ©. VIII, daß er nicht allen Argumenten des ehrwürdigen 
Urfinus völlige Beweistraft beimefien könne. 

Der Inhalt des Büchleins befteht aus Folgendem: 1. Allgemeine Ein- 
keitung von der chriſtlichen Kirche überhaupt und von dem Unterricht in 
der chriftlichen Lehre insbejondere, wobei zuletzt unter den Lehr: und Lern: 
methoden der fatehetifchen (ober der „ſummariſchen und einfachen Cr 
Märung der chriftlichen Lehre‘) der Borzug gegeben wird; — 2. Gpecielle 
Ginleitung in den chriſtlichen Religionsunterriht über die Summe des chriſt⸗ 
lihen Religionsunterrihts oder (1) bes Katechismus und die Gintheilung 
defielben, — 3. Speciellfte Einleitung: a) des Menſchen Elend, b) des Mens 
jhen Grlöfung, c) die Dankbarkeit. — Urſinus fchreitet hierbei ftreng nad) 











Religionsunterricht. 81 


dem fchelaftiihen Lehrgang vom Gejeß zum Syangelium, von ber 

oontritio cordis zur salvatio animi fort und ſchließt nach diefem Gange 

ſehr richtig mit der Danleserweijung. 

10. Der Religionsunterridt in der evangelifhen Bolfsidhule 
und der Katechismusentwurf unfers Bifhois. Von 3 Fr. Düder, Lehrer 
in Neuſtadt. Altona, Heftermann, 1861. 23 ©. 6 Nor. 

Gin kleines, aber ein ſehr empfehlenswerthes Scrifthen. Wie das 
Motto: „ver Buchſtabe tödtet, aber der Geift macht lebendig,” fo gibt aud 
Schon der erfte Sag: „die Schule foll Bildungsitätte des Geiftes und Ber: 
mittlerin zwiſchen der Wiflenfhaft und dem Vollsleben fein — genugfam 
zu eriennen, daß der Verf. auf einen zeitgemäßen und praltiichen Religions: 
unterricht binzielt. Und der Berf. fpriht es aud ausdrücklich aus, daß 
der Zwed des Religionsunterrichts ein durchaus praktiſcher ift, darauf 
gerihtet, daß die Rinder halten lernen, was der Herr befoblen bat. 
Darum follen fie zur reinften Quelle des evangeliihen Religionsunterrichts 
geführt werben; dieſe aber „iſt nicht die augsburgifche Confeflion, nicht ein 
mal der Iutherifche Katechismus, ja felbft nicht das |. g. apoſtoliſche Glau⸗ 
bensbelermtniß,, fondern die Bibel, das Wort des Her.” Darum foll 
der Inhalt des Religionsunterrihtd der Art fein, daß das find a) lerne, 
was der Herr befohlen hat, aber aud b) Terne, es zu halten. 
Darım fol die Anordnung nad dem Weg der Thatfahen fi richten, 
in der Unter: und Mittelllaffe an die biblifhen Gefchichten anknüpfen und 
erft in der Oberllafle zu einer Zufammenftellung der Wahrheiten des chrift: 
lihen Glaubens fid, geftalten. Darum ſoll der Form nah dieſer Reli: 
gionsunterriht nad einem „guten religiöjen Lernbuch“ ertheilt werben, das 
aber nit mit Sprüchen und Liedern überlavden jein darf. 

Wie nun nad) diefen Grundjägen ein Religionsbuch für die Volksſchule 
einzurichten fei, davon gibt er einen kurzen Abriß. Er will darin gehandelt 
ſehen vom driftlihen Glauben, vom chriftlichen Leben und von den Onaden⸗ 
mitteln. Er ftellt bier ſehr richtig die Glaubenslehre voran, während er 
früber ©. 11 es für gleicgiltig gehalten hatte, ob man mit der Glaubens: 
oder mit der Sittenlehre beginne, worin er gewiß unredt bat, da die Bibel 
lebt, dab aus dem Glauben die Werle kommen und nur die rechten 
zeligiöfen Vorftelungen audy die rechten gotigefälligen Handlungen erzeugen. 
Die Lehren will er nur durh kurze Säße angedeutet willen, wie z. B. 
Mein Glaube ift mein- größter Schag, „Die Bibel ift ein göttlih Buch, 
ein Evelftein jedweder Spruch,” „Ich will Gott über Alles lieben” u. ſ. w. 
Hauptſaͤchlich aber follen die Lehren in wenigen ausgedrudten Bibel: 
fprüden gegeben werden Gr hat damit volllommen Recht; aber damit 
ift dem nicht vorgebeugt, daß die orthodore Lehre in ver Auswahl der 
Bibelftellen, mehr nod in der Verheimlihung der Haren Ausſpruͤche der 
Bibel fi geltend made. Dem Ganzen will der Verf. den lutber. Katechis⸗ 
mus und eine Beittafel der heiligen Geſchichte beigegeben wifjen. Die Lehr: 
methode foli die katechetiſche jein, „melde geſpraͤchsweiſe, entwidelnd, 
vertragend, erwedend, kurz mie es die Sache und der Schüler erfordert, 
Unterricht im Chriftenthum ertheilt,”" und das „Gegenſpiel von der Methode 
des Auswenbiglemenlafiens’ ift. „Der dogmatiſirende Unterriht, der die 


32 Religionsunterriäht. 


Formel bringt und den Geift nicht kennt, ſchadet beim dhriftlidhen Religions: 
unterridhte.” 

In Betreff des lutheriſchen Katechis mus ift der Berf. fih nicht 
recht Mar. Gr urtbeilt über denjelben, daß er ale Leitfaden mangelhaft 
ift, als Lernbuc große Vorzüge bat. Jene Mängel weiſt er treffend 
nad), meint aber, fie feien leicht zu ergänzen und dürften und nicht veran- 
lofien, das aufzugeben, was er bringt. An Stoff zum Auswendiglernen 
fehle es im Katechismus nicht, namentlih möchte er nicht auf die beiden 
eriten Hauptftüde verzichten. Gleichwohl will er noch ein gutes religiöfes 
Lernbuch, aus welchem kurze Säge und Kernſprüche — nad oben ans 
gedeuteter Weile — von den Kindern gelernt und zu ihrem unverlierbaren 
Eigentum gemacht werden. Macht nicht Eines das Andere überflüffig ? 


Uebrigens ift e8 anerlennenswerth, daß fich der Verf. frei über den 
ſKatechismus feines Biſchofs Koopmann (f. Nr. 5 des vorigen Yahresb.) aus: 
Spricht. Er gebt zwar nicht auf eine fpecielle Kritik defielben ein (obgleich 
er andeutet, wie viel fi) daran ausfegen ließe); denn er „verneint das 
Bedürfniß eines folhen Katechismus,“ in welchem (S. 5) „Fragen und 
Antworten zwilchen die lutherifchen geftreut werben.‘ Gr tadelt aber, daß 
diefer Katechismus „in der holſtein'ſchen Schule ein Lernbuch für Kinder 
und ein Leitfaden beim Religionsunterricht fein will.’ Er tadelt insbejondere 
die Menge des Memorirftoff und die MWerthlofigleit deſſelben fürs Leben. 


b) Für Schüler. 
aa, Für Confirmanden: 


11. Leitfaden für den Unterricht der Eonfirmanden von H. E. @. 
Mieter, Bafor am Dom. Dritte Ausgabe. Bremen. ©. Schünemann’s 
Berlag. 1862. gr. 8. V und 85 ©. 10 Sgr. 

Der Berfafler ſcheint ganz andere Grundfäße über den Confirmanden: 
unterricht zu haben, als Ref.; denn zu unterrichten, meint Ref., hat der 
Geiftlide die Confirmanden gar nicht, fondern nur auf die Eonfirmation 
vorzubereiten. Cr muß jedoch die finder aus der Schule fo durchge⸗ 
bildet erhalten, daß ſie reif zur Confirmation ſind. Iſt das nicht 
der Fall, ſo thut die Schule ihre Schuldigkeit nicht, oder ſind die Kinder 
durch eigene Schuld in den nöthigften Kenntniſſen, namentlich denen der 
Religion, allzufehr zurüdgeblieben, daß fie al3 unfähig zur Confirmation 
bezeichnet werben, jo müflen fie noch ein Jahr lang die Schule befuchen 
(was hier zur Lande, im Herzogthum Gotha, auch als gefeplihe Beftim- 
mung gilt). Der Geiftlihe aber, der auf die Confirmation vorbereiten ſoll, 
bat, nach des Ref. Anſicht, nur zu prüfen, nachzubeſſern, zu befeftigen, 
was die Kinder mitbringen, vor Allem aber die erfannten Wahrheiten (und 
wie wenige fordert das Chriftenthum zu einem frommen Leben!) fruchtbar 
zu maden und an's Herz zu legen. Er fol niht Schule halten, fonvern 
Weiheſtunden. Doc freilih kommt es hierbei darauf an, wie vie 
Schuleinrichtung ift und ob die zur Confirmation angemeldeten Kinder 
etwa jo ungenügend vorbereitet find, daß fie noch eines befonderen Unter: 











Religionsunterriht. | 33 


Unterrichts bevürfen. Genug, der Verf. bietet hier einen „Leitfaden für den 
Unterricht der Gonfirmanden *).” 

Von den Schülern aber, die der "Verf. zum Confirmandenunterricht 
baben will, feßt er viel voraus; fie müflen aus einer jehr gehobenen Schule 
bommen, um bie gelehrten Ausprüde und Deductionen, die fi in diefem 
Leitfaden oft finden, verfiehen zu lönnen**). So redet der Berf. 3. 2. 
von anthropomorphiihen und antropopathifhen Borftellungen Gottes, von 
den Doleten, von Yeonen, vom Demiurg, von der Yoololatrie, Synode 
(wie es S. 17 ftatt „Synagoge von Nicäa” heißen fol) u. |. wm. So 
find aber auch feine Debuctionen oft zu gelehrt für populären Confirmans 
denunterricht. Dahin gehört die an fi) ganz vortrefjlihe Erklärung über 
den Teufel ©. 21: „Ein perfönlidhes Weſen, das abfolut böje fein 
muß, ift ein Widerſpruch in fich felbft, denn das Böfe feßt die Freiheit 
voraus. Die Unmöglichkeit, fi zu befiern, würde die Schuld aufheben. 
Die Möglichkeit der Beſſerung hebt den Begriff des Teufel auf. Der 
Zenfel oder Satan ift und der bichterifhe Ausprud der Gewalt und des 
Berderbens der Sünde, und die Teufel, die den Menſchen plagen, find feine 
Sünden ;”” — ferner die ebenſo vortrefflide, aber auch nicht populär genug 
gehaltene Erklärung über die Sünde (©. 26): „Sie ift ihre eigene 
Strafe.” Es gibt nidts Schlimmeres, als dag Schlechtſein, die Ents 
frembung von Gott, das Verderben des eigenen Wejens, alfo als vie 
Sünde jelbfl. Sie ift dem Geifte das, was die Krankheit für den Leib ift, 
fie ift der freſſende Krebs an dem Menjhen. Gegen diefe Strafe, welche 
die Simde jelbit ift, verbunden mit dem Bewußtſein der eigenen Schlechtig⸗ 
feit, find alle äußerlih unangenehmen Yolgen Nebenſache. Es liegt ein 
innerer MWiderjpruh in dem Ausdrud: die Sünde der außer ihr liegenden 
Strafe wegen vermeiden; denn das heißt nur: die äußere That unterlaflen; 
die Strafe haſſen, aber die Sünde lieben, alfo (zu) fündigen den Willen 
haben.” Das Alles ift jehr wahr und gut, aber es fest viele Vorbildung 
voraus und die Srörterung, die hierbei fich nothwendig madt, forbert fo 
viele Zeit, daß wohl kaum ein Jahrescurſus für den GConfirmandenunters 
riht ausreichen wird. Es hätte fi daher auch hier Manches noch eins 
faher und praltifcher einrichten laſſen, wie 3. B. wenn ſich der Verj. bei 
jener Erörterung über die Sünde und deren Strafe an das einfache Bibel: 
wort Jeſ. 48, 22 (die Gottlofen haben keinen Frieden) gehalten hätte. 
So wäre es gewiß auch für die Schüler faßliher, und praltifcher gemefen, 
die Eigenſchaften Gottes: „ewig und unveränderlid,” „allwiflend und all: 
gegenwärtig,‘ ald (5. 10) — zwar fehr richtig, aber zu gelehrt — Gottes 


*), In den bremiiden Schulen wird nur biblifhe Geſchichte ge» 
lehrt, der Religionsunterricht im engern Sinne aber ausſchließlich von den 
Geiſtlichen ertheilt. Die Wahl derfelben dafür fteht den (Eltern völlig frei. 
In den meiften Fällen beginnt diefer Unterricht bereits nach bem 10. Lebens» 
jahre, zuweilen fogar früher, und wird bis zum vollendeten 14., bei Schülern 
der höheren Schulanftalten bis zum 15. und 16. Jahre fortgefept. 

Die Redaction. 
**, Herr Paftor Nieter, ein ſehr gefchägter Prediger, hat in feinem linters 
richt viele Schüler der biefigen höheren Schulanftalten (Bymnaflum, Handels⸗ 
ſchule, Bürgerfehule, höhere Toͤchterſchule). Die Redaction. 


Bär. Jahreöberiht XV. 3 


34 Religionsunterricht, 


Ewigkeit und Allgegenwart zu verbinden, weil „Bott nicht irgendwo 
außerhalb der Welt und die Welt nit außerhalb Gottes, jondern das 
Endlihe in dem Unendlihen, die Welt überall in Gott und Gott überall 
in der Welt iſt.“ 

Ref. Tann übrigens nit umhin, bier nod einige Stellen aus dem 
Schriſtchen wörtlich mitzutheilen, die zugleih ald Kennzeihen des vernunjt- 
gemäßen und bibelgläubigen Standpunktes gelten können, auf welchem ber 
Berf. fteht. Ref. wählt dazu folgende Stellen aus: ©. 19: „Wunder, 
in dem Sinne von Aufbebung des Naturgejeges, find nur für den 
denkbar, nad deſſen Meinung die Natur ihren Gang für fih gebt, in 
welhen Gott nur zumeilen eingreife. In der Welt, die volllommenes 
Wirken Gottes ift, hat das Wort Wunder nur die Bedeutung, daß etwas 
unfere Bewunderung erregt, und daß wir auf dem bejchränkten Standpunkt 
unfrer Ertenntniß den urſachlichen Zuſammenhang der mirlenden Sträfte 
nicht zu durchſchauen vermögen. Ebenſo ift das Walten der Vorſehung 
Gottes nicht ein nur bisweiliges und theilweifes 20.” — ©. 28: (Erb: 
fünde) „Daß fih in jedem Menſchen Sünde findet, daß ſündige Ges 
finnungen durh Einen in dem Andern erwedt werden, und fo von Eltern 
auf Kinder übergehen lönnen, lehrt die Erfahrung, und daß der Menſch 
zu allem Guten nur durch die göttlide Gnade fähig ift, der er ja fein 
ganzes Leben verdankt, veriteht ih von felbfl. Aber der Gedanke, 
von Ratur zur Sünde gezwungen und zu allem Guten un: 
fähig, und dabei doch ſchuldig zu fein, enthält einen 
Widerſpruch. Nie ift die Menfchheit von Gott verlafien, und Sünde 
und Schuld find nur in foweit möglih, als ver Menſch die Freiheit ber 
Mahl hat, die ibm von Gottes Gnade nie entzogen wird. Uebrigens ift 
der Menſch immer in einem BZuftande, wie er nicht bleibend fein fol; er 
foll zu immer höherer Entfaltung feines Weſens gelangen. — ©. 31: 
„Wenn von der fündentilgenden Kraft des Toded und des 
Blutes Chrifti geredet wird, fo können wir diefe Kraft nur in der 
Gefinnung jehen, die Jejus in feinem Leiden und Sterben bewiejen hat, 
und die man bildlich mit dem Ausdruck „Blut Chrifti” bezeichnen 
kann. Wenn dieje Gefinnung in uns lebt, jo tilgt fie unfre Sünde,“ — 
©. 51: „Als die dem Menſchen gegen Gott gebührende Gefinnung wird 
oft die Furcht oder Ehrfurcht bezeihnet. Furcht Gottes war bei den 
Duden der Ausdrud für Religion. Verſteht man darunter das Gefühl der 
Angft vor äußerlihen Strafen, welche den Menjchen zum äußerliben Ge⸗ 
horſam, wenn aud mit widerftrebendem Herzen führen follen, fo ift fie etwas 
Verwerfliches und vom Chriftentbum als knechtiſcher Geift Verworfenes. 
Nur in dem Sinne hat das Wort eine Berechtigung, als man darunter 
das Gefühl gänzliher Abhängigkeit von Gott, die tieffte Bewunderung und 
die Scheu verjteht, etwas jeinem Willen Entgegengefegtes zu thun, weil 
die Sünde ſelbſt das Verderben ift.” 

Iſt nun das vorliegende Merl ſchon wegen diefer Haren, vernünftigen 
und echt evangeliihen Auffafiung der chriftlihen Lehre jehr empjeblenswerth 
fo it es das ganz bejonderd noch wegen der den Lehren überall beigefügten 
praftiihen und umjichtigen Anwendung aufs Leben, waraus man ven 














Religionsunterricht. 35 


erfahrenen, wahre Froͤmmigkeit erzielenden Religionslehrer erfennt. Und wenn 
auch Ref. nur für fehr gehobene Schulen einen Unterriht empfehlen kann, 
wie ihn der Verf. bier bietet, fo muß er doch dieſes Buch allen geförderten 
Schülern zum Selbſtſtudium und allen Lehrern zur eigenen Anregung em: 
pfehlen. Sie haben in demjelben eine reihe Fundgrube guter Gedanken 
und Auffafiungen, die vielfahe Aufforderung zum Nachdenken, zu tieferem 
Ergreifen der Lehren, zur Selbfiprüfung und zu wahrhaft frommem Wanvel 
geben. 

Um zum Schlufle nod ein kurzes Bild von der Anlage des Werkes 
zu geben, fei bemerkt, daß fich der Berf. aud hierin als einen echt evan⸗ 
geliichen Lehrer bewährt, ver fich frei erhält von dem Symbolzwang. Gr 
wendet ſich nach einer Einleitung über Religion und Bibel zu den beiden 
Haupttheilen feiner Lehren: zu dem chriſtlichen Glauben und der 
hriftlihen Liebe, denen er „Grundzüge der geſchichtlichen Geftaltung 
der chriſtlichen Kirche” und „vie fünf Hauptftüde des Heinen luth. Katechis⸗ 
mus‘ folgen läßt. Bei der chriftlihen Glaubenslehre handelt er von Gott, 
von des Menjhen Beltimmung und der Sünde, von der Erlöfung durch 
Jeſus Chriftug, vom Neihe Gottes, von der hriftlihen Kirche und den 
Garramenten, vom Leben nah dem Tode; — bei der Sittenlehre von der 
Liebe und der Selbftfuht, von der Liebe im Berhältniß des Menfchen zu 
Gott, von der Liebe im allgemeinen Verhältniß der Menſchen unter einander 
und in den wicdtigften Verbindungen, von Familie, Staat und Kirche. 

Möchten die ftarrgläubigen Symboliter, die dur ihre Lehrweiſe fo 
viel Widerwillen gegen die Religion erregen und damit die Srreligiofität 
befördern, von dem Berf. lernen, in evangeliihem Geifte zu unterrichten, 
und feinen Grundſatz annehmen, den er in der Vorrede aufitellt: „Der 
Menſch kann in Wahrheit nur Das befennen, was er verftanden und 
unzweifelhaft al Wahrheit erfannt bat, und in Wahrheit nur das 
geinben, was in ihm zur Gefinnung, zum eignen freien Willen 
geworden ift!“ 

12. GHriflihe Religionslehre. Der gebildeten Zeit gemäß dargeftellt 
für Schul:, Eonfirmanden : und Gelbflunterriht von Karl Gottlieb 

Mebfener, Prediger an der evangelifhen St. Johanniskirche in Wemel. 


Zweite verbefjerte ah. Reipzig, F. A. Brodbhaus. 1862, gr. 8. XII 
und 138 S. geb. %/s Thlr. 


Schon im Jahre * war die erſte Auflage erſchienen und ſchon im 
erften Jahre feines Erſcheinens war es faſt vergriffen; denn der Werth 
defielben war bald erkannt worden. Aber wie günftige Beurtbeilungen 
auch damals über daſſelbe veröffentliht wurden und zwar von den hervor: 
ragenpften Theologen jener Beit, namentlid won Bretichneider und Röhre, — 
wie dringend auch der Verleger von dem Berf. verlangte, jofort eine uns 
veränderte neue Auflage zu veranftalten,, diefer konnte ſich nicht dazu ent⸗ 
Schließen. „Ich fing an, fagt er felbit- in der Vorrede, mein Buch erft 
gründlich zu verbefiern. Mein Biel ſchwebte mir beftändig noch in weiter 
Ferne vor: ich wollte die reine Lehre Jeſu mit höchſter Klarheit und 
Gründlichleit darftellen und damit den gerehten Anforderungen 
einer gebildeten Zeit entfprehen. So habe ich die Sade zur 

3 % 


#4 


36 Religionsunterricht. 


Aufgabe meines Lebens gemacht und während ber ganzen Leit 
meiner Amtsführung an der Bernolltommnung meines Buches gearbeitet. 
Sept fiehe ih am Abende meined Lebens und übergebe mein mit Gott 
vollbrachtes Werk als ein treues Vermaͤchtniß meines Herzens der Mit⸗ 
und Nachwelt.“ 

Das ift fürwahr die Sprache und Handlungsweife eines Chrenmanmes, 
eines wahrhaft Frommen. Ihm ift es niht um feine Ehre, nit um 
nichtigen Gewinn zu thun, fonft hätte er jein Licht nit fo lange unter 
den Schefiel geftellt; ihm ift es nur um die heilige Sade zu thun, der er 
dient, — darum läßt er fein Werk unter dem Einfluß der Erfahrungen 
von mehr denn drei Jahrzehnten erft noch reifen; ihm ift alle Selbſtgenug⸗ 
famteit fremd, darum fucht er fein Bud) in biefer Fangen Zeit „erft gründlich 
zu verbeſſern;“ aber fremd ift ibm nicht „bie gerechte Anforderung einer 
gebilveten Zeit,“ und er fucht ihr zu entſprechen. Bor Allem aber, weldy’ 
eine rühmliche Gemwillenhaftigleit, mit der er, der heiligen Aufgabe ſich be 
wußt, die reine Lehre Jeſu mit höchſter Klarheit und Grünplicyleit 
darzujtellen. 

Weil nun Frömmigkeit und heiliged Streben der Grundzug dieſes 
Werkes find, weil in demjelben nicht nur dem gläubigen Herzen, fordern 
aud den Forderungen der Bernunft und der Beitbildung Rechnung getragen 
wird, weil es mit feltener Selbitverleugnung fo lange Jahre hindurch zu⸗ 
züdgehalten wurde, um es einer gewifienhaften Prüfung und Verbeſſerung 
gu unterwerfen, — fo läßt fi von bemjelben auch etwas recht Gediegenes 
und Praktiſches erwarten; und in diefer Erwartung wird man nicht ge⸗ 
täufcht. Freilich die ftreng Confeffionellen, welde die Symbolit über bie 
Bibellehre ftelen und den Tritheismus, den Teufel, das ftellvertretende 
Sühnopfer , die Erbjünde, das Amt der Schlüffel, die magiſche Wirkung 
ver Sacramente ıc. bier vertreten zu fehen hoffen, werben ſich getäufcht 
sehen, — aber nicht die Freunde proteftantiicher Entwidelung, die es wifien, 
daß gemijlenhaftes Forſchen in ver heil. Schrift, aufmerkſame Selbſtbetrach⸗ 
tung und gerechte Würdigung ber fortgefchrittenen Bildung nothwendig über 
ven beihräntten Standpunlt der Symbole binausführen. Dieje Freunde 
des wahren Proteftantismus werden aud hier wieder in der Ueberzeugung 
beftärft werben, daß jeßt, „wo alle Welt mehr als jemals zum 
Denten und zum Prüfen aufgewedt worden ift,’ auch der Religions: 
unterricht nicht binter der Bildung der Zeit zurüdbleiben darf, und daß, 
wie der Berf. jagt (S. V), „ein wirklicher Fortſchritt im Religions 
unterrichte nichts Anderes fein kann, als eine größere Annäherung an 
Sefum Chriſtum, deſſen Lehre die unwandelbare ewig bleiben wird.“ 

In Betreff der Beſtimmung dieſes Buches zum Confirmanden⸗ 
unterrichte hätte Ref. dieſelben Bemerkungen zu machen, wie zu dem 
vorigen, unter Nr. 9 beſprochenen Bude. Allein es iſt ja nicht bloß 
für den Confirmanden:, fondern au zum Schul» und Gelbftunter: 
richte beftimmt, und diefer Beitimmung genügt ed in vortrefflicher Weiſe. 

Durch und durd ift es im logiſcher Klarheit und edler Einfachheit ge: 
fchrieben, durch und durch von Hriftlihem Geiſte getragen und auf das 
Praltiſche des Ehriftenlebens gerichtet. Nachdem in der Einleitung Bexiff, 








Religionsunterricht. 37 


Urprung, Wichtigkeit und Beförberungsmittel der Religion befprochen find, 
wird das Ganze des Religionsunterrichts in zwei heilen abgehanvelt, in 
der Glaubene: und Sittenlehre. Die Glaubenslehre umfaßt die zwei 
Abſchnitte vom Menſchen und von Gott. Bei dem Abſchnitte „Lehre vom 
Menſchen“ wird die pſychologiſche Anlage des Menſchen gründlich er: 
östert und dieſe pſychologiſche Erörterung ift die Bafis, auf welcher alle 
nachfolgenden Lehren ruhen. Die „Lehre von Gott” handelt I. vom Weſen, 
2. von den Werken Gottes. Die Eigenſchaften Gottes werden in ftreng 
philoſophiſcher Folge jo erörtert: Gott ift in Hinfiht 1. auf Zeit und 
Raum: ewig und allgegenmärtig, 2. auf die Welt: jelbitftändig und uns 
veränderlich, 3. auf die Kräfte aller geiftigen Wejen: allwifiend (in Hinficht 
auf das Grienntnigvermögen), allmädtig (— Begehrungsvermögen) und 
felig (— Empfindungsvermögen), 4. auf unfer ewiges Heil überhaupt: 
beilig, insbeſondere a) in Hinfiht auf die Beförderung des Heils, nämlich 
der Wahrheit: wahrhaftig, der Tugend: allweije, ver Glüdfeligleit: liebes 
voll, b) in Hinfiht auf die Heilbevürftigen, nämlih aa) Nothleidenve: 
barmberzig, bb) Sünder: gnädig, und als gnädiger Gott a) durd ange: 
meſſene Lehre, Lohn und Strafe: gereht, b) und nad bewirkter Beſſerung 
durch Bergebung: verjöhnlid. Die Werte Gottes find: I. Schöpfung 
der Welt, II. Regierung der Welt, und zu dieſer gehört: 1. Erhaltung 
des Ganzen, insbejondere der menjhlihen Seele (Unjterblichleit), 2. Ver⸗ 
forgung der lebenden Wejen (a) ungleihe Bertheilung der Glüdägüter, 
b) Leiden, c) Leiden des Frommen), 3. Erziehung des Menſchengeſchlechts: 
a) Jeſus Chriftus, b) die heil. Schrift, c) die Taufe, d) das Abendmahl, 
e) das Gebet. — In der Sittenlehre werden erft die allgemeinen 
Pflichten abgehandelt: 1. gegen Gott (Liebe oder verehre Gott über Alles, 
geiftig, wahrhaft, von ganzer Seele), 2. gegen uns felbft (in Hinficht auf 
a) unfer leibliches Wohl: Leben, Wohlftand, Ehre, b) unfer geiftiges Wohl: 
Wahrheit, Tugend, Glüdjeligleit), 3. gegen unfre Nächſten (wie bei den 
Sebfipflichten). Dann folgen die bejonderen Pflichten a) der Obrigleiten 
und Untertbanen, b) der Herrſchaften und Dienftboten, c) der Lehrer und 
Schüler, d) der Ehegatten, e) der Eltern und Finder. 

Was Ref. oben von dem Werle fagte, daß es dur und durch von 
&riftlichem Geifte getragen werde, das wird freilich bei Denen Widerfprud 
finden, die auf den Xrtilel von Jeſus größeren Werth legen, als auf den 
von Gott. Denn der Derf. kommt in wenigen Andeutungen auf Sefu 
Lebensgefchichte zu reden und widmet ihm, wie aus ber vorftehenden In⸗ 
baltsangabe hervorgeht, nit einmal einen beſondern Abſchnitt in der 
Glaubenglehre , jondern reiht die Glaubensjäße über ihn in den Abfchnitt 
über Gottes Wirken, insbefondere über deſſen väterliche Erziehung des 
Menſchengeſchlechts ein. Aber die chrifilihe Lehre foll ja auch nicht vors 
zugsweiſe eine Lehre über Chriftus, jondern die Lehre Chrifti fein, 
und diefe gibt der Derf. in alljeitiger, bibliiher Begründung Was aber 
des Verjs. Lehre über Chriftus in dem einzigen $. 43 betrifft, jo enthält 
fie in der gebrängteften Kürze Alles, was ein evangeliiher Chrift von 
feinem Heiland zu wiſſen und zu befennen bat, jo daß feine hierher bes 
zügliche Lehre ver h. Schrift vermißt wird; die Bekanntſchaft mit den ein 





38 Religionsunterricht. 


zelnen Lebensumftänden Jeſu febt der Verf. als in dem bibliſchen Ge⸗ 

Schichtäunterricht begründet, voraus. Er deutet fie aber auch überall an, 

wo fie für ven Glauben an Jeſum und fein Gotteswert Bedeutung haben. 

Was er über Jeſus fagt, wird freilich auch nicht Alles den Beifall der 

Orthodoxen finden; fie werden namentlih vermifien, daß bier von ver 

zweiten Perjon in der Gottheit, von dem Gottmenſchen und anderen un» 

bibliihen Lehren keine Rebe ift und daß der Hauptſatz, von welchem der 

Berf. bier ausgeht, lautet: „Jeſus Ehriftus ift nah Perſon, Würde 

und Berbienft der Erhabenfte unter allen Menſchen.“ Ebenſo werben fie 

an anderen Säßen, wie an der fehr richtigen Behauptung 8. 45, daß 

Zaufe und Confirmation „al8 ein Ganzes zu betradten find,“ 

Anftop nehmen. Aber jeder Unbefangene, ver die bibliiden Beweiſe des 

Berfd. zu würdigen weiß, wird demfelben rechtgeben müflen. 

Sinterefiant war ed dem Ref. au, aus der Vorrede ©. VIII zu 
vernehmen, daß der Verf. nah dieſem Buche 163 Juden unterrichtet und 
getauft habe, um fo intereflanter, da er, Ref., jelbit im Jahre 1837 ein 
„Lehrbuch bei YJudenbelehrungen, zugleih ein Hilfämittel zur Unterfcheidung 
des alten und neuen Zeftamentes‘ (Leipzig, Weidmann'ſche Buchhandlung) 
gefchrieben und bei diefer Arbeit die Weberzeugung gewonnen bat, daß für 
folhen Unterricht nur ein evangelifher Unterriht, wie ihn der Verf. vors 
liegenden Werts bietet, gute Früchte bringen kann, und daß rechtgläubige 
Juden durch die ftreng kirchlichen Lehren, namentlih durch die von der 
Dreieinigleit zurüdgefloßen werden. 

Daß der Ber. kein Regulatio:Verehrer ift, bedarf nach dem agten 
keiner Berfiherung; aber aus feinem Buche können alle Religionslehrer 
und ganz beſonders die regulativen viel lernen. 

13, Evangelifhe Kinder- Dogmatit auf Grund des Meinen Luther'ſchen 
Katechismus dargeftellt von Ph. Buttmann, Pfarrer an ter St. Baulss 
Kirche. Berlin, 1861. Friedr. Schulze. 8. S. XI und 164. 12 Egr. 

Ob nicht diefer Titel Anftoß erregen wird? ob er nit das Vorur—⸗ 
theil erweden wird, als werde bier ein bogmatifirender Unterricht geboten, 
wie ihn die neuere Paͤdagogik ald zmedwibrig und unfruchtbar verwirft? 
„Kinder und „Dogmatik“ — mie reimt fi das zufammen? Und wer 
follte vermutben, daß der Verf., der auf dem Zitel mit dieſer vox hibrida 
auftritt und das gelehrte griehiihe Wort Dogmatil braudt, gerabe ein 
entſchiedener Gegner der gelehrten Sprache und der Fremdwörter ift? Ja, 
er ftellt fi felbit die Aufgabe (S. X f.), „ih der einfadften, deuts 
lihften und deutfcheften Sprache zu bedienen, damit ver hohe Ge: 
genftand der allgemeinen Erlenntniß näher gebradht werde, ohne damit der 
wiſſenſchaftlichen Schärfe und Tiefe etwas zu vergeben" Denn das fteht 
ibm feft, daß nur zu leicht und oft hinter Ausdrüden, welche einer fremden 
Sprahe entnommen, oder wenn aud der Mutterſprache angebörig, doch 
nur wiſſenſchaftlich, alfo nicht allgemein verftändlih ausgeprägt find, 
fih unklare Gedanken verbergen.‘ 

Bra diefem Widerſpruch abgeſehen, ift der Verf. in feinem Etreben, 
einfach, Har und deutſch zu reden, treu geblieben. Er will ja eine Rinder: 
Dogmatik liefern d. h. nicht ein Neligionsbud für Heine Kinder (der Verf. 








Religionsunterricht. 39 


bat den Gonfirmandenunterricht im Auge), fondern eine evangeliſche Reli⸗ 
gionslehre in kindlichem Geifte, d. h. eine kindlich einfältige Darlegung der 
evangelifchen Wahrheiten, die zur Kindſchaft mit Gott erzieht. Und er 
redet in der That in einer fo verftändlichen Sprache, bringt Alles in einen 
fo Iogifhen Bufammenbang, verwebt in venfelben fo zmedmäßig die Schrift 
beweife, daß er feinem Zwede in lobenswerther Weife genügt. Gleichwohl 
findet Ref. das Wert nicht praktiſch genug eingerihtel. Cs tft nämlich, 
wie der ganze Gedankeninhalt in einem Gufle ftreng zufammenhängend 
fortfchreitet,, fo auch der Drud ein durchgängig gleihförmiger. Nirgends 
find die Haupt-Lehren und Gedanken durch gefperrten Drud marquirt oder 
durch Abtheilungen nah Ziffern hervorgehoben; Weberfchriften gibt es gar 
nit (außer bei den Hauptabjchnitten: von ver Schöpfung, von der Er: 
löfung, von der Heiligung, die Sacramente ꝛc.) und nur einmal erben 
die zur Erörterung kommenden Gegenftände in kurzer Bufammenftellung 
voraus benannt, nämlih S. 90, mo die Fragen ftehen: 1. Welches war 
die Gefinnung Chrifti? 2. Wirkt und gibt diefe Gefinnung die Seligteit? 
3. Eind wir Menfchen derſelben fähig und können wir ihrer in ihrem 
ganzen Umfange theilbaftig werden? Selbft die Bibelſprüche verfhmimmen 
in dem gleichförmigen Tert und find nur durch „ ”' marlirt; die Citate 
derfelben find an den Rand geprudt, hätten aber ebenfogut auch noch in 
den Tert aufgenommen werben können. Es f&heint vielleiht kleinlich, daß 
diefe Einrihtung getadelt wirb (der übrigens bei einer neuen Auflage leicht 
nachgeholfen werden kann); aber fie thut der Wirkſamkeit des Buches bei 
den Schülern gewiß Abbruch. Denn ihr Auge verlangt beim Lefen Ruhe 
punkte, ihr Geift Winle für die widhtigeren Stellen, ihr Gebächtniß Be: 
merflihmaden des Behaltensiwertheften. 

Sehr zu rühmen ift der Zweck, den der Berf. bei Abfafjung dieſer 
Schrift hauptfählih im Auge hatte Er foll „ver Union der beiden 
evangeliichen Kirchen dienen.” Der Berf. will die gemeinjchaftliche „Lehre 
von dem allein feligmahenden Glauben durd die ganze Kirchen: 
lehre hindurch zur alleinigen und ftrengften Geltung bringen” und die 
Unterfhiede ausgleichen, wo beide Kirchen von diefem Hauptgrundfaße ab: 
gewichen find und „aus früherer Zeit Fremdartiges aufgenommen haben,” 
namentlih in den Lehren von der Erlöfung durh Chriftum und von 
den Sacramenten Gr verfährt dabei in echt irenifcher Weiſe, indem 
er, ohne alle Polemik, ganz ruhig und klar die fireitigen Lehren aus dem 
Zufammenhang feiner Ideen und aus den Worten der h. Echrift deducirt. 

Weber die beiden genannten Punkte tbeilt Ref. Einiges aus. dem 
Werke mit, um theils den Geift defielben, theils deſſen Darftellungsmweile 
näher zu kennzeichnen. In Betreff der Erlöfung diene dazu eine Stelle 
über die Vergebung der Sünden beim 3. Artifel, die auf die Reſultate 
des 2. Artitels hinweiſt. Verf. führt die Stellen ver h. Schrift an, in 
denen davon die Rede ift, daß Jeſu blutiger Opfertod und von allen 
Sünden rein gemadt habe (Hebr. 10, 12; 1 ob. 1, 7 u. f. m.) und 
fährt fort: „Im diefen und in anderen Stellen mehr wird unjre VBerföhnung 
mit Gott durch die Vergebung der Sünden auf den Tod Jeſu Ehrifti für 
ums Sünder gegründet, aljo daß ohne den Tod des Sohnes Gottes ſolche 








40 Religionsunterricht. 


Berfühnung und Vergebung ver Sünden nicht wäre. Hieraus fcheint baum 
zu folgen, daß Chriftus der heilige und ſchuldloſe die Strafe, die wir ver 
dient haben, auf fih genommen, den Anjprühen der Gerechtigkeit Gottes 
ein Genüge gethan, feinen Zorn gefühnt und daburd uns bie Vergebung 
der Sünden erworben babe. Als wir aber im 2. Xrtilel von dem Gr; 
löfungswerle Jeſu fprachen, haben wir nichts davon erwähnt, vielmehr 
mußten wir recht ausvrüdlih ausfpreden, daß ber Zwed ber Sendung 
Jeſu, das Biel feiner Thätigleit fih nicht auf Gott, fondern nur auf bie 
Menſchen bezog, um in ihnen den Blauben und das Leben im Glauben 
zu erweden; aber nichts davon, daß er unjre Sündenjhuld abbüßen und 
Gottes Zorn verfühnen mußte. — — „Bott ift die Liebe jelbft, ewig und 
unveränderli; was er thut, gebt aus dieſem feinem ewigen heiligen Weſen 
der Liebe hervor. Da ift alfo nichts erit zu verfühnen, zu gewinnen, damit 
eine Srlöfung erfolgen könne. — — „Ja Chriftus bat uns durch feinen 
Tod mit Gott verjöhnt, bat uns durch feinen Tod Vergebung der Sünden 
erworben, weil wir nun erft die Liebe und die Vergebung ſehen, daran 
glauben und dur den Glauben fie und zu eigen machen.“ — — „Bir 
müfien bedenlen, die Sprache benennt überall die Dinge fo, wie fie zuerft 
erſcheinen, nicht wie fie die Forſchung erlennt. So redet die Sprache vom 
Ausgehen und Untergeben ber Sonne; und ob wir gleich willen, daß bie 
Sonne nicht gebt ꝛc.“ „Auf der Reife ſprechen wie wohl zu einander: 
Gieh, der Ihurm kommt immer näher und wirb immer größer, und wollen 
damit nicht etwas Albernes gejagt haben. Ganz ebenjo erſcheint der Tod 
Jeſu Chrifti ald das Opfer für unjere Sünden, und er üt es aud, als 
es ſeines Todes bedurfte, nicht um ber Gerechtigkeit Gottes ein Genüge zu 
tbun, daß er vergeben könne, jondern daß mir glauben können an bie 
wahrbaftige und ewige Vergebung aller unſrer Sünden vor Gott, ber durch 
Chriſtum zu ſolchem ſeligen Glauben uns berufen hat.“ 

In Betreff der Sacramente ſagt der Verf., daß die äußere Hand⸗ 
lung ein Abbild der inneren Bedeutung iſt. Von der Taufe ſagt er ſehr 
richtig, daß die Kindertaufe noch nicht die vollendete Taufe iſt. Sie iſt 
vollendet an dem, was dabei den Eltern und der chriſtlichen Gemeinde zu 
thun obliegt. Vonſeiten des Täuflings iſt fie noch leer und bedarf daher 
der Ergänzung durch die Confirmation, beim Abendmahl, fagt er, 
kömmt ed bauptjädhlic darauf an, daß wir Fleiſch und Blut Jeſu Chrifti, 
d. h. den lebendigen Chriftus in und aufnehmen; denn durch ihn allein 
wird das chriftlihe Glaubensleben genährt und erhalten. „Der ganze Nach⸗ 
drudk diejer feierlihden Handlung liegt darauf, daß es nicht ein bloßes Em 
pfangen oder Hinnehmen, jondern ein Thun jedes einzelnen dabei gegens 
wärtigen Chriften ift.” „In welcher Kirche das Abendmahl auch gefeiert, 
wie auch davon gelehrt werden mag, der Herr, der nichts dazu gejekt und 
erläutert bat, wie wir uns feine Gegenwart unter dem Brot und Wein 
zu denken haben, wird von der richtigen Erklärung dieſer Worte den Segen 
und bie Kraft diejer Feier nicht abhängig gemadt haben.‘ Es follen nur 
Alle, die das Abendmahl nehmen, ſolches thun zum Gedaͤchtniß des Herrn, 

und dadurch fih zu ihm als der einigen Nahrung und Erquidung ihres 
neuen Lebens befennen. 





Religionsunterricht. 41 


Doc ed wäre nöthig, den ganzen Abjchnitt mitzutbeilen, um zu zeigen, 
wie reih an erbaulihen Gedanken und praktiſchen Winken das Wert bier, 
wie überall if. Ref. bemerlt nur noch, daß der DVerf., der Orbnung des 
Katechismus folgend, erft von den zehn Geboten, dann von den drei 
GBlaubensartileln redet, das 3. Hauptitüd aber ganz an den Schluß ftelft 
und dagegen das 4. und 5. von den Sacramenten fogleih an bie Lehre 
von ber Kirche im 2. Hauptitüde anreiht. Ueber andre Abweihungen im 
Einzelnen, fowie über einzelne Anllänge an die Ortbodorie unterläßt es 
Ref. noch zu veden, um nicht zu ausführlich zu werden. 

Aber empfehlen will er noch einmal diefe Kinder: Dogmatil den 
Lehrern; fie wird ihnen vielen Stoff zum Nachdenken und viele Winke 
zu Harem, praltiihem Unterricht geben. 

14. Das Gebet des Herrn. Nach Luther's kleinem Katehiemus aufgelegt 
für Kirde, Schule und Haus von Hermann Opitz, Diaconus an der 
Stadtkirche zu Meißen. Leipzig, Verlag von Ernft Bredt, 1863. Mi, 8. 
IV und 126 ©. 10 Ger. 

Es ift immer etwas Gewagtes, einem Buche mehrfache Beftimmungen 
zu geben. Niemand kann zwei (oder, wie bier, drei) Herren dienen. Soll 
das vorliegende Buch der Kirche dienen? Ref. wüßte es dann nur zu 
firhlidden Katecheſen zu empfehlen und empfiehlt e3 auch gern zu dieſem 
Zwece den Geiftlihen für gründliche Vorbereitung auf Katechifationen über 
das Gebet des Herrn. Soll es den Schülern dienen? Ihnen Tann es 
Ne. aus dem Grunde nicht empfehlen, weil es nicht möglich ift und auch 
nit zmedmäßig wäre zu forbern, daß fie fi ausführlihe Werke über alle 
ipecielle Lehren des Neligiondunterriht3 und anderer Unterrichtögegenftände 
anſchaffen follen. Soll e8 dem Haufe dienen? Auch dafür ift es nicht 
ganz zu empfehlen, da ihm bierzu die Form eines Andachtsbuchs fehlt, 
wenigftens enthält es zu viel Belehrung und zwar ſolche, wie fie die Schule 
ſchon gegeben bat. 

Nef. war deshalb auch in DVerlegenheit, unter melde Rubrik er dieſes 
Buch Stellen follte, glaubt aber im Sinne des Verfs. zu handeln, wenn er es 
unter die Bücher für Confirmanden aufnimmt. Diefen kann man zus 
trauen, und biefen wird ed auch von Nußen fein, das, was ihnen ber 
mündliche Unterriht in der Schule über die Lehre vom Gebete des Herrn 
gegeben hat, im Zuſammenhang und gründlid ausgeführt zu wiederholen 
und fih in daffelbe zu vertiefen. 

Der Zwei, den ber Verf. bei der Abfaſſung feiner Schrift bejonders 
im Auge hatte, geht darauf bin, der Gebanlenlofigleit, mit der das Vater: 
unfer bei feinem häufigen Gebrauch gebetet wird, entgegenzuarbeiten. Ein 
ſehr guter Zwed; aber — gibt es nicht gründlihe Erllärungen deſſelben 
fhon in Menge? 

Der Erklärung tes Vaterunſers fchidt der Verf. eine Einleitung über 
Werth, Uriprung, Welen, Arten, Cigenjhaften, Inhalt, Zeit, Ort, Grund 
des Gebets und über das Gigenthümliche des chriftlihen Gebet voraus, 
und läßt ihr eine Grörterung über die Erbörung und den Segen des 
Gebets folgen. Gehört Lebteres nicht zu der allgemeinen Crörterung über 
bag Gebet in der Einleitung? Auch hätte der DBerf., was er bei den 


42 Religionsunterricht. 


Eigenfchaften des Gebets vom anhaltenden Gebete fagt, mit dem Abſchnitt 
„Zeit des Gebets’’ verbinden follen. Aber freili denkt fih der Berf. 
„unter dem anhaltenden Gebet ein mwiederholtes Dringen in Gott, was aber 
gewiß nicht in dem Sinne des apoftolifhen Worts: „Haltet an am Gebet!” 
Begt. — In Bezug auf die Erhörung der Gebete jagt der Berf.: „Gott 
erhört diejenigen Gebete, die mit feinem Willen übereinftimmen, im eigents 
lichen Sinne, d. b. nah ihrem Wortlaute.” Der lebte Zufag ift ſehr un⸗ 
Har und gewiß überflüffig. Die weitere Aeuhßerung: „Auch diejenigen Ges 
bete, die nit mit Gottes Willen und Wbfichten übereinflimmen, werben 
erhoͤrt,“ ift ein gefährliches PBaradoron. igentlih meint aud der Berf., 
Gott erböre ſolche Gebete nit; denn er jagt, Gott reinige unfer Gebet 
von allem Unbeiligen und gewähre das nicht, könne es auch nicht ge⸗ 
währen, mas ung zwar als ein wünſchenswerthes Gut erfchienen, was aber 
in der Zhat für uns ein Uebel geweſen wäre. 


bb. Für alle Schulclaffen. 


Nahbenannte Bücher enthalten den religiöfen Lehrſtoff für die Unter:, 
Mittel: und Oberclaffe zufammen, 


15. Dr. Martin Luthers kleiner Katechismus mit Erflärung Für die 
evangelifch s Iutnerlichen Kirchen und Schulen des Königreihe Hannover 
eingeführt durch Königliche Verordnung vom 13, April 1862. Sannover, 
Verlag ter Galenberg = Grubenbagen’fden Landſchaft. Zum Beften der 
landſchaftlichen WMaiſenanſtalt. Zu haben in der Echhlüterihen Hofbuch⸗ 
guder, Preis ungebunden 21a Sgr., in Rappband 41a Sgr. N. 8. 


Hier haben wir das corpus delicti vor und, das fo großen Spuk 
angerichtet, das den Frieden jo vieler Gemeinden geftört, fo viele proteftans 
tiſche Herzen betrübt, jo viele Rechtsfreunde erbittert, — das ebenjo bie 
Männer einer hochmeifen Facultät, wie den fchlichten Mann des Volks in 
Bewegung gejegt hat. Ein Stolz der Orthodoren, ift es gleihwohl eine 
Schmach der Zeit; wie fehr aber auch jene triumpbiren, doch wird die 
Wahrheit fiegen. Er, der Alles, was die Menſchen gedachten böfe zu machen, 
zum Guten zu lenten weiß, er wird auch aus diefer Unthat reihen Segen 
erfprießen lafien, und bat es ſchon gethan, mie oben gezeigt worden ift. 
Mie einst Tegel’3 unzeitgemäßer Ablaßhandel das Hervorbrehen des neuen 
evangeliihen Lichtes mächtig förderte, jo wird auch diefe Gemaltthat, durch 
welche der Fortſchritt gehemmt merden jollte, die ntwidelung ver 
religiöfen Bildung und der Kirche mächtig fürden. „Gin Wert der 
firhlihen Reftauration, fagt Schenkel (in feiner Allgemeinen 
kirchlichen Zeitſchrift, 1862, Heft 6), ein Werl aus dem, unjerm Seit: 
alter fremden, ja faft gefpenftiih im daſſelbe hineinſchauenden Geifte der 
Drtbodorie des 17. Jahrhunderts liegt in dem neuen hannover: 
ſchen Katehiemus vor und.’ 3 ift ein Attentat gegen bie Cntwidelung 
der Kirche und der Nation, fie im Denken und Glauben auf die längft veraltete 
Bildungsftufe jener weit hinter uns liegenden Zeit zurüdzuführen. Ein foldes 
Attentat aber wird von der Beit geahndet werden und ift fchon gerichtet worden. 








Religionsunterricht. 43 


Katüslih kann Ref. dieſes Wert nicht empfehlen; aber er braucht 
auch nicht vor demjelben gu warnen. Senes nit, da er fonft feinen 
eignen Grundſätzen und dem Geifte des Fortfchritts untreu werben müßte; 
diefes nicht, da bier, ſowie in Rr. 2 (bei der Anzeige von Dieftelmann’s 
Ehrift) und oben in der Einleitung fchon genug zur Warnung für alle 
Gleichgeſinnten gefagt, bei den unverbeflerlihen Rüdichrittsmännern aber 
jede Warnung, jede noch fo Mare Darlegung der Wahrheit vergeblich ift. 
Dagegen hält es Ref. für feine Pflicht, bier ausführlicher, als es fonft bei 
äbnlihen Machwerlken zu gejcheben pflegt, den Inhalt defielben darzulegen, 
eben weil dafjelbe eine wichtige Zeiterfcheinung it, und — weil es doch 
wohl manche Leſer d. Jahresb. nie zu Gefichte befommen werben. 


„Das erſte Buch“ ift für die Borftufe des Religionsunterrichts 
beftimmt und enthält den Tert des Kleinen Katechismus (die fünf Haupt: 
flüde) ohne die Erklärung Luthers. Dabei ift nur zu bemerten, daß die 
beiden erften Gebote in ver Ausführlichleit des Urtertes gegeben find: 1. „Ich 
bin der Herr, dein Gott. Du follft nicht andere Götter haben neben mir, 
Du ſollſt dir kein Bildniß, noch irgend ein Oleihniß machen, weder des, 
das oben im Himmel, no des, das unten auf Erden, oder des, das im 
Wafler unter der Erbe if. Bete fie nicht an und diene ihnen nicht;“ 
2. Tu follft den Namen deines Gottes nicht unnüglih führen; denn der 
Herr wird den nicht ungeftraft lafien, der feinen Namen mißbraucht.‘ 
Dadurch ift mit der Unverſtändlichkeit des Stoffes auch nod die Schwierig: 
leit ded Erxlernens den Heinen Kindern erfchwert worden. Wie ganz uns 
gehörig es aber iſt, auf der erften Stufe des Neligionsunterriht3 ſchon 
den Katehismug anzuwenden, und zwar nur den Tert, der oft den Heinen 
Kindern weit unverftändlicyer ift, ald die Erklärung Luther's, und der Dinge 
enthält, die für das zarte Kindesalter ganz unpafiend find (mie das 6. Ge⸗ 
bot), ja der, wie das eben beim erjten Hauptitüde ver Fall ift, nur vor 
den allergröbften Berbrehen warnt: das hat Nef. ausführlih dargethan 
in feinem Aufjaß über ven Neligionsunterridht für die beiden 
erſten Schuljahre in der Allgemeinen deutſchen Lehrerzeitung, Jahrg. 
1852, Nr. 11—14. — So ift es denn aud ein großer Mißbrauch, ſchon 
die Heinen Kinder das dritte Hauptftüd (das Baterunfer) lernen zu 
laſſen. Berftehen können fie unmöglih ven tiefen Sinn der Bitten (mie 
i B. der zweiten) und lernen fomit diejes herrlichſte aller Gebete ges 
dantenlos herleiern. Das heißt fürwahr, die Perle vor die Säue werfen 
und muß nothwendig dem Mißbrauch des Vaterunſers und dem gebanten: 
Iofen Beten überhaupt Vorſchub leiften. Es ift daher ſehr zu verwundern, 
daß oft gerade die eifrigften Freunde eines innigen, kindlich frommen 
le in der verjrühten und allzubäufigen Anwendung des Vaterunſers 
eblen. 


„Das zweite Buch” enthält den Meinen Katechismus mit der 
Erklärung Lutber’s, mit der Einfhaltung der Knipſtrov'ſchen Ab: 
bandlung „Wie man die Einfältigen fol lehren beiten” und mit dem 
Intberifchen Anbang „Wie ein Hausvater fein Gefinde joll lehren morgens 
und abends ſich ſegnen,“ „Wie ein Hausvater fein Gefinde foll lehren 


4 Religionsunterricht. 


vas Benedicte und Gratias fpredhen,” fowie der befannten „Haus: 
tafel etliher Sprüche für allerlei heilige Orden und Stände, dadurch dies 
felben, als durd eigene Lection, ihres Amts und Dienjtes zu vermahnen.“ 
— ‚Hier bleibt aljo mit der Erklärung Luther's die allen vernünftigen und 
bibliſchen Begriffen von Gott mwiderftreitende Lehre fiehen, daß Jeſus als 
wabrbaftiger Gott, von Gott geboren fei; — hier die mindeſtens von 
Kindern ſchwer zu erlernende Grllärung bei der 3. und 4A. Frage über 
die Zaufe, die jo leicht und einfach zu erfeßen find durch die Sprüde Tit. 
8, 5: „Gott madte uns felig dur das Bad der Wiedergeburt und Er⸗ 
neuerung bed beil. Geiſtes“ und 1 Betr. 3, 21: „Die Zaufe ift der 
Bund eines guten Gewiflens mit Gott.” — Hier bleibt es dabei, daß der 
Geiftlihe fagen darf „ich vergebe dir deine Eünden im Namen ıc.” — Hier 
follen die Kinder das Benedicte und Gratias lernen, alfo ‚entweder 
fih die Erklaͤrung diefer lateinischen Worte geben laſſen oder biejelben un: 
verftanden nachfprechen. — Hier bleibt e8 auch bei den undeutichen und 
Kindern ganz unverftändlien Worten Lutber’s „Das malte Gott!” — 
Re. hofft, fein Tadel über die Beibehaltung dieſes ſchönen und kraftvollen 
Wortes unferd Luther in einem Schulbuche, — eines Wortes, das ger 
wiß in allen frommen Ghriftenfeelen lebt, weil der Geift, der aus dieſem 
Worte ſpricht, den Frommen zu allem irdiſchen Vorhaben begleitet, — wird 
gerechtfertigt erfcheinen nad Dem, was oben in der Ginleitung (S. 11) 
darüber gejagt if. — Hier ftehen in dem „Gratias,“ das nach dem Eſſen 
gebetet werben foll, die Worte: „Er bat nicht Luft an der Stärke 
des Rofjes, noch Gefallen an jemandes Beinen.” Paſſen diefe 
Worte in ein Zifchgebet? find fie für Kinder erbaulih und verftändlich in 
ihrer Anwendung an biefer Stelle? — Hier wird noch der katholiſche 
Gebrauch, fih vor dem Gebet beim Ausſprechen der Worte „Das malte 
Bott 20.” zu fegnen mit dem heiligen Kreuz, beibehalten, als ob 
man mit folder Ceremonie alle Zeufelsgedanten und Zeufelseinwirtungen 
von fi abhalten könnte. — Hier ift in der Ueberfchrift der „Haustafel“ 
vom heiligen Orden die Rebe, ein Ausprud aus der katholiſchen Seit, 
der für unfre Schüler ganz unverftänplih ift, da diefe nur die Mönche: 
und Nitterordben aus der Gejhichte kennen, oder von Orden hören, mit 
denen fo Manche decorirt werden, aber von einem heiligen „Orden“ ver 
Biſchöfe, Pfarrherren und Prediger nirgends mehr gefprochen wird. — Und 
wie unpädagogiſch ift es, Kindern in der Haustafel die Worte zu leſen 
(oder wohl gar zum Lernen). zu geben: „Ein Biſchof fol unfträflic fein, 
Eines Weibes Mann, nüchtern, mäßig, fittig, gaftfrei, lehrhaftig; nicht 
ein Beinfäufer, nit beißig 2!‘ — 

„Das dritte Buch“ ift das wichtigfte im ganzen Wertes denn es 
enthält die „ausführliche Erklärung des Katechismus,” und auf 
diefe kam es den Verfaſſern und Herausgebern am meijten an, mit biejer 
treten fie dem alten Katehismus und der Forderung unſrer Seit am 
ſchroffften entgegen. Cs iſt daher nöthig, daß wir bei diefem Abjchnitt 
länger verweilen, um zu ſehen, was bieje Herren unferm Zeitalter zu: 
mutben und wie gegründet bie barüber laut gewordene Erbitterung fo 
vieler wadern Geifllihen und aufgellärten Gemeinden if. Wir können 





Religiondunterricht. 45 


dabei übrigend Vieles übergeben, was ſchon bei dem Referat über vie 
Dieftelmann’ihe Schrift (Nr. 2) gejagt ült. 

Die „ausführliche Erklärung” redet zuerft in einem Eingang, ber 
elf Fragen und Antworten enthält, von dem Beruf des Chriften, von der 
chriſtlichen Lehre, vom Katehismus und von der heiligen Schrift. Hier 
ſchon ift Zweierlei zu rügen. Erſtens wird auf die Frage 2: „Was ber 
dentet das Wort Chriſt?“ die Antwort gegeben: „Einen Gejalbten, 
der aljobald in der Taufe die Salbung des Heiligen Geifted von dem em» 
plangen bat, der heilig ifl. Wie unbegreiflih, daß vie Verff. eine fo 
ſalſche (übrigens auch der Faſſungskraft der Kinder nicht angemefiene) Erklärung 
geben und den großen Unterſchied zwiſchen Christus und Christianus 
überjehen konnten! Wie unverzeiblid, daß die gelehrten Herren der theologis 
hen Facultät zu Göttingen dieſen groben Fehler bei der Revifion des 
neuen Katechiömus ſiehen ließen! — Zweitens ift es ein unerbörter Wider 
fprud, daß auf die Frage 5: „Was ift die chriftlihe Lehre?” die Ant 
wort gegeben wird: „Es ift die heilfame Erkenntniß bes wahren Gottes 
aus feinem Worte, worauf meine Seligleit beruht,‘ und gleihmwohl auf 
die Frage 6: „Wo findeft du diefe Lehre?” die Antwort folgt: „In dem 
hriftliden Katechismus!!“ Wie kann doch die Crlenntniß aus dem 
Worte Gottes geſchöpft und zu gleicher Zeit der Katehismus als die Quelle 
derſelben bezeichnet werben? Iſt es nicht ganz unproteftantifch, eine abges 
leitete Rirchenlehre, den Katehismus, vor und über die urjprüngliche 
chriſtliche Lehre, die Bibel, zu fielen? Mußte nicht, um Verwirrung bes 
Begriffe bei den Kindern zu verhüten, beftimmt gejagt werden: Wir Evans 
geliſche erkennen die Bibel als die oberſte und einzig giltige Ers 
tenntnißquelle der wahrhaft chriftlihen Glaubens⸗ und Lebensregeln an; der 
Katechismus aber bat, wie jedes andere Religionsbuch, ald abgeleitete Lehre 
nur in jo weit Giltigkeit, als er mit ber Bibel übereinftimmt? Darf ges 
fagt werden, daß man die ganze „hriftliche Lehre im Katechismus finde ? 
Und mit welchem Rechte darf gejagt werden: „in dem dhriftliden Kate 
hismus’ ftatt in dem lutheriſchen Katechismus,‘ um den es fid) bier 
allen handelt, da doch der römische Katechismus, ber Heidelberger und 
jeder andere in irgend einer chriftlihen Kirche gebraudte au für einen 
hriftlihen gelten will? Aber freilih man bat fi gejheut, durch die 
Bezeichnung „lutheriſcher Katechismus den menſchlichen Urſprung biefes 
Auszugs der Bibellehre zu verrathen, jenen durch dieſe Bezeichnung der 
legteren unterzuorbnen und überhaupt damit auszufpreden, daß er die 
chriſiliche Lehre doch nur in der beſonderen Auffajfung' enthalte, wie 
fie von Luther gegeben und von der proteftantifchen Kirchenpartei anges 
nommen worden je. — Uebrigens ift es auch eine fehr unklare, Kindern 
richt verftändlihe Erklärung ber „heiligen Schrift,” bie zu Frage 8 
gegeben wird: „Sie ift (ftatt „enthält“) Gottes Wort, aus innerlidem 
Triebe bes Heiligen Geiftes durch die Propheten und Apoſtel aufs 
gezeichnet, zur heilſamen Grlenntniß Gottes und Grlangung ver ewigen 
Seligleit.“ Alſo immer wieder und — jebt noch die alte Inſpirations⸗ 
theorie ! 


Es folgen nun bie fünf Hauptftüde mit 308 Fragen und Ant 


46 Religionsunterricht. 


worien, welche auf den Inhalt und auf die Erklärung der Erklärun⸗ 
gen Luther's ſich beziehen. Jeder Antwort (mit Ausnahme weniger) 
find ausgebrudte Bibelſtellen beigefügt, deren ed im Ganzen 4—500 ſein 
mögen. Dieſe find meilt reht gut gewählt, zum heil aber aud recht 
umpafiend und darauf binzielend, daß durd einzelne Bibelworte die lkirch⸗ 
lich⸗ orthdoxe Lehre einen Schein der Beglaubigung erhalte Es find. darum 
auch alle Stellen weggelafien, aus welden leicht das Gegentheil bewiefen 
werben könnte. So it aus dem 13. Kap. des 1. Br. an die Sorintber 
zwar Vers 1—7 angeführt, aber Vers 13 bleibt weg, damit die Kinder ja nicht 
erfahren, daß die Liebe größer ift ald Glaube und Hoffnung. — Lieberverfe 
find nicht beigegeben. Man muß fi darüber wundern, da doch die Herren 
Orthodoxen fonft fo gern ihre Religionsſchriften mit Rraftftellen aus den ſoge⸗ 
nannten Kernliedern ausijhmüden. Nur in den „Zugaben“ finden fich einige 
Betverje, unter denen natürlich das „‚Chrifte, du Lamm Gottes ıc.” nicht fehlen 
darf, fowie es auch hier nicht ganz ohne die gröbften Verflöße gegen die deutſche 
Sprade abgeht; denn S. 165 fteht: „Es ift ja doch fein anderer nicht, 
der für uns könnte ftreiten, und am Schluſſe der Haustafel der befannte 
Reim: „Ein jeder lern fein Lection, jo wird es gut im Haufe ſtohn!“ 

Doch wir wenden und zurüd zu den fünf Hauptftüden ſelbſt. Da 
ber Gang des luther. Katehismus auf's ftrengfte befolgt und der alte Wal: 
ther blindlings nadgeahmt wird, ohne aud nur im geringften der Logik 
und der Pädagogik ihr Recht zu geben, jo wird auch hier vie Sittenlehre 
der Glaubenslehre vorangeftellt und in ben einzelnen XTheilen wieder 
willlürlih von Ginem zum Andern gejprungen. Daß die Bibel lehrt: Die 
Werte kommen aus dem Glauben, daß Vernunft und Herz verlangen, vor 
Allem den Öegenftand ber Verehrung recht kennen zu lernen und dann erft 
von der Art feiner Verehrung zu handeln, — daß der Proteftantismus for: 
dert, das Cvangelium als die Duelle der chriftlihen Lebensregeln zu ber 
trachten und nicht das Gejeb, und noch weniger geftattet, die Ehriftentugend 
auf die Beobachtung der zehn Gebote Mofis zu beſchraͤnken: das Alles wird 
bier unbeacdhtet gelaflen. 

Bur Behandlung des erften Hauptftüds ift fhon oben (f. Dieftel: 
mann Nr. 2) bemerkt worden, daß bier die chriftlihe Sittenlehre auf's ge: 
waltjamfte in die zehn Gebote eingezwängt wird. Einleitungsweiſe wird 
bier vom Geſetz geredet und geeilt, um nur vor Allem die Erbfündenlehre 
in aller Schroffheit binzuftellen. Die Sünde wirb bier lediglich auf die 
Uebertretung der zehn Gebote bezogen; denn es heißt zu Frage 12 
„Die Sünde ift das Unrecht wider das Gefes,” und das Gefeb if ja 
nad Frage 5 „das eine Stüd (I) des Wortes Gottes, in welchem Gott allen 
und jeden Menſchen vorjchreibt, was er wolle von ihnen gethan und ge 
lafien haben” und ift (Frage 6) „In zwei unterſchiedliche Tafeln“ einges 
theilt. Noch klarer wird es aber aus der Erklärung zu Frage 18: „Was 
find gute Werke?" daß man nicht die chriftliche, fondern bie jüdifche Sit⸗ 
tenlehre im Auge bat; denn da lautet die Antwort: Gute Werke find 
„Alles, was ein gläubiger Menſch will, denkt, redet oder thut nad) den 
heiligen zehn Geboten, Bott damit zu ehren, feinem NRächften zu dienen 
und feinen eigenen Glauben dadurch zu zeigen.” Und dies „Geſetz“ (vie 








Religionsunterricht. 47 


zehn Gebote Moſis) dient nach Frage 17 „ven wiedergebornen Chriſien zur 
Regel und Richtſchnur des ganzen Lebens, daß fie ih nach dem⸗ 
jelben aller guten Werte befleißigen.” — Was nun die Erbfünde beisifft, 
jo wird fie (zu Frage 14) alfo erklärt: „Sie ift das ſündliche Verderben, 
in welhem, nad dem Fall Adam's und dem Berluft des göttlihen Eben⸗ 
bildes, alle Menſchen geboren werden; da fie (ift das deutſch?) zu Blau 
ben, Furcht und Liebe Gottes untüchtig und voll böfer Luft find, und in 
ſolchem Stande Kinder des Zorned und Todes.” Und weiterhin beißt es 
(zu Frage 20): „Bon Rechtswegen jollte und mußte mich der Fluch bes 
Gejebes treffen; es it mir aber mein Herr Jeſus gut dafür (wel 
orbinärer Ausdrud|) denn er hat das Gejeß erfüllt,” — und (zu Frage 21): 
„Seine Erfüllung ift meine Erfüllung, denn er hat das Geſetz 
an meiner Statt erfüllet, und mid von dem Fluch des Geſeßzes erw 
löjet.” An diefen Aeuperungen hat man genug, un zu willen, was man 
von der folgenden Sitten» und Glaubenslehre zu halten hat. Mit vieler 
unbibliſchen Lehre wird der Grund gelegt zu der fchauerlichen anjelmifchen 
Satisfactionstheorie, die den Vater der Liebe, den das Chriſtenthum lehrt, 
in einen rachedurſtigen, blutgierigen Gott und die innere That der Ber 
jöhnung in ein äußerliches Gerichtsverfahren verwandelt, die mit der Zus 
rehnung der guten Werke Jeſu der katholifchen Lehre vom Ablaß Vorſchub 
leiftet und mit der im Reihe der Sittlichkeit ganz unftatthaften Stellvers 
tretung nicht nur die fittlihe Freiheit gänzlid aufgehoben, fondern auch) 
dem Gewiſſen des leichtjinnigen Frevlers ein erwünſchtes Auhelifien gebo⸗ 
ten wird. — Beim erften Gebote merden wir zunädlt in die Glan: 
benslehre verjeßt, da doch gefagt und bewielen werden muß, daß ein 
Gott ift und „wer der Herr iſt,“ den mir über alle Dinge fürchten, lieben 
und vertrauen jollen; und dazu nöthigen auch die Anfangsmorte des Ges 
bots: „Ich bin der Herr, dein Gott.” Es wird nun zwar gejagt, 
daß wir Gott „heilfum (!) erkennen“ nit bloß aus feinem Wort, 
fondern auch aus feinen Werten und aus den Gewiſſen, doch wird 
bier tadelnd beigefügt: „aber die Menfchen haben vie Wahrheit in (!) Un» 
gerehhtigleit aufgehalten,” ohne daß weder bier, noch in ber Glaubenglehre 
felbft erwähnt würde, wie aubh mir Chriften Gott aus der Natur 
erlennen und wie wir nah Jeſu Aufforderung vor Kleinmutb uns bes 
wahren und im gläubigen Vertrauen auf Gottes Vorſehung uns flärten 
follen durch die Betrachtung der Natur (der die Vögel unter dem Himmel ers 
nährt zc.). — „Gott über alle Dinge fürdten,” das wird‘ natürlid nicht 
von der Ehrfurcht vor Gott gedeutet, jondern nach dem alten Syftem von 
der Furcht vor dem Zorn Gottes; nun wird zwar dieſe Furcht als eine 
„tindlidhe‘ bezeichnet, aber es ift aus dem ganzen Gejebeögeilte des 
Buchs zu erjehen, daß doch nur die knechtiſche Furcht gemeint ift, vor 
welcher der Apoftel warıt, Huch wird nirgends eingejhärft, daß wir uns 
nicht „abermal fürchten,” fondern den „kindlichen Geiſt“ annehmen jollen. 
Vie unpaflend ift auch bier (zu Frage 33), wo von der Furcht Gottes die 
Rede ift, der Spruch Matth. 10, 28 angeführt: „Fürchtet euch nicht vor 
denen, bie den Leib tödten und die Seele nicht mögen tödten ꝛc.!!!, — 
Beim zweiten Gebot kommt die ſchon oben (unter Nr. 2) gerügte Er⸗ 


48 Religionsunterricht. 


Härung vor (zu Frage 40): „Schwören heißt: Richt der Ein überhaupt, 
fondern wenn wir bei dem ſchwören, das nidht Gott if!!! Abge⸗ 
ſehen von der Falſchheit des Begriffs, dürfte es nicht einmal einem finde 
in der Schule nachgeſehen werden, fo zu vefiniren: „Scmwören heißt ſchwö⸗ 
ren.’ Uebrigens wird im Widerſpruch mit dieſer falihen Erklärung wun⸗ 
derbarer Weife fogleih im Folgenden zu Frage 41: „Was ift ber Eid? 
die richtige Erflärung gegeben: „Der Eid ift eine Betheuerung bei dem 
beiligen Namen Gottes, da (I) wir Gott zum Zeugen und Richter ans 
sufen, daß mir nichts al3 die lautre Wahrheit und unfres Herzens eigent* 
lihe Meinung ausfagen und geloben.” — Sehr zu tadeln ift bier noch, 
daß dur die Erklärungen zu Frage 45, 46 und A7 der Aberglaube 
eher bejörbert, als verhütet wird, indem gefagt wird: „Zaubern beißt, 
übernatürlihe Kräfte und wunderbare Aushilfe wider Gottes Ordnung und 
ohne Gottes Verheißung ſuchen.“ „Solches gefchieht durch allerlei Aber: 
glauben mit Beiprehen und Wahrfagen, Zeichendeuten, Geifterbannen und 
dergleihen, da (!) man das Heilige mißbraudt und vie bochgelobte Dreis 
eAnigleit, Gottes Wort, Sacrament und Kreuz läftert over ſonſt vormwißige 
Kunft treibt.” „Kine ſchwere Sünde begehen wir damit; denn bie folches 
thun ober duch Andere thun laflen, verleugnen den Glauben und treten 
wiffentlih oder unmiffentlihd mit dem Teufel in Verbin: 
dung” Warum nicht lieber geradezu und beftimmt erllären: Zaubern 
kann kein Menſch, vie es aber zu können vorgeben, find Betrüger, und 
bebienen fie fich bei ihrem Betrug des Namen Gottes ꝛc., fo freveln fie am 
Heiligften? Wie es hier flieht, fo müſſen die Kinder glauben, daß es body 
Menfhen gebe, die zaubern und mit dem Teufel einen Bund fchließen 
lönnten. — Beim dritten Gebot ift die Erklärung des Feiertags 
(zu Frage 54) zu tabeln: Er ift ein Tag der Ruhe, da (l) wir von unferm 
hun (foll heißen: won unfern Werttagsgeihäften) laſſen, daß Gott fein 
Wert in und babe (1). Die Frage: „Was verbeut (!) Gott in diefem Ges 
bote?“ kehrt bei allen Geboten wieder. Uebrigens möchten mir den noch 
nicht als „Verächter des Gottesworts“ anlagen, der daſſelbe „in der Kirche 
Ihläfrig und unachtſam hört,” wenn es im Geifte diefes Katechismus 
gepredigt wird. — Beim vierten Gebote tft Ref. verwundert zu Frage 
64 „Wie follen wir die Eltern und Herren in Ehren halten” den Sprudy 
zu finden: Eph. 3, 14. 15: Ich beuge meine Siniee gegen den Bater 
unfers Herrn Jeſu Chriſti, der der rechte Vater ift ꝛc.“ und dann nodh 
andere Sprüde, die ſich auf die Chrerbietung gegen die Witen, die Obrigleit, 
die Fürften, die Herrichaften und die Lehrer, aber leinen, der von Ehrer⸗ 
bietung gegen die Eltern handelt. Warum ift hier nicht der. fhöne Spruch 
Sir. 8, 9 — 11 angeführt: Ehre Vater und Mutter mit der That, mit 
Worten und mit Geduld ꝛc.? Dieſer Spruch ift zwar aus den Apotryphen, 
immerhin jedoch von fo großem Werthe, daß jelbft in dieſem Katechismus 
fpäter zu Frage 68 mwenigftens der 11. Vers deſſelben: „Des Vaters Se: 
gen baut den Kindern Häufer 2c.” angeführt wird. Das geſchieht aber 
nur gleichſam verftedt, indem biefer apokryphiſche Spruch (wie alle 
apofryphifchen, die in dem hannover. Natehismus vorkommen) ſich's ges 
falten laffen muß, in eine Klammer [ ] eingefperrt zu werden, damit er 








Religionsunterricht. 49 


troz ſeines wahrhaft goͤttlichen Inhalts ja nicht den Spruͤchen aus den 
tanonifhen Büchern ebenbürtig erſcheine!!! Noch iſt bei dieſem Gebot zu 
erwähnen, dab bei Frage 68 zwar gefagt wird, daß ein langes Leben 
den guten Kindern verheißen werde, daß aber gar nit erklärt wir, 
was das verheißne „lange Leben‘ zu bedeuten babe. — Sn der Bes 
bauptung (Frage 62), daß wir unter dem Namen Vater und Mutter auch 
Diejenigen zu verſtehen haben, die „im kirchlichen Leben die Macht 
haben, zu gebieten und verbieten,” ſpricht fi der hierarchiſche 
Geift der Väter des hannover’ihen Katechismus aus. — In das fünfte 
Gebot wird die allgemeine Nächſten⸗ und die Feindesliebe einge 
zwängt, ſowie die Sorge für das Seelenwohl des Nächſien (Frage 77). 
Im jehsten ®ebote, das Übrigens in den Erklärungen recht Gutes ents 
hält, wird den Slindern in. drei Sprüden die Hurerei vorgeführt, ſowie 
bajelbft von Luftfeuche, Unzucht zc. die Rede iſt. Ob es aber wohl paädagogiſch 
it und die Sittlichleit fürdert, Kinder, die noch nicht in die reiferen Jahre 
eingetreten ‚find, jolhe Dinge bören und — lemen zu laflen?? — Im 
jiebenten Gebote wird recht daran gethan, dab bie ſprachwidrige und 
erfahrungsmäßig zu Mißveritänpnifien führende Zujammenftellung „durch 
falfche Waare im hannover'ſchen Katehismus immer „Ware gejchrieben) 
und Handel” in der GSrklärung. getrennt wirb in ben Fragen 98: Was 
beißt mit falfher Ware. — und 94: Was beißt mit falihem Handel 
an ſich bringen? — Die GCrllärung des Lügens im abten Ges 
bote: „Böjes im Herzen denlen und mit faliden Worten ibn 
hintergehen“ ift theils nicht richtig, theils nicht Mar genug. Barum 
ift man nicht bei der gewöhnlichen Erklaͤrung geblieben: ‚Eine Unmahrheit 
even in böfer Abſicht?“ — Die Erklärung des neunten und zehnten 
Gebotes beihäftigt ſich lediglich mit den Worten „Haus“ (== „Haus und 
Hof, Amt, Stand und Gewerbe, mit allen Gerechtiamen, Ehren und Würs 
den!“), „Schein des Rechts,“ „abſpannen,“ „abdringen,“ „abwendig 
machen“ ıc. und redet nur kurz von der Hauptſache, dem "Begehren: 108 
== „Eine böje Luft im Herzen haben“ und 120: „Dieſe beiden legten Ges 
bote weijen uns darauf bin, daß unjer Herz volllommen heilig und rein 
fein fol, ohne alle fündlihe Begierde und Neigung.” — Wenn mir end: 
üb die Srllärungen zum „Bejhluß der zehn Gebote” ins Auge 
foflen, jo würden wir es nicht glauben fünnen, bier einen chriſtlich en 
Katechismus vor uns zu haben, wenn er nicht ganz am Ende wenigftens 
noch in feiner orthoboren Weile auf die Frage 129: „Wie mag Gott 
unfere unvolllommene Erfüllung des Gefeßes fih gefallen lafien und be: 
lohnen?“ die Antwort gäbe: „Um der volllommenen Erfüllung Jeſu 
Ehrifti willen nimmt Gott unjere guten Werte, die im Gehorfam nes 
Glaubens durch den Heiligen Geift gefchehen, von uns an, und belohnt 
fie reihlih in dieſem und jenem Leben nach feiner gnäbigen Verheißung.“ 
Denn vor lauter altteftamentlihen Drohungen hört man bier 
nichts von der Baterliebe Gottes, die nad) dem Gwangelium uns zur Buße 
leiten, nichts von per kindlichen Liebe, die für und Chriſten der höchſte 
Beitimmungsgrund zur Sittlichleit fein ſoll. Faſt nur von dem furchtbaren 
Born Gottes ift die Rede und es bleibt dabei, daß Gott die Sünden 

ar. Jahresberigt XV. 4 


5n Religiondunterricht. 


der Väter heimſucht mit Strafe und Züchtigung an den 
Kindern und Nahlommen! Es wird ganz überfeben, daß (mie 
Schentel a. a. OD. S. 419 bemerkt) „dieje unfer fittliches Gefühl verlehende 
Lehre von der Haftbarleit ſpaͤterer Gefchlehter für pie Vergehungen früherer 
ſchon 5 Mof. 24, 16 verworfen und von zwei großen Propheten, Jere⸗ 
mias (81, 29 f.) und Gzechiel (18, 19 f.) entfchieden zurüdgewiefen worden 
iſt.“ Und wie Heinlih wird doch von dem SHocerhabenen im Himmel 
geredet, wenn es heißt, daß „er mit großem Ernft auf feine gött- 
lihe Ehre hält!’ „daß er bie Uebertreiter feines Geſeßes als Yeinde 
und Übtrünnige, unter dem Gerichte feines Zornes hält!’ daß er nur 
„durch die Furcht vor feinem Zorn“ und buch Verheißung von 
Belohnungen uns zum Guten erziehen will! — 

Mir wenden ung nun von der höchſt dürftigen und mit abergläus 
bifhen Borftellungen von übernatürlihen Teufels: und Gnadenwirkungen 
geipidten Sittenlehre zu der allerdings nicht dürftigen, fondern überreichen 
Blaubenslebre des „zweiten Hauptfiüäds,” — überreichen — aber 
an ganz unglaublichen, ganz unevangelifhen, ganz unvernünftigen Dingen. 
Hier zeigt ſich die alt-orthodoxe Scholaftit des Mittelalters in ihrer ganzen 
bäßlihen Blöße. Es gehört in der That ein ftarler Grab von Kedheit 
dazu, jebt noch mit folden verrotteten Vorſtellungen hervorzutreten 
und nicht blos den Forderungen der Wiflenfchaft trogzubieten, ſondern auch 
dem befjeren Gefühl der Gemeinden hohnzuſprechen, nicht blos das Unver⸗ 
nünftigfte unverholen auszufprechen, fondern auch alle befiere Auslegung 
der h. Schrift hohmüthig zu ignoriren. 

Das „zweite Hauptſtück“ wird eingeleitet mit einer Grörterung 
über ven Glauben, Aber man erwarte bier nicht etwa eine Crörterung 
über das Weſen des wahren Glaubens oder über den blinden und todten 
Glauben zu finden (erft viel fpäter, mitten im 3. Artikel wird: zu Frage 
102 gejagt: „Der wahre, ſeligmachende Glaube ift eine gewifie Zuverſicht 
und fonderlihes Vertrauen auf die Varmherzigkeit Gottes und das volls 
kommene Verdienſt Jeſu Chrifti”, und nirgends ift von einem vernünftigen 
und in Liebe thätigen Glauben die Rede, der allein in Chriſto gilt);-ja, 
es ift bier in der That gar nit vom Glauben die Nede, fondern von 
Der Glaubenslehre. Denn nah den Erflärungen zu Frage 2 und 3 ift 
unter dem „Glauben“ das apoftolifhe Symbolum, der „Unter: 
reiht” von Gott ıc. gemeint. Diejen Glauben (diefen „Unterricht“) macht 
der zu feinem „eigenen Glauben, ver ihn „mit Fleiß erlernt, und als 
die gewiſſe göttliche Wahrheit annimmt und bekennt.“ — Während aber 
gerade die wejentlichiten Crörterungen über den Glauben bier fehlen, wirb 
bier ſchon von einer Glaubenslehre geredet, die gar nicht hierher in die 
Einleitung, jondern zum erften Artilel gehört; abermals ein Beweis von 
der unglaublihen Confufion, die in dieſem Natechismus herrſcht. Es wird 
nämlich bier jchon zu der frage 8: „Was ift Sottnad feinem Weſen?“ 
bemerkt: „Gott ift ein Geift, und ein einiger Gott und Herr, unerſchaffen, 
ewig (aljo noch einmal „unerjchaffen”), heilig, von unendlicher Macht, 
Weisheit und Güte” Über freilih durfte es ver Katechismus nicht vers 
fäumen, bier jchon feinen Zritheismus zu verlünden und die Dreieinigs 





Religionbunterricht. 51 


keit in der grellſten Form hinzuſtellen. „Es ſind, heißt es bei Frage 8, 
drei Perſonen in demſelben einigen göttlichen Weſen, gleidhgewaltig, 
gleich ewig, Gott Vater, Gott Sohn, Gott Heiliger Geiſt, alle drei 
Ein göttlich Weſen.“ Wenn Ref. bis 3 zählen kann, fo bat er hier 
dreimal „Gott, alſo drei Götter gezählt. Wohl, vu haft recht gezählt, 
wird man antworten, aber dieſe Drei Götter bilden zufammen Gin. Wejen; 
wenn auch jonft nie, hier. gilt drei fo viel als eins, Nun, das iſt doch 
gegen alle Bernunft, entgegnet Ref., Drei kann doch unmöglich Eins fein; 
und felbft wem ich dieſen Unfinn zugeben. wollte, jo ſteht doch Das feft: 
Gin Weſen ohne ſelbſiſtändige Perſönlichkeit kann ich mir nicht denken, 
gibt es aber drei unter ſich verſchiedene göttliche Perfönlid: 
keiten, deren jede hier noch dazu ausdrücklich „Gott“ genannt wird, jo 
geht es nit anders, es müflen drei göttlide Weſen, es müllen drei 
Götter fein. Und wie wichtig ilt es doch dieſe unvernünftige und unbi: 
bliſche Lehre von. der Dreiemigleit endlich aufzugeben; denn wird eine fo 
falſche, allem natürlihen Verſtande und ſelbſt der weinen Bibellehre hohn⸗ 
ſprechende Lehre als Grunblehre dem ganzen Glaubensſyſtem vorangeftellt, 
wo foll dann noch das Vertrauen zu dieſem berlommen? Gemiß, gerade 
durch joldes Verfahren muß ber Widerwille gegen bie Religion beförbert 
werben F 


Im erſten Artikel wird die Lehre von Gott in der ärmlichſten 
Weiſe abgefertigt. Die wichtige Eroͤrterung der bibliſchen Lehren von den 
Eigenſchaften Gottes fehlt gaͤnzlich; nur die Allmacht Gottes und die „väter: 
liche, göttlihe Güte und Barmberzigfeit‘' wird ermähnt, weil fie einmal im 
Epmbol und in Luther's Erklaͤrung vorkommt, aber auch nur erwähnt, nicht 
esHlärt, bewiefen umb angewendet. Wohl wird auch gelehrt, daß „Gott 
ein Bater ift,” aber nicht im Geifte des Evangeliums, fonvdern im Geifte 
des Zritheismus, dem nun einmal hier gehuldigt wird. Es heißt zu Frage 
414: „Der Bater ift die erfte Berjon des göttlihen Wefens, fo () 
son niemand ift 2c.” Dagegen if, wozu ber Artilel gar keine Veranlafjung 
gibt, ein befonberer Lehrjag über den Teufel und über das verlorne (1!) 
Ebenbild Gottes aufgeſtellt. Bon legterem heißt es: „Es beftand in 
der anerfhaffenen Güte, Wahrheit, Heiligteit und. Geredhtigleit; dazu in 
volllommener Geſundheit Leibes und ber Seele, Freiheit vom Tode (!!1) 
ums Herrihaft über die Erde.” Wie viel mehr doch die Herren Orthodoren 
vom Zuſtande der erfien Menſchen willen, und wie viel weniger von dem 
Der |päter ‚lebenden, als vie ‚Bibel! 

Die Erlöfungslehre. des zweiten Artikels beruht hauptſaͤchlich auf 
dem Glauben, dab (Frage 79:) „das Blut des Sohnes Gottes von un: 
endlihem Werthe‘ war. Natürlich mußte Dies dadurch begrimdet werden, 
dab der Grlöjer als wahrhaftiger Gott (Frage 49) erihien Die 
gräßlicyen. Biberfprüde, die da zu Tage kommen, — daß Jeſus zweite 
Berjon des göttlihen. Wefens und body auch für fih ein wahrer Gott, 
— daß er vom Vater geboren und doch auch glei ewig, wie Gott 
Bater, — daß er. wahrer Gott und wahrer Mensch in Giner Perſon 
war, — daß die göttlihe und menſchliche Natur in dem Gottmenſchen 
ungetrennt und unvermiſcht in Emwigleit verbunden waren 

4* 


52 Religionsunterricht. 


(Frage 52), — al’ dieſe Widerſprüche verträgt der ſtarle Magen ber 
Orthodoxen. a, ed wird endlich fogar behauptet, daß Chriftus „durch bie 
allmächtige Kraft Gottes, — alfo doch wohl durd feine eigene, denn 
er felbft ift ja wahrer Bott? — „allgegenwärtig über alle 
herrſcht“ (Frage 65), fo daß man ſchlechterdings nicht mehr weiß, wer 
denn eigentlich jeßt noch über das Weltall berriht, — ob der Pater, ober 
der Sohn? — Wie blindlings fih übrigens der bannover/ihe Katechismus 
an den Buchſtaben der h Schrift hält, ergibt ſich aud daraus, daß er 
(frage 81) aud von dem „blutigen Schweiße“ rebet, mit welchem 
uns Jeſus „aus dem Gefängniß der Hölle und von der Gewalt des Teufels” 
erlöfet habe, ohne zu fragen, ob die h. Schrift wirklich an biutigen Schweiß 
gedacht babe und ob überhaupt nad den Grfahrungen der Arzneiwiflenfchaft 
ein folcher vortommen könne. 

Die Heiligung fit bier nad den Lehren des dritten Artilels 
nur ein Wert des heiligen Geiſtes Der Menih, der „von Ratur 
blind und in Sünden todt“ ift (Frage 92), kann durchaus nichts 
dazu thun. Alles thut der heilige Geift; der Menſch ift dabei gang 
yaffıv. Nicht einmal mit feinem Glauben, ver eigentli gar nicht fein 
Glaube ift, jondern den er vom heiligen Geift empfängt, kann er zu feiner 
Heiligung und Seligleit mitwirlen. Alles, Alles wirkt nur der heilige 
Geiſt in ibm — „dergeftalt, dab er (der h. Get) durch den 
Glauben ſowohl die Gerechtigkeit Ebrifti uns gugeeignet, 
als aud zu guten Werten uns tühtig macht (Frage 1041.” 
Das wird wiederholt eingefhärft; denn ſchon zu Frage 109 wird wieder 
bemerft, daß er (der h. Geift) und Durh den Glauben wandelt 
und neugebiert aus Gott und wirlet in uns den neuen Ge: 
borfam!!!” Run, bequemer kann es dem Menfchen nicht gemacht werben : 
Bu feiner Rechtfertigung vor Bott bedarf er nur des Glaubens, daß er 
felbft zu feiner Seligleit gar nichts thun könne, und daß Chriſtus an feiner 
Stelle alles gethan, namentlih unfre Strafe und PVerbammniß getragen 
babe; — aber aud um dieſen Glauben braucht ex fih nicht einmal zu 
bemühen, da er ihn vom beiligen Geift empfängt; — und felbfi nachdem 
er diefes Gnadengeſchenk empfangen bat, braucht er nicht den „neuen Ge: 
horſam“ felbft zu wirken, ſondern auch den wirket der heilige Geift in 
uns durch den Glauben.” Daß Beprung die Bebingung der Sünden 
- vergebung fei, wird nirgends gejagt. — Ya, bequem ift das; aber auch 
höchft fittenverderblich und ganz unevangeliih. Wie müflen wir uns doch 
freuen, daß ſich das befjere Gefühl der Gemeinden mit Unwillen von vielen 
crafien Lehren des hannover'ſchen Katehismus abwendet! — Doc, vielleidyt 
bat der Menſch wenigftens die Pflicht, felbft darüber zu wachen, daß er 
fih den geſchenkten Glauben und die gejchenlte Tugend bewahre: denn der 
Apoftel ſagt auch: Wer da ſtehet, der ſehe wohl zu, daß er nicht falle. 
Doch nein, au dieſer Pflicht überbebt uns der hannover'ſche Katechismus; 

denn dieſer fügt (Frage 111) den obigen Lehren bie Berfiherung hinzu: 
„Er (der heilige Geift) behütet und bewahret uns, dab wir nidht 
wiederum aus der Gnade fallen, und vollführet alfo das anges 
fangene Wert, bei aller Schwachheit des Fleiſches und unter allen Anfech« 











Religionsunterricht. 53 


tungen des Teufels und der Welt, bis an den Tag Jeſu Chriſti!!!“ Aber, 
fragen wir mit Redt, kann und foll denn der Menſch jo gar nichts thun 
zum Werk der Heiligung? Ya, Ging mwenigftens läßt ihm der hannover'ſche 
Katechismus zu thun übrig, Und was ift das Eine, das ihm nah all’ 
den Wirkungen des heiligen Geiftes noch übrig bleiben kann? „Ich muß 
(beißt es zu Frage 112) dem heiligen Weift in jeinem Amt und Wert 
niht widerftreben.” Doch wehe, auch dieſes Ginzige, das dem 
Menſchen felbft zu thun übrig bleibt, verfchwindet in ein Nichts; denn ihm, 
der ja „von Natur blind und in Sünden tobt,” ihm, der dur die Erb⸗ 
fünde ganz ſchwach und zu jedem guten Werke untüchtig ift, — ihm, dem 
es gänzlich an „eigener Kraft” fehlt, etwas für feine SHeiligung zu thun, 
it e3 doch gewiß auch unmöglid etwas gegen diefelbe thun oder mohl 
gar der göttlihen Kraft des heiligen Geifles, der „pritten Perſon“ in der 
Gottheit, zu widerfireben. — Bei den Grörterungen über die Kirche ift 
es ſehr zu tadeln, daß der hannover'ſche Katechismus durch jeine eignen 
Lehren zur Verwirrung der Begriffe bei den Kindern beiträgt. Auf die 
Frage 115: „Was ift die Kirche?“ follen nämlid viejelben antworten: 
„Sie it das Haus des lebendigen Gottes und die Berfammlung der 
zum Heil in Chrifto Berufenen, die durch Wort und Sacrament im wahren 
Slauben zur Seligkeit erbaut werden.” jeder Religionslehrer aber, ver 
bei Erflärung des dritten Artikels in der Schule nad der Erklärung des 
Wortes „Kirche“ gefragt bat, wird immer zuerft die Antwort erhalten haben: 
„Es if das Haus, in welchem Gott verehrt wird,‘ und wird genötbigt 
geweſen fein, darauf binzumeifen, daß bier doch unmöglich das Gotteshaus 
gemeint fein könne, da es bier heißt: ich glaube an eine b. hr. Kirche,“ 
der Glaube aber eine „gewiſſe Zuverfiht ift von dem, das man nicht ſiehet“ 
und das Gotteshaus doch zu den fihtbaren Dingen gehört. Iſt es num 
ſchon falfch, hier das „Haus des lebendigen Wottes als die „Kirche“ zu 
bezeichnen, an die wir glauben follen, fo ift es noch verwirrender für 
die Kinder, daß mit diefem Begriff ein ganz anderer durch „und verbunden 
wird, der Begriff: die Kirche ift „die Berfammlung der zum Heil in Ehrifto 
Berufenen zc., wobei überdies das Wort „Verſammlung“ ftörend ift und 
leicht auf den Gedanken führen kann, man folle darunter die „Zufams 
menkunft“ der Chriften zu gemeinfchaftliher Andacht verſtehen, während 
es vernünftigerweife do nur den Verein aller derer, die an Jeſum 
Chriftum glauben, bezeichnen foll. Ebenſo finnverwirrend ift die Anwendung 
des Sprudes 1 Cor. 3, 16 bei Frage 119, wo gejagt wird, daB nur 
„die Heiligen und Gläubigen eigentlid der Kirhe Glieder 
find” und darum jener Spruch („Wiſſet ihr nicht, daß ihr Gottes Tempel 
feid und der Geift Gottes in euch wohnt“), wie er bier angewendet ift, 
darauf bezogen wird, daß die „gläubige Chriſten heit“ Gottes Tem: 
pel fei, während das „ihr“ im Sprude und ver Zuſammenhang des 
Tertes lehrt, daß bier der Leib des Menſchen ein Tempel Gottes jei und 
darum unbefledt erhalten werden muͤſſe — Auch die Bergebung der 
Sünden wird (frage 121) als ‚ein Wert des heiligen Geiſtes 
in der Kirche” bezeichnet, „da (!) er die von Chriſto erworbene Geredhtig: 
leit fortwährend darbietet und mittheilt,“ zugleich aber aud als ein Bor: 


sp 


54 Religiondunterricht. 


recht der Geiftlihen; dem nah Frage 124 baben „die berufenen 
Diener der Kirche von Gott Befehl und Vollmacht, das Evangelium 
zu prebigen, die Sacramente zu verwalten, Sünden zu erlafjen und 
zu behalten.” Was die Vergebung der Sünden ift und daß Beflerung 
bie conditio sine qua non dabei ift, mird mit feinem Worte angedeutet. 
— daß endlih von dem jüngiten Tage (Trage 128: „dem Ende 
der Welt, da unfer Herr Jeſus Chriftus in feiner Herrlichkeit fichtbar 
wiederlommt ꝛc.“), von der Auferftehbung des Fleiſches (Frage 135: 
‚ra aus Gottes Allmaht am jüngften Tage aller verjtorbenen Menſchen 
Leiber auferfteben, — die nach Frage 131 in den Gräbern biejer Erde 
verweſt find, — und mit ihren Eeelen wiederum vereinigt erden‘) 
und von der Ewigkeit der Höllenftrafen (Frage 139 „ver unauf: 
börlihen Verwerfung von dem fröhlichen Angeſichte Gottes zu unausjpred: 
licher Bein und Dual an Leib und Seele unter der ſchredlichen Geſellſchaft 
der böfen Geifter in der Hölle), daß von alle Dem bier in vollem Ernft 
geredet wird, verfteht fi nad dem Syſtem des hannover’ihen Katehismus 
von ſelbſt. Welch' furdhtbaren Slaubensdespotigmus aber berjelbe 
athmet, wird erit recht fühlbar durch die Grllärung des „Amen, mit 
welcher die Glaubenslehre jchließt. Jedes Kind, das alle die vorfiehenden 
Dogmen gelernt hat, joll nämlich mit diefem Amen (Frage 144) befennen: 
„Daß ih durch foldes Mort meinen Glauben, als mit einem Siegel, be: 
träftige und dadurch bezeuge, alles, was ih bier mit meinem Munde 
befannt babe, glaube ich feftiglich in meinem Herzen, daß ed aus 
Gottes Wort genommen jei, und wolle fröblih darauf 
leben und — fterben!!” Bmeierlei (jagt Schenkel a. a. ©. fehr 
tichtig) wird hier dem Kinde zu bezeugen aufgebrungen, was es mit gutem 
Gewiſſen nit bezeugen Tann: 1) daß der gefammte Katechismusinhalt 
aus Gottes Wort genommen fei; 2) daß es bei dvemjelben leben und 
fterben wolle. Daß der Katehismusinhalt aus Gottes Wort genommen 
fei, kann das Kind unmöglich bezeugen, denn es hat weder die Zeit, noch 
die nöthigen Vorkenntniffe, um darüber eine Prüfung anzuftelen. Daß es 
auf feinen Katehismusglauben leben und fterben wolle, kann es noch viel 
meniger bezeugen; denn es weiß nicht, welches Licht ihm bei reiferem Alter 
über diefen Glauben aufgehen wird, und ald ein Glied der proteftantifchen 
Kirche darf es fih einer reineren und befjeren Erkenntniß der Wahrheit 
nicht für alle Zukunft verfchließen. Daß die „Väter“ des Katechismus bie 
„Rinder“ Hannover's durch folhe Daumfchrauben an ihr katechetiſches 
Reſtaurationswerk zu befeftigen bemüht find, macht und nicht gerade den 
Eindrud, als ob e3 ihnen nur um eine freie Aufnahme defjelben zu thun 
wäre. Darum ftellen fie fih wohl aud als ſolche bin, „welche von Gott 
die Macht baben, in der Kirche zu gebieten und zu verbieten.” 
Bir fommen nun zum „dritten Hauptftüd.“ Menn irgendwo, 
jo muß die alles warme Gefühl für Religion erfältende Scholaftit des han: 
nover'ihen Katechismus hier einen widerwärtigen Gindrud machen, — 
hier, bei der Lehre vom Gebete, wo dod vor Allem das Herz reden müßte, 
Aber die Väter Des Katechismus können es nit laffen, ihre gräßliche 
Dogmatit überall zu Markte zu bringen. Wie wird doch das unvergleid: 











Religionsunterricht. 55 


liche Gebet des Herrn ſogleich durch die Erklärung des erſten Wortes 
„Vater“ verhunzt, indem wiederholt (Frage 12 und 13) eingeſchärft wird, 
daß es der wahre dreieinige Gott fei, den wir als Vater anrufen. 
Konnten denn die Bäter des Katechismus nicht wenigftens hier einmal von 
diefem Dogma fchweigen? durften fie dad Wort „Vater“ anders gebrauchen, 
als ed unftreitig Je ſus felbit bier gebraudt, von dem Gott der Liebe, 
der es immer wohl mit uns meint und wohl mit uns maht? mußten fie 
nicht durch Luther's Beifpiel felbft fih geprungen fühlen, bier nur daran 
zu erinnern, daß Gott unfer „rechter Vater‘ ſei und wir, als jeine rechten 
Kinder, „‚getroft und mit aller Zuverſicht“ zu ihm beten follen? Und wie 
der dreieinige Gott, jo muß natürlih aud der Teufel produeirt werden. 
Ja es wird bei der jechsten Bitte troß des angeführten Spruches Jak. 1, 14 
(Sin jeglidher wird verſucht, wenn er von feiner eignen Luft gereizt 
und gelodet wird) doch zuerft und vor Allem behauptet, daß der Menjch 
vom Teufel verjuht wird, der (nah Frage 56) auch „durch äußerliches 
Blendwerk zur Sünde lodet und dränget.” — Wie fehr fi über einige 
Erklärungen rechten ließe, wie über die Schlußmworte „Dein ift das Reich,“ 
Dein ift die Herrlichkeit, fol nicht weiter hbeiprochen werden. Dagegen muß 
e3 Ref. anerkennen, daß bier doch einmal der gebildeten Sprache der Jetzt⸗ 
zeit Rechnung getragen wird, indem es die Väter des Katechismus gewagt 
baben, das lutheriſche Wort: „Wie lautet die Bo rrede im Gebet des Herrn?“ 
in das richtigere: „Wie lautet die Anrede?’ zu verwandeln, während fie 
fonft fo ſehr darauf erpidht find, immer ganz veraltete und falſche Wort: 
bildungen anzuwenden, wie. „Nießung,“ „Lieb: und Lobung“ 
(S. 113)!!! und oft recht ungrammatiih zu reden. _ 

Ueber da3 vierte und fünfte Hauptitüd (von den beiden Sacra⸗ 
menten) nur einige Worte. Der Lejer wird ſchon aus dem bisher Gefagten 
abnehmen können, mas er bier zu erwarten bat, und der Geift der Aus: 
legung dieſer Hauptitüde ſpricht fich Schon in der Erklärung des Sacramentes 
überhaupt aus, indem es (Frage 1) von den dabei gebraudten Symbolen 
beißt: „Da unter fichtbaren irdijchen Zeichen unfichtbare himmliſche Gnaden⸗ 
güter einem jeden beſonders dargereicht und zugeeigmet werben,’ jo 
daß bier nur an eine magische Wirkung, nit an eine ſymboliſche Hin: 
deutung gedaht wird. Es wird genügen, von der Taufe nur die beiden 
Antworten zu Frage 13 und 14 mitzutbeilen; 13. Wir find durd die 
Zaufe vom Tode erlöft, venn „weil wir in der Taufe Vergebung der 
Sünden erlangen, jo ift dem Tode der Stachel genommen, daß der zeit: 
ide Tod uns nicht fchreden und der ewige Tod uns nicht verderben 
kann,” und 14. Bon der Gemalt des Teufels find wir dur die 
Zaufe erlöft, denn „lie verfeßt und aus des Teufeld Neih und Herr: 
Ihaft in das Reich des Sohnes Gottes; darum aud ein jeder in und mit 
der Taufe dem Zeufel und allen feinen Werten und alle feinem Wejen 
abfaget.”” Alle ungetauften Sinder find aljo Teufelälinder. — In Ber 
tveff ver Abendmahlslehre genügt es, die Antwort zu Frage 5 mit: 
zutbeilen: „Wir eſſen (in vem heiligen Abendmahl) ein gejegnetes Brot 
und den wahren Leib Chrifti; wir trinfen den gejegneten Wein und 
das wahre Blut Chrifti.” Damit wird allen Grgebnifien ver theologijchen 





56 Religionsunterricht. 


Wiſſenſchaft widerſprochen und dem alten unfeligen Zwieſpalt zwiſchen unfrer 
und der reformirten Kirche wieder aller Vorſchub geleiftet. 

Aun noch einige Worte über die „Weiteren Zugaben zur Uebung 
in der Gottjeligfeit,” die der Katechismuslehre folgen. Sie kennzeichnen 
noh ganz befonderd ven unpralttiiben Sinn, den unevangeliihen Con⸗ 
feſſionalismus und die katholifirende Tendenz der Väter des hannover’ichen 
Katechismus. Diefe Zugaben find folgende: j 

1. „Die Haustafel etliher Sprüde für allerlei heilige Orden 
und Stände, dadurch diefelben, als dur eigene Vection, ihres Amts und 
Dienftes zu ermahnen. Mie viel Ungehöriges für die Jugend darin 
enthalten ift, das ift oben ſchon gefagt morben. 

2. „Die Symbole ver driftliben Kirche,” die doch gemwik nicht 
bierher gehören und nur den rechtgläubigen Standpunkt des Werts kund⸗ 
geben follen. Merkwürdig ijt dabei, daß nur das apoftolifhe und nicäifche 
Symbol ald die widtigften unter den älteften bezeichnet werben, daß man 
aber nicht wagt, das athanafianifhe denfelben gleichzuftellen, obgleih es in 
unsre ſymboliſchen Bücher aufgenommen it. 

3. „Chriftlihde Gebetsübung.” Hier foll das Beten als „eine 
feine, heilige Runft‘ gelehrt werden und ed wird den „Kindern Gottes 
nicht die Freibeit gelajien, ihrem Herzensdrang zu folgen, fondern es wird 
eine fefte „Ordnung“ vorgefchrieben, nad welder die „Betglode den 
Tag theilen und beiligen‘ foll und fogar auch, welches Gebet jedesmal der 
Reihe nad bergejagt werden fol. So tommt 5. B. beim Morgen: und 
Abendſegen jedesmal a) Das malte Gott Vater, Sohn und heiliger Geift. 
Amen; b) Ich glaube ze. (das apoftolifhe Glaubensbeknnntniß); c) Vater 
unjer 2c.53 dA) Ich danke dir ıc. (em auf die Tageszeit bezügliches (Gebet). 
Mir haben bier ein förmlides Geremonialgefeg und man muß fih nur 
wundern (mie auch Schenlel a. a. D. bemertt), daß nicht auch ſchon der 
Roſenktanz wieder eingeführt wird. 

4. „Wie man die Einfältigen foll beiten lehren.” Hier 
tritt die fatholifirende, hierarchiſche Tendenz ganz befonders zu Tage. Die 
Priefter treten bier völlig als Stellvertreter Gottes auf; find verpflichtet, 
das Beichtgeheimniß unverbrüchlich zu bewahren ; haben die Madıt, nicht 
nur alle Sünden zu vergeben, jondern aud die Unbußfertigen jogar zu 
„bannen !1‘ 

5. „Shriftlide Srageftüde für die, fo zum Sacrament geben 
wollen.‘ Hier wird behauptet, daß die Krankencommunion „au dem 
kranken Leibe heilſam“ fei und die naive Yrage getban: „ft der Vater 
auch für dich geſtorben?“ Antwort: ‚Nein, denn der Vater ift nur Gott, 
der heilige Weift au ; aber der Sohn ift wahrer Gott und wahrer Menſch, 
für mid) geitorben und bat fein Blut für mich vergoſſen.“ Ebenſo naiv 
und aller Menjhentenntniß und Erfahrung baar find die guten Ratbfchläge, 
mit denen dieſer Abfchnitt ſchließt. Auf die Frage 20: „Wie fol ihm!) 
aber der Menſch thbun, wenn er folhe Noth nicht fühlen kann, oder feinen 
Hunger noch Durft zum Sacrament empfindet?‘ wird geantwortet: „bem 
kann nicht befier gerathen werden, als daß er erftlich in feinen Bufen greife, 
ob er auch Fleiſch und Blut habe; zum Andern, daß er fidh umſehe, 


Religionsunterricht. 57 


ob er auch noch in der Welt ſei und denle, daß es an Sünden 
und Noth nicht fehlen werde; zum Dritten, jo wird er auch den 
Teufel um ſich haben, der ihm mit Lügen und Morden Tag und 
Nacht keinen Frieden innerlih und äußerlich laſſen wird.“ 


6. „Das Ein mal Gin. Diefe Zugabe fol wohl den Beweis 
liefern, daß die Väter des Katechismus bei allem confejfionelen Eifer doch die 
Realien nicht vernadläffigen. Yreilih ein ſehr ſchwacher Veweis, um fo 
Ihwäcer, da hier nur das feine Einmaleind gegeben wird (oder eigentlich 
Zweimaleins, da jenes meggeblieben ift und fogleih mit 2 X 1 = 2 
begonnen wird). Da nun der ganze Katehismus, — zu welhem der 
Lehrer nichts hinzuthun darf, fondern bei dem er „ſchlicht blei: 
ben’ fol, — nidt wie ein ſchlichtes Menfchenwort bergejagt, fondern 
gebetet werben foll, fo muß wohl aud in den hannover'ſchen Katechis⸗ 
musfchulen das Cinmaleind gebetet werden, wie denn auch wirklich nad 
des Reſ. Erfahrung die Lehrer in ſolchen Schulen ihre Kinder aufforbern: 
„Betet einmal das Cinmaleins ber!’ 


Genug. der neue hannover'ſche Katechismus fteht da wie eine Ruine 
aus alter Zeit, ein Yremdling im Nococogemande, mitten in der neuen 
Zeit, ein Kämpe für mittelalterlihe Gedanten und Formen, ein Feind ver: 
nünftiges Aufllärung und alles Fortſchritts, ein Schürer der Zwietracht 
unter den evangelifhen Kirchen, ein Förderer Tatholifirender Beftrebungen, 
ein Despot mit feinen beſtimmt abgegrenzten Lehrvorſchriften. Orthoporie 
und Hierarchie find feine Bielpuntte, Mangel an Xogit, an vernünftiger 
Bibelerflärung, an Zeit: und Menjchentenntniß, und vor Allem an pro> 
teftantiihem Sinn — feine Hauptfehler. Nein Wunder, dab fi das 
befiere Gefühl der evangelifhen Gemeinden gegen ſolches Machwerk fträubt. 


16. Dr. Martini Lutheri Catechismus für die Kirchen und Schulen 
der Kürftentbümer Gele und Grubenbagen, auch der Untergrafihaft Hoya 
und Grafſchafi Diephoit mit Ausdrüädung der angezogenen Schriftſprüche. 
Mit fürſtlich Braunſchweig⸗Lüneburgiſchen Brinlieg id. Berfaßt von M. 
Walther. Hannover. Reu abgedrudi von Auguit Grimpe 1882. 


Je ausführlider wir den „neuen hannover'ſchen Katechismus als 
eine wichtige Beiterfheinung beſprechen mußten, deſto kürzer können wir 
über diejes Buch fein, deſſen Conterfey jener if. Mir haben alfo fein 
Original vor ımd, an deſſen Inhalt er fi auf's firengfte anfchliekt, fo 
daß diefer bier nicht noch einmal beſprochen zu werben braudt. Nur in 
der Schreibmweife und in der Beitimmung des Buchs weicht der „neue“ 
hannover'ſche Katehigmus von demfelben ab, indem er es wagt, die alte 
Orthographie fallen und den Katechismusunterricht nit mit dem dritten 
Jahre, fondern erft mit dem fhulpflichtigen Alter beginnen zu laſſen. 

Zum Belege dafür theilen wir die Borrede Walther's mit. Ihr 
voraus geht die fürftlihe Verordnung in Betreff der Cinführung dieſes 
Buchs; fie ift datirt vom 25. Mai Anno 1653. Die Vorrede aber 
lautet jo: 

„Der Chriftlihe Leſer ift für allen von dreyerley zu unterrichten: 


58 Religion sunterricht. 


Das Erſte iſt, daß die folgende gantze Catechismus⸗Lehre, nach dem 
dreyfachen Unterſcheid der Kinder und Schüler, in drey unterſchiedlichen 
Büchlein beſtehe. 

Das Erſte. 

Haͤlt in ſich, für die gar kleinen Kinder, von drey, vier, fünf Jahren, 
die bloſſen Worte des Catechijmi. 

Das Andere. 


Verfafiet in fi, für die mittlern Kinder, von fechs, fieben und acht 
Jahren, neben Wiederholung der vorigen Worte, die Auslegung des Herm 
Lutheri. 

Das Dritte. 

Begreifet in ſich für die Kinder, fo ſtärker an Jahren find, und für 
alle andere junge und alte einfältige Leute, die fernere Erläuterung der 
befagten Auslegung.” 

„Das Mittlere, fo erinnert werden muß, betrifft bie abgelürzte An: 
gabe der Erklärung Luther's bei der Wiederholung, das Letzte, die Stern: 
chen (**) für Die ragen, welche von den Baftoribus und Präceptoribus 
„das eine und andere mal können vorbeygegangen werben.” 

Vebrigens zeigt fi ein Kortfchritt des neuen hannover'ſchen Katechis⸗ 
mus auch darin, daß er von den drei Hauptſymbolen menigftend das atha> 
naſianiſche megläßt, das Walther noch beibehält. 

17. Katehismus der evangelifchen Kirche im ai a8 und Lothringen für 
Schule und Haus, bearbeitet von Joh. Friedr. Küß, Pfarrer zu Weſt⸗ 
bofen. Mit Genehmigung des Diereonftoriume der Ride Yu ugeburg- 
Bekenntniſſes. Straßburg, bei C. F. Schmidt. 1861. 

144 ©. reis 60 Gentimes. 

Der Verf. ift durch eine Bemerkung des theologiſchen Literaturblattes 
1857 zu diejer Bearbeitung des Katechismus veranlagt worden, da dort 
gefagt war, Luther's Katehismus fei noch nicht verbunden, in feinen Er: 
Härungen noch nie (?) in Frage und Antwort geftellt und fo zu einem 
Ganzen vereinigt worden, und es fei wünſchenswerth, daß dies bald ges 
ſchehe. Seit jener Zeit aber, und früher fchon, ift das bereits in 
verfchiedener Weiſe und fo oft geſchehen, dab es wunderbar wäre, wenn 
der Verf. nicht Kenntniß davon gehabt hätte. Der Zuſammenhang, in 
welchen er nun den Katechismus ftellt, ift folgender: Erfter Theil: Das 
Geſetz Gottes; Die Lebensorbnung, 1. Der Geſetzgeber und fein Gejeß, 
2. Die zehn Gebote: die Gottesliebe, die Nächftenliebe, 3. Abfall von dem 
Gejege Gottes: die Sünde und das Verlangen der Seele nad Erlöfung ; — 
Zweiter Theil: Das Gvangelium, die Heilsordnung durch Chriftum, 
1. Die Begründung des Heils durch Chriftum, 2. Die Aneignung 
bes Heils durh Chrifium: Der chriftlihe Glaube (die drei Artikel, mit dem 
dritten werben die Gnadenmittel verbunden), 3. Die Vollenpung des 
Heils durch Ehriftum: die legten Dinge — Bibeljprüce, Citate von bibli: 
ihen Geſchichten und Liederverfen werden jedem Lehrſatze beigegeben und 
ein Anhang enthält: Gebete, das chriſtliche Kichenjahr, die neuen Beri: 
fopen, die Zeittafel. 








Religionsunterricht. 59 


So ift dieſe Schrift in ihrer Anlage vielen anderen ähnlich, und nicht 
minder in ihrer orthodoren Richtung, wenn dieſelbe auch nicht fo jchroff 
hervortritt, wie in anderen Katechigmusbearbeitungen. 

In Bezug auf die Klaflenftufen vertheilt der Verf. den Stoff jeines 
Ratehismusunterrihts folgendermaßen: a. bi3 zum 8. Lebensjahre: der 
Zert des Satehismus neben bibliiher Geſchichte; b. bis 10. Lebens: 
jahr: die zehn Gebote mit den bezeichneten Bibelfprüden; c. bis 12. Le 
bensjahr: der oben bejchriebene „erfte Theil”; d. im 12. und 13. Lebens: 
jahr: der „zweite Theil’ bis zum dritten Artikel; alles Uebrige bleibt aus: 
ſchließlich dem Confirmationsalter vorbehalten. 

Daß Ref. mit dieſer Vertheilung des Unterrichtsftoffes ſich nicht ein- 
verftanden erllären kann, ift aus feinen übrigen Aeußerungen zu erjeben. 
18. Handbüdlein für den Religions» Unterridt in der eins und 

qweittaffigen Elenientarfchule. Herausgegeben zum Bellen der Lehrers 

ittwen⸗Kaſſe in Radevormwald. Barmen, 1862, bei Bertelsmann. FI 8. 

76 S. 4 Sgr. 

Eine fleißige und forgfältige Sammlung von: 1. Wochenſprüchen, 
Bibellectionen ꝛc. 2. Sprüden zum Katechismus, 3. Kirchenliedern (mit 
wenigen Ausnahmen die in den Regulatinen vorgefchriebenen), 4. Ge: 
beten, 5. Luther's Eleinem Katechismus, 6. einem Anhang (von der Beichte 
und dem Amt der Schlüſſel, die Haustafel). Dies Handbüclein ift fo 
eingerichtet, daß es in eins und zweillaffigen Clementarjchulen von luthe⸗ 
rifhen und reformirten Kindern gebraudht werden kann. Für bie 
Untere und Mittelllafie find vie Lernftoffe befonbers bezeichnet; für die 
lutheriſchen Kinder ift der Katechismus beigegeben. Es wird den Lehrern 
ſehr erwünſcht kommen, in deren Schulen „vie Kinder verſchiedenen Ges 
meinden angehören und darum verjchiedene Geſangbücher, Katechismen x. 
mitbringen.” Ein erllärender Zert ift nirgends beigegeben, eben damit 
jeder Lehrer das Büchlein nah den Berürfniffen feiner Schule oder nad) 
den Borfchriften feines Lehrplanes anwenden kann. Unter den Sprüden 
find mandye, die Nef. nicht für zwedmäßig ausgewählt halten kann. Gellert’s 
Ihe Lieder haben keine Gnade bei dem Berf. gefunden. 


cc. Für Oberklaſſen. 


19. Luther's kleiner Katehismus für die Schulen des Fürttentbums 
Schwarzburg:-Rudolftadt. Nah der Bearbeitung von K. A. Kolde, 
Paſtor in Kaltenberg in Oberfchleflen, in Fragen und Antworten zerglies 
dert und mit Zeugniffen aus Gotte® Wort und der Kirche verfeben. Rus 
bolftadt, Berlagöbuchhandiung der 5. priv. Hufbuchdruderei. (Fröbel.) 
1861. 8. IV und 137 © 5 Ser. 

Wie der neue hannover'ſche Katechismus, der Waltherus redivivus, 
jo ift der vorliegende daS Alter ego des Kolde'ſchen. Ueber diefen aber 
ift bereit3 im vorigen Päd. Jahresbericht S. 23, Nr. 10 berichtet worden, 
daß er ſich jelbft zu den Grundfägen der preußiſchen NRegulative 
vetennt. In der Nachbildung fehlt nur die am Borbilde gerühmte Rüd: 
ſichtnahme auf das Leſebuch der Schule. Der Geift ift hier wie dort der: 
ſelbe. Ihn zu aralterifiren, genügt es folgende Proben der Schriftaus⸗ 





60 Religionsunterricht. 


legung mitzutheilen. Im zweiten Artikel beißt es: „Der König des Him⸗ 
melreichs ſchenkt den Seinen für ihre Ungerechtigkeit, Schuld und Ber: 
dammniß feine Gerechtigkeit, Unſchuld und Seligkeit“, gegründel auf Tit. 
2, 14: Jeſus Chriftus bat fi felbft für uns ꝛc, Röm. 5, 1: Nun wir 
find durh den Glauben gerecht geworden ıc. Im 3. Urtilel wird zu 
ven Worten: „daß ich nit aus eigener Vernunft noch Nraft‘‘ ıc. citirt 
1 Kor. 12, 3: Niemand kann Jeſum einen Herren beißen obne durch den 
heiligen Geift, und Röm. 8, 10: Wer Ehrifti Geiſt nicht bat, der ift nicht 
fein. Ueber das Abendmahl lefen wir die ftreng lutheriſche, unionsfeind⸗ 
lihe Aeußerung: „Wir empfangen den wahren Leib und das wahre 
Blut Chrifti, nicht blos Zeichen oder Unterpfänder. Aber Brot und 
Mein bleibt da, wird nicht verwandelt: ift nicht zur Schau und Anbetung, 
fondern zum eigenen Genuſſe da.” Ganz ohne Rüdfiht auf die Jetztzeit 
und auf die Spradbildung, die den Kindern unſrer Schulen gegeben werben 
fol, wird die jehwerfällige, das richtigere Sprachgefühl verlebenve alte Form 
der Kernlieder beibehalten, wie 3. B.: „Ganz ungemein ift deine Macht, 
fort g’fchieht, mas dein Will” hat bedacht.“ Die zablreihen Citate aus 
Quther’s Schriften, aus den Symbolen ıc. mögen für den orthodoren Lehrer 
intereflant fein, aber nicht zmedmäßig für ein Schulbuch, in meldem fie 
überdies wie gleihberedhtigte Offenbarungsbelege neben den Echriftbeweifen 
erjcheinen. Ueberhaupt wird ber Schule allzuviel Stoff geboten in der 
Mafle von Sprüden und Berjen, von Eitaten biblifcher Lejeabfchnitte, 
biblifcher Gefhichten ıc. — Kein Wunder, wenn ſich Gemeinden und Lehrer 
gegen die Einführung dieſes Katechismus fträuben; aber ein Leihen der 
Zeit, daß der Proteft gegen diefelbe, welder von der Gemeinde Stadt⸗Ilm 
erhoben worden tft, troß des mwarnenden Beifpiels der hannover'ſchen Wirren 
jurüdgewiefen worden ift. | 


20. Der feine Katechismus Dr. Martin Luther's nad feinem nächſten 
Wortlaute in Fragen und Antworten zerlegt und erläutert und namentlich 
den Yebrern an Boltsichulen als Grundlage beim Katechiemusunterrichte 
dargeboten von R. U. Seeliger, Seminardir. a. D. und Baflor zu 
Streiow in der Synode Bohn. Zweite, mit Sprüden, ciner Hinweifung 
auf biblifhe Beifpiele und Lieder und einem Anbange von Gebeten ver: 
mehrte Auflage. Verlag von Juſtus Albert Wohlgemuth in Berlin. 1861. 
8. VIII und 104 S. Ts Sgr. 


Da der Verf felbft auf dem Titel fih fo ausführlih darüber erflärt, 
was Alles bier geboten wird, jo braucht Ref. ven Inhalt nicht weiter zu 
beihreiben. Hm den Geift diefed Büchleins zu bezeichnen, genügt es, ein 
paar Worte aus der Vorrede und ein kleines Brudyftüd aus dem Terte 
mitzutbeilen. Dort beißt ed: „Was das Maß der Sprüde betrifft, fo 
babe ih die von dem Herrn Unterrihtsminifter normirte Zahl von 
180 feſtgehalten“ (ein Zeichen feiner Ergebenbeit) und „NRüdiidhtli der 
Lieder habe ich mich auf die 80 befchränft, weldhe das Regulativ vor 
ſchreibt; nur beim dritten Hauptftüde babe ich noch das Lied „Vater unjer 
im Himmelreich“ herangezogen’ ein Zeichen feines beſchraͤnlten Stand: 
punttes). Aus dem Texte feien nur folgende ragen und Antworten mit: 
getbeilt: 150. Was hat Zeus zuerft im Stande feiner Erhöhung ge: 


\ 


Religiondunterricht. 61 


than? Gr iſt niedergefahren zur Hölle. 151. Was bedeutet bier das Wort 
Hölle? Den Aufenthalt der abgejchiedenen Seelen. 152. Wann ift der 
Herr Chriftus niedergefahren zur Hölle? Als fein Leib im Grabe rubte. 
153. Wie ift er niedergefabren? Im Geilte. 154. Was hat er da ge: 
tban? Da bat er ven abgeihievenen Seelen geprevigt. 155. Was hat 
er denen gepredigt, die auf ihn gehofft hatten? Daß er nun das Werl 
der Srlöfung vollbracht babe. 156. Was hat er denen geprebigt, die ohne 
Buße geftorben waren? Denen bat er Buße geprevigt, ob aud fie ſich 
betebren wollten. 157. Wenn du als ein unbelehrter Sünder ftirbft, darfſt 
du di defien getröflen, dab auch du noh nad dem Tode Buße thun 
tannft? Nein, deflen darf ih mih nicht getröften. 158. Warum 
nicht? Weil ich das Evangelium von unferm Herrn Jeſus Chriftus babe. 
169. Wie heißt's darum für did) in dem Liede: So wahr ich lebe ıc.? 
Heut’ lebſt du, heut’ befehre dich — — fo du nun ftirbft ohne Buß’, 
dein Leib und Seel’ dort brennen muß.‘ 
21. Der kleine Katehismus Dr. Martin Luther's, ertlärt von G. Fr. 
mann Boͤtticher, Superintendent. Kleine Ausgabe. Eisleben, 1861. 
von der Kuhnt'ſchen Buchhandlung. (E. Gräfenhan). 8. 62 S. Breis 
„Kleine Ausgabe,“ weil bereits eine größere vorhanden, mit der ſie 
rũcſſichtlich der Nummern, der Abſchnitte und Fragen übereinſtimmt. lm 
den Standpunkt des Verj. zu kennzeichnen, braucht Ref. nur die eine 
Stelle aus dem „Anbang,” I. „Etlihe Gebete” ©. 61 zu citiren: 
„A. Der Taufbund. Ich entfage dem Teufel und allen jeinen 
Derten und allem feinen Wejen, und ergebe mid dir, du dreieiniger 
Bott, Bater, Sohn und beiliger Geift, im Glauben und Geborfam dir 
treu zu fein bis an mein letztes Ende. Amen.” Wer mit diefem Stans 
punkt einverftanden ift, wirb mit dem recht praftiich eingerichteten Büchlein 
zufrieden fein. Es gibt zuerft den Zert des Katechismus mit ben unterge- 
ſetzten, ganz kurzen und klaren Worterflärungen, die meift recht treffend 
find. Auch bier bezeichnet eine Anmerkung recht deutlih den Standpunlt 
des Verfafierd. Beim „Morgenjegen” beißt es zu den Worten „jollft du 
dich fegnen mit dem heiligen Kreuz‘ „Die Sitte, äußerlich ſich zu bezeichnen 
mit dem Kreuz, ift in unfrer Kirche abgelommen, dafür follen wir uns 
doh innerlih mit dem heiligen Kreuz jegnen, indem wir im 
bußfertigen Glauben des ftellvertretenden Opfers unfers Herm Jeſu 
Chrifti gedenken.” Den einzelnen Lehrabjchnitten, die den Haupttheil des 
Büdleins bilden und in der Ordnung des Katechismus auf einander folgen, 
iR ſtets das Citat einer biblifhen Geſchichte vorausgefchidt; die Lehren 
werden in Tragen gefaßt und diefe meift nur mit pafienden Bibelftellen, 
jeltener mit des Verfs. eignen Worten oder mit den Erklaͤrungen des Ka: 
tehismus beantwortet. 


dd. Yür Elementarklaflen. 


22. RutehlämussBorfhule. Leitfaden beim Beligionsunterridte für 
Ainder von fieben bis zehn Jahren. Bon ©, Brünnert. Rudolftadt, 
Dead und Berlag der F. priv. Hofbuchdruckerei. 1862. 1. 8. 246. 2 Bor. 


62 Religionsunterricht. 


Ein recht praltiſches Büchlein; nur muß es der Lehrer verſtehen, den 
bier gebotenen reichen Stoff zwedmäßig auf die vier erften Schuljahre zum 
vertheilen. Jedem der 50 Paragrapben find Bibelfprüde, Liedewerſe und 
Gefchichtsandeutungen beigegeben. Gin Beifpiel: 8. 24. „Bir follen mit 
leidig und wehlthätig, nicht bartherzig und ſchadenfroh fein.“ Dazu Röm. 
12, 15: Freuet euch mit ac. Jeſ. 58, 7: Brich dem Hungrigen x. Luk, 
6, 36: Seid barmberzig cc. 2 Kor. 9, 7: Einen fröhliden Geber ıc. 
Spr. 24, 17: Freue dich des Falles ꝛc. — Ferner ein Eprigwort: „Ber 
den Armen gibt, der leihet dem Herm,” — ferner 2 Verſe: „Wohlzuthun 
und mitzutbeilen, Chriften, das vergefiet nicht ! Mitleivvoll und willig eilen ꝛtc.“ 
„Sin unbarmherziges Gericht ꝛc.“ — endlich Geihichtsandeutungen: „Sas 
mariter; Oberlin; Landgr. Eliſabeth. — Priefter und Levit; der reiche 
Bauer.” — Alfo mit Auswahl! Auch für das vierte Schuljahr würde es 
fonft des Stoffes noch zu viel werben. Der Berf. gehört nicht zu den 
Hyperorthodoren, wie 3. B. 8. 36 zeigt: „Der liebe Gott ſchuf uns mit 
Dernunft und Gewiſſen, damit mir das Gute von dem Boͤſen aus uns 
jelbft unterfcheiden können. Das Gewiſſen regt fih vor, bei una nad 
der That. 

23. Hülfsbüclein für den erfien Religionsunterrit, zunächſt für 
die obere Elementarflaffe der allgemeinen Bürgerfhule zu Leipzig beſtimmt. 
Bierte, neu durchgeſehene Auflage von Arnold, die Religion des Kin⸗ 
des. Leipzig, 1861. Verlag von Joh. Ambr. Barth. kl. 8. 36 ©. 3 Ger. 

Diefes vom verftorbenen Director Vogel befürwortete Büchlein ift 
ganz befonders empfehlenswertb durch feine Cinfachheit, Kindlichleit und 
gute Auswahl von Sprüden und Verſen. Rur eine Bemerkung erlaubt 
ſich Ref. zu dem lieben Büchlein zu madhen. Gr findet es nämlich dem 
Geifte des Evangeliums und dem reinen Slindesfinne angemefjener, die 
Pflichten gegen Gott (fürchte — liebe — vertraue ihm über Alles) fo 
zu ordnen, daß die Liebe voranfteht. 


ee. Sprud:, Gebet: und Liederbüdher. 


24. Sprüde der heiligen Schrift und geiſtliche Lieder nach dem 
bibliſchen Geſchichts⸗ und Katehismuss Unterrichte fürs Ausmendiglernen 
flufenweife geordnet, nebſt Luther's Meinem Katechismus. Bon Craft 
@dardt, Schuldirector zu Zſchopau. Zweite umgearbeitete. Auflage. 

seipiiß, Drud und Verlag von Julius Klinkhardt. 1862. M. 8. VI und 

106 ©. Ladenpreis geb. 5 Rgr. Partiepreiß 25 Expl. roh 21a Thir., 
geb. 31/3 Thlr. 

Mit großem Fleiß hat der Verf. diefes Spruchbuchs die zu erlernen: 
den Sprüche nicht blos nach den bibliſchen Geſchichten (im 1. und 2. Curſus 
für die beiden erften, im 3. und 4. Curfus für die beiden folgenden Schuler 
jahre) und nad den Lehren des Katechismus (im 5.—6. Curfus für die 
legten Schuljahre) vertheilt, ſondern auch innerhalb dieſer Curſe genau be= 
zeichnet, welche Sprüche für die verjchievenen Jahrgänge beftimmt find. 
Diefe forgfältige Vertheilung, fowie die feſte Nepetitionsordnung, die der 
Verf. vorjchreibt, verdient allerdings Anerkennung; doch ift die Menge ber 
bier zum Lernen aufgegebenen Sprüche (815 an der Zahl) zu groß. Der 





Religionsunterriäht. 63 


Verf. kennt wohl, mie fih aus ber Vorrede ergibt, die Forderung, den 
religiöjen Memorirftoff zu beſchränken; aber er achtet fie nicht, denn er 
meint, daß fie nur darin ihren Grund babe, weil „unſer ſociales und in: 
buftvielles Leben für unfer junges Geſchlecht eine alljeitige Bildung bean- 
ſpruche.“ Und doch muß hierbei der andere, ungleich wichtigere Grund, 
aus weldem jene Forderung entipringt, wohl berüdfichtigt werben, ver 
naͤmlich, daß das Uebermaß des religiöfen Memorirftoffs der Wirkſamkeit 
des Refigionsimterrihts großen Schaden bringt. 

35. Spruchbuch. Dritte Auflage. Franffurt a. DO. Rathke und Comp. 

1862. 24 5. N. 8. Preis 1 Ger. 


Diejes Spruchbuch zeichnet fih vor dem Nr. 24 durh große Be 
ſchränkung der Anzahl der zu erlernenden Sprüde aus; denn es zählt 
deren, obgleich für 4 Stufen beflimmt, doch nur 125. Es ſind aber nicht 
alle zwedmäßig gewählt, und warum ift unter der Rubrik „Auferftehung 
des Fleiſches“ zu dem Spruh 1 Kor. 15, 42—44 nicht auch der wichtige 
50fte Vers (Fleiſch und Blut können nicht in das Reich Gottes fommen ıc.) 


binzugefügt worben ? 

2%. Spruchbuch nebſt vorangeftelltiem Katechte mus Lutheri und einigen 
Gebeten. Zuſammengeſtellt und herausgegeben von den Xehrervers 
einen des Fürſtenthums Reuß⸗Gretz. Greiz, Drud der gürt. Hof» 
buchdruckereli (Otto Henning). (In Comm. bei H. Bredt.) 1. 8.48 ©, 
2a Ser. 

Hier werden nad) dem Gange bed Katechismus, nur durch die Schrift: 
ftärle, nicht nad Klaſſenſtufen geſchieden, 240 Sprüche gegeben, aber noch 
„Größere Lernftüde” aus der Bibel, wie 3. B. die fieben Bußpfalmen, 
Lernftüde aus dem Geſangbuche in drei Stufen und Gebete gegeben. Aus 
dem Ganzen ertennt man den byperorthodoren Geift der Sammler, namentlich 
aus den Gebeten, von denen hier eine Probe mitgetheilt werden würde, 
wenn e3 nicht ſchade wäre um den Raum, den fie Befierem wegnehmen würde. 
In einem Schulgebete ift fiebenmal „freundlicher Jen!” zu lefen, aber 
nicht mit einem Worte wirb Gottes des Vaters gedacht. 

27. Gebetbüchlein zum Schul: und Haudgebraud für Kinder, Dritte 
vielfach verbeflerte und vermehrte Auflage. Dillenburg, Berlag von Heins 
rih Jacobi. 186°. HM. 8. 82 S. A Sgr. 


Gebete für jüngere finder (bis zum 6., 8. und 10. Jahre), Gebete 
für ältere und Schulgebete enthält dieſe Sammlung. Sie find von ver: 
ſchiedenem Werthe, meift in Bersform (worunter die Hey'ſchen die anſprechend⸗ 
ften find) oder in Bibeljprühe gefaßt. Sehr häufig tritt hier das in der 
Einleitung befprodene „das walte Gott“ oder „Gott walt's“ auf. — „Gott 
walls! Amen“ ift das erfte Gebet für Kinder bis zum 6. Jahre. Uebrigens 
wird zu Gott auch bier jehr wenig gebetet,; die eriten 12 Feſtgebete für 
Kinder von 6 bis 10 Jahren find ausſchließlich nur an Jeſus gerichtet. 
23. Sammlung geiſtlicher Lieder (au die 80 Kirchenlieder der 

preußifhen Regulative enthaltend) für Kirche, Schule und Haus, heraus 

gegeben von Friedrih Wilhelm Bodemann, Paſtor auf Finkenwerder bet 

Hamburg. NeusRuppin. Verlag von Alfred Dehmigfe, 1862. 8. XVII 

und 141 ©. Preis 7 Sgr. ' 


64 Religiondunterricht 


29. Schulgefangbud zunähft für dad evangelifhe Gymnaſium zu Osna⸗ 
brüd. Zweite vermehrte Auflage. Osnabrück, 1562. —*88 Buch⸗ 
handlung. 8. IV und 123 €, 11 GSor. 

Die erſte diefer beiden hannover ſchen Liederfammlungen kennzeichnet 
ſich felbft durch die Rucſichtnahme auf die preußifhen Regulative (die ſchon 
der Titel anlündigt) und durd die in der Vorrede ausgejprochene Tendenz, 
das „Intereſſe für die berrlihen, bewährten und unverfälichten, in ben 
glaubensarmen Beiten der falfchen Aufklärung aber meift vergefienen, ja 
verfhmähten Kernlievern” zu nähren. Ginigermaßen bat aber der Sammler 
der Beitforderung doch Rechnung tragen zu müflen geglaubt, indem er es 
wagte, nicht nur die Nechtichreibung und Interpunction zu corrigiren, jondern 
auch „unleivlihe Sprachhärten, ganz veraltete und daher unverſtändlich, ja 
wohl gar profanirt und anftößig gemorbne Ausdrüde abzuändern. — Nr. 29 
bat den dreifahen Zweck, a) für den täglihen Schulgefang kurze Lieder 
oder Liederverſe auszumählen, die Gebete enthalten, b) chriftlidhe Feftlieder 
zu fammeln für die im osnabrüder Gymnaſium gebräudlihen Andachten 
an den Borabenden der hoben Feite, und c) die vorzüglichften Lieder unfrer 
Kirche von der Zeit der Reformation an den Schülern in die Hände zu 
geben. Diefer Sammler bietet im Ganzen Befleres und Geniekbarereg, 
als jener, hätte aber noch manches anfprechende Lieb aufnehmen können, 
wie: „Des Morgens erfte Stunde 2.” ®. 1 und 3, „Wllmächtiger, ich 
bebe ıc. V. I und 3. 


B. Biblifhe Geſchichte 


30. Lehrbuch der biblifhen Geſchichte von Heinrich Friedrich Slägse, 
Hauptlehrer am Scullebrer » Seminar zu Hannover. Griter Theil, as 
alte Fi ta au nt. Hannover, Karl Meyer. 1362, gr. 8. XI une 
3518. I r. 


Als eine gereifte Frucht jahrelangen Fleißes, hervorgewachſen aus den 
Erfahrungen des praktiſchen Schullebens, kündigt diejes Werl fih an; denn 
der Verf. jagt felbft im Borworte: „Das vorliegende Bud, eine Frucht der 
Seminararbeit, ift großentheild aus vor neun Jahren begonnenen und nad 
und nad vervolfftändigten Aufzeichnungen für die Vorbereitung auf den 
mir übergebenen Unterriht in der bibliſchen Geſchichte im biefigen Bezirks: 
jeminare entitanden.‘ Der Berf., der fomit das nonum prematur in 
annum genau beobachtet hat, gibt aljo feinem Merle einen Empfehlungs⸗ 
brief mit, der allervings Dazu dient, ihm Credit zu verfchaffen, der aber 
aud die Anforderungen fteigert, die man an daflelbe zu ftellen bat. Dieje 
laufen bauptfählih auf die beiden Yorderungen hinaus: daß das Wert 
fleißig durchgearbeitet und daß es recht praftifh fei. Jener Forderung 
genügt daflelbe, denn unverlennbar ift die Genauigleit und Sorgfalt, mit 
welcher e3 bearbeitet ift und die Werke von Kurk (defien Werk ein „bahn: 
bredyendes und gewiß für lange Zeit unübertreffliches” genannt wird) von 
Bartſch, Roos, Deligfh, Hengitenberg, Schultz, Schlier, Staupt, Sartoriug 
und Keil berüdfichtigt worden find. Der anderen Forderung aber genügt 
es weniger. Es gibt zu viel; und wenn aud der WVerf. ſehr richtig fagt: 


Religionsunterricht. 65 


„der Lehrer mup mehr willen, als was er zu geben bat,” fo muß dad 
jede einzelne Disciplin zur anderen in das rechte Verhaͤltniß geftellt werben. 
Wird aber die bibliihe Geſchichte mit fo großer Gründlichkeit betrieben, 
wie es bier geichieht, fo müflen nothwendig andere Unterrichtsgegenftände 
darunter leiden. Es wird dabei viel zu großer Werth auf Nebendinge ges 
legt, wie fich 3. B. (S. 34) bei den Zeitangaben in Betreff der Sünfluth 
zeigt, wo aus neun Gründen bewiejen wird, daß diefelbe 1 Jahr 10 Tage 
gedauert haben foll, und ©. 33, mo bewielen wird, daß die Are 15 
Ellen tief gegangen fein muß. Es ift ferner das Werl fall mehr ein are 
getiiches, als biflorifch <entwidelndes geworden, da der Verf. den Grundſatz 
befolgt bat, das zum Berftändnig der bibliihen Geſchichte Nöthige in bie 
geihichtliche Darfiellung zu vermeben und „Abjchnitte, die eingehenderer Er: 
Härung bedürfen, in Form der Auslegung zu behandeln.” Es ift oft auch 
eine wunderliche Gregeje, die bier zu Tage tritt, wie (S. 19) bei dem 
„Steafurtheil über das Weib” (ihr Wille fol ihrem Manne unterworfen 
kein), das „in der Heidenwelt durch die Sünde in fllavifche Unterwerfung 
des Weibes unter den Mann verlehrt worden ſei,“ oder S. 20 bei bem 
„Arbeiten im Schweiße des Angeſichts,“ wo der Verf. jagt: „Wem feine 
Berufsarbeit fauer wird, der denke daran, daß wegen der Sünde 
alles Thun fo voll Mühe ift, vaß e3 niemand ausreden kann“ (Pred. Sal. 1,8, 
wo aber gar nicht von einer Sündenftrafe die Rebe ift), oder ©. 18 bei 
der Bervammung der Schlange, wo bewieſen wird, daß dieſelbe früher 
Füße gehabt haben müfle (warum ſetzt der Verf. nicht binzu, wie einft der 
Seminarbirector Stern, daß man noch jebt die Stummel an der Schlange 
ſehen könne, an beren Stelle früher Füße geweien ſeien?). Es iſt aber 
ganz befonders unpraltiih,, daß fich der Verf. dem jcholaftiih »orthobogen 
Spſteme anſchließt, von der anerfchaffenen Heiligleit und Gerechtigleit ber 
eriten Menſchen redet, ven Teufel in der Schlange des Paradieſes erjheinen 
läßt u. f. w. Denn dadurch erzieht er feine Seminariften nicht zu chriſtlich 
gefinnten Religionglehrern und nicht zu Lehrern, die unſre Beit verſtehen 
und ſich nah des Apoſiels Mahnung in fie fchiden können. Er jelbfl 
zeigt in feinem Buch, daß ihm feine Orthodorie die chriftliche Gefinnung 
beeinträchtigt bat, fonft würbe er nicht Männer, an deren Chrenhaftigteit 
niemand zweifelt, nur meil fie „an den Angaben der Bibel über die Lebens: 
dauer der erften Menſchen Anftoß genommen haben,” „Ungläubige” nennt. 
31, Lehr⸗- und Lernbuch der biblifhen Geſchichte. Bearbeitet von 

Dtto Schulze, Paftor und Dberfähulinfpector zu Rorphaufen. Erfter 

Theil. Kür die Unterfiufe. VIII und 120 ©. 61/ Sgr. Zweiter 


Ihell. Kür die Mittelftufe. 9 Ger. VI und 193 ©. 8. Rord⸗ 
haufen, 1862, Haacke. 


„An Handbüchern für den Unterricht in der biblifhen Geſchichte fehlt’s 
uns nun grade nicht.“ Mit diefem Worte beginnt der Verf. feine Vorrede; 
und er hat recht. Aber dennoch darf er auch mit gleichem Rechte hoffen, 
vielen Lehrern mit diefem neuen „Lehr und Lernbud der biblijchen Ge⸗ 
ſchichte“ einen großen Dienſt zu erweiſen. Denn die meiften jener Hand⸗ 
bücher Aeben gewöhnlie die bibliſchen Geſchichten Alien und Neuen Teſta⸗ 
ments in fortlaufender Erzaͤhlung ohne Ruͤdßcht auf die verſchiedenen 

Pad. Jahres bericht XV. 5 


66 Religionsunterricht. 


Lebensalter der Kinder,” und daraus entfteht für den Lehrer, der fie 
auf verſchiedenen Klafienftufen anzuwenden bat, die große Schwierigkeit, ſich 
jelbft die einzelnen Gefchichten nicht nur für das verjchiedene Bedürfniß 
auszuwählen, jondern fie auch nah Umfang und Darftellungsform zurecht: 
zulegen. Weber diefe Schwierigkeit fucht der Verf. mit feinem Lehr und 
Lernbuch ıc. dem Lehrer binwegzubelfen. Mit danlenswertber Mühe, mit 
großer Umfiht und Sorgfalt bat er für jede Stufe (hier nur für die 
Untere und Mittelftufe; die für die Oberftufe foll bald nachfolgen) 
befondere Auswahl getroffen und, was noch mehr ift, auf jeder diefer Stufen 
wieder zwei Lehrgänge geſchieden, fo daß das Ganze ſechs flufen 
mäßig geordnete Lehrgänge der bibliihen Geihichte enthalten wird. Die 
Schwierigkeit diefer Aufgabe bat der Berf. felbft gefühlt, und fie wurde 
dadurch noch gefteigert, daß er bemüht war, die einzelnen Lehrgänge in 
inneren Zuſammenhang mit einander zu bringen und aus ihnen 
ein in ſich abgefhlojjenes Ganze zu bilden. Zugleich hat er auf 
den Unterſchied der bibliihen Geſchichten aufmerkſam gemacht, welche für die 
Entwidelung des Gottesreichs überhaupt oder wegen ihrer religiös. 
firtliden Bedeutung befonders wichtig find, und derjenigen, welde nur 
im Intereſſe einer erweiterten Kenntniß in der heiligen Ge— 
Thihte oder um des inneren Zufammenbanges willen nambaft 
zu machen find. Jene, deren Weberfchriften durch fette Schrift hervorge⸗ 
hoben find, follen fich die Kinder möglichſt vollftändig mit dem Bibel⸗ 
wort aneignen, diefe nur dem Inhalte nah. Außerdem find ſämmt⸗ 
lichen bibliihen Geſchichten entfprechende und meilt recht gut gemählte 
Bibeljprühe und Liederperfe beigegeben, die, verbunden mit dem 
binzugefügten Yingerzeigen zur Grläuterung und Anwendung derſelben, den 
Lehrer recht gut in den Stand feßen, bie Geſchichten zwedmäßig zu vers 
arbeiten. Auch anf den Katehismus wird hingewieſen, wo ſich bie 
Veranlaſſung dazu bietet. 


So bat der Verf. reihlih und zwedmäßig für das Bebürfnik des 
Lehrers geforgt, und es lommt nur darauf an, daß diefer mit dem Ge⸗ 
gebenen gut hauszuhalten verſtehe. Denn er wird weder alle bier gegebenen 
Geſchichten (deren der 3. Theil 56, der 2. Theil 85 bietet) auf jeber 
Stufe gründlich durdarbeiten, noch alle Bibelſprüche und Lieberverfe (welche 
legtere zum Theil den „BU Liedern‘ entnommen find) lernen laffen können, 
Ueberhaupt ift doch des Memorirftoffes zu viel geboten, wie jehr auch der Verf. 
dafür zu forgen bemüht ift, daß „das Gedächtniß der Kinder nicht zu ſehr 
belaftet”’ werde. Man muß denn doch immer beventen, daß die anderen 
Lehr: und Lerngegenftände der Schule aud ihr Recht haben. 


32, Die bibliſche Geſchichte auf der Dberfiufe in Volkoſchulen. 
Ein praktiſches Handbuch für Lehrer und Erzieher. Zweiter Band. Das 
Neue Teſtament. Erſtes bis fünftes Heft (oder des ganzen Werts f 
tes bis zehntes Heft). Don Th. Ballien, Lehrer. Gtutigart, Belſer. 
1862. 8. IV und 662 ©. Jedes Heft 8 Ser. 


Mas Ref. über den Berf. und fein Werk urtheilt, ift aus dem vorigen 
Bericht über den 1. Band der „Biblijchen Gefchihte” belannt. — 











Religionsunterricht. 67 


Dieje kurze Anzeige könnte genügen, da der Kundige binlänglich wiſſen 
lann, was er an dem 2. Bande bat, wenn er erfährt, daß der Verf. auch 
bier ih vom Regulatingeifte befangen zeigt und daß fein Wert an Ueber⸗ 
maß des Lehr: und Lernſtoffs leidet. Da aber der Verf. gegen meine 
Beurtheilung feines Werks im vorigen Jahresberichte in feiner „Cvangeliſchen 
Vollsſchule“ (7. Band, 1863, ©. 217 fi.) eine ſehr heftige Antikritik 
geliefert bat, fo ſehe ich mich genöthigt, hier einige Worte darauf zu er 
wiedern, um mid ben Lejern gegenüber zu rechtfertigen. Das wird zugleich 
zur Klärung mander von mir ausgefprochenen Behauptungen, fowie zur 
näheren Kenntniß des Verfs. führen. 

Mein Wahlſpruch ift: „In Chrifto gilt nur der Glaube, ber in der . 
Liebe thätig iſt“ und aus ihm leite ich die Behauptung ab, daß auf dem 
thätigen Chriftentbum unfre ganze Chriftenehbre und Chriſten— 
feligleit berubt. Und ih meine, Jeſu eigne Worte beftätigen die 
Wahrheit diefer Behauptung, die Worte: „An ihren Früchten ꝛc.“, „Daran 
will ich erkennen, daß ihr meine rechten Jünger ſeid ıc.,‘ „ES werden 
nit Alle, die Herr Herr zu mir jagen in das Himmelreich fommen, fondern 
die den Willen tbun meines Vaters im Himmel.“ Gleichwohl eifert der 
Berf. gegen jene Behauptung, als ob ich der Werkheiligkeit das Wort rede, 
ald ob ich von Gottes Gnade nichts wiſſen wollte, noch von der Demuth, 
mit der wir befennen jollen: „Und wenn wir Alles getban haben, was 
wir ſchuldig find, jo find wir doch unnüße Knechte.“ Cr behauptet jegar, 
daß ich den Lehren des Paulus widerſpreche; aber verfteht denn er felbft 
He jenes paulinifhe Wort, das ih mir zum Wahlipruh genommen 

? 


Mit der Exegeſe des Verfs. ift es überhaupt nicht weit ber. Um 
meine ketzeriſche Anfiht, daß Jeſus nicht wahrer Gott gewefen fei, zu 
widerlegen, hält er mir die Worte Jeſu entgegen: „Che Abraham war, 
bin ich, „Sch und der Vater find eins,” und fogar das Wort: „Du bift 
Chriftus, des lebendigen Gottes Sohn!” Ya, er nennt den, der diefe 
Haren Worte Jeſu anfiht, einen „Lügner und Betrüger!” Daß aber 
Jeſus am allerflarften und beftimmteften fi felbft in dem gewichtigen 
orte Job. 17, 3 „Das ift das ewige Leben, daß fie did, daß du allein 
wahrer Gott bift, und, den du geſandt baft, Jeſum Ehriftum erkennen” 
— über jein Verbälmiß zu Gott ausſpricht, läßt er natürlich unerwähnt. 
Ihm würde es freilich fehr lieb fein, wenn Jeſus an irgend -einer Stelle 
unumwunden erllärt hätte: „Ich bin Gott, id bin ein mwahrbaftiger Gott,” 
ftatt daß er ſich ftetS nur den Sohn und den Gejandten Gottes nennt. 

So gibt fi) der Verf. auch vergeblihe Mühe, feine Behauptung, daß 
‚Die Erforſchungen der Geologie mit dem Schöpfungsſyſtem ber 
Bibel übereinftiimmen,‘ fowie die von dem wirklihen Sprechen Gottes 
zu erhärten. Wenn er mir dabei Unbelanntfhaft mit den Reſultaten der 
Naturwiſſenſchaften vorwirft, fo kann ih diefen aus der Luft gegriffenen 
Borwurf ganz ruhig auf fich beruhen lafien. Ebenſo wenn ex mir „wer: 
alteten,“ „platten Nationalismus” vorwirft. Weiß er denn, was 
der evangelifche Rationalismus ift? Glaubt er denn, daß der chriſtliche 
Rationalismus je ausfterben wird, fo lange das Wort befolgt wird: „prüfet 

5% 


68 Religionsunterricht. 


Alles 2.2” Moͤchte er denn zu ben Irrationalen, zu ben Finſterlingen 
gerechnet werben? Und wenn er gegen bie Forderungen der Beits 
bildung eifert, weiß er denn nicht, wohin das Widerftreben derfelben zum 
großen Schaden ber chriſtlichen Kirche geführt, wie es die freien Gemeinden, 
die hannover'ſchen Wirren und anderes Uebel hervorgerufen bat? 


Menn fi der Verf. ferner darüber erzürnt, daß ich behaupte, er laſſe 
ih von dem Regulativgeifte beberrfchen, jo fage ich mit Lüben (Paäd. 
Sahresb. XII, S. 631): „Wenn ein preußifcher Lehrer es als eine Bes 
leidigung, als eine Verbähtigung aufnimmt, wenn man von ihm fagt, er 
ftehe auf dem Stanbpunlt der Negulative, Jo darf man das Befte von ihm 
hoffen.” Wenn aber der Verf. ſchimpft, indem er behauptet, daß ich „Kolofiale 
Abfurdität,” „Eolofjale und fogar unverfhämte Dinge” gejagt haben fol, 
und mir dabei Dinge in den Mund legt, die ich gar nicht gejagt babe, 
fo fchweige ih. Damit richtet er ſich felbit. 


Auch Mangel an pädagogifher Praris wirft er mir vor, weil ich ger 
meint habe, es ſei richtiger, erft dad Material zu geben und bann zur 
Verarbeitung beflelben zu ſchreiten, als umgekehrt; NB. bei ven bibliſchen 
Geſchichten! Was ift aber bei Behandlung von Geſchichten natürlicher, 
als daß erft das Yactum erzählt und die Erllärung und Anwendung baran 
gelnüpft wird? Kann ich denn über ein Factum reden, ebe ich es mitge⸗ 
tbeilt habe? Freilich bei Religionslehren kann ich die Wahrheiten gleichſam 
aus den Kindern berauslatechifiren, aber doch nicht bei biftoriihem Ins 
texrichtel 

Gern möchte mir ferner der DBerf. mit Anführung von Autoritäten 
imponiren, welche anders urtbeilen, als ih. Aber wozu das? Mein Ur: 
theil flieht fett und ift wohl begründet. Auch damit imponirt er nicht, daß 
ee 6. 630 des vorliegenden Werkes zum Schluſſe fagt: fein Wert „habe 
bereits über Europa hinaus Verbreitung gefunden,” und daß er bie 
Empfehlungen feines Werts auf dem Umſchlag abvruden läßt. Ich weiß, 
daß eine hohe Schulbehörde ihm dafjelbe zurüdgewiejen hat, und was foll 
man von einem Verf. halten, der fih fo arger Blagiate ſchuldig macht, 
wie Ballten in feiner Gefhichte der Volksſchule? 


Um nun noch einmal von dem vorliegenden Werte ſelbſt zu reden, 
jo erkenne ich recht gern ben Fleiß und die Sorgfalt an, mit der es ber 
Verf. bearbeitet hat, bleibe aber bei ber Behauptung ſtehen daß es vom 
Regulativgeiſte beherrſcht wird und an Uebermaß \des Lehr: und 
Lernſtoffs leidet. jenes bat der Berf. auch in feiner Antitrifl nicht wider: 
legt; Dieſes fühlt er ſelbſt, wie aus dem vorliegenden Buche %h 
Er jagt S. IV: „Den ganzen unendlichen Reichthum des weſenli 
halts des Neuen Teftamentes beim erfien Gange zu bewältiger 
tom in irgend einer Schule möglih fein. Die Kinder der IN 
machen aber diefen Gang wenigftens dreimal durch,“ und ba foll das 
Beggelafiene fpäter nachgeholt werden. Und ©. 628 f. bemißt er ya) 
die Bertheilung bes überreichen Stofis. \ 







— ⸗ 











Religtonsunterricht. 69 


33. Botfhaft des Heils für Unmündige in bibkifchen Befchichten, Sprüchen, 
Gedents und Liederverfen, zufammengeftellt und bearbeitet von A. Goſſel, 
Lehrer an dee RnabeneBürgerfchule zu Langenſalza. Fünfte, verbeflerte 
und vermehrte Auflage. Eisleben, 1862. Druck und Berlag von ®. 
Reichardt. 8.268 5, Preis 8 Ser. 


34. Bibliſche Geſchichte. Auszug aus dem Alten und Neuen Teflamente. 
Rebſt Erläuterungen und einer kurzen geſchichtlichen Zugabe. Kür Schulen 
bearbeitet von M. Zobann Friedrich Lang, Paſtor zu DOttendorf. Fünfte 
verbefierte, vermehrte und mit Bibelworten wiebergegebene Auflage. 
Deffau, 1862. Drud und Verlag von H. Reubürger. 8. XII und 226 ©. 
Preis TY/a Ser. 


35. Auserlefene Bibliſche Geſchichten mit Lehren in Bibelfprüden, 
Liederverjen und SHinwelfungen auf Luther's Meinen Katechismus. Heraus⸗ 
gegeden von Friedrih Wilhelm Bodemann, Baftor auf Finkenwerder 
ei Hamburg. Zweite verbefierte Auflage. Göttingen. Vandenhoeck 
und Rupredt. 1862. 8. VI und 168.6. Preis 5 Ror. 


35. Bibliſche Geſchichten des Alten und Neuen Teſtamentes, für Schulen 
mit den Worten der Schrift erzählt und mit Bibelfprüdken und Lieder» 
verfen erläutert von Heinrich Wendel, Paſtor. Sechſte vermehrte und 
verbefierte Auflage. Breslau, 1861. Verlag von Karl Dülfer. 8. 197 
©. Preid 5,3 Sgr., In Pappbd. mit engl. Leinw.- Rüden 7 Ser. Mit 
Luther's MI. Katechismus (gebdn.) 71/2 Sgr. In Partien bifliger. 


Diefe vier Schriften haben das gemeinfam, daß fie bie biblifhen 
Geſchichten mit Bibelmorten erzählen und die Erklärungen und Anwendungen 
derjelben in einer paflenden Auswahl von Sprüchen und Lieberverfen ar: 
deuten, ohne fi auf weitere Ausführungen oder Dispofitionen einzulafien. 
Im Allgemeinen find fie jo zu harakterifiren: Nr. 33 ift am erbaulichiten, 
Mr. 34 am inftructivften, Nr. 35 am orthodoreften gefchrieben, Nr. 36 
richtet ſich ftreng nad den preußifhen Regulativen. Im Einzelnen ift 
Folgendes zu bemerten. 


Nr. 33 (Goſſel), vom Gen.⸗Sup. Möller zu Magdeburg bevor: 
wortet, empfiehlt fi durch den gemüthvollen Gehalt der Berje, namentlid) 
der des Gen.Sup. Möller felbft, der von Hey ıc. Wie anfpredend und dem 
Inhalte der Gefhichten angemeflen diefelben aber au find, es würde body zu 
viel fein, wenn die Kinder fie alle lernen follten. Gewiß ſoll das aud) 
nur mit Auswahl geſchehen; aber erbaulic wird gewiß ihre Anwendung 
beim Unterrichte wirten. Webrigens kommen bie und da in biefen Verſen 
Hindeutungen auf orthobore Lehren vor, die Nef. nicht billigen kann, fowie 
er auch mande, den orthodoxen Aberglauben nährende Geſchichte aus 
gleihem Grunde weggelafien haben würde. Doc thut dies dem Werthe 
des Buchs keinen wejentlihen Abbrud. 


Nr. 34 (Lang) zeichnet fih aus durch gute Auswahl der Sprüde 
und Berje, durch Beihräntung ihrer Zahl und durch furze, präcife Wort 
und Sacerllärungen, die namentlih auf Bibelnachweiſungen, Archäologie, 
Geographie und Geſchichte fich beziehen. Die gefchichtlihen Zugaben, bie 
theild den Zuſammenhang der Gefhichte einigermaßen ergänzen, theils auch 
erläuternden Stoff für mande Erzählungen varbieten, find fehr lobens⸗ 
werth. 


70 Religiondunterricht. 


Nr. 35 (Bodemann) ift ein Auszug aus des Verfs. in 11. Aufl. 
erſchienenen „Bibliſchen Geſchichte“ und nimmt bejondere Nüdfiht auf den 
neuen bannover'fhen Landeskatechismus (!!), wobei zu be 
merken ift, daß der Verf. in feinen Katechetiihen Denkmalen der evangelifchs 
Iutberifhen Kirche auch den Katechismus von Mid. Walther (f. o. Nr. 16) 
herausgegeben hat. Die „bibliihen Anwendungsfprüde” find nur „beans 
fangt‘‘ (welch' neues Wort!) ‚weil fie nur unter ftetem Mitgebrauch der 
Bibel benugt fein wollen. Diefelben find fehr zahlreih und follen nur 
„ein Hilfsmaterial für die Auswahl der zutrefienden Lehrzuſätze bieten.‘ 

Ne. 36 (Wendel) concentrirt die ‚‚Anmwendungsfprühe” auf 1 
oder 2 bei den einzelnen Geſchichten, um einen Eindruck verjelben bei ben 
Kindern zu firiren. Bei der Auswahl der Verſe richtet fih der Verf. 
bauptfählih nah den 80 Regulativliedern, jowie er auch nah dem 
Minifterialerlaß des preuß. Cult.-Minifteriums noch mehrere Perilopen aufs 
genommen bat. Die beiden, S. 5 und 6 den biblifhen Geſchichten vor: 
ausgeichidten Gebete des Kindes, wenn e3 eine bibliihe Geſchichte a) ler: 
nen will und b) gelernt bat, hätten füglich wegbleiben fTönnen. 
Sollen diefelben wirtlih von den Kindern gelernt werden? follen fie fiereos 
typiſch wiederholt werden ? ift es nicht befier, daß der Lehrer ſelbſt betet 
und dabei den Gedanken zu Grunde legt, auf den er in der biblijchen 
Geſchichtsſtunde hinzielt, oder den er in derſelben an’s Herz gelegt hat? 

37. Die bibliſche Geſchichte in ihrem AZufammenhang, Bon Emil 


Köhler, Arhidiatonus an der St. Johannidkirche in Saalfeld. Gaalfeld, 
1862. Berlag von Gonftantin Nieſe. XX und 2698. 10 Sgr. 


38. Bibliſches Hiforienbud für Bolköfhulen, worin einhundert und fies 
ben und achtzig biblifche Befchichten, treu mit den Worten der heiligen 
Schrift erzählt und nah dem SKirchenjahre geordnet von Dr. Ferdinand 
Fiedler, weiland evangelifhem Pfarrer zu Döbrihau bei Torgau. Sie⸗ 
ben und zwan gee unveränderte Auflag e. Reue Stereoiyps Ausgabe. 
Reipzig. 1862. Dürr'ſche Buchhandlung. VII und 197. 4 Sgr. 


Beide geben vie bibliichen Gejhichten mit Bibelmorten und ohne 
alle Beigabe von Sprüchen, Liedern und Nutzanwendungen. Unterjchieden 
find fie aber von einander durd die Vertheilung des Stoffs. 

Der Verf. von Nr. 37 (Köhler) hat gewiß recht, wenn er die in 
Nr. 38 und vielen andern biblifhen Geſchichten befolgte Eintheilung und 
Dronung der Erzählungen nah dem Kirchenjahre für ebenfo unnöthig 
als unſtatthaft erflärt und ber biblifhen Geſchichte „ihre eigene Orb: 
nung‘ läßt. Ueberhaupt ift er nach recht praktiſchen Grundfägen verfahren, 
über die er fih in der Vorrede nur etwas zu mweitläufig ausfpricht (na: 
mentlih was den Bwed der bibliihen Geſchichte betrifft). Die hiſtoriſchen, 
geographiihen und andere erläuternde und gut vertbeilte Zujäße find dan: 
tenswerth ; das Ganze, auf drei Lehrftufen berechnet, aber nur burd vor: 
geſetzte Sternhen die Stufenunterfchieve andeutend, ift empfehlenswerth, 
wenn auch die dem orthoboren Syſteme dienenden Stellen zu jehr bevor: 
zugt und marlirt find (3. B. die meffianifhen Weiſſagungen). 

Daß Nr. 38 troß der ganz unpraltiihen Eintheilung nah dem fir 
chenjahr doch 27 Auflagen erlebt hat, da dies Buch doch gar nichts als 








Religionsunterricht. 71 


nur den Zert der Erzählungen gibt, müßte uns Wunder nehmen, wenn 
wie nicht wüßten, daß der Berf. ein Breuße war, und daß gerade das 
von ihm angenommene Theilungsprincip genau in den Kram der Regulas 
tive paßt. Da muß freilih vor dem Kirchlichen felbft die naturgemäße 
chronologiſche Orbnung und die fortjhreitende Entwidelung des Gottesreichs 
zurüdireten. 
3. Handreihung beim Unterricht in der biblifhen Geſfchichte. 
Dierte Auflage. Berlin, 1861. Wilh. Schulpe. 8. IV und 446.3 Ser, 
Der Herausgeber, J. L. 5. Weitling, Prediger zu St. Petri, hat 
ih nur unter dem Vorworte genannt. Er fchlägt einen ganz andern Weg 
ein, ald alle bisher genannten Berfafler biblifher Geſchichten. Gr gibt 
nicht die Geſchichten, jondern nur die Ueberſchriften zu denfelben mit An⸗ 
gabe der Bibelftelle, wo fie zu lefen find. Ihm ift es nur darum zu thun, 
in feiner „Handreichung“ dem Lehrer Bibelſprüche, Liederverfe und Kate⸗ 
hismuscitate zu geben, die berjelbe bei der Verarbeitung der biblifchen 
Gedichten zu berüdfihtigen hat. Auch die in den beiden eriten Auflagen 
mitgegebene Eurfuseintheilung hat er von der britten an weggelaflen, damit 
jeder Lehrer frei feine eigene Anordnung trefien könne. In der vierten 
Auflage find die Grzählungen der Apoftelgefhichte binzugetreten. Die Lieder 
find nah Maßgabe der Regulative (!) ausgewählt. 


C. Kircheugeſchichte. 


40. Kirchengeſchichte für Haus und Schule Don Dr. Albert Wipper- 
mann, DOberlehrer am königf. Seminar zu Grimma, Zugleich Commentar 
zu des Verfaſſers „Grundriß der Kirchengefchichte. Grimma, Verlag von 
Guſtav Genſel. 1862. gr. 8. VI und 44 &. 1 Thlr. 10 Ser. 

Yür das Haus? Ya. Aber auch für die Schule? Doh wohl nur 
mittelbar, inden ber Lehrer fi mit dem wohlgeordneten Gange dieſes 
Werks und deſſen Inhalte vertraut maht und aus dem Reichthum deſſel⸗ 
ben als weiſer Haushalter das ausmwählt, was ih für die Schule eignet 
und was mit ihr .ohne Beeinträchtigung anderer Unterrichtözweige befprochen 
werden kann. Die Zendenz des Verf. ift aus dem erften Worte der Bor: 
sede zu entnehmen: „Die Geſchichte der hriftlihen Kirche ift eine fortlau- 
fende Erfüllung göttliher Weiflagungen.” Der Verf. belundet ſich als 
einen fenntnißreihen und Haren, für feinen Gegenſtand erwärmten Lehrer. 
4. Evangelifhe Volkabibliothek, herausgegeben von Barnifonäprediger 

Dr. iber in Ludwigsburg (in Verein mit anderen Gelehrten). 14. bis 

19. Lieferung, Stuttgart, Ad. Becher's DBerlag. 1861. 8. 2. Bandes 

1. Heft. 480 ©. 

Ein Werk, das in 5 Bänden oder circa 40 Heften (A 5 Sgr. Subfcrip: 
tionsprei) erfcheinen foll und in den vorliegenden von Brenz, Matthefius, 
Arnd und von der geiftlihen Dichtung von Luther bis Klopftod handelt, 
Werthvolles Material, für Volksſchullehrer aber zu umfangreich. 

42. Die vier Reformatoren Luther, Melanchthon, Dwingit und 
Calvin. (Herausgegeben von Garniſonsprediger Dr. Klaiber zu Luds 
wigsburg in Berbindung mit anderen Gelehrten). Mit Portraits. Stutt« 
gart, Adolvh Becher's Verlag. 1862. gr. 3. XVI und 758 ©. 2 Thlr. 


72 Religionsunterricht. 


Ein grundliches dem Selbfifiubium ber Lehrer zu empfehlendes Wert. 
Ea bildet ven erſien Band der vorher genannten „Evangelifchen 
Boltsbibliothet” in Separatausgabe. Luther ift bearbeitet von 
Eberle, Pfarrer von Ochſenbach in Württemberg, — „Bwingli von Dr. 
Sigwert, am lönigl. wiürttemb. ewangel. Seminar in Blaubeuren, — 
Melanhtbon von Delan Lepderhofe in Nederau — Calvin von 
W. Krummacher, Licentiat d. Theol., Pfarser der größeren evangel. 
Gemeinde zu Duisburg am Rhein, und Herm. Krummacher, Pfarrer in 
Brandenburg an der Havel. 

43. Karzgefaßte Geſchichte Dr. Martin Lutber’s und feiner Res 
formation. Für proteſtantiſche Schulen zur jedesmaligen zwemäßigen 
Vorbereitung auf das jährliche Reformationsfek bearbeitet von J. G. 2. 
Müller, zweitem Pfarrer zu Altdorf, im Kreife Mittelfranken des Könige 
reichs Balen. Neunzehnte Auflage Nürnberg, 1861. Bel Biegel 
und Wießner. M.8. 48 © 21, Bar. 

Seit 1817 bat fi dies Beine Schrifthen in dem Beifall erhalten, 
den es gleich anfangs gefunden. (63° verdient benjelben aud, obgleich 
mande Meine Ausftellungen daran zu machen wären. Wozu aber in Fra⸗ 
gen und Antworten? und zwar in eraminatoriichen Kragen, die jeber Lehrer 
gewiß von ſelbſt ftellen kann? 

44. Allgemeine kirchliche Chronik von Karl Matthes, Pfarrer in 
Oberarnsdorf, ord. Mitgliede der hiſt. theol. Geſellſchaft zu Leipzig. 
eur Jahrgang, das Jahr 1851. Altona, G. Mayer's Verlag. 1862. 


Belannt und als ein ſehr verbienftvolles Werl bereits im vor Jah⸗ 
resbericht empfohlen. 


D. Biographifches. 


43, —*X Schletermacher. Lichtſtrahlen aus ſeinen Briefen und 
ümmtlichen Werken. Mit einer Biographie Schleiermacher's. Bon Eliſe 
Maier (in Winterthur). Leipzig, F. A. Brodhaus. 1863. 8. VII und 
273 SG. 1 Thlr. 

Für Lehrer, die fih gern an der Betrachtung des Lebens und ber 
großen Idee edler Männer erbauen, ein ſehr empfjehlenswertbes Merk. 
Mer folte nicht beim Leſen dieſer ſehr anziebend gejchriebenen Biographie 
au die innige, warme Verehrung theilen, die der Verf. vor Schleier: 
macher empfindet, „biefem Manne mit dem warm fchlagenden, fo rein 
menſchlich empfindenden Herzen, dieſem fittlich = religiös ftrebenden, in feine 
Zeit mächtig eingreifenden Theologen ?'' Nach der vortrefflich gejchriebenen und 
meift mit Schleiermacher's eigenen Worten zufammengeftellten Biographie 
folgen Betrachtungen, aus den Werken veflelben entlehnt über: Selbſibil⸗ 
dung und Thätigleit, Freundſchaft und Liebe, Mann und Weib, Ehe, 
Kinderzucht, Religion, Individualität, Freiheit Unfterblichleit, Menſch⸗ 
beit, Univerſum. Welch’ eine Fundgrube anregender und erbaulicher Ideen, 
namentlich auch für den Pädagogen. 


— — — —.. 








II. 
Mathematik. 


Bon 
Dr. Fr. Bartholomät. 


A. Methode. 


1. „Es ift ein vielverbreiteter Irrthum unferer Tage, daß der Werth 
der Mathematik vorzüglid auf ihrem praltifhen Nußen berube. Zwar 
wird Niemand leugnen wollen, daß an den großen Erfindungen der Neuzeit, 
and fomit "an der völligen Umgeftaltung und äußeren Vervollkommnung 
aller Lebensverhältnifie jene Wiſſenſchaft einen weſentlichen Antheil bat, 
und fchon um deswillen ihr ein großer Werth zuertannt werden muß; aber 
die hohe Bedeutung, die fie ale Wiſſenſchaft an und für ſich bat, zu ver 
teunen, den Nugen, den fie als Bildungsmittel des Verftandes, ganz abges 
ſehen von dem Inhalt ihrer Lehren, zu fchaffen vermag, bei der Beurthei⸗ 
fung ihres Werths ganz in den Hintergrund zu ftellen, dazu gehört ein 
folcher, hauptfählih dem Materiellen zugewandter Sinn, mie er als charak⸗ 
teriftiiches Merkmal unjerer Zeit jo vielfach uns entgegentritt." (Märder: 
Ueber wiſſenſchaſtl. Schärfe ꝛc. ©. 3.) 

2. „Der mathematische Unterriht, auf der Stufe wifjenfchaftlichen 
Abſchluſſes ertheilt, darf keine mejentlihe Seite, feine weſentliche Rich⸗ 
tung, durch deren Einfluß die innere Begründung der zu lehrenden 
Wiſſenſchaft gewinnen Tann, vernadläffigen, wenn man buch ihn bie 
freiefte, fiherfte und zugleich wirkſamſte Auffafiung zu erzielen beabfichtigt. 
Wie kein wifienfhaftliches Syſtem, fo ſicher aud die Principien feien, auf 
die es fi gründet, von allen Mängeln frei ift, fo birgt auch die Mathe 
matit in ibrer innern Begründung gewiſſe Mängel, vie theils von ber 
Ratur des Stoffes, theild von der Art der Entwidelung deſſelben abhängen. 
Die allfeitige Betrahtung allein kann diefe Mängel, wenn nicht 
vollfändig befeitigen, jo doch in ihrem Gewichte mindern und auf ein 
Minimum reduciren (Hug: Die Mathemathil ꝛc. S. ILL.) 


74 Mathematik. 


3. Da die Matbematit eine Wiflenfchaft im firengften Sinn des 
Wortes ift, und es gilt, die Jugend durch die Einführung in ihren In⸗ 
balt zugleih und ganz befonders auch zur Zucht und Strenge folder Wiſſen⸗ 
Ihaft zu erziehen, fo erlenne ich es als die Hauptaufgabe des mathemati- 
ſchen Unterrichts, die Forderungen ftrengfter Wiflenfchaftlichleit mit den 
Forderungen größtmöglichfter Faßlichleit für die Jugend zu vereinen, den 
Inhalt des Unterrichts aber auch fürs Leben möglihft braudbar zu 
machen. (Helmes: Die Elementarmathematil ꝛc. S. V.) 

4. „Die Scharfe Trennung durch Abſchnitte, Capitel ꝛc. foll das 
‚Zufammengebhörige ftreng abſondern und innig verbinden, foll die natürs 
lihen Halt: und Ruhepunkte darbieten, von denen aus man jedesmal ein 
neues Ziel immer in nächſter Nähe erkennt, ganz beflimmte Er—⸗ 
wartungen angeregt over erfüllt ſieht. — Es kam nidt fehlen, daß 
ein Lehrbuch der Mathematil, welches als ſolches ein ausgeführtes Ges 
bäude dieſer Wiſſenſchaft varftellen will und dabei dem Unterrichte in der 
Zertia wie in der Prima dienen foll, einmal vollftändiger als der erfte 
mündliche Unterricht ift, dann wohl aud einmal anders georbnet ift, als dieſer 
es verlangt. ft nur die Drientirung im Ganzen geſichert und dur freie 
Geſichtspunkte Licht und leicht gemadt, fo mag man dann ohne alle Gefahr 
mit größerer oder geringerer Beihräntung auf Cinzelnes, nur bierhin ober 
dorthin, je nachdem die Individuen oder bie befonderen Bmede bes Inter: 
richts Richtung und Weite des eingehenden Studiums beftimmen, übergeben. 
(Helmes: a. a. O. ©. V.) 

5. ‚sm Unterrichte fol anfangs mehr die Form durch das Ber: 
ſtaͤndniß, als dieſes dur jene gewonnen werben, jo daß man beifpielöhalber 
den Beweis felber führt, nicht geführt wird vom Beweiſe. Cs ſoll bier 
der jugendliche Geift nicht ſowohl durch Wiſſenſchaft, ale zur Wiſſenſchaft 
erzogen und berangebilvet werden. Mit ber vollendeten Form anzufangen, 
ftatt damit aufzubören, ift der größte Fehler des mathematischen Unterrichts. 
Mag es die ausgebildete Wiſſenſchaft am reichften belohnen, aus den höch⸗ 
ften Höhen die weiteften Gebiete gleihfam bewaffneten Auges mit einem 
Blide zu überfhauen, die Jugend muß erft mit freiem Auge das Nabe: 
liegende ſehen lernen, erft allmälig auf bie höheren Standpunfte zu immer 
weiterer Umschau hingeführt werden. Co wäre ed unredt, die Auflöfung 
des rechtwinleligen Dreieds erft aus den allgemeinen Auflöfungsformeln 
des Dreieds überhaupt zu lernen, ftatt erjtere in leßteren wieder zu er: 
fennen. Und diefe künftlihen Begriffe des Multiplicirens, Potenzivend u. 
ſ. w.! Ja fie find wohlgeeignet, gleich finnreichen Hypothefen ein Gebiet won 
Erſcheinungren einfach zu erklären; aber wie fie nicht organiſch aus dem 
jugendlichen Geiſte und feinen Bebürfniflen herausgewachſen find, jo bleiben 
fie dann weiterhin ohne alle innere Trieblraft und haben die jelbftftändige 
Entwidelung empfindlid unterbrochen. 

„Die Grlenntniß muß, möchte ich jagen, nicht weniger in bie Hand, 
als in den Kopf, fie muß in Eins durch das Andere! Das Können 
veizt zum Willen, giebt Stoff zur Bildung des Willens und erhält bie 
Borausjegungen und Anlnüpfungen jpäterer Entwidelungen wach und 
lebendig.” (Helmes a. a. D. ©. V.) 





Mathematik. 75 


6. „Die durchgaͤngige Uneigennügigleit der mathematifhen Studien, 
die ihren Sporm vorwiegend in der Freubigleit der Erkenntniß, an unbe 
ftrittener Wahrheit finden, verdient es wohl einmal durch die Einfiht bes 
lohnt zu werden, dab man mit der Matbematit auh was machen kann. 
Klagt man irgend wo über Abnahme des Interefies für den mathematischen 
Unterriht in der Prima, fo hat diefe traurige Erſcheinung vielleiht auch 
in Anderem, allermeiftens fiber in der Berfäumniß dieſer Nüdficht ihren 
Grund. Dem Schüler, welcher nicht eben Mathematiker werden will, 
fhwindet wohl das Intereſſe, noch zu wiſſen, wie 3. B. logarithmiſche Tas 
feln zu berechnen waren; aber mit den fertigen Tafeln werthoolle Aufgaben 
zu löjen, bat er nun erft ein um jo größeres Intereſſe. Wenn ihn die Zeiche 
nung ähnlicher Dreiede und Bielede mit Lineal over Zirkel nicht mehr 
reizt, jo belebt es fiher feinen ganzen Eifer auf's Neue, dieſe Aufgaben 
aun mit Meßtiſch und Storchſchnabel im Dienfte wichtiger Anwendungen 
des Lebens gelöft zu fehen.” (Helmes a. a. O. ©. VII.) 

7. „Faſſen wir zuerft die mit dem Häuſerbau in Verbindung 
flehenden Gewerbe, alfo namentlih das des Zimmermanns, des Maus 
rer3 und des Steinmetzen in’d Auge, jo unterliegt es allerbings keinem 
Zweifel, daß ein Lehrling auch blos durch mechanische Abrihtung und ein 
Geſelle durch Nachahmung und Uebung zu einem gemwiflen Grade von 
Meifterfhaft befähigt werden kann; nichtsdeſtoweniger ift ed allgemein 
anerkannt, daß in unferer Zeit niemand fih an demjenigen genügen lafien 
darf, was auf dem Bau: und Werkplag erlernt wird. Der ftarke Befuch der 8Z ei⸗ 
chenclaſſen beweift es, daß Jeder ohne Ausnahme darnach ftrebt, es 
auch bierin zu einiger Vollkommenheit zu bringen. Da zeigt fih dann 
fogleidy der große Unterſchied zwiſchen ſolchen Schülern, die mathematischen 
Unterricht genofien haben und denen, welchen dieſer fehlt. Corftructionen, 
die den Letzteren mur mit unfägliher Mühe und vielem Kopfbredhen zum 
dürftigen Verſtändniß gebrabt und von ihnen bald wieder halb ober ganz 
vergeflen werden, fallen die Erfteren rafh und leiht auf und prägen fie 
ihrem Geifte fo feſt ein, daß fie diefelben jederzeit widerholen können. Bon 
ſolchen, die an ſich felber erfahren, wie nadtheilig ihnen der Mangel an 
matbhematifher Vorbereitung ift, wird dann die Claſſe für geometrifches 
Zeidinen und Conftruction als eine Art Aushülfe betrachtet, um das Ver: 
fäumte nachzuholen, aber da hier die mathematiihen Erflärungen nur ges 
legentlih und die Beweife nur höchſt jelten vorlommen, fo ift dies begreif- 
liher Weiſe nur ein höchſt mangelhafter Nothbehelf, der niemals den 
ordentlichen Beſuch der mathematiihen Claſſe erjeben kann. Wendet man 
die Betradhtung auf den rehnenden Theil des mathematischen Unterrichts, 
alfo auf Arithmetit und Algebra, fo ift ed freilih ebenfalls unbeftreitbar, 
daß bin und wider ein Ginzelner mit den vier Species und ber Regelvetri 
durchkommt und ſelbſt bei großem Gejhäftsumfange, das mit dieſen Hülfs⸗ 
mitteln nicht zu Löfende durch fogenannten praltiihen Takt zu erledigen 
weiß; allein e3 bedarf hier wohl kaum ver Hinmweifung, wie gefährlid es 
fowohl für den Ruf des Gewerbes, als für das bauende Publikum fein 
würde, wenn man einer ſolchen Auffafiung allgemeine Geltung zugeftehen 
wollte; wie unfichere oder unhaltbare Conftructionen immer häufiger werden 


- — 


} 
' 


76 Mathematik, 


würben, je mehr bie Volksmenge in den großen Stäbten wächſt, und je 
höher in Folge deſſen die Ansprüche an das ftäbtiihe Wohn: und Lager 
haus gefteigert werben. Abgeſehen von diefem äffentlichen Intereſſe, wird aber 
auch der Privatvortheil des einzelnen Bauhandwerkers fehr nahe hierdurch 
berührt. Immer allgemeiner bildet das Verfahren des Baues in Entre⸗ 
prife fih aus, nit nur der große Bauunternehmer, fondern aud der 
Heinere Meifter, ja felbft der Gefelle, fommt in die Lage, im Boraus ſich 
über Verhältnifie Rechenihaft geben zu müflen, von benen fein pecuniärer 
Bortheil ftarl abhängt, weil er für eine ihm angebotene Arbeit feine For 
derung in einer Summe definitiv angeben foll. fordert er zu viel, fo 
wird ein Anderer, der richtig rechnen konnte, ihm vorgezogen werben ; fer= 
dert er zu wenig, jo rislirt er, das Fehlende zulegen zu miüfien, wenn 
nicht glädliche Zufälle ven Verluft ausgleihen. Die Rechnungen aber, auf die 
es hierbei anlommt, find durchgängig von der Art, daß fiernur von dem 
in der Mathematik Unterrichteten mit Sicherheit richtig ausgeführt werben 
können. Wie viel Steine zu einem vorgefchriebenen Gebäude, wie viel 
Ziegel oder Schiefer zu einem beftimmten Dache, wie viel Cubikfuß Holz 
zu einem gewillen Berbande, wie viel Pfähle zu einem vorgezeichneten 
Fundamente, wie viel Pott Erde zu einer gegebenen Aufhöhung oder Ans: 
grabung gehören, kann man nicht fidyer angeben, wenn man nidt mather 
matiſche Flächen: und Koͤrper⸗Inhalte zu berechnen verfteht. Freilich macht 
auch Derjenige, dem biefe Fähigkeit fehlt, vergleihen Angaben, wenn fein 
Geſchaͤft ihn dazu nötbigt, und wagt es dann darauf, daß es richtig fei. 
Dabei kann es dann aber auch ſich zutragen, daß fchiefwinkelige Vierecke 
nach Regeln berechnet find, die nur für rechtwintelige gelten zc. Im Bor 
bergebenden find aber nur die allereinfadhften Yälle ermähnt; um wie Vieles 
bevenlliher die Sache für den in der Mathematik nicht bewanderten Bau⸗ 
handwerker wird, wenn er auch die Wahl der Eonftructionen jelber angeben, 
bie Tragfähigkeit von einzelnen Pfeilern, eifernen oder hölzernen Trägern, 
Hänge und Sprengmwerten, den Schub von Dachverbänten u. dergl. im 
Voraus beurtheilen foll, oder wenn Gewölbe und bei Bauten an Wafler, 
Abdaͤmmungen in Betracht kommen, weiß jeder erfahrene Baumeiſter.“ 
(Die Bortheile mathematifcher Kenntniffe ıc. ©. 10.) 

8. „Richten wir unfern Blid auf das Gewerbe des Schiffbaues, 
fo darf es als allgemein anerlannt angenommen werben, daß mit ben foge 
nannten praltifchen oder empirischen Regeln, melde früher die allein gül: 
tige Rorm gaben, von einer Generation auf die andere forterbten und ge 
legentlih verbeflert und erweitert wurden, man in jegiger Zeit nit mehr 
ausreicht, fondern daß nur der tbeoretifch gebildete, dentende Konftructeur 
den Anfprüden der Gegenwart zu genügen vermag. Die Einrichtung einer 
eigenen Schiffbauclafle, in welcher angehende Schiffbauer in den theoretijchen 
Theil des Faches eingeführt und zum richtigen Gonftruien und Zeichnen 
angeleitet werden, ift aus jenem Anerkenntniß bervorgegangen. In biefer 
Claſſe aber kann der Unterricht nicht mit den Slementarbegriffen und Lehren 
ver Mathematit beginnen, ſondern dieſe werden vorausgefegt. Solche Schü: 
fer, denen es an dieſer Vorkenntniß fehlt, haben mit beftändigen Schwie⸗ 
sigteiten des Verftänpnifies zu kämpfen und müflen das Verſäumte mit 


Mathematik. 77 


größerem Beitaufmwande nachzuholen ſuchen, ald der frühere VBefuch der mas 
thematifchen Glafien erfordert haben würde.” (U. a. D. ©. 14.) 

9. „Alle Arten von Metallarbeitern, als die Mechaniker, 
die Dahpdeder, die Klempner, die Zinngießer, die Roth: und 
Selbgießer, die Bergolder, die Schmiede und Andere, haben mehr 
oder weniger mit einem werthvollen Rohmaterial zu thun, defien ſparſamer 
Verbrauch für einen vorgejchriebenen Zwed nidt jelten durch Dispofitionen 
oder Berechnungen bedingt wird, die ohne Kenntniß mathematifher Säbe 
nicht auszuführen find, und auch bier gilt das beim Schiffbau Gefagte (8), 
daß bergebradıte empiriihe Handwerlsregeln immer ungenügenver werben, 
je böber die Anfprühe an Volllommenheit, Schönheit und Wohlfeilheit 
des Prodults fich fteigern und je größer die Concurrenz bei deſſen SHer- 
vorbringung wird. In ähnlicher Weife ließe ſich bei vielen andern Ge 
werben der materielle Nutzen der Mathematik in einzelnen fpeciellen Be 
ziehungen nachweiſen und mit Beifpielen aus der täglihen Praris belegen, 
wir erinnern nur an die aus mathematifhen Grunbjäßen abgeleiteten 
Methoden zum Maßnehmen und Bufhneiden der Kleivungsftüde, ferner an 
bie rationelleren Formen und Conftructionen moderner Defen und Heizungs⸗ 
Apparate, die Wagenmader, Inſtrumentenmacher und Andere; aber au 
da, wo diefer Nußen nicht fo augenfällig zum Vorſchein kommt, gebt bie 
Beventjamleit einer mathematifchen Borbildung ganz im Allgemeinen aus 
der Erwägung hervor, daß ed Wenige Handwerke giebt, für welche ber 
Nutzen des geometrijhen und peripectivifchen Beichnens beanftanvet werben 
tann, und daß faft fein Gewerbe in unjern Tagen fih, wenn auch nur 
gelegentlich, der Nothwendigkeit zu entziehen vermag, einzelne Lehren der 

yſik — 4 3. über Wärme, Luftvrud, Waflerorud ꝛc. — bei feinem 

Betriebe zu berüdfihtigen. Für beide Punkte aber ift es von weſentlicher 

Debeutung, daß der Gewerbetreibende auf dem Gebiete der präcijen, elemens 

taren geometrifchen Begriffe zu Haufe fei, und für die phylilaliihen Ge 

feße insbejonvere, daß derjelbe eine enfahe algebraiihe Formel verſtehen 
und behandeln könne.” (A. a. D. 4.) 

10. ‚Man follte das Dort "Natbematit nicht jo unberüdfichtigt 
faffen, denn es zeigt von vornherein dem Jünger der Wiflenjchaft, mie 
ſehr der Grieche die mathematifhe Disciplin jchäßte, und ‚diejenigen Phi⸗ 
lologen, die eine gewiſſe Groͤße des Geiſtes dadurch zu zeigen vermeinen, 
daß fie geringſchaͤßend von der Mathematik denken und ſprechen, ſollten 
ſich wenigſtens ſagen, daß ſie darin gewiß nicht ihren claſſiſchen Vorbildern 
äbnlih find. Wir wollen damit nicht etwa andeuten, daß die Mathematik 
das bildungsreichfte Unterrichtsmittel ift, fie ift vielmehr die erfte Xeiter, 
auf der das Bewußtſein zur höheren Entwidelung emporzufteigen bat. 
Sie fnüpft an das Sinnliche an und führt das Bemußtfein, das zunächlt nur 
finnlidyes ift, in das Reich der Gedanken hinüber. 

„Die Mathematit führt uns in das Reich der Gedanlen sin, fie if} 
das paſſendſte Bildungsmittel für den in den erften Stadien feiner Ents 
widelumg fich befindenden jugendlihen Geil, und es ift nit nothwendig, 
daß tüchtige Mathematiler zugleich tuͤchtige Denker (2), tuchtige Philoſophen 
ſeien. Aber das ſcheint mir - ald allgemein Zuzugeſtehendes, daß, wenn 


78 Mathematik. 


irgend einem Menjchen vie Fähigkeit abgeben follte, Mathematifches zu er 
fafien, derjelbe auch unfähig ift, anderswo im Reiche des Geiftes etwas zu 
leiften. Gin nad einem kräftigen, geiftigen Inhalte verlangender Menſch 
kann Abneigung gegen die Beihäftigung mit der Mathematik befigen, aber 
sicht Unfähigkeit. Diefe Abneigung fhon beim Schüler zu ftärlen, ift aber 
jedenfall vom Standpunkte der Pädagogik aus verfehlt, und ber leider 
von vielen (?) Schulmännern als berechtigt und zu Recht beftehend aner⸗ 
tanıte Dualismus auf der Schule zwiſchen Spraden und Mathematik ift 
um fo bellagenswerthber, je ſchwieriger ed der Schule gemacht wird, erzieh: 
lich auf den Willen einzumwirten. (Winkler: Programm der Realſchule 
zu Perleberg.) 


I. Arithmetik. 


1. Zur Lehre von den Brüchen. 


11. Bir kommen an bie Entwidelung der gebrochenen Zahlen (vergl. 
XIV, 80 ff.). Ein Thema, welches wenig Dank verdient. Denn die 
Brüche werden in den meilten Büchern jo vieljeitig und rationell behandelt, 
daß ed Eulen nah Athen tragen bieße, wenn wir uns umftändlicher mit 
ihnen beſchaͤftigen wollten. Daher nur Weniges und diejes nur der Voll⸗ 
ſtaͤndigkeit wegen. 

12. Iſt in einer Divifionsaufgabe der Dividend fein Prodult des 
Divifors, jo ift der Quotient nah dem urfprüngliben Begriff der Zahl 
geradezu unmöglid. Es muß daher ein Zahlbegriff gefunden werden, durch 
welchen bie Aufgabe 

1 a:b=x 
auch in dem alle gelöft werben kann, wenn be <a < b(c + 1) if. 
In diefem alle ift aber abe + y, mo y < iſt; folglih verwan- 
delt ſich unjere Gleichung in die folgende: 

2) :b=(be +7): 

d. h. die Aufgabe, bie Divifion auch in bem Sie zu löjen, wenn ver 
Dividend fein Produkt des Divifors iſt, reducirt fih zunächſt auf die Die 
viftion einer Summe. Wir erhalten alſo 

) :b=e+(y:b) 
d. 5. unfere Aufgabe it weiler auf die Divifion einer Zahl dur eine 
größere zurüdgeführtt. Nun ift aber 
y=1+1+1+r...+1, 
alſo 


4) y:b=(i+1+1+r. .+1):b. 
Menden wir vier verſuchsweiſe das Geſetz für die Divifion einer Summe an, 
fo erhalten 

Ybelib)+tl:b)+(:l)+..+(l:b) 
d. b. uniere Bugcbe reducirt fih endlich auf die Doidonı von Eins durch 
eine beliebige Zahl 


1, b= x 








Mathematik. 79 
Hieraus folgt aber 


— b.x=x.b. 
In b . x mird gefordert, daß b fo oft als Summand gefeßt werde, daß 
die Summe Eins wird; da wir aber, um Eins zu erhalten, nur den bten 
Theil von b ſetzen dürfen, müflen wir, um den Begriff des Produkts feft- 
zubalten, ftatt x den bten Theil von Eins feßen. Bezeihnen wir alfo 
den bten heil von 


Eins duch, jo ift 

1: b= 4. 
Sn 1 = x. b haben wir ohne Weiteres den bten Theil von Eins ſtatt 
x zu jeßen, erhalten alfo in beiden Fälle daſſelbe Refultat. 


Gehen wir nun mit unferem Begriffe zur Gleihung 4) zurüd, fo 
erhalten wir 
1 


1 1 1 
„= otr7t+t7,+. to 
mithin ift nach dem Begriffe des Prodults 


oder wenn wir —.y=- 


folglich erhalten wir 
a:b=c+ 
und, da wir flatt y auch a in feine Einjen zerlegen konnten, 
a:b — 


d. h. der Bruch iſt eine Zahl, deren Eins ein aliquoter 
Theil der abſoluten Eins iſt. Hierbei iſt aber vorausgeſetzt, daß 
dieſer aliquote Theil keinen Widerſpruch in ſich habe. Wenn wir nun 
wirlliche Dinge zählen, fo trifft es ſich unzaͤhlige Mal, daß das eine oder 
das andere nicht mehr ganz oder voll ift; wir müflen uns unzählige Male 
mit Bruchftüden begnügen. Sollen diefe Bruchſtücke vergleichbar fein, jo 
möüflen fie auf eine neue Cinheit bezogen werden, und wenn fie aud mit 
der abjoluten Einheit vergleihbar bleiben follen, fo wird die Vergleihbarteit 
am einfadhften dadurch herbeigeführt, daß man einen aliquoten Theil ber 
abfoluten Einheit als Einheit fegt. Zählen wir dieſe aliquoten Xheile, fo 
ergibt ſich 


— |, 


a 
Der Bruch iſt alſo auf die anſchaulichſte Weiſe von der Welt ſchon in der 
Groͤße gegeben. Darum iſt er ſo populaͤr und allgemein verſtaͤndlich, waͤh⸗ 





80 Mathematik. 


vend der Begriff der algebraifhen, irrationalen und imaginären Zahlen dem 
Anfänger bei Weitem mehr Mühe macht. 

13. Wir haben früher die Zahlen als eine Reihe leerer Stellen auf- 
gefaßt. Jetzt müflen wir zwifchen dieſe unendlich viele Syſteme anderer 
leerer Stellen einjhieben, wobei immer 











2b 
a db 
iſt. 
14. Setzen wir in (13) a = am, fo iſt 
a _ am 
a am 
folglich 
& am ' 
mithin 
«a _ co.m 
a a.m 
und ebenſo 
a e:ım - 





eo a:m 
Die ganzen Zahlen erfcheinen jetzt auf die mannigfaltigfie Welje tm 


den Bruchreihen, alſo als befondere Fälle der Brüde. Daber ift jeßt der 
Bruch die allgemeinfte Zahlform. 


15. Obgleich > — a: b ift, fo darf man doch nicht Die Quotienten⸗ 


geſetze ohne Weiteres in Bruchgefebe umformen. Aber ed ergibt fih in 
diefem Falle ohne Weiteres die Berechtigung der regreſſiven Methode, welche 
darin beftehbt, dab man die Quotientengefeße verfuchsweife in Bruchgeſetze 
umformt und zuſieht, ob fie auch für Brüche gelten. Kommt man baber 
zu den Brüden, jo ift es eine paflende Aufgabe für den Schüler, jämmt: 
lie Quotientengefege in Bruchgejeße umzuformen, ihre Richtigkeit zu prüfen 
und biefelben in Bruchform auszuprüden. 

16. Die zweite Methode, welche angewandt werben kann, ift die alge 
braifhe. Denn da der Bruch eine indirecte Junction iſt, jo kann man 


& 104 
r(p7)—= 
o(@,baf)=x 

ableiten und eudlich die Schlußgleichung 
a a 
(5 5) =o(b, a, A) 


aufftellen. Wiederum eine Arbeit, welde der Schüler ganz allein über: 
nehmen kann. 


jeben, daraus 











Mathematik. 81 


17. Endlich ift der Bruch eine Zahl, deren Eins ein aliquoter Theil 
der abfoluten Eins if. Dahet muß jich durch Feſthaltung dieſes Ge 
danlens eine dritte Methode finden lafien, welche wir nad dem frühern 
die matbematifche nennen. lönnen. — Die Ableitung der Gleichungen 





bat darnach nicht die mindefte Schmwierigleit. Natürlich wird bierbei immer 
vorausgeſetzt, daß beziehungsweise Vom u. NT rational ift. 

18. Bei diefen Arbeiten haben ſich mehrerlei Arten von Brüchen ge 
zeigt, welde auch in ver millenjchaftlihen Behandlung berüdfidhtigt zu 
werben verdienen. Zu dieſen gehören 1) die reciprolen Zahlen, deren 
Begriff vielfach eine bedeutende * mianung gewährt, 2) die anmbräche 
1 
ab abe 





| 1. 
IF 37° abe ab —W8 

19. Für die Vertheilung der Qualitäten eines algebraiſchen Bruches 
auf Bähler und Nenner ergibt fi ohne Weiteres 








se +2 8 
u * vv 
a _ tr2_ oa 
Ib —-0) ++ 


Diefes flimmt aber nit mit dem Begriffe des Bruchs überein. Denn bie 
(abfolute) Eins is (4 b) oder (— b) gleihe Theile eintheilen iR an ſich 


Unfinn. Im Gegenfabe zu unferen Formen bedeutet nun b in ro daß die 


abfolute Eins in b gleiche Theile getheilt worben if. Demnad muß ( b) 
oder (— b) im Nenner bebeuten, daß die pofitive oder negative Eins in 
b gleihe Theile getbeilt worden iſt. Dadurch erhalten wir folgende 
Deutung. 


I GER GER, 
,” I) - (+2)-0--[(+;,) J 3. 


gir. — xv. 


82 Mathematik. 
eos 
dd ed 


19. a. Auf der Grenze der poſitiven und negativen Zahlen ſteht die 
Null (+ ur Wenn wir nun in Brühen von Null aus zählen, fo ift der 


erſie Bruch der Null um fo näher, je größer b if. Denken wir uns 


nun, daß wir ftatt b immer größere Zahlen nehmen, over ſehen wir, daß 

b ver Reihe nah alle Zahlen, ſowohl die ganzen als die gebrochenen durch 

läuft,. jo erhalten wir den Begriff derjenigen Zahl, welche ohne Ende waͤchft, 

un derjenigen, welche ohne Ende fi der Null nähert und zugleich die 
ße: 


Lim — = 0, 
Lim d — 0, 

N 
Lim — = !im d, 


Erft mit Hülfe dieſer Säge erhalten die Gefege der Null ihren Abſchluß 
Daß man dabei nody auf die Formen 


Lim a+md _.: 

Dad b’ 
L; et mw _ıa 
im rıo n 


und andere kommt, bedarf feiner Erwähnung. 


20. Laßt man Zähler und Nenner eines Vruchs wieber Brüde fein, 
Io erhält man den Kettenbruch in ſeiner allgemeinften Form: 


b+.. 
—_ dr. 
Dt 
bt 











. Mathematil. 83 


Man fieht gleih, daß die Behandlung diefer allgemeinen Yorm aller 
Meberfichtlichleit entbehren würde. Darum werden nur bie beiden fpeciellen 
Zäle 





=. +— 

















d. h. der abfteigende und auffteigende Kettenbruch behandelt, von welchem 
man mit Recht nur die fpeciellen Formen 


1 + — 
14 — % 
— — 8 
p=%+ a 
durchnimmt. 

21. Sind Zaͤhler und Nenner eines Bruchs dur Syſtemalzahlen 
ausgedrüdt, welche diejelbe Bafis haben, jo erhält man ven Syſtemal⸗ 
bruch in feiner allgemeinften Form: 

> za Lan Zr... + x +9 
bb 2 + bo 21... dx + 


von welcher der Uebergang zu der fpeciellen Form leicht auf doppelte Weiſe 
gemacht werben kann, 


2, Zur Methode im Allgemeinen. 


22. „Die reine Mathematit als Wifienfchaft des Zählens ſchoͤpft zu 
ihrer inneren Begründung vornehmlihd aus brei Duellen, bie da find: 
1) die operative Entwidelung, 2) die Vergleihung mit allgemein quantis 
tativen Beziehungen und 8) bie philoſophiſche Verallgemein rung. Aus 


34 Mathematik. 


am Buefammenfluß biefer brei Quellen entipringt die ſelbſtſtaͤndig freie 
mathematiſche Erlenntniß. 

„Die erſtere dieſer Quellen iſt die wichtigfte und hauptſaͤchlichſte, fie 
gibt dem Ganzen ftetigen Zufammenhang und demonftrative Strenge; bie 
zweite leitet die erftere auf den Boden der Realität und erhält dem Ganzen 
die nöthige Friſche. Die dritte endlich dringt auf Tiefe und Allgemeinheit 
der Auffaſſung.“ 

„Beim lebenvigen Unterrichte lafien ſich die drei Richtungen am natür: 
lichſten vereinigen.‘ 

„Die dritte geht hauptſaͤchlich mit der erften Hand in Hand; fie benußt 
das in vielen Einzelfällen auftretende Gleichartige und Gefepmäßige, indem 
fie durch Analogie den Uebergang von diefem Vielen zu Allem, d. h. zum 
umfaffenden Gefes macht und dieſes Gejeß durch den allgemeinen 
Beweis, werde er direlt oder indirelt, durch Subftitution oder Contradic⸗ 
tion geführt, zur unumijtößlihen Wahrheit erhebt.” (Hug a. a. OD. ©. III.) 
28. „So einfah und leicht die verfchiedenen Bahlengattungen aus 
dem Gange der Operationsentwidelung ſich ergeben, und fo entſchieden 
daher alle als Ergebniſſe wiſſenſchaftlich geficherter Zahlformen das ganz 
gleihe Recht auf Geltung und Anerkennung haben, fo langjam machte fich 
der hiſtoriſche Gang ihrer allmäligen Einbürgerung in der Mathematik geltend. 
Die Mathematiter des Altertbums hielten ſich mehr an's Concrete, fie waren 
vorzugsmeife Geometer, und ihre Geometrie, als Wiege der fpäteren wie 
der neueren Mathematit, kannte blos abfolute Zahlen. Nur mit zögernder 
Furchtſamkeit nahm man nad und nad eine neue Bahlgattung um bie 
andere in den Galcul auf. Die Anfänger in der Algebra, die Eoffiften, 
nannten die negativen Werthe der Unbelannten falſche, und noch bis in 
eine viel fpätere Beit binauf blieb die Scheu vor den negativen Bahlen. 
Ganz ähnlich ift es mit ben imaginären Zahlen gegangen; fie werben nod 
jegt bier und da nicht blos unmöglide genannt, fondern aud als 
ſolche angefehen, obwohl man es nicht verjhmäht, mit ihnen zu rechnen 
und die reiche Ausbeute zu benugen, die fie im Call gewähren; man 
räth indeſſen an, ſich vor ihnen, aud wenn man fie dulbet, in Adht zu 
nehmen, da imaginäre Nefultate oft andeuten Lönnen, daß in ben vorge 
nommenen Rechnungen ein Fehler vorgefallen ſei.“ 

„Sole zum Theil unklare, zum Theil unrichtige Borftellungen von 
den imaginären Zahlen werden noch heut zu Tage nur zu häufig genährt 

d gebegt, obwohl ſchon vor einem Pierteljahrhundert Gau aufs beut: 
chſte nachgewieſen hat, daß den imaginären Zahlen ebenjogut ein denl⸗ 
bares Subftrat zu Grunde liege wie den pofitiven und negativen Zahlen.“ 
(Hug a. a. D. ©. 118.) 

24, „Bon den Aufläfungdmeihonen ver numeilchen algebraifchen Glei⸗ 
chungen ift vie Graͤffe ſche unbedingt die befte. Schon die Vorunterſuchung 
Hi Moßeh Beftimmung ber Grenzen ber reellen Wurzeln einer Gleihung 
Durch das Mittel der Fourrier ſchen Säbe esjordert oft jo viel Zeit, ald mar 
bedarf, mm nach der Gräffe'ihen Methove ohne Weiteres alle Wurzeln der 
Sleichung in einer mäßigen Annäherung zu finden. Sie jollte daher auch 





Mathematik. 85 


in den Schulen noch viel mehr, als es bis jetzt der Fall ift, befannt werben.” 
(Hug a. a. D. ©. 368.) 

25. „So lange die Namen Pividendus und Divifer, Zähler und 
Nenner trotz der Möglichkeit, die einen auf bie anderen zurüdzuführen, 


2x 
mit gutem Recht nebeneinander fortbeftehen, und neben ber Form > bie 


gleichbedeutende x gleich oft auftritt, fo lange wird es paͤdagogiſch ge⸗ 


rathen ſein, die ere von den Quotienten und die Lehre von den Bruchen 
neben einander zu behandeln und in der ganzlichen Uebereinſtimmung der 
verwandten Säbe die Crlenntniß des Zuſammenhangs auszubilden und zu 
befeftigen. Die reine Wiſſenſchaft aber wird vielmehr die Lehre von den Brüdhen 
aufgeben lafien in vie Lehre von den QDuotienten als umgelehrt dieſe in 
jener. (Helmes a. a. D. ©. 129.) 

28. „Der Unterriht in den Elementen der Buchſtabenrechnung und 
Gleihungslehre läßt fih ohne Lehrbuch, einzig an ber Hand einer Auf: 
gabenfammlung ertbeilen, indem der Lehrer die Lehrfäge mit Rüdfiht auf 
die Beifpiele entwidelt.” (Zähringer: Antworten zc. ©. V.) 


3. Methodifches in Bezug anf die verfchiedenen Schulen. 
a. Glementar: und Volksſchule. ' 


27. „Das Rechnen mit Decimalzablen erachte ich als außer dem 
Bereiche der Vollkaſchule liegend; da indeß bie Decimalzablen im Leben 
Jedem häufig begegnen (auf Meilenfteinen und Wegweiſern an Lanpftraßen, 
auf Anſchlagetafeln an Eifenbahnen und Bahnhöfen, in den Rechnungs⸗ 
abſchlüſſen ber Feuerwerfiherungsanftalten ıc.), jo hat es mie wuͤnſchenswetth 
gefchienen, den gereifteren Schülern wenigſtens das Berftändniß viefer Zahlen 
zu vermitteln. (Haͤſter's Rechenbuch x. S. IV.) 

28. „Die Entwidelung unferer focialen Verhaͤlmiſſe, der mächtig durch 
Eifenbahnen und Telegraphen wachſende Verkehr mit anderen Kationen 
haben bereits eine größere Einheit in ven Munzen (1857) und Gewichten 
(1858) herbeigeführt; es blieben feinerzeit die Rechenbücher davon nicht. un: 
berührt. Wie bereit die Decimaltheilung ſchon annähernd Eingang bei 
uns gefunden, jo ift mit Beſtimmtheit anzunehmen, daß bei ven fortgefegten 
Beitrebungen, auch die Maße zu vereinfachen, die Decimaltheilung ſich weiter 
Bahn breden werde. Und da die Schule die nad) uns handelnde Generation 
bivet, jo ericheint es als eine zeitgemäße Forderung, vie Rechnung mit 
Decimalbrũchen allmälig bineinzunehmen.“ (Böhme: Anleitung ı. ©. 6.) 

29. „Obwohl ſehr viele Dinge, auf welche fih die Brühe anwenden 
lafien, bei ver Bruchlehre als Berfinnlihungsmittel gebraucht werben können, 
jo wird von praktiſchen Schulmännern aus nahe liegenden Gründen doch nur 
eine beihräntte Anzahl von Gegenftänven für dieſen Zweck namhaft ge 
macht.“ 

80. „Es iſt aber ber Kreis, abgejeben von der Leichtigkeit der Zerle 
gung in aliquote Xbeile, worzugsweife dazu angetban, hier ein Weder der 


86 Mathematik. 


Seele zu ſein; denn er iſt für das Auge das einfachſte Bild eines Ganzen, 
und ſeine Theile haben in dem Centriwinkel ein von der Ausdehnung des 
Ganzen völlig unabhängiges, für jeden Theil conſtantes, das Verhaͤltniß 
zum Ganzen in ben einzelnen Fällen beftimmt ausſprechendes, Darum 
charakteriſtiſches und bei den erften Theilen leicht ertennbares Merkmal.” 

81. „Sicherlich würde der Kreis als Anihauungsmittel bei der Bruch 
lebte einer größeren Popularität fi) erfreuen, wenn es auf ber einen Eeite 
für den Lehrer weniger zeitraubend wäre, die nöthigen Zeichnungen auf 
die Tafel zu conftruiren, namentlich fo oft zu conftruiren, als dies zu einem 
foliden Unterbau erforderlich ift, und wenn auf der andern Seite nicht bie 
Defürhtung davon abhielte, es fei für die Schüler zu ſchwer, bier felbft 
Hand anzulegen.” 

„Das erfte Hinderniß will die Bruchtabelle befeitigen. Freilih kann 
es dem Lehrer keineswegs erlafien werden, die Gebilde mwenigftens einmal 
vor den Augen der Schüler entſtehen zu laſſen.“ 

„Was das zmeite Hinderniß betrifft, fo zeigt ſich daſſelbe fofort als 
ein eingebilvetes, fobald man nur einmal ernftlih den Verſuch macht, von 
den Kindern Kreife zieben und tbeilen zu laflen. Der Kreis ift unferer 
Jugend nicht zu rund.” (Pulch: Die Brucdtabelle ıc. ©. 6, 7.) 

82. „Wenn die Kinder beim Gintritt in die Schule ſchon im Stande 
find, die Bahlennamen in der rechten Reihe herzufagen, ohne ihre Bedeu: 
tung zu wiſſen, jo ift das nicht zu verachten und kommt ficher dem Unter: 
richt zu gute. (Sobolewski: Rechenſtudien S. 4.) 

33. „Man ift auf den Gedanken gelommen, bie einzelnen Zahlen von 
1 bis 100 felbit zur Grundlage eines Rechenganges zu madhen und jede 
Zahl einer allfeitigen Betrachtung zu unterwerfen ” 

„88 ift gar nicht zu läugnen, daß ein folder Rechengang den Cha: 
ralter eines bildenden Unterrichts hat; es ift ein fiufenmweifer Fortſchritt 
darin und was am meiften anfpricht, es wird bie Dentthätigleit der Kinder 
ſehr in Anſpruch genommen und das ganze Verfahren ift, ich möchte jagen, 
die extreme Vermeidung alles Mechanismus und Schlendrians, bed vielen 
gedantenlofen Neihenbildens und Geſtrichels.“ 

„Indeß haben wir gegen einen foldhen Rechengang doch mehr ober 
weniger erhebliche Ginwendungen zu machen, von denen bie weientlichfien 
folgenve find: 

„Es ift durchaus nicht gerathen, jo vielerlei Bezeichnungen einer Zahl, 
fo viel verſchiedenartige Rechenoperationen auf einmal vorzunehmen, der 
Unterricht muß bier mehr auseinanverhalten als concentriren. Es gibt ge 
wife Orunboperationen und Aufgaben, vie müfjen befonvers in's Auge 
gefaßt, auf diefe muB losgefleuert werben, das ift das BZufammenzählen 
zweier Zahlen. Aus dieſen entwidelt fi das Bervielfältigen und aus 
diefem das Theilen. Iſt das Zufammenzählen und das Cinmaleins auf 
der Stufe des Nechnens von 1 bis 100 tüchtig geübt, fo macht fi dann 
das Theilen von felbft und alle verfrühte Behandlung ift unnöthig aufge: 
wandte Zeit und Mühe. Ich behaupte, daß wenn ein Kind bis zu Ende 
des Rechnens im Zahlenraum bis 200 nur ordentlich zuzäblen, abziehen, 
und das Ginmaleins erlernt hat, es in wenig Stunden bie Theilungs⸗ 





Mathematil. 87 


aufgaben fertig erlernt, mit deren Gelernung man ſich bei verfrühter Vor⸗ 
nahme wer weiß wie lange herum zu fchlagen bat.“ 


„Ganz befonders aber möchten wir und gegen eine Einführung des 
Bruchrechnens oder doh der Bruchform ſchon auf biefer untersten Stufe 
erflären, wiewohl einer zeitigeren Anwendung beflelben jm Rechnen über: 
haupt das Wort geredet werden muß. Formen wie „!, von 6 = ?", 
oder „3 ift , von 6 und bergleihen haben für Anfänger immer etwa⸗ 
Berfänglihes. Man bleibe nur erſt bei den ganzen Bahlen ftehen. Es ifl 
doch am Ende etwas ſehr Gleichgiltiges, ob ein Schüler dergleichen Auf: 
gaben, wie angeführt, ein Jahr früher oder fpäter lernt. Wenn ein Unter: 
ſchied in der früheren oder fpäteren Erlernung biefer Bruchpartieen beſteht, 
ſo iſt es nur der, daß im letzteren Falle das mit leichter Muͤhe in kurzer 
Zeit erlernt wird, womit fih Lehrer und Schüler im erften Falle haben 
quälen müflen.” 


„Es ift ferner ſchwierig, die Kinder nad dieſem Gange fhriftlich zu 
befhäftigen, was beim Schulunterricht durchaus nothwendig wird. Denn 
wie foll ich das Vielerlei, das bei einer Zahl zur Behandlung kommt, zu 
einer jchriftlihen Beihäftigung zurecht legen!“ 


„Die Uebungen des Bufammenzäblens, worauf doch dad Meifte ans 
fommt, können gerade bei diefem Gange nur in verlümmerter Weiſe ger 
trieben werden. Denn will id beijpielöweife bei der Zahl 6 vie hier 
mögliden Aufgaben ftellen, fo bat der Schüler immer nur mechaniſch „ſechs“ 
zu antworten, .B.1 +5 —=2,3 +3 =, 2 +4 =, 5 +13, 
Sollten die Aufgaben in der Weife gegeben werden, daß gefragt wird; 
„melde zwei Bablen geben ſechs?“, fo find das die Auflöüfungsübungen, die 
wir für fehr wichtig halten und au treiben, und die au dem Zuſammen 
zählen zu Gute kommen, aber es find doch nicht jene Aufgaben des Zur 
fammenzählene, Es ift doch ganz etwas Anderes, ob ich eine beſtimmte 
Summe erhalte und dieſe auf alle Weife in zwei Theile zerlegen foll, over 
ob id zwei Zahlen erhalte und die unbelannte Summe derfelben zu juchen 
babe.” (Sobolewsli a. a. D. ©. 25.) 


34. „Rur unter Anwendung und Mitwirkung der Ziffer und ver 
Anordnung derſelben nad dem Zahlengefeß ift beim Rechnen mit großen 
Zahlen im Kopfe die Ueberſichtlichkeit, Kürze und Gedrängtheit in ber Dar: 
ſtellung möglich, melde das Behalten und Operiren mit größeren Zahlen 
ausführbar macht.“ (Sobolewsli a. a. DO. ©. 74.) 


35. „Bei Aufgaben aus der umgelehrten NRegelvetri einen Anſatz 
maden und eine Regel zur Auflöfung auffinden zu laflen, ift zu widerrathen, 
weil dadurch leicht großer Mechanismus entfliehen kann. Vielmehr verlangt 
jede der hierher gehörigen Aufgaben, wenn fie dem Schüler nüßen folk, 
eine bejonders gefaßte wörtliche Auflöfung, die der Schüler entweber bem 
Lehrer vorträgt oder wörtlich niederichreibt, währenb er vie hier leichtem 
Bahlenoperationen meiftend im Kopfe wird machen künnen. (Wullom: 
Ankitung ©. 10.) 


88 - Mathematik. 


b. Realichule, 


86. „Daß es in mander Beziehung wünfchenswerth fei, in ven mathe 
matiſchen Unterriht auf den Realſchulen erfter Claſſe die höhere Analyfız 
mit aufzunehmen, dürfte fich leicht nachweiſen lafien. Die Schüler jener 
Anfalten treten nad dem Verlafien der Schule zum Theil unmittelbar in's 
praktiſche Leben über, theils beſuchen fie noch höhere Fachſchulen und 
ſetzen auf ihnen ihre mathematiſchen Studien fort. Von denen der erſteren 
Art ſollte man doch billiger Weiſe vorausſetzen können, daß fie im ſpaͤteren 
Leben ihre mathematifhen Studien nicht ganz liegen laffen, daß fie, wenn 
fie ſich aud gerade nit mehr mit reiner Mathematik, doch dann unb 
wann mit Gegenftänden der Phyufit, der Mechanik oder Aftronomie be 
fchäftigen. Alle dieſe Studien werden ihnen weſentlich erleichtert werben, 
fie werden fie um ein Betraͤchtliches weiter ausdehnen lönnen, wenn fie 
aud nur mit den erfien Glementen der Differentiale und Juͤtegralrechnung 
nicht unhelannt find: fie find dann im Beſiß einer Methode der Unter⸗ 
ſuchung, welde fie bei den verichiedenartigften Aufgaben zur Anwendung 
bringen lönnen. Es gibt allerdings eine Reihe von Werten, melde das 
Differenziren und Integriren durch elementare Methoden zu erſetzen fuchen, 
wo es der Natur der Sache nad zur Anwendung kommen follte; ich glaube 
aber nit, dab fie die Wiſſenſchaft gerade zugänglider mahen. Denn 
dieje fogenannten elementaren Methoden leiden meiftens an einer ermübenden 
Weitläufigteit, fie machen außerdem den Gang der Unterſuchung fo undurch⸗ 
ſichtig, daß der Leſer zwar genöthigt ift, die Nichtigkeit des Ergebnifles 
zuzugeben, daß er aber nicht begreifen kann, wie der Verfaſſer eigentlich 
zu feinen Rechnungen gelommen ift, und baß er bei einer vielleiht ganz 
äbnlihen Aufgabe volllommen ratblos daſteht. Es entſteht dadurch mir 
‚ wenigftens ein fo mnangenehmes Gefühl, daß es mir häufig das Studium 
mathematiſcher Schriften verleivet hat. In jenen elementaren Serleitungen 
wird in der Regel im Grunde aud) differenzirt und integrirt; ba aber keine 
abgefonderte Theorie diefer Operationen vorausgefegt wird, jo muß bei jeder 
neuen Aufgabe ein Theil der Theorie wieder von Anfang an neu entwidelt 
werden; ed wird dadurch nicht allein Zeit und Arbeit vergendet, ſondern 
jene Brucdftüde bilden aud nie ein Ganzes, und ber nit durch das 
Studium der höheren Analyſis Geſchulte wird immer in Gefahr fein, bei 
der Ummanblung des Unendlichkleinen arge Mißgriffe zu begeben. In 
einem ver beiten jener Werle, welche die höhere Analyfis vermeiden, :in 
Möbius’ Mechanik des Himmels, ift daher der Ausweg ergriffen, eine 
Differentialvehnung in nuce vorauszufhiden, und doc konnten aud in ihm 
manche Ergebniſſe nur auf einem künftlihen, wenn aud fehr finnreichen 
Umwege erreicht werben, bie bei etwas ausgebehnteren Kenntniſſen fich auf 
direlterem Wege hätten erreichen lafien. Rechnet man die Arbeit zufammen, 
welche beim Studium eines etwas ausgebehnteren, elementar gefchriebenen 
Werts durch die Umgehung der höheren Analyſis nöthig wird, fo würde 
fie fiher hinreichen, um in bie Glemente dieſer Wiſſenſchaft fo weit einzu- 
führen, daß der Lefer in den Beſitz einer Menge ver fruchtbarſten Begriffe 











Mathematik. 89 


und Methoden komme, welche ihm ein tiefergehendes und ausgedehnteres Eins 
dringen in bie Mathematit und in die Naturmifienichaften geftatteten.‘ 


„Aber auch für diejenigen, welche nad dem Berlafien ver Realjchule 
auf einer höheren Fachſchule oder auf der Univerfität ihre mathematifchen 
Studien noch fortfegen wollen, würde der gedachte Unterriht von großem 
Nutzen fein. Auf diefen Anftalten muß ſich der Unterricht meift auf Bor: 
träge befchränten, bei der höheren Analyfis handelt es fi aber zunädjft 
um da3 Hineinarbeiten in einen bis dahin dem Schüler fremden Gedanken⸗ 
kreis, und mie fehr dieſes aud durch einen ſchulmaͤßigen Unterriht, ber 
durh den Schüler jelbft entmwideln Iafjen, der mannigfadhe Cinübungen und 
Nepetitionen hinzufügen kann, befördert wird, ift befannt genug; denn es 
müflen jene Vorträge auf den höheren Fachſchulen fih auf der Höhe der 
Wiſſenſchaft halten; dieſe hat aber einen fo abjtracten Charakter angenoms 
men, daß dadurch nicht allein dem Unvorbereiteten das Verftändniß erfchwert 
wird, ſondern daß er fih aud bei der Anwendung auf die gewöhnlich vor: 
kommenden Fälle kaum zu helfen wiſſen wird. Es ift mir fehr fraglich, 
ob, wenn 3. ®. die Zerlegung einer gebrochenen rationalen Function in 


Bartialbrüde von der Form * 


die Mehrzahl der Zuhörer im Stande fein wird, eine einfache Function ber 
Art wirklich zu zerlegen. Der jchulmäßige Unterriht kann dagegen auf 
wiſſenſchaftliche Selbſiſtaͤndigkeit verzichten; er darf darauf verzichten, ben 
Schüler mit dem jebigen Stande der Willenfchaft bekannt zu mahen; er 
Darf mehr den concreten Weg einhalten, ver in älteren Darftellungen der 
höheren Analyſis eingejchlagen ift; er wird gerade dadurch geeignet fein, 
den Schüler erft einmal in die Wiſſenſchaft einzuführen und ihn fo zu dem 
Studium derjelben in ihrer modernen Höhe zu befähigen, ja ed werben 
ihm dadurh die Vorzüge jener neuen Darftellungsmweifen erft recht zum 
Bewußtjein kommen. Siebenzehn: bis adhtzehnjährigen Jünglingen, welde 
gehörig vorgebildet find, wird aud das Studium der Differential: und In⸗ 
tegralrehnung, wie ih aus Erfahrung weiß, nicht eben ſchwer, wielleicht 
weniger ſchwer, als das mander anderer Theile der Mathematil, und fo 
dürfte auch das jugendlihe Alter der Echüler unferer Realſchulen keinen 
Grund gegen die Erweiterung des mathematiihen Unterrichts abgeben.“ 


„Aber haben wir auch Zeit dazu? Diefe Frage hier endgültig entfcheis 
den zu wollen, kann mir nicht einfallen, da fie nur auf Grundlage ber 
mir abgebenden Praris beantwortet werden kann. Wenn ih indefien vor: 
ausfegen darf, daß der Anhalt des Werts von Meifel (Lehrbud der Ariths 
metil und Algebra zc., Berlin 1861) mit demjenigen, wa3 jonft herkömm⸗ 
licher und gejeglicher Weife von Mathematit in die Schule aufgenommen 
werben muß, bewältigt werben Tann, jo glaube ich fie mit großer Wahr: 
f&heinlichleit bejahen zu dürfen. Ich glaube nämlid, daß ohne Schaden 
fo viel Stoff ausgejchieven werden kann, dab für die Differential und 
Integralrechnung Platz getvonnen wird. Zu dem Auszufcheidenden rechne 
id zuerft den Abjchnitt über die höheren arithbmetischen Reiben, die dem 
Schüler, wie ich glaube, ziemlich viel Schwierigkeiten machen, ohne ihm 





nad Navier vorgetragen ift, nun aud 


90 Mathematit. 


einen namhaften Ruben zu verſchaffen; wenigſtens Iäßt fih ihr Nutzen nicht 
mit dem der höheren Analyfis vergleichen ; dann ven über das Rationalmadyen 
der Nenner algebraifher Ausprüde. Die Theorie des Größten und Klein: 
ften würde von felbft mwegfallen und ebenjo bie Herleitung der Paar be 
flimmten Integrale und die der Gleichung der Kettenlinie. Rechnet 
man bierzu, daß ſich noch in manden einzelnen Unterfuhungen Berein: 
fahungen anbringen würden, daß der geſetzlich geforberte Unterricht in der 
analytifhen Geometrie ſich mwejentlih durch die Differential: und Integral⸗ 
rehnung ablürzen, ja ſich ganz mit ihr verbinden laffen würde, fo glaube 
ih unter der gedachten PBorausfeßung mit Fug und Necht behaupten zu 
lönnen, daß die Aufnahme der Glemente der höheren Analyſis in ben 
Schulunterricht fih ohne Ausdehnung der Schulzeit und Vermehrung der 
matbematifchen Lehrſtunden ausführen ließe. Doch wie gejagt, entſcheiden 
will ih nichts; man betrachte das Gefagte nur als einen Verſuch, die 
Frage in Anregung zu bringen und competentere Richter zu veranlafien, 
fi eingehender mit ihr zu befchäftigen.” (Ballanf: Päd. Archiv IIL, 
786 — 789.) 


c. Handelsſchule. 


37. „Die Anfiht fo vieler Handelslehrer, daß die Rechnung über 
Zinſeszinſen und zufammengefeßten Discont dem faufmännifchen Gefchäftstreife 
viel zu fern läge und deßhalb kaum einer ftiefmütterlihen Behandlung 
würdig fei, ift zu verwerfen. Will ver Kaufmann auf mwiflenjchaftliche 
(?) Bildung wirklich Anſpruche machen, fo darf ihm die Berechnung der 
Binfeszinfen und des zuſammengeſetzten Disconts, diefen Grundlagen von ganz 
bedeutenden, mit Handel und Wandel in Beziehung ftehenden Yinanzoperas 
tionen nicht fremd, fondern fie muß feinen Bliden Bar erfchloffen fein.“ 
(Hedelmann: Leitfaden ıc. IL ©. IV.) 


DI. Geometrie. 


38. „In vorzügliben Maße ift ein Theil der Mathematil, nämlich 
die Geometrie geeignet, ben genannten geiftigen Vortheil (1) zu ge 
währen. Das Haupterforderniß zur Grreichung defielben ift wiſſenſchaft⸗ 
lihe Schärfe. Wer hauptſächlich praktiſche Nejultate zu erzielen, mög: 
lichſt viel pofitives Wiſſen in möglichjt Turzer Zeit in dem Gedächtniß des 
Schülers anzubäufen beftrebt ift, der wird von vornherein der wiflenfchaft: 
lihen Schärfe abhold, ja feind fein. Denn fie erjcheint ihm als ein Hemm⸗ 
niß im rafhen Vorwärtsſchreiten. Wer dagegen den Unterriht in ber 
Geometrie vorzugsmweife als Mittel zur Bildung des Verftandes anſieht, 
der weiß auch, daß gerade der fletige Fortfchritt, der nirgends über Schwierig» 
teiten binwegfpringt, nirgends das BZurüdbleiben dunkler Stellen geftattet, 
jede Strede erft dann als zurüdgelegt betradhtet, wenn fie ganz und gar 
vom Lichte der Wifienfchaft beleuchtet wird, nicht nur am ficherften dem 
genannten Ziele zuführt, fondern auch in Kurzem diejenigen überholt, bie 
im zu raſchen Borwärtöfchreiten die Schwierigkeiten nur vermeiden, nicht 
bewältigen lernten und dann fpäter um fo mehr durch diefelben aufge 
balten werden. Zuletzt wird jelbft der praltiihe Nutzen denen, bie nur 





Mathematik. 9 


ihn erfirebten, in weit geringerem Maße zu Theil werben, ald den mit 
wiſſenſchaftlicher Schärfe ſorgſam Unterrichteten, welchen für treuen Fleiß 
und Eifer wenigſtens eine gediegene Verftandesbildung und zugleich ein 
reiher Schatz gründliher Kenntniſſe als Lohn nicht entgehen kann.“ 
(Mörder a. a. O. ©. 3.) 


39. „Verwandt mit der Coorbinatengeometrie ift die defcriptive Geometrie, 
die durch Conftruction in der Ebene, aljo auf praktiſchem Wege erreicht, was 
bie erflere durh Rechnung zu erzielen ſucht. Jeder, der fich mit der Coor: 
dinatengeometrie vertraut machen will, follte zuerft die darftellende Geometrie 
durchmachen, weil diefe für jene, mit der fie parallel gebt, die frifcheften 
Anjhauungen und concreteften Begriffe gewährt. (Hug a. a.D. ©. 887.), 


40. „Mill man der Stereometrie und fphärifchen Zrigonometrie eine 
befondere Schwierigkeit zugeftehen, jo beruht dies hauptſächlich darauf, daß 
die Verhältniſſe im Raume verwidelter find, als in der Ebene, und daß 
außerdem die Figuren nur einen ſchwachen Anhalt bieten, wenn nicht die 
Phantafie im Stande ift, aus dem perjpettiwifchen Bilde eines Körpers ſich 
deſſen wahre Form berzuftellen. Zwar ift Letzteres eine Aufgabe, in ber 
fih unbewußt ein Jeder von Jugend auf übt, aber die gewonnene Fertig⸗ 
keit bejchräntt ſich meiſtens auf die einfachiten Falle Cine eingehendere 
Behandlung des Körperlihen ift aber nicht blos durch die größere Schwierig: 
keit des Stoffs bedingt, es foll dadurch aud ein Hauptzwed des ftereome: 
triſchen Unterricht3 erreicht werden, die Hare Anſchauung räumlicher Bes 
zeihnungen. Diefelbe ift oft in weit geringerem Grabe vorhanden, als 
man anzunehmen geneigt if. Der Anfänger wird nod gar zu leicht in 
einem fphärifhen Dreiede ein ebenes erbliden, deſſen Winkelfumme zwei 
Rechte beträgt, und Mancher, der in der Berechnung ebener Dreiede eine 
binreihende Fertigkeit befißt, ift nicht im Stande, ſich ein ſphäriſches oder 
koͤrperliches Dreied vorzuftellen, welches einen fpißen, einen rechten und 
einen flumpfen Wintel enthält.” (Gerlach: Stereometrie ıc. S. ILL) 


B. &iteratur. 


1. Die Vortheile mathematifcher Kenntniffe für Gewerbetreibende. Angehenden 
Gewerbetreibenden fo wie Eltern und Lehrherren der Gemerbefhüler und 
Lehrlinge zur Berüdfichtigung empfohlen von der hanvutgigte Geſellſchaft 
jur Berbreitung mathematiſcher Kenntniſſe. Hamburg. (15 ©.) 


Gin ächt Hamburger Prodult. Auf die Praris gerichtet bis zur Webers 
treibung,, aber in mehrfacher Beziehung interefiant. Erſtens nämlidh ge 
währt e3 einen Einblid in die Kenntnifie der Hamburger gewerbetreibenden 
Belt, zweitens führt ed uns einen intereflanten Zug Hamburger Bildungs: 
tbätigleit vor. Wie das Thema behandelt wird, erjehen wir aus dem 
oben (7, 8, 9) gegebenen Citaten, melde wohl aud weitere Beachtung 
finden werden. Möge in Hamburg nicht tauben Ohren geprebigt 
worden fein. 


92 Mathematik. 


L Arithmetik. 


1. Rechenbücher für den Lehrer. 


2. Die Brucdtabelle. Ein Hülfsmittel für Lehrer und Schüler beim linterricht 
in der Bruchrehnung. Bon Ph. Ehr. Pulch, Wiesbaden. Im Berlag 
bes Herausgebers. (Reumwied, Geufer.) 1862. (13 &.) 17 Ser. 

Die Zendenz des Schriftchens iſt in den Artikeln 29— 31 binlänglidy 
harakterifirt. Der Verfaſſer bietet den Kreis als Berfinnlihungsmittel der 
aliquoten Theilung und gibt Anleitung, wie feine ſchwarzen durch weiße 
Linien getheilten Kreife benußt werden follen. Es wird fi auf jeden Fall 
der Mühe lohnen, den Apparat anzufehen und zu prüfen. 

*3. Anleitung zum Unterricht im Rechnen. in methodiſches Handbud für 
Lehrer, Seminariften und Präparanden bearbeitet von A. Böhme. 3. Auf 
lage. Berlin 1862. G. W. F. Müller. (323 ©.) 25 Egr. 

Wir haben die Buch bereit3 empfohlen (vergl. VII, 162 und XII, 
134). In diefer dritten Auflage find mancherlei Erweiterungen und Ber: 
befierungen binzugelommen. „Namentlich habe ih — jagt der Berfaller 
— auf den freundliden Rath und Wunſch mehrerer Herren Seminarlebrer 
mich entſchloſſen, an Stelle der Auflöfung einzelner Beiſpiele aus 
den verjchiedenen angewandten Rechnungsarten bie in fachlicher oder tech⸗ 
nifher Hinfiht einander gleihenden Rechnungsfälle ausführliher in ge: 
fonderten Capiteln zu behandeln. An die Stelle der früheren Mufters 
beijpiele tritt daher eine bejondere eingehende Belehrung über den fogenannten 
Bruchſatz, über die Behandlung zufammengejegter Regelvetriaufgaben, über 
bie bei den Aufgaben ver Binsrehnung zu beacdtenden Beftimmungen und 
ihre gegenfeitigen Beziehungen und Abhängigkeiten, über die Behandlung 
der verjchiebenen Arten des Rabatts ꝛc. in gefonderten Capiteln. Die be: 
deutendfte Erweiterung bat aber das Buch dur die Decimalbrüdhe und 
eine ausführliche Behandlung der „Raumrechnung“ erjahren. Die Decimal- 
brüche find recht gut dargeftellt. 

4. Recdenfludien von Ludwig Sobolewski. Glogau, C. Ylemming. 1862, 
(248 S.) ?2'/a Ser. 

Das Buch enthält eine Reihe Heiner Abhandlungen über das Rechnen 
und ſucht gewiſſe methodifhe Forderungen theils durch Pſychologie, 
theils durch die obwaltenden arithmetiſchen oder ſachlichen Umſtände zu 
begründen. An Widerſpruch wird es nicht fehlen, ſowohl von Seiten der 
Piychologen als von Seiten der Didaltiler. Gleihwohl muß ich befennen, 
daß ich lange feine Schrift über die genannten Gegenftände mit ſolchem 
Intereſſe gelefen babe, als die vorliegende. Der Berfafler gibt uns nämlich 
wirkliche Unterfuchungen, Unterfuhungen, welche bald mehr an der Ober: 
flädhe hingehen, bald in den innern Grund einzubringen ſuchen. Einiges 
babe ich in den Bericht über die Methode aufgenommen (32—-34) ; weiter 
auf den Inhalt einzugehen, würde uns aber zu weit führen. Ich empfehle 
das Studium diefer Rechenſtudien angelegentlihft, denn ich bin überzeugt, 
daß fie anregend wirken werben. 


5. Lehranweiſung für den Rechenunterricht in Volksſchulen. Erſter Theil. Bon 
LZudwig Sobolewski. Slogan, Earl Flemming. 1862. (224 ©.) 22% Sgr. 








Mathematik. 93 


Rad) einer Einleitung, welche wir dem Berfafier gern erlafien hätten, 
beginnt biefer fein Wert mit der Einübung der Ziffernamen in der natür: 
lichen Folge der Zahlen, läßt dann Dinge zählen u. f. w. und nimmt das 
Zur und Abzählen der Eins und die Ordnungszahlen durch. Sodann 
Kellt er die Zahlen von 1 bis 10 in „Bahlfiguren‘‘ dar, um aus dieſen 
die Glementarrejultate abzuleiten, und führt endlich die Addition und Sub: 
traction aus. Das Alles im Zahlenraum von 1 bis 10. Es wird wohl 
Mancher — fowie auh wir — an diejer Anordnung Anftoß nehmen, aber 
trotzdem ift die Art, wie der Verfafler die Sache angreift, vielfach intereilant, 
und namentlich deßhalb, weil es ihm, wie in feinen Rechenſtudien, auf die 
Gründe des methobiihen Berfahrens ankommt. Wir können in bdiejer 
Weiſe den Inhalt nicht weiter angeben, fondern müflen uns auf die Auf: 
zählung der Stufen befhränten. Diefe find: 1. das Zählen und Ziffer 
jehreiben von 1 bis 10, Heine Aufgabe des Zuzaͤhlens, Abziehens und 
Bervielfältigens in diefem Bablenraume; 2. das Zuzählen und Abziehen 
ger Grundzablen im Zahlenraume von 1 bis 100; 3. die vier Grund: 
rechnungsarten mit gleih benannten Zahlen beſchränkt auf Kleinere Zahlen, 
mit MUebergängen zu den Brüdhen und ben ungleihbenannten Zahlen; 
4. derjelbe Curſus ohne Beſchränkung. Sollen wir nun endlidy das Bud 
im Ganzen daralterijiren, jo dürfen wir fagen: 1) es zeichnet fi) dadurch 
aus, daß es dem Mechanismus das Wort redet, aber nicht einem gebanlen: 
loſen, fondern einem ſolchen, ber in gewiſſer Hinficht wohl berechtigt ift; 
2) es verbindet mit dieſem Mechanismus die Anmenbung der übrigen 
didaktiſchen Forderungen, jo weit ed möglich iſt; 3) es leidet in manchen 
Bartieen an Einfeitigkeit, ift aber 4) im Ganzen eine felbftftändige und darum 
anregende Arbeit. j 
6. Aufgaben zum Kopfrechnen zum Gebraude für Lehrer von W. Ko, 

Berlin 1861. 2. Dehmigke. (191 ©.) 20 Gar. 

Die Sammlung umfaßt das ganze praktiſche Rechnen, bejchäftigt fich 
viel mit lleinen Zahlen, ift auf tüchtiges Operiren berechnet und trifft eine 
recht zwedmäßige Auswahl. 

7. Anleitung zum Unterricht in den zufammengefeßten Rechnungsarten des 
bürgerliden Lebens von A. Wulkow. Stettin 1862, von der Nahmer, 

(144 ©.) 271 gr. 

Die Schrift zerfällt in zwei Theile; der erfte enthält Aufgaben, der 
zweite die Auflöjungen und die methodijche Anleitung zu denfelben. Die 
Aufgaben find gut, die Auflöfungen vieljeitig, Har und ausführlich. 

8. Programm der Bender'ſchen Anflalt zu Weinheim 1862. 

Enthält eine Abhandlung über den „arithmetiſchen Unterricht in den 
vier oberen Clafien” von J. Nordheim. Nach ver lobensmertben Ent- 
widelung einiger Begriffe werden die Säbe 

.a+b+0)=(@+b)+te, 
a+(b— c)=(a+b)—c, 
a—(b+o)=(a—b) —c, 
a--(b—c)=(a—b)+c, 

ohne Hinzumahme der Bezeichnung, lediglich aus dem Begriffe abgeleitet und 


94 Mathematik. 


vecht gut erläutert. Die negative Zahl ift ganz richtig nicht als eine ſolche 
aufgefaßt worden, welde negirt wird, fondern als eine ſolche, welche die 
ihr gleihe abjolute oder pofitive Zahl negirt, dagegen fehlt die präcife 
Definition. Aehnlich wird nun das Prodult und der Quotient bebanbelt. 
Der Uebergang zu den Potenzen geſchieht allmählig: Quadrat und Qua⸗ 
dratwurzel, Gleihungen des zweiten und dritten Grades ꝛe. Das Ber: 
fahren, welches der Berf. bei der Auflöjung der leßteren anwendet, ift uns 
nicht recht Har geworden; der Verf. macht uns aber Hoffnung auf eine 
ausführliche Darftellung deflelben. 


2. Rebenbüder für den Schüler. 


9. Mebungsbuh im Rechnen von U. Böhme. Berlin. G. 8. F. Müller. 

1862. (6 Hefte.) 24 Ser. - 

Enthält L Zahlenkreis von 1 bis 10, 1 bis 20, 1 bis 100 (34 ©.); II. 
Zahlenkreis 1 bis 1000, höherer Zahlenkreis, die vier Grundrechnungsarten 
(36 ©.); III. Refolviren, Rebuciren, vier Specied mit mehrfah benannten 
Zahlen, Negelvetri, Beitrehnung (40 ©.); IV. Bruchrehnungen (64 ©.); 
V. Decimalbrüde (24 ©.); VI. Raumlehre und Raumberedhnungen (60 ©.). 
— Im eriten Hefte find die Aufgaben meift in reinen Zahlen gehalten, 
wie ed auch zum Bwede der Einübung nothwendig ift, zufammengejeßte 
Rehnungen vermieden und die Anbahnung des Bruchbegriffs im Auge 
behalten. Sehr ausführlihd werden die Zahlen 24, 30, 60 und 100 be 
handelt. Die „Wiederholungsaufgaben‘ haben ung recht wohl gefallen. — 
So jehr ed nun aud gerechtfertigt fein mag, in den eriten Heften von zus 
jammengejesten Rechnungen abzujehen, fo ift doch die Stufe, welche durch 
das dritte Heft repräfentirt wird, gewiß mit folden zu beventen; der Ber- 
faſſer jedoch ift anderer Anfiht. — Das vierte Heft bietet binreichendes 
Material ſowohl in reinen Zahlen, als für die Anwendung — Den Deci- 
malbrüchen ift ein größere Ünmendung zu wünſchen und die Raumbered): 
nungen beſchränken ſich auf das Nothiwendigfte, dürften aber augreihen. — 
Die Bemerkung: „Einem Wunſche der Herren Lehrer an höheren Unter: 
rihtsanftalten Rehnung zu tragen, nämlid den Divifor hinter den Divi- 
denden zu ftellen, fand ich Fein Bedenken, könnte zu dem Glauben ver: 
leiten, als fchriebe der Verf. etwa 27 : 9 = 3. Das ift aber durchaus 
nit der Fall, jondern er fhreibt 9 : 27 — 3. Eine Schreibweife, die 
aus mebreren Gründen fehlerhaft ift. 

Außerdem haben wir von demjelben Verfaſſer eine Art neuer Auflage 
„des Rechenbuchs für Elementarfhulen,” welches wir früher (VII, 166) 
als ein brauchbares bezeichneten, in folgender Arbeit erhalten. 

10, Rechenbuch für Volksſchulen bearbeitet von A. Böhme, Berlin 1862. 

G. W. F. Müller. 4 Hefte 7%. Sgr. 

Inhalt: J. Die vier Grundrechnungsarten, Preisberechnungen und die noth⸗ 
wendigſten Brüche; II. Aufgaben für Reſolution, Reduction, Addition, 
Multiplication, Diviſion mit mehrfach benannten Zahlen, Regeldetri, Zins⸗ 
rechnung und einfache Bruͤche; III. Aufgaben zur Bruchrechnung; IV. Auf 
gaben zur Bruchrechnung, zuſammengeſetzte Negelvetri, Zins⸗, Rabatt, (Ge: 





Mathematik. 95 


ſellſchafts⸗ zc. Rechnung und die NRaumberehnung in Decimalbrühen und 

zwar beziehungsweile auf 16, 24, 24, 24 Seiten in 4000, 2500, 8000, 

800 Aufgaben für 14 Sar., 2 Sgr., 2 Sgr., 2 Sgr. Was fih auf. fo 

Heinem Raume leiften ließ, hat der Verf. geleiftet. 

11. Grundriß der Arithmetik mit Webungsaufgaben. Bon Erhard Walder. 
Rördlingen. Beck'ſche Buchhandlung, 1862. (154 ©.) 

Inhalt: 1. Erklärungen; 2. einige Eigenſchaften der Zahlen, Abkürzungen; 
3, von den gemeinen Brühen; A. Berehnung von Ausprüden; 5. von 
den Decimalbrühen; 6. von ven benannten Zahlen; 7. Rechnung mit be 
nannten Zahlen; 8. Schlüffe von der Ginheit auf die Mehrheit und um: 
gelehrt; 9. Regeldetri; 10. Bing: und Procentberehnungen, Disconto-, 
Zermin, Gewinn und Verluſtrechnungen; 11. Mifchungs: und Theilungss 
tehnungen; 12. Verbältnifie und Proportionen; 13. vom Settenfage; 14. 
Ausziehen der Quadratwurzel. Nah dieſer Inhaltsangabe wird der Titel 
nit mehr zu der Annahme verleiten, als habe man es mit einem wiſſen⸗ 
Ihaftlihen Buche zu thun. Ableitungen der arithmetiichen Gefeße werben 
faft gar nicht gegeben, die Beweiſe meiftens ganz mweggelafien oder mangel- 
baft geführt, nämlich dadurch, daß an den Erfolg appellirt wird. Die 
Negeln find Mar und deutlich ausgeſprochen, und die Rechenoperationen 
gut beichrieben. 

12. Erſtes Uebungsbuch im Rechnen für Unterclaffen der Stadts und Land» 
ſchulen. Methodiſch bearbeitet von F. Wagner, Parchim, 1862, Wehde- 
mann fche Buchhandlung. 6 Gar. 

„Wenn ein neues Schulbuch erfcheint, jo erwartet man und natürlich 
wit entſchiedenem Recht, daß dafielbe auch etwas Neues biete.” Diefer 
Sorderung will der Verfaſſer dadurch genügt haben, daß er gleih vom 
Anfange an eine Anzahl eingelleiveter Aufgaben gegeben, ven erften und 
zweiten Bahlenraum (1 bi3 100) etwas breit, den britten dagegen abge 
kürzt und algebraifhe Aufgaben geftellt habe. Das ift aber jelbft in Med: 
lenburg nichts Neues mehr, man müßte denn die Bezeichnung der algebrais 
hen Aufgaben durch „Nüſſe“ hierher rechnen oder „breit“ in einer böfen 
Bedeutung auffaflen. Kurz, wir halten das Büchlein in diefen Beziehungen 
nicht für neu. Sein Inhalt ift: I. Rechnen im kleinen Zahlenraum: 1. 
Bablbegriff umd Zählen mit Strihen, 2. Addiren, 3. Subtrahiren, 4. Vers 
bindung des Addirens und Subtrahirens, 5. Multipliciren, 6. Dividiren, 
7. Einige Nüfje; II. Bahlenraum von 1 bis 100: 1. Rechnen mit Zeh: 
nern, 2. Rechnen mit Zehnern und Cinern ohne Uebergänge, 8. Rechnen 
mit Zehnern und Ginern mit Mebergängen. ILL. Rechnen im Zablenraum 
von 1 bis 1000: 1. Leſen und Schreiben dreizifferiger Zahlen, 2. Zählen 
und Verſtehen breizifferiger Zahlen, 3. Die vier Rechnungsarten. Eher 
lann man biernah die Anordnung des zweiten Hauptabjchnittes einiger: 
maßen als neu anfehen. Doc foll damit nicht gefagt fein, daß der Verf. 
feine gute Arbeit geliefert habe. Hat er doch nah Hentſchel, Sag und 
Quitzow gearbeitet, und zwar fleißig und mit Verſtand gearbeitet. Manches, 
wie die Vorbereitung zur Addition und Subtraction, ift recht gut, die „ein 
gelleiveten Aufgaben,” einiges Spielige abgerechnet, recht nett, und das 
Ganze darauf angelegt, dem falfhen Mechanismus entgegen zu arbeiten, 


96 Mathematik. 


Schnurrig aber wird den meilten unferer Lefer die Meinung des Berfaflers 
vorlommen, daß feine Schrift für einclaffige Schulen auszeiche. 
13. Rechenbuch für die Mittelclafjen der Vollsſchule. Von Albert Häſters. 

Eſſen. ©. D. Büdeler, 1862. (104 S.) 5 Ger. 

14. Rechenbuch für die Oberclaffen der Volksſchulen. Bon Albert Häſters. 

Efien, G. D. Bädeker. 1863. (160 ©.) 8 Sgr. 

„Das Rechenbuch für die Unterclafien der Vollsſchule von U. Häfters 
ift eine fehr gelungene praktiſche Anleitung, die Anfänge des Rechnens 
gründlid und geiftbildend zu lehren. Namentlich gefällt mir die Eintbei- 
lung jedes Abſchnitts in: Mündlid — Schriftlich — Anwendung und 
Wiederholung. Dadurch wird dem Lehrer die Beihäftigung verſchiedener Ab: 
tbeilungen neben jo Har als leicht.” So urtheilt Herr Regierungs⸗ und Schul: 
rath Kellner. Wir ftimmen ihm zwar bei, aber das Zweite ift eine Cigenſchaft, 
welche die Häfters’jhen Bücher mit vielen andern gemein haben. Der 
Berjafler theilt den Stoff in drei Curſe: 1. Rechnen im Zahlenkreiſe von 1 bis 
1000, 2. Rechnen im Zahlenkreiſe von 1 bis 1,000,000, 3. Rechnen mit mehr: 
fortigen Bahlen, und läßt in jedem die Operationen in der üblichen Weife 
auf einander folgen. Der Uebungsftofj in den angewandten Aufgaben ift 
dem Anjhauungs: und Grjahrungstreije der Schüler entlehnt und daber 
das „Rechnen: mit Zeit: und Raumgrößen“ in das zweite Heft verwielen 
worden. Die Aufgaben jelbjt befhränten fih auf einfahe Verbindungen 
und find zum Bmede der Einübung und Wiederholung recht gut gewählt. 
Berner werben eine große Menge von Necenregeln und Erklärungen über 
die Auflöfungen eingeſchaltet. Doch find jene Nechenregelun nie allgemein 
gegeben, was ein großer Fehler fein würde, und der Schüler wird veran- 
laßt, andere analoge Specialregeln jelbjt zu bilden und aus der Gejammt- 
beit derjelben die allgemeine Regel abzuleiten, ohne daß von ihm eine 
allgemeine Faſſung verlangt würde. Daß es der Unterricht jo machen 
möfje, unterliegt leinem Zweifel, ob es aber in eine Aufgabenfammlung 
gehört, ift eine andere Frage. Schaden jedoch ift wohl Taum zu fürdten. 
Menn wir übrigens fagten, daß der Verfaſſer im Allgemeinen nur die ein 
fahen Verbindungen von der Form a+b,a— b,a.b,a: bvwr 
führt, jo bezieht fi dies nur auf die reinen Zahlen; in der Anmenbung 
treffen wir Aufgaben, welche ziemlich verwidelt find, z. B. „Ein Her er⸗ 
bält vom Schneider einen neuen Rod. Der Schneider berechnet 3 Ellen 
Zub & 3 Thlr. 25 Sgr., einen Sammetlragen zu 1 Thle. 7 Sg. 6 Pf. 
Zutter und Knöpfe zu 1 Ihlr. 20 Sgr., fonftige Zutbaten und Macherlohn 
5 Thlr. 2 Sgr. A Pf. Der Herr gibt dem Schneider 2 Frievrihsb’or & 
5 Thlr. 20 Sar., 6 Fünffrankenſtüce a 1 Thlr. 9 Sgr. 4 Pf. und 1 Krouen⸗ 
thaler & 1 Ihe. 10 Sgr. 10 Pf. Wie viel muß der Schneider zurüds 
geben 2” 

Das Gefagte gilt auh Nr. 14. Daher haben wir zur Eharaltexiftil 
aus noch den Inhalt anzugeben. Diejer ift: 1. Bruchrechnung (in zwei 
Stufen), 2. Beitrehnung, 3. Raumrechnung, 4. der Dreifeß din bes ine 
teften Bedeutung nebft Kettenſatz), 5. Zind«, Rabatt: und Discontorechnusg, 
6. Gewinn, und Berluftrehnung mit Procenten, 7. Geſellſchafis⸗ ums 
Miihungsrehnung, 8. Flächen: und Körperberehnung, 9. vermifhte Auf⸗ 





Mathematik 97 


gaben zur Wiederholung, 10. Decimalzahlen, welche beiläufig etwas zu kurz 
gelommen find. 
35. Schülerhefte ald Xeitfaden bei dem Unterrichte und zur Wiederholung nad 
dem Unterrichte in der Bolksfhule. Auf Veranlaffung eines Lehrervereins 
tm Fürſtenthum Halberſtadt bearbeitet von C. 9. Gsinter. 4 und 5, 
Heft. Leipzig, A. Zörfiner’fhe Buchhandlung. 1861. (25 und 32 ©.) 2 Sgr. 
Jenes enthält das „Bruchrechnen,” dieſes die „Verhaͤltnißrechnung!“ 
Das Bruchrechnen bietet jämmtlihe Definitionen und eine mäßige Anzahl ein» 
jacher Aufgaben. Dabei lommen einige Ungenauigleiten vor. Obgleich 3. 
3. in 8.1 gejagt ift, daß Brüche gleich große Theile eines oder mehrerer 
Ganzen find — was beiläufig gejagt auch nicht ganz richtig ift — fo wird doch 
in $.2 der Nenner dahin definirt, daß er die Zahl ift, welche angibt, in 
wie viel gleihe Theile ih das Ganze getheilt babe, und in $.3 der 
Doppelbruh als ein folder gejaßt, der durch nocdmalige Theilung des 
Bruchs entftanden if. Diefe Behauptungen widerſprechen einander, Ja 
es kommt nod hinzu, daß die Definition des Doppelbruhs nur die Form 
& a 
* nicht der Form —8 und am allerwenigſten e umfaßt. Weshalb 


überhaupt den Schüler mit jolden unfruchtbaren Begriffen beläftigen? Auf 
einer fpäteren Stufe zeigt ſich leicht, daß 

Mn m,a 

al, — n " b 

u. |: w. 

if, und es bedarf überhaupt keiner Erkllärung. Will man aber den Dops 
pelbruch wirklid einführen, jo wird man auf den Quotienten zurüdgeben 
müflen. — Die „Berbältnißrehnung” wird auf die Verbältnifie und Pros 
portionen gegründet. Ueber den Werth derjelben — vente ih — find bie 
Meiften einig: fie gehören nicht in die Volksſchule und vielleicht nicht 
einmal in die Arithmetil. Will man fie aber einführen, fo ift wohl, wenn 
A und B Größen, a und b Zahlen vorftellen, jede von folgenden Bro: 
portionen 


A:B=a:b, 
A:a=B:b, 
A:B=A':PB' 


wohl berechtigt, e3 kann aber A : B nur durch Enthaltenfein, A: a nur 

durch das Theilen gedacht werben; daher wird die gegenfeitige Größe nicht 

nur dur „Theilung“ beftimmt, jondern auch durd) Meſſung. Es mürde 

nit ſchwer fein, noch mancherlei folder der Didaktik zumiderlaufende 

Saͤchelchen mitzutbeilen. 

16. Das angewandte Kopf⸗ und Bifferrechnen ale Vorfchule des Lebens. Cine 
Sammlung -praftifcher Mebungsaufgaben für Volks⸗ und Realfhulen, fowie 


Die untern Klaſſen der Kortbildungsfäulen von 3. Fr. GSuth. 2. Aufl. 
Stuttgart, Karl Aue. 1862. (152 ©.) 6 Ser. 


17. Refultate zu dem vorigen. (34 &,) 2'/s Ser. 
Inhalt: 1. einfahe Schlußrechnungen (Ropf: und Tafelrechnungen), 2. 
Tanfhrechnungen, 3. Durchſchnittsrechnungen, 4. Oewinn: u. Verluftrechnungen, 
Bid. Iahresberiht XV. 7 


98 Mathematil. 


5. Geſellſchaftsrechnungen, 6. Binsreduungen, 7. Rabatts und Zielerrech⸗ 
nungen, 8. Arbeits- und Berlaufsrehnungen, 9. Berwandlungsrechnungen, 
10. vermiihte Aufgaben, 11. Aufgaben aus der Haus und Landwirth⸗ 
ſchaft, 12. Längenberehnungen, 13. Flaͤchenberechnungen, 14. Koͤrperberech⸗ 
nungen, 15. Auszieben der Quadrat: und Gubilwurzeln. Die Aufgaben 
find recht forgfam ausgewählt und in eine fehr große Anzahl Unterabthei⸗ 
lungen gebradi. In den geometrijhen Rechnungen werben, wie es in 
der Ordnung ift, die Decimalbrücde vorausgejegt. 

18. Uebungsbuch im mündlichen und fchriftlicden Rechnen für Glementarfchüfer, 
—* für Schüler an Abend⸗ und Sonntageſchulen. Bearbeitet nad 
einem Leitfaden bei dem Unterribte im Rechnen von K. Fridhöffer. 
2. Seit, 3. Auflage. 3. Heft, 4. Auflage. Wiesbaden, Chriftian Limbarth. 
1861. (661.68 ©.) A 4 Egr. . 

Inhalt: Bruchrechnung, die vier Grundrehnungsarten in benannten Zahlen, 
einfadye Regelvetriaufgaben, zufammengefeßte Regelvetri nebft Kettenſatz, die 
fibrigen fonft üblihen Anwendungen der Grundrechnungsarten der einzelnen 
Abſchnitte find wieder ſehr ausführlih eingetbeilt, die Aufgaben felbft gut 
gewählt und gehören, wo fie unpraltiih find, wie 3. B. in der Geſell⸗ 
ſchaftsrechnung, zu den algebraifhen, gewinnen alfo an |peculativem Intereſſe, 
was ihnen an empiriihem abgeht. Die Aufgaben in reinen und anges 
wandten Zahlen find gut vertbeilt. 

19. Aufgaben zu fchriftligden Rehenübungen, für Bürgers und (lementars 
ſchulen bearbeitet von H. Schulze. Sagan, Rudolph Schönborn. 1861. 
3 Hefte à 16 &, Jedes 11, Ser. 

Das erfte Heft enthält das Rechnen mit unbenannten und gleich benannten 
ganzen Zahlen, das zweite das Rechnen mit ungleich benannten ganzen Zahlen 
und das dritte die Bruchrehnung. Ein viertes Heft foll das faufmännifche 
Mechnen umfaflen. Im erften Hefte finden ſich faft gar keine eingelleideten 
Aufgaben, etwas mehr bieten das zweite und dritte, aber auch jehr wenige. 
Die Beifpiele in reinen Zahlen find zur Cinübung hinreichend und der 
Auswahl und Anordnung nah recht gut. 

20. Die Elemente des Kopfe und Tafelrehnens für Kinder von 6 bis 10 Jahr 
ven. Kipingen, Ludwig Fick (ohne Jahreszahl). (16 ©.) 2 Ger. 
Enthält nur einfache Aufgaben in reinen Zahlen. Die Divifionen mit den 

Grundzahlen find ſämmtlich veranſchaulicht. Obgleich wir der Anficht find, 

baß ein find, welches die vom Berf. geitellten Aufgaben gerechnet hat, 

darum noch nicht rechnen kann, fo wollen wir dod ein unbedingt verwers 
jendes Urtheil jo lange zurüd balten, bis die Fortjegung erſchienen fein 
wird. 

21. Hülfsbuch beim Unterricht Im bürgerlichen Rechnen von Ludwig Baͤge. 
Deflau, 1802. Baumgarten u. Comp. (98 &.) 71/a Bar. 

Das Büdlein befteht aus drei Theilen. Der erfle enthält Regeln und 
Mufterbeifpiele für das bürgerlihe Rechnen und ftellt diefe Regeln nicht nur 
meiftens ohne Beweis auf, fondern auch in einer Form, melde ſowohl von 
bidaktiihem als wiſſenſchaftlichem Standpunkte unzuläffig ft. Möge der 
Lefer die Rechtfertigung unjerer Behauptung in folgenden Beiſpielen finden! 











Mathematik. - 99 


„Sehen wir nun die Glieder des Bedingungsfapes näher an, fo finden 
wir, daß fie fih zu einander wie Bewirlendes und Bewirktes verhalten. — 
Die Mifhungsrehnung lehrt theild die Qualität, theild die Quantität finden. 
— Da aber die Zahlen der Gapitalien nicht immer gerade Hunderte oder 
bequeme Bruchtbeile von Hundert find, und die Zeit nicht immer ein be 
quemer Bruchtheil vom Jahre tft, fo bebient man fi) zur Berechnung ber 

Binfen eines Anſatzes, bei welchem eigentlih immer das Capital das Be 

wirtende und ber Zinsfuß und die Zeit ald das Mitbewirlende das erfte 

Glied, die Zinfen aber als das Bewirkte das zweite Glied bilden müßten. 

Dies erleidet jedoch mancherlei Modificationen ꝛc.“ — Der zweite Theil 

enthält 740 Aufgaben über einfadhe und zujammengefeßte Negelbetri, Theis 

lungsrechnung, Mifhungss und Sinsrechnung, denen wir im Allgemeinen 
unjern Beifall nit verfagen wollen, zumal fie aud für fi Fäuflih find. — 

Der dritte Theil endlich enthält die Reſultate zu den Aufgaben. 

22. Rechenaufgaben und Arasen zunächſt für die freie Hanfeftadt Bremen bes 
arbeitet von F. W. Virgien. 2. Auflage. Bremen 1862. A. D. Geisler. 
(128 ©.) 20 Ser. 

Die Aufgaben find im Ganzen recht gut, die Fragen aber find meiſtens 
nicht viel nüße, zumal diejenigen, welde eine Definition ald Antwort vers 
langen. „Was ift eine Zahl?" — „Was ift ein geometrijches Verhaͤltniß?“ 
— „Womit kann ein geometrifches Verhaͤltniß verglihen werden?” — 
Bas folen folhe ragen für einen Schuljungen? Sie find nicht für Ihn, 
feld wenn er in der „Hauptfchule von Bremen“ figt. Die Aufgaben jedoch 
find recht gut, ebenfo die Erläuterungen, welde bin und wieder gegeben 
werben, jo daß das Buch trog der Fragen empfohlen zu werben verdient. 
23. Katechismus der Bahlenrehnung von Dr. Earl Neumann. Dredden, 

Boldemar Türk, 1862. (139 ©.) 20 Sgr. 

Diefes Buch ift der erfte Theil vom „Katechismus der Slementar: Mathe 
matik.“ Der PVerfafier hat fih die Aufgabe geitellt, feinen Schülern ein 
Buch in die Hand zu geben, nad weldem fie entweder für ſich einzeln 
oder gemeinſchaftlich bequem repetiren köͤnnen, was fie in den mathematis 
hen Unterrichtsftunden gelernt haben: „Das Bequemite für die Mepetition 
dürfte durch den Umſtand in etmas erhöht werben, daß auf jeder Seite 
des Katechismus den Fragen fowohl wie den Antworten ein ganz beſon⸗ 
derer Raum zugemefien, und jomit die Möglichteit geboten ift, je nad Bes 
darf entweder blos den Fragenraum oder den Raum der Antworten allein 
mittelft eines zurecht gefchnittenen PBapierblattes verdeden zu können. Man 
fieht nun wohl, daß dem Berfafler die Erreichung des Zweckes vorgelegen 
bat, feinen Schülern das einzig fihere Mittel, dem wiſſenſchaftlichen Biele 
entgegen zn fchreiten, nämlih die Selbftprüfung, fo viel als möglich zu 
erleichtern, und ihnen die Gelegenheit zu geben, die Rolle des Examinators 
und Graminanden zugleich übernehmen zu können.“ Bu dieſen Worten 
der Borrede fügen wir noch hinzu, daß das Buch das gewöhnliche Rechnen 
behandelt und außerdem die Lehre von den Klammern und Kettenbrüchen aufge 
nommen bat. Allgemeine Bezeichnungen der Zahlen werben bis zur Zinsrech⸗ 
nung bin vermieden. Die Darftellung ift leicht verftänvlidh, die Beweisführ 
tung kurz und bündig. 


7* 


100 Mathematik. 


24. Aufgaben für das fchriftlihe NRehnen von W. Koch in 7 Heften, 21., 
937,10. 9., 4., %, 2. Auflage. Berlin 1862. 2, Debmigfe. (32,32 40, 
64, 61, 80, 112 ©) 1.—3. Heft a 21/2 Egr., 4.—6. Heft à 5 Ser, 

7. Heit à 8 Ser. 

Inhalt: I. Die vier Species mit unbenannten ganzen Zahlen; II. Refol: 
piren, Reduciren und die vier Species mit mehrfah benannten Zahlen. 
III. Regelvetri mit ganzen Zahlen, Beitrehnung und vermifhte Aufgaben; 
IV. Brübe (gemeine und Derimalbrüde); V. einfadhe und zufammenge: 
jeßte Negelvetri, Kettenſaß; VI. Berhältnigbeftimmungen, Procentbeitimmun: 
gen, Gewinn und Verluſt, Beitrehnung, Rabatt, Disconto, Tara; VII. 
Zerminrechnung, Gejelfhaftsrehnung, Miihungerehnung, Wechfelrehnung, 
Raumberehnungen. Das erfte Heft enthält nur Aufgaben in reinen Zahlen, 
bie beiden eriten Hefte bieten feine Berechnungen, deren in ber ganzen 
Sammlung überhaupt nur wenige vorlommen. Die Aufgaben find meiftens 
ganz kurz nad demfelben Schema formulirt und jcheinen vorzugsweife auf 
Operationgfertigfeit berechnet zu fein. Aufgaben wie 


8 3 3 4 
Ga 
m E == X 


10 

gehören nod lange nicht zu den ſchwerſten. Die Zahlenverbindungen felbit 

find ſehr mannigfaltig. Endlich gibt der Verfaſſer in jevem Hefte „ver 

miſchte Aufgaben,” welde durchweg als mujtergültig angefehen werben 
fönnen. 

25. Zahlenbüchlein. Bon Ludwig Sobolewski. Glogau, Carl Flemming. 
1862. (16 ©.) 1 Ser. 

Enthält mit Ausnahme der beiden erften Seiten Zahlen, welche zu 

Nechenaufgaben benußt werden jollen. 

26. Brößere AHufgabenfammlung für das Tafelrechnen. Erſtes Heft. Bon 
Kudwig Sobolewski. Glogau, Carl Klemming. 1862. (60 &.) 5 Eger. 
Die Aufgaben werden häufig mit Hülfe von Nr. 25 gebildet und find nad 

dem Lehrgange des Verfaſſers (Nr. 5) geordnet. Die Schrift ift aber 

zu Hein, 

27. Kleinere Aufgabenfammlung für das Tafelrechnen. Erſtes Heft. Bon 

—Ludwig Sobolewski. Glogau, Carl Flemming. 1862. (36 ©.) 3 Egr. 
Iſt ein Auszug aus dem vorigen und billiger. 

DR, Aufldfungen zu Nr. 26 und Nr. 27. Ebdf. 5 Sgr. 

29, Aufgaben zum praftifhden Rechnen. Kür Neal:, Handels⸗, Bewerb: und 
Bürgerfhulen. Bon Dr. Ernft Kleinpaul, +. Auflage. Barmen, 1862, 
Langewieſche's Berlagshandlung. 149 S. u. Antworten, VIIIu. 62 ©. 20 Ser. 
Die Anordnung iſt diefelbe wie in der „Anweiſung“ des Berfaflers (vergl. 

X. Band, S. 276). Die Aufgaben find, fo weit fie nicht zur bloßen Ein- 

übung oder der wiſſenſchaftlichen Bollftändigleit wegen aufgenommen find, 

den wirklichen Berhältnifien entfpredend und darum zu empfehlen. 

30. Rechenbuch für Zolfsfhulen von Ferdinand Heuer. 1. Ihell, 10. Auf- 


lage. 143 S. 4 Sgr. — 2. Theil, 5. Auflage. 156 &. 4 gr. Han⸗ 
nover, Helwing’fhe Hofbuchhandlung. 1863. 








Mathematik. 101 


Gehört zu den befieren Aufgabenfammlungen. Man vergleiche unfere 
frübere Anzeige (VII. Band, S. 165 und XI. Band, ©. 203). 

31. Leitfaden zum gründlichen und praftifchen Unterriht im kaufmänniſchen 
Rechnen an Handelss, Gewerbes, Real⸗ und böbern Bürgerfchulen, mit 
vielen didaftifch geordneten und alle Rechnenvortheile entwidelnden Fragen 
und Aufgaben zu mündlicher und fchriftliher Loͤſung von Ph. J. Aug. 
Hedelmann. Darmfladt, Eduard Zernin. 1861. 1862. II. Eurſus: An⸗ 
wendung ber Procent: und Theilrehnung. 143 S. 16 Sgr. III. Curſus: 
Geld⸗, Wechfels, Effertens, Baarens und Havarierehnung, Conti» Eorrente. 
1956. 21 Egr. 

Den eriten Eurfus haben wir bereits angezeigt und lobend erwähnt (XIV. 
Band, ©. 108) und uns eine ausführliche Beſprechung deſſelben vorbehalten. 
Jetzt aber, wo das ganze Werk uns vorliegt, willen wir in der That nicht, 
was wir noch nachzutragen hätten. Der erſte Curjus tritt vollftändig in 
den Rang eines vorbereitenden, und der Hauptinhalt ift in den beiden legten zu 
fuhen. Der Inhalt ift im Ganzen fhon auf dem Titel angegeben; ven: 
ſelben im Ginzelnen aufzuzeigen, ift bei dem reihen Inhalt untbunlih. Das 
Bud ift Lehr: und Uebungsbuch zugleich. Was der Schüler nicht felber 
willen kann, wird ihm einfach und Har gejagt; was ſich von felbit ver: 
flieht, wird entweder leicht berührt oder durch eine Frage angedeutet. Alle 
Arten der Aufgaben find vertreten, die Auflöfungen vderjelben Mar, zwed⸗ 
mäßig und vielfeitig. Auf die Verbindung der verjchiedenen Aufgaben 
wird mit Net großes Gewicht gelegt. Die Aufgaben find melftens der 
Braris entnommen. Wie jehr der Berf. in's Einzelne geht, mag beifpiels- 
weife an folgender Ueberfiht gezeigt werben. 

„Wechſelrechnung: 

A. Platzwechſel⸗Discontrechnung, 
B. Wechſelpari-Rechnung, 
C. Wechſelreductionen; 
a. directe Reductionen: 
a. Berechnung des Ein: und Verkaufspreiſes: 
\ Devifen mit der Laufzeit des Courſes, 
2) Devifen mit verjchiedener Laufzeit; 
ß. Berehnung der Wechſelſumme, 
y. Berehnung des Wechſelcourſes; 
b. indirelte Reductionen.“ 


Die Hauptſache aber ift, daß das Material nicht blos augeinanderge: 
balten, fonvern, daß das Getrennte au wieder zujfammengearbeitet und mit 
einander verbunden mird. So empfehlen wir da3 Buch und bemerken nod), 
daß es auch zum Selbftunterriht ausreiht, und daß mir für die Methove 
den Satz 37 aus ihm entlehnt haben. 


3. Glementare Monographie. 


32. Hunbert algebraifhe Aufgaben mit vraftifchen Löfungen und einer Ans 
weifung, die Quadrats und Cubikwurzel auszuziehen. Kür Xreunde des 
Rechnens, befonders für Lehrer, Seminariften und Präparanden bearbeitet 
von Wilh. Schmidt. Bevorwortet von E. Hentſchel. Wittenberg, 
Herroſéẽ. 1862. 69 ©. 7/2 Sgr. 


102 Mathematik. 


„Die vorliegende Sammlung empfiehlt ſich durch zwedmäßige Auswahl und 
Anordnung des Stoffes, fowie durch die elementarifhe Behandlung deſſel⸗ 
ben. Hierin Slimmen wir mit dem Urtheil des competenten Vorredners volls 
fommen überein, aber in Bezug auf die Quadrat: und Gubilwurzel: 
ausziehung möchten wir doch fragen: verlohnt es fih der Mühe, das 
mübfelige Quabratwurgelausziehen zu erlernen, um ein halb Dutzend Auf: 
gaben damit zu löfen, oder das mechanifhe Cubilwurzelausziehen, um eine 
einzige Anwendung davon zu mahen? Zu biefer Frage find wir um 


jo mehr beredhtigt, als nur die Duadratwurzeln VIAA, V225, Ya, V36, 


Y49, vV 1600 vorlommen, welde ever auswendig weiß. Die Aufgaben 
find übrigens meiftens recht finnreich gelöft, und in’s Befondere ift der Sag 


(4) — >) a 
2 2 | 
mit Glüd und Geſchick angewandt. 


33. Die vier Grundrechnungen mit Decimalbrücen, behandelt mit Rückficht⸗ 
nahme auf den Unterriät an Bürgerſchulen, gewerblichen Fortbildungs⸗ 
und Semirars und Präparandenunftalten, fowie auch auf den Selbflunters 
riht und mit Webungsaufgaben verfehen von J. Rindfleiſch. Mühlhaufen, 
W. Rode. 1860. (94 ©.) 1% Sgr. — Uebungsaufgaben dazu. Abdrud 
f. d. Hand d. Schüler. (28 ©.) 3 Ser. 

Gine recht deutliche Lehre von den Decimalbrühen. In der Verwandlung 
der periodifchen Decimalbrüdhe aber bapert ed etwas, wenigſtens iſt die bier 
angewandte Induction nicht bemweifend. Der beite Weg wird bier immer 
die Summation unendliher Reihen fein, zumal fie fih ganz elementar 
behandeln läßt. 


4 Biffenfhaftlihe Lehbrbüder. 


34. Lehrbuch der lementaralgebra in Verbindung mit zablreihen Uebungébei⸗ 

fpielen und Aufgaben für höhere Gewerbe⸗, Real» und Bürgerſchulen, fowie 

um Selbſtunterricht bearbeitet von Dr. Adolph Poppe. Arankfurt a. 

.‚ Kranz Benjamin Auffarth. 1862, (336 ©.) 1Thlr. 16 Sgr. — Refultate 

nebft Andeutungen zur Auflöfung der fhwierigeren Aufgaben. (48 ©.) 10 Sgr. 

Handelt nad) einer Einleitung von den algebraifhen Grundoperationen, 

den algebraifhen Brühen, von den Potenzen und Wurzelgrößen, Gleichun: 

gen, Logarithbmen, Progreffionen und von der Zins⸗ und Nentenrechnung, 

die Einleitung gibt ſaͤmmtliche Begriffe bis zur Potenz und ihre Symbole. 

Ein Verfahren, welches wir nie gebilligt haben. Die Addition „algebrais 

[her Größen‘ beginnt gleich mit dem Pofitiven und Negativen, was offen: 

bar zu fchwer ift und durch barmlofe Beweiſe wie: „Kommt zu dem Befig, 

welcher ala poſitiv betrachtet werden mag, noch Beſitz binzu, fo entfteht 

vermehrter Beſitz ec.“ nicht leichter gemacht wird. Wenn man die Sub» 
tractionsgejeße aus analytiſchen Gleihungen ableiten will, wie etwa 


s=atb—b, 





alfo 
a— (+b)=a—b, 
a— (—bJ)=arb, 
fo mutbet man dem Gedächtniß des Schülers zu viel zu. Die Beweiſe 








Mathematik. 103 


für vie Multiplication find für den Anfänger durchaus nicht einleuchtend 

und jedenfall® mangelhaft. „Cine negative Größe — a mit einer negati« 

ven — db multipliciren beißt: ihren entgegengefeßten Werth + a fo oft zw 

fi felbft abdiren, als b Einheiten enthält. Das Product ift daher pofitiv, d. h. 
a) ( — b)== + ab." 

Dogegen find Bemerkungen wie die folgente recht gut: 


„razm=2sa —a 


Rai (+ a) (-b)=e (+22) (—b)—a(—b) 
— ab — — 2b — a (— b), 
mithin 


+ ab (- 2) (—b)," 
fobald nur die Multiplication der Summen und Differenzen vorausgefeßt 
werben kann. Das Berfahren für die Divifion von algebraifhen Summen 
iſt nicht bewieſen, fondern einfady oltroyirt. Der Unterricht hat das Allges 
meine zu fpeciallifiren, und zwar meift jo, daß von dem Speciellen ausge 
gangen wird. Deshalb ift die Formel 

x? +(a+b)x+tab=(z+ta)(x+b) 
nicht vollftändig behandelt. Es mußten für a > b außer diefer Gleihung 
noch die folgenden angegeben werden: 

x! (a — b)x—ab=(x—a)(x+b), 

x? +(a—b)x— ab=(x+a)(x—b), 

x — (a+b)x+tab=(x—a)(x—b), 
welchen man weiter b == a ſubſummiren konnte. Es iſt nicht abzuſehen, 
warum der Berfafler auf S. 29 die Gleichungen verwendet und nicht aus 

A — ma 
B=mb 
die Summe und Differenz 
A+B=m(ae+b) 

ableitet, zumal er gleih im folgenden Paragraphen von ben Oleihungen 
Gebrauch maht. Die Uufgabe, das größte gemeinſchaftliche Maß zweier 
Bolynome zu finden, ift zwar gut gelöft, doch wäre bie umgelehrte Ordnung 
wohl vorzuziehen. Bei den Brüchen wird der Sag, daß Zähler und Pens 
ner eines Bruchs ohne Aenderung des Werthes durch viele Zahl dis 


vidirt werden können, ohne Weiteres vorausgejeßt. a +2 a“ “ b 
iR eine einfache Addition und bedarf keines eigenen Paragraphen (8. 29) 
und ebenfowenig die Umkehrung dieſes Sapes 2 =a+ - (8. 36). 
Auch Hingt es ziemlih wunderlid, wenn man left, Aufgabe: „Einen Bruch 
* mit einem Bruch — zu multipliciren. Aufloͤſung: Der belannten 
Regel gemäß erhält man fofort 


80 u 
bd 


u 
ao 


104 Mathematik. 


Mit der Lehre von den Potenzen erhält das Buch einen ganz andern 
Charakter, indem von hier ab die Beweiſe vollitändig gegeben, ja felbft 
die Gejeße für negative und gebrochene Srponenten, wie ed aud in ber 
Ordnung ift, vollftändig bewiejen werben. 

In der Lehre von den Gleichungen begegnen wir der ungenügenden 
Begrifisbeftimmung: „Der. doppelte Ausprud einer und berfelben Größe 
heißt eine Gleihung.” Denn nimmt man bie genau, und ift A der Aus: 
drud einer Größe, jo ift der doppelte Ausdrud derfelben 2A, aber feine 
Sleihung Die Darfiellung ift ungemein ausführlih. Denn werben bie 
Oleihungen 

xıta=b,x— ac, 


x 
ax — d, — — w, 


& 
Yı+tb=a j Syx—b=a, 
— ı-b—a,axm=c—bxz, 
(a— x)co=x 
nit nur alle gelöft, fondern die Löfung nimmt aud vier Seiten in An: 
Spruch. Hier werden wir und erft über den Zweck des Buches Mar. 
Dffenbar fegt der Berf. voraus, daß der Schüler das gemeine Rechnen 
tüchtig inne bat und er thut weiter nichts, als hie belannten Geſetze durch 
allgemeine Gleihungen auszubrüden. Gibt man die Richtigleit dieſes Ver: 
fahrens zu, fo ift die Ausführlichleit ganz am Platze. Nur paßt wieder 
manches Andre nicht recht dazu. So 3. B. die Auflöfung der Gleichung 
Yz2+=_|, &__sl —&_, 
x 25 +x 25 4 x 
welche durch folgende Glieder hindurchgeht: 


2 2 36 
X — X 
+2 13,2, 
(42/24 D)’-3 
rn 








+16, 
®=5, 
x=|1. 


Denn obgleidy dies Alles fehr leicht ift, fo ift doch fehr die Frage, ob auch 
leiht für Solche, welchen jene elementaren Gleihungen jo mweitläufig ent- 
widelt werben mußten. Die legte Gleihung ift übrigens eine in mehr: 
facher Beziehung ſehr inftructive. 


j Mathematif. 105 


35. Aurger Leitfaden und wifjenfchaftlihe Grundlage der gefammten Elementar⸗ 
ran von Dr. Martin Ohm. Leipzig, Hermann Fries. 1862. (205 ©.) 
r. 


Wir ſind bei der Anzeige dieſer Schrift in einiger Verlegenheit. Behandeln 
wir fie kurz, fo thun wir dem Verfaſſer Unrecht, beſprechen wir fie mit 
der Ausführlichleit, welche die Wichtigkeit der behandelten Gegenftände forbert, 
jo müfjen wir eine ganze Abhandlung ſchreiben. Jedenfalls verdienen die 
Ohm'ſchen Anfihten eine genauere Prüfung und es ift ſchon mancher 
Streit über jie entbrannt. Yür die Lejer des pädagogischen Jahresberichts 
find fie im Allgemeinen nicht benußbar. Penn da die ganze fogenannte 
Arithmetit und die algebraifche Analyſis auf 205 Seiten abgehandelt ift, 
jo ift die Darftellung ungemein knapp ausgefallen und wird nur dem leicht zus 
gänglid fein, der die Lehren ſchon anderweit ber kennt; ja auch diefer 
bat ein mirklihes Studium durchzumachen, denn er muß fih durch eine 
durch und dur abftracte Theorie hindurcharbeiten, und das ift es, weshalb 
das Buh zu empfehlen it. Cs enthält wirkliih neue Gedanlen. Die 
Form hingegen ift oft etwas abjtoßenv. 


5. Aufgabenſammlung. 


36. Methodiſch geordnete Aufgaben über die Elemente der Buchſtabenrechnung 
und Gleihungdlehre von H. Zahringer. 2. Auflage. Zürich und Glarus, 
Meyer und Zeller, 1862. (154 5.) 10 Sgr. 

Antworten zu den metbodifch geordneten Aufgaben über die Elemente der 
Buchſtabenrechnung und Gleichungslehre von 9. Zäbringer. Züri 
und Glarus, Meyer und Beller, 1862. (130 S.) 2. Auflage. 16 Ger. 
Wir haben dieſe Aufgabenfammlung ſchon in ihrer eriten Auflage zu den 

guten gezählt, noch mehr dürfen und müfjen wir ihr in ihrer neuen Geftalt 

ein löbendes Zeugniß ausftelen. Anordnung und Planmäßigleit ließen 
fhon in der erften Auflage nichts Erhebliches zu wünſchen übrig, jeßt aber 
bat der Berfafler doch noch Mancherlei im Einzelnen ausgebefjert und den 

Merth feiner Arbeit erhöht. Unter diefen Umftänden ift uns die Erfüllung 

unseres bei der früheren Anzeige ausgejprochenen Wunſches, daß die neue 

Auflage eine verboppelte werben möge, doppelt angenehm. Die neue Auf: 

lage enthält 2836 Aufgaben, während die alte deren nur 1356 darbot, 

und liefert nun in allen Abjchnitten binreihendes Material zur Ginübung. 

„In Bezug auf die Antworten — die uns beim eriten Grfcheinen des 

Buchs nit vorlagen — weicht die neue Auflage von ber früheren ab, 

Es find nämlich bei allen Aufgaben, welche auf Gleihungen führen, nicht 

nur die Nejultate, fondern auch die Gleichungen ſelbſt angegeben. Dieje 

Aenderung wurde nit mit Rüdfiht auf die Schüler, fondern mit Rüd⸗ 

ficht auf die Lehrer vorgenommen. Bei dem Aufihmwunge, den die Mittel 

Schulen in unferem Baterlande nehmen, lommt ver mathematiſche Unterricht 

oft in Hände, welche im Löjen algebraifher Aufgaben noch wenig Gewandt⸗ 

beit haben und dieſen follte der Gebrauch des Buches erleichtert werden.” 

Möge es recht fleißig benußt werben! 


6. Wiſſenſchaftliche Monographie. 


37. Ueber einige Aufgaben aus der diophantifchen Analyfis von Dr. Earl 
Ludwig Albredt Kunze. Weimar, T. F. A. Kühn. 1862. (18 ©. in 4). 


106 Mathematik. 


Dir haben früher (VI 3b. 6. 102) ein Eihriftchen vefielben Verfaſſers 
über denſelben Gegenftand angezeigt. Jenes beichäftigte ſich mit den unbe 
flimmten Gleichungen des erften Grades im erften Theile und im zweiten 
mit ſolchen Aufgaben, welche auf Gleihungen führen, die den erften Grad 
überfleigen; das vorliegende Scriftchen gibt eine werthvolle Fortfegung 
und Ergänzung biefes zweiten Theils und behandelt folgende Aufgaben 

1. + yP=ı$ yı’ — —y; ı’+ys=x—y; 
x  PıH$+y, 

2.’ + Pf yP’+fedg, "Hrn, 

3. Dreiede zu finden, bei denen fomohl bie Seiten als die drei Ges 
raden von den Epiten nah den Mitten der Seiten rationale Werthe be 
Iommen, 

4.x?2 + y?’+2?=m}, 

5. x? + y!=a?+ PR, 

6. ax? +by?=(a+b) 29, 

7. Dreiede zu finden, bei denen die Seiten und der Inhalt rational 
find und die erfteren in arithmetifcher Progrefiion ftehen, 

8. Dreiede zu finden, bei denen die Seiten und der Inhalt rational 
find und alle vier Stüde in arithmetifher Progreffion ftehen. 

Wir müflen geftehen, auf dem Gebiete der Elementarmathematik feit 
Langem nichts fo Belehrendes und Anziehendes gelefen zu haben, als biefe 
Heine Arbeit. 


IL Geometrie, 


38. Ueber wiſſenſchaftliche Schärfe beim Iinterriht in der Geometrie von Friede 
rich Märker. Meiningen, 1862. 2. v. (ine. 

Der Berfafler macht auf die Etellen im geometriſchen Unterrichte aufmerk⸗ 
fam, wo zu befürdten flebt, daß Ungründlichkeit und Oberflädhlichleit mit⸗ 
reden. Mer für die Schärfe, worin Cuklid und überhaupt die Alten unfere 
unübertroffenen Mufter find, Einn und Verſtaͤndniß hat, wird dem Ver 
fafjer gern durch das Gebiet der Geometrie folgen und feine Warnungen 
und Belehrungen vernehmen. Cr bietet und gründlide Forſchungen über 
eine Reihe von Elementarbegriffen, welche ſowohl wiſſenſchaftlich, als metho⸗ 
diſch von großer Wichtigkeit find, und ſelbſt, wo man ſich ihm nicht an« 
ſchließen mag, folgt man ihm gern, weil man dem Ernſte ber Forſchung 
nicht widerfteben kann. 

39. Lehrbuch der ebenen Geometrie mit Einfluß der algebraiſchen Geometrie 
und der ebenen Triaonometrie. Zum Gebrauch bei den Rorträgen an ber 
Bereinigten Artillerie und Angenteurfchule und zum Selbftunterricht bear⸗ 
beitet von Dr. & H. M. Aſchenborn. Berlin, 1862. Berlag der Königl. 
Geheimen Hofbuchdruderei. (472 ©.) 2 Ihlr. 8 Bor. 

Der Titel diefes Buchs ift in mehrfacher Beziehung lehrreih. Erſtens be 
gegnet uns in der Hauptbeftimmung eine Logik, welde ſowohl in der Mas 
thematik eingebürgert if, al3 aud von preußiichen Univerfitätslatbebern 
berab verlündigt wird: das Befondere für das Allgemeine zu nehmen und 
umgelebrt. Im ganzen Yude kommt nämlid, wie fi von felbft verftebt, 





Mathematik. 107 


nichts von der allgemeinen algebraifchen Geometrie vor, fondern nur ber 
:heil, welcher zur Planimetrie gehört. Dabei mag zugleich bemerkt werben, 
daß wir überhaupt den Begriff der „algebraiſchen Geometrie” für einen 
verfeblten halten. Die algebraifche Geometrie ift nämlih nicht etwa ein 
befonderer Theil der Geometrie, fondern eine beitimmte Methode bderjelben, 
und es läßt fi nit etwa das ganze Gebiet der Geometrie beliebig alges 
braifch oder nicht algebraifch behandeln, fondern die algebraiihe Behand⸗ 
lung iſt an beitimmten Stellen und bei beitimmten Problemen geforvert. 
Alfo ift es nicht nur verkehrt, die planimetriſche „algebraifche Geometrie‘ 
algebraifhe Geometrie zu nennen, fondern auch verkehrt, überhaupt im Ges 
genfaß zur Planimetrie davon zu reden. Sie iſt durchaus nichts Selbſt⸗ 
Händiges. — Zweitens ift das Buch zu „Vorträgen“ beftimmt. Wir wiſſen 
nicht, was für Männlein an der Berliner Cadettenſchule ven Inhalt unjeres 
Buchs lernen follen; aber das willen wir, daß für Leute, weldye den Sag „Schei⸗ 
telwintel find gleich‘ lernen follen, „Vorträge nicht geeignet find. Der 
Titel gäbe Beranlafjung, noch Einiges zur Sprache zu bringen, aber da 
diefes ebenjowenig als das bereits Erwähnte dem Werthe des Buchs Ein: 
trag thun kann, jo wenden wir ung an dieſes ſelbſt. 

Der Berfafler handelt zuerft von der Lage der geraden Linie in einer 
Ebene, von den Winleln und der Abhängigkeit der Winkel uud der Lage 
der Linie von einander, entwidelt dann die gegenjeitige Abhängigkeit der 
Winkel und die Länge der geraden Linien in gerablinigen Figuren, die 
Anzahl der beftimmenden „Stüde” folder Figuren, ihre Congruenz, ihren 
Inhalt (Ausmefiung), ihre Geftalt (Aehnlichkeit) und die Lehre vom Kreife, 


bejpricht ferner die „geometrische Analyfis und die algebraifhe Geometrie - 


und fchließt mit der Zrigonometrie. 

Die „Eintheilung‘ der Geometrie fonnte wegbleiben. Sie ift nidt 
haltbar, wie der Berfafier jelbit zugibt, wenn er jagt: „Die eben angege⸗ 
bene Eintheilung der Geometrie in die niedere und höhere zeigt feine ſcharfe 
Grenze beiver Theile.” Und wenn fie richtig wäre, fo wäre fie doch ums 
wiſſenſchaftlich. Denn die Gliederung kann fi erit im Berlaufe der Unter 
fuhung ergeben. Wer nicht mit dem Gegenftande bereit3 belannt 
ift, verftebt die Eintheilung nicht, und mer jenen lennt, braucht diefe nicht. 
Die jungen Xrtilleriftien wenigitens werben dabei jo klug bleiben wie zuvor. 
Auch die Behauptung, daß die „Coordinatentheorie‘ ein dritter unterges 
ordneter Abjchnitt der Geometrie ei, ift gewiß nicht richtig. 

Der Berfafier geht ferner faft immer auf Bollftändigleit und Abrun⸗ 
"dung aus. Das ifl gewiß das Richtige; aber er erſchwert ſich feine Ars 
beit nicht felten daburd, daß er Lehren in den Zuſammenhang aufnimmt, 
welche dieſen unterbrechen, aljo in einen andern Paragraphen gehören, wie 
2. ©. 9, Ne. 6; zweitens ftellt er fich bei Aufgaben, die es recht gut 
zulafien, nidt auf einen allgemeinen Standpunkt. Um dies zu zeigen, 
wählen wir die Scheitellinie des Dreieds. Iſt s, eine Scheitellinie eines 
Dreieds ABC mit den drei Seiten AB=o, BCE — a, CA— b un 
theilt diefelbe von C ausgehend die Segenjeite AB == c in zwei Abjdhnitte 
Ca und Co, von denen der erflere an a, der andere an b grenzt, fo findet 
man durch breimalige Anmwendung des pythagoraͤiſchen Lehrſatzes 


108 Mathematik. 
„_"atrbi.c 

&. = e Ca &, 
welche Gleihung beim Berfafier S. 224 vorlommt und die unbequeme Form 

„ ata—z)(bt—ei) 

& 

hat. Tiefe Gleihung enthält alle jpeciellen Fälle, welche bei dem Berf 
an verfdjievenen Stellen vorfommen. IR 5. B. aa; alles. Ehwe’ 


linie, jo entfleht 
a? + b? e\? 
8. = 2 (2 ‚ 
welcher Sag beim Berfafier auf S. 73 flebt. IR femer ab, jo er 
hält man 
8.3 — b3 — Ca Ch. 
M s. eine winlelbalbirende Echeitellinie, fo if 


as:b=c:—%, 





mithin 
— ac U} —e be 
ap R@, rd 
"et, „_nerdb 


Sest man die erfien Werthe in die allgemeine Formel ein, jo entiteht 
s _®b(atb+c) a +b— ec) 
Bet = — ⸗— — —— — 
(«+b)(a+b) 
welche Formel beim Berf. auf S. 244 vorlommt. Werden hingegen bie 
jweiten Werthe fubftituirt, fo erhält man die Formel 
Se? = ab — cu ©, 
welche ber Berfajier S. 77 gibt u. f. w. Hiermit foll nicht gefagt fein, 
daß die erften Eäße nicht vereinzelt vorlommen jollen, ſondern nur, daß 
fie etwa fo, wie wir gethan haben, zufammengefakt werben. 

Der Berfafier legt ferner großes Gewicht auf die Stellung der ent: 
fpredenden Buchſiaben Iſt z. 3. JS ABC C AEFG, fo if nidt 
I ABCL .I EGF zu jegen. Tas if volllommen in der Ordnung; aber 
dann braucht man aud nit zu jagen: „man verlängert die Gerade AB 
über B hinaus,’ denn follte fie über A hinaus verlängert werben, jo würde 
man e3 nit mit AB, fondern mit BA zu thun haben. 

Bei der Zeihenbeftimmung der Polarcoordinaten S. 230 findet eine 
Unflarheit oder eine Unrichtigleit ftatt. 

Es ift bedenklich, die Gleihungen 











Mathematit. 109 


als Definitionen aufzuftellen. Auch muß man ſich mundern, daß der Verf. 
ganz richtig die Coorbinaten als Grundlage der Geometrie annimmt und 
doch die Definitionen 


*3 — ? _x 
sin zz eog=n 

_!’ _ x, 
tg ꝙ x' cot ꝙ y 
ey—=—, ce - 
sep, op 


verihmäht. 

Dies der erfie Theil unferer Anzeige, nämlidy derjenige, welcher die 
Ausftellungen enthält. Wollten wir nun dad Vorzüglihe vollftändig 
berausheben, fo würden wir noch eine lange Arbeit vor ung haben. Des: 
balb fallen wir uns jo kurz als möglid. 

Der Berfafler hat zwar die üblihe euklidiſche Form der Darftellung 
gewählt, aber er läßt fih nur innerlich, d. h. durd die Begriffe, weiter 
treiben. Dies erreiht er dadurch, daß er allemal gleih im Anfange eines 
Abfchnittes eine allgemeine Umſchau hält und fih auf einen allgemeinen 
Standpunft ſtellt. So in 8. 5 bei der Beftimmung einer geraden Linie, 
in — 10 über die Lage dreier Geraden, in $. 14 "über den Parallelismus, 

24 (Uebergang zur Congruenz), in 8. 76 und $. 82 (Webergang 
* — in 8. 183 (Lehre von den Coordinaten). Dieſe allge⸗ 
meinen GStörterungen find überhaupt muſterhaft und auch für den Didaktiker 
lehrreich. 

FZerner begegnen wir vielen eigenthümlichen Auffaſſungen und Be: 
weiſen. Indem ver Verfaſſer den Winkel als Ebenenabſchnitt anſieht, bahnt 
er fih den Weg zu einer anſchaulichen Parallelentheorie, welche auf dem 
Grundfage fußt, daß die Parallele einer Geraden ebenfalls eine Gerade ift. 
Die Einſchließung einer krummen Linie in die Grenzen zweier gebrochenen 
it jehr gut. Das Verhältniß zweier Rechtecke mit derfelben Seite ift für 
den Fall der Incommenjurabilität auf doppelte Weije abgeleitet. Die erftere 
ift wohl für den Anfänger zu ſchwer, die zweite aber, welche fi auf den 
Sag ftügt, daß wenn A +te=B+Pit, auch A— B jein muß, wenn 
a und ß Heiner als jede aoch fo Heine angebbare Größe werben können, 
ift wie für ihn gemadt. Die Ableitung der Formel 
für den inhalt des Trapezes ift recht intereflant. Der Beweis des ptole⸗ 
maͤiſchen Lehrfaßes ift neu und jcharffinnig. Der befte Beweis, den ich Tenne, 
ift der, welchen Profefior Kunze aus Weimar in der mathematischen Ge⸗ 
ſellſchaft in Jena mitgetheilt hat. Da derſelbe Manchem erwünſcht fein 
wird, will ich ihn reproduciren. Sind a, b, c, d die Seiten des Sehnen: 
vieredd, fo können diefe, wenn wir immer mit a den Anfang machen, in 
folgender Ordnung in den Kreis eingetragen werben: 

abcd, abde, acbd, acdb, adbe, adcb 
und bilden jo immer ein Sehnenviered mit denfelben Seiten Bertaufchen 


110 Mathematik. 


wir aber nur die Gegenſeiten, fo erhalten wir, von der Lage abgefeben, 
daflelbe Biered, oder die Bierede abcd und adob, abde und acdb, achd 
und adbo find identiih. Wir erhalten alfo aus benfelben vier Seiten 
nur die verſchiedenen Bierede 

abcd, abdo, achd. 
Das erfie bat die Diagonalen f (überfpannt von a, b oder c, d) und g 
(überfpannt von a, d oder b, c), das zweite die Diagonalen f und h 
(überfpannt von a, c oder b, d), das britte die Diagonalen g und h. Iſt 
nun ABCD das Sehnenviered und feßen wir AB==a, BÜE=b, CD==c, 
DA =d, und madt man are AE == arc BC beide in derjelben Richtung 
gedacht, fo it AE=b, DE=h. Schneiden fih nun die Diagonalen 
Ac=f un BD=g in 0, fo if 

ACOD „ JEAD, 

folglich 


oder 


CO:c=b:h 


. h.CO=b.e, 
d. h. „das Rechteck aus einem Diagonalabſchnitte und der dritten Diago⸗ 
nale des Sehnenviereds ift gleih dem Rechted aus den den Diagonalab⸗ 
ſchnitt einfchließenden Seiten.” Wenden wir dieſen Sap auf alle Diage- 
nalabſchnitte an, fo erhalten wir 


h.AO=a.d, 
h.BO=a.b, 
h.CO=b.e, 
h.DO==c.d. 


Wird von diefen Sleihungen die erftle und dritte und ebenfo die zweite 
und vierte addirt, jo entſteht 
h.(AO+CO)=a.d+b.e, 
h.(BO+DO)=a.b+ce.d, 

oder, weil AD + CO = f, un BO +DO = g if, 

1) fh=ad-+ be, 

2) gh=>ab+ cd, 
welches der ptolemäifche Lehrſatz für die beiden anderen Vierede if. Es 
ift alfo auch 

3) fg == 80 + bd. 
Diefe Ableitung bat vor der üblichen voraus, daß fie 1) nur eines Paars 
ähnlicher Dreiede bedarf, 2) daß fie zu einem hübſchen Zwiſchenſatze führt, 
8) dafs fie den Duotienten der Diagonalen ohne Weiteres angibt, denn 
wird 1) durch 2) dividirt, fo entſieht 

f _ ad + bo 
g ab+ cd’ 
und 4) daß man bie Formel für die Diagonalen unmittelbar erhält, denn 
wird das Produft von 1) und 2) durd 3) dividirt, fo erhält man 
ni (ab + cd) (ad + be) 
ac + bd j 

Die Berechnung der Zahl 7r ift mir neu. Sie weicht von ber gewöähnk 


=> 


Mathematik. 111 


den darin ab, daß fie nicht die Umfänge oder Flaͤcheninhalte ver ein- und 
ausgeschriebenen Polygone, fonvern die Radien verjelben vergleicht, und 
der Saͤtze abgeleitet werben 


nt 
Can — , 


Yon = VrIOSn 
Die Auseinanderfegungen über die Analyſis S. 178—202 find hoͤchſt in⸗ 
ſtructiv und mit pafienden Beifpielen erläutert; auch ift Lobend hervorzu⸗ 
heben, daß der Begriff des „Datum“ genau angegeben und verdeutlicht 
worden if. 

Auf die große Zahl von Einzelheiten können wir nicht eingehen. 
Ebenfowenig auf die vielen methodiſch verwerthbaren Anbeutungen. Hat 
man 3. 2. die Gleichung 

h?2— a? +3, 
wo h die Hypothenuſe, a und b die Katheten des Dreieds 
vorfiellen, jo erhält man aus ihr durch Divifion mit h?, a 


d. h. in der trigonometrifhen Sprache 
41 =sin?x-+ cos? x, 
coseoedx=—=1 + cot?x, 
secetx—1+tg?x. 

Daß der Berfafier eine gewiſſe Vollſtaͤndigkeit angeftrebt bat, ift ſchon ans 
gedeutet worden. Wir können hierfür die gelungene Darftellung der Con» 
genenz des DViereds (6. 36 — 40) und der Congruenz der Vielede (S. 40) 
als muftergültig hervorheben. Auch die allgemeinen Löfungen gehören 
bierher 


Der Verfafier bat ferner eine große Anzahl netter, vielfad neuer 
Uebungsaufgaben Theil mit, Theils ohne Beweis oder Andeutung deſſel⸗ 
ben gegeben. Dabei hat er einen Bug nad der Praris bin und geht un⸗ 
beidhadet der Gründlichkeit und Wiflenjchaftlichleit gern zu Anwendungen 
über. Mehrere derjelben mahen zwar ein ſpecifiſch artilleriftiiches oder 
ingenieur' ſches Gefiht, haben aber gerade deshalb einen befondern Reiz. 
Lehrer, welhe Aufgaben ſuchen, ſowie folhe, welche fich felbft üben wollen, 
werden in dem Buche vieles Anſprechende finden. 


Einige Notizen find jehr dankenswerih. So die Näherungsgleihung 
* == rs, die näherungsweiſe Rectification des Kreiſes (S. 163), die all⸗ 
gemeine Kreistheilung (6. 165), die Erklärung des Arcus (6. 167), die 
Neihe für 77 und ihre Ableitung und vieles Andere. 


112 Mathematik. 


Fügen wir noch binzu, daß die Darftellung überaus klar und deutlich 
ift, jo haben wir da8 Buch binlänglih darakterifirt und das Ergebniß ift: 
ed verdient im hoben Grade, berüdfichtigt und ftubirt zu werben. 

40. Leitfaden der ebenen Geemetrie und Trigonometrie für Gymnafien, höhere 
Bürger und Gewerbefchuten, einfach und leicht faßlich dargeitellt von David 
Gifhorn. Braunihweig, Schulbuchhandlung. 1862. (238 &.) 1 Thlr. 
Diefes Buch jchließt ih an die Arithmetik des Verfafjerd an (vergl. XIV. 

Band, 5.112). Sein Inhalt ift: 1. Bon den beiden Grundconftructionen, der 

Linie und dem Wintel, 2. von den Parallelen, 3. von der volllommenen 

Beitimmung ded Dreiedd oder der Gongruenz, 4. von der volllommenen 

Beftimmung der Vierede, 6. von der volllommenen Beltimmung der Poly: 

gone, 7. von der Beltimmung des Flächeninhalts geradliniger Figuren, 

9. Verhältniß der Uuadrate, die über beftimmten Linien conftruirt werben, 

10. von der Webhnlichkeit der Figuren, 11. von den Winkeln in und am 

Kreife, 12. Theilung des Bogens und der Rreiglinie, 13. von den in und 

um den Kreis bejchriebenen Figuren, 15. von der Nreisberehnung, 16. 

Trigonometrie: a. Ginleitung, b. Goniometrie, ce. Berechnung der Figuren, 

d. geodätiihe Anwendungen, Anhang: Uebungsaufgaben. Eine Gliederung 

des Stoffe, welche auf etwas: Eigenthümlidhes nicht ſchließen läßt. Der 

Berfafier gebrauht das Wort „Dreiftredigfeit.” Die Gerade muß erflärt 

werden als Richtung und Strede. Der Sag in $. 7 ift in den Büchern 

ungewöhnlid, aber wohl beredtigt. Die Begriffsbeftimmung des Wintels 
als Neigung ift die Beltimmung eined Deutlihen durch ein Undeutliches. 

Parallellinien werben als folde Linien vdefinirt, melde biefelbe Richtung 

baben. Dann aber läßt fih aud der „Brundfaß‘: „wenn Linien zu 

einer dritten fie durchſchneidenden dieſelbe Richtung haben, fo find fie parallel,“ 
ftreng beweifen. Bon den bei Parallelen vorlommenden Winteln werben 
drei Arten in's Auge gefaßt. Das ift eine Unvollftändigfeit. Denn daß man 
die „Gegenwechſelwinkel“ nicht braucht, kann nichts für ihre Weglafiung bewei- 
fen. Durch die Säße über die Winlel mit parallelen Schenteln kann der 

Verfafler den Sag von der Winkelſumme des Dreieds, mit einem Beweiſe 

verſehen, der von dem üblichen abweicht, aber Beachtung verdient. Daß zwei 

Kreiſe fih nur in zwei Puntten ſchneiden können, iſt nicht bewiefen.. Sonſt 

ift die Vorausnahme der Säge über die Lage zweier Kreije recht zweck⸗ 

mäßig. Der Beweis für die Winlelfumme eines Vieleds ift nicht allges 
mein genug. Die Incommenjurabilität wird durch die unendlich Kleine 

Linie umgangen. Wenn man dies recht anfängt, fo ift Nichts dagegen zu 

fagen; aber eben jo leicht it die Anwendung des Kettenbruchs. „Für dag 

Auge überfichtlicher”‘ wird die Formel für den Inhalt aus den drei Seiten 

eines Dreiedsd dadurh, daß man a + b + c == 25 ſetzt keineswegs, ſon⸗ 

dern es wird nur die Rechnung etwas bequemer. Der Satz, daß zwei 

Bielede ähnlich find, wenn in ihnen alle gleich liegenden Winkel und alle 

gleihliegenden Seiten proportional find, ift nicht zuläffig, weil beim ned 

niht 2n Beftimmungen, fondern nur 2n — 4 notbiwendig find. Die 

Ueberfegung von Transporteur durch Abträger ift fall. In ber Trigono: 

metrie wird zwedmäßig das rechtwinkelige Dreied mit Winleln jeder Größe 

in Verbindung gebracht, und die trigonometriſche Function ganz richtig als 











Mathematik. 113 


Oustient aufgefaßt. Zu tabeln if aber, daß davon wicht immer Gebrauch 
gemacht wird, 3. B. nicht bei der Übleitung für sin (@ + ß). Diefe bat 
bequemer die folgende Geftalt: Es iſt 


sin (a +) = 


Cr 30 +00, 
FG= AE.sina—AQ.sin a cos ß, 
CG==CE.cos a==AC.cousin ß, 


uhi 
sin( +f)= sin «cos ß + cos «a sin f. 

Die Goniometrie enthält übrigens eine ausführliche Belehrung über den 
Gebraud des Hülfswinkels und die trigonometrifhe Auflöfung der quadra- 
tiſchen und cubifhen Gleihungen. Die eigeutlihe Trigonometrie behandelt 
zuerſt das rechtwinlelige Dreied, dann das gleichfchenlelige und das reguläre 
Vieled ꝛc. Die Beweisführung ift knapp, leichtere Beweiſe werden nur an- 
gedeutet oder durd Fragen in Gang gebracht. Auch für Uebungsftofi bat 
der Berfafler geſorgt. 

41. Beſchreibende und analytifche Geometrie als Leitfaden beim Unterricht in 
höheren Lehranitalten von Wilhelm Mind. Crefeld, 1862. C. M 
Schũller. (168 ©.) 

Das Bud dient als Ergänzung des Lehrbuchs der Geometrie deſſelben 
Berfaflers. Diefes ift in feiner Art vecht gut, und wird als Lehrbuch gute 
Dienfte leiften (vergl. IX. Band, S. 141). Wie fteht es nun mit der „Er: 
gänzung ?” Die deferiptive Geometrie iſt auf 45 Geiten abgehambelt, enthält 
alfo nicht viel mehr ‚als die Zundamentalfäße. Für em Lehrbuch mag viele 
Beſchraͤnkung erlaubt fein, gewiß abes nicht für den Unterricht, wenn er 
Nutzen bringen fol. Die analytiſche Geometrie zerfällt in vie der Gbene 
und bie ded Raums. Jene behandelt die Lage eines Punktes, die gerabe 
Linie, den ſereis, die Kegelfchnitte und die Linien bes zweiten Grades über- 
baupt; die analptiihe Geometrie des Raumes behandelt die Lage eines 
Bunltes, die Gerade im Raume, die Ebene, die Flähen im Allgemeinen, 
ſodann Sugelflähe, Gylinderflähe, Kegelflaͤche. Die Berwandlung ver 
Coordinaten an die Spige zu ftellen, halten wir für verfehlt, und geben 
lieber für jedes Gebilde won beliebigen Eoorbinatenagen aus. Iſt z. B., 
um bei reshiminfeligen Goorbinaten ftehen zu bleiben, b der Abftand ber 
X:Age, a der Abftand der Y-Are vom Gentrum, jo ift 

ri (x — a)? +(y— b)? 
und verjhieben nun die Aren allmälig, jo gelangen wir endlich bis zur 
Mittelpunttsgleihung 
Mo r!+ y3 

Die Bezeichnung ber Geraden und Bablen durch diefelbe Art von Buch: 
ſtaben ift nicht zu billigen. Die allgemeine Form für die Curven des 
zmeiten Bades hätte man en jo zu jchreiben 

ax? + Ay3 + yay tax} by + A == 0. 

Die ausführlihe Behandlung des Kreifes iſt übrigens nur anzuerkennen, 

ebenfo die @inzelbehandlung der Kegelichnitte. Daß aber eine analytiſche 
Bir. Jahreoberichi XV. 8 





114 Mathematik. 


Geometrie des Maumes auf 25 Eeiten nicht viel werth fein lann, verſacht 
ih von felbft. Der Verfafler hätte fie daher liebes weglafien follen. Das 
Waterlal der Obene ift aber trog der Kürze ziemlich vollſtändig und bietet 
eine qute Einführung in die analytifhe Geometrie überhaupt. 


III. Die ganze Mathematik umfaflende Schriften. 


49, Die Watbemarit In ſyſtematiſcher Bebandiungsweife, als Lehrbuch zur Bor 
bereitung tür ein gruͤndliches Fachſtudium überhaupt, fowie inshefondere 
für den atabemikhen und polptechnifchen Unterricht verfaßt von J. €. Hug. 
Writer MAand. I. Wigebra und algebraiſche Analyfis, EI. Eynthetifche und 
analntiide Geometrie. Reipgig, Wilhelm Gngelmann, 1861. (723 und 
XXU @,) 3 Xhlr. 15 Ger. 

Racddem der Verfaſſer die Glementarfunctionen abgeleitet hat, behandelt 
or „die erſte Neidenfolge ber algebraifchen Gleichheiten over bie funbamen: 
talen Oleiddeiten und Die damit zufammenbängenden Ergebniſſe“ Die 
Diridane Der Ahleitung IR num im Allgemeinen die, daß eine Ciementar- 
Aleicdung auſgeſtelt und auf mehrfache Weiſe verwandelt wirb, bis man 
IN vie neuen Ledthade bemmt. Co wird 5. B. in der Gleichung 

v—- a) arm=oc 
delderelte a air, Doadurch entcht 
ws Q+atrasm=c+n, 
alle, aaa wa a au) deiden Seien jnbtrabirt, 
ea ) — 4 

Dieraud ſolat deutt hard Suddacuen men m 

w-aectzn — a+n). 

Deh Metbere hat zum allerinzs etinad Berhädtiges, denn fie fchteitet 
gang Anherii, ebme ae inneren Netive feet. aber dem Berfafier muß zu⸗ 
geluntun wetten, Buß er micht Hinplinys syerint Gr 


vi 
me tage, geht vcu biefer pur Bnmmwert war ümiet dieſe durch ein notb- 


ee — a ua kehuustet, Du i beider Null, 
d. b. Nibts ſei Name mag geben, da er am:log dem „umgelebrien 
Brad” gebildet if, eier de Jorm a — b lau hier med gar nicht ges 








Mathematik. 115 


zunehmen ‚“ fo fragt man doch billig, weshalb es das Einfachſte ſei. Den’ 
nothwendigen Zortfchritt haben wir oben (11) entiwidelt. 

Weit behutfamer ift der Derfafler bei der Enveitermg ber Potenz: 
gefege auf Potenzen mit negativen und gebrochenen Erponenten. Auch ift 
anertennend hervorzuheben, daß die Aufgaben 


at + bt==x, 
a + dx 


anfgelöft werben. . . Ebenfo, daß, da einmal die arifhmetifche Neibe bei ber 
Subtraction behandelt worden ift, bei der Divifion auch die geometrifche aufs 
geftellt und ihre Summe formal entwidelt wird. Daß die imaginären 
Bablen bei der Wurzellehre nicht behandelt werben, ift zwar bibaltifch ge⸗ 
boten, jedenfalld aber inconfequent, da bei der Subtraction vie algebraifchen 
Zahlen, bei der Divifion die Brüche behandelt werden. Soll man daher 
nicht lieber die Lehre von den abfoluten Zahlen erſt zu Ende führen, ehe 
man bie relativen vornimmt? 


In ber zweiten Abibheilung werben bie algebraiſchen Gleichungen durch⸗ 
genommen und dabei ganz paſſend von dem Begriff ber Junction ausge⸗ 
sangen und dann die Gleichungen des erſten und zweiten Grades behandelt. 
Dabei kommen auch die Proportimen zur Sprache. Bei ven einfachen 

werden bie gewöhnlichen vier Methoden entwickelt uns bie all 
gemeine Auflöjung 
by — ße 87 a0 
ab — aß’ ya 
grundlich und ausführlich Piscutie. Die Gleichungen des zweiten Grades 
find mit tadelloſer Gründlichleit und Präctfion dargeſtellt. 


Die dritte Abtheilung enthält weitere Ausführung und Benubung ber 
Gleichheiten und Gleichungen, räumliche, überhaupt reale Deutung der ner: 
fhiedenen Arten der Zahlen, Säge aus der Theorie der Zahlen. Bon 
diefen konnten die vier erften bequemer und wohl auch naturgemäßer bewiejen 
werden; ja bier wäre die von dem Berfafler angewandte Methode am Plage 

. Denn bivibiren wir jeden Factor eines Products ab durch eine 
Primzahl p, fo ift 


x um 


s=op+tr, 
be=ßp-+r, 


ab==aßp! +Apr +apr +ır, 


£. 
gs 


Dep + tat 


». 5. iſt ein Product durch eine Primzahl ohne Net theilbar, fo tft auch 

das Product ihrer Reſte durch dieſelbe ohne Reft, theilbar. Ferner Summa⸗ 

tion und Zerlegung der Brüche. Letztere mit großer Auspihrlichleit und 
80 


110 Mathematik, 


gründlicher, als fe fonft verzulommen pflegt. In der Lehre von. Deu De⸗ 
cimalbrüden find die abgetürgten Recheungsarten allfeitig bevüdfichtigt werben. 
Die Rettenbrüde treten in ziemlich allgemeiner Form auf und ‚geben zu 
vielfahen Anwendungen Veranlaffung. Unter den lepteren ein eigener 
Paragraph über ‚die Auflöfung der unbeitimmten Gleihungen erften Grades 
mit Benugung ber Kettenbrüche.“ Die unbeftimmten Oleihungen, welde 
den zweiten Grad überfteigen, laſſen fich bei dem dermaligen Zuſtande der 
Algebra wenig beherrfhen; als eine Erweiterung muß daher die Auflöfung 
der Aufgabe 

atray+bx +fyx+tcox? +yyxXt+... u 
angefehen werden. Der Berfafier widmet ihr 5*/, Seiten und behandelt 
fie fo allgemein, als es hier möglih fi. Die Combinationzformen jebt 
der Berjaffer richtig ala logiſche voraus. 

So wie diefer ganze Abjchmitt mit vorzüglichem Fleiße bearbeitet if, 
ſo aud der folgende, der vierte, welcher die Con: und Divergenz der Reiben, 
den allgemeinen binomiſchen und polynomifden Lehrſatz, die Erponentials 
reihen, die logarithmifchen Reiben, die Bieldeutigteit verjchiedener Functionen, 
die Potengreiben, die figuricten Zahlen und bie Differenzueiben bebanbelt. 

.Die fünfte Abtheilung enthält wie Vehre von den höheren algebraiſchen 
Sleihungen ‚mit manchen guten Bemerlungen. Um fo mehr haben wir bei 
der: carbaniichen Yormel den Nachweis vermißt, daß fie ıumter der Voraus 
feßung, zweier imaginärer Wurzeln gefunden wire. Die Gräffs’iche Dicjehe 
insbefondere wird ſehr ausführlich und tadellos bebanvelt, 

In der Geometrie begegnen wir jogleich her richtigen Auffaffung bes 
Punttes, des Winkels, der aͤcht geometrifchen Ableitung der Arten deſſelben. 
Die Polygone werden durch Zuſammenfetzung der fortjchreitenden und ber 

3 Bewegung erzeugt und babei Thibaut genannt. Ueberhaupt if 
der Berfafler im Citiren jebr gewiſſenhaft und gibt oft ſelbſi da die urfprünge 
lihe Quelle an, wo er längft eingebürgerte Säge oder Ableitungen mittheilt. 
Die Parullelentheotie iſt empfehlenswerth. Die trigonometriichen Functionen 
werden als Quotienten gefaßt. Die ‚neuere Geometrie‘ beſchraͤnkt fich; 
mas fie aber bietet, {ft vortrefflih. Die Stereometrie nimmt die trigono⸗ 
metrifchen Lehren zu Hülfe und entwidelt die Fundamentalſätze ber dar: 
ftellenden Geometrie. Die Coordinatengeometrie tft befriebigend, nur haben 
wir uns gewundert, daß die Neperihen und bie natürlichen Logarithmen 
identificirt werden. Die Eoorbinatengeometrie bes Raumes IR ein bishen 
kurz mweggelommen. 

Mit dieſen Bemerkungen im Gingenen mag es genug fein. Wir 
baben ein Bud) vor und, welches die ganze Elementarmathematit zwar kurz, 
aber deutlich und ar barftellt; ein Buch, welches fowohl ftreng wiſſen⸗ 
ſchaftlichen als methodiſchen Anforderungen zu genügen ſucht und wirtlüch 
genügt; ein Buch endbih, das durch den Reichthum eigenthümlicher Darſtel⸗ 
lungen ungemein anregt. 

Die Elementarmathematik nach den Bedürfniſſen des 

wiſſenfſchaftlich dargeſtellt von J. Helmes. eh En BE 


d Algebra. Hannover, Hahn b pl 180 
1a RR ö bn’fpe Hofbuchhan ung. 2. (346 © 


Mathemaiik 417 


Inhalt: Cinleitung, 1. die vier Species in ganzen Zahlen, 2.. vie 
algebraiihen Bablen, 3. von dem gemeinfchaftlihen Maße ver Zahlen, 
4. die Lehre von den Brüden, 5. die Decimalbrüdge, 6. die Rettenbrürhe, 
7. die Gleihungen vom erften Grabe, 8. Berhältnifie und Proportionen, 
9. das Duadriren und Cubiren der Bablen, Quadrat» und Cubilwurgeb 
ausziehbung, 10. das Potenjiren und Rabiciren, 11. die quabdratifchen 
Sleihungen, 12. die Logaritbmen, 13. die Progreffionen, 14. Anhang zu 
den Progreffionen, 15. die Combinationslehre, 16. bie arithmetiſchen Reihen 
böberer Oronung, 17. die cubifhen Gleichungen. 


Bedenkt man, daß der neunte Abſchnitt nur ald Anhang betrachtet 
wird, daß ferner der vierzehnte die Zinſeszins⸗ und Nentenredinung enthält 
und daß endlih das Buch bidaltiihen Zweden wienen fol, fo wird man 
diefe Anorbnung nur billigen können. 


Geben wir nun zum Singelnm. Daß der Sa „a be b + a” 
als Srundjag aufgeftellt ift, ift, da er ja aus dem Begriff der Summe folgt, 
wohl nicht zu loben. Die Aufgaben, welche ein Begriff darbietet, werden 
abgeleitet und ihre Auflöfung geſucht. Die Beweiſe find nicht blos Bes 
weiſe, ſondern wirflihe Ableitungen, fo daß ber Schüler wirkli den Be: 
weis führen lernt, fi nicht von ihm führen läßt. Hat der Berfafjer bie 
Gleichung A — B abgeleitet, fo leitet er, wie es Didaltik und Wiſſenſchaft 
fordern, auch die Umtehrung B= A an ihrer Stelle ab. Recht zwedmoͤßig 
find einzelne Specialifirungen z. B. 

(+1) =al+2a +1, 
.—1)=a?’— 2a +1, ' 
(. +1) (a — 1) =at— 1. 


Da, wo der Berfafier. feine Ableitung gibt, ift fie entweder nach dem 
eingefchlagenen Gange unmöglih, oder fie liegt fo auf ber Hand, daß es 
kaum einer Hinweifung bedarf, um fie zu finden. Bon ben Methoden, 
welche wir im Jahresberichte entwidelt haben, wird im Allgemeinen nur 
die philoſophiſche und regreffive angewandt. Gin Lebrbud Tann fie nicht 
alle entwideln, aber der Unterricht follte es nicht verjäumen, nad allen 

verfahren. "Denn man kann kaum befier für bie Beweglichkeit der Bes 
griffe forgen, als durch verſchiedene Auflöfungsmethoden. ‚Die „ind die von 


uns gegebenen nicht verjhieden? Heben wir bie Aufgabe = D neraus, io 


haben mir nad der algebraiſchen Methode 
a4b 
1) — 


folglich nach dem Begriff der Diviſion 
2) se bmx . 
Da nan a Pib eine Summe ift, fo muß nu max eine ſolche fein und 
zwar wis ben Gummanden f und b Es if aljo muähft 
zu ſetzen. Dadund, geht unfer Gleidung in 
a+b=n(y+2) 





zu X, 


118 Mathematik. 


oder 
atb=my+ mz 
über, unb hieraus folgt weiter 
ny==a ms =b 
ober 


folglich iſt nach 8) 





alſo wegen 1) 
a+b 0 + b 
nm m 
2) Nah ver reflectirenden Methode ift 
a+b * +x 


m 
zu ſetzen. Hieraus folgt aber 
aetb=a+tmz, 


mithin if 
bmx, 
alfo 
b 
x — 
m ’ 
folglich 





B 
B 
B 


3) Nah der regreffinen Methode fepen mir verſuchsweiſe 
m m m’ 

Multipliciren wir mit m, fo entfteht 
atb=a + b, 

mithin ift die angenommene Gleichung richtig. 

4) Rah ver pbilofopbifden Methode findet fih der Sag fafl 
von ſelbſt. Hieraus fieht man, wie fi der Schüler bei jeder Methode jur 
Aufgabe anders ftellt und Hellen muß, und darum fordern wir, baß alle 
angewandt werden. Für eine folge Bielfeitigleit läßt nun das Bud bes 
Berfafiers nicht nur vollftändige Freiheit, jondern macht auch vielfach ſelbſt 
darauf aufmerkfam. 


Die Einleitung in die algebraiſchen Zahlen ift jhön und gut, ber Be: 

griff derſelben richtig entwidelt, beſonders find bie Säge $. 107 — 8. 111 

muſterhaft. Der —— auf meiden der Verfaffer jchltehlich surädgebt, ift 
d=8+d; — d=0 — d. 

Eben fo muſterreſ iſt der Begriff des Bruches abgeleitet ($$. 159, 180). 

Die Ableitungen geihehen aus dem Begriffe des Bruchs und nicht aus dem 








Mathematik | 119 


des Duotienten, wie es aud fein muß. on ben Nettenbrüchen wird mm 
die Form 
1 


a+ 1 1 
b+ 





& = 








ct... 


aber ſehr anſprechend behandelt, vie Befchräntung auf diefe Form auch ge 
nügend motiwirt. Der Uebergang zu den Bleihungen ($. 217) fpricht ſehr 
duch feine Natürlihleit an. Die Darftellung felbft behandelt suerft bie 
elementaren Fälle, der Begriff der Symmetrie findet feine Verwerthung 
und die unbefiimmten Bleihungen find nah zwei Methoden gelöft. Das 
dur, daß der Verfafler fchon den Potenzbegriff als Abichluß der directen 
Zunctionen behandelt bat, Tann er. ohne weitere Umftände den binomifchen 
Lehrfaß in der Reductionsformel 


+1\_ /a n 

E9- 0) 6) 
ableiten. Die independente Auflöfung erfolgt ſpaͤter in der Combinations 
lehre. Daß die Potenzgefege für negative und gebrochene Erponenten be 
ſonders beiwiejen werden, verliebt fi bei der Gründlichkeit des Berfaflers 
von felbit, aber feine Methoden find auch — fo viel mir belannt — originell. 
Für die quadratischen Gleihungen find drei Huflöjungen gegeben und zwar 
in vecht inftructiner Weile. Die beiven Gleichungen 

(x? — a)? +x?=b, 
(x? — 222 +b)’+(x— a)?o 


verdienen allgemein in bie Lehrbücher aufgenommen zu werben. Bei ber 
Auflöfung der quabratifhen Gleihungen mit mehreren Unbelannten hätten 
wir die Durchführung der Subtractiongmethode gern geſehen; bie Auflöjung 
der diophantiihen Aufgaben bat uns nicht gang befriedigt und bei den 
Erponentialgleihungen vermifien mir die Form 
aaxıhbfx =o; 

fonft aber find die Logarithmen nicht nur volllommen tadellos vorgetragen, 
fondern auch mit mehreren ſchaͤzbaren Bemerkungen verfeben. In ver Lehre 
von den Progreffionen wird ein in vielen Lehrbüdhern vorhandener Mangel 
befeitigt, nämli die Reihen mit gebrochener Glieverzahl eingeführt. 

Diefen einzelnen Bemerkungen haben wir nur noch hinzuzufügen, daß 
wer Berfafier über 1000 ſehr gut gewählte Uebungsaufgaben mit den Re 
fultaten beigegeben bat, daß ihm durchweg eime klare, deutliche und leichte 
Darftellung gelungen ift, daß er wohl dem Schüler fo viel ald mögli zu 
Hülfe lommt, aber ftet3 die mathematiſche Strenge bewahrt, aljo ein Buch ge: 
liefert bat, welches nicht nur im Unterrichte gute Dienfte leilten wird, 
fondern deſſen Studium aud den Methodiker für feine Mühe reichlid ent: 
ſchaͤdigt, falls man überhaupt bei einem guten Buche wirklich von Mühe 
reden darf. 


120 Mathematik. 


44. Lehrbuch der Mathematik. Kür den Schul⸗ und GSelbſtunterricht bearbeitet 
von Dr. Hermann Gerlach. IV. Theil. Stereometrie und ſphäriſche Tri 
gonometrie. Deffau, 1862. Aue'ſche Buchhandlung. (84 ©.) 10 Ser. 

Inhalt: 1. von der Lage der Linien und Ebenen, 2. von den körper 
lihen Eden, 3. von den vollftändig begrängten Körpern, 4. von den Pro: 
jectionen, 5. von der Ausmeflung der Körper, 6. ſphaͤriſche Trigonometrie. 
top ber Kürze ift doch eine gewiſſe Bollftänpigleit erreicht worden, bie 

Beweiſe find kurz, aber deshalb nicht undeutlih. Nur der des Euler'ſchen 

Satzes von den Bolnedery ift unverfländlih. Neues haben wir mit Aug 

nahmen des Satzes in $. 69 nicht gefunden. Gine Bemerkung, welche jelbi- 

verſtaͤndlich nicht etwa einen Tadel enthalten foll. 

45. Die Elemente der Mathematit. Kin Leitfaden für den mathematifchen 
Unterricht an höheren Rehranflalten von Wilhelm Sallenkamp. IIL. Theil 


Die algebraifhe Analyfis und die analytifhe Geometrie, inebeſondere die 
Kegelſchnitte. Sferlohn, Julius Bädeker. 1860, (172 ©.) 20 Sgr. 


Die beiden erften Theile dieſes guten Lehrbuchs find bereits augezeigt 
worden (XIV. Band, 6. 126), diefer dritte Theil ift fehr kurz gehalten und 
verlangt deshalb einen tüchtigen Lehrer. Die algebraifhe Analyfis behandelt 
die Probleme nur mit Auswahl. Noch mehr als in der algebraifchen Ana- 
lyſis entwidelt der Berfafler die Lehren der analytifhen Geometrie auf 
verſchiedene Weiſe und in verſchiedenem Zufammenhange und verbindet gern 
den Weg vom Allgemeinen zum Bejondern mit dem umgelehrten. Auf 
das Ginzelne, das und vielfah im eigenthümlicher Weile entgegeniritt, 
tönnen wie nidyt eingehen, ſondern tollen nur noch bemerlen, daß das 
Bud ſchwerlich zum Selbftuntesrichte geeignet ift, aber im Schulunterrichte 
gute Dienfte leiften wird. 

46. Formelbuch, enthaltend die hauptſächlichſten Kormeln, Säpe und Regeln ber 

fementarmathematit zum Gebrauche an Realſchulen und Gymnaſien über» 

figtlih zufammengeklellt von Dr. Earl Neumann. Dresden 1862, Wol⸗ 
bemar Zürf, (128 ©.) 12 gr, 

Es genügt diefe Angabe des Titels und die Bemerkung, daß, wo es 
gebt, Yormel und Sag neben einander ftehen. 

47. Rechenbuch und geometrifäe Anfhauungolchre, zunääft für die drei unteren 
Gymnaftalclaffen von Dr. B. Féaux. 2. Auflage. Paderborn, Schöningh, 
1862. (202 ©.) 12 gr. 

Die Nehenaufgaben find mit großem Fleiß und mit vorzuͤglichem 
Geſchid ausgemählt, um einerfeits den Schüler zu Aben, anbererfeits ihn 
für die wiſſenſchaftliche Betrachtung vorzubereiten. Der Regeln find aber 
entichieben zu viele gegeben und die geometriſche Anſchauungslehre ift bie 
auf ein Paar gute Bemerkungen nicht viel wert. Es ſcheint, als babe 
der Berfafler noch gar nicht begriffen, worauf es bei der Formenlehre an⸗ 
kommt. 





II. 


Die neueſten Erfcheinungen anf dem Gebiete 
des deutſchen Sprachunterrichts. 


Bufammengeftellt und beleuchtet 


von 


2. Kellner. 


— t — 


L Sprachlehrliche Schriften für Höhere Lehranſtalten. 


1, Deutfde Grammatik nebſt den Tropen und iguren und den 
Grundzügen der Metrit und Poetik von Ch. Friedr. Koch. Dierte, vers 
bee a Auflage. Jena, Berlag von Friedr. Maufe. 1862. 8. XXIV um 
338 gr. 


Kaum, und zwar im XIV. Bande des Jahresberichtes (Geite 143), 
baben wir die 3. Auflage diefer Grammatik unfern Lejern dringend ems 
pioblen, fo liegt jest ſchon die vierte, anjehnlih verbefierte vor. Mir 
freuen uns aufrichtig Diejes Beweifes, daß gute Bücher doch auch noch An: 
ertennung und günflige Aufnahme finden. 

Nah Schleicher's VBorgange (XIV. Band d. Jahresb., Seite 144) 
bat der Hr. Berf. bei diefer neuen Auflage die vergleihende Grams 
matik in noch höherem Grabe, als früher, berüdfichtiget und deshalb den 
ganzen etymologiſchen Theil umgearbeitet. SHierdurh und durch mande 
andere ſachgemaͤße Zufäge ift diefe neue Auflage ohne Erhöhung des Preifes 
(24 Sgr.) doch um 20 Seiten ftärker geworden. An fie ſchließt fi: 


2. Deutſche Elementargrammatif für höhere Lehranftalten, Gymnaflen, 
kyceen und Meaffhulen. Bon Ch. Friedr. Koh. Jena, Berlag von 
Friedr. Manke. 1860. 59 ©, in 8. 71/s Sgr. 


Den Lehrern, welche fich bereit3 mit ber größeren Grammatil bes 
Berf, befreundet haben, lann mit biefem Leitfaden für Schüler nur ein 


122 Die neueften Erfcheinungen auf dem 


weſentlicher Dienft geleiftet fein. Das Büchlein foll zunächft ben gram- 

matiſchen Stoff enthalten, ber in den unteren GClafien planmäßig an bie 

Lectüre angefhlofien wird, endlih aber auch die Einheit im Sprad: 

unterrichte fördern. Der Verf. ift der Anſicht, daß an und in der Mutter: 

fpradhe allein in untern Clafien grammatifhe Berbältnifie erläutert werben 
können. Sie, die Mutterfpradhe, foll daher vorausfchreiten und fremben 

Sprachen die Wege bahnen; der Unterricht in legteren foll ftets vom 

Deutihen ausgeben, und an’s Belannte das Unbelannte tnüpfen. Um 

dies zu erleihten, muß natürlih aud eine Terminologie dur den ges 

fammten Sprachunterricht geben, jo daß der Schüler viefelbe ſprachliche 

Erfheinung auch ſtets unter demjelben Namen tennen lernt. Der Berf. 

hat mit Macht wie lateiniſche Terminologie gewählt. 

Mir ftimmen feinen Anfihten im Weſentlichen volllommen bei, glauben 
jedoch nicht, daß die Fachphilologen den Brundfap vom „Borausfhreiten 
der Mutterſprache“ theoretiſch allgemein billigen, nod viel weniger 
praltiſch durchführen werben. Daher ift’s ſehr gut, daß wenigſtens unfere 
Glementarfhulen in dieſer vorbereitenden Richtung noch Etwas leiften, ob» 
gleich fie dafür von den höheren Unterrichtsanftalten in der Regel fehr 
wenig Dank ernten. 

Auch diefe Elementargrammatit wird Anerlennung und jenen Beifall 
finden, den fie, gleih dem größeren Werke, in vollem Maße vervient. 

3. Grammatifde Grundlage für den deutſchen Unterridt an 
höheren Zehranftalten von Heinrich Bone, Eymnafial-Director in Mainz. 
Köln, 1862. Berlag der MR. Du Mont» Schauberg’fhen Buchhandlung. 
8, VIII und 124 ©. Preis 9 Ger. 

Der Hr. Berf. will mit diefem Leitfaden fih nicht in’3 Gebiet des 
ſtreng Wiſſenſchaftlichen verfteigen, fondern fi weſentlich nur auf das 
Bratifche beſchraͤnken. Einen ausführlichen, ſyſtematiſchen Unterricht in der 
Syntar hält er für die überflüffigfte Qual, die man für einen Schüler 
in feiner Mutterſprache erfinnen kann, und meint, daß die fontaktifch:Jogifche 
Kraft fih am beften an fremden Eprahen übe, alfo in Gymnafien am 
Lateiniſchen und Griehifhen. Nachdem bie einzelnen Redetheile in ihren 
Hauptmomenten durdgenommen, folgt auf wenigen Geiten eine fürzefte 
Satzlehre, an die fih Negeln über den Gebrauch ber Cafus, der Seiten, 
Modus, Genius und Zahl des Verbums ſchließen. Hiernach folgen Ber 
Vehrungen über die Wortfolge, Ortbographie, Interpunktion, Wortbildung, 
Ableitung und Zufammenfegung. Ein Anhang bietet noch ein Berzeidh: 
niß von Hauptwörtern, bei denen Befonderes zu bemerken if, ein Berzeichnik 
von Zeitwörtern der ſtarken Conjugation, ein Verzeichniß der Präpofitionen 
mit ihrem Caſus, einige Belehrungen über Verſe und Gedichte und fchließ- 
lich Einiges über Titulaturen und Gejchäftsformen. — 

4. Bur Spradäwilfenfhaft. Bon Profeſſor H. Wedewer, Infpector 
der Selestenfchule zu Frankfurt aM. Kreiburg im Breisgau, Herder'⸗ 
f&e Berlagshandlung. 1861. 8. XX und 133 S. 15 &gr. 

Das Werkchen enthält folgende vier Vorträge: I. Ueber die Wichtig⸗ 
teilt und Bedeutung der Sprache für das tiefere Verſtändniß des Bolls« 
charakters, mit befonverer Berüdfichtigung der deutjchen Sprache. IE. Ueber 





Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts. 128 


Buſſon's Ausſpruch: „Le style ost l’'homme möme“ (Der Swyl if der 
Menſch jelbft), oder über die Bedeutung des Styles für bie Charalterifikl 
wer Wöller und Gingeluen, mit bejonberer Berüdfichtigung bes deutſchen 
Styles. III. Ueber die Bereutung der Raumanfhauung auf dem Gebiete 
ver Sprache. IV. Leber die Bedeutung der Zeitanfhauung auf bem Ge: 
biete der Sprache. 

Schon aus biefer Inhaltsanzeige läßt ſich fchlieben, daß der Verf. bei 
feinen Abhandlungen zunädjt die gelehrten Sprachforſcher im Sinne hatte, 
wie denn das Werkchen aud ausdrüdlih den deutſchen Philologen, Schul: 
männern und Drientaliften gewidmet if. Dennoch ift nicht zu bezweifeln, 
daß auch manche unferer Volksſchullehrer, namentlich folde, welche Gym: 
nafialbilvung genofien, dad Buch mit Gewinn und Intereſſe lefen würden. 
An interefjanten Auffafjungen und Aufichlüfien, fowie an fejlelnder Dar: 
fiellungsgabe fehlt es leineswegs, und der Verfaſſer zeigt auf jeder Seite, 
daß er fein reiches Willen dentend und geiflreich zu verwerthen gemußt 
dat. Uns hat vor Allem die zweite Abhandlung am beften gefallen. Sie 
beweift deutlich, wie ſich die intellectuelle Verſchiedenheit der Nationen (auch 
der alten Griehen und Römer) in den Yügungen der Rebe, in dem Um: 
fange und der Einordnung der Säbe abfpiegelt. 

Die faubere Ausftattung ladet zum Saufen und Leſen ein. 


II Sprachlehrliche Schriften für Volksſchulen. 

5. Anleitung, das Lefe-Buh ale Grundlage und Mittelpunkt 
eines bildenden Unterrihts in der Mutterfprahe au bes 
bandeln. Bon Friedrich Otto, Rector der Anaden « Bürgeriäule zu 
Müblhauien i. Tb. Sechſte, zum Theil umgeänderte Auflage. Erfurt 
G. Bild. Körner. 1863. gr. 8 VIII und 2908. 1 Thlr. 

Es if eine erfreulihe Thatfadhe, daß wahrhaft tüchtige Bücher unge: 
achtet der Sündfluth flacher WMacywerte noch immer Anerlennung unb 
Käufer finden. Mit wahrer Befriedigung haben wir deshalb auch dieſe 
neue Auflage einer Echrift zur Hand genommen, welche belanntlid mit zu 
denen gehört, die wejentlich dazu beigetragen haben, den Sprachunterricht 
feinem früheren Mehanismus zu entreißen und Lehrer und Schüler 
gleihmäßig geiftig zu heben. Groß ift die Zahl der Nachahmer Dtto’3 und 
meiner Schriften; aber Seiner bat den Erfieren an tiefer Auffafiung bes 
Gegenftandes übertroffen, Keiner die einfachen Zmede des Sprachunterrichtes: 
„Spracdhverfländnip und Spradjertigteit” ficherer erfannt und angeftrebt. 

Rimmt man binzu die große Sorgfalt, die reiflihe Erwägung, wo⸗ 
wit der Berfafier bei jeder neuen Auflage an’3 Werl der Verbefierung ging, 
fo darf mit Sicherheit behauptet werden, daß Otto's Schrift eine bleibende 
Etelle in der geſchichtlichen Gutwidelung des Sprachunterrichtes verdient 
und behaupten wird. Freilih kann das Buch nur folden Lehrern dienen 
send zur eigenen Fortbildung helfen, die mit fittlidem Ernſie und mit dem 
Eifer wahrer Berufslicbe an fi jelbft und an ihren Schülern arbeiten. 
Golden wird aber auch diefe Anleitung unſchätzbar fein, fie werben immer 
mund immer wieder das Buch zur Hand nehmen und ibm ſiets neuen Ge 
wins verdanlen, Namentlich wird nicht bios die Meichhaltigleit der Llebungen, 
fondem aud die fufenmäßige Anordnung des logischen und grammatijchen 


124 Die neueſten Erfcheinungen auf dem 


Unterrigtsftoffes jeden tuͤchtig durchgebildeten Lehrer in hohem Geabe 
befriedigen. Der IL Abſchnitt: „Die Stellung des Leſebuches zu ben ſchul⸗ 
mäßigen Aufgaben bes linterrichtes in der Mutterſprache,“ bat im feiner 
wenen Bearbeitung wefentlich gewonnen und bildet nunmehr bie befte Ver⸗ 
theidigung jener Methode, welche der Berf. mit fo vieler Einfiht und prak⸗ 
tifher Gewandtheit eingefhlagen bat, und welde in vem Maße Terrain 
gervinnen wird, in welchem unjere Lehrer an gediegener Bildung gewinnen. 


Die Austattung des Buches ift des Inhaltes würbig. 


6. Braltifher Lehrgang für den deutſchen Sprachunterricht. 
Ein Hands und Hilfebuh für Lehrer an Volls⸗ und Bürgerſchulen. Bon 
Kellner, Regierunges und Schul:Rath. I. Theil: Die Denke Soprach⸗ 

und Schreibihule IL. Theil: Der Spradunterriht in feiner Begründung 
durche Leſebuch. III. Theil: Kurze deutfche Sprachlehre nach den bewährte 
teften Grundfägen und Forſchungen. 10. verbefierte und vermehrte Auf⸗ 
lage, 1862 und 1863. Früher Berlag von Otto in Erfurt, jept überge 
gangen in den Berlag von H. U. BPierer in Altenburg. 1 Thlr. 22 Egr. 


Diefer Lehrgang, vielleicht der vollftändigfte in feiner Art, erſchien zuerſt 
im Jahre 1837 und feiert daher mit feiner 10. Auflage das 2Sjährige Ju⸗ 
biläum. Cine Pflicht der Dankbarkeit mar es mithin, der neuen Ausgabe 
möglihfte Aufmerljamleit zu widmen und namentlich den III. Theil mancher 
Vermehrungen und Berbeflerungen zu unterziehen. Er wird nunmehr eine 
noch gründlichere Vorschule für Lehrer zum tieferen Studium der Mutter 
ſprache fein. Doc babe ih allen Verbeflerungen jene Grenze geſetzt, ohne 
welche das Buch zuleßt ein Anderes werben müßte. Damit wäre auch 
jener großen Anzahl Lehrer, welche fi mit meinen Grundfäßen befreundet 
haben, nicht fonderlich gedient. Diejenigen aber, welche einmal einer an= 
deren Anfıht und Methode hulbigen, würden mit Grweiterungen und Ber 
befierungen niemals befriedigt merden, fondern eben ein anderes Bud 
verlangen. Indeſſen iſt mir doch oft verfihert worden, daß felbft foldhe 
Lehrer, melde den Unterricht nicht an Mufterftüde oder an das Leſebuch 
anſchließen und unter Sprachunterricht eben nur „Gram matik“ verſtehen, 
diefe Anleitung mit Nutzen gebraudyen und aus ihr lernen, wie man beim 
Unterrigte bildend, namentlih „entwidelnd“ verfahren könne, wie man 
anregen und fi vorbereiten folle.. Gerne mag ich glauben, daß dem 
fo iR und deflen mich freuen; denn immer babe ich die innere Ertüch⸗ 
tigung für das Erfte im Lebrerleben gehalten. Die vielen Nachahmungen 
meines Tehrganges haben mid ebenfo wenig als die Verſuche, Beſſeres an 
feine Stelle zu fegen, davon überzeugen Tönnen, daß die durch ihn ver- 
tretene bedeutende Stufe bis jebt eine überwundene fei. Ich wollte mich 
deſſen von Herzen freuen. Lehrer, welche ben vorliegenden Leitfaden in 
feinem Zuſammenhange wirklich erfaßten und befolgten, haben an feinen 
Früchten fürs Sprachverftändniß und die Sprachfertigleit den beſten Probir⸗ 
fein gehabt und fich im frohen Gefühle des eigenen Fortſchrittes immer 
enger mit ihm befreundet. Darum möge mein Lehrgang nah 25Fährigem 
Leben auf's Reue in die Schulen eingehen, zwar nicht mit Zeichtfinn un 
Nachlaͤſſigkeit angethan, jedoch jo, daß er auch ferner eine Entwidelungss 


Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts. 124 


Rufe*y der Methode des Sprachunterrichtes begründet und vertritt. Immer 

bis habe id noch nicht wahrgenommen, daß alle neueren Beitrebungen über 

das Alte binausgelommen, oder das Neue weſenilich beijer gemacht bätten, 

7. Rurze deutfhe Sprahlehre von M. A. Beder. Wien, Berlag von 
L. W. Seidel und Eohn. 1862, 8. 182 S. 15 gr. 

Nah dem Plane des Verf. fol diefer Leitfaden den Lehrftoff für den 
deutfähen Sprahunterriht in jenem lmfange bieten, wie er dem Lehrer in 
der Vollksſchule und in den niederen Elaffen der Mittelfchulen geläufig fein 
fol. Cine Reibe ſich anſchließender fchriftliher Aufgaben wird in einem 
bejonderen Bändchen nachfolgen. 

In der Methode befennt fi der Verf. zu den Grundfäßen, die in ben 
öfterreihifchen Sprach⸗ und Leſebüchern feitgehalten und in den Hilfebüchern 
zu denfelben näher bezeichnet find. Der Schüler muß hiernach vorerft 
denken und ſprechen, dann lejen und ſchreiben, das Gelejene ver 
fteben, das Gedadte ſprachgemäß ausprüden gelernt haben, ehe ein 
Unterriht über die Sprache Plap greift. Tür dieſen ift aber in den 
erften drei Sculjahren das Leſebuch die Quelle, der Lehrer das 
lebendige Lehrbuch. Erſt wenn die obigen Bedingungen erfüllt find, 
aljo in der Regel mit dem vierten Schuljahre, mag neben dem Sprad: 
unterribte aus dem Lejebude ein [prahlehrliher neben dem 
Leſebuche eintreten, und zwar an ber Hand eines Leitfadens, worin das 
Michtigfte aus der Satz⸗ und Mortlehre in einem den Stufen des Unter 
richtes entſprechenden Lehrgange zufammengeftellt ift. 

Dieſen Grundſaͤtzen gemäß iſt das vorliegende Bud eingerichtet. In 
der Einleitung ($. 1 bis 11) findet man kurz angebeutet den Lehrftoff, der 
in den erften drei Schuljahren aus dem Leſebuche gejchöpft und vom 
Lehrer zurecht gelegt werben fol. Der II. Theil ($. 78 bis zum Schluffe) 
behandelt ausführlich den Lebrftoff, der in der oberften Clafje neben dem 
Lejebuhe durchzunehmen ift und gemwillermaßen den Abjchluß des Unter⸗ 
richtes auf der zweiten Stufe bilvet. Das Dazwifchenliegende enthält 
die Formenlehre, deren einzelne Abjchnitte man je nah dem Bebürfnifie 
früher oder fpäter, einübend oder nadhhelfend in den Unterridt zieht. 

Es genügt, mit diefen aus dem Vorworte entnommenen Grundſätzen 
die Einrihtung und den Zwed des Buches charalterifırt zu baben. Der 
Name des geſchätzten Verfaflerd bürgt binreihend dafür, daß es ih um 
feine gewöhnlihe Marltwaare handelte. 

5 Zehn Muferfüde als Grundlage gu den Sprachſtunden, von 


EB. Kellner, Regierungs: und Schulrath. SeparatsAbdrud für Schulen. 
gelte, Durchgeiehene und erweiterte Auflage. Leipzig 1862, 3. Hariknoch. 
.8. 30©. 3 Egr. 


Die „Sprahftunden“, zu welden diefe 10 Mufterftüde die Grund: 
lagen bilden, find 1857 in zweiter verbefierter Auflage erfchienen und im 


-  ») Man vergleidge deshalb die hiſtoriſch⸗methodiſche Einleitung zu meinen 
„Sprachſtunden,“ 2. Auflage. Leipzig, Hartknoch. Zuerſt wurde dieſe Ein⸗ 

jeitung im I. Jahrgange des päd. Jahresberichtes (1846) veröffentlicht, dann 
n erweiterter Geſtalt den „Sprachſtunden“ einverleibt, 








126 Die neueſten Erfcheinungen auf dem 


Sahresberichte für 1861 Seite 126 angezeigt worden. Der Beifall, beilen 
fe fih noch immer in der Schulwelt erfreuen, bat diefe 2. Auflage ber 
Grundlagen zur Folge gehabt. Das Heine Bud iſt fo freundlich ausge 
fatiet worden, daß es die Kinder nunmehr gewiß noch lieber zur Hand 
nehmen werben. 

9%. Uebungsfhule in Sr Wort⸗ und KRedeformen der deutfchen 
Sprache. Bon Ferd en, Lehrer an der höheren zögterfQue in Bran⸗ 
—A J. 1 Bann en G. 8. Körner. 1862. gr. 8. IV und 
Der Ser. bat den gejammten der Schule zugedachten Stoff auf fünf 

Unterrichtsſtufen vertheilt und fiebt in diefer Gliederung des Materiales 

zugleih einen befonderen Vorzug feiner Schrift, weshalb mir fie auch mit 

defien eigenen Worten charalteriſiren. 

„Auf der unterften Stufe wird der WMortclafienbegrifi der Haupt⸗, 
Eigenſchafts⸗ und Zeitwörter feftgeftellt; es knüpft fih daran die Bildung 
der Nluralformen des Hauptwortes und der Zeitformen des Indicatives. 

Auf der nädftfolgenden Stufe werden fämmtlihe Wörterclafien mit 
den wichtigſten Yormveränderungen durchgenommen, die Rection der Zeit: 
wörter und Vormwörter wird vorbereitend geübt, und ed erben bie wichtig: 
ften Uebungen in der Wortbildung durh Ableitung und Zuſammenſetzung 
abgethan. 

Die dritte Stufe hat es mit dem einfachen nadten Saße zu thun und betrach⸗ 
tet Subject und Prädicat, Berfonenverbältniß, Zeitverhättniß und Redeweiſen. 

Die vierte Stufe behandelt vorwiegend die Nebenglieder des erweiterten 
einfachen Satzes (Beifügung, Grgänzung, Umftand), ſchließt indeffen ein 
vorläufiges Anfhauen des Sabgefüges, in welhem ver Saßtheil zum 
Nebenſatze erweitert ift, mit ein. 

Die fünfte Stufe beichäftigt fih ausfhließlid mit dem zuſammen⸗ 
geſetzten Satze und fteigt auf bis zum Periodenbau. — Die Interpunctions: 
lebre ſchließt ſich an die Satzlehre an. Die Orthographie knüupft ſich 
einem großen Theile an die Wortbiegungs⸗ und Wortbildungslehre; 
fie aber auf tiefer liegenden hiſtoriſchen Gründen beruht oder rein — 
tionell iſt, da wird ſie durch den Gebrauch erlernt.“ — 

Das vorliegende erſte Baͤndchen umfaßt die erfte und zweite Stuſe; 
ein zweites Bändchen foll die folgenden drei Stufen bringen. 

Für die gewöhnlihe Elementarſchule ift Das Buch wicht berechnet, 
doch geben wir dem Verf. gerne zu, daß auch "der Lehrer an ver Vokks⸗ 
ſchule gelegentiid Manches aus dieſer Uebungsſchule gebrauchen könne. 
Namentlich dürfte dies von den Uebungsaufgaben gelten, bie ihrem 
ganzen Inhalte nach zwedmäßig erjheinen. — Sollte und das IL. Yänd« 
hen zu Händen kommen, jo werben wir auf das Schriftchen gerne zurück⸗ 
fommen und es eingehender bejpreden. 

10. Seitfaben für den Unterricht in der deutſchen Grammatik. 
Bon Dr. Joh. Ernft Heinrichs, Oberlehrer an der Realfchule der Konige⸗ 
Rab in Berlin. Zweite Auflage. Berlin, NRüder und Püchler. 1862, 
107 ©. T!a Ser. 

Das im IX. Bande des Yahresberichtes Seite 102 bereits angezeigte 
Schriftchen hat in diefer neuen Auflage fehr gewonnen, namentlid baden bie 





Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts. 127 


Abjchnitte über Wortbildung und Satzbau weſentliche Verbeſſerungen 
erſahren. Wir dürfen dieſen Leitfaden höheren Schulanflalten mit Weber: 
zeugung empfehlen. 

11. Hlfsbuch zum Unterrihte in der deutſchen Sprade für Kin⸗ 
Ber von 9 bis 13 Jahren von 8. A. Frege. Drüte (N) Auflage. Wiss 
mar, Berlag von Hinſtorff. 1862. 8. XII und 162 S. 10 Sgr. 

Nachdem der Berf. die verſchiedenen Bmede des Sprachunterrichtes 
die auf (?) der Schule vorliegen, in der Vorrede erwähnt hat, meint er, 
daß dafür bie vorhandenen Lehr: und Uebungsbücher ausreihen. — Allein, 
fagt er weiter, es gibt noch ein Biel, das höchfte, welches der deutſche 
Sprachunterricht verfolgen fol, und für welches in keinem der erfchienenen 
Hülfsbucher die nöthige Unterſtutzung geboten wird: er foll vor Allem an 
vernünftiges Denten gewöhnen, zunädft befähigen, die fämmtlichen 
Sprachgeſetze als in Einem Grundgefeße enthalten und daraus fich er: 
gebend (!) zu erlennen und fo dahin führen, überall in allem Mannig- 
faltigen Eines zu ſuchen und zu ſehen, und es in Einem als ein geglie- 
dertes Ganzes zu denken. — Diefem höchſten Zwede foll das vorliegende 
Lehrmittel dienen. 

Alſo keines der bisherigen, jo zahlreihen Hülfsmittel für den deutfchen 
Sprachunterricht hat hinreichend auf ein vernünftiges Denken bingearbeitet ? 
Das ift in der That eine kühne Behauptung, für melde Hr. rege den 
Beweis noch ſchuldet. Was er zufäßlich über Ein Grundgefeß und über 
das Mannigfaltige in Einem redet, Mingt zwar fehr hoch und vornehm, iſi 
aber doch nicht viel mehr, ald Redensart. Er felbft ift uns in feinem Hülfs: 
buche wieder dieſes Gine Grundgeſetz, dieſe Einheit des Mannigfaltigen 
ſchuldig geblieben. Statt einer einheitlihen Anordnung des Stoffes finden 
wir in dem Buche gar viele Gedankenſtriche; aber mit dieſen gibt man 
no feine Gebanlen und noch viel weniger eine Anleitung zum vernünftigen 
Denten. Alles dreht fih mehr oder weniger um ſchriftliche Uebungen 
allerlei Art, unter denen mandes Oute vorlommt, die aber vielfah nur 
ganz formeller Natur find und mehr zum Mechanismus, als zum Denen 
binführen. Wir lönnen das Büchlein, das auf und den Eindrud der Un: 
Harheit gemadyt bat, nicht für geeignet halten, dem Sprachunterrichte neue 
und förberfihe Impulſe zu geben. 

12. Ergebnifie des grammatifchen Unterrichtes in mehrllaffigen 
Bürgerfulen. Rah methodifhen Erundfäpen geordnet und bearbeitet von 
Auguſi Küben, Seminardirector in Bremen. Fünfte, verbefierte Auflage. 
Leipzig, Friedt. Brandfletter, 1863. 3 Sgr. 

Bereits im IX. Bande, Seite 101, im X. Bande, Seite 138 und 
im XIII. Bande, Seite 129 des Jahresberichte wurden diefe Ergebnijfe 
als böchft erfreuliche bezeichnet. Kürze, Klarheit und methodiſche Anord⸗ 
nung zeichnen das Büchlein aus, welches gewiß noch mande Auflage er: 
leben und noch vielen Lehrern ein willlommener Leitfaden fein wird. 

13. HStlfsbuh beim Unterrichte in der deutfhen Sprade in 
Bolkslehranſtalten, enthaltend das beim Anſchluß des Sprachunter⸗ 


richtes an Leſeſtũcke nöthige gammatiiäe und ſtyliſtiſche Material, beſtehend 
in Orthograppie, orte, Gags, Beirennungds, Interpunctione, Styl⸗ 


128 Die neueften Erfcheinungen auf dem 


und Verelehre, Geſchäfte⸗Au und Briefen, nebſt einem Stoffverthei⸗ 

lungöplane ir —— a en — bearbeitet von J. 

©. Keutzner. Berlin 1862, Carl Heymann. 8. XVI und 198 ©, 221/, Sgr. 

Der Berf. beantwortet die Frage nad) der Berechtigung der Grammatik in 
der Volksſchule mit Nüdfiht auf die Beichaffenheit der verfhiedenen Schul 
organismen, Bon diefem Standpunbkte aus ſpricht er im Allgemeinen fol- 
gendes Urtheil: Je einfadher ein Schulorganismus, deſto mehr wird 
die Grammatik in den Hintergrund treten müflen, deſto mehr ift gelegent- 
liche Mittheilung grammatifcher Belehrungen anzuempfeblen; je volllommes 
ner aber ein Schulorganismus, deſto mehr ift die Grammatik zu berüdfich- 
tigen, beflo mehr it die Durchnahme verjelben in bejonderen Stunden ober 
Xheilftunden am Platze. In letzterem Falle empfiehlt es fi, den neben 
dem Lefeunterrichte berlaufenden Unterriht in der Grammatik von Stufe 
zu Stufe in jenen Unterricht einmünden zu laflen, d. h. das bereits durch⸗ 
genommene grammatiſche Material beim Lefeunterrihte wiederholentlich 
zur Sprache zu bringen, wie es denn überhaupt von Vortheil ift, die Wie⸗ 
derbolung ſchon bei der Anlage von Lehrgängen ins Auge zu fallen. Wie 
aber auch das grammatiihe Material zur Verwendung kommen mag, nad 
einem beftimmten, feſt geordneten Plane wird in jevem falle vers 
fahren werben müllen, wenn die Nefultate der aufgewenveten Mühe und 
Zeit entſprechen follen. Dazu will das vorliegende Buch Handreichung 
bieten, es will in einem mäßigen Bande dem Lehrer Alles bieten, deſſen 
er beim Spradunterrichte etwa benötbigt fein dürfte, jo dab er nur die 
Auswahl zu treffen bat. 

Der Berf. hat nad diefen Grunpfäßen ein ganz braudbares Buch 
geliefert, weldes vielen Lehrern nüglih werben kann und entſchieden beſſer 
ift, als der langathmige Titel. — Wenn er zunädft an einer ſechs⸗ 
clajfigen Schule arbeitet und diefe daher auch im Auge gehabt bat, 
fo zeigt der Anhang deutlich, wie der Gejammtftoff auf jene ſechs Claſſen 
zu vertheilen ſei. Daß bie Bertheilung auf weniger als ſechs Claflen hier 
nad leicht zu bewerfitelligen fei, glauben wir aber bezweifeln zu müſſen, 
und es gibt gewiß nicht wenige Lehrer, die deshalb in Verlegenheit ge 
ratben dürften. ebenfalls hätte der Verf. wohl getban, auch nad dieſer 
Seite hin entſprechende Yingerzeige zu geben. — Die Ginfügung von Ge 
Ihäftsauffägen unter Yeithaltung gewiſſer Saplategorien bat unferen 
Beifall nicht. Sie ift gekünftelt und unwahr. Was ſoll das beißen, wenn 
diefe Art fchriftlicher Darftellungen unter den Ueberſchriften: Geſchaͤftsauf⸗ 
fäge mit GSrgänzungen, Geihäftsauffäse mit Ergänzungsſätzen, 
Geſchäftsaufſätze mit Zufäben x. auftritt? 

14. Leitfaden und Uebungsbudh beim deutfhen Sprachunter⸗ 


richte in CElementarſchulen. Bon H. Schüth, Lehrer in Bleiwäſche. 
Baderborn 1860, F. Schoningh. 8. 88 Geiten. 4 Sgr. 


Der Verf. jagt in der Vorrede, daß man beim Spradhunterrichte einen 
feften Plan befolgen und eine Sammlung von Webungsaufgaben haben 
müfle. Cr weiß (woher ?), daß in den meiften Schulen die Spradlehre 
noch ohne beftimmten Leitfaden gelehrt wirb und findet darin den Beweis, Daß 
noch Niemand den Bebürfnifien gewöhnlicher Elementarfchulen abgeholfen bat. 





Gebiete des deutfchen Sprachuuterrichts. 129 


&r glaubt nun mit feinem Schrifthen dem Biele am nädften gekommen 
zu fein und den Lehrer aller Laſt enthoben zu haben. Er foll weiter nichts 
zu thun haben, als nad kurzem Beiprechen des Sprachſtoffes und der Ue: 
bungsaufgaben die Schüler die Aufgaben fchriftlich ausarbeiten zu laſſen. 
Diefen zuverfihtlihen Hoffnungen und Berfprechungen fteht nichts 
entgegen, als daß wir ſolcher Leitfäden eben ſchon hundert und aber hun: 
wert haben, und daß ſich diefer neue durch nichts MWefentlihes von feinen 
Brüdern unterfcheidet, ja in den Uebungsaufgaben noch Auferft karg ift 
und die Rechtſchreihung ignorirt hat. Das Büchlein huldigt in einzelnen 
Bartbien ganz dem alten mechanischen Formalismus. So wird 5.3. viel 
declinirt und conjugirt, ohne daß das eigentlihe Verſtändniß dieſer For 
men bildend erſchloſſen würde. 
15. Hefte aus a! Bolksfhule Kür Schüler bearbeitet und heraus 
ben von C. W. Peterſen, Hauptiehrer a. D. Balfenbausihufe I. Set: 
Spradlebre. Ehleswig, Dr. Heiberg's Buchhandlung. 8. 16 Seiten. 3 Sr. 
Kürzefter Abrik des Allerwichtigiten aus der beutfhen Grammatil mit 
einigen Webungsaufgaben. Für das Rechtjchreiben, welches auf den nor 
liegenden 16 Seiten nicht vertreten ift, wird wohl ein bejonderes Heftchen 
jorgen folen Der Abriß ift feiner Faſſung nah für die Hand der 
Schüler bejtimmt und foll diefen zur Unterftügung des Gedädtnifjes Dies 
nen, dem Lehrer die Mühe des Ginübens erleihtern. Es kommt bei fol: 
chem Schriften mwefentlih auf den Gebrauh an. Iſt der Lehrer ein ge: 
wandter, dentender, anregender Mann, jo wirb der Erfolg ſchon ein guter 
fein, gegentheils aber leiht in mechaniſchen Yormalismus ausarten. 
16. Ucbungebud für den Unterricht in der deutſchen Sprache in due! parallelen 
fen, für Schüler von 9 bis 14 Jahren. Don W. U 1 tting. Gym⸗ 
— zu Aurich. I. Curſus, 2. Auflage, Aurich, N. 3. reriche. 
nr VIII und 80 Seiten in 8. geb. 6 Nor. I. Curfus 125 Seiten, 
Schon im XIV. Bande des Jahresberichtes, Seite 14% haben wir vie 
J. Auflage dieſes Uebungsbuches als eine gelungene Arbeit bezeichnet. Das 
Buch hat ſich auch äußerſt leicht Bahn gebrochen und iſt wegen feiner Zwed⸗ 
mäßigkeit vom Konigl. Conſiſtorium zu Aurich den Schulen empfohlen 
worden. Die beiven Eurje, welche in der erften Auflage. mit A und B 
bezeichnet waren, find nunmehr in zwei Hefte getrennt, was jedenfalls dem 
Gebraude zu gute fommt, fonft find weſentliche Verbeſſerungen nicht por⸗ 
genommen. Die bisweilen etwas zu langen praftiichen Uebungen ber I. 
Auflage find jegt mehr vertheilt worden, fo daß mir ſtatt 123 Uebungen 
nunmehr 160 vor uns haben. Unter den Vorzügen des Werkchens wollen 
wir nochmals den hervorheben, daß die Uebungen ſtets einen an fih werthr 
nollen Stoff enthalten und daher viefen aus den NRealien und dem 
deutſchen Sprüchworte entnehmen. Das Enpziel aller. fprahlehrlichen 
Mebungen iſt dem Verf. „Sicherheit in der Grammatik nebſt Mamnigfaltig 
feit, Gewanbtheit, Gediegenheit und Schönheit im mündligen und 
ſchriftlichen Auspeude” Das wäre für unfere Bollsichulen freilid eimas 
hoch gegriffen; aber der Berf. meint hiermit nicht diefe allein. Er Ari 
damit nur das Biel alles ſprachlichen Unterrichtes. ’ 
Bid. Jahreoberichi AV, 9 


138 Ze neuehen Gridenuugen auf dem 


15. Eeizisben Für Ben Beztihen Ersrannterrit im höheren Ks 
ben za von U Gagelım L ine. Für die Unter 
Amen Bein, Er Eduze iA mE 5eg 
Za Zar bit ve Wire. wien erter Theilſe med zwei anbere 

Ihede, men "iz te Mitte.cir’ien. wma men für vie Cberclafien 


zuienh ee mer mh weniiszchen Rtincicien gentearte Grammatil 
u Beisstzlien aus umierm Cu: tere ste aus unferm Eyradwörteridhaße 


In 


wu Gehaurlunz Des Lerztzwes zus: ah im der Eittunz des Rateriales 
het ver Bord. mus Rekie, 8 i dus Prattiſche, getroffen. 
Tas Pad ikeint eimer ezzchenrer Aerretuny würtig zu werden und 
behalten wir un% dieſe Ei3 zur Eclzurıes es Eaujen vor Gs wird ſich 
Zaun and zeigen, ch ter Te x kics mit grammutichen Reflerionen 
begnügen, oder ob er ie Eiye uza Srietüde auch zu legiſchen Gyarfen 
benupen will 


18, Der Saß in Berbintung mitten gebräudlihhen Saptbeil- 
jeiden. Gin Warcmmei’e acertucer Steff als Beitrag zer Erzielung eines 
gramma:iih richtgen idrirtızen Gehıstemszstındd. Für Pie —— 
m ten Mittels nad COhercia ſen der denicen Gchulen 
Ferdinand , ertem Schallehter in Girmann. Würzburg, Zulins 

Relner. 1861. 3. XU aap 132 ©. 15 Er. 


Der Berf. Sicher Schrift ſericht um Vorworte als Hauptgrundſaß aus, 


dantenausdrude ſei, und mE ebne gründlichen und umfaljenden 
unterriät in der Eymtaz der Echüler eigentlih wie zur Fertigung 

eines ſptachtichtigen Aufjages bemmen finne Gr fügt fi dabei anf 
Nofel’s, noch mehr auf Baumgarten’s (weiland Rector in Magdeburg) 
Autorität und Ausſprũche 

Der Berf. bebt hiermit einfeitig einen, allerdings fehr einflufreidyen 
Fector ver fpradliden Ausbildung unterer Slementarjdyäler zur auss 
f@liehliden Herrihaft und in einem Umfange empor, weldyer unjeres 
Erachtens Die Grenzen der gewöhnlichen Vollsſchule überjcdyreitet. Er bat 
den Gegenfland felbft fleißig durdyftubirt, body aber Ginzeines in einer Meife 
aufgefaßt, weiche den Widerſpruch der Jachmänner erfahren möchte. Dahin 
vechnen wie unter Anderem die Anficht, dab Ergänzungen alle jeme 
Wörter feien, durch die der mangelhafte Sinn eines Satzes erſt vervollb 
Ränniget werde. Confequenter Weile lommt er wit diefer Auffaffig das 
Yin, auch vie atiributiven Beftinnmungen als Grgänzangen anziehen. Auch 
danıit !önnen wir nicht übereinftimmen, daß ein gleiches Satzband (copula) 
hinreiche, um zufammengezogene Saͤtze zu bilden, daß alfo der Gab: der 
Leib ift ſterblich, die Seele unfterblich,, zufammengezogen fei. Ber Unten 
ſchied zwiſchen verfledtem und offenem Saßband (Seite 9) erſcheint uns 





Gebiete des deutschen Sprachunterrichts. 131 


westbius. „Die Wachtel Schlägt,” if vom Berf. in Eap mit verſtedtem, 
— die Wachtel iſt ſchlagend, — mit offenem Satzband. ’ 

Das Bud ift braudhbar für Lehrer, denen daran gelegen. ift, ſich felbR 
in des Satzlehre eingehendere Kenntniffe zu erwerben, und aus foldem 
Streben ift es auch wohl hervorgegangen. Sonft aber möchten wir bie 
Befürchtung nicht vorenthalten, daß die vom Verf. fo auf die Spike ge 
triebene Anfiht vom Werthe ver Saplehre uns leicht wieder in die üben 
wundene mehaniihe Satzmacherei bineinführen könnte, 

19. Brattifhe deutfhe Sprachlehre für Bolfsfhulen Bon Alb. 
Wanzenried, Lehrer an der Secundarſchule im Großhochſtetten. Bern 
1862, J. —R gr. 8. IV und 95 ©. 8 Sgr. 

Diefe Spradhlehre ſoll dem erften grammatischen Unterrichte in der 
Vollsſchule dienen und deshalb in einem kurzen, abgerundeten Ganzen bie 
einfachften Grundlehren der deutſchen Grammatif mit befonderer Rücficht 
auf die Mechtfchreibung enthalten. Es foll nach des Verfs. Anfiht etwa 
der Lernfloff für die mittleren Claſſen der Volksſchulen geboten werden, 
zugleih aber ſoll da3 Büchlein dem Lehrer als Leitfaden dienen. — Nach 
einer Einleitung folgt die Tautlehre, dann die Wort: und Sapglehre. Durch 
mehrere beigefügte Tabellen fördert der Berf. die Ueberſicht des Lernflefies. 
Viele Beifpiele und Uebungsitüde machen die Lectionen praltiih und nehmen 
ihnen ihre Dürre und Trockenheit. Wenn auch das Büchlein in keinerlei 

Weiſe Anſpruch auf Originalität in der Anordnung oder Behandlung bes 

Stoffes erheben kann, fo ift ihm doch Brauchbarkeit teineswegs abzufprechen, 

ja es wird fidh vor vielen feines Gleichen durch Klarheit in der Form uns 

durch kactvolle Auswahl des Materiales auszeichnen. Auf die beigefügten 

Memorir:Berfe wollen wir jedoch diejes günftige Urtheil nicht überall ange 

wandt wiſſen. So find und 3. B. folgende Verfe: 

„Das Subject Tann Eigenſchaften bei ih haben, 

Es fteht ein Dingwort zweiten Falls dabei, 

Es ſucht auch bes Verhältnißwortes Gaben 

Und zieht zum Dienſt das Für: und Zahlwort ſich herbei‘ 
muenblich abgejhmadt erjchienen. 

20. Der Sprachunterricht in der Volkeſchule. In einer Rethe von 
ã— bearbeitet und für die Hand der Schüler berechnet von 
J. Schierhorn, Behrer in Brandenburg. Brandenburg 1868, 
ãa. —X ar.8. 80 S. 5 Sgr. 

Aus frũheren Jahrgängen dieſes Berichtes dürfte bereits Hr, Shi 
horn ben Lehrem als ein fleißiger Schulmann bekannt fein. Auch das 
vorliegende ‚Schriftchen ift eine Frucht eifriger Studien und Pesbachtungen, 
weldye IR der Vorrede die Zurüdführung auf allgemeine Orundfäge, im 
Büchlein felbft Ihre fpeciellere Ausführung gefunden haben, Sr. Schierhorn 
erlennt yenähft mit uns Sprachverſtändniß und Spradfertig- 
keit als das Biel alles Sprachunterrichtes an. Er hebt zu biefem Bwede 
vie Wichngkeit des Ohres hervor und empfiehlt den Lehrern fleikiges 
Grzählen, warnt hingegen vor forgirtem Katechiſiren. (Ge meint, daß im 
Ganyen in unferen Schulen gu wenig erzählt würde und damit find wir 
volllsmmen einverflanven, er 

9* 


132 Die neueſten Erjcheinungen auf dem 


Auch dem Leſebuche räumt der Berf. feine gebührenvne Stelle ein. 
Alles, was gelefen wird, foll auch zum Berftändnifje gebracht werben; Leſen 
und nicht verftehen, heißt halb müßig geben. 

Denn es für die Herbeiführung des Sprachverſtändniſſes einer ber 
fonderen grammatishen Unterweifung auch nicht eigentlih bevarf, fo ftebt 
ed doch anders in Betreff ver Spradfertigleit. Um diefe (mündlich 
und fchriftlich) zu erreichen, ift die Aufmerkfamteit wefentlih auf drei Punkte 
zu richten, nämlich auf die Drthographie, die Grammatik und den Ausdrudk 
(die Auffäge). - Zur Förderung im Nedtichreiben helfen: Abjchreiben, 
Buchſtabiren und die Kenntniß einzelner Regeln. Dictirübungen find nicht 
bintanzujeßen. 

Ueber die Behandlung der Grammatik fpricht ſich der Hr. Verf. ziemlich 
originell aus. Er fagt: „Der Epradunterriht unferer Volksſchulen mit 
alle dem grammatiſchen Begriffs-, Formen⸗ und Regelmerl, wie wir es von 
den höheren Schulen übertommen und nur zu willig übernommen und zu 
lange feltgehalten haben, gleiht dem Kleinen David in der ſchweren Rüftung 
des Königs Saul. Die Volksſchule muß auf die Idee verzichten, durch 
ihren Sprachunterricht als ein ftolzer, wohlgepanzerter Ritter zu gelten. — 
Andrerfeitd aber würde fie dur eine gänzlide Befeitigung des grams 
matiſchen Beimerls einem David gleihen, der aud die Schleuder und 
die glatten Steine verſchmäht und deshalb den Niefen nicht befiegt.” 
Darum will nun der Verf. unferen Bollsjchulen ein grammatiihes Eins 
maleins vindiciren, und er findet dies in den Wort: und Saßformen, 
welhe an einzelnen Sägen und Xejeftüden erkannt und bejeftiget werden 
follen. — Das angewandte Verfahren ift folgendes: Zuerft werden einzelne 
Kernſprüche gegeben, welche zu erklären find, und an welden die Sprach⸗ 
erfcheinung nadgewiefen wird; an einer zweiten Sammlung von Sägen 
wird das Gelernte weiter geübt und befeftiget; fchließlich hat der Schüler 
aus dem Gelefenen und Gelernten ſelbſt Beifpiele herbeizuſchaffen. Die 
Sapformen werden in ähnlicher Weile geübt und an den Lejeftüden 
befeftiget. 

Zur Uebung im Ausbrude empfiehlt der Hr. Verf. vor Allem zus 
fammenhängendes Sprehen (Wiedergeben, Antworten), dann Aufſchreiben 
des Gelejenen, Gelernten und Gefehenen in einzelnen Sätzen. Allmäb: 
lich erweitern ſich dieſe Säbe, während es für die Vollsfchule Regel bleibt, 
“in kurzen Säßen jchreiben zu laflen. in großer Theil der Aufjäße 
muß im Wiedererzählen des Gelernten befteben, 

Das Büchlein felbft ift für Schüler berechnet, die lefen und abfchreiben 

können und auch fchon einen Anfang in der Orthographie gemadt haben, 
beionder® aber im Erkennen des Hauptwortes, Eigenſchaftswortes und Zeit 
mortes, fomie der Ableitung und Zuſammenſetzung geübt find. 
Was auf einem fo guten Boden gewachſen und im Nligemeinen aus 
ſo richtigen Anfihten hervorgegangen, kann nur zwedmäßig und brauchbar 
fein, weshalb es auch überflüflig erjcheint, noch über Cinzelnes in der Aus: 
führung mit dem Berf. zu rechten. Wir erlennen vielmehr gerne ar, daß 
das Büchlein zu ben beſſexen Leiltungen auf dem Gebiete des Sprach— 
unterrichted gehört und die Aufmerkjamleit des Lehrerſtandes verdient, 





Gebiete des deutichen Sprachunterriähte. 133 


Etylübungen. Aufſatzlehre. 
(Für höhere und niedere Schulanflalten.) 


21. 200 ausgeführte Stylarbeiten für Oberclaffen. Ein Hülfsbu 
für Lehrer bei Ertheilung des ſiyliſtiſchen Unterrichtes in Stadts und 
Landihulen. Dem deutſchen Lehrerverein gewidmet von ben Lehrern J. & 
Scherz und Alex. Jungbänel in Chemniß. Chemnig, E. Focke. 4802. 
XII und 208 ©. gr. 8. Preis 24 Gar. 


4 


Unter den von ber deutſchen Lehrerverfammlung im Mai 1861 ans 
genommenen Theſen heißt es sub 3: „Die Erziehung des Mädchens zur. 
Hausfrau erfordert vor Allem frühzeitige Gewöhnung zur Aufmerkfamteit 
auf bie Bebürfnifie ihrer häuslichen Umgebung und zur freundlichen Dienft- 
fertigleit für die Befriedigung berjelben.‘ 

Ein beachtenswerthes Element zur Critrebung des genannten Zweckes 
ſchien den Herausgebern in den Stylaufgaben zu liegen, infofern die The⸗ 
men zu folhen aus dem Wirkungskreiſe und den Lebensverhältnifien der 
Grauen gewählt werden; denn durch Bearbeitung folder Themen in Wort 
und Schrift von Seiten des Kindes prägt fi der gegebene Stoff viel 
tiefer in die Kindesſeele ein, als dur bloßen Hinweis auf dieſe Verhaͤlt⸗ 
nifje bei Gelegenheit anderer Unterrichtsgegenftände. . 

Hierdurch erflären die Herausgeber die Entitehung und den Zwed 

ihrer Sammlung, von welcher bloße Geihäftsauffäge ganz ausgeſchloſſen 
wurden. 
Die 200 Gtylarbeiten find in 8 Abtheilungen gebracht, naͤmlich: 
1. Beihreibungen, 2. Schilderungen, 3. Erzählungen, 4. Vergleichungen, 
5. Betrachtungen, 6. Charalterzeihnungen und Bilder aus dem Berufs: 
Ixeife des weiblichen Geſchlechtes, 7. Briefe, 8. Heine Abhandlungen. 

Jedem Thema iſt mit kurzen Worten, ragen oder Sägen ver Ges 
danlengang beigefügt, alsdann folgen einige das Thema betreffende Fremd⸗ 
wörter, deren Verſtaͤndniß und Schreibweife ſich das Kind bei dieſer Ge⸗ 
legenbeit aneignen foll. Beifpielsmweife find bei dem Thema: „bas Soc 
ſalz“ die Fremdwörter Chlor, Natrium, Kryſtall, Gradirwerk, Wieliczka zu 
leſen. — Die eigentlihen Ausführungen der Aufgaben find durchſchnittlich 
von rihtigem Umfange und klar, wenn auch nicht gerade erichöpfend. 

Daß in Mädchenſchulen die Wahl der Themata vielfad eine andere 
fein follte, wie in Knabenſchulen, daß fie der künftigen Lebengrihtung ans 
gepaßt fein, ja zum öftern dieſe auch vorbereiten muß, das bedarf Heiner 
weiteren Veweiſe, und in fo fern bat das Magazin, welches die Verf. bars 
bieten, feine volle Berechtigung. Immer iſt aber die kindliche Sphäre in's 
Auge zu faflen und Alles zu vermeiden, was zur Frübreife in den Ans 
ſchauungen und im Urtheile binführen oder gebäffige Bergleihe und Bes 
ziehungen herbeiführen kann. Nach diejer Seite hin haben die Berf. nicht 
überall den wünfchenswertben Tact bewiejen. Beiſpielsweiſe erflären wir 
folgende Aufgaben für unzwedmäßig: Urtheile der Kinder über ihre Eltern, 
— das Schenkmädchen, — die Waſch⸗ und Echeuerfran, — das Appres 
turmädchen oder die Appretuſe, — die Schaufpielerin oder Xctrice, — 


134 Die neueften Erſcheinungen auf dem 


die Stiefmutter, — der Sagefto, — das Leben eines Spießbürgers, — 
das Leben gejchiedener Eheleute ıc. — Wir könnten noch mehrere bedenk⸗ 
lihe Themata anführen, aber ed möge an diefen genügen. Im Uebrigen 
esfennen wir gerne an, daß das Bud, eine Menge fehr paſſender Aufgaben, 
dab es ein reiches Material für den fchriftlihen Gedankenausdrud in Mäd- 
chenſchulen darbietet uns in biefer Beziehung alle Empfehlung verdient, 

Jeder Lehrer wird fo viel Brauchbares finden, daß er das minder Brauch⸗ 

bare gerne mit in den Kauf nimmt. 

Die Ausſtattung des Buches iſt ſehr anſtaͤndig. 

22, Deuntſcher Styl oder methodiſch geordnetes Aufgabenbuch im mündlichen 
und —— Gedankenausdrucke. Bearbeitet von Geppert, Suige 
und Stütze. Erſter Zell; Ente verbefferte Auflage. Breslau, %. E. 
Reudart. 1862. 36 & 

Im VI. Bande des "Gobreaheichtes, Seite 84, — im VL Bande, 
Seite 99, — im XII. Bande, Eeite 61 bereits mehrfach befprochen, mit: 
bin ein alter gutes Belannter, dem wir für feine abermalige Wanderung 
nur ein berzlihes „Glüd auf! wünſchen können. 

23. nuffenbisiein für die Mittel» und DOberclaffe der Elemen⸗ 

tarfchule, Bearbeitet und herausgegeben von den Lehrern Friedr. Schrey 

und Matth. Doffine. Zweite verbefferke und vermehrte Anflage. Duts⸗ 
burg, 1862. Joh. Gwic. 144 ©. 5 Ger. 

Das Bachlein wurbe bereits im XIII. Bande des Yahresberichtes 
Seite 127 eingehend erwähnt. Wir können aud bei diefer neuen Auflage 
nur das dort Gefagte wiederholen, fügen jedoch die Bemerkung binze, vaß 
eine nicht unbedenlende Anzahl neuer Aufgaben binzugelumnten ift. 
zu Mufter zu Bernärttsuufläßen für die Sand der Shüler. 

audgegeben won Dr. 3. &. Molttor. 2 Hefte, 23 um BS. à 2 se. 

Lahr, J. H. Geiger. 1862. 

Die beiden Heſtchen enthalten nicht ala Geſchäftsaufſätze, wie 
ſolche im bürgerliben Leben nur irgend vorlommen lönnen. 
legt auf dieſen Theil des ſchriftlichen Gedankenausdrudes gamz befonberen 
Werth und fagt deshalb auch im Vorworte, daß der Schüler gerade im 
diefem materiellen Theile des Sprachunterrichtes recht fühlen folle, daß man 
ihn zum einfichtspollen, praltiſchen Bürger beranziehen wolle. Cr ſetzt zw 
gleich voraus, Daß der Lehrer die gehörigen Rechtskenntniſſe habe, um am 
gemeſſene Belehrungen zu ertheilen und durch diefe vor künftigem Schaden 
zu bewahren. 

Das Büchlein bietet immerhin brauchbare Mufter für vie Lehrer und 
Stoffe zu Dictaten für die Schüler. 

2: Methodiſche Stulübungen auf Grund einer vereinfachten Sa 1ebre 
für Doltsfhulen. Mit 200 Aufgaben in 5 Selten. tat von E. 
Leipzig, 3. Klinkhardt. 1862. gr. 8. VIum 98 6 9 Dazu: Aa 
gaben zu den ehe en Stylübungen. L Seil: Der ei it Cab, 27 6©. 

I. Heft: Der gufammengezonene Dub. 26 &. — II. Heft: Der au 
' — Saß 268. — IV. Heft: Die Sagreihe, 36. — V. 
Die Periode, 37 ©, & Heft 3 Sgr. Don jedem 20 Exemplare 1!/, Ihlr. 

Der Verf. jagt uns in der Vorrede, dab er fein Buch für gewöhnliche 
Bürgers und Pandichulen ausgearbeitet habe, und daß es ſich durch folgende 








Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts. 135 


Bigenthämlichleiten auszeichne: 

1. Der Grundſaß, mit der Erflärung der Regeln ſojori auch die * 
eigneten ſtyliſtiſchen Uebungen zu. verbinden, iſt ſtreng beobachtet. 

2. Es iſt ein ſtufenmaßiger Gang genan inne gehalten. 

3. Die Satzlehre iſt, wie es für Volksſchulen fein muß, auf bie 
möglidy größte Einfachheit zurüdgeführt. 

4. Die in der Volksſchule biäher nur zu fehr vernadläffigte Inter⸗ 
punctionglehre tft ebenfo leihtverftändlig als gründlich behandelt. 

5. In den Stoffen iſt eine dem Stande unſerer Volklsſchulen ent⸗ 
fprechende Auswahl getroffen. 

6. Durd die ganze Anlage und Aufeinanderfolge der Beilpiele und 
Aufgaben ift eine ficherli ihren Zweck erreihende und den lindern er: 
freuliche Anleitung zum Abfaſſen gut fiylifirtee Aufſätze gegeben. 

Wie ſchon .aus ben Titeln der einzelnen Hefte hervorgeht, hat ber 
Berf. die Saglategorien auch zum Eintheilungsgrunde für die Styl⸗ 
übungen gemacht, alfo die Form vorwalten lafien, während man bisher 
die Stufenfolge der Uebungen mehr dur den Inhalt beftimmen ließ. Es 
ift dies allerdings eine Eigenthümlichkeit; aber fie hat den Verf. auch im 
einen Schematismus der Behandlung des Stoffes bineingeführt, der ſchwer⸗ 
lich allgemeinen Beifall finden bürfte. Außerdem ift. die Stufenfolge nad 
den Saplategorien eine gefünftelte und kann bei den fchriftlichen Uebungen 
ebenfo wenig confequent durchgefuͤhrt werden, als bei der mündlichen Rede. 
Die ganze Arbeit, welche den Kindern nad des Verf. Lehrgange obliegt, 
ift mehr ein mehanifhes BZufammenfügen vorhandenen Materiales, als ein 
felbftthätiges und freies Bewegen. 

Daß die Auswahl der Stoffe den Beduͤrfniſſen unferer Volksſchulen 
entipreche, möchte aud) nicht unbedingt zugegeben werben Tönnen. Ihemata 
wie: der Xhierdienft bei den alten Aegypten, — ber Sterndienft ber 
Araber und anderer afiatiiher Völkerſchaften, — die Urſachen der Völker⸗ 
wanberung, — bie Sindulaften, — die Parias bei den Hindu's, — die 
werjchiedenen Dienfchenracen, — der Muhameranismus, — ıc. geben doch 
wohl über ben Horizont der meiften Bollsfchulen. 

Der Berf. jagt in der Vorrede felbit, daß bie vorliegenden Aufgaben 
eben nur gewiflermaßen pas „Gängelband” jein follen, an weldem 
bie finder die erfien Schritte in der ftpliftiichen Kunft zu thun haben, 
und daß fie für bie erftien Uehungen auch fo mit der Bildung der Neben» 
und Bwilchenfäge u. ſ. w., wie mit Beifügung der erforderlihen Inter⸗ 
punttion immer noch genug Arbeit haben würden. Die Bezeihnung 
„Gängelband“ beweift, daß der Verf. felbit gegen den Mechanismus feines 

8 nicht unempfindlich ift; er bleibt und außerdem aber noch darüber 
die Auskunft ſchuldig, auf welches Schuljahr er dieſe eriten Schritte 
in der fipliftiihen Kunſt verlegt wiſſen will. Wir glauben nämlih, daß 
die Uebungen im fchriftlihen Gebautenausprude ſchon viel früher als bie 
einentlihe Saplehre beginnen jollen, und daß Kinder in einfachen Saͤßen 
fpredyen und ichreiben lünnen und müflen, ohne etwas von der Syntar 


erfahren zu baben. 
Um unferen Leſern einen Begriff von ver Methode des Derf. zu 


136 Die neueften Erfeheinungen auf dem 
ee ‚ laſſen wir ein Beifpiel in ver Vorbereitung und Ausführeng 
en, 


A. Borbereitung. 
Nr. 24. (I. Heft.) 
Die Bodentraft. 
Subject. Prädicat, Dbject. 


Jede Lampe um Brennen brauchen Del oder fonflige Rabrung 
Sie o n ſt erlöfchen — 
Oder jeder Menfh regelmäßig zu ſich nehmen Epeiſe 

müffen 
Er ohne dieſe verhungern — 

werden 
So — auch der Adler sum Fruchttragen braus eine gewifle Rabrung 

en 

Dir Landınann von Zeit gu Jeit durch Dün⸗ diefe 


ung zuführen müffen 
Sonſt — das Feld nah und nach ausge — 
hungert werden 
Dann aber — alle Arbeit verloren ſein — 
Tinmagererundaus—- allerdings immer noch einige Bewächle 
gelogen er Acker tragen 
Aber — — dieſelben ohnehinlängliche Bes — 
düngung des Ackers 
ſchwach bleiben 
ſle am Ende nicht einmal den Samen 
mehr bezahlen 
Des verſtändigen alſo die Düngerbereitung — 
Landwirths erfe werden fein müffen 
Sorge 


B. Ausführung. 


Jede Lampe braucht Del oder fonftige Nahrung zum Brennen. Souft 
verlöfhht fie. - Oper jeder Menſch muß regelmäßig Speife zu fih nehmen. 
Ohne diefe würde er verhungern. So braudt au der Ader zum Frucht 
tragen eine gewifie Nahrung. Diefe muß ihm der Landmann von Zeit 
zu Beit zuführen. Sonſt wird das Feld nah und nad ausgehungezt. 
Dann ift aber alle Arbeit verloren. Ein magerer und ausgejogener Boden 
trägt allerdings immer noch einige Gewaͤchſe. Aber obne hinreichende Be 
büngung des Aders bleiben viefelben ſchwach. Am Ende bezahlen fie nicht 
einmal den Samen mehr. Des verftändigen Sanpwirtbs erfte Sorge wird 
alfo die Düngerbereitung fein müflen. 

Wenn wir und auch mit dem Orunbprincipe des Verfs., namentlich 
mit deſſen ftarrer Durchführung nit einverftanden erllären können, jo 
find wir dod gerne bereit, den Fleiß und die Sorgfalt in der Ausarbeitung 
anzuertennen. Wir tragen auch kein Bedenken, das Buch als ein mehr⸗ 
feitig brauchbares Hilfsmittel beim Unterridhte im fchriftliden Gedanken⸗ 
ausdrude zu empfehlen. Wan kann das Material auch ohne ben firicten 
Gang benugen, freilid mit jener Umſicht, die erwägt, was den jeweiligen 
Verhaͤltniſſen entipricht. 





Gebiete des Yentfchen Sprachunierrichts. 137 


26. Des Handwerlers Briefwehfel und Buhbaltung Gi 
leihtfaplihe und gründliche Anleitung zur Vervollkommnung im mündlichen 
und ſchriftlichen Ausdrude für fonntäglidge Fortbildungsſchulen, Geſellen⸗ 
vereine und zur Selbſtübung für Jünglinge und Erwachſene. Bon 5 
Mienbaus, Lehrer. Crefeld, E. Gehrich & Comp. 1862. gr. 8. 94 
Breis 10 Ger. 

Diefes Uebungsbuch vertbeilt den Stoff auf acht Stufen. Es legt 
auf der I. Stufe dem Schüler Uebungen in der Saplehre vor, lehrt ihm 
die Berfeßungen in der Wortfolge und vermittelt Gewandtheit im Auss 
brude. — Die II. Stufe ift den Uebungen in ber richtigen Anwendung 
der FZallendungen gewidmet und bezwedt, die Erinnerungen aus der Schul⸗ 
zeit wieder aufzufrifhen. Die III. Etufe zeigt ihm in ber Umänberung 
der Gäße die verfhievdenen Ausdrucksweiſen eines Gedanlens. — Auf 
der IV. Stufe wird die Selbfitändigleit des Schülers ſchon mehr in An⸗ 
fprud genommen und ihm die Wendung in der Ausprudsiweife Hberlafien. 
Die V. Stufe führt ihn wiederum einen Schritt meiter und fordert von 
ihm, die erzäblend vorgelegten Berhaͤltniſſe in freier Weiſe als Briefe zu 
bearbeiten. Die VI. Etufe entzieht ihm noch eine Krüde; er erhält nur 
mehr vie einzelnen Gedanken in kurzen Andeukungen und muß das 
bisher Erlernte bier verwerten. Die VII. Stufe umfaßt die Geſchäfts⸗ 
briefe, Briefe an Behörden und die Geihäftsauffäße des Verlehrslebens. 
Als VIIL Stufe folgt die Buchführung des Handwerkers. 

So referirt uns der Verf. Es verſteht fih von felbft, daß bei 94 
Eeiten jeder Stufe nur eine geringe Ausdehnung gegeben werden konnte, 
umd daß Wlles möglichft compenfirt werden mußte. In guten Händen wird 
das Buch aud gute Dienfte leiften können und darf daher der Beachtung 
empfohlen werben. , 

27. Brattifhe Dispofitiondlehre in neuer GeRaftung und Begründung, 
oder furzgefaßte Anweifung zum Disponiren deutfcher Auffäge nebft zahle 
reihen Belipielen und Materialien zum Sebrauche für Lebrer und Sdüle 
in den oberen Giafien höherer Schulankalten von Dr. 3. Karl edr. 
Rinne, Oberlehrer am Stiftegymnafium in Jeitz. Stuttgart, Ad. Becher's 
Verlag. 1862. ar. &. XVI und 167 S. 27 Sgr. 

Indem der Verf. auf ähnliche Werke hinweiſt, die aber nur Materia⸗ 
lien und bisponirte Stoffe für den fihriftliden Gedanfenausprud 
darbieten, jagt er am Schlufle der Einleitung: „Ich enthalte mich jedes 
Urtbeiles barüber, das bier parteiifch erjcheinen müßte. — Uber ich 
muß doc jagen, daß, wenn feine anderen Anforderungen an die Leiſtungs⸗ 
fäbigleit der Schüler der oberen Claſſen höherer Schulanſtalten in Deutſch⸗ 
land gemacht werben, als fie durch die Eubvention folder Materialien er: 
füllt werben können, dann entjage ich gerne dem Ruhme, auch ein Lehrer 
derjelben zu jein, und lege meine Bemühungen um biefen Gegenſtand mit 
des Weberzeugung bei Seite, dab ih es an mir nicht babe fehlen laſſen, 
ihn auf eine höhere Stufe zu beben.” 

Mir erjeben ſchon aus dieſer Bemerlung, worauf es dem Verf. bei 

i des in Rede ſtehenden Unterrichtes weientlih anlommt. Er 
will, daß die Schüler felbfifiändig .visponiren lernen und zur Auwen- 
dung der heuriſtiſchen Compoſitionsgeſetze gelangen, alfo auch 





138 Die neueflen Erſ cheinungen auf dem 


den Vortheil erringen, nicht bloß de re, ſondern and) e re zu ſprechen. 
Das Buch iſt eine Anleitung bierzu, und es läßt fih ſchon aus ven bis: 
berigen Leiltungen des Veris. auf dem Gebiete der Styllehre erwarten, 
vaß es viele treffliche Winle enthält und Zeuguik davon abiagt, daß der 
Gegenftand mit Liebe und philofophifhem Beifte erfaßt wurde Faſt möchten 
wir fürchten, dab Des letztern vielleicht etwas zu viel fei, und baß fidh die 
meiften Lehrer wiederum mehr an ben gebotenen praltifhen Aus: 
fübrungen, als an die Theorie halten dürften. Go lange es noch Lehrer 
gibt (und wir glauben es gibt deren viele), welche bei zen Auffagübungen 
nichts weiter zu thun willen, ald den Schülern ein Thema hinzumerfen, 
gleichviel, ob und mie ſie's verbauen; — fo lange wirb es immer ein 
Fortſchritt fein, den Stofj vorher mit den Schülern beuriftiih zu beſprechen 
und wait ihnen nah dem Wufter einer Materialien-Sammlung die Dispofi 
tion aufsubauen. Wo ſolches geſchieht, wo man enblid auch daran beuft, 
die Themata aus den gechten Kreijen zu wählen und Intereſſe dba: 
für zu weden, da iſt auch entichieven ein Fortſchritt. 

Durch ein berartiges Verfahren bildet fih in den Schülern eine in- 
Rinctive Praris, welde zwar nicht das Hoͤch ſte, aber doch keineswegs 
zu verwerfen ifl. 

Wenn jedoch der Verf. nah dem Hoͤchſten hiuſtrebt, fo verdient er 
gewiß unferen Beifall, und er verdient mit dieſem zugleich dankbare An⸗ 
ertennung, menn es in einer fo gebiegenen, wahrhaft durchdachten Weife 
gejchieht, wie in feiner Schrift. Bon leidiger Buchmacherei ift hier keine 
Spur. Gs verfieht fi demgemaͤß au von jelbft, daß wir dieſe Dispo⸗ 
ſitioalehre warm empfehlen. , 

Ginige Eigenthümlichleiten oder vielmehr Sonderbarleiten in der Recht⸗ 
fchreibung, wie Uibergang, Teil, Turm, Not ꝛc. fallen auf. — Die Aus: 
Rattung des Buches entſpricht der geachteten Verlagshandlung. | 
3, Der deutfhe Auffap und deffen Behandlung in der Bolfs« 

Hufe. Ein Hülfsmittel für die Lehrer an denfelben. Gefammelt und 

earbeitet von Leonbard Meier, Pfarrer. I. Abthl. Durchgeführte Aufe 


gaben für die Unterſchule nebft einer Purzen und faßlichen Gebrauchsan⸗ 
weifung. Chur, Hiß. 1862. 8. IV und 138 ©. Preis 10 Bor. 


Gin anſpruchsloſes, aber recht praltifhes und brauchbares Büchlein. 
GSs will nicht mit neuen Ideen und Methoden prablen und gibt fi eben 
nur für das, was es ift, nämlih für ein recht reihlihes Magazin won 
Aufgaben, wie ſolche unfere Voltsfchullehrer gebrauhen und fuhen. Der 
einzelnen Aufgaben find 254, fo daß der Lehrer eine volllommen hin⸗ 
reichende Auswahl für mehrere Jahre hat. Der Verf. bat fih mit den 
befien einſchlagenden Schriften befannt gemacht und mit ſeltener Beſcheiden⸗ 
beit alle Benubten Quellen angegeben. Hier und ba find mit gutem Tacte 
einjelne Wort: und Sacherklaͤrungen zugefügt, und ift damit zugleich aufs 
Sprachverſtaͤndniß hingewirkt. Die äußerft kutze Gebrauchsanweiſung gibt 
einige recht praktiſche Winle 

Wie: wie vorausſeten koönnen, wird das gut ausgeftattete Büchlein, 
welches wir gern und mit voller Ueberzengung empfehlen, ſich auch durch 
wohlfeilen Preis Eingang verſchaffen. 


Gebiete des deutſchen Sprachunterrichts. 139 


9. Materialien zu unmittelbaren Syrahübungen in der Volls⸗ 
ule, durchwebt mit Proben, Andeutungen und Muflerauffäpen. (Kim 
ommentar zu meinen „Aufgaben”.) Bon J. Fr. Düder, Lehrer in 

Rzuftadt. I. Abihl. Der einfahe Sag. (Beichreibungen, Erzählungen, 
Schilderungen — Briefe) Kiel, Akadem. Buchhandlung 1863. 8 XH 
und 195 ©. 24 Ger. Zu 

. Die mittlerweile in 8. Aufl. erfhienenen Aufgaben zn mündlichen und 
ſchriftlichen Spradhübungen befielben Verf. wurden bereit3 im XIH. Jahr 
gange des Sahresberichtes, Seite 115 befproden, und nehmen wir 
bierauf mit dem Bemerken Bezug, daß dieſe Aufgaben in der neueften 

Auflage einige dankenswerthe Verbefierungen und Grimeiterungen erfahren 

haben. Die vorliegenden Materialien bilden zwar in mandyer Hinſicht einen 

Commentar zu den gedachten Aufgaben, können aber doch aud ohne diefe 

felbftftändig gebraudht werden. Der Commentar bringt in anſchaulicher 

Ausdrudsweiſe den ſprachlichen Stoff, die Grammatil, — dann eine Menge 

volftändig oder theilweiſe ausgeführter Auffäge, und endlich Proben und 

Andeutungen, wie die Grammatik aus Mufterfägen (und Mufterftüden) zu 

entwideln ift, und wie die Auffäge im mündlichen Verlehr zwifchen dem 

Lehrer und den Schülern anfgebaut werden können, | 
Es findet fih in dem Buche viel Brauchbares und Anregendes, und 

überall zeigt ſich der denkende, praftifche Lehrer, welcher nur bier und 

da im Bemwußtfein der eigenen Kraft oder günftiger Berhältnifie höher 
greift, al3 das Durchſchnittsmaß erlauben dürfte Vergleiche des Hoch: 
deuffhen mit dem Plattdeutſchen kommen vor, namentlih in Betreff der 

Orthographie; dod hat der Verf. hierin das rechte Maß gehalten und den 

Vergleichen ſelhſt practifhen Werth zu geben gemußt. 


IV. Retgtfchreibelehre und damit Berwandtes. 


30. Leitfaden um Rechtſchreübunterricht von eßel, Pfarrer u, 
Eullanferenbirecter —8 Chr. Bf. es K * Ser. 
Der Verf. geht von der Anfiht aus, daß es zwei Wege gebe, um 
das Rechtſchreiben zu erlernen, nämlich Anjhauung und Gewöhnung (Abs 
ſchreiben, Buchfiabixen), und Beachtung ber Ausfprache und Schreibung 
(Dictiren und Regeln). — Gr meint,- vie Schule müſſe beide Wege gehen, 
das Eine thun und das Andere nicht laſſen. Hiernach ift der Heine Lehr⸗ 
gang verfaßt. Gr ſchließt fich in der Screibung genau an die Regeln, 
fowis an das Wörtgrverzeichniß, worin die württembergifche Oberjchulbehörbe 
die deutſche Nechtichreibung für die Schulanftalten des Landes amtlich feſt 
geftellt bat. Im Mebrigen müßten wir nicht anzugeben, wodurch ſich dieſer 
immerhin brauchbare Leitfaden von andern Geſchwiſtern unterſchiede. 

31. Praktiſcher Unterriätsgang im Nehtfhreiben für die erften 
Schuljahre, uebit einem Anhang profaifger und poetiſcher Dictate, bear⸗ 
better nach den amtlich feftgeftelten Megeln der deutfchen Rechtſchreibung. 
Bon &. Bauer, Elementarlehrer am Gymnafium und der Realanſtalt a 
Um. Stuttgart, Chr. Belfer. 1862. M. 8. VIII und 87 S. 3 Ger. 


Mit dem vorigen Büchlein aus einer Officin. Der Verf. ift jedoch 
entihiebener auf Bormann’s Seite, deſſen Anfichten nady feiner Meinung 


140 Die neneften Erfheinungen auf dem 


noch von keinem Pädagogen angefochten worden find. Schon aus biefer 
Behauptung könnte man entnehmen, daß der Verf. noch zu den jüngeren 
Lehrern gehört und daß feine Kenntniß ber Literatur noch der Erweiterung 
bedarf. Die Aufgabe des orthograph. Unterrichtes erblidt er 1. in der Ein: 
prägung und 2. in der Darfiellung (Reproduction) der Wortbilder. Für's 
erfte joll die Fibel, für's zweite der vorliegende Leitfaden dienen. Diefer 
fängt folgendermaßen an: „Wir beginnen mit fihtbaren Gegenflänuden. Die 
Namen von Dingen, die man feben kaun, werden mit großen Anfangs: 
buchftaben geſdrieben, J B. dieſer Gegenſtand hier heißt Buch, daher wird 
ein großes DB gej 

Der Berf. bat es mit feinem Schriftchen gewiß gut gemeint; aber er 
bat doch nur ein Büchlein geliefert, wie folder ſchon Hunderte erifiren. 
32. Deutfhes Bocabelbud. 1500 für die Etymologie und Orthographie 

daralteriiihe Wörter. Mit Bezeihnung der mittel und althochdeutſchen 

Formen. Bon Dr. 8. Th. zrauf, Lehrer an der Bürgerfäue zu Wis⸗ 

mar. Reipzia, Zul. Klinkhardt. VI und 716. 6 Egr. 

Des Berf. will dur dieſes Vocabelhuch die Reſultate biftorifcher 
Sprachforſchung auf dem Gebiete der Lerilologie für die Zwede der Schule 
darlegen? — Aber melde Refultate der biforiihen Sprachforſchung, und 
für welche Schulen? Darüber bleiben wir im Unflaren. Was er uns in 
der Ginleitung als Grundſätze der Etymologie bietet, ift doch zu bürftig 
und zu aphoriſtiſch, um nur einigermaßen befriedigen, ober um bie im 
Bocabularium angeführten mittel: und althochdeutſchen Formen 
wirklich verwerthen zu können. Der Berf. würde befier getban haben, ftatt 
ber überall beigefügten alten Formen mehr bie verjchiedenen Schreibweifen 
einzelner Wörter zu berüdfichtigen, und fi jodann in Kürze und mit Bes 
rufung auf die biftoriihe Gutwidelung für eine, als bie xichtigere zu 

entfchei 


33. 186- Büchlein der deutſchen Mes täreidun für die Elemen- 
tarfhule. Bearbeitet von Ohrifian Zoga Lehrer. Bielefeld, Velhagen 
und SKiaflng. 1862. 8. VIII und 47 Preis 3 Sgr., in Parthien 
von 12 Egemplaren nur 2°/a ei. 

Sin einer recht vernünftig und Har gefchriebenen Borrede, welche den tuch⸗ 
tigen praktiſchen Lehrer zeigt, fpricht fich der Berf. dahin aus, daß fi) die Schule 
beim Unterrichte im Rechtichreiben nicht blos auf Uebung und Ge: 
wöhnung, fondern auch auf die brei befannten Grundregeln ftüßen mäffe. 
— Er macht ferner darauf aufmerkſam, daß die erfle Unterweifung in ber 
Orthographie da keine Schwierigleiten mache, wo ber Lehrer mit der Schreib: 
lefemethode vertraut iſt; denn Lefen lehren und orthographifcher Unterricht 
bilden ein Ganzes. Darin, fagt er, liegt eben für Viele das Geheinmiß; 
fe faflen beine Lehrgegenflände als getrennt auf, während fie doch im 
Grunde zufammen beginnen fjollten. Das Schreiben fei von Anfang an 
immer ein Richtigſchreiben und gehe nicht in's Schönſchreiben und Richtig: 
Schreiben auseinander. | 

Mit dieſen gefunden, von uns felbit vielfach vertretenen Anfichten, 
wie mit dem recht brauchbaren Büchlein ſelbſt wird Die Mehrzahl der prak⸗ 
tiſchen Lehrer nur einveritanden fein können. Das Heine angehängte 








Bebiete des deutſchen Sprachunterriäts. 4141 


Wörterverzeihnik erhöht die Anwendbarkeit des Lohrganges, dem wir 
jedoch im erften Theile der I. Stufe ned mehr Ausführlihleit und elemen: 
tarifhe Gliederung gewünſcht hätten. 

34. Kleine deutfhe Syrah» und Rechtſchreibelehre. Bon 2. 
Gerlach. Dritte Auflage. Deffau 1862, Reubürger. gr, 3. 30 S. 2%. Gar. 
Sn 12 Abſchnitte If das Nothwendigſte aus der Sprach⸗ und Recht⸗ 

fchreibelehre kurz zufammengedrängt. Der Berf. hat dabei befendere Rüd⸗ 

fiht auf die praftifche Seite genommen. In feinen Erflärungen und 

Regeln iR ex bündig und Mar. Das Büchlein verdient Empfehlung, wenn- 

gleih es ſchon jehr viele Gejchwilter hat. 

35. Snterpunltionslehre. Wine Anwelfung für Lehrer, ein Webungse 
bũchlein für Schüler und ein Führer für Erwachſene zum Selbſtunterrichte. 
Don 9 Geppert. Breslau, Marufchle und Berendt. 1862. gr. 8. 42 ©, 
Etwas Unbrauchbares ließ fih wohl kaum aus der Feder eines fo 

belannten und gewandten Echulmanned erwarten. So ift denn auch dieſes 

Büchlein recht brauchbar, namentlih zum Selbitunterrihte für Lehrer und 

Erwachſene. Schülern würden wir es nicht in die Hand wünſchen. Ein 

mal, weil die ganze Faſſung des Schrifthens mehr für Erwachſene paflend 

erjcheint, fondern aber auch, weil bo eine einzelne Seite der fcrift- 
lichen rejp. ſprachlichen Uebungen nit zur Anſchaffung eines befonderen 

Buches Beranlafiung werden darf. Wohin wollten wir fonft mit allen 

Schulbüchern! 

36. Orthographiſches Hülfsblatt, vorzugsweiſe ein Mittel zur leichten, 
ſchnellen und fſicheren Einübung des dem Schreibgebrauch folgenden ortho⸗ 
grapbiigen Stoffes, außer den bierher gehörigen deutfchen Wörtern eine 

nzahl der gewöhnlichſten Fremdwörter, Daneben auch eine kurze Anleltun 

zum aflfeitigen Gebrauch des großen Anfangsbuchſtabens, fo wie zwdi 
Regeln über die Interpunktion enthaltend, zum Gebrauch neben dem ortho⸗ 
grapbifchen Leitfaden defjelben (Reu:Ruppin, bei R. Petrenz) für die Hand 

der Schüler zufammengeftelt von A. Schwenk, Lehrer au, der höheren 
Töchterſchule zu Neu: Ruppin. Preis 11/ Sur. — 50 Exemplare 2 Thir,, 

75 2%, Thlt. NReusRuppin, Dehmigke und Riemſchneider. 1861. 8, 16 ©. 
Ungeadtet des langathmigen Titels, der wahrlich zurüdichreden könnte, 

ein für die Hand der Schüler recht brauchbares Schriften. Der Heraus 
geber hat Regel und Anfhauung für feinen Zwed im richtigen Verhältniffe 
zuc Anwendung gebradht und die Uebelftände des bloßen Abſchreibens 
möglihft vermieden. In Betreff der orthographifhen Differenzen und 

Neuerungen hat er Eine weile und darum auch praktiſche Mittelftraße 

gehalten. 

37. Der denkende Rechtſchreibſchüler, oder 86 flufenweife geordnete 
Aufgaben zur GErlernung der beutfchen Nechtichreibung für Schulen und 
um Gelbftunterrihte von Wilh. Neff, Hauptiehrer an der höheren 

ürgerfhule zu Helbelberg. Siebente, vermehrte und verbefierte Auflage. 
Heidelberg, Bangel und Schmitt. 1862. 65 S. 4a Ger. 
Diefer Leitfaden wurde im VII. Bande des Jahresberichtes, Seite 

135, fowie im XIV. Bande, Seite 167 bereit3 beſprochen und müllen wir 

unfere Lefer darauf hinweiſen. Der Verf. huldiget weientlih der Methode 


142 . Die neueſten Eırfheinungen nuf dem 


des Abſchreibens. Er ſagt im der Vorrede: „Henn nun bei dem, 
mas die Schüler nad) vorausgegangenem Durchſprechen abſchreiben ſollen, 
abfihtlid Lücken gelaſſen werden, — wie es in dieſem Vüchlein ber 

all it —; fo müſſen ſolche Uebungen gewiß noch zwedmäßiger ſein.“ 
Hiermit iſt Alles gejagt, was das Büchlein charabteriſirt. 


Bio ſſreibt man richtig deutſch? Wörterbug zum Nadhichlagen 
in qgweifelhaften galen für jedermann (,) ber ſich über —* chreibung, Ab⸗ 
fammung und Bedeutung ſchwieriger deutfcher Wörter unterrichten wil, 
nebft Regeln für deurfche Rechtſchrelbung. Bon Dr. Fried Sein; 
bau en. Berlin 1862, Ed. Reymann. Taſchenbuchformat, 256 &. Br 

gr. 

* durch freundliche Ausſtattung, handliches Format und billigen 
Preis ſich ſehr empfehlendes Büchlein, was auch durch feine innere Ein- 
dun. den gewoͤhnlichſten Bepürfniffen Genüge leiften wird. Der Heraus: 

er bat die neueften Schriften und Korfhungen auf dem Gebiete der 

— 5 faſt ſämmtlich berückſichtiget und benutzt, vielleicht aber etwas 

zu ſehr den noch herrfhenden Schreibgebrauch hintangeſetzt. Hierfür ſpricht 

der Umftand, daB immerhin noch ſehr auffallende Schreibweifen, wie 3. 9. 

Teil, Tohn (Ervart), Waßer (Waſſer), Tür, Verweiß (Verweis), verwaren 

(verwahren) in den Vordergrund geftellt worden find. Nach viefer Seite 

hin mödte Kehrein, den der Verf. weniger gefannt und benußt zu haben 

ſcheint, das rechte Maß ſicherer feſtgehalten haben. 


39. Megeln der deutſchen Rechtſchreibung nebſt Wörternerzrichntg. 
Bon H. Thiel, Prorector. Hirſchberg, Roſenthal. 1862. gr.8. 23 S. 3 Sgr. 
Dieje Schrift it laut des Vorwortes zunaͤchſt für ben Gebraud bes 

Birſchberger Oymnafiums beflimmt. Eine ausführliche wiſſenſchaftliche Bes 

gutachtung, welche ihr woranging, wurde von dem Lehrercollegium berathen, 

und diefes einigte ſich über alle wefentliben Punkte. Auf Grund diefer 

Beratbung uud Einigung erfolgte die Zufammenitellung ber Regeln, welde 

das Büchlein bietet, und des Wörterverzeichnifies für den Schulgebraud. 


Wir haben uns darüber gefreut, daß wieder ein Lehrercollegium das 
Bedurfniß der Ginigung in der Ortbographie gefühlt und ihm auch in fo 
gebiegener Weije abgeholfen hat. Immer find die Fälle noch nicht jo 
jelten, daß ber Tertianer anders fchreiben fol, als ber Quintaner, und 
daß m & überhaupt vie Lehrer einer Schule in der Rechtſchreibung ftreiten 
und widerſprechen, oder auch die Frage nad richtiger Schreibung als Klei⸗ 
nigleit abweilen. Möge der Vorgang ber Hirſchberger Lehrer viele Nad- 
folger finden! Die Ausftattung der Schrift Ift gut, das Papier nament: 
lich recht feft. 











Gebiete des deutſchen Sprachunterrichtss. 443 


Anhang. 
Bearbeitet von 


A. Lüben. 


40. 2. NRudolph, Oberlehrer an der ſtaͤdtiſchen höheren Tochterſchule zu gain, 
en —— für den Unterricht in deutſchen St 
bungen, Biete Abıpl. 8. (XII und 436 S,) Berlin, icotarta 
Berlagabudibandlung (®, Barthey). 1861. Preis 1’ Thlr. 


Die beiden erfien Abtheilungen find im XIIL Bande (Seite 116) 
angezeigt und warm empfohlen worden. Die dritte Abtheilung haben wir 
nicht erhalten. Die vorliegende vierte Abtheilung fchließt das Wert ab 
und if} vorzugsweiſe für höhere Schulanftalten beredynet. Sie zerfällt in 
zwei Abfchnitte, von denen der erfle von den Stylübungen im Allgemeinen 
handelt, der zweite Aufgaben enthält. Im erften Abſchnitte ift Alles zus 
fammengeftellt, was auf dem Gebiete der Theorie des deutihen Styla als 
ſicher erworbenes Gut betrachtet werden kann. Es ift nicht die Unſicht 
bes Berfs., daß dieſe Theorie im Bufammenbange gelehrt werde; fie if 
vielmehr zunaͤchſt für den Lehrer beftimmt, dem es dann überlafien bleibt, 
feinen Schülern bei pafiender Gelegenheit das Geeignete daraus zu ſpenden. 
Der zweite Abſchnitt enthält faft 700 Aufgaben aus verjhiedenen Wiſſens⸗ 
gebieten (Darfiellungen aus der Weltgefhichte, Beichreibungen und Schilde⸗ 
zungen, Erflärung ſynonymer Ausprüde, Auseinanderfegungen, Betrachtungen, 
Abhandlungen, in 12 Abtheilungen, darunter auch 40 aus der Pädagogik, 
für Seminare beftinmt). Der Verf. ließ ſich bei Aufftellung derſelben von 
dem Grundſatze leiten, den Schüler zu Arbeiten zu veranlaflen, bie feine 
Iheilnahme erweden, ihm alfo interefiant find. Wir glauben, daß ihm dies 
in hohem Grade gelungen if. Neben bloßen Aufgaben finden ſich zahl 
reihe Dispofitionen und ganz ausgeführte Arbeiten, bie vorzugsweiſe vor⸗ 
gelefen werben follen, wenn die Schüler felbft das Thema bearbeitet haben, 
Bir halten das Verfahren mit dem Verf. für ſehr zwedmäßig, da ber 
Schüler daraus erfieht, mas bei größerer Geiftesgewandtheit und ben nöthigen 
Kenntnifien geleiftet werden kann. 


Die Schlußabtheilung des Werkes verdient fonach bdiefelbe Empfehlung, 
welche den beiden erften ſchon zu Theil geworben ift. 

41. 8. Eholevius, Prof. am Gymnaflum zu Königsberg 1. P. Dispofis 
tion und Materialien zu deutſchen Auffähe en Fe Themata für 
die beiden eriten Sraflen I höherer Lebranftalten. Erſtes Bändchen. Zweite 
Auflage. 8. (XIV und 208 ©.) Zweites Bändchen. (X VI und 308 ©.) 
Leipzig, B. ©. Teubner. 1862. geh. 24 Sgr. und I Thlr. 6 Gar. 

Das erfte Bändchen haben wir im XIII. Bande (Seite 154) ange 
zeigt und als eine Arbeit bezeichnet, die fich als fehr nützlich erweifen werde. 
Das ift eingetroffen; denn dieſelbe liegt ſchon in zweiter , forgfältig durch⸗ 

geſehener Auflage vor. Das zweite Baͤndchen iſt in demſelben Geiſte ab⸗ 
gefaßt, unterſcheidet ſich jedoch vom erſten durch größere Ausführung der 





144 Die neueften Erſcheinungen auf dem Gebiete xc. 


Dispofitionen, womit einer großen Anzahl von Lehrern fehr gedient fein 
wird, da ihnen auf dieſe Weiſe ausreichendes Material zur Beſprechung 
der Schülerarbeiten geboten iſt. 


42. Dtto Sutermeifter, Spruchreden für Lehrer, Grgieber und Eliten. 8. 
(VI und 46 S.). Leipzig, Fr. Brandftetter. 1863. 10 Ger. 


Diefe „Spruchreden“ beziehen fih auf Haus und Schule und treten 
im metriſchen Gewande auf. Obwohl dieſelben zunädft ohne Zweifel bie 
Beſtimmung haben, den auf dem Zitel genannten Perſonen Belehrung und 
Anregung zum Nachdenken fiber Gegenftände des Unterrichts und der Er» 
ziebung zu gewähren, fo können doch viele derfelben auch als Aufgaben zu 
ſchriſtlichen Arbeiten benußt werden. Wir machen befonders au die Semi: 
nare auf diefe Arbeit aufmerkſam. 

43. Friede. Schmitthenner's kurzes deutiches Börterbuch vollig umgearbeitet 
von Dr. Fr. 2. 8. Beigend, Brof. Achte Lieferung. gr. 8. (Bogen 
29 bis 38). Gießen, 3. Rider. 1862. 20 Gar. - 

Diefe Lieferung umfaßt die Wörter von „rabbeln — fchmiegen;’ wir 
värfen deshalb hoffen, das Werk nächftens vollendet zu feben. Alles Lob, 
was wir den früheren Lieferungen gezolit haben, muß aud auf dieſe über: 
teagen werben. Wir haben lein Wörterbud, das dies an Zuverläſſigkeit 
überträfe. 

44. Joſeph Kehrein, Director des Herzo rgogl. Naſſauiſchen Schullehrer- Seminars 
zu Montabaur, Dnomatiſches Wörterbuch, zugleih ein Beitrag zu 
einem auf die Gpradhe der claffiihen Göhriftfteller gegründeten Wörterbuch der 
weubochdeutfchen Sprache. Zweite Ausgabe. g. 8. (VI und 1244 S.). 
Wiesbaden, Chr. Limbarth. 1862. 3 Thlr. 

Bon viefem Werke haben wir im vorigen Bande (Geite 170) die 
beiven erſten Lieferungen angezeigt. Mit den in dieſem jahre erfchienenen 
beiven folgenden Lieferungen iſt daſſelbe nun vollendet. GEs enthält ein 
eben fo reiches als fchönes Material für nützliche ſprachliche Erläuterungen 
in gehobenen Schulen, und wir wollen darum nicht verfäumen, die Lehrer 
nochmals daranf aufmertjam zu machen. 





IV. 
Literaturfunde,. 


Bearbeitet von 


Aug Lüben 


1. Wie vor etma 15 bi! 20 Jahren eine ungewöhnliche Thätigfeit 
in den Naturwilienichaften ſich entwidelte und namentlih auch eine Reibe 
von populären Schriften für bie gebildeteren Vollsklaſſen erſchienen und 
viel von ihnen gelefen wurden, fo ift das jetzt in gleihem Maße mit ver 
deutichen Literatur der Fall: fie wird gegenwärtig in einer Weife für all: 
gemeine Bildung bearbeitet, wie nie zuvor, und fie dringt aud in Wahrheit 
mit jedem Tage tiefer und tiefer in das Boll ein. ine befondere Freude 
gewährt ed, wahrzunehmen, daß die Lehrer in der Bearbeitung und in 
der fleifigen Benutzung der deutſchen Literatur vielfach vorangehen. 

Wie bier in Bremen und anderen Orten, jo find aub in Breslau 
wieder eine Anzahl Bolksfhullehrer zu einem Verein zufammengetreten, 
in dem fie durch das Studium der deutſchen Klaſſiler für ihre „Afthetifchs 
geiftige Fortbildung‘ jorgen wollen. „Bereits ift Schiller ganz gelejen 
und bejprochen worden. In ihren Bujammenlünften werden auch freie 
Vorträge über beliebige, ver klaſſiſchen Literatur entnommene Themata ge- 
halten.’ Ginen ſolchen mit Beifall aufgenommenen Bortrag, „Die Freude 
an die Tragödie, dargelegt an Emilie Galotti,“ theilt Scho in Nr. 2 
feines „Neuen Schleſiſchen Schulboten‘‘ von 1863 mit, So ift es recht, 
Ihr Lehrer! Fahret fort auf diefem Wege, der großen Nuben für alls 
gemeine Bildung und immer größere Befähigung für den Beruf kann nicht 
ausbleiben. 

2. Aus meiner Heinen Schrift: „Pädagogiſche Vorträge‘ (Leipzig. 
Branpftetter. 1863. 3 Sgr.) hat Herr Dr. %. B. Heind! Ne. 2, „Die 
Literaturgejhihte in den Schullehrerfeminarien,” in feinem 
‚Kalender für Lehrer und Schulfreunde auf das gemeine Jahr 1863 voll 
ftändig abbruden lafien, ohne auch nur mit einem Worte auf die Quelle 

Bad. Yahreöberiht XV. 10 


146 Literaturkunde. 


hinzuweiſen. Ja, indem Herr Heindl meinen Namen unter die Arbeit 
ſetzte, ſuchte er offenbar den Schein zu erzeugen, als haͤtte ich ihm dieſen 
Aufſatz als Beitrag für feinen Kalender geliefert. Für die Zukunft muß 
ih mir ein ſolches Verfahren doch verbitten. 


3. Die in diefem Vortrage ausgeſprochenen Anfihten baben vielfach 
Billigung gefunden, was mir im Intereſſe der Sache angenehm if. Her 
Seminarbireltor Bod in Münfterberg hat der Heinen Schrift eine ausführ 
lihe Beiprehung gewidmet und die Gelegenheit benußt, die preußifchen 
Regulative, bei deren Aufitellung er ſehr betheiligt gewejen zu fein fcheint, 
gegen meine Angriffe in biefer Beziehung in Schuß zu nehmen und bar: 
zuthun, daß in den preußiſchen Seminarien, ingbefondere natürlih in dem 
gu Münflterberg, bereits allen meinen Forderungen entfproden werde. Man 
fiebt es dieſer Beurtheilung an, daß ihr Verf. bei Abfafjung verfelben mehr 
als gewöhnlich erregt geweſen ift, und daraus erkläre id mir manche jchiefe 
Auffaſſung feinerfeits, jo namentlih auch die, als wäre mein ganzer Bors 
trag gegen bie preußiſchen Regulative gerichtet gewejen. So aufgelegt ich 
bierzu auch ftet3 bin, jo ift died dod in diefem Falle nicht geſchehen; ich 
babe mich vielmehr damit begnügt, ihrer nur in der Ginleitung in ähn⸗ 
liher Weiſe zu gevenlen, wie des im Seminar zu Hannover für den Sprach⸗ 
unterriht zu Grunde liegenden Leſebuches von Flügge. Meine Abficht 
ging lediglih dahin, meine Anfichten über dieſen wichtigen Gegenfland 
auszufprechen, wobei ih mid auf die Erfahrungen ftüßen durfte, welche ich 
im biefigen Seminar gemadt habe. E3 ifl nicht entfernt meine Abficht, 
bier eine Kritit der Bod’Ihen Beurtheilung zu jchreiben; nur ein paar 
Punkte von allgemeinem Intereſſe erlaube ih mir daraus zur Sprache zu 
bringen, während ich alles Andere dem Urtbeil des unparteilfchen Lefers 
überlafle. 


Sn der Ginleitung meines Bortrages babe ich gejagt, daß es nicht 
genüge, den Seminariften Schiller’ ‚Wilhelm Zell” und Göthe’3 „Hermann 
und Dorothea der Privatlectüre zuzumeifen, fondern daß man 
ihnen die Benußung des ganzen Schiller und des ganzen Göthe freis 
ftellen folle. Hierzu wirft Herr Dir. Bod die Frage auf: „ZH es nicht 
läherlih, zu fordern, daß der „ganze Schiller‘ und ber „ganze Göthe” 
gelefen werden ſoll?“ a freilich ift das laͤcherlich; aber wer hat es benn 
gefordert? ch nicht. Ich verlange zunächſt nichts weiter, als daß bie 
Merle diefer Männer den Seminariften niht vorenthalten, nicht als 
etwas für fie Berberbliches bezeichnet werden follen, nidt aber, daß fie 
diefelben von A bis 8 durchzulefen haben. Das wäre mehr als abjurd. 
Selbſtwerſtaͤndlich ift, daß, wie überhaupt, fo auch die Lectüre dieſer Dichter 
geregelt werben muß, und zwar fo, daß in der Beit (IIL und IL 
Seminarklafie), wo Heinere Schiller'ſche und Göthe'ſche Gedichte im Sprach⸗ 
unterricht behandelt werden, die Seminariſten ſich überhaupt mit den klei⸗ 
neren Gedichten dieſer Männer bekannt machen, während fie in Zeiten, wo 
man „Wilhelm Zell” und „Hermann und Dorothea‘ einer eingehenderen 
Beiprehung unterwirft (I. Klafie), von den Seminariften verlangt werben 
muß, daß fie fih mit den beveutenpften Dramen biefer Dichter befannt 








Riteraturkunde. 147 


machen. Im Unterricht felbft überzeugt fih dann der Lehrer vom Erfolg dieſer 
Brivatlectüre. Dies ift der rechte Weg, dem von Herrn Bod befürdteten 
„Schmölern” nit blos im Seminar, fondern für immer vorzubeugen. In 
diefer Weiſe find überhaupt alle Dichter von einiger Bedeutung zu behan- 
deln, mit denen die Seminariften befannt gemacht werden koͤnnen. Dadurch 
iſt das planlofe Leſen ein: für allemal befeitigt, und der Seminarbibliothet 
die einzig richtige Benubung gefichert. 


Un der Stelle, wo der Berf. die falfchen Folgerungen aus meiner 
mißverftandenen Aeußerung zufammenftellt, fagt er: „Wenn ſelbſt auf 
Gymnaſien nicht intendirt wird, den ganzen Schiller und den ganzen Göthe 
zu lejen oder ihnen überhaupt eine bevorzugte Stellung an 
juweifen, fo ijt dies in Seminarien noch weit weniger möglih.” Was 
zunädft die Gymnaſien betrifft, jo laſſen fi dieſe gar nicht mit den Se⸗ 
minarien zufammenftellen; denn fie können ohne allen Nachtheil für ſprach⸗ 
lihe Bildung Dies und Jenes aus der deutſchen Literatur unberüdfichtigt 
laſſen, da fie in der umfangreihen Beihäftigung mit den alten Haffifchen 
Dichtungen der Griehen und Römer reichlichen Erſatz erhalten und durch 
den ganzen Unterricht beſſer zu einem erfolgreiheren Selbſtſtudium befähigt 
werben. Für die Seminarien fallen dieje großen‘ Vorzüge weg; foll daher 
der Unterricht in der deutfchen Sprache deu gewünſchten Erfolg haben, jo 
müflen die Seminariften tiefer in die deutſche Literatur eingeführt werden. Voͤllig 
unbegründet tft die Anfiht, dab man Schiller und Göthe nicht im 
Seminar bevorzugen ſolle. Ganz gewiß foll das mit ihnen und Leſ—⸗ 
fing geſchehen. Dies Kleeblatt muß in der Literaturlunde der deutſchen 
Seminare den Mittelpunkt bilden, weil ihre Werle eben das Bedeu⸗ 
tendfte unjerer Literatur find. Es folgt daraus nicht, daß Uhland, Chamiſſo, 
Rüdert u. A., die Herr Bod anführt, vernadläffigt werden follen; auch 
für fie bleibt ſchon nodh Zeit, wenn man den Plunder unbeacdhtet läßt. 
Diefterweg ſagte feiner Zeit aus fpezieller Veranlaflung einmal: „Schiller 
für immer!” Ich erlaube mir den Ausſpruch: Leſſing, Schiller und Göthe 
find für den Unterriht in der Literaturfunde für immer in den Mittelpunkt 
zu ftellen, vornämli in Seminarien. 


Meine Forderung, die Seminariften im Gebiete der Literaturgefchichte 
Behufs des Limftigen Studiums ausreichend zu orientiren durch Hinmweifung 
auf vie ganze Entwidelung der deutſchen Literatur und eine vorläufige 
ſtenntniß der werthvollſten Werke verfelben, kann Herr Dir. Bod fi nicht 
aneignen: Es begegnet ihm aber auch bier wieder eine recht arge Ber: 
wecjelung. Ich babe nicht gejagt, daß hierburd die Liebe zur deutſchen 
Literatur eriwedt werde, fondern daß der Seminarift hierdurch einigermaßen 
Iennen lernen folle, was er fpäter als Lehrer zu ftudiren habe. Dabei 
muß ich ftehen bleiben, und darf hierin fiher auf die Zuftimmung Derer 
rechnen, bie eine eingehende Beichäftigung der Lehrer mit der beutjchen 
Literatur für nothwendig erachten. Das vom Verf. gebrauchte Beilpiel, 
daß einem Schüler dur Kenntniß des Linné'ſchen Syftems nicht Liebe zur 
Pflanzenwelt beigebracht werde, ift ein fehr unpafiendes, da ſich eine Ueber- 
fiht von der Entwidelung der deutſchen Literatur mit einem kuüͤnſtlichen 

10* 


148 Riteraturfunde, 


Pflunzenfpftem platterdings nicht vergleihen läßt. Dennoch aber iR es 
wahr, daß dies Syſtem den Schüler befähigt, fi ſelbſtſtändig in der Bes 
tanik zu vervolllommnen, was ich eben aud für ben künftigen Lehrer im 
Bereiche der Literatur wuͤnſche. 

Schließlich erlaube ih mir nur noch die Bemerlung, dab der Berf. 
in der gereizten Stimmung, in die er burd meine Erwähnung ber preus 
ßiſchen Negulative verfeßt worden ift, ihn verleitete, meine „Ginführung in 
die deutſche Literatur“, die ich nachſtehend (unter Nr 30) aufgeführt babe, 
mit meinen „Grundlagen zur Literatur zu verwecjeln. Ich verlange 
natürlich nicht, daß Herr Dir. Bod dies Wert kennen foll, aber ich darf 
fordern, daß er nicht über dafjelbe urtheilt, ohne Einfiht davon genommen 
zu baben. 


Literatur 


1. Literaturgefhidte. 


. Dtto Moquette, Geſchichte der deutfhen Literatur, bon den 

lteften Dentmälern bis auf die neuefte geil. 1.8 I. 8. 1. Abth. 

44 (622 S.) Stuttgart, Ebner und Seubert. 1862. Thlr. 
gr. 


Der als Dichter und Literaturhiſtoriker vortheilhaft bekannte Verfaſſer 
liefert hier ein Werk, welches fuͤr gebildete Laien in dieſem Fache beſtimmt 
iſt und auch als Hülfsmittel für Schulen dienen ſoll. Er unterwirft in 
demſelben alle Zeiträume der deutſchen Literatur der Betrachtung und hebt 
in jedem derſelben die bedeutungsvollſten Erſcheinungen hervor. Von den 
aͤlteſſen, nicht Allen leicht zugänglichen Dichtungen gibt er den Inhalt in 
anfprechender Darftellung, etwa in der Weile von Bilmar, bei den neueren 
beſchraͤnkt er fih auf Charalterifirung und Beurtheilung. Auf diefe Weife 
wird der Lefer in angenehmer Weiſe in bie Literatur eingeführt und ficyer 
zum Stubium derjelben angereizt werden. Am erfolgreichften dürfte dafjelbe 
ausfallen, wenn die angezogenen Merle an der Hand biefer Anweiſung 
gelefen werden. Dem Lehrer der Literaturgejhichte an höheren Schul 
anftalten wird das Werk ohne Zweifel auch manden Dienft gewähren, für 
Schüler dürfte es dagegen wegen feines Umfanges nur bebingt zu empfehlen 
fein. Volksſchullehrern empfehlen wir es als ein recht gutes Buch zum 
Selbititubium. 


2, Jerm. Fettner Geſchichte der deutſchen Literatur im 18. Jahrhundert. 
itter Theil. Erſies Bud. Vom weitfälifchen Brieben bis zur Ihrons 
befteigung Friedrichs des Großen, 1648—1746, gr.8. (VIII u. 430 &.) 

. Braunfchwelg, Frieder. Dieweg und Sohn, 1862. 2 Thlr. 4 Sgr. 


Dies Werk wird drei Bände umfaſſen und in denſelben den dritten 
Theil der „Literaturgeſchichte des achtzehnten Jahrhunderts“ des Verfaſſers 








Literaturkunde. 149 


bilden. Die beiden bereits erſchienenen Theile umfaflen die franzoöſiſche und 
englifche Literatur. 

In dem vorliegenden Bande wird nad einem NRüdblid auf die deutſche 
Bildung des ſechszehnten und fiebzehnten Jahrhunderts zuerft der Zeitraum 
vom meftfälifhen Frieden bis zur Thronbefteigung Friedrichs des Großen 
behandelt, dann der von 1720 bis 1740. Der erfte dieſer Abfchnitte 
banvelt in drei Kapiteln vom Kampf gegen die Engherzigleit des Iutberifchen 
Kirhenthbums, von ber Befreiung der Wiſſenſchaft von der Obmacht der 
Theologie und von dem Gegenfage zwifchen Renaiflance und Boltsthüm- 
lichkeit in Kunft und Dichtung, der zweite in eben fo vielen von dem Bor 
dringen des Nationalismus, von der Geſchichte der Philologie und von dem 
gefteigerten Kampf zwiſchen Renaifiance und Volksthümlichkeit in Kunſt und 
Dichtung. 

Je nad) den jedesmaligen Verhälmifien gibt der Verf bald allgemeine 
Ueberfihten, Charalteriſirungen ganzer Abjchnitte und Erfcheinungen, over 
biographifhe Darflellungen hervorragender Perſönlichleiten. Unter den Letz⸗ 
teren treten hervor: Spener, Pufendorf, Thomafius, Leibnig, Lohenftein, 
Moſcheroſch, Grimmelshaufen, Chr. Weife, Gryphius, Hoffmannswaldau, 
Canitz, Günther, Wolf, Brodes, Drollinger, Haller, Hagedorn, der Kreis 
der Bremer Beiträger u. A. Neben der Poeſie wird in beiden Abjchnitten 
auch die Mufit und bildende Kunſt berüdjichtigt. 

Wie alle Bücher diefer Art, jo ſetzt auch dies ſchon Bekanntſchaft mit 
der in Rede ſiehenden Literatur, d. b. mit dem materiellen Inhalt derſelben, 
voraus, kann daher nicht von Anfängern bierin benußt werden; aber wo 
fih diefe Bedingung findet, da wirft der Verf. Licht auf die Erfheinungen 
der Geifter und eröffnet das Verſtändniß in trefflihder Weiſe. Gern ſehen 
wir daher der baldigen Erjheinung der noch in Ausficht geftellten Bände 
entgegen. 


3. Julian Schmidt, Geſchichte des geiſtigen Lebens in Deutfhland ven 
einig bis auf Keffing’a Tod, 1681—1781. Erſter Band. Bon Leibnig 
bis auf Klopſtock, 1681 — 1750. gr. 8. (XII und 652 ©.) Reipzia, 
Ft. B. Grunow. 1802. 3 Thlr. 18 Sgr. 


Nach einer fiebzig Seiten langen orientirenden Einleitung ift in zwei 
Büchern die Rede: von Leibnig und dem Pietismus, und vom Rationaliss 
mus. Beide Ausprüde find für die Geiftesrichtung der Zeit bezeichnend 
und darum gut gewählt. Alle wichtigen literariihen Erſcheinungen und 
hervorragenden Perjönlichleiten werden mit Rüdſicht auf den ausgeübten 
Einfluß bald ausführliher, bald kürzer befproden. So weit es das Ber: 
ſtaͤndniß erforderte, find kurze Proben ver befprochenen Werte in den Tert 
verwebt worden. 

Bon der abiprechenden Art, welche die früheren Werle diejes bekannten 
Literaturhiſtorikers auszeichnet, finden fich in diefer Arbeit faum nod Spuren; 
der Verf. urtbeilt jept gerechter und erfennt dad Gute überall an, wo es 
fi) findet, wenn es auch noch nicht den hoͤchſten Grad von Vollkommenheit 
erreiht hat. Das ift ein Fortſchritt, der es möglich macht, feine Bücher 





150 Literaturkunde. 


zu empfehlen. Das vorliegende enthält viel Dankenswerthes über einen 
Zeitraum, der noch nicht befriebigend bearbeitet worden war. 


ne 





D. F. Gruppe, Leben und Berke deutfher Diäter. — 

"de beutfhen Zoen in den drei legten Jahrhunderten. 1. u. 2. Lieferung. 

gr, © . (192 ©. mit 2 Bortr. in Kupferſtich) Stuttgart, F. Orudmann. 

863. & 162 Sgr. 

Der Darf. bat fih einen Zeitraum für feine Darflellung gewählt, der 
den Leſern fehr nahe liegt, in dem fie ſich zum Theil noch ſelbſt befinden. 
Gr harakterifirt ihn, indem er die Hauptperfonen beflelben, die hervor 
tragenden Dichter, biographiſch behandelt und die Nebenfiguren dieſen Bio: 
grapbien einorbnet. In diefe Biographien find zugleich jo viel Proben 
aus den Werken der Dichter verflodhten und mit den Angaben aus ihrem 
Leben verfhmolzen, ald das Berftänpniß zu erfordern fhien. Wir finden, 
daß dem Verf. diefe Darftellungen ſehr gut gelungen find, und weiſen 
namentlih auf bie ganz befriedigende Biographie von Martin Opitz hin, 
womit das Werk eröffnet worben if. Das Buch wird, wie wir annehmen 
dürfen, den verdienten Beifall finden. Die Kupferftihe flellen Opis und 
Paul Fleming in guten Bruftbildern dar. 


5, Friebe. Noͤſſelt, Lehrbuch der deutſchen Literatur für das weib- 
ide Gefdledt, befonbere für höhere Zöäterfäulen, 3 Ipelle Fünfte, 


verbefierte Auflage. gr. 8. (AXXI u. 1311 ©.) Breslau, Max u. Co. 
1862. 31% Zhlr. 


Der erfie Theil bildet ein „Lehrbuch zur Kenntniß der verſchiedenen 
Gattungen der Poefie und Proſa“, der zweite und dritte eine „Geſchichte 
der deutfhen Literatur”. Der erfte Theil ift in feiner größeren Hälfte der 
Poeſie gewidmet, in der Heineren dem Profaftyl. In beiden Abtheilungen 
ift die Auseinanderfegung mit Rüdfiht auf den Zwed des Buches ganz 
populär gehalten, und fämmtlihe Dihtungs: und Stylarten find durch 
ausreichende und gut gewählte Beifpiele veranfhauliht. Die im 2. und 
3. Theile enthaltene Geſchichte der deutſchen Literatur beginnt mit ben älte: 
fen Zeiten und fchließt mit den berporragenveren Dichtern der Gegenwart. 
Im Gegenfa zu den früheren Auflagen find in diefer die Hauptperioden 
der Literatur charakterifirt, die Biographien dagegen auf ein verftändiges 
Map zurüdgeführt worden. Aus den Werten der Dichter find durchweg 
Proben gegeben worden, deren Auswahl dem Bwede entſpricht und im 
Allgemeinen auch als ausreichend bezeichnet werben kann. Wir bezweifeln 
darum nicht, daß fi das Werk au in diefer neuen Bearbeitung Freunde 
erwerben wird. Namentlich möchten wir dafjelbe Sungfrauen zur Benutzung 
nad der Schulzeit, wo meiftens der rathgebende Lehrer fehlt, empfehlen. 


2. Biographien und Charalteriftiten. 


6. E. H. Meyer, Walther von der Dogelweide ibentifh mit 
aa Walther von Schipfer ine auf Urkunden geRühte Unters 
ſuchung. gr. 8. (IV u 78 &,) Bremen, C. Ed. Müller. 1863. 16 Sgr. 





Literaturkunde, 151 


Der Zwei der Schrift ift, nachzuweiſen, daß Walther von ber Bogel- 
weine mit dem Schenten Walther von Scipfer ein unb dieſelbe Perſon 
iſt. Der Berf. bat zu diefem Zwede fehr umfangreihe Studien gemacht 
und namentlich eine große Reihe von alten Urkunden aus jener Zeit ge 
prüft. Ob ihm feine Aufgabe volllommen gelungen, werben die Yorfcher 
auf diefem Gebiete entſcheiden; wenn das aber der Fall ift, jo wird künftig 
mandye bisherige Lüde im Leben dieſes bedeutenden Minnejängers ausge⸗ 
füllt fein und mandes feiner Gedichte befier verftanden werden. Dann 
würde e8 auch an der Zeit fein, eine neue, für ein größeres Publilum bes 
vechnete Biographie des Dichter! zu fchreiben, wozu uns der Verf. ganz 
befähigt zu fein fcheint. 

7. Yu Boden, Leffing und Gdze. Gin Beitrag zur Literatur: und 
Kirchengeſchichte des achtzennten Jahrhunderts. Zugleich als Widerlegung 
der Rövpe'ſchen Schrift: „Johann Melchior Göze, eine Rettung.” ß 8. 
(IX und 402 S.) Selpalg und Heidelberg, &. %. Winter'ſche Verlags⸗ 
handlung. 1862. geh. 2 Thlr. 

Vor zwei Jahren (1860) verfuchte Herr Dr. Röpe, Lehrer an der 
Realſchule zu Hamburg, in der auf dem Zitel genannten Schrift eine Ehren» 
rettung Göze’s, des befannten Hauptpaftors in Hamburg und Urbildes zum 
Batriarhen in Leſſing's Nathan. Wer davon Kunde erhielt, wurde ohne 
Zweifel überrafht, aber kaum begierig auf die Schrift jelbft gemadht. Denn 
en Mann, der von Leifing gerichtet worden ift, kann wohl ſchwerlich wieder 
zu Ehren gebracht werben. Herr Boden hat es übernommen, nachzuweiſen, 
daß dies dem Herrn Röpe nicht gelungen ift und nicht gelingen konnte. 
Der Schein von Rettung, den das Buch gewährt, ift größtentbeil dadurch 
zu Stande gelommen, daß Herr Röpe vie als Beweiſe benugten Stüde 
nit in der Ausdehnung gab, als nötbig war. „Weil er (Röpe) Goͤze 
im Großen und Ganzen rechtfertigen wollte,“ heißt es S. 116, „bat Roͤpe 
ſich nicht blos des nicht zu vechtfertigenden Mittels bedient, abſichtlich große 
Lüden zu laflen und Worte und Thatfahen aus ihrem Bufammenhange 
zu reißen, fondern” u. |. w. Was Herr Nöpe unterlafien, das ift nun 
dur Herrn Boden in fehr dankenswerther Weife geſchehen. Für den Uns 
befangenen iſt Göze nun für immer unrettbar. Dazu hätte es freilich eines 
Buches nicht bedurft; aber dennoch ift es gut, daß Herr Boden daſſelbe 
geichrieben hat; es hätte fonft leicht ein Makel auf Leffing können haften 
bleiben. Abgefehen hiervon behält Herrn Boden's Schrift immer nod ihre 
Bedeutung durch die zahlreihen Aufichlüffe, die es über den ganzen Streit 
und Leſſing's Stellung dazu bringt und wird ficher mit Intereſſe von den 
Verehrern dieſes großen Mannes gelefen werben. 

8. Dr. Job. Jacoby, ©. E. Leffing der tloſoph. 8 (65 ©.) 
—8 & uttentan. 1863. ef Hi Thlr. Phitoſoph. 8. (65 6) 
Jede Arbeit, die uns Leſſing genauer kennen lehrt, verdient Beachtung. 

Bon der vorliegenden kann das gejagt werben. Diefelbe zerfällt in vier 

Kapitel mit folgenden Ueberſchriften: Leſſing und Kant; Lejfing und Spi⸗ 

noza; Spinoza und Leibnig; der fpelulative Grundgedanke Leſſing's. 


Als Ergebniß der Betrachtung ftellt ſich Folgendes heraus: Leſſing it 





152 Literaturkunde. 


— wie Sokrates, Spinoza und Kant — vorwiegend Moralphiloſoph. 
Bon Leibnig bat er einzelne naturphiloſophiſche Ideen verwerthet, dabei 
aber in echt fpelulativer Weile den Einheitsgedanten S pinoza’s 
überall fireng und folgeredht feftgehalten. — NReligionsvorurtheile erflärt 
Spinoza für die Duelle menſchlicher Knechtſchaft; vernünftige Gottesliebe, 
der Weltgemeinfinn, wird euch frei mahen! Und ebenjo lehrt Leſſing in 
feiner GEthil: „Sie wird gewiß kommen, bie Zeit eines neuen ewigen 
Evangeliums! — Genug daß ich ſchon in dem Spielzeug die Waffen 
erbiide, welche einmal die Männer mit fiherer Hand führen werben.“ 


9. Dr. Theod. Menge, der Graf Friedrich Leopold Stolberg und 
feine zeltgenof en. 2 Bände Mit dem Bildniß F. 2. Stolberg’s. 
gr. 8. (XXIV und 977 ©.) Gotha, F. U. Perthes. 1862. 5 Ihlr. 
Das Merk ift mehr ein Gemälde der Zeit, in der Stolberg lebte, als 

eine Biographie diefes Dichters. Bon diefem Standpunkte aus kann man 

dieſe Ausführlichleit billigen, womit wir indeß nicht fagen wollen, daß die: 

felbe dem Buche gerade zur Empfehlung gereiht. Wir unterfhäßen Stol⸗ 

berg als Dichter nicht, halten ihn aber nicht für bedeutend genug, um ihn 

in diefer Weife zum Mittelpunkt feiner Seit zu mahen. Gin Bud von 
dem balben Umfange würde lesbarer und rentabler geweſen fein. 


10. Ernſt Foͤrſter, Dentwürdigleiten aus dem Leben von Jean 
Baul Kriedviih Richter. Uerfter Band. Erſte Abtheilung: Jean 
Paul's Briefwechfel mit feinem Rreunde Emanuel Demund. 8, (XVIund 
487 S.). Münden, €. A. Fleſſchmann'ſche Buch. 1863. < j 


Diefe Briefe geben ein fchönes Zeugnik für Kopf und Herz ihrer 
Berf. E. Dsmund verehrt Jean Baul wie einen halben Gott und ift ihm 
dienftbar und gefällig in einer Weife, wie der Dichter für feine Berbältnifie 
es ſehr nöthig hatte. Osmund erinnert an Moſes Menvelsiohn und befien 
Berhäliniß zu Lejfing; er ift auch Jude. T 


11. Erinnerungsblätter an Jean Paul, deflen Leben und Heimgang 
in Bayreuth. 4. (5 Bilder in Tondrud.) Bayreuth, C. Gießel. 20 Sgr. 
Dies Heft enthält fünf gut ausgeführte Lithograpbien in Tonprud: 

Jean Paul's Mohn: und Eterbehaus, Rollwenzelhaus, Dichterftübchen bei 

Frau Rolmenzel, Jean Paul’s und feines einzigen Sohnes Grab, Jean Paul⸗ 

Plap mit Jean Paul’s Stanpbild von Echmwanthaler. Diefelben können den 

D.rehrern des Dichters beftens empfohlen werden. 


12. 8, Urlichs, Charlotte von Schiller und ihre freunde. 2 Bände. 

dr. 8 (X und 1166 S.). Stuttgart, 3. G. Eotta. 1860 und 1862. 

5 Ihlr, 16 Bor. 

Die Verehrer Schiller's finden in den bier dargebotenen Briefen Vieles, 
was meiteren Aufjhluß über die Lebensverhältnifie des Dichters gibt und 
una genauer mit den Perjonen befannt macht, die zu ihm in näherer Bes 
jiebung ftanden. Der erfte Band ift reih an Briefen von ber liebengr 
würdigen Charlotte und enthält außerdem ſechs interefiante Portraits; der 
zweite bietet Briefe aus dem Yamilienkreife, von den Grfurter und Wei: 
marer Yreunden und aus dem daͤniſchen freie. 


Literaturkunde. 153 


13. Karl Meyer, DOberjuſtizraih a. D. Ludwig Ubland. Gedeunkblätter. 
tr. 4. (32 ©. nebſt Phothographie in hoch 4.) Zübingen, Ofiander. 1863. 
2 Ihir., Prachtausgabe 21 Sgr. 

Diefe Biographie bildet die erſte Lieferung des „Albums ſchwaͤbiſcher 
Dichter, weldhes Juſt. Kerner, 8. Mayer, ©. Schwab, Hölderlin, Ev. 
Möride, W. Hauff, Graf Alerander von Württemberg, Theobald Kerner, 
J. ©. Fiſcher, L. Seeger und ©. Herwegh umfaflen wird. 

Der Berf. ift ein treuer Zreund Uhland’3 und fchrieb daber aus eigener 
Anſchauung und Erfahrung heraus, weshalb venn feine Mittheilungen auch 
wohl als zuverläfftg bezeichnet werben lönnen. Es ift vorzugsweiſe das 
äußere Leben und Streben Uhland's, was der Verf. gibt; auf deſſen Dich: 
tungen gebt er nicht näher ein, weil fie in Aller Munde leben. Die Photo⸗ 
grapbie kann als eine fehr gelungene bezeichnet werden. 

1%. Mil. Petſch, Ludwig Uhland. Gine Zubelfhrift zum 26. April 
1862. Ein Blatt für das deutſche Boll. Mit einem Prologe von X. 
Beife. gr. 8. (23 ©.) Berlin, A. Bad. 1862. geh. 3 Egr. 

Der hier dvargebotene Bortrag ift von dem Verf. an Uhland's Geburts: 
tage in einem Berliner Handwerlerverein gehalten worden Geburtstage 
folder Männer zu feiern und den Handwerkerſtand bei dieſer Gelegenheit 
mit ihrem Leben, Streben und Wirken belannt zu maden, ift eine würdige 
Aufgabe. Denn nit „auf ihre Fäuſte“ follen die Männer des Fortfchritts 
bauen, wie unlängft in einer Verſammlung gejagt wurde, jondern auf ihre 
Einfiht, ihre Bildung. „Wo rohe Kräfte finnlos walten, da kann ſich fein 
Gebild geftalten. Ueber Uhland's Leben gibt der Verf. nur kurz Aus: 
kunft; Dagegen verbreitet er fich aber über feine Dichtungen in angemellener 
Ausführlichleit und legt an geeigneten Etellen jo viel derſelben ein, als ex 
forverlid waren, um feine Zuhörer in diefelben einzuführen. Es läßt fi 
erwarten, daß der Verf. feinen löblihen Zmwed zur Zufriedenheit der Bes 
theiligten erreicht hat. 

15. Aims Reinhard, Iuftinus Kerner und das Kernerhaus zu Weinsberg. 
Gedenkblätter aus des Dichters Leben. Mit drei artiftifchen Beilagen. 8, 
(V und 138 ©.) Tübingen, Oflander. 1862. geb. "/s Thlr, 

Der Verf. erzählt das Leben des 1862 dahingefchiedenen Dichters in 
anfpruchslofer, aber recht interefianter Weile. Man gewinnt denfelben 
darans lieb, da man aus jeder Eeite erjieht, daß Kerner nicht blos Dichter, 
fondern auch ein fehr edler Menſch und Menfchenfreund war. „Kerner ift, 
wie Emma Niendorf fagt, eine Erfcheinung, die wir in ihrer reinen Ur: 
ſprunglichkeit nicht feft genug halten fünnen. Es können fo öde, fo arme 
Zeiten kommen, daß man gar nicht mehr glaubt, ein folder Mann habe 
einft gelebt, ihn für eine Mythe hält. Cr gehört unter die Mefen, denen 
man ſchon allein für ihr Dafein, abgejehen von allem Wirken, danten muß, 
weil fie uns ein Glaube, eine Bürgfchaft find. Will deutſches Gemüth 
von der Erde ſpurlos verfhwinvden, fo klopfe an das Heine Haus am 
Fuß der Frauentreue.” 


16. Dr. Ludw. Moad, Prof. an der Univerfität Gießen, Jobann Gotts 
lieb Bine nad feinem Leben, Lehren und Birken. Zum Getädinig 
feines duntersjährigen Geburtstages. Mit dem Portrait Fichte's. gr. t. 
(VIII und 562 S) Relpzig, O. Wiegant. 1862. geb. 2 Thir, 


154 Literaturkunde. 


Unter den ums näher belannt gewordenen Schriften, welche zur hun⸗ 
dertjaͤhrigen Geburtstagsfeier Fichte's erſchienen find, nimmt dieſe die erfte 
Stelle ein. In anfprechender Darftellung wird nicht blos das Leben dieſes 
großen Denlers und Patrioten mitgetheilt, ſondern es wirb überall näher 
auf feine Beftrebungen, auf feine Philofophie und auf feine Schriften über 
Volitit, deren Endzwed die Neugeltaltung Deutſchlands war, eingegangen. 
Es ift eine Schrift von bleibendem Werth, die Jeder mit Intereſſe lefen 

wird. 


Ad. Stabr, Fichte, der Held unter den deutſchen Denkern. Ein Lebens 
"sid, Zur GSälularfeier feines Geburtstages (am 19. Mai 1862) 8. 
(VII und 69 ©.) Berlin, Janke. 1862, geb. Y/s Thlr. 


Diefe Schrift ift in edler Begeifterung für ihren „Helden“ abgejaßt 
und gibt daher ein ſchönes, erhebend auf ven Lejer wirlenbes Bild von 
demfelben. Wem die Schrift von Noak zu umfangreich ober zu theuer ift, 
dem kann dieje beftens empfohlen werben. 


18. Dr. $r. Harms, Prof. an der Untverfität Kiel, Joh. Gottl. FAR 
Ein Dorttag, halten am 15. März 1862. gr. 8, (24 S.) Kiel 
Homann, 1862. geb. 6 Ser. 

. Derfelbe, Die iloſophie Fichte's hr ihrer geſchichtlichen Stel⸗ 

am Pr der —W ö ® 8, s & ) 6% reihe 1862. 

«& Tr. 

Die erfte diefer beiden Schriften gibt ein Mares Bild von der Geiſtes⸗ 
arbeit Fichtes überhaupt, die zweite von feiner Geftaltung der Philoſophie. 
Jene ift für ein größeres Publitum berechnet und fehr geeignet zu einer 
für Viele ausreichenden Renntniß des Mannes des „unerfchütterlihen Her: 
zens,“ diefe für Alle, welche fih in Kürze mit dem Weſen der Fichte ſchen 
Philoſophie bekannt machen wollen. 


20. Ed. her Fichte und das deutfhe Volk, Feſt⸗ 


WAHR Bean hundertjähriger Geburtöfeier am 19. Fet 1362. Den 
len hen Vereinen zugeeignet. gr. 8. (16 S.) Berlin, M. Hirſch. 1862, 
ge 


Ka * Sddriſuhen wollte der Verf. zunächſt wohl Material für 
die Fichte⸗Feier liefern. Gr gibt das Widtigfte aus dem Leben dieſes 
Volksmannes, läßt einen Blid in deſſen Philofophie thun und vermweilt zum 
Schluß bejonders bei ven „Neben an die deutfhe Nation. Cr bezeichnet 
ihn als den „erſten deutſchen Demokraten, als den Vater jener großen 
Partei, welche heut faft die ganze Bollsnation umfaßt und deren Streben 
ih vor Allem darauf richtet, die Einheit Deutſchlands im Sinne gerechter 
und edler Volkswünſche zu ſchaffen.“ 


Das Schrifthen empfiehlt fi zur erften OQrientirung. 
21. Berbin. Schmidt, Fichte's Jugendleben. Eine Ersäßfung für Jung 


Alt. Mit einem Titelblatte von &. Bartſch. Berlin, C. W. op 
und Comp. cart. 10 Gar. 


In der beiannten, hödft anſprechenden Weife erzählt der Berf. Fichte 3 
Sugendleben bis zur Flucht aus Porta und zur Rudkehr dahin. Daran 








Literatutkunde. 155 


reihet ex dann einige Stellen aus Fichte's „Veſtimmung des Menſchen“ für 

die reifere Jugend, die auch Erwachſene nicht ohne Nutzen lejen werben. 

22. Dr. Karl Schutze, Deutſchlands Dichter und Schriftſtel ler von 
den älteſten Zeiten bis auf die Gegenwart. Für Freunde der 

Literatur und zum Gebrauch beim Unterricht in höheren Lehranſtalten nach 

den beſten Hilfsmitteln in alphabetiſcher Bolge forgfältig zufammengeftellt. 

8. (IV und 520 ©.) Berlin, A. Bad. 1862, geh. 1Y/a Thlr. 

Dies Buch befriediget in recht angemeſſener Weiſe das Beduͤrfniß 
aller Literaturfreunde, die fih in Kürze über die hervorragenderen Schrift: 
fleller und Dichter unterrichten wollen. Der Berf. gibt, je nad der Wichtig: 
feit der Perſon, bald kürzere, bald längere Biographien, die neben einem 
gedrängten Lebensabriß auch ein Urtheil über die Werke enthalten und die 
bedeutendften derfelben nambaft machen. Es ift ein braudhbares Buch zum 
Nachſchlagen; für den literaturbiftoriihen Unterricht in höheren Lehran⸗ 
falten empfiehlt es ſich jedoch nit, da für diefe ganz andere Wege ein: 
gefchlagen werden müflen. 

23.2. Schmidt, Kalender zur Geſchichte der deutſchen Literatur. 
gir Freunde derfelben bearbeitet. gr. 8. (XV und 138 S.) Bremen, 
D. Geisler, 1863, 

Das Büchlein enthält außer einem Negifter 1. eine Aufzählung ber 
deutfchen Dichter und Schriftiteller in Kalenderorpnung, 2. einen Anhang 
dazu, in dem die Schriftfteller aufgeführt find, deren Geburts: und Sterbe⸗ 
tag fih nicht genauer angeben läßt, 3. ein Verzeichniß der deutſchen Dichter 
und Schriftfteller in chronologiſcher Aufeinanderfolge. Den einzelnen Namen 
find kurze Hinweifungen auf die bedeutenderen Werke hinzugefügt. 

Welchem Zwede die Arbeit dienen fol, ift nicht angegeben; wie es 
aber fcheint, wollte der Verf. die Gedenkfeier der Männer erleichtern, welche 
fih als Dichter und Schriftfteller ausgezeihhnet haben. Für diefen Zwed 
bedurfte es folder Anftrengungen nidt. 

Die Ausftattung ift für Zwecd und Inhalt der Schrift auffallend ſchön. 


3. Erläuterungen von Dichtungen. 


24. Zuliuß Diſſelhoff, Die Haffifhen Dihtwerle des Alterthums 
und des Wiittelalters In ihrer rveligiöfen Bedeutung. Ein 
Bortrag. 12. (46 S.) Barmen, WB. Langewielche'8 Verlagshandlung. 
1862. Ye Thlr. 


Der Ber. iſt Prediger und hat feinen Bortrag in Barmen zum Velten 
des Buftay Adolf: Bereind gehalten und auf Wunfh von Zuhörern bruden 
lafien. Er will denfelben nur ald Entwurf zu einem größeren Werte ans 
gefeben wiflen, welches unter bem Zitel „Die weltgeſchichtliche Poeſie in 
ihrer. Stellung zum Glauben’ erſcheinen wird. 

Beſprochen werden von ihm: Homer’s Ilias und Odyſſee, Sopholles’ 
Antigone, das Nibelungenlied und die Gudrun, Wolfram’ Parcival, Dante's 
göttliche Komödie und Milton's verlornes Paradies, alfo lauter Hauptwerle 
der Poeſie. Der Verf. bekundet bei diefer Beiprehung jehr gute Kenntniſſe 
diefer Meifterwerle. Seinen Standpunlt zu denfelben bezeichnet er ſchon 


156 Literaturkunde. 


in der Einleitung dahin, daß er Schiller's Anſchauungen über bie Griechen, 
wie fie in den „Göttern Griechenlands” dargelegt find, für unbiftorifch 
ertlärt. Dann fagt er: „Die Kunft und Schönheit war einem Homer und 
Sophokles nicht der Zwed des Dafeins, nit Mittel, um das tiefe Sehnen 
der Menſchenbruſt mit einer glänzenden Hülle zu verdeden und den Geift 
von dem Ernfte des Forſchens nah Wahrheit in zerftreuenben Genuß ab: 
zulenfen. Vielmehr offenbaren ung die Epen Homer's und die Tragödien 
Sophokles' das ernftefte Ringen des Menfchengeiftes nad Antwort auf alle 
tiefen und großen Nätbjelfragen des menſchlichen Daſeins. Der ewig 
lachende Himmel Griechenlands vermochte nicht, die tiefen Bedürfniſſe der 
Menfchenbruft hinwegzulädeln. Die eminente Anlage zur Kunſt war viel 
zu ſchwach, die Stimme des Gewiſſens zu übertönen. Unter der Hülle der 
Schönheit verbirgt ſich die riefenhafte Arbeit des Geiftes und Herzens, eines 
Gottes theilbaftig zu werden, der dem Menſchen volles Genüge gibt. Durch 
die Harmonie wunderbarer Berje hört man das ängftlihe Klopfen des Her- 
zend, das nah Verföhnung mit Gott ringt.‘ - 


Wir wollen nit in Abrede ftellen, daß der Berf. au von diefem 
Standpunkte aus manches Treffende zu fagen weiß, müſſen uns aber den⸗ 
noch im Ganzen gegen denjelben verwahren; wir ftehen bier zu Schiller 
und Leifing und fehen mit ihnen in den genannten Poefien der Griechen 
und Deutihen Kunſtwerke, nicht Tendenzſtücke. Um kurz zu zeigen, zu 
welchen Urtheilen des Berf. Standpunkt verleitet, führen wir ſchließlich an, 
was er über Gudrun fagt. „Die Geftalt ver Gudrun, heißt es ©. 24, 
die in der ſchmachvollſten Erniedrigung, im tiefiten Leiden im kalten Winter 
am Meeresftrande waſchen muß, ift doch duch ihre Demuth und ftille 
Ergebung, wie durh ihren kindlichen Glauben mit unnennbarer 
geiftiger Schönheit gefhmüdt, zeigt die innere Macht und Herrlichkeit des 
Glaubens, und mirlt eben dadurch wunderbar heilend und verjühnend.‘‘ 
Bon dieſen Eigenfchaften, insbejondere von „Demuth und ftiller Ergebung”, 
wird fein unbefangener Lefer der Dichtung auch nur eine Spur in Gudrun 
vorfinden. Sie ift vielmehr, wie alle hervorragenden rauen jener Zeit, 
eben fo ftart im Haflen wie im Lieben und voll Stolz auf ihre Hoheit, 
wonon jede der einfchläglichen Strophen Beugnik gibt. 


25. Friedr. Fa a Dtfrieds Evangelienbuc und die übrige alte 
hochdeutſche Poefie Farolingifher Zeit mit Bezug auf die chriſtliche Ent⸗ 
widelung der Deutfchen bearbeitet und durch einen "Beitrag zur Gefchichte 
der Belehrung eingeleitet. gr. 8. (VII u. 184 &,) Ghemnig, Eduard 
Kode. 1802. geb. %ı Thlr. 


Diefe Schrift ift nicht für Sprachforſcher, fondern für gebilvete Freunde 
der altdeutſchen Literatur abgefaßt. Sie ift mit vieler Hingebung und mit 
ausreichender Sachlenntniß gefchrieben und daher ganz geeignet zur Ginfüh: 
zung in diefe beachtenswertben Dichtungen. Das Werk zerfällt in drei Ab: 
tbeilungen; bie erfte enthält die Geſchichte der Belehrung der Deutfchen 
zum Chriftenthum, bie zweite die althochdeutſche Poefie der karolingifchen 
Zeit, die dritte Otfried’s Evangelienbuch, theild in Ueberfegung, theils nur 


4 Literaturkunde. 157 


in Inhaltsangaben. Der Berf., der den Drud feiner Arbeit nicht mehr 
erlebte, Scheint die Meberfegung von Rapp (1858) nicht gelaunt zu haben, 
denn fonfl hätte er fi wohl zur Beibehaltung des urjprünglichen Vers: 
maßes beftimmen lafien, woburd die Rapp'ſche Arbeit ſich ſehr auszeichnet. 
' 
26. .® zdt, Böthe's Italienifhe Reife Mit Einleitu ) 
re de bejfen —W —— — bis zum Antritt ders 
er 


ſelben. and. gr. 8. (XIX u. 634 ©.) Stungart, Cotta ſcher 
Verlag. 1862. geb. 2 Ihlr. 


Der Herausgeber war Göthe's Privatfecretair bis zu defien Tode. In 
der Vorrede gibt er einige Nachrichten über fich felbft, um feine Berechtigung 
zu diefem Werte darzuthun. In der Einleitung ift darauf Alles zufammen- 
geftellt, mas Beziehung auf Göthe's Kunſibildung bat, und bieran fchließt 
ſich die Reife nah und in Italien an, zu der an unverflänblichen Stellen 
einige Srllärungen unter dem Tert gegeben find. Den Schluß bildet ein 
Berzeihnig der in diefer Reife vorlommenden Namen und Perfonen, mit 
kurzen biographiſchen Notizen. 

Das ganze Unternehmen muß als ein recht zwedmäßiges bezeichnet 
werben, da es kunſtliebenden Lefern das Studium der Arbeiten Göthe’s, 
in denen von der Kunſt die Rede iſt, weſentlich erleichtert. 


27. C. Gude, Lehrer an der höheren Töchterfchule in Magdeburg, Erläute 

rungen deutſcher Dichtungen. Nebft Themen zu ſchriftlichen Aufe 

fügen, in Umriffen und Ausführungen. Bweite Reihe. gr. 8. (VIII u. 
188 S.) Leipzig, Fr. Brandfletter. 1862. 24 Tbhlr. 


Dies zweite Bändchen ift dem erften in der Behandlung gleid. Wie 
in jenem, werben auch in biefem einzelne Dichtungen vorzugsweiſe vom 
äfthetiihen Etandpunlte aus erläutert und eingehend beſprochen; doch find 
diesmal größere Dichtungen mit berüdfichtigt worden, fo namentlich Göthe's 
Sphigenie (erläutert mit Rüdblid auf die antile Tragödie von Wied), 
Goͤthe's Tafjo (von Hiede), Hermann und Dorothea, das Lied von der 
Blode von Schiller. Ale dargebotenen Grläuterungen können als wohls 
gelungen bezeichnet werden, und werben daher ſicher eben fo gute Aufnahme 
finden, wie die des erften Theiles. 


28. Ed. Foͤrſter, Seminarichrer zu Münfterberg, das Bolstied in 
der Bollsfäule Die Behandlung des ſprachlichen Lernfloffes zur 
Hebung im mündlichen und ſchriftlichen Gedankenausdruck für die mittlere 
und obere Stufe der Volksſchule. gr. 8. (VIII und 88 &.) Breslau, 

Ferd. Hirt. 1862. geh. Ys Thlr. 


Der Berf. bezeichnet feine Schrift als „eine Grgänzung zu ber methos 
diſchen Anmweifung für den fprachlihen Lernftoff im Bod'ſchen Wegweiſer.“ 
Gedichte, insbefondere Volkslieder, vorberrfhend als „ſprachlichen 
Lernftoff“ zu bezeichnen, dürfte ſich wenig empfehlen, da keins verfelben 
für diefen Iwed geichaffen worden if. Wir wollen damit nicht jagen, daß 
diefelben nicht für Spradbildung verwandt werben koͤnnen; aber der Haupt 
zwed ihrer Verwendung iſt das nicht. 





158 Literaturkunde. - 


Die Grundſaͤße, welde der Verf. bei den Beſprechungen von Volks⸗ 
liedern beobachtet zu ſehen wünfdht, bat er zu Anfange als „NMethodiſche 
Anweifung” zuſanmengeſtellt. Diefelben find im Ganzen richtig. Auf: 
fallenb und lebhaft an die preuß. Negulative erinnernd ift darin die Anficht, 
daß für die „Sicherheit im Gebrauch der Interpunktionszeichen“ „Kenntniß 
ver Saplehre nicht erforderlich iſt.“ Das ift mehr als abſonderlich. 

Bon den erflärten Gerichten find 10 für die mittlere und 18 für bie 
obere Stufe beftimmt. Wenn mir aud zugeben, daß die Grflärungen 
manches Verwendbare bieten, fo halten wir doch dafür, daß bdiefelben im 
Banzen zu breit ausgefallen find und ber Verf. dadurch gegen bie von ihm 
empfohlenen Grundſaͤtze verftopen hat. 


=. Dr. Ir. . Günther, Semtnarichrer in Barby, Auslegung von 
Volles a enern für höhere gehranfaftın. er. 8 
(163 ©.) Eisleben, Reichardt. 1861. geb. !/s Thlr. 


Liegt uns nicht zur Beurtbeilung vor. 


30. A. Rüben und C. Nade, Einführung in die deutſche Literatur, 
vermittelt durch Erläuterung von Mufterlüden aus den Werfen der vors 
züglicfien Schriftfieller. Für den Schul⸗ und Gelbftunterricht. Zweite, 
derbefierte Auflage. Zugleih als Gommentar zu dem Lefebud für Bürgers 
fulen von denfelben Herausgebern. Zweiter Theil. Mit dem Bildniß 
Gothe's nach Mietfchel. gr. 8. (VI u. 645 S.) Leipzig, Fr. Brandſtetter. 
1863. 2 Thlr. 21 Ger. | 


Der Plan dieſes Werles ift im vorigen Bande bei Anzeige des erften 
Theiles dargelegt worden. In diefem Theile find zur Behandlung ges 
tommen: Gngel, Gare, Claudius, Herder, Arhenbolg, Peſtalozzi, Hölty, 
Bürger, Fr. 8. v. Stolberg, Voß, ob. v. Müller, Forfter, Götbhe und 
Schiller. | 

Der dritte und lebte Band erjcheint im Laufe dieſes Jahres, 


4, Ausgaben älterer Dichtungen. 


31. Karl Uſchner, HSomers Gedichte. Ju Berömaße der Urfchrift über 
ſeht. Erſter Theil: Ilias. Zweiter Theil: Ddyffee. 8. Berlin, 
A. Hoffmann und Eomp. 1861. 15 und 12 Ger. 


Die Ueberſetzung ift für das größere gebildete Publikum beftimmt und 
daher möglichft fließend gemacht worden. Nah unferem Dafürhalten bat 
Herr Uſchner diefen Zwed vortrefflih erreiht. Umverftändlichere Ausprüde 
baben unter dem Tert eine kurze Erläuterung gefunden. 

Die Ausftattung ift gut und der Preis ein fehr niedriger. 


32, Ottmar F. 9. Schönhuth, Das NibelungensLied nad der reichſten 
und äfteflen Handfchrift des Freiherrn Joſeph v. Laßberg, mit einem 
Wörterbuch, grammatikaliſchen Vorbemerkungen und einem getreuen Fac⸗ 
fimile der alten Handfchrift dpegeaeen. Dritte, verbeſſerte Au ale 
8. (XVI u, 502 &,) SHeilbsonn, J- D. Claß'ſche Buchhandlung. 1862. 





Literaturkunde. 159 


Dieſe Ausgabe kann allen Freunden des Ribelungen-Liebes empfohlen 
werben, die ſich nicht mit einer Ueberſetzung begnügen, fondern den Urtert 
Rudiren mollen. Die Ausgabe iR correct und ſchon gebrudt; das Wörter 
buch if volllommen ausreichend. 


5. Sammlungen. 


Bibliothek. Heft 1—13. 4 
N Pr, Btuttgart, A. Becher’s Verlag (©. Hoffmann). 1862. à Heft 
s Zhlr. 


Der Herausgeber verfolgt in diefem Werke den Zwed, „das für alle 
Zeiten Werthvollſte und Wirkfanfte aus ber religiöfen Literatur der älteren 
Zeit der evangelifchen Kirche in Auswahl zufammenzuftellen und einem aus: 
gebehnten Leſerkreiſe zugänglihd zu machen.“ Des befieren Verſtaͤndniſſes 
halber find Biographien der berüdfichtigten Verfaffer, biftorifche Anmerkungen 
und kurze Saderflärungen (namentlih im poetischen Xheile) beigegeben. 
Das Werk wird aus einer projaifhen und einer poetiſchen Abtbeilung be: 
ſtehen und in jener vier Theile umfafien, in dieſer fih dagegen auf einen 
beſchraͤnken. Der erfle Band liegt und vollftänvig vor; er enthält außer 
den Biographien eine Auswahl aus den Werken Luther's, Zwingli's, Mes 
lanchthon's und Calvin's. Rom V. Bande haben wir bis jeßt nur drei 
Hefte erhalten; er erfcheint unter dem befonderen Titel: Die geiſtliche Poeſie 
der evangelifhen Kirche von Luther His Klopftod. Ausgewählt von Paul 
Prefſel, Dialonus in Bradenheim in Württemberg. Außer Prefiel unter: 
ftägen den Herausgeber noch durch Uebernahme einzelner Theile Palmer, 
Dberhofprediger Hoffmann In Ballenitent, Amtsdekan Gerod in Stutts 
gart, Krummacher in Duisburg u. A. 

Wir halten das ganze Unternehmen für eben fo berechtigt als nuüͤßzlich, 
da es eine fehr wichtige Beit repräfentirt und bebeutungsvolle Perjönlichleiten 
vorführt. Die Auswahl entipriht dem Zwede ganz, und bie einzelnen 
Stüde find biftorish treu und mit Angabe der Quellen wiedergegeben. 
Das Wert verdient ſonach die befte Empfehlung. Der Preis if bei guter 
Ausflattung ein billiger. 


33. Dr. Klaiber, Sarnifondprediger in Ludwigsburg, Evangeliſche Volks⸗ 
{ Gr. 8. (I Bd. KVTu 358 Der Br. 


. Knauth, Auswahl deutfher Gedichte. r den Schul⸗ 

ie Ien. zuſammengeſtellt. — —98— von u“ Fee. en 

— **— deutſcher Dichtungen.” Zweite, vermehrte Auflage. ar. 8. (XII 
und 182 &.) Halle, D. Hendel. 1862. geb. 2. Tyler. 


Dies Büdlein bat ganz die Einrihtung von des Verfaſſers: „Drei 
Bücher deutfher Dichtungen,” die wir im 13. Bande angezeigt und em⸗ 
pfohlen haben. Wo jene Sammlung zu umfangreih ober zu theuer er» 
ſcheint, da Tann diefe benutzt werden. 


35. R. Blohl und H. Wentzel, Lehrer in Berlin, Des Kindes Luk und 
Pr —A für Schule und Haus. Zweite Auflage, 8. 


160 Literaturfunde, 


(X und 174 ©.) Berlin, Plan. 1862. cart. !/s Ihlr., feine Ausgabe 

mit 6 color. Steintafeln geb. °/, Thlr. 

Die exfte Auflage diefer Sammlung ift im XIV. Bande von uns ans 
gezeigt und als eine recht brauchbare empfohlen worden, namentlich für 
jüngere Kinder. Wir wünſchen berfelben ferner Beachtung. 

36. 8. Viohl, Lehrer in Berlin, Deutfhe Diätungen für Säule 
und Haus. 8. (IV und 348 ©.) Berlin, W. Schulpe 1862. geb. 
3, Thlr. 

Da diefe Sammlung für Kinder von 9— 15 Jahren beftimmt if, 
jo kann fie als Fortfeßung der vorigen gelten. Sie befteht aus zwei Ab⸗ 
theilungen, von denen die erfte dem Alter von 9— 12 Jahren gewidmet 
it. Ihr find eine Anzahl Geburtstags: und Neujahrswünſche angehängt. 
In der zweiten Abtheilung find Gedichte über hiſtoriſche Begebenheiten, die 
der preußiihen und deutſchen Geſchichte angehören, ziemlid ſtark vertreten, 
wodurdh die Sammlung dem Gejhichtsunterriht eine Stüße gewährt und 
zugleih zur Belebung der patriotiihen Gefühle benußt werden kann. Die 
Auswahl if in beiden Abtbheilungen gut und dem bezeichneten Alter ans 
gemefien. 

37. F. Schmidt, Blumenlefe deutfher Dichter für die Jugend. 
Für Schulen und zum Privatgebraud gefammelt und herausgegeben. 8. 
(IV und 300 ©.) Berlin, ©. R. König. 1862, geb. 1. Thir. 

Der Inhalt ift in ſechs Abtheilungen gebracht und in diefen Alles 
berüdfichtigt, was für Kinder jüngeren Alters Interefle hat. Obwohl es 
niht an ernften Gedichten in der Sammlung fehlt, fo tragen doch die 
meiften den beiteren Charakter der Jugend an fi, und bierin erfennen wir 
den richtigen Talt des Herausgebers. Für das Alter etwa bis zum zwölften 
Sabre gehört diefe Sammlung mit zu den beften vorhandenen. Die Aus 
ftattung ift ſchoͤn, der Preis jedoch etwas hoch. 

38. Der poetifhe Kinderfreund. Wine Sammlung auderlefener und 
deutſcher Gedichte zum Declamiren für Kinder von 6—12 Jahren. Sm 
gpei Abtheilungen. Vierte Auflage. 8. (VIII und 172 ©.) Gifenberg, 

Schöne 1862. geb. !;s Thlr. 

Die erfte Abtheilung ift für Kinder von 6— 9 Jahren beflimmt und 
enthält „Fabeln, Grzäblendes, Lieder und Belehrendes,“ vie zweite „Er 
zäblendes, Lieder und Vermiſchtes, Neligiöfes. Die Auswahl iſt dem 
Alter angemefien,; neuere Dichter find dabei verhältnißmäßig nur ſparſam 
benugt worden. 


39. Theodor Goldhorn, Des Mägdleins Dihterwald. Giufen- 

„. mäßig ggeoronete Auswahl deutfcher Gedichte für Mädchen. Aus den Quel⸗ 
len, Bierte Aufe e, verbefiert und vermehrt. gr. 8 (VIII und 977 ©, 
mit 1 Ghromolith.) Hannover, &. Rumpler. geb. 1 hir. 


Diefe Schrift enthält eine reiche Auswahl von Gedichten, die fidh der 
großen Mehrzahl nah durch Form und Inhalt empfehlen, namentli zur 
Benugung in höheren Töchterſchulen. Die Mühe, welche der Herausgeber 
auf die Auswahl verwandte, verbient volle Anerlennung; er wird manche 
Shöne Stunde dazu gebraucht haben. Bei der Anordnung ſuchte Herr 





‚  Riteraturfunde, 161 


Colshorn dem Grundſatze, vom Leichtern zum Schwerern fortzufchreiten, ge: 
recht zu werben, was ihm auch im Ganzen gelungen ift. Ein angehängtes 
„Verzeichniß der Dichter und ihrer Gedichte‘ enthält kurze‘ biographiſche 
Mittheilungen, unter denen manche hier zum erjten Male gebrudt find. 


Unpafiend finden wir es, daß Herr Colshorn in der Vorrede die 
tadelnden Necenjenten feiner Werte belämpft und Dr. König wegen Bes 
nugung bderjelben zur Rebe ſtellt. Yür foldhe Zwece find bie kritiſchen Jour⸗ 
nale da, nicht aber Schriften für die Jugend. 

40. 3. Mehry, Rector der Höheren Tächterfchule in Neu: Ruppin, Achtzig 

Gedichte für Höhere Tochterſchulen zufammengeftell, 8. (X und 

112 S.) Neu⸗Ruppin, Dehmigke und Riemſchneider'ſche Buchhandlung. 

1863. geb. Ya Thlr. 

Die achtzig Gedichte diefer Sammlung find zu Dellamirübungen in 
höheren Töchterſchulen beftimmt und mit Nüdfiht auf den Bildungsfianp: 
punlt der vier oberen Klafien angeoronet. Auswahl und Anorbnung find 
gut und maden das Büchlein empfehlenswerth. 


4. Dramatifhe Spiele für Knaben. Aus dem Bender’fhen Inſti⸗ 
tut zu Weinheim. Erſtes Bändchen. 8. (XX und 152 ©.) Frank⸗ 
furt a. M., 9. 8. Brönner. 1862. Cart. 16 Sgr. 


Dies Büchlein enthält ſechs dramatische Dihtungen: ZTaillefer, Wieland 
der Schmied, die Schilpbürger, der Schwabenftreih, Florens und Rübezahl, 
vie nad belannten Gedichten und Sagen behufs der Aufführung im Ben: 
der ſchen Inſtitut gearbeitet find. Die Arbeiten machen weder auf Origina⸗ 
tät, noh auf den Ruhm, poetifhe Kunſtwerle zu fein, Anſpruch, wollen 
vielmehr nur zeigen, in welch' harmloſer Weife das Inſtitut feine Zöglinge 
in den Wintermonaten zu unterhalten ſucht. Den Preis trägt, nad) unferm 
Dafürbalten, Florens, bearbeitet nad Tied’3 „Kaiſer Octavianus,“ davon, 
da es gelungen ift, darin das bejchräntte Spießbürgertbum von Anfang 
bis zu Ende durdguführen. Die Scilvbürger und Nübezahl reihen ſich 
ihm aber würdig an. 

Am Vorworte wird die Aufführung folder Dramen in gejchlofjenen 
Anftalten auf Grund der feit einer Reihe von Jahren gemadten Erfahrungen 
zu rechtfertigen gejucht und dabei auf die verwerfende Anficht von Heiland 
(ſiehe Schmid’ Cncyflopädie des gejammten Erziehungsmwefens, Artikel: 
„Dramatiſche Aufführungen‘) NRüdfiht genommen. Wir halten die Auf: 
führung jolder Stüde für ganz unverfänglih und für fehr geeignet, eine 
wohltbätige Abmechfelung in das Leben folder Anftalten zu bringen, ja 
wir glauben fogar, daß Aufführungen, die jo im Geifte der Knaben ge- 
balten find, wie dieje, auch bildenden Einfluß auszuüben im Stande find. 
42. Dr. M. W. Göginger, Diäterfaal, Auserlefene deutiche Gedichte 

zum Leſen, Erflären und Bortragen in höheren Schulanflalten. Nach den 


Dichtern geordnet. Sechſte, vermehrte Auflage. gt 8. (XII und 680 ©.) 
Leipzig, Sb. Fr. Hartinoch. 1862. geb. 145 Zbir. 


Die erfte Abtheilung enthält „erzäblende”, die zweite „lyriſche und 
elegifhe Dichter“; jene beginnt mit Gellert, dieſe mit Klopftod. Die ber- 
vorragenden Dichter find, wie billig, am meiften berüdjichtigt worden, und 

Mid. Jahresbericht XV. 11 


4162 Literaturfunde. 


das von ihnen Gntnommene ift vem Zweche der Sammlung angemefien. 
Der gegenwärtige Herausgeber, ein Sohn Götzinger's, bat einige weniger 
gelungene Gedichte von Ufteri, Contefia, Gubig und Gaudy entfernt und 
bafür einige von Geibel, Hölderlin und Uhland hinzugefügt, was wir voll» 
fommen billigen. Das Buch kann fonah auch ferner höheren Schulen 
empfohlen werben. 
43, 8. Hanſen, Rector der Stadtfchulen in Harburg, Deutſche Dichter 
und Brofaiter von 375 — 1860 nebfl einem Äbriß der Metrik, Figu⸗ 
renlehre und Poetil, ein Handbuch der deutihen Rationalliteratur für böbere 


Lehranſtalten und Freunde deutfcher Literatur. Deutfches Leſebuch. Fünfter 
es or. 8. (X und 648 &.) Harburg, ©. Eifan. 1861. geb. 1 Thlr. 
T, 


Dies Buch enthält unter der großen Zahl feiner Stüde mandes Gute, 
daneben aber auch Proben, die für Schüler und Echülerinnen „im 15. und 
16. Lebensjahr‘, für die das Buch vorzugsmweife berechnet iſt, ohne alle 
Bedeutung und ohne Intereſſe find. Der Grund hiervon ift wohl vorzugsweiſe 
in dem Umftande zu fuchen, daß der Herausgeber nach einer gewiflen Boll: 
ftändigleit ftrebte, „ein Handbuch der deutſchen Nationalliteratur” liefern 
wollte. So weit e8 die Schule betrifft, muß das Streben nach möglidhfter 
Volftändigleit auf diefem Gebiete als ein verfehltes bezeichnet werben; denn 
nicht auf eine Weberficht des großen Gebietes ſoll fie es abſehen, ſondern 
auf gründlihes Verſtäändniß und völlige Aneignung des Bellen daraus. 
Dafjelbe Urtheil muß über den Abriß der Metrit, Figurenlehre und Poetik 
gefällt werden; denn auch bier ift ed dem Serausgeber nicht gelungen, bas 
Mefentlihe von dem Entbehrlihen zu ſcheiden. 


6. Poetik. 


44. Dr. W. Buchner, Schuldirector in Erefeld, Deutſche Diätung. 
Die Lehre von den Formen und Gattungen derjelben. Gin Leitfaden für 
Realſchulen, höhere Bürger: und Töchterfehulen. 8. (VI und 74 ©.) 
Efien, ©. D. Bädeker. 1863. 8 Ser. 

Diefe Heine Schrift behandelt Alles, was jedem Gebilveten über bie 
Formen und Gattungen der deutihen Dichtungen zu willen nöthig ift, in 
Harer anſchaulicher Weiſe und nimmt die Belege dazu vorzugsweiſe aus 
den deutjchen Dichtungen, die allgemein belannt find und in allen höheren 
Schulen zur Beiprehung fommen. Aus dieſen Gründen lünnen wir dies 
jelbe als eine der beften über dieſen Gegenftand bezeichnen und nicht blos 
den auf dem Titel genannten Anftalten, fondern aud den Seminaren und 
Volksſchullehrern warm empfeblen. 

45. Dr. Frieder. Bed, Lehrbuch der Poetik für Höhere Unterrihtsanftalten 
wie au zum !Privatgebraude. gr. 8. (XIII und 118 ©.) Münden, 
C. A. Fleiſchmann'ſche Buchh. 1862. geb, Ya Ihr. 

Nah einer kurzen Einleitung , in der vom Begriff und Nuben ber 
Poeſie die Rede ift, handelt der Verf. in drei Wbfchnitten von dem Weſen 
und den Borbedingungen der Poefie, von den Gattungen und Arten der 
felben, von der Rhythmik und in einem Anhange von der Anwendung 
der rhythmiſchen Jormen. Die Darftellung hält das Mittel zwijchen großer 


Literaturkunde. 163 


Ausfũhrlichkeit und ſtarker Zuſammendraͤngung und iſt durchgaͤngig klar, 
daher ſowohl für Schüler, als zum Selbſtunterricht ganz geeignet. Eine 
willkommene Zugabe iſt bie literariſche Nachweiſung über die Entwickelung 
der einzelnen Dichtungsarten. 

46. Noderich Benedix, Das Weſen des deutſchen Rhythmus. Bei⸗ 

trag zur deutſchen Verslehre. gr. 8. (VIII und 119 ©.) Leipzig, J. 

5. Hartknoch. 1862. 20 Ber. 

Das Berk zerfällt in zwei Abtheilungen. In ver erften wird das 
Weſen des Rhythmus im Sab, im Wort und in der Sylbe feftgeftellt, im 
zweiten nacdhgewiejen, daß die Anwendung antiler Versformen (Herameter 
u. a.) dem beutihen Rhythmus zumider if. Beide Abtbeilungen ge: 
währen großes Intereſſe, das meifte vielleicht die zweite. Wer fidh etwas 
eingehender mit dem Gegenfland beichäftigen will, als die gewöhnlichen 
Schriften über Metrit dazu Veranlafiung geben, dem kann dieſe Arbeit 
empfohlen werben. 

47. Ebr. Friedr. Koh, Figuren und Tropen und die Grundzüge 

der Metrit und Poetit. Hilfébuch für den deutfchen Unterricht. gr. 8. 

(47 ©.) Jena, Fr. Mauke. 1860. 4 Ser. 

Das Büchlein empfiehlt ih für die Hand der Schüler in Gelehrten: 
ſchulen. Es enthält das Nöthigfte aus dem auf dem Titel Genannten in 
Inapper, klarer Darftellung; aud vie Beifpiele find zwedmäßig gewählt. 


7. Mythologie. 


48. J. Priedemann, Uranus. Die mythologiſchen Dichtungen der alten 
Griehen und Römer. gr. 8. (XII und 344 &. mit eingedrudten Holz⸗ 
ſchnitten und 8 Holzſchnitttafeln. Berlin, Kaftner und Comp. 1562, 
Gart. 11/, Thlr. 

Das Wichtigſte aus dem belannten und vielfach bearbeiteten Material 
ift in klarer Darftellung der Jugend dargeboten, weldhe alte Geſchichte und 
Literatur zu ihrem Studium machen will, und kann ihr für viefen Zweck 
empfohlen werden. Die eingebrudten Abbildungen find zum Theil nad 
klaſſiſchen Drigindlen angefertigt und im Entwurf dem größeren Theile nad 
recht anfprehend. In Ausführung und Drud erfcheinen fie dagegen etwas 
kalt, wenigftens ſolchen Holzſchnitten gegenüber, wie Vieweg in Braunſchweig 
fie anfertigen läßt. 

49. Paul Brand, Mythologie der Griechen und Römer Zur Be 
lehrung und Interbaltung, fowie zum Gebraude in Lehranftalten, Teichts 
Faßlich dargefteilt. Mit 60 Abbildungen. 8. (VIII und 240 &.) Leipzig, 
E. Merfeburger. 1862. geb. 1 Thlr. 

Die Arbeit entjpricht mäßigen Anforderungen, empfiehlt ſich aber durch 
Nichts „zum Gebrauche in Lehranftalten”. Vielmehr find unter den Ab: 
bilvungen einige, die weder Knaben, noh Mädchen ohne Verlegung des 
Ehamgefühls vorgelegt werden können. In den Eigennamen ift die Be 
tonung angegeben, leider aber nicht überall richtig (vergl. 3. B. das Wort 
Thalia). 


11* 


V. 
Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


Bearbeitet von 


Auguſt Lüben. 


Die Verbindung des Anſchauungsunterrichts mit dem Leſen (Schreib⸗ 
leſen) in den beiden erſten Schuljahren, von der ſchon in den vorher⸗ 
gehenden Bänden des Jahresberichtes die Rede war, findet immer mehr 
Freunde unter den Lehrern, verbreitet ſich aber dennoch nicht mit der 
Schnelligkeit, die im Intereſſe der Jugend zu wuͤnſchen wäre. Der Grund 
biervon liegt ohne Zweifel in der Schwierigkeit der Aufgabe und in ber 
unrichtigen Anfiht, als müjje vor allen Dingen darnach geftrebt werben, 
die jehsjährigen Schüler fo ſchnell ald möglih zum mechaniſchen Leſen zu 
bringen. Die Schwierigkeit ift jevoh, wenn man die Sache ernitlih an: 
greift, nicht fo groß, als fie auf den erſten Blid erjcheint, und bei rechtem 
Fleiß gelingt es auch bei dieſer Verbindung, die Kinder in einem Sabre 
nit blos zum mechaniſchen, ſondern fogar zu einem wohllautenden und 
verftändigen Leſen zu bringen. Auf Lebtered muß der Nachdruck ge 
legt werben; denn wenn die Kinder in den erften Jahren nicht ernitlich 
auf den Inhalt, auf das Verftändniß des Inhalts hingewieſen 
werden, fo leſen fie lange Zeit hindurch gedankenlos. 

Um zur Befeitigung dieſer Schwierigleiten etwas beizutragen, habe id) 
im 2. Hefte des „Praktiſchen Schulmanns“ für 1863 an einem Beifpiele 
gezeigt, wie biefe Verbindung auszuführen if. Ich babe dazu die erfte 
und wohl ſchwierigſie Stufe gewählt, die Hörübungen, db. h. Uebungen, 
die das Heraushören der Laute aus Wörtern zum Zwed haben. Mit vielen 
Uebungen find außer den Anjhauungsübungen auch Spred: und Zeichens 
übungen verbunden worden. Leßtere gelten auf diefer Stufe wejentlid als 
Borübungen zum Schreiben. 


Anſchauungsunterricht. 165 


In der mit dem biefigen Seminar verbundenen Schule hat ſich dieſer 
Unterricht bereits feit Jahren bewährt; es würde mir aber doch angenehm 
fein, wenn auch anberwärts diefe Bahn betreten und Nachricht über den 
Erfolg gegeben würde. 

Schierhorn in Brandenburg ſchlägt in der weiter unten genannten 
Schrift (Der vereinigte Leſe⸗, Schreibe, Sprad und Anſchauungsunterricht) 
einen ähnlihen Bang ein. Cine Bergleihung ſeines Verfahrens mit dem 
meinigen kann aber wohl dem Leſer überlafien werden. 


“ 


Literatur 


L Anſchauungsunterricht. 


I. Friedrich Harder, Volksſchullehrer zu Ahrensböf in Holftein, Theoretifchs 
praftifhes Handbuch für den Anthauungsunterriät. Mit befons 
derer Berüdfihtigung des Klementarunterrichts in den Realien. Dritte, vers 
mebrte und verbeflerte Auflage. Altona, 3.%. Hammerich. 1863. 12/ Ihr. 


Die zweite Auflage ift im XII. Bande des Jahresberichts angezeigt 
worden. Die vorliegende dritte ift nicht weſentlich von derjelben verjchieden. 

Meine Anfiht über den Anjhauungsunterriht weicht in ſehr mejent- 
fihen Stüden von der des Verf. ab. Ich kann es z. B. nicht billigen, 
daß diefer Gegenftand felbftftändig auftritt und ſich über die ganze Schulzeit 
bin erftredt, wähle auch zum Theil andere Stoffe und nehme mehr Rüd⸗ 
fiht auf Spradbildung; aber dennoch Tann ich von dem Harder'ſchen Buche 
jagen, daß es manche gut gearbeitete Lectionen enthält, aus denen naments 
lid angehende Lehrer etwas lernen können. Darum möge ed benupt 
werden, bis wir eine befiere Schrift über dieſen Gegenftand erhalten. 


U. Leſen. 
1. Für den Elementarunterridt. 


a. Reines Schreiblefen. 


2. Dtte Schulz, Hand-Fibel. Kür den Schreib⸗Leſe⸗Unterricht bearbeitet 
von Karl Bormann, Königl. Provinzial Schulrath in Berlin. 8. (176 S.) 
Berlin, 2. Oehmigke's Derlag (Ar. Appelius). 1862. 4 Gar. 


Die Hand: Fibel von D. Schulz ift bereit3 in der 68. Auflage vor: 
banden. Ihre weite Verbreitung, namentlih in der Provinz Brandenburg, 
bat fie zunächſt wohl der ehemaligen amtlihen Stellung ihres Verfaſſers 
zu verdanken; indeß fügen wir aud gern binzu, daß fie zu den guten 
Büchern für den erften Lefeunterriht gehört. Stufenfolge und Inhalt em: 
pfeblen fih. In lebterer Beziehung ließen fih wohl einige Ausftellungen 


166 Anſchauungsunterricht. 


machen, da einzelne Lefeftüde dem Bildungsſtande der Elementarfchäler nicht 
überall entfprehenz aber es bat große Schwierigkeiten, in einem viel ge: 
brauchten Bude große Beränderungen vorzunehmen. 

Bei der vorliegenden Auflage haben wir ed im Grunde nur mit dem 
Theil zu ihun, der durch ven jebigen Herausgeber binzugelommen ift, mit 
den Blättern nämlih, welche einen Stufengang für das Schreiblefen ent: 
baltn. In feiner Schullunve (mir innen augenblidlih nur die 2. Aufl. 
vergleichen) erklärt fih Herr Schulrath Bormann für das Vogel'ſche Ber: 
fahren, nad welchem das vorgejprochene Wort glei) ganz von den Kindern 
geſchrieben und der Schreibſchrift fogleidh die Drudichrift hinzugefügt wird; 
in der Vorrede zu dieſer Hand-Fibel bezeichnet er Lebteres für einen „didak⸗ 
tischen Mißgriff“, und empfiehlt außerdem für den Anfang nur das Schreiben 
der Vokale. Beides halten mir für einen entfchiebenen Fortſchritt und 
freuen uns befielben. Die Winke, welche fonft noch in der Vorrede gegeben 
find, empfehlen wir der Beachtung. 

Nah Einübung der Vokale und einiger Conſonanten wird gleich zur 
Verbindung beider zu Wörtern übergegangen. Unter denſelben finden fi 
ihon in der erſten Zeile Hauptwörter, und dieſe find mit Heinen Anfangs: 
buchitaben gejchrieben worden, was wir von dem Herrn Berf., dem das 
Verbienft gebührt, die große Bedeutung des Auges bei GErlernung ber 
Orthographie nachgewiejen zu haben, am allerwenigften erwarteten. Wir 
müfjen das für eine Inconfequenz erllären. Außerdem vermifien wir auch) 
in den gewählten Hauptwörtern die nöthige Rüdfiht auf das leichte Ver: 
ſtändniß. Wörter wie Mufe, Tuba, Note find Elementarfhülern gar nicht 
zum DVerftändniß zu bringen. 

Die Schreibfhrift finden wir ein wenig Hein; fonft ift fie aber gefällig. 

Die vorgedrudten Abbildungen, die zur Unterflügung der Befprechung 
der Wörter gewählt find, aus denen die Laute herausgehört werden follen, 
find zum Theil geſchmadlos, in ber Ausführung aber alle ſchlecht. Wir 
nehmen an, daß Herr Schulrath Bormann daran keinen Theil hat. 


3. Hilfs» Fidel zu Vogel's praktifhem Lehrgang im Xeferlinterrichte nad 
der Lautir⸗Methode auf Grundlage der in den Fatholifchen Bolksfchulen 
Deſterreichs eingeführten Fibel. Zweite, vermehrte Auflage. 8. (28 &.) 
Brap, A. Heſſe. 1863. 21/2 Sgr. 


Dies Büchlein enthält fünf Seiten Schreibfchrift, von denen drei Vor: 
übungen darbieten, und auf bem übrigen Raum Sylben und Wörter in 
Drudihrift, au einige Seiten zur Unterflügung des Rechenunterrichts. 
Ueber das Verhältnis des Buches zum „Vogel'ſchen Lehrgang‘ erjährt 
man Nichts. 


4. Joh. Salben, Scähulvorfteher in Hamburg, Des Kindes Schreiblefe 
fibel mit Bildern. Ein Elementarbuch. weite, theils umgearbeitete 
Auflage. 8. (20 S. Lith., 68 S. Druckſchr) Hamburg, Selbftverlag, in 
en bei 8. Heflermann in Altona. 1868. geb. 7! Ser., 12 Gr. 
zu 2% Thlr. 


Anſchauungsunterricht. 167 


Der Verf. hat ſorgfältig ſinnloſe Sylben vermieden, die Hauptwörter 
dagegen anfangs Hein geſchrieben. Neben Wörtern treten bald einfache 
Säge auf. So oft ein neuer Laut oder eine eigentbümlide Lautverbindung 
vorgeführt wird, ift der Gegenſtand daneben abgebildet, in deſſen Namen 
diejelben vorlommen. Die Gegenftände find gut gemählt und recht nett 
ausgeführt; nur Die Nafe, das Auge und der Mund hätten wegbleiben 
löunen, vielleicht auch die Müge. Die Schrift ift ſauber, trägt aber natür⸗ 
lich die Sigenthümlichleiten bes bamburgiihen Ductus an fih. Das ß 
und d mwürden wir durch die gewöhnlichen Formen erjeßen. 

Die Abtheilung in Drudicrift entjpricht der in Schreibfchrift im Ganzen, 
it jedoch durch Heine Erzählungen und Gedichte angemefien ermeitert. 

Das Büchlein gehört zu den guten. Auch die Ausftattung ift recht an⸗ 


ſprechend. 
b. Gemiſchtes Schreibleſen. 


5. G. Gurcke, Schreib⸗ und Leſefibel. Dritte Auflage. Mit Bildern von 
Dtto Speckter. 8. (104 S.) Hamburg, O. Meißner, 1862. geb. 6 Sgr. 
6. ©. Gurcke, Einige Worte über den erſten Leſeunterricht. Zweite, neu 
bearbeitete Auflage. 8. (24 ©.) Hamburg, D. Meißner. 1802. 3 Egr. 
Die neue Auflage ber Fibel zeichnet fih vor den früheren durch 52 
gut gewählte und recht charalteriltiich ausgeführte Abbildungen aus, welche 
Gegenftände verfinnlihen, deren Namen als Mufterwörter für einzelne Laute 
oder Lautverbindungen dienen. Sicher ift das eine weſentliche Verbeſſerung 
des Buches, da durch diefe Abbildungen ein fchöner Anhalt für einfache 
Beſprechungen gegeben ift, die überall mit dem Lefen Sand in Hand geben 
müffen. Auge und Ohr würden wir nicht haben abbilden lafjen, da fie 
abgelöft vom Kopfe keinen fonderlih guten Einprud maden und ja auch 
reihlih genug zur Anſchauung vorhanden find. 
Segen Stufengang und Inhalt haben wir nicht3 von Belang einzuwenden, 
Die „Worte über den eriten Leſeunterricht“ ftehen in genauer Beziehung 
zur Fibel und können angehenden Lehrern, die fich diefes Büchleins bedienen 
wollen, empfohlen werden. Der Berf. legt darin den Plan der Fibel bar, 
begründet denjelben, gibt Winke für die Behandlung und vertheibigt Ein: 
zelnes, was allgemein anerlannten pädagogiſchen Grundſätzen nit völlig 
entſpricht, wie das gleichzeitige Auftreten der Schreib: und Drudichrift, das 
Kleinfchreiben der Hauptwörter und das Weglafien von Dehnungszeichen 
in den erften Uebungen. Was ber Berf. in diefer Beziehung fagt, ift 
nicht durchweg ftihhaltig; auch ſtimmen wir ihm darin nicht bei, daß es 
nit ſehr wejentli fei, ob man die reine Schreibleſemethode befolge oder 
die gemiſchte, worauf feine Fibel weſentlich berechnet if. Die Anſicht, daß 
die Slleinen, durd das Erlernen beider Alphabete nicht beeinträchtigt würden, 
ift zu leicht zu widerlegen, als daß mir bier nochmals darauf eingehen 
follten. Die Aneignungsfäbigleit der Kinder kann bierfür durchaus nicht 
maßgebend fein. Was ift Kindern nicht ſchon Alles zugemutbet worden; 
man denle nur an das quälende Budhftabiren ! 
Lobend anertennen müflen wir noch, daß die Fibel fehr ſchön vom 
Verleger ausgeftattet worden ift. 


168 Anſchauungsunterricht. 


7. * Cameniſch, Lehrer in aour, Schulbüchlein fir die Unterſchule. 
8. (IV und 74 ©.) Gbur, 2. Hig. 1862. 4 Sgr 

Der Bert. bat fi bei Abfafjung feines Shulbüdileins von ben an- 
erlennenswerthen Grundfäßen leiten laflen, den Schülern ein intereflantes 
Büchlein zu liefern, in dem von Anfang an jedes Wort fo gefchrieben und 
gebrudt ift, wie der Gebrauch es fordert. Anfangs werden nur Sylben, 
dann Wörter und Säbße, von Seite 14 aber ſchon Heine Erzählungen und 
Gedichte dargeboten. Die große Mehrzahl der Gefhichten ift gut. Das 
Buch gehört zu den befieren feiner Art. 


x. E. Meder, Dürgerfäulfehrer in Frankenberg, Fidel nach der Schreiblefe- 
meihone. gr. 8. (56 &.) Chemnig, in Commiſſion bei E. Focke. 1862. 
gr 
Diefe Fibel ift nad der Vogel'ſchen Methode gearbeitet. Neben Bil: 
dern treten alfo Wörter und Buchſtaben in Drud: und Schreibſchrift zugleich 
auf. Bon dem eingenommenen Stanbpunlte aus find Auswahl und An- 
ordnung des Stoffes gut zu nennen. Drud und Papier find ausgezeichnet, 
lafien die meiſten Lefebücher hinter ſich zurück. 


9 G. F. Heiniſch, Leſebuch für die Unterflaffe. I. N Ein Büd- 
lein für den erflen Schreibs und Lefeunterricht. (VI u. 48 I. Abth 
Ein Büchleln für das zweite und dritte Schuljahr. Iv u. 139 &, 
Bamberg, 1862. !/s Thlr. 

Der Berf. hat in Gemeinfchaft mit feinem Collegen Ludwig ein Lejes 
buch herausgegeben, das in Baiern weite Verbreitung gefunden hat und 
auch mehrfach von uns angezeigt worden if. Die Einrichtung des erften 
Theiles diefes Buches bat jedoch nicht den Beifall aller Lehrer gefunden, 
und um deren Wünfhen nachzulommen, hat Herr Heinifch fih zur Heraus: 
gabe des vorliegenden entſchloſſen. 

In der erften Abtheilung defjelben befindet fi zu Anfang auf einer 
Seite Schreibfehrift, auf der gegemüberftehenden Drudichrift mit demjelben 
oder doch verwanbtem Texte. Hauptwörter find bis dahin vermieden, wo 
die großen Buchſtaben auftreten, was jedenfalls fehr zmedmäßig if. Sinn: 
Iofe Sylben treten aber noh in größerer Zahl auf, als wünſchenswerth 
und nöthig iſt. Der fonftige Tert ift angemeflen. 

In der zweiten Abtheilung bat das Leben im Haufe (Haus, Haus: 
tbiere, Garten), in der Gemeinde und ber Verlauf der Jahres⸗ und Tages: 
zeiten den Leitfaden für die Anorbnung der Lefeftüde gegeben, was zu 
billigen ift, da nun der Anfhauungsunterriht und die Heimathskunde in 
pafiende Verbindung mit dem Lejeunterricht gebradyt werben können, Die 
Auswahl felbft ift gut. 


c. Für Drudicrift allein. 
* Bandtafeln. 


10. Bumüller und Schufler, Zwanzig Wandtafeln zum Lefebuche (von 
B. u. Sch.). Als Hülfsmittel beim Lefenlehren der Druckſchrift. 20 BL. 
Freiburg 1. Br., Herder’fhe Buchhandlung. 1862. 1!/s Thlr. 








Anſchauungsunterricht. 169 


Das Format dieſer Wandtafeln iſt ſehr groß, faſt zu groß, da es ſich 
nit empfiehlt, den Kindern fo viel auf einem Blatte darzubieten. Die 
Mebungen fchreiten ftufenmäßig fort. Auf den erften zehn Tafeln werben 
die Heinen Buchſtaben behandelt und auch ein gejchriebene Hauptwörter 
vorgeführt, auf den folgenden die großen, einzeln und in Wörtern. Auf 
den erfteren Zafeln haben auch die Schreibbuchftaben Raum gefunden, find 
jedoch nicht jo mit dem inhalt der Tafeln verbunden, daß die Schreiblefe: 
methode innegebalten werben könnte. 

Die Größe der Buchſtaben und der Drud der Tafeln laflen nichts 
zu wünſchen übrig; wo man daher noch das Lejen mit der Drudjcrift 
beginnt, wird man in biefen Wanbtafeln ein gutes Mittel zur Beihäftigung 
ganzer Abtheilungen haben. 


1. Alpbabete nebſt Zahlen und Interpunftionsgeihen zum Ges 
braude in Schulen. Beſtehend aus 8 Bogen. Halle, &. Anton. 1863. 
Ta Ser. 

Die Buchſtaben empfehlen ſich durch ihre Größe und Schärfe zu Leies 
maſchinen für volle Klafie. 


“Bücher (Fibeln). 

12. 3 W. Mygski, Die Monats⸗Fibel. Oder: In vier Wochen lernen Meine 

inder fefen. Eine Dors und Grundſchule für jedes erſte Leſebuch. 8. (IV 

u. 22 hr Berlin, Zul. Adelsdorf. 1862. 3 Ser. 

13. 3. WB. Myski, In vier Wochen lernen Meine Kinder Iefen! ine neue 
praktiſche Leſe⸗ehre für Schule und Haus und als Anweifung für Die 
a bearbeitet. gr. 8. (66 ©.) Berlin, Jul. Abelödorff. 1662. 
Die „neue prakliſche Leſe-Lehre“ des Herm Mysti hat mindeftens auf 

Originalität Anſpruch; menigftens ift mir eine folde bis jetzt nicht vor⸗ 

gelommen. Ob diefelbe aber in dem Maße Anerlennung finden wird, als 

fie originell ift, muß bie Zukunft lehren; ich hege in biefer Beziehung ſchon 
darum einige Bmeifel, weil die Zahl der Elementarlehrer, welche das Uns: 
gewöbnlidhe lieben, doch nicht jehr groß ilt. 

Herr Mysli geht von der Anfiht aus, daß unfere Buchflabenformen 
für Eleinere Kinder, vie lefen lernen follen, ſehr unintereflant und bedeus 
tungslos find, diejelben nicht fefleln und darum jchwer von ihnen behalten 
werden. Um dieſen Uebelftand, den man in einem gewiflen Grabe zugeben 
fann, zu befeitigen, hat der Verf. eine „Bilderfchrift” erfunden. In ber 
felben find die gewöhnlichen Drudbuchſtaben zu Grunde gelegt, aber mit 
Merkmalen oder Eigenichaften verfehen, welche lebhaft an den Laut erinnern. 
So ift z. B. das a einem abgebildeten Knabenkopfe in einer Weiſe auf 
ven zum Sprechen dieſes Lautes weit geöffneten Mund gejchrieben, daß 
man lebhaft an die königlihen Cavalleriepferde erinnert wird, denen eine 
Krone am Hinterfchentel eingebrannt worden if. Das i ift einem Hahne 
auf den hoch emporgeftredten Hals gelegt, das € an Kopf und Vorbertbeil 
eines Schafes. Das ß wird durch zwei Schlangen gebildet, einer großen 
und einer Heinen, der Doppellaut ei dadurch, daß Schaf und Hahn fid, 





170 Anfhauungsunterricht. 


Tichleienb gegen einanber neigen, ig bagegen, iubem bad Schaf ſich vom 

Erlien die Kinder nun einen Laut und fein Zeichen kennen lernen, 
fo erzählt ihnen ver Lehrer eime lleine Geididte, im der berfelbe deutlich 
hörbar gemadyt und dabei auf das Zeichen gewiefen wird. Die Anweilmg 
für die Monat3-Fibel enthält Erzüblungen zu jedem Lant. Ulm beutlidyer 
zu werben, lafie ich eine ber kürzeren hier folgen. 

„Erzãhlung über B. Rechts, neben dem fleinen Leſeſchüler feht ihr 
zwei Edylangen. Cine Alte und ihr Junges jpielen mit einander. O, ſeht 
nur, wie dieſe giftigen Thiere mit den Augen glogen! wie fie ihre gejpal- 
keaen Dungen Äreden! — Mikt ibr mm md. wie fie 
ziſchten die Kinder alle, wie, als wenn man Waſſer auf euer giebt. — 
Diefen Ziſchlaut behaltet, fagte danauf der Lehrer. ' 
wenn er uun mit dem Stabchen auf bie ſpielenden Ziſch⸗ langen zeigte, 
machten die Rinder: vn“. 

Gegen die „Glog-Augen“ der Schlangen hiebe ſich vom naturbiftorijchen 
Standpunkte Einiges einwenden, aud dürften fechsjährige Kinder wohl 
ſchwerlich ſchon Schlangen haben zifhen hören. Aber hierauf wollen wir 
feinen übergroßen Werth legen, da die übrigen Erzählungen frei von foldyen 
Fehlern find. 

Bon der angewandten Bilderjchrift läßt fi durch Beichreibung leine 
genügende Borftellung geben; jo viel werben die geehrten Leſer aber ahnen, 
daß die Buchſtaben durch die Zuthaten ſehr entflellt erfcheinen und barum 
weht —— Anſchauungen erzeugen. Erſchwerlich wird die Auffaflung 

Kindern noch dadurch, daß die Seiten des Buches mit biefen abfonders 
Then Geftalten überfüllt find. 

Gem geben wir dem Berf. zu, daß er Kinder mit Anwendung feiner 
Bilderſchrift und feines ganzen Berfahrens fchnell zum Lefen bringt; aber 
wir legen auf dieſes Kunftftüddhen Leinen großen Werth. Dem mit An⸗ 
Ihauungsübungen der reelifien Art verbundenen Schreibleſe⸗Unterricht gegen: 
über erfcheint ein Lejeunterridht, wie Herr Mysti ihn empfiehlt, ohne merk⸗ 
lichen bildenden Einfluß. Und aus biefem Grunde rathen wir fehr, von 
befagter Methode Abftand zu nehmen. 

Seminardirestor in Bromber 5 Fibel den erfien 

a eat Neue vermehrte Kufayı 3 96 Er Schreib» 

gib al ald Anhang zu der Leſe⸗Fibel. (8 © übogt. Enden 2. 
1862. 3 Sgr., geb. 4 Sgr. 

Die Hand: Fibel enthält nur Drudſchrift. Eie führt das Lejematerial 
in zehn Etufen vor, die angemeſſen auf einander folgen. Weniger anges 
meſſen finden wir dagegen den Inhalt des Buches. Begonnen wird mit 
finnlofen Eylben; daran reihen ſich ziemlich bald Hein gejchriebene Haupt: 
wörter, unter denen ſich ſchon auf der zweiten und britten Seite Fremd⸗ 
wörter wie: Parole, Folio, Domino, Remiſe, Barade, Limonade, Rotabene 
und Namen wie: Salomo, Farao (Pharao), Ratadu, Amerila, Samaria, 
Bebemia u. a. finden. Soll der Lehrer diefe Wörter erklären, oder wünfcht 


8 


Anfchauungsunterricht. 171 


der Verf., dab fie nicht von den Kindern verfianden werben? Auch vie 
folgenden Seiten bieten dergleihen Wörter in Menge dar. In Abfchnitten, 
die nur Wörter enthalten, fehlt der innere Zufammenbang, d. b. es ift 
nirgends auf verwandte Begriffe Rüdfiht genommen. So lejen wir noch 
Seite 35, nach der erften Strophe von „Ueb' immer Treu’ und Redlich⸗ 
keit,’ „vie Geburt, die Magd, das Ofierfeft, der Papft, das Schwert, die 
Scharte, die Behörde, die Schwarte, der Troſt.“ Seite 44 werden die 
Regierungshauptftäbte des preußifchen Staates aufgeführt. Sollen vie Kinder 
der Elementarllafien ſchon einen geographiſchen Unterricht erhalten, für den 
ſolche Angaben als Hülfe anzujehen find? In den beiden legten Abfchnitten, 
die Lejeftüde zur Belehrung, zur Erwedung des Geiftes und zur Erbauung 
enthalten, kommt Bieles vor, was dem Anſchauungskreiſe der Finder fern 
Tiegt, unverftänplih für fie ift und auch gar nicht zum Berftänpniß ge: 
bradt werden Tann. Die nachfolgende Probe kann das darthun. Seite 
80 heißt es: „Es ift keine leichte Sache: Herr im Haufe fein, regieren, 
befeblen, gebieten. Das führt ein ftarles oder ein ſchwaches Adamskind in 
mande Verſuchung und wedet leicht allerlei böfe Geifter auf, die in ihrem tiefen 
Winkel ſchlummern oder aufpajien. Sie beißen: Stolz, Rechthaberei, Uns 
geduld, unfreundlich Weſen, andere wieder werden Vornehmthun, Behaglid- 
teit, Ueppigleit genannt.” 


Scte 40 — 46 tritt die lateinifhe Schrift auf. Wir würben fie einer 
fpäteren Stufe zuweiſen, da die Kenntniß derſelben für Glementarfchüler 
ohne alle Bedeutung ilt. 

Die Schreib» Fibel fteht in Teiner innern Beziehung zur Hand : Fibel, 
ermöglicht daher den Schreiblefe : Unterricht nicht. Die erfte Seite enthält 
eine Probe einer vom Verf. erfundenen „Nothſchrift,“ die große Aehnlich⸗ 
feit mit der fjentrechten römifhen Drudichrift hat und fehr an Grafer's ers 
folgloje Berfudhe erinnert. Wir halten ihre Darftellung für ſchwieriger, als 
die der Currentſchrift. Die Schreiblefemethbope macht folde Erfindungen 
überflüflig. 

Nah einer kurzen Notiz, die fi) in der „Anmeifung für die Monats: 
Zibel” von Mysli befindet, follen die in Bromberg gebildeten jungen Lehrer 
duch Anwendung dieſer Notbichrift „Außergewöhnliches‘ im Lefeunterricht 
leiten. Schade, daß Bromberg jo weit von Bremen entfernt ift; wir 
würden uns fonft durch eigene Anſchauung davon zu überzeugen ſuchen. 
Ein Unterricht nad dielen Bibeln kann nah unjerm Dafürhalten nit 
fonderli ausfallen. 


15. F. Knees, Fibel oder natur emäßer Lerngang im Rechtſchreiben und Recht⸗ 
leſen. (Schreibendlefen — buchſtabiren — lautiren.) Bünfte, verbeflerte 
Auflage 8. (100 ©) Kiel, €. Homann. 186%. 4 Ser. 


Sn den erften fünf Übungen, die 61 Seiten umfaflen, herrſcht der 
ſprachliche, d. h. grammatifhe, insbeſondere orthographiſche Zwed fo jehr 
vor, daß faſt nur Wörter und einzelne Saͤße geboten werden. Dadurch 
gebt der Charakter des Lefebuches fo gut wie verloren. Die beiden fol- 
genden Abtheilungen enthalten Lefeitüde, die erfte Heine Gedichte, die zweite 


172 Anſchauungsunterricht. 


den Tert des erſten und zweiten Hauptſtüdes mit dazu gehoͤrigen Bibel⸗ 
ſprũchen. Dies halten wir für einen Fehlgriff, da die hierin enthaltenen 
Religionswahrheiten nit die Grundlage des Religionsunterrichts in einer 
Glementarllafie bilden können, aud wohl nirgends wirklich bilden. Die 
achte Abtheilung macht mit der lateiniſchen Schrift befannt, nad unferm 
Dafürhalten zu früh. Das Material befteht zum Theil aus bloßen Namen, 
von denen die belannteren Perfonennamen eine kurze Worterflärung erhalten 
haben. Das ift für Elementarfhüler gewiß etwas recht Ueberflüſſiges. An: 
gehängt find dem Buche enbli vier Seiten Schreibichrift, die den Schülern 
wohl Mufter für die Calligraphie fein follen. 


Aus diefen Angaben gebt zur Genüge hervor, daß bie Fibel nicht nad 
den Grundſaͤtzen gearbeitet ift, die gegenwärtig für Bücher biefer Art maß⸗ 
gebend find. 


16. Er ſtes Leſebuch. Enthaltend: den Lefefloff für's erfie Schuljahr. Dritte 
—— (144 ©.) Grünberg, Fr. Weiß. 1862. 5 Sgr., mit An- 
ang gr. 


Das Bud enthält brauchbaren Stoff, namentlih aud im Anbange, 
befhhäftigt aber die Kinder viel zu lange mit Sylben und unzufammens 
hängenden Sägen. Auf den eriten 38 Geiten werden die einzelnen Ab⸗ 
Schnitte durch einfache Zeichnungen von einander getrennt, die feine Be 
ziehung zum Tert haben und ohne Ausnahme fehr ſchlecht und fehlerhaft find. 


*** Für das zweite Schuljahr. 


17.3. 4. Fr. Schierhorn, Lehrer an der böberen Tächterfähule zu Branden⸗ 
burg, Shreiblefefhule. Zweiter Theil. (Obere Stufe.) gr. 8, (VIII 
und 152 S.) Brandenburg, 3. Wieflle. 1863. Ts Sgr. 


Das Bud) enthält nur Drudicrift; der Titel defielben ift daher uns 
paſſend. 


Die Leſeſtüde ſind in ſieben Abſchnitte gebracht, welche folgende Ueber⸗ 
ſchriften haben: Das Haus und ſeine Bewohner. Die Hausthiere. Garten 
und Feld. Waſſer und Wald. Dorf und Stadt. Erzählungen aus der 
Vaterlandskunde. Gott und der Menſch. Gegen dieſen Plan iſt nichts 
einzuwenden; es muß vielmehr anerlannt werden, daß derſelbe die Verbin⸗ 
dung des Anihauungsunterricht3 mit dem Lefeunterricht moͤglich macht und 
weſentlich erleihtert. Es lag das aud in der Abfiht des Herausgebers. 
Da das Buch fih an die „Schreiblefefhule‘ des Herausgebers anſchließt, 
als zweiter Theil derjelben bezeichnet wird, jo foll ed wohl für das zweite 
Schuljahr beftimmt fein. Mit Rüdfiht bierauf find alle Lejeftüde kurz 
oder doch nur von mäßigem Umfange. Xrodene Beihreibungen find aller: 
waärts vermieden worden; ihre Stelle ſollen Räthſel vertreten. Viele der 
Stüde find gut und haben ſich ſchon in anderen Leſebüchern bemährt; eine 
nicht ganz Meine Zahl müfjen wir dagegen nah Anlage und Darftellung 
zu den mittelmäßigen zählen, darunter auch mande vom Herausgeber ber: 


Anfhauungsunterricht. 173 


rührenden Raͤthſel*). Im den naturhiftorifchen Auffägen kommen auch 
Fehler vor. So heißt es in ver Beichreibung der Zulpe: — — „ftebt 
der kurze breilanntige Stempel oder Griffel. „So deutlich, wie bei ber 
Zulpe, find alle dieſe Zheile jelten bei einer Blume ausgebilvet.” Es ge: 
bören nur ſehr geringe botanijche Kenntniſſe dazu, um das Falſche in diefen 
Säpen zu erfennen. Auf der folgenden Seite wird behauptet, daß ein 
weißer Schmetterling jeine Eier fo auf die untere Seite der Rejebablätter 
lege, daß fie mit dem offenen Ende am Blatte leben.” Dies ganze 
Stüd gehört überhaupt zu den jehr mittelmäßigen. Die Blumen des Pfef: 
ferd werben „ährenförmig“ genannt. Die Beiprehung ausländifcher Ges 
wädhie (Thee, Kaffeebaum, Kalaobaum, Pfefſer, Zimmt) im zweiten Schul: 
jahre muß überhaupt als unangemeflen bezeichnet werden, da eine Anjchaus 
ung nit gewährt werden kann. Auch die Namen „China, Arabien, 
Amerila, Oftindien‘, die hierbei vorlommen, haben für Kinder des zweiten, 
ja jelbft dritten Schuljahres noch feine Bedeutung. 


Wir wünfhen, daß der Herausgeber dur eine neue Auflage möge 
Gelegenheit zu einer forgfältigen Revifion feines Büchleins erhalten. 


18. Lüben und Made, Leſebuch für Bürgerfhulen. Zweiter Theil. Behnte, 
verbefierte Auflage. gr. 8. (VIII und 168 &.) Leipzig, Br. Brandſtetter. 
1862. geb. 6 Bar. 


2. Für Mittelklaffen. 


19. W. Fir, Seminarlehrer in Soeſt, Leſebuch für mittlere Klaffen 
preußiſcher Vollsfhulen. 8. (VIII und 295 ©.) Leipzig, ©. F. 
Amelang’d Verlag. (%. Volckmar.) 1862. 61/. Sgr.; 20 Ex. 3% Thir. 


Die 300 Stüde dieſes Leſebuches bilden drei Abtheilungen, von denen 
die erfte religiöje, die beiden folgenden realijtiihe Bildung bezweden. Proſa⸗ 
ſtüde und Gedichte wechſeln in allen Abtheilungen mit einander, ſtehen aber 
unter einander in Beziehung. Dieje Einrichtung bat dies Leſebuch mit 
allen andern guten Lejebühern der neuern Zeit gemein. Die Auswahl ift 
gut. In den geographifhen und hiſtoriſchen Stüden ift beſondere Rüd: 
fiht auf Preußen genommen. 

20. ©: F. Seinifh und B. Groß, Leſebuch für die Mittelklaffe der 

Zandfhulen I. Abtbeilung: A. Der Menſch. B. Beograpbliähes, 

C. Geſchichtliches. VU. Abtheilung: A. Naturgeſchichtliches. B. Einiges 

aus der Naturlehre. C. Briefe. 8. (I. Abtbi. IX und 138; II. Abihl. 

IV und 111 ©.) Bamberg, Buchner. 1862 und 1863. 5 und 4 Ser. 


Die Inhaltsangaben auf dem Zitel beider Abtheilungen lafien erkennen, 
daß die Herausgeber ein befonderes Gewicht auf die Nealien legen. Wir 
billigen das vollftändig, zumal da die Ausführung diefer Anficht als ges 
lungen bezeichnet werden kann. Es find nämlich nicht vürre Beſchreibungen, 
welche dargeboten werben, jondern anziehende Bilder. Um neben der Bes 


2) Z. B. „Unten eine Seele, oben eine Seele, in der Mitte ein Leber. 
Bas ea if, erräth wohl Jeder.“ (Reiter und Pferd.) 


174 Anihauungsunterricht. 


Iehrung aud Nahrung für das Gemüth zu geben, find gute Erzählungen 
und Gedichte eingeflochten und in enge Beziehung zu dem übrigen Zert 
gelebt. 

21. M. Mengier, Lehrer an der Dom⸗Knabenſchule zu Paderborn, Kleiner 
Leſe⸗Freund. Win Uebungsbuch für mittlere Klaſſen katholiſcher Ele⸗ 
8 Zweite, verbeſſerte Auflage. 8. (132 ©.) Paderborn, 
Herd. Schöningh. 1862. 4 Gar, 


Der Heine Leſe⸗Freund befteht aus zwei Abtheilungen, ven denen bie 
erſte Beichreibungen, die zweite Erzählungen enthält. Zwiſchen benjelben 
find überall kurze Denkſprüche und tleine Gedichte, meiftens religiöfen In⸗ 
halts, eingefhaltet. Bon den Beichreibungen, welche fih auf Schule und 
Haus beziehen, find viele recht mager und unintereffant; ihre Befeitigung 
empfiehlt fih daher. In Gedichten und Geſprächen wird mebrfadh der 
Schubengel und zwar mit folder Sicherheit gedacht, als ließen ſich gegen 
diefe Lehre gar keine Zweifel erheben. 

32. 8. Selbfam und 2. Seltzſam, Deutfches Lefebu für das mittlere 

Kindesalter. Vierte, verbeflerte und vermehrte Auflage Zur Förderung 


der Anfhauung illuſtrirt dur 85 naturgefhichtlihde Abbildungen. 8. 
(XVI und 336 ©.) Bredlau, Ferd. Hirt. 1862. 12"/s Ger. 


Ein recht brauchbares Leſebuch, deſſen Werth duch gute Abbildungen 
noch erhoͤht wird. 


3. Für Mittel- und Oberklaſſen. 


23. Leſebuch für die anhaltiſchen Volksſchulen. 8. (XII und504 S.) 
Bernburg, L. Reiter. 1863. 12 Sgr., gebd. 15 Sgr. 


In einem bejonberen Bogen, der dem Buche beigegeben tft, werbreitet 
fih der unbelannte Herausgeber über das genannte Leſebuch und legt die 
Orundfäge dar, von denen er fi bei der Abfafiung befielben bat leiten 
laſſen. Es werden darin die Anfıchten dargelegt, melde fi in den letzteren 
Jahren auf diefem Gebiete ziemlich allgemeine Geltung verjchafft haben. 

Das Leſebuch zerfällt in zwei untrennbare Theile, „von denen der 
erfte in Lied, Geſchichte und Sprud, ſowie in lehrhaften Abfchnitten Bilder 
der auf germanifch: chriftlihem Boden erwacjenen Lebensgeftaltungen in 
Haus, Gemeinde, Staat und Kirche gibt, wogegen der zweite die realiftifchen 
Kenntnifle der Schuljugend in Vaterlands⸗, Natur, Erdkunde und Geſchichte 
zu ftüben ſucht.“ 

Der ‚Herausgeber gehört der ſtreng⸗orthodoxen Partei an, erfleht daher 
zuerft (in Nr. 1) den Beiſtand Jefu, dann (in Nr. 2) Gottes, ift ein großer 
Freund von Schußengeln und dem Zeufel, bietet eine Reihe von Gebeten 
dar, theilt mehrfah Erzählungen von Gebetserhörungen mit und widmet 
der Kirche befonvere Aufmerlfamteit. In einem Gefpräh zwiſchen Kind 
und Vater (Nr. 225, von Knak) wird das Leben im bimmlifchen Paradieſe 
in wahrhaft muhamedaniſcher Weiſe geſchildert. („Manna wird von feinem 
Tisch dir der Heiland fhenten und mit Lebenswafler frifh wunderbar dich 
tränten. — Herrlich ift pas Himmelstleiv und von weißer Seide, Cheifli 


Anſchauungsunterricht. 175 


Blutgerechtigkeit iſt dort dein Geſchmeide. Ja, wenn du im Vaterland 
ſtehſt vor feinem Throne, ſchmudt dich feine Liebeshand gar mit einer Krone. 
Eine Harfe gibt er dir freundlih in die Hände, daß bu ibn mit Liebesbe- 
gier preifen kannt ohne Ende.” — Kind: „Bater, ac, wie freu ich mid 
auf das ſchöne Sterben, weil ich dann ja ficherlich foll den Himmel erben.‘‘) 
Und bergleihen Material findet fih namentlih im erften Theile in den 
Gebeten, Gedichten und Erzählungen reichlich. 


Der zweite Theil enthält manches gute Stüd zur Förderung des 
Realunterrihts, dagegen im Ganzen nur wenig Poefien, was um fo mehr 
zu bedauern ift, da das Lefebud beinahe das einzige Mittel ift, das Bolt 
mit unſern hervorragenden Didtern belannt zu machen. Das Lefebud 
befrienigt darım wohl die realen Bebürfniffe einigermaßen, nicht aber bie 
idealen. 

Das anhaltiſche Volksſchulweſen hat in Deutſchland Auten Ruf. Yührte 
man dies Lejebudy allgemein ein, jo würde damit ein NRüdjchritt angetreten. 
Außerdem würde man alle Lehrer der freieren Richtung — und biefe 
bilden, fo viel wir willen, in Anhalt die Mehrzahl — durch Einführung 
biefes Leſebuches in bittere Verlegenbeit bringen und vielfadh Conflicte ber- 
beiführen; denn welcher diejer Lehrer wird die einfchläglihen Stüde leſen 
lafien, ohne mindeſtens hinzuzufügen, daß bier Anſchauungen ausgeſprochen 
feien, welche die meiften Menſchen nit mehr theilten. WBielleicht "führte 
die Einführung diefes Lejebuches Vorgänge herbei, wie fie der befannte 
bannover’ihe Katechismus hervorgerufen bat. 

24. Küben und Made, Lefebuh für Bürgerfhulen. Dritter Theil. 
Zehnte, verbeflerte Auflage. ei 8. (VII und 200 ©.) Reipzig, Fr. 
Brandfletter. 1863. geh. 8 

25. Lüben und Nade, —* für Bürgerſchnlen. Vierter Theil. 
Neunte Auflage. gr. 8. (VIII und 216 ©.) Leipzig, Fr. Brandſtetter. 
1863. geh. 9 Sgr. 


4 Für Oberklaſſen. 


36. W. Fir, Seminariehrer in Soeſt, Werfälifger Kinderfreund. 
Ein Lefebuqh für mangelitäe Zoltsfäuten. Zweite, umgearbeitete vufage. 
er. 8. a 8 Leipzig, C. F. Amelang's Verlag. 1862. 10 Sgr., 
geb. 121,2 © 
Diefer Rinderireund ift ganz nad dem Plane des oben befprodyenen 

Leſebuches für mittlere Klaſſen gearbeitet, enthält aber größere und ſchwerere 

Gtüde und ift darum nur für Oberllaffen geeignet, für diefe aber ein gutes 

Buch. Das preußifche, insbejondere weſtfäliſche Slement tritt ftark hervor, 

geftattet aber auch Anderes neben fid. 

27. Guſtav Battig, Lehrer am kathol. Scäullehrers Seminar zu Breslau, 

&ele bud für bie Dbertlafl en Tatholifcher Glementarfäulen. gr. 8. (VII 
un 333 5.) Glogau, C. Flemming. 1862. !/s Ihlr. 
ommentar zu dem Se ebuch für Oberklaſſen Tatbol. 

*. Suan Pettis Ar Unterftügung —* — Pa —88 

gr. 8. (II und 42 ©.) Ebd. "je Thlr. 


176 Anfhauungsunterridht. 


Das dargebotene Material ift nach folgenden Gefichtspunlten angeoronet: 
1. Zur Gemüthsbildung. 2. Bilder aus der Naturkunde. 3. Geographiſche 
Bilder. 4. Bilder aus dem Menihenleben. 5. Deutſche Sprachlehre in 
Beifpielen. 6. Das Vaterland. 7. Matbematiihe Geographie. 

Bei der Auswahl bat der Herausgeber befondere Rüdfiht auf bie 
Oberklaſſen zweillaffiger Stadt: und Landſchulen genommen, daher leichteres 
und fchwereres Material dargeboten und erftered beſonders bezeichnet. Bon 
diefem Standpunlte aus kann die Auswahl als eine zwedmaͤßige bezeichnet 
werden, da fie das Bebürfniß folder Schulen befriebigt und erheblich zur 
religiöfen, ſprachlichen und realijtiichen Bildung beitragen wird. In legterer 
Beziehung vermifien wir ungern Geſchichtsbilder. Der Herausgeber befennt, 
daß er zweifelhaft war, ob er die allgemeine Weltgefchichte, die deutjche oder 
die vaterländifhe berüdfichtigen ſollte. Nah unjerem Dafürhalten ift in 
Leſebüchern diefer Art nur die deutſche und preußiſche Geſchichte in's Auge 
zu fafien. Es kann natürlih nicht viel daraus geboten werden, immerhin 
aber Genügendes, wenn die Darftellungen von Nebenſächlichem freigehalten 
werden. Die biftoriihen Perfönlichleiten müflen darin nicht als Individuen, 
Sondern als Zräger von größeren Begebenheiten und ganzen Zeitabſchnitten 
erjcheinen. 

Der „Commentar‘ enthält kurze Erklärungen einzelner Ausprüde ver 
Lefeftüde und eine recht faßlihe Anleitung für den grammatiſchen Unterricht, 
die jüngeren Lehrern beftend zu empfehlen ift. 

29. Lüben und Nacke, Leſebuch für Dörgerfhulen Fünfter Teil. 


Siebente, verbefjerte Auflage. gr. 8. ru und 224 S.) Leipzig, Fr. 
Brandfteiter. 1862. geb. 9 Ser. zig, Br 


Von diefem Theile ift die achte Auflage unter der Prefle. 


30. Lüben und Nade, Leſebuch für Bürgerſchulen. Sechſter Theil. Fünfte, 
verbefierte Auflage. gr. 8. (VIII und 348 ©.) Leipzig, Fr. Brandfetter. 
1862. 12%/a Ser. 

Vom 4., 5. und 6. Xheile dieſes Leſebuches gibt es auch eine Aus: 
gabe für tatholifche und confeffionellegemiihte Schulen. 


5. Für höhere Shulanftalten. 


. &. Depe, ABE- Bud für die  Dorfäuen der Gumuhem. Zweite Auflage. 
gr. 8. (31 &.) Göttingen, A. Rente. 1862, 


Die eriten 19 Seiten enthalten einen ſehr nappen Reitfaden für das 
Leſen in deutſcher Schrift, die folgenden das Iateinishe Alphabet, lateiniſche 
Bocabeln, wie: „Schola, die Schule; porta, die Thür; fenestra, das 
Fenſter“, die fünf Declinationen, Genusregeln, Numeralia und sum in den 
brei Hauptzeiten. 

Die Aufnahme diefer Elemente der lateinischen Grammatik in eine 
Yibel, aus der die Kinder deutfch Iejen lernen follen, erjheint uns wenig 
angemefien ; Kinder in dem Alter, wie die Fibel fie vorausfeßt, follte-man 
damit verfhonen; fie müflen vor allen Dingen in ihrer Mutterſprache 
Sicherheit erlangen. 


Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 477 


32. A. Möbus, Lefebuh für Bürgerfäulen, befonders für Höhere 
Knaben- und Mädchenſchulen. I. Stufe: Kür Unterklaſſen. Aweite, ver: 
befferte Auflage. 8. (IV u. 108 ©.) Berlin, R. Gärtner. 1862. 5 Sgr. 


„Für Unterklaſſen“ foll bier nicht Kinder bezeichnen, welche ihre Schul: 
zeit beginnen, fondern ſolche, die ſchon einigermaßen leſen künnen. Es ift 
ein Bud für Kinder im zweiten Schuljahre und für diefe brauchbar, indem 
ed leicht zu verſtehende kurze Erzählungen und Gedichte enthält. 


3. F. ©. Paldamus, Director der höberen Bürgerihufe zu Frankfurt a. M., 
Deutiches Leſebuch. Mittlere Stufe Erſter Eurfus. Mit einer Eins 
eitungeeZabele der Präyofitionen und Interpunktionslehre. 8. (XVI u. 
258 ©.) Mainz, &. ©. Kunze. 1862. 16 Sgr. 


Die beiden erften Theile dieſes Lejebudhes haben mir im vorigen 
Bande des Jahresberichte angezeigt. Der vorliegende dritte ift für Kinder 
von 10 und 14 Jahren bejtimmt und entjpriht nah jeinem Inhalt im 
Ganzen dieſem Alter. Neben Naturgeſchichte und Geographie hat auch hie 
alte Geſchichte eine bejondere Berüdfihtigung gefunden. Hier und da ift 
dem Tert eine Saderllärung als Note hinzugefügt. 

Die in der Ginleitung gegebene Interpunktionslehre bat auf dieſer 
Stufe wohl kaum ihre rechte Stelle, erjcheint uns aud überdies im Leſe⸗ 
buche eben fo überflüffig, ale die „Zabelle der Bräpofitionen‘. In Schulen, 
für welde dies Leſebuch beftimmt ift, empfiehlt fi eine kurze Grammatik 
zum Gebrauch für die Schüler. 


34. Dr. Dtto Zange, Proieffor in Berlin, Deutſche Lefeftüde, für den 
Abſchluß des Lejeunterrihts in der gehobenen Mittelfhule, zugleich 
als Borflufe zu des Berjaflers Deutſchen Lefsbuche für ‚Die mittleren und 
oberen Klafſen höherer Lehranſtalten. gr. 8. (XI u. 240 S.) Berlin, 
R. Gärtner. 1862. 12 Ser. 


Unter einer „gehobenen Mittelfchule‘‘ verfteht man nad des Heraus: 
gebers Erllärung eine Schule, „melde eine höhere, theils wiſſonſchaſftliche, 
theild allgemeine Bildung vworbereitet oder doch ermoͤglicht· „Ihrem ‚Cha: 
rafter nach faͤllt ihr Abſchluß mit den Unter: oder den Mittelftufen böhever 
Bilwungsanftalten zufammen.” Wer folhe Exhulen nicht aus eigener Bin- 
ſchauung kennen gelernt bat, wird durch dieſe Erläuterung wohl kaum eine 
richtige Vorftellung von denjelben bekommen. Da ſolche Schulen aber höhere 
Biele verfolgen, jo tft es ganz natürlid, daß ihnen auch im Leſebuche ſchwie⸗ 
rigere Stoffe geboten werden müflen, namentlich jhwierigere in Bezug auf bie 
Form. Das thut der Herausgeber in dieſem Buche. Es find befonbens 
Bilder aus dem Gefchichtöteben und der Volkerlunde, aus ‚dem Menſchen⸗ 
leben, der Thier⸗ und Pflanzenwelt, welche das Wert enthält, nicht aber 
einfache Beihreibungen, fondern Darftellungen, welche vorzüglih die Phan⸗ 
tafie und das Gemüth anregen und dem äfthetifden Sinne Nahrung geben. 
Dex Herausgeber benußte dabei Schrüftfteller wie Kutzner, Mafius, Dippel, 
Tſchudi, Grube u. U. Neben Profaauffägen finden ſich auch anſprechende 
Gevdichte von Lenau, Eichendorff, Ebert, Freiligtath, Mojen, Nüdert, Sturm, 

Bar, Jahresbericht AV. 2 


178 Anfhauungsunterriht. Lejen. Schreiben. 


Geibel u. A. Nach beiden Beziehungen hin enthält das Buch viel Gutes, 
und man wirb es daher bejonders da mwilllommen beißen, wo man nicht 
bereits mehrtheilige Lejebüher gebraucht, welche einen ähnlichen Standpunlt 
einnehmen. Daß es an ſolchen Bühern nicht fehlt, ift belannt. 


35. Dr. Otto Zange, Deutiches Leſebuch für die mittleren und oberen Klaſſen 
bhöberer Lehranſtalten. Gin Lehr: und Hülfsbuh für den Gefammtunters 
richt in der deutſchen Sprache. Erſter Theil. (Mittlere Stufe.) Bierte, 
perbeflert Auflage. gr. 8. (XII u. 306 ©.) Berlin, R. Gärtner. 1861. 
20 Sgr. 


Das Buch zerfällt in einen profaifhen und einen poetiihen Theil. 
In jedem dieſer heile find die verfchiedenen Darftellungsformen berüd: 
fichtigt, welche fi für die auf dem Titel bezeichnete Bildungsftufe eignen, 
und das BZufammengebörige findet fih in allen Abtbeilungen beilammen, 
was jedenfalls vortheilhaft ift und mit Rüdficht auf den ſprachlichen Zwed 
auch nöthig war. In allen Abtheilungen find die beiten Schriftfteller und 
Dichter benupt worden. . 


36. R. Auras und G. Gnuerlich, ordentl. Lehrer an der Realſchule de Breslau 
Deutfhes Leſebuch. it einem Borworte von Dr. &. U. Kletke. 
J. Theil Sechste, verbefierte und vermehrte Auflage. gr. 8. (VIII u. 
371 ©.) Breslau, Ferd. Hirt. 1862. 224/3 Ser. 


Dies brauchbare Leſebuch haben wir bereit? mehrfach angezeigt und 
höheren, namentlich Realſchulen empfohlen. 


37. Dr. A. Benfer und ©. Nuge, Lehrer an der Öffentlichen Handelslehr⸗ 
anſtalt zu Dresden, Dresdener Lefebud für Handelefhulen fowie 
für Reals und höhere Bürgerfhulen. gr. 3. (XIV u. 663 ©.) 
Letozig, D. A. Schulz. 1862. 1/5 Thlr. 


Poeſie und Profa treten in biefem umfangreichen Buche getrennt auf. 
In erfterer find die Herausgeber dem Entwidelungsgange der Literatur ges 
folgt, in leßterer nicht, weil dafür vorzugsweiſe die Erzeugnifie dieſes Jahr⸗ 
bunderts benußt werden mußten. In dem poetiichen Theile find die bedeu⸗ 
tenpften Dichter aller Zeiträume durch die beiten ihrer Erzeugniſſe vertreten; 
in dem projaiihen finden wir: 1) Erzaͤhlungen, 2, Biographien und Ges 
Shichtichreibung, 3) Reijebefhreibungen und Naturſchilderungen, 4) Handel 
und Gewerbe, 5) Betrachtungen, 6) Briefe. Das PDargebotene gehört 
auch in diefem heile zu dem Beiten feiner Art. Das Bud kann baber 
den auf dem Titel genannten Unftalten empfohlen werben. 


6b. Anweifungen zur Behandlung des Leſeunterrichts. 


38. Fr. Schierhorn, Lehrer an der höheren Tbchterſchule Ei Brandenburg, 
Der vereinigte Leſe⸗, Schreibes, Sprad- und AUnfhauungse 
Unterriht auf ber Unterfiufe 8 (IV u 32 ©.) Brandenburg, 
J. Wiefite. 1863. 7%/s Ger. 


Anfhauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 179 


Das Schriftchen ift ein bejonderer Abprud aus dem VII. Bande der 
„Svangelifhen Volksſchule“. Der Verf legt darin von Neuem die Grund: 
jäge dar, nad denen er eine Vereinigung der auf dem Titel genannten 
Gegenftände anftrebt, und gibt zugleich eine Anleitung für da3 hierbei zu 
beobadhtende Unterrichtöverfabren. Die Grundfäge des Berf. baben wir 
ſchon früher für richtig erllärt Auch fein Unterrihtöverfahren billigen wir 
im Ganzen, find aber der Anficht, daß es fi bier und da noch einfader, 
noch elementarer geftalten müfle. Immerhin können wir aber die Arbeit 
befonders den Lehrern als eine brauchbare empfehlen, welde fid des Verf. 
„Schreibleſefibel“ bevienen, da dieſelbe bier für die jpecielle Ausführung zu 
Grunde gelegt ift. 

39. Ref. erlaubt fi), auf eine verwandte Arbeit hinzumeijen, welche er 
im XII. Jahrgange ded von ihm redigirten „Praltiihen Schulmanns‘ 
geliefert hat. Es ift in derjelben in vollftändiger Ausführung gezeigt, wie 
der Anſchauungsunterricht, der die eriten Sprahübungen in fih fchließt, 
mit den Hör: und Beichenübungen, die beide als Worbereitungen zum 

. Screiblefen dienen jollen, zu verbinden ift. 


40. ©. Richter, Seminarlehrer, Anleitung zum Gebraud des Lefe 
buches in der Volkeſchule. I. Abtheilung: Theoretiſche Erdrterungen. 
II. Abtheilung: Praktifhe Ausführungen. weite, verbeflerte und vers 
mebrte Auflage. gr. 8. (VIII u. 104, VI u. 168 ©.) Berlin, 9. Stuben, 
rau. 1863. 25 Gar. 


Die erfte Auflage diejes Werkes ift uns nicht für den Jahresbericht 
zugegangen; wir find daher auch nicht in der Lage, beurtheilen zu können, 
in wie weit die vorliegende eine „verbeſſerte und vermehrte” ift. 

Der erfte, auch für fih zu habende Theil des Werkes ift von allge: 
meinerem Intereſſe und fteht in keiner Beziehung zu einem beftimmten 
Leſebuche, während der zweite ausſchließlich als Commentar für das von 
den Seminarlehrern Wepel, Menges, Menzel und dem Berf. herausgegebene 
Leſebuch gelten ſoll. 

Der erſte Theil zerfällt in zwei Abſchnitte, von denen der erfle von 
der Stellung des Lejebuhes in der Volksſchule, der zweite von der Vers 
werthung deſſelben im Unterriht handelt. Der erfte diefer Abfchnitte be: 
handelt das Lefebuh als Hülfsmittel zur Uebung im Lejen, für den Erwerb 
ſprachlicher Bildung und beim Erwerb von Unterrichtsſtoff, der zweite von 
der Berwertbung des Lejebuches im Lejeunterricht, im Spradunterricht und 
im welttundlihen Unterricht. 

Wenn der Berf. in diefem Theile auch nicht gerade Neues vorträgt, 
fo ift doc) das, mas er darbietet, gut und beachtenswertb, und indbejondere 
jüngeren Lehrern, die noch fein ficheres Urtheil über diefen wichtigen Unter 
richtözweig haben, fehr zu empfehlen. Der Berf. bekundet Sachkenntniß 
und kann ſich auf reiche Erfahrung fügen. Zur meiteren Empfehlung des 
Buches gereicht es noch, daß der Verf. ſich frei gehalten hat von ben ein- 
feitigen Richtungen, weldhe bier und da bejonders in ftricter Befolgung der 
preußifchen Regulative zu Zage getreten find. Gr legt z. B. Werth auf 

12* 


180 Anfhauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


einen maßvollen grammatifchen Unterricht in ver Vollksſchule und will ben 
Realunterriht nicht durch das Leſebuch erſetzt wiſſen, weiß auch nichts von 
der neuen Lection, genannt ‚„Lefebuhunterricht”, ver in dem ſchleſiſchen 
Baradiesgärtlein des Herrn Stiehl zu finden fein fol. Die Zeit diefer 
Neformer ift überhaupt im Abklingen; die Verftändigen ehren zurüd zu 
den guten Anfiten der Pädagogen der vorregulativiihen Zeiten. Auf 
dieſe Weile merden die Stiehl'ſchen Sündenböde am ficherfien bin befördert, 
wohin fie gehören, in die pädagogifhe Wüſte. 

Für eine neue Auflage empfehlen wir dem Berf, in dem Abfchnitte, 
der von der Pflege des ſchoͤnen Lefens handelt, noch etwas genauer auf 
die Leferegeln einzugehen und fi mit Entſchiedenheit gegen bie verderbliche 
Anſicht auszuſprechen, daß in den erften Jahren nur das mechaniſche Lefen 
in's Auge zu faflen und von guter Betonung ganz abzufeben ſei. Auch 
der Abfchnitt, welcher von der Verwertbung des Leſebuches im Sprach⸗ 
unterricht handelt, Tann durch einige praftifche, recht nahe liegende Winte 
nod erweitert und verbejjert werden. 

In dem zweiten Theile find die erläuterten Stüde aus dem VLeſebuche 
vorgedrudt, was ganz zwedmäßig ift und aud bdiefem heile eine gemifie 
Selbftftändigfeit verleiht. Der Hauptſache nah beſchraͤnkt fih der Verf. 
darauf, durd feine Erklärungen das rechte Verſtändniß zu befördern; auf 
angemeflene Uebungen zur Förderung der Sprachgewandtheit geht er feltener 
ein, gibt aber doch Anveutungen dazu. 


41. Dr. Wilh. Fride, Declamatorik. Theoretiſcher Theil, oder: Gefehe 
der deusichen, franzöfiien und enaliſchen Declamation. gr. 8. (ZIV u. 
07 ©.) Wein, C. © Kung. 1862. geb. 14 Ger. 


Die Schrift des Herrn Fride, der ſich unlängit durch Herausgabe einer 
guten beutiyen Grammatik vortheilhaft belannt gemacht hat, ift zum Ge 
brauch für Schüler böherer Schulanftalten beftimmt. Sie behandelt daher 
den, Gegenſtand populär und wird dadurch meiteren Streifen zugänglich. 
Um dem Schüler die Auffafiung und Wiederholung des Wefentlihen zu 
erleichtern, ift Dafjelbe in kurze Negeln gebracht und dur den Drud aus⸗ 
gezeichnet worden, was dem Buche fehr zum Vortheil gereiht. Da eine 
Schrift über Declamation auch für den Leſeunterricht belangreih werden 
fann, fo mahen wir auf die vorliegende auch ſolche Lehrer aufmertjam, 
welche in ihren Schulen nicht declamiren laſſen können. 


Il. Schreiben 


2. K. A. Zſchille, Canzleirath, Katehismus des Schreib⸗Unter⸗ 
richts. Mit 173 in den Tex gedruckten kalligraphiſchen Vorlagen. 81.8. 
(X u. 136 ©.) Leipzig, 3. J. Weber. 1862. 10 Ger. 


Der Altmeilter der ſaͤchſiſchen Kalligraphie hat in biefem Schriften 


die in feiner befannten „lementar-Schreibfchule‘‘ niebergelegten Anfichten 
im Kürze wiedergegeben, und zwar in der ihm vorgeſchriebenen latechetiſchen 


Anſchaumgsunterricht. Leſen. Schrein. 181 


Darflellungsweife. Wenn dieſe Form Nugen haben joll, fo muß fle mit 
Geihid gehandhabt werden. Das ift aber nicht Jedermanns Sade, auch 
nicht die des Berf.; der Lefer darf daher hierdurch eine Förderung nicht 
erwarten. | 

Dem Linienneß ift der Verf. au in dieſem Katechismus treu ges 
blieben, bat jedoch empfehlenswerthe Berbeflerungen eintreten laſſen. Für 
den Anfong M eine ſehr edige und ungefällige Elementarjhrift gewählt, 
ihr jedoch Die gefälligere abgerundete gleich zur Seite geftellt worden. Es 
fcheint fat, als habe fich der Verf. hierzu durch fein Linienneg verleiten 
laſſen. Die Schule muß überall von derartiger Schrift abfehen und daher 
von Anfang an zur Einübung bringen, was fpäter im Gebraud bleiben 
fol. Die Beichreibung der Buchftabenformen, auf die wir auch eirien Werth 
legen, ift für jehsjährige Kinder in Folge des Linienneßes zu complicirt 
uud bereitet daher Schwierigfeiten, die kaum zu überwinden find. Gegen 
die innegehaltene Reihenfolge hätten wir vom kalligraphiſchen Standpunkte 
aus nicht3 einzumenden, wenn nicht der Schreiblefeunterricht, der ja immer 
mehr Anerkennung findet, hierbei ein gemichtiges Wort mitzuſprechen hätte. 

Abgefehen von dieſen für uns allerdings wefentlihen Einwendungen, 
enthält das Buch viel trefflihe Rathihläge, von denen jüngere Lehrer 
Kenntniß nehmen Sollten. 

Die Holzihnitte laſſen mehrfah zu wünfhen übrig und können zum 
Theil fogar zu falihen Auffafiungen führen. 


43. F. C. ©. Schütt, Syſtematiſche Vorlegeblätter zum Schönfchreiben für 
den Schuls und Privatunterricht. Heft I-VI. quer gr. 8. (& circa 16 
Eteintafeln) Hamburg, &. W. Niemeyer. à 1 Thlr. 


Das Wert umfaßt die Current: und Curſivſchrift und fcheint den 
hamburgiſchen Ductus ziemlih treu wiederzugeben. Die meiften Schrift: 
formen find recht gefällig; andere dagegen weichen nicht zu ihrem Vortbeil 
von allgemein verbreiteten Formen ab. In den beiden erften Heften baben 
die Heinen Buchftaben eine ungewöhnliche Größe. Wir fehen den Grund 
für eine auffallende Größe nidht ein, halten diefelbe vielmehr nicht für 
angemeflen, da fie Kindern Schwierigkeiten darbietet. 


64. Joh. Sagenmaier, Schreibfähule oder methodiſch geordnete 
Borlegeblätter, eingerichtet für die ganze Dauer der Echulzeit in drei 
Abibeilungen, mit engen Carſtair ſcher Uebungen. J. Abtbeilung. 
Zweite Auflage. quer⸗4. (36 BL.) Wim, Gebrüder Nübling. geb. 12 Egr. 


Die Shrift macht durch ihre gefälligen Formen einen angenehmen 
Eindrud, würde aber fiher noch gewinnen, wenn die Buchſtaben 0, a, q, g 
ftatt eines Grundftriches einen Bogen hätten, eine Form, die fih in der 
Schnellſchrift befanntlid von felbit herausſtellt. Gegen die Stuienfolge ift 
vom lalligraphiſchen Standpunfte aus nichts einzumenden. Den Preis 
finden wir bei der fhönen Ausftattung ungemein billig. 


182 Anfhauungeunterricht. Leſen. Schreiben. 


65. Robert Fiſcher, Stenogravhiſche Unterrihtabriefe. Zweite 
Auflage. (25 Bog. Lithogr.) Glauchau, Ih. Morig. 1’/s Thir. 

4. F. ©. Drechsſsler, Die Gabeleberger'ſche Gtenograpbie für Bolleſchulen 
und zum Gelbflunterriht. Reue Methode, die Gabelsberger'ſche Steno⸗ 
rapbie in kürzeſter Zeit zu erlernen. gr. 8, (VIIL, 40 u. 32 lith. ©.) 
amburg, Richter. 1862. geb. */ı Thfr. 


Mir befhränten und auf eine einfache Anzeige diefer uns zur Beur⸗ 
tbeilung überjandten Schriften, da wir der Stenograpbie jo lange teinen 
Raum im Jahresberichte anweifen können, als ihre Anwendung in der 
Volksſchule nicht als dringend nothwendig nachgewieſen if. Das iſt bis 
jest nicht geſchehen; vielmehr haben ſich anerlannte Stenographen entſchieden 
dagegen ausgeiproden. Bom Standpunkte der Volksſchule aus reiben wir 
und ihnen aus Weberzeugung an. 

An und für ſich verbienen übrigens beide Schriften befte Empfehlung, 


VI. 
Sugend- und Volksſchriften. 


Bon 
Dr. Georg Wilhelm Hopf, 


Rector in Nürnberg. 


Die diesjährige Mufterung liefert weniger Nummern als die zunädft 
vorausgegangene, nit weil die Zahl der neuen Bücher geringer wäre 
(denn die Bierteljahrslataloge enthalten aud in dem jüngften Gange eine 
lange Reihe von Titeln), fondern weil für den gegenwärtigen Bericht von 
einigen Seiten leine Sendung eingelaufen ift und mande eigens beftellte 
Werte bis zum Abſchluß deſſelben vergebens erwartet wurden. Im Ganzen 
halten fih die aufgeführten Schriften in der Mitte: wenige können auf 
das Lob der Auszeihnung Anfpruh machen, anverjeits find deren nicht 
viele, die gerabezu verwerflih wären. Die Zahl der Nachbildungen und 
Umarbeitungen ift weit größer als die der Originalwerke. Sehr fleißig wird 
das Gebiet der Geſchichte für Belehrung und Unterhaltung der Jugend 
ausgebeutet: eine erfreuliche Erſcheinung, foferne biftorische Treue zum Geſetz 
gemacht if. Wenn aber die Gejhidhte nur den Namen leihen muß, um 
die Gebilde der Phantafie zu empfehlen, können wir uns nicht zum Lobe 
verjieben. In den Leſekreiſen der Gebilveten des Volles hat bekanntlich 
der hiſtoriſche Roman feit einem Jahrzehend viel Glüd gemacht. Aber be: 
reits haben ſich gemwichtige Urtheile gegen ſolche Behandlung biflorifcher 
Stoffe vernehmen lafjen, da durh den Roman unmwahre Borftellungen in 
Umlauf gebraht werden. Bei der Jugend ift noch weiterhin zu beforgen, 
daß durch diefe leichte Lektüre der Sinn für ernfte und aufmerkſame Ber: 
folgung der Thatſachen geſchwächt, ja ertöbtet werde. Wir möchten daher 
Aeltern und Lehrer, welche für die Jugend eine unanftößige, nügliche Lektüre 
ſuchen, aud bier auf die ältere Literatur verweiſen, welche für jede Alters: 
ftufe mehrere preismürdige Schriften darbietet. 


184 Jugend und Volksſchriften. 


An den nun folgenden Anzeigen und Beurtbeilungen wurden bie 
gleihartigen Bücher jeder Abtheilung an einander gereibt; foviel möglich 
follte durch die Reihenfolge der Fortſchritt von der niederen zur höheren 
Altersklafle angedeutet werden. Cine ftrenge Scheidung zwiſchen Jugend: 
und Volksſchriften ließ ſich nicht durchführen, da viele Bücher für die eine 
wie für die andere Bibliothel beftimmt und pafiend find. Nur diejenigen 
Bücher, melde nah Anhalt und Faſſung über die Schuljahre hinausgehen, 
wurden am Schluß unter dem Titel Volksſchriften zufammengeftellt. 


A. Jugendſchriften. 
IL Bilderbücher, Märchen, Erzählungen. 


1. Mündener Bilderbogen. Serautgegeben und verlegt von K. Braun und 

$ Schneider in Münden. 16. Bud oder Nr. 313— 336. Preis des 

ogens: fhwarz I Rgr., kolotirt 2 Rar., des ganzer Buches ſchwarz 24 Nar., 
tolorirt und gebunden 1 Thir. 27 Rer. 


Diefe neue Folge ift ganz in der Weiſe der früheren Bände gehalten, 
fie enthält Bilder aus der Nähe und aus der Ferne, aus der Gegenwart 
und aus ber Vergangenheit, Ernſt und Scherz, Die Zeichnungen find wie 
immer vortrefflich. Auf allgemeinen Beifall in jeber Beziehung dürfen 
rechnen: Nr. 314, 315. Die Welt in Bildern (7. Bogen Afrika; 8. Bogen 
Canada), Nr. 320. Das Leben im Gebirge. 323. Spridmörter für 
Kinder. Nr. 326. Johann der Seifenfieder. Nr. 329. Der Ejel in der 
Löwenhaut. Nr. 332. Burg am Rhein. Nr. 334 — 336. Bilder aus 
dem Alterthum. j 

Einige Bogen ohne Tert find unverſtändlich; Die Rattenjagb (313), 
der Bauer und das Schwein (316— 317) werden nicht Jedermann zu⸗ 
fagen. Die Giftpflangen lönnen nur in lolorirten Bilden die Natur parftellex. 


2. Was wii du werden? In 22 Bildern entworfen und in Holz gezeichnet 
von Oskar Pletſch. In Holzſchnitt ausgeführt von Prof. H. Bürfner. 
Berlin. Weidmann'ſche Buchhandlung. 4. cart. 1 Ihr. 


Bildliche Darjtellung verfchiedener Gewerbe und Beihäftigungen — 
des Steinmetzen, des Seilers, Schneiders, Tifchlers, Mafchiniften, Buchbin⸗ 
ders, Apothefere u. a. — glücklich componirt und mit Meifterfchaft aus: 
geführt. So zu fagen ein Stüd Orbis pietus, fehr geeignet, um den Ge- 
fichtöfreis der Finder zu erweitern, fie zu unterhalten und zu belehren. 
Faft möchten mir glauben, daß Erwachſene fih an den Bildern noch mehr 
erfreuen werben als Finder, da jenen mande Andeutungen au fich verftänd: 
lih find, welche diefen nicht einmal durch Erklärung ganz deutlich werden, 
Hier und da fcheint die Zeihnung individuell zu fein, was ebenfo zum Lob 
als zum Nachtheil ausgelegt werben Tann. 


3. Blüthenfammlung aus deutfhen Gedichten. Ein Haus⸗ und Schulbuch für 
Kinder bis zum zehnten Jahre, zu Beförderung religiös: fittliher Bildung 


Jugend⸗ und Volksſchriflen. 185 


haausgegeben von Dr, Fr. Aug. König, Prediger in Leipzig. Wohl: 
feilere Ausgabe. Leipzig. Verlag von Hermann Frißſche. 1863. 8. 184 & 


geb. 6. Nur. 

Gin Bäclein, dergleichen wir längft zu Dutzenden haben: Gebete, Feſt⸗ 
ſpruche, allerlei kleine Gedichte. Man kann fagen, daß jeded der aufge- 
nommenen Stüde gut ift, aber für die Schule ift die Auswahl zu einfürmig. 
Sm eine Hausbibliotket paßt es reht wohl, Wie aus andern ähnlichen 
Sammlungen, jo tann auch aus diejer Stoff zu Unterhaltungen mit Kindern 
entnommen merden. 


4. Herzblättchens Zeitvertreib. Unterhaftungen für Meine Knaben und Mäds 
hen zur SHerzensbildung und Entwidelung der Beariffe Im Verein mit 
mehreren Sinderfreunden herausgegeben von Thekla von Gumpert. 
Eiebenter Band. Mit 24 Kitbograpbien und 13 Holzfchnitten von 9. 
Bürfner, € Fröplih und % Scholß. Glogau. Verlag von E. Flem⸗ 
ming. 4. 192 S. 1! Thlr. 


Auch an diefem Bande haben Kinder, beſonders Mädchen, großes Ver: 
gnügen gefunden. Für Knaben wünſchen wir ſchon etwas ftärkere Koft. 
Einen bebeutenden Raum nehmen die bibliſchen Gefchichten des Neuen 
Zeftaments in den Briefen der Tante ein. Das Bibelmort ift im Ganzen 
beibehalten, dazu kommen Grllärungen, wie fie für finder pafjen. Aber 
das Alles gibt ihnen ja fhon das Ehulbuh und der Lehrer. Der gute 
9. Wagner hat wieder einige fehr ſchöne Unterhaltungen aus der Naturs 
geihichte gebracht; fihade, daß ihrer nicht mehr find. Die Erzählungen 
find von verjchiedenem Wertbe; einige enthalten Unmwahrjcheinliches, andere 
haben einen natürlihen Verlauf. Das Stäbchenlegen wird ohne Beihülfe 
einer geübten Hand nicht gut von ftatten geben; wird dieſe den Kindern 
zu Xheil, jo werden fie angenehm und nüßlic beichäftigt. Die Bilder, 
bejonders die Silhouetten, find ſehr ſchön und fegen der äußeren Ausſtat⸗ 
tung die Krone auf. 


5. Rimm mid mit!’ Kinderbüchlein von Anton Birlinger. Areiburg im 
Breisgau. Herder'ſche Verlagehandlung. 1362. 12, 199 ©. geb. !/s Ihr: 


Eine Sammlung von Kinderfprühen, Liedern, Märdyen, Räthjein mit 
fauberen Holzihnitten — nah Art der befannten Sammlungen von Scherer, 
Klumpp, Meyer; aus mündligen Mittheilungen, aus Zingerle's Märchen u. 
a. Quellen zufammengetragen. Cin überaus ſchönes Büchlein. Doch theilt 
e3 das 2008 feiner Verwandten. Auf den erften Blid ſollte man meinen, 
nichts Paſſenderes kann es für finder geben. Aber man madt die Er 
fabrung, daß Alte fih mehr daran erfreuen als die Jugend, wenn ihr folde 
Bücher zu freiem Gebrauche überlaften werden. So mögen denn eltern 
ihren Rindern Sprüche und Scherze vorlefen oder noch befier, die Berfe 
auswendig lernen, um fie frei mittheilen zu können. Dann werben die 
Kinder mit Luft in dem Büchlein leſen! 


6. Seltfame Abenteuer unter Zwergen und Riefen. Nah Swift. Eine Ers 
äblung von Ferdinand Schmidt. Mit 4 Illuſtrationen von Heinrich 
—2 Glogau. Druck und Verlag von Cart Flemming. 12. 136 ©. 
ix TIbir. 


186 Jugend» und Bolkefchriften. 


Ein Engländer fommt auf feiner Seefahrt in der Nähe von Ban 
Diemensland in das Land der Däumlinge, wo er mandye Abenteuer erlebt; 
body erreidht er feine Heimath glüdlih wieder. Die zweite Reife geht in 
das Land der Niefen jenfeits Madagascar, wo nidht blos die Menfchen, 
fondern die ganze Natur, die Häufer über unfer Maß weit hinausgehen. 
Obwohl gut erzählt, werben dieſe Abenteuer doch nur vorübergehenden Bei- 
fall finden. Der Erfinder hatte wohl einen Zwed im Auge, der in ber 
neuen Bearbeitung bei Seite gefebt werden mußte. 


71. Hänschens Thierbude. Bilder und Reime für Knaben und Mädchen von 
Fedor Flinzer. An Holzfhnitt ausgeführt von Prof. H. Bürfner. Chem⸗ 
nitz. Verlag von Eduard Focke. A. 16 Rgr. 


Zwölf fehr fhöne Zeichnungen mit Tert in Verſen nebft einem Titel⸗ 
blatte und einem Gedichte dazu. Die Berfe erinnern an Hey's Fabeln, 
aber ihr Inhalt ift nicht ebenſo einfach. Das Büchlein gehört für Unter: 
baltungen, welde Eltern mit ihren Kindern führen. 


8. Srifh und Fromm. Der Jugend gewidmete neue Erzählungen, Lieder, 
Kabeln, Mähren, Schwänfe, Rätbfel und Sprüche von Otto Sutermeifter. 
Aarau 120. Derlag von Heinrih Remigius Sauerländer., 8. 186 ©. 
cart. ’/a Thlr. 


Gin hübſches, in jeder Rüdfiht wohl gehaltenes Büchlein. Es ent: 
halt 39 Erzählungen und Lieder, 32 Fabeln, Märhen und Schmänte, 
46 Rätbfel, 121 Nedfragen mit Antworten, 100 Sprüche zum Nachdenken. 
Menn auch viele der Fabeln und Erzählungen aus Hebel, Leffing u. a. 
bekannt find, fo können fie doch in dem poetiſchen Gewande als neu gelten. 
Die Berfe find fließend und wohlklingend. Beſonders zu rühmen ift, daß 
die Fabeln kurz gefaßt find, fo daß fie immer zu benfen geben. Wir ftellen 
das Büchlein neben die längft belannten Sammlungen von Rochholz, Güll, 
Gnslin und zweifeln nicht, daß e3 fi neben diefen allenthalben behaupten 
wird. 


9. Erzählungen für die Augend von V. Rein. Mit vielen Bildern nah A. 
Reinhardt. Dresten. Verlagsbuchhandlung von Rudolf Kuntze. Erſtes Bänd⸗ 
hen. Vier Erzäblungen. 80 ©. Zweites Bändchen. Drei Erzählungen. 
78 S. Preis beider Bändchen !/s Ihlr. 


Diefe Erzählungen find zwar nicht durchgehende neu, aber fo eigen 
thümlich vorgetragen, daß fie als neu gelten können. Die Geſchichte von 
dem Thaler und dem Dreier ift eine Variation eines vielfad behandelten 
Thema's, aber fein gearbeitet und finnig ausgeführt. Der Wetterhahn, eine 
Leipziger Anekdote, die Palette des Kleinen Nembrandt, die YButterjungfer 
in Zerbft, bejonders aber der Perudenmader von Hirfchberg find anziehend, 
man kann fagen köſtlich. Je mehr in der Jugendliteratur die alltäglidye 
Redeweiſe überhband nimmt, deſto höher find folhe Erzählungen zu ſchätzen, 
welche mit der Einfachheit einen gefunden Humor verbinden. Wenn gleich 
eine der Erzählungen, der Traum der Großmutter, an diefem Lobe nicht 
vollen Antheil nehmen darf, jo kann man doch dem Büchlein im Ganzen 





Jugend: und Bolkefchriften. 187 


betrachtet unter den verwandten Erzeugniſſen diefes Jahres eine der vorder⸗ 
ftien Stellen einräumen. 


10. Der Kaufmann von Venedig. Machetb. Zwei Erzählungen für Jung und 
Alt von Ferdinand Schmidt. Pit Zeichnungen in Karbendrud. Berlin. 
Hugo Kaftner und Comp. 12. 138 S. ! Tblr. 


Den Einwendungen, welche gegen Bearbeitung großer Heldengedichte 
und Dramen für die Jugend erhoben zu werden pflegen, ſucht der Berf. 
durch Hinweiſung auf Beder’s Heldenfagen zu begegnen. Durch foldye Bei⸗ 
bülfe werde Vielen der Weg zu den Kunſtwerken geöffnet, melde fonft aus: 
geichloffen wären, überdies empfange fo Mancher eine Anregung, zu den 
Originalen oder den ftreng millenfchaftlihen Weberfeßungen zu greifen. — 
Die Bergleihung mit Becker trifft in jo fern nicht zu, als diefer nur Aus⸗ 
zuge brachte, nicht den ganzen Verlauf der Heldengefhichte wiedergab. Wir 
laſſen gelten, daß durch kurzgefaßte Bearbeitung größerer Werte ein fchneller 
Ueberblid der Thatfadhen gewährt wird; alles Andere ift unerbeblih. Scenen 
wie die Hexenküche find nur im Original, meit weniger in Ueberfeßungen 
genießbar; in populären Umarbeitungen find fie werthlos. 


19. Virgil's Aeneide. Kür Alt und Yung erzählt von Ferdinand Schmidt. 
Mit vier Allufrationen von Earl Jaeger. Glogau. Berlag von Carl Flem⸗ 
ming. 12. 157 ©. !s Thlr. 


In 42 Kapiteln; nah dem Gange der Gejchichte, nicht nad der An⸗ 
ordnung des Driginald. Diefer Bearbeitung des berühmten Heldengedichtes 
tönnen wir unfern Beifall nit geben. Für die Jugend genügt doch voll: 
fommen, was Schwab in feinen Sagen des Halfifhen Alterthums mitge- 
tbeilt bat. Hier aber kommt nicht blos Weberflüffiges, jondern Uingeböriges 
vor. Aeneas und Dido in der Höhle abgebildet, dazu als Tert: „Bei 
dem Leuchten der Blitze und dem Rollen des Donners ſchmiegte fih Dido, 
alle Scheu vergefiend, dem Helden an die Bruft und geftand ihm ihre 
Liebe. Gehören ſolche Scenen für die Jugend? 


12. Das Blümchen Wunderbold. Przäblungen für Meine und große Kinder von 
Martin Claudius. Mit ſechs Alluftrationen von Heinrih Stelzner. 
Glogau. Berlag von Carl Alemming. 85. 146 S. 27 Nur. 


Fünf Erzählungen. 1. Das Blümden Wunderhold, oder wie ein 
übermütbiges Mädchen zur Demuth und Befcheidenheit geführt wird, enthält 
mandherlei Motive, die aus befannten Dichtungen entlehnt find. 2. Der 
Wünſchelhut oder Wohlthun bringt Zinfen; der arme Tobias entreißt den 
Hut eines Fremden den Fluthen und wird, da er fi des Mannes annimmt, 
von dem Sterbenden mit dem Hute bejchentt, in welchem ſich Späterhin 
5000 Thaler in Papier finden. 3. Der Heine Karl Elettert zu einem 
Storchenneft empor und wird nur mit Mühe gerettet. 4. Die Maiblüm: 
hen, welche arme Rinder einem Arzte bringen, damit er ihre kranke Mutter 
beſuche, gereihen ihnen zur Rettung aus der Noth und Berlafienbeit. 
5. Die Stiefmutter — es gibt au gute Stiefmütter; dies wird an einem 
Beifpiele gezeigt. — Sämmtlihe Crzählungen halten ſich innerhalb des 


188 Sugend- und Volksſchriften. 


Kreiſes, in weichem ſich die Vorflellungen der Rinder bewegen. Der Rem 
ift gejund, aber umgeben von viel Raifonnement. Kürzer gefaßt hätte das 
Bühlein einen weit höheren Werth. Daß die Erzählungen nur für die 
untere, böchftens für die mittlere Stufe des Jugendalters paflen, ergibt 
fih aus der Inhaltsanzeige. 


13. Dom Blätterforoffen bis zum Weihnachtsfhne. ine Erzählung von 
Marie Hutberg. Wit vier Iluftrationen. Glogau. Verlag von Earl 
Klemming. 8. 167 S. cart. %, Tblr. 


Bildungsgeſchichte eines Mädchens, welches aus wohlhabender Familie 
enifproiien, aber in unerwartete Dürftigleit geratben if. Durch bie Leitung 
einer edlen Frau und buch ben Umgang mit einer wohlgearteten Genoſſin 
tommt fie zur Einfiht deſſen, was ihr mangelt, zum Frieden in ber Religion. 
Nachdem ihr inneres Leben umgewandelt ift, erheitert fi auch das äußere 
— durch eine Erbſchaft. Die Erzählerin kennt das Weſen der weiblichen 
Natur recht gut; die Thorbeiten und Fehler, melde fie zeichnet, find der 
Mirllichleit entnommen. Ob diefe Schilderungen immer am Platze find, 
läßt fich bezweifeln. — Die Sprade ift nicht ganz tabellos; in fremben 
Wörtern finden ſich einige Ungenauigfeiten. 


14. Froſchküſter Quaf. Eine Hifloria für Jung und Alt von Guſtav Süs. 
Slogau. Berlag von G. Flemming. 4. 185 S. 2 Thlr. 


&ine poetifhe Hiftoria in 19 Kapiteln mit Zeichnungen, denen Aunft: 
werth nicht abgefprochen werben kann. Ja das Buch ift koſtbar ausgeftattet, 
ergöglich zu lefen; aber der Jugend möchten wir foldhe Unterhaltung nicht 
nabe legen. Insbeſondere ift e8 bedenklich, die Garicatur, mie fie hier 
dem Werke eines belannten Meiſters nachgebilvet ift, in Jugendſchriften zu 
bringen. 


15. Hait eblüthen. Erzählungen für Kinder von 11 bie 15 Jahren. Bon 
enriette Laudien. Mit & Jluftrationen von Heinrich Stelzner. Slogan. 
ruck und Derlag von Carl Flemming. 8. 92 S. 3% Tplr. 


Ein Gediht an die Kinderwelt und fünf Erzählungen von guten Hands 
lungen, die ſich jelbjt belohnen. Wohlmeinend, aber etwas fentimental ge: 
balten, dem Inhalte und der ganzen Tarjtellung nah doch mehr für Kinder 
und beſonders für Mädchen unter dem 12. Jahre als barüber hinaus. 
Mit. ver Wahl der Worte jollte es die Grzählerin etwas genauer nehmen, 
Eeite 89. 


16. Häusliche vorgen, bäuslihes Glüd und Der Bettler. Zwei Erzählungen 
von Marfin Claudius. Mit 4 Muitrationen von Rudolf Geiler. lo» 
gau. Drud und erlag von Carl Flemming. 1?. 176 ©. 1a Thlr. 


In Nr. I wird der Gegenfaß zwiſchen einer modernen ungeordneten 
und einer jparjamen Hausbaltung vor Augen geftellt. Bilder ver erfterem 
Art find im Leben nicht jelten; aber nicht oft kommt es vor, daß auf felbft- 
verſchuldetes Elend eine befiere Zukunft folgt. Es konnte nicht vermieden 
werben, Scenen gu fchildern, welde das Gefühl unangenehm berühsen, 


Jugend» und Volksſchriften. 180 


In dieſen liegt viel Wahrheit und ernfte Lehre. Nur ift ed nicht immer 
sathfam, vor der Jugend bie Berirrungen mit ihren Folgen fund zu geben. 
Sehr wohlthuend iſt Dagegen das Bild der eingegogenen Yamilie. — Nr. 2 
führt nad London. Gin fcheinbar dürftiger Mann vergilt die ihm gefpens 
deten Gaben dadurch, daß er feine Wohlthäterin zur Erbin feines nicht 
unbedentenden Vermögens einjegt. Sehr fchön erzählt; aber bei folden 
Geſchichten liegt doch die Bejorgnik nahe, daß die Wohlthaͤtigkeit gu eigen- 
nüßigen Erwartungen verleitet werde. 


17. Die beiden Rofenbouquets. Nicolaus Flint. Zwei Erzählungen für die 
teifere Jugend von Marie Mindermann. Wit 4 Illuſtrationen von 
Denis Stel nen. Glogau. Druck und Berlag von Earl Flemming. 12. 
172 . Thlr. 


Der „Feldblumen“ ſechsſstes Baͤndchen. 

Beide Erzählungen kommen darin überein, daß auf maucherlei uns 
liebfame Grfahrungen Freude und Ruhe folgt. Nr. 1 ift die Gedichte 
eines jungen Malers, der in den lebten Zagen Zitians in Venedig auftritt; 
an zwei NRojenbouquets, die er für ein Gemälde erhält, ſchließt ſich vie 
günftige Wendung feines Lebens an. Nr. 2 handelt von den Gzlebnifien 
eined jungen Mannes, der erit zum Studiren beftimmt, aus Mangel an 
Mitteln das Schneiderhandwerk ergreift, als Soldat im fiebenjährigen Kriege 
dient, endlih in Breslau jeinen Herb gründet. Nicht gegen die Wahr: 
ſcheinlichleit. Dan kann jagen, daß beide Grzählungen einen guten Ge⸗ 
halt haben und ſchoͤn gegeben find. — Bon Anfang des 11, Bogens bis 
zum Ende iſt das Büchlein unrichtig paginirt! 


418. Aus der fröhliden Knabenzeit von Th. Meſſerer. Mit vier kolorirten 
Bildern. Grutigart. Gebrüder Sceitlin. 8. 109 ©. cart. Ys Thlr. 


Soldatenſpiel, Kinverftreiche, bei denen aber mandyer Zug aus fremden 
Kreiſen genommen iſt, Bilder aus der Schulftube, aus den Ferien, mit 
manden ſcherzhaften Auftritten. In mündlicher Erzählung mögen ſich fotche 
Erlebniſſe befier ausnehmen als in einem Bude. Die Nahahmung der 
bayeriihen Mundart, welche hier und da vorfommt, ift nicht übel gelungen, 
wird aber nur Demjenigen einen Spaß machen, der fie vom Hören fennt. 


19. Der Ehriftabend. Kür Meine Knaben und Mädden von Th. Meſſerer. 
Mit vier colorirten Bildern. Stuttgart. Gebrüder Sceitlin. 8. v1, 
cart. Ya Thlr. 


Ein Titel, zu dem der Inhalt nicht recht paßt. Die erfle und bie 
lehte (ſjechſte) Erzählung handeln vom Chriftfefte, zwiſchen beide find Jugend» 
ſireiche und lleine Abenteuer eingefügt, die nicht viel bedeuten. Nur ber 
Zaufling im Schnee oder wie ein Kind auf dem Ruͤdwege von der Taufe 
in den Schnee fällt und von einem Handwerksburſchen gefunden wird, macht 
eine Ausnahme. Hier iſt Humor. 

20. Bas die Großmutter ihren Enkeln erzählie. Bon Zofefine Freiin von 


Erin, geb. Freiin von Bogelfang. Wien. Verlag von Ä. Bihlers 
Binwe und BA 8. 134 S. la Ihr. ‚ ” 


190 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


Im Ganzen acht Erzählungen, von denen ſieben aus dem Yranzd- 
fiihen frei überjegt find. Die meiften haben eine einfadye moraliſche Ten⸗ 
denz: Mitleiven zu erregen, kindliche Liebe zu pflegen. Recht jhön. Be 
niger Billigung wird die Vorftellung von der Wirkfamleit des Gebetes im 
Rückſicht auf äußere Dinge finden. Biel Anmuth liegt in der Erzählung: 
Mein Herz und mein Budel. Doch märe dieje in einem Boltslalender 
mehr am Plage. — Die Schreibweile hat manche Eigenthümlichteiten, die 
fih nicht empfehlen laſſen! 


21. Erzählungen für Mädchen von zwölf bis füntzehn Jahren. Bon Aurelie. 
it drei Zeichnungen. Berlin, 1862. Verlag von Julius Springer. 8. 
227 ©. cart. 1 Thlr. 


Dieje Erzählungen find von fehr verfchiebenem Werthe und nidt alle 
für Eine Altersftufe paſſend. Sehr ſchön und lefenswerth ift Ar. 7: Der 
Brautjchleier, ein Bild aus dem ſächſiſchen Erzgebirge. Auch Nr. 1: Ber 
ift reih? bat einen guten Gehalt, weil innere Wahrheit. Daß das gute 
Beifpiel über das böfe fiege (Nr. 2), iſt mwünfchensmwerth, aber leider ift 
der umgekehrte Fall häufiger. Nr. 3 u. A: Das beberzte Kind, Weihnachts⸗ 
feier, gehören nit für Mädchen von 12—15 Jahren, fondbern einer jüns 
geren Klaſſe; auch find dergleihen Erzählungen mehr neugeformt als neu. 
Nr. 5, betitelt: Eine langmeilige Geſchichte, ift eine Sammlung von Briefen 
pädagogifhen Inhalts. Endlih Nr. 6: Die Reiterbude, ift über Gebühr 
in die Länge gezogen, wenn glei anzuerlennen ift, daß gerade hier ein 
fhöner Gedanke zu Grunde lieg. — Die Erzählerin bat unvertennbares 
Talent, aber fie ift zu freigebig. 


22, Der gint, Eine Erzählung. Wien, A. Pichler's Wittwe und Sohn. 1860. 
12, ©. 1 Thlr. 


Geſchichte eines geblendeten Finlen, von dieſem felbft feinem Freunde 
erzählt, untermiſcht mit ber Gejchichte feines Herrn. Dieſe Familiengefchichte 
bat anziehende und rührende Partien, wogegen ſich die Unterrebungen der 
beiden Finten etwas feltfam ausnehmen. Bielleiht ift auf Warnung vor 
Xhierquälerei gezielt, dieſe Abfiht wäre löblich. Die Sprache leidet an 
vielen Fehlern, die in Jugendſchriften nicht vortommen ſollten. 


23. Katze und Hund oder Erlebniſſe von Miezchen und Bapitän. Eine wahre 
Geſchichte. Aus dem Englifchen von 8.4. F. Mit 4 Bildern. Dresden, 
Verlagsbuchhanblung von Rudolph Kunze. 12. 108 ©. 10 Near. 


Ein Hund erzählt feine Lebensgefdhichte, wie er zur Jagd erzogen und 
verwendet, denn, als er wegen einer Berwundung hierzu nicht mehr taugte, 
zum Dienft im Hofe berufen worden fei und bier innige Freundſchaft mit 
der Hauskatze geſchloſſen und diefe vom Land in die Stadt London abgeholt 
habe. Wenn dieſe Erzählung aud nicht, wie auf dem Titel und im Bor« 
wort verfihert wird, auf Thatfachen beruht, jo ift fie doch dem Charalter 
der Thiere angemeſſen gehalten und jehr angenehm vorgetragen. Die Moral 
ergibt ſich von jelbft und brauchte nicht ausbrüdlich beigefügt zu werben. 


Jugend» und Volksſchriften. 191 


24. Die barmberzigen Steine von Earl Stöber. Frankfurt a/M., Berlag 
von Heyder und Zinmer. 1862. 8. 126 S. carı. 12/2 Ngr. 

Den Inhalt dieſes Buͤchleins wird wohl Niemand aus dem Titel 
erraten. Die barmberzigen Steine find Rubepunlte für die Müden, an 
denen fih Wanderer aller Art einfinden. Un diefe Steine — vorzüglid 
ia der Heimath des Grzählers an der Altmühbl — werden nun allerlei 
Srählungen angelnüpft, in welchen fih irgend ein Zug von Barmberzigleit 
oder eine merkwürdige Lebensführung findet. Dabei hat ſich der Erzähler 
erlaubt, Altes und Neues zu verbinden, Vorfälle neuerer Zeit in die Ferne 
zu rüden. Es mögen darin mancherlei Anfpielungen auf Erlebnifje ent: 
halten fein, welche maslirt werben follen. Gleichniſſe und Anllänge an 
die Bibel find bier wie in den übrigen Erzählungen von Stöber fehr 
häufig — Manchem zur Freude, Anderen vielleiht nicht ganz bequem. 
Die BVerfonenzeihnung ift auch in dieſem neueſten Büclein Stöber’s 
vortrefilich. 

25. Benjamin Syivefler der Wahrheitsfreund oder des Knaben Zeugniß. Nach 


der dritten Auflage des Engliſchen. Mit 2 lithographirten Abbildungen. 
Dresden, Verlagsbuchhandlung von Rudolph Kunge 8. 97 ©. 15 gr. 


Eine wahre Geſchichte, in welcher Bilder der Unfchuld und des Frie⸗ 
dens wie der Tafterbaftigleit dicht neben einander ftehen. Schon megen 
des Inhaltes, dann auch weil der Gang der Handlung etwas verwidelt 
und das Verhör vor Geriht in ftrenger Form gehalten ift, kann das Büch: 
lein nur dem höheren Jugendalter zugetheilt werden. Wir möchten ven 
Nugen mehr auf dem Gebiete des praltiichen Lebens als auf dem der Sitt⸗ 
lichkeit ſuchen, obwohl zuzugeben ift, daß in den Schilderungen ver Vers 
brechen nichts Berführerifches Tiegt. 


26. Ernſter Sinn in bunten Bildern. Drei Erzählungen von Hedwig Prohl, 
Berfafjerin der Samenkoͤrner für junge Herzen. Mit ſechs bunten Illu⸗ 
Rrationen von Louife Thalheim. Breslau, Berlag von Eduard Trewendt. 
1863. 8. 186 &. geb. 1 Thlr. 


Die erfte Gejhichte erzählt, wie eine gute Handlung auf unerwartete 
Weiſe reich belohnt wird; die zweite — Nojentnospe und Butterblume — 
liefert eine Parallele zwiſchen einem reichen verzogenen und einem armen 
einfahen Mädchen; die dritte — Sei verträglih! — enthält vorzugsweiſe 
Lehre und Ermahnung, wie der Titel anzeigt. Die Verf. bat unftreitig 
Aalent; dies zeigt fih am ſchoͤnſten in der erften Erzählung, welde an⸗ 
mutbige Situationen barbietet und in Zon und Ausprud glüdlich durch 
geführt ift. Die beiden andern Erzählungen enthalten viel Neflerion und 
geziestes Weien. Es iſt ſchon möglih, daß die Bilder nad dem Leben 
gezeichnet find, aber ob eben dieſe den jungen Lejerinnen frommen, ift nicht 
über allen Zweifel erhaben, — Drud und Alles, was fonit zur äußeren 
Darftellung eines Feſigeſchenles gehört, ift ſehr anſprechend. 


27. Maſtkorb und Schulhaus oder Karl A... "8 Lebendgefchichte.e Eine wahre 
Geſchichte für die erwachfene Jugend von %. Allan. Dem Holländifchen 
nadıerzählt von Dr. Joh. ©, Th. Graͤße. Mit 2 colorirten Bildern. 
Dresden, Derlogäbuchhandlung von Rudolph Kunge. 8. 51 ©, 12 Rgr. 


192 Jugend⸗ und- Volksſchriften. 


Der Sohn eines Schullehrers, ein fähiger, ſtrebſamer Knabe, geht mit 
Buftimmung feiner Eltern zur See, wendet fit aber doch bei Zeiten zu 
dem Berufe feines Vaters. Gine einfache Grzählung, an deren Wahrheit 
nit zu zmweileln ift. Bon den Reifen des jungen Seemannes erjahren 
wir wenig. Der Erzähler hat wohl dem SLebrerftande eine Ehre erweiien 
wollen, wie denn das ganze Büchlein pädagogifch gehalten iſt. Ber Drud 
tft nicht ohne Kehle. 


23. Erinnerungen aus dem Leben eines Arztes. Der reiferen Jugend erzählt 
von F. U. Schmidt. Mit 8 colorirten Bildern. Stuttgart, Verlag von 
Schmidt und Spring. 1863. 8. 243 ©. fchön cart. 11/ Thlr. 


Im Ganzen etwa zwanzig Grzäblungen aus dem Volksleben, aber 
nicht durchweg, wie man nad dem Titel vermuthen möchte, aus der ärzt⸗ 
lihen Praris geſchöpft. inzelne bezeichnende Titel find: Der Wildſchät, 
Muta, Noftradamus, Herenglauben, ver Tagdieb, der Blinde, der Hirte als 
Arzt. Die Erzählungen tragen das Gepräge der Wahrheit an fi, fie find 
mannichfaltig, belehrend, unterhaltend, zum Theil interefiant, aber doch für 
die Jugend nicht gang unbedingt zu empfehlen. Der Ausprud ift oftmals 
gar zu derb; eine und die andere Erzählung würde fich gut für die be 
liebten Wipblätter eignen. Der Styl iſt nicht forgfältig. Fremdwörter 
"find mehrfach unrichtig gejchrieben. Die techniſchen Ausprüde der Arzuei- 
funde werben ſchwerlich einem Laien jo geläufig jein, daß er des Dol- 
metſchens entbehren könnte. Cine gefhidte Hand würde aus dem gegebenen 
Stoffe Schöne Bilder zu Tage bringen! 


U. Geididte 


239. Das Baterlandsbuch. Auftritte Haus: und Schulbibliothek zur Erwel⸗ 
terung der SGeimathölunde, fowie zur Erwedung vaterländifchhen Sinnesd. 
Heraudgegeben unter Mitwirtung von Director Dr. Carl Vogel in Letpziz. 

Deuiſche Geſchichten. In der Kinderube erzählt von der lichen Sn 
mutter. Erſtes Bändchen: Don Hermann dem Befreier bis zu den Kreuz⸗ 
zügen. Mit 170 in den Text gedrudten Abbildungen, drei Tonbifdern und 
einem bunten Zitelbilde. — Hweites Bändchen: Bon den Hobenflaufen«- 
Kaifern bie zum Ende des Mittelalterd. Mit 120 in den Text gedrudten 
Abbildungen, drei Zonbildern und einem Titelbilde. Leipzig, Verlag von 
Dtto Spamer. 1863. Preis jedes Baͤndchens Y/a Thlr. 


Erftlingswert der Gattin eines berühmten Künftlers, berechnet für 
Kinder von 8—10 Jahren zur Vorbereitung auf den Schulunterridt; auf 
52 Wochen vertbeilt. Wir finden bier die vorzüglichftien Namen und Thab 
ſachen der deutfhen Geſchichte, doch mehr Die der Cultur: als der ſttiegs⸗ 
geſchichte; Schilderungen des häuslichen und öffentlihen Lebens, Stäbtes 
bilder u. dgl. Die Einkleidung ift ganz einfach: die Kleinen fiben im 
Kreiſe um die Erzählerin, welche fofort ein Thema vorbereitet, ankünbigt 
und ausführt. Wenig Jahrzahlen, leichtfaßliche Säge. Vorzuglich gelungen 
und für ven Zwed paflend find die Capitel: Ein Jahrmarkt, Straßen einer 
mittelalterlihen Stadt, Werlitätten. Die Behandlung und Beurtheilung 
Ludwigs des Bayern und Karl's IV. wird nicht Jedermann zufagen.. Die 


Jugend⸗ und Bolksfchriften. 493 


Namen Peter Viſcher (jo, nicht Fischer ift zu fchreiben), Albrecht Dürer, 
Goͤtz von Berlihingen find nicht am rechten Orte aufgeführt. Im Uebrigen 
baben wir nirgends einen Anftoß gefunden. Dabei wird man aber doch 
fragen. dürfen, ob dieſe Gejchichten, ſowie die den einzelnen Kapiteln vors 
gejeßten Sprühe aus deutſchen Dichtern (jelbft aus Goͤthe's Fauft!) für 
Kinder von 8—10 Jahren ganz geeignet find. Wir wollen bierüber vie 
Erfahrungen abwarten. — Die Abbildungen find nicht durchaus preiss 
würdig, auch nicht immer Illuſtrationen des betreffenden Zertes. 


30 a. Der Admiral de Auiter. Lebenabild eines Seehelden, für die Jugend 
und das Doll dargeitellt von W. D. von Horn, Berfafler der Spinn» 
ſtube. Mit 4 Abbildungen. Wiesbaden, Julius Niedner, Berlagshandiung. 
12. 124 S. Ns Thlr. 


Ruiter's Leben ift in neuerer Zeit oft befchrieben worden. Hier wird 
nicht eine vollitändige Biographie, fondern eine Auswahl von Erzählungen 
geliefert, in welchen fich der Charakter des merkwürdigen Mannes zu er 
tennen gibt. Cine für Jugend und Bolt ganz pafiende Lectüre; nur 
wünfchten wir dem Styl einen höheren Grad von Sauberleit. 


@- 

30 b. Hand Eonrad Eicher von der Linth. Lebensbild eines braven Schweizers, 
dargeftellt für die Jugend und das Voll von W. D. von Horn. Mit 
4 Abbild. Wiesbaden, Berlag von Julius Riedner. 12. 116 S. '/s Thlr. 


Eier v. d. Linth, in der ganzen Schweiz hochverehrt wegen feines 
thätigen, dem Dienfte des Baterlandes gewidmeten Lebens, beſonders wegen 
feiner erfolgreihen Bemühungen um das Wohl des Bezirtes zwilchen dem 
Zürder und dem Wallenftadter See. Die Austrodnung des Linthſumpfes 
und die Anlegung des Linthlanald find bleibende Denkmäler jeines Wirkens. 
Es ift lein Zweifel, daß die Schilderung eines fo gemeinnüßigen Lebens 
jeden Lejer fefieln wird. — Die übrigen Schriften Horm’s: Hualma, das 
Schloß: NRobbele, Dlaf Thorladjen, künnen wir mit den beiden angezeigten 
nicht in Eine Reihe ſtellen. Es ift auch nicht nöthig, daß jedes Jahr fünf 
neue Bändchen ausgegeben werben. 


31. Das Leben des Georg von Krundsberg, dem Volke und der Jugend erzählt 
von H. Wilhelm Cafelmann, Pfarrer bei St. Johannis in Ansbach. 
Ansbach, Drud und Verlag der Carl Junge'ſchen Buchhandlung. 1863. 
8 1438 NY Thlr. 


Ein dankbarer, für die Jugend gebilveter Stände wie für das Bolt 
pafiender Stoff. Außer dem Leben des Helden, der fi) beſonders durch 
Kriegsthaten in Stalien befannt gemacht bat, gibt der Verf. anziehende 
Bilder aus dem Treiben der Landsknechte und aus den inneren Buftänden 
Des deutfhen Volles. Ueberall wirklihe Gejchichte, ohne Zuthaten der 
Phantaſie. Die Sprade ift einfah und dem Gegenftande fowie dem bes 
zeichneten Leſerkreiſe angemeſſen. Die geographifhen Namen find leiver 
vielfach entitellt, wenigſtens ftimmen fie nicht mit den Angaben der Normals 
karten überein. Die Hauptſchlacht des Landshuter Exrbfolgelrieges wird 
gemeinhin nah dem Orte Schönberg benannt; in deilen Nähe liegt 

Bär. Jahresberigt XV. 13 


194 Jugend: und Volksſchriften. 


Wenzenbah; aber ein Menzesbad, wie ©. 16 (und früher in Barth's 
Yugenpblättern, wo die Biographie zuerſt mitgetbeilt wurde) gefchrieben 
ſteht, ift nicht zu finden. Bei den italifchen Orten hatte der Verf. vielleicht 
die Schreibweife feiner Quellen vor Augen; er bätte aber wohl getban, 
die jchöne Karte der Lombardei aus Perthes' Verlag (1859) beizuziehen, 
da es ihm ja doch darum zu thun war, zuverläffigen Bericht über Zeit 
wnd Ort zu geben. Auch ein italienisches Wörterbuch wäre bei ber Ne 
vifion des Manufcriptes nit überflüſſig geweſen. Endlich ift auch bie 
Zahl der Drudfehler nicht gering. 


32. Deutf&lande Schlachtfelder oder Geſchichte Tämmtlicher großen Kämpfe der 
Deuiſchen von Hermann dem Cherusker bis auf unfere Zeit. Nach den 
beiten Quellen bearbeitet von C. Goehring. Zweite, mit Rudfiht auf 
die reifere Jugend veränderte und verbeflerte Auflage. Mit Holzſchnitten 
und Stahlſtichen. Leipzig, Verlag von B. &. Teubner. 1861. 8. 432 ©. 

12/, bir. 

Mie und wodurch ſich diefe Auflage von der erfien, bie im Jahr 1847 
erfchien, unterjcheidet, können wir nicht angeben, ba uns bie ältere nicht 
zugelommen ift. Der Inhalt des vorliegenden Buches entſpricht dem Titel; 
nur das 8. Kapitel: Die Erſtürmung Scheidingens, ſcheint unterfeorbnete 
Bedeutung zu haben. Die Darftellung und der Styl können nicht uns 
bejchräntt gelobt werben; jene ift bisweilen gezwungen und geſpreizt (man 
lefe S. 364: Da ſenkt fih die Waffe unter der Laft des Herzichmerzes), 
diefer ift nicht fehlerfrei. Auch fachliche Irrthümer kommen vor. So wird 
S. 226 ein Pfalzgraf von Nürnberg erwähnt; ©. 89: „Tief aus 
Aſiens Norden drang ein großes Bolt — in Europa ein.” Die beigeges 
benen Berfe fonnten wegbleiben, zumal die unrichtig gemejienen, wie S. 338. 
Für die Juuftration gibt es jetzt, nachdem Bülau’s deutfhe Geſchichte in 
Bildern vollendet vorliegt, eine weit befiere Auswahl als die, welche bier 
getroffen: ift. 


33. Geſchichtsbilder aus dem deutfchen Vaterlande. Geſchichtliche Erzählungen 
und Gemälde aus dem Culturleben unferes Volles. Unter Mitwirkung 
von %. Adami, F. Körner, H. Schwerdt, H. Smidt, Dr. Wohlthat u. 9. 
herausgegeben von Ferd. Schmidt. Berlin, Verlag von Max Böttcher. 8. 

I. Zahrg. 1. Bd. Burggraf Friedrich von Nürnberg. Gefchichtliche 
Erzählung aus der legten Zeit des 14. und der erſten Zeit des 15. Jabrh. 
. Bon Verd. Schmidt. 230 5. Mit 4 Steintafeln in Tondrud. 2 Ihir. 
2. Bd. Wine Reihsacht unter Katfer Sigismund. Gin Stück Halber⸗ 
Kädter Geſchichte aus dem 15. Jahrhundert von Dr. Heinrih Wohlthat. 
218 ©. Mit 3 Steintafeln in Zondrud. %« Thlr. 
3. Bd. Der Winterkönig. Geſchichtliche Erzählung aus ber erften 
Zeit des dreißigjäbrigen Krieges. Bon Ferdinand Schmidt. 200 ©. 
. Mit 3 Steintajeln in Zondrud. %« Thlr. 


Nach dem Programm find diefe Geſchichtsbilder für Alt und Jung, 
für Hoch und Niedrig, für Stadt und Land, für Schule und Haus be 
ftimmt. Ein großes Publitum! Demgemäß müßte aber vor allen Dingen 
eine für Alle pafiende Wahl der Stoffe getroffen fein. Dies ift ſchwer, 
ja unmöglih. Dem erfien und dritten Bande wird, mas den Gegenftanb 
anlangt, der Beifall nicht zu verfagen fein. Denn die bier behandelten 





Jugend: und Volksſchriften. 196 


Berfonen und Ereigniffe gehören zu den bebeutendflen der deutichen Ge⸗ 
Thihte. Dagegen wird das Stück SHalberftädter Gefchichte, welches im 
zweiten Bande vorgelegt wird, nur in einem engeren Kreiſe Intereſſe er⸗ 
regen. — Was die Ausführung betrifft, fo ift in Nr. 1 das eigentliche 
Thema von einleitenden Erzählungen und Schilderungen des Witterlebens 
allzujehr umbüllt, als daß es leicht wäre, der Geſchichte des Helden zu 
folgen. Dieſe Schilderungen find wahr; dagegen find die kirhlihen Bus 
fände von der ungünftigften Seite gefaßt, und Manches ift gewiß nicht 
ganz richtig dargeſtellt. Ausprüde wie „entgegenpruften, Gröhlen“ find 
unverftändlih; außerdem ift die Zahl der Drudfehler nit gering. Die 
beigegebenen Anmerlungen find dankenswerth. In Ar. 2 ift die Darftellungss 
weiſe nicht anfpredhend, auch nicht correct, z.B. S. 9: „Die katholiſche 
Kirche, diejer unübertroffene Vorkämpfer alles deſſen, was conſervativ heißt, 
der Schlüflelträger St. Petri.‘ Die Beihreibung des Rarrenfefles, mit 
pofienhafter Verhöhnung kirchlicher Zuftände und hierarchiſcher Berfonen, 
läßt fih doch nicht unbedenklich der Jugend mittheilen. Lateinijche Sprüche, 
fo treffend fie gewählt fein mögen, haben bier keine Stelle anzufpreden. 
Nr. 3 ift mit Benugung guter Duellen gefehrieben und liest ſich leicht. 
Aber dem Berf. fehlt es an eigener Kenntniß der treffenden Specialgeſchichte. 
Er jpriht von einem bayerischen Kurfürften Wilhelm IV., der als folcher 
nicht exiſtirte; er läßt den Söhnen Albrecht's V. Pfrunden und geiſtliche 
Würden verliehen werden, aber, von drei Söhnen trat nur Einer in den 
Dienft der Kirche u. ſ. m. Unter folder Leitung lernt Niemand Geſchichte. 


34. Kaljerin Adelheid, Gemahlin Dito’s des Großen. Eine Erzählung für tie 
reifere Jugend und das Bolt von Katharina Bin. Mit einem Thel⸗ 
fupfer. Stutigart, Gebrüder Sceitlin. 16. 95 ©. !ı Ihle, 


Der Zitel verheißt mehr, als in dem Büchlein gegeben wird. Denn 
e3 umfaßt nur einen kurzen Abjchnitt aus dem Leben der Kaijerin Adelheid, 
naͤmlich ihre Befreiung aus den Händen Berengar's, nach welcher fie die 
Gemahlin Dtto’3 I. wird. Die wenigen Thatjachen find mit Gebilden ber 
Phantafie reichlich umgeben. 


35. Wengi, der Bürgermeiſter von Solothurn. Eine — für die Jugend 
und das Voll von Katharina | Diez. Mit einem Titelkupfer. Gtutigart, 
Gebrüder Scheitlin. 16. V1 ©. !s Thlr. 


Eine Erzählung aus der Zeit der Schweizer Neformation, namentlich 
aus den Kämpfen der Stadt Solothurn, bei welchen der (fatholifhe) Bürger: 
meilter Wengi fi jo mannhaft zeigte, daß fein Name noch heute verehrt 
wird. Diefe Geſchichte tft leſenswerth. Wenn nur der Drud nicht jo fehr 
fehlerhaft wäre! 


36. Die Zeiten find nicht mehr, wo Bertha ſpann! Eine Erzäblung für bie 
Jugend und das Voll von Katharina Diez. Mit einem Titellupfer, 
Stuttgart, Gebrüder Scheitlin. 16. 130 S. Yı Thlr. 


Das Spruchwort des Titels leiten Einige. Von ber ſagenhaſten Mutter 
Karl's des Großen ber, Andere von: Bertha von Burgund, welche gewöhnlid 
13* 


196 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


ſpinnend abgebildet wird. Beide Geſchichten werden bier erzählt, aber in 
einer ſehr ſeltſamen Einlleivung, indem das Büchlein von den Longobarden 
anhebt, lange bei Volksſagen und den Gottheiten der alten Deutichen ver 
weilt, worauf allmälig die Rede auf Pipin u. f. w. kommt. Diefe Anlage 
lönnen wir nicht für gelungen erllären. Cs ift auch gar nicht leicht, bie 
ganze Erzählung fih im Gedanken zu wiederholen. 


37. Das Lied an die Freude. Aus dem Leben eines deutſchen Dichters. Gine 
arius für die reifere Jugend und das Boll von Katharina Diez. 
Mit einem Zitellupfer. Stuugart, Gebrüder Sceitlin. 16. 86 ©. !/s Thir. 


Die bekannte, aber nicht hinreichend verbürgte Aneldote, nad; welcher 
Schiller in Leipzig einen dürftigen Studenten vom Eelbftmorde zurüdhält — 
durch Zuthaten einer fchöpferiihen Phantafie ausgefhmüdt. Dazu ein 
kurzer Abriß der Jugendgeſchichte des Dichters. Die Darftellung leivet an 
Uebermaß von Gefühl. 


38. Der Rotbmantel. Eine Erzählung für die Jugend und das Boll von 
Lonife Pichler. Mit einem Zitellupfer. Stuttgart, Gebrüder Scheitlin. 
12. 1116. Yı Ihle. 


Eine Srzählung aus dem breißigjährigen Kriege. Nah der Schlacht 
bei Nördlingen dringen vie Kaiferlihen in Württemberg ein; Kroaten vers 
üben viele Gräuel. Cine Familie im Schwarzwald wird arg heimgeſucht, 
die Kinder werden zeritreut, aber nad Jahren kommen fie wieder zu ihren 
Gltern. — Dergleihen Fälle find öfter wiedergelehrt, weßhalb an ber 
Wahrheit nicht zu zweifeln if. Die angeführten Namen (6. 11) find nicht 
ganz richtig. 


39. Die Schweſtern. Eine Erzählung für die Jugend und das Boll von 
Kauife Pichler. Wit einem Zitellupfer. Gtungart, Gebrüder Scheitlin. 
12. 84 ©. !ı Thirx. 


Der Schauplag der Gefhidhte ift dad mwürttembergiihe Städtchen 
Marbad). Bur Beit der franzöfifhen Invafion unter Ludwig XIV. lebten 
bafelbft zwei Schweflern, die eine als Wittme in bebrängten Umftänden, 
die andere glänzend verheirathet. Gleichwohl fügte es fi), daß dieſe bei 
jener Obdach juchen mußte. „Den Gottesfürdtigen muß ed zuleßt doch 
wohl geben!” In den Schilderungen mag manche Bermengung verjcdiedener 
Zeiten gefunden werben. 


40. Kaiſer Karls Urenfel. Eine Erzählung für die Jugend und das Boll vom 
Kouife Pichler. Mit einem Titellupfer. Gtuttyart, Gebrüder Scheitlin, 
12. 120 ©. cart. !/s Thlr. 


Iſt nicht eigentlich eine Biographie von Karl’s Urenkel, d. i. von Karl 
dem Diden, ſondern die Geſchichte des jungen alemannijchen Ritters Nellen« 
burg, welcher mit Karl dem Diden gegen die Normannen zieht, gefangen 
wird, aber feine Freiheit wieder erlangt. Der biftorijche Kern ift mit vielen 
fingisten Scenen umgeben. Uebrigens anziehende Darftellung. 








Jugend⸗ und Volksſchriften. 197 


4. Die Shwarzwaldmühle Ein deutſcher Prinz. Zwei Erzählungen für die 
Jugend und das Volk von Kouife Pichler, Mit einem Zitelfuprer. Stutt⸗ 
gart, Gebrüder Scheitlin. 12. 107 S. / Thlr. 

Die Shmarzwaldmühle führt in das Jahr 1796 zurüd und erzählt, 
wie zwei Brüder, die lange in Feindſchaft gelebt hatten, verföhnt werben. 
Der deutſche Prinz ifl der jegige König von Württemberg, welder im Jahr 
1814 als Feldherr der Deutfhen in den Vogeſen einen rühmenswertbhen 
Alt der Menſchlichkeit vollzog, — Beide Erzählungen find gut gehalten 
und der Empfehlung würdig. 


42. Meifter Konrad der Schäöppe Eine Erzählung für die Jugend und das 
Bolk von Louiſe Pichler. Mit einem Ziteitapfer. Stuttgart, Gebrüder 
Scheitlin. 12. 120 S. Ya Thir. 

Aus den Schredensjahren 1348 und 49, während deren fidh ver 
Waffenſchmied Konrad in Eßlingen unter öffentlihen und häuslichen Leiden 
männlich bielt. Was in jene Periode fällt (Peſt, Judenverfolgung, Geißler), 
ift ausführlich befchrieben. Im Allgemeinen richtig, mit den einzelnen Ans 
gaben darf man es nicht fireng nehmen. - 


43. Deutſche Treue. Eine Erzählung für die Jugend und das Bolt von Lowife 
Pichler, Mit einem Titellupfer. Etuttgart, Gebrüder Scheitlin. 12. 
11968. Ya Thlr. 

Die bekannte Geihihte von Hartmann von Siebeneichen, der ſich für 
den Kaiſer Frieprih I. dem Zode darbot; aber von der gewöhnlichen Dar⸗ 
ftelung abmeichend, nach welcher der Ritter ermordet wird, während er bier 
entlommt. Da der Stoff zu diefer Erzählung fehr einfah war, fo mußte 
Vieles beigezogen werben, was nicht zum Thema gehört, — um das Maß 
zu füllen! 

Sm Allgemeinen kann man von den Erzählungen 36—41 rübmen, 
daß fie auf gutem Grunde fußen und gut gejchrieben find. Doch finden 
fih in jedem Baͤndchen kleine Verſtoͤße gegen die Geſchichte, auch mehrere 
Spread: und Schreib: oder Drudjehler. 


44. Blüher und feine Zeit; ein Lebenabild auf biftorifhem Grunde. Bon 
A. Goſſel. Eisleben. 1862. Drud und Verlag von ©. Reidartt. 8. 
278 5. Y/a Thlr. 

Borzugsweife die Jahre 1812—1815 umfaflend; von früheren Er⸗ 
lebniſſen Bluͤcher's ift nur kurz gehandelt. Nothwendig war, daß aud 
Scharnhorſt, Gneifenau beigezogen und viele allgemein bekannte Greignifie 
der Vefreiungskriege bejchrieben wurden. Wllervings fußt die Grzäblung 
auf biftorifhem Grunde und auf anertannten Autoritäten, wie Barnbagen 
von Enſe, Förfter, Hahn. Aber auch die Mühlrah’shen Romane wurden 
benügt und deren Art nachgeahmt. Diefe Dlanier, die Gefhichte gu bes 
handeln, mag ſolchen Leſern und Leferinnen angemefien fein, denen es nicht 
gerade auf biftorifhe Strenge anlommt. Im Allgemeinen aber fcheint doch 
eine ungefhmüdte, ganz beglaubigte Erzäblung empieblensweriber. Iſt ja 
doch die Oeſchichte an und für ſich anziehend und erbhebend, für die Jugend 
jevenfalld vie befte Koft. 


198 Zugends und Volksſchriften. 


45. Wabre Erzählungen aus der vaterläntifchen Geſchichte für das deutſche 
Volt und insbeiondere für Die deutike Jugend. Bon Dr. Wilhelm 
Zimmermann. Stuttgart, Gebrüder Scheulin. 8. „Sart. 

Erftes Bändchen: Aus dem Leben und aus der Zage von Karl dem 
Großen. 104 S. 

Zweites Banden: Bitter aus rem Tyroler Kriege von 1800. Die 
erſte Befreiung des Landes. 37 ©. 

Trittes Bändchen: Tie Adeleveritwörung ven 1572. WE. 

Biertes Bändchen: Aus Dem Leben Des Maifere Rotbbart. 91 ©. 

Jedes Bändchen mit einem Titelkupfer !;; Thlr. 


Wir unterfheiven Plan und Ausführung. Jenem geben wir unbe: 
dingten Beifall: wahre Erzählungen aus der Geſchichte, oder wenigftens 
Enge und Dichtung von der Wahrheit geſchieden, das ift eine Lectüre, wie 
wir fie dem Volle und der Jugend wünſchen. Für den Anfang bat ber 
Beri. ſogleich vier ſchöne Kapitel aus ver vaterländiſchen Geſchichte aus: 
gehoben, In Bezug auf die Ausführung ift vorerft zu loben, baß der 
Ber. Maß hält in Beiſchaffung des Stoffes, die Hauptthatſachen als folde 
kenntlich macht, die Data durchgehends richtig ftelt. Ohne Zweifel iſt es 
nur ein Drudfebler, dab in Nr. 2 S. 53 Adrian IV. ftatt VI. ftebt. Die 
Darftellung ift friſch und led. Aber der Ton wird nicht Jedermann bes 
bagen; bisweilen gerätb der Berf. in Afiert, fo dab der Ausbrud in's 
Derbe verfällt (jo 3.8. in Nr. 4 ©. 48: Solche gelehrte Schurten). Auch 
werden kritiſche Bemerlungen eingefügt, die nicht gerade nothwendig find. — 
NE. 1 entipricht im Ganzen dem Plane; nur die Sage von der Karlsmühle 
will in diefer Faſſung nicht recht für die Jugend pafien. In Nr. 2 fcheinen 
einige Aeußerungen, namentlich das Urtheil über Montgelas, nicht genugjam 
begrümdet zu fein; vie Beichreibung des nörblihen Tyrols kann mehrfach 
angefohten werden. In Nr. 3 (Sidingen und Hutten) bewegt ſich ber 
Erzäbler mit fichtbarem Vergnügen. Nur jcheint eine befannte Biographie 
zu viel Einfluß auf die Wahl des Stoffes ausgeübt zu haben. Es ift zu 
zweifeln, ob ver obenbezeichnete Lejerkreis im Stande ift, dem Kampſfe ber 
Humaniften gegen die Dunlelmänner zu folgen. Die Biographie des Kaifers 
Rothbart ift wohl gelungen; einzelne Scenen, wie die zu Venedig, hätten 
ih mit leichter Mühe weiter ausführen laſſen. Solche Bilder geben eine 
Anſchauung der Beitverbältnifie und prägen fich tief ein. — Der Drud 
iſt im Ganzen correct; doc finden fih in jedem Bändchen einige kleine 
Verſehen. Die Illuſtrationen find gut gewählt; doch liegt die zu Nr. 2 
jenjeitö des Tertes, denn die Gefangennehmung Hofer's wird nicht mehr 
erzählt. 


46. Jugend⸗Bibliothel von Ebhriftian Klaud Kunel. Erſter Band: 

nand von Schill. Nürnberg, U. E. Sebald'ſche Berlagebandlung. ar 

244 S. (Mit Schill's Bildniß und einem Kärtchen der Umgegend von 

Colberg.) 16%/2 Nor. 

Der Erzähler hat fih, wie es in der Vorrede heißt, hauptſaͤchlich an 
Schill's Leben von Haken gehalten; nur zur Ginleitung im Algemeinen 
und gu einzelnen Kapiteln wurde, um bie jungen Leſer zu orientiren, eine 
politiide Umjchau gegeben, Wie demnad zu erwarten, ift die Biographie 
nad Ordnung der Geſchichtſchreibung angelegt; die Tata find genau be 


4 


Jugend» und Volksſchriften. 199 


zeichnet, durchgehends richtig; nur mas ©. 29 über Polen gejagt ift, möchte 
nicht ganz probebaltig fein. Auf Ausfhmüdung durch Situationszeichnuns 
gen, jowie auf Ermahnungen, die fi bie und da hätten anbringen laflen, 
dat der Verf. verzichte. Es wird nicht an Solchen fehlen, welden dieſe 
Lebensbeichreibung für die Jugend zu ausführlih zu fein jcheint; allein 
darüber läßt fi nicht rechten. Was bei ber eriten Lectüre nicht haften 
will, mag bei einem zweiten und dritten Gange nachgeholt werben. Webers 
dies ergibt ſich ſchon auf den .erften Ylid, dab das Buch der reiferen Ju⸗ 
gend beftimmt if. — Die Sprade ift einfach, fließend und im Ganzen 
correct. Warum der Berf. ſtatt Bultust, wie man gewöhnlich liest, Puls 
taust ſchreibt, ift nicht einzufehen. Gin Drudfebler jcheint es nicht zu fein; 
deren haben wir überhaupt in dem Buche nur wenige entdedt. 


. &piegelbilder aus der Beihicte des deutſchen Vaterlandes. Glogau, Verlag 
von, gan Flemming. 
V. Band: —AX von Schill. Eine Erzählung von Franz Kühn. 
Mit vier Fluftrationen von Carl Zäger. 190 ©. 
V. Band: Seydlig. Eine Erzählung für die Fugen 8* Iranz Kühn. 
Mit vier Illuſtrationen von Garl Zäger. 202 ©. Thlr. 


Beide Namen find für eine Yugenpbibliotbel gut gewählt. Der Gr: 
zäbler gibt nicht eine ftreng angelegte Biographie, fondern Züge aus dem 
Leben feiner Helden, fo daß wir gleib am Anfang mit dem Charafter der: 
jelben befannt gemacht werden. Cine Weile bat es den Anfchein, als follte 
Dichtung mit Wahrheit vermifcht werden; aber bald werden wir auf den 
feften Boden der Geſchichte geftellt, welcher bis zum Ende nicht mehr ver: 
laſſen wird. Das Schill⸗Büchlein bejchreibt ausführlid nur die Jahre 
1806—1809, wogegen bei Seydlig die ganze Geſchichte der jchlefifchen 
Kriege und gelegentlih alle Bravourftüde des berühmten Reiters vorgeführt 
werden. Diefe Erzählung ift ſehr anſprechend und liefert eine fchägbare 
Beigabe zu dem, was die Schule behandelt. Auch die Ylluftrationen ver: 
dienen Lob. 


48. Gallerie hiſtoriſcher Erzählungen. Herausgegeben von Friedrich Henning. 
Sıuttgart, Verlag von Schmidt und Spring. 1852. 8. 
Erſtes Bändchen: Walther von Tarare oder die Eroberung Jeruſalems 
durch Saladin. 93 ©. 
Zweites Bändchen: Gandemar, biftorifhe Erzählung aus den Beiten 
Belano'd. 97 ©. 
Drittes Bändchen: Heinrih von Stehom. Erzählung aus der Zeit der 
Quitzow's. 978, 
ierte® Bändchen: Joao de Gama. Hiftorifhe Erzählung aus den 
Zeiten Emanuel’s des Brofen. 124 ©. 
Jedes Bändchen mit einem colorirten Titelbild !/s Tolr. 


Nr. 1 entrollt ein ſehr düfteres Gemälde aus der Zeit zwiſchen bem 
zweiten und dem britten Kreuzzuge. Nur auf Saladin's Seite war noch 
Gerechtigkeit und Edelſinn zu finden; zu ihm flüchtet fih daher Walther 
aus den graufamen Händen des dhrütlichen Herrſchers Rainold. Iſt es 
wohl rathſam, ſolche Schilderungen der Jugend zu übergeben, felbft wenn 
alle Angaben und Urtbeile wohl begründet wären? 


200 Sugend: und Volksſchriften. 


Nr. 2 führt uns in die Berge ber Cantabrer, weldye nad dem Einſall 
der Mauren in Spanien ihre Zreibeit behaupteten und Belago, in deſſen 
Gefolge Bundemar war, zu ihrem König erwäblten. 

Nr. 3 behandelt ein Stück brandenburgiſcher Geſchichte, nämlich aus 
den letzten Zeiten der Zuremburger. Heinrich v. Stechow verliert ale find 
feinen Bater, wird, ohne daß feine Herkunft belannt war, durch Vermittlung 
des Herzogs Johann von Medienburg erzogen, dem er fpäter wichtige 
Dienfte leiftet. Erſt als er zum reiferen Alter kam, wurde ihm das Räthfel 
feiner Abftammung gelöst. 

Nr. 4. Joao de Gama ift ein maurifher Knabe, der in Portugal 
getauft wurde und bierbei den berühmten Vasco de Gama zu feinem Pathen 
erhielt. Er begleitete dieſen auf mehreren Seereifen und bildete fih an 
ibm zum Seemann beran. 

Obwohl in allen dieſen Grzäblungen wichtige Greignifle bargeftellt 
werden, jo können wir und doch nicht mit folder Behandlung der Geſchichte 
befreunden. Statt der welthiftorifchen Perfonen, deren Namen und Thaten 
gelannt und bewahrt zu werben verdienen, treten unbelannte Ramen in den 
Bordergrund, wodurd die Auffafiung der reinen Geſchichte nur erjchwert 
wird. Die Menge von Namen, die Verwidlung von Begebenheiten laſſen 
fih kaum von Dem bewältigen, der auf dem treffenden Gebiete ſchon ziemlich 
orientirt ift, geſchweige von Jenen, die erft eingeführt werben follen. Wer 
fann dafür bürgen, daß nicht Hauptthatfahen außer Acht gelafien und ges 
singfügige Nebendinge feftgehalten werden? Bisweilen ſcheint der Erzähler 
auch zu irren, indem er feine Perſonen ihren Zeiten entrüdt, jo namentlid 
bei Heinrich v. Stechow, mo kirchliche Zuftände gerade fo beſprochen werben, 
wie e3 ein Jahrhundert fpäter gewöhnlich war. 


49. Uranus. Die mythologiihen Dichtungen der alten riechen und Römer. Bon 
2, Priedemann. Berlin, Berlag von Hugo Kaftner u. Comp. 8. 344 ©, 
Is Ihlr. 


Zwar nit durch den Titel, aber im Vorwort der Jugend gewidmet, für 
welde das Buch ſowohl der Auswahl als der Darftellung nah ſehr an- 
gemefjen if. Es zerfällt in zwei Abtheilungen, von welden die erfte in 
69 Kapiteln die Gottheiten der Griehen und Nömer, die zweite in 54 
Abſchnitten die griechiſchen Heroenfagen behandelt. Die beventlihen Situa⸗ 
tionen ſind mit viel Gefchid gezeichnet, jo daß kein Nergerniß gegeben wird. 
Einige Namen, wie Ulyfies, Niobe, haben viel Raum erhalten, wogegen 
andere kurz gefaßt find. Daß die Citate aus griehifhen und römifchen 
Shriftftellern in die Anmerlungen verlegt wurden, ift nur zu billigen. Die 
Suuftrationen, zum Theil nah guten Originalen gefertigt, theils frei com» 
ponirt, befriedigen beſcheidene Anſprüche. Der Drud ift correct, nur in 
Eigennamen und in griechiſchen Wörtern finden ſich wenige Fehler (S. 182,307). 


50. Das Auch denfwürdiger Frauen. In ebene: und Zeitbildern. Feſtgabe 
für Mütter und Töchter. Bon Ida von Düringefeld. Mit zahlreichen 
in den Text gedrudten Abbildungen, Ionbildern, ſowie einem Zitelbilde, 
Leipzig, Verlag von D. Spamer. 1863. 8, 308 ©. 1 Ihr. 20 Nar. 





Jugend» und Volksfchriften. 201 


Iſt auf zwei Bände berechnet. Der vorliegende erfie Band enthält 
15 Biographien, aus dem Mittelalter und der neueren Zeit genommen, 
darınter: Eliſabeth, Landgräfin von Thüringen, Sacobäa von Holland, 
Barbara Uttmann, Philippine Welſer, Maria Therefia, Marie Antoinette, 
Louiſe von Preußen, Amalie Sieveling. Die Biographien find nad guten 
Quellen gearbeitet, aber nicht alle gleich ausgeführt. Hier und da hält fi 
die Erzählung an Eine Autorität, fo namentlich bei Jacobäa von Holland 
an das jüngft erfchienene Wert von Franz Löher. Diefe Biographie ift 
aber felbft in dem vorliegenden Auszuge jo vermwidelt, daß ohne genaue 
Belanntfchaft mit der bayeriihen Geſchichte kaum Jemand den Faden bes 
halten wird. Ueberdies möchte e3 fi) wohl fragen, ob diejes Bild zu dem 
von der Erzäblerin aufgeftellten Programm paßt. Denn Jacobäa ift zwar 
eine bedeutende Frau gemwejen, aber ihr Leben hat mehr Schatten als Licht: 
von einer „Vermittlung des Schönen und Bleibenden im Leben’ ift bier 
wenig zu finden. Dagegen liest fi) Philippine Welfer fehr gut, ebenfo 
Louiſe von Preußen. — Der Drud ift gefällig und correct. Nur ein 
paar Unrictigleiten wollen wir anmerlen. S. 102 ftebt: das Jachoff'ſche 
Haus flatt das Imhoff'ſche Haus; S. 246 foll ftatt 1806 wohl 1807 zu 
lefen fein. 


51. Der König der Wälder oder Tecumſeh und der Prophet. Bon Harry 
Hazel. Zur die Jugend bearbeiter von Wilhelm Stein, Herausgeber der 
„Prairieblume“. it acht in Farbendruck ausgeführten Bildern von 
A. Haun. Breslau, Verlag von Eduard Trewendt. 1863. 308 S. geb. 
1%/a Thlr. 

Ein Stüd nordamerikaniſcher Gefhihte aus der Periode von 1794 
bis 1801. Es wird erzählt, wie die Indianer unter Tecumfeh und feinem 
Bruder, dem Propheten, gegen die Yanlees unter Hartifon, dem nad) 
maligen Präfidenten der Union, für ihre freiheit fämpfen, aber zulegt in 
der Schlaht an der Thames unterliegen. Daß bier au Naturfhilderungen 
und Sagden vorlommen, läßt fib im Voraus erwarten. Doch it Maß 
gehalten. Im Ganzen ift das Buch den befjeren Erzeugniflen ber Jugend» 
literatur beizuzählen. Aber es erfordert einige Anftrengung, da es gar - 
nicht leicht ift, dem Faden der Begebenheiten zu folgen und Die uns ganz 
fremden Namen, deren Zahl nicht gering ift, zu behalten. Dem Drud wie 
den Slluftrationen gebührt alles Lob. 


III. Neifebefchreibungen, Erd- und Naturkunde, 


52, Robinfon der Jüngere. Für die fatbolifche Jugend bearbeitet und heraus⸗ 
gegeben von Dr. Ferdinand Herbft, Stadtpfarrer in Münden. Mit 

I Titelſtahlſtich und 4 Holzſchnittbildern. Zweite, verbeflerte Auflage. 

Augeburg, Matth. Rieger'fhe Buchhandlung. 1861. 8. 271 S. cart. 

Ya Thlr. 

Gin katholifher Robinfon! Da ver Campe’ihe Robinfon „wegen 
feiner untichlihen Tendenzen” für vie katholiſche Jugend unbraudbar ift, 
fo hat vor lange der Pfarrer Franz Xaver Geiger eine Umgeftaltung bes» 
felben unternommen. Bon dieſer Bearbeitung, melde an vielen Fehlern 


202 Jugend» und Volksſchriften. 


litt, hat nun Pfarrer Herbit in München eine verbeflerte Ausgabe beforgt, 
welche fi dem Original wieder mehr nähert, als jene erfte Fatholifche Lin 
arbeitung. In der That haben wir hier falt ganz den Campe'ſchen Robinfon 
vor und. Nur ift die Erzählung etwas abgelürzt, die Zwiſchenfragen der 
Kinder find weniger zahlreih, einige der Liederverje find meggelafien, die 
polemifhen Aeußerungen gegen Neligionszwang find getilgt; die Namen 
der finder beißen: Sojeph und Maria; Robinſon's Vater ift vom Mäller 
zum ‚Käufler degradirt. Specifiſch katholiſch erfcheint der Anfulaner, indem 
er fich der Sonntagsfreube feiner Heimath erinnert und das erhebende Altar: 
opfer jchmerzlih vermißt. Daß Freitag nad feiner Ankunft in Hamburg 
der Unterweifung eines Priefters übergeben mwird, verftebt ſich von felbft. — 
Ganz unbefangen betrachtet, ift dieſe katholiſche Bearbeitung des Robinfon 
nicht übel gelungen. Zwar wollen nicht alle Aenderungen zu den Oertlich⸗ 
keiten pafien, welche hier wie dort diefelben find. Aber die meilten Umge⸗ 
ftaltungen zeugen von einer gefchidten Hand; die Sprade ift mohlgehalten ; 
nur bier und da finden fich Kleine Verſehen. Ter Drud ift ſchön und 
correct. Schade, daß der Herausgeber nicht für nöthig gefunden bat, fich 
über fein Vorhaben mit dem rechtmäßigen Eigenthümer des Campe’ihen Ro⸗ 
binfon zu benehmen. Denn da er nicht blos den Plan, fondern die ganze 
Erzählung mit den mejentlihen Einzelheiten, ja meiſtens aud ben Text 
unverändert aus dem Driginal entlehnt hat, fo ift fein Zweifel, daß ber 
katholiſche Robinſon in den Bereih des Nachdrucks fällt, weswegen denn 
die von dem Rath der Stadt Leipzig vollzogene Beſchlagnahme deſſelben 
als wohl motivirt betrachtet werden muß. 


53, Der erfte und älteſte Robinfon. Robinſon Cruſoe des Aelteren Reifen, 
wunderbare Abenteuer und Erlebniffe. Neu bearbeitet von Ludwig Büttner. 
Eingeführt durch eine Geſchichte der Robinfonaden ſowle eine Lebensſtizze 
von Daniel de Zoe, dem Verf. des älteften Robinfon von Dr. &. %. Laud⸗ 
bard, großherz. Sachſen⸗Weimar'ſchen Schulrath. Pradtausgabe. Mit 
einem bunten Titelblatt, fünf Tonbildern und 85 in den Text gedrudten 
Abbildungen. Nach Zeichnungen von F. H. Nicholſon in Holz geichnitten. 
Leipzig. Verlag von DO. Epamer. 1863. 8. 252 ©. geb. 1!/s Thlr. 


Die Einleitung über die NRobinfonaden, zu melder der befannte Bor: 
trag von Hettner (Berlin 1854) benügt wurde, ift jehr lefenswerth, wenns 
glei die Urtheile über die verjchiedenen Bearbeitungen bes beliebten Thema’s 
durch diefe Abhandlung nicht geeinigt werden dürften. Die vorliegende neue 
Bearbeitung des alten Robinfon hält fih ganz an das Zagebud des Dri⸗ 
ginals; doc ift der dritte Theil, welder nur Zeitbetrachtungen enthält, 
weggeblieben. Die Beichreibung der Länder ift der Erdkunde der Gegen⸗ 
wart angepaßt, wodurch mandem Anftoß, den der Lejer an der Erzählung 
nehmen müßte, vorgebeugt if. Mit Campe's Nobinfon verglihen, ift 
unfer Buch allerdings viel reihhaltiger und mannigfaltiger, Aber aud 
weniger leicht zu fallen und zu behalten. ine werthvolle Beigabe — 
aber nicht für junge Leſer beftimmt — bat H. Wagner durd das Schluß: 
tapitel über die Entſtehung des urfprünglihen Robinfon geliefert. Die Zahl 
der Illuſtrationen ift viel zu groß, als daß fie alle gefallen könnten. 





Zugend- und Volksſchriften. 203 


54. Die Stiffbrũchigen -auf ter Goralleninfel im ſtilſen Meere. Don R. M. 
Ballantune. In 8 Deutſche übertragen von Dr. Wilhelm Jeep. Dresden. 
Drud und Verlag von C. C. Meinhold und Söhne, Königl. Hofbuch⸗ 
druderei. 8. 194 S. 25 Nor. 


Cine Robinfonade. Ein junger Menſch geht von Wanverluft getrieben 
zur See, leidet Schiffbruch und gelangt mit einigen feiner Gefährten auf 
eine ber Coralleninjeln der Südſee. Mancherlei Abenteuer mit Wilden und 
Seeräubern werden erlebt, aber das Ende ift erfreulih. Der Erzähler hofft, 
daß fein Buch Knaben belehre und ihnen „unendliches Vergnügen‘ gewähre. 
Auf das richtige Maß zurüdgeführt, wird dag Urtheil dahin geben, daß die 
Beichreibungen von Sachkunde zeugen und die Abenteuer in mannigfaltiger 
Weile unterhalten. Hier und da, wie bei dem Kampf mit dem Hai, möchte 
man ein Fragezeichen anbringen. Dod im Ganzen ift fo viel Wahrſchein⸗ 
lichkeit ald man von einer Robinfonade erwarten darf. 


55. Kederzeichnungen aus dem fittlihen und religiöſen Leben der Völker. (ine 
Feſtgabe für die reifere Jugend von. W. Grube. Pitt 6 Litbographien 
und 3 Holzfihnitten. Leipzig, F. Brandftetter. 1563. 8. 275 &. 1!/2 Ihlr. 


So zu jagen eine neue Folge der belannten geographifchen Charakter: 
bilder. Mit Benugung der Reiſewerke von Burmeifter, Burton, Scherzer, 
Kohl, Baltian u. A. führt der Verf. feine Lefer zu den Zigeunern in Ungarn, 
zu den Mormonen am Salzfee, zu den Raffern, nad Hindoftan, nad Meta; 
er gibt Skizzen über Eitten und Gebräuche verfchiedener Völker. Nicht 
Alles ift bedeutend, und nicht jedes Urtheil, 3. B. über die Mormonen, 
mödten mir unterjchreiben. Bielleiht ließe fi der Verf. bewegen, aus 
feinem Zafhenbud der Reifen und dieſen Feberzeihnungen eine Ausmahl 
zu treffen, mit welcher ein neuer Band der geogr. Charafterbilder, viefen 
ebenbürtig, bergeftellt werben fönnte. 


56. Jagdbilder und Geſchichten. Aus Bald und Flur, aus Berg und Thal. 
Bon Guido Hammer. Mit acht Ziluftrationen vom Verf. In Holz⸗ 
Schnitt ausgeführt von Prof. Hugo Bürfner. Glogau, Berlag von Carl 
Slemming. 1863. 8. 160 S. A!/s Thlr. 


Vor einigen Jahren gab Kobell in Münden ein Jagdbuch heraus, 
betitelt: „Wildanger,“ reich an Belehrung und mit köftlidem Humor ge: 
würzt. Hier erhalten mir einen Heinen Wildanger, jenem äbnlih, wenn 
auch felbftftännig. In zwölf Abfchnitten werden die verjchiedenen Jagden 
auf Füchſe, Hirihe, Schnepfen u. a. gejchilvert, nicht blos der Wahrheit 
entfprechend , fondern mit Geſchick und jägerartig, das ift frifh und frei. 
Eine fehr anmutbige Pectüre, doch Feine Jugendſchrift. Schaͤtzbar ift ver 
Anhang, in welchem die MWaidmannsausdrüde erklärt werden. Der Drud 
iſt Splendid. 

57. Peter der Wallfiſchjäger, ſein Jugendleben und feine Abenteuer in ben 

Nordrels Regionen von William SKingften. Zweite, neu bearbeitete 


Auflage von D. v. Heubner. Dit vier Abbildungen. Dreoden, Verlages 
budbantlung von Rudolph Kunge 8. 794 ©. 1 Ihlr. 


Beter, der Eohn eines Landgeiftlichen in Irland, in früher Jugend 


204 Jugend⸗- und Volksſchriften. 


Jagdfreund, Wilderer, gebt auf die See, fällt nah mancherlei Fahrten See⸗ 
täubern in die Hände, kommt enplih auf einen Wallfiſchfahrer u. ſ. w. 
Auf der Reife in die Heimath leidet er Schiffbruh, kommt deshalb arm 
zu Haufe an, aber gebefjert und feife. Da die Fahrten durch Meer und 
Land geben, die Jagden auf Land: und Seethiere genau bejchrieben, übers 
dies auch die Bräuche des Schifflebens geſchildert werben, fo bietet das 
Bud mancherlei Belebrungen dar Nur hätten die techniſchen Ausdrücke 
des Seeweſens, mwenigitend die den Bewohnern des Binnenlandes nicht ge 
läufigen , erllärt werben follen. Die Abbildungen wollen nit viel fagen. 


58. Gabriel Ferrys, Farmer und Goldſucher oder Abenteuer und rlebniffe 
eines jungen Auswanderers in Birginien und Californien. Yür die Jugend 
bearbeitet von Earl Müller. Mit drei colorirten Kupfern. Sonders⸗ 
haufen, Berlag von &. Neufe. 8. 1376. cart. !/a Ihlr. 


Handelt mehr von einer Reife nah Californien und dem Aufenthalte 
dafelbft, ald von PBirginien und dem Pflanzerleben. Die Beſchreibungen 
der Miffiffippifahrt, der Wanderung burd das Gebiet der Indianer, der 
Goldwäſcherei in Californien find belehrend. Un Abenteuern fehlt e& nicht, 
doch ift die MWahrjcheinlichkeit nirgends verleßt. Die Sprache ift nicht ganz 
eorrect, und einmal, S. 136, fcheint fich der Erzähler geirrt zu haben, ba 
er jagt, er habe das Leben eines Farmer mit dem bes Goldſuchers ver: 
taufht — da vielmehr gerade das Gegentheil geſchah. 


59. Aus Süd und Rerd. Briefe junger heranwachſender Mädchen. Heraus⸗ 
gegeben für ihre Alterögenoffinnen von Aurelie. Mit einem Titelbilde. 
Berlin. 1862. Berlag von Julius Epringer. 8. 196 S. /s Thlr. 


Beichreibungen der viel genannten und gern befuchten Thäler Tyrols 
und der Schweiz, einiger Städte Oberitaliens, Briefe aus Helgoland u. ſ. w. 
Es gibt ſich darin ein offenes Auge für Naturfhhönheiten, ein gefundes Urs 
theil und ein edler Sinn fund. Ueberall ift das Bebeutende gebührend 
gewürdigt, nirgends lebt die Darftellung, wie anderswo fo häufig geichiebt, 
an Nleinigleiten. Die Briefe lejen ſich ſehr gut und befriedigen den der 
Gegenden kundigen Wanderer volllommen. Ginige Irrthümer in geos 
graphiſchen und gejhichtlihen Namen kommen zwar vor, doch betreffen fie 
nur Nebendinge. Wir weilen daher diefem Buche, das ſich aud von außen 
vortheilhaft darftellt, unter der diesjährigen Literatur eine Chrenftelle ein. 


60. Das alte Wunderland der Pyramiden. Geographifhe, geſchichtſiche und 
fulturbiftorijche Bilder aus der Vorzeit, der Periode der Blüthe, fowie des 
Derfalld des alten Aegyptens. Bon D. Carl Dppel. Mit 130 in den 
Text gedrudten Abbildungen, 10 Ton⸗ und Buntdrudbildern, einer Karte 
des Thals von Piom, tomie einem Dogelfhauplane der ägypt. Denkmäler 
im Niltbale. Nach Zeichnungen von ®. %. Alimih u. A. Leipzig, Ders 
lag von D Epamer. 1864. 8. 316 S. Geb. ? Tolr. 


Gin inhaltsreiches, vielfach belehrendes, auch unterbaltendes Bud, 
pafiend für die reifere Jugend gebilveter Stände, wie für Erwachſene, welche 
Erweiterung ihrer Kenntnifle fuhen. Der erfte Theil bebanvelt Land und 
Boll, der zweite enthält Sage und Geſchichte; doch findet fi auch in ver 





Jugend⸗ und Volksſchriften. 205 


erſten Hälfte viel hiſtoriſcher Stoff. Indem ältere und neuere Reiſewerke 
forgfältig benutzt wurden, gelang ed dem DBerf. ein umfafjendes Bild zu 
liefern und Jedem, der ſich bereit die Hauptthatſachen geläufig gemacht 
bat, einen fohägbaren Beitrag zur tieferen Einfiht in das merkwürdige Land 
barzubieten. Beſonders ift die alte Beit reich bedacht, wielleidht mehr, als 
den Lejern, auf welde bier gerechnet wird, nothwendig if. Denn bie ſpe⸗ 
cielle Kenntniß der altägppt. Geſchichte wird doch immer den Gelehrten vors 
behalten bleiben. Dagegen hätte das Mittelalter, dem es doch auch nicht 
an wichtigen Momenten fehlt, etwas mehr Raum finden ſollen. Daß vie 
alten Ramen nady den Hieroglypheninſchriften gegeben wurden (Hapi = Apis, 
Jaro — Nil, Mares — Möris, Kabujah — Cambyfes u. ſ. w.) iſt nicht 
zu billigen, wenn auch die hergebrachten Formen entftellt jein follten. Denn 
nicht blos erfcheinen jene Hierogiyphen: Namen dem Auge al3 ganz fremd, 
fondern fie werben ſich aud neben den Bildungen, die von der Schule her 
betannt find, nicht im Gedaͤchtniß halten. Die Jlluftrationen gehören zu 
den befieren der Haus: und Jugendbibliothek; beſonders zu rühmen ift der 
Bogelihauplan des Nilthales. Man kann die Ausftattung nicht anders als 
toftbar nennen. Auch der Drud iſt [hön und correct. 


61. Das Buch der Natur. Naturwiſſenſchaftliche Xebensbilder für Yung und 
Alt. Bon Hermann Wagner. Üriter Band. Zweite Auflage. Bit 10 
Süuftrationen in Zondrud und 4 Holzfchnitten. Zweiter Band. Mit 8 
Holzſchnitten in Tondrud. Glogau, Berlag von Carl Flemming. 8. 
191 und 130 S. 1 Thlr. und $/s Ihlr. 


Der erfte Band enthält 18, der zweite 16 Capitel. Der Inhalt 
derfelben ift ven verjhiedenen Gebieten der Natur, ſowohl der Heimath als 
der Kerne, entnommen. Es find nicht nachgebilvete, fondern jelbftftänvig 
entworfene und ausgeführte Bejchreibungen von Pflanzen, Thieren, Naturs 
erjheinungen, wobei aber neben eigenen Beobachtungen die Werke berühmter 
Naturforſcher und bejonderd gute NReifebejchreibungen benüßt wurden. Die 
Leiftungen Wagner’3 auf diefem Gebiete find zu bekannt, als daß wir fie 
bier bejonders zu rühmen nöthig jänden. Wir haben nur Einen Wunſch, 
daß nämlich künftighin vie Bilder ifluminirt würden. Nur fo können fie 
eine volllommene Anſchauung der Natur gewähren. 


62. Der Ihlerfreund. Erzählungen aus der Thierwelt zur bildenden Unter⸗ 
haltung für die Jugend von 3, Ehr. 2. Neukirch, Lehrer an der weſt⸗ 
lien Bürgerfchule in Braunſchweig. Mit 28 Illuſtrationen nach Originals 
Zeichnungen von E. Sachße. Leipzig, Drud und Berlag von Julius 
Klinthardt. cart. 8. 160 ©, °/s Thlr. 


Eine Sammlung von 132 Erzählungen, aus naturgejhichtlichen und 
„jagdbezuglichen“ Büchern gezogen, nad der Klafjeneintheilung der Thiere 
oder nad ihren Beziehungen zum Menjhen an einander gereiht. Biele 
diefer Erzählungen find durch Schulleſebücher bereitd zum Gemeingut ges 
worden. Einige eurſiren in verfchiedenen Faflungen, von venen hier meifieng, 
aber nicht immer (3. B. bei dem Canarienvogel) die gelungenjte gewählt 
ik. Die Uneloote von Androclus und dem Löwen ift über Gebühr in bie 
Länge gezogen. — Im Ganzen betradtet ift die Sammlung jehr lobens⸗ 


206 Jugend = und Bolksfchriften. 


wertb und ver Aufnahme in Schulbibliothefen würdig, Drud und Illuſtra⸗ 
tionen find gefällig. 


63. Der Bauerknabe ald Mechaniker oder Was Nachdenken thut. Aus dem 
Engliihen des Henry Mayhew nach der dritten Ausgabe des Originals 
—8 bearbeitet von O. 2. Heubner. Dit 47 eingedrudten pAliteen. 
Jeger Rudolph Kuntze's Verlagsbuchhandlung. cart. 8. 215 ©. I Thir. 
10 Nor 


Der Jugend durch das Gefühl der Bewunderung Geihmad an den 
Naturwiſſenſchaften einzuflößen — wird in dem Vorwort als Hauptzwed 
des Buches angegeben. Diejen Zmwed fucht der Verf. auf genetiſchem Wege 
zu erreihen, indem er erzählt, wie der junge Owen, Sohn eines |. g. 
Taufendkünftlers, die Bedeutung des Hebel kennen lernt und weiterhin an 
die Conftruction eines Uhrwerkes gebt. Dieje beiden Themata find nicht 
blos gut, ſondern in einzelnen Theilen meilterhaft behandelt. Vorzugsweiſe 
ift die Darftellung des Hebels zu rühmen; bei dem Uhrwerk erhalten wir 
mehr Beicreibung ald Entwickelung. Was der lundige und aufmerljame - 
Leſer auszuftellen findet, wird fi) auf Einzelheiten beſchränken. So fcheint 
Seite 118 die Rechnung nicht probehaltig; Seite 119 würden Beifpiele 
mehr leiften als Regeln; die Abbildungen Seite 140—143 find nicht ge: 
eignet, eine ganz richtige Anfhauung des Uhrwerkes zu geben, zumal da 
die Hauptfigur Seite 140 im Berhältniß zu andern umgelehrt erjcheint. 
Die Mittheilungen über Galilei als Erfinder des Zelejlops find nicht ganz 
richtig, ebenfo einige Notizen über die Zeitrehnung Eeite 208. Doch 
wollen wir dadurch nurauf diejenigen Abſchnitte aufmerkſam machen, auf welde 
fi bei einer neuen Auflage die Revifton zu richten hätte. Wir empfehlen 
‘aber das angezeigte Buch allen Volksbibliotheken angelegentlihft. Hier darf 
es eine Chrenftelle anſprechen. Knaben, wenn nicht von feltener Regſam⸗ 
keit und Ausdauer, werden nicht bis zum Ende durchdringen. 


IV. Periodiſche Blätter. Sammelwerke. 


64. Zugenböldhter Monatfrift zur Körderung wahrer Bibung, redigirt von 
C. &. Barth. Drud und Berlag von 3. F. Eteinfopf in Stun⸗ 
gart. Jahrgang 1862, der ganzen Kolge 52. und 53. Band. A 1 Thlr. 


Am 12. Nov. 1862 flarb der Herausgeber der Jugendblätter Dr. 
Barth in Calw, nachdem er diefem ſchönen Unternehmen feit 1836 feine 
unermüdete Zhätigleit gewidmet hatte. Die Jugenpblätter find zu befannt, 
als daß es hier am Orte wäre, ihren Inhalt anzuzeigen. Nur ein kurzer 
Nüdblid auf das verbienftuolle Werk des Verewigten fei uns bier vergönnt. 
Im Juli 1836 erjhien das erite Heft dieſer Blätter, deren Zwed turz, 
aber beftimmt auf dem Titel angegeben ift und durch eine lange Reibe von 
Jahren mit Beharrlichleit verfolgt wurde. Belehrung und Unterhaltung 
geben beftändig neben einander, oder vielmehr, jene it von biefer, wie dieſe 
von jener durchdrungen. Diele werthuolle Gaben hat der Herausgeber ſelbſt 
der Jugend dargeboten; ſchoͤne Beiträge lieferten, namentlih in den erften 
Jahrgängen, Stöber und Schubert; außer diefen ftanden ala Mitarbeiter 


Zugend- und Bolfsfchriften. 207 


zur Seite: Völter, Schlager, Hodhftetter, Zeller, Wild, Caspari, dazu mehrere, 
deren Namen nicht genannt wurden. So verfchiedenen Gebieten die Auf- 
fäge angehören, in Einer Richtung treffen fie alle zufammen: fie wollen 
Bildung im Sinne des evangelifhen Belenntniffes begründen und ver: 
breiten. Urtbeilen wir ftreng nach der Wahrheit, jo ſtehen die älteren Jahr: 
gänge mit den unvergleichlich ſchönen Erzählungen von Schubert und Stöber 
voran; in den neueren Bänden liegt der höhere Werth auf Eeite der Be- 
lebrung. Die Bilder aus der Geſchichte, aus der Erd: und Naturkunde 
find durchgehend von kundiger, ficherer Hand gezeichnet, allenthalben zeigt 
fih in Maß und Ton ein gefunder Verftand. So bilden denn die 53 Bände, 
welche vor uns liegen, ein jchönes Denkmal des dern Wohle der Jugend 
gewidmeten Lebens und geben für fich eine werthvolle Haus: und Schul: 
bibliothel. Möge e3 dem neuen Herausgeber Dr. 9. Gundert gelingen, 
den guten Namen, deſſen fich die Jugendblätter bisher erfreuen burften, 
für eine weitere Reihe von Jahren fortzuerhalten. 


65. Zöchter- Album. Unterbaltungen im bäuslihen Kreife zur Bildung des 
Derftandes und Gemüthes der beranwachienden weiblihen Jugend. Witt 
Beiträgen von Zante Amanda, Dr. Buchner, M. Claudius u. A. Mit 
29 Lithograpbien nah Originalzeichnungen von Profeſſor H. VRürkner, 
Zultus Scholg und Hermann Wagner, Herausgegeben von Thekla von 
Sumpert. Achter Band. Glogau, Druck und Verlag von Garl Flem⸗ 
mind. 8. 563 &. 24, Ihr. 


Die bedeutendften Beiträge bat die Herausgeberin mit den Erzählungen: 
„Bier Schweitern” geliefert. Einen Haupttheil derſelben machen Auszüge 
aus den Tagebüchern und Briefe aus, — gut geſchrieben und edel gehalten. 
Ginige andere Erzählungen (5. B. Bermädtniß der Erbin) ftreifen an Uns 
wahrjcheinlichleit oder (mie die zerbrodhene Taſſe) an Künftelei. Sehr 
Ihäßenswerth find abermals die naturgefhichtlihen Auffäge von 9. Wagner; 
nur wünfdten wir, daß die Blumen colorsirt wären. Warum ſoll gerade 
der belehrende Theil des Albums gering gehalten fein, während zu den Er⸗ 
zäblungen jo ſchöne Illuſtrationen gejpendet wurden? Bon Werth find 
aud die mythologiſchen Darftellungen, die Auffäge über Erfindungen und 
Künfte. Das ergiebige Feld der Weltgefchichte ift fafl gar nicht heimgefucht 
worden. Möchte in den folgenden Jahrgängen nad diefer Seite hin eine 
Wanderung erfolgen; das Album könnte dadurch nur gewinnen. Uebrigens 
können wir bezeugen, daß der vorliegende Band bei gebildeten Frauen und 
wohlgegogenen Töchtern viel Beifall gefunden hat. 


66. Der Jugend Luft und Lehre. Album für das reifere Jugendalter. Heraus⸗ 
egeben von Dr. Hermann Maftud. Mit 22 Illuſtrationen und 10 Holz⸗ 
chnitten. Sechster Jahrgang. Glogau, Drud und Berlag von Garl 

Ylemming. 8. 5706, Geb. 21/3 Thlr. 


Wie die früheren Jahrgänge, fo enthält auch dieſer faſt durchgehends 
Originalauffäge aus den verſchiedenen Gebieten, welche der Jugend zugängs 
lich find. Meberall wird aber eine gewifle Begabung, meift auch ein höherer 
Unterriht vorausgejeßt. Außer dem Herausgeber haben 9. Schmidt, 
d. Sigismund, 3. Bäßler, B. Buttenftein, W. Ofterwald, W. Buchner, 





208 Jugend» und Volksſchriften. 


K. Köhler, A. Buddeus u. U. beigefteuert. Es ift ein inhaltsreicher Band; 
namentlih find die geſchichtlichen Aufjäge umfaſſend und tiefgehend. Faft 
möchten wir glauben, e3 fei dem Jugendalter, jelbit dem gutbegabten und 
wohlunterrichteten Knaben viel zugemuthet, wenn fie Öfterwalv’s Aelfred 
bewältigen follen. Aud die Abhandlung über die Gloden dringt vielleicht 
etwas zu tief in die Technik ein. Kurz, leichte Unterhaltung ift jo ſehr 
vermieden , dab mandem Auge dad Buch jpröde ſcheinen mag. Scheffer's 
Auffag über die Uhren und die Stunden der Alten kann nur von Schülern 
gelehrter Anftalten gelejen werden; doch kommt dad Album aud in andere 
Kreife. Unter den Neifebildem darf wohl die Rigiwanderung von Köhler 
die erfle Stelle anſprechen; diefe Beſchreibung hält jede Probe des Kundigen 
aus. Nicht fo die. Reife an und auf der Donau von A. Buddeus; denn 
bier fommen mehrere unrichtige Angaben vor. So ijt die Akademie ber 
Wiſſenſchaften in Münden nit erft unter K. Ludwig I., fondern fon 
1759 gegründet worben; bie Beſchreibung des Weges von Ulm nad Augs⸗ 
burg trifft mit der Natur nicht überein; diefe leßtere Stadt felbjt wird gar 
zu karg bebanvelt. Andere Berftöße oder Verjehen finden fi Seite 479, 482, 
auch Seite 203. Es war nit ſchwer, dieſe Fehler zu vermeiden, da 
wir über alle Länder Specialichriften befigen. Doch ift das Album im 
Ganzen mit Sorgfalt ausgeftattet. Die Abbildungen jtehen jenen der früheren 
Sahrgänge merllih voran. 


67. Der neue deutfche Jugendfreund für Unterhaltung und Veredlung ber 
Augend. Herausgegeben von Franz Hoffmann, Jabrgang 1862. Mit 
vielen Abbildungen, Stuttgart, Verlag von Schmidt und Spring. 1862. 
8 572 6. 2 Thlr. 


Die Einrihtung der älteren Jahrgänge ift unverändert geblieben; aus 
verſchiedenen Fächern werben belehrende und unterhaltende Auffäge gegeben, 
wobei manche längft befannte Erzählungen (wie von Joſeph II.) auf’3 Neue 
vorgebradht werden. Die Entdedungsreijen in Afrita und Amerika find nach 
guten Quellen wiedergegeben. Die Erzählung von Schiller's Jugendjahren 
enthält neben Wahrheit aud Dichtung. Der Aufjab über Säulenorbnungen 
ift an fi gut, aber leider fehlen veranjchaulichende Bilder. Ueberflüſſig 
ift die Abhandlung über dad Turnen, ebenfo U. Knapp's oft abgebrudtes 
Gedicht: Die Einladung. Zu den Angaben Eeite 102 und 134 ſetzen 
wir Fragezeihen. Im Ganzen ift guter Inhalt vorherrſchend. 


68. Der Gnom. Ernſt, Scherz und finnige Spiele. Geraubgegeben von 
Hühner: Tramd. Mit 8 in Farbendruck auegeführten Bildern von 
A. Haun. Jahrgang 1863. Breslau, Verlag von Eduard Zrewendt. 8. 
326 S. Geb. 11/s Ihr. 


Mie dem vorjährigen, fo wird man auch dem beurigen Bande zum 
Borwurfe machen, daß in Ernft und Scherz nicht die Grenzen einer beftimms 
ten Altersftufe wahrgenommen find. Tie Spiele werden Kindern zuſagen, 
die Auffäße über das Sternenzelt und über bildende Künfte nehmen ein 
gereiftes Alter in Anſpruch. Die Erzählungen find leſenswerth; daß aber 
„Mozart am Hofe zu Wien‘ aus dem Roman von 9. Rau berübergenont 
men wurde, ift nicht zu billigen; denn biefe Ausführung gebört ja nicht 


Jugend- und Volksſchriften. 209 


für die Jugend. Das Hauffihe Märchen: „Das fleinerne Herz‘ hat durch 
Dramatifirung nicht gewonnen. Unter den Anelvoten wird jeder Lejer alte 
Belannte wiederfinden, wenn aucd die Umlleivung neu if. Man möchte 
wünfden, daß die folgenden Jahrgänge ftrenger gefichtet würden. 


B. Volksſchriften 


69. Rah der Schule. Eine freundliche Mitgabe für die weibliche Jugend von 
Julie Hoffmann. Stuttgart, Verlag von Schmidt und Spring. 1862. 
12. 92 ©. In engl. Einband !s Thir. 


Etliche Mädchen, nad dem Austritt aus der Schule noch immer um 
ihre mütterlihe Freundin verjammelt, tauſchen in traulicher Unterhaltung 
ihre Gebanlen und freien Arbeiten aus. Wir erhalten Erzählungen, Barabeln, 
Beichreibungen, Charaden; Alles bat eine pädagogische Tendenz, welche 
mit Geſchick verfolgt wird. In der That ein anmutbiges Büchlein. Das 
zum Schluß die Regungen der- Liebe kommen, ift nicht auffallend, doch auch 
nicht gerade nothwendig. 


70, Freya. Illuſtrirte Blätter für die gebildete Welt. Zweiter Jahrgang 1862. 
it 125 Holzſchnitien und 18 Kunftblättern. Gtutigart, Berlag von 
Krais und Hoffmann. 4. 380 S. Gchön gebunden 3 Thlr. 10 Kor. 


Diefe Blätter haben ‚ihren Charakter in dem zweiten Jahrgange treu 
bewahrt. Sie liefern aus den verjchievenen Gebieten des menſchlichen 
Wiſſens und EStrebens reine und lebenspolle Bilder ebenjo zur Belehrung 
wie zur Unterhaltung: Grzählungen, dramatijhe Stüde, geſchichtliche, geo: 
graphifche, technologische Aufſätze, Mittheilungen aus der bildenden Kunſt u. a., 
durchgehends von kundiger Hand ausgegangen. Die Holzſchnitte find faft 
ohne Ausnahme {hön, die Ton: und YFarbendrüde größtentheild Toftbar. 
Bei dem mannicdfaltigen Inhalte Tann nicht Alles für Alle fein. Auch fehlt 
e3 nicht an Kleinen Irrungen, beſonders bei Eigennamen; jo lieft man 5.82. 
Seite 31 Fröfchner ftatt Fröfcheis. Hier ift wahrfcheinlid das Manuſcript 
undeutlich gewefen. In der Hauptſache aber läßt fih von der Freya nur 
Loͤbliches jagen. 


71. In ernſten und beiteren Stunden. Ein Büchlein für Stadt und Land von 
en] Mobert Safe. Weimar, T. F. A. Kühn. 1862. 8. 168 ©. 
121/2 gr. 


Geſpraͤche, Erzählungen, Betrachtungen, Gedichte, reih an Wib und 
Scharffinn. Bejonders anziehend find die Unterredungen in Engel’ Manier: 
Der folratiihe Herr Magifter, die britte Drei. Es ift ein wahres Meiſter⸗ 
fiüd, wie der Magifter aus dem Schuhmader Strebſam den Unterſchied 
zwiſchen Klug und Weiſe heraustatedifirt. Auch die übrigen Gtüde geben 
zu denken und verlangen deshalb wiederholte Lectüre. Manche Auffäge würden 
ſich recht gut für einen Kalender ſchiden, andere für Schullefebücher. Doc ges 
hört das Büchlein im Ganzen mehr für das Voll, als für bie Jugend. Die 
Gedichte Haben weniger Werth, als die profaifchen Aufjäge. Der Drud iſt 

Bid. Jahresbericht XV. 18 


210 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


leider nicht ganz fehlerfrei, auch nicht gefällig Er gehört ſammt dem 
Papier einer verfchollenen Zeit an. 


72. Geſchichte eines Speflarter Bauernjungen, genannt Eimplicius Simplicifh- 
mus. (in Zeirbild aus dem dreibigjäbrigen Kriege nah dem Buche 
Ebriftoph's ein Grimmelshaufen für das deutfhe Volk bearbeitet von D. 
Sriedrih 8 Profeflor am ?. (Gadettencorps in Münden. Erlangen, 
Verlag von — fing. 1863. 8. 172. S. cart. Aa Thlr. 


Heinrich Kurz, der in ſeiner Geſchichte der deutſchen Literatur (IL 
421 ff) über ven Simpliciffimus ausführlid handelt, nennt dieſen einen 
der beften deutſchen Romane, zugleich die ältefte Robinjfonade. Das Original 
ift jest wenig belannt. Um fo damkenswerther ift dieſe furzgefaßte Be 
arbeitung, welche alle wmefentliben Schickſſale des Simplicius in dem 
Gharalter und Ethyl, firedenweife auch mit ven Worten der Urfchrift wieder 
gibt. Daß gedehnte und allzuberbe Partien weggelafien oder geändert 
wurden, ift nicht zu tabeln, da der Zufammenbang nicht darunter leidet. 
Ob bei alle dem das Büchlein fi viele Freunde erwerben wird, ſcheint 
zweifelhaft, da durch die mannichfachen Abenteuer doch eine gewifle Gleich⸗ 
förmigteit bindurchgebt. 


73. Wie Einer Lehrer geworden. Erzählung für Volt und Jugend von Wil- 
beim Herchenbach Mit 4 Stahlitichen. Ber rud und Ver⸗ 
lag von ©. 3. Manz. 1861. 8. 166 ©. sr Thlt. 


Hier wird ein Jugendfreund geſchildert, der den ehren, unter welchen 
fo viele mißvergnügt find, zum Mufter und zur Belebung des Eifers dienen 
könnte. Der Heine Bauernjunge Franz hat Luft zur Schulmeifterei; er 
verfolgt fein Biel mit Eifer und erreiht ed. Aber er lommt weiter, er 
wird Student, gelangt zu Reichthum, gleihmwohl bleibt er bei dem zuerft 
gewählten Berufe und findet in bemfelben feines Lebens Freude! Wir 
wollen das gerne glauben; aber wenn nur der Erzähler die deutſche Sprade 
beſſer handhabte und namentlid den Ausdruck glüdliher wählte! Man 
lefe Seite 13, 26, 111. Hier muß aud ein nachſichtiger Beurtheiler abs 
geftoßen werben. 


74. Das feftlihe Jahr. In Sitten Gebräuchen und gelten der germaniſchen 
Dölfer. Bon D. Freib. von Reinsdberg-Düringdfeld. Fa gegen 130 
in den Text geraten Auuftrationen, vielen Zonbildern u. f. w. Leipzig, 
Berlag von Spamer. 1863. 8. 402 S. 2 Thir. 


Man erwartet nah dem Titel eine Beſchreibung periodifcher Feſte 
Deutſchlands und feiner Umlande. Statt deſſen erhalten wir Schilderungen 
einiger regelmäßig wieberlehrenden Zelte, dann ſolcher Feftlichleiten, die nur 
einmal an einem beftimmten Orte gefeiert wurden, wie des Gothaer Schuͤtzen⸗ 
feftes, des Nürnberger Sängerfeftes, des Münchner Yubelfefles, der Jenaer 
Univerfitäts - Säcularfeier. Ueber dieſe, wie über das Oberammergauer 
Paſfionsſpiel haben bie weitverbreiteten illuftrirten Zeitungen ausführliche 
Berichte eritattet, welche bier nebſt andern guten Quellen benußt wurden. 
Sehr auffallend iſt Seite 163 die Angabe, daß das Frohnleichnamsfeſt ame 
Dienftag nah Trinitatid gefeiert werde, während doc diejes Zeit Immer 











Jugend⸗ und Volksſchriften. 211 


am Donnerſtag ſtattfindet. Wahrſcheinlich werden jedem Leſer einige 
Capitel wenig anziehen, da die Feſte ſehr verſchiedenen Gebieten des Lebens 
angehören. Im Ganzen aber mag das Buch immerhin als Beitrag zur 
Culturgeſchichte wertbgehalten werden. Die fehr Schwierige Aufgabe ver 
Shufteationen ift nur theilmeife gut gelöft worden. 


75. Eine Wallfahrt zur Laterne des Diogenes bei Parie. GStreiflichter über 
Branfreic vom Verfafjer des „Quellwaſſers.“ Nördlingen, Druck und 
erlag der &. H. Be’fhen Buchhandlung. 1862. 8. 272 ©. 1/s Thlr. 
Die Laterne des Diogenes ift ein Thurm auf der Höhe des Parks 
von St. Cloud, von weldem aus Paris mit Umgebungen überblidt wird. 
Sm der Vorrede erläutert der Verf. den Titel feines Buches dahin, dab mit 
der Laterne eines Sobkratikers einige Streiflihter auf das Berhältnig des 
franzöfifhen zum deutſchen Wejen gerichtet werden follen. Dieſe Vergleichung 
beginnt ſchon auf den eriten Blättern, welde die Reife von Nörblingen 
über Stuttgart und Strasburg nah Paris befchreiben. Meicher entfalten 
fih die Bilder in Paris felbft, wo alle bedeutenden Orte beſucht, aber nicht 
blos wie in einem Reiſehandbuch befchrieben, fonvdern von dem Standpunlte 
der Philojophie betrachtet und beleuchtet werden. Es ift aber die Darftellung 
leineswegs in der Schulfpradhe gehalten, ſondern fo einfach, als es der Ges 
genftand zuläßt. Aus lateinischen, franzöſiſchen und italienifhen Schriften 
find zahlreihe Stellen in den Zert verwoben, meiftens, doch leider nicht 
alle, verdeutſcht. Vergangenheit und Gegenwart, was vor Augen liegt und 
was dem entfernten Baterlande angehört, fociale, politifche, religiöfe Ver: 
bältnifje werden befproden und man muß fagen geiftvoll gewürdigt. Ein: 
gefügte Briefe eines Freundes aus Deutſchland bilden einen mwohlthuenden 
Gegenſatz zu dem eben der Weltftabt, in dem fich die Skizzen des wanlenden 
Philoſophen bewegen. — Für wen gehört nun diefe Wallfahrt? Für das 
Boll im gemeinen Sinne nidt So einfah und klar die Sprade ift, fo 
tommen dod viele Anfpielungen vor, die nur einem gebildeten Leſer ver- 
ſtändlich jmd. Aber ever, der den Betrachtungen zu folgen vermag, wird 
Nutzen und Vergnügen daraus ziehen. 


716. Die heilige Weihnacht, ihre Bedeutung und ihre Feier in der Sage, im 
Haufe, In der Schule und in der Kirche. Wine Feſtgabe zur Cdriſtbe⸗ 
fcheerrung von Earl Scheffer, ev. Prediger zu St. Wortz in Halberſtadt. 
Glogan, DBerlag von Cart Fleuming. 1863. 16. 180 6. cart. 2/s Ihlr. 
Drei Vorträge, in Bereinsverfammlungen zu Halberſtadt gehalten: 

4) der 25. December oder der Sagenkreis des Weihnachtefeftes; 2) ver 

Weihnachtsbaum; 3) vie Weihnachtsfeiertage. Dazu eine Schulrede: Welche 

Bedeutung hat die Geburt Chrifti für die Jugend und ihre Bildung? — 

Diefe Themata find mit Sahlunde und Gefhmad behandelt. Unvermeid⸗ 

ih war, daß manche Säbe wiederholt wurden, da jeder Vortrag ein Ganzes 

Barftellen ſollte. Aber nicht nothmendig war die Anführung bibl. Stellen 

im Grundterte; dieſer gelebrte Apparat wird Manchem nicht zujagen, welchem 

anfervem die Beantwortung naheliegeriver Fragen fehr etwünſcht käme. 

So wird der Kreis, für welchen das Büchlein im Ganzen paßt, ziemlich 

enge werben. 


14* 


212 Jugend⸗ und Bolksfchriften. 


77. Skizzen und Anregungen für bie reifere Jugend von Dr. Ber 

Dredden, eh. G 8. Co Hi Ende. ar 8. 116 ©. To Thlr. 

Vierzehn Kapitel, Anſprachen an die Jugend, Erimmerungen und Ermah⸗ 
nungen zur wahren Froͤmmigleit, zur Vorſicht im Umgang, zur Benüßung ber 
Zeit, Sorge für Geſundheit u. |. w. — Lauter Themata, die den Lehrer und 
Erzieher unaufbörlic bejhäftigen, nicht ohne Gefhid behandelt, aber für bie 
Jugend gewiß nicht ohne Beſchränkung pafiend. Wie der Verf. felbft bemerft, 
liegt bei der Erziehung mehr an der Hebung und Zeitung, als an Vorftellungen 
und Ermahnungen. Wenn auch diefe, namentlich an Orten, wo mancherlei 
Gefahren die Jugend umgeben, nicht unterlafien werden können, fo if 
dadurch doch nod nicht eine Sammlung von Paränefen gerechtfertigt. In 
manden Capiteln bat fi der Verf. überbies auf einen Standpunkt geitellt, 
wohin ihm manche, und zwar einfihtige und erfahrene, Erzieher nicht folgen 
werden. Bei alledem mag das Bud in einer Lebrerbibliothel recht wohl 
einen Platz verdienen. 


Anhang zu den Jugend» und Volksſchriften. 
Bearbeitet von A, Lüben. 


A. Jugendſchriften. 


L. Bilderbücher. Märchen. Erzählungen. 


1. (Gräfin Thekla Baudiffin), Buntes A⸗B⸗C. Bon Tante Ernefine 
WMit Sluftrationen von Franz Pocci. hoch 4. (32 ©.) Bien, A, Pichlers 
Wittwe und Sohn. 


An jeden groß ausgeführten Buchftaben des Alphabets ift ein fauber 
ausgeführtes, anziehendes Bildchen gezeichnet und dazu ein Verschen gejeßt, 
das irgend eine nüßlihe Lehre enthält. Einzelne Berje könnten etwas 
finvlicyer fein; doch ift das Ganze recht anſprechend und Rindern von acht 
Jahren an zu empfehlen. 


D. 2. Heubner. Schau's an, lern’ d'ran! Bilderbüchlein mit Verſen. 
ie 22 Holzfäpnitten. 8. Dresden, Rudolph Kunge. cart. 10 Sgr. 


Die 22 Bilder ftellen Gegenftände des gewöhnlichen Lebens (Der 
Knabe mit der Schiefertafell. Tauben auf dem Dache. Der Drade. Pas 
Dampfſchiff. Der Angler. U. f. w.) in recht gelungenen, fauberen Holz 
fchnitten dar, und die Verſe bilden den Zert dazu. und geben irgend eine 
gute Lehre mit auf den Weg. Das Büchlein kann Kindern in die Hände 
gegeben werben, weldye die Fibel burchgearbeitet haben. 








Jugend⸗ und Volksſchriften. 213 


3. Stabelle Braun. Die Uhr. Ein Bilderbuch mit Geſchichten und Verſen 
für Knaben und Mädchen. Mit acht Bildern nah Driginalzeihnungen 
von Emil Töpler. qu. 4. (96 ©.) Stuttgart, Gebr. Sceitlin. 27 Sgr. 


Neben wirklichen Belehrungen über die Uhr gibt die Verfaflerin allerlei - 
Verſe mit guten Lehren und anmutbige, beberzigenswerthe Geſchichten. Cs 
ift Alles recht finnig, und da die Abbildungen auch gut ausgefallen find, 
fo empfeblen wir das Büchlein beftens für flinder etwa vom achten 
Sabre an. 


4 „Es war einmal”. Kin Bilderbuch von Dresdener Künftiern. br. 8. 
In ir mit eingedrudten Holzfhnitten.) Dresden, 3. H. Richter. cart. 
s Thlr, 


Belannte Märchen und Gedichte, wie: Ajchenputtel, Rothläppchen, der 
Wolf und die fieben jungen Geislein, die Kinder im Walde, die Stern: 
thaler u. a., find in diefem Büchlein abgebrudt und ebenfo reich als prächtig 
durch jehr gute Holzichnitte illuftrirt. Die Schrift gehört zu den beiten 
ihrer Akt. 


4 


5. Der Kinderengel. Spruchbüchlein für fromme Kinder. Mit 
Luther's Brief an fein Söhnlein Hänflden und Bilder von C. Peſchel 
und 2. Richter. br. 8. (4 Bogen.) Dresden, 3. H. Richter, 


Dies Vüchlein reihet fi dem vorigen in Betreff der Abbildungen 
würdig an. Die „Sprüche bejtehen dem größeren Theile nad aus allge: 
mein belannten kurzen Strophen, wie fie in Schule und Haus verwandt 
werben, um das religiöje Gefühl der Kinder anzuregen und wichtige Lehren 
ihrem Gedaächtniß einzuprägen. Ein Anhang enthält die zehn Gebote, den 
chriſtlichen Glauben, dad Baterunfer und einige Gebete, 


RB. Nein, 24 alte und neue Spiele mit Berfen, Erklärungen und 
zwölf jarbigen Bildern nah Aug. Reinhardt. gr. 4. (52 ©.) Dresden, 
Rudolph Kuntze. cart. 11/e Thir. 


Bilder und Tert find recht anmutbig und ganz geeignet, Kindern 
jahrelang angenehme Beſchaͤftigung zu gewähren. 


17. J. Bühler und I. Köhler, Herr und Madame Gerne⸗Groß. 
Heiteres aus dem Stinderleben in Wort und Bild. Mit 12 color. Bildern. 
gr. 4 (26 S.) Dresden, Rudolph Kunge. cart. 1%/s Thlr. 


Zwei nieblihe pausbädige Geſchwiſter fpielen in den mannichfachten 
Situationen Papa und Mama und find dabei natürlich auf das Drolligfte 
angelleidet. Der Tert befteht aus Erzaͤhlungen und Verſen und ſteht den 
Bildern an Heiterkeit nicht nad. Das Buch ift ganz geeignet, Kindern 
barmlofe Freuden zu bereiten. 


8. Sfabella Braun, Aus der Jugendzeit. Mit einem coforirten Titels 
Tupfer. Neue Ausgabe der getammelten Srgäblungen. I. Bändchen. 8. 
(VIII und 152 S.) Stuttgart, Gebr. Scheitlin. !/a Thlr. 


9. Iſabella Braun, Scherz und Ernft. Erzählungen für die Jugend. 
Mit einem colorirten Zitellupfer. Neue Ausgabe der gelammelten Erzähs 
fungen. II. Bänden. 8. (152 &.) Stuttgart, Gebr. Scheltlin. Ya Thir. 


214 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


Die fünfzehn Erzählungen dieſer beiden Büchlein find anſprechend und 
werben von 10— i2jährigen Kindern gern gelefen werden. Hier und da 
katholiſtrt die Verfaflerin etwas. 


10. Iſabella Braun, Feſtbüchlein. Mit einem coforirten Titelbild. 8. 
(VI und 192 &.) Gtuttgart, Gebr. Scheitlin. 28 Gar. 


Dies Büchlein bat fi die Pflege des Kamilienfinnes zur Aufgabe 
geftellt. Es bietet zu diefem Zwede eine Reihe von Gedichten zur Ber 
berrlihung von Familien: und Schulfeften dar, von denen die meiften recht 
nett find. Eröffnet wird das Werten durch ein dramatiſches Gingfpiel 
für die Jugend, „Kindestreue und Elfenhülfe,” das mit Intereſſe gelefen 
und aufgeführt werden wird. Daß die Berfaflerin Katholikin ift, Klingt 
vielfach durch. 


11. Auguſt Ey, Harzmärchen oder Sagen und Märchen aus dem Ober 
barze. Gefammelt und herausgegeben. 8. (VIII und 219 ©.) Stade, 
Fr. Steudel. 1862. cart. 15 Egr. 


Dies anſpruchsloſe Büchlein vom „Berfafler des Harzbuchs“ enthält 
68 uralte, aber noch nirgends gebrudte, und aus dem Volksmunde ge: 
fammelte Märden. Sie find, wie die Natur des Märchens es fordert, 
einfach erzählt und werben fiher Jung und Alt erfreuen. Wir münchen 
ihnen viele Lefer. 


12. Franı Hoffmann, Hundert und fünfzig moralifche Erzählungen für Fleine 
Kinder. Mit 16 colorirten Bildern. Zebnte, unveränderte Auflage. 186. 
(VIII und 303 ©.) Stuttgart, Schmidt und Spring. 1862. 1 Fhtr. 


13. Franz Hoffmann, Das bunte Bud. Neue bundert und fünfzig mos 
ralifhe Erzäplungen für Meine Kinder. Mit 16 colorirten Bildern. Ecdäte, 
unveränderte Auflage. 16. (VIII und 370 &.) Stuttgart, Schmidt und 
©pring. 1862. 


14. Franz Hoffmann, Märchen und Kabeln für Meine Kinder. Mit 16 
colorirten Bildern. Bierte, underänderte Auflage. 16. (IV und 320 &.) 
Stuttgart, Schmidt und Spring. 1861. 1 Thir. 


Diefe drei Bücher haben fi einen mohlverdienten Ruf erworben und 
eine weite Verbreitung gefunden; es genügt daher, anzuzeigen, daß fie wieder 
in neuen, fehr ſchön ausgeftatteten Auflagen vorliegen. 


15. Leopold Streich, Lehrer in Berlin, Hundert Meine Erzäblungen 
nah Sprüchwörtern und Denkſprüchen für die Jugend. 16. (VIII und 


N) Berlin, Selbſtverlag. In Commiſſion: M. Poppelauer’s Buch. 


Die Erzählungen find kurz, meiſtens kaum eine Seite lang, daher 
durchſchnittlich auch fehr einfach. Den Einn des Sprühmworts, zu dem jie 
gemacht find, deuten fie aber genügend unb lönnen für dieſen Bmed 
empfohlen werben. 


6. W. D. von Horn, Berfafler der Epinnflube, Das Schloß-NMobbele. 
Eine Geſchichte aus den Zeiten Kurfürft Friedrich V. von der Pfalz, dar- 


Jugend und Volksſchriften. 215 


gene! für Die Jugend und das Boll. Mit vier Abbildungen. 16. (128 
) Wiesbaden, Jul, Niedner. cart. 71/s Gar. 


17. 8. D. von Horn, Dlaf Tborladfen. Wine isländiſche Geſchichte, 
der Jugend und dem Alter erzählt. Mit vier Abbildungen. 16. (126 &.) 
Ebendaſ. cart. 71, Sgr. 


18. W. OD. von Born, Hualma, die Beruanerin. Eine Geſchichte, der Ju⸗ 
gend und dem Volle erzähle. Mit vier Abbildungen. 16. (112 ©.) 
bendaf. cart. 7!/s Gar. 


Diefe drei Schriften find in ber befannten und beliebten Art des Ver⸗ 
faflerd gehalten und werben fih darum ficher überall Eingang verſchaffen, 
wie ihre Borgänger. Die Abbildungen find faubere Stahlftiche. 


19. rdinand Schmidt, Hermann und Thusnelda oder die Befreiung 
ermanien® von römifcher Herrſchaft. Ein gefchichtliches Gemälde aus ber 
deutfhen Vorzeit für Jung und Alt. Dritte Auflage Mit Zeichnungen 

in Zarbendrud. 16. (152 ©.) cart. Ys Thlr. 


Dies Büchlein gewährt eine für jugendliche Lefer ausreichende Kennt: 
niß der früheſten Buftände der Deutfhen und Römer und fließt mit der 
Befiegung der Lekteren dur Hermann. Erhöht wird das Intereſſe noch 
dadurch, daß fi Alles an den Faden einer einfahen, vom Derf. erfun: 
denen Erzählung reibet, in der Hermann die Hauptperfon ift und Thusnelda 
fo weit mit bineingegogen wird, als erforderlich war. 

Die beiden Bilder find etwas fteif, und es möchte fih wohl empfehlen, 
fie bei einer neuen Auflage durch beflere zu erfeßen. 


20. Ferdinand Schmidt, Reinecke Kuchs. Erzählt für Jung und Alt. 
Mit 64 Sluftrationen von G. Bartfh. Zweite Auflage. gr. 8. (IV und 
166 S.) Berlin, Hugo Kaflner und Comp. cart. %s Thlr. 


Der Zert ift nicht blos treu wiedergegeben, fondern zugleich in gefälliger, 
gewinnender Sprade; Yung und Alt wird durd denjelben zum Studium 
des Originald vorbereitet und angereizt werden. Die zahlreihen Abbildungen 
find vortrefflih erfunden und ausgeführt; man betrachtet fie auch neben 
den Kaulbach'ſchen mit vielem Vergnügen. 


I. Geſchichte. 


21. Ferdinand Baͤßler, Hellenifher Heldenfaal oder Geſchichte der 
Griechen in Lebensbefchreiburgen nad ben Darftellungen der Alten. Zweite 
Auflage. Mit 32 in den Zext gedrudten Holzihnitten. Hoch 4. (VIII 
a" Ar S.) Berlin, Deder. 1862. geb. 2 Thlr., in engl. Ginband 

3 T. 


Diefe Schrift erfchien zum erſten Male 1849 und erregte ſchon damals, 
troß der lingunft der Zeit, die Aufmerkſamkeit, welche fie in jo hohem 
Grade verdient. Der durch eine Reihe von Schriften vortheilbaft bekannte 
Berfafier bat fidh bei Abfafiung berjelben von dem richtigen Grundfage 
leiten lafien, daß für die Jugend zunähft nur das Ginzelne Intereſſe hat 
und ihr zum Deritänpniß gebradht werben kann. Aus biefem Grunde 








216 Jugend» und Volksſchriften. 


berriht in feinem Werle die biographifhe Form vor. Das Allgemeine 
wird aber dabei nicht aus dem Auge gelafien, es wird durch die Grup⸗ 
pirung und durch Hinweifungen und Bufammenfafiungen manderlei Art 
erfirebt. Das ganze Material zerfällt in ſechs Bücher. Das erfte Bud) 
umfaßt das Zeitalter der ftaatlihen Begründung Eparta’3 und Athens; 
das zweite führt die Helden des Perferfrieges vor; das dritte die Zeit bei 
Perilles und des peloponnefiihen Krieges; das vierte die Periode der the⸗ 
bifhen Hegemonie und den Untergang der bellenifhen Freiheit; das fünfte 
Alerander und die Diadochen; das ſechste die legten Griechen. Die Dar: 
ſtellung felbft zeichnet ſich durch große Anihaulichleit aus und wird baber 
die Jugend ficher feſſeln. Die Abbildungen ftellen widtige Momente aus 
dem Leben einzelner Perfönlichleiten dar und find in Auffafiung und Aus 
führung des Zerted würdig, wie überhaupt die ganze Ausftattung alle 
Binertennung verdient. 


ODI Refebefchreibungen. 


22. Wilpelm Schröter, Am Saume des Urwaldes. Amerikaniſches 
Lebensbild für die Jugend erzählt. Mit 5 fein celorirten Abbildungen. 8. 
(IV und 148 ©.) Leipzig, H. Matthes. cart. %/e Thlr. 


Sn das einfache Leben eined amerilanishen Farmers finb Begeben⸗ 
beiten eines Abenteurers eingeflodhten, die zwar ganz unterhaltend find, 
aber die Hauptaufgabe des Buches nicht fördern. Der Darftellung fehlt 
bier und da die Abrundung, die Sauberkeit, welche Echriften für die 
Jugend ftets auszeichnen follten. Mit den naturbiftorischen Kenntniſſen des 
Verf. ift es auch nicht weit ber; er fest — in Amerila — eine Tigerjagd 
in Scene ımd läßt einen Panther dazu abbilden. 


23. Wilhelm Schröter, Don St. Malo nah dem Eap der guten 
Hoffnung. Eeeabenteuer für die Jugend erzäblt. Mit fein coforirten 
Abbildungen. 8. IV und 156 &, Leipzig, H. Matthes. cart. °/e Tblr. 


Im Sinne der oben genannten Schrift gehalten, für Knaben nidt 
ohne Intereſſe. 


IV. Naturgeſchichte 


24. Herm. Wagner, Entdelungsreifen in Feld und Flur Mü 
einen lieben jungen Freunden und Freundinnen unternommen. Mit 110 
Abbiſldungen. 2 Bunidruck- und 3 Zonbiltern. 8. VIII und 164 ©. 
Leipzig, DO. Spamer. 1863. 20 Sgr. 

25. Herm. Wagner, Gntdedungereiien im Bald und auf der Heite. Mit 130 

bbildungen, 2 Buntdruds, 3 Tonbildern und einer Gztrabeilage von ges 
trodneten Woofen. 3. VIII und 190 S. Gbendafelbt 1863. 20 Ggr. 


Wer des Verf. „Entdedungsreifen in der Wohnftube” und in „Hans 
und Hof“ kennt, weiß ungefähr, was er in diefen neuen Schriften zu er 
warten bat, nämlich eine meifterbafte Belehrung über die interefianteften 
Begenflände namentlich der organiſchen Natur, unterftüht durch naturgetreue 
Abbildungen, Diefe Bücher find eine wahre Pereicherung unjerer Jugend: 





Jugend» und Volksſchriften. 217 


Literatur. Doc können fie auch Erwachſenen, namentlid Lehrern, beftens 

empfohlen werden. 

Die Ausflattung iſt ausgezeichnet. 

26. F. ©. Moll, Lehrer, Das Leben der Natur im Winter Im 
Briefen an einen zehnjäbrigen Knaben dargeſtellt. Mit 37 in den Text 
gedrudien Abb. Hr. 8. 686. Frankfurt a / M., Lit. Anſtalt (J. Nütten). 
Wie Ropmäßler eine „Flora im Winterlleive‘ verfaßt und dadurch 

bie Freunde der Natur zur Betrachtung angereizt bat, fo verfuht es der 

Verf. diefer Schrift, die Aufmerkſamkeit eines „zehnjährigen Knaben‘ auf 

bad „Leben der Natur im Winter‘ überhaupt binzumweifen und angemefjene 

Belehrungen darüber mitzutheilen. Garten, Feld und Wald, Bad, Teich 

und Fluß werden durchwandert und beſucht, und was ſich dort an Thieren 

und Pflanzen darbietet, das wird bejchaut, bejprodhen und meiftens auch 
abgebildet, 

Mir halten eine foldhe Belehrung für recht angemeflen, da fie den 
Blid Shärft und Liebe zur Natur erwedt. Darum empfehlen wir bas 
Schriftchen gern zum Gebraud, halten aber eine größere Reife dafür erfor- 
derlih, als fie fih in der Regel bei zehnjährigen Knaben findet. Die 
Darftellung ift nämlich nicht einfach und kindlich genug. 

27. Friedr. Körner, Profeffor an der Handelsakademie zu Pe, Geſchichten 
aud Keld und Wald. Lebensweife und Fang der befonders in Deutſch⸗ 
laud einbeimifhen Jagdthiere. II. Abtbeilung: Xebensweife und 

ang des Haarwildes. 8. VI und 185 6 Leipzig, A. Schlicke. 
862. 27 Sgr. 

Nah einer Einleitung, die ſich über die Pelzthiere und den Pelzbandel 
verbreitet, folgt die Charalterifirung von 27 Eäugethieren, reſp. Säuges 
tbiergruppen. Das über dieje Thiere bereits Belannte ift in der eigens 
thüͤmlich ungeordneten Weile des Verf. bier wiedergegeben worden. Dem 
Styl merkt man auf allen Seiten die Flüchtigleit der Arbeit an. 


28, Dr. €. Arendts, Profeffor in Münden, Naturgeſchichtliches Räthfels 
bud. 400 naturgefhichtlihe Eharaden, Zablens und Buchſtaben⸗Raͤthſel, 
fowie Rätbfelfragen. Der deutfchen Jugend gewidmet. 8. VIL u. 264 ©. 
Münden, E. A. Fleiſchmann's Buchhandlung. 1862. % Ihlr. 

Das Löfen von NRätbfeln ift für die denlende Jugend eine angenehme 
und nüglihe Beihäftigung, jest aber Bekanntſchaft mit den Gegenftänden 
und Verhaͤltniſſen voraus, die errathen werden follen. Der Verf. der vor: 
liegenden Raͤthſel fcheint diefe Anfiht nicht ganz zu tbeilen, denn fonft 
würde er ſchwerlich fo ausführlihe Auflöfungen gegeben haben. Wo fo viel 
Belehrung erforderlich ift, als bier dargeboten wird, da werben nicht viele 
der Räthſel gelöst werden. Da die Nätbfel überdies auch nicht durchweg 
gelungen find, jo fürdten wir, daß die Heinen Naturbiftoriter recht bald 
die Luft zum Löfen derfelben verlieren werden. 


V. Periodiſche Blätter. 


29. Deutſche Jugendblätter. Mit Illuſtrationen. Redacteur: Schul⸗ 
director Earl Petermann in Dresden. Sächſiſcher Peſtalozziverein. In 
Commiſſion bei I. Klinkbardt in Leipzig. Jahrgang 1862. I Thlr. 10 Sgr. 


218 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


Alle 14 Tage erſcheint eine Nummer (1 Bogen gr. 4) mit Illuſtration. 
Der Inhalt ift mannichfaltig und den Bedürfnifien der Jugend ganz end 
ſprechend, durch Nätbfel, Charaden, Aufgaben u. dgl. fehr anregend. 


3, Mabelle Braun, Jugerdblätter für chriſtliche Unterbaftung und Be 
lebrung. inter Mitwirtung von mebreren Jugendfreunden herausgegeben. 
Mit 6 fein colorirten Bildern nah Driginalzeibnungen von Kranz Kolb 
und Julius Schnorr. Jahrg. 1862. Lex.⸗8. VI und 570 S. Etutigart, 
Gebrüder Scheitlin. 1 Thlr. 18 Sgr. 


Bon diefer Zeitichrift erfheinen jährlih 12 Hefte; der vworliegenbe 
Band ift bereit der 8. Jahrgang. Unter den Mitarbeitern treffen mir 
mande geſchaͤtzte Jugendſchriftſteller und Schriftitellerinnen; felbft Emanuel 
Geibel hat einige Beiträge geliefert. Die Jugenpblätter enthalten daher 
auch manchen treffliden Auffag und mohlgelungene Gedichte, verdienen 
daher Empfehlung. 


B. Volksſchriften. 


J. Geſchichte. 


39. Ferdinand Schmidt, Preußens Geſchichte in Wort und Bild. 

Ein Handbuch für Alle. Illuſtrirt von Ludwig Burger. Heft 4—13. 

&. 241—1028. gr. 4. Berlin, Kranz Lobeck. 1862. & Lieferung T71/a Sgr. 

Bon diefen Werke haben wir im vorigen Bande die erften drei Lie: 
ferungen zur Anzeige gebradt. Es ift ſeitdem raſch vorgejchritten und be 
handelt in den leßteren Heften bereit3 die Geſchichte des fiebenjährigen 
Krieges. Die ausgezeichnete Aufnahme, welche das Wert gefunden bat, 
überhebt uns eined näheren Eingehens auf feinen Inhalt. Für die Gebil: 
beten aller Stände ift wohl nod nie ein Werl über preußifhe Geſchichte 
verfaßt worden, das fih mit diefem meflen fönnte. Neben anderen guten 
Eigenſchaften ift auch die ebrenhafte Wahrheitsliebe des Verf. hervorzuheben. 
32. Ferdinand Schmidt. Teutfhe National⸗Bibliothek. Bolferhüm- 

ihe Bilder und Erzählungen aus Deutichlands Bergangenbeit und Begen- 

wart. I—18. Halbband. ar. 8. (6— 71/2 Bogen.) Berlin, Brig! und Lobed. 

1862. & Halbband geb. 6 Sur. 

Den erften Halbband dieſes Werkes haben wir im vorigen Bande 
angezeigt und dabei Auskunft über das ganze Unternehmen gegeben. Das: 
jelbe bat, wie zu erwarten ftand, Anklang gefunden und iſt darum auf 
raſch gefördert worden. Es wird durch dafjelbe einem immer mehr und 
mehr fih kundgebenden Bebürfnig nah gründlicher und zugleich populärer 
Belehrung über bedeutende hiftoriihe Begebenheiten abgeholfen. Was bis 
jest dargeboten worden ift, verdient entjchiedene Anerkennung und Empfehlung. 

Es enthalten die 18 ung vorliegenden Halbbände Folgendes: 

Dr. &. Weber, Rrofefior in Heidelberg, Germanien in den erſten 
Jahrhunderten feines geſchichtlichen Lebens. 

Jacob Falke, Füritt. viechtenftein’iher Bibliothekar, Die ritterliche 
Geſellſchaft im Zeitalter des Frauencultus. 

Dr. Karl Bied.rmann, Prof. in Weimar, Deutſchlands trübfte 








Jugend⸗- und Volksſchriften. 219 


Zeit, oder: Der dreißigjährige Krleg in ſeinen Folgen für 
das deutjche Eulturleben. 

Johannes Boigt, Prof. in Königsberg, Blide in das lunfts und 
gewerbreihde Leben der Stadt Nürnberg im jechszehnten 
Jahrhundert. 

Georg Waitz, Deutſche Kaiſer von Karl dem Großen bis 
auf Marimilion IL 

KA. Mayer, Brof. in Mannheim, Kaifer Heinrid IV. 

A. Schottmüller, Prof. in Berlin, Luther. Ein deutſches Helvenleben. 

Dr. Joſ. Kugen, Prof. in Breslau, Aus der Beit des fieben: 
jährigen Krieges. 

33. R. Fr. Eylert, Eharalterzüge aus dem Leben des Königs 
von Preußen Zriedrih Wilhelm III. Gefammelt nad eigenen 
Beobachtungen und ſelbſtgemachten Erfahrungen. Woblfeile Ausgabe. 
Erſter Band. Iſte und 2te Lieferung. 8. (& 5 Bogen.) Magdeburg, Hein⸗ 
rihähofen. 1862. à 32/. Sgr. 

Dies Wert bat feiner Zeit wohlverdiente Anerkennung gefunden. Der 
Derf. zeichnete fih durch feine Beobachtungsgabe und MWahrbeitsliebe aus 
und lieferte darum eine Biographie, die von Preußen und Nichtpreußen mit 
Intereſſe gelefen wurde. Das Vorhaben, hiervon eine mwohlfeile Ausgabe 
zu veranftalten, verbient daher Billigung. 


II. Geographie. 


34. Dr. Dtto Ule, Die neueften Entdedungen in Afrifa, Auſtra⸗ 
Iten und der aretifhen Polarmwelt, wit befonderer Rüdfiht auf die 
Nature und Culturverhältniſſe der entdedten Länder. Mit Titelvignette 
und 39 SHolzfchnitten und Karten, gr. 8. VII und 39 ©. Halle, 
G. Schweiſchke. 1861. geb. 2 Thlr. 


Der Berf. hat fih in diefem Werte vie Aufgabe geftellt, in weite 
Kreife das Intereſſe an der geographiſchen Forſchung zu verbreiten und 
durh eine Meberfiht der neueften Unternehmungen auf drei der hervor⸗ 
ragendſten geographiſchen Gebiete und eine Schilderung der erforfchten Länder 
und Meere das Verftänpniß für mande große frage der Gegenwart und 
Zukunft zu vermitteln. Cr benußte dazu die größeren neueren Reiſewerke 
von Barth und Livinaftone, Leihhardt und Stuart, Kane und M’Clintod, 
jowie die Berichte in Petermann’s geographifhen Mittheilungen und Neu: 
mann's Zeitſchrift für allgemeine Erdtunde. Nah unferem Dafürbalten 
bat der Verf. feinen Zmed vollfommen erreicht; er bat ein klares und zus 
glei anziehbendes Bild diefer Forſchungen für Alle geliefert, welche durch 
Zeit: und Geldmangel behindert find, die genannten Reiſewerke durchzu⸗ 
arbeiten. Die Schrift macht jeden aufmerkjamen Lejer mit dem gegenmwär: 
tigen Stande der geograpbiihen Forſchungen und deren Ergebnifjen in an- 
genehmer Weife befannt. Die eingebrudten Abbildungen ftellen theils Lands 
haften, theils Pflanzen, Thiere und Menſchen dar und find gut gewählt 
und ausgeführt. 


35. K. Andres, Globus. Illuſtrirte Zeitfhrift für Länder» und 
Bölkertunde. In Berbindung mit Fachmännein und Künftlern heraus⸗ 








220 Ingend⸗ und Volksſchriften. 


gegeben. Zweiter Band. gr. 4. Hildburghauſen, Bibliographiſches Inſtitut. 

1802. Bierteljährlich 11/a Thlr. 

Dies Werk erfcheint in einzelnen Nummern, von denen jede mehrere 
große Abbildungen enthält. Es Hat fi die Aufgabe geftellt, den For⸗ 
chungen auf dem (Gebiete der Geographie und Ethnologie zu folgen und 
bie Ergebnifje derfelben in geihmadvoller Darftellung den Lefern vorzuführen. 
Diefe Aufgabe wirb in trefflicher Weife gelöst, wie fih ja aud von dem 
al3 Geographen rühmlichit bekannten Herausgeber erwarten ließ. 


III. Periodiſche Blätter vermilchten Inhalts. 


36. WB. D. von Horn, Die Maja. Gin Volksblatt für Alt und Jung im 
deutfhen Baterlande. Künfter Jahrgang. Mit zwölf Abbildungen. gr. 8. 
588 S. Wiesbaden, Aufl. Niedner. 1802. 2 —6 
Schon in früheren Jahrgaͤngen haben wir auf dieſe gehaltvolle Zeit 

ſchrift aufmerkſam gemacht. Auch von dieſem Jahrgange koͤnnen wir bes 
haupten, daß er geſunde Nahrung für das Volk enthält und ſowohl in 
feinen größeren, wie auch in feinen lleineren Auffäßen eine große Mannich⸗ 
faltigleit darbietet. Die Abbildungen, meiftens intereflante Landſchaften, 
find ſehr ſauber ausgeführt. 


37. 3. F. Iende, Director der Taubftummenanflalt zu Dresden, Freie 
Saben für Geiſt und Gemüth. Zur Erweiterung des Unterflügunges 
fonds für arme erwachſene Taubſtumme hberuusgegeben. Siebenter Jahrgang. 
1861/62. 6 Hefte à 4 Bogen gr. 8. Leipzig, Herm. Fritzſche. Dresden, 
beim Herausgeber. à Heft 5 Ser. 


Diefer Jahrgang enthält größere Erzählungen von zum Theil aner⸗ 
kannten Schriftftellern wie Nierig, Gedichte, Biograpbifches, Naturbiftorifches, 
u. A. Die meiften Arbeiten find recht anſprechend. Mehrfach find aud 
gute Abbildungen beigegeben. 





vi. 
Naturkunde. 


Bearbeitet von 


Aug Lüben. 


J. RMethodiſches. 


1. Es gewährt große Freude, wahrzunehmen, wie die Naturkunde 
mit jedem Jahre zu größerer Anerkennung in den Schulen, namentlich auch 
in den Volksſchulen, gelangt. Von den verſchiedenſten Seiten ber erfahren 
wir, daß man Bedacht nimmt auf Beichaffung geeigneter Lehrmittel 
dafür. So tragen die Bremijchen Landlehrer jebt in anerkennenswerther 
Weile Sorge für Beihaffung der erforderlihen phyſikaliſchen Apparate. 
Nachdem fie mit Berüdfihtigung des „Lehrplanes“ feitgeftellt haben, was 
zur Ertheilung dieſes Unterriht3 an Apparaten erforderli ift, haben fie 
fih zur gemeinfamen Beſchaffung derjelben vereinigt, um billiger dazu zu 
fommen. Diejenigen unter ihnen, welche geſchidt in mechanischen Arbeiten 
find, haben felbft einzelne Apparate angefertigt. So bat 5. B. einer der 
felben für alle Landſchulen Glektrophore hergeftellt, ein Anderer Verſtaͤrkungs⸗ 
flaſchen, ein Dritter Goloblättchen-@leltrometer u. |. w. Die nöthigen Gelder 
dazu bewilligt der Staat. Wehnliches fteht für die Staatsfreiſchulen in 
Ausfiht. Eine in diefem Jahre (1862) errichtete Staatsvoltsfchule mit 
ſechs Nlafien bat gleih bei ihrer Eröffnung die genannten Lehrmittel 


Wenn anderwärts nicht Aehnliches geſchieht, fo tragen die Behörden 
wohl nicht immer die Schuld. 

2. Her Schulratb Dr. 8. Shmidt in Gotha verlangt in feiner 
Schrift: „Zur Neform ver Lehrerjeminare und der Vollsſchule“ (Göthen, 
1863) für die Seminare eine umfänglichere naturwiſſenſchaftliche Bildung, 


222 Naturkunde. 


als die meiften diejer Anftalten fie jebt gewähren. Die Seminariften follen 
Pflanzen beftimmen lernen und mit Hülfe des Mitroflops tiefer in bie 
Pflanzenphpfiologie eindringen. In der Zoologie foll bejonderer Werth auf 
die Entwidelung des Thierreih gelegt werben, in der Mineralogie neben 
Kenntniß der Mineralien und Gefteine aud der Geologie die nöthige Auf: 
merkſamleit geſchenkt werden. Neben ver Phyſik foll die Chemie hergeben. 


3. Auf der diesjährigen Allgemeinen deuten Lehrerverjammlung in 
Mannheim babe ich einen Vortrag über die Naturkunde in den Lehrer: 
feminaren gehalten, auf den die Verfammlung mit großer Hingabe ein: 
ging, wie die fi daran Inüpfende Discuffion erwies. Nachdem einleitend 
gezeigt worden war, daß das naturwiſſenſchaftliche Wiſſen der Lehrer durch⸗ 
ſchnittlich noch fein ausreichendes jei, wurde das Maß von Kenntniſſen bes 
zeichnet, welches in den Seminaren erworben werden müſſe, wenn es befier 
werden folle. Es wurde gefordert Kenntniß aller drei Naturreiche in dem 
Sinne, mie die Forſchung der Neuzeit fie ergeben bat. „Hiernach, bieß 
es, muß der Seminarift die charalteriſtiſchen Geftalten der Oryktognoſie jo 
wie die der ©eognofie kennen und gruppiren lemen und das Nöthige über 
deren Bildung, mie über die allmälige Umgeftaltung der Erde bis zu 
ihrem jebigen Buftande erfahren. In der Botanik ift erforberlih: Kenntniß 
der natürlichiten Familien aller Zonen, bis zu den Algen und Pilzen hinab, 
der innern Organifation des Pflanzentörpers, des darin herrſchenden Lebens 
und der wicdtigften, dur den Lebensproceß fih bildenden Stoffe, in der 
Boologie ebenfalls Kenntniß der natürlichjten Familien aller Klaſſen, bis 
zu den Infuſorien bin, der innern Organifation des Xhierlörpers, feiner 
Lebensthätigleit und feiner allmäligen Gntwidelung in den Pauptgruppen. 
Hieran muß ih noch reihen eine genauere Kenntniß des menschlichen Kür: 
pers, feiner Entwidelung im Sindesalter und der zu feiner Ausbildung 
und Erhaltung erforberlihen naturgemäßen Pflege. Die Phyſik muß ſich 
auf alle Arten Erſcheinungen erftreden und zur Kenntniß der wirkenden 
Kräfte zurüdgehen, die Chemie die werbreitetften Elemente und ihre Ders 
bindungen in der Natur fo wie zur Herftellung wichtiger Produkte für das 
Leben.‘ 


Sierauf wurde gefordert, daß der Unterricht den Seminariften zum 
erfolgreichen Selbftitudium befähigen müfle, damit er im Amte nicht ſtehen 
bleibe und zurüdjchreite. „Dieſe Befähigung, hieß ed, erlangt der Semis 
nariſt, wenn er zu angemefiener Zeit zum eigenen Beobachten und Inter 
fuchen angeleitet wird. Sind aljo Mineralien ans allen natürlihen Fe 
milien durchgenommen worden, jo werden Gtüde zur Unterfuhung wet 
Benugung einer Härtejcala, einiger Säuren und bed Loͤthrohrs bingegeben 
und die Aufforderung daran gelmüpft, mit Hülfe eined geeigneten. Buches 
den Namen derſelben zu ermitteln. Im Sommer, mo Botanil und Entos 
inologie getrieben werden, muß die Entwidelung der Pflanzen vom Reime 
bis zur Fruchtreife an geeigneten Individuen aus verjhiedenen Gtuppen 
tägli beobachtet und das Beobachtete regiſtritt, muß das Deben und bie 
Metumorphofe der Smjerten, Spinnen, ſtruſtenthiere in gleicher Weife in’s 
Auge gefaßt, mäfen Unterfuhungen zu Ramenermittelungen vorgenommen 





Naturkunde. 223 


werden. Sm der Phyſik und Chemie darf nicht blos ver Lehrer erperimen- 
tiren, auch bie Seminariften müfjen vielfach dazu angehalten werden un 
außerdem dahin kommen, daß fie die einfahen Apparate, bie fie Rünftig 
für den Unterricht nötbig haben, fich jelbit anfertigen können. Der Berlauf 
der hervorgerufenen oder in der Ratur im Großen vor fi gehenden Er⸗ 
ſcheinungen muß forgjältig beobachtet und gebucht werben, um Reſultate 
daraus ziehen zu können.” 


Hierauf war von ber Methode des Unterrichts in der Naturlunde die 
Rede, und zwar von der Auswahl und Anordnung des Materials und ven 
der naturgemäßen Bermittelung ver zu gewinnenden Kenntniſſe. Da id 
bierauf ſchon wiederholt im Sahresberiht bin zu ſprechen gekommen, ſo 
jebe ih davon hier ab. Der Bortrag ift feinem weſentlichen Inhalte nach 
ohnehin im 4. Hefte des „Praktiſchen Schulmanns“ (von 1863) abge 
drudt worden. 


4. Nr. 4 des „Württembergiihen Schulmodenblattes” (von 1862) 
enthält einen Artikel über die Naturlunpde in Volksſchulen, mit bes 
fonderer Beziehung auf das württembergifche Leſebuch. Der Berf. Tpricht 
fh mit Wärme und Sadlenntniß für den Gegenjtand aus und berührt 
dabei alle in Betracht kommende Punkte. 


Den Anfang des eigentlihen naturkundlichen Unterriht3 will er in 
das 12. Lebensjahr verlegt willen. Grund für einen fo fpäten Anfang 
findet er in der durchſchnittlichen mangelhaften Befähigung ver Landlinder, 
die er befonders ind Auge faßt. Man muß zugeben, daß Yandlinver ſich 
etwas ſpaͤt entwideln, aber man darf doch auch nicht überjehben, daß bie 
Naturlunde in Folge der Anjhauungen, welde fie gewährt, gerade jehr 
wefentlich zur Bildung der Rinder beiträgt. Und aus dieſem Grunde em» 
pfieblt es fich jehr, ven naturtundlichen Unterricht etwa mit dem 9. Lebens: 
jahre eintreten zu lafjen. 


Als Unterrihtsmittel bezeichnet der Verf. das Lefebud. 
Dieſer Anfiht können wir nicht beitreten. Für die Naturkunde gibt es 
in allen Arten Schulen, alſo aud in der Volksſchule, fein anderes Unter: 
rihtsmittel, ald Naturkörper und Naturerfheinungen, von denen 
die legteren in der Regel durhd Erperimente hervorgerufen werden müflen. 
Nur als unterftügendes Hülfsmittel Tann ich das Leſebuch gelten laſſen, 
wenn e3 dafür geeignete Stüde enthält. Man kann nicht ernftlih genug 
vor diefem naturkundlichen Lejeunterriht warnen. Ausprüdlih bemerken 
muß ich übrigens, daß der Berf. der wirklichen Naturbetrahtung das Wort 
redet und eine bloße Befprehung der einschläglihen Lejeftüde durchaus 
tadelt. Aber er kann leicht mißverftanden werden, wenn er 3. B. fagt: 
„Bei allem dem muß aber doch mit Worzeigen (von Naturlörpern) und 
ähnlichen Demonftrationen (Erperimenten) Maß gehalten werden; fie dürfen 
nicht Gegenftand der bloßen Neugierde und Unterhaltung merden; ſonſt 
zeritreuen fie den Schüler, ftatt daß fie ihn belehren follten. Eben deswegen 
muß der Schüler auch ſtets das Leſebuch vor ſich haben.’ Hierzu fage ih 
nohmals Nein! er muß den Naturlörper und die Naturericheinung vor fi) 


224 Naturkunde. 


baben und das Leſebuch erfi nach dem unmittelbaren Unterricht zur Hand 
nehmen, etwa in der ſich anfchließenden Leſeſtunde. 


Sehr richtig ift dagegen die Anſicht des Verf., daß der Linterricht in 
der Botanik und Zoologie niht in Lanpmwirtbichaft, der in der Phyſik, 
Chemie und Mechanik in fpecielle Technologie übergehen darf. 

In Bezug auf das Unterrichtsverfahren bei Erläuterung von Natur: 
erfheinungen ſpricht fi der Verf. ein wenig unvorfihtig aus, wenn 
ex fagt, „fe müſſen aus der Schule verbannt bleiben, foweit fie den Kindern 
nur durch Apparate und Erperimente, durh Maſchinen klar gemacht werben 
koönnen.“ Vielleicht bat der Verf. hierbei nur an complicirte Verſuche und 
Apparate gebadht. 


In Betreff der Anordnung empfiehlt der Berf., vom Nabeliegenden 
auszugeben und die Botanil z 3. bei Landlindern mit den ©etreidearten 
zu beginnen, bei Stabtlindern mit den Blumen des Gartens. So gern 
wir dem Verf. in Bezug auf den Haupttheil des Satzes beiftimmen, fo 
wenig können wir der Anſicht beipflihten, daß bei Landkindern durch⸗ 
aus mit den ©etreidearten begonnen werden müſſe. Nicht auf die Natur: 
förper ift das Augenmerk zuerft zu richten, welche der Landmann baut, 
fondern auf die, welche das Kind am leichteſten verſteht, an melden 
ed den Bau der Pflanze am beften ertennt. Das ift bei den 
Getreidearten ganz entfchieden nicht der Fall; eine Grasblüthe ift felbft 
manchem Erwachſenen unverltändlid. Ohnehin bat ja der Landmann nicht 
blos Felder, fondern in der Regel aud einen Garten, in dem wenigftens 
Dpftbäume wahjen. An Intereſſe für diefe mie für jede andere Pflanze 
wird es den Kindern bei rechter Behandlung nicht fehlen. 

Bon naturhiftoriihen Syftemen will der Verf. nichts willen. Ich 
lege darauf auch feinen Werth für Lanblinder; wenn indeß einmal geordnet 
werden foll, jo ift eg weit mehr im Intereſſe des Unterrichts und der Bil: 
dung, wenn dabei mehr auf die Beichaffenheit der Naturlörper, als auf 
ihre Verwendung im Leben Rüdſicht genommen wird. 

Was der Verf. über die Behandlung fagt, ift im Ganzen angemefien. 

Zum Schluß ftellt er dann einen Lehrgang auf, für den er 
das mürttembergifche Leſebuch zu Grunde legt. 


Il. Literatur. 


L Allgemeine Naturkunde. 


1, Dr. ER. Böhner, Kosmos. Bibel der Natur. Das Anziehendfte 
aus dem Gebiete der Naturforfhung zur Deranihaulihung der Majrkät 
des (Ewigen in feinen Werken. Für Gebtidete aller Bekenntniſſe. Erſte 
Lieferung. Mit Titelblatt von C. Koken in Karbendrud. Lex.⸗8. (176 
S.) Hannover, &. Rümpler. 186°. geb. 1 Thlr. 











Naturkunde. 225 


„Die „Bibel der Natur” möchte den gebildeten Familien eine Würze 
der Unterhaltung bieten in ihren freundlichen Rreifen, dem ftubirenden Jüng: 
ling eine Bedung der Freude in der Natur, dem bedrängten Geihäftsmanne 
eine Geifteserfriihung in freien Stunden — dem Zweifler an Gottes Bor: 
febung ein Etadel in fein Gewiſſen, dem orthodoxen Steberrichter eine 
Geifel der Wahrheit auf feinen Rüden, dem niedern Sklavenfinn ein Wed: 
mittel der Menfchenwürbe, der eifigten Gelbitfuht einen Blid in Gottes 
Baterberz, dem püntelhaften Weiſen ein Remedium wider den Hochmuth — 
allen revlihen Wahrheitsfreunden eine Veranſchaulichung der herrlichen 
Wunderwerke Gottes zur Erquidung der Seele.‘ 


Bas der Verf. in diefen Worten der Vorrede verheißt, das fcheint 
er au in Wahrheit erfüllen zu wollen. Die vorliegende Lieferung be- 
ſchaͤftigt fih mit dem Bau des Himmels. In 43 Abſchnitten wird Alles 
hierauf Bezüglihe mit ebenfo großer Sadlenntniß ald Würde beiprochen. 
Es ift Alles ohne gelehrte Vorbildung für jeden Gebildeten verftänplich. 
Die Darftellung ift gewählt und erinnert mehrfah an die Leiftungen Hum⸗ 
boldt's auf diefem Gebiete. 

In 4 — 5 Heften gedenkt der Verf. fih noch über Folgendes aus: 
zufprehen: Die Wunder des Lichts und der Atomenwelt. Die Urwelt 
und das Weltmeerr. Das Luftmeer und die neuere Meteorologie. Das 
Reich der Pflanzen. Die Kunfttriebe und das Geelenleben der Thiere. 
Der Wunderbau des thieriihen Organismus. Der Wurm und die Allmadıt. 
Die ftaunenswürdige Harmonie in der Haushaltung Gottes. Der Menſch, 
die Krone der Schöpfung, nad Leib, Seele und Geift. Die unermeßliche 
Lebensfülle des Gottesreihd. Die Unfterblichleit des Menfchengeiftes und 
die Ausficht in die Ewigkleit. Gott allein die Ehre. 


Die Abbildung ftellt einen Sonnenaufgang auf den Fimen der Alpen 
dar und kann als ein prächtige Bild bezeichnet werden. 


Denn der Verf. in der begonnenen Weiſe fortfährt, fo wird er ein 
ſehr anziehendes Buch für einen weiten Leſerkreis liefern. 


2. Zac. Molefhott, Der Kreislauf des Lebens Phyfiologiſche Ant- 
worten auf Liebig's Chemifche Briefe. Vierte, verbefjerte und mit einem 
Nachtrage vermehrte Auflage. 8. (VIII und 556 S.) Mainz, Verlag von 
Zabern. 1862, 2 Thir. 12 Sgr. 


Diefe Schrift ift Lehrern, die fih etwas ernſtlicher mit den Natur: 
wiſſenſchaften befchäftigt haben, längit belannt; es genügt darum aud), auf 
das Vorhandenſein einer neuen Auflage derſelben hinzuweiſen. Yür die 
jenigen, welche der Sache etwas ferner ftehen, geben wir nachſtehend ben 
Inhalt an und bemerken, daß alle einſchläglichen Gegenftände, aud die 
fchwierigeren, in hoͤchſt Harer, populärer Weife dargeftellt find, und daß 
die noch heut von gewiller Seite ſehr verbreitete Beſorgniß, durch das 
Studium Molefhott’iher Schriften zum Materialismus verbreitet zu werben, 
eine völlig unbegründete if. Moleſchott erfennt den Geift ebenjo millig 
an, wie andere vernünftige Menſchen, bulvigt aber nicht unbegründeten, 
nebelhaften Anfichten. 

Bär. Jahresberiht XV. 15 


226 Naturkunde. 


Inhalt: Cffenbarung und Naturgefeß. Erlenntnißquellen des Menſchen. 
Unfterblichleit des Stoffes. Das Wachsthum von Pflanzen und Thieren. 
Die Erde als Werkzeug der Ehöpfung von Pflanzen und Thieren. Nreis: 
lauf des Stoff. Die Pflanze und der Boden. Pflanzen und Thiere, Er: 
nährung und Athmung. ntwidelung der Nahrung im Thiertörper. Aſche 
der Thiere und Menſchen. Nüdbildung im Thier. Nüdbildung in der 
Pflanze. Die Wärme von Pflanzen und Thieren. Die allmälige Ent» 
widelung des Etofis Der Etoff regiert ven Menfhen. Kraft und Stoff. 
Der Gedante. Der Wille. Für's Leben. 


3. A. 8. Grube, Biograpbien aus der Naturfunde, in äfthetifher Form 
und religiviem Sinne. Dritte Reihe. Wir 4 Lithographieen. Zweite, ver- 
befjerte Auflage. or. 8. (267 S.) Stuttgart, I. F. Steinkopf. 1862. 
geb, 27 gr. 


Diefer Theil der befannten und beliebten „Biographien aus der Na- 
turlunde‘ erſchien zuerft 1858 und ift im XIL Bande des Yahresberichts 
von und angezeigt und empfohlen worden. Die fleifige Hand des Verfs. 
bat fi an diefer neuen Auflage mehrfach befiernd erwieſen; die „Geſchichte 
eines Apfelkernes“ ift mweggeblieben, dafür aber eine Skizze über das Walroß 
binzugelommen. 


II. Naturgeichichte. 


A. Abbildungen. 


4. Dr. 9. ©. Bronn, Prof. an der Univerfität Selbeiberg, Die Rlaffen 
und Ordnungen des Thierreichs, willenfhaftlich dargeftellt in Wort 
und Bild, Mitauf Stein gezeichneten Abbildungen. III. Band. Lieferung 
17—23. Lex⸗8. (Bogen 33— 39, Tafel XLV—LXI.) Leipzig und 
Heidelberg, C. F. Winter. 1863. & Heft ’/a Thlr. 


Mit der 17. Lieferung beginnt die zweite Abtbeilung des LIT. Bandes. 
Diefelbe behandelt die Kopf:Meichthiere (Malacozoa Cephalota) und reicht 
jet bis zur Gattung Doris. Die Ausführung des Tertes wie ber Ab: 
bildungen gibt rühmliches Beugniß für den Fleiß und die wifienfchaftliche 
Tüchtigleit des Verf. Wir befigen in der deutſchen und vielleicht über 
baupt in der naturbiftoriihen Literatur fein Werk, das diefem zu vergleichen 
wäre. Der inzwijchen eingetretene Tod des Berf. wird hoffentlich feine 
Störung in dem regelmäßigen und raſchen Erſcheinen des Wertes herbei- 
führen; Deutſchland ift ja nicht arm an tüchtigen Raturforjchern. 


5. Dr. &. Ednizlein, Prof. der Rotanik, Analyfen zu den natürs 
liden Ordnungen der Gewähfe und deren ſämmtlichen Fa⸗ 
milien in Europa. Gine Jluftration zu jedem botanijchen Werfe und 
ein Hülfemitrel zur genaueren Erfenntniß und Unterſcheidung der Pflanzen» 
familien für Lehrer und Etudtrende der Raturwiffenfchaften, höhere Lehr⸗ 
anftalten, Aerzte, Apotheker, Forſtkundige, Landgutbefiger, Gärtner und 
Freunde der Botanif. Phaneregamen, in einem Atlas von 70 Tafeln mit 
2500 Bi uren erläutert. Reue Audgabe. gr. Fol. Wrlangen, 3.3. Palm 
und E. Ente. j 








Naturkunde. 227 


Der Verleger veranftaltet jetzt von dieſem bekannten Werke eine neue 
Ausgabe von 10 monatlichen Lieferungen von je 7 Tafeln zu dem Preiſe 
von 12 Sgr. Auf jedem Blatte find einige Familien durch ftark vergrößerte 
Darſtellung ihrer Blüthen- und Fruchttheile veranfhauliht. Die Figuren 
find etwas verb, hier und da etwas rob ausgefallen, zeichnen fid aber 
dur große Naturtreue aus und entſprechen daher den Unterrichtszwecken 
fehr gut. Wir empfehlen das Wert insbefondere höheren Lebranftalten. 

Der beigegebene Text enthält eine Meberfiht der Ordnungen der Phar 
nerogamen, eine Aufzählung aller bis jet begründeten phanerogamen Pflans 
zenfamilien, in die Ordnungen ihrer Verwandtſchaft eingereiht, ein Regiſter 
der Ordnungen und Familien, welche auf den Zafeln bargeftellt find, und 
eine Crllärung der Abbildungen. 


6. 3. G. Hübner, Lehrer am Königl. Lchrerfeminar zu Köpenik bei Berlin, 
Vflanzens Atlas Zwetite verbefferte Auflage. Auf 32 Tafeln (Qu. 4) 
enthaltend: gegen 400 Pflanzenarten und 2000 Figuren. Nebſt Begleits 
‚wort. Golorirte Ausgabe. Berlin, Tb. Grieben. 2 Ihlr. 


Jedes Blatt ift durch feine Linien in 10 bis 12 und mehr NRechtede 
von verjchievdener Größe abgetheilt, und jedes dieſer Rechtece enthält 
die Darftellung einer Pflanzenart. Hiervon ift durchſchnittlich ein Blüthen- 
zweig, zuweilen aud die ganze Pflanze verkleinert abgebildet, und außers 
dem find die Blüthen- und Fruchttheile in vergrößertem Maßftabe dar: 
geftellt, ähnlih wie in den Werten von Schkuhr, Petermann u. A. Im 
Ganzen jcheinen ziemlih gute Vorlagen benußt worden zu fein; die Aus: 
führung ift jedoch ziemlich roh ausgefallen, vielleiht, um einen billigen 
Preis zu erzielen. Daſſelbe gilt in noch höherem Grade vom Colortt. Die 
Wiſſenſchaftlichkeit, welche fih in den Detailzeichnungen kundgibt, hat ver 
Herausgeber in der Anorbnung bes Materials vollftändig verleugnet. Diefe 
it namlih nicht aus der Sache, d. b. aus dem Bau der Gewädhje jelbit 
entlehnt, alfo nad einem natürlihen Syſtem gemacht worven, jondern nad 
ganz unmefentlihen Rüdfichten. Seine Gruppen werden bezeichnet durch 
die Namen: Obfte, Walds, Bier:, Gewürze, mediciniſche Bäume, Obft-, Ge: 
würz, Bier, Farb⸗, mediciniihe und Giftfträuher, Nahrungs⸗, Gewürze, 
Bier, Futter, Farbe, Del:, mebdicinifhe und Giftſträucher u. ſ. w. Das 
ift, wie gejagt, die fhwädhlte Seite am Werke und eine fprechende Probe 
von der verfehrten Methode, die mehrfach im naturbiftorifhen Unterricht in 
den Seminaren befolgt wird. Schon ver Umitand, daß fih nur der Bau 
der Gewäaͤchſe abbilden läßt, nicht aber ihre mebicinifchen, oder giftigen 
Kräfte, hätte Den Herausgeber auf den richtigen Weg bringen können. 
Das Seminar hat die Uufgabe, feine Zöglinge mit dem Bau und dem 
Leben der Gewächſe befannt zu machen, nicht aber vorherrſchend mit dem 
Augen. und Schaden derjelben; das findet ſich nebenbei. 

Der beigegebene Zert beichräntt fich auf kurze Benennung ber ein: 
zelnen Figuren. 

17. Dr. D. Dietrich, Deutfhlands kryptogamiſche Gewächſe in 
Abbildungen. HAweite Ausgabe. Erſten Bandes II. Heft. Die Karrens 
Iräuter, Land» und Lebermooſe. gr. 8. Jena, A. Sudow. 1863. 

15* 


228 Naturkunde. 


Bon diefem Werke erfcheinen in neuer Ausgabe monatlidh zwei Hefte, 
jedes mit 10 Supfertafeln. Etwa 30 Hefte bilden einen Band, an beflen 
Schluß die Erllärungen zu den Tafeln beigegeben werden Den erfien 
Band bilden die Yarrnlräuter, Laubs und Lebermoofe, den zweiten bie 
Flechten, den dritten und vierten die Schwämme. Der Preis für jedes 
colorirte Heft ift 18 Ser. 

Uns liegt nur das zweite Heft, Zafel 11—20 enthaltend, vor. Die 
darin abgebildeten Farrnträuter find durchaus treu dargeftellt und auf den 
erfien Blid zu erfennen. Wer daher in der Lage ift, ih das Werl be 
Schaffen zu können, wird darin ein braudbares Hülfsmittel für das Stubium 
der Kryptogamen haben. 


8. Dr. G. Ch. Neuß in Um, Bflangenblätter in Raturdrud mit 
der botantichen Kunſtſprache nad den Blattformen gefammelt und heraus» 
egeben. 42 Yollotafeln mit erläuterndem Text In Octav. Stuttgart, 

6. Schweizerbart. 

Das Wert wird 7 Lieferungen umfaſſen, von denen jede 5/, Thlr. 
koftet. Die Grundlage zu den Abbildungen haben natürliche Blätter ges 
bildet; man hat deshalb Bilder vor fih, melde die Natur volllommen 
erjegen ; jede Über, jedes Haar ift abgedrudt. Sehr paflend ift dazu aud) 
grüne Yarbe verwandt worden. 

Auswahl und Anorbnung laflen, foweit wir das aus ber erften Lies 
ferung zu beurtbeilen im Stande find, nichts zu wünfden übrig. Tert 
liegt dieſer Lieferung nicht bei. 

Man wird von dem Werte in böberen Schulanftalten fidher einen 
guten Gebrauch machen können. 


B. Sammlungen. ’ 


9. W. Laſch und C. Baͤnit, Herbarium norddeutfher Bflanzen 
für angehende Lehrer, Rharmaceuten und alle Freunde der Botanil. 
einzelnen Lieferungen herausgegeben. oh Selbfiverlag: Lehrer C. Väniß; 
in Sommiffion: Heyn’fhe Buchhandlung (E. Remer). 

Erfte Lieferung: Gefäß-Kryptogamen. 13/3 Ihlr., Buchhandel: 21/2 Thlr. 
Zweite Lieferung: Laubmooſe. 15 Ger. 
Dritte Lieferung: Lebermoofe und Algen. 15 Egr. 
Bierte Lieferung: Flechten. 10 Ser. 
ünfte Lieferung; Pilze. 20 Gear. 
Schöte Lieferung: Halbgräfer. Is Thfr. 
Siebente Lieferung: Graͤſer. 1/s Thlr. 


Dieſe Sammlung enthält in ihren ſieben Lieferungen 276 Pflanzen⸗ 
arten, deren richtige Beitimmung Anfängern große Schwierigleiten bereitet. 
Die Ausftattung ift vortrefilih, das Wert daher jehr empfehlenswerth. 


. @. Leiöner, Lehrer zu Waldenburg in Schiefien, Verzeichniß von verfänfs 
u —— — Feibarten und Dereinerungen im ſchleſiſchen Mineralien» 
Gomptoir. In Commiſſion der E. Melperrihen Buchhandlung in Walden⸗ 
burg. 1863 
Dies Berzeihniß führt eine große Anzahl Mineralien, Felsarten und 
Berfteinerungen auf, die zu beigejeßten, verhältnißmäßig niebrigen Preijen 








Naturkunde. 229 


bei Herrn Leisner zu haben ſind. Außerdem bietet derſelbe aber auch ver⸗ 
ſchiedene Sammlungen für ben Schulunterricht an, von denen jede in ihrer 
Art genügt, indem die Auswahl immer fo getroffen ift, daß alle Haupt: 
abtheilungen vertreten find. Es find Sammlungen zu haben von: 
60 Stüd zu 24, Thlr., 
80 [7 ” 4 ” 
100 " „ 6 ” 
200 „ „16 „ 
Wir hatten Gelegenheit, eine diefer Sammlungen zu fehen, und fanden 
die Stüde darin ganz inftructiv, 


C. Schriften. 
a. Für Lehrer. 
1. Zoologie. 

11. Dr. C. &, @ichel, Die drei Reihe der Ratur. In drei Abthei⸗ 
ungen. Mit 8000 Abbildungen. Erſte Abtheilung: Die Raturgefchichte 
des Thierreiche. Hoch⸗4. Heft 27 und 28 (Bogen 33—48). Leipzig, 
D. Bigand. 1862. A Heft 10 Ser. 

Die erfien drei Bände und Heft 23—26 des vierten Bandes haben 
wir in den früheren Theilen des Jahresberichte angezeigt. Die beiden vor: 
liegenden Hefte führen bis zu den Scorpionen. Wie wir aus einer Anzeige 
erjeben, ift der vierte Band bereits vollendet und jchließt mit den Wür⸗ 
mern ab. ES dürfte fonah noch etwa ein Band in Ausficht ftehen. 

Bon Neuem wiederholen wir, daß Giebel’8 Naturgefhichte des Thier: 
reichs zu den beiten Werten gehört, die wir über diefen Gegenftand beſitzen. 


12. Dr. A. ©. Brehm, Director des goologifhen Gartens in Hamburg, 
Illuſtrirtes Thierleben. Cine allgemeine Kunde des Thierreichs. 
Mit Abbildungen nad der Natur von R. Kretfhmer und E. Zimmermann. 
Heft 1 und 2, Lex.⸗8. (à Heit 3 Bogen.) Hildburgbaufen, Bibliograph. 
Inſtitut. 1863, A Heft Y/s Thlr. 

Die Befähigung zur Abfafiung eines ſolchen Werkes bat der Berf. 
bereitö ausreichend durch feine Schrift über das Leben der Vögel, auf die 
wir im vorigen Bande binwiefen, dargetban. Cr ift ein genauer und fin: 
niger Beobachter und bejigt zugleidh große Gewandtheit in der Darftellung. 
Dazu kommt, daß er viele Länder und fremde Erdtheile gejeben und überall 
das Leben der Thiere beobachtet hat. 

Dem Titel getreu, legt der Verf. mehr Werth auf das Thierleben, 
als auf die körperliche Beichreibung derfelben; indeß gibt er hiervon aud 
fo viel, als nöthig ift zu einer allgemeineren Kenntniß. Die Abbildungen 
find vielfach nad dem Leben gezeichnet und gewöhnlich in fehr charalteriſti⸗ 
Shen Stellungen; fie bilden einen fehr werthvollen Theil des Wertes, das 
wir biermit beftens empjeblen. 


13. Dr. ®. 3. ©. Eurtman, Seminardireor, und G. Walter, Lehrer an 
der Realſchule zu Offenbach, Das Thierreich, naturgeſchichtliches Lehr⸗ 
und Leſebuch. Mit 380 Apbildungen im Text. Dritte, verbeflerte Auflage. 
gr. 8. (II und 604 ©.) Darmfladt, 3. Ph. Diehl. 1862. 1 Thlr. 18 Sgr. 





230 Raturkunde. 


Diefe Schrift enthält den gewöhnlichen Text in anſprechender Form. 
Det meilte Raum (440 Seiten) ift den Wirbelthieren gewidmet. Die ein- 
gebrudten Holzſchnitte find gut; ihr Werth könnte jedoch durch binzugefügte 
Details noch fehr erhöht werben. 


14. Dr. A. Karſch, Profeffer, Die IAnfertenwelt. Ein Taſchenbuch zu 
entomologifhen Excurſionen für Lehrer und Lernende Erſte Hälfte: 
Käfer. — Kalter. 16. (XXIV und 224 S.) Münſter, € C. Brunn. 
1863. 1 r. 


Die Einrichtung dieſes Büchleins iſt zweckmäßig, beſonders für 
das Beſtimmen durch eigene Unterſuchung. Da indeß der Verf. namentlich 
in den Gattungen mit zahlreichen und Heinen Arten nur eine Auswahl 
getroffen bat, jo mird der Unterjucher fehr oft in Derlegenheit gerathen 
und darüber die Luft zum Beſtimmen verlieren. Da wir indeß Mangel 
an folhen Büchern für Unfänger haben, fo möge denfelben das vorliegende 
immerhin empfohlen werden. Gut wäre es geweſen, wenn jeder ber u: 
fetten-Orbnungen wenigftend durch eine Abbildung mwäre erläutert worden; 
Anfänger können dergleichen Hülfen nicht entbehren. 


2. Botanil. 


15. 8. Auerswald, Botanifhe Unterhbaltungen zum Verſtändniß 
der heimatblichen Flora. Vollſtändiges Lehrbuch der Botanik in 
neuer und praktiſcher Darſtellungsweiſe. Mit 50 Zafeln und 432 in den 
Text gedrudten Abbildungen. Zweite, wefentlih umgearbeitete und ver- 
mebrte Auflage. gr. 8. (IV und 414 ©.) Reipzig, H. Mendelsfohn. 
1863, Fe ſchwarzen Abb. 21/2 Thlr., mit halb col. 3!/a Thlr., mit ganz 
color. 5 r. 


Dieſe Schrift zerfällt in 48 Abſchnitte, „Unterhaltungen“ überſchrieben. 
In jedem derſelben wird von einer bekannten, moͤglichſt charalteriſtiſchen 
Pflanze ausgegangen. Dieſe wird in gefälliger Form und mit beſonderer 
Berüdfihtigung der Morphologie befchrieben, wobei der Verf. in der Regel 
auf verwandte Erſcheinungen Nüdfiht nimmt und an geeigneten Stellen 
auch das Wichtigfte über den innern Bau und das darin waltenbe Leben 
vorträgt. Auf dieſe Weife entiteht auf Grundlage einer mäßigen Anzahl 
von Pflanzen ein vollftändiges Lehrbuch der Botanik. 

Der Berf. hält diefe Behandlungsweiſe für durchaus neu, was wir 
ihm nicht ganz zugeben können. Schon 1832 habe ich in meiner „Pflanzen: 
funde” einen ähnlihen Weg eingefchlagen, jedoch aus dem erften und 
zweiten Curfus Alles ausgejhlofien, was fih auf den innern Bau bezieht; 
Hermann Wagner betrat 1854 in jeiner „Pflanzenkunde“ meinen eg, 
zog aber aud Anatomie und Phyfiologie mit in feinen erften Curſus, was 
ih für den Echulunterricht nicht billigen konnte. Ob Herr Auerswald diefe 
beiden Schriften getannt hat, weiß ich nit; aber das ift fiber, - daß fie 
geeignet geweſen wären, ihn auf den von ihm eingejchlagenen Weg zu führen. 

Abgejehen biervon, bleibt dem Berf. der Ruhm, ein ſehr gutes, dem 
gegenwärtigen Standpunkte der Botanik entſprechendes Bud geichrieben zu 
baben, was ih Allen empfehle, die fih durch Gelbitbelehrung in die Bo- 
tanik einarbeiten wollen. Nur muß Niemand auf den Gedanken lommen, 








Naturkunde. 231 


es für den Schulunterriht zu Grunde legen zu wollen; bafür muß ein 
anderer Weg eingeſchlagen werben. 

Die Abbildungen Stellen theild ganze Pflanzen dar, theils dienen fie 
zur Erläuterung ihres Baues; fie find naturgetreu und fchön ausgeführt. 


16. Dr. M. Willkomm, Profeflor der Naturgefhichte zu Tharandt, Kübrer 
in's Rei der deutfchen Pflanzen. ine leichtverftändliche Anwei⸗ 
fung, die in Deutfchfand wild wachſenden und häufig angebauten Befäß- 
pflanzen ſchnell und ficher zu beitimme. Mit 7 litbogiapbirten Tafeln 
und über 60N Holzſchnitten nad Zeichnungen tes Derfaflers. gr. 8. (286 €.) 
Leipzig. H. Mendelöfohn. 1862. neh. 11/3: Thlr. 


Eine 56 Seiten lange Einleitung belehrt über den Bau ber Pflanzen, 
enthält eine alphabetiihe Aufzählung der Runftausprüde, das Nöthigfte über 
Spftematit und eine Anleitung zum Gebrauch des Buches. Das Bud 
felbft beiteht aus zwei Tabellen in der Form, wie fie im Curier angewandt 
worden, von denen die eine zur Beſtimmung der Gattungen, die andere 
zur Ermittelung der Arten dient. Yür beide Zwede find Abbildungen ein: 
gebrudt, melde ſchwierige Gattungen und Arten veranfhaulichen, natürlich 
nur foldhe-XTheile, welche die charakteriftiihen Merkmale enthalten. Obwohl 
diefe Beihnungen die Ueberfiht in den Tabellen etwas beeinträchtigen, fo 
muß man doch anerfennen, daß durch biefelben eine ſehr dankenswerthe 
Sicherheit im Beltimmen erreiht wird. Und diefer Umftand macht das 
Buch angehenden Botanilern empfehlenswerth. 

Im Allgemeinen möchten wir indeß Anfängern nicht empfehlen, mit 
diefem „Führer“ ihre botanifhen Studien zu beginnen; für fie ift die 
Flora eines heichräntteren Gebietes angemefiener. Iſt ihnen feine Local: 
Flora zugänglih, jo mögen fie eine von Nord: und Mitteldeutſchland, oder 
eine von Süpdeutfchland nehmen, je nachdem fie im Norden oder Süden 
zu botanifiren gevenlen. 

Die fieben angehängten Zafeln dienen zur Veranſchaulichung der 
Aunftausprüde. 


17. Dr. 8. Reinſch, Recor der technifhen Schule und Lehrer der Natur: 
wifienfchaften in Erlangen, Tafhenbuh der Klora von Deutfd- 
land, nah Linné'ſchem Syſtem und Koch'ſcher Pflanzenbeſtimmung zum 
Gebrauche für botanifche Excurfionen bearbeitet. Zweite Ausgabe. gr. 16. 
(IV und 300 S.) Stuttgart, Ad. Becher. 1862. geb. Ya Thlr. 


Diefe Schrift erſchien 1854 und ift jeßt nur mit neuem Titel aus⸗ 
gegeben worden. Die Charaktere der Gattungen find aus Koch entlehnt, 
die der Arten nad demfelben Autor auf den kürzeften Ausprud gebracht 
worden. Wenn ſich's um nichts weiter handelt, als auf Reiſen feinem 
Gedächtniß zu Hülfe zu kommen oder die Namen von leicht zu beflimmenden 
Pflanzen zu erfahren, fo empfiehlt jih das Büchlein wegen feines geringen 
Umfanges; weiteren Anſprüchen genügt es aber natürlich nidt. 


18. Dr. E. Groffe, Lehrer an der Realfchufe zu Afcheröleben, Deutfhlands 
Gulturpflanzgen. Ein Hülfsmittel für den botanifchen Unterricht auf 
Reals und Bürgerſchulen. Zweite (Titel⸗) Auflage. "gr.8, (VIII u. 192 5.) 
Leipzig, Abel. 1562. geb. "a Thir. 





232 Naturkunde. 


Dies Buch erſchien 1858 und will ſich jetzt durch einen neuen Titel 
in Erinnerung bringen. Wir haben es feiner Zeit als braudbar für den 
auf dem Zitel ausgefprodhenen Zwed erklärt, wundern uns aber nicht, daß 
es nicht Abnehmer genug gefunden hat. Für den Schulunterricht genügt 
eine Schrift diefer Art nit, und in weiteren Kreifen fehlt ed an Lejern. 


19. Dr. $. DO. Renz, Prof., Lehrer an der Erziebungsanftalt zu Schnepfen⸗ 
tbal, Die nüplidhen und ſchädlichen Shwämme Mit 59 illu⸗ 
minirten Abbildungen. Dritte, febr veränderte Auflage. gr. 8. (TI und 
148 &.) Gotha, E. %. Thienemann. 1862. geb. 1%, Thlr. 

Es ift dem Verf. bauptfählih darum zu thun, Kenntniß der efbaren 
Schwämme zu verbreiten, da diefelben ein gutes Nahrungsmittel abgeben, 
mit dem vorzugsmweife der ärmeren Bollsllafie ein Dienft erwieſen wird. 
Um diefen Zwed zu erreihen, bat er jeine Schrift möglichſt praltifch eins 
gerichtet. Cr benubt die neuere Nomenclatur, hält fih aber an bie alten 
Hauptgattungen und bejchreibt diefe mie die verbreitetften deutſchen Arten 
fo ausführlid, daß eine Verwechfelung vermieden werden kann. Neben 
den eßbaren werben natürlih aud die giftigen berüdfidhtigt. Weber bie 
Behandlung der Shwämme für die Kühe werden die nöthigen Mittbeilungen 
überall gemadt. Die beigegebenen Abbildungen find naturgetreu gezeichnet 
und colorirt, bilden daher einen wichtigen Theil des Buches. 


20. Aug. Sollmann, Anleitung zum Beflimmen der vorzüglichfien eßbaren 
Schwämme Deumfhlands für Haus und Schule. Mit mehr als 150 Abs 
bildungen auf 48 Steintafeln. 8. (VIII und 84 ©.) Hildburghaufen, 
Keſſelring'ſche Hofbuchhandlung. 1862. %s Thlr. 

Der Derf. verfolgt mit Lenz denſelben Zmwed, fucht denjelben aber 
durh analytiihe Tabellen zu erreihen. Eine feiner Tabellen dient zur 
Beſtimmung der Gattungen, die andere zur Zeftitellung der Arten. Dabei 
find die feineren Merkmale, zu deren Erfennung ein Mikroſtop erforderlich 
ift, gefondert angegeben, was wir, wie die ganzen Tabellen, recht zwedmaͤßig 
finden. Merkmale, welde auf die giftigen Pilze führen, find mit aufs 
genommen, nicht aber die Namen diefer Arten; man lernt alſo die giftigen 
Pilze nur im Allgemeinen kennen. Die Abbildungen ftehen zwar denen 
im Lenz’schen Werke nad, werben fich aber beim Beftimmen body als zwed- 
mäßig ermeijen. 


3. Mineralogie, 


21. Sandbud der Mineralogie von Dr. Heinrich Girard. Mit gegen 
700 Holzfänitten. ar. 83. (XII und 656 ©.) Leipzig, T. O. Weigel. 
1862. 2 Thlr. 24 Sgr. 

In den fünf eriten Gapiteln ift die allgemeine Mineralogie vorgetragen, 

im fechsten die fpecielle, d. h. die Befchreibung der einzelnen Mineralien. 

In der Darftellung verbindet der Verf. mit Wifienfchaftlichleit den Grad 

von Popularität, daß auch felbit folche Lehrer ihn verfteben werben, welde 

fih wenig oder gar nicht mit Mineralogie beſchäftigt haben. Die Beſchrei⸗ 
bungen ver Mineralien find ausreihend ausführlid für vie Selbftbelehrung 














Naturkunde. 233 


wie für den Unterriht. Gine für den Anfänger ſehr dankenswerthe Zugabe 
in denfelben ift die Hinweifung auf verwandte, leicht zu verwechſelnde Mis 
neralien. Ausreihend ausführlih find auch die chemiſchen Analyfen und 
die Angaben über die Benußung der Mineralien. Bei der Claſſification 
bat fi der Verf. vorzugsweife von der äußeren Aehnlichkeit leiten lafien, 
was mit Rüdfiht auf den populären Zweck des Buches ganz zwedmäßig 
if. Die eingebrudten Kryftallfiguren werden zur Erleichterung beim Be: 
flimmen dienen. 


22. Franz von Kobel, Die Mineralogie. Populäre Vorträge. Mit 
67 Holzſchnittbildern. gr. 8. (III und 258 &.) Franffurt a / M., Verlag 
für Kunft und Bifenfoaft. 1862. 1 Thlr. 


Diefem Buche liegen des Verf. „Skizzen aus dem Steinreich“ zu 
Grunde, die ihrer populären Form wegen Anklang gefunden haben. Hin⸗ 
zugelommen ift eine einleitende Abhandlung, in welcher die wichtigften 
Eigenſchaften der Mineralien beſprochen und die kryſtallographiſchen Ber: 
hältniſſe durch Holzſchnitte erläutert werden. Dieſe Einleitung, ſowie auch 
der ſpecielle Theil ſind durchweg populär gehalten und ganz geeignet, zur 
Beichäftigung mit der Mineralogie anzuregen. Die Angaben über die Ber: 
wendung der Mineralien find ausführlicher, al3 in vielen andern Schriften. 


23. Dr. G. Hartwig, Die Unterwelt mit ibren Schätzen und Bun 
dern. Eine Darfiellung für Gebildete aller Stände. Mit Illuſtrationen. 
gr, 7 (XO und 474 ©.) BWiesbaten, C. W. Kreidel. 1862 und 1863. 

r. 


Der Verf. ift dem gebildeten Publikum durch eine Reihe von popu⸗ 
lären Schriften (Das Leben des Meeres; Die Inſeln des großen Oceans; 
Der hohe Norden; Die Tropenwelt) vortheilhaft befannt. Derjelbe verfteht 
die Kunſt, in den von ihm bearbeiteten Gebieten das Intereſſanteſte hervor: 
zubeben und in angenehmer Art barzuftellen. Dies ift ihm aud in dieſem 
Werte wieder gelungen. Bei dem Intereſſe, welches jeder Gebildete jebt 
an der Geologie nimmt, darf man auch der „Unterwelt eine weite Ber: 
breitung. vorausfagen. 

Das ganze Material ift in 36 Gapiteln abgehandelt worden, von 
denen wir beiſpielsweiſe einige Weberichriften hierher ſetzen: Entwickelungs⸗ 
geſchichte der Erbrinde; Foſſilien; Die innere Erdwärme; Hebungen und 
Sentungen; Bullane; Pompeji; Grobeben; Das Erdbeben in Liffabon; 
Basquellen; Naphthabrunnen; Salfen; Erdölquellen; Unterirdiſche Verthei⸗ 
lung der Gemäfler; Die Höhlen im Allgemeinen; Tropffteinhöblen; Vullka⸗ 
nifhe Höhlen, Marine und fubmarine Höhlen; Yeljentempel u. f. m. 

Die Abbildungen find fauber ausgeführt, die in Zarbendrud fehr an- 
ſprechend. 


24. Dr. G. Sandberger, Conrector am Realgumnafium zu Wiesbaden, 
Kurzer Abriß der allgemeinen Geologie. Ein überſichtlicher Leit⸗ 
faden für Schüler und Freunde der Wiffenfhaft. Nebft einer Einleitung 
über die Bedeutung der geologifcken Willenfchaft. Zweite, umgearbettete 
und vermehrte Auflage. it 5 lithographirten Tafeln, einer geologifchen 





234 Naturkunde. 


Ueberfichtskarte von Mitteleuropa (Farbendru nd 7 olzſchni 

gr. AT S.) Mainz, €. Gun 1861. Br 2 > zſchnitter. 

Die kurze „Einleitung“ abgerechnet, zerfällt das Baden in zwei Ab: 
tbeilungen, von denen die erfte die Vorbegriffe der Geologie, die gweite 
eine kurze Schilderung der geologifhen Epochen enthält. In den „Bor: 
begriffen‘ wird außer den gemöhnliden Erläuterungen auch eine kurze 
Gefteinglehre, dag Nötbigfte über die Leitwerfteinerungen und über die ſechs 
Hauptepochen der Entwidelungsgefhichte der Erboberflähe nor der jebigen 
Beichaffenheit gegeben, wovon Manches befier der zweiten Abtheilung ein: 
verleibt worden wäre. 

Die aud von Andern ſchon getroffene Anordnung des Material em: 
pfiehlt fich im Allgemeinen für den Unterricht ; die Darftellung könnte jedoch 
etwas präcifer jein und mehr Rüdfiht nehmen auf Leer, die noch nicht 
mit dem Gegenftande vertraut find. Die Abbildungen find meiltens klein 
und wären zum Theil zu entbebren gewejen, jo namentlih Tafel IV, bie 
Geſteine darftellt. 


4. Kür den geſammten Neafunterricht. 


25. Reallehrbuch oder Wegweiſer zum Gebraude des Merfbüchleins und 
Reitfadend für den Unterricht in Stadt- und Randichulen. gr. 8. (IV 


und 271 ©.) Zwidau, Buchhandlung des BollsfchrifiensBereind. 1862. 
1 Tblr. 6 Ser. 


Merkbüchlein und Leitfaden für den Realunterridt in 


Statt: und Landfchulen. ve, 4 Kärtchen. Vierte Auflage. 8. (28 ©.) 
Ebendafelbft, 1862. geh. ? S 


Beide Schriften enthalten Beograpbie, Gefchichte, Naturgefhichte und 
Naturlehre und find in der Anorbnung des Materiald ganz gleih. Die 
größere Schrift ift für die Lehrer beftimmt, vie Kleinere für die Schüler. 
Jene unterjcheidet fi nicht blos durch größere Ausführlichleit von dieſer, 
jondern auch dadurh, daß in der Darftellung mehrfach das Unterrichts: 
verfahren angedeutet wird, Die Auswahl kann im Allgemeinen als ans 
gemejlen angejehen werben. 

Da wir ed bier nur mit ber Naturkunde zu thun haben, fo lafien 
wir den übrigen Inhalt unberüdjichtigt 

In der Naturgefhihte ifi das Material in altherlömmlicher Weife 
angeordnet, d. h. ed wird vom Allgemeinen zum Beſondern fortgejchritten. 
Es find darum zunächſt die Begriffe Naturgeſchichte, organiſch und un: 
organiſch, Thier, Pflanze, Mineral, Eintheilung der Thiere u. ſ. w., bie 
erörtert werben, und darauf wird zu ben Säugethieren, Affen, Orang:Utang 
u. | w. übergegangen. Bor 30 Jahren batte diefe Anordnung nichts Bes 
fremdendes; heutzutage muß man fi aber wundern, daß jie nod dar 
geboten werden fann, und zwar in einem Bude für Volksſchulen. Da 
eine ſolche Anordnung fih durch Nichts rechtfertigen läßt, jo läßt fie un⸗ 
günftige Echlüfie auf den pädagogifhen Standpunkt des Verf zu. Ein 
nah dieſem Bude ertheilter Unterricht läuft weſentlich auf Mitteilung 
von Kenntnifien, oft von unverftehbaren, hinaus, während doch in ber 
Naturgefchichte die meiften Kenntniſſe durch eigene Beobachtung und Unter⸗ 








Naturkunde, 235 


fuchung gewonnen werben muͤſſen. Ein einziged Beifpiel reiht aus, um 

das darzuthun. Auf der eriten Seite (dev Naturgejchichte) ift von ben 

Theilen eines Baumes. (Wurzel, Stamm, Blätter) die Rede, und bei diefer 

Aufzählung wird gleich der bedeutungsvolle Cap angehängt, dab der Baum 

durd die Blätter athmet. SHierüber felbft wird natürlich fein Wort gejagt, 

und es kann auch nicht3 darüber gelagt werden, da hierzu eine forgfältige 

Unterfuhung des Blattbaues erforderlich if. Es müfte ja auch, um das 

zu Können, von den Pflanzenzellen, vom Bau der Oberhaut, von der Bil: 

dung der Epaltöffnungen, von den unter ihnen befindlichen Athemhöhlen, 
von den Nahrungsmitteln der Pflanze, ihrer Ausſcheidung von Koblenfäure, 
ihrer Aufnahme von Sauerftoff u. |. w. die Rede fein. Der Berf. wird 
vielleicht einwenden, daß man in der Volksſchule nicht fo fpeciell auf den 

Bau der Organe eingehen könne. Dieje Anficht muß ich beftreiten Wollte 

ih fie aber zugeben, jo müßte ich doch hinzufügen, daß dann auch nicht 

von ihren Functionen die Rede jein darf; denn Unverftandenes oder Un: 
verftehbares darf nirgends gelehrt werben, am wenigften in ver Volksſchule. 

Der Verf. hat verjudt, das Material nad) Stunden abzumefien. Wenn 
man ed nun aud in diejer Beziehung nicht zu genau nehmen darf, fo muß 
doch das dargebotene Penjum nit unverhältnißmäßig zu groß ober zu 
Mein fein. Grfteres ift aber wiederholt der Kal, mas aber weit weniger 
feinen Grund darin hat, daß der Verf. nicht wüßte, was in einer Stunde 
durchgenommen werden fönnte, ald in ver falſchen Anſicht über das, 
was Kindern in der Volksſchule erfprießlih if. So foll 3. B. der Bau 
der Bögel, ihre Fortpflanzung durch Gier, die Eintheilung und die ganze 
Naturgeſchichte der Luftvögel, d. b. der Raubvögel, Klettervögel, Singvögel, 
Kräben und Tauben in einer Stunde burdgenommen werden. Ein Unter: 
richt, der fo bei der Oberfläche bleibt, wie e3 bier nöthig ift, bat fo gut 
wie gar keinen Werth, Mit Kindern in ben mittleren Schuljahren bat 
man ausreichende Material, wenn man in einer Stunde den Bau der 
Gliedmaßen und etwa noch den der Federn veranfhaulichen will. 

Auf den Inhalt felbft näher einzugeben, erjheint nah dem Gejagten 
überflüffig; ich bemerle nur, daß er manderlei Incorrectheiten aufzumweijen hat. 

Die Phyſik ift der Naturgeſchichte ähnlich. 

Das „Mertbühlein‘ ift auf Veranlafiung der Königl. Kreispirection 
zu Bwidau herausgegeben worden und hat in einem Jahre drei Auflagen 
erlebt, die 20,000 Eremplare repräfentirten. Wer hieraus auf die Güte 
des Büchlein fchließen wollte, würde einen Fehlſchluß mahen. Das Büch⸗ 
lein enthält nur kurze Erllärungen und Namen, Beides häufig in unles- 
und daher ungenießbarer Form. Damit ift Kindern der Volksſchule nit 
gedient. 

26. Dr. 3. A. Jacoby, Handbuch der Befhihte, Beograpbie, 
Naturgeſchichte und Naturlehre für Knaben» und Mädchenſchulen. 
Nach den neueiten und zuverläffigiten Hülfsmitteln bearbeitet. 8. (VIII 
und 212 ©.) Mainz, Le-Roux'ſche Hofbuhbandlung. 1862. 14 Sr. 
Diefe Schrift hat wohl vorzugsweije die Beftimmung, von Schülern 

gebraucht zu werden, da ihre Angaben durchweg nur kurz find. Auch 

Spricht der Verf. in der Vorrede darüber, daß er großen Werth auf das 








236 Naturkunde. 


Auswendiglernen der Lectionen lege. Für ſicheres Feſthalten bes Angeſchau⸗ 
ten und Gelehrten wird ſich wohl jeder Lehrer erklaͤren; im naturkund⸗ 
lichen Unterricht, auf den wir uns bier beſchraͤnken, ruht aber der Accent 
nicht auf dem Auswendiglernen; bier handelt es fich vielmehr um richtige 
Anihauungen und Beobadtungen. 


Sn der Anordnung des Materials folgt der Verf. ganz dem Alther⸗ 
gebrachten, indem er vom Allgemeinen zum Bejondern fortjchreite. Bon 
den böheren Gruppen der Naturlörper wird nur das Allgemeinfte angegeben ; 
die Gattungen werden gar nicht berüdfihtigt, von den Arten in ver Regel 
nur die Namen genannt. 


Der Zuſatz auf dem Titel: „Nah den neueften und zuverläffigften 
Hülfsmitteln bearbeitet‘, läßt Correctbeit des Inhalts vermutben. Das 
lönnen wir indeß doch nicht ganz beftätigen. Gleich die Erflärung von 
Naturgeſchichte ift nicht genau, da diejelbe mehr ift, als „diejenige Wiſſen⸗ 
Schaft, weldhe ung die Naturlörper und die äußeren Merkmale derfelben 
kennen lehrt.‘ Seite 25 werden allen Gräjern Aehren zugeſchrieben, 
während es doch viele mit Rispen giebt. Auch ift ed nicht rihtig, wenn 
ihre Samen als meblartig bezeichnet werden. Ebenjo dürfte die Einthei- 
lung der Blüthenpflanzen in „Palmen, Bäume, Sträucher, Aräuter und 
Graͤſer“ ſchwerlich in den neueften und zuverläfigften Schriften zu finden fein. 

Auf eine weitere Kritik des Inhalts können wir indeß bier nit 
eingeben. 


27. Dr. 3. Fölfing, Realienbud, ein Leitfaden der Raturfunde, Länder- 

+, lunde. Geſchichte und Sprachlehre für deutfche Schulen in Stadt und Land. 
8. (VII und 80 ©.) Oppenheim a. Rhein und Darmfladt, Ernft Kern. 
1862. 4 Ser. 


Die ganze Naturlunde nimmt 30 Seiten ein. Was fi) darauf geben 
läßt, kann fich jeder leicht vorftellen. Mehrfach werben nur Namen darge: 
boten, wovon man fi nicht viel Nußen verſprechen kann. Ueberbaupt 
dürfte der Werth folder Bücher für Schüler ſehr problematiſch fein. 


db. Für Schüler. 


28. Dr. Th. Gerding, Dirigent des Technikums zu Göttingen, Sieben 
Bücher der Naturwifilenfhaft. Kür Gebildete aller Stände und 
höhere Lebranitalten. Mit 180 in den Zert gebrudten Holzſchnitten und 
6 Steindrudtafeln. gr. 4. (XI und 687 ©.) Hannover, 6. Rümpler. 
1862. 22%, Thlr. 


Sn den „Steben Büchern“ diefer Schrift find fieben verſchiedene Unter: 
richtsgegenftände bearbeitet: Zoologie, Botanik, Mineralogie, Geognofie und 
Petrefactentugde, Chemie, Phyſik und Aſtronomie. Es bat fonad das 
Merk in feiner Anlage und in feinem Zwede Aehnlichkeit mit Schoͤdler's 
„Buch der Natur”, auch infoweit, als der Verf. gleichzeitig die Bedürfniſſe 
„gebildeter Leſer“ und „Echüler‘ befriedigen will. Wir haben immer ge- 
funden, daß dieſe beiden Zwede ſich ſchwer in einer Schrift erreichen laſſen, 
und finden das auch wieder in der vorliegenden beftätigt, die wir nur für 





Naturkunde. 237 


Schüler höherer Lehranftalten als einigermaßen geeignet erachten. Denn 
nur das, was für dieje erforderlich ift, findet fi in dem Buche. 

Es gehört übrigens etwas dazu, bei dem gegenwärtigen Stande ber 
Naturkunde das ganze Gebiet zu bearbeiten; denn es jeßt das nicht blos 
außergewöhnliche Hülfsmittel, jondern auch ſehr bedeutende Kenntniſſe vors 
aus. Erſtere laflen ſich in einer Univerfitätsftadt wie Göttingen wohl er- 
langen, Ießtere find aber jchwieriger anzueignen. Daß der Verf. in diejer 
Beziehung feiner Aufgabe nit ganz gemahlen war, läßt jich ſehr leicht 
nachweiſen. So wird 3. B. Seite 81 von ven SKäfern gejagt, Daß fie 
„weiße Mundtheile“ hätten. Bielleicht ift das ein Drudfehler und foll 
„beißende“ beißen. Auf verfelben Seite wird vom Goldſchmied (Carabus 
auratus) gejagt, daß er drei erhabene „rothe Längsfalten“ babe 
und bei uns (mo?) die „häufigite” Art fei. Auf der folgenden Seite wird 
„barte Flügelveden’ mit in die Art Diagnoje aufgenommen, was infofern 
unpafiend ift, als es bei der großen Mehrzahl der Käfer angewandt werben 
fann. Unmittelbar dahinter wird gejagt, daß die „letz ten Hinterleibsringe” 
des gemeinen Leuchtläfers leuchten, während das nur von den beiden vor: 
legten gilt. Seite 83 heißt es vom gemeinen Zodtengräber (Necrophorus 
vespillo): „Fühlerkeule mit zwei Querbinden; auf den Flügelveden 
gelbroth; mit einem weißen Mittelpunfte.” Hiervon ift beinahe kein Wort 
wahr. Auf derſelben Seite fieht: „Zaumelläfer (Gyrinus mergus oder 
natatus).” Abgeſehen davon, daß die zweite Art natator heißt, find beide 
Benennungen auch nicht gleihbebeutend, fondern bezeichnen zwei verſchiedene 
Species. Die hierzu gegebene Diagnofe paßt auf die Mehrzahl der Gyrinus⸗ 
Arten, iſt alfo zur Erlennung des Xhieres unbraudbar. Sn einer fi 
bieran treibenden Anmerkung wird gejagt, daß „die bis hierher angeführten 
Käfer als fünfzehige bezeichnet werben können, da fie an allen Füßen fünf 
Tarjen (Fußgliever) haben.” Das ift nicht ganz richtig; denn unter den 
Rurzflüglern find viele Arten, bei denen das nicht zutrifft. 

Wir könnten diefe Beifpiele vermehren, jehen aber davon ab, da diefe 
für den Kenner genügen. 

Der Umfang, welcher jeder Abtheilung gewidmet worden, iſt jehr uns 
glei. So kommen auf die Naturgefchichte, mit Einihluß der Gengnofie 
und Betrefactentunde, 328 Seiten, auf die Chemie 226, auf die Phyſik 
76, auf die Aftronomie 57. Die Bevorzugung der Chemie ift augenfällig; 
fie if vielleiht auch die gelungenfte Abtheilung. 

Die Abbildungen in der Naturgefchichte entſprechen nur mäßigen For⸗ 
derungen, während die in den übrigen Abtheilungen gut find. Tafel II b 
ift unter 31 ein Staubgefäß flatt eines Stempels abgebilvet. 


29. Aug. Rüben, Seminardirector in Bremen, Leitfaden zu einem mer 
thbodifhen Unterricht in der Naturgeſchichte in Bürgerſchulen, 
Realfchulen, Gymnaflen und Seminarien, mit vielen Aufgaben und Fragen 
zu mündficher und fchriftlicher Löfung. In vier Kurfen. Mit Fhire en 
Holzſchnitten. Erſter Kurſus. Neunte, verbeſſerte Auflage. (IV und 51 
®.) 5 Sgr. Zweiter Kurjus. Neunte, verbefjerte Auflage. (96 ©.) 
6 Sgr. Dritter Kurſus. Siebente, verbefierte Auflage. (197 &.) 10 Ser. 
Dierter Kurfus. Bierte, verbefferte Auflage. (164 S.) 10 Sgr. Leipzig, 
Herm. Schultze. 1862 u. 63. cart. 


238 Naturkunde. 


Jeder Kurſus enthält alle drei Reihe und ans jedem derſelben das, 
was fi für die betreffende Bildungsftufe der Schüler vorzugsweiſe eignet. 
Im erften Kurſus find es einzelne Arten. welche der Betrahtung dargeboten 
werden, im zmeiten Gattungen mit den verbreitetfien Arten, im britten 
natürlide Familien. Der vierte Kurfus behandelt den innern Bau und 
das daraus refultirende Leben der Organismen, den Menſchen mit einges 
ſchloſſen, die Geognofie und Geologie. Der dritte Kurfus bat namentlich 
in der Mineralogie mancherlei Erweiterungen erfahren; im vierten find viele 
Partieen ganz neu bearbeitet worden, um fie mit dem Fortichritt in ber 
Naturgeſchichte in Einklang zu bringen. 


30. Aug. Lüben, Seminardirector in Bremen, Naturgeſchichte für Kinder in 
Bolteihulen. Nach unserrihtlihen GBrundfäpen bearbeitet. Vierte, vers 
befierte Auflage. Ürfter Theil. Ihierfunde (8. 60 ©.) Zweiter 
hell. Pflanzenkunde. (9 &.) Dritter Thell. Mineralienkunde. 
(17 ©.) Halle, E. Anton. 1862. geb. a 21, Ser. 


Bei der Auswahl find Schulen maßgebend geweien, in denen ber 
Naturgefchichte wöchentlih nur Cine Stunde gewidmet werden kann. Das 
Material jelbft ift in jedem Theil auf drei Kurſe vertbeilt worden. Der 
erite Kurſus enthält einzelne Arten als Repräfentanten größerer Gruppen 
und zur Veranſchaulichung des allgemeinen, der zweite zu denjelben Zweden 
Gattungen, der dritte natürliche Familien. Hier tritt zugleich eine einfache 
Spftematit und das Berftändlichfte über den innen Bau und das Leben 
der Organismen, ſowie über die Zuſammenſetzung der Mineralien hinzu. 

Der Text beſchränkt ſich überall auf Hervorhebung der weientlichen 
und leicht erfennbaren Merkmale; Fragen und Aufgaben geben Veranlafjung 
zu einer felbitftändigen Verarbeitung der gewonnenen Kenntnifje und zu 
einer natürlichen Gruppirung ber beſprochenen Naturkörper. 


31. Shiling’d Kleine Schul-Raturgefhichte. Achte, vermehrte und 
verbefferte Auflage. Bolftändig in einem Bande. Mit 600 Abbildungen. 
gr. 8. (VIII und 218 ©.) Breslau, %. Hirt. 1862. geb. 22% Ger. 


Auf den Wunſch verſchiedener Gebraucher des Buches bat ſich ber 
Herausgeber beftimmen lajlen, mancherlei Veränderungen mit demjelben vor: 
zunehmen. So it namentlihd die Anorbnung im Xhierreihe nach der 
größeren Ausgabe verändert und die Geognofie erweitert worden. Auch 
find mehrfach neue Abbildungen binzugelommen. Es darf wohl angenom: 
men werben, daß biefe Veränderungen BVerbefjerungen jind. Die Geologie 
ift aud in diefer Auflage ausgeſchloſſen worden, da der Herausgeber glaubt, 
fie fönne überall da keine Berüdfichtigung finden, wo man der Naturges 
fhihte nur einige Stunden einzuräumen im Stande wäre. Wir theilen 
diefe Anfiht nit ganz, halten vielmehr dafür, daß da, wo die Geognoſie 
in dem Umfange diejes Buches gelehrt wird, fi) aud noch einige Stunden 
für Geologie finden. Die Geologie if das Warum? der Geognofie und 
darf darum nicht ganz fehlen. 


32. I. Ehr. 2. Neulich, Lehrer zu Braunſchweig, Raturbiider aus 
dem Infertenleben. Gin auf naturhiftorifchem Grunde ruhendes, bes 


Naturkunde. 239 


lehrendes Unterhaltungsbuch für die Jugend. 8. (VIII und 215 S.) 
Leipzig, B. Schlicke. 1863. cart. 1/6 Thlr. 


Die Abſicht, die Jugend mit den intereſſanteſten Inſecten bekannt zu 
machen, verdient Beifall. Der Verſf. hat dieſelbe vorzugsweiſe dadurch zu 
erreihen geſucht, daß er die Beobadhtung des Lebens dieſer Thiere in er 
fundene Geſchichten, Erlebniſſe einlleivete, in denen die Rollen Knaben 
übertragen worden find. Wir haben hiergegen an und für fi nicht viel 
gu erinnern; indeß ift dabei in der Regel eine gewiſſe Weitſchweifigkeit nicht 
zu vermeiden; au des Verf.s Darfiellungen leiden mehr oder weniger 
hieran. Manche Situation iſt auch unnatürlid ausgefallen. 

Die befprochenen Thiere find auch abgebildet worden. Die Abbildungen 
find meiftens gut ausgeführt und daher anſprechend, leider aber nicht durch⸗ 
weg nad guten Muftern angefertigt. Hier und da haben fi fogar grobe 
Irrthümer eingefhliden. So iſt Eeite 39 Carabus auratus jtatt Carabus 
sycophanta abgebildet, ein Fall, der nur einem volftändigen Laien in der 
GEntomologie begegnen kann. Seite 185 iſt ftatt der Hausfpinne ein Un⸗ 
getbüm abgebilvet, was eine Buſchſpinne vorftellen könnte. Ueberhaupt 
find alle Spinnen:Abbildungen ſchlecht ausgefallen. 


IH. Phyfik. 


33. Dr. &. 9. Emsmann, Prof. und Oberlehrer a. d. Realfchufe zu Stettin, 
Elemente der Ponfit zum Gebraude für die oberen Klaſſen höherer 
Schulen, namentlih der Gymnaſien, Realfhulen und höheren Bürgerfchulen 
bearbeitet. Mit 161 in den Tezt eingedrudten Kiguren und 3 Iſotheren⸗ 
—e— 8. (VIII und 280 ©.) Leipzig, D. Wigand. 1862. geb. 
1/e t. 


Dieſe Schrift iſt durch die Beſtimmungen der Unterrichts: und Prü⸗ 
fungs⸗Ordnung der preußiſchen Realſchulen hervorgerufen worden. Dieſe 
verlaugten von den Abiturienten Kenntniß derjenigen Begriffe und Sätze 
und in Betreff der Verſuche derjenigen Methoden, weldhe auf Entwidelung 
der phyſilaliſchen Wifjenjchaft von weſentlichem Einfluſſe geweſen find. Bei 
der auf Experimente gegründeten Kenntniß der Naturgejepe foll die Ber 
fähigung vorhanden fein, diejelben mathematifh zu entwideln und zu be: 
gründen. Die Schüler follen eine Yertigleit darin erworben haben, das in 
der populären Sprade ald Qualität Gefaßte durch Duantitäten auszu⸗ 
drüden. 

Nach diefen Anfichten ift diefe Schrift in der befannten präcifen Weife 
des Verfs. gearbeitet. Sie ſchließt fich der „Phyſikaliſchen Vorſchule“ deſſelben 
an, die wir im XIII. Bande angezeigt und als ein fehr brauchbares Bud 
empjoblen haben. Da der DBerf. die in ver Vorſchule behandelten phyſi⸗ 
kaliſchen Erfcheinungen in dies foftematifhe Wert mit aufnehmen mußte, 
fo ift dafjelbe auch ohne die Vorſchule brauchbar. Jedenfalls wird es aber 
ſehr vortbeilbaft fein, beide Bücher in den höheren Schulanftalten nach 
einander zu gebrauchen. 


35. Dr. Th. Gerding, Dirertor des Technicums in Göttingen, Schule der 
Phyfit für Lehranflalten und zum Privatgebraud bearbeitet. Mit 152 


340 KRaturfunde. 


in den Legt getradien He itten. 8. (VII un 329 ⸗ 
never, ©. Mimpler. en ı xp. 5 du 


Bon andern praltiihen Lehcbũchern der Phyſik untericheidet ſich dies 

daß es Die pbynlaliihen Lehren ım Zujummenhange vorträgt, alſo 

nicht geradezu von Berjuchen ausgeht und ams dieſen Rejultate zieht. Cb: 

—— — Büchern entſchieden den Vorzug vor dieſen geben, jo haben 

elben dad « auch ihre Beredhtigung und eignen fid namentlich zum Wieder⸗ 
bolen, auch jür ſolche, die lüngit der Schule entwacjen find. Tiefen künnen 
wir die Schule der Phyfik empjehlen. 

35. Raturwifienidait der Landwirtbfäaft. Kür Zortbiltungsihufen 
und zum Gelbäunterriht Erſter Abſchnitt. Die Raturlchre. 8. (VIII 
and 192 ©. mit 67 liübegraphirten Adbildungen auf zwei Tafeln.) Göln 
und Rus, 2. Shmann 18652. 15 Egr. 


Dem Titel entjprechend. fabt diefe Schrijt vorzugsweiſe die phyſilaliſchen 
Eſcheinungen auf dem Gebiete der Landwirthſchaft in's Auge. Doch gebt 
der Berf. von allgemeinen Grideinungen aus und berüdjichtigt dabei nur 
vorzugsweife die dem Yanbmann näher liegenden. Die Berfahrungsweije 
iR anſchaulich, wenn aud nicht immer von Berjuhen ausgegangen -wirb. 
Den einzelnen Abſchnitten find zwedmähige Wieverholungsfragen hinzuge⸗ 
fügt worden. 

Die Ehrift kann Zöglingen der Landwirthſchaft empfohlen werben 


36. Raturiehre für Die Iugend. Aus dem Ecfebude von Dr. Bumäüller 
»» Dr. Mit vielen Abbildungen. (32 ©.) Freiburg im 
Bıciögen, Herder’ Ihe Buchhandlung. 1862. 5 ee 


m diefem Büchlein find die wichtigſten Lehren der Phyſik zufammen: 
haͤngend vorgetragen und durch zahlreiche, gut ausgeführte Holzſchnitte ver: 
auſchaulicht. Gegen die Anordnung ließe fidh vielleicht Giniges einwenben, 
da dem Fortjchritt vom Leichtern zum Schwerern nicht ganz Rechnung ges 
tragen ift; aber darum bleibt die Schriſt doch immerhin ein brauchbares 
Hülfgmittel zur Wiederholung für Schüler. 


37. G. H. F. Echoll, Dekan, Pfarrer in Walddorf bei Tübingen, Grund- 
riß Der Naturlecehre —* Behuf des populären dorngge dieſer Wiſſen⸗ 
ſchaft ausgearbeitet. 88 Holzſchninen. F (VI und 190 ©.) 
Um, Wohler'ſche Buchhandlung. 1863. geh. 1 6 Sr. 


Die widtigften Lehren der Phyſik und Chemie find in diefem Werte 
in populärer Weije vorgetragen und durch brauchbare Abbildungen erläutert 
worden. Durch Beides empfiehlt ſich das Wert zur Wiederholung für 
etwas gereiftere Schüler. Urſprunglich ift daſſelbe für Zöchterjchulen bes 
arbeitet worben, bietet jedoch kaum etwas bar, was es zur Benutzung in 
Anabenfchulen ungeeignet erjcheinen ließe. Gegen die Anordnung des Ma: 
teriald ließe fi vom Standpuntte des allmähliden Fortichritts Giniges 
einwenden. 


üb 


TR 


Naturkunde. 241 


3. Dr. 2. Blum, Oberreallehrer in Stutigart, Grundriß der PBhyfit 
und Mechanik für gewerblide Zortbildungefhulen. Im Auftrage ber 
Königl. Commiſſion für gewerbliche Fortbildungsfgulen in Württemberg 
ausgearbeitet. Zweite, verbefierte Aufl. 8. (VIEL und 140 ©, und 8 Tafeln 
Abbildungen.) Leipzig und Heldelberg, C. %. Winter. 1862. geh. 16 Sgr. 


Die erfie Auflage diefer Echrift haben wir im XIII. Bande angezeigt 
und als ein recht gutes Hülfsmittel zur Wiederholung für Schüler der auf 
dem Titel genannten Anftalten bezeichnet. Der Inhalt hat nur unbedeutende 
Aenderungen erlitten, die Anordnung ift geblieben. 


39. H. Dielmann, welland Lehrer am Schullehrer- Seminar zu Tondern, Die 
Naturlehre in Fatehetifher Gedankenfolge, als Gegenfland 
der Verftandesübung und als Anlaß zur religidfen Naturbetradhtung, für 
Lehrer an Stadt⸗ und Landſchulen und an Schullehrer-Seminarien. Schste 
Auflage, mit 37 in den Text eingedrudten Kiguren, beridhtigt und vermehrt 
von Dr. 3. ©. Kröger, Katecheten⸗ und Schulvorfteber in Hamburg. 
gr. 8. (X und 213 ©.) Leipzig, Ernft Fleiſcher. 1863. 1 Thlr. 


Dielmann’s Naturlehre war feiner Zeit ein beliebtes Buch, hauptfädhlicy 
wohl, weil es durd die „latechetiſche Gedankenfolge“ jehr gute Fingerzeige 
für den Unterricht bot, namentlid angehenden Lehrern einen richtigen Weg 
zeigte. Weniger behagten die mannichfachen religiöfen Beziehungen, melde 
das Buch enthält, nicht, als mären bie Lehrer keine Freunde der Religion; 
nein, fie wünfchten nur, daß man nidt religiöfe Gefühle von ihnen bei 
gewifien Materien forderte, namentlih da nicht, wo es ſich vorherrſchend 
um Verſtandesthaͤtigkeit handle. Nach dem Tode des verbienfivollen Berfs. 
if fein Buch von anderen Arbeiten überholt worden, namentlih von foldyen, 
weiche fi in unterrichtliher Beziehung noch praftifcher erwiefen. Um mit 
diefen von Neuem in die Schranten treten zu können, hätte es einer völligen 
Umgeftaltung beburft. Diefe ift ihm von dem jetzigen Herausgeber nicht 
zu Theil geworben. Derfelbe hat bier und da kleine Aenderungen vorge: 
nommen; aber fie find kaum nennenswerth, wie man ſchon daran erlennen 
fann, daß die neue Auflage nur eine Seite ftärker ift, als die vorher: 
gehende. Die religiöfen Beziehungen haben vielleicht nody eine Vermehrung 
erfahren, mindeftens durch einen Anlauf gegen die Materialiften (S. 97), 
deren Zahl fo winzig Hein ift, daß fie in dieſem Schulbuche unbeachtet 
bleiben tonnten. 


IV. Chemie. 


40. Dr. Th. Gerding, Tirigent des Tehnicums In Söttingen, Schule der 
Ghemie für Lehranftalten und zum Privatgebraudh bearbeitet. Mit 36 
in den Tegt gedrudten Holzfchnitten. gr. 8. (XV und 408 S.) Hannover, 
C. Rümpler. 1862. geb. 1 Thlr. 


Diefe Schrift ftimmt in der ganzen Anlage und Darftellungsform mit 
der oben angezeigten „Schule der Phyfil” des Verf. überein. Mit Stöd« 
hardt's belannter Schule der Chemie, von ber der Titel entlehnt ift, bat 
das Buch wenig gemein. Stödharbt entwidelt die Gejebe der Chemie, der 
Berf. trägt fie vor, wie ein Profefior. Damit ift der Unterſchied zwiſchen 

Bar. Zahresberiht XV. 16 


242 Naturkunde. 


beiden Büdhern ausreichend bezeichnet. Wer einen praktiſchen Curſus über 
Chemie durchgemacht hat, der wird dieſe Echrift immerhin mit Nugen lejen 
tönnen; findet dieſe Borausjegung aber nidht ftatt, fo dürfte der Leſer 
vielfah auf unüberwindlihe Echmwierigleiten ftoßen. 


41. Raturwiifenfhaft der Landwirtbſchaft. Für Zortbiltunge- 
ſchulen und zum Eelbitunterricht. Zweiter Abiknın: Die unorganiſche 
Chemie 8. (VI und 255 S. und eine litb. Tafel mit 15 Figuren.) 
Göln und Neuß, 2. Schwann. 1862. 15 Rgr. 


Diefe Chemie bildet den zweiten Theil der oben unter demſelben Haupt: 
titel angezeigten Naturlebre. Wie diefe, jo beſchraͤnkt auch fie fih auf das 
Hauptſächlichſte und zieht überall das Praftiihe heran. Die Darflellung 
ift Mar und leichtfaßlich, fo daß fi die Echrift für die Schüler der Forte 
bildungsſchulen beftens zur Wiederholung empfiehlt. 


V. Landwirthſchaft. 


42. Ch. Grünewald, weiland Präfect am Schullebrer⸗Seminar zu Kaiſers⸗ 
lautern, Yeitfaden beim Unterricht in der Landwirtbichaft für Schuliebrlinge 
und Shulieminariften. Nach deſſen Tode neu bearbeitet und zum Gebraude 
an technıihhen und Santwirtbichaftlichen Anſtalten, aud zum Geibitunterrichte 
eingeriktet von Dr. Fr. W. Mediend, Lehrer der Landwiribichaft und 
Raturgefkihte an der Kreis sLandwirtbidaite- und Gewerbeſchule, fowie 
am Schullebrer : Seminar zu Kaijerelautern. Neue Ausgabe oder Tritte, 
feır vermehrte Auflage. 8. (KU und 179 ©.) Kaiferslautern, 3 J. 
Tafcher. 1363. 16 ar. 


Diefe Schrift zerfällt in zwei Zheile, von denen ber erfte vom Ader- 
bau, der zweite von der Viehzucht bandelt. Beſondere Aufmerkſamkeit ift 
den Beftanptheilen der Pflanze, ihrer Gntwidelung und ihrem Wachsthum 
gewidmet und zum befiern Verſtändniß aud das Nothwendigfte aus der 
Chemie mitgetheilt. Die Darftellung ift gedrängt, aber durchweg Har. Yür 
landwirtbfchaftlihe Lebranftalten dürfte das Buch daber jehr zu empfehlen 
fein, ebenfo für Seminare, denen landwirthſchaftlicher Unterricht vorge 
ſchrieben ift. 


43. P. H. Vader, Lehrer in Bodum, Material für den landwirtb- 
fbarıliden Unterricht. Zum Gebraude bei dem Sprach⸗, Auflage 
und Redyenunterricgte in der Glementars und Fortbildungöſchule. 8. (IV 
und Pu e Köln, M. Du Mont: Schanberg’jche Buchhandlung. 1862. 
cart. gr. 


Wir baben uns in früberen Bänden bes Jahresberichts entſchieden 
gegen Einführung des landwirthſchaftlichen Unterrichts in Volksſchulen aus: 
geſprochen, aber empfohlen, in andern Unterrichtögegenjtänden, namentlich 
in der Naturkunde, auf denjelben Rüdficht zu nehmen. In biefem Sinne 
ift die vorliegende Schrift gehalten; fie bietet dem Sprach⸗ und Rechen⸗ 
unterrichte brauchbares, der Landwirthſchaft entnommenes Material. Eie 
zerfällt in drei Abtheilungen. Die erfte derſelben ift für die Sprach⸗ und 
Dentübungen berechnet und kann ald die am wenigften gelungene bezeichnet 


Naturkunde. 243 


werden, da der Berf. nad dem Mufter veralteter Anmeifungen dag Mas 
terial nach Kategorien vorführt, ftatt von einzelnen Gegenftänden auszu= 
geben. Die zweite Abtheilung enthält 28 Meine Aufſätze über Milch, 
Butter, das Hühnerei, das Kochſalz, das Del u. | w., wie fie in Mittels 
Hafen angefertigt werden künnen. Die dritte Abtheilung zerfällt in folgente 
acht Abfchnitte: Hauswirthſchaft. Naturkunde. Landwirihſchaft. Biebzudt. 
Geſinde. Obſtbaumzucht. Geſchafts⸗Auſſätze. Landwirthſchaftliche Rechen⸗ 
aufgaben. Es werden darin 76 kurze Aufſätze dargeboten, von denen 
die meiften in der Oberllafie bearbeitet werden können, wenn der Lebrer 
namentlich in der Naturtunde auf ihre Vorbereitung Bedacht nimmt. 

Wir halten das Büchlein für jo zwedmäßig, daß wir wünjchen, bie 
Landlehrer möchten daſſelbe beachten. 


44. 8. Reiſer, Lehr» undRefebud für Fortbildungéeſch ulen. Erſter 
Theil. Gewerblicher Theil. (XII und 267 8.) 16 Sgr. Zweiter Theil, 
Landwirthſchaftlicher Theil. 9 Gyr. Stuttgart, Hallberger. 1861. 


Dies Lehr: und Leſebuch ift durch die in Württemberg entftandenen 
Winter » Abendichulen veranlapt worden. Der erite Theil behandelt die ges 
werblihen Perhältnifje, der zweite die landwirthſchaftlichen. Beide Theile 
führen Gegenftände vor, die fih für Kortbildungsihulen auf dem Lande 
und in Meinen Städten eignen. Auch bat der Berf. für die Mittbeilung 
eine anfprechende Form gefunden, fo daß angenommen werden kann, die 
Bücher werden eine ebenfo belebrende als unterhaltenne Lectüre bilden, 


316° 





VIII. 
Geographie. 


Bearbeitet von 


Seminar⸗Oberlehrer W. Prange in Bunzlau 


1. Die literariſche Thätigkeit des Jahres 1862 auf geographiſchem 
Gebiet iſt eine ſehr bedeutende und fruchtbare geweſen. Sie hat ſich aber 
vorzugsweiſe auf die wiſſenſchaftliche Bearbeitung des immer reicher 
und voller zuftrömenden Materials gerichtet, und fih ungleich jpärlicher der 
dörderung populärer und elementarer Zwecke zugewendet, ald man er: 
warten mödhte.. Dem Schulunterriht, jowohl auf feinen elementaren 
wie auf feinen höheren Stufen, ift zwar auch manche überaus werthvolle neue 
literarifhe Gabe dargeboten worden; jedoch einestheild treten die meillen 
berfelben in ihrer Bedeutſamkeit hinter den rein wiſſenſchaftlichen 
Arbeiten zurüd, anderntheild ift wenigitens die Mehrzahl der beachtens⸗ 
wertben Erſcheinungen für die Schule überwiegend nur in neuen Auf: 
lagen befannter und gern gebrauchter Bücher zu conftatiren. Es kann 
allerdings nicht fehlen, daß beſonders die wiſſenſchaftlich gebildeten 
Lehrer der Geographie an höheren Schulen aus vielen der neuen wifiens 
ſchaftlichen geographiihen Schriften durch fleißiges Studium derfelben eben 
fo viel geiftigen und anregenden Genuß, ald neue Bereiherung und Bes 
rihtigung ihres Willens fhöpfen werden. Dagegen der bei weitem größeren 
Mehrzahl der Volksſchullehrer kann felbfiverftändlih davon nur fehr 
wenig zu gut fommen; fie fieht fich auf die Bearbeitungen bes neu Ges 
monnenen für ihre bejondere Sphäre angewieſen, da fie nidht in ber Lage 
ift, überall auf die Originalberihte und Grplorationg-Arbeiten, auf die 
gründlichen, größeren Werke zurüdzugeben. Für fie liegt dazu auch gar 
fein praftifches Bebürfniß vor, wenn es gilt, blos ven Schulunter: 
richt in der Geographie ſachentſprechend und tüchtig zu ertheilen. Gtwas 
anders liegt das Verhältnis ſchon für ſolche Volksſchullehrer, welde aus 
eigenem Antrieb, zum Behuf ihrer weiteren Fortbildung nah wiffen- 











Geographie. 248 


zchaftlichen geographiſchen Werken greifen wollen. Kraft und Zeit ziehen 
aber audy ihnen meiftens ziemlich enge Grenzen, und unter Hunderten wird 
ed immer nur einige Wenige geben, welde von foldhen größeren Werten 
thatſaͤchlich reellen Nupen zu ziehen im Stande finv. 

Billig verfagt es ſich deshalb ver jährliche Bericht, durch fpeciellfte 
Hinweifung auf die überfhwängliche Fülle aufmerffjam zu machen, welde 
in allen Zweigen der wiſſenſchaftlichen Bearbeitungen der Geographie in 
Schrift und Karte wiederum entgegentritt, und befchränkt ſich aud um bes 
Raumes willen auf zugänglichere, in der Praxis mehr oder minder nutzbar 
za machende literarifche Erfcheinungen. Cinzelne über das nächſte, populäre 
Gebiet hinausgreifende Werte follen dabei nicht ganz übergangen werben. 
Die fih übrigens aud auf andern unterrichtlichen Gebieten nicht verlennen 
läßt, fo hängt Abnlih auf dem geographiſchen der Werth einzelner 
Schriften durhaus nit von deren äußeren Bolumen ab. Es mag 
fih daraus rechtfertigen, wenn im Snterefie der Volksſchullehrer bier 
und da kleinere Schriften nit minder genau dharalteriirt werden, als 
es bei größeren die Natur der Sade mit fi zu bringen pflegt. Volks⸗ 
f&hullehrern liegt in ver Regel an der Kenntnißnahme von jenen wegen 
der etwaigen Verwendung für den Unterricht gar viel; und es kann ihnen 
eben jo wünfchenswerth fein, den Grund für abrathende, ald den für em: 
pfehlende Urtheile einfehen zu Tönnen. 

2. Bas an allgemeinen Gedanten über den gengraphiichen Unter⸗ 
richt, fei’3 über deflen Geſammtheit, ſei's über einzelne, namentlih eles 
mentare Seiten veflelben, im abgelaufenen Jahre an die Deffentlichleit 
getreten ift, trägt mehr den Charakter verftärkter Beftätigung früher ſchon 
zur Geltung gebradhter Anſichten und den ber recapitulirtenden Wieberaufs 
frifhung derſelben, als den etwa ermwarteter völliger Neuheit. Es findet 
fih auch in den paͤdagogiſchen Zeitſchriften nur felten unb meift nur 
in großen Beitintervallen einmal wieder eine Anregung folder Gedanken. 
Wo in der Vorrede zu einzelnen Schulbühern vergleichen ausgeiprochen 
find, pflegen fie mehr andeutungsmweife ald ausgeführt aufzutreten. 
Schwerlich ift deshalb der Schluß zu gewagt, daß, wie ſchon einmal in 
einem der früheren Jahresberichte bemerklich gemacht wurde, ein Still: 
Rand auf methovifhem Gebiete eingetreten zu fein fcheine, — eine kaum 
befremdliche Folge des früheren überfiarten Eifer, womit vor etwa zehn 
Jahren auf neue Methoden Jagd gemaht wurde. Geradezu erwünſcht läßt 
ſich diefe Schweigfamleit über die geographiſche Methode nicht füglich nennen, 
es fei denn, daß die Praxis der etwas haftig vorangeeilten Theorie erſt 
nachzukommen tradhte, um durch gejammelte Srfahrung das Bewährte von 
dem Unhaltbaren zu ſondern. Sonft bat es immer feine Bebenten, nur 
in praltifh ausgefahrenem Geleife ſich zu bewegen, beſonders für jüngere 
Lehrer, deren Jugendkraft berufen erſcheinen Lönnte, auf Grund älterer Ers 
fabrungen weiter zu bauen. Methoden find keineswegs bloße mechaniſche 
Gängelbänder, fie werden denkenden Köpfen zu einer Art Fach⸗Philoſophie, 
welche ihre paͤdagogiſchen und fachlichen Urtheile berausfordert und zu rüs 
fligem Berfuh Anlaß gibt, defien Refultate pofitio oder negativ nicht ohne 
Härende Belehrung bleiben werben. 


246 Geographie. 


Im Nachfolgenden werben bie in's Gebiet der geographiſchen 
Methode einſchlagenden Gedanken zuerſt zuſammenzufaſſen und nachzu⸗ 
weiſen fein; dann ſollen ſich noch einige Mittheilungen über Karten 
anſchließen. 


I. Heimathskunde.“) 


1. Die Heimathskunde iſt und bleibt die erſte und weſentlichſte 
Grundlage alles ferneren geographiſchen Unterrichts. Wie in mehreren 
der früheren Jahrgänge des Bad. ahresberichts nachgewielen, haben jeit 
Jahrzehenden fowohl unfere gemiegteften Schulmänner, als eine ganze Schaar 
minder hervorragender Kräfte auf biefe Grundlage und beren swedmäßige, 
fruchtbare Geftaltung und Benutzung viel Fleiß verwendet. Dadurch ift bie 
Heimathskunde ein wohlgeorbneter Zweig des gengraphiihen Borbereis 
tungs⸗ Unterrichts geworden, der fi in ſachkundiger Hand mit entſchieden⸗ 
ſter Hoffnung auf befrievigenden Erfolg in der Schule verwenden läßt. 
In der Natur des Gegenftandes iſt's begründet, daß alle methodiſchen An⸗ 
leitungen zur Betreibung ber Heimathskunde nur einen eremplificato: 
riſchen Charakter an ſich tragen können; denn jeder beimathlihe Ort bat 
feine bejonveren Berhältnifie, deren Berüdfihtigung weſentlich erforderlich 
if. Nur der gefammte Plan und die Modalitäten feiner unterricht⸗ 
lihen Durdführung laflen fi aufftellen und nachweiſen, um fignificante 
Beziehungen, Erläuterungen, Vergleihungen aufzubellen, auf melde ber 
wohlangelegte Unterricht einzugeben bat. Hierin läßt fi der Grund ers 
fennen, warum Leitfäden für den geographiihen Unterriht, wenn fie 
nit die Heimathokunde gänzli unermähnt laſſen, weil fie biefelbe eo ipso 
vorausfegen, fih immer nur auf kurze Andeutungen der räumlichen 
und zeitlihen DVerbältnifie, der etma bei deren Erörterung zu firirenden 
geographifhen Grundbegriffe u. dal. beihränten, aljo nur generelle 
Bingerzeige geben, welche jeder Lehrer für jeine heimathlichen Berhältnifie 
fpeciell anzumenden hat. Diefe generellen Fingerzeige haben ſich im Laufe 
der. Zeit durch praltifhe Bewährung zu einem Sanon ber Heimathelunde 
geftaltet, der in den Details feiner Ausführung ſich jedem Orte mehr oder 
minder anpafien läßt. In der Ausführung felbit waltet dagegen eine 
bunte Mannidfaltigteit, wie es nicht anders fein-fann. Aber audy bei all’ 
folder Mannicdfaltigkeit find doch gewifie Grundgedanken inne zu 
baften. Stets ifl es 3. B. als die unerläßliche Tendenz anzujehen, in der 
Heimathskunde duch concretefte Anfhauung der wirlliden Natur 





“) m 14. Päd. Jabresbericht S. 267 und 272 iR aus Berfeben Ratt 
Singers Kreienius als Bearbeiter der Heimathetunde genannt. 
Zwar hat auch Pegterer in dem Programm der Bender'ihen Erziehungs: 
anttalt zu Weinteim eine „Einführung in den geoaraphiſchen 
Unterricht“ geliefert (cf. 6. Päd. Jabresbericht S. 177 ff); aber ers 
ſterer if mit feiner ſehr trefflichen, beute noch wohl zu beadhtenden auss 
führlihen „Anleitung zum Unterricht in der Heimatkunde” (ch, 
I. Paͤd. Jabresbericht 8. 2371 vorangegangen. Und auf dieſe „An— 
leitung” war im 1%. Päd. Jabresbericht Bezug genommen. Diefe Bez 
richtigung dem Verdlenſte Finger's um Die Methode in der Heimathokunde! 





Geographie. 247 


Verbältnifie und nicht durch bloßes Hin» und Herreden ohne folde 
Anſchauung ihrer Aufgabe zu genügen. Schon der ausgezeichnetite unferer 
neueren Geographen, C. Ritter, erllärte: „Die natürlichfte Methode (des 
geographifhen Anfangs unterrichts) ift die, welche das Kind zuerft in der 
Wirklichkeit orientirt und zu firiren ſucht, auf ver Stelle, mo es 
lebt, auch ſehen lehrt.” Er dringt darauf, nicht in der Stube, nicht 
auf der Landlarte, nit aus dem Buche, fondern in der Natur den 
Anfang zu machen. Mit Redt. Beim rein wiffenfhaftlidhen Unter: 
ridht in der Geographie bedingen die andersartigen Biele auch eine ander&« 
artige Grundlage, als beim elementaren Unterricht, über welchen die 
Boltsfhule nun einmal nit hinauszugehen bat. Dort ift fihere Be 
berrfhung der Formen und ihrer Wecfelbeziehungen zu einander, 
wie fie durch eigenfreie Entwerfung von Landkarten planmäßig erworben 
werden Tann und foll, die feite Baſis für den meiteren Aufbau. — mie 
dies auch E. Ritter in feinem empfehlenden Gutadyten über die Ägren'ſche 
Eonftructiong-Methode im Sabre 1829 ausfprah. Hier ift vie fichere 
Drienttrung in der nädhften Nähe durch autoptifche Erfafjiung der wirklichen 
Dinge und Berhältnifie die erfte und nothwendigſite Aufgabe. Diefe Gr 
fafiung leitet naturgemäß von felbft zur Gewinnung einer Reihe von geo: 
graphiſchen Grundbegriffen, welche im weiteren Unterricht zu fleter 
Anmendung kommen und deshalb in ihrer Bedeutung den Kindern befannt 
und Kar fein müflen. Wie das zu vermitteln fei, bat ſchon vor dreißig 
Jahren der Infpector Biemann in feinem „Beograpbifchen Unter: 
riht in Bürgerfhulen” S. 119 fi. gelehrt; und ähnlicher Weife 
laflen auch andere Lehrer der Geographie die erften geographiſchen Begriffe 
über topifche, phyſiſche, ftaatliche, ſociale und culturgefchichtliche Berbältnifie 
auf dem Boden der Heimath erwerben. Auf diefe Ermwerbung ift alfo eine 
weitere Tendenz des Linterrichts in der Heimathskunde gerichtet. Noch eine 
andere folcher Zendenzen gebt auf die Anbahnung vergleidhender 
Betrahtung der einfadhften geographifhen Verhältniſſe hinaus. Weil der 
Unterricht allmälig über den ſinnlich überfhaubaren Kreis der Umgebung 
hinausführen muß, fo ift es von Bedeutung, die Auffaflung entlegener Ber: 
bälmifie anzubahnen. Das gefchieht durd die vergleichende Betrach⸗ 
tung der Berbältnifie der Nähe. Räumliche Größe, Cntfernung, Höbe, 
Lage, Richtung, größere oder geringere Bedeutfamleit nah Maßgabe der 
Nußbarkeit und ähnliche Weziehungen bieten für folhe Betradbtung die 
Antnüpfungspunlte Gerade auf diefer Stelle hat ſich das bejondere prals 
tiſche Geſchid des Lehrers zu bewähren, zumal da ein Leitfaden nicht füglich 
fpecielle Anmeifung darüber geben kann, vielmehr der eigene praktiſche Tact 
des Lehrers entfcheiden muß. 

Aehnliche Grundgedanken gibt es noch andere; es kann jedoch nicht 
die Aufgabe fein, bier dieſelben beſonders wieder hervorzuheben, jo wenig 
es erforderlich erjcheinen kann, den bewährten Sanon für die Heimatbetunde 
wiederholt aufzuftellen. Vielmehr ift bier nur der neueften Aeußerungen 
über Heimathskunde zu gedenten. 

2. Director Merget in Berlin bat im Januar» und Februarhefte 
des „Schulblatts für die Provinz Brandenburg’ (1863 6.53 ff.) 





248 Geographie. 


eimen kurzen Auffaß über „Heimatbölunde oder Baterlandpstunde” 
veröffentliht. Nachdem er Gingangs an die Reſtrebungen der Peſtalozzi'⸗ 
fhen Schule erinnert hat, vr unmittelbare Anſchauung mit ges 
graphiſchen Gegenftänden belannt zu maden, wobei der Grundſatz: „Bom 
Nahen zum Fernen“ maßgebend fei, befinirt er vie Heimathelunde als 
„die georonete Behandlung der naturgeſchichtlichen und geogras 
phiſchen Gegenftände in der näcften Umgebung der Jugend”. Gleich 
den Peſtalozzianern ift er im Grunde gegen die Aufnahme geſchicht⸗ 
lien Stoffes in die Heimathskunde, meint aber dod, „man muß ſich 
drein fügen, aud das Geſchichtliche des Ortes, feine Chronit, hiſtoriſchen 
Dentmäler, ja noch Etatifliihes über Gewerbe, Handel und Verkehr, Aunft 
und Wiſſenſchaft unter Umftänden zu nehmen.’ Gntgegen den Pelta- 
Iozzianern hält er die Aufnahme gewiſſer Stüde aus der populären Him⸗ 
melstunde (Erd: und Monpbewegung, Berfinflerungen u. f. w.) in die Hei- 
mathslunde für nicht ſachgemäß, und darum für ungehörig. Rur jo viel 
gehöre davon bierher, als zum Sihorientiren erjorderlih ſei; alfe 
etwa die Kenntniß der Stellung der Sonne am Himmel in den veridie 
denen Tages» und \Tahreszeiten, die Tageslängen, .. . die Kenntniß ber 
Windrofe und die Auffindung ber Himmelsgegenden mitielft bed Compaß. 
Bormann nahm in den „vorbereitenden Eurfus” (Heimathskunde) 
als deſſen zweite Hälfte „diejenigen äußeren, täglih uns wirtlid 
anihaubaren Grideinungen auf der Erde und am Himmel auf, 
welche” in der matbhematifhen Geographie ihre wiſſenſchaftliche Erllärung 
finden, limitirte aber das Gebiet diefer Belehrungen dadurch, daß er hinzu 
fügt, fie follten nur „die von jedem Menſchen mit gefunden Sinnen 
wirklich wahrgenommenen Erſcheinungen“ betreffen, aljo nichts weniger 
als eine „mathbematifhe Geographie” enthalten, wiewohl fie zu eben 
fo zwedmäßiger als nothirendiger Vorbereitung auf biefelbe dienen lönnten. 
(Of. Diefterweg, „Wegweifer zur Bildung für deutſche Lehrer,“ 2. Bp., 
3. Aufl., ©. 15.) Merget will fih blos auf das zur Drientirung zu: 
naͤchſt Unentbehrliche bejchränten. „Nach der Drientirung gehört zur Heis 
mathskunde die Betrachtung von Berg und Wafler in der Nähe.” „Die 
Sade muß an Ort und Stelle gejehen und kennen gelernt werben.‘ 
Die zu erörternden Begriffe (Fuß, Abbang, Gipfel, Höhe; Ufer, Belt, 
Spiegel, Mitte, Duelle, Mündung; Bufen, Bucht ꝛc.) reiben fih natürlich 
an. Damit hält Merget die Grundlage des geographifchen Unterrichts 
für gewonnen, um jo mehr, da die wirtlihen Anfchauungen der Sache die 
Anwendung der auf den Karten üblichen Signaturen für dieſelben erleich 
tern werden. (Flußlinien, Gebirgsfhraffirung, Bodenfärbung u. dgl.). Gi 
gentlih würde es nach Merget’s Anfiht eines Mehreren in der Heimathe- 
kunde zur Vorbereitung auf den eigentlichen geographifhen Unterricht nicht 
bedürfen. „Wenn aber aufer der Orientirung noch etwas in die Heimaths: 
kunde gejtellt werben foll, fo muß es vor allem Geſchichtlichen und 
zolitiisen das Naturgeſchichtliche fein: heimathliche Pflanzen und 
hiere.“ 

Hierdurch ſchließt ſich Merget der nunmehr traditionellen Anſchauung 

über den für ben heimathlundlichen Unterricht berechtigten Lehrſtoff wieder 





Geographie. 249 


an. Daß er denfelben nit „über den Wohnort und deſſen nädfte Um⸗ 
gebung“ ausgebreitet wiflen will, entſpricht der berechtigten Scheidung ven 
Heimath3: und Baterlandskunde In jener ift die unmittelbare An⸗ 
ſchauung der Weg zur Erlenntniß, in diefer muß die mittelbare ange 
wendet werden. Daraus ergeben fich die natürlichiten praftischen Confequenzen. 
Selbſwerſtändlich fällt der Baterlanpslunde die Geographie des 
Landes, die Naturbejhreibung der Erzeugnifie deſſelben und ein Theil 
ver Geſchichte zu, welche fib in dem Lande zugetragen bat. Gerne wird 
auch auf den materiellen Verkehr in Snduftrie und Handel, auf den 
Stand und die Förderungsmittel der Bildung, auf beveutfame Pfleganftalten 
u. dgl. geachtet; der ganze Anfhauungsfreis erweitert ſich Außerlid und 
innerlih, und neben der realen Eeite der Belehrung tritt deren formaler 
Zwed, Wedung ver Liebe zum Baterlande, in den Vordergrund. Mit 
biejem Zwede correfpondirt die gegenwärtig mehr als früher betonte For⸗ 
derung, die Schüler auch mit der Berwaltungsart des Landes, mit den 
Militair- und andern allgemeineren Staatöverhältnifien befannt zu machen, 
eine Forderung, weldhe der gemüthlichen Seite des Unterrichts allerdings 
wenig förberlih ift, wie denn Merget auch von der unterrihtlih anfchaus 
lihen Behandlung der Heimathskunde eine Beeinträchtigung dieſer gemüth- 
liden Seite fürdtet. — Bemerltenswerth ift noch, was er über die Benugung 
des Leſebuchs für diefen Unterricht fagt. Diefe pflegen jekt allerlei geo⸗ 
graphiſche und geſchichtliche Schilderungen, Erzählungen über hervorragende 
Perfonen und Creignifle zu enthalten. „Die Abfiht der Mittheilung 
ſolches Lefeitoffes ift jebr gut, aber es ift eine Kunſt, mit bemjelben recht 
umzugeben; und es muß wohl im Auge behalten werben, daß der Leſe⸗ 
Unterriht anderer Natur fei, als der in den Realien.” Dort ift die 
Sprade, bier find die Sachen (aber doch mit und durch die Sprade 
zugleich) kennen zu lernen. Merget bat darin Recht, wenn er die Faſſung 
und Darftellung in den Lefeftüden meift etwas zwitterhaft findet, 3. DB. da, 
wo von naturgejhichtlihen Gegenftänden in dem Zone der Unterhaltung 
geſprochen wird, mas neuerdings zwar immer mehr beliebt gemorden, der 
Sade aber keineswegs immer förberlih if. „Der Lehrer muß, wenn die 
Kinder aus den Lejeftüden die beabfichtigte Kenntniß ver Sachen entnehmen 
follen, diefe hervorzuheben und in einer Weife zu orbnen verfleben, wie fie 
der Unterrichtögegenftand, um den es ſich handelt, verlangt. Er muß bei 
den geſchichtlichen Stüden Anleitung geben, bie chronologiſche und prage 
matiſche Folge der Begebenheiten aufzufaflen; bei den geographifhen 
darf die Karte nicht fehlen, bei den naturgeſchichtlichen müſſen die 
wirklichen Gremplare berbeigeichafft werben.” Das ift denn freilich leichter 
gefordert, als ausgeführt, da dazu Vorbedingungen gehören, die in gar 
vielen Fällen unerfüllbar jind. 

Im Ganzen bewegen fih Merget's ganz praktiſche Gedanken durchaus 
innerhalb der ſchon belannten Grenzen für den heimathskundlichen Unters 
richt; fie betonen nur erneut die forgfältige Beſchraänkung auf die wirt 
liche Hauptſache, worin die Grundlage zum weitern, georbneten geogra⸗ 
phiſchen Unterrichte gefunden werben muß, und warnen vor der Herbeiziehung 
aller möglihen Dinge, welche von Solden bisweilen irriger Weile wohl 


250 Geographie. 


beliebt zu werben pflegt, die in der Heimathelunde einen ganz felbfiflänpigen 
Unterrihtögegenftand etabliren möchten, wäbrend fie nichts anders als nur eine 
Borbereitung zum weiteren Unterrichte fein fol Wenn Merget gegen Gin: 
fügung biftorifher Momente in die Heimathskunde eine Abneigung zeigt, 
fo mag das in dem Etreben nad talwoller Beſchränkung begründet fein, 
zumal bei Dertlidhleiten, welde von einer complicirten Geſchichte umfpielt 
find, wie unfere großen Städte. Anfängern kann gar kein Berfländniß 
auch nur für die hauptfählichfien Züge und Perſonen zugemutbet werben, 
und einzelne Heine Geſchichtchen mehr in anefdotenartigem als hiſtoriſchem 
Gewande find ja in der That aub nicht felten ein ziemlich entbehrliches 
Surrogat für die wirkliche Geſchichte. Ihr geichichtliher Werth und ihre 
ethiſche Wirkung läßt ih unmöglid body anſchlagen; fie treten etwa wie 
eine mehr zufällige als nothwendige Zlluftration auf, die höchſtens momentan 
einigen Einprud macht, aber im Berlauf der weiteren Pelebrungen gar 
leiht wieder verwifht wird, und eigentlih auch den Aniprud auf treue 
Bebaltenwerden gar nicht mahen kann. Für eine überwiegende Mehr: 
zahl Meiner Dertchen tritt der andere Umftand ein, daB fie gar feinen 
nennenswertben Antbeil an der Geſchichte haben, und nur mit Mübe einige 
Orinnerungen compilirt werden müßten, welche wiederum alles Andere, nur 
keine eigentlihe Geſchichte find. Auch da werben ſolche geſchichtliche Mo⸗ 
mente fuspendirt werden können, ohne die Pietät vor der Bergangenbeit 
zu beeinträchtigen. In der Baterlandslunde findet ſich dann der Erſaßz. 

8. Es ift in den jünaften Zeiten mehr als früber Nahdrud auf Ans 
wendung aller wirtfamen Mittel gelegt worden, um die gefammte Hebung 
des Volkes, insbejondere auch derjenigen Schichten befielben zu fördern, 
welche nicht in der Lage find, durch befonvere Bildung zugleich vermehrte 
Elemente zu größerer fittliher Confolivirung zu gewinnen. Numentlich 
ift die Medung des Einnes für vaterländifhe Kunſt mit ganz vor⸗ 
zugsweifer Energie in Angrifj genommen, um deren verevelnde Wirkung 
für die niederen Volksſchichten, wie für die bürgerlihen Kreiſe flüffig zu 
maden. Man bat mit Recht bier ein weites Feld ver Thätigleit geöffnet, 
um dur gute Bilder, geichmadvolle oder wenigftens zufagende häusliche 
Einrichtungen, durd würdigen Schmud der Bauwerke, zumal der Kirchen, 
Altäre, der heiligen Gefähe, der Grabftätten u. A. m. eine Handhabe zur 
Hebung des Volkes aus mandyerlei Verlommenbeit zu.gewinnen. Die Sache 
ift felbftrevdend von der höchſten Bedeutung. Deshalb fehlt es auch nicht 
an Mahnungen, daß fhon die Schule von früh auf dabei fördernd und 
belfend an die Hand gebe. Ohne daß an diefem Ort den umfangreichen 
Anftrengungen, welche nad dieſem Ziele bin gerichtet find, weitere Grörte- 
rungen zugemendet werden können, mag es doch nicht befremdlich erfcheinen, 
hier menigftens auf einen Punkt binzudeuten, welcher mit dem Unterricht 
in der Heimathskunde offenbar in innigem Zufammenbange ftebt. Nämlich 
der Einn pietätvoller Mertbhaltung der öffentlihden Denkt. 
mäler aller Art, mögen fie kirchliche, rein patriotifche oder auch nur pers 
fönlide, individuelle Beziehung baben, ift es, meldher der Wedung und 
Nährung fhon bei Kindern bedarf. Ueberall, wo vdergleihen Denkmäler 
fih finden, weiſen fie auf eine Vergangenheit zurüd, vor der die Jugend 











Geographie. 251 


eine pietätoolle Scheu und eine Hochachtung eingeflößt erhalten follte, vie 
bei weiterer Lebensreife als ein guter Anfang begeifterter Hingabe für die 
Berahrung und Vertheidigung diefer und noch höherer nationaler Güter 
und Denkmäler dienen könnte. Schulrath Bormann, der ein warmes 
Herz für jedes edle Mittel zur tüchtigen Augenderziehung bat, kommt in 
feinem 61. Sendſchreiben (Schulblatt für die Provinz Bran- 
denburg, Januar: und Februarheft 1868, ©. 64 ff.) auf diefen Punkt 
zu fpreben. Er erfennt gern die hohe Michtigleit an, daß der Lehrer mit 
allem Nachdruck die Offenbarung der Herrlidhleit Gottes in der Natur ber 
vorbebe, und den pflegfamen Sinn in Beziehung auf die Merle ber 
Schöpfung erwede. Aber bei dem leider nur zu verbreitet fich offen 
barenden, roh zerftörenden Frevelmuth der Jugend hält er es mit vollem 
Recht von ebenfalls großer Bedeutung, dem Muthmillen bei Bergreifung, 
Berunftaltung und Beſchmußung an öffentlihen Dentmälern, Statuen, 
Bauwerken u. f. m. wirkfam zu begegnen. Als das vorausfichtlich erfolg 
reihfte Mittel empfiehlt er, „forgfältig und finnig mit den Kindern zu bes 
trachten, was fromme und Tunftgeübte Hände zur Erbauung und Erhebung 
gegenmwärtiger und zufünftiger Geſchlechter aufgerichtet haben.” Gr bält es 
geradezu für eine Rehreraufgabe, den Kindern eine richtige Anleitung zur 
würdigen Betradtung folcher Dentmäler zu geben, weil dies die ſittliche 
Erhebung derjelben fördern werde. Die Frucht ift bei Löfung dieſer Auf 
gabe jedenfalls eine doppelte; ſowohl dem Lehrer felbft ale den Schülern 
wird damit ein hoher Genuß gewährt werden, und in beiden verftärkt fi 
der Antrieb, den edleren Offenbarungen des Wollsgeiftes und Vollslebens 
größere Aufmerkfamteit zu fchenten. „Die Gedantenlofigkeit, ja Stumpfbeit, 
womit felbft fogenannte Sebildete an Kunſtwerken, Prachtbauten, Dentmälern 
u. |. w. täglich vorübergeben, überfteigt in der That -alles Slaublihe. Sie 
it eine Folge davon, daß in der Jugend der Sinn für das Schöne in ber 
Kunſt nicht gewedt ward. Sie lernt nicht fehen, und fieht deshalb fpäter 
niht, mas Frömmigkeit, Vaterlandsliebe und künftleriihe Phantafie ſchuf. 
Kindern muß aud das Auge für die Schönheit, die an Menfchenwerten 
zue Erſcheinung kommt, geöffnet werden. Damit wird die Nobeit der 
Zerflörung und Refudelung defien gemwehrt, was zur Erhebung und Er⸗ 
freuung geſetzt iſt: es find Quellen edlen Genuſſes.“ 

Hiermit ift eine Aufgabe der Heimathskunde angedeutet, melde in 
befonderer Art der Vaterlandskunde vorarbeitet, wenn aud nicht auf ſpezi⸗ 
fiſch geographifhem Gebiet, eine Aufgabe, deren Löfung mit dem Abſchluß 
eines geographiſchen orbereitungs:Curfus noch nicht vollendet ift, die viel 
mehr einen fruchtbaren Keim zu nachmals weiterer Entmidelung enthält, 
und obne Zweifel in eminentem Sinn jegensvoll werden könnte, wenn ber 
Lehrer in ebenfo verftändiger als liebevoller Hingabe an die Sache deren 
Pflege ſich empfohlen fein faflen wollte. Crmuntern muß man dazu, fowohl 
um des Lehrers felbft «ld um der Volksjugend willen. Allerdings ift mit 
allgemeinen PBhrafen die Petrahtung von Dentmälern nicht abzuthun; 
fie muß im Gegentheil von einem gewiflen Maß von Berftändniß deflen, was 
die Kunſt plaftifh und ſymboliſch oder rein hiflorifh oder idealifirt darftellt, 
fie muß aud von genügender geſchichtlicher Vertrautheit mit den Ber: 





252 Geographie. 


Hältnifien getragen fein, auf welche ſolche Dentmäler hinweiſen. Wo aber 
diefen Vorbedingungen entfproden if, da kann die Aufmerkſamkeit auf 
heimathliche Dentmäler nur ſehr erſprießlich fein. 


1. Methode des gefammten geographifchen Unterrichts. 


1. In der Sächſiſchen Schulzeitung (1861 Nr. 12) ſucht 
ber Kirchſchullehrer Weißbach „pie Nothwendigkeit und Methode 
der Geographie” darzulegen. Dafür, daß aub die Landfhulen 
geograpbifchen Unterricht erhalten follen, wird angeführt: „Je früher der 
Menſch mit der Welt belannt wird, defto eher lernt er ſich ſelbſt 
fennen. Je mehr er ſich bewußt wird, meldes kleine Glied er in ber 
Kette der menfchlihen Geſellſchaft ausmaht, deſto mehr wird in ihm bie 
weltbürgerlihe Anſicht geweckt.“ Hört er von der glübenden Hitze, 
ber Despotie, den läftigen Thieren, peftartigen Krankheiten in füblichen, 
von der Stiefmütterlichleit und dem öden Leben in noͤrdlichen Ländern, fo wird 
in Gegenden, mo weder verweichlihende Ueppigleit noch Willlür und 
Aberglaube, weder verzebrende Hitze noch erfiarrende Kälte waltet, — die 
Liebe zum Baterlande angeregt. Gründliche Kenntniß der Grbe ge 
währt auch ein religiöfes Intereſſe; kurz der geographifche Lnterricht 
fördert die Erziehung des Menſchen „zu einem nuützlichen Mitglieve ber 
menſchlichen Gejellihaft und zu einem religiös : fittlihen Bürger bes Neiches 
Gottes!” Dadurch if defien Nothwendigkeit dargetban. Gut ges 
meint mögen dieſe Gedanken fein, fie treffen aber weder den Kern ber 
Sade, noch erjchöpfen fie diefelbe. Ohnehin iſt's eine geradezu müßige 
Sache, gegenwärtig die Notbwendigleit des geographiſchen Unterrichts 
noch mit derartigen Gründen erweifen zu wollen. 

Auh was über die Methode gefagt wird, zeichnet ſich nicht durch 
jhwermwiegende Gedanken und Rathſchläge aus. Es wird die ſynthe⸗ 
tifche Methode vorgezogen, womit diejenige gemeint wird, die vom Allges 
meinen zum Beſondern fortjchreitet; das andere, vom (inzelnen und 
Naben ausgehende Verfahren, das bier analytifch genannt if, wird 
wegen der Schwierigleit für den Lehrer abgewieſen, daß er „nicht be⸗ 
rehnen könne, wie viel er von jebem Gegenſtande geben und wie lange 
ee fich bei demjelben aufhalten dürfe, um ein voliftändiges Ganzes vor die 
Augen und die Seele des Kindes zu ftellen.” (1) Nein ſchmeichelhaftes 
Compliment für den Lehrer, der dies follte berechnen gelernt haben. Herr 
Kichichullehrer Weißbach meint, daß „mit der Darftelung des Verhältniſſes 
unjerer Erde zur Welt der Anfang gemacht werben müfle; Kurze, eins 
geftreute Erzaͤhlungen, Dergleihungen und Berlinnlihungen follen als 
„Würze“ bei ver „ſokratiſchen“ Meife der Belehrung dienen! Das Gapitel 
vom „Stande der Erde‘ foll am paffendften mit ver Grwähnung 
des Stifters unſers Sonnenſyſtems, Nicolaus Kopernikus, gefihlefien werden! 
(Das ift ein befremdlicher Rath! Gr ift fignificant für das ihm zum Grunde 
liegende Maß des Urtheils in diefen Eaden.) Nach diefem Anfang wich 
das Wiffensmwürdigfte aus der phyſikaliſchen Geographie ausgehoben, 
worauf durch Nachweis des Wechjelverhältnifies zwiſchen Menſchen und 





Geographie. 253 


Ratur der Ginfluß der lebteren auf jene bemerklich gemadt werben foll, 
ein Einfluß, ‚der die Freiheit der Menjchen‘ nicht aufhebt, „daß ein 
Menſch oder ein Bolt niht werden könne, was andere find.” (!) 
Genaue Schilderungen follen ein Land mit dem andern vergleichen lehren, 
damit die Kinder Begriffe bilden lernen, den Beritand fchärfen und das 
Gedaͤchtniß ftärlen! — 

Was diefer Auffaß jagt, das und noch viel mehr und Befjeres über 
Geographie ift längft ſonſt ſchon gejagt, ald daß angenommen werden könnte, 
e3 erführe die Lehrerwelt damit etwas Neues. Jedenfalls thut man wohl, 
feinen Vorſchlägen lieber nicht zu folgen, und gebiegeneren, klareren Grund⸗ 
fäben zu bulbigen. 

2. Oberlehrer Dr. Denhard hat im Ofter: Programm der höhern 
Mädchenſchule in Hanau (1861) die „Darftellung eines 
naturgemäßen Lehrgangs im erdkundlichen Unterrichte unter 
Beifügung eines erläuternden Beiſpiels in ver Bejchreibung des heſſiſch⸗ 
theinifhen Berg: und Hügellandes‘ veröffentliht. Die Hauptgebanten 
lafien. fih etwa folgendermaßen zufammenfaflen : 

Die beiden jeither im geographifchen Unterrichte angewandten Methoden, 
ſowohl die, welhe mit allgemeiner Betrachtung der mathematifchen, 
phyſiſchen und politiichen Groverhältnifie, als die, welche die Heimath zum 
Ausgangspunlte nimmt, wie anerlennenswerth aud die von tüchtigen Lehrern 
damit zu erzielenden Grfolge fein mögen, leiven an dem Gebredhen, „daß 
fie den Stufengang theild vom Belannten zum Unbelannten, theils vom 
Leichten zum Schweren nicht in ftrenger Folgerichtigkeit einhalten, 
und daß fie das Zuſammen⸗, Neben» und Durcheinander : Beitehende auf 
unnatürlide Weiſe trennen und in gejonderten Betrachtungen 
vorführen.‘ Beim Beginn mit der mathematiihen Geographie mangelt 
den Schülern von B— 10 Jahren die erforberlihe Befähigung zum 
Verftänpniß; bei Verlegung diefes Lehrſtüls an den Schluß bleiben 
eine Menge zu erwähnender geographiſcher Berhältnifie ohne gehörige Bes 
gründung. Gelegentlidhe Ginflehtung der dazu gehörigen Momente zerreikt 
den organifhen Zuſammenhang, foftet viel Zeit und fihert dennoch das 
deutliche Erkennen nit. Die blos äußerlide Einfchiebung der matbes 
matishen Geographie zwiſchen die Beſchreibung des Baterlandes und die 
übrige politiihe Geographie ift nur Sade der Willlür und entbehrt wiſſen⸗ 
ſchaſtlicher Begrüͤndung. (So bei Schacht). Die Trennung des Stoffs in 
Hydrographie, Orographie zc. iſt theils für die Jugend zu eintönig, theils 
gewaͤhrt ſie kein getreues Bild von einem Lande. (Mit einigem Unrecht 
wird hier ſowohl ver analytiſchen, als der ſynthetiſchen Methode die innere 
Conſequenz abgeſprochen; die analytifche Methode hat von und durch Guts 
Muths eine confequente Fügung erfahren, der ſynthetiſchen haben vie 
deutihen Peſtalozzianer ebenfalld einen ganz geordneten innern Ausbau 
gegeben. Dagegen muß zugegeben werben, daß die gelegentlide, 
feagmentariihe Heranziehung allgemein geographiſcher Belehrungen bei der 
nöthigen Grörterung fpezieller Verhältnifie fih aus der organiſchen Fügung 
loslaſt, und daß die Schach t'ſche Cinſchaltung mathematiſch⸗ und phyſiſch⸗ 





254 Geographie. 


geopraphifcher Lehrftüde in die politische Geographie mehr durch die günflige 
praktiſche Erfahrung als durch firenge Conſequenz, in der Sadye zu recht⸗ 
fertigen iſt. Schwerlih wird aber dem Verj. beigepflichtet werben, wenn 
er die hydrographiſchen, orographiſchen zc. Curfe eintönig und unlebendig 
findet. Sie führen die Materialien berzu, aus welchen die fpätern volls 
ftändigen Landſchaftsbilder componirt werden, bilden an fi fchon eine 
innerlih beredhtigte Lebraufgabe für eine beftimmte wiſſenſchaftliche 
Stufe und ermangeln leineswegs der Möglichkeit der Treue bei den bes 
zügliben Verhältniſſen. Lanpfhaftsbilder follen und wollen dieſe 
Stüde an ihrer Stelle noch gar nicht geben.) 


Dr. Denhard bafirt feine Methode auf die beiden menidlichen 
Grienntnipwege, auf den der Erkenntniß des Ganzen aus dem Einzelnen 
und auf den des Begreifens bed Cinzelnen aus dem Ganzen. Beide 
Wege will er combiniren. Dem Vorbereitung s:Unterricht, fo weit er 
erfter Anſchauungs⸗ Unterricht ift und fi) noch gar nicht auf geographifche 
Tendenz einzulafjen bat, fallen die hervortretenden Erſcheinungen in Haus, 
Hof, Garten, Feld, Ader, Wiefe, Waſſer, und am Himmel zu; die 
Heimathskunde erweitert diefe Anjhauungen und fucht Mare Begriffe 
zu begründen. Daß ſchon dabei „ſachgemäße Hinweiſungen auf Aehnlich⸗ 
keiten und Abweichungen in der Naͤhe und Ferne“ gegeben werden ſollen 
(von der Wieſe auf die Steppe, Prairie ıc., vom Teiche auf den See, vom 
Flußhafen auf den Seehafen und Meerbufen), möchte als eine Anticipation 
von zweifelhaftem didaktiſchen Werthe anzufeben fein. — Der eigentlide 
erdkundliche Unterriht, vom Einzelnen (kleinen Zheilganzen) zum Ganzen 
auffteigend, foll fi nit an politifche Staaten: Eintheilungen, fondern 
an die von Naturgrenzen eingejchlofienen Landſchaften anlehnen, 
ohne jedoch die Staaten: Eintbeilung, „von der das Kind ſchon weiß“ 
(? woher ſchon?) mit Gtillfhweigen zu übergehen, weil damit an etwas 
im kindlichen Geiſte bereits Vorbandenes (?) angelnüpft werde. 
Denhard ſucht zunädft in Deutfhland 12 folde Landſchaften aus. 
(Das heſſiſch⸗rheiniſche Berg: und Hügelland. Das weftrheinifche Gebirge: 
land. Das Rheinthal. Die ſchwäbiſch-fränkiſche Hochebene. Die pfälzifche 
Hochebene. Die ſchwäbiſch-bairiſche Hochebene. Das niederrheiniſche Tiefs 
land. Die norddeutfhe Tiefebene. Das ſächſiſch-thüringiſche Berg: und 
Hügelland. Das böhmifhe Keſſelland (?)*. Das mährifhe Hügel: 
land. Das deutſche Alpenland.) Mit viefen Landſchaften ift faft das 
ganze Deutihland umfpannt; es erhellt nicht, weshalb die fehlenden Ge⸗ 
biete (3. B. Sachſen, Schlefien) meggelafien find. Prof. Kußen bat in 
feinem Bude: „Das deutſche Land“ (Breslau, Hirt. 1855) das ganze 
Deutfhland noch einfaher, und jedenfalls ſachlich noch zutreffender in 
große Landſchaften zerlegt, welche leicht noch eine weitere Theilung zulaſſen. 
An die Beſchreibung dieſer Landſchaften ſollen die übrigen europäts 
Shen Länder in Schilderungen ihrer Naturlanpfhaften, und 
dann die Naturlandſchaften der Länder der außereuropäifhen Erd⸗ 


*) Vergl. Kupen: „Das deutſche Land" S. 200 ff. worin ausbradiid 
diefer gangbare Irrthum, daß Böhmen ein Kef f elland fet, befämpft wird. 


Geographie. 255 


theile angeſchloſſen werden! (Das ift leicht gefagt, aber es ift eine immenfe 
Aufgabe; denn fie umfaßt nicht weniger ald Alles. Wenn nur einigers 
mafen die charalteriſtiſchen, abgeſchloſſenen Lanpfchaften in all’ diefen 
Ländern unterjchieden und ald Xheilganze behandelt werden follen, fo mwächft 
deren Zahl fo beträctlih, daß die Zeit und Kraft auf der im Auge bes 
baltenen Lehrſtufe durchaus unzulänglih if. Zugegeben, daß immer 
genereller gezogene Grundlinien für ſolche Naturlandfchaften anderer 
Zänder die Gebiete derſelben räumlih umfänglicher machen können, und 
dadurch deren Anzahl etwas herabgebradht wird, fo leuchtet doch ein, daß 
in gleihem Maße der eigenthümliche Charalter diefer Länder vers 
wiſcht wird. Die Uinterfchiede, weldye in Deutjchland gegeben find, eriftiren 
fach lich anderwärts in den meilten Fällen auch; nur walten .bald vie 
einen, bald die anderen Charalterzüge vor. (Schweiz: Belgien und Holland; 
Griechenland mit feinen Inſeln: Spanien und Portugal und fo viele andere.). 
Wollte man auch durchſchnittlich für jedes europaͤiſche, außerbeutfche Land 
nur 3—4 daralteriftiihe Naturlandſchaften bilden, fo ergäbe dies ſchon eine 
Bahl von pp. 60 und mehr Landſchaften. Und nun erjt in Afien und 
Amerital Se genereller vie Ausführung geftaltet würde, um fo mehr 
müßten die Charaktere in einander fließen, und gerade das ift zwedwidrig. 

Darum lieber weniger Landſchaften der Zahl nach, und mehr in jeder 
einzelnen der Sache nabl). Die Beſchreibung der Landſchaften foll fiets 
die Bodengeftaltung, Luftbeſchaffenheit, Erzeugnifie und Bewohner umfaſſen; 
es follen die befannteften und wichtigſten Städte nad Lage, Bauart und 
Mertwürdigleiten bejchrieben und ihre ftaatlihe Angehörigfeit ange 
merlt werden. (Hier heißt es ne quid nimis! Wer zu viel will, 
erreiht wenig... — Nah Beenpigung dieſes Ganges über die Erde, 
vom Naben zum Fernen fortfchreitend, und nad Vollendung der Betrachtung 
des Ginzelnen joll nunmehr der Blid des Schulers auf das Allge» 
meine und Ganze gerichtet werden, aljo auf das Weltall und feine 
Theile, unjer Sonneniyftem, den Horizont, die Hımmelsgegenden, die Erde, 
ihre Geftalt und Bewegungen, den Mond, feine Stellung zur Erde, bie 
durch ihn bemirkten Finfternifie, die Luft, ihre Beichaffenheit, die in ihr 
erfolgenden Erſcheinungen, die Erde und ihre Beſtandtheile, die Erzeugnifie 
und ihre Bertheilung, die Menſchen nah Rasen, Böllerfamilien, Böltern, 
Heligionen und Staaten. Endlich fol dann wieder der „Rüdweg vom 
Allgemeinen und Banzen zum Bejondern und Einzelnen 
betreten werden, von Europa aus zu den übrigen Erbtbeilen, bei jedem 
Rage, Grenzen, Bodenerhebung, Gewaͤſſer, Klima, Erzeugnifie und Bewohner 
genau fdildernd und zum Schluß die Beihreibung der einzelnen Staaten 
binzunehmend. (Das ift denn allerdings tbatfählid das Ganze dem 
Stoffe nah. Wenn vie Behandlung auch nur bejhreibend und ſchil⸗ 
bernd zu Werte gebt, jo hat fie ſchon eine colofjale Aufgabe. Sollte 
gar noch, was einmal heut zu Tage unerläßlih ift, die comparative 
Betrachtung binzulommen, dann iſt wirtlic nicht abzujehen, wie der ganze 
Blan in folder Verdoppelung bei fteter Wiederholung, Ergänzung und 
Erweiterung foll durchgeführt werden können, jelbft wenn dafür höhere 
Schulen in Ausficht genommen werben. In Dr. Denhard's Schule it er, 


236 Geographie. 


wie das Programm lehrt, nicht durdgeführt, und doch märe bie das 
Nächte, womit die praltifche Ausführbarkeit hätte bewiefen werben follen. 
63 find aber darin der Kl. VI der (nit eigens auf die Geographie 
Rüdfiht nehmende) Anſchauungs-Unterricht, der KL V vie Heimathelunde, 
der XI. IV die Länder des deutſchen Bundes (incl. Defterreich und Preußen), 
der Kl. III die außerdeutihen Länder Europa's, der Kl. II die mathema⸗ 
tiſche und phyſiſche Geographie, die Topik Curopa's, deilen Eintbeilung in 
Staaten ıc., der AL I Preußen, Defterreih und bie außerdeutſchen Staaten 
Europa's (Spanien und Portugal aus ungenannten Gründen weggelafien ) 
zugetheilt. Yolglih fehlt no viel aus dem obigen Plane. — Der 
dritten Stufe ift offenbar räumlich und ſachlich zu viel, der fünften ver- 
bältnigmäßig wenig zugewiefen. Ue berwie gende Landſchaften⸗Schilderung 
muß praltiih unvertraͤglich mit einem nur für 6— 7 Jahre Unterricht bes 
rechneten Plane erfcheinen, da boch nothwendig viel einzuprägen und ein» 
zuüben bleibt. Die eremplificatoriihe Behandlung „des heſſiſch⸗ rheinischen 
Berg: und Hügellandes”, welche ver Berf. im Programm liefert, ift an 
fih bis auf die Art der Behandlung der Städte gar nicht übel, fie beftätigt 
aber die Unmöglichkeit einer ähnlihen Durchführung aller jonft vorzuneb: 
menden Naturlanpfchaften. 


Man wird bei Erwägung des Dr. Denhard'ſchen Plans lebhaft an 
ein Wort des Dr. Rohlfs in Bremen erinnert: „Um ohne Nachtheil 
vielfeitig fein zu können, muß man zuvor einfeitig geweſen fein ;’ 
— ein Wort, das wie im ganzen Leben, jo auch in der Schulmethode 
und Schulpraris eine ziemlich weittragende Bedeutung hat. 


8. In der Neuen Berner Shulzeitung (6. Jahrg. 1863. 
Nr. 9— 11) bat der Lehrer der Naturwiſſenſchaften und ber Geographie 
am Progymnafium in Biel N. Jacob „Gedanten über den geos 
grapbifhen Vollsfhulunterridt”, ein Referat für die in Grenden 
(Sant. Solotbum) im October 1862 abgehaltene Verfammlung des bern.⸗ 
folotburn. Lehrervereins veröffentlicht, in denen er fih 1. über ven Unters 
sihtsftoff, 2. über ven Stufengang und bie VBertbeilung des 
Unterrichtsſtoffs auf die Schuljahre, und 3. über das Verfahren im 
Befondern verbreitet. Der Aufſatz ruht auf gefunden, praktiſchen Ans 
ſichten und ift durchaus leſens⸗ und beachtenswerth. Für die Volksſchule 
bemißt der Berf. ſehr verftändig den Stoff bergeftalt, daß der geographifche 
Unterriht a) eine gründliche, bis zum Heimiſchwerden genaue Kenntniß bes 
Heimaths: Cantons und des Baterlandes, b) von den anderen europäifchen 
Ländern, den fremden Erdtheilen und Weltmeesen nur das Wejentlichfte; 
was fie an und für fih und für unfern Berlehr wichtig macht, und c) die 
faßlichſten, allgemein naheliegenden Beziehungen ver Erde als Weltkörper 
umfafien fol. Das ift richtig und den Verhaͤltniſſen entſprechend; es if 
nicht zu wenig, aber body genug. Die Ausbeutung der Heimath in geo⸗ 
graphiſcher, naturlundlider, induftrieller und gefhichtlidher 
Rüdjiht, am beften durch GEreurfionen „zur Gewinnung von Landſchafta⸗ 
bildern im Original”, verhilft zu dem umerläßliden Fundamente alles 
geographiſchen Untersichts, ift defien goldenes ABC, das Hauptwittel zum 


Geographie. 257 


Berfländniß der übrigen Erdſtellen. DBerj. fiebt in der Benußung ber 
Heimathskunde zur Erklärung der geographifchen Terminologie einen 
Mipbraud. (1 Das möchte zu hart geurtheilt fein, da ſich Mandyes davon 
fo naheliegend aufjdrängt, daß es gar nicht irrig erfcheinen kann, die Bes 
griffe ſchon früh feitzuftellen.) Dagegen ift er einer ziemlih ausführlichen 
Geſchichte des Wohnorts und der Kirchgemeinde (und für die Schweiz 
des Heimaths⸗Kantons) aus Rüdfichten der Vaterlandskunde geneigt. 
Auf legtere nämlich legt er bejondern Nahprud. „Selbit vie fchlichtefte 
Bollsjhule foll jetzt wenigſtens ihre Baterlanpstunde haben.” Die bes 
geifterte Liebe des Lehrers zum Baterland ſoll in den Schülern Hingabe an 
dafielbe erweden helfen, indem er jie mit feinen Räumlicleiten, ‚feinen 
Schönheiten, feinem Gewerbfleiß und Berlehr, feiner ftaatlihen Einrihtung 
und Bebeutjamleit befannt mact, fie diejelben ehren lehrt, und dadurch das 
nationale Bemußtfein entwidelt. Ferner legt er großen Wertb auf Be: 
ſchränkung des Stoffs und auf Wegſchneidung alles unfeligen Gedaͤcht⸗ 
nißballaftes von Notizen über allerlei Sebensmwürbigteiten, von unfruchtharen 
Zahlen: und Ortsnamen u. dgl., und hält es für fruchtbar, durch die Be 
ſchreibung der plaftiihen Geftalt der Erdräume, unter Mitberüdfichtigung 
naturlundlicher und gejhichtliher Momente und des Menjchenlebens, zu 
einfahen, Haren Landſchaftsbildern zu gelangen, in benen er bie 
„eigentlichen Kernſtücke, die Säulen des geograpbiichen Unterrichts‘ erlennt. 
(83 wird hierbei jedenfalls zu fuppliren fein, daß ein gewiſſe Grundftod 
pofitiver geographifcher Senntniffe, der unverlierbares Eigenthum der Schüler 
werben foll, deshalb nicht aus den Augen verloren, vielmehr durch ftete 
Uebung und Wiederholung gehörig befeftigt werben muß.) 

In Nüdfiht auf den Stufengang und die Stoffvertheilung 
redet Jalob dem ſynthetiſchen Gange das Wort, welder mit der Heis 
mathölunde anfängt, daran den Heimathskanton (Kreis, Provinz) 
anfchließt und dann die Vaterlandstunde (d. h. für Schweizer bie 
Schweiz, für Deutfhe Deutihland) folgen läßt. Schon jetzt die mathe: 
matifhen Verhältniffe der Erde (mit Kindern von 13 Jahren) zu bes 
handeln, hält er für zu fchwer, und zieht es deshalb vor, die übrigen 
Länder Europas und die fremden Gontinente denfelben vorans 
gehen zu lafien, fo daß in der Volksſchule jene Verhaͤltniſſe und in 
deren DVerfolg die Belehrungen über die übrigen Weltlörper den Schluß 
bilden. (Belanntlih ift diefer Punkt controvers; denn es läßt ſich nicht 
läugnen, daß einige leiht faßbare Parthien aus der mathematischen Geo: 
grapbie 13 — 1A jährigen Kindern zum Berftänpniß gebracht werden können, 
und daß damit eine nicht unmelentlihe Hülfe für das Verſtändniß der 
Raturverhältnifie in den verjchiedenen Ländern gewonnen wird. Darin hat 
aber Jacob ganz Recht, daß das „Hauptmoment des geographiichen Volle: 
ſchulunterrichts mehr in ber fleißigen und einläßlihern Behandlung Heiner 
und naber- Gebiete, als in der haftigen Durchwanderung großer und wohl 
noch jehr ferner Gegenden liegt.”“). Somit fallen der erften Unterrichts⸗ 
ſtufe (1.— 3. Schuljahr) gar kleine geographiſchen Belehrungen zu; 
die zweite (4. — 6. Schuljahr) erhält vie Heimathskunde; die Dritte 
(7. — 10. Schuljahr) die Baterlandstunde, die Erdtheile, die 

Sir. Jahreöberiht XV. 17 


258 Geographie. 


Erde und die übrigen Weltkörper zugewieſen. In der Heimaths⸗ 
und Vaterlandskunde will der Verf. die Territorialgeſchichte hetan⸗ 
gezogen wiſſen, und legt auf Belehrungen über Naturprodukte, Induſirie 
and Verwaltung Werth. Bei ven Erptbeilen kommt es ibm darauf 
an, „durch wifienswürdige, großartige Einzelgemälve, Landfchaftlidhe Charakter: 
bilder und Bölferfchilderungen mit fteter Beziehung auf vaterländifhe Ber 
haͤltniſſe“ den Unterricht zu „illuftriren.” (Das wird nicht heißen 
follen, nur folhe Gemälde und Schilderungen zu geben, jondern ben geo» 
graphifchen Lernftoff, jo mweit er orographiſcher, bybrographifcher, ethnogra⸗ 
phiſcher und politifcher Natur ift und eingeprägt werben foll, burd bes 
lebende, zufanmenfaflende, die Wechjelbeziehungen aufhellende Darftellungen 
innerlih anſchaulicher, anfpredyender und zugleih für die Bildung frucht⸗ 
barer zu machen.) 


Bei dem Verfahren im Befondern dringt Jacob fehr richtig 
auf höchſte „Anſchaulichkeit und vielfeitige Veranſchaulichung“, damit 
die Schüler die bezüglihen Erbräume „wie leibbaftig vor ihre Augen 
bingeftellt befommen.” Reliefs, Pläne und bejonders Landkarten dienen 
dieſem Zwed. „Ihre größere oder geringere Dienftleiftung hängt aber nicht 
von der Menge des dargeltellten Materials, ſondern von der glüdlichen 
Darftellung des charakteriſtiſchen Gejammtbildes, von ihrer Deut: 
(ichleit und Ueberfictlichleit ab. Schulfarten dürfen nur ein weiſes 
Maß von Stoff enthalten. (Reliefs, die ohnehin nur in höchft feltenen 
Faͤllen der Volks ſchule zu Gebote ftehen werden, dürften im Allgemeinen 
fih minder frudtbar in der Vollsſchule erweifen. Das liegt nicht an der 
Idee der Reliefs, welche eigentlih das ſachgemäßeſte Veranſchaulichungs⸗ 
mittel bieten follten, fondern an ver Ausführung in meift jehr ſtark gene: 
ralifirender Urt nah zweierlei Maßſtab, und überhaupt in gewöhn⸗ 
ih nur Fleinem Maßftab. Es gehört ſchon ein gewifjer Grad von Be: 
fähigung dazu, von Reliefs Geographie zu lernen. Große Schullarten 
thun in der Regel befiere, ficherere und allgemeinere Dienjte.). Berf. legt 
allen Werth auf den rechten Gebrauh ver Karten; der Schüler ſoll fie 
lefen lernen, ihr Bild verftändlih in die Wirklichkeit überjeßen können. 
Das Karten zeich nen foll das Verftänpniß unterftügen; der Gebraudy guter 
Karten ift aber doch den Zauftzeihnungen des Lehrers vorzuziehen. Schließ⸗ 
(ih empfiehlt Jacob eine rationelle Stofffolge bei der Beſchreibung 
der einzelnen Länder, Behufs größerer Anſchaulichkeit. In diejer Beziehung 
bat ſich glüdlierweife längft eine fefte Norm eingebürgert. Erſt die wage: 
tehte Ausdehnung und Configuration der Räume, dann die jenkrechte Er⸗ 
bebung, melde zufammt der Erpftellung derjelben das Klima und ben 
landſchaftlichen Charakter derfelben bevingt. Natur: und Menſchenleben in 
jeinen widtigften Erſcheinungen, feiner Abhängigkeit von ber phyſiſchen 
Natur und feinen georbneten Beziehungen zum Schöpfer bilden den Schluß. 


Man fieht dem Ganzen feine wirklich glückliche, praktiſche Bemeflung 
und das finnige Verſtaͤndniß des Rotbivendigften an, fo daß man damit 
auf erfreuliche Erfolge in der Schule wird rechnen können. Allerdings IR 
aller Erfolg vom feften Einüben des Lernftoffes abhängig. Weil vie 


Beograpbie. | 259 


landf&haftlihen Charakterbilder ihrestheils wohl zur Auffaflung 
der lebenswirklichen Verhaͤltniſſe in deren mechjelfeitigem Sneinandergreifen 
weſentlich beitragen, aber ein directes Ueben des Lernftoffs nicht wohl 
zulafien, fo muß im Unterricht befonderer Werth auf diejenigen Mittel gelegt 
werden, welche die wünjchenswertbe Befeftigung in dem Wejentlichiten am 
directeften fördern. Brofefior Kozenn in Olmüg bält ein „verftän- 
diges Memoriren der Landkarte” für den allein richtigen Weg 
zu diefem Ziele. Und ohne Zweifel ift dies ein überaus wichtiges, aber 
auch mühfames und fjchwieriges Mittel, von dem in der Volks fchule 
felbfiredend nicht Eebrauch gemacht werben kann, indem es ein planmäßiges, 
langfortgejeßtes Kartenzeihnen zur Bedingung bat, wozu die Volks⸗ 
fhule weder Kraft noch Zeit, auch in der That kein Bedürfniß und 
fein Recht bat. Für Gewinnung der joliven Grundlagen zum geographifchen 
Studium iſt's damit ganz etwas Anderes. Wer die Geographie wiſſen⸗ 
ſchaftlich betreiben will, fann der gründlichen Kartenlenntniß nicht 
entratben, und um dieſe zu erlangen, ift Kartenzeihnen, nad dem prals 
tischen Plane, den Kozenn dafür in feinen „Grundzügen der Geographie” 
aufgeftellt hat, und Kartenmemoriren, ja Kartenftudiren in noch ganz 
anderer, wiſſenſchaftlich in den Gehalt der wiflenicaftlich tüchtigften 
lartographiſchen Werke eindringenden Weiſe von ber erfolgreichiten Wichtig 
keit. Wie groß die Unbelanntihaft mit den Karten und ihrem fachlichen 
Gehalt au bei ſolchen noch jest ift, die zu Lehrern der Geographie bes 
rufen find, das überfteigt in der That bisweilen das Blaubliche ! 

4. Für die Aunde des engern Baterlandes fcheint ein Gedanke 
der Beachtung werth zu fein, melden Gymnaſiallehrer Böfe in feinen 
„Grundzügen der Geographie des Herzogthbums Oldenburg“ 
zu verwirklichen bemüht geweſen if. Gr jagt im Borwort: „Bu einer 
lebensvollen Darftellung der Geographie ift vor Allem Noth, die Natur des 
Landes, feine Bovenbildung, feine Terrainverhältnifie feitzuftellen, und dann 
aus diejen die Entftehung der kleineren und größeren Gemein; 
wefjen der Bewohner abzuleiten und ihre Entwidelung endlich an ber 
Hand der Geſchichte bis zu ihrem jegigen Zuftande zu verfolgen. Die 
einzelnen Gemeinweſen — Lanpichaften — treten jo als felbftitändige, ihr 
eigenes Leben in fi tragende und aus fih entwidelnde Organismen 
auf, und fügen fi allmählich zu dem umfafiendern Organismus des Staates 
zufanmen‘ ..... „Jede Landihaft tritt für fih auf, und erwedt mit 
dem ihrem eigenen Weien und dem der Ausbildung ihrer Beziehungen zum 
Ganzen innewohnenden Intereſſe eine lebendige Theilnahme am Ganzen.‘ 
Solche Kleinen, durch charalteriftiihe Natur und Bodenverhältnifie zu einem 
Heinen Ganzen zuſammengeſchloſſene Gemeinwefen, die wegen jener ges 
meinfamen geographiſchen Berhältnifie gleichartige Ginflüfle erfahren, unter 
gleihartigen Lebensbedingungen fteben, und deshalb fi ſtets um einen 
gewiſſen Mittelpuntt mit ihrem ganzen Regen und Gntwideln drehen, find 
nicht ſelten durch ftammverwandte Bewohner beſetzt. Damit kommen zu 
ben localen Bemeinjamleiten noch nationale und ein ſolches boppeltes Band 
conjervirt ihre Cigenart oft mit großes Stetigfeit felbft bei den gegenwärtigen 
nivellirenden, alle Gigenart jo leicht verwiſchenden Aluctuationen des ge 

17° 


260 Geographie. 


fteigerten internationalen Verkehrs. Wollte man in einer einzigen Provinz 
unjerer größeren deutſchen Länder nach ſolchem „Gemeinweſen“ fuchen, fo 
würden ſich deren ohne Zweifel überall mehrere finden, welche eine frühere 
Geſchichte zufammengefchloflen hat, und die in den focialen Lebensformen, 
in der materiellen Xhätigleit und Betriebfamleit, in der charalteriſtiſchen 
Sinnesart, in den Gewohnheiten und Gebraͤuchen noch jeßt dieſe innere 
BZufammengebörigleit befunden. Bel nicht fo großen Ländern würde wohl 
der Gedanke, in diefer Art Landfchaften einzurahmen und in ihren weient: 
lichen Charalterzügen darzuftellen, am ebeften durchführbar fein. Aber 3. 8. 
für ganz Deutſchland ift nicht abzufehen, wie die Aufgabe gelöfet werben 
fönnte. Es gehörten dazu fo in's Spegiellfte einbringende geographifche, 
geſchichtliche und namentlih kulturgeſchichtliche Worarbeiten, daß ein ein: 
zelner Lebrer keine Hoffnung bat, fie zu fammeln und zu verarbeiten, 
Die Fäden der charakteriſtiſchen Eigenthümlichleiten laufen jo weit zurüd, 
die Saugmwurzeln, woraus fie genäbrt find, gehen fo ſehr in bie Tiefe und 
Breite, daß gar leicht haltloſe Vermuthungen einen weiten Spielraum zu 
allerlei Sonjuncturen gewinnen mödhten. Dan vente an das alte Sachſen⸗ 
land und feine natürlihen Gauen, an das alte Thüringen, Schwaben, 
Franken u. ſ. w. Wie verfchiedenartige Gemeinwejen (Lanpichaften) haben 
fih innerhalb derſelben entwidelt! Die Arbeit, folhen Entwidelungen ab 
ovo zu folger wäre ohne Zweifel höchſt interefiant. Jedoch die Bolles 
und Burgerſchule hat gegenwärtig unmöglich die Zeit, anders als höchftens 
auf jehr Inapp bemefienem Raum dieſen Sntwidelungen nachzugehen; es 
fehlt ihr au die Kraft und — das präparirte Materie. Miquel regte 
früher ſchon einmal verwandte Gedanken an, (cf. VIII. Pad. Jahresb. 
S. 274) es hat aber nicht verlauten wollen, ob feinen Anregungen irgendwo 
praltifhe Folge gegeben worden if. Ter Lehrer müßte eine naturphilo: 
fopbifche Ader haben, um mit Sinnigleit die Herleitung ſolcher Gemeinweſen 
aus den gegebenen, im Laufe der Jahrhunderte mannigfachen Wandlungen 
unterworfen geweſenen Bodenverhältnifien ableiten zu können. Yür wenig 
umfängliche landſchaftliche Räume gelingt es vielleicht und ift dann 
allem Verhoffen nah fehr dankbar. Aber für große Länder und Staaten, 
in denen heterogene Elemente combinirt auftreten, wird auf derartige Her 
leitungen wohl zu verzichten fein. Sie müflen fchon in ihrer jebigen ges 
gebenen Ganzheit oft in fehr generellen Zügen behandelt werden, um die 
rechte Delonomie der Zeit nicht aus den Augen zu verlieren. Unverltennbar 
liegt ſolchem Verfahren ebenfo ein geographiiches und gefchichtliches, als zus 
glei ein etbnograpbifches Princip zum Grunde, wie dies Graßmann 
und Städler empfehlen; (of. unter im Literaturberidht: Graßmann’s 
„Leitfaden der Geographie für höhere Lebhranftalten”; und 
XI. Päd. Yahresb. S. 347) aber in dieſer Combination der Principe iſt 
ſchon der Grund für vie entgegenftehenden praktiſchen Schwierigkeiten ges 
geben. Denn obne Zweifel ift es einfader, zuerft ausſchließlich dem 
Princip des räumlihen Nebeneinander zu folgen. Gibt doch dies 
für die Schüler ſchon hinreichend viel Arbeit, wenn es auf gründlidhes, 
zu wirklichen, genügenden Refultaten führendes Lernen anlommt. Gin 
anderes bat aber überall in der Schule keine Berechtigung. Graßmann 








Geographie. 261 


gibt dies Princip in feiner Methode (vergl. die Vorre de a. a.D.) au 
nicht eigentlich auf, aber bei feinem Verſahren, welches 3. B. auerft alle 
Handelspläge, dann alle Fabrikplätze u. f. w. in ben einzelnen 
Ländern im Bufammenfhluß vorführen und die „Individualität der 
Städte“ (aljo einigermaßen verwandt dem Böfe'ihen Gemeinweſen) 
kennen lehren will, Tann das blos räumliche Nebeneinander bes natürlich 
Zufammengebörigen nicht aufrecht erhalten werben, fondern es find Sprünge 
zu ſtark differirenden Sindividualitäten unvermeivlih. Wenn auch höhere 
Säulen vielleiht die Schwierigleiten eines nach combinirten PBrincipien 
angelegten geographiſchen Unterrichts überwinden, jo muß für die Volks⸗ 
ſchule unbedingt an der hoͤchſten Einfachheit feftgehalten werben. 

5. Oben iſt fhon wiederholt des Beſtrebens erwähnt, Geſchicht⸗ 
lies in den geographijchen Unterricht einzuflehten. In Heinen Leitfäden, 
Grundzügen, Lehrbüchern, wie in größeren Handbüchern finden ſich zu dieſem 
Behufe in verfchiedenfter Weiſe gefchichtlihe Angaben. Theile find es nur 
kurze, apboriftiihe Notizen, die gelegentlich benutzt werben follen, theils 
find es gebrängte Ueberſichten, welde einige der hervorragendſten Mo: 
mente zufammenftellen, um den Gang der hiſtoriſchen Entwidelung in großen 
Zügen zu marfiren. Solche Ueberfihten find entweder der Staatens und 
Länderbef&hreibung unmittelbar an die Spite geftellt, oder fie find bei jedem 
Staate und Lande da eingefchaltet, wo von den Bewohnern derfelben, ihrer 
Kultur und ihrem ftaatlichen Leben die Rede if. Man hat das Berürfniß, 
Geographie und Geſchichte in inniger Verbindung und Wechſelwirkung er: 
fennen zu laflen, weil dieſelbe faktiſch zwiſchen ihnen beftebt; und dieſem 
Bedürfniß bat auf eine oder andere Weile Befriedigung geſchafft werben 
follen. Die Sache bat in der Ausführung ftetd ihre großen Schwierig: 
keiten. Bergleiht man, wie fchon vor langen Jahren”) Blanc in feinem 
„Handbuh des Wiſſenswürdigſten aus ber Natur und Ge: 
Ihichte der Erde und ihrer Bewohner”, Bolger in feinem „Hand: 
buch der Geographie“ und in feinen „Lehrbüchern“, Pfaff, Harnifch 
in ihren bezüglichen geographiihen Edulbüdern, fpäter u. A. Rohde, 
Daniel, Städler, v. Seydlitz (Gleimſche Bearbeitung), Bertbeltu.f.w. 
in ihren geographiſchen Lehr: und Handbüchern die Verbindung der Geo⸗ 
graphie mit der Geſchichte auszuprägen geſucht haben, jo läßt fi nicht 
nur die Mannidhfaltigkeit diefer Modalitäten, fondern auch die Schwierigkeit 
ihrer praltiihen Anwendung erfennen. Andere Autoren, z. B. Berghaus, 
v.Roon, v. Raumer, v.Rougemont,PBolsberw, Biehoff, BPüs, und 
früäberfhon Cannabidh, Dittenberger, Selten, Beune u.a. m. ſcheiden 
geſchichtliche Momente der Art, wie Jene fie aufnehmen, ganz aus Es walten 
alfo unter den fahlundigen Chorführern, wie unter den praktiſchen Schul⸗ 
männern, die fih ihnen anfchliefen, über diefe Yrage ganz entgegen» 
geſetzte Anfihten. Thatfählih find Geographie und Geihichte mit 


*) Vor mehr ald Hundert Jahren nahm Beander in feine „Erbe im 
Heinen Raume, d. 1. geographiſche Tabellen 2. (Rürnberg 1759) 
genealogifcde Tafeln der in den vornehmften Rändern der Erde herrſchen⸗ 
u fürftliden Häufer auf, namentlih in den „[onderbaren‘ Zabellen über 

uropa. 


262 Geographie. 


einander in inniger Berbindung; aber für den Schulunterricht in ber 
Geographie ziehen bie Einen vor, fih auf das Geographiihe grundjäglic 
zu beihränten; die Andern glauben eine lebensvollere Geftaltung des 
Unterrichts durch Hinzunahme geſchichtlicher Anführungen erftreben zu mäflen 
und zwar im Sinne des Meifter-Beographen Karl Ritter. Beide können 
ſachliche und pädagogifhe Gründe für ihre Anfiht geltend maden. Der 
wiſſenſchaftliche geographifhe Anfangs» Unterridt ift jedenfalle am 
wenigften mit geſchichtlichen Ginflehtungen verträglih, wenn er im Sinne 
v. Roon's, v. Raumer's, Bolsberm’s, Kozenn’s u. U. ertbeilt 
werden fol. Der weiter entwidelte Unterricht geflattet dergleichen Ein: 
flechtungen leichter, der vollen den de wird fogar eine fehr nahe Beziehung 
der Beographie und Geſchichte zu begründen und zu benußen haben. Es erklärt 
fi hieraus, daß Stößner in feinen „Slementen der Geographie“ 
geibichtlihe Data wegläßt und es nicht genugfam betonen zu follen glaubt, 
„daß die Geographie in ihren Elementen namentlich Topograpbie 
fein müſſe,“ während fie an ſich allervinge „die Grundlage für die 
Geſchichte“ fei. „Man glaube nur nicht, daß der geographiſche Unterricht 
ohne beftändige Bezugnahme auf Geſchichte und Schilderungen dem 
Schüler langweilig werde” Statt folder Zugaben, von denen Schilde⸗ 
rungen übrigens als „geographiſches BZuderbrot bisweilen, aber doch nur 
ſelten“ gegeben werben könnten, empfiehlt Stößner bie Anregung der 
Selbftthätigleit mittels des freien Zeihnens, indem Schäler 
den größten Genuß in der eigenen bildlichen Darftellung des Gelernten 
fänden. Blos mechaniſches Abzeichnen der Karten verwirft er mit Necht 
als faft völlig unfrudhtbar. — Am meiften anfechtbar werben jeberzeit bie 
geſchichtlichen Ueberblide erfheinen. Die rudimentären, fteletartigen 
Angaben einzelner leitender Hauptmomente, wie fie berartige Ueberblide 
füglih nur enthalten lönnen, lafien den gefhihtlihen Ertrag, ber von 
ihnen zu erwarten ftebt, in der That hoͤchſt problematiſch erſcheinen. 
Ehüler in einem Alter von 11 — 12 Jahren find geiſtig noch nicht fo 
weit gereift, daß fie mit dergleihen Ueberblicken etwas Rechtes anfangen 
fünnen. Selbft wenn der Unterriht diefelben auch etwas auszuführen 
ſucht, können fie nicht zu einer befriedigenden Kenntniß verhelfen. Die 
fragmentarifhen Züge folgen ziemlih unvermittelt auf einander, und er: 
weden in diefer Weife kaum eine Ahnung von bifteriihem Zufammen: 
bange, ohne welchen es in Wahrheit nicht zu eigentlicher Geſchichte 
tommt. Einzelne Charalterbilder von geſchichtlichen Perſonen müfien aber 
vollends als fehr fpröde gegen die geographiſchen Schulbedürfniſſe erfcheinen. 
Erft wenn der geſonderte geſchichtliche Unterricht über feine elementaren 
Stufen hinaus gediehen ift, läßt fich erwarten, daß für die MWechfelbezie: 
bungen zmwijchen der Geographie und Geſchichte der innere Sinn dem Schüler 
fh öffne. Und dann ſchweben geihichtliche Mittheilungen, die planmäßig 
in den ganzen politifhen Theil der Geograpbie eingewebt werden, nicht 
mebr in der Luft, wo fie dem baldigen Bergeflen anbeimfielen, weil fie 
eine todte Kenntniß ifolirter Daten waren. 

Im geographiſchen Unterriht für die Volksſchule wird von 
eigentlicher Gefhichte gar Feine Rede fein können; dagegen einzelne That⸗ 





Geographie. 263 


fachen und Begebenheiten werben bei ben bezüglihen Orten, wo fie fi 
zugetragen haben, erzählt werden können. So haben es auch praftijche 
Sachkundige feither allem Verhoffen nach gehalten. 

6. Die Ober :Schul: Behörde in Württemberg batte für Volksſchul⸗ 
lehrer im Jahre 1859 die Preis:Aufgabe geftellt, die drei Fragen zu löfen: 
„Welches Ziel bat fi) der Volksſchullehrer für den Unterricht in der Geo» 
graphie zu ftellen? Wie kann der Schüler am leichteften in das Verftänpniß 
der Karten und der geographifchen Clementarbegrifie eingeführt werben ? 
Welchen Gang bat der Unterribt im Einzelnen zu nehmen, und wie läßt 
ſich dabei ber betrefjende Stofj des Lejebudhs verwenden?” Der Süd— 
deutſche Schulbote theilt (1862 Nr. 11) mit, dab nur drei Ürbeiten 
ale verhältnißmäßig am beiten gerathen erlannt und prämiirt find. 
Es iſt intereflant, zu erfahren, daß überhaupt dieſe Fragen von der höchſten 
Schulbehoͤrde geftellt find, und fignificant, daß feine Arbeit pure als vor: 
züglich gelungen erjhienen iſt. Wenn die objective Frageltellung aud nit 
erkennen läßt, in wie weit dadurch der Nachvrud angedeutet werben ſoll, 
welder auf das Kartenverftändniß und die Klarheit in den geo- 
grapbijhen Glementarbegriffen zu legen ſei, fo ift doch aud 
nichts weniger ald abgewiejen, daß auf beide Stüde Werth gelegt werden 
müfje. Ebenſo verräth fi in den Fragen, daß das Leſebuch in der Volks⸗ 
ſchule im geograpbifchen Unterricht jedenfalls angemeflene Verwendung finden 
müſſe. Damit ift denn der Cinfügung von landſchaftlichen 
Charalterbildern, wie das Leſebuch folde in der Negel nur zu ent: 
halten pflegt, dad Mori geredet, und angedeutet, daß der geographiſche Un: 
terricht niht ausschließlich in dergleichen charalieriftiihen Landſchafts⸗ 
bildern aufgehen folle, weil ja ein relativ größeres oder geringeres Maß 
eracten pofitinen Willens von Lage, Größe, Grenzen, Gebirgen, Gemäflern, 
Klima, Produlten, Bewohnern, Staaten und Städten u. ſ. w. in den 
Ländern und Erdtheilen durch denſelben wirklich erzielt und erreicht fein joll. 

7. Mit berehtigtem Befremden erfüllt die nicht felten in den gang- 
baren Leitfäden und Lehrbühern für den geographiihen Unterricht zu 
mahende Wahrnehmung, daß bei den Ländern fremder Erdtheile und Zonen 
eine Menge Produkte aus dem Thierreiche, bejonderd aber aus dem 
Pflangenreiche hergezählt werden, welche Kinder auf der Unterrichts: 
ftufe, wo biefelben ihnen im geographiſchen Unterriht vorlommen, gar 
noch nicht kennen gelernt haben können, ja welde fie eventualiter 
gar nicht Fennen zu lernen brauden. Mande Berfafier folder 
Schulbücer find in der That ſtark in derartigen nomenclatorifhen Angaben, 
wenn 3. B. angeführt werden bei Auftralien: Eucalyptus, Cajuarinen, 
Araucarien, verfhiedene Balmenarten, Sandelbaum, Piſangs, Yams, Pan: 
danus, Drakenblutbaum u. f. w., Ameifenfrejjer, Schnabelthier, Känguruh, 
Dinge, Leierſchwanz, Dugong u. f. w.; bei Afien: Brod:, Yutter:, Percha⸗ 
baum, Theakbaum, die verfhiedenen Gewürzbäume, Palmen, Färbe und 
Arzneipflanzen (Senna, Caſſia, Croton u. dgl), .... Paradiesvogel, Sa: 
langane, Nashomvogel, Moſchusthier, Klippdachs, Dichiggetai u. ſ. w.; 
bei Amerila: PBatate, Maniol, Arum, Coca, Switenie, Specacuanba, 
China, Saſſafras, .... Fregattvogel, Pelican, Wehr:, Trompeten, Tropil⸗ 


264 Geographie. 


vogel, ... Faulthier, Tapie, Euguar u. ſ. w.; bei Afrika: Woanfonia, 
Dumpalme, Wollbaum, Tamarinde, Gummibaum, Indigo, Baumwolle,.. - 
Schuppentbier, Ameijenigel, Jchneumon, Fennek, Schalal, Giraffe, . . Tſetſe 
u. dgl.; fo fragt ein befonnener Lehrer der Geographie doch wahrlich mit 
allem Recht, wozu das den Schülern nügen folle? Sollen diefe Namen 
gelernt werben, ohne daß es möglid ift, eine Anfchauung und Borfiellung 
damit zu vertnüpfen? Soll der Lehrer Ercurfe auf das Gebiet der Raturs 
beſchreibung machen und folde Naturprobufte in den geographiſchen 
Lehrſtunden zur wirklihen Kenntniß bringen? Soll er ohne vorhandene 
Veranſchaulichungsmittel (Abbildungen) davon reden, oder etwa ihm zu 
Gebote ftehende Abbildungen den Kindern einmal vorzeigen, damit fie we 
nigftens einen flüchtigen Blid darauf werfen und dod ein Bild geſehen 
haben? Was wird das nügen? Iſt davon ein reeller Ertrag für die Bil- 
dung zu erwarten? Man müßte ſich ſehr naiven Illuſionen bingeben, wenn 
man glauben wollte, dab auf dieſe Weiſe etwas GErlledlihes zu erreichen 
ſei. Es ift wohl wahr, daß unfere Atlanten (mit Ranbzeihnungen von 
C. Bogel, oder mit Jlluftrationen von Schade und Reuſchle) bereits be 
gonnen haben, dem Mangel an Veranſchaulichungsmitteln für diefe fremden 
Produkte der außereuropäifchen Erdtheile etwas abzubelfen. Aber in wie 
viel Schulen find diefe Atlanten vorhanden? Wer kann die Anfhaffung 
ermöglihen? Und ift mit dem bloßen Beichauen ber Bilder ſchon eine fichere, 
naturgetreue Kenntniß verbürgt? Auf oberflählide Erwähnung und 
auf mehr oder minder nebenfählihes Beſchauen ift feine bleibende 
Kenntniß zu bafıren. Kinder von 11—12 Jahren können in der Natur: 
geſchichte noch nicht fo weit geführt fein, daß fie von all’ jenen fremden 
Produlten ſchon Belehrung empfangen müßten. Selbft wenn fie mit 14 
Sabren die Schule verließen und von den meiften berjelben nocd nichts 
erfahren hätten, wäre der Schaden nicht gar zu beflagenswerth. Cs hätte 
allenfalls einen Sinn, wenn in Volks- und Bürgerfchulen im natur 
geihichtlihen und geographiſchen Unterricht auf ſolche fremden Naturprodufte 
mitgerüdfidhtiget würde, von welden heutzutage Frucht, Blätter, Wurzeln, 
Holz, Zeugftoffe, ... . Felle, Federn, Zähne u. ſ. w. wichtige Handels 
artilel bilden; aber von folden, von denen in den überwiegend meiflen 
Faͤllen Schüler gar nichts zu fehen befommen, möge der Unterricht 
fhweigen. Dadurch wird ſchon eine merklihe Vereinfachung hervorgerufen; 
und im Uebrigen möge das Ferne und Fremde diefer Art dann hübſch auf 
die Unterrichtsjahre verlegt werden, wo die Gefammtreife der Kinder fo 
viel Abftraction und Phantafie zeigt, daß fie aus kürzeren Andeutungen 
und bloßen Bildern eine befriedigende Vorftellung zu erwerben vermögen. 
Handels: und Nealfhulen mögen ein Mehreres thun, Boltsfchulen haben 
fi von allen auf Koften der gefunden, tüdhtigen Enge beliebten Ueber: 
ſchreitungen der ihnen geftedten Biele fern zu balten. Sie baben zum 
Dilettantismus leine Zeit. 

8. Schließlich fei bier no einer Wunderlihleit Erwähnung 
gethan, mweldye fi darin kundgegeben hat, daß ein ungenannter Poet (body 
nein, „Poet“ ift nicht der treffende Ausprud, richtiger wäre wohl „Reims 
verjemacher“) Deutſchlands und fpeciell Württembergs Flüfle, Gebirge u. ſ. m. 








Beographie. 265 


in Neimverfe zum Auswendiglernen gebradt bat. Hie und da mag 
ein alter Herr oder aud) ein ganz junger Anfänger auf allerlei Mittelchen 
verfallen, wodurch er meint, die feſte, gedaäͤchtnißmaͤßige Einprägung der 
mancherlei Namen aus ber Geographie ficherer erzielen zu können. Es 
werden Städte, Flüͤſſe, Gebirge nad dem Alphabet zufammengeftellt und 
fo auswendig gelernt, oder ihre bloßen Anfangsbucdftaben auf die 
Wandtafel geihrieben, um dann die Namen ausfindig machen und fie jo 
lernen zu laflen; und bergleihen Weifen mehr. Fauſtzeichnungen von 
Umrifien der Länder, von Richtungen und Glieverungen der Gebirge, von 
Strömen mit ihren Nebenflüflen, horizontale Striche, nad den Längen der 
durch fie repräfentirten Fluſſe abgemefien, in einander gelegte Duadrate zur 
Bergleihung der Arealgröße u. dgl. m., das find auch aͤhnliche Mittel zu 
ähnlichem Zwed. Jedoch liegt in letzteren mehr pädagogifcher Sinn. Aber 
in Reimpverfen, zumal in jo fabelhaft ſchlechten, denen es gar nicht auf 
Quantität der Füße und nicht einmal auf richtige Scandirung anlommt, 
die topifhe Geographie zu verfaflen: das ift eine fo abftrufe Idee, daß fie 
nur von der Abenteuerlichleit der Yorberung überboten wird, derartige 
Reimereien gar in der Schule auswendig lernen laflen zu wollen. Man 
erinnert fi zwar, daß ber alte Spruch: 
‚Sunt aries, taurus, gemini, cancer, leo, virgo, 
sibraque, scorpius, arcitenens, caper, amphora, pisces“ 

nicht ungern eingeprägt wurde; aber daß das Begehren geftellt wäre, jo 
barbariihe NReimverfe, wie fie von S&d..... verfaßt und theils von 
ibm, theild von B..... für die Jugend herausgegeben find (cf. den Li: 
teraturbericht unten), auswendig lernen zu laſſen, deſſen entjinnt man 
fih nit. Nur ein Paar Proben mögen die Abweifung ſolches Begehrens 
rechtfertigen: 

„Das Riefengebirg’ von Böhmen 

Und Schlefien neh, 

Bo man in großen Maflen 

Die nadten Kuppen flieht. 

Die höchſten Kuppen nennen 

Schneekopp' und Brunnberg fi; 

Gar weitbin fehweift das Auge 

GEntzüdt und wonniglidy”‘ u. ? w. 


„Rechts von der Alb zum Redar geh'n 
Prim, Shlihem und Etach, . 
Die Starzel, Steinlad und Echatz, 
Die Erms und die Steinach, 

Die Lauter, Fils, die Rems, die Murr, 
Shopad von Löwenſtein, 

Die Sulm, die fommt von Licdhtenftern, 
Ste müflen af’ hinein“ u. f. w. 


. IH. Ueber Katteneinrichtung für den Schülergebraud. 


1. In der „Allgemeinen deutfhen Lehrerzeitung“ von 
A. Berthelt (1861 Nr. 34) findet fih ein kurzer Auffab, überjchrieben: 





266 Geographie. 


Ideen über die Anlage eines geograpbiſchen Elementar: 
Atlas. Bon J. Zimmermann, Lehrer zu Lübed. Der Verf. geht davon 
aus, daß der geographiſche Glementarunterriht zum Theil no in das Ges 
biet des Anjchauungsunterrichts gehöre, der mwenigftens bie nächſiliegenden 
Glemente der Geographie anzubahnen babe. Um viefer Aufgabe einiger: 
maßen zu entiprecben, folle der Anfhauungsunterriht auf einer fpäteren 
Stufe bemüht fein, die Trennung des geographiſchen Elements von den aus 
andern Gebieten entnommenen, und die Sonderbehandlung des erfleren 
herbeizuführen. Zunaͤchſt fei der Ortsfinn zu mweden und zu bilden, 
und der Schüler an das Behalten geograpbifcher Namen und Daten zu 
gewöhnen, um einen geograpbifchen Glementarunterricht vorzubereiten. Leb: 
terer „fol die Heine Welt des Schülers nah allen in das geographiſche 
Gebiet einjhlagenden Beziehungen vemfelben zur Anſchauung und wenn 
möglih auch zum Bemußtfein bringen, und ihn gelegentlich hinausbliden 
lafien in die außer feinem Geſichtskreiſe liegende Welt, damit der Schüler 
nah und nad bingeleitet werde, die Heine Scholle, an ber er lebt, als 
Theil eines Organismus anzufeben, deſſen Maßſtab (?) wiederum der 
kleine Kreis feiner Anihauungen if. Er muß darum Alles im Keime 
enthalten, was der fpätere geographifche Unterricht anzuführen bat, infofern 
es in den Heinen Geſichts- und Lebenskreis des Schülers einfchlägt. Auch 
die gemüthbildenden Elemente, die in ihm liegen, follen durch Ba; 
firung auf finnige Naturanfhauung mit berüdfichtigt werben. Der Zwed 
des geographifhen Glementarunterrihts foll erreicht werben, indem der 
Unterriht mit den nähften Umgebungen des Schülers beginnt und 
erſt allmälig fih in die Ferne wendet, die nur durch das Lehreriwort und 
bilvlihe Darftellungen zu vermitteln find. Zimmermann gibt 8 Abſchnitte 
an, morein der ſich darbietende Stoff zu zerfällen fei: 1) Erde ale Wohn: 
plag von Geſchoͤpfen; 2) Erde und Himmel, Natur: und Lufterfheinungen ; 
3) Land und Mafier im Allgemeinen, 4) Land ald Mohnplag der Men: 
ihen; 5) Benennung des Landes nad feiner Benugung und Beſchaffenheit: 
6) Erhebungen des feften Bodens; 7) Gemäfler des feflen Landes und 
Meer; 8) Betrahtung der Formen des feften Landes. Cine etwa unter 
günftigen Beitverhältnifien möglihe weitere Hinausrüdung des Zieles 
folle die gewonnene Territoriallenntniß des Schülers durch neuen Etoff be 
reihern und die Anwendung des Erlernten auf „andere LZändergebiete” 
ausdehnen. 

Es ift nicht recht deutlich ausgeſprochen, ob dieſe 8 Abichnitte nur 
die allgemeinen Rubriken darftellen, unter welche aller geographiſche Lehr: 
ftoff zu fubfumiren wäre, oder ob fie innerhalb der nächſten Umgebun: 
gen durdgeführt werden follen, was bei Nr. 7 doch nicht füglih angeht, 
oder welches das Laͤndergebiet fei, morauf die vorbereitende Kenntniß 
zu fammeln fei, um fie fpäter auf „andere Ländergebiete‘ ausdehnen 
zu können. Sobald mit den nädhften Umgebungen angefangen wird, 
läßt ſich nicht füglid die Erde ald Mohnplag von Geſchöpfen, Land und 
Waſſer im Allgemeinen u. |. w. in’s Auge faflen, infojern nämlid der ſonſt 
unter diefen Rubriten berkömmliche Lebrftoff zur Verwendung kommen joll. 
Sputhefis und Analyſis amalgamiren jich nicht wohl auf der Elementarſtufe. 


Geographie. 267 


Gbenfo ift der Sinn von Wr. 5 nicht seht Har; bloße „Benennung bes 
Landes 2. wird ſchwerlich einen bejonderen den übrigen coorbinirten Ab- 
Schnitt zu bilden haben. Die Unterrevung über dieſe Benennungen 
fol jih an einen allen Schülern befannten Spaziergang nad einem nahen 
Dorfe am geeignetften anlehnen. Uebrigens ſcheint aus jenen 8 Abjchnitten 
bervorzugeben, daß fie zur Gewinnung geographiiher Grundbegriffe 
benüßgt werden jollen. 

Zimmermann hält bei ver „Sebietsermweiterung” (dad würde 
in feinem Sinne beißen: nad Abfolvirung der 8 Abjchnitte) einen ſich dem 
Unterriht eng anjchließenden Clementar: Atlas für einen ſehr geeig: 
neten Führer, der fi „als folder ſchon hinlänglich bewährt haben werde, 
wenn er auch bei früheren Abf&hnitten durch pafiend gewählte Karten 
das Beiprochene zu erläutern verfudht habe.” Wie ift das? Der Atlas 
fol zwar oronungsmäßig erft bei der „Sebietsermweiterung” zum 
Führer dienen, aber doch auch ſchon bei früheren Abſchnitten zur Erläu: 
terung benußt werden? Es ift ja die Einführung in das Karten ver⸗ 
ſtändniß noch nit bewirtt. Doc nein. Sobald der Unterricht „bis zur 
Beiprehung über Stadt und Dorf vorgeſchritten ift, jo tritt auch der Atlas 
in feine Rechte ein.” Das Kartenbild, das ver Echüler auf der Wandtafel 
vor feinen Augen hat entfteben ſehen, und woran durch Orientirs 
übungen der „bargebotene Stoff verarbeitet‘ worven ift, foll hinreichen, 
damit der Schüler das fertige Kartenbild des Atlas auffajien lerne. Eine 
Rarte von Deutſchland mit den bebeutendften Städten, ein Plan 
feiner Baterftadt foll den Schüler einen Blid in die Welt hinaus und 
dann im feine engere Heimath thun laflen. Das bieße aljo, erft in bie 
Ferne und. dann in die Nähe bliden. — Bei Nr. 8 foll eine zweite 
Karte von Deutfchland mit dem Alpengebirge (und dem St. Gotthard) bes 
nußt werden. Die Begriffe Anhöhe, Hügel, Berg und Thal wären durch 
Zeichnungen an der Wandtafel, das „Leben auf den Bergen‘ gleichfalls 
durch eine Zeichnung „nah allen Beziehungen, welde dem Echüler ver 
Händlic gemacht werden können,’ zu veranſchaulichen. Es wäre nicht übers 
flüffig geweien, wenn Verf. ſich darüber geäußert hätte, wie das Leßtere 
gemeint fein fol, Man irrt wohl in der Annahme nicht, daß der Lehrer 
etwa eine Alpenlandſchaft in charakteriftiicher Abbildung den Schülern zeigen 
und erläutern fol, damit fie die Art des Häuferbaues, des Meger und 
Brüdenbaues, die Sennerwirtbichaft, das PViehhüten auf den Almen, die 
Entfaltung des Verkehrs⸗ und des religiöfen Lebens (Schifffahrt auf den 
Eeen, Frachtwerlehr auf den Straßen, Hospize, Kapellen, Kreuze und Bild: 
ftöde u. 4. tennen lernen. Keinenfalls wird der Lehrer ſolche Abbildungen erſt 
felbft an die Tafel zu zeichnen haben, er wählt aus vorhandenen Abhils 
dungen das ihm am meilten Paflende aus. — Die zweite Karte von 
Deutihland, welde das frühere Kartenbild in Stößner's Weiſe wieder 
aufnimmt und die Flüſſe neu binzufügt, foll Gelegenheit geben, nad 
vorgängiger Beiprehung „der Entftebung der Gewäfler des feiten Landes 
und des Lebens an, auf und in denjelben,” den „Rhein mit dem Main‘ 
näher zu beſchreiben und zu ſchildern. Darauf foll eine Karte von Europa 
Beranlafiung geben, von den Gemwäflern bes feiten Landes zum Meer 


268 Geographie, 


überzugehen, die Meere um Europa nebft ihren Verbindungsfiraßen umd- ven 
angrenzenden Ländern Tennen zu lehren, vie Namen der Halbinfeln und 
größeren europäiichen Inſeln einzuprägen, und bei Betradhtung diejer Glieder 
auf Begenfäße, wie Island und Zicilien, Skandinavien und Stalien, hin: 
zubeuten, um auf eine „Schilderung der Zonen“ vorzubereiten. Drei 
weitere Karten von Guropa hätten fucreffiv die Hauptgebirgszüge (Bor: 
berge, Berggipfel) die Heineren Meerestbeile, die Haupt: und Seeftäbte ber 
Länder und die Landgewäſſer binzuzubringen. 

Nachdem der Gang jo weit gediehen ift, wird es Zeit, „bie einfadhften 
mathematiſchen Verhältnifie der Erde” vorzunehmen. Zu dieſem Be⸗ 
bufe gehört in den Clementar-Atlas eine Darftellung der Planiglobien, 
welhe außer dem üblidyen Linienneß zugleih Andeutungen „über die Be: 
ziehungen beider GErohälften zu einander enthalten, die Bertheilung der 
Menjhenracen veranfhaulihen und durch einige Dertlichleiten auf die 
Entdeckungsgeſchichte der neuen Welt hindeuten könnten,“ aud das 
Kötbige für Auftralien gleich mit aufzunehmen bätten. So wäre der erfte 
Kartencyclus des Elementar:Atlas abgefhlofien. (Mit der bezeichneten 
Art der Einrichtung der Planiglobien werden Praktiker nicht einverftanden 
fein, meil dadurch zu heterogene Dinge vermijcht werden würden, welche 
der Unterricht beiler auseinander hält) Zimmermann begehrt nun noch 
drei andere Kartencyclen, deren einer die „elementare Ueberſicht“ der frem⸗ 
den Erdtheile, deren anderer Deutſchland nad feinen Flußgebieten, 
feiner Bodenerhebung und nad feiner politiihen Gliederung, und deren 
dritter die einzelnen Länder Europa’s mit dem darin Wiſſenswer⸗ 
tbeften in fuccejfiver Progreffion vorführen fol. Sol’ ein in vier Eyclen 
getheilter Elementar- Atlas wird von Zimmermann für einen 2—3jäb: 
rigen Curfus beftimmt, wonach dann die gewöhnlichen Atlanten in Gebraud 
genommen werden. 

Ueberfhaut man den- ganzen Vorſchlag, fo erwehrt man ſich des Ur⸗ 
theils fchwer, daß verfelbe fi unter den gegebenen Berhältnifien un aus 
führbar zeigt. Scheint derſelbe auch auf eine gründliche Vorbereitung 
eines weit auszufpinnenden wiſſenſchaftlichen geographiſchen Unterrichts 
berechnet zu fein, fo ift, abgejehen von manden Unklarheiten, welche die 
angedeutete Behandlung übrig läßt, ſchon der Koſtenpunkt ein nicht zu 
überfehendes Hinderniß. Stößner’3 „Elemente der Geograpbie in 
Karten und Tert", zufammen 43 Karten, koften circa 21/, Rthlr. 
Zimmermann’s Atlas würde außer einem „Plan der Vaterſtadt“, 2 Karten 
von Deutihland, A von Europa, 1—2 für die Planiglobien, 3 Karten für 
ganz Afıen, Amerila und Afrika, wahrſcheinlich auch megen allmäliger Ber: 
vollftändigung noh 2 befondere Rarten für Nord: und Sub: Amerika, 
3—4 für Nord, Süd:, Mittel: und Südweſi-Aſien, 2 für Nord: und Süd⸗ 
Afrila, 3 für Deutſchlands topiſch⸗phyſikaliſche und politiiche Verhaͤltniſſe 
im Ganzen und wahrſcheinlich mindeftend noch 3 für Nord⸗, Mittel: und 
Suͤd⸗Deutſchland, und endlih 10— 12 Karten für die einzelnen europätfchen 
Fänder, alfo zufammen einige und dreißig Karten zu enthalten haben, 
welche „für die höhere Stufe des Unterrichts — nach eigener Erklärung — 
nichts bieten können“ (!) und doc mindeſtens ein Paar Thaler, oder 


Geographie. 29 


bei Heiner, rudimentärer Ausführung doch etwa einen Thaler koften würden, 
nah 2—3 Jahren aber bei Seite gelegt werden müßten. Das geftatten 
die factiichen Verhaͤltniſſe der Schulen nit. Es ift auch gar nicht abzu: 
ſehen, warum in der oben nacgemiejenen Art der Stoff auf den Karten 
augeinandergelegt werben müßte. Selbft angenommen, daß ber ganze Plan 
probat genannt werden könnte, wogegen bejcheidene Zweifel nicht unbegründet 
find, wäre doch eine jehr merlliche Vereinfachung der Karten zuläjfig. Denn 
die Betrachtung ihres Inhalts erfolgt ja doc gradatim. So lange Zimmer: 
mann’ „Ideen“ nicht in einem tüchtigen Glementar-Atlas realifirt vor⸗ 
liegen, wird Allen, melde in der Lage find, die Glemente der Geographie 
wiſſenſchaftlich zu lehren, der Stößner’ihe Atlas, nach welchem jene „Ideen“ 
ſich gebildet zu haben fcheinen, zu empfehlen jein. 

2. Mehrfach ift in neuerer Beit infofern eine neue Bahn in den 
Leitfäden und Lehrbüchern ver Geographie eingejchlagen, als gleih in deren 
Tert hinein Karten mit eingedrudt find. Theils find es blos Fauſi⸗ 
ſtizzen, theils etwas weiter ausgeführte Entwürfe, theils förmliche 
ausgeführteKarten mitallem Zubehör an Colorirung, Staateneintheilung, 
etwaigem Farbendrud u, dgl. So finden fi) dergleichen Skizzen und Karten 
in den Büchern von v. Seydlig, Reuſchle, Stößner, Kozenn, Bogel, 
v. Sydow, Dommerich (Ausgabe von Flathe) und au in v. Klöden, 
Der pädagogiſche Zwed leuchtet von felbit ein. Statt eines Atlafles 
fih bedienen zu müſſen, der in den feltenften Fällen genau zu dem Inhalt 
des Lehrbuches paßt, ſoll dem Schüler in den Skizzen und Karten nur 
das vor die Augen geftellt werben, was das Lehrbud ala Stoff zur Ein⸗ 
prägung enthält. Das Augenmerk fol fih nur auf ein beftimmtes 
Benjum concentriren, ohne fih in allerlei fonft auf Karten angebrachte 
Daten ablenten zu lafien: für jüngere Schüler unftreitig ein ſehr wich 
tiger Punkt. Die Atlanten müflen Bedacht nehmen, auf den einzelnen 
Blättern den Stoff für mehrere Lehritufen einzutragen, um ihnen einen 
größeren Abnehmerkreis zu fihern. Sie können nit füglid nur für je 
eine Stufe das Material bieten wollen, weil jonft ein Schüler wohl 3—4 
Atlanten bebürfen würde, deren Beſchaffung ftarten Zweifeln unterliegt. 
Man unterjcheidet zwar gern kleine Schul:Atlanten mit weniger Karten 
und eng begrenztem Stoff und große Hand: und Schul: Atlanten mit 
zablreiheren Karten in größerem Yormat und mit derjenigen Stofifülle, 
welde für gebildete Freunde der Erdkunde angemeljen erſcheint. Jedoch 
geſchieht ed auch, daß aus den großen Atlanten eine Auswahl von 
Karten ſchon zum Schulgebrauch zufammengeftellt wird, meniger aus dem 
Grunde, daß der Unterricht dadurch bejonders gefördert würde, als damit 
die Abnahme der Karten fich ſteigere. Für Anfänger find große, in 
baltsreihe Karten unbedingt unzuläfjig; fie verhindern die rafche 
Zurechtfindung, die fihere Auffaſſung und Ginprägung, fie zerſtreuen durch 
das Zuviel und machen damit die einfache Beichränlung auf das zunädft 
Wichtigſte unmoͤglich. Deshalb läßt ſich ihr Gebraud bei Anfängern nur 
widerrathben. Was einfahe, gute Wandlarten zu enthalten 
pflegen, das mögen die Karten in den Atlanten für die häusliche Bors oder 
Nacharbeit wiedergeben. Ein Mehreres if vorerjt nicht erforderlich. Wer 


270 Geographie. 


tiefer in die Geographie einbringen will, und dos köcnen ur die Ober 
*5 höherer Schalen, der bedarf auch eines größern, inbaltsreiheren 


Je nachdem nun die Lehrſtuſe, für welche ein Leitſaden oder Lehrbuch der 

ie beſtimmt iſt, einen befchräntteren oder reicheren Stoff darzubieten 

bat, je nachdem können auch die in den Tert eingedructen Karten viel ober 
wenig enthalten. Dabei tritt aber bald ein doppelter Uebelſtand ein. 
In der Regel kann der Mapftab für ſolche Karten nur ein kleiner fein, 
Bei den einzelnen Staaten und Ländern mag er ſich meift als ausres 
hend erweifen. Sobald aber große Ländergebiete vargefiellt werben 
follen, tritt nur zu leicht Unklarheit und überftarte Generalifirung ein, und 
damit ift der Zweck weſenllich beeinträchtigt, den die Karten überhaupt haben 
follen Ban jebe folde Skizzen und Karten in mehreren der vorhin ge 
nannten Bücher an, um dies beftätigt zu finden. Sie find oft nichts mehr 
als ein Rothbehelf, bei welchem unter den gegebenen Formatſchranken 
mannidyfahe Mängel entihuldigt werden müjlen; ein Surrogat, das 
dem etwaigen Mangel aller Karten einigermaßen abhelfen und gleichzeitig 
aus paͤdagogiſchen Bründen bie Concentrirung der. Aufmerlfamleit fürbern 
fol. Es tommt binzu, daß die typiſche oder fonftige techniſche Ausführung 
bei der Berbindung von Karte und Zert auf ein und berjelben Seite des 
Blattes mit nody unüberwundenen Schwierigleiten zu lämpfen bat, fo daß 
foldye Karten an technifcher Bollendung meift weit hinter ben in befonderen 
Atlanten gelieferten sgurüdfiehen. Der Holzfiod oder die gravirte Stein⸗ 
oder Binkplatte oder die Formtypen erweiſen ſich nicht fo gefügig bei ber 
Verbindung mit den Lettern, als die bloßen Startenplatten. In den meiſten 
Fällen find deshalb jene Karten im Zert auch nur umcolorirt dar 
geftellt, — für Schüler ein Mangel, ver nidht anderweit behoben wird, 
ed fei denn, daß die Schüler unter Unleitung bes Lehrers die Colorirung 
nachtragen. Kommt es darauf an, BZmwedmäßigleit mit Sauberleit und 
Schoͤnheit der Ausführung bei ven arten verbunden zu jeben, — und das 
foll man bei Schülern jevenfalld wünfhen, — dann werden befondere 
Karten denen im Zert unbedingt vorzuziehen fein. Wo aber nur einfl- 
weilige Vorbereitung, oder wo Nepetition in kürzeſter Form, wor: 
läufige Orientirung über einzelne Haupwerhaͤltniſſe u. dgl. bezwedt wird, 
da find jene Karten im Tert ganz an ihrer Stelle. Daß durch fie alle 
Hbrigen volllommeneren Karten entbehrlich gemadt wären, wirb hoffent⸗ 
li fein befonnener Praktiler behaupten, die Verf. der Lehrbücher mit Karten 
ſelbſt niht. Gute, fahlih und techniſch vollendet ausgeführte Karten fin» 
und bleiben für alle Fälle ein weſentliches Grforderniß bei dem geographi⸗ 
ſchen Unterrihte. Es fehlt noch viel, daß jhon alle jeßt gebrauchten Schuls 
Barten diefen Anforderungen entiprächen. Die neuefte Zeit ftellt ſogar 
noch böher gefteigerte Anforderungen an folde Karten, welche vornaͤmlich 
dem wiffenfhaftliden geographiihen Unterriht zu Hülfe kommen 
jollen. Schon im 13. Pädagog. Jahresbericht ift der Beachtung der Höhen: 
ſchichten auf den Karten erwähnt. Und im 12. Heft der „Mittbei 
lungen aus %. Perthes' geographiſcher Anftalt x.” von Dr. 4. 
Petermann fagt v. Sydom in jenem Auffage: „Der kartographiſche 





Geographie. 271 


Standpunkt Europa’s in den Jahren 1861 und 1862” x. (S. 455): 
„Die ergreifen biefe Gelegenheit zur wiederholten Grinnerung an den hohen 
Werth der Höhenbeftimmungen und der aus ihnen refultirenden hypfo⸗ 
logiſchen Geſammtbilder. Das orographiſche Bild erhält nur dadurch 
Shärfe und Wahrheit, die geologifche Betrachtung Bafis und Führer zu 
allgemeinen, als au zu tief in die Praxis eingreifenden Sclüflen. Die 
Bewäflerung in ihrer unterirdifhen und oberflädlihen Anoronung, das 
Klima in feinen drei Hauptfactoren „Temperatur, Luftftrömung und Nieder: 
ſchlag“, die Verbreitung aller Organismen, die Befähigung für den menſch⸗ 
lihen Anbau, die Beurtbeilung der Verkehrsverhaͤltniſſe und die erfte alls 
gemeine dee zur Anlage neuer Land: und Waflerftraßen, — das Alles 
find Glemente, welche in der Einfiht rihtiger Höhenbilder wurzeln, 
daber ſolche zu erzielen für ein jedes topographiſche Depot unerläßlie und 
hochwichtige Pflicht iſt.“ 

Wie viele Karten laſſen in dieſer Beziehung auch ſelbſt die beſcheiden⸗ 
ſten Wunſche unerfüllt! Aus vielen leuchtet geradezu eine gewiſſe Verwil⸗ 
derung der Ausführung orographiſcher Verhaͤlmiſſe hervor. Es bat 
darin, wie es faſt bevünten will, eine Art Barbarei der Subjectivität Plat 
gegriffen, die ſich gar nicht ernft um die wirklichen Verhältnifie fümment, 
fondern ein Bild nad) incorrester Phantafie entwirft, welches ganz irrige 
Auffafiungen berbeiführen muß. Wer die Probe mahen will, möge die 
Karten von Deutſchland einmal darauf hin forgfältig anfehen, wie fie bie 
Alpen varitellen: da wird Mander den Kopf fchütteln, der auch noch 
kein Studer und Sicher it. Wenn das fchon bei den Alpen, dieſem fo 
viel befchriebenen Gebirge, der Fall ift, wie wenig Bürgfchaft werben da 
anbere orographifche Objecte in ſich tragen! Es foll nod gar nicht gefordert 
werden, daß heutzutage alle für ven Schulgebrauh beftimmten Karten 
bypfometrifch correct fein müßten, -- ed würden wahrſcheinlich aus 
wenige Lehrer fi damit gehörig zu rathen willen, — aber daß die Terrain- 
Darftellungen möglichft treu im Uebrigen ausgeführt jein müßten, gleich: 
viel ob mehr oder minder generalifirt: das könnte man jet wohl ohne 
Unbilligleit verlangen. Die in den Tert zu drudenden Karten fcheinen 
dies noch nicht leiften zu können. Mögen fie deshalb als einftweilige 
Aushülfe kürzeſter Hand nicht ohne praltifchen Nugen im Unterricht fein, 
der weiter ftrebende Schüler muß durchaus in allen Beziehungen vollendetere 
Karten zu feinem Gebraude daneben haben, als jene es bis jegt find. 

3. Was jchließlih den Bericht v. Sydow's über den „kartographifchen 
Standpunkt Guropa’s ze.” (fiehe oben) anbetrifit, fo hat derjelbe nur rein 
wiffenfhaftlihes Intereſſe. Er weist die Bermeflungs, Mappirungss 
und Rartirungs:Arbeiten in allen europäiihen Staaten nad, und zeigt die 
Unftvengungen, Opfer und beträchtlihen Leiftungen zum Behuf der Gewin⸗ 
nung richtiger und vollitändiger Karten. Da die Vermeflungen auf aſtro⸗ 
nomische Beobachtungen der Lage der Fundamental: und Ausgangspunlte 
geftüst, und entweder von bejonderen centralen topographiihen Bureaus 
oder den Kriegs:Departements der Staaten geleitet und von bewährten 
Offizieren ausgeführt werden, fo liefern fie die größtmögliche Bürgichaft der 
Nichtigkeit und Genauigkeit. Es ift intereſſant, fi von der Umſtaͤndlichkeit 


272 Geographie. 


zu unterrichten, womit die Karten zu Stande gebracht werben, die auf biefe 
Weiſe meift in fehr großem Maßſtab die einzelnen Länderjtreden mit ihren 
topographifhen Details enthalten. Zür abgejchlofiene Gebiete erwachjen 
förmlihe Atlanten großer Speciallarten, fo. daß dieſe in ber Stille fort- 
gejeßte Arbeit der Staaten in der That Staunen erregt. Unrichtige Karten 
braudte es nun in Europa gar nicht mehr zu geben, wenn nur bie vor: 
bandenen großen Generalſtabs⸗Karten von privaten SKartenzeichnern 
benußt werden könnten und benußgt würden. Denn die Anzahl der Terrain: 
Complere, welche noch nicht von den neueiten Zriangulirungen baben erreicht 
werben fönnen, wird immer geringer. Es find auch eine Reihe von Par: 
ticular: Karten in forgfältigiter und gefehmadvolliter Ausführung, auf bie 
originalen Vermeſſungskarten geftübt, für alle europäifchen Staaten vor: 
banden, welde nunmehr gleihjam als Quellen bei der Anfertigung ber 
Karten für ven Shulgebraud zu benugen wären, wenn man fi all 
feitig bei dieſer Anfertigung gemwifienhaft darnach umjehen wollte. Bon 
einzelnen großen geographiſchen Privat:Inftituten geſchieht in vieler Be⸗ 
ziehung höchſt Anertennenswertbes, wie z. B. von. der Perthes’ihen 
Anftalt in Gotha; aber mandye Kartenverleger haben mehr ihre Speculation 
als das geographifche nterefje im Auge, und die von ihnen bejchäftigten 
Beichner entbehren der gründlichen geographiſchen Speciallenntniß der Topo⸗ 
grapbie der zu zeichnenden Länder. 

4. Das verflofiene Jahr hat im Ganzen, bei aller Fülle großer, 
wiſſenſchaftlicher Karten, doch nur wenig Neues für ben directen 
Shulgebraud geliefert. In den Katalogen findet ſich freilid noch 
Giniges verzeichnet, was an diejer Stelle nicht zur Berichterftattung bat 
mit herangezogen werden können; ed möge aber nicht vergejlen werben, baß 
es mit befonvdern Schwierigkeiten verbunden ift, Kartenwerke für bie 
Berichterftattung zu erlangen. 


Literatur. 


L Leitfäden. Lehrbücher. Handbücher. 


1. Fr. Ed. Keller, Seminarlehrer, Der preußiſche Staat. Eln Hand⸗ 
buch der Baterlandslunde, 1. Halbband. Minden, Bollening. 1863, ' 
256 ©. 25 Sgr. 

Mit anertennenswertbeitem Fleiß, vieler Umficht und Genauigleit bei . 
Benupung der vorhandenen Hülfsmittel hat der Verf. in feiner vorliegenden 
Schrift begonnen, ein Handbuch der Vaterlandskunde zu liefern, das 
durch die Beachtung aller flaatliben Berhältnifie Preußens und durch ihre 
Entwidelung aus der Vergangenheit um fo intereffanter 2 u 
werden veripriht, als daran ein möglichft anſchauliches Bild der Gege. m 
wart angefdlofien werben foll. — Der erfte Halbband ftellt die Grume ıx 











Geographie. 273 


macht des preußiihen Staates dar. Gin biftorifcher Ueberblid führt die 
allmälige Bildung des Staatsgebietes unter den Hohenzollern 
fürften vor Augen (©. 1—73). Dann wird nad einer Beachtung ver 
Lage und Grenzen (mobei alle Enclaven und Erclaven mit aufgeführt find) 
die phyſiſche Bejhaffenheit des Landes behandelt: das Relief des 
Landes, ſämmtliche ftehenden Wafler, die großen Stromgebiete und 
der darin ſich entwidelnde Verkehr durch die verbindenden Sanäle (beſonders 
fpeciell beim Rhein nachgemiefen), die Heilquellen mit kurzen Bliden 
auf ihre Geſchichte, und die klimatiſche Beichaffenheit, unter Anſchluß 
von Zafen über klimatologiſche Beobadhtungen an 77 ypreußifhen und 
deutſchen Stationspunlten, wie über die Negenmengen, Nebeltage und herr: 
fhenden Winde. Den Schluß des Halbbandes bildet die Gliederung 
des Staates, wobei das Areal, die Städtezahl, Militair- und Civilbevöl⸗ 
ferung und Volksdichtigkeit fämmtlicher landraͤthlichen Kreiſe des Staats, 
wie befonders der Regierungsbezirle und Provinzen meift in ftatiftiichen 
Tabellen nach den neuejten Erhebungen (December 1861) zujammengeftellt 
find. — Was bisher geleiftet ift, berechtigt zu der Erwartung eines gedie⸗ 
genen Yortgangs ded Werkes, das in feiner Vollendung ein werthuolles 
Hülfgmittel für den Lehrer beim Unterriht in ber Vaterlandskunde zu 
werden verjpridht. " 


2. 3.98. 5. Ritzſchke, Geographiſche, flatiftifhe und topogra- 
phiſche Beſchreibung der Provinz Bommern. Zur Förderung 
der Heimathelunde. Stettin, Saunier. 1862. 10 Ger. 


3. 2. Frige, Seminarlehrer, Kleine Brandenburgifhe Heimath- 


funde für Elementarfhulen. 3. Aufl. Wrießen, Röder. 1863. 
2 Ser. 


Lagen beide leider nicht vor. 


4. 8. D. Geißler, Lehrer, Geographie zur Unterhaltung und Be 
lehrung für Kinder. Rad neuen und guten Quellen bearbeitet und 
efanmelt. 2. Band: Deutihland. Mit zahlreihen Illuſtrationen. 

Bangenfalza, Schulbuchhandl. des Th. 2.8. 1862. 331 &. 24 Sgr. 

Ueber den I. Band dieſer Geographje lonnte im XIV. Päd. Jahres 
berichte nicht günftig geurtheilt werden, ba die pädagogiſche Aufgabe, 
die für ſolche Bearbeitungen gejtellt werden muß, nicht gelöst erfchien. 
Auch im vorliegenden 2. Bande ift fie nicht gelöst. Wenn verjelbe auch 
unter den üblihen Weberfäriften: Ueberſicht der Oberfläche Deutfchlanng, 
Deutſchlands Gebirge, Gemäfler, Klima, Anbau, Produkte, Bewohner, 
Handel, Gewerbe u. |. w., und dann bei der Beſchreibung der deutſchen 
Staaten unter den dabei üblihen Rüdſichten ſachlich manches ganz Richtige 
beibringt, fo zieht fi doch der Mangel fubjectiver und objectiver Berech⸗ 
nung durch ihn hindurch. Kinder, welche an vielem bier Gefagten nod 
zu lernen haben, find noch nicht fähig, quantitativ und qualitativ das 
meifte Andere zu bewältigen. Wozu u. X. die Menge unbedeutender Nebens 
flüfle bei der Elbe und Donau für Kinder? Wozu die Fülle topographiſch⸗ 
Hatiftifchen Materiald (von S. 81 an) bei der Länderbefhreibung? Wozu 
die ausgeführten Zändereintheilungen? Das ift keine gefunde Nahrung für 

Bär. Jahresbericht XV. 18 


274 Geographie. 


Kinder. Gelbft zur Unterhaltung ift es nicht räthlich, da die einfache, klare, 
geordnete Belehrung darunter leidet. Auch die Wicverholungsfragen, welche 
die Fixirung des gebächtnikmäßig aufgenommenen Stofjes bezweden, geben 
nicht felten über die Kinderkräfte hinaus. Welchen Rindern wird fich zus 
mutben lafien, die einzelnen deutſchen Länder flug aus dem Kopfe zu 
zeihnen? Mag auch die Verbindung, in welche mande Darlegungen mit 
der geographiichen Unterlage gebracht werben, theil® lebensvoll fein, theils 
mwenigftens jo feinen, z. B. Ginflehtung mander Mittheilungen über Bes 
wohner, Lebens⸗, Sinnes⸗, Erwerbs und Wirthſchaftsweiſe u. ſ. w. bei Bor: 
führung der Gebirge, wo dies Alles ſich entfaltet, jo bält der Kinderunter⸗ 
riht auch bier am beften Maß und fcheivet nah den Yaflungslräften der 
Kinder. — Die Jlluftrationen find in der That oft gar fehr überflüjfig 
und können bisweilen nicht ohne Lächeln angejehen werden. (Haus: und 
Jagdthiere, Fichtenzapfen ftatt Tannenzapfen, manche Baumerte, bei Imſt 
ein Kanarienvogelläfig, bei Gotha ein Hamfter u. f. wm.) Manche lenken 
ab, ftatt zu jfammeln. — Das Regifter weist 15 Eeiten Artilel nad)! 
für Kinder! — Die Mängel werden durch die Schlichtheit der Darftellung 
nicht aufgewogen. 


5.8. ©. Böfe, Gymnaſiallehrer, Grundriß der Geographie des 
Herzogtbums Didenburg Nebſt einem Anhang: die Fürſten⸗ 
tbümer Lübeck und Birkenfeld und einer Karte vom Großberzogibum 
Didenburg, Stalling. 1861. 68 S. 8 Ser. Die Karte allein 3 Sr. 
Ein kleines, mit vielem Fleiß in den Details verfaßtes Büͤchlein, das 

erfte diefer Art für Oldenburg. . Auf Grund der ganz in's Ginzelfie an: 

ſchaulich dargeftellten Bodenverhältniffe fucht der Verf. die damit zufammen- 
bängende Entftehung der kleineren und größeren Gemeinwejen der Bewohner 
abzuleiten, deren Entwidelung bis auf bie jekigen Zuftände er dann in 
einigen gej&hichtlihen Hauptzügen anveutet. Seine Abfiht iſt, darzuthun, 
wie Oldenburg aus Meinen, ihr eigenes Leben in fi tragenden und fi 
aus ih entwidelnden Organismen allmälig zu einem Gejammtftaat erwachſen 
iſt. Solcher Heinen Landfchaften werben, nachdem bie allgemeine Beſchrei⸗ 
bung des Landes nad Grenzen, Gliederung, Bodenformation, Gewäſſern, 

Bewohnern erledigt ift, 33 behandelt, Inapp, aber jede als felbitftändiges 

Ganzes nach allen Rüdfihten (3. B. frühere Zuftände, Deice, Siele, Straßen, 

Anbau, Gewerbe, Schifffahrt, Verkehr der einzelnen Aemter und ihrer Derter). 

Dadurch wird eine fehr fpecielle Kenntniß erreiht. Lübed und Birkenfeld 

find ſehr kurz, nur ftatiftifch nach ihren reſp. Aemtern, Gemeinden und 

Bürgermeiftereien behandelt. Die beigegebene Karte ift in der Terrain: 

zeichnung recht zwedmäßig. Im erften Augenblid befremdet die Behandlung 

der Watten als Land, während die gewöhnlichen Karten die Deichlinie als 

Landgrenze fefthalten. 


6. ©. Fr. Heiniſch, Das Diffenewürbigße aus der Geographie 
und Geſchichte Bayerns. 9. Aufl. (Mit Rüdfiht auf die neueften 
nn — nn fowie mit Be — — pen 

eſſe .) aus dem Leben ba ee Fürſten. 
Buchnexr. 1802. 40 ©. 2a Ger. ” — 








Geographie. 275 


Auf dem erflen Bogen ift in 50 88 das Nöthigfte über Bayerns 
Beftandtbeile, Gebirge, Ylüffe, Kanäle, Seen, Ebenen, Klima, Produkte, 
Verkehr (Cifenbahnen, Schifffahrt zc.), Bewohner (Religion, Bildung), Ber: 
faflung und Verwaltung, und aud eine Ortsbeſchreibung mit Angabe ein: 
zelner Merkwürdigleiten und biftoriichen Notizen zufammengevrängt. Das 
fann als Dictat zur Unterlage für meitere Belehrungen dienen. — Den 
übrigen Raum füllt ein Abriß der bayerifhen Geſchichte in deren Haupt: 
perioden, in pronuncirt bayerifc »patriotifhem Sinne abgefaßt, an der 
Berlenfhnur der Landesfürften, die faft ausjchließlihd von glorreiher Seite 
angejeben find. Die deutfche Geſchichte wird wohl bei Thaffilo, Arnulf I. 
u. A. in der Auffafiung, daß die deutihe Geſchichte vornämlich durch 
Bayern beftimmt, auch der Zollverein durch Ludwig I. gegründet fein fol, 
berichtigend eintreten müflen. In 8 7—94 ift die Vorgeſchichte einiger 
Landestheile mit erwähnt. 


7. Dr. 3. €. Wörl, Lelifaden bei dem Unterricht in der Geographie. Das 
Großherzogthum Baden. Mit einer Karte. 2. Aufl. Freiburg i. Br., 
Herder. 1861. 66 ©. 5 Gar. 

Werder in der Art, wie Pflüger's „bapifhe Vaterlandstunde“ 
(of. XI. Päd. Jahresb. ©. 333), noch in der Art, wie fonft wohl vergleichen 
Leitfäden für einzelne Länder abgefaßt zu werden pflegen, bat Dr. MWösl 
die Beichreibung der Wohnörter mit der an die Gebirge angeſchloſſenen 
Darftellung des Laufes und der Natur der Gewäller und ihrer Thäles, wie 
der dazwiſchen ausgebreiteten Hügellandſchaften und Ebenen verflodhten. 
Das ifi in diefer Art neu. Wenn auf Seen, Wafler: und Lanpfizaßen, 
Gifenbahnen, Telegraphenlinien u. |. w. bei der Beichreibung befondere Rüd- 
fiht genommen wird, die im Lande noch gangbaren, alihergebrachten land: 
Ihaftlihen Benennungen zufammengeftellt und erläutert, Bodenbeſchaffenheit, 
fatiftifche Angaben über Qandeserzeugnifje der techniſchen Cultur, über Handel, 
mancherlei Landesanftalten und ſtaatliche Verhältnifje vorgeführt, Dagegen die 
Hauptorte in den einzelnen Bezirten nur kurz nomenclatorijcd neben einander 
geitellt werben, jo mag wohl ein befonderes materielles Intereſſe, verbunden 
mit der Pietät gegen hergebrachten Landesgebrauch, dabei zum Grunde 
liegen. Für den Schulunterricht dürfte eine ſolche Anordnung mande Uns 
bequemlichleit haben. — Intereſſant find die Grörterungen über Yluß-, 
Berg⸗ und Ortsnamen aus ver celtijdy = germanifhen, vömifchen 
umd fpäteren Zeit der Alemannen und Zranten (Anhang ©. 47—56). 
Am Schluß findet fih eine ausführlibe Höhentabelle (S. 56—66). 
Der zur Unterrihtögrundlage beftimmte Zert ift groß gebrudt, die Erwei⸗ 
terungen klein. In manden Bartieen ift der Leitfaden nur Dürr, in ans 
deren lehrreih. Die Karte ift Mar und gut; doc präfentisen ſich bie 
Höhenverhältnifie nicht plaftiich genug. 


a St, Württembergs Gebirge, Ebenen, Thäler, Bläffe 
"&e. Städte In Reimverfen. Hetausge en für die Jugend von ®.. 
Tübingen, Rieder. 1862. 31 ©. 2, 


b. Deffelden: Deutſchlands A und Kan in Reimen. Für die 
Jugend. Daſelbſt 1803. 31 
18* 


276 Geographie. 


Blaten’ihe Berje find das wahrlih nit. Es fehlt ihnen nicht we 
niger ald Alles zu leidlicher Correctheit, ja ſchon zum billigen Refpect vor 
der Quantität der Sylben. Der Stoff ift allerdings fo fpröbe, daß man 
lieber die haarfträubende Gumulation von geographifhen Namen in Jamben 
ganz aufgeben follte. Verrenkungen, Barbarismen, gemiſcht mit öfter höchft 
fimpeln Gloſſen: das darf man der Jugend nicht anfinnen wollen; ihre 
Kraft hat fie zu Befierem zu nügen. Beifpiele für dies Urtheil hier zu citiren, 
it unnöthig, die Büdlein find felbft Beifpiel auf jeder Seite. Ohnedies 
find Sad: und Schreibfehler darin zu finden. (Traun, Ens, Trau, Sau 
lints, Wörmig, Altmühl rechts von der Donau; Rodhaar⸗Gebirge; eiſ'ne 
Brück') Laſſe fih aljo aud kein Anfänger zu derartigen irrigen Mittel: 
hen verführen! (cf. oben ©. 265.) 


9. Dr. Gribel, Oberlebrer, Leitfaden zur Geographie von Europa 
mit befonderer Berüdfihtigung von Deutſchland. 5. Aufl. Stettin, Graß⸗ 
mann. 1861. 32 ©. 3 Sgr. 

Im Wefentliden ganz fo wie vie im XII. Päd. Yahresberiht S. 340 
haralterifirtte Ate Auflage geblieben. Außer den allgemeinen topiſchen 
Momenten find bejonders die ſtaatlichen berüdfichtigt, gefchichtliche Notizen 
eingeflochten, welche fi auf die Entftehung der einzelnen Staaten beziehen, 
die Einwohnerzahlen in Zaufenden abgerundet, die Stäbtenamen übrigens 
ganz nude bingeftellt. Der Leitfaden ift ein etwas erweitertes Namenbud, 
welches Dictate erfeßt. 


10. G. Fr. Kolb, Grundriß der Statiffil der Bölferguftandsr 
und Gtaatentunde Gin Handbüchlein für Jedermann. Leipzig, 
Förſtner (Felix). 1862. 77 S. gr.8. 10 Gyr. 

Das Büchlein ftellt fih als ein Auszug aus deſſelben Verf. Hand⸗ 
buch der vergleihenden Statiftil zc.” dar, deſſen 2. Aufl. im XIL 
Päd. Jahresbericht S. 307 ff. haralterifirt iſt. Die bereits als erjchienen 
notirte 3te Auflage lag nicht vor. Der Plan, wonach der „Grundriß 
abgefaßt ift, ift im Vergleich zu dem des „Handbuchs“ abgelürzt. Sener 
beſchraͤnkt fih auf die fünf Großmächte Suropa’s, die Staaten Deutjchlands 
(die Heineren berjelben zwar einzeln, aber nur in ihrem neueften statu quo 
vorführend), die übrigen Staaten Guropa’s und Amerila’s. Viele ältere 
Bablenangaben find berichtigt, die Tabellen bis 1861 vefp. 1862 fortgeführt, 
eine Menge im „Handbuch“ berührter Verhältniſſe gefrihen, auch Abſch. VII. 
„allgemein menſchliche Verhältniffe‘' (des „Handbuchs““) weggelafien. Knappfte 
Form der Nachweiſe, faft nur tabellarifhe Aufſtellung der Zahlenwerthe 
über Bewegung der "Bevölkerung, Finanzen, Militairweien, Urproduction, 
Gewerbe, Handel, Schifffahrt, Eifenbahnen ..., Münzen, Maße, Gewichte, 
möglihft neuefte Zahlenangaben (Bevöllerung der Departements und der 
Hauptftädte Frankreichs ©. 11, Defterreihs S. 30, Preußens S. 3740 
u. |. w.), das iſt's, was den Grunbriß fennzeihnet. Als Handbüchlein zur 
Berichtigung von Zahlenangaben in vielen geographiihen Lehrbüchern vor 
trefflih brauchbar, verdient dies Schrifthen Verbreitung... Man muß ihm 
allerdings Glauben ſchenlen, da nicht leicht ein Lehrer in der Lage ift, die 


— 


Geographie. 277 


unbedingte Richtigkeit der Colonnen zu vwerbürgen oder fie mit Grund an» 
zufechten. 


11. Dr. E. Stoͤßner, Oberlehrer, Elemente der Geographie in Karten 
und Text methodiſch dargeftellt. 1. Eurfus. 2. Aufl. Annaberg, 
Rudolph u. Dieterict. 1861. (11 Karten und 116. Test in 4.) 16 Gar. 


Im X. Päd. Jahresbericht ift der Plan diefes praltifchen Hülfsmittels 
näber. dargelegt. arten und Zert fteben in bejonders inniger Wechſel⸗ 
wirtung ; beide erweitern Schritt für Schritt concentriſch ihren Inhalt, indem 
ie das Gelernte recapituliven, bejtimmter im Ginzelnen ausprägen und 
namentlid in den Karten fuccejfiv von ven eriten Lineamenten zu ben 
wirllich vorhandenen Geftaltungen ausarbeiten; beide ergänzen einander . 
wie integrirende Theile eines Ganzen. Der Text erläutert nur und gibt 
die erforberlihen Weberfihten, Cintheilungen, Zahlenwerthe zu dem, mas 
die Karte gerade darftellt. Das methobifche Princip im ganzen Gange, nad) 
welhem von generellen und fummarifchen Andeutungen an zu immer be: 
ftimmterer Unterſcheidung und Gliederung der topiſchen Formen fortgefchritten 
wird (of. 3.3. die Karten von Deutſchland II und III), iſt richtig, und 
feine Anwendung in Realſchulen, melde auf deſſen conſequente Durch: 
führung Zeit genug verwenden können, nur zu empfehlen. Volks⸗ und 
einfahe Bürgerſchulen find aber nicht in der Lage, dafjelbe durchgehende 
zu benugen; vie Zeitlürze drängt fie, jogleih von vollftändig ausgeführten 
Karten Gebraud zu machen. 


12. Dr. E. Etößner, Seograpbifhe Kragen für Schüler gur Eins 
übung der Elemente der Geographie 1. Eurfus 600 Fragen, 
2. Curfus 1000 Kragen, 3. Curſus 1100 ragen. — Dafelbfi 1861. 16, 
28, 32 ©. T!/a Ser. 


Zur häuslichen Nahhülfe befonders der „trägeren Köpfe’ beftimmt, 
fteigern die Curſe allmälig die Schwierigkeit ihrer Beantwortung, dod fo, 
daß dieje ftet3 aus dem Inhalt der „Elemente der Geographie” entnommen 
werden Tann. Während der 1. Curſus u.X. nad Himmeldgegenden, Lage 
der Erbtheile und Meere, geographifchen Grundbegriffen, Ländern, Gebirgen 
und Berghöhen, Staaten und Städten ıc. forjcht, fordert der 2te mehr aus 
der mathematifch : aftronomifchen Geographie, mehr über Lage, Richtung, 
Wechſelbeziehung von Gebirgen, Flüſſen, Städten in allen Erdtheilen und 
deren einzelnen Ländern, über den Zug der Meriviane und Parallelkreiſe 
durch Länder, Inſeln zc., über ungefähre Entfernung bemerkenswerther Orte 
von einander, über Vergleihung der Städte nad) ihrer Größe u. dgl. Der 
Ste Curjus bringt allein 124 Yrägen aus der mathematifchsaftronomijchen 
Geographie, und geht näher in die aufereuropäifchen, beſonders aber auf bie 
europäifhen und deutihen Länder, namentlih Preußen, auf Lage ber 
Städte, Art und Verbreitung der Naturprodulte ein. Das Hülfgmittel ift 
prattifh gut und kann auch in Bürgerfchulen von ſolchen Lehrern zur 
Auswahl von Aufgaben zu häuslicher Löſung benußt werden, die als 
Anfänger fi damit noch nicht felbft Raths genug wiſſen. 


132. Leitfaden der Geographte von R. Graßmann und Dr. €. Gribel. 


278 Geographie. 


6. 6. Aufl. in 2 Eurfen von R. Graßmann. Stettin 1859, Großmann. 47 ©. 


b. * Fraßmann, Leitfaden der —RABo Ye böbere Lehr 
anftalten. Stettin 1861. Daſelbſt. 638 36 
Der „Leitfaden“ (a) ift im XIL Bär. Jahresbericht ©. 389 daral: 

terifirt._ Er iſt ein Namenbuch, das in feinem erften Curfus einen 

topifhen Gefammtüberblid über die Erdräume, ihre Gliederung, Bemäflerung 
und Eintheilung gewähren, im zweiten die Zahl diefer topifchen Diomente 
vermehren, und dur die Drudeinrihtung ihre Zufammengehörigleit ans 
deuten will. Für Europa find folder Momente 364, für Afien 170, für 

Afrika 49, für Amerika 121, für Auftralien 21 aufgeftellt. Selbſwerſtändlich 

kann fi der erfle Unterriht nicht auf die dürre Einprägung diefer Mo: 

mente bejchränten follen, aber Auffafiung und Ginprägung topifher Ber: 
bältnifje fol und muß zu Anfang vorherrſchen. 

Der andere „Leitfaden“ (b) läßt fih als . dritter Curfus zu a be 
traten, indem bdiefelben Momente ausgewählt, aber ftoffli fo weit aus: 
geführt find, als die unterrichtliche Prarid für angemeflen erwiefen bat. 
Bloßes mechaniiches Memoriren wird mit Recht verworfen. Des VBerf.s 
Abficht geht darauf aus, in jeder Stunde in linearer Folge 20 — 40 An: 
gaben einzuprägen, fleißig zu üben und etwa zu vermehren, dann aber eine 
lebendige Schilderung der bezüglihen Landſchaften anzuſchließen. 
Zu lebterer enthält der „Leitfaden Andeutungen für den Lehrer, nicht 
zum Ausmwendiglernen für die Schüler. So follen z. B. erft alle großen 
Handels, dann alle wichtigen Fadrikftäbte gelernt, dann aber ihre Eigen⸗ 
tbümlichleiten, namentlich in Bezug auf Handel und Verkehr erörtert werden. 
Bei den Ländern richten fi die Andeutungen befonders auf Produkte, 
Induſtrie, Bevöllerung und andere den landwirthſchaftlichen Charakter be 
lebende Beziehungen. — Zuerſt wird Europa (fpeciell Deutſchland) topic, 
phyſiſch und ſtaatlich durchgenommen; dann folgen im zweiten Abjchnitt 
(nad) Borausfhidung einiger Angaben über die mathematifhen und phy⸗ 
ſiſchen Berhältnifle der Erde, namentlid über die Zonen, Hochlandsgürtel 
und Beden der Erde, Meeres: und Quftftröme der nörbliden Erdbeden, 
die Reihe des Pflanzen: und Thierlebens ꝛc.), die Länder und Völker her 
Erde, die Reihe der Naturvöller in Afrila, Amerila und Afien, dann 
die Reiche der aderbautreibenden BVöller nad ihren einzelnen Stämmen 
in allen Grotheilen, befonders in Curopa. Es maltet aljo in der Stoff 
aufitellung dag ethnographiſche Princip, das auch Dr. Städler in 
jeinem „Lehr: und Handbuch der Geographie” (cf. XII. Padagog. 
Jahresbericht ©. 347 ff.), obwohl in etwas anderer Weile, fefthält. Die 
säumlihe AZufammengebörigleit wird dadurch mehrfach durchbrochen, obs 
wohl fie jedenfalls elementarer als die ethnographiſche iſt. 

14. Yug. Yüben, Geminardirector, Leitfaden zu einem meibodifden 
Unterrit in der Seograpbie für Bürgerſchulen, mit vielen 
Aufgaben und ragen zu mündlicher und hr tlicher Löfung. Neunte, 
verbeſſerte Auflage. 8. VII und 187 ©. Leipzig, E. Fleiſcher. 1863. 
geb. 7!/s Sgr. 

Diefe neue Auflage hat nur bie Veränderungen erfahren, welde die 
fortfchreitende Wiſſenſchaft erforderli machte. A. L. 


Geographie. | 279 


15. J. Auragefaßte Geographie für Bollsfhulen. Dortumnd 
3 itten, — — se 3 Ser. ſo 


Weder der Plan, wonach der Stoff aufgeſtellt iſt, noch die Art der 
Ausführung wird von erfahrenen Praltilern Billigung erfahren, wenn das 
Bedürfniß der Voltsfhulen im Auge behalten wird. war läßt ſich 
die Unzuträglichfeit des Plans nicht ſchon aus den Ueberſchriften Horizont, 
Himmelsgegenvden, Wohnort, äußere Geftalt des Landes, Wafler, Erzeugnifie 
der Erde, Luftlreis und Vorgänge in demfelben ıc erfennen; es kommt 
darauf an, was unter biefen Rubriken gelehrt wird? Aber wenn bei ven 
Erzeugnifien nah Minern, Tbieren und Pflanzen gefragt wird, melde 
Boltsichüler entweder gar nicht kennen lernen, oder dann noch nicht kennen, 
wenn erft ver Wohnort und die Himmeldgegenden zc. durchzunehmen find, 
jo ift das eine Syrrung im Plan. Eben fo wenig kann ed gebilligt werben, 
daß eine blos nomenclatorifche Aufftellung der Kreife Weftphalens, ver 
Regierungsbezirte und Provinzen Preußens, der Gebirge, Flüſſe, Länder ıc. 
Deutſchlands, der europäischen Meere, Meerestheile, Inſeln, Gebirge, Flüſſe, 
Seen und Hauptflädte folgt. — Die zweite Stufe behandelt die Himmels: 
förper, das Sonnenſyftem, die Erde, das geographifche Linienneg, die Erb: 
oberflädhe, Klima, Erzeugniſſe, Menſchen (Racen, Religionen, ftaatlihe Cin- 
richtungen), und beipriht dann die Erbtheile, von Afien ausgehend und zu 
Europa, Deutſchland, Preußen zurüdtehrend mit fo belaftender Fülle von 
Namen und Notizen, daß die Berlebendigung fat unmöglich erſcheinen muß. 
Volks ſchuͤler follen gar nicht das Alles lernen, fie behalten es leinenfalls. 


16. W. SH. Koh, Lehrer, Kleine Geograpbie für Bollsfhulen. 
Dillenburg, Jacobi. 1862. 133 &. Ti! Ser. 


Nah des Berf.s Meinung bedarf die Vollsſchule „abgerundete, eng 
umrahmte Bilder von fpecififh deutſcher Färbung, in denen die wichtigften 
geſchichtlichen Ereigniſſe nicht verabfäumt find.” In Betreff der außer 
deutichen Welt hält er viejenigen geographiſchen Bilder für ausreichend, 
weile für die Schüler „ein näheres, religiöfes, nationales, materielles 
Snterefie haben. Diefe Theorie ift nicht zu tadeln, aber ihre praltifche 
Ausführung konnte auf jo mäßigem Raum, wenn das ganze Gebiet der 
Geographie umfpannt werden ſollte, fo daß jeder deutſche, jeder euros 
paifhe Staat, ja auch jeder außereuropäifhe Staat (tefp. Land) einzeln 
beadhtet werben mußte, unmöglich wirkliche geographiihe Bilder in dem 
feſtſiehenden Sinne dieſes Wortes bringen. Mit Ausnahme der Behandlung 
von PBaläflina kommt es bei keinem Lande (und es werben bisweilen 
zwei und mebr auf einer Octavfeite erledigt) über Andeutungen ber 
Geftalt und Natur feines Bodens, feiner Bewohner, Nahrungsquellen, 
Städte (mit biftorifhen Notizen) nad Art anderer belannter Leitfäden viejes 
Umfangs binaus. Weder find vie „allgemeinen Ueberblide“ über ganze 
Edtheile in Wahrheit geograpbiihe Bilder, nod können die ſehr frag: 
mentariſchen geſchichtlichen Notizen und Abriſſe ein Aequivalent für bie 
Geſchichte genannt werden. Sollte das Angebeutete Alles lebendig in 
Bilden ausgeführt werben, fo müßte der geographifche Unterricht in Volks: 


280 Geographie. 


ſchulen eine Ausvehmmg erhalten, die ihm nirgends zu gewähren if. — 
Die falfhen Angaben in dem Büchlein Hören überdies mannichſach. 


17a. Dr. 9. A. Daniel, Inspect. adj., Leitfaten für den Unterricht 
in der Geographie. 17. Aufl. Halle, Baifenhaus. 1862. 7!/s Ger. 


b. Defien: Lehrbuch der Geograpbie für böhbere Unterrichts⸗An⸗ 
falten. 12. Aufl. Dafelbit, 1862. 1% Gar. 


Beide neue Auflagen lagen nicht originaliter vor. Es if af im 
XIV. Bäp. Jabresb. S. 302 wiederum, wie früher, mehrfach über beide 
guten und praltiihen Bücher berichtet. Ihren Grundcharalter haben fie 
feit Jahren beibehalten, da er ſich bewährt hat, und an Bernolllommmungen, 
Berichtigungen und Anpafiungen an den jedesmaligen status quo hat es 
der Berf. nie fehlen lafien. 


18. Tb. Chat, Kleine Säulgeogranbie 9. Aufl. mit einer Karte, 
Mainz, Kunze. 1862. 150 6. 11 Ger 


Da die neue Auflage nur einzelne Berichtigungen, Heine Zuſätze, be» 
fonders in der phyſikaliſchen Erblunde erhalten bat, fonft aber bei Ber: 
gleihung mit der im XII. Päd. Jahresbericht beiprochenen 8. Auflage in 
Stofj, Plan und Form übereinftimmend erfcheint, fo bedarf es feiner wieder 
bolten Charalterifirung (cf. auch XIV. Päd. Zahresberiht ©. 264). Der 
Leitfaden ift für 10—14jährige Schüler recht brauchbar, namentlih auch 
wegen feiner Lesbarkeit. Im Vorwort äußert fib der Berf. noch einmal 
darüber, weshalb er nicht ftreng wiſſenſchaftlich disponire, indem er nad) 
Behandlung der Heimath gleich die mitteleuropäifchen Gebirge und Ylüfie 
(wozu auch die beigegebene Karte) nah natürlicher Gliederung und darauf 
ganz Europa nimmt, und dann erft zur matbematifch:aftronomishen und 
phyſikaliſchen Betrachtung der Erde fortichreitei, um mit der Behandlung 
der Erbtbeile über Europa nad Deutichland zurückkehrend und die ſtaat⸗ 
lihen Berhältnifie nahbringend abzufchließen. Außerdem empfiehlt er 
erneut dad Kartenzeichnen glei während des Unterrichts, um paſſives 
Dafıgen der Schüler zu verhüten und dieſe mebrjeitig anzuregen. 


&. Berthelt, Geographie. Für Schulen und zum Selbftunterricht. 
wii Abbildungen. 3. Aufl. Leipzig, Klinkhardt. 1862. 243 ©. 15 Sgr. 


Im Zert und ganzen Plan ftimmt die neue Auflage bis auf äußerft 
wenige, in den veränderten Zahlen: und Befigverhältnifien begründete Ab⸗ 
änderungen mit der 2ten völlig überein (cf. XI. Päd. Jahresb. S. 304). 
In ven Bahlen find fehr ftarfe Aenderungen erforderlich geweſen. Behufs 
der Wiederholung find jept S. 122—124 und ©. 239-— 241 circa 200 
Fragen und Aufgaben zu fhriftliher Beantwortung und Löſung hinzuge⸗ 
fommen, von denen die meiften durchaus praltifh und ſchulgerecht, andere 
ſehr allgemein und weit gehalten erfcheinen, fo daß ihre Bearbeitung fehr 
umfafjend werden könnte. 3. B.: Gib eine Darftellung der Beſchaffenheit 
unferer Erooberflähe im Allgemeinen! Wie fiebt es im Innern der Erde 
aus? Gib nad einer gewiflen Ordnung die Länder eines jeden der fremden 
Erbtheile an! Welche geſchichtlichen merlwürbigen Ereignifie haben fidy in 








x Geographie. 281 


| Aften, in Afrila und in Amerila zugetragen? Fertige eine Gebirgskarte 
Deutſchlands! u. |. w. Für folde und viele ähnliche Fragen empfiehlt fich 
das alte divide et impera. 


"Da. 3.3. Egli, Profeſſor, Kleine Erdfunde. Gin Leitfaden im genauen 
Anſchluß an des Verf.s „Praktiſche Erdlunde für Schule und Haut.” Mit 
‚Bieterbolunge » s Abfchnitten und der Ausſprache aller fremden Eigennamen. 

2. Auflage. St. Ballen, Huber und &o. 1863, 96 ©. 9 Egr. 


b. Defien: Praktiſche Erdkunde für höhere Lehranſtalten. Mit 40 Illu⸗ 
ſtrationen. 2. Aufl. Daſelbſt, 1803. 299 S. 1 Thlr. 


Einrichtung und Tert find bei a mit der erſten Auflage (of. XIV. Päd. 
Jahresb. S. 298) im Wefentlihen übereinftimmend geblieben; die Zahlen: 
angaben find mo nöthig berichtigt, die Produlte hie und da, 3. B. glei 
in der „Einleitung‘' ergänzt, die Bezeichnungen der Ausſprache der Fremd⸗ 
namen ganz durchgeführt. Hinzugekommen find bei ven einzelnen Reichen 
und Ländergebieten kurze Abfchnitte zur Wiederholung der topiſch⸗-phyſika⸗ 
liſchen Berbältnifie derfelben, um daduich das bereit? Gelehrte wieder in 
frifhe Erinnerung zu bringen. Dadurch ift das Büchlein noch praktiſcher 
geworden und kann jeßt um jo mehr empfohlen werden. Die im Synterefle 
anberweiter Bereicherung deſſelben erfolgte Weglaſſung des Namentegifters 
ift bier unbeventlich. 

In der „praktiſchen Erdkunde” (b) find mehrfeitige Veränderun: 
gen und Berbefierungen gegen die erfte, melde im 14. Päd. Jahresbericht 
S. 304 — 306 ausführlih und jehr anerfennend befprochen ift, vorgenommen. 
Mehrjach gänzlihe Umarbeitungen einzelner Paragraphen, Umftellungen ans 
derer, andere Bertheilung des Stoffs an einigen Stellen, zahlreiche Erläu: 
terungen der Etymologie und fachlichen Herleitung von Eigennamen und 
Kunftausprüden in Noten unter dem Zert, neue Wiederholungsabjchnitte bei 
den verjchiedenen Qänvergebieten zur Auffrifhung der Kenntniß ihrer natürs 
lien Verhaͤltniſſe: das Alles bekundet ſchon äußerlich die forglich befiernde 
Hand des PBerfs. Mit früher bereits bewährtem praktiſchen Blid ift 
wiederum aus der Fülle des Stoffs, zumal bei den Städten, eine recht 
gute Auswahl des Bemerkenswertheſten getroffen, und insbefondere allents 
balben ven Naturprodukten, der Induſtrie, dem Berlehr befondere Aufmerk⸗ 
ſamkeit geſchenkt. Dagegen find, außer ganz kurzen Winten für die ges 
Schichtlihen Verhältnifie der Länder, befondere biftorifhe Reminiscenzen 
bei den Ortfhaften und ebenfo die jogenannten Merkwürdigkeiten der 
legteren geftrihen. An der Spitze der Hauptabſchnitte ftehen jetzt Motto's, 
deutſch, lateinisch, engliſch. Alles ift auf Knappheit, Anfchaulichleit und 
lebensvolle Tiefe ftatt auf Breite und leeres Amüfement angelegt; des: 
halb bei den Staaten noch Manches ausgejchievden, mas die erfte Auflage 
enthielt. Die Zlluftrationen find nette, oft erläuterte Holzfchnitte ; 
Staͤdtebilder, Landſchaften, ſowie zahlreiche andere Charakterbilver find ge 
rundet und relativ vollftändig ausgeführt, die 3 Tonbilder recht hübſch. 
Während den deutſchen Staaten viel Raum gewährt ift, find die aufer- 
europäifchen Erdtheile wie billig knapper, jedoch nicht dürftig (S. 152— 289) 
behandelt. Das Buch ift recht empfehlenswerth. 


282 Geographie. 


21. Dr, G. A. v. Klöden, Profeſſor, Geographiſcher Leitfaden für 
die Elementarklaffen der Realihulen und Gymnafien. Berlin, Lübderig 
(Eharifius). 1863. 94 ©. 8 Bar. 


Der Berf. nennt das Büdlein eine „Aufzählung, ein ABE oder 
Einmaleins,“ deſſen Einprägung aller Geographie voraufgehen müfle. 
Es enthält darum die erften wiflenfhaftlihen Grundlagen bes geo⸗ 
graphiſchen Unterrihts, die Grundanſchauungen, Grundbegriffe und die 
wichtigſten phyſiſch⸗topiſchen Momente des ganzen Erdballs. Den „Bor: 
bemertungen aus der phyſiſchen Geographie” folgen die „Um: 
riffe der FZeitländer (Gliederung der Meere, Halbinfeln, Inſeln zc.), 
in tabellarifher Aufzählung nad) den Erdtheilen geordnet; dann die 
Flüſſe und Seen inebit Flußtabelle und Seentabelle) ebenjo aufgeftellt; 
dann die Höhen der Erde mit ziemlih vielen Angaben; endlich die 
Staaten, ihre Theile und großen Städte und die Befikungen der 
europäifhen Mächte in andern Erdtheilen, nebft Staatentabelle. 

Das Büchlein ift jedenfall ganz brauchbar; Andeutungen der Aus: 
iprahe und der Quantität erleichtern dem Schüler das richtige Lernen. 

Des Verf!'s geographiſche Schriften alle gehören wiſſenſchaftlich 
zu den jetzt am meilten bervorleuchtenden. Lehrer der Geographie an hö⸗ 
beren Lebranftalten können ihrer nicht wohl mehr entrathen, da fie der 
dem neuelten Stande der wiſſenſchaftlichen Erdkunde entjprechenden, viele 
alte Anſchauungen total umgeftaltenden Belehrungen und Berichtigungen 
fo viele enthalten, daß mancher ältere Lehrer geradezu Vieles neu lernen 
muß, um dem heutigen erdfundlihen Willen conform zu bleiben. Schon 
eine Menge Benennungen find ganz neu, bejonders aber die topifche 
Gliederung der orographiihen Verhältniſſe fremder Erdtheile. 


22 a. (Dr. Schirrmacher, Oberlehrer:) Kleine Shulgeographie. Kleinere 
Ausgabe der 10ten Bearbeitung des „Leitfadens für den geogras 
phiſchen Ehulunterriht von E. v. Seydlitz.“ Mit 28 in den Text 
gedrudten Abbildungen und geographifchen Stizzen. Breslau, Hirt. 1862. 
143 ©, 12l/s Gar. 


b. (Deffen:) Schulgeographie. 10te Bearbeitung des „Leitfadens für 
den geograpbiihen Schulunterricht von E. v. Seydlitz.“ Mit 
48 in den Test gedrudten Abbildungen und geographiichen Skizzen. Das 
ſelbſt, 1862. 283 S. 221/23 Sgr. 


Um die Veränderungen würdigen zu lönnen, welde die „Schul⸗ 
geographie” im Laufe der Jahre erfahren bat, werde auf den XL Pär, 
Sahresberiht S. 302 verwiefen. Nector Dr. Gleim hatte dur ſachkundigen 
und umfihtigen Fleiß die 6. und 7. Aufl. merklich bereichert, namentlich durch 
Füldner's Abfchnitte über die mathematiſchen und phyſilaliſchen Erdverhält⸗ 
nifle, durch kurze geſchichtliche Ueberblide bei den Ländern und Staaten 
und dur die ganze Behandlung im Sinne der neueren Methode den alten 
v. Seydlitz'ſchen ‚Leitfaden‘ ganz umgeftaltet. In der Sten und Yten Bes 
arbeitung (von Dr. Schirrmader) wurde größerer Bereinfahung 
halber und meil Dr. Gleim's Arbeit nit übertragen werben lonnte, 
Vieles von den Verbefierungen wieder aufgegeben. Der Stoff wurde zum 
Theil umgeftellt, die hiſtoriſchen Weberblide als „wegen Ueberladenheit kaum 





Geographie. 283 


zu verweribende Abfchnitte aus der politifden Geſchichte“, ebenfo das über 
die deutſchen Dinlelte Gefagte ale „Abſchweifung“ geftrichen. Die jebige 
10te Bearbeitung lehrt zu Bereicherungen zurüd und bat namentlich außer 
den Erweiterungen der Füldner’ihen Abichnitte (in 8 8—13) wiebernm 
hiſtoriſche Lieberfihten aufgenommen, ebenfo die Kartenſlizzen und Pläne 
auf 38 vermehrt, Der Umfang des Buches ift dadurch faft wieder auf den 
bei Gleim's Auflagen gebradt. (Siebe folche hiſtoriſche Ueberſichten bei den 
einzelnen europäischen und deutſchen Staaten ©. 102, 109, 115, 121, 
124, 155, 161, 165 ıc., kurz und auf Hauptmomente beſchränkt.) Im 
Uebrigen find allenthalben Berihtigungen, namentlih aus guten ftatifti 
hen Quellen, aufgenommen und die jegigen Belißverbältnifie beachtet. 
(Siehe Italien, Frankreich, Nordamerika ıc.) Die Vermehrungen der Karten: 
fligzen find dankenswerth, zumal da fie das orographiihe Bild prägnanter 
darftellen; auf älteren Skizzen find ein Paar Irrungen nit weggeihaflt. 
In der Größenangabe des britiihen Weltreihs (nur 155,000 AM.) und 
in der Verwechſelung der jebigen Anbaltinifhen Herzoge liegen ebenfalls 
noch ein Baar Irrungen. Sonft aber entipriht das Buch feinem Zwecd. 

Die „Kleine Schulgeograpbhie” (a) it ein Auszug aus b, 
der nur den unentbehrlichften Lernftoff im überfichtliher Art aufftellen 
fol. Es jchließt fich dieſer Leitfaden deshalb innig an b an in allen bie 
Abftufung und fahlihe Anordnung betreffenden Beziehungen. Daß bier 
in vielen Fällen die ausgedehnten Länder: und Staaten-Eintheilungen bei: 
behalten find, wird wohl ebenfo anzufechten fein, wie daß die Karten 
ſtizzen unmittelbar aus der Schulgeographie hberübergenommen find (cf. 
©. 37, 55, 76, 120, 124 ıc.). ebenfalls foll der Auszug für Ans 
fänger dienen und würde deshalb fehr vereinfachte Kartenſlizzen erfordert 
baben, wie in ihm aud die biftorifhen Angaben vereinfaht worden 
find. (Der Preis follte niebriger fein!) 


33 a. Dr. M. v. Kalkftein, Leitfaden für den Unterridt in der 
Geograp bie, Dros und Hydrographie umd volitifchen Geographie. Spe⸗ 
ciell für die Portepse-Kähnrichs Prüfung und die böberen Rlolfen von Real⸗ 
fhulen bearbeitet. Berlin, Heymann. 1862. 262 ©. 1 Thlr. 


b. Deflen, Lehrbuch der Geographie für böbere Lehranflalten, 
insbefondere Militairſchulen, wie zur Eelbiibelebrung denkender Freunde 
der Erdkunde. 2. Aufl. Daſelbſt, 1802. 1/s Thlr. 


Beide Bücher lagen nicht im Original vor. Weber die erfte Auflage 
des Lehrbuchs“ (1850) ift im V. Päd. Yahresberiht ©. 195 fi. näher 
berichtet. Anderweiten Stimmen nad foll in der Sinleitung des nad 
den beftebenden Neglements für junge Militairs gearbeiteten „Zeitfadens” 
auch die Methode und der Umfang des geographifchen Unterrichts für dieſe 
Alpiranten dargelegt und eine Reihe von Aufgaben im Sinne der bei deren 
fchriftlicher Prüfung zu ftellenden beigefügt jein. 


24. Brofefior Dr. Pr. T. Kübing. Die Elemente der Beograpbie ale 
Lehre und Leſebuch für Gymnafien, Reals, Bürgers und Töchterſchulen. 
4. Aufl, Nordbaufen, Bühting. 1862. 133 ©. 12 Ggr. 


284 Geographie. 


Gegen die im V. Päd. Tahresberiht S. 187 angezeigte 1fte Auflage, 
welder die 2te und Zte in ber Hauptjache gleich geblieben find, find nur 
ein Paar Seiten Vermehrung binzugelommen, die neueren Beſitzſtands⸗Ver⸗ 
haͤltniſſe, Berichtigungen der Einwohnerzahlen gegeben und bejonderd die 
italieniſchen Städte jo aufgeltellt, daß bei fpäteren Hoheitswechſeln eine 
Störung der Auffafiung eintreten wird. Bon den neueren Entvedungen 
in Afrika und Auftralien hätte fih nunmehr wohl Kiniges mit aufnehmen 
lofien; bejonder8 durfte aub das Mond:Gebirge ald Nordrand des 
äthiopifhen Hochlands (S. 64) unbedenklich geſtrichen werden. Uebrigens 
bat die neue Auflage faſt völlig den Textlaut der früheren. 


25. B. Kozenn, Gumnaflal-Profeffor, Grundzüge der Geographie. 

2. eufl Mit 42 Holzfhnitten. Wien und Dlmüg, Hölzel, 1861. 89 ©. 

gr. 

Weber die erfte Auflage war im XII. Päd. Jahresbericht S. 392 ein 
recht günftiges Urtheil abzugeben, da dem dort durchgeführten Princip der 
grundlegenden Kartenzeihnung bei Anfängern um jo mehr Anerlennung 
gebübrte, als diefe Ausführung in Combination mit dem zunädft Ginpräs 
genswerthen der phyſiſchen und namentlich der politiihen Geographie ver 
fünf Erbtbeile auftrat. Bis auf wenige Aenderungen ift die 2te Auflage 
der eriten völlig gleih; nur find bie Erläuterungen der geographiſchen 
Projectionen weggeblieben, die Zahlenangaben bei Erdtheilen, Ländern und 
Städten berichtigt, die vertilalen Durchſchnitte der Continente ($ 59) auf 
gebogene Grundlinien geitellt und die Paragraphen-Abtheilung an einigen 
Stellen zwedmäßiger bewirkt, das Stoffmaß dagegen nicht vermehrt. Das 
Büchlein ift aljo nah wie vor recht praktiſch nuͤtzlich. 


26. Dr. F. A. Dommerich, Lehrbuch der vergleichenden Erdkunde 
für Gymnaſien und andere höhere Unterrichtsanſtalten in 3 Lehrſtufen. 
Nah des Berf.d Tode herausgegeben von Dr. Th. Flathe. iſte Lehr⸗ 
ftufe. 2. Aufl. Leipzig, Teubner. 1862. 167 ©. 15 Sgr. te Lehr- 
ftufe, ebenfalld herausgegeben von Dr. Th. Flathe. Dafelbfi, 1863. 
313 ©. 27 Sgr. 


Ueber die erfte Auflage der erften Lebritufe ift im VIII. P. Jahress 
beriht ©. 265 ff. und 293 ff. mit Grund günflig geurtheilt und ber ganze 
mohl durchdachte praftiihe Plan und Zwed dargelegt. Die neue Auflage 
derfelben hat im Ganzen nur geringe Aenderungen vorgenommen, wie fie 
theild wegen der jeßigen politiihen Staatenverhältnifie, theild wegen rich: 
tigerer Zählungen, theils megen neuer Entcedungen nöthig waren. Im 
Vebrigen ift der Tert und Plan beibehalten, der Drud aber noch überficht 
licher eingerichtet. (Veränderungen fiehe z. B. $ 131 und 132 über bie 
fünf Völkerſtämme und deren Wohnfite, während die Iſte Auflage fieben 
Bölterftämme nachwies. Ebenſo & 244 Nord: Hodhafrila, mo mie 
auch fonft bei Afrila der jebigen Kenntniß Rechnung getragen iſt) Cbenfo 
find mehrere Holzſchnitte zur Verfinnlihung in den Xert eingefchaltet. 

Die zweite Lehrftufe, nach des Verf.s fertigem Manufcript zum erften 
Male ausgegeben, ift genau nah dem Plan der erften und bildet überall 
eine etwas ermeiterte Ausführung, fo daß fie wie ein Commentar zu dieſer 





Geographie. 285 


angeſehen werben kann. Sie ift au mit Holzfhnitten im Tert illu⸗ 
ſtrirt. Sichtlih ift fie mit umjihtigem Fleiß und fteter Beachtung des 
comparativen Moments gearbeitet, und kann in der Hand ſachkundiger 
Lehrer mit entjchievenem Nutzen im Unterricht gebraudt werden. Die Kräfte 
der Schüler find aber etwas hoch bemeſſen, deshalb diefe Bücher nur in 
höheren Anftalten angewendet werden follen. 


Eine andere Stimme in Zarnde'3 „Literarifhem Gentralblatt‘ 
(1868 Nr. 10) tadelt zwar, daß die Stufen nicht qualitativ, fondern quan- 
titativ gejchieven wären, ba body jede nur das enthalten müſſe, was ber 
Schüler darauf faflen kann. An Unklarheit der Auffafjung der Schüler: 
ftellung foll e3 liegen, daß Dinge auf der erjten Stufe vorlommen, wie 
dort noch nicht hingehören, weil fie an Einfadyerem zu thun haben. Ebenſo 
wird Präciſion und Schärfe im Ausdrud vermißt. Der Zadel wird nur 
Wenigen . völlig begründet erfcheinen können, da bie Art der Geftaltung 
quantitativ geſchiedener concentrijcher Stufen ebenfalld beredtigt ift, 
und die qualitative Bemeſſung bier auch zu ihrem Recht gelommen iſt. 


27. ©. Nieberding, GymnaflalsDirector, Leitfaden bei dem Unterrigt 
In der Erdkunde für Gymnaſien. 8. Aufl. Paderborn, Schöningb. 
1862. 102 ©. 8 Sgr. 


Meber frühere Auflagen cf.V. Päd. Yahresb. ©. 183, VIII. ©. 296, 
X. S. 496, XI ©. 341. Aus der diesmaligen Vorrede fei erwähnt, 
daß Verf. ausführliche Lehrbücher für Schulen als verfehlt anfieht, und nur 
das Lehrbuch für zweckentſprechend erachtet, welches nur das Material ent 
bält, das „vorausgefegt werden muß, um höhere Betrachtungen, fruchtbare 
Bergleihungen, geiftreiche Combinationen anftellen zu können.‘ Der Zeit 
faden fol nur zur Auffafiung des geographifchen Bildes führen und ver- 
mitteln, daß „aus dem Mannichfaltigen das Wichtige, Bedeutende, Weſent⸗ 
liche aufgefaßt und gleihfam die Grundzüge des Bildes eingeprägt werden.“ 
Der Erleichterung des Memorirens dient ganz pafiend die überfichtliche Druds 
einrihtung und Stoffgliederung; aber der ganze Xeitfaden ift ungemein 
mager, und für Symnafial: Abiturienten, von denen der Verf. nur 
den Inhalt feines Leitfadend verlangt, unmöglich ausreichend, da berfelbe 
nur ganz dürr den Stoff binftellt, befonders in Rüdjicht auf die mathema⸗ 
tifhen und phyſilaliſchen Erbverhältnifie. Dem mündlichen Unterricht bliebe 
ſehr viel nadzubringen übrig. In der neuen Auflage find nur wenige 
Beränderungen des Tertes bemerkbar; aber ältere Babhlenangaben find gegen 
die neueren ausgetaufcht, die neueren ſtaatlichen Befigverhältnifie bei Stalien, 
Frankreich, Defterreih, Hayti ıc., jedoch nicht auf allen Territorien bes 
zeichnet, auch die neueren Entdedungen noch unberüdjichtigt gelajlen. Die 
Schreibung einiger Fremdnamen (Guadaltibir, S. Monſchile, Guijenne, 
Martinik, L. Madſchore u. |. w.) bleibt fo lange ſtoͤrend, als bie Karten 
anders fchreiben. Bei den Staaten ift die Eonfeffion des Landesherrn 
angegeben ; jo ſieht u. U. bei Hannover „biſchöflich“, eine leicht zu Irrungen 
führende Bezeichnung. 


286 Geographie. 


28. 9. U. Echerers Faßlicher Unterricht in der Gesgraphie für 
Aulen und zur Gelbfübelebrung. (Enthält nebR den Berbegriffen eine 

kurze Belchreibung aller Ränder der Erde mit vorzugsweiſer Berückſichti⸗ 
ung von Deutfhland und Defterreich) 9. Aufl., bearbeitet von A. 3. 
Hofer. Mit ? Tafeln. Innsbruck, Pfaundler. 1863. 137 ©. 10 Sgr. 


Sim XIII Päd. Jahresbericht iR auf die Einfachheit, Klarheit und Be- 
fhräntung des Stoffes auf das allgemein Belannte bei Erwähnung der 
Tten Auflage bingewiefen. Gin Gleiches gilt aud von der legteren, melde 
feine weſentliche Bermehrung erfahren bat. Die Beichreibung der Länder 
iſt meiſt jehr kurz, der Beſchreibung der Hauptfläbte dagegen mehr Raum 
gegönnt, al3 bei dem geringen IUmfange des Buches erwartet werben follte; 
and gefhihtlihe Skizzen fehlen nidt. Allerdings fehlt in dem Bude 
gar Bieles, was andere enthalten; aber für die untere Lehrftufe ift das 
kein Mangel. Im allgemeinen Theil ift eine kurze Lieberfiht des Nö- 
tbigften aus der mathematiſchen und phyſiſchen Geographie (S. 1—81); 
der befondere Theil beichreibt die einzelnen Erdtheile, Staaten und 
Länder in alter Folge (von Portugal anhebend) ohne beſondere vorgängige 
Gruppirung. Bon neueren Eftvedungen ift noch keine Notiz genommen. 


29. &. U. Hartmann, Subconrector, Leitfaden in zwei getrennten 
Stufen für den geographiſchen Unterriht in höheren Lehr 
anfalten. 7. Aufl. Dsnabrüd, Radhorf. 1862. 117 S. 6 Ger. 
Diefer „Leitfaden, worüber bereits im V. Bäp. Yahresb. ©. 144 

und im XI. ©. 300 berichtet ift, bt auf wiſſenſchaftlicher Grund: 
lage und paßt nur für höhere Lehranftalten. Seine erfte Stufe, weſentlich 
tabellarifch bearbeitet, will nur die erften topiſchen und faatenkundlichen 
Fundamente legen; die zweite beginnt mit der Klimatoloͤgie und deren 
wiſſenſchaftlichen Grundzügen, indem er das Klima und deſſen Wirkungen 
in den verfchievenen Zonen nadhmeist. Die Beiprehung des „Menſchen 
und feiner Entwidelung‘ leitet zu den Staaten Guropa’s, der Bodengeftal- 
tung, der davon abhängigen Verhältnifie im Einzelnen über und faßt zu: 
gleich Ratiftifhe Momente in’3 Auge. Alle Angaben find fehr Inapp ge- 
halten, überhaupt der Leitfaden nicht lesbar gejchrieben; er fordert aber zu 
comparativer Betrachtung auf, beachtet überall Klima und Produfte, enthält 
öfter Wieverholungsfragen und nimmt Rüdfiht auf einige neuere Ent 
dedungen. 


39. U. U. Eammerer, weilend SeninarsDirertor, Sandbud der neues 
fen Erdkunde, dem Unterrichte und den freunden der Wiſſenſchaft ges 
widmet. 13. Aufl. Don einem freunde des Verfiorbenen revidirt. Kempten, 
Dannheimer. 1862. 473 ©. 22% Sgr. 


Schon bei der im II. Päd. Jahresbericht (1846) ©. 234 beſprochenen 
1Oten Auflage dieſes „Handbuchs“ mußte darauf hingewieſen werden, 
daß »afielbe in feinem Plan und Hauptinhalt den neueren Anforberungen 
nicht entſpricht Damals ſchon wurde auf die „Tauſende von Einſchal⸗ 
tungen” bingewiejen, welche vie Vorrede verhieß, welche fie jegt von. Neuem 
erwähnt. Die Berichtigungen und Vermehrungen der, Zahlenangaben auch 
bei den mathematifhen Pofitionen der Länder und großen Städte, der 








Geographie. 287 


Hinzufügung der Finanzkraͤfte, der Kriegsmacht, und geſchicht lich er Ueber: 
blide bei allen ſelbſtſtaͤndigen Staaten, begründen die erhöhte praltiſche 
Brauchbarkeit eines geographiſchen Handhuches noch nidt. Es ift noch 
heute der Ballaſt einer überwiegenden Ortsbeſchreihung nad alt⸗Cannabich⸗ 
ſchem Vorbild, neben welcher das natürliche Bild der Länder zu tabellari⸗ 
fen Angaben zujammenjchrumpft, woran das Bud leivet. Da es nun 
die neuefte Erpbefchreibung in der That nicht in erforderliher Art das: 
bietet, jo fann es aud vollends nicht füglich für den Unterricht zu Grunde 
gelegt werden; die Revifion, welche über das Jahr 1859 oder 18:0 nicht 
binausgegangen fein mag, wie die biftorijchen Ueberblide ergeben, bat wirl- 
lich viele billige Wünfjche übrig gelaflen. In einem neueren geographi- 
ſchen Handbuche können 3. B. die kleinen Antillen nit als die Ka⸗ 
raiben⸗Inſeln, und die großen Inſeln Auftraliens, NeusSeeland, Neu 
Galedonien, Neu:Suinea u. ſ. w. nicht ald Halbinfeln aufgeführt werben, wie 
bier geſchehen. Das Regifter S. 445—473, vierfpaltig, weist fat 6000 
Artilel nah, — für Schüler? 


31. Dr. 8. F. Klun, Profeflor an der HandeldsAfademie, Leitfaden für 
den Unterridht in der Geographie an Mittelfhulen. 2. Aufl. Wien, 
Gerold's Sohn. 1862. 288 S. 27 Sar. (Früherer Titel: Allgemeine 
Geographie mit befonberer Rückſicht auf Deflerreid.) 


Da der Berf. in der Vorrede erllärt, daß Methode und Stoffner 
theilung unverändert beibehalten find, Berbeflerungen und Berichtigungen 
ſich weift nur auf „neuere ftatiflifhe Angaben und die Aufnahme von 
einigen Rejultaten neuer wiſſenſchaftlicher Forſchungen und Gntdedungen‘ 
beziehen, fo kann hier auf das empfehlende Referat im XIV. Pän. Jahresh. 
©. 310 fi. Bezug genommen werden. Auf bie mit viel praktiſchem Geſchid 
und wiſſenſchaftlichem Gehalt componirten charalterifitenden Skizzen ift aber 
doch erneut binzumeijen, da in ihnen, wie in dem wohlgeſichteten tüchtigen 
Material, der nicht gewöhnlidde Werth dieſes auch über die Grenzen Deſter⸗ 
reichs hinaus recht wohl verwendbaren Buches begründet ift, jo daß es zu 
den tühtigen geographiſchen Unterrihts:Hülfsmitteln gezählt werben muß. 
©. 254 ff. ift eine Skizze der Entdedungsreifen in Central:Afrita, ebenfo 
S. 261 fi. eine andere der Reifen zur Auffindung der nordweſtlichen Durch⸗ 
“fahrt bei Nordamerila, und ©. 282 fi. eine dritte der Entdedungen der 
auftzaliihen Inſelwelt und der Erſorſchung des Innern von Neu⸗-Holland 
eingefügt, wozu der Verf. umfichtig die neueflen Berichte benupt bat. 


32. 9. Vogel, Realfhullchrer, Geographie für Schule und Haus mit 
befonderer Berüdfihtigung des Kaiſerthums Defterreih. Mit 58 Karten 
und andern granbifben Darftellungen. Brünn, Winiker. 1862. 458 ©. 
gr. 8 1 Ihr. 


In der Doppelbeftimmung für Schule und Haus feinen einige Gigen⸗ 
thümlichleiten dieſes auf wiſſenſchaftlicher Grundlage ruhenden guten Hand⸗ 
huchs ihre naͤchſte Erklärung zu finden. Es hat der Verf. im Ganzen wie 
im Ginzelnen des Stoffs aus der heutigen Kenntniß der Erde eine fo reiche 
Zülle von Berhältnifien aufgenommen und angedeutet, daß vdiefelbe im 


288 Geographie. 


Schulunterrichte ib kaum in den günftigften Fällen ganz wirb bewältigen 
lafien. Berner hat er den Stoff öfter eigenthümlih, jedoch keineswegs 
ſachfremd gruppirt, nicht fo, mie es anderweit üblih ift; und in den - 
Zert bat er außer andern graphiſchen Darftellungen aud eine Menge 
ganzer Karten typographiſch eingefügt, die in birectefter Beziehung zu 
dem Tert ftehen. In folder Ausdehnung wie hier findet man derartige 
Karten, welde mehr als bloße Fauſtſtizzen und nur nicht colorist find, 
fonft nicht in den verbreiteten Büchern. Zwar find fie zunächſt nur ein 
typograpbifher Verſuch, der bald ganze Erdtheile, bald größere Glieder, 
ganze Staaten, bei größeren auch einzelne Provinzen derſelben vorführt, 
und leider nicht durchweg klar und prägnant genug ausgefallen ift; aber 
es ift anzuertennen, daß damit nach befriedigender ſach licher Genauigleit 
geftrebt wird und daß wenigftiens ein vorläufiger Anhalt zur Veranſchau⸗ 
lihung des Textes gewonnen if. Gute Atlanten find daneben nichts⸗ 
weniger als entbehrlich gemacht. Die fonftigen graphiſchen Darftellungen, 
3. B. zur mathematiſchen Geographie, find meift recht hübſch; manche ber: 
jelben, 3. B. zur phyſikaliſchen Geograpbie, find aus Berghaus’ und 
Bromme’s Atlanten entlehnt, wo fie freilich viel Schöner ausgeführt ftehen. — 
In der Einleitung werben aus der mathematiſch⸗aſtronomiſchen Geographie 
nicht blos in ſummariſcher Zufammenfafjung einige der nächitliegenden eles 
mentaren Begriffe und Berhältniffe erläutert, fondern ed wird genauer in 
die Sache eingegangen und u. U. aud von den Meflungen der Erde, den 
‚Sonnenfoftemen, den wiſſenſchaftlichen Beweiſen für die Erdbewegungen, 
den Mondbewegungen u. f. w. gehandelt. Befremden kann es, daß die 
Zeitrechnung übergangen ift. Der erfte Haupttheil (S. 20 — 187) behan⸗ 
deit mit fehr in’s Detail gehender Genauigkeit die Phyſik der Erde. Auf 
vorangefchidte generelle topiſche und phyſilaliſche Ueberblide zu grundlegender 
Drientirung über die Formen und Gliederungen der Wafler: und Landmaſſen 
und der einzelnen Welttheile und Oceane folgen ſehr jpecialifirt die ein- 
zelnen Gebirgs⸗ und Flußſyſteme der Erdtheile. So 3. B. bei Europa: 
1) Alpen, Fluß und Thalbildung, Seen, Höhen, Päfle; 2) continen- 
tales Mittel-&uropa (Gebirgsland, Tiefland, Fluß: und Thalſyſteme, 
- Kanalverbindungen; 3) peninfulare Gebirgsfyfteme (Halbinfeln 
Süd:Europa’8); 4) ifolirte peninjulare Gebirgsfpfteme (Krim, 
Bretagne, Skandinavien); 5) injulare Gebirgsſyſteme (Großbritan- 
nien, Irland, Island); 6) Ural und Kaukaſus (Fluß und Thalbil⸗ 
dung, Xiefebenen, Seen, Ranäle), — Dann folgt die Phyſik der einzelnen 
Hauptbeftandtheile der Erde, der feften, der tropfbar: und der elaftijch-flüfs 
figen (Erd⸗Inneres, vulkaniſche Syſteme der Erdtheile, Erdrinde, Gefteins: 
arten und deren geographiſche Vertheilung, Erdbildung, Meere (Boden, 
Waſſer, Bewegungen), Zlüfle, Meteore, geographiſche Verbreitung der 
Pflanzen und Thiere u. ſ. w. — Den zweiten Haupttheil leiten ſpecielle 
Blide in die Vollerkunde ein (Racen, Stämme, Verbreitung, Religionen, 
ftaatliche Verhältnifle), und dann werden von 6. 202 an die nach ihrer 
geographifchen Lage in Gruppen gebrachten einzelnen Staaten in al’ ihren 
Theilen mit Wiederholung der Topik durchgenommen. Alles, was fid) auf 
Defterreich unmittelbar bezieht, ift befonders ſpeciell behandelt (&. 208 268), 








Geographie. 289 


und überall find auch vielfadye ftatiftifche Verbältnifie beachtet. Das Buch 
ift aljo in der That ſehr reich ausgeftattet und macht häuslihe Studien 
nöthig, für welche übrigens ein Negifter, das jebt noch fehlt, dringend 
nöthig it. Fürs Haus wären noch Landſchaftsbilder erforderlich. 


33. ©. Ritter, PBrofeffor, Allgemeine Beograpbie. Borlefungen, an 
der Univerfität zu Berlin gehalten. Herausgegeben von H. A. Daniel. 
Berlin, Reimer. 1862. 240 ©, 1 Thlr, 5 Ser. 

Der Neferent, der vor nunmehr 34 Jahren dieſe Vorlefungen gehört, 
ertennt darin nicht nur eine treue Copie des weſentlichen Inhalts, welchen 
der trefflihe Ritter vorzutragen pflegte, jondern er fieht auch die vervolls 
kommnende Hand, welche dem Gange neuerer Ermittelungen Rechnung ge: 
tragen bat. Ueberall leuchtet die Grundidee hindurch, die Erdräume ver: 
gleihend und mit Hervorhebung ihres Cinflufies auf die Natur und 
Geſchichte der Völker zu betrachten. Sowohl die Mafjenvertheilung auf 
der Erboberfläde, die Geftaltung derfelben und die allmälig veränderte 
Weltftellung der Theile, des Meeres wie der Continente, die vertitale Phy⸗ 
fiognomie u. dgl.: das bildete neben der ausführlieren Geſchichte der 
Geographie, neben Grundzügen aus der mathematiſchen Geo: 
grapbie und außer der Literatur die Hauptmomente, worüber fih C. Ritter 
zu verbreiten pflegte. Cr berührte Vieles, was jegt in eine allgemeine 
Erdkunde geftellt zu werben pflegt, gar nicht, namentlich nichts von dem, 
was fih auf die Klimatologie und die Verbreitung des vegetativen und 
animalen Lebens bezieht. Er wollte auh nur eine Einführung in die 
Wiſſenſchaft erzielen. Und dazu dienen diefe Vorlefungen noch heute 
in hervorragender Art. 


34. 3. 3. Egli, Profeffor, Neue Handeldgeograpbie. Erdkunde der 
Maarenslärzeugung und des Waarensiimfapes. Ein Abriß für höhere Lehr: 
anftalten, fowie ein Hülfsbud für angehende Kaufleute, und zugleich eine 
Ergänzung zu jedem rein geographiichen Lehrbuche. Nebſt einer Meinen 
„Baarentunde” als Anhang. St. Ballen, Huber und Comp. Leipzig, 
Brandftetter. 1862. 436 ©. 1 Thlr. 18 Ber. 

Wegen der bejonders jefigehaltenen Tendenz als Hülfebuh für ans 
gehende Kaufleute, welche daraus die Erzeugung und Erzeugung: 
flätten der NRohprodukte (des Landbaueg, der Viehzucht, des Bergbaues) 
und der verarbeiteten Waaren (Induftrie), fowie die Bewegung der 
Waaren (Handel) lernen follen, kann das Buch nicht wohl für höhere 
Lehranftalten überhaupt, 3. B. nicht für Gymnafien, in Anwendung kommen. 
Dagegen in den Oberllafien der Fachſchulen (höhere Gewerbeſchulen, 
Handelsfchulen) wird ed mit viel Nutzen gebrauht werden koönnen. Es 
fegt den rein geograpbifchen Unterricht bereits in jeder Beziehung voraus, 
und nimmt nur zum Behufe der Wiederauffriihung des darin Gelernten 
vornämlih dann auf defien Material wieder Bezug, wenn rein geographijche 
Berhältnifie direct auf Landbau, Viehzucht, Bergbau, Induſtrie und Handel 
binweifen. Dieje fünf Gebiete find es, auf denen der Verf. in dem Bude 
fh bewegt. Wie in feinen andern fehr praftifchen geographiichen Lehr: 
bücdhern, liebt er es auch bier, Leine Lebensbilver einzuflehten (cf. S. 208 

Bid. Jahresbericht XV, 19 


290 Geographie. 


Vorder:Indien, S. 248 Marfeille, S. 265 Spanien, 6. 400 Brafilien 
u. ſ. w.), um die ohnehin ſchon anſprechende Darftellung nody mehr zu bes 
leben. Ueberhaupt ift das Buch mit viel Umfiht und Sorgfalt gefchrieben. 
(Geld⸗, BZollmefen, Berlehrswege, Make, Gewichte, Münzen kommen eben: 
falls ftets mit zur Erwähnung.) — Die Einleitung berührt nur han: 
dels geographiſche Grundbegriffe und die allgemeine Bebeutung der euros 
päiſchen Meere für den Handel. Das Buch ſelbſt beginnt mit den ger: 
maniſchen Staaten (Deutſchland, Preußen, Defterreih, Holland, Belgien, 
Dänemark, ſtandinaviſche Königreiche, britiiches Neih bis ©. 238), geht 
dann zu den romanischen (in Welt: und Süd-Europa bis ©. 304), dem 
türfifhen und ruffifhen Kaiſerthum (bis S. 847) über, und wendet 
fih envlih zu den außereuropäifchen, für den Handel bebeutjamen. 
(China, Japan, ran, Marocco, Sudan und Sahara, Ober-Guinea, nord» 
amerilanifche Union, amerikaniſche Staaten Spanischer Nationalität, Brafilien). 
Den Staaten find ihre Colonien gleih angeſchloſſen. Bor Allem ift Deutfch« 
land beſonders ausgeführt, namentlih find feine Schifffahrt, Eifenbahnen, 
Meſſen, Märkte, Affecuranzen, Banken, Bapiergelver, Staatsihulden, Werth: 
ſchriften, Börfen ꝛc. in's Auge gefaßt. Allenthalben liegt bei der Behand» 
lung der Staaten und Länder der Accent auf deren Probulten, ihrer Art, 
Menge, Güte, ihrem Vertrieb und dem Werth der Güterbewegung u. |. w., 
nicht aber auf der topifchphufifhen Bejchaffenheit oder ven politiſch⸗ ftaat- 
lichen Berhältnifien. Den Hauptbanbelsftaaten, wie England, ift in jeber 
Beziehung wie billig bejonderer Fleiß geſchenkt. Die Heine „Waarenkunde“ 
im Anhang ift nur ein kurzer alphabetij her Nachweis. 

Hiernach ftellt fih das Buch im Verhältniß zu andern geographiſchen 
Büchern in der Art eines ſehr nutzbaren Supplements dar. 


35. J. G. F. Eannabih, Lehrbud der Geographie nach dem neueften 
Staatsverträgen. 17. Aufl. 2 Bde. Weimar, Boigt. 1862. 2 Thlr. 


Zum Beiden, daß dies Buch immer nod eriftitt, möge es einfach 
erwähnt fein, obſchon hoffentlich Niemand daſſelbe mehr ald Lehrbuch in 
einer Schule anwenden wird. 


36. Dr. H. %. Daniel, Profeffor und Insp. adj, Handbud der Geo⸗ 
raphie. Dritter Theil: Deutfhland. 7. eieferung his Sqhtuß 
* — - 1531. Stuttgart 1862. 1863, Bruckmann. I. II. III. 10 For 
gr. 


Ueber Gehalt und Werth dieſes trefflihen Handbuchs und über die 
Grundſätze, melde bei deſſen Abfaſſung leitend geweſen find, ift bereits 
ausführlih im XII. Bär. Jahresb. ©. 349 ff., im XIH. ©. 303 fi. und 
im XIV. ©. 316 fi. die Rede geweſen. Die das ganze Werk beendendeit 
Lieferungen führen in gleicher Weife, wie begonnen, die Geographie der 
deutfhen Staaten durch die heſſiſchen, thüringiſchen, hannover'ſchen und 
inedlenburger Lande, wie durch die nördlichen Freiſtaͤdte weiter fort, bringen 
im 16. Capitel ©. 1315 ff. einen fehr interefjanten hiſtoriſchen Abfchnitt 
über „die Mediatifirten”, d. h. die Familien Aremberg, Auerdperg, 











Geographie. 291 


Bentheim, Bentind, Gaftell, Colloredo, Croy, Dietrichflein, Erbach, Eſterhazy, 
Fugger, Fürſtenberg, Giech, Hohenlohe, Iſenburg, Lömwenftein, Metternich, 
Salm, Schönburg, Solms, Stolberg, Thurn und Taxis, Wied u. U. Her⸗ 
funft, Stammbefiß, Verfippung, Wappen, Gliederung der Linien, jeßiges 
Haupt derfelben, Gebiet und Wohnfig, dies Alles wird kurz und überfidhts 
li zufammengeftellt. Der Anhang umfaßt, wie in des Verf.'s „Lehrbuch“ 
noch die Geographie der Schweiz, Belgiens, "der Niederlande und Dänemarks 
mit den Herzogthümern Schleswig:Holftein, und das Ganze fchließt mit der 
„Außeriten Grenzwarte germanifcher Bildung und Bevölkerung‘, mit Island. 
Das Regifter von S. 1461 — 1531 weist mehr als 13,000 Artikel 
nah. Wie daraus auf die Reichhaltigkeit gejchlofien werden kann, fo auch 
auf die Mannichfaltigleit. Es find ja alle Seiten geographiſch beachtens⸗ 
werther Berhältnifje wirklih in dem lebendig und fehr anfchaulih, aber 
auch forgfältig in's Einzelnfte dringend abgefaßten Werle zur Sprache ges 
bradjt. Außerdem aber find fo viele gefchichtliche, ethnographiſche, antiqua⸗ 
riſche, naturwiſſenſchaftliche, ſprach⸗ und füttengefhichtlihe Momente einges 
webt, es ift fo oft auf den Standpunlt früherer geographifcher Kenntniß 
und Beichreibung zurüdgegangen, jo mandes plaſtiſche Landſchaftsbild theils 
ſtizzirt, theils ausgeführt, hie und da mit pilantem Humor, daß Niemand 
ohne Belehrung und Genuß zugleih von feiner Lectüre ſcheiden mird. 
Darauf kam es aber dem Berf. hauptfählihd mit an, die Geographie von 
ihrer ernft lehrhaften und zugleich von ihrer Geiſt und Herz erfriihenden 
Geite aufzufafien und diefer Auffaflung in weiten Kreiſen, befonders auch 
unter den Lehrern, den Weg zu bahnen. Dieje Aufgabe ift trefflich gelöst, 
und deshalb Daniel’3 „Handbuch“ zu fleikigiter Benutzung beim Privat 
Hudium und bei der Präparation zum Unterricht in höheren Schulanftalten 
aufs Angelegentlicfte zu empfehlen. Insbeſondere verdient noch hervor: 
gehoben zu werden, dab nun wieder nad langer Zeit eine tüchtige Geo- 
graphie fpeciel von Deutſchland vorhanden iſt, indem dieſer dritte Theil 
auch als „Handbuch der Geographie von Deutſchland“ beion- 
ders abgegeben wird. Seine mehr als 90 Bogen befriedigen das allges 
meine Berürfniß aller Gebilbeten unferes Volles vollitändig. 


37, Dr. @. %. v. Klöden, Brofeffor, Handbuch der Erdkunde. Lieferung 
31—35, Dritter Theil: Volitiſche Geographie. Länder und 
Staatentunde von Afien, Auftralien, Afrifa und Amerifa, 
(894 S.) Berlin 1862, Weidmann. 3 hir. L—III. compi. 112/. Thlr. 


In den vier legten Päd. Jahresberichten (XI. S. 309 fi, XIL 
€. 351 fi, XIII. ©. 303 ff., XIV. ©. 318 ff.) ift über dies Wert, fos 
weit es allmälig erſchien, Bericht erftattet. Bon vorn herein eröffneten die 
erften Lieferungen die fihere Ausfiht auf ein ausgezeichnetes, wiſſenſchaftlich 
gediegenes, die Nefultate der neueiten Forſchungen auf dem Gejammtgebiete 
der Geographie eract, Mar, einbringend und überfichtlih mit umfaflendes 
Wert, das als ein Höhenpunkt der gegenwärtigen Runde der Erde gelten 
würde. Diefe Ausficgt ift reichlich erfüllt, und es ift ſeitdem won den adıts 
barften Stimmen einhellig die Sründlichleit, Gediegenheit, ächte Wiſſenſchaft⸗ 
Kchleis und fihere Stoffbeherrſchung in den großen Verhälinifien wie in 

‚19 


292 Geographie: 


tspographiihen Details anerfannt worden. Viele Partieen find gevabezu 
vorzüglich bearbeitet. Mag auch die bedeutende Umfänglichleit, mie ber 
ftrenge, wiſſenſchaftliche Ernft der Behandlung, welcher vielfah Kürzungen 
der Darftellung im Intereſſe größerer Reichhaltigleit des Materials und 
öfterer Anbahnung comparativer Ueberſchau geitattete, dazu beitragen, daß 
das Buch nicht Seite für Seite in einem Guß gelefen und ftudirt wird, 
jondern daß es nad der Meinung des Verf.s vornämlicd zum Nachſchlagen 
dienen fol, fo ift doch unverlennbar an jehr zahlreihen Stellen in ven 
trefflihen landſchaftlichen, ethnographiſchen, culturgefchichtlichen und andern 
Skizzen auch die anregendfte Veranlaflung gegeben, größere Abjchnitte in 
ihrem ganzen Zufammenhang zu ftubiren. Bei der großen Menge benußter 
Specialmerle, namentlih auch ftatiftifher und Reifefchriften, wie ber 
Forſcherberichte wiſſenſchaftlicher Forjcher, konnte es dem enormen Fleiß 
des Berf.s möglih werden, überall das möglichſt Richtigſte und Belte, 
Neuefte und Verbürgtefte zu geben. Und nur in der Zopograpbie 
mußte es über das Bermögen eines Einzelnen gehen, Alles, was in den 
Hunderttaufenden von Städten der Erde Neueftes jet Gültigkeit bat und 
in einer Unzahl von Büchern niedergelegt üft, genau wiedergeben und end⸗ 
gültig beurtbeilen zu follen. Hier wird manche veraltete Notiz mit ber 
Zeit ihre Eorrectur finden, nun das große Ganze vollendet daſteht. Daß 
in Betreff der neueren Forſchungen der Berf. mit Vorfiht zu Werte ge 
gangen und noch Unbemwährtes und Unbeflimmtes "vorläufig ganz bei Seite 
gelafjen bat, werdient befonvere Billigung. Dagegen find alle conjolidirten 
Berhältnifje der natürlihen Momente der Erblunde, der Völlerglieverungen, 
der Staaten und deren materiellen und geiftigen Lebens an ven Haupt 
orten, wo ihr Leben am träftigiten pulfirt, wie an andern, wo Zeugniſſe 
pormaliger Herrlichkeit aufbehalten find; es ift Naturſchoͤnheit zumal in dem 
tropiſchen Ländern, Böllervertehr, Handelsbewegung, Schifffahrt, Produktion, 
Induftrie und was fonft wiljenfchaftliches und praftiiches Intereſſe gewährt, 
forglih dargeftellt, um zuſammenfaſſende und doch betaillirte Kenntniß daven 
zu vermitteln. Ueberall dominiren die natürlichen, geographiihen Berbälts 
nifie. Auf ihnen erbaut fi das ftaatlihe, materielle und geiftige Leben 
der Völker und ihrer Entwidelung zu einem großen, feflelnden Geſammt⸗ 
bilde. Nicht blos bis in's Heine Detail ausgeführte Charakteriſtilen ver 
Bodenplaftil, befonderd der Gebirgsgliederungen und der Waſſerſyſteme der 
fremden Erdtheile und Inſeln; nit blos vie fleißigften Nachweiſe über 
Himatifhe Verhältniffe und die davon abhängige Urprodultion und Boden: 
cultur, über die Völker nah Abftammung, Körperbau, Spracde, Religion, 
Volksart, Verfafiung, ftaatlicher Eriftenz, Verwaltung, Verkehr im Iunern 
und nah Außen; fondern auch plaftiih anſchauliche landſchaftliche Schil⸗ 
derungen größerer Gebiete, (zum Theil mit Worten der Reienden) Eultur- 
nachweiſungen aus ältefter Zeit, Blide in bie hiftoriiche Entmwidelung, Cha⸗ 
ratteriftilen der natürlihen und politiihen Bebeutjamleit hervorragender 
Staaten und Städte mit ihren Eigenthümlichleiten: das Alles gewährt 
überreihe Belehrung. Es mag des Beiſpiels halber auf S. 196 über 
Afghaniſtan, S. 217 über Arabien, ©. 226 ff. über Medina und Mella, 
©. 238 fi. über Jeruſalem, S. 267 fi. über die Hindu’s, ©. 290 über 








Geographie. 293 


Benares, ©. 295 fff. über Delhi, von S. 300 an über vie Himalaya: 
Landſchaften, S. 335 fi. über Java, ©. 579 ff. über ſüdamerikaniſche 
Landſchaften, ©. 730—744 und 759 ff. über ftatiftiiche Verhältniffe ver 
vereinigten Yreiftaaten Norb:Amerila’s ꝛc. verwiejen werden. 

Hieraus wird ſich ergeben, daß das v. Klöden'ſche „Handbuch eine 
wahre Quelle und Fundgrube geographifcher wiſſenſchaftlicher Kenntniſſe ift, 
aus welcher fortan jeder tüchtige Lehrer der Erdkunde zu fchöpfen haben 
wird. Autoren geographiſcher Bücher und Leitfäden haben e3 nun um 
Vieles leichter, und hoffentli wird in das bunte Gewirre der landläufigen 
Mängel in der Namenfhreibung mit der Zeit Licht kommen. Das Wert 
ift als ein ausgezeichnetes allgemein zu empfehlen. 


38. Dr. W. Eder, Handbuch der allgemeinen Erdfunde, der Län- 
der: und Staatenkunde. Gin Buch für's Haus Darmfladt, Jong⸗ 
haus. 1861—62. 227, Thlr. 


Lag nit vor. Nah andern Stimmen hält fih das Buch zwar nit 
auf der Höhe der miflenfchaftlihen Gediegenheit, wie 3. B. das von 
v. Klöden, mird aber wegen Knappheit, Weberfichtlichleit der Anordnung 
für Soldye brauchbar erachtet, welche ſich leicht über die Erbverhältnifje und 
über etbnographiihe Thatſachen orientiren wollen. 


39. Dr. Ch. G. D. Stein’8 und Dr. $. Sörfhelmann’8 Handbuch der 
Geographie und Statifttt für die gebildeten Stände ıc. 7. Aufl. 
Bon Dr. I. ®. Wappaud. Leipzig, Hinrichs. 1862. (cf. XIV. Pär. 
Yahresberiht ©. 316.) 


Lag nit vor. Es ift vorgerüdt bis I. Bd. 10. Lief. (Mittel- und 
Sid:Amerila von Wappäus), II. Br. bis 6. und 7. Lief. (Afien, 
beide Indien, Turan, ran, osmaniſches Reihb von %. H. Brauer), 
DU. Bd. bis 1, 2., 3. und 6. Tief. (bis Skandinavien, letzteres von 
Frisch), IV. Bd. Deutſchland bis 6. Lie. (Deutihe Mittel- und Klein⸗ 
ftaaten von 9. F. Bradelli). Subferiptionspreis für Ad, I—IV. 24 Thle. 


40. Land und Leute des Preupifhen Staats und feiner Pro 
vinzen nad den Aufnahmen zu Ende 1861 und Anfang 1862. 


Unter diefem Titel enthält die Doppelnummer 2 und 3 der „Zeit: 
ſchrift des Königliden ftatiftifhen Bureau's in Berlin” eine 
gevrängte Bufammenflellung des neueften ftatiftifden Material3 über 
das Staatögebiet, die Wohnplätze, den Stand und die Bewegung der Ber 
völferung, die Landwirthſchaft, die große und Meine Induſtrie, die Dampf 
mafchinen, den Handel und Berlehr, die Kirche und Schule, Geſundheits⸗ 
pflege und Zodtenbeftattung, nebft Erläuterungen und Bemerkungen 
von dem Director dieſes Bureau’s, Dr. Engel. Dergleihen amtlide 
Nachweiſe haben bei dem fluctuirenden Leben im Staate um fo mehr be» 
fonderen Werth, als leider viele geographifhe Lehrbücher mit ihren ftatis 
ſtiſchen Angaben oft gar zu unzuverläfiig und principlos verfahren, und 
je nad Umftänden mit venfelben um mehr ale ein ganzes Jahrzehend hinter 
der Weiterentwidelung zurüdbleiben. — Jene Doppelnummer wirb von 


294 Geographie. 


der Geheimen Ober-Hofbuchdruderei (Deder) in Berlin im Separat: 
abdrud für 5 Sgr. abgegeben. 
4. Dr. M. Blod, Die Machtſtellung der europäiſchen Staaten. 


Mit einem Atlad von 13 Karten in gr. Fol. 206 ©. und 29 Tabellen. 
Gotha, Peribes. 1862. 3 Thlr. 


Aehnlih wie veflelben Verfes im XIV. Päd. Yahresberiht S. 329 
befprochenes Meines ftatiftifhes Büchlein über die „Bevöllerung des 
franzöfifhen Kaiſerreichs“, wie deſſen anderes über bie „Bevöllerung 
Spaniens und Portugals nad den Driginalquellen in ihren wichtig: 
ſten Berhältniffen ftatiftifch dargeſtellt“ (65 S. Tert und 12 Karten in 
Farbendruck. Dafelbft, 1821, 28 Sor.), und wie Dr. A. Fiders „Be: 
völferung der öfterreihifhen Monarchie in ihren wichtigſten Momenten 
ftatiftifch dargeſtellt“ (60 S. Tert und 12 Karten in Farbendrud. Dal, 
1860, 28 Sgr.), ift auch dieſe neue ftatiftifche Leberfiht mit großem Fleiß 
bearbeitet. Die Einleitung verbreitet ſich über die materiellen und mos 
ralifhen Grundlagen der Macht, deren lebtere fi natürlih nit mit 
Zahlen ausprüden laflen. Dann wird in 6 Capiteln beiproden und in 
Tabellen überfihtlih dur eine Menge auf frühere Zeiten mit zurüdgrei- 
fende Zahlenangaben dargeftellt: 1) Das Land (Einfluß der Größe, geo: 
graphifhen Lage ıc.); 2) die Bevölkerung (abfolute und relative, Zn: 
nahme, Kürperconftitution, Relrutirung, ethnographiſche Zuſammenſetzung, 
Religion, politifhe und fociale Parteien); 3) die Landmacht (frieges 
und Friebensftärke, Aushebungsſyſtem, Dienftpflicht, Angrifis: und Verthei⸗ 
digungstraft, Reſerven, MUebereintunft wegen Beichräntung der Truppens 
und Sciffezahl . ... Kriegsausgaben); 4) Seemadht (frühere Kaperei, 
Bedingungen zur Seemadt, Matrojenzahl, Marine-Ausgaben) ; 5) Fin an⸗ 
zen (Menfhen und Geld, Laften und Ginnahmen, directe und inbirecte 
Steuern, Domänen und Regalien, Einnahmen in verfhiedenen Perioden, 
Schulden, Staatötrevit, Finanzlage, allgemeine Bemerlungen über die Aus: 
gabe:Gtats); 6) productive Kräfte (Landwirthſchaft, Induftrie, Handel 
und Handelsverbindungen, Waarenbewegung, Schifffahrt, Eiſenbahnen). — 
Es liegt auf der Hand, daß das vergleihende Studium folder ftatiftis 
ſchen Berbältnifie unbedingt lebrreih ift, obſchon im Schulunterridt 
davon nur ſehr fragmentarifhe Anwendung zu madhen fein kann. ns: 
bejondere haben ſich Vollksſchullehrer vor jeder Verirrung in ftatiftifche er: 
mweitläufigungen zu hüten. Bergefien darf man ohnehin nit, daß in den 
verfchiedenen Staaten die Zahlenwerthe niht auf einerlei Weife feft: 
geftellt werden, und fih aljo nit ohne Weiteres vergleihen lafſen. — 
Die Karten find höchſt lehrreich, aber in einigen Beziehungen erregen fie 
Befremden, indem fie bei mobificirtem Princip das Mare Urtheil über mande 
ſtatiſtiſche Verhaͤltniſſe nicht ermöglichen. 

42. A. v. Buſchen, Bevölkerung des ruffifhen Kaiferreihs in 


feinen wichtigſten ftatiftifhen Derbältniffen. 77 ©. Text. Mit 
16 Kärtchen in Farbendrud in 12. Gotha, Perthes. 1862. 11/ Thlr. 


Nah Art der eben genannten verwandten Schriften wird bier behan⸗ 
belt: Stammesverſchiedenheit, Volkszahl und Volksdichtigleit, Vertheilung 








Geographie. 295 


der Bevollerung nah Wohnplägen und Geſchlecht, Heirathen, Geburten, 
Sterbligleit, Ab: und Zunahme der Bevölkerung, Stände: und Neligiond: 
unterjchiede. Hierzu liefern 12 Tabellen die zufammenfafjende Ueberſicht in 
Zahlen. Außer den eben angedeuteten Momenten veranfchaulidhen die Kärt⸗ 
hen noch befonders die Verbreitung der Polen, das Verhältniß der Städte: 
bevöllerung, der Geſchlechter, Geburten und Sterbefälle im Allgemeinen und 
nah dem Geſchlecht, das Berhältniß der Staatsbauern, der Apanagebauern 
und feibeigenen zur Bevölkerung überhaupt, ebenfo das Verhältnik ber 
Nichtchriſten zu den griechiſchen Chriften und den Chriften überhaupt. 

Da das Büchlein meift auf officiellen Duellen beruht, fo bieten bie 
Angaben darin einen in der Hauptſache verläßlihen Anhalt. 


43. H. F. Bradelli, Dreißig fRatiflifhe Tabellen über alle Länder 
und Staaten der Erde, unter Zugrundlegung der früheren Bearbeitun- 
gen von K. Th. Wagner. Leipzig, Hinrichs. 1862. Folio. 1 Ihr. 
Lagen jest nit vor. Wagner hatte feine Tabellen ehemals feinem 
Atlas beigegeben. 


44. U. v. Langrehr, Der Iauenburgtfhe Erund und Boden, ein 
Ideldes norddeutſchen Tieflandes. Ratzeburg, Linſen. 1860. 167 ©. 
Eine ſolche Abhandlung kann als Beiſpiel dienen, in wie mannich⸗ 

faltigen Beziehungen die natürlihen Verhältniſſe eines Kleinen nur 

24 DM. großen Länpchens betrachtet werben können. Wegen der domi⸗ 

nirenden bodentundliden Anjhauung find die oro- und hydrographi⸗ 

fhen Verhältnifie mit fteter Beziehung auf die Bodennatur nur einleitend 
vorangefhidt, um darnach des Breitern die Nachweiſung der geognofli- 
ſchen Beſchaffenheit in den ſecundären, tertiären und quartären Forma 
tions⸗Gliedern darzulegen. Sowohl die Nachweiſung und die Verbreitung 
diefer Glieder, als deren locale Gigenthümlichleiten kommen dabei zur 

Sprache. Beſonders interefiant ift die Unterfuchung ver tertiären Bildungen, 

der Braunkohle und der nordifhen Geſchiebe; doch hat das Ganze feinen 

prattiihen Werth für den Schulunterricht, ſondern ift eine wiſſenſchaftliche 

Erörterung für Geognoften. 


45. Fr. Brinkmann. Studien und Bilder aus ſüddeutſchem Land 
und Boll. 2 Bde. Leipzig, Fleiſcher. 1862. 367 u.321 &. 2", Thlr. 
Lag nicht vor. Anderen Stimmen nach verbreitet fih das lebenvig 

gefchriebene Wert über topographiſche, hiſtoriſche und culturgeſchichtliche Ber: 

hältniffe des mittleren und füplihen Bayerns, über Salzburg, Tyrol und 

Deſterreich. 


46. G. G. Winkler, Island. Seine Bewohner, Landesbildung und vul⸗ 
kaniſche Natur. Nach eigener Anſchauung geſchildert. (Mit Holzſchnitten 
De ner Karte von Island.) Braunfchweig, Weſtermann. 1861. 308 ©. 

r. 


In Form eines anziehend und gut lesbar geſchriebenen Reiſeberichts 
ſtellt Verf. einen Theil ſeiner Erlebniſſe und Wahrnehmungen auf ſeiner 


296 Geographie. 


im Sommer 1858 wit Profefior Maurer and Münden ausgeführten 
Reiſe nad Ysland dar. Es find nicht ſowohl die wiſſenſchaftlichen 
Nefultate der Erforfhung der geologiihen und geognoftiihen Berhältnifie 
Islands, die fi Berf. vorgefegt hatte, weldhe dem Leſer vorliegen, ſondern 
eine Reihe mit warmer Ummittelbarkeit aufgezeichneter Reifeerinnerungen, 
welde die Einprüde der nordiſchen Raturverhältnifie und die damit innig 
zufammenhängenden pbufiihen und focialen Berhältnifie der urdeutſchen 
Bevöllerung zurüdgelajien haben. Sowobl die reizarme, raube und harte 
Bodennatur (in plaftifcher und phufilalifcher Rüdficht). die Gletfcher, Stein: 
wüften, Fjorden, Moore, heißen Auelip Echafweiden, Fubrtftellen der 
Waſſer, als die Cigenthümlichleiten des Yebens der Isländer in ihrer Ber: 
einzelung und Zerftreuung wie in ihren Heinen Ortſchaften, der Anbau, 
die phyſiſche Natur, Eitten und Gewohnheiten, Beihäftigung und Berfebr, 
ureigenes germaniſches Weſen, Bildung u. f. w. ift jo geſchildert, daß der 
Lefer in die Wirklichkeit verſetzt wird. An ſpecifiſch geographiſcher 
Ausbeute if das Buch nit eben reih. Der Hauptort Reykjavik, die Ge: 
genden nad den Geyfir und Strockt, dem Hella und feinen norböftliden 
Umgebungen bin find am meiften bedacht; dagegen die Reiſeſtlizze nach der 
Nordküſte und am Nord: und Nordweſtrand zurüd ift fehr fragmentarifch 
gehalten, läßt aber vie Natur diefer Gegenden doh in etwas erfennen 
Zum Schluß vertheidigt der Berf. noch die neptunifhe Anficht über bie 
Erdbildung und liefert eine kurze Charalteriftil der Fär-Inſeln. Ein Zotal 
bild von Island gibt die Schrift nit, da die Seiten des geiftigen und 
firhlihen Lebens nur an der Oberfläche geftreift find; Daniel, der in 
feinem „Handbuch auch Winkler's Schrift benutzt bat, rundet das Bil 
befier ab. Wiffenihaftli fteht die „Reife nah Island“. Mit willen 
fHaftlihen Anhängen von Will. Breyer und Dr. 5. Zirkel (Leipzig, 
Brodhaus, 1862, 31, Thlr.). höher. 


418. 3. J. Egli, Profeffor, Kleine Schweizerfunde Ein Keitfader 
im genauen Anſchluß an des Berf.s „Praktiſche Schweizerkunde ıc 
2, Aufl. St. Ballen, Huber und Comp. 1861. 50 S. 4 gr. 


b. Deſſen: Praktiſche Schweizerkunde für Schule und Baus. Mit 
einem Zitelbilde. 2. Aufl. Daſelbſt, 1861. 164 5. 18 Ger. 


Da der ‚Leitfaden‘ (a) nur ein felbfiftländiger Auszug aus ber grö: 
Beren Schrift (b) it, worin nah äußerer Eintheilung und Sadfolge die 
Ordnung der legteren beibehalten und nur das am meiften Beachtenswertbe 
aufgenommen, überdies für Anfänger die Accentuation und Ausiprade 
fremder Eigennamen angedeutet ift, fo bereitet derſelbe in ganz angemefjener 
Art eine detaillirte Kenntnik der Schweiz vor; die größere Schrift ift dazu 
ein guter Commentar. In lebterer find jetzt, abgeſehen von einzelnen anges 
meflenen und verbeflernden Umftellungen einiger Paragraphen, befonders 
die induftriellen und Verkehrs-Verhältniſſe, zumal der Urkantone, takwoll 
und umſichtig erweitert. Das ſchon im XIV. Päd. Jahresberiht S. 308 
beſprochene Buch ift in feiner Frifche und Lebendigkeit erhalten, und mie 
feine fpeciellen Schilderungen an mehreren Stellen ſehr interefjant find, fo 
gewährt ed durchweg fehr belehrende und berichtigende Einblide in die Natur 











Geographie. 297 


des Schweizerlanves, wie in die phufifchen, nationalen und flaatlichen Ber: 

bältnifje feiner Bewohner in ihren gefonderten wie in ihren vereinigten 

Gemeinwefen, jo daß es mit Recht empfehlensmwerth zu nennen ift. 

49. 9. A. Berlepfh, Die Alpen, in Natur und Kebensbildern dargeſtellt 
uf. w. Mit 16 Illuſtrationen. Wohlfelle Volksausgabe; 2. unveräns 
derte Auflage. Leipzig. Coftenoble. 1862, 

Eine Reihe harakteriftiicher Bilder, welche in anregender, lebensvoller 
Darftellung die Erjheinungen des Hochgebirgslebens zur Unterhaltung und 
Belehrung vorführen. 

50. Dr. 8. Pitſchner, Der Montblanc. Cine Darftellung der Beſtei⸗ 
gung des Montblanc zu wiſſenſchaftlichen Zweden am 31. Juli, 1. und 2. 

uquft 1859 ausgeführt vom Verf. Grfäutert dur einen Atlas von 6 

Karbendrudtafeln in ar. Fol. und 3 Heinern. (An Commiſſion bei Hirſch⸗ 

wald in Berlin, 10 Thlr. Gold, 2. Auflage 5 Thlr. Gold) 1862. 

Lag nit im Driginal vor. Deffentlide Stimmen äußerten fi) wieber: 
holt anerfennend über die Vorträge, welche der Berf. für größere Kreife 
und für die Allerhöchſten Perſonen unter ungetheiltem Beifall gehalten habe. 
Nach diefen Vorträgen it die Schrift gearbeitet, welcher Mare, begeifterte 
Darftellung der großartigen und gewaltigen Natureindrüde der grandiofen 
Alpenfcenerie und der ſchauerlichen Borgänge in jenen Höhen, fowie leben: 
dige Schilderung der Wanderung und des Aufenthalts auf dem Gipfel 
felbft und Sorgfalt der Erörterung der wiſſenſchaftlichen Reſultate, die 
unter fo viel Anftrengungen und Gefahren gewonnen find, und das micros 
flopifche Leben auf dem Montblanc befonders beachten, nadgerühmt wird. 
51. Dr. K. F. R. Schneider, Italien in geograpbifhen Lebens⸗ 

bildern. Aus dem Munde der Reifenden gefammelt und zufammenge- 
ſtellt. Mit 14 Illuſtrationen. Glogau, Flemming. 1863. 755 ©. 3 Thlr. 
Im Vorwort bezeichnet der Verf. ſehr richtig Reifebefchreibungen und 
geograpbifhe Lebensbilder als nothwendige Ergänzungen geographiſcher 

Lehr: und Handbüher zu Permittelung einer lebendigen Kenntniß und 

Anfhauung der Erde. Er gibt mit Recht den Lebensbildern den Vor 

zug, da fie eingehendere und umfaflendere Anfchauungen der Länder und 

Völker gewähren, Naturs und Menſchen⸗, Cultur und Kunft: Verhältnifie 

in abgejchlofienen Ganzen vorführen können. Bei feiner Benutzung bed in 

Reifebefhreibungen, Monographien und inzeljchilderungen vorhandenen 

Diateriald hat er fammelnd, fihtend und ordnend die Einzelbilder in einen 

gemeinfamen Rahmen mit den Worten der Reifenden gebradt, aljo 

den Charakter der Urfprünglichleit denfelben möglichft erhalten. Dadurch 
bat das ganze Buch eine ebenfo anziebende und belebende Friſche als 

Ueberfhaubarfeit gewonnen und ift eine überaus Iehrreiche Lectüre geworden, 

vol farbiger, originaler Beſchreibungen und Schilderungen befonders ins 

terefianter, reizender Landfchaften, reicher Städte, präctiger Bauwerke, und 

Kunft:Dentmäler in Kirchen, Mufeen, auf öffentlihen Plägen, Ruinen, 

Naturfcenen u. dgl. voll detailirter Darftellungen vieler Wanderungen und 

Ausflüge durch und zu diefen Gegenftänden bin, und voll der dabei ge: 

mwonnenen Aufihlüfle über Sinn, Eitte, Naturart und Gebahren der Bes 

völferung in den verfchiedenften Situationeh im Haus, in den Kirchen, auf 


298 Beograppie. 


öffentlichen Plaͤgen, bei Arbeit, Belufligungen und Feſten, zwiſchen beuen 
bin fih überall die Aeußerungen religiöfen Siunes ziehen. Wan lerat 
fpeciell die Verſchiedenheiten und Gegenjäpe der lanbicaftlihen und ber 
Bolls » Charaltere und den vielgepriefenen Reihthum Italiens an Schöns 
beiten aller Art fo vet aus erfier Hand fennen. Namhafte Zouriften, 
Ratur: und Alterthumsforſcher, Künftler und Kunſtkenner, Dichter, Aerzte, 
Gelehrte u. A. haben ihre Beifteuer zu dem Werte geliefert; 3. B. Had⸗ 
länder, Raſch, Speyen, Gregorovius, Stahr, Meißner, Peht, Frommel, 
Bitte, Shouw, v. Schubert, Carus, v. Reumont, Wintelmann , Schlüter, 
Schinkel, Brun, 9. Leifing, v. Göthe ıc. Der Inhalt ift deshalb mannid- 
faltig und in vielen Abſchnitten fehr werthvoll für gebildete Leſer. Manche 
Partien find vorzugsweiſe trefflich durch ihre feine, künftlerifche Charalter⸗ 
zeihnung, lanpfchaftlihe Reize und Gigenthümlichleiten. Andere find es 
durch kunſtgeſchichtliche Aufihtüfle (S. 62 Venedig, S. 226— 232 Kunft: 
fhäpe in Florenz, S. 366 — 369 im vatikaniſchen Muſeum, Laofoon- 
Gruppe), wieder andere durd die finnige, naive und lebenswahre Zeich⸗ 
nung der Bollszuftände und eigenthümliden Züge des Bollscharalters im 
Ober, Mittel, Unter: Italien und Sicilien (cf. ©. 503 fi. Lazaromi ) 
Dr. Schneider hat wit viel Fleiß und Tact gewählt, des Culturgeſchicht⸗ 
lihen aber mehr als des Geographifhen. Dennod fehlt es nit an ſehr 
zahlreichen Einzelſchilderungen geographiſcher Berhältnifle aus allen Ge 
genden Italiens und der italienischen Inſeln; ja bei vielen von dieſen find 
die Berichte von Mehreren bejonders gegeben, um ber urjprünglichen, 
fubjectiven Anfhauung gereht zu werden. Im Allgemeinen herrſcht bie 
Darftellung der Glanzfeiten Staliend vor, den dunleln Schatten be⸗ 
gegnet man felten (cf. Ghetto in Rom). Bei den berühmteften Punkten, 
den Hauptftäbten Mailand, Benedig (S. 115 — 133), Genua, Florenz, 
Rom (S. 324—339, 391 fj.), Neapel, Palermo, bei den toskaniſchen 
Maremmen (5. 263— 273) Veſuv, Aetna (S. 724 — 736) und andern 
wird am längften verweilt, andere Abjchnitte find nur einige Seiten lang. 
Der Inhalt ift überhaupt in folgender Art vertheilt: L Land und 
Leute: Allgemeines über Land und Voll; Alpenpäfle und Seen; ebenes 
Ober» Stalin. 25 Bilder. II. Venetianiſche Bilder und Bignetten. 
21 Bilder. IIL Bilder an und aus dem Bufen von Genua, 25 Bilder. 
IV. Bilder und PVignetten aus Toscana. 29 Bilder. V. Bilder und 
Bignetten aus Rom und dem römischen Gebiet. 51 Bilder. VI. Unter: 
italienifche Bilder und Vignetten vom Meerbufen von Neapel. 50 Bilder. 
VD. Sicilien. AB Bilder; zufammen 249 Bilder mit einzelnen Unter- 
abjchnitten bei Florenz, Piſa, Central: Appenin, römifhem Carneval und 
Sorrent. — Das Buch ift fehr empfehlenswertb. Cs Tehrt in gewifler 
Weiſe zu Dr. Harnifh’s Idee zurüd, die er in feinen „Land: und 
Seereifen’ zu verwirklichen ftrebte. 


32. K. F. BV. Hoffmann. Die Erde und ibre Bewohner. 6. Auflage 
von 9. Berghaus. 6—13 Lief. Stutigart, Rieger. 1862. à Lief. 9. * 


53. B. F. A. Zimmermann. Maleriſche Länder⸗ und Böltertuude 
@ine Raturbefhreibung aller Känder der Erde und Schilderung ihrer Bes 
wohner. 1. Lief. Berlin, Hempel. 1861. 7'/s Ser. 


Lag nit vor (cf. XIV. Päd. Yahresberiht S. 313). 





Geographie. 299 


54. Dr. E. Schanenburg. Die berübmteften Entbedungsdreifen zu 
Land und See bis auf die neuefte Zeit in gef&hichtlichen Darftellungen. 
Lahr, Schauenburg. 1863. Gentral:Afrifa. 1. Lief. Süd⸗Afrika. 1. Kief. 
a 5 und 4 Bogen. & 7!/s Sgr. (Mit Yüuftrationen.) 


Ganz in dem Sinne wie die im XLI. Päd. Zahresberiht S. 361 charak⸗ 
terifirten „Reifen in Central: Afrila”, lebendig, anziehend, Natur, 
Land und Völker gejhilvert, bietet das Buch vorausfichtlih wieder eine 
Iehrreihe und fejlelnde Jugendlectüre. Vieles ehrt bier wieder, was bie 
leßtern Reifen enthielten. 


55. H. Wagner. Neuefle Entdelungsreifen an der Weſtküſte 
Afrita’s. Mit befonderer Berüdfihtigung der Reifen, Jegtzüge und 
Abenteuer von du Chaillu im äquatorialen Afrika, von Ladislaus Magyar 
in Benguela und Biché, von 3. Anderffion am Okavangafluß. Mit uber 
100 Abbild. im Zext, 4 Tonbildern, 2 Karten 2c. Xeipzig, Spamer. 1362. 
1!/; Thlr. 

56. 2. Shomad. Das Bud der merkwürdigſten Entdedungen auf 
dem Gebiete der Länder» und Böllertunde In Erzählungen 
für die reifere Qugend. 3. Aufl. Mit 120 Abbild. im Text, einer Polar⸗ 
arte ze. Dafelbfl. 1862. 2, Thlr. 


Beide Bücher lagen leider nit im Original vor. Bon 56 tft im 
IX. Päd. Yahresber. S. 494 der Inhalt kurz notirt. 


7. MR. Werner, Lieut. zu Se. Die preußifde Expedition nad 
Ehina, Japan und Siam in den Jahren 1860-1862, Reifebriefe. 
Mit 7 Abbild. in Holzfhnitt und 1 Lith. Karte. 2 Thlr. Leipzig, Brode 
baus. 1863. 32/3 Thlr. 

Lag nit im Original vor. Anderweit wird bazu bemerkt, daß biefe 
„Reiſebriefe“ eine Umarbeitung der in den Beilagen der „Deutſchen AU- 
gemeinen Zeitung veröffentlichten Neijebriefe bilden und bes Verfs. pers 
jönliche Erlebnifie, wie feine Erfahrungen und Beobadtungen über bie 
Länder, Zöller und Buftände der öftlihen Welt höchſt anſchaulich und 
lehrreih ſchildern, und dabei befonders die deutichen Induſtrie⸗, Handels⸗ 
und Schifffahrts⸗Verhältniſſe im Auge behalten. 


58. ? Betermann. Reifen im Drient. 2. Bd. mit 1 Karte von 9. 
tepert. Leipzig, Veit u. Comp. 1861. 4 Thlr. Compi. 7 Thlr. 

Lag nicht vor, ift aber andermweit als ein beveutfames Werk zur Kenntniß 
der Länder von der ſyriſchen Hüfte bis zum Euphrat und zu Auffchlüflen 
über die ſprachlichen, focialen, cultur: und religionsgefhichtlihen Verhaͤlt⸗ 
nifje ihrer Bewohner von Sachkundigen ſehr belobt. 


59. Dr. ©. Sartwig. Die Infeln des großen Dreans im Natur und 
Völkerleben. Mit 4 Abbild. im Srisdrud und 3 Karten. Wiedbaden, 
Kreidel. 1861. 544 ©. 3 Thlr. 

Aus diefer Schrift geht wiederum hervor, wie aus beflelben Verf. „Tro⸗ 
penwelt”, „hoher Norden“, „Leben de3 Meeres‘, daß es Dr. Hartwig 
verfteht, in jehr anziebenver Weiſe Belehrung mit Unterhaltung zu ver: 
binden. Cr verwebt in die geographifchen Hettenfäden eine durch Mannich⸗ 


300 Geographie. 


faltigleit und Abwechſelung das Imterefie lebendig erhaltende Menge von 
Erſcheinungen und Borgängen im Naturleben, wie von vollsthümlichen, 
etbifhen, cultur: und politifch « gefhichtlihen Momenten des Böllerlebens, 
dag in jedem Capitel wieder eine andere Seite derſelben entgegentritt. 
Auh im vorliegenden Buch find es nicht ſowohl wiſſenſchaftliche Erörte⸗ 
rungen in fpftematifcher Folge und Gliederung, ald vielmehr eine Galerie 
für den Zwed der Belehrung und Unterhaltung componirter Bilder aus 
dem Natur: und Volksleben ver Inſelwelt des ftillen Dceans. Nach einigen 
allgemeinen Bliden auf die Naturverhältnifie diefes Oceans, auf die erften 
in denſelben gerichteten Entvedungsreifen, auf die bafigen Menfchenracen, 
werben bie einzelnen Sinfelgruppen von Often nah Welten fortjchreitend in 
geographiſcher, naturgeſchichtlicher, ethnographiſcher und culturgeſchichtlicher 
Hinſicht behandelt. Die Berichte vieler Reiſenden ſind excerptweiſe be⸗ 
ſonders zur Erläuterung diefer Momente benutzt, und außerdem find eine 
Menge Abenteuer, Wanderungen auf den Inſeln, Verkehrsſcenen, Bolts- 
bräude u. dgl. — nicht felten etwas in's Schöne gemalt — die merlan- 
tilen Beziehungen der wichtigeren Inſeln mit den Handelsvöllern der Erbe 
eingeflochten. Wohlthuend ift’s, auh der Miffionsthätigleit in ihrer 
fegensreihen Einwirkung wenigſtens fummarifhe Anerlennung gezollt zu 
ſehen. Manche Intermezzo's find bald mehr, bald minder ausgejponnen 
(3. B. Pottfiihfang, Tonga-Mythologie, Guano⸗Inſeln, Corallen-Snfeln), an 
pafiender Etelle find auch an die in der Regel mit berührte Entdedungs- 
geihichte einzelner Inſelgruppen deren weitere Scidfale in gefhichtlicher 
Ueberſicht angeſchloſſen. (3. A. bei ven Marquefas: und Fidſchi⸗-Inſeln, 
bei Tahiti, Hawaii u. a). As Lectüre ift biernah das Buch ganz 
intereflant, aber allgemeines und bauerndes Intereſſe erwedt nicht Alles 
darin, und namentlich für den geographifden Unterricht ift nur bie und 
da eine Parthie als Illuſtration zu benugen, da ohnehin der Unterricht 
nit im Stande ift, auf diefe fernen, noch nicht allgemein in die europäl: 
Shen Verhaͤltniſſe mit eingreifenden Inſeln viel Zeit zu verwenden. Die 
beigegebenen Tondrudbilder von landfchaftlihen Scenen find fehr fchön. 


60%. Dr. A. Petermann. Mittbeilungen aus 3. Perthes' geogras 
pbifher Anftaft über wichtige neue Erforſchungen auf dem Geſammt⸗ 
ebiete der Geographie. Dabrgang 1862, nebft Ergänzungsbeften. 

otha, Pertbes. 1862. Preis der „Mittbeilungen” 4 Ihir. ohne Die 
„Ergänzungshefte.“ 


Ueber den Werth dieſer geographiſchen Zeitſchrift iſt unter den Sach⸗ 
kundigen nur eine Stimme; er iſt von großer wiſſenſchaftlicher Bedeutung. 
Denn es ſind eine Reihe Abhandlungen, Forſchungsberichte, Reiſeunter⸗ 
nehmungen und Ueberſichten wiſſenſchaftlicher Explorations-Arbeiten, welche 
wie kein anderes Werk die Reſultate der Wiſſenſchaft und gegenwärtigen 
Höhe erdkundlichen Wiſſens in ſteter Erweiterung und Ergänzung darbieten *). 


*) Die Berliner „Zeitſchrift für allgemeine Erdkunde“, die von 
D. Poſchel gut redigirte Zeitichrift „Ausland‘ und K. Andres: „Globus 
eine illuſtrirte Zeitichrift für Länder und VBölferkunde, haben zwar verwandte 
Tendenz, aber nur die erfte verfolgt noch rein wiffenihaftliche Zwede; 











Geographie. 301 


Außerdem ift es eine Fülle kürzerer geographiiher Notizen, eine Samm⸗ 
lung von Kartenarbeiten, mwodurd theils ein immer fperieller ein- 
dringendes Correctiv veralteter Anſchauungen, theild unmittelbare Veran⸗ 
fhaulihungen des Neuften gewährt wird und ber ftet3 au courant er 
baltende, geographiſche Literatur: Bericht. ’ 


Die ausgebreiteten Verbindungen der Perthes'ſchen geographifhen An⸗ 
ftalt, die großartigen literarifchen und technifchen Hülfsmittel und die Tüchtig- 
feit der Mitarbeiter, befonders des Herausgebers, machen es allein möglich, fo 
Gutes, jo Bieles, jo Gründliches, Allgemeinumfaflendes zu liefern. Yür den 
wiſſenſchaftlichen Lehrer der Geographie werben die „Mittbeilungen“ 
von Jahr zu Jahr unentbehrliher; für andere Freunde der Geographie da- 
gegen find es allerdings nur eine Anzahl allgemeines Intereſſe gewaͤhrender 
Abhandlungen und Notizen, melde ihnen viefelben jehr beachtenswerth er: 
jcheinen Lafien müfjen. Gegenwärtig richten fi Aller Augen feit Jahren ſchon 
auf bie fortgehenden Entvedungsarbeiten in Afrika und Auftralien. 
Deshalb hat der vorliegende Jahrgang der ‚‚Mittheilungen‘ auch mehrere 
darüber orientirende Berichte und Rotizen, fo über Roſcher's Neife nad 
dem Lufidji in Oft:Afrila, v. Heuglin’d Erpevition nah Inner: Afrika, 
v. Beurmann’s Reife in Nubien und dem Sudan, über die Gabun Länder 
im äquatorialen Afrila, über die Munzinger'ſche Erpedition in Afrika, Lejean’s 
Aufnahme des Bahr el Gazal, über Kongo und Angola; ferner über 
Stuart'3 und Burle's Reifen durd das innere von Auftralien, über Frank's 
und Gregory's Reife in Nordweſt⸗Auſtralien; über Hochſtetter's Erforfchungen in 
Neu: Seelmd u. f. w. Aber auch Amerila (Merico, Guyana, Coftarica, 
Banama, Vullane des tropifhen Amerika), Afıen (Canton, Nlein= Afıen, 
Kaukaſus, Hinter: Indien) und Europa (Bälle und Eiſenbahnſtraßen aus 
der Schweiz nah Italien, bie Tauern, Griechenland, Cypern) find nicht 
leer ausgegangen. — Die „Notizen“ verbreiten fi über die verſchie⸗ 
denſten Gegenden und Berbältniffe, und der Literaturberiht bringt alle 
namhaften Erfcheinungen in deutſchen und außerdeutichen Ländern zur An: 
zeige. — Bon den Karten ermweden zunädft die zu mehrern ber oben 
erwähnten ReifeErpeditionen entworfenen Intereſſe, ebenfo die von den unga= 
rifhen und nadbarlihen Ländern, von Nordiweft: Schottland, von Neu⸗ 
Seeland u. a. — Die „Ergänzungshefte Nr. 8 und 10 & 1 Thlr. 
feßen die fchon mit Nr. 7 von Petermann und Hafienftein begonnene Be- 
ſchreibung von Inner⸗Afrika, wozu ein Atlas von 10 großen Ylättern 
gebört, fort, meift am Faden von Neifeberihten umd damit verflodhtenen 
Naturbeobadhtungen unter Zugrundelegung der Originalberichte; Nr. 9 ent 
bält die Beſchreibung von Minas Geraes von Halfeld und v. Tſchudi, mit 
großer Karte von dieſer brafilianifchen Provinz. 


61. Dr. $. Biendaum. Grundzüge beraftronomifhen Geographie, 
Mit 29 Holyfhnitten. Leipzig, Hinrichs. 1862, 294 S. 1a Thlr. 


die letztere {fl ein „Panorama der Bewegungen auf dem Gebiete der Geo- 
grapbie und Völkerkunde‘, welches den Eindrud durch fehr zabireiche und recht 
—ã— Darſtellungen erhöhen will, und leiſtet hierin ſehr Anerkennend⸗ 
werthes. 


302 Geographie. 


In 18 Borlefungen, welche durch höchſt populäre, darum aber mehr: 
fa etwas breit gehaltene Darftellung das Berftänpnik aſtronomiſch-⸗ geo⸗ 
graphiſcher Lehren zu vermitteln tracdhten, legt der Verf. den Inhalt der 
gewöhnlih in der mathematiihen Geographie vorgetragenen Berhältnifie 
auseinander. Zwar jeßt er nur allgemeine Bildung, feine bejonderen 
mathematifhen Borlenntnifle voraus; aber Anfänger, melden noch die erften 
geometrijhen und phyſilaliſchen Elemente beigebradht werden müflen (S. 42, 
168) werben überhaupt noch mit mathematifcher Geographie zu verjchonen- 
fein, ba fie weder den auf Belanntihaft mit Sägen aus der fphärijchen 
Arigonometrie, noch den auf Behandlung mathematifher Formeln beruben- 
den abftracten Borftellungen mit Berftändniß folgen können (cf. ©. 99, 
132, 175, 266). Cs liegt in der Natur des Gegenftandes, daß Be: 
trachtungen der Bahnen der Weltlörper, ver Größen: und Dichtigkeitsver⸗ 
haͤltniſſe derfelben, aſtronomiſche Syfteme u. dgl. die Fähigkeit zu mathe: 
matiſchen Abftractionen erfordern. Gerade weil dies fo ift, macht die 
mathematiſche Geographie vielen Schülern große Schwierigkeit, und alle 
Umftändlichleit der populärften Erläuterung fcheitert an dem Mangel jener 
Fähigkeit derfelben. — Dem Buche fehlt leider ein orientivendes Inhalts⸗ 
verzeihniß; man muß fi an die Ueberjchriften der Vorlefungen halten. 
In den eriten fünf derfelben ift von der Geftalt der Erde, dem geographilchen 
Linienneg und mehreren Grundbegriffen die Rede, wobei die alten NRiccio« 
liihen Beweife, die Verf. bereits vor Jahren in der Allgemeinen Schul⸗ 
zeitung beleuchtet bat, wieder in ihrer Unzulänglichleit nadgewiejen und 
dann einige wirkliche aftronomifhe und phyſiſche Beweiſe für die Kugel: 
geftalt der Erde gegeben werben. Dabei wird der hiſtoriſche Gang inner 
gehalten, auch der Kämpfe gegen dieje Beweiſe gedacht. Borlefung 6— 9 
behandeln die Bewegungen ber Erbe, bie veralteten und neuen Beweiſe 
dafür, den hiſtoriſchen Gang der Erkenntniß derfelben (cf. Foucault's Ver⸗ 
fuh ©. 92—101), und bejonder8 die Jahresbemegung. Von Vorleſung 
10—14 werben die Spiteme des Copernicus und Tyco de Brabe, die 
Keppler'ſchen Gefebe, die Newton'ſche Gravitationslehre, die Theorie der 
Ebbe und Fluth, die Grmittelung der Entfernung des Sonne und des Mondes 
von der Erde, der Größe dieſer Körper und die Zeitrechnung behandelt, 
und Borlefung 15— 18 verbreiten fih über die neuften Eromefjungen, 
über die Phyſik des Mondes, die Finfternifie und die Beltimmung des 
Gewichts und der Dichtigkeit der Erbe. 

Dem Bude läßt es ſich nicht abſprechen, daß es für Solde, welde 
jo umftändlicher Erläuterung bedürfen, recht lehrreih werben kann. 


U. Karten. 


02. ©. Grumbkow, Oberflieutenant 3. D. und I. ®. Kutzner, Lehrer, 
„XandkarıensAnlagen“ für Die Hand der Schüler in Schulen jeder 
Art. Hirſchberg. 1862. GSelbftverlag. 

Diefe nur zum Theil ausgearbeiteten Karten follen den Schülern 
über den ſchwierigſien Theil der Arbeit beim RKartenzeichnen, über das Nep, 
die Flußſyſteme und die horizontale Gliederung binweghelfen, und ihnen 





Geographie. 308 


nır die Eintragung des zur Behandlung kommenden topographifhen Mas 
teriald übrig lafien; ebenfo die Landeseintheilung und Colorirung. Auf: 
den uncolorirten, nur mit den Ylußfyftemen, Landesgrenzen und begifferten- 
Staͤdtepunkten der dargeftellten Landräume find die Gebirge nur ein» 
geihrieben in der Richtung, mie fie ſich erftreden, und die Höhben- 
puntte find mit Heinen punktirten Kreifen angedeutet; die Städte der nach⸗ 
barlihen Gegenven find ausgefchrieben, die Eifenbahnen ebenfalls gezogen, 
die Orts und Höhennamen am Rande angegeben. Es wird die Praris 
des Unterrichts, wobei jedes Kind feine Karte haben fol, ergeben müfjen, 
in wie meit fih dieſe Art der Hülfe auch in Volks- und gewöhnlichen 
Bürgerjhulen bewährt. Mit den Gebirgen iſt's am mißlichſten. Blos 
eingejchriebene Namen derjelben werden ſchwerlich zulänglid fein, um 
daraus die genügende Gliederung und fomit das einigermaßen naturgetreue 
Terrainbild zu ſchaffen. Ebenſo hätten die Ortszeichen die verſchiedene 
Größe andeuten, vielleiht auch eine Anzahl Ort3zeihen ganz in Wegfall 
fommen können. Für Schlejien find 167, für Brandenburg 138 
Städte angemerft. Zunächſt find nur Karten der preußifhen Provinzen 
& A Pf. und des preußifchen Staats A 8 Pf. bergeftellt; alle 10 Karten 
koſten A!/, Sgr. Für diefen Preis können fie nicht künftlerifch ſchoͤn aus⸗ 
geftattet fein. Es märe zu wünſchen, daß der Verſuch mit ihrer Verwen⸗ 
dung zur Unterftüßung des Kartenzeihnend gemacht würde. 


63. U. Haͤſter's Hand» Atlas für preußiſche Voltsfchulen mit befonderer 
Berüdfihtigung der Methode des weltkundlichen Unterrichts in A, Häfter’s 
„Lehr⸗ und Leſebuch für die Oberklaſſen der Volkoſchulen.“ Eſſen, 
Bädeker (Weſel, Bagel). fl. qu. fol. (1861). 8 Ser. 


Den Inhalt bilden je eine Karte ber preußifhen Provinz, für welche 
der Atlas verlangt wird, dann der preußifhe Staat, Deutichland, Europa, 
Aften, Paläftina, Afrita, Rorde und Süd: Amerifa, Auftralien, die Plani⸗ 
globien. Die im Farbenüberdruck ausgeführten lithographirten Blätter find 
technisch leidlich befriedigend; Contoure, Grenzen, Schrift, eingetragene 
Eifenbahnen genügen dem einfahen Bedürfniß. Uber mit der päda⸗ 
gogifhen Auswahl der Städte und Heinen Ortichaften, ihrer relativen 
Größenbezeihnung, der Namenftellung verjelben zu deren Beichen, mit den 
Mängeln der Terrainzeihnung und mit den orthographifchen Fehlern darf 
ein Lehrer ſich nicht befriedigt erklären. Cine Menge eingetragener Ortss 
namen haben für den Schulunterricht rein gar keinen Werth; eine Anzahl 
anderer von Bedeutung fehlen (Kupp, Linden, Woſchnik, Spree, Ottmut 
u. a. find verzeichnet; für wen haben fie provinzielle Bedeutung? BBerun, 
Lyk u. a. ftehen auf der Starte vom preußiſchen Staat da, Sagan, Schweid⸗ 
niß, das ade: Gebiet fehlen ganz, ebenfo eine Reihe hiſtoriſch beachtenss 
werther Punkte.). Die Karten, befonders die Provinzial: Karten, erſcheinen 
zum Theil zwar fehr gefüllt, aber darin liegt der Werth nicht; Lehrer fuchen 
ihn gerade in der Beſchraͤnkung, und würden beſſere Ausprägung bes 
Terrain : Charalterd für wünfchenswertber halten, als viele Namen obfcurer 
Derter. Auf der Karte von Deutſchland kann das ganze Mitteldeutſch⸗ 
fand nicht befriedigen, die Karben gehen in einander, der Boden-Sharatter 


304 Geographie. 


kommt aud nicht annähernd zur Ausprägung. Dort ſieht aud noch ein 
„Maͤhriſches Gebirge!” Auf der Karte von Auftralien iſt viel für 
Die Schule ganz Entbehrliches; Anderes Wertbooliere fehlt. Der nicht hin⸗ 
längliyen Correctur fallen Namen zur Laft wie: Pül zig (Putgig), Mocaa 
(Macao, das auch ſalſch placirt ift), Hang-fu :Hang:jcheu), Chriftianftabt, 
das ganz faljch bei Naumburg am Queis fteht, während das Heine Derts 
hen bei Raumburg am Bober liegt, Lowin (Löwen) Munlowsty, 
Laaſen u. |. w. 

64. Schul⸗Atlas zum Leitfaden der Beograrbie von RM. Graßmann. 


6b. Ausg. Stettin, Graßmann. 3 Karten in Doppelfolio, die beiden Pla⸗ 
niglobien und Europa enthaltend. 1 Ser. 


Die beiven Planiglobien find wenig Har lithographirt, in ber 
Küftenentwidelung ſehr ſtark gegliedert, in ver Terrainzeihnung nur an⸗ 
deutungsweije behandelt, in den Länbdergrenzen ſchwach, in den Flüſſen 
nad) Art der Fauftzeihnungen marlirt. Die auftraliihen Inſeln find ſtark 
idealijirt, die norbamerilaniihen Polarländer noch unausgeführt gelafien. 
Die Karte von Europa in Zondrud ift befjer, klarer. Eie generalifirt mit 
Recht die orographiſchen Berhältnifje für Anfänger, enthält eine pafjende 
Auswahl der Flüfie, marlirt das Tiefland durch braunen Ton, führt in 
Deutichland eine Weberfülle von Namen, in den andern Ländern aber nur 
die Hauptftäbte auf. Teshalb wird fie mehr als die erften beiden braudy- 
bar erjcheinen. Heidelberg fteht da, wo Mannheim bingehört. Statt 
on muß es Huronen-See beißen. 


. F. W. Vogeler. Schul⸗Atlas über alle Theile der Erde. 
Berlin, —* 1863. 7!/s Sgr. 


Auf 9 Blättern in Querquart (dabei ein Doppelblatt) find die Plani⸗ 
globien, die einzelnen Erdtheile, Deutſchland, ſpeziell Nord⸗Deutſchland mit 
dem preußifchen Staate anſprechend und Mar, die Höhen in braunem Ion 
dargeftellt; nur die Flüͤſſe erjcheinen fadig und die Ramen find mehrfach in» 
correct (Bretangne, Golf von Lyon, Patth: [Pall:] Straße, Bosporus 
[Straße von Conftantinopel] Frobiſcher Straße, Chimborgzo zc.) Die Karte 
von Afrika ift ganz unbraudbar. Quer durch Hoch⸗ und Zief- Sudan ift 
ein völlig unverftändlicyer Yarbenjtrich gezogen, der Atlas in Marocco will: 
kürlich behandelt und die Golorirung jo ganz isreleitend, dab man Gefahr 
läuft, u. A. Hoc: Afrila und Madagascar für franzöfifches, Habeih und 
die Aichanti » Länder für portugiefiihe, das Kaffernland für ſpaniſche Be: 
figungen u. f. mw. zu halten. Auf Auftralien und Europa findet fih an- 
derweiter Grund zu Ausftellungen. Der Maßftab ift gar klein. 


66. Dr. H. Range. Kleiner SähulsAtlas über alle Theile der 
Erde. 26 Karten. Braunfhweig, Weitermann. 1861. 1 Thlr. 


Lange's Karten find wegen der Schärfe des Stichs und ber Elaren, 
kräftigen PBlaftit des Bildes, das allerdings in dieſer Kräftigleit bisweilen 
die natürlien Höhen-PBropofitionen alterixt, in der Schule beliebt. Sie halten 
vereinfachendes Maß in den Angaben, berüdjichtigen den neuern Stand 





Geographie. 305 


der Kenntniß und fireben nach Ueberſichtlichkeit. Ginige Blätter find mit 
Höhen:Shikhten dargeftellt, eine neuere Art, in welche Schüler fi 
erſt finden lernen müfjen, die aber die Bedeutung der ganzen Mafien befjer 
als die ſonſt üblihe Darfiellungsweife zur Anſchauung bringt. Die 26 
Karten enthalten für Deutſchland verjhiedene Blätter; eine Auswahl 
von 10 Karten, einſchließlich einer heimathlihen Spezial: Karte bilden den 
„Leinen Elementar:Atlas. (12 Ser.) 


67. Neuer Schulatlas über alle Tbeile der Erde in 27 Blättern. 
Bearbeitet von Bad, C. Bauer, R. Groß und Imle, revidirt von 
Prof. Dr. H. Berghaus. Stuttgart, Malte's artiftifhe Anflalt. 1'/2 Thlr. 
Lag nit im Driginal vor. Im „Sübdeutfhen Schulboten” (1862 

Nr. 10) wird ſehr ſchöne und genaue Ausführung der Blätter. jwedmäßige 

Stoffvertheilung auf die Kartenzapl, folide Neplegung und Gebirgsparftellung, 

correcte Nomenclatur und elegante, vie topifhen Bilder nicht ftörende 

Colorirung hervorgehoben. Brof. Dr. Re uſchle lobt im Vorwort, daß die 

Ausführung dem Stande der heutigen Wiflenfchaft entſpreche in den neuern 

Entdedungen und politiihen Verhältnifien und daß von der Gefammtzahl 

der Blätter fi verhälmißmäßig viele auf die allgemeine Geographie 

beziehen, nämlidy die Darftellung des Planetenſyſtems, allgemeiner tellurijcher 

Begriffs⸗Verſinnlichungen, des nördlichen Sternenhimmels, der Erdflaͤche nach 

vier Hauptanſichten und der Ueberſicht der Erdcontinente. 


68. Neuer Atlas der sangen Erde. 24 Blätter; dabei 5 Doppel» 
blätter 2. Bon Dr. Bed, Dr. H. Range, J. M. Ziegler ce. 31. Aufl. 
Leipzig, Hinrichs. 1802. 4%, Thlr. 


Lag nicht vor. 

69. A. Stielerd Hand⸗Atlas. Neue Bearbeitungen von Herm. 

Berghaus, A. Petermann und C. Vogel. Gotha, Perthes. 1860-1862, 

18 Blätter A 5 Ger. 

Der große Stieler'ſche Hand-Atlas ift und bleibt ein werthvolles, 
umfafiendes Werk; die Gediegenbeit feines Inhalts, die Vollendung jeiner 
tehnifchen Zeitungen verbürgen ihm auch künftig feine zahlreihen Freunde. 
Die fort und fort hinzulommenden neuen Bearbeitungen veralteter Blätter; 
welche dem Ganzen (83 Blätter 13%, Thlr.) alsbald einverleibt werden, 
erhalten ihm den Charakter zeitgemäßer Neuheit. Vorzugsweiſe haben ſich 
die Bearbeitungen folgenden Ländern zugewendet: Deutihland (5 Blätter), 
Großbritannien und Irland (4 Karten), Italien (3 Blätter), Auftralien, 
Mittelmeer (je 2 Blätter) und Dänemark (1 Blatt). 


70. Hands Atlas der Erde und des Himmels in 70 Karten. 42 Aufl. 
Bearbeitet von Dr. H. Kiepert, E. und U. Graf und ©. Brubns. 
Zmp.- Fol. (23°°:28” rhein.) Weimar, Geogr. Inftitut. 1862. 24 Thlr. 
Auswahl in 50 Karten 15 Thlr., Preußen in 7 Blätter von E. und 2. 
Gräf 2 Thlr. 25 Sgr. 

Lag nit im Driginal vor. Die weimar'ſchen Starten haben ſich 
übrigens befonders feit Dr. Kiepert's Mitwirkung ganz weſentlich vervoll⸗ 
kommnet. 

Bid. Jahresberiht XV. 20 


306 Geographie. 


71. Zr. Bromme. Illuſtrirter Hand- Atlas der Geographie und 

Statiftit in 43 color. Karten mit 112 Bogen Text, 218 Holzſchnitten, 

6 Blätter in Karbendrud, die Wappen und Orden der fünf europäifchen 

Grogmädte und der vier deutfchen Königreihe unb einem Flaggen « Atlas 
in 7 Blättern, die Flaggen aller Rationen der Erde darflelend. Zweite 
unveränderte Ausgabe. Lieferung I—3.*) Gtuttgart, Krais u. Hoffmann. 

1862. & Lieferung 15 Sgr. (cpl. 141/2 Thlr.) 

Die Art der Ausführung ift im XI. Päd. Zahresberiht, S. 323 
angegeben. - Eie weicht von der in Schade's „illuftrirtem Hand: 
Atlas“ (cf. XIL Par. Jahresbericht, S. 369 und XIV., 6.335.) und Dr. 
Reuſchle's „illuftrirter Geographie” (cf. XL Bär. Jahresbericht, 
©. 324) wejentlih ab. Der Text ift bei Bromme überwiegend ſum- 
marijch zufammenfafjend gearbeitet, die bemerlenswertheflen Angaben find 
mebr tabellariſch, wenn auch nicht in Zabellenform als beſchreibend behanbelt, 
und unter Weberjchriften wie Lage, Grenzen, Größe, Ausdehnung; Flad: 
und Tiefländer; Gebirge; Inſeln; Gewäjjer, Ströme, Seen; klimatiſche Ber 
bältnifie; Raturprodulte; Bevöllerungs:Berhältnifje, Stammes-Verfchiedenbeit; 
Spraden; Religions-Verſchiedenheit; phyſiſche und techniſche Cultur; ſtaat⸗ 
liche Verhältniſſe; Geſchäfte jubjumirt. Wegen der Kürze der Angaben iſt 
jehr viel vereinzelter Stoff zufjammengetragen, aber nit zu einem Ganzen 
des Natur: und Lebensbildes verarbeitet. — 

Die Karten find ſchwer lesbar, nicht ſonderlich plaſtiſch ausgeführt 
und ftarf gefüllt (cf. Nr. 2 und 6 Nord:Amerila, Nr. 18 Dänemark mit 
ungemein vielen Ortſchaften, die felbft den Dilettanten zu viel werben 
müflen). Die Karte von Afrila befriedigt wenig, die von Frankreich ift 
befier, aber ohne ftaatlihe Eintheilung, die von Süd-Amerila entbehrt ge: 
nügender Blafti. Ein wahrer Schmud find die Wappen: und Ordens- 
tafeln mit ihren friſchen Farben, in Gold und Silber und ihrer ehr 
faubern Ausführung. Über ein fonderlihes Bedürfniß liegt bei ihnen eben 
jo wenig als bei den Flaggen : Blättern für eine überwiegende Mehrzahl 
der Leſer vor. Die Holzjhnitte, allerlei Landſchaften, Städte u. dgl. fiehen 
oft an der Stelle des Textes, wo fie eingedrudt find, mit dieſem felbft in 
gar feiner Verbindung. In den drei erften Lieferungen überwiegen bie 
Bilden aus fernen Gegenden fremder Erdtheile. 

72. Dr. 8. Range, Atlas von Sachſen. 3. (Schluß)⸗Lieferung. , 
—*z* 1862. 1%, Thlr. a Golugy dieſerung. Beiyaig 

Lag nicht vor. Wird wegen ſehr ſauberer Ausführung und wegen 
glüdliher graphiſcher Darſtellung auch ver geologiſchen, agronomijd: 
geognoſtiſchen, Wald-Verhaͤltniſſe, wie der Gerichts-Eintheilung ſehr gelobt. 
73. Meyer's Hand⸗Atlas der neueſten Erdbeſchreibung. Lieferung 

1— 18. Groß⸗Folio-Format. à 2 Blatt. Hildburghauſen, Berlag deẽ 

bibfiograpbiichen Inſtituts. 1863. à Lieferung !/a Ihlr. 

Diefer Atlas ift auf 100 Karten beredinet und wird alſo complet 
1121/, Thlr. toften, ein Preis, der in Bezug auf das, was geboten wird, 
gering zu nennen ift. 


— — — — — 


*) Die 4. und 5. Lieferung, Lufte und Meeresſtrͤmungen; Afien; Schwe⸗ 
den und Norwegen; Schweiz zc. enthaltend, lagen noch nicht vor. 








Geographie. Ä 307 


Der Atlas bejteht, mie bei diefem Umfange nicht anders zu erwarten 
if, aus Ueberſichts⸗ und Detaillarten. Auf lebteren find zugleich die Pläne 
der bedeutenderen Städte in ziemlid großem Maßſtabe angebradt. Die 
Karten find ſämmtlich in Kupferftih ausgeführt, mas ihnen große Schärfe, 
Deutlichleit und Schönheit verleiht. Die Bodendarftellung kann als vor: 
züglidy bezeichnet werben, namentlich treten die Gebirge durchweg jehr ſchoͤn 
hervor. Audy find die Namen verjelben jo gefchidt eingetragen, daß das 
Bild wenig oder gar nicht dadurch beeinträchtigt wird. In Bezug auf 
die Namen ift ein weiſes Maß innegehalten; auf den Karten für Heinere 
Localitäten fehlen jevoh aud die hervorragenderen Dörfer nit. Für 
mehrere Karten, namentlich für folde mit bedeutenveren Gebirgen, ift ein 
brauner Yarbenton angewandt, was nicht nur für das Auge ſehr wohl: 
thätig ift, fondern aud merklich zur Deutlichleit beiträgt. Wir verweifer 
auf die ſchoͤnen Blätter von Deutfchland und Europa. Eine genaue Ber: 
gleihung mit Originallarten läßt übrigens erfennen, daß überall die neneften 
Kartenwerke benupt werben. 

Der Atlas kann ſonach allen Freunden der Geographie, insbefonvere 
auch den Lehrern, als einer der beiten empfohlen werden. 

74. 8. 3. Engelhardt. Generalfarte vom Preußifhen Staat. 
2 Bl. Imp. Kol. Berlin, Schropp. 1862. 2 Thlr. 

75. E. v. Eofel. Topograpbifhe Karte der Brovinz Branden- 
burg. 4 Bl. Berlin, D. Neimer. 1862. 2% Thlr. 

Lagen leider nicht vor. 

76. €. Winkelmann. Wandkarte von Deutfhland, dem preußifchen 
und diterreichifhen Staate, der Schweiz, den Niederlanden und Belgien, 
revidirt von Profeſſor Dr. Bölter. 9 Blätter. Ausgabe 1862. Eßlingen, 
Weychardt. 2 Ihlr. (4/2 Fuß zu 6% Fuß.) 

Unter allen Wandkarten von Deutſchland und den Nachbarländern, 
die gegenwärtig für den Schulgebrauch in großen Nllafien vorhanden find 
und neben den topijch : phyfilaliichen Berbältnifien auch die ftaatlichen var: 
ftellen, bleibt diefe eine der beiten. Sie zeichnet fih durch paädagogiſch— 
bemefiene Auswahl des Stoff, durch recht Mare Darftellung des: Terrain- 
bildes, Schärfe und Größe der Schrift und forgfältige Colorirung aus, 
und umfaßt den weiten Nändercompler von Bari bis zum ſchwarzen 
Meere, von Copenhagen bis Livomo. Die Gruppirung und plaftiiche Her- 
vorhebung der Gebirge, die Ueberfichtlidhleit der Flußſyſteme, die Kräftig- 
teit der ganzen Ausführung find in vorzüglidem Grade geeignet, den 
Unterricht zu erleichtern. Um auch den Berlehröwegen Rechnung zu tragen, 
find die Eifenbahnen bis 1862 mit eingetragen. Der Unterricht kann es 
ja nicht mehr unterlaflen, aud auf diefe wejentlih Rüdficht zu nehmen. 
77. Karte von Europa und dem Mittelländifhen Meere. 4. Blätter. 

von F. v. Stülynagel und I. C. Bär. 4 Aufl. von Dr. U. Beter- 

mann. Gotha, PBertbes. 1862. Aufgezogen in Mappe 24/s hir, 

Lag nit vor. 

78. ©. Vogel und D. Delttfh. Höhenfhihten- Wandlarte von 
Mittel: Europa. Auf Wachsſstuch. Mit orograpbhiſch⸗hypſometriſchen 
und. hydrographiſchen Erläuterungen von D. Delitih, (55 ©.) Leipzig, 
Hinrichs. 1862. 8 Thirx. , 

20 


308 Geographie. 


Auf dem Länderraume, welden die unter Rx. 75 genannte Winfel- 
mann’ihe Karte von Deutichland umfaßt, if das Höhenbild durch ſechs 
Höhenfhikhten, entiprehend den Erhebungen bis 300, 1000, 2200, 
4000, über 4000 Fuß und die Schicht der Region bes ewigen Ciſes, 
und außerdem das Bewäflerungs : Berhältuiß dur die Flußſyſteme und 
Seen, fowie die Angabe der Ortſchaſtenzeichen in techniſch fo vollenbeter, 
wiſſenſchaftlich durch gewillenhafte Benutzung der zahllojen Höhenmeilungen 
fo gründlider, pädagogisch jo überfihtliher und anſchaulicher Weiſe dar: 
geftelit, daß dieſe Karte gegenwärtig die vorzüglidhfie ihrer Art il. Die 
Herftellung auf Wach ſt uch geftattet im Unterricht die zeichnende Gintra- 
gung aller noch irgend wünjdenswertber Momente, und zwar von Gtufe 
zu Stufe, jo daß der paͤdagogiſche Werth dieſes Unterrihts-Hülfsmittels um 
fo beveutenver ift, als überall der folivefte Anhalt aud für ſolche Lehrer 
gegeben ift, denen die freie Entwerfung der Karten jchwerlid gelingen 
möchte. Allerdings muß ſich der Lehrer wie der Schüler erft an Höhen: 
ſchicht en⸗Karten gewöhnen, da die feitherige andersartige Ausprägung 
der landſchaftlichen Gruppen nit geeignet iſt, auf Höhenjdichten : Gıten- 
nung ordentlich vorzubereiten. — Die Begleitworte erläutern bie Küſten⸗ 
linien und Inſeln, geben eine bupfometriihe Slizze und behandeln vie 
Zlußgebiete, die Seen und die Ortſchaften. Bemittelten Schulanflalten ift 
diefe Karte ebenfo wie die ebenfalls auf Wachstuch ausgeführten frübern 
Banblarten derjelben Herausgeber angelegentlichft zu empfehlen. 

79. A. Petermann und B. Haſſenſtein. Spezialkarte von Inner: 
Afrita. Maßſtab 1:2,000,000. Zehn colorirte Blätter (18:24) mit 


Tep. Blätter 17, 9. (8 und 10 fehlen noch). Gotha, Perthes. 1861. 
1862. 22/ Thlr. 


Dieje großen Speziallarten, wie der beigegebene Tert (96 ©. in 4), 
suben auf Originalberichten der zahlreichen Reiſenden und gelebrter Forſcher. 
Sie umfaflen das Ländergebiet vom Meridian von Tripoli und Tſad⸗See 
bis zu dem vom Sinai und dem Ulereme-See, und vom 30° nördl. Br. (Bars 
alleltreis von Cairo bis zum c. 8° ſũdl. Br. (Paralleltreis des Südens vom 
Tangauyila⸗See, aljo die Länder der Rord:Oft:Gegenden und Binnenländer 
Aſfrila's, fo daß Habeſch und die unter gleihem Meridian liegenden Länder 
ſchon ausgeidhlofien, die von Livingftone durchzogenen Gegenden (Nyafiy: 
See bis Loando) beinahe berührt werden. Die Karten find autographirt 
und technifch deshalb nicht jo künſtleriſch vollendet ausgeführt, als fonft die 
Perthes ſchen Karten zu fein pflegen. Sie enthalten das kritiſch gefichtete 
Material, was in den Quellenfdriften und Kartenflisgen der Korjcher nieder 
gelegt war, und ftellen die Neiferouten, das Bobdenrelief, die Waſſerſyſteme, 
Daſen, Ortichaften, die Natur des Bodens u. N. fo vollftändig als bis 
jest möglih dar. Die enorme Fülle diefes Materiald macht die Karte nur 
zum wifjenfhaftliden Studium geeignet; fie wird aber voraus: 
fihtlid den Anftoß geben, daß nun auch die Atlanten für die Schule eine 
Auswahl des bewährten Willens über Inner : Afrita an die Stelle der 
vielen Unbeftimmtheiten und Srrthümer feßen, welde fie in ver Negel 
noch gegeben haben. — Der Tert enthält originale Reiſeberichte 


— 


Geographie. 309 


von M. v. Beurmann über feine Reife durch die Nubifhe Wüſte nad) 
Abu Hamel und Berber; von Kotſchy über feine Reife von Chartum 
nah Kordofan; von Brun:NRollet über feine Reife in den Sumpf: 
Regionen des Nam Aith, weitlih vom Bahr el Abiad; Behm's geogra: 
phiſche und etrographijche Skizze der öftlihen Sahara (Land und Boll der 
Zebu); M. v. Beurmann’s Bericht über feine Reife zum Lande der 
Djur, und M.v. Beurmann’s Bericht über feine Reife von Bengafi nad 
Udſchila und Murzuk; Antino ri's Bericht über feine Reife nah Wau nad 
feinem Aufenthalte in Murzuk. — Alles hat den höchſten wiſſenſchaftlichen 
Werth, und aud da, wo die Berichte in Tagebuchform gegeben find, ent: 
balten fie in ihren Einzelbeiten eine Menge der intereflanteiten Details. 


80. Imle und E. Baur. Erd-Globus, revidirt von Dr. S. Berghaus. 
Sechs Zoll Durchmeſſer. Yarbendrud. Mit Stativ und meffingenem Halb» 
meridian. Gtuttgart, Malte. 31/s Ihlr. 


Wegen mangelnder perjönliher Kenntnißnahme ift die Würdigung des 
Werthes nicht möglich. 


X. 
Geſchichte. 


Vom Seminar-Oberlehrer W. Prange in Bunzlau. 


J. Worauf beim Lernen und Lehren der Geſchichte beſonderer 
Werth zu legen iſt. 


1) Die rein äußerliche, mechaniſche Auffaſſung der Geſchichte als 
eines bloßen Conglomerats oder Aggregatd mehr oder minder als zufällig 
angejehener Erſcheinungen ift gegenwärtig auch in ben) Augen derer dis: 
crebitirt, welde vor einigen Decennien nod wenig geneigt erfchienen, eine 
andere Auffafiung mit Vertrauen zu begrüßen, die der Geſchichte eine 
wejentlih andere, höhere Bedeutung zuzuerlennen wagte Damals hatte 
es nod einen Sinn und eine Berechtigung, beſondere Gründe zu erörtern, 
welche diefe höhere Bedeutung der Geſchichte an und für fi und fpeziell 
für den Schulunterricht ftügen und auseinander breiten helfen follten. Gegen: 
wärtig bat eine folde Erörterung nahezu ihre Berechtigung verloren, indem 
fein Dentender, zumal kein denkender Schulmann mehr dieſer Bedeutung 
zweifelt. Was früher viele Federn in Bewegung jeßte, um ben Eifer für 
die beſſere Sache in oft langathmigen ournal: Artileln oder bejondern 
Schriftchen abzulagern, ift heute faſt als antiquirt anzujeben. Für gebil 
dete Geſchichtslenner war es ſchon vor Decennien antiquirt; aber die 
Lehrerwelt hing damals noch in zablreihen einzelnen, fonft gar nicht 
unachtbaren Männern mit fo großer Zähigkeit an der althergebradhten, 
vulgären Geſchichtsanſchauung, daß es nicht mit einem Schlage gelingen 
tonnte, die jonft willigen Geifter total umzuftimmen und ihnen eine biametral 
entgegengejeßte Anfhauung von einem Organismus der Geſchichte und 
einem böhern von der Hand Gottes geleiteten Leben und Entwideln 
darin beizubringen. Gegenwärtig ift dies in der Schulmelt eine fo felbft: 
verständliche Sache, daß die Gefchichte neben der Religion und der Mutter: 
ſprache, ja nah einigen Gemwährsmännern von Ruf felbft noch vor ber 
legteren ihre Ebrenftelle einnimmt, eben weil fie fein Aggregat zufälliger, 
nur nach der Zeitfolge an einander gereihter Thatſachen und Begebenheiten, 

| 
| 


{ 


Geſchichte 311 


ſondern ein großartiger Proceß, eine von Geiſt und Leben ge 
tragene, einem göttlichen Gefege gehordhende Entwidelung der Völter, 
des ganzen Menſchengeſchlechts ift, und weil fie in dieſem Licht angejehen, 
zu den frudtbarften Bildungsmitteln für die Jugend gehört; es ift jetzt 
eine fo felbitverfländlihe Sache, die Gefhichte zu den unentbehrlidgen 
Lebhrgegenjtänven zu zählen, daß jelbit ver ſchlichten Dorfſchule mit vollem 
Ernſt zugemuthet wird, wenigſtens etwas aus der Geſchichte, aus der vater: 
ländifhen zumal, in ihren Unterrichtötreid aufzunehmen. Jedes Kind, 
auch das des armen Zagelöhnerd und Arbeiters, foll mindeſtens Einiges 
aus dem Bereich des Bedeutſamſten in der Geſchichte erfahren, foll einige 
vorzugsweife berühmte und große Perfonen, wovon fie handelt, einige 
hochwichtige, folgenreiche Begebenheiten kennen lernen, welche in der ganzen 
Summe lebendig in einander greifender Erſcheinungen allgemein als bie 
Brenn: und MWendepunfte des Lebens angejeben werden. Muß die Volle: 
ſchule aud auf die Belanntihaft mit dem ganzen, volluferigen Lebensſtrom 
verzichten, von welchem eine Heinfte Welle aud das Lebensſchifflein des 
Geringften im Volle trägt und meiterführt, fie foll doch nicht völlig leer 
ausgehen und unberührt bleiben von den bildenden, erwärmenden und er: 
frifchenden geiftigen Negungen, deren aus dem Strom der Geſchichte fi 
fo zablloje weiter und weiter oScillirend aud in feinen Geilt und in fein 
Semüth binüberleiten lafjen. Daß die Ueberzeugung von dieſer Nothiwenpig: 
feit mit immer wachſender Energie durchgedrungen ilt, wird den Bemühungen 
derer mit zu verdanlen fein, die in anderer, befjerer Art als vormals Geſchichte 
gefchrieben und gelehrt, und auch derer, die feit einer langen Neibe von 
Jahren über Geſchichte und Gefhichtsunterricht gejchrieben und gelehrt 
haben. Wie der „Pädagogiſche Jahresbericht“ und vor ihm fchon 
der „Wegweifer für deutſche Lehrer” (von Diejtermeg) bemüht ge: 
weſen ift, feines Theild auch zur Vervollkommnung des geſchichtlichen Schul- 
unterrichts beizutragen, wird als belannt vorausgejegt werben dürfen, da dag, 
was in diefer Hinficht diefer wie jener der Schulmelt zur Kenntnißnahme, 
zur Erwägung und praftiihen Prüfung vorgelegt bat, feit mehr als fünf 
und zwanzig Jahren, und feit mehr als fünfzehn Jahren fogar in jährlich 
neuen Anregungen und Ergänzungen vorliegt. Was bierburd und durch die 
überaus zablreihen und ungleich werthvolleren andermeitigen Schriften über 
Geſchichte und Geſchichtsunterricht wirklich Fruchtbares, Umgeftaltendes in 
die Schulwelt eingedrungen iſt, — das liegt weit und breit in den er⸗ 
reichten befriedigendern Nefultaten in ſolchen Schulen unjeres Baterlandes 
offen vor, deren Lehrer auf die Anregungen denkend geachtet, fie praltiſch 
geprüft und bie eine oder die andere bewährt gefunden haben. 

2) Um Etwas, vielleiht ſogar um Vieles iſt's in dieſer Hinfiht gegen 
früber befier geworden. Die Liebe zur Geſchichte und die Kenntniß der: 
felben ift ſichtlich gewachſen und in ungleich weitere Kreije als ehemals, 
bis in die niedern Volksſchichten herab verbreitet. Baterländifhe Ge 
ſchichte wird überall mit gefleigertem Intereſſe gehört und gelefen; die ges 
ſchichtlichen Bücher für jede Kategorie von Lejern, für jede Art des Bebürf- 
niſſes nad Bildung, Belehrung und Unterhaltung haben ſich gemehrt, fie 
find zugleich anfpredyender, lehrhafter, feflelnder für Jung und Alt abge: 


312 Geſchichte. 


faßt; der Eifer, womit in den Schulen verbeſſerter geſchichtlicher Unter 
richt ertheilt wird, bat fich erhöht; nicht blos in gelehrten Schulen, fondern 
auh in Real: und Bürger, in Mädchen: und gewöhnlichen Volksſchulen 
wird nad guten Lehrbüchern vielfah ganz trefflich unterrichtet; öffentliche 
geihichtlihe Vorträge jelbft vor gemiſchten Hörerlreifen haben noch überall 
ihre Anziehungskraft bewährt, wo fie anders gut gehalten worden find. 
Ohne Zweifel hat an ſolchen Erfolgen die Schule ihren nicht geringen An: 
theil. Wenn auch zugegeben werben darf, daß das ganze öffentlide 
Leben feit anderthalb Jahrzehenden ven ftärkiten, Jedermann durchzittern⸗ 
den Impuls gegeben bat, um das Bebürfnig nah Geſchichtskenntniß und 
den Eifer nach Befriedigung dieſes Bebürfnifjes zu weden; jo bat doch zu- 
gleih während dieſer Zeit die Schule nicht verfäumt, auch das Ihrige 
dazu beizutragen, daß Bücher und Lehre ebenmäßig zu gründlicher, ge 
diegener Geſchichtskenntniß Anleitung geben halfen. Dies alles zufammen 
bat zu mwürdigerer, vollbürtigerer Geſchichtsanſchauung geführt, wie fie dem 
fundigen Auge, dem zugleih die älteren literarifchen Erſcheinungen für bie 
genannten Schulkreiſe nicht fremd find, doppelt frappant und lehrreidh ent» 
gegentritt. Wie fchon gejagt, die bloß mechaniſche Geſchichtsauffaſſung 
ift bei ven Gebildeten, zu denen die tüchtigen, unterrichteten Lehrer ges 
hören, ad acta gefährieben; fie bat in der Schule die Berechtigung zur 
Geltung verloren. 

3) Damit fol nicht gefagt fein, daß fie aud überall ſchon aufgehört 
babe und nirgends mehr angetroffen werde. Ad nein; es will fogar be= 
dünken, daß manche Bücher neueften Datums noch in folhem Mechanismus 
befangen find. (Wenn auch allenfalls ein geiftvoller Lehrer mit folchen 
Büchern dennod in der Schule gute Erfolge erreicht, jo wird man bod ge: 
recht genug fein müflen, diefe Erfolge mehr auf Rechnung der Züchtig: 
feit des Lehrers, als auf die des Buchs zu ſeßen, und in fo weit dies 
zutrifft, fehaden auch folhe Bücher im Grunde genommen wenig.) Es ift 
ferner, immerhin fignificant, daß manche Verfaſſer neuerer geſchichtlicher Lehr: 
bücher und Leitfäden es nicht verfäumen, im Vorwort vworjorglich ihre, der 
blos mechaniſchen Gejhäftsauffaflung entgegenftehende Anfiht noch ganz bes 
fonders hervorzuheben”), Man fieht den darin gegebenen Definitionen 
von Gedichte alsbald an, daß die Verfaſſer keineswegs bereit die befiere, 
rihtigere Anficht allgemein vorausfegen. Sie haben Recht. Mo aber in 
die Lehrerwelt durch die jetzt fo zahlreihen Mege des Studiums, der ſchul⸗ 
mäßigen Unterweifung in den zahlreihen Lehrerbildungs - Anftalten, durch 
größere oder Kleinere Lehrer:Conferenzen, durch Verordnungen ber Behoͤrden, 
Rathſchlaͤge der Schulinfpectoren, der Journale, ja felbft der männiglich ge 
lefenen politiſchen Tageblätter die Erlenntniß eingedrungen ift, daß die Ge: 
ſchichte keine todte, ein für allemal fertige Sache üft, ſondern daß fie im 


*) Freiherr a. von Prokeſch⸗Oſten fagt in feinen „kleinen 
Schriften‘ Bd. IV (Stuttgart 1848) von Napoleon (II. Herzog von Reiche 
ftadt), dem er als Xreund nahe fland: 

„Die Geſchichte galt ibm nicht ale Aufzähblerin von Thatſachen, 
fonbern is Markitein‘, an dem der Geiſt der Völker und der Einzelnen fi 
und gibt.‘ 








Geſchichte. 313 


Fluß begriffenes Leben, und zwar in ausgezeichnetem Grade Geiſtes⸗ 
leben, Gedantens und Ideen- Entwickelung und Auspraägung einſchließt, 
Leben, wovon man ſich geiſtig betheiligen kann und ſoll, wodurch man in 
Erkenntniß, Geſinnung und Charakter ſich ſelbſt weiter entwideln muß, um 
nicht von der Zeit geiſtig lahm gelegt zu werden: wo diefe Erkenntniß 
eingedrungen ift, da ift auch thatfählih die Unbefrievigung an aller blos 
äußerlihen Erfaflung und Deutung der Gejchichte zugleich mit angebahnt. 
Man kann diefe neuere Erfenntniß allerdings gegenüber den jungen, an: 
gehenden Lehrern, denen die Erfahrung des Lebens noch abgeht, nicht 
genugjam wiederholen und betonen, indem ungeachtet der bejlern Erkennt⸗ 
niß vieler Andern gerade fie noch keineswegs vor dem Irrthum bewahrt 
find, das todte Geripp von Geſchichte, das ihnen in manden, wenig durch⸗ 
geifteten Büchern vor die Augen kommt, doch ſchon für befriedigende 
Geſchichte zu halten, zumal wenn fie der Gelegenheit beraubt geblieben 
find durch einen einfihtsvollen Geſchichtslehrer in die eigenften Kriterien 
guter gejhichtliher Lehr: und Handbücher eingeführt zu werben und bei 
ihnen einen tüchtigen Gefhichtsunterricht zu genießen, alfo auf fih ſelbſt 
beim Lernen der Geſchichte angewiefen waren. Dem Autodidalten in der 
Geſchichte ftehen zwar ganze Bibliothelen von Geſchichtsſchriſten offen, 
woraus er lernen könnte, wenn er nur zuvor immer recht lernen gelernt 
bätte, und wenn ihm der Blid für die Hauptſachen zuvor gehörig geöffnet 
wäre, um Zahlen: und Namentabellen nit ſchon für Gejhichte zu halten, 
während fie faum mehr als die Nagelftifte find, moran Einiges aus ber 
Geſchichte zum leihtern Behalten angeheftet werden muß, und die nur als 
ſolche Nagelftifte Werth haben. 

4) Das Befte der Gefchichte liegt in ganz etwas Anderm als in Namens» 
regiftern und BZahlencolonnen. Und morin liegt ed denn, was ifls 
denn, das in der Gejhichte gelernt fein will? 

Wohl gehört auch die äußere Kenntniß der Begebenheiten und That- 
ſachen, der gefhichtlihen Perfonen, der Hauptabfchnitte, Perioden, deren 
chronologiſche Folge und Abgrenzung, der Kriegsereigniſſe, der einander ab: 
löfenden Fürftengefchlechter u. dergl. mit zur Sache, und das Gedächtniß 
der Lernenden hat daran einen überreihen Stoff für Jahre lange Arbeit 
der fihern Einprägung. Es wäre ein Irrthum, diefe äußere Kenntniß 
zu unterfjhäßen, da fie zur prompten Orientirung unerläßlih if. Aber ein 
ungleich höherer Werth ift doch auf die Erlenntniß der geiftigen, innern 
Regungen zu legen, welde in den äußern Begebenheiten zur Geftaltung 
fommen, auf die Gedanken und Ideen, melde diefen Negungen ben 
Impuls verleihen, auf den Gang und die Stadien der innern Lebens: 
entwidelung der einzelnen geſchichtlichen Perfönlichleiten wie ganzer 
Völker, auf die höhere, divinatoriihde Aufgabe, melde jene und dieſe 
in dem Gejammtproceß der Geſchichte zu ihrer Zeit zu löfen haben und zu 
löfen ftreben, auf die böbern, ethiihen Ziele, nad denen hin dieſe Ents 
widelung gerichtet ift, auf die göttlihen Geſetze des Geiſteslebens, 
welche fich in diefem ganzen Streben und Entfjalten offenbaren, auf die 
Eigenart der Charaktere, melde das Gepräge ganzer Zeiten bejtimmen, 
mancherlei oft langdauernde Zeitftrömungen mit veranlafien helfen. Um 


314 Geſchichte. 


dies Alles kennen zu lernen und in ſich aufzunehmen, reiht felbftverftänd- 
lih das bloße gedächtnißmäßige Ginprägen einzelner Momente nit aus. 
Der ganze Geiſt, das Denken, Begreifen, Urtbeilen, dad Gemüth, be 
fonderd der zum eigenen Handeln treibende Wille, die Phantaſie und 
die Contemplation find es, welche dadurch zur menſchenwürdigſten, be: 
friedigenditen Arbeit berausgeforvert, welche mit Energie daran gejeßt werden 
müflen, um eine gründliche Kenntniß all’ jener innern Factoren und 
beitimmenden Einflüſſe der Gedichte zu gewinnen. Die Aufgabe ift alfo 
in der That eine merklih andere, ſchwierigere, als ſich's mancher vor: 
ftellen mag, der eine größere oder geringere Summe tabellarifher Momente 
und eine mehr oder minder große Anzahl von Gejchichtserzählungen, wie fie 
in gewöhnliden Gejhäftsbühern „für Scule und Haus’ gefunden zu 
werden pflegen, in fein Gedächtniß aufgenonfmen hat. Und doch ift einmal 
die Gejchichte nichts Geringeres als die georbnete Darftellung, der durch das 
Geiftesleben der Völker bervorgerufenen und genäßrten innern Ent: 
widelungen, welche nur in den äußern Begebenheiten in die Erſcheinung 
treten. Lebtere find das greifbare Gewand für erſtere. Geift kann aber 
nur wiederum dur Geift erfaßt werden, kann nur durch Geift verftanden 
und dadurch für den eigenen innern Menfchen fruchtbar gemacht werden. 
Nur in jo weit die Gedanken der Geſchichte und der in ihr handelnden 
Perfonen wiederum vom dentenden Geift des Lernenden aufgenommen, 
ertoogen, nach innern Geſetzen weiter gefponnen werben, hat die Gefchichte 
eine wahrhaft bildende Kraft. Am Gedanken, am Geift des Andern 
rankt der eigene Geiſt, am Charakter des Andern der eigene empor, 
nimmt davon Saft und Kraft in fih auf, Härt und feftigt fih daran, be 
lebt den eingebomen Trieb zur eigenen That durch die Anſchauung der That 
Anderer, begeiltert fih an dem nachhaltigen willensftarten Streben Anderer. 
Die Gedanken der Geſchichte müflen zur That anjpornen, das erfolgreiche 
eigene Thun erzeugt dann rüdmwirlend wieder neue Gedanken. Je mehr 
unfere heutige Bildung die Gedankenlofigfeit der Menge zerftreuen helfen 
will, defto mehr muß fie durch die Schule den ganzen Geift anzuregen, zu 
beleben, mit Gedanken großer Männer und Helden, mit Gedanken, wie fie 
in großen Begebenheiten zum Austrag kommen, zu erfüllen tradhten. Die 
Geſchichte ift eines der hervorragenpften Mittel dazu. Deshalb findet fie 
fo fleißige Pflege, deshalb halten die Evelften dieſe Pflege für fo erfprieß: 
lih und wenden derfelben ihre Kraft und Liebe zu; deshalb legt man den 
Geihihtsunterriht an den höhern Schulen gegenmärtig in die Hand ges 
reifter, geiftesfrischer Männer, welche die pädagogiſche Wünſchelruthe da an: 
zufchlagen verftehen, wo die verborgenen Schäbe der Geſchichte für Geift 
und Gemüth der Schüler würdig und fiher gehoben werben können. 

5) Mas die Gefhichte als ächteften, edelften Inhalt umſchließt, 
das foll aber auch gelehrt werden. Man foll fortan die Schüler nicht mit 
den bloßen Schalen abfinden, fondern ihnen die Fundgrube der geiftigen 
Schäge erſchließen, damit fie daran Gefhmad gewinnen und in ihren eigenen 
Geift und in ihr eigenes Leben ein Kapital mit aufnehmen, das jelbitar: 
beitend die aufgewendete Mühe nahmals lohnt. Wie unjere Altvordern 
an Mähr und Geſchichte ſich ergögten, fo kann auch unjerm heutigen Bolt 














Geſchichte. 318 


neben ber geiſtigen Ertüchtigung zugleich ein ähnliches Ergoötzen bereitet werden, 
ed wäre ihm boppelt gut in den jebigen Tagen, wo der Strudel kalt materieller 
Interefien alles rein:geiflige Ergöpen an Dingen, weldhe nicht fofort nad 
dem Gulden: und Thalerwerth abgefhägt werben können, zu verjchlingen 
droht. Freilich eine leichte Arbeit ift es nicht, bei der Erzählung der 
Geſchichte, ftatt mühelos den blos äußern Verlauf anzugeben, jedesmal die 
innern Beranlafjungen und das innere Gedanfengetriebe klar darzulegen, 
und die Continuität der Entwidelung zur rechten Anſchauung zu bringen; 
aber dankbar iſt fie für den Lehrer, fruhtbar für den Schüler; beiden 
kann fie eine wahre Befriedigung eintragen, da fie eben eine wirkliche 
Geiftesarbeit ift. 

6) Es könnte fcheinen, als wenn mit dem eben betonten Drängen 
auf Erfafjung des geiftigen Inhalts der Geſchichte theild der Bogen ber 
Forderungen zu ftraff angejpannt, theils der Momente für dag Glaubens: 
leben, welche aus der Geſchichte für den Schüler bervorgehoben werden 
müflen, vergefien wäre. Das erfordert noch einige Bemerkungen. 

Eine vieljährige praktiſche Erfahrung beftätigt es, daß Schüler in den 
überwiegend meilten Yällen nur an den äußern Daten und Facten Kleben; 
diefe machen ihnen weniger Arbeit, fie memoriren fie, behalten fie auch lange 
Zeit feft und treu im Gedächtniß. Damit aber verfallen fie nur zu leicht 
der Zäufhung, daß fie an dieſen Daten und Facten ihres Theil genug 
und gerade das Rechte hätten. Selbft die Ahnung, daß damit weder ges 
nug, noch allein das Rechte gewonnen fei, geht vielen ab. Das ift ein offen- 
barer Schaden; denn jene blofen Daten find nun einmal die Gejhichte noch 
nit. Oder: die Schüler merken ſich ebenfo äußerli ven Verlauf einzelner 
Begebenheiten, können benjelben auch relativ vollftändig wiedergeben, und 
halten nun dies für über genug und völlig dad Rechte. Das ift wieder 
ein Irrthum; erft in jenen Hüllen ftedt die Geſchichte. Nun haben fie 
bloße Schalen und keinen Ken. Der Kern ift allemal der geiftige Ge: 
balt. Je verbreiteter in diefer Hinfiht der Irrthum und die Täujchung ift, 
defto mehr empfiehlt es ſich gegenwärtig, verftärkt den Nachdrud auf diejen 
geiftigen Gehalt zu legen, um ihm in der Anfchauung der Lernenden erft 
das erforderlihe Gewicht und Geltung zu verſchaffen. Damit ift gar nidt 
gejagt, dab ed von vornherein im Gejhichtsunterriht darauf ab: 
gejeben werden müfle, fogleih viefen Gehalt in feiner vollen Breite und 
Ziefe zu entwideln, denn das wäre ein pädagogischer Fehler. Sehr jugen d⸗ 
lichen Anfängern lafien fih mit Erfolg nur Gejhichtserzählungen bieten, 
in denen vorwiegend das äußerlich oder der Phantaſie Jmponirende, Groß: 
artige, Staunenerregende, oder das Naive, ſchlicht Einfache, Yamiliäre, das 
ihnen zu Herzen fpricht, entgegentritt. Dabei fteht jedoch nichts im Wege, 
einzelne Blide in den Sinn des Lebens, in die Gedanken der Perjonen 
und in die ihre Seele füllenden Beltrebungen zu thun, jedesmal nur fomeit, 
daß fi fofort den Kindern abmerken läßt, es fei ihnen dies verſtändlich 
geworden. Bei allen großartigen Begebenheiten, 3. B. bei den Kreuzzügen, 
bei allen großen geſchichtlichen Perfonen alter, worchriftliher und chriftlicher 
Zeit, z. 3. bei Alerander d. Gr, Karl d. Gr., ift died ohne Schwierigfeit 
tbunlid. Aber wenn in ven erften Anfängern der Sinn für Geſchichtser⸗ 


316 Geſchichte. 


zäblungen und deren angemeſſene Auffaſſung gewedt iſt, dann läßt ſich auch 
beginnen, gradatim dieſe Blide zu vermehren und immer ein wenig mehr 
zu vertiefen; z. B. bei der Unterweiſung über das mittelalterliche Moͤnchs⸗ 
und Rittertbum , über das Städtemwefen, über die Reformation, über den 
dreißigjährigen Krieg. Die Nahmeifungen der Gedanken und Bebürf: 
niffe, woraus dieſe bedeutſamen geſchichtlichen Erſcheinungen bervorgingen, 
ſind ohne Zweifel fruchtbarer für die Bildung des Geiſtes und Herzens, 
als die Aufzählung der Orden und ihrer Lebensregeln, die Schilderung der 
äußern Erſcheinung der Ritter auf ihren Burgen, im Turnier, im Kampf 
auf dem Schlachtfelde, als die einzelnen Vorgänge, welche die Reformation 
veranlaßte, oder welche neben derfelben ſich zutrugen, als die Abſchnitte und 
Hauptacte, melde im breißigjährigen Kriege zu merken find. Es kommt 
binzu, daß der Schüler felbft nah und nad zu der Frage gedrängt wird, 
wie fih die Lüden zwifchen den anfängli nur fprungmeife vorgeführten 
Einzelpartien ausfüllen, da ihm einleuhtet, daß das Leben doch nicht 
ftille fteht. Ihm erwächſt das Bebürfnig nad einem Faden des Lebens 
und damit die Ahnung eines Zuſammenhangs, einer fuccefiiden Ent: 
faltung und Entwidelung. Pann tritt der Beitpunft ein, wo er vers 
ftehen lernen kann, daß ein Leben, welches fih in allerlei Erſcheinungen 
entfaltet, einen Mittelpuntt haben muß, von wo aus ed geregelt wird, 
dag es geiftige Potenzen fein müffen, welche Zhaten einleiten, fortführen 
und zu Ende bringen und daß die Gedanken der leitenden Perjonen, 
ihr Sinn, ihre Beftrebungen, diefe Potenzen enthalten. 

Der Pädagogiihe Jahresbericht ift natürlich nit der Ort, wo fi 
im Einzelnen ausführen ließe, welche Gedanten und Ideen bei den 
im Laufe der Jahrhunderte fich entwidelnden Begebenheiten und in den 
dabei handelnd auftretenden Völkern und Cinzelperfonen ed denn eigentlich 
find, auf welche hier bingewiefen wird. Das läßt fih nur in einem ge: 
ſchichtlichen Lehr: oder Handbuche thun, und folder, in denen das bereits 
geſchehen iſt, gibt es bereits. Wer aber halbwegs mit der Geſchichte ver: 
traut ift, weiß nicht nur, daß 3. B. die alten Völler des Morgenlandes 
ihr Leben aus ganz andern Grundideen aufbauten, als die alten Griechen, 
und diefe wieder auf andern als die Römer, fondern er wirb auch dieſe 
Grundideen kennen. Zugleich wird er willen, mas für Gebanten bie Seele 
eines Cyrus, Alerander des Gr., Cäfar, eines Lykurg, Solon, Perikles, 
des römischen Senats, eines Hannibal und Scipio u. ſ. m. erfüllten. Gr 
muß ferner den Welt erneuernden Gebanten des Chriftentbums und den 
Melt unterjohenden des Islam kennen, muß mifjen, welcher geiftige divina⸗ 
toriihe Drang die Germanen dem römifhen Reich entgegentrieb, und auf 
welchen Ideen germanifches Leben im Mittelalter rubte, welche Geſtaltungen 
diefe been verlörperten. Cr wird den Gedanken der Reformation wie den 
der Revolution in der ganzen Macht feiner umfchaffenden Kräfte, biviner 
wie infernafer, verftehen und feine Fortwirkung auf die nachfolgenden Jahr⸗ 
hunderte und Jahrzehende erfennen. Das find Beifpiele, woran ftatt des 
rein äußerliben Verlaufs der vulgären Lebensauffafiung jener Männer, 
oder der nadten Angabe der Weiſe der Verbreitung des Chriftentbums und 
des Islam, der Stiftung germanifcher Reiche auf altrömifhem Boden, des 








Geſchichte. 317 


allmäligen Umſichgreifens der Reformation und der Revolution, ſich augen⸗ 
fällig nachweiſen läßt, weldy’ ein Unterjchied zwijchen mechaniſcher und zwifchen 
richtiger, geiftiger Auffafjung der Oeſchichte durdy Verfolgung ver Gedanken⸗ 
Entwidelung in diefen Perjonen und Erſcheinungen if. Die Grundideen, 
welhe ganze Völler haben, welche theilweis modificirt, theilweid gegen 
andere vertaufcht, in ganzen Beitläuften berrfchen, fpiegeln fich in mancher⸗ 
lei Brehung in den verfchiedenen Trägern der Gedichte wieder, und an 
legtern ift meifteng am fchlagenpften zu erlennen, wie diefe Grundideen im 
Laufe der Jahrhunderte einander ablöjen. Es find feineswegs lauter politijche, 
e3 find auch culturgeſchichtliche und kirchliche Gedanken, welche in 
Frage kommen; nur fehlt es nicht, daß im Höhenpunkt ihrer Entwicklung 
die letztern in der Regel zugleich in politiſche umſchlagen, ſobald es gilt, 
ihnen im Volksleben allgemeine Geltung zu verſchaffen. Unbedingt hat 
ein Geſchichtsunterricht, der auf diefe Momente eingeht, unendlich viel 
böberen Werth für die Bildung der Jugend, al jeder andere, der fie gar 
nicht berührt und nicht zu verwertben weiß. Selbſt wenn jener auf eine 
gewifie Summe äußerer Gejhictslenntniß verzichten müßte, ift dennoch fein 
Nugen entſchieden größer. Seine volle Frudt kann er allerdings nicht 
fchon bei Knaben tragen, fondern erftin gereifteren, auch anderweit geiftig geübten 
Schülern erzeugen; feine oberfte Stufe fällt deshalb nicht in die Volksſchule, 
fonden in die höheren Lehranftalten. Aus den Büchern von Leo und 
Dittinar, um Beijpiels halber nur ein Paar zu nennen, laſſen fich dieſe Ge 
danken und Seen, welche das Familien, Volks⸗ und Staatsleben, die 
Wiſſenſchaft und Kunft, das religiöfe und kirchliche Leben tragen, im Ein⸗ 
zelnen kennen lernen. 

7) Was die Momente des Glaubenslebens anbetrifft, welche im 
geihichtlihen Unterriht für den Schüler hervorzuheben find, fo follte es 
eigentlid fih von felbft verjtehen, daß dieſe in erfter Linie bei Beachtung 
des geiftigen Lebens der Böller und der Einzelnen ftehen. Schon die 
Grundanſchauung, daß Gott der Herr die Gejhihte macht; daß Er fie 
in allen Beiten und bei allen Böllern nah Seinem Rathe lenkt; daß Gr 
nah Seinem Wohlgefallen Seine Helden und Nüftzeuge, auch die Zucht⸗ 
rutben der Böller erwedt, Ruhm und Glanz, aber auch Sirafe und 
Demüthigung kommen läßt, ja ganze Völker untergehen läßt und ihre Reiche 
zerftört; daß Er die ganze Geſchichte in Staat und Kirche durch eine Fülle 
von Kräften und Mitteln immer weiter führt, dem diele entgegen, das 
Er von Ewigkeit bergeftedt und der Welt offenbart hat: dieſe Grundan- 
Shauung, wenn fie den Zon und die Weiſe regiert, worin Geſchichte ges 

ſchrieben und gelehrt wird, gebiert von felbft auf Tritt und Schritt, dem 
hellen Auge wohlertennbar, eine Menge folder Momente. Je nah dem 
Refler, den die Seele und das Gemüth des Lehrers in dieſer Hinficht zu 
geben vermag, werden fie im Unterrichte ihre Andeutung und Ausführung 
finden. Die Einzelperfon, die Einzelihat, ein ganzes Leben, eine fette von 
Begebenheiten, ein ganzes Voll, eine Periode feiner Geſchichte liefert ſolche 
Momente. Nicht daß es lauter Lirhliche Bewegungen und Perjonen 
fein müßten, woran biejelben hervorſprängen, auch rein weltlihe Erſcheinungen, 
weltlibe Große aller Zeiten jchließen dergleichen in fi ein, und follten fie 


318 Geſchichte. 


nur den Gegenſatz gegen Gottes Ordnung, die Feindſchaft gegen ſein Geſet 
ausprägen. Bor Andern freilid find es die Männer und Helven des Glau: 
bens, die Inſtitutionen fittlihereligiöfen und kirchlichen Lebens, worauf ber 
Unterricht, fobald er an fie herankommt, mit bejonderer Sorgfalt einzugehen 
hat. Iſt es doch nicht das reihe geſchichtlich Wiſſen, um deßwillen 
Geſchichte gelehrt und gelernt wird, jondern die Er jiebung des Schülers 
zu einem Menſchen Gottes, der da volllommen fei und zu allem guten 
Werk gefehidt; nicht vornämlid der Kopf, jondern das Herz, nit bie viel: 
feitige geiftige Gewandtheit, fondern die Tüchtigkeit und Reinheit bes Cha: 
rakters beftimmt die Schularbeit am Schüler. Jenes accentuirte Drängen 
auf Erfaſſung des geiftigen Lebens jchließt das Glaubensleben nit nur 
nicht aus, fondern ganz eigens ein, fo daß es in erhöhtem Grade des 
Geſchichtslehrers Pflicht ift, fih nichts zu verzeihen, mas in den Schülern 
deren glaubensvollen Einn ftören, ihr Glaubensleben in Disharmonie brin: 
gen und erjhüttern könnte. In hriftliden Schulen wäre es doch in 
der That unerbört, wenn die Geſchichte in heidnifhem inne gelehrt, 
wenn Ironie, Spott und Veraͤchtlichkeit gegen hrifilihe MWeltanfhauung 
ver Berfonen und Thatſachen an die Stelle pietätvoller, würdiger Behand⸗ 
fung treten follte, jo daß z. B. bie beionifche Welt nur im Lichtglange, die 
priftliche dagegen im Dämmerjhein von allerlei VBerbummungsverjuchen, 
Elendigkeiten und Halbheiten gezeigt würbe. Welches der Mittelpunkt des 
Geſchichtsunterrichts in chriſtlichen Schulen fein und bleiben muß, das if 
betannt, und ift aud von Männern ausgeſprochen, deren Wort felbft Denen 
unverfängli Mingen könnte, welche font eine befremplihe Scheu haben, 
in vdiefem Stüde auf Autoritäten etwas zu geben. Es werbe bier nur an 
Johannes v. Müller erinnert. Dabei muß es alſo ſchon bleiben, daß 
in unfern chriſtlichen Schulen in aller Weiſe auch durch den Geſchichts⸗ 
unterriht das Glaubensleben der Schüler gepflegt und geförbert wird, um 
ihmen fittlihen Halt, entſchiedenen Charakter und Mares, bewußtes Urtheil 
über das Leben zu geben; dies gilt von Volksſchulen und nicht minder 
auch von allen höheren Lehranftalten. 

Abgefehen von einem etwas tenbenzids gefärbten Paſſus in nadfol- 
genden Worten aus einem Bortrage („Theologen an Gymnaſien“), womit 
Brofefior Dr. Scheele als geiftlicher Infpector das Candidaten-Conviet am 
Mofter Unferer lieben Frau zu Magdeburg am 7. Mai 1862 eröffnete, 
treffen die übrigen Gebanfen Das, was aud in Cbigem gemeint if. Gr 
fagt: „Wer durd das Studium der Alten (und das gilt aud von ihrer 
Geſchichte) ſich nit zu Jeſu Chrifto bingewiefen fieht, nidt zu wahrer 
vaterländifcher Treue erwärmt und gemweihet wird (mer burd Homer, Eo- 
phokles, Thucydides, Plato, Demoſthenes, Tacitus nicht mit Gel erfüllt 
wird vor dem Treiben der wortreichen, von Freiheit ſchwatzenden und 
Knechtſchaft in innerfter Seele tragenden Boltsführern unferer Zeit), der 
hat die Alten nicht verftanden, fondern fpielt noch mit den Schleiern und 
Gewändern, hinter denen das herrliche Bild antiker Schönheit in feiner 
flillen und ahnungsvollen Größe ruht, dies Bild, deſſen bedeutendſte Züge 
diefe zwei bleiben: tiefes Sehnen nad) höherer Offenbarung, nah Löſung 
der Raͤthſel des menſchlichen Dafeins, und dazu tragifher Schmerz über 








Geſchichte. 319 


die Thorheit der Menſchenkinder, die durch Frevel an der Gottheit und 
zügellofe Selbftjuht das theure Vaterland zermühlen und rettungslos hei: 
miſchen Gemwalthabern oder Fremden überliefern. Aehnlich ſchrieb jüngft 
ein Anderer: „Die Frage, ob die Religion nicht durd das Hineinziehen 
in eine weltlihe Sphäre entweiht werde, erledigt fich durch den Rüdblid 
auf die biftoriihe Thatſache, daß es ja von jeher die religiöjen Mei- 
nungen und Seelenftimmungen der Völker geweſen find, welche die frischen 
Strömungen neuer großer Epochen herbeigeführt haben.‘ 

8. Wenn nun fo bedeutende Anftrengungen zu machen find, um Ges 
ſchichte zu lehren und zu lernen, jo follte man meinen, es mülle der Ertrag 
diefer Anftrengungen ganz außergewöhnlih groß fein. Nun ja, für die 
rein geiftige Entwidelung der Jugend ift in der That der Ertrag aud nicht 
unerbeblih ; die Geſchichte übt alle Kräfte des Geiſtes, fie könnte auch den 
Willen und Charakter läutern und ftählen. Aber die Lebensfeite des 
Schülers pflegt leider dennoch jelten viel dadurch zu gewinnen; er fchaut 
die ihm vorgehaltenen Glanzbilver an, er lernt die Nachtſeiten vieler Chas 
raltere kennen, dort großartigfte, edelfte Sraftanftrengung um die hödjiten 
Lebendgüter, bier niedrigfte Gemeinheit, Perfidie und Gntartung; — troß 
concretefter Vorführung nimmt er fie meift als Theorie bin, und die eigene 
Lebensprarid läßt er wenig davon tangiren. Wie ſchon Andere gellagt 
oder mit bitterer Ironie geäußert haben, daß, wenn etwas aus der Ges 
ſchichte zu lernen wäre, fo würden die Menſchen bereit3 etwas daraus 
gelernt haben, fo Hagt auch Fr. Jacob3 in feinen Briefen an Thierſch: 
„Wie wenig ift dod das, mas die Menjchen aus der Gefchichte Iernen, 
felbft wenn jie vor ihren Augen gejchieht. Und dennod darf die Schule 
nicht nadlafien in dem Bemühen, fo viel an ihr ift, aud durch ihren 
Geſchichtsunterricht eine Frucht für das Leben, zumal für Gemüth und 
Charakter zu ſchaffen. Sie hat fortzufahren mit der Saat auf Hoffnung. 
Wer des Segens werth ift, wird ihn ja unzweifentlich erlangen. 


D. Form und Ton neuerer Geſchichtsſchriften. 


1. Den älteren Schulmännern unter den Lejern des Pädagogifchen 
Jahresberichts wird es bei vergleihender Zufammenftellung derjenigen Ge- 
ſchichtsſchriften, aus denen fie in jungen Jahren gelernt haben, mit denen, 
welche in den neueften Zeiten erjchienen find, nicht entgehen können, daß 
ein mertliher, zum Beſſern gemendeter Umſchwung in den legteren einge: 
treten it. Wer den alten Schrökh aufihlägt, findet darin eine altehrs 
würdige Nüchternheit, ja Trodenheit der Darftelung, nur darauf berechnet, 
in ſchlichter, kühler Kathederweife zu belehren. Bredom begann, durch 
größere Umftändlichleit der Behandlung der „merkwürdigſten Begebenheiten“ 
— ein jeit feiner Zeit jehr gangbarer Ausdrud — den Blid auf hervor 
ragende Einzelheiten zu legen, ftatt daß man jonft gewohnt war, den Ges 
ſchichtsfaden auch in der Schule gleih von allem Anfang an nad) chrono» 
logiſcher Folge fortzufpinnen. Nöffelt bielt eine Art behäbiger Breite 
und eine oft recht blafie Erläuterung fremder Gejhichtsverhältniffe, vers 
bunden mit etwas weichet Sentimentalität, für die angemeflene Art der 


=> 


+ 


320 Geſchichte. 


Belehrung. W. Böttiger ſchlug einen friſchen, ſchwungvollen, faſt poe⸗ 
tiſchen Ton an; Pöolitz regiſtrirte in knappſtem Raum und mit concinneſier 
Faſſung eine überſchwengliche Fülle ſtaatengeſchichtliche Momente; Rotted 
verpflanzte ſeinen ſubjectiven Liberalismus in die ſeither von anderem 
Standpunkte aus beleuchtete Geſchichte. E. Schmidt häufte in kaum ver: 
ſtaͤndlicher Schreibart in mit Inhalt überfüllten Sätzen die Thatſachen zu⸗ 
ſammen, indem er wie Böttiger zugleich die Culturgeſchichte von der 
politiſchen Geſchichte trennte, und jene auf dieſe in den einzelnen Perioden 
folgen ließ. Luden ſchrieb gelehrt und deutete oft durch Combination 
kühner, als die Quellen geſtatteten; K. A. Menzel ſchrieb ebenfalls gelehrt 
und mit großer Ausbreitung über Nebengebiete. Leo verfaßte aus gründ: 
lichſter Sachkunde heraus feine Schriften im Geifte des Evangeliums, worin 
ihm Dittmar und Dietſch nacgefolgt find. K. F. Beder hatte in 
feiner Weltgefhihte dem Sagenftoff einen nicht unbedeutenden Raum ges 
gönnt, und war durch einfadhen, jchlichten Erzählton, worin er alle Haupt: 
ſachen in leicht auffaßbarer Art ohne befondern Redeſchmuck, doch anſpre⸗ 
hend und lehrhaft wortrug, lange Zeit hindurch befonvers beliebt. Bolger 
ſchnitt die Lehrſtoffe ſchulgerecht zu und fchrieb etwas kühl; ähnlich Bed 
im Zujchnitt, aber wärmer im Ton und milder im Urtheil. Kohlrauſch 
ſchlug einen Anfangs feurigen Zon in feiner deutichen Geſchichte an, der 
je länger deſto milder aber tiefer eindringend geworben iſt; Duller ſchrieb 
aud mit Begeifterung, Inapp und fernig, reflectirte aber bei jeber Gelegen⸗ 
beit feinen demokratiſchen Sinn; Fr. Voigt ſchreibt nüchtern kühl, ohne 
Neflerionen, aber mit größter Sorgfalt in der Sache, namentlih in den 
territorialen Verhaͤltniſſen; Carlyle barod und obne alle Gene. Und fo 
ift die ganze Milchitraße von Berfaflern deutfcher und allgemeiner Geſchichts⸗ 
Schriften mit mancherlei Nüancirungen ihres Lichts in Yarbe und Stärke 
His auf die neueren Jahre zu verfolgen. Binjelftriche der eben angeführten 
Art können nicht die ganze Art und den Ton, wie die Bücher der genannten 
Männer gejhrieben waren, mit ausreichender Genauigleit charalterifiren, 
und würden fie für mehr, als fie jein wollen, angejeben, jo führte das zu 
unliebfamen Conjequenzen. So viel laſſen fie aber ertennen, daß die Er: 
zäblform, der ruhige, nur bei Einzelnen belebtere Lehrton darin wal: 
tete bei mehr oder minder großer Sründlichkeit und Umfafjenbeit, je nach⸗ 
dem e3 die nächſte Beitimmung der Bücher zu fordern ſchien. 

2. In neuerer Zeit find in Form und Ton, freilih nod mehr im 
Geift der Geſchichtsſchriften ſehr merklihe Aenderungen wahrnehmbar ge⸗ 
worden. Keber bat angefangen, in tabellarijher Form einen Zeit: 
faden zu fchreiben, der zugleich lesbar wäre und verfhiedenen Curſen 
dienen könnte. Pallmann ift ihm nachgefolgt und hat diefe Form weiter 
entwidelt, ohne die Lesbarkeit indeß mefentli zu erhöhen, Stahlberg 
bat auch drei Curſe zugleih in continuirlidem Fluß der Darftellung ver- 
bunden, ohne jedoch den Inhalt in tabellarishe Yorm zu zwängen, was 
auh Schlag bei ähnlicher Bearbeitungsform vermieden hat. Während 
früher nur der einfache, unerläuterte Zenor der Gejcichtserzählung gegeben 
wurde, enthalten viele Geſchichtsſchriften nah Leo's und Dittmars Vor: 
gange zu dem SHaupttert noch allerlei fpecielle Grläuterungen und Aus» 





Gerichte. 321 


fMbrungen. Durchweg ift mebr Methode in die für den Schulunterricht 
beftimmten befieren Geſchichtsſchriften gekommen, indem nicht blos eine an- 
gemeflene, die verjhiedenen Seiten des geſchichtlichen Lebens eines 
Volkes beadhtende Auswahl des Stoffes, worauf fhon Shmitthenner 
planmäßig achtete, und eine Abftufung deflelben nach feiner innern 
Schmwierigleit im Auge behalten, jondern aud in der Darftellung und 
im Ton verjelben die Shülerftufe berüdfihtigt it, für melde vie 
Schriften berechnet wurden. Nelativ inhaltreih, einfach, Har, frifh und 
nad Umftänden marlig, jo jchreiben die beſſeren heutigen Berfafler, das 
Weichliche, Sentimentale ift abgeftreift, das Blumenreihe, Poetiſche eben- 
falle, wenn aud bisweilen eine poetiiche Reminiscenz nicht ungern aufge: 
nommen wird; der Ernſt der Geſchichte felbit tritt in den Vordergrund, 
wie e3 der Würde der Sache, dem Ernſt der Jeßtzeit entipricht. 

3. Neben den direct für den Schulunterricht beftimmten geſchicht⸗ 
lihen Schriften bat die neuere Zeit eine Menge anderer gebracht, weldye 
zugleih für das Haus oder für das Bolt beftimmt find. In dieſen 
waltet eine große Mannidfaltigleit. Sie pflegen unebenmähig ausgeführt 
zu fein, die Partien, welche beſonders anziehend zu wirken verfprecden, 
pflegt man auszumalen, jhmudvoll und farbig herauszupußgen, obne allzu 
ängftlihe Sorge um volle biftorifhe Treue fubjectio zurecht zu machen. 
Das bat feine großen Bedenken. Gefärbte Wahrheit hat nirgends boben 
Curs. Man begegnet darin zuweilen forcirtem Patriotismus, zweifelhaften, 
wenn auch enragirtem Deutſchthum, bisweilen volksſchmeichleriſchen Aus» 
laſſungen, etwas theatraliſchem Pathos, ſehr dürftigen, meiſt rationaliſtiſch 
angelaufenen religiöjen Beziehungen und nicht ſelten einer überſtarken Eigen⸗ 
liebe des Verfaſſers. Es leuchtet auf gar mancher Seite der Bücher be⸗ 
rechnete Abſfichtlichleit hervor, welche jedesmal etwas verftimmt, ſelbſt wenn 
fe gut gemeint iſt. Bald iſt's eine ſehr populäre, bald eine draſtiſche, 
bald eine etwas vornehme Sprache, worein die Geſchichte gekleidet wird, 
immer mit der Gorge, den Schulton zu vermeiden. Es follen ja jolde 
Bücher nicht felten aub zur Unterhaltung dienen. Zu dieſem Zwed 
werben fie auch noch illuftrirt. Ehedem waren wohl Hübner’s „biblifche 
Hiftorien” mit Heinen, wenig tünftleriichen Holzfchnitten illuftrirt, aber welt: 
gefhihtlibe Bücher verfab man nicht mit vergleihen Bildchen. 
Chr. Niemeyer mar einer der Erften, der damit begann, indem er feinem 
‚„Heldenbud‘ vie Bilonifie der Helden im Befreiungstriege beigab ; frei: 
lich ohne daß dadurch das flark übertreibende Buch innerlich werthvoller 
geworden wäre. Wegenmwärtig find fhon eine Menge folder Bücher mit 
allerlei Bildchen geziert. Die Spamer'ſche Verlagshandlung ift feit Jahren 
dadurch allgemein belannt, daß fie all’ ihre Verlagsartikel, auch die gejchicht- 
lichen (3.3. Wägner’s „Hellas und „Rom“) mit oft recht ſchoͤnen Illu⸗ 
ftrationen ziert. Gin derartiger Schmud ift nicht gerade an ji mißlich; 
er kann die Beranfhaulihung unterftügen und der Grinnerung eine Hand⸗ 
babe geben. Aber nicht jelten lenkt er auch ab und ftört fchledthin, wenn 
er naͤmlich in gar feiner nabeliegenvden, nothwenbigen Beziehung zum Tert 
ftebt. In folden Fällen wäre der Wegfall derartiger illuſtrirender Debitel 
nur wünfchenswertb. 

Bir. Iahreöberiht XV, 21 


822 Geſchichte. 


4. Am meiſten zieht man Bücher vor, welche edel, einfach und ruhig, 
warm und klar, ſachlich ſorgfältig und aus lauterem patriotiſchen und chriſt 
lichen Sinn geſchrieben find, und dabei anſchaulich und die Bedürfniſſe des 
jedesmaligen Leſerkreiſes gehörig abwägend, den Nachdrud auf die geiftis 
gen und fittlihen Seiten der Geſchichte, nicht in erfter Linie auf das 
politifche Treiben und die Kriegsbegebenheiten legen. Auch Bücher, welche 
die Sagenftoffe (wie Colshorn) mit aufnehmen, haben Chancen für 
Beliebtheit, wenn fie nur nicht fo leger gehalten find, wie dies wohl vor: 
tommt. (Auch bei Colshorn.) Je mehr fie fi der Hinweilungen auf 
die modernen politijhen Parteiwirren enthalten, ftatt auf fie bei 
jeder Gelegenheit mit anzufpielen, deſto beſſer ift'$ für die Jugend und die 
weitaus große Mehrheit des Volkes, welche den leidenfchaftlichen Grregun« 
gen fern zu bleiben hat. Ohne die männliche Ehrlichkeit im mindeften an- 
zuzweifeln, womit mandye liberale Berfafler auf ihre MWeife ganz befonderen 
Nugen zu ſchaffen meinen, muß man body aus paͤdagogiſchen Gründen biefe 
Meife für die Jugend ablehnen, und es dem reiferen, männlihen Alter 
anbeimgeben, in bejonderer Abwägung der Stellungen und Beitrebungen 
in der Zeit mit Bewußtjein die eigene Stellung dazu zu wählen. Die 
Jugend ſoll nit politiih captivirt werden, fie ift zu erziehen und zu 
bilden. Die edle Art, wie z. B. Grube und Biernasli, die ſachlich 
interefjante und anfpredende, wie 3. Stade und K. F. Beder, die ſehr 
faßliche, wie 3. B. Löſchke und Bormbaum ihre Geſchichtsſchriften ab» 
gefaßt und bie taltvolle Bemeflung, womit fie den Stoff gewählt und be: 
banvelt haben, wird noch lange die Jugend zu ihnen binzieben. Minder 
wahrſcheinlich iſt es, dab die Weiſe, wie Kriebitz ſch den Ton angefhlagen 
bat, viel Anllang finden wird, obſchon die Gefinnung des Verf.'s lauter 
und tüchtig und die innere Behandlung der Sache ganz anerkennenswerth 
if. Wenn in feinem Geſchichtsbuch für die Unterftufe eine Nachahmung 
des biblifhen und des mittelalterlihen Ausdruds vorgezogen ift, 
fo dürfte gerade diefer Umſtand manchen Leſer etwas beengend anbauden, 
fo daß er fih abhalten läßt, das Buch zu benupen, obſchon es thatſächlich 
secht nupbar if. In ver die einzelnen Gefchichtspartien abrundenden Form 
ſchließt es fi den vorhandenen guten Büchern an. Für Anfänger eignen 
fih überhaupt nur Bücher in diefer die Einzelgeſchichten abrum- 
denden Form, wie fie heutzutage auch allgemein üblich ift, zu Bredom’s 
Beiten aber noch unbelannt war. Unbedingt ift aber Kriehitz ſch's Ton 
und Weiſe dem Zon und ber Weife vorzuziehen, melden Ph. Wader- 
nagel in feiner Gebädhtnißrebe auf Uhland ftraft: „Wir find nicht arm 
an Dichtern und aud Projailern, deren Abficht es ift, für das Volt zu 
ſchreiben, und die zu dem Ende einen Ton anftimmen, der fittlib rob 
und künſtleriſch unſchön iſt. Dergleichen Vollsmäßigkeit hat das Volt 
ftets abgelehnt; aud in ihm wohnt das Bebürfniß, dur die Kunſt (bier 
der Darftellung) gehoben zu werden, und jene Abficht, weil es fie merkt, 
verfiimmt es.” Es ift gar nicht jo gemeint, daß dieſer Ton fih durch 
unverhehlte Gemeinbeiten fund geben jollte, da3 wagt Niemand mebr; aber 
auch in ber maßlojen Härte der Urtheile, im der tendenziöfen Verunglim⸗ 
pfung der Abfichten der Gegner liegt eine fittlide Verwilderung, zwar 











Geſchichte. 323 


mannidfaltig verhält, aber dennoch vermundend und giftig genug, um nicht 
bei allen edler befaiteten Gemuͤthern Widerwillen zu erregen. Wie energiſch 
ſich gelehrte Pädagogen gegen Alles wehren, was in gelebrten Ges 
ſchichts werken in Ton und Form fo angethan ift, daß die Jugend das 
dur gefährdet und aud die Gebilveten in ihrer Geſchichtsauffaſſung beirrt 
werden mwürden, davon wird weiter unten (cf. Literaturbericht Nr. 45) ein 
Beifpiel vorlommen. Aehnlich wird fib auch die Volksſchullehrer— 
welt gegen äbnlide Gefährdungen zu wehren haben, welde in den für 
ihren Gebrauch beftimmten oder dem „Volk“ gewidmeten Geſchichtsbüchern 
auftreten und die faum verhüllte Tendenz haben, einfeitige Sympathien zu 
erweden. Ye zuverfichtlicher der Ton, deſto nothwendiger die Prüfung der 
barin vorgetragenen geſchichtlichen Anſchauungen. 

5. In neuefter Zeit bat ein vaterländiſches Geſchichtsbuch in 
vielen Kreiſen Aufmerkſamkeit erregt, welches unter außergewöhnlich günftigen 
Sonjuncturen und Berhältnifien entftanden, zugleih auf die Ausfüllung 
einer in der That vorhandenen LTüde unſerer Gefchichtd-Literatur berechnet 
ift und darum fchon viel begehrt fein mag, noch bevor ſich überfehen lieh, 
in welder Form und in welchem Geiſte daſſelbe gearbeitet fein, welchen 
Ton es anjhlagen werde. Der Profpect verbieß genug, um dem Buche 
Bieler Augen aus allen Ständen unjeres Volles zuzuwenden. An einem 
jolben Buche darf der Paͤdagogiſche Jahresbericht nicht ſchnell vorübergeben 
wollen. & ift 3. Schmidt's und 2. Burger's: Preußens Geſchichte 
in Dort und Bild (Berlin, Lobed. 1862. 1563). 

Aus dem Geifte, der feither die Berichterftattung über geſchichtliche 
Werte im Paͤdagogiſchen Jahresbericht geleitet bat, wird fich nicht wohl 
eine andere Eonjequenz ziehen lafien, als dab der Berichteritatter mit dem 
Grundton des neuen Buches nicht einverftanden if. Eine würdige 
Geſchichte Preußens mub aus dem Geifte eines ädhten, lebendigen Pa: 
triotismus ernft, ſehr gewifſenhaft nah allen Seiten, leiden, 
Shaftslos, ohne Barteinporeingenommenbheit gerieben, und 
diefer PBatriotismus muß aus lauterer, chriſtlicher Gottesfurdt 
und einem glaubensvollen, demüthigen Herzen geboren fein. 
Solch' ein Patristismus kann Bürgſchaft gewähren, daß ſowohl die Glanz 
tbaten der Fürſten und Helden unjeres Bolles in das rechte, reine Licht 
dantbarer, pietätvoller Anerlennung für die Jetztwelt gerüdt, als die Ent» 
widelungen ber naturwüchjigen und der veredelten Bollszuflände und Volks⸗ 
kräfte nad ihren edelften Bielen bin verfolgt und dargelegt, und auch 
mis alljeitig gerechter Würdigung die Sonderbeftrebungen abgewogen werben, 
welche ſich theils im geſchichtlichen Leben unfers preußiſchen Volles in Bes 
ziehung auf jeine nädhften inneren Intereſſen, wie auf das umfaflendere 
Leben des gefammten deutſchen Volles, theils im Leben des letzteren und 
feiner hervorragenden Bruberftämme mit mehr oder minder ftarler Beeins 
fluflung des erfleren entfaltet baben. 

Gegen dieje Grundanſchauung werden in der hriftliden preußischen 
Lehrerwelt boffentlih feine principiellen Einwendungen erhoben werben. 
Bei Büchern, deren Verbreitung unter der ihnen gewordenen Auszeihnung, 
daß der Landesherr die Debication angenommen und die Bearbeitung durch 

21° 


324 Geſchichte. 


Königliche Munificenz unterſtütt hat, geradehin eine incommenfurable Trag: 
weite erhält, wird es von felbit geboten fein, fie mit Ruhe näher auf die 
religiöfe, wie auf die patriotifhe Auffafiung der Geſchichte hin anzu: 
eben. Das wird im pädagogischen und patriotifchen Intereſſe alfo bier 
geſchehen müſſen. 


a. Die religiöſe Auffaſſung. 


Der Verf. ſagt S. 533: „Wehe, dreimal Wehe der Feder, die Geſchichte 
zu ſchreiben unternimmt und fi nicht der Wahrheit und Gerechtigkeit von 
ganzer Seele befleißigt.“ Aehnlich fchrieb ſchon Bilmar 1850 (, Volks⸗ 
freund‘ ©. 246): „Dreimal follte Jeder feine Worte wägen, welde ge: 
drudt von Hunderten, vielleiht von Taufenden gelefen werben, ebe er fie 
dem Papier anvertraut; dreimal jollte er fie wägen und prüfen, ob fie nad 
feiner redlichen Weberzeugung bie reine volle Wahrheit, hinter der keinerlei 
Lüge ſich gleißnerifh verbirgt, dem Lefer verkünden, der ein heiliges Recht 
bat auf Wahrheit und nichts als Wahrheit.” Dem Ernſt obiger Worte 
zu mißtrauen, berechtigt von vornherein nichts. Mindeſtens aber fällt es 
auf, wenn ©. 71 es für nothwendig erllärt wird, „Stellung sum Ghriften: 
thum zu nehmen,” als zu der Religion, „die am meiften geeignet fei, bie 
Entfaltung des menschlichen Geiftes zu ermöglichen und den Einzelnen fo: 
wohl wie die ganze Menſchheit zur Glüdfeligkeit zu führen.” — „Chriſtus 
babe — heißt e8 weiter — ber ftaunenden Welt zugerufen, es folle Heiner 
Herr, Keiner Sclave (I), Alle follten Brüder fein, Alle Gottes Kinder ohne 
Unterſchied des Landes, Volles und Standes;“ der Menſch fei nun „ale 
Menſch in feine Rechte eingefegt.” „Chriſtus bat ein neues Gut in Die 
Welt gebracht: die wahre, reine, umfafiende Menſchlichkeit, () varum if 
ex der Heiland der Welt zu nennen.” (!) Hiermit hängt zufammen, daß 
der Hauptaccent allein auf die „Lehre Chriſti“ gelegt wird. Ganz unver 
faͤnglich find ſolche Aeußerungen gegenwärtig nicht; Kirchlichgefinnte werben 
fie nit für correct halten können, und fie werden Mühe haben, damit die 
für Schule und Bolt wichtige Anertennung der Nothwendigleit in Ginllang 
zu bringen, daß in der Entwidelung unjerer Geſchichte ſich überall die 
Durhführung des göttlichen Rathſchluſſes offenbare, weil fie viel eber 
auf die mechaniſchen und menſchlich rationellen Seiten biefer Entwide: 
lungen bindeuten, als den Rüdwels auf die divinatoriihen Gedanken in 
der preußiihen Gejchichte betonen möhten. — Ferner legt der Berf. eine 
auffallende Herbheit gegen die roͤmiſch-katholiſche Kirche an den Tag, 
jo daß diefe wegen Berunglimpfung Klage erheben könnte. Schon in ver 
„Einführung“ wird diefelbe zu Luther's Zeit ein „Zerrbild des Reiches 
Gottes”, und ©. 386 das Reich des Papites ebenfo ein „ekles Zerrbild 
des Reiches Gottes auf Erden”, und S. 286 das Papſtthum „päpftliches 
Gefpenft” genannt. Luther*) wird als „geiftlicher Arminius bezeichnet, 
der aufgeflanden fei, als es gejchienen babe, daß fi „ein Bramanenthum, 


*) Daß der Berf. in den Umfländen bei Luther's Beburt mit denen bei 
der Geburt unfers Hetlandes „eine wunderbare Gleichheit“ finder, 
iſt in der That ſchwer verzeihlich. 


Geſchichte. 325 


wie es Indien hat“, ausbilden wolle. Zur Zeit der Bekehrung der Deut⸗ 
ſchen zum Chriſtenthum ſoll „Dasjenige, was im Allgemeinen Chriſtenthum 
genannt wird“, unendlich weit vom Weſen des Chriſtenthums entfernt und 
nur „ein ſchimmernder Mantel geweſen ſein, mit dem man das alte Heiden⸗ 
thum dedte.” „Die Priefter, welche von Sachſen ber über die Elbe gingen, 
um im Lande der Wenden dem Ghriftenthbum eine Stätte zu bereiten, wirkten 
weniger um Gottes, als um ihrer Obern, ver Bifchöfe willen, deren Sprengel 
fie zu erweitern firebten.” „Mas den Wenden als Ehriftentbum entgegen: 
gebracht wurde, war in der That unlauterer noch als ihre heidniſche Gottes: 
anfhauung; von dem Segen, der aus der Annahme des Chriſtenthums für 
Jeden erſprießt, ſahen fie nichts.” (S. 86.) Die Geiftlihen im Wenden: 
lande follen es „für fchimpflid gehalten haben, die wendiſche Sprade zu 
ſprechen“, außer wenn es galt, „ihre Zehnten und andere Gefälle einzu- 
treiben.” Bei Erwähnung der Herenprocefie, wo aud des Glaubens an 
den Teufel ausführlih gedacht wird, beißt es (S. 494): „Man meinte in 
dem Grade im wahren Glauben ftark zu fein, in dem Grade man an die 
Macht des Teufels glaubte.” Im 14. Jahrhundert habe eine „Theologie 
der Hölle” geherrſcht, deren Träger fih in „Himmelsgluth Eleiveten, in 
ihren Herzen aber die frechften Verächter des Göttlichen waren.‘ Bei der 
Beiprehung des Reliquienhanvels beißt es S. 169: „daß mandem von 
trügeriihen Pfaffen auf dem Schindanger oder unter dem Ealgen (1) auf: 
gelefenen Knochen und mandem eben aus irgend einer Trödlerbude von 
dem gläubigen Sinne des Volles die tiefite Verehrung zu Theil geworden 
fi.” S. 384 ſteht: „Endlich ging aus der Dracdenhöhle ver Staats: 
weisheit, die die Inquifition in Scene gejebt hatte, die ſcheußlichſte Gefell: 
ſchaft hervor, die je die Welt gejeben bat -— der Orden der Jeſuiten.“ 
Wenn auch dem fi überfchlagenden Eifer einzelne allzumenig abge- 
wogene Ausdrüde zu gute zu halten fein mögen, fo lehrt doch ein halb: 
wegs forgfältiges Studium der Geſchichte der mittelalterlihen Kirche nicht 
nur Manches ganz anders, als es obige Auslaffungen lehren, jondern es 
führt aud zu der gerechten Mitbeachtung der leuchtenden, gejegneten Er: 
fheinungen im kirchlichen Leben, welche die Nachtjeiten deilelben menigftens 
merflih mildern. Es ift alfo die mit unverlennbarer Befliffenheit auftre: 
tende Darlegung eines ungünftigen Urtheils über das frühere Kirchenthum 
und geiftlihe Leben eine ſchwer zu vertretende Ginfeitigleit, vor der die 
objective Ruhe des nah der ganzen Wahrheit ftrebenden Ernſtes be- 
wahrt haben würde, wenn nicht eine religiöfe Grundanſchauung hätte var- 
gelegt werben jollen, melde doch nimmermehr bei denjenigen chriftlichen 
Preußen Anklang finden kann, die aus zarter Scheu vor der Innerlichleit 
des geſchichtlichen, beſonders de3 geiftlihen Lebens zur umfichtigeren Milde 
neigen, um der Wahrheit, des Gewiſſens und des confejfionellen Friedens 
willen. Die religiöfe Grundanfhauung aber, welde ſchon aus obigen 
Gitaten erlennbar wird, und an vielen andern Stellen in aͤhnlich martirter 
Weile herausgekehrt ift, ift fo unbedenklich und unanfechtbar nicht, daß jie 
als die vorwiegend empfehlenswerthe in Schriften für das Volk unter 
Königlichen Aufpicien zur Geltung gebradht werden müßte. Eben fo wenig 
eignet fie fih für unfere Bollajugend; fie kann auch durch das Pathos, 


326 Geſchichte. 


womit an einer Stelle „vie allumfaſſende Lehre Jeſu“ in ihren Wirkungen 
gepriefen und an einer andern gejagt wird, daß bie nad Wahrheit ftrebenve 
proteftantifhe Wifjenjchaft unter der Obhut des Duelle der Wahrheit „einem 
weifen Weltenplane diene und fih als treibende Kraft bewähre, die Menſch⸗ 
beit dem Dceane der großen Sarmonie — der ewigen Wahrheit näher zu 
führen‘, nicht gewinnen, da im vorliegenden Fall ein Stüd viefer Wiflen: 
ſchaft zunähft nur unfreiwillige Disharmonien beroorzurufen geeignet if. 
Alles, was etwa nur den Werth der in gehobener Stimmung gefchriebenen 
Phrafe hat, hinweggenommen, bleibt eigentlih wenig übrig, was zu auf: 
richtiger Demutb, zur Beugung unter Gottes Willen und Rathſchluß, zum 
felfenfeften Glauben an Seine Leitung unferer Bollsgefhide, zur unver 
brüchlihen Treue gegen unfere gegebenen nationalen Ordnungen in Staat 
und Kirche, zu opferwilliger Darangabe von Gut und Blut, wenn es gilt 
biefelben zu ſchutzen oder wieder zu erringen, zu freubigem Gehorſam und 
unerfchütterlicher Liebe zu unferm Baterlande und unfern Rönigen führen 
müßte. Zu alle viefem führt eine ganz andere geſchichtliche Grundanſchau⸗ 
ung, nämlich die in der wahrhaften Gottesfurdt, im chriſtlichen Glauben 
nah der Schrift wurzelt. An dieſer hält der Berichterftatter fett, und 
deshalb ift er mit dem Grundtone in Schmidt's Bude nicht einver 
flanden und Tann es confequenter Weife nicht fein, wenngleih er die Auf: 
richtigleit, womit der Verf. feine entgegenftebende Anſchauung darlegt, gern 
anerfennt. 


b. Die patriotifhe Auffaffung. 


In Beziehung auf die patriotifche Auffafiung werde zunähft die 
für Preußens Größe, feiner Fürften Ruhm und ſegensvolles Walten 
lebhaft angeregte Wärme, welche ſich durch das Buch hindurch ziebt, willig 
anerlannt, eine Wärme, welche fih dann zu fteigern pflegt, wenn Preußens 
providentielle Stellung zu dem gefammten deutihen Volle in Betracht kommt. 
Der Berf. juht das, was Preußens vielfeitigfte Entwidelung, feinen ma- 
teriellen und intellectuellen Aufihwung, feine Ehre und Machtſtellung docu: 
mentirt, forgfältig auf und behandelt ed mit unverlennbarer Liebe. Gr 
verſchweigt auch die nun einmal thatſächlich vorhandenen, unlöblicyen 
Schattenfeiten nit. Die preußiſche Größe, die Ziele preußifchen Staats: 
und Bollölebens werden mehrfad in Grinnerung gebracht und durch einzelne 
Reflerionen nad ihrer ethiihen Seite bin erläutert. Auch den allge: 
meinen deutſchen Verhältnifien wird eine vieljeitige Aufmerkjamteit 
in dem Sinne zugemwendet, daß die angeſtammte Marligleit des deutſchen 
Weſens, die naturmüchlige Innigkeit und Einnigleit deutihen Gemüths 
und die ernfte Richtung des deutſchen Voltsgeiltes auf höhere, ideale Ziele 
in den verjchiedenen Perioden, welde aud durch mancherlei Zrübungen 
immer wieder binburdpleuchtet, wohl erkannt und die Ahnung eines propi⸗ 
dentiellen Berufs des deutichen Voll wohl daraus gewonnen werden kam. 
Charafteriftifch ift dabei, daß der Verf. das preußifhe Staats- und Volks- 
leben in fteter Mechfelbeziehung zum Leben des ganzen deutſchen Volks be: 
handelt und jenes aus diefem zu erläutern und in feinen einzelnen Seiten 





Geſchichte. 327 


aufzubellen ſucht. Wenn hiernach alſo viel Gutes anzuerkennen iſt, fo 
muß um ſo mehr die unverkennbare Widerwilligkeit bedauert werden, welche 
der Verf. bei ſich darbietenden Gelegenheiten in gewöhnlich ſehr ſchneiden⸗ 
den Ausdrüden gegen die Habsburger an ven Tag legt. Es beißt: 
„Das Haus Habsburg verrieth die nationale Sache und fuchte in dem 
brudermörberifchen breißigjährigen Rriege die Stimme der Wahrheit durch 
Ströme Bluts zu erftiden. „Ihm fehwebte nur dies eine Ziel vor Augen: 
Vergrößerung der Hausmaht auf Koften deutſchen Bluts und Lebens;“ 
„ibm bat Brandenburg wie auch andere deutfhe Gebiete Die unermeßlichen 
Berwüftungen zu verdanken, die fie erlitten.‘ „Deſterreich hat feinen 
Kampf noch nicht aufgegeben, wir ftehen noch in demjelben, — ver endliche 
Sieg Tann nicht zweifelhaft fein. Um Wien fchaaren fih die ihren Bor: 
gängern an böjem Willen gleihen, an gefügigen Werkzeugen aber ärmern 
finftern Mächte, die vie „alte, für Benorrechtete allerdings gute Zeit 
wieder herauf befhmören möchten, vie die geiftlihe Weltherrſchaft Rom’s 
— ſchlimmer nod als die des heibnifhen alten Rom's, da fie zugleich 
Leiber und Seelen verdirbt — wieder begründen wollen.” (Das ift ſiark; 
ob auch deutih und preußiſch gedacht? ob diefer Patriotismus der wirt: 
ih edhtefte fein fol?) Daß Friedrich's III. Regiment ein „Uägliches‘ ge 
nannt, von Marimilian I. angeführt wird, „nicht des deutſchen Reiches 
Erftartung, fondern die Vermehrung feiner Hausmacht fei fein Hauptitreben,” 
er jelbft „nicht Hort, nicht Water des großen deutſchen Vaterlandes ge 
weien”; ferner: Karl V. habe feine Macht wenig im Dienfte der Wahr: 
beit und Gerechtigleit“ verwandt; auf Ferdinand's II. Wint babe das von 
ihm eingefeßte heimliche Gericht ‚feine Tigerkrallen“ ausgeftredt, um eine 
große Zahl der mwaderiten Männer gefangen zu nehmen, — diefe und eine 
Menge äbnliher, zum Theil noch bitterere Auslafjungen zeugen von einer 
Antipathie gegen Defterreih, welche heut zu Tage in’d Boll hineinzurufen 
nicht eben weife genannt werden kann. Oeſterreich hat feine Politik ge 
babt und bat fie noch, die anderen Staaten haben ebenfo die ihrige und 
baben fie ebenfalls no, und jeder hält eben bie feinige für feine Ver⸗ 
haͤltniſſe ala die richtigitee Daß Conflicte, blutige Kriege daraus erwachſen, 
liegt doch wohl an andern Dingen, ale an bloßem Streben nad) größerer 
Hausmadht ; die fundamentalen Ideen und die hiftoriihen Grundgeftaltungen 
find eben von allem Anfang an bei Defterreih andere als bei Preußen, 
und bei beiden andere als bei ven kleineren deutſchen Staaten. Mit Ben 
unglimpfung und Anfeindung von einfeitigem Standpunkte aus ſchafft man 
jene Bolitit und diefe Grundideen nimmermehr hinweg; deshalb eignet ſich's 
auch nicht, in ſolchem Tone, wie geſchehen, darüber zu reden. Die deutſche 
Reichsherrlichkeit ift nicht ausschließlich wegen der habsburgijchen Hauspolitif 
zu Grunde gegangen; Gottes Finger hat noch ganz andere Gründe dafür 
in die Geſchichte gefchrieben, deren Wucht wahrlid noch wirkſamer gewefen 
it, als die Gedanken einer Dynaſtie. Es ift darum nidt die volle 
Wahrheit, nur leßtere verantwortlich zu machen und über fie, wie gefchehen, 
den Stab zu bredden. — 

Mit ſolchem Patriotismus ift der Berichterftatter nicht einverftanden, 
er erwartet einen Gegen davon. Unſer Preußenvolf will feine deutſchen 


* 


328 Geſchichte. 


Brüderſtänme geehrt wiſſen; denn in den entſcheidendſten Kriſen haben 
fie mit ihm zuſammengeſtanden. Den Haderſinn zu nähren, haben wir 
gar keine Urfahe, damit würde wabrlib eine ausfichtslofe Vorbereitung 
für das Ziel Preußens, an der Epipe Deutſchlands zu ftehen, getroffen. 

Nachdem fo über die Carbinalpuntte geredet ift, welche die Schmidt'ſche 
Geſchichte Preußens als nicht ausſchließliches Mufter der Bearbeitung 
tennzeichnen, bedarf es nur noch weniger SHinweifungen auf die Form 
derjelben und ihren Inhalt. 

Da das preußifche Leben in inniger Berfledhtung mit dem gefammten 
deutjchen Leben vorzuführen die Abfiht war, und neben den präpalirenden 
äußeren, politiiden Vorgängen aud die Gulturzuftände nad ihrer mate: 
riellen, geiftigen und fittlichen Seite behandelt werben follten, und zwar 
fo, daß das Bub ein Hausbuch fürs Boll fein möchte, fo bat der 
Verf. die allgemeinen Urzuftände der alten Deutfhen, bie altgermanifche 
Götterlehre, die Entwidelung des Kulturlebens der Deutihen in feinen 
häuslichen, gemeinblichen, ftändifchen, rechtlichen, fittlich: und Kirchlichsreligiöfen 
Berhältnifien, die mittelalterlihen Erſcheinungen des Ritters und Möndyss 
thums, der Minnepoefie, des Raubadelweſens, der Jeſuitenmoral u. f. w. 
mit herangezogen. Dabei find durdy die Nothwendigkeit allgemeinfter Ber: 
ftändlichleit nur die mehr an der Oberfläche liegenden, augenfälligiten Mo: 
mente zur Sprache gebracht, während die tiefinnern Gründe und Zuſammen⸗ 
hänge meiftens fehlen, aljo auh eine gründlide Auffaſſung ver 
Gefammtoverhältniffe dem Buche abgeht. Was von den preußifchen 
Fürften, nad deren Sinn und Thaten, von ben preußifhen Landeszuftänden, 
dem Leben in allen Volksſchichten, den Gebietserweiterungen, kriegerifchen 
Bermwidelungen u. ſ. m. erzählt wird, erhebt fih im Ganzen nicht über 
das längft von andern kundigen Händen ausgewählte Miffenswürbigfte. 
Schmidt will ja auch nicht Forſcher fein, fondern nur das vom Fleiß 
der Gelehrten „aufgefpeiherte Gold in gangbare Münze umprägen”. Eeine 
Arbeit befhräntt fih alfo auf Gruppirung und Darftellung und Berüd: 
fihtigung der Nefultate neuerer Ermittelungen. Als jehr disputabel muß 
die Grenze deflen bezeichnet werden, was aus der deutfchen Geſchichte in 
eine ſpezifiſch preußifche aufzunehmen it. Altgermanifhe Mytbo: 
logie, zumal in der (S. 13 ff.) modern phantafiemäßigen Conftruction, 
wie bier gejcheben, wird ſchwerlich Jemand in einer preußiſchen Ge: 
fhichte für unerläßlih erachten. Mit der Annahme, e8 werde „die Kennt: 
niß des germanifhen Götterthums ohne Zweifel felbft in den Kreifen bes 
eigenthümlihen Volks eine große, ja eine größere Verbreitung finden, als 
ed jemals die ber griechiſchen Götterwelt gefunden hat“, wird vorausfichtlich 
der Berf. fehr ifolirt ftehen bleiben; das Bolt hat jegt andere Dinge zu 
tbun, als die altgermanifche Götterwelt kennen zu lernen. 

Die Stoffgruppirung in einer Reihe von Cinzelbildern entipricht ben: 
jenigen Volksſchichten, welche ohne wiſſenſchaftliche, weiter gehende Bildung, 
weniger ein Intereſſe an den einzelnen Sprofien der Entwidelungsjtala 
des preußiſchen Volls als an den bervortretendftien Erſcheinungen haben. 
Fuͤrſtenbilder, Erzählungen einzelner abgeſchloſſener Greignifie oder einer 
Reihe einzelner Momente großartiger Begebenheiten, Slizzen von Eitten: 








Geſchichte. 329 


und Culturzuſtaͤnden ganzer Zeiträume, dazwiſchen eingelegte popularifirenbe 
Reflerionen und Erörterungen (die oft beſſer weggeblieben wären), u. dgl. 
maden den Inhalt aus, der ja wohl zur Belehrung und patriotiichen Ans 
regung dienen kann. Die Bearbeitung aber für ein hiſtoriſches Kunſtwerk“ 
zu erllärten — wie im Profpect ertravagant geſchieht — wird eine ruhige, 
vorurtheilslofe Würdigung billig zögern; das Buch wird wohl nod über: 
trefibar fein, und ift an innerm, ſachlichen Werth ſchon jekt von 
vorhandenen Geſchichtsbüchern übertroffen. In der Darftellung muß ber 
Gewandtheit, Anfhaulichkeit und Lebendigkeit Anerkennung gezollt werben; 
einzelne Breiten oder Maffigkeiten im Ausprud laufen mit unter. Moſaik⸗ 
artig zufammengeftellte Chroniken⸗Ercerpte, Sagenftoffe u. dal. frifchen an. 
Aber frühere Zuftände mit den heutigen, modernen zu parallelifiren: das ift 
ein von guten Gejchichtserzählern allgemein gemievenes Verfahren, und 
hätte von dem Berf. lieber auch unterlafien werben mögen. 

Die Burg er'ſchen Jluftrationen haben außer ihrem ornamentalen 
Werthe noch den einer geiftvoll concipirten Symbolik vieler deutſchen Ber: 
hältnifie; fie veranfhaulichen viele hiſtoriſche Scenen innerlih wahr, liefern 
viele getreue Portraits, Dertlichleiten, Abbildungen culturbiftorifch intereflan- 
ter Momente aus dem Volksleben u. a. m., und gewähren eine nicht ges 
ringe Befriedigung. Auf die Darftellung der „Zubenverbrennung‘‘ (5.279 ff.) 
und der „„Herenjolter” (©. 495 fi.) wäre billig zu verzichten gemwefen. 

6. In den neuern größern Geſchichtswerken wirb der dafür her: 
gebrachte geruhige Ton fachlicher Auseinanderlegung der Berhältniffe, ver 
begründenden Erörterung und Urtheilsabwägung nah wie vor gefunden. 
Der geichichtlibe Faden wird ununterbrochen fortgefponnen. Man zerlegt die 
Darftellung lieber in Bücher als in Perioden, und findet feine Haupt: 
aufgabe in ber Herausſchälung der verborgenern Intentionen, der dem 
oberflählichen Blide ſich entziehenden folgenreihen Stimmungen und Pläne 
in den regierenden Kreiſen, der geiftigern Quellen für die äußeren Be: 
gebenheiten, in der Haren SHinftellung der Gntwidelungs -Refultate und 
erreichten Ziele und ber Verfolgung der Geiftesarbeit der einzelnen Böller. 
In der Form des zufammenhängenden Vortrags, mie dies immer Regel 
war, werden jo die irgend wichtigen Seiten des Völkerlebens ſämmtlich 
abgehandelt, und dadurch wird eine lehrreihe Bollftändigkeit erreicht, wie 
fie eben nur ſolchen Werken eigen if. Wer ordentlich Geſchichte lernen 
will, muß unbebingt ein tüchtiges größeres Werk förmlich ftudiren, damit 
er zu dem mehr oder minder dürren Abriß, melden Leitfäden und Lehr: 
bücher nur bieten können, die belebenden Ausführungen und Aufichlüfie 
tennen lerne. 

7. Da in ber gegenwärtigen Beit die politiichen Abfichten zu polaren 
Gegenfägen auseinander getreten find und mit mehr oder minder Schroff: 
beit ſich auszuſprechen beginnen, ſo kann es nicht befremden, wenn aud in 
Geſchichtsbuͤchern der Ton, womit darin der feindlich entgegenftehenven 
Barteianfiht gedacht wird, bisweilen ziemlich herb klingt. Männer müffen 
fih nun ſchon gemöhnen, auf oft jehr entſchiedenen Widerſpruch gegen ihre 
politiihen und religiöjen Anfihten zu ftoßen, und ſich dadurch in ber 
eigenen Meberzeugung doch nicht irre machen laſſen. Gin Anderes iſt's, 


330 Geſchichte. 


wenn in Büchern für die Hand von Anaben und Jünglingen eine erregte 
Parteiſprache und eine grelle Parteifärbung auftritt; denn foldhe jugend: 
lichen Lejer haben noch eine eigene, der Gründe fi bewußte Stellung zu 
den brennenden ragen und ihren Gonfequenzen, und fie werden deshalb 
wre geleitet. Sie gewinnen möglibenfalls ſehr verſchiefte Geſchichtsauf⸗ 
fafiungen, oder ſprechen gebantenlos Andern nad. Das ift beides vom Mebel. 
Bücher der Art follten der Hand der Jugend vorenthalten bleiben. Ueber 
Papfs und Kirchenthum, Fürſt und Adel, abjolutes Gtaatsregiment, 
Ständewefen, Volksrechte, Bollövertretung geben die Urtbeile jept, je nad 
den Standpuntten der DVerfafler, nicht felten fehr weit auseinander, und es 
geihieht wohl, daß zur Stügung diefer Urtheile die Thatſachen eigens 
gruppirt werben. Go erhalten fie ein berechnetes Licht, gleichwiel ob 
Died auch immer ein durchaus wahres, hiſtoriſch beredhtigtes iſt. Diele 
andersgeartete Gruppirung gibt auch den Büchern zum Theil eine ver 
änderte Yorm. Es treten Dinge, Perfonen und Verhältniſſe mit einem 
Male in den Vordergrund und werden als die widhtigften bezeichnet, melde 
es nad der bisher geltenden allgemeinen Meinung nicht waren; andere, 
bisher vorzugsweife beadhtete, treten dagegen zurüd. Ohne der lange Seit 
gangbaren überwiegenden Berüdfihtigung der Kriegsgefhichte im 
Unterricht bier das Wort zu reden, — fie berubte auf einer Einfeitigleit — 
vielmehr mit voller Zuftimmung, daß den Culturverbältniffen eine 
größere Bedeutung zulommt, joll doch nicht verjchiwiegen werden, daß bie 
neuerdingd ganz eigens betonte- Entwidelung der materiellen Dolls 
interefien, deren Geſchichte u. A. Mar Wirth vom national»sölono: 
miſchen Geſichtspunkte aus in demokratiſchem Geifte nit ohne viel ©e: 
wandtheit mit in feine „Deutfche Gefchichte” zu verweben begonnen hat, 
ein Moment einjchließt, welches nicht ohne große Bedenken läßt”). Niemand 


— — — 


*) Bel dieſer Gelegenheit muß der Berichterſtatter eine Unbill abwehren, 
welche Herr Kirchmann in Eutin deshalb gegen ihn ſich geſtattet hat, weil 
erim XI. Päd. Yahresber. ©. 351 8.8 „Geſchichte der Arbeit und Eultur dar: 

eftellt als Lehrgegenftand für Schulen“ 2. Aufl. Leipzig, Mayer. 1858. 
ür die Schulen nicht geeignet hatte finden können. K. batte behauptet, daß 
„im Unterricht nicht Die Geſchichte, welche den ftillen und friedlichen Kebenstreid 
durch Arbeit und Ringen der geiftigen Kräfte der Menfchen bereitet hat, fondern 
die Geſchichte entfeflelten Ebrgeizes und blutiger Thaten, welche Staaten zerflört 
und gegründet, Völker zertreten und gefefjelt haben,’ den Platz bebauptet babe, 
eine Geſchichte „ſehr wenig geeignet, Kinder zu frieblihen und geiftig ſtrebenden 
Bürgern zu erzieben.” Denn vor den darin vorgeführten fiegreidhen Feldberren 
und Kriegern ſtehe der aufftrebende Knabe entweder trofllos da, weil fie ibm 
unerreihbar fcheinen, oder er trete mit dem Borfag in's äffentliche Leben. nad 
dem Beifsiel feiner Vorbilder „ein Berbeerer von Menſchenglück und Volks⸗ 
wohlfabrt zu werden.’ Um die Kınder für die Förderung und (Entwidelung 
friedfiher Einrihtungen und geiftiger Errungenfhaften zu begeiflern, folle fie 
die friebliden und geifligen Entmwidelungen in der Menfchhelt in dem Border⸗ 
grunde ibrer Gemälde auftreten lafien. Zur Erreihung dieſes Zwedes bat K. 
ihm dienlich fheinendes Material zufammengetragen, von welchem er glaubt, daß 
ed ala „Lehrgegenſtand für Schulen‘ tauge, indem fi die „Charakterbildung“ 
dadurch pflegen und der Anabe zu einem „beadhtenäwertben Körderer der wahren 
Snterefien der menſchlichen Geſellſchaft“ erheben laſſe. Zur Verwirklihung feine® 
Gedankens ſoll der Geſchichtsunterricht in zwei Unterrichtsgegenftände getrennt 








Geſchichte. 331 


wird dieſen materiellen Intereſſen ihre hochwichtige Bedentung ab» 
ſtteiten; in der neuern Zeit hat ſich dieſe aber nicht blos graduell geſteigert, 
ſondern auch virtuell. Es fehlt nicht an ſehr lauten Stimmen, welche ſie 


werden, in eine Volker⸗ und Staatengeſchichte und in eine Geſchichte der Arbeit 
und Eultur. — Das Material, weldes K. gefammelt hat, enthält außer ſub⸗ 
jectiven Vermuthungen auch aefhihtlihe Angaben über die Erfindung 
und Bervolfommnung der Mittel zur Befriedigung der dringendften Lebensbe⸗ 
dürfniffe (Nahrung, Wohnungen, Kleidung, Geräthe, Waffen und den Handels» 
austaufch, fo daß z. B. über Aderbau, Getränke, Gewürze, Feuer, Gefäße, Löffel, 
Meſſer, Sabeln, Keniter, Defen und Schornfteine, Verarbeitung der Belleidungss 
ftoffe, Formen der Kleidung, Metalle und Bergbau, Feuermaften. Schießpulver 
u. ſ. w. gehandelt wird), über die Mittel zur Beherrſchung von Raum und 
Zeit (Tbierfräfte, Straßen, Poſten, Schifffahrt, Uhren, Kalender), über kunſt⸗ 
und wifjenf&haftliche Seitrehungen der Menſchen (Sefang und Muſik, Plaſtik, 
Malerei, Dichtung, Schaufpiel; Schreiben, Schreibmaterialien, Buchdruckerkunſt, 
Steindrud, die einzelnen Wiſſenſchaften, Schulen) und über Spiel, Luxus, Bes 
quemlichkeit, Vereine Anflalten, (Tabaksgebrauch, Seife, Spiegel u. f. w.) — 
Diefe Bermuthungen und Angaben folten al „Lehrgegenftand‘“ benupt 
werden, um neben der Völker: und Staatengefchichte eine zweite Geſchichte 
zu lehren. Da aber die Bölfer- und Staatengefhichte nach den Eingangs citirs 
ten Aeußerungen K.'s fo awedwidrig gelebrt wird, fo mußte faft zwingend deren 
Beſeitigung durch die Geſchichte der Arbeit und Eultur angenommen werden. 
Der Päd. Jahresbericht hatte Die Seihictsanfänuung K.s nicht eben afljeltig 
und die in den Gitaten gebrauchten Worte etwas ſtark aufgetragen, zugleich die 
für den feitherigen @efchichtsunterricht, der nie nad) den dabei vorkommenden 
einzelnen Berfehlungen allgemein verworfen werden Tann, in den Tauſch ges 
gebene Sache nicht probehaltig genug gefunden, vielmehr eines flarfen, ſtußig 
machenden Selbſtgefühls bei dem Urtheil in den Citaten gedacht, weil damit 
über das Thun gefchihtsfundiger Lehrer und Pädagogen in ihrem feitherigen, 
die Geſchichte der Arbeit und Eultur in Ks Sinne nicht berüdfichtigenden Uns 
terriht der Stab gebrochen werde. Darüber bat fih nun K. ſehr ereifert, und 
in Ar. 10 der Bertbelt'ihen „Allgemeinen Lebrerzeitung‘ von unverantwort⸗ 
licher Leichtfertigkeit, perfönlichen Tendenzen, wegen möglicher Inftructionen, 
die künftigen Xehrer zur Demuth zu erziehen, von Marotte der Demütbigunges 
ſucht. von Nimbus der Gelehrſamkeit, der nicht aufhöre, läſternde und höhnende 
Steine auf den Volksſchullehrerſtand zu werfen, von Areopag u. dgl. geredet. 
Solch ein Eifer, in folder Weiſe bekundet, richtet fich fell. Es kommt 
nur auf die Sache an; weder 8.8 Berfon, noh in Ihr gar der ganze 
Volkoſchullehrerſtand wird tangirt. Wäre die Sache eine empfeblenss 
wertbere, fo würde das eben fo ehrlich gefagt fein, als geſagt wurde, daß fie 
es als „Lehrgegenſtand für Schulen“ eben nicht if. Der Päd. Jahresbericht 
ſpricht nur feine begründete Meinung aus, die dann Jeder prüfen kann; er bat 
weder leichtfertige, perfönliche Tendenzen, noch geheime Initructionen, noh Mas 
sotten, noch macht er Anſpruch auf irgend welden Nimbus. Aber er bat fo 
viel Reſpect vor der Wahrbeit, daß er fie mit gutem Gewiſſen fagt, und fo viel 
Anftand, daß er nicht in Erreatbeit ſich Unbilden verzeiht, welche zunächſt den 
am wentgften zieren, der fie grundlos ausſpricht. Es Tann ein Autor aud beim 
anerfennendwertheften Fleiß, den er an eine Sache ſetzt, ſich über deren Wichtig» 
keit für die Schulmelt täufhen. Wenn auch ſtets einzelnes Nupbare an feinem 
Werte fein mag, fo folgt noch nicht, daß er im Ganzen glüdli genug geweſen 
IR, das Richtige und allgemein Wichtige zu treffen. KR. ift nicht fo glücklich 
geweien; feine zablreihen Bermutbungen und fubjertiven Annabmen über Urver⸗ 
häftnifie der Arbeit und Guftur bleiben für die Geſchichte irrelevant, und das 
Uebrige if geſammeltes, heterogened Matertal, aber fein „Lehrgegenftand 
für Schulen,’ womit ein quter Geichichtäunterricht ganz oder theilweis erfept 
würde. 8 ließe fi) mehr darüber fagen, wenn es der Mühe lohnte. 


— — 


832 Geſchichte. 


als die jezt maßgebenden für das Volle: und Staatsleben in Anſpruch 
nehmen, ja es ift auch nicht fehr unwahrſcheinlich, daß fie in nächſter Zu⸗ 
kanft die brennendften Fragen beraufbeijhwören. Wer offene Augen bat, 
ertennt die Motive dazu als auch fehr mweltlihen Quellen entfprungen, und 
er ſieht auch, daß zunächſt nur fehr irdiſche Ziele im fernen Hintergrunde 
Iodend vorgehalten werben, welche zur eifrigen Wahrnehmung der materiellen 
Intereſſen drängen. 


Es ift wohl nur für ein Zeugniß pädagogiſcher Weisheit zu erachten, 
daß in der Schule, und namentlih im Geſchichtsunterricht die Entwidelung 
der äußern Lebensinterejjen nicht als vornehmfte Aufgabe erachtet worden 
iſt. Sie iſt nicht völlig mit Stillihmweigen übergangen, aber fie hat der 
Gefhichte der geiftigen Regungen der Völker mit Net nadgeflanden. 
Die Schule wird dieſe Stellung nicht zu alteriren haben, fontern in ihrem 
Geſchichts unterricht viel mehr Sorgfalt auf die Vorführung von 
hoben Muftern von Charalteritärte, Thatkraft und Edelſinn als auf ven 
Nachweis zu verwenden haben, wie Waffen, Spiegel und Tabaf in Ge 
brauch gefommen, die Verwerthung der Dampflraft verallgemeinert, und 
die Form der Kleidertrachten fih gewandelt bat. Die ſittliche Weltord 
nung ſieht in Gmigfeit höher ald die materiellen Verbältnifie des Befiges 
und Genuſſes, der aus raffinirter Intelligenz bervorgegangenen Vervoll⸗ 
fommnung der Geräthbe und Maſchinen und der duch den Luxus berbor- 
gerufenen künſtlichen Bebürfnifie des äußeren Lebens*). Bormann fagt 
einmal („Schulblatt für die Provinz Brandenburg.” 1862 S. 655): 
„Es ift ein elendes Ding um eine Geſchichtsſchreibung, die ohne ſittliche 
Begeifterung ift; die deutſche Geſchichtsſchreibung hat in den legten Jahr: 
zehnden inſonderheit dadurd einen Aufihmwung genommen, daß fie aus 
etbifhen Beltrebungen hervorging. Das läßt fih ebenmäßig auch auf 
die Geſchichtserzaͤhlung im Unterriht anwenden; die ethiſche, nicht bie 
materielle Seite foll darin dominiten. Ton und Form des Unterrichts 
wird ſich darnah richten müflen, Zon und Form auch in den dabei zu 
verwendenden Büchern dazu flimmen müflen, damit die höhern, gött: 
lihen Gedanken dadurch zum würdigen Ausdruck gelangen. Nur daburd 
wird bei Bornehmen und Geringen wieder geſchichtlicher Sinn erweckt werden. 


*, ‚Der ganz auf fi felbft aeftellte Welwerſtand kennt und ſucht nichts 
als die Erreihung feiner irdifhen Ziele: Macht und Genuß und die Mittel, 
fie zu erreichen, oder, wenn erreicht, fie zu behaupten. In feinem innerften 
Kern ift er eine Vergötterung der Kraft und der Klugheit, der Gewalt 
und der Lift, alfo der mächtigften Hebel bed gemeinen Weltgetriebes und 
der ſicherſten Mittel zur Beberrfhung der Menſchen.“ — „Bas er fann, 
dad darf er: das fi die Philoſophie des Starken über den Schwachen. Dem 
nenenüber ſteht „der Glaube an die fittliche Weltordnung und ihren beiligen 
Urfprung. In jeder Seele, wo diefer Glaube eine Wabrheit iſt, lebt eine ger 
heimnißvolle Macht, die dem bloßen yolitifhen Weltverſtand ſchlafloſe Stunden 
macht, obwohl fie ihn mit feinem Finger antaftet. Das lezte Wort dieſes 
Glaubens an die fittliche Weltordnung beißt: Ueberzeugung von der weltbes 
herrfhenden Realität der adttlihen Gerechtigkeit, ſtille Anbetung der 
Gegenwart Gottes in der Befchichte der Menſchheit.“ (Gelzer's Broteflans 
tifche Monatöblätter. 1862. Februarheft.) 











Geſchichte. | 333 


8. Bor Allem ftörend find in mandyen neuern Geſchichtsbüchern die 
Phraſen. Sind fie doh nur zu oft hohl und leer, und ftellen ſich nad 
Goͤthe's Ausſpruch flugs da ein, wo Gedanken (Sadyen) fehlen. Unlängft 
fchrieb Jemand: „Die ſchönen Phrafen officieller Actenftüde waren und 
find felten baare Münze, vor 500 Jahren wie heute; die wahre Ge 
ſchichte Tiegt oft mehr hinter venjelben verborgen als in ihnen.‘ So 
auch bei den leivigen phrajenähnlichen Reflerionen über geſchichtliche Vor⸗ 
gänge. Bilmar tabelt in feinen „Schulreden über Fragen der Zeit‘ 
(Marburg. 1852), „das nicht das Schaffen, fondern das Beſprechen, das 
endlofe, unausfprechlich langweilige DBereden, die zungenfertige Schwagluft, 
nit das Reſultat fondern die Discufion, nicht die That fondern die Dia» 
lettit alle Welt intereſſirt und beichäftigt, die marmorglatte, runde, ges 
fchmeidige, aber völlig inhaltslofe Profa, das Horchen auf fhöne Neben, 
das im Stande ift, fih darin völlig zu beraufhen.‘ Gehört vergleichen 
überhaupt nit in die Schule, jo ganz gewiß auch nicht in den Geſchichts⸗ 
unterriht. — Sachen, Sachen: das ift die Sade! 


IH. Menue Stimmen über die Methodik des 
Geſchichtsunterrichts. 


1. Ueber die Methodik des Geſchichtsunterrichts walten zur Zeit 
nicht mehr ſo unbefriedigende und principiell einander entgegengeſetzte An⸗ 
ſichten, daß ſich erwarten ließe, es müſſe mit jedem Jahre auf's Neue an 
deren Beroolitommnung und beziehungsweiſe Verſoͤhnung gearbeitet werden. 
Ueber die Grundlagen und die Ziele, ebenjo über die Art der GStoffwahl 
und den Sinn der Behandlung berriht jebt in der Lehrerwelt im Allge⸗ 
meinen eine bewußte Webereinftimmung; nur über die bejonderen Mopali- 
täten der praktiſchen Durchführung im Ginzelnen gehen die Anfichten aus 
einander, wie das leicht erklärlih if. Dennoch ift es ganz gut, daß dieſe 
Methodik nicht als eine abgethbane Sache angejehen, jondern von Zeit zu 
Zeit wieder ventilirt wird. In den Journalen gejchieht dies im Ganzen 
äußerft felten; ausführlide Beiprehungen kommen faft gar nicht mehr vor, 
fondern nur ganz vereinzelt da und dort einmal ein kurzer Artikel, ver 
dann in der Negel nur das Belannte noch einmal recapitulirt. Für dies 
Mai find ed aber doch ein Paar Stimmen, welde ſich über geſchichts⸗ 
unterrichtlihe Methode geäußert haben, und welde bier zu berüdfichtigen find. 

2. Immer entfchiedener hat fi die Anerlennung des pädagogifchen 
Werthes der einzelnen Lebensbilder im Geſchichtsunterricht feftgeftellt 
umd verbreitet. Am Leben foll die Jugend das Leben ganz unmittelbar 
anfchauen, ohne daß erft dur Abitraction deſſen Erfenntniß gewonnen 
werben müßte. Die in Krieg oder Frieden große Perfönlichleit, welche 
große Entwidelungen und Geftaltungen einleitet oder durchführt, das Wohl 
der Mit: und Nachwelt mit anbahnen und bauen hilft, durch fittlidhe und 
geiftige Weberlegenbeit innerlih zu maß: und tonangebendem Einflufie auss 
ertoren ift: die fol es fein, in deren geiftige Werkſtatt die Jugend Einſchau 
gewinnen fol. Ideale follen derfelben vor die Seele gejtellt werden. 
Bräfident v. Gerlach jagte in feinem Bortrage „Chriftentbum und fönigs« 


3934 Geſchichte. 


tbum von Gottes Gnaden“: „Nichts iſt praltiſcher und mächtiger in dieſer 
neuen Zeit, als das deal, nah weldem ein energiicher, heißer Glaube 
ſich ausſtredt.“ Natürlid muß ein ſolches Ideal dur feine lautere, 
fittlie Gejinnung auf feinen göttlihen Urjprung zurüdweifen, und 
man muß heutzutage auf diejen Urfprung um fo nothwendiger zurüdgeben, 
als es leider verfuht wird, die fittlihe Gejinnung auch ohne benfelben 
noch für möglih zu erllären. Prof. Trendelenburg, der in feinen 
„logiſchen Unterſuchungen“ die Unmöglicleit bervorbebt, die Gefinnung 
im legten und höchſten Sinne ohne die Beziehung auf das Göttliche zu 
verſtehen; der in ber den Menfchen regierenden, dem Augenblide bingege 
benen Luft nicht Gefinnung, fondern nur Bergötterung des Thierifchen, 
und ebenjo in der Berechnung der Menſchen und Sachen keine Gefinnung, 
ſondern nur die Bergötterung des endlichen Verſtandes, felbft noch in der 
verfeinertiten Gejtalt, im Eigennuß erlennt, jagt: „Sefinnung in fitt:» 
liher Bedeutung entiteht erft da, mo die Borftellung des über dem 
Menſchen ftehenden Göttlihen als das Beftimmende in das freie 
Bemwußtjein aufgenommen wird. Das Sittliche hebt erft mit diefem Grunde 
an. Es find nur künſtliche Charaktere und meiftens Mißgebilde, wo fid 
ohne Hinblid auf das Göttliche ein fittlihes Handeln ausbildet. Der 
Menſch muß ein Oöttliches haben, fobald er fittlib zu fein ftrebt.“ 
Für die Schule beiteht die ausnahmlofe Pflibt, den ſittlichen Map: 
ftab an die Zräger der Helden der Geſchichte zu legen; die chriſtliche 
Volksſchule hat fogar nod mehr, fie bat den chriſtlichen anzulegen; 
denn für fie eriftirt kein anderer als zu Recht beftebend. Wenn bisweilen 
der doppelte Einwand erhoben ift, derartige große Charaktere ſtaͤnden der 
zu unterridtenden Jugend zu fern, und der chriſtliche Maßſtab paſſe für 
ihrer viele gar nit, fo mag immerhin zugegeben werben, — wie in ber 
„Evangeliſchen Kirchenzeitung“, 1862 Nr. 22 über Präfivent Göſchel 
gejagt wurde, — „daß alle bevorzugten Geifter ihre unbegreifliche Seite 
haben, etwas Anonymes, wie ed Göthe nennt; dies ift ihr Privilegium 
und ihr Kreuz, ihre Stärke und ihre Schwäche. Jeder findet e3 bequem, 
Andere nad feinem eigenen Mapftabe zu meſſen, und nur zu fchnell macht 
man ed einem Meicherbegabten oder Zieferblidenden zum Vorwurf, daß 
man ihn nicht begreifen kann;“ ſoll aber etwa ftatt folder Geifter Lieber 
das Alltäglicde, der Alltagsmenſch als Lebensmufter aufgeftellt werben, und 
wel anderer Mapftab foll denn überhaupt für Chriftenmenfchen gelten als 
der chriſtliche? (Man muß diefen nur nicht mit dem Maßſtabe für identifch 
erachten, welcher von einem beitimmten theologiſchen Partei ſtandpunlte 
aus geltend gemacht werben möchte) Nein, würdiger iſt es doch bie 
„bürftende Seele mit großen Bildern der Vergangenheit zu füllen, und da 
bei zugleih dem taftenden Veritande zu zeigen, wie viele, unendlich feine 
Fäden die Gegenwart an die Vergangenbeit knüpfen. Thut man bas nicht, 
dann mag man ji nicht wundern, wenn ohne Scheu vor dem Gewordenen 
und Gewachſenen der nüchterne Verſtand allein nah der Schablone alles 
Dafeiende regulirten und die Vergangenheit als tobt nicht mit in feinen 
Galcül ziehen will.“ (5. über „Pfahler's Geſchichte der Deutſchen.“) 


Gefchichte. 333 


8. Lebensbilder von den bedeutendſten gejchichtlichen Perſonen haben 
nicht nur dadurch einen namhaften pädagogiichen Werth, daß eben dieje Berjonen 
dadurch der jugendlichen Seele belannt und lieb werden; fondern fie führen 
auch unmittelbar in die Geſchichte ihrer Zeit ein. Die Jahrhunderte 
vertörpern ſich gewiflermaßen in einzelnen großen Menſchen. Entweder 
gebt ver Menſch voran, bemächtigt fich aller lebendigen Sträfte und faßt 
fie in feiner Hand zufammen, — fo in jugenplid kräftigen , genialen 
Beiten, — over das Jahrhundert erfürt ſich felbft einen Menſchen zum 
Haupt, der dann alle feine Kräfte anwendet, den Gejhmad der Menge zu 
Rudiren und ihm zu dienen, — fo in altersihwadhen Jahrhunderten. 
(Evangel. Kiryenzeitung, 1862 Nr. 31.). Beiſpiele dafür find für beide 
Fälle nicht allein aus der politiſchen Geſchichte alter und neuer Zeit, fondern 
auch aus der Eultur: und aus der Religions: und Kirchengeſchichte in hin⸗ 
seihender Menge zu nehmen; (U. A. Ulerander d. Gr. Auguſtus. Karl 
d. Gr. Karl V. Frieprih dv. Gr. Napoleon. — Muhamen. Gregor VII 
Luther.); und man findet fie deshalb auch in Büchern für die Einführung 
der Jugend in die Geſchichte behandelt, obſchon nicht mit der Tendenz, 
den Unfängern daran jogleich die volle Verlörperung des Geiſtes ganzer 
Jahrhunderte zu zeigen. An dieſer Erltenntniß haben Jünglinge und 
Männer no ein tühtig Stüd Arbeit. 

4 Im „Schulblatt für die Brovinz Brandenburg” (1362 
©. 259 fi. und ©. 387 fi.) bat Sculinfpector Wille in Fiſchelbach 
in Weftfalen einen ſehr beadhtenswertben Aufjab über „die Benußung 
chriſtlicher Lebensbilder in der Volksſchule nad den dabei 
in Anwendung fommenden Weiſen“ veröffentlibt. Der Haupt 
inhalt defielben ift kurz folgender. Da der Bollsfchullehrer nicht Quellen: 
durchjorſchender Biograph fein, fjondern nur das in der Literatur bereits 
Borhandene, Bewäbhrtefte, zu meifer Auswahl benußen kann, fo bedarf er 
außer ernitem, kindlih frommem Sinn lebendiges, in die Sache ſich hinein⸗ 
lebendes Intereſſe, um alles oberflädhliche Hin und Herreden über dieſelbe, 
alle abſchwaͤchende Sentimentalität und alle verallgemeinernden Neflerionen 
3a vermeiden, welde den Eindruck bes originalen, göttlihen Gepräges bes 
wahrhaft Chriſtlichen in ſolchem Leben nur fchaden würden. Seine größte 
Aunft muß er darin erlennen, dies Chriftliche jo zu geben, „wie es ift,“ 
ohne allen nur die ſinnliche Phantafie aufregenden farbigen Schmud, welder 
ernftere Naturen immer leer läßt. Nach dem methodischen Stufengang ger 
bübren den jüngern Rindern nur einzelne Büge aus dem Leben bedeus 
tender chriftlicher Perſonen zur Veranſchaulichung chriftlicher Zuitände und 
Berhältnifie, den ältern eine überfictlihe, mehr zufammenhängende Dar: 
ftellung. Und als Zweck ift ftets im Auge zu behalten: Grwedung des 
kirchlichen und chriftlihen Sinne. Denn: „Kirchlichkeit ohne chrifiliche 
Lebensfülle führt zur Leidenfchaftlichleit des Fanatismus, zum Starrlrampf 
des Orthodoxismus oder zum Tode des kirchlichen Gewohnheitsdienſtes, und 
chriftlicher Lebenagehalt ohne kirchliche Jorm zum Pietismus, Myſticismus 
und Separatismus.“ 

Wille halt in Volk s ſchulen nur biographiſchen Unterricht für 
zwedmäßig, und zwar jpll derjelbe an bebeutjamen Perjonen die einzelnen 


336 Geſchichte. 


Zeitalter charakteriſiren und zeigen, wie bie geſchichtlichen Vorgänge ven 
Lebensgang ſolcher Perſonen und dieſe wiederum durch ihr Wirken ben 
Gang der Geſchichte beſtimmten. Es ſollen ſolche Perſonen, an denen dies 
beſonders klar nachweisbar iſt, dann aber auch noch ſolche ausgewählt 
werden, welche bie aſcetiſche Seite des Lebens darſtellen und zu deſſen 
Bildung zu benugen find, alfo theils Perfonen propuftiver Natur, theils 
ſolche, welche die beſſern Zeitbemegungen nur reflectiren, lebendige Denkſteine 
in denfelben bilden und bei der Erziehung auch für erbaulidhe Zwecke zu be 
nugen find. „Darin liegt überhaupt der Unterſchied zwiſchen Mittbeilung 
riftlicher Lebenszüge und zwiſchen Daritellung driftliher Lebensbilder, daß 
in legtern der ganze geiftige Lebensproceß vor das Bewußtjein tritt, während 
jene nur einzelne aufleuchtende Geſchichtspunkte in einem bebeutjamen Leben 
find, die nur Grundlagen für fpätere zulammenbängende Darftellungen 
geben follen.” In der Stoffüberfiht werben fünf Perioden, und darin 
ftet3 die äußern Verhaͤltniſſe von den innern Zuftänden unterfdieben. (Die 
ſtirche in ihrer weltverläugnenden Kraft [bis Conftantin d. ®r.], in ihrer 
weltbeherrihenden Macht [bis Karl d. Gr.], in ihrer Berweltlihung [bis 
1517], in ihrer Wiederbelebung [bis 1648], die evangeliihe Kirche in 
ihrem Ausbau und äußern Fortbau.). Es find zwar nicht viele, aber die 
dentwürbigften Perfonen und Momente gewählt, und aud von diefen muß 
die Boltsjhule wohl noch einige ausſcheiden, da das Bedürfniß auch 
die Hereinziehung allgemein-gejhicdtlihen Stoffs erbeifht. Alles kommt 
darauf an, diefe Xebensbilvder fo zu benugen, daß das unverwüftliche Leben, 
ver Sinn und Segen der Kirhe veranfhauliht und durch die aſcetiſche 
Seite der chriſtlich- fromme Sinn angeregt und gepflegt werde, fowie daß 
die Geſchichte der chriſtlichen Kirche wieder in die Grinnerung der Gegen- 
wart berabreiht. Wie dies bei der bibliiben Geſchichte, der Behandlung 
der Kirchenlieder und Bibeliprühe, des Lejebuhs und befonderen lokalen 
und temporellen Umftänden gefchehen könne, wird weiter nachgewiejen. Zur 
Verftärtung des Antriebs zur Behandlung folder Lebensbilder erinnert 
Wille an die ungemeine Innigkeit, womit die alten heidniſchen Völler 
des gebildeten Altertbums an ihren veligiöfen Eulten und Cinrichtungen, 
Bötter: und SHelvenfagen, womit auc die Siraeliten an ihrer Geſchichte 
hingen ; erinmert an den fid) von feiner geſchichtlichen Vergangenheit nährenden 
und darin den Anlaß zur beifpiellofen Hingabe an die Kirche findenden 
Ratholicismus, befonderd in den romaniſchen Staaten, erinnert an bie 
wiedererwachte evangeliihe Miffionsthätigleit, an die beflagenswertbe lin: 
tenntniß fo vieler evangeliſchen Chriften mit der chriftlihen Vorzeit, an bie 
dem Paganismus verfallene weltliche Literatur und an die beilenbe Kraſt, 
welche von der Schule ausgehend in den jebigen bedrohlichen Beitverhält- 
nifien befondern Segen ſchaffen kann. 

Es bedarf Feiner befondern Beleuchtung diefer praltifchen Gebanten ; 
fie tragen ihren Werth unvertennbar deutlich in fih. Da aud die äußeren 
und die allgemeinsgejhichtliben Berhältnifie mit von ihnen umfaßt 
werben, fo geben fie den Grundton an, der aud bei der Behandlung diefer 
in der Volksſchule durchklingen fol. Denn allerdings fol fih aud die 
Volksſchule nicht ausfhließlih auf kirchen geſchichtliche Unterweiſung 








Gefchichte. 337 


beihränten, und für alle höher ftehenden Schulen iſt's noch mebr Bebürfniß, 
aud die andern geſchichtlichen Lebenstkreife zu erſchließen, und ihre Schüler 
dadurch zu bilden und zu erziehen. „Das ift das Gebeimniß aller belebenven 
Erziehung und das einzige Mittel, um von Cinzelnen fo gut ala von 
ganzen Klaſſen die gefährlihe Stodung der geiftigen Säfte, und fomit bie 
moralifhe und phyſiſche Berrottung abzuhalten, wenn man fie mit Menjchen 
aus allen Klaſſen der Geſellſchaft und mit allen lebendigen Richtungen 
des Jahrhunderts in nahe Berührung zu bringen ſucht.“ (Gelzer's „Pro: 
teſtantiſche Monatsblätter.” Januarheft 1862.) 

5. Das „Programm der Schule der Bender’fhen Anftalt 
zu Weinheim“ (1861. Frankfurt aM. Brönner, 23 ©.) enthält 
unter der Ueberſchrift „unjer Gefhihtsunterricht” Andeutungen 
vom Progymnafiallehrer Dr. 2. Wittmann in Alzey über die Grundge⸗ 
danken und die praltiihe Durchführung des Gejchichtsunterrichtd in der ge 
nannten Unftalt. Was darin von Biedermann’s und Campe’s An: 
fihten über den Geſchichtsunterricht zur Orientirung erwähnt wird, kann 
bier übergangen werden, da der Päd. Jahresbericht über letere im XIII. 
Bande S. 352 fi. und im XIV. Bande S. 361, und über erftere im 
XII. Bande ©. 356 ff. und im XIV. Bo. S. 361 ff. fih genugjam aus⸗ 
geiprohen hat. Wittmann pflihtet weder jenen, noch dieſen bei, 
Biedermann's Anfihten nicht, weil er nicht zugeben kann, daß der Ges 
Ichichtsunterricht nicht ohne dieſelben dennoch anſchaulich fein und die Selbft: 
tbätigleit des Schülers in Anſpruch nehmen könne, und weil Biedermann 
den Einfluß auf die Gemüthsbildung dur die Geſchichte unbeachtet 
läßt, fondern das Nüplihleitg- Prinzip in den Vordergrund ſtellt, aud 
den neuern Gulturverhältnifien eine leichtere Auffaßbarteit beimißt, als 
den frühen; — Campe’s Anfichten nicht, weil nach denſelben die Be 
achtung der Culturverhältniſſe in der Geſchichte für ungerechtfertigt 
erachtet wird, indem die Geſchichte nicht in der Volksmaſſe, nicht in Formen 
und Smftitutionen, fondern in Berfonen culminire. — In der Bender; 
ſchen Anftalt, welche Knaben bis zum 16. Lebensjahre erzieht und fie dann 
für höhere Schulen entläßt, ift der Geſchichtsunterricht fo verteilt, daß die 
beiden Unterklafien Sagen des Altertbums, die beiden Mittelflafien 
griechiſche und roömiſche Geſchichte, die beiden Oberklafien deutſche 
Gedichte bis zum Dreißigjährigen Kriege haben. — Den Schülern 
wird fein Lehrbuch in die Hände gegeben, die Quelle der Geſchichts⸗ 
kenntniß für die Schüler ift ausjhließlih der freie, mündliche Bors 
trag des Lehrers, während beilen nur dann und wann ein Wort und 
Name in ein Notizenbeft eingetragen, fpäter eine felbitgefertigte biftorifche 
Kabelle und geeignete Geſchichtslarten (von Kiepert und von v. Spruner) 
gebraudt werden. Mit diefer Ausfchließlichleit der Anmenpung des freien 
Bortrags (gegen Nector Peters Meinung, wonach nur die gegebenen 
Lehrftüde eines Lehrbuchs durchgegangen, deren Verſtändniß erwedt und 
erweitert und die gejchichtlihe Lectüre des Schülers controlirt werden foll,) 
folgt Wittmann der Meinung Campe's. In möglicfter Objectivität, 
obne Reflerionen anzufügen, follen die Facta Har und deutlich vor: 
getragen und dann dem Schüler überlafjen werben, ſich felbft über dies 

Bid, Jahresberiht AV, 22 


338 Geſchichte. 


ſelben ein Urtheil zu bilden. Er ſoll weder zu unverſtiaͤndigem Bolitifiven, 
noch zu anmaßenden, voreiligen Urtheilen angeleitet werden, ebenſowenig 
fol ihm aber auch, entſprechend „der in neuerer Zeit auftauchenden fröm: 
melnden Richtung, deren Vertreter die Geihichte in religiöfem Sinne 
ausbeuten und bei der Betradhtung verfelben nicht das allgemein Menſch⸗ 
liche, fondern nur den Gegenfag zwiſchen Chriftentbpum und Heidenthum 
in's Auge fallen‘, durch Reflerionen, trodenes Moralifiren oder gar theo⸗ 
logifche Depductionen die Freude an der Gejhichte verborben werden. Syn 
den Unterllaffen wird die Erzählung der Sagen (meift nah Schwab) 
ausführlich geftaltet, nichts bictirt, in der nädhlten Stunde aber wird repetirt 
buch freies, fließendes Racher zählen. Beranjcaulichende Abbildungen, 
eine Wandkarte unterftügen die Anbahnung des Verſtändniſſes. (Die 
Biedermann’ihen Eulturbilder werden Anfangs der Heimathskunde über 
wiefen. In den Mitteltlaffen wird bie alte Geographie der vorzüglich 
bei großen Perſönlichkeiten verweilenden, ausführlihen Erzählung 
vorangejchidt, das Culturzuftänplihe gelegentlich in die Erzählung ver: 
flochten, wobei der Bilvderatlas von Weißer benußt wird. (Ginprägung 
der Einzelheiten und fließendes Nacerzählen, Orientirung auf den Ge 
ſchichtslarten, Anbahnung der Fäbigleit zu gegebenen Thatfahen den Ber 
weggrund, oder zu angegebenen Urjahen die Wirkungen aufzufinden, Ent 
werfung und vieljeitige Benupung einer Geidichtstabelle*): das find 
einander ergänzende Arbeiten. Daß in der römischen Geſchichte weniger 
ausführlihe Schilderungen ver Perjönlichleiten vorkommen, liegt in dem 
Charakter dieſer Geſchichte; es treten dafür die Charafterzüge des Volks 
marlirter auf. Uebrigens foll für diefe Etufe von den Refultaten der 
Geſchichtsforſchungen Mommſen's, wonach viel als beglaubigte Geſchichte 
ſeither Gebotenes ſich als erdichtet erweiſt, kein Gebrauch werden; die 
Geſchichte der Parteikaͤmpfe und der Kaiſer tritt nur in gedrängter Kürze 
auf. In den Oberklaſſen werben etwas ausführlicyere Notizen ges 
ftattet, die v. Spruner’ihen Rarten für die bedeutenden Abſchnitte bes 
nutzt („Nur kein Geſchichtsunterricht ohne Kartel”), auch wohl die Ges 
ſchichte in Biedermann’shen Gruppen zu behandeln geſucht, vor 
Allem aber durch gehobene Wärme zu tüchtigem, patriotiihem Sinn und 
Streben angefeuert werden. Yür ſolche Schüler, welche die Anftalt verlafien, 
um in’s praltijhe Leben einzutreten, wird die Fortführung der deutſchen 
Gefhichte bis auf die neuere Zeit unbevenkli gefunden. 


Einen wichtigen Theil der Arbeit des Lehrer macht die Leitung der 
biftorifhen Privatlectüre aus, und außerdem förvert die Ben⸗ 
der’fhe Anftalt den Hiftorifhen Sinn ihrer Zöglinge noch durch Reifen 
in die dentmälerreihe Umgebung Weinheims. 


Aus diefen Anführungen ergibt fih eine große Einfachheit des Plans 
und des Verfahrens, deſſen Erfolge feine Angemeſſenheit beftätigt haben 


*) Meter bat darauf aufmerffam gemadt, dag überrafchenderweife die 
Querfumme der Jahreszahlen für befondere merkwürdige Greignifje der 
deutfchen Geſchichte 15 beträgt. 8. B. 375, 843, 933, 1077, 1176, 1338, 1356, 
1545, 1563, 1806, 1815. 





Geſchichte. 339 


werden. Frappant ift der große Umfang, melder der Sage durch zwei 
Klafien gegeben wird. Wittmann hält dafür: „Um die Jugend in bie 
Geſchichte einzuführen, ift der beite Weg, dab man fie mit dem Jugend⸗ 
leben des Volls, mit der Sage, belannt macht.“ 

Die Utilitarier verwerfen diefe Art der Einführung, die Volksſchule 
aboptirt fie aber in ihrer Weife, indem fie deutſchen Sagenftoffen jo gut 
wie lleinen anelvotijhen Zügen ſchon beim Beginn gejhichtlicher Belehrungen 
einigen Raum gönnt. W. Wadernagel fagt in feiner Gedbaͤchtnißrede 
auf Uhland treffend: „Die Ferne der Zeit wie die im Raum umgibt, 
was fie vor Augen ftellt, mit einem weihevollen Duft und Schimmer.“ 
Sp bei der Sage. F. Bäßler äußert im Vorwort zu feinem „belle 
nifhen Heldenfaal’': „Die weltgeſchichtliche Bedeutung des helleniſchen Volks, 
die Größe und Folgewichtigleit feiner Ihaten und Gejhide ift es nicht 
allein, mas eine tiefer eingehende, auch das Einzelne erfaflende Kenntniß 
diejes Abſchnitts der Univerjalgefchichte zu einem wejentlihen Momente der 
böbern Bildung macht: jondern eben fo jehr ift eö die edle Form, in welcher 
uns dieſer koſtbare Inhalt von den Alten jelber überwiejen worden: ift. 
Die reine Epik ihrer Erzählung, die vollendete Plaftit ihrer Daritellung, 
die hohe Ginfachheit ihrer Empfindungsmeife, der nüdterne Sinn ihrer 
Auffafjung der Lebenserfcheinungen, gepaart mit Großheit der Dentart und 
Wärme des patriotiſchen Gefühls, verleihen den Geſchichtsſchreibern Griechen- 
lands einen pädagogijhen Werth, welden in unfern Tagen fein Un 
befangener mehr verlennen wird, und deſſen Ausbeutung für die Grziehung 
unjerer Jugend und die Bildung unſers Volks nicht länger mehr verab: 
ſäumt werden darf.” Was bier von der grieifchen Gedichte, das gilt 
ebenmäßig au von der Sage. Freilich lann die Volks ſchule ſich nicht 
auf antile Sagen einlajlen, aber es handelte fih bier auch im Allge⸗ 
meinen um Andeutungen über den Werth der Sage als integrirenden Theils 
beim Gejhichtsunterriht für die Jugend. Und überdies ift auch das 
deutſche Bolt nit arm an fchönften Sagen, wie Bäßlersd Arbeiten 
und Dr. H. Pröhle's „Deutfhe Sagen” (Mit Aluftrationen. 
Berlin. Frant 1862. 1!/, Thle.) bemeifen, wo 213 derfelben ausführlich 
erzählt und alle Gaue Deutſchlands berüdfichtigt find. Wenn fie gut 
erzählt werben, wenn ein Erzähler (wie Göthe im Einklang mit Luden 
vom Hiftorifer fordert, „daß eine poetifhde Ader in ibm pulfire‘ und 
daß er die fchöpferiihe und dichteriſche Kraft habe, die Gejchichte mit 
poetiſchem Geifte aufzufaflen und mit künftlerifcher Hand nacyzugeftalten‘‘) 
audy mit poetiihem Sinn fie auffallen und wiedergeben kann, dann wirken 
fie zweifeldohne mehr ald manche nüchterne, an fi ganz wahre Geſchichte. 
Behält au) Hegel mit dem Worte Recht: „Nur ein wahrer Gehalt 
Ihlägt in die edle Menſchenbruſt ein und erfchüttert fie in ihren Tiefen,“ 
jo bat ja doch die Sage ebenfalld etwas dieſes wahren Gehalts, und bie 
Jugendbruſt ift davon noch allezeit in ihren Ziefen getroffen. Webrigens 
ift nicht der Umftand bemerlenswerth, daß überhaupt die Sage, fondern 
daß fie ausſchießlich durch zwei Nlafien, alfo zwei wolle Sabre 
tractirt wird. So viel Zeit werben ihr andere Anftalten keinesfalls wid⸗ 
men können und wollen. 

22° 


330 Geſchichte. 


wenn in Büchern für die Hand von Knaben und Jünglingen eine erregte 
Parteiſprache und eine grelle Parteifärbung auftritt; denn ſolche jugenb- 
lichen Leſer haben noch feine eigene, der Gründe fi bewußte Stellung zu 
den brennenden Fragen und ihren Gonfequenzen, und fie werben deshalb 
irre geleitet. Sie gewinnen möglichenfalls ſehr verſchiefte Gejchichtsauf: 
faflungen, oder ſprechen gedankenlos Andern nah. Das ift beides vom Uebel. 
Bücher der Art follten der Hand der Jugend vorenthalten bleiben. Weber 
Papft: und Kirchenthum, Fürſt und Adel, abfolutes Staateregiment, 
Ständeweien, Volksrechte, Boltövertretung gehen die Urtbeile jept, je nad) 
den Standpuntten der Verfaſſer, nicht felten fehr weit auseinander, und es 
gefhieht wohl, daß zur Stüßung dieſer Urtheile vie Thatſachen eigens 
gruppirt werden. So erhalten fie ein berechnetes Licht, gleihviel ob 
dies auch immer ein burdaus wahres, hiftorifch berechtigtes iſt. Diefe 
andersgeartete Gruppirung gibt auch den Büchern zum Theil eine ver: 
änderte Yorm. Es treten Dinge, Perfonen und Verhältiſſe mit einem 
Male in den Vordergrund und werden als die mwichtigften bezeichnet, welche 
ed nad der bisher geltenden allgemeinen Meinung nicht waren; andere, 
bisher vorzugsweiſe beadhtete, treten dagegen zurüd. Ohne ber lange Beit 
gangbaren überwiegenden Berüdfihtigung der Kriegsgeſchichte im 
Unterricht bier das Mort zu reden, — fie berubte auf einer Ginfeitigleit — 
vielmehr mit voller Zuftimmung, daß ven Eulturverhältniffen eine 
größere Bedeutung zulommt, joll doch nicht verfchwiegen werden, daß die 
neuerdings ganz eigens betonte- Entwidelung der materiellen Volks⸗ 
intereflen, deren Gefhichte u. U. Mar Wirth vom nationalsölono»> 
miſchen Geſichtspunkte aus in demokratiſchem Geifte nit ohne viel Ge: 
wandtheit mit in feine „Deutſche Geſchichte“ zu verweben begonnen bat, 
ein Moment einfchließt, welches nicht ohne große Bedenken läßt”). Niemand 
*) Bet diefer Gelegenheit muß der Berichterſtatter eine Unbill abwehren, 
weile Herr Kitchmann in Gutin deshalb gegen ihn fi geftattet hat, weil 
erim XI. Päd. Jahresber. ©. 351 8.8 „Geſchichte der Arbeit und Eultur dars 
eftellt als Xehrgegenftand für Schulen“ 2. Aufl. Leipzig, Mayer. 1858. 
fir die Schulen nicht geeignet hatte finden können. K. batte behauptet, daß 
„im Unterricht nicht die Gefchichte, welche den ftillen und friedlichen Xebenstreiß 
durch Arbeit und Ringen der geiftigen Kräfte der Menfchen bereitet hat, fondern 
die Geſchichte entfeſſelten Chrgeizes und blutiger Thaten, welche Staaten zerftört 
und gegründet, Völker zertreten und gefeflelt haben,” den Platz behauptet babe, 
eine Geſchichte „ſehr wenig geeignet, Kinder zu friedlichen und geiftig ſtrebenden 
Bürgern zu erzieben.‘ Denn vor den darin vorgeführten fiegreihen Feldherren 
und Kriegern ftebe der aufftrebende Anabe entweder troſtlos da, weil fie ibm 
unerreichbar fcheinen, oder er trete mit dem Vorſatz in's Öffentliche Leben, nach 
dem Beifpiel feiner Borbilder „ein Berbeerer von Menfhenglüd und Volks⸗ 
wohlfahrt zu werden. Um die Kinder für die Förderung und Enwickelung 
friedliher Einrihtungen und geiftiger Errungenfchaften zu begeiflern, ſolle fie 
die friedfihen und geifligen Entwidelungen in der Menfchheit in dem Vorder⸗ 
grunde ihrer Gemälde auftreten laffen. Zur Erreihung dieſes Zwedes bat st. 
ihm dienlich fheinendes Material zufammengetragen, von welchem er glaubt, daß 
ed als „Lehrgegenitand für Schulen” tauge, indem fi die „Charakterbildung” 
dadurch pflegen und der Knabe zu einem „beadhtenswertben Körderer der wahren 
Intereſſen der menſchlichen Geſellſchaft“ erheben laſſe. Zur Verwirklichung feines 
Gedankens fol der Geſchichtounterricht in zwei Unterrichtögegenftände getrennt 








Geſchichte. 341 


und Kunſiſchoͤpfungen der altheidniſchen Zeit eigen iſt, bie leuchtenden Ber: 
jönlichleiten, weiſen Einrichtungen, Großthaten aus freier Menfchentraft 
beraus u. f. w. das überfchlägt man bei Behandlung ihrer Geſchichte vom 
chriſtlichen Standpunkt aus nit nur nicht, fondern ftellt es ganz getreus 
lich und offen an's Licht, aber man verfäumt nit, neben allem Preis: 
würdigen, was allgemein Menſchliches dabei darbietet, auch die Schwarzen 
Nachtſeiten erbliden zu laflen, welche das Heidenthbum als Heidenthum 
charakteriſiren. In hriftliden Schulen gebührt fi das, und es fteht 
ihnen nit wohl an, durch Herauskehrung aller Glanzjeiten unter Ber: 
fchmeigung der fittlihen Mifere eine falſche Apotbeofe um das Hei» 
denthum zu mweben, aus welder Schüler die volle Wahrheit nicht 
berauserfennen werden. Das Herrlihe und Große bei den Heiden ift nur 
als ein Strahlenſchimmer des ihnen gebliebenen Göttlichen anzufehen, 
nicht als eigenftes Erzeugniß ihres menschlichen Denlens und Bildens, und 
es bat nicht hingereidht, fie zu der fittliben Höhe ihres ganzen Volle: und 
Staatslebend emporzuheben, melde die Sendung eines Grlöfers überflüffig 
erfcheinen laſſen könnte. An dieſer Auffaffung kann die chriftlihe Schule nie 
irre gemacht werden ſollen. — 


Ueber die Ginrihtung einer gehörig überwachten und geleiteten hiſto⸗ 
rifhen Lectüre der Schüler neben dem Unterricht foll an diefer Stelle 
binweggegangen werben. Geſchloſſene Anſtalten könuen in diefer Beziehung 
Manches ſchaffen, was bloße Schulen nit durchzuführen vermögen. 


6. Dr Wittmann'ſche Gedanle, dem Geſchichtsunterricht Fein 
Lehrbuch zu Grunde zu legen, erinnert an einen häufig in den Schulen 
wahrzunehmenven Mebelftand, wo ein Lehrbudy zu Grunde liegt. Schmade 
Schüler lernen den Tert der durchzugehenden Abſchnitte wörtlih aus: 
wendig. Sie präpariren fi fo, fie repetiren fo. Das ift durch freie 
Lehrernorträge unmöglih gemadt. Niemand zweifelt daran, daß der Ge: 
Shichtsunterriht dann beftimmt nichts taugt, wenn er im SHerjagenlafien 
des mwörtlid Memorirten befteht. Es ift in Folge unridhtiger Auffafjung 
der „preußiihen Regulative“ ſehr verbreitet die mit Recht gegeißelte Ver⸗ 
tehrtheit aufgetaucht, die biblif hen Geſchichten nad einem beftimmten 
Buch mörtlih auswendig lernen zu lafien. Sie mag leider wohl hie und 
da noch angetroffen werden. Wenn ſchon bei diefen biftoriihen Stoffen, 
welche am dabei meift treu feitgehaltenen Bibelmort noch immer einen 
anbermweitigen Schatz für das Kind gewähren, das mechaniſche Memoriren 
eine unbegreiflihe Verkehrtheit ift, wie viel mehr bei andern Geſchichten, 
für deren Wortlaut alle authentiſche Nebaction fehlt. Es kann nur auf 
Rechnung baaren Unverftandes und Unvermögens, Geſchichte zu lehren, 
binauslaufen, wenn ein Lehrer, ſei's aus Bequemlichkeit oder andern Gründen, - 
die Kinder fo verfehrt behandeln wollte, daß er blos abhörte, was viefe 
nad dem Tenor des Geſchichtslehrbuchs unverftanden mechaniſch auffagen. 
Das ift kein Unterricht. Gollte es auch durch allerlei draftiſche Mittel 
gelingen, einige äußere Kenntniß zu erzielen, das Belte, der Ertrag ber 
Geſchichte für Geift und Herz der Kinder, bleibt dahinten, und mit ‚dem 
allmählig dem Gedächtniß entjhmwindenden Wortlaut geht auch die äußere 


342 Geſchichte. 


Kenntnik wieder verloren. Sklaviſche Ketiung an die Wörter eines Vuchs 
muß entfchieben widerratben werden, 

M. Spieß glaubt in feiner „Weltgeibichte in Biographien” ein 
Buch geliefert zu haben, deſſen Erzählungen von den Schülern möglihfl 
wörtlich reproducirt, d. b. alfo nichts Geringeres als nahezu auswendig 
gelernt werden follen. Wie faßlib und anſchaulich dieſe Erzählungen 
immerhin fein, und wie leicht fie Kinder anfpredhen mögen, fie find doch 
keineswegs jo kurz und fnapp gehalten, daß die faſt wörtlihe Cinprägung 
nit außerordentlide Mühe machen müßte, und andererfeits fträubt ſich 
fiherli die innere Ueberzeugung vieler Lehrer vor dem Gedanken, daß ein 
ſehr mechaniſches Treiben dabei heraustommen möchte, während Spieß 
die Abficht bat, Kinder an eine georonete, auch ſprachlich wohlbefriedigende 
Grzählung der Geſchichte zu gewöhnen. Man täufche fi nicht, fließende 
Reproduction einer foldben Erzählung verbürgt nidt ſchon das befriedigende 
Berftändniß vderfelben, und zwar dann am wenigften, wenn fie wörtlich 
memorirt war. 

7. Auf eine Heine, ſehr geiftvoll abgefaßte Schrift ift hier noch zu 
verweifen, deren Verſtändniß und praftiihe Ausbeutung nit jedermann 
fo leiht werden dürfte, weil fie nicht fomohl etwas Ganzes und fertiges, 
als nur Anregungen bdarbietet, in philofophijher Entwidelung und mit 
vielen Beifpielen und Citaten ausgeftattet, welde den Kern der Gedanken 
mehr ahnen laflen, als ihn völlig ausgefhält enthalten. Es find die 
„Baufteine zur Begründung eines methodiſchen Geſchichts— 
unterrihts’ vom Lehrer Joh. Fris in Hamburg. (Hamburg, Gap: 
mann. 1862. 63 ©). Mit kurzen Worten ift deren Inhalt in der 
That nicht wieder zu geben, noch weniger lünnte es damit gelingen, die 
praktiſchen Umgeftaltungen zu kennzeichnen, welde nad diefen „Baufteinen“ 
der gegenwärtig übliche Geſchichtsunterricht erfahren müßte. Denn der 
Verf. gebt noch einen Schritt weiter, als es in diefer Abhandlung im 
erſten Abjchnitt angedeutet ift, und hat es doch unnachgewieſen gelaflen, 
wie die faktiſch gegebenen Berhältnifie unferer Schulen es geftatten, dieſen 
Schritt mitzuthbun. Es können darum nur einzelne Grundgedanken fein, 
welche bier aus dem Schrifthen hervorgehoben werben, und möge gleich 
vorab bemerkt fein, daß auf den Nachweis der Verwerthung derſelben in 
der Schulpraris bier verzichtet wird, indem ſolch' eine Verwerthung nur in 
den höheren Lehranftalten verfucht werden könnte. 

Bon dem Fundamentalgedanten geht Fritz aus und zu ibm lehrt 
er fchließlih zurüd, daß „dem Lehrer jetzt Geſchichte lehren heiße, das 
ewig Selbe hinter dem buntgewirkten Gewande der limftände erlennen 
zu lafien.‘ Dem Entwidelungsgange der ganzen Geſchichte ift der aller 
einzelnen Bölter durchweg analog; es kehren dieſel ben Erſcheinungen 
und Scenen wieder, nur mit anders benannten Perſonen, aber nah den⸗ 
felben Entwidelungsgefegen, melde durch das Acciventielle der ab» 
ändernden Umftände jelbft nicht meiter berührt werden. Nach des Berf.s 
Meinung haben vie feitherigen Geſchichtsmethoden auf das Wefen der 
Geſchichte und deren prolifife Kraft auf Geift und Gemüth wenig Rüdfiht 
genommen und die geeignete methodiſche Gruppirung des Stoffs unterlafjen; 








Geſchichte. 343 


denn man ließ ſich von den Thatſachen leiten, „ſtatt ſich auf den Stand⸗ 
punft zu erbeten, von dem die der Zeit nad einander folgenden Erſchei⸗ 
nungen als Ausprud, als Objectivationen des Einen, Unmandelbaren er: 
jcheinen.” Die methodiſche Dreitheilung in biographifhe, etbnographijche, 
dronologifhe und pragmatifhe Pehandlung wird ald nur das Quantum, 
nicht aber das Duale berüdfichtigend abgelehnt. Cine chronifenartige Er⸗ 
zäblung des Geſchehenen und ein Wuſt von Daten ift hinderlich gemejen, 
das hiſtoriſche Material nad gemifien Principien fo zu gruppiren, daß 
dem Schüler eine Ahnung von dem Entwidelungsgange der Völler 
wie der Menjchheit aufgeben könnte. Die Methode, wonach die Natur: 
biftoriler in ihrem Unterricht verfahren, hätte den Geſchichtslehrer befjer 
geleitet, indem fie zur Feſthaltung des ſyſtematiſchen Zuſammenhangs der 
Einzelerfheinung mit dem ganzen Entwidelungsgange geführt haben würde; 
dagegen die, welche nur Geſchichten und Geſchichtchen geben und den durdy 
die ganze Vergangenheit führenden Faden zerreißben, nur zum Kennenlernen 
diverfer Erſcheinungen ohne Zufammenhang führt, woraus für die Anregung 
und Läuterung des menjchlichen Geiftes und Gemüths und für die Charakter⸗ 
bildung fein wahrer Nutzen erwädft. Zwar bat aller Gefchichtöunterricht 
von der That auszugeben, aber dann muß aud die Seele der That 
(Idee) binzulommen, welche das Verſtändniß des Wachſens und Vergehens 
erſchließt, den Willen anregt und den Blick für die ewigen Geſtaltungs⸗ 
und Entwicelungsgeſetze alles Völkerlebens ſchaͤrft. 

Der Ausgangspunkt ſolcher hiſtoriſchen Erkenntniß iſt die Biographie. 
(„Durh den Diamant wird der Diamant zum herrlichen Edelſtein“; ver 
„Cpigeneſis des menſchlichen Beiftes fann nur durch Charakterbilder 
Vorſchub geleiftet werden, Die irgend‘ eine Seite des menſchlichen Weſens 
der Erlenntniß zugänglid machen.““ Sie gehört aber nit als Aequi⸗ 
valent für eine Stufe, „auf welcher die Kinder noch nicht befähigt find, 
die vielfachen Coefficienten der Geſchichte zu begreifen‘ (nun dann werben 
Kinder überhaupt nie zu Biographien kommen; denn dies Begreifen wird 
ihnen nicht gelingen), fondern es muß in ihr ſchon auf das Ahnenlaflen 
jener ewigen Geſetze angelegt fein, wonad die Thaten der Menſchen ftets 
diejelben, nur die Umftände andere find. „Auf dies Gleichartige im Weſen 
Aller die Kinder hinzuweiſen, müßte das einzigfte Princip im biographifchen 
Unterriht fein; (Verf. gibt mehrere Beifpiele hierzu. Bufammenftellung 
gleihartiger, fittlider und wiſſenſchaftlicher Beftrebungen aus verſchiedenen 
Zeiten.); dabei würde fih zugleih ergeben, daß ſich in jedem Menfchen 
eine andere Seite unjerd Weſens ofjenbart, die den Einflüflen der Erziehung, 
Umgebung, Zeitftrömung und der focialen Zuftände unterliegt. Immer ijt 
in der Biographie auf das jeder Beit, jevem Helden Eigene gegenüber dem 
Ewiggleichen hinzuweiſen, um den bildenden Ginfluß davon zu gewinnen. 
Fteilich eignen fih nicht fofort alle hiftoriihen Größen für Kinder (5. B. 
nicht Karl V., Wafhington, Perikles, Napoleon), aber es find auch auf 
der erften Stufe alle Biographien auszufhließen, „die Nepräfentanten 
der Eulturhöhe oder Glieder rein jocialer Conflicte“ zum Begenftande baben. 
Legtere kommen jpäter daran, weil das biographifhe Element „auch noch 
auf ver höchſten Etufe” betont werden muß, mo fie als Zräger der 


344 Geſchichte. 


Culturgeſchichte auftreten und in ihnen das Bildungsideal ihrer Zeit 
wie perfonificirt erſcheint. „Darum Biographien!“ „Sie find die fchönften 
Dentmäler vergangener Zeiten, beredte Zeugen des ewigen Saujalnerus und 
wohl geeignet, zu den Factoren gezählt zu werben, die ein zartes Kindes⸗ 
gemüth beeinfluſſen.“ Bugleih helfen fie aufmerkſam machen auf das Re⸗ 
fultat alles gejhichtlihen Werdens und Vergehens. „Aller Unteribied 
der Culturepohen, das geheimnißvolle Warum alles Lebens tritt erft an 
der Perfönlichleit hervor, und wie fie der Maßftab entflohener Zeiten ift, 
fo erweift fie ih aud als Refultat aller Entwidelung.‘ Bon vornherein 
müflen pädagogiſche Motive Auswahl und Reihenfolge der Biographien 
leiten: erft folde, die vorzugsmweile das ſich offenbarende Weſen des 
Menſchen nah ven verfhiedenften Seiten betonen, und wobei bie 
Genefis des Charakters eines Helden hbervorzubeben ift, um beflimmendb 
auf den Willen des Zöglings zu wirlen; die Thaten werden natürlich 
aud erzählt, damit der Schüler dur das, was der Held that, erfährt, 
was er war. In Betreff der Neibenfolge folder Biographien läbt es 
Fritz unentfhieden, ob foldye Charaktere einander gegenüber geitellt werden 
folen, melde zu verſchiedenen Zeiten lebend doch ähnlichen Charalters, 
oder Zeitgenofien aber von verjchiedener Charaltereigenthümlichleit waren. 
(Beifpiele. Bergl. auh Fr. Haupt's „Weltgeſchichte.“) Er befürwortet 
auch die Heranziehung der Neuzeit und erachtet es für angemefien, den 
Anfang mit diefer zu machen. — Zwiſchen den biographiſchen und 
den comparativen Geſchichtsunterricht will er die Geſchichte der Grie⸗ 
ben und Römer als Mittelglied eingefügt willen, weil in dieſer fich 
jeige, wie der Einzelne, was er geworden, nur in ber Gefellihaft, im 
Boll geworben fei, und welche Wechſelwirkung zwiſchen dem Individuum 
und der Vollsmaſſe beftehe. (Die Geſchichte des Drients ſcheidet er aus, 
weil er nur als Pendant des Dccidents wichtig, für ein wirllides Ber» 
ftänpdniß feiner Anfhauungsmeife und Religionen aber zu große Schwierig: 
leiten biete; das Alterthum bält er einzig für geeignet, den Uebergang von 
der Biographie zum Berftänpnig des Völkerlebens zu bilden.) Es wird 
nun der Entwidelungsgang der Menjchheit angedeutet, um die Unterlagen 
der Skizze der dem Lebenslaufe der Böller entjprechenden Methode zu ge 
winnen; dabei fchließt fih Kris an Herders „Ideen“, an Schleier: 
macher's „Reden über die Religion‘, an Kant's „Ideen“ und an Hegel’s 
„Philoſophie der Geſchichte“ an. An diefer Stelle muß auf Charalterifirung 
feiner Auffafiung viefes Entwidelungsgangs verzichtet werden. Für bie 
weitere praltiſche Behandlung wird verlangt, daß das Augenmerk ſiets auf 
Einen Punkt gerichtet werde, um den Gang der ſittlich⸗religiöſen Ideen 
und die Beredlung des Individuums zu erfennen. Dazu gehört, daß 
niht das Nadheinander fämmtliber Völker, fondern die Knoten⸗ 
punfte als Webergangsftadien zum Leititern gewählt werden. Hier find 
viel Specialitäten nöthig, um das Verfländniß der Zeiten zu begründen, 
und mahre Achtung vor der Gefhichte und Liebe zu ihr zu erweden. Und 
gerade dieſe Fülle nöthigt zur Beſchränkung auf folde Greignifje, melde 
auf ein üppiges Gntfalten des nationalen Lebens hindeuten, und größten: 
theild durd Kriege angebahnt, durch innere Revolutionen ihren Abſchluß 


” 


Geſchichte. 345 


finden. Solche Abſchnitte enthalten die Ruhepunkte zur beſtimmteren Er⸗ 
kenntniß des Vergangenen und zur Ahnung des Kommenden. 

Um die Urt, wie der Lebensgang eines einzelnen Volkes zu 
behandeln fei, zu prognofticiren, erinnert Fritz an religiöfe Analogieen aus 
dem beidnifchen, jüdifben und chriſtlichen Anſchauungskreiſe, damit erfannt 
werde, daß den Fiftorifhen Taten allgemeine Gejeße der Entmwidelung zu 
Grunde liegen. Dann wendet er die Parallele der Lebensabſchnitte des 
Einzelnen: Jünglings-⸗ Mannes: und Greifenalter, auf die Bölter 
geichichte in allgemeinen Zügen an, um die drei Etaatsformen zu entwideln, 
welche die Baſis des comparativden GefhichtsunterribtS ausmachen, 
nämlib das Königtbum. die Demokratie (als Ariftofratie oder Ty⸗ 
rannismus und als Volksherrſchaft) und den MilitairsDespotismusg, 
in welchen ficb jene drei Alter reflectiren. Eeiner Aufftelung nah haben 
die Griehen und Römer alle drei Alter durchmeſſen, der jüpifhe Staat bat 
fhon mit der Volkeherrſchaft feinen Abſchluß erfahren, Krankreich ift in’s 
Alter des Militair:Despotismus feit 1804 getreten, die übrigen wefleuros 
päifchen und die deutſchen Etaaten find fo eben in Entwidelung der Volks⸗ 
berrihaft begrifien, Amerika ift vom Koͤnigthum mit Weberfpringung der 
Ariftotratie in dafjelbe Stadium getreten. Scliekli erwähnt Fritz noch 
der primären und fecundären Entwicelungsgeſetze des Pebensganges der 
Böller (nah Mone und Laffaulr) und ftellt fie ſchematiſch neben einander. 

Bei dem Rüdblid auf die bier nur ganz gedrängt gegebenen Grörte 
sungen wird wohl im Allgemeinen klar werden können, worauf es Fritz 
weſentlich abgejeben wiſſen will; aber Niemand wird ſich die faft unüber: 
Reiglihen Schwierigleiten verbehlen, welde Lehrern und Ecdülern dabei 
zugemuthet werben. Wo find die Schüler, die hierzu das Zeug beſitzen; 
wo Sollen die Lehrer berfommen, die namentlih auf der dritten, compas 
sativen Stufe das Geforberte leiften. Nur bei der außerordentlichſten Kraft 
anftrengung wäre bei einigen der Begabteften vielleicht möglih, unter den 
günftigften Umftänden einigermaßen Befriedigendes zu leiften. Die dritte 
Etufe dürfte vielleicht felbft den Primanern der Gymnafien zu viel zu 
ſchaffen maden. 


IV. Berfchiedene Nachbemerkungen. 


1. Aus den vorftebenden Erörterungen refultirt die wachlende Klarheit 
über die Nothwendigkeit, in der Gejchichte immer mehr auf den Kern der 
Sade zu dringen und fih nicht an allerlei Nebenjächlichleiten, Zufällige 
keiten und Aeußerlichleiten genügen zu lafien. Dieſe Erkenntniß hängt mit 
dem Bewußtſein über die Notbftände zufammen, in welche die legten drei 
Jahrzehnte hineingeführt haben, und bie auf politifhem Gebiete nach Aus: 
trag ringen. Züngft hieß es in einem öffentlihen Blatte: „Die politifche 
Krankheit, welche jetzt unter den gebildeten Ständen graffirt, liegt u. A. in 
der Bildungsrihtung der breißiger und vierziger Jahre, Alles ftatt 
menfchlicg:hiftoriih nur theoretifch, [hematifch zu behandeln. Man 
erzählte nicht mehr Geſchichte, ſondern entmwidelte fie, lernte nicht bie 
deutiche Sprache kennen in und an ihren Erſcheinungen, fondern begriff 


346 Geſchichte. 


ſie. Jeder Schulmann wird ſich dieſer Epidemie erinnern, die bis in die 
Volksſchule hinabſtieg. Wine Folge davon iſt, daß ſelten Jemand mehr 
in die Verhältniſſe eindringt, um fie nad den verfchiedenen, dabei 
zur Sprache fommenden Glementen zu begreifen. Ein Moment, das be 
fonders hervortritt, wird herausgegriffen und dann in theoretiſcher Weiſe 
in allen feinen Conjequenzen entwidelt.” Belanntlid bat darunter der 
Geſchichtsunterricht damals in erfler Linie mit gelitten, ihn verflacht, ver: 
einfeitigt und tendenziös gerichtet. Eoll das wieder rebreflirt werden, fo 
muß durchaus in die Geſchichts verhältniſſe wieder tiefer eingedrungen 
und die gegebene, nit eine nad) jubjectiver Meinung conftruirte Ge 
ſchichte erforfcht und gelehrt werden. Die Phantafien und Phrafen müflen 
wieder ſchwinden und die Thatfahen allein in's Auge gefaßt werden; es 
muß insbefondere die Gliederung des geſchichtlichen Stofis, des Ganzen 
wie der Einzelpartien, wieder aus der Sache heraus organifirt 
und von vielem herkömmlichen Schablonenweſen dabei Abftand genommen 
werden. Mas Löbell vor Jahren anriethb (cf. V. Päbag. Jahresbericht 
©. 208 fi.) und außer 3. Bed noch Ch. Hoffmann in feinem „Lehr: 
buch“ zu verwirklichen ftrebte, ift von der Mehrzahl der Berfafier von ge- 
ſchichtlichen Schulbühern wenig beadıtet geblieben. Wohl begegnet man 
einzelnen Benugungen der Lobell'ſchen Vorſchläge, aber felten oder nie ihrer 
confequenten Durchfuͤhrung. 

Aber die Gliederung ift doch wieder nicht das Einzige; fie ift gewiſſer⸗ 
maßen immer wieder etwas Aeußeres, während die heilende Kraft von 
Sinnen kommen muß. Sobald auf Geift, rihtiges VBerftänpniß, 
Plan und Ziel der Geſchichte — mie nothwendig — mehr Gewicht ge 
legt werben fol, als auf alle Aeußerlichleiten der ſchulgerechten Behandlung 
derfelben, dann fommt es ſtets zu oberft auf die Stellung zu den Fragen 
an, wie fie unter den Ueberjchriften „Offenbarung und Geſchichte“, „Bolitik 
und Ghriftenthum‘‘ neuerdings miederholt in Sournalen ventilirt worben 
find. Der Lehrer ift mitten in das Leben bineingeftellt, und das Auf und 
Niederwogen zur Löfung jener Fragen berührt ihn und feine ftille Thätigfeit 
fo unabweislih, daß er fih um der eigenen Klarheit über folhe Fragen 
willen, und damit er nicht der Tyrannei aufgebrungener, auf öffentlicher 
Tribüne und in Tagesblättern colportirter Anſichten verfalle, gegen welche 
fi) doch fein Gewiſſen erheben muß, fie zu prüfen haben wird. Gie greifen 
aber ihrer ganzen Natur nad jo tief ein in die gefammte Gedankenwelt 
auf geiſtlichem, geiftigem und meltlihem Lebensgebiet, daß es keineswegs 
leicht fein kann, eine befriedigende Antwort zu gewinnen. Da fi die bloße 
Gedantenfpeculation, die intelligente Combination denkend ermogener Lebens» 
ericheinungen jelbft unter Mithülfe der eigenen Lebenserfahrung noch nicht 
zulänglid erweifen möchte, um bier zu feiter Antwort und klarer, jelbft- 
bewußter Stellung zu lommen, jo kann nidhts mehr empfohlen werben, als 
die über folche Fragen hin und ber firömenden Meinungen am bemährteften 
aller Prüffteine, am Worte Gottes zu prüfen. Bloße Dialeltit des noch 
fo ſcharfen Menfcenverftandes ift gegen dies zweiſchneidige Schwert doch 
zulegt immer ftumpf. Mit dem Worte Gottes im Herzen löfen ſich jene 
Fragen, und ſoweit fie auch auf Geſchichte und Geſchichtsunterricht influiren 





\ Geſchichte. 347 


konnten, mit dem Morte Gottes im Kerzen verſteht und lehrt man doch bie 
Geſchichte allemal am teften und fructbarften. 

„Alles mas auf Erden Mefentliches geſchieht,“ — fagt %. Ph. Sabel 
in feinem Bude über die Offenbarung Johannis — bat im Himmel feine 
Wurzel. Der Himmel felbft ift ein Kosmos von Realitäten. Himmel und 
Erde, göttlibe und menſchliche Dinge fteben fo in ununterbredener Gors 
reſpondenz. Daber aub die bloße Weltgeſchichte Feine Einfiht in die 
Genefis der Begebenheiten gewaͤhrt. Es bleiben Füden übrig, vie keine 
mechaniſche Pragmatik, Rätbfel, die kein Philoſoph zu löfen vermag: die 
bimmlifben Factoren fehlen zur vollitändigen Rechnung.“ ... „Das 
Beritändniß unſerer modernen Zeit in ihren nit mehr pur menſchlichen, 
fondern unbeimlichen Erſcheinungen ift ohne die VBollftänpigleit ber 
Factoren derfelben nicht mehr möglich.” ... „Die Zeit ift Gottes; in ihr 
verläuft die göttlibe Reichs- mie die Meltgefhichte mit ihren pofitiven 
Rechtszuſtänden, völterrechtlihen Verträgen. Gott orbnet die Zeitmaße und 
die Entwidelung der Dinge, daber er aud der Bott ter Gebuld heißt. Die 
Gefhichte zu machen, die Continuität derfelben zu wahren, bat er feiner 
Macht vorbehalten. Das find leitende Gedanlen, die eine Handhabe zum 
richtigen Gebrauch des Correctivs gewähren. Unter Andern haben v. Rohden 
und de Liefde fie in ihren Geſchichtsſchriften zu verwerthen geſucht; nas 
mentlich bat Erfterer fi bemübt, den Gang der Geſchichte mit den prophe⸗ 
tifhen Schriften des Alten und Neuen Bundes zujammenzubalten und ihn 
aus diefen zu deuten. 

Was die Drientirung über die Stellung der Bolitit zum Chriften: 
thum angebt, fo kann ein lehrreiher Auffag darüber in Gelzers „Bros 
teftantifhen Monatsblättern” (1862, 20. Br. 6.161 fi.) dabei von Ruben 
fein. Es ift dort auf die beilloje, ungefunde und naturwidrige Verſchiebung 
diefer Stellung hingewieſen, welche durch die jegt in Deutichland herrichende 
Anficht hervorgerufen ift, daß politifher und religiöfer Conjervatismus auf 
der einen Seite und politiihe und religiöfe Freifinnigfeit auf der andern 
folidarifh und nothwendig verbunden feien, und daß das pofitive Chriſten⸗ 
thum und die liberalen und nationalen Beftrebungen in Deutſchland eins 
amder feindlih gegenüber ftehen, einander gegenfeitig ausfchließen. Das ift 
das allgemeine Borurtbeil, und es wirb dur die thatſächliche Gruppis 
rung der Parteien in Deutſchland genährt. Factiſch gehören die hrifte 
lien Kreife in Deutihland überwiegend zur confervativen Partei, 
welche den freiheitlihen und nationalen Beſtrebungen mit Mibtrauen gegens 
überftebt, weil die Maſſe der politiiden Reformfreunde factifch dem chriſt⸗ 
lihen Glauben entfremdet ift, wie die Prefie beftätigt. Aber „die abs 
folute Hoheit, Selbftftändigfeit und Iniverfalität des Cvangeliums geftattet 
nicht, den Charakter der Chriftlichleit an irgend eine beftimmte Staatsform 
oder politifhe Gefinnung gleihfam feftzubinden. Die Sade Chriſti fteht 
und fällt nicht mit einer Staatötheorie und Politik, „vielmebr gebt das 
Evangelium über den befchräntten und relativen Inhalt aller Art von 
Bolitit ebenſo in eine unendliche Weite und Tiefe hinein, wie die Wölbung 
des Himmels über die Fläche der Erbe. Unter ächten Belennern Chriſti 
können die widerftreitenpften Anfichten über politiiche Fragen herrſchen, ohne 


348 Geſchichte. 
daß dadurch ihre Gemeinſamleit in dem Einen geſtört würde.“ Jedoch 


in einer beſtimmten Zeit und in einem gegebenen Volk kann ein 
beſtimmtes Verhaältniß der chrifiliden Ueberzeugung und ihrer Träger zu 
den politifhen Ideen und Behtrebungen nit nur im Intereſſe beider Theile 
wünſchenswerther fein als ein anderes, fondern aud ihrem wahren, 
beiverfeitigen Wefen, vor Allem dem Geift und Charalter des Evangeliums 
beifer (nit ausſchließlich) entiprehen.” Eo in unferer Cpoche. Es 
ift von Nachtheil, wenn das driftlid-gläubige Element, der chriſtliche Glaube, 
als in notbhwendig feindplihem Gegenfag zu den Ideen, Wünſchen und 
Hoffnungen des Bolts fiehend aufgefaßt wird, weil dadurch bie Macht der 
liberalen Speen über die Gemüther der Menihen fie zu Freigeiflerei und 
Unglauben treiben kann. Jener feindlihe Gegenſatz eriftirt principiell 
nicht, die moderne Zeit bat ihn nur biftorifch erwedt. Die liberalen, 
nationalen Tendenzen find auch auf das Chriftenthbum angewieſen, fteben 
und fallen mit ihm. Ein Bolt, das frei fein will, muß glauben, und 
ein Bolt, welches nicht glauben will, muR dienen; die Despotie kann 
wohl des Glaubens entratben, aber nidt die Freiheit.” Tocqueville) 
Bloße Formen und nftitutionen ohne auf Religion gegründete Sitt⸗ 
lihleit, bloße Sumanität reiht für fi allein nicht aus; fie gibt 
wohl Gewähr gegen Robheit, nit aber gegen Schlaffheit des Charatters. 
Es kanıı nichts beifen, dies zu verjhmeigen, und nichts ſchaden, es Har 
und ofien auszufprehen. Es ag zu beflagen fein, daß das Boll und 
feine tonangebenden Kreife mit dem pofitiven Chriſtenthum zerfallen find, 
das Verhältnik von Religion und Bolitit muß dennoch in einem andern 
Lichte al3 dem der Tagesmeinung betrachtet werden; ihre großen Fragen 
müflen in’s chriſtliche Gewiſſen gejchoben werben. Sept fieben leider 
die Ehriften meift außerhalb der politiichen Dinge auf der einen Eeite, und 
auf der andern nehmen bie politiihen Lebensbewegungen ihren Berlauf 
für fid. 

Das find beachtenswerthe Worte, welche der chriftlihe Geſchichtslehrer 
wohl tbut zu beberzigen. Denn er kann fi unmöglid ver Grlenntmiß 
verfchließen, daß der Pulsſchlag des öffentlihen Lebens jebt ein fieberhafter 
ift, daß in unferm Vollk die fittlihen Mächte mit den unfittlihen Geiftern 
ringen, und in dem Kampf der Wahrheit mit der Lüge, des Gejekes mit 
der Willlür, das Maulheldenthum, die Herrihaft des Majoritäts-Princips, 
der Mangel an Rechtsgefühl in politiſchen Fragen die Krifis fortgehend 
fteigern. 

2. Yür den Geſchichtsunterricht ift der Befib einer gewiſſen Summe 
geographiſcher Kenntniſſe unentbehrlih. Um die Begebenheiten an= 
ſchaulicher zu maden und ihre räumliche Ausdehnung verfolgen zu können, 
ift es unerläßlich, ſowohl die geographiihe Beſchaffenheit, politifcye 
Eintbeilung u. |. w. größerer Länderftreden zu kennen, als es für 
viele entſcheidende Einzelvorgänge von Wichtigkeit ift, die genaue Drts: 
tenntniß innerhalb kleinerer Räume erworben zu haben. Die Bor: 
gänge jelbft kommen dadurch erft zu befierem Verſtaͤndniß. (Beifpiels halber, 
wie diefe geographiſchen Kenntnifie lehrreich zu benutzen find, braucht nur 
an Profefior Kutze n's trefflihe Schriften über Ereigniſſe des fiebenjährigen 








Geſchichte. 349 


Krieges, und an Schriften erinnert zu werden, welche vie Völkerſchlacht bei 
Leipzig in dem Gange, den ihre einzelnen Actionen genommen haben, mög: 
lichſt anfhaulid machen wollen. Und um Fälle anzuführen, mo Kenntniſſe 
von der Terrain⸗, der phyſiſchen und klimatiſchen Beſchaffenheit des Schau: 
plages der Geſchichte unerläßlih find, um ein richtiges und klares Ber 
ftänpniß der legteren zu begründen, lann faft blindlings in die Geſchichte 
aller Länder gegriffen werden (3. 3. bei Baläftina, Aegypten, Griechenland, 
Italien, Norv:Afrita, Spanien u. |. w.). Gebirge und Ylüfje, weite Ebenen, 
gegliederte Küften u. dgl. beftimmen vie Völkergrenzen, bie Richtung, wie 
die Verbreitung des Lebens gelenkt oder abgelenkt, behemmt oder begünftigt, 
den Gang, den große Bölferzüge mit Naturnothwendigkeit genommen baben, 
die Staatengrenzen, welche mancherlei Abänderungen unterworfen gemefen 
find; die Bodenbefchaffenheit und Natur begründet wichtige Cinflüfle auf 
die nationale, volksthuͤmliche Eigenart der äußern und innern Lebengents 
widelung der Voͤlker: kurz, der geographiſchen Kenntniſſe fann man bei ber 
Geſchichte nicht entbehren. Es gilt aber, für die verfchievenen Beitperioden 
die gerade damals obmwaltenden — befonders ftaatlihen — geographiſchen 
Berhältnifie und Benennungen zu kennen. Das lehren zwar neuerdings 
die Lehrbücher der Gejchichte in kurzen Weberfichten auch, aber dabei find 
ſtets Geſchichtskarten zur Beranihaulihung nöthig, fonft können die 
Ueberſichten nichts nüßen. Yür die Bearbeitung folder Geſchichtskarten 
erwächft die Frage, ob fie das Terrain wenigſtens andeutungsmweife has 
ralterifiren und lieber auf eine größere Stofffülle von Namen, Gebiets: 
abgrenzungen u. U. verzichten, oder leßtere reichhaltiger ausführen und 
erfteres ganz weglaflen wollen. Auch der Maßſtab folder Karten ift von 
Belang. Leeder bat auf feiner neuen „Harte zur Gejchichte des preufis 
schen Staats’ alle Gebirg s zeichnung mweggelafien, Fir batte fie mit auf: 
genommen. vd. Spruner, Kiepert und Bölter verfäumen fie ebenfalls 
niht, während Shaarfhmidt davon Abftand nahm. Das NRidtigfte 
bleibt e8 doch immer, die Reliefverbältniffe der Länderräume mit 
darzuftellen; fie greifen allenthalben beftimmend ein und bieten immerhin 
mehr Anhalt für Gewinnung des richtigen PVerfländnijies in fehr vielen 
Fällen, als die kahle Papierfläe und die oft nur jehr rudimentär anges 
deuteten hydrographiſchen Verhältnifie. Allerdings ver kleine Maßftab 
vieler Karten (zu Dittmars Geihihtsbühern, zu Shaarfhmipt's 
Srläuterungen) ift ein beeinträchtigendes Hinderniß. Schon die v. Spruner: 
ſchen kleineren Gejhichtslarten lafien das empfinden. Dan follte für ven 
Unterricht größere NKartenmaßftäbe verwenden, deshalb geſchichtliche 
Wandkarten unbebingt den Meinen Atlanten in Duartformat vorziehen. 
Leider find folde Wandlarten, da mit einer nit für große, mehrere 
Jahrhunderte umfafjende Perioden nicht ausgereiht werden kann, koſtſpielig. 
Es empfiehlt fih, für unbemitteltere Schulen in den Karten⸗Verlagshand⸗ 
lungen uncolorirte Karten zu kaufen, und fie nad) den der Periode ents 
ſprechenden Berhältnifien unter Zubülfenahme guter, wiſſenſchaftlich ſorg⸗ 
fältig redigirter Geſchichtskarten jelbft zu coloriren. Wenn aud die Namen 
dann nicht immer geſchichtlich pafiend fein mögen, fo find doch die Gebiete 
genau zu umgrenzen, und damit ift dann für die Orientirung viel ges 


350 Geſchichte. 


wonnen. Für die deutſche Geſchichte iſt dies ſehr anzurathen. Profeſſot 
Bölter bat ſchon vor Jahren von ſolchen Karten mit Nutzen Gebrauch 

acht. 
3. An Geſchichtswerken aller Art fehlt es uns nicht; es iſt für alle 
erdenllichen Beduͤrfniſſe in der Schule und beim Selbſtſtudium durch die 
mannichfaltigſten Bücher geſorgt. Bon Ueberſichten auf ein paar Blättern 
an durch den Wald von Lehrbücdern, Leitfäden, Umriſſen, Abrifien, Hand: 
büchern, Zabellen, Charakterbildern, Erzählungen, Dentwürdigleiten hindurch 
bis zu den Höhenleiftungen großer Werte — nur Folianten ſchreibt Nie⸗ 
mand mehr — ift eine mit jedem Jahre neu vermehrte Fülle vorhanden. 
Gher quält die Leberfülle als der Mangel Wenn Bücher die ein 
zigen Zeugen des wiſſenſchaſtlichen Lebens wären, und nicht deren Ueber: 
fülle eber ein Zeichen von krankhaften als gefunden Zufländen fein möchte, 
dann müßte es um den Geſchichtsunterricht nachgerade überall tadellos ſtehen 
Es ift aber nicht zu vergefien, daß bei dieſem die fittliche Energie mehr 
werth ift, als Bücherftöße und bloße rabbuliftiiche Intelligenz, welche zulegt 
doch auf materiellen Tebensgenuß zurüdführt, ohne ſich um die Grringung 
edlerer Güter zu kümmern, weil zu biefer außer einem feinen Senforium 
aud eine geläuterte Gefinnung erforderlich ift, auf welche jene keinen weis 
teren Werth legt. Bas Erpmann in feiner Feſtrede bei der Halle ſchen 
Bichtefeier (1862) fagte: „Zu allen Zeiten haben die Menfchen nicht 
nur aus der Geſchichte herausgelejen, was den Meinungen und Leiden 
haften des Einzelnen eben entiprad, ſondern aud die Geftalten hervor: 
zagender Männer ſich jo zurectgelegt, wie fie ihren Intereſſen und 
Parteirihtungen am beften taugten. Auch die neuefte Geſchichtſchrei⸗ 
bung gibt vielfach unerfreulihes Zeugniß davon, daß, was die Herren Hi- 
ftoriler uns als den Geiſt dieſes oder jenes Helden verlaufen, der Herren 
eigener Geift ift, in dem fih die Helden befpiegeln” —: das kann fid 
auch der Geſchichtslehrer zu Herzen nehmen. Findet er die volle 
Wahrheit und Gerechtigleit, das gleihe Maß für Feind und Freund, vie 
objective Beurtheilung der Berhältnifle in mandem neueren Geſchichts⸗ 
bude nicht, fo wird er im Gewiflen ſich gebunden zu erachten haben, 
feinestbeils fi) der Wahrheit und Gerechtigkeit bei der Würdigung von 
Berfonen und Verhältnifien, insbejondere kirchlichen, alles Ernſtes zu be 
fleißigen. Sein Ziel bleibt immer nur das Gine: die jugend richtig und 
tüchtig zu unterweifen, daß fie der Bahn zu einem göttlichen Leben nicht 
verfehle. 


Geſchichte. 351 


Literatur. 


I. Baterländifche Gefchichte. 


1. 8. J. K., Geſchichte des brandenburgiſch-preußiſchen Staats. 
Allen Preußen und vorzüglich der Jugend gewidmet. 2. (Stereotyp⸗) 
Ausgabe, Frankfurt a / O., Gottfhid. 1862. 62 S. 3 Ser. 


Die Jugend der ärmeren Klaſſen und unbemittelte Landleute follen 
an diefen Blättern ein Mittel erhalten, die preußifhe Geſchichte kennen zu 
lernen und dadurd zum Patriotismus entflammt werden. In einem ein: 
leitenden Abjchnitt wird die ältere brandenburgifche Gefhichte bis zum An- 
fange der Regierung der Hohenzollern’ihen Fürften auf einigen Seiten abs 
folvirt, indem unter Anknüpfung an die regierenden Markgrafen einige ber 
berportretendften Zhatfahen aus ihrer Regierung erzählt werben. Ein 
zweiter Abſchnitt behandelt die Kurfürften von 1415-1688 etwa in ber 
Art, wie gedrängte Leitfäden pflegen, der dritte erzählt die Greignifje unter 
den preußiichen Königen bis auf Wilhelm I. Im Allgemeinen find die 
Kriegöthaten der vorherrfchende Inhalt, doch werden andere Verhältnifje der 
Regierungsbandlungen wenigftens kurz angegeben, um aud) bie friedlichen 
Entwidelungen einigermaßen kennen zu lehren. Der Ton und die Dars 
ftellung find fchlicht, leicht verftändlihd und patriotiſch wohlmeinend; das 
Ganze liest fich deshalb mit ziemlichem Intereſſe, und die Jugend mird 
fi) daran vielleicht erfreuen können. (Es jollen bereits 6000 Cremplare 
der erften Auflage verbreitet fein.) Die Inhaltsüberſicht vertritt zugleich 
die Stelle einer Heinen chronologiſchen Zabelle zum Memoriren. Einige 
Druckirrungen hätten bei der Stereotyp Ausgabe vermieden werben follen. 
(Der ewige Landfrieven des Kaiſers Marimilian I. ift als Wormſer Con» 
cordat bezeichnet, vie Schlaht bei Zurin auf das Jahr 1705 gefekt, 
Molpaquet, Bolmy, Gzeslau, Möllner geſchrieben, die Beſetzung Hannovers 
durh die Preußen 1803 aus den von den Engländern erfahrenen Bes 
ſchimpfungen der preußifchen Flagge hergeleitet, der Wiener Frieden auf 
1800 angejeßt u. a. m.) 


2. Fr. Vormbaum, SeminarsDiretor, Lehrreiche und anmuthige Ers 
zabiungen aus der brandenburgifhspreußgifhen Geſcichte. 
n Büchlein für chriſtliche Volksſchulen. 13. Aufl. Leipzig, Hoffmann. 

1862. 112 S. 6 Ser. 

Dies weit und breit befannte, in evangeliſchen Volksſchulen mit 
Recht wegen feiner anfprechenden, lichten Darftellung und feines patrios 
tischen, evangelifchen Geiſtes als Lefebucy beliebte Büchlein, worüber ſchon 
im V. Päp. Jahresbericht ©. 242, und im XI. ©. 248 Andeutungen 
gegeben find, ift jetzt bis auf Wilhelm's I. Krönung fortgeführt. Aus den 
Schlußworten: „Schon denkt er (Wilhelm IL.) daran, zur Erleichterung des 
Staats die Ausgaben für das Militair zu verringern, ſchon hat er vor, 
durch eine zwedmaͤßige Kreis: und ©emeinbeorbnung den Unterthanen wohl 
zuthun“ — hat ein Kirchen: und Sculblatt berauslejen wollen, daß ber 





352 Geſchichte. 


Berf., der als alter waderer Preuße rũhmlich belannt iſt, gegen die Ne⸗ 
organiſation des Heeres und für die neue Areis: und Gemeindeordnung 
Sympathien erweden wolle. Auch will dies Blatt in der Auffaflung der 
franzöfiihen Revolution, wie der Creignifie der Jahre 1848 und 1849 
eine rheiniſch liberalifirende Tendenz finden. Unbefangene Würdigung des 
Tertes wird jedoch davon überzeugen, daß der Berf. einen ganz andern 
Sinn in feinen Worten ausgebrüdt hat. Tas YBüdjlein darf in der That 
nad) wie vor den Bollsjhulen zum Gebrauh für die Jugend empfohlen 
werben. 


3. R. Dietſch (Brofeffor), Abriß der brandenburgifäepreußifgen 
Gefhidhte Mit 3 Karten. Beigabe zu des Berf.d „Grundriß der all= 
gemeinen Befhichte”. 2. Aufl. Leipzig, Teubner. 1860. 125 ©. 12 Egr. 


In Vergleihung mit der erften Auflage, deren im XII. Bär. Jahres⸗ 
beriht ©. 248 wegen der jahlid:gründlihen Behandlung und des ri ſt⸗ 
lich: patriotiihen Geiſtes mit bejonders empfjehlender Anerlennung gedacht 
ift, find bei diefer zweiten nur wenige Aenderungen und Zufäße borge- 
nommen. Meiſtens find es einzelne ftyliftiiche Beflerungen, bie und Da 
auch ſachliche Berichtigungen ($ 33), worauf fih die Hand des Berf.s 
befchräntt bat. Die SS 32, 92, 106, 109 haben eine theilweile Um: 
arbeitung erfahren, ebenfo ift das Urtheil über den faljhen Waldemar $ 28 
abgeändert. Einige Drudirrungen find leider auch in die neue Auf: 
lage binübergenommen, 3. B. $ 39 Johann von Priebus ift nit ber 
Bruder, fondern der Better Heinrich's von Glogau; 8 58 find die Länder: 
gebiete Ravensberg und Marl in der Bezeichnung der Lage verwechſelt; 
8 70 ift Wolau ftatt Wehlau gefchrieben, $ 70 Bingen ftatt Ringen 
geſetzt, $ 88 Joſeph IL. ftatt Joſeph J. angeführt, $ 92 vie Schlacht bei 
Czaslau auf den 18. Mai, 8 99 die bei Prag auf den 5. Mai, $ 120 
Schill's Ton nad) Lübed, $ 126 der Aachener Congreß auf das Jahr 1818, 
8 127 vie Bermählung de3 jegigen Kronprinzen von Preußen auf den 27. 
ftatt auf den 25. Januar verlegt. Dergleichen beeinträchtigt übrigens den 
wirflihen Werth des ſehr praktischen Büchleins nicht, das deshalb aufs 
Neue zu empfehlen ift. 


4. F. Voigt, Profeffor, Grundriß der brandenburgifc- preußis 
hen Geſchichte in Verbindung mit der deutſchen. 2. Aufl. Berlin, 
ümmler. 1863. 84 ©. 6 Gar. 


Der Berf. ift einer von den Schulmännern, welde mit großer liebe 
und Sorgfalt nad Gründlidleit und Correctheit in ber vaterländiichen Ge- 
ſchichte fireben, und ohne allen forcirten Patriotismus mit etwas Tühlem, 
aber fehr verftändigen, den Sadverhälinifien in ihrem Kern nachipürenden 
Sinne diefelbe darzuftellen lieben. Man kann ſich auf feine Angaben ver 
lofien. Da die erfte Auflage, mit welder vie zweite in allen weſent⸗ 
lichen Beziehungen übereinftimmt, bereits im XIV. Paäd. Jahresb. S. 389 
näher charalterifirt ift, jo genügt hier eine Nüdweifung auf das dort Geſagte. 





Geſchichte. 353 


5. K. F. ©. Trahndorff, Ueber den Geiſt des Haufes Hohbenzols 
lern und die weltgefhihtlihe Bedeutung des preußiſchen 
Staats. 3. Aufl. Berlin, Vereinsbuhhandlung. 1863. 10 pr. 


Diefe nit zum Schulgebrauch geeignete Abhandlung, welche zuerft 
1838 erſchien, ift wegen ihrer Nußbarkeit für die jeßigen Zeitläufte wieder 
aufgelegt, um bie biftorijhen Grundlagen Preußens und die unter Leitung 
der Hohenzollern in Preußen vollbrachten Thatſachen in's Gedächtniß zurüd: 
zurufen, und daran nachzuweiſen, daß das Herricher- Princip der Hohen: 
zollern ein ächt deutjches if. Don dem erften Auftreten der Hohenzollern 
in der Mark an hat fi unter göttliher Waltung in einfach naturgemäßem 
Proceß der fpäter jo mannichfach aufblühende Staat durch den Hohenzollern» 
geift entwidelt, der alsbald in den Bang der deutſchen und europäifchen, 
aljo der Weltgefchichte entſcheidend mit eingriff. Dieſer Geift hat die ver- 
ſchiedenartige Bevölkerung einheitlih affimilirt, und derjelben in dem Hohen⸗ 
zollern:Fürftenhaufe feinen Schirm und Hort der Selbftftänvigteit verliehen. 
Darauf ruht die dantbare und pietätvolle Anhänglichleit des preußifchen 
Volles an feine Dynaftie. „Jeder, der fi in die brandenburgiſch⸗preußiſche 
Geſchichte vertieft, muß conjervativ werden.” 


6.*) Dr. M. Zoeppen, Gymnafial» Director, Hiſtoriſch comparative 
Geographie von Preußen. Nach den Quellen, namentlidy auch archi⸗ 
valifchen, dargeſtellt. Mit einem Atlas in 5 Bittn. Gotha, 3. Perthes. 
1858. 398 S. Arüherer Ladenpreis 31/s Thlr., herabgefegt 1 Thlir. 


Sm XI. Bär. Jahresberiht S. 250 ff. ift dies für die Gefchichte des 
alten Orbenslandes Preußen ſchätzenswerthe Buch charalterifitt. Der ge 
lehrte Gefchichtsfreund erhält darin die fpeciellften Aufſchlüſſe über die 
älteren geographiſchen Verhältnifie Preußens und über die ältere Landes: 
verwaltung. An diefer Stelle joll nur noch notirt werben, daß der ftarl 
berabgefeßte Preis die Anjhafjung merklich erleichtert. 


7. Dr. F. ©. Eifelen, Profefior, Der preußiſche Staat. Darftellung 
feiner geihichtlihen Entwidelung und feiner gegenwärtigen natürlichen, 
focialen und politiiden Verhältniſſe. 2 Iheile in einem Bande Berlin, 
Mittler und Sohn. 1862. 618 ©. 2 Ihlr. 24 Bor. 


Der Berf. bat „ein möglihft klares und vollftändiges Bild des preu- 
Bifhen Staats‘ geben und dabei nicht blos in ben ftaatlihen Verhältnifien 
defien Gejhichte „zum Stehen‘ bringen, fondern „zu ſichererer und klarerer 
Erfafjung aud die Entwidelung verfolgen und die verſchiedenen Lebens: 
feime aufſuchen wollen, bie berjelbe allmälig hervorgetrieben und die fi) 
mit der Zeit immer mehr mit einander verſchlungen und zu einem in fich 
übereinftimmenden Ganzen geftaltet oder zu geftalten geftrebt haben.” Ges 
ſchichte und Statiftil follen dabei einander wechſelsweiſe erllären. Der 
Inhalt zerfällt in zwei Xheile: 4) Darftellung des Entwidelungs® 


*) „Geſchichte Preußens feit 1640 bis auf die Begenwart.” In 3 Bdn. 
1.8d.: Ueberſicht der Gefhihte Preußens. Friedrich Wilhelm, der 
roße Kurfürſt, Friedrich J. König von Preußen. Mit Portraits und 
Sachmite. Sondershaufen, Neuſe. 1863. 240 ©. 20 Ser. 

Lag nicht vor. 
Wir. Iahreöberiht XV. 23 


354 Geſchichte. 


gangs des brandenburgiſch preußiſchen Staats (S. 1-100): 2) Darfel 
lung des preußiſchen Staats in ſeinen gegenwärtigen territorialen, 
ſocialen und politiſchen Berhältnifien (S. 191—618). Der erſte Theil 
gilt alſo gewifiermaßen nur als Einleitung zum zweiten. Gr enthält eine 
jummariihe Zujammenfafiung nicht wur der bervorragenbfien Thatſachen 
der äußern Geſchichte, ſondern vornämlic auch eine Nachweiſung des Gat- 
widelungsganges der innern Staatöverhältnifle, insbefondere von ben 
Jahrhunderten an, wo die Staatskunft fie verwidelter madyte. Die Gebiets: 

‚vie Rechts⸗ und Berwaltungsverhältnifie, der Gang der Gut 
widelung des Bildungs:, Kirchen⸗, Heeres: und Finanzweiens, vie fiaate: 
männife Benugung ber allgemeinen deutſchen und europäijcen Weltiage 
in Kriegs⸗ und Friebenszeiten, vie Art der Entfaltung des Gtändelebens 
von früher Beit an, die Berfledhtung der preußiihen mit den allgemeinen 
europäijchen EStaatöverhältnifien bis herab auf die allgemein deutfchen und 
fpeciell preußiſchen Berfafjunge:-Berwidelungen der neueften Beit bis 1861: 
das find in wefentlihen Zügen die Momente, welche der Inhalt des erſten 
Theils auseinanderlegt. Dabei ift der Charalter der beveutfawflen Männer, 
namentlih der Fürften, und das, was fie als ihre Lebensaufgabe anfahen, 
überall kurz und prägnant mitgezeihnet. In der Gebrängtheit, womit bie 
Etofigruppen überſichtlich behandelt werben, und in ber ruhigen Nüchternheit 
des Urtheild, welches der Berf. darüber abgibt, wird der Grund einer ge 
wifien objectiven Kühle zu fuchen fein, welche fih burd die ganze Dar: 
ftellung ziebt. Der zweite, überwiegend reichere Theil zerfällt in vier 
Abtheilungen: 1) Land und Boll in territorialer und ftatiflifcher Be: 
ziehung. (Allgemeine Berbältnifie der Bevöllerung, deren abjolute und 
relative Größe, Bertheilung nach Geſchlechtern und Altersfiufen, Ehen, Ge 
burten, Sterbefälle, Nationalitäten und Religionsverhältnifie.) 2) Staat 
und bürgerlihe Geſellſchaft. (Rechtsboden. Glemente des Staats und 
der bürgerlihen Geſellſchaft, Organifation der bürgerlihen Gefjellichaft auf 
Grund raͤumlicher Verhaͤltniſſe, Staat im engeren Einne nad Berfafjung 
und Berwaltung. — Reflortd der Gentralbehörden, Geift ver Gefepgebung 
und Verwaltung im Allgemeinen und in Beziehung auf Polizei, Schule, 
Kirche, Erwerbsthätigleit des Volle u. |. w.) 3) Das Volk in feiner 
Gntwidelung unter dem Ginflufie der Gefepgebung und Verwaltung. 
(Betriebfamteit nad) ihren Hauptfeiten; Boltsbildung durch Schule und 
Kirche.) A) Preußens Stellung Deutfchland und dem Auslande gegen: 
über. So der Anhalt des zweiten Theils. 

In forgfältiger, guter Auswahl findet man das neuefte ſtatiſtiſche Ma: 
terial, Öfter in den dafür gebräudlihen Tabellen aufgeftellt. Smierefjant 
ift dabei das- Detail über die natürlihen und künſtlichen Waflerlinien in 
fämmtlichen einzelnen Regierungsbezirten, über die mittlere Temperatur, bie 
Bollsmenge und Voltsvichtigleit ſaͤmmtlicher einzelnen preußifchen Kreiſe, 
die Erwerbsthätigleit in allen nennenswerthben Richtungen der Urprobuction 
und verebelnden Bearbeitung ber Robftoffe; ferner über die öffentlichen 
Beförberungsmittel des Berlehts, über die Bildungsmittel und verjchieben: 
artigen Anftalten. Mit vorzugsweifer Ausführlichleit und Genauigkeit ift 

"es, was auf Rechts⸗, Verfaſſungs⸗ und Zinanzverhältnifie Bezug hat, 


A - 








Geſchichte. 355 


behandelt. Ohne Zweifel hat gegenwärtig Alles, was Gebildete mit dem 
gefammten Staatsweſen Preußend genauer befannt zu machen geeignet ift, 
um fo glüdlichere Conjuncturen der Theilnahme für fih, als ever von 
jelbft zu gefteigertem Intereſſe daran getrieben wird. Hier liegt in einem 
Gefammtüberblid die Bedeutung Preußens im Fluß der Gefhichte von dem 
erften Entſiehen bis auf unfere Tage vor und ebenfo im firirten Beſtand 
der gegenwärtigen Verhaͤltniſſe. Der gefchichtliche Theil, obwohl aud recht 
belebrend, gibt in den neueften ftaatlihen Tagesfragen einen wechſelnden 
Ton an. Es klingt weder confequent confervativ, noch accentuirt liberal 
daraus hervor. Belonders ergibt fi) dies bei Beiprechung der Landes: 
vertretung, der Reorganifation des Heeres, der Voltsfhulbildung und aͤhn⸗ 
licher Punkte. So geſchieht's, daß die verfchiedenen Parteien Anerkennung 
und Widerſpruch zugleih erfahren. 


8. Th. Carlyle, Geſchichte Friedrichs IT. von Preußen, genannt 
Sriedrih der Große. Deutſche Meberfegung von J. Neuberg. 3. Bd. 
1. Son) (Bogen 1-22). Berlin, Deder. 1802. 1a Zblr. (L.—IL 1, 

r. 


Ueber die beiden erſten Bände iſt im XII. Päd. Jahresb. S. 270 ff. 
und im XIV. S. 436 ff. ausführlich berichtet. Die jetzt neu hinzugekom⸗ 
mene erite Hälfte des britten Bandes behandelt nur die kurze Beitipanne 
vom Negierungsantritt Friedrichd des Großen bis zum Beginn des erften 
Schlefifhen Kriegs. (11. Buch. Friedrich ergreift die Zügel. Juni bis Des 
cember 1740. 12. Buch. Der erſte ſchleſiſche Krieg, der einen allgemeinen 
europäifchen ermwedt, hebt an. December 1740 bis Mai 1741.) Sobald 
der ganze dritte Band vollendet jein wird, ſoll jpeciell darüber berichtet 
werben. 


9. Ferd. Schmidt und 2. Burger, Preußens Befhiäte in Wort 
und Bild. In gwei Ausgaben. Prachtausgabe 13 Lieferungen (d Lief. 
20 Sgr. à Kiel. 7'/a Sgr.) Volldausgabe 1. Halbband 2 Thlr. Berlin, 
Lobed. 1862. 1863, 


Nachdem jchon oben in der Abhandlung auf dies Buch eingegangen 
ift (ef. IL 5.), genügt es, an diefer Stelle daran zu erinnern, daß daſſelbe 
zahlreiche lobende Empfehlungen erfahren bat. Nur fehr vereinzelt haben 
ſich mißbilligende Urtheile vernehmen lafien. XLebtere haben aber zum Theil 
einen um fo nadprüdlideren Warnruf dagegen erhoben. So liest man in 
dem „Evangelifhen Kirchen- und Schulblatt für Schlefien 
und das Großberzogthbum Poſen“ (Jahrg. 1862 Nr. 12): „Das 
ft ein durch fehr gute äußere Ausftattung fidh einfchmeichelndes Werl, vor 
welchem aber nicht genug gewarnt werden kann. Aller politifhe und kirch⸗ 
lihe Liberalismus bat fih darin abgelagert. Auf dem Umſchlag ift in 
allegorifcher Darftellung Preußen abgebildet, mit feinem Schilde Deutſchland 
dedend, auf einem Feljen, an welchen die Wogen bes Meeres braufend an: 
ſchlagen. Aus diefem fireden ſich flehende Hände Grtrinfender empor, die 
als „Gewiſſensfreiheit, Berfafjungsleben, Schleswig⸗Holſtein“ bezeichnet werden. 
Haß gegen Defterreih, gegen den Abel, gegen bie roͤmiſche Kirche treten 

23° 


356 Geſchichte. 


überall im Buche klar hervor. Das Chriſtenthum iſt ihm eine Freiheits⸗ 
Religion. Luther wird auf die efelbaftefte Weiſe ald Held der ‘Freiheit 
gefeiert, feine Geburt mit der Geburt des Heilandes verglihen (S. 287), 
und dazu gejagt: Wer die Menjhen von Unwahrhaftigkeit, von Zug und 
Trug erlöfen foll, muß frübe ſchon durd die harte Schule des Lebens 
geben, in der er die Dinge jelbit fieht und nicht ihren Schein.” — Wenn 
auch Anlaß da ift, das Buch etwas jchonender zu beurtbeilen, fo ift doch 
feine Frage, daß in ihm febr viel Gefahr für den harmloſen Lefer gegeben 
if, die vaterländiihe Geſchichte in einer Weiſe aufzufafien, welche im Zolte 
keinen Segen ftiften Tann. Es werben die wirklich andrkennenswerthen 
Seiten mehr als reihlih aufgewogen von politiihen und religiöfen Auf 
fafjungen, welche bedenklich genug find, ala daß ihre Verbreitung im Bolte 
nicht beilagt werden müßte. 


10, Dr. 3. Ph. Benkard, Geſchichte der deutfhen Kalfer und Kd⸗ 
nige. Zu den Bildern des Kaiferfaals. 3. Aufl. Frankfurt a / M., Keller. 
1861. 155 ©. geb. !;s Thlr. 


Die Vergleichung mit der 2. Auflage („Ueberfiht ber Geſchichte 
der deutfchen Kaifer und Könige, 1853, cf. VIII. Päd. Yahresb. 6. 526) 
ergibt eine Vermehrung des urfprünglichen, jetzt faft woͤrtlich beibehaltenen 
Tertes um etwas über 11/, Bogen. Theils find die biftorifhen Notizen 
bei mehreren Königen, beſonders aber find die poetiſchen Reminiscenzen 
bei denfelben, und im Anhange von S. 86 an die biftorifhden Erläus 
terungen und Zufäße vermehrt. Zum Schluß ift noch eine bereits anders 
weit wiederholt abgedrudte Heine Abhandlung: „Die Raijerbilder im Römer: 
faal zu Frankfurt a. M. vom Standpunkte biftorifcher Wahrheit” beigegeben. 
Der Titel „Geſchichte der deutſchen Kaifer 2c. führt in fofern irre, als 
auf den 85 Seiten des Buchs, melde nur Notizen über die einzelnen 
Kaiſer und über einzelne ihrer Grlebnijje und Thaten enthalten, nicht füglich 
eine Geſchichte von 52 Kaiſern gegeben werden konnte. Defter find’s 
nur einige Beilen, bisweilen eine bis ein Paar Seiten, womit äußere Er⸗ 
lebnifie, perjönlidhe Berhältnifje (Herkunft, Gemahlinnen u. f. w.) angemertt 
werden. Faſt wertbvoller als der Text des Buches find die literariichen 
Nahmeifungen, chronitmäßigen hiſtoriſchen Notizen des Anhangs. — Die 
Shlußabhandlung eröfinet Blide in den mögliden Grad der Treue der 
Bilder. Nur die Kaiferbilder von Friedrich III. an find nad wirklichen 
Borbildern, die früheren nur nad Siegeln, Srabventmälern, Münzen u. dgl., 
welche öfter rob und ohne individuellen Charakter find, angefertigt. Don 
den Kaifern vor Rudolph von Habsburg fehlt aller genügende monumentale 
und numismatishe Anhalt; die Künftler haben alfo nad der hiſtoriſchen 
Idee und fhriftlihen Weberlieferungen von Beitgenofien frei arbeiten müflen. 


11. B. Scheinpflug, Lehrer, Erzählungen aus der Geſchichte Defter- 
reihe. in biſtoriſches Hülfs⸗ und Lefebuh für den Bildungsfreis der 
Unter:Realfhule. Mit Genebmigung des hochwürdigſten Prager fürflserz- 
biſchöflichen Ordinariats. 3. Aufl. Brag, Ehrlich. 1861. 223 ©. 16 Sur. 


Don demjelben Berf. ift eine im XL Päd. Jahresberiht ©. 159 





Geſchichte. 357 


anerkennend erwähnte „Geſchichte Böhmens in einer Reihe zuſammen⸗ 
hängender Erzählungen” (1857) bekannt. Das vorliegende Buch, als 2ter 
Theil der „Erzäblungn aus der Geſchichte“ von Scheinpflug und 
J. Knappe, enthält nad einer geographifch:hiftorifchen Einleitung 49 meift 
biograpbifche Darftellungen, melde mit der Sage vom Argonautenzuge und 
dem Urfprunge der Stadt Laibach beginnen. Im Sinne katholifher und 
öfterreihiicher Gejhichtsauffafiung ift zunächſt die Gejchichte einiger für 
Böhmen und ODeſterreich beſonders ehrwürdiger Perfonen aus der erfien 
hriftlihen Zeit, unter Beibehaltung der daran angelehnten Sagen, erzählt 
(Adalbert, Stephan, Eliſabeih). Mit Leopold dem Heiligen, Heinrich 
Yafomirgott und deſſen Sohne Leopold wird dann der weitere biftorijche 
Boden betreten. Da es für eine Unter-Realihule nur auf Wedung des 
biftoriihen Sinnes und auf Vorbereitung zu einem ſyſtematiſchen Gejchichts- 
Unterrichte anlommen kann, jo muß es für taktvoll und praftiich erachtet 
werden, daß der Berf. unter die Reihe der Fürften auch andere bedeutfame 
Perſonen gemischt bat, fo z. B. Walther von der Vogelmeide, Huß, 
Juriſich, Zrinyi, Anros Comenius, Wallenftein, Prinz Eugen, 
Hofer, Haydn, Mozart, Ladislaus Pyrker. (Als ungerechtfer⸗ 
tigt muß es bezeichnet werden, daß Luther ausgelaffen ift, da fein ent⸗ 
ſchieden hochbedeutfames Wirken der ganzen katholiſchen Kirche großen Segen 
gebradht hat.) Ebenſo ift es als rihtig anzuerlennen, daß der Berf. be 
ſonders die liebenswürdigen Züge in dem Charalterbilde der Perfonen ber: 
vorgehoben hat, wenn jene audy weniger die imponirende Fürſtenwürde als 
die menfchlich:natürliden Verhältniffe betreffen, und daß alle unliebjfamen 
Eeitenblide auf nichtlatholifche Glaubensbrüder unterlafien find. Die un- 
geſchminkte Geſchichte wird übrigens Urſache haben, hie und da von dem 
gefpenveten Lobe einige Abzüge zu maden und den Gegnern gerechter zu 
werden. Die Darftellung ift einfach, leicht faßlich und geeignet, das Intereſſe 
der Jugend zu fefleln. Es bätten leicht noch einige Erzählungen aus der 
neueren Zeit (Aspern, Leipzig) aufgenommen werden können, wogegen ſich 
unbeſchadet der jonjtigen Brauchbarkeit einige Gejchichten der früheſten Zeit 
ftreichen ließen. 


12. Jubel⸗Kalender zur Erinnerung an die Völkerſchlacht bei 
Selvaig vom 16.—19. October A. D. 1813. Mit Yluftrationen nad 
Driginalzeihnungen von Bed, Kirchboff und Scheuren und einer Karte der 
Umgegend von Leipzig. Leipzig, Weber. 1863. XX und 56 ©. 5 Ser. 


Ein Meines, warm patriotiihes Gedenfbüclein, das, mit zahlreichen in 
den Tert geprudten Holzfchnitten illuftrirt, einen ganz befrievigenden Ueber: 
blid des Ganges der Schlacht bei Leipzig in ihren wictigften Actionen 
und ihren nädften Refultaten liefert. Der Zapferleit ver Verbündeten wie 
ihrer Feinde ift damit aud für die Jugend ein anerfennendes Denkmal ge: 
ſetzt, daß die Schwierigleiten des Kampfes und die ungeheuren beiberjeitigen 
Anftrengungen treulidy in der Kürze dargelegt werben. Das Büchlein liest 
ſich qut und verdient beachtet zu werden, wenn e3 aud nichts weiter als 
die Wiedererzählung allbelannter Vorgänge enthält. Als Beigabe ift ein 
„GSrinnerungs: Kalender” anzufehen, welder die Regententafel für 


358 Geſchichte. 


1813, vie franzöfiihen Reichsmarſchaͤlle zu dieſer Zeit, die Ueberſicht der 
beiderjeitigen gefammten Streitträfte, die Kriege: und vermiſchten Nachrichten 
für alle nennenswertben Tage jede3 Monats des ganzen Jahres 1813 
und eine Zufammenftellung der Einwohnerzahl der hauptſaͤchlichſten (deut: 
fhen und europäifchen) Städte in den Jahren 1813 und 1863 und einen 
Datumanzeiger für 1818 enthält. Den Schluß bilden die 10 Krieggsdenl⸗ 


male um Leipzig. 


A. Stredfuß und 2. Löffler, Das deutfhe Bolt Deutſche Ge 
Hiäte in Bort und Bild. Illuſtrirtes Volksbuch für Leſer aller Stände. 
In 18—20 Lieferungen. 3. und 4. Lief. Berlin, Brigl. 1862. à 5 Sgr. 


Lag nit vor. Die Bücher, welde durch Bilder die Geſchichte noch 
anſchaulicher zu machen bemüht find, mehren fi von Jahr zu Jahr. Bei 
Arnz in Düflelvorf, bei Meinhold in Drespen, bei Rollmann in Leipzig, 
von den Profefloren Hermann, Bülau, ferner von Weiß, Weifler, Menzel 
u. N. find verſchiedene, zum Theil geiftuolle und treffliche Leiftungen bes 
kannt. Je willlonmener gute Arbeiten dieſer Art auch für den geſchicht⸗ 
lihen Schulunterridt find, deſto bedenklicher find foldhe, bei weldyen viel 
Mittelgut mitunterläuft. Weber obige Leiftung ift bereit auf Grund der 
1. und 2. Lieferung im XIV. Päd. Yahresberiht ©. 429 dahin ein Votum 
abgegeben, daß Lehrer jchwerlih werden davon Gebrauch maden können. 


14. Th. Eoldhorn, Die deutſchen Kaifer in Befhichte und Sage. 
Leipzig, Hörnede. 1863. 458 S. 11/2 Thlr. 

Eine Durchflechtung der ernften Geſchichte mit heiterer Sage, melde 
als biftorifchspoetifche Zugabe den Erwachſenen und der Jugend gefällt, ifl 
an und für fi nicht gerade zu tadeln; nur die Auswahl der Sagen 
lönnte die pädagogische Kritit herausfordern. Im vorliegenden Buche, wel: 
bed mehr zur biftorifchen Privatlectüre, als zur Grundlage für den Ge 
ſchichtsunterricht, geſchweige zur Einführung in die innern Gemebe ver 
deutihen Bejammtverhältnifle geeignet erjcheint, find in nicht unangenehmer, 
Inapp und friſch gehaltener Darftellung eine Menge intereflanter Züge gut 
pointirt zufammengefaßt, und zwar allgemein belannte wie minder befannte. 
Die erwachſene Jugend, befonderd Mädchen, für welche ber öfters ſchwung⸗ 
bafte, poetische Zon berechnet fein mag, und um deren willen audy einzelne 
Momente wie abfihtlih in's Schöne gemalt erjcheinen (3. B. die Turniere 
bei Heinrich I, Schlachtengemaͤlde, Krönungsfeierlicleiten), wird die Auf: 
frifhung vieler Schönen Sagen in Verbindung mit der Gefchichte willlommen 
beißen, zumal ba der Unterricht darauf fein großes Gewicht legt, und 
da fie bier oft in mittelalterlihem, chroniklartigem Gewande auftreten, und 
wenn aud nicht jelten ald mehr denn blos willtürlide Illuſtration, doch 
nirgends als die Hauptſache erſcheinen. Störend erfcheint außer der abwei: 
enden Orthographie (Hein, ebenfo überrein, töten, Tot, Turm, Scharen) 
der Umſtand, daß manche Charalterbezeihnungen fehr modern⸗leger gewählt 
find. (Ludwig der Fromme ift „trägen, traͤumeriſchen Geiſtes“, Karl der 
Dide ein „Fleiſchllumpen“, Heinrich II. ein „unftäter, frommer Mann“, 
Benedilt IX. ein „ſchmutziger, dummer Junge“, Gregor VII. ift in feinen 








Geſchichte. 359 


Blänen einfeitig aufgefaßt, Karl IV., Wenzel, Johann XXIU. Iommen 
ſeht jchleht weg.) Bücher für die erwachfene weibliche Jugend follten be ' 
hutfamer zu Werke geben. 

Nach einer überjichtlichen Skizze der Vorzeit beginnt mit Karl d. Gr. 
die Reihe der 50 deutſchen Kaifer, welche in faft eben fo viel Abfchnitten 
dargeftellt werden. in Abſchnitt ift dem „Zwiſchenreich“, einer am Schluß 
den „Deutfhen nad Vernichtung der Kaiſerwürde“ beftimmt. Don ©. 1 
bis 323 find die Kaiſer bis zum Zwiſchenreich mit befonderer Ausführlichleit 
in Gejchichte und Sage, von S. 325403 die Kaiſer bis Ferdinand IL, 
und von da bis zum Schluß S. 447 die übrigen nur fehr knapp behandelt. 
Karl d. Gr., Heinrih J., Otto J., Heinrih IV., Friedrich I, Rudolph I. 
und Karl V. find am umftändlichiten, die meiften andern nur auf wenigen 
Seiten dargeftellt. Verf. meint, daß die Kaiſer, ſeitdem fie ihre Hauspolitit 
mehr denn das Wohl des Reiches im Auge hatten, nur noch perfünliches 
Intereſſe gewährten: deshalb regiftrirt er nur die Greignifje unter ihrer 
Regierung. Die Diction, wobei „tosmopolitiihe Grundlagen‘, ver „geo⸗ 
graphiſche Begriff von Deutſchland“, die „Aegide der Selbſtbeherrſchung“ 
u. dgl. vorlommen, könnte öfter einfacher fein. Das Buch ſchließt auf 
fallender Weife mit der Glorification des — Frankfurter Schüßenfefles im 
Juli 1862 und mit einem Erguß für „die berrlihe Idee der deutſchen 
Boltsthümlichkeit” (1) gegen „undeutſche Concordate und bie ganze römijche 
Pfaffenwirthſchaft“. () Wenn’s fo ginge, wie der Verf. meint, ſo foll 
Schleswig, foweit es deutſch ift, deutjch bleiben, Venedig nicht abgetreten, 
Elſaß und Lothringen zurüdgenommen, die römische Hierarchie nach Joſeph's II. 
Plan beſchränkt werden, um die deutſche katholiſche Kirche fich felbftfländiger 
entfalten zu laflen. Nur keine politiihen Jllufionen in die Bücher, lieber 
Thatfachen ! 


15. =: refebret ( (Brofeffor), Geſchichte der beutfgen a galierzeit. 
egründung des Kaiſerthums. 3. Aufl. 

Brürde des Kaifertbums. 3. unveränderte —88 Mit einer 

Kunſtbeilage von Diez. Braunſchweig Schwetſchle und Sohn. 1863. 

3 Thlr. III. Bd. 1. Abth.: Erhebung des Papſtthums. Daſelbſt, 

1862. 403 S. 1? Thlr. 

Ueber die erften beiden Bände dieſes vorzüglich werthvollen, gründ⸗ 
lichen "Wertes ift wiederholt im Päd. Yahresberiht geſprochen worden 
(IX. ©. 464, X. ©. 409, XL ©. 393, XIV. 6. 402). Die einander 
Schnell folgenden Auflagen dürfen al3 ein Zeugniß dafür angefehen werden, 
daß der Verf. bei ven Gebildeten unferes Volle, und dazu follen auch 
bie tüchtigen Lehrer gehören, bei feinem Bemühen, dieſelben für die Ge: 
ſchichte des Mittelalters zu intereffiten, troß aller Anfeindungen feiner 
Gegner, fi) eines entſchiedenen Erfolgs erfreut. Sein Werk iſt's in hohem 
Grade werth, fleißig und mit Nachdenken gelefen zu werden. Die That: 
jachen werden klar und überfihtli bingeftellt, geiftvoll angeoronet, mit 
biftorifcher Ruhe in edler Darftellung entwidelt und ohne Voreingenommen: 
beit beurtheilt. Es ift nichts Befremdendes darin, daß feine Anſchauungen 
mehrfad von denen anderer Geihichtichreiber abweichen; fie find aber auf 
feine Zorjhungen gegründet, wofür die Nachweiſe vorliegen. Die kurze 


360 Geſchichte. 


Zeitſpanne von 20 Jahren, welche ver vorliegende Halbband umfaßt, iſt 
gleichwohl reich an folgewichtigen Situationen. Heinrich IV. und Gregor VII. 
ſtehen im Brennpunlte derſelben, und die Lage des erflern vor feiner Buße 
in Canoſſa, ſowie die Darftellung des Charakters des gewaltigen Papftes 
find Hoͤhenpunkte dieſer Abtheilung, wobei der Verf. ungeachtet aller Maren 
DObjectivität do der Wärme nicht ausweicht, melde dieſe Situationen zu 
erregen geeignet find. 


16. J. Venedey. Geſchichte des deutfhen Volks von den älteften 
eiten bis auf die Gegenwart. 4. Bd. (Reformations- Zeitalter.) 
Rerlin. Dunder. 1862. 745 S. 2 Thlr. 


Bei Beiprehung der eriten drei Bände (Päd. Yahresberiht VI. 
©. 504, X. ©. 408, XII. S. 255) ift der liberalen Tendenzen wieder⸗ 
holt gedacht, die ſich durch das Merk binzieben; es ift aud des Fleißes 
gedacht, womit in diefem Geifte die Quellen benupt und zur Hervorhebung 
der mandherlei Voltsbeitrebungen, wie zur Darlegung der edelften Voltäkraft, 
freilich meift im Gegenjab gegen Adel und Fürften ausgebeutet find. Das 
Werk bat darin feine Eigenthümlichleit, und dieſe prägt ſich friſch, am 
fpehend und mit Wärme und Geift aus; deshalb ift es für Leſer von 
felbftftändigem Urtheil lehrreich. Man kann es nur bedauern, daß ber 
Berf. mit diefem A. Bde., der von Luther bi zum weitphäliihen Frieden 
reiht, einftweilen die Meiterarbeit daran abbridt, meil es ungeahnt 
nicht den genügenden Abfa gefunden hat, troß der großen Ausbreitung 
der liberalen Partei. Gerade diefer A. Bd. bezeugt einen innern Fortfchritt 
des Berf. in der Darſtellung. Er bat an Ruhe und Objectivität und 
damit an vorurtbeilsfreierm Eindringen in die biftorifhen Berhältnifie 
merflih gewonnen. Seine fubjectiv liberale Gefammtanfhauung, wiewohl 
keineswegs aufgegeben, tritt doch jetzt nicht mehr jo dominirend ber: 
vor, wie es fonft leicht noch anderweit ald beim Bauernkriege hätte gefcheben 
können, und vielleiht in dem folgenden, dem Nevolutiong-Zeitalter wieder 
geicheben fein würde. Möglih, daß der diesmalige Stoff und der Geilt 
einiger benußten Quellen diefe Milderung erllärt. — Nachdem im 18. 
Buche die Vorzeihen und Vorläufer der Reformation dargeftellt find, be: 
fonders der Kampf der Scholaftifer mit den Humaniften, iſt's vom 19.—23. 
Buche die große Perſoͤnlichkeit Luthers, woran der Verf. mit unverlenn- 
barer Sorgfalt die großen und Heinen Pinfelitriche zu beachten beflifien ift, 
welche viefelben zeichnen helfen. Er bat daran den goldenen Faden, ber 
fih durch das gewaltige Ringen jener Seit hindurchzieht. Luther's Schriften, 
befonders feine Flugſchriften, wie gleicherweife allerlei Streit: und Flug: 
ſchriften der andern mithandelnden einflußreihftien Männer jener Zeit, geben 
in den Ercerpten ſehr oft die Mittel an die Hand, die Situation nad 
allen Seiten bin zu MHären, und zwar vom reformatoriihen Standpunkte 
aus. Verf. folgt der Eintwidelung Schritt vor Schritt, und indem er die 
Reichshändel unter Marimilian und Karl V. mit den deutſchen und aus: 
ländifhen Fürften mehr zur Seite treten läßt und den großen kirchlichen 
Bewegungen unterorbnet, gelingt es ihm, Luther's und feiner Mitftreiter 
geiftige Arbeit, deren Erfolg und mannichfache Störungen durch allerlei 





Gefchichte. 361 


mädtige und rüdfichtslofe, wie durch ſchwärmeriſche und eigenwillige Gegner 
in das helle Licht des Borbergrundes zu ftellen. Alle befannten Vorgänge 
aus Luther's Leben, getragen von zahlreihen Ausſprüchen Luther's, auch 
viele minder allgemein befannte aus feinen Beziehungen zu Nittern, Fürften, 
Gelehrten, Biihöfen ꝛc. (Hutten, Sidingen, Erasmus u. f. w.), feine Kämpfe 
gegen Carlſtadt, Münzer, feine Stellung zu den Bauernkriegen find hier in 
den fpeciellen Zügen, durchleuchtet von Luther’3 Gedanken, vorgeführt. Das 
24. Buch behandelt da3 Triventiner Coneil, ven ſchmalkaldiſchen Krieg, die 
Etellung de3 Kurfürften Morig zu Karl V.: das 25. die Gefchichte der 
Jeſuiten und die Religionstriege bis zum Tode Philipp’s II., befonders 
die Wirkſamkeit der Jeſuiten unter den deutſchen und romanischen Völlern, 
und die Vorgänge in Frankreich, England und den Niederlanden. Das 
26. umfaßt den 30 jährigen Krieg und den weltphäliihen Frieden, nad 
Darlegung der Vorbereitungen zu diefem Kriege feit Maximilian II. Die 
äußere Kriegsgeſchichte ift im Ganzen ziemlih knapp, die Geſchichte des 
weitphälifchen Friedens, welche ficherlich fehr lehrreich geweſen wäre, gar 
nur auf zwei Seiten abgefunden. Venedey befennt ih ald Autodidakt, 
verzichtet alfo auf den Charakter eines gelebrten Geſchichtsforſchers, 
aber fein Buch werden Gebilvete doch mit viel Nußen leſen, da es Kar, 
umfihtig, eingehend und mit guter Charalterifirung der Bewegungen und 
der dabei betbeiligten Gejchichtsperjonen, melde er gern jelbfifprechenn läßt, 
geichrieben ift. 


17. 8. Sauffer, Deutfhe Geſchichte vom Tode Friedrich's des 
Großen bis zur Gründung des deutfhen Bundes. 3. Aufl. 
1.—5. Halbband. Berlin, Weldmann. 1862. à Halbband 25 Egr. 


Lag nit vor; es ift aber dies Merl im XII. Päd. Rahresbericht 
©. 255 ff. und im XII. ©. 393 ff. jo ausführli daralterifirt, daß das 
bort Gejagte au dann noch zutreffen wird, wenn im Einzelnen Berichtis 
gungen und Erweiterungen in der neuen Auflage vorgenommen fein follten, 
wie vorauszufeßen fein wird. Die politiihe und kirchliche Stellung bes 
Derf. ift ihrem Grundcharakter nah ungeändert dieſelbe liberale wie früher; 
fie bat fih fogar in ven lebten Jahren noch entfchiedener ausgeprägt. 
Daraus wird ein beredtigter Schluß auf den Geift und die MWeife zu machen 
fein, worin aud die neue Auflage gearbeitet fein wird. 


18. M. Wirth, Deutfhe Geſchichte von der äfteften Zeit bis zur 
Gegenwart. 3.—5. Lieferung A 12 Spar. Schluß des erften Bandes, 
der auch den befondern Titel tränt: „Deutfhe Geſchichte im Zeit- 
alter germantider Staatenbildung.” KRranffurt a/M. Expedition 
des ‚„‚Arbeitgeberd.” 1862. I. Band cplt. 2. Thlr. 557 ©. 


Ber Anzeige der erften beiden Lieferungen im XIV. Päd. Jahres⸗ 
beriht S. 400 fi. it bereit3 darauf hingewieſen, daß dieſe Bearbeitung 
der deutſchen Geſchichte abweichend von allen jonftigen nah der volks— 
wirtbihaftlih:pragmatifhen Methode in demokratiſchem Geifte 
durchgeführt werden fol. Außer ben politiihen Begebenheiten foll eine 
eingehende Darftellung aller Eeiten des Volkslebens, befonders des ma⸗ 
teriellen Beftahbes und feiner Entwidelung gegeben werden, mie fie 





362 Geſchichte. 


ſonſt noch nirgends in ähnlicher Ausführung vorhanden iſt, obſchon in 
einigen Gefhihtsbüchern Andeutungen darüber Aufnahme gefunden haben. 
Se nad Umfländen der Behandlung ift die Gefahr größer oder geringer, 
welche bei der befonders ftarfen Betonung der äußern vollswirtbicdaft: 
lichen Entfaltungen der Auffafjung der Gejhihte aus höhern, ibealern 
Gefihtspuntten, nämlih denen der göttlichen Offenbarung und Waltung 
zur Erziehung der Böller für ein ewiges, göttliches Leben, erwachſen wird. 
Jene begünftigt die Anſchauung der Vollsentwidelung von unten ber, 
aus der Menfchen eigener, natürlicher Kraft, und läßt kaum ben Gebanten 
auflommen, daß es die Naturanlagen doch nicht in erfter Linie find, 
welche den Gang der Geſchichte beftimmen. Unmöglih lann die Schule 
als die Stätte angefehben werden, wo jene Anſchauung gelehrt, dieſe Ge 
danken dagegen jo viel ald möglih abgehalten werden müßten, um die Zen- 
denzen des Aide toi nicht zu durchkreuzen. Denn fie hat nit die Ent 
widelung der Umficht für vorwiegend weltliche Berhältnifje des Erwerbs, 
Verkehrs, des Nechts, des Streits, der äußeren Lebensftellung und bes 
Lebensgenuſſes zur vornehmften Aufgabe, jondern fie foll vorwiegend Herz 
und Gemüth bilden, die übrigen Geiftesträfte damit in harmoniſchem Verein 
entwideln, und den Zögling nicht blos zu einem Uugen, einfichtsvollen 
Staatsbürger und rübrigen, felbfiftändigen Menſchen, fondern zu einem 
wahren SHimmelsbürger erziehen. Der Mann mag nachmals auch die 
biftoriiche Bielgeftaltigleit des äußern Lebens von deren erften vollsthüm⸗ 
lihen Keimen an kennen lernen; wenn er in fi felbft erft gefeftigt ift, 
kann er fogar ganz befonvere Freude am Nachweife der Cntwidelung dieſer 
Keime zu veiher Lebensblüte haben. Es ift kein bloßes Ungefähr, welches 
bis jetzt unfere tüchtigften Geſchichtsſchreiber abgehalten hat, bie national 
ölonomifhen Ideen zum Angelpunkt ihrer Gejhichtsauffaflung zu machen, 
und welches aud die Pädagogen abgehalten bat, biefe Ideen ſchon durch 
den Schulunterricht in der Jugend anzubahnen. Dan ift mit nichten fo 
völlig unklar über die Tragweite foldyer Ideen. 

Der Berf. führt in der 3. Lieferung zunaͤchſt feine Auseinanderfegungen 
über die „Errihtung des Lebnftaates” unter Karl d. Gr. zu Ende durch 
Darftellung des Inſtituts der Sendgrafen, der Provinziallandtage und der 
veränderten Kriegsverfaflung; er gedenkt dann des Bilderſtreits und einiger 
rechtlichen kirchlichen Verhältnifie, der Vorkehrungen zur Hebung der Er⸗ 
ziehung, geiftigen und lünftleriihen Bildung, des Handels und Verkehrs⸗ 
weiend, des Familienlebens Karl’s d. Gr. und der mit feinem Tode ein- 
tretenden ftaatlihen Veränderungen, und jchließt mit den Kämpfen unter 
Ludwig d. Frommen und feinen Söhnen die „politifhen Begebenheiten‘ 
im Seitalter der germanifchen Staatenbildung ab. (S. 302.) Der zweite 
Abſchnitt (S. 303—557) behandelt dann ganz in’3 Einzelite eingehend 
die „innern Zuftände” Sn 22 Abfäben wird Land und Boll, Ge 
wicht, Geld, Maß, Preiſe, Landwirthſchaft, Zransportwefen, Handel, Gewerbe, 
Genoſſenſchaftsweſen, Kapital und Geld, Stände, VBerfafjung, Recht und 
Rechtspflege, Wehr: und Finanzweien, Schriftthum und Kunſt, Religion, 
Armenwefen, Kleidung, Nahrung, Sitten, Charakter und Bildungsftufe der 
Germanen behandelt. Es ift durchaus lobend anzuerlennen, daß mit Harex, 














Geſchichte. 363 


beſtimmter, auf fleißige und umſichtige Kenntniß dieſer alten Verhältniſſe 
bafırter, im Ganzen knapp gehaltener Darſtellung eine ſehr reihe Mannich⸗ 
faltigkeit der einzelflen Einrichtungen und Geſtaltungen im bürgerlichen und 
ftaatlidhen Leben, bejonders in Rüdjiht auf die Erwerbs:, Handels, Staͤnde⸗, 
Verfaſſungs⸗ und NRechtsverhältnifie, wie auch der nationalen Dichtung, Kunft 
und Religion auseinander gelegt wird. Der Leſer lernt eine Menge Spe 
zialien und auch hiſtoriſche Nachweiſe für diefelben Iennen, die ihn ganz 
mitten binein verfeßen in das äußere Regen und Leben, in die Orbnungen 
und nationalen Traditionen; er erlennt, daß die alten Germanen, weit ent⸗ 
fernt davon, nur Wilde oder Halbwilde zu fein, eine ſehr fein ermogene 
Drganifation ihrer focialen und öffentlichen Einrichtungen ausgebildet hatten, 
mit Dingen des landwirthſchaftlichen Anbaues, der Vereblung der Rohpro⸗ 
dukte, mit Schmud und Genüflen, mit Geldwerth und allerlei Verkehrs» 
mitteln, Handelswegen, Genoſſenſchaften u. dgl., mit gut abgegrenzten Rechts: 
Snftituten, Wehreinrihtungen, ftaatlihen Gliederungen u. f. m. gar wohl 
verjorgt und vertraut waren, und daß in dies Alles ihre religiöje Welt: 
anſchauung beftimmend eingriff. Das Material, vielfah aus verjprengten 
Kapitularien, Verordnungen, Berichten, Chroniten zufammengetragen und 
gut geordnet aufgeftellt, ift aljo an und für fi ohne Zweifel ſehr lehrreich. 
Aber wie beflifien auch der Verf. ift, in diefen Urzeiten die Elemente ges 
netiih nachzuweiſen und deren Entwidelung nad feinen „allgemeinen 
Entwidelungsgejegen‘' anzubahnen, e3 bleibt do für die Schule, die an 
diefem Orte für maßgebend erachtet werden muß, nicht rätblih, diefe 
Seite als die cardinale für unfere vaterländifche Geſchichte anzufehen. 
Es wird fih in den noch folgenden 3 Bänden, welche die „Errichtung des 
deutſchen Reichs und die Entwidelung des Bürgertyums bis zur Entdedung 
von Amerila, der Einführung des Schießpulvers und der Er: 
findung der Buchdruderkunſt,“ dann die Zeit bis zur „Erfindung der 
Dampfmaſchine“ und von da bis auf unfere Zeit behandeln follen, noch 
zu zeigen haben, wie bie mweitere Gntfaltung jener Anfänge im demokrati⸗ 
schen Sinne ausgearbeitet wird. — Die liberalen Beitfchriften empfehlen 
dies Buch einhellig. 


19. * Pfabler, Zegatce, der Deutſchen von den älteſten Zeiten 
bisaufunfere Tage. 3 Bände 1. Bd. Bon den älteſten Zeiten 
bi Fr Karld. Gr. Stuttgart, Gebrüder Scheitlin. 1861. 683 ©. 

3 Thlr. 


Obwohl bier das Buch nit ald Ganzes im Original vorlag (über 
Lief. 1—5 cf. XII. Päd. Yahresberiht S. 390) ift doch durch eine 
Necenfion deflelben in der Kreuzzeitung (1863 Nr. 15) von 5. (306?) 
vefien Charakter in weiteren Streifen befannt gemadt. Aus dieſer Recen: 
fion mögen einige Bemerkungen ercerpirt bier folgen. — Das Bud, weder 
ein Schulbuch, noch ein Buch für Gelehrte, fcheint für Gebildete beftimmt 
zu fein, für welche ein populäres Werk, das die neueflen Forſchungen zu 
verarbeiten und durch anziebende, verftänbliche Darftellung Geift, Herz und 
Gemüth zu fefieln verfteht, gegenwärtig ein noch unbefriebigtes Bebürfniß 
ift (vergl. XIII. Päd. Jahresberiht S. 394, 395 Anmerkung); 


364 Geſchichte. 


denn in den Kreiſen Gebildeter fehlt es gar ſehr an eracter Geſchichts⸗ 
kenntniß. Es muß aber zweifelhaft bleiben, ob es in dieſen Kreiſen viel 
Lefer finden wird, meil es eine unendlide Fülle von Material bietet, 
Namen auf Namen, zabllos wie Sand am Meer, erftidend. Während 
einzelne Gapitel ganz hübſch gearbeitet find, z. B. die, worin Zuſtände 
gefhildert werden (I. Buch, Gap. 2. Deuticher Urwald; Cap. 3 Charalter: 
ſchilderung der Deutihen; Cap. 7. Gejeß und Herfommen; Gap. 8. Mytbo: 
logie [nah Grimm und Leo]; ferner die Schilderung des entfeßlichen 
Verfall des Römerreichs im 5. Jahrhundert, wo die Farben beſonders 
glühend aufgetragen find, um das Heilende des Chriftentbums erfennen 
zu laffen, defjen Träger die Germanen find; bie Anfänge des Chriflenthums 
unter den Germannen, Bub IV. Cap. 1 und 2.), fehlt's in den meiften 
Theilen des Werts an Ueberfichtlichleit und an beftimmten Gefihtspunften. Die 
endlofen Ginzelheiten ermüden. Für jene erhebenven, ſchwungvoll gearbeiteten 
Capitel lagen fertige Arbeiten vor; diefe find gut excerpirt, um die Haupt: 
refultate zu geminnen. Jedoch fchon bei der Voölkerwanderung ift das 
Material nur chronologiſch und ethnographiſch geordnet, und das nüßt als 
zu äußerlich nicht zur fadhlidyen Gliederung. Cs hätten die von Gott jedem 
Volke eingepflanzten Natureigenthbümlichleiten und die Natur des Bodens 
in's Auge gefaßt werden müflen, morauf jene ſich entfalteten. Bei ven 
Manderzügen wären aud die Naturgefege anzugeben geweſen, wonach fid 
Wanderungen von Menfhenmafien richten, und ebenfo waren die Endziele 
der Voͤlkerwanderung zu bezeihnen, um den einzelnen Böltern ihre Aufgabe 
zu deren Erreichung zuzutheilen. Leider fehlt dem ganzen Werke und feinen 
einzelnen Büchern eine aus der Sache hervorgehende Eintheilung, die 
„entjegliche” Breite mancher Ausführungen (bei Karl’! d. G. Zügen und 
Thaten; bei den Kämpfen des Belifar und Narſes gegen die Oftgothen 
u. ſ. mw.) fpannt ab. — Der Perf. ſcheint der alten Schule anzugebören 
und hat von der Bedeutung der Geographie für die Gejhichte keine Bor: 
ftellung, ihm jcheinen auch die neuern Forſchungen über viele einzelne Par: 
tien (melde %. nambaft macht) unbelannt geblieben zu fein. U. a. wird 
noch erwähnt, daß die Angabe: 449 feien die Angeln unter Henaift und 
Horfa nah Britannien gelommen, von zwiefabem Irrthum zeugt. Denn 
jene Cinwanderungen haben ſchon im 3. Jahrbundert begonnen, und 
Hengift und Horja find keine Perfonennamen. Horſa heißt Stute; beide 
Namen find Feldzeichen : Benennungen für die Sachſen, denen das Pferd 
heilig war. „Liebe zum Studium ber deutihen Geſchichte kann das 
Buch nicht erweden.” 


20. 8. Leo, Borlefungen über die Geſchichte des deutſchen Volks 
und Reihe. 3. Bd. Halle, Anton. 1861. 742 S. 3 Thlr. 18 Ser. 


Zu dem, mas bereit3 im XIV. Päd. Sahresberiht S. 402 über 
diefen Band gejagt worden ift (über Bd. I und II cf. den XII. Päd. 
Sahresberiht ©. 258) fei noch Folgendes ergänzend hinzugefügt. Her: 
fömmlih wird in vielen Geſchichtsbücher um die Hobenftaufen, von 
welchen der vorliegende Band handelt, ein idealer Heiligenj&hein gewoben. 
Die unbeſtechliche Geſchichte vernichtet denſelben, indem fie die ftarfen Schatten 





Geſchichte. 365 


der hohenſtaufiſchen Politik enthüllt. Letztere, welche an bie Ehre Gottes 
wenig dachte und fein Streben nad Gerechtigkeit verrietb, Dagegen durch 
Erwerbung Italiens für Deutihland großes Unheil brachte, dur Vernich⸗ 
tung der Mittelmaht der Stammberzoge und durch große Ländervergabungen 
die Königsmacht untergrub, hat den alten Glanz der Krone zerjtört. Ueber: 
died war das häusliche Leben, beſonders Friedrich's II., vorwurfsvoll, fein 
Kampf gegen den den Deutſchen widerwärtigen Otto IV. in bejonderm 
Grade unheilvoll. Won der Kirhe, die fich felbft des Verderbens kaum 
ermwehrte, war feine Nemedur zu erwarten; die allgemeinen Wirren innerer 
Kämpfe raubten ihr vollends das Anjehn. — Bon den bejonders meifter: 
haft und jchön gejchriebenen Barthien des Buchs verdienen die Darftellungen 
der kirchlichen und ſtaͤdtiſchen Berhältnifie, König Manfred, die heilige Eli- 
fabetb und die Erjcheinungen auf dem Gebiete der Wiſſenſchaft und Kunft 
vor Andern hervorgehoben zu werden. In manden einzelnen Urtheilen 
weit Leo von andern Geſchichtsgelehrten mefentlich ab. 


21. Dr. $. Berghaus von Größen, Deutfhland feit Hundert Jahren. 
Geſchichte der Gebietseintheilung und der politifchen Verfaſſung des Vater 
lands. Zweite Abtheilung. Deutſchland vor fünfzig Jahren. 
2. Bd. Leipzig, Bolgt und Günther. 1862. 2/5 Thlr. 


Lag nicht vor. Ueber die beiden Bände ber erften Abtheilungen und über 
den erſten der zweiten Abtheilung cf. ven XIV. Päd. Jahresberiht S. 403 ff. 


DO. Allgemeine Gefchichte. 


22. F. Marggraff, Leitfaden beim erften Unterricht in der Welt⸗ 
ef&hichte für Gymnafien und höhere Bürgerſchulen. 5. Aufl. Berlin, 
ehmigke (Bernbardi). 3863. 104 ©. TY/z Bor. 

Da biefe Auflage ein faft wörtliher Aborud der im XI. Bär. 
Jahresbericht S. 397 beſprochenen 3. Auflage (1857) ift, und aud feine 
Weiterführung bis auf die jüngften Jahre erfahren bat, fo genügt hier die 
Rüdweifung auf die frühere Charalterifirung. ES fei nur noch bemerft, 
daß der alten Gefhidhte die 88 1— 24, der mittleren die 88 25— 37, 
der neuen die 88 38—46, der neueften die 88 47 —52 beftimmt find und 
eine Ueberſichtstafel das Ganze ſchließt. Die Verwendung beim erften 
Geſchichtsunterricht rechtfertigt die Behandlung der antiken hiftorifhen Sage 
nah Art beglaubigter Geſchichte. 


23. Dr. U. Keber, Oberlehrer, Leitfaden beim Geſchichtsunterricht. 
Erfter Eurfus, für Bürgerſchulen und für die untern und mittlern Klaſſen 
höherer Sculanftalten. Aſchersleben, Carſted. 1863. 104 ©. 6 Ser. 
Defielben Berf.s etwas ausführlicherer „Leitfaden beim Gefchichts: 

unterricht“, dejlen zweite Ausgabe im XIV. Päd. Jahresbericht S. 410 fi. 

(die erfte cf. V. Päd. Jahresberiht S. 244 und VII. Päd. Jahresbericht 

©. 436) bejproden ift, bat fih in einigen Bürgerſchulen als zu reich— 

baltig erwiefen. Deshalb will ihn der Verf. als einen zweiten Curfus 
angefeben wiſſen, welchem ver vorliegende erfte vorangehen foll. Lepterer 
ift ähnlich dem andern in vorwaltend tabellarifcher Form gearbeitet, 


366 Geſchichte. 


jo daß die Zahlen zum Lernen auf den Rand herausgerüdt, die einzelnen 
Säße des Zertes nicht in Continuität binter einander fort, fondern zum 
Behuf der Hervorhebung des Wichtigen abgebrohen und nah Umftänden 
den nebengeftellten Zahlen angepaßt find. Die Drudeinrihtung und die 
zwiſchen die Hauptdaten eingelegten Webergänge geftatten ein zujammen- 
bängendes Leſen des Ganzen und auch des blos Großgerrudten. Man hat 
alfo nur aneinandergereihte Merkfteine zur Geſchichtserzählung, nicht die 
belebende Erzählung felbft vor fih. Für einen erften Curſus dürften 
diefer Merkfteine jedenfalls zu viel fein, auch ift nicht abzufehen, in wie 
weit manche aus der Culturgeſchichte hergenommenen Angaben (88 20, 
37, 87, 100) für ſolche Anfänger, welche dieſen Curſus benugen follen, 
wirklichen ſachlichen Werth haben follen, da eine einigermaßen befriedigende 
Erläuterung derjelben ohne allen anſchaulichen Hintergrund bleiben muß. 


24. Fr. Möflelt’d Meine Beltgefhichte für Bürgers und Gelehr⸗ 
tenfhulen. 6. Aufl. umgearbeitet und ergänzt von Fr. Kurts, Rector. 
Leipzig, E. Fleiſcher. 1863. 200 ©. !/s Thlr. 


Bereits die 5. Auflage war vor 10 Sahren von Kurt verbefiert 
berausgegeben (cf. VIII. Päd. Zahresberiht ©. 509 ff.). Der fehften 
Auflage hat er feine Umarbeitung der Noſſelt'ſchen „Weltgefchichte für 
Bürger: und Gelehrtenſchulen“ (A. Theil 4. Aufl. 1859, cf. XII. Bär. 
Jahresbericht S. 405 ff.) zu Grunde gelegt, und dadurch find ebenfomohl 
im der alten Gejhichte, ald befonders in der neuen mandyerlei Umänderungen 
bervorgerufen. Wenn auch die gefammte Erweiterung Außerlih nur fechs 
Seiten umfaßt, fo ift doch beſonders für Die Zeiten nad 1848 eine befiere 
Gliederung der Darftellung der neuften Greignifie, eine überfichtlichere 
Gruppirung und theilweife weitere Ausführung hervorzuheben. Auch 
fonft macht fih durch das Buch die allenthalben befiernde Hand bemerkbar, 
welche dafjelbe innerlih wie äußerlihd dem heutigen Bedürfniß anzupafien 
fuht. Eine jebt binzugelommene fpecielle Inhaltsüberfiht erleichtert den 
Gebrauch des troß jeined mäßigen Umfangs doch an Thatſachen ziemlich 
reih ausgeftatteten, verſtaͤndlich abgefaßten Buchs, in welhem wie billig 
der de utſchen Geſchichte eine bejondere Berüdfihtigung geſchenkt if. Daß 
die politifhe Geſchichte vorwaltet, ift früher ſchon angemerkt; es mag 
diefes Vorwalten damit zujammenbängen, daß Nöfjelt für die Literatur: 
geſchichte noch beſondere Bücher verfaßt hatte, welche neben den Zeit: 
fäden der Weltgeſchichte in Gebrauch bleiben follten. 


2. Dr. &. Schaumann, Direstor, Die Weltgeſchichte für den Schul⸗ 
gebraud bearbeitet. 2. Aufl. Gießen, Heyer. 1862. 12 Ger. 


Sag nit vor. Die eigentbümlihe Ginrichtung dieſes für mittlere 
Realklaſſen angemefjenen Leitfadens ift im XII. Päd. Jahresberiht S. 255 fi. 
und befonderd im XIII. ©. 399 angegeben. Es iſt nicht wahrſcheinlich, 
daß der Verf. von derfelben abgegangen ift, und namentlich die zahlreichen 
Sondergefhihten der einzelnen deutſchen Staaten und der ebenfalls 
gejonderten der einzelnen europäijhen und amerikaniſchen Staaten 











Geſchichte. 367 


aufgegeben und den Stoff anders gruppirt hat. Im Uebrigen ruht das Buch 
auf chriſtlicher Geſchichtsanſchauung. 


26. W. Etahlberg, Rector, Leitfaden für den Unterricht in der 
Belhinte 2. Aufl. Berlin, Dunder und Humblot. 1863. 194 &, 


Ser. 

—* compreſſerer Drud bat zwar den äußern Umfang dieſes Buchs 
fat um 2 Bogen verringert, aber der frühere Inhalt und die frühere 
Einrihtung, worüber im XIV. Päd. Yahresberiht S. 413 ff. Aufſchluß 
gegeben ift, bat nicht nur keine Verkürzung erfahren, ſondern es iſt ſogar 
noch eine recht willlommene „Zeittafel der wichtigften Begebenheiten” bin: 
zugelommen, welde fih auf die jehr mäßige Anzahl von etwas über 200 
Angaben beichräntt und zugleich zum Regifter des Inhalts benupt ift. Die 
vorgenommenen Zertveränderungen, Einfhaltungen und Berbeflerungen find 
nicht zahlreich, jo daß der Wortlaut beider Auflagen faft identiſch ift; nur 
in der brandenburgiich:preußifchen Geſchichte find noch einige Zahlenberich⸗ 
tfigungen angebraht. Das Buch ift recht brauchbar, und wie es fchon 
jest in furzer Zeit fih viel Freunde erworben bat, jo kann man im In⸗ 
terefje der Schulen nur wünjhen, daß es eine recht weite Verbreitung 
finden möge. Seine ganze Einrihtung hilft zu wejentlicher Förderung der 
Erfolge des Unterrichts. 


27. Dr. M. Spieß und Br. Berlet, Oberlehrer, Beltgefhiähte in Bio 
grapbien. Erſter Surfus für einen einjährigen Unterricht in einer 
unten Kaffe berechnet. 3. Aufl, Annaberg, Nonne 1862. 243 ©. 


gr. 
Stoff und Form dieſes Buchs ift unverändert fo geblieben, wie es 
im IX, Päpd. Jahresberiht ©. 475 und im XI. ©. 413 fpecieller anges 
geben ift, nur daß der jeßige Diaconus Spieß einzelne irrige Angaben 
und Darftellungsmängel bejeitigt hat. Es find zufammen 44 Biographien 
aus allen Beitaltern in relativ vollftänviger, guter Ausführung vergeftalt 
faßlich gearbeitet, daß die Schuler diefelben möglihft wörtlich nacherzaͤhlen 
follen, wobei die ſehr jpeciell ausgearbeitete Inhaltsangabe der einzelnen Bio⸗ 
grapbien als leitender Faden benugt werben fann. Diele Zumuthung ift 
zwar faft erorbitant, aber die praltiihen Erfahrungen an der Realſchule 
zu Annaberg müfjen doch der Art fein, daß Spieß bei feinen Anforbes 
rungen fiehen geblieben if. Zum Nachweis der Lage der in den Er: 
zäblungen erwähnten Ortſchaften bieten Anmerltungen unter dem 
Zert das Erforderliche; und auch andermweit ergänzende kurze Notizen find 
in die Anmerkungen verwiefen. Am Schluß ift die Ausſprache einiger fremd: 
ländifher Eigennamen angegeben. Das Bud ift praftiich und gut. 


23. R. Dietſch (Profeffor), Grundriß der allgemeinen Geſchichte 
für die obern Gymnaſialklaſſen. 2. 3. Theil. 3. Aufl. 
Zeipzig, Teubner. 1861. 156 und 183 ©. Eee Theil 12 Ser. 


Schon im XL Päd. Yahresberiht S. 399, fonwie im XIIL ©. 402 
ift dies für Gymnaſien beftimmte Lehrbuch wegen feiner gebiegenen 
wiſſenſchaftlichen Geſchichtsauffaſſung und wegen jeines milden, aber ents 


368 Geſchichte. 


ſchiedenen chriſtlichen Geiſtes mit beſonderer Anerlennung hervorgehoben, 
worin das äußere politiſche, wie das Culturleben der Völker fo umſichtige, 
gründlide und Mare Darftellung erfährt. Ebenſo ift dort der praktiſchen 
Einrihtung des Buchs durch treffliche Gruppirung des Stoffs und durch⸗ 
fihtige Dispofition deſſelben anerkennend gedacht, fo wie der angehängten, 
ziemlich ausführlien dhronologischen Ueberfihten, welche chronologisch, ethno: 
graphisch und ſachliche Zufammenhänge überjhaubar zufammenftellend ge: 
ordnet find. Ohne Frage gehört dies Lehrbuh zu den zmwedmäßigiten, 
welche erifliren, zumal da ed an innerer Reichhaltigleit der aufgenommenen 
biftorifchen Berhältnifie andern von aͤhnlichem Umfange nit nach⸗, an 
Geift und Art der Betrachtung derfelben aber entſchieden voranfteht. Seine 
ziemlich jchnell einander folgenden Auflagen beweiſen die Verbreitung, deren 
es ſich ſchon erfreut. 


29. W. Müller, Präceptor, Leitfaden für den Unterricht in der Ge: 
ſchichte, mit befonderer Berüdfihtigung der neuern deutſchen Geſchichte 
für Gnmnaflen, Latein⸗ und Realſchulen, Schullehrerfeminarien, Töchter⸗ 
anftalten und für den Selbſtunterricht. Mit einem Vorwort von Prof. 
Dr. Hirzel in Tübingen. Heilbronn, Scheurlen. 1862. 279 &. 18 Bar. 


Zu dem, was bereits im XIV. Päd. Jahresbericht S. 415 über 
diefen Leitfaden gejagt ift, fei nod ergänzend hinzugefügt, daß Verf. darum 
die meiften Einzelgeſchichten nicht gar zu kurz Ddarzuftellen fi bemühte, 
weil er der „Gedankenloſigkeit und Lächerlichleit des Aufſagens“ nidyt Vor: 
ſchub leiften wollte, wozu die mechanische Cinprägung kurzer Abſchnitte 
feiner Meinung nad ſehr leicht verleitet. Der Schüler joll vielmehr zum 
Nachdenken angeregt werden und aus den längern Darftellungen lernen, 
die wichtigften Begebenheiten, Perjonen u. |. w., ja auch den Gang einer 
Geſchichtsperiode kurz anzugeben. Man wirb leicht hieran eine methodische 
Unklarheit erlennen, die durch die Beitimmung des Buchs für fo heterogene 
Bedürfniffe verjchiedenfter Unterrihtsanftalten veranlaßt fein mag. Ein 
Leitfaden foll nur Leitfaden fein und deshalb der Ausführungen fi ent: 
halten; es ift aber nicht wohl möglih, dem Verf. auch nicht gelungen, 
feinen Leitfaden jo einzurihten, dab er ebenjogut in Gymnafien, als in 
Seminaren und Zöchterfchulen zu gebrauden wäre. Wenn außerdem nod) 
Schüler im Alter von 10 — 16 Jahren bei der Benugung im Sinne be 
balten find, fo liegt eine Verkennung der Kräfte fo verjchiedener Alters: 
ftufen auf der Hand. Für Knaben von 12—14 Jahren möchte das Buch 
am ebeften nußbar jein. 


30. Dr. W. Amann, Profeffor, Abriß der allgemeinen Geſchichte 
in zufammenbängender Darftellung auf geographiſcher 
Grundlage in Leitfaden für mittlere und höhere Kebranftalten. 5. 
Aufl. Braunfhweig, Vieweg und Sohn. 1863. 25 Sgr. 


Sm VID. Pad. Yahresberiht ©. 516 und im XII. ©. 404 ift 
bereit3 über die früheren Ausgaben berichtet. Das Buch bewährt feine 
hohe Brauchbarleit. Seine treffliche Art der knappen, eracten Darftellung, 
feine Anpafjung an die unterrichtliche Praris und die überlegte Combination 





Geſchichte. 369 


der geographiſchen Grundlage mit der Geſchichte ſichern demſelben jedenfalls 
auch fernerhin den verdienten Ruf eines recht guten Schulbuchs. 


31. Dr. K. Sagen, Profeſſor, Grundriß der allgemeinen Geſchichte. 
Ein Leitfaden für den Geſchichtsunterricht an höheren Lehranſtalten und 
zur Selbſtbelehrung. In 3 Abtheilungen. Zürich, Schultheß. 1860 bis 
1862. 1. Alte Geſchichte 254 S. 2. Mittlere Geſchichte 220 ©. 
3. Neuere Geſchichte 223 S. 1 Thlr. 18 Sgr. 


Lag nit vor. Von anderer Seite ber ift über dies Buch nicht 
günftig geurtheilt, und um fo meniger ein Bebürfniß nad demfelben ans 
ertannt, als Stofjmahl und Anoronung fih nicht von dem unterjcheiden, 
was in vielen ähnlihen Büchern ſchon vorhanden ift, und als Flüchtig⸗ 
keiten in der Behandlung des Stoffs und in der Darftellung, zumal in 
dem zuletzt erfehienenen 1. Bändchen vorlommen. Berf. halte zwar den culs 
turbiftorifhen Standpunkt für den maßgebenven, bringe denfelben aber 
nit zu durchgreifender Geltung, und habe dabei faum mehr gethban, als 
mit gleihen Typen den fonft mit lleinern Typen gevrudten Stoff dieſer 
Art feben zu lafien. Werner liebe er es, im Raifonnement über die Ideen 
oder Yortjchritte nah dem Gefchmad unſerer Zage fich zu ergeben, währenn 
die Schule nicht ſowohl fertige Urtheile über Charaltere und ganze Beiten 
als vielmehr pofitive Kenntniffe der Thatſachen ſelbſt nöthig habe. Die 
Bufammenfaflung unter leitende Geſichtspunkte müſſe dem Lehrer überlafjen 
bleiben. Die Eintheilung des Inhalts in viele Meine Abjäe wird als oft 
ſehr äußerlih, nicht in der Sache jelbft liegend, die Sprache als gemein: 
verftänplic), bisweilen derb, das Urtheil als gerade, der Sinn bes Verf.s 
dabei als bieder erkannt. 0 


32. A. Dederid, Gymnafial⸗Oberlehrer, Handbud der Geſchichte des 
Mittelalters und der neuern Zeit für Gymnaſien. 1. Theil. 
Das Mittelalter. 113 © 2. Theil. Die neuere Gefhicte. 
235 ©. Leipzig, Fr. Fleiſcher. 1861. 1862. Jeder Theil 9 Ser. 


Im Vorwort erwähnt der Berf., er babe ih bei Auswahl, Anorbnung 
und Darftellung nur von dem Gedanken der Zmedmäßigkeit für den Ge- 
braud der Schüler leiten lafjen, außer größern Gejhichtäwerlen auh Schul: 
compendien benußt, die Geſchichte nicht deutfcher Länder, foweit fie nicht in 
die europäischen Verhältnifje bedeutfam eingreife, nur ſummariſch behandelt, 
und in der neuern Geſchichte nicht die einzelnen Staaten, fondern „große 
Gruppen” im Auge behalten, um das dazu Gehörige in ein lebendiges 
organiſches Ganze zujammenzufaflen. Das fo entitandene Heine „Hands 
buch‘ trägt den Stempel einer ruhigen, faft fühlen Nüchternheit, womit in 
rajcher Folge die Zhatjahen meilt ſehr knapp behandelt, nicht felten nur 
flizzirt find. Es wird darin alles Naifonnement zur Charalterifirung des 
geiftigen Gehalts, des Strebens, der Ziele und der Refultate der Ents 
widelungen in den einzelnen Perioden bei Seite gelaflen. Nur die That⸗ 
ſachen felbft, und zwar faſt ausſchließlich die politiſchen und kriege— 
riſchen in ihrer Aufeinanderfolge, mit Andeutung ihres innern Zuſammen⸗ 
hangs und unter überwiegender Anknüpfung an die Regenten ſind es, 
welche der Verf. auffuͤhrt. Der beſchraͤnkte Raum verbot die Ausführlichkeit, 

Bid. Iahresberiht XV. . 24 


370 Geſchichte. 


Für ven Schulgebrauch dürfte der Mangel äußerer Ueberſichtlich⸗ 
teit und des die fchnelle Orientirung vermittelnden Inbaltsverzeichnifies 
unbequem werden. Zwar ift die Geſchichte des Mittelalter in 4 Abjchnitte 
(bi8 Karl d. Gr., bis zu den Kreuzzügen, bis zu Rudolf von Habsburg, 
bis Ende des 15. Jahrhunderts) mit 7, 6, 2 und 11 Capiteln, die neuere 
Geſchichte in weitere 3 Abfchnitte (bis zum mweltpbäliichen Frieden, bis zur 
franzöſiſchen Revolution von 1789, und bis 1815) mit 8, 11 und 12 
Gapiteln eingetheilt, aber in den einzelnen Capiteln fehlt die überfichtliche 
Glieverung. Ferner erjcheint es ald Mangel, dab weder die bedeutfamen 
Inftitutionen des Mittelalters klar genug hervortreten, noch die reichen 
‚Entwidelungen des Geiſteslebens der chriftlihen Zeit in Wiſſenſchaft 
und Kunſt Berüdjihtigung gefunden haben. Die rein ftaatlihen Verhält⸗ 
nifje abforbiren das ganze Intereſſe. Yür Gymnaſien ſcheint es unzweifel 
baft von zwingender Nothwenvigleit, dies Geiftesleben überall zur Anſchau⸗ 
ung zu bringen; es kann nicht faſt grundfäglich übergangen werden. Im 
Ginzelnen findet man über den perjönliden Charakter mancher hervorragender 
Geſchichtsperſonen, fowie mander Greignifle und ihrer Gaufalität Urtheile, 
welhe von denen in neuern Gejhichtswerlen abweichen, ohne daß die 
biftorifche Berechtigung davon zu ertennen wäre. Un einigen Stellen hat 
der Verf. Urtheile anderer Autoritäten (8. A. Menzel, Raumer zc.) 
ſubſtituirt. Am Schluſſe jeves Theils bringt ein Anhang die wictigften 
zu memorirenden Geſchichtszahlen; leider find diefe nicht tabellarijch gebrudt, 
"was zur Grleihterung der Einprägung beigetragen haben würde. 


33. Dr. 2. Stade, Gymnafiallehrer, Erzählungen aus der alten Ges 
ſchichte in biograpbiiher Form. 2 Theile. 4. Auflage. 1 Thlr. 
und Erzäblungen aus der mitslern und neuern Geſchichte im 
biograpbifger Korm. 2 Theile 3. Auflage. 1. Theil. 18 Egr. 
2. Iheil. 28 Ger. Oldenburg, Gtalling. 1862. 


Für die Beliebtheit, deren fich dieſe Erzählungen mit Recht fort und 
fort zu erfreuen haben, ſprechen die ziemlich raſch auf einander folgenden 
Auflagen. Der Päd. Jahresberiht hat (im VII. Bande S. 401, im VII. 
©. 514, im IX. ©. 422, im XI. ©. 412, im XU. ©. 272, im XII. 
S. 411, in XIV. ©. 432) öfter auf dieſelben hingewiefen und fie aus 
Veberzeugung empfohlen. Der Berf. bat mit feinen Grzählungen einen 
guten paͤdagogiſchen Griff gethan, und durch den Fleiß, den er auf die 
angenehme, unſchwer verftändliche, lichtvolle Darftellung umſichtig ansges 
wäblter und gut durchſtudirter Parthien verwendet bat, ſich nidht blos den 
Dank derer verdient, welche ald häusliche Grgänzung des Unterrichts vie 
felben mit Erfolg benußen, fondern aud melde in ihren Mußeftunden fich 
jelbftftändig über eine Reihe der hervortretendfien geichichtlidhen Erſcheinungen 
beiehren wollen, obne gerade die Zeit an ein Quellenſtudium ſetzen zu 
tönnen. Denn die leitenden Schriften hat Stade forgfältig und tacwoll 
benugt. In der neuen Weichichte ift diesmal ein Abſchnitt über die eng: 
liihe Revolution S. 211 — 245 und einer über den norbamerilanifcdhen 
Freiheitslampf S. 360—388 binzugelommen, und auch der Abſchnitt über 
bie ſranzoͤſiſche Revolution iſt erweitert, ohne jedoch die frühere Grenzmarke 





Geſchichte. 371 
von 1815 zu überſchreiten. Das Buch ſei von neuem zur Lectüre 
empfoblen. 


34. G. G. Bredow, Lehrbuch der Weltgefhichte. 14. Aufl. Altona, 
Hammerich. 1863. 1° Thlr. 


Lag nicht von Das Buch bat zu feiner Zeit feinen wirklichen 
Werth gehabt; wenn aber die buchhändleriihe Anpreifung „glänzenver Er: 
folge diejes trefflihen Lehrbuchs“ noch heute ald Zugmittel für den Abſatz 
erwähnt, fo weiß doc jeder mit der Geichichts:Literatur Vertraute, was er 
davon zu halten bat. Die „Fortführung des Tertes bis auf die neuefte 
Beit” reicht allein nicht bin, das Buch den neuern werthvollern Schriften 
ebenbürtig zu machen. Ales Ding hat feine Zeit, auch Bredo w's Ge- 
ſchichtsſchriften. Heut zu Tage kann man noch beſſere haben. Ueber die 
13. Auflage vom Jahre 1862 cf. VII. Pad. Jahresberiht S. 438. 


35. K. Th. Kriebitzſch, Director, Geſchichte für die Unterfiufe des 
Geſchichts Unterrichts an Seminarien, Töchterſchulen, Bürgerſchulen 
und den Unterklaſſen höherer Schulanſtalten. 2. bis zum Tode Friedrich 
Wilhelm IV, fortgeführte Ausgabe. 2 Theile. 1. Theil bis zum Tode 
Kriedrih Wilhelms I. von Preußen. 632 ©. 2. Theil bis zum Tode 
Friedrich Wilhelm’d IV. von Preußen. 302 S. Nordhauſen, Körftemann, 
1862. 1!/s Thlr. 


Im XI Päd. Yahresberiht S. 401 fi. iſt die Eigenthümlichkeit dieſes 
Werts ausführlih dargelegt worden. Cs ift im Weſentlichen eine Reihe 
biographiicher Darftellungen, vornehmlich für Lehrer in Preußen berechnet, 
welhe nah Vorſchrift der Regulative die alte Gejchichte in den Volle: 
Schulen nur in Verbindung mit der biblifhen Geſchichte und nur in fo 
“weit als fie diefe erläutert und vice versa von ihr erläutert wird, zu 
lehren haben. Deshalb ift nur eine fehr Heine Zahl der 74 Erzählungen, 
nämlich nur 4 der alten Gejhichte zugewendet. Die ganze Reihe ver übrigen 
pflegt das kirchliche und patriotifche Intereſſe direct durch den ge: 
wählten Stoff und den Geiſt der Behandlung, und felbjt die der bibliſchen 
angepaßte Sprache der Darftellung ift beftimmt, dieſem Intereſſe zu dienen. 
Denn auch das Buch in feiner gegenwärtigen Geftalt, ungeachtet ber be⸗ 
fondern Sorgfalt, welche auf die altlirhlidyen und fpätern kirchlichen Ber: 
bältnifjie und auf die darin hervorragenden flirhenmänner bis in das Re⸗ 
formationszeitalter hinein verwendet worden it, und ungeachtet der warmen 
patriotiſchen Haltung nicht direct im Sculunterrichte verwendbar fein 
wird, jo enthalten doch die ebenjo lebendigen als plaftiih anfchaulichen 
Erzählungen fo viele feſſelnde Einzelzüge, daß es Lebrem zur Benutzung 
einzelner Parthien trefflich zu Statten fommen kann. Cine ungeahnte Bers 
kettung äußerer Verhältnifie hat leider das Werk, das jhon 1857 erfchien, 
dem Bublitum 5 Jahre lang vorenthalten. Jetzt, wo daflelbe im Text 
völlig ungeändert und um eine Grzählung von Friebrih Wilhelm IV. 
vermehrt erfcheint, durfte der Päd. Jahresbericht nicht unterlafien, noch ein» 
mal auf dafielbe empfehlen zurüdzulommen. 

36. 8. 8. Becker's Beltgeſchichte. 8. neu bearbeitete und bis auf bie 

Gegenwart fortgeführte Auflage von Brof. A. Schmidt (in Jena). Mit 

24? 


372 Geſchichte. 


ber Fortſezung von E. Arnd. 18 Bände Berlin, Duncker und Humblot. 

1860— 1862. 12 Thlr. 

Das Merk ift bis auf den 18. (Schluß:) Band vollendet. Alter» 
thbum Band I—4, Mittelalter Band 5—8, Neue Zeit Band 9—13, 
Neueite Zeit (von 1789—1860) Band 14—17; (18 fehlt noch). Diefe 
neue Bearbeitung lag nit vor. 


37. W. Menzel, Allgemeine Weltgeſchichte von Anfang bis jept. 
Borläufig auf 12 Bände in 72 Lieferungen & 4'/a Egr. berechnet. 1. 
Lieferung. Stuttgart, Krabbe. 1862. 


Lag noch nit vor. Der Ankündigung nad follen Band 1—3 die 
ältere Gefhichte Aliens, Aegyptens, der Griehen, des macedoniſchen Reichs 
und Roms enthalten, Band A—H das Mittelalter, Band 7 —9 die Ne 
formation, die daraus hervorgebenden Veränderungen in Europa und die 
Geihichte der neuen Melt, Band 10— 12 das 18. Yahrbhundert bis zur 
Gegenwart. Das Merk foll nicht nad moderner Parteianfiht abgefaßt, 
die Culturgeſchichte mit der politiſchen Geſchichte verknüupft und deshalb an 
den Gang der politifben großen Greignifje ftets die religiöfe, ſittliche, 
literarifhe und artiftifche Gntwidelung angelnüpft werden. Man darf mit 
vollem Neht von W. Menzel eine hervorragende Arbeit erwarten, da er 
auf dem Gefammtgebiete der Geſchichte und Literatur durch langjähriges 
Etudium ſehr umfafiende Kennmiſſe, feftes, begründetes, wenn auch öfter 
berbes Urtbeil, eine anziehende, kernige Darftellung und einen feinen prag: 
matifhen Blid durch feine feither bekannt gewordenen Werte bewährt hat. 


38. Dr. 3. Möller, Univerfitäts-Profeffor (in Löwen), Die Weltgeſchichte 
vom Kriftliden Standpunfie aufgefaßt. Auf 10— 12 Bände 
berechnet, wovon die eriten drei das Altertbum, bie folgenden drei das 
Mirrelalter, die übrigen die neue und neuefte Zeit entbalten follen. 
1. Band. 1. und 2. Lıef. à 10 Sgr. Preiburg 1/Br., Herder. 1862. 


Im Profpect wird angedeutet, daß das neue, nad eigenthümlichem 
Plane bearbeitete Geſchichtswerk ſowohl zum Lehrbuch für höhere Lehran⸗ 
ftalten wie zur Selbitbelebrung und zwar für die Jugend wie für einen 
weitern Leſerkreis beftimmt fei, und ber hriftlihen Auffaflung der Welt: 
geihichte in Möller's Sinne angehöre.. Der ewige Plan Gottes mit der 
Menſchheit, durch Chriſtum fi in ihr eine würdige Berberrlihung zu be 
reiten, aus freier Huldigung der Menfchen ſelbſt; die Zurüdführung aller 
Grideinungen auf den abfoluten Urgrund, auf Gott: das foll das leitende 
Princip fein. Dabei fol die pragmatifhe Durdarbeitung unter kritiſcher 
Benugung der Quellen wie neuerer Werke das Ganze felbftftändig geftalten, 
jo daß ſich die Geſchichte ver vorchriſtlichen Zeit an die diefelbe durchs 
leuchtende heilige Schrift und die Geſchichte des Volles Gottes anſchließt, 
während das Chriſtenthum und deflen Geſchichte den Mittelpuntt der 
briftlihen Zeit bilden fol. — Im Bormort weilet der Verf., welcher 
der katholiſchen Kirche angehört, noch ausbrüdlich die heutzutage modernen 
Fortſchritts⸗ und Aufklaͤrungs: Ideen von der Hand, denen gegenüber er den 
für den einzig richtigen Standpunkt hält, welcher in der Geſchichte Gottes ewigen 





Ä Geſchichte. 373 


Rathſchluß entwidelt und möglichſt zum Verfiänpniß bringt, damit die Leis 
tung des Menſchengeſchlechts durch die göttliche Vorſehung darin erkannt 
werde. Bon diefem Standpunfte aus rechtfertigt fib die Zugrundelegung 
der heiligen Echrift in der alten, der Geſchichte des Chriftentbums und der 
Kirche in ter neuen Seit, die Beſeitigung des mythologiſchen Elements als 
ſolches und die Ausfheidung des biftoriihen Kerns aus demfelben. Ferner 
erllärt der Verf, dem innern Leben der Nölter, ibren focialen und 
politifhen Ynftitutionen, ihrer Kunſt und Wiſſenſchaft, jo mwie ihrer materi« 
ellen Beſchäftigungen und Intereſſen gerecht zu werden, obne in der materts 
ellen und intellettuellen Blüthe die wahre Eultur eines Noltes zu ertennen, 
welche vielmehr allein aus religiös:moraliihem Boden erwachſe. 

Mas die Ausführung anbeirifit, fomeit fie fih aus den beiden vors 
liegenden Lieferungen S. 1 — 240 entnehmen läkt, fo bleibt der Verf. 
feinen Grundfägen getreu. Schon an ter in der Ginleitung entwickel⸗ 
ten Orundanfidt der Weltgejhichte, an deren Grundzügen und ©liederung 
jpiegelt fi) dies wieder. In der vorchriſtlichen Zeit werden nur die 
Epode vor der Eündflutb und die Epode von der Sündfluth bis zum 
Untergange des meitrömifchen Reichs unterfhieden, und in leßtern das 
Bolt Gottes der von Bott abgefallenen Welt — orientalifche 
Völker, Griechen und Nömer — gegenüber geftellt, in der chriſtlichen 
Zeit find ebenfalld nur zwei pochen — Mittelalter und Neuere Zeit — die 
erfiere mit A, die legtere mit 3 Perioden (bis Karl d. Gr, bie Gregor VIT., 
bis zum Zode Bonifazius’ VIIL, bis zum großen Glaubensabfall (!), 
bis zum meftpbälifhen Frieden, bis zur erften franzöfifhen Revolution, 
bis jeßt) gebildet. Die Urgefhihte nimmt auf Grund der h. Echrift die 
Schöpfungsgeſchichte in fih auf und reiht die ältelten Eagen der andern 
Völker (Chinefen, Inder, Aegypter, Perjer, Babylonier und Chaldäer, 
Etruster, Grieben und Römer, der flandinavifc : germanifhen Völker und 
der amerilanifhen Völker) über die Urgeſchicht an. Tann wird die Ce: 
ihichte des Volles bis zur Zerftörung des Tempels durd Titus in einem 
Guß berabgeführt, und eine ſummariſche Grörterung der focialen und 
politifchen Einrichtungen des Volkes Gottes, der Sprache, Wiſſenſchaft und 
Kunft, der Religion und des Cultus defielben angeſchloſſen. Aehnlich find 
aud die andern alten Voͤlker des Orients behandelt. Charateriftifch ift 
die Voranfhidung geographiſcher Ueberſichten, bei den Griechen 
außerdem noch ein Borblid auf den „Charakter des Gulturzuftandes der 
Griechen”, worin den bochgefeierten Idealen viele ſtarke Echatten des Volle: 
zuftandes zur Seite geftellt werden. — Die Tarftellung ift fern von allem 
Pathos und Ehmung, über Erwarten einfah und fchlicht, und bei Weitem 
nicht fo in’s Detail einpringend, als man nad dem projectirten Unifange 
des Werks glauben könnte Da alles Mythologiſche wegfällt, jo breitet ſich 
eine gewiſſe nüchterne Kühle über die meiften Erzählungen ber alten Ge: 
ſchichte aus, die faft ein wenig frappirt; ebenfo trägt der Mangel charafteris 
firenden Raifonnements zu dieſer objectiven, populären Schlichtheit bei, der 
alle überrafhenden Gedanlenblige fern bleiben. Leo, Dittmar, Dietſch 
Schreiben ganz anders, und ziehen mehr an, felleln auch mehr; auch Ruck⸗ 
gaber und Bumüller fchreiben merllih anders. Da die Hauptpartkien 


374 Geſchichte. 


des Werks noch in Ausſicht ſtehen, ſo muß das Urtheil noch ſuspendirt 
werden. Aber die Thatſache iſt erfreulich, daß für die katholiſche Welt 
ein ſolch' Buch von chriſthichem Standpunkte aus mehr geſchaffen wird. 
Für Eangeliſche ftört die Abweichung der Namen in der heiligen Geſchichte 
mehrfach; Berf. jchreibt 3. B. Maſpha, Jezabel, Roboam, Nabuchonodoſor, 
Ochoſias u. f. w. 


39. Dr. Dtto Range, Profeflor in Berlin, Leitfaden zur allgemeinen 
Geſchichte, für höhere Bildungs-Anflalten bearbeitet. Dritte Unter: 
richtoſtufe. (Der allgemeine Geſchichtsunterricht.) Vierte verbefjerte Aufl. 
gr. 8. (VIII und 183 ©.) Berlin, R. Gärtner. 1862, geb. 12 Sgr. 


Die dritte Auflage dieſes Leitfadens ift im XI. Bande des Jahres 
berichte8 angezeigt und als ein Buch bezeichnet worden, das fi durch jad: 
kundige Bemeſſung des Inhalts, durch Kürze und Schärfe der Darftellung 
und richtige Beurtheilung der Verhältnifie und Perfonen auszeichne. Die 
vorliegende Bearbeitung bat überall, wo es nöthig war, die befiernde Hand 
erfahren. Hauptſächlich ftrebte der Verfaſſer darnach, diefer Stufe eine volle 
Eelbftftändigkeit zu geben, damit fie auch da benußt werben könne, wo 
die beiden vorhergehenden keine Verwendung finden können. Dies ift dem 
Verf. vollftändig gelungen. A. L. 

40. F. Voigt, Profeſſor an der königl. Realſchule in Berlin, Grundriß 


der alten Geſchichte. 8. (VI und 61 ©.) Berlin, Ferd. Dümmlers 
Verlagsbuchhandlung. 1862. geb. !/s Thlr. 


Diefer Grundriß ift für die mittleren Klafien höherer Lehranftalten be: 
ſtimmt und ganz in der Weife gehalten, wie des Verf. „Grundriß ber 
brandenburgifch:preußifchen und deutſchen Geſchichte“. Die mit Berüdfidti: 
gung des Bildungsftandes der Schüler tactwoll gewählten Begebenheiten 
werben einfad und fehr präci® vorgetragen und find überall jo gruppirt, 
daß fie leicht behaltbar werden. Weitere Ausführungen, die bier und da 
gegeben werben, zeichnen ſich durch Meineren Drud aus. Ein Anhang ent: 
bält eine „„Zabelle der wichtigften Begebenheiten.” Die richtige Ausfpradie 
alter Namen ift durch Accentuirung erleichtert worden. 

Das Büchlein gehört zu den empfeblenswertben. N. L 
4.8. Eäeinpfiug und 3. Knappe, Lehrer, Erzäblungen aus der Ge⸗ 

ſchichte des Alterthums. Ein biftorifches Hülfs⸗ und Leſebuch für 

ae der Unterrealfchule. Prag, Ehrlich. 1860. 167 ©. 

Dies Bändchen von 47 Geſchichtsbildern bildet den erſten Theil der 
„Erzählungen aus der Geſchichte“, wozu bie oben unter Nr. 12 angeführten 
„Erzählungen aus der Geſchichte Oeſterreich's“ den zweiten bilden. Bw 
nächſt werden die alten Aegypter, Phönizier und Inder in ihren Eultur: 
verhältnifien, ohne weitere Angabe von eigentlichen Geſchichtsmomenten bar: 
geftellt, dann folgen Sagen, beſonders aus der griechiſchen Heroenzeit, bie 
Erzählung von Semiramis und Cyrus ift eingefchaltet; dann Erzählungen 
von Lycurg, Solon, Leonidas, Sokrates, Demofthenes, NAlerander d. Gr., 
dann von Nr. 18— 30 Grzählungen aus ber römifhen Geſchichte bis 
auf Kaiſer Auguftus und endlih Geſchichten aus der Gefchichte der 





Geſchichte. 375 


chriſtlichen Kirche und der Deutſchen bis zur Gründung des Kirchenſtaats; 
u. 9. Hermann, Berftörung Syerufalem’s, Chriftenverfolgung, der b. Antonius 
und Auguftinus, Conſtantin d. Gr., Attila, Theodorich, Chlodwig, der h. 
Bonifactus, Mohammed. Aus der Gefhichte des Volkes Gottes fehlen 
Erzählungen, wiewohl gerade viele für den im Auge bebaltenen Pildungs: 
frei ganz vorzugsweife nötbig geweſen wären. Die Darftellung ift einfach, 
leichtſaßlich, innerlich geordnet, läßt überall, wo es Gelegenheit dazu gibt, 
Sagentaftes einfließen, und madt nur beſchränkten @ebraub von Ges 
ſchichtszahlen. Auf dieſe Meiſe wird das Bud in der That für Anfänger 
ein brauchbares hiſtoriſches Leſebuch, welches ihnen die erfte Anleitung zur 
Erfaſſung geihichtliher Charaktere geben, und fie für die Gefchichte mit 
Intereſſe erfüllen Tann. 


42. Dr. 8. Dppel, Das alte Wunderland der Tyramiden. eos 
grapbiiche, geſchichtliche und culturgeſchichtliche Bilder aus der Vorzeit, 
der Periode der Blüthe und des Verfall des alten Aeayptens. Wir 130 
in den Text getrudten Abbildungen, vielen Ion» und Bunttrudbildern 
und mebreren Karten. Leipzig, Spamer. 186°. 1%, Ihir. 


Lag nit vor. Verf. befhäftigt ſich viel mit ägpptiiher Archäologie. 
Der Päd. Jahresberiht XIII ©. 4183 gedachte feiner Schrift: Kemi. 


43. F. Bühler, Hellenifher Heldenfaal oder Geſchichte der Arie 
ben in Kebensbefhreibungen nah den Darflellungen der 
Alten. 2. Aufl. Mit 32 In den Tegt gedrudten Holsfchnitten. Berlin, 
Deder. 1862. 2 Tblr. 

Sowohl ver „hellenifhe Heldenſaal“ als die „Heldenfagen des 
Mittelalters” von demfelten Verf., der an beiden Merken Sahrelang 
mit großer Liebe und Hingabe und mit nidyt weniger poetifhem und künft: 
lexiſchem Zact gearbeitet hat, find ein Schatz, aus welchem Nung und Alt 
wirklich Srfriihung des Gemüths und reinen geiftigen Genuß fchöpfen kann. 
Die „„Lebensbefchreibungen” aus der griehifhen Geſchichte haben ven 
anti? poetifhen Duft einer großartigen Epik ver Alten, die patriarchale 
Einfachheit, Nüchternheit und Gefühlsunmittelbarleit eines originalen Gr: 
gufies derfelben neben ver imponirenden Plaftil der Darftellung aud der 
deutiben Jugend zu erhalten gejtrebt, anertannt mit großem Geſchick. 
Lehrer in höheren Echulanftalten braucht man diefelben nicht mehr empfeblen 
zu wollen, fie werden ibren Werth bereits kennen; aber auch andern Lehrern 
wird es wahren Genuß bieten, zu Zeiten Parthien aus diefem Buche pris 
vatim vorzunehmen. 


4. Dr. W. Wägner, Rom. Anfang, Kortgang, Ausbreitung 
und Berfall des Weltreichs der Römer, Kür Kreunde des flaffis 
ſchen Alterthums, inebeſondere für Die deutſche Jugend bearbeitet. 3 Bände. 
Mit vielen Tonbildern, 330 in den Text gedrudten Abbildungen, Karten 
und Plänen. Leipzig, Eyamer. 1861—53. à Bd. 11/2 Thlr. 


Sm XII. Päd. Yahresberiht S. 269 ff. und im XIH. ©. 413 ff. 
wurde von deflelben Verf.is „Hellas‘ Nachricht gegeben. Ganz in ver 
wandter Weife iſt auh das neue Wert „Rom“ verfaßt. Delonomie des 
Ganzen, nämlih Vorausihidung geogtaphiſcher Drientirung in Italien, Ein 


376 Geſchichte. 


führung in bie Sagen⸗ und in die geſchichtliche Zeit, in die äußern und 
innen Kämpfe um bie Staatderweiterung und Staatefefligung, in das 
fociale, bürgerlihe und häusliche Leben, in die Dentmäler altrömifcher 
Herrlichleit und Größe, Heldenfinns und Glanzes, in die allmäblih ein- 
brechenden Beranlafiungen des Verfalls u. f. w., ferner die tactuolle Wahl 
des für die erwachſene Jugend berechneten, nur bisweilen deren durch⸗ 
ſchnittliches Bildungsmaß überjhreitenden Stoffs, die anziehende, oft auch 
Ihwungvolle, den Jüngling feflelnde Darftellung; endlich die meiſt ſehr 
ſplendiden Illuſtrationen, welche mit dem Reiz des Schönen vielfad bie 
Momente vielfeitiger Belehrung verbinden — nur in einzelnen Fällen ift 
der Conner der Bilder mit dem Texte durch feinen innern Grund getragen — 
dies Alles ftellt das Wert dem frübern würdig zur Seite. Die Jugend 
bat thatlähli etwas daran zur Freude, zum Genuß und zur Belehrung. 
(m XIV. Bid. Jahresberiht S. 216 war über den erjten Band kurz 
berichtet.) 


45. Th. Mommfen, Römifhe Geſchichte. 3 Bände 3, Aufl. Berlin, 

Beldmann. 1861-62. A! Thlr. 

Der XIV. Päd. Yahresberiht S. 421 konnte dies dem gelehrten 
Forſchen entiprofiene, für Gelehrte beftimmte Wert nur wiederum nennen. 
Die überwiegende Mehrzahl ver Lehrer, welche Geſchichtsunterricht zu er: 
tbeilen haben, erhalten daſſelbe wohl kaum zu Geſicht, geſchweige daß fie 
davon weitern praftiihen Gebrauch machen könnten. Aber da der Berf. 
eine oft genannte wiſſenſchaftliche Perjönlichleit in zur Zeit hoher, einfluß⸗ 
reiher Stellung ift, hat ed allgemeineres Intereſſe, auch von Urtbeilen ſehr 
gründlider Sach⸗ und Fachkundigen über feine „römiſche Gedichte” Kennt: 
niß zu nehmen. 


Der Rector, Confiftorialratd Dr. Beter in Schulpforte hat als Gin: 
ladungsfchrift zur Stiftungsfeier (1861) feine „Studien zur römifchen 
Geſchichte mit befonderer Beziehung auf Th. Mommſen“ (68 ©, 4.) 
veröffentlibt. Nachdem darin auf Niebuhr's Verdienfte bingewiefen ift, 
welcher der Meinung war, daß die römiihe Geſchichte am reinften in den 
Annaliften zu finden fei, von denen der Kritiker nur den dedenden Firniß 
abzulöfen habe, und welcher demgemäß mit feiner umfafienden Gelehrfamteit 
den Buchftaben der Quellenſchriften wieder zu ihrem Recht zu verhelfen 
trahtete, erfennt Dr. Beter auch Mommſen's große Vorzüge und glän: 
zende Cigenfchaften als Forfcher auf dem Gebiete urkundlicher roͤmiſcher 
Geſchichte gerechter Meife an. Dann aber dedt er daran das politiſch 
Zendenziöfe für die Jetztzeit auf mit all’ ven Schatten und Verkehrtheiten 
deſſelben, welche die Wahrheit und Würde der Wiſſenſchaft durch die Mo⸗ 
derniſirung der alten römischen Geſchichte beeinträhtigen.. Mommfen 
ftellt mit lebhafter, energifcher, faft leidenſchaftlicher Empfindung dar, und 
verzeibt es ſich nicht nur, von anderer Hiftorifer abweichenden Anjichten 
wegwerfend zu reden, als ob fie verächtlich, unredlich, ftumpf, unbillig und 
elend jentimental jet, fondern er behandelt auch biftorifhe Perfonen und 
Ereigniſſe unverantwortlich. Da ihm jede Regung religiöſen Bewußtſeins 
zuwider iſt, und er mit Haß und Abſcheu allen religiös: fittlihen Gehalt 








Geſchichte. 377 


des klaſſiſchen Alterthums verfolgt, fo fertigt er auch bedeutende Männer 
mit Hohn und Schimpfworten ab, ohne Grund und Recht. Bei jeder herbei⸗ 
gezogenen Gelegenheit trägt er feine (fortfchrittlice) politiſche Parteiftellung 
binein mit Leidenfhaftlihleit und Gehaͤſſigkeit, febimpft dann auf Junker⸗ 
thum, abeliged Vollblut, Muderwirtbihaft, Piaffentrug und bebient ſich 
allerlei neuerer Ausprüde der modernen Geſellſchaftsſalons für alte Ber: 
bältnifje, welche darauf doch nicht paflen und in bedenklicher Art das 
richtige Verſtändniß erjhweren. Das geſchieht ſowohl bei Außerlichen, 
minder erheblihen Verhältniffen ebenfomohl als bei Hauptfachen und leitenden 
Srundfäßen, und es verjchuldet nicht felten die offenbaren Widerſprüche, 
in welde Mommſen mit fi felbft geräth. Indem er in die Ueber⸗ 
lieferung mehr bineinträgt, als eine vorfichtige Deutung darin finden kunn, 
thut er jener geradezu Gewalt an. Aus Vorausfeßungen, welhe modernen 
Zuftänden und Verbältnifien entnommen find, aljo der Sitte und Eigen- 
thümlichleit der alten Zeit nicht entfprechen, werben zu weit gehende Fol: 
gerungen gezogen und dadurch die Thatſachen jelbit alterirt. 


Unter dem Reichthum des Materials geht der Faden und Fortfchritt 
der Entwidelung verloren bejfonders bei den die Verfaſſung betreffenden 
Gegenftänden. Das ift doppelt mißlich bei einem folhen Buche für bie 
ftrebfame Jugend, da nicht viel andere hierüber vorhanden find, und dies 
nun von Parteileidenſchaft durchzogene einer treuen Geſchichtsauffaſſung 
fhaden und das fittliche Urtbeil verderben kann, weil es ftatt zur rechten 
Würdigung zum Schimpfen anleitet, was junge Lehrer nachahmen könnten, 
zumal da. Mommjen pilant und verführerifh ſchreibt. „Es begegnet 
einem noch unerfahrenen Lehrer der Geſchichte, dieſes wichtigen, aber viel- 
leicht fchwierigften unter allen Gymnafial: Lehrfähern ſchon ohnehin ſehr 
leicht, daß er die auf der Oberflähe liegenden oder durch den Erfolg 
fund gegebenen Fehler auch felbit der großen Männer der Weltgeſchichte, 
oder die Schwächen ganzer Perioden und Volksrichtungen mit der Geißel 
der Laune oder des Spotte3 verfolgt, ftatt auch nur von den alten 
Tragikern zu lernen, wie ahtbar und Theilnahme fordernd aud das Ges 
Shid des blinden und beichränkten Sterblihen ift, oder vollends als 
chriſtlicher Lehrer die Meltregierende und Großesbereitende Hand Gottes 
aud in den ſchwachen, irdiſchen Organen und Gefäßen zu erlennen und 
nachzuweiſen. Es gibt einen leichtfertigen Hohn, womit die erjchütterndften 
Zuftände und beugendſten PVerhältnifje, denen oft auch ein edles Ringen 
unterliegen muß, abgehandelt und dargeftellt werden; es ift dies aber ein 
ebenjo großer Frevel gegen die gewaltige Lehrmeifterin im Leben und Handeln 
der Geſchichte, wie gegen den zarten, nicht für den Schein und die Ber: 
achtung, fonvdern für EChrfurdt und Wahrheit empfänglih zu machenden 
Sinn der Jugend. Wer den fittlihen Maßftab an die Träger und 
Helden ver Weltgejhichte nicht zu legen weiß, beißt den wahren Beruf 
des Hiftorilers noch nicht.” (Kreuzzeitung. 1862. Nr. 107 und 117. 
Beilage.) 


46. F. Shmidt, Deutfhe National: Bibliothel Volksthämliche 
Lieder und Erzählungen aus Deutfchlands Vergangenheit und Gegen: 


378 Geſchichte. 


wart ei. Brigl. 1862. 1863. In Bänden von 12—15 Bogen 

Der Herauögeber eröffnet biermit ein neues Unternehmen, bas von 
Baterlandsfreunden gern freudig begrüßt werden kann, da als Whitarbeiter 
Namen von Geſchichtsſchreibern genannt werden, welche nur Gediegenes und 
Gutes erwarten lafien, (u. A. Gieſebrecht, Außen, Ranke, J. Boigt, 
Wachsmuth, Waitz. ©. Weber), und eine Galerie von Charalter⸗ 
bildern der hervorragenden Helden ded Echwertes und bes Wortes, fowie 
Gemälde der Hauptzeitepodhen unferer Geſchichte, des Volls⸗ und Gultur 
leben® der einzelnen deutſchen Volksſtaͤmme und allgemeinere culturbiftorifcdhe 
Skizzen in Ausſicht geftellt werden. Die erfien 5 Serien & 12 Bänden 
follen ein Gejammt: Gemälde der Vergangenheit und Gegenwart 
unfers Bolles liefern und darauf abzweden, den patriotifben Sinn 
im Bolte zu erweden und durch die von den Verfaflern zu liefernden 
Portraits Lebens abriſſe und Ueberſicht ihrer übrigen Werte 
nebit deren Inbaltsangabe (!) zur Lectüre diefer Werte aufzumunten und 
binzuleiten. (Es muß problematisch erfceinen, ob dem Volke als joldem, 
namentlih dem nicht gelehrten, an der Ueberficht der größern, meift ges 
lehrten Gefchichtswerle der berühmteften unferer Geſchichtsſchreiber umd 
vollends an der Inhaltsangabe derſelben gelegen fein fanın. Die wiffen: 
ſchaftlich Gebildeten im Volt werden es vielleiht nur zu einem kleinen 
Theile fein, welche fih an den Heinen, abgerundeten Bildern der National 
Bibliothek genügen lafien wollen, da fie minder nad populär gehaltenen, 
fondern nad) den größere geiflige Anftrengung erfordernden Büchern greifen 
werden. Cine National-Ribliothet kann aber nicht ftillfchweigend ein finan: 
zielles Intereſſe der Verleger bei ſolchen „Ueberfihten jämmtlicher übrigen 
Werke’ der Gefchichtsfchreiber unter ihren Mitarbeitern vertreten helfen follen.) 

Bisher erfhienen: Bd. 1. Prof. Dr. ©. Weber: Germanien in 
den erftien Jahrhunderten feines geſchichtlichen Lebens. 
DB. 2. Dr J. Falle: Gefhihte der Hanſa. Halb. 5. 6. 
Prof. Dr. K. Biedermann: Deutfhlands trübfte Zeit oder der 
breißigjährige Krieg in feinen Folgen für das deutſche Eultur: 
leben. Halb. 7. Prof. Dr. 3. Voigt: Blide in das funfl: und 
gewerbreihe leben Nürnberg’s im 16. Jahrhundert. Halbb. 8. 
Prof. ©. Waig: Deutſche Kaiſer von Karl d. Gr. bis Marimi: 
lian L Halbb. 10—12. Prof. K. U. Mayer: Kaifer Heinrid IV. 
Bo. 8 und 9. Prof. Ruben: Aus der Zeit des fiebenjährigen 
Krieges. Zweifelsohne find dieſe Leiftungen geeignet, vieljeitiges Intereſſe 
zu erweden; nur die Specialität über Nürnberg’3 Leben im 16. Jahr⸗ 
hundert, die mehr ein gemüthlicher, gelegentliher und unterhaltender Erguß 
al3 eine für das größere Publitum berechnete Ausführung genannt werben 
fann, madt davon eine Ausnahme. Die Auswahl des Stoffs, die tbeils 
objective Haltung, theils belebtere Form der Darftellung, welde ben That: 
ſachen ihr Relief und ihre anziehende Staffage zu geben weiß, find wohl 
im Stande, die Liebe zu unferer reihen Gefchichte zu erweden und zugleich 
die Kenntniß ihres Inhalts in weitern Kreiſen zu fördern. Weber fhreibt 
edel und gemefien, aus gründlicher Sachkunde heraus; Biedermann ift 








Geſchichte. 379 


gerade im deutſchen Culturleben vorzugsweiſe zu Hauſe und pflegt deſſen 
Kunde vorzugsweiſe gern, weiß auch ganz lebendig zu ſchildern; Waitz 
arbeitet funftvoll, nicht ſowohl populär als gedrängt und concinn aus ber 
Bertrautheit mit den Mejultaten vielfeitiger Forſchung gerade in der Kaiſer⸗ 
geſchichte; er flizzirt mehr als er ausführt; Mayer popularifirt mit Ge 
wandtheit und verwendet die Forſchungen Anderer mit Gefhid. So ift 
alfo fachlich das Geleiftete anzuertennen und feine Verbreitung zu wünfcen. 
Freilich muß der Lefer ſich der kirhlihen und politifhen Parteiftellung der 
Autoren bewußt bleiben, weil zum Theil ihr hiſtoriſches Urtbeil dadurch bes 
dingt if. — Daß außerdem noch Prof. Dr Ruben über den von ihm 
gerade als Lieblingsftudium verfolgten fiebenjährigen Krieg gefchrieben 
hat, kann jeden, der feine feitherigen Arbeiten aus defien Zeit kennt, nur 
freuen. Bon ihm rühren nämlih die Stüde ber, welde u.d.T. „Aus 
der Zeit des fiebenjährigen Kieges“ eine Reihe geographifcher, 
kriegs⸗ und culturgejchichtliher Bilder und Schilderungen enthalten. So⸗ 
wohl die Hauptmomente des Kriegs jelbft, von denen er ſchon 1857 als 
Subelfchrift u. d. 3. „Vor hundert Jahren‘ die Tage von Rollin und 
Leuthen (cf. XI. Pad. Jahresberiht S. 388) fo meifterhaft ſchilderte, als 
die Erjhließung der damaligen Strömungen des deutſchen geiftigen Lebens 
und feines Ausdruds in der National: Literatur madt er fi dabei zur 
Aufgabe. Zugleich weiß er, wie ſchon in der Jubelfchrift die durch wieder: 
holte perjönlihe Bereifung und Unterfuhung der für diefe Hauptactionen 
überaus wichtigen geographijhen Kocalitäten gewonnene lebenvige und 
detaillirtefte Kenntniß derjelben jo kunſtvoll zu einem plaftiihen Zerrains 
bilde zu benußen, daß der Lejer an feiner Hand fi darin völlig heimiſch 
macht. Der Schrift find noch ſechs Kärtchen zur Erläuterung der Schlacht: 
felder von Prag, Colin, Roßbach, Leuthen, Hochlirch und Kunersdorf, 
Kollin beigegeben *). 


47. Dr. ©. 2. Bieske, (weil. Negimentsarzt und Leibarzt Blücher's) Der 
Keldmarfhall Zürft Gebhardt Lebereht Bluücher von Vahl« 
Rad & Eine biograpbifhe Skizze. Berlin, Mittler und Sohn. 1862. 
71a Sur. 


Lag nicht vor, wird aber anderweit als leſenswerth wegen einer großen 
Fülle intereflanter Charalterzüge bezeihnet. Es ift eins der Schriftchen, 
wie fie beim Herannahen des fünfzigjährigen Jubelfeſtes des großen Be⸗ 
freiungslampfes von 1813 in ziemlicher Anzahl fowohl von militärifchen 


M Es fehlt nicht an Kehren, welche fih mit großer Xebhaftigfeit für 
Kriegsgeſchichte intereffiren. Große und tüchtige Werke darüber haben 
aber jedeömal vorwiegend militaixifche, oder daneben noch rein politiſche Ten⸗ 
denz, und find nichts weniger als zur bloßen Unterhaltung duch fpannende 
2ectüre verfaßt. Das verfloffene Jahr bat in neuer Ausgabe gebracht: J. v. H. 
(Sardegg): „Borlefungen über Kriegs geſchichte. 1. Bd. von 550 v.Chr. 
i8 1350 n. Ehr. 2. Bd. von I1350—1790. 3. Bd. von 1790 — 1860, forts 
gefegt von M. B. Darmftadt, Zernin. 1862. 112/0 Thlr., ein Buch, dem 
—12— Forſcherfinn und umflhtigfer Fleiß nachgerübmt wird. 


380 Geſchichte. 


als pädagogiiben u. a. Autoren veröffentliht find,*) um das jehige Ge 
ſchlecht und feine Jugend an die Opfer, Heldenthaten und Eiege, an bie 
Männer aus allen Schichten des Polls, weldhe mit Ehwert, Rede und 
Lied dieſe Eiege erringen halfen, und an Gottes Gnade zu erinnern, welde 
die Befreiung von fremdem Joch gewährte. 


48. Ida v. Dürtingdfeld, Tas Auch dentwürbdiger Frauen. Lebens 
bilder weiblicher Charaktere. Xeitaabe für Mütter und Töchter. Leipzig, 
Eramer. 1362. 12/ Iblr. (Mit 100 in den Tezt gedrudten Abbil- 
dungen und 5 Zonbiltern.) 


Lag leider nit vor. Es verdient beachtet zu werben, daß die neuere 
Seit aub die Frauen, melde fib im Leben unferes Volkes befonters 
ausgezeichnet haben, der DBergeflenheit immer mehr und mehr entreißt. 
Dr. Ramsborn ſchrieb ſchon vor zwanzig Jahren feine „Geſchichte 
der mertmwürdigften deutfhben Frauen“, Dr. Merz fpäter feine 
„Hriftlihen Frauenbilder“, der Confiftorial:Bräfident Dr. Göſchel 
eine Reihe treffliher Biograpbien von Fürftinnen aus dem Haufe 
Hohenzollern; Arm. Ewald eröffnete fein Buh: „Preußens Ruhm 
und Preußens Chre” mit einer Biographie der Königin 
Louife, welde auch W. Hahn, 2b. Bade und Adami zum Gegen 
ſtande ſchöner Biographien nahmen, und Biſchof Eylert in feinen „Cha: 
rakterzügen und biftorifhen Fragmenten aus dem Leben 
des Königs Kriedrih Wilhelms III“ mit Vorliebe zeichnete; G. H. 
v. Schubert widmete feiner Edülerin „Helene von Drleans” eine 
würdige Gedächtnißſchriſt; Clifabeth die Heilige ift wiederholt in 
fieblihen Biographien dargeftellt, ebenfo die Kurfürftin Henriette von 
Brandenburg; und auch minder allgemein befannte Frauen, wie die Ge 
mahlin des Herzogs Erich I. von Göttingen und Galenberg, Elifabetb, 
weldhe im „Schulblatt für die Provinz Brandenburg” (1.62 
3. und A. Heft ©. 150—162) in ihrem reformatorifhen Wirken bargeftellt 
ift, haben die Aufmerkſamkeit der Biograpben rege gemadt. Yür den Ge: 
Ihidhteunterriht für Mädchen ift dies von großem Werth. 


49. KR. Strad, Pfarrer, Reformationsgefhihte in vergleidhender 
Xebensbeihreibung der vier Hauptreformatoren Lutber, 
Melandhtibon, Zwingli und Calvin. Leipzig. Schlicke. 1863. 
303 S. 1/s Thlr. 


*) 1. a. mögen genannt fein: v. Bedenrotb, Die Befreiungskfriege. 
Eine Jubelſchrift zur Erinnerung an die dentwürdige Zeit von I813—1815. 
9 S. 12. Berlin, Edhlefinger. 1863. 2'/, Egr. — Deflen: Der fiebens 
jährige Krieg. Cine Jubelfchrift zur Feier des vor hundert Jahren ab« 
— Hubertsburger Friedens. Daſelbſt. 96 S. 12. 2, Sar. Weide 
mit einigen Holzſchnitten, Kriegsbelden jener Zeit darſtellend. — K. Ludwig 
(Pfeudonnm), Die drei Freunde, oder: Der Adnig rief und Ale, Ale 
fanıen! Eine Erzäblung aus dem Wreibeltölriege von 1813—1815. Berlin, 
Brand. 1863. 71 ©. 5 Egr. Mit Abbildung ded Denkmals auf den Kreuz 
erge. — Der Tendenz nah für die Jugend zur nung des Patriotiemus 
geſchrieben. Die erften beiden von v. Dedenrotb find bittorifch yehaltreicher. 
Aehnliche Büchlein no von Ferd. Schmidt, Ed. Keller um. 





Geſchichte. 381 


Zu dem im XIV. Päd. Jahresbericht S. 40 mit Anerkennung und 
Empfehlung genannten Buche deſſelben Berf.s: „Miſſionsgeſchichte 
von Deutſchland“ bildet das vorliegende gewiſſermaßen bie Fortjegung. 
Es hat eine kirchengeſchichtliche und zugleich eine apologetiiche Zendenz, 
indem es nicht nur den äußern und innern Lebendgang der vier Haupts 
reformatoren mit dem äußern und innern Berlauf der Entwidelung der 
Reformation in innige Verbindung bringt, und zugleich die Charattere. dieſer 
vier beveutfamen Männer durd die Zujfammenftellung und Bergleichung 
ihres Weſens und Wirkens und durch die Driginal-Ausfprüche verfelben 
far und wahr zeichnet, jondern auch entjchieden den läfterlihen Verun⸗ 
glimpfungen entgegentritt, welchen dieſe treuen Zeugen ausgeſetzt gemejen 
find und no find. (Bgl. u. A. Dr. H. Rütje, „Geſchichte des preußifch- 
brandenburgifhen Staats mit befonderer Berüdfichtigung der deutſchen und 
confeffionellen Politik deſſelben.“ XII. Päd. Yahresberiht S. 208 ff. 
und 250.) Verf. hat in edler, einfach würbdiger, auch den Laien anzie= 
bender Darftellung ohne ermüdende Breite von jedem der Neformatoren ein 
ſolches Lebensbild gezeichnet, daß es ſich für jeden Evangelifchen erquidend 
und tröftend darftellt, obſchon die Differenzen nicht verſchwiegen find, melde 
zwifchen ihnen obmalteten. Nicht daß jede Biographie jelbftftändig abge⸗ 
rundet gearbeitet wäre, der Verf. hat vielmehr, mit Luther beginnend, das 
Leben von Melandthon und Zwingli theilmeife, wie es chronologiſch har⸗ 
monirt, in Luthers Lebensgejchichte mit eingefügt, jedoch in weiteren Kapiteln 
diefelbe dann ergänzt. Nur Calvins Lebensbejchreibung hebt erjt nad) ver 
Erzählung von Luthers Tode an, und wird allein durd ein Gapitel über 
Melanchthons legte Kämpfe und Tod unterbrodhen. Bon den 19 Gapiteln 
der Schrift find 13, 5—7, 11 und 17 Luther, A, 12, 14, 18 Me 
lanchthon, S—10 und aud 11 Zwingli, 16, 17 und 19 Galvin gewidmet. 
Mer Meurers „Luthers Leben” und Ledderhoſe's „Philipp Melanch⸗ 
thon“ kennt, den heimelt Strad’s Bud vielfah an wegen der Reminis: 
cenzen, die daraus wiederlehren. Lehrern kann letered nur warm em: 
pfohlen werben; es ift ein gutes, mildes, lehrreiches Bud). 


50. Dr. U. Schaͤfer, Gefhihtstabellen zum Auswendiglernen. 
8. Aufl. Leipzig, Arnold. 1862. 5 Ser. 


Es genügt, hier nur die neue Auflage anzumerlen; die Art der Be 
arbeitung zur Benugung des Stoffes für 3 Curfe ift jhon im VI. Pan. 
Jahresbericht ©. 253 angegeben, und auch dort der hinzugefügten cultur: 
biftorifchen Zabelle (©. 242, ſchon erwähnt. 


31. W. Vollmer, Gymnaflals Oberlehrer, Kurzer Leitfaden für den 


geſchichtlichen Unterridt. 2. Aufl. Blankenburg, Brüggemann. 
1862. 39 ©. 4 Sgr. 


Das ift feiner ganzen Anlage und äußeren Drudform nach nicht fo: 
wohl ein Leitfaden, ald nur eine Gefhihtstabelle, der die herkomm⸗ 
lichen Geſchichtsperioden und eine ſogenannte (abgekürzte) „Ueberſichtstabelle“, 
für die erften Anfänger beftimmt, vorangeftellt find. Zwar ift der Inhalt 
in Paragraphen abgetheilt und in der alten Geſchichte nicht die reine 


382 Geſchichte. 


Zeitfolge, ſondern die ethnographiſche Gruppirung gewählt, aber ſonſt iſt 
wie bei andern Tabellen neben die Geſchichtszahlen die ganz kurze Angabe 
der Thatſachen geſtellt. Daß in den einzelnen Paragraphen zugleich der 
Stoff in numerirte Abſaätze zerlegt iſt, um dadurch beſſer die Hauptmomente 
für das Auge der Schüler zu marliren, iſt für den Gebrauch ganz ange⸗ 
meſſen, ift aber kein Kriterium für einen Leitfaden. Der Stoff felbft if 
etwa in der Fülle gewählt, wie er für Tertianer höherer Schulen ausreiät, 
und wird ih als praktiſch dafür geeignet bereit3 am Blankenburger Gym⸗ 
naſium bewährt haben. Die neuelten Jahre von 1815 an find ganz fur 
behandelt. 


52. (Hildebrandt, Recor:) Geſchichtstabellen zum Grundriß der 


Weltgeſchichte von Th. Dielitz. In zwei Curſen. 3. Aufl. Oldenburg, 
Stalling. 1501. 4 Gar. 


Ueber die beiden früberen Auflagen ift im XIL Päd. Jahresbericht 
©. 418 und im XII. ©. 418 bereits orientirende Andeutung gemadıt, 
und wirb deshalb bier darauf gurüd verwieſen. 


53. Th. Dielig, Profefior und Director, Geographiſch⸗ſynchroniſtiſche 
Ueberſicht der Weltgefhichte 4. Aufl. Berlin, A. Dunder. 1861. 
39 ©. in Quers4. 10 Ger. 


Diefe ſynchroniſtiſchen Tabellen haben eine zwiefahe Eigenthümlichkeit. 
Sie heben nur eine verhältnißmäßig geringe Anzahl von Daten hervor, 
als fonft wohl für Klafien der Art, wo fie zur Verwendung kommen follen, 
in andern Tabellen gefunden werden. Aber der Berf. bat fi mit Recht 
auf die zum wirtlihen Behalten nöthigen beſchränkt, und deren find doch 
viht gar zu wenig ſowohl in der alten mie in der neueren Geſchichte. 
Ferner enthalten die Tabellen eine Angabe derjenigen geographiſchen 
Nachweifungen der Länder, Flüſſe, Städte u. ſ. w. zu den 11 Geſchichts⸗ 
perioden, melde nad des Verf.s Abſicht benußt werben follen, daß Schüler, 
die bereits mit der neueften Geographie und dem Gebrauch der dafür be: 
ftimmten Atlanten genügend befannt find, ſich felbft einen hiſtori— 
hen Atlas von 22 Ueberſichtskarten nad diejen Angaben zeichnen 
follen. So leicht ift das nun freilih nit; aber für die Sicherheit 
der Einprägung der alten, mittleren und neueren Geographie bis zum Jahre 
1812 ift’s ein vortrefflihes Mittel, weit bilvender, als alles mechanische 
Abzeihnen von vorhandenen Karten. Den Lehren und Schülern wird in 
jenen geographifhen Angaben nur das Regilter des zu Lernenden gegeben, 
die zeichnende Eintragung in die Karten ift danad nicht ohne Weiteres 
möglih, meil über Lage und Ausdehnung der Landſchaften, Gebirge 
u. f. w. bei der großen Kürze nomenclatoriicher Aufführung des Beach: 
tenswertheften keine weiteren leitenden geographiſchen Momente gegeben 
werben konnten. 


% 


54. ©. Pracht und B. Endrulat, Tabellariſcher Leitfaden für den 
Unterriht in der Geſchichte. MNebi einem Anbange genealogie 
[her Tabellen. 3. Aufl. Hamburg, Riemeyer. 1862. 81 ©. 12 Egr. 











Geſchichte. | 383 


Ueber die äußere Einrichtung dieſer Tabellen ift ihon im XI. Bär. 
Jahresberiht S. 419 Auskunft gegeben. Abänderungen find mit Ausnahme 
einiger Bablenberichtigungen, ftyliftifcher Ausdrüde und Aufnahme einiger 
noch mitberüdfichtigter Begebenheiten nicht eingetreten. Die mit Ausſchei⸗ 
dung aller Ueberfüllung auf die hiſtoriſch bemerkenswertheſten Perſonen be⸗ 
ſchraͤnkten Heinen genealogiſchen Tabellen find um 2 vermehrt, Nr. 11 
und 12 bringen ven kurzen Leberblid über die jüngere Linie Bourbon 
(Orleans) und über die Familie Bonaparte. — Charatteriftifch bleibt die 
Sonderung der Literatur: und Eulturgefhichte von der politifchen, 
bie Anordnung nah ethnographiſcher Gruppirung innerhalb der großen 
Perioden der drei Beitalter, die Unterſcheidung der Hauptmomente von den 
untergeoroneten durch ben Drud. Die Auswahl des Stoffes ift gut ge⸗ 
troffen, deshalb das Büchlein ſicherlich gut brauchbar, — aber theuer! 


55. Dr. U. 2. Frande, Gpmnafial-Oberlehrer, Ehronologifhe Neben 
fiht der atigemeinen Weltgefhichte für Schüler böberer Lehr 
anftalten. 2. Aufl. Leipzig, Hübner. 1862. 96 ©. 12, Tl/a Sgr. 


Gegen die vor 10 Jahren (1852) erfhienene 1. Auflage gehalten, 
bat die 2te eine Vermehrung bejonders durch die Weiterführung der tabels 
lariihen Angaben von 1851—1859 erfahren, auch find am Schluß vie 
„Regenten des deutihen Reichs“ und die „brandenburgifch:preußifchen Res 
genten” von 1134 an ganz kurz nomenclatorijc angefügt. Die Unter 
ſcheidung des Materials für 3 verfchiedene Curſe durch den Drud it bei⸗ 
behalten. Es ift dies immer nod ein disputabler Punkt. Jedenfalls ift’g 
pädagogijd richtiger, der Unterftufe nur das, was fie zu lernen bat, in 
bie Hände zu geben, nicht aber zugleich den Stoff für alle folgenden 
Stufen; der Mitteljtufe gebührt dann der Stoff ver Unterftufe fammt den 
erforderlichen Erweiterungen, und die Oberftufe erjt erhält das Ganze quans 
fitatio und qualitativ eigens für fie bemeflen in vie Hand. Gecundaner 
und Primaner bedürfen ja auch der Kenntniß der Momente, melde vie 
Anfänger lernen; aber Tabellen für fie haben noch ganz andere Momente 
aufzunehmen, für deren Verſtändniß Anfängern noch die innere Befähigung 
abgeht. An blos mechaniſchem Memoriren unverftandener Data kann aber 
nichts gelegen fein. Die erjte Auflage beftimmte ven Inhalt fteicte zum 
Auswendiglernen; dieſe Beſtimmung läßt der Titel jest weg. Uebrigens 
ſind die Angaben correct, knapp und nicht überſchwaͤnglich an Zahl; ſie 
halten die Unterſcheidung der Zeiträume, nicht aber die der Voͤlker⸗ und 
Staatengruppen feſt, ſondern miſchen letztere nach der chronologiſchen Folge 
der Ereigniſſe durcheinander. (Bgl. Nr. 57 Lange's „Tabellen“ Vorwort.) 


56. Dr. D. Lange, Brofefior, Tabellen und Karten zur Beltgefhiäte, 
Zab. 1. zur biographiſchen Borflufe mit 8 Karten; Tab. 2, zur eth« 
nographifgen Stufe mit 6 Karten? Tab. 3, zur univerfalgefhicht« 
lichen Stufe mit 6 Karten. Berlin, Gärtner. 18363. Jede Zap. 10 Ser. 


Im Vorwort äußert fi der durch feinen in raſch einander folgenden 
Auflagen verbreiteten „Leitfaden zur allgemeinen Geſchichte für 


384 Geſchichte. 


hoͤhere Bildungsanſtalten“ (erſte Stufe 7., zweite 5., dritte 4. Aufl. Dal. 
ef. IX. Päd. Jahresbericht ©. 471, XI. S. 398, XIV. S. 410) als 
umfichtiger Gefchichtslehrer wohlbelannte Verf. dahin, daß Geſchichtstabellen 
ebenfowohl überfichtliche Zufammenftellung und ftufenmäßige Gliederung des 
umfangreihen Materials, als eine nach methodifhen Grundfägen getroffene 
Wahl des zu gebäkhtnikmäßiger Einprägung beitimmten Stoffes erfordern. 
Darum follen nicht fämmtlide zu lernende Momente in eine Tabelle 
zufammengeftellt werben, worin dann nur ber verſchiedene Drud andenten 
könne, was für jede Stufe gehöre. Sondern, da ein Schulbuch nichts ent⸗ 
balten müfle, was dem Schüler bedeutungslos bleiben folle, indem er da⸗ 
durch ſonſt zu ercerpt: und fprungmeifem Lernen genöthigt fei, was zu 
Störungen der ruhig georbneten, zuſammenhangenden Lernthätigleit führe, 
jo müßten die Tabellen für jede Stufe auch nur das barbieten, was auf 
verfelben ganz gelernt werben ſoll. Ferner erklärt fih der Verf. gegen 
eine ſolche Einrichtung ſynchroniſtiſcher Tabellen, welde alles geſchichtliche 
Material in ungefchiedenen Golonnen durheinander werfen, und bei 
einer Zahl oder Zahlenfolge den Schüler bald zu diefem, bald zu jenem 
Volke drängen. Das verwirrt und erjchwert das Lernen ſchon von der 
Mittelftufe an, melde alle Völker zu umfaſſen hat. Auf der Unterftufe, 
wo das Bemußtfein von einem Zufammenhange des Völkerlebens und der 
Thatſachen in den Schülern noch nicht wach ift, walten dieſe Bedenken 
noch nicht ob. Auf der Mittelftufe iſt es aber ſchon geboten, „inner: 
balb ver belannten, die allgemeine Weltgeſchichte charakterifirenden Haupt: 
abjchnitte immer nur einen einzelnen Staat in's Auge zu fallen und 
fo die Boritellung von einer geſchichtlichen Aufeinanderfolge und einem 
inneren Zufammenhange der Thatfahen im Schüler mad zu erhalten.’ 

Nah diefen Grundgedanken find die Tabellen in Webereinftimmung 
mit dem Leitfaden bearbeitet. Sie halten die Hronologifche Ordnung 
feſt. Die Heinen Kärthen in Octav find vom Verf. entworfen und von 
Kiepert revibirt, und können als correcte, zwedmäßige Grundlage für den 
Gefchichtsunterricht gelten. Sie find fauber ausgeführt, ſchließen ſich ergän: 
zend an einander an, enthalten auch einige nöthige Terrainandeutungen, 
und find als Heiner hiſtoriſcher Atlas mit dem jchulbuchmäßigen Heft der 
Tabellen gleich zufammen bei der Hand, worauf der Verf. mit Recht einen 
gewiſſen Werth legt. Es verfteht fih, daß diefe Tabellen und Karten 
nur in höheren Lehranitalten zur Anwendung kommen können. 


57. Dr. W. ©. Giefers, Chronologiſche Ueberfiht der Geſchichte 
des Mittelalters, insbeſondere der deutſchen und preußiſchen 
Geſchichte. Soeſt, Nafie. 1861. N. 8. 59 6. Ta Sgr. 


Diefe „Ueberſicht“ fchließt fih an eine ähnliche frühere über die „Ge: 
Schichte des Alterthums“ von bemjelben Verf. an. Sie gliedert das Ma- 
terial nach den üblichen Zeitabſchnitten, fcheidet nach Umſtänden vie Ge: 
ſchichte des Occidents von der des Orients, ebenjo Deutjchlands von der 
der nichtdeutfhen Länder, numerirt die einzelnen Haupt: und barunter 
die markanten erläuternden Momente, und bejhränft fih auf verhältniß⸗ 
mäßig nicht viele Angaben. Bon ©. 52 an fteht eine „Ueberſicht der 


Geſchichte. 385 


brandenburgiſch-preußiſchen Geſchichte“, ebenfalld nach Beiträu- 
men, Abſchnitten und numerirten Haupt: und Erläuterungsmomenten ge⸗ 
gliedert, und bis 1525 reſp. 1535 geführt. Das Charalteriſtiſche liegt in 
der äußeren Form der Gliederung und in der etwas ausführlicheren Be⸗ 
handlung der deutſchen Geſchichte. Ein paar Drudirrungen (Würten für 
Murten, Conftantin, römischer Kaiſer 424-337) ftören die übrige Correct- 
heit weiter nicht. 


8. H. Sreudenfeldt und F. Pfeffer, Preußen unter den Regenten 
aus dem Haufe Hohenzollern. Eine Tabelle zum Gebraud beim 
Unterriht in der vaterländifchen Geſchichte. 5. unveränderte Aufl. Mit 
einer Schulfarte, barfielend den preußifhen Staat. Berlin, Geehagen. 
1862. 48 S. Ohne Karte 3 Sgr., mit Karte 65 Ser. Partiepreis: 
25 Expl. ohne Karte 2 le Thlr., mit Karte 4a Thlr. 

Als 


2 mM 20 2 ⸗⸗ ⸗0 25 ” 

Ueber die Einrihtung und praktiſche Brauchbarkeit dieſer Tabelle hat 
fih der Pad. Jahresbericht Schon im IX. Bd. ©.485 und im XL ©. 416 
ausgefprohen. Sekt find nur ein paar aͤußerliche Notizen über König 
Wilhelm I. binzugelommen, von einer Charalterifirung des Königs und 
feiner Regierung aber noch abgejehen. Die Karte ift wegen ihrer pralti- 
ſchen Art, die ſucceſſiven Erwerbungen und Gebiet3erweiterungen anzugeben, 
für Schüler recht nugbar und anſchaulich. 


. ©. Leeder, Lehrer, Wandkarte zur Geſchichte des preußiſchen 
Staars. 12 Bl. Imp.⸗Fol. Glogau, Flemming. 1863. 2 Ihlr. 
Augenjceinlih hat es dem Verf. an bebeutender Vereinfahung des 

Inhalts gelegen, der auf der vor einigen Jahren erjhienenen „Wand: 

farte zur Gefhihte des preußifhen Staates” vom Seminar: 

lehrer Fir niedergelegt ift. (ef. XI. Päd. Yahresb. ©. 424 ff) Die 

Fir'ſche Karte ift fehr reich ausgeftattet und durch die Sonderung auch 

vieler Kleinen Gebiete und deren farbige Einſchließung ift ein an mehreren 

Stellen ziemlih buntes Bild entftanden, deſſen Erläuterung dem Unterricht 

nit wenig Mühe macht. Deshalb kann eine Bereinfahung der Darftellung 

der territorialen Verhältniſſe des preußifchen Staates, welche im Laufe der 

Jahrhunderte mancherlei Veränderungen erfahren haben, nur als ein dem 

geihichtlihen Schulunterrichte geleilteter Dienft angeſehen werden. Der 

Verf. hat eine folde durdgeführt, indem er nit nur eine Menge Ort: 

ſchaften und eingefchriebene Namen wegließ, jondern aud auf die gefonderte 

Abgrenzung und farbige Hervorhebung mander Heineren Gebiete, theils in 

ihrer Bereinzelung, theils in ihrer Zugehörigkeit zu andern Territorien, 

ferner auf mande ältere Namenangaben mehrerer Streden verzichtete, und 
jelbft die Zerrain:Andeutungen unterließ, foweit fie den Höhendaralter aus: 
zudrüden gehabt hätten. Mit viefen Ausſcheidungen und Berallgemeine 
rungen bat er ein merklich einfacheres und doch keineswegs gar zu leeres 

Kartenbild erreiht. ES ift immer noch eine ziemlih reihe Fülle, melde 

einem biefelbe erläuternden Unterricht vollauf zu thun gibt. Mas die tech⸗ 

niſche Ausführung der Harte anbetrifft, jo erreicht diejelbe die Fix'ſche allers 
dings nicht; aber dafür ift auch ihr Preis niebriger, und es find mehr 
Bid. Iahresberiht XV. 25 





dd 


386 Geſchichte. 


Schulen im Stande, die Karte zu ihrem vaterländifchen Geſchichtsunterrichte 
mit zu benußgen. Und bod muß anerlannt werden, daß die Träftige Zeich⸗ 
nung und Colorirung von der Art ift, daß in merkliher Entfernung Alles 
gut und klar erlannt werden kann. Man bat aljo daran eine bezahlbare 
Schulkarte. Daß die Zerrain-Andeutungen nit ganz unterlaflen, vie 
Flüſſe etwas charalteriſtiſcher ausgeführt, auch Heine Farbenmängel vermieden 
fein möchten, find Wünſche, deren erfterer mehr als die andern von Wid: 
tigleit erfceinen wird, weil nun einmal das Zerrain für viele, nicht blos 
kriegeriſche Verhältniffe mitbeftimmend bleibt. 

Das ganze Blatt enthält an Nebenlarten noch die Daritellung 
des preußiihen Staates unter dem großen Kurfürjten mit der Marl Bran: 
denburg unter dem erften Kurfürften, ferner den Staat unter Friedrich 
dem Großen, ferner in der Periode von 1807—1815, die ehemaligen 
preußifchen Befißungen an der weftafritanischen Küfte und die für die neuere 
Kriegsgeihichte bedeutfamen Orte in den diefleitigen und jenfeitigen Rhein: 
gegenden. Die fleißige und überlegte Arbeit verdient empfohlen zu werden. 


60. Dr. R. Grundemann, Hülfeprediger, Miffionss Weltkarte zur lieber 
fidt fämmtiicher evangelifchen Miffionegebiete. Zu baben in den Miſſions⸗ 
bäufern zu Barmen, Bafel, Berlin, Hermannsburg, Leipzig und bei Peterfen 
in Halle. 1863. 1 Thlr.; aufgezogen 21/s Thir. 


Auf diefer in Farbendrud ausgeführten Weltlarte in Mercator's Pros 
jection (36 : 72°) find die Croräume angedeutet, über melde ſich das 
Chriftentbum in feinen Hauptconfefiionen, der Muhamedanismus und das 
Heidenthum audbreitet, und zwar leßteres, je nachdem ihm heidniſche Natur 
oder Gulturvölter angehören, durch Yarbenunterjdhiede kenntlich gemadıt. 
Die Karte gewährt von vorn herein einen etwas frappanten Anblid, weil 
die Grenzlinien für die Religions: und Miffionsgebiete nicht immer nad 
den vielgefrümmten natürlihen Grenzen gezogen, fondern öfter in gerad 
linig geftalteten Zungen ausgeführt find. Es ift nicht diplomatijhe Ge 
nauigleit diefer Begrenzungen bezwedt, jondern nur ein Zotalbild zur Orien: 
tirung über die Hauptverhältnifie. Yür diefen Zwed ift die fehr billig zu 
babende Karte fehr belehrend. Sie meist die Miffionsgebiete von faft 70 
Miſſionsgeſellſchaften, vorzugsweiſe deutſchen, englijhen und amerilanifchen, 
ferner aber auch von nordeuropäiſchen, aftatifchen, afrikaniſchen und auſtra⸗ 
liihen nah. Daß nicht auch alle einzelnen Miffionsftationen evans 
gelifcher, Tatholifher und muhamedaniſcher Miffionen angegeben find, wird 
Niemand befremden; auf dem vorhandenen Raume war es unthunlidh. Aber 
dennoch ift die Zahl angemerkter Stationen, die mit Kreuz oder Halbmond 
marlirt find, nichts weniger als Mein. Der Verf. hat feiner Karte aud 
noch andere Andeutungen beigefügt, 3. B. viele Völlernamen, und bat da⸗ 
durh ein mannichfach nußbares Hülfsmittel bergeftellt, deſſen fleißige Be⸗ 
nugung für den die Miffion berüdfichtigenden Geſchichtsunterricht nicht ohne 
Frucht bleiben wird. 


61. Anthon Rich, ISllufrirtes Wörterbuch der römifhen Alter 
thämer mit fteter Berüdfichtigung der griechiſchen. Euthaltend 2000 Holz⸗ 





Geſchichte. 387 


ſchnitte nach Denkmälern der alten Kunſt und Bel. Aus bem Eng⸗ 
liſchen überſetzt unter der Leitung von Dr. C. Müller. 8. XI ©. 
Paris und Leipzig, Didot Frères, Fils u. Comp. 1882. geh zu ao 


Lehrer, die fich fpecieller mit der römifhen Geſchichte beſchaͤftigen, 
finden in diefem Buche Auskunft über alles darauf Bezüglihe. Die Dar: 
ſtellung der einzelnen Artikel ift durchgängig kurz und überſichtlich und 
durch zahlreiche, fehr gut ausgeführte Holzſchnittzeichnungen veranſchaulicht. 
Angehängt iſt ein griechiſch⸗ lateiniſcher Inder und eine „Syſtematiſche Ueber: 
ſicht“, weldhe ein Studium im Zuſammenhange ermöglidt. A. L. 


0 


[4 25% 


X. 


geidnen. 


Bearbeitet von 


Yuguft Lüben. 


1. Metbodifches. 


1. Her W. Albrecht, Lehrer zu Gandersheim in Braunfchweig, 
theilt im Sculblatte von Hirſche, II. Jahrgang, 6. Heft, einen Conferenz- 
vortrag über den Zeihenunterriht in der Volksſchule mit. Er 
erlärt fih gegen die Copiermethode und fordert Zeihnen von For: 
men an Gegenfländen und perfjpectivijhes Zeihnen, da 
durch Beides das Auge mehr gebildet werde, als durch bloßes Copieren; 
auch ermeife fich folder Unterriht wirkjamer für Bildung des Schönbeits- 
finnes, für das praktiſche Leben und zur Unterftüßung anderer Unterrichts: 
gegenftände, wie des Schreibens, der Geometrie und bes geometrifchen 
Rechnens, der Geographie, der Naturgejchichte und der Naturlehre Er 
fordert daher auch, daß der Beihenunterridht zu den obligatori: 
hen Lehrfähern der Volksſchule gezählt werde. 

Der Zeichenunterricht foll fih jo viel ald möglih ald Kl aſſen⸗ oder 
boh Abtheilungsunterriht geftalten, weil nur jo von einem eigent- 
lihen rationellen Unterriht die Nede fein könne und nur auf diefe Weile 
der Lehrer Zeit zu erflärenden Beſprechungen gewinne. 

Für alle Uebungen forvert der Verf. Correctheit und Sauber: 
keit, aber ohne Mekinftrumente und Gummi. 

An diefe allgemeinen Bemerkungen reibet der Berf. einen Lehrgang 
für den Zeichenunterricht in Volksſchulen, derjelbe zerfällt in einen Elementar: 
Curſus und in einen für das perjpectivifche Beihnen. Der Glementar: 
Curfus johließt fih enge an die Raumlehre an, gebt vom Punkt zu 
geraden Linien, Winkeln, Dreieden, Bier: und Bieleden, Kreiſen, Gllipfen, 
Dpalen, Spiralen und Schlangenlinien über und fordert geichmadvolle Zu⸗ 








Zeichnen. 389 


jammenftellungen aus geometrifchen Yiguren als eigene Erfindungen der 
Schüler. Linien, Winkel und Figuren follen durch Modelle veranſchaulicht 
und an wirlliden Gegenftänden aufgeſucht merden. 


Für das Naturzeihnen, auf das der Verf. mit Recht großen Werth 
legt, gibt er der Dupuis’ihen Methode vor der PB. Schmid'ſchen den Bor: 
zug. Die Schule foll fih auf die einfachſten Regeln der Berfpective be 
ſchraͤnken und fie von den Schülern felbit auffuchen laſſen. 


-Wir finden uns mit diefem Lehrgange der Hauptfache nach in Ueber: 
einftimmung und haben die in dem Bortrage ausgefprodhenen Anjıchten 
Schon feit Jahren theils in einer befondern „Anleitung zum Zeichenuntere 
richt“, theild in den Referaten im Yabresberichte dargelegt. Das Copieren 
möchten wir indeß doch nicht ganz befeitigt, fondern nur auf das rechte 
Maß zurüdgeführt ſehen; denn bei verftänviger Behandlung ift es nicht nur 
volllommen geeignet, die Zwede des Zeichenunterrichts zu fördern, fondern 
es macht den Schüler auch in anſchaulichſter Weife mit guten Manieren 
befannt. 


Die Dupuis'ſche Methode des Naturzeihnens erleichtert allerdings den 
Unterriht einer ganzen Klaſſe; aber das P. Schmid'ſche Verfahren ge- 
fattet, da jeder Schüler feine Körper für fih erhält, und alfo vor fi 
haben Tann, einen methobifheren Fortſchritt. Auf den fpäteren Stufen 
ſtellt es fih ohnehin heraus, daß man weder eine ganze Klaſſe, noch eine 
größere Abtheilung zufammen unterrihten fann, ohne die Schwächeren 
merflih zu benadtheiligen. Da empfiehlt e8 fih, den Unterricht in der 
Perſpective mit 5 bis 8 Schülern gemeinfam zu beginnen und eine gleiche 
Anzahl eintreten zu laflen, wenn dieſe jo weit vorgejchritten find, daß fie 
bie für den Anfang erforderlihen Körper nicht mehr gebrauden und auch 
der Anweiſung des Lehrers nicht mehr jo dringend bedürfen. 


2. In Stuttgart ift ein ſechswoͤchiger Zeichenunterrichts⸗ Curfus für 
Volksſchullehrer abgehalten worven. Dan fcheint alſo dort die Noth: 
wendigkeit des Zeichenunterrichts in Volksſchulen auch einzufehen. 


I. K. A. Kirchner, Maler u. Zeichenlehrer in Bremen, Der erſte Zeichen 
unterricht. Gine Anleitung für Lehrer zum Schul⸗ und Privatgebraucd 
Mit einem Borwort von A. Lüben, Seminardirector in Bremen. 33 
Tafeln, ein Zeihenheft und 17 ©. Text in 8. Bremen, N. D. Geis: 
ler. 1863. 11a Thlr. 


Die 33 Tafeln find große Vorhängeblätter. Sie enthalten in Träftiger 
Darftellung einen mohlgeoroneten Stufengang. Die Figuren find geſchmac⸗ 
voll, wie fib von einem gebildeten Maler nicht anders erwarten ließ. 
Das zu den Tafeln gehörige Zeichenheft enthält die Hauptumriſſe der Fi⸗ 
guren, in melde die Echüler die aus verfchiedenartigen Etrichen beftehenven 
Verzierungen bineinzeihnen follen. Es ift ihnen auf dieſe Weife die Mög» 
lichteit gegeben, auch auf den Etufen, wo fie nod kein Quadrat, feinen 
Kreis u. dgl. zeichnen können, Figuren darzuftellen, melde ihnen Freude 
maden und zur Beredlung ihres Gejhmades beitragen. Der beigegebene 


390 Zeichnen. 


Text gibt hierüber genauere Auskunft und enthält auch fonft beachtenswertbe 
Winte über den Zeichnenunterriht und den aufgeflellten Lehrgang. 
Wir können das Werk als ein recht brauchbares bezeichnen. 


2. €. 8. Schäfer, Lehrer an der Bürgerſchule zu Gorlitz, Vorbänaeblätter 
für den erften Zeichenunterricht in Bürgers und Volksſchulen, nebft einer 
furzen Gebrauchſsanweiſung. Heft I. Geradlinige Figuren. 36 Blätter 
in Folio. 11a Thlr. Heft II. Krummlinige Figuren. 20 Blätter. 2%, Thlr. 
Blogau, C. Flemming. 1863. 


Der Herausgeber bietet in vielen Borhängeblättern den Lehrern ein 
Hülfsmittel dar, das ihnen die Grtbeilung des Zeichenunterrihts in vollen 
Hafen erleichtern fol. Das erſte Blatt enthält Punktreihen, mit denen 
mancdherlei Uebungen vorgenommen werden follen. Auf den beiden folgenden 
Tafeln find 16 verzierte Duadratfiguren in einem großen Quadrat vereinigt. 
Diefe Zufammenftellung halten wir für einen großen Mißgriff, da ben 
Schülern auf einmal viel zu viel dargeboten wird und die Verzierungen 
in diefem Heinen Mabftabe auch nicht mehr aus einer mäßigen Entfernung 
zu erfennen find. Wahrſcheinlich follen beide Blätter mur dem Lehrer Ma- 
terial darbieten. Die Figuren der darauf folgenden Tafeln haben eine an: 
gemeflene Größe. Auf Tafel 8 bis 19 find die Grundformen von Pflanzens 
blättern dargeftellt, und zwar in Hülfspunkten und gerablinigen Figuren. 
Die Punktfiguren, aljo die eigentlihen Grundformen, follen nicht gezeichnet 
werden, da die krumme Linie nod nicht dagemwefen ift, fondern bie gerad: 
finigen. Dadurch wird der Zweck, die Schüler mit den Grundformen der 
Pflanzenblätter bekannt zu machen, verfehlt; aud find bie gerablinigen Fi: 
guren für fi) weder leicht noch ſchön. Bon Tafel 21 bis 36 find allerlei 
Gegenftände in Borderanfihten und Durchſchnitten dargeftellt, die dem Un: 
terricht in der Phyſik angehören, wie 3. B. eine Setzwage, ein Göpelmerf, 
eine gleiharmige und eine ungleiharmige Wage, eine Brefle, ein Spring 
brunnen, ein Becher mit ungleiharmigem Hebel, Haupttbeile der Mahl: 
müble, eine Delftampfe, eine Saugpumpe, eine Drudpumpe, eine Feuerfprike. 
Die Abfiht, diefen Unterriht dadurd zu unterftüßen, ift qut; aber abge 
ſehen davon, daß die Kiguren in lauter geraden Linien vielfach fteif aus: 
ſehen, ven Geſchmad alfo nicht fehr bilden, meiftens (ohne Text) nicht zu 
erkennen find, werden fie den Schülern auch zu einer Zeit geboten, wo man 
den Unterriht in der Phyſik noch nicht mit Nußen eintreten laſſen Tann. 
Zafel 35 enthält einen Schmetterling, Tafel 36 einen Tigerlopf in geraden 
Linien. Das ift eine wunberlihe Verirrung. Auf diefe Weife dient man 
der Raturgefhichte nicht. Das zmeite Heft entfpricht im Ganzen dem erſten 
und empfiehlt fi daher auch eben fo wenig. 


3. 8. Koblmann, Lehrer in Langenfalzga, Neue Elementarsgeicens 
f&ule. Heft I. Die gerade Linie. 24 Borlagen auf 12 Blättern au. 4. 
Heft DI. Die frumme Linie. 24 Vorlagen auf 12 Blättern. Langenfalze, 
Verlags⸗Comptoir. 1862. Jedes Heft 6 Ser. 

4. 8.2. Haberkorn, Zeichenlehrer in Delönig, Neue Zeichenſchule für 
Elementar- und Sonntagsfhulen, In&befondere auch für den Selbſt⸗ 
unterricht; mit Berüdfihtiaung der Gewerbe und Kunft entworfen. 3—8. 
Heft. qu. 4. à 12 Bl. Ebendafelpft. 3. u. 4. Heft a !/, Thle. 5.u.8.& 6 Ser. 














Zeichnen. 391 


Die Kohlmann'ſche Elementar⸗KZeichenſchule beginnt zwar mit den 
Elementen des Zeichnens, mit ber geraden Linie, fhreitet aber fo raſch zu 
ſchweren Figuren fort, daß von einer elementaren Bewegung nicht mehr 
die Nede fein kann. 

Die Beichenfchule von Haberlorn wird auf dem Titel als Fortſetzung 
des Kohlmann’shen Werkes bezeichnet. , Das 3. Heft enthält geradlinige 
Figuren, von denen ein heil völlig geſchmadlos ift, das 4. krummlinige, 
zu denen die Motive vorherrihend aus feineren Zifchlerarbeiten, wie fie ſich 
ale Thürfüllungen finden, entlehnt find. Die meiften diefer Figuren find 
recht anfprehend. Heft 5 bis 8 enthalten Gerätbfcaften, Heft 5 und 6 
geradlinige, Heft 7 und 8 krummlinige. Jene find mehrfach recht fteif, 
diefe dagegen durchſchnittlich geſchmadvoll. Ein Fortfchritt vom Leitern 
zum Schmerern ift weder in den einzelnen Heften, noch in der Folge der 
Hefte zu finden; von einer Zeihen:Schule kann darum gar nicht bie 
Rede fein. Dagegen aber wird man Manches aus den Heften als Vor: 
lage benugen lönnen. 


5. Ettig Sem.sÖberlehrer in Grimma, Vollſtändige Zeichenſchule für 
den Volkoſchul⸗, Private und Seminarunterricht, ſowie zur 
Befhäftigung im Haufe A. rfte bis dritte Lieferung à 24 Dors 
legeblätter mit Text. Leipzig, Jul. Klinkhardt. 1863. & ee 10 Egr. 


Das ganze Wert ift auf 10 Lieferungen berechnet, in denen Alles 
geboten werben foll, was bie auf dem Titel genannten Anftalten für den 
Beichenunterriht nöthig haben. Der Herausgeber läßt fih von der auch 
von und wiederholt im Jahresberichte ausgeſprochenen Idee leiten, das 
Zeichnen in den Dienft anderer Unterrichtögegenftände zu nehmen, jo nament- 

.lich zur Förderung der Naturgeſchichte, Phyſik, Geographie und Geometrie 
zu verwenden. Selbftverftändlich werden daneben, wie das bisher jchon in 
den meiften Zeichenſchulen geſchah, Bilder aus allen Lebensgebieten be: 
rũdſichtigt. 

Dabei hat ſich der Herausgeber bemüht, dem Fortſchritt vom Leichtern 
zum Schwerern Rechnung zu tragen, ohne den innern Zuſammenhang der 
verwandten Gegenftände zu ftören, eine Aufgabe, die ihre großen Schwierig: 
keiten bat. Neben Manchem, was andere Zeichenſchulen auch enthalten, 
hat in den brei vorliegenden Heften bie Geometrie, bejonderd aber die Bo⸗ 
tanit ausgedehnte Berüdfichtigung gefunden ; faft die ganze botaniſche Kunſt⸗ 
ſprache ift darin veranjhaulidt. 

Die Zeihnungen find vorzugsmeife für den Lehrer berechnet und 
follen von ihm an bie Wanbtafel gezeichnet werden. Doch können viele 
verjelben direct als Vorlegeblätter benußt werben. 

Sedem Hefte ift ein ausführlicher Text beigegeben, der die genommenen 
Gefihtspuntte feftgeftellt und fi über das Verfahren verbreitet. 

Dir halten das ganze Unternehmen für fehr beachtenswerth und 
werden im nädften Bande des ahresberichtd meitere Kunde davon geben. 


6. Geradlinige Figuren. 16 Borlagen zur Webung Im genauen und 
faubern Zeichnen mit Lineal und Bintel. 4. Berlin, C. Kühn und Söhne. 
In Eouvert %s Thlr. 


392 Zeichnen. 


. Mies Bert enthält 16 gerablinige Yiguren auf ſchwarzem Grunde, 
die eben jo fchön erfunden, als fauber ausgeführt find. Die Blätter em⸗ 
pfeblen fi namentlich für etwas geübtere Zeichner. 


T. zuisenvorlagen in fuflematifcher Beibenfolge zum Gebraude für 
Dulen und zum Selbflunterriht. 1.—6. Heft. 8. 38 Bf. Altenburg, 
D. Bonde. à Heft in Autteral 4 Sgr. 


Die erften vier Hefte enthalten ganz einfadhe, meiſtens landſchaftliche 
Zeichnungen, die beiden folgenden Blätter Zweige, Blumen und Früchte 
in ſtreidemanier. Die Zeihnungen find im Allgemeinen ganz anfpredyend 
und können namentlih neben einem Merle für den Clementarunterridt 
gut gebraucht werben, 


8. €. Fr. Binder, Das Zeichnen ohne Anweiſung. 80 Vorlege⸗ 
blätter zur Selbfbefhäftigung für junge Leute. 10. durchaus verb 
Aufl. 8. Stuttgart, C. A. GSonnewald. In Mappe 10 gr. 


Dies Werkchen enthält auf feinen 80 Blättern eine große Anzahl 
von Zeichnungen ber verjchiedeniten Gegenftände, namentlih Kunſtgegen⸗ 
fände, Heine Landfchaften, Thiere, Blätter, Blumen und Früdte, alle in 
FZedermanier. Bon methodifher Anordnung ift nicht viel wahrzunehmen; 
aber die Zeichnungen an fi find fauber und für Selbftbefchäftigung wohl 
geeignet. 

Der Haupttitel des Wertes Klingt verlodend, ift aber ohne alle Be: 
deutung, da man nad demjelben eben jo wenig von jelbft zeichnen lernt, 
als nad irgend einem andern. 


9. A. Benz, Zeichenlehrer zu Ellwangen, Die Schule der Drnamentit. 
I. Tbell. Anleitung zum Erfinden geradliniger Ornamente.» 
1.—7. Heft. Folio. elwangen, Commiſſions⸗Verlag von C. Brandegger. 
1862. geb. 3 Thlr. 


Smbalt: 1. Heft. Griehifhe Verzierungen. 2. Heft. Maurifche Ber: 
fhlingungen. 3. Heft. Mufter zu Stid:, Hälel-, Flecht⸗ und Parquet⸗ 
Arbeiten. 4. Heft. Mufter zu Parquet-Arbeiten und Taͤfelwerk. 5. Heft. 
Mufter zu Barquet:Arbeiten, Geflechte und Verſchiebungen. 6. Heft. Mufter, 
welchen die Rautenform zu Grunde liegt, mauriſche und griehifhe Ber: 
Ihlingungen aus gleihen Gängen. 7. Heft. Nachtrag. 

Der Herausgeber hat ſich den jhönen Zwed geftedt, zum Stubium 
nahahmungswürbiger, ornamentaler Formen und zum eignen Grfinden 
brauchbarer Verzierungen anzuleiten. Dadurch unterfcheidet fih fein Wert 
von vielen ähnlihen. Die von ihm dargebotenen Mufter find durchweg 
eben fo fhön als feine Anweifung zum Erfinden zmedmäßig. Wir empfehlen 
das Werk daher, vorzugsweiſe ven Gewerbsſchulen. 

10. Eonr. Deſchner, Zeichenlehrer in Hellbronn, 30 Wandtafeln, Anfang 
gründe im Draamenfenge einen für Neal» und gewerbliche —* 


ildungsſchulen. Zweite Auflage. gr. Folio. Heilbronn, Verlag der 
J. D. Claß'ſchen Buchh. 2 Thlr. 24 Sgr. 


Das Wert berüdſichtigt vorzugsweiſe die ornamentalen Blattformen. 








Zeichnen. 393 


Die Erfindungen find gefhmadvoll; die Zeichnungen groß und kräftig aus: 
geführt, daher für den Unterriht in vollen Klaſſen brauchbar. 


11. Fr. Seidel und Fr. Schmidt, Arbeitsfchule II Das Flechten für 
inder von 3— 14 Jahren. Zweite, vermehrte und verbeflerte Auflage. 
gr. gurh, (12 Steintafeln und 4 S. Text.) Weimar, H. Böhlau. 1863. 

jr. 


12. Sr. Seidel und Fr. Schmidt, Arbeitsfhule. IV. Das Ausſtechen 
r Kinder von 5—9 Jahren. gr. Qu.⸗4. (16 GSteintafeln und 3 ©. Text). 
Ebendaſelbſt. 1863. 18 Bar. 


13. Fr. Seidel und Fr. Schmidt, Arbeitsfhule V. Das Stäbchenlegen 
r Kinder von 3—8 Jahren. Bon U. Köhler. Vorſteher einer Bildungs⸗ 
anftalt für Kindergärtnerinnen in Gotha. gr. Qu.⸗4. (12 Steintafeln und 

4. ©. Text.) Ebendaſelbſt. 1863. 12 Ger. 


14. Fr. Seidel und Fr. Schmidt, Arbeitsfhule. VI. Die Erbfenar- 
beiten für Kinder von —10 Zahren. Bon U. Köhler. gr. Qu.st. (12 
Steintafeln und 4 &. Text.) Ebendaſelbſt. 1863. 12 Ser. 


15. A. Köhler, Borfteber einer Bildungsanftalt für Sindergärtnerinnen in 
Gotha, Das Fröbel'ſche Flechtblatt. XIII Babe. ine Flechtlehre 
für Eltern, Xebrer und Kindergärtnerinnen, welche ihre 3—10jährigen Zög⸗ 
linge und Schüler nützlich befchäftigen wollen. gr. 8. (V und 65 ©.) 
Beimar, 9. Böhlau. 1863. geh. 15 Ser. 


Die Arbeiten find jämmtlih für den Kindergarten beitimmt und haben 
nicht blos den Zmed, die Kleinen angemeflen zu beichäftigen, ſondern ihren 
Shönbheitsjinn zu bilven. Hierzu find diefelben in hohem Grabe ge: 
eignet, da die große Mehrzahl der Figuren gut erfunden und gefhmadvoll 
ausgeführt worden if. Wir empfehlen dieſe Werte angelegentlih nicht nur 
Kindergärtnerinnen, fondern auch Eltern zur Beihäftigung ihrer Kinder. 
Selbft die gewöhnlihen Schulen werden Mandes davon benupen Tönnen. 


384 Geſchichte. 


höhere Bildungsanſtalten“ (erſte Stufe 7., zweite 5., dritte 4. Aufl. Daſ. 
ef. IX. Päd. Jahresbericht ©. 471, XI. S. 398, XIV. ©. 410) als 
umjichtiger Geſchichtslehrer wohlbekannte Verf. dahin, daß Sefchichtstabellen 
ebenjowohl überfichtliche Zufammenftellung und ftufenmäßige Gliederung des 
umfangreihen Materials, als eine nach methodiſchen Grundjägen getroffene 
Mahl des zu gedächtnißmäßiger Cinprägung beftimmten Stoffes erfordern. 
Darum follen nit fämmtlihe zu lernende Momente in eine Tabelle 
zufammengeftellt werden, worin dann nur der verſchiedene Drud andeuten 
könne, was für jede Stufe gehöre. Sondern, da ein Schulbud nichts ent: 
balten müfle, was dem Schüler bedeutungslos bleiben folle, indem er ba: 
duch fonft zu ercerpt: und fprungweilem Lernen gendthigt jei, was zu 
Störungen der rubig georbneten, zujammenhangenven Lernthätigleit führe, 
jo müßten die Tabellen für jede Stufe auch nur das barbieten, was auf 
derfelben ganz gelernt werden fol. Ferner erllärt fih der Berf. gegen 
eine ſolche Einrihtung ſynchroniſtiſcher Tabellen, welche alles geſchichtliche 
Material in ungefhiedenen Golonnen durcheinander werfen, und bei 
einer Zahl oder Zahlenfolge den Schüler bald zu diefem, bald zu jenem 
Bolfe drängen. Das verwirrt und erfhmwert das Lernen jhon von der 
Mittelftufe an, melde alle Volker zu umfafien hat. Auf der Unterftufe, 
wo das Bemußtfein von einem Zuſammenhange des Völferlebend und der 
Thatfachen in den Schülern noch nicht wach ift, walten biefe Bedenken 
noch nit ob. Auf der Mitteljtufe ift es aber ſchon geboten, „inner: 
balb ver befannten, die allgemeine Weltgeſchichte charakteriſirenden Haupt: 
abjchnitte immer nur einen einzelnen Staat in's Auge zu fallen und 
fo die Vorftellung von einer geſchichtlichen Aufeinanderfolge und einem 
inneren Zuſammenhange der Thatfahen im Schüler wach zu erhalten.” 

Nah dieſen Grundgedanken find die Zabellen in Webereinftimmung 
mit dem Leitfaden bearbeitet. Sie halten die hronologifhe Ordnung 
feſt. Die Heinen Kärtchen in Octav find vom Perf. entworfen und von 
Kiepert revibirt, und können als correcte, zwedmäßige Grundlage für den 
Geſchichtsunterricht gelten. Sie find fauber ausgeführt, ſchließen fi ergän: 
gend an einander an, enthalten auch einige nöthige Terrainandeutungen, 
und find als Meiner biftoriiher Atlas mit dem ſchulbuchmaͤßigen Heft der 
Tabellen gleich zujfammen bei der Hand, worauf der Verf. mit Recht einen 
gewifien Werth legt. Es verfteht fih, daß diefe Tabellen und Karten 
nur in höheren Lehranitalten zur Anwendung lommen können. 


57. Dr. 8. ©. Gieferd, Chronologiſche Ueberſicht der Geſchichte 
des Mittelalters, insbefondere der deutſchen und preußiſchen 
Geſchichte. Soeſt, Naſſe. 1861. MM. 8. 59 S. 7a Ger. 


Diefe „Ueberſicht“ ſchließt ſich an eine ähnliche frühere über die „Ge: 
ſchichte des Altertbums‘ von demfelben Verf. an. Sie gliedert das Ma: 
terial nach den üblichen Zeitabjchnitten, ſcheidet nady Umftänden die Ges 
ſchichte des Occidents von ber des Orients, ebenjo Deutſchlands von ber 
der nichtveutfchen Länder, numerirt die einzelnen Haupt und darunter 
die marlanten erläuternden Momente, und beſchränkt fih auf verhältniß: 
mäßig nicht viele Angaben. Bon ©. 52 an fteht eine „Ueberjicht der 











Geſchichte. 385 


brandenburgifh:-preußijhen Geſchichte“, ebenfalld nad Zeiträu- 
men, Abjchnitten und numerirten Haupt: und Erläuterungsmomenten ge: 
glievert, und bis 1525 rejp. 1535 geführt. Das Charalteriftiiche liegt in 
der äußeren Form ver Öliederung und in der etwas ausführlicheren Be⸗ 
bandlung der deutſchen Geſchichte. Ein paar Drudirrungen (Mürten für 
Murten, Conftantin, römifcher Kaiſer 424-337) ftören die übrige Correct- 
beit weiter nicht. 


8. H. Sreudenfeldt und F. Pfeffer, Breußen unter den Regenten 
aus dem Haufe Hohenzollern. Eine Zabelle zum Gebraud beim 
Unterriht in der vaterländifhen Geſchichte. 5. unveränderte Aufl. Mit 
einer Schulkarte, darftcliend den preußifhen Staat. Berlin, Seehagen. 
1862. 48 S. Ohne Karte 3 Sgr., mit Karte 6 Ser. Bartiepreis : 
25 Epl. ohne Karte nn Thlr., mit Karte 2 Thlr. 


„ mM ” Mm ” „ 2, „ 

Ueber die Einrihtung und praftijche —8— dieſer Tabelle hat 
ich der Päd. Jahresbericht ſchon im IX. Bd. S. 485 und im XI. ©. 416 
ausgeſprochen. Sekt find nur ein paar äußerlihe Notizen über König 
Milhelm I. binzugelommen, von einer Charalterifirung des Königs und 
feiner Regierung aber noch abgefeben. Die Karte ift wegen ihrer pralti⸗ 
ſchen Art, die fuccefjiven Erwerbungen und Gebietserweiterungen anzugeben, 
für Schüler recht nugbar und anſchaulich. 


. ©. Leeder, Lehrer, Wandkarte zur Geſchichte des preußiſchen 
Staaıs. 12 Bl. Imp.⸗Fol. Glogau, Flemming. 1863. 2 Thlr. 
Augenſcheinlich bat es dem Verf. an bedeutender Vereinfachung bes 
Inhalts gelegen, der auf der vor einigen Jahren erſchienenen „Wand: 
farte zur Gejhihte des preußifhen Staates” vom Seminar: 
lehrer Fir niedergelegt ift. (ef. XI. Pad. Jahresb. S. 424 fi) Die 
Fir'ſche Karte ift fehr reich ausgeftattet und durch die Sonderung auch 
vieler kleinen Gebiete und deren farbige Einſchließung iſt ein an mehreren 
Stellen ziemlich buntes Bild entſtanden, deſſen Erläuterung dem Unterricht 
nicht wenig Mühe macht. Deshalb kann eine Vereinfachung der Darftellung 
der territorialen Verbältnifje des preußifhen Staates, welche im Laufe der 
Jahrhunderte mancherlei Veränderungen erfahren haben, nur als ein dem 
geſchichtlichen Schulunterrichte geleifteter Dienft angefehen werden. Der 
Derf. hat eine ſolche durchgeführt, indem er nit nur eine Menge Ort- 
ſchaften und eingejchriebene Namen wegließ, fondern aud auf die gejonderte 
Abgrenzung und farbige Hervorhebung mander kleineren Gebiete, theils in 
ihrer BVereinzelung, theild in ihrer Zugehörigleit zu andern Territorien, 
ferner auf mande ältere Namenangaben mehrerer Streden verzichtete, und 
jelbft die Zerrain:Andeutungen unterließ, joweit fie den Höhendaralter aus: 
zubrüden gehabt hätten. Mit viefen Ausſcheidungen und Berallgemeine- 
rungen bat er ein merklich einfadheres und doc keineswegs gar zu leeres 
Kartenbild erreiht. Es iſt immer noch eine ziemlich reihe Fülle, welche 
einem dieſelbe erläuternden Unterricht vollauf zu thun gibt. Was bie tech: 
nifhe Ausführung der Karte anbetrifit, fo erreicht diejelbe die Fix'ſche aller 
dings nit; aber dafür ift auch ihr Preis niedriger, und es find mehr 
Bid. Iahreöberiht XV. 25 


396 Geſang. 


„Die Ausübung des Geſanges ſetzt unmittelbarer und tiefer unſere 
edeliten Seelenträfte in Thaͤtigkeit, als andere Mufilgattungen; fie wedt 
das DBerborgenfte unferer Empfindung, und mas wohl fonft für immer in 
unferer Bruft gefhlummert hätte, das lodt fie hervor und läßt es bewegt 
und feelenvoll hinaustönen in’s Leben, dem Singenden zu eigener Erquidung 
und Grhebung, dem Hörenden zu ſympathetiſcher Anregung und gewinn: 
bringendem Genuß. So Maria Heinr Schmidt in der Schrift: 
Geſang und Oper, Heft 4. 

In einer Abhandlung des Brandenburgifhen Schulblattes 
unter dem Titel: Das deutfhe Lied in feiner mufilalifhen 
Ausbildung, lefenswerth für Jeden, der es mit der Pflege der Zonkunft 
in Kirche, Schule und Haus zu thun bat, citirt der ungenannte Verſaſſer 
Luther's Loblied auf die „Frau Muſica.“ Möchten alle unfere Lefer aus 
innerfter Erfahrung beiftimmen können, wenn es in den erften Verſen beißt: 


Kür allen Freuden auf Erden 

ann Niemand kein feiner werden: 
Denn die ich geb’ mir meinem Singen 
Und mit mandem füßen Klingen, 


Ste Tann nit fein ein Höfer Muth, 
Bo da fingen Geſellen gut. 


Hte bleibt fein Zom, Zank, Haß noch Neid. 
Weichen muß alles Herzeleid; 

Geiz, Sorg’ und was * hart anleit, 
Fährt bin mit aller Traurigkeit. 


4. Noten und Worte. Unter diefer Ueberſchrift gab F. Sch. 
einen Aufja in der Sängerhalle (1862), worin er auf bie babe 
Wichtigkeit einer deutlichen Ausfprade und überhaupt davon, daß ber 
Tert in jedem Sinne zu feinem Rechte gelange, binweist.... 
„Erſtens ift das gar kein Gefang, wo man feine Worte, jondern nur Zöne 
bört — Gefang werden die Alänge der menſchlichen Stimme eben erſt durch 
bie innige Bereinigung des Tones mit dem Worte; — zweitens tragen die 
Cänger durch ihr Bemühen, den Tert deutlih gu Gehör zu bringen, dem 
Dichter des Liedes den ihm gebührenden Danf ab, — wie wollten denn 
die Componiften Lieder fchreiben, wenn ihnen bie Dichter keine Terte lie 
ferten? — und endlich drittens und vorzüglid läßt die deutliche Ausſprache 
des Zertes wenigſtens vermuthen, baß bie Sänger nicht blos die Roten 
fingen, fondern daß fie aud in den Geift des Gedichtes eingedrungen 
find. Und allerdings, wenn fi die Sänger das Gedicht darauf anjeben, 
was für Empfindungen den Dichter bewegten und mie er fie in Morte 
verlörperte, o gewiß — vorausgejeßt, daß der Inhalt ein edler, ſchoͤner 
it — dann wird e3 geradezu unmöglid fein, daß bie Sänger nur bie 
Noten fingen: der Geift des Dichterd wird über fie lommen, und wie er 
klagend feiner Seele Leid aushauchte entweder, oder jaudhzend feines Her: 
zens Monne binftrömte in geflügelte Worte, jo werden jie die vom Com: 
poniften diefen Empfindungen gegebenen Melodien nahempfinden, fie 





Gefang. 397 


werben, fie müſſen jchön fingen. Verſäume man aljo nie, vor dem 
Einftubiren eines Gefangftüdes fih mit dem Terte (und zwar mit dem 
ganzen Xerte, nicht blos mit ber erften Strophe) recht genau bekannt zu 
maden. ... Am beiten lerne man ihn auswendig, was aud fonft nod 
fein Gutes bat, dringe in den Geiſt des Gedichtes ein, zergliedere, repro: 
ducire es gleihfam, dann, aber au nur dann, wird der Vortrag des 
ganzen Liedes der rechte fein‘ u. ſ. w. Bei diefer Gelegenheit wird auch 
der Mahnung Schnyder's von Wartenfee gedacht, melde verjelbe im 
Sabre 1845 im Vorwort zu feinen Acht Männerhören an die Sänger 
ergeben ließ: „Möge man doc befier beberzigen, daß die Muſik nur als 
Inſtrumentalmuſik unabhängig, Königin over Kaiferin ift; aber als 
Bocalmujil ift fie die Dienerin der Poeſie, und ihr größtes Der: 
dienft ift dann, eine recht demütbige, ergebene Dienerin zu fein und nie 
auf Untloften diefer hohen Herrin glänzen zu wollen... Sebt die Poefie 
in ihre Rechte ein und freuet euch der Herrlichleit und Bejeligung, vie 
aus ihrer innigen Verbindung mit der Mufil hervorgeht.‘ (Vgl. Euterpe 
1845.) 

5. Chorformen. Daß der gemiſchte Chor die andern Chor: 
formen durch hohe Vorzüge überftrahle, wird von fleinem in Bmeifel geftellt. 

Ueber den Männerhor jagt Arrey v. Dommer: „Die von 
allen Gattungen des Chorgefanges gegenwärtig populärfte und künftlerifch 
wertblofefte ift der Männergefang. Am gebräudplichiten ift der vierftimmige 
Tonſatz, Stüde für 3 und mehr wie 4 Stimmen (in einem Chor) findet 
man verhältnißmäßig felten. Dagegen bat der Doppeldor vielfahe Ans 
wendung gefunden. Der Stimmenumfang ift im Allgemeinen der belannte; 
body wird er bier, joweit die Natur es überhaupt zuläßt, ermeitert (nament- 
ih nad der Tiefe hin), um für den ohnehin ſehr beichräntten Toninhalt 
des ganzen Chored noch etwas zu gewinnen, und bie an fi monotone 
Rlangfarbe durch die fundamentale Tiefe des Baſſes und die Helligfeit der 
höchſten Tenorlage etwas zu bereihern. — Höhere Kunftgeltung zu bean- 
ſpruchen ift der Männergefang nicht beredhtigt. Er befißt nicht die umfang» 
reihen und mannichfalligen Klangmittel des gemifchten Chores, dem ein 
doppelter Gegenfab von Höhe und Tiefe eigen ift, waͤhrend die demjelben 
Gefhleht angehörenden Stimmen des Männerchores des natürlichen Klang⸗ 
gegenfages entbehren, die Faͤrbung ift überwiegend bunlel und eintönig, 
die contraftirenden Miſchungen von Licht und Schatten eignen ihm nur in 
geringem Maße. Demnach ift er audy hei weitem weniger ausvrudsfähig. 
Außerdem gelangt die Kunjt des eigentlih mehritimmigen Chorjages hier 
nur in fehr beſchraͤnkten Maße zur Geltung; Bewegung und melodiöfe 
Zührung der einzelnen Stimmen find durch die enge Lage fehr behindert, 
jene müßten deshalb häufig fich über und unterfteigen, würden alsdann 
aber wegen Klangaͤhnlichleit der Stimmengattungen nicht deutlich unter 
fchieden werben können.” Die Wirkung des Männerchores beruht im Wes 
fentlihen auf dem fonoren und kraftvollen Geſammtausdrud der Maſſe; 
aud feine Harmonifirung ift nicht auf kunſtwoll ausgearbeitete Yeinbeiten 
und Wendungen, jondern auf einfadhe und marlirte Fortfchreitungen bin» 
gemwiefen. Die einzige Bedeutung, melde man ihm überhaupt beilegen 


398 Gefang. 


tönnte, ift demnach nicht Iumftäfthetiicher Natur, ſondern liegt in feinem 
voltsthümlichen Weſen und möglicherweije vollsbildenden Einfluß. 

Dies gibt viel zu erwägen, vornämli in Betracht unferer Kirchen: 
höre, bie jet häufig nur aus einer Handvoll ſchlechter Tenore und noch 
ſchlechterer Bäfie beitehen, während die Kinderſtimmen mit all’ ihrer An⸗ 
mutb und Lieblichleit unbenugt bleiben! 

6. Fortſetzung. Bom Frauendore (oder dem bloßen Kinder: 
hore) jagt Arrey v. Dommer allerdings: „Der Frauenchor — vier: 
ftimmig: zwei Alte und zwei Soprane; breiftimmig: ein Alt und zwei 
Soprane oder zwei Alte und ein Sopran — ift für fih allein faft noch 
unfelbftftändiger al8 der Männerchor, wegen Mangel des feiten Fundaments 
männlider Stimmen. Der Alt allein bat nicht Tiefe und Kraft genug, 
die Harmonie zu tragen. Auch der SHinzutritt eines Tenors hilft dieſem 
Uebelftande nicht ab, denn als hohe Stimme wirft er überhaupt nicht als 
Grundſtimme. In Betreff der Beichränttheit des Tonumfanges und ber 
Ginfarbigleit gilt hier im Allgemeinen daſſelbe wie vom Männerdhor. Dem: 
nah findet man auch nur kleinere Chorlieder und liederartige Chöre für 
Frauenftimmen allein geſetzt; auch die Verbindung mit Orcheſter ändert im 
Allgemeinen nicht jehr viel, der Vocalbaß als Grundftimme der jelbftftän- 
digen Ehormafje kann doch nicht erfeßt werden. In größeren Säßen bin: 
gegen kann ein gruppenmweijes Auftreten des Frauenchores als Abwechjelung 
eines gemifchten oder Männerhores die fchönfte Wirkung machen.” 

Auch dies gibt viel zu erwägen. Nur wo die Unmöglichkeit vor: 
liegt, einen gemiſchten Chor zu bilden, wird man fi auf bloßen Kinderchor 
beſchraͤnken dürfen. 

7. Beſetzung des Chores. „Es kommt hierbei,” jo fagt 
v. Dommer, „nicht auf eine große Zahl Mitwirkender an, ſondern auf 
gute Natur und Bildung der Stimmen. Zweiunddreißig, vierzig bis höch⸗ 
ſtens jechzig tüchtige Sänger reichen in entſprechend gut akuſtiſchem Lokale 
zur kraftvolliten Wirkung eines jeden Doppelchores a capella oder mit 
Drcheſter vollftändig aus. Eine verhältnipmäßig jo geringe Zahl muß ein 
jeder Chor, der auf künſtleriſche Leiftungen Anfprüde erheben will, fi 
heranzubilden fuhen. Mit wachſender Sängermafie ftellt au, wenn nidt 
bebeutende Mittel zu Gebote ftehen, die Nöthigung fih ein, mittlere und 
völlig unzulänglihe Kräfte mit aufzunehmen. Daß mandye ausgezeichnete 
Inftitute, wie unter andern die Singalademie und der Stern’ihe Gefang: 
verein in Berlin, bievon eine rühmlihe Ausnahme machen, ift befannt. 
Freilich finden fich ſolche nur vereinzelt. Cine wichtige Aufgabe unferer 
Zeit ift aber die Hebung der VBocalmufil; doch vermögen einzelne Gefang: 
vereine allein, jelbft durch die worzüglichften Aufführungen, nicht deren Lö⸗ 
fung, fondern nur eine allgemeine Theilnahme und Wirkſamkeit auf dieſem 
Gebiete. Sole wird aber — abgefeben davon, daß neben praftifcher 
Züchtigleit zugleich künſtleriſch durchgebildete Chorregenten in der That zu 
ben größten Seltenheiten gehören — ſogleich dadurch bedeutend eingefchräntt, 
daß man gemöhnlih mehr Werth legt auf eine große Saͤngerſchaar, wie 
auf eine geringere, aber forgfältig gewählte und herangebilvete Anzahl guter 
Stimmen. Einen Verein von vierzig tauglihen Stimmen kann jelbit eine 


Gefang. 399 


Heine Stadt zumege bringen, und, unbehinvert durch ben nicht zu ver: 
meidenden Abs und Zugang, aud in guter Schule erhalten.’ 


A. v. Dommer feßt noch hinzu: „Für den eigentlichen Yigural: 
gefang a capella follte die Zahl der Sänger nit über ſechzig hinaus» 
gehen, und nur ein entſprechendes Lokal, weldes größere Anhäufung von 
Stimmen nicht fordert, gewählt werden. Cine ftärkere Anzahl von Stimmen 
fann, wenn dieſe nicht vortrefflih gejchult find, nur der Beweglichkeit und 
Klarheit hinderlih fein. Dagegen ift ein Chor von ermwähnter mäßiger 
Sängerzahl nit nur ber präcijeften Einbelligleit, fondern aud jeder denkbar 
energiſchen Kraftwirkung fähig. Darum foll der Wirkung großer Chor- 
maſſen an geeigneter Stelle ihre Geltung noch teineswegs abgeſprochen, 
fondern nur darauf hingewieſen fein, daß ſolche nicht nothwendigerweife 
erforderih, und wenn nicht gut zu beitellen, fo befjer zu entbehren find. 
Anderſeits ift felbftverftändlih, daß ſchon die Klangmacht einer impofanten 
Menge von Stimmen rein an und durch fich erfchütternd wirken kann, 
ein Chor von dreibundert Sängern etwa im Oratorium einen gewaltigeren 
Eindruck hervorbringen muß, wie einer von dreißig oder ſechszig. Doc 
auch dies hat feine Grenzen. Die Wirkung wählt nicht in gleihem Maße 
mit der Sängerzahl. In demjelben, auf etwa einhundertundfünfzig Sänger 
berechneten Lolale, machen dreihundert möglicherweife einen geringeren, 
keineswegs aber einen viel bedeutenderen Effect, weil die Klangmaſſe nicht 
zur freien Entfaltung lommen kann, jondern ſich erdrückt.“ 


Mie wahr es ift, daß die Klangmacht nit in gleihem Maße mit 
der Sängerzahl wählt, das hat wohl ever erfahren, der Gelegenheit hatte, 
großen Männergejangfeften beizumohnen. Selbft wenn angenommen wird, 
daß bei ſolchen Gelegenheiten vielleiht die Hälfte der Sänger blos „ein 
wenig mit brummt’ oder auch (bejonders bei größeren, burchgearbeiteten 
Tonjägen, namentlich bei Fugen 2c.) einfach ſchweigt, jo wird man dennod 
dur die relative Dürftigleit des Cffected den die großen Sängermafien 
bernorbringen, in hohem Grade überrafht und befrembet. 


B. Der kirchliche Kreis. 


1, Allgemeines, 


8. Weſen und Wichtigkeit der kirchlichen Tonkunſt. Wahr 
und treffend heißt es bei A. v. Dommer: „Jemehr die Religion ſich ver⸗ 
tiefte, deſto emſiger mar fie auch beſtrebt, mit der Tonkunſt in Verbindung 
fich zu feßen. Denn keine der übrigen Künſte vermag gleich dieſer rein 
durch fih die tieflten, auch dem ernfleften Denken verbüllt bleibenden 
Mofterien der Gottheit dem ahnenden Gefühl zu vermitteln. Mit geheim: 
nißooll das Gefühl beherrſchender Macht erregt fie es, mehr als Worte 
vermögen, zum empfindenden Schauen einer allem Denken unzugänglid 
bleibenden Unenblicleit außer und über uns, auf welche wir jedoch von 
Innen heraus bingewiejen find, von ber wir felbft ein Theil fein müſſen, 
da mir fie fonft zu empfinden und zu glauben nicht fähig wären. 


® 


400 Gefang. 


So gefaßt, darf die Muſik au als fpeciell chriſtliche Kunft gelten. 
Sie bedurfte zu ihrer Entfaltung eines in dem Grabe entwidelten und ver⸗ 
tieften Seelenlebeng, wie es erft in den Belennern der neuen Offenbarung 
emporblühte. Gin inniger Zuſammenhang zwiſchen Göttlihem und Menſch⸗ 
lihem erſchloß fih bier dem Gefühl und wurde zum Panier eines neuen 
Glaubens; die Trennung durh die Sünde, die Vermittelung und Ver⸗ 
fühnung in der Reue und Buße traten als neue, dem Bedürfniß des menſch⸗ 
lihen Geiftes und Gefühls zufagende Ideen auf, und jo konnte unter ihrem 
belebenden Einfluß eine Kunft, deren natureigenen Stoffe eben die innerften 
und unausſprechlichſten Regungen des menſchlichen Herzens find, friſch auf: 
feimen und nad und nad immer berrlichere Blüthen bringen. 

Nur natürlih erjheint es demnach, daß gerade die Mufit — dieſe 
in ihren rein koͤrperlos, ohne Vermittelung einer äußerlich, fihtbaren oder 
faßbaren Erſcheinung dahinfließenden Gebilden gleichſam jelbft als ein 
Moftertum auf unjere Geiftes- und Gemüthsträfte wirkende Kunft — unter 
den Symbolen, welde den Umgang des Menjchen mit der Gottheit im 
neuen Cultus vermitteln follten, ſehr bald eine bevorzugte Stelle einnehmen 
mußte. Selbſt dem fpäteren, die Verendlichung der Gottheit durch ſinnlich⸗ 
plaftiiche Darftellung abweijenden Proteitantismus erſchien die Muſik noch 
als geeigneteres Mittel pie die bildenden Künfte, dem Gemüth einen höheren 
zeligiöfen Schwung zu verleihen.‘ 

In Kothe's trefflihem Bude: Die Muſik in der katholiſchen 
Kirche, wird folgendes ſchöne Wort von St. Ephrem angeführt: „An- 
daͤchtiger Gefang kann auch fteinerne Herzen in Thränen jchmehen, andaͤch⸗ 
tig fingen iſt eine Beichäftigung der Engel und ein geiftlihes Rauchwerk.“ 

9. Seb. Bad. Mehr und mehr hat man fidh dem großen Meifter 
wieder zugewandt, mehr und mehr find feine Werle verbreitet, erläutert, 
ftubirt, aufgeführt, in ihrer Tiefe erfannt, in ihrer Macht empfunden worden. 
Bu nennen find unter Anderm in biejer oder jener Beziehung: die fort- 
geſetzte, hochverdienſtliche Xhätigleit der Bachgeſellſchaft, die von 
Rob. Franz bejorgten Ausgaben Bach'ſcher Eantaten, Arien und Duetten 
im Clavierauszuge, die Kundgebungen von 4. v. Dommer (a. gen. D.), 
Paul Frank (Gejhichte der Tonkunſt), F. W. Freih. v. Dit: 
furth (Allgem. Muſikal. 3. 1863, 11), Selmar Bagge (Ebend. 
16), Emil Naumann (Neue Zeitichrift für Theater, Mufil ıc. 3.) 

Begnügen wir und damit, die beiden Leßigenannten zu hören. 
©. Bagge fagt u. A.: „Wie Bach in den Paffionen und fperiell in 
der vollendefiten derfelben, in der Matthäuspaffion, jene Gefühle und 
Stimmungen auf die munderpollite Weife zum Tongedicht geſtaltet hat, 
die ſich an die Leidensgeſchichte Chriſti knüpfen, jo in ven Gantaten mit 
nit minderer künftlerijcher Tiefe, Höhe und Vollendung die taufendfachen 
Schattirungen des religiös-fittlihen Gefühls, die fih dem finnigen Chriſten 
durch die Beziehungen der kirchlichen Heilslehre zu dem vielbewegten Men: 
Schenleben aufprängen; man könnte deshalb die Cantaten eine hoͤchſt merb 
würdige mufilalifhe Bibelauslegung nennen, und es ftehen dieſelben jenen 
Kunſtfreunden, die die hriftliche Heilslehre noch nicht über Borb geworfen 
baben, in ihrer Art eben jo hoch wie die Paffiozen, und erſcheinen fogar 








Gefang. „ 401 


‚wohl geeignet, der Genußſucht und dem trodnen Nationalismus unferer 
Tage entgegenzumirten.” 

E. Naumann fpridt fih u. X. alfo aus: „Seb. Bad ift evangeliſch⸗ 
firhlih und von der Gottes: und Chrijtugliebe getragen und durchdrungen 
vom erften bis zum legten Ton feiner Vokalmuſik. ine folde wunder: 
bar empfundene und feftgehaltene Grundſtimmung jeßt ſich felbft auf feine 
Anltrumentalcompofitionen fort .... Aucd bier bewährt fi das herr: 
lihe Wort, das tieffinnigfte, das je über Seb. Bach geſprochen worden 
und das von Goethe, im Widerfprud mit feiner Behauptung, wie 
unmuſikaliſch er fei, herrührt: „Bach gleicht der fich felber genügenven und 
fih mit fi felber unterhaltennen ewigen Weltharmonie.“ — 

BZugeftanden muß freilich werden, daß, namentlih auf dem Lande und 
in einen Städten, die Zahl der Lehrer, Cantoren und Organiften, welche 
Seb. Bach auch nur ein wenig kennen, aub nur in gewifiem Maße 
von der Macht und Herrlichkeit feines Genius berührt, erfaßt und gehoben 
find, verhältnigmäßig Mein genug it. Wo liegen die Urfahen? Um be 
quemften ift es, fie in den Seminarien zu fuchen, die ja nun einmal als 
Sündenböde „für Alles“ dienen müflen. Da liegen fie aber mit nichten. — 


10. Händel. Auch ihm ift die Neuzeit mehr und mehr gerecht 
geworden, jeinen Genius bewundernd, feine Schöpfungen verbreitend, fie 
zum Berftändniß und zum Genufle bringend. Crwähnt ſei im Einzelnen 
nur, daß die Händelgejellfhaft ihre rühmliche Thätigkeit bereits 
bis zur Herausgabe des XV. Bandes der Werfe des großen Meiſters fort: 
gefeßt und das Studium, fowie die Aufführung verjelben durch Beigabe 
eines trefflihen Clavierauszuges (in den lebten Bänden von Im. Faißt, 
Chrifander u. A. v. Dommer) ſehr wejentlich erleichtert hat. 

Angeführt jei no ein Wort A. v. Dommers über die Veftrebungen 
der Jetztzeit, für das PVerftänpnik und die Würbigung der Werle der 
Händel'ſchen und Bach'ſchen Blütheperiove wieder Die Wege zu eben. 
„Dentende Kümftler und Kunſtlenner der Gegenwart wenden ihre Blide 
jenen früheren Kunſtepochen wieder zu. Denn einerfeits bleiben deren 
Merle in der unerſchütterlichen Gläubigleit, womit vie Ideen ihrer Ent 
ftehungszeit in ihnen niedergelegt find, Vorbilder für alle Zeiten und die 
träftigfte Stüge für Neinerhaltung der Kunſt. Andererſeits erwedt auch 
die überhäufte praktiſche, rein endlichen Zielen zugewandte Lebensthätigleit 
unferer Tage in allen befieren Naturen das Bedürfniß eines ergänzenden 
Gegenjapes; die jpeciell kirchlichen Bewegungen und Sonderinterefien eins 
zelner Parteiungen bier gänzlich unbeachtet gelaflen, macht ein tieferer innerer 
Zug zur Neligiöfität und der ihr dienenden Kunſt fi) bemerklich.“ 


11. Aeltere Kirchenmuſik. Bieles ift allerdings in neuerer 
Zeit geihehen, um die Schäße nicht blos der Bach'ſchen und Händel 
schen, ſondern auch der älteren Kirhenmufil, welche letzteren bis vor einigen 
Sabrzehnten nur Wenigen zugänglid) und verftändlich waren, mehr und mehr 
zum Gemeingut Aller zu maden. Daß freilich der Erfolg nod fein durch⸗ 
greifender gewejen, wird, wie von U. v. Dommer, jo aud von Andern 
gejagt. So 5. B. in einem Artilel des Südd. Schulboten (1862, 8), 

Bid. Jahresbericht XV. 6 





40% Geſang. 


wo es beklagt wird, daß dieſe Tonwerke „leider immer noch nicht in ihrem 
wahren Werthe, ihrer erhabenen Größe erkannt, oder richtiger gejagt: bes 
kannt,“ feien. 


Theils in Uebereinſtimmung mit dem Vorftehenden, theild mit einiger 
Abweihung jagt 5. W. Freih. v. Ditfurtb in der Allgem. Muſikal. 
Zeitung: „Es find mande jener alten Tonwerke (aus dem 15. und 16. 
Jahrhundert) in leicht zugängliden Partituren unferer Tage gebrudt, die 
fonft ſchwer und meilt fehlerhaft fait nur aus Rom abjchriftlih zu beziehen 
waren; es bringen Gejangvereine aller größern Städte jetzt Werle jener 
alten Kunft zur Darftelung, die man ebenfalld fonft nur an einzelnen 
Zagen in Rom bören konnte; auch unfere Kirchen öffnen fich wieber den 
lange vertlungenen beiligen Gejängen jener Zeit und Sinn für fie und 
Freude an ihnen wächſt aller Orten. ... Nicht Modeſucht bat den fchnellen, 
merkwürdigen Umſchlag hervorgerufen ... — wie wäre das bei fo vielen 
Ernfigefinnten, Bejonnenen, die fih damit bejchäftigen, und bei einer jo er: 
babenen, gottgeweihten Kunft irgend möglih! — fondern einzig der innere 
Werth des Gegenftandes ſelbſt. Diefen ihren inneren Werth können wir 
auch nicht body genug anjchlagen” u. |. w. 


Unter den manderlei Beranftaltungen zur Beröffentlihung und Ber 
breitung alter Kirchenmuſik mögen blos zwei der hauptſächlichſten erwähnt 
fein: 1. Commer's Musica sacra, Sammlung der beften Meifterwerle 
des 16. und 17. Jahrh. für 4 bis 8 Stimmen, jebt fortgeführt bis zum 
achten Bande, dem vierten der Merle von Orlando di Laſſo. 2. Die 
Breitlopf und Härtel’ihe Bartiturausgabe der Motetten Baleftrinas, 
redigirt von Th. de Witt. 3 Bände a 5 Rthlr. 


12. Die Yuge. Ueber die Bedeutung dieſer fo oft noch mißver 
flandenen und unterſchätzten Kunftform fagt A. v. Dommer u. M.... 
„Im Canon bleibt der Gedanke in fih, in der Fuge tritt er frei hinaus 
in's Leben, gelangt nicht nur feinem ganzen Umfange nad zu wiederholter 
und mannidhfaltig mobdificirter Ausſprache, fondern offenbart auch in thema 
tiihen Geſtaltungen aller Art ein reichbelebtes Wechfelfpiel von Contraften, 
Trennung und Ginigung. Zum Yührer und Gefährten treten andere 
Stimmen gleihfam mit ihren Nebenempfinpungen und Neflerionen, aber alle 
eritreben ein gemeinfames Biel: völlige und alljeitige Durd: 
dbringung ein und deffelben Grundgedankens. Somit hat man 
wit Recht gelagt, die Fuge fei an paflender Stelle, wenn es gilt, durch 
einen. beſtimmten Gedanken im Gejammtgefühl Angeregtes zu objectiver und 
möglichft austragender Darftellung zu bringen. In der kirchlichen Tonkunſt 
gewann fie jo umfängliche Bedeutung, weil keine Tonform geeigneter jchien, 
den durch die feften Säge der Schrift und religiöfen Dogmen in ber ©e: 
meinde wie im Künſtler wachgerufenen Empfindungen eine ihrer Gefchlofien: 
beit jo entſprechende Anfchaulichleit zu verleihen. Dem fubjectiven Gefühl 
dient die Fuge nicht, darum ift ihr allerdings nicht der ganze Umkreis 
menfhliher Stimmungen und Erregungen zugänglid. Im Weſentlichen 
find jene Anfhauungen und Empfindungen, welche ein Volt, eine Gefammt: 
beit ‘bewegen, ihre Stoffe.“ 


Geſang. 403 


13. Pflege der kirchlichen Tonkunſt. Dieſelbe iſt abermals 
vielfach angeregt worden durch Bücher und Zeitſchriften, durch Behörden, 
Conferenzen 2c., und bat im Allgemeinen, Dank ſei es der Treue und dem 
Eifer einer überwiegenden Mehrzahl der damit Betrauten, der guten Früchte 
nicht wenige getragen. Die Beltrebungen der Gegenwart richten fich ber 
Hauptjahe nah auf drei Stüde: 1. Reform des Ungeeigneten, 
2. Förderung des vorhandenen Öuten, 3. Anbahnung neuer 
BZuftände und Einrihtungen. Vieles bleibt freilih noch zu wuͤnſchen 
übrig, fei es in Betreff des Chorals, des liturgiſchen Gefanges ober der 
Kirhenmufit im engern Sinne! Ja hier und da find Miß- und Nothftände 
vorhanden, weldhe dringend eine Abhülfe erheifhen. Irrig und verberblid 
ift die Meinung einzelner Landlehrer und Gantoren, für die Bauern ſei 
auch das mangelhafte Orgelfpiel, der ſchlechte Chorgefang, die unkirch⸗ 
Lie Kirhenmufil, der verwilderte Gemeindegefang immerbin gut genug! 

14. Fortfegung Was die kathol iſche kirchliche Tonkunſt ine: 
beſondere betrifft, fo gibt ſich auch bier ein neu erwachtes Leben vielfach 
zu ertennen. Bedeutſam find in diefem Sinne, außer mehreren kirchlichen 
Beichlüffen und Verordnungen, u. A. H. Oberhoffer's Journal: „Cäcilia, 
Organ für katholiſche Kirchenmuſik ꝛc.“ und Bernhard Kothe’s fchon 
genanntes Buch: Die Mufil in der katholifhen Kirche, Weg: 
weiſer durch das gejammte Gebiet der katholiſchen Kirchen: 
mufil x. (1862). Xebterer macht zur Charalterifirung der Gegenwart 
drei bervortretende Richtungen in den Anfichten über Kirhenmufil bemerk 
lid: 1. die ftrenge Richtung, welde nur allein den gregorianifchen 
Choral und ausnahmsweile den Paleſtrinaſtyl zulaflen will; 2. vie 
gemäßigte Rihtung, melde zwar die genannten Mufilftyle hochſchätzt 
umd deren Anwendung und meitere Ausbreitung anftrebt, gleihwohl aber 
nod außerdem die hefjeren neueren Werke zuläßt und insbeſondere eine 
von allen Schladen gereinigte discrete Inftrumentalbegleitung als 
nicht verwerflih anerfennt, und enplic 3. die dritte Richtung, repräjentirt 
duch die Partei der Praris, welhe noch mit vollen Segeln in dem Fahr⸗ 
wafler der Frivolität dahinſchwimmt. — Kothe jelbft bekennt fih „aus 
praltiihen Gründen‘ zu der gemäßigten Richtung, ift aber der Meinung, 
daß die Inftrumentalmufif im Allgemeinen nod mehr zu bejchränten fei, 
als bis jetzt gejchehen ift. „Diejelbe erhielte durch Benutzung des Chorals 
und des Palefirinaftyld einen Regulator, welder fie nie wieder in jene 
Berfuntenheit zurüdfallen ließe, wohin fie bei gänzliher Vernachlaͤſſigung 
diejer beiden Stylgattungen wirklich gelangt.’ 

Das Buch von Kothe enthält, was ich bier fogleih ausprüdli bes 
merlt haben will, einen ſolchen Reichthbum belehrenden und anregenden Stoffe 
und brüdt zugleich einen ſolchen Ernſt der Geſinnung aus, daß ed Jedem, 
der ein Intereſſe an kirchlicher Tonkunſt nimmt oder nehmen foll, fei er 
Proteſtant oder Katholil, zum jorgfältigen Studium empfohlen werden muß, 

15. Kirchenchöre. Gegenüber der ſchon gerügten Verkehrtheit, 
die liturgifhen und fonftigen Chorgefänge in der Negel blos von Männers 
ftimmen ausführen zu lafien und ben Kinderchor von ber Mitwirkung 
auszufhließen, jagt Ch. ©. Nikol in feinem „Hofiana” 2c. mit 

26° 


404 Gefang. 


Recht: „Das Ehriftwort: Aus dem Munde der Unmündigen 
und Säuglinge haſt du Lob zugeridtet (Mattb. 21, 16) zeigt 
unftreitig an, daß es vor Gott wohlgefällig ift, wenn aud die Unmündigen 
im Haufe des Herrn ihre Stimmen ihm zu Ehren erfhaflen lafien. Es ift 
daber eine alte Sitte, namentli auf dem Lande, die Schulkinder nit nur 
bei dem gewöhnlichen und allgemeinen Choralgefange der Erwachſenen zu: 
zuzieben, ſondern auch an den kirchlichen Zeit: und Feiertagen befondere, 
fogenannte Yiguralgefänge mit den Kindern allein oder im gemiſchten Chore 
anzuſtimmen.“ 


Mögen diejenigen Cantoren, welche ſich auf Geſänge für Männer⸗ 
ſtimmen zu beſchraͤnlen gewohnt find, nicht das Unſchöne, daher Uner⸗ 
bauliche der meiſten Geſangleiſtungen dieſer Art überſehen und ſich 
übrigens fragen, ob ſie ein Recht haben, den Kindern die Freude an der 
Mitwirkung bei der Kirchenmuſik zu entziehen und ob es wohlgethan ſei, 
durch ihre Ausſchließung das Band zu lodern, welches die Schule mit der 
Kirche verbinden foll. 


16. Fortſetzung. Eine hervorragende Etelle nimmt nad mehrfachen 
gleihlautenden Berichten der Kirhendhor zu Salzungen”) ein. Der 
ſelbe bat fih aus den Etimmmitteln eines Städtchens von 3200 Ein⸗ 
wohnern zu einem Borbild und Mufterverein berangebildet, „vorleuchtend, 
wie ©. Heufinger in der Sängerballe jagt, in der Bartheit des 
MWohllauts, Reinheit der Intonation, Deutlichleit der Ausſprache und Klar: 
beit der Stimmengliederung.” Heufinger ſetzt hinzu: „Unſer Gefang, 
wie er gäng und gebe ijt, befindet fi im Uebergangsſtadium zum Beflern. 
Aber was wir bis jegt gethan haben, ift roheſte Grundlage, erfter Vorbau 
und Vorarbeit. Noch ift, gegen Salzungen gemefien, unfer Singen ein 
Geſudel, ein Gekreiſch, ein Zetergefchrei.” Es wird erlaubt fein, letzteres 
Urtheil mit einigen befcheidenen Fragezeichen zu begleiten. Bolle Bei 
ſtimmung verdient es dagegen, wenn weiter gejagt wird, daß edler Gejang 
ein wichtiges Erziehungsmittel des Volles jei und daß die Errichtung ent 
ſprechender Vereine eine Lebens: und Zeitfrage fein follte für alle Gemein» 
den. „Gejanghöre, die in ernfler würbiger Arbeit verlernen, oben Ber: 
gnügungen ſich hinzugeben und ſchlottrigem Amüfcment zu huldigen, find 
in jeder Weife zu ſchüßen und zu ftügen, denn fie läutern den Kunſtge⸗ 
Ihmad, befördern die allgemeine Bildung, Gefinnung und Gefittung und 
tragen zur geiftigen Gefundheit und Kräftigung des Volles das Ihrige bei. 
Wir haben in jeder Dorfichule einen koftbaren Schag von Stimmen! Gs 
ft hoch an ver Seit, dem Leben vienftbar zu werben! ... Eines jeden 
Dörfleins Bier fei ein Gefangverein. In jedem berriche der Geift der Ord⸗ 
nung und des Fleißes! In gefchlofiener Strenge, unter andauernder Thätig- 
keit wirke er guten Geihmad und Gefinnungstüdtigleit. ... Gebt dem 
Volle etwas Gutes zu thun, jo wird es das Beflere und Beſte von felbft 
finden " Hört! hört! — 


9 Herzogthum Meiningen. 





Geſang. 405 


17. Die Chornoth In Dörfern und kleinen Städten. 
Darauf weiſt Mattheſius in feinem Auffage: Ueber die Gefangs: 
noth in unfern evangelifhen Kirchen (Euterpe 1863, 3) hin. 
Der Auffaß ift von befonverer Wichtigleit, weil der Verf. die Dinge fo 
fieht, wie jte wirklich find, und weil er nichts fordert, was nicht geleiftet 
werden kann. Mattbefius führt an, daß nur „freier Wille”, ja in vielen 
Ballen nur „ganz bejondere Gefälligleit gegen den beliebten Herr Cantor“, 
einzelne junge Leute der Gemeinde geneigt macht, bei lkirchlichen Auffuͤh⸗ 
rungen im Öottesdienfte mitzufingen. — „So lange der Gantor mit dem 
durch freiwillige Theilnahme entftandenen Gefangvereine meltlihe Lieder 
fingen, zu Zeiten aud eine öffentlihe Aufführung geben konnte, durfte er 
als Gegenforderung „Mitwirkung beim gottesvienftlihen Chorgeſange“ bin- 
ftellen; wo aber jenes nit mehr geftattet wurde, verweigerten aud ge: 
wöhnlid die Vereine den kirchlichen Gefang, und dies hatte zur Folge, 
daß viele Gefangvereine in Dörfern und Heinen Städten zerfielen”. — 
„Suden wir aber,’ fo fährt der mwadere Berf. fort, „bie vorhandenen 
wenigen Geſangskraͤfte zu erhalten und zu üben, ob auch manches Kitten, 
umendliche Geduld und unermüdlicer Eifer unfrerfeits nöthig if.” — 


18. Vereine für firhlide Muſik. Als Mufter einer ſolchen 
bat fih der Riedeliihe Verein zu Leipzig fortdauernd bewährt. Die zahl: 
reihen Aufführungen, in denen ftet3 eine Auswahl edelſter Muſik in treff: 
lichſter Weiſe zu Gehör gebracht wird, geben Zeugniß von dem ernten, den 
höchſten Zielen zugewandten Streben des Bereind. Möchte Jeder von uns 
in feinem freie und in der Verwendung feiner Mittel den gleichen 
Ernft und die gleiche Beharrlichleit bemeifen! — 


19. Die Cantoren. Eine Vertheidigung derfelben gegen die An: 
griffe, weiche H. Büttner im Brandenb. Schulbl. gegen fie, nament 
lich in Betreff ihrer „Faulheit“, ihres ſchlechten Orgelipield, ihrer Schuld 
an dem „gräulihen Gemeindegefange” ıc. erhoben hatte, ift in dem. BI. 
von Hermann Kätzke unternommen worden. „SG. Büttner dentt: 
Es fehlt kirchlicher Sinn, meil die Leute nit mehr fingen; die Leute 
fingen nicht mehr, weil die Cantoren gewiſſenloſe Knechte find. Wir wollen 
unfern Zempel von diefen unmürdigen Leuten reinigen und andere an ihre 
Stelle jeßen; dann iſt's gemacht. — Über Kriftlihes Leben entfteht nicht 
aus chriſtlichem Gefange, jondern ed erzeugt ihn erft. Waren denn die 
erſten Ehriften, die in ihren unterirdifchen Höhlen fi mit Gefängen tröfteten, 
zuerft Sänger, dann Chriften? Ich vente: Nein ... Sollte Hr. Büttner 
in feiner Gemeinde den guten Gejang vermifien, jo wolle er nur dafür 
forgen, daß die Kirche gefüllt werde von recht lebendigen Gemeindegliedern 

. e3 würde ihm dann auch der treue und fleißige Santor nicht fehlen, 
denn foldyer Gemeinde zu dienen, ift eine Herzensluft. ... Wenn bei der 
Liturgie die Männerftimmen zu ſchwach vertreten find (es ift eine Ge⸗ 
fälligleit, wenn die Männer fommen), wenn fie einmal ganz fehlen, 
if dann die zu Hülfe genommene Orgel wirklich nur ein „Dedmantel für 
die Trägheit, des Cantors?“ u.f. w. Offenbar hatte der Artilel H Bütt: 
ner’s neben begrünbeter Rüge thatjächlich vorhandener Mikftände ſich doch 


406 Ä Geſang. 


auch in Uebertreibungen ergangen, und es konnte daher nicht fehlen, daß 
Widerſpruch eingelegt wurde und eine Abwehr der gegen „‚unfere Cantoren“ 
ſehr in Baufh und Bogen erhobenen Beſchuldigungen erfolgte. Es ifl 
recht, daß man die Dienftehre vertheidigt hat; mas das kirchliche Muſik⸗ 
wejen an ſich betrifft, jo möge Jeder von uns, die wir zur Pflege defielben 
angewiefen find, in feinen Bujen greifen und feine Treue prüfen. Im 
Allgemeinen haben wir Alle uns zugurufen: 


Noch viel Verdienit ift übrig; 
Auf, hab’ es nur! 


2. Kirchenmuſik im engern Sinne, 
a. Allgemeines. 


20. Kirchenmuſik a capella (reine Vocalmuſik). Kotbe 
führt a. g. D. die Worte Dr. Proste's an: „Schon an fi ift der Ton 
bes menſchlichen Gefanges jo weit über den Klang aller übrigen Zonwerl: 
zeuge erhaben, als der Menſch felbit über die gejammte übrige Schöpfung.“ 
Er felbft ſetzt hinzu: „Wer nie reine Bocalmufil richtig und ſchoͤn vortragen 
hörte, bat feine Vorftellung von dem Zauber und dem Wohlllange der: 
jelben, denn eine wahrhaft überirdiſche Ruhe und Seligkeit ahmet aus ihr. 
Der Hinzutritt des Orchefterd mit feinen prächtigen und finnlihen Klaͤngen 
raubt auch im beften alle der Bocalmufif diefen Charakter der Ruhe in 
Gott, es iſt, als wenn durch die Inſtrumentalklaͤnge der Geiſt an bie 
Scholle gefeflelt würde. Darum war und bleibt die Vocalmuſik 
die ähte Kirchenmuſik.“ 

21. Fortſetzung. Frägt es fih nun, was in unſern Kirchen in 
Bezug auf Chorgefang a capella gefordert werben bürfe, jo antwortet 
Kothe: „Die Aufführung reiner Vocalſachen und insbefondere der älteren 
Mufit erfordert aber einen großen und wohlgefhulten Chor, viele Proben 
und daburh bedingte körperliche Anftrengung. Können unjere 
Heinen und mittleren Chöre deren Aufführung ermögliden? Wir antworten: 
ausnahmsweile, aber nicht regelmäßig, wenn man nidt davon Abftand 
nimmt, daß alljonntäglid muſicirt wird.” 


b. Broteftantijhe Kirhdenmufil, 


22. Gegenmwärtige Stellung A. v. Dommer bezeichnet 
diefelbe folgendermaßen: „Wenn gleich die Geltung der Muſik beim kirchlichen 
Ritus die der übrigen Künſte immerhin auch nod heute überwiegt, fo ift 
dies doch nur noch ein ſchwacher Reit von der in früheren Jahrhunderten 
ihr zugeftandenen Bedeutung. Denn gegenwärtig ift fie faft allein auf den 
Choral und die Reiponforien hingewiefen, wenigſtens jo meit fie unmittel- 
bar zum Gottesdienft gehört und in ihn eingreift. Und genau betrachtet, 
bat fie felbft diefe bejchränkte Stellung nicht einmal fih allein, fondern im 
Weſentlichen jogar ihrem Zufammenhange mit dem lehrenden und betrachten: 
den Bibelworte und ver religiöfen Dichtung, fowie audy der dadurch ge: 
gebenen Möglichkeit einer Zheilnahme der ganzen Gemeinde am Geſange 
der Rirchenlieder zu danken. Nur noch unter feltenen Berhältnifien findet 








Sefang. 407 


gegenmärtig bie eigentlie Kunftmufil eine Pflegeftätte in ber Kirche. Wie 
aber bei den Alten der Schönbeitsfinn an’ den öffentlich freiftehenden Bild: 
und Baumerfen ftet3 fih näbrte und verebelte, jo follte es auch bei un? 
mit der vor allen anderen Künften doch weſentlich bevorzugten Tonkunſt 
fein. Und in der That war etwas Nebnlihes früher au der Fall; denn 
das Borzüglidite, was Vergangenheit und Gegenwart darboten, wurde dem 
gefammten Volle im öffentlihen Gottesdienft ohne Weiteres zu Theil, und 
die Folge davon war, daß die Kunft thatſaͤchlich tiefer in's Leben drang 
und mehr zur PVereblung beitrug, wie beute, aller Mufifliebhaberei un» 
geachtet.’ 


23. Berfall. „Der modernen Kirhenmufil,“ fo fährt A. v. Dommer 
fort, „deren Aufgabe es geweſen wäre, die fittlihen Clemente, welchen bie 
weltlihe Mufit ihre Pflege allervings nicht verfagte, mit dem tieferen 
religiöfen Bewußtſein neu zu vermäblen, ift dies eben fo wenig gelungen, 
daß es fraglid bleibt, ob fie (wenige Ausnahmen abgerechnet) überhaupt 
eines ſolchen Zieles ernftlich fib bewußt if. Denn eigentlich friftet fie nur 
ihr Dafein, indem fie nach und nad von ber Höhe ihrer Spealität herab» 
flieg und ihre urjprünglid) großen und ernften Ausdrudeformen ber augem 
blidlihen Empfinpfamleit mundgereht machte. Die in den meilten Kirchen, 
mit wenigen ehrenwertben Ausnahmen, an Sonn und Feſttagen noch bin 
und wieder aufgeführten geiftlihen Muſiken haben nicht felten einen ftarlen 
Anflug von Lohnarbeit an fih, entbehren eben jo häufig jeder jorgfältigen 
Vorbereitung und jedes tieferen Gebaltes an fih, wie fie meiftentheild in 
feiner Beziehung zum Nitug oder überhaupt zu ber Stelle fiehen, an welde 
fie dur ein nur no äußerlihes Herkommen gefeflelt find.” 

Auf den Berfall der Kirchenmuſik ift auch, immer mit Anerlennung 
ebrenwertber Ausnahmen, vielfah von Andern hingewiefen worden. Die 
Allgem. Mufilal. Zeitung (1863, 4) frägt bei Erwähnung „jenes 
Troſſes lieverliher Gefellen, die ihre mit eitlem Krimskrams erfüllten Markt: 
buden in die Slirche tragen”: „Wo ift der Heiland, der fie hinauspeitſcht? — 


24. Urſachen des Verfalls. Hörenwiraud hierüber A. v. Dommer. 
Gr fagt, und gewiß mit Recht: „Se weiter das Volksleben und fein Bes 
wußtfein der Kirche ſich entfremdete, defto mehr verlor fi) auch bei den Künſt⸗ 
lern die Echöpferkraft für diejenige Mufit, welche dort Stätte und Pflege 
gefunden hatte. Die Kunft, welche naturgemäß dem Zuge des Volkslebens 
folgte, ging jelbft in die Meltlichleit über. Aber da man demohnerachtet 
des in der ältern Kirhenmufit verborgenen Schatzes wiederum ſich zu er: 
innern begann, ſah man fi) veranlaßt, ihr neben der vorherrſchenden melt: 
lihen eine Stätte, und wenn auch nur im Concert, zu bereiten. Hierin 
lag zugleidy das beſcheidene Belenntniß der tieferen Naturen, denen wir. 
dies verdanten, daß es ihnen und ihrer Zeit unmöglich fei, ein Höheres 
an die Stelle der bisherigen Leiftungen zu fegen. Dem Concerwublikum 
aus Gewohnheit, welches allerdings zu ganz andern Zweden ſich zufammen» 
findet als mit ernften Kunftangelegenheiten, gleihviel ob geiftlidy oder welt⸗ 
lich, in ernfter Weife fi zu befchäftigen, oder gar an ewiges Leben, Gericht 
und Auferftehung zu denken — diejer großen Mehrzahl war mit folder 


408 Belang. 


Aufsabme freilich nicht gedient. Höchftene Duldung war und iſt Alles, 
was ſich bier erwarten läßt.” 

25. Befondere Mißſtände. Mattheſius beflagt a. a. D. im 
Hinblid auf Dörfer und Heine Städte den unerbaulidhen Lärm der gewöhn⸗ 
lihen Kirchenmuſilen, melde „gar übel gegeigt und trompetet, aber gar 
tüchtig vorgepault werden.” ... „Cbenfo werben die fhönen, aber ſchwieri⸗ 
gen Männerhöre von Löwe, Klein und andern Meiftern der Kunft — 
damit nur große Compofitionen aufgeführt werden! — in jämmerlider 
Garricatur zuweilen zu Gehör gebracht. Und einzelne Zuhörer der Gemeinde 
lächeln dabei, andere aber führen unterhaltende Geſpräche während der Auf: 
führung; Wiglinge aber gewinmen neuen Stoff zum Wirthshausgeſpräch am 
Feiertag, wenn die Kirchenmufil des Cantors umgeworfen ward.” — — |, 

„Ein Schulverweſer“ in Bayern leitete den ſchlechten Zuſtand der 
Kirchenmufil aus der bevrängten äußeren Lage ber Lehrer ber, benen e3 
in ihrer Noth an Muth und Freubigleit zur Anbahnung des Befleren fehle. 
(Euterpe 1862.) „So lange dem Lehrer nicht eine forgenfreie Eriften; 
gefichert, jo lange ihm nicht eine Stellung angewiefen wird, wie fie die 
edle Natur feines Standes fordert, wird eine Berbefierung ver ihm anver⸗ 
trauten Kirchenmuſik vergebens angeftrebt.” Kin preußifcher College ant: 
wortete ihm in ermuthigender Weiſe, u. A. mit der Frage: „Sollte denn 
nicht der Lehrer durch Beſchäftigung mit der Tonktunft den Trübſinn und 
Mißmuth aus feinem Herzen beraus:, dafür aber Frobfinn und frifchen 
Muth hineinmuficiren können? Muſica, fagt unfer Dr. Luther, ift eine 
Gabe und Geſchenl, welche die Leute fröhlich macht“ m. |. w. 

26. Vorſchläge zum Beſſern. Mattheſius, im Anſchluß 
an v. Winterfeld u. A., will die Cantaten von Zumfteeg, Bergt u. A. 
vom Gottesdienſie ganz ferngehalten wiſſen, und zwar auch in guter Auf: 
führung, „venn jelten wohl erweden und erhalten dieſe Kirchenmufilen vie 
Andacht der Gemeinde, erregen und reizen aber die Sinnlichkeit.” — ‚Weil 
wir jedoch verpflichtet find, Tirchliche Chorgefänge aufzuführen, fo möge ein 
dreis oder vierftimmiger Pſalm, Spruch oder Choral den Kräften der Eänger 
angemefien ausgewählt, gut eingeübt und andächtig vorgetragen merben. 
Die Heinen Motetten von Grell, von Schletterer u. A. würden hierzu 
ſehr pafjend ſein.“ 

Cbenfalls aus der Erfahrung heraus räth ein Anderer (Euterpe 1862, 
8), (ein mir wohlbelannter, ſehr tüchtiger Cantor) glei Matthefius 
von Kirchenmuſilen mit Orcheſterbegleitung ab und empfiehlt dagegen, ent: 
weder die Singſtimmen auf der Orgel ſchwach mitzufpielen, oder eine Mufil 
zu wählen, wozu eine bejondere Orgelbegleitung geſetzt ift, „wie 3: B. die 
fhönen Weihnadt3: und Charfreitagscantaten von Rind, die Trauer 
cantate von Bahaly, die von Jakob arrangirte Erntefeftcantate nad 
J. A. P. Schulz u. A.” — „Ohne jeglihes Accompagnement,” ſetzt er 
binzu, „lann nur ein fehr tüchtig geichulter Chor fingen.” 

27. Zortfegung „Die leihtefte und einfahfte Kirder: 
muſik“ beflebt, wie Ch. ©. Nikol in feinem „Hofianna” jagt, darin, 
dab man („denn viele Kirchſchullehrer köͤnnen wegen Beitmangel und anderer 
obwaltender Hindernifie es nicht weiter bringen‘) die Melodien der Felt: 











Gefang. 409 


gefänge ben Kindern in der Schule einftimmig einübt und alsdann in der 
Kirche „die Sarmoniebegleitung mit gedämpfter Orgel dazu fpielt” ... „Damit 
fol aber dem mehrfiimmigen Gefange keineswegs zu nahe getreten werden, 
fondern, wer gerade einmal gute Sänger hat, kann zur Abwechſelung einen 
zwei⸗ oder breiltimmigen Geſang mit oder ohne Orgelbegleitung einüben“ 
u. f. w. Ich würde dies, wenn ich über die abjolut nöthigen Sänger 
träfte verfügen könnte, freilich nicht blos um der Abwechſelung willen, 
fondern darum tbun, weil — beſſer doch allemal befjer if! — 


c. Katholiſche Kirhenmufit. 


28. Weſen und Stellung derfelben. Ein katholifher Ne: 
cenjent des mehrermähnten A. v. Dommer’ihen Werkes fagt (Cäcilia, 
1863, 3), der Begriff Kirchenmuſik fer für den Katholilen und den 
Proteftanten nicht identiſch. Man folle nicht überfeben, daß in der katho⸗ 
lichen Kirche die Mufit nur bloße Dienerin des Cultus fei und feinen in- 
tegrirenden Theil des Gottespienftes ausmache, wie bei den Proteftanten, 
und fie demzufolge denn auch die Aufmerkſamkeit und Theilnahme ver 
Kirchenbeſucher niht gänzlich für fih in Anfpruc nehmen und überhaupt 
den Beter in feinem Gebete nicht ftören dürfe. ‚Don einem wirklichen 
und ausſchließlichen „Genießen“ eines kirchlich⸗muſikaliſchen Kunftwerles und 
der bloßen „Erbauung” der Kirchenbeſucher kann und darf hier nicht die 
Rede fein.” Daß biergegen viel gefehlt fei, wird weiterhin zugeftanden. 
„Das ift e8 eben, was wir beflagen, daß die Tatholifche Kirchenmuſik im 
18. und in der verflofienen Hälfte dieſes Yahrhunderts die ihr gefeßten 
Schranken überſchritt und nicht allein einen jelbftftänpigen Platz bei unferm 
Cultus für ih in Anſpruch nahm, fondern auch weltlihe Formen, Ans 
fhauungen und Gefühle in die Kirche zu verpflanzen ſuchte. Die katholiſche 
Kirhenmufit muß fih von aller individuellen Auffaflung ihres Gegenftanves 
fern halten, wie e8 zur Sache nit anders gehört und mweldhes die alten 
Meifter auch mit klarem Blide erkannt haben. Darin liegt aber aud eben 
der Unterſchied zwiſchen katholiſcher und proteftantifher Kirchenmuſik.“ 
Iſt dieſer Unterſchied wirklich im Princip der einen und der andern Con⸗ 
feſſion begründet? — Ich ſollte meinen, auch die proteſtantiſche Kirchen⸗ 
muſik werde nur in dem Maße ihre hohe Aufgabe erfüllen können, in welchem 
fie ſich objectiv verhält. Hat Seb. Bach ſubjectiv componirt? Be 
hauptet man, daß dies der Fall ſei, jo koͤnnte allerdings den katholiſchen 
Componiften nichts Beſſeres gewuͤnſcht werden, als eine gleihe Sub» 
jectivität. — 

29. Berfall. Daß derfelbe vorhanden‘, ift vielfah ausgefproden 
worden. Rothe fagt: „Die Kirchenmufil, in einfamer Slofterzelle, wie 
die Gefchichte nachweift, in ihren Uranfängen erfonnen, auf den Kirchchören 
in die Praxis eingeführt, von den höchſten Kirhenfürften mit forgfältiger 
und freigebiger Hand gepflegt und zu ihrer höchſten Ausbildung geführt; 
die Kirchenmuſik, deren größter Ruhm darin beitehen jollte, eine demüthige 
Dienerin der Kirche zu fein, und in ihrem Sinne und nad ihren Verord⸗ 
nungen zur Verherrlichung Gottes und zur Erbauung der Gemeinde bas 


410 Geſang 


Idrige beizutragen; fie ſagte ſich von allen Traditionen los, trat als Selbft: 
zwed auf, und fo kam es, daß die Kirche der Sade nad zum Concertſaal 
wurde, wo man dem Birtuofentbume einen Tummelplag eröffnete. Und 
gerade die Offertorien waren der Art, wo man der lächerlichen Eitelkeit der 
Sänger und Spieler Altäre errichtete durch jene beliebten und angeftaunten 
Ourgeleien und Seiltängerfünfte auf der Bioline, wie wir fie ja alle kennen, 
da die Literatur darin noch heute unerfchöpflih zu fein fcheint. Heißt das 
nicht die Kirche Ihänden und die Eitelkeit zum Gögen maden?” u. f. w. 

30. Reform. Bon vielen Seiten erheben fih Stimmen für eine 
jolde. In gewifiem Sinne ift das ganze Kothe'ſche Yuc eine einzige 
Reformbeitrebung. 

Schon im Jahre 1854 wurde in einem Erlaß des erzbifchäflihen 
General-Bicariatd zu Cöln, nachdem auf den Verfall der Kirhenmufit bin 
gewiefen war, dem PDiöcefan:Clerus „ſo dringend als ernftlih” ans Hey 
gelegt, darüber zu wachen, „daß diefe edle Kunft, beftimmt zum Schmucde 
der Braut Chrifti, ferner nit mehr zum Aergerniß oder gar zum Greuel 
an heiliger Stätte diene, und ftatt die Andacht zu fördern und die Gemütber 
zu erheben, die Andacht nur ftöre und der Sinnlichkeit und weltlichen Jer: 
ſtreuungsſucht ſchmeichle.“ 

Auf dem jüngſten Coölner Provinzial-Concil haben die Biſchöfe der 
Kirchenmuſik von Neuem ihre Aufmerkſamkeit zugewandt, die einzelnen Arten 
des profanen mufitaliihen Unfugs ſcharf bezeichnet und für die Zukunft 
alle Frivolität der Vocal- und Inſtrumentalmuſik fireng unterjagt. 


3. Liturgiſches. 


31. Die Liturgie in den Hauptgottespienften. Biel Treff 
liches darüber enthält die bezüglihe Schrift vom Confiftorialrath Dr. Bad: 
mann. Nah einer Begründung der Nothwendigkeit der Liturgie aus dem 
inneren Weſen des chriſtlichen Gottesvienftes folgt ald Kern des Ganzen 
die Erläuterung der ganzen Gottesdienftordnung, ihrer einzelnen Stüde, wie 
des organifchen Zufammenhanges, in dem dieſe unter einander ſtehen. Bei⸗ 
gegeben find zwei vollftändig formulirte Liturgien, „bie vollere Form“ für 
die Gemeinden, denen durd Chor, eigene Gefangsfertigleit u. dgl. reichlichere 
Mittel zu Gebote ftehen; die andere „abgelürzte Form’ für die, welde nur 
beſcheideneren Anforderungen genügen lünnen. Die Anmeifungen für die 
mufiltalifhe Ausführung beſchränken ſich allerdings fat nur darauf, 
daß man mit den Schulkindern die Fiturgie fleißig zu üben, aus der m 
wachfenen Jugend einen liturgifhen Chor zu bilden, in der Wahl der 
Sefänge aber fih vor Subjectivismus zu hüten babe. Lepteres if 
von entjhiedener Wichtigkeit. Mit Recht wird gefagt: „Wozu denn bie 
Reiponforien nad Epiftel und Evangelium, das „Hallelujah” und „Ehre 
jei dir, Herr” dur mer weiß mas Anderes erſeßen?“ ... „Die ſchweren 
Melodien geben nicht,” jagt man. Aber „Herr, erbarme dich unſer“ bat 
eine mindeftend eben fo leichte Melodie wie „Chrifte, du Lamm Gottes” x. 
Der wahre Grund ift der: „Ad, das ift fo viel ſchöner!“ Und dabei 
bleibt man mit einer wahrhaft naiven Gonfequenz, die eines Beſſern wert 





Belang. 411 


wäre, gegenüber den triftigften Gründen, namentlih aud dem, daß man 
fein Recht zu foldhen milltürlihen Aenderungen bat u. |. m. 


Anzuführen ift auch ein Auffag in der Evangeliſchen Kirchen 
zeitung (1863, 26 u. f.): Skizzen über den Hauptgottesdienſt, 
worin das Weſen und die Bedeutung der Liturgie eben jo klar als ein: 
dringlich beſprochen wird, und melder mit den Worten fchließt: „Willft 
du wahrhaft nügen dur den Gottesdienft, pflege in ihm den ſcheinbar 
nußlofen Opferdienft der Lippen in Palmen, Lob: und Dankgebeten und 
geiftlihen lieblihen Liedern in der liturgiſchen Ordnung und Fülle, die von 
den Vätern und vererbt ift; pflege fein aljo, daß je länger je mehr bei 
dir jelbft und deiner Gemeinde jeder Gedanke „mas hilft's?“ verſchwinde in 
dem Triebe des Herzens, das alfo thbun muß, von der Liebe zum Herrn 
entzündet, wie die Blume ihre Blüthe treiben muß, ohne zu fragen: was 
nüßt es mir, daß ich blühe?“ 


32. Liturgifhe Gottespienfte Ihre Abhaltung ift abermals 
mehrfach in Anregung gebracht worden, 3. B. in der Ev. Kirchenzeitg. 
1862, 2. 5. 11.,*) und bat fi, wo fie vollzogen wurde, als förderlich 
für das religiöfe Gemeindeleben bewährt. Cine Hauptfadhe dabei ift ver 
mufitalifche Theil. Auf ſchwierige Runftleiftungen kommt es indeß gar 
nit an; man foll Einfaches, Leichtfaßlibes und Eingänglibes wählen, 
dies aber in einer gewillen Vollendung ausführen. Bei den Nejponforien 
iſt ſoweit als möglid die Gemeinde felbft zu bethätigen. 


Mattheſius erzählt a. g. D. aus der Gemeinde feines Mobnortes: 
„Seit ungefähr zehn Jahren find biefelbft liturgifhe Gottesdienfte am Chars 
freitage, Bußtage und am Todtenfeſte gehalten worden, und zwar nad) den 
Liturgifhen Andadhten von F. 4. Strauß. Die Chor: und Ge 
meindegefänge waren pafjend ausgewählt. Gewöhnlih war die ganze Ans 
orbnung der liturgiihen Andaht auf Octavblättern zur Vertheilung an die 
Gemeinde abgedrudt. Ich möchte wohl, vdergleihen Andachten würden an 
allen hoben Feten unferer Kirche in allen Stadt: und Landgemeinden ge: 
halten. Gejang, Gebet und das heilige Wort der Schrift erwärmen das 
Herz und erheben das Gemüth zu Gott.... Wie viel erhebender und 
berrliher aber würden dieſe Stunden der Andacht jein, wenn die ganze 
Gemeinde mit einftimmen könnte in die Pjalmen, Sprüde und fonftigen 
Gefänge des Chores’ u. ſ. w. Lebtered ift und bleibt freilid — Ideal! 
Begnügen wir uns damit, wenn andächtiger Gemeinde: und erbaulicher 
Chorgefang lieblih wechfeln. 


2) Jedoch nicht als ein Hauptmittel für die Hebung des Kirchenbeſuches, 
ia für die Befehrung ſelbſt. „Kür Die Belehrung unferer tobten Gemeinden 
haben wir nur ein Mittel: die Predigt des Evangeliums. Alle dieſe Verfuce, 
diefe Predigt den Leuten durch ſchöne Gottesdienſte, Die fie etwa einfaffen, 
ſchmackhafter zu machen, dürften nad Gottes Wort als verfehlt zu bezeichnen 
fein. Die lituraifhen Gottesdienfte find nicht ein Belehrung; 
mittel zum hriftlibden Slauben, aber eine notbwendige Frucht 
dDiefes in einer Ehriftengemeinde vorhandenen Glaubens.“ 


412 Geſang. 


4. Der Choral. 


33. Seine Form. Noch gehen die Anſichten darüber, ob die alte, 
rhythmiſche, oder die heutige, ausgeglichene Choralform den Vorzug 
verdiene, weit auseinander. 

Fr. Brenner, Organiſt an der Univerſitätskirche zu Dorpat, hat 
in ſeinem Choralbuch für Männerſtimmen die alte Form gegeben. 

Rector Reinthaler in Erfurt iſt abermals in Liederheften und 
Liederblaͤttern, ſowie in ſeinen Vortraͤgen und ſonſtigen Anregungen bei 
Paſtoral⸗Conferenzen und ähnlichen Verſammlungen als begeifterter Apoſtel 
des rhythmiſchen Chorals aufgetreten. 

In dem bereits erwähnten Aufſaße des Brandenburgiſchen 
Schulblattes über das deutſche Lied zc. wird geſagt: „Im Ganzen zählt 
man 39 Choräle, melde aus weltlihen Melodien, und zwar kaum mit 
irgend weldyer Aenderung, hervorgegangen oder vielmehr dafür eingetaufdt 
worden find. Dieſe Choräle bewahrten noch lange Zeit den Charalter und 
die leichte Beweglichkeit des Volksliedes. Cine neuere Zeit bat in dem 
rhythmiſchen Choral Beides wieder zu gewinnen gefuht. Man bat „vie 
Frage des rhythmiſchen Geſanges“ in dem Strudel der taufend gewichtigeren, 
in das Leben einfchneidenden ragen heutzutage mebr fallen lajien, als er: 
ledigt. ebenfalls bleibt fie der Beberzigung fort unb fort wertb, und 
eine glüdlihe Zukunft wird den ivealen Intereſſen auch dieſer Frage 
gerecht werben. 

In entſchiedenſter Vertretung der alten Choralform rügt F. W. Frei: 
berr v. Ditfurtb in der Allgemeinen mujfilalifgen Zeitung 
die „Berjchlechterung” der alten Singweifen, „denen die verfallende Kunfl 
mit der Zeit die urfprünglide vollsthümliche Geftalt dadurch benahm, das 
fie die Rhythmen derjelben durch Egalifirung der Notenwerthe zerftörte, und 
pedantifhe Einförmigkeit der Perrüdenzeit ſtatt lebendiger Ginftimmigfeit 
des Volkes hervorrief.“ Cr fest hinzu: „In ihrer alten vollsthümlicen, 
rhythmiſchen Geftalt finden ſich jene Choräfe (meift Volksweiſen mit geiftlih 
umgebichteten Texten) in allen Choralbühern des 16. und dem Anfange 
des 17. Jahrhunderts. Erſt dann, als die geiftliche Liederdichtung ſelbſt 
mebr Ausdrud des Subjectiven der Betrahtung, Anfhauung des Einzelnen, 
überhaupt der Kunſt flatt des kirchlichen Gemeingeiftes wurde, wie nament: 
li unter M. Opitz, damit aber alle alte Popularität einbüßte — gingen 
auch die alten rhythmiſchen Choralweifen, zugleid mit dem Verfalle der 
Singſchulen, allmälig ihrem Untergange zu; fie drüdten fih im die flarte, 
unvoltsthümliche Geftalt zufammen, in melder fie ſich leider kirchlich ein: 
gebürgert haben.” _ 

Dr. Boldmar in feinem Hausaltar, einem allerdings nicht für 
die Kirche, ſondern für die „Hausandacht“ beftimmten Choralbudye, bat, wie 
er im Borworte fagt, „ftatt der Urform — der fogenannten rhythmiſchen — 
die heute übliche nur dann gewählt, wenn jene einen geftörten rhythmiſchen 
Fluß hat, namentlich rhythmiſche Rüdungen, Stodungen, Vermiſchung des 
awei⸗ und breitbeiligen Taltes in fi trägt, Formen, denen jedes Berflänt: 





Geſang. 413 


liche und Zuſagende abgeht.“ In ſolchen Faͤllen ſei allerdings die heutige 
Form beſſer. Auch ganz im Allgemeinen wird eine Berechtigung der letz⸗ 
teren anerfannt. Dr. Boldmar ſagt: „Es ſchließt übrigens die heutige 
Form — die ja au in nicht wenig alter Melodien fih findet — den 
Rhythmus keineswegs aus, namentlich wenn die Bewegung nicht zu langjam 
genommen wird und wenn bie auf den Enbtönen der Reiben üblichen Halte 
nur diejenige Länge erhalten, die ihnen die rhythmiſche Conjtruction des 
Ganzen zumeist.‘ 

34. Fortſetzung. A. v. Dommer fagt: ... „Oegenwärtig haben 
zwar alle Noten des Chorales gleihen Zeitwerth, doch nicht gleiches 
Zeitgewicht, fonvern fließen fih in Arfis und Theſis zufammen. Ur⸗ 
fprünglid) jedoch war aud die Zeitdauer der Noten verjhieden, jedoch nur 
als einfahe Länge und Kürze, demnach durd die Quantität der Textſylben 
bedingt... Als zur Zeit des Proteftantismus die am Kirchengeſange theil- 
nehmenden Gemeinden ſich vergrößerten, wird der von einer großen Volks⸗ 
menge ſchwer aufrecht zu erhaltende Wechſel langer und kurzer Noten und 
Beitwertbe fi ausgeglihen haben. Noch mehr aber als dieſer Umſtand 
trug wohl die Ginfachheit, welche man als dem proteftantiihen Kirchen⸗ 
gejange mwefentlich erachtete, dazu bei, die breitheiligen Zalte, Sypncopirungen 
und Wertbverfchiedenheiten der Noten wegzuſchaffen, und fomit ift die mes 
triſche Einförmigkeit, in welcher wir unjern heutigen Choral in der Kirche 
fingen hören, leinesweg3 urfprüngliche Eigenſchaft vefielben. Die Dichter 
geiftlicher Lieder haben auch das Ihrige gethan, den Choral aus jenem 
ſchwungvoll begeifterten Ausdrud, welcher mit dem Ernſt und der Würde 
feiner Natur ſich jehr wohl verträgt, zu jener ſchwankenden und rhythmen⸗ 
Iofen Schläftigleit herabzudämpfen, welche beim Gemeindegejang in mancher 
Kirche an die Stelle jeder Gefühlswärme und erhobenen Andadıt getreten 
iſt. Denn die Verunftaltungen der kraftvollen Urterte und die Unterlegung 
oft eben fo verwäflerter wie endloſer Verſe, welche unfere berrlichfien Kir⸗ 
chenlieder erbulden mußten, find nichtäweniger als geeignet, andäcdtige Bes 
geifterung in der Gemeinde und einen dem entiprechenden Ausdrud im 
Belange bervorzurufen.‘’ 

Nach Vorſtehendem follte man vermuthen, daß U. v. Dommer die 
Herftellung des rhythmiſchen Chorald empfehlen und fordern werde. Dem 
ift jedoch nicht alſo. Denn er jet dann bald darauf hinzu: „Will man 
den Choral vom Kunſtſtandpunkt aus richtig würdigen, fo muß man ihn 
nur im Zujfammenhange mit feiner urſprünglichen Dichtung, einer einfachen, 
aber cdharalter: und würbevollen Harmonie und dem richtigen rhythmiſchen 
Bortrage betradhten. Unter leßterem wird jedoch nicht die alte rhythmiſche 
Form verftanden, welche man aud in neuerer Zeit an manden Orten 
wieder einzuführen verſucht, jondern eine freie, von ſtreng mechaniſchem 
Takt und fehlerhaft verwaſchener Taltloſigkeit glei weit entfernte, durch 
den rhetorifhen Accent belebte Ausdrudsmeije, welche, ohne die den ernfte: 
ften Empfindungen zulommende Würde und Gemeſſenheit zu beeinträchtigen, 
doh den Stempel eines eigenen Mitfühlens und Denkens trägt” u. |. w. 

35. Fortſezung. Louis Kindſcher verneint mit Entſchiedenheit 
die Berechtigung bed rhythmiſchen Choral3 für die Gegenwart (Guterpe 


414 Geſang. 


1862, 4). Gr weiſt u. A. auf den bei manden rhythmiſchen Chorälen 
vortommenden rhythmiſchen Wedel (bald *,:, bald °,-, bald 8/,-Tatt), 
als auf eine arge Formloſigkeit hin, die zugleich dem Gemeindegeſange die 
größten Schwierigkeiten in den Weg lege und jagt alddann: „Einen bier: 
nah fo unkirchlichen wie ſchwer auszuführenden Choralgefang, wie ver 
ehuthmifche es ift, wollte man noch in unferer legten Zeit wirklich dem 
Volke aufpringen, das doch einmal, und mit vollften Rechte, an feinem 
gewohnten, wahrhaft kirhengemäßen hängt?! — Müßte nicht fofort die 
Mürde, das wirklich Geiftige zu einem blos Weltlihen, gemein Sinn: 
lihen umſchlagen? ... Mögen die rhythmiſchen Choräle immer ehrwürbig 
fein und bleiben als biftorijhe Denkmäler der Kunſt, fo haben jıe 
ihre Zeit gehabt und ſchlummern nun aud ihren Todesſchlaf in dem ftau- 
bigen Kunſtarchive, das der einfame Fuß eines vereinzelten Runftfreundes 
oder Archäologen betritt. Sollte aber dennod der einfadhe Choral im 
Laufe der Zeit fallen können, jo würde das Volt fich für berechtigt halten 
dürfen, nad irgend einem geiftlihen Liederterte feine beliebten Vollslieder 
zu fingen: „Hier ſitz' ich auf Raſen, mit Veilhen bekränzt“ — „Wuter 
Mond, du gebft jo ſtille“ — „Scier breißig Jahre bift du alt“. .... 
Allein zu einem fo gejährlihen Umfturz wird es hoffentlih nicht kommen“ 
u. |. w. 

Ich führe diefe Stellen aus der ſchon im vorigen Jahrgang erwähnten 
Abhandlung meines verehrten Herrn Collegen bier darum noh an, um 
nachträglih auf Grund einer beitimmten Crjahrung ein Fragezeichen zu ber 
Behauptung zu machen, daß mit dem rhythmiſchen Choral die Würde, das 
wirklich Geiftige, zu einem blos Weltlihen, gemein Sinnliden 
umſchlagen müfje. — Einen folden Eindrud babe ih nämlich in Kij: 
fingen, wo in der evangeliihen Kirche rhythmiſch gefungen wird, nicht 
gehabt, und aud Andere hatten ihn, fo viel mir darüber belannt geworden, 
durchaus nicht. Dagegen muß ich freilich auch jagen, daß dieſer Gemeinde: 
gefang um eines ober zweier Viertel willen, die bier und da mit den 
Halben abwechfelten, den Eindrud einer ganz bejondern, höhern Erbaulichleit 
ebenfalls weder auf mid), noch auf meine dortigen Belannten gemacht bat. 
Der Mufiter kam fogar in Gefahr, ein wenig geflört zu werden; denn 
obſchon Kirche und Gemeinde klein waren, lebtere auch zumeift aus Perjonen 
der gebilveteren Stände beiland, Die fih ganz wohl nad den Noten des 
Geſangbuches richten fonnten, obſchon ferner die Orgel von einem Meiſter 
mit großer Präcijion gefpielt wurde, jo wurden doch die Viertel ſtets etwas 
über ihren Werth hinaus verfchleppt, jo daß dann immer eine Verkürzung 
der zunächſt folgenden Halben eintrat. Allerdings war fein Gängerhor 
worhanden! Gin folder würde das Schleppen wahrſcheinlich überwunden 
haben, nämlih unter gegebenen Umſtänden; ob aud in einer 
großen, zahlreid von allerlei Bolt befuhten Kirche — wage 
ib nicht zu behaupten. 

86. Fortſezung. Es folge nun das Urtheil Ludwig Erk's über 
den rhythmiſchen Choral (aus der Vorrede zu jeinem Bierfiimmigen 
Ghoralbude für evangelifhe Kirchen). Dafielbe lautet: „Hin 
fichtlich der neuen Melodieform, im Gegenſatze der alten jogenaunten rhyth⸗ 











Geſang. 415 


miſchen Form, ſei bemerkt, daß ich jene mit Rückſicht auf Gemeindegeſang 
für die zwedmäßigere, weil einfacher und volksthümlicher, erachte. Da in 
neuerer Zeit fehr viel über die Vortrefflichleit des rhythmiſchen Chorgefanges, 
in feiner Eigenſchaft ald Gemeindegejang, geredet und gejchrieben wird, fo 
dürfte es wohl an der Zeit fein, auc einmal die feit der zweiten Hälfte 
des 17ten Jahrhunderts bis zur Gegenwart mit Nüdficht auf die Verein⸗ 
fahung der Melodieform eingetretene Umgeftaltung in's Auge zu faſſen; 
denn zu einer folhen Umgeftaltung mußte nach meiner Meinung das Weſen 
des wahren Volksgeſanges nothwendig führen. Und es fcheint mir, als 
trage unfere jebige Form noch Leben genug in fi, um der älteren Form 
in vielen Stüden die Spige zu bieten. So viel ih mich auch nad Leis 
ftungen, die ein günfliges Zeugniß von der Pflege der älteren Choralform 
ablegen follen, umgefeben babe: Früchte find’S gerade nicht geweſen, von 
denen fi jagen ließe, daß fie des dem Alten gejpendeten Lobes würdig 
wären. Wenn überhaupt das ſchon Kunft heißen foll, rhythmiſche Choräle 
von ganz ungeübten Sängern, wie e3 nun einmal die Gemeindeglieder ber 
Mehrzahl nad find, rhythmiſch und aud anderweitig möglichft verunftaltet 
producirt zu bören, dann muß id jagen, daß e3 mit folder Kunft nicht 
weit ber ift und daß es Noth thut, davon abzulaflen, um fi der mehr 
erquidlihen neueren Form zuzumenden. Hingegen werben foldhe rhythmiſche 
Choralgefänge, jofern fie von einem geübten Eängerhor (wie das auch 
früher Regel geweſen), nicht aber von der Gemeinde vorgetragen werben, 
nad wie vor ihren Werth behaupten; und ich bin der Meinung, daß fie 
unter diefer Vorausſetzung nicht genug gepflegt werden können. .... Dem 
künſtletiſchen Werthe dieſer Choralfäge foll alfo keineswegs durch vorftehen: 
des Urtheil zu nahe getreten fein; ich möchte hier nur gejagt haben, daß 
man vor den berrlihen Tonſaͤtzen aus claffiiher. Vorzeit wenigftens fo viel 
Achtung bewahre, um fie nicht durch jede beliebige ungebildete Sängerlehle 
in den Staub ziehen zu laſſen.“ 


37. Summa. Die Acten find noch nicht gefchloffen. Auf Seiten 
des rhythmiſchen wie des ausgeglichenen Chorals fliehen Männer, denen um 
ihrer Bildung und Erfahrung, um ihrer Gefinnung und Wirk 
famteit halber eine hervorragende Bedeutung beigelegt werden muß. 
Nah meiner Anficht werden beide Formen des Chorald neben einander 
fortbejtehen, und es wird dies fein Nachtheil für den Kirchengeſang fein. 


Sehr thöricht ift es, wenn junge Leute, die vielleicht von der Ge: 
ſchichte und Literatur des Chorals nicht das Mindeſte willen, düntelhaft 
über die eine oder die andere Form deſſelben das Verwerfungsurtheil aus: 
fpregden. Und geradezu widerwärtig ift es, wenn Giner, der aus 
Traͤgheit und Ungefhid möglichft fchledht im Gefang unterrichtet, der mög» 
lichft gleichgültig in feinem Innern gegen den Kirchengeſang ift und in 
langen Jahren möglidhft wenig für denfelben gethan bat, plößlih „rhythmiſch 
fingt“, ſich darum ſofort ein Verdienſt beimißt, und nun hochmüthig 
dies Verdienſt als ein ſolches zur Schau trägt, welches nach feiner Meis 
nung nicht zeitig genug anerkannt „und nicht reihlih genug belohnt 
werden lann. — 


416 - Gefang. 


38. Die Zwifhenfpiele Als Gegner verfelben find u. A. zu 
nennen: X. 0. Dommer, Ludwig Erf (Borrede zum Evangelifdhen 
Choralbuch) und ein Ungenannter (Erfurter Zeitung, 21. Dec. 1862). 

A. v. Dommer fagt: „Zu dem Ungebhörigen in der Behandlung des 
Chorals gehört auch das an manden Orten noch pedantiſch feftgehaltene, 
an andern längft verbannte Zwifchenfpiel, dur welches der Drganift 
einen Vers mit dem andern zu verbinden fi verpflichtet glaubt. Nur im 
figurirten Choral allein hat ein figurirtes Zwijchenfpiel Sinn, der Choral 
wird aber insgemein nur einfach harmonifh von der Orgel begleitet. Die 
zopfigen Gejchmadlofigleiten, welche von gedankenloſen Drganiften bier zu 
Tage gefördert werben, follte man mit der ftrengen Cinfachbeit, welche die 
proteftantifche Kirche vom Choral fordert, doch nicht vereinbar halten.” 

2. Erf erachtet die Zwifchenfpiele für eine „ſehr müßige und zugleid) 
völlig geſchmadloſe Sade. Er fügt u. N. hinzu: „Dem früheren Choral 
des 16. und 17. Jahrhunderts waren fie fremd; erjt mit Beginn des 
18. Jahrhunderts, der Zeit des Rococoſtyls und des hohlen mufitalifchen 
Bierrathwefens, fingen diejelben an, ſich auf der Orgelbant breit zu machen, 
und gingen fodann aud in die gebrudten Choralbücher über... Mag, 
wer will, ſolches mufilaliihe Unweſen vertheidigen, ich für meinen Theil 
kann es nur tadeln” u. |. w. 

Der Erfurter Ungenannte beruft fi auf diefe Kundgebung Erfs und 
fügt hinzu: „Möge dieſes neue Zeugniß eines gewiß jachlundigen und un: 
befangenen Mannes aud in unjerm Thüringen endlich Beachtung finden 
und und zunächſt in Erfurt von dem alten Schlenprian erlöfen |“ 

39. Fortfegung. Unter den Vertretern der Zwiſchenſpiele find 
zu nennen: Gantor Haring (Urania 1863, 6), Seminarlehrer Jsrael 
(Anleitung zur Grfindung zwedmäßiger Choral-Zwijhen: 
fpiele), ein ungenannter Seminarlehrer (Urania 1863, 7) Cantor 
©. E. Bind in Erfurt (Urania 1863, 4), die Redaction der Urania 
(ebend.) und ©. 2. zu Schl. E. (ebend. 1863, 10. 11). Zu erwähnen 
ift hierbei auch H. Döring, der in feiner Chorallunde zwar nichts 
direct zu Gunſten ver Zwiſchenſpiele jagt, fie aber, wenn ich folgende Aeuße⸗ 
zung richtig verftehe, doch wohl für berechtigt balt: „Die Sorgfalt für die 
Verbeſſerung der Zwifchenfpiele hat ſich in den beiven legten Decennien im 
dem Maße vermehrt, in dem ihre Beibehaltung angefohten worden if, 
auch ift eine größere Angemefienheit derjelben durch Bereinfahung und ben 
genaueiten Anſchluß an den Zalt und an den Charalter der Melodien in 
faft allen Choralbüdern glüdlich erftrebt worden.‘ 

Am eingehendften haben G. L. und der ungenannte Seminarlehrer 
den Gegenftand behandelt. Als Gründe für Beibehaltung der Zwiſchen⸗ 
fpiele führt ©. 2. an: 1) Sie haben eine geſchichtliche Bered- 
tigung. 2) Sie dienen zur Erhaltung und Förderung ber 
Tontunf. 3) Sie dienen zur Belebung des Ausdruds. 
4) Sie find nothwendig zur Verbindung der einzelnen 
Beilen. 5) Diefe TZonverbindungen find überhaupt in dem 
Weſen der Mufit begründet. Das Nähere möge in der Urania 
felhft nachgeleſen werden. Ich ermähne nur noch, daß ber Berk an bas 





Geſang. 417 


Fortbeſtehen der Zwiſchenſpiele feſt glaubt. Er verſichert dies mit der Be⸗ 
merkung: „Moͤgen ſie ſich im Laufe der Zeit entwickeln und geſtalten, wie 
fie wollen, fie werben mir und tauſend Andern mit ihrer ſcheinbaren Klein⸗ 
beit doch Stets Lieblich duftende und unentbehrlihe Blümchen bleiben in dem 
großen Kranze der Tonkunſt. Troß allen Kleingewehrfeuers werde ich fie, 
bei freigelafjener Hand, mit allem Intereſſe zu cultiviren ſuchen.“ 

Der ungenannte Seminarlehrer fagt u. A.: „Nach unjerer Anficht 
find die Zwifchenfpiele (natürlih nur die guten und ächten) der jetzigen 
Choralform ganz entjprehend und nothwendig, ſowie hiftorifch begründet... 
Daß es ſchlechte Zwilchenfpiele gegeben hat und noch gibt, wird Niemand 
in Abrede ftellen, aber daß ein gutes Zwiſchenſpiel in der logiſchen und 
fnappen Form, mie e3 z. B. Ritter aufftellt, den Zuſammenhang der 
Gedanken ftöre und aufhebe, iſt ein Vorurtheil. Geſchieht dies indeß von 
den Bmijchenjpielen, jo taugen fie eben nichts. Treiben wir doch ja in. 
unjern proteftantifhen Kirchen den Puritanismus nicht zu weit; unfere 
Gottesdienfte find ohnehin öfter profaifh und einförmig genug, die leeren 
Stühle beweijen e3 nur zu fohlagend. Fallen einmal die Zmifchenfpiele, 
jo werben aud die Bor: und Nachipiele fallen. Dann aber find auch unfere 
Ihönen Orgelwerke nicht mehr nöthig, fondern können durch große Leier- 
orgeln füglich erfeßt werden. Wir glauben indeß zuverfichtli, daß fich die 
genannten Formen halten werden, jo lange überhaupt die jegige Choralform 
lebensfähig bleibt.” | 

Keiner von den Dertretern der Zwifchenfpiele nimmt den fogenannten 
„Sculmeilterzwirn‘‘, d. h. die langen Dudeleien, die bunten Läufer, närrijchen 
Sprünge und verzopften Schnörkel in Schuß, in welchen ſich früher Viele 
gefielen, immer nur wollen fie die Choralzeilen durch einfache, harmonifche 
Ueberleitungen verbunden wiſſen. Damit erledigen fich die hauptjächlichten 
Bedenken gegen das Zwijchenfpiel von felbft. Im Uebrigen ift zu beventen, 
daß, wie auch Haring anführt, der Mißbrauch den Gebrauh nit aufhebt. 

40. Anwendungsart der Zwiſchenſpiele. Mande wollen 
ohne alle Ausnahme zwifchen je zwei Choralzeilen ein Zmwijchenfpiel ange: 
bracht wiſſen, zu ihnen gehört A. ©. Ritter; Andere, wie z. B. Haring, 
verbieten, daß da, mo dem Terte nah eine Choralzeile mit der folgenden 
eng verbunden it, dieſer Zuſammenhang durd ein Zmifchenfpiel zerrifien 
werde. Meiner Anfiht nah kommt eine gewifje Unficherheit in den Ge- 
meindegejang, wenn bald ein Zwifchenfpiel angebracht, bald ohne ein ſolches 
mweitergegangen wird; eine Unficherheit, welche für die Erbauung wenig 
erfprießlich fein dürfte. ch ftimme deshalb A. ©. Ritter bei, wenn er 
ſagt: „Die Vorſchrift, das Zwiſchenſpiel zwiſchen zwei nothwendig zu⸗ 
ſammengehörenden Terxtzeilen wegzulaſſen, unterliegt manchen Bedbdenklich⸗ 
keiten, ſo gut ſich auch der Vorſchlag, flüchtig beſehen, ausnimmt. Iſt 
das Zwiſchenſpiel zur Ausfüllung der Pauſe da, welche der Sänger zur 
Ruhe nöthig hat, fo fieht man nicht wohl ein, wie eine jolde durch das 
Metrum vorgejchriebene Paufe an derjelben Stelle in den verfchiedenen 
Berjen eines und defjelben Liedes mehr oder weniger, oder gar nicht noth⸗ 
wendig fein folle. Das Zwijchenjpiel aber in eine engere Verbindung mit 
dem Tertfinn bringen wollen, würde zulegt zu Zmwijchenfpielen von ver: 

Paͤd. Juhresberiht XV. 27 


418 Gefang. 


jchiedener Länge führen, je nad ven verjhiedenen Scheidezeichen. Die 
bieraus entftebenden Mißverhältniffe wird fi der Lefer felbft denken, und 
gewiß der Meinung fein, daß eine dem Metrum entſprechende Bleihmäßigleit 
offenbar das Beſſere il” (Schulblatt für die Provinz Sadjen, 
1862, 1.) 


41. Das katholiſche kirchliche Volkslied. Kothe fagt über 
dajielbe: .... „Die Melodien der meiften Gejänge find fo faft: und kraft⸗ 
loſes Zeug, daß fie nur erträglich werden von Jugend an und dadurch, 
daß die übrige Kirhenmufit ihnen meift ebenbürtig zur Seite fie. Man 
trifft Lieder mit vollftändigen Walzer-Rhythmen, und andere, die fo durch⸗ 
gängig jentimental, weltlih und inhaltsleer find, daß felbft profane Lieder 
von Robert Zranz und Schumann einen erniteren und würdigeren Ton 
anſchlagen.“ Mit Entjchiedenheit fordert Kothe die Durchführung einer 
Reorganifation, indem er zugleih alle Einwürfe, die dagegen erhoben wer: 
den, fiegreich zurüdweist. So jagt er u. N.: ... „Die alten Choräle 
follen dem jegigen Zeitbewußtjein, unjerer Gefühlsweife und dem Stand⸗ 
puntte der heutigen Kunft nicht mehr entfprehen. Wir antworten: Jene 
Gefjänge find der Erguß reiner Glaubensbegeifterung, und 
fo lange der Glaube noh Gewalt über das menfhlide Se 
müth übt, fo lange werden die alten Lieder ihre Birlung 
nicht verfeblen”.... Was in neuerer Zeit bereit Beſſeres angeftrebt 
worden, bauptjählih dur die Werte Töplers, Wolfe, Brofig’g, 
Bones, fowie durh das Trier'ſche „Diöcejan » Gefangbuh”, Das 
St. Gallen'ſche „Geſangbuch“ und das „Choralbudy für das Königreich 
Sachſen“, wird jelbfiverftänplid von Kothe anerlannt. Das St. Gallen⸗ 
Ihe „Geſangbuch“ habe ich in der Euterpe angezeigt und dabei auf den 
Ernft bingewiefen, mit dem die bilchöflihe Behörde zu St. Gallen und der 
Bearbeiter des „Geſangbuches“, der bifhöflihe Kanzler Debler, die Zu: 
rüdführung des katholiſchen Gemeindegeſanges auf ältere, würbigere Formen 
behandeln. 


Wenn übrigens Kothe jagt: „Das Charalteriftifche des katholiidhen 
Kirchenliedes im Gegenfage zu dem proteftantifchen befteht wejentlih barim, 
daß jenes vorzugsmweife auf das Gefühl, diefes auf den Verſtand ein- 
wirkt,“ — fo ift diefe Unterſcheidung nicht ganz richtig. Möge immerhin 
das katholiſche Kirchenlied es „vorzugsweiſe“ mit dem Gefühl zu thun 
baben, fo ift doch das proteftantifche nicht „worzugsmeife” Sache des Ber: 
ftandes. Was jedoch das Gefühl an ſich betrifit, jo ift vom Stanbpunfte 
beider Confeſſionen dem Berf. gewiß in folgendem Satze beizuftimmen : 
„Wir verlangen für die Kirde ein gefundes Gefühl, das mit Kraft 
gepaart ift, alſo Gemüthstiefe, nicht aber ein Gefühl, das verſchwom⸗ 
men und weibiſch empfindfam if... . Weichliche Empfindelei gehört 
in das Boudoir einer nervenfhwahen Dame, nicht aber in das Hand 
Gottes.“ 





Geſang. 419 


B. Der Schulkreis. 
1. Allgemeines. 


42. Würdigung des Schulgeſanges. Hierzu haben neben 
andern Zeitſchriften auch die Berliner Blätter für Schule und 
Erziehung in Berbindung mit der Monatliden Correſpondenz 
zwiſchen Schule und Haus Manches beigebradt, und es ift hierauf, 
um der Cinfiht und der Grfahrung willen, melde fich in der Rebaction 
biejes Journals fundgeben, ein bejonderes Gewicht zu legen. „Wo aud 
immer,“ fo beißt es an einer Stelle, „eines Knaben oder Sünglings 
Stimme in mwohltönender, bemußter Rede oder in gepflegtem, wohlge: 
bildetem Gejange an und berantritt, da fühlt das Ohr fi angenehm 
berührt, da kann auch das Herz der Antbeilnahme ſich nicht entziehen.“ 
An einer andern Stelle wird gejagt: „Mir wüßten Nichts anzugeben, was 
eine erſchlaffte Kraft, ein gebrüdtes Gemüth jo fiher anzufriihen und aufs 
zurihten, neu zu beleben, zu fräftigen und zu ftärlen vermödte, als ein 
wobhlgepflegter Geſang liebliher Kinverftimmen. Und wieder anderswo: 
„Kann auch in der Schule nit die Rede fein von einer Vollendung. der 
Gejangsleiftungen, jo wird doch der verftänvige Lehrer in feinen Stunden 
aller Orten und jederzeit Veranlafjung haben, jeine Schüler, und auch die 
am Gejange nit actio betheiligten, in finniger Weiſe einzuführen in das 
Verſtändniß von Text und Melodie, und dadurch allein ſchon übt er einen 
bildenden, verevelnden und dauernden Einfluß auf Herz und Gemüth.“ 

In der Shulordnung des Gymnaſiums zu Bunzlau (Gen: 
tralblatt, 1862) wird vom Chorgeſange gejagt, daß er außer feiner tiefen 
Bedeutung für das religiöje Leben der Anftalt einen nicht minder großen 
Werth für Erziehung und die gemüthlihe Belebung und das fejtlihe Leben 
der Schule habe, und daher von allen Lehrern durch lebendige und fomweit 
möglih durch thätige Theilnahme zu fördern ſei. 

43. Innerlihleit de3 Gejanges „Wer ein Lied gut fingen 
will, muß es nicht blos feinem Wortjinne nach veritehen, fondern muß ſich 
auch in die Gedantenentwidelung und Gefühlsinnigleit des Dichters jo ver: 
ſenkt haben, daß er das Lied gleihjam als den Erguß des eigenen Herzens 
vorzutragen vermag. Die fingende Jugend dahin zu bringen, 
ift Sadhe des erllärenden Lehrers.“ (Dr. Günther, Sädf. 
Schulblatt, 1862, 2.) 

44. Sejangunterriht für alle Altersftufen und alle 
Grade der Befähigung. Daß derſelbe ftattfinde, wird jet wohl 
überall für das Nichtige anerlannt. Früher war es anders. Einer präs 
fentirte einmal, wie das Brandenb. Schulblatt erzählt, die größere 
Hälfte feiner Schule als die Quäker, „die Sänger fißen da oben.” Ein 
Anderer fagte: „Die da laſſe ih noch nicht fingen, die kann ich in ber 
Kirche und bei Leichen doch noch nicht brauchen.” 

45. Dispenfjation einzelner Schüler von den Ging: 
ftunden. Gie. wird, mie ©. St. in der Berliner Monatliden 

27* 


420 Belang. 


Eorrejpondenz mittheilt, in manden Schulen nicht felten Seitens der 
Eltern begehrt, in den meiften Fällen jedoch ohne die mindefte Berechtigung. 
G. St. jchreibt: „Der Anabe hat keine Stimme, refp. kein Gehör! Run, 
dazu ift ja gerade der Unterricht da, Stimme und Gehör zu bilden! ... 
In den meiſten Fällen findet fih die Stimme, bildet fi das Gehör, — 
eben durch die Arbeit des Lehrers; aber aud wenn dies nicht der Yall 
jein follte, bätte das betreffende Kind dann aus der Gejangftunde feinen 
Gewinn zu ziehen? Iſt denn die Erlernung und fidhere Ginprägung eine 
Zertes eines lieblichen weltlichen oder geiftlichen Liedes Nichts, fo rein gar 
Nichts? Oder ift denn die unjehlbare Einwirkung auf Veredelung von 
Herz und Gemüth gleichfalls Nichts?" — Im gleich trefiender Weife werden 
andere Gründe für Dispenfation vom Geſange widerlegt. 


2. Die Volksſchule. 


46. Die Pflege des Gefanges und ihre Früchte. Offenbar 
ift die Pflege, welche der Eeſang in ven Boltsfchulen erfährt, im Allge 
meinen eine forgfältige und von guten Erfolgen gekrönte. Ausnahmen 
fommen freilih hier und da vor; fie zeigen fih am öfterften in den Schulen 
jener Lehrer, die unmufitaliicy in das Seminar kommen, unmufilalifch wieder 
herausgeben und leider noch dazu weder in ihrem Gewiſſen nod in ihrer 
Neigung einen Antrieb finden, das Berfäumte nachzuholen. — Im Ganzen 
und Großen ift aber Vieles befier geworden. In biefem Sinne äußert ſich 
unter Anderm auch die Königl. Regierung zu Oppeln in der Circularver: 
fügung vom 8. Dezember 1862. Dort heißt es: „Erfreulich ift uns die 
Wahrnehmung, daß dem Gefange (fjowohl dem Choral, als auch dem 
Volksgeſange) in unfern Schulen neuerdings eine erhöhte Aufmerkſamleit 
und Pflege zu Theil wird, indem ſich nicht wenige derſelben ebenjo durd 
den Umfang als durch den Wohllaut und die Selbitftänpigfeit der Ge⸗ 
jangsleiftungen auszeichnen.‘ 

47. Fehler und Mängel. Die oben erwähnte Berfügung der 
Rönigl. Regierung zu Oppeln bezeichnet deren zwei, wenn fie fagt: „In 
manden Schulen freilih wird auch noch ein fchreiender, mißtönender und 
rauher Gejang gefunden, was unftreitig darin feinen Grund bat, daß bie 
Lehrer zu wenig Aufmerffamleit auf die Stimmbildung verwenden und es 
an den ftufenmweijen und ſchulmäßig georbneten Vorübungen fehlen lafien. 
Ein Kunſigeſang foll in der Elementarſchule nicht erzielt werden; wohl abe 
ein janfter, friiher, angenehm in’s Ohr fallender Geſang, — und em 
folder läßt fih bei forgfamer Pflege der Stimmen und einem verftändig 
angelegten Stufengange der Hebungen überall erreihen. ALS einen mweitern, 
nicht jelten vorlommenden Fehler müfjen wir es rügen, wenn die Terte 
der zu fingenden Lieder nicht (oder doch nur deren erfter Vers) auswendig 
gelernt find, oder wenn die Schüler nur mit Hülfe des Notenblattes einen 
Geſang ausführen können.” 

Im Anſchluß an Lebteres ſei bingewiefen auf 

48. Asmus omnia sus secum portane. ... „Solde Asmi laß 
deine Kleinen werben. Sie Sollen nit immer des Buches, der Zafel, des 
Lehrers bedürfen ; fie jollen was fie haben, den Spruch, das Lied, bi 








Befang. 421 


Sangweife, die Geſchichte, bemahren im treuen Gedähtniß .... in Lebens: 
kraft für’3 ganze Leben.” (Berliner Monatlihe Eorrefponvdent. 
1863, 3.) 

49. Ein Normal-Liederftoff. Die Yeltftellung veflelben ge: 
bört zu der nothwendigen Normirung des gefammten Lehrſtoffs der Volks: 
ſchule, wie fi eine folhe u. U. im Brandenburger Schulblatte 
(1862) findet *). 

50. Das Lied in der utraquiſtiſchen Schule. In der 
Verfügung der Königl. Regierung zu Oppeln vom 14. Februar 1863, den 
deutſchen Unterricht in den polnifhen und böhmischen (utraquiftifcden) Schulen 
betreffend, wird für den Gefang, welcher, „ald Sache des Herzens und 
Gefühle, feinen verbalen Ausprud in der Mutterſprache findet,‘ angeorbnet, 
baß „die Zerte ſowohl der Choräle, als auch ver Volle: und Schullievder — 
und zwar auf der unteren Stufe ausſchließlich — in diejer zu lernen.” ... 
„Gleichwohl,“ jo jeßt die Verfügung jedod hinzu, „wird ſich Die utraquis 
ſtiſche Schule der Aufgabe nicht verjchließen dürfen, auch deutſche, nament: 
lich patriotiſche Lieder einzuüben, welde die Liebe und Treue zum ange: 
ftammten Hönige und zum Baterlande erhöhen und befeftigen, und beſonders 
für die Knaben, wenn fie Später in die Reihen der Vaterlandsſöhne ein- 
treten werden, von Wichtigkeit find, um an dem Gefange ihrer deutſchen 
Kameraden theilnehmen zu können.” 

51. Die Liederterte an ſich. Lehrer Mettin in Zeig weiſt 
im Sächſiſchen Schulblatte (1862, 9) auf die elenden Reimereien 
bin, die fi unter der Yirma „Volkslied“ in den Liederfammlungen und 
Lehrbühern angejiebelt haben, Mahmerle „bie ihre Füße nur dazu zu 
haben feinen, um dem Inhalte zu entlaufen‘, der andern Gebrecben gar 
nicht zu gedenken. Um das Befiere anbahnen zu helfen, gibt er beachtens⸗ 
werthe Bemerkungen über die Cigenfhaften eines guten Volksliedes 
und nennt als ſolche mit Recht die Reinheit des Inhaltes und die 
Sorrectbeit der Form. Was die Reinheit betrifft, fo foll man 
fih hüten vor Liedern, wo dem, was ein leufher Mund nie und nimmer 
nachzuſprechen wagt, ein Ausdruck gegeben wird, jedoch aud nicht Gefahren 
feben, wo feine find. In legterer Beziehung fagt er u. N. ... „Unfere 
modernen Spracdreiniger find fogar jo weit gegangen, die Morte: „Unp 
bat dir Gott ein Lieb beſcheert“ in: „So Gott dir einen Freund beſcheert“ 
umzuändern. Darf denn ein ind das Wort „Lieb“ nicht ausſprechen, 
während es doch 3. B. ſehen muß, wie Liebende Arm in Arm zum Trau: 
altare wallen; während es lernen muß: „und ein Seglicher fein Gemahl 





*) Kolgende Lieder find dort ala Normalftoff angegeben: A. Oberflaffe: 
1. 3 weiß nicht was foll ed bedeuten. 2. Ich bin ein Preuße. 3. Heil dir 
im Siegerfranz. 4. Bas iſt des Deutſchen Batrerland. 5. Ich hab mich er» 
eben. 6. Es if beflimmt in Gottes Rath. 7. Barum find der Thrünen. 
. Bie fie fo fanft ruhn. 9. Auferftehn,, ja auferftehn wirft du. 10. O du 
felige, o du fröhliche. 11. Der befte Kreund tft in dem Simmel. 12. Was 
blafen die Trompeten. 13. Ih hatt' einen Kameraden. B. Die Kleinen: 
4. Weißt du wie viel Sternlein fleben. 2. Ueb' immer Treu und Redlickeit. 
3. In dem tiefen, tiefen Gras. 4. War einfl ein Rieſe Goliath. 5. An einem 
Fluß, der raufhend ſchoß. 6. Goldne Abendfonne. 


422 Geſang. 


liebe und ehre?! Darf ein Kind nicht ſingen: „Als ich zur Fahne fortgemüßt, 
bat fie fo herzlich mich geküßt,“ während ihm doch im Leben derartige 
Scenen genug zu Gefiht kommen ?!“... Auf die Geſellſchafts- und Trint: 
lieder übergebend, bemerlt er u. A.: „Worin liegt eimas Anftößiges, wenn 
das Kind fingt: „Wohlauf noch getrunten den funkelnden Wein?" Nennt 
nicht die heilige Schrift jelber den Wein eine edle Gottesgabe, bie des 
Menſchen Herz erfreuen foll?! Cs haben daher wohl Diejenigen, welde 
obige Worte in: „Wohlauf noch gefungen im trauten Verein!" umänderten, 
ſich ähnliche Verbienfte erworben wie Dr. Ballhorn feligen Andenkens. 
Daß ich der Volksſchule nicht eine Anleitung zum Commerciten zumutbe, 
braude ih wohl kaum zu ermähnen, wohl aber, daß auch die Trink: und 
Geſellſchaftslieder unferes Volles der Schule ihr Contingent ftellen können 
und müflen, die nöthige Vorſicht vorausgefeßt.” — „In vielleiht noch 
höherem Grabe,‘ fo fährt er fort, „dürfte letztere bei Liedern anzuempfeblen 
fein, die einen Beigefhmad von Hohn, Spott, Schadenfreude u. bil. 
haben. Unter feinen Umftänden würde ich 3. B. bie ironifirenden Schneider 
lieder und wenn fie jonft ganz rein find, in der Schule fingen laſſen.“ ... 
Hierin ftimme ih dem Berf. volllommen bei. Was vie Liebes: und Trinl: 
lieder betrifft, jo glaube ich ebenfallg, daß man die an ſich reinen obne 
Bedenken könnte fingen laffen, nur würbe ich fürdten, der Gemeinde ba 
durch einen Anftoß zu geben, wenigſtens in mandhen Gegenden. Der Gt: 
genftand wäre ed wohl werth, in Lehrerconferenzen recht gründlich ermogen 
zu werden. — Was die Wahrheit des Volksliedes anbelangt, fo follen 
nicht Poeſien dargeboten werden, die es mit der Perfon des Dichters, mit 
jeinen jelbftgefhaffenen Schmerzen u. dgl. zu thun haben. „Das Boll 
fümmert fih darum nicht; es will im Liede nit Jubjective 
Betrabtung und Empfindung; es will das, mas ein ganıed 
Bolt hebt, bewegt und trägt.“ Gebr wahr. — Was der Ber. 
drittena über Gorrectheit der Form beibringt, muß bier wegen Mangel an 
Raum unberührt bleiben. | 


52. Stimmenzahl der Lieder. Borwaltend blieb mit. Redt 
bie Bweiftimmigfeit des Volksliedes; mit gleihem Rechte ift indeß nad 
Umftänden auch die Dreiftimmigleit gepflegt worden. Blos Zwei 
ftimmiges enthält u. X. das Liederbuch: „Friſch gelungen,” von Zedtler. 
Derjelbe jagt ausprüdlih, drei- und vierftimmige Lieder feien in feiner 
Sammlung nicht zu finden, weil ver Lehrer Alles auf Veredlung der 
Stimme und Nicht s auf „Bravour” (?) zu geben habe. Er fest bin: 
„Bielfiimmiger Gefang erfordert viel Höhe und Tiefe und wirkt jehr nad: 
theilig auf die zarte Kinderſtimme ein.” 

53. Verwendung der Gefänge Wie der Gefang mit ber 
vaterländifhen Geſchichte in Verbindung zu jeben, davon gab u. 9. das 
Gentralblatt in einem Reviſionsberichte aus dem Regierungsbegirt 
Marienwerder ein lehrreihes Beifpiel*). 


*%),.. „Zum Schluß der ganzen Prüfung wünfchte ich noch den Belang 
einiger Volle» und vatriotifcher Lieder zu hören. Der Lehrer knüpfte an Die 
eben beendete gefchichtliche Lection an, und indem er den fiebenjährigen un? 





Geſang. 423 


In ganz Preußen iſt bei Gelegenheit der Feier des 17. März das 
patriotiſche Lied erfolgreich verwendet worden. An Darbietungen für dieſen 
Zwed hatte es nicht gefehlt. Unter lebteren find, aud für die fernere Be: 
nußung, mit Recht hervorgehoben worden: „Die deutſchen Freiheits— 
friege in Liedern und Gedichten, herausgegeben von Ludwig 
Ertl.” Die fäptifhe Schulbirection zu Berlin bat eine namhafte Anzahl 
von Exemplaren in den dortigen Volksſchulen vertheilen Laien. 


54. Der Lebensgefang. Wie derſelbe dur den Lehrer anzu: 
bahnen, darauf mweift Göbel, Cantor zu Nüftern bei Liegnig, im Schleſi⸗ 
hen Schulblatt (1862, 4) hin. Der Lehrer foll auch außer der Schule 
mit den Kindern, mit den Erwachſenen einen leitenden, anregenben, fördern⸗ 
den Umgang pflegen und bei jeder angemefjenen Gelegenheit den Gefang, 
fei es um der Erbeiterung ober um eines erniteren Zmedes willen, in An: 
wendung bringen, das in der Schule Erlernte weiſe verwertbend. „Darin 
aber verfehen wir es allzuleiht: Singſtunden ertheilen wir zur Genüge, aber 
bei Freud und Leid, bei ernfter Arbeit und fröhlichem Kinderſpiel — geben 
wir unferm gemeinfamen Gefühl nicht oft genug Ausdruck durch Gelang, 
und fo wird unjer Boll ewig fein fingendes, iroß der vielen Gejang- 
Vereine.” 

55. Singumgänge Die Königl. Regierung zu Frankfurt bat 
„mebrfach bemerkt, daß die fogenannten Singumgänge, welde die Lehrer 
zu gewiſſen Zeiten mit einem Chor von Schülern und Schülerinnen balten, 
um dafür Geldgejhente von den Mitgliedern der Gemeinde zu entnehmen, 
ihren kirchlichen Urjprung in dem Bewußtſein der Gemeinden ganz ver: 
Ioren haben.” In Erwägung, daß dagegen mandherlei Nachtheile mit ber 
Ausübung des alten Brauches verbunden find, fordert fie die Superinten- 
denten und Schulinfpectoren, zur Berichterſtattung über die Sachlage und 
zur gutachtlihen Aeußerung über den Werth oder Unwerth der Singum: 
gänge auf. (Circular vom 24. März 1862.) 


3 Die Kleinkinderfchule. 


56. Winte in Betreff der Anwendung des Gejanges gab Dr. Köl: 
fing im Sächſiſchen Schulblatt, 1862, 1. „Verwerfſlich ift es, 
wenn die Kinder Abends vor dem Heimgeben befingen: wie brav und ges 
horſam fie Tags über gewejen. Das erzieht Heuchler und Scheinmenſchen.“ 
Sehr wahr! Die Anwendung auf den ganzen Volksſchulkreis liegt nahe. — 


4. Praparanden - Anflalten. 


57. Bildung des Tonfinnes. Mit Net wird biefelbe in ber 
Denkſchrift des Cöpeniler Seminars, betreffend die Vorbildung 


darauf die Freiheitößriege nochmals in großen Zügen feinen Schülern vorführte, 
flocht er in feinen Bortrag fehr gefchidt den Geſang folgender Lieder ein: „Drei 
Worte halten”wir boch' und hehr“, ‚In dem wilden Kriegedtanze”, „Was iſt 
des Deutichen Baterland ?”, „Ich hab mich ergeben”, „Danket dem Herrn“, 
„Alles was Odem bat, Iobe den Herm”’. ... Was urfprünglid nur eine Prüs 
fung im G@efange werden follte, war zu einer hübfchen, erhebenden Zeiler ges 
worden.” 


424 Geſang. 


der Präparanden für die Seminarien des Potsdamer Regierungsbezirks 
(Centralblatt 1862, 1.) als Hauptſache bei dem Gefang:Unterriht der 
Präparanden bezeihnet. Wünſchenswerth fei e$ im MUebrigen, baß bie 
Präparanden eine Anzahl von Chorälen und Volksliedern — letztere mit 
ganzem Terte, der aber zu erklären ſei — auswendig lernen. „Iſt die 
Mutationsperiode no nicht vorüber, fo lafle man die Lieder ganz leife in 
tiefem Zone fingen, beſonders lajle man fie auswendig auf der Violine 
fpielen,, tbeilö in der gegebenen Tonart, theild transponirt. Bon großem 
Bortheil ift auch das Aufichreiben der Melodien aus dem Kopfe.“ 


E. Andere Kreife. 


1. Die Liedertafeln. 


58. Der „Siegeszug des Männergefanges“ bat fıh 
fortgejept und nimmt an Ausdehnung täglih zu. Bei der vor Kurzem 
abgebaltenen Deputirten-Conferenz des Allgemeinen deutſchen Sängerbundes 
waren 50,000 Sänger vertreten! Ein Dorf ohne Gejangverein ift eine 
Seltenheit; Städte bejigen folder Vereine in der Regel mehrere und weijen 
diefelben in der Regel unter den verjhiedenften Namen auf. Die Zahl 
der jährlich ftattfindenden größeren und minder großen Gejangfelte bat jih 
in einem nie geahnten Maße vermehrt; außerdem veranftalten die Bereine 
zu Haufe manderlei Aufführungen, bald unter dem Namen von Concerten, 
bald unter bejcheidnerem Titel. Es ift des Singens lein Ende, ein um: 
geheures Capital von Zeit und Arbeit wird auf bieje Bereinsthätigteit 
verwandt und die beutjchen Sanges⸗Brüder bilden wohl eine der zablreid: 
fen Genoſſenſchaften, welche die Welt jemals gefehen bat. 

59. Bedeutung und Einfluß des gegenwärtigen 
Männergefangmefens. Es ift nichts Geringes, wenn Zaufende von 
Yünglingen und Männern in dem ganzen weiten Deutfchland dem Gejange 
in größeren und Bleineren Bereinen ftetig obliegen. Wer wollte verlennen, 
daß in der Gemeinfhaft und Verbrüderung der Vereinsmitglieder, in ber 
Arbeit des Uebens, in dem poetifhen und mufilaliihen Inhalte der Ge 
jänge, in der Freude der Production fehr bedeutfame, bildende, fördernde 
und hebende Factoren für Sittlichleit, nationales Bewußtjein und höheren, 
reineren Lebensgenuß enthalten find! 

60. Fortfegung. Ob indeß der Einfluß diefer Sängerbewegung 
auf die Sänger an ſich überall der möglichſt vortheilhafte fei, ob ferner 
die Vereine eine Wirkung auf den allgemeinen Volksgeſang aus: 
üben und ob fie endlih eine Bedeutung für die Runft haben, das it 
vielfah in Frage geftellt und bezweifelt worden. Die erhobenen Bedenten 
find zum Theil jo gewidtiger Art, daß ihre Erwägung gar nicht von der 
Hand gewiejen werden kann. 

61. Fortfegung A. v. Dommer jagt: Von dem volfsbilen: 
den Einfluffe des Männergefanges kann nur in fehr vereinzelten Zällen die 
Rede fein. Denn er hat dieje feine weſentliche Aufgabe längit vergeſſen und be: 
findet fich jegt, mit wenigen adhtbaren Ausnahmen, durch Ausſchreitungen aller 








Geſang. 425 


Art der Hauptſache nach in einem Stadium des immer tieferen Herab⸗ 
ſinkens zur bloßen Unterhaltung bei Zuſammenkünften, Feſtlichkeiten und 
Gelagen, oft nur als belebende Zugabe zu ſolideren Genuͤſſen. Seine Ber: 
gangenbeit ift allervings beſſer als feine Gegenwart und vorausſichtlich auch 
feine Zulunft. Ibm jest noch eine vermittelnde Rolle zwifchen der Kunft 
und dem Volle zufchreiben zu wollen, bieße ihn weit überjchäßen.‘ 

Bon großer Bedeutung ift ferner ein Artilel von Louis Köhler: 
„Derdeutfhe Männergefang”, enthalten in der Sängerballe. 
„Der Männergefang ift zu einer Macht angewahjfen — nur kann man 
nicht entfdhieden behaupten, daß er eine gute Macht fei, fo lange man 
ihn ha uptſächlich als ein Mittel gebraucht, bloß Unterhaltung zu gewäh⸗ 
ren und den ſchwachen Seiten der Zuhörer zu fchmeiheln. — Die männ: 
lihe Geiftesnatur geht in einer unverhältnikmäßig großen Liederzahl ge: 
radezu in ihr Gegentheil über; ſchwache Schmerzelei und flache Gefühle 
Spielerei haben über Gebühr um fih gegriffen; man vergißt zu fehr, daß 
der Männergefang doch immer ein Zmeig der Kunft ift, daß dieſe aber, 
mindeftens neb en ſächlich, mit künftlerifchem Ernſt das höhere Schöne ge 
pflegt wifjen will, oder: man begradirt fich felbit und giebt jenem Manne 
Recht, der nad einem großen mebrtägigen Sängerfefte ohne eine einzige 
rein künftlerifhe Nummer nur von „höherer Bänkelſängerei“ fpredhen konnte.” 
Weiterhin weist L. Köhler nah, daß der Männergefang unferer Lieber: 
tafeln nicht Volks-, jonden Geſellſchaftsgeſang fei. „Die Gejellichaft 
befteht aus gemijchten Elementen, aber von den edleren ift gegenmwärtig 
nicht viel im Männergefange zu fpüren. .. . Möchten fi Alle, denen die 
Vergeudung fo ſchöner Kräfte leid ift, gegen die Aufnahme entſchieden 
feichter Gefänge auflehnen! möchten fi die edeln Männer ermannen und 
darauf halten, daß nur Würdiges zur Uebung und Aufführung gelange, *) 
Pieder, deren Worte und Tonmweifen aus der Tiefe warmen Gefühld quellen, 
die, gleichviel ob heiter oder traurig, geiftige Gefundheit athmen. Nur auf 
diefem Wege dürfte dem deutſchen Männergefange no eine blühende Zu- 
kunft zu verheißen ſein.“ 

Auh Ludwig Bauer mahnt ebenfalld in der Sängerhalle, 
dringend zur Pflege der höheren und edleren Richtung des Männergefanges. 
Er tadelt das Mittelmäßige, Triviale, Schlechte, welches fih auf den 
Programmen felbft venommirter Bereine immer no breit macht; er findet 


r. Weit genug if bei dem Braunſchweiger Gefangfefte (10. Juli) der 
Begriff des Würbigen gefaßt worden, wenn dort im Bettfingen ein Verein mit 
dem Stücke auftreten konnte: 

Urfinfterniß. 


Hans Sachſe fang: 

Im Uranfang, 

Als Bott, der Herr, die Welt erichief, 
Bar es fo finfter und fo tief, 

Daß eine Rah 

Und eine Katz 

Kopfan zufammenlief. 

Das war doch wohl gewiß 
Stodfinftre Finſterniß. 





426 Geſang. 


es unrecht und für die wahre Kunſt wenig erſprießlich, daß man auf den 
Programmen faſt überall denſelben Modenamen begegnet, während ältere 
gedienene Werke und nod mehr neuere, über dem Niveau der Mittelmäßig: 
keit ftebende Schöpfungen gänzlih vernadhläffigt werden. ... . „Sind 
denn dieſe „Froſchcantaten“, diefe „Käferquartette“, diefe gefungenen Tänze, 
„grau Bullrih und Frau Mullrich“ etwa um vieles leichter als ein großer 
ernfter Chor? Schenkt Euch Euer Director nur eine einzige Probe, ein 
einzige da capo, bis das Froſchgequacke, Käfergefumme, das alte Weiber: 
geſchnatter und al das Findiihe Gethue mit aller nur möglihen Wichtig: 
feit von ftatten gebt? Mir alauben den Vereinen, die fi auf folder 
Bahn befinden, ein kräftiges „Zurüd zum Beflern!” zurufen zu müflen, 
oder mir mollen ihnen rathen, die prätenziöfe Behauptung, daß fie ſich mit 
ber Pflege deutſcher Kunſt beichäftigen, für immer aufzugeben... Die 
Thatſachen fordern diefe ſcharfe Sprade: wer gegen das Mittel: 
mäßige und Berlebrte niht unerbittlich ftreng it, fann nicht 
gerecht gegen pas Gute fein!" 

62. Fortfeßung. Erwähnung fordert auch der Streit, welcher im 
der Cäcilia und dem Quremburger Courier in Betreff des Männer: 
gelanges geführt worden if. H. Oberboffer, Redacteur der Cäcilia, 
aab in derfelben einen Artitel: „Die Männergefangfefte der neuern 
Zeit”, worin er manche Bedenken gegen diefe Feſte und gegen die Zwede 
der bloßen Unterhaltung und Beluftigung, venen überhaupt beut zu Tage 
der# Männergefang vienftbar gemacht werde, ausſprach. Dies rief eine 
Dppofition in dem Luremburger Courier, zuerit von Seiten Ch. 
Beders und nachher Dr. Pfaffs aus Ehlingen hervor. As H. Ober 
boffer erflärte, fich mit dieſen Gegnern, als Nichtmufilern, nit einlafien 
zu wollen, trat Prof. Zie nen, Director der Luremburger Mufiffchule, wider 
ibn auf. Gegen dieſen vertbeibigte er fich fofort und zwar, weil der 
Courier erllärte, mit jenem Artikel des Dir. Bienen abbreden zu 
müflen, in der Cäcilia (1863, %. Ihm ſchloß fih ſpäter (Nr. 5) 
2. C. ©. aus Gratz an, mit defien Auslaflungen wider Dir. Zienen der 
Streit, fo viel mir belannt ift, fein Ende gefunden hat. 

Es handelte fih in der Hauptfahe um die Frage: „Welchen Gewinn 
baben die Männergejangfeite für die Kunſt und für die Volksbildung?“, 
außerdem um ven Grab der Berehtinung des Männergefanges an ich. 
Nicht alle Betheiligten hielten ſich frei von Gereiztheit, von Leidenſchaft, 
wenn fhon H. Dberhboffer feinerfeits eine große Ruhe und Mäßigfeit 
behauptete. Mas die Sache felbft betrifft, fo fehlt bier der Raum, um 
auf jedes Für und Wider, wie ed von der einen und ber andern Seite 
vorgebracht ift*), näher einzugehen. [Ad Refultat ftellte fih für den un: 
befangenen Dritten etma das heraus, daß der Männergejang an fi immer: 


-.-- -—— — — — 


*) Auch unter Anführung zablreicher Citate, wie z. B. (durch den Gratzer 
Kämpfer) des folgenden aus der Deutſchen Mufifzeitung (Wien 1862, 41): „Die 
Liedertateln find in meinen gefärbten Augen nichte weniger ala Mörder der 
Männerleblen, Berderber dee auten Geſchmacks, Befdrderer der 
Gitelkeit und des einfetitigen Birtuofentbume, dadurch Hemm⸗ 
ſchuhe des gemiſchten Geſanges.“ 














Geſang. 427 


hin ſeine Berechtigung hat, daß jedoch nach der jetzt vorwaltenden Art 
ſeiner Pflege und Verwendung ſeine Bedeutung für die Gegenwart mehr 
eine ſociale als eine künſtleriſche iſt, ja daß die Kunſt durch den 
graſſirenden flachen Dilettantismus nicht nur nicht gefördert, ſondern be⸗ 
nachtheiligt wird,“) endlich auch, daß ein namhafter Einfluß der Liedertafeln ꝛc. 
auf den allgemeinen Bollsgefang bis jekt nicht nachgewieſen 
werben kann. 

63. Mahnung. Eine folde liegt für jeden Männergefangverein 
in dem Wahlſpruche der Mariazeller Liedertafel: 


Bon Gottes Gnaden ift das Lied, 
Drum bab’ fein Acht, entweih es nit! 
(Sängerhalle 1863, 1.) 


Melhe Gonceffionen man auch den reinen Unterhaltungszweden 
maden möge, fo follte doch jeder Verein ſich als einen Verweſer und Ver: 
walter eines ber edelften Beſitzthümer des deutſchen Volles — unferes 
Liedes — betradten und fi als folder feiner Verantwortlichleit be- 
wußt bleiben. Wie hoch das deutiche Lied zu jchäßen, darauf wies auch 
der Minifter von Beuft hin, wenn er in feiner Anſprache an die Dresdner 
Gefangvereine (10. Aug.) fagte: „Jedes edle Lied hat einen guten Klang, 
aber vor Allem das deutfche Lied, aus dem fo ganz das Cine Wort wieder: 
ballt, das fi in feiner andern Sprache wiedergeben läßt, das deutſche 
Gemüth.” Gegenüber dem „Gut Heill”“ der Zurner kommt der 
Sängergruß „Gut Sang!” mehr und mehr in Aufnahme. Ganz jhön! 
Aber nun laßt auh „Gut Sang“ eine Wahrheit fein: fingt gut und 
fingt nur Gutes, 


2. Das Volk im Allgemeinen. 


64. Der Lebensgefang. Iſt das Boll der Gegenwart ein 
jingende3 oder ein ſchweigendes? Im Allgemeinen wird, troß ber Lieber: 
tafeln, weniger gefungen als in früheren Zeiten; die Poeſie fchmindet mehr 
und mehr aus dem Volle. Dafür die Volksſchule verantwortlid machen 
zu wollen, würde wenig Verſtändniß für das Leben der Syebtzeit, feinen 
Geift, jeine Factoren und feine Entwidelungsformen verrathen. Uebrigens 
heißt es in dem oben gen. Artikel de8 Brandenburger Shulbl.: 


*) Al® Erfahrung flebt feft, daß an manden Orten die jungen Lehrer nur 
febr fchwer für die Tbeilnabme an Vereinen für gemifchten Ehorgefang zu ges 
winnen find, fo daß dieſe Vereine bei allem Eifer der Sopraniftinnen und 
Altifiinnen doch wegen Mangel an Männerftimmen ein rechtes Gedeihen nicht 
finden können und aufer Stande find, fi) mit dem Studium größerer, ernfter 
Tonwerke zu befaffen. Ich werfe keinen Stein auf den Lehrer, der ed vorzieht, 
fih nad des Tages Laft und Hitze in der Liedertafel bei Bier und Tabak zu 
erholen, anitatt an der Einübung eines Dratoriums Theil zu nehmen, verdbamme 
auch nit (wie Manche mit großer Sicherheit tbun!) wegen dieſes Lehrers das 
Seminar; beflagen muß ich aber die Thatſache, daß die Männewereine den ges 
mifchten hören eine Summe der beiten Kräfte rauben und die Kortbildun 
Lehrer an gediegener, claffifher Mufit unter Umftänden wefentlig 

enmen. 


428 Geſang. 


„Das deutſche Lied“ ꝛc.: „So weit überhaupt — über bie Schule 
binaus — in den gewöhnlichen Verhälmifien des Lebens die Bufriebenbeit 
wohnt, wird der Gejang als Echo diefer Zufriedenheit feine Stätte im 
Volke haben. Sollte denn Philipp Wadernagel immerdar mit feiner 
wehmutbsvollen Klage Recht behalten: „Das Bolt fingt nicht mehr; alle 
Freude ift verfiummt. (Vorr. zur „Zröfteinfamleit in Liedern.) D Bolt, 
daß Gott dir helfe, daß der Geift der Lüge von hir gewichen wäre und 
du did wieder fändelt in allen deinen berrliden Gaben, daß aus deinen 
TIhälern wieder die Stimme der Freude fhallte und Stadt und Land 
wieder die jchönen Lieder fängen.“ In vdemjelben guten Glauben an bie 
Zukunft des Volksgeſanges ſetzt der Verfafler da, wo er unferes reichen 
Schatzes an guten Liedern erwähnt, hinzu: „fie alle (diefe Lieder) 
mögen, jo lange deuticher Geift und deutſche Sprache waltet, von Geſchlecht 
zu Geſchlecht hinüberklingen, frohe Gemeinjhaften und Gejellichaften um: 
winden, Sehnen weden und Sehnſucht ftillen, wahre, ächte Himmelsklänge 
aus einem ewigen Baterlande, aus einer unvergänglichen Welt des Wahren 
und Schönen, die ihren Himmel gern über unjere Erbe wöolbt.“ 


65. Förderung des Bollsgefanges. Die Schule möge, ob 
auh die Ausfiht auf reichen Erfolg eine zmeifelhafte fei, fortfahren in 
ihrem Bemühen, dem Bolle Luft und Liebe zum Gejange einzuflößen und 
ihr durch Darreihung guter Lieder Nahrung zu geben. Die gleiche 
Aufgabe follte fi) jeder Männergefangverein ftellen. In Betreff der Lieder 
fagt das Brandenb. Schulbl. am ebengen. Orte: „Was aber dem 
weltlihen Liebe von Uebel antlebt in den Berrbildern des Bänteljänger: 
liedes Tann nur durch die Pflege des Schönen und Guten je mehr und 
mehr in Acht und Bann gethan werden, es kann nur dadurch abfterben, 
daß Das Gute und Schöne beglüdennden Pla gewinnt und in weiten 
Kreiſen fortſchwingt.“ 


I. Geſanglehre. 


A. Allgemeines. 


1. Der Lehrer. 


66. Seine Ausbildung. Sofern fie die kirchliche Chor 
führung betrifft (in fonftiger Beziehung find neue und bebeutjame 
Momente nicht herausgetreten), jo weift Kothe auf eine Einrichtung bin, 
die eben fo für proteftantiihe Seminare, wie für katholifhe, die Kothe 
ausjhließlih im Auge hat, von Wichtigkeit ift. Er fagt: Man befchränlte 
fih bis jegt in den Seminarien zunädft nur auf Gompofitionen für 
Männergefang, oder man führte wohl gar durch Verſetzung von Stimmen 
Saden auf, die für gemifchten Chor geſchrieben find... . Der Seminarift 
tritt alfo aus dem Seminare, ohne daß er reine Bocalmujil für 











Gefang. 429 


gemifhte Stimmen und deren vortrefflihe Wirkung lennen 
gelernt bat. Hier ift offenbar eiue Lüde. Mein Borichlag geht nun 
dahin: Man bilde aus den Schülern der Uebungsklaſſe eine Anzahl 
Sopraniften und Altiften, und mit diefen Sängern in Verbindung mit den 
Seminariften übe man dann Meifterwerle jeder Stylgattung, aber von 
firengfter Richtung — das Minderjtrenge findet fi jpäter von felbft — 
und zwar fo lange, bis die Ausführung möglichſt muftergültig wird... . 
Bei dem Einftudiren benuße der Lehrer jede Gelegenheit, die Schüler anzu: 
regen und zu belehren; fei es durh Zergliederung der Compofi: 
tion, durh Hinweifung auf Eigenthümlidhleiten und Schönheiten 
des Werks oder der Stylgattung; fei es durch Mittbeilungen über 
die Perjon des Componiften und feine Zeit, durch Notizen über bie 
Entſtehungsgeſchichte mancher Werke, kurz, das Ginftubiren muß weniger in 
einem mechaniſchen Anlernen, als vielmebr in einem Bertiefen 
in den Geift der Compoſition, in einem auf liebender Pietät bes 
rubenden Bertrautwerben mit dem Werke und feinem Schöpfer beiteben.... 
Hat der Seminarift auf diefe Weife eine Neihe gediegener Werte und 
die Art ihrer Ausführung kennen gelernt, ift fein Geſchmad ges 
läutert, fein Geſichtskreis erweitert, bat er überhauvt richtige und 
gefunde Anſichten über Kirchenmuſik in fi aufgenommen, jo dürfte 
man für feine fpätere Wirkſamkeit, follte man meinen, das Befte hoffen. 
Allein bei Vielen werden dieſe Eindrüde nur zu leiht geſchwächt oder 
ganz verwiſcht dur die Macht der Verhältniffe, unter denen fie fortan 
leben, dur die Hinderniffe, mit denen fie zu kämpfen haben, ja durch 
die finnlihe Natur ihrer felbit. Daher ift es nothwendig, daß bie unter 
der Aſche glühende Liebe zur heiligen Runft zu heller Flamme der Be: 
geifterung angefadht, die erlahmende Kraft neu geftählt und die Opfermwilligs 
feit neu wachgerufen werde. Darum veranftalte man nad) dem glänzen: 
den Beijpiele Töplers zu Brühl in den Seminarien von Zeit zu Zeit 
Mufilaufführungen mit Heranziehung der Kräfte aus der Provinz; 
auch laſſe man feine Konferenz vorübergehen, ohne eine wohleinftubirte 
claſſiſche Compofition zur Ausführung zu bringen.‘ 


67. Selbitverleugnung. „Ohne dieſe“, fagt Rothe, „wird 
der Dirigent claffifcher Kirchenwerke nichts Gutes fchaffen, denn ohne 
Opfer kein Segen. Wird aber bei erfolglojen Beftrebungen und bei 
Hindernifjen die Seele müde und die Willenskraft matt, dann ftärke er fich 
im Gebete, erfriihe ih durch Lectüre, duch Gefpräde mit 
Gleihgejinnten und gehe von Neuem an's Werk.... Die Parabel 
vom Samentorn enthält auch für den Dirigenten recht viel Trofte 

eihes. Möge er darüber fleißig meditiren! — 


68. Ehrenhaftigleit. Als folde ift es nicht zu erachten, 
wenn Jemand bei Anfertigung und Herausgabe eines Liederheftes für die 
Schule die Eigenthumsrechte Anderer durch Ab: und Ausfchreiben verleßt. 
Solche Berlegungen haben namentlich Ludwig Erk und Hoffmann 
von Fallersleben mehrfah erfahren. Indem die Berliner 
Blätter (1862, 45.) diefes Plünderungsfpftem einer ſcharfen Nüge unter 





430 Gefang. 


werfen*), weifen fie die Redensarten, welche zur Beihönigung befielben 
gebraucht werden, mit Entſchiedenheit zurüd. 


2. Techniſches. 


69. Saumen:, Kebl und Nafentöne. Ueber diefe Fehler, welche 
oft genannt werben, ohne gelannt zu fein, fagt Rihard Müller in 
feiner Anleitung zum Studium des Geſanges Folgendes: „Der 
Grund zu all' viefen Fehlern ift einzig und allein die verſchiedenartig 
f&ylechte Lage der Zunge. Gaumentöne werben duch das raſtloſe Hin: 
und Herirren der Zunge im Munde erzeugt, wodurch dem Tone möglid) 
wird, fih im ganzen Gaumen, wo eben die Zunge Platz läßt, auszubreiten, 
ftatt fih auf den einen, einzig richtigen Punkt (über den Oberzähnen, aljo 
an dem vordern Theile des jogenannten harten Gaumens) zu concentriren 
und von bier aus frei und voll auszuftrömen. — Bei ven Kehltönen 
liegt nun zwar die Zunge ruhig im Munde, allein ihre Spige hebt, an: 
ftatt fi leicht an Die Unterzähne zu legen, im Munde fi) wie eine Mauer 
body empor, wodurd das Bordringen des Tones verhindert wird. Diefer 
wird vielmehr genöthigt, ſchon ganz hinten, dem Kehlkopfe gegenüber, an 
der Wand der Nachenhöhle anzufchlagen, und auf diefe Weiſe wird der 
hoöchſt unangenehme, gequetihte Kehlton erzeugt. Der Naſenton ent: 
fteht dann, wenn, obſchon die Zungenfpige an den Unterzähnen anliegt, 
der Zungenrüden ſich in die Höhe wölbt, wodurch der Ton gezwungen ift, 
in der Gegend der Najenhöhlen anzufchlagen, denn ein weiteres Vorbringen 
verhindert eben der gewölbte Zungenrüden. Wil Jemand bei feinen 
Studien unterfuhen, ob eine Spur von Naſenklang in feinen Tönen ifl, 
jo ift ihm anzuratben, während des Aushaltens von langen Tönen plöplid 
die Nafe zuzuhalten, der Ton wird fofort eritiden, wenn es ein Nafenton 
war; im entgegengefeßten alle wird er ungehindert forttönen.‘‘ 

70. Anwendung der Geige R. T. Sagt in der Sänger 
balle: „Der feelenvolle, lebendige Ton der Geige, welcher des Anſchwel⸗ 
lens bis zur hödjten Kraft fähig ift, dieſer, der menſchlichen Stimme fo 
verwandte Ton ift es, welcher unter den fichern Griffen und Strichen des 
Dirigenten gar mächtig die Singftimmen leitet und führt... . Leider wird 


*, „Die fabricirenden Herren tröften fich einfach mit dem Gedanken: Andre 
machen's ja auch jo! und halten ſchlechtweg alles Wedrudte für Gemeingut, 
das ein Jeder nad Belieben verwenden könne... Es ift in der Lehrerwelt 
befannt, dag Hoffmann es gewejen tft, der uns von der Jämmerlichkeit der 
Xiederterte, wie fie vor feinem Auftreten befland, erlöft bat. Nicht Allen möchte 
ed aber befannt fein, daß der Dichter nad dem Berlufte feiner Profeffur auf 
ein geringes Wartegeld geſetzt iſt; er muß von dem leben, was er mit feiner 
Feder verdient. Zu diefem Zwede hat er auch feine „Hundert Schullieder“ 
efchrieben, fein Freund 2. Ert bat nur den Ramen mit bergegeben und aus 
—** aft die Melodien darübergeſetzt, das Ganze iſt auf Hoffmanns 
eigne Koſten herausgegeben worden.CEine CEhyrenſache hätten es ſich die 
Lehrer muͤſſen fein —8 eines ſolchen Mannes geiſtiges Eigenthum zu reſpec⸗ 
tiren und die reizenden Liedchen zu benutzen. Statt deſſen aber werden die 
beten Perlen herausgenommen, und Andere füllen ihre Geldbeutel mit dem Erz 
158 für das daraus entiehnte But. — . 








Geſang. 431 


Violine nur ſelten geſpielt; wo das Geigen ein Kratzen iſt, wie in ſo 
haäufigen Fällen, und wo unrichtig gegriffen, folglich auch unrein geſpielt 
wird, da danken wir beſtens für die Violine und bedauern Inſtrument und 
Sänger ob des mit ihnen getriebenen Mißbrauchs.“ (Hört, hört!) 

71. Das Zaltiren. Hierüber wurden von M. Herrmann in 
Dresden beachtenswerthbe Rathihläge in der Sängerhalle (1862, 50.) 
ertbeilt. Man dulde unter keiner Bedingung, daß die Sänger ven Zaft mit 
dem Fuße angeben; „denn es iſt dies eine Unſitte, die — einmal ange 
wöhnt — dem Sänger anllebt auf ewige Zeiten und nad Umſtänden 
ein obligate® Getrampel neben dem Gejange berbeifübrt, welches eine 
Schwadron Cavallerie als im Anzuge begriffen vermutben läßt.” In 
jever Zaltart bat der Dirigent den erften Takttheil, aber nur biefen, 
jentreht von oben nah unten zu fchlagen. Fortwaͤhrendes Pochen auf 
das Direltionspult ift unausftehlid. „Glaubt Einer oder der Andere 
bierduch dem Publikum feine Autorität und Unentbehrlichleit zeigen zu 
müflen, fo vergißt verjelbe, daß er hiermit entweder der Art und Weife 
feines Taltirens, oder der Aufmerkſamkeit feiner Leute, die nicht auf das 
Zaltiren adten, ein Armuthszeugniß ausſtellt“ Verkehrt ift das ſoge⸗ 
nannte runde Taltiren, wo die einzelnen Zalttheile nicht genau von 
einander gejondert werben. „Mag immerhin das Taktiren etwas edig 
ausſehen: es ift taufendmal bejler als jene runde Bummelei. Beim Auf: 
talte die fehlenden Takttheile vorzugeben, wird im Allgemeinen wider: 
rathen. — Damen möchte ich bei dieſer Gelegenheit noch vor jener 
Wichtigthuerei, momit mande Dirigenten die Aufmerkfamteit ver 
Bubörer von der Sache ab — und auf ihre Perſon binlenten, leßteres 
ledigih nur mit dem Erfolge, daß fie fi) in den Augen des Berftän- 
digen — lächerlich maden. 


B. Maffenunterridt. 


1. Allgemeines. 


72. Anllagen gegen die Schule. Abermals ift gegen die 
Schule der Vorwurf erhoben worden, daß fie eine ausreichende Vorbildung 
für den Gefang nicht gewährte. Das A-B-C der Gejangstunft, wie über: 
baupt diefe ganze Kunft jelbit, werde „ſchmaͤhlich vernadläffigt‘, jo fagt 
5 ©. in der Sängerballe, und in bemfelben Blatte (1863, 16.) 
führt 3. Schneider an, daß in den Schulen bekanntlich noch immer 
viel zu wenig für die edle Singelunft gethban werde. „Wie ſchön märe 
es“, ſetzt er hinzu, „wenn in der Schule die Muſik jo ernitbaft getrieben 
würde, daß fie der von ihr Entlafiene eben jo wenig verlernte, al3 das 
Lefen und Schreiben... aber von Notenlenntniß, oder gar von 
Notentreffen ift überall leine Rede. — In ähnlicher Weiſe haben ſich 
Andere geäußert. 

Dem Borwurfe, daß „vie ganze Gefangstunfl” in den Schulen ver: 
nadläffigt werde, kann man einfach die Thatſache entgegenftellen, daß in 
der bei Weitem großen Mehrzahl auch der Slementarjchulen ein ausreichen: 
der, an ſich volllommen berechtigter Gejangftoff, beftehend in Chorälen und 


432 Befang. 


Volksliedern, den Kindern für das Leben angeeignet und von ihnen be 
friedigend zu Gehör gebracht wird. Es kann fih alfo nur um Roten: 
tenntniß und Notentreffen handeln. Die Forderung, daß die Schule 
das Bolt fo zum ſelbſtſtändigen Treffen führe, wie zum felbfiftändigen 
Leſen und Schreiben, müßten wir zurüdweifen. Es iſt indefien ſchwerlich 
damit jo ernjt gemeint. Laßt uns dafür forgen, daß die Schüler eine 
Kenntniß der mufitalifhen Zeihen und ihre Bedeutung 
erlangen, allerdings in Verbindung mit ganz einfahen und leichten 
Vebungen im Treffen (fteigende Zerz, fallende Duinte zc.) fo merden 
wir die Aufgabe der Volksſchule defto vollftändiger löfen und zugleidy die 
Lievertafeln zufriedenftellen. Ich habe eine folhe Beſchulung der Kinder 
ftet3 gefordert. 


2. Die Zonzeichen. 


73. Differenzen. Einigung in Betreff der Tonzeihen ift nicht 
erfolgt. Abermals fanden 1) die gemöhnlihen Noten, 2) die Zahl: 
noten, 3) die Ziffern ihre Bertreter. Außerdem redeten 4) Lehrer Bree 
in dem Sächſiſchen Schulblatte dem Schumann'ſchen Roten: 
ſyſtem das Wort, und 5) ſchlug Cantor Klofe in ver Sängerballe 
eine ganz neue Art der Tonbezeichnung vor. 

74. Noten (die gewöhnlihen) oder Ziffern? Diefe Frage bat 
abermals zu mehrfachen Grörterungen geführt. 

In der Sängerhalle ſprach zuerft H. H. in W. gegen die Noten 
zu Gunſten der Ziffern, als eines „großen Erleichterungsmittels.“ (1862, 
52). Gr berief fi dabei auf breiundpreißigjährige Erfahrung und fagte 
u. A.: „Ich bin Einer, der Euch (den Bertretern der Noten) widerſpricht, 
und wenn Ihr verlangt: „Nur nad Noten!“ der Euch fagt: Richt alfo! — 
Ihr mögt jagen, was Ihr wollt! — Erfahrung gilt mehr als Anſicht! 
und Probiren geht über Stubiren! — Ya, nah Noten fingen — da habt 
Ihr Recht — fieht eher nad Etwas — fieht gelehrter aus, und wir haben 
feine gedrudten Sadhen und Stimmen in Ziffern! Die müßte man fid 
alle erft fchreiben! Nun, vor dreißig Jahren hatte man gebrudte Sadyen in 
Ziffern, und — Hauptſache! — mir hat die Erfahrung gelehrt, daß man 
bei der Biffernbezeihnung in unjern Vereinen, wie fie in den weiten 
Städten und auf dem Lande find, in fofern weit mehr leiften kann, daß 
man dadurch viel eher jelbititändige, d. h. im Zreffen. fähige Sänger bilvet, 
als nad Noten. Denn wenn auch gemillenhaft und eifrig die Borübungen 
zum Rotengefange — bie beiläufig viel Zeit rauben und bald langweilen — 
durchgemacht worden find, fo it gleihwohl die Kenntniß der Noten und 
andern Beichen, auch felbft der Zonleitern, noch lange fein Treffen und 
fein Singen nah Noten! — ... Es ift eigentlih ein blaues Wunder, 
daß man in den Vereinen nicht mehr und beſſer Gebrauch madht von den 
Ziffern! — Ih laſſe jeßt nach Noten fingen, aber meiftens ſchreibe ich zur 
Grleihterung in den Notenftimmen die Ziffern darüber.‘ 

Hiergegen machte in demfelben Blatte (1863, 9) H. A. Klofe die 
Vorzüge der Noten vor den Biffern geltend. Er geftand zu, „daß für 
Männergejangvereine, deren Mitgliever keine andere mufilaliihe Vorbildung 





Gefang. 433 


haben, als fie die Volksſchule geben Tann, eine leichtere Tonbezeihnung, 
als dur Noten erwünſcht fei, fuhr jedoch dann fort: ... „allein die Be- 
zeichnung der Töne durd Ziffern gewährt diefe Erleichterung nit, denn 
fie bieten gar keine Anſchauung für das Steigen und allen der Töne, 
wie ed doch die Noten thun. Freilich giebt diefe Anſchauung nur eine un: 
gefähre Vorftellung von der Höhe oder Tiefe eines Tones, nicht aber 
eine genaue; die Ziffer giebt aber auch dieje nicht einmal, fondern läßt 
erft die Töne durch Abftraction finden. Nah Erwähnung der Schwierig: 
feiten, welche die Bezeichnung der TZonlängen bei den Ziffern bat, fagt 
er dann: ... „In den Zwanziger: jahren nahm man einen fehr flarfen 
Anlauf, die Noten durd die Ziffern, wenigſtens in den Schulen, zu ver- 
drängen; allein man ift dod im Allgemeinen wieder zu den Noten zurüd: 
gelebt. Die Noten werden auch ſchwerlich dur etwas Anderes und 
Beſſeres erſetzt werden, denn fie haben ſich einmal eingebürgert und bes 
friedigen aud die an fie zu machenden Anſprüche volllommen.‘ 
Gegenüber der im legten Sage ausgefprochenen Meinung hätte es be⸗ 
fremden können, daß H. A. Kloſe dennoch in demjelben Artikel ein neues 
Syſtem der Tonbezeihnung mittheilt, wenn nicht er jelbit dabei bemerkt 
hätte, daß er dafjelbe „immer beim Beginn eined neuen Gejangcurfug‘ 
angewandt babe, woraus zu jchließen ift, daß er nachher zu den Noten 
übergegangen jei. Näheres über das neue Syſtem weiter unten. 
H. war nun frifh mit einer Entgegnung bei der Hand (1863, 
13), worin er beiläufig einen heitern Humor entmwidelte*); RIofe jeinerjeits 
verfehlte nicht, au antworten (Nr. 18), worauf H. H. nohmals replicirte! 
(Ne. 25). Da gab es hüben und drüben Gründe und Gegengründe, wie 
Brombeeren fo zahlreih, außerdem berief fich jeder der beiden Kämpfer im 
Snterefie feiner Sache auf lange perfönlihe Erfahrung, H. H. auf eine 
34 jährige, Klofe auf eine A2jährige! — Das Nähere wolle man in der 
Sängerhalle ſelbſt nachleſen; ich bemerle nur, daß weder der Zifferift nach⸗ 
gab, noch aud der Dertreter der Noten. — 


75. Fortfegung. Zu Gunften der Ziffern äußerte fih auch 
Schulmeifter Rautter (zu Altingen bei Herrenberg) in feiner „Kurzen 
Darftellung der Wobold'ſchen TZonziffermethode mit Bezug: 
nahme auf andere Bezifferungsarten und die Notenſchrift“ 
(Süddeutfher Schulbote. 1863, 27.) Nah feiner Anfıht bat 
die Tonzifferſchrift zwar nit die Anjchaulichleit des Notenſyſtems; aber da 
fie ſämmtliche Tonarten auf eine einzige zurüdführt, jo ift fie ungleich ein⸗ 
facher als diejes, und es können darum die Tonintervalle weit gründlicher 
eingeübt werben, was jenen Mangel an Anfchaulichleit vielfach aufwiegt. 
„Um folder Einfachheit willen wird alfo der Gefang nad Tonziffern deſto 
ficderer und gründlicher“. Gr fest hinzu: „Wenn man beim Notenfingen 
auch ſämmtliche Tonarten auf nur drei Dur und eben jo viele Moll 
Tonarten zurüdführt, und in diefen die Singftüde ſchreibt, fo heißt das 
dem Charalter der legteren eben fo ſehr Gewalt anthun, ald wenn man mit 


*) Er fagt u. 9., der Rotenfänger, faſt nur auf das Gehörfingen befchräntt, 
wiſſe oft weiter nichts von den Roten, als: „das Schwarze, das find fie!, 
Sir. Iahresberiht XV. 28 


434 Geſang. 


gänzlicher Entfernung der Note vie bloße Biffer anwendet; und trotzdem 
bleibt für den einfachen Vollsihüler bei jenem nod fo viel zu lernen, daß 
nur die wenigften ihrer Sache gewiß werben und auch nad der Edyulgeit 
noch nah Noten fingen lönnen.” Auf die Anwendung der fogenannten 
Umzifferung*) läßt er fih nicht ein. „Wie viele, felbit geübte Rotenfänger 
baben wohl eine klare Erkenntniß — ich fage nicht, ein dunkles Gefühl — 
von dem Mebergang in eine andere Zonart und lafien vemgemäß nicht blos 
die richtige Umzifferung, fondern dieſe auch gerade auf dem Ton eintreten, 
auf den fie nah dem mufilaliihen Geſetze fällt? Wir Lehrer an den 
Volksſchulen müflen froh fein, wenn unfer Echulgefang und durch deſſen 
Vermittlung auch der Gefang in der Kirche immer mehr ein fanfter, reiner, 
richtiger und fertiger wird.‘ 


Auf Seiten der Noten, ohne jedoch fih über vie Ziffern auszu⸗ 
ſprechen, ſteht der Berf. einer Neihe von Artikeln in der Sängerballe 
(1862, 27 u. f.), die unter dem Titel: Aus dem A⸗B⸗C⸗Buche der 
Singetunft, welde den „alten Knaben“ der Liedertafelrunde Gelegenheit 
geben wollen, „das nachzuholen, was fie, allerdings ohne ihr Berjchulden, 
in der Schule verfäumten.” Ob die Forderung des Verf.; „Gin Sänger 
muß der Notenichrift eben jo mädtig fein, wie er der Buchſtabenſchrift 
zum Leſen mächtig ift eine erfüllbare fei oder nicht, bamit haben wir es 
bier nicht zu thun. 


Mit Entſchiedenheit Spricht fih Noftiz, Lehrer zu Würgendorf in We 
pbalen, gegen die Ziffern aus, darauf hinweifend, daß die Ziffern, 
welche in den Tagen Natorp's faſt in allen Schulen gefunden wurben, 
jeßt aus den allermeiften Schulen verſchwunden feien. (Euterpe, 1863, 3.) 


©. Lehmann erllärte fih in feinem Artikel: „Der Bollsfhul: 
gejang und die Tonzeichen“ (Euterpe 1862, 2) abermals zu Gunſten 
der Noten. 


Schließlich fei no folgende Aeußerung angeführt, welche von Seiten 
eines urtheildfäbigen Mannes im Süddeutſchen Schulboten gethan 
wurde: „So viel fih auch gegen die Zifferſchrift einwenden läbt: fe if 
darum body noch fein überwundener Standpunkt, und mander Lehrer 
(3. B. Eichler in Markgröningen bei Ludwigsburg) leiſtet Bortrefiliches 
damit. Auch wir, obgleih wir die Notenjchrift meitaus vorziehen, wollen 
die Frage noch nicht für abgefchlofien erklären, da Noten wenigitens fo gut 
Beichen find als Ziffern.“ 


76. Die Zablnoten. Eine fehr beachtenswerthe Vertretung fanden 
diefelben in &. H. R. Waldbach, Seminarlehrer in Pr. Eylau. Der 
jelbe hat 60 Choralmelodien zu den 80 Kirchenliedern ıc. im 
„Einsſchlüfſel **)“ herausgegeben und in dem Worte fi ausführfich fiber 
| vei Modulationen wird die neue Tonica als neue 3 bezeichnet. 

*%) Alle Tonarten werden auf einerlei Weiſe, nämlich ſo dargeitelit, deß 
der erfie Ton der Scala auf die erfle Linie zu ſtehen kommt und zwar niet 
unter einem Namen wie c, d, e 2c., fondern ald „Eins”, an welche Gius fid 
alshann anf den folgenden Stufen die „Zwei“, die „Drei“ u. ſ. w. auſchliefen 


Belang. 435 


diefe Art der Tonbezeichnung geäußest*)., Bei der Wichtigkeit der Sache 
muß es im Intereſſe unferer Leſer liegen, ihn jelbf zu bören. Gr jagt 
unter Anderm: „Die falt allgemein zur Anwendung kommende Zonjchrift 
in Buchflabenbenennung ift, wie jeder Geſanglehrer ſattſam erfährt, für die 
meiften Sänger, infonverbeit aber für Glementarfchüler, weil die Kenntniß 
verjhiedener Schlüffel, Zonleitern und Intervalle vorausgejeßt werben muß, 
in Hinficht auf ficheres, bewußtes Treffen der Zöne viel zu ſchwer und, 
weil für die bewegliche Singftimme nicht nöthig, aud ganz unpralktiſch. 
Dagegen entbehrt das immer noch nicht ganz verbrängte Ziffernſyſtem, 
welches ſich neben die noch herrihende Zonbezeihnung als eine von ihr 
ganz abweichende ftellt — obwohl es die Zonabftände ſcharf bezeichnet, ven 
Kindern ſchon geläufige Zeihen benutzt, die raſche Aufzeichnung einfacher 
Melopien begünftigt und die Aneignung von Senntniffen aus der allges 
meinen Muſiklehre nicht fordert — in melodifcher, rhythmiſcher und har: 
moniſcher Beziehung der Anſchaulichleit. Vortheilhafter zeigt fih daher 
Shon die Verbindung der beiden genannten Bezeihnungs: 
weijen, nämlich die berfömmlihen Noten, aber nicht in Buchſtaben⸗, 
fondern in Zablenbenennung, meil fo mit Umgehung der meilten 
angegebenen Nuctheile in allen Zonarten — die zufälligen Verän⸗ 
derungen abgerehnet — nur eine felte Zahlen: (Grund) Ton: 
leiter (in Dur von Eins, in Moll von Sechs, in den Kirchentönen auch 
von Zwei, Drei und Fünf aus) erfcheint und fo die un veränderte alte 
Schreibung, nur in zwedmäßigerer Lesart, auftritt. Dennoch 
bereitet dieje für gewöhnliche Noten jonjt fehr zu empfehlende Anſchauung 
des Notenſyſtems dem Glementarfhüler noch Schwierigleiten, die nur ein 
ſachkundiger Xehrer leicht befeitigt; denn es muß nun immer noch ermittelt 
werden; 1) mo in jedem vorliegenden Schlüjjel c fteht und 
2) welcher Ton bei der betreffenden Borzeihnung als 
Eins gilt. Lebteres ergiebt fi aber, wenn gemerft wird, daß bei feiner 
Vorzeichnung ſtets o, bei einem Kreuz g, bei einem B f u. f. f. als Eins 
angenommen werben muß, woraus von felbjt folgt, daß die Eins nur in 
der Dur: (aud jonifhen) Tonart Grundton fein kann. Nach Feftitellung 
der Sing kommt für den Sänger weder Schlüſſel, noch Vorzeichnung, noch 
Zonart in Betracht und er ift in den Stand gejeßt, die Noten in Zahlen 
nun leicht zu lefen und zu treffen, wenn er ſich die Stellen der untern und 
obern Eins und der dazwiſchen liegenden Fünf wohl merkt und von diejen 
feften Stellen aus alle übrigen Noten beurtheilt. Um nun aber auch diejen 
Schwierigkeiten aus dem Mege zu geben, iſt bier für alle Tonarten 
und für alle Singfiimmen (oder Inſtrumente) die Eins ftets auf die 
exfte Linie (und in den vierten Naum) geftellt, jo daß fie nun, obgleich 








*) Er weit dabei auf die hoben Berdienfte bin, welche fi der Erfinder 
der Zahinoten, Pfarrer Ibomascif in Divreußen, um den Vollögefang er⸗ 
worben habe. Zu den Zablnoten felbit bemerkt er gleichzeitig, daB das Ders 
ſtaͤndniß derfelben, namentlich in der Provinz Breufen, durch Berückſichtigung 
des Einsſchlüſſels beim Unterricht in mehreren Seminarien und Bolksichulen, 
in einigen Liederfammfungen und in der Gefangfchule von Hoppe vielfach in 
Besbreitung gelommen ſel. 

28* 


436 Geſang. 


fie eine feſte Stelle bat, nicht einen für alle Fälle beſtimmten, ſondern nur 
den erfien Zon der allgemeinen Grundtonleiter bezeichnet. 
Bon welchem Zone aus dieſe Leiter gebildet werben fol, ift unter dem 
Ginsichlüfjel angegeben. 1 == g oder G bedeutet demnach: die Note Eins 
auf der erften Linie ift (für Kinder oder weibliche Stimmen) das Heine, 
oder (für Männerftimmen) das große G, woraus fidh die bezeichneten Ton⸗ 
reihen von jelbft ergeben. 1 == es oder es hebeutet: die Eins auf der 
eriten Linie ift (für Kinder) das gefperrte, oder (für Männer) das Heine es. 

Aus dem eben Gefagten erhellt, das diefe Thomas ci k'ſche Tom 
ſchrift — weil nun jede Zahlnote ihre leicht mertbare, feite Stelle hat, 
feine Borzeihnung behalten werden darf, abweichende Tonſchlüſſel für ver 
ſchiedene Stimmen wegfallen, und die Bildung der Tonleitern und Inter 
valle erfpart wird — vorzugsmweife für den Sänger ſich nicht nur wegen 
ihrer größtmöglien Cinfadhheit, ohne Beeinträchtigung der Anſchaulichkeit, 
fondern auch darum in eriter Linie für den Elementarjchüler empfiehlt, weil 
eben jo natürlich von der Ziffer zu ihr übergegangen werden kann, als 
fie leiht und grundlegend zu allen übrigen Schlüſſeln in ver Zahlenbe⸗ 
nennung, die ja ohnehin bei der Zonleiterbildbung und Accorobeftimmung 
nicht zu entbehren ift, hinüberführt. Es will ſich aud der Einsfchlüffel 
der gewohnten Tonbezeihnung nit entgegen, fondern für beftimmte 
Zwede, indem er Mangelndes ergänzt und Ueberflüffiges befeitigt, vorbe⸗ 
reitend voran und unterflübend zur Seite ftellen. Der nur fingende 
Elementarfhüler und Dilettant reicht mit ibm vollfändig aus, aber auch 
dem tiefer eingehenden Sänger und Spieler leiftet er vortrefflihe Dienfte, 
ja er ift, genau befeben, der Hauptſchlüſſel für das raſche Verſtändniß 
und den zwedmäßigften Gebraud aller übrigen.” 

63 fteht nun zu erwarten, ob der „Einsſchlüſſel“ fi von der Provinz 
Preußen aus weiter verbreiten werde; daß Rector Reinthaler in Erfurt 
ihn fhon vor Jahren angenommen und in feinen vielen liturgiſchen und 
fonftigen Choral: und Liederwerkten beharrlid in Anwendung gebracht hat, 
ift bekannt. Weitere Nachfolge hat dies jedoch, fo viel mir kund geworden, 
bis jegt nicht gefunden. 

In fehr anerlennender Weiſe wurde dad Zahlnotenſyſtem von einem 
Ungenannten in der Allgemeinen mufilalifhen Zeitung beiprochen. 
Es heißt dafelbft u. A.: „Die Erſcheinung it neu und ohne Frage für 
Lernende praltifh genug, um ihre weitere Verbreitung zu wünfcden, zumal 
es leineswegs im Wejen der Sache liegt, die beſtehenden Berhältnifie zu 
verdrängen. Vielmehr fteht der Einsſchlüſſel in innigfter Beziehung mit 
den fämmtlihen Sclüfleln und Tonſyſtemen“ u. f. w. 

77. Das Shumann’fhe Notenſyſtem. Zur Kenntniß deſſelben 
dienen außer dem betreffenden Artilel im Sächſiſchen Schulblatte 
(1862, 2) die Brofehüre des Erfinders: „Vorſchläge zu einer Re— 
form auf dem Gebiete der Muſik“ x. und eine Abhandlung von 
Dietlein in der Euterpe (1860, 10). Hier nur Folgendes: 

Schreiben wir auf jede Stufe des Fünflinienfyftems, mit Hinzunahme 
der erften Hülfslinie unten und ber erften Hülfslinie oben, in auffleigender 
Folge eine Note, ohne ein Berjegungszeihen anzuwenden, fo beveuten biefe 


Geſang. 437 


Noten a) nach dem gewoͤnlichen Notenſyſtem (den G⸗Schlüſſel angenommen) 


—— — — — — — 
— — — — — — — — — — — — — 


die Töne: cedefgahcdefga, 
b) nah dem Schumann’ihen 


._———.n — 7 — — — — — — — 


Syſtem dagegen die Toͤne: c ois d dis e f fs ggisaaish ce. 
Diefelben Noten zeigen alſo unter a die diatoniſche, unter b die chro⸗ 
metifche Zonfolge an. Das alte Syftem bat feine befonveren Stufen 
für die Töne cis, dis, fis, gis, ais, vielmehr finden biefelben auf ven 
Stufen der Töne co, d, f, g, a ihren Plag, nur daß ein Verfegungszeichen 
angewandt wird; das neue Syſtem weit jedem dieſer Töne feine eigene 
Stufe an und bebarf deshalb keiner Verfeßungszeihen. Das alte Syſtem 
braudt für den ganzen Inhalt einer Octave fieben Stufen; das neue nimmt 
deren zwölf in Anſpruch. Es ftellt, wie Bree jagt, den Grundjag auf: 
„Da wir innerhalb einer Octave zwölf verſchiedene, unter ſich aber voll: 
ſtaͤndig gleichberechtigte Töne haben, jo müflen aud zwölf verjhiedene Noten: 
fiufen in eben jo gleihmäßiger Abftufung gebraucht werden, um jedes Ton: 
verhältniß zur Anfhauung zu bringen. Denn die Notenzeihen felbft, und 
nicht vorzugsweife die Namen derfelben, wie das jetzt ift, müflen die Ton⸗ 
intervalle bezeichnen.” Man fohreibe nun einmal nad dem alten Syſtem 
die Noten für folgende Zöne hin (G-Schlüflel): 


— Gem (Ep — — de — — 


ceafacfdeo, 
fo bebeuten dieſe Noten nad) dem neuen F geleſen, die Toͤne: 


geben alſo den Anfang von „Schmücke dich, o "liebe Seele.” 

Breé jet hinzu: „Ob dieſe Darftellung anſchaulich fei oder nicht, 
wird der Lefer ohne Schwierigkeit fich felbft jagen können; und die Ant= 
wort darauf wird gewiß zu Öunften des neuen Syſtems geſprochen werben. 
Sind wir aber hiernach feit überzeugt, das neue Syſtem veranfchauliche 
wirflih die Tonverhältnifie, jo kann der Lehrer keinen Augenblid zweifelhaft 
fein, wofür er fi zu entſcheiden habe.“ 

Weiterhin jagt der Verf. u. A.:! „Das neue Shyſtem ift geeignet, 
Klarheit und Einficht zu verjchaffen, wo Irrthümer noch verwirren ... Und 
der Lehrer? Ein Lehrer kann Alles! Ich empfehle Dreierlei zur fihern 
Drientirung: 1) Ausdauer auf einige Wochen. 2) Einen Haren, vorur 
theilsfreien Blid. 3) Die von dem Grfinder gejchriebene Brojchüre: Vor: 
fhläge zu einer Reform ıc. ... Prüfet Alles, und das Beite be 
balt “__ 

Morin befteht nun eigentlich vie „Anſchaulichkeit“ des neuen Syſtems? 
Dfienbar darin, daß der Schüler bei jedem Intervall unmittelbar fieht, 
oder wenigitens leicht abzählt, ob er zu fingen habe: a, einen ganzen Ton, 

oder b, einen halben Zon, over c, mehrere ganze Töne (und zwar mie 
viele) oder endlich d, eine Verbindung von einem ober mehreren (und zwar 
fo und fo vielen) ganzen Zönen mit einem oder mehreren balben, zu 
welchem Allem er keiner Notennamen, keiner Zonleiters und ZTonartenlennt: 
niß, überhaupt keines theoretiſchen Apparates bedarf. Bon einer Noten:Stufe big 
zur nächfiliegenden ift ein halber Zon, darauf beruht Alles. Ob freilich 


— — — — J 


438 Geſang. 


der Schüler nun darum auch trifft, weil er fiebt; ob er ein 

zu fingen vermag, weil er weiß, woraus dafjelbe beſteht, Das ift aller 
dings eine andere Frage: ich meinerjeits halte den Unterſchied zwiſchen 
jeben und fingen, wiſſen und treffen für fo groß, daß ich, jelk 
unter Vorausſetzung eines forgfältigen Unterrihtes, jene Frage im Alk: 
meinen nicht zu bejahen wage. 


178. Das Klofeihe Notationsfpftem. 1) Die eigentlices 
Tonzeichen (bei den Noten die Köpfe) beftehen aus wagerehten Strichen, 
deren Länge die Dauer des Tones bezeichnet. (Der Strich für die em 
Ganze ift vier mal fo lang als der für das Viertel ıc) 2) Die Gtürte 
grade der Töne werden durch die Stärle oder Schwäche der Striche ar 
gedeutet. 3) Die Höhe der Töne wird dur ſenkrechte Stride, meld: 
ſich mit den wagerechten treppenattig verbinden, bezeichnet, und zwar vr 
halben Zonjtufen durch einen halb jo langen als die ganzen. 4) Banja 
find leere Stellen, welche durch ſenkrechte Stride, deren Entfernung ve 
einander die Geltung der Pauſen angibt, bezeichnet werden. 5) Die Zar 
bezeihnungen bejhränten fih blos auf die Ziffern 4, 3, 2, 6. 6) La 
figurirten Stüden ſchreibt man die Noten in noch einmal oder auch zwei 
mal fo langem Beitmaße, fo dab die Sechszehntel als Achtel, dieſe als 
Biertel ıc. gefehrieben werden. 7) Zactftrihe werben wie bei den Roter 
gemadt. Die Entfernung der Zöne deutet man daburh an, daß mas 
ſchwache Uuerftrihe von der Entfernung der auszulafienden Stufen vdaz 


die ſenkrechten Striche macht. Soll alfo z. B. die Folge: e a he 
dargeftellt werden, fo geſchieht dies folgendermaßen: 


C mu 


h — 


— 





— 


Einen beſondern Vorzug dieſer Tonbezeichnung ſetzt der Erfinder, gegen 
über den Ziffern und Noten, darein, daß man gar keine Verſetzungszeiche 
braudt, „indem jede Tonentfernung durch die Höhenftrihe aufs Anjchau 
lihfte angegeben wird. Die Zmwedmäßigfeit feiner Notationsweife bat A} 
ihm dur die Erfabrung bewährt und er ift überzeugt, „daß fie ein, meh 
als die Ziffern bietendes Anfhauungsmittel der Zonverhältniffe, namentlid 
beim Gefangunterrichte iſt.“ 


An der Debatte, melde in der Sängerhalle zwiſchen Kloſe zu 
. H. in Betreff der Ziffern und Noten ftattfand, wurde von ?egterem 
beiläufig die Kloje’ihe neue Tonbezeihnung angegriffen. Es ſcheint un: 


— 


sc, 8 


Geſang. 439 


nötbig, hier Näheres darüber mitzutheilen, zumal da Kloſe nicht den An: 
ſpruch erhebt, feine Notation zur Einführung angenommen zu fehen. 

79. Meine Stellung in der Tonzeihenfrage Sie iſt 
diejelbe geblieben, die fie früber war. Ich ziehe die gewöhnlidhen 
Noten jeder andern Art der Tonbezeihnung aud für die 
Volksſchule vor. Nach meiner feflen Ueberzeugung kann die Maffe 
der Volksfänger durch keinerlei Tonfchrift zum felbftftändigen Singen 
gebracht werden. Eine annähernde Grreihung dieſes Bieles ift nun 
zwar in dem Kreife der einfachften Lieder durch eine vereinfachte Ton: 
ſchrift leichter zu bemirten, als durd die gewöhnlichen Noten, nicht aber 
bei mebr ausgebildeten Tonfäben, zu denen ſchon die gewöhn⸗ 
lichen Gejänge der Liedertäfler und die Heinen Chöre der Dorfihule und 
der Dorflirche gehören. Der Vortheil aljo, den eine vereinfachte Tonjchrift 
gewährt, ift im Durchſchnitt nicht groß genug, um die Nachtheile zu deden, 
welche mit einer Abſchließung gegen dasjenige Notenſyſtem verbunden find, 
worin fi das ganze Mufilleben der Gegenwart bewegt. Die befähigtern 
Sänger, melde überall die Führer der Mafje bilden, leiften auch mit 
Hülfe der gemöhnlihen Noten im Allgemeinen dafielbe, wie mittelft ver 
Ziffern, Zahlnoten ıc. 

Es ift bier nit der Ort, um das im Borftehenden nur Angebeutete 
nad allen Seiten hin auszuführen. 

Wenn jevoh Thatſachen etwas zu bedeuten haben, fo weiſe ich 
auf die Thatſache bin, daß bei alle dem, mas die Ziffern Zortheilhaftes 
haben und ungeadtet alles deſſen, was feit länger ald AU Jahren für fie 
gefagt worden ift, die bei Meitem überwiegende Mehrheit der Lehrer bei 
den Noten ftehen geblieben ift. 

Die ganze Zonzeihenfrage hat für mid nur eine untergeorbnete Be: 
deutung. Sch reiche Jedem brüberlich die Hand, der den Gefang in künſt⸗ 
leriihem und pädagogiihem Sinne mit gewifjenhafter, liebenver Treue und 
Hingebung pflegt, mag er mit mir die gewöhnliden, mit Thomascit 
die Zahlennoten, mit Breé⸗ die Shumann'shen Noten, mit Andern die 
Ziffern oder felbft mit Kloſe die Treppenbilder gebrauden. — 


3. Die Methode, 


80. Verjhiedenheiten. Noch ift die brenmende Frage über die 
ziwedmäßigfte Methode beim Gejangunterriht nicht gelöst, nämlih nicht in 
der Art gelöst, daß ein Verfahren fich berausgeftellt hätte, welches etwa 
fo ganz allgemein anerkannt und angewandt würde, wie dies bei der heu- 
tigen Methode des Nechenunterriht3 der Fall if. „Biel Singen und 
wenig Lehren, das ift die befte Schule,” fo jagt ein Lehrer im Süddeutſchen 
Sculboten, und man wird ihm darin Recht zu geben haben. Aber je 
weniger gelehrt werben foll, deſto mehr kommt auf die richtige Auswahl, 
auf die zwedmäßige Geftaltung und auf faßlihe unterrichtlihe Behandlung 
des Stoffes an. Und nirgends mehr als bier findet wohl dad Wort des 
alten Tonmeifters Cariſſimi feine Anwendung: „O wie ift es ſchwer, fo 
leicht zu fein!” 


440 Gefang. 


81. Die analytifhe Methode, entweder geradezu ausgehend 
vom Liede, ober doch an bemfelben, wenn eine kurze Ginleitung voran⸗ 
gegangen, nah und nad alle Grundformen des Tonweſens veranſchau⸗ 
lihend und übend, bat, nachdem fie in voriger Zeit durch Pflüger und 
Mathias vertreten mworben, einen neuen Bearbeiter in Chriftian 
Noftiz (Euterpe 1863, 3 u. f.) gefunden. Sein Auffaß: Das Singen 
nah Noten inder Volksſchule, zeigt, „wie die Lehrean das Lied 
zu Inüpfen.” Gr thut das mit der Umſicht und dem Gejchid eines 
erfahrenen Mannes, und zeigt ſich als Meifter hauptſächlich in der Be: 
ſchränkung. Wie fogleih mit bemerkt fein mag, ftellt er der Schule 
nicht das Biel, die Kinder zum ſelbſtſtändigen Treffen zu führen, 
will aber die Noten auf eine anregende und bildende Weife benugt wifien. 
„Ss muß die Gelbftthätigleit der Schüler den nöthigen Spielraum finden, 
damit ihre Kraft — wenn auch nit bis zur Selbitftändigleit — allmälig 
eritarten ann. Lernen die Kinder auch nicht vom Blatt fingen, jo können 
fie doch bei der Ginübung von Chorälen und Liedern bis zu einem gewiſſen 
Grade jelbftthätig mitwirken und fih nad der Schule mit einigem Erfolge 
am Volksgeſange betheiligen”. Das Nähere über das Noſtiz'ſche Verfahren 
möge a. 9. D. felbft nachgeleſen werben. 

82. Darlegungen der ſynthetiſchen Methode, die von den Ge 
fangselementen ausgeht, fie zuerft einzeln behandelt, dann fie verbindet und 
fo zum Liede gelangt, haben gegeben: Widmann in feiner Chorfchule, 
Brähmig in feiner Kleinen prattifhen Geſangſchule, ©. Kuntze 
in dem Erften Uebungsbude beim Gefangunterridt nad 
Noten, Georg Scherer in der Einleitung zu: 120 ein: und zwei 
ftimmige Volkslieder xc. 

Hierbei ſind jedoch abermals zwei verſchiedene Verfahrungsweiſen zu 
unterſcheiden: Widmann, Kuntze und Scherer ſetzen den Uebungs— 
curſus (die Reihe der rhythmiſchen, melodiſchen und dynamiſchen Elementar⸗ 
Uebungen) mit dem Liedercurſus dermaßen in Verbindung, daß überall das 
gewonnene Material im Liede verwerthet wird, ſo daß alſo eine Abhaͤngig⸗ 
keit des Liedercurſus vom Elementarcurſus ſtattfindet, die mit jener Folge 
der Lieder, welche durch das Geſammtleben der Schule, durch den Reli: 
gionsunterricht, die Vaterlandslunde, die Jahres: und Feftzeiten, die vater: 
ländiihen Gedenktage zc. bedingt wird, nicht überall in Einklang zu bringen 
it. Brähmig dagegen läßt beide, den Uebungscurfus und den Lieder 
curſus, unabhängig neben einander hingehen, wodurch eben jowohl vie 
ſtrenge Geſchloſſenheit des erfteren gejichert wird, wie bie befiere Be 
nugung des andern zur Anbahnung des Lebensgejanges.‘ 

83. Fortjeßung. Das Werk von Widmann ift das umfaſſendſte 
und eingehendfte. Nach demfelben zerfällt die Beichulung des Chores in 
vier verfchiedene Stufen: I Stufe, etwa vom 8.—10. Jahre, der ein: 
ftimmige, leitereigene Chorgeſang; DL. Stufe, etwa vom 10.—12, Jahre, 
der zweillimmige homophone, leitereigene Chorgeſang; IIL Stufe, etwa vom 
12.—14. Jahre, der zwei⸗ bis vierftimmige homophone, modulitende Chor: 
gefang; IV. Stufe, etwa vom 14. — 16. Jahre, der zwei⸗ bis vierftimmige 
polyphone Chorgefang. Der von Widmann durchgeführte Orundgedanke 


Gefang. 441 


iſt ganz derſelbe, auf dem die Chorſchule von Marr beruht: Geſang⸗ 
bildung auf dem Grunde theoretiſcher Kenntniß des Ton- 
wejens. Die Uebungen des Trefiens bilden den Kern des Unterrichts; 
im Anſchluß daran treten Rhythmik, Stimmbildung und Ausſprache auf; 
von Stufe zu Stufe folgt die Verbindung alles Gewonnenen im Liebe, 
Hiernach ift z. B. die erfte Stufe der Chorfchule jo disponirt: I. Bildung 
des guten Tones; II. Dauer des Tones: A. Ueblihe Darftellung der Töne 
in Bezug auf deren Dauer im zweitheiligen Maße, B. Kenntniß der Paufen; 
III. Ausſprache und Betonung; IV. Auffafiung des Accords, CO. Dar 
ftellung des Zonmaterials in Bezug auf Höhe und Tiefe; V. Ausfüllung 
der Accorbiöne zur erften Tonreihe, D. Das Bindezeihen und der Punkt, 
E. Das dreitheilige Maß; VI. Der Accord der V. Stufe und bie zweite 
Zonreibe, F. Darftellung des gewonnenen Tonmateriald; VII. Verbindung 
beider Zonreihen zur Zonleiter, G. Weitere Gliederung der Zalttheile im 
Dreiadhteltaft, H. Der Viervierteltakt; VIII. Vernollftändigung der G-Ton: 
leiter und Erweiterung der C-Tonleiter nach oben, J. Darftellung des ge 
wonnenen Materiald, K. Das ſechstheilige Maß; IX. Unterfcheidung der 
Zonfädher; X. Der Dreillang der IV. Etufe und die F-Xonleiter, L. Dar: 
ftellung des gewonnenen Tonmaterials; XI. Ueberfihtlihe Darftellung ver 
wichtigften Anhaltspunkte zum Treffenlernen (Tonmaße),*); XII Anwens 
dung der Stärlegrabe. 


Auf der zweiten Stufe bilden wieder die Zonleiter und die Accorbe 
die Grundlage für die melodiſchen ein: und zweiſtimmigen Uebungen ; das 
durch werben die Schüler immer mehr mit ber Harmonie befannt, ohne 
deren Stüße es unmoͤglich ift, mit Berftand und Bewußtſein das Treffen 
zu lernen. „Und weil diefelben Lehren und Uebungen in allen Abjchnitten, 
wenn au mit Ermeiterungen oder Kleinen Abänderungen, fich wiederholen, 
fo eignen fih die Schüler ohne meite Umjchweife und ohne lange Erklä⸗ 
rungen ein beſcheidenes Maß jener theoretijhen Kenntniſſe an, die ihnen in 
der Folge für die Praxis ſehr gut zu ftatten kommen.” Hierzu fei nur 
bemerkt, daß in den Dur:Zonarten bis E und As, in den Moll-Zonarten 
bi$ H und G vorgegangen wird. Auf der vritten Stufe folgen die fämmts 


®) Hier fagt der Berf.: „Die ganze Kunft bed Treffens der fprung«- und 
ſtufenweiſen Teitereigenen Melodien beruht auf der Kenntniß und Uebung der 


Hauptaccorde und der Zonleiter. In den Dreiflangstönen 1358 (ce g c ( 
liegt das fichere und reine Treffen a) der großen Terz, b) der Meinen Terz 
c) der Quarte, d) der Quinte, e) der Sezte, f) der Dctave. Nehmen wir nun 
noch zu den drei Zönen des Dreiklangs auf der V. Stufe flatt des Bien den 


Tten (den obern Aten der Tonleiter), alfo 1 3 5 7 oder (6 h af), fo ers 


halten wir einen neuen Accord, und damit den Schritt 1—7 ( g f ) (Seps 
time, GeptimensAccord). Die Eecunden von ganzen und halben Tonftufen 
lernen wir durch Ausfüllung Der Dreiflangstöne und durch die nähere Betrach⸗ 
tung der Zonleiter Tennen: a) Zwilchen den Dreiflangstönen 1—3 liegen die 
beiden Secundenſchritte 1—2 und 2—3 in ganzen Tonftufen. b) Zwifchen den 
Dreiflangsiönen 3—5 liegen die beiden Secundenſchritte 3—4 und 4—5, erfterer 
eine halbe, Iepterer eine ganze Tonſtufe. c) Ebenſo kommen zwifchen den Drei» 
Haugstönen 5—8 zwei ganze und eine halbe Zonftufe als Secundenſchritte vor.“ 


442 Geſang. 


lichen Nebendreiklaͤnge in Dur und Moll, und nachher die gewöhnlichfien 
ausmweihenden Mobulationen. Die vierte Etufe bietet lein neues theore⸗ 
tiihes Material, bringt aber dagegen alles Gewonnene, nachdem es bis 
dahin im homophonen Gefange verwerthet worden, in zwei: bis vierftim- 
miger Polyphonie zur Anwendung. 

84. Fortfeßung Brähmig will „in einer gebrängten Anzahl 
von Webungen die nothwendigſten melodiſch⸗rhythmiſchen Grundformen, wie 
überhaupt die mwefentlichften Momente der formalen Bildung im Elementar: 
gefange in methodifcher Folge vorführen. Diefelben Uebungen, nur in 
fortfchreitender Erweiterung, erden in allen drei Klaſſen der Volksſchule 
durchgenommen, zuerit bios nad dem Gehör, dann nah Noten. Der Berf. 
bält ſolch' wiederholtes Bearbeiten ein und befjelben Stoffes, ſolch' „roti- 
rendes“ Studium, ſolch' „Bohren“, „wie man es nennen könnte,” für 
ungleich wirlfamer zur gebeiblihen Gefangbilvung, als das oberflähliche 
Durdjagen der Unzahl von Uebungen, wie man fie wohl in dieſer ober 
jener Clementargefanglehre trifft. Ihm ift nicht das Treffen der Kern bes 
GSefangunterrichts, fondern die Gehör: und Stimmbildung. Cr hält es für 
fein Unglüd, wenn nur nah dem Gehör gejungen wird („denn,“ fo frägt 
er, „was ift’s denn eigentlih mit dem ſelbſtbewußten Notentreffen in 
der Schule?“), benußt indeß die Noten als ein zwar allgemeines, aber 
wohlgeeignetes Beranfhaulihungsmittel von dem Steigen und allen der 
Zöne, ihrer Geltung ꝛc. Gr verfehlt fogar nicht, die verſchiedenen Ton: 
leitern und SHauptdreillänge in Dur und Mol nah und nad den Schi 
lern vorzuführen, ja felbft einige ausweichende Mopdulationen zu behandeln. 
Hierin begegnet er fih mit Widmann, richtig vorausjegend, daß aus 
einem gewilien Maße theoretiiher, auf anſchaulichem Wege vermittelter 
Kenntniß ſich jo ziemlih von felbft jener Grad von Treffivermögen entwideln 
werde, zu welchem der Einzelne überhaupt gelangen kann. — Seine Dis 
pofition ift diefe: I. Der einftimmige Gefang. A. Das Durgeſchlecht. 
Brime, Dctave, Quinte, Dur⸗Terz, DurDreillang, große, eine Secunde, 
C-Scala, Heine Septime, G-Dreillang, G-Scala, Quartenſchritt, F-Dreillang 
und Scala, Sertenidhritt, Dreillang und Scala von D, B, A, E, Es, As. 
B. Das Mol:Gefhleht. MollTerz und Moll:Dreillang, kleine Serte, 
Moll:Scala von A, E, D,G, C. II. Der zweiltimmige Gefang. Dctaven, 
Terzen, Serten, vermifchte Intervalle, zweiftimmige Zonleiter, leiterfremde 
Tone, chromatiſche Tonleiter, Modulationen. III. Der vreiftimmige Geſang. 
Man fieht, daß die Melodik für die Folge der Uebungen maßgebend ift; 
das Rhythmiſche und Dynamische fügt fih von Stufe zu Stufe mit ein. 

85. Fortſetzung. L. Runge beſchraͤnkt fi auf die Zonart C-Dur 
und überläßt es dem Lehrer, nah Anleitung anderer Gejangfchulen den 
Schüler alsdann meiterzuführen. In 47 Lehrftüden gelangen Rhythmik, 
Methopit, Dynamit und Ausſprache zuerft in ihren einfadhften Elementen, 
dann in ftufenweis fortjcpreitenden Vorführungen und Uebungen zur Be 
handlung. Aus halben und Biertelnoten bauen ih in Nr. 21 unter 


Benutzung der Töne co, d, e, £ die erften Meinen Saͤtzchen über Zerten 
wie: Bringet dem Heren Preis, Lob und Dank! Hoch, wie es hallt, 


Geſang. 443 


weit durch den Wald u. ſ. w. auf, ganz in der Weiſe, wie es Natory 
vor länger als 40 Jahren vorgetban bat. Dann erweitert fih das Ton: 
gebiet, die Tonleiter wird vollendet, die Dreiviertelnote, der Dreiviertel- und 
Dreiadhteltact treten auf, e8 werden Secunden, Terzen, Quarten zc. unters 
ſchieden, die Sechzehntheile erſcheinen, ebenfo der Sechsachteltact, es erfolgt 
die Fortfegung der Zonleiter nad oben und unten; nad all’ diefem tritt 
die Zweiflimmigleit ein, jevoh nur in ganz einfadhen kurzen Säben, zwei⸗ 
ftimmige Canons mahen den Schluß. 

Georg Scherer beginnt mit melovifhen Uebungen, Secunden, 


Terzen u. ſ. w. im erften Quintenfreife der C- dur :Tonleiter (5 — 2) 


wiederholt fie dann im zweiten Quintenkreiſe (z — a) und jchreitet hier⸗ 
auf aus einem Quintenkreije in den andern; alles noch ohne Rüdficht auf 
rhythmiſche Verhältnifie. Zum Schluß wird die C:Tonleiter aufgeftellt. Nun 
folgen rhythmiſche Webungen a) rein an fi, b) in Berbindung mit der 
Tonleiter. Zur Anwendung des Gewonnenen dient eine Reihe von Liedern 
in C-dbur. Im weitern Berlaufe des Unterricht werden nad und nad 
die übrigen Dur: Zonleitern aufgeftellt und in Liedern verwerthet; zuleßt 
folgen die Moll-Zonleitern, jedoch in gar ftiefmütterliher Behandlung, da 
Lieder zur Anwendung ganz fehlen. 


C, Einzelunterricht (zur höheren Ausbildung 
ded Lernenden). 


86%. Der Lehrer. Derjelbe fol nah dem Bilde, welches M. 9. 
Schmidt im 4. Hefte von Gefang und Dper aufftellt, mit einer 
namhaften Reihe perjönliher und künfterifcher Cigenfchaften ausgeftattet 
fein. Möge fih ever in diefem Bilde fpiegeln, der die Luft in fi ver 
fpürt, fi mit der Unterweifung im Kunſtgeſange — das Wort im engern 
Sinne genommen — zu befallen! Bor Allem wird ein bober Grad von 
intellectueller und fittliher Bildung gefordert. „Sit die Kunft des Geſanges 
bejonderd geeignet, unfer Herz zu veredeln, unjern Geift zu erheben, zu 
bilden, jo muß folgeredht derjenige, welcher diefe Kunſt lernen will, auf 
einer Bildungsftufe ftehen, melde ihn befähigt, diefer bedeutfamen Aufgabe 
nachzukommen. ... Je höher fein moraliſcher Standpunkt ift, je feiner der 
ihm durch Natur, Jugend: oder Welterziehung gewordene Zact, defto richtiger 
wird er den Ton, deſto ficherer das Benehmen gegen feine Eleven zu treffen 
wifien. ft er außerdem von dem rechten Geilte feiner Kunſt befeelt, fo 
wird er auch die Mürde verfelben wahren, feine Schüler bei ihrer Aus 
übung mit dem nöthigen Grnfte erfüllen und kein leidhtfertiges, frivoles 
hun dabei dulden.” Zuverläjiige Pünktlichkeit in feiner Pflicht, großer 
Ernft beim Unterriht, was die Sache betrifft, Geduld, Nacſicht, 
Freundlichkeit gegen die Berfon des Schüler3 werden als befonders 
wichtig hervorgehoben. Dabei fol dem Lehrer das lebendigſte Intereſſe für 
feine Kunft und feinen Beruf innemohnen und er in den Fortichritten 
feinee Schüler feine Freude, den höchſten Lohn für fein Streben finden.“ 
Seine muſikaliſche Bildung fol eine durhaus gediegene fein. Er 





444 Geſang. 


muß eine umfaſſende Kenntniß und ein tiefgehendes Verſtaͤndniß aller Peri⸗ 
oden der Compoſition, aller Hauptwerke in jeder Stylart, aller Eigenthüm- 
lichkeiten jedes wichtigen Werkes beſitzen, zugleich aber auch einen feinen, 
edlen Geſchmad. Damit ſollen vereinigt ſein: ein ſcharfes muſikali— 
ſches Ohr, die ſelbſteigene praktiſche Ausübung der Ge: 
ſangskunſt, Bekanntſchaft mit der wahren Methode des Unterrichts, 
Fertigleit im Klavierſpielen, Uebung im Partiturſpielen, Geübt- 
heit im Transponiren, ein gutes muſikaliſches Gedächtniß, 
Kenntniß der franzöſiſchen und italieniſchen Sprache, wenigſtens 
in dem Maße, um vorkommenden Falls dem Schüler auch darin das Noth⸗ 
wendigſte mittheilen zu koͤnnen.“ Das iſt nicht wenig, und dennoch — 
gewiß nicht zu viell — 


87. Noch einmal der Lehrer. Gin thüringifher Gantor, ber 
wohl erlannte, daß ihm die Befähigung zur Tunftgemäßen Ausbildung ein« 
zelner Sänger und Sängerinnen noch fehle, nahm jelbft Unterriht bei 
Prof. Göge in Leipzig und bradte außerdem mehrere Jahre hindurch feine 
fämmtlihen Ferien in Leipzig zu, um vollftändig in das Weſen und bie 
Methode der höheren Gejanglehre einzubringen. Sein Streben wurde vom 
beiten Erfolge gekrönt. (S. Euterpe, 1862) „Aber, fo möchte Jemand 
fragen, „lönnen denn die Seminare nit eine Ausbildung ihrer Löglinge 
au für den Unterricht im Sologefange gewähren?” Im Allgemeinen muß 
darauf mit Nein geantwortet werden. Prüfe fi darum Jeder ernſtlichſt, 
ebe er ſolchen Unterricht übernimmt, damit er nicht Gefahr laäuft, eine 
vielleiht fhöne und edle Stimme zu verderben! — 


88. Jntervallenübung M. H. Schmidt führte im A. Hefte 
von Gejang und Oper den in ben früheren Heften begonnenen Gejang- 
curſus einer Dilettantin weiter fort. Nach Yeitftellung der chromatifchen 
Zonleiter wendet fi der Unterriht den Intervallen zu. Bei dieſer 
Gelegenheit macht der Verf. eine Bemerlung, die von allgemeiner, principi- 
eller Wichtigkeit if. Er fagt: „Bernhard Marr eifert zwar in feiner 
„Muſik des neunzehnten Jahrhunderts‘ gegen diefe, wie er jagt, abſtracten 
Uebungen von Intervallenreihen und nennt fie unmethodiſch, kunſtwidrig, 
fhwer und ohrquaͤleriſch, indem er zugleih binzufügt, daß der Sinn der 
Meiften, im Allgemeinen ven reinen Tonverhältnifien geneigt, richtig und 
ein treffe. Allein in der Theorie fieht man oft die Dinge, wie fie fein 
follten und könnten, während die Praris fie zu nehmen bat, wie fie find. 
Meine Erfahrung nun hat mir im Gegenfab zu der Behauptung des trefi: 
lihen und ſcharfſinnigen, angezogenen Schriftftellers hundertfach beftätigt, 
daß der Sinn für reine Zonverhältnifie uns keineswegs fo natürlich if, 
fondern erft anerzogen und herausgebilbet werben muß. ... Aber gejegt 
auch, der Sinn für reine Intonation wäre gleih urjprünglih in uns, fo 
ift damit nicht zugleih die Stimme geſchickt, diefem Sinne volllommen zu 
entipreben, denn nur in feltenen Yällen ift eine Stimme glüdlih genug 
organifirt, um alle Töne unbevingt und willig fo berzugeben, als der Sinn 
ed will. Gleihwie nun aber der befte Virtuoſe auf einem ungeftimmten 
Inſtrumente nicht rein fpielen kann, jo vermag auch der glüdlichit begabte 





Geſang. 445 


Sänger nicht rein zu fingen, bevor er das Inſtrument feiner Nehle, feinem 
Willen dienftbar gemacht hat. Und dies kann nicht zwedmäßiger und mes 
thodiſch einfacher geichehen, als durch die Uebung der Zonleiter und In⸗ 
tervalle, troß aller theoretiihen Abneigung dagegen. Die fich ſtets wieder: 
bolenden Schwierigleiten, mit weldhen Anfänger bei den Intervallen zu 
kaͤmpfen haben, geben ohnehin den Beweis, wie nothwendig ihre jorgfältige 
Mebung iſt.“ Ich bemerfe hierzu Yolgendes: Nah meinen Grfahrungen 
ift allerbingd „der Sinn der Meiften im Allgemeinen den reinen Tonver⸗ 
hältnifjen geneigt’; es zeigt fich dies aber, wenn nicht eine- jorgfältige Bes 
ſchulung binzutsitt, nur im Hören, Auffaffen und Beurtbeilen 
der Intervalle, niht aber im Singen derſelben. Diefelben Sänger, von 
denen jeder einzelne bei jedem einzelnen vorgefpielten oder vorgejungenen 
Intervalle genau anzugeben vermag, ob daflelbe zu body, zu tief oder ob 
es richtig fei, find auf gewiſſen Stufen des Unterrihts im Stande, bei 
einer ganz einfahen Tonreihe auf unerträglihe Weife zu detoniren! — 
Der Sinn für Reinheit der Intonation reiht allein nicht aus, es muß 
eine vielfältige, ausdauernde Hebung in der Darjtellung der normalen 
Zonverbältnifje binzulommen. Es ift jedoch keineswegs nöthig, diefe Hebung 
an abjitracten, trodnen und inhaltsleeren Intervallenreihen anzujtellen. 
Man bringe das zu behandelnde Intervall in irgend eine mufilalifche Ver 
bindung, wozu drei, vier Accorde ausreichend find, und übe e8 in biejer 
Verbindung: das wird für die Intonation den gewünjchten Erfolg haben, 
ohne den Schüler zu langweilen und innerlich abzuftumpfen. Ohne Studien 
diefer Art kann weder im Chor: nod im Sologefange etwas Befriedigendes 
zu Stande gebracht werben. Biele Männervereine fingen darum fo maßlos 
unrein, weil der Dirigent nicht die Nothivendigkeit ſolcher Elementarübungen 
erfennt, oder weil er nicht wagt, fie mit den Herren Sängern anzuftellen, 
wenn gleidy mit einem Zeitaufwand von etwa nur zehn Minuten am Ans 
fange jeder Singitunde, ſchon etwas Namhaftes gewonnen werden könnte, 

89. Täglihe Hebung der Scala M. 9. Schmidt fagt: 
„Die Scala, methodiſch aufmerkſam gejfungen, erhält und kräftigt die 
Stimme, und indem fi darin die geringfte eintretende Schwäche ſogleich 
bemerkbar macht, weiß fie viefelbe eben jo ſchnell zu corrigiren und aus 
zugleihen. Unſere Naturaliften, welche häufig ohne Scalen Eänger wurden, 
und aljo aud ihre Wichtigkeit nicht ertennen, denken daher auch an nichts 
weniger, ald an diefe ihnen langweilige Uebung. Sie bleiben aus dieſem 
Grunde auch fremd ihrer eigenen Kehle, kennen nicht das Berhältniß ver 
Zöne zu einander, merken es nicht, wenn fih Schwächen einftellen, fingen 
das Verderben in ihre Stimmen hinein, ohne es zu gewahren, und muns 
bern ſich höchſtens, plöglicd ihrer Stimme und (ald Bühnen: oder Concerts 
fänger) ihrer Griftenz beraubt und dem Elende preisgegeben zu fein.“ 

90. Noh einmal M. H Schmidt. Wie derfelbe den Unter 
richt feiner Schülerin weiter fortführt, wie er die Bocale feftftellt, vie 
Solmifation übt, das Solfeggiren betreibt; mieer dabei die Athmung 
regulirt, die Intonation dem Biele hödjfter Reinheit mehr und mehr 
zuführt, die Eonfonanten fein ausprägt; wie er dann zum Liede 
übergeht, wo das Portamento, wo Innerlichkeit des Geſanges 








446 Geſang. 


und Adel des Vortrages in's Auge gefaßt werben — dies alles leſe 
man a. g. O. ſelbſt nach, um wenigſtens einmal vollſtaͤndig aus dem Munde 
eines Meiſters zu erfahren, was höherer Geſangunterricht zu bedeuten hat. 


Il £iteratur. 


A. Geſangſchulen und Gefangübungen. 


1. Kleine praktiſche Befangfchule, enthaltend die wichtigften Glementarübungen 
für Behdr- und Stimmbildung bei Schufgefang-Unterriht. Ein Beibeft” 
zu des Verfaſſers „Liederſtrauß für Töchterſchulen“, fowie zu jedem andern 
Schulliederbuch. Herausgegeben von Bernhard Brabmig, Semtnar⸗ 
Muflllehrer in Detmold. Leipzig, C. Derfeburger. 1863. 3 Rgr. 


2. Erſtes Uebungebuß beim Gefangunterriht nah Noten für Schule und 
Haut. Bon C. Runge. Leipzig und Zwidau. C. F. Kahnt. 3 NRar. 


3. Praktiſche Singſchule für den Elementarslinterriht in Volkeſchulen. Bon 
Franz Krenn. Etereoigpe Ausgabe. Wien, L. W. Seidel u. Sohn. «Sgr. 


4. Chorſchule. Regeln, Uebungen und Lieder, methodiſch georbnet von 
Benediet Widmann. Leipzig. C. Derfeburger. 1863. I. und IL 
Stufe a 3 Ror., III. und IV. Stufe à 6 Rar. 


Geſanglehre für Schulen. Entworfen von Auguſt Todt, Kantor au ber 
Real⸗(Raths⸗ und Kriedrichd-) Schule zu Cüſtrin. (Cüſtrin, Maſſute.) 5 Sgi. 


6. Zwei und dreiftimmige Singübungen mit lateinifchem Texte und beigefägs 
ter deutſcher Ueberfegung für Sopran und Alt, oder Zenor und Bap. 
Zum Gebrauche bei dem Unterrichte angebender Slirchenjänger herausgegeben 
von A. Tuma. Bien, Wejlely und Büfing. 20 Egr. 


Gefang und Oper. Kritifchsdidaltifhe Abhandlungen in zwanglofen Hef⸗ 
ten. Seraufgegeben von Maria Heinrihd Schmidt. Nr. ı—4. Mag 
deburg, Heinrihähofen. 1862. & 12 Sgr. 


8. Theoretifchspraftifche Anleitung zum Studium bed Gefanges von Richard 
Müller. Leipzig. C. F. WB. Siegel. 221/2 Nor. 


9. Täglihe Gefangübungen mit Berüdfihtigung einer jeden Stimmlage, iin 
3 Abtheilungen verfaßt von Laurentius Hauptmann, Ghorregent und 
Brofefjor in Wien. Op. 285. 1. Abtbeilung: Tagliche Uebungen in fänmt- 
lichen Zonleitern, ſowohl in Dur» ale Molltonarten, mit beigerügter Cadenz 
und mit Pianofortes-Begleitung. 1 Ihle. 2. Abtbeilung: Tägliche Uebungen 
fämmtliher Intervalle mit “PBianofortes-Begleitung. 25 Sgr. 3. Ube 
tbeilung : Tägliche Kehlenfertigkeits und TrillersUebungeu mit Pianoforte 
Begleitung. 25 Sgr. Bien. %. Glöggl. 


Zweiltimmige Gefangsübungen (für Sopran und Alt) von Sofef Kume— 

neder, Muſiklehrer und Chordirector an der Pfarrliche zu Altlerchenfelb 

in edlen. Berlag von Weſſely und Büfing in Wien, 1. Heft, 40 Afr.— 
8% 


Nr. 1--6 baben es mit der Uinterweilung und Uebung von Schul 
Hafen und Sicchendhören, Nr. 7—10 mit der Ausbildung einzelner Stim: 
mon au thun. Nr. 1-83 beihränten fih auf den Kreis der Glementar: 
ſchulez bei Nr. 4 üt dies nicht der Fall. Nr. 7 giebt theoretiſche 


3 


‚A 


10 


% 








Geſang. 447 


umb methodische Anweifung ohne Uebungsitoff; Nr. 8 und 9 liefert beides, 
das legtere Werk allerdings nur in kurzen, einleitenden Bemerkungen. Nr. 10 
enthält lediglich Vocaliſen. Nr. 3 und 4 huldigen, was als Nachtrag zu 
ber Abtbeilung „Geſanglehre“ bemerkt fei, der ſynthetiſchen Methode, 
und zwar findet eine Berjchmelzung des Liedercurſus mit den reinen 
Glementarübungen nidt ftatt. 

In Ne. 1 bat Brähmig ein gar beachtenswerthes Seitenftüd zu 
Widman's „Kleiner Gefanglehre‘ geliefert und die wichtigen Ziel: 
punkte der Chorihule: Gehör: und Stimmbildung nah Gebühr in 
das Centrum des Unterrichts geftelt. — Wer mit dem Berfafier von 
Nr. 2 der Anfiht ift, daß das erfte Uebungsbuch beim Gejangunterricht 
nad Roten den Kindern „einfahen, reihhaltigen Stoff zur Erler 
nung der Glemente geben foll, während die Geſangſchulen weitere Ziele im 
Auge babend, dieſen Stoff gewöhnlich zu fpärlih bieten‘, dem werben 
deſſen rhythmiſch⸗ melodiſche, auf 48 88 vertheilte, aus gewanbter Feder ges 
flofiene Nummern (theild ohne Zert, theild mit Beifügung eines jolden) 
willlommen fein. Der Verfafier ſchlägt vor, die Singftunde jo einzutheilen, 
„daß in jeder Stunde zuerjt Die Tonangabe und Zonbildung vielleiht 5 Mi: 
nuten geübt, 10 — 15 Minuten dem Choral, 15—2D Dlinuten den Uebun- 
gen des vorliegenden Buches und der Schluß dem Bollslieve gewidmet 
wird. „Choral und Volkslied zuerft immer nah dem Gehör...; man 
wiederhole und übe neue Choräle und Volkslieder, ohne vorläufig auf das Rüds 
ficht zu nehmen, was nady Noten geübt wird. Bei den weiteren Uebungen 
finden fih Anknüpfungspunkte“ u. f. m. — Was Nr. 3 betrifft, jo fagt 
der Berfafier „daß eine allgemeine Gejangbildung bis zu einem gewiſſen 
Grade durch die Boltsihule möglich fei, ift durch die glänzendſten Gr: 
folge bewieſen, fie ift aber auh nothbmendig, mweil das Auswendiglernen 
von Liedern zur Veredlung und muſikaliſchen Bildung des Volles fehr 
wenig beiträgt. Sind die Kinder der Schule entwadjjen, fo werden fie 
auch bald die ihnen mühjam eingeübten Lieder vergefien, und weil fie nicht 
nah Noten fingen lernten, auch nicht im Stande fein, andere ihrem fort 
fchreitenden Alter, erweiterten Ideenkreiſe und reicheren Gefühlsieben ent⸗ 
fprechende gute Lieder zu fingen; fie werben, da ihnen Kinderlieder nicht 
mebr zujagen, wieder nad jenen Liedern greifen, welche man durch die Eins 
führung des Gejanges in der Schule mit Recht ausmerzen wollte... . Der 
GSlementarunterriht darf durchaus nit kurz und oberflaͤchlich abgemacht 
werden, um nur bald zum Lieberfingen zu kommen.” — Zur Beröffent: 
lihung des vorliegenden Uebungsbuches entihloß ſich der Verfafler darum, 
„weil es an einer für die Volksſchule tauglichen Elementarſingſchule mangelt‘ 
(227). — Was er giebt, beiteht ausſchließlich in Treffübungen ohne Text, 
wobei zuerft überall von Zalteintheilung abgejehben, nachher aber diejelbe 
angewendet wird. Das Ganze zerfällt in zwei Curſe. Im 1. Curſe nimmt 
die Zonart C-dur (Scala, Secunden, Terzen, Duarten ıc.) 20 Seiten ein, 
daun folgen: zufällig erhöhte und erniebrigte Töne, 2 Seiten, dynamiſche 
Zeichen, 2 Seiten, G-dur, F-dur, A-moll, je 1 Seite, modulirende Säße, 
3 Seiten. Der 2. Curs wird die Ergänzung und Erweiterung des 1. Eurs, 
und außerdem den Liedergejang enthalten. Weſentlich Neues findet ſich nicht 





443 Gefang. 


in dem Werkchen; es ift aber in feiner Art mit gutem Geſchid verfaßt. 
In Nr. 4 giebt Widmann, wie fhon bemerkt, ein vollftändiges Lehr: 
und Uebungswert, beginnend mit den Elementen und durch eine Neihe aus 
erwaͤhlter Boltslieverzc. bis zu dem polyphonen Chorgefange hinaufleitend. *) — 
Nr. 5 ift nur als „Vorbereitung für größere vierftimmige Chöre neben der 
Einübung von Heinen Liedern‘ beftimmt, weshalb das Heft ein Mebreres 
nicht giebt, als 5 Seiten allgemeine Mufillehre, 3 Seiten melodiſche und 
rhythmiſche Uebungen in C-dur und A-moll, 7 Seiten dergleichen in allen 
übrigen Zonarten, und zum Schluß noch 2 Seiten Canons, alſo nur eine 
Art Handfibel im knappſten Zufchnitt, die als foldhe immerhin ihre Berech 
tigung hat und nad Umftänden erwünjcht fein kann. — Beſondere Aufs 
mertjamleit verdienen Tuma’3 zwei⸗ und breiftimmige Mebungen, Nr. 6, 
theild von dem Herausgeber felbft componirt, theild den Werken eines 
Drlando Laffo, Antonio Lotti, I. 2. Haßler, Baleftrina und 
Pitoni entnommen. Diefelben find „ihrer tonifchen und rhythmiſchen An» 
lage nad dazu beftimmt, angehenden Sängern zur Reinheit und Sicher 
heit der Tonbildung und zur Zaftfeftigleit zu verhelfen‘; fie haben jedoch 
auch „ven befonderen Zwed, zur Hebung im Bortrage kirchlicher Gefänge zu 
dienen,” und „diefer ihr Hauptzwed kann nur dann als erreicht betrachtet 
werden, wenn fie durh den Bortrag nit nur mufilalifh rein und ſchoͤn, 
fondern auch in der Eigenfhaft andachtsvoller muſikaliſcher Gebete in bie 
Erſcheinung treten.” Es find der Nummern zwanzig; in allen tritt uns 
die Kunft der Polyphonie, vereint mit edler Melovienbildung entgegen und 
der Berfafier hat fi nicht überfhäßt, mwenn er es wagte, feine eigenen 
Compoſitionen neben die Tonjäge der genannten großen Meifter der Haf- 
ſiſchen Vorzeit zu ftellen. Um die Auffaſſung diefer Uebungen zu erleichtern, 
bat der Herausgeber den lateinifhen Kircyenterten wörtliche deutiche Leber 
ſetzungen beigefügt, auch durch dynamiſche Zeichen allenthalben bie richtige 
Betonung, fowie außerdem die dem Ausbrude entſprechenden Tonjchattirungen 
angedeutet. Allen Bildungsanftalten für SKirchenfänger möge das Werl 
empfohlen fein. — Auf die Verdienftlihleit von Nr. 7 ift bereits wiebers 
holentlich bingewiefen. Manches in diefen Heften hat zwar, wie ber Titel 
fagt, nur für das Geſangweſen der Oper eine Bedeutung; vieles Andere 
dagegen ift für jeven Gefanglehrer von Wichtigkeit, und zwar beſonders 
darum, meil die Rathſchläge des Verfafierd aus dem Zuſammenwirken theo⸗ 
retifeher Kenntniß alles zur Sache Gehörigen und vieljähriger perfönlicher 
Erfahrung hervorgehen. — Rihard Müller bat feine Schrift, Nr. 8, 
in obiger Reihe, für alle Diejenigen verfaßt, „welchen die Natur eine an: 
genehme Stimme verlieh und die den nöthigen Ernſt und guten Willen be 
figen, diefelbe zu wahren, und zu veredeln.” Sie bietet eine möglichſt über: 
fihtlihe Zufammenftellung nothwendiger Regeln, guter Rathſchläge und 


2) Heft IV enthält Tonftüde von Herbſt („Musica poetica“ 1643), 
Scheible, 3. A. Hiller, Ktrnberger, Orlando di Laſſo, Eordans, 
Marpurg, Friedemann Bad, Wozart, Ant. Lotti, Fiſcher, Gert 
bad, Stölzel, Hammer. A. Gumpelzheimer, 3. Klein, Andres, 
Vittoria und dem Herausgeber ſelbſt. Es Fönnen diefe werthvollen Enden 
eben fowohl von Männer, wie von Anabenflimmen gefungen werden. \ 


i 


£ | 





Geſang. 449 


praktiſcher Uebungen dar, durch deren ſtrenge Befolgung und fleißige, un 
abläffige Benutzung nach und nah der Beſit einer kunſtgebildeten Stimme 
zu erlangen iſt.“ Eine Einleitung von 12 Seiten verbreitet ſich ausführ: 
lid über Stimme und Gehör, Grzeugung des Tones, Körperhaltung und 
Munpdftellung, Ausbildung des Tones, Intonation, Athembolen, Ausfprade, 
Eintheilung der Stimmen, Wecjel und Umfang verjelben, Stimmregifter 
und ihre Ausgleihung,. Studienfolge, Scalenftubien, Gejangverzierungen, 
Recitativ, Gejhmad, Vortrag, Ausprud. Unverkennbar ſpricht ſich in al’ 
diefen wichtigen Belehrungen ein Mann von gründlider Sachkenntniß und 
bewährter Lehrtüchtigkeit aus. Der praltiiche Theil befteht aus 30 Vocaliſen 
mit Pianofortebegleitung, jede in drei verfchiedenen Tonarten: a) für Sopran 
oder Tenor, b) für Mezzo:Sopran oder Bariton, c) für Alt oder Baß. 
Diefe Uebungen empfehlen fi dur ihre Einfahheit (während fie doch bis 
zur Goloratur und dem Triller binführen), durch eine forgfältigit bemefiene 
Stufenfolge und durch mufitaliihen Gehalt, foweit von einem folden bei 
dem Studium von Zerzen, Quarten 2c., besgleihen von halben Tönen, von 
Syncopen 2c. überhaupt die Rede fein kann. Somit kann das Ganze als 
ein fehr brauchbares Hülfsmittel für Ausbildung einer Stimme zum kunft- 
gemäßen Gejange (abgejehen von den Studien zur höheren und hödjiten 
Birtuofität) bezeichnet werben. — Nr. 9 liegt in Abtheilung I (Scalen) 
und II (Intervalle) vor. Im Vorworte zu Abtheilung I jagt der Ver: 
fafjer unter Anderm, daß nur durch das Scalenfingen das Biel der Boll: 
fommenbeit im Gejange zu erreichen ſei. Gr fährt dann fort; „Der große 
Künſtler Staudigl nannte daher mit vollem Rechte die Scala eine 
Führerin auf der Künſtlerbahn. Dem nun zu Folge foll der Schüler die 
Scala täglih in fämmtlihen Zonarten üben, findet aber leider nur in 
alten Gefangihulen die C-dur:Tonleiter mit einem Accompagnement, 
und mit diefer Zonleiter wird erftens der Zwed nicht ganz erreiht, und 
zweitens wird der Schüler durch diefe einzelne Tonleiter der Einſeitigkeit 
wegen durhaus zur Scalenübung nicht animirt.” Um diejen Uebel⸗ 
ftänden zu begegnen, bat der Verfaſſer alle 24 Zonarten mit verfchieden- 
artiger Begleitung und mit Berüdfihtigung einer jeden Stimmlage bear: 
beitet und dargeboten. Unter fpezieller Angabe des großen, fiebenfachen 
Nutzens der Scalenübung weiſt er dann noch darauf bin, daß Lablache, 
Rubini, Staudigl, Wild, die Catalani, die Sonntag, van 
Haffelt u. A. die vieljährige Erhaltung der Stimme blos dadurch be⸗ 
gründeten, „indem fie täglih Morgens Eine Stunde Scalen, Solfegyien 
und andere Uebungen erecutirten. — Sehr beachtenswerth ift alsdann das 
Vorwort zur zweiten Abtheilung, wo u. U. gejagt wird: „Um bie Inter⸗ 
vallenübungen mit Nutzen zu ftubiren, ift Folgendes zu beobadten: 
a) Sind fie in fehr langfamem Tempo zu fingen, b) müſſen fie theils 
vocalifirt (und zwar auf alle 5 Vocale), theild folfeggirt (auf die 
Syiben ut, re, mi, fa, sol, la, si oder da, me, ni, po, tu, la, be ge: 
jungen) werden, c) find fie mit beiden Verbindungsarten, nämlich mit der 
einfahen Bindung und mit dem Portamento zu fingen, d) hat man 
bald in gleiher Stärle, bald an: und abgeſchmellt zu üben, und e) lafie 
man, wenn der Schüler ſchon fehr rein intonirt, beim Accompaguement 
Bad. Jahresberiht AV. 29 


450 Geſang. 


in der rechten Hand dem mit einer halben Note dargeſtellten Accorde eine 
Viertelpaufe vorausgehen und ihn mithin als ein Viertel nachſchlagen.“ 
Schließlich heißt es: „Wenn die Ecalen und Intervalle nad den gegebenen 
Regeln täglich geübt werden, wenn die Mundöffnung eine richtige ift, und 
auch die Zunge eine richtige Lage bat (flah, fo daß fie mit ihrer Spike 
die vordern Unterzähne berührt, nicht aber, wie leider fo oft, getrümmt 
und zurüdgezogen), fo kann in kurzer Zeit eine volllommene, edle Erzeugung 
der Etimme gewonnen werden. Im entgegengefegten Falle fann der 
Schüler jahrelang fingen und dennod wird die Stimme weder an gutem 
Klange noch an Kraft zunehmen.” Ich bemerkte noch, daß in Abtheilung II 
alle Arten der Intervalle, von ven Secunden bis zu den Octaven, in langen 
Zonen durchgeübt werden, zum Theil nicht ganz ohne Vermeidung befremp- 
liher Harmoniejchritte und unerquidlicher Auflöjung einzelner Accorbtöne. — 
Was endlih Nr. 10 betrifft, fo enthält das vorliegende I. Heft 12 
zweiftimmige Säbe für Sopran und Alt, die nach Ueberwindung der erften 
Elemente mit Nuben gebraudt, auch wohl als Chorjolfeggien benutzt 
werden lünnen. Manches darin ift etwas troden. 


B. Geſänge. 
1. Für den Kinderchor. 


1. Hundertzwanzig ein« und zweiftimmige Volkslieder, für den Elementar-Ge 
ſang⸗ Unerricht foftematifch zufammengeitellt von Georg Scherer. Münden, 
1863, €. H. Gummi. 8 Sgr. 


2. Friſch gefungen! Liederbuch für die deutſche Jugend, insbefondere zum 
Gebrauch in deutihen Schulen. en geordnet und einge 
richtet von U. Zedtler. Leipzig, Julius Klinthardt. 1862. — 7 Gar. 


3a. Liederbuch für Volksſchulen. Bufammengeftellt von Yrig Schwerin, 
gantor zu Altenhaufen im Magdeburgifchen. Eisleben, 1862. G. ehren 
gr. 


3b. Melodienbuh zum Liederbuch für Volksſchulen, Zufammengeftelit von 
Demfelben. Ebendaf. 2 Ser. 


. 4. Liederbuch für Volkeſchulen. Sufauımengepcüt von Franz Krenn. Bi. 
2. W. Seidel und Sohn. 1862, 6 Sgr. 


5. Liederbuch für Volkeſchulen. Entbaltend ein⸗, zwels und breiftimmige 
Lieder, einige Canons und die gebräuchlichſten Ehoräle der evangeliſchen 
Kirche. Herausgegeben von Ernft Lonis Weber, Bürgerfchullehrer und 
gantor an der Hospitallicche in Annaberg. Annaberg, Ludwig Ronne. 

gr. 


6. 69 eins, zweis und breiflimmige Lieder für die Volleſchule, nebft einem Ver⸗ 
eichnig der nothwendigften Choralmelodien. — Rah den Grundfägen ein 
Vehrerconfereng ufammengeftellt von &. B. Unger, Lehrer der zweiten 
Bürgerfhule In Altenburg. Herausgegeben von A. Gerſtenberger. — —* 
burg, 1862. A. Gerſtenberger. 


7. Liederbaum. 50 volksthümliche Lieder für Schule, Haus und Leben. Von 
. Reichard, Lehrer zu Homberg im Herzogthum Naſſau. Hom⸗ 
berg, W. Reichard. 1862. 


J 





Geſang. 451 


8. Arion. Sammlung zwei⸗ und bdreiftimmiger Lieder zum Gebrauche Heim 
Befangunterriht in Löchterfchulen. In zwei Heften herausgegeben von 
Auguft Todt und Earl Becker. I. Heft, 46 zweiſtimmige Gefänge. 
U. Heft, 40 zwei⸗ und Dreiftinmige Gejänge enthaltend. Güftrin, Albert 
Maſſute's Buchhandlung. Preis A A Sgr. 


9. 88 zweis und breiftimmige Volkslieder für den Elementars@efang-linter- 
riet, ſyſtematiſch zuſammengeſtellt von Georg Scherer. Wünden 1863. 
€. 9. Gummi. 7 Sor. 


10. Liederſchatz. Sammlung dreiftinnmiger Gefänge gem Gebrauch von Schulen, 
heraudgegeben von Wilhelm &. Baader, Organiften am Kraumünfter 
zu Zürich. Erftes Heft. Zürich, Gebrüder Hug. 5 Ger. 


11. Die deutſchen Freiheitskriege in Liedern und Gedichten. Mit eins, zwei⸗ 
und dreiftimmigen Liedern und Weifen. Bon Ludwig Erk. Berlin, 
Th. Enslin. 1863. 3 Ser. 


12. Lieder für Kinder und Erwachſene, indbefondere für Mittellaffen unferer 
Schulen. Gefammelt, geordnet und mit accordifher Elavierbegleitung vers 
fehen von E. Cteinbäufer, Hauptlehrer an der Anaben-VBürgerfchuie und 
Drganift an der Hauptkirche Beat. Mar. Virg. zu Mühlhaufen. Mühle 
haufen, 1862. G. Danner's Buchhandlung. 6 Ser. 


13. Gefang-Album. Sammlung einfacher Lieder und Ehorfäpe mit Planoforte⸗ 
begleitung für den Gebrauch in höheren Töchterſchulen und in Familien⸗ 
treifen herausgegeben von H. Wehe. Magdeburg, Heinrichähofen. Keit 1. 
Nr. 1-6. Preis 10 Sgr. 


Die theilmeis die Zitel ſchon ausweiten, find in Nr. 1—3 ei und 
zweiftimmige, in Ne. A—6 eins, zwei: und breiftimmige, in Ar. 8 und ® 
zwei⸗ und breiftimmige, in Nr. 10 bios dreiftimmige Lieder und andere 
Gejänge enthalten. Nr. 11 liefert neben Liedern au Gedichte. Nr. 12 
und 13 geben eine Klavierbegleitung zu den Gefängen. Die Zahl der 
Stüde beträgt bei Nr. 2 132, bei Nr. 3 115, bei Nr. 4 56, beiNr.5 72 
(Lieder) und 50 (Ehoräle), bei Nr. 8a 46, b 40, bei ven 4 folgenven 
Nummern 32, 60, 109, 6. Nr. 7 enthält ausihließlid Compofitionen 
des Herausgebers; alle übrigen Nummern find Sammelmwerlte So 
weit ein Liederbuch, welches nur Gejänge aus einer und berjelben Feder 
enthält, beredhtigt fein kann, iſt Reichard's Liederbaum für anerlennens: 
wertb zu erachten; zur Cinführung in einer Schule könnte ich ihn aus 
prinzipiellen Gründen fo wenig empfehlen, als irgend ein anderes Werk 
verjelben Art. Was nun die Sammelwerle bis Nr. 10 betrifft, jo ift 
Nr. A ſpezifiſch öfterreihifh, Nr. 10 fpezififch ſchweizeriſch, mährenn in 
Nr. 3 das preußifche Element vorwaltend zur Geltung gelangt. Das Volle: 
lied hat überall die gebührende Berüdfichtigung gefunden. Cines oder das 
andere diefer Liederbücher als vorzüglich gelungen oder als entſchieden ver: 
fehlt bernorzubeben, liegt fein Anlaß vor. Nah allem, was jeit länger 
als dreißig Jahren für dergleihen Sammlungen an Material geliefert, an 
moßgebenden Grundfägen aufgeftellt ift, müßte es für eine Art Kunſtſtück 
gelten, ein ganz ſchlechtes Liederbuch zu Stande zu bringen, während ein 
befonderes Berdienft nicht mehr darin liegt, ein brauchbares zuſammenge⸗ 
ftellt zu haben. — Nr 11’ wurde von der ſtädtiſchen Schuldeputation zu 
Derlin in einer großen Anzahl von Eremplaren an die dortigen Schulen 

29 * 


452 Geſang. 


vertheilt. Es gibt das Beſte, was in ber Heldenzeit von 1813—15 ge: 
fungen, oder fpäterhin ihr nadgefungen worden. Heil uns, wenn biefe 
Lieder und Gedichte im Volle lebenvig bleiben, fortllingen und wieberllingen 
durch daS ganze deutſche Vaterland, von Zeit zu Zeit, von Geſchlecht zu 
Geſchlecht! 

Nr. 12 unterſcheidet ſich, wie ſchon angedeutet, von andern Samm: 
lungen dieſer Art durch die „accordiſche Clavierbegleitung“ und die faſt 
allen Liedern vorangeſtellte „armoniſche Cadenz''. Die Cadenz iſt in 
Noten ausgedrudt, die Begleitung der Lieder aber nur durch Buchſtaben 
und Ziffern, welche auf die anzuſchlagenden Accorde der Cadenz hinweiſen, 
angedeutet. Durch dieſe Beigaben glaubt der Herausgeber, da jept ein 
Glavier in vielen Häufern fteht, „den Eltern einen Dienft gethan zu haben, 
die da ihre Rinder gern an das Clavier verfammeln, um mit ihnen die 
Lieder, welche in der Schule gelernt worden find, zu fingen, ſich und ihren 
Lieblingen zur Freude.” Die Auswahl der Lieder erjcheint ald eine ſowohl 
pädagogiſch als muſikaliſch wohl berechtigte. Wie fich dieſelben ordnen, 
und zwar a) inhaltlid, b) nad) dem Bmede, c) nad der toniſchen 
Ausftattung der Melodie, d) nad ihrer barmonifhen Grund: 
lage, e) nad ber Vertheilung der Noten auf den Zert, f) nad 
der Dauer der Noten, darüber gibt das NRegifter eine genaue, in Be 
sug auf c—f jedoch ziemlich überflüffige Auskunft. 

H. Wehe gibt in Nr. 13 zweiftimmig eingerichtete Gefänge mit voll: 
ftändiger und .obligater Original: Glavierbegleitung. In Grmangelung ver 
Zendre und Bäſſe wird man fi mit foldem Arrangement bebelfen bürfen, 
da es den Schülern und Familiengliedern doch aus dem engen Kreiſe 
Heiner zweiftimmiger Lieber heraushilft und immerhin zu einiger Einführung 
in größere Saden dient. Das vorliegende Heft enthält: 1) Ave verum 
corpus von Mozart, 2) Chor von Romberg („Holder Friebe”), 
3) Lied von Abt, 4) Lied An die Freude von Mebe, 5) Chor von 
Haydn („Romm holder Lenz”), 6) Choral: „DO Haupt voll Blut und 
Wunden” (nah Graun). Möge das Unternehmen Fortgang finden! 


2. Kür den Männerchor. 


1: Hymne (Wohl dem, der den Herrn fürdtet) für vierfiimmigen Männer: 
efang, Eoli und Chor, mit Begleitung von zwei Trompeten, zwei Hörnern, 
Senorkorn, Baßpofaune und Bombardone, mit beigefügter Orgelbegleitung 
anflatt der Baßinftrumente, in Mufik gefept von Fr. Müller. Op. 82. 
1 Thlr. 5 Sgr. Rudolftadt, B. Müller. 


2. Sanctus, Benedirtus und Agnus Dei für Männerchor mit Soloquartett. 
Insbeſondere zur Aufführung bei Sängerfeiten componirt und dem voigt⸗ 
ländtfhen Sängerbunde gewidmet von Wilhelm Tſchirſch. Op. 32. 
1 Ihlr. 10 Sgr. Stimmen. apart & 5 Sgr. Breslau, F. E. G. Leudart. 


3. Drei geiftliäge Männerhöre mit Orgels oder Planofortebegleitung. Ar. 1 
Salvum fac regem. Nr. 2. Te deum laudamus. Rr. 3. Ich weiß, daß 
mein Exlöfer lebt. Enmvontrt von Rudolph Lange. 20 Egr., 24 Crem⸗ 
plare 12 hir. Porsdam, Riegel. 


4. Kirchliche Männerhöre aus alter und neuer Zeit, zur Pflege des edieren 
Kirhengefanges gefammelt und bearbeitet von 3. Ebhr. Werber, Ober: 








tl. 


13. 


14. 


16. 


Geſang. 453 


lehrer der Mufit und Mufildirector an ber Stadtkirche zu Nürtingen. 
Erfte und Zweite Hälfte. Stuttgart, Ebner. 


Halleluja aus dem Oratorium „der Meſſias“ v. C. %. Händel, für 
vier Männerftimmen u. Pianofortebegleitung bearbeitet von F. 8. Schubert. 
Partitur 5 Ngr. Stimmen 5 Nor. Leipzig, E. Bengter. 


Missa trium vocum (2 Ten. — Baf), viro amicissimo Henrico 
Kotzold dedicata a Franzisko Commer Op. 55. Berolini, sum= 
tibus T. Trautwein. (M. Babn). Bart. 12 Sgr., St. 12 Sgr. 


Trauergefänge für vier Männerflimmen von Friedrich Silcher. Aus 
feinem Nachlaffe herausgegeben. Op. 75. Tübingen 1862, Laupp’fihe 
Buchhandlung. ' u 


Choralbuch für vier Männerflimmen, zum Gebrauche bei Gymnafien, Semis 
narien und kirchlichen Maͤnnerchdren gefeßt von Zriebrih Brenner, Or: 
ganiit rn Univerfitätsfirche in Dorpat. Dorpat. 1862. Gläſer's Ber: 
ag. r. 


53 Choräle für vier Männerſtimmen bearbeitet von Earl Feye, Herzogl. 
Naffautidem Seminarlehrer zu Ufingen. Zweites Heft. Op. 37. ies⸗ 
baden, Chr. Limbarth. 1862. 10 Ser. 


. Reues und Altes für mebrfiimmigen Männergefang, zunächſt für Semi⸗ 


narien und Oberklaſſen der Gymnaflen und Realfchuien zc. Herausgegeben 
on se Wilhelm Steinhaufen. 2 Hefte A 7'/ Nor. Neuwied, 
eufer. 


Vierſtimmige Männeröre mit DOriginalbeiträgen von Bell, Benz, Ehrlich, 
Engefler, Hamma, Held, Hermes, Herzog, Heiſch, Hiller, Kubn, Zug, Mars 
full, Mühling, Palme, Rift, Sattner, Schletterer, Schmalfuß, Bolkmar ıc. 
für Deutfhlande Seminarten und Höhere Lehranftalten gefammelt und aus» 
gewählt von E. Kuhn, Drganift in Mannheim. In Heften zu 6 Sgr., 
die einzeln abgegeben werden. Partiepreis: 12 Exemplare baar & 5 Sr. 
und ein Freiegemplar. Erfurt und Leipzig, Gotth. Wilh. Körner. 


Sammlung audgewäblter vierftimmiger Geſänge für DMännerftinnmen, zu: 
nächſt für die oberen Klaſſen höherer Kebranflalten, Gymnaſien, Seminarien, 
Meale und Gewerbichulen, fowte für afademifche und andere @efangver- 
eine, herausgegeben von Fr. Joſ. Kunkel, Großherzogl. Hefl. Seminar- 
und Gymnafſial⸗Mufiklehrer. Dritte Aufl. (unveränderter Abdrud der zwei» 
ten vermehrten Aufl.). Stuttgart, Karl Göpel. 25 Sgr. Preis bei 10 Expl. 
und darüber 22 Sgr., bri 20 Expl. und darüber 20 Sgr. u 


Sammlung ausgezeichneter älterer Sompofitionen für den vierfliimmigen 
Männerchor nebit vielen OriginalsGompofitionen, zunächſt für den Gebrauch 
an Lebrerfeminarien und Gnmnaflen, für die Gefellenvereine Und 2ebrer: 
gefangvereine herausgegeben von H. Oberhoffer. Paderborn, 1863, Fer⸗ 
dinand Schöningh. 14 Ser. 


Arhiv für den mehrflimmigen Männergefang, bearbeitet nah Melodien 
und Chören der claffifhen und vorclaffifchen Zeit von Clemens Bod. 
Leipzig, Wengler. Erſtes und zweites Heft. Preis: à 5 Nor. 


. Liederfammlung für vierflimmigen Männergefang. Herausgegeben von 


Wil. Baumgartner, Muflldirector an der Univerfität in Zürich. Zürich, 
Gebrüder Hug. 4 Hefte. Heft 1,3 u. 4 à 10 Sgr., Heit 2 8 Ger. 


Sammlung von Bollögefängen für den Männerchor. Herausgegeben von 
einer Commifſfion der zürcheriſchen Schulſynode, unter Redaction von 3. Heim. 
Reunte, verbefierte und vermehrte Auflage. Vierte Stereotyp= Ausgabe, 
Zürich, Fries und Holzmann. 1863. 


454 Geſang. 


17. Album für dginmigen Männergeſang. Partitur und Stimmen. Lief. 
34 15 Sgr., Lief. 35 9 Sgr. Magdeburg, Heinrichshofen. 


13. Acht Geſänge für Männerchor, componirt von Mar Seiftiz. Op. 3. 
Heft 1 und 2 a 1 Thlr. Breslau, F. E. ©. Leuckart. Die Eiimmen zu 
jedem Hefte 20 Sgr., jede Stimme einzeln 5 Gar. 


19. 5 Mänuerchöre zum dffentlicdden Bortrag componirt und dem Gängerbund 
der Brovinz Preußen gewidmet von B. Samma. Dp. 18. Hefti und ?. 
Preis à Heft: Partitur u. Stimmen 221/3 Sgr. Stimmen apart 15 Ser. 
Leipzig, Carl Merfeburger. 


20. Bier Quartetten für Männerfiimmen, componirt von A. F. Niceins. 
Op. 32. Partitur und Stimmen 25 Sgr., Stimmen apart 20 Sgr. 
Leipzig, Carl Merfeburger. 


21. Zwei Chorlieder. Ar. 9. Die Einkehr. Rr. 2. Gefellige Freude. Kür 
vierfimmigen Männergefang, componirt und der neuen Aladenie für 
Männergelang zu Berlin zugeeignet von Theodor Rode. Op. 29. 10 Ser. 
Berlin, Hermann Mendel. 


22. Blüder in Gießen. Gediht von Adolph Bube. Für Baßſolo und 
Männerhor mit Begleitung des Orcheſters componirt und der allgemeinen 
Liedertafel in Stendal gewidmet von ihrem Gbrenmitgliede Wilhelm 
Tſchirch. Op. 51. Preis cplt. 1 The. 10 Ser. Partitur mit unter- 
elegtem Clavierauszug 12'/ Sgr. Orcheſterſtimmen 20 Sgr. Ehborfing- 
lmmen 5 Sgr. Solo⸗Baßſtimme 2!/ Gar. Halle, Karmrodt. 


23. Deutfhland Hoch! von D. Könnemann. Zunähft zum Gebrauch für 
Säulen und Männerchdre bei der eier am 18. October 1863 componirt 
von Heintich Moltk jun., Königl. Hannov. Muflfdtrertor. Hannover, 
Adolph Ragel. 11/s Sgr. 


Kehn Lieder von U. Höpfner, für Männerſtimmen componirt von 
.Chr. Müller, Königl. Mufifdirector in Perleberg. Selbfiverlag des 
Gomponiften. 7!/a Sgr. 


Tafchen» Liederbuch für Deutfhlands Sänger. Eine Auswahl von Texten 
der fhönften Männerböre mit Angabe der Tempi und der Tonarten heraus 
gegeben und allen Männergefangvereinen deutſcher Aunge ſangesbrüderlich 
ewidmet von Z. Ph. Edner, Ehrenmitglied und Bicedirigent der Halli 
hen Volkstiedertafel. Leipzig, C. Merfeburger. 1862. Preis 5 Ser. 


24 


25 


Pr. 1—9 enthalten ausfchließlih Religiöfes, Ar. 10—16 theils Re- 
Ugiöfes, theils Weltliches, Nr. 17—25 nur Weltliches. 


Ar. 1 schließt ih nad Styl und Erfindung den gleichartigen Arbeiten 
des Componiften nicht unwürdig an und kann zur firchlichen Aufführung 
bei Männergefangjeften empfohlen werden, zumal da ſich die Blasinftrumente 
ganz wohl durch die Orgel erjegen lafien. Daß die Hymne nicht in eine 
jener großen und ſchweren Fugen ausläuft, bei denen erfahrungsmäßig, 
wenn es zur Aufführung fommt, unter 500 Sängern vieleiht 350 Mann 
fchweigen! — dürfte im SHinblid auf dieſe Erfahrung eher als ein Worzug, 
denn als eine Schwäche des Werkes zu erachten fein. — Nr. 2 md 3 ver: 
dienen als Original-Compofittonen, Nr. 4 ald Sammelwerk die befondere 
Aufmerkfamteit ver Gefangvereine und Schulhöre und mögen berjelben mit 
Hinweifung auf Euterpe 1862, 4 und 1863, 1 empfohlen fein. Lange 








Gefang. | 455 


Schlägt in gewiſſem Einne neue Bahnen ein; die folive, immer anziebende, 
viele Schönheiten entfaltende, wenn ſchon nicht bochgeniale Compofitionss 
weife Tſchirch's ift befamnt. 

Was Nr. 5 betrifft, jo fagt der Herausgeber in einer Vorbemerkung: 
„Das Halleluja aus dem Meffias von Händel wird für alle Zeiten ein 
Meifterwerl bleiben und daher in der vorliegenden Bearbeitung gewiß aud) 
den Männerdhören willlommen fein, indem es an ähnlihen Sachen für den 
Männergefang bei kleineren und größeren Aufführungen fehlt. Da die 
Tonart D-dur wie im Originale beibehalten ift, jo kann es auch mit Or 
hefterbegleitung aufgeführt werden, wozu bie Orcheſterſtimmen bes Originals 
zu verwenden find.’ Indem ich ihm hierbei vollftänpig beitrete, bemerle 
id nur noch, daß die Uebertragung des herrlichen Lobgejanges aus dem 
gemiſchten in den Männerhor mit Gewandtheit ausgeführt it. — Nr. 6 ift 
ganz in dem ernfien und mwürbigen, von dem Geilte der claſſiſchen Vorzeit 
angebauchten und burchbrungenen Style gejchrieben, den wir an dem Heraus: 
geber der Werle eines Drlando Laffo ic. ıc. bereits von fonft her kennen. 
Chor: und Solofäge wechjeln ab. Die Ausführung des Ganzen ift baburd 
ſehr erleichtert, daß die Stimmen ſich ftreng innerhalb ihrer natürlichen 
Grenzen halten, auch Leine Harmoniefolge vortommt, melde nicht eingäng» 
lich, leine Stimmenfortſchreitung erfcheint, welche nicht fangbar wäre. Daß 
bei alledem ein foldhes, a capella zu fingendes Merk in Bezug auf die 
Bildung und das Tragen der Töne, auf Iintonation, Ausprud und Vortrag 
viel höhere Anfprühe an die Sänger macht, als die gewöhnlichen Lieder: 
tafelgefänge, bedarf für den Eacverftändigen keiner Auseinanderjegung. 

Nr. 7. So viel aus den einzelnen Stimmen zu erfehen (eine Partitur 
liegt nicht wor), find diefe Gejänge, 12 an der Zahl, ganz in der belannten 
einfachen, faßlihen und anſprechenden Weile Friedrich Silders ge . 
ſchrieben, ſo daß die au von kleinen, wenig geübten Chören dürften aus» 
zuführen und erbaulich vorzutragen fein. Daß überall nur wenige Zertverje 
untergelegt find, ift unerwünjcht, wenn jchon bei mehreren Nummern bie 
Dichtung eine fo belannte üt, daß die fehlenden Verſe leicht ergänzt werben 
lönnen. 

Nr. 8 gibt die Choräle (119 an der Zahl) in rhythmiſcher, Nr. 9 
in ausgeglicdener Form. Der Zonjaß ift in beiden Werken ein burdaus 
bere&tigter und zeugt von der Sorgfalt nicht nur, mit der bie Heraus: 
geber gearbeitet haben, ſondern aud von dem Beltreben, die Harmoniſirungs⸗ 
weife der älteren Meifter mit dem, mas durh Kühnau, Fifher, Shit, 
Rind u. A. üblid) geworden, zu verſchmelzen, wobei ſich allerdings Brenner 
etwas mehr der Vorzeit, Feye ſeinerſeits aber mehr der Gegenwart zuneigt. 

Nr. 10 ift eine beadhtenswertbe Sammlung, hauptfählich geeignet für 
höhere Schulanftalten jeder Art. Der Herausgeber hat feine felbitgemählte 
Aufgabe: „ein Scherflein zur Berbreitung und Verwerthung unbelannter 
oder noch zu wenig befannter Sachen von ven bedeutendſten Com⸗ 
poniften beizutragen,“ wader gelöft, was u. U. in der Euterpe (1862, 1) 
näher nachgewiefen if. Das Schleſiſche Schulblatt hegt zwar prin 
cipiell einige Bebenlen gegen Arrangements Mendelſohn'ſcher, Echubert’jcher, 
Schumann’sher und fonftiger, urfprünglich für gemiſchten Chor gejchriebener 


456 Geſang. 


Sachen, wie dergleichen Bearbeitungen, theilweiſe mit anderem Terte, bier 
vorlommen, erkennt aber doch jhlieplih an, daß es Hm. St. „gelungen 
ei, in dieſen Liedern Cmpfehlenswerthe3 der Deffentlichleit zu übergeben.” 
Bergl. auch die fehr anerfennende Beurtheilung in der Brendel'ſchen 
Zeitſchrift. — In Heft I find die Namen Markull (Motette‘, Faißt 
(Pf. 67), Held (Motette nah Pf. 100), Hetſch (Pi. 16), Rift (Pf. 96, 
und Hamma (Deutſches Grab) vertreten. Die Mehrzahl verjelben bat 
bereit3 einen guten Klang in weiten reifen, und es entfpredhen dem auch 
die vorliegenden Compofitionen. Daß das Religiöfe vorwaltet, ift erwünfdht, 
denn wir haben immer nod feinen Ueberfluß an kirhlih würdigen Mo⸗ 
tetten, Pſalmen ıc. von mähigem Umfange und leichter Ausführbarteit, 
wie fie bier geboten werben. Don dem Nedacteur des Werkes darf eine 
nad allen Rüdfihten recht wohl erwogene Ausftattung auch der folgenden 
Hefte erwartet werden. — Nr. 12 enthält auf 432 6. kl. 8. 172 Gefänge 
in Partitur, und es dürfte eine reichhaltigere Sammlung für die verfdie- 
denen Altersftufen und Lebensmomente der Sänger, für religiöje, pädago- 
gifhe und andere Zwede wohl kaum eriftiren. Die lange Reihe der bier 
vertretenen Componiften reiht von Mozart bi8 Mendelsſohn, von 
3. 5. Flemming bis Abt und läßt Teinen vermifien, der fi um den 
Männergefang verdient gemacht hat. Daß in den Liedern die fehnende 
und ſchmachtende Mondichein : Sentimentalität, fowie auch das bierjelige 
Bummlerthum feinen Ausprud finden, können fi die Seminarien, Gym⸗ 
nafien ıc. ganz mohl gefallen laſſen. Zu wenig Berüdfihtigung hat be 
ziehungsmweife das eigentliche Volkslied erfahren. 

Nr. 13 läßt fih nah Tendenz und Ausführung ganz auf die gleiche 
Linie mit Nr. 12 ftellen, nur daß die Zahl der Ausgeführten geiftlichen 
Saden (unter denen eine jhöne Motette von Oberhoffer felbft, eine 
Motette von Berhem, 1499, arrangirt vom Herausgeber, und ein Dies 
irae von Aſola mir neu waren) vergleihungsmweife größer ift als datt. 
Im Ganzen find 67 Nummern gegeben, 51 weltliden, 16 religiöfen im: 
halte. Der Herausgeber ift Profeſſor der Muſik am Schullehrer : Seminar 
und Organift in Luxemburg, zugleih Redacteur der Cäcilia, der ſchon 
genannten Beitfhrift für katholiſche Kirchenmuſik. Das katholiſche Element 
tritt indeß in der Sammlung nicht hervor, und kann diefelbe ohne Be: 
denken zum Gebrauche aud in proteftantiihen Kreifen empfohlen werben. 
Die Namen C. M. v. Weber, Mendelsjohn, Kreußer, 3. Stern, 
Zöllner, Küden, Beder, Lindpaintner, Stunz u. U. zeigen 
übrigens an, daß der Herausgeber unter „älteren Compofitionen” (f. d. Titel; 
nicht gerade Sachen aus dem 15. und 16. Jahrhundert, zu denen in der 
Ihat nur zwei Nummern von alfen gehören, verftanden wiſſen will. 

Nr. 14. Als Motto fteht der Ausfpruh Göthes voran: „Mufit 
im beften Sinne bedarf weniger der Neuheit; ja vielmehr, je älter fie 
ift, je gemohnter man fie ift, deſto mehr wirkt fie.” — Der Herausgeber 
feßt Hinzu: „Die Liebe zur claſſiſchen Mufit ift von Neuem erwacht. Alle 
Sammelwerte, welche bisher für den Männergefang erjchienen find, ent: 
halten faft nur Erzeugnijje der letzteren Decennien, mährend die claffiihen 
Lieder und Gefänge durch ihre Abmwefenheit glänzen. Das Archiv möchte 








Gefang. 457 


dahet in der vorliegenden Bearbeitung gediegener Melodien ver claffifchen 
und vorclaffiihen Zeit einem längft gefühlten Bedürfniſſe entfpredhen. In⸗ 
dem alles Bade und Sentimentale in Ton und Wort ausgefchlojlen 
blieb und die Fortſchreitung der Nebenftimmen an keine befonderen Schwierig: 
teiten gelnüpft wurde, fo empfiehlt fih diefe Sammlung ebenfalls für höhere 
Lehranftalten, wie auch für Kleinere Singvereine.“ Man wird fragen: 
Welche Zeit war die „claſſiſche“? Worin befteht das Wefen der „claſſiſchen“ 
Muft? Es ift ein Mangel, daß der Herausgeber fih hierüber nicht ganz 
beftimmt ausgefprochen bat. Verfteht er unter „claſſiſcher“ Mufil die ge: 
diegene, edle, das Fade und Eentimentale ausjchließende, der wahren und tiefen 
Empfindung mit einfachen Mitteln den Achten Ausprud gebende und darum 
das Gemüth unmittelbar ergreifende Muſik u. ſ. w., fo mag das richtig 
fein; fol aber diefe Muſik einer Zeit angehören, die vor ven „legteren 
Decennien” liegt, jo fragen wir: Wie kommen Menpelsjohn, Shu> 
mann, Spohr, Reiffiger, Felicien David (!), Franz; Schubert 
in die Sammlung, und wie konnte der Herausgeber felbft darin Pla 
finden? — Möge dies jedoch auf fih beruhen. Herr Blod bat fein 
Augenmerk auf leicht ausführbare Gefänge der eben bezeichneten Art gerichtet, 
und er bat fie genommen, wo er fie fand, — das ift die Sade. So 
finden mir denn einige alte geiftlihe Etüde aus dem 16. und 17 Jahr⸗ 
hundert, dann Mehreres von Mozart, Haydn, Romberg, Glud, 
Zumfteeg, Boieldieu, C. M. v. Weber, wiederum PVerfchiedenes von 
den jchon genannten Componiften und endlich eine ganze Reihe Achter Volks⸗ 
lieder, unter denen ja auch „Die luftigen Schneider‘ nicht fehlen, deren 
‚neun mal hundert und neune aßen an einem halben gebrat'uen Floh.‘ 
Es liegt alfo eine Sammlung der Art vor, wie fie namentlih Erf zum 
großen Nußen und Frommen junger und alter Sänger geliefert bat. Der 
Herausgeber verdient unjern Dank für feine Bemühung, mit dem ich den 
Wunſfch verbinde, daß das begonnene linternehmen einen guten Fortgang 
finden möge. Heft 1 enthält 21, Heft 2 29 Gefänge in Partitur. 


Nr. 15 beitebt aus 100 Nummern, theild zufammengetragen aus 
andern Sammlungen, theild durch den Serausgeber (Einiges auch durch 
Andere) für Männerftimmen eingerichtet, theild von ihm felbit componirt. 
Nah allen Richtungen gibt fi die Sammlung als eine durchaus berechtigte 
zu erfennen. Mas namentlidy die eigenen Compofitionen Baumgartner’ 
betrifft, jo bezeichnen fie fih durch friſche Melodien, lebendige Rhythmen, 
interefjante, jevod niemals jhwülftige Harmonifirung und fangbare Führung 
aller Stimmen. Es Tann faum fehlen, daß das Ganze in weiten Kreiſen, 
nicht blos in der Schweiz, wenn ſchon der „„Sängergruß” unter Nr. 1 
ausſchließlich an dieſe gerichtet ift, Anerkennung und Verbreitung findet. 
Nr. 16 gehört offenbar zu den reihhaltigften aller vorhandenen, Liederbücher 
Die Zahl der Nummern beträgt 235, und es ift eine gar lange Reihe von 
Tonſetzern älterer und neuerer Zeit, melde man bier theils in Original- 
compofitionen, theild in Arrangements vertreten fieht, während zugleich auch 
viele Volksweiſen Aufnahme gefunden haben. Bei der großen Mannidys 
faltigleit aud des Inhaltes der Lieder und bei der Strenge, womit alles 


458 Gefang. 


Uneble ausgeſchloſſen wurde, ift es feine Anmaßung ber Redaction, wenn 
fie ald Motto die Uhlan d'ſchen Zeilen gewählt hat: 

Wir fingen von Lenz und Liebe, von fel’ger gold'ner Zeit, 

Bon Kreibeit, Männerwürde, von Treu und Heiligkeit. 


Mir fingen von allem Sühen, was Menfchenbruft durchbebt. 
Wir fingen von allem Hoben, was Menfchenherz erbebt. 


Wenn, wie der Titel angibt, die Zahl der Auflagen vieles Lieber 
werles gegenwärtig auf neun geftiegen ift, fo muß bereits eine Verbreitung 
des vorliegenden reihen und auserwählten Gejangftoffes ſtattgefunden haben, 
zu der man der Schweiz nur gratuliren kann. — Nr. 17 enthält in Pief. 
34 Mozarts „O Ifis und Oſiris“, einen Choral und „Heil dir im 
Siegerkranz;“ in Lief. 35 zwei recht mwirlfame Gefänge von Kämpfe: 
einen kräftigen „Deutſchen Volksgeſang“, gedichte v. KR. A. Mayer und 
©. Kinkel's Abendlied: „Es ift fo ftill geworden.“ 


Nr. 18. Jedes Heft enthält 4 Nummern, Heft 1 von Herwegh, 
Dtto Roquette, Lord Byron, E.M. Arndt, Heft 2 von ©. Kinkel 
(abermald das NAbenvdlied), €. M. Arndt, Tb. Bed und R. PBrup. 
Die Compofitionen, der Görliker Liedertafel zugeeignet, find charaktervoll 
und wirkungsreich im neuern Siyl gefchrieben, erfordern aber viel geübtere 
und zugleih eine höhere Stufe allgemeiner Bildung einnehmende Eänger, 
als deren etwa ein gewöhnlicher Verein von Landleuten oder Handwerkern 
aufzumeifen Bat. 


Ueber Nr. 19. fagt die Sängerballe: „Hamma veröffentlicht feine 
Compofitionen mit weifer Delonome, deshalb find auch die vorliegenden zwei 
Hefte wieder reih an Gelungenem. Während das erfte Heft vorzugsweiſe 
für größere Vereine geeignet ift, empfiehlt fich das zweite Heft namentlich 
für Heinere Sängerfreife. Ich ftimme dem bei und bemerfe nur ned, 
daß die Terte berrühren von $. Hamma (Der deutfche Rhein) R. Kremm, 
(Sängerluft), F. Brunold (Grüß Gott), v. Arnim (Das Alümlein) und 
Hoffmann v. FKallersleben (Der Burſchen Trinklied), — In Nr. 20 
hat der geſchätzte Componift ‚vier gut wirkende und künſtleriſch nobel ge 
dachte Lieder” (fo fagt die Brendel'ſche Heitichrift) gegeben, und zwar: 
tm Walde, von 2. Tied, Spielmann’s Wanderlied von Aug. 
Beder, In der Fremde, von Morip Hartmann und Der fröb: 
liche Muſikant (ohne Angabe des Dichters) — Nr. 21 flößt ein befon: 
deres Intereſſe nicht ein. — Nr. 22, anziehend durch Tert und Mufil, wird, 
wie Reiffigers Blücher am Rhein, ein Lieblingsftüd vieler Vereine werden; 
vie Orchefterbegleitung läßt fih durch das Pianoforte erjegen. — Nr. 28 ift 
einfah und kräftig im Vollstone geſetzt; das beſonders gebrudte Melodie: 
blatt mit untergelegtem Tert (1/, Sgr.) wird dazu dienen, die Benußung 
des Liedes in großen Schulflafien, bei Feſtverſammlungen ıc. zu erleichtern. — 
Die Lieder in Nr. 24 find wie ©. F. in der Euterpe fagt, „einfah und 
natürlih gefungen, fo daß ſich jeder beitere, noch frifhe Sinn daran er: 
freuen Tann.” Ländlichen und Schuldhören werden fie willlommen fein. — 
Nr. 25. „... Wir alle wiflen, mie jchlimm wir in der Regel beratben 
find, wenn wir fingen wollen und unfere Stimmbücer nit zur Hand 


Geſang. 459 


haben. Und zwar nicht der Noten wegen — den Gang ſeiner Stimme 
bat zumeiſt jeder Sänger inne, — wohl aber in Bezug auf den Tert; 
da hapert's denn mehr als zur Noth! ... Diefem Notbftanve foll das 
Büchlein abhelfen“ ... Es enthält 116 Nummern, und zwar vornehmlich 
„ſolche Lieber, die heutzutage, wo es von allen Zweigen fchallt“, Ge: 
meingut der deutſchen Männergefangvereine geworden find und Die, meil 
fie als fhön erprobt find, feft figen, darum alfo ohne Stimmbücher ge: 
fungen werden Tünnen. Das Büchlein empfiehlt fih durch nette Aus⸗ 
flattung, bequemes Tafchenformat und billigen Preis. 


3. Für den gemiſchten Chor. 


9. Leichte Ehorgefänge für Kirchen und Schulen von I. H. Kügel. Leinzt 
C. —28 863. 9. Ser. 9. Lütz 318, 


2. Sechs geiſtliche Lieder für gemifhten Chor (Heft I.) Herrn Brofeflor 
Eduard Grell zugeeignet von Wilh. Zaubert. Op. 142 a. Reu-Ruppyin, 
Oehmigke und Riemfchneider.- (R. Petrenz). Partitur 10 Sar. Sing: 

- fRimmen à 2% Sgr. Ausgabe für eine Singftimme mit Pianofortes 
Begleitung 15 Sgr. 


3. Zwölf Melodien von Joh. Wolfg. Fran? zu geiftlihen Dichtungen von 
Eimenborft, für vierftimmigen gemifchten Chor gefept von A. v. Dommer. 
Partitur und Stimmen 1 Thlr. 15 Near. Simmen einzeln à 7'/s Nor. 
Winterthur, 3. Nieter-Biedermann. Leipzig, Fr. Hofmeifter. 


4. Motette: „Barmberzig und anädig iſt der Herr” für Sopran, Alt, Tenor 
und Dab von H. Enkhaufen. 96. Werl. 10 Ngr. Hannover, Adolph 
agel. 


5. Der 126. Pfalm. Weiffagung von der Erlöfung, Bitte um diefelbe. Kür 
2 Soprane, 1 Alt, 1 Zenor und 2 Bäffe componirt von G. nebling. 
Op. 19. Partitur 15 Sgr. Singflimmen 22'% Sgr. Cplt. 1" Ihr. 
Magdeburg, Heinrichbhofen. 


6. Sammlung von Bolfsgefängen für den gemifchten Chor. Herausgegeben 
von einer Commiſſion der dirderifgen Schulfynode unter NRedaction von 
I Heim. Dritte Aufl. Stereotyp «Ausgabe. Zürich, Fried und Holz— 
mann, 1863. 


7. Der ledergarten. Sammlung vierftlmmiger Lieder für den gemifchten 
Chor. KHerandgegeben von Joh. Wepf, Lehrer. Erſtes Heft, zweite Aufs 
lage. Schaffbaufen, Brodtmann’fche Buchhandinng. 7 Sur. 


8. Deutſche Volkslieder aus den Freiheitöfriegen 1813 und 14, für gemifchten 
Chor bearbeitet und herausgegeben von 8. Erf. ? Hefte à 3 Ger. 
25 Exempl. 2 Thlr. Berlin, Adolph Enslin. Leipzig, Dörffling und 
Franke. 


9. Vierſtimmige Lieder für Sopran, Alt, Tenor und Baß, componirt von 
* Aeblins. Op. 20. Drei Lieder. Cplt. 16 Sgr. Magdeburg, Hein⸗ 
richdhofen. 


10. Der Tag des Volkes. Mußſikaliſch⸗-deklamatoriſche Feſtgabe zur Halbjahr⸗ 
hundertfeier der Völkerſchlacht bei Leipzig vom 16. bis 19. October 1813. 
Alt und Jung im lieben Vaterlande dargeboten von Franz Knauth, 
Rector zu Muͤhlhauſen in Thür. Leipzig, ©. Merſeburger. 3 Sgr., in 
Bart. billiger. 


460 Ä Geſang. 


Nr. 1—5 find religiöſen Inhalts, Nr. 6 und 7 enthalten theils 
Religiöfes, theils Meltlihes, Nr. 8-10 nur Weltliches. 

Nr. 1 gibt AO nah den Feſtzeiten georbnete, leicht ausführbare Ge 
jänge für Sopran, Alt und Baß. „Es find diejelben auch in Beinen 
Gemeinden, mo feine erwachſenen Sängerinnen zur Berfügung ftiehen, in 
Anwendung gebracht worden, ba ja in jeder Schule eine Anzahl jchöner 
Stimmen zu finden ift, die fih zur Ausführung folder Gejänge bilden 
und befähigen laſſen. Wenn auch nur 10 —12 Stimmen für Sopran 
und Alt vorhanden wären und der Lehrer allein die dritte Stimme über 
nehmen müßte, fo Könnte durch einen folhen Chor doch immerhin 
Einiges zur Berberrlihung des Gottesdienftes und zur Ermwedung und Be 
lebung der Andacht beigetragen werden. „Der Name des Herausgebers 
bürgt für den Werth der Sammlung. In der That finden die Gantoren 
und Lehrer bier Gelegenheit, fib für wenige Silbergrofen in den Befis 
einer Reihe treffliher Motetten, Pfalmen und fonjtiger Chöre zu jegen (von 
Homilius, Rotti, Bortniansky, Rind, Neukomm, Bulpius, 
M. Frand, Faißt, Schletterer, Graun, Lützel u 4), wie fie 
andermärts kaum in folder Brauchbarkeit für die befchräntteften Berbältnifie 
dargeboten werben. 

Ne. 2. Taubert's Lieder bezeichnen fih durh Ernſt und Innerlich⸗ 
feit, ganz in Webereinftimmung mit den tiefreligtöfen Terten von Salomo 
Strand, N. Gryphius, A. Ulrih, Herzog von Braunfhmweig 
(„Laß dich Gott! Du Verlaſſner, ftill die Sorgen!) P. Gerhardt u. A. 
Auch in rein mufilaliiher Beziehung findet fich in dieſen Compofitionen 
de3 verehrten Berliner Capellmeifters manches Eigenthümliche und Anziehende 
Nah äußerm Effect haſchen fie keinesweges; die Noten fchließen fih ein- 
fah den Morten an und wollen weiter nichts, als den Sinn verjelben zu 
verdeutlichen und ihren Eindruck auf das Gemüth zu verftärten. — Nr. 3. 
Die Melodien W. Frand’s find in meiten Kreiſen in der Bearbeitung 
von Engel für eine Singftimme mit Pianoforte befannt geworden*). Hier 
liegen nun zwölf derfelben für gemiſchten Chor eingerichtet wor, jo meifer: 
haft eingerichtet, mit fo charaltervoller Führung jeder einzelnen Stimme, 
daß daraus zu erfehen, wie Herr A. v. Dommer nit nur über Mufit 
zu |[hreiben weiß, fondern aud ſelbſt ein techter Mufiler von Gottes 
Gnaden if. Mögen diefe ſchönen Lieder von leinem Chore, der was 
Rechtes zu fingen vermag, überfehen werben! 

Nr. 4 ift eine für Heine Chöre berechnete Compofition mäßigen Um: 
fanges, aub in Landkirchen recht wohl auszuführen und dazu um bes 
mufilalifchen Inhalts willen zu empfehlen. — In Nr. 5 liefert der geſchaͤtzte 
Componift ein umfafiendes Werk, welches durch eine nicht zu geringe An: 
zahl geübter und gebilvdeter Stimmen bejeßt werden muß (ohne jedoch, eine 
Heine Ausnahme abgerechnet, Solofräfte in Anfpruch zu nehmen), dann 
aber zeigen wird, daß es der Zueignung an Hrn. Prof. Stern in Berlin 
und feine Academie nicht unwerth war. An dem Schlußchoral ift freilid 


*) „Zur bäusliden Erbauung ⁊c.“ Dp. 24. Leipzig, Breitlopf 
und Härtel. 15 Sgr. Sehr zu empfehlen! 








Geſang. 461 


die allzugroße Simplicitaͤt des Satzes getadelt worden. Gewiß hat der 
Componiſt mit Abſicht ſo geſchrieben, im Gegenſatze zu der vorangehenden 
ſehr bewegten Fuge; es will mir indeſſen doch ebenfalls ſcheinen, als wäre 
Bach'ſche Charakterfülle für alle Stimmen des Chorals vorzuziehen geweſen. 

Nr. 6 gibt 254 mit Umfiht ausgewählte Gejänge aller Gattungen, 
von Chören Paleſtrina's, Nanini's und Lotti's an, bis zum naiven 
Volfgliebesliede herab. Einiges darunter ift von Gomponiften, die man 
außerhalb der Schweiz wenig kennt (Füchs, Nater, Zwyſſig, Greith, 
Kreipl), doch ftehen die Sachen zu vereinzelt da, um der Sammlung 
einen vorwaltend jchmweizeriihen Charakter aufzuprägen. Ohne Zweifel ges 
bört fie im Allgemeinen nicht nur zu den reichhaltigften, jondern auch zu 
den braudhbarfien Werlen ihrer Art, zumal da das ächte Volkslied eine 
gebührende Berüdfichtigung erfahren hat. 

Nr. 7 ift in derjelben Art zujammengeftellt wie Nr. 6, nur daß bie 
Zahl ver Gefänge blos 70 beträgt. Für den Beifall, welchen der „Lieder: 
garten‘ gefunden (wenn jchon er bie Grenzen der Schweiz faum überjchritten 
baben dürfte), fpricht die vorliegende zweite Auflage deſſelben. An fchmei: 
zeriihen Componiften treten Greitb, Tobler, Immler, Laib u. 4. 
auf; bei mehreren Gejängen fehlt die Angabe des Tonſetzers, ein Mangel, 
der wohl hätte vermieden werben jollen. 

Nr. 8 gibt eine namhafte Reihe auserwäbhlter patriotifcher Lieder in 
trefflihem vierftimmigem Sape und behält feinen Werth für alle Zeiten. 
Die Lieder unter Nr. 9 (Waldeinfamteit von Jul. Schanz, Empor 
von Mahlmann, Frühlingszeit von Müller v. d. Werra) find in des 
Herausgebers einfacher, finnvoller Weife gejchrieben und verdienen die Be: 
achtung der Gefangvereine, ſowie fie auch für Schuldhöre fih als recht 
wohl geeignet erweijen. 

Nr. 10 ift, gleih der vom Verf. früher herausgegebenen Seftfchrift: 
Bon Lomwofig bis Hubertsburg (Berlin 1863, 4. Aufl.) in erfter 
Linie für Schüler, zugleih aber aud in Geſang-, Turn: und ähnliche 
Vereine, fowie für gefellfchaftlihe Kreife beftimmt und wird bei entſprechen⸗ 
dem Bortrage der einzelnen Gejangs- und Declamationsftüde des beften 
Eindrucks überall nicht verfeblen. Als Motto ft Mar v. Schenten: 
dDorfs Wort gemählt: 

„Tanz des Volkes! du wirft tagen, 
Den ih droben feiern will.” 

Der Preis von 3 Sgr. erjcheint bei der Reichhaltigkeit des Werkchens 

als ein fehr billiger. 


4. Für verſchiedene Chorformen. 


1. Hofanna im Tempel des Herrn. Eine nad dem Kirchenjahr geordnete 
Sammlung von Feftgefängen für Kinderflimmen und gemifähten Chor in 
Landkirchen, ſowie auch un Gebrauhe für Schule und Haus. Herauss 
gegeben von Eh. G. Nikol. Leipzig, JuliuoKlinkhardt. 1863. 221/2 Sgr. 


2.  Boruffia, mein Baterland. Patriotifches Volkslied, gedichtet von F. Knauth. 
Kür Chor und Orcheſter componirt von G. Schreiber, Königl. Mufit: 
director, Kür gemifhten Ehor: Partitur und Orcheſterſtimmen 7'/s Sgr. 


462 Gefang. 


Die 4 Singſtimmen 2'/ Sgr. Für Männerhor: Partitur und Orcheſter⸗ 
ſtimmen T7Y/s Sgr., Singitimmen 2" Sgr. Schulausgabe für 3 Sing. 
fimmen ohne Begleitung 1 Sgr. Halle, H. Karmrodt. 


3. 60 Ehoralmelodien zu den 80 Kirchenliedern in 300 zwei⸗, dreis und vier- 
flimmigen Bearbeitungen nebf liturgifchen @efängen im Einsſchlüſſel. Zur 
Erbauung in Kirche, Eule und Haus, fowie für mannichfaltige unter- 
richtliche Zwecke dem fingenden und fpielenden Chriftenvolte, insbefondere 
den Seminaren und Bollöfhulen, dargeboten von E. H. MR. Waldbach, 
Lehrer am Seminar zu Pr. Eylau. In Commiffion bei Gräfe u. Unger 
in Königsberg und im Gelbfiverlage des Verfaſſers. 1863. 1 Thlr. 


4. Allgemeines deutſches Turnerliederbuch, mit Melodien, beraudgegeben von 
Fr. Erk und M. Echauendburg. Lahr, Schauenburg u. Comp. Dritte 
Auflage. 10 Spar. 


5. Germania auf der Baht. Deutfche Lieder zu Schutz, Trug und Sangee: 
Iuft in ſchwerer Zeit dem deutfchen Doll. Gefammelt von Dr. F. F. N. 
Schneider. Wittenberg, Hermann Kölling. 15 Ser. 


Nr. 1 enthält in forgfältiger Auswahl 100 Nrn., und zwar Chor: 
lieder (jogenannte Arien), Motetten, Pjalmen und andere Chöre, bald für 
j.u. Sopran, Alt und Baß, bald für vollftändigen gemiſchten Chor; Giniges 
auch für Sopran: Solo mit Orgel. Den Cantoren der Landlichen, ange 
wieſen auf ein Eleines Sängerperfonal, ift bier ein reihes Magazin von 
Seit: und andern Gejängen für alle Fälle der Amtöführung geöffnet, in 
welchem fie wohl niemals vergeblih nah etwas Paſſendem juchen werben. 
Es handelt ſich jedoch eben nur um die einfachſten kirchlichen Gefangs: 
leiftungen; wo man fi böbere und umfaflendere Aufgaben ftellen Tann, 
find andere Sammlungen, an benen ja kein Mangel üt, zu beaugen. — 
Nr. 2 ift ein frifhes Lied nah Wort und Weiſe, dem eine weite Bers 
breitung zu gönnen und zu wünjchen fteht. — Nr. 3. „Ungeſucht aus dem 
Beduͤrfniß des biefigen Seminars bergemahjen und im mehrjährigen Ge: 
brauch alljeitig durchgeprobt, und allmählig geläutert, it die bier gebotene 
Mufitbeilage zu den 80 Kirchenliedern nebit Liturgie nun au anderen Semi⸗ 
narien, höhern und niederen Schulen, jowie dem Privatunterrichte in jedem 
mufittreibenden Chriftenhauje zugänglid gemacht und zu recht geſegneter 
Verwendung freundlid empfohlen.” So ber Herausgeber im Vorworte. Die 
Choräle find in 5 verſchiedenen Bearbeitungen gegeben und können hiernach 
gejungen werben: 1. zweiftimmig von a) Kinder, b) Männer, c) Kinder: 
und Männerftimmen und d) doppelt zweiftimmig von Discant, Alt, Tenor 
und zwei oder drei Kinderſtimmen allein, bald für Bag; 2. drei: 
ftimmig von a) Kindern, b) Männern, c) Kindern und Männern (doppelt 
dreiftimmig), d) Discant, Alt und Zenor; 3. vierffimmig nur von 
Männern (der „Mißgeburt‘‘- des vierftimmigen Kindergeſanges hat ver 
Herausgeber durch diefen Satz „nicht Vorſchub leiften wollen”); 4. drei- 
flimmig von Discant, Alt und Bariton (wie verhält fih das zu 2 47): 
vierfiimmig von PDiscant, Alt, Tenor und Baß. Das Ganze iſt als 
eine ſehr verdienſtliche Arbeit zu betrachten, die aud in rein mufilalifcher 
Hinfiht (mo eine ftellenweile Anlehnung an Ertl, Gäbler, Karom, 
Reinbard:Janfen und Koder ftattgefunden hat) volle Anerkennung 


Gefang. 463 


verdient. Wie dieje Choralfäge auch für den Unterriht im Biolins, Clavier⸗ 
und Orgelſpiel benußt werden können, ift im Vorwort ausführlich nachge⸗ 
wiefen. — Nr. 4. Der reihe Inhalt des Ganzen ordnet fich in 3 Abtheilungen: 
I. Zaterlandsliever, 113 Nın. II. Turn, Feſt-, Geſellſchafts- und Wander: 
lieder, 72 Nrn., III. Boltsliever, 61 Nrn. Jedem Bedürfnſſe einer Turn: 
gemeinde dürfte hier vollftändig Rehnung getragen fein. Was die Muſik 
betrifft, fo find die Lieder theils einftimmig, theild von zwei oder brei 
Knaben: oder Männerftimmen (auch boppelt zwei: oder breiftimmig), theils 
von vier Männerftimmen zu fingen, und ift hierin jedes Liedes Eigenart wohl 
beachtet. — Nr. 5. „Wie auf Geſangesſchwingen,“ fo ruft der Herausgeber dem 
deutfhen Volle zu, „in der Zeit des Befreiungskrieges religiöje und vater: 
ländifche Begeifterung für denſelben alle Stände und alle Geſchlechter er: 
griffen, jo laſſe auch auf gleiche Weiſe dein Herz wieder von der Macht des 
Gejanges durchdringen. Ja, wappne dich zum bevorftehenden Kampfe mit der 
Macht des Gefanges! Dazu wird dieſe Liederfammlung dargeboten; fie 
fol die nöthigen Gejangeswaffen der deutſchen Jugend, dem deutſchen Volle 
darreihen, auf duß an der Herrlichkeit des deutſchen Landes und Volkes 
das Herz zur gänzlihen Hingabe an dieſelben und zur rechten Freiheitsliebe 
entzündet, an den Thaten der Väter das junge Gejchledht zum Kampf 
gegen den deutjchen Grbfeinb ermuthigt und gejtärtt werde.” ... Auf 268 
Seiten werben in reiher Auswahl gegeben: I. Deutſche Baterlandslieder. 
DI. Weihe: und Freiheitslieder. ILL Kriegesmahnung. IV. Krieger: und 
Schlachtenlieder. V. Der deutſche Befreiungskrieg. VI. Deutſche Helden: 
lieder. Das Titelbild: Germania auf der Waht am Rhein*), 
dient zur befondern Bierde des mit patriotiihem Sinne und feinem Ver⸗ 
ftänpniß für das poetifch Berechtigte zufammengeftellten Werts. Die Mufil 
der Lieber ift nicht beigefügt. 


5. Lieder, Duetten ꝛc. mit Pianofortebegleitung. 


1. Armonta. Auserleſene Befänge für Alt oder Mezzo⸗Sopran, herausge⸗ 
eben von G. A. Ritter. Band V und VI, a 1, Thlr. Magdeburg, 
einrich&hofen. 


2. Sechs Gefänge für eine Singkimme mit Begleitung des Pianoforte, 
componirt von Mobert Franz. 25 Sgr. Breslau, F. & C. Leudart. 


3. Der 23. Pfalm. „Der Herr tft mein Hirt,“ für Sopran⸗ oder Tenor⸗ 
flimme mit Clavier⸗ oder Orgelbegleitung componirt von Paul Kähler. 
Berlin und Bofen, &d. Bote und Bod, 


4. Sch geikl ide Lieder von Fr. Dfer, für eine Altſtimme mit Bes 
leitung des Pianoforte componirt von 2. Schinbelmeiffer, Großherzogl. 
Sem ofcapellimelfter. Mainz bei B. Schott’d Söhnen. 


5. Mufitalifhes Goethe⸗Album. Eine Sammlung Boethe'fcher Lieder, 
für eine Singftinme mit Begleitung des Pianoforte componirt und allen 


*) Das berrlihe Bild if im Driginal gemalt von % greng Blaten auf 
Stein gezeichnet und im Selbftverlage herausgegeben von Otto Merfeburger 
in Leipzig. (Höhe 20”, Breite 16) Preis auf chin. Papier 2 Thlr. 


464 Geſang. 


Zerehuen des Dichters gewidmet von Guſtav Janſen. Berlin, Hermann 
endel. 


6. Fünf Gedichte, für eine tiefere Stimme in Muſik gefebt von Georg 
ierling. Op. 21. Breslau, F. E. C. Leudart. 22,2 Ser. 


7. Der Schiffer und fein Sohn. Gedicht von Baulfe, für Baß oder 
Alt mit Begleitung des Pianoforte componirt von Fr. Wilh. Sering. 
Erfurt und Leipzig, &. Wilh. Körner. 12/2 Sgr. 


8. „Benn Du ein armes Menſchenkind.“ Lied im Bollston für eine 
Sinaftimme und Pianoforte von Adolph Klaumwell. Op. 41. Retpzig, 
C. Merfeburger. 5 Ger. 


9. Lied der Naht. Poche von Joſeph v. Eichendorff. In Muflt gefept 
für eine Singftimme mit Pianofortebegleitung von E. H. Trußn. Op. 115. 
Berlin, Hermann Wendel. 10 Gar. 


10, Sechs Lieder für eine Singiimm: mit Beglettung des Pianoforte, com- 
ponirt von M. H. Schmidt. 10. Werl. Magdeburg, Heinrichéhofen. 
Lief. J 10 Sgr., Lief. IT 12/2 Sgr., cplt. 20 Ser. 


11, Alvenrofen. Neue Schwelzerlteder, für eine Singſtimme mit Piano» 
fortebegleitung componirt von Hermann Nageli. Erſtes und Zweites 
Heft. Züri, Hans Georg Rägeli. 


Klänge aus der Kinderwelt. 12 Xieder mit Begleitung des Piano⸗ 
forte von Wild. Taubert. VII. Heft. Op. 124. Berlin, T. Traut- 
wein. 1 Thlr. 5 Ser. 


13. Geiſtliches Liederbuch. Dierflimmig für Sopran, Alt, Tenor und 
Ba, fowie au für eine Singſtimme mit Glavierbegleitung von J. W. 
Sering, Königl. Mufltdirector. Op. 44. Erfles Heft, 56 Xieder une 
52 Melodien enthaltend, Gütersloh, C. Bertelömann. 1863. 8 Ser. 


14. Geiſtliche Befänge zur Rahfolge Chriſti von Thomas 
v. Kempis, anfäliehend an Joh. Goßner's lieberfepgung mit Anwen 
dung und Nachleſe zu jedem Kapitel (Stereotyp: Ausgabe von 1839, Leipzig 
bei Zauchnig), für eine und mehrere Singitimmen mit Begleitung des 
Bianoforte componirt von Gottfried Weiß. Op. 17. Berlin, Heinrich 
Beip. Heft I1 Ihe. 


15. Zebn GBefänge für zwei Singftimmen mit Begleitung des Pianoforte, 
von Ferd. Hiller. Op. 90. In 2 Heften A 1 Kl. 48 Kr. 


185. Sprud für ge Singftimmen mit Bianoterte Begleitung, componirt 
von Ferd. Hiller. Op. 89. Mainz, Schott's Söhne 27 Kr. 


12 


Nr. 1 gibt in Band V Nr. 34— 39, in Band VI Nr. 40 — 48 
des Gejammtinhalted der nun beendigten Sammlung. Auch bier, wie in 
den früheren Bänden, ift nur „Auserleſenes“ dargeboten, wofür ſchon die 
Namen Händel, Glud, B. Marcello, A. Scarlatti, Ferran: 
dini, €, Zosdhi, Caſelli und Cozzi Bürgſchaft leiften. Das Ganze 
liegt jebt als ein höchſt ſchätzbares Magazin Haffisher Compofitionen für 
tiefere weiblihe Stimmen vor. Wohl jeder Sängerin, der es vergönnt if, 
diefe herrlichen Saden lernen zu können und fi mehr und mehr in jte 
zu vertiefen; wohl jedem Haufe, wo dieſe Geſänge heimiſch werden, wo fie 
Jemand kunſtgemäß und mit rechter Innerlichkeit vorzutragen weiß, die 
Andern aber ein Berflänpniß und eine Empfänglicteit dafür haben! — 


In’ 








Gefang. 465 


Das ganze Werk wird compl. für 5 Thlr. abgegeben; ein jehr mäßiger 
Preis für einen jo reihen Saß der edelſten Muſik! — In Nr. 2 ſtellt 
ſich den älteren, in Nr. 1 vertretenen Meiſtern einer der berühmteſten 
Liedercomponiften der Sebtzeit würdig zur Seite. Die Terte find von 
9. Heine, ®. Ofterwald, Betti Baoli, und aud ein Lieb aus dem 
Volksmunde ift dabei; was die Mufik betrifft, fo ift fie eben von Robert 
Franz, reih an großen Schönheiten in Melodie und Begleitung, frei von 
allem Orbinären und Verbrauchten, charaltervoll in jeder Note, dabei jedoch 
dem Gewohnten zum Theil jo fern ftehend, daß es für den Sänger wie 
für den Hörer einer öftern Rüdtehr zu diejen Liedern bebarf, um fie nad 
Geift und Sinn, nah Form und Inhalt in dem Maße fhäben und lieben 
zu lernen, wie fie’3 verdienen. — Nr. 3 ift in dem milden, weichen Baitoral- 
Style, den Manche bier angewandt haben, nicht gejchrieben, hat vielmehr 
etwas Kräftiges, Muthiges und BZuverfichtlihes, was in der Begleitung 
faft an das Starte und Harte ftreift; für eine klangvolle, ausgiebige 
Stimme, namentlich für einen derartigen Zenor, wird fich der Pſalm indeß 
bei freiem, friihem Bortrage al3 eine dankbare Compofition erweiſen. — 
In Nr. 4 find die ſchönen und innigen geiftlihen Poefien Oſer's in ent: 
iprechender Weiſe aufgefaßt und muſikaliſch wiedergegeben; Altiftinnen, vie 
aus dem Herzen zu fingen verſtehen und eine bedeutſame, jedoch nicht ver: 
tünftelte Begleitung lieben, werben in dieſem Hefte eine erwünfchte Dar: 
bietung finden. — Der Gomponift von Nr. 5 will offenbar vor Allem 
die Einfachheit und Naivetät der Goethe'ſchen Lieber, jenes lichte, klare 
Weſen, wobei fie doch fo tief find, wiedergeben, geräth aber dadurch häufig 
in Zlachheit, ja in Zrivialität hinein, wenn ſchon einzelnes Schöne nicht 
zu vertennen if. Nah der Blüthe, zu welcher Beethoven, Franz 
Schubert, Mendelsjfohbn, Shumann, Robert Franz u. N. 
die Liedercompofition entfaltet haben, fteht nicht zu erwarten, daß die vor: 
liegenden Lieber, fo gut fie gemeint fein mögen, ein dauerndes Intereſſe 
erregen werden. — Nr. 6, einer durchaus edlen Richtung angebörig, ent: 
ſpricht den Vorausſetzungen, welde fih an ven geachteten Namen des 
Componiften knüpfen und ift gebildeten Sängerinnen mit Recht zu em: 
pfeblen. — Nr. 7. Eine charaltervolle Ballade nah Löme’d Vorbild. — 
Nr. 8 und 9. Ginfahe und innige, mufilaliih interefiante Lieder, bie 
e3 recht wohl verdienen, mit Antheil gejungen und gehört zu werden. — 
Nr. 10. Wie von dem GComponiften, als einem erfahrenen Renner und 
Lehrer des Gejanges, zu erwarten, ift bier alles ftimmgemäß und dankbar 
für den Sänger gejchrieben; dabei wird indeß auch der Ton und die Sprache 
des tiefen Gefühls, der warmen Empfindung nicht vermißt. — Nr. 11. 
Muntere, naturfrifche Lieder, im Schweizerbialect gedichtet und im Schweizerton 
mit Glüd gejungen. — Nr. 12. Mer kennt nit Zaubert's jchöne, in 
ibrer eben fo einfahen und anmuthigen als finn- und geiftvollen Art big 
jegt von keinem Andern erreichte Kinderlieder! Das vorliegende VII. Heft 
fchließt fih den vorigen beitend an. Cs enthält Nr. 73—85, mit Texten 
von 9. v. Sallersleben, Arndt, 8. Enslin, J. Minding, Clau: 
dius, Dieffenbad, R. Löwenftein, Kletke, nebit einer Nummer aus 
des Knaben Wunderhorn. Die ſehr huͤbſchen, auf die einzelnen Lieder 
Bid. Jahresbericht XV. 3 


466 Geſang. 


bezüglichen kleinen Vignetten des Titels erhöhen den Werth des trefflichen, 
freilich etwas koſtſpieligen Hefts. 

Nr. 13 enthält wohlgewählte vierſtimmige Lieder, die aber auch ein⸗ 
fiimmig am Clavier gefungen werben können, weshalb fie hier mit auf: 
geführt find. Die Anordnung ift folgende: Advent, Weihnacht, Paſſion, 
Oftern, Himmelfahrt, Pfingften, Trinitatis, Gebet, Jeſuslieder, Chrift. Leben, 
Lob: und Danklieder, Kreuz: und Troftliever, Tages⸗ und Jahreszeiten, 
Pilgerlieder, Grablieder. Mit Gompofitionen von Fr. Schneider, 
U. v. Löwenftern, VBreidenftein, Sörenfen, Schulz, Rägeli, 
Malan, Händel, H. Schein, M. Prätorius, W. Franck, v. Neu: 
tomm, Zumſteeg, Nanini, Romberg, Bortnianski, Luiſe 
Reichardt, H. Krüger, Peter Ritter und dem Herausgeber ſelbſt 
wechſeln Tonſähe alter ungenannter Meiſter und geiſtliche Vollsweiſen ab. 
Die Reihe der Dichter iſt eben ſo reich an bewährten Namen, wie die der 
Componiſten. Das Ganze iſt ein ſchaͤßzbarer Beitrag zur geiſtlichen Haus⸗ und 
Schulmufit, empfiehlt fid) auch durch würdige äußere Ausftattung und durch den 
Außerft billigen Preis. — Rr. 14. Einige von den Terten find in Folge 
des vorwaltenden reflectivenden und lehrhaften Glementes nicht ohne eine 
gewiſſe ZTrodenbeit, wie wir fie w. 9. aub bei manden S. Ba h'ſchen 
Arten finden; andere dagegen laſſen keineswegs eine höhere Wärme und 
tiefere Innigkeit des Gefühle vermiſſen. Die Mufil zeigt nichts von Weich: 
lichkeit und Sentimentalität, ſondern bezeichnet ſich vielmehr durch einen 
den Terten entſprechenden Emft, der mitunter felbit den Charakter einer 
gewiffen Strenge und SHerbigteit annimmt. Die Vermuthung, daß der 
Somponift fih viel mit S. Bach beichäftigt habe, dürfte wohl feine irrige 
: fein. Seine Herrſchaft über die Technik verrät ſich in verſchiedenen 
Stüden, fo 3. B. auch in der mit Tünftlerifeher Freiheit ausgeführten Figu⸗ 
ration der Pianofortepartie in Nr. 3, desgleichen auch in ver energiſchen 
Durchführung des charaltervolen Motive In Nr. 6. — Es iſt in unferer 
Zeit wohl mehr als je etwas Achtungswerthes, dergleichen Muſik zu jchreiben 
und zu verlegen. — Nr. 15. Dieſe Gefänge, gebihtet von Blaten, 
Delfhläger, Ernft, Pfau, Uhland, Prug, Jordan, Heine 
und Dreves, in Muſik gejebt von dem Componiſten ber „Zerſtörang 
Jeruſalems“, der „Nacht ꝛc. mögen überallhin empfohlen fein, wo fi 
zwei gebildete Sängerinnen oder Sänger zuſammenfinden, die fih an be 
deutjamer, poetifch empfundener, meifterfih geformter Mufil erfreuen und 
fördern wollen. Ich weiß die vorliegenden Sachen in Betreff ihres Timft: 
lerifchen Wertbes nur Mendel sſohns allbekannten Duetten an die Seite 
zu ftellen, denen fie indeß ihrem gangen Wehen nach doch nicht gleichen, 
indem ihre Schönheit gumeift eine andere if, als die Mare, vurchſichtige 
und rubiger bewegte von jenen, weshalb fie auch ſchwerer zu fingen find. — 
Nr. 16 ift einem Schweiternpaare zugeeignet und Tann jedem andern foldhen, 
wenn es zugleih em Sängerinnenpaar tft, nur willlommen fein. 

Der „Spruch“ lautet: 

ott mit wir, 

in junges Gerg mit dir, 
Gott mit und Beiden 
In TZrübfal und Leiden.” 





Befang. 467 


Die Schweitern rufen diefe Worte im ausgeführten, gemüthsinnigen 


Duett einander zu. Das Ganze trägt den Charakter edler Ginfachbeit. 


Nachtrag. 


Hundert Vocaliſen und Solfaggien nebſt einleitenden Studien mit 
Begleitung des Pianoforte, componirt von Ferd. Sieber. Op. 30—33, 
& 1)/, Ihlr., gufammen 6 Thlr. Magdeburg, Heinrichshofen. 


Schözig leichte Vocalifen und Solfeggien mit Begleitung des 
Pianoforte, componirt von Ferd. Steber. Op. 44—49. A Y/s Thlr. Die 
6 Hefte zufammen 2 Thlr. Magdeburg, Heinrichöhofen. 


150 Ehorals Melodien mit untergelegtem Texte, in der Form, wie ſich 
diefelben in den evangelifchen Gemeinden Ponımerns und Brandenburgs 
(atjo faft alle nah Kübnau) eingebürgert haben, nebft einem Anhange, neun 
zweiftimmige geiflliche Lieder und Die Refponforien ber Liturgie (dreiftimmig) 
enthaltend. Zum Gebraude in Kirche, Schule und Hays, herausge⸗ 
eben von I. G. Schubert, Königl. Seminarlehrer in Cdolin. Cdalin, 
erlag von & Volger. 6 Sgr., bei Partien von mindeflens 25 Exem⸗ 
plaren à 5 Ser. 


Liederkranz. Sammlung biebrimmiger Gefänge um Gebrauche für 
höhere Lebranftalten von &. Ehrlich. Op. 25. HeftIV. Für 2 Tendre 
und 2 Bäfle. 15 Gar. Magdeburg, Heinrichähofen. 


Sechs leichte und kurze Motetten für Tenor Iu. II, Bag Iu. IL 
oder für Cantus, Altus, Tenor und Baflus von Karl Rebr. Op. 2, 
Regendburg, &. 3. Manz. 1869. 


Lateiniſche Meffe; kurz und leicht ausführbar, für vier Mänuerftimmen, 
bearbeitet von Karl Rehr. Op. 1. Regensburg, ©. J Mainz. 1863. 


Drei Frühlingslieder für Sopran, Alt, Tenor und Baß von A. ©. 
Nitter. Op. 37. Magdeburg, Heinrihshofen. 17" Sgr. SBarthien- 
preis der Stimmen à 1!/a Sur. 


305. Seh. Bad: Eantaten im Elavierauszuge, bearbeitet von M. Frans. 
Nr. 1. Es if dir gefagt, Menſch, was gut if. 2 Ihle. 20 Gar. Nr. 2. 
Gott fähret auf mit Jandyen. 2 Ihlr. Nr. 3. Ih hatte viel Belümmers 
nit. Breslau, F. E. ©. Leudart. 


Bon 1806 bis 1815! Charakteriſtiſche Lieder aus den deutſchen Kreihelis« 
triegen. Jubelgabe in Declamation und Gefang. Ein Feſtactus zur Feier 
der vaterländifhen Gedenktage für Schulen eingerichtet von &. Heufinger, 
Drganift und Lehrer, Ausgabe für den Lehrer und Derlamator, 10 Sgr. 
Ausgabe der Lieder für den Sängerdor. 24/2 Sgr. Leipzig, C. F. Kahnt. 


Nr. 1 und 2. Nr. 1 enthält in 6 verſchiedenen, einzeln laäuflichen 


Heften je 16, zejp. 17 Bocalifen für Sopran (Op. 30), Mes : Sopran 
(Op. 31), Alt (Op. 32), Tenor (Op. 33), 17 Bariton (Op. 34) ab 
Baß (Op. 35). Die jebem Hefte beigegebenen „einleitenden Studien“ 
dienen „zur Webung fowopl in allen Elementen der Geſangskunſt, als auch 
in correcter Ausführung kürzerer und längerer Tonreihen, Arpeggien,“ 
Doppelfhläge, Zriller und Tonleitern“. Die Vocaliſen ſelbſt könnte man 


30* 


468 Geſang. 


um ihres reichen melodiſchen Inhalts willen Lieder ohne Worte nennen; 
jede einzelne hat ihren beſondern Zwed (Nr. 1. canto legato, Ar. 2. salti, 
cresc. e decresc., Nr. 3. messa di voce, portamento u. |. w.) In dem 
fehr ausführlihen Vorworte entwidelt der Herausgeber die Grundjäße für 
die Behandlung des ganzen Unterrichts und fügt zugleich Fingerzeige für 
das Einzelne bei. — Nr. 2 gibt in 6 einzelnen Heften je 10 leichtere 
Bocalijen für jede der oben genannten Stimmgattungen. Beide Werte er: 
gänzen einander; fie fchließen ſich zunädft an des Berf.s Vollſt. Lehr: 
buch der Geſangskunſt an und ftehen mit demjelben in genauem Zu: 
fammenbange, tünnen jedoch auch getrennt von dieſem recht wohl benutzt 
werden. Der ausgezeihnete Ruf, melden der Verf. auf dem Gebiete ver 
böhern Gefangbildungslehre genießt, bürgt für den Werth diefer wahrhaft 
ſchönen Bocalijen. 

Nr. 3. Das Vorwort fagt u. A.: „Den Schulen bauptjädlid, 
und zwar Öymnafien und höhern Bürger und ZTöchterfchulen ſowohl, als 
den Boltsjhulen ift die Aufgabe zuertbeilt, den kirchlichen Geſang und 
insbefondere den Choralgefang zu pflegen und immer auf’3 Neue wieder 
anzubauen; und daß es Roth thut, fich diefer Aufgabe in den genannten 
Anftalten immer mehr zugumenden, zeigt die große Melodien: Armuth in 
vielen unjerer Kir: Gemeinden, ſtädtiſchen ſowohl, wie länpliden. Für 
die Schulen daber ift diefes Melodienbüchlein hauptſächlich beftimmt. In 
den höbern Schulanftalten, wo alle Schüler nah Noten fingen, müßte 
e8 jeder Schüler befigen, und in den Volksſchulen mwenigftens jeder Schüler 
der obern Abtheilung, wo ja der Gefangsunterriht der Noten als Stüpe 
nicht entbehren kann. jeder Gefanglehrer in den Schulen muß dahin 
fireben, daß die Schüler die nachfolgenden Melodien von Noten fingen 
lernen. Daneben bleibt e8 aber eine wichtige Aufgabe, daß die Schüler 
eine möglichft große Anzahl diefer Melodien als fiheren Befig in das Ge: 
dächtniß aufnehmen. Um dies zu erleichtern, ift den Melodien wentgftens 
eine Strophe Tert untergelegt, welcher mit zu erlernen ift. — Wenigſtens 
dreißig Melodien lann jeves Kind als feites Eigenthum mit aus der 
Volksſchule nehmen, in den höheren Schulen bei weilem mehr. Den lebteren 
Anftalten empfehle id auf Grund eigner Grfahrung, den Gejangunterrict 
in den unteren Klafien fo einzurichten, daß ſich die jonft jo trodenen Treff⸗ 
übungen an die Choral: Melodien anlehnen und hauptfählid aus viejen 
genommen werben (während die rhythmiſchen Uebungen ſich pafiender ams 
weltlihe Vollslied anjchließen), und menigftens alle Monate eine Choral: 
melodie bis zum fihern Auswendiglernen einzuüben” u. |. w. Der Augen 
dieſes bauptjädhlich für Pommern beftimmten Choralbüdleins wird bei dem 
zu erwartenden und buch das Gösliner Seminar bereit3 angebahnten 
fleißigen Gebraud nicht ausbleiben. Eine bantenswertbe Zugabe find die 
angefügten geiftlihen ollsliever nebft den Chören der Liturgie — Wr. & 
Der Inhalt ift theils geiftlich, theils weltlich und entbehrt an fich nicht der 
Berehtigung; da das Ganze jedoh nur 35 Nummern enthält, fo ſteht 
ed an Brauchbarleit gegen bie reicheren Sammelwerle von Ertl, Sering, 
Kunkel u. U. zurüd. — Nr. 5 und 6. Der Componift hatte die Abs 
fiht, „durch leichte, kurze und dabei kirchliche Gefänge zur Verbreitung 





Geſang. 469 


kirchlichen Sinnes und zur größern Ehre Gottes beizutragen.“ Ich bezeuge 
gern, daß beide Werke dieſem Zwede angemeſſen find. — Nr. 7. Der 
Werth diefer fhönen, dem Tanneberg'ſchen Mufilverein in Halberftabt zu: 
geeigneten Gejänge ift bereitö mehrſeitig von der NHritif anerlannt und her: 
vorgehoben worden. — Nr. 8. Es bebarf nur der Anzeige, daß bie in 
Rede ſtehenden herrlihen Werte da find. Mittelft des trefflichen, von 
Meifterband gearbeiteten Clavierauszuges können fie nun überall, mo ge: 
übte Kräfte zur Verwendung ftehen, mit Accompagnement blos des Flügels 
aufgeführt werden, und daß menigftens dies geſchehe, wird eine Ehrenſache 
jedes beſſeren Vereines oder Chores fein. — Nr. 9 führt von des deutfchen 
Reiches Blüthe und Verfall, dem der Rheinbund folgte, in Declamation 
und Geſang bis zur Verbannung Napoleon’8 nach Helenaund dem wieder 
fehrenden Frieden und fchließt mit den Worten: 
Laßt uns ein einig Voll von Brüdern fein ! 


Wofür die Beten biuteten und flarben: 
Dem Baterlande gilts! Dem deutſchen Volk allein! 


Das Banze ift eine fehr verbienftvolle, warm zu empfeblende Arbeit. — 


XII. 
Allgemeine Pädagogik. 


Bon 


Brofefior Dr. H. Gräfe, 
Vorſteher ver Bürgerſchule in Bremen. 


Encyelopäbdie. 


1. Encnelopädie des gefammten Erziehungs» und Unterrichtöwefend, heraus» 

parken unter Deitwirkung von Brofeflor Dr. v. Palmer und Brofefjor 

r. Wildermuth in Tübingen, von 8. Et Schmid, Rector des Gum: 
nafiums zu Stuttgart. Gotha. Rudolf Befler. 1862. 


Die uns vorliegenden Hefte 28 — einichließli 35 reihen von „Sudi: 
vidualität” — „Lykurg“ und beftätigen mehr und mehr das jeßt wohl al: 
gemein feſtſtehende günftige Urtheil über dieſes bedeutende Unternehmen, das 
leider in einzelnen feiner biftorischftatiftiichen Artikel aus Mangel an Unter: 
ftügung und geeigneten Mitarbeitern zu wünſchen übrig läßt. Cine ein: 
feitige Richtung in philofophifchsabhandelnden Artikeln wird im Grunde 
Niemanden beirren, wogegen lüdenbafte, ungenaue, einfeitige, hiſtoriſch⸗ſtati⸗ 
ftifche Darftellungen Jedermann unbefriebigt laſſen. 


Pfychologie. 


2. IR Beneke Materialiſt? Ein Beitrag zur Drientirung über Beneke's Suftem 
der Din@ologie mit Rückficht auf verfchiedene Einwürfe gegen daflelbe 
Zunächſt als Abwehr eines Angriffs des Herrn Pfarrers Gieſeler. Geſchrieben 
von Johann Gottlieb Dreßler, Seminardirefter a. ©. in Baugen. 
Berlin, 1862, E. S. Mittler und Sohn. 99 Seiten gr. 8. 15 Ser. 


Der ald unermüpliher Bertreter ver neuen Pſychologie befannte 
Verfaſſer diefer Streitfchrift nimmt Benele gegen den ihm vom Pfarrer 
Bifeler zu Spülhorft bei Lübbele in einem Auflage in Diefterweg’s Rhei⸗ 
niſchen Blättern gemachten Vorwurf des Materialismus in Schup, und 


Allgemeine Paͤdagogik. 471 


na dem Urtheile des Ref. mit vollem Rechte. Es hätte zur Zurück⸗ 
weiſung dieſes Vorwurfs wohl kaum einer Brochüre von 100 Seiten be 
durft, wenn Herr Drebles nicht die Gelegenheit benutzt hätte, zugleich eine 
neue Shupfärift für die neue Piychologie zu liefern. 


Siftorifche Pädagogik. 
3. Die Geſchichte der Erziehung und des Unterrichts. Für Schulz und Predigt- 
emiscandidaten, für Volksſchullehrer, für gebildete Eltern und Erzieher 


überfichtlich dargeftelt von Karl Schmidt. Köthen, 1863. Paul Schett« 
ter. 470 ©. gr. 8 9, Thlr. 


Der Berfafier giebt bier den Inhalt feiner vierbändigen Geſchichte der 
Paͤdagogik, deren großen Werth Mef. im Jahresberichte bereits gebührend 
anerlannt hat, in abgelürzter und gedrängter Zufammenfafiung und Dar 
flellung, nicht in einem fclavifhen Auszuge, und er hat damit den Lehrer: 
bilvungsanftalten und vielen Lehrern unftreitig ein münfchenswerthes Werk 
geliefert. Der Geſchichte der Erziehung und des Unterrichts im Alterthbume 
ift Dabei natürlich nur ein beſchränkter Raum gewidmet, die neuere und 
neueſte Zeit dagegen etwas ausführlicher behandelt und dem Bürger und 
Vollaſchulweſen befonvere Aufmerkſamkeit gewidmet worden. Nah Anficht 
des Mei. hätten einzelne Abfchnitte noch kürzer zufammengefaßt, dagegen 
bie häusliche Erziehung mehr berüdfichtigt und ber legte Abſchnitt: Erzie⸗ 
bung unb Unterricht in ber deutfhen Schule, etwas weiter ausgeführt und 
anders behandelt werden können. 


4. Das Schulwelen ber Sefuiten nad den Drbensgefepen dargeftellt von 
Dr. Guftau Weider, College am Konigl. Däbegogium zu Halle. Halle, 
Buchhandlung des Waiſenhauſes. 1869. 288 ©. 8. As Thlr. 


Außer der Einleitung, welche die Bedeutung und Entitehung bes 
jefuitiicgen Erziehungsſyſtems darlegt und eine Ueberfiht der Duellen und 
Hilfsmittel gibt, ift der Inhalt in 5 Kapitel vertheilt, die folgende Webers 
fehriften tragen: 4) Zwed der Erziehung und des Unterrichts nach jeſuiti⸗ 
ſcher Anſchauung. 2) Berfhiedene Arten der jefuitiichen Lehr: und Gr: 
ziebungsanftalten. 3) Aeußere Schulverfaflung. 4) Lchrverfafiung. 5) Sitt: 
lihe und religiöfe Erziehung. — Ref. muß fih mit diefer Angabe des In⸗ 
halte begnügen, da es ihm bis jetzt unmöglich geweſen ift, mit bem für 
die Geſchichte der Erziehung und des Unterrichts interefianten Werte näher 
fih belannt zu machen, und er behält fih vor, im nädften Bande des 
Jahreaberichts auf dafielbe zurüdzulommen. 


Biograpbieen und Biographifches. 


5. Sean Jacques Rouſſeau. Sein Reben und feine Werke. Bon F. Broder- 
fe it en and. X und 496 ©. gr. 8. Leipzig, Otto Wigand. 
. 21/3 Thlr. 


Rouffeau, eben fo leivenfhaftlid verurtheilt, als begeiftert gepriefen 
und bewundert, gehört zu den feltenen Männern, die ohne organiſche 
Schöpfungen auf wifienfhaftlihem over praftiihem Gebiete hinterlafen zu 
haben, bush wahre Genialität, durch „weltbewegende Gedanken in unge: 


472 Allgemeine Pädagogik. 


wöhnlicher Weife umgeftaltend auf viele Verhälniffe eingemirtt haben. Durch 
feinen „Emil“, der zuerit 1702 erſchien, hat er befanntlih auch anf dem 
Gebiete der Erziehung eine Anregung gegeben, die jo tief eingreifend war, 
wie kaum jemals eine andere, und deren umgeftaltender Macht felbit feine 
leidenfchaftlihften Gegner fih zu entziehen nicht vermodht haben. Bon 
welcher Bedeutung Roufleau fein muß, wird, mer ihn noch nicht näher 
fennen lernte, ſchon daraus abnehmen können, daß nad fo vielen Schriften, 
die fih bald mehr bald minder ausführlih mit feinem Leben und feinen 
Schriften beſchäftigen, und nachdem 8% Sabre feit feinem Tode (er war 
geb. 1712 und ftarb 1778) verflofien find, eine neue ausführlihe Biogra⸗ 
phie von ihm erfcheint. Der Verfafler derfelben bezeichnet den Standpunkt, 
den er feitgehalten bat, als den objecliv-hiftorifden. Er mollte, nad dem 
Maße ver erfannten Mahrheit, völlig parteilos den Menſchen ſchildern, 
wie er wurde und war, und in Bezug auf feine Werke, was fie enthalten, 
wirkten und werth find, und es ift unverlennbar, daß er feinen Porjag 
unverrüdt feitgehalten bat. Dies ergibt fih nicht nur aus der Darſtel⸗ 
Yung der Lebensumftände R.'s, fondern auch aus den ausführlihen Ana⸗ 
Iyfen der Handlungen und Schriften deſſelben, bie außerdem einen Reich⸗ 
thum von treffenden Bemerkungen enthalten, wenn fie auch oft kürzer ae: 
faßt fein könnten. — Der vorliegende erfte Band enthält im erften Ab⸗ 
ſchnitte das Jugendleben R.'s, im zweiten die Zeit feines eriten Pariſer 
Aufenthalts, die mit der Weberfiedelung in die Eremitage abſchließt. Es 
follen demſelben noch zwei weitere Bände nachfolgen. 


6. Joachim Heinrich Campe's Leben und Wirken. Baufteine zu einer Bios 
graphie von Dr. Emil Hallier. Soeſt, Schulbuchhandlung. 1862. VII 
und 70 ©. 8. 12 Ser. 


Diefe biographifhe Skizze ift aus einem im Athenäum zu Hambürrg 
gehaltenen Bortrage hervorgegangen, der hier vermehrt und mit möglihft 
genauer Angabe der Quellen abgedrudt erſcheint. Erſetzt dieſelbe auch 
nit eine Biographie des um die Jugend und ihre Erziehung fo 
wohlverdienten Anhänger der Roufjeau’fchen Erziehungsideen, fo iſt es doch 
um fo verbienftliher, bie Erinnerung an denfelben erneuert zu haben, da 
eine wirllihe Biographie Campe's (geb. 1746, geft. 1818) wohl kaum 
noch zu erwarten fein dürfte. 


7. Aus dem Leben eines Preukifhen Schulmannes aus der Peſtalozzi ſchen 
Säule. Bon Ferdinand Schnell. Leipzig, Otto Wigand. 1863. IV 
und 189 &. gr. 8. 20 Ser. 


Der Verfaſſer gibt bier eine überfihtlihe Darftellung feines beruflichen 
Lebens, die indeß nur der Rahmen zu fein feheint für feine Anſichten über 
Gegenftände und Verhältniſſe der Erziehung und des Unterricht? , feine 
Urtheile über Menfhen und Bücher, für Hinweiſungen auf feine ſchriftſtel⸗ 
leriſche Thaͤtigkeit und feine Berbienfte auf diefem Gebiete. Wenn auch, 
wie fih von ihm erwarten läßt, mande richtige Anficht, mandye gute Ber 
merlung, manche beherzigenswerthbe Wahrheit eingeflochten if, woraus an⸗ 








Allgemeine Paͤdagogik. 473 


gehende Lehrer Anregung und Belehrung Ihöpfen können, fo begegnet man 
doch auch noch nicht gereiften, unberechtigten Urtheilen, namentlich über Bücher, 
und es find öfters Dinge in die Darftellung gezogen, die nicht dahin ge 
hören, und die geeignet find, die Vermuthung zu erregen, als fei es dabei 
nur darauf abgefehen, die Aufmerfjamteit des Leſers auf die Perſon des Ber: 
fafiers, feine Belefenheit und jeine Verdienſte allzufehr hinzulenken. Auch einzelne 
unnöthige Wiederholungen aus frühern Schriften des Verfaſſers finden fich. 
Ueberhaupt ſcheint derjelbe in Gefahr zu fein, an der Klippe zu fcheitern, 
an der fhon mancher fhriftftellernde Lehrer, der jedes Sahr glaubte ein 
neues Werk zu Tage fördern zu müflen, gefceitert if. — Warum ber 
Verfafler fih als einen Schulmann ‚aus der Peſtalozzi'ſchen Schule” bes 
zeichnet, ift nicht erfichtlid. Mit vemfelben Rechte können Taufende von 
Lehrern ſich diejelbe Bezeichnung beilegen. Weit angemefjener würde es 
gemefen fein, wenn er ſich als einen Anhänger von Schulz-Schultz en⸗ 
ftein bezeichnet hätte. Denn er rühmt venfelben nicht nur wiederholt, er 
weiſt nicht nur mehrfach auf defien Schriften hin, fondern fagt auch ©. 158 
wörtlih: ‚Meine gefammten pädagogifhen Beftrebungen in Wort und That 
wurzeln in feinen wiſſenſchaftlichen Grundanſchauungen, die ih als die 
richtigen erachte, und die für die That und Praris von außerordentlicher 
Tragweite find.” In einer andern Schrift (Nr. 29) fagt der Verfaffer 
dagegen, daß feine Beitrebungen für organifhe Einrichtung des 
Unterrihts in den Grundlehren Peſtalozzi's und Lindner's wurzeln. Sft 
fih der Verfaſſer hierbei wirflih völlig Mar? 


8. Quintilianus. Ein Lebrerleben aus der römifchen Kaiſerzeit. Rad 
Wahrbeit und Dichtung entworfen und allen Volls-, Schul⸗ und Erzie⸗ 
bunasfreunden gewidmet von Dr. Earl Pilz. Leipzig und Heidelberg, 
©. F. Winter’fche Berlagshandlung. 1863. VI und 322 ©, 8, 1! Thlr. 


Der Berfafler wollte in diefem Buche nur einzelne, jedoch nicht ganz 
zufammenbangsloje Bilder aus einem Lehrerleben der Vorzeit vorführen, 
geihöpft aus Geſchichte und Phantaſie. Er mählte hierzu den Römer 
Quintilianus, theils weil derſelbe als ein ehrwuͤrdiger und liebenswürdiger 
Lehrer und als ver größte römiſche Pädagog dafteht, theils weil die Zeit, 
in welcher derfelbe lebte, viele Aehnlichleit mit der Gegenwart bat. Das 
römische Reih und Volk ging nämlich, obgleih Rom zur Zeit Quintilian’s 
noch gar viele tüchtige, fittlihe, charaltervolle und patriotiihe Männer bes 
faß, doch unaufbaltfam feinem Untergange entgegen, und ber Berfaller 
glaubt, e3 feien Anzeichen vorhanden, daß auch das deutſche Volk auf dem 
Wege fei, unterzugehen, wenn auch erft nad Jahrhunderten. Die hats 
ſachen, die er für folde Anzeichen hält, find freilich nicht wegzuleugnen, 
dagegen befist aber das deutſche Voll in dem Chriftenthbume eine Kraft 
der Regeneration, die ven Römern fehlte, und deshalb brauden wir an der 
Zukunft unferes Volles noch nicht ganz zu verzweifeln. — Die Frage, 
was in diefem Lehrerleben Wahrheit, was Dichtung fei, beantwortet der 
Verfaſſer dahin, daß die Hauptichidjale des Helden Wahrheit, die Neben- 
partien Dichtung find. Wenn er hinzufügt, das jedes von ihm vorgeführte 
Bild, jede Schilderung ihre Betätigung durch die Quellen finden könne, 


474 Allgemeine Pädagogit. 


daß von ihm Vieles gelefen und durchforſcht worden fol, was für jene 
Zeit Aufſchluß geben kann, und daß er oftmals den Berfonen das im ben 
Mund gelegt babe, was in ihren Schriften fi finde: fo wird die Wahr⸗ 
beit dieſer Verfiherung faft durch jede Seite des Buches beflätigt. 

Sn ernfter, aber feilelnder Sprade, die vom Haude des Alterthums 
durchweht, jedoch nicht gefucht antik und allgemein verfländlid if, werben 
in 48 Kapiteln oder Bildern Scenen aus Duintilian’s Leben, zuweilen auch 
aus dem Leben anderer Römer vorgeführt zu dem Zwede, Stellung, 
Mürde, Schwierigleit, Bebeutung, Cinflub und Pflichten des Lehrerberufs 
anſchaulich in’s Licht zu ſezen, oder auch die Liebe zu Wiſſenſchaft umd 
Kunft, Freiheit und Vaterland, Wahrheit und Tugend in ihrer veredeln: 
den Wirkung auf den Menſchen in Beifpielen vor Augen zu ftellen und 
zu empfehlen. Jeder Lehrer, dem es mit feinem Berufe Ernſt ift, jeder 
Lefer, der Einn für die böbern Güter der Menſchheit hat, wirb durch dieſe 
Dilder fih angeregt, erhoben und geiftig wie gemüthlich geftärtt fühlen, 
und dabei gern überjeben, daß der Verf. ver Schule emen zu großen Gin- 
fluß auf das Leben beilegt, indem er glaubt, daß ein gefuntenes Boll 
durch fie gerettet werben koͤnne. 


d. Zebn Jabre aus meiner pädagogiſchen Prazise. Ein Rückblick von Dr. 
Nichard Lange, Vorfteber einer Elementar⸗ und Realfäufe in Samburg 
Hamburg. Hoffmann und Campe. 1861. 288 ©. 25 Sgr 


Die Privatichule des Verfaſſers tft bekanntlich eine der blühenbiten und 
geadhtetften in Hamburg, und der Vorfteher giebt in biefem „Rüdblick“ Aus: 
Yunft darüber, wie er es angefangen bat, diejes Ziel zu erreihen. Der Inhalt 
ft in 9 Abfchnitte vertbeilt, die folgende Ueberfchriften tragen: Mein Bro: 
ſpectus. Mein Grundgevanfe.. Vom Lebrercollegium. Cinige Ideen über 
Lehrerbildung. Ueber den Geift in der Gejammtbeit der Schüler und im 
Unterricht. Ueber einzelne Unterrichtsgegenflände. Schlußbemerkungen. Anhang 
(die moderne Erziehung auf der Antlagebant). — Die Grundfähe und der 
Geift, welche den Berfafier bei Gründung und Fortführung feiner Anflalt 
geleitet haben, find fo vortreffih, daß der beveutende Grfolg feiner Be 
ftrebungen nur natürlih erfcheint, und Vorſteher nicht nur von Privat:, 
fondern auch von öffentlihen Schulen werden aus der Schrift Piel Iernen 
fönnen, wenn auch Einzelnes nur individuelle und locale Berechtigung bat, 
oder felbft gegründeten Bedenken unterliegt. Der Berf. fchreibt fiberbies 
ungemein lebendig, fein Ausdrud ift friſch, feine Gedanken find anregend. 
Zumweilen wird man an den Styl Dieftermeg’s erinnert, und an einigen 
Stellen werden Mager'ſche Witzworte wiederholt, mas er nit nötbig ge 
babt hätte, da er auf eigenen Füßen ftehen kann. 


Schulgefeßgebung. 


10. Volksſchulgeſetz Für das Herzogthum Gotha. Bom 1. Jult 1808. Ia 
Mr. 736 der Sefepfammlung für das Herzogthum Gotha. 36 ©. 4. 


11. Entwurf eines von der Interimiftifchen Dberfchulbebörde zu erflatienden Ge 
richtes und vorzulegenden GBefepes betreffend das Unterriätswefen (In Ham 





Allgemeine Pädagogik. 475 


burg). Der intertmiftifchen Oberfhulbehörde zur Prüfung vorgelegt von 
ber Sl deren Mitte dazu eingefepten Commiſſion. Februar 1863. 37 
. Fol. 


12. Entwurf eines Reglemente für die unter dem Kaiſerlich Ruffiſchen Minis 
ftertum der Volksbildung ſtehenden allgemeinen Bildungsanfalten. Nebft 
den dazu gehörigen Erläuterungen. Ueberjegt und herausgegeben auf Aller: 
böchften Befehl Sr. Majeftät des Kaifere unter Redaction von Dr. S. dv. 
Tandeff, Kaif. Ruſſ. wirfl. Staatsraty. Leipzig, Franz Wagner. 1862. 
160 S. Lex. 8. 24 SEgr. 


13. Entwurf eined allgemeinen Plans für die Errichtung von Volksſchulen in 
Rußland. Nebſt den dazu gehörigen Motiven. Weberfeßt 2c. unter der 
Redaction von Dr. ©. v. Zandeff zc. Leipzig, Franz Wagner. 1862. 
38 S. Lex. 8. 8 Ser. 


Seit 40 Jahren iſt die Frage, ob die Volksſchule von der Kirche 
äußetlich zu trennen, ob ihr innerhalb der durch ihre Beſtimmung und durch 
die Verhaͤltniſſe zuſtehenden Grenzen Selbſtſtändigkeit zuzugeſtehen ſei, in 
zahlloſen Schriften, Journal: und Zeitungsartikeln verhandelt worden. Trotz 
des entſchiedenen, oft leivenjchaftlihen Widerfpruhs von Seiten der Geilt- 
lihen gegen die Selbitftändigleit der Volksſchule, hat die Anfiht und Ueber: 
zeugung von der Nothiwendigleit derſelben auch außerhalb des Lehrerftandes 
von Jahr zu Jahr mehr Anhänger gewonnen. Gegenwärtig bat fie felbit 
im reife desjenigen Standes, in welchem fie ihre zahlreichiten Gegner 
zäblte und noch zählt, aller Orten Freunde gewonnen. Noch jüngft haben 
ih, wie die Zeitungen berichten, auf einer kirchliche Angelegenheiten ver 
bandelnten Berfammlung in Baden, zu welcher fi Geiftlide und Laien 
verfammelt batten, die erjtern für Trennung der Schule von der Kirche ges 
ſprochen. Die Geiftlihen kommen aljo mehr und mehr zu der Einſicht, 
daß die änßerlibe Trennung der Schule von der Kirche der erftern zum 
Heile gereihen werde, ohne der letztern Nachtheile zu bringen, eine Unficht, 
die Ref. mit vielen Andern feit einem Menſchenalter vertreten hat. Die 
tirchlichen Organe und die aus früheren Jahrhunderten überlommenen Sins 
fitutionen haben ſich bei der fortgejchrittienen Entwidelung ver Pädagogil 
und des Unterrichts für die Peitung und Beauffihtigung der Volksſchule 
als unzulänglih ermwiefen. Schon feit geraumer Zeit haben die Staatde 
regierungen bie Vollsichule als eine Angelegenheit des Staates in die Hand 
genommen, wenn fie aud in den untern Inſtanzen die Schulverwaltung 
und namentlih die Echulauffiht kirchlichen Organen überliefen. Das war 
und ift der erfte Schritt zur Selbitftändigleit der Schule, die aber erft dann 
vorhanden und gefichert ift, wenn auch die Localjhulaufficht der Pfarrer 
bejeitigt worden. Dies ift unjers Willens jebt zuerſt im Herzogthum Gotha 
durch das neue Vollöfchulgejeß geſchehen, an welchem den Ständen der 
größte Antheil gebührt. 

" Sn Folge diefes Geſetzes wird die Schule im Minifterium durch einen 
praktiſch geübten Schulmann als Schulreferenten vertreten und die Aufs 
fiht des Staates über die Bollsihule in Bezug auf Erziehung und Unter: 
richt duch act Schulinpectoren ausgeübt, welche von der Staatsregierung 
aus der Reihe der praktiſch geübten Schulmänner zu entnehmen find. Die 





476 Allgemeine Pädagogil. 


Comvetenz derfelben erftredt fih auf Alles, mas die Schulerziehung und 
den Schulunterricht betrifft und mittelbar Einfluß auf denjelben bat. Außer 
diefer Bezirksſchulinſpection ift noch eine Generalinfpection über das ge 
fammte Volksſchulweſen durch den als Neferent im Minifterium fungirens 
den Schulrath angeordnet. 

Die Gehalte der Volksſchullehrer find durch das neue Geſetz ange: 
meflen erböbt und regulirt. Der Gebalt der PVicare und Hilfslehrer, 
fo mwie der proviſoriſch angeltellten Lehrer ift beziehungsweiſe auf 150 und 
175 Thaler nebft freier Mohnung feftaeftellt. Die unmiderruflih ange: 
ftellten Lehrer beriehen künftig einen Minimalgehalt von 200 Thalern auf 
dem Lande und in zwei Mleinern Städten, von 240 Thalern in den Städ⸗ 
ten Gotha, Ohrdruf und Maltersbaufen, der ſich bis zum 16. Dienftjabre 
einfcbliekfich bei Landſchulen mit 30 oder weniger Schülern bis auf 290, 
bei Landſchulen mit mehr als 50 Schülern und bei den Schulen in zwei 
MHeinern Städten bis auf 320, bei den Schulen in den drei größern 
Städten auf 400 Thaler erhöht. Die Lehrer der beiden erften Kategorien 
genießen außerdem freie Wohnung. Cine Ungleichheit ſcheint es zu fein, 
daß in die Gebalte derjenigen Lehrer, die zualeih kirchliche Yunctionen 
(Cantor⸗, Organiftene und Kirchendienſte) zu verrichten baben, die für dieſe 
ihnen zukommenden Gebühren und Einnahmen eingerechnet werben follen. 

Als Bedinqung für die Aufnahme in das Schullehrer⸗Seminar if 
(außer dem zurüdaeleten 16. Lebensjahre) Gyumnafialbildung und zwar 
mindeftens bie Neife für die Secunda des Gymnaſiums oder für die Prima 
des Progymnaſiums in Ohrdruf oder ein der Höhe diefer Forderung gleich⸗ 
ſtehendes Eramen feftgeleßt. In diefer Beftimmung, die wohl dabur in 
das Geſetz aelommen ift, daß ein Eymnaſiallehrer als Abgeordneter ent⸗ 
fheidenden Antbeil an der Abfaſſung des Geſetzes gebabt bat, ift fein 
Fortſchritt, wohl aber ein Rüdicritt zu erfennen. Gymnafialbilvung ift 
eine durchaus ungeeignete Vorbildung für da3 Seminar. Was foll dem 
Seminariften und dem künftigen Bolksfchullehrer die Kenntniß des Lateini⸗ 
ſchen, wie fie bis Secunda erlangt zu werden pflegt, und der Anfangs 
gründe de3 Griehifhen? Hält man in Gotha wirklich noch das Borurtbeil 
feft, daß ohne Latein und Griehifh Bildung ein Ding der Unmöglichkeit 
ſei, während man fih doch dort von mandhem andern Porurtheile frei zu 
machen weiß? Selbſt die Univerfitäten, mie das Beiſpiel Jena's beweiſt, 
fangen an den römischen Zopf abzujchneiden, und in Gotha heftet man ihn 
einer Anftalt neu an, welche deutſche Volksfchullehrer bilden fol! Man bat 
bei diefer Beflimmung vergefien, daß in den brei untern Clafien des Gym: 
naſiums Gegenftände, mie deutſche Sprache, Naturwifienfhaften, Geographie, 
Mathematit, Rechnen, Schreiben, Zeichnen in einer zur Vorbildung für 
das Seminar ungenügenden Weife oder auch gar nicht betrieben zu werben 
pflegen; man hat auch nicht in Betracht gezogen, daß die für Secunda 
reifen Gymnaſialſchüler eine Bildung erhalten haben, vie lediglich darauf 
berechnet ift, ald Grundlage für den Unterricht in Serunda und Prima zu 
bienen. Was foll das Seminar mit einer folden Grundlage machen? Die 
Bildung, welches dieſes zu geben bat, ift von anderer Art, ift eine volls» 
thümlide. Was wird das Ergebniß fein, wenn eine folde Bildung auf 











Allgemeine Paͤdagogik. 477 


einer Grundlage für gelehrte Bildung erwachſen fol? Die jo vorgebilbet 
eintretenden Böglinge werden Vieles nicht wiſſen, was fie brauchen, und Vieles 
wifien, was fie nicht brauchen. Latein und Griechiſch werden wieder vergeſſen 
werben, und der einzige Gewinn einer vier: und mehrjährigen Bejchäftigung 
mit diefen Gegenjtänden wird eine formale Bildung fein, die durch andere 
Bildungsmittel in einer den Verhältnifien des Volksſchullehrers entfprechenven 
Art hätte erzielt werden lönnen. Was aber die für das Seminar und den 
künftigen Volksſchullehrer wichtigern Lehrfächer betrifft, die im Gymnafium 
doch mehr oder weniger Nebenſache find, jo wird das Seminar nidt an das 
Gymnafium anknüpfen lönnen, jondern dabei von vorn anfangen müſſen, ſchon 
wegen bes verjchiedenen Charakters des Gymnaſial⸗ und Seminarunterridht3. 
Dadurch muß dieſem legtern für jeine Hauptaufgabe nicht nur Zeit entzogen, 
fondern auch in den Seminariften Unlujt erzeugt werden. Die Erfahrung 
wird aber auch noch einen andern Nachtheil der vom ef. angefochtenen 
geſetzlichen Beſtimmung berausjtelen. Diejenigen Gymnafialihüler, welde 
die Abficht haben, jpäter im Seminar für das Lehramt an Volksſchulen ih 
auszubilden, und in Folge guter Anlagen und entjchiedenern Cifers dur 
ihre Fortſchritte im Lateinifhen und Griechiſchen ſich auszeichnen, wird bas 
Gymnafium fo viel als möglich zu halten, die mittelmäßigen und ſchwachen 
Köpfe unter denen, welde fich den Univerfitätsftubien zu widmen gedachten, 
dagegen zum Seminar hinüber zu drängen ſuchen. Wer die Verhältniſſe 
fennt, wird dies durchaus natürlich finden, Auf diefe Art wird der Volksſchule 
mancher Talentvolle entzogen werden, ven fie jonft würde gewonnen haben. 

Nach Anfiht des Ref. kann die für das Seminar in Gotha, wie es 
werben foll, allein zuträgliche Borbildung nur in einer Real: oder böbern 
Bürgerſchule gegeben werden. Denn gerade eine realiftiiche Bildung, natür: 
lich im guten Sinne des Wortes, erleichtert dem Seminar die Erfüllung 
feiner wiſſenſchaftlichen Aufgabe, läßt ihm binlänglice Zeit für die paͤda⸗ 
gogiſche Ausbildung feiner Zöglinge und entjpricht dem Berufe des Volles 
fhullehrerd in jeder Beziehung mehr. Die Borbildung zum Seminar würde 
dann aud nicht auf die Etädte Gotha und Ohrdruf bejchräntt zu werben 
brauden, indem mit geringen Koften auch die Bürgerfchule zu Walters⸗ 
haufen nach oben erweitert und dadurch eine dritte Anftalt gewonnen werden, 
koͤnnte, in der junge Leute, die fih dem Volksſchullehrerſtande zu widmen 
gedenken, für dad Seminar ſich vorzubilden vermöchten. In Gotha ijt man 
freilih der realiftiihen Bildung abhold. Man hat das Realgymnafium 
aus unzureichenden Gründen aufgehoben, mit dem Gymnaſium, mwo die 
realiſtiſche Bildung und die ihr gewidmeten Glafien doch nur als ein noth: 
wendiges Uebel betrachtet werden, vereinigt, und dadurch eine unvollloms 
menere Einrihtung an die Stelle einer volllommeneren gejeßt, was wohl 
daraus zu erllären ift, daß damals an entjcheidenver Stelle ein wirklich 
ſachkundiger Rath gefehlt hat. Wenn die in Rebe ſtehende Beitimmung 
des Geſetzes den Sinn haben jollte, daß die Abfolvirung der humaniſtiſchen 
oder realiftifchen Zertia zur Aufnahme in das Seminar berechtigen jolle, 
fo wäre das eher fchlimmer, als befjer, denn dann würden im Seminare 
junge Leute zujammenlommen, die auf ziemlich verſchiedenen Stufen ber 
Bildung ftünden und ein verjchiebenartiges Willen mitbrächten, 


478 Allgemeine Paͤdagogik. 


Nach dem Geſetze jollen im Seminar zu den bereits auf dem Gym: 
nafium behandelten Lehrftoffen (mit Ausſchluß der fremden Spradyen) min: 
deſtens noch hinzukommen a) Pädagogik und Geſchichte derſelben (wohl 
beſſer: Geſchichte der Erziehung und des Unterrichts); b) Anthropologie und 
Pſychologie (warum ſind dieſe nicht an erſter Stelle genannt?) c) Literatur: 
geſchichte; d) Mufil. Wenn aber die Zöglinge nicht ſchon einige Fertigleit 
in der letern mitbringen, jo wird im Seminar darin nicht eben viel ge: 
leiftet werden können, was um fo mehr zu bedauern ift, da in den thü⸗ 
ringiſchen Gemeinden auf gute muſikaliſche Bildung des Lehrers großer 
Werth gelegt wird. Bu bedauern bleibt, daß die franzöſiſche Sprache, wo⸗ 
mit bis Secunda des Gymnaſiums doch wohl bereits ein Anfang gemagt 
worden iſt, im Seminare wieber fallen gelaflen wird. In einem Seminare, 
wie das Gothaiſche werden foll, wie in manchem andern, ſollte dieſe 
Sprache, oder, mit Rüdfiht auf die örtlichen Verhaͤltniſſe, die engliſche 
nicht fehlen, wenn auch nur darum, daß die Volksſchullehrer den Gliedern 
ihrer Gemeinden, die in Bürger: und Realſchulen gebildet find, in allge 
meiner Bildung nicht nadftünden. Es fprecyen freilih auch nod andere 
und wichtigere Gründe dafür. 

Die Beitimmungen über ven Unterricht in den Volksſchulen haben 
zwei Gigenthümlichleiten. Zuerſt nämlih ift das Turnen ala für alle 
Säulen und Kinder (dod aber wohl nur für Anaben ?) Dingeftellt, eine 
Beitimmung, die ſich nit empfiehlt, weil vie Frage darüber noch nicht 
zum Abjchluß gelommen ift, und doc wohl nicht alle Lehrer, namentlih 
in gewiflen Wltersjahren, zu Turnlehrern ſich eignen. Wichtiger ift die 
zweite, den NReligionsunterricht betreffende Eigenheit. Dem Biele des Ge: 
ſetzes gemäß, der Volksſchule eine ſelbſtſtaͤndige Stellung zu geben, fie von 
der Aufſicht der Geiftlihen zu entbinden, ift der confeffionelle Religions» 
untereicht ausgeſchloſſen worden. Darin aber bewährt fi der richtige Tact 
des Gejepgebers, daß nicht an die Stelle des confeffionellen ein fogenann: 
ter allgemeiner Religiongunterricht geſetzt worden iſt, der für Chriften, Juden, 
Muhamedaner und Heiden paßt. Cs ſoll nämlich in der Volksſchule der 
Religionsunterriht auf Grundlage der biblifchen Geſchichte, namentlich des 
Neuen Teſtamentes ertheilt werden, mit Beginn des Confirmandenunterrichts 
aber aufhoͤren. Der Confirmandenunterricht wird hiernach weiter ausge⸗ 
dehnt werden müſſen, als dies in Thüringen bisher üblich war, wo er ge⸗ 
woͤhnlich aur 6—8 Wochen dauerte. Den Eltern iſt uͤbrigens vie Freiheit 
gewährt, ihr Kind von der Theilnahme am Religionsunterrichte entbinden zu 
laſſen, wenn der denſelben ertheilende Lehrer einem andern Belenntniſſe 
angehört, als in welchem das Kind nach Beſtimmung der Eltern bezw. 
nach geſetzlicher Beſtimmung zu erzielen iſt. Auch von dem Seminar iſt 
der confeſſionelle Religionsunterricht ausgeſchloſſen. Derſelbe ſoll da weſent⸗ 
lich eine geſchichtliche Form haben und eine geſchichtliche Entwickelung des 
Chriſtenthums geben, anknüpfend an die Urkunden des A. und N. Tg, 
jowie eine Goſchichte der Entwidelung der chriftlihen Kirche. — Ref. weiß 
nicht, ob zu dieſen Beitimmungen über den Religionsunterricht, Die übrigens 
in keiner Weife der Kirche oder dem Chriftenthume nachtheilig find, bie 
lirchlichen Behörden mitgewirlt haben. Wäre dies nicht der dal, fo 








Allgemeine Pädagogif. 479 


würde er darin eine Uebergehung derjenigen Inſtanz ſehen müſſen, bie be: 
rechtigt ift, hierbei gehört zu werden. 

Die gejeßgebenden Gewalten haben in unjerer Zeit das Beftreben, 
in den Geſetzen zu fehr in das Gingelne einzugeben und in das Techniſche 
eines Gebietes einzugreifen, in der Abficht, für die Zukunft der Verwal: 
tung mißliebige Anordnungen unmöglic zu machen oder doch thunlichft zu 
erſchweren. Abgeſehen davon, daß dieſer Zweck dadurch doch kaum erreicht 
werden kann, indem eine mit dem Volklsbewußtſein ſich in Widerſpruch 
ſetzende Verwaltung Mittel und Wege genug hat, ihren Willen in tech⸗ 
niſchen Verhaͤltniſſen geltend zu machen — ſchon durch die Wahl der Be: 
amten —: fo iſt ein ſolches Verfahren der Geſetzgebung für techniſche Ver⸗ 
haͤltniſſe überaus gefährlich und unpaſſend. Auch die Gothaiſche Stände⸗ 
vetſammlung iſt geneigt geweſen, bei Berathung des Volksſchulgeſetzes dem 
bezeichneten Beſtreben ſich hinzugeben, und wenn auch einige in das Tech: 
niſche ungehörig übergreifende Beitimmungen, 5. B. über die in der Schule 
zu gebraudenven Lehrbücher, jchließlich mweggeblieben find, jo finden ſich 
doch in dem Gejege noch einige Spuren jenes Strebens. Dahin gehört 
auch die Beitimmung in $. 87, mwornad die Lehrer jedes Infpectionsbes 
zirls mindeftens einmal monatlid, wo thunlich unter dem 
Vorſitßze des Kreisjhulinjpectorg, zu einer Conferenz zur 
Beiprehung allgemeiner Shulfragen zujammentreten fol: 
len. Jeder Sachverſtändige wird einjehen, dab monatliche oder gar noch 
öftere amtliche Gonferenzen unter Leitung eines Schulinfpectors des Guten 
zuviel find, und daß dabei für freie Lehrerconferenzen, die do jo wün⸗ 
ſchenawerth find, damit nicht die Lehrer unter einer fteten ſchulbureaukratiſchen 
Benormundung gehalten werben, kein Raum bleibt. 

Mit Webergehung einiger minder wichtigen Punkte, die dem neuen 
Vollksſchulgeſetze eigenthuͤmlich find, mag hier nur noch erwähnt werben, daß 
für jede Voltsihule auf Anſchaffung nicht nur der erforderlichen Lehrmittel, 
fondern auch einer angemeflenen Bücherſammlung (?) Bedacht genommen 
werden foll, und daß denjenigen Gemeinden, melde bei Erledigung ihrer 
Schuiftellen mindeſtens feit 5 Jahren keinerlei Staatsbeiträge, außer den 
bisherigen ftiftungsmäßigen, zu dem ihnen obliegenden Aufwande für ihr 
Schulweſen bezogen haben, die Befugniß zugeitanden ift, ihre Lehrer zu 
wähten, vorbehaltlich jedoch der Batronatsrechte. 

Die durch das beiprochene Gefeb zu bewirkende Neorganifation ber 
Gothaiſchen Vollsſchule auf neuen Grundlagen ift allerdings, wenn man 
fo will, ein Experiment, daß jedoch in fich felbft Nichts enthält, was be- 
fürdten lafien könnte, es werbe ſcheitern. Die Gefahren für die neue 
Dronung liegen nit in dem Gefebe, fondern außerhalb defielben. Gie 
find zu fuchen, weniger in der Mibgunft und dem Mißtrauen, die ihr im 
Lande ſelbſt nicht werben erfpart werben, als vielmehr in ben Erwartungen, 
die fih von vielen Seiten, namentlih auch von Seiten des Lehreriiandes 
daran Inüpfen, und im der Art, wie das Gejeb zur Ausführung 
lommen wid. In Bezug auf die lebtere wird große Vorſicht an: 
gewendet werden müflen, bamit der Webergang zu dem Neuen niet allzu: 
soich erfolge und namentlich bie Geldmittel der Gemeinden nidyt zu fehr 





480 Allgemeine Pädagogik. 


in Anipruh genommen werben. Bon den Schulinipectoren wird die ge 
deihliche Wirkſamkeit des Geſetzes weſentlich abhängen, und darum ift es 
jo widtig, daß die Wahl für diefe Stellen auf geeignete Männer falle, 
die es namentlih auch verftehen, nicht nur die Gemeinden, fondern aud 
den Lebrerftand für die neue Schulordnung zu gewinnen. Der leßtere 
aber möge nichts Unmögliches verlangen, nicht übertriebenen Erwartungen 
fi bingeben, dagegen den neuen Schulbehörden mit Vertrauen entgegen- 
fommen und durch Gemeinfinn und treue Arbeit an der Jugend den Be: 
weis liefern, daß er der Selbſtſtaͤndigkeit würdig ift! 


Auch in Hamburg foll, nah dem Entwurfe unter Nr. 11, die bisher 
beftandene Abhängigkeit der Volksſchule von den Hauptpaftoren fünftig auf 
bören, und überhaupt das Bürger: und Volksſchulweſen neu geordnet und 
wenigitend zum Theil zur unmittelbaren Staatsfahe erhoben werden. Man 
will eine Oberſchulbehoͤrde, die aud fachkundige Mitglieder bat, einrichten, 
Schulräthe anftellen, welche die unmittelbare techniſche Auffiht führen und 
ein Lehrerfeminar einrichten. In dem lebtern follen außer den gewöhn⸗ 
lihen Gegenjtänden und der Pädagogik au Franzöſiſch und Engliſch, even: 
tuell auch Latein gelehrt werden. Das Lebtere ift ficher überflüffig, ob⸗ 
gleih in Hamburg, mie in den andern Hanfeftäbten nod viele Gönner 
der lateiniſchen Schulbildung für Nichtitudirende zu finden find, was ſich 
aus den frübern Schulverhältnifien diefer Städte erklärt. — Zwei neuere 
fremde Sprachen im Seminar würden zu viel fein und zulegt dahin führen, 
daß die Seminariften Kraft und Zeit zu fehr zerjplittern und doch nur 
Dürftiges lernen. ebenfalls würde fih dann empfehlen, die Zöglinge 
eine von beiden wählen zu laſſen, fie aber nicht zu nöthigen, an beiden 
ſich zu betheiligen. 


Ein großer Uebelſtand würde es fein, wenn, wie der Entwurf vor: 
ſchlägt, an jeder der zunaächſt projectirten zehn ſechsclaſſigen untern Bolls- 
ſchulen nur zwei ordentliche Lehrer und vier Gehilfslehrer angeftellt werben 
follten. Für jeden diefer Gehilfslehrer ift ein Gehalt von 600—800 Mar 
— 240—320 Thlr. Cour. vorgejchlagen, während der Gehalt des Ober: 
lehrers 2000— 2250 Marl (800—900 Thle. Cour.) und der des zweiten 
ordentlichen Lehrers 1500 Markt (600 Thlr. Cour.) betragen ſoll. Bei 
jenem Verbältnifie der Zahl der Gehilislehrer zu der der ordentliden 
Lehrer haben die erjtern die Ausfiht, etwa 20 Jahre lang als Gehilis: 
. lehrer mit höchſtens 320 Thlrn. auslommen zu müfjen, ehe fie in eine 
zweite ordentliche Lebrftelle einrüden können. Wenn aus dem Schulmwejen 
Hamburgs etwas Belriedigendes werden joll, jo darf man nicht von vorm 
herein das Gehilfslehrer-Syjtem einführen, deſſen nachtheilige Folgen man 
in Bremen kennen gelernt hat. Man ftelle an jeder jener Schulen einen 
Oberlehrer, vier weitere ordentlidhe Lehrer und einen Gehilfslehrer an. — 
Sonft enthält der Entwurf vieles Gute, e3 fragt ſich nur, wie viel bie 
Berathungen in der proviſoriſchen Oberſchulbehörde, im Senate und in ber 
Bürgerjhaft davon übrig laſſen werben. Denn jo wenig die Schulange- 
legenheit zu einer bloßen Parteifache herabgefegt werden follte, fo ift doch 
zu fürdten, daß in Hamburg die Parteien und das Privatinterejie id 





Allgemeine Pädagogit. 481 


berfelben bemädtigen und daß in dem entſtehenden Kampfe manche gute 
Vorſchlaͤge fallen werden. 

Auf eine Beiprehung von Nr. 12 und 13 kann bier nicht einges 
gangen werden. Schon die Griftenz beider Schriften zeigt, mit welchen 
Eifer man in Rußland an den Aufbau einer ruffiihen Vollksſchule geht. 
Es wird jedoch noch mandes Jahrzehend verfließen, ehe nur die Grund: 
lagen zu dieſem Bau gelegt und einzelne Glieder aufgerichtet find. Ref. 
geftebt offen, daß er zu ſolchen allgemeinen, ſchon bis in's Cinzelne ausge: 
arbeiteten Schulplänen ‚für ein Land, wie Rußland, wo es größtentheils 
noch an den nothwendigften Kräften fehlt, kein Vertrauen hat. Man forge 
zunädft für SHeranbildung von Lehrern, bevor man Pläne zu einer viel: 
gegliederten Schulverwaltung u. vergl entwirft, und lafie in der Errich⸗ 
tung von Schulen den Provinzen und einzelnen Ortichaften freiern Spiels 
raum. Grft wenn Schulen in einigermaßen genügender Anzahl vorhanden 
find, wird man mit Vortheil die Verbältnifie im Einzelnen regeln können. 
Die vorliegenden Pläne find bei den gegenwärtigen Verhaͤltniſſen unaus: 
führbar, und wenn ihre Durchführung wirklich verjucht werden follte, fo 
würde die Gründung einer ruſſiſchen Volksſchule nur erſchwert werben. 


Staat, Kirche und Schule. 


14. Anfichten über das Derhältnig von Staat und Kirche zur Vollsſchule. 
Bon Joſef Möfmer, Director der k. k. Mufterhauptichule zu Innsbruck. 
Abgedrudt aus dem Tiroler Boten). Zweite vermehrte Auflage. Inne: 
bruck, Wagner'ſche Univerfltäts- Buchhandlung. 1862. 40 ©. gr. 8. 7 Ser. 


Der Verf., ſelbſt Geiftlicher, flellt in rubiger, leidenſchaftsloſer Sprache 
Anfichten über das Verhältniß der Schule zur Kirche auf, die im nörds 
lien Deutſchland für allzu gemäßigt gelten und laum von irgend Jeman⸗ 
dem beftritten werden dürften, die aber in Zirol von Seiten der Priefter- 
ſchaft heftigen Widerſpruch erfahren. Um der Volksſchule in Defterreich, die 
noch ganz der Aufliht und Verwaltung der Geiſtlichkeit unterftellt ift, 
aufzubelfen, fordert er im Grunde nur die Anftelung eines fahlundigen 
Schulrathes, der neben und mit den kirchlichen, d. h. von ben bifchöf 
lihen Behörden beftellten Organen (dem Diöcefan-SchulensOberaufjeber, den 
Schuldiſtricts⸗ und den Localjchulinfpectoren), die Volksſchulen überwacht 
und bei den ftaatlihen und kirchlichen obern Schulbehörden vertritt, wie 
dies bereits früher der Fall geweien ſei. Diejer Schulrath fol das Schul⸗ 
fa) theoretiih und praltiih kennen und bei der Eniwerfung des Lehr: 
plans mitwirten, aud die Ausführung veilelben überwachen, jowie die 
Lehrerbilpungsanftalten und das Lehrerperjonal beauflihtigen. Dagegen 
wird der Kirhe, gegenüber dem Staate, zur Ueberwachung und Leitung 
der religiös-fittliden Erziehung in der Vollsſchule unbejchräntt das Feld 
eingeräumt. Die Biihöfe und die von ihnen beftellten Aufieber und In⸗ 
fpectoren follen bei Entwerfung des Lehrplanes die Entſcheidung in Betreff 
des Neligionsunterrichted und der religiöfen Uebungen der Schulkinder und 
die Macht haben, ſolche Schulbücher zu befeitigen, deren Inhalt der chrift: 
lihen Glaubens: und Gittenlehre entgegen iſt. Auch follen fie die Vefug⸗ 

Mär. Jahresbericht XV. 3 


482 Allgemeine Paͤdagogik. 


niß behalten, die religiöfe Srziehung in der Schule zu beauffihtigen und zu 
leiten und zugleih zu wachen, daß der Glaube und die Sittlichleit der 
Kinder nicht durch den Unterricht oder den Lebenswandel der Lehrer ge: 
fährvet werde. So beſcheiden hiernady die Forderungen des Berfs. find, 
fo wenig auch von unferm norddeutſchen Standpunlte aus die Wervielfäl- 
tigung der Schulbehörden durch eimen folden Schultath, neben welchem bie 
firhliben Schulbehörden im Grunde die Schule no faft ganz in der 
Hand behalten würden, gebilligt werben Tann: fo fehr verdient doch die 
Freimüthigleit, womit der Verf. Anfichten vertritt, die für Tirol ſchon weit 
geben, volle Anerlennung, und es ift nur zu wünfden, daß fie an ent⸗ 
ſcheidender Stelle Beachtung finden. 


. Kirche und Eule im idealen Bunde. Gedanken und Rathichläge 
Beförderung einer gedeiblichen Entwwickelung des Volleſchulweſens. din 
ehtlich und offen Wort an ale Freunde der Voltöfhule, insbeſondere aber 
an die Wächter und Lehrer derielben von 3. . 8. Dietrih. Bres⸗ 
lau 1863. J. F. Ziegler. 44 ©. gr. 8, r. 


Der Bert. ertennt zwar die Gründe für die Befeitigung der geiſtlichen 
Schulauffiht im Allgemeinen als beredtigt an, hält diefelbe aber doch aus 
äußern und innern Gründen niht an ver Beit und fucht die beiden in 
biefer Sache ſich entgegenfiehenden Anfichten zu vermitteln. Er glaubt, 
die Kirche babe Hiftorifh begründete Anfprüde auf die Schule; die Er⸗ 
wartung der Lehrer, alles Heil werde ganz wie von felbit erjchemen, wenn 
nur erit die Geiftlihen aus der Schule gewiefen wären, fei eine Täuſchung, 
denn der Staat könne die Schule eben fo gut knechten, wie dies die Kirche 
thun könne und gethan babe; die Anftellung von RKreisichulinfpectoren aus 
dem Lehrerftande fei wenigſtens in Preußen ſchon wegen des Mangels der 
dazu erforderlihen @eldmittel unmöglih, und die Schulauffihtsbehörben 
würden dadurch nur vermehrt werben (?); es gäbe Verbhältnifle, die für 
das Gedeihen der Vollksſchule und deren Berbefierung bringlicher ſeien, 
nämlih die Bildung und die äußere Stellung der Lehrer. Darum umb 
weil die religiöfe Bildung doch die Hauptſache bleibe, hält es der Berf. 
für angemefiener, daß Kirche und Schule auch in Zukunft äußerlich wie 
innerlid miteinander verbunden fein ſollen. Nur fei e8 nothwendig, daß 
zwiſchen beiden, Geiftlihen und Lehrern, eine gegenfeitige, aufridhtige Uns 
ertennung ihrer beiderjeitigen Wirkſamkeit Platz greife, und daß auch das 
geringite den Lehrer entwürbigende Moment aus dem Verhältnik zu feinem 
geiftlihen Revifor entfernt werde. Um ein beilbringenvdes Berhältnig zwiſchen 
Geiftlihen und Lehrern zu fürdern, müfle aber auch der Bildungsſtand beider 
ein ganz anderer, ein dem hohen Ideale entiprechender, vie Bildung bes 
Lehrers eine gründlichere (vierjähriger Seminarcurfus) und der Geiftliche 
mehr paͤdagogiſch gebildet werden. — Dies der Gedantengang des Verfs. 
Es iſt unftreitig manches Beachtenswerthe darin, und die Schrift enthält 
viele richtige und gute Gedanken, namentlih aud fiber den Religiensunter- 
richt, in Bezug auf welchen fie, wie auch ſonſt, mit den Megulativen in 
Widerſpruch fteht. Ref. bat aber dreierlei gegen ben Berf. zu bemerten. 
Buerft, daß der Titel feiner Schrift dem Zwede nicht entfpricht, den er im 





Allgemeine Paragogit, 483 


demjelben verfolgt. Gr plaidirt nämlih in ber That nicht für einen 
idealen Bund zwiſchen Kirche und Schule, dem übrigens auch die foges 
nannten Gmancipationiiten das Wort reden, jondern für die Fortfegung 
der äußern Verbindung zwijdhen beiden durch die Schulauflicht der Geift- 
liden. Sodann geht er von der Anficht aus, daß in Preußen und anders 
wärts die Schule nicht ald Sache des Staates, fondern als Angelegenheit 
ber Kirche betrachtet werde, während doch überall, jelbft da, wo thatfächlich 
der Kirche oder vielmehr den Geiſtlichen überwiegender Ginfluß auf die 
Schule eingeräumt wird, wie außer Preußen 3. B. in Defterreih, Kurheſſen, 
ber Staat die Schule durchaus als feine Angelegenheit anſieht. Endlich 
meint Nef., daß die vom Verf. erftrebte Bermittelung und das von ihm 
vorgefchlagene, aber leineswegs neue Mittel dazu gegenwärtig zu fpät 
fomme. Noch vor 25 Jahren hätte vielleicht der aus der Mitte des Lehrers 
flandes ſich erhebende Ruf nah Bejeitigung der geiftlihen Schulaufficht 
zum Schweigen gebradt werden können, wenn bie Geiftlihen ſich eine ge- 
nügende pädagogische Bildung angeeignet, der Schule und der Lehrer fi 
in jeder Beziehung mit allem Eifer angenommen hätten. Gegenwärtig iſt 
dies nicht mehr möglid. Selbit wenn der Lehrerſtand geneigt wäre, fein 
Streben nad Selbititändigfeit der Schule fallen zu laſſen, wozu er jedoch 
ſchwerlich geneigt fein wird, jo würde doc die Idee ber Emancipation ders 
felben aus der Herrſchaft der Kirche fortjchreitende Croberungen in ben 
Kreifen des Volles mahen. Denn ſchon gebt der Ruf nad folder Eman⸗ 
ciyation nicht mehr vom Lehrerſtande aus, bereits erhebt ihn das Volt 
durch feine Vertreter bald mehr bald minder laut und energiih. Dies ift 
eine Folge der mit der politiihen Reaction verbündeten ultraorthodoxen, 
unduldfamen Richtung eines großen Theild der Geiftlichleit und der kirche 
ligen Behörden, und die preußijchen Negulative haben dazu weſentlich beis 
getragen. Der endliche Sieg der Gmancipationd-Beitrebungen ift ſchon 
gegenwärtig nicht mehr zweifelhaft; ex ift jelbit für Preußen nur noch eine 
Frage der Zeit. 


16. Gebet der Schule, was der Schule it! Auch ein Dotum über die Neus 
efaltung des Volksſchulweſens. Bon einem Sculinfvector. Heilbronn, 
R D. Gapfäe Buchhandlung. 1862. 66 ©. gr. 8. 6 Ber. 


Es findet ſich bier über die Stellung der Schule zu Kirche und Geifts 
lichkeit im Wefentlihen diejelbe Anficht niedergelegt, wie in Nr. 14, Ge 
Aüpt auf ein kirchliches Grundrecht wird nämlich für die Kirche in chriſt⸗ 
lihen Gemeinden eine Beauffihtigung nicht blos des religiöfen Unterrichts 
in der Schule, fondern auch des ganzen Geiftes gefordert, in welchem Schule 
gehalten wird, eine Ueberwachung der Schulerziehung. Die Aufficht über 
den nicht veligiöfen Unterricht könne die Kirche nicht in Anfprud nehmen, 
da Theologie und Pädagogit zwei verjhiebene Gebiete feien, indeß werde 
doch der Pfarrer, theild wegen äußerer Verhältnifie, theils weil er doch eine 
vollftändigere paͤdagogiſche Bildung jhon auf der Univerfität ji anzueignen 
amd durch fortgejeßte Studien mweiter auszudehnen fich verpflichtet fühle, (1) 
auch in diefer Hinficht der geeignetite Schulinfpector fein. Die technifche 
Zeitung der Schule ſoll aber dem Pfarrer nicht von Amts wegen zufteben, 

13* 


484 Allgemeine Paͤdagogit. 


fondern er foll fie als ein von der Schulbehörde übertragenes Nebenamt 
betrachten. Dies ift aber bereits feit geraumer Zeit in den meiften Staaten 
und felbft in Württemberg der Fall, fo daß damit etwas Neues und Weiter: 
gebendes nicht in Ausficht geftellt wird. Uebrigens zeugt die Schrift von 
freundliher Gefinnung ihres DVerf.3 gegen Schule und Lehrer, namentlich 
im dritten Abjchnitte, der die den lebteren zu gewährende beſſere oͤlonomiſche 
Stellung betrifft. Der zweite Abjchnitt, in welchem der Berf. feine Ans 
fihten über praftiichere Einrichtung der Vollksſchule vorträgt, enthält viel 
Richtiges. 


17. Confeſſions⸗Schulen oder Communal⸗Schulen. Vortrag, gekalten bei der 
XIV. allgemeinen deutſchen Lehrerverſammlung in Mannbein während der 
Pfingſtwoche 1863 von Eberhard Kuhn, Lehrer und Organift in Panne 
beim. Mannheim, 3. Schneider. 1863. 2 Sgr. 


Diefer Vortrag ift nicht wirklich gehalten, mar aber ſchon vor Bus 
jammentritt der Lebrerverfammlung gedrudt worden. Das Thema deſſelben 
befand fih unter den Gegenfländen, welche zur Auswahl aufgeflellt waren, 
fam aber nicht auf die Tagesordnung, da viele Lehrer aus Baden und 
Hefien, obwohl felbit für Communal⸗Schulen geftimmt, fürdteten, ihre Ge⸗ 
meinden könnten Anftoß daran nehmen, menn die Lehremwerjammlung fidh 
gegen Gonfeffionsfhulen ausfprähe, was mohl zu erwarten war. Man 
lönnte verfudt fein, aus diefem Borgange den Schluß zu. ziehen, daß bie, 
fonft ja mwünjchenswertbe Theilnahme einer übertviegenden Anzahl folder 
Lehrer, die in allzu abhängiger Lage fi befinden, der Stellung der allge⸗ 
meinen bdeutfchen Lehrerverfammlung und dem Gewichte der von ihr be 
ſchloſſenen NRefolutionen nicht eben zum Vortheil gereihe. Eicher aber 
gereicht es ihr zum Bortbeil, daß der uns gebrudt vorliegende Vortrag 
nicht gehalten worden ift. Der hochwichtige Gegenftand wird darin gar zu 
oberflähfih und einfeitig behandelt, und der Berf. fcheint mit den Buntten 
gar nicht bekannt zu fein, auf welchen die Entſcheidung wejentlid beruht. 
Er conftruirt die Confeſſionsſchule, wie er fie braucht, um fie entgegen ber 
Communalfchule verwerfen zu können. Seine Confeſſionsſchule hindert die 
Schließung von Freundfchaften unter der Jugend, befördert bie confeflionelle 
Zrennung unter den Menſchen, leiftet deshalb der Unverträglidhleit und 
Unduldfamleit unter ihnen Vorſchub und hindert dadurch auch die innere 
Einheit und Stärle des Baterlandes. Schon hierin zeigt ſich die oberfläch⸗ 
liche Betrachtung der Sache. Aber noch mehr: feine Gonfefiionsihule 
nimmt das Kind jchon beim Beginn bes erften Unterrichts geiftig dadurch 
gefangen, daß fie den Unmündigen confeflionelle Glaubenslehren, Glaubens» 
befenntnifje einzuprägen als ihre Aufgabe anſieht; fie hindert ein freies, 
geiſtiges Entwideln und Denken, weil fie nur Yertiges, Unveränderliches 
darbietet, das unverftanden nur blindlings aufgenommen werden foll; fie 
kennt nur gegebene Wahrheiten, gegebene Pflichten, und will nichts wiſſen 
von der im Menjchenherzen und im Gemifjen zu entwidelnden religiös« 
fittlihen Kraft; fie tödtet dadurd den kindlichen Geift, macht fiumpf, geiſtig 
träge und trübe, fie nimmt, um mit Dieftermeg zu reden, der Jugend 
bad höchfte, Heiligfte Gut, das der Freiheit des Gedankens, der Freiheit des 


Allgemeine Paͤdagogik. 485 


Belenntnifies. (11) Die Confeſſionsſchule, wie fie ſich der Verf. conftruirt, 
legt ferner einen zu hoben Werth auf einen confeflionell ausgeprägten Re: 
ligionsunterricht und erfhmert den Fortgang intellectuellee Bildung ver 
Jugend durch ein Uebermaß an Religionsunterriht und religiöfem Memorir: 
ftoff; fie hindert an einer einheitlichen, gleihmäßigen, wahrhaft nationalen 
Volksbildung; fie ift für gemifchte Gemeinden fehr oft eine große Laft; fie 
erfhwert den ganzen Schulorganismus. Natürlich if die Communal⸗ 
Schule des Verf.s von dem Allen das gerade Gegentheil und bie Entſchei⸗ 
dung zwiſchen beiden Arten von Schulen kann nun feinen Augenblid 
zweifelhaft fein. — Gommunalfchulen find gut, menn fie die Zuftimmung 
der dabei betheiligten Eltern haben, fie merben aber die confefiionellen 
Unterfhiebe unter den Menfhen und Alles, was als Folge fih an diefelben 
anlnüpft, nimmermehr verwiſchen. Sie von oben zu hindern, iſt 
eben fo thöriht, als fie von oben zu becretiren. Durch das Lebtere — 
und der Vortrag zielt doch zuleßt darauf ab — mürde auf den Glauben, 
das Gewiſſen und die Weberzeugung der Eltern ein Zwang ausgeübt, der 
ungleich tyrannifcher, widerwmärtiger und verwerflicher märe, als der in Con- 
feſſionsſchulen angeblich gegen die Jugend ausgeübte. Es bedarf aber eines 
Buches, um den wichtigen Geaenftand gründlich zu erörtern und bes Verf.s 
Anfiht zu berichtigen., Glücklicher Weiſe liegt ein ſolches, freilih ohne 
Beziehung auf diefen Vortrag, bereits vor, mie die folgende Nummer zeigt.*) 


18. Religions⸗Bekenntniß und Schule. Eine geſchichtliche Darftellung und 
Kritil von Jürgen Bona Meyer, Dr. der Bbilofonbie und Privatdocent 
an der Friedrichs Wilhelms-Untverfität zu Berlin. Berlin, 1863, Verlag 
von Th. Chr. Fr. Ensfin. VI und 307 ©. gr. 8. 1 Thlr. 10 Sgr. 


Der Anhalt diefer Schrift ift unter fünf Abjchnitte gebracht, deren 
erſter als Ginleitung bienender die Ueberſchrift hat: Der Smancipationsruf 
der Schule, während ber lekte das Schlußwort bringt. Der zweite ift 
überfchrieben: Das NReligionsbelenntniß der Schüler; ber britte: Das Ne 
ligionsbelenntniß der Lehrer; der vierte: Das Neligionsbelenntniß und der 


r arg fommt dem Ref. noch eine Gegenfärift gegen Nr. 17 zur 
enntniß: 

Wider die Eommunalfähulen, von Hermann Rolfus, Tatholifchem Pfarrer 
zu Reifelfingen im Großherzogthum Baden. Mainz, Florian Kupferberg. 
1863. 476.4. 8. 4 Ser. 

Der Berf. derfelben, der auch Mitherausgeber einer Real⸗Encyklopädie des 
Erziebungds und Unterrichtsweſens nach fatholifhen Principien ift, bemüht fich 
zu zeigen, daß die Communalſchulen allen Grundfägen einer gedeihlichen Er⸗ 
ziebung zumwiderlaufen, daß fie den Lehrerftande felbit ſchaden, das Recht ber 
Gemeinde, der Familie und der Kinder auf Erziehung auf das Tieffte verlegen, 
das Intereſſe des Staates ſchädigen, und weit entfernt, Frieden und Eintracht 
su fliften, Die fruchtbare Duelle fteter Zwiftigkeiten unter den Antbeilnehmern 
find. Ref. hält diefe Anficht für eben fo einfeltig, wie die des Kuhn'ſchen Vor⸗ 
trans, und er würde den Träger derfelben ebenfalld auf Nr. 18 verweilen, wenn 
derfelbe nicht einer Kirche angehörte, die nad feinem eigenen Geſtändniß nie 
und nimmer, weder früber noch fyäter, das Werk der Erziehung aus der Hand 
geben und flet den verlorenen Boden wieder zu erobern fuchen wird, und wenn 
desbalb der principielle Kampf gegen die Communalſchulen ihm nit „eine 
Gewiſſenspflicht“ wäre. - 


486 Allgemeine Paͤdagogik. 


Unterricht. Im zweiten und dritten Abſchnitte wird der Gegenfland von 
drei verihiebenen Seiten betradtet, ſo daß jeder in drei Unterabfchnitte 
zerfällt, wovon ber erfte einen Alid auf die aeihichtlie Entwidelung bes 
Gegenſtandes wirft, der zweite die pädagogiſche, der dritte die ftaatlide 
Anfiht deſſelben darlegt. Der vierte Hauptabfhnitt ift der umfaſſendſte 
Das Neligtonsbelenntniß und der Unterribt wird sunähft in feiner geſchicht⸗ 
Iihen Entwidelung feit dem Ehbriftentbume betracdtet, wobei auch die Schul⸗ 
ordnungen dieſes SYahrhundertd, die Verhandlungen der deutſchen Rational: 
verfammlung und das, was im Auslande in biefer Beziehung geſcheben 
it, im Betracht gezogen werben. Sobann werben die pädagogiihen Anz 
fihten darüber unter ſechs Rubriken dargelegt: 1) Iſt Religion ibrem In⸗ 
balte nad lehrbar? 2) ft Meligion Iehrbar für Kinder? 3) Allgemeiner 
oder confeflloneller Religionsunterriht? 4) Religion und Erziehung. 5) Re- 
ligion und weltlicher Unterricht. 6) Abtrennung bes Religionsunterrichts. 
Zuletzt wird der ftaatlihe Geſichtspunkt angegeben. 

Mef. glaubte einer etwas genaueren Inhaltsangabe fi niet entſchlagen 
zu dürfen, um fcbon daburk auf die Gründlichfeit aufmerlfam zu maden, 
womit der Verf. feinen Gegenftand behandelt bat. 

Ueber das Streben des Pehrerftannes nach Smancipation ber Schule 
erflärt fih die Einleitung in einer burdaus Beiltimmung verbienenden 
Weiſe. Die Berechtigung diefes Strebens mird anerkannt, und nur in fofern 
belämpft, in wiefern es fi in einzelnen Stimmführern auf Abwege verlor. 
Jeder denkende und befonnene Lehrer wird dem Berf. zugeben, daß es ein 
Abweg iſt, wenn unter Selbſiſtändigkeit der Schule eine unbebinate Los⸗ 
Idfung der Schule von den größeren fie umgebenden Lebensgemeinidhaften, 
der Familie, der Gemeinde, der Kirche, des Staates, oder eine Gleichftellung 
der Schule mit Staat und Kirche verftanden wird. Nach dem Berf., der 
ſich hierbei auf Schleiermacher beruft, handelt es fi bei der überall 
erforderlich gewordenen Neugeftaltung des Schulmefens um die Anerkennung 
des Rechts einer von kirchlichen und politiſchen PBarteiungern unaetrübten 
padagogiſchen Beurtheilunga des vorliegenden Bebürfnifled, und eine Gman: 
cipation der Schule von diefen Mächten muß angeftrebt werden. Hiermit 
tft auch zugleih die Emancipation der Schule von der Herrichaft der Geiſt⸗ 
lihen wie der Juriſten und ihre pädagogiſche Selbitftändigleit gegeben. 
Der Bert. fpriht mit Recht gegen die aar oft bervortretende Leber: 
ſchätzung des Cinflufies und der Michtigleit der Schule und ihrer Lehrer, 
und er erfennt den Grundfag: „Wer die Schule bat, bat die Zukunft,” 
nach welchem alle politifhen und kirchlichen Parteien mehr oder weniger 
gehandelt haben und noch handeln, nit als rihtig an. Indeß fcheint er 
bier doch etwas zu weit zu geben und vorwasweile die Vollsſchulen im 
Auge gebabt zu haben. Die Schule ifl allerdings das Product der zu 
einer beftimmten Zeit in einem Volle berrihenden Cultur, aber fie übt 
auch ihrerjeits wieder Einfluß auf diefe Cultur aus, wenn auch nicht 
einen fo unmittelbaren und gewaltigen, als mande Lehrer glan: 
ben mögen. Namentlib enthält jener Brundfap viel, wenn auch nicht 
durchaus Wahrheit in Rezug auf höhere Ehulen: Hochſchulen, Gymnafien. 
Lehrerfeminare. Die Geſchichte liefert dazu unverlennbare Belege, Wahr 


Allgemeine Paͤdagogik. 487 


‘aber ift es, daß andere, zum Theil noch mächtigere Factoren das öffentliche 
Leben in Staat und Kirche geftalten,. deren Einfluſſe ſelbſt die Schule unter- 
worfen bleibt. 

Indem ber Verf. nicht die ganze Unterrichtsfrage, fondern nur ein 
Capitel aus derfelben einer genaueren Unterfuhung und Prüfung unter 
wirft, gebt feine Abjicht dahin, in Bezug auf das Verhältnig des Religions: 
belenntnifies zur Schule die ſich entgegenitehenden Anfprühe zu prüfen 
und die Nothwendigkeit einer Vermittelung derfelben auf dem Grunde ber 
wahren Freiheit nachzuweiſen, wodurch allein die großen Schwierigleiten 
diefer Einzelnfrage gelöst werden können, die namentlih für die Volks⸗ 
ſchule die Carbinalfrage ift, nach deren Löfung die Beantwortung aller ein: 
zelnen Fragen in Bezug auf die Stellung der Schule und ihrer Lehrer 
fih jaſt von felbft ergibt. Wir koͤnnen natürlich dem Verf. in feiner um: 
faffenden und gründlichen Unterfuhung nicht folgen, müfjen uns vielmehr 
“ begnügen, nur die Sauptergebnifje, zu welchen er gelangt, darzulegen. Wir 
fafien dieſe Ergebnifje in folgende Punkte zuſammen: 

1) Die das Neligionsbelenntniß und die Schule betreffende Streitfrage 
wählt aus dem noch ungeſchlichteten religiöfen Entwidelungstampfe unferer 
Zeit heraus und die Schule ift wenig geeignet, als ein Mittel zur Schlid: 
tung dieſes Kampfes benußt zu werben, 

2) Das Grgebniß jenes Kampfes kann Niemand, der von wahrer 
Freiheit einen richtigen Begriff hat, mit Hülfe einer äußerlihen Macht zu 
Gunſten feiner Ueberzeugung lenken wollen. Wer verblendet genug ift, dies 
zu verſuchen, gräbt ſich felber die Grube feines Falles. Nichts ſchwächt 
mehr das Vertrauen zur Kraft und Wahrheit einer innern Weberzeugung, 
als wenn fie felbft eine ſolche äußere Machtſtutze fucht. 

8) So lange der Staat nur die dhriftlihe Religion als eine öffentliche 
anerlennt, fo lange fehlt eben bem Einfluß ihrer Wahrheit die nötbige 
Unbefangenbeit und Freiheit einer rein innerlihen Wirkung. Zur Vollen: 
bung diefer Freiheit gehört es freilich nicht, daß der Staat ſich in völliger 
GBleihgültigleit von dem religiöfen Leben der Benölterung ablehrt. Eine 
foldye unbedingte Trennung des Ganzen von einem unzweifelhaft bedeutenden 
Theile feines eigenen innern Lebens ift unmöglich und jeder Verſuch muß 
zu unwahren Künftlichleiten führen. Weil wir ein überwiegend chriftliches 
Boll find, werden wir fortfahren, bei allen mit ver Religion in unmittel- 
barem Zuſammenhange ſtehenden öffentlichen Handlungen die chriſtliche Ne: 
ligion als die eigentlihe Grundlage unſeres Volkslebens zu betrachten. 

4) Wenn nun aber auch der Staat thatjächlich befugt ifl, der chriſt⸗ 
lichen NReligionsgemeinichaft eine Bevorzugung zu gewähren, fo darf doch 
diefelbe nicht fo meit ausgedehnt werden, daß fie das Maß des allfeitig 
Zugeſtandenen überfäreitet. Er darf nicht eine Richtung in dieſer Gemein» 
ſchaft einfeitig und vorzugsweiſe begünftigen oder gar fie durch feine Macht: 
mittel zur allein herrſchenden machen, auch nicht andere Religionsgemeins 
ſchaften verfolgen, unterbrüden, ihre Mitglieder von dem Genuß bürgerlicher 
Rechte, von Nemtern, die nit unmittelbar auf die chriftliche Religions: 
gemeinfchaft ſich beziehen, ausſchließen. Eben fo wenig darf er das ge: 
fammte Schulweſen ausſchließlich oder mit einjeitiger Bevorzugung in den 


488 Allgemeine Pädagogif. 


Dienft einer Religions: oder gar nur einer Confefſiond⸗Gemeinſchaft ober 
einer Richtung in einer ſolchen ftellen. 

5) Es ift verkehrt, wenn der Staat durch feine Machtvollkommenheit 
die Schule zum Mittel der Erneuerung eines ſtreng⸗kirchlichen chriſtlichen 
Volkslebens machen wollte. Eben fo verkehrt aber ift der Wunſch, mit 
Hülfe einer äußern Maht aus der Schule allgemein jede religiöfe Grund⸗ 
lage zu entfernen, oder ausschließlich eine durchaus indifferente, oder nur 
eine religidg-freifinnige zuzulafien. Solche Ginfeitigleiten würden die vor- 
bandenen Gegenfäße nur verfhärfen, nicht mildern. 

6) Die Schulbildung muß fi vorzugeweife an die gemeiniame Bil⸗ 
dungsaufgabe unferer Zeit halten, im Uebrigen aber, ſoweit dies unbefdhabet 
diefes allgemeinen Zmedes geſchehen kann, den verſchiedenen vorhandenen 
Bepürfnifien gebührend Rechnung zu tragen. Aus diefem allgemeinen 
Grundfage folgt, daß es nicht richtig ift, wenn der Staat in den öffent» 
Iihen Schulen nur den chriftlihen Religionsunterricht als einen öffentlichen 
anerkennt; wenn er nur oder in unverhältnißmäßig überwiegender Weife 
gewiſſe hriftlihe Schulen aus feinen Mitteln umterftügt; wenn er aus feinen 
Schulen Schüler und Lehrer beftimmter Religionsgemeinichaften ausſchließt; 
wenn er ferner nur eine einfeitige Richtung innerhalb einer Confeflion in 
den öffentliden Schulen begünftigt, gleichviel ob biejelbe vernunftgläubig 
oder firenggläubig ift. Ebenſo folgt aber auch aus jenem allgemeinen 
Grundſatze, daß es unrichtig ift, wenn der Staat confeflionslofe Schulen 
oder den allgemeinen Religionsunterriht zum allgemeinen Gefeße aller oͤffent⸗ 
lihen Schulen erheben und allen firengeren religiöfen Bedürfnifien einfach 
überlafjen wollte, für ſich ſelbſt zu forgen. 

7) Der Staat kann nicht dur einen allgemeinen Religionsunterricht 
in den Schulen alljeitige Befriedigung bewirken; er ift eben jo wenig im 
Stande, in denjelben Schulen zugleich allen möglichen veligiöfen und com» 
feflionellen Bebürfnifien Rechnung zu tragen. Hieraus folgt aber nicht, 
daß der Staat von der eigentlichen Leitung des Schulweſens fih ganz 
zurüdzuziehen babe, fondern nur fo viel, daß er im Intereſſe der inbivi« 
duellen Freiheit feinen Einflug auf die Schulen meiſt beſchränken muß, 
den er, oft freilich durch die Noth der Umſtaͤnde gebrungen, zu weit aus⸗ 
gedehnt hat. 

8) Das ftaatlihe Princip muß ausgleihend fein; der Staat darf 
daher auch in feinen Schulen keinem andern Princip folgen. Er muß die 
Kinder verſchiedener Glaubensgenofien in feine Schulen zulaflen; er muß 
die Anfprühe diefer auf gleiche Berüdfihtigung von Lehrern verſchiedenen 
Glaubens, ſoweit dies ihre päbagogiihe Tauglichkeit verftattet, ala berech⸗ 
tigt anerfennen; er darf um der päbagogifchen Schuleinheit willen bie Res 
ligion der Mehrheit der die Schule befuchenden Kinder dem Unterrihte zu 
Grunde legen, behält aber daneben die Pflicht, auch für den Religionsunter 
richt einer namhaften Minorität gebührend Sorge zu tragen; er darf endlich 
bei dem angenommenen Religionsunterrichte nicht einer ertremen Richtung 
innerhalb einer Confeflion Vorſchub leiſten, fondern muß vielmehr einex 
gemäßigten Mitte feine Stüße gewähren. 








Allgemeine Pädagogik. 489 


9) Damit die mannicfaltigen Bebürfniffe und berechtigten Wünfche 
hinſichtlich des religiöfen Unterrichts befriebigt werben fönnen, und eine 
Bermittelung entgegengefebter Richtungen möglich bleibt, darf der Staat 
das Schulmefen nicht zu ausfchließli in feine Hand nehmen, muß viel: 
mehr der Schule maßvolle Selbitftändigfeit gewähren und in Anerkennung 
der Unterrichtsfreiheit den Privatlehrern. Gemeinden und Privatgefellichaften 
- bei Errihtung und Ginrihtung von Schulen alle wünfhenswerthe Freiheit 

efatten. 

i Mir haben die Ergebniſſe der gründlichen, umfichtigen und unparteii- 
fhen Unterſuchung des Berf’s. die hier und da, 3. B. aud in Bremen, in 
allem Wefentliben bereitS länger praktiſche Geltung erlangt haben, aus 
zwei Gründen etwas ausführlicher mitgetheilt. Cinmal wollten wir dadurch 
anreizen, das vortrefflihe Buch recht aufmerlfam zu ftudiren, und ſodann 
follten diejenigen, welchen es nicht zugänglich wird, erfennen, auf welchen 
Punkt der Entſcheidung eine gründliche wiſſenſchaftliche Prüfung die Frage, 
was für ein Neligionsunterriht in den Schulen zu ertbeilen fei, gelangt 
iſt. Uns erfcheint dieſe Frage durch den Verf. im Princip vorläufig abges 
ſchloſſen und nur innerhalb des feftgeftellten Princips ſcheinen uns unterges 
orbnetere Streitfragen noch möglih zu fein. Mer aber noch ferner im 
Geiſte der Schrift unter Nr. 17 für Commmalfdulen plaidiren mollte, würbe 
fi als unwiſſend oder als oberflählih und eigenfinnig barftellen. 


Erziehungslehre. Häusliche Erziehung. Zucht. 


19. Friedrich Kedbel’s nefammelte pädagogiſche Schriften. Herausgegeben von 
Dr. Wichard Lange. Berlin, 1863. IH. Chr. Fr. Enslin. 3 Bde. 
8 Thlr. 

20. Friedrich Fröbel's entwidelndserziebende Menſchenbildung (Kindergarten⸗ 
Bädanogif) als Syſtem. ine umfafiende, wortgetreue Jufammenftellung 
von Hermann Pöſche, Lehrer und Erzieber am Friedrichs⸗Waiſenhaufe 
der Stadt Berlin zu Rummelöburg. Hamburg, Hoffmann und Campe, 
1862. 11/s Thlr. 


Die zwei erften Bände von Nr. 19 enthalten Friedrich Fröbel in 
feiner Entwidelung als Menſch und Pädagog, und zwar der erfte die Autos 
biograpbie und kleinere Schriften, und der zweite bie Ideen Froͤbel's über 
die Menſchenerziehung und Auffäbe verjchievenen Inhalts, der dritte aber 
die Pädagogit des Kindergartens. Ref. muß ein näheres Gingehen auf 
diefes Wert wie auf Nr. 20 bis zum nädften Bande des %.:8.'3 ver: 
ſchieben. 


21. Bädanogiihe Zeitfragen, für Eltern und Schulmänner beſprochen von 
Dr. &. Kühner. Frankfurt a/M., 3. D. Sauerländer's Berlag. 1863. 
222 Seiten. gr. 8. 


Die 9 Abbanplungen, melde den Inhalt bilden, trugen folgende 
Ueberfhriften: 1) Gefahren großftäptifcher Erziehung. 2) Standesmäßige 
Erziehung. 3) Knaben und Jünglinge müflen gewagt werden, um Män- 
ner zu werden. 4) Erziehung zur Wehrhaftigleit. 5) Gefahren moderner 





490 Allgemeine Pädagogik. 


Jagendlectüre. 6) Die Realſchule im Dienfte lokaler Bilvungsbedürfnifie. 
7) Zur Bermittelung des Grenzſtreites zwiſchen Schulgeit und Lehrzeit. 
8) Wie man Gejchäftsmänner erzieht. 9) Die Grenzen weiblider Schul 
bildung. Sie find feit 1853 in den Programmen der Mufterfchule in 
Frankfurt, deren Director der Berfafler ift, für einen engern Kreis, die 
Eltern der Schüler, bereits veröffentlicht worben, baben die gemeinſame 
Tendenz, die Gefahren großitäptiicher Erziehung nach verſchiedenen Seiten 
zu befprehen, und zeichnen fih durch päbagogiiche Gebiegenheit jo ſehr 
aus, daß fie es in hohem Grade verdienen, in weiterem Kreiſe befannt zu 
werben, zumal da die befprochenen ragen allgemeinere Wichtigkeit haben, 
in der That nicht blos lokale, fondern Zeitfragen find. 


22. Pädagogiſche Beiträge von Joſephine Zehnder, a Ftedlim. Leipzig: 
Friedrich Krandfetter. 1863. 136 Selten. 8. 


Bon den drei Abhandlungen, welche die Verfaflerin bier darbietet, ver: 
‚breitet fih die erfte (S. 1—48) über den gemütbbildenden Anſchauungs-⸗ 
unterriht. In drei Abfchnitten: 1) Aeftbetifhe Anfhauungen. 2) Pie 
befondern finnlich:geiftigen Anſchauungen des menjhlihen Thuns und Seins. 
3) Die normale Gelbfithätigleit, gibt fie für die Erziehung des Kindes 
vortrefflihe Winke, die eben fo fehr von tiefer Einficht in das Wefen der 
Erziehung, wie von richtiger Kenntniß der Natur des Kindes, fcharfer Ber 
obachtung und erziehlihem Tacte zeugen. Nicht minder vortrefflich ift die 
zweite Abhandlung: Beltimmung und Bildung der Frau (6. 49—90). 
Die dritte hat die weibliche Kranlenpflege zum Gegenftanbe. 








23. Die Urfahen der fo vielfach erfolglofen Bemübungen in der heutigen 
Kindererziebung.. Ein Bortrag, gehalten zu Berlin am 9. Yebruar 
1863 von Dr. Wichern. Hamburg. Agentur dea Rauben Haufes. 1863. 
1 S. 8 5 Sgr. 


Der Berf. unterjeidet zwei Gruppen folder Urſachen, die erfle um: 
faßt diejenigen, welche unabhängig vom Finde beftehen, urfprünglid außer 
ihm vorhanden find und unbeilvoll auf daſſelbe einwirten und er rechnet 
dazu: Ammen, Gefinde, Geſchwiſter, Schul: und Spielgenofien, Lectüte, 
Fehler und Verfäumniffe in der Erziehung, ben Zeitgeiſt. Bei dem letz⸗ 
tern verweilt er am längiten und empfiehlt zur Abwehr feines nachtheiligen 
Ginfluffes auf die Kinder vor Allem die Familie, d. h. das wahre drifl- 
liche Kamilienleben, das er mit vollem Rechte ſehr hoch fiellt. Die zweite 
Gruppe jener Urſachen bilden diejenigen, die in dem Finde felbft liegen. 
Diefer Abfchnitt ift jedoch nicht weiter ausgeführt, es wird vielmehr nur 
auf die Thatſache hingewieſen, daß richt felten Kinder, für welde alle Bes 
dingungen einer guten Erziehung vorhanden ſind, mißrathen, und blos ans 
gedeutet, daß die Urfahe hiervon in einer Naturmadt liege, die fi in 
folden Kindern mit befonderer Energie geltend made, die ſehr ſchwer, in 
einzelnen Fällen vielleicht gar nicht in ihrem Ginflufie zu vernichten fer, 
die aber jedenfalls befämpft werden müſſe. Es ift zu bedauern, baß vie 
Orenzen eines por einer gemiſchten Verſammlung gehaltenen Vortrags dem 








Allgemeine Pädagogik. 491 


Verf. nicht geftattet haben, über diefe Naturmacht oder angeborene Anlage 
weitere Grörterungen anzuftellen. 

Dr. Wichern und feine Beitrebungen, namentlih im Rauhen Haufe, 
werben befanntlih in einem Kreiſe bochgepriejen, in einem andern tief herab: 
gezogen. Ref. hat weder den Beruf, noch ift er im Stande zu entſcheiden, 
wo die Wahrheit bierbei zu finden if. Was aber die vorliegende Kleine 
Schrift betrifft, fo zeugt dieſelbe unverkennbar von aufmerfiamer Beobach⸗ 
tung, pſychologiſchem Scharfſinn, erzieblibem Tacte und einer chriftlichen 
Gefinnung, die von kirchlichen Ertremen ſich fern hält und nur ſolchen Ans 
ſtoß geben könnte, die eine vorgefaßte ungünftige Meinung vom Berf. haben, 
oder nicht auf dem wahren chriſtlichen Standpunkte ſtehen. Daß man 
vielleicht des Verf.'s Anſicht vom Zeitgeifte, wie fie ausgeſprochen ift, ober 
auch mandem gebrauchten Ausprude nicht völlig zuftimmen kann, thut hier 
bei nichts zur Sache. 


24. Blide und Winke in die Kinderfiube. Treuen Müttern woblmeinend dars 
geboten von El. Frans, Taftor zu Niedergebra in Thüringen. Nords 
baufen, 1863. Berlag von Adolph Büchting. 116 S. 12. 10 Sar. 


Es find in der That nur Blicke und Winfe, melde diefe Blätter 
darbieten, die feinen Anſpruch auf Vollftändigfeit und Ausführlichleit er 
beben. Sie find aber nidht blos aus mwohlmeinendem Sinne und kinder: 
freundlihem Herzen, fondern auch aus erziebliher Einfiht und guter Be⸗ 
obachtung der Natur des Knaben und des Mädchens in ihrer Verſchieden⸗ 
beit hervorgegangen. Die im Ganzen mehr aphoriftifhe, aber anziehende 
Sprabe eignet das Büchlein indeß nur für fehr gebildete Mütter, und 
die nicht felten geiftreiche Art des Verfs wird dur zu gejuchte Vergleiche, 
dur zu meit bergeholte Citate und durch Spielen mit Worten mehrfad 
zur bloßen Manier. Diefe Fehler thun aber doch dem Ganzen wenig 
Eintrag. Der Inhalt ift in 32 Abfchnitte getbeilt, die befondere Weber: 
I&hriften tragen, 3. B. Ziehen und Beigen, die Heimath, die Zerftreuungen, 
der rechte Zeitvertreib, das Verbieten, das Warum, Mie, der Tadel, der 
Liebe Täufhungen, das Loben, die Mutter, die Gewöhnung, die Erziehung 
für die Familie, für das bürgerlihe Leben, die religiöfe Erziehung. Unter 
dem Titel: „Beilagen“ find noch 13 Gedichte mitgetheilt, von welchen 
einige recht hübſch find, andere aber nicht an diefen Ort zu paſſen fcheinen. 


25. Zucht und Zuchtübung. Pädagogiſche Apborismen, Geſetzesvorſchriften, 
Denkſprüche, Epigramme, Sprichwörter und drei Erzählungen. Für Eltern 
und Erzieher gefammelt von Schmidt: Sommerfeld. Hoyerewerda. Ver⸗ 
fag von W. Erbe. 30 Seiten. 8. 5 Gar. 


Diefe Aphorismen ıc. verbreiten fih über Wefen, Nothwendigkeit und 
Borausfeßungen der Zucht, über Strenge, Milde, paͤdagogiſchen Unfinn in 
der Zucht c. Zum Schlufie find brei Beifpiele gegeben. Die Ausſprüche 
find von Palmer, Ariftoteles, Eifenlobr, Jaspis, UDuintilian, Antonius 
Pius (2), Kant, Auguftin, Lode, Hegel, Wichern, Abrabam a St. Klara, 
Schiller, aus dem preußiſchen Landrecht, von Etoy, Sophokles, Luther ꝛc. — 


- 


492 Allgemeine Paͤdagogik. 


Nah des Ref. Anfiht bätte diefe Sammlung, gleihwie ähnliche Compila: 
tionen, ungebrudt bleiben können. 


26. Neber Schulunterricht vom ärztlichen Standpuncte von Dr. med. Guſtav 
Paffavant. Franffurt a/M. Hermann’fte Verlagsbuchhandlung. 186%. 
5 Gar. 


Menn aud der Berf., der offen geftebt, daß er mit den bereitö vor: 
bandenen Schriften über feinen Gegenftand nicht näher befannt fei, etwas 
Neues nicht beibringt, fo fagt er doch über das viele Sitzen der Jugend, 
über die Lüftung und die Erwärmung der Schulimmer manches Wahre, 
ohne freilih die Sache irgend wie zu erfhöpfen. Die Echuld, daß in ben 
Schulen mit äußerft geringen Ausnahmen, für bie Geſundheit der Jugend 
nicht binlänglihe Sorge getragen wird, liegt weder in den Lehrern, nod 
in den Schulbehörden, noch in den Eltern allein, fondern in vielen allen 
zufammen und außerdem noch in den Medieinalbehörden und Aerzten und 
in der Gejammtbeit der Gemeindegliever. Ueberall dieſelbe Gleichgültigkeit 
und Eorglofigfeit, oder im günftigften Falle Kurzfichtigleit, welche die näch⸗ 
ſten und wejentlichften Bedingungen der Geſundheit der Schuljugend über: 
fieht und in einfeitiger Weite durch Fünftlihe Mittel glaubt helfen zu 
tönnen. Vielleicht ift es Ref. vergönnt, dieſen Gegenftand fpäter einmal 
ausführlich zu beſprechen. 


Lehrerbildung. Volksſchule. 


27, Zur Reform der Rebrerfeminare und der Volfefhule. Bon Karl Schmidt. 
Cdthen, 1863. Paul Scettler. 148 Selten. 8. 12 Sgr. 


Der Berf., durch mehre vortreffliche Arbeiten im Gebiete der Erziehung. 
namentlich durch feine Geſchichte der Pädagogik hinlänglich bekannt, ift zu 
Dftern einem Rufe nah Gotha als Seminarbirector, Schulratb und Schuls 
referent im Minifterium gefolgt. Im diefer Stellung bat er nit nur das 
dortige Schullehrer-Seminar zu reorganifiren, fondern aud das neue Volks, 
fchulgefeß, durch welches die Volksſchule die ihr gebührende Selbftitändig: 
keit erhält, in Ausführung zn bringen. Die vorliegende Schrift bezieht 
fih auf diefe doppelte Aufgabe. Sie enthält unter drei Rummern vie bei 
Einführung in das Seminar gehaltene Rede, melde die Frage beantwortet: 
1) Was ift und mas foll die Lehrerbildungsanftalt? 2) Grundlagen zu 
einem Regulativ für ein Volksſchullehrerſeminar nad den Forderungen der 
Gegenwart. 3) Beilagen (die Beſoldung und amtliche Stellung des Volls⸗ 
fhullehrers, die Selbftftändigleit der Volksſchule, das Seminar als Central: 
bildungsanftalt). 

Die Geſchichte der Schullehrerfeminare zeigt zwei Entwidelungsperiopen 
diefer Anftalten, deren erite von der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis 
1816 reicht, während bie zmeite den mit dieſem Jahre beginnenden Zeit⸗ 
raum umfaßt. In der erften Periove waren die Anftalten zur Bildung 
der Volfsfchullebrer nur Anhängfel anderer Schuleu, von Gymnaſien, Waifen: 
bäufern ıc., oder beſchränkten fih auf menige Lehrftunden, die von Geift- 
lichen und Lehrern anderer Schulen ertheilt wurden, oder batten doch eine 











Allgemeine Pädagogit. 493 


höchſt mangelhafte Einrichtung. Die Schullehrerfeminare als felbftftändige 
Anſtalten, mit einer bejondern Direktion, jelbitftändigen Lehrern und voll: 
ftändigen Schuleinrihtung, wie fie gegenwärtig find, datiren erft von 
1816, mo Preußen voran ging Sie wurden im Grunde böhere 
Volksſchulen mit der beftimmten Richtung auf den Lehrerberuf. Das find 
fie noch jetzt. Der berufliche Unterricht in ihnen ift auf das Nothoürftigfte 
beſchraͤnkt und gebt faft ganz in practiſchen Anmweifungen auf. Sie geben 
keine freie, fondern nur eine an die Formen der Volksſchule gebundene 
Bildung. 

Der Berf. der vorliegenden Schrift ertennt die Nothwendigkeit einer 
Weiterentwidelung der Schullehrerfeminare an und giebt beacdhtenswerthe 
Winke, worin diefelbe zu ſuchen, woburd fie herbeizuführen fei. Die all: 
mählich ſich verwirklichende Selbſtſtändigkeit der Voltsfchule fordert von dem 
Lehrerſtande ver Zukunft eine vollftändigere, tiefere, freiere Bildung. Denn wie 
wäre Selbftftändigfeit der Volksſchule möglih oder haltbar ohne geiftige 
Gelbitftändigleit des Lehreritandes? Der Verf. fordert, daß das Seminar 
die Hochſchule für die Volksſchullehrer fein, d. b. werden ſoll. Das ift 
eine durchaus berechtigte Forderung. An den Begriff der Hochſchule Inüpft 
fih Alles an, was dem Lehrerftande der Bulunft in Bezug auf allgemeine 
und beruflihe Bildung noth thut, namentlich aud eine zwmedmäßigere äußere 
Einrihtung des Unterrihts. Ref. ftimmt mit dem Verf. darin volllommen 
überein, daß die Vorbildung zum Eintritt in das Seminar in einer höhern 
Buͤrgerſchule gefucht, die wiſſenſchaftliche Bildung den gefteigerten Anforderungen 
entfprechend, die päbagogiihe Bildung namentlih durch die Geſchichte der 
Pädagogik, insbefondere des Volksſchulweſens, erweitert und vertieft, bie 
heuriſtiſche mit der alroamatifhen Lehrform angemefien verbunden werben 
ſoll (welches letztere dem Begriffe der Hochſchule nicht widerftreitet). Es 
müfjen aber auch im Geminarunterrichte das abftracte und ideale Denten, 
als hoͤhere Stufen des Denkens, mehr zu ihrem Nechte gelangen, da fonft 
eine freie geiftige Bildung unmöglih ift, und im Lehrplane muß das ſoge⸗ 
nannte Zweiltundenfyftem aufgegeben, die Lehrfächer müflen mehr nacheinander, 
in halbjährigen Curſen und jeder mit mehr mwöchentlihen Stunden aufs 
treten. — Die Frage, ob die Seminare Internate oder Erternate fein follen, 
löft der Verf. jehr glüdlich, indem er beide Arten von Einrichtungen in 
durchaus angemefjener Weiſe mit einander verbunden wiſſen will. 

Ref. muß darauf verzichten, auf Einzelnes weiter einzugehen und kann 
nur noch die anregende Schrift den Lehrern empfehlen. 


28. Grundzüge des Volksſchulweſens in den Königreihen Preußen und Sachſen 
von Dr. ©. dv. Yandeff, Kaiferl. ruff. wirft. Staatsrath. Aus dem 
Ruffifäpen überfeht, Leipzig, Franz Wagner. 1862. VII. und 131 Seiten, 
gr. 8. gr. 


Die vorliegende Schrift ift die Frucht einer Reife, die der Verf. in 
der Abfiht unternommen hatte, das öffentliche Unterrichtswefen zu ftubiren, 
insbejondere die deutſche Volksſchule in ihren allgemeinen Grundzügen und 
die Bedingungen ihrer Blüthe kennen zu lernen. Natürlich richtete fih zu 
diefem legteren Zwecke fein Augenmerk vorzugsmweife auf Preußen, weil das 





494 Allgemeine Paͤdagogik. 


Volksſchulweſen dieſes Staates Schon an und für ſich als muftergiltig ſich 
ihm empfahl, dabei aber zugleih durch den umfaſſenderen Maßſtab feiner 
GEinsihtungen zum Gegenitand nügliher Nachahmungen für ein jo großes 
Reich, wie das ruffiihe ift, dienen konnte. Da er aber in dem Gebiete 
des Schulweſens im Königreich Sachſen mandes Eigenthümliche, ja manche 
Vorzüge vor dem in Preußen fand, fo hat er zur Vergleichung die Grund⸗ 
züge des ſaͤchſiſchen Elementarſchulweſens hinzugefügt. 

Die Quellen, aus denen er jchöpfte, find namentlich die betreffenden 
Gefeße und feine Darftellung ift überfihtlih und treu. Der gefammte In: 
balt ift in A Hauptabjchnitte vertheilt, wovon der erfle die Schulverwaltung, 
der zweite bie Einrichtung, Unterhaltung und Bermögendverwaltung ber 
Volksſchule, der dritte das Unterrichtsweſen (Schulorpnung und Lehrplan) 
und der vierte das, was fi auf die Ausbildung zum Vollsſchullehrer, auf 
die Nechtsverbältnifie des Lehrers während der Amtsdauer, jowie auf die 
VBerforgung der Wittwen und Waiſen verflorbener Lehrer, begiebt. Won 
Seite 127 an werden noch ftatiftiiche Nachrichten über das Volksſchulweſen 
in Breußen und Sachſen mitgetheill. Obgleich zunädhft für Rußland be 
ftimmt, ift die Schrift doch aud für Deutſche von Werth, die ſich mit ber 
Verwaltung und Ginrihtung der Bollsfhule in Preußen und Sachſen in 
der Kürze bekannt machen wollen. 


29. Die er Volkoſchule und die Berhältniffe ihrer Lehrer. ine Dents 
fhrift von Ferdinand Schnell. Langenfalza, Berlage-Eomtoir. 1862, 
56 Seiten. gr. 8. 6 Sgr. 


Zuerſt bringt die Schrift einen „Nüdblid auf die Entwickelung der 
preußifchen Volksſchule feit 1809"; fobann wird die Frage erörtert: „Was 
ift für die innere Reform der Vollsſchule nothiwendig und wünſchenswerth? 
Zulegt werben die Berhältnifie der Lehrer und zwar die Bildung und Ges 
baltöftellung verjelben und die Schulpflege beſprochen. Wenn aud vie 
Schrift des fruchtbaren Verf.'s nichts Neues bietet, fo begegnet man doch 
mandem guten und beberzigenswerthen Gedanken und manchem freimüthi« 
gen, männlihen Worte und überfieht dabei gern gewifle Eigenheiten des 
Verf.'s. Zu diefen gehören die Berufungen auf Schulk-Schulkenftein, die 
in jeder feiner Schriften wieberlehrt, die häufigen Anführungen des Bücher 
und Ausſprüche Anderer, jowie die Berweifung auf feine eigenen Wrbeiten, 
namentlih auf die „Gentralilation des Unterrichts.” Won Dr. Linpners 
pädagogifhen Verdienften, die Ref. übrigens gern anertennt, bat ex doch 
eine zu hohe Meinung, beſonders von deſſen genetiſcher Methode. Seine 
Unfihten über Lehrerbildung laflen manden Widerſpruch zu, 3. B. die, 
daß die Erkenntniß der Natur zur erften Grundlage aller Bildung, befons 
ders des Lehrers, gemacht werben müfje, weil fie auch der allein richtige 
Meg zur Erkenntniß der hoͤchſten Wahrheit fei, und daß nachher erfi Ge: 
ſchichte, Sprache 2c. kommen jollen. Hierin zeigt fi eine zu große Ab⸗ 
bängigteit feines Denlens von vorübergehend herrſchenden Zeitrihtungen. 


30. Patriotiſche Gedanken über die erſte Volksſchulausſtellu 
von W. Barth, Diaconus zu Geislingen. Ulm, 1861. Ri 
handlung. 52 Seiten. gr. 8. 6 Ger. 


ng In Zfuttgart 
ohler ſche Bud 








Allgemeine Paͤdagogit. 493 


Unter Berweifung auf S. 547 fi. des vorigen Bandes des Jahres⸗ 
beriht3 mag bier nur bemerkt fein, daß, wie verjchieven auch fonft ber 
Standpunft des Verf.s und des Ref. ift, doch beide in dem Urtheile über 
die fogenannte Vollsfhulausftellung übereinftimmen, und daß die Anfichten 
des erſtern über allzugroße Ausdehnung des beruflichen Unterrichts und die 
gehäuften Anforverungen an die Volksſchule viel Wahres enthalten. 


Realichule. 


31. Die VBollshiidung nad den -Korderungen des Realismus von C. Dill⸗ 
wann. Stuttgart und Debringen. 186%. Aug. Scaber. 12 Ser. 


32. Die Aufgabe und Bedeutung der deutfchen Realſchule und des lateiniſchen 

Unterrichteö auf derfelben, mit einem Blick auf Deutfchland’s Zukunft, von 
. . Gerber, Dr. pbil., Xehrer am evangeliihen Obergymnafium 
in Leutſchau. Kaſchau, 1861. C. Werfer's Buchdruderei. 

33. Die Realſchule als Mitbegründerin eines freien Bürgerthums, in Anſehung 
ihrer geſchichtlichen Entwidelung und ihres Zweckes im Allgemeinen, fo 
wie ihrer Bedeutung für Defterreich überhaupt und für Ungarn insbefondere, 
dargeftellt von Dr. Richard Rotter. Zweite umgearbeitete und vermehrte 
Auflage. Bien, 1862. A. Pichler's Wittwe und Sohn. 1 Thlr. 


34. Das Neal⸗Schulweſen nah feiner Bedeutung und Entwicklung. Gin 
Wort an Geſchäfte⸗ und Staatemänner, Philologen und Theologen. Bon 
G. Fr. Kieß, Profeſſor an der Ober-Realfchule in Reutlingen. Stuttgart. 
C. Schober. 1862. 15 Ser. 


Der vorläufigen Titel-Anzeige diefer vier Schriften über Realſchulen 
wird im nädflen Bande des Jahresberichts eine Beiprehung bes Inhalts 
folgen. 


Methodil. Lehrpläne, 


35. Lehrbuch der Pen Methodik nebſt fonftigen Winten zur Amtsführung 
und Lehrerbildung für Shulamtezäglinge, Schullehrer und Echulaufjeher 
von Georg Luz. Erſter Band. leſenſteig. Schmid'ſche Buchhandlung. 
1863. Bogen 1—15. gr. 8. 18 Sgr. 


„Bis jegt haben meift Theologen und Gelehrte die Schulwiſſenſchaft 
bearbeitet; die verbreitetiten Werle rühren von Studirten ber. Mande ver 
dem Lehrer gebotenen Bücher hätten füglich ungebrudt bleiben dürfen. Be 
priefene Verfafjer gehören nicht immer zu denen, deren Geift über dem 
Waſſer ſchwebt. Es erfheint mir eine Ehrenſache der Lehrer, ſich mehr 
und mehr ber didaltiſchen Literatur zu bemächtigen.” 


Mit diefem Herzensergufie führt der Verf. feine Arbeit ein. Diefelbe 
tft nicht nur ein Zeugniß feines hohen Selbftgefühle, in welchem er fid 
zum Netter der Ehre des Lehrerftandes aufwirft, fondern aud von Unbe⸗ 
kanntſchaft mit der pädagogijchen Literatur. Denn in der That ift ſchon 
feit geraumer Zeit bie didaktiſche Literatur in den Händen von Lehrern. 
Ob diefelben urſprũnglich Theologie ftubirt haben, oder überhaupt akademiſche 
Bildung befigen, oder ob fie nur in einem Seminare gebilvet worden find: 


496 Allgemeine Paͤdagogik. 


darauf fommt doch wohl nichts an, wenn es ihnen nur nicht an innerem 
Berufe fehlt, durch fchriftfteleriihe Arbeiten ihre Gollegen zu belehren. 
Bon Rei. ift es fo ziemlich belannt, daß er nicht eben großen Werth dar: 
auf legt, ob ein Lehrer feine Bildung auf einer Univerfität, in einem 
Seminare oder auf einem andern Wege erlangt bat, wenn er nur die ihm 
nötbige tbeoretifche und praftifhe Bildung wirklich beſitzt; indeß gefteht er 
doch unverholen, daß er für die Vollsfhule und den Lehrerftanp es wenig 
erfprießlih erachtet, wenn die didaktiſche Literatur lediglich in dem Volle: 
fhullehrerftande ihre Vertreter und Förderer fände. Er erlennt zwar voll: 
kommen die großen Berbienfte an, die manche Glieder dieſes Standes um 
Divaktit und Methodik fi erworben haben; aber er hegt auch die Anficht, 
daß es unter den fchriftftelleenden Bollsfchullehrern mehr gibt ohne als 
mit innerem Berufe, als Lehrer ihrer Collegen aufzutreten, und baß eber 
eine Abmahnung von, als eine Aufmunterung der Lehrer zu jchriftfiellerifchen 
Arbeiten am Platze wäre. — Der Berf. ſcheint übrigens jelbft gelehrter 
Bildung nicht fo abhold zu fein, da er es liebt, Sentenzen in lateinijcher 
Sprache in feinen Vortrag einzumijchen, was als völlig überfläffig erfcheint. 
Dur die vorftehenden Bemerkungen fol natürlich über die Arbeit 
des Verf. ein Urtbeil nit ausgefprodhen fein. Diejelbe liegt erſt bis 
zum fünfzehnten Bogen vor, der mitten in einem Sape abbridt. Ref. 
behält fih vor, auf das Buch zurüdzulommen, wenn daſſelbe vollftänvig 
erſchienen ift, und bemerkt jet nur, daß ber Verf. nicht ohne innern Beruf 
an feine Arbeit gegangen zu fein jcheint. 
36. Pädagogifcher Wegweiſer. Ein Führer durch die verfchiedenen Gebiete 
des Unterrichts In Volksſchulen für angehende Lehrer, Lehrerinnen, Semi⸗ 
nariftien und Schulpräparanden, verfaßt von Gottfried Truſtek in Liffa 


und bevorwortet von Chr. G. Scholz in Breslau. Breslau, F. C. C. Leudarı. 
1863. 196 ©. 8. 25 Ser. 


Dem Vorredner erjhien der Yleiß, womit der Verf. feine während 
einer faft vierzigjährigen Amtswirkſamkeit gemachten Erfahrungen in der 
vorliegenden Schrift zufammengeftellt bat, hochſt beachtenswerth, und 
er findet die Schrift jelbft auch wegen ihrer einfachen und faßlihen Dar: 
ftellung wohl geeignet, Lehranfängern beiberlei Geſchlechts ein guter 
Führer durd das Unterrihtsgebiet der Volksſchule zu fein. Ref. bedauert, 
dieſem Urtbeile nicht beitreten zu können. Zwar will er dem Fleiße bes 
Verf.s nicht zu nahe treten, dagegen muß er die literarifche Frucht biefes 
Fleißes für durchaus unvolllommen und unbedeutend erflären, und er 
könnte nur bedauern, wenn angehende Lehrer einen ſolchen Führer nöthig 
hätten. Der Berf. bat von den pädagogiſchen Grundbegriffen vielfach ver 
altete, unllare und unrichtige Anfihten; feine methovifhen Belehrungen 
befteben zum heil faft nur in Hinweifungen auf die Schriften Anderer, 
und wo fie, wie bei der Spradlehre und Orthographie, ausgeführt find, 
weifen fie öfters auf einen veralteten Standpunkt bin. Was endlich bie 
zahlreich beigefügte Literatur betrifft, fo fcheint bei der Auswahl wenig 
Kritit geübt worden zu fein, ja der Berf. ſcheint von manden nambaft 
gemadten und empfohlenen Schriften nicht einmal den Inhalt genau genug 
‚gelannt und nur von dem Zitel auf benfelben geſchloſſen zu haben, Ref. 





Allgemeine Paͤdagogik. 497 


zweifelt nicht, daß der Verf. ein tüchtiger und verbienter Lebrer if, um 
fo mehr bedauert er aber, daß derſelbe dem Drange, als Schriftiteller aufs 
zutreten, nicht bat widerſtehen Tünnen. 


37, Lehrplan für die Gemeindefchulen des Kantons Yargau. Auf Beranftals 
tung der Erziehungsdirection dur eine Commiſſion von Fachmaͤnnern vor⸗ 
beratben, durch Herrn Seminardirecor I. Kettiger redigirt und vom 
b. Reg.-Rathe zur verſuchsweiſen Anmenbung obligatorif erklärt. Baden, 
1862. 3. Zehnder'ſche Buchdruckerei. 83 ©. gr. 8. 


38. Die von der hochwürdigen Schul⸗Inſpection fancdionirten Lehrpläne der 
Bürgerfhulen zu Wurzen, bearbeitet von GE. Wagner, Schuldirector. 
Wurzen, 1862. 54 ©. gr. 8. 


Es ift eine eigenthümliche Erſcheinung, daß in mehreren Gantenen 
der Schweiz, in welden ein große® Maa von Freiheit jeder Art berrfcht, 
gerade auf einem geiftigen Gebiete, im Schulunterrichte durch obligatorifche 
Lehrpläne und Lehrbücher eine eben jo große Gebundenheit beliebt ift, wie 
in Oefterreich, wo die individuelle Freiheit noch vor Kurzem ungleich gröheren 
Beihräntungen unterworfen war und noch gegenwärtig if. Der Grund 
davon, daß 3. B. in Bern, Züri, Aargau die Gleihförmigleit des Unter⸗ 
richts in allen Volksſchulen des Landes als eine Nothwendigkeit betrachtet 
wird, ſcheint mehr in ven früheren Schul: und Lehrernerhältniften geſucht 
werden zu müflen, als in der Natur der Sache ſelbſt. So viel aber Ref. 
weiß, find gerade in den genannten Cantonen die gegenwärtigen Verhaͤlt⸗ 
nifie der Lehrer in Bezug auf Bildung und Stellung der Art, daß wohl 
auch hinfihtlih des Lehrplans etwas mehr Freiheit eingeräumt werben 
könnte. So anfprehend es nämlih aud für die Regenten der Schule 
fein mag, wenn in allen Schulen ihres Bereiche der Unierricht bis in’s 
Einzelne herab nad demjelben Plane ertheilt wird, und fo fehr auch zuge: 
geben werben muß, baß einzelne äußere Bortheile damit verbunden find: 
fo widerjpriht doch eine ſolche Gebundenheit der Lehrer im Linterrichte, 
wie fie durch den Lehrplan unter Nr. 37 im Canton Aargau eimgefährt 
(oder wohl richtiger: fortgeführt) wird, der eigeniten Natur des Unterrichts. 
Es ift zwedmäßig, wenn für einen größern Schulbgzirt oder für ein Land 
ein Lehrplan ale Mufter aufgeftellt und ven Lehrern empfohlen wird; es 
ift nothwendig, daß beftimmte allgemeine Normen für den Unterricht in 
allen Schulen zur Geltung kommen; es iſt aber der geiftigen Bilvung auf 
feiner Stufe förberlih, wenn alle Lehrer bie in's Ginzelne hinab nad 
derfelben Schablone zu unterrichten genöthigt werden. — Abgejehen bier: 
von, jo ift der Lehrplan für die Volksſchulen des Cantons Aargau der 
Art, daß dur ihn die Erreichung des Unterrichtszweckes gefihert wird, 
vorausgejeßt, daß die Lehrer ihn nicht blos deshalb befolgen, weil er zur 
Befolgung vorgeichrieben worden, fondern aud aus eigener lieberzeugung 
von jeiner Zwedmäßigleit; denn er iſt ofienbar aus paͤdagogiſchen Anfichten 
beroorgegangen, die gegenwärtig als richtig gelten lönnen, wenn aud gar 
mandes Einzelne darin nicht auf allfeitige Zuflimmung rechnen kann. So 
wird es 3. B. wohl nicht allgemeine Billigung finden, daß das Rechnen 
mit Brühen erft im ſechſten Schuljahre eintreten joll, während Flächen: 
und Körper: Berechnungen (wenn aud nur die leihtern) ſchon im fünften 

Pad. Jahresbericht XV. 33 





498 Allgemeine Pädagogik. 


Schuljahre eintreten. — Da bier unmöglih auf Einzelnes weiter einge 
gangen werden kann, jo mag nur nod erwähnt werden, dab im Canton 
Aargau die Schulpflichtigleit mit vollendetem fiebenten Lebensjahre beginnt 
und bis zum vollendeten fünfzehnten dauert, alſo acht Schuljahre umfaßt, 
daß im Sommer die Lehrer nur 20 wöchentliche Schulftunden zu ertheilen 
baben und daß in Bezug auf die Abtheilungen in den Schulen mit einem 
einzigen Lehrer folgende Grundfäße, bezw. Vorſchriften gelten: Die acht 
Jahrgänge von Schülern in einer folgen Schule bilden eben fo viele 
Klafien, und von diejen foll der Lehrer nie mehr als 6 vor fih haben. 
Die Schüler der vier legten Schuljahre follen jo viel als möglid Vormit⸗ 
tags Unterricht erhalten, und die Klaſſen follen jo zufammen georonet werden, 
daß die anmwejenden Klafien aus unmittelbar aufeinander folgenden Schul: 
jahren befteben. Die Unterrichtözeit je eines Schultages wird in fo viel 
Lehrgänge abgetheilt, ald Stunden gegeben werden; vie Lehrgänge zer» 
fallen in fo viele Unterrichtszeiten oder Lectionen für die einzelnen Klafien, 
als der Lehrer Klaflen zu gleicher Zeit vor fih hat. Damit Einheit und 
Einfachheit in die Schulführung komme, foll der Lectionsplan fo eingerichtet 
werden, daß in der Negel während einer und berjelben Lehrſtunde alle 
gegenwärtige Klafien mit bemfelben Lehrgegenſtande beichäftigt find. Wo 
die Natur des Faces es zuläßt, oder wo der Lehrplan es offenbar voraus: 
jest, mag dies fogar in dem Sinne geſchehen, daß der Unterricht defielben 
Lehrgegenftandes an zwei oder noch mehr Klafien zugleich gerichtet ifl 
(Anjhauungsunterriht, Geſang, Schreiben, Aufſatzübungen ⁊c.). In der 
Regel aber ſoll der Lehrer darauf bedacht ſein, wie er während jedes Lehr: 
ganges (jeder Lehrftunde) bei allen Klaſſen unterrihtend berumlomme. 

Die Lehrpläne für die Bürgerfchulen in Wurzen geben zu mehrern 
Bemerkungen Veranlafiung. Es befteben dort drei Burgerſchulen, von 
welchen vie erfte, eine höhere Bürgerjchule und Progymnafium, jowie bie 
dritte, jede 4 Stufenllaflen mit gemifchten Geſchlechtern, die zweite 6 Stufen: 
Hafien für Knaben und eben fo viele für Mädchen bat. In Beaug auf 
die erjte Bürgerfchule wirb vom Herausgeber wohl mit Recht hervorgehoben, 
daß die Anzahl der Klafien und Lehrkräfte ungenügend fei. Dieje Anftalt 
führt die Kinder vom vollendeten jechiten bis zum vollendeten vierzehnten 
Lebensjahre, und es ift wohl die einzige höhere Bürgerfchule, in welder 
Knaben und Mäpchen vereinigt find. Nur die vierte Stufenklafje zerjäll 
in zwei getrennte Abtheilungen für die beiden Geſchlechter. Die Anzahl 
der Lehrſtunden fteigt in ver zweiten Klaſſe dieſer Anftalt bis 34 und in 
ber Anabenabtheilung der erften Klaſſe gar auf 38, zwei Stunden Griechiſch 
eingefchloflen, an melden allervings nicht alle Schüler Theil nehmen. Diele 
Ueberladung mit Lehrftunden hat ihren Grund darin, daß das mit 5 Stunden 
bedachte Latein obligatorisch ift, und dem Religionsunterrichte in der zweiten 
Klafie 6, in der eriten gar 7 Stunden gewibmet find. Gine Verminderung 
der Religionsſtunden wäre — nicht im Intereſſe anderer Lehrfäher, — 
wohl aber im moblverfiandenen Intereſſe der religiöien Bildung jelbft und 
der leiblihen Gejundheit der Finder zu wünſchen. — In der zweiten 
Bürgerfchule fteigt die Anzahl der wöchentlichen Lehrftunden bis 30, in 
der dritten bis 24. 


Allgemeine Pädagogik. 499 


Die Vertheilung der Lehrfächer in die verfchievenen Klaſſen und die 
Anzahl der jedem zugewieſenen Lehrſtunden läßt zunädft in ber erften 
Bürgerſchule eine große Berplitterung der Zeit und des deutihen Sprad: 
unterrihts erlennen. Der Lebtere zerfällt von Klaſſe III an aufwärts in 
vier jelbititännig neben einander herlaufende Zweige: Grammatik, Lefen 
(in Klaſſe I mit Literaturgefchichte), Orthographie, Styl, und jeder ift in 
Klaffe L mit einer wöchentlichen Stunde bedacht! Aud in der zweiten 
Buͤrgerſchule herrſcht dieſe Zerfplitterung. In der erften Bürgerfchule laufen 
Naturgefhihte und Naturlehre mit bezüglid 2 Stunden und 1 Stunde 
von der dritten Klafie an nebeneinander ber. 


Der Lehrgang ver Geſchichte beginnt in Klaſſe III., bat die Heimath 
zum Ausgangspunlie, jchreitet von da zum engern, dann zum weitern Vater: 
lande und jchließt in Klaſſe I mit der allgemeinen Weltgeihichte. Die 
Culturgeſchichte foll die Spitze dieſes Unterrichts bilden, und durch die ganze 
Entwidelung und Darftellung joll das Walten der göttlihen Weltorbnung 
durchbliden, ihre Erienntniß endliches Ziel fein. Im Verbindung mit ver 
Geographie hat die Gejchichte die befondere Aufgabe, Liebe zum Vaterlande 
und dem angeftammten Fürftenhaufe zu erwecken. 


In einem Anhange zu jedem der drei Lehrpläne find die Geſangbuchs⸗ 
lieder verzeichnet, die in jeder Klaſſe auswendig zu lernen find. Darnach 
fommen auf die erfte Bürgerjchule 51, auf die zweite 49 und auf bie 
dritte — 90 Lieder!! 


39, Wegweiſer für mangellihe Volksſchullehrer. Methodifhe Anleitung zur 
Ertheilung und Einrichtung des Volksſchulunterrichts überhaupt, wie zum 
Gebraude des von dem Föniglichen evangelifhen Schullehrer-Seminar zu 
Münfterberg herausgegebenen Volksſchulleſebuches. Bon Eduard Bock, 
önigl. Seminardirector zu Münfterberg. Zweite Bearbeitung. Vollſtändig 
in zwei Thellen. Erſter Theil, a. u. d. T.: Lehrgänge für die einzelnen 
Unterrichtögegenflände der Unter», Mittels und Oberflafle der Volksſchule. 
Nebſt entfprechenden Lehrproben. 341 ©. gr. 3. — Soul Iheil, a. u. 
dv. T.: Lehrpläne für eins, zwei⸗ und dreiffalfige Dollsihulen. Nebſt ent⸗ 
ſprechenden —— und Stundenplaͤnen. Mit einem Anhang: 
Materialien für Vollsſchriften⸗Bibliotheken und Lehrer⸗Leſevereine. 84 ©, 
ar. 8. und 18 Tabellen. Breslau, Ferdinand Hirt. 1862. 19/s Thlr. 


In der neuen Auflage hat dieſer Wegweifer dur vielfahe Zuſätze 
einerjeitö, wie durch kürzere und gebrungenere Darftellung anderſeits weſent⸗ 
lihe Berbeflerungen erhalten. Im erften Theile find die Lehrgänge mehr 
vervollftändigt, und außer einer Bearbeitung allgemeiner Grundjäße noch 
binzugelommen ein Aufjaß über Zmed und Aufgabe des Religionsunter⸗ 
richts, ſowie Anmeifungen für die bibliihe Geſchichte, die Heimathskunde, 
den grammatifchen, den Gefhichtsunterrid;t, die Behandlung des landwirth⸗ 
ſchaftlichen Unterrichts, Geſundheitslehre, gemeinnügige Kennntnifje, Ueber: 
fiht des Thier- und Pflanzenreihes, das landwirthſchaftliche Rechnen und 
für den Zurnunterricht binzugetreten. Auch die den Lehrgängen beigegebenen 
Lehrproben find vermehrt. In dem zweiten Theile find zwei Auffäße: 
über Concentration und über Cinübung hinzugelommen und mehrfache Gr: 
weiterungen und Berbefjerungen bewirkt worden. Das im XII. Bande 

32° 


40. 


Auleitun agebiſdung. NRebR einem Anhange enthaltend Made: 

sie IT * ne —* End re” —— 
erun age⸗ 

Fee önigf. Geminar- Dberiehrer + D Dirigent — S:xminar 


Zweite, verbeierk 
und erweiterte Auflage. Breslau, 1863. F. E. ©. Sendarı. 111 ©. 8. 
12 Egr. 


Diele ſehr fahlicd gehaltene und wurd zahlreiche Beifyiele werunfden 





XIV. 
Pädagogiſche Beitichriften. 


Bon 
Auguft Lüben 


Die Zahl der pädagogiihen Zeitſchriften bat fih aud in dieſem Jahre 
wieder vermehrt. Ob fi aber eine berjelben zu wünjchenswertber Höhe 
emporarbeiten wird, Iäßt fih im Voraus nicht fagen, ſcheint und aber 


zweifelhaft zu fein. 


1. Allgemeines Säulblatt für Norddeutfägland. Göttingen, Gebr. 
Hofer. 1863. Wierteljährlih 8 Sgr. 


Als verantwortlicher Redacteur nenat fih Dr. E. Moller. le 
14 Tage erſcheint ein Bogen gr. 4. Die Zeitſchrift will befondere Rüd- 
ſicht auf das engere Vaterland Hannover und deilen Racdbarländer nehmen 
und vorzugsweiſe der Vollsbildung dienen. Der Herausgeber hält es für 
nötbig, zu erlläven, daß er das Ehriftenthbum für die mefentlihe Grundlage 
unjerer Bollebildung hält, „und zwar das evangeliſche Chriftentbum, tie 
es in der Bibel, insbejondere im Neuen Zeftamente, als die größte That: 
ſache der Geſchichte überliefert vorliegt.” Neben ver Religion foll aber 
aud die weitlihe Bildung zu ihrem Recht kommen. 


Im Mebrigen wirb das neue Schulblatt Alles berüdfihtigen, mas 
auch andere Zeitſchriften diefer Art bisher in's Auge gefaßt baben. 


Wir haben nur die erfle Nummer des Blattes erhalten und find daher 
nicht in der Lage, über daſſelbe urteilen zu können. 


502 Paͤdagogiſche Zeitfähriften. 


2. Allgemeine vreußiſche Schulzeitung. Gentral-Örgan für die Ins 
terefien ber Vollsſchule und ibrer Lehrer. Redigirt von 8. F. Echnell. 
Berlin, 3. Remak. Vierteljährlich 10 Ger. 


Bom 1. October 1862 an erfcheint von diefer neuen Schulzeitung 
monatlich ein Heft von drei Nummern (Bogen) in Duart. Jede derſelben 
entbält eine oder mehrere Abhandlungen über Erziehung und Unterricht, 
Schulnachrichten, namentlib preußiſche Verhältniſſe betreffend, und Recen: 
fionen pädagogiſcher Schriften. Inter den Abhandlungen haben wir in 
den uns vorliegenden ſechs Heften von 1863 feine gefunden, vie fi be 
fonder3 auszeichnete, wenigſtens nicht durch einigermaßen neue Gebanlen. 
Unter den Schulnadrichten nehmen die Verhandlungen aus dem preußifchen 
Abgeordnetenhauſe eine hervorragende Stelle ein. Scholz's Mittbeilungen 
über die 13. Allgemeine deutihe Lehrerverſammlung in Gera, die im Schle⸗ 
fiiden Schulboten erihienen find, find bier noch einmal abaebrudt worben. 

Die es ſcheint, fehlt ed dem Herausgeber noch an recht tüchtigen Mit: 
arbeitern, ohne die keine Zeitichrift gedeibt. Für einen Staat wie Preußen 
ift überhaupt eine pädagogifhe Zeitſchrift, die monatlih in drei Bogen 
erſcheint, nicht ausreichend, wenn fie rechtes Leben entwideln foll. 


3, Luxemburger Schulblatt, berausgegeben von mehreren Lehrern des 
Großherzogthume. Luxemburg, Gebr. Heinge. 1 Thlr. 


Dies Schulblatt erſcheint monatlid zweimal. Nah den wenigen und 
vorliegenden Nummern (1 — 14) zu urtheilen, liefert es vorzugsweiſe 
Material zur unmittelbaren Verwendung in der Schule. 


4. Oftfriefifhes Shulblatt. Leer, D. H. Zopfs. 15 Bar. 


Dies Schulblatt erfcheint feit 1861 unter der Nebaction von ®. 
Sütting, Gomnafiallebrer in Aurich, und Ar. Smid, Lehrer in Leer. 
Es ift dur das einmüthige Beftreben der vaterländifhen Lehrer ins Leben 
gerufen und ſucht zur innern Kräftigung und Hebung berfelben beizutragen. 
Wie andere derartige Blätter, fo bringt auch das Dftfriefiihe Schulblatt 
allerlei Auffäbe über Erziehung und Unterricht, praktiſche Lehrgaͤnge über 
einzelne Unterrichtsgegenſtände, Recenfionen und Nadrichten aus ber Lehrer: 
welt, insbefondere aus der vaterlänvifhen. Das Blatt wird gut redigirt 
und enthält mande beachtenswerthe Aufſätze. Wir wünſchen ibm vaber 
die lebhafte Unterftüßung der ofifriefifchen Lehrer. 


5. Neue Blätter für die VBolfafhule der Herzogthümer Bremen und 
Nerden und det Landes Hadeln. Herausgegeben unter Redadion ven 
J. v. Barlen, Drganift in Sofern, H. U. Hadeler, Draantift in Affe, 
E. Hahn, Semtnar-Gauptiehrer in Stade, Stade, Fr. Steubel. 20 Sgr. 
im Buchhandel 25 Ger. 


Die „Neuen Blätter” ericheinen feit 1861 und zwar in Vierteljahrs⸗ 
heften von circa 6 Bogen, Laut Borrede zum II. Yahrgange, von dem 





Pädagogiſche Zeitfchriften. 503 


und die beiden erften Hefte vorliegen, will „dieſe Zeitfchrift durch die Schule 
der Kirche dienen.” Wie das gemeint ift, wird man vielleiht am beiten 
aus der Stellung entnehmen, welche das Stader Seminar zu dem foge: 
nannten neuen bannover'ihen Katechismus eingenommen bat. Uebrigens 
enthält die Zeitjchrift neben Bibelauslegungen und ähnlichen Bearbeitungen 
religiöfer Stoffe auch manden Aufſatz über andere Unterrichtsgegenjtände 
und berüdfichtigt auch die äußern Angelegenheiten ver Schule und ihrer 
Lehrer. Wer der orthodoren Richtung zugethan ift, wird gewiß Befriedi⸗ 
gung in dem Blatte finden. 


XV, 


Die außern Angelegenheiten der Volksſchule 
und ihrer Lehrer. 


Bon 
Auguf Lüben, 


1. Das Bereinsleben der Lehrer. 


1. Auch im verflofienen Jahre find uns vielfach Nadyrichten über die 
Ihätigleit der Lehrer in Conferenzen zugegangen, aus denen erſichtlich ik, 
da& die große Mehrzahl derjelben ernftlih nah Fortbildung ſtrebt. Auch 
die äußern Angelegenheiten, die Berforgung der Wittwen und Waifen, das 
Shidfal der penfionirten Lehrer, Berfiherung gegen Brandunglüd u. f. w., 
waren vieljady Gegenſtand der ernfteften Berathung, von denen manche zu 
höchſt erfreulihen Refultaten geführt haben. Die Beftalozzi-Bereine nament: 
li verbreiten ſich immer mehr. 

2. Die allgemeine deutſche Lehrerverfammlung if in 
diefem Jahre in Mannheim am 25., 26., 27. und 28. Mai abgehalten 
worden. Gie hat dort einen ungeahnten Umfang erhalten. Das Mit: 
gliever:Berzeihniß fchließt mit der Zahl 2873. Alle deutſchen Länder 
waren vertreten, vielfach durch ihre hervorragendſten Pädagogen und Lehrer; 
felbft das Ausland hatte fich betheiligt, jo namentlidy die Schweiz. Mehrere 
Städte hatten Vertreter auf ihre Roften abgefandt. Die Stadt Mannheim 
hatte Alles aufgewandt, um den zahlreihen Gäften den Aufenthalt ange 
nehm zu machen. Der Großherzog wohnte am zweiten Tage den Berband- 
lungen mit großer Theilnahme und Ausdauer bei und beſuchte aud die 
Ausftellung der Lehrmittel. 

Die Berhandlungen find unter der fchon oft bewährten Zeitung 
Theodor Hoffmanns in mürdiger Weiſe geführt worden. Die An: 
weſenden bemwiejen eine feltene Ausbauer dabei, und gaben fie einmal zu 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 505 


ertennen, daß fie einen Reduner nicht weiter bören wollten, fo geſchah es 
nur, wenn er das feſigeſetzte Zeitmaß in auffallender Weife überjchritt, 
obne zu befriedigen, oder wenn er ungebörige, dem Geifte der Verfammlung 
widerftrebende Aeußerungen vorbradte. Trotzdem ift aber dennoch ever 
zum Wort gelommen, foweit die Beit es geftattete. 

Von der großen Anzahl von Referaten, die angemeldet waren, find 
folgende zum Vortrag und zu mehr oder weniger eingehender Beiprechung 
gelommen. 

1) Was bat die Schule zur Erwedung und zur Pflege der Bater: 
Iandsliebe zu thun? Schulrath und Seminardirector Dr. 8. Schmidt 
aus Gotha. 

2) Deutihes Boll, deutihe Schulen, deutſche Lehrer. Lehrer Rit- 
tingbaus aus Lüdorf in Rheinpreußen. 

3) Die Volksſchule ald Denkſchule. Stabtpfarrer Dr. Riede aus 
Neuffen in Württemberg. 

4) Uhland's Paädagogik, Schulratb Prof. Dr. Stoy aus Jena. 

5) Die Naturkunde in Lehrerfeminaren. Seminarbirector Lüben aus 
Bremen. 

6) Die innere DOrganifation einer mehrllaffigen Schule. Schulvorfteber 
Dr. Wichard Lange aus -Hamburg. 

7) Ob Staats: oder Communal⸗Schule? Director Dr. Baldamus 
aus Frankfurt a, M. 

8) Der Mangel an aller wehrhaften Erziehung der Jugend. Director 
Brof. Schröder aus Mannheim. 

9) Die Erziehung zur Mannhaftigleit. Schnell aus Prenzlau. 

Manches Andere wurde noh in Morgen: und Abendſißungen vers 
banvelt. 

Die Ausftellung von Lehrmitteln war rei) und darum fehr belehrenb. 

Die Allgemeine deutihe Lebrerzeitung enthält in Nr. 2636 die 
ſtenographiſchen Aufzeichnungen aller Vorträge und Verhandlungen. 

Außerdem bat Chr. ©. Scholz in Breslau in einer Meinen Schrift: 
„Zehn pädagogifhe Kederzeihnungen, entworfen vor, während 
und nad ber allgemeinen deutjchen Lebhrerverfammlung in Mannheim in 
der Pfingſtwoche 1863 (Breslau, Selbitverlag, 7/, Sgr., im Buchhandel 
bei Maruſchka u. Berenbt 12 Sgr.) ein trefiliches Bild von ber Verſamm⸗ 
lung geliefert, Dieſe ſehr anziehend gejchriebene Brofhüre erhält dadurch 
noch einen bejondern Werth, daß der Verf. vielfach feine Anfichten über 
einzelne Vorträge und Bemerkungen ausführlicher mittheilt. 

3. In Tabarz in Thüringen baben fih auf meine Veranlafjung 
während der Sommerferien eine Anzahl Pädagogen (Prof. Dr. Gräfe und 
Director Janſen aus Bremen, Scholz aus Breslau, Schulraty Schmidt aus 
Gotha, die Schulvorjteher Th. Hoffmann und Ziebemann aus Hamburg, 
Director Dr. Meier aus Lübed, Superintendent Dr. Schulze aus Obrpruf 
u. m. N.) zu eingebenveren Verhandlungen über wichtige Gegenftände bes 
Unterrichts und der Erziehung verfammelt und zwei Wochen lang getagt, 
Mie wir dort getagt und mas mir verhandelt haben, ift aus einem Kleinen 
Sähriftchen zu erſehen, das fo eben erſchienen ift und den Zitel führt: 


506 Die dufern Angelegenheiten der Volksſchule xx. 


Mittbeilungen aus dem Pädagogen-Congreß in Tabarz 
in Thüringen. Pargeboten von Scholz und Lüben. Leipzig, 
Prandftetter. 1863. geb. 9 Car. 

Der erfte, von Scholz herrührende Theil gibt ein Rild von unferm 
Conareßleben; der zweite von mir verfahte Theil enthält die Nefultate un: 
ferer Berhandlungen. Die zehn Kleinen Mbhandlungen, aus denen er befteht, 
haben folgende Ueberſchriften: 1) Die Stellung der Geihichte der Pädagoait 
in ven Lebrerfeminaren: 2) Wie die Didaktik im Seminar zu lebren ift; 
3) Das Muk in der Pädagogik: A) Der Religionsunterribt in Schulen; 
5) Der Religions.mterriht in den Pehrerfeminaren; #6) Die Naturgefdichte, 
namentlich in den höheren Töchterſchulen; 7) Die Nhrenologie; 8) Die 
Forderungen der Aerzte an die Schulen; 9) Die allgemeine deutſche Lehrer: 
verfammlung; 10) Die Schule zu Waltershaufen. 


2. Die einzelnen deufichen Staaten. 


I. Preußen. 
a. Lehrerbildungs⸗Anſtalten. 


1. Auf Grund eines Berihts des Herrn Seminarbirector Bod in 
Münfterberg konnten mir im vorigen Bande mittheilen, daß die Bräpa 
randenbildung befriebiaende Fortichritte mache; nad neueren Mitthei⸗ 
Iungen und Verorbnungen ſcheint dieſe Angelegenheit doch nicht ganz fo 
günftig zu liegen, wenigftens nicht überall fo günftig, wie in bem 
gelobten Lande Schlefien, in dem der qenannte Herr Pod feine Thätigkeit 
feit Jahren entfaltet bat. Das Seminarlehrer : Collegium in Cöpenid 
findet noch fehr viel an der Präparandenbildung in der Provinz Branden⸗ 
burg auszufeßen, und hat auf Peranlafiung der Regierung zu Potsdam 
eine „Denkſchrift, die Vorbildung der Präparanden für die Schullehrer: 
Seminarien des Regierungsbezirks betreffend,” ausgearbeitet, die den Prä- 
parandenlehrern zur Pefolgung mitgetheilt worden ift. (Siehe Stiehl, Gen: 
tralblatt, I. Heft, 1862). Es wird darin mit aller Entſchiedenheit eine 
gründlichere Durhbildung und klares Verftänpniß des Lehrftoffes gefordert 
und „die überwiegend gedaͤchtnißmäßige Aneignung‘ deſſelben ala geradezu 
ſchädlich bezeihnet. So iſt es recht; denn mit Lobhudeleien ift hier nichts 
zu erreichen. 

2. In einer GCircularverfügung der Regierung zu Marienmwerder 
wird von den Präparanden, die fih zur Aufnahme in das Seminar ge 
meldet hatten, gefagt: „Allgemein und unangenehm fiel die ſchlechte, Täfiige 
Körperhaltung der jungen Leute auf. Selten vermochte es einer über fidh, 
jelbft wenn an ihn das Wort gerichtet wurde, gerade zu ftehen, den Prü⸗ 
fenden offen anzufehen, Arme und Hände in angemefjene Haltung zu 
bringen, überhaupt eine angemefjene, ungezwungene Haltung zu zeigen.‘ 
Den „teligiöfen Memorirftoff (N) fagten fie eintönig und ohne Ausdrud, 
alfo ohne innere Betheiligung ber.” Ya, es hatte ihr ftumpflinniger Fleiß 
diefen ganzen „Stoff auch nicht einmal mit dem Gedächtniß bewältigen 


Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 507 


fönnen. „Die Evangelien hatte keiner in vorfhriftsmäßiger Weife fih ans 
geeianet, ja. die meilten erflärten, gar feine Evangelien gelernt 
au haben.” Solche Klagen können einen fonft ruhigen Menſchen außer 
Faflung bringen. Wie lange wird diefe Duälerei mit religiöfen Memorir: 
ftoffen noch dauern! 

3. Im Gegenſaß zu den Anfihten des Herrn Seminarbirecor Bod 
(f. Av. XIV. des Jabresberichts S. 696) ift zu Moder bei Cöfternig 
eine Bräparanden:Anftalt eingerichtet worden, in die 20 Zöalinge aufge: 
nommen werben ſollen. Die Rräparanden wohnen in der Anftalt, erhalten 
in verfelben die aanze Belöftiaung, und zablen für diefe, den Unterricht, 
die Mobnung, Heizung und Erleuchtung jährlih 30 Thle. Der Curſus 
ift meijährig. Es können nur folbe junge Leute aufgenommen werden, 
welche das 16te Lebensjahr vollendet und das 2ifte noch nicht zurüdgelegt 
haben. 

4 Sn Mühlhauſen in Thüringen ift eine Präparanden:Anftalt 
fo weit erweitert worden, daß die Zöglinge nah vollendetem Curſus fi 
fonleih „der Prüfung für's Amt unterwerfen können.“ Der Unterricht 
wird von dem Diaconus Barlöfiug, dem die Pirection der Anftalt 
übertragen ift, und drei an bortiaen Schulen thätinen Lehrern ertheilt. 
Die Zöalinge find Mitglieder des Sing:Chors und haben ala folhe das 
Vergnügen, „Faft täglich öffentlich zu fingen.” Das Schulgeld beträgt für 
die untere Abteilung 12 Thle., für die obere 16 Thlr. jährlich. 

5. Sm dem Seminar zu Cöpenid ift der Curſus jetzt ein drei- 
jähriger. 

6%. Die preußifhen Seminare find der aroßen Mehrzahl nah und 
grundfäplih Anternate. Um zu zeigen, daß mit denfelben nicht noth⸗ 
wendig Höfterlihe Einrichtungen und änaftliche, perfönliche Mebermahungen 
verbunden fein müſſen, theilt das Gentralblatt (T. Heft, 1862) einen Aufſatz 
über das „Anftaltsleben in einem preufiihen Seminar” mit, 
den ein für das Seminar in Preußiſch⸗Eylau beflimmter Director abgefaßt 
bat, alfo ein Mann, dem Erfahrung bierin noch abging. Cr berichtet treu, 
was er wahrgenommen, und findet Alles ſehr Ihön. Cs ift das Seminar 
in Münfterberg, was bier dharalterifirt wird, eine Anftalt, die ſich der 
befondern Gewogenheit des Herrn Geheimeraths Stiehl zu erfreuen bat. 
Da wir die Anftalt nicht aus eigener Anfhauung kennen, fo fehen mir 
von einer Beurtheilung des Auffakes ab. 

Bei der Eröffnung des Seminars in Preußiſch-Eylau, Regie⸗ 
zungsbezirt Röniadberg, hat der Schulrath Dr. Woike fih in längerer 
Mede über das Weſen des Internats ausgefproden. Diefelbe ift im 
IV. Hefte des Gentralblattes von 1862 abgebrudt. Nachdem der Redner 
Alles geſagt hat, was fih für die Internate anführen läßt, widerlegt er 
die befannten Anfichten der Gegner. Näher hierauf einzugehen, erfcheint 
una kaum nöthig. Grternate und Internate haben ihre Licht: und ihre 
Schattenfeiten; find Internate nicht zu groß und werden fie von einfich: 
tigen Directoren geleitet, fo lönnen fie ſich als ganz zwedmäßig erweifen. 

7. Auf Beranlaffung des Evangeliſchen Oberkirchenrathes hat ber 
Unterrichtöminifter verorbnet, daß den Seminariften umfaflende und ein: 





508 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 


gehende Anweifung über die Yunctionen des Küfteramtes erikellt 
würden. Sm der Negel fellen vie Directoren biefen Unterricht geben. 
erben die Abiturienten darin auch eraminirt werden und eine Cenfur ex 
balten? Wird man fi für diefen Fall auf eine mündliche Prüfung be 
fchränfen, ober wird der Seminarift zeigen müflen, wie er das Taufwaſſer 
correct eingiekt, die Altarlichte anzündet und auslöfcht, dem Herrn Paſtor 
das Geleit nad der Kanzel gibt, die Abendmablaefäße und den Chorrod 
nah dem Filial trägt, die Thurmuhr ftellt, die Glocken ſchmiert und läutet? 
Wünſche allerfeits viel Vergnügen und beften Erfolg in der neuen Seminar 
Lection! 

8. Das Königliche Schulcollegtum ver Provinz Brandenburg bat für 
diejenigen Glementarlehrer, melde in Berlin in mittleren und höhe 
ren Knabenſchulen im Lateinifben, Franzöfifhen oder Eng 
liſchen zu unterrihten wünſchen Prüfungen angelegt, die jährlich im 
Februar im dortigen Seminar abgehalten werden follen. Die Prüfung 
lann fih nah dem Wunſche der Eraminanden auf eine, auf zwei ober auf 
alle vorgenannten Sprachen beziehen. Jede diefer Prüfungen beftebt 1) in 
einer Ueberfekung aus der betreffenden Sprahe und einer Ueberſeßung 
in diefelbe; 2) in einer mündlichen Prüfung zur Ermittelung der gram⸗ 
matifhen Renntnifie und der Einfiht des Craminandus in die metbopifche 
Behandlung des betreffenden Unterrihtögegenftandes; 3) in einer Probe: 
Rection. 

Die erfle diefer Prüfungen tft bereits abgehalten worden und hat er: 
freulihe Nefultate geliefert. Hoffentlib wird man in Kürze noch weiter 
geben und auch Prüfungen dieſer Art für den Realunterricht anfeken. 

9. Das Sholz’sbe Lehrerinnen-Geminar in Breslau bat 
in diefem Jahre 20 Lehrerinnen gebildet, von denen aht die Cenfur „ehr 
gut‘ und zwölf die Cenfur „aut beflanden‘ erhalten haben. Die Ankalt 
genieht großes Vertrauen und Tann nicht fo viel Lehrerinnen vorbereiten, 
ala begehrt werden. Darüber wundern wir uns bei Scholz’3 belannter 
Tüchtigkeit nicht. Außer ibm und feiner kenntnißreichen, gefhidten Gattin 
wirken noch fehr tüchtige Lehrer Breslau's an der Anitalt. 

10. In Nr. 10 des „Schulblattes für die Vollsichullehrer der Bros 
vinz Preußen‘ Ieien wir ©. 80: „Alfo der Herr GSeminardirector 
ſucht feinen Seminariften in der Unterrihtöftunde zu beweifen, daß der 
Lehrer im PVergleih zum Schulinfpector nur ein „elender Stubenmaler“, 
ber Lebtere aber ein „Raphael fei. 

Seminarbirector Schmidt in Gotha ließ m Mannbeim auf ber all: 
gemeinen deutſchen Qehrerverfammlung bei der Debatte über den nature 
wiſſenſchaftlichen Unterriht in Seminarien mit einfließen, daß er ba Eroͤff⸗ 
nung des Unterrichts in der Anthropologie feinen Seminariften gejagt babe: 
„Wenn Sie Handwerker werden wollen, dann baben Sie die Anthropo⸗ 
logie nicht nöthig; Sie wollen aber Künstler werben, und darum müflen 
Gie fih mit diefer Wiſſenſchaft ganz vertraut machen.“ 

Wie doch die Anfichten über ein und denfelben Gegenftand fo ver 
Ichieden fein können! Der Seminardirector N. N. (Schade, dab wir feinen 
Namen nicht erfahren haben) ftellt fih vie Aufgabe, aus feinen Zöglingen 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 509 


Handmwerler (die Stubenmaler gehören befanntlich zu den Handwerkern) 
zu bilden; Seminarbirector Schmidt dagegen will Künſtler aus ihnen 
maden. Gegenwärtig werden Handwerker nur durch Handwerker, Künftler 
nur dur SKünftler gebildet, und ſchwerlich dürfte ein Künftler fih ber 
geben, Handmwerler zu bilden. Herr Seminardirector N. N. jcheint fich 
mit dieſer Aufgabe begnügen zu wollen; oder muß er fi darauf bejchrän- 
ten, weil er jelbft zu den Handwerkern gehört? 


b. Lehrer. 


11. Herr v. Gottberg, Abgeordneter der zweiten Kammer, hat in 
der 45. Sitzung bei Berathung über die Militairfrage geſagt; „Oder 
will man etwa die Schulmeifter noch befjer ftellen? Sie 
werden dann die Position der beſſern Leute in der Gemeinde 
überragen, und das ift entfchieden vom Uebel“ 

„Säulmeifter!” — „noch beſſer ftellen!" — „vie Pofition 
der bejjern Leute überragen!” — OD, wie lann man bei fo fchönem 
Namen, Here v. Gottberg, fo ſchlechte Bedanten haben! Dreifach 
ächten Sie einen Stand, den Sie alle Urſache haben zu achten! Geben 
Sie einmal die beiden fimpeln Wörtchen neben einander: ähten — achten! 
Aeußerlich jo verwandt, und doch wie verſchieden! Ich weiß nidt, ob Sie 
fih durch folhe Neben die Achtung irgend eines Standes verdienen mer 
den. Der einen achtungswerthen Stand verächtlich behandelt, 
der macht ſich ſelbſt verächtlich; und das ift ganz — „entichieden nom 
Uebel.“ 

12. Die Königlihe Regierung bat in einer Circular⸗Verfügung vom 
23. Detober 1856 den Grundſatz ausgeſprochen, „Daß in die vorderfte 
Reihe der von den Gemeinden zu dedenden Ausgaben die für 
ihre Elementar:Schulwejen erforderliden Koften zu rechnen 
find, und daß daher diejen, namentlich materiellen Intereſſen 
gegenüber das Vorzugsrecht gebührt.” In einem Grlaß vom 
24. Februar 1862 wird dieſer Grundſatz wieder in Erinnerung gebracht 
(GSentralblatt, TIL Heft, 1862). Wenn die Regierung folde Grundfäße 
proclamirt, darf dann ein ihr zugethaner Abgeordneter, wie Herr v. Gotts 
berg, die Lehrer jo verädtlih behandeln? Wenn die Schulen bei den 
Gemeinde-Ausgaben in die vorderjte Reihe geftellt werden, gehören dann 
die Lehrer nicht auch dorthin? 

13. Die Regierung zu Frankfurt a. d. O. bat unterm 24. März 1862 
angeorbnet, die „jogenannten Singumgänge” aufzubeben und bie 
Lehrer dafür aus den Gemeindelafien zu entſchaͤdigen. Sie geht dabei von 
ver ſehr richtigen Anfiht aus, daß dieſe zu Geldſammlungen für den Lehrer 
berabgewürbigten Umgänge nicht mehr zeitgemäß feien und der Jugendbil⸗ 
dung nicht zum Heile gereihten. Alſo ein abermaliger Beweis dafür, daß 
die Regierung den Lehrerftand achtet und Alles zu bejeitigen fucht, wodurch 
die Achtung deſſelben beeinträchtigt werden könnte. Darf fih da noch ein 
Abgeorbneter, der auf der Seite der Megierung fteht, wie Herr v. Gott: 
berg, herausnehmen, verähtlih von den Lehrern zu reden? 





510 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule zc. 


14. In Rönigsberg ift der curiofe Fall eingetreten, daß der Ma: 
giftrat, troß des Beſchluſſes der Stadtverordneten, eine Zulage für die 
Lehrer verweigert, meil die Geiftlihleit nichts von ihren bisherigen 
Rechten in der Leitung der Volksſchulen, Befesung der Stel- 
len aufgeben mil. Statt daß nun bie Mutter Kirche die dringend 
nothwendigen Zulagen felbft darreihen follte, läßt fie die Lehrer darben. 
D, über dieſe fonderbare mütterlihe Liebe! Wie wird die Tochter 
Schule der Mutter Kirche dafür jo herzlich zugethan fein! Vielleicht denkt 
die Kirche, wie Herr v. Gottberg. 

15. Mit den Zulagen für die Lehrer geht es überhaupt troß 
der mannihjahen Grinnerungen ber Regierung und der gerechten 
Forderungen der Zeit immer noch nicht recht vorwärtd. So beträgt 
noch immer in der großen Stadt Breslau das Einkommen der Haupt: 
lehrer außer freier Wohnung bei 9 Stellen & 500 Thlr., 9 & 450 und 
7 & 400 Thlr. Bon denen, welchen keine Amtswohnung gewährt werben 
fann, beträgt daflelbe incl. Miethsentſchädigung bei 1 Stelle 560 Thlr., 
2 à 550, 1 & 500 und 3 & 450 Thlr. Das Gehalt der Klaffen- 
lehrer beträgt bei 16 Stellen a 400 Thlr., 10 & 350, 9 & 200, 15 
& 280, 13 & 250, 16 a 230 Thle. jährlih obne freie Wohnung oder 
Miethsentſchaͤdigung. 

Mit ſolchen Einnahmen können die Lehrer einer Stadt von 140,000 
Einwohnern nicht freudig exiſtiren. Das von Herrn v. Gottberg ge— 
fürchtete Uebel, „daß die Lehrer die Poſition der beſſern Leute in 
Breslau überragen möchten, dürfte noch nicht eintreten, wenn auch ſaͤmmt⸗ 
liche Gehaͤlter um ein Drittel erhoͤht würden. Der neue Herr Stadtſchul⸗ 
rath hat hier Gelegenheit, ſich großes Verdienſt zu erwerben. 

In Halle iſt mit dem 1. Juli 1862 eine Gehaltserhöhung einge⸗ 
treten. Darnach geſtalten ſich die Gehälter nun folgendermaßen: 2 Lite 
raten & 450 Thlr., 10 Lehrer & 400 Thlr., 9 Lehrer & 350 Thlr., 
8 Lehrer & 300 Thle., 9 Lehrer & 260 Thlr., 9 Lehrer & 230 Thlr., 
7 Hülfsiehbrer & 200 Thle., in Summa 54 Lehrer mit 16,260 Thlm. 

Mir willen nicht, wie meit die Lehrer durch dieſe Erhöhungen ver: 
beilert worden find, können aber nicht glauben, daß fie in einer Stadt von 
40,000 Einwohnern mit ſolchen Ginnahmen einigermaßen forgenftei leben 
lönnen; verbeirathen können fih davon wohl nur die erften zwölf. 

16. Das Minifterium bat wiederholt feitgeftellt, zuleßt unterm 
11. Auguft 1862, daß die Küftereinnahmen bei ven Lehrerbefols 
dungen angerechnet werben follen. Dafjelbe geht dabei von der An: 
fiht aus, daß es fich bierbei leviglih darum handle, dem Stelleninbaber 
ein Einfommen zu fihern, weldes zu feiner Subfiftenz binreicht; auf 
Mehr: oder Minderarbeit könne dabei nicht Nüdjiht genommen 
werben. 

Mir haben bisher geglaubt, der Cab fei rihtig: Je mehr Arbeit, 
defto mehr Lohn. 

17. Für Ertheilung des Turnunterrichts erhalten die Lehrer an 
Volksſchulen nah Beitimmung des Minifteriums nur dann eine Ents 
ſchädigung, wenn die Zahl der vocationsmäßig feitgeftellten Stunden 








Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 511 


hierdurch überfhritten wird. Es wird jedoch die Erwartung ausge⸗ 
Iprochen, daß in folden Fällen, wo die betreffenden Lehrer nur ein ge: 
ringe3 Gehalt beziehen, die Gemeinden für diefe neue Arbeit eine entfpres 
hende Summe bewilligen werben. 

18. Vom 8. Provinzial-Collegium in Weftphalen ift an die 
Directoren folgende Verfügung ergangen: „Wir machen Sie darauf auf: 
merkſam, daß kein Lehrer Privatunterricht, Nebenämter oder ähnliche Neben: 
geihäfte ohne unfere Erlaubniß übernehmen darf, und zu ſolchen Neben: 
ämtern rehnen wir auch das Halten von PBenfionären. Sie 
werden bei Beantragung dei Genehmigung zu erwägen haben, ob die Per 
jönlileit oder die häuslichen Verhältniffe des dieſelbe Nachſuchenden irgend 
ein Bedenlen zu erregen geeignet find.‘ 

19. In Bezug auf die Klage über ven häufigen Uebertritt der 
Lehrer in Privatverhältniffe eröffnet der Unterrichtäminifter den 
Provinzial-Schulcollegien, daß das zwedmäßigfte Mittel zur Verhütung 
dieſes Mebelitandes die angemejjene Dotirung der öffentlihen Schul: 
ftellen fein werde; außerdem aber würden die Seminardirectoren auch nicht 
unterlafien dürfen, ihre Böglinge darauf aufmerkſam zu maden, daß fie 
durch Uebernahme einer augenblidlich vielleiht lohnenden Privatitellung 
ihre künftige dauernde Berufsftellung gefährden, und daß es einer ernften, 
ſittlichen Auffafjung wenig entſpricht, die Erwartung zu täufhen, unter 
welcher die Behörde die Ausbildung der betreffenden Böglinge in dem Se: 
minar geftattet bat. 

20. „Im Interejfe des Dienftes” ift nah einer Verfügung 
bes Unterrihtsminifterd vom 31. December 1861 eine unfreimwillige 
Verſetzung der Elementarlehrer zuläffig, wenn dieſelben in ihrem Range 
und Dienfteinlommen nicht beſchränkt werden und ihnen die Umzugstoften 
vergütet werden. 

21. Die provijorifhe Anftellung eines Lehrers, der die erfte 
Prüfung im Seminar beftanden bat, darf nicht länger ale fünf Jahre 
dauern. Wird die Befähigung zur definitiven Anftellung eines Clementar: 
lebrerd im jechsten Jahre nach feinem Eintritt in das Schulamt durd die 
beftandene Wieverholungs: Prüfung nicht nachgewiefen, fo erfolgt die‘ Ent⸗ 
lafiung aus dem Schulbdienfte. 

Zur Befähigung für die definitive Anftellung eines Lehrers gehört 
nit nur das Maß von Kenntniffen und Fertigleiten, welches durch die 
zu beftehende Prüfung erprobt wird, fondern aud eine fittlihe Reife und 
praltiihe Tüchtigkeit, welde fih durch feine ganze amtliche und fittliche 
Führung bewährt hat und dur die Zeugnifje feiner Vorgeſetzten bekundet 
wird, 

22. Gedrängt von dem wachſenden Lehrermangel, entſchloß ſich die 
Schuldeputation des Berliner Magiftrats im Jahre 1856 zur Anftellung 
von Lehrerinnen, und zwar in Klaſſen, die durchſchnittlich 70 Schüle 
rinnen zählen. Nah Verlauf eines Jahres berichtete die Schuldeputation 
über die Thaͤtigleit dieſer Lehrerinnen Folgendes: „Der Anjtellung von 
Lehrerinnen an denjenigen Privatihulen, in welchen Kinder für Rechnung 
der Commune unterrichtet werben, find wir nicht hinderlich und haben gern 


512 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 


die erfolgreichen Leiftungen wahrgenommen, durch welche fih einzelne ans: 
zeichnen. Uebrigens forgen wir dafür, daß dieſen Lehrerinnen von ben 
Schulvorftehern fein geringeres Gehalt, als es die Lehrer contract: 
mäßig empfangen jollen, gezahlt und mit ihnen ebenfall3 ein Sontract 
abgeſchloſſen wird. 

Ein Jahr fpäter äußert ſich die Schuldeputation über venfelben Ge 
genitand folgendermaßen: „Bei dem eingetretenen Lehrermangel finden mir 
in den Mädchenſchulen unfers Auffictäkreifes mehr und mehr Gelegenheit, 
die Wirkſamkeit der Lehrerinnen, welche von den betreffenden Vorſtehern 
für die Ertheilung de3 Elementar⸗Unterrichts engagirt werden, zu beobachten. 
Wir find diefen Lehrerinnen die Anerlennung ſchuldig, daß fie in der Regel 
mit der treueften Hingebung, mit Selbftverleugnung, bier und dort fogar 
mit einem Eifer ihrem Berufe dienen, der uns wegen ihrer Gefundbeit 
bejorgt machen kann; fie bereiten fih meilt auf das Gewiſſenhafteſte auf 
die Lehrftunden vor, melde fie zu ertheilen haben, und üben bei dem 
weiblihen Anftande, mit weldem fie ſich unter ihren Schülerinnen bewegen, 
auf die äußere fittliche Haltung derjelben einen recht heilfamen Einfluß aus.” 

Der Beriht nad) Ablauf des dritten Jahres lautet eben fo günftig. 
Gegenwärtig unterrichten in den Schulen der Stadt Berlin mehr ald 300 
Lehrerinnen, und alle Berichte flimmen darin überein, daß ihre Thätigleit 
allen Anforderungen entjpricht. 


c. Die Schulen. 


23. Ueber den Stand des evangeliſchen Schulweſens im 
Regierungsbezirt Breslau enthält das Gentralblatt (II. Heft, 1862) 
einen lobenden Beriht. Es beißt darin: „Zuerſt erlennen wir vie ber 
Jugend heilſame Veränderung gern an, melde die innere Verfafiung ver 
Schulen in den legten Jahren erfuhr, indem die Zahl der vernadhläffigten 
Säulen ſich allmälig auf eine jehr geringe reducixt hat, und faft überall 
die Lehrer unter umjichtiger Theilnahme ihrer Reviforen mit Gefhid und 
Treue an Geift und Herz der Jugend arbeiten, wie in lebenvoller Weiſe 
die Kinder mitteld ihres Unterrichts nicht blos für die Schule und die Prü- 
fung, fondern für das Leben gehörig auszuftatten bemüht find. Das früher 
vielfach verlannte (?) Negulativ vom 3. October 1854 wird jebt von ben 
Lehrern nad feinen wahren Intentionen klarer begriffen, (?) während da⸗ 
gegen die Mißverftändnifie, (2) welde der Erreihung der heilſamen Abſicht 
bindernd in den Weg traten, nah und nad verſchwinden, in welder Be 
ziehung wir bie biefieitigen betreffenden Erlaſſe wiederholt ver Beachtung 
der Lehrer empfehlen.‘ 

24. Der Unterriht in weibliden Handarbeiten ift jest für 
die erwachſenen Schülerinnen der Elementarſchulen obligatoriih. Beſonderes 
Schulgeld darf dafür nicht erhoben werben, 

25. In der Stadt Mühlhauſen ift, um den aus der ftäbtifchen 
Boll: und Armenſchule austretenden Kindern eine Bibel als Cigenthum 
überweijen zu können, eine Bibelkaſſe eingerichtet worden. Jedes Kind 
der Oberllafien zahlt dafür wöcentlih 1 Pfennig. ‘Jedes gelegentlich der 











Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule sc 313 


Sonfirmation aus der Echule zu entlaflende Kind erhält — bei Vorausfetzung 
pünttlich innegehaltener Beifteuer — eine Bibel, refp. eine ſolche angeboten, 
Unbang. 

25) Bon Kutz ner's „Hilfe: und Schreib-Ralender für preußifche Volls⸗ 
ſchullehrer iſt der dritte Jahrgang, 1863, erſchienen. Er iſt ſeinen Vor⸗ 
gaͤngern in der Cinrichtung ähnlich, jedoch viel reichhaltiger. Auch das 
Schulweſen des Auslandes hat Berüchſichtigung gefunden. Der Heraus: 
geber bat den Werth des Kalenders auh durch pädagogische Abhandlungen 
zu erhöhen geſucht und deren zwei geliefert: 1) Wejen und Wichtigkeit der 
rihtigen Yrageltellung, ſowohl beim Unterrit, ald bei Wiederholungen und 
Prüfungen. 2) Zur Geſchichte der Methode des deutſchen Sprachunter⸗ 
rihts. Für Nr. 1 hätten wir eine etwas einfachere Darftellung gewünſcht. 

26) E. Sad. Der Wanderer. Volkskalender für Oft: uud Weitpreußen 
auf dad Jahr 1863. Zum Belten des Peitalozzi- Vereins herausgegeben. Königs- 
berg, E. Th. Nürnberger. Das Pädagogijche tritt in diefem Kalender zurüd; 
ber Verf. hat mehr für Unterhaltung und gemeinnützliche Belehrung geforgt. 

II. Medlenburg. 

1) Das Seminarin Ludwigsluſtiſt nah Neuklofter verlegt worden, 
wo es ſchöne Wohnräume und Aeder bat. Mit diefem Ortswechſel ift 
auch eine weſentliche Veränderung der Anftalt vor ſich gegangen. Es ift 
eine Präparandenanftalt mit dem Seminar verbunden worden, da die bis» 
berige, die eine Brivatanftalt war, viele Mängel zeigte. Der Eintritt in 
diefelbe erfolgt mit dem 15. Lebensjahre. Der Curfus ift auf drei Sabre 
berechnet. Nach Beendung defjelben find die jungen Leute als Aififtenten 
verwendbar. Dieje Affiftentenzeit dauert wiederum drei Jahre, jo daß die 
jungen Leute nun militärpflihtig find. Nah allerhöchſter Beitimmung 
follen künftig jämmtlihe Zöglinge des Präparandums zwei Jahre Militär 
dienst leiten. . Nach dieſer Dienftzeit erhalten fie Großurlaub und werben 
nur bei Mobilmahung einberufen. Während dieſer Urlaubszeit beſuchen 
fie zwei Jahre lang. dad Teminar. Außer dem gewöhnlichen Unterricht 
erhalten die Präparanden und Seminariften aud Anleitung zur Betreibung 
des Landbaues und zu jogenannten Klüterarbetten, 

Nah einem Beriht in Nr. 50 und 51 des Medlenburger Schul⸗ 
blattes von 1862 fühlen ſich Alle ſehr behaglich in Neulloſter. Nach dem 
Unterricht wird der Ader rajolt und beftellt und im Schuppen werden 
„Pantoffeln, Löffel, Kellen, Butterformen, Hatten, Körbe, Zeugllammern und 
ändere Gegenftände angefertigt. Es muß ein ibylliihes Leben ſein. 
Schade, daß Voß nicht mehr lebt, er würde eigends nad Neullofter gehen 
und e3 bejingen. 

Man verjpriht fih von biefer Einrihtung viel Gutes und erwartet 
insbeſondere, daß die fo vorgebilveten Lehrer künftig ihre Einnahmen werben 
fteigern können, rechnet auch wohl auf moraliihe Wirkungen. Die Erfah⸗ 
zung wird darüber belehren. Mir erfcheint eine jo ftarfe Hinweiſung auf der: 
gleihen Arbeiten nicht ganz unbevenllih; ic) habe in Gegenden, wo ben 
Geminariften eine derartige Vorbereitung nicht gewährt wurde, Lehrer ges 
funden, die dem einträglihen Aderbau und der Viehzucht mehr nachgingen, 
als ihrer Schule. Für den Schwachen liegt in ſolchem Erwerb eine große Gefahr, 

Bid. Jahresberiht XV. 33 


« - 
—. 





514 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 


Ueber den religiöfen Geift des Seminars giebt vielleicht folgende 
Stelle aus dem angezogenen Aufjaß einigen Auffhluß: „In der lieblihen 
Adventzeit wird die Andacht nun noh durh Adventsvespern bes 
reichert, welche die Seminariften ebenfo wie die alten Adventsmetten 
und die Bespern und Metten der andern Yefte fleißig üben, um 
fie fpäter in die Gemeinden mit einführen zu helfen, und in 
ben beiben lebten Wochen vor Weihnachten wollen wir nod den Anfang 
mit zwei Miffionsporträgen machen, damit unfere Advent 
freude und Adventsftimmung volllommen werde durd die Be 
Khäftigung mit der Miffion, melde Denen, die von keinem Kommen Chrifti 
wien, das felige Wort: „Dein König kommt zu dir‘, verfündigt und mit 
jedem Siege, ven fie erringt, das letzte Kommen, den legten zulünftigen 
Advent berbeizieht. An dem Bet: und Bußtage vor dem Advent, am 
Schluß des Kirchenjahres gingen wir Alle in's Geſammt, nachdem wir uns 
durch gemeinſames Gebet und Bekenntniß vorbereitet hatten, zum heiligen 
Abendmahle, um den neuen Lebensanfang durch den Genuß des Leibes und 
Blutes Jeſu Chriſti zu heiligen und unſere Seele mit Dem zu vereinigen, 
mit dem wir leben und ſterben möchten.” 

Der Andrang zum Seminar ift bedeutend. Es hatten ſich zum Auf- 
nahmeeramen in das Seminar Neullofter 76 eingefunden; da nur 32 auf 
genommen werden konnten, jo mußten 44 jurüdgeiiefen werden. Darf 
man daraus fohließen, daß Geift und Einrihtung des Seminars bem med: 
Ienburgifchen Boltögeifte entiprehen? Cs ift nicht unmöglich! 

2) In Medienburg: Schwerin beträgt 


die Zahl der Familienftellen im Domanium . . . 567 
» ss vom Oberkirchenrath zu bejeßenven Rüfterftellen auf 
dem Sande . . . 4 


» s s Familienitellen an täbtifchen. und Fledenſchulen mit 
Einſchluß des Taubftummeninftituts, der Schweriner 
Realſchule, melde mit geprüften Seminariften zu 


befegen find. . - 158 
:» ss e Gtellen für Unverheirathete an Domaniallandſchulen 106 
. eo 5 ⸗ ⸗ ⸗ ⸗ Räbtifhenn. Fleden⸗ 

faulen . ....3190 


:» 0 vitterfchaftlichen "Küfter- und Säufftellen . oe. 0.20.5517 
Summe 1499. 

Roftod und Wismar find dabei, als für fih abgeſchloſſen, nicht mit 
gerechnet. 

Die Stellen für Unverheirathete verhalten fi zu den Yamilienftellen 
demnach im Domanium ungefähr wie 2: 11, in den Städten dagegen wie 
2: 3. (Medlenb. Schulbl. Nr. 35. 1862.) 

3) Das Gehalt der Volksſchullehrer ift von 90 auf 120 Thlr. er 
böbt mworben. 

Die Stadt Wismar hat die Lebrergehalte an der Bürgerſchule 
bebeutend erhöht. Hiernach bezieht der Rektor einen Gehalt von 940 Xhlrm., 
die zmeite Lebrerftelle nebft Cantorat und freier Wohnung 580, die dritte 
405, die vierte A25, die fünfte und fechfte & 400, die fiebente 300 Zhlr. 








Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 518 


Die Gehalte an den Knaben-Volksſchulen betragen 470, 375 und 325 Thle., 
die an der Mädchen-Volksſchule 475 und 435 Thlr. 


II. Hannover. 


1) Die belannte Kate hismus: Angelegenheit hat mehrfach nachtheilig 
auf die Schulen eingewirkt und namentlih die Eltern und oft ganze Ge⸗ 
meinden in eine bedauernswürdige Stellung zu benjelben gebracht. In 
Stade z. B. find mehr als 100 Kinder aus der Seminarjhule ges 
miejen worden, weil fie ſich nicht die vorgefchriebenen Religionsbücher haben 
anſchaffen wollen. Die Etadt errichtet nun felbft die nöthigen Schulen 
und will nur auswärts gebildete Lehrer anitellen. 

Fünfzig Schulgemeinden im Osnabrück'ſchen haben fi in einer Bitt⸗ 
fohrift an den König ſehr energiſch über den bekannten Gonfiftorialrath 
Münchmeyer bejchwert. „Urtheilen Ew. Majeftät ſelbſt — beißt es in dem 
Schriftjtüd — ob wir, die wir Landleute find, mit einem Manne nicht 
in fortwährendem Streit leben müfjen, der auf. dem lebten Jahresfeſte der 
evangelifch:Iutheriichen Miffion in Leipzig folgenden haarfträubenden Ge: 
danken von fih gab: Wo noch keine Luft zum Leſen beim Volke ift, rege 
man fie nit an. Es ift nicht zu wünfhen, daß der Bauer Zeitungen 
lieſt. Auch das Verlangen nad guter Lektüre fol, wenigſtens unter den 
Zandleuten, nicht hervorgerufen werben. Selbſt Erbauungsbücder reiche man 
nur jparfam. Bibel, Geſangbuch, Katehismus, eine Hauspoftille, ein Ges 
betbuch genügen, dazu am eheiten noch ein Mifftonsblatt.“ Dem Könige 
fheinen die Anfichten des Confiftorialratbs Münchmeyer nicht eben jo miß« 
fallen zu haben wie den Osnabrüder Beichwerbeführern; er hat, nachdem 
ihm dieſe Petition am 3. September überreicht worden, dem Herrn Münch⸗ 
wmeper vier Tage jpäter den Guelphenorben verliehen. 

2) Die Sehaltserhböhungen laſſen vielfah noch länger auf ſich 
warten, als vecht if. Bon der Gejammtzahl der 3812 Schulſtellen haben 
914 ein Einkommen von nur 80 Thlrn., 790 von 80—100 Thlen., 
307 von 100-—120 Thlem., 427 von 120—150 Thlrn., 1374 von 
150 Zhlen. und darüber. 274 Stellen haben nod einen Reijetiich. 

In Göttingen beträgt das Gehalt der Volksſchullehrer 150, 200, 
250 und 400 Zhlr. 

In Harburg beträgt das Minimum der Lehrerbeſoldungen 300 Thlr., 
das Marimum 500 Thlr. 

3) Die Wittwenkaſſen-Angelegenheit läßt, wie faſt überall, ſo 
auch hier zu wuͤnſchen übrig. Die Beiträge der Lehrer belaufen ſich auf 
2Y,, 3°, und 5 Thlr., wofür die Wittwe jährlich 13%,, 19%, und 
25 Thlr. erhält. 

4) Unter den fungirenden Hilfslehrern finden fih namentlih im 
Dsnabrüd’ihen noch mehrfah Knaben von 15 Jahren. Was folhe Bürfch: 
hen ohne alle Vorbildung zu leiflen vermögen, Tann man fi leicht vor: 
ftellen, ihr Einfluß auf die Jugend ift mitunter geradezu nachtheilig. 

5) In Hildesheim tft ein päbagogifcher Verein in's Leben getreten, 
der fih’3 zur Aufgabe geftellt kat, das Volhk zur regen Theilnahme an den 
Intereſſen der Schule heranzuziehen. In Nr. 40 der Allgem. d. Lehrers, 

. 33* 


516 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ıc. 


wird bie Bürgerſchaft als eine dem Echulwefen geneigte und der Magiftrat 
als ein lehrerfreundlicher bezeichnet. 

Es ift von den ftäbtifchen Gollegien auf eine gründliche Aenderung, 
reſp. Vervollftändigung des Schulweſens Bedacht genommen und find des: 
fallfige Anträge zum Beſchluſſe erhoben, die in naher Zeit nady höherer 
Genehmigung zur Ausführung gelangen follen. 1) Die überfüllte zehn: 
klaſſige Bürgerfchule zerfällt in zwei Abtheilungen, in melde lebtere die 
Armenfhule aufgenommen wird. 2) Die Gehalte der 16 Lehrer follen 
von 250 Thlr. bis 600 Thle. nad Verhältniß des Dienftalters und ver 
Leiſtungen eine allmählihe Regelung erfahren. 3) Die unzeitgemäße Bier: 
zeitenfammlung der Opfermänner ſoll gegen Entfhädigung aufgehoben werden. 
4) Die im Gymnafium Andreanum vereinigten Human: und Realtlafjen 
follen getrennt und in felbftftändige Human: und Nealgymnafien verwandelt 

werden. 

6) Im Fürſtenthum Oftfriesland foheint ein recht reges Con⸗ 
ferenzleben zu herrſchen. 

7) Lehrer Fr. Bartels in Göttingen bat herausgegeben: 

Geſetze, Berorbnungen und Ausſchreiben für den Bezirk des 
Königl. Confiftoriums zu Hannover, welche in Schulfahen ergangen 
find. BZufammengeitellt zum Gebraud für Lehrer, Ortsſchulbehörden, 
Kirchen: und Schulvorfteber, fowie für Kirchen-Rechnungsführer. gr. 8. 
(X und 166 ©.) Göttingen, Dieterih’ihe Buch. 1863. 

Die Schrift empfiehlt fih allen auf dem Titel Genannten durch zwed: 
mäßige Einrichtung. 


IV. Oldenburg. 


1) Die Gehaltserhböhungen, melde vor wenigen Jahren dur 
das neue Schulgefeß herbeigeführt worden find, erweiſen ſich überall als 
unzureichend, was in der immerwährenden Eteigerung aller Lebens: 
bedürfnifje feinen Grund hat. Die Lehrer find deshalb bei der Staatsregierung 
und beim Landtage um Verbefierung ver Stellen eingelommen. 

Es giebt in Oldenburg ca. 290 Stellen von unter 175—300 Thle., 
Dagegen nur 34 von 300—400 und nur 11 von 400-600 Thlr. 

2) Es macht fich jest ein beveutender Mangel an Lehrerkräften fühl: 
bar. ortwährend treten noch tüchtige Lehrer in ein anderes Fach über. 
Die nah dem Sculgejeße von 1855 erforderlihen Hilfslebrerftellen haben 
noch nicht errichtet werden können, jo daß es Schulklaſſen von 120—130 
Kindern giebt. Diele Hilfslehrerftellen find auch vacant, da deren Inhaber 
andermeit verwendet werben. 


V. Bremen 


1) Neben den ſchon beftehenden neun Staats-Freiſchulen ift in diefem 
Sabre auch eine vierftufige, aus acht Klafien beitehende Volksſchule er: 
richtet worden, in der ein Schulgeld von All, Thlr. Gold gezahlt wird. Die 
Schule befigt ein fhönes neues Haus, ausreihende Lehrmittel für alle 
Unterrichtögegenftände und, was die Hauptſache ift, tüchtige Lehrer. Daher 
war bdiefelbe auch fofort nah der Gröffnung ganz gefüllt, und es wird 








Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 517 


nicht lange dauern, fo wird auf Vergrößerung Bedacht genommen werben 
müflen. Die Staatsfhulen genießen bier ein großes Vertrauen. Ausger 
zeichnet find die mit fhönen Bäumen bepflanzten Epielpläße der Schule. 
Zu bedauern ift nur, daß dieſelben noch nicht zu einem regelmäßigen 
Turnen benußt werben; die Lehrer wünjchen damit erft zu beginnen, wenn 
ihnen der Staat eine Turnhalle erbaut bat, die im Winter geheizt werden 
kann. Da bierzu aber ca. A000 Thlr. erforberlich find, jo wird die Jugend 
wohl noch einftweilen auf geregelte Leibesübungen verzichten müffen. 

2) Bei einer Bevölterung von 67,300 Einwohnern wurden die 
biefigen Boltsfchulen 1862 von 7112 Schülern beſucht, und zwar 


a) in den kirchlichen Gemeinvefhulen von 3483 Schülern, 
b) in den concefjionirten Schulen von 1545 s 
c) in den Freifhulen von 2084 ⸗ 

Im Vergleich zum vorigen Jahre enthalten die beiden erſteren Arten 
von Schulen 33 und 35 Schüler weniger, die Freiſchulen dagegen 49 
mehr. 
3) Senat und Bürgerfhaft beabfihtigen eine Gehaltserhöhung 
aller Beamten. Bei diejer Gelegenheit werden auch jämmtlihe Lehrer, 
die an Staatsfchulen arbeiten, eine nicht unerbebliche Zulage erhalten, 

4) Das Seminar zählt gegenwärtig 36 Zöglinge. Bu den bisher 
gewährten jährlichen Unterftüßungen von 500 Thlrn. haben Eenat und 
Bürgerfhaft noch 500 Thlr. hinzugethban, um folhen Böglingen den Aufents 
halt zu erleichtern, weldhe von auswärts kommen. 

5) Oftern 1863 ift ein PBrivatfeminar zur Bildung von Leh⸗ 
rerinnen eröffnet worden, von dem man fich guten Erfolg verjpredhen 


darf. 

6) Bremen befißt jebt drei Kindergärten, die guten Fortgang 
haben. Die Vorfteherinnen derfelben verdanken ihre Bildung dem Herrn 
Köhler in Gotha. 

7) Das hiefige Landſchulweſen entmwidelt ſich langſam; aber ein 
Fortſchritt ift unverkennbar. Gut Ding will Weile haben, namentlich unter 
Berhältnifien, mie fie bier obwalten. Grfreulih ift die Zhätigfeit der 
meiften Lehrer für Beihaffung zwedmäßiger Lehrapparate, namentlich 
folder für Geographie und Naturkunde. 


VL Hamburg. 


4) Die interimijtifche Oberjchulbehörde hat dur eine aus ihrer Mitte 
dazu eingejegte Commiffion einen Gefegentmwurf für das Unter: 
rihtsmwefen ausarbeiten laffen und in gebrudten Eremplaren Behufs der 
Beurtheilung an verfchievene Pädagogen, an die Redactionen der Hamburger 
Zeitungen und der deutfchen pädagogischen Beitjchriften gefandt. Er ums 
faßt zunadit das Volksſchulweſen und das zu errihtende Seminar. 
Der Entwurf beruht auf richtigen, völlig zeitgemäßen Grundſätzen. Wird 
berjelbe in einigen unmwefentlihen Punkten modificirt und dann zum Gefeß 
erhoben, fo fiebt das Hamburger Schulmwejen einer fehr erfreulihen Ent 


widelung entgegen. 


918 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ze. 


Mer fi näher für diefen Gejeg-Entwurf interejfirt, findet einen Ab⸗ 
brud defjelben im „Beiblatt zum Hamburger Schulblatt”, Nr. 316. 
2) Der Shulmwijfenfhaftlide Bildungsverein beging am 
19. April 1863 feine 38jährige Stiftungsfeier. Derjelbe ift in ftetem 
Wachsthum begriffen und entwidelt mit jedem Jahre eine umfallendere 
Zbätigleit. Er zählt gegenwärtig I0 Ehrenmitglieder, 153 Beförberer und 
193 ordentlihe Mitglieder. Die Lebrerbildungsanftalt des Vereins zäblt 
jebt 41 Theilnehmer, welche alle Stunden beſuchen, und einige Hojpitanten 
für einzelne Lebrfäher. Die Unterrihtsanftalt für Lehrerinnen eröffnete 
Dftern 1862 ihren fechsten zweijährigen Gurfus mit 85 Xheilnehmerinnen. 
Im vorigen Winter bat fih in dem Rereine noch eine Section für 
Hamburgifhe Heimathlunde gebildet, als deren erfted Refultat eine 
Schrift von E. H. Wihmann, Vorſteher einer höheren Bürgerſchule, 
angeſehen werden kann, die unter dem Titel: 
Heimathskunde. Topographiſche, hiſtoriſche und ſtatiſtiſche Beſchrei⸗ 
bung von Hamburg und der Vorſtadt St. Georg. Hamburg, W. 
Jowien. 1863. 

erſchienen iſt. 

Die Section beabſichtigt, in nächſter Zeit zur Förderung ihres Zmedes 
gedrudte Fragebogen an diejenigen Bewohner zu fenden, welche ihr befon- 
ders geeignet erjcheinen, um über einjchlagende Verhältnifie Auskunft zu 
geben. 

Mit wachſendem Intereſſe find auch alle übrigen Zmede des Vereins 
verfolgt worden. In feinen 30 Jahresſißungen find die mannicfadhften 
Gegenftände des Unterrihtd und der Erziehung unter ftets zahlreiher Be⸗ 
tbeiligung eingebend beiprochen worden. Die naturhiftoriihe Sammlung 
und die Bibliothek find vermehrt worden und werden ſehr fleißig benugt. 

Die Feltrede bat diesmal Herr H. Hahn gehalten. Cr verbreitet 
ih darin in fehr anſprechender Weife über den Verein ſelbſt. „Gott hat 
ihn, jagt er, wachſen, blühen und gedeihen lafien und ihm die Buneigung 
und thätige Unterftüßung von Lehrern und andern Freunden des Schul⸗ 
weſens zugewendet; der Zwede wegen, die er verfolgt, des Geiſt es wegen, 
der ftet3 in ihm geberrjht hat, und der Thätigkeit wegen, bie er un: 
aufbörlid entfaltet bat.” „Seine Mitglieder find in ihrer Mehrzahl be 
jeelt gewejen von heiliger Liebe zur Wahrheit, von frifher Luft zum Por: 
wärtsftreben und freundfchaftliher Zuneigung zu einander.” — „Er bat 
den oft ziemlich mwohlfeilen Ruhm der Gutgefinnten ſtets in dem Falle vers 
ſchmäht, wenn er ihn fich erwerben mußte dur die Annahme der Prille, 
wie fie von dieſer oder jener die Gewalt habenden Richtung wohl den Men: 
fhen aufgedrungen zu werden pflegt; er wollte das Erſtgeburtsrecht denten: 
der Geifter nicht um das Kinfengeriht der Gunſt verlaufen. Die in ihm 
vereinigten Strebenden mochten keine ihnen fir und fertig gegebene Wahr: 
beit; fie wollten die Dinge nicht in der Geftalt fehen, wie fie follten, fon: 
dern mie fie konnten. Sie erlannten zu wohl, daß eine fo ohne Weiteres 
angenommene und nachgeſprochene Wahrheit für den Betreffenden eben keine 
it, fondern nur Wort und Schall, daß wirkliche Wahrheit, d. b. feſtbegrün⸗ 
dete Ueberzeugung, fih nur im Schweiße des Angefihts erringen läßt, 











Die aͤußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 519 


dann aber auch mit himmliſcher Freude lohnt. Darum haben fie redlich 
gelernt, geforfht und geprüft.“ 

Den „Kahresbericht” hat der bisherige Praͤſes bes Vereins, Herr 
Johs Halben, geliefert. Er orientirt trefflih über die Gefammtthätig: 
feit deſſelben, und enthält auch fonft manche beachtenswerthe Bemerkung. 

Zur Zeit kenne ich feinen deutfchen Lehrerverein, der ſich mit dem 
Hamburger ſchulwiſſenſchaftlichen Bildungsverein meſſen könnte, oder ihn gar 
überträfe: fein großes Verdienft um feine Mitglieder und um das gefammte 
Hamburgiſche Schulmefen ift zweifellos; ich kann daher nicht unterlaflen, 

ihm meine höchſte Achtung zu zollen. 


VII. Lübed, 


1) Die Landſchullehrer Lübeds haben an die Bürgerfchaft 
Lübed3 die Bitte gerichtet, diefelbe möge den Eenat um Beförderung ber 
Arbeiten für die Reform des Schulwefens auf dem Lande dringend erfuchen. 

2) Ueber das Schullehrer-Seminar finden fih in Wr. 22 und 
23 der „Lübediihen Blätter“ von 1862 zwei Artilel, von denen der 
erfte eine Menge Shmwädhen dieſer Anftalt aufvedt, der andere einige ber: 
jelben zu mildern fucht, der Direction aber doch aud den Vorwurf macht, 
daß fie nicht ein beftimmtes Maß von Vorkenntniſſen fordere und keinen wohl- 
abgemefjenen Lehrplan befolge. Es werde, meint der Verf., zu viel ;,ges 
müthlih abgemacht“, zu fehr die „Politit der freien Hand’ angewandt. 


VIII. Braunſchweig. 


Sn der Stadt Braunſchweig find ſänmmiliche ordentliche Ge 
meindeſchullehrer, ausſchließlich des Direktors und der Inſpectoren der 
nördlichen und ſuͤdlichen Buͤrgerſchule, in 6 Gehaltsklaſſen getheilt und die 
Gehalte dieſer verſchiedenen Klaſſen in der Weiſe beſtimmt, daß bie ünterſte 
Klaſſe mit einer Dienſteinnahme von 250 Thlrn. beginnt, jede folgende 
Klaſſe aber um 50 Thle. gegen die zunächſt vorhergehende fteigt, die oberfte 
Klaſſe alfo mit einem Gehalte von 500 Thlen. ſchließt. Außerdem follen 
die Lehrer ver unterften beiden Gehaltstlafien neben dem Klaſſengehalte nad 
drei Jahren einmal eine Zulage von je 25 Thlm. erhalten. Bei Benfio: 
nirungen kommt fofort das volle Gehalt der betreffenden Stelle wieder zur 
Verwendung. 

Nach Abrechnung von Braunſchweig und Wolfenbüttel bleiben im 
Herzogthume noch 13 mit Bürgerſchulen verſehene ſtädtiſche oder Fleden⸗ 
gemeinden, in denen die Lehrergehalte nah Maßgabe der betreffenden or: 
Schriften des Gefeges vom 7. September v. J. normirt find. Die Lehrer 
diefer Gemeinden find, ausschließlich der Dirigenten, in drei Gehaltsklaſſen 
getheilt, von denen eine jede bei einer durch drei theilbaren Lehrerzahl eine 
gleihe Anzahl von Mitglieven erhält. Ein bei der Theilung durch drei 
bleibender Reft mwirb den höheren Gehaltsclaflen eingeordnet. Bon den 
82 Lehrern diefer Stadt» und Fledengemeinden gehören 32 der :oberften 
(350—400 Thlr.), 28 der mittleren (250-300 Thlr.) und 22 ver niebs 
rigften Gehaltsklaſſe (175—200 Thlr.) an. Die Entfhädigung für Amts: 
wohnung ift bei obigen Gehaltsſäten nicht eingerechnet. Die Zulagen, 





520 Die Augern Angelegenheiten der Volksſchule ic. 


welche in Folge des Geſetzes den ftäptifchen Lehrern zu Theil werben mußten, 
betragen zufammen die Summe von 1205 Thlen., welche jevod durch bie 
Liberalität mehrerer Gemeinden um 295 Thlr. vermehrt worden ift. Dem: 
nad ift im Durchſchnitt das Ginktommen des einzelnen Lehrers durch die 
gejeblihen Aufbeflerungen um etwas mehr als 18 Thlr. jährlich verbefiert 
worden. In naͤchſter Zeit dürfte ſich ein günftigeres Reſultat herausftellen, 
weil das Geſetz in allen drei Gehaltsklaſſen Dienftalterszulagen beftimmt, 
von denen nur erft ein geringer Theil im laufenden Sabre fällig geworben ift. 
Unter den 82 Bürgerfchullehrern befinden fi 38, welche neben dem 
Schulamte aud einen Kirchendienft bekleiden. Das daraus fließende Ein: 
lommen wird, mit Ausnahme von 10—15 Thlren., bei Feſiſtellung des 
Gehaltes mit in Anrechnung gebracht, was wir etwas hart finden. 


IX. Königreih Sadfen. 

1) Das für die Lehrer am Gymnafium, den beiden Realihulen und 
den öffentlihen Bollsjhulen entworfene und vom Kultus: Minifterium ge 
nehmigte Benfiondregulatin ift publicirt worden. Die Beiträge der 
Lehrer zur Penſionscaſſe betragen 1 Brocent bei einem Gehalte bis 
500 Thle. und 1%), Procent bei einem Dienfteinlommen von 500— 
3000 Thlrn. Die zu gewährende Penſion richtet fih nach dem Dienftalter 
des Emeritus, fo daß 5. B. bei 1-—15 Dienftjabren 1/s, bei 35 —40 Dienft- 
jahren °/, des Gehaltes und bei mehr als 50 Dienftjahren das volle Ge 
halt als Benfion gewährt wird. Kigenthümlich ift die Beftimmung (8. 18), 
nad welder der Stadtrat) dem Cmeritus „eine Anftellung im ftädtifchen 
Dienfte mit einem ber Penfion gleichlommenden Dienfteinlommen über- 
tragen‘ und im Falle der Weigerung des PBenfionärs demjelben die Penſion 
gänzlich entziehen kann, wenn die vorgejeßte Eonfiftorialbehörbe die Meigerungs: 
gründe als unftatthaft verwirft. Es ift in Goncreto nicht gejagt, melde 
Gründe etwa als ftatthaft angejehen werben jollen, ebenjo wenig, melder 
Art diefe „Anftellungen im ftädtifhen Dienfte fein werden, und es ift 
daher natürlih, daß die fragliche Beſtimmung zu manderlei Bejorgnifien 
Anlaß giebt. (Allgem. d. Lehrerz. Nr. 8, 1862.) 

2) Der Verein jähfifcher Lehrer zur Gewährung einer PBenfions: 
beibilfe an emeritirte Lehrer zählt 1859 Mitglieder. Die Ein- 
nahme an Eintrittsgeldern betrug 415 Thlr., an Jahresſteuer 3439 Thlr. 
und an Gapitalzinfen 622 Thlr. 915 Mitglieder zahlen jährlih 1 Thlr., 
491 Mitgliever 2 Thle., 350 & 3 Thle. Die gewährten Benfionsbei: 
bilfen beliefen fih auf 1501 Thlr. Bon den 44 Emeriti erhalten 33 je 
50 Zhle. jährlid und 11 eine geringere Quote. Der Fonds beträgt 
18,200 Thlr. 

3) Die ftädtifhen Behörden zu Chemnig haben auf ihr Gejuh um 
Einführung einer dem jugendlihen Alter angemefjenen Schulbibel von 
der NKreisdirection einen abjhläglihen Beſcheid erhalten und merden ſich 
nun an das Minifterium wenden. Bergeblihe Mühe! 


X. Sahfen:Ültenburg. 


Durh das neue Schulgefeß find die Bejolpungsverhältniffe 
folgendermaßen geregelt worden: 








Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 521 


Die Lehreritellen auf dem Lande find in drei Klaſſen eingetheilt. Die: 
Stellen erjter Klaſſe dürfen nicht unter 260, die der zweiten nicht unter 
230, die der dritten nicht unter 200 Thlr. betragen, wobei überall noch 
freie Wohnung zu gewähren ift. Cmeriti haben auf mindeſtens die Hälfte 
und höchſtens 2], des Gehalts Anfprud. 


XI Die Fürftenthbümer Neuß. 


In Gera it das Gehalt der Volksſchullehrer folgendermaßen ge⸗ 
feßlih beftimmt worden: 

Der Minimalfag des Gehalts von Lehrern beträgt auf dem Lande, 
außer freier Mohnung, je 160 Thlr., in den Marltfleden und kleinern 
Städten je 200 Thlr. rejp. 240 Thlr., das Gehalt der Oberlehrer je 
300 reip. 400 Thlr. Außerdem gewährt der Staat jedem Lehrer nad 
Gjähriger Dienftzeit eine Alterszulage von 20 Thlen., die nach 6 Jahren 
allemal um 20 Thlr. erhöht wird. In Anfehung der Benfionirung der 
Lehrer find die Grundfäge des Staatsvienergefeßes auch auf biefe über: 
fragen. 


XI Sadhfen:Weimar:Eijenad. 


1) Auch in Weimar hat man die Erfahrung gemadt, daß fih junge 
Leute nicht mehr fo vielfach dem Lehreritande zumenden, als fonft, und des» 
halb nit nur auf BVerbeflerung der Stellen Bedacht genommen, ſondern 
fie auch dadurch zu gewinnen gefuht, daß man mit dem Seminar nod 
eine VBorbereitungsclaffe mit zmweijährigem Curſus in Verbindung 
gebracht hat. Dies wird fich gewiß als ganz zwedmäßig ermeijen, da die 
jungen Leute die Zeit vom Austritt aus der Volksſchule bis zum Eintritt 
in das Eeminar felten gut zu verwenden wiſſen und in berfelben leicht zu 
andern Berufsarbeiten übergehen. 

2) Tas Seminar in Eiſenach hat einen neuen Director, Eberhard, 
erhalten und hat dabei mannichfache Veränderungen in feiner Organifation 
erfahren. 

3) An der Stadtichule zu Jena betragen die Befoldungen nad 
dem neuen Statut: 170, 190, 200, 230, 250, 280, 300,:330, 350 Thlr. 
Der Director bezieht 560 Thlr.; der Turnlehrer für die Knaben wird mit 
50 Thlen. jährlich bejolvet. 

4) Das Turnen ift jet allgemein eingeführt. 

5) Den Eltern ift geftattet worden, ihre Kinder erft mit dem 7. Jahre 
der Schule zuführen zu dürfen. 


XII. Sachſen-Coburg-Gotha. 


Unterm 1. Juli 1863 ift für das Herzogthum Gotha ein Schulgejeß 
erlaffen worden, welches eine Neugeftaltung des gefammten Volksſchulweſens 
zum Bmede bat. 

1) Die Ausbildung der Voltsfhullehrer erfolgt in dem neu 
organifirtten Seminar zu Gotha, zu deſſen Director Dr. 8. Schmidt 
aus Cöthen berufen worden ift. Der Cintritt in daſſelbe kann nicht vor 
dem vollendeten 16. Lebensjahre erfolgen. Bedingung für die Aufnahme 





522 Die äußern Angelegenheiten der Vollsſchule x. 


in das Eeminar it Gymnafial:Borbildung und zwar wminbeftens die 
Reife für die Secunda des Gymnaſiums oder die Reife für die Prima des 
Progymnafiums in Ohrdruf over in ein der Höhe diefer Forderung gleich⸗ 
ftebendes Gramen. Zu den bereits auf dem Gymnaſium bebandelten Lehr 
ftoffen (mit Ausihluß der fremden Epraden) treten mindeflens in den 
Eeminar:Unterridt nod ein: RPädagogik und Geſchichte verjelben, Antbro 
pologie und Pſpchologie, Literaturgeihichte und Mufil. 

2) Gemeinden, welde bei Grledigung ihrer Schulſtellen mindeftens 
jeit 5 Jahren keinerlei Staatsbeiträge zu dem ihnen obliegenden Aufwande 
für ihr Schulweſen bezogen haben, baben die Befugniß, ihren Lehrer zu 
wäblen, vorbehältlih jedoch des Patronatrehts. Haben die Gemeinden 
aber Staatsbeiträge erhalten, fo bejeßt die Etaatöregierung die erledigte 
Etelle. 

Die erite Anftellung in einem Schulamte erfolgt in ber Regel provi⸗ 
ſoriſch; das Proviforium darf jevody den Zeitraum von zwei Jahren nicht 
überfcreiten. 

Der Unterriht der Kinder der drei erften Schuljahre kann einer 
Lebrerin übertragen werben ; ihre Anftellung erfolgt durd das Staatsmini⸗ 
ſterium nad vorgängiger Prüfung ibrer Befähigung. 

3) Die den Lehrern zu gewährende Beſoldung foll mindeftens 
jährlih betragen: 

A) für widerruflich Angeftellte: 

a) 150 Thlr. umd freie Wohnung oder entſprechende Entſchädigung 
für alle Bicare und Hilfslebrer; 

b) 175 Thle. und freie Wohnung oder entſprechende Entſchaͤdigung 
für alle proviſoriſch angeftellte Lehrer; 

B) für unmiberruflih Angeftellte: 
a) an Landſchulen mit 50 oder weniger Schülern: 

200 Thlr. und freie Wohnung bis zum Ende des 5. Dienftjahres; 

230 =: = : s vom Anfang des 6. bis zum Ende des 10. Dienfl- 
jahres; 

2600 = =: » s vom Anfange des 11. bis zum Ende des 15. 
Dienftjabres ; 

290 s =: s s vom Anfang des 16. Dienftjahres an; 

b) an Landſchulen mit mehr als 50 Schülern (einſchließlich der Schulen 

in den Städten Friedrichsroda und Bella): 

200 Zblr. und freie Wohnung bis zum Ende des 5. Dienftjahres; 

240 = = =: ⸗ vom Aufang des 6. bis zum Ende des 10. 
Dienſtjahres; 

280 = =: : ⸗ vom Anfange des 11. bis zum Ende des 18. 
Dienſtjahres; 

320 = =: =: ⸗ vom Anfange des 16. Dienfljahres an; 

c) an den Schulen in den Städten Gotha, Ohrdruf und Waltershaufen: 


250 Thlr. bis zum Ende des 5. Dienftjahres; 
500 =: vom Anfang des 6. bis zum Ende des 10, Dienftjahres ; 








‚Die augern Angelegenheiten der Bolkafchule ꝛc. 523 


350 Thlr. vom Anfang des 11. bis zum Ende des 15. Dienftjahres; 
400 : 3 ⸗ = 16. Dienſtjahres an. 

4) Die Lehrer find verbunden, die Functionen als Kirchner, Gantoren, 
Organiften und Borfteher der Choradjuvanten in denjenigen Ortfchaften auch 
ferner zu übernehmen, in welden die Verbindung diefer Functionen mit 
der Schulftelle herkömmlich ift. 

5) Jeder Lehrer ift verpflichtet, wöchentlih bis zu 30 Lehrftunven zu 
halten. Die zu ertheilenden Turnftunden find in diefer Zahl nicht mit 
begriffen. 

6) Die Verbeirathung der Lehrer ift von der Erlaubniß des Staats: 
minifteriums abhängig. Dieje kann nur verfagt werden zur Vollziehung 
der Che mit einer übelberüchtigten Srauensperjon, fo mie bei offenbarer 
Unzulänglichleit der Mittel zur Ernährung einer Familie. Lebtere ift als 
vorhanden zu betrachten, wenn der Lehrer an Gehalt auf dem Pande ein 
Jahreseinfommen von 200 Thlrn. und freier Wohnung, in den Städten 
von 300 Thlrn. nicht aufjumeifen vermag. 

7) Der Ruhegehalt ver Lehrer befteht bei 10 und meniger Dienft: 
jahren in 40 Procent der Bejoldung; für jedes weitere, auch nur begons 
nene Dienftjahr wird der Ruhegehalt um 11, Procent des Dienftgehaltes 
bis zu deflen vollem Betrage erhöht. 

8) Die bisherige Beauffichtigung der Schulen durch den Ortsgeiſt⸗ 
liben hat aufgehört; an die Stelle derfelben treten Gemeinde: und Staats⸗ 
behörden. 

Der Gemeinde: Shulvorftand wird in Land ul: Gemeinden 
aus dem Drtsfchultbeißen, dem, oder wo mehrere vorhanden find, den 
erften Ortsgeifllihen, dem oder den Ortöfchullehrern und aus foviel Schul: 
pflegern, als Echullehrer im Schulvorftande fißen. In den Städten be 
fteht der Schulvorftand aus dem Senator für das Schulwejen, aus zwei 
von dem Stadtverorbneten-Collegium aus der Mitte der Gemeinde auf drei 
Fahre gewählten Schulpflegern, aus dem erften Ortsgeiftlihen, aus dem 
oder einem der Directoren der ftädtifhen Schulen und aus einem ber 
ftäptifchen Lehrer, welcher non jämmtlihen unmiberruflih angeflellten ſtäd⸗ 
tiſchen Lehrern des betreffenden Schulbezirts aus ihrer Mitte auf 3 Jahre 
gewählt wird. 

Der Vorſitzende des Echulvoritanded wird von den Mitgliedern nad 
relativer Stimmenmehrheit auf 3 Jahre gewählt. 

Zur Aufgabe des Schulvorftandes gehören alle äußeren Angelegen: 
heiten, die Ueberwachung des Schulbeſuchs, Etreitigleiten der Lehrer unter 
fih oder mit den Eltern der Rinder, Weberwahung der Berufdtreue ber 
Lehrer, jo weit diejelbe nicht der befondern Cognition der Bezirksinfpectoren 
unterliegt. 

Die Auffiht des Staates über die Vollsihulen in Bezug auf 
Erziehung und Unterriht wird durd Schulinfpectoren ausgeübt, welche von 
der Staatdregierung ernannt und aus ber Neihe der praktiſch geübten Schul; 
männer entnommen werden. Zu diefem Zmede ilt das Land in 8 Schul: 
bezirte eingetheilt worden. 


324 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 


Der Seminarbirector ift Schulrath und als foldher technifcher Beirath 
des Staatsminilteriums. 

Die Functionen der Schulinfpectoren find näher bezeichnet; zu den⸗ 
felben gebört auch das Abhalten von regelmäßigen Conferenzen mit den 
Lehrern. 

Die Schulinfpectoren werden jährlich mindeſtens einmal durch das 
Etaatsminifterrum zu einer Gonferenz zufammenberufen. Sie berathen 
unter dem Vorfige des Schulrathes das Schulweſen des ganzen Landes. 

Die vorftehenden Beſtimmungen bilden nur einen kurzen Auszug aus 
dem Volksſchulgeſetze. Wer dafielbe ganz einfehen kann (es wird dem Buch: 
handel übergeben werben), der wird die Ueberzeugung gewinnen, daß e3 
eins Der beiten ift, die wir jept baben. Wird es in dem freien Geifte ge- 
bandhabt, in dem es erlaflen ift, fo wird es fiher die mohlthätigften 
Folgen auf die Entwidelung des ganzen Volksſchulweſens ausüben. Biel 
verfpreden wir uns namentlih von der angeordneten Beaufjihtigung der 
Schulen durch Sacverftändige.e Der gothaifhen Regierung gebührt der 
Ruhm, in diefer wichtigen Schulangelegenheit vorangegangen zu fein. 


XIV. Die Lippefhen Fürftenthümer. 


Den Lehrern des Fürjtenthums Schaumburg-Lippe ift eine Theurungs: 
Zulage bis zu 30 Thlrn. jährlih bewilligt worden. 

Einem ter Lehrer war vom Confiftorium eine Zulage von 10 Thlm. 
jährlich bewilligt worden; der Fürft erhöhte diefe Summe beim Borlegen 
des Etats eigenhändig auf 46 Thlr. 

Die Schaumburg:?ippe’ihen Lehrer rühmen außerdem die humane Be- 
bandlung, deren fie fih namentlih von ihren höchſten Vorgejegten zu ers 
freuen haben. 


XV. Meiningen:Hildburghaufen. 


Mit dem Jahre 1863 ift das Gefeß über die Verbejferung des 
Dienfteintommens der Volksſchullehrer in’s Leben getreten. 
Hiernach beträgt, je nah der Einwohnerzahl in den Städten, der Minimal: 
gehalt der Rectoren 500—800 fl., der übrigen Lehrer 300--500 fl. und 
auf dem Lande, ebenfalld nah Maßgabe der GSeelenzahl, 225 —350 fl. 
Außerdem find die Benfionen der Lehrerwittwen durch die Errid- 
tung einer allgemeinen Wittwenkaſſe an der Stelle der verſchiedenen bisher 
beitandenen Inſtitute bis zu 75 fl. geltiegen, während früher die meiften 
Wittwen nur 18—20 fl. jährlich erbielten. 


XVI Rurbejjen. 


1) Das Minifterium bat eine Commilfion zur Entwerfung zweier 
Shulordnungen ernannt, beftebend aus den Inſpectoren Bezzenberger, 
Glemen und Rötb, den Pfarrern Schember und Baumann (früher Semi: 
narbirector), dem Rector Schilling und dem Boltsfchullehrer Riemann. 
Bei Feſtſtellung der- eigentlihen Principien foll eine Einigung nicht erzielt 
worden fein. Sonjtige Vorſchläge der Commiſſion enthält Nr. 49 der 








Die Außern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 525 


Kurheſſiſchen Schulzeitung von 1862. Wir werben diefelben erft mit: 
tbeilen, wenn fie wirklich zum Geſetz erhoben worden find. 

Eine Heine Anzahl „kirchlich gefinnter Lehrer und Schulfreunde” hat 
in Nr. 65 der Hefienzeitung „Zeugniß gegen die Widerjacher nieder: und 
oberbefiiiher Schulordnungen“ abgelegt, da fie in dem Verlangen nad 
einer neuen Schulorpnung ein „Smancipationsgelüft erblidt, welches der in 
die Kirche eingevrungene Nationalismus und die Beltrebungen ber mober: 
nen Pädagogen erzeugt haben.” Schade, daß dieſe guten Leute nicht mit 
Joſua ausrufen können: „Sonne, ftehe ſtill!“ 

2) Die 9 ftädtijchen Lehrer in Zulda find in 4 Gehaltsklaſſen ge- 
bracht worden; darnach erhalten: 2 Lehrer in der I. Gehaltstlafle von 
38 und 39 Dienftjahren jever 3355, Thlr., 2 Lehrer in der IL. Gehalts: 
Hafje von 33 und 35 Dienftjahren jeder 3074, Thlr., 2 Lehrer der III. 
Gehaltsklaſſe von 25 und 26 Dienftjahren jeder 2642), Thlr., 8 Lehrer 
der IV. Gehaltsklaſſe von 7, 16 und 21 Dienftjahren jeder 2213), Thlr. 
Gehalt. 

Hiervon werden für fchlechte, zu hoch angefchlagenene Dienftwohnungen 
nad den A Klaſſen abgezogen: 40, 342,, 281/,, 228, Ihle. 

Sn diefem Einkommen ift noch eine Theuerungszulage enthalten, 
welde die Regierung zahlt. Wenn man bedentt, daß Fulda eine Stabt 
von 10,000 Einwohnern ift, fo find diefe Gehalte fehr gering. 

Sn Hersfeld, einer Stadt von 6—7000 Einwohnern, find die Be 
foldungen folgendermaßen: A) Bürgerfchule, mit 6 Lehren: 500, 277, 
260, 225, 250, 250 Zhlr.; Mäpchenjchule, mit 5 Lehrern: 250, 250, 
250, 189, 160 Thlr. B) Freifhule: 228, 200, 144, 144 Thlr. 

In diefen Summen find ebenfalld mehrfach perſönliche Zulagen enthalten. 

Ebenfo unzureichend find die Befoldungen in Rinteln. 

3) Kurheſſen zählt 168 zu unterftügende Lehrermittmen; die zu 
verwendende Summe beträgt 600 Thlr.; von 40 Wittwen erhält jede 5, 
von 128 jede nur 4 und 3 Thlr, 

Das ift mehr als dürftig. 

4) Das Verbot gegen die Allgemeine deutſche Lehrerverfammlung 
ift endlich zurüdgenommen worden. 


XVU. Großherzogthum Heffen. 


1) In der Provinz Oberhefien giebt e3 einen Ort, in dem ber Lehrer 
235 fl. Einnahme hat, ver Schäfer dagegen 300 fi. 

Das ift ein frapanter Fall. 

2) Auf Veranlafjung der Kammern ift die Regierung jebt ernſtlich be⸗ 
mübt, alle Schulftellen, deren Einkommen fih nur auf 200 fl. beläuft, auf 
mindeltend 225 fl. zu erhöhen. 

3) Im Rreife Großgerau haben von 61 Scäulftellen 13 zwiſchen 
300 und 400, 11 zwiſchen 400 und 500, 5 zwiſchen 500 und 600, 
1 zwiſchen 600 und 700, 1 zwiſchen 800 und 1000 fi. Einnahme. 

Sm Kreife Dieburg find von 113 Scdulftellen nur 21 Minimals 
fielen, die übrigen ertragen zwiſchen 225—-730 fl. 








526 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule zc. 


4) Bom 1. April ift eine Erhöhung der Wittwen: und Waifen- 
penjion auf jährlih 90 fl. eingetreten; dieſelbe jo in Kürze auf 100 fl 
geiteigert werben. 

5) Bei den lebten Aufnahmeprüfungen im Seminar zu Fried 
berg maren über 100 Aumeldungen und darunter viele Lehrerſöhne, 
während nur 21 Aufnahme finden konnten. 

6) Das Großberzogtbum hat zur Beit 1810 öffentlihde Schulen, 
nämlih 1790 Volksſchulen, 2 Seminarien, 12 Realſchulen, eine höhere 
Gewerbſchule, 6 Gymnafien. An diefen Schulen find 1971 Lehrer ange 
ftellt und unter ihnen 1800 Volksſchullehrer. 

7) Ueber vie Leitungen im Seminar zu Friedberg enthält Nr. 85 der 
Allgem. d. Lehrerz. von 1862 einige Mittheilungen, die auf mandherlei 
Mängel jchließen laſſen. 

3) In Mainz herrſcht Unzufriedenheit mit dem Buftande der dortigen 
Volksſchulen. ‚Der Gemeinderatb Schneider , melder die Sache in 
Anregung gebracht, bat, auf vollftändige Belege geflüßt, nachgewieſen, 
wie der mangelhafte Bildungszuftand der Kinder aus der Volksſchule ber 
Art fei, daß fogar Die Gemwerbefhule ihr Wirken verlümmert fieht, da fie 
genöthigt ift, die mangelnden nothwendigen Clementarfenntnijje bei ven 
Schülern der Volksſchule ſtets nachzuholen. Aber nicht die Lehrer Hagt 
man an, der Geift, welcher die Volksschule beherrſcht, ift die Quelle des 
Uebels. Die Lehrer find bei der Bevormundung, unter mwelder fie fteben, 
gehindert, das zu leiten, was fie unter bejjern Berhältniflen leiften könnten, 
Am Morgen in der Frühe werden die Kinder genöthigt, eine ftille Meſſe 
in der Kirhe anzuhören, um im Winter die Kälte, im Sommer wenigftens 
die Langeweile gründlid lennen zu lernen. Der Gemeinderathb hat eine 
Commiffion zu genauer Unterfuhung der Sache beſtellt.“ (Allgem. d. 
Lehrerz. Nr. 25, 1862.) Diefe Commiffion ſchlaͤgt vor, „vie bisherige 
Trennung der Scullinder nah den verſchiedenen Pfarrfhulen aufzugeben, 
dagegen die fämmtlihen Kinder zu fondern nah Alter und 
Fähigkeit, um die gleihartigen in einer Klafje zu vereinigen und eine 
auffteigende Stufenfolge des Unterrihts zu ermöglichen.” (Ebendaf. Nr. 27.) 

Diefe ganze Angelegenheit bat einen jehr unerquidlihen Streit in den 
Mainzer Localblättern hervorgerufen und ift auch PVeranlafjung zum Ab» 
fallen von felbftftändigen Schriften geworden. Was mir vom Elerikalen 
Standpuntte aus davon in die Hände gelommen (einige Artikel im Mainzer 
Abendblatt und „vie Schulfrage im Großherzogthum Hefien’), ift völlig un- 
befriedigend und madt in höchſt unangemefjener Weije PVerjönlichleiten und 
einzelne Ausprüde derfelben zum Mittelpuntt. Die Bremifhen Schulvers 
bältnifje, die bei dieſer Gelegenheit mit herangezogen worden find, baben, 
wie mehrere Citate aus dem „Pädagogifhen Jahresberichte”, eine ganz 
falfhe Auffaffung erfahren. Mas man in der Stadt Bremen „Kirchſpiel⸗ 
ſchulen“ nennt, find nicht Pfarrfchulen, jondern reine Gemeindeſchulen. 

Ich bin augenblidlih nit über den gegenwärtigen Stand der Ans 
gelegenheit in Mainz unterrichtet, nehme aber an, daß fie im Einne des 
Commiffionsantrages wird entidhieben werden. Mainz wird fein Volks⸗ 
ſchulweſen nie zu der erwünjhten Blüthe bringen, wenn es nicht durch⸗ 








Die Außern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 527 


gängig Communalſchulen einrihtet, diefe nah den Grund: 
fäben der modernen Pädagogik organifirt, mit tühtigen 
Directoren verfieht und jämmtlihe Volksſchulen unter die Aufſicht 
eines den Stadtbehoͤrden verantwortlihen Schulraths ftellt. 


XVII. Naſſau. 


Die Penfionirung der Lehrer und Bezüge der Wittmen und Waifen 
find folgendermaßen geregelt worden. 


1. Benfion der Lehrer. 1) Die Penfion kann erft wegen fürs 
perlicher oder geiftiger Untauglichleit zur Berjehung des Dienſtes und muß 
mit dem zurüdgelegten 70. Dienftjahre erfolgen. 2) Die Penfion beträgt 
vom zurüdgelegten 5. Dienftjahre die Hälfte der Befoldung und fteigt vom 
15. an mit jedem weiteren Dienftjahre um Ar. des Gehalts. 3) Die 
Dienftzeit wird nicht früher ald vom 21. Lebensjahre an gerechnet. 4) Das 
Recht eines penfionirten Dieners auf Penfion erliiht, wenn derſelbe fich 
weigert, eine Anftellung mit dem früheren Gehalte und Range anzunehmen, 
oder wenn er in den Dienft eines anderen Staates tritt. 5) Die Gemeinde 
bat einen nah dem Stande des Penſionsfonds und nad) dem Steuer- 
fimpel der Gemeinde berechneten Beitrag zu liefern. 


2. Penfion der Relilten der Elementarlehrer. 1) Die 
Wittwe des Clementarlehrers erhält !/,; und die Kinder erhalten !/,, der 
Beſoldung des Verſtorbenen; die Knaben bis zum 16. und die Mädchen 
bis zum 14. Lebensjahre. 2) Nah erfolgter definitiver Anjtellung hat 
der Lehrer fofort 25 Sl. und ferner einen jährlichen Beitrag von 1 Procent 
feiner Befoldung zum Reliltenfonds zu bezahlen. 3) Die Gemeinde leijtet 
einen nad dem Stande des Reliktenfonds und dem Öteuerfimpel der Ges 
meinde berechneten Beitrag. 


3. Sterbelaffe. 1) ever Lehrer liefert zu dieſer Kaſſe einen 
jährlihen Beitrag von 1 Fl. 36 fr. 2) Den nädften Angehörigen fallen 
dafür 75 SI, (jpäter mehr) Leichenkoftenvergütung zu. 


XIX. Baden. 


1. Baden bat einen Oberfhulrath zur Leitung feines Schul⸗ 
wejens erhalten, wie die Partei, welche einen vernünftigen Fortſchritt 
will, nur wünfhen kann. Die landesherrlihe Verordnung darüber lautet: 
Zur Beauffihtigung und Leitung des Schulweſens wird eine Central: 
Mittelbehörde, die dem Minifterium des Innern unmittelbar untergeordnet 
ift und den Namen „Oberſchulrath““ führt, errichtet. In ihren Wirkungs⸗ 
kreis gehören: die Befugnilje hinfichtlih der Volksſchulpfründen, des Dienſt⸗ 
einfommens der Volksſchullehrer und der Oberauflicht über die Verwaltung 
der örtlihen Schul-, Landes und Diftrictfonds, die Verwaltung des allges 
meinen Schullehrer: Wittwen: und Waifenfonds und der Unterftüßungstafie 
für Wittwen und Waifen der Volksſchullehrer; die Aufjiht und Verwal⸗ 
tung der Kafjen der höheren Bürger: und Gelehrtenfhulen. Die oberften 
tichlihen Behörden des Landes können Pertreter bezeichnen, welche ber 





528 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule zc. 


Schulrath zu feinen Berathungen zuziehen wird, fo oft es fih um Fragen 
des religiöfen Unterrichts und deſſen Verbindung mit dem Lehrplan handelt; 
für die Erörterung wichtiger allgemeiner Fragen im Unterrichtsweſen, ins 
beſondere bei der Vorbereitung von Eeſetzen und Verordnungen, wird bei 
Oberſchulrath das Gutachten von Beiräthen aus der Zahl der Lehrer des 
Landes hören. Der Oberſchulrath ift befugt, aud andere Sachverſtändige 
beizuziehen. 


Sn den Oberſchulrath wurden ernannt: Prof. Dr. Knies a. d. Uni: 
verfität Freiburg zum Director des Oberſchulraths, und zu Mitgliedern: 
Oberkirchenrath Launis in Karlsruhe; Prof. Dr. Frick, Vorſtand der 
höheren Bürgerſchule in Freiburg; Brof. Gruber, Vorftand der böhern 
Bürgerfhule in Baden; G. F. Pflüger, Borftand der höhern Töchter: 
Ichule in Pforzheim. und U. Armbrufter, evangeliſcher Pfarrer in Kurzell. 
Prof. Gruber und Pflüger gehörten dem Volksſchullehrerſtande an. 


Als eine jehr erfreuliche Arbeit des Oberſchulraths ift das Programm 
der bevorftehenden Schulreformen anzujehen, welches der Director des Ober: 
ſchulraths dem Minifter des Innern vorgelegt hat. Wir werden im nädjten 
Bande darauf zurückkommen. 


2. Das Wittwengehalt iſt auf 75 Fl., das für ein Kind auf 
15 31. jährlih erhöht worden. 


3. Eine mit zahlreihen Unterjhriften verſehene Petition achtbarer 
Bürger Mannheims wurde der Ständelammer vorgelegt, dahin lautend: 
1) daß womöglid noch dem gegenwärtigen Landtage ein neues Volks- 
ſchulgeſetz vorgelegt werde; 2) daß dieſes Gejeß die Trennung der 
Schulen nah Confeſſionen im Grundſatze aufbebe und die Ein: 
führung von Communalſchulen in jeder Weiſe begünftige; 3) daß 
das Gejeß den politiſchen Gemeinden den ihnen gebührenden Antbeil 
an der Verwaltung der Schulangelegenbheiten, namentlich vie 
freie Wahl der Ortsjhulvorftände und die Mitwirkung zur 
Wahl der Lehrer zumeife; 4) daß das Geſeß für eine augreihende 
Bildung der Lehrer in confeljionell gemischten Anftalten und für eine 
wirkſame materielle Befjerftellung der Lehrer Sorge tragen 
möge; 5) daß das Geſetz die allgemeine Einführung methodifher Leibes⸗ 
übungen in der Volksſchule vworjchreibe. 


4. Die Kammern haben 8250 1. zur Errihtung einer Anftalt in 
Karlsruhe, worin die TZurnlebrer eine methodiſche Ausbildung 
erhalten, bewilligt. 


IX, Württemberg. 


1. Am 30. Juli 1862 hatten fi mindeftens 600 Mitglieder des 
Volksſchullehrervereins zu Cannitadt zu einer Conferen; verfammelt. 
Nach einem Vortrage über Vaterlandskunde wurde über die Stellung der 
Volksſchule verhandelt. Referent Leiftner von Stuttgart ging davon 
aus, daß die Volksſchule feine andere Aufgabe tenne, als der Kirche und 
dem Staate die beiten Dienfte zu leiften; fie fei zwar in einem dienenden, 








Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 529 


abhängigen Berhältnifie, aber fie habe gleichwohl einen gerechten Anſpruch 
auf Freiheit und der Lehrerſtand auf freiere, ehrenhaftere Regung und Bes 
wegung. Die Volksſchule fei der Freiheit bebürftig und fähig, weil fie bie 
Bedingungen derjelben in fich trage. innerhalb der Abhängigkeit — Frei: 
beit in ber Bewegung. 

Als fpecielle Erfordernifle für die richtige Stellung der Schule wurden 
erachtet: 

a) entſprechende Ausftattung der Schulen, 

b) entfpredende Normen für die Anftellung ver Lehrer, 

c) genügende Bildung der Lehrer, 

d) dem wirtlihen Bedürfnifje der Perfonen und des Dienſtes genügende 
und der Würde des Amtes entjprechende Beſoldung der Lehrer. 

2. Die Wandernerfammlung der evangelifhen Geiſtlichen, 
weldhe in dieſem Jahre in Reutlingen abgehalten wurde, hat eine Gingabe 
an die Oberſchulbehörde befhlofien und darin erbeten: 

a) gründlie Aufbefferung der Lebrerftellen, 

b) Ausdehnung des Seminarcurjus auf drei Jahre, 

0) forgfältigere, paͤdagogiſch⸗didaktiſche Ausbildung der Theologen Behufs 
der von ihnen auszuübenden Schulaufficht, 

d) Zurüdnahme der Verordnung, die wöchentlih einen zweimaligen Auf: 
ſichtsbeſuch einer Schule fordert, 

e) Sig und Stimme der Schulmeifter in der Ortsfhulbehörbe. 

Sehr löblich von den Herren Geiftlichen! 

3. In Bezug auf das Fatholifhe Kirchengeſetz hat die Kammer 
folgenden Paragraphen angenommen: Die dem Bifchofe zulommende Leitung 
des katholiſchen Religionsunterrichts in den Volksſchulen ıc. fteht 
unter der Oberauffiht der Staatögewalt. Die Einführung der vom Bifchofe 
beftimmten Katechismen und Religionshandbücher in den bezeichneten An: 
ftalten bat von der Staatsbehörde auszugehen. 

4 Die Fortbildungsfhulen gedeihen in erfreulichfter Weife, 
Die Zahl der Befucher verjelben belief fih im Winterhalbjiahr 1861 — 62 
auf 7273. 


XXL Bayern. 


1. Unter dem 27. Februar ift das Gejeh publicirt worden, durch 
welches die bayeriſchen Shulen Semeindeanftalten und die Lehrer 
Gemeindediener find. 

2. In Nürnberg wohnen jegt fünf Lehrer den Sigungen ber 
Drtsfhulcommisfion bei. Die Wahl derſelben ift aus 10 von den 
Lehrern vorgefhlagenen Vertrauensmännern erfolgt. 

8. In Betreff ver Errihtung und Leitung von Erziehungs: 
anftalten ift unter Anderem verorbnet worden: Perſonen, welche der⸗ 
gleichen Anſtalten gründen wollen, bedürfen hierzu einer polizeilichen Be⸗ 
willigung. Für Anftalten, in welchen alle für die Gymnaſien oder für 
die lateiniſchen Schulen obligatorischen Unterrichtsgegenſtaͤnde * werden 

Paͤd. Jahresbericht XV. 





530 Die Außern Angelegenheiten der Volksſchule x. 


Sollen, erfolgt die Sonceffion von der Kreisregierung, für die übrigen Er: 
ziehungs: und Unterrichtsanftalten in München von der Polizeidirection, im 
den andern den Kreiöverwaltungsftellen unmittelbar untergeorbneten Stäbten 
von den Magiftraten und in den übrigen Bezirfen von den Bezirksämtern 
Die Bewilligung ſoll in der Regel nur Perjonen ertheilt werben, weldye 
das bayerifche Indigenat befigen und den Nachweis ftreng fittlihen, fo mie 
untadelhaft bürgerliyen Verhaltens, dann einer der Aufgabe der Anflalt 
völlig genügenden Berufsbefähigung nachweiſen künnen. 

4. Am 30. Mai waren 46 Bertrauensmänner der wittelfränlifchen 
Schullehrer in Ansbah unter dem Borfig des Streisichulreferenten, Res 
gierungsrath Eyſelen, verfammelt, um einen Statutenentwurf zu einem ge 
feglih vorgefchriebenen Penſions vere ine zu beratben. In demſelben 
finden ſich u. A. folgende Beſtimmungen: 1) Der Verein ſieht unter ber 
unmittelbaren Leitung der königl. Negierung, in specie des königl. Kreis⸗ 
fhulreferenten. Dem Borftande fiehen 6 Mitgliever des Vereins zur Eeite. 
2) Penfionirt follen Lehrer blos werden, wenn durch Beigabe eines Ge 
bülfen den zu erreihenden Zweden nicht entjproden werben kann. 3) Bei 
Geſuchen um Benfionirung ift die Lehrerſchaft des Diftritts gutachtlich zu 
vernebmen. 4) Jeder ftändige Lehrer erhält 300 FI. Penfion außer der 
Unterftügung von der Gemeinde. 

5. Bon 20,000 Eonfcribirten hatten 2352, aljo 11 Procent, 
eine mangelhafte Schulbildung. 


XXL. Defterreid. 


1. Mm Böhmen wird jept viel für das Volksſchulweſen gethan. 
Eeit 8 Zahren find über 300 neue Volle: und Bürgerfchulen faft allein 
von den Gemeinden erbant worden. Die guten Folgen eines verbefierten 
Schulunterrihts machen fih auch ſchon bemerklich. Die Zahl der Rekruten, 
welche lefen und fchreiben können, hat fi bedeutend vermehrt, die Zabl 
der Verbrecher dagegen vermindert. 

2. Nah einem Beichlufie des Stadtrathes in Prag müflen ſich die 
Lehramtskandidaten, welche fih um eine Lehrerftelle bewerben, einer PBris 
fung unterziehen, melde auf dem Rathhauſe vor einer eigends dazu be- 
ftimmten Gemeindecommiffion vorgenommen mird, um fi bei den Anzu⸗ 
ſtellenden der Kenntniß der böhmischen Sprache zu vergemwiflern. 

3. Die Gemeindevertretung in Olmütz bat gegen die Ginfüh- 
tung des Tſchechiſchen als Unterrihtsiprade in den Bolls: 
ſchulen Verwahrung eingelegt. 

4. Der Gemeinderath in Wien bat fih für die Gewährung von 
7000 51. aus Gemeindemitteln zur Erhaltung ver proteftantijhen 
Schulen in Wien ausgeſprochen. Bisher mußten die Proteftanten ihre 
Schulen aus eigenen Mitteln erhalten, obgleich fie in gleihen Maße wie 
die Angehörigen anderer Gonfejionen zu den Gemeindelaften beitragen 
mußten. 

5. Das Verhältnib ver [hulpflihtigen zu den [hulbefudhen 
den Kindern im Kaiſerthum Deflerreich iſt 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 531 


in Bulowina we . . . 400 zu 10, 
„ Galjien. -. ». » . .100 „ 16, 
„ Dalmatien -. . -. . .100 „ 18, 
„ dndig - - » . 100 „ 32, 
„ Mugen. . .» . ..100 „Bi, 
„ Stiermat . . . . „9300 „ 80, 
„ Böhmen .. -. . . ..100 „ 96, 
„ Ober: und Niederöfterreih 100 ,„ 98, 
» Mäben. -. - . . ..100 „ 99. 

6. Das Staatsminifterium bat unlängft verordnet, daß in den Unter: 
realihulen die Zahl von 100 Kindern in einem Lehrzimmer nicht über: 
ſchritten werden fol. 

Rah unferm Dafürbalten hätte man ftatt 100 follen 50 feben. 


7. Die Sanitätsjection des Wiener Gemeinderaths hat fih in Be: 
zug auf den Antrag des Gemeinderathbs Klomm wegen Einrichtung von 
Kinderfpielplägen dahin ausgefprochen, daß es höchſt wünfchenswerth 
jei, daß auf den Stabtweiterungsgründen menigftens vier, dann aud im 
Augarten, im Prater. und aud in andern öffentlihen Gärten dergleichen 
Pläße eingerichtet werden. Sie bezeichnen die Sache für eben fo dringend als 
wichtig, da font zu befürdten ftehe, daß das Siehthum unter den Kindern 
ein allgemeines werde. 

Das ift ſehr lobenswerth. Wielleiht hätte auch auf die Errichtung 
zwedmäßiger Kindergärten hingewiefen werben können. 


8. Die Gehaltsverhältnifje der Lehrer find in einzelnen 
größeren Stäbten etwas verbejlert worden, laſſen jedoch fonft noch viel zu 
wünjhen übrig. In Tyrol gibt ed z. B. noch Stellen von noch nidt 
100 Fl. jährlich. 

9. Die Borfteber des öfterreihiihen Buchhändlervereins haben eine 
Gingabe an das Staatsminifterium gerüchtet, „worin fie nachweiſen, daß das 
dem Studienfonds bezüglid ded Drudes von Schulbüdern für 
Volksſchulen noch vorbehaltene Monopol 1) die Hervorbringung guter 
Schulbüher und die Yortentwidelung ber Volksſchulen bindere, 2) dem 
Buchhandel großen Schaben zufüge, und daß 3) die gänzlihe Aufhebung 
dieſes Monopol dem Staate keinerlei Schaden bringe. 

Was den eriten Punkt betrifft, mit dem wir es bier allein zu thun 
baben, jo muß man den Buchhändlern volltommen beiftimmen. Kein 
Lehrer wird daran denken, ein neues Schulbuch abzufafien, wenn er nicht 
einmal die Ausficht hat, es in feiner eigenen Schule gebrauchen zu koönnen. 
Der laiſerliche „Vücherverſchleiß“ if baher ein Hemmſchuh in der päbage« 
giſchen Entwidelung der Lehrer, mithin auch der Schulen. (8 ift und von 
Männern, die der Sade nahe ſtehen, verliert worden, daß die ganze 
Einrihtung nur mit Ruͤchſicht auf pen gefammten Bildungszuftand der 
Lehrer getroffen worden ſei und nur für eine Uebergangsperiode dienen 
folle. Wenn ſich's fo verhält, wie wir gern glauben, dans wünjdhen wir 
mar im Jutereſſe des üfterreihiihen Schulweſens, daß die Uebergangs⸗ 
periobe verht bald ihren Abſchluß finden möge. 

34° 





532 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule zt. 


XXUL Die Schweiz. 
Mitgetheilt von J. 3. Schlegel in St. Ballen. 


1. Sortentwidelung des fhweizerifhden Turnweſens. 
Eeit das Schulgeſetz des Cantons, Züri das Turnen als obligaten 
Unterricktszmweig ertlärt bat, betreibt die Srziehungsbirection die thatſächliche 
Cinführung deſſelben in die Volksſchule mit anertennungswertbem Eifer. 
Auch in dem Berichtjahre machten nit meniger als 100 Lehrer einen 
Turncurs dur, und dem Bernehmen nad follen in Bälde alle des Turnens 
noh unlundigen Lehrer zu Turncurſen einberufen werden. Mit Recht ver: 
langt die NR. 8. 3., daß nun aud, wenn das neue Unterrihtsfad den ge 
begten Erwartungen entjprehen fol, für SHerftellung geeigneter Turnlokale 
geforgt werde. Die noch befiehenden Vorurtbeile der Landbevöllerung gegen 
das Turnen werden ſchon ſchwinden, fobald das Fach nur einmal recht 
betrieben werben könne. Das genannte Blatt bedauert es jehr, daß die 
Hauptftadt den andern Gemeinden hierin nicht mit beflerem Beifpiel voran- 
gebe, indem dafelbft nur die größern Knaben zum Turnen fommen. Und 
bob wäre ein geregelter Zurnunterriht gerade für die Mädchen das größte 
Pedürfniß, da diefe durch die große Zahl von Unterrichtsftunden jedenfalls 
körperlich und geiftig fehr ftard mitgenommen werden. Gehen nur einmal 
die großen Gemeinden in der Turnſache voran, fo werde ſich dieſes fchöne 
Fach allmälig aud in Heinern Ortfchaften Bahn breden. An den Lehrern 
felbft fehle e8 nicht; überall herrſche unter ihnen große Rührigleit und der 
befte Wille für die Sade felbft. ALS ein Beweis hierfür wird angeführt, 
daß fi unter Niggelers Mitwirkung ein Lehrerturnverein zu bilden beginne. 
Demfelben wird auch die Aufgabe geftellt, mit aller Energie anzulämpfen 
gegen eine unverhältnißmäßige Belaftung unferer Schuljugend, fei es, daß 
biefelbe mit Unterrichtsftoff oder mit Unterrichtszeit überladen werde. Ciner 
überfichtlihen Darftellung der turnerifchen Beitrebungen in Zürich (N. 3. $.) 
entbeben wir folgende Stellen. Die Wohlfahrt eines Volles beruht nicht 
nur auf feiner geiftigen, ſondern aud auf feiner körperlihen Bildung. 
Wenn die Schule eine Crziehungsanftalt ift, in der das heranwachſende 
Geſchlecht für das Leben tüchtig gemacht werben foll, fo bat fie auch die 
förperlihe Ausbildung der Jugend zu ihrer Aufgabe zu machen. Dieje 
Ausbildung kann nur durch einen geregelten Turnunterricht erreicht werben; 
die Einverleibung deflelben in den Schulorganismus ift daher eine dringende 
pädagogifhe Forderung, ein Schritt, ohne welden dem Tumen nie bie 
ihm gebührende Stellung als Erziehungsmittel verſchafft werben kann. 
Diefe Stellung ift dem Schulturnen bei der lebten Reorganiſation des 
Schulweſens ohne Einrede zuerlannt worden. Durch dieſes Vorgehen er 
hielt das Turnweſen einen maͤchtigen Impuls auch über die Grenzen 
bes Gantons hinaus; überall wurde die Einführung des Xurnunterrichtes 
in die Schulen angeregt und beſprochen. Diefem Schritte folgte confes 
quentermweife die Abhaltung von Turncurſen mit den Lehrern, um fie mit 
dem Webungsftoffe und mit der Betriebsweije diefes neuen Unterrichtöfacdhes 
befannt zu machen. Dieſe Curſe wedten eine wahre Begeifterung für die 
Sache. Die Theilnehmer übernahmen bie Aufgabe, den Turnſtoff mit den 


Die Außern Angelegenheiten der Volksſchule sc. 533 


übrigen Collegen in Conferenzen durchzuarbeiten. Es gab ein rühriges; 
erfreuliches Turnleben in den Verſammlungen. Ein dritter Schritt mußte 
bem zweiten folgen, wenn bie Einführung des Zurnens nit nur eine 
papierne, fondern eine thatfächlihe werben follte: bie Sorge für die nöthigen 
Räumlichkeiten. Durchreiſt man das Land, fo trifft man noch mitunter 
Schulhäufer ohne Spur von turnerifchen Einrichtungen, wo Schulpflege und 
Lehrer das Fach ignoriren. Es bat bis jept an.einer einheitlichen Con» 
trolirung der Leiftungen in biefem Unterrichtöfache gefehlt. Die erfte thats 
fächlihe Kundgebung von dem Exrnft und dem Willen für den Leibesunters 
richt der Jugend muß num das fein, daß zu jedem Schulhaufe auf dem 
Lande mit Beförderung ein Turmplag im Freien eingerichtet und das 
Iumen in den Freis und Ordnungsübungen menigftend im Sommer be 
trieben werde. Die Herftellung von Jugendturnpläßen und bie Ausftattung 
mit den nötbigften Zurngerätben follte in nädhfler Zeit eine Ghrenjadhe 
jeder Gemeinde jein. 

Die Gemeinde Waädens wyl feierte bereits ihr erſtes Schul⸗Turnfeſt. 
Es war eine Freude, ſagt ein Bericht, alle Knaben in Turntracht, leicht 
und frei, alle Bewegungen in den Ordnungs⸗ und Freiübungen fo eract 
und raſch ausführen zu ſehen. Die glüdlihen Mienen zeugten von ber 
Liebe zum Turnen. Ginen noch fehönern Anblid boten die Maͤdchenſchaaren 
in ihrem fchmuden Aufzuge, ald auch fie ihre Uebungen und die verſchie⸗ 
denen Gangarten mit anmutbiger Leichtigkeit ausführten. Hier bätte ein 
Gegner des Mädchenturnens fehen können, wie wenig Gefahr für Anſtand 
und Sitte in diefem Thun zu fürchten ift. 

In Sachen des Schultumens hat die aargauifhe Erziehungs 
direction beſchloſſen, Herrn Zürcher zu beauftragen, für den Zurnunterricht 
an den Gemeindes und Bezirtsfchulen des Gantons eine kurze, Hare, fyites 
matiſch georbnete, und möglichft praktiſche Anleitung zu bearbeiten, für 
Heritellung entfprechender Zurnlofale und deren zwedmäßige Einrichtung bes 
forgt zu fein, ſodann für das Jahr 1863 einen Credit von Fr. 2000 zur 
Foͤrderung des Qurnwejens an ven Bezirksſchulen zu verlangen. — In 
Anerkennung der großen Wichtigkeit der gymnaſtiſchen Uebungen und lörper: 
fihen Spiele hat der Eulturverein-von Aarau befchlofien, Preife bis Fr. 150 
an diejenigen Gemeinden zu ertbeilen, welche an ihrenz Schulen jene 
Uebungen einführen. 

Der Grziehungsdirector von Bern überjandte den Borftehern bes 
Seminars, der Secundarſchulen ıc. die auf Veranlaſſung des ſchweizeriſchen 
Bundesraths von einer Commiffion der beften jchweizeriihen Turner ver: 
faßte „Anleitung zum Tumunterrit für die eidgenöflifhen Truppen“ mit 
dem Wunſche, es möchte der Zurnunterriht an den genannten Anftalten 
nad) diefer Anleitung ertheilt werden. Das Militairturnen werde erft dann 
Früchte tragen, wenn die Rekruten ſchon turnerijch vorgebildet in die Kaſerne 
einrüden. Es follte alfo das Turnen ſchon in der Volksſchule eingeführt 
und aud das Cadettenweſen in nähere Beziehung zum Turnen gefeßt werden, 

Auf Anregung der obern Schulbehörden wurde die Frage über Eins 
führung zwedmäßiger Leibesübungen in die Vollsfhule aud an den Gans 
tonallebrervereinen in Zug und Appenzell ARh. befprohen. Wird nun 


534 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule 2c. 


auch die obligate Einführung der Discuffion nit auf dem Fuße folgen, 
fo begrüßen wir doch mit Freunden jede Regung und jedes Beiden, das 
darauf binztelt, dieſem weſentlichen Slemente in der Echulerziehung allmälig 
bei Bebhörben, Eltern und Lehrern Anerlennung zu verſchaffen. In St.Gallen 
ertämpften die Zurnfreunde bei Berathbung des Schulgefebes wenigftens die 
facultative Ginführung der Leibesübungen in bie Primarfchule, 

Da und dort zeigen ſich auch entſchiedene Geaner des Schulturnens. 
Ein Artikel im St. Galler Tageblatte (,‚Werztlihe Bedenken‘) fchlieht mit 
folgenden Sätzen: Das Turnen ift nit für Alle gefund. Es if keine 
Erholung , fondern eine Arbeit. Wer viel arbeitet und wenig Heit bat, 
der foll nicht tunen. Die gumnaftifchen Uebungen müfjen mit Lebensweije 
und Leibesconftitutton mehr in Einllang gebraht werden. Sind wir wieder 
ju einer vernünftigen Qebensorbnung zurüdgelehrtt, und bören wir auf, 
Leuten, die noch nicht ausgewachſen find, 40 — 50 Lehrftunden und zur 
Erholung Hausaufgaben und zur fernern Erholung Turnſtunden zu geben! 
Dann werben wir bie Segnungen einer Gymmaftil zu genießen anfangen, 
welche jebt oft verderblich ifl. 

Am Cantonallehrerverein in Glarus, wo mit Wärme die Ein⸗ 
führung des Turnens in die Elementarſchule beantragt wurde, bfieben bie 
Aurnfreunde in Minderheit. Der Gegenantrag wurde alſd motivirt: 
Die Jugend des Cantons Glarus hat vielfahe Gelegenheit zur Körpers 
bildung aud ohne das ſchulmaͤßige Dreffiren zur Bewegung; das Glarner 
Bolt ift zur Zeit dem Turnen abgeneigt; das Turnen tft ein Moveartifel 
und liefert nicht die Erfolge, die man fih von demjelben verfpriät; da 
bier das Turnen nur außer der Schulzeit geübt werden müßte, würde dem 
Lehrer eine neue Bürde aufgelegt. — 

Wo Die Lehrer ſelbſt an ber Zmedtmäbigleit des Turnens und am der 
wohltbätigen Rückwirkung berjelben auf ven gefammten Schulunterricht 
zweifeln, wird es freilich fehwer halten, Bebörben und Eltern für das Fach 
zu gewinnen. Wir hoffen aber, das Beifpiel Zürihs werde dem Gegen: 
ftande enblih doch in allen fchweizerifhen Schulen Gingang verſchaffen; 
wir vertrauen dann auch den bebarrlihen Bemühungen des ſchweizeriſchen 
Iurnlebrervereing; gewiß — er wird nicht ruhen bis ex feine Lieb: 
lingsivee realifirt hat. — 

Angemeſſen erfheint und, daß dieſer Verein „die Ginheit in ber 
Kunftfprahe des Turnens“ anftrebt. Derfelbe befaßt ſich mit der Aus: 
arbeitung eines Berichts über den Stand des Schulturnens in der Schweiz 
und richtet zu dem Zwed an alle Lehrer des Zurnens folgende Fragen: 
It das Turnen ein obligatorifches Unterrihtsfah und in den Organismus 
der Schule eingereibt, oder ift ed nur facultativ? Wie groß iſt vie Zahl 
der am Turnen Theil nehmenden Schüler? (Nnaben und Maͤdchen). Bon 
welchem Alter an bejuchen die Schüler den Tumunterriht, und wie viel 
Beit wird für benfelben verwendet? Wird im Sommer und im Winter 
geturnt, und beftehen dafür geeignete Lolalitäten und Ginrichtungen? Findet 
beim Zurnunterriht Klafienzufammenzug ftatt oder tumt die Alaſſe für ſich? 
Iſt die Echulzeit durch die Einführung des Turnens vermehrt worden oder 
it fie gleich geblieben? Findet auch eine jährlihe Prüfung fait, und wir 





Die äußern Angelegenheiten der Volkoſchule x. 535 


ber Zurnunterriht bei Ertheilung von Schulzeugnifien berüdfichtigt? Wird 
der Unterricht nad einem Turnbuche ertheilt und nach welchem? Beſchränkt 
ji das Turnen blos auf die Frei- und Orbnungsübungen, oder werben 
neben diefen auch Gerätheübungen betrieben ? 

Auf Veranlaſſung dieſes Vereins erſchien jüngft eine Schrift „Die 
Freiübungen und ihre Anwendung im Zurnunterriht” von A. Maul, 
Auch von dem ausgezeichneten Tumer Julius Caduff ift ein Werl 
- über das Turnweſen erſchienen. 

2. Die Anftalt zur Bildung von Armenlehrern in der 
Bäktelen. ALS eine der intereflanteiten Seiten und zugleich erhebendſten 
Erſcheinungen im ſchweizeriſchen Schulmefen darf man mohl die vielen nah 
dem Mufter der Wehrliſchule in Hoſwyl eingerichteten Armenerziehungss 
und NRettungsanftalten bezeihnen. Gegenwärtig befaßt fih ber Armen: 
erzieberperein mit der Aufftellung einer Statiftit fämmtlicher ſchweizeriſcher 
Amenſchulen, ſowie mit einer überfichtlihen Darftelung über den Erfolg 
der Wirkfamteit derjelben. Mir find gefpannt auf dieſe verbienftliche Arbeit 
und werden feiner Zeit die Hauptergebnifle im Jahresbericht mittheilen, 
Mie wir in einer Conferenz der Armenlehrer vernahmen, befist die Schweiz 
eirca 50 folder Anftalten mit ungefähr 1000 Zöglingen. Laut Berichten 
herrſcht gegenwärtig Mangel an Armenerziehern, was hauptjählih daher 
rühre, daß die Aufgabe eines folhen große Anforderungen ftelle; er müfje 
zugleih Hausvater, Lehrer, Delonom und Landwirth fein. Die Vereinigung 
dieſer Eigenſchaften in einer Perfon finde ſich felten und wo fie ſich finde, 
befähige fie zu einer Wirkfamleit, für melde die gegenwärtige Zeit materiell 
günftigere Ausfichten zu bieten vermöge, als die bejcheidene Stelle eines 
Armenerzieberd. Bisher war es namentlih die Aufgabe einer bejondern 
Commiſſion der ſchweizeriſchen gemeinnüßigen„Gejellichaft, für Heranbildung 
von Armenlehrern zu forgen. Auf Grund vielfaher Erfahrungen wurde 
folgender Bildungsgang als der zwedmähigfte betrachtet. Es wurden 
14jährige, geiftig und phyſiſch für den Erzieherberuf geeignete, wohlers 
zogene und gut gefchulte Knaben für 2 oder 3 Jahre in kleinere, wohl: 
geleitete und gut eingerichtete landwirthſchaftliche Armenjhulen gebracht, wo 
fie das Anftaltsleben und die Crzieheraufgabe näher tennen lernen und 
ihre allgemeine Bildung fortfeßen konnten. Die zwei folgenden Jahre wurden 
in gleicher Weife benugt mit befonderer Berüdfihtigung der Erlernung der 
landwirthſchaftlichen und techniſchen Fertigkeiten. Für die nothmendige 
wifienihaftlihe und pädagogische Ausbildung beſuchten fie dann noch für 
zwei Jahre ein den Erfordernifien foldher Anftalten am beiten entjprechendes 
Seminar. (Aus Mittheilungen von Diaconus Hirzel.) 

Nah dem 23. Jahresbericht über die ſchweizeriſche Nettungsanftalt für 
Anaben in der Bächtelen hat nun deren Direction, gedrungen durch das 
zunehmende Bebürfniß nach Armenlehrern und dur den Mangel an folchen, 
in WUebereinftimmung mit den urfprünglihen Intentionen, die ſchon bei 
Gründung der Bächtelen vom feligen 9. Caspar Zellweger Har auss 
geiprochen worden, in jüngiter Seit beſchloſſen, mit der Rettungsanflalt auch 
eine Anftalt für Bildung von Armenlebrern, ein Armenlehrerjeminar organiſch 
zu verbinden. Der Plan diefes new eingeführten Bildungscurfes, in welchem 





536 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 


fünftige Armenerzieher ihre ganze, theoretiihe und praltiihe Ausbilbung 
erhalten ſollen, ift folgender: Die Zöglinge treten nah Abfolvirung einer 
böhern Volksſchule ein; der Curs dauert 4 Jahre; in den beiden erften 
Jahren haben die Kehrerzöglinge den Unterricht gemeinfam mit den oberften 
Klaſſen der Anflaltszöglinge, mit Ausnahme des Unterriht3 in ver franzöfi: 
Shen Sprade. In den beiden legten Jahren erhalten fie befondern Uns 
terriht. Biel des ſcientifiſchen Unterrichts ift die Befähigung, in den vers 
ſchiedenen Cantonen unfered VBaterlandes die Prüfung als Bollsfhullehrer 
befteben zu lönnen. Mit der theoretifchen Schule gebt praktiſche Bethäti- 
gung in Haus, Feld und Stall, für die ältern Höglinge außerdem Theil: 
nahme an ber Leitung der Snabenfamilin Hand in Hand; in die Mitte 
des ganzen Bildungscurjes fallt der Confirmationsunterriht. Der Bericht 
jagt, der künftige Armenerzieher müfje in den Stand geſetzt werben, in 
feinem Wirkungstreife von der ganzen Summe bisheriger Erfahrungen Ge: 
brauch zu machen, und dieſe Fähigkeit könne nicht durdy Bücher und Un: 
terriht, jondern nur durd unmittelbare Anſchauung und Cinübung er: 
worben werden. Und in der That, fährt der Bericht fort, ift der gegen- 
wärtige Stand der Bächtelen von der Art, daß fie, wie faum eine andere 
Crziehungsanftalt in der Schweiz, die Bedingungen und Kräfte zur Löfung 
diefer ſchoͤnen und ſchweren Aufgabe in fi) vereinigt. Da ift vor Allem 
eine Landwirthſchaft, deren rationelle Betreibung künftigen Vorftehern land⸗ 
wirtbfchaftliher Anftalten wohl als Mufter dienen kann; da find Lehrfräfte, 
die für einen Bildungscurs Tüchtiges zu leiften vermögen, da ift ein Bors 
ſteher, deflen vieljährige Erfahrung auf dem Gebiete der Armenerziehung 
feine befiere Verwerthung finden Tönnte, ald in der Heranbildbuug von Be: 
rufsgenoſſen; da findet fih eine Anzahl von A5—50 Knaben, melde ven 
Lehrerzöglingen Gelegenheit bieten, fih für ihr künftiges Arbeitsfeld Bes 
obachtungen zu fammeln und fi praktiſch vorzubereiten; da berrfcht jener 
hriftliche Geift der Liebe, der Einfachheit und Hingebung, ohne den aud 
der gebildetfte Lehrer nicht befähigt wäre, auf dem Gebiete der Armener: 
zjiebung mit Gegen zu wirken. — Die Ginführung dieſes Bildungscurfes 
erfordert, da menigftens ein für diefe Aufgabe beſonders beitimmter Lehrer 
angeftellt werden muß, eine jährlihe Mehrausgabe von Fr. 3000. Als 
einen Beweis der Zeitgemaͤßheit diefes Unternehmens betradhtet der Bericht 
die vielen Meldungen, die, feit der Beſchluß gefaßt worden, eingegangen 
feien. — 

Gegen dieſes Inſtitut wurden jedoch in der Verfammlung der ſchwei⸗ 
zerifchen Armenerzieber in Zürich, die die Frage einer zwedmäßigen Heranbil: 
dung von Armenlehrern gründlid, diskutirte, verſchiedene Bedenken erhoben. 
Einige vermifien in dieſer Mufteranftalt bei allen anerlannten Vorzügen 
ein natürlihes Yamilienverhältnig; Andere fürdhten, die Bächtelen greife 
mit diefem Unternehmen zu meit, fie gebe feine Garantie für eine wiſſen⸗ 
ſchaftliche allfeitige Ausbildung, die auch dem Urmenlehrer unerläblib fer 
Am Ende einigte man ſich doch dahin, diefes Unternehmen als einen ans 
erkennenswerthen Erweis des tüchtigen und großartigen Strebens der Anftalt 
mit Freuden zu begrüßen.”T Es führen eben viele Wege nah Rom. Die 
Hauptſache iſt, daß, der Sinn für chriſiliche Gefittung, der Sinn für Bildung 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 537 


der Armen, für Rettung der Berwahrloften in unferm Vaterlande auch in 
der Zukunft fortwirte. 

8. Die projeltirtefbmweizerifhe Shulausftellung. Der 
Borftand des fchmeizeriihen Lehrervereins beabfichtigte zum Zwecke einer 
moͤglichſt vollftändigen Veberfiht der Gegenftände für die Schulen und ber 
Leiftungen in einzelnen techniihen Fächern eine Ausftellung von Gegen: 
ftänden für die Schulen und aus venfelben zu veranftalten. Sie follte 
fih auf fämmtlihe Bildungsanftalten der Schweiz erftreden und im Herbſt 
1863 in Bern und zwar zur Beit der Berfammlung des ſchweizeriſchen 
Lehrervereins ftattfinden. Bon Gegenftänden für die Schule follten nad 
dem Programm aufgenommen werden: die Schulbücher, officiell empfohlene 
Handbücher für die Lehrer, Schulgefeße, Lehrpläne, die amtlihen Jahres: 
berichte, die Schulblätter der Schweiz, die literarifchen Arbeiten der ſchwei⸗ 
zerifhen Lehrer, die Darftellungen der Schulorganismen der Cantone, ferner 
Schreib: und Zeichnungsvorlagen, Modelle für's Zeichnen, Veranſchau⸗ 
lichungsmittel für die verfchiedenen Unterrihtsfäher, als: Bilder ımd 
Tabellenwerle, Karten, PBrojectionen, Hemifphären, Globen, Tellurien, Reliefs, 
phyſikaliſche und chemiſche Apparate, naturgefhichtlibe Sammlungen, ferner 
Pläne und Modelle zu Schulbausbauten, Schultifhen ıc., Materialien zum 
Schreiben und Zeihnen, Reißzeuge u. f. m. Don den Gegenftänvden aus 
der Schule follten aufgenommen werden: Proben im Schönfchreiben, im 
Freibandzeihnen und im techniſchen Beichnen, Arbeiten aus dem Rechnen 
und aus der praltifchen Geometrie, der Buchführung, geographifche Karten, 
Proben aus dem Handarbeitsunterriht der Mädchen, aus den Mobellir: 
werlftätten und Weberfhulen. Diefe wirklichen Schülerarbeiten follten, 
wenn immer möglich, in ihrer Anordnung einen vollftändigen methodiſchen 
Etufengang repräfentiren. Zur Prüfung und Beurtbeilung der Gegenftände 
wurde ein Preisgericht niedergefeßt. — Der Vorftand, der damit eine hödhft 
ſchwierige und mübhevolle Arbeit übernahm, rechnete dabei auf allgemeine 
Betheiligung der Lehrer und auf die kräftige Unterftüßung der Schulbehörden. 
Das Unternehmen fand jedoch die verfchiedenfte Beurtheilung. In 14 
Gantonen wurde die Sache von den Lehrervereinen mit mehr oder weniger 
Eifer an die Hand genommen; es wurden als Vermittlungsorgane Central: 
und Filialcomitd gebildet. In andern Gantonen fand die Idee wenig 
Theilnahme und Anklang; die Lehrervereine Graubünden’3 und Aargau’s 
lehnten die Betheiligung direlt ab. Viele bezmweifelten die Ausführbarteit 
und den praltiihen Nußen und tabelten den zu großen Umfang. Diefe 
Ausdehnung geftatte nicht die gehörige Einfiht und Prüfung; fie mwünfchten 
daher eine angemeſſene Beſchränkung. Andere hielten dafür, nur eine voll 
ftändige Ausftellung aller obligatorifch eingeführten Lehr: und Hülfs⸗ 
mittel wäre geeignet, ein richtiges Bild von dem wirklichen Geſammtzuſtand 
des Öffentlihen Unterrihtäwejend aller Gantone darzubieten. Gar Manche 
endlich fürdhteten, die Ausftellung von Gegenftänden aus der Schule könnte 
Beranlaffung geben, die Schulen auf Abwege zu führen. Zudem gemwähre 
eine unvollftändige Zufammenftellung keinen Ueberblid und gebe auch feinen 
fihern Maßſtab zur Beurtheilung und Vergleihung der Leijtungen der 
einzelnen Schulen in den verſchiedenen Cantonen, — Auch die Schulbe: 





538 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ze. 


börben zeigten nicht den erwarteten Patriotismus für das nationale Unter: 
nehmen; nur Wenige wollten die Bedeutung defjelben für unſer Schulmefen 
einfehen. Merkwürbigerweije waren die Erziehungsräthe der Cantone Frei- 
burg, Schwyz, Unterwalden und Appenzell ZRH. die eriten und falt ein- 
zigen, die einen angemejjenen Beitrag zuficherten. Die Behörden von Bern 
und Zürich verjpraden nur bebingungsmweife, die Sache finanziell zu unter: 
ftügen. Da zur Durchführung des Projekts das Intereſſe und die rechte 
Begeiſterung fehlte, und aud nicht die hinreichenden Gelbbeiträge zugeſagt 
wurden, jo ſah fid das Comité leider genöthigt, den Plan aufzugeben. 
Mir bedauern, daß es nicht den Berfuh einer Ausftellung von Gegen: 
ftänden für die Schule dennoh wagte. Wir bofiten biervon vielfeitige 
Anregung und Belebung, und erwarteten nicht ohne Grund manden Ge: 
winn für unfere Schulen. 

4. Die Relrutenprüfungen, die namentlih in den Cantonen 
Bern, Luzern, Thurgau, Glarus, Schwyz, Solothurn, Aargau, Appenzell ARh., 
Graubünden und Zug mit den neu eintretenden Militaird vorgenommen 
werden, verdienen gewiß alle Aufmerkjamleit und Beahtung Sind fie 
einmal in allen Gantonen eingeführt, werben fie mit der rechten Energie 
an die Hand genommen, verftändigt man fi über den Modus und die 
Aufgabenftellung, und übergibt man dann die Refultate rüdhaltlos der 
Deffentlichleit, jo müfjen die Prüfungsergebniffe doch gemiß zu interefjauten 
BVergleihungen der Leiſtungen führen, für Ermittelung des wirklichen Bil- 
bungszuftandes beachtenswerthe Anhaltspunkte bieten und für die Schule 
und die Vollsbildung von wohlthätigen Folgen fein. Iſt aud die Schule 
für die Rejultate folder Prüfungen durchaus nicht allein verantwortlich, 
jo hat fie doch ohne Zweifel ein großes Anterefje daran. Sie machen auf 
wirflihe Mängel des Unterriht3 aufmerffam, fordern alles Ernftes zur 
Gründlichleit, Anjhaulichleit, zur Beſchränkung des Unterriht3 auf das 
Wichtigſte und Nothwendigſte auf und veranlafien wohl au zur Errichtung 
von Fortbildungsjchulen. — Um die Ginridtung und das Weſen dieſes 
Inftituts kurz zu charalterifiren, wählen wir Bern, wo diefe Prüfungen 
mit rechter Sadlenntniß und Energie geleitet werden. Die Erziehungs: 
direction beauftragte Herrn Schulinfpector Antenen, die Prüfung der 
Sinfanterie-Retruten im Schreiben, Leſen und Rechnen vorzunehmen und 
eventuell den Schwächeren Unterricht ertbeilen zu lafien. Die Mannſchaft 
wurde in Abtheilungen von 20—30 Mann zur Prüfung beordert. Dieje 
theilte fih in eine mündliche und eine fchriftlihe. Gelefen wurde ein Abs 
Schnitt aus der Schweizergefchichte, worauf dann über das Gelefene Rechen: 
Schaft gegeben werden mußte. Das Schreiben eritredte fih auf das Nieder: 
Schreiben des Namens und Mohnorts, auf einige Säße Dictando, das 
Abſchreiben einiger Zeilen aus dem Lejebuh oder das Anfertigen eines 
Heinen Briefes. Um einen Maßſtab der Forderungen im Rechnen zu geben, 
müllen mir einige Aufgaben bezeichnen. Zum mündlihen Reden: Wie 
mande Mab Wein kann man für 20 Fr. Laufen, weun eine Maß 80 Rp. 
koftet? Welches ift ver Zins von 700 Fr. à 4°), in 9 Monaten? Zum 
ſchriftlichen Rechnen: Gin Krämer lauft 73), Ctr. Kaffee à 48 Fr. SO Rp. 
und verlauft dag Pfund 4 60 Rp. Was gewinnt ee? — Die Taration 





Die äußern Angelegenheiten der Volkeſchule x. 539 


der Leiftungen wurde in Tabellen notirt. Sehr gute fyertigleiten wurden 
4. B. mit 4, gänzlihe Leiftungslofigleit mit O bezeichnet. Der höchſte 
Standpunkt in den drei genannten Fächern war fomit 12. Die Durds 
f&hnitteleiftung per Mann war nun 61/,. Der Bericht gab übrigens bie 
Nefultate in 4 verſchiedenen überfihtlihen Darftellungen: I) Durchſchnitts⸗ 
leiftung, 2) Leiftungen in Procenten ausgebrüdt, 3) Gruppirung nad den 
Gtandpuntten, 4) Bertbeilung nah den Bezirken. Der Bericht bemerft 
ſchließlich: Im Rechnen fehlte die Fertigkeit und Sicherheit im Operiren 
und das Gefhid zu überfichtliher Harer Darftellung. Wer bei der Prü⸗ 
fung in allen drei Fächern O erbielt, wurde zum Befuche der Retruten 
ſchule angehalten. Der Unterricht beſchränkte fihb auf die Elemente im 
Lefen, Schreiben und Nechnen, und zeigte günftige Refultate. Unzweifelhaft 
wirken Prüfung und Unterricht mwohlthätig auf die Leute ein. Sie bieten 
zudem einen Maßftab für die Leiftungen der Schulen und Behörden; fie deden 
Mancherlei auf, von dem befier ift, es trete an's Licht, ald daß es verfchwiegen 
bleibe; fie veranlafien die verſchiedenen Landestheile zu erfreulichem Wetteifer. 

Auch der Regierungsratb des Cantons Luzern ordnete ſolche Prü⸗ 
fungen an und erließ ein Reglement, das mit dem Modus in Bern ziems 
li übereinftimmt, mit dem Linterfchied, daß bier nur mit ganzen Zahlen 
und im Umfange von 1 bis 1000 gerechnet wird. — In Aargau mußten 
zufolge des amtlichen Rapports von 754 Rekruten 132 wegen geringen 
- Reiftungen die Kaſernenſchule befuhen. Diele gaben vor, fie bätten ihre 
Schullenntniſſe aus Mangel an Uebung vergeflen; Andere erklärten, es 
babe ihnen an Faſſungskraft gefehlt; die Dritten fchrieben ihre geringen 
Leiftungen den Sculverfäumniflen oder dem zu frühen Austritt zu; nur 
Wenige beichuldigten ihre Lehrer. — In Glarus zeigte die Prüfung ein 
ziemlich erfreulihes Refultat. Von 356 Geprüften waren fehr menige, die 
feine Schullenntniffe hatten. Der Bericht bezeihnet mit Namen die Ges 
meinden, denen die Schwächſten angehören. — Weniger befriebigten die 
Prüfungen in Graubünden. — Der Beriht aus Solothurn verfichert, 
bie Ginrihtung (Prüfung und Strafihule) habe das Gute, daß fie den 
Ehrgeiz der jungen Leute wede und fie anjporne, Verfäumtes nachzuholen. — 
Am Canton Thurgau wurden bis jetzt nur die Artillerie-Rekruten und 
die Offiziers-Afpiranten geprüft. Natürlich konnten deshalb gefteigerte An: 
forderungen geftellt werden. — In jüngfter Zeit ftellte der Erziehungsrath 
von Schwyz beim Großen Rath das Anſuchen, er möchte nah dem Bei: 
fpiele anderer Cantone eine Prüfung der Rekruten in den Primarjchulgegens 
ftänden vornehmen lafien ; denn durch derartige Prüfungen werde am beten 
eine Einfiht in die nachhaltige Wirkſamkeit der Primarfchule erzielt. — 
Ebenſo petitionirte die Lehrerfhaft von Appenzell ARh., die Rekruten⸗ 
prüfungen obligatorijh zu machen und für viefelben ein zwedmäßiges Regle⸗ 
ment aufzuftellen. 

5. ‚Der ſchweizeriſche landwirthſchaftliche Gentralverein ſetzte einen Preis 
von 500 France für ein ſchweizeriſches landwirthſchaftliches 
Leſebuch aus. Nah der Ausfchreibung foll diefes Leſebuch für die ber 
Landwirthſchaft ſich widmende männlihe Schweizerjugend im Alter von 15 
bis 20 Jahren berechnet fein und jowohl zum Gebrauche in Kortbildungs:, 


540 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule zc. 


Ergänzungss und höheren Volksſchulen überhaupt, als aud zur bildenden 
BPrivat-Lectüre dienen. Es follte daher nit fowohl ein ftreng ſyſtemati⸗ 
ſches Lehrbuch, als vielmehr ein Lejebud fein, das in edler, leichwerſtaͤnd⸗ 
licher Sprache und klarer, gerundeter Darftellung die Jugend zu einer ver 
fändigen Auffaffung des landmwirtbfchaftlihen Berufs und Lebens anregt 
und ihr die allgemeinen leitenden Grundanſchauungen für einen rationellen 
Betrieb unferer wichtigſten Wirthſchaftszweige vermitteln. Es war daher 
vorzugsweiſe in's Auge zu faflen: der Boden, feine Beftandtheile und Ber 
befferungen (Düngen, Drainage), die Bodenbearbeitung, die Geräthe, der 
Anbau der Adergemähfe, die Fruchtfolgen, der Wiefenbau, ver Obfibau, 
der Meinbau, die Viehzucht, die Alpenwirtbfchaft, die Bienen: und Seiden: 
zucht, der Wald, das Ungeziefer, der Thierſchuß, das landwirthſchaftliche 
Rechnungsweſen. Die Ausihreibung fand überall Anklang, und es gingen 
nit weniger als 7 Concurrenzarbeiten ein. Die vom Preidgericht gefrönte 
Arbeit it von Dr. Friedr. v. Tſchudi (Verfaſſer des Thierlebens der 
Alpenwelt) abgefaßt. Das Tandwirtbfchaftlihe Wochenblatt fagt davon: 
„Diefe Preisfchrift ift eine ausgezeichnete Arbeit, ein treffliches Leſebuch 
für unfere Jugend und zugleih ein rechte! Volksbuch. Die Sprache if 
fhön, bildend, populär. Der Verf. hat durdgebends mit dem Bemußtjein 
feiner hoben Aufgabe die Lejeftüde entweder felbft bearbeitet oder mit rich⸗ 
tigem Gefühl ausgewählt. Es ift überhaupt in dem Werk ein großer Schap 
Iandwirtbfchaftlihen und naturhiftoriihen Wiflend niedergelegt und überall - 
das Weſentliche vom Unwefentlihen gejhieden. Die Arbeit ift bereits im 
Drud und mwirb in kurzer Beit erjcheinen.” 

6. In Folge eines Geſuchs des franzöfifhen Unterrichtäminifters bat 
ih das eidgenöfliihe Departement des Innern an die Gantone gewendet, 
um Auskunft über ven Stand der Handels: und Induſtrieſchule 
zu erhalten. Das Ergebniß der eingegangenen Berichte ift folgendes: 

a) Handelslebranftalten mit eins bis fünfjährigen Curſen gibt es 
in der Schweiz 7, darunter A Gantondfchulabtbeilungen. Einzelne 
Fächer werden in 96 Anftalten gelehrt. Die bloßen Handelsfchulen 
baben im Ganzen 176 Zöglinge. Die Zahl der Lehrer an den reinen 
Handelsſchulen beträgt 7; 26 andere Lehrer wirken gemeinfam an 
den Handels: und Anduftrie-Abtheilungen. 

b) Induftriefhulen mit ein: bis fechsjährigen Curſen zählt bie 
Schmeiz 65, nämlih 4 Abtheilungen am Polytehnicum, 15 Induſtrie⸗ 
ſchulen, 3 Induftriegymnafien, 2 Cantonsfchulabtbeilungen, 2 cantonale 
Gewerbſchulen, 5 Realabtheilungen von Gymnaſien, 28 höhere Neal: 
oder Secundarjchulen. Die Zahl der Schüler beträgt 4098, die Zahl 
der Lehrer 205, davon find 26 Lehrer an Induſtrie⸗ und Handels 
ſchulen zugleich thätig. 

c) Landwirthſchaftliche Anftalten mit ein: bie zweijährigen 
Gurfen bat die Schweiz 7, nämlih 1 Forſtſchule am Polytechnicum, 
3 landwirthſchaftliche Schulen, 1 Ader: und Waldbauſchule, 2 land⸗ 
wirthſchaftliche Armenſchulen. Einzelne Fächer werden an 87 An: 
ftalten gelehrt. Lehrerzahl 28, Schülerzahl 219. 

d) Handwerksſchulen gibt es 91, nämlih 25 Handwerkerfchulen, 


Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 541 


1 Fortbildungsſchule für Lehrlinge, 9 Zeichnungsſchulen für Hands 
werfer, 29 Winterfhulen, 3 in Verbindung mit Progymnafien und 
26 Secundarjhulen. Einzelne Fächer werden gelehrt an 15 An« 
ftalten. Lehrerzahl 38, Schülerzahl 865. 

e) Außer den angeführten befondern Schulen finden fi in der Schweiz 
95 gemiſchte Schulen obiger Art, darunter die Lehramts:Candis 
datenichule am Polptechnicum. 


7. Das eidgendffifhe Polytehnicum wurde 1855 eröffnet. 
Zur Aufnahme ift das zurüdgelegte 17te Altersjahr erforderlih. Die 
Säule ift ohne den Vorbereitungscurs in 6 Abtbeilungen getheilt, nämlich 
in die Baus, Ingenieur:, mechaniſch⸗techniſche, chemiſche und die Forſtſchule 
und die Lehramtscandidaten-Abtheilung. An der Anftalt wirken 51 Pro: 
fefjoren und Docenten und 5 Affiltenten, und werden im Ganzen 130 
Unterritögegenftände behandelt, davon 17 in franzöfifher und 8 in ita⸗ 
lieniiher Sprache. Die Frequenz der Anftalt ftieg von Jahr zu Jahr. 
Die Zunahme der Stupirenden hat in folgendem Verhältniß ftattgefunden, 
Das Jahr 1855 begann mit 69; 1855/56 183; 1856/57 214; 1858/59 
259; 1860/61 444; 1861/62 546. Der Beitrag des Auslandes an 
diefen Zahlen ift jehr bedeutend; er beträgt circa die Hälfte der Geſammt⸗ 
frequenz. 

8. Die Errihtung einer eidgenöſſiſchen Hohfhule In 
Zolge eines von Oberft Wieland im Scope des Großen Raths von 
Bafelitant gemachten Anzugs, die Regierung zu beauftragen, fih um den 
Sig der zu gründenden ſchweizeriſchen Univerfität für die Stadt Bafel zu 
bewerben, wurbe die Frage allerorts in der Prefie lebhaft beſprochen. Dies 
beweist, daß überall ein reges Interefie für diefe Anftalt empfunden wird, 
und in der Ihat fchlummert fie als ein Weſen ver Zufunft ſchon in ber 
Wiege der neuen Schweiz und harret der Auferwedung, die dereinſt erfolgen 
wird. Die edellten und weitfehendften Staatsmänner der Schweiz dachten 
glei bei der Gründung des neuen Bundes daran, ihm durd eine eib- 
genöffiihe Hochſchule einen idealen Stempel aufzuprüden. Diejes geiftige 
Band follte die bisher zu ſehr gejonderten heile erjt zu rechter Einheit 
und Ginigfeit verſchlingen. Es konnte diefen Männern, welde die neue 
Verfaſſung in’s Leben riefen, nicht entgehen, daß die Nationaltraft der 
Schweiz, wie fie in den neuen Inſtitutionen einen entjprechenden ftaatlichen 
Gentralpunlt erlange, ebenjo eines geiftigen, die wiſſenſchaftliche Bildung 
umfafienden Centrums bebürfe. Diejes Bedürfniß mird Jedem anſchaulich, 
wenn er den Stand der cantonalen Univerfitäten in's Auge faßt, von 
denen es feiner je gelungen ift, zu rechter Blüthe zu gelangen. Durch 
eine eidgenöffifche Hochſchule aber würde das wiſſenſchaftliche Streben einen 
friſchen Impuls erlangen, und ber geiltigen Entwidelung der Jugend mürbe 
die vaterländifhe Weihe und die fpecififch nationale Richtung bewahrt. Cs 
ift daher die Gründung einer eidgenöfliihen Hochſchule eine Pfliht, deren 
Erfüllung der Bund gegenüber der Jugend, wie ber Wohlfahrt des Vater 
Landes ſchuldig ift, damit die Schweiz nit nur als ein Hort der DVöllers 
freiheit, fondern auch als eine Leuchte ver Wiſſenſchaft und Forſchung ges 


542 Die äußern Angelegenheiten der Vollsſchule ꝛc. 


achtet werde; von ihren Bergen zünde nit nur das Feuer bee Freiheit, 
fondern aud die heilige Driflamme der Wiſſenſchaft. (Glarner Big.) 

Dieje Anregung für Gründung einer ſchweizeriſchen Hochſchule rief in 
Bafel eine wahre Begeifterung für diefe Idee hervor, die denn bald auch 
in andern Gantonen Anklang fand. Ein Auffab der R. 3. Ztg., der die 
vaterländifche Bedeutung der Frage in’s Licht fegt, fchließt mit folgenden 
Zeilen: „Es gibt leine Dorfgemeinde mehr in der Schweiz, in welder man 
nicht die materiellen wie geiftigen Bortbeile anerfennt, melde man einem 
verbefierten Bollsfchuhwefen verbantt; die gleihe wohlthätige Wirkung, 
welche die Primarſchule auf die Generation einer Gemeinde hat, äußert die 
Hochſchule auf ein ganzes Land, auf die Welt, auf bie Beitgenofien. Cs 
gibt feinen demokratiſcheren Gedanten, als die Hochſchule; fie führt die Frei: 
beit und Gleichheit praktiſch in's Leben; fie wertbet den Menſchen nad 
feinem wahren Werthe; fie follte daher am meiften von NRepublilanern bod 
gehalten werden. Sie wurde deshalb auch mit Recht von den hervor⸗ 
sagendften Spredern des ſchweizeriſchen Raths als das Juwel des neuen 
Schweizerbundes bezeichnet. Von diefem allein maßgebenden Standpunlt 
kann es fih in erfter Linie nicht um den Siß der Anftalt handeln.“ — 
Damit berührte er wohl ven heikelſten Punkt. Mebr wohl noch als bie 
finanziellen Bedenken und die Yyrage, mie den verſchiedenen Spraden der 
Schweiz ihr Recht zu verjhaffen fei, wird die Concurrenz, wirb der Wett: 
eifer der um den Sig der Hochſchule mitbewerbenden Eantone die Ausfüb: 
zung des Projelts erſchweren. An der Rivalität der Cantone find ſchon 
manche gemeinmüßige Schöpfungen gejcheitert. Die Glarner Zeitung meint 
zwar, über die Wahl des Ortes follte fein Zweifel fein; Züri ſei fon 
als Sig des Polytechnicums zum Domicil der ſchweizeriſchen Hochſchule 
präbeftinirt. Dieſe habe jenes als integrirenden Theil in fih aufzunehmen. 
Natürlich vegt fih auch Bern; vie innere Schweiz fpricht für die Bewer⸗ 
bung Lugerns; die franzöfiihe Schweiz wünſcht den Ei nad Lauſanne 
oder Genf. — Doch nit Eiferfucht, fondern das allgemeine Beſte fei der 
Leitſtern der fchmeizeriichen Politik! 

9. Die Volksſchule in den Gebirgscantonen. Die ſchwei⸗ 
zeriiche gemeinnüßige Geſellſchaft behandelte in ihrer legten Sigung folgendes 
Thema aus dem Gebiete des Volksſchulweſens: „Welche bejonderen Schwie 
rigleiten ftehen einer gebeihlihen Entwidelung der Volksſchule in den Ge⸗ 
birgögegenden der Schweiz im MWege, — und wie koͤnnen diefe am hbeften 
überwunden werden?” — Dieſe bebeutungsvolle Frage wurde von meb- 
reren tuchtigen Schulmännern erörtert. Ihre Arbeiten beurtunden gränd: 
lihe Sadlenntniß, fie deden mit Freimuth die wirklichen Schäden auf und 
bieten eine Reihe praktiſcher, beberzigensmwertber Vorſchlaͤge zur Verbeſſerung 
der Schulen jener Gegenden. Wenn wir bier mit dem Reſumsé ver Re 
ferate über die urſchweizeriſchen Schulftände einige Aufjchläffe geben, fo 
berühren wir damit allerdings eine Schattenfeite des ſchweizeriſchen Schul: 
weſens; aber wir dürfen fie nicht verſchweigen. Unſere Berichte jollen deu 
Stempel der Wahrheit tragen, follen nidt täujchen, noch befehönigen, fon 
dern ein trenes Bild der Wirklichleit mit ihren Lichtpunkten und dunkleren 
Stellen verſchaffen. — Vorerſt theilen wir über die Gebirgscantene, vie in 


-Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. -543 


den Referaten vorzugsweiſe berüdfichtigt worben, einige wenige ftatiftifche 
Angaben mit. 

Sm Nidmalden (Seelenzahl 11,500) befinden fi) nad dem legten 
regierungsräthlichen Amtsberihte 33 Schulen (20 Jahr: und 43 Halbjahr: 
ſchulen) mit 22 Lehrern und 11 Lehrerinnen. Die Zahl der f&hulpflichtigen 
Kinder beträgt 1417 (circa 1 Schulfind auf 8 Bewohner). In Stanz 
befteht für alle Gemeinden eine Fortbildungsſchule mit 34 und eine ſechs⸗ 
curſige Zeichnungsſchule mit 80 Schülern, die in ihren Leitungen ſich 
rühmlih auszeihnet. In 12 Arbeitsichulen empfangen 454 Mädchen 
Unterriht in weiblihen Arbeiten. Die Lehrergehalte betragen insgefammt 
7759 Fr. Darunter lommen noch Bejoldungen von 40 und 80 Fr. vor. 
Nidwalden befißt einen Central: oder Cantonsſchulfond von 50,556 Fr., 
defien Zinje faft ganz der Vollsihule zu gut kommen. Das Schulvermögen 
der Gemeinde beträgt 73,693 Fr. Die Schulgelder betrugen im Bericht: 
jahr 1814 x, die Schulſteuern 1851 Fr, die Geſammtausgaben für’s 
Schulmefen 9146 Fr. In einigen Gemeinden zeigte ſich viel Rührigteit 
und guter Wille fir die Schulen. 

Obwaldens (13,400 Seelen) Schulverhältnifie find denen Nidwal⸗ 
dens fehr ähnlich. Es befteben 34 Schulen (faft die Hälfte Halbtagſchulen) 
mit 14 Lehrern und 15 Lehrerinnen. Sie werden von 1500 Schülern 
beſucht. Die Befoldung beträgt 100 bis 550 Fr. Die meiften Lehrer 
werden im Seminar zu Seewen gebildet. Die Mäpchenfchulen werden von 
Lebrfchmweitern oder Klofterfrauen geleitet. Arbeitsfchulen find in allen Ges 
meinden eingeführt. Lehrer⸗Conferenzen finden weder in Nid⸗ noch in Ob: 
walden flatt. In Sarnen befteht eine zweicurfige Secundarjchule und eine 
Zeichnungsſchule. Der Staat bezahlt jährlihd 1000 Fr. an die Volksſchulen. 
Da vie Schulfonds und der Gtaatsbeitrag nicht ausreihen, die Koften zu 
veden, fo werden Schulgelder und Schulfteuern erhoben. 

Der Canton Uri (14,700 Seelen) hat 2050 ſchulpflichtige Kinder, 
die von 83 Lehrern, 14 Aushelfern und 13 Lehrerinnen unterrichtet 
werden. Obligatorifch find nur die Winterfchulen. Vom Erziehungsrathe 
werben jährliche Gonferenzen veranftaltet. In Altporf befteht eine Secundar⸗ 
ſchule. In Uri ift die ökonomiſche Lage der Lehrer mo möglih nod 
Schlimmer als in Unterwalden. Selbit in Altdorf fteigt die höchſte Beſol⸗ 
dung nur auf 5600 Fr. Uri gibt für das Erziehungsweſen 4761 Fr., 
während die Sefammtausgaben des Cantons 192,200 &r. betragen. 

Bon ven Urcantonen befigt Schwyz (45,000 Seelen) die befte Schul« 
organifation. Der Canton ift in 4 Inſpectoratskreiſe abgetbeilt und hat 
laut Rechenſchaftsbericht 91 Schulen mit 66 Lehrern und 25 Lehrerinnen. 
Es beſtehen im Canton 5 Secundarſchulen, 22 Arbeits- und 21 Repetir⸗ 
ſchulen. Die Lehrer werden im Seminar in Seewen gebildet. In Schwyz 
werden regelmaͤßige Conferenzen abgehalten. Die Beſoldungen variiren 
zwiſchen 200 und 800 Fr. Die Durchſchnittsbeſoldung betraͤgt 500 Fr. 
Der Gehalt eines Secunbarlehrers beträgt 1000—1200 Fr. Vie Ge 
fammtgebalte betragen 30,353 Fr. Die Zahl der Schüler fteigt auf 6000, 
Die Abfenzen find groß. Der Cantonsfhulfond beträgt 48,100, die Schul 
fonds der Gemeinden 247,000 Fr. Vom Staate werben für das Seminar, 





544 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 


die Schulinfpection ꝛc. 9230 Fr. ausgegeben. Seit zwanzig Jahren wurden 
im Schulweſen große Foriſchritte gemadt. Die Behörden zeigen guten 
Willen, 

Im Canton Wallis (90,800 Seelen) find 389 Primarſchulen mit 
14,459 Sdullinden. Die Lehrerbejoldungen fteigen von 60-500 Fr. 
Wallis hatte vor zwanzig Jahren nur Geiftlihe zu Lehrem. Die Bildung 
der Lehrer ift heute noch eine dürftig. Es befteben bierfür im Canton 
4 Normalſchulen mit zweis bis breimonatlicher Bildungszeit. Lebrercon- 
ferenzen find im Entſtehen. Wie in Graubünden, fo ift auch in Wallis die 
Sprachverjchiedenheit ein Hemmniß des Fortjchritts. 

Graubünden (90,900 Seelen): 455 Lehrer, 14,041 Schüler. 
Schulvermögen der Gemeinden: 1,500,000 Fr. Die Mehrzahl der Ger 
balte beträgt 100 — 100 Fr., nur 32 Lehrer beziehen eine Bejoldung von 
500—1600 Ir. In legter Zeit bat der Große Rath das Minimum des 
Lehrergehalts auf Zr. 10 per Woche feftgefept. 141 Schulgemeinden baben 
je 30 oder weniger jchulpflichtige Finder. 

Im Halbcanton Appenzell J.Rh. (12,000 ©.) gibt es 16 Primar: 
ſchulen mit ungefähr 1200 Schülern. In abgelegenen Berggegenven find 
- nur Halbjahrfhulen. In der Regel treten die Kinder mit dem vollendeten 
6. Jahre in die Schule und werden mit dem 12. Jahre entlaflen. Im 
Hauptfleden beſteht eine Realſchule. Die Lehrer im Dorf beziehen 500 Fr. 
und diejenigen auf dem Lande 150300 Fr. nebſt Wohnung und Hol. 
Xebrerconferenzen werden angeregt. Appenzell J.Rh. erhielt erft vor weni- 
gen Jahren eine einfache Schulorbnung, in der der Schulbeſuch obligatorisch 
erllärt wurde. Der Canton Teſſin zählt 458 Volksſchulen (wovon die 
Hälfte Halbjahrjhulen) mit 256 Lehrern, 202 Lehrerinnen und 18,672 
Ihulpflichtigen Kindern im Alter von 7—14A Jahren. Hier befteben auch 
6 Secundarſchulen oder Cantonalgymnafien, 7 Beichnungsfchulen, 1 Lyceum. 
Die Ausgaben für den öffentlichen Unterricht betragen Fr. 118,400. Yür 
Bildung und Fortbildung der Lehrer werden 2 monatliche methodiſche Curfe 
abgehalten. (Nothbehelfe!) Unter den Lehrern befinden ſich 52 Geiftliche. 
Der Antrag auf völlige Uebergabe an Weltlihe wurde verworfen. In 
"Berüdfihtigung fällt auch das bergige Entlibuh im Canton Lugern 
mit 41 Schulgemeinden und 3400 Schullindern. 

Ueber den Canton Glarus und das Berneroberland fehlen 
uns neuere zuverläffige Angaben. Der Referent der zürcherifchen Section d. g. G. 
war Pfarrer Adermann, der ald Nidwaldner die dortigen Schulverhältnifie 
aus Erfahrung und eigener Anſchauung kennt. Seiner Arbeit entheben wir 
jolgende Säße: die Gründung der Volksſchule in der Urſchweiz ift eine Folge 
der Bundesverfafiung. Von daher datirt Nidwaldens einfaches Schulgefeß, das 
einen Cantonsſchulrath ruft, einen Schulinspector aufftellt und den Schulbefud 
der Kinder vom 7.— 12. Altersjahre obligat macht. Der Inſpeetor muß ein 
Geiftliher fein, der meiltens für die Schule wenig Seit hat. Die Orts 
Schulräthe zeigen zu wenig Interefle für Hebung der Schulen. Unter den 
angeftellten Lehrern find manche nicht patentirte. Der Austritt der Schüler 
gefchieht oft ohne Prüfung. Die traurige ölonomiſche Lage der Lehrer: 
ſchaft ift ein Haupthinderniß für bie geveiblihe Entwidelung des Volles 








Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x, 545 


ſchulweſens in den Urlantonen. So lange dieje fortdauert, ift an leinen 
gebildeten Lehrerſtand zu denken. Gin weiteres Hinderniß liegt in dem 
Borurtheil des Landvolls gegen die Schulen, zumeift aber im Borurtbeil 
der Behörden und der Geiftlichleit. Ref. empfiehlt ſodann als Mittel zur 
Abhilfe dieſer Mißſtände: Webergabe der Mäpchenjhulen an fogenannte 
Lehrſchweſtern (wegen der geringern Koften); Aeufnung der Schulgüter und 
Erhebung von Schulfteuern, Aufftelung eines gebildeten Pifitators, Unter: 
ftügung der Lehrerbildung durch Ertbeilung von Stipendien, Ausdehnung 
der Schulzeit bis zum 15. Altersjahr. Diefes freimüthige Wort warf ge: 
waltig Staub auf; es folgte eine Menge won Reclamationen, eine ganze 
Zluth von Vorwürfen. Namentlih war es der Kantonsſchulrath von Nid- 
walden, der feine Mißbilligung in einer öffentlihen Erwiderung aus: 
ſprach. Um Allen gerecht zu fein, geben wir die Hauptpunkte der Ber: 
theidigung. Schon im Jahre 1829 ſei die Schulorganifation in’s Leben 
getreten. Nidwalden habe aljo ſchon jeit dieſer Zeit eine geregelte Volksſchule, ein 
entſprechendes Schulgejeg mit Schulzwang, mit Beitimmung über Errichtung 
zwedmäßiger Schulhäufer, über die Schul- und Patentprüfungen, über die Auf: 
ftelung nieberer und höherer Behörden zur Leitung und regelmäßigen Sn: 
|pection der Schulen. Was either vom Kantonsfchulinipector Niederberger 
zur Förderung des Schulweſens geſchehen jei, verdiene alle Anerkennung. 
Die meiſten Lehrer feien in auswärtigen Seminarien gebildet worden. Auch 
in Bezug auf die Lehrergehalte habe ſich Manches gebefiert. Mehrere be: 
zieben ein Salär von 500-800 Fr., ja der Lehrer der Fortbildungsjchule 
in Stanz fogar 1200 Fr. Man habe ven beiten Willen, die ölonomijche 
Lage der Lehrer zu verbejjern. Ueberhaupt werde von Behörden und Geift- 
lichkeit für Volksbildung das Mögliche geleiftet, und durch ihr Zujammen« 
wirken fei die Schule auf eine Stufe gebradht worden, die ihr einen ehren: 
vollen Plap neben den Landfchulen größerer Kantone einräume (!), Die 
Vorwürfe gegen diejelbe jeien daher unverdient und ungegründet. Cine 
zweite Schußrede aus Uri tadelt ebenfalls die grellen Farben ber Zeich⸗ 
nung, gibt jevoh auch mande Schattenjeiten im trüben Bilde zu. Die 
einzelnen Lichtpuntte und freundlichen Erjcheinungen wird man gewiß überall 
freudig anerlennen; doch ift die Frage felbjt ſchon ein Wedruf, und aus 
allen Referaten tönt die ernite Mahnung an Boll und Behörden der meiften 
Alpenlantone, ihr Schulmejen in nädfter Zukunft zu heben, damit es ven 
Forderungen der Zeit einigermaßen entſpreche. Wir glauben, daß begrün: 
deter Tadel, daß eine treue Schilderung der primitiven Schulzuftände mehr 
Nupen ſchafft, als alle Berichte, die von erfreuliher Bildungsftufe träumen, 
die die Leiftungen überfhäßen und fo Bolt und Behörden in Selbſtzu⸗ 
friedenheit einwiegen. 

Die „Zeitſchrift für Gemeinnügigleit“ theilt eine tüchtige Arbeit vom 
Schulinfpector Riedweg mit, ber die Frage mit Rüdjiht auf die Schuls 
verhältnifie des Kantons Luzern beantwortet. Die Ergebniſſe faßt er in 
folgende Schlußfäße: Die hauptſächlichſten Hinderniffe, melde in den 
Gebirgsgegenden Luzernd dem Gedeihen ver Schulen im Wege ſtehen, find: 
1) die vielen Schulverfäumnifje, berbeigeführt durch zu weite Entfernung 
ber Finder vom Schulhauſe, durch weite, ſchlechte und gefährlide Schul 

Pad. Jahresberiht XV. 35 





546 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 


wege, duch das Ungemach der Witterung, durch Armutb und Gleidhgültig: 
feit der Eltern; 2) die Zerftreutheit der Wohnungen, melde viele und 
swar ungetheilte Schulen erfordern; 3) das Wanderleben der Bergbemwohner; 
4) Mangel an Auffiht. Seine Berbeflerungsvorfchläge lauten: 

1) man verlege die Schulzeit auf diejenige Jahreszeit, in welcher die 
nothwendigſten Arbeiten auf dem Felde die Kinder nicht vom Schulbe: 
fuh abhalten. Das Iuzernifhe Erziehungsgefeß dehnt die Schulpflich⸗ 
tigteit auf 7 Halbjahrcurſe aus, von denen die erftern zwei auf den 
Eommer und die übrigen fünf auf den Winter fallen. Dieſe Einrid: 
tung bat fih als jehr zmedmäßig erwiefen. Dagegen jcheiterte bie 
empfehlenswertbe Cinrihtung von Halbtagjchulen und ambulanten 
Schulen am Widerſtand der Eltern; 

2) man verfhaffe den armen Schullindern eine kräftige Mittagsſuppe 
und die nöthigften Kleivungsftüde auf dem Wegen on Armenvereinen ; 

8) man fege den Beginn der Schulpflichtigkeit früheftens auf das zurüde 
gelegte 6. Altersjahr, in die Zeit gehöriger körperlicher Entwidelung 
und geiftiger Reife ; 

4) man fei ftrenge gegen diejenigen, welche aus Nachlaſſigkeit und böfem 
Willen ihre Kinder der Schule entziehen ; 

5) man befchränte den Unterricht auf Hauptfäher und forge ganz be: 
ſonders für eine gute, fittliche, religiöfe und praktiſche Bildung, damit 
die Eltern und die Geiftlihen die Schule lieb gewinnen und ihr Ge 
deihen fördern belfen ; 

6) man ftelle mo möglidy ſolche Lehrer an, welche eine fefte, fittlihe und 
religiöfe Bildung haben, zu ihrem Berufe befähigt und mit den ört- 
lihen Berhältnifien vertraut find; 

7) man lafle die Bildungsfähigen nicht aus der Schule, bis fie in den 
Hauptfähern die durh den aflgemeinen Lehrplan vorgefchriebenen 
Kenntniffe erworben haben ; 

8) man errichte fo viele Schulen, daß auch den Entfernteften ver Beſuch 
derfelben möglich gemacht wird. Die Beſtimmung des Gefehes, daß 
fo viele Schulen ſollen errichtet werben, daß die Kinder nicht wegen 
zu weiter Entfernung oder Weberfüllung an zwedmäßiger Benutzung 
derfelben gehindert werden, ift jehr gut. Sie hat zwar dem Staate und 
den Gemeinden neue Ausgaben verurfadt; “aber fie bat weſentlichen 
Mebelftänden abgeholfen. Bis in die entlegenften Wildnifie hinaus, 
wo noch Menſchen ihre ärmlihen Hütten auffchlagen, ift ihnen die 
Schule nachgefolgt und fteht bereit, die etwas rohen Naturfinder zu 
entwildern. 

Um Koften für Staat und Gemeinden zu erfparen, arbeitet ber züriche⸗ 
riſche Erziehungsrath dahin, die Zahl der Schulen zu reduciren. Wir halten 
da8 Zufammenziehen der Schulgemeinden in den Berggemeinden nachtheilig 
für die Vollsbildung und Erziehung. Gemiß ift diefe Schulenverfjhmelinng 
eine übel angebradte Sparſamkeit. Das Hauptreferat über dieje richtige 
pädagogifhe Frage hatte Herr Pfarrer Rohrer übernommen. Rad ver 
Berner Schulzeitung entledigte er fich feiner Aufgabe mit wahrer Meifter: 
haft. Er behandelte diefelbe durchweg vom Stanbpuntte eines freifinnigen 





Die außern Angelegenheiten der Vollsfchule 2. 547 


Pädagogen. Zuerſt wurde der frühere Zuſtand des Volksſchulweſens in 
den Gebirgstantonen, beſonders in der Urſchweiz, dargeftellt. Das Bild 
war ein betrübended. Dann wurde der Fortjchritt in neuerer Zeit beleuchs 
tet. Der Referent ftimmt in vielen Punkten den Anfichten Riedweg's bei. 
Er verlangt in finanzieller Beziehung kräftigere Unterftügung von Seite des 
Staats. Für die Lehrerbildung und Berbefjerung der Befoldungen müfle 
mehr gethan werden. Gr empfiehlt forgfältigere Kontrole über Schulen und 
Lehrer und Anordnung von anregenden Konferenzen. Die bierauf folgende 
Discuffion, die keine wejentlih neuen Geſichtspunkte zu Tage brachte, warnte 
ernftlih vor den fogenannten Kleinfinderjchulen. Bei der Entlafjung folle 
nicht das Alter, jondern das Maß oder Kenntniſſe entſcheiden. Das Bolt 
wolle Schulen, die für das Leben nüßen. Gegen das Vergeſſen des Ge 
lernten wirlen erfolgreich die Prüfungen der Rekruten. Die Schulen von 
Berggemeinden erfordern eigene Lehrmittel und eine befondere Bildung ber 
Lehrer. Einige ſprachen der Theilung in viele Meine Schulen, Andere der 
Sentralifation das Wort. Das Referat foll durch den Drud beim Volke 
der innern Kantone verbreitet werden. Wir wünſchen ihm thatfäcdhlichen 
glüdlihen Erfolg. 

10. Veberfiht aus dem Unterrihts:Budget fämmtlicher 
Kantone. Das jchweizeriihe Mufeum gibt eine Zujfammenftellung ver 
Summen, welche in den einzelnen Kantonen der Schweiz jährlih auf das 
öffenllide Unterrihtömejen verwendet werden; nad berfelben verausgabt 
die Schweiz jährlich für die Zwede des öffentlihen Unterrichtsweſens ca. 
7,000,000 $ranten. Wir werden dieſe Tabelle mittheilen, fobald wir von 
der vollftändigen Authenticität jämmtliher Angaben uns überzeugt baben. 
Wir glauben, es feien noch mandye Zahlen zu berichtigen. 

Zürich. Die Shulenverfhmelzung und der Lehrmittel. 
plan. 

1) Schon im vorigen Berichte ſetzten wir aud vom pädagogiſchen 
Standpunkte Zweifel in vie Wünfchbarkeit und Zmedmäßigleit der vom Ge: 
jeß geforderten Zufammenziehbung kleiner Schulgenoffenfdhaf: 
ten. Wir bielten eine Theilung größerer Schulen in Heinere und die Felt: 
feßung des Minimums der Echülerzahl einer Schule auf höchſtens 60 für 
weit verdienftlicher, al& dieſes Centralifiren. Kleinere Schulen ermöglichen 
doch gewiß eher die wünjchbare individuelle Behandlung. Die Vereinigungs- 
ſucht findet nun au in vielen Gemeinden gewaltigen Widerſtand, und es 
äußern ſich in öffentlichen Blättern viele mißbilligende Stimmen namentlich 
über die Echulenverjchmelzung in Berggemeinden, wo die weiten Schul: 
wege unregelmäßigen Schulbefuch zur Folge haben. „Wer mit dem Bolte, 
das ganz mit den Schulen verwadjen ift und fie als ein Kleinod ehrt, in 
engere Berührung fommt, muß beobadhten, daß die Centralifation auf 
diefem Gebiete nur Zwietracht jäet, aus der die nadtheiligften Folgen für 
die Schulen entfpringen. Die Verſchmelzung von fogenannten Zwergſchulen 
in Flach: und Thalgegenden, mo die geringen Entfernungen und lolalen Vers 
bältnifie feine Schulverfäumnifie nach fih ziehen, mag angeben, aber in 
Berggemeinden widerfpricht die Zujfammenziehung dem Zweck.“ (Schweiz. 
Lehrerzeitg.) 


35* 


548 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule xt. 


2) Zu ben Gegenftänden, melde die züriher Lehrer gegenwärtig am 
meiften intereffiren, gehören der Lehrplan und der Lehrmittelplan. 
Nicht ohne Grund legt ein Echulmann dem umfafienden Lehrmittelplan (der 
im Auszuge in der ſchwzr. Lehrerztg. 1862 erſchien) und der Ausfchreibung 
ſämmtlicher Lehrmittel für die zürider Schulen eine jchulgefhidtlihe Be: 
deutung bei und bezeichnet fie als ein Mufter guter Schulverwaltung. Der 
erfolgten Ausfhreibung liegt der Lehrmittelplan und biefem der Lehrplan 
zum Grunde. Derfelbe unterjcheidet 3 Klaſſen obligatorifcher Lehrmittel: 
1) Handbücher für den Lehrer, 2) Schulbücher für die Schüler, 3) Hilfe: 
mittel der Schule. Der Entwurf verlangt die Durchführung einheitlicher 
Klaſſenſchulbuͤcher und bejtimmt für jede der 6 Klafien der Primärfchule 
ein eigenes Schulbuch. I. enthält Etoff für den Echreiblefeunterricht ; 
II. Stoff für den Sprad: und Religionsunterricht; III. Stoff für den 
Sprad:, Neligiond:, Rechnungs: und Gefangunterriht; IV. V. und VI. 
Stoff für den Unterriht in Sprade, Religion, Rechnen, Geometrie. Die 
Realſchule erhält ein befonderes Liederbuch, die Ergänzungsſchule ihr eigenes 
Schulbuch. Als Hilfsmittel bezeichnet der Plan: Wandtafeln, ein 
Bilderwert für den Anfhauungs und Naturgeſchichts-Unterricht, Tabellen: 
werte für den Schreiblefe:, Geſang⸗ und Zeichnungsunterricht, mathematifche 
(Zählrahmen, geometrifhe Körper zc.), geographiſche (Karten, Globen), 
naturfundlige (Mineralienfammlung :c.), Zeihnungs: und Schreibvorlagen, 
Zurngerätbe. 


Sm Beilagen zu Nr. 25, 26 und 28 der ſchwzr. Lehrerztg. (1862) 
find für Einreihung von Entwürfen zu Lehrmitteln für die züricher Volle: 
Schule folgende Preije ausgefchrieben: 

Fr. 1000 für die Lehrmittel des Sprahunterrihts in der Elementar: 

ſchule (3 Theile), 
650 = = Lehrmittel des Religionsunterrichts in der Elementar-, 
Real⸗ und Ergänzungsfohule (7 Theile), 
500 =: = Lehrmittel des Gejangunterrichts in der Primärſchule 
(3 Theile), 
: 300 =: = Lehrmittel des arithmetifhen Unterrichts in Secun⸗ 
därfchulen, 
s 540 = = Lehrmittel des Geſchichtsunterrichts in Secundär: 
ſchulen (allgemeine und Schweizergeſchichte), 
= 300 = = Lehrmittel des geometrijchen Unterrichts in Secundär: 
ſchulen, 
wobei den Verfaſſern für den Fall der Einführung ihrer Lehrmittel über 
den Preis hinaus ein Honorar von 50 Fr. per Drudbogen zugeſichert 
wird. Das ausführliche Ausſchreibungsprogramm gibt ſpecielle Directionen 
über Inhalt, Behandlung, Umfang ꝛc. 

Leider hat fi unter der Lehrerfhaft (vide ſchwzr. Lehrerztg.) über 
die Dent: und Sprehübungen des Lehrplans als bejonderer Unterrichts: 
zweig und über ihre Stellung zum Schreiblejeunterriht ein unerquidlicher 
Kampf entjponnen. Es will und jcheinen, als handle es ſich hierbei mehr 
um perfönlihe Angriffe, als um ſachliche Crörterungen und Aufklärungen, 


Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 549 


3) Nah dem Gefeb über die Verwendung des Vermögens des auf 
gehobenen Klofterd Rheinau foll das Volksſchulweſen aus dem Vermögen 
deflelben 250,000 Fr. erhalten. 

Baſelſtadt. Durch Großrathsbefhluß vom 2. März d. 3. wurden 
die Befoldungen fämmtlicher Clementarlehrer, fowie der Lehrer an der 
Toͤchterſchule um ein Nambaftes erhöht, fo daß der Stand derfelben gegen: 
wärtig folgender ift: 

Ein Unterlehrer erhält Fr. 1. 45 — Fr. 1. 75 per Stunde, ein 
Haupt: oder Oberlehrer Fr. 1. 60 — Fr. 2; eine Arbeitslehrerin 60—80 Rpp. 
Die Jahresbeſoldung beträgt fomit künftig bei 26 wöchentlichen Unterrichtss 
ftunden für den Unterlehbrer Fr. 2163— 2366, für den Oberlehrer 
dr. 2433. In der Mädchengemeindefchule beträgt fie bei 34 wöchent⸗ 
lien Unterrichtsftunden in der Unterihule Fr. 2563, in der Mitteljchule 
Fr. 2688, in der Oberſchule Fr. 2828. Außerdem erhalten jämmtliche 
Lehrer eine Alterszulage: nah 10 Dienftjahren Sr. 400 und nah 15 
Dienfljahren Fr. 500. Somit kann die Primärlehrerbefoldung auf 
Fr. 3328 anfteigen. 

Thurgau. 1) Der vorige Rechenſchaftsbericht der thurgau’ihen Nes 
gierung bringt uns fehr erfreulihe Auffhlüffe über den Zuftand 
des thurgau'ſchen Erziehungsweſens. Es wird kaum ein andrer 
Kanton der Gidgenofienshaft in den legten 10 Jahren für Volksbildung 
folde große Anftrengungen gemacht haben, als der Heine Thurgau. Außer 
einer vollftändigen neuen und zmwedmäßigen Organifation der Primärfchule, 
der Erbauung von 200 neuen Schulgebäuben, ber fehr bedeutenden Befoldungs» 
erhöhungen faft aller Lehrer, der Errichtung einer Kantonsschule mit Induſtrie⸗ 
und Gymnafialabtheilung, der Erweiterung bes Lehrerfeminard und ber 
landwirthſchaftlichen Echule — bat der Kanton noch in Ausführung eines 
großräthlihen Beſchluſſes durch den Erziehungsrath die Vermehrung der 
Secundärfhulen bis auf 23 erhalten. Thurgau hat nun eine jährliche 
Ausgabe von nahezu Fr. 360,000 für das Schulweſen, die durch Zinſen 
der Fonds, dur Beiträge des Staats und der Gemeinden und durch 
Schulgelder gededt werden. 

2) Erbitterung erzeugt auch bier die gemwaltjame Bereinigung 
confeffioneller Schulen, die der Erziehungsrath mit eiferner Konſe⸗ 
quenz durchzuführen ftrebt. Während er in diefer Gemeinjamleit die För: 
derung hriftlicher Liebe, Vertragfamleit und Brüderlichleit erblidt, reclamir- 
ten ſchon viele Genoſſenſchaften gegen diefe Zmangsverjhmelzungen und 
gegen Errichtung paritätifher Schulen. 

Appenzell U, Rh. 1) Der Großrath hat (im November 1862) 
eine auf Grund eines Gutachtens ver Lehrerfhaft bafırte Schul: 
Verordnung erlafien, melde eine mejentlihe Hebung bes ! Schul: 
weſens zur Folge haben wird. Das „Appenzeller Jahrbuch“ äußert fi 
u. N. darüber, wie folgt: Die neue Schulorbnung, dad bedeutendſte Ereig: 
niß auf dem Gebiete der Schule im legten Berichtsjahr, ift kein Schulge 
ſetz. Ein ſolches zu erlafien, lag weder in der Competenz der Behörde, 
noch in der Gunft der Zeil. Man wirb daher manches Wefentlihe und 
Münjhenswerthe in derfelben vermifien: es galt dabei, das unter gegebenen 





550 Die dußern Angelegenheiten der Volksſchule zc. 


Berhältnifien Möglichfte zu erfireben. Bon diefem Etanbpunlt aus be⸗ 
grüßen wir die neue Verordnung ale einen nicht unerheblichen Fortiäritt 
im Schulweſen. Was in den vorgejchrittneren Gemeinden allmählig zur 
Praxis geworben, iſt nun obrigteitlih als Minimum der Leiflungen und 
Forderungen feftgeftellt. Zur NRealifirung des Ideals für das Appenz. Primär: 
ſchulweſen, für Ausdehnung der Alltagsjichulpflictigfeit bis zum zurüdge 
legten 13. Altersjahr bedürfte es der Sanction des Volks und der ver 
einigten großen Opfer von Staat und Gemeinden. Ginftweilen zählen wir 
auf das Nacheiferung erzeugende Beifpiel einzelner Gemeinden Heiden ifl 
nun die erfte Gemeinde, die im Intereſſe einer gründlichen Jugendbildung 
die Verlängerung des Beſuchs der Alltagsfchule bis zum vollendeten 13. 
Altersjahr beihlofien hat. Iſt nun aud in der Schulorbnung der Befud 
der Alltagsfchule vom 6 —12. Jahre fteben geblieben, fo trachtet man doch 
dahin, die Nepetirfchulzeit von 81/, auf 6!/, wöcheniliche Unterrichts: 
ftunden zu vermehren. — Es kann nun nicht mehr gejagt werben, dab das 
Land (der Staat) für’3 Schulmefen nur geringe Opfer bringe. Der Staat 
(Appenzell A. Rh. mit 48,400 ©.) bat ein eigenes Lehrerfeminar, er 
gibt zur Ausbildung von Primär und Neallehrern Stipendien von je 
Fr. 250—500, ertheilt jevem appenzelliihen mahlfähig erflärten und an- 
geftellten Primärlebrer eine Prämie von Fr. 200, unterftügt indirelt bie 
Lebreralterlafle, fördert den Bau neuer Schulhäufer dur Prämien von 
Fr. 500—1000, die Gründung neuer Realſchulen durch Beiträge von 
Fr. 300-600, fest für Hebung des Primärfchulmefens in den ärmern 
Gemeinden einen jährlihen Crebit von Fr. 3000 aus und erläßt die wid: 
tigern Lehrmittel um einen ermäßigteren Preis. Alle dieſe Landesopfer 
tepräfentiren freilich immer nod eine bejcheidene Summe gegenüber den 
eolofialen Ausgaben für materielle Zwecke. — Im Berichtsjahr wurde das 
Inſpektionsſtatut dahin verändert, daß ftatt der jährlihen Bifitation ein 
Zjähriger Zumus aufgenommen wurde. Ebenſo handelte er ſich um den 
Fortbeitand oder die Aufhebung des kantonalen Lehrerfeminars. Die ange: 
regte Berbindung befjelben mit der Kantonsſchule in Trogen nahm eine 
unerquidlihe Wendung perjönliher Art. Der Große Rath entſchied fi 
dann für ein eigened Seminar und daß daſſelbe in Gais verbleibe. Eine 
in Yolge einer Lehrerpetition erlafiene dringliche Einladung der Landes⸗ 
ihulcommiffion an die Gemeinden, wo noch jährlibe Erneuerungswablen 
der Lehrer ftattfinden, auf Abſchaffung diefer Wahlen und Sicherftellung 
der Lehrer hatte wenig Erfolg. Im Stadium der Unterhandlung mit ver 
Lehrerſchaft liegt die Anregung, das Freiturnen in die Schulen einzuführen. 
Hier Tann aber der Turnunterricht einftweilen nur auf dem Wege ber 
Hreiwilligleit eingeführt werden. Rühmlihe Thätigfeit entfaltete die Schul⸗ 
behörde für Erftellung einheitlicher geeigneter Lehrmittel und eines allge: 
meinen Lehrplans. 

Mir theilen jhließlih noch die Kauptbeftimmungen der neuen Schul: 
ordnung mit. Dberauffiht: Cämmtlibe Schulen des Landes, öffentliche 
und Privatſchulen, ftehen unter der Oberaufjiht der vom Großen Rath 
gewählten Landesſchulkommiſſion. Die Leitung des Schulweſens in den 
Gemeinden fteht beim Ortsſchulrath. Ohne Wahljähigleitszeugniß darf 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 551 


fein Lehrer angeftellt werben. Jede Schule muß je im Laufe von zwei Jahren 
wenigſtens einmal von Sachkundigen infpicirt werden. Die Berichte der Infpec- 
toren find den Ortsſchulräthen und Lehrern mitzutheilen. Die Kinder haben vom 
6.—12. Jahre die Alltagsſchule und von da big zum Conftrmationsunterrichte 
die Uebungsſchule zu befuchen. Der folgende Abfchnitt enthält fehr detaillirte Be= 
jtimmungen über Schultabellen und Ahndung der Schulverfäumniffe. Die 
Beltimmungen über die materielle Unterftügung des Staats, betreffend bie 
Ertheilung von Stipendien und Prämien. Die PVerabreihung von Beis 
trägen zu Schulhausbauten, zur Hebung und Förderung des Schulweſens 
in armen Gemeinden und die Errihtung von Realſchulen wurden oben 
angedeutet. Die Prämie hat ver Lehrer zurüdzuzablen, wenn er 
nicht wenigitend 10 Jahre im Lande wirt. Prüfung der Primär und 
Reallehrer: Schulamtskandidaten können das Wahlfähigleitszeugniß für den 
Kanton nur dadurch erhalten, daß fie eine gefeßlihe Prüfung vor ber 
Landesſchulkommiſſion beftehen. Anderswo geprüften Lehrern kann die Prüfung 
auf Grundlage bewährter praltifcher Tüchtigleit erlaflen werben. 

In der Borprüfung hat der Kandidat a) eine Probe feiner Kalligra- 
pbie abzulegen und fi auszumeijen, daß er Fertigleit im Zeichnen befige, 
b) einen Aufjaß über ein gegebenes Thema auszuarbeiten und feinen Lebeng- 
und Bildungsgang bdarzuftellen, c) eine Probe feines praktiſchen Geſchics 
im Sculhalten abzulegen, bei welcher Probe aud die katechetiſche Bes 
handlung einer bihliihen Geſchichte und der praftiihe Geſang berüdfichs 
tigt und genau beobachtet werden joll, in wiefern der Geprüfte zu einer 
rationellen Behandlung der Lehrfächer fi eigne. Die eigentlihe (münd⸗ 
liche) Prüfung verbreitet fi über 15 Fächer. Wer in einem berfelben nicht 
wenigftens das Prädicat zureichend erhält, ift nicht wahlfaͤhig. Die Grabbe- 
ftimmungen für die Zeugnifie lauten: zureichend, befriedigend, gut, fehr gut. — 

Zur Vergleihung mit den gegenwärtigen Anforderungen an ben 
Primärlehrer fügen wir aus einer intereflanten Mittheilung über die Ge 
ſchichte der Lehrerbildung in Appenzell U. Rh. (Jahrbuch) die Forderun⸗ 
gen bier bei, die der erfte Schulmeifterlehrer Steinmüller im Jahre 
1802 an einen Landſchullehrer ftellte. Er fagt wörtlich: 1) der Lehrer foll 
richtig, deutlih und gefällig lefen können, 2) er foll im eigenen Nachdenken 
geübt worden fein, das, was er liej’t, verftehen und mit ben Kindern kate⸗ 
chetifch zu reden wiſſen, 3) er fol ſchoͤn und richtig fchreiben, auch im 
Stande fein, einen orbentlihen, natürlihen und ungezwungenen Aufſatz aus 
dem Kopfe zu verfertigen. Um dieſes zu können, muß er daher auch Kennt: 
niß der deutſchen Sprachlehre befigen. 4) Er foll im Rechnen menigitens 
die 4 Species verftehen und im NKopfrechnen nit ganz ungeübt fein. 
5) Er foll vernünftige und richtige Religionglenntnifje haben. 6) Könnte er 
den Rindern auch Anleitung im Singen der Rirden: und Volkslieder er- 
tbeilen, fo wäre es deflo befjer und man könnte dann ben Anfang und 
Beihluß der Schule mit dem Gefang maden. 7) Endlich befiße er noch 
die Fertigkeit, diefe Renntnifle auf eine vernünftige, zwedmäßige, angenehme 
und leichte Art feinen Schülern vortragen zu können. Cr fei zugleih in 
und außer der Schule ein rechtſchaffener, chriſtlicher Mann, der Freude und 
Luft an feinem Berufe bat, ferne von Echulmeifterftolz, jeven guten Rath 


552 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule xc. 


annimmt und venjelben prüft, jede nüßlihe Vorſchrift befolgt und daher 
nie ftille fteht, immer zu lernen und immer nüßlicher zu werben ſucht. 

2) Als einen Fortfhritt in Schulſachen bezeichnet die Appenzeller 
Lehrerztg. die Verfügung des Gemeindeſchulraths von Herifau, nach welcher 
in Zukunft die Lehrerfchaft in dieſer Behörde repräfentirt jein fol. 

Bern. 1) Der Reg.-Rath erließ ein Reglement für die Patent: 
prüfungen von PBrimärlehrern, das feit Januar 1863 in Kraft 
getreten ift. Um eine Norm der gefteigerten Anforderungen an die Lehrer 
auch in den vorgejhrittneren Kantonen zu haben, theilen wir deſſen weſent⸗ 
lichen Inhalt mit. Wer in den Primärlebrerftand des Kantons Bern aufs 
genommen werben mill, bat eine Prüfung zu beitehen. Die Erziehungs⸗ 
direktion beftellt eine Prüfungstommilfion, in der der Seminarbireltor be 
rathende Stimme hat. Die Prüfung zerfällt zunächſt in eine praktiſche und 
eine theoretifhe und diefe wieder in eine mündliche und eine fchriftliche. 
Bei der mündlichen Prüfung tbeilt fih die Kommiffion in verſchiedene 
Geltionen. Pie Prüfung erftredt fih auf ſämmtliche obligate Unterrichts: 
fäher im Umfang des Seminarlehrplane. Die Prüfung im Tumen und 
Biolinipielen kann erlafien werben. Die ſchriftliche Prüfung befteht aus 
der Abfafjung eines Aufſatzes in der Mutterfprahe, aus der Anfertigung 
eines Kleinen franzöfifhen Brief3 und aus der Löſung einer mathematifchen 
Aufgabe. Die Forderungen, welde in der mündliden Prüfung geftellt 
werden, find: 1) im Face der Pädagogik: Kenntniß der körperlihen und 
geiftigen Entwidelung des Kindes, Einfiht in das Weſen, die Mittel und 
Mege der Erziehung, Kenntniß der Volksſchule nah ihrem Wefen, ihren 
Grziehungsmitteln und deren methodische Verwendung, überfichtlihe Kennt: 
niffe der Gefhichte des Volksſchulweſens; 2) im Fache der Religion (für 
Net): Kenntniß der biblifhen Gefhichte alten und neuen Teftaments, 
Bibelfunde, befonders Kenntniß des Inhalts und Charakters der einzelnen 
bibliihen Bücher, chriftlihe Glaubend- und Sittenlehre, Kenntniß der Haupt: 
momente aus der Kirhengefhihte;, 3) im Fache der Mutterfprade: laut⸗ 
richtiges und finngemäßes Lefen, Klarheit und Gewandtheit in der zuſam⸗ 
menhängenden mündlihen Reprodultion von Stylftüden den Gedankengang 
und die logifhe Gliederung nachzuweiſen, Kenntniß der Grammatil, der 
Eigenfchaften des Styl3 und der Formen und Arten der profaiihen umd 
poetiſchen Sprachdarſtellung, Kenntniß der Hauptmomente aus der Geſchichte 
ber neueren Poefie; 4) im Fade der franzöfifhen Sprade: richtiges und 
geläufiges Lefen, Kenntniß der grammatiihen Grundformen, Ueberfegen ein: 
facher Darftellungen; 5) im Fade der Mathematil: gewandte Handhabung 
und fihere Erklärung der 4 Specied mit ganzen und gebrochenen Zahlen 
und ertigleit in Löfung von angewandten Aufgaben aus der Arithmetit, 
wobei fichere Kenntniß des metriſchen Syſtems verlangt wird, Kenntniß ber 
Buchſtabenrechnung, der Ausziehung der Quadrate und Kubikwurzel, ver 
geometriihen Proportionen und der Gleichungen des erften Grades, die 
wichtigften Lehrfäße und Aufgaben der Planimetrie und Stereometrie, pral- 
tiihen Geometrie und Begründung der im Leben anzuwendenden Flächen: 
und Körperberehnungen; 6) im Fache der Naturkunde: das Wichtigfe 
aus dem Gebiete der Naturgefhichte, der Phyſik, der Chemie, mit Rüd: 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 353 


fiht alles deſſen, mas in’s praktiſche Leben eingreift: 7) im Jade der Ge 
fhichte: genaue Bekanntſchaft mit der Schweizergefchichte und die wichtigſten 
Momente aus der allgemeinen Gefhichte; 8) im Face der Geographie: 
Kenntniß der mathematifhen Geographie, jo meit fie fih auf gemeinfaß- 
lihe Erſcheinungen bezieht, ſummariſche Kenntniß der phufilafiihen und 
politiſchen Geographie der 5 Erdtheile, fpecielle Renntniß des Schmeizer: 
landes; 9) im Wache der Mufil: Kenntniß der Rhythmik, Melodik und 
Dynamit, Kenntniß der Accorde und der wichtigſten Accorbverbindungen, 
Klenntniß der verſchiedenen Gefangfagarten und der wichtigſten mufikafifchen 
Kunftformen. — Die praltiide Prüfung umfaßt eine Probeleftion mit 
einer Klaſſe der Volksſchule, einer Probeleiftung in den einzelnen Kunft: 
fähern: Vortrag eines neuen Choral: und Fiquralftüdes, Notiren eines 
mufifaliihen Sabes, Vortrag eines leichten Violin⸗, eines Orgel: oder 
Klavierftüds, Vorlegung ausgeführter Zeichnungen und Schönſchriften, eich: 
nung eined einfachen Gegenftandes nah der Natur, Ausführung einer 
Vrobefhrift auf die Wandtafel. — Die Yorderungen an Lehrerinnen find 
angemeflen mobdificirt und rebucirtt. An die Stelle der franzöfiihen Sprade 
tritt die Prüfung in den mweibliben Arbeiten. Die Prüfung in der In⸗ 
ſtrumentalmuſik ift facultativ. Ueber die Zeitftellung der Prüfungsergeb» 
nifie enthält das Reglement ganz betaillirte Beftimmungen. Sprachleiſtun⸗ 
gen werben mit 1, jehr gute mit 4 bezeichnet; wer nicht für alle Fächer 
mindeſtens die Gefammtzahl 20 befömmt, kann nit patentirt merben. 
Die Patente werden den Bewerbern erft nach zurüdgelegtem 20. Jahre 
zugeftellt. 

2) Ein Rüdblid. Aus einem fo betitelten Artikel ber Berner 
Schulztg. entnehmen wir folgende Zeilen. Eine ſummariſche Zuſammen⸗ 
faflung defien, was in der abgelaufenen Ajährigen Amtsperiode durch die 
abminiftrative und gefeßgeberiihe Thätigleit der Behörden, mie burd bie 
freiwilligen Anftrengungen der Gemeinden auf dem Gebiete der Volksſchule 
geleiftet worden, bat immer ihre interefiante und belehrende Seite. Ein 
folder Rüdblid ift ein Rechnungsabſchluß und enthält eine doppelte Auf: 
forderung: einmal zu richtiger Würdigung des Geleifteten nah Verhältniß 
der verfügbaren Mittel und Kräfte, ſodann zu erneuerter Anftrengung, um 
die vorhandenen Füden auszufüllen. Mit aller Befriedigung muß aner: 
fannt werden, daß in diefer Periode Boll und Behörden die rühmlichiten 
Anftrengungen gemacht haben, die Neugeftaltung unſeres Volksſchulweſens 
Fräftigft zu fördern. Wir deuten die mwichtigften und eingreifenpiten Alte 
an. 1) Obenan ftellen wir die Erlaſſung des Beſoldungsgeſetzes. Als 
eine bejonderd mohlthuende Erſcheinung verdient hervorgehoben zu werden 
die feltene Einftimmigleit, welche die Behörden in dem einen Punkte: Noth- 
wenbigleit einer beſſern öfonomifhen Stellung der Lehrer, an den Tag 
legten. Die gleihe Stimmung zeigte fih auch unter dem Volke; freilich 
erbliden wir in dem Errungenen nur „ven Aufang vom Ende”. Noch 
immer fteht die Minimumsbefoldung in keinem richtigen Verhaͤltniß zur Ar: 
beit eine® pflichtgetreuen Lehrers; noch immer ftehben wir bierin hinter 
Zürich und Bafelland zurück. 2) Das Schulgeſetz (letzter Theil) bildete 
den Abſchluß unjerer Schulgefeßgebung. Durch daſſelbe wurde namentlich 


554 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule zc. 


auch eine jener brennenden ragen befriedigend erlevigt, weldhe Jahre lang 
die Lehrer in Bewegung erhalten, wir meinen die Bewwerbereramen. 3) Das 
neue Seminargefeß gehört unzweifelhaft zu den bebeutenpften und folge: 
wichtigſten Atten der neueflen Schulgefepgebung. Durch daſſelbe murbe 
für das Seminar in Pruntrut die Parität eingeführt, wurde namentlich 
das Seminar Münchenbuchſee von Grund aus reorganifirt, mit vermehrten 
Hilfsmitteln an Unterrichtszeit und Lebrträften reichlicher ausgeftattet und fo in 
den Stand geſetzt, den gefteigerten Anforderungen an die Lehrerbildung zu 
genügen. 

3) Für die nächſte Zukunft ftellt der Neg.-NRath folgendes Programm 
auf. In Beziehung auf das Primärfchulmejen ift vorerft der Unterrichts: 
plan und die Lehrmittelangelegenheit zu erledigen, die Mäpdchenarbeitsfchule 
im Intereſſe der Heranbildung der weiblichen Jugend für ihre pätere 
Lebengftellung zu organifiren und das Verhältniß zwiſchen dem Schulunter: 
riht und dem kirchlichen Unterriht in einer beiden Rechnung tragenden 
Weiſe zu ordnen. In Bezug auf die Secundär und Kantonsſchulen wird 
bie Behörde es als eine ihrer Hauptaufgaben betrachten, das richtige In⸗ 
einandergreifen beider Arten von Anftalten nöthigenfalld durch Neorganifation 
berzuftellen und überhaupt darauf hinzumwirten, daß diefelben den Alnfor: 
derungen der Zeit und den Bedürfnifien des Volks immer mehr genügen. 
Im Meitern wird fih die Behörde die pbufifhe Erziehung der Jugend 
durh Turnen, militärifhe Uebungen und mo nöthig durch zweckmäßigere 
Drganifation des Schulunterrihts, ebenſo die Bildung von Fortbildunge 
und Handwerksſchulen angelegen fein lafien. 

4) Zu den Männern, die das Berniſche Unterrichtsweſen aus ber 
Stagnation in kräftigen Aufſchwung und Fortſchritt gebradt, durch zwed- 
mäßige Echulgefeßgebung in blühenden Zuftand und gegenüber den vorge: 
rüdteften Kantonen zu einem ehrenvollen Range erhoben haben, wird in 
erfter Linie Dr. S. Lehmann gezählt. Seine Nichtwiederwahl als Ex: 
ziehungsdirektor hat darum einen großen ebrenwerthben Theil der Bevölle⸗ 
rung mit tiefem Unmuth erfüllt. Alle liberalen Blätter beflagen das Un⸗ 
recht und heben die Keftigfeit und Geradheit feines Charalters, die wiſſenſchaftliche 
Pildung, die praktiſche Erfahrung, die Pflichttreue, die mufterhafte Thätig⸗ 
feit, die Liebe zum Bolt und die entfchiedene Yreifinnigleit rühmend ber: 
vor. Er babe nicht nur gearbeitet, fondern au geichaffen und alle feine 
officiellen Arbeiten (darunter 19 wichtige Schulgejege, Reglements ꝛc.) be: 
urlunden einen freien Geift und eine humane, echt chriftliche Geſinnung. 

Männer, wie Dübs, Vigier und Lehmann verdienen um ihres 
treuen, einfihtigen Wirkens für die Schule volle Anerkennung, Adtung 
und Dankbarkeit. 

5) Die Gehalte der Reallehrer der Stadt wurden auf 100 Fr. für 
jede wöchentlihe Unterrichtsftunde erhöht. Aeltere Lehrer erhalten Zulagen 
von 10 Brozens der jährlihen Bejoldungsjumme. 

Luzern. Bufolge einer Eingabe des bifhöflihen Kommiflärd und 
der geiftlihen Landkapitel des Kantons an die Verfaflungsrepifionslommif: 
fon beanſprucht der Klerus einen übergroßen Einfluß auf das Schul⸗ 
und Erziebungsweien. Er fordert in lategorifcher Weile die Aufnahme 


a 








Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 555 


folgender Punkte: 1) dem Erziehungsrath ift unter Oberauflicht des Reg. 
Raths und des Biſchofs die Aufliht und Leitung des Erziehungsweſens 
übertragen. 2) Die Kirche foll im Erziehungsrath eine verhältnißs 
mäßigere Vertretung haben und zwar fo, daß die geiftliden Mitglieder 
von den Landkapiteln aus ber Kantonsgeiftlichleit gemählt werden und ver 
weltlihen an Zahl gleihlommen. 3) der Erziehungsrath ift für 
fein Wirken nach feinem kirchlichen Charakter und in Betreff der religiös: 
fittlihen Erziehung nebft dem Neg.:Rath und dem Großen Rath auch der 
Rirbe, vefpective dem Bifchofe verantwortlich. 

Mir denken, die Berfafiungstommiffion und der Große Rath werden 
da wohl ein Veto einlegen. 

Aargau. 1) Bon Sahr zu Jahr ermarteten die Lehrer das von 
der Berfaffung ſchon Tänaft in Ausſicht geftellte Schulgefeß und mit ihm 
eine Beflerftellung der ölonomifhen Lage. Wohl zirkulirte ein mißglüdter 
Entwurf, an dem Manche einen monardifhen Charakter finden wollen ; zur 
ernftlihen Anbandnahme und Beratbung kam es jedoch bis zur Stunde 
nit, obſchon e8 an brennenden Kragen und an Gründen zur Revifion 
nit mangelte. Diefe jahrelange Vernahläffigung des Lebrerftandes übte 
begreiflib einen nadtheiligen Einfluß auf die Fortentwidelung des Schul: 
wefens und medte eine tiefe Mipftimmung in der Lehrerſchaft. Da es 
ungewiß ift, ob und mann der Große Rath den Gegenftand in Angriff 
nimmt, fo bradte der neue Erziebungsdireltor Welti einen Geſetzesvorſchlag 
über einftweilige Erhöhung der Gehalte. Die meiften Landſchullehrer ftanden 
bis dahin noch auf der gejeglihen Minimalbefoldung von Kr. 457—528. 
Die hoͤchſte Beſoldung betrug Fr. 800 und die Gelammtgehalte der 304 
Pehrer beliefen fih auf Fr. 281,000. Herr Reg.-⸗Rath Welti fprad mit 
wärmfiem Intereſſe für Befoldungserhöhbung und zeichnete mit fcharfen 
Zügen die Lage der Lehrer und Schulen. „Ganz gewiß find die Bilbungen 
und Schulzuftände eines Landes abhängig von den Befolbungsverhältnifien. 
Es ift in der ganzen Welt gleih: Mie der Lohn, fo die Arbeit. Tüchtige, 
intelligente, charalterfefte junge Leute wählen nicht den Lehrerberuf, um 
einen Fabrilarbeiterlohn, um ein Almoſen von Fr. 528 zu verdienen.” Es 
wurde alsdann in erfter Berathung befhlofien, die Befoldung der Lehrer 
an Unter und Mittelihulen auf Fr. 650 und diejenige der Lehrer an 
Sefammt- und Oberfhulen auf Fr. 700 zu erböben. Dieſer Beſchluß ift 
einftweilen auf Papier und kein Geſetz; denn die zmeite entfcheibende Be⸗ 
rathung läßt lange auf ſich warten. 

2) Einige Referate der ſchweizeriſchen Lehrerzeitung wünſchen nebit 
einer richtigen focialen Stellung der Lebrerfchaft und einer wirkjameren 
KRontrole über die Schulen auch eine angemefiene Beſchränkung des lands 
wirtbichaftlihen Betriebs im Lehrerfeminar, der in gegenmwärtigem Umfang 
der wiſſenſchaftlichen Bildung Eintrag thue. Ref. beruft fih auf den 
früheren Erziehungsbireltor A. Keller, der hierüber bemerlte: Die lanb- 
wirtbfchaftlihe Beihäftigung wird gefährlich für die Schule felbft, fobald 
der Lehrer genöthigt ift, durch Nebenbefhäftigung der Landwirthſchaft feine 
Eriftenz zu fibern, denn alsdann wird der Lehrer vorzugsweife Bauer.‘ 
Nach einer Mittheilung haben die Seminariften 44 Jucharten Land zu be 


556 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 


arbeiteten, welche Arbeit jährlih circa 100 Tage zu 5 Stunden in An 
fpruh nimmt. Natürlich berührt diefe Klage das Seminargefeß und nidt 
den Director. 


Graubünden. Das Infpectionsmwefen dergraubündneris 
hen Volksſchule. An der lebten allgemeinen bündnerifchen Lehrer: 
conferenz fam auch diefe Frage zur Sprade. Das Bündner Tageblatt 
macht uns mit den Hauptpuntten des mwadern Referats belannt. Cingangs 
wurbe die Nothwendigkeit einer kräftigen Einwirkung auf die Schulen durd 
die Infpection zur Hebung berfelben dargelegt. Bei einläßlicher Beurthei⸗ 
lung der gegenwärtigen Auffiht wurde auf Grund der amtlichen Berichte 
und vielfacher Erfahrungen des Referenten behauptet, die Inſpectoren geben 
dem Lehrer zu wenig mit gutem Rathe an die Hand, ihre Beurtbeilung 
der Schulen fei eine oberflädliche, die Leiftungen werden in den Berichten 
überſchätzt. Als Urſachen werden folgende Uebelftände bezeichnet: die Zeit, 
die auf einzelne Schulen verwendet wird, ift zu kurz. Der Tag der In— 
jpection wird dem Lehrer angezeigt. Die Infpectoren find mit den Ange 
legenbeiten der Schule zu wenig vertraut. Der Beſuch ber Schulen ift ben 
Infpectoren nur Nebenbeichäftigun. In Berüdfichtigung der angeführten 
Uebelftände brachte das Neferat folgende Vorfhläge zu einer Reorganifation: 
1) Verminderung der Infpectorate zum Zmed einheitlihen Zufammenmwirtens; 
2) Anftellung von drei tüchtigen, theoretifch und praktiſch gebildeten Schul: 
männern mit einer Befoldung, durd die es ihnen möglich wird, ihre 
ganze Thätigkeit, ihre volle Kraft ausjchließlih dem Schulwefen zuzumenden; 
3) Uebernahme der Wieverholungscurfe für Lehrer durch die Inſpectoren 
und Verwendung von einem Theil des betreffenden Credits zur Befoldung 
der Inſpectoren; 4) jährlihe Einberufung der Infpectoren zu den Sitzungen 
der Erziehungsbehörde Behufs Berichterftattung und Beſprechung über bie 
Angelegenheiten der Volksſchule. 

Das Referat wurde von einer Seite angegriffen. Obne Grund murde 
gefolgert, es fei darin auf eine Ausfchließung der Geiltliben vom Juniper: 
torate abgefehen. Der Referent verwahrt fich gegen dieje Auffafjung Das 
Referat fage keineswegs, daß nicht auch Geiltlihe zu diefem Amte ver 
wendet werben können, fofern fie nur die nothwendigen Sachkenntniſſe be 
figen und dem zweiten Reviſionsvorſchlage entiprehen. — Auch eine Lehrer: 
verfammlung des Cantons Waadt petitionirt um Anftellung ftändiger 
Schulinfpectoren. 


Solothurn. 1) Aus dem Schulleben dieſes Cantons weht uns 
gegenwärtig eine erfriſchende, belebende, innerlichſt wohlthuende Frühlings: 
luft entgegen. Den Kern defielben bildet eine ftrebfame Lehrerichaft, die 
alljährlih einen Zuwachs friiher Kräfte aus dem mohl geleiteten Seminar 
erhält. An der Epite des Schulmefens fteht ein Mann (Wigier) voll 
Feuer und Kraft, dem die Jugendbildung Mitte und Kernpunlit de 
Staatslebeng ift, der mit Umfiht und Energie feine hohe Aufgabe erfüllt, 
der die geſetzgebende Behörde zu elektrifiren und durch fein lebendig Wort 
für die Sache der Erziehung, für den Fortſchritt im Schulweſen zu erwärmen 
und begeiftern verfteht, der alle mitwirfenden Kräfte Jammelt und anfenert, 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 557 


um gemeinjam das ſchöne hohe Ziel eher zu erreichen. Möchte diefe Wärme und 
Begeifterung für die große Angelegenheit der Voltsbildung aud auf Aargauer 
und St. Galler Gebiet ſich verpflanzen, in wel’ leßterem gegenwärtig die 
Gefeßgeber die Schulfragen fo entjeglihd fühl biscutiren, wo jo menig 
Schwung und Begeifterung für bie Yortentwidelung der Schulen fi fund 
gibt und wo auch die Grziehungsgejeße feine Spur, von großartiger und 
idealer Auffafjung der Lebensfrage an ſich tragen. 


2) Gehaltserhöhung. Solothurn bat eine aderbautreibende Be: 
völferung und kann bei den beſchränkten landwirthſchaftlichen Erwerbs- 
quellen den Lehrern nicht jene Subfiltenzmittel zufihern, wie es große, 
induftrielle Ortichaften der Oft: und Weſtſchweiz längſtens auf freien Stüden 
gethban haben. Deſſenungeachtet hat Solothurn mit Bern, Luzern, Aargau 
immer ehrenhaft Schritt gehalten und madt Miene, ihnen nunmehr den 
Rang abzulaufen. Abgeſehen von den Städten Olten und Solothurn war 
bis heute das gejeßlihe Minimum eines definitiv angeltellten Lehrers je 
nah der Schülerzahl Fr. 520 — 570 nebit Wohnung und Holz. Nun 
hat der Gr. Rath den Lehrern eine rejpeltable Gehaltszulage zuerkannt. 
Nah dem Beihluß, der auf dem Syitem der mit den Dienftjahren fteigenven 
Zulagen bafirt, erhalten jetzt aus den vereinigten Hülfgmitteln von Staat 
und Gemeinde 

Lehrer mit o Jahren Dienſtzeit eine Jahreszulage von 80 Fr., 


„ „ "„ „ „ ” " 1 0 s 

"„ "„ 5 " „ " n ID 1 50 2 
L) 

„ [2 20 » [2 n „ m 200 > 


Es ift überdies gefeglich vorgebeugt, daß die bereit3 won den Gemeinden 
freimillig aufgebejlerten Lebrerbefoldungen nit mieber reducirt werden 
dürfen. In Folge defien werden nun mande Landlehrer mehr als 
Fr. 1000 Baarbejoldung zu beziehen haben. 


Für die gefammte Lehrerſchaft des Cantons ift viefer Beſchluß ein 
Sporm zu neuer Thätigleit und zum Ausharren im Berufe. Er ehrt die 
Lehrerſchaft und die Behörde, indem auch nicht eine einzige Stimme den 
Antrag belämpfte. 


3) Das neue Geſetz für die Bezirtsfhulen des Cantons 
Solothurn enthält folgende Grundzüge: Die Bezirksihulen fchließen fich 
an die Primärjchulen und haben die Aufgabe, die elementare Bildung ihrer 
Schüler zu vollenden, ihnen die für das gewerblibe Berufsleben noth: 
wendige Vorbildung zu geben und nah Maßgabe ihrer Einrihtung — 
diefelben für den Eintritt in das Lehrerjeminar und die Cantonsfchule vor: 
zubereiten. Die Bezirlsjhulen werden von dem Staat auf Begehren und 
unter Mitwirtung der Gemeinden errichtet. Der Staat leiftet für jeden 
Lehrer einen Beitrag bis auf 3/, der Befolvung, jedoch nicht über Fr. 1200. 
Den verhaͤltnißmäkigen Beitrag der betheiligten Gemeinden an die Koften 
beftimmt der Regierungsrat. Diejer hat die Oberauffiht über die Bezirks: 
fchulen, beftimmt den Lehrplan, die Schulbücher und Lehrmittel und ernennt 
in der Regel auch die Lehrer. Die Gemeinde:Schulcommiffion, die Bezirks 


558 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 


ſchulpflege und ein Inſpector wachen über die Thätigleit der Schulen und 
die Handhabung des Gefeges. Die Lehrgegenftände find: Religion; deutſche 
und franzöfiihe Sprache; Arithmetik; die Elemente der Mathematil und 
technisches Zeichnen; Buchhaltung und bürgerlihe Geſchäftsaufſätze; Geo: 
grapbie, Geſchichte und vaterländifhe Staatseinrihtung, Naturkunde, mit 
bejonderer Rüdjicht auf Haus: und Landwirtbichaft und Gewerbe, Gefang, freies 
Handzeichnen und Schönjcteiben. Jede Bezirksfhule hat mwenigftend zwei 
Lehrer und in der Regel drei Jahrescurſe. Der Gehalt eines Lehrers, der 
zu 30 wöchentlichen Unterritsftunden angehalten werden kann, beträgt 
wenigftend Fr. 1300 nebjt freier Wohnung und Holz. Der Lehrer mir 
für 6 Jahre gewählt. Der erften definitiven Anjtellung geben zwei Probe: 
jahre voraus. Die Aufnahme der Schüler in die Bezirksſchule geſchieht 
nah zurüdgelegtem 12. Lebensjahre und nad beftandener ſechster Primär 
ſchulklaſſe. Die Aufzunehmenden haben eine Prüfung über genügende Bor: 
fenntnifje zu befteben. Der aufgenommene Schüler ift verpflichtet, in der 
Bezirtsfhule die durch das Primärſchulgeſetz vorgeſchriebene obligatorijde 
Schulzeit zu vollenden. (Die PVerpflihtung zum Schulbeſuche erftredt fid 
vom Zeitpunkt des obligatorischen Eintritts auf 8 Jahre. Der Eintritt 
erfolgt mit dem vollendeten 7. Jahre). Won den Schülern, deren Eltern, 
Bürger oder Nievergelafiene des Cantons find, darf kein Schulgeld ge: 
forbert werben. 


St. Gallen. Bir ftizziren fchließlih den meitern Verlauf der 
ft.galliihen Schulgeſchichte. Die vielen und folgenſchweren Schulereigniſſe 
des Berichtjahrs find nicht ohne Intereſſe, gewähren aber wenig Erbebung 
und Befriedigung. Statt des geträumten Morgenroth3 einer jchönern Zu: 
kunft hauen wir düftere Wollen, dur die nur felten ein freundlicer 
Sonnenblid dringt; ftatt der Erfüllung der Hoffnungen auf eine Zeit frifcher, 
"freier Entwidlung, eines regen Lebend und Strebens, eined Aufſchwungs 
und Fortſchritts im Schulweſen kamen Täuſchungen, trübe Ausfichten in 
die Zufunft und eine Zeit rechter Erlahmung. Weder das neue Schul— 
gejes, noch die Vollziehungsverordnung entipreden den geredhten 
Erwartungen und den vieljährigen gewaltigen Kämpfen und Anftrengungen 
der Fortſchrittspartei. Solches ergibt fih, wenn die Schule nur als bloße 
Phraſe, als Werkzeug für politiide Intereſſen und BZwede dienen mus, 
wenn man politiihen Stimmungen einen jo mächtigen, bominirenden Ein: 
fluß auf dieſelbe ausüben läßt. Das ift nicht die Stellung, die der Stätte 
für Erziehung und Bildung gebührt. Die Schule will frische, freie Luft. 
Wohl haben wir nun äußere Gejeßesformen und Tabellen; aber es leuchtet 
tein Ideal heraus; fie athmen nit Geift und Leben; fie verjprechen feine 
geitige Erfriſchung, Anregung, Erwedung, Förderung; es fehlen die nöthigen 
Impulſe zur freudigen Wirkfamleit. Der Gejeßgeber hatte feinen ſchöpferiſchen 
Gedanten, erhob ſich nicht auf einen höhern Standpunlt, er wagte feinen 
entſchiedenen Fortſchritt und gab uns deshalb aud keine grundſäßzliche und 
durchgreifende Schulverfaſſung. Es fehlte die rechte Begeifterung für Schule 
und Bildung Wo fi etwa Wärme erzeugen wollte, wurde fie gleich durd 
Berührung der Geldfrage abgelühlt. Ueberall blidte die Nüdficht auf ven 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 559 


Geldſack hervor. Wozu denn aber auch die gemeinjame Staatöfchule, wenn 
der Staat für die Erziehung feine Opfer bringen will? Liegt das Weſen 
einer Staatsſchule allein darin, daß alle Macht und Gewalt über’s Schul: 
weſen in die Hände des Regierungsraths concentrirt, die Schule aber als 
Stieftind behandelt wird? Unſer Stüdwert von MUebergangsgefeg Tann 
Niemanden befriedigen, der ein Herz für die Schule hat. Am allerwenigjten 
baben die Lehrer Grund, fich defjelben zu freuen. Sie bofiten auf eine 
felbftftändige, freie, mwürbige Stellung der Schulen und Lehrer, und nun 
diktirt ihnen das Gejeb die Bevormundung, die Unterwürfigleit und Knech⸗ 
tung, die Abhängigkeit von Behörden und Gemeinden, fie hofften auf eine 
ſchul⸗ und lehrerfreundlicde Leitung des Erziehungsweſens, und jeßt ftellt 
das Geſetz ein büreaufratijches Regieren, ein Controliten und Maßregeln 
in's Minutiöfefte in Ausfiht. Man wird darum die tiefe Mißftimmung 
der Lehrer, deren madres Zuſammenwirken in dieſer Lebensfrage Beſſeres 
verdient hätte, wohl begreifen. Schon die Entitehung des Entwurfs, mie 
der ganze Gang der Angelegenheit mußte die Xehrerjchaft verlegen. Die 
Erziehungscommillion hatte den anerkennenswerthen Beihluß gefaßt, jämmt: 
lihe Schulbehoͤrden und Lehrerconferenzen des Gantons einzuladen, ihre 
Wünſche und Anſichten über die neue Organijation des Unterrichtsweſens 
beförderlichft einzugeben. Noch vor dem legten Termine für dieſe Eingaben 
war der Entwurf fir und fertig. Der Erziehungsdirector geftattete der 
Lehrerihaft faltiſch keinen Einfluß auf die Schulgefeßgebung; er bedurfte 
feiner Mitwirtung von Seite der Fachmänner, er wollte ein Geſetz nad 
feinem Sinne, und die Gutachten der Behörden und Lehrer wanderten in 
den Papierkorb. Dieſes Procedere erwedte überall Unmuth; auch die 
Preſſe ſprach die Mißbilligung über dieſe Nüdfichtslofigleit aus. Nein 
Wunder, daß der Entwurf das Gepräge der Eilfertigleit trug. In den 
Berathbungen der verjchiedenen Behörden erjuhr verjelbe allerdings noch 
einige Verbejlerungen; doch erhob ſich glei nach Erlaſſung des Erziehungs: 
geſetzes ein erbitterter Kampf gegen daſſelbe. Das Verbot der Vereinigung 
von Schulen ungleiher Confejjion veranlaßte eine liberale Fraktion, das 
Volt zum Veto aufzufordern. Es nähre den ftarren Confeſſionalismus, ge- 
fährde die Cantonsſchule, bejchränte die Freiheit der Gemeinde, und trage 
feine Vorſorge zur Errichtung und organiſchen Verbindung der Realſchulen 
mit der Cantonsſchule und mit den Primärfchulen. Dr. Meder, ver Ber: 
fafier des Entwurfs, ſuchte den Vetoſturm zu befhmwidtigen. Er nahm 
das Gejeg in Schuß. Es ſei dafielbe nur als ein tranfitoriches für eine 
kurze Uebergangsperiode zu betrachten. Es jchließe die wichtigften Glemente 
des Fortſchritts in fih. Auch die am meiften angegriffenen Punkte ſuchte 
er vom conftitutonellen und vom diplomatiſchen Gefihtspunfte zu rechtfertigen. 
Die Berfafjung garantire den Fortbeſtand der katholiſchen und evangelijchen 
Primär: und Realſchulen in den Gemeinden. Diejelbe müſſe in allen 
Treuen gehalten werden. Ein wirkliches, thatſächliches Bedürfniß zur Ver- 
einigung confeffioneller Schulen eriftire nit. Diefe Frage babe daher 
feine praltifche Bedeutung, fei nur Vorwand zur Agitation. Die glüdliche 
Löfung der Cantonsſchulfrage erfordere die Mitwirkung aller Parteien; es 
müfje ein Friedenswerk fein. — Da auch bei jenem Angriff wieder Motive 


560 ‚Die aͤußern Angelegenheiten der Volksſchule ze. 


politiiher Art in den Vordergrund geftellt wurden, da es vielleiht mehr 
nur um die Befeitigung Dr. Meder’s abgejehen war und da die Beſchwerden 
der Lehrer und die rein pädagogiſche Eeite des Gejeges kaum berührt worden, 
jo ſahen fich die Lehrer nicht veranlaßt, in Geſammtheit für das Veto zu 
wirten. Der Verſuch blieb denn auch ohne Erfolg, Wir geben nun noch 
den wejentlihen Inhalt der beiden Geſetze, nehmen aber als Grundlage 
die wenig berüdfichtigten Petitionen der Lehrer, um aud ihre Beftrebungen 
zu tennzeihnen. Auf die Motivirung müflen wir verzichten, tbeilen einzig 
die Grundjäge mit und fügen dann bei, in wiefern das Gejeg damit über: 
einftimmt oder davon abweidt. 


Die Wünfhe und Anfihten der Lehrerſchaft bezogen fih auf bie Or: 
ganijation der Echulen, auf Unterricht und Lehrmittel, auf die Beauffichti: 
gung der Schulen, auf die Lehrer. Die Hauptpunkte waren: 


1) Die Aufnahme in die geſetzliche Primärjhule darf nicht vor dem 
zurüdgelegten 6. Altersjahre geſchehen. Die Kleinkinderſchulen werben unter 
die Auffiht der Schulbehörden geftellt. 

Geſetz: Die Schulpflidhtigfeit beginnt mit dem erfüllten 6. Alters: 
jahre. Die Privatſchulen fiehen unter Aufficht des Erziehungsratbs. 


2) Die Primaͤrſchule theilt fih in die Alltagsſchule mit 7 Jahrcurſen 
und in die Ergänzungsjchule mit 3 Curjen. Der Grgänzungsihule werben 
2, wenn möglih 3 halbe Tage gewidmet. 

Der Entwurf beantragte eine Rebucirung der Alltagsſchule auj 
6 Jahre. Gegen diefen Rüdjchritt proteftirte der evangeliſche Theil 
des Cantond. Der Gr. Rath abitrahirte von dieſer Verkürzung. 

Geſetz: Die Alltagsfhule befteht aus 7, die Ergänzungsſchule 
aus 2 Jahrescurſen mit 6 wöchentlichen Unterrichtäfiunden. Die 
Entlafjung aus der Alltagsſchule findet nach zurüdgelegtem 13. und 
diejenige aus der Crgänzungsihule mit dem 15. Altersjahre ftatt. 


3) Die Zahresfhulen, fowie alle höheren Lehranftalten beginnen und 
ſchließen die Curje im Frühjahr. Ein: und Austritt finden jährlih nur 
einmal ſtatt. Die Halbjahrſchulen find in Jahrſchulen zu erweitern. 

Das Gejeg ftimmt im Wejentlihen bei. Der Entwurf hatte den 
Gursanfang auf den Herbit geftellt. 


4) Wo in einer Gefammifchule mehr ald 60 und in einer getheilten 
mehr ale 70 Schüler find, da foll eine zweite Schule errichtet werben. 
Das Geſetz ftellt das Marimum der Scülerzahl einer Schule 
auf 80 feft. 


5) Es ſoll das Secundärfhulmefen regulirt werden und zwar in der 
Meife, daß dieje Anftalten in genügender Anzahl erftellt und in den allge 
meinen Schulorganismus ald dreicurfige Schulen eingereibt werben. 

Geſetz: Die Realihulen jollen wenigftens aus zwei Euren be: 
ſtehen. Für jchon beftehenve, jowie für Errichtung neuer wird der 
Staat angemeſſene Beiträge leijten. 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 561 


6. Der Eintritt in die Secunbarfchulen darf nicht nor vollendetem 
12., der Eintritt in die Cantonsjchule nicht vor vollendetem 15. Alters: 
jahre geſchehen. 

Ueber Errichtung eines Lehrerfeminard und einer Cantonsſchule 
liegt ein bejonverer Geſehesvorſchlag vor. Er fol im November d. J. 
beratben werben. In der Frage des Anjchlufies der Cantonsſchule 
an die Volksſchule herrſchen bedeutende Differenzen. Wir werden 

fpäter darüber referiren. 


7. &3 fol für die Primarfchulen ein allgemeiner Lehrplan aufgeftellt 
werben, der für jedes Jahr Biel und Umfang beitimmt. Cs follen auf 
Grundlage dieſes Lehrplans befoͤrderlichſt neue Lehrmittel für die fämmtlichen 
Brimarjchulftufen ausgearbeitet werben. 


Der h. Erziehungsrath bat nun Cinleitungen biefür getroffen. 


8. Die Einführung des Schulturnens ſoll angeftrebt werben. 


Das Geſetz bat die Leibesübungen wirklich als ein facultatives 
Unterrichtsfach aufgenommen. 


9. Der Staat verpflichtet Eltern und Gemeinden, für ihre bildungs: 
fähigen Taubſtummen und Blinden zu forgen und gewährt Anftalten für 
diefen Bwed kräftige Unterftügung. 


Wurde nicht beachtet; wir denten aus finanziellen Gründen. 


10. Wir wuͤnſchen Erzielung eines dem Wohle der Schule foͤrderlichen 
Bufammenwirtens aller dabei betheiligten Factoren, demnach: offenes Ber: 
fahren oder officielle Mittbeilung der Eramencenfuren und Vertretung ver 
Geiftlihleit und der Lehrerfhaft im Ortsſchulrathe. 


‚Rah dem Entwurf follte der Pfarrer von Amtswegen Mitglied 
des Schulraths fein. Der allgemeine Ruf hieß: Kein ex officio 
für Lehrer und Geiftlie, kein Vorrecht, keine Ausnahmsbeftimmung, 
jondern volle Wahlfreibeitti Durch die gejebliche Vertretung der 
Geiftlihen in den Behörden kommen die Schulen in ein Abhängig: 
keitsverhältniß. Das Geſetz mill freie Wahl aller Mitglieder! 
Die Unzuläfjigleit der Mitgliedfchaft des Lehrers wurde mit be: 
fonderem Nahprud ausgefprohen. Der Erziehungsrath kaſſirte 
jogar die Wahlen von Lehrern in den Schulrath (freies Wahl» 
echt?) und beantragte, eine Lehrerftelle als vacant zu erklären, 
fofern der Lehrer eine allfällige Wahl der Gemeinde in den Schul: 
rath aufnehme. Eine nagelneue Art, Lehrer abzufegen. 


11. Statt der Schulinfpectoren wünſchen wir Bezirksſchulräthe und 
in dieſen eine billige Vertretung des activen Lebrerjtandes. 

Dem erftern Wunfche wurde entjproden. Es waren namentlid) 
katholifche Lehrer, die dem Inſpectorat ein Collegium von mehreren 
Mitgliedern den Borzug gaben. Da noch eine Wahl eines Mit 
gliedes in den Erziehungsrath zu treffen war, ſchlug die Lehrer: 
verfammlung Herrn Seminardirector Zuberbühler vor. Sie glaubte, 

Bd. Jahreöberiht AV. 30 


562 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule zc. 


man fei es der Lehrerſchaft ſchuldig, auch einen Fachmann in die 
oberfte Schulbehörvde zu berufen. Die Antwort war ein Berweis. 
Den Lehrern ſtehe kein Vorichlagsreht zu. So! 


12. Aljährlih tritt eine Gonferenz von Abgeordneten fämmtlicher 
Bezirksjhulräthe unter Zuzug des Seminarbirectord und einer Aborbnung 
des Erziehungsraths zur Beſprechung cantonaler Schulangelegenheiten zu- 
fammen. " 

Das würde wieder Geld koſten. 


13. Die beruflide Ausbildung und Fortbildung wird der fortwährenden 
Fürforge der Behörden empfohlen. Das Conferenzweien wird nad folgen: 
den grundfäßlichen Beftimmungen regulirt: die Conferenzen gliedern fi in 
Special, Bezirks: und Gantonalconferenzen. Sie erhalten das Selbitcon- 
ftituirungdreht und das Begutachtungsrecht über Lehrplan, Lehrmittel und 
Schulgeſetze. Die Specialconferenzen verfammeln ſich jährlich 10 Mal, die 
Bezirlsconferenzen 2 Mal und die Cantonalconferenz 1 Mal. Die Lebtere 
wird gebildet aus den Abgeordneten der Bezirköconferenzen und denjenigen 
Lehrern, die die Conferenz freiwillig befuchen wollen. Die Reallehrer find 
zum Beſuch der Cantonal: und Bezirksconferenz verpflichtet. Aeufnung ber 
Lehrerbibliothefen leiftet der Staat jährlie Beiträge. Die Anſchaffung ber 
Bücher beftimmt die Conferenz. 

Geſetz: Specialconferenzen mögen monatlich ftattfinden und ſtehen 
unter Aufficht der Behörden. Jaͤhrlich ein Mal findet unter 
Leitung des Bezirksſchulraths eine Bezirksconferenz ftatt. Jede 
Gonferenz bat eine pädagogifhe Bibliothef, wozu Lehrer und 
Staat beitragen. Die Anjhaffung der Bücher beftimmt der 
Erziebungsrath auf Vorſchlag der Lehrer. Die Thema zu 
Auffäßen wählt der Bezirtsfhulrath. Die Conferenzen 
bej&häftigen fih aud mit praltiihen Tehrübungen. Bur Be: 
ſprechung des Schulweſens wird alle 2 Jahre eine Conferenz 
der PBrimarlehrer ftattfinven, die aus Delegirten der Conferenz 
beitehen. — Der Entwurf hatte jeder Gonferenz wenigſtens die 
Mahl des Präfiviums und die Anſchaffung der Bücher zugelafien; — 
und das Geſetz? 

Diefe nothdürftige Stellung der Conferenzen, welde die Lebrer 
wie Unmündige behandelt und die Entziehung der naturgemäßen 
Gompetenzen, die Unmöglichkeit freier Bewegung und Entwidlung 
entmuthigte die Lehrer im höchſten Grade. Mande zeigten ibre 
Dppofition durch Enthaltung der Stimmgebung, durh Annahme: 
vermeigerung der Wahl als Delegirte. Die meiften rächten ſich 
durh Gründung freiwilliger Gonferenzen. 

14. 63 ift für das Gebeihen der Schule unerläßlih, daß die Stellung 
des Lehrers eine der Wichtigkeit jeiner Aufgabe würdige fei. Die Stellung 
darf weder die eines Knechtes, noch eine ökonomiſch gebrüdte fein. Darum 
wünſchen wir: Aufhebung des obligaten Kirchendienftes, erjchmerende Bes 
ftimmungen in Ausübung der Gntlafjungsrehte der Gemeinden, die Auf: 
bebung des Patentſyſtems (den katholiſchen Lehrern wurden Wahlfähigleits- 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 563 


zeugniffe nur auf beftimmte Zeit ausgeftellt und nad Ablauf derſelben 
mußten fie fih neuer Prüfung und neuer Wahl unterziehen), Sicherftellung 
durch lebenslängliche Anſtellung. Das Beſoldungsweſen wünſchten wir in 
der Weiſe regulirt, daß neben der Feſtſetzung eines ausreichenden firen Ge⸗ 
halts folgende Grundfäge aufgenommen würden: Alterszulagen, Anweiſung 
von Pflanzland, unverkümmerter Gehalt in Krankheitsfällen, zeitweiliger 
Nachgenuß der Familien verſtorbener Lehrer, Ruhegehalte nach mindeſtens 
30 jaͤhrigem Schuldienſte. Ohne befriedigende Löſung der Frage, die ſich 
auf die Stellung des Lehrers bezieht, iſt ein wahrer und andauernder Fort⸗ 
ſchritt in unſerm Schulweſen nicht denkbar. 


Geſetz: zur Ausũbung des Lehramtes iſt ein Wahlfähigkeitszeugniß 
erforderlich. Angeſtellte Lehrer, deren Leiſtungen nicht befriedigen, 
können vom Erziehungsrathe jederzeit angehalten werden, ſich 
einer neuen Prüfung zu unterziehen. Kein Lehrer darf einen Neben⸗ 
beruf treiben, wodurch er an der Erfüllung der Lehrerpflichten be⸗ 
hindert wird. Gin Lehrer lann vom Erziehungsrath abgeſetzt werden, 
wenn er feine Pflichten verfäumt, wenn er dienftunfähig geworden, 
wenn er länger als ein Jahr unverſchuldet an einer Krankheit ge: 
litten bat ohne Hoffnung auf baldige MWiedergenefung. (Hart.) 
Wenn der Schulrath oder der dritte Theil der Schulgenofien die 
Entlafjung eined Lehrers von jeiner Stelle verlangt, jo hat vie 
Schulgemeinde, fofern durd den Erziehungsrath keine Verftändigung 
erzielt worden, über Entlafjung oder Beibehaltung abzuftimmen. 
Das Gebaltsminimum beträgt künftig für Jahrſchulen Fr. 800, für 
Dreivierteljahrichulen Fr. 600 und für Halbjahrfhulen Fr. 400. 
Die Leiftungen für die Nepetirihule jollen im Verhältniß zu feiner 
firen Bejoloung bonorirt werden. Gegen eine jährliche Entſchädi⸗ 
gung von Fr. 5— 15 kann dem Lehrer auch der Kirchendienſt 
übertragen werben (beſchlaͤgt beſonders die katholiſchen Lehrer). Der 
Entwurf ſetzte für 20: und 30jaͤhrige Dienftzeit Alterszulagen von 
&r. 100-200. Der Gr. Rath ließ den Antrag fallen, weil das 
Penſionirungsſyſtem gegen die Demokratie verftoße. Ebenſo meinte 
ein Redner, von einer lebenslaͤnglichen Anſtellung könne in einer 
Republik keine Rede fein. 


Mir notiren zum Schluß noch folgende Beitimmung des Ge: 
ſeßes: die oberfte Leitung des Erziehungsweſens fteht beim Re: 
gierungsrath. Cr wählt den Erziehungsrath. Diefer ift dem 
Regierungsrath zur Vollziehung der Gejeße untergeoronet. (Die 
Gompetenzenausfcheidung zwiſchen dem Negierungsrath und dem 
Erziehungsratb führte zu einem heftigen Kampfe. Nach dem Ent: 
wurf bebielt ſich der Regierungsrath das leßte Wort in allen 
wichtigen Fragen und der Grziehungsruthb wäre bloßer Figurant 
gewejen). Der Schulgemeinde fteht die Wahl der Lehrer zu. Stimm: 
und wahlfähig find aud) die niedergelaſſenen Cantons⸗ und Schweizer: 
bürger. Yür die Ertheilung des NReligionsunterrihts haben die 

36* 








564 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 


kirchlichen Oberbehoͤrden zu forgen. Sie wählen audy die Religions: 
lehrer. (Die evangelifhde Synode will den Unterricht in der bibl. 
Geſchichte dem Lehrer übertragen). 


Mir hoffen, die Vollziebung durch den Erziehungsrath fei befler als 
das Geſetz. Wir hoffen, die Lebhrerihaft werde ihren Muth bewahren. 
Wir wünfhen endlich dem Uebergangsgejeß recht kurze Dauer. 


Mir hatten noch für mande andere Vorgänge auf dem Gebiete des 
ſchweizeriſchen Schul» und Lehrerlebens kurze Referate beftimmt; doc müfien 
wir ung des Raumes wegen beichränfen, blos die Titel anzuführen: vie 
Organifation und Einfügung der Secundarjdulen in den Schulorganismus 
(St. Gallen und Bern), die Verlegung des ft.galliichen Lehrerſeminars aufs 
Land (Mariaberg und Rorſchach) die Berbeflerung der Arbeitsſchulen, 
namentlich durch zmedmäßige Heranbildung von Lehrerinnen (Luzern, Zürich, 
Solothurn), die Reform des ftäptischen Schulweſens in Scaffbaufen, die 
praftiihe Richtung und Behandlung des Unterrichts, oder Schule und Leben 
(Appenzell A.Rh, Schwyzerzeitung) freiwillige oder obligatorijhe Fortbil⸗ 
dungsſchulen? (Aargau, Hürbin’d Schrift), Reglement über die Prüfung 
der Secundarlehrer (Bern), die Gründung von Jugenderſparnißlaſſen 
(Glarus), Zmwedmäßige Einrihtung von Schulbibliothelen (Luzern, Solos 
tburn), die Jugendbibliothek ſchweizeriſcher Jugendfreunde und die Heraus: 
gabe von Neujahrsblättern für die Jugend (Züri, St. Gallen, Winterthur), 
die Bildung von Vereinen zur Unterftüßung armer Schulkinder (Luzern, 
Solothurn, Bafelland); die Selbitftändigleit des ſchweizeriſchen Erziehungs⸗ 
raths gegenüber geiltlider Anmaßung und unbefugter Ginmifhung in bie 
Mahl der Lehrer (Steinen); die Früchte der periodiihen Wahlen (Schaff: 
haufen, Bajelland). 








[U ı 
® 


XVI. 
Muſikwiſſenſchaft. Inſtrumentalmuſik. 


Von 
E. Hentſchel. 


— — — — 


A. 
Theorie und Geſchichte der Muſik. 


Elemente der Muſik von Arrey von Dommer. Mit 152 mufllalifchen 
Beifpielen. Leipzig, T. D. Weigel. 18652, 21/5 Thlr. 


. ABE der Tonkunſt, oder das Wiſſenswürdigſte für Muflfer und Freunde 


der Tonkunſt. Einfach dargeftellt von F. 8. Schubert. Leipzig, Verlag 
von Earl Merfeburger. 1862. 9 Ser. 


. Katechtsmus der mufllalifhen Kormenfehre, oder die Lehre von den Vocals 


formen der Kirhenmufll, dDramatifchen Mufil, Kammermufil und des Volks⸗ 
gefanges, fowie die Inftrumentalmufiftormen der Eoncert:, Salons, Tanz- 
und Militärmuflt, mit Bezugnabme auf ihre hiſtoriſche Entwidelung faßlich 
und einfach dargeftellt von F. L. Schubert. Leipzig, 1863. DBerlag von 
C. Merfeburger. 9 Bor. 


. Vorſchule zum Eomponiren, wie als Eompofitionsfehre für Difettanten. 


tagli erläutert von F. 2. 


chubert. Leipzig, Berlag von Earl Merſe⸗ 
burger. 1863. 9 Ser. 


. SHarmonielehre nebſt Mufik⸗ und Chorallebre. Für Seminarien, Muſik⸗ 


fhulen und angebente Tonfünftfer bearbeitet von H. Sattler, Großbagl. 
Seminar: Mufitlehrer in Didenburg. Didenburg, F. Schmidt. 1862. 20 Ser. 


. Neues muflfalifhes Syſtem! Die Einheit in der Tonwelt. Ein kurz 


efaßtes Lebrbuh für Muflfer und Dilettanten zum Selbſtſtudium von 
deinrig Joſeph Vincent. Leipzig, Verlag von Heinrich Mathes. 1862. 
25 Ser. 


. Behrönte Preisſchrift: Die Sarmonit der Reuzeit, erläutert von Dr. F. 


P. Graf Raurenein. Leipzig, Verlag von C. %. Kahnt. 1861. 12 gr. 


566 Muſikwiſſenſchaft. Inſtrumentalmuſik. 


8. 


17. 


Kritiſche Beleuchtung des E. F. Weitzmann'ſchen Harmonieſyſtemns ge 
rönte Preisfärift) und des Schrifthens: „Die neue Garmonielehre im 
Streit mit der alten.” Bon F. J. Kunkel. Frankfurt a M., Franz Ben 
jamin Auffarth. 1863. 12 Sgr. 


. Anleitung zur Erfindung zweckmäßiger Choralzwiſchenſpiele, erläutert durch 


viele Beiſplele, namentlich durch Zwiſchenſpiele zu 70 Chorälen des Taſchen⸗ 
Choralbuches oder Hiller'ſchen Choralbuches. Ein Büchlein für Semina⸗ 
riſten und angehende Organiſten von Auguſt Iſrael, Oberlehrer am 
Königl. Seminare zu Annaberg. Annaberg, Ludwig Nonne. 10 Sgr. 


Ehoralfunde in drei Büchern von G. Döring, Koͤnigl. Mufildirertor und 
Ehrenmitglied der Alterthums⸗Geſellſchaft Pruſſia. Bollſtaͤndig in S—6 
Lieferungen & 8 Sgr. 4. Lieferung. Danzig, Verlag von Th. Bertling. 


. Officium defunctorum mit einem Anbange verfchiedener, häufig vorkom⸗ 


mender Gefänge und Refponforien. Ein Handbuch für Gantoren, Chor⸗ 
regenten und Lebrer von Earl Nehr. Regensburg, Trud und Verlag 
von Georg Joſeph Manz. 1863. 13'/a Sgr. 


Die Mufit In der katholiſchen Kirche. Wegweiſer durch dad geſammte 
Gebiet der katholiſchen Kirchenmuſik nebft Abbagdugten über Regeneration 
derſelben und den kirchlichen Verordnungen für Chordirigenten und Kirchen⸗ 
vorſtände, bearbeitet von Bernhard Kothe, Regens Chori und Geſang⸗ 
lehrer am Gymnafium zu Oppeln. Mit Approbation des bochwürdigſten 
Vicariat⸗Amtes zu Breslau. Breslau, Verlag von F. C. E. Leuckart 
(Conſtantin Eander). 1862. 25 Ser. 


. Gefchichte ter Tonkunſt. Ein Handbüchlein für Muflter und Muſikfreunde. 


In überfihtlicher, Teichtraßlicher Daelung berausgegeben von Paul 
Frank. Leipzig, 1863. Verlag von Earl Merfeburger. 18 Gar. 


. Charafterbilder aus der neueren Geſchichte der Tonkunſt von Ferdinand 
/ 


Gleich. 1.u.2. Bändchen. Leipzig, Earl Merfeburger. 1863. Ya Thlr. 


. Aus des Lieder-Lomponiiten Andreas Höllner Leben und Sterben. Eine 


Skizze von Auguft Wilhelm Müller, Arhidiaconus an der Stadikirche 
zu Meiningen. Magdeburg, Heinrichshofen. 1862. as Thlr. 


. Gefammelte Schriften von Sektor Berlion Autorifirte deutſche Ausgabe 


von Richard Pohl. I. Band: A Travers Chants. Wufllalifche Studien, 
Pa Banden, Einfälle und Krititen. Leipzig, Berlag von Guſtav Heinze. 
gr. 


Ratbgeber für Muſiker und Kreunde der Tonkunft bei der Wabl geeigneter 
Nufifalten. ine überfitliche. progreffiv geordnete Zufammenftellung ber 
wichtigiten und braucbarften Werke aus allen Fächern der Muflt-Literatur. 
Nebft andern nmüglichen Bemerfungen. Herausgegeben von Wernfard 
Braͤhmig. Leipzig, Verlag von Carl Merfeburger. 1862. 9 Gr. 


. Kübrer dur bie Literatur des Männergefangee. Zum. Gebraud für Di- 


rectoren der ‘DMännergefangvereine zufammengefteflt und berausgegeben von 
Mobert Schaab. Leipzig, Nobert Forberg. Preis 6 Sgr. 


Nr. 1. Zwec diefes Buches ift: den gebildeten Runftfreund zum tie 


fern Studium der Muſik anzuregen. Ohne ftrenge Facharbeiten voraus: 
jegen, foll es ihn zum Nachdenken über das Weſen und die Aufgabe der 
Tonkunſt anleiten, die Kenntniß ihres techniſchen Apparates, ihrer Aus: 
brudsmittel und Formen, fo weit der Umfang es erlaubt, ihm vermitteln, 
und ihn zu dem Punkt binführen, von welchem aus reelle Fachſtudien allein 


Muſikwiſſenſchaft. Inftrumentalmufif. 567 


ein weitere Vorbringen in der Kunſt und ihrer Wiſſenſchaft ermitteln kön: 
nen... . Allgemeine muſilaliſche Kenntniſſe werben vorausgeſetzt, vor allen 
Dingen aber die Neigung, nicht paſſiv empfangend, ſondern jelbjtventend 
der Sache fih zu nähern” Das Ganze zerfällt, gemäß dem Inhalte und 
Weſen der gefammten Mufitlehre, in folgende drei Hauptabſchnitte: I. Bor: 
bereitung. "Cap. 1. Der Schall. Entftehung des Schalles. Fortpflan- 
zung. Reſonanz. Brehung. Gap. 2. Das Zonfyftem. Zonverhältnifie. 
Zonleiter. Temperatur. Conſonanz. Diſſonanz. Notation. II Die 
Elemente und Mittel der TZondarftellung. Cap. 3. Beitmaß. 
Rhythmus. Tat. Tempo. Cap. 4. Melodie. Cap. 5. Harmonie. Accord: 
bildung. Accordverbindung. Melodiſche Bewegung innerhalb einer Accord» 
folge. Gap. 6. Contrapuntt. Smitation. Gap. 7. Thema. Periodenbau. 
Thematische Arbeit. IH. Die Formen. Cap. 8. Inhalt, Yorm und 
Styl im Allgemeinen. Cap. 9. Canon und Zuge. Cap. 10. Vocalmuſik. 
Das Weſen derjelben. Verbindung von Mort und Ton. Beichaffenheit der 
mufitaliihen Dichtung. Die Formen. Recitativ. Lied. Arie. Mebritimmige 
Solofäge. Duett. Chor. Organifation derfelben. Studium der Partitur. 
Cap. 11. Die Formen der Inftrumentalmufit. Ueberfiht. Einjäßige Formen: 
Die Zanzformen. Bariation. Lied ohne Worte. Clavierftüd. Etude. Praͤ⸗ 
Iudium. — Pbantafieartige Formen: Begriff. Freie Phantafie. Toccata. 
Capriccio. — Cycliſche Formen: Sonatenjag. Aeſthetiſcher Verhalt ver 
Säße. Sonate. Violinſonate. Drgelfonate. Clavierfonate. Suite. Diver: 
timento. Aeltere Sonate. Concert. Streihquartett. Ouverture. Symphonie. 
Aeltere Ouverture. Anordnung der Partitur. Bartiturfpiel. Gap. 12. Kir 
chenmuſik. Begrifi. Choral. Refponjorien. Motette. Anthem. Mefie. — 
Bocal- und Inſtrumentalmuſik auf dramatiſchem Gebiete. Cantate. Drato: 
rium. (Oper) Baffion. — Bei der umfaflenden, gründlichen Behandlung 
aller einzelnen Stoffe hat fih das Wert auf 364 Seiten größten Octav: 
Formates ausgedehnt. Wie hoch ich dieſes ausgezeichnete Lehrbuch Stelle, 
ift bereit3 mehrfach angedeutet. Möchte daſſelbe keiner Lehrerbibliothel 
fehlen! — 

Nr. 2. Auf 118 Seiten wird bier zu dem fehr billigen Preife von 
9 Sgr. das Nothwendigfte aus der allgemeinen Muſiklehre in gedrängter, 
jedoch überall faßliher Darftellung gegeben. Der Berf. hat den Kreis der 
Mittheilungen weit genug gezogen, um nicht blos über Notenfyftem, Inter: 
valle, Zonleitern, Uccorde und ihre Verwendung, Taktweſen, Rhythmus, 
Manieren, Vortrag 2c., ſondern auch über die Formen der Inſtrumental⸗ 
und Vocalmufit, über Bau, Umfang und Anwendung jämmtlicher Inſtru⸗ 
mente und mancdherlei Sonftiges zu fprechen. jeder Seminarift follte das 
nüglihe Büchlein befigen. 

Nr. 3. Ein populär und anziebend gejchriebener Katechismus, eben: 
falls 118 Seiten füllend, der wohl auch in den Händen jedes Mufiljchülers 
fein follte, und ver, fall er in den Dilettantenkreifen Verbreitung fände, 
ein gut Theil Unwiſſenheit befeitigen, manches verkehrte und lächerlidhe 
Urtheil verhüten würde. Als Probe aus dem Werken diene Folgendes: 
Fr.: Welches find die Kennzeichen der Ballade? Antw.: Im Ganzen mit 
der Form der Romanze übereinftimmend, ift ihr Inhalt lebendige Erzählung 


568 Muſikwiſſenſchaft. Inftrumentalmufik. 


romantifcher Natur. Die Ballade ift meiftens burhcomponirt, zumal wenn 
fie feine gleihmäßigen Strophen bat. Da das poetiſche Clement über 
wiegend ift, jo muß die Gompofition der Erzählung Schritt für Schritt 
folgen und das darin liegende Gefühl muß in der Melodie und deren Be 
gleitung wiedergegeben fein; aud muß der Componift alle Momente des 
Effekts wie in einem Brennpunkt zujammenfaflen, damit fR wie mit un 
fihtbarer Gewalt auf das Gemüth des Zuhörers wirken. Fr.: Woher 
ftammt die Ballade? Antw.: Aus Italien, von Ballata (von Ballo, der 
Tanz), Tanzgefang, Singtanz. Es war ein Gedicht mit vielen Strophen, 
in welchem die Erzählung eines Abenteuers auf öffentlihen Plägen abge 
fungen und häufig vom Zange begleitet wurde. Sie verpflanzte ſich nah 
England. Ein Ueberbleibfel aus jener Zeit mögen noch unfere jeßigen 
Bäntelfänger mit dem Leierlaften fein, welche Mordgeſchichten und ähnliche 
Abenteuer auf Jahrmaͤrkten und Mefien abfingen und dabei die barfiell- 
baren Scenen auf Leinwand gemalt dem Auge des Zufchauers verfinnliden. 
Die Ballade früherer Zeit hatte nur eine Melodie für alle Strophen. 
Fr.: Wie wurde die Ballade in fpäterer Zeit behandelt? Antw.: Sie 
wurde durcdhcomponirt, indem zu jeder Strophe eine ihrem Inhalte, ihrer 
Mortführung und Interpunktion angemeſſene Melodie gejegt war, flatt bei 
jeder diefelben Noten wiederholen zu lafien. Zumſteeg war feiner Seit 
berühmter Ballavencomponift. Später betrat diefes Feld hauptfählih Löwe, 
auch Conr. Kreutzer. Franz Schubert übertraf durch feinen „Erikönig” 
alle früheren Compofitionen derfelben Göthe'ſchen Dichtung Die Balladen 
werden größtentheild nur für eine Singftimme mit Pianofortebegleitung 
componirt. Selten findet man fie für mehrere Stimmen oder Chor. 
erweiterter Form, welche fih der weltlichen Cantate anſchließt, bebandelt 
fie R. Shumann für Goloflimmen und Chor, z. B. in „Des Sängers 
Fluch“ von Uhland, „Bom Pagen und der Königstochter” von E. Geibel. 
Nr. 4. Der Bert. hatte, wie das Vorwort mittbeilt, vor mehreren 
Jahren Gelegenheit, nad und nad Hunderte von Heinen Mufitmanufcripten 
zur Anfiht zu befommen, welche alle zur Aufnahme für die Fluftrirte 
Zeitung beftimmt waren; allein unter der Maſſe dieſer Erzeugniſſe waren 
nur menige zu einer Veröffentlichung geeignet, weil man es ihnen glei 
anfab, daß ſich diefe Autoren entweder gar nicht, oder nur ganz oberflaͤchlich 
mit der Harmonielehre bejhhäftigt hatten. Um nun auch den Dilettanten 
Gelegenheit zu geben, „ihre mufilaliihen Ideen richtig und ohne Fehler 
niederzufchreiben, wie einen richtig ftylifirten Wortſatz,“ ift das vorliegende 
Werten gejchrieben worden. In 29 Gapiteln werben behandelt: Noten: 
ſyſtem, Intervalle, Tonleitern, Zonarten, Paralle»Tonarten, verwandte Ton 
arten, Confonanzen und Difjonanzen, Accorde, Gebraud derfelben, Umkeh⸗ 
rungen, verbotene Fortichreitungen, Auflöfung der biffonirenden Accorde, 
Schlüſſe und Trugſchlüſſe, Querftand, Arten der Bewegung, Brechung, Bor: 
halt, Durchgang, Borausnahme, Modulation, Melovie, Rhythmus, Beziffe 
rung, Stimmenmwejen, Zergliederung muſikaliſcher Gedanten, Begleitung, 
Melodie und Harmonie, Bau und Form der Tonftüde. Dann noch: „Mas 
bat der Componift beim Erfinden eines Tonftüds zu beobachten? Oder: 
Wie muß ein Zonftüd beſchaffen fein, wenn es untadelbaft genannt werden 








Muſikwiſſenſchaft. Snftrumentalmufif. 569 


fol?" Die Darftellung ift auch in diefem Büchlein Har und faßlich, wozu 
die zahlreichen Notenbeifpiele das Ihre beitragen; der Inhalt reicht aus, 
um dem Dilettanten einen Begriff von der harmonifchen und fonftigen 
Structur der Zonftüde zu geben. 

Nr. 5. Der Berl. ftrebt für den Seminarınterriht ein Neues an, 
einerfeitö neben den alten Generalbaßichulen, „bie meift zu fehr an den 
alten Formen leben, zu breit und umftändlich find, als daß fie ven Se: 
minarzögling binnen drei Jahren in den Geift der Mufil einzuführen ver: 
möchten, — andererfeit3 neben ben neuen theoretischen Werten, „die zu 
fpeciell den Plan tragen, Gomponiften zu bilden, und ihn fo umfafiend 
durchführen, daß der Seminarlehrer von diefer Methode abftehen muß, wenn 
er fein Biel, tüchtige, tbeoretiich-praftifch gebildete Cantoren und Organiften 
in kurzer Beit zu ziehen, ernfthaft verfolgen will.” Cr bat es „gewagt, den 
gewaltigen Stoff von feinen für vorliegenden Zwed minder wichtigen Theilen 
zu befreien, dieſen zu orbnen und fo zu concentriven, daß der Seminar: 
urjus das Ganze abfolviren kann.” Aber auch dem Privatitudium will 
er fein Wert empfohlen haben, „va es frei ift von blos gelehrter Doctrin, 
aber auch frei von nichtsfagenden fehönen Redensarten. In 10 Ab- 
Schnitten wird auf 124 Seiten Dasjenige gegeben, was der Seminarijt aus 
der Harmonies, reſp. Compofitionslehre zu lernen und zu üben bat, beftebe 
nun Lesteres im bloßen Ausfchreiben von Accorden ıc., im Harmoniſiren 
oder im freien Crfinden. Das Ganze verräth den erfahrenen, gewandten 
Lehrer, ſchließt jedoch den muͤndlichen Unterriht nicht aus und erfordert 
überdies, daß ein viel reicheres Uebungsmaterial von Seiten des Meifters 
binzugethan werde, als es auf jo bejchränttem Raume gegeben werben 
tonnte. In den Harmonieverbindungen macht der Verf. nicht unerhebliche 
Conceffionen an die neue deutfhe Schule, jo daß denn Manches vorlommt, 
was einem Generalbaffiiten alten Belenntnifies unzuläffig erjcheinen würde. 

Nr. 6. Diefe Schrift ift als ein neuer Verfuh, unjere Muſik theo: 
retiſch zu begründen, von Wichtigkeit. Der Verf. unternimmt dieſen Verſuch 
im Gegenfage zu der Empirie des Generalbafies und der Aeußerlichleit 
feines Ziffernweſens. Der Generalbaß ift ihm „der alte Erbfeind einer 
theoretifhen Begründung unferer Muſik“; er will dieſen Erbfeind „bän- 
digen”, will ihn „ad absurdum führen durch den Beweis, daß er nichts 
beweist " Zur Barallelifirung des Neuen mit dem Alten legt er theilweiſe 
das Lehrbuh von Simon Sehter, „einem ber accrebitirteften Inter⸗ 
preten bes alten Generalbafies, zum Grunde: „Die richtige Folge der 
Grundharmonien, oder vom Fundamentalbafje und deſſen Umtehrungen und 
Stellvertretern.” Er hat drei neue Momente aufgejtellt, beitimmt, den 
Generalbaß zu erfeßen, — drei neue Momente, „bie, wenn glei vorhanden 
in der Natur der Tonmwelt, noch nirgend adoptirt worden find, in jedem 
feitherigen Lehrbuche fehlen,” fie heißen: Einheit, Solidarität, abfo- 
lutes Intervall. Was damit gemeint ifi und daraus gemacht mird, 
möge der mufilalifche Leſer (denn nur biefer, und zwar der theoretiich ge: 
bildete, kann den Verf. verfiehen) in dem Buche ſelbſt nachſehen, welches 
der Verf. freilih „immer noch für eine Skizze” hält, „obwohl hinreichend 
zum Verſtändniß und anregend vielleiht für den Mufiler.” Nicht alles 


570 Muſikwiſſenſchaft. Inſtrumentalmuſik. 


Gegebene iſt neu, nicht alles Geſagte klar; das Ganze jedoch ſiellt ſich als 
eine anziehende und bedeutſame Erſcheinung dar, die ihres Einfluſſes auf 
die Kortentwidelung der Theorie der Mufit nicht verfehlen wird. — Wr. 7. 
Der fpeciellere Titel der kleinen Schrift heißt: „Erklärende Srläuterung und 
mufilalifch-tbeoretifhe Begründung der durch die neueften Kunſtſchöpfungen 
bewirkten Umgeftaltung und Weiterbildung der Harmonil.” Die Redaction 
der Leipziger „Neuen Zeitfchrift für Muſik“ batte vor zwei Jahren eine Ar: 
beit unter diefem Titel als Preisaufgabe geftelt. €. %. WBeigmann 
in Berlin gewann ven erſten, Graf Faurencin den zweiten Preis. 
Beide Abhandlungen find, nachdem fie bereits in der genannten Zeitſchrift 
veröffentliht worden, als felbititändige Broſchüren erſchienen, von denen bie 
Laurencin’fhe vorliegt. Weizmann bat außerdem im vorigen Sabre 
noch die Leine Schrift: „Die neue Harmonielehre im Streit mit der alten‘ 
herausgegeben. Beide Berfafier leiten aus den Tonfhöpfungen neuefter 
Zeit eine einfachere und freiere Theorie ab, die viele Säge ver alten Lehre als 
überwundenen Stanbpunlt erjcheinen läßt. Mas nun Graf Laurencin ins 
fonderbeit betrifit, jo geben feine Erörterungen von den Werlen früberer 
Meifter aus. „Die neuelte Harmonil wurzelt ja jo tief in Bad und 
Beethoven, daß ohne minbeftens einen andeutenden Blid auf dieſe beiden 
Meifter in der Crledigung der Preisaufgabe gar nicht fortzulommen ges 
wejen wäre. Bach und Beethoven fteben jedoch wieder in einem jo 
engen Verbande mit den alten Niederländern, Stalienern und Deutſchen, 
daß auch eine Umfchau nach diefen Vorftufen nicht umgangen werben durfte.“ 
Auf Seite 1—28 reiht der Berfajler die Entwidelung der Harmonil von 
Baleftrina bs Shumann nah, macht dann, wie es der Wortlaut 
der Aufgabe verlangt, einen jchnellen Uebergang zu Berlioz, Lißt um 
Wagner, den neuelten Zrägern des accorblich:modulatoriihen Weſens und 
verweilt bei ihnen bis zum Schluſſe ded Ganzen, S. 67. Das Refultat 
feiner Erwägungen findet er in dem „genügend hergeſtellten“ Beweije: „daß 
und in well) hohem Grade das Geſammtweſen der Harmonit und jebe 
feiner einzelnen Erſcheinungsarten dur die neueften Kunftfhöpfungen auf 
treuer Grundlage früherer Jahrhunderte, doc mit fteter Wahrnehmung 
des individuellen Geiftesrechtes, ſowohl theoretiſch vereinfaht als praltiſch 
erweitert worden iſt. Der allzu ergiebige, und oft nur auf Grund einer 
Hypotheſe beitimmte Negelftoff früherer Muſiktheorien ift nämlih Dank dem 
neueften mujilalifhen Schöpfer: und Forſchergeiſte — auf wenige, doch un⸗ 
erſchütterliche Grundfäße zurüdgeführt worden. Aucd hat der neue muft: 
kaliſche Geftaltungsgeift und die mit dieſem gleichen Schritte gehende Lehre 
das Weſen und die einzelnen formen der Uccorde und Uebergänge ledig» 
lid dem Scepter einer logiſch vorgehenden muſikaliſchen Schöpfungstraft 
unterworfen.“ Das Ganze ilt in fehr anziebender, geiſwoller Weile ge: 
fohrieben und wird von Keinem überjehen werben dürfen, der urtheilsfäbig 
in Saden der neuen Mufittheorie werden will, welches auch immerhin 
feine Stellung zu der Neuen deutſchen Schule, oder fogenannten Zukunfts⸗ 
mujfil, fein möge. — Nr. 8. Neben dem Haupttitel fteht biejer zweite: 
„Kunftwifienfchaftlihe Nachweiſung mit Belegen und Citaten aus älteren 
mufilaliihen Schriften, daß die Weitzmann'ſche „Erklärende Erläuterung 








Muſikwiſſenſchaft. Inſtrumentalmuſik. 571 


und muſilaliſch⸗theoretiſche Begründung der durch die neueſten Kunſtſchöpfun⸗ 
gen bewirkten Umgeſtaltung und Weiterbildung der Harmonik“ auf Irr⸗ 
thum und Unkenntniß oder abſichtlichem Ignoriren der früher erſchienenen 
theoretiſchen Werke beruhen, ſowie gebührende Abwehr gegen die unbe: 
gründete Anfiht, als feien die Lehrſätze der bisherigen Mufiltheoric zu 
mangelhaft, um alle vortommenden harmonifhen und melodifhen Tonge- 
ftaltungen erklären zu können.” — Hier ift alfo die Oppofition gegen. die 
neue Lehre! „Bis zur Evidenz’ glaubt F. J. Kunkel nachgewieſen zu 
haben: „Erſtens, daß diefe Grundlage des harmoniſchen Theiled der 
Zulunftsmufit fein, oder doh nur ein höchſt mangel: und lüdenhaf- 
tes Syſtem ift ....; Zweitens entbehren die vermeintlihen Begrün⸗ 
dungen entweder das wejentlih’Fundpamentale .... oder auch find 
fie theils oberflächlich, theild verehrt... .; Drittens ift von einer 
durch die neueften Kunftihöpfungen bewirlten Umgeftaltung und Weiter 
bildung der Harmonit im ganzen Büchlein nichts zu finden”..... Eine 
Antwort Weibmann’s ift, fo viel mir befannt, bis jept nicht erfolgt; 
fie dürfte aber faum ausbleiben, da fol ein Gegner wie F. 3. Kunkel 
fih nicht todtjchweigen läßt. Wir Andern werben bei dieſen eben fo wich: 
tigen als intereflanten Bewegungen auf dem Gebiete der Harmonielehre 
zunächſt eine zufchauende und zumartende Stellung einzunehmen baben. 
Die Wiflenihaft kann offenbar nicht ohne Gewinn bei den Kämpfen blei- 
ben, wenn auch die endgültige Wahrheit fich erft im Laufe fpäterer Jahre 
berausftellen ſollte. — 

Nr. 9. „Se einfacher und inniger verbunden fowohl melodiſch, 
barmonifch, als rhythmiſch das Zwiſchenſpiel mit dem Choral ift, 
befto zmedmäßiger wird es fein.” Indem der Verfafler ſich zu diefem Grund; 
fape Friedrich Schneiders (Handbuch des Organiften, II, 101) be 
fennt, gibt er eine praktiſche Anleitung zum Crfinden kirchlicher, auf die 
Dauer von A Vierteln befchräntter Zmifchenfpiele, aus welcher nit nur 
der Anfänger Nutzen fchöpfen, fondern auch der Geübtere mandyes Angie: 
bende und Belehrende entnehmen wird. Wichtig ift die Bemerkung: „Wenn 
man verlangt, daß das Zwiſchenſpiel durch feinen Inhalt den Eindrud des 
Chorales wejentlih mit heben foll, fo verlangt man in den meiften 
Fällen zu viel, zumal von Organiften, die zwar fehr brave Orgelfpieler 
fein mögen, die aber Künftler von Beruf weder fein können noch wollen; 
aud wird es felbft dem Künftler nicht immer gelingen, in wenigen Bierteln 
die Gefühle, welche der Choral ausprüdt — Freude, Dant, Neue, Schmerz, 
Ergebung — felbitftändig wieberzufpiegeln. Es ift daher genug, wenn das 
Zwiſchenſpiel dem Character des Chorals nicht widerftreitet, wenn bie 
Stimmung und Tärbung des Chorales im Allgemeinen durch getragenere 
oder ſchwungvollere Melodie, durch hellere oder düftere Harmonien, durch 
gemäßigten oder bewegteren Rhythmus in den Zwiſchenſpielen feftgehalten 
wird. Diejes Ziel kann Jeder erreichen.” — Nr. 10. Auf die Wichtigkeit 
von Döring’s Chorallunde ift bereits im vorigen Bande des Pädagogi- 
Shen Sahresberichts bingemwiefen. — Nr. 11. Diefes Handbuch if genau 
verfaßt nad) den älteren Ausgaben (1589 und 1618) des Directorii 
Chori von Buidetti. Es verbindet mit Angabe der richtigen Betonung 








572 Muſikwiſſenſchaft. Inftrumentalmufil. 


des Lateinifhen die moderne Notation der Mufil, außerdem wurde ven 
Gefängen durch Zranspofition (Modus hypodorius in die Oberquart und 
Modus mixolydius in die Unterquint) eine nad unferer pofitiven Ton⸗ 
höhe allgemein fangbare Zonlage gegeben. Inhalt: Begraͤbniß der Kinder, 
©. 1—11; Begräbnik der Erwachſenen, ©. 12—24; Officium defunc- 
torum, ©. 25—108; Mefie für Berftorbene, S. 109-131; Anhang: 
Asperges, Vidi ayuam, Wetterſegen, Borfegnung u. f. w, S. 131— 
152. — Nr. 12. Auf dieſe wichtige Schrift fei nochmals Jeder hinge⸗ 
wiejen, den die Mufit in ver katholiſchen Kirche irgend etwas angeht. 
Inhalt: I. Meſſen, II. Die Gradualien und Offertorien des Kirchen⸗ 
jahres. III. Die Veſpern. IV. Litaneien. V. Der religiöfe Volksgeſang. 
VL Orgelcompofitionen. VII. Studienwerte. VIII. Kirchliche Berorb- 
nungen über Kirhenmuft. IX. Mufitihulen. X. Ueber Muſikalien⸗ 
Kauf und Berlauf. XI. Biographifhe Skizzen. XII. Nachträge. — 

Nr. 13. Das Buch foll ein engbegrenzter aber anſchaulicher Abrik 
fein, der mit möglidfter Bermeidung trodner Namensaufzählungen eine 
Ueberficht über die wichtigften Epochen der Mufitgefhichte gibt, — der den 
Lehrer anregt und befähigt fih mit umfaflenderen Werfen vertraut zu 
maden. Es fol ein populäres Buch fein, „ein Buch für Jeden, ver fid 
mit Muſik befchäftigt, oder an ihr Freude findet; darum tritt das Biogra- 
phifche, als einer der anziehenpften Beſtandtheile der Mufilgefhichte, darin 
befonderd hervor.“ Das Ganze ift mit eben jo viel Saclenntniß als Ge 
Ihid in der Darftellung verfaßt und follte Keinem fehlen, ver Anſpruch auf 
muſikaliſche Bildung macht, falls ihm nicht umfaflendere Merle zu Gebote 
fteben. -- Nr. 14. Ebenfalls ein fehr beachtenswerthes Wert. Das I. Bänb: 
hen enthält auf 234 Seiten die Biographien von E.M.v. Weber, Spohr, 
Marſchner, C. Kreutzer, Lorging, Roſſini, Bellini, Doni: 
zetti, Verdi, Boieldien, Auber, Herold, Adam, Halevy, 
Meyerbeer, Nicolai und Flotow; im II. Bändchen werden dann 
Franz Schubert, Felix Mendelsſohn⸗Bartholdy, Robert 
Schumann, Niels, W. Gade, Moritz Hauptmann, Hector 
Berlioz, Richard Wagner, Franz Lißt vorgeführt. Der Artikel 
über C. Mev. Weber ift in der Euterpe, 1863, 4, 5, mitgetheilt worden; 
er gibt eine Probe von der anziehenden Weije, in welcher dieje Charalter: 
bilder verzeichnet find. — Nr. 15. Diefe von Freundeshand entworfene 
Skizze läßt uns eine anregende, erquidlihde Einſchau in das reiche Leben 
des gefhästen Thüringer Sängers halten, deſſen Wahlſpruch lautete: „Aus 
deutfbem Liede blühe deutfher Sinn! — Nr. 16. Gar Manches, worüber 
ber geiftreihe Franzoſe fih in diefen Heften äußert, liegt einem beutfchen 
Schulmeifter ziemlih fern; Anderes dagegen vermag auch und ein hohes 
Intereſſe zu gewahren, wie 3. B. die Artikel über Beethoven, bie 
Kunſt des Gefanges, Kirhenmufit, Sinftrumentirung, die Gloden, ihre Thürme 
und die drei Schlagarten u. U. Man muß aber po nicht allzu tief in 
der Muſik ftehben und auch fonjt was gelernt haben, um ben rechten Ge 
nuß aus diefen Aufſätzen zu ziehen. — 

Nr. 17. Der Berfafler hat fi) die Aufgabe geftellt: „dem Kunfbe 
Rifienen ein Werk in die Hand zu geben, weldes ihm bei feinem Muſil⸗ 





Muſikwiſſenſchaft. Inſtrumentalmuſik 573 | 


treiben, ſei es aus irgend welchem Gebiete und auf irgend welcher Stufe 
der Runftbildung, fei es zum Zwede des erniteren Studiums oder dem ber 
Unterhaltung (im ebleren Sinne), als Führer dient, indem es aus dem 
anerfannt Braudbaren und Beliebten ſowohl, wie aus dem Vorzüglichften 
und Belten, was die ältere und neuere Literatur aufzumeifen bat, eine 
möglichft forgfältig getroffene und progreffin geordnete Auswahl darbietet.“ 
Auf das Progrefjive ift ein befonderes Gewicht gelegt, und die vorzugsweife 
in diefer Richtung angewandte Sorgfalt läßt fid) nirgends vertennen. So 
ift 3. B. die jämmtlihe Klaviermuſik nad vorausgejhidter Angabe der 
wichtigiten Schulen auf ſechs Stufen vertheilt und auf jeder einzelnen find 
wieder unterjchieden: a) Mebungsitüde, Etuden 2c. aa) Bmweihändiges, bb) 
Vierhändiges. b) Tonjtüde. aa) Zweihändiges. bb) Vierhaͤndiges. cc) 
Achtbändiges. Der Preis ift äußerft billig geftellt. — Nr. 18. Der Ber: 
faſſer erllärt es für ein ftarles Stud Arbeit, ji durch den Wald von 
Männergefängen, hervorgebracht im jüngiten Decennium, hindurchzuwinden. 
Er fegt hinzu: „Wer hat did, du jhöner Wald, aufgebaut? könnte man 
auch hierbei fingen, gäbe es nicht fo viel dornige Sträucher darunter, an 
denen man fo leicht hängen bleibt, vie — fogar Herz und Sinn verwun: 
den. — Doch, Bott Lob! die deutjhe Mufe hat aud Werke gefchaffen in 
diefer Zeit, die das Herz erfrifhen, erquiden und beleben und die dauern, 
fortleben werben, jo lange guter Geſchmack und wahrhaft äfthetifcher deut: 
ſcher Sinn beftehen.” Kine Auswahl und Zufammenftellung folder Werte 
ift bier unternommen. Seit langen Jahren in Leipzig lebend, im Mittel: 
punkt des deutſchen Buchhandeld und unter den Entfaltungen eines reichen, 
body gefteigerten und vielfach verzweigten Muſiklebens, war der Berfafier 
mehr als viele Andere in der Lage, feine Aufgabe mit Glück zu löfen, 
wie es denn aud geſchehen ilt. 


B. 
Orgelſpiel. 


1. Theoretiſch⸗praktiſche Organiſtenſchule, nebſt einer Anleitung im Extempo⸗ 
riren und vielen unterrichtlichen Bemerkungen. Für angebende Drgelfpieler, 
inbeſondere für den Gebrauch in Seminarien und Muſikſchulen bears 
beitet und herausgegeben von Bernhard Brähmig, Wufilichrer am 
Fürftl. Seminar in Detmold. I. Eurjus: Kurze Befchreibung der Orgel, 
&lementarftudien und Zonftüde. 1 Ihlr. 6 Ser. II. Eurjus: Das kirche 
liche Drgelipiel. (Präludium, Choral und Nächſpiel.) 1 Thlr. 21 Ger. 
III. Curſus: Dirtuofe Studien und Tonſtücke. 1 Thlr. 24 Sgr. Leipzig, 
Carl Werfeburger. 


2. Der tbeoretifchspraltifhe Organiſt, von Friedrich Wilhelm Gering, 
Königliher Muflfdirector und Seminarlehrer. Stufe III. EboralsPrälus 
dien: a) mit freien Motiven, b) mit Choral⸗Motiven; von verfchledenen 
Componiften, für das Studium und den Gebrauch beim öffentlichen Got⸗ 
teödienfte, mit tbeoretifcher Einleitung. 24 Ser. Stufe IV. Die Kirchen- 
töne. Die Theorie der Kirchentöne, contrapunftifhe Studien in den Sir 
Khentönen und Präludien in den Kirchentonarten, 1 Thlr. 15 Ser. Er 
furt und Leipzig, G. W. Körner. 





574 Muſikwiſſenſchaft. Inftrumentalmufik. 


3. 


4 


10. 


12 


13 


14. 


Orgelbuch für Präparanden, Seminariſten, Schullehrer und Organiſten, 
enthaltend eine Modulationstheorie in Beiſpielen, ſowie kleinere und 
größere Orgelſtücke als: Einleitungen, Fughetten, Vor⸗ und Nachſpiele, 
herausgegeben von Moritz Broſig, Kapellmeiſter an der Kathedrale zu 
Breslau. Op. 32. Preis a Heft 10 Sgr. Breslau, F. C. ©. Leuckart. 


Die erfie Schule des Drgelfpiels, auch eine Schule für das Harmonium, 
insbefondere für Seminar-Präparanden bearbeitet von E. H. Ebeling. 
Berlin, Trautweln. 15 Sgr. 


. Etuden für die Orgel zu höherer Ausbildung der Pedaltechnik, mit Bes 


eichnung der Applicatur, comp. von &. Ad. Thomas. Op. 2. Heft 1. 
Beipzig, %. Hofmeilter. 221/32 Ggr. 


. ©. 9. Rinck's Präludten. Zweite Auflage. Wohlfelle Ausgabe der 


ſchönſten „Vorſpiele zu den gebräudlichften Chorälen der evangelifchen 
Kirche." Ausgewählt und neu herausgegeben von Wilhelm GSreef. 
Zweites Heft, Preis 12'/2 Sgr. 38 Orgelſpiele. Eſſen, G. D. Bäpeler. 


. Vorſpiele zu Hentſchel's Evangeliſchem Choralbuche oder: 180 leichte 


Borfpiele zu den gangbarſten Choralmelodien der evangeliſchen Kirche, 
gm Gebrauche beim äffentiihen Gotiesdienſte componirt von Fr. Brauer, 

rganift zu St. Wenzel in Naumburg a/S. Preis 1 Thlr. Leipzig, Garl 
Merfeburger. 3. Aufl 


. Präludienbuch. Sammlung größerer und MBeinerer Borfpiele in ben vers 


ſchiedenſten Formen über die gebräudlihften Ghoräle für die Orgel mit 

und ohne Pedal componirt von Dr. W. Volckmar. Op. 66. Breis im 

einen Bande 2 Thlr. Pr. in 4 Heften à 25 Sgr. Elberfeld, F. W 
rnold. 


. Die Kunſt des Choralvorſpiels in den verſchiedenſten Formen. Präs 


ludien zu den mwidtigiten Chorälen für ben kirchlichen Gebrauch com- 
ponirt und mit Baus und Bortragsnotizen verfehen von Theodor Drath, 
t. Seminarmufifichrer zu Poelig bei Stettin. Erfurt und Leipzig, G. W. 
Körner. 12/1 Thlt. 


Der praktiſche Landorganiſt. Eine Sammlung von Bor: und Nachſpielex 
für die Orgel nebft Ueberleitungen von einer Bersitropbe zur andern. Zum 
Gebrauche beim dffentlihen Gottesdienfte für Gantoren und Organiften 
bearbeitet von Theodor Krauß, Gantor und Drganift zu Gedenheim bei 
Uffenheim. Op. 37. Selbſtverlag. 


Drgelftüde zum Gebrauche beim Gottesdienfte, compontrt von Auguſt 
Brandt. Heft 1 und ?. A Heft 9 Sgr. Leipzig, Werfeburger. 


96 leichte und kurze Tonftüde in allen Tonarten für die Orgel, mit unt 
ohne Pedal von Dr, W. Voldmar, Op. 54. Preis 15 Sgt. 


Vor⸗ und Nachſpiele längern und kürzern Inhalts zum Gebrauche beim 
Öffentlichen Gottesdienſte und bei befondern —— componirt Don 
Joh. Deumlich. Heft 1. Op. 22. Langenſalza, Schulbuchhandlung. 


Zwölf größere Orgelſtücke von mittelmäßiger Schwierigkeit, zum Gebrauch 
beim öffentlichen Gottesdienfte gefchrieben von Dr. W. Volckmar. Dr. 
64. ra I. Kreuztonarten. Heft II. Beetonarten. Preis & 15 Egr. 
Eiberfeld, F. B. Arnold. 


Vingt-cing morceaux faciles pour ourgue ou harmonium par Philippe 
Eberlin, instituteur communal & Strasbourg. Strasbourg, 1862. 





16. 


17. 


19. 


20 


21. 


22. 


23. 


24. 


25. 


26. 


27. 


28 


20. 


30. 


Muſikwiſſenſchaft. Inſtrumentalmuſik. 575 


Adolph Heſſe's ausgewählte OrgelsGompofltionen. Neue billige Aus⸗ 
gi Lieferung 16—20. Breslau, F. E. C. Leudart (Conflantia Sans 
er. 


Drgelfonaten von Dr. Wilhelm Volckmar. Rr. 2—5, a 15 Sgr. Homs 
berg in Kurheſſen. Derlag des Verfafjers. 


. Sche Bugen für Orgel (oder Bianoforte mit Pedal), componirt von J. G. 


Herzog, !. Profefjor in Grlangen, (früher Organiſt und Xebrer des Örgels 
fpield am Lönigl. Eonjervatorium in München.) In-zwei Heften à 15 Ger. 
Op. 37. Erfurt und Leipzig, Gottfr. Wild. Körner. 


„Chriſt if erſtanden,“ Fantafie für die Orgel von Morig Brofig. Preis 
124/32 Syr. Op. 6. Breslau, W. Leuckari. 


Die wohltemperirte Orgel, oder bierundgmangig Präludien und Fugen 
durch alle Dur und Wolltonarten, rür die Orgel componirt und mit 
Pedale Applicatur verjeben von H. Stolze, Stadi- und Sgloßorganiſt in 
Gele. 16. Sammlung der Drgelitüde, und der praftifchen Drgelichule 
vierter und letzter Theil. Op. 58. 3 Thlr. Erfurt, &. W. Körner. 


Das kirchliche DOrgelfpiel. Eine Sammlung verjchiedener, meiſt leicht aus⸗ 
führbarer Orgeiftude älterer und neuerer Weiter, mit bejonderer Rückficht⸗ 
nahme auf die muſikaliſchen Verhältniſſe der evangelifch:lutheriichen Kirche 
Bayerns bearbeitet und herausgegeben von Herzog, königl. Profeſſor in 
Erlangen. Op. 35. Dritter Theil. Rachſpicle und Fugen 1%; Thlr. 


Feſtſpiele für die Orgel von Dr. W. Volckmar. Preis a 5 Sgr. Hom⸗ 
berg in Kurheſſen, Verlag des Verfaſſers. 


Iransferiptionen für Harmonium, Pedalflügel oder Orgel zc. von Franz 
Lißt und A. W. Gottihalg. Dresden, C. F. Meier. 15 Sgr. 


GoncertsSonate in Dsdur für die Orgel, componirt von Dr. Boldmar. 
Homberg, Kurhejien, beim Berfafjer. Op. 70. Preis 15 Gr. 


Zubels Album für die Orgel, Dem Herrn Dr. Johann Schneider 
tönigl. ſaächſ. Hoforganift ac. zu feinem sujährigen Amtsjubiläum in größter 
Verehrung dargebradt von J. G. Zöpfer, 3. A, van Eyben zc. 2c. Durd 
Dr. $r. W. Schüße, Seminardirector 20. Eigenthum der Johann⸗ 
Schneider⸗Stiftung des ſächſ. Peitalozzivereins in Dresden. In Kommife 
fion bei Zul, Klindhardt in Leipzig. Subferiptionspr. 1 Thlr. 10 Sgr. 


„Nun danket alle Gott.” Dank» und Jubel: Präludium für volle Orgel, 
von Dr. Ioh. Schneider. Leipzig, Klemm. 10 Egr. 


Nachſpiel (F-dur) für die Orgel zu vier Händen, componirt v. Dr. Wil- 
Km Soltmar. Op. 44. Breis 7'/a Sgr. Erfurt und Leipzig, Gotth. 
. Körner. 


efintrade (D-dur) für Die Orgel zu vier Händen, componirt von Dr, 
ilhelm Boldmar. Op. 76. Preis 20 Ser. Erfurt, Leipzig, Körner. 


—A für Orgel oder Pianoforte zu vier Händen componirt von Adolph 
efie. Op. 37. Breis 20 Sgr. Rr. 50 der Orgelcompofltionen. Bres= 
lau, Zeudart. (Conftantin Sander). 


Vierſtimmiges Choralbud für evangelifhe Kirchen. Mit befonderer Rück⸗ 
ficht auf die In der Provinz Brandenburg gangbaren Geſangbücher bear 
beitet, nebſt einem Anhange biftorifher Rotizen. In Gemeinfhaft mit den 








576 Muſikwiſſenſchaft. Inſirumentalmuſil. 


Seminarlehrern Ernſt Ebeling und Franz Petreins herausgegeben von 
Ludwig Erk. Berlin 1863. Th. Ehr. Fr. Enslin. 


31. Gboralbuh für Kirche, Schule und Haus, bearbeitet von Friedrich 
Brenner, Drganifi an der Univerfitätslirdhe in Dorpat. Dorpat, Karow. 


32. Katholiſches Geſangbuch zum Gebrauche beim dffentlidhen GBottesbienfte. 
Herausgegeben vom bifchöflicden Ordinariate des Bisthums Gt. Ballen, 
St. Ballen, 9. 3. Köppel, 1863, 


Nr. 1 —5 find inftructive Werke; Nr. 6—9 Präludienbüder, unter 
Nr. 10— 15 ftehen verfchiedenartige Orgelftüde von geringer und mittlerer 
Schwierigkeit; Nr. 16 bringt Leichtes und Schweres vermifht; dann fol 
gen bis Nr. 26 ausihließlih große, für geübtere Spieler beitimmte Sachen, 
und zwar theils zu zwei, tbeild zu vier Händen. Den Schluß maden 
Choralbücer. 


Ne. 1. Als Zielpunkte diejes Unterrichtswerles bezeichnet der Ber: 
fafler: ein möglichit fuccefiives Fortſchreiten im Unterrihtsgange, insbeſon⸗ 
dere auf der Glementarftufe; forgfältige Auswahl des Webungeftoffes; vor: 
zugsweiſe Entnahme ber eigentlihen Orgelftüde aus dem Schatze muſter⸗ 
gültiger älterer und neuerer Kirhenmufil; dauernde Brauchbarkeit derfelben 
aud für fpätere praltiihe Zmede; daneben eine kurz gefaßte Belehrung 
über die wichtigften Theile des zu behandelnden Inſtruments. Außerdem bat 
der Berfafler fih nod im Beſondern die Aufgabe geftelit, ven Schüler anzu- 
leiten, daß er mit Hülfe und nach Maßgabe feiner innern Befähigung dahin 
gelange: „eigne Ideen, wenn auch in einfacher, doch lunftgerechter Form auszu⸗ 
drüden. Das Wert ift in technischer ſowohl, wie in rein muſikaliſcher Hinſicht 
mit Fleiß und Talent gearbeitet, entſpricht überall den Seitens der Methode 
zu ftellenden Forderungen und bildet zugleich eine Anthologie auserlejener 
DOrgelfahen zu mannihfahen Gebrauch. — Nr. 2. Stufe I und II vie 
jes Wertes wurden im vorigen Bande angezeigt. Seitdem bat bafielbe in 
den früheren, wie ven vorliegenden Stufen mit Recht eine jehr allgemeine 
Anerlennung erlangt und ift auch von dem Königl. Provinzial: Schulcolie 
gium zu Magdeburg empfohlen worden. Die „Urania‘ giebt über Plan 
und Verwendung des Ganzen ausführlihen Beriht. — Nr. 3 iſt aus 
der Erwägung hervorgegangen, „daß die Gewandtheit in der Modulation 
eine außerordentlih wichtige Stelle in der Ihätigleit eines Organiften ein- 
nimmt, die Lehrbücher der Harmonie jedoch nicht eine fo reihe und ſyſte⸗ 
matiſch georonete Anzahl von Modulationsbeifpielen binftellen, daß fie dem 
angehenden Organiften als Richtſchnur dienen könnten. Diefem Bebürf: 
niß fol bier abgebolfen werben: jedes Heft diefes Orgelbucdes bringt eine 
Anzahl Modulationen, zunähft in nähere, dann in entferntere Tonarten, 
mit Angabe der in Anwendung gebrachten Mittel und manderlei anderen 
Sinweifungen. „Ein fleißiges Studium und Nachbilden diefer Säge wird 
jeden einigermaßen Befähigten jo weit fördern, daß er endlih im Stande 
it, jede verlangte Modulation in geordneter und befriedigender Weiſe aus: 
zuführen”. Den übrigen Raum jedes Heftes füllen Kleinere und größere 
Drgelftüde aus (Ginleitungen, Fughetten, Präludien, Poftluvien), die auch 








Muſikwiſſenſchaft. Inſtrumentalmufik. 577 


beim Gottesdienſte ihre Anwendung finden und zur Richtſchnur bei eigenen 
Verſuchen dienen können. Hierzu iſt nur zu bemerlen, daß auch bie Mo: 
dulationen in Form kleiner Praͤludien ausgearbeitet find, daß die Hefte bis 
Ar. VII vorliegen, wo die Gefammtjumme von 180 Meineren und grö: 
Beren, zum Theil ziemlich umfangreihen Tonjäßen erreicht wird, und daß 
für die Gebiegenheit dieſer Compofitionen der bewährte Ruf des Heraus: 
gebers bürgt. — Ne. 4. Gin gutes Elementarwer ©. die Anzeige von 
Jacob, Eut. 1836, 6. — Nr. 5. Nach Allen, mas von Urtheilöberedh: 
tigten ausgefprochen wurde, find diefe Etuden (auch mufitalifh interefjant) 
als ein Fortſchritt in der Kunft des Pedalſpiels zu betrachten. — 
Nr. 6. Rind's Vorſpiele behalten um ihrer leichten Ausführbarleit, 
ihrer Inappen Form und ihres eben jo erbaulihen als faßlichen Inhalts 
willen einen dauernden Werth für ſehr viele Organiften und jehr viele 
Gemeinden; die vorliegende neue, revidirte und wohlfeile Ausgabe ders 
jelben kann aljo nur eine ermwünfchte fein. Heft I enthält 4A, Heft II 
38 Nummern; das Ganze ift auf etwa 5 Hefte beredhnet. — N. 7. 
Borliegende dritte Auflage der Brauerjhen Präaludien ift ein ganz uns 
veränderter Abdruck der zweiten, melde leßtere ſich in verhältnigmäßig 
kurzer Zeit vergriffen hat. Mit einigen wenigen Ausnahmen können dieſe 
joliven Vorſpiele aud da gebraucht werben, wo ein anderes Choralbud) 
als das auf dem Titel genannte gebräuhlih ift. Ihre Technik iſt für 
ganz mäßige Kräfte berechnet. — Nr. 8. Diefes Wert des hochgeachte⸗ 
ten bejliichen Orgelmeiſters ſoll Vorſpiele zu den gebräudplidhjten Chorälen 
bringen, jo daß es überall dem Bedürfniß entgegen lommt. Dem Choral 
iſt die Hauptrolle darin zugewiefen. Entweder find einzelne heile deſſel⸗ 
ben, verändert oder unverändert, zu ben Motiven verwendet, oder es iſt 
auch der Choral ſelbſt, namentlih in mancherlei Formen der Yiguration, 
vollftändig aufgenommen. Die Mehrzahl der Präludien ift fo leicht gehal⸗ 
ten, daß ihre Ausführung ſelbſt dem geringeren Mitteljpieler keine Schwies 
sigleiten macyen kann. Heft I und II enthalten zufammen 48 Nummern. -— 
Rr. V. In 93 Präludien ift jede erdenkliche Weile, den Choral für das 
Borjpiel zu benuben, das Schwerfte nicht ausgejchlojien, in Anwendung 
gebracht, und es kann daher dieſes Wert, abgejehen von jeinem kirchlichen 
Bwed, auch als eine praltiihe Schule des einfachen und doppelten Contra: 
puntts betrachtet werden. Vergl. Euterpe, 1863, 1. —- Nr. 10. Nur 
die erſte Lieferung liegt vor. Sie enthält a) 8 Vorſpiele zu beftimmten 
Ehorälen nebft Zwifchenipielen zu lebteren; b) 15 „Allgemeine Tonſaͤtze“, 
theils als Vor⸗, theild als Nachſpiele zu verwenden; c) 3 große Poſt⸗ 
kudien, worunter eine Zuge über BA C H. Es fehlt vem Componilten 
weder an Begabung noh an Schule; und fo entbehren dieſe Orgelitüde 
nicht der Berechtigung; was freilich die beigegebenen Zwiſchenſpiele betrifit, 
fo find fie nach heutigen Normen offenbar zu voll, da fie, obſchon auf den 
Raum von A Bierteln beihränft, doch meiltens 8 verjchiedene Accorde 
enthalten. — Nr. 11. Wegen diejer Orgelitüde verweiſe ic), da fie mir 
debicirt find, auf die aus des Brenvelihen Mufilzeitung in der Euterpe, 
1863, 6, abgedrudte, anerlennende Beurtheilung. Die Ausführung nimmt 
nicht mehr, als die Kräfte eines leidlich geübten Seminariften der Mittel: 
Pad. Bahresberiht XV. 37 


578 Muſikwiſſenſchaft. Inſtrumentalmuſik. 


ſtufe in Anſpruch — Nr. 12. Die reihe Erfindung des Componiften 
ſpricht fih aud bier im diefen 96, in allen Tonarten und in den verſchie⸗ 
deniten Formen gejchriebenen Säßen aus. Es wäre ganz gut, wenn jeder 
Präparand diefe Stüde mehrmals durchüben könnte, auch der Mehrzahl 
der Seminariften würde das gar nichts ſchaden. — Nr. 13. Dem Com: 
poniften ift, mie einige Heine Proben zeigen, die thematiſche Arbeit nicht 
fremd; er hat fie aber doch allzu wenig angewandt, ald daß dieſem Hefte 
ein bejonderer Werth beigelegt werden könnte. Die ausfchließlihe Vier⸗ 
jtimmigfeit der meiften Sätze macht fie Shwerfällig und ſtarr. — Nr. 14. 
Den dilettantiihen Gaben gegenüber, die eben erwähnt wurden, thut bier 
der freie Meifter wieder feine künſtleriſche Yülle auf. Jedes ber beiden 
Hefte enthält 6 Nummern von je zwei Seiten Umfang, baupttählic als 
feierlihe Nachſpiele zu gebrauchen. Die Schwierigleit ift bei den meiften 
mindefteng eine „mittelmäßige‘! — Nr. 15. Liebartige, die Polypho— 
nie ausjhließende Stüde mit anmuthigen, füplih weichen, field in wer 
Oberftimme liegenden Melodien; eine Art Orgelmufil, die in Frankreich 
und Italien fowie auch in der katholiſchen Schweiz zu Haufe ift, nah 
unfern Begriffen aber für die Kirche zu wenig Tiefe, Ernſt und Würbe 
hate. — Nr. 16. Lieferung 1 — 15 wurden bereits früher angezeigt. 
Lieferung 16 bringt nun: 12 Studien mit obligaten Pedal, 9 Sgr.; Bie 
ferung 17: 7 Orgelitüde verfchievenen Characters, Op. 60, 12 Ser; 
Lieferung 18: 5 Borfpiele und ein variirender Choral, Op. 58, 12 Sgr.; 
Lieferung 19: Toccata, Op. 85, 12 Sgr.; Lieferung 20: Praͤludium umd 
Fuge, Op. 86, 12 Sgr. Der beimgegangene eble Meijter lebt fort im 
biejen feinen Werten. — Nr. 17. Die erfte der Sonaten wurde im 
XIV. Bande angezeigt. Es iſt erfreulih, dab das Unternehmen, eine 
ganze Reihe folder Merle zu liefern, Yortgang gefunden hat, da biefe 
Sonaten das Brillante mit dem Soliden glüdlid vereinigen und daher für 
Kirchenconcerte vorzüglich geeignet find. Mögen fie dazu beitragen, daß 
bei ſolchen Veranlaſſungen nidt bloß Fugen und immer wieber Augen 
gejpielt werden! — Der hohe Werth, den eine gute Zuge auch für das 
Concert bat, fol damit natürlich nicht angezweifelt werden. Im Gegen: 
theil meije ich angelegentlih auf Nr. 18 bin, wo der geübtere Organiſt 
gewiß Befriedigung finden wird, wenn er neben den, allerdings unerreich⸗ 
baren Bachſchen Fugen aud einmal bergleihen von einem anbern Meifter 
jpielen mil. Hier zumal vereinigt fih das Gründlide und Gebiegene 
mit dem auch äußerlich Wirktungsvollen. Für das Studium iſt es von 
Michtigleit, daß der Componift überall die Eintritte des Thema's (oder 
beiver Themata, wie bei den Doppelfugen Rr. k und 2) und bed Gegen 
faßes genau bezeichnet hat. — 

Nr. 19 — 29. Unter all diefen Werlen aus der Feder namhafter 
und chrenmwertber Componiften ift, um es nohmal zu jagen, für An: 
fänger nichts enthalten, wenn ſchon bei den vierkändigen Stüden fh 
die Schwierigkeiten in gewiſſer Art auf zwei Perſonen vertheilen Richt 
allzu fchwer find indeß die „Feſtſpiele“ (Nachſpiele für feierlide Beran: 
fafiungen) von Dr. Boldmar, und werden fleikige Seminariſten der oberen 
Stufe damit gang mohl zurechtkommen. Der Geſammteindruck ber vor 








Muſikwiſſenſchaft. Inſtrumentalmuſil. 579 


liegenden Werke iſt der eines regen, friſchen Strebens nach hohen und 
edlen Zielen, obgleich das zu Tage tretende künſtleriſche Vermoͤgen nicht 
überall ein geniales genannt werden kann. Immerhin würde Derjenige, 
welcher alles hier Gegebene leſen, analyſiren, ſpielen und wieder ſpielen 
könnte, eine bedeutende Förderung in vieler Hinſicht erfahren und nament- 
kb mit einer Fülle muhlaliicher Gedanten bereihert werden. — Das 
„jubel: Album‘ für Joh. Schneider gewährt ein bejonveres Intereſſe 
dur die Mannichfaltigleit der Feſtgaben, die bier won 28 verſchiedenen 
Componiften (unter ihnen auch Ritter und Lift) dargebradt find. In 
Mr. 24 bat der Zubilar auf die ihm zu Xheil gewordene Huldigung eine 
Antwort gegeben, und zwar im Aufblid auf Gott, der große Dinge thut 
und dem dafür Lob, Ehr und Breis gebührt. — Stolze’s „Wohl: 
tempexirte Orgel (Nr. 20), em fehr beveutjames Fugen: Werk, ift in der 
Guterpe, 1862, 3, näher ausführlich bejprochen worden. — 

Ueber Nr. 30 und 32 bat ebenfalls die Euterpe, 1863, 3, 6, jo 
fpecieli berichtet, ald es die Wichtigleit dieſer Choralbücher erforderte. 
Ar. Fr ‚giebt die Choräle rhythmiſch, in tabellofer Bearbeitung, 120 an 
der Zahl. 


C, 


Clavierſpiel. 


1. Lebrbüder und Säulen, Etuden und anderes vorwaltend 
Unterrichtliche. 


1. Der Elementarunterricht auf dem Pianoforte. Ein methodiſcher Beitrag 
für Xehrer und Lernende von Mudolph Range. Zweite, vermehrte Auf⸗ 
lage. Berlin, 1863. Jul. Springer. 


2. Der erſte Clavierunterricht in einer nach praktifhem Bedürfniß fiufenweife 
eordneten Folge von Beinen Tonſtücken, nebft hierzu gehörigen mechani⸗ 
Fhen Vebungen und einem Borwort. Berfaßt von Heinrich Henkel. 
Frankfurt a / M. Morig Diefterweg (Joh. Ehr. Hermann'ſche Buchhandlung.) 


3. Prattifhe Anleitung zum Pianofortefpiel. Ein Wegweifer für Lehrer, 
Hauslehrer, Däter, Mütter und Erzicherinnen beim Unterricht im Piano⸗ 
fortefpiel. Bon Louis Muprecht. Leipzig, bei Moriß Ruhl. 


4. Glapierelinterricht nach der heuriflifchen Methode en Bebufe der Mufil- 
Iehrer und ihrer Schüler. Don Johann Nepomuk Huber. Lahr, Verlag 
von M. Schauenburg u. Comp. 1863. 


5. Glavierfchule zu vier Händen für die erſten Anfänger, von Heinrig Wohl⸗ 
fahrt. Op. 39. Heft 2. Preis 11Yı2 Thlr. Berlin, Ed. Bote u. G. Bock. 


6. Leichte pierhaͤndige Stüde, die Primapartie im Umfange von fünf Tönen, 
für den Glapierunterricht componirt von Louis Köhler. Op. 124. Heft 
1, 2,3 à 15 Ngr., Heft 4 20 Nor. Leipzig, R. Forberg. 


7, Grmunterung zum Fleiße. 30 leichte Webungsftüde für den Clavier⸗Unter⸗ 
richt mit Fingerfag In progreffiner ofge, componirt von Louis Koͤbler. 
Op. 123. Heft I, 2 und 3 & 15 Ngr. Leipzig. Rob. Forberg. 

8. Glavierslebungen für Kinder, um felbige nad feiner Kinder⸗Clavierſchule 
weiter zu führen, von Heinrich Eohllahrt. Erſte Lieferung, enthaltend 
196 Ctaben. Bwelte Aufl. Leipzig, Breitlepf u. Härtel. 

37* 








580 Muſikwiſſenſchaft. Inftrumentalmufik, 


9, Mechaniſche Studien für Pianoforte. Kine Auswahl unentbehrlicder 
Uebungen vom erſten Anfang bis zur höchſten Ausbildung fortſchrettend in 
fireng methodifcher Ordnung mit erläuternden Anmerkungen, von Julius 
Handrock. Op. 40. Preis 15 Sgr. Halle, H. W. Sqhuidt. 


10. Schule der Geläufigkeit für die Unterllaſſe der Elavierfgüler, von Heiur. 
Wollenfaupt. Op. 32. Heft 1. Preis 20 Spur. Berlin und Bofen, bei 
Ed. Bote und G. Bod. 


11. Borftudien für Elavierfpieler zur Ginführung in die Werke älterer und 

moderner Componiften, von 5. Behrens. Op. 66. Lief. 1,2 und 3 

a 15 Ser. Hamburg, Aug. Cranz. 

Nr. 1. Auf 140 Geiten verbreitet ſich dieſes lehrreiche, jehr ans 
ziehend geſchriebene Buch über folgende Gegenflände: Das Juſtrument 
Der Eig. Alter des Anfänger. Anſchlag und Anfchlagübungen. Ham 
monifhe Figuren ohne Unters und Ueberſatz. Dex Triller. Uster: und 
Meberfeßen. Tonleitern. Gebundene Harmonien. Harmoniſche Figuren wit 
Unter: und Ueberſaß. Cinübung. Pflege des Zonfinnes und des Tom 
gedaͤchtniſſes. Rhythmus. Ausdruck. Selbſtübung. Vierhaͤndiges Spiel 
Primaviſta⸗Spiel. Pedal. Begleitung zum Geſang. Studium der Com⸗ 
poſitionslehre. Muſilalien. Fremdwoͤrter. Cs giebt wohl außer ber vor: 
liegenden Schrift feine andere, wo das, was der Klavierlehrer willen, kön: 
nen und leiften foll, jo gedrängt und in jo präcijer Faſſung zufammen: 
geftellt wäre. — Nr. 2 bietet in 50 ganz leichten Hanbfläden und eben 
jo viel Fingerübungen, welche jenen theild vorangeben, theild auch ſich zwiſchen 
fie einreihen, einen jehr wohl georbneten Lehrgang dar, deſſen richtige 
Benugung durd die im Vorworte gegebenen Anweiſungen weſentlich gejichert 
if. In Nr. 1— 46 der Handftüde hat ed der Schüler nur wit den 
Violinnoten, erft in den übrigen A Nummern aud mit den Baßnoten zu 
tbun. Der Berfafler jchrieb das Werkchen für den Unterricht feiner eigenen 
Kinder. Bis Nr. 32 ift für den Lehrer eine begleitende Barthie zu der 
des Schülers beigegeben, eine Cinrihtung, die jegt mit Hecht immer mehr 
in Aufnahme kommt. — Nr. 3. Diejes Werl, hervorgegangen aus lang 
jähriger Erfahrung, führt auf 108 Seiten bis dahin, wo der Schüler zu 
leichten Sonaten, Rondo’3 2c. übergehen kann. Die Anlage weicht in 
nichts Weſentlichem von dem jebt faft allgemein üblihen Lehroerfahren ab; 
die wohlklingenden, theils zwei-, theils vierhändigen Webungsftüde find 
nach wohlbemefiener Progrefjion georpnet. Der „Anhang“ giebt „für jpä- 
tere Zeiten” eine faßliche Belehrung über Intervalle, Tonleitern und Ac⸗ 
corde. Das Eigenthümlihe und Unterjcheidende dieſer „Anleitung“ beftebt 
indeß darin, daß es nicht nur das nötbige Uebungsmaterlal giebt, fondern 
auch von Stufe zu Stufe dem Lehrer, „ber nicht eben Glavierlehrer von 
Fach ift”, jagt, wie er zu unterrichten habe. Auf ein Buch in diefem 
Geifte und Sinne hat der Berfafier „ſeit einem Wierteljahrbundert ver 
gebend gewartet”. — „Was foll ein Hauslehrer, eine Gxzieberin zc. mit 
einer Clavierſchule anfangen, die Material enthält, weldes nur zu oft vom 
der Unfähigleit, für das Kindesalter zu ſchreiben, Zeugniß giebt? Woher 
fol ein ſolcher Lehrer fih Rath holen und Hülfe nehmen, wenn er einen 











Muſikwiſſenſchaft. Inſtrumentalmuſik. 581 


muſilaliſch verdorbenen Zögling zum Unterrichten bekommt?“ ... Es 
fehlt nicht gänzlich an Clavierſchulen, die zugleich Anweiſungen für den 
Lehrer find, und ſei bier nur die von Louis Köhler genannt; indeſſen 
bleibt es immerhin etwas Verdienſtliches, daß der Verfaſſer ein Werk die: 
fer Art auf Grund von vieljährigen Erfahrungen geliefert hat. — Ir. 4. 
Diefes Werl enthält nichts von der Technik des Clavierjpield und giebt 
keine Anleitung, fie zu lehren; es liefert dagegen: 1. Die „Tonlehre“ 
(allgemeine Mufillehre), (48 Seiten), 2. die „Harmonielehre“ mit 
vielen für das Clavier eingerichteten Beifpielen (104 Seiten), 3. die 
„Melodienlehre”, beſtehend in einer Reihe von Tonftüden a) im 
„galanten“, b) im „gebundenen“ Style zur Beranfhaulihung der Fors 
men der Elaviermufit (Andante, Adagio, Sonate, Variation, Tanz, Marſch 
ıc., desgl. Brälubium, Zuge u. f. w.). Der Berfafier hat dabei drei 
Klaſſen von Mufiltreibenden im Auge gehabt. „In die erfte Klaſſe ge 
bören folde, die Muſik und Clavier blos zu ihrem Vergnügen lernen und 
treiben wollen. Für folde muß der Clavier: und Mufilunterricht einfach, 
turz, Har, umfafjend, angenehm, nüglih und ihren Bebürfniflen entfpredyend 
gehalten werden. Das erfte Heft ift für vdiefe berechnet. Cine andere 
Klaſſe Mufiktreibenver ift die, welche befonders gerne Unterriht in allen 
Biweigen der Harmonie, jedoch ohne große Mühe und Koſtenaufwand wuͤnſcht. 
Einen ſolchen Unterricht ertheilt das zweite Heft. Endlich eine britte Klaſſe 
von Mufitfreunden wünſcht einen kurzen faßlihen Unterricht in der Melo: 
die, als Anleitung zum Selbftphantafiren und Zonftüde verfchiedener Art 
zu fertigen, weil man nicht immer Mufilalien bei fih führen kann und mag. 
Und es iſt unftreitig ein fchöner Genuß, feine eignen Gefühle und Empfin» 
dungen im Strome füßer Melodie in eigenen Zonftüden darzuftellen. Diefen 
Unterricht gibt das dritte Heft.” Das Werl hat das Gute, daß Alles in 
Beifpielen dargeftellt ift, und zwar in foldhen, welche Heinere oder größere 
Clavierfäße bilden. Der Fleiß der Arbeit ift nicht zu verkennen; daß ver 
Berfafier fich in der Harmonie zum Theil ſehr frei bewegt, namentlich was Quin⸗ 
ten und Octaven betrifft, welche er mit großer Unbefangenbeit ſchreibt, fcheint 
mehr auf Princip als auf Untenntniß oder Flüchtigkeit zu beruhen. Ob die „Mes 
lodienlehre“ mit ihren jehr knappen Srläuterungen zu den gelieferten Tonftüden 
den Dilettanten an das „ſchoͤne Ziel des Selbftphantafirens‘ führen werde, muß 
dahin geftellt bleiben. — Die äußere Ausftattung des Ganzen ift brillant. — 

Nr. 5. „Gleich in den erften Stunden muß abwechſelnd zweis und 
vierflimmig gefpielt werben.” Reichliches Material für das leztere gibt 
vorliegendes Werk, meldhes neben des Verfaflerd Kinder: und Clavierſchule 
von Anfang an gebraudht werden fol. In Heft I fpielt der Schüler 
blos die rechte, in Heft IL, wo er bereits die Baßnoten Tennt, abmwechjelnd 
auch die linke Barthie. — Nr. 6. Ein gleiches Werk wie Nr. 5. Die 
inte, blos für den begleitenden Lehrer beftimmte Barthie hat der Verfaſſer 
in feiner geiftoollen Weife fo gearbeitet, daß ungeachtet der wenigen Noten, 
in welchen ſich die Leinen Melodien der rechten Parthie bewegen, doch ans 
ziebende Tonftüde entftanden find. — Nr. 7. Diefe feinen, das Inſtruc⸗ 
tive mit dem Unterhaltenden vereinigenden Stüde „folgen orbnungdmäßig 
auf des Componiften leichte vierbänbige Stüde Op. 124" (Nr. 6). — 


582 Muſikwiſſenſchaft. Inftrumentalmufik. 


Nr. 8 ſchließt fih, wie der Titel fagt, an des Berfafiers beliebte 
Rinder-Clavierfhule an und enthält in Form Heiner Tonftüde eine Bu: 
fammenftellung zwedmäßiger, einfach gehaltener Uebungen für bie technifche 
Ausbildung des Ehlers, als Fortfegung der allererften Fingerübungen. — 
Nr. 9. Der Verfaſſer, hochgeachtet als Glavierlehrer und gejhäßt als 
Componift für fein Inſtrument, gibt bier in gebrängter Zujammenftellung 
auf 48 Eeiten alle wejentlihen Uebungen der gefammten Claviertechnik, 
begleitet mit VIII S. trefflicher, klarer und präcier, alles leere Gerebe 
ausjchließender Crläuterungen. Diele Lehrer und Schüler werden ihm 
Dank mifien, daß es ihnen uun erfpart ift, die nothwendigen mecdanifchen 
Studien in großen, koftfpieligen Merken zu ſuchen. — Nr. 10. Es ent- 
halten diefe 3 Hefte auf je 4 Eeiten zufammen 41 Etuden von geringer 
Schwierigkeit, die an Czerny's geſchätzte Geläufigleitsübungen erinnern 
und durch beitere Normen dem Schüler die Arbeit der Technik weſentlich 
erleichtern. — Nr. 41 „Borftudien‘ zwar, aber nit für kleine vilettan: 
tiſche Leiftungen, fondern für Ausführung der Hauptmerle älterer und 
neuerer Claviermufit, in Summa 24 Nummern, berechnet auf böbere Aus- 
bildung der Technik nach allen Eeiten bin. Jede Gtude ift ein dankbares, 
brillantes Zonftüd. — 


2. Anderes. 
a. Zweihändiges. 


1. Zwei Sinderfonaten für das Pianoforte, componirt von Ad Klauwell. 
eft I. und IL. à Heft 10 Sgr. Leipzig, C. Merfeburger. 


2. Drei infiructive Rondo’s für Pianoforte, componirt von Heinrich Wohl⸗ 
fahrt. Op. 43. Nr. 1, 2, 3 & 10 Sgr. Leipzig, R. Forberg. 


3. Sechs Rondino’s für den Elavierunterricht in ſtufenweiſer Folge mit Yinger- 
fag, componirt von Louis Köhler. Op. 89. 2 Hefte A 20 Ser. Berlin 
und Pofen, Bote und Bod. 


4. Kleine Slavierftüde im Violinſchlüſſel durh ae DursZonarten und mit 
enauem Zingerfaß zur Ermunterung für Meine fähige Schüler von Ernſt 
el. Op. 18 Kar 15 Sour. Magdeburg, Heinrichshofen. 


5, SKinderfpiele, Beine Tonttüde für angehende Clavierſpieler, componirt von 
Alerander Czersky. Op. 23. Preis 10 Sgr. Halle, H. Karmrodt. 


Kinderfcenen. Sechs leichte Elavierftüde mit Fingerfag und ohne Octaven⸗ 
fpannungen von Th. Deften. Op. 202 agbeburg, Heinrichs hofen. 
Lief. I., Nr. 1-3, zuſammen 171/a Ser; Lief. II., Ar. 4—6, zuſammen 
17 1/2 Sgr.; compl. in 1 Band 1 Thlr. 


7. Sir Meine Hände. 75 Meine heitere Elavierflüde nad Melodien der ſchön⸗ 

en Opern und der volfsthümlichften Lieder und Tänze im leichteften Siyle, 

progreffiv mit Fingerfaß und ohne Octavſpannung bearbeitet von F. M. 
Burgmüller. Erſtes Heft, "/ Thlr. Dresden, Bod. 


8. Goldnes Melodien-Album von Ad. Klauwell. Bd. IV. Breis 1 Zhlr. 
6 Sgr. Leipzig, €. F. Kahnt. 


9. Volkslieder-Album für das Pianoforte von F. X. Chwatal. Op. 163. 
Ltef. I und II. a 26 Sgr. Magdeburg, Helnrichshofen. 


6 


Mufikwiſſenſchaft. Inſtrumentalmuſik. 583 


10. Des Volles Stimme. Ein Cyclus von zwölf Liederphantaflen über beliebte 
Bolkswelfen im eleganten Style für dad Pianoforte zum Unterricht wie 
auch zum Borfpielen im Salon. Gemponirt von D. Krug. Op. 103. 
Preis à Nr. 15 Sgr. Braunfchweig, C. Weinholp. 


11. Album des Photographies des Compositeurs célèhres. Morceavux 
elegants pour Piano par F. Friedriek. Op. 130. Haydn. Op. 131. 
Gluck. Op. 132. Haendel. Op. 133. Bach. à 121/ Sgr. Maglde- 
burg, Heinrichahofen. 


12. Hausaltar. Eine Sammlung von Kirchenliedern in mehrfliimmigem Tonſatz 
nebſt Einfeltungds, Uebergangs: und Schlußfähen, für das Pianoforte ein- 
ai und herausgegeben von Dr. Wilhelm Volckmar. Leipzig, 

rocchaus. 


Nr. 1-3. Sehr ſaubere und zierliche Sachen für etwas geübtere 
Schüler der Unterſtuſe und der unteren Mittelftufe; es verbindet ſich bier 
in glüdlider Weife, wie die Ramen Klauwell, Wohlfahrt und 8, 
Köhler annehmen lafien, ver Zmed der technifchen Förderung mit dem 
der äfthetiihen Anregung. Die drei Werke bilden eine Stufenfolge vom 
leichten: zum weniger Leichten, und in Nr. 3 gejchieht dies wieder durch 
die einzelnen Rondo's unter ſich — Nr. 4—6 find darum zufammen 
gellellt, meil fie jämmtlich eine Art Kinder:Programmmufit enthalten. Die 
8 Stüde in Nr. 4 haben die Ueberfhriften: Marih für Keine Rekruten 
— Bruder und Schwefter: „Bitte, bitte, lieber Vater!" — Die luftigen 
Tänzer — Onkel und Zante reifen ab — Auf dem Paradeplag — Heim: 
weh — Tröhlihes Spiel — Zufriedenheit. In Nr. 5 find als Motive 
gewählt; Hafen — Räuberfpiel — Solvatenjpiel — Thaler, Thaler, du 
mußt wandern — Mer die Gans geftoblen hat — Berfteden, — und 
wad die Töne allein nicht ausprüden können, das jagen vie hübfchen 
Titelvignetten. Der.Herausgeber von Nr. 6 gibt folgende Eharalterftüde : 
Die Biegenpoft — Auf der Schaufel — Der geitörte Nachtwäͤchter — 
Püpphens Traum — Bas fih ver Wald erzählt — Die Keine Tyrolerin, 
und auch bier helfen artige Vignetten den Tongeftalten nad). — Ohne 
Zonmalerei — feinere und derbere — geht es bei dergleihen Compofi: 
tionen nicht ab; indefien find doc die in Nr. 4 —6 vorliegenden Ton: 
Rüde meit entfernt, bloße Nachahmungen des Laufens ber Kinder, des 
Medernd der Ziegen, des Feuerlärms, weldher den Nachtwächter ftört, ıc. 
zu geben und fich des ſpecifiſch Muftlalifchen zu entihlagen. Auch ſteht 
wohl nit zu befürchten, daß der Schüler auf den Gedanlen komme, man 
fpiele überhaupt nur Clavier, um eine Mühle, einen Bärentanz, eine 
Ziegenpoft ıc. nachzumachen. Möge er immerhin die gegenwärtigen netten 
Saden ſpielen; die Kleinen Tonmalereien nebft den Vignetten werben ihm 
Freude machen, während er doch auch in demjelben Maße, als er fleißig 
ift, eine mufilaliihe Anregung und Förderung erfahren wird. — Nr. 7—10 
ſtimmen darin ganz überein, daß fie Darbietungen aus dem großen Schatze 
der Bollaweifen und fonftiger vollsmäßiger oder doch volksfaßlicher Mufil 
enibalten, Nr. 7 gibt kurze Lieder und Zanzweifen, und zwar vorwaltend 
ältere, in allereinfachſter Beftalt, ohne jegliche weitere Zuthat. Nr. 8 lie 
fert zum Theil eben folche, allermeift aber Schon umfänglichere, mehr ber 


584 Muſikwiſſenſchaft. Inſtrumentalmuſik. 


Neuzeit angehörige Melodien, und dieſe denn auch in weiterer und breiterer 
Ausführung, fo daß dem Epieler ftellenweile ſchon etwas mehr zugemutbet 
wird (3. B. bei dem Schnitterhor aus dem entfefielten Prometheus von 
Lißt). In Ne. 9 und 10 bildet das Vollslied den Grundfloff einer Fans 
tafie. Solcher Fantafien, jede zu 2 Eeiten, enthält Ar. 9 in 2 Pieferungen 
a 26 Sgr. achtzehn; je drei bilden ein Heft a 10 Egr.; je einzelne koſtet 
5 Sgr. In Nr. 10 füllt eine Fantaſie ein ganzes Heft zu 8 Seiten aus 
Eelbitverftänplih find dieſe Stüde etwas fchwerer als die der vorbergebe» 
den Nummer. Beide Componiften baben in ihrer Weiſe mit Gefdhid ze 
arbeitet, audy nah Erfordern den Fingerfaß angegeben. — Wr. 11 Zujem: 
menftellungen aus den Werfen der genannten Gomponiften mit Ausfühnng 
einzelner Motive in Yantafie- Form. Jedem Hefte ift das Bildniß des be 
treffenden Gomponiften beigegeben. — Nr. 12. Ein vortrefflies Faus⸗ 
horalbuh 135 Nummern enthaltend, mit PBräludien im Bianoforte-Styl 
und vollfländig abgedrudten Liedern. Höhft würdige äußere Ausftattung! — 


b. Bterhändiges. 


1. Sechs Sonatinen für Pianoforte zu vier Sänden, componirt von 
Spindler. Op. 136. Leipzig und Winterthur, F. Rieter- Biedermann. 


2. PlanofortesAlbum zu vier Händen, oder Auswahl volksthümlicher Muft 
aller Länder, bearbeitet von Karl Burchard. Reue Folge. Heft 7, 8, 9, 
10, 11, 12. Jedes Het 20 Ser. Magdeburg, Heinrichshofen. (Het 1 
bis 6 erfchienen bei Adolph Brauer in Dredden.) 


3. Die Meinen Dpernfreunde. Melodien-Bouquets für das Pianoforte nad 
beliebten Dvern zu vier Händen von F. X. Ehwatal. Op. 170. Magie 
burg, Heinrichsbofen. Preis & Lieferung 1'/s Thlr. Breis & Rr. B Ger. 


4. Compositions pour le Piano & quatre mains par Pröd. Kuklau. Ham- 
burg, Cranz. 


5. Symobonten von Joſeph Haydn, für das Pianoforte zu vier Händen 
von €, Klage und Burgbard. Nr. 34—45 à %/s Thlr. rvefp. 1 Thlt. 
Magdeburg, Heinrichshofen. 


6. Collection des Oeuvres classiques. Joh. Geb. Bach: DOrgelsPräludien 
und Kugen für das Pianoforte zu vier Händen eingerichtet von 
Plato. aRr. 1. G-moll. Rr. 2. G-dur. & 321/3 Sgr. Berlin, Bote 
und Bod. 


Nr. 1. Diefe fehr gut erfundenen, feinen und zierlihen Sonatinen 
fönnen neben jeder Clavierfhule auf der Glementarfiufe gebraudht werben, 
und es wird folches ohne Zweifel zum weſentlichen Nutzen fowie zum Ber: 
gnügen des Lernenden geſchehen. Sie find progreſſiv georonet, fiellen bie 
wahre Eonatinenform dar (3 Sätze) und berüdfichtigen das Vollslied und 
den Bollstanz. Die Äußere Ausftattung ift fehr fplendid, mas übrigens 
auh zu Nr. 2—5 bemerkt fein mag. — Nr. 2 und 3 enthalten ausge: 
führte Tonſtücke, nicht bios Meine Melodien, für ſchon etwas geübte 
Spieler; die Rearbeitungen find in beiden Werfen von gefhidter Hand 
gemaht. — Nr. A. Kuhlaus Hare und anmutbige Compofitionen bebal: 
ten ihre Anziehungskraft für den Schüler der Mittelftufe und ihre Nußlich⸗ 
feit für die Technik. Die vorliegende neue Ausgabe derſelben ift beshalb 


Muſikwiſſenſchaft. Inſtrumentalmuſik. 585 


ſehr dankenswerth. Nr. 5 ift die Fortfeßung der ſchönen, wiederholt 
empfohlenen Heinrihshofen’ihen Ausgabe von Haydns Einfonien im vier: 
bändigen Arrangement. ch weiſe abermals auf felbige hin. — Nr. 6 ift 
eine gelungene Anfführung des glüdlihen Gedankens, Bach'ſche Präludien 
und Fugen für vier Hände einzurichten. Möge das Unternehmen Fort: 
gang finden! ' 


D. 
Biolinfpiel, auch in Verbindung mit Clavier und Orgel, 


1) @. Mettnerd vraftifche Violinſchule. Auszug aus dem größern Werke 
für Lehrer und Lernende. Preis 1 Thlr. 10 Nor. PBartiesBaarpreis 12 
Exemplare & 1 Thlr. und 1 Kreiesemplar. Erfurt und Leipzig. W. Körner. 


2. Praktiſche Violinſchule, enthaltend eine vrogreffive Auswahl techniſcher 
Studien für alle Hauptlagen des Violinſpiels nebſt den entfpredhenden 
Webungd- und Tonftüden, vielfach entnommen aus den Werfen berühmter 
Biolincomponiften. Kür Lehrer und Lernende, insbefondere für Semina⸗ 
riſten und Präparanden, bearbeitet und herausgegeben von Beruhard 
Brahmig, Muflfichrer am Kürftl. Seminar in Detmold. Heft 1 15 Ner., 
Heft 2 18 Ror., Heft 3 15 Nor. Reivzig, C. Merfeburger. 


3) Praktiſche Violinſchule von Friedrich Solle. 2. verbeflerte und ver- 
mehrte Auflage. Langenfalza, Schulbuchhandlung. 


Praktiſche Biolinfule. Methedif georbneter Uebungsſtoffe für den Biolin- 
unterrihtv. E. Magerftädt. I.u.II.Heft. Sangenfalga, Schulbuchhandlung. 


5. Inſtructive Uebungsſtücke für Violine in verfchledenen Lagen und Strich⸗ 
arten von Karl Henning. Op. 31. Als Fortfepung u W. Hoppes 
„Der erfle Unterricht im Biolinfpiel’" zu benugen. Leipzig, Earl Merſe⸗ 
burger. Preis 15 Nar. 


4 


6. Praktiſcher Lehrgang für den Biofin-Unterriht von Moritz esön, 8. 
Pr. Muflldirector. 14., 15. und 16. Lieferung. Schule der Geläufigfeit. 
42 inſtructive Webungsflüde für die 1. Tofltion in den gebräuchlichſten 
Dur: und MoflsTonteitern. mit genauer Bezeichnung des Wingerfapes, ſo⸗ 
wie der verfchiedenartigften Bogenſtriche, ale tänlihe Studien für Die 
Violine bearbeitet, Op. 47. Het 1, 2, 3 à 12 Spar. 17. und 18 Lies 
kung Zwölf große Etuden, Heft 1 und 2 a 12 Sor. Breslau, %. E. 

. Zeudart, 


7. 50 metbodifch geordnete Etuden für die Violine, ale Hilfsbuch für geüb⸗ 
tere Biolinfpieler, befonder® zum Gebrauche in Kehrerbildungsanftalten, com⸗ 
yonirt von Ludwig Du Kadlecek, Lebrer des Wiolinfpieles an der 
k. k. Xehrerbildungsanftalt in Leitmeritz. Im &elbftverlage des Derfaflers. 


8. 18 kurze, ganz leichte Duetten in erfter Lage für zwei Diolinen von ©. 
Gerhardt. Heft 1 und ? à 12/2 Sgr. Homburg, Ernſt Berene. 


9. Die Ermunterung im Diolinfpiel, Sammlung beliebter Boltslieder umd 
Dpernmelodien vom Keichteften an fortſchreitend für die Violine, bearbeitet 


586 Muſikwiſſenſchaft. Inftrumentalmufil. 


von Julius Gopfe 70. Bat. Als zwodmäßiger Unbang bei jeder 
Biolinfbule zur Erwedung des Fleißes. Band I ( Rage) Set I-IV. 
Band II (Dritte Lage) Kür Bioline allein à Heft 10 Ger. Band 
1 Thlr. Kür Violine und Piano A Heft 20 Sgr. Band 2 Tylr. Berlin, 
Heintich Weiß 


10. Der Meine Salongeiger. Leichte Bariationen und Fantaſien über belichte 
Dpernmotive für Die Bioline in der erflen Lage mit Begleitung des Piano» 
forte und einer zweiten Bioline ad lıbitum, oder für zwei Biolinen allein. 
von &. Widtl. Heft 47-57. Yusgabe A für Violine und Piano 
nebft einer zweiten Bioline ad libitum, à Heft 6 Ser.. Ansgabe B 
für zwei Biolinen allein, à Heft 7!’ Egr. Breölau, Julius Hainaner. 


11. Volls⸗Lieder, bearbeitet für Violine mit Bianofortebegleitung von Carl 
Henning. Op. 30. einzig, Carl Merfeburger, 22"/. Rar. 


12, Zrio über deutſche Wolfölieder für Bianoforte, Bicline und Violoncelo. 
comrenirt von Julind Bopfe. 1’, Ihir. Berlin. M. Bahn. 


13, Gouaten für PBienoforte und Violine. componirt von Joſeph Zayın. 
Reue, billige Zinnftih Ausgabe in 2 Bänden. Preis 1', Zhlr. Braun- 
ſchweig, Weinholß. 


14. Fantafleſtück für Bioline und Orgel oder Bianoforte von Hand von 
Bronfeart. 15 Nor. 2. Auflage. Beimar, Kühn. 


15. Drei Mufltflüde für Orgel und Bioline. Eine Gabe für Seminarien und 
Mufiffhulen, componirt von Rudolph Lange, Seminarfehrer in Eöpenid. 
10 Sgr. Berlin, Zufius Springer, 1862, 


Ar. 1. Metiner’s Violinſchule erfcheint hier in weſentlich erböbter 
Brauchbarkeit, indem erftens die zahlreichen Kinderlieder (melde den Semi: 
naren außerhalb Schleſiens eine wenig erwünſchte Zugabe waren) entfernt 
und dur andere Stoffe erfept find, zweitens aber die zweite unb dritte 
Lage diejenige Berüdfichtigung erfahren haben, weldye der SGeminarunter- 
richt fordert. -- Nr. 2. Die Schule ift, wie Nr. 1, mit ganz bejonderer, 
fahverftändiger Beziehung auf den Unterriht der Sculpräparanden und 
Seminariften verfaßt, Wie in feiner Clavierſchule, fo bat der Verſaſſer 
auch bier feinen Fleiß und fein Geichid in der Auffammlung und Zufam: 
menftellung pafienden Webungsitoffes bewährt. — Näheres über das durch⸗ 
aus praftifhe Werl, welches nur der fleißigen Benußung bevarf, um zu 
guten Grfolgen zu führen, enthält die Cuterpe, 1863, 1. —- Nr. 3. Heft 
1 und 2 wurden ſchon früher angezeigt. Sept liegt nun die ganze Schule 
wor, binführend bis zur 4. und 3. Lage, wenn auch nur für das Bedürf⸗ 
niß des Orchefier⸗, nidyt des Sologeigers. Der Berfafier ift oflenbar ein 
roufinirter Violiniſt, von dem der Schüler etwas Tüchtiges lernen kann. 
Daß er die Mebungen für alle Zweige der Technik in großer Anzahl gibt, 
kann nur zum Vortheil des Lernenden gereihen. Seine Compofitionen 
(er liefert blos Gigenes) entbehren der Genialität eined Spohr, ſind aber 
durdaus violingemäß und können immerhin meift ale ganz angenehme 
Mufiflüde gelten. — Nr. 4. Nur zwei Hefte liegen bie jept vor; fie ent- 





Muſikwiſſenſchaft. Inftrumentalmufif. 687 


halten reichlichen, wohlgeordneten Hebungsftoff, beftehend in Steihübungen, 
Duetien, Volksliedern u. ſ. w., und zwar ausfhließlih in C-dur. Neben 
Gigenem gab der Verfaſſer mit Recht aud Fremdes, mie denn 5. 8. 
Vleyel, Ries, Bollmar und Mazas vertreten find. — Wr. 5. Ver 
Verfaſſer, befannt als Meifter der Geige, bewährter Lehrer und glädlicher 
Comporift, gibt Hier 63 ein: und zmweiftimmige, tbeils kürzere, theils aus: 
geführte und umfänglibe Tonſähe für die Mittelftufe: des Unterrichts, in 
denen die verfchiedenen Lagen und Stricharten auf mannichfach übende 
und fördernde Weile zur Verwendung kommen, während dabei zugleid daß 
mufilalifhe Interrefje erregt wird. — Nr. 6. Die „Schule der Geläufig 
feit‘’ ift für den elementaren Unterricht beftimmt, mährend die großen 
Etuden die Birtuofität anbahnen. Syn den täglichen Hebungen der erfteren 
will der Meifter bejonders denjenigen Violinlehrern in Heinen Städten und 
auf dem Lande eine Handreichung bieten, denen es oftmals an derlei 
Material fehlt. — Nr. 7. Nah dem vorgebrudten Gutachten von W. 
9. Beit, bat der Berfafler „in aller Stille und Befcheidenheit” einem lang 
gefühlten praktiſchen Bedürfniſſe abgeholfen,; „denn während es genug 
Uebungsftüde gibt, melde bei erorbitanten Schwierigkeiten nur von Pioli- 
niften erften Ranges bewältigt werden können und wahre Concertftüde ge: 
nannt werben müflen: liegt bier ein Merk vor uns, in weldem der nur 
einigermaßen vorgejchrittene Geiger eine jchöne Anzahl kurzer und anjpredyen- 
der Tonftüde findet, die ihn in Etrih und Vortragsmeife auf alles führen, 
was zum modernen PBiolinfpiel gehört, und welche ihm bei fleißiger und 
aufmerlfamer Cinübung vom XLeichtern zum Schwerern fortjchreitend, un: 
vermerkt zu einer bedeutenden YFertigleit das Geleite geben. Wenn übrigens 
diefe Sachen aus dem Bedürfniſſe des Leitmeriger Seminars hervorgegan: 
gen find, jo muß der muſikaliſche Standpuntt diefer Anftalt ein weſentlich 
böberer fein, als fih die meiften Seminare Deutſchlands deſſen rühmen 
dürfen. — Nr. 8. Recht brauchbare Glementar-Uebungsftüde durch alle 
Dur: und Moll:Tonarten bis Cis-Moll und F-Mol, mit genauer Bezeich⸗ 
nung der Striharten. Die begleitende Stimme ift für den Lehrer. — 
Nr. 9—11 geben Volks- und Opernmeifen, und zwar Nr. 9 einfadh in 
Geftalt des Originals, anfangend mit ganz Heinen Liedchen, Nr. 10 und 
11 in Bearbeitung zu leichten Fantafien und Variationen ; legtere Rummern 
unterfcheiden fih wieder in der Art, daß bei der erften das Pianoforte 
rein begleitend, bei der zmeiten obligat auftritt. So ift dem Studium und 
der Unterhaltung für jede Stufe des Elementarkreifes pafiender Stoff ge: 
boten. In jedem der drei Werke find — mas von Wichtigkeit ift — die 
Striharten genau bezeichnet. — Nr. 12. Hier find mehrere Vollsweijen von 
gefhidter Hand zu einem leichten Claviertrio in optima forma verarbeitet. 
E3 muß ein Feft fein, wenn etwa Bruder und Schweſter in Begleitung 
des Vaters dieſe muntere, anziehende Mufit im Yamilienkreife ausführen. 
Das Trio ift nicht Jo leicht, daß e3 nicht den drei Spielern Einiges zu 
thun gäbe. — Nr. 13. Haydn’s Eonaten für Pianoforte und Bioline 
find weniger gelannt, als die von Mozart, und doch — meld ein Reid: 
thum Schöner Muſik ift darin enthalten, wie dies die als Partitur gebrudte 
Clavierftimme fo deutlich zeigt. Die große Billigleit vorliegender Ausgabe 


588 Mufitwifienichaft. Inftrumentalmufil. 


läßt eine weite Verbreitung verfelben in gleihem Maße bofien, als dieſe 
wunſchenswerth if. Die Sonaten find übrigens aud einzeln für wenige 
Silbergrofhen zu haben. — Nr. 14. Cine geifl: und gemütboolle, aber 
ſehr fchwere, nur von einem großen Geiger (wie Comund Singer, dem 
fie jugeeignet iſt) zu bewältigende Goncert:Gompofition über Juſtinus 
Kerners Dichtung: „In einem bunleln Thal lag id jüngft träumenb 
nieder.” — Nr. 15. Diefe Schönen, poefiereihen Zonftüde haben bes 
reits allgemeine Anerlennung gefunden und find in Seminarien, bei Lehrer 
gelangiehen zc. (meift zu tiefer Ergreifung ber Zuhörer) mehrfad aufgeführt 
wo 





XVII. 
Turnen 


Bericht 


über die von 1856 bis 1861 über Leibesübungen in Deutſchland 
erſchienenen Schriften, erftattet 


von 
Director Dr. 3. C. Lion. 


Deral, Benz, ©. F., Zufammenßelung ven Säriften über Leibesübungen 
(Turnen, Ringen, Eislauf, Spiele, Schwimmen, Fechten, Turniere.) 2. Aufl. 
Berlin, 1862. G. F. Lenz. (30 ©. gr. 8. Preis: 3 Ger.) 





Schon die bloße Zufammenftellung der Titel alles ſeit 1856 erſchie⸗ 
neuen Turnſchriften enthüllt, wenn man fie-nad den Jahren ihres Gr: 
ſcheinens ordnet, einen geſchichtlichen Sntwidelungsgang. Der Ge 
danke an die pädagogiihe und nationale Bedeutung bes Turnens ſcheint 
in den erften Jahren gleichſam erftidt und erlojhen; nur der gefundheit- 
liche Werth geregelter Leibesübung findet, als ob die ganze Zeit nur krank 
wäre, Beſprechung. In den Schriften des Jahres 1860 erlennt man 
alsdann eine durch die großen Beitereignifie des Vorjahres beftimmte 
Erregung und Kräftigung des öffentlihen Geiftes; die Bebeutung bes 
Turnens für die Wehrbaftigleit der Volksjugend wird betont. Später er⸗ 
fcheinen einzelne mohlgefaßte Lehranweifungen, welde darlegen, daß den 
Qurnern, insbefondere aber dem lehrenden Theile verjelben, der Gewinn 
borangegangener Arbeiten nicht aus Trägbeit oder Unvermoͤgen verloren 
gegangen ift; es erfcheinen gebaltwolle Streitichriften, zum Beweile, daß „Pe 
ihm ebenfo wenig aus Schwäche ſich rauben laflen wollen. Daß das Be 
Reben und Gedeihen des Zurnens wiederholt jchwer in Frage geftellt wird, 
giebt dem ganzen Zurmfchriftenweien ver bezeichneten Jahre ein eigenthum⸗ 
liches Gepraͤge der Unruhe und Streitfertigleit. Insbeſondere zieht ſich wie 
ein ſchwarzes Band durch das Ganze der Austrud des Misbehagens und 
gerechten Unwillens über die Beitrebungen preußiicher Regierungsbehörden, 
die fogenaunte ſchwediſche ober Lingſche Gymnaſtil (Siehe den päb, 


590 Turnen. 


Sahresberiht von 1854 und 55, Seite 378 fj.!) an die Stelle der im 
Deutihland erwedten und ausgebildeten Zurntunft zu jeßen, zu welder 
Schulmänner, wie Guts⸗-⸗Muths und Bieth einen breiten und fiheren Grund 
gelegt, welcher der Volksmann Jahn das Herz der deutſchen Nation auf 
immer gewonnen und Adolf Spieß den Stempel jeines didaktischen Genies 
aufgebrüdt hat. Man mürde Ling, dem Schweren, großes Unrecht thun, 
wenn man glaubte, daß er in turnfeindlicher Abfiht Gymnaftiler geworben 
ſei. Als eigentlider Quell und Zräger des Giftes, welches uns einen 
großen Theil der Turnliteratur verbittert, erjcheint vielmehr der 1847 ein- 
geſetzte Unterrichtäpirigent der königlichen Gentralturnanftalt zu Berlin, welche 
damals die doppelte Beitimmung, Civil: und Militärtumlehrer für das 
ganze Königreich auszubilden, belommen hatte, H. Notbftein. Man kann 
nur bedauern, daß jo viel Mittel, wie diefem Panne während einer ſechs⸗ 
zehnjährigen Amtsdauer zur Verfügung ftanden, jo viel Fleiß, wie er felbft 
an den Tag gelegt hat, an ein ganz verfebltes, in der Wurzel krankes 
Unternehmen verſchwendet worden find. Herr NRotbfiein begann feine tur 
nerifhe Laufbahn damit, über die Tiefe und Herrlichkeit des Lingſchen 
Spitems in Entzüden zu gerathen, das Turnen bingegen als ein unphilo« 
ſophiſches, gaukleriſches, ftaatswerbrecheriiches Thun in die Acht zu erflä: 
ren; er friftete feiner Entwidelung der Gymnaftit durch Ausbeutung tur: 
neriſch gebildeter Hüljslehrkräfte das Leben, er hörte damit auf, das Zur: 
nen gejundheitswidrig zu finden, indem ſich fein durch die Einreden ber 
Aurnfreunde gereizter Widerwille allmälih in einen gerabeza krankhaften 
Abſcheu verwandelte, geſundheitswidrig gerade in denjenigen feiner Uebun: 
gen und Webungsmittel, die man jeit 50 Jahren allgemein als die heil- 
ſamſten erfannt hatte. Hätte derjelbe nicht pur die Gunſt der Umſtaͤnde 
und ein gewilles Bedürfniß der Reaction, welche jih auf irgend eine be: 
queme Art mit dem Turnweſen abfinden mußte, jene Stellung als erfler 
Aurntehrer des preußiſchen Staates erhalten, jo würde man fi um feine 
Anklagen wahrſcheinlich jehr wenig getümmert baben, vie Kritik insbeſon⸗ 
dere würde das Urtheil über feine zahlreichen Schriften getroft dem gefun: 
den Geichmade des Lejerd überlaflen haben, wenn mit das amtliche 
Anſehen bes Verfaſſers der Schwähe feiner Beweiſe und Ausführungen 
zumeilen ſehr nachbrüdlich zu Hülfe gelommen wäre. Rur darum fehlte 
es niet an Widerſpruch, nur darım ſpitzte fich ein Streit, den Wie Ber: 
theidiger Rothſtein's noch in der lebten Stunde, als fie wahrzunehmen an- 
fingen, daß fie den Nürzeren zogen, gar zu gem als einen rein literari- 
ſchen bingeftellt hätten, gleihjam zu einer Stadtsfrage zu. Das Interefie, 
welches der Verlauf des Streites bietet, ift nicht fo groß, daB, nachdem 
er auch Außerlic zu einem gemiffen Abſchluß gediehen ift, eine Werpflidytang 
beftände, ihn aufzurühren. Ich werde alsbald, ohne weiter ein Wort dar 
über zu verlieren, die Gymnaſtik⸗Bucher Retbftein?s nach der Beit ihres 
Erſcheinens aufsähten, ſodann in gleicher Weiſe die: Flugſchriſten für und 
wider, welche fi mehr ober weniger ausſchließlich auf den Gegenftant 
beziehen. Man möge die Kritik der einen in den anderen fuben. Außen 
dem findet man eine im Banzen mahrbeitsgetreue, wern auch gegen alle, 
die eine vermittelnde Stellung zwiſchen den Parteien einzunchmen bemüht 


Turnen. 504 


waren, zu wenig nachfichtige Gefchichte des ganzen Streits won F. Giege: 
mund in dem Statiftifhen Jahrbuche der Deutfben Turnvereine 
(herausg. von ©. Hirfch. Veipzig. Keil. 1863. ©. 51 bis 79). NIS 
Herr Nothftein, fast fih wie früher in allgemeinen Anſchuldigungen zu 
bewegen, dur die Gegner gezwungen ward, ‚beitlimmter aufzutreten, und 
jein Zorn ſich vornehmlid gegen Das unjchuldige Geräth der deutjchen 
Zurnpläße, den Barren, kehrte, als er die entjeßlihen Dinge, melde er 
demjelben Schuld gab, durch ein jogenanntes ärztliche Gutachten ftüßte, 
welches Herr Dr. Übel, der Hausarzt der Gentralturnanftalt verfaßte, übte 
die durch feine vilettantifhen Kingriffe in ihr (Gebiet ſchwer verlegte Wiſſen⸗ 
ſchaft der Medicin in der Perjon des Pbyjiologen Du Bois » Reymond 
an dieſem Gutahten und an Rothſtein's Vertheivigungsichrift deffelben eine 
jo vernichtende Kritik, fand diefe Kritit im preußiſchen Haufe Der Abges 
ordneten, zumal durch Profeſſor Virchows Bemühen, einen jo gewaltigen 
Miederhall, daß vie Behoͤrde, deren Schüßling Rothſtein war, von einer 
Stellung zur anderen zurüdgetrieben, nit umhin konnte, auch Die legte 
aufzugeben. Sie machte zwar ihre endgültige Entſcheidung abermals von 
einem neuen Gutachten über die Gemeinſchädlichleit des Barrens abhängig, 
welches die wijfenfhaftlihe Deputation für das Medicinal: 
wejen, bie höchſte ärztlihe Behörbe des preuß. Staates, abgeben follte, 
verfügte jedoch, als auch dieje die von gegnerijcher Seite erhobenen Bor: 
würfe für Schredbilder einer aufgeregten Phantaſie erllärte, zunädft die 
Einführung der deutſchen Turngeräthe in die Centralturnanftalt, aus wel 
der Rothſtein fie verbannt hatte *), und bewerkſtelligte ſodann in aller 
Stille den Rüdtritt des Dirigenten felbft. 


Nothſtein's Schriften über Gymnaſtik, gummaftifche uebungen x. 
Berlag von E. H. Schröder, Berlin. 


1. Die Gymnaſtik, nah dem Syſtem des fhwedifhen Gymnaſiarchen P. 3. 
Ling. Erſter Abfchnitt: Das Weſen der Gymnaſtik, ihre Begründung ze. 
1848 u. 1849. Wit einer Figurentafel. LXIX. u. 4436. Preis: [ Ehtr. 
25 Sgr. — Zweiter Abſchnut: Die Pädagogifhe Sumnaftil. 2. Auflage. 

‚1847 u. 1857. Mit 78 eingedrudten Holzichnitten. 286 ©. Preis: 1 Thir. — 
Dritter Abſchnitt: Die Hetlgymnaftit. 1847. 130 S. Preis: 20 gr. — 
Dierter Abſchnitt: Die Wehrgymnaſtik. 1851. Mit 2 Zigurentafeln. 280 ©. 
Preis: 1 Thle, — Fünfter Abſchnitt: Die Aeſthetiſche GOymnaſtik. 3 Hefte, 
1854. 1855, 1859, Mit 2 Figurentafeln. 508 ©. Preis: 2 Thir. 95 gr. — 
Preis des vollſtaͤndigen Werkes 7 Thlr. 


2. Die gymnaſtiſchen Frelübungen, nah dem Syſtem PB. 9. Ling. 1. Wu. 
0 4. Aufl. 1861. Mit 88 erläuternden Figuren. 172 ©. Preis: 
gt. 


3. Anlekung zum Betrieb der ghunaſtiſchen Krelübungen in ‚den Glementar- 
—8 2. Auf. Mi 2 — 58* En. Preis: 6 Sgr. (Auszug 
aus 2. 


Centcalblatt für die gefammte Unlerrichtsverwaltung in Breuer 4362. 





592 Turnen. 


4. Unleitung zum Betriebe der gummafifchen Freiübungen bei den Truppen 
Fi König Breupifhen Armee. 1. Aufl. 1856. Mit einer Figurentafel. 
reis: 5 Sgr. 


5. Die gymnaſtiſchen Rüfübungen, nah P. H. Ling's Syflem. 1. Aufl. 1855, 
2 Auf. 1801. Mit 91 erläusernden Figuren. 136 ©. Preis: 20 Sgr. 


6. Anleitung zu den Uebungen am Boltigicbod. 1854. 32 ©, u. 1 Figuren⸗ 
laſel. Breis: 5 gr. 


7. Das Bajonetfechten, nah P. H. Ling's Syſtem. 1. Aufl, 1857, 2. Aufl. 
150. 72 ©. u. 2 Figurentafeln. preis: 8 gr. 


8. Lelifaden zur Inftruction gymnaftiicher Gehülfen. Mit 18 anatom. Abbil- 
dungen. 1560. reis: 10 Ögr. 


9. Auffäpe und Abhandlungen in der Dierteljabrefhrift: „Athenäum für ras 
tionele Gymnaſtit. 1824 — 1857.” J. 30. 1. Hell, ©. 3— 22: Wingang ın 
bad Arbenaum. 3. Heft, S. 185 —200: Ueber die Einführung der Oymnukif 
auf den Preuß. Gymnafien. 3. Heft, ©. 239— 251: Bemertungen uber Die 
Gymnaſtik für das weiblihe Geſchlecht, Insbelondere ber weiblichen 
Jugend. (Später aufgenommen in ben Anhang zu der ob. sub 2 gen. Schriſt. 
4. Heft, S. 285 — 302: Ueber die Unterſcheidung ber gymnaſt. Bewegungen 
in attive, pafjive und halbattive. (Spater zum Ihell aufgenvmmen 
in den zweiten Abichnis des oben sub 1 genannien Werke.) 4. Kerl, 
&. 319 — 333; Ueber den Sprung, alt gymnaſtiſche Bewegung — 
U. Br. 1. Heft, ©. 14— 35: Die Gymnaſtit für Blinde 1. Heſt. 
©. 76—91: Die gumnafl. Uebungspiäge für Gymnaſfien und andere 
schulen. 2. Heil, ©. 143 — 154: Wie Keulenführung als gymnapi- 
ſche Hebung. Viit 19 eriäuiernden Figuren. 3. Heft, ©. 280 — 284: Pto⸗ 
jeifor Werner ın Deſſau ın jeinem Verhalien zur Xıng'ihen Gymnaſtit. — 
ULB. 1. Heft, ©. 3 — 16: Gedentrede auf 3. H. King. (Aue dem 
Schwediſchen überf,) Mit dem Bortrau King’e. 2. Her, ©. 103 — 113: 
Bedeutung und Gebrauch der Lebungszetiel. 3. He, ©. 241 — 233: 
Las Bozermwefen in lingland. (Korigejept im ILL. Bd. Her 4 und 
IV. Bd. Heft 1.) 4. Heft, &. 273— 284: Ueber das Serhältnig der Gym⸗ 
naſtik zu den verſchtedenen Altersitufen des RMenſchen. (Später aufgenom⸗ 
men in Den zweiten Wbfdhnitt des oben sub 1 genannten Werts.) — 
IV. 8». 1. Heft, S. 3— 15: Curſoriſcher Lectionegang im Hiebfechten. 
1. Het, ©. 15— 48: Ueber dad Quantitative in den Adrperbeweguns 
gen, indbejondere der menjchlicyen Xeibesbewegungen, 2. Set, S. 10uv — 
153: Der Kauf und die Zaufübungen Dazu noch S. 153 — 168: 
Beniertungen über den Lauf bei den alten Hellenen und über deren Lei⸗ 
flungen im Zaujen. 3. Heft, &. 201 — 227: Ueber die Bewohnbeitsbewe- 
gungen. 4. Heft, ©. 297 — 345: Der menſchliche Bang u. f. w. 


Nah dreijährigem Befleben ging die Zeitfehrift aus Mangel an Ab: 
nehmern und? — Mitarbeitern ein. 


Die ſchwediſche Gymnaſtik und „der Barrenftreit”. 


1. Die deutfche Turnkunſt und Die Ling⸗Rothſtein'ſche Gymnaſtik. Zweite 
Denkſchrift des Berliner Turnrathe. Berlin. 1801. Rud. Gärtner. 6 Sar. 


2. d. Gurne, An die beutfhen Zumer. Berlin, 1861, R. Dee. 6 Ggr. 





3. 


10. 


12. 


13. 


1%. 


Tumen. 593 


W. A in, Die ſchwed. Gymnaſtik im preuß. Staate. Petition des 
Kölner Turuvereins an das Haus der Abgeordneten. 2 Aufl. Selbſt⸗ 
verlag. Köln. 1861. Lengfeld. 5 Sgr. 


9. Kalfer, Das Rothſtein'ſche Syſtem der Gymnaſtik in feiner Stellung 
zur deutſchen Turnkunſt. Ein Wort zur DVerfländigung an afle Freunde 
geordneter Leibesübungen. Berlin. 1861. E. H. Schröder. 10 Ber. 
Schußſchrift des Verlegers der Rothſtein'ſchen Schriften.) 

d Zotsſtein. Die Königliche Centralturnanſtalt zu Berlin. Berlin, 1863. 
1 gr. 


. W. Angerftein, Beiprehungen über die Turnerpetitionen bei der Preußis 


fchen Xandeövertretung. Sonderabtrud aus der (nad dreijährigem Ber 


Reben wieder eingegangenen) Rheiniſch-Weſtphäliſchen TZurnzeitung. Selbft: 
verlag. Köln. 1862. Lengfeld. 4 Sgr. 


. Dr. Rod, Die Ling’ihe Gymnaſtik und das deutſche Turnen. Berlin. 


1802. Weidling. 


.3. ©. Lion, Das Syſtem der Zurnübungen. Sonderabdrud aus den 


neuen Jahrbüchern für die Turnkunſt von M. Kloß. Dresden. 1862. 
Schoͤnfeld. 


Emil du Bois Reymond, Ueber das Barrenturnen und über die ſoge⸗ 
nannie rationelle Gymnaſtik. Erwiederung auf zwei dem Königl. Miniſte⸗ 
rium der Geiftlichen⸗ Unterrichts⸗ und Medicinalangelegenheiten abgegebene 
äzsiiche Gutachten. Berlin. 1862. Georg Meiner. 9 Sgr. 


Dr. M. Kloß, Die Barrenübungen der deutfhen Zurnfchule vor dem 
Richterſtuhle der Aritil. Eine turnerifche Streitfrage mit Gutachten von 
Prof. Dr. Bol, Dr. med. Kriedrih, Dr. &b. Richter, Dr. Schildbach. 
Sonderabdrud aus den neuen Jahrb. der Turnkunſt. Dresden. 1862. 
Schönfeld. 6 Sgr. 


H. Rothitein, Die Barrenübungen in zwei Abhandlungen befprochen. 
Berlin. 1862. GE. H. Schröder. 15 Ger. 


E. du Bois⸗Neymond, Hr. Rothſtein und der Barren, eine Enigegnung. 
Berlin. 1863. Georg Reimer. 3 Ger. 


Auerbach, Verhandlungen des preuß. Haufes der Abgeordneten am 20. 
uni 1802 (die Virchow'ſche Luuerperlation über den Turnunterricht bes 
treffend). Dortmund. 1862. Erümwell. 


Fr. Siegemund, Das Turnweſen in der Mark Brandenburg mit Va Fi 


Berüdfihtigung Berlind. Sonderabdrud aus dem Jahrbuche der deutichen 
Zurnvereine auf 186%. Keipgig. 1863. Ernſt Keil. 


Vergleihe die fämmtlihen Jahrgänge der Neuen Jahrbücher für vie 


Zurntunft, herausgegeben von M. Kloß, von 1855 an. 


1. 


1856. 


8. F. Schnell, Die organifche Erziehungspflege aus dem Gefichtéspunkte 
der Geſundheit. Leipzig. G. Mayer. 20 gr. 


Enthält nur einen kurzen Abſchnitt über die gefunde leiblihe Bewegung 
und Uebung, welcher nichts Neues bringt. 


2. 


Dr. MR. Eulendurg, Die Heilung der chronifchen Unterleibobeſchwerden 
durch fchwedifche Heilgymnaftit, auf Willenfhaft und Erfabrung begründet. 
Mit (eingedr.) Holzichnitten. Berlin. U. Hirſchwald. %s Ibli 

Bad. Japreöberiht XV. 38 





594 Turnen. 


Wir citiren aus dieſer, unferer Aufgabe fernliegenden Schrift nur die für 
die ſchwed. Richtung im Allgemeinen bezeihnende Stelle ©. 28: „Der Zwed 
der pädagogischen Gymnaſtik ift allgemeine Kräftigung und gleihmäßige harmo⸗ 
nifhe Entwidelung unjerer Bewegungsorgane.” Co niedrig fledt freilich 
die deutfhe Turnkunſt ihr Ziel nicht. Wenn fie in den Dienft der Er—⸗ 
ziehung tritt, will fie als ein Mittel zur Entwidelung ber intellectuellen 
und moralifhen Anlagen des bildungsfähigen Zöglings benußt fein. Sie 
ift ihrem Weſen nah mehr Nerven- ald Mustelgymnaftil. 


3. Dr. A. ©. Neumann, Lehrbuch der Leibesbübung des Menſchen in Bezug 
auf Heilorganit, Turnen und Diätetit. 2 Bde. — Aügemeine Bewegunge- 
und Körperftellungss Lehre. — Beſondere Bewegungslehre des Menſchen⸗ 
— 131 in den Tegt eingedr. Holzſchnitten. Berlin. Schröder. 

ls r. 


Verſucht ein dem Verfaſſer eigenthuͤmliches, aus dem Ling'ſchen ent: 
flofienes Spftem der Leibesübungen an die Stelle des ihm freilich ziemlich 
unbelannten Eyftemd der deutſchen Zurntunft zu ſetzen. Grfolg bat, fo 
viel bekannt, der Verſuch nicht gehabt. Nur zum Beweije, wie genießbar 
und gejhmadvoll die „Schweden“ die deutſche Sprache behandeln, ent: 
nehme ih dem Bude eine Kleine Blumenleſe turnfpradlicher Ausprüde, 
ald da find: ©. 223: Dehrfaßhände, S. 152: Spredaufarm, ©. 200: 
Lintssfhief: Rumpf, ©. 194: Fall⸗ſteh⸗ Rumpf, S. 190: Rechts-wenp:Stopf, 
S. 249: Quftbein. 


4. F. P. H. Sonfeld, Die Grundidee der Ling'ſchen Gymnaſtik. Würzburg. 
Goldſtein. %, Ihr. 


Ling ift dem Verjaſſer der hriltlihe Pythagoras unjeres Zeitalters 
Eein Eyftem läßt ſich (S. 12) nur von Menfchen extennen, deren „wiſſen⸗ 
ſchaftliches und geiftiges Depot hinreichend ift, verbunden mit der Himmels: 
gabe der höheren Bildung. Aus ber geringen Verbreitung der Ling ſchen 
Gymnaſtit wird (S. 15) der Mangel an großen Männern unferes Zeit: 
alters abgeleitet. Wer daher nur mit feinem Depot gefunden Menfchen- 
verftandes begnadigt ift, wer feine Bildung einer forgfäliigen Beachtung 
folder Dinge, welche ſich beobachten und lernen lafjen, verdankt, wer nicht 
des Gefühles voll ift, ein großer Mann des Jahrhunderts zu fein, für den 
ift weder die Conſeld'ſche Grundidee der Ling’ihen Gymnaſtik, noch, fcheint 
es, diefe Gymnaſtik überhaupt da. 


5. Dr. D. G. M. Schreber, Aerztlihe Zimmergyinnaftit oder Darſtellung 
und Beſchreibung der unmittelbaren, keines Geräthes und Beiſtandes be: 
dürfenden, daher ſtets und überall ausführbaren beilgymnaſtiſchen Bewe⸗ 
gungen für jedes Alter und Geſchlecht und für Die verſchledenen fpecielen 

ebrauchszwecke. 45 eingedr. Holzſchnitte. Siebente Auflage. 1860. 
Leipzig. Fr. Fleiſcher. 1 Ihr. 


6, Dr. M. Kloß, Weibliche Hausgymnafik, eine feicht verſtändliche in Haus 
und Zimmer ausführbare Gelbftanweifung zu gefundbeitägemäßer und beil« 
kräftiger Körperübung. Als Beitrag zur Geſundheitolehre für das meiht. 
Geihleht aller Altersftufen. Mit 27 eingedr. Hulsfnitten und einer 
Mufitbellage. Leipzig. Weber. In engl. Kinbant, I Thir. 


Turnen. | 595 


Das erite Buch macht ähnlichen Schriften reiner Heilgymnaftiter, welche 
am der Gefchäftsblüthe willen jeder öffentlihen Leibesübung abgeneigt 
find, eine fehr wirkſame Concurrenz, indem es in ängftlichen und hypochondri⸗ 
Ihen Seelen, denen es Beruhigung und Heilung verheißt, durch die eins 
fame Turnerei, welche aus Noth gefhieht, den Gefhmad an der gemein: 
famen zu erweden weiß. Das Unternehmen hat einen außerordentlichen 
Erfolg gehabt, und wird, da es immer ſchwächliche und abjonverungsluftige 
Menihen geben wird, gewiß noch lange feinen Werth behalten. 

Das dem Schreber'ſchen nachgebildete Bud von Kloß wird zwar mehr 
und mehr überflüffig werden, in dem Maße, als das Turnen in Mädchen: 
ſchulen fi) verbreitet. Da jedoch reihere Anſchauung vom Weſen dieſes 
Turnens für jetzt no nur ſchwer zu geminnen ift, jo lann es als ein 
nüßliher Rathgeber empfohlen werben. 


1857. 


I. Dr. M. Eulenburg, Ueber Weſen und Zeit der pädagogifhen Eymnaftit 
und über deren Verbältnig jur ſchwediſchen Heilgumnakif von: therapeutis 
fen Standpuntte aus bearbeitet. Berlin, Hirfhwald. 10 Ser. 


Diefe zunächſt auf das ärztliche Publikum berechnete Abhandlung be: 
muͤht fih, dem deutihen Turnen und feiner Gefhichte gerecht zu werden. 
Da indeß Dr. E. erft durch Rothſtein's Schriften zur lebhafteren Beachtung 
der Gymnaſtik bingeleitet ift, fo fehlt feiner Bemühung häufig der wün— 
ſchenswerthe Erfolg. Zur Maren Unterfcheidung deſſen, mas die Diätetik, 
die in der Erziehung ihrer Natur nach negativ verfährt, und was die Pä- 
dagogit, welche pofitiv auftreten muß, fordert, hat Dr. E. fidy nicht erhoben. 


2. 3. Schmitt (Lehrer), Die Wiederaufnabme der Gymnaſtik, ein Wort an 
Deutſchlands biedere Voltoſchullehrer. Mainz, Wirih. 7/2 Ner. 


3. Dr. med. D. G. M. Schreber, Kalliyädie oder Erziebung zur Schönbeit 
durch naturgetreue und aleigmäßige Förderung normaler Körperbildung, 
lebenstüchtiger Geſundheit und geiftiger Beredlung, und insbejondere durch 
möglihfte Benutzung fpeeieler Erziehungsmitiel. Für Ültern, Erzieher 
und Lehrer. Mit 72 Abb. im Texte. Leipzig, Fr. Fleiſchet. In engl. 
Einband 31, Thlr. 


Eine Erziehungslehre, von einem Arzte gejhrieben, der zwar mehr 
Erzieher ift, al3 Aerzte gemöhnli zu fein pflegen, dem man indeß glei: 
wohl bier und da den Arzt mehr anmerkt, als den Erzieher. Cine wid): 
tige Stelle des Buches über Die Bedeutung eigentliher Turnftunden (S 176) 
ift bier vollftändig am Plage. Sie lautet: „In unfern jebigen Lebens: 
verhältnifien bevürfen wir eines derartigen fünjtlihen Mittels, wie das 
Turnen, allerdings ſchon deshalb, weil bei den hochgeftiegenen Anjprüchen 
an die geillige und technifche Ausbildung auch unfere Jugend nicht mehr 
fo viel Zeit übrig hat, um dem Bebürfnifie körperlicher Bewegung und 
Ausbildung auf fonft gewöhnlihdem und natürlihem Wege genügend zu 
entfpredyen. Der größere Theil der Tageszeit Tann, vom achten Lebensjahre 
an, nicht mehr auf beitebiges, planloſes Austummeln verwendet werben. 
Auch fehlt den meiften, beſonders den Stabtlindern, dazu Gelegenheit und 

38* 


596 Turnen. 


Anregung. Das Turnen bietet nun für biefe einander entgegenfiehenden 
Rüdjihten eine ſehr zwedmäßige Aushülfe. Cinerfeits entſpricht es deu 
Geſundheitsrũdſichten auf die vollftändigfte Weile, alle fonft gemöhnlichen 
Bemwegungsarten darin weit übertreffend, ohne andererjeitd der für andere 
Beichäftigungen nothwendigen Zeit Abbruch zu thun. Wenn wöchentlich 
nur drei bis viermal eine Zeit von einer Stunde auf geregelte Turn: 
übungen verwendet wird, fo geſchieht dem Bebürfnifie der Entwidelung un» 
Ausbildung der Körperfräfte vollfiändiger Genüge, als weun täglid mehrere 
Stunden lang die Körperkräfte in irgend einer andern Weife geübt würden. 
Aber auch abgeſehen von der Zeiterſparniß läßt fi), wie bemerft, die för: 
perlihe Aus und Durhbildung überhaupt auf keinem andern als dieſem 
ipftematischen Wege in eben fo umfaflender Aulfeitigleit erreichen.‘ 


4 Brot. Dr. 9. Meyer, Die neuere Gymnaſtik und deren tberapeutifcdhe. 
edeutung. Aus der Monatöfchrift des wiſſenſchafilichen Vereins befonders 
abgedrudt. Züri, Meyer und Zeller. 6 Ser. 


Meyer unterfcheivet fieben Methoden der Gymnaſtik, d. h. fieben 
Ürten, die Musleln dur größere Anſtrengung, als das Leben fie bietet, 
zu kräftigen, die Methoden ber 

Bewegung von Laſten (Gewicht, Hantel), 

feftfiehenden Gerätbihaften (Red, Barren, Kletterflange, Schwebebaum;), 

Bewegung in größere Entfernung (Werfen, Springen), 

ſchnelleren Bewegung (Freiübungen), 

Häufigkeit ver Bewegungen (Dauerlauf, Zurnfahrten), ferner des Rin⸗ 
gend (Rraftmefier. Das eigentlihe Ringen. Das Ringen ver Muskeln mit 
ihren Untagonijten); endlich der 

elettriihen Reizungen. Hingegen erlennt er die ſchwediſche Gymnaſtik 
gar nicht als etwas Neues an; fie iſt ihm vielmehr, fo weit fie wirklich 
Gymnaſtik if, nur eine Ausbildung der Methode des Ringens. — Ber 
fi) eingehender mit der Theorie der Turnlunft beiehäftigen wil, darf das 
Schriften auf keinen Fall ungelefen laſſen. 


5. Ed. Große, Steg zum Turnen. Bremen, H. Strad. 4 Gar. 


Ein dürftiges Schrifthen von rein fubjectivem Werth, in fofem man 
aus demjelben nur erfiebt, wie viel oder wie wenig der Verf. von der tur: 
nerishen Technik verftand, als er es zu Papier brachte. 


6. E. Döring, Das ABE im Turnen, ein Handbuch für Ale, die ih und 
Andern einen gefunden Körper geben und erhalten wollen. Mit 12 Zar. 
Abb. Plauen, Reupert. T!/a Sgr. 


Eine Sammlung höchſt ungeſchickter Lithographien ven allerlei Turn: 
übungen, welche zum Theil gar nit dem ABE angehören. Titel umd 
Tert, fünf halbe Drudfeiten, find 1862 neu gebradt, und fo iR im ge 
nannten Sabre eine zweite Auflage des Büchleins zuvechigemadt. 


7. d’Hugy, Inftruction für den Schwimmunterrigt in der freugdfiihen Summe, 
überfegt von Wins IL, eingeleitet durch den Generallienienant o. Wil⸗ 
Iifen. Berlin, A. Dunder. 10 Sgr. 


Turnen. 597 


Das Büchlein ift dazu geſchrieben, Schwimmlehrer für gleichzeitigen 
Unterricht gHtößerer Abtheilungen zu beftimmen. Die Schwimmbewegungen 
follen außerhalb des Waflers zur Fertigkeit eingeübt werden. Ob ber Lehrer 
dadurd der Mühe überboben wird, die Bewegungen der Einzelnen, wenn 
diefe nachher in’s Mafier kommen, zu berichtigen, ift zweifelhaft, und des: 
halb aud der Zeitgewinn, ven das Verfahren haben ſoll, problematiſch. 
Die Borfchriften, nad) denen die einzelnen Bewegungen vorgenommen wer⸗ 
den, weichen von den in Deutichland üblihen (vgl. die claffifhe Anleitung 
von dv. Bfuel: Ueber das Schwimmen. 1817 u. 1827, Berlin, Dümmtler!) 
ab. Ein fertiger Schwimmer bält ſich jedoch nah allen Methoden über 
Waſſer. 


8. Ad. Weiſſer, Zur Geſchichte der gymnaſtiſchen Spiele, ein Büchlein für 
Jung —X rt, Meyer und ger. br ar. 9 f 


1858. 


1. Br. Selin. Peſtalozzi als Förderer der Leibesübungen. Bafel, Schweig- 
hauſet. 


Eine im Intereſſe des Spieß'ſchen Schulturnens verfaßte Lobſchrift 
auf Peſtalozzi, in welcher alle für den Betrieb der Gymnaſtik an den An: 
ftalten zu Burgdorf feit 1800 und zu Jferten feit 1805 günftig lautenden 
Zeugniſſe mit Geſchick und Wärme zufammengeftellt find. Schenkt man 
jevod ven gegentheiligen Zeugniſſen gleiche Beachtung, berüdfichtigt 3. B. 
vie Erklärung Ramfauer's: „Die Gymnaftif des PB. H. Elias (NKalifthenie 
u. ſ. w. Bern, 1829) ift im Grunde diefelbe, nur viel befler und kunſt⸗ 
gerechter ausgeführt, die ich in Pverdun in den Jahren 1808 bis 1810 
den Heinften Böglingen der Anftalt gab”, fo muß man leider zu der Ueber: 
zeugung kommen, daß das Bild der Peſtalozzi'ſchen Leibesübungen, welches 
Sjfelin entwirft, der Wirklichkeit nicht entfpriht. Man kann fein Bedauern 
nihthurüdhalten, daß es auf Koften von Männern, wie Guts Muths, welche 
für dieſen Zweig der Erziehungstunft größere Verdienfte als Peftalozzi haben, 
in's Schöne gemalt ift. 


2. Dr. med. D. &. M. Schreber, Ein ärztlicher Blick in das Schulweſen 
in der Abſicht: zu beilen, und nicht: zu verlegen. Mit Abb. Leipzig, 
Fleiſcher. 10 Ger. 

3, $. U. Bormann, Beſprechung der Schreber'ſchen Schrift: „Ein ärztlicher 
Blick“ u, |. w. Vertrag, gehalten in der am 13, Juli 185% flattgefundes 
nen Zebrerconferenz der Ephorie Waldheim. Döbeln, Seidel (Schmidt). 


Ser. 


Der Berj. der zweiten Schrift gibt über die erfte fein Urtbeil dahin 
ab, daß fie volllommener ausgefallen fein würde, wenn Dr. ©. feine Arbeit 
in Gemeinſchaft mit einem tüchtigen Schulmeifter unternommen hätte, da 
er gar Manches, was für bie Körperpflege in den Schulen verſchiedener 
Urt Hacıft belangreich fei, überfehen, Anderes bier und da aber aud zu 
jchwarz geſehen habe. 

Ueber die dem „Blich“ beigegebene Zuſammenſtellung von Freiũbungen, 


598 Turnen. 


welche auf dem Schulbofe und in dem Schulzimmer vorgenommen werben 
follen, bemerlt er, daß es vielleicht einem burchgebildeten Zurnlehrer mög- 
ih fein würde, mit Verarbeitung des gegebenen Stoffes in diefer Weife , 
eine Klaſſe richtig zu behandeln, daß es aber einem Lehrer, der ih um 
jolhes Turnen wenig betümmert habe, wohl jchwer werden möchte, der⸗ 
gleichen _Uebungen mit Erfolg zu betreiben. — In der That, man denlt 
fih den Zurnunterriht haufig zu leiht. Ein Lehrer bat, fo tüdtig er 
jonft in feinem Berufe fein mag, in diefem Fache der Kunft und des Wif 
fens jo gut feine Lern« und Lehrjahre durchzumachen, wie in jedem andern; 
und ed wird ihm immer noch leichter werden, aus dem Bollen zu fchöpfen 
und einen vollftändigen Turnunterricht nad Anleitung eines guten Lehr: 
buchs zu guten, als mit geringem Uebungsvorratbe ohne jede äußere Unter: 
flügung ven Mangel des Turnunterrichts vergefien zu machen. 


4. Director Dr. E. J. Hauſchild, Die leiblihe Pflege der Kinder zu Haufe 
und in der Schule. Gemeinfaßlich dargeftellt und mit 40 Abb. erläutert. 
Leipzig, Brodhaus. 24 Ser. 


Auch Hauſchild meint, wo er von der Heilkraft der koͤrperlichen Uebun⸗ 
gen fpriht, daß fih mit einem Vorrathe von etwa AO Uebungen ſchon 
etwas Erkledliches leiften ließe. Er wird jedoch im Laufe der Zeit — mit 
dem Auffhmwunge des Turnen? — von diefer Meinung zurüdgelonmen 
fein. Stellt man fein vorliegendes Buch mit dem vorhin erwähnten 
Schreber'ſchen zufammen, jo ift das eine eine willlommene Ergänzung des an: 
dern, da Hauſchild zunädft Lehrer ift, wie Schreber zunädft Arzt, beide 
aber daſſelbe Ziel mit gleicher Wärme verfolgen. 


5. Dr. M. Kloß, Hantelbüchlein für Zimmerturner, ein Beltrag zur prakti⸗ 
ſchen Geſundheitspflege. Mit 20 eingedrudten Holzſchnitten. Leipzig, 3. 93. 
Weber. Zweite Auf, 1860. 10 Gar. 


Die Anleitung des Dr. Kloß, die Hantel zu gebrauden, Tann foge: 
nannten Bimmerturnern empfohlen werben, meil fie außer den Uebungen 
auch die nothmwendigen Regeln für ihren Betrieb enthält, Regeln, welde, 
jo felbftverftändli fie find, doc gerade von der bezeichneten Menſchenklaſſe 
bäufig am wenigften beadtet werden. Die Warnung vor zu ſchwerem Han: 
ten und zu angeftrengtem Ueben, um die geſchwächte Gefundheit in mög: 
lichft furzer Zeit wieder zu geminnen, verdient in größerer Allgemeinheit, 
als fie ausgefprochen ift, bei jevem Turnen beberzigt zu werben. But Ding 
will Weile haben. Auch beim Unterriht im Turnen würde die Ungeduld 
ein großer pädagogifhher Fehler fein. 


6. Rud. Schulge und Dr. Ed. Angerftein, Leitfaden für den gefammten 
Zurnunterricht. Erſter Theil: Die J. und II. Turnflufe. Turnunterricht 
in Anaben- und Mädchenichulen. Berlin, Gelbftverlag. 20 Sgr. 


Preußiſche Schulcollegien haben ven Leitfaden merkwürdigerweiſe gleich 
zeitig mit den Schriften Rotbfteing empfohlen. Dan lafie fih dadurch richt 
beirten; es ift nichts meiter als ein brauchbarer Auszug aus dem Schul: 
tumbude von U. Spieß, welcher unternommen ift, um angebenben Zum: 


Turnen. 399 


lehrern, d. h. ſolchen Lehrern, welche in ihren Schulen Turnunterricht einführen 
wollen, obne ſelbſt Turner zu fein, die Mühe zu ſparen, ſich ihre Auszüge ſelbſt 
zu machen. Die Verf. behaupten zwar, fie hätten außer den Schriften von 
Spieß auch einige andere Bücher benußgt. Möglich ift das, allein, was vom 
Standpuntte jener Zurnlehrer gar nicht zu beklagen ift, man merkt wenig Davon. 

Uebrigens ift nach langer Pauſe diefer Leitfaden wieder das erſte für 
päbagogifhen Bedarf gefchriebene wirklihe Turnbuh. ine zweite Auflage 
eribien 18641 und zugleich als bejonderes Werkchen daraus abgebrudt: 
„Die reis und Orönungsübungen in der Vollksſchule.“ Kin zweiter Theil 
läßt bis heute noch auf fi warten. 


7. F. 8. Kell, Wehr⸗Turnbuch. Ein Lehr: und Handbuch ausgemwäblter 
Vebungen zur Grböbung der Wehrfähigkeit im Heerdienfte. Potsdam, 
Biegel. 185658. 15 Bar. 


Das Wehrturnbuch ift aus der zweiten Auflage von Jahn's deutſcher 
Zurntunft (Berlin, Reimer, 1846) geflofien. Cs enthält eine zwedmäßige 
Auswahl von Turnübungen jeder Art für den Gebrauh von Soldaten: 
Turnlehrern. Im Einzelnen findet man mande treffende, durch vieljährige 
Erfahrung gewonnene Bemerkung über die turneriihe Behanplung ver 
Mannibafl. Da ih nicht für Soldaten, fondern für Lehrer ſchreibe, fo 
braude ih nicht zu erörtern, was ich in dem Buche vermifie. — Ein 
Schlußwort zur Würdigung der vaterländifhen Turnkunſt gegenüber ber 
ſchwediſch⸗deutſchen Lehrweiſe in der Gentral-Turnanflalt zu Berlin zog dem 
nunmehr verftorbenen Berf. vielfahe Ungelegenheiten zu und gab die erfte 
Beranlafiung, ihm feine Stelle als Militärturnlehrer in Potsdam zu 
nehmen. 


8. v. Görne, dv. Scherff und Mertens, Die Gymnaſtik und die Fechtkunſt 
in der Armee. Berlin, U. Bath. 24 Ser. 


Die Schrift wird bier nur deshalb erwähnt, weil fie unter den gegen 
die Rothſtein'ſche Gymnaſtik gerichteten Echriften eine hervorragende Stelle 
einnimmt, in fofern fie die Schwächen der ſchwediſchen Fechtweiſen, durch 
welche das deutſche Fechten eben fo, wie durch das ſchwediſche Turnen das 
deutſche Turnen, von der Gentral-Turnanftalt aus verdrängt werden follte, 
rüdfihtslos aufpedt. Empfohlen werben die drei Fechtſchulen von Benede 
für den Stoß, Eiſelen für den Hieb und v. Gelmnig für das Bayonnet. 
Nebenbei bringen die Verf. frefflihe Auseinanderfeßungen über die Stellung 
des Turnens im Heere, die ich den Lehrern nadzulefen, wenn fie Gelegen: 
beit dazu haben follten, deshalb empfehle, weil die preußiſche Staatsturn: 
methode ben jedem Erzieher gegenwärtigen ſpecifiſchen Unterſchied zwiſchen 
Schulzucht und Mannszucht allzufehr verwiiht, und fo die militärifchen 
Ginwürfe gegen die Methode ein padagogiſches Gewicht oder doch ein 
paͤdagogiſches Intereſſe erhalten. 


1859. 


1. Dr. Nenmann's Haus⸗Gomnaſtik. Cine Anweiſung, dur dlätetiſche, 
taglich anzuſtellende, in jeder Stube leicht ausführbare GSliederbewegungen 


0600 Turnen. 


und Athmungsübungen ſich bis in's Alter an Leib und Geele geſuud zu 
erhalten und von vielen Krankheiten heilen. Mit 102 eingebrudien 
Holzſchnitten. Leipzig. Amelang. 8. VI und 98 Seiten. !/z Iblr, 


Eine Nachbildung der Schreber'ihen Zimmerymnaſtik. Rad einer 
weitichweifigen Schilderung der einzelnen Haltungen und Bewegungen folgen 
allgemeine Regeln über Ausführung der gymnaſtiſchen Lebungen und eine 
Sammlung theilmeife fehr wunderlicher Vorjhriften und Necepte zum dia⸗ 
tetifchen Gebrauh und für fpecielle Leiden. Die Neumann’ihe Hausgymt: 
naftit unterfcheidet fich dadurch von der deutſchen Simmergymnaftil, daß fie aus: 
Schließlich mit Zmifchenpaufen möglichft langfam vorzunehmende Uebungen for: 
dert, und — daß fie mit einer Menge Unbegreiflichleiten, wie 3. B. daß zu den 
Manipulationen (Dehnungen, Klopfungen, Klatſchungen, Punktirungen, Ane: 
tungen u. |. m.) immer die ungleichnamige Hand genommen werben joll, 
in das wechſelvolle Patientenleben eines Hypochonders ab und an wün- 
ſchenswerthen Stoff zum Grübeln bineinmwirft. 


2. Dr. ©. ©. M. Schreber, Die planmäßige Shärfung der Ginnesorgene 
als eine Grundlage und leicht zu erfüllende Aufgabe der Erziehung, be 
fonders der Schulbildung. Leipzig, Fr. Zleifher. 16 ©. gr. 8. 4 Ser. 


Ein für Schulmänner jeder Art beachtenswerthes Schriften, welches 
die Nothwendigkeit und Möglichkeit nacdmweist, einen Zweig der Leibes⸗ 
übungen im weiteren Sinne des Wortes, welcher dem Turnen verwandt if, 
jedoch zu andern Seiten menſchlichen Vermögens in noch näherer Beziehung 
fteht, im geſammten Schulleben zu pflegen. Qurnfahrten bieten zwar aud) 
mandherlei Beranlafjung und Gelegenheit, diefe Pflege zu unterftügen ; allein 
richtig, Scharf und fein fühlen, jchmeden, riechen, hören und jehen zu lehren, 
ift eine Sache, welche vem Lehrer der Naturwiſſenſchaften ungleid) näher liegt, 
als dem Turnlebrer. 


3. Ed. Angerftein, Ruf zum Turnen. Dffene Briefe eined Zurmers an 
Zedermann. Stade, Fr. Steudel. 31 ©. gr. 8. 3 Ger. 


Eine befonders an die, jo den Segen des Turnens noch nicht kennen, 
gerichtete Aufforderung, den Zurnplag zu beſuchen. Der erfte Brief handelt 
von der Notbwendigleit des Turnens, der zweite zur Hälfte von der ge 
ſchichtlichen Entwidelung, zur andern Hälfte gleih dem dritten Briefe vom 
Betriebe deſſelben. 


4. Oswald Faber, Das Turnen in feinen Beziehungen zu Gtaat und Bell. 


Eine Zeitfrage. Dffenes Sendichreiben an Freunde und Gegner. Berlin, 
Bieler. 35 ©. 8. 4 Ser. 


Ziemlich allgemein gehaltene Auseinanverfepungen über Wertb und 
Stellung des Turnweſens in der Gegenwart, nicht eben in der beiten Form 
vorgebracht. Man fieht nicht recht ein, worauf der Verf. eigentüh hinaus 
will, und mer die Freunde, mer die Gegner find, mit denen er fidh gm 
Schaffen macht. 


5. 8.8. Gehrike, Die Gymnaſtik und ihre vorzüglichften Forderer und Wer. 
treter von der Alteften bis auf die neueſte Zeit. Eine Schrift für Etern 


Turnen. 601 


» . . ’ 
2 „araneher gm Beten des neuen Turnhauſes in Gdthen. Edthen 


Eine Gelegenheitsihrift ohne weitere Bebeutung. 


6. Dr. Könige, Geſchichte des Turnens in Breslau. Dflerprogramm des 
Magdalenen-Symnafiums in Breslau. 


Bei dem erften Theile des gejchichtlihen Beriht3 über vie Anfänge 
und den Yortgang des Zurnens in Breslau konnte eine Handfchrift von 
Harniſch zu Grunde gelegt werden. — Die höheren Schulen in Breslau 
turen nod jest (wohl nur im Sommer) in großen Mafien (gegen 700 
Schüler auf einmal) zu gleicher Zeit unter Borturnern und befinden fidy 
gut dabei. Wahriheinlid würden fie fib noch befier befinden, wenn 
den Zurnlehrern die Möglichkeit gegeben würde, ihre Unterrichtskunſt an 
Heineren Abtheilungen zu bewähren. 


Es ift eine eigenthümlihe Erſcheinung, welche zum Nachdenken anregt, 
daß, mährend fonft allerwärt3 vie Weberzeugung von der Nothwendigkeit, 
die Schüler ftarlbefuchter Schulen beim Turnen in lleineren Abtheilungen, 
wo moͤglich Klaſſen felbft, zufammenzufafien und ihnen fortgejeßt, Sommer 
und Winter hindurch, gleihmäßigen Unterricht zu ertheilen, mehr und mehr 
fih Geltung verfhafft und praktiſch die herrſchende wird, preußifche Gymna⸗ 
ftallehrer hier und da mit Zähigleit in dem Zufammenmwerfen der ganzen 
Schülermaſſe einen befonderen Segenerbliden und den Werth einer 
Turnanftalt nah der Menge derjenigen beurtheilen, vie ſich gleichzeitig 
darin — umbertreiben. Sie follten fi wenigftens von Zeit zu Seit vor 
balten, daß ein Turnen wie das gemeinte an niederen Schulen von vorn: 
berein unmöglih ift, und daß, wenn vom Sculturnen die Rede ift, den 
160,066 Beſuchern höherer Schulanftalten Preußens (im Jahre 1852) 
gegenüber 2,583,565 Elementarſchulkinder mädtig in's Gewicht fallen. 


7. F. Hildebrandt, Der Turnunterribt an den höheren Schulen. Ofter- 
programm des König. Domaumnaflums zu Magdeburg. Magdeburg, 
Heinrichshofen. 


Auch am Domgymnaſium zu Magdeburg findet jenes Maſſenturnen 
ftatt, doch redet das Programm demſelben nicht das Wort. Der Berfafler 
fpriht vielmehr Mar aus, daß nur die Klaffeneintheilung dem Lehrer die 
Möglichkeit gewährt, auf den Einzelnen bildend und erziehend einzumirken, 
und behauptet damit vielleicht nad) der andern Seite wieder mehr, als er 
beweifen kann; doc kommt er gewiß ber Wahrheit ziemlich nahe. 


8. Brof. Dr. 8.9. Scheidler, Jenaifche Blätter für Geſchichte und Reform 
des deutfchen liniverfliätswelend, insbefondere des Studentenlebens, fowie 
für Deutfche National: und Staats⸗Pädagogik. Dritted Heft: Zur Zurn« und 
Wehrlunft. Ein Hands und Lehrbuch bei Vorträgen über alademifche 
Militärgumnaftil. Nebſt einer Geſchichte der Fechtkunſt und der jenai'ſchen 
Wehrſchaft vom Jahre 1814. Jena, Maufe. gr.8. X u.196 ©. 15 Nor. 


Eine geſchidte Sammlung und Bearbeitung alles deſſen, mas über 
das Turnen und echten der alademifchen Jugend und über ihre Wehrhaft⸗ 


602 Zurnen, 


machung Beherzigenswerthes gejagt ift und gejagt werben Tann, deren Be 
abtung jedem Lehrer an höheren Schulen dringend anzuempfeblen iſt. Die 
anziebend gejchriebene Geſchichte der Fechtlunft auf deutſchen Univerfitäten, 
weldye den 3. Abjchnitt des Buches bildet, ift als Einleitung u F. A. W. 
& Rour' Anweiſung zum Hiebfechten mit geraden und krummen Küngen. 
Sena. Fr. "Maufe. Zweite Aufl. 1849. ſchon einmal gebrudt. 


1860. 


1. Dr. M. Æloß. Das Turnen im Spiel oder luſtige Bewegungefpiele für 
muntere Knaben. Eine Auswabl der einfacheren Jugend» und Turmfpiele 
ur geiftigen und körverlichen Erholung bes jüngeren Alters. AS Fefge⸗ 
dent und ale Beitrag a einer naturgemäßen Jugendersiebung. Mit 16 
erläuternden Figurentafeln. Dresden, Schönfeld. 12 Sgr. 


Enthält verftänvliche Beichreibungen einer Anzahl von Knabenfpielen, 
welche meiſtens jo belannt fein bürften, daß fie nicht bejchrieben zu werben 
braucdten. Wenigftens kann, wer fih der Spiele feiner Jugendzeit noch 
erinnert, oder wer Guts⸗Muths Spiele zur Uebung und Erholung des Kör⸗ 
pers und Geiftes (Vierte Aufl. von F. W. Klumpp. Stuttgart. Hall: 
berger 1845) befigt, das Buch ſehr wohl entbebren. 

Die Figurentafeln werden gelobt. Sie find in der dur 2. Richter's 
Einfluß beliebt gewordenen Manier ausgeführt, melde naiv fein fol, im 
Wahrheit jedoch, wo Richter's Geift fehlt, plump und leer if. Bielleicht 
ift das Gefhmadsfahe! Da ich jedoch das Illuſtriren durch nichts „er 
läuternde” Bilder an fi für einen Unfug halte, wenigftens in Schul: 
bücdhern, fo vermag ich niemals in das Lob einzufallen. 

— Daß unjere Ueberfiht der turnerifchen Literaturproducte zum exflen 
Male nit mit einer diätetiſchen Kranken- oder Hausgymnaftif, fonbern 
mit einem Spielbuche zu eröffnen ift, ift ein deutliches Zeichen der Zeit. 
— Daß aber die Nachmirkungen der ftillen Neactionsperiode nody nicht 
ganz verwunden find , bemeift die Titellänge dieſes Spielbuches. Es ift 
eben charakteriſtiſch für alle Erzeugnifie diefer Periode auf dem Gebiete des 
Turnſchriftenthums, daß fie mit endlos langathmigen Titeln prunfen. 


2. F. W. Vogeler (Lehrer), Die Voltsfbule und die Gymnaſtik. Ein Wort 
für Die allgemeine Einführung der Gymnaſtik in die Volksſchule an Schul⸗ 
vorftände, Lehrer und Alle gerichtet, welde ein Intereſſe an der Volkeer⸗ 
ziehung haben. Berlin, Schröder. 5 Ser. 


3. F. W. Wogeler. Leitfaden für den gymnaſtiſchen Unterricht in den le 
mentar-, fo wie in den unteren Claſſen der Real- und Gymmaſialſchulen. 
Berlin, Schröder. 5 Ser. 


Schließt fi im Betriebe ver Freiübungen an Rothſtein an. Zür den 
Turnunterricht der Volksſchulen will der Berfailer fih mit Claſſenzimmer und 
Schulhof begnügen, bleibt alfo hinter ven Anordnungen der Behörden und erft 
recht den allgemeinen Yorderungen (jiehe unten ©. 6071!) weit zurüd. — 
Außerdem ift bezüglich diefer und einiger ähnlichen, an Rotbftein fih an- 
lebnenden ‚Leitfäden‘ zu bemerlen, daß die Schüler nicht über dem Meifter 
ſtehen. Mit voller Ueberzeugung empfehle ih allen, die das Beſte ver 


Zurnen. 603 


„ſchwediſchen Schule” Tennen lernen wollen, bie praltifchen Anweiſungen 

Rothſiein's jelbft als dieſes Beſte. 

4. F. Riedl, Die Gymnaſtik am Turnplatz und im Zimmer. Ein Vorbeu—⸗ 
gungẽ⸗ und Heilmittel gegen viele Krankheiten unſerer Zeit. Leichtfaßliche 


Anleitung zur naturgemäßen Entwidelung und Kräftigung des Körpers in 
allen Alteröftufen. Wien, Alb. A. Benedilt. 15 Ser. 


Ein völlig entbehrliher Auszug aus älteren Turnfchriften von Guts⸗ 
Muth, Vieth, Jahn, Elias, Spieß. Der durch den legtgenannten ange 
babnte Fortjchritt in der Unterrichtsweife iſt indeß dem Buche noch gar 
nit zu Gute gelommen. 


5. W. Kübel, Lehre und Handbuch der beutfhen Turnfunft. Zweite ganz 
umgearbeitete, verm. u, verb. Auflage. Mit 6 Steindrudtafeln. Frant: 
furt a. O., Harneder n. Co. 1/2 Ihlr. 


6. B. Kübel, Lehranweifung für den Turnunterricht der Turnſchule. Für 

Zurnichrer und Borturner. Frankfurt a. D. Hameder u. Co. cart. 

Ya Thlr. 

Der als Turnlehrer verbienftvolle Verfafler, ein Schüler Jahn's und 
Mitarbeiter Eifelen’3 verfucht, den Anforderungen einer neuen Zeit durch eine 
neue Ausgabe feines Lehr: und Handbuchs der deutfchen Turnkunſt, welches 
1843 in erfter Auflage erfchien, gerecht zu werden. Dafielbe war damals das 
am beften ausgeftattete, grünvlichfte, überfihtlihfte und vwollftändigfte Lehr⸗ 
buch, meldes die jüngere (nach-Jahn'ſche) Berliner Turnſchule zu Stande 
gebraht hatte. Da die fpäter (1846) erjchienene zweite Ausgabe der 
Jahn'ſchen Turnkunſt nicht vollendet ift, jo batte es feinen Plag in der 
Literatur behauptet. Und man kann fagen: diefen feinen alten Platz be 
bauptet es auch al3 zweite Auflage no, meil die Angabe des Titels, 
dieſelbe ſei eine ganz umgearbeitete, nichts mehr und nichts weniger, als 
eine runde und volle Unmwahrheit if. Das ganze Buch iſt, abgerechnet 
eine einzige Seite in der Mitte und einen Fleinen Anhang von etwa 20 
Seiten am Ende, in welchem die brennenden Zeitfragen des Schul: und 
Wehrturnens auf eine unverantwortlich leichtfertige Weife abgethban werden, 
von Beile zu Zeile unverändert wieder gebrudt. Wem es alſo aus irgend 
einem Grunde paßt, alle feit 17 Jahren gemadten Fortſchritte in Aus: 
wahl, Benamung und Anorbnung der Uebungen unbeadhtet zu laflen, oder 
aber, wer willen will, wie mweit die TZurnübungslehre vor 17 Jahren ents 
widelt war, der findet bei Lübed die genauefte Auskunft. 

Die „Lehranmeifung für den Unterricht in der Turnſchule“ enthält 
eine Zufammenftellung der im Turnbuche zerftreuten, an fi ſehr dürftigen, 
allgemeinen Uebungsregeln und Pläne. Unter Turnſchule werben befondere 
Zumnanftalten verftanden, in welche die Schüler als einander völlig fremde 
Einzelne eintreten, Anftalten, welche ſich ihre Geſetze jelbit geben, und dabei 
fih um andere Schulen möglichft wenig fümmern. 


7. 3, Aiageler, Zurnfhule für Knaben und Mädchen. Zürich. Kr. 
ultheß. 
’ Erfter Theil: Das Turnen für die Elementarclafien. 2. Aufl. 1863. 
12 Ser. 
Amweiter Theil: Das Zurnen für die NRealclafien. 1861. 14 Sgr. 








604 Turnen. 


Eine grobe Zahl von Turniehrbüdern, wie fie von nun an in Menge 
auf dem Büchertiſche erfcheinen, bat Leute zu Berfaflern, deren allgemeiner 
Bildungsftand ein fehr niedriger if. Es ift Gefahr vorhanden, dab biefer 
Umfland der guten Sache Abbruch thue. Denn den Ziteln fieht man nicht 
an, wie unbebeutend die Bücher find, und ſelbſt der unerbittlidhfte Beur⸗ 
tbeiler fpriht nur ungern geradezu aus, dab gewiſſe Machwerke das An: 
ſehen nicht verdienen. lim fo lieber ergreift ex den Ausweg, da beſtimmt 
und rüdhaltslos zu loben, wo er es vor feinem Gewiſſen verantworten faun. 
Dies ift nun bei Niggeler's Turnſchule der Fall. Bon allen für die Schuie 
beitimmten Zurnichriften, welche feit dem Erſcheinen des Spieß ſchen Turn⸗ 
bus für Schulen veröffentlicht find, ift fie, nad unferem Urtbeile, zweifel: 
los die tüdhtigfte. So zwar, da wenn es einem Lehrer, der Zurmunter: 
richt übernehmen will, immer gerathen werden muß, ſtudirend auf das 
genannte Buch von Spieß zurüdzugeben, es doch ebenjo ſicher iR, dab er 
beim praltifhen Unterricht zunächſt mit Niggeler's Turnſchule in der 
Hand am beiten zurechtlommt. Wohl giebt es ſehr verſchiedene Weifen des 
Unterrichtens, und der fortfchreitende Lehrer findet allmählih alle Hülfsbüdyer 
entbehrlich; fo enthält auch Niggeler’s Turnſchule niht allein Gutes und 
ift überflüffig für manche, aber ich wiederhole es nachdrücllich: der Anfänger, 
welder feines Willens und Könnens noch nicht ſicher if, verſuche es 
allein mit der genannten Schrift, halte jih zu Anfang, ohne rechts und 
lints zu bliden, ftreng an ihre Führung, und ich verbürge ihm Erfolg, 
Sind ihm fpäter (docendo discimus) Einfiht und Gefhid gewachſen, jo mag 
er den Führer immerhin entlaſſen, aber er wird nicht aufhören, ihm zu danken. 


Bemerlungen über den Shulturnunterriht aus 
Niggeler's Turnſchule. 


„I. Da die Jugend nur durch eine harmoniſche Entwidelung ihrer 
Gejammtanlagen zur Thatkraft und fittlihen Tüchtigleit erzogen werben 
kann, fo muß dad Turnen eine beventungsvollere Stellung im Schulplane 
einnehmen, als es bisher hatte. Es darf nit mehr ein Privilegium bö- 
berer Schulanftalten bleiben und bier etwa nur Solchen zu Theil werben, 
die Luft und Liebe dazu und Anlagen zu Kunfifertigleiten haben. Es muß 
ein Schulfah werden für die Jugend aller Stände. 

2. So lange man diefem Fade nit, mie jedem anderen, eine be- 
ftimmte Zeit einräumt und dieſe regelmäßig einhält, wird man über das, 
was in den Volksſchulen als Minimum turnerifcher Leiftungen gefordert 
werden fol, nit zum Abſchluß kommen. Und do ift dies eine noth: 
wendige Forderung, wenn man biejed wichtige Bildungsmittel nit als 
etwas vom Zaune gerifjenes, als ein der Luft und Laune überlafienes Ben: 
jum betreiben will. Der Stoff muß bier fo gut wie bei einem anderen 
Fache vorgezeichnet und die Yeitung des Turnens von den Behörden über: 
wacht werden. Die Hebungen müjjen geordnet, und es muß ausgeſprochen 
werden, was die Schule in dieſer Richtung zu leiften bat. 

3. Der Turnunterricht kann ſowohl zwiſchen als an's Ende des übri⸗ 
gen Unterrichts der Vor⸗ und Nachmittage verlegt werden und dauert am 
zwedmaͤßigſten eine Stunde. Die ſechsjährigen Schüler der unterſten Claſſe 


Turnen. 0.) 


follten naturgemäß täglih turen; von Stufe zu Stufe kann die möchent: 
liche Stunvenzahl vermindert werden, jo doch daB keine Claſſe weniger als 
zwei Stunven hätte. 

A. Soll das Zurnen, als ein Schulfach wie andere, ver Schule an: 
gehören und ein Factor der Jugendbildung fein, fo muß es, wie die übris 
gen Lehrfächer, im Sommer und Winter fortgeführt werben. 

5. Wie beim Geiftesunterrichte der Unterrichtsftoff auf die Schuls 
jahre vertheilt wird, fo muß man auch beim Leibesunterrichte verfahren und 
in Rüdſicht auf körperliche Geſchidlichteit und Kraft und auf das geiftige 
Vermögen eine Uebung aufjufaflen, vom Leitern zum Schwereren jchreiten, 

6. Jede Schulclafle ſoll auch eine Turnclaſſe bilden und allein unter- 
richtet werden. Von Zeit zu Zeit follten aber auch alle Glafien zu ges 
meinſchaftlichen Turnübungen und Spielen und mitunter benachbarte Schulen 
auch zu einem Jugendturnjeite vereinigt merden. 

7. Damit Geiftes- und Leibesunterricht, ohne viel Zeit zu verliexen, 
in gehörigen Wechſel gebracht werden können, ift es nöthig, daß Qurnplag 
und Turnſaal in unmittelbarer Verbindung mit der Schule ftehen. Darauf 
foltte bei jevem Neubau eines Schulhaujes Rüdjicht genommen werden. Nur 
jo kann das Zurnleben in enge Verbindung mit dem Schulleben gebracht 
und der Zurnunterridht regelmäßig und recht fruchtbar ertbeilt werben. 

8. Der Unterriht bat zu umjaſſen Ordnungsübungen, Freiübungen 
und Geräthübungen. Außerdem wede der Lehrer ſchon in der erften Unter 
richtöftunde die Luft zu körperlichen Spielen und made den Schülern den 
Tumplap als eine Stätte, wo neben ftrengem Gehorfam und feiter Orb: 
nung gleihmwohl ein munteres fröhliches Bewegen ftattfinden fann, ange 
nehm und lieb. Endlich überſchreite er von Zeit zu Zeit die Grenzen bes 
Zurnplages und mache Zurnfahrten zum Zwede ber Ausdauer im Geben, 
mohl auch um Anjhauungen der Natur aufzunehmen und Land, Volt und 
feine Gebräuche kennen zu lehren. 

9. Es ift natürlid, daß man in den Stunden nicht eher zu einer 
anderen Uebungsreihe jchreite, als bis die vorhergehende genau eingeübt ifl. 
Dabei darf aber der Lehrer nit pedantiih bei einer Uebung verbarren 
und meinen, dieſelbe müſſe ſchon in der erjten, Stunde volllommen ausge 
führt werben, fonft werden die Schüler dabei verdroſſen und unluftig. Bon 
Stunde zu Stunde muß neben Neuem Wiederholung der bisherigen ftatt- 
finden und in jede Hebungszeit Abwechjelung gebradht werden. Mo das 
geregelte Turnen nur in den Ordnungs⸗ und Freiübungen befteht, wird 
die erfte halbe Stunde diefen und die zweite den Spielen gewidmet; wo 
auh das Geräthtumen betrieben wird, kann eine Ziertelftunde auf das 
Geraͤthturnen und eine Biertelftunde auf Spiele verwendet werden. Am 
Schluſſe der Stunde jammelt der Lehrer die Schüler wieder, um diejelben 
in georbneter Aufftellung zu entlaflen, oder, wenn das Turnen zwiſchen die 
übrigen Lebrftunden fällt, georbnet in das Schulzimmer zu führen. 

10. Ein Hauptzwed beim Turnen ift auch Wedung des Sinnes für 
Schönheit und Bildung zur Schönheit. Nach diefem Ziele ftrebe ber Lehrer 
mit Beharrlichleit. Vor Allem fehe er darauf, daß der ganze Leibesorgas 
nismus harmoniſch entwidelt werde, indem er nit nur diefen und jenen 


606 Turnen. - 


Körpertheil oder diefe und jene Mustelpartie übe und fräftige, ſondern 
gleihmäßig alle Partien, welche beftimmt find, einander das Gleichgewicht 
zu halten. In Haltung, Stellung und Bewegung achte er vorzüglich darauf, 
daß die Körperlaft nicht vorherrſchend diefer oder jener Leibesſeite zu⸗ 
fomme , ſondern gleihmäßig auf beiden Seiten ruhe. Die Uebungen find 
in pafjender Abwechſelung vorzunehmen, und ift namentlich darauf zu adıten 
daß nicht zu lange bis zur äußerften Ermüdung nur bie Stemmfraft oder 
nur bie Hangkraft oder nur die oberen oder die unteren Gliedmaßen ge 
übt werden. Gleihwie eine faljhe Arznei oder eine allzuftarle Portion 
dem Kranken gefährlich ift, jo kann auch eine den Kräften der Schüler un⸗ 
‚angemefiene und übertriebene Hebung jhädlidy fein. Es follten die Kräfte 
im Anfange nie ganz und zu ſtark in Anfprud genommen werben, fonft 
tritt zu bald Müdigkeit ein, die die Luft zum Turnen leicht ſchwächen 
fönnte. Sobald das Grmüdungsgefühl unangenehm wird, höre man mit 
den Bewegungen auf, doch ift dabei zu beobachten, daß man von heftigen 
Bewegungen nicht fogleih zur Ruhe übergehe. 

11. Damit die Uebungen aud das geiftige Leben des Schülers er- 
fafien und erzieheriſch auf daſſelbe wirken, muß ver Lehrer es verfteben, 
den Unterridht fo zu ertheilen, daß er die bejtändige Aufmerkſamkeit aller 
Schüler in Anfpruh nimmt, daß fie mit ihrem Geifte gegenwärtig fein und 
Aug’ und Ohr auf ihn gerichtet haben müffen. 

12. Die Schüler müfjen mit der Zurnfpradhe befannt gemacht werden, 
darauf achte der Lehrer mit Strenge und lafje die Ankündigung nament- 
lih von den Unaufmerlfamen wiederholen und die Uebung darftellen. 

13. Das Niegenturnen, d. h. das Turnen in Abtheilungen, wo jede 
einen aus der Mitte der Schüler gewählten Vorturner bat, führe der 
Lehrer nur bei den oberen Glafjen ein; aber aud neben dem Riegenturnen 
fol das Geräthturnen mitunter gemeinfam nad Befehlen unter der unmits 
telbaren Leitung des Lehrerd ausgeführt werden. 


14. Wenn das Turnen Kräftigung und Bildung zur Schönheit zum 
Zwede bat, fo fol aud die weibliche Jugend turnen; ihre Beitimmung, 
ihre phyſiſcher Zuftand erfordert es. Soll ein gefundes und Fräftiges 
Geſchlecht heranwachſen, fo kräftige man au die Mütter. Würde man bie 
Mohlthaten des Turnens nur dem männliden Geſchlechte angebeihen lafjen, 
fo hieße das fo viel als: an einem Orte den einbrechenden Strom auf: 
balten und abmwehren und ihn an einem anderen durch Bernadläfjigung 
verberbenvoller wieder einbrechen laſſen. 


15. Will der Lehrer eine foftematishe Anordnung des gejammten 
Uebungsftoffes haben, fo verjchaffe er ſich dieſelbe durch Selbſtſtudium; dieſem 
muß auch Zeit eingeräumt werben; dahin müflen wir mit dem Zurnen 
fommen, daß die Lehrer dafjelbe zum Gegenftande wiſſenſchaftlichen Nach⸗ 
denkens machen wie ein anderes Jah, daß die Turnliteratur ihnen nicht 
mehr fremd bleibt wie bisanhin. — 

8. Bie it das Turnweſen zu echter Bolksthünslichleit zu erheben? Eine drin 
gende Zeitfra En allen Zurnenden, Turnvereinen und Zurnfteunden von 


Reuem an'd gelegt von einem Mitgliede des Gothaer Turnvereine 
(Georg Hirtb). —8 Thlelemann. 2 Nar. 





Turnen. 607 


Erſter Verſuch des jugendlichen Berfafiers, über turneriſche Dinge eine 
Meinung zu äußern, 
9. Ueberſicht der deutfchen Turnvereine. Bufammengeftellt vom Berliner Turn⸗ 
rath. 4!/s Bogen 4. Leipzig, Ernſt Keil. 6 Igr. 

Die mit vielem Zleiß zufammengeftellte ſtatiſtiſche Ueberſicht ſaͤmmilicher 
befannten deutfchen Turnvereine (241 mit 23,670 Mitgliedern) enthält Nach⸗ 
meife über die Einwohnerzahl des betreffenden Ortes, Namen deg Vereins, die 
Zeit feiner Gründung, Zahl und Stand der Mitglieder, Zahl der wöchent 
lien Zurnabende, der Turnlehrer, Angabe der Turnräume im Winter, 
jerner Mittheilungen über Fecht- und Gejangübungen, Feuerwehren u, f. m. 
Als ein Anfang zu einem neuen Zweige der Privatftatiftit verdient die 
Ueberfiht, jo mangelhaft au vielerorts die Grundlagen derſelben noch 
waren, theilnehmende Beachtung. 

10. Theodor Georgii, das erſte Turn» und Jugendfeſt in Coburg, den 16, 


bis 19. Juni 1860. Mit einer Anfiht von Coburg und Yu tbeilagen. 
Leipzig, Ernſt Keil. 84/ Bogen. N Thlr. 


Das genannte Zurnfeft war befanntlih das erfte in der Reihe ver 
großen Volksfeſte, melde, zu immer gewaltigerem Umfange anſchwellend, in 
den legten Jahren ein wichtiger Hebel nationalen Aufſchwungs geworden 
find. Der gut und friih abgefaßten Beſchreibung des Feſtes find nament: 
li die ſtenographiſchen Aufzeichnungen über die Verhandlungen des eriten 
deutſchen Zurntages beigefügt. Im Anſchluß an lebtere wurde von einem 
dazu erwählten Ausſchuſſe eine Denkſchrift ausgearbeitet, weldye die Meinun« 
gen und Wünſche der deutjhen Turnerſchaft binfihtli des Turnens und 
jeiner Förderung zur Kenntniß der Regierungen und Bollävertzetungen ver 
deutihen Bundesitaaten bringen jollte.e Da dieſe Denkſchrift noch hente im 
allen Stüden dem entipriht, wozu die große Mebrzeit der Turner jeder 
Claſſe fih befennt, alfo nod immer den getreueſten Ausdrud der oͤffent⸗ 
lichen Meinung und Hoffnung über die Bedeutung des Turnens darftellt, 
jo wird man es nicht tadeln, wenn fie bier unverkürzt wiedergegeben 
wird. 


Denkſchrift, 


den Regierungen und Volksvertretungen der Staaten des 
deutſchen Bundesgewidmetvonderam 17. und 18. Juni 1860 
zu Coburg verfammelt gewejenen deutſchen Turnerſchaft. 

Es iſt eine Thatſache, durch die Geſchichte aller Zeiten und Völker 
beftätigt, daß Wohlfein und Gedeihen im Innern und insbefondere Sicher: 
beit, Anſehen und Macht nad Außen nicht vorhanden fein können ohne 
leibliche Geſundheit, Kraft und Züchtigleit der Bollögenofien im Einzel⸗ 
nen und Ganzen. Sie haben in früherer Zeit dem deutſchen Volle nicht 
gefehlt, — daß unfer Vaterland heut zu Tage ſich derfelben nicht in dem 
Maße, wie wünſchenswerth, erfreut, wird Niemand bezweifeln wollen. 

Als in den Jahren 1813—1815 unfer Baterland das Joch lang- 
jähriger, ſchmaͤhlicher Fremdherrſchaft abwarf, war die ſchon vorher begon: 
nene in jenen Seiten von Jahn neu begründete Pflege der Leibesübungen, 
Turnen genannt, mit eine der mächtigften Stügen und Hebel der das 


608 Zurmen. 


maligen Erhebung. Es iſt viefe Pflege der Leibesübungen, das Turnen, 
nad jenen Zeiten trogdem nicht allgemein, nicht Volls⸗ und Gtaatsjadge 
geworden. — Zwar haben einzelne Bereine da und bort bie Sache des 
Zumens treu gebegt. — Es wurden da und dort Anfänge gemacht, baj- 
jelbe in die Schulen und in's Heer einzuführen, auch läßt ſich nicht ver⸗ 
lennen, dab das Turnen ſeitdem an ſich felbit ſchaͤtzenswerthe Erfahrungen 
und Gntwidelungen durchgemacht bat; allein, wenn ed Thatſache iſt, Daß 
Die Mitglieder jämmtliher Qurnvereine in deutſchen Yanden auf etwa 
30,000 fih-belaufen mögen und daß in den meiften Staaten es mit Durd): 
führung der Leibesübungen in Schule und Heer bei den Anfängen ver 
blieben ift, fo wird Jedermann, dem das Mohl und Gedeihen des Bater: 
landes am Herzen liegt, damit einverftanden fein, daß, zumal in Zeiten, 
im welchem die gefteigerte geiftige Entwidelung und das einfeitig auf Er: 
werb und Genuß gerichtete Streben dringender als je das Gegengewicht 
leiblicher Tüchtigkeit verlangen, insbejondere aber in Zeiten, in welchen dem 
Baterlande früher oder fpäter große und ſchwere Kämpfe bevorſtehen löunen, 
jo bald und fo kräftig als mögli Hand gelegt wird an das Werl der 
nationalen Erziehung und kriegeriichen Vorbildung des Volles anf Grund 
leiblicher Uebung und dies um fo mehr, da die Folgen und Früchte ſolcher 
Erziehung in vollem Umfange nur langfam und nad Jahren reifen können. 
In voller Erlenntniß vorftiehenden Sachverhalts und mit dem Belenntntfie, 
daß nad ihrer Erfahrung und Ueberzeugung das Ziel auf dem Wege frei: 
williger Bereinigung allein nicht vollftändig erreicht werden kann, legt die 
am 17. und 18. Juni in Coburg verjammelte deutſche Zurnerfhaft durch 
den hiermit beauftragten unterzeichneten Ausihuß den Regierungen und 
Belläyertretungen fämmtlicher deutfcher Staaten nachſtehende Anträge zu 
weiter Prufung und baldigfter Verwirklichung vertrauensvoll vor: 

L Die Pflege leibliher Uebung, das Turnen nad Jahn, Spieß und 
Gifelen, wird als weſentlicher Beitanptbeil der Erziehung und bes linter: 
richtes in allen Echulen eingeführt. 

Als einzelne Forderungen bievon ergeben fi: 

1) Das Turnen ift eine eben fo beredtigte und wichtige Disciplin, wie 
jede andere. 

2) Die Zeit hierfür wird deshalb in entſprechendem Maße aus der all: 
gemeinen Schulgeit genommen. 

3) Es find alle Schüler hierzu verpflitet, Ausnahmen finden nur fei 
körperlicher Unfähigkeit ftatt. 

4) Das Turnen ift, wie jedes andere Lehrfach, bei Zeugnifien, Prüfungen, 
Borrüdungen in höhere Klaſſen, Abgangs: und Aufnahmsprüfungen, 
zu berädfichtigen. 

5) an nöthigen Lehrkräfte hierfür find in thunlichſter Zeitlürze zu be- 

affen. 
a) Es wird der Unterriht an allen Lehrer-Sceminarien, jowie an ben 
Univerfitäten eingeführt. 

b) Bon jedem Lehrer wird die Befähigung, den Turnunterridt zu 
leiten, als weſentliches Erforderniß feiner Anftellung verlangt. 

e) 8 werden Central⸗Turnanſtalten in allen Staaten errichtet, in 


Turnen. 609 


weldyen den eigentlihen Zurnlehrern Gelegenheit zur Ausbildung 
gegeben wird. 

d) Soldye befonvere Lehrer werden an allen größeren Lehranitalten 
angeftellt. 

e) Die Uebungen haben das ganze Jahr hindurch gleichmäßig ſtattzu⸗ 
finden, weshalb überall die geeigneten Räumlichkeiten zu beſchaffen 
find. 

Hinfihtlih des Betriebs und der weiteren Ginzelbeiten, bie fi aus 
entſchiedener rüdhaltlofer. Durchführung der oben aufgeftellten Grunpfäße 
ergeben, beſcheiden wir uns, das Nähere auszuführen und beichränten uns 
auf zwei Bemerkungen. 

1) Die Frei, Orbnungs: und Gemein⸗Uebungen, ferner Laufen, Springen, 
Werfen, Ringen, Slettern, bieten einen für die größere Menge ges 
nügenden Uebungsſtoff, der ohne koftfpielige Einrichtungen und Geräthe 
überall für Lehrer und Schüler gleih faßlich und anfprechend vorge: 
nommen werden kann. 

2) Als Endziel dieſer turneriſchen Erziehung muß neben allgemeiner leibs 
licher und geiftiger auch die kriegeriſche Tüchtigleit für Erfüllung der 
Allen gemeinfamen Wehrpfliht im Auge behalten werden. 

U. Wenn die jungen Leute die Schule verlafien, fo hört der äußere 
Zwang zum Yortbetrieb der Leibesübungen zwar auf, allein abgeſehen von 
der sub III ſich ergebenden Aufforderung, wird in der Schule bei richtiger 
Behandlung diejes Lehrgegenftandes fo viel Liebe zur Sache bei den Meiften 
erwacht jein, es wird dieje mit der ganzen Natur fo verwachſen fein, daß 
die Mehrzahl in freien Vereinigungen die Leibesübungen fortpflegen wird. 
Hier ift es dann, wo die Wirkjamleit der beflebenden und entftehenden 
Zurnvereine zunächft wird eintreten können. Die deutſche Turnerſchaft er: 
Hört jedoch außerdem ihre wolle Bereitwilligleit, mit den ihr zu Gebote 
ftehenden, immerhin nicht unbedeutenden Erfahrungen und Kräften bas 
Zumen in den Schulen zu unterftügen, eventuell bis zur Beſchaffung ge 
nügender Zurnlehrer zu leiten, und gemärtigt fi, daß von dieſem Aner⸗ 
bieten moͤglichſt umfangreiher Gebraud gemacht werde. 

III. Kommt fo, wenn aud) erjt nach Jahren, der Erfüllung der Wehr: 
pfliht — mag diefe nun allgemein oder nur einen Zheil des Volles tref: 
fend (Eonfcription) fein — eine turneriſch durchgebildete und dadurch krie⸗ 
geriſch vorgebildete Jugend entgegen, fo follte anvererfeit3 und zwar fofort 
und ungeſäumt, in allen Heeren der deutfhen YBundesftaaten die Ausbil: 
dung des Einzelnen, wie größerer Abteilungen im Lauf, Springen, Klet- 
tern und Klimmen, verbunden mit möglichft volllommener Führung ber 
Hieb:, Stoß: und Schuß-Waffen, Hauptaugenmert und Zielpunlt fein, auf 
daß Kraft und Sicherheit in dem Einzelnen, Schlagfertigleit in den Mafien 
fei und daß im Kampfe für PBaterland und Haus und Herb bie eine, 
glei durchgebildete Kraft, unter einer Leitung, den Sieg an die deut 
ſchen Fahnen feijele! 

Wird jo turneriſche Tuͤchtigleit als Hauptbedingung eines tüchtigen 
Wehrmannes angeſehen, fo wird es ſich von ſelbſt als nöthig und billig 
ergeben, daß, wenn die Erſtere zum eigentlihen Waffenvienfte ſchon mitges 

wad. Iahresberiht XV. 39 


619 Turnen. 


bracht wird, dies durch Gewährung einer abgekürzten Dienft: 
zeit Anertennung finde. 

Hierdurh wird der leiblichen Uebung in der Schule über die Beit des 
freien Beliebens hinüber von der Uebung und Zucht im Heere die Hand 
geboten ; es werben in diejen beiden fo viel tüchtige Kräfte für die Sache 
des Turnens gebildet und gewonnen werden, bie dem freiwilligen Streben 
in den Bereinen wieder zumachen, daß es bei einer fo natürliden, einem 
gefunden Menjhen oder Solden, die es werden wollen, jo zujagenden 
Sache nicht anders fein kann, als daß in nicht zu langer Beit leibliche 
Tüchtigleit und eben damit friſche Geiftigfeit, vor allem aber rechte Wehr⸗ 
bajtigkeit allgemein ift in deutjchen Landen und daß dann des Baterlandes 
Einheit und Größe und eben damit auch feine Macht und Sicherheit gegen 
und vor jedem Feinde etwas Selbitverftändliches und Zmeifellofes fein werben. 

Mie wir, nad unſerem befceidenen Theil, bierfür treulid auch fer: 
nerbin wirlen wollen, boffen wir, daß bei den Gemalten, bie auf den 
großen Gebieten der Schule und des Heeres das entjcheidende Wort 
zu jprehen baben, das, was wir bier, in Erfüllung einer uns ob: 
liegenden Pflicht, für die Sache des Zurnens nad allen Seiten zu wirken, 
angeregt haben, ein geneigte Ohr und eine gute Gtätte finden und daß 
bald, ebe es für ruhiges Wirken zu fpät werben lönnte, der Anfang ge 
macht werden möge, der in feinem Fortgang fein Ende, jondern 
reihes Leben, Kraft und Wohlſein für jeden Einzelnen, 
Macht und Größe fürs Ganze haben wird. 

11. Die Turnkunſt und die Wehrverfaffung im DBaterlande. Wine Denkſchrift 
bes Berliner Zurnrathe. Berlin, Adolf Berg. 32 Selten 8. 5 Ger. 


Der Berliner Turnratb war ein aus Abgeordneten ber meiften Ber: 
liner Männer-Zurnvereine gebildeter ftändiger Ausfhuß. Die Forberungen, 
welche er in feiner Dentjchrift an die Negierung richtet, fmd genau diejelben, 
wie fie die vorher wiedergegebene Coburger Denkichrift in größerer Münze 
ausſpricht. Ihre gejhichtlihe Begründung in ber Denkfchrift des Berliner 
Turnraths ift inſofern als verfehlt anzufehen, ald man es zu fehr verab: 
fäumt bat, den Bervienften Epießen's gerecht zu erben. 

12. Dr. v. Klumpp (Königl. Württemb. Oberſtudienrath), das Turnen als Be- 


ftandtheil unierer nationalen Erziehung. Deutfche Vlerteljahrsſchrift. Heft II. 
Stuttgart, Gotta. 


Schon im Yahrgange 1842 der Vierteljahrsichrift hatte der Berfaffer, 
der mwürttemb. Oberſtudienrath Klumpp, einen ähnlichen Auffag zum Ab: 
drud gebracht, der Gegenftand fcheint ihm aber jo mwidtig, daß er bie 
öffentlihe Aufmerffamleit auf's Neue darauf richten will. Gr meint, daß 
e3 nicht genug fei, das Zurnen als einen wefentlihen Theil der Gr⸗ 
ziehbung überhaupt zu betrachten, fondern daß es ausbrüdlih als ein 
Theil der nationalen Erziehung behandelt werden müſſe. Dem if 
doch wohl entgegen zu halten, daß ein Gegenjab zwilchen Erziehung und 
nationaler Erziehung nicht beitehen foll, daß, vielmehr jeder Erzieher in 
dem Söglinge ebenfomohl den wadern zulünftigen Staatsbürger wie Meu- 
ihen zu erbliden hat, denn er wird das eine nicht werben ohne bag 


Turnen. 611 


andere. Als nothwendige Maßregeln, um dem Turnen in der Schule 
den nationalerzieheriſchen Charalter zu geben, bezeichnet der Verſaſſer 

1) Rüdfihtnahme auf die Wehrbaitigleit, vermittelt durch Grerciers 
und Fechtübungen. Cr beruft fich in diefer Beziehung u. A. auf das 
Schweizerifche Kadettenwejen. Die Fortſetzung unſeres turnerifchen Litera⸗ 
turberichts wird die Gelegenheit herbeiführen, zu zeigen, daß viefe Berufung 
nicht zutrifft. 

2) Allgemeine Einführung des Qurnunterrihts. Es ift volllommen 
zuzugeben, daß der damit verbundene Zwang in Kurzem ebenſo wenig un⸗ 
angenehm empfunden werden dürfte, wie ſich in Deutſchland kein Menſch 
mehr am Schulzwang überhaupt ftößt, am wenigfien die Jugend felbft, ver 
das Turnen ein willlommenes Schulpenjum ift. 

3) Ausbildung tüchtiger Zurnlehrer. Zür Württemberg iſt die Be 
rechtigung diejer dritten Yorderung durch die Gründung einer Centralturms 
anftalt feitdem anerkannt. 

4) Befondere Beauffihtigung und Leitung der Sade, ein ſtreiti⸗ 
ger Punkt. 

5) Geld zur Belohnung der Turnlehrer und Einrichtung der Turnfäle. 


13. Dr. 2. Schmidt, das militärifche Exereitium als Lebrgegenftand an den 
Säulen, die erſte Srundlage zur Ausbildung der Wehrkraft des Landes. 
Mit 1 col. Abbildung. Stuttgart. Gcheitlin. 32 ©. 8. 6 Sgr. 


„Die Greigniffe des verflofienen Jahres und die no andauernden 
politiſchen Berhältnifie haben auch in meiteren Kreiſen das Intereſſe vor 
nehmlich (2) militärifchen Dingen zugewandt, und in den meiften deutſchen 
Stanten das Bedürfniß einer umfaflenderen Unterlage für die Heran- und 
Ausbildung des Volles zu dem Kriegsdienſte fühlbar gemacht. Zur Löfung 
der ſich hierbei ergebenden Fragen von dem beſcheidenen Standpunfte der 
Schule aus ein Scherflein beizutragen, iſt Zwed diefer Brofhüre, deren 
nächſte Beranlafiung die von den Königl. Württemb. Oberfchulbehörden 
zufammenberufene Conferenz über eine neue Geftaltung bes Turnweſens 
wurde. So heißt es in der VBorrede der Heinen Schrift. In derfelben 
wird nachgemwiefen, daB das rercieren allen Anforderungen an ben Lehr: 
gegenftand einer Schule entfpreche, nämlich dem Wefen, der Fafjungstraft, 
Reiftungsfähigteit der Jugend entſpreche, dieſelbe geiftig anrege, bildende 
Elemente in fich fchließe, Anjhauungsvermögen, Gedähtniß und Berftand 
übe, ftärle und fchärfe, zu anderen Lehrgegenftänden in fürbernder Wechſel⸗ 
wirkung ftehe, dem Schüler für dad Leben nüglihe Eigenſchaften, Fertig: 
feiten und Kenntniſſe mittheile, endlich erziehend wirle. Darauf folgen 
Borfchläge über die Art und Weife, mie der Gpercierunterriht an ben 
Schulen in’3 Leben gerufen und betrieben werden könnte. Man muß fi) 
wundern, daß dieſe Vorfchläge nach fo gründlicher Vorbereitung auf eine Iuftige 
Solvatenfpielerei hinauslaufen, welche alles andere eher ift, als eine Grunds 
lage zur Ausbildung der Wehrtraft. Wir verläugnen die Ueberzeugung 
nicht, daß die Schule ihre Aufgabe verfehlt, wenn fie fih jo oder fo „in 
eine SKriegsanftalt verlehri und das Kriegsweſen zur Schularbeit mat“. 
Wenn es ihr an ihrem Theile gelingt, volle und ganze Menſchen hervor 

39° 


612 Zumen. 


ubringen , fo werben biejelben fi), wie zu vielen anderen Lebenäftellungen, 
auch zu guten Soldaten eignen, und jedesmal als foldye ihre ganze Schul⸗ 
Digleit thun, „wenn das ganze öffentliche Leben, ſomit aud bie Schule, 
von dem belebenden Haudhe aͤcht nationaler Gefinnung getragen wird. 
Fehlt dieſe dem Leben und der Schule, fo hilft weder ein hölzernes noch 
eifernes Gewehr den idealen Beftrebungen der Schuljugend auf.‘ 
14. Dir. Dr. M. Kloß, die Turnſchule des Soldaten, ſyſtematiſche Anleitung 
zur Törperlichen Ausbildung des Wehrmannes, insbejondere für den Feld⸗ 


und Kriegsdienk. Mit 82 in den ext gedrudten Abbildungen. Leipgig, 
Beber. 1 /a Thlr. 


Es wird nicht ganz klar, ob das Buch vornehmlich für turnunkundige 
Officiere, oder für kriegsunkundige Turnlehrer geſchrieben iſt. Beide künnen 
etwas daraus lernen. Vor Keil's Wehrturnbuche zeichnet ſich die Kloß’fche 
Turnſchule durd ihre geſchichtliche Ginleitung und durch reiche Behandlung 
der Freiübungen aus. Ob aber das Turnen gerade in der Weiſe, wie es 
bier dargeftellt wird, fih in den Armeen Gingang und Haltung veridaffen 
wird, muß dahin geitellt bleiben; es ſcheint als ob ver Verfafler ſich feine 
Anfihten über den Gegenftand mehr hinter dem Arbeitstiih als auj dem 
Mebungsplage der jungen Mannſchaft gebildet babe. 


1861. 
1. ©. Me (Zurnlehrer), Beiträge zur Geſchichte des Turnens mit 
Bu auf Waffenübungen, Kampfipiele 2c. 1. Heft. Leipzig. Robert Friſe. 
gr. 


Berichtet höchſt dürftig und ohne Quellenkenntniß über die griechi⸗ 
ie, römijhe und mittelalterliche Gymnaftit, ſodann nicht gerade ungejchidt 
über Baſedow's, GutsMuths', Vieth's, Jahn's, Peſtalozzi's, Ramſauer's 
Ihätigleit und Schriften über und für die Sache der Leibesübungen. Das 
Bemühen des Berfafiers, Vieth's Thätigleit als eine der Guts Muths'ſchen 
vorausgebende zu kennzeichnen, ift ungeſchichtlich. Guts Muths bat als 
Freund und Pfleger der Gymnaſtik Vorgänger gehabt, denen er mehr ner 
dankt als er Wort hat, aber Vieth war biefer Vorgänger leiner; feine 
praktiſche Thätigkeit ift mit der des GutsMuths gleichzeitig, als Fade 
Ichriftfteller ift er durchweg fpäter als GutsMuths hervorgetreten. — 
Ein zweites Heftchen des Werkes ift noch nicht erjchienen. 


2. Dr. M. Kloß, Katehismus der Turnkunſt. Mit 74 eingedrudten Abbil⸗ 
dungen. 2. Aufl. Leipzig. 3. 3. Weber. !/s Thlr. 


Die erfte Auflage dieſes Werkchens ift im Sabre 1852 erjchienen, 
die zweite iſt eine weſentlich verbefierte. Wem es nicht darauf anltommt, 
eine tiefer eingehende Kenntniß der Zurnkunft in ihrer gegenwärtigen Aus: 
bildung zu belommen, wer aber doch von berjelben nah allen Seiten 
etwas zu erfahren wünjcht, dem ift dieje zweite Auflage zu empfehlen, jo 
Manches fie aud in kritiſcher Beziehung noch zu wünfcyen übrig läßt. 

3. U. Büttner (Seminarlehrer), dad Turnen in der Elementarfihule. Prak- 
tiſche Anleitung zum Betriebe des Unterrichte in den Leibesübungen bei 


Turnen. 613 


Anaben und Mädchen. Für Lehrer in Stadis und Lan a. 
und Leipzig, Körner. 8. Ys Thlr. dſchulen. Erfurt 


4. Fr. Großmann (Lehrer), Anleitung zum Betriebe der gymnaſtiſchen frei: 
übungen auf Bollsihulen. Mit 7 eingedrudıen Holzrfnitten. 2. Aufl. 
Königsberg, Gräfe und Unger. !/s Ihr. 


5. 8. Berger (Lehrer), Wegwelfer für den Betrieb des Turnens in den 
oltaſchulen, fo wie in den unteren Glaflen höherer Schulen. Ludau, 
Kupfer. /. Thlr. 


Drei nach Rothſtein bearbeitete Schriftchen, im Inhalte wohl noch 
dürftiger als deſſen eigne Leitfäden, wenn auch ihre Verfaſſer ulle drei 
etwas von ihrer anderweiten Lehrererfahrung nicht verleugnen konnten. 


6. U. M. Boͤttcher (Turnlehrer), der Turnunterricht für die Bollksſchule. 
Mit 28 ah. Kefein arte —* 2, Thlr. richt fü ſch 


Für den Volksſchullehrer ganz brauchbar. Die beigegebenen, nach 
Photographien angefertigten und deshalb nur zu oft mehr naturgetreuen 
als geihmadvollen Abbildungen vertheuern das Buch um das Doppelte, 
ohne zur GSrläuterung viel beizutragen. 


7. A. M. Böttcher, der Turnunterriht für Gymnafien und Realſchulen. 
In Glaffenzielen aufgeftellt. Mit 105 (fchön) lith. Abbildungen von Zurns 
übungen auf 13 Tafeln Görlig, Heyn. !/s Thlr. 


Enthält einen Verſuch, die verjchiedenen Uebungen an die verſchiede⸗ 
nen Stufen eines jechsclafiigen Gymnaſiums zu vertbeilen. Der Berfafler, 
weicher früber ein eifriger Feind alles Claſſenturnens war, bekennt ſich 
plotzlich zur Anficht feiner Gegner, ohne es jelbft vecht zu merten. Zu 
wenig vorbereitet, madt er ſich fofort an die ſchwierigſte Aufgabe, den 
Zumübungsftoff für die üblichen Schulclafien einzutbeilen. Allerdings muß 
diefe Aufgabe, fobald man den Grundjag des Schulclaflentumens feithält, 
in ihrem ganzen Umfange gelöft werden. Cs wird verjdiedene Löjungen 
derſelben geben; fie zu finden, bildet vielleiht den wichtigften Gegenftand 
des Nachdenkens für die in der Gegenwart wirlenden Turnlehrer. Gewiß 
aber it, daß fie nicht auf dem Papiere gelöft werden kann, fo lange fie 
nod nicht in der Praris gelöft iſt. Hierzu ift aber eine Neihe von Jah: 
ren erforderlih und in doppelter Hinficht eine große Vorſicht, damit man 
nicht ſpecifiſche Unterſchiede in den Stoff bineintrage, wo keine beftehen, 
und damit man nicht ſich dahin verirre, mittels ftoffliher Abgränzung er: 
reihen zu wollen, was nur eine Sade der unterrichtlihen Weberlieferung 
des Stoffs an die Schüler fein kann. 


8. I. Bodenburg, kurzgefaßte Anleitung zum Turnunterrichte in den (le 
mentarfchulen ”. Aufl. Rheydt u. Dujleldorf, Schaub. Ys Thlr. 


Unveränderter Abdrud eines im Jahre 1846 erjchienenen Büchleins, 
welches aljo den Fortſchritten des Schulturnens nicht Rechnung trägt, aber 
deshalb da, wo das Turnen erft anfängt, heute noch eben jo nüplid 
werben kann, wie beim erften Erſcheinen. 


614 Turnen. 


„2 B —— Leitfaden beim Turnunterrichte in Bürger⸗ und Glementar- 
chulen. Eu Handbuch für Scholer. Nebſt einem Anhange bewährter 
Zurnlieder. Sagan. Schönborn. 3%, Sgr. 


Ein Auszug aus einem der älteren Merkbüchlein, ſei es ſtrahmer, 
Röoͤticher, Dieter oder irgend ein anderes, welche die Turntafeln Eiſelen's 
(Fol. Berlin 1837. Reimer. 1 The.) in Eeinerem Format wiedergeben. — 
Die Auswahl der beigegebenen Lieder ift nit übel. Nur muß die Schule 
entfchieden daran fefthalten, dak befondere Turnliederbüher und Iurnlieber 
feinen Werth für fie haben. Die Edüler find auf dem Zurnplage nichts 
anderes, als was fie in der Schule aud find; wo daher das Turnleben 
den Gefang braudt, können und follen die Lieber gefungen werden, die 
überhaupt geeignet befunden find, dem Gebädtniß und dem Herzen ber 
Jugend eingeprägt zu werden. So nur wird einer einfeiiigen Richtung 
(aud für die Gefangftunden!) ein Damm vorgefhoben werden. 


10, W. Ungerflein, Uebungstafeln zum Gebrauch beim Knaben: und Män- 
nerlurnen 3 Lieferungen. Köln, Du Mont: Shauberg. 1 Ahlı. 6 Ser. 


Die Tafeln, vorzugsweife nah Spieß ausgearbeitet, gehören zu ben 
beften. Der Berfafier unterfcheidet drei Turnerclafien: Anfänger, Geübtere, 
vollftändig Ausgebildete. Die in feinen Tafeln enthaltenen Uebungen find 
fämmtlih für die erfte diefer Claſſen, die Anfänger, beftimmt. Die Ein: 
rihtung der Tafeln ift eigenthbümlih. Ein oder zwei Uebungsreihen, welche 
durchzumachen etwa eine Stunde Zeit erfordert, füllen allemal ein einzel: 
ned Blatt aus fleifem Papier, und follen der betreffende Lehrer oder bie 
Borturner dafjelbe bei fi führen, um ſich darauf nöthigenfalle Raths zu 
erholen, das Ganze befindet fih in Mappen. ch glaube, ſo zierli die 
Einrihtung ausfieht, daß fie dennoch nicht fehr praltiih it, da fich die 
einzelnen Blätter immer noch ſehr fchnell abnugen und leicht verloren 
geben. Wahre Lehrer und gute Vorturner geben ihren Unterriht ohnehin 
niemals aus der Hand zum Mund. 


11. G. ©. Bode, die Zurnübungen in Tafeln nad ibren Arten geordnet, 

a und nad den beften Quellen bearbeitet. Offenbach a / M. Andre. 

Ein Verzeichniß von Turnübungen ganz genau in der Weiſe der 
oben erwähnten Eiſelen'ſchen Turntafeln vom Sabre 1837, nur reich⸗ 
baltiger, befonders in der Turnart der Freiübungen. Da vie Uebuns 
gen weder erklärt find, noch auch nur auf die Benennung eine fonderliche 
Sorgfalt verwendet ift, fo hat das Werk nur für folche Intereſſe, melden 
ſämmtliche landläufige Zurnftüde mit ihren provinziellen Benennungen be: 
reits befannt find. 


#. Wilhelmi (Turn und Kechtlehrer), Turnen und Militärgymnaſtik zu 
" Uebungstafeln bearbeitet für Schulen, Bereine und die Armee. Gewidmet 
der deutfchen Zurnerei und Bebrkaftmahung. Mit litb. Abbildung einer 
ne (Erdwall), Neuftadt a. d. H. (Heidelberg, &mmerling). 
1% Thlr. 


Tafeln gleiher Art, wie die Bodefchen, doch in ben meiften Gtäden 
viel unvollfiändiger. Cin paar Tafeln für Säbel: und Baponnetjedhten 


Turnen. 615 


kommen hinzu. Der Verfaſſer war, als Flüchtling, zu lange Zeit außer 
Beztebung zum deutſchen Zurnmwefen, ala daß er bei feiner Rückehr fofort 
das Richtige in fachliher und ſprachlicher Hinficht hätte treffen können. 
Beſonders in letterer find die Mängel und Verſtöße fo erbeblih, dak man 
feinen Berfuch als verfehlt bezeichnen muß. 


13, U. Mieg und F. Schulz (bayr. Lieutenants), Leitfaden für den Zurn- 
unterricht in den deutichen Beeren und an Lehranftalten. Mit 2 Zafeln. 
Münden (in Eommiffion bei Krül in Ingolſtadt). Ya Thlr. 


Eine Zufammenftellung der bei Einübung unferer Soldaten herkoͤmm⸗ 
lihen Leibesübungen, einfchließlih des Schwimmens. Neichhaltig ift fie 
nicht, doch hier und da für die Caferne immer noch ausreichend. 


14. v. Goͤrne, dv. Scherf und Mertens, Anleitung zum Betriebe der Gym⸗ 
naftit und der echtlunft in der Armee. Berlin, Königl. Geh. Oberhof⸗ 
buchdruderet. 2/3 Thlr. 


Diejelben Berfajjer, melde im %. 1858 eine fchlagende Kritik der 
ſchwediſchen in der preußifchen Gentralturnanflalt gepflegten Gymnaſtik ge: 
geben haben, treten in der genannten Arbeit der amtlichen 

a) Inftruction für den Betrieb der Gymnaftit und des Baponnetfechtens 
bei der Infanterie, 
welche im %. 1860 zur verfuchsweifen Einführung genehmigt wurde, ent: 
gegen. Der Uebungsitoff der Inſtruction erjheint ihnen zu beſchränkt und 
fie vervollſtandigen ihn nad verfchiedenen Seiten hin. Wen das inftruc 
tionsmäßige Militärturnen intereffirt, darf ihr Werk nicht ungelefen lafien; 
zur Bergleihung möge er auch die 
b) Turnvorſchrift und Fechtworfchrift für die Lönigl. württemb. Truppen 
(Stuttgart 1853. Gebrudt bei Hering u, Eomp.) beranziehen, fer 
ner die 
co) Vorſchrift für das Turnen der großherzogl. heſſiſchen Infanterie (Darm: 
ftabt 3861), die 
d) Kriegsvienftuorihriften für die großherzogl. badischen Truppen (Abthl. 

XV. 5. Hauptftüd, Abſchn. III: Gymnaft. linterriht für die In⸗ 

fanterte. Karlsruhe 1861. Gebrudt bei Malſch u. Vogel), vor allen 

aber die franzöfifche 
e) Instruction pour l’enseignement de la gymnastique dans les 
corps de troupes et les etablissements militaires. Paris, librai- 

rie militaire J. Dumaine. 1846. 

Begügli der letzteren kann ich nicht unterlafien, aus einer ander 
weiten Anzeige des Wertes von v. Görne 2c. die folgenden Worte zu ent- 
lehnen: 

‚Kommt es einmal -zu einer für das ganze deutſche Bundesheer ge⸗ 
meinfamen Turmvorfchrift, jo möge man, fo fehr man aud da und bort 
von „Funambulisme“ in der franzöfifhen Snftruction reden will, berfelben 
doch eine eingehende Erwägung zu Theil werben lafien, um jo mehr, als 
Die mit auf Grundlage derjelben gewonnene Feldtüchtigkeit der franzoͤſiſchen 
Soldaten im neuerer Zeit ſchon genügende Gelegenheit ſich zu bewähren 





616 Zurnen. 


gefunden bat. Hätten wir vie Wahl, fo würbe uns ber Zunambultseuns 

(d. h. das Seiltänzerthum) der fiegreihen franzöfiichen Soldaten viel wän- 

ſchenswerther erſcheinen, als eine tbeoretifiende bürre „rationelle Gym⸗ 

naftil.‘ 

15. H. D. Kluge, Entwurf einer Inftruction zum Betriche von Mafjenturn- 
übungen für die Infanterie, nad den Principien bearbeitet, die bei dem 


Turnen der Berliner Feuerwehr zu Grunde liegen. Mu 10 Tafeln Abm 
bildungen. Berlin, Ferd. Dümmler. %s Thlr. 


16. Rudolf von Winterfeld, die Maffenturnübungen des Herrn Kluge kri⸗ 
tifch beleuchtet. Berlin. Gelbfiverlag. 


Herr Kluge jagt: „Alle Uebungen beim Militärturnen find als Be 
meinübungen anzuordnen, und daher zu commandieren, anfangs in ein⸗ 
facher Form, fpäter in Zuſammenſetzungen.“ 


Dagegen die Beleuchtung: „Maſſenbetrieb fegt das Vorhandenſein 
einer Mafie, einer Bereinigung von gleichartigen und gleihmäßig ent 
widelten Individuen voraus. Das Erzielen einer ſolchen Maſſe ift die 
Aufgabe unferer ganzen militärifhen Ausbildung. Der jährlich der Armee 
zugeführte Erſatz ift ein Gemenge aus den ungleihartigftien Elementen; vie 
Ungleichartigteit derjelben kann nur durch Entwidelung des Einzelnen, durch 
Detailübung gehoben werben.‘ 

Ferner: „Herr Kluge zerlegt für den ganzen gymnaſtiſchen Unterricht 
vom erften Tage der Recruteneinftellung an bis zur lebten Uebungsſtunde 
im dritten Dienftjahre jede Bewegung in ihre Atome und läßt diefe nad 
Commando ausführen, wie folgt: „„Kniehang mit Rumpfbeben, — jenten 
und dreben. — Hände — auf! Kniee zwifchen den Armen — burd! auf 
die Etange — legt! (was denn?) rechte Hand — los! Arme vom — 
verſchraͤnkt! Rumpf vorwärts — hebt! — ſenkt! rechts feitwärts — drebt! 
ling — dreht! vorwärts dreht! Hände — an! — ab!““ D welde 
sngeifterwedende, erfriſchende, erheiternde““ Unterrichtsmethode! Wie wird 
dadurch „„ein ftarler, muthiger, vielfeitig ausgebildeter und lebensfrijcher 
Krieger‘ erzogen. Wie wird derſelbe dadurch vie Fähigkeit erlangen, 
„„in unerwarteten gefährlihen Lagen fiher und entſchloſſen auftreten zu 
können.” Wie wird dadurd „ ‚Kühnbeit und Wetteifer““ erregt, wenn 
der Mann in irgend einer jchmwierigen Stellung, im Kampfe mit feiner 
Ungewandtbeit und Schwäche im ängftlihen Harren des nädften Comman⸗ 
dos, denjenigen, der ihn zum Wetteifer anregen foll, der fi mit ibm im 
gleih angenehmer Lage befindet, gar nicht ſehen kann.““ 

Man kann nicht umbin, in diefen Stüden ber Beleuchtung beizu: 
pflihten. Es jcheint, als habe Herr Kluge die durch Spieß in bie Schule 
eingeführte Behandlung der Zurnübungen ald Gemeinübungen den Gzwad- 
jenen zugängli machen wollen, babe aber das Gigenthümlide »iefer Be 
bandlung nur in dem äußerliden Merkmale gefucht, daß je vier Leute zu; 
gleich viefelbe Hebung vornehmen. In diefem Falle, müflen wir fagen, 
bat fi ihm die Eigenthümlichleit der Spieß'ſchen Didaltik eben nit er 
ſchloſſen, Schullehrer mögen die Inſtruction in die Hand nehmen, um zu 
jeben, wie fie nicht ſpießiſch turnen ſollen. Mit Recht deutet die Beleuch: 


Turnen 617 


tung darauf hin, daß ber einzige Unterſchied des Kluge ſchen Turnens vom 
gewöhnlihen Riegenturnen darin befteben würde, daß das erflere die vier⸗ 
fadhe Anzahl von Geräthichaften erforbere. 

Die zehn der Inſtruction beigegebenen Abbilvungen, auf denen, um 
den Grundſatz des Mafienturnens zu veranfhauliden, die Mafle der Uns 
thätigen bervortritt, die Uebenden, je vier in gleicher Verfafiung, oft ganz 
im Sintergrunde in ziemlih unklaren Umriſſen dargeftellt find, nermit die 
Beleuchtung mit Recht Genrebilder, wie dergleihen nicht in Inſtructionen 
gehören. 


17. 2. Schulz (Turulehrer), Das Freiturnen, ein Handbuch für den Turn⸗ 
gagiot an Stadt⸗ und Landſchulen. Sommerfeld, Mertſching. 16 ©. 
gr. 
18. J. ©, Fennig (Schullebrer), Anweiſung zu den Uebungen im Gehen 
und Marſchieren oder Vorſchule zu den militäriſchen Uebungen. Beig, 
Bebel. 8. 71 ©. 6 Sgr. 


Der Verfaſſer, mit der neueren Ausbildung des Turnunterrichtsver⸗ 
fahrens gänzlih unbelannt, glaubt dem Unterrichte in Leibesübungen durch 
einen Auszug aus dem Preußifchen Erercierreglement aufbelfen zu können. 
Gelungen ift diefer Auszug gerade nicht. Wen das (preußifche) Gpercieren 
an ſich intereffirt, dem empfehle ich beiläufig: Das Erercieren ber TönigL 
preußiſchen Infanterie wie es jegt ift. Von einem activen Officier. Berlin. 
Heine. Schindler 1863 als ein überfichtliches und genaues Handbuch, wel: 
ches ihm alle Auszüge entbehrlich mad. 


19. Werd. v. Schachtmeyer (Rittmeifler a. D.), Das Egercieren und die Bor 
voſten der Zurner und Schäfer. ine Vorbereitung zur Wehrhaftmachung 
der männlichen Jugend, behufs wbtürgng der Militärbienfpflidt, für Sch 
ler und Lehrer aller Schulclaſſen. it einer Borrede und Sacheinleitung, 
neb® vielen Lith. und e. Signaltafel für das Flügelhorn. Berlin, Th. 
Srieben. 11a Thlr. 


Wie alle die Schriften, welche plößlih in der Einführung des rer 
cierend in der Schule eine mwefentliche Neuerung und Berbeflerung des Sy⸗ 
ſtems der Jugenderziehung erbliden, ohne gründliche Kenntniß des neueren 
Schulturnens , insbefondere ohne Kenntniß der Wichtigkeit, welche vafielbe 
den Orbnungsübungen beilegt, gefchrieben. Wären des Verfaſſers Meinun: 
gen vom Tumen richtig, fo wären einige feiner Borfchläge wohl zu beach⸗ 
ten. Da es nicht der Fall ift, jo kommen fie zu fpät. — An und für 
fih hat es gar nichts gegen ſich, daß die Jugend eines jeden Landes nad 
dem in dieſem geltenden Erercierreglement geübt wird, allein man wird 
befier fahren, wenn man fie vorher mit dem Weſen der Orbnungsübungen 
vertraut macht. Gefchieht dies, fo bat freilich die Vollsfhule mit der Loͤ⸗ 
fung diefer Aufgabe bis zu der Beit, wo fie ihre Schüler entläßt, gerade 
genug zu ſchaffen. 


20. Ed. Möonch, Turnübungen für die Vollsſchule, eine Anweiſung für Lehrer 
zur methodiſchen Behandlung der Kretübungen, feweit diefelben im Schul⸗ 
zimmer ausführbar find, nebſt ciner Anzahl von Spielen. Mit 32 eingebr. 

Dolzſchn. Gotha. 3. @. Müller. 8. 43 Geiten. 


618 Zurnen. 


Gnthält ziemlih genau, was der Titel angiebt, und wird dechalb 
mehr als irgend ein anderes Werkchen verwandter Richtung den Anforbe: 
rungen der Lehrer entiprechen, welche ih und ihre Edrüler (Schülerinnen! 
wurd eine beiläufige Pflege der Freiübungen und bes Bewegungsipieles auf 
bie Einführung eines vollftändigen Turnunterrichts vorbereiten wollen. 


21. Nud. Nacdſch, das Turnen in den Freiübungen, cin Lehr und Bert: 
büdlein für Jedermann. Eorau. E. A. Heinrich. 6 Egr. 


Der Berfafier hat fleißig zufammengetragen, was ibm an Yreiübungen 
und Urbrungsübungen belannt war. Gine ungewöhnlid ausgedehnte Kennt: 
niß fand ihm nicht zu Gebote. Da er zudem auch keine ſonderliche Herr- 
ſchaft über den gejammelten Stoff beweift, fo hat er nur für folde Lehrer 
geſchrieben, welche bei geringer Bertrautheit mit dem Gtoffe ein um fe 
feinered Gefühl für das Angemeſſene und methodiſch Richtige befigen. 


22, Rouis Zimmermenn, Turntafel für das Red. 2 Auflagen. !/s Thlr. 
Gine dritte Auflage if (1863) im Erſcheinen begriffen. — Zurntafel für 
den Barren. 2 Auflagen. "/s Thlr. Dredden, Grimm. 


Sehr reichhaltiges und für den praftifhen Gebrauch geübter Turner 
gut georbnetes Verzeihniß von Ned: und Barrenübungen, leider im Ein: 
zelnen nicht überfichtlih genug und demjenigen, welcher nicht mit der „hand⸗ 
wertsmäßigen Zurnfprade” und allen Varianten ihrer Runftausprüde vell: 
fländig vertraut ift, fo gut mie unverftändlid. — Dem Unternehmen bes 
Verfaſſers, letzterem Uebelſtande (in der dritten Auflage feiner Redtafel) 
durch Beigabe von Driginalphotograpbien abzubelfen, ift fein Grfolg 
zu verſprechen, da der Photographiſche Apparat faum das geeignete Wert: 
zeug zur Illuſtration des Lebendig:Bewegten iſt, namentlich aber feine &: 
zeugnifje immer noch viel zu tbeuer find. — Die Bemerkung des Ber: 
faflers, daß feine Tafel allen Vereinen, melde keinen Turnlehrer haben, 
denfelben volllommen erjeßen würden, zeigt, daß der Berfafier über den 
Beruf eines Turnlehrers eigentlich noch gar nicht nachgedacht hat. 


23. Dr. D. ©. M. Schreber, das Bangymnaftiton oder das ganze Turn: 
{yflem an einem einzigen Geräthe obne Raumerfordernii aid einfachſtet 
Mittel zur Entwicelung böcfter umd alfeitiger Musteltraft, Körperdurch⸗ 
bildung und Lebenstüdhtigkeit. Kür Shulanhalten. Hausturner und Turn- 
vereine. Mit 108 eingedrudten Holzfhnitten und 107 Figuren auf 5 litbo⸗ 

aphlihen Tafeln. IT Thle. der ärztlichen Zimmergymnaſtik. Peipzig. 
* Fleiſcher. 1% Thlr. 


Die letzte Arbeit des verdienten Verfaſſer, ein beſonders für ‚Haus 
tumer” ſehr brauchbares Buch, deſſen über die Maßen marktichreierifcher 
Zitel niemand abhalten darf, vom Inhalte Kenntniß zu nebmen. Das 
Bangymnafticum befleht aus zwei an einer Stubendede nahe nebeneinander 
aufgehängten Seilen mit Ringen (Schaulelringen oder Stredſchaukel), einem 
Baar an letztere geſchnallter Steigbügel und zwei weiteren Seilen, mittels 
welcher die Ringe von einander entfernt werden können, 


Turnen. 619 


26. $. MR. Ritzſche, die duplicirten Widerflanbsbewegungen und deren plans 
mäßige Anwendung im Turnunterrichte. Gin Leitfaden für Lehrer und 
Erzieher beiderlet Geſchlechts, fo wie zur militärifhen Vorbildung. Mit 
17 Uth. Tafeln. 123 S. 8. Dresden, Klemm. 1'/ Thlr. 


Die Widerſtandsbewegungen, auch duplicirte (d. h. Doppel:) Uebungen 
genannt, weil zu ihrer Ausführung ein Gehülfe gehört, der die Bewegun⸗ 
gen des Turners unterftügt, mäßigt, regelt, find in der „ſchwediſchen Gym⸗ 
naſtik“ Ling's befonders zu Heilzweden ausgebilset. Herr Nische fucht fie 
durch vorliegendes Bud den deutſchen Turnern fhmadhaft zu machen. 
Dazu bedient er fih eines großen Vorraths von ſchoͤn klingenden, doch 
leiht aufzuldjenden Redensarten, vieler Bilder und vieles weißen Bapiers. 
Sntfernt man die Redensarten, rüdt die Drudzeilen zulammen,- jo bleibt in 
der That weniger übrig, als man wirklich nah der ganzen, breiten Anlage 
feiner Arbeit erwarten follte, und von diefem MWenigen Biel zu gebrauchen, 
wird Niemand fi verſucht fühlen. Durch Betrachtung der (bejonders ver: 
täuflihen) Bilder gewinnt man ſchnell eine volltändige Einficht in den wahren 
Werth und Gehalt feiner Leiftung. 


25. Dr. Klober, über das Turnen, deflen Wichtigkeit und Würde, Kine Mede, 
ehalten bei Eröffnung des Caſſeler Turnplages am 11. Auguſt 1861. 
ainz. v. Zabern. 3 Nor. 


26. Fr. Steudel, Turnreden. Stade, Gteudel, 2 Near. 


27. Bericht über die Hauptverſammlung des Turnvereind in Wien, abgehalten 
im Bereind:Zurnfaale beim Sperl, am 8. October 1861. Stenographifch 
aufgenommen, Bien, Rofpini. 3 Ser. 


28. Badmeifter (Präcentor), Rede am ſchwäbiſchen Turnfefte, den 8. Zuli in 
Reutlingen. Ulm, Frey. 2 Nor. 


29. Für allgemeine Einführung des Turnens in Bayern, eine Denkſchrift am 
die Kammer der Abgeordneten, geitellt vom Turnrath des Münchener 
Männerturnvereind., Yu bezieben durh A. GScheibmaier, Borftand des 
Männerturnvereind in München. 


30. 8. Priedländer, das 1. yreußifche Provincialturnfeft zu Elbing, am 13., 
14., 15. Juli 1861. Gin Erinnerungsblatt. Glbing. %. W. Neumann 
Hartmann. !ı Thlr. 


31. &. Hirth, die Turnvereine Thüringens, ſtatiſtiſche Ueberficht, auf Koften 
und im Derlag des Gothaer Zurnvereind. 


32. G. Birth, das erite allgemeine deutihe Schützenfeſt in berbindung mit 
dem Thüringer Kurnfe zu Gotba, den 7.—11. Juli 1861. Gin Grin» 
nerungdblatt für Deutfhlandse Schügen und Turner. Im Auftrage des 
Gothaer Turnvereine. Gotha, Thienemann, 


33. €. Kapell (Turniehrer), Erinnerung an das 2. deutfche Turns und Jubel: 
feſt und an die Grundſteinlegung des Jahn⸗Denkmals zu Berlin, am 10, 
11. und 12. Auguſt 1861. Lüneburg, Engel. 8 Sgr. 


34. E. Angerſtein und E. Bär, Gedenkbuch zur Erinnerung an das zwelte 
allgemeine deutſche Turnfeſt in Berlin. Zwickan, E Bär. 12 Nor. 


620 Turnen. 


Gine Reihe keiner Schriften, welde von dem in den Tumpereinen 
neu erwadten Leben Kunde bringen. Nr. 34 ift die sfftcielle Beichrei: 
bung bed denkwürdigen Feſtes, welches die geſammte Zumerfdaft im 
Berlin beging. Dieſes Feſt bat infofern noch eine befondere Wichtig: 
kit, als von da an einerfeits eine ftraffere Sejammtorganifation Der 
deutſchen Turnvereine Plab grifi, andererfeit# auch die deutſchen Turnlehrer 
zum erſten Male eine Verſammlung abhielten, welche fie nachher regelmäßig 
wiederholt haben. Ich komme bei unferem Berichte über die Jahre 1862 
und 1863 auf dieſe Berfammlungen und ihre Beſchlüſſe, melde für Die 
Lehrerwelt überhaupt eine Bedeutung haben, zurüd, erwähne aber für dies⸗ 
mal nur gwei damit in Verbindung flehende Schriften. 


35. Dr. M. Kloß, Weber Heranbildung von Turnichrern aus dem Lebrer⸗ 
Rande, ein Bortrag, gebalten zu Berlin bei Belegenbeit des deutſchen Turn⸗ 
und Jubelfeſtes am 9. Auguft 1861. Dresden, Schönfelt. 4 Sgr. 


Die Schrift ftellt die Anforderungen, welche man an einen buch: 
gebildeten Zurnlebrer erheben kann, gut zufammen, verlangt indeß unmert: 
lih fo viel, daß es wenigftens ſeltſam klingt, wenn der Verf. meint, daß 
ein Lehrer in der kurzen Zeit eines breivierteljährigen Curfus an einer 
Zurnlebranftalt dahin gebracht werden Tönnte, ihnen zu entſprechen. 


3. K. Waßmannsdorf. Vorſchläge zur Einheit in der Kunſtausſprache bes 
deutihen Turnens. Bei Gelegenheit der Gedächtaißfeier an die vor fünfzig 
Jahren gefhehene Errichtung des erften öffentlihen Turnplaßes ben deut: 
fhen Turnern gewidmet. Mit einem Plane des Zurnplapes in der Hafens 
beide vom Jahr 1818 und des Spieß'ſchen Tumplapee zu Burgdorf ze. 
Berlin, C. W. Mohr u. Comp. 10 Ser. 


3. 2. Zahn erflärte es „für ein unbeftrittenes Recht, eine deutſche 
Sache in deutſcher Sprade, ein deutfches Werk mit deutſchem Wort zu be: 
nennen.” Bon diefem Rechte machte er auf dem Gebiete der Turnlunft den 
ausgedehnteften Gebrauch, indem er Uebungen, Geräthbe und was fonft 
beim Turnen zu bezeihnen mar, durch entweder neugebildete oder wieder: 
erwedte oder aus den Mundarten herübergenommene Wörter bezeichnete. 
Dank dem eigenthbümlihen Spradfinn, den er bejaß, fiel die neue Hand: 
werka⸗ und Kunſtiſprache fo aus, daß fie in verhältnikmäßig kurzer Zeit 
überall zur Geltung lam, freilich nicht, ohne durch ungejhidte Weiterbilpner 
vielfah verderbt, durh Mißverftändnifie und Mißgebrauch entftelt zu 
werden. Mit der zunehmenden Verbreitung der Tumerei bildeten ſich fogar 
Dialekte, deren Raudermelfh oft ein paar Stunden von der Urjprungsftätte 
nicht mehr verftanden, nichtsdeſtoweniger aber von unbefugten oder unbe: 
fähigten Turnfchriftftelleen der Schriftipradhe aufgezmungen wurde. Bei ber 
Sinnlofigleit deſſelben entftand ein theils wiverliches, theils lächerliches 
Gewirr und Gemiſch. Da übernahm der Berf. des vorliegenden Heftes, 
von Haus aus Philologe, eine Art von Sprahwadt, indem er mit bewun⸗ 
verungswürdiger Ausdauer eine Reihe von Jahren hindurch jede neu er: 
ſcheinende Zurnfhrift auf ihre Kunſtſprache anfah. Hierbei kam allmälig 
eine Menge von Fehlern, Ungleihheiten einerſeits und Verbeflerungen an: 
bererfeits zur Sprache, fo daß die Turnſprache jelbit ſich mannichſach um: 


Turnen. 621 


geftalten mußte, wenn fie den übrigens meiftens wohlbegründeten Ausſtel⸗ 
lungen Waßmannsdorff's gerecht werden wollte. Das Berliner Turnfeft 
wurde ihm Veranlafiung, ſeine Krititen und Verbeſſerungen zu jammeln, 
um fie im Zufammenbange den Zurnern gleihfam zur Beſchlußfaſſung vor 
zulegen. Das Urtheil der Turnlehrerverfammlung ging dahin, „dab man 
nichts Beſſeres thun könne, als auf Waßmannsdorff's Vorfchläge einzugehen.“ 
Da es nicht leicht ift, üble Angemöhnungen plößlic aufzugeben, da es nur 
zu viele Menſchen gibt, welden in unferer eiligen Beit das erfle befte Wort 
als Bild ihres Gedankens recht iſt, jo find die Wirkungen dieſes Befchluffes 
zwar nicht ſogleich fichtbar geworden, aber er befteht fort, und wird all: 
mälig, da feine Ausführung ganz innerhalb der Macht der Lehrerverſamm⸗ 
lung liegt, der wirkjamfte von allen, welche fie gefaßt hat. 


37. v. Goͤrne, An die deutſchen Tumer. Berlin, R. Deder. 6 Ser. 


Eine unter dem Gindrude des Berliner Turnfeſtes an die deutſchen 
Turner gerichtete, zur Mittheilung einer Art neuen Syſtems der Turnkunſt 
beftimmte Anſprache, von welder die Zumer nichts baben hören wollen. 


Die Fortfegung des turnerifchen Literaturberichts über die Jahre 1862 
und 1863 folgt im nädften Jahrgange des Pädagogifhen Jahresberichts. 
Borläufig verweife ih auf die drei turnerijchen Beitjchriften, deren ein: 
gehendere Beiprehung ich mir ebenfalls für die Fortſetzung des Berichts 
vorbehalte. 

a) Neue Jahrbücher für die Turnkunſt. Zeitſchriſt für die Ans 
gelegenbeiten des deutſchen Turnweſens, vornehmlich in feiner Richtung 
auf Erziehungs: und Gejundheitspflege. Seit 1855. Seit 1862 als 
Drgan der deutſchen Turnlehrerſchaft, anfangs in vier, jpäter in fechs 
Heften herausgegeben von Dr. M. Kloß, Director der Königl. Turn: 
lebhranftalt zu Dresden. Dresven, Schönfeld. 

b) Schweizerijhe Turnzeitung. Nationalorgan für Pflege und 
Bildung des Leibes. (Herausgegeben von Niggeler.) Seit 1858. 
Zürih, Drud von Zürcher und Furrer. 

e) Deutfhe Turnzeitung. Blätter für die (Interefien) Angelegen: 
beiten des gefammten Turnweſens. (Herausgegeben von M. Roſe, 
F. Götz.) Seit 1856. Leipzig, Ernſt Neil, 


Nachtrag der Redaction. 


Auch in dieſem Jahre find uns wieder eine Anzahl Schriften für den 
Zitelangade 


Unterricht in fremden Sprachen zugegangen, auf deren 
wis uns bies beichränten müflen. 


4 


Cornelii Nepotis vitae excellentium imperatorom. Mit einem Woͤrter⸗ 
buche zum Schulgebrauch herausgegeben von R. M. Horkig, Oberlehreꝛ 
om Gymnafium zu Stolpe. Zweite, verbeſſerte Aufl. 8. (IV und 1418) 
Wittenberg, Reichenbach. 1802. 12%: Sgr. 


. Erfter franzöſiſcher Sprachcurſus im engſten Anſchluſſe an dem 


Unterricht in der Mutterſprache zunächſt für Schüler, welche noch fein 
fremde Sprache erlernten, berausgegeben von Dr. A. Gutbier, Borkan) 
einer Reale und Handelsihule in Wünden. gr. 8. (IV und 98 ©.) 
Münden, Gelbfiverlag. 1863. 


. Kleine rangöliihe Gefprähe mit einer Auswahl der gebräuglid- 


Ren Wörter für Töchterihulen. Verfaßt von Caroline Saab. gt. 3. 
(90 ©.) Oppenheim a/R. und Darmfladt, E. Kern. 1863. 6 Sur. 


Deutfd = dſiſch⸗Enali S üb ä ir 
Binden uon 10 ie 2 AR Cars ine Hass. a ne 
. gr. 


Echo frangais, ou nouveau cours gradué de eonversation frangaise, 
ar ar de la Fruston. Bierte Aufl. 8. (IV und 192 5.) Lenjig, 
. Biolet. 1863, 


Lehrgang der franzöfifgen Sprache für höhere Bürger und 
Mittelihulen. Bon 8. Egli, Lehrer der franzöſiſchen Sprade an der 
höheren Stadtfhule in Winterthur. I. Theil. Wortformenichre. Zweite 
umgearbeitete, vermehrte und verbefjerte Aufl. gr.8 (VIII und 286 ©.) 
Züri, Meyer und Zeller, 1863. 20 Ger. 


. Elementar⸗Grammatik der frangöfifhen Sprade mit ſtufen⸗ 


weife eingelegten Sprehübungen. ine praftifche Anleitung, Die franzöfiihe 

Sprache in kurzer Zeit verſtehen, fprehen und fchreiben zu lernen, von 

Dr. 2. Georg, Hauptlehrer am Realgymnafium zu Bafel. Siebente 

uf gr. 8. (XII und 300 ©.) Genf, 3. C. Müller- Darier. 1863 
gt. 


. Les verbes frangais. Petit Trait€ el&mentsire, theorique et 


10. 


ratique de la conjugaison, par Henri Lerot, 12, (364 ©.) Ham 
urg, C. Gaßmann. 1863. 


Brettifß: Anleitung zum Italtenifhs&prehen. Bon Eugen 
merini. Mit einem vollftändigen Börterbudhe von &. Stier, Director 
des Domgymnaflums und der Realſchule zu Golberg. Dritte Aufl. gr. & 
(VIII, 128 und 98 ©.) Reipzig, W. Violet. 1863. 20 Ser. 


Lehr- und Hebungsbud der fpanifhen Sprache, mit befondert 

Kückſicht auf praktifche Bedürfniffe, von G. Kappes, Lehrer klaſſiſchet und 

mupernee een 8, (ZU und 380 &.) Dresden, 2. (Ghlerman. 
. r. 


11. 


16. 


19, 


Nachtrag der Redaction, 623 


Die englifhe Ausfprade und Formenlehre überfichtlich dargeftellt 
von F. Daas. Zweite, verbefierte und vermehrte Aufl. gr. 8. (39 ©.) 
Oppenheim a/R. und Darmfladt, E. Kern. 1803. 


. Engliſches Elementarlefebud. Bon G. Gurde gr. 8. (VIII 


und 191 S.) Hamburg, DO. Meißner. 1863. Geh. 15 Bar. 


Englifhe Elementargrammatil. Bon &. Gurde. gr. 8. (VIII 
und 250 ©.) Hamburg, D. Meißner. 1863. Geb. 18 Ger. 


. A Description of England in 1685, with the permission of the 


authorized Editor (B. Tauchnitz) taken from Macaulay’s History of 
England; to which are added notes and a map of London by Dr. 
C. Sachs. gr. 8. (IV u 170 5) Leipzig, W. Violet. 1862. 15 Sgr. 


. Ben Jonson's Sejanus herausgegeben und erklärt von Dr. C. Sachſe, 


Oberlehrer an der Mealfhule zu Brandenburg a. H. gr. 8. (VI und 
147 ©.) Leipzig, ®. Violet. 1862. 10 Bar. 


Springflowers from the english Literature. Engliſches Leſebuch für 
Unterrigtöliaffen. Mit beigefügtem vollftändigen Bocabulär. Bon H. Plate, 
ord. Lehrer an der Bürgerfchule in Bremen. Zweite, verbeflerte Auflage. 
gr. 8. (IV und 1845.) Dredden, 8, Ehlermann. 1863. geb. 7!/ gr. 


.Blossoms from the english Literature. nglifäes Leſebuch für Mittels 


Haffen. Mit beigefügtem vollftändigen Vocabulär. Bon H. Plate. Zweite, 
berbeflerte Aufl. gr. 8. (VI und 2:8 ©.) Ebendaſelbſt. 1863, geh. 
1 er. 


. Vollſtändiger Lehrgang zur leichten, ſchnellen und gründ- 


lihen Erlernung der englifhen Sprade von$. Plate. I die 
mentarftufe. Zwöifte, verbeflerte Aufl, gr. 8. (XII und 234 ©.) Eben⸗ 
daſelbſt. 1863. geb. 15 Sgr. 


Dollftändiger Lehrgang ꝛc. II. Mittellufe. Zehnte, verbefferte Aufl. 
gr. 8. (VI und 346 ©.) Ebendaſelbſt. 1863. geh. 20 Ger. 





Literariſche Bekanntmachungen. 


Bid. Jahreobericht. XV. 40 











Soeben ift bei mir erfchienen: 


Nittheilungen 


aus 


dem Pädagogen-Longreß zu Tabarz 


im Juli 1863 
von 
Ch. G. Scholz und A. Lüben 


Preis 9 Near. 
Im Sommer d. 3. bat fih eine gewählte Anzahl bedeutender deutſcher Paͤ⸗ 
dagogen von freifinniger Richtung im thüringifchen Städtchen Tabarz zuſammen⸗ 
efunden, um in freien linterhaltungen die Fragen zu erörtern, wilde ol t die 
ehrerwelt befchäftigen.. Das Schriftchen bringt nun die Grgebnifle in 
beiterer Laune „Congreß“ getauften Berfammlung und verdient von firebfamen 
Lehrern, indbefondere von * die die alljährlichen deutſchen Lehrerverſamm⸗ 
lungen beſucht haben, mit befonderer Aufmertlamteit beachtet zu werben. 
Bach, R., Deutſches Leſebuch für Gymnaſien und Realſchulen. 
L Theil. Neu bearbeitet von A. Koberſtein, Profeſſor zu Pforte. 
6. verbeſſerte Auflage. 15 Nor. 


Bönide, H., Chorgefangfäule I Curſus. 7. Auflage. 31), Nor. 

Hoffmann, 9. 3. L. Fremdwörterbuch zc., mit genauer Angabe 
ber Ausiprache und Betonung. 9. wieberum fehr vermehrte Auflage. 
32 Bogen in Sebez. geb. 10 Ngr. cart. 12 Ngr. 

Die Taufende, welche alljährlih von dieſem Büchlein abgefeht werben, legen 
Zeugniß von feiner Trefflihteit und Preiswürdigkeit ab. Bei jeder 
neuen Auflage werden alle Arweiterungen des Spracverlehrs berückſichtigt und 
Drud und Papier verbeffert. 

Lüben, U., Anleitung zur Anfertigung von Gefhäftsauffägen. 

4. verbefierte Auflage. 3 Ngr. 

— — Ergebniffe des grammatifhen Unterrichts in mehrllaffigen 

Bürgerſchulen. 5. verbeflerte Auflage. 3 Nor. 

Lübfen, 9. B., Ansführliches Lehrbuch der Arithmetik und Algebra. 

6. Auflage. 11/, Thlr. 

Naͤgelsbach, C. F., Uebungen des Iateinifhen Stils für reifere 

Gymnaſialſchüler. 3. Heft, 4. ſehr verbeſſerte Auflage. 12 Nr. 


Leipzig. Friedrich Braudſtetter. 


40* 


Im Verlag von ar. Brandftetter hr nis ift erfchienen: 
üben und 


Einführung indie deutfche Literatur. 


Vermittelt durch 
Erlaäulerung von Muſterſtücken aus den Werken der vorzüglich 

Schriftfieller. 

Zweite verbeflerte Auflage. 
Zugleich al8 Commentar zu dem „Yejebuch für Bürgerjchulen” ven 
denſelben De ge en 

7. Lieferung. [Echluß des II. Bandes za ben dem Bildniß Gothe's nach Kietſchel. 
Dieſe Lieferung ſchließt mir —S * der III. Band wird ned ia 
re —8 (509) eriheinen. Der I. Band foflet 2 Thlr. 6 Rar., ber Il: 


Sutermeiſter, Otto, Spruchreden für Lehrer, Erzieher und Eltern. 
61/3 Dog. geb. 2» gr. 

Zehnder: Stadlin, J. Padagogiſche Abhandlungen: Leber ben 
gemütbbilbenden Änfcpauungennterricht Ueber weibliche Kr: 
fenpflege. Weber weibliche Beftimmung. 9 Bogen. geb. Yreit 
12 Ngr. 

Day, Th, the history of little Jack, for instruetion of youth. 
Mit erklärenden Anmerkungen nad Föl ſing's engliicher Gram⸗ 
matif, einem Wörterverzeichniß 2c., herausgegeben von Dr. Zraut. 
7 ___T Dog. geb. 7, Ngr. 

Billige Naturgeſchichte. Kit 630 Abbildungen. a er 
eicht. 


Reichtubach's Naturgeſchichte der drei 
I. Band. Anthropologie. II. Thierreich. DI. Pflanzenreich. 
IV. Mineralreic. 
Sür Lehrer und zum Selbſtunterricht. 
2. Auflage. 4 Tbeile. 90 Bogen ar. Octav 1863. 
Ausgabe mit ſchwarzen Abtilt. 2 Thlr. — fein colorixt 3 Thlrt. 
Dieſe Naturgeihichte empfichlt fi ganz beſonders durch ihre Boll⸗ 
ftäntigfeit, anerkannt verzüglihe Bearbeitung in leichtfaßlidher Dar 
jtelung, die vielen ſehr fauber colorirten Abbildungen und den beifpie- 
[08 billigen Preis. Tieſe 2. Auflage iſt ganz gleiher Ausftattung wie 
tie erfte Auflage, welde 61, Thlr. und 81, Thlr. Toftete. 
erlag von Louis Zander in Keipzig. 
- Im Verlage ven J. Güttentag in Berlin ijt joeben erfchienen 
und durch alle Buchhandlungen Zu beziehen: 


Unſere Jltutterfprache 


in ihren Grundzũgen 
nah den neueren Anſichten 
daraenelt ven 
Pr. Ferdinand 
Dritte verbejjerte und vermehrte Auflage. 
Preis: 10 Sgr. 








> * 
7 — 26 


Ihn 


XRX 


In der Arnoldiſchen Buchhandlung in Leipzig iſt ſoeben erſchie— 
nen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 


Conra d Dr Gradus ad Parnassum sive The- 
>) ⸗ »9 saurus Latinae Linguae Prosodia- 
cus, quem ex aureae aectatis fontibus recenti studio auxit, 
emendavit et omni ad versus pangendos supellectili studiosae 
juventuti 'necessaria accurate instruxit. Accedunt indices 
substantivorum, epithetorum, et adverbiorum 
metrici cum indice geographico. FEditio tertia. 
Lex. broch. 1 Thlr. 20 Ngr. 


SE Dieses, von der Zeitschrift für die Österreichischen Gym- 
nasien hoch über vorhandene ähnliche gestellte Werk ist zugleich auch 
das allerwohlfeilste! 


N Tabelle zur preuss. Ge- 
Schäfer, Arnold, schichte. Zweite verb. 
Aufl. Mit einer Geschlechtstafel. gr. 8. broch. 2 Ngr. 

Tabelle zur sächs. Geschichte. Zweite verb. 
Aufl. Mit einer Gechlechtstafel. gr. 8. broch. 
1!/, Ner. 


DE” Beide Tabellen sind der gesammten Lehrerwelt bereits als 
vortreffliches Büchlein für den Geschichtsunterricht bekanntu. werth! 


Empfehlenswerthe Schnl- und Lehrbücher 
aus dem Verlage von Ernft Fleiſcher in Leipzig, 

welche durch alle Buchhandlungen zu beziehen find: 

Diekmann, H. die Naturlehre in fatehetijher Gedanken— 
folge, als Gegenftand der Verſtandesübung und als Anlaß zur 
religiöfen Naturbetrachtung, für Lehrer an Stadt und Landſchulen, 
und an Schullehrerfeminarien. Sehfte Auflage, mit 37 in den 
Tert eingebrudten Figuren, berichtigt und vermehrt von Dr. J. ©. 
Kröger in Hamburg. gr. 8. broſch. 1 Thlr. 

Kies, Dr. W., Flora für Schulen. Zum Gebrauche beim bota- 
nischen Unterricht in Deutschland und der Schweiz und zum 
Selbstbestimmen der Pflanzen. Mit einem Wörterbüchlein der 
Kunstausdrücke und einer Uebersicht des Linne’schen Systems. 
Zweite Auflage. broch. 10 Ngr. 

Rüben, A., Leitfaden zu einen methodiſchen Unterridt in 
der Geographie für Bürgerfchulen, mit vielen Aufgaben und 
Fragen zu mündlicher und fchriftlicher Löfung. Neunte verbeſ— 
ferte Auflage. 8. 7%, Nor. 

Nöffelt, Lehrbuch der griehifhen und römifhen Mytho— 
logie für höhere Töchterfchulen und die Gebilveten des weibliden 
Geſchlechtss. Vierte verbeflerte Auflage mit 1 Stahlſtich 
und 66 Abbildungen. gr. 8. brofch. 2 Thlr.; in elegantem Einband 
2 Thlr. 15 Ngr. 

— Meine Mythologie der Griehen und Römer für höhere 
Mäpchenfchulen und die Gebildeten des weiblichen Gefchlehts. Vierte 








verbefferte Auflage Aufs Neue durchgeſehen und verbeflert 
vom Rector Friede. Kurts. 8. broſch. 11?/, Nor. 

Möfielt, Lehrbuch der Weltgeſchichte für Bürger: und Ge— 
lehrtenſchulen, fo wie zum Selbſtunterricht für reifere Jäng- 
linge. Bierte Auflage mit 4 Stahlftihen, durchgeſehen, ſehr 
vermehrt und ergänzt von Rector Kurts. 4 Bde. gr. 8. brofd. 
3 Thlr. 15 Nor. In 4 Bde, in engl. Leinwand gebd. 4 Thlr. 15 Ngr. 
In 2 Bände in engl. Leinen gebd. 4 Thlr. 5 Nor. 

— Heine Beltgefhihte für Bürger: und Gelehrten— 
fhulen Sechſte Auflage, umgenrbeitet und ergänzt von 
Friedr. Kurts. gr. 8. broſch. 15 Ngr. 

— Lehrbuch der Geſchichte der Deutſchen für Töoöchterſchulen. 
Zweite Auflage. 2 Bde. gr. 8. broſch 3 Thlr. 15 Ngr. Im 
2 Bde. in engl. Leinwand gebd. 4 Thlr. 5 Ngr. 

— Meine Geſchichte der Deutfhen für Töchterfchulen. Zweite 
Auflage. gr. 8. broſch. 74/, Ngr. 

— Rurts, lyriſche Iahreszeiten. Gedichte für jüngere Mäpdhen. 
Dritte Auflage. 8. broſch. 18 Nor. in Callico gebd. 22°/, Ar. 

Nichter, Brof., Lehrbuch der Rhetorik für die oberen Glafien der 
Öelchrtenfäulen. Fünfte verbeſſerte Auflage. gr. 8. broſch. 


15 Ngr. 

Schwartz, Dr. K., Handbuch für den biographifgen Ge— 
ſchichtsunterricht. 1. Thl.: Alte Geſchichte. Nebſt einer Zeit- 
tafel. Sechſte verbefferte Auflage. gr. 8. broſch. 20 Ngr. 

— — — — 2. Tl: Mittlere und neuere eiäräte Nebft einer Zeit- 
tafel. Bierte verbefferte Auflage. gr. 8. broſch. 1 Thlr. 

Thierſch, Friedr. (Geh. Rath), Grammatik der griedifhen 
Sprade zum Gebraude für Schulen. Vierte vermehrte 
und verbefferte Auflage. gr. 8. broſch. 1 Thlr. 5 Near. 

Thomas, 8., Bilder aus der Länder- und Bölkerkunde. 
gr. 8. broſch. 1 Thlr. 

Wagner, Prof. Dr. K., Flores et Fructus latini. Puerorum 
in usum legit edidit. 8°. broch. 15 Ngr. 

— — — Lehren der Weisheit und Tugend in anserlefenen 
Babeln, Erzählungen, Liedern und Sprüden. 24. vermehrte und 
verbefferte Auflage. 8. 10 Near. 

Zachariä, A, Lehrbuch der Erpbefhreibung in Verbindung mit 
Weltgeſchichte, Naturgefchichte und Technologie zc. ꝛc. 2 Bde. gr. 8. 
1 Thlr. 221], Nor. 





Pädagogik von Gräfe. 2 Bde. 26 Egr. 
— don Niemeyer 3 Be. 12 Sur. 
Raumer, Gefhichte der Pädagogik. 4 Bde. 5 Thlr. 


Erzählungen u. 9. billig laut Catalog 
bei Peterjen in Halle. 





Bei R. Friefe in Keipzig ift erichienen: 


Ueber das deutihe Turnen. 


Auffäge und Vorträge, gehalten der Leipziger Vorturnerſchaft 


von 


Alwin Martens. 
Mit einer biographifchen Skizze des verftorbenen Berfaffers. 


Herausgegeben von Gnide Renuſche. 
Preis 15 Nor. 

Es iſt in diefem Büchlein viel des Anregenden und Belchrenden für freunde 
des Turnweſens enthalten; der begabte Berfafier war 15 Jahr bindurd bis zu 
feinem Tode ein eifriger praktifcher Turner, man konnte ihn die Seele des großen 
Leipziger Dereind nennen. Die Auffäpe find geiſtvoll und in vorzüglidem Stil 
geichrieben , fie umfaflen ale Richtungen des Turnwefens und das ganze Innere 
Xeben der deutfchen Zurnvereine, tadeln fireng das Verkehrte und zeigen das 
wirklich Beachtendwerthe. 


Jeitſaden für den Betrieb 


einfacher 


Ordnungs⸗ und Freiübungen in Turnvereinen. 
Im Auftrage des Ausſchuſſes der deutſchen Turnvereine 
bearbeitet von 


Dr 


techniſchem Dirigenten des geipjiger Turnvereins und vo Rädtifhen Schulturnweſens. 
Mit 87 Solzfchnitten. 
Zweite ganz umgenrbeitete Auflage. 5 Bogen. Geh. Preis: 12 Nor. 
Dae Büchlein bietet eine große Menge neuer, finnreidher und praftifch er: 
probter Uebungen für Ginzelne und für Maſſen, Mar und faßlich gefchrieben 


und durch fehr gute Abbildungen erläutert. Es darf allen Turnlehrern, Vor⸗ 
turnern und Turngenoſſen beftens empfohlen werden. 


Schulbücher in neuen Auflagen. 
In der ©. F. Winter'ſchen Verlagshandlung in Leipzig und Heidel⸗ 

Berg ift foeben erſchienen: 

Blum, Dr. L., Oberlehrer in Stuttgart, Grundriß der Phyſik 
und Mechanik für gewerbliche Tortbildungsfehulen. Mit 81 
Holzichnitten. 2. Aufl. 8. geb. Ladenpreis 16 Ner. 

Feldbaufch, Felix Sebaftian, Griechifche Grammatik zum 
Schu — ⸗ 5. an gt. 8. geh. Ladenpreis 1 Thlr. 
In gleihem Berlage ift früher erſchienen: 

Feldbauſch, Felix Sebaftian, Die Epifteln des Horatind 

Iaceus. Lateiniſch und deutſch mit Erläuterungen. Zwei Bände. 
geh. 2 Thlr. 20 Near. 











Soeben ift erſchienen und in jeder Buchhaudlang vorrätbig: 


Agenda 


für In Eallico-Einband mit 
T format geb. in 
nflag 5 Apr Lehrer a re 


8 Rer. 
Inhalt: I. Stundenpläne. IL Tabellen für die Ramen der Schüler 
und deren Genfuren, III. Bemerkungen über Verſäumniß der 
Schüler ꝛc. 
Ein für jeden Lehrer unentbebrliches Notiztaſchenbuch. 
u Berlag von $. U. ln in il j 
#chr- und Bandbuch der allgememen Geographie. 

” Bon Profeffor Dr. G. 8. Staedler. 
Zweite vermehrte Ausgabe. Mit in den Yext gedruckten SHolsfuitten. 
8. (61 Bogen.) Seheftet 2 Thlr. Gebunden 2 Thlr. 10 Ngr. 

Staedler’s Berk zeichnet fi vor andern geographifchen Sandbüchern dadurch 
aus, daß es ein allgemeines Bild der Erde gibt, daher au Die ganze 
tosmifhe Umgebung fhildert, die Pflanzen» und Thierwelt ein⸗ 
fhließt und die geſchichtliche Entwidelung der Staaten berüdfidtigt. 
Alles, was der gegenwärtige Standpunkt der geograpbifchen Wiffenfchaft erfordert, 
iR in überfichtiicher Anordnung und Marer Darſtellung in dem Werk enthalten, 
welches fich ebenfowohl als Lehrmittel beim Schul⸗ oder Privatunterricht, wie 
als Nahfchlagebuh für jede Hausbibliothel empfichlt. Die neue Ausgabe If 
gegen bie frübere im Preiſe ermäßigt und bie auf die jüngfte Zeit ergänzt. 


Berlag von $. A. Brockhaus in 2 


eig. 
Deutsches Sprichwörter- Lexikon. 


Ein Hausschatz für das deutsche Volk. 


Herausgegeben von K. F. W. Wander. 

Erste Lieferung. Bogen 1—8. A—Arm. 20 Ngr. 

Das Deutsche Sprichwörter-Lexikon will den gesammten 
hochdeutschen und mundartlichen Sprichwörterschatz, den in der 
Literatur zerstreut niedergelegten wie den blos im Volksmunde 
lebenden, in alphabetischer Ordnung zusammenfassen (mehr als 
80,000 deutsche und etwa 20,000 fremde Sprichwörter). Es wird 
nicht nur die vollständigste, geordnetste und darum übersichtlichste, 
sondern vergleichungsweise auch wohlfeilste aller bisherigen Sprich- 
wörtersammlungen sein. Der bekannte Herausgeber hat diesem 
Werke den grössten Theil seines Lebens gewidmet und hofft, dass 
es einen Platz in der deutschen Literatur einzunehmen verdiene. 

Die Verlagshandlung hat in der Hoffnung auf regste Theil- 
nahme des deutschen Volks an dem echt nationalen Unternehmen 
sich gern zur Verlagsübernahme des Werks entschlossen und, 
um dessen weiteste Verbreitung zu ermöglichen, den Bubscrip- 


tionspreis auf nur 2!/s Ngr. für den gespaltenen Quartbogen ge- 
stellt. 


Die erste Lieferung ist soeben erschienen und in allen 
Buchhandlungen zur Ansicht zu erhalten, wo auch Unterzeiok- 
nungen engenommen werden und ein ausführlicher Prospect 
gratis zu haben ist. 








Im Verlage von Ernst Fleischer in Leipzig sind nachstehende 
Billige Schul- Ausgaben franzöhlcher Antoren, 
mit Wörterbüchern und grammatischen, historisch- 
geographischen und mythologischen Erläuterungen, 


erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 


Bernardin de St. Pierre, Paul et Virginie. Mit grammat. Anmerk. u. 
einem Wörterbuche von Dr. Ed. Hoche. 5. Aufl. 7!/s Ngr. 

Bouiliy, Contes a ma fille. Mit grammat. Anmerk. und einem Wörter- 
buche von Dr. Ed. Hoche. 2. Aufl. 15 Ngr. 

Cettin, Elisabeth ou les exil&s de Siberie. Mit Anmerk. und einem 
Wörterbuche von Dr, Ed. Hoehe. 4. Aufl. 7'/a Ngr. 

Dumas, Histoire de Napol&on. Mit Erläuterungen, grammat. Bemer- 
kungen und einem Wörterbuche, herausgegeben von Dr. Ed. Hoche. 4. Aufl, 


12 Ngr. 

Fenelon, les avantures de Töl&emaque flls d’Ulysse, Avec des notes 
grammaticales et un vocabulaire par Dr. Zd. Hoche. 12. Edition. 15 Ngr. 

Florian, Fables. Mit grammat., historisch-geograph. und mytholog. Bemer- 
kungen und einem Wörterbuche neu herausgegeben von Dr. Ed. Hoche. 
5. Aufl. 10 Ngr. 

-—-- Don Quixotte de la Manche. Traduit de l’Espagnol, für den Schul- 
und Privatgebrauch bearbeitet und mit grammat. Bemerkungen und einem 
Wörterbuche herausgegeben von Dr. Ed. Hoche. 3. Aufl. 16 Ngr. 

— Guillaume Tell ou la Suisse libre. Mit grammat. und historisch- 
geograph. Bemerkungen und einem erweiterten Wörterbuche neu heraus- 
gegeben von Dr. Ed. Hoche. 14. Aufl. 6 Ngr. 

— Theätre complet. Mit grammat. Anmerk. und einem Wörterbuche 
herausgegeben von M. Ch. Thibaut. 6. Aufl. 15 Ngr. 

— Numa Pompilius, second roi de Rome. Mit grammat., historisch- 
geograph. und mytholog. Bemerkungen und einem Wörterbuche neu her- 
ausgegeben von Dr. Ed. Hoche. 14. Aufl. 10 Ngr. 

— Nouvelles. Mit grammat. Anmerkungen und einem Wörterbuche her- 
ausgegeben von Moll. 2. Aufl. 15 Ngr. 

Veltaire, 1a Honriade. Mit grammat., historisch-geograph. und mytholog. 
Bemerkungen und einem Wörterbuche neu herausgegeben von Dr. Kd, 
Hoche. 4. Aufl. 10 Ngr. 

— Histoire de Charles XII. Avec des notes grammaticales et histo- 
riques et un vocabulaire par Dr. Ed. Hoche. 14. Edition. 10 Ngr. 

— Histoire de l’empire de Russe sous Pierre le Grand. Für den 
Schul- und Privatgebrauch mit grammat. Erläuterungen und einem Wör- 
terbuche herausgegeben von I. F. Sanguin. 2. Aufl. 15 Ngr, 


Im Verlage von Carl Wilfferodt in Leipzig ift erfchienen: 

Die Thierwelt, in naturgefhichtlihen Schilverungen, Biographien, 
Charakterbildern, Thierlämpfen, Iagdfcenen und Erzählungen. Heraus 
gegeben von ©. Wunderlich. IMuftrirt durch Abbildungen nah Ori⸗ 
ginalzeihnungen der erften Künftler. 1. Lieferung Erſcheint in 12—15 
Lieferungen, deren jeve 8 Ngr. koftet. Gediegener Inhalt und prächtige 
Ausftettung geftalten dieſes Werk zu einem vorzüglichen unferer Li⸗ 
teratur. 

Wangemann, Der wechfelfeitige Unterricht (nicht Bell- 
Lancafterfhe Methode), die Vollendung des Elementarunterrichts. 
Gr. 8. Geh. 15 Ngr. 


Im Verlage von F. ©. W. Bogel in Leipzig erfihien ſoeben: 
Gottfr. Leop. Schrader’s 


erſtes elementarifches Leſebuch. 


15. verb. Auflage. Preis 10 Rgr. 

Der neue Herausgeber, Herr DO. Bulnkeim. Direktor der 1. 

ürgerſchule zu Leipzig, hat fi bei Bearbeitung biefer 15. Auflage 
* ufgabe geſtellt, vie veralteten und fehlerhaften Abſchnitte, nament⸗ 
Lich in den Schilderungen aus der Natur, ſoweit als nöthig umzuar⸗ 
beiten, bei den Erzählungen ꝛc. an die Stelle des oft trockenen Unter- 
bhaltungsftoffes manches dem kindlichen ®emüthe mehr entfprechende nene 
Stüd zu ſetzen, und hat hierdurch, fowie durch eine zur Anwendung 
gelommene ſchöne Schreibſchrift das alte befannte Buch aufs Neue in 
richtigen Zufammenhang mit den gegenwärtigen forderungen des (les 
mentarunterrichts gebracht. 

Dieje Vorzüge, verbunden mit einer faubern Ausftattung, werben 
daher nicht verfehlen, dem Leſebuche neue Freunde zuzuführen. 


Berlag von Wilhelm Violet in Leipzig. 
Bu beziehen dur jede Buchhandlung: 


Praktiſche Lehrbi ücher zum Felbſtunterricht 


in den neueren Sprach en. 

Bud ng Breiten, © Sandbud ver englifhen Umgangsſprache 

leg. ge 

The English ns Tenftifce Anleitung zum Englifhipreden. 
3. Aufl. 15 N 

Fiedler und Sans, Wiſſenſchaftl. Örammatit ber englifchen Sprade. 
1. Bd. 1 Thle. 15 Nor. — 2 Bd. 2 Thlr. 

Jonson, Ben, Nejanus, herausgegeben unb erklärt von Dr. C. Sachs. 
10 Nr. 

Lonis, Handbuch der englifchen Hanvelscorrefpondenz, 15 Ngr. 

Macaulay, & Description of England in 1685, to which are added 
notes & a map of London by Dr. CO. Sachs. 15 Ngr. 

Barbauld, Lecons pour les enfants de 5 à 10 ans. 7e edition. 
Avec vocab. 15 Ngr. 

Booch-Arkofiy, Praftifch-theoretifher Lehrgang der franzöflfhen Schrift- 
und Umgangsſprache nad dem feinften Bariter Dialekt. 2. Aufl. 
1 Thlr. Schlüffel dazu 10 Nor. 

Echo frangais, Brattifche Anleitung zum Franzöſiſchſprechen. 3. Aufl. 
15 gr. 

Touzellier, Nouvelle conversation frangaise, suivie de modeles de 
lettres, de lettres de change et de lettres de commerce. . u. 
d. T.: Handbuch der franzöf. Umgangsſprache u. f. w. geb. 10 Ngr. 

L’Eco dtaliane, Praltiſche Anleitung zum Stalienifcfprehen. 2. Aufl. 
20 Ror 

Eoo de Madrid, de Anleitung zum Spaniſchſprechen. 1 Thlr. 
— Ge. 1 Thle. EN 





Raturgeiebichtliche Bilder zum 
Anfchauungsunterricht. 


Der Mangel an naturgetreuen größeren Abbildungen wird beim 
naturgefäichtlihen Unterricht wohl von jedem Lehrer tief empfunden. 
Die wenigen größeren und wirklich empfehlungswerthen Werke, welche 
wir in diefer Hinfiht befigen, find für den Schulunterricht zu theuer 
und namentlih gilt die wohl von dem bedeutendften und braud: 
Barften Wert in diefer Richtung, von dem 


Atlas naturhiflorifher Abbildungen 
vom Profeffor Dr. Goldfuß in Bonn. 


Derfelbe befteht befanntlih aus 452 Tafeln in größtem Folio⸗ 
Format; audgezeichnet und unerreicht durch Naturtreue, durch vor⸗— 
züglie Zeichnung und Ausführung, ſowie dur die Größe der Ab⸗ 
bildungen, welde in vielen Fallen die natürlihe Größe wiedergeben, 
it derfelbe duch den Preis von 92 Thalern für das vollftändige 
Wert und 71, Nor. für jede einzelne Tafel für Viele oder bie 
Meiften unerfhwingli und zwar um fo mehr, als daB vollftän: 
dige Wert im Buchhandel vergriffen und felbft auf antigquarifhem 
Wege nur felten zu finden ift. 

Die geringen Vorraͤthe einer großen Anzahl einzelner Tafeln 
find in unfern Befis übergegangen; wir haben baraud eine ent. 
ſprechende Auswahl getroffen und bieten diefelben zu fo billigem Preiſe 
an, daß die befieren Bilderbogen kaum überfhritten und bie An— 
ſchaffung hierdurch für jeden Lehrer und für jede Schule möglich ge 
madt wird. 

So lange der kleine Borrath reiht, liefern wir 


Vögel. Eine Auswahl von 70 Blatt (meift in_ne- 


türlicher Größe, da die Tafeln circa 20 Zoll 
be und 27 Boll hoch find) für 2 Thlr. 


— Eine N nee eh! von 35 Blatt daraus 
für 1 Zhle. 15 Nor. 
Säugetiere Eine ei von 30 Blatt für 


Bilde, Infekten (Schaalthiere, Mollusten und andere 
Pau I. Eine Auswahl von 60 Blatt 


Ferner 
8 Blatt ; Falken in natürlicher Oröße 2 vorzüglich ge- 
zeichnen von Sonderland, für 15 Ngr. 
Liſt & Francke, Buchhändler in Leipzig. 


Im Verlage ver unterzeichneten Verlagshandlung erſchien: 
200 


ausgeführte Stilarbeiten 


für Oberklaffen. 
Ein Hilfsbuch für Lehrer bei Ertheilung des ftiliftifchen 
Unterrichts in Stadt und Landſchulen. 





Dem 
beutfchen Lehrervereine gewidmet 
von den Lehrern 
% G. Scherz und Wler. Yunghänel 
in Chemnitz. 
gr. 8. geb. Preis 24 Ror. 


Statt jeder anderen Empfehlung des obigen Buches möge hier 
auszugsweife nur die Befprehung eine Stelle finden, welde bafjelbe 
von Seiten der „Sädhfifhen Schulzeitung“ (vergl. Jahrgang 
1863 Nr. 3) erfuhr. Nachdem diefelbe ihren Lefern den vollftändigen 
Titel vorgeführt hat, fpricht fie fi in folgender Weile aus: 

„Durchgehends ein recht praftifches Hilfebuh für Lehrer bei 
Ertheilung des ftiliftifchen Unterrichts in den Oberflaflen der Stabt- 
und Landſchulen, fofern derſelbe dazu beitragen fol, das Rind an 
einen georbneten Gedankengang und an eine regelrechte Darftellung 
bes Gedachten in Schrift und Wort zu gewöhnen. Die bier gebote- 
nen Arbeiten halten den rechten Standpunkt ein und zerfallen in: 
1. Beſchreibungen (A. Naturgegenftänve [24], B. Kunftgegenftänve [14], 
C. Beſchreibungen gemifchten Inhalts [15]), 2. Schilverungen [11], 
3. Erzählungen [18), 4. Vergleichungen [5], 5. Betrachtungen [14], 
6. Eharakterzeichnungen und Bilder aus dem Berufskreiſe des weib- 
lihen Geſchlechts [39], 7. Briefe [28] und 8. Kleine Abhandlumgen 
[(32). Auf eine forgfältige, Mare und ausführlihe Dispofition ift 
überall Rüdfiht genommen worven, fo daß das Bud in der Hand 
eines Lehrers, der nicht blos nad, einer Schablone arbeitet, ſondern 
nad ſelbſtändigem Ermeſſen aller Berhältnifje auch die Aufgaben zn 
geben weiß, eine reich und nachhaltige Yundgrube werben wird, zu⸗ 
mal wenn er wie bie Berfaffer — und dies mit Recht — ber An 
fiht Iebt, daß gerade durch den ſprachlichen Unterriht Herz, Gemüth 
und Charafter des Kindes wefentlih mit gebildet, ter ganze innere 
Menſch gefördert werben kann. Unter der großen ‘Menge von lite 
rarifhen Erzengnifſen ähnlicher Art nimmt dad vorliegende Werk bie 
oberſte Stelle mit ein, da die gebotenen Arbeiten überall vollſtändig 
gegeben find, der Lehrer alſo ftets ein Mittel in den Händen bat, 
die Aufgaben nach allen Seiten hin zu erläutern x. ꝛc.“ 








In derjelben wird demnächſt ferner erfcheinen: 
200 
ausgeführte Stilarbeiten 


für 
Mittelklaffen. 
Ein Hilfsbuch für Lehrer in Volksſchulen bei Ertheilung 
des ftiliftiichen Unterrichts. 
Herausgegeben 
von den Lehrern 


J. G. Scherz und Aler. Yunghünel 
in Chemnitz. 
nbalt: I. Beichreibungen (A. Raturgegenflände [26], B. Kunſtgegen⸗ 
Aue 1. C. — g ‚2 ah en [3u], kr Na —E 
Pt ‚IV. RE [20], V. Briefe [40], VI. Dermifchte Auffäge [20], 

II. Eprigwörter |10)). 

Der Preis diefer demnächſt erfcheinenden „200 Stilarbeiten für Mittel- 
klaſſen,“ welche hoffentlich denfelben Anklang und Beifall finden wer- 
den, der den „Stilarbeiten für Oberflaffen” zu Theil wurde, wird 
ungejähr 7'/, bis 10 Nor. betragen. 

Chemnig, im September 1863. Eduard Focke's Verlag. 


Res Schulbücher. DX 


Im Berlage von Ludwig Nonme in Annaberg find folgende an- 
erfannt gite Schulbücher erfchtenen: 


eltgefchichte in Biographien. Herausgegeben von Lehrern 
der Kealihule in Annaberg. Im 3 concentrijh ſich erwei— 
ternden Kurſen. Jeder Kurfus 22 Sgr. 

Deutfche Schulgrammatif für höhere Schulen. Herausgegeben 
von Lehrern der Realfchule in Annaberg. In 3 concentriſch fid 
erweiternden Kurjen. Jeder Kurſus 6 Nr. " 

Diefe Lehrbücher find bereitd in mehreren fehr ſtarken Auflagen 
verbreitet. 

Weber (Santor), Liederbuch für Volksſchulen. Enthaltend 
1=, 2= und Zftimmige Lieder, einige Canons und die gebräuchlich 
ften (50) Shoräle der evangelifchen Kirche, Auf prächtiges, 
mildweißes und ftarles Bapier gedrudt. Preis nur 4 Ser. 

Iſrael, Anleitung zur Erfindung zweckmäßiger Choral. 
zwifchenfpiele, erläutert durch viele Beifpiele, namentlich durch 
Zwiſchenſpiele zu 70 Chorälen des Taſchenchoralbuches oder 
Hiller'ſchen Choralbuches. Preis 10 Ser. 

Für Seminariften und angehende Organiften. 


Klassische Werke zu billigen Preisen. 


Gerber, E. L., neues historisch-biogr. Lexikon der Tonkünstler. 
4 Bde. Leipzig. (1812—1814) br. Ladenpreis 6 Thlr. — für 
2 Thlr. 15 Ngr. 

Das vorzüglichste Werk in dieser Art, welches für alle Zeiten 
seinen Werth behalten wird. 

Forkel, J. N., allgemeine Geschichte der Musik. 2 Bde. m. Kpfrn. 
Leipzig, 1788— 1801. gr. 4. Ladenpreis 11%, Thlr. — für 
5 Thir. 20 Ngr. 

Diese anerkannt beste Geschichte der Musik ist längst ver- 
griffen und stets sehr gesucht. 


Becker, C. F., systemat. chronolog. Darstellung der musik. Literat. 
v. d. frühesten bis auf d. neuesten Zeiten. 2 Thle. M. Nachtrag. 
Leipzig, 1836—39. 4. (44, Thlr.) 1 Thlr. 25 Ngr. 

Ein unentbehrliches und in seiner Art bis jetzt einziges Hand- 
buch für Jeden, der sich für Musik und ihre Geschichte interessirt. 
Bach, Joh. Seb., 42 Astimmige Kirchengesänge. Geordn. u. m. 

Vorwort von C. F. Becker. Mit Bach’s Portr. Leipzig. (4 Thir.) 
für 1 Thlr. 20 Ngr. 

Bossmässler, E. A, u. Auerswald, B, Botanische Unter- 
haltungen zum Verständniss der heimathlichen 
Flora. Mit 48 Tafeln und 380 sehr sauberen Illustrationen 
in Holzschnitt. Leipzig 1858. gr. 8. br. (3 Thlr.) für 1 Thir. 
20 Ngr. 

Eschricht, D. F., das physische Leben in populären Vorträgen 
2. Aufl. mit 208 Holzschnitten. Berlin 1856. cart. (2!/, Thlr.) 
für 1 Thir. 15 Ngr. 


List & Francke, Buchhändler in Leipzig. 


— — — — — — 


Unter dem Titel „ALS“, Beiträge zur Erziehung im 
Hause, für Eltern und Lehrer i: ve 


L. Rauh in Berlin eine Schrift erschienen, die aus langjähriger 
Praxis eine Methode des Unterrichts auseinandersetzt, nach der 
jedes Kind, sei es fähig oder weniger fähig, etwa in der Hälfte 
der gewöhnlich verwandten Zeit gründlich in jedem Gegenstand 
unterrichtet werden kann. Die Auseinandersetzung ist so ein- 
leuchtend, dass nicht nur Lehrer und Lehrerinnen, sondern auch 
Eltern mit grossem Nutzen für ihre Kinder die Schrift lesen 
wenden. Der Königliche Provinzialschulrath Bormann rühmt in 
einer höchst anerkennenden Beurtheilang der Schrift ihre refor- 
matorische Anlage, und nennt sie ein Samenkorn, dem man 
nicht ansieht, welcher Baum aus ihm erwachsen wird. Preis 
121/, Sgr. 











Verlag von Friedrich Andreas Perthes in Gotha. 
Soeben erſchien: 
Pallmann, Dr. R., Die Gefchichte der Völkerwanderung von 
der Gothenbekehrung bis zum Tode Alarich's, nach den Quellen 
dargeftellt. gr. 8%. geh. 1 Thlr. 18 Ngr. 


Soeben erfchien im Verlage von Friedrich Bieweg und Sohn 


in Braunſchweig: 
(Zu beziehen durch jede Buchhandlung.) 


Das Bud) der Jialur, 


die Kehren der Phyſik, Aftronomie, Chemie, Mineralogie, Geologie, 
Botanit, Phyſiologie und Zoologie umfaſſend. 
Don Dr. Friedrich Schodler, 
Director der großberzogi. heiiiihen Yrovinzialsuftealiguie in Main. 
Allen Freunden der Naturwiſſenſchaft, insbejondere den Gymnaſien, 
Realichulen und höhern Bürgerfchulen gewidmet. 
Zwölfte Durchgejehene Auflage. 
In zwei Theilen. 

Erfter Theil. Phyſik, phyftalifche Geographie, Aftronomie und Chemie. Mit 
301 in den Text eingevrudten Holzſchnitten, Sternfarten und einer 
Mondkarte. gr. 8. geh. Preio 1 Ihlr. 

Zweiter Theil. Mineralogie, Geognofie, Geologie, Botanik, Phufiologie 
und Zoologie. Mit 615 in den Text eingedrudten Holzſtichen und 
een geognoitifhen Tafel In Karbendrud. gr. 8. geb. Preis 1 Ihir. 
10 Sgr. 


„na  Beinge on grichrics Wanlig in Frankfurt aD. fein 
Die Freiheitskriege in Charakterbildern. 


Nah Mufterdarjtellungen der deutſchen und ausländiſchen 
Literatur für Freunde vaterländiſcher Gefchichte, 
insbefondere für die deutfche Jugend und ihre Lehrer 
bearbeitet von 
J. E. Puulig. 

8. eleg. geb. 15 Sog. Preis 20 Sgr. 

Allen Denen, weldye ſich über die weltgeſchichtliche, ftaatlihe und 
religißfe Bedeutung dieſer ruhmvollen Epoche vaterländifcher Gefchichte 
eingehender zu unterrichten wünjchen, innen wir das obige, in fefjelnder 
Sprache gejchriebene Werk bejtens empfehlen, 


Im Berlage von C. Gafmann, Neuer Wall 46, in Hamburg, 
iſt erfchienen und in allen Buchhandlungen zu haben: 


DBaufteine 


zur Begründung eines 


methodiſchen Geſchichtsunterrichtes 


von Johannes Fritz, 


vehrer in Hauiburg. 


4 Bogen 8., broſchirt, Preis 10 Sgr. 

















Zur Einlührung m Bnaben-und Hlävchenlchulen empfohlen: 
Lande, 8. F., Lernluft. Zum Gebraud beim concentrirten erften 
Leſe⸗, Sprach⸗ und Sachunterricht. 1. Abthlg. gbon. 5 Ser. 
Schoͤnke, K. A., Heine Schul-Naturgeſchichte. Zweite Auf⸗ 

lage. 13 Bogen. roh 10 Sgr., gbon. 12 Sgr. 


Prämien und Geſchenke: 
Hieke, A., Geſchichte des ara Königspaares Friedrich Wilhelm III. 
12 Sgr. 


und Luiſe. cart 

Rinfe, 3., der junge Bflanzenfreund. Zur Bereblung des Ge- 
müths und zur Belehrung beraußgegeben. Dit 3 Zafeln illumi- 
nirter Abbildungen, Dritte vermehrte Auflage. cart. 12 Sgr. 


Verlag von 3. Nemak in Berlin. 


In Unterzeichneter If erſchienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 


Deutiches Clementarwerf, 


Leſe- und Lehrbuch 


von 


Dr. Mager. 
Zweiter Theil. Deutſches Sprachbuch. 

Anfänge der Laut⸗, Wort, Satze, Stil- und Litteraturlehre. 
Erſter Band. Für untere und mittlere Klaſſen. 
Zweite Auflage. 

Nach dem Tode des Verfaſſers neu bearbeitet von 
R. Schlegel. 

8. Preis 36 kr. oder 12 Ngr. 


Allen Lehrern unferer Mutterfprache wird es gewiß erfreulich feyn, durch 
das Erfcheinen des Sprachbuchs eine Lücke ausgefüllt zu feben, die den Gebrauch 
der übrigen Schulbücher des zu früh verftorbenen Derfaflers erſchwerte. Der 
vorliegende Band umfaßt die Bedürfnifie des grammatifchen und ftiliftifchen 
Unterrichts bis zum 14. vefp. 15. Jahre. Der 2. Band für obere Klafjen wird 
in Bälde nachfolgen. Die neue Bearbeitung bat, obgleih auf die binterlaflenen 
Papiere Magers geſtützt, auch bie Leiſtungen anderer Gelehrten und Schul: 
männer gebührend berüdfichtigt, und fo möge fie allen freunden eines wahrhaft 
büdenden Unterrichtd der Mutterfprache auf's wärmfte empfohlen feyn. 


Stuttgart, 1863. 
3. ©. Cotta'ſche Buchhandlung. 





Im Verlag von Ludwig Nonne in Annaberg erfhien foeben: 
Moofer, Aufgaben für ven Unterricht in ver beutfchen Sprache 
und im fchriftlichen Gedankenausdruck; für die Volksſchule wie 
für den Hausfleiß der Kinder methodiſch fortfchreitend georbnet. 
L Heft. Für die Hand ber Kinder in Clementar-Elafien. Bude 
ftaben, Silben, Wortarten, Wortbildung, Anwendung verfelben in klei— 
nen Säben. | 

Preis 21/5 Sgr. In Partien von mindeftend 100 Exemplaren nur 2 Sgr. 








BIBI 


3 2044 030 121