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Full text of "Pädagogischer Jahresbericht für die Volksschullehrer Deutschlands und der Schweiz"

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HARVARD UNIVERSITY 


LIBRARY OF THE 


GRADUATE SCHOOL 
OF EDUCATION 








Pädagogiſcher 
Jahresbericht 


flür die 


Vollsſchullehrer Deutſchlanbs und der Schweiz. 





Im Verein 
mit 


Bartholomäi, Debbe, Dittes, Hentſchel, Lion, Panik, 
Petſch, Prange, Schlegel und Schulze 


bearbeitet und herausgegeben 


von 


Augufi Lüben, 


Seminarbireltor in Bremen. 


NReunzehnter Band. 


2 Leipzig. 
Sriedrig Brandftetter. 
1868. 


| Ol myxvand UNIVERSERE \ 
GRADUATE SCHOOL OF EDUYE 
. (7 3 pP 3 LIBRARY AIR 


IH, JAN 4 1883 


/ . / ed. 
rn 3 nf 


Inhalts = Verzeihniß. 


— [nn 


Seite 

Religionsunterridt. Bon Dr. Mori Säule . . 1 
. Mathematil. Bon Dr. Fr. Bartholomäi . . . . . 57 
Litergturfunde. Bon U. Lüben . . . . 122 


Anihauungsunterriht. Lefen. Schreiben. Bon. Rüben 141 
Zugend- und VBollsihriften. Bon C. W. Debbe . 182 
Pädagogik. Bon Dr. Friedr. Ditted . . .» . . 0. 204 
Seſchichte. Von A. Petſch..... 236 
Geographie. Bon W. Prange.2276 
Geſang. Muſikwiſſenſchaft. Bon E. Hentſchel.. 349 


Naturkunde Bon A. Lüben.246864 
Zeichnen. Bon A. Lübenn. 44778 
Turnen Bon Dr. J. € Lion . . . . 202.483 
Pädagogiſche Zeitſchriften. Bon U. Rüben ne 599 


. Die neueften Erfheinungen auf bem Gebiete bes 
Sprachunterrichts. Bon Dr. 8. Panik . . . . 547 


Die Äußern Angelegenheiten ver Volkeſchule und 
ihrer Lehrer. 


Deutfhland. Bon A. Lüben - . . 2 2 2 2 222605 
Die Shweisz Bon 3. I Schlegel. . -. . 2.2. .705 
Anhang. 79 





Verzeichniß der Schriftfteller. 


— — — — — 


Abt, 419. Benele, 495. Braun, 201. 
Ahlfeld, 195. Bengel, 50. Bräunlih, 410. 
Ahn, 765. Berger, 18.3. Brehm, 460. 
Albrecht, F., 414. Berghaus, 329. Brinkmann, 410. 
Abreht, 3. H. 3-, 7646. Bernftein, 457. Bröder, 762. 
Ammann, 464. Berguin, 762. Bronn, 459. 
Inding, 444. Berthelt, 47. 323. Brofig, 444. 
Ingerflein, 501. Bertram, 764. Brünnert, 45. 163. 
Irendts, 321. ‚ Bet, 178. Bruttau, 464. 
Ele, 762. Beyer, 131. Büchele, 601. 
Auras, 173. Biſchoff, 232. Biüdinger, 212. 
Bleske, 766. Bulnheim, 164. 
Dad, 3. ©., 449.  PBod, 536. Bumüller, 248. 
—, Th., 497. —, &., 217. Pünte, 401. 
Bacmeifter, 139. — (f. Gr. Belgien) 631. v. Burger, 316. 
Bade, 189. Bodamer, 82. Burgmardt, 543. 
Badewig, 493. Bodenmüller, 46. 672. Burkhardt, 128. 
Ballien, 414. Bohlen, 430. Bußler, 430. ' 
Yänig, A538. 468. Böhm, 517. Büttner, 177. 
Baron, 491. Böhme, 75. 77. 151. 
Barth, 760. ‚Böhner, 456. Cannabich, 328. 
Bartſch, 134 (2.) Bohny, 201. Caſſian, 251. 326. 
Baͤßler, 38. Boͤllen, 116. v. Chamiſſo, 760. 
Bafſt, 589. Bone, 169. Chwatal, 420. 
Battig, 105. Bopp, 471. Claaſſen, 225. 
Bauer, G. 603. Borel, 762. Golshorn, 138 (2.) 
—, L. M., 320. 583. Bormann, 43. 145.147. Crüger, E., 765. 
Baumfelver, 448. 318. —, Sb, 469 (2.) 
Bed, 134. Bornhal, 574. 472 (2) 
Bed, 793. Böttcher, 497. Culmann, 84. 
Beder 225. Brähmig, 429.433. 435. 
Behm, 337. Brandauer, 170. Dagott, 95. 
Behn⸗Eſchenburg, 765. Brandes, 334. Demm, 310. 


Bendit, 152. Brandts, 432, Danider, 764, 


vI 


Daniel, 317. 325. 329. 

Davids, 102, 

Degenbarbt, 765. 

Deghude, 84. 

Deide, 479. 

Delabar, 482. 

Deligih, 324. 

Denzel, 132. 

Diedhofl, 593. 

Diederichfen, 414. 

Dieliß, 170. 

Dietrih, Fr., 608. 

—, J. F. &, 421. 

—, K. 91. 

Dietſch 252, 

Dilling, 87. 

Dillmann, 763. 

ten Doornkaat⸗Koolman, 
603. 

Doͤring, 140. 

Dorner, 466. 

Drath, 419. 480. 448. 

Dreer, 169. 

Drebler, 207. 

Düder, 244. 599. 

Dula, 199. 


Ebeling, 140. 418. 

Eberhard, 199. 

Ebrard, 436. 

Edarbt, 122. 

Eaftein, 213. 

Eger, 154. 

Eggers, 117. 

Egli, 313. 317. 825. 
828. 467. 

Ehntholt, 252. 

Eichenberg, 164. 

Eichler, A434, 

Eifenlohr, 180. 

Eisfeld, 426. 

Ellger, 152. 

Emmel, 169. 

Gnäbaufen, 448, 449. 

Engel, 413. 

Gt, 409. 414. 418. 
419. 435. 


Erler, 470. 
Ernſt, 538, 
Gtlin, 314. 
Euler, 516. 
Evertsbuſch, 202. 
Eyth, 270. 


Faißt, 418. 

Falke, 109. 

Faltys, 592. 
Faͤuſtle, 89. 

Fiege, 819. 

Fink, Chr., 418 (2.) 
—, G. W., 434. 
Fiſcher, 252. 

—, U, 601. 


—; F. G., 418. 


Verzeichniß der Schriftſteller. 


Gellert, 135. 
Gerhardt, 184. 
Georg, 762. 
Gerſtaͤcker, 459. 
Gervinus, 271. 
Geyer, 444. 
Gieſemann, 161. 
Gieße, 132. 
Oindely, 252. 
Giſeke, 105. 
Glaentzer, 414. 
Gnerlich, 173. 
Göbel, 432. 
Goͤcker, 430. 
Gollniſch, 601. 
Gottlieb, 475. 
Gottſchalg, 410. 437, 


—,$.B.R., 581.587. Gottihid, 766. 767. 
—, D., 410. 426 (2.) Gottwald, 419. 


lade, 448. 
Flathmann, 148. 
Fleiſcher, 596. 597. 
Fleiſchmann, 486. 
Flügel, 402. 
Hölfing, 214. 
Horfter, 91. 
Förfter, 227. 
Hortlage, 131. 
Frank, 437. 
Steund, 767. 
Frey, 484. 

Frich, 470. 

Fricke, 137. 252. 
Friedländer, 516. 528. 
Friedrich, 448. 
Fritſche, 766. 
Friße, 81. 
Froͤhlich, 224. 
Froment, 762. 
Trommel, 436. 
Funk, F., 98. 

—, M., 495 
Gartz, 420 (2.) 
Gaſt, 444. 
Gebhardi, 444 (2.) 
Gehrs, 637. 


Graͤſer, 766. 
Graßberger, _495. 
Grautoff, 331. 
Greef, 409. 435. 444. 
Grimm, 135. 

v. Groeſſen, 320. 
Großhanten, 599. 
Grube, 198. 
Gruber, 96. 

Grün, 319. 

Gfell, 54, 481 (2.) 
Gubig, 202, 
Günther, 594. 
Gurde, 150. 


Haas, 610. 

Sad, 573. 
Hagenftein, 195. 
Hager, 457. 
Halben, 148. 
Hallier, 461. 
Samma, 401. 409. 
Sammer, 341. 
Sammon, 474. 
Sanfen, 233, 
Sanjer, 339, 
Harder, 144. 165. 
Harms, 153. 




















Verzeichniß der Schriftſteller. 


Hartmann, F. 181. 


—, N, 108, 
Hartwig, 333, 
Sauer, 426. 

Haupt, 162. 
Hauſchild, 535. 
Haydn, 426. 453. 
Heel, 115. 120. 
Hedenhain, 272. 
Heer, 832. 

Heidler, 419. 
Heinrichs, 170. 
Heinze, 436. 

Held, 420. 435, 
Helwig, 115. 
Hempel, C F., 166. 
Henne, 432. 
Hentſchel, 420. 421. 
Herbſt, 258. 

Hergt, 332, 

Hering, 452. 
Herman, 582. 
dermes, 580. 603. 
Herzog, 443. 

Heyer, 76. 

Hibeau, 628. 

Silber, 200. 
Hildebrand, 568. 
Hillardt, 113. 
Sinte, 155. 
Sindelang, 89. 


firth, ABA. 486, 

Sigel, 35. 

doh, 471. 

the, 171. 

öoffmanıı, C. J. W., 329. 
—, $15., 198 (2.) 
—, Friedbr., 189. 472. 
—, K. 5, 37. 

—, M., 582. 

—, 82. 5. &, 604. 


Hofmann, Fr., 105.118. 


Hell, &, 318. 
Holtich, 576. 


Hopf, 170. 

Horch, 254. 

v. Horn, 191 (2.) 197. 
Hörſchelmann, 317. 
Hotz, 156. 

Hübner, O., 331. 
—, Th. 39. 
Hunger, 149. 158. 
Huswirt, 95. 
Huther, 480. 
Hutzelmann, 272. 


Jacob, F. A. L., 485. 
—, N., 314. 

Jäger, ©., 457. 

—, Dstl, 254, 255. 
—, D. 9. 521. 5836. 
Jahn, 131. 

Salel, 47. 52. 
Safttam, 39. 139. 
Janele, 51. 

Sende, 201. 

Jeep, 763. 

Jenſen, 346. 

Seplens, 418. 

Irgang, 436. 


Kalb, 37. 

Kalcher, 48. 

Kambly, 97. 116. 
Rapell, 529. 

Karow, 426. 444. 
Kaſelitz, 76. 
Kaufmann, 528. 
Keber, 256 (2.) 
Referftein, 209. 322, 
Kehr, 29. 113. 166.599. 
Kebrein, 172. 

Kell, 92. 

fteller, 3. E. 811. 
—, 8. ©., 608, 
Keliner, 173. 

emp, 480. 

Kempt, 420. 
fettiger, 199, 761. 


Kiepert, 339. 324. 344. 


Kiefel, 256. 


Kirchwald, 231. 
Klaiber, 186. 

Ktaß, 319. 

Klauwell, 173. 

Klein, 418. 

Klencke, 458. 

Kletke, 199. 
Rlingberg, 152. 

v. Klöden, 330. 

Kloß, 511. 527. 538. 
Klumpp, 521. 
Knochenhauer, 257, 
Knorr, %. F., 448. 
— , Jul., 448. 

Koh, U., 458. 

—, C. 5. 581. 

—, E. €, 129, 
Köhler, 32. 
Kohlrauſch, 244. 
Kolbe, 520. 

Koner, 347. 

König, 138. 

Roppe, 472. | 
Kürbis, 763. 764 (2.) 
Körner, 222. 
Kortenbeitel, 43. 
Köfporer, 420. 
Rothe, 410. 

Kremer, 150. 
Kreuß, 414. 
Kriebitzſch, 258. 
Krift, 470. 

Kröger, 584. 
Kroymann, 101. 
Krüger, C. A., 426. 
—, &., 436. 
Krumbader, 151. 
Kühle, 42. 

Kugler, 245. 
Kühner, 168. 
Runge, 410 (2.) 425. 
Küppers, 518. 
Kuznik, 598. 


Laban, 4683. 
Labes, 137. 
Lahrſſen, 323. 


VIII 


Lamartine, 762. 

Lange, H., 335. 341. 

— ,D., 130. 260. 272. 
602. 

—, R. 401. 

Langenberg, 628. 

Langenſcheidt, 764. 

Sargiader, 761. 

Zattmann, 578. 

Leeder, 339. 

Lens, 768. 

Leunis, 461. 

gichtenfeld, 189. 

Liebetrut, 760. 

v. Liebig, 454 (2.) 

Lieſe, 112. 

Lilienfeld, 478. 

Sind, 476. - 

Lion, 525 (2.) 532. 
536. 

Löhbach, 766. 

Lohmann, 414. 

Lorenz, Frz., 437. 

—, O, 429. 

Löfener, 481. 

Lömenberg, 338. 

Lubach, 535. 

Lübben, 134, 

Lüben, 187 (2.) 147. 
161 (2.) 163. 167 
(2.) 230. 348. 612. 
639. 

Lübker, 209. 

Lüdemann, 598. 

Ludwig, 437. 

Luther, 41. 42. 

Sutter, 120. 

Luz, 566. 


Mach, 436. 

v. Maͤdler, 476. 

Mager, 172. 590. 

Magnin, 768. 

Maillard, 763. 

v. 
215. 

Marmontel, 762. 


Martin, 136. 

Marr, 530.. 
Maſius, 171. 
Matthes, 53. 
Mauer, 262. 335. 
Mauersberger, 270. 
Maul, 491. 

Mayer, 760. 
Medicus, 461. 
Meeden, 763. 
Mehrwald, 762 (2.) 
Menſch, 763. 
Menzel, 78. 96. 
Merget, 183. 
Merker, 449. 
Methfefjel, 429. 
Mettner, 418. 419. 420. 
Meyer (⸗Hildbgh.) 341. 
— Helm., 618. 
—,%, 583. 
Meyroſe, 599. 
Michaelis, 535. 
Mindermann, 192. 
Möbius, 131. 228. 
Möbus, 163. 
Mohr, 82. 

Mold, 418. 419, 
Molitor, 312. 
Moller, 576. 
Möller, 426. 
Montesguieu, 768, 
Morgenbefler, 43. 151. 
Morgenftern, 215. 
Müller, 2., 762. 


—, R., 419. 
—, 6. 414. 


Mürdter, 246. 
Murray, 195. 
Müttrih, 528. . 


Nad, 148 (2.) 
Nade, 147. 161 (2.) 
163. 167 (2.) 


Nägeli, 455, 
Marenholg = Bülow, Naveau, 761 (3.) 


Neil, 598. 602. 
Nerling, 104. 


Verzeichniß der Schriftfteller. 


Netoliczla, 321. 
Neulich, 465. 
Neymann, 264. 
— , 6., 310. 313. 
Niemeyer, 113, 
Niendorf, 81. 
Niepmann, 39. 
Niggeler, 524. 525 (2.) 
Nifien, 264. 765. 
Nonne, 53. 
Nonnig, 588. 


Oberhoffer, 402. 
Obermann, 536. 
Offinger, 149. 
Ohly, 55. 
Dltrogge, 171 (3.) 
v. Drelli, 763. 
Dertel, 328. 
Oſterwald, 136. 
Oswald, 601. 


v. Palmer, 207. 
Banig, 585. 
Pappermann, 528. 
Paulus, 482.. 

Bar, 414. 
Peeters : Baertfoen, 763. 
Peter, 266. 

Petermann, A., 344. 
—, K. G. 42. 47. 601. 
Peters, 153. 

Beterjen, 161. 167. 
Pfannerer, 169. 
Pfeiffer, B., 343. 

—, Frz., 133. 134. 
Pfeil, 420. 

Pflanz, 187.. 

Pflüger, 312. 

Pichler, 190. 191. 197. 
Pierſon, 243. 274. 
Pinder, 495. 

Biper, 203. 

Plate, 763. 

Plieninger, 197. 
Pokorny, 465. 

Praufet; 180. 


Verzeichniß der Schriftfteller. 


Preuß, 166. 315. 
Büs, 266. 318. 327. 


Quell, 267. 


Naa;, 285. 343. 
Raila, 604. 
Rammelsberg, 475 (2.) 
Ramshorn, 158. 
v. Ranke, 271. 
v. Naumer, 128, 
Nebbeling, 402. 
Redenbacher, 268. 
Reichel, 426 (2.) 
Reichelt, ©. 452. 
—, J. ©., 163. 
Reißmann, 436. 
Kemy, 765. 
Renſchle, 326. 
Reyher, 56. 

vom Rhein, 199. 
Richter, A. 570. 
— C., 180. 
—, E. 402. 418. 434. 
Riehelmann, 495. 
Ried, 231. 
Riedel, H. 760. 
—, J., 468. 473, 762. 
Riegel, 602. 
Rochleder, 461. 
Rochlich, 410. 
Hohn, 589. 
Röhricht, 413. 
Rolfus, 184. 
Römer, 169. 
Rooft, 345. 

Röfe, 119. 


Roth, 534. ⸗ 


Rudolph, 602. 763. 
Rueß, 595. 

Ruge, 327. 

Ruhſam, 78. 

Ruß, 460. 


Schaab, 448. 
Sqchaarſchmidt, 589. 


Schäfer, E., 581. 
—, J. W., 132. 
Scharlach, F., 162. 
„J. C. F., 81. 
Schäublin, 413. 
Schauenburg, 171. 
Scheibert, 214. 
Scheller, 84. 
Scherer, 316. 
Scherr, %., 272. 
— , %b., 156 (2.) 
164 (3.) 174. 
Schiernhorn, 5992. 
Shilling, 464. 
Schlegel, 172. 
Schlepper, 179. 
Schletterer, 401. 
Schlöfüng, 766. 
Schlotterbed, 84. 
Schmiblin, 463. 


Schmidt, Chr. F., 658. 


—, 6, D., 53. 
—, 5%, 268. 
—, Ferd., 130 (2.) 


139. 190. " 


—, J., 575. 
—, K., 235. 


m, 97. 
Schmitt, 93. 97. 

—, Joh., 477. 
Schnabel, 418. 
Schnaubelt, 402. 410. 
Schneider, K., 213. 
—, L., 444. 
Schnöpf, 402. 
Schöbe, 449. 
Schornftein, 235. 
Schubert, F., 475. 
—, 5. €. 437. 

—, F. €, 431. 
—,5 8%, 449. 

‚8% ®., 330. 

. Schubert, 9., 247. 
‚3. ©., 444. 
Schulß, 762. 


— — 


8 


Schulz, E., 420. 

—, 54, 414. 

—, D., 43. 96. 147. 
154. 584. 


Schurig, 496. 


Schuſter, 46. 

Schwarz, 23. 

Seiler, 39. 

Seinede, 127. 

Sellheim, 81. 

Senff, 616. 

Sering, 418. 419. 
420 (4.) 448. 440. 

Seubert, 462. 

Sewell, 198. 

Seydel, 37. 

v. Seyplig, 317. 324. 

Simmen, 476. 

Simrod, 135. 

Smitt, 268. 

Solger, 147. 157. 

Sommer, &., 269. 

—, O.., 589. 

Sonnabend, 150. 

v. Spedt, 197. 

Sperber, 91. 

Spieß, 523. 

Epingler, 89. 

Spitzer, 88. 89. 473. 

Springer, 130. 186. 

Stade, 251. 

Stahlberg, 45. 

Stahr, 130. 

Steffens, 202. 

Steger, 572. 

Stegmann, 118. 

Stein, A., 194. 

—, C., 402. 426. 431. 

—, C. G. D. 324. 

— ⸗ H. K., 


Steinbart, 762. 
Steinhauſen, 419. 
444 (2.) 
Stichart, 313. 
Stöber, 198. 
Stoden, 523. 


X 


Strad, 52. 

Straub, 172. 
Strickler, 247. 
Stroefe, 589. 


v. Stülpnagel, 343. 344. 


Stüßner, 89. 
Sugenheim, 248. 
Sutermeifter, 209. 
v. Sybel, 271. 


Tacitus, 766. 
Zappert, 402. 


Zaubert, 419. 426. 


Töpfer, 410. 426. 
Touſſaint, 764. 
Tretau, 481. 
Trube, 449. 
zihade, 600 (2.) 


Tjchirch, 418. 420. 


v. Tucher, 402, 


Uhland, 126. 
Uhlenhuth, 345. 
Ule, 334. 
Ulrich, 453. 


Rallat, 762. 
Vetter, 166. 


Bilmar, U. 3. C., 129. 


—; D,, 133 
Viole, 448. 
Bogel, 193. 


Boigt, C. H., 413. 
,%, 133. 
Boldmar, 444. 
Völter, 329. 

Voltz, 479. 481. 


Wagner, K., 168. 
—, 8. Th., 324. 
Wahl, 181. 
Waldherr, 602. 
Waldow, 763. 
Walter, 480. 
Wander, 599. 
MWangemann, 55. 
Waßmannsdorff, 519. 
Weber, €. L., 414. 
—, F. W., 49, 229. 
—, 6, 271. 
Meeg, 766, 

Wehe, 420. 432. 
Meined, 138. 
Meinwurm, 421. 
Weisbach, A., 467. 
Weishaupt, H., 479. 
—, N, 764. 
Welter, 271. 

Mend, 470. 


Wendel, 38. 39 (2.) 43. 


Mepf, 429. 
Werner, 50. 
Mernide, 271. 
Weſſelmann, 313. 
Weſtley, 765 (2.) 


Verzeichniß der Schriftiteller. 


Menb, 600. 
Midmann, 402. 419. 
435. 436. 
Miete, 100. 114. 
Wiederhold, 148. 
Wiegand, 119. 
Wild, 198. 
Mildermuth, 207. 
Wilhelmi, 316. 527. 
Mille, 146. 
Millm, 163. 168. 
Milms, 270. 
Wilsdorf, 162. 
Winkelmann, €, 340. 
843. 
—, C. J. 4, 768. 
Winderlich, 274. 
Winsnes, 196. 
Winter, 271. 
Wippermann, 52. 
Wittſtock, 211. 
Wohlfjfarth, 449. 
Mölfing, 33. 
Wolfram, 704. 
Wretſchko, 462. 
MWürft, 402. 
Wyß, 127. 


Zaͤhler, 583. 
Zahn, 418. 
Zaͤhringer, 80. 96. 
Zimmermann, 765. 


Regifter der Sammelwerke, Beitfchriften und 
anonymen Büder. 


A, B, €, wendiſch⸗ deutſches, mit 
Bildern für Clementarſchulen, 155. 

Abſchiedsworte an meine Eonfirman- 
den, 56. 

Andeutung zur Betreibung des Turn: 
mterrihts ıc., 525. 

Anleitung zum Selbſtſtudium ver 
fanzöfifchen Sprache, 764. 

Anthologie classique pour le 
Piano, 448. 

Brot, Aufgabenbüdhlein zu deutfchen 
Stylübungen ıc., 602. 

Auswahl deutfcher Bühnenflüde zum 
Ueberfeßen ıc., 766. 

Die Benver’iche Grziehungsanftalt für 
Knaben von 8 bis 16 Jahren, 672. 

Beriht über den 6. Kreisturntag ıc., 
496, 

Beriht über die 5. Verſammlung 
von Zurnlehrern ꝛc. 496. 

Veriht über den am 17. und: 18. 
April in Breslau abgehaltenen 

496 


Turntag, 496. 
Silver für Schule und Haus, 47. 
Raturbiftorifches Bilderbuh in 8 
Sprachen, 201. 

Ylätter für die Angelegenheiten des 
bayeriſchen Turnerbundes, 537. 
Berliner Blätter für Schule und Er⸗ 

siehung, 546. 
Freie paͤdagogiſche Blätter, 542. 
Leipziger Blätter |. Paͤdagogil, 539. 


Märt.Blätterf.d. gef. Turnweſen, 538. 

Rheiniſche Blätter f. Erziehung ıc. 544. 

Buchftaben, Ziffern und Zeichen zur 
Leſemaſchine 2c., 145. 

Charafterbilder der Erd⸗ und Böller: 
tunde, 337. 

Franzöfifhe Chreftomathie, 764. 

Der Conflict im Allgem. Turnverein 
zu Leipzig, 496. 

Monatlihe Correfpondenz zwiſchen 
Schule und Haus, 546. 

Deutſche Dichtungen f.d. Jugend, 139. 

Dielerwege Gedachtnißfeier in Berlin, 


8* deutſcher Gedichte und Lie⸗ 
der, 200. 

Elementor⸗Echulatlas zum Gebrauch 
für Volksſchulen, 340. 

Feierabende, Feſtgabe zc., 194. 

Fibel und erſtes Leſebuch für die 
wendiſchen katholiſch. Schulen ꝛc., 
155. 

Gaͤa. Natur und Leben ıc., 476. 

Die bibliihe Geſchichte d. A. u. N. 
Zeftaments, 45. 

Geihichtstabellen, zunähit für das 
Gymnaſium ıc. zu Rudolſtadt, 275, 

La ginnastica, giornale settima- 
nale che si pubblica a Livorno, 
538. 

Globus. Zeitfchrift für Länder: und 
Böllerkunde ıc., 336. 


I 


Gradneg-Atlas über alle Theile der 
Erde, 345. 

Le gymnaste belge journal ete.,538. 

Handbuch für den Religionsunterricht, 
41. 

Handbüchlein für, Jung und Alt, 39. 

Hülfsbuch f. d. Religiongunterricht, 39. 

Neue Jahrbücher f. d. Turnkunſt ꝛc., 
537. 

Jahresbericht des erften Wiener Leb: 
rer: Vereins, 696. 

Karte von Paläftina zur Zeit Jeſu, 
338. 

Der Eleine Katechismus zc., 39. 

Vierzig Kirchenlieder, 54. 

Achtzig Kirchenlieder, 54. 

Muſikaliſcher Kirchenſchat, 426. 

Fr. Kohlrauſch. Nekrolog, 628. 

Leitfaden der unorganiſch Chemie, 474. 

Leitfaden für den Unterriht in ber 
Anthropologie ıc., 467. 

Berlinifhes Leſebuch, 166. 

Leſebuch für Elementarfhulen:c., 157. 

Neues engliihes Leſebuch, 765. 

Leſebuch f. Volks⸗ u. Bürgerjculen, 
165. 

Liederheimat, 410. 

Liederkranz f. deutſche Schulen, 414. 

Statiſtiſche Nachrichten über dag Ele: 
mentarſchulweſen in Breußen, 622. 

Rechenfibel. Aufgaben ⁊c., 78. 

Rechenfibeld. Marfer Lehrer⸗Confz. 78. 

Sammlung von Aufgaben für den 
Rechenunterricht, 81. 

. Sammiung gemeinverjtändl. willen: 
ichaftliher Vorträge, 759. 

Schreiblefefibel, 149. 


Negifter der Sammelwerke, Zeitfchriften 2c. 


Sculblatt der evangeliihen Seminare 
Schleſiens, 545. 
Schulbote, Neuer Schleſiſcher, 545. 
Schulbote, ungarijcher, 708. 
Schulblatt für die Volksſchullehrer 
ver Provinz Preußen, 545. 
Das Schulmejen d. preuß.Staats, 233, 
Norddeutſche Schulzeitung, 541. 
Oldenburgiſche Schußeitung, 540. 
Preußiſche Schulzeitung, 545. 
Frig Siegemund (Nachruf), 500. 
Sonntagsfreude, 11. Jahrg., 200. 
Deutiher Sprachwart, 604. 
Statiſtik von 6 Zurnvereinen ıc. von 
Ober:Defterreih u. Salzburg, 486. 
Das mittelrheinifhe Zurnblatt, 538. 


Das erfte Zurnfeit des IL freies 


deutfcher Turnvereine, 496. 
Deutſchlands Turnſtätten, 486. 
Deutſche Turnzeitung 537. 
Schweizeriſche Turnzeitung, 537. 
Umriß der Erdbeſchreibung ıc., 815. 
Erſter Unterricht in der Logil, 759. 
Vierteljahrsſchr. f. h. Töchterſch, 543. 
Volksbücher, 192. 193. 
Der bayeriſche Volksjchullehrer « Ver: 

ein, 686. 

Vorſchule ꝛc. d. franz. Sprache, 764. 
Pädag. Vorträge u. Abhanplg., 540. 
Mandtafeln für den erften Lejeunter- 

richt, 145. 

Pädag. Zeitung für Norddeutſchland, 

541 


Zur Logik ıc., 2 Hefte, 750 (2,) 
Spitemat. Zufammenftellung der in 
Bayern geltenden Verordg., 686. 





I. 
Neligionsunterricht. 


Von 


Dr. Moritz Schulze, 
Sup. und Bezirks⸗Schulinſpector zu Ohrdruf bei Gotha. 


Bar auch das zurüdgelegte Jahr 1866 mit feinen Kriegsſtürmen über: 
hapt den Werken des Friedens, namentlich der literariichen Thätigleit und 
den buchhaͤndleriſchen Unternehmungen leineswegs ein günftiges Jahr, — 
bradhıte das Getöje der Waffen jelbft die mündlichen Verhandlungen fo 
mander größeren Verſammlungen und kleineren Conferenzen zum Schmeis 
gen, — mußten die Beitfragen der Religion vor den brennenden Fragen 
ber Bolitit zurüdtreten, — fo ift doch die Zahl der literariihen Erſcheinun⸗ 
gen auf dem Gebiete der Religions» Pädagogif, wie die unter der nachfols 
genden „Literatur“ aufgeführten Schriften zeigen, immerhin noch viel größer, 
als man unter diefen Umſtänden hätte erwarten follen. Freilich find unter 
imen viele, die nur als Fortfegungen angefangener Werke over als neue 
Auflagen erfchienen, ſowie manche, die wohl längft ſchon vorbereitet waren 
wer auch aus einem dringenden lokalen Bebürfnifie bervorgingen. Die 
goße Mehrzahl derſelben befteht, mie gemöhnlih, aus Leitfaden für den 
Satehismusunterriht und für den Unterricht in der biblifhen Geſchichte. 
Unter ihnen ift viel Mittelgut und die meiften berfelben huldigen dem 
Stabilitätsprincip der confeffionalen Orthodoxie. Gine dieſer für den Re⸗ 
ligionsunterricht in der Volksſchule beftimmten Schriften aber überragt alle 
mern an Gediegenheit und — an zeitgemäßer Neugeftaltung der chrift- 
lihen Religionslehre. Es ift der unter Nr. 1 der Literatur aufgeführte 


Leitfaden für den Religionsunterridht in ben Volksſchulen 
des Herzogthums Gotha (von C. Schwar;). 


Bir halten es für unfere Schulvigfeit, nicht bloß im Allgemeinen auf 
dieſe vortreffliche Schrift, als eine epochemachende Zeiterfheinung aufmerkſam 
a machen und fie zur erniteften Beachtung zu empfehlen, ſondern fie auch 
bier in der Ginleitung als das wichtigfte Product der Jahresliteratur aus» 
führlich zu beſprechen. Dazu verpflichtet ung Bweierlei. Erſtens find wir 
es den Leſern des Päd. Jahresberichts ſchuldig, das Endergebniß der Ber: 

Bu. Yyıbaiht. XIX. 1 


2 Religionsunterricht. 


bandlungen über den Shmidt’fhen „Entwurf zu einem Religionzunter: 
riht u. ſ. w.“ mitzutbeilen, von deren Gang und Entmwidelung in den brei 
legten Nahren hier berichtet worden ift. Sodann haben wir aber auch den 
praktiſchen Beweis von der Wahrheit des Hauptfaßes zu führen, den wir 
an die Spitze des vorigen Jahresberichts ftellten und dort falt nur then: 
retiſch durhführten: daB das Chriftentbum eine Religion des 
Fortſchritts ift. 

Sogleih nad) dem Erfcheinen des „Entwurfs zu einem Neligionsunter: 
richte für die Vollsjhulen des Herzogthums Gotha” vom Schulrath Dr. R. 
Schmidt mwurbe im Yahresberichte 1864 ausführlich über denfelben referirt 
und fowohl auf feine hohe Wichtigkeit für die Fortbildung des chriſilichen 
Religiongunterrihts, als auch auf den Ernft, die Sorgfalt und Bedacht⸗ 
ſamkeit hingewiefen, mit welcher vieje heilige Angelegenheit behandelt wurde. 
Auf hohe Anoronung wurde der „Entwurf Gegenjtand vielfältiger Con⸗ 
ferenzverhandlungen in jänmtlihen Schulbezirlen des Landes ; die Bezirks⸗ 
Sculinjpectoren hatten über das Refultat diefer Verhandlungen an das 
Herzogl. StaatSminifterium eingehenden Bericht zu erftatten und fchließlich 
wurde (wie im Jahresb. 1865 mitgetheilt worden ift) der „Entwurf noch 
einmal im Ganzen von einer Berfammlung des allgemeinen gothaijchen 
Landes⸗Lehrervereins unter Betheiligung des Berfafiers ſelbſt und bes 
Oberhoſpred. Dr. Schwarz durchberathen. Schmidt hatte nach dieſem Allen 
feinen „Gntwurf” nochmals umgearbeitet, und nun follte derſelbe dem 
beszogl. StaatSminifterium zur definitiven Beſchlußfaſſung übergeben werden. 
Da ftarb, allgemein betrauert, der edle und geniale Begründer dieſes Werkes 
und die Bollführung deſſelben ging in andere Hände über (ſ. Jahresbericht 
1866). Das herzogl. Staatsminifterium übertrug fie den Herren Ober 
bofprediger Dr. Schwarz und Schulratb Dr. Dittes. Jener übernahm 
ed, ben wichtigſten und fchwierigften Theil des Neligionsunterrihts, den 
ioftematifchen Unterriht für die Oberklaſſen der Volksſchule zum Abſchluß 
zu bringen, während die Vorſtufen deſſelben von dem Lebteren zur abſchlie⸗ 
Benden Bearbeitung übernommen wurden. Wohl war fhon in der erften 
Hälfte des vorigen Jahres jene Arbeit vrudfertig; aber die oberfte Staats 
bebörde nahm in ihrem Gerechtigfeitsfinne noch immer Anftand, fie zu 
veröffentlihen und als Lehrbuch zu autorifiren. Die Schule war gehört, 
in liberalfter Weife war ihr bei diefem wichtigen Borbaben das Wort ge— 
gönnt worden; — follte nicht auch die Kirche gehört werden, — fie, bie 
ja von nun an die Kinder der Volksſchule, nach diefem neuen Religionsunter: 
richte unterwiefen, zur weiteren religiöfen Fortbildung erhalten und auf 
diefem Grund fortbauen fol? Gewiß, e3 war ein Alt der Gerechtigkeit, 
daß das herzogl. Staatsminifterium ein neues Religionsbuch nicht eher einführen 
wollte, bis es auch das Gutachten der Kirche über daſſelbe vernommen hatte. 
Aber wer ift denn die Kirche, die ein ſolches Gutachten abzugeben befugt 
und berehtigt war? Gewiß nur die auf Grund einer burchgebilveten Ge: 
meindenerfallung zufammenberufene Synode. Da nun eine folde in 
unſerm Lande noch nicht bejteht, jo mußte eine andere Vertretung aller zu 
unferer Landeslirche gehörenden Gemeinden und ihrer geiftlihen Führer 
gebildet und berufen werden, von der man erwarten durfte, daß fie unter 








Religionsunterricht. 3. 


den beſtehenden Berhältnifien am richtigfien beurtbeilen könne, ob ber neue 
Religionsunterricht dem Gemeindebemußtfein ber Gegenwart entfpreche. Ganz 
natürli; fiel man daher auf eine Vertretung der Kirche durch die Super 
intendenten jäwmtlider Bezirle. Und fo berief denn das Herzogl. Staats⸗ 
minifterium eine Gpborenconferenz zufammen, welde ſchließlich auch 
noch über die Zwedmaͤßigleit des umgearbeiteten „Entwurfs“ für die Kirche 
der Jestzeit und insbeſondere unſeres Landes abgeben ſollte. Es legte 
dabei in feiner Einladung an die Ephoren eine fo humane Rüdfichtnahme 
auf die Rechte der Kirche an den Tag, daß es mohl am Orte iſt, bier fol 
genbe Hauptftelle aus berjelben woͤrtlich mitzutheilen. Diefe lautet: „Ob⸗ 
„wohl ſich das herzogl. Staatsminiſterium nad den fir Kirche und Schule 
‚beflehenden Geſetzen für ermächtigt hält, diefen Entwurf als Leitfaden für den 
‚Religionsunterricht in den Volksſchulen des Herzogthums Gotha einzuführen, 
„fo etachtet baflelbe es doch für angemefien, zunädft noch Stimmen aus 
„ber Mitte der ſtirche barüber zu vernehmen, ob der Entwurf zu lei: 
„nerlei Bedenken feitens der Kirche Anlaf gibt, vielmehr 
„nen Bedürfnifjen derfelben Genüge leiftet.” Die verfammelten 
Ephoren führten zwar mit den Mitgliedern der betreffenden Section des 
Staatsminifteriums, die fämmtlich anweſend waren, eine lange Verhandlung 
über den Entwurf (den jeder derjelben einige Wochen vorher zu forgjäls- 
tiger Prüfung in lithbographiihem Abprud erhalten hatte); ; aber alle ihre 
Bemerkungen und Einwaͤnde betrafen nur Einzelne in der Darftellungs- 
form, — das Ganze fanb großen ungetheilten Beifall. Bor Allem wurde 
von ihnen die Hauptfrage, die ihnen vorgelegt war, einmüthig dahin beant- 
wortet: daß ber Entwurf zu keinerlei Bedenken ſeitens der Kirche Anlaß 
gebe, daß er vielmehr den Bebürfnifien verjelben vollkommen Genüge leifte, 
dab er ein Meifterwerk tiefer und richtiger Erfafiung der Bibellehre ſei, und 
dab er auf eine Höhe chriſtlicher Anfhauung führe, wie fie der Geiſt des 
Broteflantismus in unferer fortgefchrittenen Zeit erforbere. 

Somit wurden nun die Alten über dieſen Gegenftand geſchloſſen, und das 
lleine und doch jo hochwichtige Werl liegt fertig vor uns. Ja, hochwichtig ift 
es nicht blos für den engen Kreis unjerer Landesſchule und Landeslirche, ho ch⸗ 
wichtig auch für die ganze proteſtantiſche Welt. Es ſtehet da als ein Zeugniß 
echt proteſtantiſchen Geiſtes, des Geiſtes fortſchreitender Entwidelung der reinen 
Lehre des Cvangeliums. Es ftehet, jo viel wir willen, einzig da in ſeiner Art 
als Zeugniß von dem Fortſchritt des Chriftentbumsg, wie wir ihn 
im vorigen Jahresbericht als Forderung des Proteftantismus bezeichneten. 
Denn unter allen für ven Bollsunterricht bis jet erſchienenen Werlen ift uns 
feines befannt, welches die Grundlehren des Evangeliums fo wahr und fo tief 
efabt, fo Har und bündig ausgeſprochen, jo trefflih und entſchieden mit 
der Zeitbildung in Einklang gebracht hätte, wie jenes. m ihm ift allen 
Srgebnifien der Wiſſenſchaften, allen Fortfchritten der Religionsertenntniß 
gewifienhaft Rechnung getragen; alle Grunblehren der Orthodorie, wie fie 
unter dem Ginfluß der fcholaftiichen Theologie des Mittelalters ſich ausge 
bildet haben und in bie Confeſſionen unjerer Kirche vor Jahrhunderten 
übergegangen find, erfcheinen bier in ihrer durch die Bibelkunde geläuter- 
ten Form. Ganz beſonders zeichnet ſich aber dieſes Wert dadurch aus, daß 

1* 





4 Religionsunterricht. 

es nicht darauf ausgeht, neue Togmen aufzuftellen, fondern daß es vielmehr 
fih bemüht, vom Dogma zu der einfachen Lehre des Chrifienthums zurüd: 
zuführen, zu ber Lehre Jeju, die, alles theologijche Beiwert fernhaltend, zum 
Herzen und in’s Leben dringt. Das iſt es aud, was Schenlel in feiner 
Kirchlihen Zeitichrift (1867, I, S. 19 f.) vor Allem viefem Werl nad 
rübmt. Cr fagt: „Schwarz hat in diefer Echrift überzeugend bargethan, 
daß chriftlihe Wahrheit viel einpringliher zu ben Gemüthern jpridt, wenn 


man ihren Kern der harten dogmatiſchen Schale entlleivet. Schwarz bat, 
wie er felbii in der Borrede fagt, mit dem Gebanten Ernfi gemadt, „daß 
die Religion vor Allem Leben und dann erſt Lehre ſei, daß die Lehre 
überall gegründet werden mũſſe auf Leben, Beilpiel, Gedichte und darum 
zurüdgeführt werden müfle auf ihre einfache und uriprünglidfie, auf 
das Chriſtenthum Chrifti, das noch ganz und recht lebendig-religids 
und gar nicht dogmatiſch if.” Wir glauben. von dieſem Beinen. Leitfaden 
fagen zu dürfen: „es ift zwar weniger Theologie, aber mehr Re« 
ligion darin, als in den bektenntnißreichen Katechismen, 
und wir hoffen, daß das damit gegebene Beifpiel von durchſchlagender Wir: 
fung fein wir.” So äußert ſich Schentel a. a. D. in dem Aufiag: 
„Kirchliche Umſchau“ (5. Abſchnitt: „der dentſche Proteflantismus und bie 
evangeliihe Landesliche‘‘), nachdem er ©. 17 gejagt hatte: „Chriftus bat 
gar keine Dogmen aufgeftellt, er bat fi vielmehr von der Dogmatif 
der Theologen feiner Zeit abgewendet, und bie große Wahrheit geofienbart, 
daß die Religion klein Dogma, jondern ein unmittelbare 
Leben in Gott if, das fih in fittliden Lebensfrüdten 
innerhalb der Welt und gegenüber dem Nädften bewähren 
muß” Bir ftimmen ihm darin volltommen bei, und weil wir in dem 
Schwarzfden Leitfaden diefen Grundgedanken realifirt ſehen, weil wir in 
ihm eine überaus wichtige beroorragende Zeiterſcheinung erfennen, die den 
proteftantifhen Religionslehrern ein nahahmungswürdiges Borbild gibt, wie 
fie die Lehre des Ehriftentbums nah dem Stande ber gegenmwär: 
tigen Zeitbildung aufzufaflen und für Herz und Leben frudt- 
bar zu madhen haben: fo wollen bier wir venjelben jo gründlich charak⸗ 
terifiven, daß jeder Lehrer daraus eine deutliche Anſchauung feines Inhaltes 
und Geifted gewinnt; einige kritiihe Bemerkungen dazu finden fi unter 
Nr. 1 der Literatur. 

Zuvor fei noch bemerkt, warum wir diefe Schrift ven Schwarz'ſchen 
Keitfaden nennen. Er trägt nicht diefen Namen, ba er im Aufttage 
des berzogl. Staatäminifteriums gejchrieben und von demjelben in bie 
Schulen eingeführt worden if; aber er bat den Dberhofpred. Dr. Karl 
Schwarz zum Verfaſſer. Nad all’ den Berbandlungen, welche über die 
Einführung eines neuen Religionsbuchs geführt worden waren, wurde bie 
definitive Feſiſtellung vefielben in die Hände des Genannten gelegt. Der 
Shmivt’ihe „Entwurf bildete dabei zwar bie Grundlage, die aus dem: 
felben ſprechenden Anſchauungen und Tendenzen blieben diefelben, Schmidt's 
Geift weht auch in der neuen Arbeit; aber Anlage und Faflung find in 
ihr fo originell, daß der Leitfaden mit vollem Rechte der Schwarz'ſche 
remannt wird. 


Religionsunterricht. | 5 


Um num den Leſern ein Mares Bild von dieſem Leitfaben vor Augen 
zu führen, wollen wir nicht nur den Inhalt deflelben in feinen Hauptzügen 
und nach feiner Anordnung im Ganzen mittbeilen, fondern auch einzelne 
Proben der Ausführung, namentlih zur Vergleichung mit der ftabilen Dogs 
matil der angeblich confeffionellen Grundlehren, wörtlich wiedergeben. 

In der Einleitung iſt die Rede von Religion und Offenbarung. 
A. Relinion: 3) das Weſen der Religion (fie iſt die innigfte Lebens» 
gemeinichaft des Menſchen mit Gott, -- Gottesfurdht, Gottesliebe, Gottver⸗ 
trauen, Öottfeliglet); — 2) der Sinn für die Religion, der Glaube 
(die Religion bat ihre Wurzel und Heimath im Herzen, — von bier dringt 
fie in den Berftand und Willen, — zum warmen Herzen muß binzuloms 
men die Mare Erlenntniß und der feite Wille, — fo erft durchdringt fie 
den ganzen Menſchen, — der religiöfe Glaube [Sinn für die Religion] 
M das ſicherſte und gewiſſeſte Wiſſen, das keiner Gründe bebarf, mweil es 
auf den lebten Srund [auf Gott] zurüdgeht und im Gewiſſen feinen Wieder⸗ 
Hang findet, er ift außerdem viel mehr als alles Wiſſen, nicht ein Anneh⸗ 
men mit dem Gedächtniſſe oder Verſtande, fondern ein Hingeben des 
ganzen Menſchen, — er richtet fih nicht auf endliche Dinge, Thats 
ſachen ſgeſchichtlicher Glaube) oder Lehren, die auf menſchlichem Anfehen 
beruhen [Auctoritätsglaube], ſondern allein auf den unenblihen Gott); — 
3) der Gegenftand der Religion: a. das höchſte Ziel alles Glaubens 
iR der einige Gott, b. die ganze unfihtbare Welt des Geiftes, 
die von Gott ausgegangen (der Glaube an die Kraft und den Sieg des 
Guten und Wahren, an das Neih Gottes auf Erden mit feinen Gütern 
md Gaben, an die Freiheit und Unfterblichleit der Seele), o. Jeſus 
Chriftus, der zu Gott führt; 4) die verſchiedenen Hauptreligionen: 
a. das Heidenthum ift Creatur:Bergötterung, b. das Judenthum die Reli: 
gion des Gefepes, c. das Ehriftenthum die Religion der Liebe und ber 
Kindihaft Gottes. — Das ift die Summa und der lern des ganzen 
Chriftentbums, daß das Herz Gottes erbarmende Liebe ift und alle 
anderen Gigenfhaften ſich diefer einen unterorbnen. So ift er denn ber 
Bater, die Menſchen feine Rinder. — Das Reich Gottes ift bier 
nit mehr auf das jüdifhe Voll, auf den Tempel zu Syerufalem und den 
Thron David's befchräntt, fondern ein Reich des Geifles und der Liebe, 
zu welchem die ganze Menſchheit in allen Völkern und Zungen berufen 
fl. Diefes Reich Gottes bildet den Kern der Verkündigung Chriſti. Aber 
es if nicht ein Außeres Reich, bejteht nicht in Geſetzen, Einrichtungen und 
Geremonien, fondern ein inneres, ift die Liebe Gottes, die in den Seelen 
der Menſchen herrſcht; es ift nicht ein enges, auf ein Bolt befchränttes, 
fondern ein weites, die ganze Menfchheit umfaſſend. Ein Reich der Liebe, 
ver Kindſchaft Gottes und der brüberlihen Gemeinfhaft der Menſchen 
unter einander. — Der Muhammedanismus ift nur eine Mifch-Religion. 

B. Die Offenbarung: 1) Weſen der Dffenbarung. Sie ifl 
die Quelle der Religion und gehet von Gott aus, Sie dringt wie das 
Licht, in die Dunkelheit und fcheint wieder, fowohl in der äußeren Natur, 
als in der Seele des Menfchen. Sie ift früher und fteht höher, ala Alles 
was von Menfchen erlernt, erwacht und erfunden worden if. — 2) Stus 


6 Religionsunterriäht. 


fen der Offenbarung. Gott hat ſich offenbaret: in der Natur, in 
der Vernunft und in dem Gewiſſen jebes Einzelnen, in der Ge: 
ſchichte der Böller und ihren Scidfalen, in ven geweibeten Lehrern 
und Führern der Menſchheit; am volllommenften in Jeſu Ehriito. 
— 3) DOffenbarungsd-Urlunde. Die Offenbarung im engeren 
Sinne ift niedergelegt in den Offenbarungs⸗Schriften, das ift in 
den heiligen Schriften, welde die Quelle und Grundlage ber drift 
lihen Religion bilden und im 4. und R. T. zufammengefaßt find. 
a. Name b. Bedeutung. Sie ift die Duelle der chriſtlichen Reli⸗ 
gion, das beißt: hier fließt das Wafler des ewigen Lebens am reinften, 
am urfprünglidften, am vollfien. Zn der Bibel felbft ift wieder 
das eigentlichfte Quellwaſſer Chriftus und fein Wort. Die Bibel ift: Wort 
Gottes. Mber nit in dem Sinne, ald ob jedes Wort der Schrift un: 
mittelbar und durch ein Wunder von Gott geredet und darum über 
ale Mängel und Irrthuͤmer der Menſchen erhaben fei, fondern in dem, 
bag der Geift Gottes in diefen Schriften weht und daß die frommen und 
erleuchteten Männer, melde fie verfaßt haben, von dieſem Geifte getrieben 
wurden. c. Wirkung. Erleuchtung, Erbauung, Züchtigung, Tröftung. 
d. Eintheilung: U. und N. T. Gefeb und Evangelium. Hier werben 
die Geſchichts⸗, Lehr: und propbetiichen Bücher vortrefflich haralterifirt und 
die lejenswertheiten und erbaulichſten Stellen hervorgehoben. Bon ven 
Evangelien heißtes: Die Synoptiker geben vie äußere Lebensgeſchichte, 
durchflochten mit Reden und einzelnen Ausſprüchen, dieſes, welches Luther 
bad zarte und geiftige Evangelium nennt, die innere Geſchichte Jeſu, 
an welche fich die äußeren Handlungen und Schidfale nur ergänzend an- 
fhließen. — oe. Sprade. 

Eintheilung: Grundbegriff: Das Chriftentbum ift das Reich 
Gottes auf Erden, das Reich des Geiftes und der Liebe. Daher fol: 
gende Theile: 

4) der Herr des Reiches, Gott; 

2) der Bürger des Reiches, ver Menſch; 

3) der Stifter bes Reiches, Chriftus; 

4) die Berwirllihung des Reiches, die Kirche. 

Erſter Haupttheil: Der Herr des Neiches, Gott. A. Daſein 
Gottes. Beweiſe vom Dafein Gottes im ftrengen Sinne gibt es nicht, 
darum weil er das Erſte und das Höchſte ift, der Grund von Allen, aus 
dem alles Andere erſt begründet wird. Aber vie ganze Schöpfung beweiſi 
ihn infofern, als fie auf ihn zurüdmweilt und ohne ihn ein unerllärliches 
Räthfel, ein Spiel des Zufalls fein würde. Die ganze äußere Natur in 
ihrer Bwedmäßigleit, Schönheit und Harmonie bezeuget den allmädhtigen 
und weifen Gott, vor Alem aber bezeugt er fich in der Seele des Menfchen. 
Denn ver hoͤchſie Beweis ift der des Gewiſſens. Nur die Thoren 
ſprechen: es ift fein Gott. — B. Das Weſen Gottes: 1) Gott ift der 
unendliche Geift, 2) die unenblihe Liebe. Aus Liebe hat er die Welt ge: 
Schaffen, mit Liebe erfüllt er fie und hält fie verbunden, in Liebe führt er 
die Verlornen und Verirrten zurüd in feine Baterarme, — C. Die Eigen: 
Shaften Gottes: 3) Gigenicaften des Seins (Unendlichkeit, Cwigkeit 


Religionsunterright. 7 


und lUnveränderlichleit, Allmacht, Algegenwart), 2) — des Wiſſens 
(Alwifienheit, Allmeisheit), 3) — des Wollens (Heiligfeit, Gerechtigkeit, 
Bahrhaftigleit). Hier wird Heiligkeit und Sittlichleit oder Heiligung vor 
trefflich umterfchieden: jene fteht über Kampf und Sünde, biefe ringt mit 
der Sünde und überwindet fi. — D. Die Thätigleit Gottes: Gott 
it 1) der Schöpfer, 2) der Erhalter und Negierer, 8) der Befeßgeber ber 
Bet. Die zehn Gebote. Das Gejeß Gottes durch Moſes gegeben. 
Das Sittengejeb im Unterſchied von Geremonialgejeß und bürgerlichem Gefeß. 
Zwei Tafeln: die erfte (1.—4. Gebot) lautet : halte heilig Gott und feine 
Ötellvestreter; die zweite (5.—10. Gebot): halte heilig deinen Nädhflen in 
Werlen, Worten und Gedanken. Das Eine Grundgebot iſt das ber Liebe. 
Der Eine Strom der Liebe theilt ſich in die beiden Arme: die Liebe zu 
Gott und vie Liebe zu den Menſchen. Das Geſetz der zehn Gebote if 
durch das Ehriftentbum nicht aufgehoben, ſondern erfüllt. Die Erfüllung 
zeigt fih darin: 1) daß wir die Gebote Gottes thun nicht aus Furcht vor 
ver Strafe over aus Hoffnung auf Lohn, jondern aus Liebe und mit 
greuden; daß das Gute nicht in Werken allein beftebt, fondern in den reinen 
und frommen Gefinnungen, aus weldhen allein gute Werte hervorgehen 
innen. Dies der Unterfchied von Geſetßzlichkeit und Sittlihleit. — 
Aus der nun folgenden Grörterung der zehn Gebote heben wir folgendes 
heraus. Berhältniß ver drei erſten Gebote zu einander: Heilighaltung 
Gottes im Herzen, im Worte, im Dienſt. Das Fürchten Gottes (im 
1. Gebot), weldes neben der Liebe fteht, it nicht die knechtiſche Furcht 
vor der Strafe, fondern die Ehrfurcht vor dem heiligen Willen Gottes 
und feiner unantaftbaren Majeflät. — Abgötterei (im eigentlichen Sinne) 
berrfht noch jebt in der katholiſchen Kirche im Heiligen:, Bilder⸗ und Res 
liquiendienfie. — Viertes Gebot: Wie das erfte Gebot das ſchwerſte und 
größte, iſt das vierte das natürlichite und lieblichite. Beide gehören eng 
zufammen. Die Ehrfurcht vor den Eltern ift ein Abglanz der Ehrfurcht 
vor Gott. Der Batername ift der herrlichſte für Gott, und alle Elternliebe 
in feines Liebe gegründet. Die göttlihe Gerechtigkeit ofjenbaret ſich nirgend 
jo fihtbar und bandareiflih als in dem Segen und Fluch des vierten Ges 
bois. — GSiebentes Gebot: für den Diebftahl gibt es feine Ent: 
ſhuldigung: Nicht der Neichihum des Beitohlenen, nicht die Armuth 
des Stehlenden, nicht die Heine Summe des geitoblenen Gutes. Jeder 
Pleunig, ven wir einnehmen, fol auf die Waage des Gewiſſens gelegt 
werden. — Achtes Gebot: die Ehre, der gute Name iſt auch ein Eigen: 
ihum, und zwar das höchſte und zugleich zerbrechlichſte. — Achtes Gebot: 
Alles zum Beften lehren, heißt nicht das Böſe beſchönigen, ſondern 
ben böfen Schein abwenden, die befte Seite ‚hervorheben, den Unfrieden, 
der durch Obrenbläfer eniftanden, in Frieden ummanbeln. — Die Gebote 
der zweiten Tafel, vom 5. bis zum 9. Gebot, lauten: halte am Recht 
(5. u. 7.), halte an der Liebe (6.), halte an ver Wahrheit (8.). — 
Neuntes und zehntes Gebot: Halte rein die eigne Seele! Dieſe 
beiden Gebote geben bis auf die Duelle der Sünde, die böfe Luft 
zurud. Nicht außer dem Menſchen fließt die Quelle, nicht auf Gott oder 
auf den Teufel, oder auf die Verführung ver Menſchen ift die Sünde zus 











8 Religionsunterricht. 


rüdzuführen, fie quillt aus der eignen und innern Begierde. Gm 
jeder ift für fich felbft verantwortlid. — Die böfe Luft ift noch nicht Die 
böfe That. Nur vie Quelle, nicht der Strom, nur der Reim, nicht die 
ruht. Sie Tann und foll überwunden werben durch ben freien Willen. 
Ein ever fol wachen, beten und lämpfen, daß der Geift die Herr: 
ſchaft gewinne über das Fleiſch. 

Zweiter Haupttheil: Der Bürger ded Reiches, der Menfch. 
A. Die Würde des Menſchen. Der Menib ift bie Krone ber 
Schöpfung, das lebte Tagewerk Gottes, der Herr über die Erbe und Alles, 
was barinnen if. Dieje Herrfchaft zeigt ſich ſchon darin, daß er einem jeden 
Weſen feinen Namen gibt, d. b. ihm feine Stellung und Bedeutung in 
der Welt anweil. — B. Die Natur des Menjhen. Dieſe Würde 
des Menſchen ruhet auf feiner höheren Natur. Das Ebenbild 
Gottes, welches ihn auszeichnet vor allen Creaturen, prägt fi ſchon 
in feinem Leibe aus, in ber Richtung nah oben, in dem ausdrudsvoll 
aufgefehlagenen Auge, in dem aufredhten Gang. Bor Allem aber in feinem 
Geifte, in welchem der Odem Gottes weht. So offenbart fih dad Eben: 
bild Sottes in der Vernunft und dem Gewiffen bes Menſchen, durch 
welche er Gott erfennt und liebt, — ferner in der Unfterblidleit. — 
C. Die Beftimmung des Menſchen. Sie ift die reine und voll⸗ 
fommene Entwidelung aller in ihn gelegten Kräfte und Anlagen. Die 
irdifhe Beitimmung ift: die Erhaltung und Fortbildung feiner Selbit in 
Geſundheit des Leibes und der Seele, in Fleiß und Ordnung, in jeder 
Art des Willens und Könnens; — die ewige: die Heranbildung des 
göttlihen Ebenbildes. — D. Der Fall des Menſchen. Die 
b. Schrift, die Weltgefhichte und die Erfahrung jedes Ginzelnen lehren 
gleihmäßig, daß dieſe Beitimmung nicht erfüllt, die Menſchen vielmehr in 
Sünde gefallen, immer tiefer in Aberglauben und Gößendienft, in Selbſt⸗ 
ſucht und finnlihe Lüfte verfunten find und alfo das göttliche Ebenbild 
befledt und entftellt haben. — 1) Weſen der Sünde; 2) Duelle (bie 
eigne böfe Luft, bie aus der Freiheit des Menſchen und ihrem Miß- 
brauh kommt, — ohne Freibeit feine Sünde, aber auch keine Sitt⸗ 
lichteit); 3) Allgemeinheit (bie Sünde beſteht nicht allein in ein 
zelnen Handlungen, fondern in der Sündhaftigkeit d. h. in dem all⸗ 
gemeinen Hang zum Sündigen, von dem niemand frei ift); 4) verſchiedene 
Arten (zwei Hauptklaſſen: Sünden der Sittlichfeit und der Selbftfucht, 
jene werben eher vergeben und auch von Chrifto milder beurtheilt, als diefe, 
weil mit ihnen fo oft bittre Reue und heißes Verlangen nad Umkehr und 
Beflerung verbunden ift); 5) Folgen (innere Unfeligleit, Knechtſchaft, 
„200 — alles leiblihe und geiftige, zeitlihde und ewige Ververben, das 
von der Sünde herrührt); 6) die Verderbniß der Sünde: Durch 
die- Sünde bat die niedere Natur über die höhere, das Fleifch über den 
Geift die Herrihaft gewonnen und damit ift das göttlide Ebenbild ent: 
ftellt und befledi. Aber es iſt nicht zerftört, fondern nur verdunkelt, 
nicht verloren, fondern nur verborgen. Mit dem völligen Berlufte 
würde der Menſch aufhören Menſch zu fein. Die Fähigkeit zum 


Religionsunterricht. 9 
Guten, das Gefühl der Schuld, die Sehnfucht, die Neue, das Verlangen 
aufuſtehen und umzukehren ift ihm geblieben. 

Dritter Haupttheil: Der Stifter des Neiches, Jeſus Chriſtus. 
A. Die Borbereitung. Das Cintreten des Gottesreihs war vorbe⸗ 
reitet durch bie ganze vorhergehende Geſchichte, durch die erleuchteten 
Männer der alten Welt, die Dichter, die Weifen, die Gejeßgeber; vor Allem 
durch die Stiftung bes alten Bundes, durch die Geſchichte des jüdiſchen 
Volles, die Patriarhen, Mofes, David, die Propheten, bis auf Johannes 
den Täufer. Der alte Bund hat feinen Höhepunkt in dem Geſetz des Mofes 
und in den Weilfagungen ver Propheten. — 1) die Bedeutung des 
Seſetzes. Es ſpricht das Gebot aus, gibt aber nicht die Kraft, es zu er: 
füllen; es ift der Buchtmeifter zu Chrifte. — 2) die Bedeutung der 
Bropbeten und ihrer Weiffagungen. jene befteht nicht in dem 
Borberfagen einzelner Begebenheiten, fie find vielmehr vie gottbegeifterten 
Zührer des Volles, die Träger des alten Bundes, die Hüter ber reinen 
Jehovareligion, die Strafprediger in den Beiten ber Sittenlofigleit und des 
Abfalls, die Tröfter in denen des tiefften Unglüds, die Seber und Dichter 
einer herrlichen Zukunft (Propheten, vie nicht durch Schriften, fondern durch 
Thaten glänzten — Samuel, Nathan, Elias, Eliſa — und Hauptperioden 
der ſchriftſtellernden Bropheten), Die Weiffagungen find nicht Außer 
lich und in einzelnen Schilderungen, wohl aber innerlih und geiflig 
erfüllt. So ift die Erfüllung berrliher und höher geweſen als bie 
Weiſſagung. Chriftus ift ein Fürft des Friedens, ein König der Wahrheit, 
ein Herrſcher nicht über das juͤdiſche Bolt allein, fondern über die ganze 
Menſchheit, fein Reich ein Rei des Geiftes. — 3) Der Borläufer 
Jefu, Johannes der Täufer. Er ift der Größte des alten Bundes, 
aber gehört diefem noch an. Großer Unterſchied zwifhen ihm und Jeſus: 
Dort der firenge Wüftenprebiger, bier der milde Freund des Volks und 
des Lebens; dort der BZuchtmeifter, der bie Strafe verlündigt, bier ver 
Bräutigam, der um die Seelen der Menjhen wirbt; dort die Buße das 
Erſte und Letzte, bier nur das Erſte; dort wird nur das Gute gefordert, 
bier die Kraft gegeben, e3 zu vollbringen; dort wird mit Waſſer getauft, 
hier mit Feuer und mit dem h. Geift. — 4) Der Zuftand des Juden: 
thums zur Zeit Jeſu. Die brei Hauptparteien bei dem Auftreten 
Jeſu: Phariſäer, Sadpucäer, Efiäer. 

B. Die Erfüllung. 1) Wefen und Würde Jefu. Er wurde 
der Erlöfer der Menſchen von den Banden der Sünde und der Ver: 
föhner der Seelen mit ihrem Gott, der Gründer eines neuen Bundes, 
einer Gemeinfchaft der finder Gottes. Zum Weſen vefielben gehört, daß 
ea if: a) Das volllommene Ebenbild Gottes im Menſchen. 
Bir nennen das auch Jeſu Sünplofigkeit. over feine fittlihe Voll⸗ 
lommenheit. Diefe Sünplofigfeit ift nicht als ein göttliches Gnadengeſchenk 
anzufehen in dem Sinne, als ob es ihm unmöglich geweſen ſei, zu jüns 
digen; fie war vielmehr die Yrucht, der Lohn und Siegespreis feines gans 
jen Lebens und wurde nur durch fortgefeßten Kampf und Sieg über alle 
Berfuhungen errungen. Als volllommenes Ghbenbiln Gottes ift Jeſus 
das Urbild der Menſchheit und das Vorbild für jeven Einzelnen. Diefes 





10. maitgionumtericht 


Vorbild der Wahrheit und Liebe iſt ung gejebt * Leben und Sterben, für 
Kämpfen und Leiden, vor Allem für ein gedulbiges, muthiges, Gott vers 
trauendes Leiden. . Daher das Kreuz, das Zeichen der Chriftenheit, auf 
"unjen Kirchen und Altären, wie an unfen Gräben. — b. Des Men: 
jhen Sohn. Jeſus wählte dieſen Ausdrud (mit Bezug auf Dan. 7, 13) 
in Demuth und hohem Selbfigefühl zugleih, um bamit bie Niedrigkeit 
wie die Hoheit der menſchlichen Natur fih ganz zu eigen zu maden. 
Gr wollte jagen, daß er nicht die Borftellungen vom äußeren Glanz und 
Koͤnigskrone des Meſſias zu erfüllen gelommen, daß er vielmehr nichts als 
Menf fein wollte, und mit den Menfchen alle menſchlichen Schwächen 
zu tragen, alle Leiden durchzuempfinden und durch alle Rievrigleit und Bes 
dürftigleit hindurchzugehen gekommen. Er verband damit aber den Gedanken, 
daß der Sieg über alles finnlichsthierifche Wefen, zugleich das höchſte Ziel und 
der Preis dieſes Ervenlebens und darum ber rechte Menſchen⸗Sohn zugleich 
der Gottes⸗,Sohn ſei. — c. Gottes Sohn. Dieſer Name hat eine 
meſſianiſche Bedeutung (im N. 7. für Meſſias, hier: der von Gott 
beſonders Begnabigte und Geliebte) und eine geiftigsreligiöfe. Jeſus 
nennt ſich fo, weil er aus dem Geifte Gottes geboren und durch Gefin- 
nung und Liebe mit ihm Eins tft, wie der Sohn mit dem Vater, Gr 
wollte diefe Gottes⸗Sohnſchaft nicht als ein Vorrecht für ſich behalten, fon» 
dern alle Menſchen, als feine Brüder, zu Rindern Gottes erheben. So ift 
denn zwiſchen dem Sohne Gottes und den Rindern Gottes kein 
Unterſchied des Geſchlechts und Jeſus nennt Gott nicht nur: mein 
Bater, fondern auch unfer und euer Bater. Nur der Unterſchied bleibt 
zwiſchen ihm und allen andern Menſchen, daß er der Erftgeborne unter 
den Kindern Gottes ift, d. b. daß er es ift, welcher Gott zuerit ald ben 
Vater mit der ganzen Kraft der Kindesliebe vertraut hat und baburd der 
Stifter einer neuen Religion, der Religion der Liebe und der Verſoͤhnung 
mit Gott geworden if. Mit dieſer Grftgeburt hängt nothwendig zuſam⸗ 
men, daß er der Mittler ift zwifchen Gott und Menſchen, der Führer 
für alle verirrten und verloenen Kinder zurüd in bie Vaterarme Gottes, das 
Haupt und der Herr der chriftlihen Kirche. 

2) Das Leben Jeſu. a. Die Hauptpunkte ber Entwice— 
lung: Die Geburt, das ftille Wachſen und Zunehmen in Nazareth, das 
erfte Auftreten im Tempel, die Taufe am Jordan, die Verſuchungsgeſchichte, 
bie Sammlung der jünger, die Predigten am galiläifhen See, der. begin« 
nende Kampf in Serufalem, der Abſchied von den Seinen, der lebte Kampf 
in Getbjemane, Verhaftung, Gericht, Kreuzestod, der Sieg, Auferfliehung 
und Erhebung zum Himmel. — b. Jeſu Thaten, feine Wunder. 
Dis Höhften Thaten Jeſu find die geiftigen und unvergänglidhen, d. i. alle 
bie Bezeugungen feiner Gottesliebe und Gottvertrauens, feines Erbarmens 
gegen die Brüber, feines muthigen Kämpfens für die Wahrheit. Sie er: 
füllen fein ganzes Leben, fie wirken bis auf den heutigen Tag. Die 
außerordentlihen und Verwunderung erregenden Thaten, 
welche wir Wunder nennen, waren wichtiger für jene Zeiten, um bie Auf 
mertfamleit des Volles auf Jeſum zu lenlen, als für uns, bie wir folder 
„Beiden“ nicht mehr bevürfen. Denn der Beweis von ber goͤttlichen Sens 


Religionsunterricht. 11 


dung Jelu, melden bie ganze Weltgeſchichte geführt hat, und ben unfer 
eignes Herz beftätigt, flieht höher als jene Thaten. Jeſus ſelbſt kämpft 
gegen die Wunderjucht, verrichtet die Munder nur an den Glauben: 
den und fchreibt weſentlich dem Glauben ven Erfolg zu. Seine Haupt: 
wunder find Hei lwunder. Das größte Wunder ift er felbft, das Wunder 
einer einzigen, ganz von der Liebe Gottes erfüllten Perfönlihleit. — 
e. Jefu Leiden und Tod. Auch die Leiden Jeſu waren fittliche 
Xhaten, weil er fie wicht willenlos ertragen, fondern mit voller Freiheit 
auf fih genommen und durch herrliche Gottestraft und unendliche Liebe, 
jelbR gegen feine Feinde, geweihet hat. Sein Tod hat nicht für ſich einen 
Berth, ſondern gehört mit zu dem Leben, ift nichts als der Schlußftein, 
bie Befiegelung und Vollendung des ganzen Lebens. Seine Bedeutung 
liegt nicht in den Qualen des Leibes, fonbern in der Kraft des Geifles, 
in dem Siege über ſich ſelbſt und vie Welt. Diefer Tod war ein Opfer: 
tod d. b. ein Tod aufopfenver Liebe und Wahrheitätreue. Diefes Opfer 
wurde dargebracht Gott: ein Opfer des volllommenen Gehorſams, und den 
Renfhen: ein Opfer erbarmender Liebe. Jeſus ftarb für die Wahrheit 
und er fach für die Menſchen — das Beides ift Eins — denn er flarb 
für die Wahrheit, die die Menſchen ſreimachen und erlöfen ſollte. So il 
denn fein Exrlöfungswert nichts anderes, als: fein Leben und Sterben im 
heiligen Dienfte der Wahrheit und Liebe, durch melde die Menfhen aus 
der Knechtſchaft der Sünde erlöft werben follten. 

3) Die Lehre Jeſu. Sie heißt Evangelium, d. i. frohe Bot: 
haft, — die Botfchaft, daß Gott der liebende, vergebende, er: 
löfende Bater aller Menſchen if. a. Alfo das erfte Wort des 
neuen Bundes: Gott ifi der Bater, die Menſchen fene Kinder, — 
das Evangelium: vor Allen ein Gvangelium ber Gotteskindſchaft. 
b. Daraus folgt, daß dus Verbältnik Gottes zu den Menſchen das der 
Liebe it, ner Baterliebe Gottes zu uns und ber Kindesliebe ber 
Venſchen zu Gott und fo iſt das zweite Wort des neuen Bunbes: „Gott 
iR die Liebe”, und das Evangelium ein Evangelium der Liebe. c. Die 
Liebe Gottes zu dem fündigen Menſchen ift aber vor Allem erbarmende, 
vergebende Liebe, und fo ift das dritte Wort des neuen Bundes: „Ber: 
gebung der Sünden”, ımb das Evangelium ein Goangelium ber 
Gnade und Barmherzigkeit. d. Dieſe Bergelung der Sünden iſt 
aber nur der erfte Schritt zur Erloſung der Menſchen aus ber Knechtſchaft 
ver Sünde, und fo iſt das vierte Wort des neuen Bundes: „Grlöfung 
aus der Knehtfhaft“ und das Evangelium ein Evangelium der Er⸗ 
läjung mb Freiheit ber Kinder Gottes. — Dies Evangelium ift nicht 
für Einzelne nur gegeben, ſondern hat in fich die Kraft und Beſtimmung, 
eine Gemeinſchaft zu Hilden, und dieſe Gemeinſchaft nennt Jeſus das 
Reich Gottes, welches Anfang, Mitte und Ende feiner Verkündigung 
f Das Reich Gottes aber ift nit ein äußeres, wie im Judenthume, 
ſondern lebt im Innern des Menſchen, ift nichts anderes als bie Herr⸗ 
ſcheit des göttlihen Willens in der Seele. Die Lehre vom Neiche Gottes, 
melde recht eigentlich das Chriſtenthum EC hrifti iſt, findet fich vorzugsweiſe 
in der Bergpredigt amd in den Gleichniſſen. — 1) Die Berg» 


12 Religionsunterricht. 


predigt. Sie enthält die Grundgeſetze des neuen Reichs und ſteht 
gegenüber der Geſetzgebung Mofis. Dort der Sinai mit dem Donnergott, 
bier der Berg der Seligkeiten. Dort das Gefeb für die Knechte Jehovah’s, 
bier für vie Kinder Gottes. Dort ein äußeres drohendes Geſetz: „du 
ſollſt“, bier ein inneres treibendes Geſetz: „ih will und kann“. 
Dort nur Gefeglichleit, hier wahrbafte Sit tlich keit. Die einzelnen Ab- 
Ihnitte der Bergpredigt find: a. Die Seligpreifungen, b. ber hohe Beruf 
der Jünger Jeſu, c. Mojes und Chriftus (der eigentlihe Kern der Berg- 
predigt: die Liebe des Geſetzes Erfüllung, Summe der chrifilichen Sittlich⸗ 
keit), d. gegen Heuchelei und äußeren Schein, e. daS ungetheilte Herz, 
f. chriſtliche Milde gegen Andere, chriftliher Ernſt gegen uns jelbft, g. die 
Frucht des Ehriftentbums, die lebendige That. — 2) Die Gleichniſſe. 
Sie handeln alle vom Reihe Gottes. Wie die Bergpredigt die Grund: 
linien des Reiches Gottes gibt, fo die Gleichniffe die Lebensbilder. 
Hauptgruppen: a. Der Werth, b. das Oberhaupt, c. die Genoffen 
bes Reihe (Bedingung der Aufnahme: Demüthige Sündenerfenntniß und 
reuevolle Umkehr, Bewährung der Theilnahme: wabrhaftige Naͤchſtenliebe, 
Wohlthun und Schulverlafien), d. die Hemmungen und Widerfadher bes 
Reichs (irdiſche Gefhäffigleit, Genußſucht, Nachläſſigkeit, Unbußfertigteit, 
Hartherzigkeit), o. die Entwicelung des Reichs (die Stufen menſchlicher 
Empfaänglichkeit, die Verſchiedenheit der Gaben und ihre Anwendung, die 
Ausbreitung des Reichs, die durchdringende Kraft, das allmaͤhliche Wachien, 
bie neue ſchoͤpferiſche Kraft, das Ende des Reichs, die Scheidung). 

Vierter Haupttheil: Die Verwirklichung des Neiched Gottes, 
die Kirche. — Das Reich Gottes, welches Jefus Chriftus geftiftet, findet 
erft feine volle Verwirklichung durd fein Fortleben in der Gemeinde, 
alfo daß wir in ihm leben, wie er in und. Wir find aber nur Eins mit 
ihm durch den heiligen Geift. Diefer h. Geift ift der Geift Gottes, der in 
Jeſu lebte und der auch nad feiner Erhebung in den Himmel fortlebt unter 
den Seinen. Gr ift ein Geift der Wahrheit, der Liebe, der Freiheit, der 
Kindſchaft und der Heiligung, der diejenigen, welche Jeſu angehören, an⸗ 
treibt zu Allem, was gut und göttlich ift, ihnen Zeugniß gibt, daß fie 
Gottes Kinder find und damit Seligkeit und Friede in ihnen ſchafft. Die 
Gaben des Geiftes find die mannichfaltigen Kräfte und Talente 
innerhalb der chriſtlichen Kirche zu ihrer Erhaltung und Yörderung. Die 
höchſte Geiftesgabe ift die Liebe. Die Früchte des Geiftes umfaflen 
alle chriſtlichen Zugenden, die an dem Stamme des Glaubens erwachſen und 
reifen. Dies Fortleben Jeſu in der Menfchheit durch den b. Geift ift ein 
Fortleben in der Seele des Einzelnen und in ber Gemeinſchaft der 
hriftlihen Kirche. 

A. Das Hriftlihe Leben in der Seele des Einzelnen. 
1) Des hriftlihen Lebens Anfang. Er ift die Umkehr von dem alten 
Leben der Sünde, die Geburt eines neuen Leben aus dem Geilte 
(Wiedergeburt). Diefes neue Leben gewinnen wir nur duch: a. Buße 
— die aufrihtige Sinnesänderung, da mir unfre Sünden erlennen, 
fie von Herzen bereuen und nah Bellerung verlangen, — und b. Glau⸗ 
ben. Der Glaube an Jeſum ift die gewifle Hebergeugung, daß er 





Religionsunterricht. 13 


zur Erlöfung der Menſchen und auch zu meiner GErlöfung in die Welt 
gefandt wurde, das Bertrauen auf jeine Kraft und Hilfe, die innige 
Liebe zu ihm und die treue Nachfolge auf allen feinen Wegen. So 
iM der wahre, d. i. der lebendige und feligmachende Glaube viel mehr 
ald eine bloße Erlenntniß, er iſt die völlige Hingabe des Herzens und 
Billens, trägt die Liebe in fih und führt zur innigften Lebensgemeinſchaft 
und Aehnlichleit mit Jeſu, alfo daß wir fein eigen find. — Die 
Rehtfertigung durch den Glauben bedeutet, dab vor dem Ange⸗ 
fichte Gottes Alles auf dieje Lebensgemeinſchaft mit Jeſu, nicht auf tote 
Werte und äußere Ceremonien anlommt und daß Gotted Gnade und Ber 
gebung auf denjenigen rubt, der in Jeſu ein neuer Menſch geworden, auch 
bei allen Schwädhen und Nachwirkungen der Sünde (Gegenfab der pro» 
teftantiichen und katholifhen Kirche), — 

2) Des hriftlihen Lebens Wachsthum. Der Kampf mit der 
Eünde und der Sieg über fie ift die Heiligung. Der Geift gewinnt 
immermehr die Herrſchaſt über das Fleiſch, die Liebe über alles jelbftfüchtige 
Bein. Tiefe Heiligung ift aber nie volllommen, wir ſuchen, tämpfen 
und fireben. 

B. Das Kriftlihde Leben in der Bemeinjhaft. 1) Das 
Velen ver Kirche. Zur Stärkung des hriftlihen Lebens bedürfen wir der 
Gemeinſchaft ver Gläubigen, d. i. der Kirche. (Sichtbare, unfichtbare 
Kiche). — 2) Die Heildmittel ver Kirche: a. das Gebet. Ohne Gebet 
leine Religion. Das Gebet ift der innerite Gottesdienſt des Herzens, das 
Iwiegefpräh der Seele mit ihrem Gott. Es ift eine Reinigung und Gr: 
bebung der Seele über dieſer Erde Vergänglichleit, Jammer, Noth und 
Eünde und kann ein Gebet der Buße, des Dankes oder der Bitte fein. 
Es richtet fi nur auf Gott. Im Namen Chrifti beten. Wie, um mas, 
wann, mo jollen wir beten? Erhörung wird ausbrüdlich verheißen und 
bleibet nimmer aus, wenn wir um göttlihe Dinge bitten und mit der Er⸗ 
gebung: Nicht mein, fondern dein Wille geſchehe. — b. Die Predigt 
des Evangeliums Wir follen das Evangelium Jeſu, welches in ber 
b. Schr. niedergelegt ift, gerne „lejen und hören, weil hier die Quelle 
des ewigen Lebens fließt. Die Predigt ift der Mittelpunlt des öffentlichen 
Gottesvienftes (Unterſchied der prot. und kath. Kirche). Durch fie iſt das 
Chriftenthum zuerft verbreitet (die Apoftel), durch fie gereinigt und erneuert 
worden (Reformation). Das chriftlihe Kirhenjahr. — o. Die Sacras 
mente. Sie find heilige, von Jeſu ſelbſt eingejegte Handlungen, in denen 
unter fihtbaren Zeichen und begleitendem Wort die Segnungen des Chriften: 
thums dargeftellt und den Gläubigen dargeboten werden. Sie find zugleich 
die Bundes» und Erlennungszeihen für die Mitglieder der chriſt⸗ 
lichen Kishe. Taufe und Abendmahl bezeichnen den Anfangs» und ben 
Höhepunkt des chriſtlichen Lebens, die Aufnahme in die äußere Ge: 
meinfhaft der Kirche und die in die innigfte Lebensgemein« 
{haft mit Jeſu. a. Die Taufe ift das Sacrament der Aufnahme 
junähft in die äußere Gemeinfchaft der Kirche. Das Waller: das Bild 
der Reinigung, ber Buße, durch welde der Menſch während jeines 
Ganzen Lebens hindurchgehen ſoll. Ginfeßung. Zaufformel, Kindertaufe: 


14 Religionsunderricht. 


Sinnbild der gulünftigen Güter, welche durch die chriſtliche Erziehung dem 
Kinde einft zu Theil werden follen. Sie enthält vie Verheißung ber 
Kirche und das Gelobniß der Eltern und Pathen. So muß denn zur 
Taufe der Glaube, zur Waſſertaufe die Geiftestaufe binzulommen, — 
und fo bat die Zaufe ihre Ergänzung und Erfüllung erft in der Con⸗ 
firmation. — P. Das heilige Abendmahl ift ein Mahl der Grin- 
nerung an den Tod ein, der innigften Liebesgemeinfhaft mit ihm 
md ber brüderliden Gemeinſchaft der Chriften unter einander. 
Ginfegung. Brot und Wein: Sinnbilder vom Tode Jeſu, und biefer Tod 
darum die höchfte Feier der Chriftenheit, weil er die hoͤchſte Offenbarung 
feiner Liebe zu den Menſchen mie feines Geborfams gegen Gott ifl. 
Beihte. — 3) Die Vollendung der Kirche. Das Reich Gottes auf 
Erden bat bier wohl feinen Anfang, nicht aber feine Vollendung. &s 
reiht hinüber aus der Zeit in die Ewigkeit. — Wir unterfcheiden bie 
tämpfende und bie triumpbirende Kirche. Hier die Erfilinge, dort 
die volle Ernte. — Der Glaube an das ewige Leben, das bier ſchon 
beginnt und nimmer aufhört, gründet fih: a. auf die Natur und Be: 
ſchaffenheit ves Menſchen, als des Cbenbildes Gottes, in welchem 
der Geift Gottes weht; b. auf Gottes Liebe und Gerechtigkeit, 
der uns nicht eine Hoffnung gegeben hätte ohne Wahrheit, ein Streben 
ohne Ziel, eine Sehnſucht ohne Erfüllung, eine Erkenntniß und Liebe des 
ewigen Gottes ohne emwiges Leben; — c. vornehmlih auf Jeſum 
Chriſtum jelbft, auf das ewige Leben, welches er in fih trug und ung 
Allen verheißen hat, auf den Sieg über den Tod, den er für und Alle 
errungen, unde auf feine Auferftehung als des Erftgebornen unter vielen 
Brüdern. Die Auferftiebung des Leibes ift nicht fo zu denken, als 
ob unfer jeßiger Leib wieder aus dem Grabe bervorgeben werde, ſondern 
fo, daß unjere Seele mit einem neuen, vertlärten Leibe angethan 
wird. Das göttlide Gericht gibt Jedem, nachdem er gehandelt hat. 
Die treu geblieben find in Glaube, Liebe und Hoffnung, ernten das ewige 
Reben in Friede, Seligleit und Herrlicdhleit der Kinder Gottes. — 
4) Die Gefchichte der Kirche. a. Die Stiftung. Der heilige 
Geiſt, d. i. der Geiſt Ehrifti, der fortlebt und wirkt auf Erben, bat die 
Kirche geftiftet und erhält fie mit feinen Gaben und Kräften. Das Pfingfl- 
fett — b. Die erſte apoſtoliſche Kirche. Don den großen Apofteln 
bis zu Conftantin dem Großen. — c. Die römifhrlatholifde 
Kirche, die Kirche des Mittelalters (daneben die griechiſch-katholiſche und 
bie ruffifhe Staatsliche). Das Weſen berfelben ift: Nüdfall in Heiden⸗ und 
Judenthum, in finnlichen Aberglauben (heid niſche Abgötterei: Marien⸗, 
Heiligen⸗, Bilders und Reliquiendienft, geiftlofes Ceremonienweſen, Plärren 
wie die Heiden) und in äußerliche Werkheiligkeit (jüdijche Geſetzlichkeit: 
die „verdienſtlichen“ Werke, welche die Kirche fordert, Wallfahrten, Meſſe⸗ 
böven, Rofentranzbeten u. ſ. w.). Das Heidentbum und Judenthum der 
katholiſchen Kirche zeigt ſich ferner in der göttlihen Auctorität, 
welche fie für. fich in Anſpruch nimmt, in der Hetrſchaft ver Briefter 
Geichte) und des Bapftes, der für den Stellvertreter Shrifti gilt. 
So wird Gott verdrängt durch die Maria und die Heiligen, Chriſtus durch 


Religiomsumterricht. 15 


ven Papft mit feinen Beichöfen und Prieſtern. Damit iſt verbunden bie 
Lehre von der Untrüglichleit des Papftes und der gangen kirchlichen Lehre, 
Es in die Quelle des Chriſtenthums, die Bibel, verdraͤngt durch bie 
— d. Die proteſtantiſche Riche. Die Reformation, 
eine That des deutſchen Gemüths und des deutſchen Gewiſſens, die 
göfte That des deutichen Volkes. Geichichte der Reformation. Weſen 
ver Reformation: Reinigung und Erneuerung ber ceifllichen ſtirche 
aus dem innerſten Blauben. Sie it Glaubens: und Gemwijfens:» 
irde Gvangeliſch beißt die Kirche, weil fie von den verberbten 
ichenlehren zurüdgebt auf das einfache Evangelium Chrifi. Prote⸗ 
ſtantiſch (jeit 1529), weil fie proteftirt gegen allen’ Glaubends und Ges 
wiſſenszwang. Die beiven Hauptgrunvjäge find: 1) Die Nehtfertis 
gung Durch den Glauben‘, d. h. der lebendige Herzensglaube, nicht 
önßere Werke und &evemonien machen die Menfchen felig und gereit vor 
Gott; 2) Das hochſte Anſehen der heiligen Schrift, d. b.: Das 
Svangelium, nicht die kirchliche Lehre, ift die reinſte Quelle und bie böchite 
Richtſchnur unferd Glaubens. — So wird alſo in feine Rechte wieder 
eingefept: Gott felbit, wider alle heidniſche Abgötterei; — Chriftus, 
wider alle Stellvertretung der Priefter; die Bibel, wider alle Herrſchaft 
der ſtirchenlehre. — AUnterſchied zwiſchen der reformirien und der 
lutheriſchen Kirche in Lehre, Gottesdienſt und Verfaſſung, — beſonders 
in der Abendmahls⸗ und Vorherbeſtimmungslehre. — Kurz zuſammengefaßt 
iR der evangeliſche Glaube im kleinen Katechismus Luthers. (Der 
Zegt deſſelben, ohne die Erklaͤrung Luthers, iſt dem Gedaͤchtniß einzuprägen). 


In ungewöhnlicher Ausfuͤhrlichkeit haben wir bier den Inhalt des 
Schwarz ſchen Leitfadens mitgetheilt. Es lag uns daran, dem Lejer des 
Padag. Jahresb. ein moͤglichſt treues und vollſtaͤndiges Bild deſſelben zur 
Anſchauung zu bringen. Keine einzige der wichtigeren Lehren iſt wegge⸗ 
laſen, um den Reichthum, die erſchöpfende Tieſe, die umſichtige Erfaflung 
derſelben vor Augen zu führen; alle Lehren ſind ſtreng nach dem Zuſam⸗ 
menhang des Werks in lückenloſer Reihenfolge aufgeführt, um einen Haren 
und deutlihen Einblid in den harmiſchen Bau des Ganzen zu gewähren ; 
alle einzelnen Lehrſaͤtze find woͤrtlich nad der Ausprudsmeife des Vers. 
aufgeführt, um ben ureigenen Geift und Ton feines Werlö berausfühlen 
zu lafien. Unterblieben aber ift die Anführung der beigefügten Bibelſprüche, 
der biblifchen Lejeftüde und der Kirchenlieder, um nicht zu ausführlich zu 
werben. Huch ihre Auswahl ift ganz vortrefflich; fie gibt Zeugniß von 
der tiefgelehrten und umfafienden, auf der Höhe der heutigen Hermeneutil 
febenden Bibellenntniß des Verfs. aber auch von dem tiefreligiöfen Geifte 
deſſelben, mit welchem er die treffendften, überzeugenbften und für chriſt⸗ 
lichen Sinn und Wandel fruchtbarſten Stellen der h. Schr. auszuwaͤhlen 
und anzuwenben verſteht. 

Jeder Kundige wirb ſchon aus dem bier gegebenen Auszug und ben 
einzelnen wörtlich mitgetheilten Abjchnitten die Meifterfduaft des Verfs. er⸗ 
innen, der, obwohl auf ver Höhe der Wiſſenſchaft ftebenn, obwohl zu ven 








16 Religionsunterricht. 


hervorragendſten Theologen zäͤhlend, obwohl fonft nur mit tiefgelehrten Wer 
ten beichäftigt, doch gemußt bat, bier ſich felbit beichräntend, die Nefultate 
der heutigen Religionsmwifienfchaften in ber präcifeften Form kurz, klar und 
ergreifend zufammen zu faſſen. „In der Beichräntung erlennt man venMeifter.‘ 

Jeder Unbefangene wird aber auch biefe Schrift mit Freuden und mit 
dantbarer Anerkennung ber Verdienſte des Berfs. als eine epocde: 
machende begrüßen. Sie ift es; denn fie briht die Bahn zu einem 
proteftantiichen Religionsunterrichte, der die unter jahrbundertlangem Ringen 
gewonnenen Reſultate der freieren Theologie zu einem Gemeingute bes 
Volles machen fol, — zu einem NReligionsunterrichte, der, abjebend von 
allem dogmatiſchen Confeflionalismus, nur bie reine, einfache Bibellehre, 
„das Chriſtenthum Chrifti”, zum Bielpuntte bat, und ber durch 
feine bibliſch-geſchichtliche Methode niht nur den unausſprechlich 
großen Werth des Chriftentbums aus der Entwidelung bes Gottesreichs 
Har erkennen und tief empfinden läßt, ſondern auch durch berzerwärmende 
und berzgewinnende Darftellung zu der Ueberzeugung führt, daß bie Res 
ligion vor Allem Leben und bann erft Lehre jei. 

Freilich wer beim Buchſtaben ver h. Schrift fteben bleibt und nicht 
in den Geift derjelben einbringt, wer dem confefjionellen Auctoritätöglauben 
buldigt und mit unproteftantiichem Sinne jede Abmweihung vom Herge⸗ 
brachten, jede freiere Entwidelung der evangelifchen Lehre zurüdweilt: der 
wird fih mit dieſem Buche nicht befreunden können, da er fih auf ben 
Standpunkt deſſelben nicht erheben kann, und wird in ihm viele Lehren 
vermijjen, wie die vom Zeufel, von ber Erbjünde, von dem ftellver: 
tretenden Opfertod Chriſti u. a., die ihm für weſentliche Grundlehren ber 
evangelifhen Kirche gelten. 

Undere werben auch die Faſſung biejes für die Vollsſchulen gefchriebes 
nen Buches nicht populär genug für diefelben finden. Ihnen fei gejagt, 
daß es auch gar nicht für die Hand der Schullinder beftimmt ift, für welche 
eine Sammlung von Sprüchen, Liedern und bibliihen Lejeftüden mit 
Ueberſchriften erjcheinen joll, fondern für die Sand der Lehrer. Aber 
auch für biefen wirb es Manchen zu jchwer erfcheinen. Und in der That 
bevürfen die meiften Volköfchullebrer eineg Commentars, um died Buch 
im Sinn und Geiſte des Verfs. zu verarbeiten, nicht blos die Anfänger, 
fondern aud die Veteranen, bie in langer Praxis fih ganz in den Plan 
und Zufammenbang eines ihnen lieb gewordenen Religionsunterrichts hinein 
gelebt haben. Ein foldyer Commentar ift ihnen indeſſen auch ſchon darge⸗ 
boten in dem „Chriftliden Neligionsunterriht" von Kehr, von dem in 
Nr. 2 der „Literatur die Rede fein wird. Diejes vortreffliche Werk wird 
zugleih Beugniß geben, wie ungerecht das Anathema ift, das von ber 
byperorthodoren Seite ber über jolden Neligiongunterriht ausgeſprochen 
zu werben pflegt, wie er bier zu Lande getrieben wird. 

Noch immer erhebt die Reaction folh Verdammungsgeſchrei. Doch 
vergebend. Man glaubte, jagt Schenkel (Kirhl. Beitfchrift 1866, 9, 
©. 558), durch daſſelbe die kühnen und aufrichtigen Geifter einzufhüdhtern, 
die lernbegierigen, wabrbeitsliebenden Gemüther abjchreden zu lönnen. 
Thoͤrichter Wahn! Run hat die edleren Geifter berausgeforbert, die ernfteren 








Religionsunterricht. 17 


Gemüther genötbigt, ſich von nun an forgfältiger um die Wahrheit zu 
fümmern.”’ Ueber jene Verdammungsgſucht und über dieje heilfame Wirkung 
derfelben ließe fih noch aus dem vergangenen Sabre viel berichten. Es 
genüge aber, auf die eine heilſame Yrucht hingewiefen zu haben, vie ven 
Hauptgegenftand unfrer einleitenden Betrachtung bildet. Auch fie ift ja ge 
zeitigt worden unter dem Einfluſſe der reactionären Bewegungen ber 
Gegenwart. Ohne dieſe hätten in den lebten Jahren unfre erleuchtetiten 
Theologen nicht eine fo energische Thätigleit entwidelt (wie im Proteſtanten⸗ 
verein und in literariihen Werfen), um die Religionswiſſenſchaft dem Cul⸗ 
turſtande unfrer Beit entfprechend fortzubilden ; ohne fie hätte auch unſer 
Schwarz fich wohl nicht herbeigelafien, eine Religionslehre für die Volks⸗ 
Ihulen zu jchreiben, die ein mächtiger Hebel. für die Fortbildung des pro⸗ 
teftantifchen Religionsunterrichts zu werben verſpricht. 

Eins aber müſſen wir noch mit dankbarer Anerkennung erwähnen, was 
ein rühmliches Zeugniß gibt ſowohl von ver hoben Einficht, dem liberalen 
Standpunkte und dem mwohlwollenden Sinne unfrer Staatöregierung, als 
auch von dem wahrhaft chriftlichen, echt proteftantifchen Geifte, in welchem 
fie den heiligſten Gegenftand des Bollsunterrichts, die Religion, auffaßt 
und gepflegt wifien will, fo gepflegt, daß Beiden — der Kirche und ber 
Eule — ihr volles Recht geichehe und vor Allem riftliches Leben er- 
jielt werde. Es wird daher auch dieſe Mittbeiluug dazu dienen, die 
ſchmãähſuchtigen Verdammungsurtheile über unfre Schulreform überhaupt und 
über unfern neuen Neligionsunterriht insbejondere zu entkräften, und im 
Gegentheil hoffentlich viele unfrer vorurtheilsvollen Gegner für das bier 
angeftrebte Beflere zu gewinnen und bemjelben weitere Perbreitung zu 
verihaffen. 

Es ift nämlich joeben (April 1867) an alle Geiftlihen und Lehrer 
vom Herzogl. Staatsminifterium eine Inſtruction ausgegangen, welche vie 
Behandlung des Neligionsunterrichte nah dem Schwarz'ſchen Leitfaden vor- 
füreibt. Sie führt die Ueberſchrift: 


Anweifung aut Ertheilung des Meligionsunterrihts in ben 
ltefhuflen des Herzogthums Gotha. 


In dverfelben werben 1) „Pädagogiſche Grundſätze“ aufgeftellt, 
nach denen der Religionsunterriht zu behandeln it, und 2) „Metho- 
diſche Winte” dazu gegeben. Aus beiden Abſchnitten (zufammen 14 
Paragraphen) hebep wir das Wichtigfte heraus und glauben au damit 
den Leſern einen Dienft zu erweifen. Sie werben buch diefe Mitthei- 
Ing mande Mifverftändnifie .befeitigt feben und ihr manche goldene Regel 
für ihren Religionsunterriht entnehmen lönnen. Die Ausführlichleit dieſes 
wortgetreuen Referates rechtfertigt fih buch den Umſtand, daß bie „Anwei⸗ 
jung“ nicht im Buchhandel erjchienen ift. 


I. Pädagogische Grundfähe. 


8. 1. (Stoff und Geift des Neligiongunterrichtd im Allgemeinen). 
Unter Hinweiſung auf die betr. Paragraphen unfers neuen Volksſchulgeſetzes 
Pin. Zapreäbericht. XIX. 2 





18 Religionsunterricht. 


wird bier gejagt: „Im Lebrftoff alfo foll das biblifche und insbe 
fondere das chriſtliche Element den Mittelpunkt bilden und die Richt: 
Schnur geben. In der Methode foll mit pädagogijfhem Geifte an 
die Bedürfnifie des kindlichen Herzens und die Kräfte des kindlichen Geiftes 
angelnüpft werden, um in der Jugend ftufenweije ein wahrhaft inneres 
und ſelbſtthätiges Glaubensleben zu entwideln, ein Leben in 
Gottesfurht und Menfchenliebe, in fittlicher Reinheit und Stärke, in Geduld 
Hoffnung und Standhaftigleit, mit einem Worte: eine Weltanfhauung 
und GSeelenverfafiung, wie fie der Chrift unter den Wechfelfällen und für 
die Aufgaben feiner irdiſchen Wohlfahrt bedarf.” 

„wer biblifh:-Hriflide Gehalt und der pädagogifche 
Geift des Religionsunterrichts find nicht nur unter einander verträglich, 
jondern fie fordern auch und bedingen fich gegenfeitig und bilden eine 
untrennbare Einheit. Denn die göttlihe Erziehung des Menſchen⸗ 
geſchlechts, wie fie fih in der Entwidelung des Reiches Gottes barftellt, 
hält dem Pädagogen benjenigen Bildungsgang vor, welcher auch dem ein: 
zelnen Kinde gemäß und beilfam ift; concret und lebendig, den jedesmaligen 
Tähigkeiten und Bebürfnifien gemäß, von den einfachſten religiöfen Res 
gungen ausgehend, erbaut ſich allmählih in immer höherer Vollkommenheit 
das Reich Gottes, wie in der Menfchheit, jo im Individuum.‘ 

8. 2. (Nähere Bezeihnung des Stoffs). „Deshalb eben ift die 
biblifhe Geſchichte, in welcher dad Verhaͤltniß zwifchen Gottheit und 
Menſchheit d. h. das Weſen ver Religion unmittelbar vor die Seele des 
Kindes tritt, die wihtigfte Grundlage des Neligionsunterrihts,; an 
fie ſchließen ſich leicht und natürlih bibliſche Sprüche und Abſchnitte an, 
welche einerjeit3 durch die Geſchichten veranfhaulicht werben, andrer: 
ſeits den religiöfen Elementen jener Geſchichten einen beftimmten Ausprud 
verleihen. Unter denfelben Geſichtspunkt find endlich die im Religions» 
unterricht zu verwendenden Verſe und Lieder aus dem Schaße unfrer 
evangeliſch⸗kirchlichen Poefie, ſowie eine Anzahl kernhafter und leichtfaßlicher 
Stellen aus dem Luther'ſchen Katehismus zu bringen. Bu biefem 
reihen Material no ſog. „moraliſche Erzählungen” zu ziehen, ift jevenfalls 
überflüffig, oft auch nadhtheilig, weil fie dem Religionsunterrichte leicht den 
Charakter einer trivialen Klugheitslehre geben; fie gehören in’s Leſebuch 
und in den Sprachunterricht.“ 

Aus allem Obigen ergibt fi, daß ver Neligionsunterricht in der Volke: 
ſchule nit ein „allgemeiner“ in dem Sinne feig fol, daß er für 
jeden Menſchen pafle, gleichviel ob derſelbe Heide oder Jude oder Mufel: 
mann oder Chrift ſei. Die in der Neuzeit öfters aufgeftellte Forderung 
eines allgemeinen ReligionsunterrihtS kann nicht als eine päbago= 
gifche betrachtet werben, da fie, wenn fie überhaupt ausführbar fein follte, 
auf ein Preiögeben wejentliher Theile des oben bezeichneten Stoffes hinaus: 
laufen würde. Nun ift e3 aber Aufgabe der Volksſchule, in jedem Unter: 
rihtöfache immer nur das Befte zu bieten; auf religiöfem Gebiete ift aber 
das Chriſtenthum unbeftreitbar das Beſte.“ 

8. 8. (Stellung des Katechismus). „Soll alfo der Religionsunter- 
richt in der Vollsſchule nach Gehalt und Geift ein chriftlicher fein, fo if 


Religionsunterriht. 19 


damit Teinesmwegs gefordert, daß er fpeciell die Dogmen einer ge— 
wiffen Kirche zu behandeln und eine beitimmte confejfionelle 
Järbung anzunehmen babe. Eben deshalb ift es nicht zuläfjig, 
den Luther'ſchen Katechismus in den Mittelpunkt zu ftellen, 
als ob derjelbe den Tert und Kanon der Lehre zu bilden,- das Bibelmort 
jemmt allem Webrigen aber nur zur: Auslegung zu dienen hätte, ein Ber: 
haͤlniß, welches den früheren Religionsunterricht charakterifirte. Das richtige 
Berhältniß in evangeliihen Schulen ift das umgelehrte: Tert und Ra: 
non ift das Bibelmwort; der Katechismus, fojern er mit ber Bibel 
übereinftimmt, dient zue Erläuterung und Zufammenfaffung. 
Als Leitfaden für den NReligionsunterriht in der Volksſchule hatte er ein 
gute! Recht und einen unerjeglihen Werth zu einer Zeit als die Bibel, 
d. h. die Urquelle der chriſtlichen Lehre, noch nicht vollsthümlich geworben 
war, auch der evangelifche Liederihaß noch nicht eriftirte, ſondern der Hate 
chismus das einzige Mittel war, der „Eäglihen, elenden Noth“ in ver 
evangeliſchen Jugendbildung einigermaßen abzubelfen. In unferer Beit 
aber wäre es ein Mißgriff, dieſes Büchlein an diejenige Stelle zu 
jegen, welche dem Bibelworte gebührt, das in der urſprünglichſten und con» 
creteften Form, ſchlicht und treu, faßlich und fruchtbar dem Kinde die ganze 
Fülle der Offenbarung überhaupt und des Chriftenthbums insbejondere eröffnet. 
Daß aber der Katechismus nicht verdrängt, ſondern in der bereits 
angedeuteten Weiſe auch in der Volksſchule benupt werben foll, zeigt ber 
für die Oberllaſſe beftimmte ‚Leitfaden‘; insbejondere haben bie rein bibli- 
ſchen Stoffe des Katehismus (10 Gebote, Water unjer u. |. mw.) die 
ihnen gebührende wichtige Stellung erhalten.” 

8. 4. (Verhaͤltniß zwifhen Schule und Kirche). Aus allem Obigen 
ergibt fh auch leicht die Stellung der Schule zur Kirche. Die 
Säule ift nidt verpflihtet, den Kindern die Dogmen einer be 
fimmten Kirche einzuprägen, weil fie dies nicht kann, ohne mit den Regeln 
der Pädagogik und aljo mit ihrer weſentlichſten Aufgabe in Widerſpruch 
zu lommen. Die Schule ift aber auh nicht berechtigt, die Firchlichen 
Dogmen zu kritifiren, weil fie dazu weder befähigt, noch berufen iſt, wohl 
aber durch ein ſolches Berfahren die kindlichen Gemüther verwirren und 
alſo ebenfalls unpädagogiih handeln würde. — — Eben deshalb ftellt 
fih unfer Plan für den Religionsunterriht auf den rein bibliihen, nicht 
einen fpeciellconfeffionellen Standpunkt, damitnicht die unfeligen 
Zerwuͤrfniſſe der lirhlihen Parteien in der Schule einen Wiederhall finden, 
ber den Lehrer befangen macht, die Kinder ihrer Einfalt beraubt und in 
beimmbigende Zweifel verfiridt.‘ . 

„Sole Beftimmungen zu bellagen, dazu kann feine Kirche, die wirklich 
eine chriſtliche ſein will, einen Grund haben; denn der Confirmanden: 
unterriht und die Predigt, melde der Kirche zufteben, werden auf 
dieſe Weife keineswegs beeinträchtigt, erhalten vielmehr durch die Schule 
eime fihere Baſis.“ — — 

Hier folgt nun ein Hinweis auf die oben geſchilderten Thatjachen, 

zeigen, wie unſre Staatsregierung bemüht gewefen ift, den Anfprü- 
hen ebenfo der Kirche, wie der Schule bei dem Entmurfe zum Religions: 
2" 


20 Religionsunterridht. 


unterrichte gerecht zu werben, fo daß aller Grund vorhanden ift, „ven neuen 
Plan mit Befriedigung aufzunehmen, da er geeignet ift, einerfeits ebenfo- 
wohl eine beftimmte Grenze, als eine genaue Verbindung zwifchen 
Säule und Kirche berzuftellen und baburd die jo wünfchenswerthe 
Eintracht zwifchen beiden Anftalten zu befefligen, andrerfeit3 den wichtigften 
Unterrihtszweig der Vollsfhule in eine den Forderungen der Bär 
dagogik entjprehende Richtung zu bringen. Es bevarf nur 
eines reblichen Willens auf beiden Seiten, damit nicht von der einen nieder: 
geriflen werde, was die andere aufbaut, jondern daß beide barmonif ch 
zufammen arbeiten zur Bildung der Jugend und der Gemeinde.” — — 


y I. Methodiſche Winke. 


$. 5. (Lehrgang im Allgemeinen). Hier wird die Gliederung des 
Unterrihts nah ſechs auf vier Klafjenitufen vertheilten JZahrescurfen 
angegeben und indbejondere gefordert, „daß ein ermübendes Uebermaß von 
Wiederholungen auf den verſchiedenen Stufen vermieden werde, daß aber 
auch die Jahrespenſa weder zu groß noch zu zahlreich jeien, 
daß jelbit minder begabte Kinder alle Stufen mit Erfolg zu durchlaufen 
vermögen.” 

Bertheilung des Lehrfloffs: $. 6. 1) Zür die Glementartlaffe 
(1. Schuljahr): leichtfaßliche Bibelfprüche, Liederverfe, Gebete und biblifche 
Geſchichten (eine kurze, auf das Wefentliche beſchränkte und anſchaulich ges 
baltene Schöpfungsgejchichte, Geſchichten aus dem Leben Joſephs, aus der 
Kinpheit Mofis, aus der Kindheit Jeſu, Jeſus als Rinderfreund und Wohl: 
thäter). „Der Anfang mit dem NReligionsunterrit wird nicht in allen 
Schulen fogleih beim Beginn des Schuljahres zu machen fein; der Lehrer 
muß fih nad der geiftigen Neife und der ſprachlichen Entwidelung feiner 
Kinder richten. — „Mit Erzählungen aus der bibliihen Geſchichte wird, 
wenn die Kinder vom Haufe eine fehr geringe Vorbildung mitbringen, erft 
im zweiten Halbjahre begonnen werben können. Bon ganzen Religions» 
ftunden in der Elementarklaſſe kann keine Rede fein.” 

8. 7. 2) Für die Untertlaffe (2. und 3. Schuljahr, mit ein= 
jährigem Curfus): Sprüche, Berje, bibliſche Gefhichten ; letztere weiter 
ausgeführt, in einer zufammenhängenderen und der Bibelſprache ähnlicheren 
Darftellung. Es treten jebt hinzu Erzählungen von Abraham, Iſaak, Jakob, 
den fpäteren Schidjalen Mojis, von Samuel, Saul, David, Salomo, Jo— 
bannes bem Täufer, von einigen Wunderthaten Yelu, fowie von Sefu 
Leiden und Sterben. „Doch muß es aud jest noch, unter Weglafiung 
der ſchwierigerern Partieen, bei einzelnen in ſich abgefchlofienen Bildern 
(etwa 30— 40) bleiben.” — Wöcentlih 3 Stunden. 

8. 8. 3) Für die Mittelllajje (4. und 5. Schuljahr, mit zwei: 
jährigem Curfus, 3 Stunden wöchentlich, etwa 60 biftorifche Abjchnitte im 
Jahre): Gründlihe und zufammenhängende Behandlung der biblifcyen Ge: 
Ihichte, ein Jahr das A. T., ein Jahr dad N. 2. Sie ift bier der 
Mittelpunkt des Unterrihts und die Bibeljprühe und Liederverfe find mit 
ihr innig zu verweben. 


Religionsunterricht. 21 


8. 9. 4) Für die Obertlaffe (6.—8. Schuljahr, mit zweijähs 
gem Curfus, 3 St. wöch., eine 4. wird zu Bibel: und Liederlectionen 
verwendet): im erften Gurfus die beiden erflen Haupttheile des „Leit 
ſadens“ und vielleicht noch vom dritten Haupttheil die „Vorbereitung“, 
überdies aber die „inleitung‘ zum Ganzen, im zweiten Eurjus das 
Uebrige. „Zwar wird jeder Curſus mit einer kurzen Einleitung, bejonders 
mit einer praltifch orientirenden Bibellunde (etlihe Stunden) beginnen 
men; eine erfchöpfende Behandlung der dem Leitfaden vorangeftellten 
„Sinkeitung‘‘ Tann aber deshalb nicht den Anfang des Unterrichts in der 
Oberllaſſe bilden, weil dies ein Ausgang vom Abftracten, alfo ein Verftoß 
gegen ein Hauptgejeß der Divaltif fein würde. Es liegt im Weſen aller 
Cinleitungen, daß fie fi mit allgemeinen Begriffen befafien, die erft dann 
scht flar werben, wenn ihnen eine reihe Fülle concreter Borftellungen 
zur Bafis dient.” — — Die vierte für Bibel: und LiedersLectionen 
beftimmte Wochenftunde foll nicht ifolirt daſtehen, fondern ben in drei 
erften Wochenſtunden ertheilten ſyſtematiſchen Neligionsunterriht weiter aus: 
bauen und befruchten, nämlich im genauen Anfchluß an den dort beobadh: 
teten Lehrgang die Kinder mit der Bibel und dem Kirchenliede möglichit 
vertraut maden. Zu lernen find in dem zweijährigen Curfus 18 Lieber 
(alfo jährlich je 9), melde im Anbange zum Spruchbuche abgedrudt find, 
und unter denen fih aud die belannteften und werthvollſten der alten 
evangeliſchen Kirchenlieder in ihrer urfprünglihen Form befinden. 

8. 10. In gehobenen Volksſchulen kann eine größere Anzahl 
ven Sprüchen und Liedern gelernt werden, eine eingehendere und felbftftän- 
digere Behandlung der biblischen Geographie, der Bibellunde, beſonders 
aber ein ausgedehnteres und zufammenhängenderes Lejen in der Bibel 
und im Geſangbuche ftattfinden. „In jedem Falle vermeide man aber ein 
eadrüdendes Uebermaß des Stoffes, namentlich die Herbeiziehung folder 
Slemente der Religionswiflenichaft, welche die Faſſungskraft der Jugend 

. Man bevente ftets, daß es in der Vollsſchule nicht auf ein 
witenichaftliches Spitem der Religionslehre, fondern auf Entwidelung 
des religiöfen Lebens in der Jugend, auf eine harmonische Ausbil: 
bung des Dentens, Fühlens und Wollens anlomme; daher ift au Dog: 
matt und Gthil nicht zu trennen, fondern jede Lehre des Ehriftenthums 
ſogleich in ihrer fittlihen Kraft und Fruchtbarkeit darzuftellen und in das 
Gemüth des Ktindes zu pflanzen. Nur fo wird ber Religionsunterricht ein 
erbaulicher. 17] 

8. 11. Lehrform. — Erzählen, Vortragen und Erklären, Zerglie⸗ 
den, Abfragen, Wievererzäblenlafien, Katechiſiren und Entwideln, mufter: 
haftes Borlejen durch den Lehrer ift nöthig und bildend, das Ablejen 
nachtheilig: der Lehrer muß frei über den Stoff gebieten”; — Borzeigen 
non Bildern zur bibliſchen Geſchichte und der Karte zur biblifchen Geographie. 

„Nechaniſches Ausmendiglernen der biblifhen Geſchichten und 
der Lehrjäße des Leitfadens ift gänzlich zu verhbüten. Das Memos 
riren darf immer erſt nah erlangtem Verſtändniß eintreten; es ift 
au) ein beſcheidenes Map zu beſchränken, dann aber auch zu voller 

zu bringen. Gin gründlich erfaßter und feſt eingeprägter Spruch 


22 Religionsunterricht. 


bat mehr Werth für das Kind, als zwei nur halbverſtandene und angeeignete. 
Ueberhaupt bringt nicht das bloße „Durchnehmen“, jondern nur das innige 
Durchdringen des Lebrftoffes rechten Gewinn.” Die Repetition bat auch 
bier diejelbe didaktische Bedeutung, wie in den übrigen Lehrzweigen. 

8. 12. Lehrweiſe und Lehrton. — Beides wird derjenige Lehrer 
leiht finden, „ver feinen Stoff nit nur durchdrungen, jondern aud lieb: 
gewonnen bat und ebenjo begeiftert ift für die Religion ſelbſt, wie für bie 
Beredelung des aufwachſenden Gejhlehts. Er wird mit Ernſt und Würbe, 
mit Innigkeit und Wärme, bald mit ruhiger Klarheit, bald mit lebendiger 
Degeifterung zu feinen Kindern reden.” Se mehr er durch feinen Unter» 
richt Geift und Gemüth der Kinder erfaßt und disciplinirt, deſto weniger 
wird er befonderer Disciplinarmittel bevürfen. 

8. 13, Lehrmittel — Für die Unterklaſſen: der Anhang 
zur Fibel; für die Mittelllajfen: vie „Bibliihen Geſchichten für bie 
Mittele und Unterklaſſen“ von Bertbelt u. ſ. w. nebit den im Anſchluſſe 
an dieſes Schrifthen ausgewählten und für die Mittelllafie beftimmten 
Sprüchen und Berjen im Anhange des Leſebuchs; — für die Ober: 
klaſſe: der Auszug aus dem „Leitfaden mit Sprüden und Liedern, 
ebenfalls im Anhange des Leſebuchs. „Der „Leitfaden“ felbft ift zunaͤchſt 
für den Lehrer beftimmt, um demfelben einen ausführlihen und beſtimm⸗ 
ten Lehrplan zu bieten, kann aber in den oberften Klaſſen gehobener Volks⸗ 
ſchulen auch den Kindern in bie Hände gegeben werben. Die Bibel tritt 
ala Lehrmittel in der Hand der Kinder erft in der Oberklaſſe auf.” — 
Schnorr'ſche Bilder zur bibliſchen Geſchichte und Karte zur biblifchen 
Geographie. 

8. 14. Die bier gegebene Inſtruction ift nicht darauf ausgegangen, 
eine vollitändige Methodik des Religionsunterrihts zu bieten. — „Wan 
will weder die Schulen uniformiren, nod bie Lehrer mehanifi= 
ren, fondern e3 joll und muß den Lehrern, Directoren und Snfpectoren 
dasjenige Maß der Freiheit gelafien werben, welches zu einer gedeihlichen 
Entwidelung der Schule erforberlih if. Ja es muß fogar gefordert wers 
den, daß, unter Feltbaltung des aufgeltellten Entwurfs und unter Mit 
wirfung und Genehmigung der Inſpectoren (refp. Directoren) jeder eins 
zelne Lehrer fih für feinen Wirkungstreis einen ganz fpeciellen 
Plan ausarbeite und benfelben mit ebenfo großer Geſetzmäßigkeit ala 
Selbitftändigkeit durchführe. Die beten Lehrer find diejenigen, welche durch 
ihre eigene Bervolllommnung die ihnen gegebene Anweiſung überflüffig 
machen.” 


Wenn wir nun aud in Betracht dieſer ausführlihen Berichte für 
diesmal darauf verzichten, noch andere Erſcheinungen auf dem Gebiete der 
Religion zur Sprache zu bringen und andere religions-pädagogifhe Schriften 
zu erwähnen, fo glauben wir doch durch diefe Darftellung einer hervor: 
ragenden Beiterfheinung , den Lejern einen überaus reihen Stoff zum 
Nachdenken und eine ftarle Hinweifung auf das Cine gegeben zu haben, 
was unſrer Zeit noththut, um auf dem Gebiete der Religion den Forbes 


Religionsunterricht. 23 


sungen ber Gegenwart zu entfprehen und mit Erfolg zu wirlen. Wir unter: 
laſſen es auch, die fo nahe liegende Vergleihung des dargelegten Lehrplanes 
mit anderen Lehrgängen, hier anzuftellen.. Die Lejer werben von jelbit 
jolhe Parallelen zu ziehen fich veranlaßt ſehen. Indeſſen hoffen wir, daß 
vorurtbeilsfreie Lefer hier manche Beftätigung von dem finden werben, was 
wir in früheren Berichten von der Unzwedmäßigleit und Berberblichleit ge 
wiſſer Lehrordnungen gefagt haben und in der nachfolgenden „Literatur bei 
nanchen Werken fagen werben. 


Literatur. 


A. Religionslehre. 


1. Für Lehrer. 
1.2eitfaden für den Religions unterricht in den Vollsſchnlen des 
derzogtbume Gotha, veröffentlicht unter dem Titel: 
runbriß der hriftlihen Lehre. in Leitfaben für den Re⸗ 
ligionsunterricht in Schule und Kirche von Dr. Karl Schwarz (Oberhof. 
prebiger und Oberconfiftorialrath in Gotha). Gotha, Verlag von E. $. 

Thienemaun. 1866.5 IV u. 79 ©. 9 Gar. 

Obgleih von weit geringerem Umfange, als viele andere für bie 
Sand des Lehrers befiimmte Schriften, ift die vorliegende body mit nichten 
die Hleinfte unter ihnen. Sie überragt alle anderen, wie wir in ber Eins 
kitung dargelegt haben, durch die Gebiegenheit ihres Inhalts, durch den 
Reichihum ihrer Gedanken, durch Präcifion und Klarheit des Ausdruds, 
duch Logifchen Ausbau bed Ganzen und Zuſammenhang der einzelnen 
Theile, durch ergreifende Wärme der Darftellung und vor Allem burd eine 
der Zeitbildung entiprechende Auffaffung der reinen Lehre des Evangeliums: 
fie Reht auf der Höhe der Zeit. Deshalb haben wir fie aud eine 
epochemachende, eine bahnbrechende genannt; deshalb muß fie auch hier 
allen anderen Schriften vorangeftellt werben. 

Und obgleich fie nur einen „Leitfaden“ fi nennt, ift fie doch unter 
den Schriften „für Lehrer” aufzuführen. Sie iſt wohl ein Bub für 
Volksſchulen aber nicht für Voiksſchüler; fie ift eim Handbuch für 
die Lehrer der Volksſchulen. Zum Schulbuch ift dieſer Leitfaden höchſtens 
auf Gymnaſien und Realichulen oder in fehr gehobenen Buͤrgerſchulen zu 
gebrauchen, aber für Volksſchulen nicht. Dazu ift er nicht populär genug. 
Wir wollen ihm damit die Eigenfchaft der Popularität überhaupt nicht ab- 
ſprechen, rühmen fie vielmehr ganz befonders an dieſer Schrift, indem fie, 
von der Dogmatifchen Lehrweife abſehend, die Ergebniſſe der fortgeichrittenen 
theologifchen Wiflenfhaft zum Aufbau einer rein bibliſch⸗chriſtlichen Lehre in 
gemeinverftändlicher Weife dem Volke darlegt. Aber Popularität ift ein rela⸗ 
fiver Begriff; es kommt immer barauf an, daß man in’d Auge faßt, 
was und wie viel man bei den zu Unterrichtenden vorausjeben kann, um 
ihnen ganz verftändlich zu fein. Denken wir und nun die Vollsſchule, 
wie fie iſt, und die Vollafhüler, wie fie aud in der Oberklaſſe noch find, 
fo ſezt der „Leitfaden“ bei ihnen offenbar zu viel voraus, um ihnen als 


12 Religionsunterricht. 


predigt. Sie enthält die Grundgeſetze bes neuen Reichs und flieht 
gegenüber der Geſetzgebung Mofis. Dort der Sinai mit dem Donnergott, 
bier der Berg der Seligkeiten. Dort das Gefeb für die Knechte Jehovah's, 
bier für die Kinder Gottes. Dort ein äufßeres brobendes Geſetz: „du 
ſollſt“, bier ein inneres treibendes Gefeg: „ih will und kann“. 
Dort nur Gefeglichleit, hier wahrbafte Sit tlichkeit. Die einzelnen Ab: 
ſchnitte der Bergpredigt find: a. Die Seligpreifungen, b. der hohe Beruf 
der Jünger Jeſu, c. Mofes und Chriftus (der eigentliche Kern der Berg: 
predigt: die Liebe des Gefepes Erfüllung, Summe der chriſtlichen Sittlich⸗ 
keit), d. gegen Heuchelei und äußeren Schein, oe. das ungetbeilte Herz, 
f. chriſtliche Milde gegen Andere, hriftlicher Ernſt gegen uns jelbit, g. bie 
Frucht des Chriftenthbums, die lebendige That. — 2) Die Gleichniſſe. 
Sie handeln alle vom Reihe Gottes. Wie vie Bergprebigt bie rund: 
linien des Reiches Gottes gibt, fo die Gleichniſſe die Lebensbilder. 
Hauptgruppen: a. Der Werth, b. das Oberhaupt, co. die Genoffen 
des Reichs (Beringung der Aufnahme: Demüthige Sundenerkenntniß und 
reuevolle Umkehr, Bewährung der Theilnahme: wahrbaftige Nächitenliebe, 
Wohlthun und Schulberlafien), d. die Hemmungen und Widerfacer bes 
Reichs (irdiſche Gefchäffigleit, Genußfucht, Nachläffigfeit, Unbußfertigkeit, 
Hartberzigleit), e. die Entwidelung des Reichs (die Stufen menſchlicher 
Empfänglidleit, die Verfchiedenheit der Gaben und ihre Anwendung, bie 
Ausbreitung des Reich, die durchdringende Kraft, das allmähliche Wachſen, 
bie neue fchöpferifche Kraft, das Ende des Reichs, die Scheidung). 

Vierter Haupttheil: Die Verwirklichung des Neiches Gottes, 
die Kirche. — Das Reich Gottes, welches Jeſus Chriftus geftiftet, findet 
erft feine volle Berwirklihung durch ſein Fortleben in der Gemeinde, 
alfo daß wir in ihm leben, wie er in ung. Wir find aber nur Eins mit 
ihm dur den heiligen Geift. Diejer h. Geift ift der Geift Gottes, der in 
Jeſu lebte und der auch nach feiner Erhebung in den Himmel fortlebt unter 
den Seinen. Gr iſt ein Geift der Wahrheit, der Liebe, der Freiheit, ver 
Kindſchaft und der Heiligung, der diejenigen, welde Jeſu angehören, an⸗ 
treibt zu Allem, was gut und göttlich ift, ihnen Zeugniß gibt, daß fie 
Gottes Kinder find und damit Seligleit und Friede in ihnen ſchafft. Die 
Gaben des Geiftes find die manmnidfaltigen Kräfte und Talente 
innerhalb ver chriftlichen Kirche zu ihrer Erhaltung und Förderung. Die 
höchſte Geiftesgabe ift die Liebe. Die Früchte des Geiftes umfafien 
alle chrifilihen Zugenden, vie an dem Stamme des Glaubens erwachſen und 
reifen. Dies Fortleben Jeſu in der Menfchheit durch den h. Geiſt ift ein 
Yortleben in der Seele des Einzelnen und in der Gemeinfchaft ber 
chriſtlichen Kirche. 

A. Das Hriftlihe Leben in der Seele des Sinzelnen. 
1) Des riftlihen Lebens Anfang. Gr ift die Umkehr von dem alten 
Leben der Sünde, die Geburt eines neuen Lebens aus dem Geifte 
(Wiedergeburt). Diefes neue Leben gewinnen wir nur duch: a. Buße 
— die aufrihtige Sinnesänderung, da wir unfre Sünden erlennen, 
fie von Herzen bereuen und nach Beflerung verlangen, — und b. Glau⸗ 
ben. Der Glaube an Jeſum ift die gewifie Heberzeugung, daß er 





Religionsunterricht. 13 


zur Erloͤſung der Menſchen und auch zu meiner Erloͤſung in die Welt 
geſandt wurde, das Vertrauen auf feine Kraft und Hilfe, die innige 
Liebe zu ihm und die treue Nachfolge auf allen feinen Wegen. So 
it der wahre, d. i. der lebendige und feligmahende Glaube viel mehr 
ald eine bloße Erkenntniß, er ijt die völlige Hingabe des Herzens und 
Willens, trägt die Liebe in fih und führt zur innigften Lebensgemeinſchaft 
und Aehnlichkeit mit Jeſu, alfo daß wir fein eigen find. — Die 
Rehtfertigung dur den Glauben bedeutet, dab vor dem Ange⸗ 
Räte Gottes Alles auf diefe Lebensgemeinſchaft mit Jeſu, nicht auf todte 
Werte und äußere Ceremonien anlommt und daß Gottes Gnade und Ber 
gebung auf denjenigen rubt, der in Jeſu ein neuer Menſch geworben, auch 
bei allen Schwächen und Nachwirkungen der Sünde (Begenjak der pros 
teftantiichen und katholifchen Kirche), — 

2) Des Kriftlihen Lebens Wachſthum. Der Kampf mit ver 
Eünde und der Sieg über fie ift die Heiligung. Der Geift gewinnt 
immermehr die Herrſchaft über das Fleiſch, die Liebe über alles felbitfüchtige 
Weſen. Tiefe Heiligung ift aber nie volllommen, wir ſuchen, fämpfen 
und ftreben. 

B. Das Hriftlihe Leben in der Gemeinſchaft. 1) Das 
Weien ver Kirche. Zur Stärkung des chriftlihen Lebens bedürfen wir der 
Gemeinſchaft der Gläubigen, d. i. der Kirche. Gichtbare, unfichtbare 
Kiche). — 2) Die Heildmittel ver Kirche: a. das Gebet. Ohne Gebet 
teine Religion. Das Gebet ift der innerfte Gottesdienſt des Herzens, das 
Zwiegeſpräch der Seele mit ihrem Gott. Es ift eine Reinigung und Gr: 
bebung der Seele über diejer Erbe Bergänglichleit, Jammer, Noth und 
Eünde und kann ein Gebet der Buße, des Dankes oder der Bitte fein. 
68 rihtet fih nur auf Gott. Im Namen Ehrifti beten. Wie, um was, 
warn, wo follen wir beten? Grhörung wird ausdrüdlich verheißen und 
bleibet nimmer aus, wenn wir um göttlihe Dinge bitten und mit ber Gr: 
gebung: Nicht mein, ſondern dein Wille geſchehe. — b. Die Predigt 
des Evangeliums. Wir follen das Evangelium Jeſu, welches in der 
b. Schr. niedergelegt ift, gerne „leſen und hören, weil bier die Duelle 
des ewigen Lebens fließt. Die Predigt ift der Mittelpunlt des öffentlichen 
Gottespienftes (Unterſchied der prot. und kath. Kirche). Durch fie ift das 
Chriſtenthum zuerft verbreitet (die Apoftel), durch fie gereinigt und erneuert 
worden (Reformation). Bas chriftlihe Kirhenjahr. — co. Die Sacra⸗ 
mente. Sie find heilige, von Jeſu felbft eingejeßte Handlungen, in denen 
unter fihtbaren Zeichen und begleitendem Wort die Segnungen des Chriften: 
thums dargeftellt und den Gläubigen dargeboten werben. Sie find zugleich 
die Bundes: und Erlennungszeihen für die Mitglieber der chriſt⸗ 
hen Kirche. Taufe und Abendmahl bezeichnen den Anfangs» und den 
Höhepunkt des driftlichen Lebens, die Aufnahme in die äußere Ge: 
meinſchaft der Kirche und die in die innigfte Lebensgemein« 
Ihaft mit Jeſu. a. Die Taufe iſt das Sacrament der Aufnahme 
munächſt in die äußere Gemeinfchaft der Kirche. Das Wafler: das Bild 
der Reinigung, der Buße, durch welde der Menſch während feines 
Ganzen Lebens hindurchgehen ſoll. Einfeßung. Taufformel, Kindertaufe: 


14 Religionsunterricht. 


Sinnbild der zulünftigen Güter, welche duch vie chriftliche Erziehung bem 
Kinde einft zu Theil werden follen. Ste enthält die Verheißung ber 
ſtirche und das Geloͤbniß ver Eltern und Pathen. So muß denn zur 
Taufe der Glaube, zur Waflertaufe die Geiftestaufe binzulommen, — 
und fo bat die Taufe ihre Ergänzung und Erfüllung erft in der Con: 
firmation. — 4. Das heilige Abendmahl ift ein Mahl der Erin- 
nerung an den Tod efn, der mnigften Liebesgemeinfchaft mit ihm 
und ber brüderliden Gemeinſchaft der Chriflen unter einander. 
Ginſezung. Brot und Wein: Sinnbilder vom Tode Jeſu, und biefer Tod 
darum vie hödhfte Feier der Chriftenbeit, weil er die höchfte Offenbarung 
jeiner Liebe zu den Menſchen wie feines Geborfams gegen Gott ifl. 
Beichte. — s) Die Vollendung der Kirche. Das Neid Gottes auf 
Erden bat bier wohl feinen Anfang, nicht aber feine Vollendung. Es 
reiht Hinnber aus der Beit in die Ewigkeit. — Wir untericheiden bie 
tämpfende und die triumphirende Kirche. Hier die Erfilinge, dort 
die volle Ernte. — Der Glaube an das ewige Leben, das bier ſchon 
beginnt und nimmer aufhört, gründet fih: a. auf die Natur und Be: 
ſchaffenheit des Menſchen, als des Ebenbildes Gottes, in welchem 
der Geift Gottes weht; b. auf Gottes Liebe und Gerehtigleit, 
der uns nicht eine Hoffnung gegeben hätte ohne Wahrheit, ein Streben 
ohne Ziel, eine Sehnfuht ohne Erfüllung, eine Erkenntniß und Liebe des 
ewigen Gottes ohne ewiges Leben; — c. vornebmlih auf Jeſum 
Chriftum jelbit, auf das ewige Leben, welches er in fi trug und uns 
Allen verbeißen bat, auf den Sieg über den Tod, ven er für und Alle 
errungen, unbe auf feine Auferftehung als des Erſtgebornen unter vielen 
Brüdern. Die Auferſtehung des Leibes ift nicht jo zu denen, als 
ob unfer jeßiger Leib wieder aus dem Grabe hervorgehen werde, ſondern 
fo, daß unfere Seele mit einem neuen, vertlärten Leibe angetban 
wird. Das göttlihe Bericht gibt Jedem, nachdem er gehandelt hat. 
Die treu geblieben find in Glaube, Liebe und Hoffnung, ernten bas ewige 
Leben in Friede, Seligleit und Herrlidhleit der Kinder Gottes. — 
4) Die Geſchichte der Kirche. a. Die Stiftung. Der heilige 
Geiſt, d. i. der Geiſt Chriſti, der fortlebt und wirft auf Erden, bat die 
Kirche geftiftet und erhält fie mit feinen Gaben und Kräften. Das Pfingft- 
fett — b. Die erſte apoſtoliſche Kirche. Bon den großen Apofteln 
bis zu Conitantin dem Großen. — co. Die römiſchekatholiſche 
Kirche, die Kirche des Mittelalters (daneben die griechiſch-katholiſche und 
die ruffifche Staatslirhe). Das Weſen verfelben ift: Rücffall in Heiden: und 
Judenthum, in ſinnlichen Aberglauben (heidnijfche Abgötterei: Marien>, 
Heiligen⸗, Bilder: und Neliquiendienft, geiftlofes Ceremonienweſen, Plaͤrren 
wie die Heiden) und in äuferliche Werkheiligteit (j diſche Gefeglichkeit: 
die „verbienftlichen” Werte, welche die Kirche fordert, Wallfahrten, Meſſe⸗ 
böven, Rofentanzbeten u. |. w.). Das Heidentbum und Judenthum ber 
katholiſchen Kirche zeigt fich ferner in der göttlihen Auctorität, 
welche fie für fih in Anfpruch nimmt, in der Herrfchaft ver Briefter 
(Beichte) und des Bapjtes, der für den Stellvertreter Shrifti gilt. 
So wird Gott verdrängt durch die Maria und die Heiligen, Ehriftus durch 











Religiuwsunterricht. 15 


ven Papft mit feinen Beichöfen und Prieſtern. Damit tt verbumben bie 
Lehre von der Untrüglichleit des Papftes und der gamgen kirchlichen Lehre, 
So if die Duelle des Chriftenthbums, die Bibel, verbrängt durch die 
Kirchenlehre. — d. Die proteftantifhe Kirche. Die Reformation, 
äne Xhat des deutſchen Gemüths und des beutihen Gewiſfens, die 
ößte That des deutichen Volles. Geſchichte der Reformation. Weſen 
der Reformation: Reinigung und Erneuerung der chriſilichen Kirche 
aus dem immerfien Glauben. Sie it Glaubens: und Gewiſſens⸗ 
kirche. Gvangeliſch beißt die Kirche, weil fie von ben verderbien 
Kirchenlehren zurüdgehbt auf das einfahe Evangelium Chrifi. Brote: 
ſtantiſch (jeit 1529), weil fie proteftirt gegen allen" Glaubens⸗ und Ge⸗ 
wiſſenszwang. Die beiden Hauptgrunvfäge find: 1) Die Nedtjertis 
gung durch den Glauben, d. h. der lebendige Herzensglaube, nicht 
aͤnhere Werte und Gevemonien machen die Menſchen felig und gerecht vor 
Gott; 2) das hochſte Anſehen der heiligen Schrift, d. b.: Das 
Svangelium, nicht die kirchliche Lehre, ift die reinfte Quelle und vie hoͤchſte 
Richtſchnur unjerd Glaubens. — So wird alfo in feine Rechte wieder 
eingelegt: Gott felbft, wider alle heidniſche Abgötterei; — Chriftus, 
wider alle Gtelivertretung der Priefter; die Bibel, wider alle Herrichaft 
der Kärchenlehre. — Unterfhied zwiſchen der reformirten und ber 
lutheriſchen Kirche in Lehre, Gottespienft und Berfafiung, — beſonders 
in der Abendmahls⸗ und Vorberbeitimmungslehre. — Kurz zufammengefaßt 
if der evangeliihe Glaube im kleinen Kate hHismus Luthers. (Der 
Legt defielben, ohne die Erklärung Luthers, ift dem Gedaͤchtniß einzuprägen). 


Sn ungewöhnliher Ausführlichleit haben wir bier den Inhalt bes 
Shmwarzjchen Leitfadens mitgetheil. Es lag uns daran, dem Lefer bes 
Bädag. Jahresb. ein möglihft treues und voliftändiges Bild defielben zur 
Anihauung zu bringen. Seine einzige der mwichtigeren Lehren ift wegge⸗ 
laſſen, um den Reichthum, die erſchöpfende Tiefe, die umfichtige Erfaſſung 
derjelben vor Augen zu führen; alle Lehren find ftreng nad dem Zuſam⸗ 
menbang des Werks in lüdenlofer Reihenfolge aufgeführt, um einen Haren 
und deutlichen Einblid in den harmiſchen Bau des Ganzen zu gewähren ; 
alle einzelnen Lehrjäbe find mwörtli nad der Ausdrudsweiſe des Verfs. 
aufgeführt, um den ureigenen Geift und Zon feines Werts berausfüblen 
zu laſſen. Unterblieben aber ift die Anführung der beigefügten Bibelfprüche, 
der biblifchen Lefeftüde und der Kirchenlieder, um nicht zu ausführlich zu 
werden. Auch ihre Auswahl ift ganz vortrefflich; fie gibt Zeugniß von 
der tiefgelehrten und umfaflenden, auf der Höhe der heutigen Hermeneutik 
ftebenden Bibeltenntniß bes Verfs., aber auch von dem tiefreligiöfen Geifte 
defielben, mit welchem er bie treffendften, uͤberzeugendſten und für chrifte 
lichen Sinn und Wanbel fruchtbarjten Stellen der h. Schr. auszwwählen 
und anzuwenden verfteht. 

Jever Kundige wird ſchon aus dem hier gegebenen Auszug und ben 
eingelnen woͤrtlich mitgetheilten Abfchnitten die Meiſterſchaſt des Verfs. er 
Ienuen, bez, obwohl auf der Höhe der Wiſſenſchaft ſtehend, obwohl zu den 


28 Religionsunterricht. 


Wir haben gejagt, daß die biblifch-hiftoriihe Methode, wenn fie chro⸗ 
nologiſch wird, die Bwedmäßigleit der Anordnung des Lehrſioffs öfters 
ftört; das geſchieht aber auch dur ein zu ftreng pbilofophifches Verfahren. 
Wir halten z. B. die Eintheilung ver Eigenschaften Gottes (©. 14 fi.) 
in Eigenfhaften 1) des Seins (ein für die Volksſchule zu Jchwerer Bes 
griff), 2) des Wiſſens und 3) des Wollens für unnötbig, unpraktiſch 
und ftörend. Für unnötbig; denn die Zahl der Eigenjchaften Gottes, auf 
deren Kenntniß es bei der Erziehung zur Religiofität anlommt, ift fo gering, 
daß fie der Schüler au ohne philofophifhe Cintheilung leicht überjehen 
kaun. Für unpraltiih; denn dem Zwece des Neligionsunterrihtes und 
felbft der hiſtoriſchen Entwidelung des Gottesreichs entjpricht es mehr mit 
Gottes Heiligleit und Gerechtigteit zu beginnen, dann die Allgüte, Allweiss 
beit, Allwifjenheit, Allgegenwart und Allmacht folgen zu lafien, und mit 
der Emigfeit und Unveränderlichleit zu ſchließen, — Lebteres, um allen 
vorerwähnten Eigenſchaften einen defto größeren Werth und Halt zu geben 
durch den Gedanken, daß Gottes Liebe, Weisheit, Allmacht u. |. m. ewig 
diefelben bleiben, daß feine Gebote ewige Geltung haben, feine Verheißun⸗ 
gen nie trügen u. |. w. Für flörend: denn dem Volksſchüler wird ſchwer⸗ 
li der transfcendentale Begriff der Allmacht Gottes beizubringen fein, und 
er wird baber dieſelbe nicht unter den Eigenfchaften des „Seins“, jondern 
unter denen bes „Wollens“ ſuchen, wohin ihn die Erklärung: „er kann 
Alles, was er will”, von felbit leitet. 

Sehr zu rühmen ift es, wie der Verf. mit taltuoller Umficht und 
ſachkundiger tiefer Erfafjung nicht nur Bibelſprüche, bibliſche Lejeftüde und 
Geſangbuchslieder, ſondern auch Worte Luthers und defien Katechismus 
für feinen Unterricht verwerthet hat. Es finden fih in dem Bude nicht 
bloß Antlänge an den Katechismus, jondern auch zahlreiche wörtlihe Ans 
fübrungen aus bemjelben in vortreffliher Anwendung. Wir vermifien 
jedoch ungern die Anwendung einiger Worte aus dem Katechismus, bie 
ung wenigfteng ftet3 ganz bejonders angeſprochen haben, wie das herrliche Wort: 
„Wo Vergebung der Sünden ift, da ift auch Leben und Seligleit”, — 
und die ergreifende Mahnung: „Daß wir getroft und mit aller Zuverficht 
Gott bitten follen, wie die lieben Kinder ihren lieben Bater.“ Am noth⸗ 
wendigften war aber beim 6. Gebote eine Verwerthung der zwar angeführ: 
ten, aber nicht angemwendeten Worte, „daß wir keuſch und züchtig leben 
follen in Worten und Werken‘, indem bier nur von der Heilighaltung der 
She, aber gar nit von der ſchon für Schullinder jo heiligen und widy 
tigen Pfliht der Keuſchheit und' Schambhaftigleit geredet wird. 

Vebrigens muß namentli noch hervorgehoben werben, Daß in dieſem 
Buche auch nicht eine ſpecifiſch biblifchhriftliche Lehre übergangen ift, ſelbſt 
nit die orthodoreften Lehren unfrer Kirche. Aber wie ganz anders, wie 
viel einleuchtender und berzgewinnender erſcheinen dieſe Lehren bier, als in 
den unzähligen mittelalterlih = fcholaftiihen Religionsbüchern der Confeſſio⸗ 
nellen unfrer Tage. Wie herrlich ift namentlich das Materialprincip unſrer 
ſymboliſchen Bücher von der Rechtfertigung allein durdh ven Glau⸗ 
ben (S. 68 und 78) auf Grund gemifienhafter Schriftforihung bier ger 
faßt! wie überzeugend und dem Zeitbewußtjein entiprechend die Darftels 


Religionsunterricht. 29 


lung der Lehren von der Erbſünde (S. 36 u. 38), Sündloſigkeit Jeſu 
146), Wunder (6. 52), Opfertod (5. 54), überhaupt der ganzen Chriſto⸗ 
logie! Man follte meinen, die Anhänger des Confeſſionalismus müßten 
ih freuen, ihre Lieblingsdogmen der ftarren dogmatiihen Yorm entlleidet 
in jo einfach natürlicher, rein bibliſcher, echt chriftliher, Tebensträftiger Ge⸗ 
Raltung zu erbliden, und müßten fih mit ſolchem Religionsunterrichte gänzlich 
ausföhnen. Doc es wird nach wie vor Unverbeflerlihe geben, die in vor: 
urtbeildvoller Eingenommenbeit dem Stabilitätsprinzip huldigen und jede 
Reuerung diefer Art verlegern. Dagegen werben alle Yreunde des Yort- 
ſchritts, in denen ein echt proteftantijcher Sinn lebt, dem Verf. von Herzen 
danten, daß er mit feinen reichen Geiftesgaben und tiejgelehrter Schrift 
lenntniß ein Werk gefhaffen hat, das die Bahn brechen wird zu einem von 
den Banden bes traditionellen Confeſſionalismus befreiten, ans dem reinen 
frühen Quell des Lebenswortd der Bibel hervorgehenden und driftliches 
Leben erzeugenden Neligionsunterrichte. 

Auch wir bringen dem hochverehrten Berf. ſolchen Dant bier öffentlich 
dar und glauben denjelben durch vie ungewöhnlihe Ausführlichleit unfres 
Neferat3 auch beihätigt zu haben. Haben wir dabei auch gegen Einzelnes 
Bevenlen und Wünſche ausgejproden, fo find mir body gewiß, der Berf. 
wird den reblihen, nur der guten Sache geltenden Sinn, der und babei 
leitete, nicht verlennen, und bejcheiden und gern, daß ung dabei in manden 
Fällen die Anhänglichleit an den bisher gemohnten Lehrgang das Beſſere 
vertennen ließ. Unſere Ausftellungen gelten nur der Anwenbbarleit und 
praftiichen Verwertbung des Buches für die Volksſchule; fie fönnen und 
werden dem hohen Werthe defielben keinen Eintrag thun. 


2. Der chriſtliche Religions unterricht in ber Vollsſchule. Auf Grund⸗ 
fage der heiligen Schrift, nach pädagogiichen GOrundſätzen für alle Clafſen⸗ 
Rufen der Vollsſchule beleuchtet und fiir die Oberclafle berfelben practifch 
dargeflellt von 8. Kehr, Seminar-Inipector in Gotha. Zweiter Band. 
Gotha, Thienemann, 1867. X u. 338 ©. 1 Thlr. 74 Sgr. 

Wie der erfte Theil diefes jehr empfehlensmertben Werls, der 1864 
erihien, fo entjpriht auch der vorliegende zweite Theil deſſelben ganz 
ben Forderungen des neuen gothaiſchen Volksſchulgeſetzes und der im 
Schwarz ’ichen Leitfaden nun definitiv feftgeftellten neuen Lehrordnung für 
den Religiondunterriht in Volksſchulen. Cr kann daher als ein guter 
Eommentar der unter Nr. 1 und in der Einleitung fo ausführlich bes 
ſprochenen Schrift angefehen werden. Daß und warum Xebtere eines 
Gommentars bedurfte, ift oben erörtert worden, und die Lehrer, weldye von 
ihr Gebrauch mahen oder an fie, wir möchten jagen: nad conftitutioneller 
Vereinbarung , gebunden find, werden ven ihnen bier dargebotenen Com: 
mentar gewiß mwilllommen heißen. Denn Kehr bat einen praftifchen Blid 
und befißt ein bejonderes Geſchict, auch fublime Gedanken und Yormen zu 
popularifiren, obne fie ihrer Erhabenheit zu entlleiven, ſondern im 
Gegentheil fie durch Klarheit und Wärme der Ausführung recht erbaulich 
und fruhtbringend zu machen. 

Der Berf. befolgt zwar nicht fireng den Lehrgang des in unfern 
gethaiihen Schulen nun geſetzlich eingeführten „Leitfadens“; er macht viel» 


30 Religionsunterricht. 


mehr von der Freiheit Gebrauch, die, wie oben in ber Einleitung bei Mit⸗ 
theilung der „Anweiſung zur Ertheilung des Religionsunterrits u. |. w.“ 
bemerkt worden ift, jedem Lehrer des gothaifchen Landes zufteht, ſich auf 
Grund des Leitfadend „einen ganz fpeciellen Plan für feinen Wirkungskreis 
auszuarbeiten.“ Aber wie felbftftändig und eigenthümlich aud der Berf. 
feinen Lehrgang geftaltet hat, Inhalt und Geift feines Werles ſtimmt 
ganz mit dem bes „Leitfadens“ überein und daſſelbe ift nur durch eigens 
artige Darftellungsform und Stoffanordpnung von biefem unter 
ſchieden; immer hält er feft an dem SHauptgrundfaß, „daß Geſchichte 
und Lehre in fortwährender Wechſelwirkung und Berbin: 
dung ftehen müſſen.“ 

Sehr dankenswerth ift es, daß der Verf. ven Gebraud feines Buches 
neben dem „Leitfaden“ fehr erleichtert hat, durdy das beigegebene Negifter, 
welches den Nachweis liefert, wo bie betreffenden Abfchnitte des letzteren 
in feinem Buche zu ſuchen und zu finden find. Ebenfo dankenswerth, daß 
er dem Regiſter eine Andeutung der auf die einzelnen Theile des Lehrganges 
zu verwendenden Stundenzahl beigefügt bat. Es wird dies, wie er 
jelbft jagt, für den einen Lehrer ein Haushaltungsetat, für den andern ein 
Meilenzeiger, für die rafhen ein Zügel, und für die langjfamen ein Spom 
fein. Bei einer neuen Auflage feines Buches könnte der Verf. noch ein 
Megifter beifügen, nämlich über fämmtlihe bibliſchen Sprüche und 
Lejeftüde des Leitfadens mit Hinmweifung auf die Seiten feined Buches, 
wo diefelben ihre Anwendung und ausführlichere Erflärung gefunden haben. 
Auch damit würde er den Lehrern einen großen Dienft ermeijen. 

Der Lehrgang, den der Verf. im vorliegenden zweiten Bande feines 
Werkes einhält, ift folgender: In firenger Befolgung der bibliſch⸗geſchicht⸗ 
lihen Methode hatte er im erften Bande die vordriftlihde Entwidelung des 
Sottesreihs für den Neligionsunterriht behandelt und denjelben in den 
Abſchnitten: 1) Gott als Schöpfer, 2) Gott als Gefebgeber, 3) Gott als 
Bater (lebtere jedoch nur als hiſtoriſche Ueberleitung von Mofes bis Chriftus) 
gegeben. Hier, im zweiten Bande folgt nun „das Chriftenthbum“, 
vertheilt auf bie fünf Abfchnitte: 1) das Leben, 2) die Perſon, 
3) das Wert Jefu, 4) das Reich Chrifti oder das Himmelreich, 
5) die Verwirklichung des Reihe: Die Kirche. Die Ausführung ift vor 
trefflih und zeugt von dem Fleiße, von dem praftifhen Sinn, und von 
dem warmen Eifer, mit welchem er vom Anfang bis zum Ende nur das 
Eine im Auge behält, in ven Herzen der Kinder ein lebendiges Chriften- 
thum zu erzeugen. Daß aber vie biblifch : gefchichtlihe Methode , wie fie 
der Verf. durchführt, neben ihren Vorzügen, für den Unterricht in Bolls: 
faulen auch ihre Mängel und Nachtbeile hat, das habe ich ſchon bei ver 
Anzeige des erften Bandes nachgewieſen. Und das läßt ſich auch in diefem 
Bande nahiweifen. Im 2. Abfchnitt wird die Berfon Jeſu geſchildert als 
a. Gottes Sohn, b. des Menſchen Sohn, ce. das Vorbild für Ale. Hier 
fehlt offenbar ein Hauptmoment zur Charakteriſtik Jeſu: daß er nämlich 
auch Geſandter Gottes war. Erft im 3. Abfchnitt, unter dem Kapitel 
von der Vergebung der Sünden, ift davon die Rede, aber keineswegs in 
einer die hohe allgemeine Wichtigkeit dieſes Merkmals für den chriftlichen 


Religionsunterricht, 31 


Glauben kennzeichnenden Weiſe, ſondern nur ſpeciell darauf angewendet, 
daß Chriſtus „als Geſandter Gottes die Vergebung der Sünden und bie 
Gnade Gottes verlündigt und verbürgt.” Und doch ijt es vor Allem 
nöthig,, die Kinder durch den Glauben an bie göfttlihe Sendung Jeſu 
in dem Feſthalten an der göttlichen Glaubmürbigleit feiner Lehre nad 
feiner eigenen Job. 7, 16 f. gegebenen Anmeifung zu ftärlen; doch fiellt 
er ſich jelbit ftets und vor Allem dar im Dienfte deſſen, ver ihn gejandt 
hat (Joh. A, 34); doc prägt er felbft diefen Glauben an feine göttliche 
Endung in der allernachdrücklichſten Weife ein mit ven Worten (Job. 17, 3): 
„Daß ift das ewige Leben, daß fie — — den erlennen, den du gefandt 
baft u. f. mw.” — Ebenfo fehlen im 3. Abjchnitt bei der Beichreibung ber 
Baterliebe Gottes zwei wichtige Momente, doch wohl nur weil fie, aus 
ihrem engften Zufammenhang gerifien, erſt jpäteren Lehrabſchnitten einge: 
reiht werden follten. Der Verf. redet nämlich wohl davon, daß der himm⸗ 
liſche Vater feine Kinder a. in's Dafein ruft, b. fie ernährt, c. verſorgt, 
d. behütet, e. beſchützt, f. erzieht, g. ihnen ewiges Leben gibt und h. ihnen 
dad Erbe der himmlifchen Seligkeit beftimmt; — aber er jchweigt davon, 
daß der himmlische Vater auch die Gebete feiner frommen Kinder erhört 
und den reuigen Kindern ihre Sünden vergibt. — Doch es jei nochmals 
bemerkt: die bier und da vermißten Lehren fehlen nicht überhaupt im Buche, 
iondern fehlen nur am rechten Orte, wie es uns ſcheint; und daran ift 
die Methode und die durch fie bevingte Anoronung ſchuld. Mir halten 
es nun einmal für anſchaulicher und wirkjamer, das Zufammengehörige zu: 
jammen zu lafien, und finden, dab das Getrennde — wie in den ange: 
führten Beijpielen — leicht auch zu einjeitig behandelt wird. 

Auf den reihen Inhalt näher einzugehen, erlaubt bier der Raum 
nicht. Nur fei noch hervorgehoben, daß, mie viele andere Partien des 
Buches, fo ganz befonders das lebte Kapitel im 5. Abjchnitt wohlgelungen 
iſt. Diefer Abſchnitt handelt von der Verwirklichung des Reichs: Die 
Kirche. Hier liefert der Berf., nachdem er a. von der Ausgießung des 
heil. Geiftes, b. von dem Weſen der chriftlihen Kirche, c. von den Heils: 
mitteln derjelben und d. von dem chriftlihen Leben in der erften apoftos 
lichen Kirche gehandelt bat, — e. von ber Geſchichte der Weiter: 
entwidlung der hrifiliden Kirche. Er entwirft in dem engen ' 
Rahmen von 26 Seiten ein Gemälde ver geſchichtlichen Entwidelung ber 
Hrifllihen Kirche, das bei aller Kürze und Gebrängtheit doch reich ift an 
Garakteriftiihen Zügen des Wichtigften, mas dem Zwecke des Volksunter⸗ 
richts frommt, und nicht etwa in trodner Aneinanderreihung der gefchicht: 
lihen Facta, fondern in ergreifender, faßliher, erwärmender Schilderung 
und immer mit der Hariten Ueberficht des Entwidelungsganges in feinem 
geſchichtlichen Zuſammenhange. 

Ueberhaupt müſſen wir, was die Auffaſſung der Lehren und ihre 
Darſtellungsform betrifft, auch hier wiederholen, was wir bei der Anzeige 
des erſten Bandes bemerkten: daß der Verf. ſich bier nicht nur als prak⸗ 
tiſchen Paͤdagogen, ſondern auch als einen mit den neueſten Producten ber 
Religionswiſſenſchaflen vertrauten und den Geiſt des Chriſtenthums tief 
und warm erfaffenden Neligionslehrer bewährt hat, — und daß fein Werl 


32 Religionsunterricht, 


dazu dienen kann, in wirkſamer Weife die Verdächtigung zu widerlegen, 
als ob die Boltsihule des gothaifhen Landes auf dem Punkte ſtehe, vom 
Chriſtenthum abzufallen und über der Pädagogik die Religion zu vergefien. 
ever nicht ganz Verblendete und in Borurtbeilen Befangene wirb den hier 
gegebenen Religiongunterriht als einen chriſtlichen und echt evangeliſchen 
anerkennen müfjen. 


3. Stoffe und Entwürfe zu bibliihen Geſchichts⸗, Lieber-, Spruch⸗Kate⸗ 
cheſen und Katehismusunterrebungen. Für einen concentrirenden Religions 
unterricht in ben Oberklaſſen evangeliicher Boltsfhulen — bearbeitet unb 
georbuet von J. U. ne ‚ Seminar - Director in Grimma. Zwei 

heile. Grimma, ©. Genjel, 1866. 1. Theil XVI ı 191 ©., 16 Sgr.; 
2. Theil XIV u. 254 S., 20 Ser. 


Auch dem Verf. vorliegender Schrift ift es Herzensſache, einen leben: 
bigen und lebenihaffenden Neligionsunterridyt zu erzielen. Er will darum 
denſelben zu einem concentrirenden Unterridt maden; concentriren 
ſollen ſich Gefhichte, Spruch und Lied auf die Heildwahrheiten, die in dem⸗ 
jelben zu einer lebendigen Erkenntniß und warmen Grgreifung gebradjt 
werden follen. Er bat dazu für jede Woche eine Heilswahrheit zur Be 
trachtung erwäblt, kündigt das Wochenthema beim Beginn der Woche an, 
ftellt e3 mit eindringlihen Worten in feiner Wichtigkeit dar und forgt 
dafür, daß es den Kindern immer gegenwärtig bleibe. Montags gebt er 
die bezüglihe bibliſche Geſchichte durch, Dinstags behandelt er das 
Lied, Mittwochs folgt die entiprehende Sprud: und Gpiftelta: 
teheje, Donnerstags fließt fih die Ratehismusunterredung an; 
enblih wird Freitags oder Sonnabends (für Lertüre der Sonntagspericope 
muß noch Zeit erübrigt werden!) der religiöfe Lehrfloff ver Woche in eine 
Art Schulliturgie, in eine Srhbauungsftunde zufammengefaßt, in welcher 
das Wochenſchema des Katechismusunterrichts und jeine weitere katechetifche 
Ausführung den Mittelpuntt bildet, mit welder aber auch der freie Bor: 
trag (auch Gefangsvortrag) des Wochenliedes, der bibliihen Wochengeſchichte 
und bezüglidhen bibliſchen Lehrfiellen in georbneter Folge verbunden wer- 
den joll. 

Gründlid), das muß man gefteben, geht der Verf. zu Werke, ob aber 
die Weberzahl der wöchentlichen Religionsftunden und die tägliche Wieder: 
bolung defielben Thema's nicht ermüdend und mehr Leben ertödtend, als Leben 
Schaffen wirkt? ob ſich namentlich einzelne Wodyenthemata (mie das zweite : 
„Gott bat fih allen Menſchen geoffenbart“, ferner das vom Chebruch, nom 
Glauben an den breieinigen Gott) ohne Nachtheil für die Erbauung auf 
eine ganze Woche ausdehnen und überhaupt alle einzelnen Themata in 
gleihem erzwungenen Beitmaße behandeln lafien? ob nicht jede Religions: 
ftunde eine „Grbauungsftunde‘‘ fein folle? — darüber mag der Leſer 
ſelbſt urtheilen. 

ALS Beiſpiel der Stoffanordnung, wie fie in tabellariſcher Ueberſicht 
vorangeftellt ift, führen wir Nr. 12 an: Wodenthema: VI. Gebot. 
„Du ſollſt den Chebund nicht brechen, jondern heilig halten.” A, Bezüg: 
lie biblijhe Geſchichts-Katecheſe über 2. Sam. 11 und 12- 
David's Ehebruch mit Bathſeba. B. Bezüglihe Lie der⸗Kateche ſe über 


Religionsunterricht. 88 


L „Der Bolluft Reiz” (Gellert), IL. „eu, deine tiefen Wunden‘ (Herr: 
mann). C. Bezüglide Spruch: und Epiſtel⸗Katecheſe über 1. Eor. 
6, 14—20. Thema: „Der Chrift gehört mit Leib und Seele dem breis 
einigen Gott an, nit den Huren.‘ D. Katechismusunterredung über: 
I „Du ſollſt den Ehebund nicht brechen.“ IL ‚Der Ehebund zwiſchen 
Bater und Mutter, wie er geheiligt foll werden.” — Abfichtlih haben wir 
gerabe dieſes Wochenthema ausgewählt, weil ed uns die ven obigen Fragen 
zu Grunde liegenden Bedenken recht deutlich zu rechtfertigen ſcheint, und 
weil 28 ſchon in dieſen Hauptfäßen, noch mehr aber in der Ausführung 
kmd gibt, wie wenig zur Erbauung für Kinder manche Themata find (wie 
bier die ſehr fpecielle Behandlung der Ehe, während die Keufchheit und 
Shamhajtigleit nur kurze Berüdfichtigung finden), wie der Verf. auch bei 
diejem Gebot feine Orthodoxie (den dreieinigen Gott) durchbliden läßt, und 
wie unzart er im Ausdruck (Huren) ift. 

Weberhaupt ift der Verf. ganz der ftreng confeflionellen Richtung er 
geben. Gr ſelbſt fagt, daß fein Ziel ift: das Verftänpniß eines populären 
Syſtems der Heildwahrbeiten, wie ed im lutheriſchen Katechismus 
vorliegt. Er folgt daher aud Schritt für Schritt dem Gange des Katechis⸗ 
mus umb bebanvelt im 1. Theile feines Buches das erſte Hauptflüd 
in 16, im 2. Theile das zweite Hauptftüd in 18 Mochentbematen. 
Freunden des confeflionellen Religionsunterrichts wird das Werk guten 
Dienft leiften können, wenn fie es verliehen, aus dem überreichen Stoff 
eine richtige Auswahl zu treffen. 

4. Der Religionsunterricht an höheren ! Lebranftalten, fpeciell an Gym⸗ 
nafien. Bon Rudolph Sempel, cand. th., Lehrer an Dr. Krauſe's 
sehr und Erziehungsanftalt in Dresden. — Dresden , Louis Ehlermann. 

867. 116 ©. 12 Ggr. 

Eine Heine, inhaltreihe, wohldurchdachte Schrift. Auch fie hat dem 
Zweck, den Neligionsunterriht praltiſcher und für's Leben wirlſamer zu 
mahen. Aber nicht für das Volksſchulweſen arbeitet der Berf. auf Belle 
rung des Religionsunterriht3 bin, Jondern für die höheren Lehrans 
alten, fpeciel für Gymnafien. Im ihren Hreifen lebt und wirkt er; 
und die dabei gemachten Erfahrungen veranlaßten ihn, jene Anfihten und 
Urtbeile in vorlieg. Schrift zu veröffentliben. Denn gerecht findet er bie 
Klage über die Art und Weile, in mwelder, wie über ben Erfolg, mit 
weichem der Religionsunterriht an Gymnaſien ertheilt wird. Und was er 
darüber fagt, wie und zu welchem Zwede der Neligionsunterriht an ben 
GSymmaſien ertheilt werben foll, ift hoͤchſt beachtenswerth. Man erlennt ihn 
aus diefer Schrift als einen Lehrer, der nicht Miethling, dem es vielmehr 
Herzensſache ift, feine Schüler für’3 Leben zu bilden und insbejondere ben 
wichtigſten Theil der Gymnafialpäpagogit — den religiöfen — zu lebens: 
kräftiger Wirkſamkeit zu führen. Er zielt darum vor Allem darauf hin, das 
Gemüth des Schülers zu erfaflen, ohne dabei das Denlen und Wollen zu 
vernadjläffigen, wie er ja auh Religion befinirt als „ven BZuftand bes 
Gemüths, wo ſich daſſelbe und damit der Menſch überhaupt mit Gott Eins 
fühlt, will und weiß.” Bei feiner Debuction im Einzelnen gebt er jehr 
grimplich und mit großer Umficht zu Werte, und wir bebauern nur, in 

Par. Jrezdericht. XIX. 3 


84 | Religionsunterricht. 


dieſer Zeitſchrift nicht tiefer auf feine Urtheile und Rathſchlaͤge eingeben 
zu fünnen. Sowohl was er über Weien und Biel des Religionsunterrichts 
fagt, als auch mas er über Lehrer, Schüler, Methode, Stoff und die Ber 
handlung der einzelnen heile vefielben bemerkt, ift reih an beherzigens⸗ 
wertben Gedanken; dankenswerth auch die Aufftellung eines Lehrplans; jehr 
wahr das legte Wort: „Es kann unfer Jah au mit zwei Stunden 
Hauptfad fein, wenn es nur in der rechten Weiſe betrieben wird.‘ 
Kurz wir können dieſe Schrift, die fi auch durch ihre vortrefflidhe Darſtel⸗ 
Iungsweije auszeichnet, den Gymnaſiallehrern angelegentlich empfehlen. 


5. Die chriſtliche Ethik von Ph. Theodor Culmann, prot. Pfarrer zu 
Speyer, I. Theil. Stuttgart, Steinlopf, 1864. XIIu. 429 S. 1 Thlr. 
15 Sgr. — II. Theil. 1866. 188 ©. 22 Egr. 


Der 1863 verftorbene Verf. diejes Werkes bat nur den exften Theil 
deſſelben jelbft noch brudfertig gemacht; den zweiten Theil hat ber quiescirte 
Sonfiftorialratb Börfjch herausgegeben und zwar unverändert nad dem 
Gntwurfe zu demfelben, der fi in den binterlafienen Papieren des Berfs. 
vorfand. Auch ift diefem zweiten Bande ein Nekrolog nebſt Gedaͤchtniß⸗ 
predigt auf den Berftorbenen vorausgefhidt und ein Anbang von vier 
Auflägen veflelben beigegeben über 1) die Principien der Bhilofophie 
Baaders und Shadens, 2) das Berbältniß von Bild und Sache im 
den prophetifhen Schilderungen, 3) den Sturz des Satans in feinem Ber- 
haͤltniß zum Schöpfungsmerd und 4) Wuttle’s chriſtliche Sittenlehre und 
den Nothſtand dieſer Disciplin. 

Was nun diefe „chriſtliche Ethik“ ſelbſt betrifft, die bier „wejentlich 
als Wiffenfhaft der hriftlihen Afcefe erſcheint,“ fo ift unver: 
fennbar, daß der Verf. mit warmer Begeifterung auf eine tiefe Erfafiung 
und praftiihe Ausbildung dieſer hochwichtigen Disciplin bingearbeitet und 
fein originelle Syſtem mit großem Fleiß und Scharffinn durchgeführt bat. 
Wir zweifeln aber, daß Neligionslehrer, vie fih nad diefem Werte richten, 
den beilfamen Erfolg davon erzielen werben, den der Berf. fi davon vers 
ſprochen hat. Weder bie Religionsphilofophie von Schaden, auf welche 
das Wert hauptjächlich gegründet ift, noch der byperortbopore Stanbpuntt 
des Verfs. bieten die dazu bienlihen Mittel. Gine Ueberfiht des Inhalts 
und ein paar Beiſpiele der Ausführung werben ben Lefern davon genügende 
Andentung geben. 

. Im erften Theile bejchreibt der Verf. die Regelung und Befriebigung 
des Heilsbenürfnifies, Das er auf den religiöfen ebenbildlidhen 
Grundtrieb der menjhlihen Natur zurüdführt, — im zweiten die Re 
gelung ber übrigen Zriebe und deren chriftlihe Verklärung. In der Gin: 
leitung wird befproden: der Begriff der chriſtlichen Gthil, die menfchliche 
Ebenbildlichkeit abgeleitet aus dem Gottesbegrifi, das Verhältniß der Gottes: 
fülle zu dem afjimilirenden Ebenbilve, das Paradies, das paradiefifche Gebot 
und Verbot, die Erſchaffung des Weibes, die normale Entwidelung des 
Menſchen im Paradies, Gründe für Erſchaffung des Weibes, der Sünden» 
fall, die Mafregeln Gottes nach dem Sünbenfall, das Rraut des Feldes, 
die Arbeit im Schweiß des Angeſichts, der Tod, bie Verbannung aus bem 


Religionsunterricht. | 35 


Paradies, Wirlung des Sündenfalls auf die menjhliden Crienntnißträfte, 
— Erſter Theil: A. Die Tugendftufen: 1) der Bug des Vaters 
zum Sohne (Buße, Glaube, Taufe; Gefahren: Halbheit der Buße, Schwäche 
des Glaubens, Reizbarleit des Gewiſſens); 2) die Ajfimilirung des Sohnes 
(Object derfelben: Kirche, Schriftwort, Abendmahl; Gefahren: Gewohnheits⸗ 
frömmigleit, Hochmuth, Kleinmuth); 3) der Menſch im Befib des heil 
Geistes (prophetiiche, priefterlihe und koͤnigliche Würde des Chriſten; Ge 
fahren: Todfünde oder Sünde wider den b. Geiſt). B. Die Lafterftufen: 
1) Ignoriren Gottes, die Gottesfchen, der Gotteshaß. — Im zweiten Theile 
werden die Triebe der Natur abgehandelt: ver Geſchlechtstrieb, der Zrieb 
nah Nahrung, Beſitz, Herrfchaft und der Zorn, wobei auch wieder Tur 
gende und Laflerftufen unterjchieven werden. 

Als Proben können wir leider nur einzelne Säge mittbeilen; aber fie 
werden dem Rundigen genügen. So aus dem Abſchnitt: das paradiefiiche 
Gebot: Du follft efien von u. |. w. Nah dem Begriff des Verfs. von 
Ghenbildlichleit iſt „der Menjch der perjonificirte Gotteshunger und als 
folder darauf angemwiejen, goͤttliche Zülle zu afjimiliren; ver abäquatefte 
Ausdrud aber für Aſſimiliren ift Efien. Mithin muß ein Gebot 
des Eſſens gegeben werden; der Menjch mußte fih in die Wunder 
welt des Baradiefes einleiben.” — Ein anderes Beifpiel. Bei der „Er 
ihaffung des Weibes“ fagt ver Berf.: „daß der Menſch eine Lüde fühlte 
in feinem Dajein, das laßt fih nur daraus erllären, daß ihm bei ver 
(vorausgebenden) Kenntmißnahme und Benennung der Thiere als eine ihm 
abgehende und deshalb wünjchenswerthe erjhien. Er ift weit entfernt, ſich 
feines hoben Vorzugs bewußt zu werben, ebenfomenig ein Weib baben zu 
müfjen wie Gott (!) und den Engeln glei zu fein, die weder freien, noch 
ſich freien laſſen. Er bedarf einer Hilfe. Damit daß ihm dies Bedürfniß 
entftehen konnte, war der Beweis geliefert, daß er fidh in dem hoben Zuſtande, 
in welchem Gott ihn geichaffen hatte, nicht zu halten vermochte, daß er 
bereits ftatt zu Gott, zum Höheren, zu gravitiren, leider zur Gleichftellung 
mit Niedrigeren binftrebte. Cr begann bereits zu finlen. Der Anfang 
der Sünde, ihre Gonception, war eingetreten. Gott muß fi 
berablafien (1), jenem durh Schuld des Menjhen in der Schöpfung aus 
gelommenen Nihtgut durch Bildung des Weibes abzubelfen. Die Err 
ſhaffung des Weibes ift deshalb eine fo furhtbare Katar 
ftropbe (11), daß fie nur überboten wird von dem Tod 
ſelbſt, deffen Vorftufe fie eben if.” 

Es ift doch merkwürdig, zu melden Abjurbitäten die erzwungene 
Durchführung eines auf Vorurtheile gegründeten Princips führt und wie 
wunderlih die Typologie ift, durch welche dies bier ermöglicht wird! Bu 
einer heilſamen praltiſchen CEthik Tanıı ſolche Sophifterei nicht helfen. 


6. Rechenſchaft von unferm Glauben. — Antwort af das Send⸗ 
chreiben des Herrn Prof. Tholud (Zeitſtimmen 1861, Mr. 15). Bon 
einzig Hirzel, Diaton in Züri. Zweite, durch den „Gruß in bie 
erne” (Zeitflimmen 1861, Nr. 3) vermehrte Auflage. Winterthur, Steiner, 
1862. 46 ©. 5 Sgr. 


3* 





36 Religionsunterricht. 


Erſt nah 5 Jahren ift diefe Heine Schrift uns zur Anzeige im Pad. 
Sahresbericht vorgelegt worden, aber auch jetzt noch bat fie durch ihre 
trefflichen Anfichten and Grundſaͤße über Jeſu Perfon, über die h. Schrift 
und über die Kicche der Gegenwart großes Intereſſe für und. Wir em- 
pfehlen fie daher eben fo angelegentlih, wie vie werthvolle Beitfchrift 
(„Beitftimmen aus ber reformirten Kirche der Schweiz”), in welcher die 
Auffäge ftehen, die zu dieſer „Rechenſchaft“ Veranlaſſung gegeben bat. 
Speciell auf den Religionsunterricht bezieht fie fih nicht; aber fie enthält 
doh gar Manches, was für Lehrer, wie für Jeden wichtig ift, der an ber 
zeitgemäßen Entwidelung chriſtlicher Anſchauungsweiſe regen Antheil nimmt. 
So die Thefe: „Das Evangelium Jeſu Chrifti ift bie vollendete Heils- 
wahrheit” und die Antitbefe: „Dietaltfirhlihde Glaubenglehre 
über die Berfon und das Werl Zefu, die bdogmatifhe Auf: 
faffung und Parftellung diefer Perſon von Seiten der 
Kirche hat für die Gegenwart ihre Wahrheit verloren,” „fie 
ift, wie fpäter hinzugefügt wird, inſoweit nicht mehr Wahrheit, als fie auf 
eine bualiftifche Weltanfhauung und die dieſer eignende Wundertheorie ges 
ftellt if.‘ Hierzu die Syntheſe, in welcher Thefe und Antithefe fich zur 
Einheit zufammenfhließen: „Die Heilswahrheit ift geſchichtlich in der 
wirklich gefchichtlihen Berfon Jeſu von Nazaretb perſönliche Lebens: 
wahrheit geworden und pflanzt fi von der Perfon Jeſu aus im ges 
ſchichtlichen Verlaufe in die Menfhheit ein. — Yür Neligionslebrer ift 
namentlih aud die Stelle beacdhtenswertb, mo ſich der Verf. gegen ben 
Borwurf rechtfertigt, als ob er die ihm anvertraute Jugend durch die von 
ver beil. Geſchichte losgeloͤſte Idee nähren und begeiftern wolle. Im Gegen⸗ 
theil, jagt er, fei es fein Streben, vem Gemüthe ver Jugend die 
heilige Geſchichte je mit dem fortfchreitenden Alter immer mehr als 
eine wirkliche, denkbare, gefhihtlihe Geſchichte, das Leben Jefu 
mehr und mehr als ein menſchliches und dabei göttlih:reines, 
und fomit ald ur: und vorbildliches Leben unverlierbar einzuprägen ; 
alfo gerade die heilige Geſchichte als Diejenige Geſchichte, inwelder 
die religiöje Wahrheit Leben geworden, zur Entzündung und 
Ermedung des gleichen Lebens in der Jugend zu verwenden.” — Auch ift 
für Jeden beachtenswerth, wie er die Zumuthung abmweift, als ob er, „das 
Weſen des Eultus verleugnend,, in den Predigten Operationen ber Kritik 
volljiehe, oder, an geſunder Pädagogik fih verfündigend, im Jugends 
unterrichte mehr negire, als für Herftellung eines gefunden 
und feften Glaubens abfolut nothwendig ſei.“ 

Sehr zu rühmen ift noch die Mare, ruhige und edle Art, mie der 
Verf. gegen die oft bitter höhnenden, unmürbigen Vorwürfe Tholud’3 fi 
rechtfertigt, wie 3. B. wo biefer von den Prebigern ber freieren Richtung 
jagt: fie zeigten an jedem hoben Feſte dem Volle die bunte Gierfchale 
oder das Gugdkaſtenbild (1) einer heiligen Gedichte, um diefelben dann 
wegzumerfen, — oder: fie füllten ihre Kirchen damit, daß fie den Leuten 
predigten, was fie gern hörten. 


Religionsunterricht. 37 


2, Für Schüler. 
„u Chriftlide Lehre ohne Symbolzwang. 


1. Die Lehre Jeſn nach feinen eigenen Worten ans ben Enangelien 
überfichtiich ——— — Zweite Ausgabe, bevorwortet von Dr. 
Rudolph eydel, Privatbocent der Philoſophie an ber Univerfität einig, 
Dresden, Ernfi am Ende, 1866. XII u. 99 S. 5 Ser. 


. Katehismus der chriſtlichen Lehre in Grunbfähen bes Denfens 
und Handelns, ausgeſprochen in ber Form eines Selbſtgeſprächs, georbnet 
in 50 Wodenlectionen und zum leichteren und vollfländigen Auswenbig- 
lernen für die oberen Religtonsflaflen evangelifher Bürger- und Elemen- 
tarichufen eingerichtet. Nebft einem mit ber biblifhen Gefchichte zu verbinben- 
ben kurzen Abrifie der chriftlichen Lehre für die erfien Anfänger von Karl 
Friedrich Hoffmann, weil. Director . Königl. Waiſenhanſes n. Schul. 
lebrer-Sem. zu Bunzlau. — 19. — — Hirſchberg in Schleſien, 
(Raſener's Buchhandlung) Oswald Burke 1866. VIII nm. 152 ©. 

Spruchbuch für evangelifch-proteftantiiche Schulen, von Dr. Leonhard 
Kalb, evang. lutheriſcher Stabtpfarrer zu Frankfurt a. M. — Beſchluß 
ber vereinigten evang.⸗ prot. Bürgerſchulen zu Frankfurt a. M. eingeführt. 
2. Auflage. Frankfurt a. M., Franz Benj. Auffarth, 1866. VI u. 142 ©. 


Wenn wir diefe 3 Schriften unter die Rubrik ftellen: „Chriſtliche 
Lehre ohne Symbolzmwang”, jo wollen wir damit jagen, daß ſich die 
Berff. derſelben niht an den Gang und die Worte bes Katechismus 
binden, fondern ſich frei ein ſelbſiſtaͤndiges Lehrſyſtem bilden. 

Der ungenannie Berf. von Ar. 7 liefert, wie auch Dr. Seydel im 
Vorwort bemerkt, einen wichtigen Beitrag zur Löfung der religiöfen 
Aufgabe unfrer Beit. Ganz abfebend von dem die Bebürfnifie der 
Gegenwart verlennenden Eonfellionalismus, legt er feiner Lehre Jeſu den 
Entwidelungsgang hriftlihen Glaubens und Lebens zu 
Grunde. Herrſchte im chriftlichen Altertbum die Gottesidee vor, im Mittel» 
alter die Reichsidee, im Neformationszeitalter die Idee der Gottmenjchheit, 
fo bat umfer Zeitalter namentlih den biftorifhen Jeſus im Auge. 
Es foll aber den hiftorifchen Jeſus weder in bloß menschlich = gefchichtlicher 
Weiſe berabjegen, noch zu einem Deus ex machina verflüdhtigen, ſondern 
im als den religiöfen Genius der Menfchheit erfennen lafien. 
Dazu fol aber eine Darftellung der chriftlihen Lehre dienen, welche nur 
nit Jeſu eignen Worten aus den Evangelien gegeben wird. Der 
Berf. reiht daher Sprud an Spruh in wohldurchdachtem Zuſammenhange 
zu einem Lehrgebäude zujammen, in deſſen erftem Zbeile 3) die Sendung 
Jeſu, 2) der Ruf zum Heil, 3) der neue Menſch, 4) die Nachfolge Jeſu, 
und in defien zweitem Theile 4) chriftlihe Liebe, 2) chriftliher Sinn, 
3) Hrifllihe Ordnung, 4) chriftliche Erwartung bargeftellt wird. Zuſam⸗ 
wenbang und Ueberfichtlichteit dieſes Lehrſyſtems empfehlen die Anwendung 
deſſelben 


Auch Nr. 8 (Hoffmann) halt ſich frei von confeſſioneller Form, 
aber nicht ganz von confeffionellem Geiſte, wie ſich das namentlich aus dem 
ea nit ergibt: „Jeſus Chriftus ift das vollgiltige Verföhnopfer für die 

Cünden der Welt” Der ganze Lehrgang iſt auf 50 Wochen vertheilt 


38 Religionsunterricht. 


und nach folgenden ſechs Hauptjägen geordnet: 1) Ich bin ein Menſch, 
2) ih bin ein ſchwacher und ſündiger Menſch, 3) ich glaube an Gottes 
Daſein und väterlihe Fürforge, an Jeſu unenpliches Verdienſt, an des beil. 
Geiſtes kräftige Leitung zum Guten, an Unfterblicpleit, 4) ich darf nichts 
Böfes denken, wollen, reden, thun, 5) ich foll lauter Gutes denken u. ſ. w., 
6) ih darf hoffen, daß mein getreuer Gott feine theuren Verheißungen in 
Jeſu Chrifto auh an mir erfüllen werde. Daß das Buch übrigens noch 
einen „kurzen Abriß der criftlichen Lehre für die erften Anfänger” ent: 
hält, bejagt ſchon ver fehr ausführlihe Titel; die Form des „Selbfige: 
ſpraͤchs“ gibt fih fhon aus den angeführten Hauptfägen zu erlennen. 
Zum „vollftändigen Auswenpdiglernen” ift die Yafjung der Lehren 
nicht immer geeignet; und — führt wohl das Auswendiglernen zum wahren 
Ziele des Neligionsunterrihts? Manches empfiehlt ſich als recht praltiſch, 
namentlih in dem „kurzen Abriß”. Unter ven Beigaben findet fih Luther's 
Katechismus mit Erläuterungen von Rudolf Stier. 

Das Spruhbud Nr. 9 (von Kalb) ift hervorgegangen aus dem 
Bebürfnif, den Neligionsunterriht an unirten Schulen mit dem Katechume⸗ 
nenunterricht unionsfreundlider Geiftlihen in Verbindung zu bringen, den 
Lehrern eine Fundgrube entwidelungsfähigen Lehrſtoffs und den Schülern 
in einer reihen Auswahl von ftufenmäßig fortjchreitenden Bibelſprüchen 
einen Schatz an löftlihen Worten des ewigen Lebens zu geben. Es foll 
den untern Klaſſen ala Spruchbuch, den oberen ala Lehrbuch dienen. Nach 
einer Ginleitung, die von Neligion und Offenbarung handelt, folgt die 
Lehre L von der Heilsftiftung: 1) von Gott, dem Schöpfer des Heils, 
2) von Jeſu Chriſto, dem Stifter des Heils, 8) vom heil. Geift, dem 
Mittler des Heils (es müchte wohl zwedentfprechender fein, Gott den Stifter, 
Jeſum den Mittler und den beil. Geiſt den Förderer des Heils zu nennen); 
II, von der Heilsaneignung; III. vom Heilsleben (chriſiliche 
Eittenlehre): 1) Pflichten: , 2) Tugend⸗, 3) Güterlehre; IV. von der 
Heilsvollendung. In gedrängter Kürze geben vie Paragraphen den 
Lehrinhalt der forgfältig ausgewählten und geordneten Sprüche an, wobei 
jedoch zumeilen der Dogmatismus durhblidt, wie in &. 30 fi., die vom 
propbetifchen, bohenpriefterliben und königlihen Amte Jeſu handeln. Bon 
den beiden Anhängen, 1) Sprühe und Gebete und 2) Kirchengejchichtliche 
Beittafel, ift jener reich an herrlihen Sprüden aus den Apokryphen, von 
Kirchenvätern und Sirchenlehrern bis 1517, von den Neformatoren und 
ihren Freunden. 


b. Katechismuslehre mit Sprüden ꝛc. 


10. Die ſechs Hauptfüde des Heinen Katechismus fragweiſe und burd 
reihlihe Sprüche ber heil. Schrift ausgelegt von Ferdinand Bäßler, 
Geiſtl. Infpector und Prof. an der Landesſchule zu Pforte. Magdeburg, 
Heinrichshofen, 1866. VI u. 150 S. 25 Sgr. 


11. Wendel's evangelifhes Religionsbuch für Schulen. Iupalt: 


a. Biblifhe Geſchichten des alten uub neuen Teftamentes, für Schulen 
mit den Worten der Schrift erzählt und mit Bibelſprüchen und Fieber- 
verfen erläutert von Heinrich Wendel. Neunte Auflage. Breslan, 


Religionsunterricht. 39 


Dälfer, 1865. 206 ©. 54 Sgr. in Pappe, 7 Sgr. mit engliſchem 
Zeinenrüden, in Partien billiger. _ 

b.Dr. Martin Luther's kleiner Katehismus unter Zugrunde⸗ 
leguug bes alten Breslau-Delser, urſprünglich Lüneburg⸗Celle ſchen Kate- 
chismus in Frage und Antwort erffärt und durch Bibelſprüche und bib- 
liſche Gefchichten, fowie durch Kirchenlieder erläutert von Heinrich 
Wendel, Baltor. Ausgabe B. Munug für Schulen). Achte Auflage. 
Breslau, 1865. VIII m. 135 ©. 4} Ser. in Pappe, 6 Sgr. in Lein⸗ 
wanbrüden, mit ben 80 Kirchenliedern 7 Ser. 

e. Die achtzig Kirhenlieder der Regulative in Anorbnung und 
Tert genau nah ben „Geiſtlichen Liedern für Kirde, Schule und Haus, 
beransgegeben von Friebr. Andere ımb W. Stolzenburg“‘ abgebrudt. 
Re den feſtſtehenden Theilen des liturgiſchen Gottesdienſtes. Funf⸗ 
zehnte Auflage. Bretlau, 1864. 76 ©. J Ser. 


12. Rategismmetabellen. Katechetiſche Dispofitionen über Dr. Martin 
Luther's U. Katechismus in Verbindung wit dem Hannover'ſchen Lanbes- 
katechiomus von 1790 und mit Beifpielen und Gefangverfen von Heinrich 

aftram, Lehrer zu St. Albani in Göttingen. Göttingen, Deuerlich, 1866. 
Vu. 14 ©. 20 Sgr. 


13. Chriſt liche Lehre. Hülfsbuch für den evangeliſchen Eonfirmanden-Unter- 
riht von Th. Hübner, erfiem Prediger zu St. Thomas. 2. Aufl. Berlin, 
Moer 1866. 48 ©. 3 Ser. 


14, Leitfaden bei Erffärung bes Luther-RKRatehismue für Ober 
Haflen enangelifcher Bolkoſchulen, bearbeitet von Conrad Stügner. Zweite 
vermehrte Auflage- Plauen, Neupert, 1866. 120 S. 5 Sgr., 25 Expl. 
geb. 3 Thlr. 224 Ser. 


15. Dr. Georg Friedrich Seiler's evangeliſcher Katechio mus. Im 
Anftrage der Kreisſynode Wetzlar neu bearbeitet und von ber XII. xheini- 
gen rovinzial-Synobe gutgeheißen. Gießen, Roth, 1866. IV n.106 ©. 
4 Sgr. 


16. Handbüchlein für Jung und Alt ober Katehismns ber evangel. 
Heil stehre. Dritte Auflage, als Anhang einen Ueberblick ber Kirchenge⸗ 
fhichte enthaltend. Straßburg, Berger-Levrault, 1865. VI n. 86 S. 
4 Sgr. 

17. Sälfebuch für den Religionsunterricht in evangeliſchen Schulen. 
Euthaltenb: I. Morgenlieder, II. —— III. Lieber bes Kirchen⸗ 
jahre, IV. Lieber vom chriftlichen Leben, V. Gebete, VI. Kurze Radırichten 
über die Lieberbichter, VII. Luther's Kleiner Katechisinus, VIII. Bibel» 
ſprüche zu Luther's Meinem Katehismus unb IX, Pfalmen. Berlin, 
Königsnädtifche Schulbuchhandlung, 1866. 64 ©. 5 Ger. 


13. Der Heine Katehismus Dr. Martin Luther’s. Mit bibfifchen 
Geſchichten nnd kurzem Inbegriff der Glaubens- und GSittenlehren. 81. 
revidirte Auflage. Leipzig, Dürr, 1865. 142 ©. 


19. Der Heidelberger Katehismus nah ben Ausgaben von 1563. 
Zum Unterriät der Jugend bearbeitet von Karl Miepmann. Elberfelb, 
. Langewieſches (vorm. Haſſel) Buchh., 1866. 104 S. A Bgr. 


Sämmiliche Ren. 10 — 19 legen beim Religionsunterriht ven Rate his 
mus zu Grunde und haben ein confefjionelles Gepräge ober find auch 
fperiell no nom Regulativgeift durchweht. 

Nr. 10 (Bäsler) fragt Wort für Wort der Reihe nad den gangen 
Ratechismus ab; die Antworten, die auf die geflellten 1218 Fragen ges 


40 Religionsunterricht. 


geben werben, find aber oft ber Art, dab fie ſchon viel pofitives Wiſſen 
vorausfegen und von den Schülern nicht als frei aus ſich felbft geſchöpfte 
Aeußerungen erwartet werden koͤnnen. Durch und duch herrſcht firenge 
Orthodoxie. Der beigegebenen Sprüde find 590, allervings eine, wie auch der 
Zitel jagt, „reichliche“ Anzahl. Borausgefhidt ift Luther's Vorrede an 
die treuen, frommen Pfarrherren und Prediger, angehängt die „tägliche 
Gebetsordnung“, die „Haustafel“, die „Sragftüde” über das Abendmahl 
und die Beichte. 

Nr. 11 (Wendel) gehört feinem erften Theile nad zu den bib: 
liſchen Geſchichtsbüchern und ilt als ſolches fhon in ber 6. Aufl. 
im Päp. Jahresb. XVII S. 69 f. beſprochen worden. Der zweite Theil, 
bie Erklärung des Katechismus, ift das Cbenbild des alten, jeßt fog. 
nenen hannoverſchen Katechismus, ber in jenem XV. Bande des Bär. 
Jahresb. gruͤndlich recenfirt worden und der wegen feiner ftarren Ortbhoborie 
befannt genug if. Dabei muß bemerkt werben, daß Walther, der Verf. 
diefes hannov. Katehismus, auch den alten Breslauer Katehismus ver 
faßt bat, der dem Wendel'ſchen Buche zu Grunde Tiegt. Wem nun biefes 
alte Dogmenſyſtem zufagt, der wird bier vielen Stoff zur Erläuterung der Rates 
hismuslehre finden. Wie ſehr der Berf. aud ven Regulativen huldigt, 
beweift die Aufnahme der „ahtzig Kirhenlieder” im dritten Theile, 

Ebenjo find die Katehismustabellen von Jaſtram (Nr. 12) 
nur auf den hanno verſchen Katechismus gegründet und bebürfen daher 
nicht, ihrem Geifte nach beſonders dharalterifirt zu werden. Ihrer Form 
nad haben fie das Eigenthümliche, daß fie das ganze Lehrfuftem in einer 
zufammenbängenden Reihe von Tatechetifhen Dispofitionen geben, die ber 
Lehrer beim Unterrichte auszuführen bat, die ihm aber durch ihre Klarheit 
und Ueberfichtlicleit zur Vorbereitung auf venfelben gute Dienfte leiften 
werden, wozu ihm ver Verf. in der Vorrede eine ausführliche Anlei⸗ 
tung gibt. 

Die „chriſtliche Lehre” von Hübner (Nr. 13) ift nach ber Orbnung 
ber fünf Hauptftüde, die am Schluſſe abgebrudt find, in 78 kurzen und 
Haven Säben mit Bibeljprühen und citirten bibliſchen Lefeftüden gegeben. 
Wie gedrängt die Lehren zufammengefaßt find, zeige $. 69: ‚Die vier 
legten Bitten (des V. U) lehren uns beten um das, was unfer ift, des 
zeitlichen Lebens Heil und Frieden, feine Erhaltung, Begnadigung, Bewäh⸗ 
rung und enblihe volle Erlöfung.“ Von der Orthodorie des Verf. zeugt 
3. DB. die Anwendung bed Erorciämus. 

Nr. 14 (Stüßner) ift in der 1. Auflage fhon im B. X VIII 
des Päp. Jahresb. S. 49 bejproden und gerühmt worben wegen feiner 
Klarheit und Bündigleit, ſowie wegen der Vermeidung allzuſchroffer Orthodorie. 

In Re. 15 erfheint der alte Seiler’fhe KRatehismus — mit 
genauer Berüdfihtigung der Schulregulative, des Provinzialgefang- 
buchs und der bibliihen Geſchichte — neugeorbnet und bearbeitet. In 
ihm wird L die driftlide Religion in Gedenkſprüchen ‘gegeben (eine 
recht gute Auswahl von Verfen, 3. 3. zu „Gott ift allmädtig u. ſ. w.“ 
der Bers: Mein Auge fieht, wohin es blidt u. f. w.), dann IL der Feine 
Katechismus mit Sprüchen zu jevem Theil befielben und III. (S, 38 


Religionsunterricht. 4 


bis 100) „das Kleine Lehrgebäude der dhriftlihen Glaubens» und 
Eittenlehre” in einzelnen, Haren Lehrjägen mit Bibelſprüchen in 10 Ca⸗ 
piteln vertheilt, vie faft ganz der Ordnung des Katechismus folgen. Der 
Anhang enthält 1) Gebete und 2) Wocenlied und Wochenſpruch. Auch 
dieſes Buch huldigt ebenfalls einer milderen Orthoborie. 

Weit jchroffer ift der confeflionale Ortpodorismus in dem Straß 
burger Katehismus (Nr. 16). Dies „Handpbüchlein” ftellt woran 
den lutheriſchen Katehismus mit 5 Anhängen (Morgens und Abendgebete, 
Haustafel, Berzeichniß der Bibelbücher, Erklärung des Kirchenjahrs, Kirchen: 
geſchichte); dann folgt (S. 39 ff.) der Unterriht der evangeliſchen 
Heilalehre in A5 Lectionen, die zufammen 232 Fragen nebit den Ant: 
worten und darauf bezüglihen Sprühen und Liederverfen enthalten. Der 
Gang bes lutheriſchen Katechismus ift dabei ftreng befolgt. 

Bas Nr. 17 (das Berliner Hülfbuc) enthält, ift auf dem Zitel 
angegeben. Die Lieder find zum Theil vecht gut gewählt (mamentlidy bei 
den Morgens und Schullievern), 3. Th. aber ganz veraltete Negulativ: 
lieder. Die 239 Sprüche find, ohne leitende oder erllärende Lehrjäge, 
freng nad dem Katechismus georbnet. 

Der in 81. Auflage erjhienene Leipziger Katechismus (Nr. 18) 
gibt 1) den Text des Rat., mit fehr dürftigen Holzſchnittbildern verjehen, 
2) zu dieſen Bildern die betreffenden 22 bibliſchen Geſchichten, 3) einen 
hnzen Inbegriff der Glaubens: und Sittenlebren (S. 118—141) und 
auf der lebten Seite — das Kleine Einmaleind. Das Ganze jheint nur 
auf Unterklaſſen oder fehr beichräntte Vollsſchulen berechnet zu fein. 

Der Heidelberger Katehismus (Nr. 19), in welchem bie 
veformirte Kirche kurz zufammengefaßt den fchriftgemäßen Ausdruck ihrer 
Auffafiung der wichtigſten SHeilswahrbeiten finvet, ift belanntlid ein ſehr 
ortbodores Bud. Das geht namentlih aus der Infpirationstheorie deſſelben 
bervor, nach welcher auch in vorlieg. Buche behauptet wird: „Die heil. 
Schrift enthält nicht nur Gottes Wort, fondern fie ift es.“ Erbfünde, 
Zeufel u. ſ. w. kommen daher aud bier fehr zur Geltung. Der Lehrgang 
iſt folgender: 3) Des Menſchen Elend, — 2) des Menſchen Erlöfung. Gott 
der Vater, Gott der Sohn, Gott der h. Geijt, die heiligen Sacramente, — 
3) von der Dankbarkeit (wobei die Pflichten gegen Gott, uns felbft und 
unſern Nächiten erörtert werben, durch deren Erfüllung allein wir ung 
dafür dankbar zeigen können, daß wir ohne all unſer Berdienft, aus 
Gnaden durch Chriſtum erlöjet find). Zu den einzelnen Lehrſätzen find 
biblifhe Geſchichten citirt und Sprüde und Erklärungen, am Schlufie aud 
noh Ergänzungen beigegeben. Den Anhängern der Ortbodorie unter den 
reſormirten Lehrern wird das Büchlein gute Dienfte leiften. 


c. Sprubfammlungen zum Katechismus. 


20. Sanbbud für den Religionsunterricht in ber ein- und zweiclaſ⸗ 
figen Elementarſchule. Herausgegeben zum Beſten ber Lehrerwittwencaſſe 
in Radevormwald. Zweite durchgeſehene und verbeſſerte Auflage. Güters⸗ 
loh, Bertelomann, 1866. 63 ©. 


21. Dr. Martin Zutber’s Meiner Katechismus mit Bibelſprüchen für 
ven Schul⸗ und Pfarrunterricht. Hannover, Hahn, 1867. 64 ©. 


42 Religionsunterriäht. 


22, Vol ſtändiges Spruchbuch au Luther's Fleinem Katechiomus 
mit Hinweiſung auf bibliſche Geſchichte, auf Big Abſchnitte unb auf das 
Geſangbuch. Yür Lehrer und Schüler. Bon 8. &. Petermann, Director 
ber evang. Freiſchule zu Dresden. 24. Aufl. Dresben, 8. Abler, 1867. 
104 ©., geb. 5 Sgr., 25 Expl. geb. 34 Thlr., roh 25 Thlr. 


23. Dr. Martin Luther’ Heiner Katehismus mit Bipeitprüßen und 
25 SMuftrationen. Leipzig, 3. Klinkhardt, 1866. IV u. 58 ©. 
4 Sgr.; 25 Er. roh 13 hir. geb. 23 Thlr. 


In diefen Schriften (Nr. 20—23) werden Sprüde zum Katechismus 
und nad) der Orbnung defielben mit mehr oder weniger Zuthaten gegeben. 

Das Gütersloher Handbüchlein (Nr. 20) fhidt den 130 
Bibelſprüchen Wochenſprüche und Bibellectionen nebit Lievern und Beri: 
open auf jeden Sonn: und Felttag voraus, und läßt ihnen mit Rüdficht 
auf die Regulative ausgewählte Kirchenlieder, Gebete und den Katechis⸗ 
mus folgen. Das Ganze verräth großen Yleiß und Ueberlegung. 

Nah vorgedrudtem Ratehismus a. ohne, b. mit Luther's Erklaͤrung 
nebft Nebenftüden folgt in Nr. 21 (Hannover. Kat.) zwar eine „Erklärung 
des Katechismus aus der Schrift”, aber nur in einer ben einzelnen Theilen 
des Katechismus beigegebenen Spruchſammlung ohne alle weitere Zuthaten. 

Die Spruhfammlung Ne. 22 (Petermann) enthält daflelbe und 
in berjelben Ordnung, gibt aber doch durch Ueberſchriften leitende Gedanken 
zu den (8171) Bibelfprühen, ſowie Citate von bibliihen Abſchnitten und 
Geſangbuchsliedern, hier und da auch zwedmäßige Bemerkungen und ei⸗ 
leichtert durch angebrachte Markirung die Auswahl des Aufzugebenden und 
zu Ueberhörenden. Ausdrüclich warnt der Verf, vor Ueberladung mit Me: 
morirſtoff. 

Nr. 23 (Leipziger Kat.) könnten wir eigentlich zur folgenden 
Rubrik ftellen, da er fih hauptfählih als ein mit Bildern ausgeftatteter 
Katechismus präjentirt. Aber er gibt doch auch zu jeder der 25 Illuſtra⸗ 
tionen gut gewählte Bibelſprüche, vie den betreffenden Lehrinhalt 
des Katechismustheils feiner Haupttendenz nad dharalterifiren. Bilder, 
Drud und Papier find fehr zu loben; auch das Lutberbild auf dem Titel 
ift wohlgelungen, fowie die Auswahl ver bildlich dargeſtellten biblifchen 
Bilder zu rühmen ift. 


d. —B—— 


24. Evangeliſcher Bilder-Katechismus. . Martin Luther's Meiner 

Katebismus in 75 Bildern bargeftellt unb a Sc gezeiänet von B. A. 

Kühle. Stuttgart, Lieſching. 1 Thlr. 6 

Cine Prachtausgabe des Katechismus * Haubtefe in klein Quart⸗ 
format. Bu jedem Theil deſſelben ein Bild, die betreffende Katechismus⸗ 
ftelle über und bie dargeſtellte bibliihe Gejchichte unter dem Bilde. Zu 
den Geboten je zwei Bilder, auf der einen Seite das Ge: und gegenüber 
das Verbot; z. 3. beim fünften Gebote a. Kain und Abel, b. der barm» 
berzige Samariter. Selbft zu den Worten „niedergefahren zur Hölle“ ift 
ein Bild gegeben. Dieſes Bild, fomie namentlih vie Darftellung des 
dreieinigen Gottes, bes emigen Lebens u. a, find zu finnlih aufgefaßt, 


Religionsunterricht. 43 


and überhaupt ift mit dieſer Bilverausftattung des Katechismus bie Ilono⸗ 
Iatrie zw weit getrieben. Yür die Schule ift das Werk nicht geeignet, nur 
zu Weihnachtsgeſchenken für Finder, die nah dem Katechismus unterrichtet, 
jedoch fchon gebildet genug find, um die finnlide Auffafjung des rein 
Geiftigen gehörig beurtheilen zu können. dee und Ausführung der Bilder 
nud meiſt recht gut, doch auch zumeilen etwas fteif und ſchroff, wie Adam 
und Eva beim fehlten Gebot, die Geißelung, das MWeltgericht u. ſ. m., 
wohlgelungen befonders der barmherzige Samariter u. a. 


B. Biblifche Gejchichte. 


1) In der Sprache der Bibel erzählt und mit Sprüden, Lehren und 
Bildern verjeben. . 


a Für Oberllafjen: 


25. Bibliſche Geſchichten aus dem Alten und Neuen Teftamente, mit nütz⸗ 
lichen Lehren begleitet, befonbers für Bürger⸗ und Lanbichulen von Michael 
Morgenbefler. 39. Auflage (15. Stereotyp-Ausgabe). Breslau, Leudart, 
1866. VII u. 280 ©. 74 Spr. 


26. Otto Schulz, weil. Königl. Provinzial-Schulrath zu Berlin, Bibliſches 
Leſebuch, das ift die widhtigften Biblifhen Erzählungen Alten und 
Neuen Teftamentes. 9. Aufl., Durchgejeben von Karl Bormann, Königl. 
Brovinzial- Schulrathd zu Berlin. Berlin, Oehmigke (Appelius), 1866. 
XU u. 339 ©. 4 hle. 


27. Bibliſche Geſchichten des Alten und Neuen Teftamentes mit ben Wor⸗ 
ten der Schrift erzählt unb mit Bibelfprühen und Lieberverfen erläutert 
von Seinrih Wendel, Könige. Seminars und Waifenhausdirector in 
Steinau a. O. Ausgabe auf Velinpapier mit 52 Holzfchnitten. Breslau, 
Dulfer, 1866. 235 S. 14 Sgr. 


28. Hülfsmittel beim biblifhen Geſchichtsunterricht. Eine Hands 
reihung für Kinder bei dem vermittelft ber Bibel zu bewirkenden 
häntlihen Repetiren ber bibliichen Geichichten. Bearbeitet von ©. F. 
Kortenbeitel, Lehrer an der vierflaffigen Schule in Groß-Schönebed. Der 
Neinertrag gebört theilweis ber Kaſſe des märliſchen Peſtalozzi⸗Vereius. 
Reuftade-Em., in Commiffion bei &. U. Lemme. VII u. 85 ©. 


Zu jeder der.78 Erzählungen des A. und der 69 Grzählungen de3 
R. T. liefert Nr. 25 (Morgenbefjer) in diefer 39. Auflage einen 
Bibelſpruch und Liedervers, aber nicht unter dem Terte der Geſchichten, 
ſondern zufammengeftellt in einem Anhange. inter dem Terte fteben, wie 
bei den früheren Auflagen „Nüblihe Lehren‘, unter denen fi aber 
auch oft paflende Bibelfprüche finden. Geblieben ift aud der früher ſchon 
gegebene Anhang: „Kurze Weberfiht der jüdiſchen Geſchichte“ in chronos 
logiſchem (tabellarifchem) Zuſammenhange. Die Erzählungen werben zwar 
in der Sprache der Bibel gegeben, aber in den nöthigen Abrundungen, wo 
es Sufammenhang und Kürze erforderte. Sie gewinnen durch dieſe freiere 
Fafjung eine anmuthige Form und lebendige Anſchaulichkeit. Die „nüßs 
lichen Lehren” find gut und zmedmäßig, aber befier wäre es, fie würden 
duch die Sprüche und Verſe des Anhangs erjebt. 


44 Religionsunterricht. 


In den Schulz'ſchen bibliihen Grzählungen (Nr. 26, jest von 
Bormann herausgegeben) finden fi die „nüßlihen Lehren‘ nicht; aber 
jeder derſelben ift ein auf ibren Inhalt bezügliher Spruch vorangeftellt. 
Bur Erklärung derfelben ift auch ein Handbuch für Lehrer von K. Bor: 
mann (Preis 1 Thlr. 6 Sgr.) erſchienen. Im Buche jelbft aber find 
zur Ergänzung des Zufammenbanges gefhihtlihe Ginihaltungen. 
Uebrigens find im N. T. keine leitenden Sprüde den Erzaͤhlungen voran= 
geftellt, da fi in jeder „eine Stelle findet, die dem Lehrer wie dem 
Schüler als Leitftern beim Lefen der Geſchichte dienen kann”. — Das 
fleißig gearbeitete Buch bat den verbienten Beifall gefunden. 

Wendel's bibl. Gefhichten (Nr. 27) find ſchon oben unter Nr. 11 
erwähnt worden. Hier liegt eine befondere Ausgabe auf Belinpapier vor 
mit 52 (nicht ſehr feinen und flaren) in den Tert gebrudten Holzſchnitten. 
Am Zerte jelbft ift nichts geändert; nur die Erzählung N. T. Nr. 46 von 
„Petri Errettung“ ift binzugelommen. Für Lehrer, die an die „Regulative‘‘ 
gebunden find, ift das Buch recht brauchbar. Was die Flluftrationen bes 
teifft, fo muß gerügt werden, daß fie faft ſämmtlich ſtlaviſche Copien 
ver ſehr netten Bilder in C. G. Rau „Erſter Uinterriht für Kinder‘ find, 
alfo keineswegs eigne Erfindung, und daß fie durch Sauberkeit und Klarheit 
von jenen weit übertroffen werben. 

Don ganz eigenthümliher Anlage ift Nr. 28 (Kortenbeitel). 
Das Buch fol nicht in der Schule zum Unterrichten gebraudyt werden, 
jondern zu Haufe zum Repetiren. Dies Nepetiren foll zmar an der 
Hand der Bibel geſchehen, da es aber den Kindern zu ſchwer fallen würbe, 
den weiten und, namentlih im A. T., oft in mehreren Kapiteln zerfireuten 
Stoff durch bloßes Naclefen in der Bibel zu einem gebrängten Geſchichts⸗ 
bilde wieder zufammenzufaflen, fo bietet der Berf. dieſes „Hülfsmittel‘ 
dar, weldes fie in den Stand ſetzen ſoll, „fib auf die Repetitionsftunden 
jo vorzubereiten, daß fie fließend die bibliſchen Geſchichten erzählen können.” 
Damit aber aud beim Repetiren das eigne Nachdenlen der Kinder nicht 
beeinträchtigt werde, find die Sprüde und Liederverfe wegges 
laffen, welche den Hauptgedanken der einzelnen Geſchichten bdarflellen. 
Indeſſen hat der Verf. doch bei einigen Geſchichten in einer Anmerkung kurz 
auf die beachtenswertheſten Momente derſelben bingemwiejen oder geſchichtliche 
und antiquariide Bemerkungen beigefügt; jo 3.8. zu 11) „Abrahams 
Gehorjam” die Anmerkung: „Abrahams lebendiger Glaube zeigt ſich alfo 
im Vertrauen, Friedfertigleit, Hülfe, Uneigennüßigleit, Zuverfiht, Demuth, 
Baftfreundfchaft, Fürbitte und Gehorſam.“ — Diejenigen neuteftamentlidyen 
Geſchichten, die kurz und abgerundet in ver beil. Schrift ſtehen und 
baber ohne Hülfsmittel von den Kindern aus der Bibel eingeprägt 
werden können, find meggelafjen. Sie werden nur in Ueberjchriften 
benannt, denen, wie e3 auch bei den anderen Ueberſchriften der Fall ift, die 
bezüglihen Bibelcitate beigefügt find. Drei Anhänge geben eine Zeittafel 
der biblifhen und der Reformationsgeſchichte und „das chriſtliche Kirchen: 
jahr”. — Die Darftellung ift gefällig und zeichnet jih duch Kürze, Abs 
sundung und Weberjichtlichleit der einzelnen Erzählungen und ihrer Ab⸗ 
ſchnitte aus, 


Religionsunterricht. 45 


b. Für Mittels und Unterllaffen: 


9, ausgemähfte biblifhe Geſchich ten bes Alten und Neuen Teflamentes 
für Mittelliaffen, möglichſt wortgetreu nad der Schrift erzählt und mit 
ernſprüchen verlieben von E. Brünnert, Lehrer an der Mäpcenfchule zu 
ar 2. Auflage. Rubolftabt, Hofbuchbruderei, 1866. VIII u. 120 ©. 


Diefe Schrift, in der 1. Auflage angezeigt ®. XVIII des Päd. 
Jahresb. ©. 61, ift für Kinder der Mittelllafje big zum zehnten Schuljahr 
beitimmt, gibt je 51 Gefhichten des A. und N. T., denen feine Nutzan⸗ 
wendungen, aber bezüglie Sprüche untergejegt find. Die im erſten Schuls 
jahr zu verwendenden 20 Erzählungen find im Regifter mit Sternden be 
zeichnet. Für die Kinder des 2. und 3. Schuljahres, die das Buch auch 
brauden follen, find der Erzählungen zu viele. Auswendiglernen follen fie 
biejelben nicht, fie aber zum Repetiren anwenden. Die Wunder foll ber 
Lehrer nicht kritiſiren, aber von dem Sinnlichen foll er auf das Geiftige 
hinführen. Die beigefügten Sprüche follen nicht alle gelernt werben, ſon⸗ 
den nur zur Angabe eines Hauptgedankens dienen. Fleiß und Sorgfalt 
des Verfs. find nicht zu verkennen. 


2) Frei erzäplt, mit mehr oder weniger Zuthaten an Sprüchen, 
Berien und Grläuterungen. 
a Für Oberklaſſen: 


9. Leitfaden für den Unterridt in ber biblifhen Geſchichte unb 
Bibellunbe. Bon W. Stahlberg, NRector der Bürgerſchulen in Naum⸗ 
burg a. ©. Berlin, 8. Dunder, 1867. IV u. 746. 4 Sgr. 


Die bibliſche Geſchichte des Alten und Neuen Teftamentes. Für katho⸗ 
liſche Volksſchulen bearbeitet von einem Prieſter ver Diöceſe Baſel. 4. Aufl. 
Mit Gutbeißung der Hochw. Biſchöfe von Balel, Chur, St. Gallen, Lauſanne 
and Genf und Sitten. — Einfiebeln, Neuyork und Cincinnati, Benziger, 
1866. 235 ©. 

Nr. 30 (Stahlberg) hat das Eigenthümlihe, daß es bie bib:» 
liſchen Geſchichten nicht in einzelnen Erzählungen gibt, fondern im 
Zufammenbange. Sie ift nad folgendem Gange georbnet: Einleitung: 
vom Reihe Gotted und von der Bibel. Das A. T.: I Das Kindes: 
alter des Volles Jsrael, 1) die Urgefhichte, 2) die Erzväter; — IL das 
Jänglingsalter des Volles Israel, 1) Mofes und Jofua, 2) die 
Rihter; — UI. das Mannesalter des Volles Israel, 1) das unge: 
theilte Reich, 2) das getbeilte Reich; — IV. das Greifenalter des 
Volles Israel, 1) die babylonifhe und perfifhe, 2) die macebonifche, 
3) die römische Herrſchaft. — Das N. T.: I. Das Leben Jefu, 1) die 
Erfüllung der Beit, 2) Johannes der Täufer, 3) Jeſu Kinpheit, 4) Lehr 
amt, 5) Lebensende, 6) zur Bibellunde des N. T. — II. Das Leben 
ver Apoftel, A. die Apoftel und ihre Schriften, 1) Petrus, 2) Paulus, 
3) Johannes, — B. die Apoftelgemeinden ; — III. die weitere Entwides 
lung der riftlichen Kirche. — Im Anhange find aber die einzelnen biblifchen 
Geihichten benannt und bei dieſen Titeln die bezüglihen Sprüche (bie 
kon dem Texte eingefügt waren) citirt und mit ihren Anfangsworten bes 
zidme. Auch iſt der Geſchichte auf nicht ganz drei Seiten eine kurze 


31. 


46 Religionsunterricht. 


Geographie von Palafina angehängt. — Mit diefer Einrichtung 
fol ein richtiges Berftänpniß der Geſchichte des Reiches Gottes und zugleich 
bibliſche LZocalfenntniß erzielt werden; aud if überdies an geeigneten Stel⸗ 
len die eigentlihe Bibellunde eingefchaltet und bei den Lehrſchriften eine 
Anzahl von Lejeftellen hinzugefügt worden. Der Plan des Buches iſt wohl 
überlegt und gut zufammenhängend und wird, wenn fi) der Lehrer gehörig 
in ibn bineinarbeitet und einer verfländigen Auswahl des reihen Stoffs 
befleißigt, in feiner Ausführung für „Oberklafien gehobener Bürgerjchulen“, 
für welche ihn aud der Berf. beitimmt hat, gute Tienfte leiften. 
Die Bafeler bibliihen Gedichten (33) find fhon 3. XVIH ©. 
60 ves Päd. Jahresb. befprohen worden. Für katholiſche Schulen 
mögen fie brauchbar fein, für proteftantiihe nicht. Es herrſcht in ihren 
Anwendungen eine jehr gejudte Typologie. Bon ihr gaben wir damals 
eine Probe. Hier eine andere: „David's Sieg über Goliath if ein 
Vorbild des Sieges Ehrifti über den Satan. Wie Goliath während 
40 Tagen dem Volke Israel, fo bat Satan während 40 Jahrhunderten 
dem Reiche Gottes auf Erden Hohn geiprohen. Wie aber David mit fei- 
nem Steden und den fünf Steinen dem Goliath entgegen ging und ihn 
befiegte, jo Chriſtus den Satan mit dem Kreuze und feinen heiligen fünf 
Bunden, aus welchen jenes Blut floß, das die ganze Melt erlöfet hat.” — 
Daß das Bud gut ausgeftattet, mit vielen Bildern und mit einer Relief: 
tarte vom heiligen Lande verſehen it, baben wir ſchon bei der vorigen 
Anzeige mitgetheilt. 
b. Für Mittel: und Unterklaffen: 
32. Biblifhe Geſchichte bes Alten und Neuen Tehkamentes für Kinder bes 
zweiten, britten unb beziebungeweiie vierten Schnljahrs. Nebſt 
einem Anbange von Mufterfägen im lateiniſcher Drudidrift. Bon $. J. 


Bodenmüller, Seminartirector in Gttlingen. 3. verbefierte Auflage. 
Freiburg i. Br. Herber, 1666. X um. 104 ©. 


33. Kurze biblifche Gefhichte von Dr. J. Schuſter. Mit 45 in ben ge 
drudıen Bildern. Zum Gebraude für bie untern Klafſen ber Ite- 
fhulen. Mit Approbation des Hechw. Erzbiſchoſs von Freiburg. Freiburg 
im Breisgau, Herder, 1866. 96 ©. 


Die Mängel, welde wir bei Anzeige der erſten Ausgabe von Nr. 32 
(Bodenmüller) bemerklich machten, bat der firebjame (katholiſche) 
Berf. zum heil befeitigt. Aber nod immer dient er bei dieſem Religions» 
buch zu jehr dem Nebenzwed des Sprahunterrichts, indem er 3. DB. 
im Anbange eine kurze Sprachlehre in latemijher Trudichrift gibt. Was 
indeß die Hauptſache, die bibliſchen Geſchichten, betrifft, fo rühbmen wir 
nochmals, daß ver Berf. das Streben belundet, den Religionsunterricht 
fruchtbarer zu maden, daß er die bejieren Methoden der Reuzeit dazu zu 
verwertben ſucht und dab er es verfteht, für Heine Kinder das Paſſende 
auszuwählen und es in anjpredyender und ihnen verſtändlicher kindlicher 
Weiſe zu erzählen. 

Die 42 bibliihen Gefhichten Nr. 33 (Dr. Shufler) find zwar in 
kindlicher und verftändliher Weiſe erzählt; aber wegen ihrer latholifhen 


Religipnsunterricht. 41 


Zürbung konnen fie nur in katholiihen Schulen ihre Anwendung finden. 
Gin Beifpiel möge biejes Urtheil beftätigen. Die 6. Erzählung „Gott ver« 
priht den Erlöſer“ lautet: „Die Menſchen waren überaus unglüdli ges 
worden, meil fie gefündigt hatten, Da wollte fie ber liebe Gott wieder 
töften und fagte daher, noch ehe die Menſchen das Paradies verlafien 
hatten, zur Schlange: „Cine Frau (?) wird mit ihrem Kinde (?) 
dir den Kopf zertreten” Gott fagte damit den Menſchen voraus, 
er werde fpäter feinen eignen Sohn Jeſus EChriftus vom Himmel auf 
die Erde ſchiden. Die Jungfrau Maria folle feine Mutter fein. Wenn 
er groß geworden, werde er für uns am Kreuze fterben. Dur feinen Tod 
am Kreuze werbe er alle Menjchen von der Gewalt bed Zeufeld und von 
ver Sünde wieder erlöjen.” — Welche Milllür! wie viel trägt ver Verf. 
in die Bibel binein, was gar nicht in ihr zu finden ift! — Sprüde find 
nicht beigegeben, aber etliche Heine Verschen. Die Bilder, welche dem Zerte 
beigebrudt find, haben wenig Kunſtwerth; am beiten ifi vie Gruppe ge 
lungen, wo Jeſus die Kindlein jegnet. 


3) Bilder zur bibliſchen Geſchichte. 


34. Biblifhe Bilder für Schule und Haus. Holzfchnitte, ausgeführt im 
Inſtus Ranmann’s xylographiſchem Atelier in Dresden. Mit beigefügtem 
biblifhen Zerte. 1. bis 4. Lieferung (je 6 Blatt). Leipzig und Dresben, 
Inſtus Naumann’ Berlagsbudhhandlung. Die Lieferung A 5 Sgr., auf 12 
&r. ein Freieremplar. 

Sehr empfehlenswert‘ und dabei Außerft billig, Ganz vortrefflich 
in Anlage, Zeihnung und technifcher Ausführung. Richtige und um: 
ſichtige Auffafjung des Inhalt der veranſchaulichten bibliiden Geſchich⸗ 
ten, würbige und lebendige Darftellung derjelben, ausprudsvolle Figuren, 
Ihöne Gruppirungen, freundliche Landſchaften. Ausgezeichnet gelungen ift 
„Joſeph im Gefängniß”, „Saul fuht David zu töbten”, „Iſaak fegnet 
Jacob”, „Geburt Jeſu“ u. |. w. Weniger gelungen: „Der Pharifäer und 
Zöllner‘, fowie: „Der Herr erſcheint Moſe im brennenden Busch’, „Salob 
hebt im Traum die Himmelsleiter“, „die Auferftehung Jeſu Chrifti‘, wobei 
wir freilich immer ſchon daran Anſtoß nehmen, daß das Meberfinnliche 
finnlih und namentlid Gott leiblich dargeftellt wird. — Auf der Rüdfeite 
jedes Blattes ift die zum Bilde gehörige bibliſche Geſchichte abgedrudt. 
Die Größe des Formates kommt zwar nicht dem der Schnorr-Carolsfeld'ſchen 
gleich, ift aber — in Hein Querfolio, immerhin groß genug, um auch bei 
großen Gruppirungen doch eine klare Anfchaulichleit des Einzelnen zu geben. 


O. Bibelfunbe, 


35. Bibelfunde flr evangelifhe Schulen. Bon J. E. Iälel. — Des 
Commentars zum größern und Heinern Handbuche für Schulen von Ber⸗ 
tbelt, Jaͤkel, Petermann. 8. Bändchen. 2. burchgefehene Auflage. Mit 
einer groricten Karte von Paläftina. Leipzig, Kiintbarht, 1866. VII u. 
115 6. 9 Sgr. 


Wer bei feinem Unterrihte von dem größeren und kleineren „Hands 
buche“ von Berthelt, Jäkel und Petermann Gebrauch mad, 


48 Religionsunterricht. 


findet in diefer „Bibellunde” einen jener [häßenswerthen Sommentare, 
welche die Verff. zu ihrem Handbuche geliefert haben. Die Ordnung, 
Klarheit, Gründlichkeit und gefällige Darftellungsmweife berfelben ift ſchon bei 
der Anzeige ihrer erften Auflage (ſ. Päd. Jahresb. XIV, ©. 60) gerühmt 
worden. Nur das eine Bedenken Sprachen wir bamald aus, daß für bie 
Voltsfchule zu viel, namentlih auch zu viel gelebrter Apparat geboten 
wird. Bu viel fcheint es uns, daß für die Bibellunde „acht oder view 
zehntägig eine Stunde” in der Mitteltlafie beftimmt fein, — zu viel, daß 
diefelbe überhaupt als abgejonverter Lehrgegenftand behandelt werben joll, 
— zu viel, daß die Lehrer bier mit vielen gelehrten Dingen belannt 
gemacht werben, die wohl der Theologie, aber nicht der Religion bie 
nen, und von denen er daher in ver Schule keinen Gebraud machen 
fann, ohne den Zwed des populären Religionsunterridts zu verfeblen. 
Immerhin aber ift das Buch den Lehrern zu empfehlen , die fi gründlich 
auf ihren Unterricht vorbereiten wollen; nur müſſen fie es verfieben und 
nit verfäumen, mit dem darin gebotenen Wiſſensſchatz gehörig hauszu⸗ 
balten und, wie auch der Verf. will, den reihen Stoff namentlich auf bie 
Bibellefeftunden zu vertheilen. Am ficherfien wirb gewiß dem Bwede, „ben 
boben Werth und die Heiligkeit des wichtigften Buches für den evangeli- 
ſchen Chriften würdigen zu helfen,‘ dur den Gebrauch der Bibel jelbft 
am beften gedient. — 
36. Das Bibellejen in ber Bollsfhnle im Sinne ber preußifhen Ne⸗ 
gulative, nebft einem Lehrplane für Eombination bes Bibelleſens mit 


dem Katehismusunterrichte und ausgeführten Beilpielen für bie Behandlung. 
Bon K. Kalcher, Oberlehrer. Wittenberg, Herrofe, 1867. 104 ©. 14 gr. 


Im Anſchluſſe an die Schlußbemerkung bei der vorhergehenden Anzeige 
ſchiden wir bier eine fehr wahre Behauptung des Verfs. (S. 69 des vor: 
liegenden Buches) voraus: „Nur duch Einleſen in die Schrift, nidt 
durch unjer Reden über die Schrift, kann fi zwiſchen Bibel und Kind 
jenes vertraute Verhältniß bilden, welches hoffen läßt, daß aus unfern 
Schulbibelleſern vereint fleißige und gefegnete Hausbibellefer werden.“ So 
gern wir dieſer Behauptung beiftimmen, jo wenig fünnen wir es doch auch 
bier billigen, wenn des Guten zu viel geſchieht. Das Uebermaß des Re 
ligionsunterricht3 überhaupt, wie ed die „Regulatine‘ vweranlaßt haben, 
und fo insbefondere das allzugehäufte Bibellefen, das ver Verf. „im Sinne 
der preußifchen Regulative‘‘ vorfchreibt, muß Ueberdruß wirken und darum 
der religiöfen Erziehung und Gewöhnung mehr fchaden, als nügen. Der 
Berf. beftimmt zum Bibellefen einen zweijährigen Curſus, den einen für 
die „Heilsgeſchichte“, den andern für die „Heilslehre”, und für 
jeven 86 Penfa, die zum großen Zheil viel zu umfangreih find, als daß 
fie in einer Stunde genügend verarbeitet werden könnten. Nun aber fol 
der Hauptlection nit nur regelmäßig ein „Ginführungspfalm“ voraus: 
gehen und ein „Schlußpfalm” nadfolgen, jondern mit ihr aud eine „Ka⸗ 
tehismuslection‘‘ verbunden werden; und das iſt offenbar des Guten zu 
viel, abgejeben von der „häuslichen Lehraufgabe“, die wieder eine neue 
Bibellection vorschreibt. Dazu kommt, daß dieſe vier Bibellectionen oft in 
gar feinem Zuſammenhang mit der Katechismuslection ftehen, mit ber fie 


Religionsunterricht. 49 


„combiniet” werben follen. Das ift 3. B. der Fall mit der Katechismus⸗ 
ktion Ne. 24 des erften Eurfus: „Ein Gott. Dreieinigfeit“; denn wie 
paſſen dazu die Bibelabfchnittes Pf. 33; 1 Kor. 12; Pi. 99; Je. 6; 
von denen die Hauptlection 1 Kor. 12 den Gebraud der mancherlei geift- 
lichen Gaben zum Wohle des Ganzen, der Anfangspfalm die Segnungen 
ber göttlihen Güte, der Schlußpfalm die im Reiche Gottes herrſchende 
Liebe und Strenge behandelt? Nur die „häusliche Lection” ef. 6, die 
von der Prophetenweihe des Jeſaias handelt, kann für orthodore Lehrer 
emen Anllang an die Lehre von der Dreieinigleit enthalten, da in dieſem 
Gapitel die Worte ftehen: „Heilig, heilig, heilig ift der Herr Zebaothl” 
Bie viel Fremdartiges wird bier zu Cinem verbunden! — Sehr bedenklich 
Anden wir es auch, daß das Lejen der ganzen Bibel empfohlen wird, 
wenn aud der Frankfurter Kirchentag 1854 ſich für daflelbe entſchieden 
bat und der Berf. annimmt, daß „jeder gläubige Chriſt dem beiftimmen 
werde”. Wir unterlafien es, uns bier weiter darüber auszufprechen, da 
wir fhon früher unfere Anfichten und Erfahrungen über das Bedenkliche 
felhen Verfahrens mitgetbeilt haben, und lafien ruhig den Vorwurf ber 
Ungläubigleit und „Prüderie“ über uns ergeben, feft überzeugt, daß der 
Lehrer der Sittlichleit feiner Schüler nur fchadet, wenn er rüdfichtölos „die 
Gettlofigkeit und Zuchtlofigfeit der Welt, die taufendmal und täglich Ohr 
und Herz unſrer Jugend nicht fchont”, auch in der Schule an ihr Ohr 
mb Herz ſchlagen läßt. — Uebrigens hat der Verf. manche gute methos 
diſche Winle gegeben und bie, Lectionstabellen mit Fleiß zufammengefiellt. 


3. Kurzgefaßte Einleitung in die heiligen Schriften Alten unb 
Neuen Teftamentes. Zugleich ein Hilfsmittel für kurſoriſche Schriftlektüre. 
gr höhere Schulen und Schriftlefer insgemein, bearbeitet von Dr. F. 

. Weber, Pfarrer. Zweite, ſehr vermehrte und größtentheils neu bear⸗ 
beitete Auflage. Nörblingen, Ber, 1867. IV u. 323 S. 1 Thlr. 4 Sgr. 
Der Berf. bezeichnet ſelbſt ſein Buch als eine Frucht feiner Wirkfams 

kit in der Miffionsanftalt in Neuenbettelsau. Es ift auch, wie wir bei 

Anzeige der 1. Auflage (B. XVI, S. 89) bemerkten, zunächft für jenes 

Seminar beftimmt, weldes „Jünglinge von verjhiedener, felten wiſſen⸗ 

ſchaftlicher, Vorbildung zu Predigern unter den verlafienen Deutjchen 

Rordamerila’s in möglichft kurzer Zeit erziehen fol“. Daß aber au „in 

Gymnafien und Lehrerjeminaren” von diefem Bude ein fo ausgebehnter 

Gebrauch, wie die Methode des Vers. erfordert, gemacht werden foll, halten 

wir jebt, wie damals, für unzwedmäßig. Wenigftend 4 Semeſter mit 

wöhentih A Stunden und wenigfiend 2 Stunden Vorbereitung für jede 

Stunde — ift offenbar ein Uebermaß, das die übrigen Unterrichtsgegen⸗ 

Rinde allzufehr beeinträchtigt. Gleichwohl empfehlen wir das Buch auch 

jest wieder zum Selbfiftubium den Lehrern , die eine gründliche Ginficht in 

den Inhalt und Zuſammenhang der Bibelbücher gewinnen wollen. Das 

Einzelne iR mit Yleiß und Liebe gearbeitet und das Ganze zeichnet fich 

duch Klarheit und Beftimmtheit aus. Eigne Forſchungen bietet zwar ber 

Verf. nicht dar, Sondern fucht nur den Erwerb der Wiſſenſchaft zu vermitteln. 

Rur ift zu beflagen, daß die kritiſchen Anfchauungen des Vers. firenger 

licchlich orthodo rer Natur find. Es läßt fih das fon in Hinſicht 
Wi. Japısteriät, XIX, 4 


60 Religtondunterricht 


auf den Grund und Boben, auf welchem er gearbeitet hat, erwarten, Hofes 

it der Berfafler der moſaiſchen Schriften und die Baur'ſche Schule if, wi 

Dr. Weber ohn' alles Bedenken verfichert, von Thierſch (Verſuch zur Her 

fiellung u. f. w., 1845), Zijchenborf (Wanıı wurden unſre Gyangelien 

verfaßt? 1865), Hofmann (Das N. 7. zufammenhängenh unterjucht) fieg: 
seih aus dem Felde geichlagen worden. Sole kritiihe Anſchauungen ver: 
mögen wir nicht zu theilen. 

38. Dr. Johann Albrecht Bengel’slleiner Onomon. Auszug aus dem 
größeren Werk beuticher Ausgabe. Ein Hanbbuch flir einfältige Bibellefer, be 
arbeitet von C. F. Werner, Biarrer. 1. und 2, Lieferung. Bajel und Ludwige⸗ 
burg, Balmer u. Riehm, 1866. XVI u. 1126. Die Lieferung & 5 Ggr. 

Gegen die Mitte des vorigen Jahrh. bat Bengel, damals Prälat 
zu Herbrechtingen in Würtemberg, feinen Gno mon (Zeiger) des N. T. — 
eine Auslegung deſſelben in fortlaufenden Anmerlungen — in Iatei: 
nifher Sprache gefchrieben. Diefes Wert ift nun vor 13 Jahren in 
deutſcher Sprade erjhienen und bat vielen Segen verbreitt. Um es 
aber dur eine handlichere und billigere Ausgabe (die frühere beſtand aus 
zwei ftarlen Bänden und war ſehr theuer) zugänglider zu machen, bat 
Bf. Werner einen Auszug herausgegeben, den vorliegenden kleinen 
Gnomon, in welchem das Gelehrte weggelafien und nur das beibehalten 
ft, was zur einfahen Belehrung und Erbauung dient. Unter den eins 
fältigen Bibellefern, für welde dieſer kleine Gnomon beftimmt ift, 
denkt ſich der Verf. „umgelebrte Leute und Laien, babei aber redliche, 
ſuchende Freunde der Wahrheit, bie bier Wahrheit, Belehrung, Anmweifung, 
Erbauung finden können, — und bejonbers fog. „Stundenleute“ und 
„Stundenhalter‘ oder Sprecher in ven Berfammlungen, die zu ihrer 
Vorbereitung auf die Zertbefprehung bier manden Fingerzeig erhalten. 

Die Einrihtung des Buches ift folgende. Der Bibeltert ift in buthe⸗ 
riſcher Weberjeßung vollftändig und in beutlichen Lettern ausgedrudt, von 
ihm find dur eine Linie die kurzen Anmerkungen gejchieven, auf melde 
die den bezüglichen Tertesworten beigejebten Ziffern binweifen; unter den 
Bibelworten felbft fteben nur Citate von Paralielftellen und bier und da 
kurze Gebete. Als Beifpiel theilen wir mit: Matth. 7, 23. Dane werde 
ich ihnen belennen: 44) Ich habe euch noch nie erfannt, 45) weichet alle 
von mir, ihr Uebelthäter. 46) — Anmerkungen: 44) Majeftätiicher Aus 
drud! 45) Sie haben mit ihren Thaten die Macht und Weisheit Gottes 
ergriffen, aber nicht feine Barmberzigleit. 46) Bei all’ eurem Ruhm bes 
Geſetzes. — Gebet unter dem Bibeloerd: „Herr Jeſu, was Du eng und 
ſchmal machſt, will ih nit weit und breit machen. Mache mich bem 
Willen Deines Vaters gehorfam, damit Du mich für Dein Eigenthun er 
kennen mögeR.‘ 

Dem Kundigen wird ſchon biefe Probe zeigen, daß dieſe Erkläͤrungs⸗ 
weiſe dem Zeitbevürfniß nicht entjpriht. Auch binter den kritiſchen For 
ſchungen unfrer Zeit ift das Werl zurüdgeblicbn. Es bietet überhaupt 
nah Inhalt und Form das nicht, was andere ähnlihe Werke, namentlich 
die Schullehrer-Bibel von Dinter, bieten. Ä 

Die vorliegenden beiden Lieferungen veichen Bis ap, 17. 


‘ 


Religiensunterrich & 


3. Erflärung der Sonn- und Feſttags⸗Evangelien bes chriſtlichen 
Airdeziab für Lehrer, Seminariſten and Freunde bes göttlichen Wortes 
von E. Sperber, Seminätlehrer in Eisleden. 3. u. 4. Heft. Der 
Pfingſtkreis. Vom Himmelfahrtsfefte bie Ende ber Trinitatigzeit. 
1. Abth. Vom Himmelfaßrtsfefte Bis zum 10. Sonnt. n. Trin. 2. Abih. 
vom 11. Eonnt. n. Trin. bie Ende der Trinitatisgeit. Eisleben, 1866, 
Kuhnt'ſche Buchh. 1. Abth. S. 233—356, 74 Sgr.; 2. Abth. ©. 357 
bis 488, 10 Sgr. 


Diefe Perllopenerllärungen, von denen ung die erften Hefte nicht vor: 
gelegen haben, find den Lehrern zu empfehlen, die fi nicht bloß zu ihrer 
Belehrung, fondern aud zu ihrer Erbauung auf die Stunden vorbereiten 
wollen, in denen fie die Sonn: und Sefttagsevangelien zu beſprechen haben. 
Es werben bier nicht frodne Auslegungen in abgeriffenen Sätzen, fondern 
erbaulihe und doc klare und gründliche Grörterungen im Zuſammenhange 
gegeben. Darım werben fle audy „den Freunden bes göttlichen Wortes”, 
die ein eingehendes Verſtaͤndniß deſſelben und zugleich eine das Herz an⸗ 
ſprechende Betrachtung über daſſelbe ſuchen, gute Dienfte Teiften. 

#0. Epifel-Büdlein. Schrift emäße Auslegung ber heiligen Sonn» und 


ae Soifeln von Wilh. Janeke, Dialonus in Kirchheim t. d. N. 8. 
Berlin, Inſt. Alb. Wohlgemuth, 1867. VIII n. 368 ©. 28 Ser. 


Zur Abfafjung feines Werks, fagt der Verf. in der Vorrede, bemog 
im ber Vorgang Dr. 5. €. Johannes Ertigers, mwelher 1855 ein Evan 
gelien-Büdlein herausgab. Wie diejer, wollte au er ein Epiſtel-Büch— 
lin bearbeiten, wollte die epiftoliihen Perilopen |hriftgemäß auslegen, 
md benupte dazu diejelben eregetiihen und homiletiſchen Werke, vie Cruͤger 
benugt hatte, nur daß er auch noch einige neuere (Souhon’s Epiftel: 
predigten, Tweften’s eregetiiche Borlefungen) zu Rathe zog. Der Form 
nach if fein Merk dem unter Nr. 39 (Sperber’s Erflärung u. ſ. w.) ſehr 
aͤhnlich; er gibt feine Auslegung auch nad) der Orbnung von Dispofitionen, 
die ihr die Geſtalt von Predigten oder religiöſen Vorträgen geben. Doch 
it feine Auslegung nicht ebenſo „Ichriftgemäß”, noch von fo eingehender 
Gründlichleit, wie die Sperber'ſche; er trägt zu viel Dogmatik in die Bibel 
hinein. So fagt er S. 38 in der Ginleitnng zur Epiftel des 2. Weib: 
nachtsfeiertags (Tit. 3, A—7.): „Die Freundlichkeit und Leutjeligfeit unjeres 
Gottes beruhen recht eigentlich auf dem Opfer, das der Vater (!) in 
der Menſchwerdung jeines Sohnes gebradht, der Sohn voll 
jogen, die Greatur verihmäht bat’; ferner S. 335 zur Epiltel vom 25. 
Eon. n. Trin. (1 Theſſ. A, 13—18) von der Auferjtehung der Todten: 
die zur Zeit der Wiederkunft des Herrn noh Lebenden „können natür: 
lich nicht erſt fofort alle flierben, um dann den neuen Auferftehungsleib zu 
erhalten; in ihrem alten Leibe bleiben können fie auch nicht, darum wird 
der Herr an ihnen ein Wunder thun, daß fie plötzlich mit dem neuen 
Leib alfo überkleivet werden, daß ihr alter Leib in den neuen verklärt 
wird ohne dazwischen liegenden Tod. Wer ein Freund folher dogmatiſchen 
Ant ift, mag von diefem Buche Gebraud machen; er wird man 
en anregenden Gebanten in bemfelben finden. 


4* 


52 Religionsunterriöht. 
D. Kirchengeſchichte. 


41. Srunbriß ‚ber Rirdengeisiäte für evangeliſche höhere Echulen. 
®on Dr. phil. Albert Wipyermann, Pfarrer zu Mohorn bei Wüsdrufl. 
Zweite beibefferte Auflage. Blauen, Schröter, 1866. VI an. 0 ©. 

8 Sgr., 25 Ex. 53 Thlr. 


„Der Berf. belunvdet fih als einen Ienntnißreihen und Haren, für 
feinen Gegenftand erwärmten Lehrer.” — So konnte fi Ref. bereits im 
15. Bande des Päd. Jahresberihts 1863 über den Berfafler vorftehenden 
Grundriſſes ausfprehen. Vorher und nachher find in anderen Literatur: 
blättern ſehr beifällige Beurtheilungen defielben erfhienen, und der raſche 
Abſatz der erften Auflage ift ein Zeugniß, daß die Arbeit des Berfs. will: 
fommene Aufnahme und verdiente Anerfennung gefunden bat. Der in: 
zwifhen zum Pfarrer beförberte Lehrer hat den im Bormworte zur erften 
Auflage ausgefprodhenen Grundſätzen gemäß feinen „Grundriß der 
Kirchengeſchichte für evangeliihe böbere Schulen“ nah Inhalt 
und Form forgjam verbefiert. Und fo befiken wir an bemfelben eine 
Schrift, welche gebildeten Familien, insbejondere auch Gymnafiaften und 
Seminariften aus voller Ueberzeugung von neuem empfohlen wird. 


42. Eeſchichte der Hriftlihen Kirche für evangeliide Säulen. Bon 
@. Jakel, Director der II. Bürgerfhule in Dresden. Dritte, vervoll⸗ 
Ränbigte Auflage. Leipzig, Mlinkhardt, 1867. VIm 114 &. 734 Sgr. 
Auch mit dem allgemeinen Xitel: 
Kommentar zum größeren und tieineren Hanbbudhe für Schüler von Ber: 
thelt, Jätel, Petermans. Drittes Bändchen: Geſchichte der chriſtlichen Kirche. 


Auch dieſes Werk gehört zu der Reihe der ſchätzenswerthen Commen⸗ 
tare zum Handbuche von Berthelt, Jätel, Petermann, von denen wir oben 
unter Nr. 35 ſchon einen angezeigt haben, der ebenfalls Jäkel zum Ber 
fafler hat. Die Bwedmäßigfeit und Gebiegenheit des hier vorliegenden hat 
die Kritit bereit3 zur Genüge anerlannt, jo daß wir uns weiterer (Grörte 
zungen überhoben jehen. Daß dieſe Kirchengeſchichte wegen ihrer hoben 
Brauchbarkeit von den Amtsgenofien in vielen Schulen benußt wird, dafür 
ſpricht deutlich der erfreuliche Umftand, daß fi), obgleich es an ähnlichen 
Schriften nicht fehlt, bereits die britte Auflage berfelben nöthig gemacht bat. 
Dir fließen darum dieſe Anzeige mit dem Wunſche, daß bie Lehrer ſich 
felbft mehr und mehr von dem zwedmäßigen und gebiegenen Inhalte diejes 
Geſchichtswerkes überzeugen und es fleißig benugen mögen zum Gegen 
unfrer evangeliihen Schulen. 


43. Bilder ans ber Reformationsgefdihte. Bon Karl Strad, Li⸗ 
centiaten ber Theologie, Pfarrer zu Groß⸗Buſed bei Gießen. 
Vierter Band: Geſchichte ber evangelifgen Secten. Leipzig, 
Slide, 1867. VIII n. 107 ©. 24 Ser. 


Es ift ein befonberer Segen für die Gegenwart, daß die Ergebniſſe 
ernfter Studien auf allen Gebieten des wifienfchaftlichen Lebens dem größes 
sen Publicum durch zwedmäßige, anſprechende Schriften nahe geführt u und 
vermittelt werben. Bu folden jegensreihen Schriften rechnen wir, mas 


Religionsunterricht. 53 


das Gebiet der ſirchengeſchichte betrifft, vorſtehende „Bilder aus der Res 

formationsgefchichte‘, welche wir gleich bei ihrem Erfcheinen freudig begrüßt 

und immer mehr liebgewonnen haben. Die beiden erften Bände wurden 

8. XVI des Päd. Yahresberihts S. A5 angezeigt. Sie beantworteten die 

beiden Fragen: „Wie ift ein Zeil von Deutſchland evangeliſch 

geworden?” und „Wieift ein Theil vonDeutſchland katholiſch 
geblieben?” Der dritte Band zeichnete den „Gang der Nefor: 
mation durch die nichtdeutſchen Länder” in anfhaulider und 
lebendiger Weiſe. Hier im vierten Bande liefert der Darf. „die Ges 
ſchichte der evangelifhen Secten.” Auch dieſer Band ift in der 
lehrreichſten und anziehendften Weile gefchrieben und verdient, ven Lehrern 
an Kirchen und Schulen umfomehr empfohlen zu werben, ald wir eine 
populär gehaltene, unparteiiihe und gebrängte, aber doch durchſichtige 

Sectengefhichte fonft nicht aufzuweien haben. Dem lieben, und perfönlich 

unbelannten Verf. wünjhen wir Zeit und Kraft zu ähnlichen hiſtoriſchen 

Arbeiten und einen gejegneten Erfolg feiner durchaus lobenswertben Bes 

frebungen. 

4. Das Reformationsbädlein. Eime Erzählung für Kinder von Lud⸗ 
wig Nonge, Dr. d. Theol. n. Philof., Herzogl. Sachſen⸗Meiningiſchen 
—— enerialeatg x. Giebente Aufla ge. Mit dem Bilbniß Luthers. 
Hübburghaufen, Keſſelring, 1866. XII u. 83 S. 5 Sgr. 


Diefe vortreffliche Volksſchrift bedarf, nachdem fie in weiten Kreiſen 
ſchon eine fo beifällige Aufnahme gefunden, daß fie bereits in der fiebenten 
Auflage erſchienen ift, Teiner weiteren Anpreifung. Wir vermweifen daher 
nur kurz auf unfre Anzeige derjelben im XVII. B. des Päd. Jahres⸗ 
berihts von 1865. 


45. Sebentbädlein an Bali Melauchthon. Eine Erzählung für 
Säule und Haus von Dr. W fin Superintendent. Mit dem Bilbniß 
Melanchthon's. Hildburghauſen, Ein elring, 1866. VI u. 68 © 5 Ger. 


Innige Liebe zu Philipp Melanchthon, dem großen Praeceptor Ger- 
manise, ift die Veranlafiung zu vorftehendem Gedenkbüchlein. Ueber den 
Zwed, welcher dadurch erreicht werben foll, fpricht fih der Verf. in der 
Vorrede felbft aus. Das Gevenkbüdlein möchte beitragen, daß Melanch⸗ 
thon's frommes Lebensbild ſich dem Herzen aller Evangelifhen einpräge, 
Auch möchte es ein Geitenftüd fein zu dem Lebensbilde, das 2. Nonne 
von unſerm Blaubensvater Luther in dem vorhin angezeigten Reformations⸗ 
büchlein fo friih und lebendig entworfen bat. Nun, diefer doppelte Zwed 
wird in zwanzig, mit paſſenden UÜeberſchriften verſehenen Kapiteln durch 
ſorgfältig gewählten Inhalt und mufterhafte Form in hohem Grabe erreicht, 
jo daß wir diefem „Gedenkbüchlein“ recht viele Lejer wünſchen zum Segen 
für Schule und Haus. 


6. Allgemeine Rinhtige Chronik, —SeS S von K. Matthes, fort⸗ 
geliebt von Dr. Ernſt dt, Oberlehrer am Siänf hen 
Schullehrer-Seminar zu — tee Iahrgang, das Sehr 1865. 
Wtona, Hänbde und —* 1866. VIn. 162 S. 12 Sgr 


4 Neliglonsumierricht. 


Mit dem Jahre 1854 hat der gelehrte Pfarrer Karl Matthes gu 
Bornshain bei Goͤßnitz im Herzogth. Altenburg in der alljährli erſchei⸗ 
nenden „Allgemeinen kirchlichen Chronik“ in kurzer, gevrängter 
Zujammenftellung einen Ueberblid über die firdlihen Greignifie und Kämpfe 
des vergangenen Jahres gegeben und durch feine fleißige, forgfältige und 
treue Urbeit allgemeinen Beifall gefunden. Rach dem anfangs Juli 1865 
erfolgten plößlihen und unerwarteten Tode diefes würdigen, vielgeliebten 
Seiftliden hat Dr. E. D. Schmidt, Oberlehrer am Schullebrer-Sentinar 
zu Borna, die Redaction der verwailten „Chronik“ übernommen und treus 
lichſt fich bemüht, den verfchiedenften Richtungen, die gerade in ber Gegen⸗ 
wart oft in- jchroffer Weife einander entgegentraten, gerecht zu werben und 
die verſchiedenſten Standpunkte möglichft objectiv darzuftellen. Hinfichtlich 
diefes ſich geftedten Bieles hat er ein rüdhaltlofes Ausiprechen des eignen 
Urtheils felbfiverftändlih nicht ausgeſchloſſen, doch fo, daß über entgegen: 
geſetzte Meinungen nicht Schroff und ſtreng abgeurtbeilt mird, wie es leider 
in fo vielen kritiſchen Wlätteen geſchieht. Mir freuen und von Hergen, 
daß die Nedaction der „Chronik“ in die Hände eines jo befonnenew und 
bumanen Mannes gefpmmen ift, der die mühenolle Lieblingsarbeis des 
feligen Redacteurs weiter fortführen wird zum Gegen des Kirche. Die 
Anordaung ift im Ganzen, wie in ben früheren 11 Jahrgaͤngen, im vorlieg. 
12. Zahrgange mit Recht beibehalten und das überreiche kirchengeſchichtliche 
Material mit viel Geſchick, großer Klarheit und Durchſichtigkeit zujammen: 
geflellt warten. Obſchon Nachrichten über Schulfragen und Schulangelegen« 
beiten gänzlich ausgeſchloſſen morden find, weil diejelben feit der im voris 
gen Jahre in gleihem Verlage erjcheinenden „Allgemeinen Chronil bes 
Volksſchulweſens von 2. Wolfram” ausführlihe Beſprechung gefunden 
baben, fo wünjhen wir doch recht fehr, daß die „Allgemeine kirchliche 
Ehronit” auch unter den Lehrern eine freunblide Aufnahme finde, damit 
fie mit der kirchlichen Gegenwart in lebendigem Zufammenbange bleiben, 
die Entwidelung und Geftaltung des Firchlihen Lebens kennen lernen und 
das, was ewige MWahrbeit bleibt, auslaufen zum Segen der Schule. 


E. Geographiſches. 


7. Karte von Baläftina zum Schulgebraud von Fr. Gfell. Chur umb 
Leipzig, Grubenmanu'ſche Verlagehandlung. 
Eine ſauber geſtochene, empfehlenswerthe Karte des heil. Landes zur 
Zeit Jeſu und ber Apoſtel, in Folio, mit zwei Nebenkärtchen: 1) Jeru: 
jalem mit Umgebung, 2) Gofen und ber Weg der Ysraeliten durch die 
Wüfte (na Bunfen). 


F. Hymnologifches. 
48. Die 80 Kirchenlieder ber preußiſchen Regulative. Nebſt Anhang bes 
. Katechismus. Brenbenburg, Theod. Balliens Selbfiverl. 1866. ©. 6 Pf. 


49. Bierzig Kirchenlieder und bie Hauptſtücke des Katehiemne von 
Luther, Für den Schulgebrauh mit Rüdfiht auf finugemähe Betonung 





Neligiontunterricht 58 


befonbers abgebrudt. 4 Mi Ein mal Eins, Halle, Ed. 
Anton, Ics® 46. ra unge N dal 
Beide Nummern enthalten Lieder „der preußffhen Regulative”. 
Mehr bevarf es nicht, um Inhalt und Form zu characteriſiren. Nr. 48 
enthält zwar noch einmal ja viel Lieder und ift dabei doch dreimal billiger, 
als Nr. 49; aber fie hat au dafür einen Außerft comprefien Drud, ohne 
bie Verſe durch Abſätze zu trennen. Der Drud von Nr. 49 ift fehr 
beuflih und hebt durch fette Schrift die zu betonenden Wörter hervor. 
50. Evangeliihes Hausgefangbud von Emil Obly. Aus befien: 


„Evangel. Haus⸗ und Henbbuh” zum Schulgebraudh bei ber Hausandacht 
beſonders abgebrudt. Wiesbaben, I. Niebner, 1865. 80 S. 6 Sgr. 


Wir verfiehen nicht, was das heißen foll: „um Shulgebraud 
bei der Hausandacht“ abgebrudt aus bem Evang. Haus: und Hands 
ind. Das ſind ja zwei verſchiedene Beitimmungen. Da nun ber Zitel 
von einem „Hausgeſangbuch“ rebet, jo nehmen wir an, daß dies 
au die Hauptbeftimmung des Buches fein foll, daß aber der Verf. daſſelbe 
zugleih zum Shulgebrauc beftinmt. Zu lebterem eignen ſich inveß 
nicht alle, wie namentlich die vier lebten Nın. 97—100 (Ehe⸗ und Haus: 
Randglied, zwei Zijchlieder und ein Wiegenlied). Die eriten 9 Lieder ent- 
halten Lieder für Tirchliche Yeitzeiten, der zehnte „allgemeine Abfchnitte zur 
Erbauung bei der Morgen: und Abend : Andacht”. CS findet fi unter 
ihnen viel Gutes, namentlih die belannteften evangelischen Kernlieder 
(freilich in ihrer alten, oft jehr geſchmadloſen Form); aber auch manches 
zu Weichliche und Gefuchte, wie Nr. 65, in deren 10 Berfen das Mort 
„Abränen” 6Amal vorkommt. 

51. Kurze Geſchichte des evangelifgen Kirhenliebes, fowie ber 
irhe in ihrem Liebe ober Wegweiſer durch die guten alten unb neueren 

Gejangbächer mit befonderer Rüdfihtnahme auf Bollhagen's Geſangbuch, 

auf das Evangel. Kirchengeſangbuch und auf bie ah, Lieber ber brei 

Prenß. Regulative bearbeitet von Dr. Wangemann, Archidiakonus und 

Seminar-Director in Cammin in Bom. — Fünfte vermehrte und ver- 

beflerte Auflage. Berlin, W. Schulte, 1866. XVI mu. 372 ©, 20 Ser. 

Das in der 5. Auflage erjchienene Wert darf als befannt — bes 
lannt wenigftens bei den Freunden veralteter Orthodorie — vorausgeſetzt 
werden. Im Päd. Jahresbericht ift es fhon B. XIII, ©. 28 beiproden 
worden. Für Lehrer enthält eö zu viel und zu wenig; — zu viel, weil 
es zu tief in Specialitäten eingeht, — zu wenig, weil es ben Lehrer bei 
Erflärung veralteter Poefien ohne Rath laͤßt. Begeifterung für feinen 
Gegenftand, — nit nur eine Geſchichte des Kirchenliedes, ſondern aud 
eine Geſchichte der ſingenden Kirche ſoll hier geliefert werden, — Tann 
man dem Berf. nicht abſprechen; nur ſchadet er durch Breite der Darftel- 
Img feinem Werte. In diefer neuen Auflage find auch die neuen Schrifs 
ten von Palmer (Hymnologie), Heinrich (Lieverfegen) und Haaſe 
(Ey. Liedertunde, 4. Auflage) benutzt worden. 


56 Religionsunterricht. 


G. Erbauliches. 


52. —— an meine Conſirmanden beim Schluſſe meines Unter⸗ 
ci vie. „nme DriginalsAnsgabe. Chur unb Leipzig, Grubemann 19 ©. 
| 
Gemüthlihe Worte, die kurz und erbaulich zufammenfaflen, was der 
ganze Confirmandenunterricht Heilfames geboten hatte. 
53. Die Chriſtenblüthe. Eine liturgiſche Weihnachtsfeier für chriffiche 
.. gemil ien und Schulen. Heransgegeben von H. Meyber, Kantor in Trempe. 
er Ertrag fließt zum Theil in bie Kaffe Bealozzi- Vereine der Bro- 
sim ne Renftabt-Ebersiwalbe, Lamme, 1867. 18 ©. 14 Sgr., 
Eine liturgiſche Feier des Weihnachtöfeftes in diefer Anlage und Aus» 
dehnung ift für Kinder zu ernſt und zu lang. Die Gejänge find mei 
—— doch find deren zu viele. Die gewählten Melodien find alt⸗ 


+ 


IL 
Mathematik. 


Von 
Dr. Bartholomaͤi in Jena. 





Methode. 


1. „Auch die Mathematik iſt fähig, die Natur der Dinge und des 
Geiles zu ergründen. Nicht wie einige Philoſophen glauben, an ber 
äußerlihen inhaltslofen Quantität müht fie fih ab, fondern auch bie 
Dualität macht fie zum Gegenftande ihrer Forſchung, denn Mathematik 
und Raturforfhung haben es über allen Zweifel erhoben, daß faft Alles, 
was als Qualität erſcheint, fich in eine Reihe quantitativer Beitimmungen 
euflöfen, alfo durch Zahlen vollftändig beftimmen und meſſen läßt.‘‘*) 

2. „Fourier jagt: ‚Die Mathematil bildet fih nur allmälig weiter, 
aber fie waͤchſt unter den mmaufhörlihen Schwankungen und den Irrthuͤmern 
des menſchlichen Geiftes. Ihr Attribut ift die Klarheit, fie vereint getrennte 
Griheinungen und entvedt das geheime Band, welches fie vereinigt. Wenn 
Luft und Licht, die bewegenden Erſcheinungen der Clectricität und des 
Rognetismus uns zu entfliehen fcheinen, wenn bie Nörper fern von uns 
in die Unermeßlichleit des Raumes geftellt find, wenn der Menſch das 
Ehaufpiel des Himmels verflofiener Jahrhunderte ſchauen will und die 
Vickungen der Schwere und der Wärme tief im ewig unzugaͤnglichen 
Innern unjeres Erdfalls erforfchen, dann ruft er die mathematiſche Analy⸗ 
Rs zu feiner Hülfe herbei. Sie verkörpert den unfühlbaren Stoff und 
iefelt die flüchtige Erſcheinung, fie ruft die Körper aus der Unenblichleit 
des Himmels und erihließt uns das Innere der Erde. Sie fcheint eine 
Kraft des menfchlichen Geiftes, die beftimmt iſt, und für die Unvollkommen⸗ 
beit der Sinne und für die Kürze unferes Lebens zu entſchädigen. Ya 
was noch bewundernswürdiger if, fie befolgt einen und benfelben Gang 
im Studium diefer Erſcheinungen, fie erflärt alle durch biefelbe Sprache, 


% 3 Ueber den Inhalt und ber Bebentung bes meihernatticen 
uud phnfllalifchen Unterrichts auf unferen Gymnafien. Berlin 1866. ©, 8. 


‘ 


58 Mathematit. 


faft als ob fie die Ginbeit und Ginfachheit im Plane des Weltall be- 
zeichnen wollte.‘ *) 

3. Die Gewalt der mathematiſchen Beichenfprache beruht 1) in ber 
ungemein großen Deutlichleit der mathematifhen Grundanſchauungen, 2) in 
der darausfolgenden leichten Schematifirbarfeit aller Begriffe, 3) in der 
leichten Bezeichenbarleit aller Begriffe, ſowie 4) darin, daß alle mathema⸗ 
tiſchen Operationen bloße Zuſammenſetzungen aus vorbergebenven find.**) 

4. An den Erlenntniflen der Mathematik ift das Schwere, welches 
die Anfänger finden, das Schematiſtren und das bamit verbundene Ab» 
Rrahiren.***) 

5. Kein Theil der Mathematil verträgt eine populäre Darftellung. +) 

6. „Im Kreiſe der Gebildeten tritt uns faft immer ber Irrthum 
entgegen, daß die Mathematik hauptfählid nur als angewandte Logik 
Werth und Nupen für die Bildung habe, und als Lebrftoff genüge, wenn 
ee auch bis auf ein Minimum von Juhalt beihränkt worden if. Diefe 
karge Meinung im Verein mit der bdürftigen Stellung, welde bie Lehrer 
bäufig in der Wifienihaft und im- Seben-einnehmen, bat eine Fluth von 
mathematiſchen Lehrbüdern veranlaßt, deren Breite und fchleppenver Lehr: 
gang jeden Fortſchritt zu tiefever Einſicht hemmt. 

„Wenn mathematiſche Studien wahrhaft fruchtbringend fein follen, 
fo maß der Gedanke allerdings den langen Weg vom Kopfe bis zur Hand 
zurüdgelegt haben; die Wiſſenſchaft muß Kunſt geworden fein; der Schüler 
muß feine Gedanken in mathematischer Sprache äußern lernen, aljo Probleme 
zu loͤſen verſtehen. Diejes Biel it aber auf unferen Schulen nur annäbes 
rungsweiſe zu erreichen. Dagegen kann fehr wohl mit mähigen Aufwanbe 
von Zeit und Kraft unſern Schülern eine klare Vorſtellung gegeben ‚werben 
von dem limfange, der Bebentung und dem GCinfluß dee Mathematik uns 
Phyſil anf uns und unjere Beit. Diefe Aufgabe Tann wenigſtens ficherer 
unb vielleicht erfolgreicher gelöft werben, als die ganz aͤhnliche, denſelben 
Jünglingen ven Werth und wahren Sinn einer antilen Tragöbdie ober 
eines Epos begeeiflich gu machen. 

8. „Es giebt Theile ber Mathematit, die kaum dem Namen nach 
befannt find, und bo fo hohen Werth beſigen, daß fie ſelbſt religiöfe 
Vorfiellungen Begründen und ftüben können. @iner biejer Theile tft vie 
Wahrſcheinlichkeitsrechnung.“ ++) 

9. „Obwohl in den neueften Zeiten fo ungemein viel‘ iiber ben 
formalen Zwed alfer Gymnaſialbildung geſprochen wird, fo könnte man doch 
die Anſicht gewinnen, wenn man blos nach den von Jahr zu Jahr neu 
erſchienenen, reichhaltigen Lehrbüchern urtheilen ſollte, der mathematiſche 
Unterricht werde immer mehr darauf berechnet, den Schülern in moͤglichſt 





sr Schelibach, a. a. O. &. 19. 20.. 

90) Büchner, ber angehende Mathewatiker ub b Srunblehren ber 
Mathemati. Programm bes Gymnaſiums zu Dilbburghaufen 1864. ©. 14. 

:) al. © !. 8 ge. 

rn —— un O. S. 8. 


Malhematik. 50 


larzer Zeit möglichſt viele merkwürdige und für dieſen und jenen Zwed 
wichtige Gäße beizubringen, und es gelinge ihm ohne Zweifel immer voll 
fommner, diefes Biel zu erreichen. Uber der erfahrene Gymnaſiallehrer 
wird über ein fo "reihhaltiges Lehrbuch, welches wielleiht Böglingen, 
die fich vorzugsweiſe dem Studium ber Mathematik widmen wellen, febr 
zu empfehlen ift, oder an höheren polytechniihen Schulen, Forſtacademieen 
und dergleichen Lehranfialten die nüplichften Dienfte leiften lann, leicht das 
Urtheil fällen, daflelbe enthalte für feme Zmede zu viel, und alsdann ift 
das Uebergehen vieler Paragraphen gleih unbequem für ben Lebrer wie 
für den Schüler, und ganz geeignet, gerade ben beſſeren unter viefen bie 
Luft am Gegenſtande zu verderben.” *) 

10. „Wenngleich es wicht geläugnet werben kann, dab beim matbes 
matishen Unterrihte an Gelebrtenfchulen die Nachtheile, welche ein Ben 
fehlen ver richtigen Methode, fei es von Seiten des vortragenden Lehrers; 
oder des feinem Bortrage zu Grunde liegenden Handbuchs, oder von beiden 
zar Folge bat, in emer Hinfiht nicht fo fchwer in's Gericht fallen, als 
bei jedem andern Unterrite, fo find fie dagegen in einer anderen um fo 
bedeutender. Sie fallen nämlich in fo fern weniger in's Gewicht, ald bes 
begabtere Schüler das zu ſeiner geiftigen Erziehung ihm bier bargebotene 
Material, weil e3 veine Berftanvesfache ift, im Verlaufe ſich ſelbſt zurecht 
zu legen und auf diefe Weiſe zur Erkenntniß der in ihm liegenden wiſſen⸗ 
ſchaftlichen Geſetze und ihrer inneren Nothwendigkeit zu erheben wiſſen wird. 
Aber die Anzahl der begabteren Schäler iſt in allen UnterrichtBanftalten in 
der Minorität und die große Maſſe gehört immer theild zu den fogenennten 
mittelmäßigen, theils zu den wenig begabten Köpfen. Hier if das Terrain, 
wo vie Methode des Lehrers ſowohl als die feines Handbuchs documentiren 
foßlen, daß fie es verſtehen, auch ven ſchwachen Geiſtesfunken in den Schiv 
lern zu wecken und zu beleben, ihn allmälig zu kräftigen, und fie fo für 
die Wiſſenſchaft zu gewinnen, daß fie durch ihre Bemühungen biejenigen 
Früchte daven tragen, die zu pflüden fie im Stande find, und bie bann 
nicht felten reihlicher ausfallen, ald man in der Regel zu glauben geneigt 
M. Hier ift aber auch das Terrain, wo ein Verſehen dieſer richtigen 
Methode ih am empfindlichſten rät, infofern es den Schäler in Folge 
bee eiguen Erkennmiß des geringen Maßes feiner Fortichritte entmuthigt, 
ibn ellmälig dem Studium entfrembet, und fchließlih bie unglüdliche in 
böberem Maße als man glauben follte auch anderweitig verbreitete Ides in 
ihm hervorruft, daß zu den mathematiihen Studien an Schulen ein ſpeci⸗ 
ſiſch mathematifches Talent erforverlich fei, und dieſes ihm abgebe.‘‘ **) 

11. „Wenn es nun keinem Zweifel unterliegt, daß bie Zahl unferer 
Schüler an gelebrten Schulen, melde in der Mathematit das Biel ihrer 
Klafien ſowohl als das der Anftait überhaupt erreichen, an. vielen Auftalten 
mes noch geringer ift, als in den übrigen Wiſſenſchaftszweigen, fo fälkt 
natũtlich die Verſchuldung dieſes Mebelitanves überall, wo die Verhältnifie 


9 Ste gmann Elemente ber ebenen Trigonometrie und Gtereomtetrie, 
Marburg 18 
und, Syn bes allgemeinen Meitiuuelit. veipzig 1866. S. VII. 


60 Mathematif. 


ber betreffenden Anftalt gehörig georbnet find und ber Geift ernften Fleißes 
unter den Schülern obwaltet, theils den Lehrern ber Mathematik, tbeils 
den Handbühern zu. Cine Aenderung zum Belleren bürfte in erflerer 
Hinfiht theilmeife in der Gewalt der vorgefeßten Bebörben liegen; in anderer 
Hinfiht, die Handbücher betreffend , fcheint uns nach wie vor feitzufteben, 
daß dasjenige Princip, welches ein Handbuch zu einem Leitfaben für ben 
Schüler qualificirt, no nicht zur gehörigen Geltung gelommen if.” *) 

12. „Die Genefis aller und jeder wiſſenſchaftlichen Erkenntniß ſteigt 
vom Goncreten zum Abfteacten. Es folgt hieraus, daß der Lehrer fowie das 
Handbud niht von vorn herein und unmittelbar die wifienfchaftlichen 
Regeln und Gefebe in dogmatiſcher Weife den Schülern zur Einſicht zu 
bringen, fondern lebiglih das Material verfelben in der gehörigen Quantität 
und Stufenfolge zunächft ihnen vorzuführen und alsdann, im Grunde ges 
nommen, es ihnen felbft zu überlaflen haben, die in dieſem Material aus⸗ 

geprägten wifienichaftlihen Regeln und Geſetze heraus zu leſen.“ 

13. „Gin nicht unmwefentlicher Unterſchied waltet nun in methodiſcher 
Beziehung ob zwifhen dem Unterrichte, in dem einen der beiden ſogenann⸗ 
ten Hauptzweige der Mathematik, der Geometrie nämlid, und dann in bem 
andern, ber allgemeinen Arithmetil, und dieſer Unterſchied bat feinen Grund 
in dem wiſſenſchaftlichen Character beider Zweige. Die Natur des Ber« 
bältnifies nämlich, in welchem beide zu einander flehen, liegt unfer Erach⸗ 
tens darin, daß die Arithmetit einzig und allein die eigentlihe Wifiens 
ſchaft der Mathematik ift und das unermeßliche Gebiet ſämmtlicher geome⸗ 
triſcher Wahrheiten lediglich als concrete Fälle in fi enthält. Bei dem 
Unterricht in der Geometrie ift daher der Weg, den der Lehrer einzufhlagen 
bat, um dem Schüler dort die wiſſenſchaftlichen Geſetze zur Ginfiht zw 
bringen, dur die Vorführung ber concreten Wahrheiten, bie in den ein- 
zelnen geometriſchen Säben enthalten find, ein in der Regel von jelbfi 
gewifiermaßen gebotener, und dieſe Säße ſelbſt bilden- aljo das Material, 
ein Umftand, ver den Unterricht in ver Geometrie wejentlich leichter erfcheinen 
läßt. In der allgemeinen Arithmetik ift die Sadlage in fo fern eine 
anbere, als bier das Material offenbar die verfhiedenen Bablenverfnüpfun- 
gen bilden, aus welchen die Begriffe und aus biejen lepteren ſchließlich die 
wifienichaftlihen Geſetze ſich ergeben,” weil fie in ihnen liegen. Lediglich 
biefe Zahlenverlnüpfungen find es aljo, melde beim Unterricht in ber alls 
gemeinen Arithmetit primitiv vom Lehrer fowohl als vom Handbuche ber 
vorzubeben find.” **) 

14. „Daß die Raumlehre leiter verftändlih zu machen ift, als 
die Bahlenlepre, darüber kann unter Sachverftändigen fein Streit mehr 
ſein.“*) 

15. „Eine Ahnung von der Wichtigleit der Pſychologie für den 
mathematiſchen Unterricht zeigt ſich in der heuriſtiſchen Methode und in der 
analytiſch⸗ combinatoriſchen Methode Thibaut's.“ 


Funck, ©. voL 
* Ebendaß &. IX 
) Lehr, Vraktiſche Geometrie, Gotha 1861. S. V. 





Mathematik. 61 


„Die heuriſtiſche Methode fellt die Forderung, ber Schüler foll bie 
mathematifhen Saͤtze felber finden, fie verlangt alfo, jeder Schüler foll ein 
productiver Kopf fein. Sie ift demnach für jo begabte Knaben ein ausges 
jeihnetes Hebungsmittel, für den größten Xheil jeber Claſſe aber uns 
brauchbar. 


„Die analytiſch⸗combinatoriſche Methode Thibaut's iſt ein ausgezeich⸗ 
netes Mittel, um den Studenten in die Wiſſenſchaft einzuführen, in den 
unteren Claſſen einer Schule aber kann fie nicht mit Erfolg angewendet 
werden. Ihr ganzes Verfahren ift theilmeife ein philofophijches, aber von 
philofophiichem Geifte ift bei den Knaben keine Spur zu finden. Sie ver 
langt ferner wegen ihres organisch gejchlofienen Spitems, daß in jedem 
Momente und bei jedem Schritte vorwärts der Geiſt fih volllommen Klar 
des BZufammenbanges mit dem Ganzen bewußt jei, wodurd für ungeübte 
Denter nur noch mehr Steine des Unftoßes in den Weg gelegt werden.“) 

16. „Die erſte Aeußerung des Geiftes ift eine Thätigleit. Thaͤtig⸗ 
keiten gehören aber dem Willen an. Was man alfo im gemöhnlichen 
Leben für eine Operation des PVerftandes ausgiebt, ift demnach weiter 
Nichts als eine lange Kette von lauter Willensacten.‘‘ **) 

17. „Gerade wie Berftand, Gemüth und Wille nad der Anſchauungs⸗ 
weile vieler unferer Beitgenofien nur unnüße Splitter find, in bie ber 
Geift zerſchlagen worden ift, gerade jo harren auch die paͤdagogiſchen Prin: 
pien der Anſchauung, ver Arbeit und des Intereſſes noch der einheit- 
lichen Bufammenfaflung; und ebenfo wie jene Zerjplitterung des Geiftes 
auf verderblihe Aeußerlichleiten führte, ebenfo bat auch bier der Mangel 
an einer begrifflihen Einheit dazu geführt, daß troß alles redlichen Stre⸗ 
bend die -Methopologie noch nicht hat zu einem fröhlichen Gedeihen kommen 
föanen.“ ++) 


L Arithmetik. 


18. „Kein Unterrichtsgegenftand ift wohl mehr geeignet, bie geiftigen 
Anlagen des jungen Schülers zu weden und das Urtheilövermögen zu 
üben, als die Arithmetit (das Rechnen). Sie ift das Mittel zur Uebung 
des Verſtandes, gewöhnt zum Nachventen über das, was man thut; fragt 
nad Grund und Urſache. Sie giebt dem Schüler richtige Begriffe, eine 
Hare Anſchauung und gründliche Kenntniſſe der Zahlenverhältnifie und 
ihrer Verbindungen und befähigt ihn nicht allein, die Verbindungen der 
Zahlen mit Sicherheit, Leichtigkeit und Schnelligkeit in den verſchiedenartigen 
Verhaͤltniſſen zu behandeln, ſondern fie übt ihn auch durch richtiges Denken 
und Schließen, aus gegebenen belannten Zahlen unbelannte zu finden. Gie 
greift in alle Berhältnifie des bürgerlichen Lebens ein und verbient baber 
mit Recht, als ein Hauptunterrichtsgegenftand der Schule anerlannt zu 
werden.” +) 


® Balte, Peopribentit ber Geometrie. Leipzig 1866. ©. 3. 4 
“), Ebendaſ. S 
”e) Ebendaſ. 

P) Foßler, Die Keitkenetit  & UI. 


68 Mathematik. 


139. Werth una Wichtigkeit der Algebra: 1) Die 
Algebra giebt über den Gang einer Rechnung in vielen Zällen eine gräbere 
Klarheit und einen beflern Ueberblid, als dies ein blojes arithmetiſches 
Rechnen geben kann. — 2) Sie legt in ihren Nejultaten die Abhängigkeit 
der gejudhten Größen wie ber gegebenen Größen, wenn folde allgemein 
bezeichnet worden find, durch Formeln deutlich ver Augen. Die algebraifche 
Beichenfprache ift plaftifher als die Wortſprache. — 8) Sie erleichtert Die 
Yullöfang mander jchwierigen Aufgabe bebeutend und ermöglicht auch bie 
Auflöfung von folden Aufgaben, die ſich arithmetiſch entweber gas nicht 
oder doch nur durch mühjame Berechnungen auflöfen laſſen. — 4) Gie 
giebt Auskunft darüber, ob eine Aufgabe überhaupt lösbar it, und unter 
welchen fpeciellen Bevingungen. — 5) Sie hat einen bildenden Werth, 
indem fie wie überhaupt die Mathematit auf eine vorzügliche Weite die 
Denkkraft des Lernenden in Anſpruch nimmt. Sie jhärft feinen Verſtand, 
indem fie ihn beitändig zum genauen Bergleihen und Unterfcheiden, zum 
Urtbheilen, Combiniren und Schließen nöthigt. Die Mathematil ift das 
beite Feld für die Logik und die Algebra vie befte Verſtandsgymnaſtit.“*) 

20. ,‚‚Bielfältige Wahrnehmungen über den Gang und bie Gefolge 
des Mechemunterrichts in unferen Glementarihulen baben mir die Ueber⸗ 
zeuguag aufgebrängt, daß nicht überall nad einer zwedmaͤßigen Methode 
nerfahren, und daß namentlih in unferen Landſchulen weder Fertigleit noch 
Gnſicht in die Gründe ded Verfahrens in wünſchenswerther Volftändigfeit 
erreicht werde, Ich till nicht von ſolchen Lehrern reden , die blos darauf 
ausgeben, ſich bie Necenftunden bequem zu maden, und die zu biejem 
Gnade den Schülern irgend ein Rechenbuch in die Hände geben, aus wel⸗ 
dem ſie Beifpiele aller Art mechanisch berechnen müfjen, meiſt .ohne ben 
Sinn der Aufgabe zu verftehen, oft ohne die Zahlen richtig lefen zu können. 
Auch die befieren unter den Lehrern verfehen es oft durch zu viel oder 
zu wenig Methode. Der Cine möchte gern Alles recht anjhaulid machen, 
aber er nimmt feine Zufluht zu den fogenannten Rechenfibeln, in denen 
die Zahlen duch manderlei willlürlihe Zeichen vorgeftellt find, und ver: 
fäumt es, ein überall au in zahlseihen Clafien anwendbares Berfmns- 
lihungsmittel einzuführen. Der Andere bindet fi ftreng am die Einheiten- 
tabelle von Peſialozzi und an den von Joſeph Schmibt vorgezeichneten 
Lehrgang und giebt dadurch ben eriten Zahlübungen eine wahrhaft ermübenne, 
alle Luft ertödtende Ausdehnung. Der Dritte glaubt, die Schüler nicht 
früh genug mit häuslichen Aufgaben befhäftigen zu lünnen un» läßt die 
vier einfahen Rechnungsarten an Strihen auf ber Zafel vollziehen, ohne 
zu bedenken, daß die eriten Zahlübungen nur in der Schule felbft und unter 
ven Augen des Lehrers zwedmäßig angeltellt werden können. Beim wei⸗ 
teren: Zortgange bes Unterrichts verſucht es der Cine bamit, daß er zu niel 
Stufen im Rechenunterricht annimmt und die Schüler oft in fo vide Ab« 


*) Davids, Lehrbuch ber Algebra, Altona 1867 ©. 9. 10. — Algebra 
iſt nach Davids bie Lehre an ben Gleichungen unb bie Kuuft fie aufzuisſen 
(S. 7); Wiecke dagegen (Arithmetit, seihaig, 1866, ©. 63) befinirt: Die Lehre 
von dem Rechnen mit allgemeinen unb mit Borzeichen verfehenen Zahlzeichen wirb 
Algebra, das Rechnen felbft algebraijches genannt. 





Maihemaiik 63 


theilungen ala. Bänle theilt, wer Andere geht zu ſchnell non bes Anicheuung 
zum Rechnen nady Schlüflen über; Diele aber lieben es, bei der Erläu⸗ 
terung des Verfahrens, ganz unnötbige, oft unverfländliche Ansprüde, wie 
bie Schlecht erfundenen Zig's zu gebrauchen, ohne zu bedenken, daß man 
am beften verjteht und verftanden wird, wie das Belt im gewöhnlichen 
Leben redet, und daß in bie Bollsichule nur ſolche Erklärungen gehören, 
die Sch allenfalls auch in den Kaufläden und auf dem ſtrammarkte ſowohl 
Käufern als Verkäufern verſtaͤndlich machen laſſen.“ 

„Beider ſehlt es bei der zahllojen Menge von Mechenbüchern immer 
noch an einem folchen, das bei dem pracijchen Nechnen den letzteren Ge 
ſichtspunlt jet hält, bei den Glementarübungen aber dag Weſentliche der 
Beftalozzi’schen Uebungen auf fruchtbare Weiſe verwendet. Es ift, als ab 
die Verfaſſer mancher Rechenbücher fi zu vornehm hünlten, das gemeine 
Bedürfnik der Landſchulen zw berüdfichtigen. Jeder will etwas Neues, 
noch nicht Dageweſenes barbringen, ‘ever wenigfiens das Belannte auf 
eine neue und ungewöhnliche Art ausdrücen.“*) 

21. „Als Berfinnlihungsmittel find zuerſt weder Striche noch 
Buncte noch andere Zeihen an der Schultafel zu gebrauden, fhon des⸗ 
halb, weil bie. entfernter figenden finder fie nicht mehr deutlich unterjcheis 
ben. Selbſt von der Peftalozziſchen Einbeitentabelle iß lein vechter 
Gebrauch zu machen, theils weil die Menge der Striche, durch die man 
die Einheiten darſtellt, die noch ungeübten Kinder verwirrt, hauptſaͤchlich 
aber, weil man die Ordnung der Striche nicht nach dem jedesmaligen Bes 
bürfniß des Unterrichts beliebig verändern kann. — Das einfachſte und 
natũrlichſite Verfinnixhungsmittel bei ven erften Uebungen im Zählen find 
die zehn Finger.’ **) 

22. „Es giebt eine Anzahl Leute, die dem Principe der Anfhauung 
mit ganzem Herzen zuftimmen, bie aber entweder fo bequem find, daß fie 
fh wicht die Mühe nehmen, die nöthigen Veranſchaulichungsmittel zu ber 
ſchafſen ober die jo leichtjinnig find und die betreffenden Anſchauungsmittel 
vergefien. Sie entfchulpigen ſich dann gewöhnlic damit, daß die Anfchaus 
lichleit Schon in der Lebendigkeit des Vortrags liege und daß es ſchon 
genüge, wenn man nur mit Worten die Sache recht anſchaulich darftelle 
und beidyreibe, — concrete Anjhauungsmittel brauche man dann nicht. 
Diefe Auffaffung, wenn fie ehrlich gemeint ift, beruht auf einem Grund⸗ 
irrthum. Zwiſchen Vorſtellung und Anſchauung, zwiſchen anfdhaulicher 
Beſchreibung und concreter Auffaſſung ift eine große Kluft! Die concrete 
Anſchauung läßt ſich weder durch einen lebendigen Vortrag noch durch eine 
breite Umfchreibung noch durch Zeichnungen an ber Tafel erjegen. Die 
Borzeigung und Anſchauung der wirklichen Gegenflände geht über Alles. 
Ohne concrete Anjhauung iſt der Unterriht für den Schüler nichts 


*) Otto Schulz, Anleitung zum Elementarunterricht im Rechnen S. 3. 4 
Bern die 1. Auflage diefer Schrift exichienen if, weiß ich midt, ba: ſie aber 
im Jahresbericht nicht berüdfichtigt werben ift, fo bürfen bie charakteriftifchen 
— des vormaligen Schulraths bier wohl eine Stelle in Anſpruch 

Bi Ebendaſ. ©. 5. - 


64 Mathematik. 


weiter als ein begriffsloſes Conglomerat von Worten ohne Verſtaänduiß, 
von Saͤtzen ohne halt.” *) 

23. „Bird der Unterriht mehr mechaniſch und nad Regeln ertbeilt, 
fo wird das Gedächtniß des Schülers mit einer Menge Regeln überladen, 
bie ihn fo verwirten, daß er nit mehr im Stande if, das Richtige 
berauszufinden und in Anwendung zu bringen. Er wird baburd ange 
leitet, dur das Behalten das Berfteben und nicht — wie es fein fol — 
durch's DVerfteben das Behalten zu lernen.‘ **) 

24. „Die Art wie im Anfang des 16. Jahrhunderts (und noch 
weiter bin) die Negelvetri behandelt wird, if der vollftändigfie Mechanis⸗ 
mus, der indeſſen feine Entihuldigung in der damaligen Entwidelungsftufe 
der ganzen Rechenkunſt findet, wo es fi zunädhft nur barum handelte, 
dem Lernenden bie verfchiedenen Operationen in einer feften Form mitzus 
tbeilen, damit er fie könne. Dieſer gefchichtliche Stufengang verdient auch 
jest noch im Unterriht Beachtung. Das Verſtaͤndniß einer Operation 
muß dem Schüler leichter werden, wenn er fie ſchon mit einiger Sicherheit 
ausführen kann, als wenn er das Können und Berfieben zugleih bewäls 
tigen fol.‘ ***) 

25. „Nach den Erfahrungen, welde man beim Unterrichte macht, 
iR e8 befier, die Schüler das Ausziehen der Eubilwurzel zuerft auf rein 


*) Kehr, a. a. O. S. IX, 
e) Foßler, a. a. O. ©. VI 

”) Wildermuth, Anleitung zum Rechnen von Huswirt, Tübingen 
1866. ©. 47. Ueberhaupt war man im 16., und wir kdanen hinzufehen, im 
17. und großen Theile noch im 18. Jahrhundert vollfländig von ber äußeren 
Form abhängig. — Hierbei werben dem Leſer vielleicht folgende Notizen nicht 
unangenehm fein: 1) „Die Anzahl der Species iſt in der alten Arithmetif 
veränderlich geweſen. Böpping bemerkt in feinem Rechenbüchlein, Braunſchweig 
CIODCXIE: „Algorithmus iſt eine Lehre, fo da in fich ſchleuſt die Praecepta 
vü Species fo zum Rechnen gehörig: viz werben berojelben von etlichen fteben, 
als erirn, Addirn, Subtrahirn, Duplirn, Mebirn, Multiplicirn, Divibirm ; 
von etlichen ſechs, als Numerirn, Addirn, Subtrahirn, Multiplicirn, Divibirn, 
Brogredirn: von etlichen fünff, ale Numerirm, Addirn, Subtrahirn, Multipli- 
cirn, Divibirn: an eglidhen recht und wol nur vir gezelet, ba benn das Rume- 
rien, da allbier wie in gegenmwärtigem Büchlein ein Eingang und Anfang ber 
Specierü wird ‚gehalten vnd angeſehen.“ &. 40. — Ueber ben Yusbrud 
„Species fchreibt mir Here Profefior Wildermuth: „In ben arithmetiſchen 
Schriften des eigentlichen Mittelalters wie in bem Abacus bes Boethius, des Berbert 
u. a. dann in ben Algorithmen bee 12.— 15. Jahrh. namentlich des Beurbach, erinnere 
ih mid nicht das Wort Species getroffen zu haben. Dagegen findet es fich in bem 
Kractat von Huswirt gleich anf ber erfien Seite: ‚in quorum primo novem Arith- 
metice species de integris cum tribus probis cuilibet ipsarum applicatis 
pertractabimus (1501)‘. Ein Algorithmus aus berfelben Zeit heißt die Rechnungs» 
arten nad) passiones. ferner habe ich das Wort Species bei Riefe in einer Aus» 
gabe feiner Rechentunft vom Jahr 1544, bei Glareanus, de sex Arithmeticae 
ieae iebus 1554; bei Metius 1611: species numerationis sunt 
quattuor: Additio, Subtractio, Multiplicatio, Divisio. Bon biefer Zeit an 
wird ber Gebrauch bes Worte® immer allgemeiner, wenn aud bie I ber 
Species ieden angenommen wird. Aus dieſen Thatſachen iſt wohl 
Sicherheit zu ſchließen, daß das Wort Species in feiner jetzigen Bedentung 
nicht Cartefius zurüd zu führen if. Ich halte es für wahricheinfich, daß 











Mathematik. 65 


mehaniihem Wege zu lehren und erft fpäterhin die Grllärung des Ber: 
fabtens folgen zu laſſen. Diejer Weg wird vielleiht mandem jungen Lehrer 
nicht als das rechte erjcheinen wollen; indeß wird es in der Pruris ſich 
bald zeigen, daß es Waller in die Fäſſer der Danaiden gieben heißt, im 
vorliegenden Falle eine Sache erklären und rationell behandeln zu wollen, 
die der Schüler nun doch einmal nicht eher verſteht, bis er fie längere Zeit 
geübt hat.‘ *) 

26. „Ehe mit den eigentlichen Uebungen im Rechnen begonnen wird, 
follten in einigen Borübungen folgende ſechs arithmetifhe Zeichen: ber 
Gleihheit (=), der Addition (++), der Subtraction (—) der Multiplis 
cation (><), der Divifion (:) und die Bedeutung der Null (O0) bei den 
Kindern etwa durch Puncte, Strihe ꝛc. an der Tafel oder dur Borftellen 
gleihartiger koͤrperlicher Gegenftände oder durch Kinder ſelbſt zu einem 
vorläufigen Verſtaͤndniß gebracht werben.“ 


27. „Bei der Auflöfung der einzelnen Rechnungsaufgaben ift es für 
die fihere Begründung und Förderung des Rechenunterrihts von großem 
wejentlihen Nutzen, wenn die Kinder ſtets gehalten und gewöhnt werden, 
die arithmetifchen Zeichen in Worten auszudrüden, ala — ift gleid, + 
mehr oder und, — weniger oder abgezogen, X mal foviel oder 
mal mehr, : mal fo oft enthalten oder mal fo oft meggenommen, O Zei⸗ 
hen des Fehlens.“**) 


28. „Es ift eine alte und traurige Erfahrung, daß die Yortjchritte 
auf der mittleren und höheren Stufe des Rechnens namentlih durch bie 
Unfiherheit in den Elementen fehr beeinträchtigt werden. Das Cinmaleins 
wird wohl bis zu einiger Sicherheit geübt, da dafjelbe bei ver Multiplication 
durhaus unentbehrlih ift, aber der Addition und Subtraction mit ven 
Grundzablen wird nur jelten der gebührende Pla eingeräumt, obwohl dag 
Wiſſen der Summen und Differenzen der Grundzahlen eben jo wichtig ift, 
ald das Willen des Einmaleinfes. Denn es iſt in den höheren Zahlen: 
kreiſen ein ſicheres und fchnelleres Rechnen unmöglih, wenn die Summen 
und Differenzen der Grundzahlen nicht vollftändiges Eigenthum der Schüler 
gemorden find. Ein blofes Addiren- und Subtrabirentönnuen genügt 
nicht.” 

29, „Damit die erworbene Sicherheit und Fertigkeit nicht wieder 
verloren gehe, ift es unbebingt nötbig, Daß möchentlih eine von ben 
Rechenftunden nur der Wiederholung gewidmet fei. Iſt man in diejen 
Diederholungsftunden wieder bei dem Paragraphen angelommen, melder neu 
gelehrt wird, fo beginnt man zum zweiten Male mit 8. 1 2c. Die lebten 


es {Kom vor bem 16. Jahrh. vorlommt, ba bie verſchiedenen Grunboperationen 
Arten von Zahlenverbinbungen find, zu beren Bezeichnung das Wort Species 
nahe lag.” Damit dürfte bie früher (Päd. Jahresb. XVI, 61) angeregte Frage 
erledigt jein unb es bleibt mir nur noch bie Pflicht, Herrn Profefjor Wilder- 
muth für feine Mittbeilung zu banlen. 
*) Kehr, a. a. O. ©. 141. 
»® Bobamer, Aufgaben zum practiiden Rechnen. Biberach 1864. Vorwort 
orb. 


Päd, Jahesbericht. XIX. 5 





66 Mathematik. 


Wochen eines jeden Semefterd verwende man zu einer großen Wieder: 
bolung.”*) 

30. „Die Schüler müflen im erften Jahre vorzugsmeife durch das 
Bifferfchreiben beihäftigt werden. Das Schreiben der Ziffern erfordert 
‚ wegen ber Schwierigleit derjelben nicht geringe Uebung. Man beachte dabei 
folgende Gruppirung 

1,7, 4, — 0, 6, 9, — 2, 3, 5, 8. 


Etwa nah einem Pierteljahre, wenn die Schüler alle Ziffern auf ber 
Schiefertafel ſchreiben können, laſſe man biefelben nun auch in einem 
Mechenbefte als häusliche Arbeiten fchreiben, wobei fi) der Lehrer der Mühe 
des Vorſchreibens aber nicht entziehen darf.“**) 

31. Die Einübung des inmaleinfes erfordert viel Fleiß. Man 
übe daflelbe nachdem es auf: und abwärts in gewöhnlicher Reihenfolge 
feft eingeprägt worben ift noch in folgender Weije: 

1.2,3.2,5.23,....9.2,11.2 
2) 2.2,4.2,6.2,....10.2,12.2 
8) 2 in 2,2 in 6, 2 in 8, 2, in 10 ꝛc. ***) 


82. Der Zweiſatz verbient feine Stelle im Recdenunterriht aus 
folgenden Gründen: 1) Der Zweiſaß fchließt fih unmittelbarer als jede 
andere Rechnungsart an das mündliche Rechnen an, 2) der Zweiſaz leiftet 
dein mechaniſchen Rechnen keinen Vorſchub, — ohne Ueberlegung kann der 
Schüler die Aufgaben nad dem Zweijaß nicht berechnen, 3) ver Zweiſatz 
fest feine abftracten arithmetiſchen Wahrheiten, fondern nur die Kenntniß 
einfacher Lebensverhältnifie voraus. 


33. MWebrigens kann nit gewünfht werben, daß. man den Porpor: 
tfionaljag ganz aus unjern Schulen verbränge. Dieſe alte, von unfern 
Vätern ererbte Form giebt im Bergleih mit dem Bmeilag nit nur eine 
fürzere Rechnung, fondern fie gewährt auch im Allgemeinen wegen ihrer 
ſehr beftimmten Regeln den wichtigen Vortheil großer Sicherheit. T) 

34. Die Buchführung ift mehr Kunft als Theorie⸗Uebung, frühe, 
ftufenweife und längere Uebung führt darin vorzugsmweije zum Innehaben 
und zur rechten Ausführung derjelben. 

Es ift die höchſte Zeit, dab wir die Buhführung in der Schule 
lehren, daß wir den Kindern Gelegenheit geben, ſich in dieſer heiljamen, 
fegengreihen, allgemein nothwendigen Kunſt zu üben. 

Das Spaten des Kindes muß in der Wiege beginnen. Pie Eltern 
beforgen es, jo lange es noch klein il. Später in der Schule beginnt 
feine Selbftftändigleit im Sparen. Aeußerer Zwang ift verwerflihd. Der 
Trieb dazu muß ein innerer fein. Daher nur Anregung. Durd die oft 
gebaltenen Sparbühfen der Kinder zu Haufe mit dem geheimen Thun, das 


·— — 


®) 5 eyger und gel elig, Rechenfibel. Berlin 1866 (Borrebe). 
»e, Ebendaſ. ©. 
“.), Ebendaſ. Börrebe, ’ 

+) Zirvas, Pract. Schulm. XV, 287 ff. 





Mathematik. 67 


blos fih im Auge hat, wird der Selbftfucht gebient, dem Lafter des Geizes 
Vorſchub geleiftet, aljo der Keim zu einem gemeinen Sinn in das finder: 
berz gelegt, ftatt Anregungen zu Tugenden gegeben. 

Das öffentlihe gefelihaftlide Sparen mwedt dagegen den Gemeinfinn. 
Damit fih aber nit ein ebenfo jhlimmer Feind des Menfchenglüds als 
die Gelbftfucht, der Neid, in die Herzen der Kinder einjchleiche, jo muß der 
wöchentliche Sparertrag für Arme und Reiche gleich jein. 

Wer fein Beſitzthum mit eigener Hand erworben hat, wird es jorgs 
fältiger zufammenbhalten, als der, welcher ohne Mühe dazu gekommen ift. 

Betrachten wir das Auffchreiben der Spareinlagen als die Anfänger 
einer Buchführung, und denken wir uns, daß die Kinder vom 12. jahre 
an neben bdiefen Sparbüdelden ein Tagebuch über ihre Ausgaben für 
Schreibbũcher, Federn u. ſ. w. führen, jo wird das nicht nur ein pafjender 
Uebergang, ſondern zugleich eine Gelegenheit, die Kinder angemefien zu 
belehren „über die Koften ihrer Erziehung, von welchen die meiften doch 
keinen Begriff haben. Sollte das nicht zu größerem Fleiße und mehr 
Orbnüung anfpornen. *) 

35. Auch die Vollsfhule muß Algebra treiben.**) 


36. Ein tühtiger Lehrer bedarf bei dem Unterrichte im Rechnen kein 
anderes Hülfsmittel ald Aufgaben, deren Anzahl, Auswahl und Anordnung 
dem Schüler hinreihend Stoff gewährt, auf jeder Stufe des Unterrichts das 
Elernte einzuüben und in allen heilen der gewöhnlichen und kaufmänni:- 
Ihen Arithmetil eine practiihe Kertigleit zu erlangen.***) 

37. Sowie der Schüler zur leichteren Erlernung eines Unterrichts: 
gegenftandes als Hülfsmittel oft eines Buches bedarf, fo bedarf er au ein 
ſolches bei dem arithmetiſchen Unterrichte, um ſich aus demjelben die nöthige 
Belehrung und Auftlärung über die ihm unbelannten Ausbrüde zu ver: 
ſchaffen. +) 

38. In Bezug auf den Inhalt muß ein ausführliches Lehrbuch der 
Algebra Stoff zur Uebung der Denkkraft in völlig binreihender Menge 
bieten, die Nechenkunft zur Auffafiung bringen und Ginzelnes aus dem 
Gebiete der Mathematik 3. B. aus der Geometrie, vielleiht auch aus ver 
Phyfik und Mechanik verarbeiten. Ein foldes Buch muß alſo Mebjfteine 
für die Denkkraft enthalten und eine Schule für die Bildung des Ordnungs⸗ 
finnes und Kunftfinnes jein. 

Gegen diefen Zwed tritt die Hebung der Nechenfertigfeit, jo fern man 
darunter die Gewandtheit im ſchnellen und fiheren Operiren mit Zahlen 
verfteht, ganz in den Hintergrund. Die Nechenfertigkeit muß in der Algebra 
vorausgeſetzt werden. Der Schüler, der fie nicht in binteihendem Maße 
befist, der thut wohl, fie ſich erit anzueignen, ehe er an die Algebra gebt; 


Wahl, Pract. Schumann XV, ©. 305 fi. 
„) Davids a. a. O. ©. VL 
m, De gb use, Aufgaben und Anleitung zum jchriftlichen Rechnen. New-Mort 
1866. ©. 
1) oßier a. a. O. ©. VI. * 


68 Mathematif, 


denn ohne dieſe Yertigleit wird er niemals auch nur eine mittelmäßige Stufe 
in der Algebra erreihen; er wird niemal® Sinn und Berftändniß für 
algebraiſche Erempel erlangen; vergebens wird der Lehrer fih abmühen, 
ihn in den Geift der Algebra hinein zu führen und vergebens ihm bie 
Schönheiten der algebraiihen Entwidelungen zu erjhließen ſuchen. Grit 
rehnen und dann mehr und mehr mit Verſtand rechnen. Dies ift der 
Meg, auf dem man Erfolge erzielt und es bis zur Rechenkunſt bringt. *) 

39. Die Darftellung muß einfach, anfhaulid, gründlich und 
mannigfaltig fein. Iſt fie einfach, fo ift fie beftimmt, ift fie anſchau⸗ 
ih, fo if fie faßlih, ift fie gründlich, fo ift fie belebrend und anregend 
für die Selbfttbätigleit und bildend für die Denlkraft. 

40. „Der Lehrgang bildet einen wichtigen Theil der Methode, deshalb 
muß der Stoff zur Grreihung des Zwedes dem denkenden Schüler eine 
Geift anregende Mannigfaltigleit bieten, die feine Aufmerkſamkeit und 
hätigleit in Anſpruch nimmt; dadurch wird feine Denklraft geübt und 
geihärft und erlangt in feinem Thun nicht allein Selbitftändigfeit, ſondern 
Yertigleit und Eicherheit. Gleihartige Aufgaben, die den Schüler eine 
lange Zeit mit ein und derſelben Nechnungsart befhäftigen, weden feine 
geiftige Thätigleit auf diefer Stufe nicht, ſondern lähmen viefelbe, und er 
wird gleichfam zu einer Mafchine herangebilvet, die bei jeder neuen Aufgabe 
zu ftoden droht und zuletzt auch ftille fteht. Der Schüler fol nit blos 
von Zeit zu Zeit Gelegenheit haben zu denken, fondern fortwährend im 
Denken geübt und fomit an das Denken gewöhnt werben.” **) 

41. „Algebra und Geometrie müflen fo viel wie möglih Hand in 
Hand gehen. Es ift daher höchſt wünſchenswerth, daß auch in der Volks⸗ 
ſchule neben der Algebra etwas Geometrie getrieben wird.‘ ’**) 

42. „Dan halte die Schüler an, den Sinn der Gleihungen bei 
den Aufgaben durch Worte ganz genau darzuftellen. Dan vergefie nicht, 
daß jede Gleichung ein ſprachlicher Sag ift und einen Gedanken enthält.‘ 

43. „Die Beifpiele (aus der Algebra) müfjen, wenn die Entwidelung 
niht allzu ſchwierig ift, foweit eingeübt werben, daß der Schüler bie 
Auflöfung aus dem Kopfe vorzutragen im Stande ift, das ift nicht eine 
Gedächtnißübung, fondern die Probe der vollftändigen Auffaſſung.“ 

44. „Man balte bei den Mrbeiten der Schüler auf die größte 
Sauberleit, Accuratefle und Correctheit im Anja und in der Uusrechnung. 
Die Tafel muß rein, der Griffel pi gehalten werben; die Gleichheitdzeichen 
müfjen in der Regel gerade unter einander fteben. Ob ein Schüler etwas 
in der Algebra zu leiften vermag oder nicht, ob er feine Arbeit mit Ber: 
ſtaͤndniß gemacht oder vielleicht nur abgejchrieben bat, beurtbeilt ein geübter 
Lehrer meiftens ſchon durd) einen Blid auf die Arbeit des Schülers, Man 
laſſe nach Auswahl einfchreiben.‘’ +) 


*) Davids a. a. O. ©. VL 

“.) Foßler a. a. O. II. S. II. V. VI. 
”) Davids a. a. O. S. VII. 

+) Ebendaſ. S. IX. 


Mathematik. 69 


45. „Das Wftracte muß ftet3, jo lange ver Schüler mit dem Geifte 
ver Algebra noch nit völlig vertraut ift, an concreten Fällen, an Zahlen: 
beiipielen zur Deutlichleit gebracht werben.‘ *) 

46. „Man lafie ven Schüler, wenn er zu den Gleihungen kommt, 
ih von der MWichtigleit des Facits durch die Probe überzeugen. Auch 
diefes ift zu beachten, wenn er dahin gebradht werben joll, die Anfäße 
jelbft zu bilden. Durch das Probemahen wird der Schüler veranlaßt, ſich 
in daS Crempel bineinzubenlen ; er fommt dann in der Negel ohne weitere 
Hülfe auf den rechten Sinn der Aufgabe und auf den Weg zur Löfung; 
endlich bat er hierin ein Mittel, feine Rechnung zu controliven und etwaige 
Fehler jelbft aufzufinden.‘‘ **) 

47. „Mit den Proben mahen ſich die alten Rechenmeiſter viel zu 
ſchaffen, während man fie jetzt vielleicht zuviel vernachläſſigt.“***) 

48. „Cs genügt für die Techniker nicht, die Methoden des algebrai: 
hen Rechnens aufzuftellen und nothdürftig zu begründen. Mag der Mangel 
an Zeit für diejes Lehrfah es in manchen Fällen entihuldigen, daß fich 
der Lehrer mit der Yertigleit feiner Schüler im algebraifhen Rechnen be: 
gnügen muß, gebilligt Tann der Schematismus fo wenig von allgemein 
divactiihem Standpunkte aus, als deshalb werben, meil die jublimeren 
Iheile der Arithmetik einem ſolchen Schüler entweder ganz unverſtändlich 
bleiben oder doch eine unfruchtbare, todte Maſſe in feinem Willen aus- 
machen. Sol die Arithmetil, der Mittelpuntt der Größenlehre, Frucht 
bringen umd ein jicheres Fundament für die Mathematik abgeben, ſo muß 
die Behandlung derſelben eine weſentlich kritiſche ſein.“P) 


D. Geometrie 


49. „Die Schule ſoll eine Borbereitungsanftalt für das Leben fein. 
Diefer Forderung gegenüber können wir aber der Wahrnehmung uns nicht 
verichließen, daß die Schule in manden Stüden ihrem Berufe noch nicht 
genügt, wie e3 das practiiche Bebürfniß erfordert. Dies gilt in ver Volks⸗ 
ihule befonders von der Naumlehre und vom Zeichnen. 

Mas wird noch in vielen Stadtjchulen unter der Firma „Formenlehre“ 
getrieben! Beſten Falls tractirt man trodne Definitionen über mathematifche 
Figuren und Körper, jpriht auch wohl von Tetraever, Dodekaeder ꝛc. ober 
man verfolgt einen ſyſtematiſchen Lehrgang der ebenen Geometrie und 
glaubt, der Schule die Krone aufgejeßt zu haben, wenn man einen Bruch 
theil der Oberclafje bis zum Pythagoras gejchleppt bat, um dann auf vers 
dienten Lorbeeren zu ruhen. Was die Schüler ſpäter mit den halb oder 
gar nicht verflandenen Lehrfäßen beginnen follen, daß ihnen der gelehrte 
Kam für das Leben ein ganz unnüßer Ballaft, in der Schule aber eine 


*) Davids a. a. O. ©. X, 
“s, Ebendaſ. S. IX. 
. Wildermutba. aD. ©. 4 
f) Biede, Arithmetit Leipzig 1866. 6 II. 


70 Mathematik. 


unverantwortlihe Zeitverſchwendung ift — daran wird im gelehrten Eifer 
nit gedacht.‘ *) 

50. „Selten, daß eine Stadtſchule durch Grunbrißübungen und felbit- 
ftändige Gonftruction mathematifcher und anderer Figuren ihre Schüler zu 
dem nothwendigen Gebrauh von Lineal, Zirkel und Wintelmaß anleitet, 
und ſchon manch ehrſamer Meifter war höchlich erftaunt, wenn fein Lehr⸗ 
burſche nicht einmal einen rechten Winkel zu zeichnen verftand.” 

„Man verwendet die gute Zeit auf das Angenehme und meint durch 
Eopiren von Blumen: und Lanbjchaftsftüden wie Auge und Hand, fo den 
äfthetiſchen Sinn zu bilden, verabjäumt aber darüber das unbebingt Notb: 
wendige, das jeder Schüler aus der Schule in's Leben mitbringen fol, 
zumal in einer Zeit, mo die Induſtrie erftaunliche Fortſchritte macht und 
daher ne an den geringften Handwerker größere Anforderungen ftellt, denn 
früher.’ ** 

51. „Auf eine vollftändige Vorbereitung des ganzen geometrischen 
Lehrſtoffs könnte fih die frühere Formenlehre nicht einlaflen, weil fie, auf 
einer Ginfeitigleit fußend, obnmädtig war. Sie übte wohl viejenige 
Aeußerung des Geijtes, die mit dem Namen Anjhauungsvermögen bezeichnet 
wird, aber alle anderen Kräfte, die bei der ftrengen Geometrie zur ‚Anwen: 
dung kommen müſſen, blieben faſt ganz ungeübt; fie vermochte deshalb auch 
nicht die Brüde an der Propäbeutif zur Geometrie zu ſchlagen und muthete 
den Echülern immer noch den großen Sprung aus der tänbelnden 
Spielerei in die ftreng mathematische Abftraction zu. Cine wahre Propäs 
beutif darf nicht mit Abftractionen anfangen, fie muß vielmehr Schritt für 
Schritt von dem Concreten ausgehend an alle die Abfiractionen gewöhnen, 
welde die Geometrie fpäter verlangt; fie darf den Schüler nicht blos mit 
trodenen Definitionen abfpeijen, fie muß ihm auch das Weſentlichſte von 
den in Grundjägen und Sätzen ausgeſprochenen geometriichen Wahrheiten 
barbieten; fie muß ihn auch mit den wichtigſten geometriihen Aufgaben 
und deren Löfungen befannt machen, und ihn endlich nod in den geo: 
metrijchen Beweis jo einführen, daß derſelbe in feiner ftreng mathematifchen 
Faſſung in Wirklichkeit vorbereitet ift; fie muß mit einem Worte ganz 
allmälig fo in die Geometrie felbft übergehen, dab man gar nit fagen 
fann, wo die Propädeutik aufhört und die Geometrie beginnt.‘ ***) 

52. „Conftructionsaufgaben regen den Schüler an durch Combinationen 
ber verjchiedenen Linien im Entwurf von Zeichnungen fi zu üben und fo 
ſelbſt ſchaffend aufzutreten, eine Uebung, die dem Schüler nicht nur viel 
Freude bereitet, jondern ihn auch rege und friſch erhält, da er wirklich 
geijtig mit der Zeichnung beichäftigt it. Selbſt einfache Bauernkinder leiften 
in folhen Zeichnungen oft Erftaunliches, zumal, wenn man fie anleitet, 
einzelne Bartieen ver Zeichnung in ſymmetriſcher Ordnung durch Schraffirung 
bervortreten zu maden, woburh Auge, Hand und Schoͤnheitsſinn ungleid, 
mehr gebildet werben, als durch Sarricaturzeihnungen nach Vorlegeblättern.““+) 


*) Lieſe, Die Ruumiehre in ber Volksſchule. Berlin 1866. S. III. 
#*%*) Ebenbaf, & IV. V 
”*) Falke a. a D. S. 10. 

P) Lieſe a. a. O. S. VII. VIII. 





Mathematik. 71 


53. Die ſtigmographiſche Methode beruht darauf, daß die Grund⸗ 
Inge der geometrijhen Gebilde durch ein Syſtem von Puncten, deren je 
4,9, 16 ıc. um ein Punct berumliegend die Eden eines Quadrats dars 
fellen, gegeben wird. — „Der erite Vortheil der ſtigmographiſchen Methode 
beſteht darin, daß man nad der quabratiihen Punctitellung die in ben 
Glementen der Geometrie vorlommenden Raumformen und Raum: 
größen dDarftellen fann und zwar nit nur Linien, Winkel und 
Flaͤchen, ſondern auch Körper, infofern man darnach Körpernebe entwerfen 
und geometrifhe Körper perfpectivifch zeichnen kann. —“ 

54 „Die nah der ftigmographiihen Methode vargeftellten Raum: 
größen haben die größtmögliche Beſtimmtheit.“ 

55. „Die nah der ftigmographifhen Methode erreichbare große 
Beftimmtheit geometrifcher Gebilde, maht es möglih, fie nah Maß und 
Zahl zu bezeichnen.” *) 

56. „Die nah Puncten vargeftellten geometriſchen Gebilde laſſen 
einerfeitö eine leihte Zerlegung derjelben in ihre Beſtandtheile zu 
und anderntheils lafien fih aus beftimmten geometrifhen Figuren bie 
mannigfaltigfien Combinationen ausführen, worauf ein großer Theil der 
BYeweife beruht.“ 

57. „Die Bunctftellung feßt uns in den Stand, bie geometriſchen 
Gebilde mit größter Leichtigkeit darzuftellen.” 

58. „Der geringe Zeitaufwand, die fligmographiihe Dars 
Rellungen geometrifcher Figuren erfordern, geftattet deſto mehr Zeit zur 
Betrachtung und Beiprehung des Dargeftellten, und durch Verminderung 
der zeitraubenden mechaniſchen Arbeit wird fi bie Berftandesthätigfeit um 
jo freier und leichter der geometriihen Gebilde bemädhtigen.” 

59. Die große Beltimmtheit ſtigmographiſcher Darftellungen macht 
bie größtmögliche dur kein anderes Mittel jo erreichbare Deutlichkeit 
und FZaßlichleit des Unterrichts möglich.‘ **) 

60. „Die ſtigmographiſche Methode bietet nah Form, Maß und 
Zahl genau beftimmte Anjhauungen dar, bei denen eine enge 
Verbindung des Rechnens mit dem Zeichnen ausführbar ift, jo daß fi die 
Schüler von der Nichtigkeit der vorgetragenen geometriſchen Säbe gleich 
zatig dur Anſchauung, Berechnung und Zeichnung überzeugen und das 
auf diefe Weiſe Erlernte ihrem Berftand und Gedähtniß leiht einprägen 
können.” | 

61. „Die regelmäßige, dem Auge angenehme und dem Berftande 
zuſagende Stellung der Buncte ift ein wirkſames Mittel, die Aufmert: 
ſamkeit der Schüler anzuregen und feſtzuhalten.“ 

62. „Dur die Puncte geleitet ift es dem Schüler möglih, das 
leiht, ſchnell und richtig abzuftellen, was er ohne dieſes Hülfs⸗ 
mittel in ben meiften Fällen minder genau, immer aber nur mit größerer 
Mühe und größerem Beitaufwande zu Stanbe gebracht hätte.” 


* 8 illard, Geometriſche Tafeln für den Elementarunterricht. Wien 
—2 Ebenbaf. ©. 10. 





172 Mathematit. 


63. „Wie fehr das leichte Gelingen geometrifher Darftelungen und 
mannigfaltiger Combinationen die Freude am Lernen beförbert, ben 
Grfindungsgeift anregt, und die Liebe zu dem fonft fo troden= 
iheinenden geometrifhen Unterridhte erhöht, darüber liegen 
mehrjährige Erfahrungen vor. 

64. „Nicht zu unterfhägen ift die Ausbildung, welde das Augen: 
maß und die Handfertigteit des Schülerd durd das ftigmographifche 
Beichnen erhält, welches keines wegs eine mechaniſche, fondern eine 
fortwährend vom Berftande geleitete Thätigkeit ift, indem die Auswahl ber 
zu benügenden Puncte, die Beurtheilung ihres Abftandes, die verfchiedenen 
möglihen Verbindungen derjelben ein fortwährendes Nachdenken erfordern, 
ohne welches die Anmendung der ftigmographiihen Methode ganz unmög- 
lich iſt.“ 

65. „Die Leichtigkeit, geometriſche Wahrbeiten zu veranſchaulichen, 
zu erklären und vielſeitig anzuwenden, kann dazu beitragen, die Geo⸗ 
metrie mittelſt der Stigmographie allmälig zu einem Gegenftande des 
allgemeinen Vollsunterrihts zu maden.”*) 

66. „Dankbar muß der Erfinder der ftigmographifhen Methode bie 
bobe Einficht der oberften Unterrichtsbehörde Oeſterreichs preifen, welche ſchon 
im Jahre 1852 der ftigmographiihen Methode an den Eymnaſien beim 
geometriihen Anſchauungsunterrichte den Cingang geftattet bat, an ber 
Ueberzeugung von ihrer Nüslichkeit fefthält und die Ausarbeitung neuer 
ftigmographifcher Tafeln veranlaßte, troß dem Widerſtreben mächtiger Gegner, 
deren gegen dieſe Methode vorgebrahte Einwürfe entweder auf Unlenntniß 
oder auf Mißverftändniß derjelben beruhen, und die um fo weniger Gewidt 
baben, als fie ihre Widerlegung in der immer weitern Verbreitung ber 
fligmographifhen Methode und in der Zuftimmung pädagogiiher Autoritäten 
finden, melde fih mit Geometrie und geometriihem Unterrite nit nur 
nebenbei befaflen.‘‘ **) 

67. „Das Wejen der Propädeutik der Geometrie muß zugleih in 
Anſchauung und Arbeit gefucht werden, und ber gegenfeitigen Durchdringung 
beider Principien wird man gerecht geworben fein, wenn auf das Banner 
der Methode die thätige Anfhauung gejhrieben wird. Der Päbas 
gog hat fih demnah ganz befonderd und zunädft an den Willen zu 
wenden.‘ ***) 

68. „Im Gebiete des reinen Denkens herrſcht nur bie logiſche Noth⸗ 
wendigkeit, im Gebiete des Handels aber, alfo aud bei jeder Echulthätigleit 
des Knaben, außer jener auh nobh die Zwedmäßigfeit. Hiermit ift 
ein deutlicher Fingerzeig gegeben, was vor allen Dingen der Methodologie 
Noth thut, wenn fie den freien Willen in Spannung verjeßen und darin 
erhalten will, immer den Zwed burhbliden laſſen, immer das Ziel vor 
Augen ſiellen, auf das losgefteuert werden fol. Auf folhe Art wird der 
Pädagogik das Interejje dienftbar gemacht, und zwar muß ber borangeftellte 


*) Hillard, S. 11. 
*r) Ebendaſ. ©. 12. 
vr.) Falke a. a. O. ©. 12. 





Mathematik. 13 


gwed das Intereſſe aufftaheln, fo daß fih jene Willensacte, welde man 
Verſiand nennt, von felbft ohne äußere Nöthigung volljiehen. Man darf 
demnach dreift das PBaradoron aufftellen: „zu der trodenen Mathe: 
matil gebört noh mehr Gemüth als Verftand.”*) 

69. ‚Im gewöhnlichen Leben verwechſelt man bekanntlich fehr oft 
bie beiden Begriffe ded Grundes und des Zwedes, und leider find dieſelben 
ah in den eracteften Wiſſenſchaften jehr oft nicht auseinander gebalten 
worden. Es fei 3. B. eine Gleihung gegeben, aus der die Unbekannte 
beftimmt werben foll; man darf auf beiden Seiten die oder jene Zahl 
addiren, man darf auf ähnliche Weife mit den verfchievenfien Zahlen bie 
und jene Operation vornehmen, man Tann dieſe Ummanblungen in das 
Millionenfahe häufen, und wird doch unter Umftänden nie dazu kommen, 
x anf einer Seite allein zu haben. Zu dieſem Zmede bringt man bie eine 
oder die andere Zahl auf die andere Seite, denn nah dem Grundjaße 
oder na dem Saße gilt Dies oder Jenes. Alfo auch an dieſem Beilpiele 
zigt fih, daß den mathematifhen Unterricht vorerft das Princip des Zwedes 
beherrſchen muß; erft in zweiter Linie fpielt auch das Princip des Grundes 
eine Rolle. Deshalb ift auch immer ſchon viel gemonnen gewefen, wenn 
die ſtarren Euklid'ſchen Sätze in Aufgaben verwandelt wurden, deren Löfun- 
gen dann aber wieder nicht in der funthetiihen Manier Eukliv’s, fondern 
auf analytiſchem Wege gegeben werden müßten.‘ 

„Aber aud, wenn man fi auf diefen Standpunct geftellt hat, Tann 
immer noch fehl gegriffen werden, Man gebe einem Schüler die Aufgabe, 
ein Dreied in ein Quadrat zu verwandeln ; er wird dieſelbe wohl mit einem 
gewiſſen Grabe von Intereſſe ausführen, weil der Knabe von Allem, was 
Zeichnen heißt, MWohlgefallen findet. Aber von einem ganz andern euer 
wird der Knabe erfüllt fein, dem diefe Verwandlung niht als ein abs 
fracter, fondern als ein concreter Zweck vorgelegt wird. Man vente 
fd, e8 fei demfelben vom Vater im Garten ein Beet von langgezogener 
dreiediger Form überlafien worden. Mehrere Yahre lang hat er dafjelbe 
mit Blumen bepflanzt und feine Freude darüber gehabt; aber endlich wird 
ihm die Geftalt defielben mit ihren ſpitzen Eden läftig; er möchte gern ein 
anderes Beet von der bequemen quabratifchen Form befiten. Der Vater 
willigt ein, ven Tauſch vorzunehmen, und überläßt es ihm, fi) anderswo 
ein quabratifches Beet von derjelben Größe abzumefien. Den Knaben 
braucht nun Niemand zur Löfung diefer geometriihen Aufgabe zu zwingen. 
Es tritt im ihm jene Unruhe ein, die ihn nicht eher vaften läßt, als bis er 
die Löfung gefunden.” ' 

„Aus diefem Beifpiele wird Mar, dab man wirklih einen abftracten 
und einen concreten Zmed zu unterfcheiden bat, und daß die concreten 
Zwede aus der Sphäre des practifchen Lebens zu entnehmen find. für bie 
Propädeutit der Geometrie aber ergiebt fih nun enblih der Grundjaß: 
Zie Aufmerkſamkeit und der gute Wille der Schüler ift 
niht durch eine gezeihnete oder förperlihe Figur zu feſſeln, 
jondern durch Aufgaben des practifhen Lebend. Diejelben 


*) Falte a. a. O. ©. 13. 


74 Mathematik. 


müſſen aber fo beſchaffen fein, daß I) in pen Schülern jenes 
unrubige Intereſſe erwedt wird, das der Willenskraft 
immer wieder neue Anftöße ertbeilt und unaufbaltjam zum 
Biele eilt; und fie müffen 2) derartig fein, daß das Biel 
jelber eine geometrifhe Wahrheit ift, oder wenigſtens 
unmittelbar auf’ eine folde binleitet.“ 

„Eine folhe Thätigleit, die mit wirklichen Gegenftänden 
bandtirt, ift aber ganz gewiß, wie es verlangt wurde, eine thätige 
Anfhauung; und da fie vom Intereſſe getragen wird, baben wir in 
einem folden pädagogiſchen Verfahren wirklich jene brei Principien in 
gegenjeitiger Durchdringung vereinigt. Zu gleicher Zeit iſt aber auch dem 
ſeeliſchen Beduͤrfniſſe Rechnung getragen, welches in dem pſychologiſchen 
Erfahrungsſatze ausgeſprochen wird: Die Seele ſuche ſich aus einem anges 
borenen Naturtriebe eine geiftige Thätigleit dadurch zu erleihtern, daß fie 
fih in eine körperlihe Thätigleit bineinphantafirt.‘‘ *) 

70. Deshalb muß die Geometrie auf Aufgaben aus ber Beopälie 
gegründet werben. Den Cinwänden wird burd Folgendes begegnet: „Die 
alten Aegypter baben nah den alljährlihen Nilüberſchwemmungen ihre 
Aecker jedesmal wieder abgetheilt, noch ehe ein gelehrter Profefior den Gab 
entdedt batte, daß Parallelogramme auf derfelben Grundlinie und zwiſchen 
denjelben Parallelen einander gleich find. Diefer Sag ift gerade draußen 
auf dem Felde nicht von gelehrten Herren, ſondern von ſchlichten Landwir 
then im Drange der Verhältnifie entvedt worden. Warum follten ihn 
nicht auch unfere Schüler unter äbnlihen, wenn auch nur fingirten Um: 
fänden wiederfinden fünnen, falls fie nur auf bie rechte Weile angeleitet 
werden? Glüdlicherweije bietet auch die Natur noch einen vortbeilbaften 
Antnüpfungspunc dar: Kinder fpielen gern, und ihre liebiten Spiele be 
ſtehen meiftentheild in der Nachahmung von Geſchaͤften der Erwachſenen, 
und ſonach bat man gar nicht zu fürdten, das kindliche Intereſſe könne 
nit für die Probleme begeiftert werden, welche gereifte Maͤnner gefunden 
und gelöft haben.‘ **) 

71. „In der Schule darf die Theorie nit um der Praris willen 
betrieben werden, vielmehr muß man bie Praris um ber Theorie willen 
betreiben.‘ ***) 

72. „Dem Rinde ift nit mit dem Spiele gedient, bei dem es ſich 
nur in die Rolle eines Erwachſenen hineinzudenken bat, ed will bie 
jelbe vielmehr in eigener Perjon durchführen. Daher wird ihm das Feld⸗ 
mefjerjpiel eine größere Illuſion gewähren, wenn es felber auf dem Felde 
ſteht und fih an den Problemen des gereiften Mannes verfuht. Und bier 
‘wird ed nach Meßfette und Meßtiſch verlangen ꝛc.“ +) 

73. „Da die Geometrie nicht blos eine Wiſſenſchaft, ſondern auch 
eine Kunft ift, fo bietet fie für die methodiſche Behandlung im Unterrichte 


#* Kalle a. a. O. ©. 14—16. 
bendaſ. ©. 16. 17. 
se) Ebendaſ. ©. 18. 
+) Ebendaſ. S. 24. 





Mathematik. 75 


zwei verfhiedene Wege dar, je nachdem man den bemonftrativen ober den 
conftructiven Theil mehr in den Vordergrund treten läßt. Der lebtere Weg 
empfiehlt” ſich in fofern, als er geringere Anfprüdhe an das Abftractionsver: 
mögen macht, und bietet auf ber andern Seite gleih von vornherein für 
die Anſchauung des Anfängers eine reale Grundlage. Er wirb fi überall 
mit Nugen einſchlagen lafien, wo die Verhältnifje den Lehrer nötbigen, 
mit forgfamer Bermeidung aller Ummege gerade auf fein Ziel loszufteuern: 
den Schüler zu felbftftändiger Auflöfung geometrifher Aufgaben und zur 
Ausführung der nothwendigften Conftructionen zu befähigen.‘ *) 

74. „Das Intereſſe an der Mathematik bei den Schülern fängt an 
eigentlich erft allgemein zu werden, wenn fie die ebene Zrigonometrie inne 
haben. Der Grund bierfür mag in ver ſcharfen Löfung einer großen Anzahl 
practifcher Aufgaben zu fuchen fein. Wenn nun fhon dieje einfachen Dinge 
im Stande find, das Intereſſe zu erregen, wie viel mehr müflen es dann 
die Aufgaben fein, welche mit Hülfe der ſphäriſchen Zrigonometrie aus der 
Nautik, Stereometrie, Geodäfie und Aftronomie gelöft werden können! — 
Diefe Aufgaben zeigen fo recht eigentlih, welcher Werth der Mathematik 
ald allgemeines Bildungsmittel zulommt, da fie Aufihluß geben über Dinge, 
mit denen jeder Gebildete belannt fein follte, und melde ohne fphärifche 
Irigonometrie nie vollftändig Mar gemacht werben können.‘ **) 


‘ 


Litera.tur. 
I. Arithmetik. 


1. Wandtafeln. 


I. Wandrechentafeln. Ein Lehrmittel für die erſten Stufen des Rechenunter- 
rihts von A. Böhme, orbentlihem Lehrer an dem konigl. Lehrerinnen« 
Seminar unb der Auguſta⸗Schule in Berlin. Dreizehn Tafeln ıc. 3. Aufl. 
Berlin, ©. W. F. Müller. 1 Thlr. 


Schon bei der Anzeige der vorigen Auflage (XI, S. 204) mußte bie 
Yelhreibung der Tafeln weggelaflen werben, meil fie zu viel Raum in 
Anfpruc genommen haben würde. Daß die Tafeln mit Vortheil gebraudt 
werden Eönnen ift zweifellos, allein ein genaueres Urtheil a priori zu 
fellen dürfte gewagt fein. Jedenfalls wird der Lehrer, welcher die Tafeln 
benugen will, am Sicherften geben, wenn er die Rechenwerke des Heraus⸗ 
gebers zu Rathe zieht. Bei erfter Einführung giebt vie Verlagshand⸗ 
kung bei Bezug in Partieen gegen baare Zahlung von wenigftens 3 Thlrn. 
vie Hälfte des baar Eingeſandten in Rechenbüchern nad) dem Ladenpreife 
als Zugabe. 


”, Böllen, Lehrbuch ber Geometrie. Stuttgart 1866. Borrede. 
 REfe, Sphärifche Trigonometrie. Wismar 1867. Borrede. 





76 Mathematik. 


2. Rehenbüder. 


2. Rechenfibel für Schule und Hans von W. Heyger, Schulvorfteher in Ber- 
lin, und A. Kafeliß, Lehrer in Berlin. Berlin 1866. . Verlag der König- 
ſtädt'ſchen Schulbuchhandlung: Rechenbuch für Volksihulen: 1. Heft. Die 
Operationen mit den Grundzahlen in allmählig erweiterten Zablenkreifen. 
1. Abth. Die Zahlen von 6 bis 12. 2. Abth. Die Zahlen von 6 bis 12. 
20 ©. 14 Sgr. 2. Heft. Die vier Grundredhnungsarten nebft Refolviren, 
Rebuciren, Regelbetri, algebraiſchen Aufgaben und ganz leichten Aufgaben 
ans der Zinsrehnung in allmäblig erweiterten Zahlenkreifen: 1. Abth. 
Erweiterung des Zahlenkreiſes bis 500. 28 S. 24 Sgr. 2. Abth. Erweiterung 
bes Zahlenkreijes bis 1000. S. 29—56. 2 Ger. 


Die Schüler follen nad der Abfiht der Verfafler „die Durchgenommenen 
Mebungen zu Haufe an den Bildern münblich wiederholen und feit ein⸗ 
üben.” Dabei hoffen fie fiher, daß die Schwachen Schüler, deren es im 
Rechnen, namentlid auf der allererften Stufe, leider oft nicht wenige gebe, 
zu Haufe dur Hülfe diefer Yibel auch für das Rechnen eine ganz geeignete 
Unterftügung finden werben. 

Im Allgemeinen ift der Gang durch den Titel charalterifirt, die Aus: 
führung der einzelnen Abfchnitte iſt jedoch eine eigenthümlihe. In ver 
Fibel werden die Zahlen 1 bis 5 durdgenommen, aber nicht nad der 
Grube'ſchen Methode behandelt, fondern e3 wird das Zählen bis 10 voraus: 
gefeßt und die Zahl 1 mit den übrigen Zahlen fo verbunden, daß bie 
Rejultate nicht über 10 hinausgehen. Ebenſo wird mit 2, 3, 4, 5 ver: 
fahren, aber vergeftalt, daß der Zahlenkreis bei 3 bis 15, bei 4 bis 20 
und bei 5 bis 25 erweitert wird. 

J, 1 liegt nidht vor; aber man kann die Anlage dieſes Heftes leicht 
rudwärts conftruiren. Es wird nämlih ald Borübung gezählt bei 6 bis 
60, bei 7 bis 70, bei 8 bis 80, bei 9 bis 90, bei 10 bis 100, aber 
beziehungsweiſe in den Refultaten bi8 12. 6, 12. 7, 12.8, 12.9, 
12. 10 vorgejcritten. Die Zahl, melde behandelt wird, erſcheint jebes 
Mal als ein in der Aufgabe gejeßtes und wird auf die mannigfaltigfte 
Weiſe mit den übrigen Zahlen vernüpft. Bei der Zahl 9 finden wir 
3. B. folgende Tabellen: 


a—=-1 23,456 789 
10 11 ı2 13 14 15 16 17 18 
19 20 21 
b= 9 10 11 ı2 13 144 15 16 17 
18 19 20 21 2 23 24 25 26 
27 28 29 
oc—= 123 456 789 10 11 12, 
d== 918 27 36 45 54 63 72 81 90 99 108. 
Hieran ſchließen fih folgende Aufgaben über vie Zahl 9: 
1) a +9, 9+a 
2) b—9, 9vnb,b=x-+9,b=9 + x, bumx größer als 
9, 9 um x Meiner als b, Unterfhieb von b und 9 
3) 0.9,0.9+1,.9—1,0.9+23,0.9—2x. 
4),9ind;d:9 





Mathematik. 77 


5) 1 Elle koſtet ce Silbergroſchen, mas Loften 9 Ellen? 

6) 9 Scheffel Loften d Thlr., was koſtet 1 Scheffel? 
Doch find dieſe Aufgaben nicht die einzigen, vielmehr kommen bier noch 
bie Reibenbildungen 


1+-9=10 98 — 9 = 89 

10 +9 = 19 89 — 9 = 80 

19 +9 28 80 —9 = [171 
u. |. w. u. |. w. 


im Yufgabenform vor, fo dann bie Reihen: 
1:9= 9 X 12:9 108 
2.9=18 12.8= 9% 
u. f. m. u. |. mw. 


nebſt algebraifhen Aufgaben. — Nah dem bier in Anwendung gelommenen 
Emtheilungsprincip ift auch das zmeite Heft bearbeitet. „Aus leicht erficht: 
lihen Gründen war es jedoch bier nicht möglich, ebenfo wie in den Grund: 
zoblen zu verfahren; es mußte vielmehr eine andere Gruppirung eintreten. 
Es werben freilich auch bier in jedem Paragraphen die einzelnen Operationen 
neben einander geübt; aber während die Zahlen von 10 bis 100 grup- 
penweife addirt und fubtrahirt werden, mußten die Multiplication und bie 
Divifion und die damit in Verbindung ſtehenden Recdhnungsarten eine 
andere Behandlungsweiſe erfahren. So fallen wir 3. B. die Zahlen von 
30’hi3 AO als gleihartige Zahlen in gewiflem Sinne als eine Zahl auf, 
oddiren und jubtrahiren in nebeneinander im Zahlenkreiſe bis 400 und 
nehmen wir für die Multiplication und Divifion 3 als cortefpondirende | 
Zahl zu den Dreißigern, multipliciren die Zahlen von 1 bis 100 mit 3 
und dividiren die Zahlen von 1 bi3 300 durh 3.” Dies wird hinreichen, 
den von den Berfafiern eingejhlagenen Weg zu charakteriſiren und ihn als | 
der Beachtung empfehlenswerth erjcheinen zu lafjen. 
3. Rechenfibel oder Borfiufe zu den Aufgaben zum Rechnen und bem Rechen- 
buch für Elementarijhulen von U. Bohme, orb. Lehrer an bem Zrigucen 


Lehrerinnen- Seminar und ber Auguſta⸗Schule zu Berlin. ©. W 
Müller. 16 &. 14 Sr. 


„Zahlbilder” und Ziffern, Zerlegung ver Zahlen von 2 bis 10 in 
Puncten, Addition und Subtraction im Zahlenraume von 1 bis 10 in 
Zifferaufgaben mit nur zwei Bahlen, Zählen der Puncte von 1 bis 20, 
erlegen der Zahlen von 11 bis 20 in PBuncten, einfache Aufgaben für 
Addition und Subtraction in diefem Zahlenraume, Bildung von Reiben, 
wobei Addition und Subtraction zwedmäßig verbunden find, Cinmaleing, 
Reihen aufwärts bis 100 und abwärts bis Null, Zu: und Abzählen ver 
bunden, Multiplication in Verbindung mit Addition und Subtraction, Eins 
führung der Brüche, Multiplication und Divifion, Behandlung der Zahlen 
30, 24, 100 und 60, und zwar Berlegung, alljeitige Behandlung und 
Betrachtung derjelben als Währungszahlen mit Verbindung der Brühe und 
alljeitiger Wiederholung. Das der Inhalt des Schriftchens, welches fi | 
begreiflicher Weile eng an das Nechenbuch des Berfaflers anfchlieft. | 











78 Mathematik. 


4. Rechenſibel. Aufgaben für das fchriftliche Rechnen mit ben Zahlen von 1 
bis 100. Herausgegeben von bem Lehrerverein bes Landes Kehbingen. 
Stabe. In Sommilflon bei Fr. Steubel, sen. 1865. 40 ©. 2 ©r. 


Der Reinertrag ift für die Lehrer-Witwen und Waiſen beitimmt. 
Zerfällt in drei Theile: in dem Bahlentreife von 1 bis 10, 1 bis 20, 
1 bis 100. Der erfte enthält Puncte und Ziffern ver Zahlen, einfade 
Additions⸗ und Subtractiondaufgaben, beide gleich verbunden, Zerlegung der 
. Bahlen in Summe und Differenz und in mehr ald zwei Glieder. Der 
zweite Bahlenlreis wird ganz ähnlich behandelt, nur kommen Reiben, das 
Multipliciren und Meflen und die Verbindung aller Operationen hinzu. 
Der dritte Bahlenkreis enthält der Art nad diefelben Aufgaben und außer- 
dem Anwendungen, bejonvers Rejolutionen und Rebuctionen. Den Schluß 
bilden Aufgaben in der gewöhnlihen Form des Anſatzes. Ueberall herrſcht 
das Beltreben, von den kleineren zu den größeren Zahlen fort zu ſchreiten. 


5.. Hulfsbüchlein für die fchriftlihe Beſchäftigung ber Rechenſchüler. Bon 
" 3. Renel, ‚, Seminarlehrer. Berlin, Verlag von Adolph Stubenraudh, 


1 bis 10 Buncte und Kreuze, Ziffern, Berlegung der Bablen von 1 
bis 10 in zwei Summanden durch Puncte, Addition und Subtraction 
(au in der Form des Berlegens), Multipliciren und Pipidiren im Bab: 
Ienkreife bis 10; Aufftelung und Gntwidelung der folgenden Zahlenreihe 
bis 100 durch Addition der Einer zu den Behnern und durch einfaches 
Zählen. Der Gang in biefem weiteren Zablentreife ift dem in dem erfteren 
ganz ähnlich. Die Addition aber bietet zahlreihe Reihen. Ebenſo bie 
Subtraction. Außerdem ift noch die Zerlegung der Zahlen von 1 bis 
100 in ihre Primfactoren zu bemerken. 


6. Rechenfibel ber Moerjer veprer- Gonferen. — Zahlenkreis von 1 bis 100. 
Moers, 1866. 3. W. Spaarmann. 24 ©. 2 Gar. 


Enthält nur Aufgaben in reinen Zahlen, was mir bei der voraus: 
zufeßenden Lejefertigleit ganz richtig erjcheint. Die Aufgaben jelbft ftellen 
faft alle Verbindungen von zwei und drei Zahlen in guter Stufenfolge und 
mannigfaltiger Form dar, und zwar fo, daß die entgegengefeßten Operatio: 
an zugleich auftreten. 


7. Aufgaben für bas practiſche Rechnen zum Gebraud in ben unteren Klafſen 
der Realihulen und in den oberen Klaffen ber Bürgerihulen. Su drei 
concentrijch fi) ermweiternden Kreifen. Herausgegeben von Julius Ruhſam, 
Oberlehrer an ber Realſchule zu Annaberg. Erfter Eurjus. Annaberg, 
Berlag von Rudolph und Dieterici, 1866. 64 ©. 6 Ser. 


„Den Collegium an ver Annaberger Realjhule -bat ſich je länger, 
je lebhafter das Bebürfniß aufgebrängt, wo möglich jede Disciplin in jeder 
Claſſe im Luufe eines Jahres in ihrem ganzen Umfange zu lehren, jo daß 
nah dem Standpuncte der betreffenden Claſſe das für biejelbe geeignete 
aus der Gejammtheit eines IUnterrichtsgegenftandes ausgewählt und zu 
einem relativen Ganzen vereinigt wird. Bebingt wurde biefes Prinzip zus 
nädft durch innere Gründe der Naturgemäßbeit dieſer Methode, unterftüßgt 


Mathematik. 79 


aber durch die äußere Thatfahe, daß die Mehrzahl der Schüler bereits 
aus den untern Elafien in’s practifche Leben übergeht. Bei ver gewöhn- 
lihen Methode kam es vor, daß die jungen Schüler, die aus einer ber 
unterftien Clafien abgingen, oft nur einige Rechnungsarten gelernt hatten, 
während ihnen andere, in ber Praxis häufig vorlommende, auch in ben 
einfachften Bahlenverhältnifien fremd geblieben waren.” Damit motivirt 
der Verf. feine Arbeit. Da wir den Gedanten, welcher bier ausgeſprochen 
und ausgeführt wird, bereits (Päd. Yahresb. XVII S. 77, 79, 84, 9, 
92) dargelegt haben, fo haben wir hier nur die Aufgaben felbft näher zu 
betrachten. 

Dem leitenden Gedanken zufolge werden die drei „Curſe“ im Weſent⸗ 
lihen viefelben Gegenftände behandeln, und fih nur duch das Minder 
oder Mehr, das Leichtere oder Schwerere unterfcheiden. Daher würde bie 
Beurtheilung weſentlich erleichtert werden, wenn alle drei Curſe vorlägen. 
Der erfte bietet na den Vorübungen: 1) die reinen Species mit unbes 
nonnten Zahlen, 2) das Rechnen mit Decimalen, 3) die gemeine Brud: 
tehnung, 4) Rehnungsarten mit mebrfortigen Zahlen, 5) Berechnung durch 
Shlüfie auf die Ginheit, 6) Gewinn⸗, Berluft: und Procentrechnung, 
7) Binsrehnung, 8) Rabatt» und Discontorehnung, 9) Terminrechnung, 
10) Gefellihaftsrehnung, 11) Mifhungsrehnung, 12) geometrifche 
Berechnungen, 13) Anhang. Bemerfenswertb ift bier 1) ver Abs 
ichnitt über die Decimalen. Der Gedanke, dieſe vor den Brüden zu 
behandeln, ift zwar nidyt neu, aber in der Art und Ausdehnung, in welcher 
er bei dem Verf. zur Ausführung kommt, gewiß fehr zwedmäßig. Sodann 
2) der Anhang, welder die Aufgaben für die häusliche Beihäftigung dar: 
bietet und jedenfalls den Schüler nicht überlaftet. Die Aufgaben felbft 
I&reiten in jedem Abſchnitte vom Leichteren zum Schwereren fort, find 
kurz und präcis gefaßt und können im Allgemeinen jahlih und arith⸗ 
metiſch als gut bezeichnet werben. 

Da die Arbeit im Ganzen nur zu empfehlen it, jo wird fie aud 
einige Erinnerungen im Cinzelnen ertragen lönnen, die wir maden, um 
fie bei einer folgenden Auflage benußt zu jehen und fie überhaupt zur 
Sprache zu bringen. Es find aber folgende: 1) Aufgaben von der Form: 
„Jähle zufammen: 147 Ngr. + 20 +7 +97 + 214 +47 + 4 
+418 + 5 + 73 Ngr.!" ift gewiß nicht richtig; denn in dem Zeichen 
+ ift jhon das Addiren enthalten, und dann müßte „Ngr.,“ bei jedem 
einzelnen Summanden wiederholt werden; aud könnte man von den Klam⸗ 
mern Gebrauch machen. Wir hätten demnach die folgenden richtigen Formen: 


, 147 Nor. + 20 Nor. + 7 Ngr. + 97 Ngr. +.. 
2) (147 +20 +7+97 + 214 +47 -+.. H Re 
3) Zähle zufammen: 147 Ngr., 20 Ngr., 7 Rar.,.....! 
4) Zaͤhle zufammen: 147, 20, 7, 9, 97,..... Ngr.! 


2) Dividiren wird erklärt als „unterſuchen, wie vielmal eine Zahl 
in einer anderen enthalten iſt“. Das wäre das Meſſen, welches das 
Theilen nicht unter ſich faßt, obgleich die Form: „getheilt durch“ und bie 
Beſtimmung des aliquoten Theils nicht fehlt. 8) Der Verfaſſer folgt den⸗ 


80 ‘ Mathematik. 


jenigen, welche die Decimalen mit Heineren Ziffern als die Ganzen ſchrei⸗ 
ben. Einen ftihhaltigen Grund hierfür müßten wir nicht anzugeben, wohl 
aber dagegen geltend zu maden, daß durch die Heinen Ziffern das Auge 
unnötbigerweife angeftrengt wird. 4) Die Frage: „Was für Theile ent« 
fiehen, wenn man ein Ganzes zerlegt in 2, 3, 4 u. f. w. Theile?“ Tann 
nicht beantwortet werden und ift auch als Verirfrage nicht zuläffig. 5) Der 
Sag: „Man kann einen Bruch vergrößern, indem man entweder den 
Zähler multiplicirt oder den Nenner dividirt” ift zwar im Zuſammenhange 
richtig, aber offenbar ift der Ausprud „Vergrößern in dem engeren Sinne 
des Multiplicirens gebraucht. Man kann aber einen Bruch au durch 
Addition und Subtraction ded Zählerd oder Nenners vergrößern: 

543 5 .5 5 

8 > s’8—3 > 8’ 

und wenn man zur Multiplication unächte Brüche zuläßt, fo ift der Sag 
des Berf. geradezu falſch; denn: , 


3 5 5 _5 
8 <z: 7 SE 


6) die Form: „Da 4 Ellen 1 51. koften, fo oftet 4 Elle Zmal weniger 
u. f. w.“ iſt nicht richtig. Warum niht: 4 Elle it 4 von $ Ellen, 
alfo koſtet 4 Elle $ von 1 Fl.? 
8. Aufgaben zum practifchen Rechnen für ſchweizeriſche Vollsſchulen. Bon B. 
Zähringer. Züri und Glarus. Verlag von Meyer und Zeller. 1866. 
1. Hft. Rechnen im Zahlraum bis Zehn. 3. Aufl. 16 S. 15 Ce. 
2. Hft. Rechnen im Zahlraum bis Humbert. 3. Aufl. 24 ©. 15 Ets. 
3. Hft. Rechnen im Zahlraum bis Taufend. 3. Aufl. 246. 15 Ce. 
4. Hft. Rechnen im unbegrenzten Zahlraum. 3. Aufl, 24 ©. 15 Ce. 
5. Hft. Anſchauliches Rechnen mit Brüden. 4. Aufl. 24 ©. 18 Cts. 
6. Hft. Syſtematiſches Rechnen mit Brüchen. 3. Aufl. 24 S. 18 Ets. 
7. Hft. Rechnen mit Decimalbrüden. 3. Aufl. 24 S. 15 Ce. 
8. St Längen», Flächen» und Körperberechnungen. 2. Aufl. 24 ©. 
1 to. 
9. Hft. Rechnen mit Proportionen. 3. Aufl. 32 S. 30 Cts. 
10. Hft. Kettenfag und vermiichte Uebungen. 3. Aufl. 39 &. 30 Cts. 
11. Hft. Rechnungsführung. 2. Aufl. 40 ©. 30 Ete. 
12. Hft. Die Buchführung. 2. Aufl. 28 ©, 30 Cts. 


Das 1. Heft diefer fehr empfehlenswerthen Aufgabenfammlung, welche 
uns zum erften Male vollftändig vorliegt, enthält blos einfahe Aufgaben 
in ganzen Zahlen. Das 2. Heft unterſcheidet zwiſchen reinem und anges 
wanbtem Rechnen, fondert die Divifion in Meilen und Zheilen, und be- 
Ihränkt die angewandten Aufgaben auf Multiplication und Diviion. Im 
3. Hefte treten die angewandten Rechnungen in größerem Umfange und in 
ziemlicher Dielfeitigleit und Mannigfaltigleit auf, Noch mehr tritt das 
eine Rechnen im 4. Hefte zurüd, während ji das angewandte über faft 
alle Gegenftände des gewöhnlichen Rechnens eritredt. Das 5. Heft bietet 





Mathematik. 81 


Aufgaben ſowohl im reinen als tm angewandten Rechnen der Reihe nach 
über Halbe, Drittel, Viertel und Fünfte. Im 6. Hefte nehmen diejenigen 
Aufgaben, welche wirklihe Berehnungen erfordern, einen ziemlihen Umfang 
an. Diefe Berechnungen aber finden die meifte Berädfichtigung in den 
beiden legten Heften, melde venfelben ausfchlieklich gewidmet find. Die 
Aufgaben in reinen Zahlen find im Allgemeinen einfach und fohreiten confe- 
quent wom Leichteren zum Schwereren fort. Das angewandte Rechnen ift 
mit einer großen Menge höchſt interefianten Uebungsitoffes ausgeftattet, 
welher ſich unmittelbar auf ſchwelzeriſche Verhältniſſe bezieht und die 
Schule mit dem Leben verfnüpft. Jede beliebige Aufgabe fordert das 
Rehnen heraus und ift geeignet, daS Berechnen zu üben. 


g, Sammlung von Aufgaben filr ben Rechenunterricht. Herausgegeben von 
mehreren Lehtern in Neuſtadt⸗Eberswalde. 
Borſtufe. Brandenburg a. H. 1864. Adolph Müller. 24 S. 1 Sgr. 


1. Hft. Aufgaben über die vier Species in unbenannten Zahlen. 5. Aufl. 
Wriezen, E. Roeder's Verlag. 1864. 16 ©. 1 Ser 

2. Hit. Aufgaben über die vier Species mit benannten Sahten 3, Aufl. 
Braubenburg a. 9. 1864. Abolph Müller. 16 ©. 1 Sur. 

3. — Kr Negelbetri. 3. Aufl. Wriegen a. O. E. Roeder. 
1863. S. 


4. Hft. Ebend. Herausgegeben von L. Fritze, Lehrer am königl. 
Schulfehrer- eminar zu Oranienburg, &. Sellheim, Lehrer an ber bd- 
been Bürgerſchule zu Oraniendurg und E. Niend orf ‚ Lehrer an ber 
Böden Töchterfchule zu Meuftabt- Eherswaldte. Brandenburg a. H. 

3. Aufl, Adolph Müller. 1866. 32 ©. 2 Ser, 

Die koͤniglichen Regierungen zu Potsdam, Danzig und Poſen haben 
diefe Aufgaben empjohten. Die Volksſchulblätter aus Thüringen fchreiben: 
„Dieſe Heften find recht brauchbar eingerichtet. Sie enthalten auf be 
Ichränftem Raume eine Menge gut nemwählter Aufgaben, haben fcharfen 
Drud, feftes Papier und find. billig.‘ Auch wir mußten biejelben 
ala gute bezeichnen (Paͤd. Jahresb. XVI, S. 97), aber mit ber Einſchrãn⸗ 
fung, daß fie nur für beſchraͤnktere Berbältniffe genügen dürften, 


10. Aufgaben zu Uebungen im riltligen Rechnen für Bürgers und Volks⸗ 
fäulen von J. ©, F. Scharlach, Schuldirector in Sale, Nitter des 
rothen Adlerorbend 4. El. Halle, Verlag von Schroebel und Simon. 


I. Das Zuſammenzählen und Abztehen unbenannter unb gleichbenannter 
Zahlen. 3. Aufl. 1865. 56 ©. 3 Ser. 

U. Das Multipliciren und Dividiren uubenannter und gleichbenannter 
Zahlen. 2. Auflage. 1862. 48 ©. 3 Ser. 


OL Die vier Species mit ungleich benannten Zahlen. 2. Aufl. 1863. 
46. 3 Sgr. 


IV. Die Bruchrechnung. 2. Aufl. 1864. 48 S. 3 Ser. 


V. Regelbetrie, Gefellichafts-, Zins, Rabatt-, Discontor, Wechlel-, Ter- 
min», a nl vermifchte und algebraifche Aufgaben, 2. Aufl. 
1866. 88 


Dem V. Hefte find nicht weniger als zwölf Beurtheilungen aus paͤ⸗ 
dagogiſchen Beitichwiften beigegeben, weldhe die Aufgaben wie wir (Päd. 
Jahres. XL, ©, 202, XII, ©. 136, XI, ©. 81) zwedmäßig finden. 

Pad. Jahresdericht. XIX, 6 


82 Mathematik. 


11. Aufgaben zum practiſchen Rechnen nach einem naturgemäßen Stufengang 
für deutſche Volksſchulen. Von G. Bodamer. Biberach. Doru'ſche 
Buchhandlung. 

1. Rechnen im Zahlraum von 1 bis 20. 1864. 20 ©. 2 Sgr. 

2. Rechnen im Zahlraum von 1 bis 100. 1865. 20 S. 2 Sgr. 

3. Rechnen im Zahlraum von 100 bis 1000 mit reinen und angemwenbeten 
Zahlen. 1865. 20 ©. 2 Sgr. 

4. Rechnen mit Zahlen über 1000 mit reinen und angewendeten Zahlen. 
1865. 20 ©. 2 Sgr. 

5. Anfänge im Bruchrechnen. 1865. 23 ©. 3 Ser. 

6. Das eigentlihe Bruchrehnen mit gewöhnlichen Brüchen, welde alle 
Branchen bes practifhen Rechnens in ſich begreifen. 1866. 31 ©. 3 Sgr. 

7. Auflöfungen zu den Heften 3. 4. & 14 Sgr., 5. 2 Sgr., 6. 4 Sgr. 


An den Aufgaben lejen wir „Imi, Map, Shoppen, Scheffel, Viertel, 
Mäßel, Sehfer, Gulden, Kreuzer u. f. w.“ Daraus Äft zu erjehen, 
daß die Aufgaben wohl für deutſche, aber nicht für die deutfchen Volks⸗ 
ſchulen taugen. SHoffentlih kommt die Zeit bald, in welcher Deutſchland 
ein einheitliches Münz:, Maß: und Gewichtsſyſtem befommt. Im 1. Hefte 
ift die Gliederung: 1 bis 2, 1 bis 3 u. f. w. Gleich im Anfange 
treten Summen, Differenzen und Producte mannigfaltigfter Form auf, 
die Divifion erjheint ald Meſſung zuerft in dem Abfjchnitte: 1 bis 6 und 
als Theilung in dem Abjchnitte 1 bis 10. Die Aufgaben beſchränken ſich 
auf reine Zahlen und find ganz gut, nur im lebten Abfchnitte vielleicht zu 
wenige. Auch das zweite Heft enthält nur Aufgaben in reinen Zahlen, 
welche im Berhältniß zu denen des 1. Heftes einfacher find und in fol= 
genden Abſchnitten auftreten: 1 bis 30, 1 bis AO, 1 bis 50, 1 bis 60, 
1 bis 70, 1 bis 80, 1 bis 90. Im 3. und 4. Hefte ift das Material 
in reinen Zahlen nad den Operationen geordnet und dur zahlreihe Anz 
wenbungen erweitert, nämlich durch Refolviren und Reduciren, Aodition, 
Subtraction, Multiplication und Divifion mit Sortenzablen und durch 
Anwendungen im engeren Sinne. Pas 5. Heft bietet Aufgaben über 
Halbe, Drittel, Viertel, Fünftel und zwar in jeder Gruppe Einleitung» 
aufgaben, Aufgaben über die vier Species und Anwendungen. Im 6. 
Hefte werden alle Puncte, melde zum Verſtändniß der vier Operationen 
nothmwendig find, vorweg abgemaht und dann diefe jelbft vorgenommen. 
Die hier zugefügten Anwendungen find wohl nicht in hinreichender Anzahl 
vorhanden. Die Aufgaben als ſolche find gerade nicht vor andern ausge» 
zeichnet, können ſich aber getrojt unter denſelben ſehen laſſen. 

12. Practiſches Nechenbuch für die Gymmnafien, Real» und Bürgerſchulen Meck⸗ 
lenburgs, in foftematifcher Folge bearbeitet von H. U. Rohr, Schreib⸗ 
und Rechenlehrer an der großen Stadtſchule zu Wismar. Wismar, Roſtock 
und Ludwigsluſt, Verlag der Hinstorff'ſchen Hofbuchhandlung 1866. 

1. Th. 1. Hälfte. Die vier Grundrechnungsarten in unbenannten und be⸗ 
nannten Zahlen. 50 ©. 24 Sgr. — 2. Hälfte. Die vier Grundrech⸗ 
nungsarten in unbenannten unb benannten Zahlen. 44 ©. 24 Sgr. 

2. Th. Die Bruchrechnung und ihre Anwendung auf Rechnungen bes 
bürgerlichen Lebens. 60 S. 5 Ser. 

Facitbuch dazu. 

„Die 22jährige Praxis hat dem Verfafler nicht nur gezeigt, daß die 

Anfprüdhe der Sebtzeit an ein gutes Rechenbuch andere geworben find als 


Mathematik, 83 


fräber, fondern aud Gelegenheit gegeben, zu dem vorhandenen Material 
neues zu ſammeln und das Ganze den gegenwärtigen Bebürfnifien gemäß 
zu ordnen. In der zeitgemäßen Anordnung des Stoffes glaubt er, etwas 
gegeben zu haben, mas fich in feinem der medlenburgiſchen Rechenbücher 
in der Weile findet.” — Die Anorbnung iſt nun folgende: Zahlenkreis 
von I bis 10, Zahlentreis von 1 bis 100, Zahlenkreis von 1 bis 1000, 
das Rechnen mit größeren Zahlen u. f. w. Hierin finden wir nichts 
Neues und geben deshalb zum Einzelnen über. Nachdem die „Zahlbilder“ 
von 1 bis 10 aufgeftellt find, werben die Bahlen von 1 bis 10 „mund⸗ 
ih" entwidelt und mit Hülfe der Strihe durch Addition und Subtraction 
verbunden, Biffern durch Strihe und Striche durch Biffern repräfentirt 
und die Operationen mit Ziffern ausgeführt. Hieran fchließt ſich die Ver 
brüpfung von drei und mehr Zahlen dur Addition und Subtraction und 
das erlegen derjelben nebft einigen „eingelleiveten Aufgaben‘. Bemerkens⸗ 
werth find Bezeichnungen, wie . 

AK—5K+6K—- 7K+HSK—S5SK-+HAIAK=S5EK, 
wo z. B. K Ririhen, Kochlöffel, Kobllöpfe u. dgl. bedeutet. Durch den 
Sanzen Abſchnitt wechjeln „mündliche“ und „schriftliche Webungen ab. 

Im Zahlenkreiſe von 1 bis 100 beginnt die Entwidelung mit ber 
Aufftellung folgender Gleichungen: 
i1 elf 
12 zwoͤlf 
13 dreizehn 
14 vierzehn 
15 funfzehn 
16 ſechszehn 
17 fiebenzehn 
18 achtzehn ' 
19 neunzehn 
20 zwanzig 
ebner — 23ig == zwanzig 

21 


= 22 
zu 


333535353 
T++++++++ 
1111111111 


» 
© 
| 
EN 
GG m 


10 = 2 


u. f. m. 
Hierauf wird in ftufenmäßiger Reihenfolge addirt, ſubtrahirt und die Ads 
dition mit der Subtraction verbunden. In der Bildung des Cinmaleinfes 
werden neben den Producten zugleih die Quotienten entwidelt, wobei die 
Divifion als Meſſen aufgefaßt wird. Daran fließen fih mannigfaltige 
Berbindungen von brei und mehr Zahlen, Reductionen und „eingelleibete” 
Aufgaben. Sodann wird der Begriff des Theilens entwidelt und der 
Hauptabſchnitt mit „Aufgaben und vermifchten Aufgaben‘ geſchloſſen. 
Hierauf wird das Rechnen mit benannten Zahlen geübt. Im Bahlenraum 











von 4,.6i8 1000 merken Aufgaben über bie einzelnen, Mperationen,. Aber 

Rejolviren und Reduciren nebſt „vermiſchten““, und zwar in seinen Zahlen 

und in Sortenzahlen und in ziemlicher Menge dargeboten. Dig Brup- 

rechnung enthält die Theilbarkeit der Zahlen, Vorũbungen, bie vier Speciss 
und Anwendungen. Das Material jet iſt jowohl ein veiches, al au 
ein, recht zwedmäßiges. 

A r das theoretiſche und pr Rechnen. IL Ehe. im Ge⸗ 
* Aare a auge für ee Seh ber Fealfhulen 3 böheyer 

Bürgerfchulen, Gymnaſien, Seminatien und anberer höherer Lehranftalten 
AUhnlicher Zerldenz bearbeitet von Dr. He Schellen, Director der Keal- 
1. : feinste 1. Oxbmung zum Eblu, Ritter des Tothen Adlerordens IV. Claſſe ꝛc. 
7 Aufl. M Allen, ee ber Coppenrath'jchen Buch⸗ und Kuufhandtung, 
1363. 252. 3 Ser 

Auf unjere PH (Bär. Jahresb. V, ©. 96, 106) vermeifenn 
empfehlen wir dieſe gute Sammlung von Neuem. 

14. Aufgaben „Mir das practifhe Rechnen von B. Sqhlotterbed. mei, 
Le erlag von Auguft Hildebrand. 1, 

I. Seomtetrfihe Aufgaben. 64 S. 4; Sgr. 
- Ville. Kaufmänniſches Rechnen. 64 ©. A Ser. . 

Mie in den vorhergehenden Heften (Päd. Jahresb. XVII, ©. i08) 
fo bewährt ſich der Berfafler audy im ben vorliegenden als ein tüchtiger 
Vractiter. Der Inhalt von VII® if: J. Vorbereitende Mebungen: 
1) Einfahe Preisberehnuygen, 2) BZufammengefgste Berhältnifie, Ketten 
ja und Kettenbrüche; IL Waarenrechnung: 1) Gewichts-⸗, Maße, und 
Preisabzüge, 2) Berehnung der Speſen, 3). Facturen und Calculationen, 
4) Berechnung des Sprits, Rüboͤls und Getreides. III. Geld» und 
Wechſelrechnung: 1) Binfen‘, Disconto, -Eontoscorrent, 2) Geldcours, 
3) Wechſelcours, Wechſelreduction, Courspari, Wechfelfpefen, Gewinn und 
Verluft, Arbitragerechnung. . - 

Tie meilten dieſer Abſchnitte find außerdem mit einer „Bugabe‘‘ 
verfehen, melde eine größere , oder Kleinere Anzahl algebraifcher Aufgaben 
enthält, die aud) dem rein arithmetifchen Intereſſe Rechnung tragen und 
im Ganzen eine tüctige Vorbildung voraugfjegen, wie 5. B.: „3 Stüd 
der Hamburger 3 9/, Ptaͤmien⸗Anleihe und 7 Etitt der 24 9, Brämien- 
Anleihe betragen zujammen 9644... Bce, 7 Stud 243 eritewen Papiers 
in drei Stüd des letzteren machen abe anlagen 9504 Mt. Bco. aus? 
Wie hoch Steht jedes Papier ?’‘ 

15. Aufgaben und Anleitung aım (tigen, en für deutſche Schulen in 
den Vereinigten Staaten.‘ huée. 2 Theile nebfi „Ante 
worten”. New⸗NYork, Verlag von E. Steige. 17 North William Street 
1866. 1. Th. 84 ©. 2 Th. 102 S. Antworten 426. 2 u. 3. Sgr,, 

. „Denn ih bie veutſchen Schulen in den Vereinigten Stagten noch, 
meiner eignen beurtheilen darf, jo befindet ſich in benjelben ftets eing Any, 
zahl Böglinge, welchen eine Sprache, fei es die beutjche. ober. englijche, ‚nicht 
geläufig ıft. Sowohl um diefen das Verſtändniß zu erleichtern, .alg. quch 
um alle Schüler mit den arithmetiſchen und kaufmaͤnniſchen Ausdruden in 
beiden Sprachen hekannt zu machen, gebe ih die Erklaͤrungen, ‚Regeln, 
und einen Heinen Theil der Aufgaben in deutſcher und engliſcher Spracht. 





Mathematik 85 


ud Habe die Aufgaben dutchgaͤngig fo geördnet, baß jeder vdeutſchen mel: 
ſtens eine ähnliche in den Worten oft gleichlautende englifche gegenuͤberſteht.“ 
In diefen Worten bezeichnet der Verfafier felbft eine zwiefache Eigenthüm⸗ 
lichleit feines Buches. Diefe ift aber nicht die einzige. Wir müſſen alfo 
näher auf Inhalt und Methode eingehen. 

Der Inhalt ift Folgender: I. Theil: I) Addition, Einleitung, 2) Ads 
bittori einziffriger Zahlen, 3) Addition mehrziffriger Zahlen, 4) Enbtraction, 
5) Ruftiplication, 6) Divifion, 7) Ganze benannte Bahfen, 8) Bruchrech⸗ 
mug, Einleitung, 9) die vier Species mit Vruchen, 10) Decimalbrüche, 
11) benannte Zahlen und Brühe, 12) Verzeihniß der Münzen u. f. w.; 
D. Theil: 1) Berdäftnifie, 2) Brocentrehmung, 3) Zinsrechnung, 4) Wechſel⸗ 
teduction, 5) Terminrechnung, 6) Contocorrrent, 7) Gefellfchaftsrehnung, 
8) Bermiſchungsrechnung, 9) Eonrsrechnung, 10) Berechnung einiger Koͤr⸗ 
per und Flächen, 11) Vermiſchte Aufgaben, 12) Verzeihniß der Münzen ıc. 

Die Grundlage der Einleitung in die Addition bilden Tafeln, welche 
man erhält, wenn wan in den folgenden. Gleichungen ber Reihe nad) 
a==0, 1,2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9 fest: . 


Jede biefer Tafeln wird dann geibt, Indem fie auf bie Addition 
jioeis and breiziffriger Zahlen angewandt wird und zwar fo, daß erft eine 
Heide von Aufgaben von ber Form 1 a, dann von ber Form 2 + a, 
». f. f dis 9 + a gegeben wird. Dabei ift die Bahl der Aufgaben 
gößer für x + a > 10 als fr x + a < 10, und zum Schluſſe 
noch eine Reihe vermifchter Aufgaben hinzugefügt. Die Beiſpiele für 5 
ſind folgende: | ' 


1+5 AtHS TS +5 
+5 145 645 0 68+5 
A145 a4S5 9645 98-45 
Mt5 WMat5 10645 12045 
208 

2; +5 7-45 

125 u: mis Pe: 
A121 Pe 24 

+5 Hr TH OLE 
+ HH MH 0945 
BHO WS 10 5 
ꝛs 53 345 
343 6438 845 


86. | Mathematik. 


wozu noch die gemifchten Beifpiele: 26 + 5, 117 +5, 53 +5, 
890 + 5 kommen. — Die Addition ſelbſt bringt Aufgaben über ein» 
‚und mebrzifirige Zahlen, welde, den widtigen Grundfaß zur Anmwenbung 
dringend, daß die Aodition die meifte Webung erfordert, zu ziemlich maflen- 
bafter Arbeit Veranlaſſung geben. Den Schluß bilden Anwendungen, 
welde durch die faft ausfchlieklihe Berüdfihtigung an Kaufmann — 
merchant, Brot — boat, Fabrik = Factory, Baummwollenwaaren — 
cotton crop u. f. mw. genugjam auf den amerilanifhen Urfprung hindeuten. 

Die Subtraction wird biernah von jelbft verftändli fein und bietet 
faft nichts Cigenthümliches. 

In der Multiplication wird das Cinmaleins ftüdweife aufgeflellt 
und jeder fertige Theil an großen Zahlen geübt. Bei ver Wufftellung 
wird ſtets die Anordnung gewählt, welche bei der Addition erwähnt wurbe. 
So z. B. 


21 2 2612 
2: 8—=16 23 6 
2.510 2.0 0 
2. 2 4 2:7 =14 
2.9—=18 2 Am 8 


Das Einmaleins felbft wird bis 12-10 fortgeſetzt. Für das Multiplis 
ciren mit größeren Zahlen find die mechaniſchen Regeln aufgeftellt und die 
Abkürzungen für die Multiplication mit den Bahlen 11, 12, 18,.... 
19, 21, 31, 41,. ...91; 9, 99, 999, ... . und das Serfällen in 
Factoren gelehrt. 

Die Divifion enthält nicht? Bemerkenswerthes. In dem Abſchnitte: 
„Ganze benannte Zahlen” verdienen die Nechnungen und Rechnungsab⸗ 
ſchlüſſe Beachtung. 

Die Einleitung zur Bruchrechnung bietet den Begriff des Bruches, die 
Verwandlung unächter Brüche in ganze und gemiſchte Zahlen, die Verwandlung 
gemiſchter Zahlen in unächte Brüche, Aufheben der Brüche, Verwandlung der 
Brüche in ſolche mit gegebenem Nenner, das kleinſte gemeinſchaftliche Viel⸗ 
fache. Der Bruch ift nach dem Verfaſſer „eine unaufgelöfte Diviſion und 
beftebt aus zwei Bablen, eine Zahl, welde bivibirt wird, und eine andere, 
durch melde bivibirt werben fol.” Das ift, wie wir ſchon des Defteren ers 
innert haben, grundfalſch und widerfpricht auch der Anficht des Verfafiers ſelbſt. 
Denn wenn er jagt: „Betrachtet man den einzelnen Theil als eine Größe 
für ih, fo lafien fih die Brüche varftellen als benannte Zahlen‘, fo ift 
darin von keinem Üperationsbegriffe, fondern nur noch von einem Zahlen⸗ 
begriffe die Neve. Bei der Aufhebung der Brüche ift der Fall bemerkens⸗ 
wertb, welcher ftattfindet, wenn Zähler oder Nenner leicht erfennbare, Nen⸗ 
ner oder Zähler hingegen nicht leicht erlennbare Factoren haben. Iſt 


z. B. zu heben, fo bat man 296 = 8 - 37. Da nun 481 den 


Factor 8 nicht hat, jo kann der Bruch entweber durch 37 oder gar nicht ge- 
hoben werben. Wird in vielen deutſchen Büchern zu wenig berüdficdhtigt. 
Die Einleitung in die Decimalbrüche ift zwar kurz, aber recht anfprechend. 








Mathematik. 87 


In dem Abſchnitte „„Berbältniffe” wird die fogenannte Regelvetri ab: 
gehandelt und ihre Aufgaben werben nach dem fogenannten Schlußjabe 
gelöft. 

Ueberall kommt der Verfaſſer dem Schüler mit den nothwendigſten 
Regeln zu Hülfe. Diefelben nehmen nit felten die allgemeine Buchftaben: 
form an. So finden wir in der Negelvetri die Ausdrücke: 

W WVF2 WDCAꝛ 

1) WXFz, 2) 7? 3) -- A ® 4 _—y 


in welcher W ven Werth, Fz die Fragezahl, Az die Angabezahl bezeichnet, 
und welche befier in folgender Weije dargeftellt würden: 








W w-F Ww-A 
I)W-F, 2) F 8) ı? 4) — 
Ferner finden wir in der Zinsrechnung die Ausprüde: 
XZCKI 100x2Z 
) Zi a Nr 6 
100 x 2 . 10XZ 5 
3) Cox, =), 4) CxI bo. 


Endlih iſt die Ausitattung noch hervorzuheben. Das Papier ijt weiß 
und feft, der Drud groß und deutlih. Der Schüler kann alfo das Bud 
zut Waffe benuben und wird von der Augennotb verjchont, welche bei 
vielen beutfchen Schulbüchern unvermeidlich ift. 


16. Der practifhe Rechner. Sammlung von Beifpielen ber peactifhen Rechen⸗ 
ml. Kür Gymnaſien, Realihulen, Hanbels-, Gewerb- und Fortbildungs⸗, 
fowie für Stabt- und Lanbfchulen zufammengeftellt unb berechnet von U. 
Dilling, Dr. phil. und Gumnaftallehrer zu Mühlhaufen in Th. Nord» 
haufen 1866. Berlag von Adolph Büchting. 


1. Die vier Species mit unbenannten unb ungleich benannten Zahlen, bie 
gemeinen Brüche und bie Decimalbrüde. 47 ©. 3 Sgr. 


2. Die einfahen Rechnungen des bürgerlichen Lebens: Einfache und zu- 
fammengefegte Proportiousrechnung, Repartitions⸗ oder Geſellſchaftsrech⸗ 
nung, Vermiſchungs⸗ ober Durchſchnuittsrechnung. 42 S. 3 Sgr. 


3. Die wichtigeren Rechnungen bes practiſchen Lebens: Procent-, Zins», 
Dieconto:, Rabatt, Gewinn- und Verluſt⸗, Spejen-, Gold⸗ und Silber- 
rehnung. 39 ©. 3 Ser. 

4 Auflöfungen dazu. 45 S. 6 Sgr. . 


Für alle auf dem Titel genannten Anftalten werden die Aufgaben 
ihwerlih pafien. Wie man au ohne Erinnerung fieht, beginnt der Verf. 
anf einer fpäteren Stufe. Im Befonderen ift .etwa nur hervorzuheben, 
daß den Beifpielen, in melden fih Multiplicator und Divifor in Yactoren 
jerlegen laſſen, beſondere Abfchnitte. gewidmet find. Die Aufgaben über 
die ungleih benannten Zahlen find möglichft einfach gehalten, die aus dem 
bürgerlihen und practifhen Leben ziemlih mannigfaltig, nehmen auf das 
fanzöfifihe Münz-, Maß: und Gewichtsſyſtem gebührende Rüdjiht und 
tragen dem Grundgejege Rechnung: „Vom Leichteren zum Schwereren!“ 


88 Mathematik. 


Nur das 7. Cap, 8. Heft enthält feiner Natur nach leichtere Aufgaben. 
Dana merden wir die Arbeit des Verfafiers eine guie und demnach 
empfehlenswerthe zu bezeichnen haben. 

17. Das mündliche und ſchriftliche Rechnen im Zablenraume von 1 bis 100. 
Für Schule und Haus bearbeitet von Jacob Spitzer. Wien 1866. €. 
Schlieper. 76 ©. 10 Ser. 

Das Schriftchen zerfällt in vier Hauptabſchnitte. Der erfte behandelt 
ven Zahlenraum von 1 bis 10, ver zweite den von 1 bis 50, der dritte 
den von 50 bis 100, und ber vierte giebt „beſondere“ Uebungen. In 
den drei erflen Abfchnitten gebt das ‚‚münblide” Rechnen dem „ſchrift⸗ 
lihen” voran. Das mündlihe giebt mit Ausnahme der einleitenden 
und entwidelnden Fragen nur angewandte, das fhrijtlihe nur reine Zah⸗ 
len. Im Sablenraum von 1 bis 10 werden im mündlichen Rechnen die 
Bablen 1, 2, 8, 4, 5, 6, 7, 8, 9, 10 der Reihe nad in bejonveren 
Abſchnitten behandelt, im Schriftlichen hingegen alle Zufammenfeßungen von 
zwei Zahlen auf einmal gebiet. Der Zahlenraum von 4 bis 50 enthält 
Aufgaben über vie Zahlen non 1 bis 20, von 1 bis 30, von 1 big 40, 
von 1 bis 50. Die Aufgaben für das fhriftlihe Rechnen find alle nach 
bemjelben Schema gebildet. Diefes wird am einfachiten durch die Auf 
gaben irgend eines Abjchnittes veranihaulidt. Wir wählen den Zahlen⸗ 
raum von 1 bis 50. 


10+ 1l ı+1| 2+1| 3+1| s+1| 5 +1 
+ 2| ı+2| 2+2| s+2| 4ı+2|5+2 
10+ 92| ı+8| 2+7| 8+6| 4+5| 5 +4 
10-+10) 1+9| 2+8| 3+7| +6) 5+5 
+ 11 ı+1|12 +1/|8+1 4 +15 +1 
22 + 2l1ı 22/2 +2/|13+2/14+2|5 +2 
40 + 41+8|2+7/|43+6| 4 +5|5 +24 
#0 +10)41+9|2 +8143+714+6|45 +5 
50 —1 »2—2 80 — 3 50 — 4 
49 —1 49 — 2 4 — 3 409 — 4 
wi BoD 42—— 3 482. ſ. w.“ 
2 —ı 3 —2 4 — 3 5 —4 
1 —1 2—2 3 —8 4 — 4] 
1.2 1-3 
2.2 2:3 1-8 1-9 
3.2 3.38 
2:8 2-9 
42 4.3 
5.2 5:3 5........ 3.8 3.9 
48 4:9 
6-2 6-3 5.8 5.9 
17:2 73 8-8 
8:2 8-3 
9.2 9-3 





4:82 8:8 8:8 .::':19:9 | 
6:2 6:8 16:8 18:9 
... ... 24:8 27:9 
48:2 45:8 82:8 36:9 
0:2 48:3 40:8 45:9 
1:2 1:3 3........ 48:8 1:9 
8:2 2:3 1:8 2:9 
5:2 4:3 2:8 8:9 
47:2 49:3 49:8 49:0 
49:2 50:3 . 50:8 50:9 


Jehnlich ift ber Gang, ver beiläufig einigermaßen an Nr. 15 erinnert, 
rar die Uebungen des ſchriftlichen Rechnens im Zahlenraum von 50 big 
100. Die „befonderen Webungen” umfaffen Aufgaben von den Formen; 


at+b+e+dtretr. =Z 
a b—co—d-e—...=Z. 


hiernach wird es dem Lefer nicht ſchwer fallen, fi ein Urtheil felbft 
zu bilden. 

18. Rechnungsanfgaben für die Schulen ber IL, IIE., IV. Klafſe. J. Rurs. 

r Schule und Haus bearbeitet von Jacob Spiger. Wien, 1866 

. Shlieger. 19 ©, 23 &,20©. 8.69. . 

Diefe drei Hefthen enthalten nur angewandte Aufgaben. Das. exfie 

nur über Addition, Subtraction und Multiplication, das zweite in größern 

Zahlen über diefelben Operationen und über die Divifion, das britte über 

Decimalbrũche, Theilbarkeit der Zahlen. Ohne Bergleichung der folgenden 

Aue it fein Urtheil möglich. Daher wollen wir das Erſcheinen derſelben 

warten. 


19, Uebungsaufgaben für das fchriftliche Rechnen in Vollsihulen von J. Ehre. 
Spingler. I. Abth. Aufgaben über bie Lehre von ven Ganzen. 2. Aufl. 
Stuttgart, 3. 9. Metzler'ſche Buchhandlung. 1866. 32 ©. 4 Ser. 

In Bezug anf Fortfehritt und Form im-arithmetifcher Hinficht gleichen 
biefe Aufgaben im Banzen den meiften befjeren ihrer Art; was jedoch die Sach⸗ 
verhaͤlmiſſe anlangt, fo enthalten fie ein zum Theil vortreffliches Material. 


20. Denk⸗ und Zifferrehnungäbeijpiele, ufenmeife georbnet und zu Hausauf⸗ 
aben ober fiiller Beſchäftigung für die Hänbe ber Schüler bearbeitet von 
3 J. Sindelang u. Ph. Fäuftle 1. Brüche. Beiſpiele für die Schiller 
m unterm Rent 4. Aufl. Kempten, Joſeph Koſel'ſche Buchhandlung. 1806. 

. 4 Ser. 


Die Anordnung ähnelt der in Nr. 17. Die Beichreibung berfelben 
würde jedoch zu umfangreih werben. Daher befchränfen wir uns auf die 
Angabe einiger Ausführungen. Abgefehen von den Tabellen wird mei: 
fens der einzuübenve Stoff an die Spike geftellt und dazu Anwendungen 
im Den und Bifferrehnen gegeben. Nr. 22 ift 5. B. in folgender Weife 
gegliedert : 


90 Mathematik. 


I. Der Stoff: 9+1,8+23,7+8,6+4,5+5,4+6, 
3+7,2+8 1+9. 

U. Dentrehnen: I) Aus einem Weiber find 6 Karpfen gefangen 
worden und 34 befinden fih noch darin; wie viele waren ed vorher? — 
2) In der rechten Hand habe ih 22 und in der linken 8 kr.; mie viele 
in beiden Händen zufammen? —.3) Heute habe ich einen guten Tag ges 
babt, ſprach ein Krämer, den Vormittag verkaufte ih 72 Pfund Zuder 
und Nachmittags 8 Pfund; wie viele während bes ganzen Tages? — 
4) Eine Bäuerin verkaufte für 42 kr. Schmalz und für 8 kr. Gier; wie 
viel Geld loͤſte fie? — 5) Ein fleißiges Mädchen verbiente fi burdh 
Nähen 25 kr. und noch 5 kr.; wie viel im Ganzen ? 

OL Bifferrebnen: 19 + 1, 382 +8,36 + 4, 28 + 2, 
52 +8,74 + 6,91 +9,47 +3,73 +7,27 +3,44 +6, 
5+65,4+86, 6+74. Daran knüpft fi folgende „Bufammenftellung” : 


1i+9 1+8 
2+8 2+-7 i+2 
. .. . .... 1241 
842 7+2 | 1+1 
9 +1 8 +1 


mit Aufgaben in bunten Reiben. Hierauf fol folgende Tabelle 
1+1,2+13+1...:..9 +1,10 +1. 
lefen gelernt und eingeübt und die Zabellen 


2-2 ı +2 3 +3 2 +3 ı +3 

4-+ 2 3+2 6 + 3 5+3 4+3 

6 + 2 5+ 2 9+-3 8 +3 7+3 

8+ 2 72 12+3 11 +3 ı10+3 
u. |. w. 


bis 100 angefertigt werden. Weber 100 binaus ift die Anorbnung vie 
allgemein übliche, felbft die Unterfheivung von „Denk und Zifferrechnen“, 
die beiläufig eine höchſt verkehrte ift, bewirkt keinen wejentlichen Unterſchied. 
Ganz dem entiprechend ift die Subtraction behandelt. In der Muitiplis 
cation tritt zunächft die Ableitung des Cinmaleinfes, jeder Reihe von Biel- 
fahen ebenfallg mit „Denkt und Zifferrechnen‘ auf, boch ift das Einmaleins 
ſchon im vorhergehenden Abjchnitte vorbereitet worden. Durch die Multipli: 
cation wird endlich die Divifion vorbereitet, welche ihrerſeits außer jener 
Eintheilung in „Denk⸗ und Zifferrechnen‘‘ nichts Bemerkenswerthes barbietet. 
Das Urtheil überlafien wir dem Leſer; wir unfererfeit3 Tönnen uns mit 
dem Buche nicht befreunden. 


Mathematik. 91 


3. Rechenlehrbücher. 


21. Practiſches Rechnen für Gewerbtreibende ſowie für Sonntagsſchüler. Ein 
ex Leitfaden, enthaltend Zins⸗, Zinfeszine-, Gewinn⸗ und Verlnuſt⸗, 

Procent⸗, Rabatt⸗ oder Discont-, Münz- und Courorechnung. Herausge⸗ 

geben von Karl Dietrich, Lehrer an ber Sonntagsſchule zu Auerbach. 

eipzig. 1866. Verlag von Ernſt Fleiſcher (R. Hentſchel). 72 S. 74 Ser. 

Enthält außer dem auf dem Titel Ungegebenen nod über 200 Auf: - 
gaben nebft den Refultaten verjelben. Die Art ver Behandlung und Dars 
kelung wird fi am Deutlichiten von einem Beifpiele ertennen lafien. Es 
heißt auf ©. 8. 

„7) Die Aufgabe enthält 

doppelte Procente, doppelte Binfen und 1 Kapital, 

Aufgabe: Gin Kapital von 250 Thlr. brachte bei einer Verzin⸗ 
jung zu A pCt. in einer gewiflen Zeit 60 Thlr. ein. Ein anderes brachte 
* 126 Ihlr., ein, verzinſte ſich aber nur zu 34 pCt.; wieviel beträgt 
ieſes ? 


Erllärung: Gegeben 250 Thlr. Kapital 4 pCt. 60 Thlr. Zinſen. 
Geſucht 2? Thlr. Kapital 34 pCt. 126 Thle. Binfen. 
Kapital > pEt. gegeben X Zinfen geſucht 
p&t. gefuht >< Binfen gegeben 
250 Zhlr. X A pEt. X 120 Thlr. Zins 
84 p&t.>x< 60 Zhle. Bing 
250mal 4 ift 1000 
1000mal 126 ift 126000 
34mal 60 ift 200 
200 in 126000 ift 630 Thlr. Kapital.‘ 
Darüber ift weiter nichts zu fagen, ald daß eine folhe Behandlung 
nur als Eſelsbrüde dienen kann. Die Aufgaben felbit find zwedmäßig. 


22. Die Arithmetit in fyftematifch georbneten Aufgaben. Für Schulen unb zur 
Selbſtbele hrung von 3. Forſter, Lehrer am großberzogl. Lyceum in Karla 
rube. Karlsruhe, Berlag ber Ehr. Kr. Müller'ſchen Hofbuchhandl. 1865. 
1. Die vier Rechnungsarten mit unbenannten und gleichbenannten Zahlen. 


Regel: 


Berehnung: 


2. Die vier Rechnungsarten mit benannten ganzen Zahlen. 84 ©. 
3. Refultste dazu. 15 u. 26 ©. 


Das Bud) ifl, wie der Titel bezeichnet, der Hauptfadhe nad eine Auf: 
gabenfowmlung, indem e3 nur wenige Definitionen und Auflöfungen dars 
bietet. Die Aufgaben find im Ganzen recht gut, denn fie find arithmetifch 
ſehr mannigfaltig und fachlich ſehr anfprechend. Aufgaben wie: „Wie 
viel beträgt das 124fache des Aten Theild von der Differenz zwiſchen 5643 fi. 
42 te, und 4768 fl. 54 kr.?“ oder: „Wie viel Klafter Holz zu 16 fl. 
6 ft. das Klafter find eben fo viel werth als 56 Malter Getreide, das 
Molter zu 13 fl. 48 kr.“ find noch nicht die beiten. Eigenthümlich ift, 
daß in alten Rechnungsarten die einzelnen Claſſen der Größen, wie Gelb, 
Gewicht, Maß in befonderen Abfchnitten durchgenommen werben. Was 
ven Stufengang anlangt, fo enthält die Arbeit, 1) das Bäflen von 1 bis 





9D! Mathematil 


100, 2) das Zu: und Abzählen von 2 bis.12, :3) Nultiplication und 
Divifion bis 144, 4) Lefen und Schreiben ver Bablen, 5) bie vier Ned» 
nungsarten ꝛc. Die Entftehung der Zahlen ift folgenve: 


I+i= U i+1=2 

I I 2+1=3 

II 1 IV 3414 
V+ti= V 4 4 1 5 
vtrı= VI 54126 
viti= vo 6+1=7 

VII 1 VNMI 7t1=8 
VIII 1 NR gsr1=9 
IX+1= X g +1 =10 


Das Zu und Abzählen von 2 bis 12 umfaßt nicht etwa nur die 
Zaplen. von 2 bis 12, ſondern es werden nur dieſe Zahlen addirt und 
fubtrahirt und zwar in einer Weife, welche ung ein wenig mechaniſch und 
jedenfalls ungennigend vorlommt. Für die Zahl 5 find. folgende Uebungen 
vorgeſchrieben: 
== 10, 10 4 5 ==15,....55 +5 = 60 
=1l,1+5—=16,.... 56 +5 61 
= 12, 12+5 = 17,....57 +5 = 62 
= 13, 13 + 5m 18,....586 + 5.63 
— 14,141 +5==19,..,.59 +5 = 64 
60 —5 = 55,55 —5 = 50, 50-5 —=45,..,. 5 — 5— 0 
1-6... ed 
62? —5 = 57,57 —5 = 52, 2 —5—=47,.... T-J- 2 
68 — 5 — 58, 38 — 5 — 53, 535 —5—=48....8—5= 3 
6 — 8 = 39,59 — 5 = 54, 54 — 5 — 49,.... 9-5 4 
woran ſich mündliche Uebungen außer der Reihe ſchließen. Bei dieſen 
werben bie Gleichungen fortgefegt: 

| für 2 bis 25 
” 8 „ 38 
„ Au 591 


„12 „ 1855 


doch iſt der Unterricht nicht gerade an dieſen Umfang gebunden. Die 
Neunerproben werden gelehrt. 


23 ee zum Rechnen in: hıryen Regeln mb Beifpitlen von €. Rudolf 
* —— — ee in: Blaues. Leipzig, Verlag von Julius Klin- 
arbt, 





Mathematik. 198 


. Morliegemes Buchlein ift in der Schule entfinuhen; es ſoll keines⸗ 
wegs den Rechenlehrer entbehrlich machen, ſondern bat nur deu. Zwed, 
bush möglichſt kurze Regeln und Beiſpiele das dem Schider ind Gedächt⸗ 
niß zurüdaueufen, was in. den Stunden ausführlicher erllärt worden iſt.“ 
Damit ift Bas Buch ganz beitimmt charalterifiet, jo daß wir nur noch bin: 
wufügen haben, daß ver Berfafier 1) feine Aufgabe in tabellofer Weiſe 
gelön bat, 2) die böhemen Rechmungsarten zumeiſt auf die jogenamute 
Echlaßrachnung gründet. und bie Derimalbrüde berüchſichtigt, 3) eine Reihe 
algemeiner Formeln wie g. 8. 
ab tece=ab o); ab — ao — a (b — oe) 
darbietet; öfters allgemeine Auflöſungen giebt oder die Buchſtabentechnung 
anwendet, was bejonders ip ber Ehe PR der Fall ifi, 4) ſich 
großer‘ Kürze mit volllommenfter Deutlichleit befleißigt bat. _ 
21. Lehr ber Arithmetil zum Gebra an Fartbildungeſchulen und nm 
—— * Dr Schmitt ren * Fang an ber tönt. 


Gewerbeſchule und lateiniſchen Schule zu Landau. Landau, ‚Verlag von 
Eduard Kanßler's Buchbandiung 1865. 204 S. 20 Sgr. | 


Enthält den Stoff, welchen die Rechenbücher gewöhnlich darbieten, in 
Grllärungen Regeln und Saͤtzen ‚und Aufgaben. : Bis zur Bruchrechnung 
fehlen die Beweife. Man wird dieſes wohl faum als einen Mangel an« 
ſehen dürfen; dagegen Muß man dem Verfaſer zugeſtehen, daß feine Er: 
Härungen fehr Har und; deutlich, feine Beweiſe und Ableitungen, bis auf 
zwei kurz und bündig, und eine Aufgaben recht zwedentjprehend: fm. 
Befonderd machen wir auf. vie. ſehr Karen Auseinanderſetzungen über 
Bediel, Traffiren, Remittiren ꝛc. qufmerkſam. — Gine Unklarheit mAge 
bier zur Sprache gebracht werden, weil fie überhaupt nicht ſelten iſt. 
Ueber die Anwendung det: geometriſchen Proportion heißt es nämlich: „SM 
das Verhältniß zwiſchen Urfadhe und Wirkung ein gerabes, jo verhalten ji 
in ber gegebenen Aufgabe die Wirkungen zu einander wie ihre Urfachen. 
IM nämlich ganz allgemän oe. 

U, = irgend eine Urſache, 
Ww, '= Wirkung, diefer Udache, ' 


U, — zweite Urfahe, ı 5 


W; Wirkung diefer zweiten Urſache, — 
ſo verhaͤlt ſich 0 Bu 
U, . az M W; 

oder i Pa LE Ta au Se 197 | 


U; Wı — U, V. | 
M aber das Verhaͤltniß zwilhen Urſache und Wirkung ‚ein umaelehrtes, 
fo verhalten fich die beiden Wirkungen umgefehrt wie ihre Urſachen, d. „B 
es verhält‘ fich jetzt a . 3 


Sant nn. Tg W.: W, ' rd. 
Gier + m’. ı. | ‘ 64 . 9 de. ( 


a ur v » l 
ein oh U UN: . 1 1 


94 ” . Mathematit. 

Die Unklarheit liegt nun zunähft in den Begriffen Urſache und Wir: 
kung, deren gewöhnlicher Sinn gänzlid verloren geht. So wird wohl dem 
Leſer, für den der Verfaſſer fein Buch beftimmt bat, leicht fein, Arbeiter: 
zahl und tägliche Arbeitözeit als Urfadhen der Anzahl der Arbeitstage anzu⸗ 
feben; aber fchon ſchwerer möchte es ihm werden, bie Länge der täglichen 
Arbeit und die Zahl der Arbeitstage als Urſachen der Zahl der Arbeiter 
aufzufaflen. Sodann liegt eine Unllarbeit in der Verwechſelung der mittle 
ven Glieder, eine Operation, welche genau genommen wiberfinnig it, indem 
3 Arbeitet an platterdings nichts vor: 
ftellen kann. Drittens entjpringt eine Untlarheit daraus, daß die Gleichung 
U, . Tl, = W, . W, 


nur dur den Erfolg vereficirt, aber leineswegs abgeleitet wird. Hängen 
nämlich zwei Größen, A und B verfchiedener Art dergeftalt zufammen, daß 
wenn Ainn A= A’ übergeht, fi auch B in n B== B' verwanbelt, 
fo ſtehen A und A‘ im Bezug auf B und B in birectem Berbältnifie, 
und es iſt 


man fi 3. 3. unter dem Uuotienten 


A:kmaına--, 
B:BoB:nB—=t, 
n 


mithin 
A:A'==aB:B‘, 
Hängen hingegen beide Größen bergeftalt zufammen, daß, wenn A in nA 
— A’ übergeht, B in — B’ fih verwandelt, fo ſiehen die Größen 
A und A’ im Bezug auf B und B’ in indirectem Berbältnifie und es ift 
A: A: Am 
a 


1,1 _ 1.1, 
B B B'B:n 
folglich 


woraus freilich folgt, daß die Umkehrung 
A:A=B':B 

Geltung bat. Zugleich fieht man aber, daß fi in der That und Wahrheit 
vie Urſachen ſtets wie die Wirkungen verhalten, denn die Wirkung der 
Urſache A. ift hier eben, durch Vergrößerung B zuverlleinern und umgelebrt. 
Haben wir 3. B. die Aufgabe: 4 Arbeiter brauchen zu einem Werte 
10 Tage, wie viel Tage werden (ceteris paribus) 6 Arbeiter zu demfelben 
nöthig haben? und ſehen bie Zahl Der ebeiten als Urſache an, fo tft 





Mathemalik. 9 


deren Wirkung, daß fi die Anzahl der Arheitötage in demſelben Ver⸗ 
.e f vermindert] . vermehrt 

haͤltniß vermehrt J, in welchem ſie ſich J ermindert 1 es verhalten 

Rd alfo in der That die Urſachen wie die Wirkungen, d. h. 


, 1 1 
4 Arbeiter : 6 Arbeiter 10 Tage : Z Tage 
oder 
- Arbeiter : * Arbeiter — 10 Tage : x Tage. 


Durch Wegſchaffung der Brüche gehen beide Gleihungen in die folgende über 
6 Arbeiter : 4 Arbeiter — 10 Tage : x Tage, 

aber es ift unftattbaft, bier die mittleren Glieder zu vertaufchen, alfo 
6 Arbeiter : 10 Tage — 4 Arbeiter : x Tage 


zu jeßen. To follen wie ſchon gejagt, diefe Bemerkungen nicht dem Ber: 
fafier gelten, fondern zur Kritik der angewandten Proportion Anregung 
geben. 

25. Anleitung zum Redinen aus dem Anfang bes 16. Jahrhunderts von Hus« 


wirt, neu herausgegeben mit hiftorifcher Einleitung und Kommentar von 
vrofeſſor Wildermuth in Tübingen. Gymnaſialprogramm 1865. 


Diefes für die Geſchichte des Rechnens intereffante Buch ift im Jahre 
1501 gedrudt; leider aber lateinisch gejchrieben. 


26. Bolftänbiges Taufmännifches Rechenbuch, enthaltend 1615 Aufgaben. Nach 
dem neuen Gewichte, ben neuen Münzfüßen und ben neneften @elbcourfen 
bearbeitet, und fufenweile vom Leichtern zum Schweren Übergehend; nebſt 
Anmeifung des Anſatzes und der Ausrechnung jeder einzelnen Aufgabe, 
tbeoretifch” and praltiich dargeſtellt. Zum Gebraud für öffentliche und Pri- 
vatlehrer; zum Selbſtunterricht für Handlungs⸗Commis und Lehrlinge, 
fomie für Beamte, Outsbefitzer, Delonomen und Gejcäftstreibenbe. Bon 

irſch Joſeph, Lehrer im taufmännifchen Rechnen zu Halberftabt. 6. Aufl. 
ueblinburg, Gottfr. Bafle, 1866. 952 S. 2 Thlr. 


Da diefes Buch, das durch den Titel ziemlich genau charalteriſirt ift, 
und ferner liegt, jo möge die Bemerkung genügen, daß es fehr forgfältig 
gearbeitet ift, für alle Fälle fihere Auskunft ertheilt und ſich durch unge 
mein Hare Darftellung der faufmännifchen Verbältnifie auszeichnet. Lehrer, 
welche vdiefe in größerem Umfange zu berüdfichtigen baben, werben vohl 
thun, das Buch zu Rathe zu ziehen. | 


4 Rechenanweiſungen. 


27. Die Zahlen von Eins bis Hundert. Ein Handbuch für Vollsſchullehver zum 
Unterricht mag Grube'ſchen Grunbfägen von Dagott, Seminallehrer in 
Marienburg. 5. Aufl. Königsberg 1866. 176 S. 15 Sgr. 


Die 2. Aufl. dieſer vortrefflichen Särift baben mir bereits (Paͤd. 
— IX, S. 137) angezeigt und wir freuen ung, auc die vorliegende 
5. Auflage warm empfehlen zu müflen. 


96 Mathemalik. 


26. —— Anleitung zum Gebrauche des Rechenunterrichta in ber Volls- 
und & bern Bürgerſchule. Für den Lehrer bearbeitet von Karl Gruber, 
bad. oberf ufratb, 5 Fa Berlag ber G. Braun’ihen Hofbuch⸗ 

— 1865. I Thlr. 5 S 


Mit der Hindeutung auf unle frühere Anzeige (Päd. Jahresb. XIV, 
e. 186) und bagnügend, erinnern wir nur daran, Daß des Verfafler nicht 
wenige feine Bemerkungen darbietet. 


29. Lehr — für den Elementarunterricht im Rechnen. Von J. Menzel. 
Berlin, Verlag von Adolph Stubenrauch, 1966. 186 ©. 18 Sgr. 


Vergl. unfere frühere Anzeige (Päd. Jahresb. XIV, ©. 95). Das 
Bub ift von den Regierungen zu Frankfurt a. D. und Potsdam empfohlen 
worden. 

30. Anleitung zum Elementarunterricht im Rechnen von Otto Egulz, weiland 
Provinzial⸗Schulrath in Berlin. - 2. Aufl. Berlin. L. Dehmigke's, Verlag 
1866. 53 S. 10 Ser. 

Otto Schulz, welcher ſich bekanntlich viel mit den Veranfhaulihungs- 
mitteln beſchaͤftigt und hierin manches Beachtenswerthe zu Tage gefördert 
bat, bietet aud in diefer Schrift manderlei Vorſchläge. Die Darftellung 
ift höctt einfach, das Eigenthümliche derſelben — etwa mit Ausnahme der 
Anwendung des Fünferſyſtems — jedoch nicht von Belang; gleihmwohl wird 
der Leſer mancher vortrefjlihen Bemerkung begegnen. 

31. Leitfaden file ben Unterricht im „practifchen Kednen an Kömciperiihen Bolls- 
ſchulen. Bon H. Zähringer. 2. Aufl. Zitrih und GHarnd, Verlag von 
Meyer und Zeller 1866. 446 © 1 Thlr. 10 Ser. 

Dieſe zweite Auflage iſt nicht unerheblich erweitert worden. Der Sm: 
dal gliedert ſich in folgender Weife: 


. Einleitung: 
L Zahlenraum von 1 Bis 10. II. Sablenraum bis 100. 
1. Anſchauen, Zählen, Schreiben. 1. Anschauen, Zählen, Schreiben. 


2. Mündliches Rechnen. 2. Münvdlihes Rechnen. 
3. Söhriftlihes Rechnen. | $, Schriftlihes Rechnen. 
III. Sahlenraum bis 1000. IV, Unbegrenzter Zahlenraum, 
4 Anichamen, Zählen, Schreiben. 1. Anschauen, Zählen, Schreiben. 
ı »:2 Mündlihes Rechnen. 2. Dünvliched Rechnen. 
3, Schriftlihes Rechnen. 3, Schrifiliches Redinen. - 
V. Anihaulihes Rechnen mit VL Syſtematiſches Rechnen mit 
Bruͤchen. Drüden, 
ı 1, Die Halben, 
2. Die Dritte, VII. Redmen mit Decimalbrüden. 
3. Die Viertel, 
, 4 Die Fünftel, VUL Rechnen mit Proportionen, 


Al Weines Rechnen: 1. Berhältmifie und Proportionen, 2. Bortbeile uud 
Ablürzungen. 


Mathemccu 97 


B. Angewondtes Rechnen: 1. Punesmiszchntngen, 2: Befanbere . Säle. der 
Procentrehmung, 3. NHVeſondere Falle dar Zinsrechmung, 4. Termin⸗ 
rechnung, 5. Münzrehnung, 6. ——— 7. itontorchmung, 
8. Wagrenherechnungen, 9. Reductionen. 


Auf Verankifiuilg zweier Erztefungöbehörben wurde ein heit ber 
Zãhringer ſchen —*— fire das Rechnen in das Ftunzoͤſtſche und Jtalie⸗ 
niſche Aberjeit. — Der Berfafter legt großes Gewicht duf die Begründung 
der methodiſchen Regeltt md yeotfertigt bas Verfahren durch allgemeine 
Gelege, Indem er” jene 'aus‘ diefen genetifäy hervorgehen Täßt. x 
—— verweiſen wir auf unfere frühere Anzeige. Php. agahresb. IX 


‚sieh ’ Helen ‚Pa. 


32. ‚Bunte al ebroifch ben it praftiicgen L8 
fmg, vie ar * ———— — ür Freie be va a 


6, beſonders Lehker, S b & 
—55 — er fü er Seninrien nib aan 
nigl. MuſiDirector und Geminarichreris ‚Ritter .ıc. j“ —* 2 Ref 
——ã— Vetiag von R. Hereois 1867, 69 ©. 6 ‚Sg. 


„Die Aufgaben find melſtens recht ſinnreich gelöft umd ine Befondere 
ber Saß ine D 4 In .t ' 


[EN 
mit Glüd und Bahia angewandt, morben (Bar, Iahrepp. AN, “ so 


u 5 Bitienfhaftlige Behrbiüger. . .. 


33. Die Giementarmatjertatit fir den Schuluiterricht e ‘von Dr. Lud⸗ 
wig Kambl F Brofefior am Oymnafium zu St. Elijabet in Breslan. 
— amd: Anpore: & vun Ferdinknb dirk, Breslau 1866. 


Ad u 
* ſer Ichte Ameige Gan Jahneb. u, 6. en. ua 

3. ber Buchßabenrechnung und Wigebya zum’ Gebrauche beim Un 
et, Aut elehtelehrung Mit yaplseichen —— von 


itt, Lehrer der Vathem atik an ie ‚tönigl. Gewerbſchule zu Landau. 
Heibelberg 1866. Carl Winters Univerſitäfshuchhandjung, 238 ©. 28 Sgr. 


„Der Verjaſſer war bei der Bearheitung des vorliegenden Lehrbuches 
beftrebt, die Sätze ber Buchſtabenrechnung und Algebra fo, einſach und 
ſaßlich als möglich abzuhandeln und bei ver Beweisführun jean philo⸗ 
ſophiſcher Rigoroſität und ſeichter Oberflaͤchlichkeit die Gi te zu halten; 
dabei wurden bie Lehren der beſonderen Arithmetik als volllonimen — 
vorausgeſetzt. Für den Anfänger ind ſich ſelbſt Beleprenben, welcher zu 
feiner Auftlärung gerne beftinmte Fälle von beitimmten en vor 
Augen nimmt und ſich zuweilen durch ‚Die, rot be von ber‘ Ni tigfeit ber 
Säge überzeugen will, wurde in —* Beziehung beſonders Hüdficht ge⸗ 
nommen. Die- ganze Anhmelll wurde ie yet Abſchnitte e ge wovon 
der afle die verſchiedenen Rechnungs atten mit’ eitffäachen, der zweite bie:rmit 
Tefantmengefebtent Größe! Auftermatifi‘ befanbelt.* ' Mer bu glaubt, daß 

* Wi: dahiecierihe. IX: nn 7* 





98 Mathematik. 


man in der mathematlihen Beweisfäheung Vie Mitte halten Tune zwiſchen 
„philoſophiſcher Rigoroſität umd jeichter Oberflaͤchlichkeit,“ ift in einem ſehr 
ſtarlen Aberglauben befangen. Gleichwohl Liefert der Berfafler trotzdem 
firenge Beweiſe. Nur folgende Yälle mögen der Berbefierung empfohlen 
werden: 1) „Für den Zall, wo der Subtrahend b größer ift, als ber 
Minuend a, erhält man ven Reft, wenn man bie Heinere Zahl a von der 
größeren b abzieht und dem Reſte das Vorzeichen — giebt, z8.7 — 10 
== — 3,18 — 27 == — 9"; 2) „Jede Zahl mit dem Vorzeichen — 
beißt 6, ober verminbernd ꝛc.“ 8) Die Rechnuns mit den 


Symbolen Pia y "ya, 8, / I wird nicht nur nicht Grete, ſonbern ſoger 
auch zum Beweife benupt. So beipt es z. B. is eb Maren (4 ab)! — 


(4abjm—dTar 2* 277 = 75 4) der binomiſche Lehr⸗ 
fag wird durch eine unvollſtaͤndige Induction gefunden, indem das Binom 
a +_b nad und nad) bis zur achten Potenz erhoben wird; 5) Zum Ueber 
fluß wird ver binomifche Lehrfag ohne Weiteres als für negative und ges 
brochene Erponenten geltend angenommen. Dieſe Punkte rechnen wir aller⸗ 
dings zur „Oberflächlichkeit“, doch dürften wir in dieſer Hinſicht alles Tadelns⸗ 
werthe aufgezählt haben. Mit der „Einfachheit der Darftellung‘, welche 
wir allerdings anerkennen müfien, fcheint die MWeitläufigleit in der Klammer: 
behandlung nicht. zu barmoniven, zumal dieſe ſchon durch Elementarunter⸗ 
richt beforgt werden ſoll. Mit der „ſyſtematiſchen Behandlung‘ fcheint die 
Trennung der Logarühmen von den Potenzen und Wurzeln im Widerſpruche 
zu fteben, da durch die Potenz ohne Weiteres die Aufgaben 


| wunfpenktep 
gegeben find; doch, da der Lehrer freie Hand bat, fo ift diefe Trennung 
nicht ſchaͤbdlich. Die Aufgaben find im Ganzen recht gut. 


35. Syftem ber allgemeinen Arithmetit. Als Leitfaben für ben Unterriät von 
Gelehrteniäulen im Aufaluß von Meier Hirſch's Aufgabenſammlung bear- 
beitet von Dr. F. und, Profeſſor am koͤnigl. Oymnafum zu Culm. 
Leipzig, 5. A. Brochaus, 1866. 356 ©. 1 Thlr. 5 Ser. 


Inhalt: 1. Der Begriff der entgegehgefeßten Größen und feine 
unmiftelbaren Folgen, 2. Buchftabenrehnung im Allgemeinen, 3. Rehnung 
mit Potenzen, A. Auszeichnung der Wurzeln und Rehnung mit Wurzel⸗ 
größen, 5. Rechnung mit Potenzen mit Bruchexrponenten, 6. Rechnung mit 
imaginären Größen, 7. Nebuctionen, 8. Logarithmen, 9. Gleichungen der 
drei erften Grade, 10. Progrejjionen, 11. Binfeszinfenrehnung, 12. fetten: 
brüde, 13. Permutationen, Combinationen und Variationen, 14. Der bino⸗ 
miſche und polynomiſche Lehrſatz, 15. Grundbegriffe ber Functionenlehte. 


Der Verfaſſer geht von dem uns niet ganz verftäublichen Gedanken 
aus, daß das Material der Arithmetik gebildet werde durch die verſchiedenen 
Zahlenverknupfungen, aus ben letzteren ergaͤhen ſich dann die Begriffe und 
aus dieſen die Geſetze. Deshalb ſtellt er „Thatſachen“ an die Spitze der 


Methematif. 99 


Abſchnitte, leitet daraus die Begriffe ab ‚und: behandelt dieſelben, Indem er 
Ah von ihnen treiben läßt. Diefe „Thatſachen“ aber beruben nach. unferer 
Anfiht eines Theils auf einer mangelhaften Scheidung von Größe und 
Zahl, und andern Theils führen fie ihren Namen mit Unrecht. Aus Ein 
nahme und Ausgabe, Gewinn und Berluft, Vorwärts und Nüdwärts wird 
abgeleitet: „Unter gleihartigen Größen verfteht man ſolche, die, wenn fie 
zufaumen kommen, oder zu gleicher Beit ftattfinden, eine Addition erheifchen. 
Unter entgegengejebten Größen verſteht man ſolche, die, wenn fie zuſammen 
oder zu gleicher Zeit ſtattfinden, eine Subtraction erheiſchen.“ Aber was 
R eine Größer Wie lommt man von entgegengejebten Größen zu 
entgegengefeßten Zahlen? — Uns ift die negative Zahl ein für fi 
gedachter Subtrahend, und biefe Auffaſſimg bat fi beim Unterrichte fo 
kewährt, Daß wir ſie auch praltiſch feithalten müflen. In welche Schwierig 
leiten ſich der Verſfaſſer durch feine Auffaſſung verwidelt, zeigt ſich recht 
veutlich bei der Multiplication. Hier ſagt er z. B. „( — 7) entſteht aus 
(+1), wenn letzteres zuerſt in feinen. Gegenſaz (—1) perwandelt und 
dann 7mal wiederholt wird“; denn bier iſt eben die Frage, mie. die Ver⸗ 
wandlung von (+1) in (— 1) vor ſich geben folle, da (+1) in aller 
Welt niht (— 1) fein oder werden fan. Doc betrachten wir bie übrigen 
„Thatſachen“! In 8. 5 werben Beiſpiele aufgeführt, in melden ber 
Begrifj der algebraiihen Aopition enthalten ift, in 8. 10 Beifpiele, welche 
den Begriff der algebraifhen Subtraction darbieten ; die algehraiſche Muls 
tiplication muß fih mit der tbeoretifhen Herleitung begnügen; bei ber 
Diviion erleben mir das jeltiame Schaufpiel, dab aus ben Formen 
24 Thle.: 3 Thle. = 8 um 24 Thlr.: 3 — 8 Thlr. der Begriff der 
algebraiihen Dipiſion hergeleitet wird; die Potenz muß ohne Thatſachen 
zufrieden ſein; ebenjo die Wurzel und die imaginäre Größe; dagegen flüßt 
fi der Logarithmus auf eine „Thatſache“, nämlich auf b*, für den Fall, da 
x veränderli ift; die Thatſache, welche den Begriff der Gleihung enthält, 
if: „ine jede beftimmte ſowohl als unbeftimmte Zahl ift offenbar in uns 
jäblig vielen Formen bdarftellbar.” Warum erft diefe „Thatſache“? Iſt 
etwa nicht die ganze Arithmetik ein Syftem von Gleihungen? Über wird 
der Begrifj der Gleichung durch eine ſolche Thatjahe nur um das Geringite 
lihter oder deutlicher? Die „Thatſache“ für die kubiſche Gleichung ftreift 
gerade zu an's Wunderlide, denn fie ift: „In jeder Gleihung läßt fi 
bie unbelannte Größe, wenn fie im Nenner vorlommt, von dort wegſchaffen, 
und wenn bie Gleichungen Irrationalitäten der unbelannten Größe enthält, 


s 
wie 2,23, xt uf. w., fo Iaffen ſich amd dieſe fortfhaffen. Nach 
Ausführung beider Operationen kann die Gleihung offenbar nur Potenzen 
ber ımbelonnten Größe mit ganzen und poſitiven Grpnnenten enthalten. 
Mt nun die hoͤchſte viefer Potenzen die dritte, fo beißt die Gleichung kubiſch 
oder vom dritten Grade.” Die „Thatſache“, die den Begriff der geomes 
niſchen Brogreffion in ſich bat, fell die arithmetiſche Proportion fein, waͤh⸗ 
vend ‚die geometriſche ‚Reihe in. ver geometriſchen Progreſſion liege. Bei 
ber harmoniſchen Reihe wirb auf die harmoniſche Theilung aurüdgegangen, 

. Ä 7 


«00 Machematik. 
Die. „Thatſache“, in welcher ber Begriſf (ntfiehung) des Keuenbruches 


legt, iſt 

a— 1 
b b:e’ 

J Ale jedoch ſcheint uns folgender Gebanfe zu liegen: Der Sag 
a 


y- Er gilt allgemein, alfo uh für n a, fürnz= a aber 


J 





erhaͤlt man 
a a Bm 4I_ 


— Dia b:a 


. De genannten „Thatſachen“ find entſchieden nicht Thatſachen im ge 
wöhrlihen Sinne, ſondern meiſtens Gedankendinge, melde ven meilten 
Menſchen unbelannt find und nur durch bie Sntwidelung beigebradit werden 
können. Doc bätten. wir nicht das Mindeſte dagegen einzuwenden, wenn 
fe zur Sörberung des Unterrichteö beitragen könnten ; allein daß dieſes nicht 
ver Fall if, wird wenigſtens der Leſer gugeben. 

Det BVerfaffer fegt den Hauptunterſchied zwiſchen allgemeiner und bes 

ſonderer Nathematik darin, daß es jene mit „entgegengejeßten Größen” zu 

hun bat, dieſe aber nit; wenn wir aber recht verfiehen, fo widerſpricht 
er ih felbft. Denn wenn er fagt: „In der beftimmten Arithmetid TR 
nämlich bei jeder Subtraction ber Subtrahendus Heiner alS der Minuendus, 
oder ihm böcftens gleich; da aber in ber allgemeinen Arithmetik beide 

Zahlgroͤßen durch Buchftaben bezeichnet werden, und man alfo wegen ber 

Unbeflimmtheit die Zahlenwerthe diefer Buchftaben nicht unterſcheiden Tann 2c.”, 

fo jest er offenbar die allgemeine Bezeihnung der Zahlen als das Prius 

und die Einführung der negativen Zahl als Folge derſelben. 

Die Jrratlonalzahl foll eine Größe fein, deren Werth nicht ſtreng 
genau erfftirt, ſondern nur annaͤherungsweiſe angebbar ift; die lehtere Ber 
— iſt richtig, aber die erſtere falſch, denn die Irrationalzahlen eri» 

iten „streng genau“, wie der Verfaſſer finden würde, wenn er feine Bes 
trahtungen fortjebte, und wie die Geometrie fo zu fagen ad oculos 
demonftrirt. 

Abgeſehen von diefen Eigenthümlichleiten, melde uns ebet wie 
Schrullen vorkommen, und welche man auch ohne Weiteres fireihen könnte, 
dhne das PVerftändniß zu ftören, ift das Buch vortrefflih. Die Cntwidelung 
iſt genetifch, die genaue Unterfuchung der einzelnen Fälle, die erarte Wbr 
leitung der Bedeutung neuer Symbole und, vie Bemerkungen über die Zur 
läjfigfeit der Rechnung mit denjelben lönnen nur gerühmt werben. 

36. ‚Lehrbuch der Matbematil für Höhere Unterrichteauftalten von Dr. Paul 
Biede, IL En — Be om Otto Wigand Te. 
317 S. 1 Thlr. 6 S 
Das Buch iſt —*8 für ſolche Lehranſalten beſtimmt, weite 

ibre Schüler für eine techniſche Laufbahn vorbilden. Inhalt: 1. Ganze 

Bublen, 2. Brüche, 3. Bofttive und negatine Bablen, 4. Potenzen, Warzeln 

und Logarithmen, 5. Reiben, 6. Gleihungen und Anhänge. - Der Ausprud 





Mathematik. 101 


iM bisweilen breitſpurig und daher ſchwerfällig, z. ®.: „Haben mehre Glieber 
einer Summe einen gemeinſchaftlichen Factor, ſo darf man die Summe 
dieſet Glieder durch ein Product erſetzen, deſſen einer Factor jener gemein⸗ 
ſchaſtliche Factor, der andere die Summe aus den Quotienten iſt, die man 
erhält, wenn jenes der Glieder durch den gemeinfamen Factor algebmifch 
dividirt.“ Manches fcheint uns gefucht, anderes gelänflelt, noch auderes 
für den Anfänger zu ſchwer. Zum Erſten rechnen 5. B. ben Umſtand, daß 
ver Begriff der Subtraction, Divifior und Radicirung begiehungöweile durch 
de drei Gleichungen 
(a—b)+b=a, oo. 
(.:b).b=a, [iR 


ausgedrüdt wird. Zum Zweiten die Muchlehre und bie Einleitung in die 
algebraiihen Zahlen, die ih am bequemſien in folgender Bleihung darbietet : 
-at(a+tn)=(ata)tn=otn=Hı. 


Zum Dritten gehört etwa ber Beweis des Satzes: „Die Reihenfolge 
der Glieder eines Aggregats ift für deſſen Größe gleichgültig,‘ ver folgen: 
dermaßen lautet: „Die Zahl a — c enthält c Einheiten weniger als a. 
und danach enthält aud a — c + b wieder co Ginbeiten weniger als 
a + b. Subtrahirt man alfo von a + b die Zahl c, jo muß ‚ebenjobiel 
übrig bleiben, ald a — c + b angiebt, d. h. es ift 

tb 0 ma — — b. 

Auf der andern Seite haben wir die fcharfe Faffung manchet Begriffe 
lobend anzuerkennen, fobann bie Lehre von der Theilbarkeit der Zahlen als 
mondes Eigenthümliche enthaltend, den firengen Nachweis ber GEriftenz 
itrationaler Wurzeln und die gelungene Darftellung ber imaginären Zahlen 
herorzuheben. Was die Thetlbarleit der Zahlen anbelangt, jo Bietet der’ 
Serfafier mehrere recht intereffante Einzelheiten. Wir vermiffer: darunter 
den Gap, daß jede ſechsziffrige Zahl, been brei erfte Ziffern ihren drei 
kehten in derſelben Ordnung gleich find (3. B. 371378) durch 7, 11 and‘ 
n teilbar iſt.“ Da dieſer Sab den Scyälern — wenigſtens den meini⸗ 

— Freude macht, fo mag bie leichte Ableitung deſſelben hier eine 
Ehe finden. Iſt die Zahl . 

Z=a.10°+b5.10°+0.10°+8.10° +b.10+0,. | 
ie erhält man, da 

a.10° + a. 101 a. 10%2(10° + 1) == 1001. a. 102, 

b.8* B. 10 =b.10 (10° +1) == 1001.b.10, 

c.10?-+ 0 =60 . (10-1) 1001 .0, 

M 
Z=(a.10%+ 5.10 +0). 1001, | . 
da nun 1001 = 7. 11. 18 iſt, fo iſt Z durch 7, 11 und 18 walte 


37. J. —— t Ausführliches Lehrbuch der Algebra für den Unterricht in 
gehobenen Bollsſchulen, höheren Büurgerſchnlen, Heaikhafen, Gewerbeſchulen 








102 Malhematik 


Borbereitungsankalten für polytechniſche Schulen, ſowie für bem 
—ã— vn . Davids, Lehrer an ber Realihule in Neumünfter. 
6. Aufl. Altona, Berlag von Joh. Friebr. Hammerich, 1867. 278 8. 1 Thlr. 


FR eigentlich eine ganz neue und felbftftändige Arbeit des Heraus⸗ 
geberd. An der Spitze ftehen die leivigen pofitiven und negativen Größen, 
obwohl der Begriff derfelben befier — wir möchten fagen: pädagogiiher — 
entwidelt ift, als in den meiften andern Büchern, welche damit beginnen. 
Die in ber beſondern Arithmetik gefundenen Säbe werben meiſtens als 
belannt vorausgejeßt und ohne Weiteres angewandt. Bei fehwierigeren Fällen 
je wird nicht auf das gewöhnliche Rechnen vecurrirt. So finden wir 

.B. die Ableitung 





& ad 

dp _Ia 8 
to Ru’ 
ı 


welche wir wegen ihrer unangenehmen Schreibweife hervorheben. Die Dar: 
flellung iſt ungemein Far und lichtvoll; die Gleihungen find fehr gut bes 
bandelt und meiftens mit interefianten Belfpielen verſehen; unter ben 
diophantiſchen Aufgaben finden fih nicht wenige, welche bald ven Weg 
auch in andere Bücher finden werden; aud die Aufgaben zu den übrigen 
Abſchnitten find muftergültig. Die Hervorhebung der Zeichenfolgen und 
Zeichenwechſel bei den quadratischen Gleichungen ift ſehr zweckmaͤßig; und 
ebenfo die Anwendung ber unbeftimmten Goefficienten bei der Summation 
der böberen arithmetifchen Reiben. 

Der Inhalt ift folgender: 1. Abtheilung: I) die vier Species der 
Buclabenrehnung in ganzen Größen, 2) bie vier Species ber Yudftaben- 
rehnung in Brüchen, 3) Potenzen und Wurzeln, 4) Oleihungen des eriten 
Grades wit einer Unbelannten, 5) Oleihungen bed erften Grades mit 
mehreren Unbelannten, 6) einfahe Gleihungen mit höheren. Potenzen, 
7) unbeflimmte Aufgaben; 2. Abtheilung: 1) Gleihungen bes zweiten 
Grades, 2) Berbältniffe und Proportionen, 3) Progreifionen, 4) höhere 
arithmetiſche Reiben, 5) Logarithmen, 6) Srrationalgrößen,. 7), unbeitimmte 
Aufgaben des zweiten Grades; 3. Abtheilung: 1) Combinationslehre und 
Wahrſcheinlichkeitsrechnung, 2) Gleihungen des dritten und vierten Grades, 
3) höhere Gleihungen, 4) Aufgaben aus ber Geometrie, Stereometrie und 
Phyſik, 5) vermifchte Aufgaben. 

Bei der Vortrefflichleit des Buches mögen zur Berüdfihtigung bei 
einer folgenden Auflage noch folgende Erinnerungen bier eine Stelle finden: 
1) Wenn der Berfafier 3. B. jagt: Quadrire folgende Größen : (a + c)2 u, 
fo fordert er entichieden bie Bildung ‚per Gleihung 


(a + 0)? = a? + 2u0 + 03, 
während der Schüler, wenn er fi ſtreng an die Worte hält, die Gleichung 
[ee + —8 — at 4 A4æ48 4 60308 4 Ho 
bilden muß. 2) 83 ift nicht genau, wenn es heißt, ber Beweis der Binos 


Mathematik: 103 
nialformel müffe bis zur Gonbinatipnälehre verſchoben werden. Denn 
geieht es ſei 
(44 6) 6 ) ih 4. re )ar - — xbx ꝓ . +6 )w 
ſo erhält man durch Multiplication mit a + b 
er — + je (A erieri - 


tet *6 2 Va 
Am iſt aber 


(* | )=- .n(a—1) a—2) -(n—k-+2) 
—1 1. 2. Bicıen kn) 


( )- „eYa. ei), 





folgfidh 

n n n(n—1)(n—2): - - (n—k-F2) akt 
\ ) 0)3 1. 2. 3.... k— el | ) 
Bi, da Et nt, 

an) an (n—2)- :- d—k+2) 
(MO a (3 Koakarr ar Pur or = Or 
d. h. — 


n nt1\ 00.0 
dl) — 
d. h. wenn die Binomialformel für irgend eine Potenz gilt, fo gilt fie 


allgemein ꝛc. 3) Damit aber ift ihre Gültigleit noch nicht für negative und 
gebrochene Exponenten bewieſen. 


3. Grundlehren ber allgemeinen Writhmetif.: Bon Matbias ann, 
Edlen von —— Doctor nen Rhiloſovhie, Profeſſor der Diathematit 
an ber Schottenſeldex Oberreallchule in Wien zc. 2. Aufl, Wien 1866. 
Biühelm Braumüller. 28 Sgr. 


Inhalt: Einleitung, Aobition, Subtraction, Multiplication, Diviſion, 
Theilbarkeit der Zahlen, gemeine Bruche, Decimalbrüche, Potenzen, Wurzeln, 
Logarithmen, Gleichungen, Verhältniſſe und Proportionen, Progreſſionen, 
Zinſeszinſen und Zeitrenten. Die Auflöfung der Subtractionsaufgabe ge⸗ 
ſchieht auf algebraiſchem Wege, die der Diviſionsaufgabe durch einfachen 

Rüdſchluß. Die Theorie der Theilbarkeit wird von der allgemeinen vbela- 
diihen Zahl 


)a+b.i1®-+e.100-+d.1000.+e. 10000 +. - —=N 


behandelt. Bemerlenswerth, und wie wir glauben, ver Form nach nen iſt 
bie Subfitution 


104 Muthematik 


ni _ ce gmi ht 30 u 0: SR: 7 ship, . TE ee BEE „sr 

100 =0.q9, + Tr; a» ..f 
DR N. ir ‚1009 — +7 " b zn 
wodurch 1) in u 


N=e(bg,ı yagstdgs+ Hatbrtentärt: R 
übergeht. Hieraus folgt aber, daß N vud a eilat iſt, wenn @ in 

a bri ter +idr, + 
aufgeht: Wir erhalten affo einen —— ‚„ ih welchem vie be 
ſonderen Fälle, welche gewöhnlich aufgeführt werben, enthalten ind, Di 
Gültigkeit des binomilchen Lehrſatzes wird für debrochene und negative Erpo 
nenten beweiſen, "ver Veweis ift aber etibas ſchwer. Pie Aufloſung ber 
quabratiihen Gleichung beruht auf der Gleihung 

tpxtg=(z+ta)(zrhb). 

Unter den Gleihungen des zweiten Grades mit mebreren Unbetannten 
find mehrere interefiante Fälle behandelt. Damit dürften die Hauptei 
thümlichleiten des Buches, welches in kurzer aber verſtaͤndlicher Weiſe * 
faßt iſt angedeutet Jen: Wie erlauben ung nur noch Eine hiſtoriſche Phr 
beizubringen. Bei der Wehſchaffung der Wurzeln jagt ver Verſaſſer: 


das beſprochene Verfahren auch auf ein minder leibles Beiſpiel —* 
wollen wir die Gleichung J 


V.ab ai ar tedtar (aHrys_yar +a%=ab, 


die Fermat dem Decartes zus Befreiung. von .aller Jrratiohallltät vorgelogt 
haben foll, melde Aufgabe aber ungelöft blieb, hier rational darftellen.“ 
Sn gewiſſem Sinne ‚hat, der afler hie Aufgahe allerdings gelöft. 
Welchen prattifche jedoch die Auflöfung hat, wird aus folgender 
Anmerkung, welche id im einet Vorleſung bei Fries nichergeifpriphen babe, 
erheilen: N, Decartes ——— die MWegfhaffung‘ ber Wurzeln werde ſich 
durch vier Erhebungen bewertſieligen laffen, aber kin gewiſſer Gans berech⸗ 
nete der Academie zu Toulouſe, daß die ganze rationale Gleichung 
25003608. Glieder haben werde.“ Die wirkliche Husführung würbe dem⸗ 
nedy.ıetwa 70000 Drüdfeiten einnehmen. Daher fügte auch Fries mit 
dem bolifien Rechte Hinzu: „So ſehen wir ıma für bie Ausführung des 
Verfahrens höchſt beſchränlt. “ " 


3. Lehrbuch der allgemeinen Arithmetik nebſt Beifpiefen und Aufgaben, zum 
» Gehrau Bei dem Unterrichte an Gymnaſien und böheren Unterriihtsanftalten, 

. von W. RNerling, Collegienrath und: Ritter, Oberiehrer an bem Bymnoftem 
zu Dorpat, 2. Aufl. E. 3. Karow, Unfverfitätebuchhänbier 1866. 1 Shlx. 2 Ser. 


„Bietet in kurzer und bündiger Darftellung die Buhhſtabenrechnung, 
Gleichungen des erſten und zweiten Grades und einfache diophantiſche 
Gleihungen, Reiben, Zahlenſyſteme nebſt Xheilbarteit der Zahlen und 
Lehre von der Derimulbrüden: und Functiühd- - md Cohnbin mölehre. 
Speciell besporzuhebes. ift,. die Zerlegung des Zrimamg. 


xa? + yab + zb? in till. 


- 





Mathematif. 103 
in rl" Factoren, das Rationalmachen "Tolcher Vruche, welche "bie "Form 
& . 4. * “f ⸗ 
—— haben, die goniometriſche Aufldſung der quadratiſchen Gleichung 
b ® A . ' ., a Fa war 
vie Auftöfenng der diophantiſchen Gleichungen vurch Rettenbrücke," vie‘ W 
kitung der figurirenden Zahlen und ihrer Summenformeln und das Weg⸗ 
Khafien ber Irrationdlitaͤt aus Binomialformeln. Aue viele Bartieen fin 
m ihrer Art ganz vottrefflich bearbeitet. 


6. Arithmetlſche Aufgabenſammlungen. 


3 Sammlung. von Aufgaben aus ber Arkbmetil mE ur Für Cynma⸗ 
fen und Gewerbeſchulen bearkeiset. von Friedrich Gofmann,. — — 
ber Mathematil kgl. Symnafl m zu Bayreuth. I Theil, 3. 
— 1865. Berfag ber Grau hen Buchhandlung 302 © en 


Dieſe für anpfehlenamenthe Sammlung (Bid. —* van; 
E. 472) eriheint in 'wermehrter und werbeflerter Auflage. 


1.6 emattf eoidnete Aufgaben zum Unterricht in Bu abenetäinun und 
Kr be fh —** unb ım 8 Htfere’ Rlaffen * gelehrte Buhabenr chirken mb Hi 
nie ——S—ù k von —— Sifete, Rio m Erfurt. —* 
H. W. Schmidt 1867. 92 ©. 12 Gear. 


Der Verfaſſer will vorzu Swelfe eine größere Reihe leichterer Au gaben 
llefern ul das Weburgsmaterial ver Aigebra nach Rubriken ordnen. mi 
il er in vollem Rechte, und da er feine doppelte Abficht erreicht "hat, ' 
müſſen wir jeine Arbeit dem betreffenden Publicum empjeblen. Die Stufen, 
folge der einfachen algebraifchen Gleichungen tft: a) „Ohne Bruͤche und 
Barentheſen, x auf einer Seite, b).x auf beiten Eeiten, c) Bruͤche, 
d) Einfache Parentheſen, o) Brücde und Parenthefen gemiſcht, £) Mehm 
ſache Panther, 8) Sufammengefeßte Nenner, h) Wuryelzeichen. “U 


1, 71H 


IL Geometrie 


42. Leitfaben file ben Unterricht jn ber Paumfehre mächtt für Seminarien 
and Pröparanden-Anftalten, bearbeitet von Guſtav Battig, eher 
Buigf. Tatholiiden Schullebrer- Seminar in Breslau. 2. Aufl. Breslau 
1864. Berlag von E. Morgenſtern. 87 ©. 12 Ser. N 2 





231 


Ip maß Diefe Anzeige (BD. Fihresb. XVII ©. 108. 109) wiederhelen 

u fie Here Battig (Allg. deutſche Fehrengeitung 1867 Nr. 6) einer Kritil unter⸗ 
werten hat, durch welche ie in ein falfche® Licht geftellt teird. — „Nicht einmal 

den Trek Bat der Herr ordentlich betrachtet und nur verfälfht wieber gegeben.“ 
So fagt Herr Battig und wirft mir alfo Fälſchung vor. Wenn er bieten Bor- 
wurſ wor ſich felbft verantworten kann, fo muß fein juriſtiſches Gewiſſen ziem⸗ 
lich welt kein. Der Titel if falſch an egeben ; aber iſt er betwegen berfätt A t?' 
und muß benn ich ber Urheber ber —* Angabe fein? a ich trage 
Sid und weiß auch, woher das Beziehen seo mnen iſt. Ich werde bes 5 
it Zuhmft worfichtiger fein, ben eo ware ein U ‚wenn Jemand auf Vei 
Gedanten Ohne, ber Gert Lehret Bittig m a en: aa Michterfehiinar fer‘ 
dehrer am -pübagögifihen Semin«xe ber 


132 


106 Mathematik. 


Der Verf. ſchrabt Sppotbenufe flatt Supatenufe.” „Das Iummetrifce, 
Viereck“ ift ein falfher Ausprud*), denn aud das gleichſchenkelige Trapez 
ift geometriſch, und zwar gebt die ſymmetriſche Axe durch die Mittelpuncte 
der parallelen Seiten. Wenn ein Begriff A nicht mit einem andern wer 
wechſelt werben joll, fo iſt es das Gerathenſte, denfelben zu vefiniven. Dex 
Verfafier jcheint anderer Anficht zu fein. Cine Gigentbimlichleit. beitebt in 
vielen. Fragen, welche zugleich felbft eigenthüämlicher Axt find, Welcher Art, 
mag aus folgendem Abſatze erjeben werden: „Sig 83 (Sie, if Kine 
Sehne, fondern man nennt fie eine). Jede Sehne theilt den Kreis und 
die Peripherie. in zweit Den Durchmefier kann man als die größte Sehne 
des Kreiſes betradhten. Er theilt? Die Sehne begrenzt mit dem ihr zuge 
hoͤrigen Thelle der Kreislinie einen Kreisabjchnitt. (ES gehören zwei Theile 
dazu.) Diefer iſt nicht zu verwechſeln mit dem Kreisausſchnitt, welcher bes 
grenzt wird von? Gleihe Ahſchnitte entfliehen (Warum nicht auch hier Ab: 
Ihnitt und Ausfchnitt verbunden?)? Zwei (ift unnöthig, denn es entſtehen 
jedes Mal zwei und nur zwei Abjchnitte und: Ausichnitte) Abſchnitte und 
Ausſchnitte verhalten ſich wie ihre Bogen (das if nicht wahr). Das heißt? 
n wie viel Buncten berührt cd bie Peripherie? Sie heißt Tangente ober 

rührungslinie. Mit welchen Linien im Kreife kann die Tangente parallel 
laufen? Was wacht die op mit der Peripherie? Sie beißt Secante oder 
Schnittlinie. Sie ift eine doppelt verlängerte (Eine doppelt verlängerte Sehne 
iſt ein Unbegriff. Man kann eine Sehne nad beiden Seiten, aber nicht 
doppelt verlängern)? Parallel mit? Welche Linien beim Areife koͤnnen 
eine ganz millfürliche Länge haben? Welche find darin beichränfter? **), 


7 

*), Ich glauhte, dag mir mit dieſem Heinen Gabe ein kleines Meißerſiüd 
gelungen jei. Die meiften Beurtheiler des Yahresberichtes ſprechen ben Wunſch 
nach Kürze ber’ Berichte aus. Ich Halte dieſen Wunſch für berechtigt und ber 

be mich, ihm nach Kräften nachzukommen. Aus dieſem Gteeben iR feme 
afjung entſtanden. Herr Battig tbeilt nämlich (&. 7, 8) hie Bierede ein in 
uabrate, Rauten, Rechtede, Rhombcibe, Paralleltrapeze und Zrapaie, führt aber 
nur unter ber letzten Rubrif bie Inmmebvilche Dorn auf. Er kennt alfo nureine 
Art ſymmetriſcher Vierede, d. h. aber wach eındiner Logik: fein ſymmetriſches 
Biered ift das ſymmetriſche Biere. Freilich Fonnte ich auch fagen, daß das 
ſymmetriſche Trapez nicht das einzige vieredige ſymmetriſche Gebilde I aber „Ira 
dez” bezeichnet bei vielen Schriftftellern bas, was Herr Battig „Paralleltrapen“ 
“ nennt, hätte alfo zu Mißverflänpniffen führen können. Dazu fam noch, baf das 
Tropez bes Herrn Battig in ber That das allgemeine Biered tk; 
die 8 fe: Quadtat, ante, Rechte, Rhomboid, Paralleltrapez ſiud einau- 
der nit eigeorbnet, fonbern untergeorbnet, weshalb man auch bei ber Betrach⸗ 
tung be& „Trapezes“ gar nicht auf bie Tonvergenz ber Gegenieiten reflectirt, unb 
alle Säge, welche vom Trapez gelten, für jebes Viereck richtig find. Diele 
geringe Sebantenarbeit hat Herr Battig nicht übernehmen mögen, obgleich fie 
durch meine Angabe ber fehlenden Iymmetrifchen Korm mehr als zur Häffte vor⸗ 
geien war, fonbern bat flug® geichrieben, daß jeuer Ausdruck nicht in, ſeinem 
uche zu finden ſei, ich alfo ein Falſum begangen babe. Daß ber Ausbrud 
in feinem Bude fiche, wirb aber nur durch bie gewaltfamfle Interpretation 
ans meinen Worten herausgebracht werben können. 

*% Herr Battig fchreibt: „Falſa — das eine iſt das bereits erwähnte 
ſymmetriſche Vierech auf das andere if fpäter zurüdzu an — bie nicht auf 
meine Rechnung gehören, ſieht er alfo in meinem Werte —— 7), überfieht 
dagegen ein paar von ſorgſameren Recenſenten emtbecite exheblichere Mängel. 


Mathematit. 107 


dieſe Fragen taugen durch die Bank nichts aber nicht viel, weil fie zum 
Theil gar keine oder verſchiedene Antworten zulaſſen. Bugleich geben fie, 
Jeugniß davon, daß ber Verfafier die Begriffe felbit nicht fcharf genug 
ft. Die Secante 3. B. bat nur eben einen Sinn, wenn fie die Sehne. 
unter ſich faßt oder ald Träger von Streden. Sodann zeigen fie ein 
Lerderbniß der Sprache, wie wir es im gewiſſen vornehmen Kreiſen wahrs, 
nehmen, und wie es von ben beiden im Kladderadatſch correſpondirenden 
Baronen zur Anſchauung gebracht wird. Das Lehtere zeigt fih auch ohne 
fragen. So heißt es 5. B.: Eine horizontale gerabe Linie in ben Zirkel. 
genommen, nah Üben Kreuzbogen, ihren Durchſchnittspunct mit einem 
Endpuncte der horizontalen (marum, horizontalen?) verbunden ıc. Gang, 
Etrudelwitz und Prudelwig *). An Beweiſe wird im erflen Theile des 





Einb das Zeichen flüchtiger Arbeit ober nicht? — Die Recenflon des Hertu 
Dr. 8. if ſehr Bürftig. Sie befieht aus 48 Zeilen. 16 bavon bieten ragen 
md Säte, dem Leitfaben entnommen. Mit ihnen beſchäftigt Ach Hr. Dr. 8. auf 
18 Zeilen. Kür bie weitere Beurtheilung bleiben fomit 14 Zeilen. Subtrahiren 
wir davon bie 6 Zeile, anf welchen ex mir Vorwürfe macht, bie ich ſchon oben 
als ungehörig zurlidigewielen babe (bie beiben Be fo bleiben für bie eigent« 
lie Beurtheifung nur acht Zeilen.” Wer dieſes lieſt, wird ſchwerlich art bie 
bon mir in den Parentheſen gerügten „erheblicheren‘‘ Mängel denken, zumal 
ja alle 18 Zeiten „ben Leitfaden entnommen“ find. Daher bat Herr Battig 
ſalſches Jengniß gerebet und noch dazu zum Schaden eined Andern. Wenn 
ma in 18 Zeilen fo viel zu erinnern bat — unb ich babe wicht einmal alle 
Kebler erwähnt — fo wirb man auch anderwärts bas und jenes zu rügen haben. 
Und in ber That habe ich noch gar Mancherlei angeſtrichen; aber wozu es auf« 
säblen. Die mitgetheilten Proben feinen mir. mehr als hinreichend, und zum: 
Eorrigiren glaubte ich nicht verpflichtet zu fein. 

* bemerkt Herr Battig, nachdem er dieſe Art bes Recenfirens des 
Reemfenten unwürdig erflärt Hat: „Ich will nicht bie Lader auf meine Seite 
bringen’, fonbern ben Hrn. Dr. abſirafen, indem ich bier eine Aehrenleſe feiner. 

maticalifhen Schuiger zum Beſte gebe.” Nm folgt die Aehrenleſe in 14 

ilnngen. Dieſelbe macht bem —2 bes Herrn Battig alle Ehre, ob 
aber auch feinem Berflande und feinem Herzen, ift eine andere Frage. Die 
weiten ber aufgegählten „Schnitzer“ mögen Fehler gegen bie preußiſche Gram⸗ 
matif fein, gegen bie - beutfche verftoßen fie durchaus nicht, zumal wenn man’ 
m Bang anf „Mamſell la regle“ mit Bürger hätt, der uns zuruft: 


„Laßt, Brüderchen, die alte Strunfel gehn! 
Nur Kinder mag alfo ihr Laufzaum ſchürzen, | 
Was thut's, ob wir mal flolpern ober flürgen.” . 


Aber au wenn die aufgezählten „grammatifchen Schniger” insgefammt wirkliche. 
bler wären, würbe Herr Battig. meinen Tadel feines. Buches dadurch ent« 
äften Linmen? Kann er burd meine Sünden Abloß von ben einigen erlangen ? 

M die Aufbedung meiner Fehler: fo verbienftlih, daß er nun gerechtfertigt ba- 

ſteht? Ich glaube nicht. Biel mehr fünbigt er wider bie Logik, weil. gr etwas 

yar Sprache bringt, was nicht zur Sache gehört und no obenbzein. ven Streit⸗ 

Pmet verbuntelt. Diefe Sünde wirb —X dadurch verſchärft, dah die Auklage 

ano lindiſcher Rachſucht entſprungen iſt und in einem Puncte falſches Zeugniß 

redet. Herr Battig ſchwelgt in dem Gebanfen, ben Hrn. Dr. abzuſtrafen. 

IH gänne ihm biefen Genuß von Herzen, zumal ich weiß, welchen Menſchen bie 

Rede füG if; aber fein faliche® Zeugniß mag ich nicht fo ohne Weiteres hin⸗ 

Heben lafien. Daſſelbe findet ſich in dem von ihm aufgefellten Sündenregiſter 

anter- 1). Hier fagt er nämlih: „Es gehen vorher hie Wörter: Bezeichnunga⸗ 

“ik nub Verfapren‘‘, wähzenh in Wahrheit „das in ber Bezeichnung aufber. 


108 Mathematik. 


Buches nich! gedacht, und wo Etwas der Art vorkommt, da iſts allemafen 
Mäglid. Daher wird den Begriffen oder ven Figuren Gewalt angebroßt. 
„Riemand wird bezweifeln (mern mun aber ein tüdhtiger Schüler doch zweis 
felt ?), daß dieſes der Strecke an Größe glei iſt“*). Wo nun im 5. Abfchn. 
Beweiſe auftreten, wird der Didactiker auch kaum zufrieden geſtellt. Manche 
wie in 8. 8 find zu ſchwer. Hier iſt ber befle Beweis ver ohne alle Dur 
linien. Iſt nämlih in einem Dreiede ABC AC == CB, fo iſt 

ABC & ABOA, alfo LA = LB**). Andere find unnötbig, 4 
ik 6. 14, denn wo wird heut zu Tage bewiefen, daß die Summe zweier 
Seiten eines- Dreieds größer ift als die britte Seite***), Das Büchlein 
if eine Frucht ver Regulative! Viel lernen, wenig wiſſen!“ +) 


mabrie Verfahren“ vorhergeht, worauf man eher auf einen Drudfebfer, alb auf 
Srammaticaliichen Schnitzer“ ſchließen muß. Unter den aufgegählsen 
„Söuigeme befinden ſich auch elliptiſche Säte: Herr Battig wacht dam bie 
Bemelueg: „Si duo idem faciunt, non sst idem!““ unb zwar augenſcheinlich 
mit dem vollſten Siegesbewußtſein. Sie haben aber ganz Recht Herr 
denn es konunt in ber That auf ben Zwec ber Darſiellung und auf die Art 
der eeſen am, 
Diefer Satz if, wie Here Battig behauptet, in feinem Bade nid zu 
den unb darum ein Falſum. hatte geihrieden: „Niemand wird be» 
joe, daß biefes ar Größe der Rante gleich iſt,“ aber ber Setzer bat aus ber 
ante eine Strede gemacht. Das if bad ganze Unglüd, If denn aber Herr 
Battig-fo ganz won Gott verlaflen, baf er nicht einfieht, worauf es aukommt? 
„Nientand wirb bezweifeln‘ if der Kernpunct, benn darin liegt eine Drohungz 
an ba6 Denken. Das ift dem Lefer in den vorbergebeuben und in ben nach⸗ 
felgenben Worten jo nahe gelegt, bafı in ber That nur ein Schwachlopf das 
Rechte verfehlen kann. Es ift freilich bequemer, feinen Näcken sn verläßern aub 
ipa ber Falſchung zu beſchulbigen. 
*.) „Famoſer Beweis!‘ uff Herr Battig. Eine Anerlennung follen -wiefe 
wei Worte ſchwerlich ansiprehen. Wenn fie aber das Gegentheil wecken, „ie 
t Here Battig auf fehr einfältige Leſer gerechnet; benn mit meinen. feine 
bes Dreieds befinde ich mich im ſehr ebrenwerther Geſellſchaft. Thibaut, Steiner. 
Möhius und. viele andere fiehen für mid ein. 
) Hierauf antwortet Gert Battig mit Eitaten aus Brettner und Kaubly; 
ich kann bios erftaumen ob ſoicher Einfalt. Gerade in ben Bildern, welche eine 
ähnliche Tendenz wie bie angeführten haben, wirb ber genannte Say —* 
aber in Bücher wie das des Herrn Battig gehört der Beweis nicht. Und ob 
er ſelbſt in ben Schriften ber erſten Kategorie mit Recht eine Stelle hat, if 
unter den Stimmfähigen zweifelhaft. 
7) Der Heine Abſchnitt: „An Beweiſe.. Biel (een, wenig wiffen!’ enthält 
noch Herrn Battigs Berfiderung, bie „eigentliche Deurtbeitung, | affo if dies 
Webrige feine eigentliche Beurtheilung, alfo gar keine. Der Ye mag felbſt 
entſcheiden, ob er dieſe Erklärung für leichtfinnig ober lugenhaft Halten will. 
Zum Schiffe enbfich foreikt Herr Battig: ‚Die Recenflon des Hru. Dr. 8. 
il parteiiſch. Warum ſawaiet ber Necenſent über ben Geſammtinhalt bes 
Buches? Warum ſagt er nicht fu rz weg, daß es in 6 Abſchnitten die Lehre 
von det geraden und Trummen Linien, bus Nötbige Über Bildung une T 
von Linien, Winkeln unb Kiguren, über Berechnung bes Umrange und ber 
Flãchen ber EI uten, fiber die Ausmeflung ber Törperlichen Größe, 32 platt» 
metriſche Lehrſaͤze, und einen ziemlichen Scha von Aufgaben enthalte? Gr 
Bed Nr diefe Angabe bei ähnlichen Werten wicht, warum bei beit meinigen 7‘ 
A —8 Herr Battig ee Zeugniß geredet. ein Buch‘ flieht wien 
Schriften von iefterweg; von beiben IM aber ber Itchalt hr 
* —* ein, wie t von keinein Buche in ber ganzen Adthelluug 








Mathematik. App 


1. Formenalehre und Propädeutik. .. 


4. Propöbentit bes Gsometrie., (ine Berrbeitung ber geumetriſchen Formen⸗ 
—* a ler neuen Methode gegründet ur praftijche Aufgaben aus ber 
Geobäfie von Jacob Falke, Lehrer der Mathematit und Phyfit am Gym- 
naſtum zu Arnſtadt. Leimig, Berlag von Duandt und Händel. 142 S: 1 Thlr. 


Es ift geradezu unmöglih, ‚über dieſe in der Schule entitandene 
äht paͤdagogiſche Leiftung in der flürze zu referixen. Sie zerfällt im drej 
Zheile. Der erfte enthält die Grundjäbe über Propädeutik, wovon mir 
oben einige mitgetheilt .baben; ber zweite die Vorbareitung zum geometri- 
ſchen Abſſrahiren durch infiindive Bölung geodaͤtiſcher; Aufgaben; der dritte 


Angabe des Inhalts iſt zwar langweilig, aber leicht und rentabel, aber i 
unterlafie fie, wern fie nicht zur Charakterifirung bes Buches beiträgt ob; 
meine Behauptungen unterftügen fol. Hätte ein Abſchnitt in dem Buche des 
Ser Battig gefehlt ober einer etwas Eigenthümliches bargeboten, jo würde 
ich die® —— hervorgehoben haben. Zum Ueberfluß bringt Herr Battig 
ch mit ſich ſelbſt in Widerſpruch. Indem er nämlich ſagt: „Ich bin in ber 

rm aller mir befannten Lehrbücher der Geometrie darin abgewichen, daß ich 
mist Allee jertig vorgelegt habe,’ behauptet er in implteite, daß es gar 
kin „ähnliches Wert" gebe, worans banı weiter folgt, daB es mir abſolut 
unmögli war, den Inhalt „ähnlicher Werte‘ mitzutbeilen. Do ich 
will dies nicht weiter urgiren. Die Sachlage ift folgende: Herrn Battig's Buch 
enthält ben gewöhnlichen und noch dazu auf einen Heinen Umfang rebucirten 
Stoff. Eigenthümlich iſt ihm nur die charakteriſirte Form. Aljo mußte ich biefe 
vorzugeweiſe hervorheben. Wenn daher Herr Battig in meiner „Redenfion’ faft 
ane „einzige Kleinigkeätsträmercn. findet, fo iſt er jelbft Schutd daran, 
denn warum bat er fein Buch nur durch eine Kleinigkeit dusgezeichnet ? Aber 
dem Methobiler ift nicht einmal bie Form eine Kleinigkeit, ſondern etwas ſeht 
Wichtiges. Wäre bie Korm gut geweſen, jo hätte ich das mit Freuben hervor⸗ 
gehoben. Da fie aber kaum jchlechter Hätte ausfallen Wnnen, jo mußte ich gegen 
fie zu Felde ziehen. Ich that es durch die demonstratio ad oculos, Aber ber 
„ziem iiche Schatz“ von Aufgaben? Henn wenn ich den hätte Loben kännen, 
fo würde ich. nicht zurüdgehalten haben; aber leider enthäft er nur gewöhnliche 
Vaare. Manche enthalten offenharen Unſinn. Was jagt 3. B. der Lejer zu ber 
Aufgabe: „Umfang eines nugfeichfettigen A ='50 — 60 — 70 — 80 — 
1235 — 175°; die Seiten fiefen im Berbältniffe 1, 2, 3; wie lang jebe ?“ 
Solche Dreiede erifiiren gar nicht und Herr Battig hat dabei ofjenbar ' ben 
erwähnten Sat vergefien, daß bie Bumme zweier Seiten bed Dreied® größer 
iſt ale die dritte. Kine VBeriraufgabe ift die vorliegende entſchieden wicht; u. 
beweift die große Anzahl der zu berechnenden Fälle und der Umſtand, baf Auf 
gaben der Art über wirktiche Dreiede fehlen. Oder was fagt ber Leſer zu ber 
Anfgabe: „Die vier Seiten eines rechtwinteligen Paralleltrapezes ftehen im Bere 
hältmiffe 1, 2, 3, 5 und bie‘ Heinfle iR 7, 8, 9, 10, 12, 15° lang. Wie groß 
der Umfang ?”? Sind nämlidy die beiden Parallelen Seiten a unb b, bie 
Senkrechte der Nichtparalleien m und die andere nicht Parallele n, fo ift 

n = Yla-b)i + mi, | | 


Dielex Werth wich, aber für n nur dann rational, wenn entweber 
a — b — 2pg, m = pl — gq? 





oder 

a — bu p? — g?, m me 2pg 
iM; umb in beiden Fillen bat man 
2a es {em f hien ne dachinſchalttich Fact tomint, f 
a es ferner nur auf ganze Zahlen ohne gemeinichattfihen Factor anip v 
mäflen p und q vefattoe —X und ine berfelben gerabe ſein. "Der eu 


. la 


110 Mathematik. 


heil den Uebergang von der inftinctiven Praris zur geometriſchen Ab⸗ 
ſtraction. Der Verfaſſer befchreibt zwar feine Darſtellung ©. 19— 24 


zige Ball, in welchem fo Heine Zahlenverhältnifje eintreten, wie fie Herr Battig 
angenommen, ift allo 


pe2qg=! 
alſo finb folgende zwei Möglichkeiten gegeben . 
8 -bud,moßgn-Bß; 


a — bu 3, m m 4, nem $, 
Mira but, pa — 5, b= I,m— 3, n ad, was ber 
Aufgabe wiberftreitet; und ta —b—=3, ſo ii a 5, b = 2, m mm 4, 
a — 5, 1006 ebenfalls ber Aufgabe widerſpricht. Daher kann das Paralleltrapez 
des Herrn Battig nur bei völliger Gedankenloſigleit befieben. Ober wo pin 
bau Dreieck, welches in folgender Aufgabe gemeint if: „Drei Bänme A, B, C 
liegen fo, daß zwilchen A und B eine Entfernung von 500%, von A nach C unb 
von B nad C find zufammen 14809 Entfernung. Wie viel Morgen ſchließen 
bie drei zwiſchen den Bäumen gedachten Linien ein, wenn C von AB 710° 
entfernt iſt?“? (Ob hier die Aufgabe in den Worten richtig wiebergegebem iſt, 
weiß ich nicht, ba ich mir nur bie Zahlen motirt hatte und im Augenblid bas 
Bund nicht finden kann). Bezeichnen wir bie geaebene Seite durch c, bie ihr 
zugehörige Höhe durch h und ben Inhalt bes Dreieds buch A, fo if 
ch 


a 


unb wenn wir bie beiden Übrigen Seiten durch x und y bezeichnen, auch 


A=t4tyatyto@t+y-o (c+x-y) ((-ıty), 
mithin 


h 
ZiVetot-gCctH0-g, 
wobei x +y = s und x — ym dgefeßt if. Löjen wir biefe Gleichung nad 
a auf, fo ergiebt fi 
‚da=c Yı 4b? 


gt—cä ! 





folglih muß 


d. h. in unferm Falle 
(1480 + 500) (1480 — 500) > 4. 710%, 
1980 . 980 > 4. 7102, 
9.4 >71. 71, 


(+c (s—e) 4bB2 


fein, was dem Denten doch zu viel zugemuthet fein dürfte. Diefes und vieles 
Andere hätte ich allerdings noch jagen können, aber follte und burfte ih an ein 
fo ſchlechtes Bud fo viel Pla verſchwenden? Ich glaube hiermit getroft dem 
urtheilsfähigen Lefer bie Entſcheidung darüber überfaffen zu bürfen, ob weine 
Kecenfion flüchtig gearbeitet, ſehr dürftig und parteiifh if. Das 
Buch des Herın Bartig babe ich Zeile für Zeile geleſen; ifl daher meine „Re- 
cenfien“ dürftig, fo entiprang die Dürftigfeit aus dem Irrthum, ba ich Das Geſagte 
für hinreichend hielt, den Lefer vor dem Aulaufe des Buches zu warnen. Die Haupt» 
ſache babe ih A guig bervorgehoben und zwar wohl manchem Lejer in zu 
on Umfange. Dod Allen dann man's uiht recht machen, und dies liegt 
auch nicht in meiner Abſicht. 





Mathematik. 114 


ſelbſt aber wollten wit in den Geift ſeiner Arbeit hineinführen , ſo durfie 
Im ‚eine Rürzung vorzunehmen fein. Wir muſſen daher auf das Buch 
jelbft verweiſen; machen jedoch auf die Vortheile qufmerlſam, welche ſich 
der Verf. von ſeinem Verfahren verſpricht. Dieſe ſind außer den ohen be⸗ 
zeichneten: 1) „Das gewonnene Material iſt für den Schüler eine voll⸗ 
lommene Lebenserfahrung geworden, und wird alſo nicht ſo leicht wieder 
vergeſſen; für Befeſtigung des praktiſchen Lehrſtoffs iſt daher beſtens ge⸗ 
ſotgt. — 2) Bei jedem Menſchen hört einmal die äußere Erziehung auf; 
er muß fih von da ſelbſt erziehen; er muß jederzeit wiflen, was er zu 
tun bat, wenn eine Frage des Sebens an ihn berantritt, Die Kunft ber 
Selbſterziehung braucht nun zwar an und für fi nicht gelernt. zu erben, 
fe iſt ganz gewiß eine angeborene Fähigkeit. Sie kann aber. und muß 
in ber Jugend geftärkt werben, denn die Erziehung kann es ja überhaupt 
nur mit der Pflege angeborener Fähigkeiten zu thun haben. In der 
Jugend muß der Menſch ſchon gewöhnt werden, auf eine an ihn beran- 
tretende Frage des Lebens die richtige Antwort ſelbſt zu finden. Mit 
Recht ſagt daher ſchon Käſtner: „Der junge Menſch ift fein Wacstlumpen, 
in dem ein gelehrter Brofefjor fein erhabenes Bild abdruͤct.“ Auch der 
Doctor Bagner bat es vergebens, verfucht, den Menfhen auf chemiſchem 
Wege in einer Retorte darzuftellen; und dennoch haben ſchon piele Gr 
ziehungskünſtler das halbe Erperiment probirt, fie wollten menigitend. auf 
päbagogiichem Wege eine Menſchenſeele darſtellen. Allein ein ſolches 
Unterfangen wird immer nur einen Häglihen homunculus zur Welt bringen. 
Davon gibt die Mafje der jungen Leute Beugniß, welche die Sprache nicht 
ungezogen, fondern ſehr bezeihnend verzogen nennt. 3) Endlich hat 
die in Vorſchlag gebradhte Methode noch den Nuten, daß fie einen, Theil 
mit dazu beiträgt, bie bebauerliche Kluft zwiſchen Theoretikern und. Bral 
tilern auszufüllen, die fi jet immer mehr erweitert u. ſ. w.“ 

Das fpecififh mathematifhe Material ift nun folgendes: Mefletie, 
Mess und Signalſtange; Meßtiſch; Verbeſſerungen am Meßtiſche Gori⸗ 
zontalkreis und Viſirrohr); Verfahren, um die Karte bequem daheim zeich⸗ 
nen zu loͤnnen; Verbeſſerungen am Meßtiſch (das Horizontalſtellen); be⸗ 
quemere Aufnahme durch Meſſung einer einzigen Entfernung; Verbeſſerun⸗ 
gen am Meßtiſch (Feſtſtellen des Horizontalkreiſes); vereinfachtes Verfahren 
beim Anträgen von Richtungen; Vereinfachung des Verfabrens beim Auf 
nehmen von Richtungen, Benugung des eingetheilten Meßtiſches, Verbeſſe⸗ 
tungen am Meßtiſche (Horizontal:, Höhen: und Tiefenlineal), doppelte Bes 
jeihnung des eingetheilten Horizontalkreiſes, Transporteur, Dreiedeneg, Prüs 
fung der gefundenen Richtungszahlen, Längen: und Breitengrade, Benugung 
der Reinkarten, Berehnung von Flächeninhalten, — Punct und Linie, 
Flaͤche und Bintel, Kreis, zwei Congruenzfälle, Hehnlichteit der Dreiede, 
Eonftruction des Dreieds aus ben drei Seiten, der dritte Congrnenziafl, 
Säge und Aufgaben über. Rreistheilung , Rreistheilung und Dreiedswintel, 
Parallelismus, die verſchiedenen ebenen Figuren, Flächeninhalt beliebiger 
Öiguren, ber pptbagoreifche Lehrſatz. Daneben ſehr viele methodiſche Des 
mertungen unter dem Xerte. Sn 


LP Mathewatik. 


44. Die Raumlehre in ber Vollsſchule. Bearbeitet und mit ben 7 — 
gaben und Figurentafeln verfehen von Ad. Lieſe, Lehter an der Aitg 
zu Luchemwalde. Berlin, Verlag von Mbolph Stubenraud) 1866. 84 ©. 10Sgt 
Die oben angeführten „Wahrnehmungen“ veranlaßten ben Berfoffer, 

das vorliegende Huͤlfsbuch zu jchreiben, um den gerügten Mängeln abzu- 
beifen. Der Ton, in welchem jene Wahrnehmungen wiedergegeben fire, 
läßt erwarten, daß wir es mit einem Funkelnagelneuen zu thun haben, 
und daß enblich der richtige Kinderweg zur Geometrie entdedt fei. Dem 
ift jedoch nicht fo. Wir firchten vielmehr, daß der von dem Verfafler vor: 
gezeichnete Weg noch rauher tft, als der befannte „nicht königliche”. Denk 
wenn wir auch nicht zu denen gehören, welche das Gevädhtriß des Kindes 
abfolut vor allem Unverftandenen bewahren wollen, fo thut das Bud doch 
des Guten oder vielmehr des Böſen zu viel und appellirt über vie An- 
ſchauung hinaus lediglich an das Gebächtniß. Definitionen (melſtens 
ſchulgerecht), Aufzählung der Lehrjäge und mechaniſche Sonftructionen bilden 
den erften Theil des Buches, An Beweis und Ableitung ift dabei nicht 
zu denen. Wohl aber muthet der Berfafier „jedem verftändigen Lehrer 
zu, feine Schüler über die Gründe des Verfahrens zu belehren und fie zum 
Verſtaͤndniß defien, was von den Linien im Kreife, von den Winkeln, von 
den Dreieden, von den Parallelogrammen gilt, zu führen.‘ Die eigentliche 
Arbeit wird alfo dem Lehrer überlajien und dem Schüler dur den Tert 
tichts geboten, als das Material. Wem dieſe einfache Darreichung des 
Stoffes genügt, der findet das üblihe Material mit recht verftändiger Ber 
tonung und Berüdfidhtigung des Praktiſchen auf engem Raum zufammengeftellt; 
yirrfte aber nach den angezogenen „Wahmehmungen” gewiß mehr erwartet 
haben. Als ein Verzeichniß der Defmitionen, Lehrjäge und Eonfttuctionen 

r die Hand des Schülers wirb der Verf. recht gute Dienfte leiften; voch 

tfte auch für die Stufe der Anſchauung die Angabe am Plage fein, ob 
eine Conftruction genau oder nur näherungsmweife richtig jei. Als Lernbuch 
empfiehlt es ſich durch eine Reihe von Aufgaben, welche in ihter Art recht 
gut ſind. Der Anhang enthält die Decimalbrüche, Ausziehung der Quadrat⸗ 
wurzeln und Ergänzungen. Die Decimalbrüche find recht Har und deutlich 
dargeftellt; eine zweite Auflage des Buches möge aber’ den Grund des 
Verſahrens in 8. 2 genauer angeben, die genau genommen falfche Etelle: 
‚Dei Berechnung derfelben wird oft der Fall eintreten ıc. (©. 55)" vers 
deffern, der Regel in 8. 5 den Grund hinzufügen und 8. 8 ergänzen. 
Das Ausziehen der Duadratwurzel wird nur medanifh gelehrt, aber 
ventlich befchrieben. Der Anhang fordert nicht felten eine ziemliähe Gt: 
wandtheit im lmformen von allgemeinen Austrüden, 5.8. 8. 58. Diefer 
heißt (und in verkürzter Form): „Da das Volumen des Kegels 
Vo rꝰ. . h 


iſt, ſo iſt die Hoͤhe 
| h=.— 


und ber Durchmeller 


Mathematif, 113 


45. Praltiſche Geometrie für Volls⸗ und Kortbilbungefchulen jowie für Präpa- 
randenanftalten. In anſchaulicher Darſtellung entwidelter Lehrform und 
praftifher Anwendbarkeit von &. Kehr, Seminarinfpector in Gotha. 
2. Aufl. Verlag von €. %. Thienemann, 1867. 170 S. 18 Ser. 


Der Verfaſſer hat offenbar fih mit der größten Sorgfalt bemüht, den 
Derth feiner tüchtigen pädagogischen Leiftung (Päd. Jahresb. XIV. ©. 117) 
noch zu erhoͤhen. Auch unfere Grinnerungen über Nebenvinge find berüd- 
Rätigt worden. Wir erlauben uns diefes Mal folgendes zur Berüdfihtigung 
vorzufhlagen: 1) Ein Kreideſtrich ift keine Fläche, ſondern ein Körper 
oder auch, wenn man will eine Menge von Körpern. 2) Die Richtung 
des Sentbleis geht wohl meiftend nicht dur den Mittelpunct der Erde; 
für irdiſche Berhältnifie ift zwar bie Abweichung gleih Null zu feben, nicht 
aber für himmlische. I) Bei den biftoriihen Notizen über die Grmittelung 
des franzöſiſchen Längenmaßes dürfte die geographiſche Bemerlung am Plaße 
kin, daß die Erdmeridiane nicht gleih find und wahrſcheinlich auch ihre 
Größe ändern, daß alfo auch durch fie fein feftes Laͤngenmaß gegeben ift. 
4) Bei der Erwähnung Ludolph von Cölln’s mit dem Zufaße „in Holland”, 
lönnte die Bemerkung hinzu lommen, daß derfelbe ein Deutfcher und zwar 
—* aus Hildesheim, iſt, wo noch Glieder ſeiner Familie zu blühen 

einen. 


#6. Geometriſche Tafeln ſür den Elementar⸗Unterricht. Nach der ſtigmographi⸗ 
ſchen Methode entworfen und erläutert von Dr. K. Hillardt. 119 ©. 
24 Tafeln. 4. Wien 1866. L. W. Seibel und Sohn. 1 Thlr. 


Wir haben oben (Nr. 53 fi.) ven Verfaſſer felbft über die Vortreff- 
liäteit der „ftigmographifchen Methode” reden lafien. Uns bat er nicht 
überzeugt. Doch mollen wir ihm das Zeugniß nicht verfagen, daß er 
feinen Gedanken treiflih durchführt, und daß Einzelned auch ohne feine 
Methode recht wohl zu verwerthen ift. 


41, Die Sem- und Meßlehre ober ber geometrifhe Anichauungsunterricht in 
der Volksſchule. Ein Handbuch für Lebrer. Bon J. H. Niemeyer, Lebrer 
in Barel. Mit einem Vorworte von Fr. Bartholomäi in Jena. Olden- 
burg, Berlag von Ferdinand Schmidt. 1867 (120 ©.). 


Ich habe das vorliegende Werken mit folgenden Worten eingeführt: 
„Es if immer meine Ueberzeugung gerwefen, daß au in der Volksſchule 
die meiflen geometrijchen Gefege durch die ſymboliſche Darftellung an Deut: 
lihleit gewinnen und auf jeden Zall an ihr zu der wörtlihen eine werth: 
volle Zugabe erhalten. Auch weiß ih aus Grfahrung, daß nad einer 
genägend langen Reihe von fpeciellen Fällen felbjt der jüngere Schüler die 
allgemeine Form findet, verfteht und lieb gewinnt. Da nun das vorliegende 
Bud ſtets bis zu der allgemeinen Bezeihnung vorbringt und biejelbe be 
greiflih madıt, fo würde ich ſchon aus diefem Grunde bereitwilligft dem 
Vunſche des Verſaſſers nachgekommen fein, feiner Arbeit ein empfehlendes 
Vorwort mit auf den Weg zu geben. Nocd mehr aber werde ich zu einer 
Empfehlung durch die analytiſch⸗ſynthetiſche Methode bewogen, welche der 
Berfafier durchweg befolgt. Er geht nämlih von der Betrachtung phyſiſcher 
Rörper aus, gelangt zu den geometrifchen Glementen und ſchreitet von 

Pad. Jahreſbericht. XIX, 8 


114 Mathematik. 


biefen zu den zufammengefeßteren Gebilden vorwärts. Die Körper jelbft 
bilden eine Stufenreihe vom Einfacheren zum Zuſammengeſetzteren und vom 
Leichteren zum Schwereren. Die Inhaltsangabe wird den Lefer obne 
Meitered über den Gang der Darftellung orientiren. Das Hauptgewidht 
wird mit Recht auf das Mefien der Linien, Figuren und Slörper gelegt. 
Auch für Mebungsftoff ift veichli geforgt, indem mehr als ein Fünftel 
des Raums zu Aufgaben benutzt worden iſt. So möge das Büdlein feine 
gefahrvolle Reife in der Fluth der elementar:geometrifchen Literatur antreten. 
Ich begleite eg mit dem Wunſche, daß es Freunde und Verbreitung finde.‘ 

Zur genaueren Gharalteriftit der Schrift muß aber noch der Inhalt 
* mitgetheilt werden: Erſter Abſchnitt. Prismenformen: I. Bierjeitige Pris: 
men: A gerade: 1) Würfel, (dabei Gerade, rechter Winkel und Quadrat, 
Flaͤchenwinkel und FTörperlihde Ede, Form des Würfeld und Quabrats, 
Meilen der Geraden, des Würfel und des Duabrats; 2) rechtwinleliges 
vierfeitiges Prisma mit quabratiicher Grundflaͤche; 3) das vierfeitige recht: 
winkelige Prisma mit einem Rechtede ald Grundflädhe, 4) das breifeitige 
Prisma und das rechtwinkelige Dreied, 5) Winkel, Nebenwinlel, Scheitel: 
wintel, Winkelmeſſung, Parallelentbeorie, Dreied, 6) Congruenz der Dreiede, 
7) Barallelogramm, 8) Trapez, Trapezoid und Bieled; B. Schiefe: 
1) Begrenzt von 4 Rechteden und zwei Parallelogrammen, 2) rechte 
Flaͤchenwinkel enthaltend, 3) jchiefe Flaͤchenwinlel enthaltend, II über 
Viereden, IIL über Bieleden, (Quadratwurzel, pythagoraͤiſcher Lehrſatz, 
Flächeninhalt des Dreied3 aus den drei Seiten, Aehnlichkeit der Figuren, 
regelmäßige Vielede, Umfang und Fläche des Kreiſes, Kreislehre); IV. über 
regelmäßigen Figuren, V. Wale; Zweiter Abjchnitt. Pyramidenformen : 
I) drei: und vierfeitige, 2) andere, 3) Volumen der Pyramide, des Pyra⸗ 
midenftumpfs, des Kegels, Ellipfe, Obelisk; Dritter Abfchnitt. Kugel: Be: 
griff, Ausmefjung des Volumens und ber Oberfläche; Vierter Abſchnitt. 
Unregelmäßige Formen; Aufgaben S. 95—120. 


2. Wiſſenſchaftliche Lehrbücher. 


48. Lehrbuch ber Mathematik für böhere Unterrichtsanftalten von Dr. Paul 
Wiede. 1. Theil. Planimetrie und ebene Trigonometrie. Leipzig, Berlag 
‚ von Dtto Wigand, 1865. 206 ©. 25 Sgr 


Inhalt: Grundanfhauungen und Grundbegriffe, Summe der Winkel 
in gejchlofjenen Figuren, Beziehungen zwifchen Seiten und Winkeln eines 
Dreieds, Congruenzjäße, Anwendung der Congruenzlehre auf Dreiede und 
Bierede, Parallelogramme, Anwendung der Congruenzlehre auf den Kreis, 
Figuren in dem Kreiſe und um denſelben, Parallelogramme von gleicher 
Grundlinie und Höhe, proportionirte Streden, Bedingungen der Aehnlichkeit, 
Anwendung der Aehnlichkeitslehre auf Figuren, Proportionalität der Flächen, 
Berechnung der Flächen, Eonftruction algebraiſcher Ausprüde; Trigonometrie: 
Sinus und Coſinus, Tangenten und Cotangenten, Trigonometrie. Diefer 
im Ginzelnen ſehr reichhaltige Stoff wird in der üblichen eutlidifhen Dar: 
ſtellungsweiſe behandelt, aber dabei auch dem Unterrichte Rechnung getragen. 
So ftellt ſich der Verfaſſer auf einen allgemeineren Standpunkt, als man 


Mathematik. 115 


nah Euklid erwarten follte, 3. B. in dem Paragraphen über „Linien und 
Flachen im Allgemeinen” und in der Lehre von den Tangenten und Nor: 
malen, den bomologen Punkten ıc., was uns ſehr zwedmäßig erjcheint. 
Auf der andern Seite wird erft das Specielle behanvelt, 3. B. in ber 
Irigonometrie, was ebenjalls im Intereſſe des Unterrichts Liegt. Im Ein: 
zelnen zu Toben iſt die Darftellung der geometrifchen Derter (S. 67) und Ber: 
bandlungsanfgaben (S. 77). — In 8. 35 hätte vielleicht die allgemeine 
Formel einen Platz finden koͤnnen. Mit den Erklärungen 

sin (1800 4 A) = sin A, 

cos (180°— A) = cos A 
und ähnlihen können wir uns nicht einverflanden erflären, denn genan 
genommen find fie Lebrfäge und nehmen fi) dann neben den entfprechenden 
Sägen 

sin (180%-- A) = — sin A 

eos (180°— A) = — cos A 
doch etwas fonverbar aus, 


49. ven Dr. Carl 6 der ae nach Legendre für ben Schuigebrauch bearbeitet 
ut Ay; Hechel. 2. Aufl. Reval, 1865, Berlag von Franz Kluge. 
7 


Enthält nur das nothwendigfte Material und zwar in einer Anorb- 
nung, welde ſchwerlich Billigung finde. Die Eigenthümlichleiten ver 
Legendre ſchen Darftellung find zum Theil verloren gegangen, fo daß wir 
in der That nicht wüßten, weshalb wir das Buch empfehlen follten. 


50. Die Schule der Geometrie und Trigonomietrie der Ebene. Bon C. Helwig, 
Oberlehrer an ber Realſchule zu Erfurt. Erfurt, Verlag von Carl Billaret. 
Erſter Eurfus. Die einfachiten Betrachtungen über bie ebenen gerad» 

linigen Figuren und ben Kreis. 1863. 38 ©. 72 Sgr. 
Zweiter Curſus. Die Gleichheit und Aehnlichkeit ber ebenen gerablinigen 
iguren uhb damit zulammenbängende Betrachtungen; Kreisberechnung; 
rigonometrie ber Ebene. 119 S. 18 Sgr. 


Der Verfaſſer beginnt den Unterricht in der Geometrie mit der Be: 
Khreibung einer Anzahl von Körpern, welhe dem Schüler im Modell vor: 
gelegt werden, und läßt fpäter zahlreiche Hebungen im Meſſen von geraden 
Linien und Winkeln, fowie die Conftruction von Dreiden und Biereden 
folgen, und gibt überall, wo ſich Gelegenheit bietet, Anleitung zu ftrenger 
 ispofition. Cr bat fi entſchieden um Methode befümmert und über fie 
nachgedacht. Gleichwohl glauben wir nicht, daß er in feinem erſten Curſus 
feinen Zwed erreicht, denn derfelbe enthält doch nur eine Reihe von Säßen, 
welche in der üblihen Weife bewiefen werden, obgleich anerkannt werden 
muß, daß Anordnung und Auswahl fo geſchicktt getroffen worden ift, daß 
nur kurze Schlußreihen vorlommen. Aber in eine ganz neue Welt werben 
wir duch den zweiten Curſus verjebt. „Der durch den erflen Curſus 
vorbereitete Anfänger bat eine allgemeine Kenntniß von den Gebilven, 
deren Eigenſchaften in der Geometrie ber Ebene zur Darftellung kommen, 
erlangt, Der von ihm gelegte Grund kann durch fein Mittel befier und 


8* 





116 Mathematik. 


ſicherer befeftigt werben, als dadurch, daß ihm Belegenheit zur Auwendung 
des Gelernten gegeben wird. Deswegen beginnt der zweite Curſus mit 
einer Reihe von Aufgaben, welche theild zur mündlichen Darftellung, theils 
zur jchriftlihen Bearbeitung beftimmt find.” Diefe Aufgaben find an fi 
ausgezeichnet und vortrefflih geordnet und können nicht verjehlen, eine 
tühtige „Schule der Geometrie” abzugeben. Diejelben vertheilen ſich 
unter folgende Nubriten: Aufgaben, beren Löjungen ohne Weiteres aus 
dem eriten Curfus fließen, und zwar über Winkel, Dreiede und den reis, 
Aufgaben, zu deren Löfung eine Hülfsfigur erforderlich ift, wobei (wie ſehr 
zwedmäßig) die Hülfsfiguren vorab entwidelt werden, Aufgaben, welche durch 
geometrifche Derter gelöft werden und folde, welche fpecielle Cigens 
(haften der Figuren vorausfeßen. So wie diefe Aufgaben find aud bie 
jenigen, welche den übrigen Abfchnitten beigegeben find, vortrefflich und fehr 
forgjam vorbereitet. 

Im Einzelnen ift Folgendes zu bemerlen: 1) Die Ausmeſſung ber 
Figuren ift auf die Ausmeſſung des Rechtes gegründet. Aus dem In⸗ 
balte des Rechteds folgt der des rechtwinkeligen Dreieds, bieraus der bes 
ſchiefwinkeligen Dreieds durch Zerlegung in zwei rechtmintelige u. |. w. 
Huch neben anderem Gange zu empfehlen. 2) Die Definition: „Zwei 
Dreiede heißen ähnlih, wenn fi) das eine fo über das andere legen läßt, 
daß diefelbe Figur entfteht, ald wenn man in einem Dreiede mit einer 
Seite eine Parallele zieht, ift nicht zu billigen, denn fie läßt fich nicht 
auf das PVieled übertragen. 3) Die Zrigonometrie enthält au die Auf⸗ 
löfung des Viereds und Bieleds. - 


51. Die Elementarmathematil für den Schulunterricht bearbeitet von Dr. Lud⸗ 
wig Kambly, Profefior am Gymnaſium zu St. Elilabeth in Breslau. 
Zweiter Theil. Planimetrie. 14. Aufl. Breslau, Verlag von Ferdinand 
Hirt, 1866. 104 ©. 121 Ser. 


Man fieht aus der Zahl der Auflagen, mie dieſes Lehrbuch, deſſen 
7, Aufl. wir zulegt (Päd. Jahresb. XIII, S. 98) anzeigten, fleißig ges 
braudt mird. 


52. Lehrbur der Geometrie mit beionberer Rüdfiht auf geometriiche Con⸗ 
fiructionen für Real⸗ unb gewerblide Fortbildungsfhulen vom Reallehrer 
Dr. Dito Böflen. Stuttgart, 1866. Berlag von Wilhelm Nitzſchke. 

. gr. 


Nachdem die Erllärungen vorausgefhidt find, gebt es gleih an das 
Beihnen. Die Gonjtructionen werden meiltens in bejtimmten Maßen ver 
langt, die Lehrfäge bewiefen. Um damit jo menig als möglich Zeit zu 
verlieren, ift 1) eine Anordnung getroffen, durch melde die Beweiſe fi 
abtürzen oder auf leichte Weije vorbereitet werden (I, 8. 6. 7. 13), 
2) nur der einfachfte Fall genommen, wird wenigſtens nicht jeder einzelne unters 
ſchieden (L 8. 10; IL, 8. 1; III, 8. 1. 2. 4. 5. 7), werden 3) die 
meilten Süße ald Zuſätze behandelt. Wenn jevoh ein Cag für die. Can 
firuction beſonders widtig iſt, fo erfeheint er auch dann unter dem Titel 
„Lehrſatz“, wenn er in Wirklichkeit ein Zufaß ift, 3. B. der Sag: Der Wintel 
im Halbkreiſe ifi ein Rechter, fo wie der: Beripberiewinlel auf demjelben 

















Mathematik. 117 


Bogen find glei. Damit dürfte die conftructive Nichtung bed Buches 
hinlaͤnglich dyaralterifirt fein. Mitunter fcheint jebody der Verfaſſer eimas 
zu viel Scheu vor der Redmung an den Zag zu legen. Hat man z. B. 
den Saß zu beweilen: „Wenn vier Gerade a, b, c, d proportionirt find 
a:b=co:d, 
jo ift das Rechted aus den äußeren Gliedern gleih dem Rechted aus ben 
inneren,” fo mag man wohl mit dem Berjafler beginnen: „Angenommen, 
es verbalte fi 
a:b=2:38, 
jo verhält fi auch 
e:d= 2: 8," 
aber dann auch fortfahren: folglich ift 


FL 
13, 
mithin 2b 3c 
ad — —— — bo, 


wodurch ſelbſtverſtaͤndlich der Nachweis in der Figur nicht ausgeſchloſſen 
ſein ſoll. 


53. Grundzüge einer graphiſchen Arithmetik. Beilage zum Oſterprogramm bes 
Symnaflums zu Schaffhaufen von Dr. H. Eggerd. Schaffhaufen, 1865. 
. gr. 


„Ss kommt in der Technik vor, daß unbelannte Größen beftimmt 
werden follen aus befannten, welche durch Zeichnung gegeben find. Diefe 
Beſtimmung fann einmal dadurch gejheben, daß man die gegebenen Größen 
durch Mefiung in Zahlen überjegt und zur Aufjuhung der Unbelannten 
fih arithmetifher Hüljsmittel bedient, oder andern Theils dadurch, daß 
man die geometriihe Form der gegebenen Größen beibehält und zur Auf 
findung ver gejuchten geometriihe Konftructionen anwendet. Wenn nun 
als Endrefultat geometriſche Größen verlangt werden, jo würde bie Ein 
haltung eines arithmetiſchen Verfahrens eine Rücüberſetzung in. die geos 
metriſche Form bedingen. Man hat diefen Ummeg ald wenig elegant be 
tradhtet, und geometriihe Methoden gefuht, mit denen man nicht weniger 
bequem als mit arithmetifhen arbeiten Tönnte. Einem folden Beftreben 
verdankt die jüngfte Zeit ein Werk fein Entftehen, beflen Inhalt nah dem 
Urtbeile von ſtennern eine bedeutende Zukunft hat. Ich meine die „gras 
phiſche Statik“ von Culmann. Um die geometrifhen Hülfsmittel in folder 
Weile anwenden zu können, wie es in dem angeführten Werke gejcheben 
iR, bedarf es einer frühzeitigen Gewohnheit und einer lange anhaltenden 
Uebung. Es ſcheint mir deshalb nüßlich gu fein, beim Unterrichte der 
Jugend bie geometrischen Methoden parallel geben zu lafien den arithmetifchen, 


118 Mathematik. 


und Auch ſolche Aufgaben, die bisher im-Allgemeinen nur in arithmetiſcher 
Weiſe behandelt wurden, geometrifch zu loͤſen. Ich babe demzufolge ver: 
ſucht, die Grundzüge einer „grapbifchen Arithmetik“ zu entwerfen, von 
welcher ih bier dem Publicum eine Probe vorlege. Wir haben dieſe 
Probe mit großer Spannung verfolgt, und wünfchen dem Berfafier Glüd 
zu feinem Gedanken. Wir rathen ihm, die Ausführung an die Geometrie 
anzuſchließen. 


54. Elemente der ebenen Trigonometrie und Stereometrie. Lehrbuch für die 
oberen Klafſen der Gymnaſien und Realſchulen von Friedrich Ludwi 
Stegmann, Doctor der Philoſophie und Mebicin, Profeſſor der Mathematik 
an ber Univerſität Marburg. 2. Aufl. Marburg, N. ©. Elweri'ſche 
Buchhandlung, 1866. 156 ©. 20 Ser. 


Das Buch firebt nad genetiiher Entwidelung der Begriffe und 
bietet auch im Einzelnen manches Bemerkens- und Beachtenswerthe. Nach 
einer zwedmaͤßigen Einleitung werden die trigonometriſchen Functionen be⸗ 
handelt, wobei uns aufgefallen, daß die ſogenannten Co⸗Functionen von 
den Hauptfunctionen getrennt find, und die breite Ausdrudsweiſe: 
„Der Sinus eines Winkels iſt die unbenannte Zahl, welche angiebt, wie 
viele Mal kleiner das gegenüberliegende Perpendikel iſt, als die Hypotenuſe,“ 
da der Ausdruck: „wie viele Mal kleiner“ ungenau, der Zuſatz „unbe⸗ 
nannte“ überflüſſig und „Quotient“ die kürzeſte und deutlichſte Bezeichnung 
iſt. Das zweite Capitel „Von den trigonometriſchen Tafeln“ zeichnet ſich 
durch ſtrenge Geneſis und ungemeine Einfachheit aus, ſo daß es als Muſter 
aufgeſtellt werden kann. Die übrigen Partieen der Trigonometrie find 
aͤhnlich wie in andern guten Büchern abgehandelt. Dagegen ſind die 
Eigenthümlichleiten in der Stereometrie deſto zahlreicher. Der Inhalt der⸗ 
ſelben iſt: J. Lage gerader Linien im Raume gegen einander und Ebenen; 
U. Verbindung der Ebenen: 1) zwei parallele „Ebenen, 2) zwei conver⸗ 
girende Ebenen, 3) drei in Verbindung tretende Ebenen; IIT. Ebenflädige 
Körper: 1) Reguläre Polyeder, 2) Prismen, 3) Pyramiden; IV. Cylinder: 
1) Schneidende und berührende Ebenen, 2) Flächeninhalt des Cylinder⸗ 
mantels, 3) Cubitinhalt des Cylinders; V. Kegel; VI. Kugel. Die Unter 
abtheilungen von V und VI wie unter IV und bei der Kugel nod die 
ſphäriſchen Dreiede. Aus der Betrahtung des vorliegenden Materials 
ergeben ſich nun ftets eine Reihe von Aufgaben, welche mit den vorhan⸗ 
denen Hülfsmitteln gelöfl, oder zu deren Löſung neue Hülfsmittel entvedt 
werden. Man fieht daher immer, weshalb ein Saß feine Stelle einnimmt. 
Dies zeigt fi befonders in der Lehre von der förperlihen Ede und in 
dem Abſchnitte von den fphäriihen Dreieden. Im Webrigen müflen wir 
auf das Studium des ausgezeichneten Buches ſelbſt verweifen. 


55. Aufgaben Über Anwendung ber Algebra auf Geometrie. Für höhere Lebr- 
anftalten bearbeitet von Friedrich Hofmann, Profefior der Mathematik 
am Gymnaflum zu Bayreuth. Bayreutb 1865, Berlag ber Grau’ichen 
Budhandlung, 40 ©. 6 Ser. 


Enthält die Löfung derjenigen Aufgaben über Anwendung der Algebra 
auf Geometrie, welche geſetzlich für. vie Oberclafie der Gymnaſien vorges 





Mathematik. 119 


jchrieben find. Für den Unterricht find vie beigegebenen Biffernbeifpiele von 
Weib. Daß die Aufgaben richtig und auf verſchiedene Art gelöft find, 
verftebt fi von jelbft. 

56. Analytifche Geometrie. Ein Lehrbuch für die oberen Klafſen höherer Lehr⸗ 


anftalten. Bon Dr. Auguſt Wiegand. Halle, H. W. Schmidt, 2. Aufl. 
1866. 76 ©. 124 Ser. 


Enthält wie ſchon der Umfang andeutet nur das Wichtigfte über 
Coorbinatenfyfteme und die Kegelſchnitte. Bei den letzteren wird von ihrer 
geometrifhen Bedeutung ausgegangen. Daran jchließt fih das Zangenten: 
problem, die Discuffion der allgemeinen Gleihung des zweiten Grades und 
die Discuffion einiger Curven höheren Grades. Die PDarftellung und Bes 
handlung läßt nichts zu wünſchen übrig bis auf die Anwendung des 
Differentialquotienten, die uns übel angebracht zu fein ſcheint. Doch gefchieht 
fie nur in einem alle und wir werben durd bie gelungenen Aufgaben 
in 8. 17, fowie durch den Sag in $. 20 hinlänglid ſchadlos gehalten, 
wenn wir aud die erwähnte Benußung des Differentialquotienten beim 
Unterrichte weglafien. 

57. Sphärifhe Zrigonometrie für Schulen und ben Selbflunterriht von Fer⸗ 
dinand Möfe, Mathematicus an ber Großen Schule zu Wismar. Wismar, 

Roſtock und Ludwigsluſt, Hinſtorff'ſche Hofbuchhandt. 1867. 40 ©. 10 Bar. 


Nach der Einleitung wird zunächſt der Fundamentalſatz 
co a — cos b cos © 


sinbsine 

für alle möglichen Winlelverhältnifje abgeleitet und dadurch feine allgemeine 
Gültigleit erhärte. Daran ſchließen fih die Formeln für sin * eos >= 
zu dem Zwede der logarithmiſchen Bearbeitung. Aus dieſen folgt sin A 
und hieraus der zweite Fundamentalſatz. Diejer Weg ift der übliche, aber 
wir glauben, daß es richtiger ift, aus cos A zunädft sin A abzuleiten. 
Denn I) ift durch den Cofinus aud der Sinus gegeben, alſo aud die 
Aufgabe geftellt, venfelben zu finden, 2) weiß man nicht im Voraus, daß 
die Yormel für den Sinus und Coſinus der halben Winkel logarithmiſch 
brauchbar wird. Subftituiren wir hingegen cos A in der Grundformel 


sin A? —= 1 — cos A? — (1 +4 cos A) (1 — cos A), 
fo erhalten wir ohne Weiteres den Sinus in logarithmiſch brauchbarer 
Zorm und ba 








co A = 


A3 
1 HosA=2 cos —, 

3 
1—owA=2ein Z- 


if, zugleih die Jormeln für sin * und cos 2 ebenfalls in logarithmiſch 
brauchbarer Form. — Sodann folgt die Ableitung der Gauß'ſchen Formeln 








120 Mathematik. 


und der Nepper'ſchen Analogieen und die Auflöfung ſämmtlicher Aufgaben. 
Die Darftellung ift zwar kurz, aber von binlängliher Ausführlichleit und 
durch Mufterbeifpiele ergänzt. Die Behanblung der fphärifchen Dreiede iſt 
eine danlenswertbe Zugabe. Ebenſo die ziemlihe Reihe von Aufgaben in 
reinen Zahlen und Anwendungen auf Geographie, Rautit und Aftronomie. 
Bon der Polarede wird lein Gebrauh gemadıt. 


3. Aufgabenfammlung. 


58. Stereometrifhe Aufgaben von Dr. Earl Heel, Reval, Kranz Kluge, 
1865 unb 1866.8248 ©.’ 1 Thlr. 14 Ser. 


Diefe Sammlung kann in jeder Hinficht eine ausgezeichnete genannt 
werden. Site behandelt alle Gebilde der elementaren Stereometrie auf bie 
mannigfaltigfte Weife, giebt wo nöthig Anleitung durch Wort und Figur 
zur Löſung, dieſe felbft in ihrer allgemeinen Form nebit Bahlenbei: 
Ipielen über Würfel, Parallelepiped, Prisma, Pyramide, abgeftumpfte Pyra⸗ 
mide, Pyramidale und prismatiihe Kugelhaufen, prismatijche Abjchnitte und 
Thelisten, Cylinder, Kegel, abgeftumpfte Kegel, Rotationslörper und Kugel. 
Bon den über 1000 zählenden Aufgaben theilen wir die folgende mit als 
Mufter, nach dem alle übrigen gegeben werden: „Um eine Kugel ift ein 
gerader Cylinder und in ‘den Cylinder ein gerader Kegel befchrieben, fo 
daß der Eylinder und der Kegel den größten Kreis der Kugel zur Grund: 
flähe und den Durchmefier derjelben zur Höhe haben. Es foll gefunden 
werden 1) aus der Gefammtoberflähe a — 4,236068 7%. des Kegels 
das Volumen des Cylinders C und der Kugel K, und 2) wenn der Kegel 
des Volumen K — 144 Cubkf. hat, die Oberflähe O der Kugel und bie 
Gefammtoberflähe F des Cylinders. Auflöfung : 


& 
)C=a Vier” 1,689947 C3. 
_&aı/ 2a 
- 3V/ (e+y5)r 
. 8 
2) 0 = 2yisz Fi = 210,9012 DI. 


K — 1,126643 Cs. 


3 
F=3 yıg ak: = 316,3518 05.“ 


IH. Logarithbmentafel, 


59. —ã— logarithmiſch⸗goniometriſche Tafeln zuſammengeſtellt von Dr. 
erdinand Kutter, —*8 Mitglied der ungar. gelehrten Academie. Peſt 
und Wien, A. Hartlebens Verlag. 15 Sgr. 


Inhalt: 1) die briggiſchen Logarithmen der natürlichen Zahlen, 
2) die Napier'ſchen Logarithmen der natürlichen Primzahlen von 1 bis 
1000, 3) die goniometriſchen Zahlen für Winkel von Viertelgrad zu 
Viertelgrad, 4) die briggiſchen Logarithmen der goniometriſchen Zahlen, 


Mathematik. 121 


5) die Duabrat: und Cubilwurzeln der natürlichen Zahlen von 1 bis 100, 
6) Zafel zu barometrifhen Höhenmefiungen, 7) Geſchwindigkeit des Schalles 
bei verſchiedener Temperatur der Luft, 8) Grpanfivkraft des Waſſerdampfes, 
9) Berwandlungstafeln, 10) Correctionstafel beim Nivelliven, 11) Tafel in 
Bezug auf den fcheinbaren und den mwirfliden Horizont, 12) Tafel der 
fpecififchden Gewichte, 13) Länge der Kreisbögen für alle Grade, Minuten 
und Secunden des Halbmefierd für r — 1, 14) Logarithmen goniometri- 
fer Zahlen für Heine Wintel. Man fieht, daß mehrere Zafeln mitgetheilt 
werben, weldhe in ähnlichen Sammlungen nicht zu finden find. Die Tafel 
für da3 barometrifhe Höhenmefien geht von der Formel 


B T—T U) H’ 
N (1 or) (1400) race (147) 


B 
aus, wo N und z. ein conflanter Factor und H’ = Nlog— und R der 


B 
Erdhalbmeſſer x. iſt. Aus der Zafel wird genommen 
t+t' 
log N (1 +) —A, 


loeg(l +ucos2g)=d. 

Die Verwanplungstafel enthält nur Wiener Maß. Für die „Zafel in 
Bezug auf den ſcheinbaren und den wirklichen Horizont“ vente man ſich 
einen größten Kreis C auf der Erbe, auf der Peripherie befielben einen 
Bogen AB und durch A eine Tangente, melde die Verlängerung bes 
Halbmefiers CB in E ſchneidet: die Zafel giebt die Größe von BE und 
den Winlel ACB für die Bögen AB. Die Beihreibung und Grllärung 
der Tafeln iſt tadellos. 


IH. 
2iteraturfunde. 


Bearbeitet von 
Auguft Lüben. 


I. Methodik. 


1. Anleitung, bihterifde Meiſterwerke auf eine geif- und 
berzbifdende Weife zu lefen. (Der Schule und bem Haufe) Bon 
Ludwig Edardt. Zweite, vermehrte Auflage. gr. 16. (IV und 183 ©.) 
—— und Leipzig, K. Hochhauſens Verlag. (Woldemar Lutze.) 1866. 
18 Sgr. 


Der Verfaſſer giebt in dieſer Schrift eine Anleitung zum Studium 
bichterijcher Meifterwerle, bie im Großen und Ganzen als durchaus richtig 
bezeichnet werden muß, und daher der Beachtung zu empfehlen if. Wie 
für den Einzelnen, jo bat die Anleitung auh für den Schulunterricht 
Merth. 

Wie e3 in biefem Jahresberichte wiederholt geſchehen ift, fo tritt auch 
der Berfafier der an vielen Orten üblichen Betreibung biejes Unterrichts 
faches entgegen. Er will alfo in den „höheren Züchter, Bürger: und 
jelbft Lateinſchulen“ (Mitteljhulen) nicht „Literatur geſchichte“, d. 6. 
‚eine hiſtoriſche Entwidelung der Dichtung, fondern Literaturlunde Die 
Poeſie ift eine Ausftrahblung des weltgeſchichtlichen Geiftes, der ohne Kennt: 
niß der Weltgefchichte, ohne Kenntniß des innerften Zuſammenhanges ihrer 
Ereigniſſe nicht begriffen werden kann. Bis zu biefer Stufe ſchwingt ſich 
aber fein Zögling der Mittelſchulen empor; felbft viele Lehrer vermögen 
dies nicht. 

Die nachtheiligen Folgen des hergebracdhten Unterrichts in der Literaturs 
geihichte findet ver Verfaſſer in Folgendem: 

„I. Die Ungründlidteit wirb genäbrt, weil ver Schüler anges 
leitet wird, über Dichter und Dichtungen überlieferte Urtheile weiter zu 
tragen, meift ohne dieſe zu prüfen, und fi gern der Mühe überhoben 
fieht, felbft an die Duelle zu geben. 

2. Die Unjelbftändigleit des Denkens mirb herbeigeführt, 
indem der Schüler auf die Worte des Lehrers jchwört und jede andere 








Literaturkunde. 123 


Anſicht zurüdweift, ja zurückweiſen muß, weil er dieſe Anſicht nur wieder 
mit einer Anſicht d. h. der ihm eingetrichterten und nicht mit dem Gegen⸗ 
Rande der Beſprechung ſelbſt zu vergleichen im Stande iſt. 

3. Schule und Schüler lernen das bedenklihe Spiel mit dem Schein 
tennen. Die Schule umgiebt fih mit dem Tügnerifchen, aber die Laien 
blendenden Schimmer, als befäße fie das Willen eines Gervinus, und der 
Schüler wiegt fi leiht in den fchönen Traum, ein Gervinus zu fein, ber 
über Alles, von Wulfila bis auf Uhland, ein fertiges Urtheil in ver 
Taſche hat. Lehrer und Schüler fprechen über Zeiträume, Dichter und 
Bücher, die nicht einmal immer jener, geſchweige denn dieſer anderswoher 
tennt als aus feinen Literaturbeften. 

4. Se leder der Schüler oder die Schülerin Göthe als den „objec⸗ 
tiven” und Schiller als den „fubjectiven‘‘ Dichter abfertigt, wenn auch ohne 
eine blafie Ahnung von dem Gefagten, deſto reichlicher fließt das Lob. 
Die Eitelleit ift gewedt und um fo leichter zu befriedigen, al3 fie fiebt, 
wie wohlfeil es ift, zu glänzen. 

5. Diefes erlogene Wiſſen nimmt der Jugend bie gegiemende Des 
mutb; denn fie erobert ja in einem Dutzend von Moden die ganze 
Literaturgeſchichte und weiß unverfehends die Fehler mehrerer Klaſſiker an 
den Fingern herzuzaͤhlen. Was trübt aber das Morgenroth ein jugend: 
lihen Seele mehr, ald wenn fie, flatt das Schöne auf ſich wirlen zu laſſen, 
fi in einem leichtfertigen, angelefenen oder auswendig gelernten Abs 
ſprechen gefällt! Die Jugend braucht Anſchauungen, nicht Kritil. Man 
muß vor ihr aufbauen, nicht nieberreißen. 

6. Die treten diefe Schüler in die Hochſchule, in das Leben über? 
Wir lönnen es glüdliher Weife nur mit einem fremden Worte bezeichnend 
wiedergeben: „Blaſirt.“ Ohne Ehrfurcht gegen unfere eriten Geiftes- 
größen, voll Dünkel über fih felbit und ihre Fähigkeit, jeden Lorbeerkranz 
mit einigen fchlagfertigen Phraſen zerpflüden zu können, haben fie nur das 
nicht gewonnen, was gerade die Mitteljchule werben foll: Tiefen dauernden 
Sinn für das Schöne Sie werfen die Dichter mit einem vornehmen 
Lächeln ihrer eigenen früheren Schwärmerei als Beſchäftigung eines unreifen 
Standpunctes weg. 

7. Die Jugend fieht in der Literaturgefchichte von heute bald fait 
den Wald vor Bäumen nicht; fie läuft Gefahr, aus der Schule nichts als 
ein Berzeihniß von Namen (mit einem Sprüdhlein zu jedem) heimzutragen. 
Dadurch wird die unglüdlihe Biellejerei, pas Nafchen der jebigen 
Leſewelt, das Ueberalls und Nirgendsdaheim derjelben, nur genäht. Man 
Iente do die Jugend nur auf wenige große Männer bin und lafie fie in 
unfere Dichterheroen fich bineinleben, ehe man fie mit dem Heere mober: 
ner Dichter umlagert. Die neuere Literatur ift felbft erft im Werben, felbft 
noch aphoriftifh , im Epos geradezu fragmentarifch, in Romanzen ſich zer: 
fplitternd; Die Yugend foll aber Ganzes belommen und an dieſem bes 
Maßſtab eigenen reifenden Urtheils gewinnen. Wie man fie nicht in dan 
Erperimentiren der dichtenden Gegenwart — weil noch von zweifelhaftem 
Erfolge — hinreißen fol, ebenfo zerjplittere man fie nicht durch alle 
Beiträume der Vergangenheit. Wenn es wahr ift, daß jeder Menſch an 


124 Literaturfunbe. 


Ah den Gang ver Weltgefchichte im Kleinen wiederholt, flört men daun 
nit den wachſenden Menfhen in feiner Bildung, wenn man ihn auf 
einmal und ohne alle innere Folge zum Beitgenofien aller Literaturepochen 
macht ?“ 

Was in den genannten Schulen an die Stelle der an vielen Orten 
gelehrten Literaturgeſchichte treten ſoll, bezeichnet der Verfaſſer zwar nicht 
mit dem von mir gebrauchten Ausdruck Literaturkunde, es iſt aber im 
Weſentlichen daſſelbe. Er ſagt: „Etwas der Weiſe Aehnliches, wie man 
die Weltgeſchichte, die an ſich weit leichter iſt, auf einer minder reifen 
Stufe vorträgt. Man giebt den ftrengen Zuſammenhang von Grund und 
Folge bin und Löft fie in Biographien und Darftellungen einzelner Ereig⸗ 
nifie auf, macht demnah die Jugend mit großen Menjchen und 
großen Thaten befannt. So wünſchte ich, daß der Bögling der Mittel- 
ſchule nur auf das Leben und die Hauptwerle der größten Dichter (ent⸗ 
weder in einer gewillen Zeitfolge oder noch befier bei Beſprechung ber 
einzelnen Dichtungsarten) aufmerkjam gemacht werde. Auf diefe Weiſe lernt 
er Weniges, aber gründlich kennen, und das if die wahre Erziehung auf 
biefer Alteräftufe. Man muß die reifende Jugend intenfiv nad der Tiefe 
bilden und dur einen ihr immer füblbar bleibenden Mangel an erten⸗ 
fiver Bilgung, am einer gewiſſen erjhöpfenden Ausdehnung des Willens 
befcheiden erhalten. Auf diefe Weije lernt fie vor Allem anſchauen und 
genießen und nichts weniger als über Etwas urtheilen, was fie nicht 
ſelbſt gefchaut hat.” " 

„Die Behandlungsweife der Literatur, der bier das Wort geredet 
werben foll, beſchraͤnkt fih dem Gefagten zufolge auf 1) die Lebens» 
bilder großer Dichter; 2) die Erzählung des Inhalts berühmter Dich» 
tungen; 3) eine Anleitung, gewählte Mufterwerte in einer ben Geiſt 
und das Herz veredelnden Weife zu lejen.“ 

An diefer Stelle vermifien wir eine Hinweilung auf die Schriften, 
welche bereits zu einer derartigen Behandlung der Literatur Anleitung 
geben. Wir haben unjere Leſer in den vorhergehenden Bänden mit den: 
jelben befannt gemacht und koͤnnen von einer Aufzählung verjelben 
abſehen. 

Die ſich hieran reihenden allgemeinen Vorſchriften für das Leſen 
dichteriſcher Werke enthalten zwar nichts Neues, verdienen aber von Allen 
beachtet zu werden, welche ſich durch Lectüre gründlich bilden wollen. 

In ſieben Abſchnitten werden hierauf Fragen aufgeworfen und beant⸗ 
wortet, welche der Leſer beim Studium der verſchiedenen Dichtungsarten 
berückſichtigen ſoll, um mit Nutzen für Geiſt und Herz zu leſen. Bir 
geben nachſtehend die Fragen wieder, weldhe „beim Leſen eines lyriſchen 
Berichtes fchriftlih zu beantworten find,” da fih daraus am ſicherſien 
erfennen läßt, was ver Verfafler verlangt und mas alfo bie Lejer feiner 
Schrift zu erwarten haben. 

1) Kennft Du den Dichter bereits? fein Leben, feinen Charakter, feine 
Richtung? 2) Haft Du ſchon Etwas von diefem Dichter gelejen, und was? 
In welcher Grinnerung fteht er bei Dir? Was haft Du in Deinem Zages 
buche über dafjelde gejagt? Iſt die Lyrik fein eigentlüher Beruf, oder 











Literaturkunde. 125 


worin liegt feine Hauptftärle? — 3) Aus welcher Stimmung ging das 
Gedicht hervor? — 4) Spricht der Dichter eine eigene oder fremde Em⸗ 
pfindung aus? — 5) Iſt die Empfindung gefund oder krank, wahr ober 
gemacht, fittlih oder unfittlih, echtmännlich oder weibiſch, echtweiblich oder 
männiſch? — 6) Inwiefern wird des Dichters „eigene” Empfindung doch 
zu einer allgemeinen? — 7) Was ift der Grundgedanle oder die Idee 
des Gedichts? Findet fie im Titel oder in der Auffchrift einen entjprechens 
den Ausdrud? — 8) Iſt die Idee im Gedichte zu ihrem richtigen und 
Haren Ausprude gelangt? — 9) Berfällt das Gedicht in mehrere Theile? 
— 10) Herrſcht eine gewiſſe auch äußerlich fich darftellende Symmetrie 
unter ben Theilen? — 11) Stehen bie Theile mit der Idee des Ganzen 
im entfpredhenden Eintlange? — 12) Wie lautet der kurze Inhalt jeder 
Etrophe? — 13) Wie verbinden fi die einzelnen Strophen? zwanglos? 
oder liegt ein Sprung zwiſchen den Gebanten? Wie kam es, baß der 
Dichter von jenem Gedanken zu diefem überging? — 14) Welder Art 
der Lyrik gehört das Gedicht an? Iſt es ein Lied, eine Ode, eine 
Glegie? — 15) Wenn ein Lied, ift es ein weltliches oder geiftliches ? 
wenn eine Ode, ijt fie eine heroiſche, didaktische, jentimentale oder religiöfe 
(Hymne)? und warum? — 16) Iſt das Gedicht rein lyriſch, oder mischen 
fih epiihe und dramatiihe Elemente ein? — 17) Zählt das Gedicht zu 
der fogenannten Volksdichtung, zu der (wie Schiller unterjcheidet) naiven 
oder jentimentalen Poefie? — 18) Wie nennt man das Versmaß bed 
Gedichtes? mie ift die Neimftellung * wie der Etropbenbau ? ft die äußere 
Form eine heimifche oder fremdländiſche? — 19) Iſt Das Versmaß pafjend 
gewäblt? — 20) Welhe Figuren und Tropen finden fi im Gedichte? 
Auch Gleichniſſe? Was und momit wird vergliden? ind die Bilder 
paſſend, die gemählten GCigenjhaftswörter bezeichnend, der Schmud der 
Sprade nicht überladen? Kommen ungemöhnlihe Wörter, Zufammenjeßuns 
gen, Wendungen, Yuslafjungen vor? Eind Wörter in einem nicht gewöhns 
lihen Sinne angewandt? Und war der Dichter in diefem Allen glüdlich? 
— 21) Wie könnte etwa der Gindrud des Gedichtes bezeichnet werden ? 
— 22) Worin beftehbt das Anziehende der Didtung? In dem Grund: 
gebanten, in der teizenden Form, in einem gebeimnißvollen Nachhall in 
uns, in der Erinnerung an Selbjiempfundenes? — 23) Melde find die 
Ihönften Stellen, die in unſere Blumenlefe oder Album eingetragen zu 
werden verdienen? — 24) Jit das Gedicht fangbar? — 25) Eignet fi 
das Gedicht zum deklamatoriſchen Bortrage? — 26) Welhe Wörter im 
Gedichte find im Gefange oder in der Dellamation zu betonen? und 
warum? — 27) Kennft Du fremde Urtheile über das Gedicht? Theilſt 
oder verwirfft Du fie? — 28) Kennſt Du Gedichte, die einen ähnlichen 
oder gerade entgegengefjeßten Gedanken enthalten? Worin beftebt im eriten 
Falle die Aehnlichkeit? im zweiten Falle ver Gegenfag? Melde von ben 
fi! widerfprechenden Anſichten iſt die richtige? — 29) Läßt fih eine 
Ergänzung oder Entgegnung zu dem Gedichte denen? — 30) Welde Ges 
danken, Erinnerungen Klingen beim Leſen vefielben in Dir an? Halt Du 
jelbft das Geſchilderte empfunden oder in Deiner Umgebung erlebt? — 
31) Enthält das Gediht jchöne Sprüde, die Du erklären, umſchreiben, 





126 Riteraturfunbe. 


mit verwandten zufammenftellen kannſt? Läßt ſich eine ſolche ſpruchartige 
Stelle als Motto an die Spike der Erllärung des Gedichts flellen? — 
32) Worin befteht der fittlihe Gewinn, den Dir die Lefung des Gedichtes 
gebracht bat? 

Dei vielen diefer Fragen zeigt der Berf. an Beifpielen ausführlich, 
wie der Leſer arbeiten fol. 


U. &iteratur. 


1. Literaturgeſchichte. 


2. Uhlands Schriften zur Beiginte ber Dichtung unb Gage. 
Erſter bis dritter Band. gr. 8. Stuttgart, I. ©. Gottarice Buchhaudl. 
1865 unb 1866. 9 Thlr. 20 Sgr. 


Drei Freunde Uhlands: W. L. Holland, A. v. Keller und 
3. Pfeiffer, die demfelben im Leben nahe geflanden und an feinen For 
Shungen Antheil genommen, haben ed auf Beranlafiung von Uhlands 
Wittwe unternommen, deſſen binterlafiene Werte herauszugeben, ein Unter: 
nehmen, das großen Dank verdient. Es find der Hauptſache nah Uhlands 
Borlefungen über dieſen Gegenftand. Welchen Fleiß er auf diefe Arbeiten 
verwandt, davon giebt jeder Abſchnitt Kunde. Die einfchlägliche Literatur 
ift auf das Eorafältigfte berüdfihtigt worden; was nad Abſchluß der Ar: 
beit noch erſchienen iſt, haben die Herausgeber eingefügt. 

Um einigermaßen anzubeuten, was dieſe drei Bände darbieten, geben 
wir den Hauptinhalt kurz an. 

Erfter Band. (XVII und 509 ©.) 1865. 3 Thle. — Ger 
ſchichte der deutſchen Poefie im Mittelalter. Cinleitung. Erfter Hauptab: 
ſchnitt. Die Heldenſage. I. Inhalt der Heldenfage im Umriß. A. Deutſche 
Geftaltung der Sage. 1) Die Amelung. 2) Die Nibelunge, 3) Die 
Hegelinge. B. Nordifhe Geftaltung der Sage. II. Erllärung der Helden⸗ 
fage. IL Die Formen. IV. Die Gedichte aus dem Kreis der beutjchen 
Heldenjage im befondern betrachtet. Die deutfche Heldenfage in Sagen und 
Liedern des Nordens. Nichtcykliſche Heldenfagen. 

Zweiter Band. (XII und 592 ©.) 1866. 34 Thlr. — Zwei⸗ 
ter Hauptabſchnitt. SHeiligenfagen und Rittergedichte. 1) Poetiſche Bear: 
beitung der heiligen Schrift. 2) Bearbeitungen apokryphiſcher Schriften. 
3) Marienlegenden. 4) Weitere Heiligenfagen. 5) Das Carolingifhe Epos. 
6) Poetiihe Bearbeitungen griehifcher und römifher Fabeln. 7) König 
Artus und die Tafelrunde. 8) Der heilige Gral. Dritter Hauptabſchnitt. 
Minnefang. Vierter Hauptabjchnitt. Zeit: und Lehrgedichte. — Geſchichte 
der deutſchen Dichtkunſt im fünfzehnten und fechzehnten Jahrhundert. 

Dritter Band. (XII und 549 ©.) 1866. 84 Thlr. — Ab: 
handlung über die deutſchen Volkslieder. 

Der Inhalt des dritten Bandes wurde fchon bei Lebzeiten des Ber: 
faſſers jehnlichft erwartet, da alle Literaturfreunde Gediegenes von dem Ver: 
faſſer hoffen durften. 





Literaturkunde. | 127 


3 Die beutfhe Poefie der neueren De mit einleitenden Literatur- 
bildern aus ben eren Perioden. Ein Leitfaden für bie Literaturkunde 
an Seminarien und anderen höheren Lehranftalten wie auch zum Selbft- 
unterriht. Bon Friedrich Wyß, Lehrer der deutſchen Sprade am Semi⸗ 
nar zu Münchenbuchfee. gr. 8. (X u. 208 ©.) Bern, 3. Dalp'ſche Buchh. 
(8. Schmid.) 1867. 


In neuerer Zeit ift wiederholt die Forderung geftellt worden, der 
Siteraturlunde in den Lehrer:Seminarien größere Aufmertfamleit zu wid: 
men, als bisher. In Deutichland ift in mehreren Seminarien bereits ein 
guter Anfang gemacht worden, anbere werden nacdfolgen. Die Seminare 
der Schweiz haben den Gegenftand aufgenommen, jeit fie einen 3—4 jaͤh⸗ 
zigen Kurſus haben. 

Der Verfaſſer bietet für diefen neuen Gegenftand eine Hülfe dar, 
bauptjählich für den Gebrauch der Schüler berechnet. Die Aufgabe der 
Literaturkunde bat er richtig erkannt, und bezeichnet fie in der Vorrede wie 
in der ganzen Auswahl und Behandlung des Stoffes in dem Sinne, in 
welchem ich feit Jahren dafür thätig war, theils in diefem Jahresbericht, 
teils in meiner „Ginführung in die deutſche Literatur”, theils in meinen 
„Paͤdagogiſchen Vorträgen”. Ich freue mich der Sache wegen über bieje 
Buftimmung. 

Aus der „älteren deutſchen Poefie” berüdjichtigt der Verfafler. 1) Das 
Bollsepos des Mittelalters (Nibelungenlied und Gudrun). 2) Das Kunft 
epos des Mittelalters (Wolfram von Eſchenbach [PBarcival], Hartmann von 
Aue, Gottfried von Straßburg). 3) Den Minnegefang (Walther von der 
Vogelweide). 4) Die fatiriihe Poeſie des 15. und 16. Jahrhunderts. 
5) Das Volkslied und 6) das Drama diejes Zeitraums. 7) Das Kirchen 
lied des 16. und 17. Jahrhunderts. 8) Opis und die Boefie bes 17. 
Jahrhunderts. 


Der Haupttheil des Buches behandelt die „neuere deutſche Poeſie“, 
beginnt mit Gottſched, Bodmer und Breitinger und führt bis zur Gegen⸗ 
wart. Von den hervorragenderen Dichtern ſind kurze Biographien ge⸗ 
geben, an die ſich dann eine Beſprechung ihrer bedeutendften Dichtungen 
reihet. Vierzehn Haffiihe Dramen haben auf dieſe Weife eine ziemlich 
ausführlihe Behandlung erfahren. Ob es möglich fein wird, neben vielen 
andern Dihtungen dem Drama fo viel Zeit im Unterriht zu widmen, muß 
id) bezweifeln. Aber es ift ja auch nicht noͤthig, Alles durchzuarbeiten, 
was im Buche fteht; die Seminariften werden das Buch auch noch nad 
der Seminarzeit gern in die Hand nehmen. Weniger Nuten haben dagegen 
fogenannte Weberfihten, wie der Schluß des Buches fie enthält. Denn 
jelbft Seminariften gewöhnen ſich leicht daran, Uttheile über Zeiträume und 
Dichter nachzufprechen, obne tiefer in diefelben einzubringen. 

Abgefehen von diefen Heinen Ausftellungen Tann die Arbeit als eine 
gute bezeichnet werden. 


4. Lehrbuch der Geſchichte ber deutfhen Nationalliteratur von 
Dr. Ferdinand Geinede: gr. 8. (VII unb 275 ©.) Hannover, 
Schmorl und von Seefeld. 1866. 27 Ser. 


128 Riteraturfunde. 


Diefe Arbeit ſoll als Leitfanen für den literaturbiftorifhen Unterricht 
und den Schülern zur Wiederholung dienen. Sie hält, wie andere Schrif⸗ 
ten diefer Art, die biftoriiche Yolge inne und ſucht durch Gruppirung 
moͤglichſte Weberfiht zu erzielen. Bor ähnlihen Schriften über Literatur: 
geſchichte zeichnet fie ſich vortheilhaft dadurch aus, daß fie fih nicht auf 
Charalterifirung der Perioden und kurze Biographien der Dichter beſchraͤnkt, 
fondern auch noch ben Anhalt der widhtigften größeren Dichtungen angiebt. 
Der Verfaſſer bat es zugleih verfianden, in allen Abjchnitten und bei 
jedem einzelnen Dichter das Wichtigfte hervorzuheben, das, „was Geift und 
Sinn kräftige und erhebt,” und anſprechend barzuftellen, wiederholt theils 
mit den Worten der Dichter jelbit, theils mit denen der bermorragendften 
Literaturhiftoriler. Wo man alfo, wie der Berfafler verlangt, die Dichtun- 
gen felbft eingehend bejpridht, das Eigenthümlihe und Schöne berjelben 
jelbjt auffinden läßt, da wird man nebenher auch noch von diejem Lehrbuche 
guten Gebrauch machen können, 


5. Handbuch zur Geſchichtte der Literatur. Bon er von 
Manmer. 3. und 4. Theil. gr. 8. (VIII und 327 und 358 ©.) 
Leipzig, F. A. Brodhaus. 1866. 24 Thlr. (complet 54 Thlr., geb. 6 En 


Bei Anzeige der beiden erften Theile (16. Band des Jahresberichts) 
baben wir den Plan dieſes Handbuches angegeben und die Aufmerkſamkeit 
auf diefe wichtige Arbeit zu lenken geſucht. Mit dem Berfafler freuen wir 
uns, daß e3 ihm in-hohem Alter vergönnt war, dieſe fpät unternommene 
Arbeit zu vollenden, fegen wir binzu: mit großer Geiftesfrifche zu 
nollenden. 

Der dritte Theil behandelt in feiner erfien Abtheilung die Literatur 
der Franzoſen, in feiner zweiten, die der Bortugiefen, Spanier und Staliener 
und die Gefhichtichreiber von Venedig und Florenz. Der vierte Theil 
befpricht in der dritten Abtbeilung die Literatur der Engländer, in ber 
vierten die der Nordamerifaner und in der fünften die der Deutihen, dann 
folgen einige Zujäbe und ſchließlich ein Regifter über alle vier Theile. 

Wie jelbftändig der Verfaſſer in feinen Urtheilen ift, kann man zwar 
auf jever Seite jehen, am beiten aber bei ver Beiprebung von allgemein 
belannten und hochgeſchätzten Dichtern, wie 3. B. bei Schiller und Göthe. 
Bei aller Anerlennung, die er diefen Männern zu Theil werden läßt, deckt 
er doch zugleich rüdfichtslos ihre Schwaͤchen, namentlid die der fräheren 
Perioden, auf. Dan ftupt anfangs über ſolche Urtheile, muß ihnen aber 
bei genauerer Erwägung doch meiſtens beipflihten. Es ift begreiflih, daß 
wit ſolcher Aufvedung von Ehwähen dem Literaturfreunde mehr gedient 
it, als mit allgemeinen Lobhudeleien, von denen unjere Gompendien der 
Literaturgeſchichte jo voll find. 

6. Oeſchichte ber deutſchen Fiteratur. II. Die Profa. Kür Schulen 
und zum Selbflunterrigte. Bon I. G. &. Burkhardt, Brofeflor an ber 
8. ©. Artilleriefhule zu Dresden. gr. 8. (XVII und 233 ©.) Leipzig, 
J. Klinkhardt. 1867. 18 Sar. 


Den eriten Theil diefer Schrift haben wir im vorigen Bande angezeigt 
und empfohlen; der vorliegende zweite entipriht jenem in der Anlage. 








Literaturkunde. 129 


Der Verfaſſer unterſcheidet für die Proſa drei Perioden, die Periode 
von Ulfilas bis Luther, von Luther bis Lejfing und von Leſſing bis zur 
Gegenwart. Sowohl diefe Perioden, als auch die einzelnen Hauptrichtungen 
innerhalb verjelben werben charakteriſirt und dann die Schriftfteller hervor» 
gehoben, welche ſich befonverd darin auszeichneten. Von hervorragenden 
Dihtern werden deren Hauptwerke charakterifitt. Hier und dba erben 
daraus Meine Proben mitgetheilt, doch nicht fo viel, als erforderlich wären. 
um von ihrem Style eine genügende Vorſtellung zu verſchaffen. Bei der 
Beurtheilung der Schriftſteller läßt der Verfaſſer nicht ſelten gnertannte 
Literaturhiſtoriker reden, was den Werth der Arbeit natürlich nicht beein⸗ 
traͤchtigt. 

Bir glauben das Buch Lehrern, die eine gebrängte Darlegung ber 
Grtwidelungen dee dentfchen Proſa juchen, empfehlen zu können. 


7. GSeſchichte der dentſchen National-Piteratur. Bon U. F. €. 
Bilmar. Eifte, vermehrte Auflage. gr. 8. (XII und 626 ©.) Marburg 
und Leipzig, N. G. Elwert. 1866. 2 The. 


Die zehnte Auflage dieſer beliebten Schrift haben wir im 17. Bande 
des Jahresberichtes angezeigt und beſtens empfohlen. Die ihr bald gefolgte 
elfte Auflage bat nur in den Anmerkungen einige Bufäße erhalten, ift aber 
fonft der vorigen gleich. 


8. Geſchichte des Kirchenlieds und gubenzeſzege ber qriſtlichen, 
inobeſondere ber deutſchen evangeliſchen Kirche. Bon E. E. Kodj, delan 
Erſter Hanpttheil. Die Dichter und Sänger. Erſter Band. Dritte, umge- 
arbeitete, durchaus vermehrte er sr. 8. (VIII und 488 ©.) Stuttgart, 
Chr. Beller. 1866. 1 Thlr. 6 


Koh’ „Geſchichte des Kirchenlieds und Kirchengeſangs“ ift jo allge: 
mein und fo vortheilhaft belannt, daß es genügt, auf diefe neue Auflage 
aufmerkſam zu machen. Der Berfafler ift als bebeutender Hymnolog be: 
kannt und bat natürlich feit Erſcheinen der zweiten Auflage nit aufgehört, 
feinem Lieblingsgegenftande feine Uufmerljamteit zu mwibmen. Die neue 
Auflage legt Zeugniß davon ab. Niht nur hat jede Seite Berbeflerungen 
erfabten, auch ganze Abfchnitte find völlig umarbeitet, ja der ganze Plan 
it erweitert worden. Der DBerfafler verfolgt den Entmwidelungsgang des 
chrifilichen Kirchenlieds und Kirchengeſangs von feinen eriten Anfängen an 
bis auf unfere Zeit. Der erfte Band umfaßt die drei eriten Perioden, 
von der dritten jedoch nur den erfien Abfchnitt, die Zeit der Reformation, 
von 1517 bis 1560. Bon der Ausführung und Darfielung wird ſich 
ebenfo ſehr der Gelehrte, als der denkende, ja jelbft der nad Grbauung 
ſuchende Chrift angezogen fühlen, da der Verfafjer überall auf die Quellen 
zurüdgeht und daneben nicht verfhmäht, Belege für die Wirkung des Kir 
henlieds und Kirchengeſangs mitzutheilen. 

Wo alfo die Mittel des Ginzelnen nicht ausreihen, da forge man 
wenigſtens dafür, dab das Werk für die Schulbibliothet angeſchafft werde. 
Gs wird ſechs Bände umfafien, die in Heften won 8 bis 9 Bogen zu dem 
Breite von 9 Sgr. erſcheinen, was die Anjchaffung erleichtert. 

Pab. Jahresbericht. IX. 9 


130 Riteraturfunde, 


9 Oruubriß der Geſchichte der dentſchen giteratur, für höhere Bil- 

bungsanfta ten herausgegeben von Dr. Otto Lange, Brofeffor in Berlin. 

finfte Auflage. gr. 8. (VI und 92 ©.) Berlin, 8. Gärtner. (Amelangſche 
ortimeuts-Buchh. 1867. 8 Ser. 


Die vierte Auflage diefes Grundrifies haben wir im 17. Bande des 
Jahresberichtes beiproden und als ein brauchbares Schriftchen empfohlen. 
Die neue Auflage fcheint keine weſentliche Veränderung erfahren zu haben; 
mwenigftens ftimmt die Seitenzahl derfelben mit der ber vorigen überein. 


3. Biograpbien. 


. G. €. Leffing. Gein Leben und feine Werke. Bon Adolf Stahr. 
Bermebrte und verbefierte Bollsausgabe. Vierte Auflage. Zwei zeheile. 
gr. 16. (XVI, 361, u. 409 ©.) Berlin, I. Outtentag. 1866. 2 Thlr. 


Dies Werk hat ſchnell die verdiente Anerlennung gefunden. Bwar ift 
diefelbe nicht fo umfaflend, wie die befannte Schrift von Danzel und Guh⸗ 
rauer; aber es fehlt darum nichts, was erforderlich ift, den aufmerfjamen 
Leſer in das Verſtändniß des großen Dichters und ſcharfen Denters einzu: 
führen, Das interefiante Leben des Dichters, feine allmählidye Geiftes- 
entwidelung, die Art feines Schaffend und ber Geift feiner poetifchen und 
proſaiſchen Werte, das Alles ift Mar und anfprehend dargelegt. Wir 
empfehlen daher die Schrift allen Verehrern Leifings und folden, vie es 
noch werden wollen, eindringlich, 


11. Göthes Iugend- unb Dänglingezelt. Ein Lebensbild für Jung 
unb Alt von serdinand Schmidt. Mit dem Porträt und Facſimile bes 
jngendlichen Oötbe umd einer „Stech⸗(Probe⸗)Schrift“ aus feinem flebenten 
Lebensjahre. (157 ©.) Berlin, 9. Kaflner. cart. 4 Thlr. 


12. Zohann Gottlieb Fichte. Gin Lebensbilb für Iung- unb Alt von 
Ferdinand Schmidt. Zweite Auflage. Mit farbigen Sllufirationen. 16. 
(139 ©.) Berlin, H. Kaſtner. cart. 4 Thlr. 


Die Darflelung von Göthe's Jugendzeit ift ein dankbarer Gegenftand, 
da fih jo Vieles darin findet, was der lejenden Jugend als nachahmungs⸗ 
werthes Mufter vorgeführt werben kann, daneben freilich auch Manches, 
was dafür ungeeignet ift. Selbftverftänvlic hat der Verfaſſer Lebteres ganz 
unberührt gelafien, jo daß das Schriftchen der Jugend getroft in die Hände 
gegeben werden kann. Daß die Erzählung feflelnd, die Sprade correct ift, 
brauchen wir bei einem Schriftiteller wie Ferd. Schmidt nicht mehr hinzu: 
zufügen. 

Fichte's Leben haben wir unfern Leſern jhon in der erften Auflage 
beitend empfohlen. 

13. Sailters Jugend jehze, Für bie reifere Jugend bergen von Robert 
Cpringer. 8. (VIII und 232 &.) Neu-Ruppin, A. Oehmigke. (Obne 
Yahreszahl.) 128 Ser. 

Diefe Schrift umfaßt Schillers Jugend bis zum Abſchluß des Don 
Karlos. Die Darftellung ift recht anſchaulich, jedoch zugleich wahrheitsgetreu, 
bier und da durd eingelegte Gedichte angenehm unterbrodden. Die reifere 








Literaturkunde. 131 


Jagend wird die Schrift mit Intereſſe und nicht ohne Nutzen leſen, zugleich 
aber bedauern, nicht das ganze Dichterleben darin zu haben. Dann mag 
fie zu der trefflihen Arbeit von Palleske greifen. 

. Die beigegebenen Abbildungen lajlen viel zu wünſchen übrig und 
waͤren beſſer weggeblieben. 


14. griebrig Rückert's Leben und Dichten ngen von Dr. €. Beyer in 
Koburg Drei Bücher. Zweite Huflage. 8. (XVI und 302 ©.) Coburg, 
G. Sendelbach. 1866. 14 Thlr. 


Der Berfafler hat fih eine zweifahe Aufgabe geflelt: Das Leben 
des Dichters zu erzählen und in feine Dichtungen einzuführen, Beides jedoch 
in inniger Verſchmelzung, alfo am Faden der Lebensereigniffe. Diefe Idee 
muß als eine glüdlidhe bezeichnet werben; der Lejer macht auf dieſe Weiſe 
die ganze Entwickelung des Dichters mit dur und erhält zugleih Kenntniß 
von der Veranlafiung zu manden Gedichten. Dem Berfafler ift biefe nicht 
ganz leichte Aufgabe gut ‚gelungen, wozu der Umftand nicht wenig beige: 
tragen bat, daß er jahrelang in der Nähe des Dichters Iebte (Coburg ift 
nur eine BViertelftunde von Neufes entfernt); auch wurde er von Perfonen 
unterftüßt, die dem Dichter nahe ftanden. Um den Genuß bes Leſers zu 
erböhen und das Verſtändniß zu erleihtern, find theils ganze Gedichte, 
theils eingelne Theile derſelben dem Zerte eingefügt worden. Die Erklärung 
von Dichtungen ift, dem Zwede entfpredend, allgemein gehalten. 


15. Friedrich Nüdert und feine Werke. Bon ©. Fortlage, Brofeflor 
der Poilefophie an ber Univerfität ge Iena. 8. (VII und 182 ©.) Fran 
furt a. M. 3. D. Sauerländers Berlag. 1867. 25 Ser. 


Der Berfaller hat es nicht auf eine Biographie, fondern auf eine 
Charalteriftit des Dihters Nüdert abgeſehen. Diefe Aufgabe ſucht 
er dadurch zu löfen, daß er den Dichter zuerft im Allgemeinen charakterifirt 
und dann jeine Werte. Für lepteren Zwed bat er die Dichtungen grups 
pirt. Die Beiprehung derſelben ift eine allgemeine, zujammenhängende, 
im Ganzen kurze, orientirende. Aber in allen Abjchnitten werben fo viel 
Proben mitgetheilt, daß der Leer ſich fofort von der Richtigkeit der gefällten 
Urtheile überzeugen kann. Die Schrift ift daher jehr belehrend, und wird 
fiber viel zum richtigen Verſtändniß Rüdert3 beitragen, 

16. HE, Rüdert ein deutſcher Dichter. Gefrene — 2 — Legiger 
ũckertfeier am 27. Februar 1867 gehatten bon Dr. Paul Diree⸗ 


tor der I. Bürgerſchule. gr. 8. (16 ©. mit Porträt g* Hohfhnitt.) 
Reipzig, 3. I. Weber. 1867. 5 Sgr. 


Nüdert als Dichter überhaupt zu fchildern, erfordert mehr Zeit, als 
eine Feſtfeier geftattete; daher befchräntte der Verfaſſer fi darauf, ihn als 
„deutſchen Dichter‘ varzuftellen, mas ihm gelungen ift und auch nicht 
allzu fchwer war. 

17. Dingrapbife Aufjäge von Otto Jahn. Zweiter, unveränberter 
Abdrud. gr. 8. (V und 400 ©.) Leipzig, S. Hirzel. 1866. 2 Thlr. 
Der Berufe bat fih als Biograph bereit einen mohlbegründeten 

Auf erworben. Man darf daher Arbeiten diefer Art won ihm mit großem 

9 % 


1323 Literaturkunde. 


Vertrauen in die Hand nehmen. Die vorliegenden „Biographiſchen Auf⸗ 
Täge” find bereits in einem zweiten Abdruck vorhanden, was gewiß aud 
ein Zeugniß für ihre Vortrefflichleit if. Der Verfaſſer giebt darin nicht 
bloß Biographien, ſondern führt den Leſer unvermerlt in die Beitrebungen 
der betrefienden Berfönlichleiten fo ein, daß fie mit den Gegenftänden ihres 
Strebens volllommen vertraut werben. 

Nah dieſer Bemerkung wird es genügen, den Inhalt des Werkes 
anzugeben. Es enthält: 1) Windelmann. Die Bilbniffe Winckelmanns. 
2) Gottfried Hermann, 8) Ludwig Roft. 4) Theodor Wilhelm Danzel. 
5) Mittheilumgen über Ludwig Nichter. 6) Göthe's Jugend in Leipzig. 
Göihe in Leipzig. Göthe und Defer. Shaleſpeare⸗Rede von Göthe. Noch 
einmal die MWertberbriefe. - 


4 Grläuterungen von Dihtungen. 


18. Schulausgaben beutfher Elaffiter mit Anmerkungen. 8. Stuttgart, 

3. ®. Eotta. 1866. geb. & 8 Bar. 
1866 erfchtenen biervon: 

Göthes ausgewählte Gedichte. GSchulansgabe mit Anmerkungen 
von Dr. J. —* Schäfer in Bremen. (VI und 173 6) 

Bdtbes Hermann und Dorotben. Schulausgabe mit Anmerkungen 
von Profeſſor Denzel in Stuttgart. (88 ©.) 

Schiller, der Geiterfeber. us ben Papieren bes Grafen v. O#*, 
(VI und 180 ©.) 


Die drei erften Bändchen dieſes nüslihen Unternehmens (Leilings 
Minna von Barnhelm, Göthes Iphigenie auf Tauris, Schillers Wilhelm 
Tell) haben wir im vorigen Bande angezeigt und beftens empfohlen. Die 
bier genannten drei neuen Bändchen find nach demfelben Plane gearbeitet 
und werden fi daher eben jo braudbar wie jene fir den Schul: und 
Privatgebrauch ermeifen. Die ertlärenden Anmerkungen find knapp gehalten, 
laſſen aber Nichts unberüdfihtigt, was das Verſtändniß erfchweren Tönnte. 
Mir wünfhen dem Unternehmen guten Fortgang. 


19. Zeffings Nathan ber Weife. Ein Eonferenzvortrag von W. Gieße, 
Pfarrer in Langenſchwalbach. 8. (23 ©.) Darmftabt und Leipzig, E. Zer- 
nin, 1866. 5 Ser. 


In der letzteren Zeit find wiederholt Schriften über Leſſing's Nathan 
erihienen. Wir erinnern nur an die Arbeiten von D. F. Strauß, Bey: 
Ihlag, Plab (in Dieftermegs Pädag. Yahrbud von 1865). Die vorliegende 
gebört zu denen, welche zwar mit Anerkennung über bie Dichtung jprechen, 
die darin ausgefprochene Idee aber nicht durchweg billigen. Der Berfafier 
erlennt an, daß Leſſing mit den im Nathan bargelegten religiöjen An- 
Ihauungen auf dem Boden des Chriftenthbums ftehe und daß man fi „bie 
fromme Humanität als Biel und Krone der wahren Religion immerhin 
koͤnne gefallen lafjen”; aber er maht dem Dichter den Vorwurf, daß, 
„während der Chrift fih nur im Bruch mit feiner Religion zur 
wahren Humanität erhebt, die Rihthriften im Fefthalten an ihren 
Religionen zu Tugenden gelangt fein follen, die ſich erweislih nur auf 











Literaturkunde. 138 


dem Boden des Chriſtenthums finden.“ Islam und Judenthum ſollen dazu 
„ſchlechterdings unfähig ſein.“ „So hat denn Leſſing, ſagt der Verfaſſer, 
bier mit einem Kranze, den er nur im Garten bes Chriſtenthums zu pflüden 
vermochte, einen Juden gefhmüdt, während er dem gegenüber die‘ Unver⸗ 
gleichlichkeit und Unerjeglichleit des Cvangeliums Tedigtih zur Prätenfion 
einer fanatifchen Betſchweſter und eines niederträhtigen Pfaffen herabſetzt: 
eine Berlennung und Berläugnung der Wobltbaten Chrifti, wie fie fchnei- 
dender kaum gedacht werben Tann.” 
Nah dem Verfafter bat Leffing „das Weſen bes Chriftentbums ver: 
kannt, bat die Schale für den Kern gehalten und darum, weil ihm dieſe 
gehaltlos ſchien, die ganze Frucht bei Seite geworfen.” Die Schuld zu 
biefem Berfennen fucht der Verfafler zum großen Theil in ber Seit, in der 
Leſſing lebte, refp. in dem damaligen Stande der Theologie, zum Theil auch 
in der Verſtimmung, in die der Dichter durch feine theologifhen Streitig⸗ 
leiten verfeßt worden war. 
8% will uns wenig einleudten, daß ein Mann wie Leifing das 
Weſen des Chriſtenthums fo verlannt haben follte; wir denten, ex hat ben 
Kern vefleiben eben in den Worten des Richters gefunden: 


„Wohlan, 
Es eifre Jeder feiner unbeſtochenen, 
Bon Vorurtheilen freien Liebe nach!“ 


20. Gotbe's Fanf. Gemeinfaßlich bargefiellt von Julius Voigt. gr. 5. 
(86 ©.) Berlin, E. S. Mittler und Sohn. 1866. 12 gr. 


Der Berfafier hat es verjucht, in möglichfter Kürze eine Darftellung 
des Böthefhen Fauſt als einheitliches Ganze zu geben. Es handelte fid 
demnad nicht um Erklärung einzelner Stellen, wie Commentare fie geben, 
fondern um Beſprechung des’ Berlaufes der Hauptmomente, um Darlegung 
der Motive der handelnden Perfonen, um Erlenntniß ihrer Seelenzuftände. 
Dies it dem Berfafter ohne Zweifel gelungen. Wer vie herrliche Dichtung 
Söthes einige mal mit Aufmerkſamkeit gelefen bat, wird durch Voigts 
Schrift manchen unerwarteten Aufſſchluß erhalten. 

21. Zum Berkändnijfe Göthes. Vorträge vor einem Kreis Griniger 
8. 


zeunbe gehalten von Dr. Dtto Vilmar. Dritte Auflage. gr. 
und 335 S.) Marburg, N. ©. Elwert. 1867. 1 Thlir. 


Die zweite, 1861 erſchienene Auflage dieſes Werkes ift im 14. Bande 
des Jahresberichtes angezeigt und bes fehr orthoboren Standpunktes feines 
Berfafjerd ungeachtet der Beachtung empfohlen worden. Die. vorliegende 
Dritte Auflage iſt ein unveränverter Abdruck der zweiten; wis haben, daher 
jenem Urtheil nichts binzuzufägen. 0 


5. Ausgaben älterer Dichtungen. . 


22. Deutſche Elafliter bes Mittelalters. Mit Wort- und Sacherklärun⸗ 
gen. Herausgegeben von Franz Pfeiffer. Leipzig, 5. A. Brodhaus, 


134 Literaturkunde. 


Hiervon ſind erſchienen Band I—IIT: 


Walther von ber Bogelweide. Herausgegeben von Franz Pfeiffer. 
zweite Auflage. 8. (LXII und 3388.) 1866. 1 Thlr., geb. 14 Thlr. 

ubrun. Herausgegeben von Karl Berti. 8. (XXVI und 384 ©.) 
1865. 1 Thlr., geb. 13 Thlr. 


Das Nibelungenlied. Herausgegeben von Karl Bartſch. (XXVI 
und 456 ©.) 1866. 1 Thlr., geb. 14 Thlr. 


Hartmann von Aue. „Herausgegeben von Fedor Beh. Erſter Theil. 
Erec der Wunberäre. 8. ( und 352 ©.) 1867. 1 Thlr., geb. 14 Thir. 


Auf dies vortrefflihe Unternehmen machen mir die Freunde der clafs 
ſiſchen mittelhochdeutſchen Dichtungen aufmerlfam, aud folde, vie ver 
mittelbochdeutfhen Sprache nicht mächtig find. Pie unter dem Zert ange 
brachten Erklaͤrungen find nämli derart, daß fie das volle Verſtaͤndniß 
fofort ermöglihen. Wer einen dieſer Bände mit Fleiß durcharbeitet, lernt 
das Mittelhochdeutſch jo weit verftehen, als erforderlich if, um Bücher diefer 
Art mit Genuß lefen zu können, Ueber die Ausfprade des Mittelhoch- 
deutfhen und über die Verskunſt jener Zeit giebt ‚der erite Band eine 
leihtfaßlihe Belehrung. Sehr ſchätbar find auch die Ginleitungen, welde 
jeder Band enthält, da fie Nachricht über die Dichter geben und fo viel 
über die Dichtungen mittheilen, als das allgemeine Verſtändniß erjorbert. 
Beide Herausgeber gehören zu den anerlannten Forſchern auf dieſem Ge 
biete, geben daher nur Buverläffiges. \ 


23. Reinke de Vos nad der Ältehen Ausgabe (Lilber 1498). Mit Einleitu 
Anmerkungen und einem WWörterbuche von Auguſt Kübben. & 8. (X 
und 347 ©.) Oldenburg, ©. Stalling. 1867. 1 Thlr. 20 Sgr 


. Die Einleitung verbreitet fi über bie verſchiedenen Ausgaben. und die 
Ueberjeßer der Dichtung, und über Reim, Umlaut, Grammatif, Incli⸗ 
nationen (Anlehnungen), Orthographie und Uccente derſelben. Dann folgt 
das Gedicht ſelbſt. Für daſſelbe hat zwar die auf dem Titel genannte 
Ausgabe, namentlid das Gremplar. der Bremer Staptbibligthel, gedient, 
aber der Herausgeber hat dabei alle Auconjequenzen in. der: Schreibung 
bejeitigt und dadurch das Ganze viel correcter, lesbarer und veritännlicher 
gemacht. Daran reiben ſich „Erläuterungen und Bemerkungen“, die theils 
ſprachlicher, theils biftorifcher Art find und das Verſtaͤndniß des Gedichts 
in bobem Grabe fördern werden. Den Schluß endlich madt ein Wörter: 
buch, das befonderd denen gute Dienfte leiften wird, die des Plattdeutfchen 
nicht ganz mächtig find. Diefen wäre wahrſcheinlich noch mehr gedient 
geweſen, wenn der Herausgeber feine Arbeit. in der Weile ausgeführt hätte, 
wie Pfeiffer und Vartſch die Glaffiler des Mittelalters; 

Jedenfalls aber iſt die Arbeit auch fo eine ſehr dankenswerthe, hie 
nicht verfehlen wird, die Aufmerkſamkeit von. Neuem ‚auf dieſe troffliche 
Dichtung zu lenken. 


24. Paulus Gerhardt's — Lieder getten nad ben bei feinen 
Lebzeiten erſchienenen Ausgaben wieber abgebrudt. Fünfte Auflage In 
Taſchenformat. (XLIII und 502 9.) GStuttnart, S. ©. Liefching. 1867. 
Ausgabe auf Drudpapier 134 Sgr., geb. 18 Syn. Don den 








Riteraturfunde. 135 


Diefe Ausgabe der P. Gerhardt'ſchen geiftlihen Lieder rührt von 
Philipp Wadernagel ber und ift als eine fehr correcte längft befannt, 
lann daher den Freunden Gerharbts beftend empfohlen werben. Die Vor: 
rede enthält eine Furze Biographie und Charafteriftil des Dichters. 


25. Chr. F. Gellert's ſämmtliche Kabeln und Erzählungen in 
drei Büchern. Nach den älteften Angaben. VBolls-Ausgabe. Zweiter, revi- 
dirter Abdrud. Mit 16 Mluftrationen von ©. Leutemann. br. 8. (VIII m, 
190 S.) Leipzig, Hahn. 1867. 4 Thlr. 

Fri — Beet Stereotyp-Ausgabe. Mit Gellertse Stanbbilb zu Hainichen. 
1867. 4 r. 


Gellerts Fabeln und Erzählungen find durch zahlloſe moderne Dich⸗ 
tungen diefer Art und durch ein ganzes Heer von fonftigen Jugendſchriften 
jo gut wie verdrängt worden, und die gegenwärtige Jugend lernt diejelben 
faft nur noch durd die Schullefebücher ein wenig kennen. Das ift gewiß 
nit gut. Gellerts Fabeln verdienen wegen Form und Inhalt in Ehren 
gehalten zu werden, und können der Jugend noch immer als ein treffliches 
Bildungsmittel in die Hand gegeben, ja von ihr auswendig gelernt werben. 
Wir begrüßen daher die neue Ausgabe derjelben mit Freuden. Schabe, 
daß die Stereotyp- Ausgabe nicht noch billiger dargeboten worden ift, was 
trog der guten Ausftattung wohl möglidy gewejen wäre. 


26. Aeſops Leben und Kabeln nebft ben ihm zugefähriebenen aften 
abeln und den Kabeln bes Rimicius und Avianus. Heransgegeben von 
arl Eimsrod. 8. (XV unb 202 ©.) Frankfurt a. M., Chr. Winter. 

1866. 12 Egr. 


Diefe Ausgabe von Aefops Leben und Fabeln bildet das 52; Baͤnd⸗ 
chen ver befannten Simrod’ihen Volksbücher. Aeſops Fabeln find, wie 
befannt,, vielfah von neueren Dichtern bearbeitet worden; die Literatur⸗ 
freunde haben nun Gelegenheit, diejelben in ihrer Urjprünglichleit und im 
Zufammenbange kennen zu lernen. Aeſops Leben it fo ergößlich erzählt, 
daß man es ganz getroft mit Luther felbft für eine Fabel anjehen kann. 
In der Vorrede ift Luthers Vorrede zu feinem Schrifthen: „Gtlihe Fabeln 
aus Eſopo“, mitgetheilt, die fih in anfchaulichiter Weife über den Werth 
der Fabeln ausiprict. 


27. Deutfhe Sagen. Herausgegeben von ben Brlbern Grimm. Ba 
Bände. Zweite Auflage. Mit einer Abbildung ber Spt, nad W. ©. 
Kaulbach. gr. 16. 1. Bd. XXII und 424 S., 2. Bb. XII und 340 ©. 
Berlin, Nicolaifche Verlagshandl. 1865 und 66. 2% Thlr. 


Diefe trefilihe Sammlung von deutſchen Sagen fehlte feit Jahren im 
Buchhandel. Die vorliegende Ausgabe iff von Hermann Grimm beforgt 
worden, der dazu das mit Anmerkungen feines Vaters und Onkels vers 
fehbene Hanveremplar benutzte. Was diefe Anmerkungen enthielten, koͤnnen 
wir natürlich nicht entziffern; ſicher waren fie aber werthvoll. 

€3 bedarf unferer Empfehlung diefes Wertes nicht; fein Literatur: 
freund, lein Jugenblehrer wird fi dieſen Schaß deutſcher Poeſie entgehen 
laſſen. 


136 Literaturfunde, 


28, Griechiſche Sagen als Borſchule zum Stubium ber Tragiker für bie 
Jugend bearbeitet von K. W. Dfterwald, Brofeffor und Director bes 
Gymnaſiums zu Muhlhanſen. Erfte Wbtpeilung : Sophofieserzählungen. 8. 
(XVII uud 113 S.) Müuhlhauſen, Heinrichshofenſche Buchhaudiung. (H. 
Lichteuberg) 1867. 12 Sgr. 

Auch unter dem Titel: Sophokleserzählungen für die Jugend bearbeitet. 
Erſtes Bändchen: Philoktetes auf Lemnoe. Der raſende Alas. 


Wie der Verfaſſer durch feine „Erzählungen aus der alten deutſchen 
Melt’ (8 Bändchen) die wißbegierige Jugend zwedmäßig im bie claffifchen 
Dichtungen des Mittelalters (Nibelungenlied, Gudrun u. a.) eingeführt hat, 
jo verfucht er e3 mit diefem neuen Unternehmen, fie auch auf das Studium 
der griechiſchen Tragiker vorzubereiten. Er bat dabei natürlih zunächſt 
Opmnafiaften, und zwar die Duartaner, im Auge, bält indeß auch dafür, 
daß die Schüler der Nealfyulen und die Schülerinnen höherer Töchterſchulen 
ebenfall® aus dieſer Lectüre Nuben ziehen werben. Darin flimmen wir 
ihm ganz bei, theilen auch die Anficht, welche der Verfaſſer in Bezug auf 
die Benutzung derſelben zu deutſchen Auffäben in der Vorrede ausſpricht. 
Wir glauben, der Lejerkreis wird ſich ganz von felbft noch erweitern, und 
rechnen ſchon jet dazu die Schüler der oberen Klaſſen unferer Stadtſchulen 
und die Seminariften des unteren Kurſus, bie durch die Kenntniß der 
griechtſchen Helden auch eine Förderung in ver alten Geſchichte erfahren 
werben. 

Weberflüffig ift es wohl, hinzuzufügen, daß die „Sophollegerzählungen‘‘ 
alle die Schönheiten aufzuweiſen haben, welde die oben genannten „Er: 
zahlungen aus der alten deutfchen Welt jo vortheilbaft auszeichnen. Möge 
der Berfafier Muße finden, bald neue Hefte erſcheinen zu Taffen ! 


239. König Dietrihd von Bern unb eine Benoffen. Mach be 
Thibrefiega erzählt von Ernſt Marfin. 8. (XII uub 174 S) Halle, 
Waiſenhaus⸗Buchhandlung. 1867. 20 Ser. 


Da die Dietrichſage nit in einem größeren Gedichte behandelt wor: 
*5 “ jo geben wir nachſtehend an, was der Verfaſſer in feinem Büd- 
ietet. 


1) Dietrich und Hildebrand. Wie Heim zu Diettich kam. 2) Wie 
dand der Schmied. 3) Wittih. 4) Gde und Faſold. 5) Dietlieb. 6) Ute 
und Helde. 7) Wildeber. 8) Dietrihs Zug gegm König lung von 
Bertangenland, 9) Siebichs Verrath. 10) Die beiden Dietriche. 11) Die 
Schlacht bei Raben. 12) Dietrichs Heimkehr nad der Nibelungenſchlacht. 
Hildebrands Kampf mit feinem Sohne Alebrand. 13) deim als Mönd. 
Dietrichs Ende. 

Die hier genannten Helden jpielen alle eine. mehr ober weniger be 
deutende Rolle in unferen mittelhochdeutſchen Epen; eine genauere Kenntniß 
derſelben muß daher allen Freunden der wittelhochdeutſchen Literatur 
erwünſcht fein. Hier wird fie geboten, und zwar in einer fo reisen und 
anſprechenden Darſtellung, daß man die Schrift unbedingt der reifepen 
Jugend in die Hände geben kann. Sicher werben aber dieſelbe auch alle 
ever mit großem Intereſſe leſen, die ſich mit unſerer älteren poetiſchen 
iteratur beichäftigen. . on 











Literaturkunde. 137 


6. Gedichtſammlungen. 


gr. 8. eine, Fr. Brandfietter. 1867. 
Erſter Theil. I. bis VI. Zeitraum. Bon ber Urzeit Bis Leffing. 
(VIII u. 268 ©.) 


.) 12 Sgr. 
Zweiter Theil. VII. Zeitraum. Ron 1770 bis zu Göthe's Tobe. 
(VI und 34 ©.) 14 Ser. 
Dritter Theil. Schluß des VII. Seitraumes unb VIII. Zeitraum. 
Bon Göthe's Tode bis zur Gegenwart. (VIII u. 352 ©.) 14 Gar. 


Als Herausgeber ber bier genannten „Auswahl“ beſchraͤnke id mic 
bier auf die Bemerlung, daß ſchon die erfte Wuflage des Wertes eine fo 
günfige Aufnahme fand, daß nad wenig Wochen ein Neudrud erforderlich 
wurde, dem nun biefe neue Auflage folgt. Ich babe für dieſelbe die 
Originale von Neuem verglichen und dabei alle Drudfehler verbefiet, vie 
fih eingefhlihen hatten. Sämmtliche Dichtungen und Brofaftüde find 

rt in: 

Ginführung in die deutfhe Literatur. Bon Lüben und 
Nade. 3 Theile. Dritte Auflage, Leipzig, Branpftetter. 1865. 


31. zatterbifber ber deutſchen Literatur nad Bilmar’s Literatur- 
eſchichte georbnet mit Rüdficht auf bie meuefte Auflage ber Handbücher von 
öfer und Merner Hahn. Ein Buch für Gebildete fo wie zum Schulge- 
brauch für Töchterfhulen, Gymnaſien, böbere Bürger⸗ und Realſchulen 
und Privat» Inflitute. Bon Dr. Eugen Labed. gr. 8. 1.8 (X n. 
212 ©.) 2. Bd. (X n. 300 ©.) Iena, I. Sermeborf, 1866 u. 1867. 

L. 8b. 20 &ge. IL®. 25 Ex. 


Der Titel „Charakterbilder der deutſchen Literatur” ift für dies Wert 
nicht fonderlich bezeichnend; denn es ift nichts weiter, ald eine Sammlung 
von Dichtungen und Profaftüden von den älteften Seiten der deutſchen 
Literatur bis auf Göthe und Schiller. Die Auswahl ift wicht überall fo 
eich, daß die Dichter durch dieſe Broben nad allen ihren beachtenswerthen 
Richtungen charakteriſirt werben könnten, wofür wir nar auf Goͤthe und 
Stiller zu verweifen brauchen. Abgejeben hiervon ift uns die nom Heraus⸗ 
geber augeftrebte Vollftänbigleit für Schulen zu graß. Keins höhere 
Schule ift im Stande, dies Material frudtbar zu durcharbeiten; eine Reihe 
von Gedichten älterer Zeit verdienen auch eine folhe Beachtung gar nicht. 
Die auf dem Titel genannten Schriften von Vilmar, Schäfer und Hahn 
enthalten eine Menge Dichternamen, die in der Schule ungenannt bleiben 
löuzen, ja müſſen. Es wirb durch diefe „Sharakterbilver” daher mehr das 
Bebürfniß der Literaturfreumne, als der Schulen beirienigt. 


32. Weltgeigiäte in Gedichten. Cine Sammlung hiſtsriſcher Gebichte 
in bentfcher, franzöfticher und engliiher Sprache zum Schule und Hausge⸗ 
braudye. Bon Dr. W. ride, Recior der höheren Töchterſchule in Wies⸗ 
baden. Zweite Wuflage ber „Praltiichen Dellamatoril". gr. 8. (XVI, 
264. ı 149 ©) Wein, C. G. Runze's Nachſolger. 1867. Köhler. 11 


138 Literaturkunde. 


Dies Wert enthält in zwei Abtheilungen eine reiche Auswahl von 
guten Gedichten, bie geeignet find, ſowohl dem Geſchichtsunterricht eine 
Stüße zu gewähren, als aud die Literaturfenntniß zu vermehren. Die 
Auswahl ift eine glüdlide. Die Anordnung ift nad Jahrhunderten er: 
folgt, was den Gebraud für den Gejhichtsunterricht fehr erleichtert. Die 
hiſtoriſchen Beziehungen find bei jedem Gedicht gleich unter der Ueberſchrift 
furz angegeben, auf die Zeit der Wirkſamkeit des betreffenden Selen. 
Außerdem ift dad Metrum des eriten Verſes in gewöhnlicher Weife veran⸗ 
ſchaulicht, was dazu dienen wird, die Schüler mit den metrifchen Formen 
vertraut zu machen. Die zweite Abtheilung enthält ausſchließlich franzöſiſche 
und englifhe Gedichte, 


33. Der Declamator. Hundert beutiche Gebichte zum Declamiren nebſt 
biographiſchen und bibliographifhen Notizen. Aus ben Duellen. Kür bie 
reifere Jugend zufammtengefiellt von Theodor Eoldhorn. Zweite Auflage. 
8. (XII u. 352. S.) Hannover, C. Rümpfer. 1867. 3 Thlr. 


Die erfte Auflage haben wir im 13. Bande bes Jahresberichtes an: 
gezeigt und beflens empfohlen. Die vorliegenve zweite Auflage bat feine 
bemerkenswerthe Veränderung erfahren; wir können daher auf jenes Urtbeil 
verweiſen. 


34. Des Mägbleins Dichterwald. Stufenmäßig geordnete Auswahl 
deutſcher Gedichte für Mabdchen. Aus den Quellen. Bon Theodor Eols- 
Born. Fünfte Auflage, verbeſſert und vermehrt. gr. 8. (VILI u. 559 ©.) 
Hannover, &. Rümpler. 1867. 1 Thlr. . 


Bon diefer vortrefflihen Sammlung haben wir bie vierte Auflage im 
15. Bande des Yahresberichtes angezeigt. Die vorliegende fünfte Auflage 
ft um 50 Gedichte vermehrt worden, wie auch die biographiidhen und 
bibliographiſchen Mittheilungen bis zur Drudvollendung fortgeführt wurden, 
Der reihe, ſchoͤne Stoff wird feine Anziehungskraft auch ferner bewähren 
und viel zur Bildung des weiblichen Gemüthes beitragen. 


35. Blüten aus dem zarten Kindesalter. Gedichtſammlung für Heine 
Kinder. Seranogenehen von Dr. Robert König. Zweite, durchgeſebene 
und. verbe erte Auflage. gr. 8. (IV u. 103 S.) Oldenburg, ©. Stalling. 

66. 5 Ögr. 


Die 200 Gedichte diefer Sammlung baben anerkannte Dichter zu Ver⸗ 
faflern und bieten Kindern von 6 bis 10 Jahren einen guten Bildungs» 
ſtoff. Der Preis iſt niebrig zu nennen für das Gebotene. 


36. Deutfher Dichtergarten für deutſche Bolleihulen. Cine 
Muſterſammlung von Auffägen und Gebichten älterer unb neuerer Beit, 
zur Belebung unb Berebelung bes Gefühlee und bee Leſetons. Rebft einem 
furzen Unterrichte Über deutſche Dichtungen und deutiche Dichter, und einer 
Anleitung zum ausbrudsvollen Leien von Woldemar Weined, Diaconus 
unb erftem Lehrer an ber Mädchenſchule zu St. Kunigunden in Rodhlig. 
Sechezehnte Auflage. gr. 16. (VIII u. 195 ©.) Burgen, Berlogscomptoir. 
Ohne Jahreszahl. 5 Ser. 


, Diefe Sammlung von Gedichten ift für Vollsihulen im Ganzen zwed⸗ 
mäßig, enifpridpt. alfo dem auf bem Titel angegebenen Zwede bes Ber: 


Literaturkunde. 139 


fafſers. ‚Das Wichtigſte über deutſche Dichtkunſt und deuiſche Dichter“ iſt 
in dieſer Kürze (6 Seiten dieſes kleinen Formats) und in dieſer verhaͤlt⸗ 
nißmaͤßigen Bollftändigfeit für die Vollsſchule wohl kaum geeignet; ebenſo 
werden Schüler aus der 5 Seiten langen „Anmeifung ausbrudvoll leſen 
zu lernen‘ fehr wenig lernen. .. Was Schüler der Volksſchule hierüber zu 
wiſſen nöthig haben, lernen fie beſſer gelegentlich in den Lefeftunden. 


37. Deutfde Diätungen für bie Jugend, gelammelt bon einem Bereine 
von Lehrern. Erſter Kurſus. Siebente Auflage (oO u. 148 ©.) 
Gießen, Ernſt Heinemann. 1866. 


Als Herausgeber diefer Sammlung, nennen fih unter der Vorrede 
Dr. Curtman, Dittmar, Dr. Helmspdörfer, Reid und Stroh. 
Die Zahl der Gedichte beläuft ſich auf 193, vie fait alle von anerlannten 
Dichtern herrühren. Für die Unorbnung ift die größere ober geringere 
Schwierigkeit, melde, bie Gedichte den Rindern durch ihren Inhalt und für 
das Auswendiglernen barbieten, maßgebend geweſen. Gine Durchſicht ges 
währt bald die Meberzeugung, daß die Herausgeber nach jeder Begiehung 
bin das Rechte getroffen Haben. Wo das poetifhe Bedürfnig nicht. bereits 
durch ein gutes Leſebuch befriedigt wird, kann man dieſe Sammlung unbe 
dingt für Die zwei erſten Schuhjahre beruben laſſen. 


38. Dentices Literaturbuch für Schule und Hans. Von H. Jaſtram— 
Lehrer zu St. Albani in Göttingen. Erſte Stufe. ‚Boctifcer Blumengarten. 
gr. 8. (IV n.136 ©.) Göttingen, Deuerlich. 1866. 10 Ser. 

oo. * unter dem Titel: 
Poetiſcher Blumengarten für Schule und Haus. Zum Leſen und Detlamiren 
und als —— zu bem Leſe⸗, Lehr⸗ und Sprachbuche Yon 
H. Iafram einem Borworte von Dr. 8 ". Stifart. 


Der Inhalt zerfällt in vier Abtheilungen: veligiöfe Dichtungen, Natur: 
lieder, Geſchichts⸗ und Vaterlanbshiever,. vermilchte Dichtungen. Die aus: 
gewählten Gerichte. find gut. Auf bejondere Eigenthümlichkeit, reſp. Vorzüge 
vor ähnlihen Sammlungen kann das Werkchen jevod keine Anfprüde 
maden; das an guten Gedichten arme Lejebuch des Herausgebers hat wohl 
dieje Sammlımg als ‚eine nothwendige ‚Ergänzung erſcheinen laſſen. 


39. Lied erbuch für die Jugend big zum giena huten Jahre. icoegeber 
von A. Bacmeiſter. Fünfte Auflage. gr. (II u. 91 ©.) Heilbronn, 
in Com. bei U. Scheurien. 1860:° } Thlr. 


Der Titel „Liederbuh” paßt nicht fonderlih zum Inhalt, da das 
Bud nicht bloß Lieder, fondern Dichtungen verfhiedener Art enthält. Aber 
die Sammlung an fi ift gut und "bietet Geiftesnahrung für verfchiedene 
Bildungsftufen dar, Tanır. daher da zum Gebrauch empfohlen werden, wo 
es an einem poeſiereichen Leſebuche fehlt.’ -- 


40. Bud beutiäer Märchen. Kir Säule und Haus gefammelt von 
Ferdinand Ehmidt. Zweite Auflage : gr. 16. (VI u. 236 ©. mit vier 
Steintafeln in Tondruck.) Berlin , Böttcher. cart. 24 Sgr. 


Diefe Sammlung entbäll 14 größere Märden von befannten und 
hervorragenden Märdendichtern, wie Hauff, C. Brentano, Göthe, Mufäus, 


140 Riteraturfunde. 


bie Gebrüder Grimm, H. Gtilling u. A., denen fid auch der Herausgeber 
in würbiger Meife angereibet bat. Dieje Namen verbürgen, daß das Wert 
die Würdigung verbient, die ihm zu Theil geworben ifl. 


7. Poetik. 


41. Die Gattungen ber Dichtkunſt als ein Leitfaben für ben literaturhiftori- 
fen Unterricht in ben obern Klaſſen höherer Schulanflalten bearbeitet von 
Dr. Reinbold Döring. Zweite, mit einer Ueberſicht ber Perioben ver- 
mehrte Auflage. 8. (IV u.67©&.) Brieg, 5. Gebharbi. 1866. 6 Sgr. 


Büchlein diefer Art befigen wir eine ziemlihe Anzahl, darunter auch 
manche ganz vortrefflihe. Das vorliegende erflärt die Dichtungsarten ein- 
fah und nad dem Borgange anderer Arbeiten diefer Art. Die „Ueberficht 
der Perioden der Geſchichte der deutihen Poeſie“ umfaßt 17 Seiten und 
beitehbt im Grunde nur aus bdürftigen Andeutungen. Yür Schüler der 
„oberen Klaſſen höherer Schulanftalten“ ift eine fo dürre Meberfiht unzu⸗ 
länglid. 

Wenig erbaut haben uns die Anfichten des Verfaflers über die Methode 
des literatuthiſtoriſchen Unterrichts, die er in der Borrede andentet. Er 
nimmt zwei Kurſe zu je zwei Jahren dafür an. Für die untere Kaſſe 
follen „die Gattungen der Dichtkunſt“ beftimmt werben, für die oberfte die 
angebängte ‚‚Ueberficht ver Perioden der Geſchichte der deutſchen Boefie‘. 
Das Richtige if, eine gute, chronologiſch geordnete Auswahl von Ges 
dichten dem Unterricht zu Grunde zu legen, dieſe allfeitig mit ven Schülern 
zu befprehen und daran die nöthigen Belehrungen über die Gattungen der 
Dichtkunſt zu tnüpfen. Zum Schluß können diefe dann auch überſichtlich 
zufammengeftellt werben. 


8 Mythologie. Ä 
42. Der Olymp in Keimen. Bon E. Ebeling. 8. (41 ©.) Bern, 
$. Heuberger. 1866. 5 Sgr. 

Der Berf. will mit feinen „Reimen“ den Schülern das Behalten ber 
wichtigſten mythologifhen Namen erleichtern. Wie er das angefangen bat, 
mögen die Lejer aus folgenden Proben erjehen. 

1. 


As erften Gott man merlen muß 
Des Kronos Vater — — — 

2. 
Mein liebes Kind, ſei recht geſcheidt, 
Behalte: Kronos, Gott der — 

3. | 
Daun praͤg es feil in bein Gehirn 
Den Kronos nennt man auh — — 

- Die fehlenden Reime enthält ein Anhang. 


IV. 
Anihauungsunterricht. Leien. Schreiben. 


Bearbeitet von 
Auguft Luͤben. 


I. Methodifches. 


In methodiſcher Beziehung haben die drei in der Ueberfchrift genann- 
ten Unterreihtsgegenftände im abgelaufenen Jahre eine irgendwie nennens- 
werthe Yörderung. nicht erfahren. Es ift zwar hier und da in päbagogijchen 
Zeitihriften und Vorreden ein Wort über den einen ober andern biefer 
Gegenftände gejagt worden; aber es läuft das Alles auf Wiederholung des 
Belannten mit mehr oder weniger anderen Worten hinaus. Darım können, 
wis für diesmal von einer Revue darüber abjehen. 

In Beirefi des Anſchauungsunterrichts fiheint man immer 
mebr und mehr dahin zu kommen, ihn als jelbftändigen Gegenftand 
fallen zu lafien. Die vorhandenen Schriften über Anſchauungsunterricht 
balten fi zwar und werben alſo von den Lehrern benupt, wie die neue 
Auflage der Harderihen Schrift beweiftz aber ihre Bahl wird doch nicht 
erheblich vermehrt und bat in dem Sabre 1866 wohl gar keinen Zuwachs 
erhalten. Dagegen ift die Zahl der Leſebücher für die erſten Schul: 
jahre, in denen fperielle Rüdfiht auf den Anſchauungsunterricht 
genommen wird, in benen biejer geradezu für die Abjafjung und Anorb: 
nung ber Lejeftüde maßgebend geweſen, in fortwährendem Wachsthum be: 

Dieſe Erſcheinung ift inſofern eine erfreulicde, als fie davon Zeug⸗ 
niß giebt, dab ein richtiger Grundſatz für den Unterricht, der Grundſatß 
nämlih, daß jedes Lefeküd einer forgfältigen, namentlich auch ſa ch lichen 
Ertlaͤrung bedarf, immer mehr Anerlennung findet. Je mehr das in wahr: 
baft entwidelnder Weife geſchieht, je mehr man babei von wirklichen Ans 
ſchanungen ausgeht, deſſo mehr lann der gefonderte Anjhauungs: 
unterricht zurüdireten. 

Gbenſo erfreulich ift die Wahrnehmung, dab man fich immer mehr, 
für den Schreibleſeunterricht entſcheidet, insbeſondere für den rei⸗ 
nen Schreibleſeunterricht, yon dem in ver That überall nur die Rebe ſein 


142 Anfchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


follte. Denn es bat wirflih gar keinen Sinn, das Find gleih zu An» 
fange mit zweierlei Zeichen für einen Laut befannt zu machen. Aber 
dies Verfahren ift noch fehr an der Tagesordnung, mie die Fluth neuer 
Fibeln und die oft wiederlehrenden Auflagen der ſchon vorhandenen 
beweifen. 

Zu den beflagenswertben Erjheinungen auf dem Gebiete des erjten 

Leſeunterrichts gebört auch, daß den Stindern noch immer Unmaſſen von 
finnlofen Silben, einzelnen Wörtern und zuſammenhang— 
lofen Sägen in den Yibeln dargeboten werden. Seinen Grund bat das 
in dem an und für fih löblihen Streben, dem Lefeunterricht als 
ſolchem vom Standpuntte des allmähliden und lüdenlofen Fortſchrittes 
Rechnung zu tragen. Die große Mehrzahl der Fibeljchreiber ſucht gerade 
hierin ihre Stärle, und wer irgendwo einige leichtere Lautverbindungen ober 
eine etwas befjere Folge glaubt entvedt zu haben, feßt ſich jofort hin, und 
ſchreibt eine neue Fibel, gerade wie Schreihlehrer fi) für verpflichtet erach⸗ 
ten, neue Vorſchriften heraus zu geben, wenn fie das AR oder irgend einen 
andern Buchſtaben etwas anders formen, ald X Y 3. Solde Lehrer 
bedenlen nicht, daß es von unenblicher Wichtigkeit ift, die Kinder von der 
erften Stunde an zum denkenden Leſen anzuleiten, und daß diefe Auf: 
gabe feinen Augenblid aus dem Auge gelafien werden darf. Eher 
möge man ein Wenig auf lüdenlofen Fortſchritt verzihten, als hierauf. 
Hierzu kommt aber, daß wir einfahe Lautverbindungen in Wörtern in 
ausreichender Menge befigen, um einen Lehrgang für das Lefen berzuftellen, 
der das Kind jeden Augenblid in denkende Xhätigleit zu verjeßen im 
Stande ift. 
Das Vo gel'ſche Unterrihtsverfahren, naͤmlich das Verfahren, von 
Normalwörtern auszugeben, um eine recht innige Verbindung des 
Anſchauungs⸗ und Schreiblefeunterrichts herzuſtellen, findet aud bier und 
da noch neue Berehrer. Solcher Verbindung reden wir fchon lange das 
Wort. Aber mit Rüdjiht auf die Schwierigkeit, welche das Schreiben von 
Hauptwörtern anfangs unleugbar bereitet, ſehen wir von dieſen jelbft ab, 
und laflen aus den in Anfchauungsübungen gewsnnenen Säßen nur’ bie 
Mörter fchreiben, weldhe leicht darzuftellen find. Dadurch wird jener fo 
ſehr wünſchenswerthe Zufammenbang volllommen gewahrt. 

Endlih darf ih mir auch wohl hier ein Wort über die Maſſenhaftig⸗ 
keit, in der die Lejebücher feit einer mäßigen Reihe von Jahren erjcheinen, 
erlauben. 

In der Zeit, wo man anfing, die Nothwendigkeit von Lefebüchern zu 
erlennen, die über die Fibel hinaus gingen, gab es begreifliher Weiſe nur 
wenig Werke diefer Art, und fie wurden daher überall gebraucht. Ich 
erinnere an die Kinderfreunde von Rocho w, Wilmfen, Berrenner, 
Preuß und Vetter, bie über ganz Deutjchland verbreitet und baram 
Sedermann belannt maren und von Jedermann geliebt wurden, Mit. 
legterem Werle wurde eine neue, die jebige Epode angebahnt. Ihm folgten 
bald andere, in manntgfadher Beziehung befiere, und es bildete ſich endlich 
die Anſicht heraus, das Leſebuch müfle das :Befte aus unferer guten Litera⸗ 
tur in Broja und Poeſie enthalten, müfle den Unterricht, insbeſondere ben 








Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 143 


Real⸗ und Sprachunterricht unterſtützen, zur Veredlung des Gemüths wie. 
des höheren Erlenntnißkraͤfte dienen, überhaupt bie allgemein⸗menſchliche 
Bildung fördern. Wir haben jest eine ganze Reihe von Lefebüchern, bie 
diefes hohen Anforderung entjprehen und durch die alle nur möglichen 
Schulverhaͤltniſſe, die einklaſſige wie die vielllaffige Schule, die befchränttefte 
Vollsſchule wie die Realihule und das Gymnafium, befriedigt werden. Es 
it von hervorragenden Lehrern längft das befte und geeignetfte Material 
aufgefunden oder ſelbſt erzeugt worden; auch herrjcht in Betreff der Anord⸗ 
nung und des Umfangs befjelben jo große Uebereinftimmung, daß es oft 
ſchwer hält, die neueften Lejebücher von ben älteren unterjcheiden zu 
fönnen. Und dennody erjcheint alljährlih eine wahre Sünpflutb von Lefes 
büchern, namentlich für Bollsfhulen. Wem es, wie einem Neferenten über 
biefen Literaturzweig, vergönnt iſt, die Produkte eines Jahres überjehen zu 
löunen, der wird von einem ftillen Grujeln befallen, beſonders, wenn er 
von dem Gedanken erfaßt wird, daß das noch Jahrelang jo fort geben 
lann. Man kann bie ‚legte Strophe aus Göthes Zauberlehrling gar nicht 
mehr aus dem Kopfe los werben, wenn fie Einem einmal eingefallen ift. 


Und fie laufen! Naß und näfler 

Mird’3 im Saal und auf den Stufen. 
Welch entfegliches Gewaͤſſer! 

Herr und Meiſter! hör' mich rufen! — 

Ach, da kommt der Meiſter! 

Herr, die Noth iſt groß! 

Die ich rief, die Geiſter, 

Werd' ich nun nicht los. 


Die Urſachen von dieſer Leſebuchfluth ſind unſchwer zu erkennen. In 
erfier Reihe fteht die liebe Eitelkeit, auch zu den Schriftſtellern des Jahr⸗ 
hunderts der Aufklärung gezählt werben zu wollen. Und wie leicht ift 
diefe Eitelkeit jest zu befriedigen! Dan wendet ein paar Thaler daran, 
tauft jich zehn renommirte Lefebücher und macht durch allerlei Heine Mar 
noeuvre, wie Verſetzung und leichte Abänverungen der Stüde, daraus — 
ein elites. Das ift ein fo probates Recept, daß es niemals fehl jchlägt. 
Bon diefer fchriftftellerifchen Eitelleit wußte ſchon Claudius zu fagen. Im 
erften heile feiner „Sämmtlihen Werke“ fchreibt er an feinen „lieben 
Andres’: „Ich babe das Leichvornpflafter erhalten, die MWürzpillen aber 
nicht, arbeite auch jego an einem Buche, das ic dem Drucke übergeben 
will. Er glaubt nit, Andres, wie Einem fo wohl ift, wenn man was 
Schreibt, was gebrudt werben fol, und ich wollt’ ihm die Freude auch 
»nmal gönnen. Cr könnte etwa das Necept zu dem Bflafter herausgeben, 
etwas vom Urſprung der Leihbörner herraifonniren und am Ende einige 
Errata binzuthun. Sieht Gr, ’3 kommt bei einer Schrift auf den Inhalt 
eben nicht groß an, wenn nur Schwarz auf Weiß ift; Cinige lobens 
Doch.“ 

Bei Andern kommt zu dieſer Schriftitellereitelleit auch noch die mans 
gelhafte Einfiht von der großen Wichtigkeit eines Leſebuches. Zür Solde 
fegen wir zwei Stellen aus Vorreden zu Lejebüchern von Vogel, mweiland 


444 Anſchauungsunterricht. Lefen: Schreiben. 


berühmter Schuldirector in Leipzig, und Wilhelm Wadernagel, Bros 
fefjor in Bafel, bier ber. Vogel jagt in der weiter unten beiprechenen - 
Särift „Die Heimath“ von Bulnheim: „Ja, man Tann wohl behanpten, 
das Leſebuch werde in den meilten Fällen des Kindes erfler ivealer Freund 
und Gefellfchafter, und nehme als folder das innere Leben veflelben weit 
mehr in Anfprud und wirle weit mehr auf deſſen geiftige Ausbildung und 
Entwidelung, als bie meiften Eltern und Lehrer ahnen. Darum follte man 
aber auch mit der größten Borfiht und Umſicht bei der Abfaffung und 
Verwendung eines ſolchen Buches verfahren, damit dem jugenvlichen Geifte 
und Gemüthe nur gejumder, der findlihen Natur und Beltimmung und 
fona den hoͤchſten Bmweden der Erziehung und des Unterrichts entſprechen⸗ 
der Nahrungs: und Unterbaltungsftoff gereicht werde.’ 

Badernagel jagt in dem ebenfalld weiter unten angezeigten „Leſe⸗ 
buch” von Hotz: „Ein Leſebuch wie dieſes, d. h. ein Buch, mit dem aller 
und jeder Unterriht beginnt, ift ein Werl von beinahe unberechenbarer 
Michtigkeit, und wer ſich deſſen unterfängt, nimmt damit die größte Ver⸗ 
antwortlichkeit auf fi.” — Ferner: „mie leichtfinnig iſt es ſchon fo oft 
mit einer Aufgabe genommen worden, die boch zu den ernſteſten und heilig 
ften aller Schriftfiellerei gehört!” 

Es ift ohne Zweifel eine hoͤchſt erfreuliche Erſcheinung unferer Beit, 
daB die Lehrer fih die Lehrmittel für die Schule felber anfertigen; aber 
daß nun auch alle diejenigen die Hand dazu anlegen wollen, denen bie 
erforderliche Kraft dafür nicht verliehen ift, die den betreffenden Gegenftand 
nicht weiter führen lünnen, das ift gewiß nicht in der Ordnung. Möchten 
darum für die Zukunft alle diejenigen von der Herftellung von Lejebücdhern 
abftehen, die fih nicht volllommen bewußt find, etwas erheblich Beſſeres 
liefern zu können, als alle ihre Vorgänger auf diefem Gebiete! 


U. Literatur. 


I. Anſchanungsunterricht. 


1. Theoretifh-prattifhee Handbuch für ben Unfhauung 
unterricht. Mit befonderer Berüdfichtigung des Elementarunterrichts in 
ben Realien. Bon Friedrich Harder, Voltsfchullehrer , früher in Altona, 
jetst in Ahrensboeck in Holftetn. Vierte, vermehrte und verbefierte Auflage. 
gr. —— und 528 ©.) Altona, 3. F. Hammerich. 1867. 1 Thir. 

2, Ser. 


Die zweite Auflage dieſes Werkes ift im 12. Bande ausführlich, die 
dritte im 15. befproden worden. Die vorliegende vierte ift won ber vor⸗ 
bergehenden nicht weſentlich verfchieden, weshalb ein näheres Eingehen auf 
diefelbe nicht geboten erſcheint. Das Buch fcheint viel von den Lehrern 
gebraucht zu werden, vielleiht auch darum, weil es geeigneten Stoff für 
den weiter gehenden Realunterricht enthält. 


Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 145 


D. Leſen. 
1. Für den Elementarunterricht. 


A. Wandtafeln. 


2. Wand⸗Fibel für den Schreib⸗Leſeunterricht von K. Bor⸗ 
mann, Köonigl. Dina Schutzart in Berlin. gr. Fol. (10 Tafeln.) 
Berlin, 2. Oehmigke's Verlag. (Fr. Appelius.) 1867. 25 Ger. 


Die erften neun Tafeln enthalten einen Curfus für das Schreiblefent 
die lebte giebt Bilder, melde das Behalten der Laute und ihrer Zeichen 
erleihtern follen. Zert und Bilder ftehen in Einklang mit der von dem 
. Herausgeber beforgten Ausgabe der Handfibel für den Schreib-Lefeslinter: 
richt von Otto Schulz. Die Tafeln follen den Schreib-Lefelinterriht ers 
leichtern und bejonders auch ſolchen Lehrern eine Stübe gewähren, die mit 
der Schönfhrift auf etwas gefpanntem Fuße ftehen, überall aber Zeit 
erfparen helfen. Wir halten diejelben für diefe Zwede ganz geeignet, wenn 
wir e8 aud) bier noch weniger als in der angezogenen Fibel billigen können, 
daß Hein gefchriebene Hauptwörter vorlommen. Der Herausgeber bat in 
einer Eleinen Schrift über Ortbograpbie den Grundfaß zur Geltung gebradht, 
daß die Orthographie mehr durchs Auge, als durch Regeln erlernt wird, 
und follte daber auf diefen Tabellen, die alljährlih auch in Klaſſen ge: 
braucht werben, in denen etwas vorgerüdtere Kinder fi finden, nicht 
dagegen verftoßen. Die Schrift ift theilmeife etwas fteif ausgefallen; auch 
greifen die Buchſtaben mit halben und ganzen Längen auf manden Tafeln 
jo in die anftoßenvden Linienfofteme ein, daß das Auge dadurch verwirtt 
wird. Ein gejhidterer Lithograph und zwei oder drei Tafeln mehr hätten 
biefe Uebelſtaͤnde befeitigen können. 


3. Baudtafeln für den erfen Lefeunterridt gr. Bol. (X 
Tafeln.) Einſtedeln, in der Schweiz, Gebr. K. u. R. Benziger. 1867. 25 Sgr. 


Einen Titel haben wir bei diefen Tabellen nicht gefunven, daher den 
obigen gewählt. 

Bon ähnlichen Tafeln unterjcheiden ſich diefe dadurch, daß neben dem 
Lefematerial aus Drudichrift au die Buchftaben in Schreibichrift auftreten, 
wenigftend die Kleinen, während den großen ein beſonderes, gut ausgeführ: 
tes Blatt gewidmet ift. Das Lefematerial in Drudichrift befteht in Silben, 
Börtern und Sägen. Die Buchſtaben find groß und fchön, die Zeilen 
auch nicht zu überfüllt und zu nahe gerüdt. Wo man fih entſchließen 
kann, finnloje Silben lefen zu laflen, da hat man an diefen Tafeln gewiß 
ein brauchbares Hülfsmittel für den erften Leſeunterricht. 


4. Buchſtaben, Ziffern und Zeichen zur Leſe⸗Maſchine nad 
Bo ß'ſcher Methode. Zmeite, vermehrte Auflage, Ausgabe A. (534 deutſche 
und 240 lateiniihe Buchftaben.) Leipzig, ©. Gräbner. 1867. 21 Sgr., 
auf Pappe 43 Thlr., auf Holz 64 Thlr. Die deutſchen Buchftaben, arab. 
und röm. Zi ern, Interpunktions⸗ und Rechenzeichen allein 15 Sgr., auf 
Bappe 34 Thlr., auf Holy 5 Thlr.; bie lateiniſchen Alphabete allein 74 
Sar., auf Bappe 14 Chlr., auf Holz 15 Thir. 

Pd. Japresberiit. XIX. 10 








146 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


Wo man ſich der Schreibleſemethode bedient, bedarf man einer Leſe⸗ 
Maſchine nicht; Wandtafel und Kreide erfetzen ihre Stelle volllommen. Wo 
dagegen noch in alter Weiſe Leſen und Schreiben getrennt nebenher laufen, da 
erweiſt ſich eine Leſe⸗Maſchine als nützlich, und kann man ſich der hier dar⸗ 
gebotenen Buchſtaben bedienen, da fie groß und deutlich find. Die Vokale 
find auf einer beſondern Tafel roth gebrudt, "worin wahrſcheinlich das 
Gigenthümliche der Voß'ſchen Methode (1) befteht. Die lateiniſchen Alpha⸗ 
bete dürften fich als entbehrlidh erweifen, da die Kinder dieſe Buchſtaben⸗ 
formen mit Leichtigkeit aus dem eingeführten Leſebuche erlernen. 


B. Büder. 
a. Reines Schreiblefen. 


5. Bibel für ben erſten Unterricht im Leſen und Schreiben. 
arbeitet von A. Wille, Lehrer in Alt-Ruppin. 8. (III unb 140 ©.) 
Neuſtadt⸗Eberswalde, &. U. Lemme. 1866. geb. 5 Gar. 


Um das Buch für das reine und gemifchte Schreiblefen glei brauch: 
bar zu maden, bat der Verfaſſer den Stoff in Schreibfhrift auf den 
gegenüberftehenden Seiten in Drudihrift ausführen lafien. Diefe Einrich⸗ 
tung geftattet fogar, daß Schreiben und Leſen unabhängig von einander 
betrieben werden können. Darauf mweift der Verfafler auch in der Borrede 
bin, wobei ihm der feinem Inhalte nah unrichtige Sa entfhlüpft ift: 
„Das Lefen kann daher nad der Schreiblefes oder nach der Lautir- Methode 
gelehrt werden.” Kann man denn bei der Schreiblefe Methode das Laus 
tiven entbehren ? 

Der Shreibfhrift find im Ganzen acht Seiten gewidmet, woraus man 
wohl abnehmen darf, daß der Verfafler für die Schreiblefe Methode nicht 
enthufiasmirt if. Die Gtufenfolge dieſes Abfchnittes befriedigt, im Ganzen 
auch der Inhalt, da bald von Silben zu Wörtern übergangen wird. DO, X, 
D und E hätten aber bis auf fpätere Zeit bin verſchoben werben koͤnnen. 
Bon Eeite 19 bis 36 werden ſchwierigere Lautverbindungen vorgeführt 
und dafür vielfach bloße Wörter als Lefeftoff benugt, was wir nicht gerabe 
billigen können, da Heinere Schüler dabei fo gut wie gar nicht denken. 
Eine fo frühzeitige, gewiflermaßen ſyſtematiſche Vorführung ſchwieriger Laut⸗ 
verbindungen empfiehlt fih überhaupt nit. Seite 37 bis 39 enthält in 
acht Abjchnitten eine Belehrung über Gott. Wenn viejelbe auch einfach ge 
balten ift, fo gehört fie doch weder bier ber, noch überhaupt in eine Fibel. 
Seite 41 bis 53 bietet Stoff zu allerlei grammatifhen Uebungen dar und 
damit ein Material, was für den Lefeunterriht ohne Werth if. Dabei 
laufen nun Wörter mit unter wie Cither, Cenfur, Eöleftin, Cymbel, Cirku⸗ 
lar, Soncil, Chaos, Chemie, Mirtur u. v. a. Was foll fih ein ſechsjaͤh⸗ 
riges Kind dabei denten? Bon Seite 62 an folgen Tleine Yabeln, Erzäh⸗ 
lungen, Beichreibungen und Gedichte, die im Ganzen gut gewählt find. 
Seite 112 bis 116 ftehen 60 Bibelſprüche, von denen die meilten für 
Elementarjchäler zu ſchwer find. Was follen auch Kinder des erften und 
etwa zweiten Schuljahres mit fol einer Menge von Bibelfprühen? Un 





Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben 147 


die Bibeliprüche reihen ſich 19 bibliſche Geſchichten, die ven: alten und 
neuen Teſtament entiehnt find. Ihr Ruben an diefer Stelle ift zweifelhaſt. 
Den Schluß bildet ver vollſtaͤndige Luthet'ſche Katechismus und das — 
Ginmaleins. 

Das Buch begründet keinen Fortjchritt im Gebiete des erſten Leſe⸗ 
unterricht. 


6. Die Fibel ober Schreib-Lefe-Schule. Bon Heine. Splger, Lehrer 
im Würzburg. 8. (16 S. Schreibihrift und 76 S. Drudihr.) Würzburg, 
Selhftverlag. 1866. 6 fr., im Partien 5 fr. wi 


Die erften 12 Seiten enthalten Schreibſchrift im Umfange des Weinen 
Alphabeis. Daran xeihet ſich Drudichrift, der zur Veranſchaulichung 
Schreibbuchſtaben beigegeben find, Bon Geite 14 der Drudfchrift treten 
die großen. Vuchſtaben in Schreib: und Drudichrift auf, fo jedoch, daß ber 
Leſeſtoff nur in Drudſchrift ausgeführt iſt. Den Schluß bilden 4 Seiten 
Schreibſchriſt, das Heine und große deutſche und lateinische Alphabet dar: 
ftellend, eine Zugabe, die wir für ſehr unnöthig halten. Die ganze Schreib: 
ſchrift ift auf dem etwas grauen. Papiere nicht beſorders rein ansgeführt 
worden; doch genügen die Schriftformen. Der Tert der erften 12 Eeiten 
beftebt aus Silben und Wörtern. Von den Wörtern find viele, um fie 
einfilbig zu erhalten, in ungewöhnlichen Formen aufgeführt worden, wodurch 
fie faft zu finnlojen Silben herabjinfen. Der Text in. Drudichrift hält auch 
zu lange an Silben und Wörtern feit, ein Fehler, an dem die meiften 
Fibeln leiden. Erft von Seite 62 an kommen. „Lefeftüde”, in denen auf 
ven Anfhauungsunterricht Bezug genommen iſt. Den Schlau machen 10 
Heine Lieder. 


7. Leſebuch für Bärgerſchnlen. Geransgegeben von A. Küben und 
©. Made Erſter Theil. Mit Abbitbungen zur Unterflüuung bes Au⸗ 
unterrichte. Neumte, verbeflerte Auflage. gr. 8. (IV un. 88 ©.) 

Leipzig, Branbftetter. 1866. 4 Sgr. 


Die erften 40 Seiten enthalten nur Schreibſchrift. Die Heinen Bud 
ftaben werden auf den. erften 7 Seiten m Wörtern gelehrt, jo daß finnlofe 
Silben ganz ausgeſchloſſen bleiben. Mit dem Eintritt der großen Bud: 
flaben (Seite 8) werden nur Sätze dargeboten, von denen die meiften 
Heine Gruppen bilden, in denen immer nur ein dem Anfchanungsunterridt 
angeböriger Gegenftand behandelt wird. Die Lejeübungen fordern daher 
die Schüler immer zum Denken auf. Von Seite 41 an, wo die Drud: 
ſchrift auftritt, wechſeln Profaauffäße, die fih auf Gegenftände des An: 
ſchauungsunterrichts beziehen, mit kindlichen Poeſien ab, die in engfter Bes 
ziehung zu biefen ftehen und hauptfählih für Gemüthsbilbung berechnet 
find. Der Lehrer hat in viefer Abtheilung zugfeih Leitfaden und Material 
für einen fruchtbringenden Anſchauungsunterricht. 


8. Hanb-Fibel von Otto Schulz. Ausgabe B. Kür den Sdreib⸗Leſe⸗ 
Unterricht bearbeitet von K. Bormann, Königl. Provinzial- Schulrath in 
Berlin. 14. Auflage. 8. 1176 ©.) Berlin, F. Oehmigke's Verlag. (Fr 
Appelins.) 1866. 4 Ser. 

10* 


148 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben, 


Dieſe Hand⸗Fibel unterſcheidet ſich von der weiter unten genannten 
(Ausgabe A) deſſelben Verfaſſers nur durch andere Bilder zum Alphabet 
und durch 18 Seiten Schreibfchrift, die zujammen einen braudybaren Lehr: 
gang für das Schreiblefen ‚barftellen. Der übrige Zert ift der der Aus⸗ 
gabe A. 


9. Schreibleſe⸗Fibel von ben Lehrern H. Nad in Berden und mweiland 
9. Flathmann in Ahaufen. Vierte Auflage. 8. (36 &.) Stade, Fr. 
Steubel sen. 1867. 2 Sgr., geb. 3 Ser. 


10. Leſebüchlein von ben Lehrern H. Nad unb H. Flathmann. Dritter 
8 der Schreibleſe⸗Fibel. Dritte Auflage. 8. (72 ©.) Ebendaſ. 1867. 


* ehe Auflage der Schreibleſe⸗Fibel erfhien 1860 und ift im 
14. Bande des Jahresberichts von und beſprochen worden. Die dort ger 
machten Ausftelungen find erledigt worden. Das Büchlein kann in beiden 
vorliegenden Abtheilungen als brauchbar bezeichnet werben, ohne daß es ſich 
gerade dur beſondere Eigenthümlichleiten vor anderen guten Leſebüchern 
auszeichnete. 

Nr. 25 His 30 der SchreiblefesFibel, enthaltend: Ein boppeltes Abc 
in Sprichwoͤrtern. Die zehn Gebote. Unſer Glaube. Das Vaterunſer. 
Ein Abe in Bibelſprüchen. Krone von allem; find feine Stoffe für 
Kinder des erften Schuljahres; ihre Beſeitigung für eine neue Auflage wird 
fih daher ſehr empfehlen. 


11. Des Kindes Schreiblefefibet mit Bildern. Ein Elementarbud von 
Ich, Halben, Schulvorfieher in Hamburg. Dritte Wuflage. 8. ( unb 
8 ©.) Hamburg, ©. W. Niemeyer. 1866. geb. 6 Gar. 


Die vorliegende neue Auflage ift von den früheren, eingehend von 
uns beſprochenen nicht verſchieden, weshalb wir uns bier mit der Bemer- 
tung begnügen können, daß die äußere Ausftattung anjprechend if. 


12. Bibel für den Schreib— Seleumterrigt von ©. U. Khieberhold, 
ebrer an ber Mufterichule zu — rt 8 M. Dritte Auflage. 
(III und 130 ©.) Frankfurt a. F. B. Auffarth. 1867. 8 Se. 


Der Schreibihrift find 49 Seiten gewidmet, der größere Reſt der 
Drudicrift, die in diefer Auflage ohnehin eine Vermehrung erhalten hat. 
Für die eriten 21 Seiten Schreibfhrift ift ein Linienneß angewandt wor⸗ 
den, äbnli dem Hedmann'ſchen, wofür der Grund ſchwer einzufeben ift, 
ba Jeder weiß, daß es Clementarjhülern anfangs recht ſchwer wird, das 
Schreiben auf und zwiſchen Linien zu lernen. Sollen fie nun gar noch 
auf die Richtungslinien achten, fo find ihnen der Schwierigleiten zu viele 
geboten. Dazu kommt no, daß durch die Menge der Hülfslinien ein 
unklares, den Augen nicht vortbeilhaftes Bild entſteht. Die Schreibfhrift 
it im Ganzen anfprehend, doch fehlt es nicht an mißlungenen oder in 
unpafiender Stelle befindlihen Buchftaben. 

Gegen Gang und Inhalt des Buches ift im Ganzen nichts Erbebliches 
einzuwenden. 








Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 149 


13. Erſtes Schulbuch. Stufenweiſe georbneter Stoff zn ben erften Schreib. 
und Zejeübungen, jo wie au zur VBegrüubung bes Sprachunterrichts über» 
haupt, insbeſondere aber zur Yörberung ber Rechtichreibung. Ein Ind 
mäßiges Hilfsmittel zum Schreiblefe- Unterricht. Bon F. 8. D 

er, Lehrer. Achte, verbefferte und vermehrte Auflage. 8. (IV, 152 u. 24 5) 
—E — * — 1866. 6 Sgr. 


Die und vorliegende Ausgabe iſt als „Grundſchriftausgabe“ bezeich⸗ 
net. Mit dem Ausdrud Grundſchrift iſt diejenige Schreibſchrift bezeichnet, 
welche Brajer für die Schreibleſemethode erfand, die wir ihm belanntlich 
verdanfen. Sie. ilt der lateinifhen Schrift ähnlich und im Ganzen ‚recht 
einfach. Cin aus Bamberg ftammendes Zabellenwert abgerechnet, ift uns 
dieſe Grundſchrift fonft in keinem Leſebuche vorgelommen ; das Offinger'ſche 
Leſebuch bat daher vom hiſtoriſchen Standpunkte aus ein Snterefie. Neben. 
biefer Srundfchriftausgabe giebt es auch noch eine mit gewöhnlicher Schreib: 
fchrift, die ven Gebrauch des Buches aljo auch da möglich madt, wo man 
von der Grundſchrift abfieht, mas ohne Zweifel in den meiften Ländern 
Deutſchlands der Fall if, aus Gründen, deren Erörterung wohl nicht mehr 
nötbig fl. 

Das Lejebuh hat, im Vergleich zu den jebt erjcheinenden, eine etwas 
veraltete Form. 


b. Gemiſchtes Schreiblejen. 


14. Sibel für ben erfien Anfhauungs-, Lefe- und Scäreibunter- 
richt von F. W. Hunger, Vürgerjhullehrer zu Annaberg. Bilder von 

Schilbach, Olrgerigu ehrer en Zweite Auflage. 8. 
(80 8 Hitbhurghaufen, 2. Nonne. 1865. 5 Sgr. 


Schreib: und Drudihrift finden fih zwar a gegenüber ſtehenden 
Seiten, der Stoff für Die Lefeübungen ift jedoch nur in Drudicrift gegeben 
worden. Gr befleht bis Seite 15 nur aus Silben und Wörtern, von der 
zweiten Stufe an (große Buchſtaben) aus Wörtern und einfadhen Sägen, 
auf der dritten Stufe in kurzen, aber zufammenhängenden Sägen zu den 
Bildern, auf der vierten in Reimen, Raͤthſeln, Verschen, Gedichten und 
Erzaͤhlungen, auf der fünften in Leſeſtücken in lateiniſcher Schrift, Eine 
Bugabe bildet Material für den erften Rechenunterricht. 

Die Bilder find im Ganzen recht nett; fie follen das Behalten ber 
Laute und Buchſtaben erleichtern und wohl auch den Ausgangspunkt der 
Anfhauungsübungen bilden, wie bie Lefeftüde der dritten Stufe erlennen 
lafien. Die Silbens und Wörterbäufung der. erften Stufe abgerechnet, macht 
das Büchlein im Ganzen einen guten Eindrud. 


15. Schreiblefefibel. Im Auftrage bes Hochwürdigen Ders Ant Luna 
er. Soufiftoriums bearbeitet. 8. (48 ©.) Bernburg, L. Reiter. 


Schreib» und Drudicrift werden in herfümmlicher Beife und mit 
Verwendung ver hundert und aber bundertmal gebrauchten Wörter und 
Saͤtze gelehrt. Im zweiten Theile, von Seite 36 an, werden „Lefeftüde 
zue Uebung in der SLefefertigleit und zur Belebung des Anſchauungsunter⸗ 





150 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


richts“ dargeboten, die im Ganzen gut find, die zehn Gebote und das 
Baterunfer abgerechnet, die in eine Schreiblefefibel gehören. Auch „Poe⸗ 
ſien“, wie fie Seite 37 unter Nr. 2 abgebrudt find, müflen baraus weg⸗ 
bleiben, meil fie geſchmadlos find. | 

Den Schluß des erften Theiles bildet das geoße und Heine Alphabet 
in Schreibſchrift mit „Bezifferung nad dem Takte“ und „Bezifferung nad 
den Theilen“. Und das ift das einzige Eigenthümlihe an dieſer anbal- 
tifhen Fibel. Was aber die Kinder damit anfangen follen, vermögen 
wie nicht zu entziffern. Mer Kinder bes erften Schuljahres beobachtet 
bat, wird zuftimmen, wenn wir behaupten, die Kinder verfiehen vie Be 
zifferung zu der Belt, wo fie dieſelbe benugen follen, gar nicht. 

Wir halten dafür, daß das ganze Büchlein ungebrudt hätte bleiben 
Innen. 


16. Fidel. für den Schreibr2eje-Unterrit. Bon M. Kremer, Lehe 
ver an ber Seleftenfhule zu Fraukfurt a. M. 8. (88&.) Frankfurt a. M., 
Berlag für Kunſt und Willenichaft. G. Hamacher. 1866. geb. 6 Ser. 


Diefe Fibel ift nach der gemiſchten Schreibleſemethode gearbeitet, für 
deren Anwendung ih bis jebt keinen einleuchtenden Grund auffinden 
konnte. Schon von der zweiten Seite an gewinnt aber die Drudjärift 
jo die Oberhand, daß der Ausprud „Schreib:Lefe-Unterricht‘ feine Bes 
deutung verliert. Für die Schreibſchriſt If daſſelbe Linienneß angewandt, 
wie in ber oben genannten Fibel yon Wiederhold; wie ich darüber vente, 
ift dort gefagt worden. Der Stufengang kann im Ganzen als gut bezeich⸗ 
net werben; auch verdient es Anerkennung, daß ber Berfafler von Anfang 
an Wörter und recht bald aud Sätze darbietet, die Schüler alfo gänglich 
mit finnlofen Silben verjhont. Inter den fpäteren Lebrjtoffen, von Seite 
48 an, findet fi neben vielem Guten auch Manches, was für Kinder des 
erſten Schuljahres zu abftratt und darum zu ſchwer iſt. Es gehören dahin 
viele ‘der aufgenommenen Sprüde, mie 3. B. Jeder ift feines Glüdes 
Schmied. Feine Roſe ohne Dornen. Prüfe, ehe Du handelſt. Rom ward 
nicht in einem Tage gebaut. Glüd und Glas, wie bald bricht das. Prah⸗ 
lerei — ein fauled Gi. Ferner das Räthſel Nt. 97, dann Nr. 179. 
Nr. 110, von den Engeln, wäre beſſer weggeblieben, da es doch ſchwerlich“ 
Aufgabe der Schule fein kann, ſolchen Engelglauben in‘ den Kindern zu 
begründen. U 


17. Schreib⸗ und Leſefibel von Gottfried Surcke. ME Bilbern 'von 
Otto Speckter. Nennte Auflage B. (101 S.) Hamburg, O. Meißner. 
1867. 6 Sgr. 

Tert und Bilder find unverändert geblieben; auch bie äußere Aus⸗ 
jtattang fleht denen ver früheren Auflagen nicht nah. Wir können baber 
auf unfere früheren empfehlenden Beiprehungen zurüdvermeijen. 


18. Mihael MWorgenbeſſer's Schreib⸗Leſe-Fibel, Beranegegeben vn 
E. Eonnadend. Sepgratabbrud aus dem Erſten Leſebuche Yon M. Mor» 
genbefler. Achtzehnte Auflage. 8. (32) Breflan, €. C. Rendart. 
(G. Sauder.) 1806. gwrt.. 24 Sgr. er ‚im RI if Ar 


Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 151 


Die Schreibſchrift tritt mit ber Drudichrift zugleih auf, aber von 
Anfang an fehr jparfam. Das Lefematerial befteht vielfah aus Silben 
und Wörtern, mit denen erft von Seite 16 an Kleine zufammenbanglofe 
Saͤtze mit meiſtens trivialem Inhalt wechjeln. Statt anziehender Lefeftüde 
finden die Heinen Abe-Schügen noch auf den legten Seiten: 

„tio⸗zio, tiazzia, tieszie, Die Nation, Ration, Section, Bortion, 
Caution, Rbätien, Quotient.” 

„ppep. Es ſchnappt, klappt, die Papparbeit, der Krapp, bie Knapp⸗ 
ſchaft. Der Buchbinver pappt. Diefer Menſch ift verkappt.“ 

Wollen denn die Lehrer fi nicht endlich der Kleinen erbarmen? 


19. Erftes Leſebuch von M. Morgenbefler, weil. Rector ber Bürgerſchule 
zum heil. Geifte in Breslau. Achtzehnte Auflage, verbeflert und heraus⸗ 
gegeben von 8. Sonnabend, Hauptlehrer in Breslau. 8. (126 ©.) 

edlen, 5. ©. ©. Leudart. ( C. Sander.) 1866. 3 Ser. 


Die erften 32 Seiten enthalten bie eben beiprochene „Schreibleſe⸗Fibel.“ 
Daran reihet ſich ein zweiter und dritter Theil. Der zweite Theil enthält 
„Zejeübungen in leihten Sätzen“, in benen von Menfhen und von Thies 
ren die Rede if. Im dritten heile tritt die lateinische Drud: und 
Schreibſchrift auf. Nah einigen Borübungen folgen „Leichte Lejeftüde”, 
die im Ganzen gut find. Den Anfang davon bilden Begriffsbeftimmungen, 
was an die Zeiten von Rochow und Berrenner erinnert. 


20. Lefebud für das erfie Schuljahr von Friedr. Krumbacher, Lehrer 
an ber höhern Töchterſchule in Nürnberg. Zehnte, vermehrte und verbeflerte 
Auflage. 5 Fibel. (96 ©.) II. Leſeſtücke. (70 ©.) Nürnberg, Fr. Korn. 

® gr. 


In der Fibel treten Drud: und Schreibfchrift zugleih auf und zwur 
fo, daß die Schreibſchrift zeilenweis unter der Drudjchrift ſteht. Wieder: 
holungsſtoff wird nur in Drudichrift geboten., Bei Anwendung ber großen 
Buchſtaben tritt die Schreibſchrift im Verhaͤltniß zur Drudjchrift jehr zurüd.. 
Auf den erften 34 Seiten beftebt das Material nur aus Silben und 
Börtern, unter denen die Hauptwoͤrter Leine Anfangsbuchftaben haben; 
fpäter wechſeln Leine Saͤtze mit Wörtern. Diefe Menge der Silben und 
Wörter gereiht dem Leſebuche natürlich nicht zum Vorzuge. Von Seite 
48 an ift fpeciell Rüdficht genommen auf die Orthographie, namentlich auf 
Dehnung und Schärfung. Hieran reiben fi etwas lesbarere Stoffe, bie 
jedoch auch wieder mehrfach von bloßen Wörtergruppen unterbrochen werben. 

Die zweite Abtbeilung enthält Fabeln, Lieder, Erzählungen, Briefe, 
Näthfel und Denkſprüche, die als zwedimäßig bezeichnet werben koͤnnen. 


21. Leſe⸗Fibel für ben vereinigten Sprech⸗, Zeichen, Schreib- und Leſe⸗ 
Unterricht , nad bes Kindes erſtem Schulbuch von Dr. Bogel in Zeipiis 
bearbeitet von A. Böhme, ordentl, Lehrer an ber Königl. Augufte-Schule 
zu Berlin. 23. Aufl. 8. (XVI und 112 ©.) Berlin, R. Gärtner. (Ame- 
fang’fge Sortiments-Buhhanblung). 1866. 4 Sgr., geb. 5 Ser. 


Dir haben diefe Fibel früher ausführlich charalterifirt und auch fonft 
mehrfach angezeigt, lönnen uns daber auf die Bemerkung beſchraͤnlen, daß 
jest die 23. Auflage erſchienen ift. 


152 Anfchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


23. Erſtes Leſebuch. Gemeinihaftlih bearbeitet von den Lehrern 3. G. 
Klingberg in Brieg und J. &. Ellger in Jätſchau. Sechtte, verbefierte 
Auflage. 8. (133 ©.) Glogau, €. Flemming. 1866. 34 Ser. 


Don der Schreibihrift wird zwar neben der Drudihrift Gebraud 
gemacht, aber fo fparfam, daß man kaum von Schreib: Lefe Methode 
reden kann. Auch ift bei der Anoronung des Stoffes gar feine Rüdfiht 
auf die Schreibleichtigleit genommen, was eben fo jehr gegen die gute 
Unterrichtsmethode verftößt, als die Unmafje von finnlofen Silben und 
Wörtern, welche den kleinen wißbegierigen Fragern dargeboten wird. Daß 
die Berfafler die Kindesnatur überhaupt nur wenig Tennen, gebt auch aus 
vielen andern Stofien ihres Buches hervor. 


Abftrakte Begriffe, die kaum zwölfjährigen Kindern Far gemadht werben 
können, werben fechsjährigen geboten. Hier und da begegnet man natür: 
lich auch einem guten Stüd; aber im Ganzen ift das Buch bürr und nicht 
nad) Grundfägen abgefaßt, vie ſich jebt allgemeiner Anerfennung erfreuen. 
Den Schluß bilden die Hauptfiüde, Gebote und eine „Erſte Grundlage zum 
bibliſchen Geſchichts⸗ Unterrichte mit Grinnerungsverjen.” Die biblifden 


Geſchichten felbft find nicht mitgetbeilt; es werben vielmehr nur etliche 


Fragen zu denjelben aufgeworfen und beantwortet. 3. B. „Wie hießen 
die erften Menfhen? Adam und Eva. Aus was hat Gott den Adam 
geihaffen? aus einem Erdenkloß. Wie hat er Leben befommen? er blies 
ihm einen lebendigen Odem ein, aljobald warb der Menſch eine lebendige 
Seele.” Und bieran reihet fih dann der gejhmadlofe „Erinnerungsvers‘: 
„Aus Erde ward von Gott der erfte Menſch geihaffen, dem Gott jein 
Chenbild aus Gnaden hat geſchenkt. Wie kann doch nun ein Menſch fi 
in fich felbft vergaffen, wenn immer er mit Ernſt an feinen Urfprung 
dentt?" 


Daß fo ein Buch ſechd Auflagen erleben Tann, ift zwar nidht uner: 
klaͤrlich, aber ſehr bedauerlich. 


23. Leſe⸗ und Schreibfibel für jübifge Schulen. Rad den Grunb- 
ſätzen der Lantirmethobe hebräiſch und beutfch bearbeitet und en 
von Raphael Wendit, Lehrer und Eantor in Belgard. Erſter Theil. 8. 
(18 „87 enwäter Theil. Hebräiſch. (18 ©.) Berlin, X. Stubenrauch. 

. gr. 


Die vorhandenen Fibeln genügten dem Herausgeber nicht, hauptfächlich, 
weil fie zu viel fabulirten. „Ein Lejeftoff, der das Find empfänglich 
machen follte für reelles Willen, der es, freilih nur in kindlicher Sprache, 
vorbereiten follte für Geſchichte, Naturgefchichte, Religion und Bibel u. ſ. w., 
war gar nicht vorhanden. Cbenfo fehlten die Anfangsgründe für das 
Rechnen, die deutſche Sprache und das Hebraͤiſch. Das Alles findet fi 


“nun in bdiefer Fibel vereinigt. Die Anfangsgründe für das Lejen beftehen 


meiftend aus Silben und Wörtern. Dann kommen befiere Stoffe, ziemlich 
früh aber folde, die für Kinder des erften Schuljahres als Lefeftoffe zu 
chwer find. Sehr bezweifeln müflen wir aud, daß das Hebrätiche ſchon 
fn eine Fibel gehört. 











Anfhauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 153 


e. Für Drudirift allein. 


24. Be für Säule und Haus. Bon Chr. Harms, Oberlebrer. 8. 
a © ur, Schulze'ſche Buch. . Benndbt und U. Schwartz). 


Diefe Fibel enthält nur Drudicrift. Bei Einführung eines Lautes 
und Buchflabend geht der Berfafler von einem Hauptworte aus, das in 
feine Beftandtheile zerlegt wird. Die jo an Normalwörtern gewonnene 
Laut: und Buchſtabenkenntniß wird dann zur Bildung neuer Wörter und 
Säße benußt. Die Säbe beziehen fi aber nur jelten, und wenn es ber 
Fall ift, nur in geringer Anzahl auf den Gegenſtand des NRormalmortes. 
Das können wir nicht gut heißen, um fo weniger, wenn die Normalwörter, 
wie anzunehmen, aud gleichzeitig im Anſchauungsunterricht Verwendung 
finden follen. 


25. 2 entiür ibel. Mit Bildern zu Spred- und Anſchanungsübungen. 
2. Peters, weil. Lehrer ber — Wilhelmsſtädtiſchen Realſchule 
ni "Berlin, Bierte Auflage. 8. (144 ©.) Beriim, A. Prausnig. 5 Ser. 


Die Bilder zur Veranſchaulichung der Laute des Alphabets find fo 
reihlid) vorhanden, daß man wird fagen können, vie Kinder jehen ven 
Bald vor Bäumen nit. Es ift jedesmal eine ganze Seite mit Bildern 
erfüllt, und babei find die heterogenſten Gegenftände jo zujfammengedrängt, 
daß Finder flundenlang dabei figen werben, ebe fie das Kinzelne werben 
unterfheiden Tönnen. Dazu kommt, daß die meiften Bilder ſchlecht auss 
geführt find. Für den Klafienunterriht find fie durchaus unbrauchbar. 

Der Tert ift entjeglih bür. Die erften 110 Seiten enthalten dem 
größten Theile nah nur Wörter, ein Material, das im Stande ift, die 
äußerfte Langeweile bei den Kindern hervorzurufen. Vielfah find die 
Wörter ohne alle Beziehung auf den Bildungsftand der Finder zufammen: 
geftellt. Was foll ein Kind des erften Schuljahres dabei denten, 
wenn es lieft: 

Mineralien. 


Gyps, Kalkſtein, Marmor und Adhat, 
Aubin, Smaragd, Topas, Granat, 
Granit, Baſalt und Diamant, 

Gold, Silber, Kupfer, Blei und Sand. 


Bon Seite 111 kommen befiere Leſeſtoffe doch begegnet man darun⸗ 
tee auch einzelnen werthloſen Stüden, wie Seite 113: 
Zauben und Fiſche. 
Tauben bier auf dem Dace, 
Fiſche da in dem Bache, 
Mo ich auch gebe, wo id auch flebe, 
Lieb ih euch innig, wenn ich euch ſehe; — 
Ja in der Küche unb auf dem Zifche 
Lieb ih euch noch, Tauben und Fiſche. 


Sole Bücher follten eingeftampft werben. 


154 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


26. Hand⸗ ‚gibel von Otto Schulz. Ausgabe A, 82fte Auflage. 8. (176 ©.) 
Berlin, 2. Oehmigke's Verlag. (Fr. Appelius). 1866. 4 Ger. 


Laut Nachricht auf dem Umfchlage find von dieſer Hand⸗Fibel bereits 
1,700,600 Gremplare abgejeßt. Da fprehen wir mit Ubland: 


Denn ich ſolche Worte finge, 
Braucht e3 bann noch großer Dinge, 
Dih zu preiien, Yrühlingstag ? 

Aber es iſt darum boch nicht Alles preismürbig in dem Büchlein, am 
wenigften der Umftand , daß die erften 32 Seiten nur Wörter enthalten, 
und zwar Wörter, die zwar in Bezug auf die Form in biefer oder jener 
Beziehung verwandt find, befto weniger aber in Bezug auf ihre Bedeutung, 
Etwas, was doch auch in das Schülerlöpfchen hinein fol. Da aber bie 
Lehrer mit diefem Material zufrieden find, fo können wir ja die Sache 
auch auf fih beruben laſſen. 


27. Erfteo Leſebuch. Leſefibel für Elementarllaſſen, enthaltend: Vorübungen 
um Lefen und eine Auswahl leichter Leſeſtücke Erzählungen, Sprüde und 
erschen von E. R. Eger, Sürgerfänliehrer in Chemnig. Erfte und 

gieite wenns Künfte aflage. 8 . (184 und 4 ©.) Chemnitz, ©. Focke. 


Menn das Buch nicht aus alter Zeit ftammt, jo gehört fein Verfaſſer 
zu den veralteten, nicht fortgejchrittenen Lehrern. Denn von allen ven 
Grundſaätzen, die in neuerer Zeit für den erften Lefeunterriht zur Geltung 
gefommen find, hat nicht einer Anwendung gefunden. Zwei Proben werden 
zur Beſtätigung dieſes anfceinend harten Urtheils ausreichen. Seite 
1 find die Volale abgebrudt und unmittelbar neben i, das als fünfies 
Zeichen auftritt, ſteht — y. Auf der folgenden Seite lefen wir: fo fau fe 
jei iy, u fo fau fi feu u. ſ. w. Auf der achten lehnten) | Eeite: 


fü je feine gu te 
cana cäte do ri 
gab gut kam kein 
faum Heil geis gäb 
chor cur kauf gaul. 


Wie man Kindern, die von Natur jo geartet find, daß fie bei jedem 
neuen. Gegenſtande, jeder neuen Grideinung ein halbes Dutzend Fragen wie 
„Bas ift das? Warum ift das fo?’ bei ber Hand haben, jo abitrufe, jo 
baarfträubende Stoffe für die erſten Lejeübungen darbieten kann, das ift 
jchwer zu begreifen. Bon Seite 15 an werben bie großen Buchſtaben in 
Mörtern in alpbabetiiher Folge vorgeführt, alfo: Aal, Bad, Caro, Dame, 
Chre. Seite 27 treten Säße auf wie: „Der Zaun war hoch. Linna 
weint laut. Cine Zeile las Hugo. Der Thee war heiß.” Auch das iſt 
baarfträubend, mern man von ber Vorausſetzung ausgeht, daß die Kinder 
fig bei jedem Sage etwas denen follen. Man erwäge nur, was in dem 
Heinen Kindesgehirn in einee Minute auf einander folgt, bem jo gulammens 
banglofe, entjeglich triviale Gäbe —asgehaten werben. - . 








Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 155 


Später. find natürlich etwas beſſere Stoffe abgedruckt, neben denſelben 
aber auch viel ungeeignete. Aber wäre dort auch Alles gut, das Buch 
könnte doch wegen feines elementaren Theiles nicht Empfohlen werben. 


28. Haub-Fibel. Erftes Uebungsbuch zur leichteren Erlernung bes Lejens, 
für zahlreiche Schülerklaſſen und mit fleter Rüdficht auf chorweiſes Neben 
entworfen von Ernft Hinke, Lehrer an ber evang. Stabtfchule zu Gold⸗ 
berg. Siebente Auflage. 8. (136 und 16 ©.) Striegan, U. Hoffmann. 
1865. 34 Sgr., geb. 5 Sgr. 


Die erflen 29 Seiten enthalten theils unverftehbaren Stoff, wie „olf, arf, 
alf, an’3, emd, unſch, ird, emp, ürf“, theils folhen, ver nicht. werth ift, 
gelejen zu werben, wie „eine hohe jchule, meine gute baje, eine neue doſe, 
diefe meine ziege, deine ſchöne ſchale, eine heiße zone”. Durch ſolchen 
Lefeftoff werden die Schüler zum gedankenloſen Leſen angeleitet, was jeden⸗ 
falls unpädagogiih if. Bis zur 50. Seite hin find die Wörter ſilbenweis 
gedrudt, was‘ wir ebenfalls nicht billigen können, Auf ven erften 24 Seiten 
find alle Hauptwörter mit Heinen Anfangsbuchſtaben gebrudt, was ſchwer⸗ 
lich als enpfehlenswerth angeſehen werden kann. Gegen die fonftigen Lefe: 
ftüde ift etwas Erhebliches nicht zu erinnern. Die legten 16 Seiten ent: 
bulten Schreibſchrift, 4 Seiten Zeichnungen, von denen die drei perfpelti- 
viſch dargeftellten (Gießkanne, Waſchfaß, Trommel) voller Fehler find, und 
2 Seiten Striche und Punkte für das elementare Rechnen. 


39. Das wendifh-beutfhe U-B-E, mit Bildern für Elementar- 
Schulen. 8. (32 ©) Wojerezach, I, Kulmana. 1865. 


Die eingebrudten Bilder follen das Behalten der einzelnen Laute 
erleihtern. Sie find jo gut und jo ſchlecht, wie fie fih in zahlreichen 
deutſchen Fibeln für dieſen Zweck finden. So dient 5. 2. für o ein. ab. 
gebildetes Ohr und ein Ofen, bie beibe neben einander ftehen, von unges 
fähr gleiher Höhe. find und durch einen bpppellinigen Rahmen als 
zufammengehörig bezeichnet werden. Seite 6 ift ein bis zur vollendetſten 
Unkenntlichleil verzeichnetes Auge därgeſlellt. Der Terk befleht meiſtens aus 
Silben und Wörtern, Deutſch und Wendiſch bunt durccheinander. 

Die armen Wendenkinderr u 


3. Bibel und; erſtes Leſebuch für bie. wendiſchen katholiſchen Schulen ber 
nberfaußt., ‚8. (128 und 4 lith. Seiten.), Bautzen, molerja a Pjechq. 


4 


Die erſten 48 Seiten: euthalten nur wendiſchen Zext, den ich nicht! 
verfiehe; doch erlenns ich: wohl, daß der. Heramögeber: die Heinen Wenden 
eben jo lange mit Silben uns Wörtern ſpelſt, wie, viele deutſche Fibel⸗ 
ſchreiber es zu thun pflegen. Dann folgen beutfche ‚‚Lejeftüde‘‘, Die wenig⸗ 
tens von Seite 6G0an leidlich find, Gott, Natur und Menſchenleben uni 
Gegenſtande haben und :theile aus Profaftüden, theild aus Poeſien befteben: 
Der dritte, mit Seite 108 beginnende Theil enthält eine „Sprachlehte in. 
Beiipielen, gegenũbechehend wandiſch aud bemtich. Men Schluß bilden 
Alphabtat in Schecibſchri. 5 na iii.mtin 


r 


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’ 


156 Aunſchauungsunterricht. Lefen. Schreiben. 


2. Für das zweite und dritte Sähuljahr. 


31. Leſebuch für Elementar- und Bolkeéſchnlen, bearbeitet von 
Audolf Hotz, Lehrer an der Münſterſchule in Bafel. Mit einem Bor⸗ 
worte von Prof. Wilh. Wadernagel. gr. 8. Erſter Theil. (VIIE 
und 151 ©.) Zweiter Theil. (VIII unb 216 ©.) Bafel, Bahnnmater’s 
Berlag (€. Detloff). 1866. 8 und 10 Ger. 


Der Herr Profefior Wackernagel fpriht fih in feinem Borwort über 
die große Aufgabe eines Leſebuches für Vollsſchulen aus, und rechnet bie 
Herftellung eines folden für bie „ernftefte und beiligfte aller Schriftftellerei.”‘ 
Das ift ein wahres, fehr vielen Herausgebern von Pejebühern aber völlig 
unbelanntese Wort. Nah des Her Vorredners Anfiht entipriht das 
Hop’ihe Leſebuch dem Ideal, welches er ſich jelbft von einem foldhen ge 
bildet hat. Wir freuen uns, dieſem Urtbeil im Ganzen beitreten zu 
lönnen. 

Der Herausgeber bat fih nicht darüber ausgeſprochen, für welde 
Unterridhtöftufe er fein Lejebuch beftimmt hat. ebenfalls muß dem erften 
Theile eine Fibel vorangegangen fein; derſelbe kann frühefiens im zweiten 
Schuljahre benußt werben. jeder der beiden Theile enthält in der erflen 
Abtheilung Material, welches zwar auch gelefen, vor allen Dingen aber 
für den grammatifchen Unterriht verwandt werben joll, ba es, um es kurz 
zu bezeichnen, eine Grammatil in Beifpielen if. Die übrigen Abtheilungen 
haben in beiden Theilen das Naturs und Menfchenleben zum Gegenftande 
und behandeln beide fo, wie andere gute Leſebũcher unferer Zeit das thun, 
dur gute Profaftüde und darauf bezügliche Poefien. Die dafür getroffene 
Auswahl ift in beiden Theilen gut. Das religiöfe Element macht fidh 
ziemlich bemerklich, doch nicht gerade unangenehm einfeitig, trägt aber mit 
dazu bei, den Büchern eine etwas ernfle Haltung zu geben, eine ermflere, 
als der jugendliche Frohfinn fie wünſcht. 

Der zweite Theil enthält in feiner legten Abtheilung Materialien zur 
Heimatblunde und Erzählungen aus der Schweizergeſchichte. 


32. Sprachbüchlein für das zweite Schuljahr. Bon Dr. Thomas 
Scherr. 8. (106 S.) Züri, Orell, Füßli und Comp. 1866. geb. 6 Ser. 
Sprachbüchlein für das dritte Schuljahr. Bon Dr. &}. Echerr. 
8. (147 ©.) Ebd. 1866. geb. 4 Thlr. 


Zu diefen beiden Büchlein und einem Tabellenwerk in Schreibfchrift 
für das erſte Schuljahr gehört die weiter unten beſprochene Schrift „Ele 
mentar-Spradhbildung‘ vefielben Verfaſſers, die für bie Hand des Lehrers 
beftimmt if und einen Commentar zu den bier genannten bildet. Das 
Leſebuch fell nad Anfiht des Verfafiers vorzugeweile der Sprachbildung 
dienen. Demgemäß ift ein nicht geringer Theil vefielben mit darauf bes 
zũglichen Wörtern und Sägen angefällt, ein Umfiand, ber die höheren 
Zwede, die man jeit längerer Zeit durch das Leſebuch zu erreichen fucht, 
weſentlich beeinträchtigt. Gine Anzahl der dargebotenen Wörter fol zugleich 
dad Material für den mit dem Sprach⸗ und Lefeımterriht verbundenen 
Anſchauungsunterricht abgeben. Far eine folche Verbindung find auch wir 
ganz entſchieden. Außer dem Material für den Sprachunterricht enthalten 





Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 157 


beive Büchlein noch Grzaͤhlungen zur moraliſchen und veligiöfen Anregung 
und Bildung, die fat alle vom DBerfafler herrühren, und einige eine Ge 
dichte. Beide follen einen Erſatz für die biblifhe Gefchichte gewähren, wie 
wir weiter unten bei Beiprehung von des Berfafierd „Clementar⸗Sprach⸗ 
bildung‘ näher gezeigt haben. 

68 ift geradezu unmöglid, daß Bücher diefer Art die guten Leſebücher 
der Neuzeit mit ihrem mannigfaltigen und wüurdigen Inhalt, ihren an» 
Sprechenden Proſadarſtellungen von verjchiedenen Schriftftellern und lieblichen, 
mit den Gegenftänden bes Anihauungsunterrihts in Verbindung gebrachten 
Gedichten erjegen können. Ein Lejebuh muß den ganzen kindlichen Geiſt 
erjofien und nah aller feiner Mannigfaltigleit bilden. Stüde, die dazu 
geeignet find, haben gleichzeitig auch die größte Sprachbildungskraft, bei 
richtiger Benugung ganz entſchieden mehr, als bloße Wörter und zufanmen- 
hangloſe Süße. 

MWüßten wir nicht, daß der Verfaſſer ald Seminarbireltor einen ganz 
erheblihen Einfluß auf feine Zöglinge ausgeübt, wir würden es nit be 
greifen, daß folhe Bücher zu „obligatoriihen Lehrmitteln“ hätten erhoben 
werden können. Durch ihren Werth haben fie das nicht verdient. Die 
Bücher find, um es mit einem Worte zu fagen, nicht mehr zeitgemäß. 


Dienfte des Anſchauungsunterrichts. Bon Heinrich Solger, Lehrer. 
I Theil: Das Nähere. Si d 
50 &.) Grafendorf, bei 

1867. 6 kx., in Bartien 5 ir. 


Dies Büchlein fließt fih an bes Berfaflers oben beſprochene Fibel 
an. 3 behandelt in ſechs Abſchnitten die Schule, das Haus, die Haus 
thiere, den Barten, den Wohnort und den Menſchen. Brojaaufjäge, welche 
die Gegenflände des Anſchauungsunterrichts behandeln, wechjeln mit kleinen 
darauf bezüglichen Gedichten ab. Das Ganze macht einen günftigen Ein: 
drud, auch rüdfihtlih der Ausſtattung. 


34. Leſebuch für Elementarfhulen nach bem Grunbfat ber Concentration 
des Anfhanungs-, Leje- und Sprachunterrichts, bearbeitet von bem Heider⸗ 
Mebldorfer Kehrerverein. 8. (XV und 318 ©.) Heibe, im Selbfl- 
verlag, und Altona, in Commilfion von Lehmkuhl und Comp. (Oscar 
Gorge.) 1867. 


Dies Leſebuch foll vom Kindern der Unterllafie, welche eine Fibel 
durchgearbeitet haben, und von denen der Mittelflafie gebraucht werben, 
und dürfte fih für dieſe Abtheilungen auch als ausreichend erweifen. Der 
dem Buche zu Grunde liegende Plan it zwedmäßig; denn Anfchauungss, 
Leſe⸗ und Spradunterricht gehören auf diefen Stufen, mindeſtens aber im 
Glementarunterriht, zufammen, was wir wieberbolt im Jahresbericht und 
anderwärts nachgewieſen baben. Den dafür allein zuläfligen Stoff, bie 
Ratur und das Menichenleben ver Heimath, haben die Herausgeber eben: 
falls gewählt und Alles in Betracht gezogen, was dahin gehört. Um das 
Zeale mit dem Realen zu verbinden, um Gemuͤths⸗ und Verſtandesbildung 
zw gleicher Beit zu erzielen, find in allen Abſchnitten mit den Profaaufs 





158 Anſchauungsunterricht. Leſen. Sehreiben. 


ſaäͤtzen Poeſten verbunden. Die beſchreibenden Proſaaufſfätze find aber mehr 

als veihlid vertreten und verleihen manchen Abichnitten eine nicht ange⸗ 

nehme, ja geradezu unzuläffige Zrodenheit. Die Spradübungen haben 

Grammatit und Stiliftiit zum Ziele und können im Ganzen als zmedimäßig 

bezeichnet werden. Es finden fih zu jedem Stüde, and zu dem Gedichten, 

unter dem Nerte Aufgaben. Die Herausgeber glauben mit diefer „ſprach⸗ 
lihen Berwenbung des Leſebuches eine neue Bahn eröffnet zu Haben.” 

Das kann nur jehr bedingt zugegeben werben. Denn erftens haben außer 

Haͤſters auch mande andere Herausgeber von Leſebüchern derartige Uebun⸗ 

gen, wenn auch in etwas anderer Yorm, aufgeftellt, und zweitens war in 

meinen „Orundfägen und Lehrgängen für den Sprachunterricht‘ ſchon im 

ber erften Auflage (1855) zu lefen: „Die jmedmäßigften und anſprechend⸗ 

ften Spradgübungen find durchſchnittlich die, welche fi aus ber Beſprechung 
der Mufterftüde (Lefeftüde) ergeben. Der Lehrer bejchränte ſich daher 
möglihft auf biefelben.“ 

35. Leſebuch Für Unterflaffen von Bürger- und Bollsfähulen 
von F. W. Hunger; Bürgerföäullehrer in Annaberg, Zweites und refp. 
dritte® Schufjabr. 8. (VIII und 98 S., Anhang 48 ©.) Htlbburghanfen, - 
2. Ronne. 1867. 4 Sgr. Anbaug apart 2 Sgr: 


Obwohl dies Buch ſich nit durch hervorragende Gigenthuͤmlichkeiten 
auszeichnet, fo gehört e3 do zu der Zahl der guten. Es ift nah einem 
Lehrgange für den Anſchauungsunterricht angelegt, und behandelt daher in 
Proſa und Poefien die Schule, das Haus, Stadt und Dorf, den Garten, 
Feld und Wieſe, den Wald, den Himmel, bie Tagess und Yahreszeiten, 


‚Gott und ben Menſchen, und giebt in einem Anhange Gebete und das — 


Einmaleins. Die Ausgabe A enthält außerdem einen Anhang von 56 
bibliſchen Geſchichten alten und neuen Teſtaments. Das Buch ift aber auch 
ohne dieſen Anhang als Ausgabe B zu haben. 

Die Auswahl ift gut. 


36. Zweites Schulbuch. Für die oberen Elementarfiafien in Bürgerſchulen. 
Bon Dr. C. Ramshorn, Director ber III. Bürgerſchule zu Leipgig. 
Dritte Auflage. 8. (IV u. 235 ©.) Leipzig, Th. Thomas. 1867. 10 Bar. 


Aus dem Vorworte erfehen wir, daß der Flementarunterriht in ben 
Bürgerſchulen Leipzigs auf zwei Yahrescurje berechnet, dies Buch ſonach 
für Kinder des zweiten Schuljahres beftimmt if. Da auf dem Zitel aber 
von „oberen‘ Glementarflajien die Rede ift, jo werden wir aud das 
dritte Schuljahr noch dazu rechnen müflen. 

Der Titel „Schulbuch“ ift, weil zu allgemein, nicht fehr zutreftend. 
Das Wort „Lefebuch” konnte der Herausgeber indeß nicht gut gebrauchen, 
da fein Wert mehr als Leſebuch fein folltez e3 enthält nämlich außer Leſe 
buchftoffen much noch Einiges aus der Grammatif, eine auf drei Jahre 
berechnete „Spruchſammlung“, eine Sammlung „Lieder und „Choräle” 
und endlid das „Einmaleins“, diefes unentbehrlihe Anbängjel fo vieler 
Leſebücher. 

Das Grammatiſche findet ſich zu Anfange und Seite 174 bis 180. 


Dort beihräntt es ſich auf eine Gintheilung der Buchſtaben in Bocale und 


Anihanungsunterricht. Leſen. Schreien. 159 


Contenanten, auf eine Ueberſicht der Interpunctionszeichen und auf bie 
Silbenabtheilung ; bier wird ziemlich umfafiend „vie Lehre vom Haupimorte 
und Geſchlechtsworte“ vorgetragen. Grfteres muß der Hauptſache nad ſchon 
im erften Schuljahre erlevigt werden, wenn wir auch eine Grweiterung ber 
Lehre von der Silbenabtheilung noch für das folgende nöthig erachten; 
Zebteres erſcheint wie ein verlorener Poften. Denn unmöglid kann im 
zweiten und dritten Schuljahre das Haupt und Geſchlechtswort jo umfäng- 
lich behandelt werben, ohne das Beitwort, Eigenſchaftswort und ben ein: 
fahen Satz zu berüdfichtigen. 

Den Haupttheil des Buches bilvet eine Art Raturgejhichte des Men: 
fhen und der drei Reihe: An das Mineralreih reihet ſich Etwas über 
das Wafler, die Wolken, die Luft, das euer, die Erde, den Himmel, die 
verjchiedenen Arten Sterne und die Zeit. Dann kommt die Lehre vom 
Haupt: und Gefchlehtswort; hierauf kommen Erzählungen und endlich vie 
Ihon erwähnte Spruch, Lieder: und Choralfammlung nebft Einmaleins. 

Eine Beiprehung naturbiftoriiher Gegenftände gehört jedenfalls in 
das zweite und dritte Schuljahr; aber den größten heil eines Schullejes 
buches mit Beſchreibung verfelben zu füllen, entjpridht dem Zwecke eines 
folden Buches nicht. Wenn es überhaupt nicht zuläffig iſt, das Leſebuch 
zum Realbuch zu machen, fo darf das am allerwenigiten mit dem für die 
Elementarklaſſen befiimmten geſchehen. 

Die „Leſeübungen“ beginnen mit Eroͤrterungen über bie Kinber, 
Eltern, Lehrer und die Schulftube; dann kommt „vie Welt” an die Reihe 
und darauf der Menfh. Das lebtere Kapitel wird folgendermaßen ein: 
geleitet : 

„Welches Gefhöpf geht am Morgen auf Vieren, am Mittag auf 
Zweien, am Abend auf Dreien? Mer von eu, liebe Kinder, 
kann das Nätbfel Löfen? Das ift der Menih. Wenn der Menſch 
auf die Welt tommt, ift fein Leib noch Hein und ſchwach. Das 
ganz Meine Kind kann noch nicht allein gehen und ftehen. Wenn 
es nicht von der Mutter oder ber Wärterin getragen oder geführt 
wird, kriecht es auf Vieren in der Stube herum. Dieſe Zeit it 
der Morgen des Menfhen. U. f. w. 


Bon Seite 15 ab ift von der „Verſchiedenheit der Menſchen“, alfo 
von den NRacem-linterfchievden vie Rede. Das ift ein Mißgriff, da Finder 
des zweiten Schuljahres zur Auffafiung folder Unterſchiede gar nicht fähig 
find. Entſprechend der Einleitung, ftößt man auch bier auf Geichmad- 
Iofigleiten. Denn anders kann man das Folgende doch unmöglich nennen, 
wenn man bie hohe Aufgabe des Lejebuches jeithält. 


Seite 16: „Oſt aber ift die Verſchiedenheit recht fehr fichtbat. 
Da fiehft Du einen, der ift fo groß wie ein Keiner Baum, Du 
nennft ihn einen Rieſen; dann fiebft Du wieder einen, ver ift 
ganz Hein, den nennft Du einen Zwerg. Dann fiehft Du wieder 
einen, ber iſt ganz did, jo daß er kaum gehen kann, und dann 
wieder einen, des ganz mager ift, und an dem Du weiter nichts 
ſiehſt, ale Knochen und Haut.” 


160 Anfhauungsunterrisht. Leſen. Schreiben. 


Die „Vorzüge des Menfhen vor dem Thiere“ werden in Gebichtform 
vorgetragen. 


„Schön ift jedes Thier auf Erden, 
Doch vorzüglider bin ich; 

Sollt'ſt Du umzufrieden werden, 
So betrachte, Menſch, nur Did. 


Deinen Blid zum Himmel wenden, 
Aufreht fliehen lannft nur Du, 

Gutes ſchaffen mit den Händen 
Kommt nur Dir alleine zu. 


Wohlvertheilte Glieder zieren, 
Scharfe Sinne rüſten Dich, 
Und vor allen andern Thieren (?) 
Freut der Menſch der Sprade fi.” 
u. ſ. m. 


Dürfen ſolche Reimereien in einem Leſebuche Plab finden ? 

In dem naturhiftorifhen Theile gebt der Herausgeber überall pom 
Allgemeinen zum Befonvdern über, revet alfo zuerft von den „drei Reichen 
der Natur“, dann von den „Zhieren auf der Erde“ und bierauf vom 
Hunde, von der Habe, vom Pferde, von der Kuh u. ſ. w. So kann und 
wird der Univerfitätd-Profefjor verfahren, der Vollsſchullehrer darf es nicht, 
am allerwenigſten in den Elementarklaſſen. Das iſt eine ſo ſehr abge⸗ 
machte Sache, daß wir darüber fein Wort bier ſagen dürfen. 

In den Beſchreibungen der Naturprobulte findet fih Mandes, was 
der Berichtigung bedarf. So werden S. 19 die Ausprüde „vierfüßige 
Thiere“ und „Säugethiere” als gleichbedeutend genommen. Vom Schnee 
glödchen (nicht von feiner Blume) wird gelagt, daß es mie eine Glode 
geftaltet ſei, von feiner Wurzel, daß fie die Geftalt der Zwiebel habe 
u. dgl. m. Auch in ftiliftifcher Beziehung bleibt viel zu wünfchen übrig. 
In den einfadhiten Beichreibungen find die Merkmale der Naturlörper nicht 
jelten durdeinander gewürfelt. So heißt e3 ©. 22 in der Beichreibung 
des Hundes: „Die Hunde nagen ſehr gern an Anoden. Am aufmerf: 
famften ift der Schäferhund. Ein Stüdchen gelochte® ober gebratenes 
Fleiſch iſt dem Hunde ein Lederbiffen.” Ebenſo auf der folgenden Seite: 
„Die Kae ift ſehr naſchhaft. Es giebt weiße, ſchwarze, gelbe und graue 
Katzen. Man darf der Hape nicht trauen; bisweilen fragt fie mit den 
Krallen, welche fie an ihren Pfoten bat.“ 

Berftieße ein Schüler in der Weile in einem ähnlihen Aufſatze gegen 
‚die Anordnung der Merkmale, fo würde der Lehrer viel rothe Dinte ver- 
brauden. 

Die Seite 180 bis 207 abgebrudten „Erzählungen” erinnern fehr an 
die des fo gut wie verjchollenen Zerrenner'ſchen Kinderfreundes; für unjere 
Lefer werben jchon Leberjchriften wie: „Der ſchadenfrohe Franz.” „Der 
ehrliche Richard.” „Das mitleidige Gretihen.” „Der faule Jolel“ genügen, 
um ſich ein Urtbeil zu bilden. 





Anſchauungsunterricht. Leſen. ” Schreiben. 161 


Die Zahl YA aufgenommenen Sprüche beläuft fih auf 207. Sie 
follen in den drei erften Schuljahren gelernt werden. Wie viel gebenlt der 
Herausgeber dann noch für die fünf folgenden Schuljahre zu beftimmen ? 

Doh wir haben ſchon zu lange bei einem Buche verweilt, deſſen Ver 
breitung wir nicht wünjchen können, brechen daher ab. 


37. Leſebuch für Schüler der Unterklafjen in Stabt- und Lanbfchulen. 
Herausgegeben von J. F. ‚oiefemann, Cantor unb zweiten Lehrer an 
der&utherichule in Manefelb. II. Abtheilung. ee verbeflerte und ver- 
mehrte Auflage. gr. 8. (166 6.) Eisleben, ©. Reichardt. 1866. 5 Sgr. 


Der im Ganzen gut gewählte Lefeftoff ift mit Verüdfichtigung bes 
Anfhauungsunterrichts gewählt und angeordnet; das Buch zeichnet ſich 
ſonach durch feine Eigenthümlichleit vor vielen andern guten Lefebüchern 
aus. Das Material ift nad folgenden Gefichtspuntten gruppirt. 1) Gott, 
2) Die Schule 3) Das Haus. 4) Die Familie. 5) Die Hausthiere. 
6) Der Garten. 7) Die Stadt. 8) Das Dorf. 9) Das Feld. 10) Die 
Wiefe. 11) Der Wald. 12) Die Erde. 13) Das Wafler. 14) Die, 
Luft. 15) Das Wetter. 16) Der Himmel, 17) Die Zeit. 18) Die 
Jahreszeiten. 

38. ins für Bürgerfhulen. Herausgegeben von U. rüben unb 


Made. Zweiter Theil. Siebzehnte, verbeflerte Auflage. gr. (11 
Bogen.) Leipzig, Brandftetter. 1867. 6 Ser. 


39. Lefebuh für Bürgerjchulen. Herausgegeben von A. Lüben unb 
©. Nade. Dritter Theil. Hünfzehnte, verbefierte Auflage. gr. 8. (13 
Bogen.) Leipzig, Branbfteiter. 1866. 8 Sgr. ' 


In beiden Theilen ift der Tert unverändert geblieben. 


3. Für Mitteltlaffen. 


40. Schleswig⸗ — EA: Au Schule und Haus. Erfier 
Theil. Herausgegeben von J. Eantor in Bergenhuſen. 8. 
* und Fr 07 ©.) Sqhlecwig, Gun —e (Dr. €. Kr. deiberg). 
1 1 Sgr. 


Bon der richtigen Anfiht ausgehend, daß die Vollsihule, ganz wie 
das Gymnafium, humane Bildung zu erftreben babe, bat der Heraus 
geber darauf verzichtet, fein Leſebuch zugleih zum Lehrbuch zu machen. 
Wir freuen uns darüber um fo mehr, als gerade in lebterer Zeit die 
Volksſchul⸗Leſebucher mit vorherrſchend realiftiihem Inhalt jehr überhand 
genommen haben. 

Der Plan, nad dem dies Lefebuch gearbeitet wurbe, it im Allge 
meinen nicht neu; aber er ift bier ſehr alljeitig, umfihtig und in Bezug 
auf die Auswahl mit Gefhmad durchgeführt worden. Es find folgende 
Abfchnitte, in die das Buch zerfällt: 

Eingang. (Nr. 1—A.) 
I. Das Leben im Baterhaus. 
1) Der Lauf des Tages. (Nr. 563.) ° 
2) Die Alten im Haus, (Mr. 64-94.) 
. Päd. Jahresbericht. XIX, 11 








162 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


® 
3) Die Kinder im Haus. (Nr. 95—136.) 
4) Die Thiere im Haus. (Nr. 137—173.) 


IH. Bas Leben in ber Natur. 


1) Im Frühling. (Nr. 174—215.) 
2) Im Sommer. (Pr. 216—255.) 
3) Im Herbfl. (Nr. 256—281.) 
3 Im Winter. (Nr. 282—304.) 
5) Rüdblid. (Nr. 305—315.) 


IH. Das Leben in der Gemeine. 


1) In der bürgerlichen Gemeine. (Nr. 315—392,) 
2) In der kirchlichen Gemeine. (Nr. 393—438.) 


Profa und Poefie wechſeln ab, doc iſt lebtere etwas reichlicher ver⸗ 
treten, was wir ganz billigen; denn das Leſebuch ift bis jebt beinahe das 
‚einzige Buch, um unjere trefflihe Poefie in die Hände des Volles zu 
bringen. 

Das Buch hat übrigens jo wenig ſpecifiſch Schleswig.Holfteiniiches, 
daß es in ganz Dentfchland gebraucht werben kann. Es ift auch unter 
dem allgemeinen Titel „Leſebuch für Schule und Haus” zu beziehen. 


41. Lefebud für Bürger- und Bollsfhulen. Mittelfiufe Heraus⸗ 
gegeben von F. Scharlach, Schuldirector in Halle, und 2. Haupt, Semi- 
narbirector in Barby. gr. 8, (VIII und 280 ©.) Halle, Schröbel und 
Simon. 1867. 9 Sgr. 


Diefer Theil ſchließt fih an das Leſebuch der Herausgeber für die 
Unterftufe an. „Er zeigt zuerft das Leben in der Familie und in 
bem biejelbe umgebenden Kreiſe der Gemeinde; weijet dann auf ben 
Beruf, der einzelnen und allen verorbnet ift; giebt Bilder aus dem 
Menfhen: und Naturleben der Heimath und läßt ſchließlich den Blid auch 
über die nächfte Heimath hinaus richten.” Zur Erreihung diefer Zwecke 
‚dienen Poefien und Profaftüde von anerlannten Dichtern und Schriftftellern; 

mande befannte Aufjäge haben die Herausgeber au für ihre Zwecke mehr 
oder weniger umgeftaltet. Die Auswahl kann als eine gute bezeichnet, das 
Leſebuch daher empfohlen werben. 


42, Elementarbud ber beutfhen Sprache ober Leſebuch zur Unter 

flügung bes Dent- und Spradhunterrihts von Dr. E. Wilsdorf, Pfarrer 

p Wellerswalda, vordem Director ber ſtädtiſchen Schulen zu Döbeln. 

+ Eurfus: für Unter und Mittelllaſſe deutſcher Volksſchulen. lnfte 

‚Auflage. 8. (XI und 200 ©.) Glauchau, Th. Morig. 74 Sgr., Par⸗ 
tiepreis 54 Sor. 


Der Faden einer einfahen Grammatik zieht fih durch das Buch Bin, 
und die einzelnen Stüde, vorherrſchend Proja, find mit Nüdficht hierauf 
aneinander gereihet, Die Stüde felbit find geeignet, den Anſchauungsunter⸗ 
richt zu unterftägen,‘ da fie die Natur und das Menicherleben genügend 
berüdfichtigen. Für einfache Schulverhältnifie genügt das Bud. 











Anfhauungsunterricht. Leſen. . Schreiben: 163 


43. Deutſches Leſebuch für die mittleren Klaſſen der Primär- 
ſchnlen bes Elſaſſes. Herausgegeben von J. Willm, Inipector ber 
Akademie von Straßburg. 16. unveränberte Wuflage. 8. (XI u. 263 ©.) 

e Straßburg, Wittwe Berger⸗Levrault und Sohn. 1865. 12 Ser. 


Das Bud ift im Allgemeinen nad richtigen Grundſätzen abgefaßt und 
eben jo jehr auf Bildung des Verftandes und Gemüthes, als auf Bereiches 
rung der Jugend durch nüßliche Kenntnifje berechnet. In Deutſchland haben 
wir indeß bereitö befiere Lejebücher, können daher auf die Benußung biefes 
elfaffiihen verzichten. 


44. Leſebuch für Bürgerfäänlen. Herausgegeben von U. Lüben und 
C. Nacke. Bierter Theil. Bierzehnte Auflage. gr. 8. (14 Bogen.) Leipzig, 
Brandſtetter. 1867. 9 Sgr. 


Der Tert if unverändert geblieben. 


45. Lefebud für Zurger önien, befonbers für höhere Knaben- und Mäd⸗ 
chenſchulen, von Dr. A. Möbus, Vorſteher einer höheren Töchterſchule in 
Berlin. II. Stufe. Für Mittelklaſſen. Speit Abtheilung. Zweite, ver⸗ 
— Auflage. gr. 8. (V und 232 ©.) Berlin, R. Gärtner. 1867. 

gr. 


Diejer Theil ift nah dem Plane des zweiten und dritten Theiles 
meines „Leſebuches für Bürgerfchulen‘ ausgeführt, d. b. es find zweimal 
die Jahreszeiten zu Grunde gelegt und zur Ausführung folde Poefien und 
Brofaauffäge benußt worden, welhe das Leben in der Natur und das 
Menfchenleben zum Gegenftande haben. Neben foldhen finden fi aber aud) 
Stüde, die keine directe Beziehung auf die Jahreszeiten haben. Gegen 
Auswahl und Anordnung il etwas Erhebliches nicht zu erinnern. 


46. Zweites Schul- und Bilbungsbud. Ein Lejebuch mit befonberer 
Bereihtgun bes Anfhauungs- und Sprachunterrichts für Mittelllaſſen. 

. Brünnert, Lehrer an der Rädchenſchule zu Rudolſtadt. Dritte 
Auflage. 8. (XII und 212 .S.) Rudolſtadt, F. priv. Hofbuchdruckerei 
(Fröbel). 1866. 6 Ser. 


Der Anſchauungsunterricht hat den Leitfaden für das Buch abgegeben. 
Die Gegenftände veflelben find die befannten: Schule, Wohnhaus, Dorf 
und Stadt, Garten, Wiefe und Feld, Gemäfier, Wald, Erde, Himmel und 
Luft, Menſch und Gott. Ebenſo wechſeln auch, wie in andern derartigen 
Büchern, Projaaufjäge mit Poefien ab. Auch der Inhalt findet fi in 
feiner Mehrheit bereit3 in andern brauchbaren Leſebüchern. Das Tann 
uns indeß nicht hindern, das Buch als ein im Ganzen brauchbares zu 
bezeichnen. 

Den Heren Verleger erfucht die Nedaction, ihr Recenfiongeremplar 
nicht wieder ungebunden over ungebeftet zu ſchicken. 


47. Leſebuch für Mittelllafjen beutfher Volkesſchulen. Von J. G. 
Reichelt, Schulbirector. Bierte Auflage, gr. 8. (VI u. 301 &.) Ehemniß, 
E. Sode. 1867. 12 Sgr. 
Dies Leſebuch gehört nach Anlage und Auswahl zu den guten. . Bon 
ben 269 Stüden, unter denen fih viele Gedichte finden, find bie esften 
11* 





"164 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


107 den Jahreszeiten gewidmet, die übrigen dem Walten Gottes in der 
Welt und wichtigen menſchlichen Verhaͤltniſſen. 


48. Die Heimath. Gin Leſebuch für bie Ingend ber Stadt Leipzig von 
Dito Bulnheim, weil. Director ber I. Bürgerjhule. Dritte Auflage neu 
bearbeitet von C. W. Eihenberg. gr. 8. (XVI und 204 ©. nebſt 
einer Ib. garte ber Umgegend von Leipzig.) Leipzig, F. C. W. Vogel. 
1866. gr. 


Das Bud ift eine Heimatbölunde: „ein kundiger, finniger und ver: 
ftländiger Führer durd Stadt und Flur zur Wedung der Aufmerkjamleit, 
des Nachdenkens, der Pietät und Dankbarkeit gegen Gott und Menden”, 
wie der verftorbene Dir. Vogel in der Vorrede zu dem Schriftchen jagt. Alles, 
was Stadt und Umgegend Sehens: und Wiflenswerthes darbieten, iſt in 
Aufſätzen von mäßigem Umfange und anſprechend behandelt worden. 
Lehrer und Schüler haben daran ein dankenswerthes Schriftchen. Ein Leie 
bu‘, wie die neuere Zeit e3 fordert, kann die „Heimath” jedoch nicht 
erfeben ; dazu ift es, wie ein Blid in daſſelbe lehrt, zu einfeitig. 


4. Für Mittel: und Oberllafjen. 


49. Lefe- und Lernbüdlein für die vierte Jahrestlaffe Schweizeriſcher 
Primarſchulen. Bon Dr. Thomas Scherr. 8. (184 ©.) Züri, Orell, 
Füßli und Comp. 1866. 


50. Leſe- und Lernbüchlein für bie fünfte Jahresklaſſe Schweizerifcher 
Primarfhnien. Bon Dr. Thomas Scherr. 8. (196 ©.) bb. 1866. 


51. Leſe- und Lernbüchlein für die fehste Jahresklaſſe Schweizert- 
ſcher Primarſchulen. Bon Dr. Thomas Scherer. 8. (224 ©.) Ebb. 1866. 


Diefe drei Schriften fchließen fih an des Verfaflers oben beſprochenes 
„Sprahbüdlein” für das zweite und dritte Schuljahr an, und haben offens 
bar die Beftimmung, das Leſebuchbedürfniß der ſchweizeriſchen Volksſchulen 
(Primarſchulen), melde die Kinder bis zum zwölften Lebensjahre unterrich⸗ 
ten, zu befriedigen. Sie find alle drei nad demjelben, im Ganzen aner: 
kennenswerthen Plane gearbeitet. Der Berfafier bat es darauf abgejeben, 
dem NRealunterriht eine Stübe zu gewähren, das fittlihe und religiöfe 
Leben der Finder zu fördern und Gelegenheit zu münblihen und fchrift- 
lihen Sprahübungen zu geben. Jedes Heft enthält daher Auffäße über 
Naturgeihichte, Geographie und Geſchichte, Erzählungen aus dem religiöjen, 
fittlihen und geiftigen Leben, Gedichte und Aufgaben für ſprachliche 
Uebungen. Die Auswahl ift im Ganzen paflend; die Zahl der Gedichte 
ift aber faft knapp zugemejlen, auch treten dieſelben nur anhangsweife auf. 
Die übrigen Auffäße rühren fämmtlih vom Berfafler ber. Nah unferm 
Dafürhalten ift es nicht zwedmäßig, daß irgend Jemand ein Leſebuch felbit 
verfaßt. Das Leſebuch muß eine Sammlung des Beiten unferer tüchtigften 
Schhriftfteller und Dichter darbieten, einen Reihthbum von Ideen und eine 
Mannigfaltigleit in der Darftellung. Möge Jemand noch fo begabt jein 
und nod fo gut fihreiben, er wird nie allein fo Züchtiges barzubieten ver: 
mögen, als fo eine Blumenlefe es thut. Auch ift ed heutzutage nicht 


Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 165 


leiht, in jo vielen Gebieten ganz tüchtig zu fein; und es ließe fih das 
wohl an einzelnen Auflägen des Verfaſſers erweifen. Wir wählen ein 
einziges Beifpiel dafür. Gleih im erften Auffab des erften Heftes heißt 
es: „Man findet die Metalle meift noch mit Geftein oder Quarz vers 
miſcht oder umgeben; dann beißen fie Erze: Cifenerz, Silbererz, Kupfererz. 
Im Schmelzofen wird das Metall von dem Quarze geſchieden.“ Hiervon 
ift außerordentli wenig wahr. 13) ift „Geftein‘ und „Quarz“ durchaus 
nit einerlei, denn „Quarz“ ift ver Name einer aus verjchievenen Arten 
beitehenden Mineral-Sattung, und „Geltein” ift eine allgemeine Bezeichnung 
für mehanifh zufammengefegte Mineralien; 2) bezeichnen die Ausdrüde 
„vermiſcht oder umgeben‘ zwar nicht genau daſſelbe, indem mit „wermifcht‘‘ 
eme hemifche Verbindung bezeichnet werden kann, mit „umgeben‘ aber nur 
eine mechaniſche, aber gewiß ift, daß keins ver genannten Erze durch 
chemiſche oder mechaniſche Verbindung mit Quarz zum Erz wird, der 
Duarz darauf vielmehr gar feine Wirtung ausübt; daher kann 3) auch 
das Metall im Schmelzofen nicht vom Quarz gefchieden werden. Eiſenerz 
kann beftehben aus: Eiſen und Sauerftoff in verfchiedenen Verbindungen, 
Silbererz aus: Silber, Antimon und Schwefel, oder Silber, Arfenil und 
Schwefel, over bloß aus Silber und Schwefel, Rupfererz aus: Kupfer und 
Schwefel, oder aus Kupfer, Eifen und Schwefel u. j. m. 
Dies dürfte unſer Urtheil ausreichend beftätigen, 


52. Deuntſches Leſebuch für Boll und Bürgerſchulen. Herausgegeben 
vom Borflande ber Lehrer-Wittwen- und Waifenkafle für bie Provinz Lüne⸗ 
— Br 8. (VIII u. 381 ©). Harburg, R. Dandwerts. 1867. 74 Sgr., 
ged. 10 Sgr. 


Das Buch iſi für eins und zweillaffige Volksſchulen, dann aber auch 
für die Mittel und Oberklaſſe ftäptifher Volksſchulen beftimmt. Die 
Herausgeber wollen durch vdafjelbe in Mufterfiüden dem Spradhunterrichte 
dienen, nüßlihe Renntniffe aus dem Gebiete des Realunterriht3 verbreiten 
und echt deutjches Leben fördern. 

Der Plan des Buches it nicht wejentlid von dem amberer guter . 
Lefebücher verſchieden; auch begegnet man überall belannten Profaauffäben 
und Gedihten. Man kann daher nicht jagen, dab das Bud einem „drin: 
genden Bedürfniß“ abhilft, wenn man von der Lehrer: Wittwen: und Wai⸗ 
jentajje der Provinz Lüneburg‘ abſieht. Es zerfällt das Buch in zwei 
Abtheilungen. Die erfte Abtheilung behandelt in vier Abſchnitten: Kind⸗ 
beit und Augend, Familie und Haus, Gemeinde und Staat, Kirche und 
Gott; die zweite in ebenfalls vier Abjchnitten: deutſche Gefchichte, deutſches 
Land und Boll, aus der Ferne und Erde und Himmel. 


53. Deutſches Leſebuch für Stadt» und Landſchulen von Fr. Harder. 
Zweiter Theil. Neue Auflage. Erſte Abtheilung. Für Mittele und Ober- 
Nofien. 8. (VIII und 320 ©.) Zweite Abtheilung. Für Oberklaſſen 
3- und 4llaffiger Schulen. (IV und 315 ©.) Altona, €. Th. Schlüter. 
1866 und 67. & 10 Sgr. 


Die erfte Abtheilung enthält in fünf Abjchnitten: Erzählungen und 
Briefe, Bilder aus der Sage und Geſchichte, Darftellungen aus ber Geographie 


166 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


und Naturkunde, Gedichte; die zweite: Verſchiedenes in Proſa, Darſtellun⸗ 
gen aus der Geſchichte, Geographie und Naturkunde, Gedichte. 

Die Auswahl iſt in beiden Abtheilungen gut; in der zweiten empfiehlt 
ſich namentlich auch die Auswahl der Gedichte. 


54. Berlinifüee Leſebuch für Schulen. Erſter Theil. 20. Auflage. 8. 
(VI u 66) Berlin, Nieolai ſche Verlagehandlung (NM. Effert und 
L. —8 1866. 8 Sgr. 


Das Buch enthält in guter Auswahl: 1) Gebete und Gedichte geiſt⸗ 
lichen Inhalte. 2) Denkſprüche. 3) Das güldene ABC. A) Poetiſche 
Zabeln und Grjählungen. 5) Zabeln und Erzählungen in Proja. 6) Auf 
fäge, Erzählungen und Beſchreibungen verſchiedenen Inhalte. 7) Natur, 
Gemüth und Baterland in Gedichten. 8) Zur Naturkunde. 9) Zur Vater: 
landskunde. 


55. Deutſches Leſebuch. Die Leſeſtücke zum praktiſchen Lehrgang für den 
deutſchen Spradunterrigt in einer ungetheilten Bollefhule von @. Kehr 
enthaltend. 8. (270 ©.) - Gotha, E. F. Thienemann, 1866. 4 Xhlr. 


Das Material ift mit Rüdfiht auf den allmählihen Fortſchritt ber 
Kinder in drei Abtbeilungen gebradt, die im Ganzen eine ähnlihe Anord⸗ 
nung erhalten haben. Diefelben enthalten: Lieber, Lebensfprühe und 
Rätbiel, Fabeln und Erzählungen, Naturkunde, Welt: und Baterlanpstunde. 
Die zweite Abtheilung enthält außerdem noch etwas über den Menfchen, 
das Wort Gottes und das heilige Land, die dritte Stüde zur Chriftenlehre 
und Darftellungen aus der allgemeinen und vaterländifchen Geſchichte. Die 
Auswahl ift gut; es find dabei überall die befjeren Lejebücher benußt wor: 
ben. Einfahen Schulverhältniffen wird das Buch daher genügen. 


56. AL Kinderfreund. Ein Leſebuch für Volkeichulen, zufammen- 
gefel t von A reuß, Director, und J. A. Vetter, SeminawOber- 
brer am Königt. — ghatfenhaufe zu Königsberg. 162fte, "ber neuen umge. 
arbeiteten Ausgabe 5Afte berichtigte Auflage. gr. 8. & u. 438 ©. nebſt 
litt. Karte in 4.) Königeberg, 3. 9. Bon. 1867. 8 Sgr. 


Der „Preußiſche Kinderfreund‘‘, der feiner Zeit „wie ein fanfter Regen 
nah langer Dürre erſchien, ift wohl keinem Lehrer unbelannt; er bat ja 
im ganzen Baterlande Verbreitung gefunden. Den preuß. Regulativen ents 
ſprach er nicht, mußte daher umgearbeitet werden, was mit Rüdfiht auf 
feine weite Verbreitung dadurch bewirkt wurde, daß man Neues binzufügte. 
Es find auf diefe Weiſe neu binzugelommen: 37 Lieder und Gefänge, 
80 Bilder aus der Erd: und Himmelstunde, 60 Geſchichten aus der Ge: 
Schichte der Deutſchen mit Einfluß der Geſchichte des preußifchen Bater- 
landes und der Kirche, 63 Bilder aus der Naturkunde und 8 Aufjäbe 
gemeinnüßigen Inhalts. Diefe Vermehrung wird das Buch lange auf der 
Höhe der Zeit halten. 


57, Der Bolksſchulenfreund, ein Hulfebuch zum Leſen, Denken und Ler⸗ 
nen. Bon C. F. Hempel. 16. vermehrte und verbefierte Auflage. Mit 
4 Abbildungen von — — . VIII und 375 S.) Leipzig, Dürr'ſche 
Buchhandlung. 1800. 74 Sgr. 











Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 167 


Der Hempel'ſche Volksſchulenfreund war feiner Zeit ein beliebtes Buch; 
wo man e3 noch gegenwärtig gebraudt, da ift man hinter der Beit zurück⸗ 
geblieben. Der Verleger verfihert, einige Verbeſſerungen angebracht zu 
baben, und wir haben das auch bier und da, 3. B. im geographifchen 
Theile, bemerkt; aber das Buch hat darum doc feinen urfprünglichen Zu: 
ſchnitt behalten. Wer von den jüngeren Lehrern die Lejebücher alter Zeit 
nicht aus eigener Anſchauung kennt, der laufe ſich den Volksſchulenfreund, 
mache aber keinen Gebrauch davon in der Schule. 


55. Leſebuch für Bürgerſchulen. Herausgegeben von U. Lüben und 
C. Rade. Fünfter Theil. eifte verbefierte Auflage. gr. 8. (144 Bogen.) 
Leipzig, Vrandfletter. 1867. 9 Sgr. 

59. Leſebuch far Bürgerfchulen. Herausgegeben von U. Lüben unb 

©. Nude. Sechster Theil. Achte, verbefierte Yuflage. gr. 8. (224 Bogen.) 
nn Branbftetter. 1867. 121 Ser. - 


Der Anhalt beider Theile ift unverändert geblieben: 


5. Für Dberklaffen.. 


60. Säleswig-Holfeiniihes Leſebuch für Schule und. Haue. Zweiter 

Theil. Herausgegeben von I. F. Peterfen, Cantor in Bergenhufen. gr. 8. 

(XH und 895 S.) Schleswig, Schulbuchhandlung (Dr. C. Fr. dei erg). 
1866. 20 Sgr. 


Dies iſt der zweite Theil des oben genannten „Schleswig⸗ Holfteiniſchen 
Leſebuches“ deſſelben Herausgebers. Er iſt nach, einem ähnlichen, aber ſehr 
erweiterten Plane und nad denſelben Grundjäßen gearbeitet wie der erſte, 
und verdient auch biefelbe Empfehlung Um. ein Bild von dem Buche zu 
gewähren, theilen wir nachſtehend ven Blan beleben. mit. 


Eingang. 
A. Haus und Gemeinde. 


1. Des Hauſes Geift. 

2. Des Haufed Gottesdienit. 

8. Des Hauſes Blüthe. 

4. Des Haufes Herrſchaft. 

5. Des Haufes Erwerb. 

6. Des Hauſes Gefahr. 

T. Des Hauſes Schup. 

8. Des Haufes Kreuz. 

9 Des Haufes Lebensgenuß. 

10, Des Hauſes Chre. 

11. Der Abſchied. 

12. Des Haufes Sitte. 

13. Des Haufe Bewohner. 
14. Des Hauſes Naturbetrachhtung. 
15. Des Hauſes Jahresbetrachtung. 
16. Des Hauſes Himmelsbetrahtung. 
17. Pflichten gegen die Gemeine. 


m Ei Guss 


168 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


18. Das bürgerliche Leben in der Gemeine. 
19. Das kirchliche Leben in der Gcmeine. 
20. Dentfteine. 


B. Die Heimatb, 
1. Das Land. 
2. Rulturboben und Nulturftätten. 


3. Rulturzeugnifie und Kulturzeugen. 
4. Des Landes Geſchichte. 


C. Die weite Welt. (Nr. 258—420.) 
D. Die Kirche, (Nr. 421—462.) 


In diefem heile herrſcht im Abſchnitt B. das Schleswig-Holfteinifche 
Element vor, was die Verbreitung des Buches über die Provinz etwas 
beeinträchtigen wird. Sonſt aber enthält auch dieſer Theil viel Treffliches 
in Poefie und Profa. Der Herausgeber zeigt eine große Beleſenheit und 
bat fiber viel Zeit und Fleiß auf feine Arbeit verwandt. 

Der Preis ift für Volksſchulen zu hoch. Aber diefer Theil kann auch 
in höheren Schulen verwandt werben, für die der Preis nicht fo fehr in 
Betracht lommt. 


61. wbüringiiger 9 Finberfeeumb, Ein Leſe⸗ unb —— für Schulen. 
weiter Theil. Bon Dr. ©. Kühner, Director der Muſterſchule in 
ranffurt a. M. Achte Auflage. 8. (Hl und 392 ©.) Hildburgbaufen, 

. 8. Gadow und Sohn. 1867. 6 Sgr. 


Das Yu enthält in vier Abtheilungen: Gedichte, Yabeln, Märchen, 
Erzählungen, Daritellungen aus der Naturgefhichte, aus der Geſchichte, 
einen zweicurfigen Lehrgang für die Geographie, einen Abriß zur thüringiſch⸗ 
ſächſiſchen Gelhihte und Formulare zu Gejhäftsauffägen. Es entfpricht 
fonah dem Titel: „Leſe⸗ und Lehrbuch‘. Die Auswahl ift gut; das 
Buch enthält einen Neichtbum von leichtverftändlichen Auffäpen und an⸗ 
fprechenden Gedichten. Die Oberklaſſen ver Volksſchulen werben einen 
guten Gebrauch von dem Kinderfreunde machen können, auch außerhalb der 
thüringifchen Lande. 

Der Preis von 6 Sgr. für 25 Bogen ift ein außerordentlich billiger. 


62. Deutſches Leſebuch für Bürger- und Boltefäuten von Dr. 
agner. 22., vermehrte unb verbeſſerte Auflage. gr. 8. (256 ©.) 
Stuttgart, 3.8. Messler. 1866. 12 Sgr. 


Dies belannte Leſebuch enthält in guter Auswahl und mannigfachen 
Wechſel: Erzählungen zur Belebung des fittlich:religiöfen Gefühle, Fabeln, 
Märchen, Barabeln, Verftandsproben, Lebensbilder, Lebensregeln, Auffäße 
zur Natur, Länder und Voölkerkunde, Geſchichtliches und kleine Gedichte. 


63. Deutſches Lefebudh für die obern en der Primärſchulen 
bes Elſaſſes. Herausgegeben von J. W ‚ pufbector der Alabemie 
von Straßburg. 5., unveränberte Auflage. ir (Xıl and 446 ©.) Straß- 
burg, Wittwe Berger-Lebranlt und Sohn, 1864. 20 Sgr. 











Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 169 


Dies Leſebuch bildet die Fortſetzung des oben von demſelben Heraus⸗ 
geber angezeigten für mittlere Klaſſen, iſt auch jenem ähnlich in der Anlage, 
enthält jedoch natürlich ſchwierigere Stücke, mehrfach auch gute Gedichte 
unferer beſſeren Dichter. 


64. Heiniſch's und Ludwig’ drittes Sprach- und Lefebud. Ein 
Leſebuch für bie Oberflafien der Volksſchulen und für bie untern Klaſſen 
höherer Lehranſtalten. Sechfte, verbejlerte Auflage, für katholiſche Squlen 
bearbeitet von 8. Dreer, Domfapitular, Dompfarrer u. |. w. 
Augsburg. gr. 8. ( IV. u. 413 S.) Bamberg, Buchner. 1867. 14 Sat. 


Ueber die Brauchbarleit diefes Buches für Oberllafien haben wir ung 
ſchon früher ausgeſprochen. Die katholiſchen Schulen können damit zufrie: 
den fein, daß ihnen daſſelbe zugänglid” gemacht worden ift. 


6. Für böbere Schulanftalten. 


65. Deuntſches Lefebuh für Kinder bes mittleren Alters (an- 
ſchließend an bie Fibel) von Herm. Emmel u. Herm. Nömer, gehen an 
ber Realfihule in Hanau. gr. 8. (VII u. 263 ©.) Hanau, ©. Brior. 
1867. 10 Egr. 


Den Herausgeber ift e8 ergangen, wie es jährlich fo vielen Lehrern 
zu ergehen pflegt: fie haben unter der ungeheuern Menge von Lejebüchern 
feined3 gefunden, das ihnen genügte, und haben daher aus der Zahl der 
ihnen belannt gewordenen — ein neues gemadt. Wodurd ihr Buch ſich 
vor andern guten Leſebüchern auszeichnet, ift ſchwer zu jagen, vielleicht 
gar nicht. Sie baben Poeſien und Profaaufjäge aufgenommen, unter leß: 
teren eine Anzahl, die dem Realunterrihte dienen follen. Im Großen und 
Ganzen find es Stüde, die ſich in den meiften Leſebüchern finden und alfo 
die Probe ſchon beftanden haben. So weit als thunlidh, find die Stücke 
nad ihrer VBerwandtihaft zujfammengeftellt; doch haben die Herausgeber 
eine Gruppenbildung mit beſondern Ueberſchriften nicht für angemefien erachtet. 


66. Lefegärthen oder deutſches Leſebuch für Mittelllafien bb 
berer Töchterihulen und ähnlicher Anftalten. Bon Heinrich Bone, 
Director des Gymnaſiums zu Mainz. Zweite, vermehrte Auflage. 8. (XII 
u. 312 S.) Köln, M. Du Mont-Schauberg. 1867. 14 Sgr. 


Daß der-Verfafler es verfteht, für Kinder zu fchreiben und zu dichten, 
baben wir ſchon bei Beiprehung feines Leſebuches für höhere Lehranftalten 
anerlannt. Auch in dem vorliegenden Lejegärthen hat er fein fchönes 
Zalent vielfach bewährt. In fieben Abtheilungen bietet er unter folgenden 
Ueberfchriften viel Zrefiendes dar: Aus dem Leben der Kinder. Fabeln. 
Erzählungen und Parabeln. Lieder. Aus der Natur. Gefprädhe. Aus 
der heiligen Schrift. 

Das Buch ift empfehlenswerth. 


67. Deutfhes Leſebuch für bie unteren Klaffen ver Oymnafien. 
. Band. Bon Dr. M mn. Pfannerer, Lehrer am Pilfener Gymnaſium. gr. 
8. (VII u. 250 ©.) Yray, € . Bellmanı. 1866. 4 Thlr. 


170 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


Der Herausgeber beabſichtigt die Herſtellung deutſcher Leſebücher für 
das Gymnaſium, und hat mit dem vorliegenden erſten Bande den Anfang 
gemacht. Er bietet in demſelben abwechſelnd Proſa und Poeſie dar, hat 
dabei moͤglichſte Mannigfaltigkeit des Inhalts angeſtrebt, aber, wie es ſcheint, 
in Betreff der Anordnung auf einen leitenden Faden verzichtet. Daß ihm 
bei der Auswahl die beſſeren deutſchen Leſebücher zur Hand waren, iſt 
unverkennbar; allerwärts begegnet man alten Bekannten. 

Den Schluß des Buches bilden ſachliche und ſprachliche Erflärungen 
einzelner Ausbrüde der aufgenommenen Stüde. Nach unferer Anſicht ift 
der Verfaſſer in dieſen Crllärungen mebrfah zu weit gegangen. Auch 
bürften dieſelben befier ihren Plap gleich unter dem Zert gefunden haben. 


68. Deutihes Leſebuch für die unteren Klaſſen höherer Lehr— 
anftalten. Bon Th. Dieliß, Prof. uud Director ber Königftäbtifchen 
Realſchule in Berlin, und Ur. J. E. Heinrichs, Oberlehrer an ber Kö⸗ 
nigftäbtiichen Kealihule und am Königl. Cadetten⸗Corpo. Zweite Auflage. 
gr. 8. (VIII u. 452 ©.) Berlin, ©. Reimer. 1866. 3 Thlr. 


Dies Lejebuh enthält in guter Auswahl: 89 Lieder, 25 Yabeln, 
Parabeln und Märhen, 16 Rätbfel, 69 Sprüche u. desgl., 50 Erzähluns 
gen, 98 Erzählungen aus der Geſchichte, 36 Auffäße zur Natur:, Länbers 
und Völkerkunde und 11 Stüde aus Dramen. Dies Material ift für die 
drei unteren Klaſſen höherer Schulanftalten, für die das Leſebuch beftimmt 
ift, fehr angemefien und auch volllommen ausreihend. Die Gedichte haben 
vielfah ſachlichen Inhalt und eignen ſich deshalb vorzugsweife zum Decla- 
miren, waͤhrend ſich dagegen die Lefeftüde biftoriihen Inhalts befonders 
zur Uebung im Erzählen empfehlen. 

69. Deutſches Leſebuch von Dr. G. W. Hopf, Rector der Handelsſchule 
in Nürnberg. Erfter Teil. Vierte Auflage. gr. 8. (VIII u, 262 ©.) 
Nürnberg, 3. 8. Schmid. 1865. 15 Sgr. 

Dies Lejebuch befteht aus vier Theilen, von denen uns jebt ber erfte 
in neuer Auflage vorliegt, der im Allgemeinen für 11: und 12jährige 
Schüler höherer Schulanftalten beftimmt ift und fih aud trefflich für dies 
jelben eignet. Er enthält 75 proſaiſche Lejeftüde, 65 Gedichte, einige 
Raͤthſel, Sprühmörter und Sinnjprüdhe. Unter den Projaftüden finden 
ih Fabeln, Märden und Parabeln, dann aber beſonders Erzählungen, 
welche die geſchichtlichen Verhältniffe des Vaterlandes berüdjichtigen. Die 
Gedichte rühren von unferen befjeren und beften Dichtern, von Gellert bis 
zur Gegenwart, ber, und find im Allgemeinen von mäßigem Umfange und 
nicht gar zu ſchwer zu verftehen. 

Die ganze Auswahl kann als eine gute, von Geſchmack und päbago: 
giſcher Einficht zeugende bezeichnet, das Leſebuch daher empfohlen werden. 
70. Deutſches Sprads und Leſebuch für die Elementarklaſſen bir Gym⸗ 

naften und Realſchulen, für Mittelfhulen und Töchterinſtitute. Bon 3. 

. Brandauer, Träceptor. Sechfte Auflage. gr. 8. (XVI u. 332 ©.) 

tuttgart, 3. B. Metzler. 1867. 20 Sgr. 

Diefe Schrift ift in den früheren Auflagen wiederholt von uns ala 
brauchbar für die auf dem Titel angezeigten Zwede bezeichnet worden. 








Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 171 


71. Deutſchee Leſebuch. Elementar⸗Curſus. Bon C. Oltrogge. 
Sänfte Auflage. gr. 8. (VIII u. 416 ©) Hannover, Hahn. 1866. 


72. Deutines Leſebuch. Erſter Eurfus Bon €. Diteogar. Elfte 
Auflage. gr. 8. (VI u. 378 ©.) Ebendaſ. 1866. 4 Thlr. 

73. Deutfihes Leſebuch. Dritter Curſus. gr. 8 (X u. 665 ©.) 
Ebendaſ. 1866. 1 Thlr. 

Dei dieſem befannten Leſebuche können wir auf unſere früheren em⸗ 
pfehlenden Anzeigen zurückweiſen. Es behauptet feine Stelle neben andern 
guten Lejebüchern und verdient fie au megen des guten Inhalts. 

74. Deutfhes Leſebuch für höbere Unterrihts-Anftalten von Dr. 
Hermann Mafiud. gr. 8. (XIV u. 590 ©.) Halle, Buchh. des Wai- 
ſenh auſes. 1866. 3 Thlr. 

Wir haben die früheren Auflagen dieſes Leſebuches alle im Jahres⸗ 
berichte beſprochen und unſere Anerkennung nicht zurüdgehalten. Da die 
vorliegende neue Auflage wohl nur hier und da kleine Verbeſſerungen und 
einige Vermehrungen erfahren hat, ſonſt aber der vorhergehenden gleicht, ſo 
erſcheint eine eingehende Charakteriſirung des Buches üuberfluͤſſig. Eigen: 
tbamlih find dem Buche die mundartlihen Stüde, und ber Herausgeber 
vertheidigt ihre Aufnahme in der Vorreve. Es verfteht fi von ſelbſt, daß 
man den Mundarten nicht förmlich aus dem Wege geben darf; aber man 
kann aud in der Schule fein Studium aus denjelben madhen, muß fih 
vielmehr auf den Orts- oder landſchaftlichen Dialelt befchränten. Der 
Herausgeber thut das nicht; indeß find unter viertehalbhundert Nummern 
zwanzig munbartliche fein Grund, da von der Cinführung des Buches ab: 
zufeben, wo man 3. B. die Anficht des Ref. tbeilt. 

75. Deutſches Leſebuch für bie Oberklaſſen höherer Schulen. 
Herausgegeben von Dr. Ed. Schauenburg, Director der Realihule in 
Crefeld, und Dr. R. Bode, Oberlehrer am Ogmnoflum zu Weſel. Erfter 
Theil. (13., 14., 15. u. 16. Jahrhundert.) gr. 8. (VI u. 284 S.) Efien, 
G. D. Bäpeler. 1867. 28 Ser. 

Die Herausgeber haben fih von der richtigen Anfiht leiten laſſen, 
daß der Unterriht im Deutſchen in höheren Schulen nur auf Grundlage 
einer guten Auswahl von geeigneten Dichtungen und Projaaufjäßen, ges 
deihen könne. Sie halten ferner dafür, daß die betreffenden Stüde aus 
ven älteren Zeiten in den Driginaldarftellungen zur Benußung vorliegen 
müßten, was für Öymnafien jedenfalls zweifellos iſt. 

Das für diefen Zwed und alfo auch namentlih für Literaturgeſchichte 
in Angriff genommene Werk foll zwei Theile umfafien, von denen der erſte 
vorliegt. Cr enthält Etüde aus dem 13. bis 16. Jahrhundert, vom 
Nibelungenliede bis Fiſchart; fie find in reichliher Anzahl vorhanden und 
gut gewählt. Bei größeren Dichtungen ift durch kurzgefaßte Inhaltsangabe 
des Nichtgebotenen der Zujammenhang vermittelt worden. Don den ein - 
zelnen Dichtern und Schrütftellern find kurze Biographien gegeben worben. 
An die Auswahl reihet ih an: 1. eine fchematifche Ueberſicht der Litera⸗ 
turgejhichte der im Buche vertretenen Perioden, 2. das Wichtigfte aus der 
mittelhochdeutſchen Formenlehre und 3. ein Glofjar zum erſten Buche. 

Mir halten das Buch für eine wohlgelungene Arbeit. 


172 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


76. Dentſches Leſebuch für bie unteren Klaſſen an Mittelſchulen 
von J. W. Straub. Fünfte uſlase. gr. 8. (XV u. 272©.) Aarau, 

J. 3. Chriften. 1867. 20 © 

Dies Leſebuch enthält einen Großen Reihthbum an Erzählungen 
(Märchen, Sagen, Fabeln, Parabeln, Idyllen, profaifche, poetiſche und 
geichichtlihe Erzählungen), Beſchreibungen (Erlebnifie, Beobachtungen, 
Runfterzeugnifie und Verrichtungen der Menſchen, Gegenftände der Natur, 
Erd: und Vaterlandskunde, Bergleihungen, Rätbfe), Betrachtungen 
(Sprübhmörter und Redensarten, Erllärung einiger Sprüdmörter, belehrende 
Aufſätze, Gefpräce, Lieder) und Briefen. Die Auswahl ift mit Sad: 
fenntniß ausgeführt; auch entſprechen die Stüde dem in Ausficht genomme: 
nen Lebensalter. 

Der zweite, 1862 in dritter Auflage erſchienene Band ift nad ähn- 
lihem Plane gearbeitet, enthält aber natürlich ſchwierigere Stüde, berudjihtigt 
außerdem noch Darftellungsarten in Poeſie und Profa, die für ein früheres 
Alter zu ſchwer waren. 

Bu beiden Banden ift 1860 ein „Commentar‘ erjchienen, ber 
Grläuterungen enthält, welche dem Lehrer für eingehende Beſprechungen gute 
Dienfte zu leiften im Stande find.. 

Endlich ift 1851 und 1857 von demfelben Verfafler ein „Deutſches 
Sprachbuch“ in zwei Bänden erſchienen, weldes eine vollftänbige 
Schulgrammatif mit Aufgaben enthält und neben und mit dem Leje= 
buche zugleich gebraucht werben joll. 

Die genannten fünf Bände bilden alfo ein Ganzes, deſſen Benutzung 
in höheren Schulanftalten ſich als erjprießlich erweiſen dürfte. 

77. Deutfhes Lefebud von Dr. Mager. Drei Bände Nah ben Tobe 
bes Verfaſſers heranagegeben von K. Schlegel. gr. 8. Erſter Band. 
gwölfte Auflage. (XX u. 349 ©.) 1865. 16 Sgr. Zweiter Baud. Neunte 


Auflage. (XVIII u. 410 S.) 1865. 20 Sgr. Dritter Band. (XXIV 
u. 832 ©.) 1863. 1 Thlr. 18 Sgr. Stuttgart, I. ©. Cotta'ſche Buch. 


Dies bekannte Lejebuch zeichnet fih dur große Mannigfaltigkeit und 
Gediegenheit des Inhalts aus. Wir kennen feine zweite Sammlung, in 
der fo ſehr alle Natur» und Rebensverhältnilje und alle Darjtellungsarten 
in Profa und Poefie fo reihe Berüdfichtigung gefunden hätten, als in 
diefer. Eine höhere Schulanftalt, welche alle drei Theile fo mit ihren 
Schülern bdurcharbeitet, daß diefelben deren geiltiges Eigenthum werden, 
leiltet denfelben einen erheblichen Dienit, und fördert vor allen Dingen deren 
allgemeine und ſprachliche Bildung in hohem Grabe. 

Die Lehrer höherer Schulanftalten dürfen das Werk nicht unbeadhtet 
laſſen. 

78. Deutſches Leſebuch für Gymnafien, Seminarien, Realſchulen 
mit ſachlichen und ſprachlichen Erklärungen nebſt vielfachen Andeutungen 
zu einem praltiſchen Unterricht in der deutſchen Sprache. Von Joſeph 
Kehrein, Director des Schullehrerſeminars zu Montabaur. gr. 8. Untere 
Lehrftufe. Bierte, vermehrte und verbefierte Auflage. Siebenter Abbrud. 
(XVI, 287 u. 51 ©.) Obere Lehrſtufe. Bierte, verehrte und verbeflerte 


zitoge. | — Abdruck. (X u. 510 ©.) Leipzig, O. Wigand. 1866. 
» Thlr. u. 











Anfhauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 173 


Da dies vortrefflihe Leſebuch uns nur in einem neuen Abbrud vor: 
liegt, jo lönnen wir uns darauf bejhränten, auf unfere früheren empfehlen: 
den Beſprechungen defielben zurüdzuweifen. 

79%. Deutfhes Lejebud. Bon NR. Auras und ©. Gnerlich, ordentlichen 
Lehrern an ber Realihule am Zwinger zu Breslau. Diit Vorwort von 
Dr. Kletke, Director der Realjchule zu Breslau. Erſter Theil. Siebente, 
weſentlich verbeflerte und vermehrte Auflage. gr. 8 (VII u. 380 ©.) 
Breslau, Ferd. Hirt. 1866. 222 Sgr. 

Dies wiederholt von uns beiprochene und empfohlene Leſebuch ift in 
diefer neuen Auflage durch Sagen aus der vaterländifhen Geſchichte ner: 
mebrt und dadurch noch brauchbarer gemaht worden. Um dafür Raum 
zu gewinnen, baben die Herausgeber mandye abjtract gehaltene Aufſätze und 
Gedichte geftrichen. 

850. Deutſches Lejes und Bildungebucd für höhere katholiſche Schulen, 
insbeſondere für höhere Töchterſchulen und weibliche Erziehungsanfalten. 
Herausgegeben von Dr. 2. Kellner, Regierungs- und Schulrath in Trier. 
Bierte, unveränderte Auflage. gr. 8. (XX u. 663 ©.) Freiburg im Breie- 
gan. 1866. 1 Thlr., feinere Ausgabe 1 Thlr. 6 Sur. 

Da die neue vorliegende Auflage keine Veränderungen erlitten bat, fo 
fünnen wir uns auf unfere früheren empjchlenden Anzeigen des Buches 
beziehen. 


7. Anmweifungen zur Behandlung des Leſeunterrichts. 


81. Das erfie Schuljahr. Praktiſche Anleitung fir den erften Unterricht 
im Anfchauen, Spree Zeichnen, Schreiben, Leſen, Memoriren, Singen 
und Rechnen. Bon Adolph Klaumell, Elementarlehrer an ver IV. Bür⸗ 
ge zu Leipzig. 8. (VI u. 182 ©.) Leipzig, I. Klinkhardt. 1866. 
3 kr. 


Es wird ziemlich allgemein anerlannt, daß der Glementarunterricht zu 
den fchwierigften Arten des Unterrichts gehört ine Schrift, die geeignet 
ift, die Glementarlehrer gejchidter für ihren Beruf zu maden, ift daher 
immer eine danlenswerthbe Gabe, Mit einer folhen haben mir es bier zu 
thun. Der Verfafler ift ein dentender, erfahrener Lehrer. Und ift das, mas er 
vorträgt, au nicht neu und ausnahmslos empfehlenswerth, jo hat es doch 
das Berdienft, fi in der Praris bewährt zu haben. 

Worüber der Verfaſſer fih verbreitet, das ergiebt fich aus dem Titel. 
Mir berüdfichtigen bier nur das, mas fih auf den Anſchauungs- und 
Schreiblejeunterricht bezieht, was ohnehin der wichtigſte Theil der ganzen 
Arbeit if. Der Berfafler befolgt hierin die bekannte Vog el'ſche Methode 
und zeigt in dieſer Schrift, mie er jelbit fie handhabt. Er ift für diefe 
Methode fo fehr eingenommen, daß er fie für allein naturgemäß hält und 
von der Schreiblefemethode nad Lüben und Nade, Häfter's u. N. fagt, 
daß fie „in einem fehr gefuhten und darum unnatürlihen Zufammenbange 
mit andern Uebungen ſtehe.“ Zu ſolchen Anfichten gelangt man, wenn 
man fi einer Methode mit Liebe hingiebt und fih um andere wenig ober 
gar nicht befümmert, wenigftens urtheilt, ohne Erfahrungen darin gemacht 
zu haben. Das können wir aber hier auf fih beruhen laſſen. 


174 Anfchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


Der Berfafier behandelt jeden der genannten Unterrihtsgegenftände 
für fih, zeigt jedoch ihren Zuſammenhang untereinander. An die allge: 
meine Auseinanderfegung reibet er dann ausgeführte Behandlungen einiger 
Normalmwörter, wie Bett, Mailäfer, Hand, Ohr, während er zu andern, wie 
Auge, Vögel, Sonne, nur das Material liefert. Angehenden Lehrern und 
Seminariften ift mit folhen Ausführungen fiher ein dankenswerther Dienft 
erwiefen. Bon den Normalwörtern eignen fi aber wohl nidyt alle gleich 
gut für eine ausjührlide Beiprehung Für den Anſchauungsunterricht 
muß als Regel feftgehalten werden, _mwomöglih nur ſolche Gegenftände zu 
wäblen, die wirklih zur Anſchauung gebracht werben können und zugleich leicht 
überjhaubar find. Denn es handelt fih im Anſchauungsunterricht darum, 
daß die Kinder richtig fehen und beobadıten lernen. Die hierauf zielenden 
Uebungen fallen aber weg, wenn, wie unfer Berfafier thut, in aller Aus 
führlichleit, ja bis zur ſchmutzigen Wäfche herab, über das „Bett‘ ge 
proben wird. Manches von dem, mas in diefer Beiprehung vorlommt, 
wird ohnehin ſchwerlich ſchon von allen fehsjährigen Kindern mahrgenom: 
men worden fein, jo 3. B. ob im Bett ein Strobjad liegt oder eine 
Matrape, ob das Unterbett überzogen ift oder nit. Sieht man davon 
ab, daß ſich die Kinder bei folhen Verhandlungen ein wenig im Spreden 
üben, fo darf man breift behaupten, daß der fonft daraus für allgemeine 
Bildung erwachſende Gewinn gleih Null if. Das ift überhaupt der Krebs⸗ 
ſchaden des Anſchauungsunterrichts, daß jo oft werthloje und der Betrach⸗ 
tung nicht vorliegende Gegenjtände beſprochen werden. 

Melhen Täufhungen man fih bingeben kann, wenn man für eine 
Methode eingenommen ift und das Heil von ihrer confequenten Durch⸗ 
führung abhängig glaubt, davon liefert der Verfaſſer wieder Beweife. Die 
Vogelſche Methode fordert bekanntlich gleih von Anfang an das Schreiben 
von Hauptwörtern, da alle Normalwörter des Anſchauungsunterrichts halber 
Namen von Dingen fein müſſen. Nun behauptet der Berfafler ©. 26, 
daß die Leipziger Anfängerklajlen den Beweis liefern, „daß die Heinen 
Kinder ein ganzes Wort eher jchreiben lernen, als einzelne Buchftaben.‘ 
Aber noh auf derſelben Seite jagt er, daß das erſte Wort allerdings 
mancdherlei Schwierigkeiten verurfahe und „mande Slinder in den erften 
Tagen gar keinen Anfang damit maden wollen. Auch befennt er, daß 
die meiften Rinder in aht Tagen, in vierzehn Tagen enblid alle 
das Wort fchreiben lernten, wenn der Lehrer confequent bei dem Worte 

verbarre. 

Ein Seitenftüd bierzu ift, daß der Verfafler, wie e8 Vogel auch ge 
tban, neben der Schreibſchrift zugleich die Drudjchrift auftreten läßt. 
Man bereitet den Kindern hierdurch, ſowie durch das Schreiben der Nor: 
malmwörter, ganz unnüger Weiſe Schwierigkeiten, ein Verfahren, das ſchwer⸗ 
lich als „naturgemäß’ bezeichnet zu werben verbient. 


82. Elementar-Spradbilbungburhben Unterridt im Spreden, 
Schreiben und Leſen. Commentar unb methobifcher Leitfaden zu den 
Lehrmitteln für die drei untern Jahresklaſſen ber zürcheriſchen Primarſchule. 
Don Dr. zbomas Scherr. 8. (110 ©.) Zürid, Orell, Füßli u. Comp. 

. gr. 














Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 175 


Die Leſebuchfrage oder wie man in der Schweiz ſagt, die Lehrmittel⸗ 
frage, hat die ſchweizeriſchen Volksſchullehrer in den letzteren Jahren in 
zwei Parteien gefpalten, die einander zu Zeiten ziemlich heftig bekämpfen. 
Den Mittelpunft der einen Partei bildet der ehemalige Seminarbirector 
Dr. Thomas Scherr, der Berfafier des bier genannten Buches, und 
ein großer heil feiner ehemaligen, nun im Schulamte ftehenden Schüler. 
Die andere Partei bat nit eine einzelne Perjönlichkeit zum Anführer, zählt 
aber ſehr tüchtige Kräfte in fich, wie beiſpielsweiſe Seminardirector Fries 
in Küßnadt bei Zürih, und Lehrer Schlegel in St. Halten, Mitarbeiter 
am Jahresberichte. Die Scherr'ſche Partei erblidt im Leſebuch vorzugs: 
weife ein Mittel für den Sprahunterriht, das Wort in dem engeren 
Sinne genommen; fie legt ſonach ein bejonderes Gewicht auf die Form, 
verspricht ſich alſo von ihrer forgjältigen Berüdfihtigung Spracerlenntniß 
und Sprachgewandtheit. Man thut der Partei wohl nicht Unreht, wenn 
man fie ald Vertreterin der älteren Pädagogik bezeichnet, die andere als 
Repräfentanten der neueren, der modernen Pädagogik, fo meit es 
namentlih den Sprachunterricht betrifft. Der erfteren Partei gehört in der 
Schweiz mehr oder meniger die Gegenwart, daher fie auch in den 
Kämpfen, wo die Stimmen gezählt werben, in der Regel fiegt, wie bie 
jüngften Verhandlungen in St. Gallen gezeigt haben. Der anderen Partei 
ift dagegen die Zukunft gefihert; denn fie faßt die Aufgabe des Leſe⸗ 
buches höher, fie nimmt einen ibealeren Standpunkt dafür ein, will außer 
der Sprabbildung eine allgemein menſchliche Bildung durch 
dafielbe erzielen. 

Mir umjererjeits nehmen den Standpunkt dieſer lebteren Partei ein, 
was wir bier allein aus dem Grunde bemerfen, um uns bei der Beurthei: 
lung des genannten Scherr'ſchen Wertes kürzer fallen zu können. Selbſt⸗ 
verftändlich joll und darf uns das nicht hindern, dem Berfafler gerecht zu 
werben. 

Das Wert umfaßt die Elementar-Sprachbildung, melde in den drei 
erften Schuljahren dur den Unterricht im Sprechen, Schreiben und Leſen 
erzielt werden foll. Darnach zerfällt die Schrift felbit in drei Abtheilungen, 
von denen jede ausführlihe Anmeifung zu dem zu beobadtenden Lehrver⸗ 
fahren giebt. Für das erſte Schuljahr dient dieſem Bmwede ein von Scherr 
in Schreibfhrift herausgegebenes Tabellenmwert, das und zwar 
nicht vorliegt, in der „Clementar-Sprahbildung‘ aber volljtändig zum Abs 
drud gelommen und und daher befannt if. Ohne Zweifel wird ſich 
daffelbe für ven Schreiblejeunterriht als ein brauchbares Hülfs⸗ 
mittel erweifen; was mir an demſelben auszufegen haben, das find die 
vielen finnlofen Silben und einzelnen Wörter, welche es enthält. So fehr 
der Berfafier fonft dem Sneinandergreifen der Unterrihtsgegenftände der 
Glementarklafie das Wort redet, fo fehr ftellt er fih bier auf den ijolirten 
Standpunkt des reinen Leſeunterrichts. In demjelben Sinne redet er auch 
in diefer Schrift den „reinen Lautirübungen” das Wort, läßt darum mieber: 
holt Silbenreihen bilden wie: bad, bed, bid, bod, bud, bäd, böd, büd; min, 
men, man, mon, mun, män; ras, res, ris, vos, rus, räs, rös, rüs; arm, 
erm, irm, orm, urm; im, elm, alm, olm, ulm, ölm u. |. w. Auf den 


176 Anſchauungsunterricht. Lefen. Schreiben. 


Sinn des Lefeitoffs fol gar nicht gejehen werden. „Alle begrifflichen 
Hinweifungen oder Anwendungen müflen ausgeſchloſſen bleiben; wenn 
3. B. die dreilautige Silbe „ſchaf““ zugleih ein Wort, ein belannter Thier⸗ 
name it, fo joll viefe Bedeutung durchaus nicht berüdfjichtigt, aljo auch 
durhaus nicht bejprocdhen werden. Hier handelt es fih nur um Phone: 
tifches und gar nicht um Logifches”. (Seite 17.) Wenn wir bei Beran- 
ſchaulichung von Lautverbindungen an der Wandtafel, wie wir fie mit 
dem Verfaſſer wollen, auch nicht gegen jeves Silben:Material find, fo halten 
wir doch ein „reines Lautiren‘ biefer Art für unberechtigt. In allen 
Leſeübungen, aljo aud in den erften, muß verftehbarer Stoff dargeboten 
werden, theild um dem kindlichen Geift Befriedigung zu gewähren, tbeils 
um dad Kind von Anfang an zum denkenden Lefen anzuleiten. Sicher 
iert fih der Verfafler, wenn er von den reinen Lautirübungen (S 17) 
jagt: „hie find naturgemäß, meil fie der Entwidelungsitufe entſprechen.“ 
Es giebt im Schulleben eines Kindes leine Stufe, auf der es keinen Sinn 
hätte für einen werthvollen Inhalt der Lefeftüde. 

Mit den Lautirübungen follen einjahe Seihenübungen abmwechfeln. - 
Der Berfaller jagt S. 18 von dvenjelben: „Daß es fich bier jehr wejent: 
ih um die Bildung des Anſchauungsvermögens handle, wird nicht 
beftritten werben: Dies find die eigentlichen, elementaren Anſchauungs⸗ 
übungen; bier findet man den primitiven Grund und Boden des fogenann: 
ten „Anjhauungsunterrichts. Wir verlennen den Werth ſolcher ein: 
fahen Zeihenübungen nit, namentlih als Vorübungen zum Schreiben ; 
aber den „‚primitiven Grund und Boden des Anjhauungsunterricts‘ können 
wir nicht in ihnen erbliden; den finden wir in einfadhen Natur: und 
Kunſtkörpern, nicht aber in Linien, am wenigiten in denen, welde pie 
Kinder felbft darftellen. Für fpätere Zeit verlangt der Verfajler natürlich 
ſelbſt dieſe Gegenftänve für den Anſchauungsunterricht. 

Für die Sprahübungen jchließt der Verfaſſer mit Recht grammatiſche 
Belehrungen, Definitionen u. dgl. aus; er will durch Säge Anſchauungen 
von den Sprachformen geben und das Sprachgefühl dadurch bilden. Den 
Leitfaden dafür hat er nicht geradezu der Grammatik entlehnt, ſondern 
jeinen Lehrgang dem ſprachlichen Bildungsftande und dem Sprachbedürfniß 
der Kinder angepaßt. Wenig in Einklang damit fteht es, daß der Verfafler 
die Hauptwörter lange Zeit bindur mit Heinem Anfangsbuchftaben ſchreiben 
läßt, felbft da noch, wo er Wörter wie Moos, Boot, Saal, Heer u. a. 
alg Namen von Dingen bezeichnet und ſchreiben läßt. 

In den oben bejprodenen Sprahbüdern, die gleichzeitig als Leſe⸗ 
bücher dienen follen, treten bie für die Sprahbildung in dem eben be: 
zeichneten Sinne beitimmten Wörter und Säße jo mafjenbaft auf, daß der 
Charakter des Leſebuches dadurch ganz erheblich beeinträchtigt wird. 

Außer der Sprachbildung berüdjidhtigt der Verfaſſer in feinem Werte 
auch „die Anregung und Crwedung der religiöfen und moraliihen An- 
lagen‘ des Kindes, was nad dem Zitel dejlelben gewiß Niemand erwartet, 
und was auch wohl nur gefchieht, weil die oben genannten „Spradbüd: 
lein” nicht mit bloßem Spradbildungsmaterial in die Welt gefchidt werden 
fonnten, jondern auch nod einigen Stoff für Geiftes: und Gemüthsbildung 














Anfchauungsunterricht. Lefen. Schreiben. 177 


enthalten mußten. Die Anfichten des Verfaflers hierüber find nicht ohne 
Interefie. Er will religiöfe und moralifhe Bildung erzielen, aber in ben 
erſten beiden Schuljahren nicht durch biblifche Gefchichten, fondern durch 
Beiprehung von Gegenftänden und Crideinungen der Natur, die auf 
Gott hinweiſen, und durch moralifhe Erzaͤhlungen. Für Beides liefert er 
Material, ohne es jedoch als durchaus maßgebend zu bezeihnen. Die Er 
zäblungen der oben genannten Sprachbüchlein haben bvenfelben Zweck und 
werben ſich dazu auch im Allgemeinen als geeignet erweilen. Was der 
Berfofier gegen die Verwendung der biblischen Gefchichten in ben beiben 
erften Sculjahren einzuwenden bat, werden ſich vorurtheilsfrele Lehrer 
leicht denten können; es hat Seite 84 in den Säben Ausprud gefunden: 
„Gräßliche und fchändlihe -Thaten und Vorgänge follen nicht erzählt wer⸗ 
den.”. „Man erzähle und berichte nicht von Umftänden und Berhältnifien, 
die den Kindern durchaus unbegreiflih und unverftänplic find.” 
Gegen diefe Sätze läßt ſich ſchwerlich Etwas einwenden, wenigftens haben 
wir unfererfeits Nichts dagegen einzumenden. Mit ihrer Anerfennung 
mäffen aber nicht bloß für die erſten Schuljahre, fondern für die ganze 
Schulzeit eine ganze Reihe von bibliſchen Gefhichten in Wegfall kommen. 
Wenn man erft den Muth haben wirb, die Confequenzen diefer Säbe zu 
ziehen, wird mit dem Religionsunterricht in Betreff des Stoffes eine große 
Umgeftaltung vorgenommen werden müflen. Verſuche dazu find fchon in 
früherer Zeit gemacht worden, im Ganzen aber nicht mit erheblichem Erfolg; 
man redete fi) immer wieder ein und fuchte ed umftändlich zu ermeifen, 
daß die bibliſchen Geſchichten fo einfach, fo kindlich, jo anihaulid, fo cor⸗ 
rect und darum fo wirkſam jeien, daß fie durch Nichts erjeht werben 
könnten. Freilich finden ſich folde unter den bibliſchen Gefchichten; aber 
ihre Zahl if verhältnifmäßig Hein. 

Wir ſchließen mit der Bemerkung, daß des Verfaſſers Schrift mande 
trefflihe Partien enthält, jüngere Lehrer fie daher ganz fiher mit Nuben 
lefen werden, insbeſondere diejenigen, welche fi feiner „Sprachbüchlein“ 
bevienen. Wir ſehen aber davon ab, dieſe bier alle namhaft zu machen, 
wie wir auch nicht Alles zur Sprache gebracht haben, worüber wir anderer 
Anfıht find, als der Berfafler. 

83. Der erfie Schreib- und Lefeunterricht in ber Elementarſchule. 
Anleitung zur Behandlung ber Fibel nebft Lautlehre und Ginübung ber 
Drthographie. Herausgegeben von U. Büttner. gr. 8. (VIII und 64 ©.) 
Berlin, A. Stubenranch. 1866. 4 Thlr. 

Das Schriftchen enthält in drei Paragraphen der „Einleitung eine 
geprängte Darlegung der wichtigften Grundfäge für den eriten Leſe⸗ und 
Schreibunterriht, wobei der Schreiblefemethope entſchieden und mit Recht 
das Wort geredet wird, und der Elemente der Lautlehre, ſoweit biejelben 
für den Lefeunterricht in Betracht kommen. Daran reihet fi die Auf: 
Rellung und Begründung eines Lehrganges in den auf dem Titel genannten 
Unterrichtögegenftänden, wobei der Verfafler fpeciell Rüdfiht nimmt auf 
feine ‚Hand: Fibel.” , 

Wenn wir aub nicht in allen Stüden mit dem Berfafler überein 
fimmen können, fo find wir doch gern bereit, anzuerkennen, baß er eine 

Pad. Jahreabexlqͥt. XIX. 12 


178 Anfhauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


im Ganzen recht braudybare, von Erfahrung und Einficht zeugende Schrift 
geliefert bat, aus der angehende Lehrer Manches lernen können. 

Für die Uebung im zufammenbängenven Leſen verlangt ver BVerfafier, 
daß naturlundlice Stoffe vor dem Lejen beiprodhen, die betreffenden Gegen: 
ftände womöglich in natura vorgezeigt, aljo mit andern Worten, daß ber 
Anfhauungsunterriht mit dem Lefeunteriht in Verbindung gebracht 
werden foll; er unterläßt aber alle Andeutungen barüber, wie es bei den 
früheren Leſeübungen in diefer Beziehung gehalten werden ſoll. Unmöglich 
fann doch der Unterricht in dieſer Zeit bloß in den trodenen Leſeübungen 
und im Schreiben befteben. 

Sn Betreff der Conſonanten greift der Berfafler wieder auf Krug 
zurüd; d. h. er hält es für nothwendig oder doch wenigſtens für jehr 
nöglih, Namen zu gebrauden, die ihre Entflebung der Benennung ber 
Sprachwerkzeuge verdanken, welche beim Hervorbringen der Laute thätig 
find, aljo Namen wie Hauchlaut (ph), Lalllaut (), Shnurrlaut(r), 
Brummlaut (m, n), Blafelaut (f), Winplaut (mw), Zifhlaut, 
(6), Sumfelaut (), Scheudlaut (fh), Kehllaut (ch), Jubel: 
laut (j), Niefelaut (3), Shweigelaut (fl) u. f. w. Wir baben 
geglaubt, die Methodik fei hierüber bereits zur Tagesordnung übergegangen, 
ja wir glauben das auch noch. Gin Lehrer, der die Kleinen durch leben: 
digen, Abwechſelung darbietenden Unterriht in gelpannter Aufmerljamtleit 
und in Ruhe zu erhalten weiß, bedarf diejer Benennungen ganz gewiß 
nicht, kommt vielmehr immer mit den bloßen Lauten aus. Dazu kommt 
noch, daß die Namen doc gar zu wunderlich Lingen. 

Gegen die Benugung von Quadraten für die erften Schreibübungen, 
welde die Schüler jelbft mittels eines Kanteld anfertigen, läßt fih auch 
Manches einmwenden. 


84. Der wirkliche Anfhauungs-Unterricht auf das Leſen und Schreiben 
angewendet von Friedrich Beuſt, Vorſteher einer Erziehungsanftalt in 
Zürih. Erſter Theil. Schreibleſebuch. br. 8 (32 ©. Drudicr. m. 
12 ©. Lithogr.) Zürich, Verlags-Magazin. 1867. 12 Sgr. 


Nachdem der Berfafier in der Einleitung in aller Kürze „als leitenden 
Geſichtspunkt für den erziehenden Unterricht die Charalterbildung‘ bezeichnet 
hat, ſpricht er ausführlicher über die Schädigungen, welche die finder durch 
unpafiende Schultiiche und Sefiel erfahren, was zwar mit dem Schreiben 
zufammen bängt, bei Beurtheilung feines „Schreiblefebucdhes‘ aber unbe⸗ 
rüdjihtigt bleiben kann. Ueber die Art, wie der Verfafler den Anſchauungs⸗ 
unterricht auf Leſen und Schreiben anwendet, erfahren wir wenig, indeß 
doch das Nöthigfte, 

Der Berfafier geht von der Beiprehung von Gegenftänden aus, zeigt 
biejelben jedoch nur in Abbildungen vor, welche das Lejebud enthält. Das 
Geſpräch wird alfo nur an Abbildungen, nicht an Gegenftände jelbft ge 
fnüpft, ein Umſtand, der wenig geeignet ift, uns für bes Berfafierd Lehr: 
verfahren einzunehmen. Wie das „zum richtigen Wahrnehmen, zum jcharfen 
Unterſcheiden“ (S. 3) führen foll, ift ſchwer zu ertennen, um jo jchiwerer, 
wenn bem Kinde Beichnungen vorgelegt werden, wie das „Schreibleſebuch“ 





Anichauungsunterricht. Leſen. ‚Schreiben. 179 


fie enthält. Es find das nämlich Zeichnungen, wie jehsjährige Kinder fie 
anfertigen, die vorher Teinerlei Uebung im Zeichnen gehabt haben. Man 
fann nichts Greulicheres ſehen, ald was bier den Kindern, für die belannt- 
lih nur „das Befte gut genug iſt“, zum Anfhauen und Nahbilden dar: 
geboten wird. Dieſer Umſtand allein ſchon macht e3 unmöglich, dies neue 
Lehrmittel zu empfehlen. Des Verfafierd Verfahren bezeichnen wir am beften 
mit feinen eigenen Worten. Er fagt Seite 11: „Dem Rinde wird Seite 1 
in dem Buche aufgefchlagen, die Spirallinte (!) ale Borübung für das 
Neſt an der Wandtafel worgezeichnet und erzählt, wie ein Vogel fein Neftchen 
baut, Gier legt und ſich an dem Wachſen und Gedeiben feiner Stleinen 
freut. Dann zeichnet der Lehrer erft die Spirallinie, ſpäter das Net mit 
den Siem mit der Hand des Kindes in deſſen Heft. Die Kinder 
bemühen ſich, erft die Spirallinie, nachher das Neſt in ihr Heft zu zeich⸗ 
nen.” Um das Geſagte recht zu würdigen, braudt man fi nur eine 
Hafie von 50 Schülern vorzuftellen, deren Hände alle vom Lehrer bei ver 
Herftellung einer Spirallinie geführt werden follen. Dem Nefte zu Liebe 
wird der Anfang mit der fo ſchweren Spirallinie gemadt. An das Neſt 
reiben fih dann Zeichnungen von Aepfeln, Kirfchen, Eiern, Birnen, Baus 
men, Ziihen, Schleifen, Blumen, Menfchen, Briefen (als Vorbereitung zu 
i, n, m), Häufern, Landſchaften u. ſ. wm. Als weitere Grundlage für den 
Grundſtrich dient eine Säge. Dann wird i gefchrieben, darauf ui, wofür 
das Beiprehen und Zeichnen eines Schweines, im Urtypus dargeflellt, als 
Ausgang dient. 

Es ift ſchwer, wenn nicht unmöglih, duch Worte eine Vorftellung 
von den Thierzeihnungen dieſes Buches zu geben, daher wir auch davon 
abjehben und nur noch bemerfen, daß fogar die bereits ausgeſtorbene 
Dronte von Madagascar ald Model hat dienen müflen, um „Bobo“ 
ſchreiben laſſen zu können. 

Driginell ift das Buch gewiß, leider aber nicht brauchbar. Den 
pofiendften Pla dürfte es in einer Sammlung von pädagogiihen Kurioſi⸗ 
täten finden. 


85. Ueber bie Anordnung ber erfien Lefelbungen nad bem Lautbe- 
Rande der Silben und den Schwierigfeiten ber beutjchen Babel hnung 
Zugleich als Begleitwort zu der ‚‚Fibel zum Leſen und Schreiben”, „Schreib- 
lefefibel’ und „Wanbfibel” von Heinrich Schlepper, Lehrer an ber 
Srabifihule zu Lauenburg. 8. (20 ©.) Lüneburg, Herold unb Wahlſtab. 


Mas der Verfafier über die Anorbnung der erflen Lejeübungen fagt, 
iR an und für fi richtig, doch nicht neu, indem ſchon andere Fibelfchreiber 
ſich von denjelben Grunpfägen leiten ließen. Es kommt übrigens bei einer 
Fibel weit weniger darauf an, eine lüdenlos fortjchreitende Silben» und 
Wörtermaffe aufzuftellen, als darauf, den Kindern einen möglichſt leicht 
les: und fchreibbaren Stoff darzubieten, der ein denkendes Lejen ermög: 
licht, alfo einen aus Begriffswörtern und Säßen beſtehenden Stoff. 

Die größere Hälfte diefer Blätter hat der Verfaſſer benupt, um ben 
Blan feiner Fibel darzulegen und diefe dadurch zu empfehlen. 

12* 


180 Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 


86. Ueber den Lantir⸗, ben Schreibleſe- und ben Buchſtabir⸗ 
Unterricht nebfi einer Anleitung zum Gebrauche der Buchftabentäfelchen 
und bes Setzkaſtens. Bon Bincenz Praufek, !. t. Schulrath und Bolle- 
ſchulinſpeetor für Nieberöfterreih. Vierte, mehrfach erweiterte Auflage. gr. 8. 
(33 ©.) Brag, Fr. Tempely. 1866. 6 Ser. 


Der Berfafier bat in diefem Schriften in gebrängter Kürze die ver⸗ 
ſchiedenen jetzt gebräudlidhen Methoden für den Leſeunterricht dargelegt. 
Er beginnt dabei mit der Lautirmetbode, für bie er auch offenbar am 
meiften eingenommen if. Als Hülfsmittel dafür empfiehlt er einen von 
ibm fchon früher herausgegebenen „Seplaften”, der nichts anderes ift, als 
das, was wir in Nord⸗ und Mittelveutfchland unter „Leſemaſchine“ ver 
fieben. Seine Benugung wird ausführlih gezeigt. Darauf wird bie 
Schreibleſemethode beiproden, deren Entwidelung bis zur Gegenwart ber 
Berfafier nicht genau zu kennen fein. Gs ift im Grunde nur bas 
Vogel'ſche Verfahren, welches er in feinen Haupizügen zeigt. 

Auf Kritik oder ‚Begründung der Methoden läßt der Berfafler ſich 
nit ein, was wir als einen erheblichen Mangel an der Schrift bezeichnen 
müflen. Iſt die Schrift, wie wir doch annehmen müflen, für ungenügend 
beſchulte Glementarlehrer berechnet, fo bevurfte es einer um fo gründlicheren 
Belehrung über diefen wichtigen ®egenftand. Denn es genügt nicht, daß 
ein Lehrer eine gebräuchliche Methode befolgt, fondern daß er diejelbe mit 
dem Bewußtſein, das Rechte zu thun, anwendet. 


87. Die Behandlung bes Lejebuhes auf ber Mittelfufe, nachge⸗ 
wiejen an 100 Leſeſtücken von Dr. Th. Eiſenlohr, Seminar-Rector, Bei- 
rath ber evangel. Oberfchulbehörbe. Zweite Abtheilung. Rr. 51—100. 

Zweite, verbefferte Auflage. (X u. 221 ©.) Stuttgart, 8. Aue. 1867. 21 Sgr. 


Auch unter dem Titel: Anleitung zur Behandlung ber zweiten 
wärttemb. Kibel. 


Die zweite Auflage der erften Abtheilung dieſes Wertes haben wir 
im 16. Bande, die erfte Auflage dagegen im 12. Bande angezeigt und 
dort nah Plan und Ausführung eingehender beſprochen und als recht 
brauchbar für Elementarlehrer, insbeſondere für die, melde ſich des würt⸗ 
tembergifhen Lejebuches bedienen, bezeichnet. Wir können dies Urtheil 
bier nur wiederholen und die Lehrer dadurch von Neuem auf dies praktiſche 
Bert aufmerkſam machen. 


88. Anleitung zum Gebrauch bes Leſebuches in ber Bolkeſchnle. 
Bon €. Richter, Oberlehrer. Zwei Abtbeilungen in einem Bande. Vierte, 
verbeſſerte und vermehrte Auflage. gr. 8. I Abtbeilung. (X und 99 ©.) 
IL Abtheilung. (VI u. 164 ©.) Berlin, A. Stubenrand. 1867. 25 Ger. 


Die zweite Auflage diefer Schrift haben wir im 15. Bande audführs 
lich beſprochen und das Werk als eine gute, der Beachtung werthe Arbeit 
bezeichnet und empfohlen. Die vorliegende vierte Auflage beweift, daß das 
Buch überall die verdiente Beachtung gefunden hat. Da diefe Auflage 
aber in allen wejenlihen Stüden mit den vorhergehenden übereinftimmt, 
jo beſchraͤnken wir uns auf diefe Hinweifung auf biejelbe. 








Anſchauungsunterricht. Leſen. Schreiben. 181 


IL Schreiben. 


89. Lehrgang bes elementariſchen Schreib⸗ Unterrichte, gegründet 
gi Be rinzip der Bewegung, Schriftlenntniß und Augenmaßilbung, von 
‚ Seminarlehrer in feiebberg. 8. (VII und 39 ©.) Friebberg, 

Fe und Schimpff. 1866. 5 Ser. 


Der Berfafier berüdfihtigt in feinem Schriften Nies, was beim 
Schreibunterricht in Betracht kommt, und giebt überall Rathſchläge, die 
von längerer Erfahrung Zeugniß ablegen. Wer daher Anfänger im Ertheilen 
des Schreibunterrihts ift, wird ohne Zweifel Mandyes aus dem Schriftchen 
lernen lönnen. 

Eine recht eigenthümliche Anfiht bat der Verfaſſer von der Schreib- 
leſemethode, auf vie er Seite 8 bei der Gelegenheit zu fprechen kommt, 
wo er von der Verbindung des Schreibens mit andern Gegenftänden redet. 
„Die Schreiblefemethobe, fagt.er, hat viel von ſich reden gemadt, ift nun 
aber ein in der Methodik neuerer Zeit überwundener Standpunkt.“ Kin 
Seminarlebrer follte doch wohl willen, daß die Schreiblefemethope fih mit 
jedem Jahre neue Freunde erwirbt. 


%. Säreib-Unterricht, bearbeitet von F. Hartmann, Lehrer an ber 
Heal- und Stabtihule in Iſerlohn. 1. bis 3. Eurfus. gr. 8. (16, 24, 
36 ©. Lith.) Iſerlohn, 3. Bädeler. 1866. 34, 5, 74 Gear. 


Tas Werk zerfällt in drei Kurſe; der erfte umfaßt das Schreiben im 
Linienneß, der zweite die Anmenbung des Taltjchreibens in Heinen Bud: 
flaben, ber britte das Taftjchreiben in größeren Zügen und Gllipfen, fo 
wie das Abfchreiben größerer Auffäge wiſſenſchaftlichen und gefchäftlichen 
Inhalts. Jedes Heft entbält abwechſelnd veutfhe und engliihe Schrift. 
Bir finden den Stufengang zwedmäßig, die Schrift ſchön, können das 
Bert daher für den Schul: und Privatgebrauh empfehlen. 

9. Knnubzmanzig Borlegeblätter zum Schönſchreiben in eng- 


lifher Current für Schüler ber Obertiaffen von Auguſt Berger. 
quer 4. Nörblingen, C. H. Bed. 1866. 12 Ser. 


Die Schrift diefer Vorlegeblätter kann als recht gut bezeichnet werden. 
Der inhalt der Blätter bezieht fih auf die Glemente der Geographie, ifl 
alfo ein nützlicher. 


V. 
Augend- und Volksſchriften. 


C. ®. Debbe, 
Schulvorfteher in Bremen. 


Die Griehen haben betanntlih nur an Götterfeften Schaufpiele aufge: 
führt und gefeben; aber jest fpielt man alle Tage und in Berlin auf 
acht Zheatern zugleih.. Dafür müſſen doch Stüde da jein. Das ift jo ber 
Welt Lauf. In früheren Zeiten war die Lejeluft gering; nur bin und 
wieder tauchte ein Wert auf, welches die Aufmerkjamleit auf ſich zog; jebt 
liest alle Welt, will lefen und muß Lejeftoff haben. Die alten Geſchichten 
immer zu wiederholen, das ift langweilig, folglih wird Neues gefchaffen. 
Wie die Nachfrage, fo das Angebot. Daß nun nit Alles, was erjcheint, 
vollwichtig ift, daß ſich auch mande leichte Piftole mit in den Verkehr 
einihmuggelt, wen follte das verwundern. Dazu kommt nun noch, daß 
man die Jugendſchriftſtellerei für die leichtefte hält; die feichteften Köpfe 
glauben ſich noch Hug genug, der Jugend eine Geſchichte erzäblen zu können, 
und fie dann zu Papier zu bringen, das ift ja nicht ſchwer. Verleger 
finden fih ſchon; die Nachfrage ift ja groß, und — der Markt der Jugend⸗ 
ſchriften wird überfüllt mit leichter Waare. 

Rolfus jagt mit Recht: „Es fchreibt für die Jugend nicht nur, wer 
Liebe zu ihr und das Geſchid bat, fih mit derjelben zu unterhalten, fons 
dern auch wer Geld braudt und im Augenblid nichts Anderes anzufangen 
weiß. "Wer Gelegenheit bat, in einer Buchhandlung dieſe Kinder der 
Laune, melde das verfloflene Jahr jemals gebracht hat, bei einander zu 
jehen, und wenn er Bahrnimmt, wie viele Schriften in kurzer Zeit aus der 
Feder eines Autors geflofjen find, der wird gewiß zu dem Ausruf gebrängt: 
Ihr Herren, haltet ein mit eurem Segen |“ 

Bielleicht Klingt dieſe Darftellung etwas übertrieben; aber fie ift es 
nicht. Was an Erzählungen erfcheint, ift faft durchweg mangelhaft, trägt 
den Stempel des Gemachten zu beutlih an der Stimm. „Fünf Geſchichten, 
von denen jede ein handliches Buch bildet”, pro Jahr nebſt den vielen 


Jugend⸗ und Volksſchriften. 183 


anderen Dingen, die noch geſchrieben werden, muß den Beſten ruiniren, 

vom Mittelmäßigen gar nicht zu reden. Der Stoff wird gefunden. Mord⸗ 

und Näubergejhichten, Bearbeitungen von Romanen over fentimentale, 
moraliſche Erzählungen, Alles, Alles muß herhalten. Gute Jugenpfchriften 
auswählen, das ift mehr als fonft eine Kunft, 

Auch in diefem Jahre erfhienen, der herrſchenden Zeitrichtung ent: 
ſprechend, eine Reihe von Schriften, melde reale Stoffe behandeln und 
einige darunter mit großer Geſchicklichkeit. Das ift eine wirkliche Bereiches 
rung. In heutiger Zeit, wo jede Dorfihule ihren Schülern das Berftänd: 
niß für Geſchichte, Geographie und Naturgeſchichte aufſchließt, kann durch 
bie Privatlectüre Manches ergänzt und erweitert werden, was die Schule 
bejhränten mußte. Das Kind liest mit Freuden und bat wirklichen Nutzen 
davon. 

Freilich ſchleicht fih bier auch Manches ein, was nicht empfohlen 
werden kann, lm zu fpannen und zu intexeffiren, wird geſchichtlichen 
Perjonen und Zeiten oft arg mitgejpielt, und die Naturgefchichte muß oft 
übel herhalten. Da ftellt ſich dann natürlid das Gegentheil von dem ein, 
was wir vorhin ausfprahen. Geſchichtliche, geographifhe und naturkund⸗ 
liche Charakterbilder zu zeichnen, ift eine ſchwere Kunft. Pfuſcher follten fich 
nit daran vergreifen. 

Die Märkhenliteratur ift im legten Jahr auch bereichert worden. 
Der Streit, ob Märchen eine gefunde oder vermwerflihe Nahrung für die 
Kinder abgeben, ift nod immer nicht entſchieden. Auf der diesjährigen 
Lehrerverfammlung in Hildesheim hielt ein Redner die Märchen für bebent: 
li, weil fie den Aberglauben nähren; Klaiber in feinem unten befproche: 
nen Bortrage für durchaus unſchädlich. 

Bogumil Golg jagt über die Märden: „das deutſche Märchen athmet 
Religion und Geredhtigleit, Heimmeh und Wanderluft, fein Humor ift voll 
Mitleidenschaft für das Kleinſte; an Mutterwig und Sittlichleit übertrifft es 
die aller anderen Böller. Unübertroffen ift es an Laune, Wiß und Friſche 
des Herzens. Mit feinem Realismus des Alltagslebend verbindet es die 
ideale Bedeutung; es zeigt, wie im unfcheinbarften Gewande in Demuth 
und ftiller Pflichterfülung das Glüd des Menjhen verborgen ift. Die 
Grundgedanten, die es veranfhaulicht, find: Ehrlich währt am längiten; 
auch das Geringſte ift nicht zu verachten; die Erften werben die Letzten und 
die Lebten werben die Erften fein. Der Glaube an Gott und bie Unfterb- 
lichkeit ift tief lebendig in ihm.” 

Ein Märden, auf weldes diefe Charalteriftit paßt, wird fein und 
bleiben ein Heimathland der Kinder. 

Ueber Jugendſchriften lagen in dieſem Jahre zwei Werle vor: 

a Geſchichte der deutihen Iugenbliteratur von A. Merget, 
Direktor des Lönigfichen Lehrerinnen-Seminars und der Augufla-Schule ıc. 
— Verlag der Plahnſchen Buchhandlung 1867. (VI und 220 ©.) 
Jedenfalls die hervorragendſte Erfheinung auf diefem Gebiet. Cs 

entbält eine Charafteriftit der verfchiedenen Perioden der Syugenbliteratur, 

führt aus jedem Gebiete die Hauptfchriftfteller und hervorragendſten Werte 





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184 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


auf und ſtellt ihren Werth oder Unwerth in das rechte Licht. Wir beſaßen 
bisher ſchon einige aͤhnliche Werke; aber abgeſehen davon, daß es ohnehin 
nöthig if, dergleihen Merle fortzuführen, iſt uns keins belannt, welches 
den Gegenſtand fo umfaflend behandelt. In wenigen Zeilen ift oft bie 
Kritit eined ganzen Buches ausgedrüdt. 

Man erkennt leicht, daß der Verfafier fih von beftimmten Grunvjägen 
bei feiner Kritik leiten ließ, 

Mergets Geſchichte der deutſchen Jugendliteratur wird hoffentlich bald 
in leiner Lebrerbibliothel mehr fehlen. 


b. Bergeihniß ansgemählter Jugendſchriften, welde katholiſchen 
Eitern und Lehrern empfohlen werben können. Nebſt einem Anhange em- 
pfeblenswertber Schriften für Erwachſene. Aufgeſtellt von Hermann 
Molfus, Pfarrer. Freiburg im Breisgen. Herder'ſche Verlage 
1866. (XVI und 212 ©.) 4 XThlr. 


Wir laſſen bier die Grunpfäße folgen, welche ven Berfafler bei feiner 
Auswahl leiteten und fügen nur noch hinzu, daß Auswahl und Kritik den 
Grundſaͤtzen entſprechen. 

„1) Ich habe den Kreis der kindlichen Anſchauung ziemlich enge ge⸗ 
ſtekt; ich habe nicht einzelne begabte und weiter vorangeſchrittene Kinder, 
fondern die Mehrzahl der Kinder im Auge gehabt und nicht angenommen, 
daß biefelben bereits geiftig entwidelt find, ſondern daß fie erft noch geiftig 
entwidelt werden müflen. Bei ver geiftigen. Entwidelung kann man aber 
nur an Belanntes und nit an Unbekanntes antnüpfen. Ich babe deßhalb 
eine große. Anzahl Schöner Schriften bei Seite gelegt, weil ich zweifelhaft 
war, ob die Finder ein Verftänpniß für die Ideen hätten, melde darin 
vertreten werben. Werden mande Schriften von dem Einen oder dem 
Andern deßhalb vermißt, fo glaube ich doch, daß dur die Yeftbaltung 
dieſes Grundſatzes das Verzeichniß an allgemein praktiſcher Brauchbarkeit 
gewonnen hat. 

2) Das Verzeichniß iſt in drei Stufen eingetheilt: in Schriften für 
Kinder bis zu 10, bis zu 12 und bis zu 14 Jahren und darüber hinaus. 
Ich glaube jedoch, daß für 16jährige Leſer die Jugendſchriften⸗Literatur 
aufhört. Allein e3 ift begreiflih, daß viele Schriften nicht ausſchließlich 
einer Stufe angehören, und insbefondere kann die dritte Stufe mit Nutzen 
die Schriften der zweiten Stufe lefen. Bei den Schriften der dritten Stufe 
glaubte ich aber Unterfcheivungen maden zu müſſen. Insbeſondere wollte 
ih einige Schriften aufnehmen, für deren Verſtändiß mehr Borlenntnifie 
erforderlich find. Anderfeit3 wollte ih nicht in vier Stufen eintheilen, weil 
die Ausfüllung der Unterabtheilungen zu ſchwierig geweſen wäre. Sch 
wählte deßhalb das Austunftsmittel, bei der dritten Stufe vie Mehrzahl 
nur mit der fortlaufenden Rummer, einzelne aber überdieß noch mit einem a 
zu bezeichnen, um damit auszubrüden, dab das Buch nur von ber reifern 
Jugend mit Nuben gelejen werben kann. 

3) Den Grundſatz, keine Beittoptichläger aufzunehmen, d. h. feine 
Schriften, welche nur unterhalten, obne zu belehren, babe ich ftrenge ein» 
gehalten. Ich babe deßhalb die Schriften mancher renemmirten Bücher⸗ 


blung. 














Augend- und Bolksichriften. 185 


fabritanten nicht aufgenommen. Bei der gegenwärtigen Wuth, Schulbiblio« 
thefen errichten zu wollen, iſt dringend daran zu erinnern, mas in biefer 
Hinfiht der verfiorbene Oberſchulrath Dr. Karl Schmidt in der Inftruction 
an die neu ernannten gothaifhen Bezirksſchulinſpectoren vorſchrieb. Parar 
graph 18 dieſer Inſtruction vom 14. September 1863 lautet: „Um ben 
Zwed in Ünterriht und Zucht zu erreichen, foll beſonders auch auf bie 
Sectüre der Scullinder von den Bezirtsjhulinfpectoren geſehen werben. 
63 joll diefe Lectüre ethiſchen Inhalts fein, ſowie in die Naturwiſſenſchaf⸗ 
ten, in die Gefhichte und Ethnographie einführen. Dabei find jedoch die 
vorzugsweiſe fogenannten Jugendſchriften, 3. B. à la Nierig, Hoffmann ꝛc., 
von der Anſchaffung auszuſchließen, da die Lectüre derjelben leicht zur Er⸗ 
jeugung einer Sucht zum Leſen und zur Romanleferei führt und überdieß 
nur eine fentimentale Sittlichleit begünftigt, die nichts weniger als Ernft 
ver Gefinnung und Charalterftärke fördert.‘ 

4) So fehr ich überzeugt bin, daß jene Lectüre des Kindes, melde 
bie fittlich-religiöfe Bildung zum Zwed bat, in katholiſcher Anſchauung ſich 
bewegen foll, jo halte ich es doch für ganz ungeeignet, veligiöfe Polemik in 
die Jugendſchriften einfließen zu laflen. Das Kind foll ein Leben des 
fröhlien, unbefangenen Glaubens leben, und in biefem Leben erftarlen. 
Eine frifhe und frohe Neligiofität ftärkt mehr in den Verſuchungen, als 
Demeisgründe, die man zu einer Zeit aus Büchern berausliest, welche noch 
keine Zeit der Reflerion fein darf. NKatholifcherfeits find zwar nur einige 
wenige folder Schriften, melde den Charakter von Jugendſchriften tragen, 
und überdies nod durch gegneriihe Angriffe bervorgerufene, vorhanden, 
aber ih habe fie übergangen. Gbenjo widerftrebte es mir, Schriften auf- 
zunehmen, in welden jociale Fragen zum Verſtaͤndniß gebracht werden 
follen. Leider! (fage ih) bat fih dieſe Berirrung in mande Jugend: 
ſchriften eingeſchlichen, und ich bringe es nicht über mich, dieſe Richtung zu 
billigen. Was von den religiöjen und focialen Fragen gilt, gilt au von 
den politiihen. Es macht fich in einigen norddeutſchen Jugendſchriften ein 
widerwärtiged Stoc⸗Fritzenthum kund, meldes wir nicht meiter verbreitet 
jeben möchten. In Jugendſchriften hat aber nur das Gefühl der Anhänge 
lichleit an das große Gejammtvaterland und der Ausdruck der Liebe an . 
das engere Baterland feine Berechtigung. Im Uebrigen find alle Kinder 
Kleindeutihe und alle Erwachſene Großdeutſche. 

5) In religiös=fittliden Erzählungen muß neben der Tugend aud 
das Verbrechen feine Darftellung und feine Verurtheilung finden. Es ift 
ober nicht nothwendig, daß wir den ganzen innern Prozeß des Sünders 
durchmachen helfen und ihm auf feinen finftern Pfaden folgen, auf welchen 
es ihn vorwärts bis zur Verruchtheit draäͤngt. Auch in der Schilderung 
des Böfen ift ungefund, was zu viel tft. Ich habe aus dieſem Grunde 
mande Schriften bei Seite gelegt, in melden die Jugend den Bruder 
Liederlich auf allen feinen Wegen begleiten joll. 

6) Wenn man im Gefprähe mit den Kindern Borfiht verlangt, jo 
wird man diefe Haltung in Jugendſchriften auch verlangen bürfen. Und 
gleihwie das Kind aus den Neben der Erwachſenen oft Veranlaſſung 
nimmt, über Dinge nachzudenken und ihnen nachzuforſchen, die ungeeignet 





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186 Sugend- und Bolksjchriften. . 


find, fo trifft man in manden guten Jugendſchriften einzelne Stellen an, 
weldhe dasfelbe bei den Kindern veranlaflen würden, was unbefonnene Reden 
der Erwachſenen. Wenn mir nun eine ſolche Stelle auffiel, babe ich die 
Schrift einfach weggelegt und auf ihre übrigen guten Gigenfhaften feine 
Nüdfiht genommen, 

7) 3b babe namentlih für die zweite Stufe einige ältere, Tleinere 
Schriften aufgenommen, welche ſehr gering ausgeftattet find, wie dies früher 
häufig der Fall war. Allein ich glaubte über der dürftigen Ausftattung 
den trefflihen Inhalt nicht unberüdjüchtigt laffen zu follen, da es nament⸗ 
lid wenige Schriften giebt für Lejer von 10 —12 Jahren. Jh halte es 
übrigens für fehr nothwendig, den Jugendfchriften eine angemeflene Aus: 
flattung zu geben, wenn auch nicht eine foldhe, welche blöde Augen beuns 
rubigt. Namentlich follten die Herren Verleger fich entjchließen, ihre Jugend: 
jriften gebunden oder menigftens cartonnirt in Umlauf zu feßen. Ich 
babe deßhalb aud fchleht ausgeftattete Yugendfchriften neuerer Zeit nicht 
aufgenommen, und auch ſolche nicht, weldye nicht correct gebrudt find.” 

Diefen anerkennenswerthen Anfichten über Yugendichriften reihen wir 
noch den oben erwähnten Bortrag Klaibers über das Märchen an. 


Dae Märchen und die kindliche Phantafie. Vortrag gebalten zum 
Beften des Invalitenfonde in Stuttgart von Julius Klaiber. gr. 16. 
(44 S.) Stuttgart, S. ©. Fiefhing. 1866. 74 Sur. 


Die Beranlaffung zu diefem Vortrage erhielt der Verfaſſer durch eine 
beforgte Mutter, die ibn fragte, ob fie nit Unrecht thue, ihren Kindern 
Märchen zu erzählen. Cine Frage dieſer Art ift erflärlih, wenn man den 
Anhalt fo vieler Märchen erwägt, der jo wenig mit ber realen Welt über 
einftimmt. Nahdem der Verfafler in überfichtlicher Weife und mit Rüdficht 
auf feine Zuhörer die Gejchichte des Märchens dargelegt hat, zeigt er, daß 
der Ginfluß derſelben auf die kindliche Phantafie zu keinerlei Bedenten 
Beranlafjung giebt, die Märden vielmehr mwohlthätig darauf wirken. Gelbft 
von der oft derben Moral ift fein Nachtheil zu beforgen. Wir theilen 
diefe Anfiht und wünſchen jedem Kinde eine märdenkundige, erzählungs: 
Inftige Mutter. 

A. Lüben. 


1. Geſchichte, Geographie und Naturkunde. 


1. Die legten Tage von Bompeji. Aus dem Engliſchen bes Edward 
Bulwer Lytton fir die reifere Jugend bearbeitet von Mobert Springer 
(A. Etein.) Mit 4 Abbildungen in Thondruck. Neu⸗Ruppin. Berlag 
von Alfreb Oebmigke. 1 Thlr. 121 Sur. . 


Unter Benubung mehrerer in der Vorrede namentlih aufgeführter 
Merle hat der Verfaſſer bier eine Bearbeitung des Bulwer'ſchen Romans 
„the lost days of Pompejii“ für die Jugend geliefert, und zwar, „damit 
der Schüler den Geift und das Wejen der Alten in anmutbhiger und unter: 
baltender Weile lerne.” Gin SHauptaugenmert bei der Bearbeitung war 
daher: „Die Schilderung des antiten Lebens, welche der Dichter nur 





Jugend⸗ und Volksſchriften. 187 


andeutungsweiſe und in romantiſcher Form gegeben hatte, zu erweitern und 
wiſſenſchaftlich zu geſtalten. 

Durch eine genaue Vergleichung dieſer Erzaͤhlung mit dem Driginal 
überzeugten wir uns, daß Springers Wert ſich ſehr eng an Bulwers Roman 
anſchließt. Bon all den „Abſchnitten“, die nach der Vorrede der Verjaſſer 
„neu entftehen ließ”, haben wir als „neu“ wenig bemerfen können. Die 
Schilderung eined pompejifchen Haufes, der Tempel und Bäder, ver Spiele, 
ver Bladiatoren, des Forums, der Mahlzeiten, der Schenten, der Läden, 
der Kleidung, der Leichenfeierlichleiten, des Amphitheaters find im 3. 4. und 
7. Capitel des I. Buches; im 1. 8. und 7. Capitel des II. Buches ıc. 
beim Original eben jo ausführlich beichrieben, wie in ber vorliegenden 
Bearbeitung. Was der Bearbeiter hinzugethan, erihien uns häufig recht 
unwejentlih. | ' 

Am wichtigſten erfcheint ed uns aber, bier auszufprehen, dab das 
ganze Bud nicht geeignet ift, dem Zwede zu dienen, welchen ver Berfafler 
im Auge bat. Nie und nimmer war pompejilches Leben jo, mie Bulmer 
es romanhaft ſchildert. Wir willen recht wohl, daß Bulmer fein „the lost 
days of Pompejii“ in Neapel, aljo hart an der Grenze des Schauplakes 
ſchrieb; aber wir ftimmen mit Julian Schmidt überein, wenn er jagt: 
„Bulwer gehört durchaus in die reale Welt. Wo er feine praltiſchen 
Beobachtungen mwiedergiebt, kann man immer etwas von ihm lernen; für 
die unfihtbaren Geifter der Welt aber haben ihm die Genien das Auge 
verſchloſſen.“ Bulwers phantaftiihe Erfindungen wurden geboren von ber 
Sudt zu gefallen, für die oben angegebenen Zmwede ift feine Quelle nicht 
rein. Wir lönnen daher auch das Buch nur bebingungsmeije empfehlen. 


2. Bergangenbeit und Gegenwart in gefhichtlihen und geogra- 
Hilden Erzählungen für die Jugend und das Boll. Bon 
. A. anz. Nr. I—5. Mit je einer Steintafel in Tondruck. gr. 16. 

Tübingen, Oflander. 1866. cart. & 4 Thlr. 

Inhalt: 1. Der Morgenftern. Gefchichtliche Erzählung aus dem Jahre 
1225. Nah M. Ad. Drion und U. (132 ©.) — 2. Sephora. Geſchicht⸗ 
liche Erzählung aus ber Ietten Zeit vor Chr. G. Nah Ad. Lemercier. 
(155 ©.) — 3. Die Gefangene. Geihichtlihe Erzählung aus ber erften 
Zeit der amerikaniſchen Union. Nah Ed. S. Ellis. (143 ©.) — 4. Die 
legten Tage von Bompeji. Geſchichtliche Schilderung aus dem Jahre 
79 nad Chr. Frei nah Bulwer u. U. (164 ©.) — 5. Ein Mann aus 
bem Bolke. Geſchichtliche Erzählung aus ber Zeit Karls bes Großen. 
Nah U. Lecker u. A. (118 ©.) 


Die Verlagshandlung zeigt an: „Wir beginnen unter vorfiehendem 
Titel ein Unternehmen, mweldyes nit nur für die Jugend, fondern auch 
für das Volk im eigentlihen Sinne des Worts, insbefondere aber für 
Schulen und Erziehungsanftalten jeder Art vom größten In⸗ 
tereſſe fein dürfte. Wir gedenken nämlich in abgerundeten, anziehend und 
faßlich gejchriebenen Erzählungen gefhichtlid merkwürdige Greignifle und 
Begebenheiten, das Leben hervorragender Perjonen aller Zeiten und Voͤlker, 
fowie naturgetreue Schilderungen aus allen Theilen der Erbe — nad) den 
neneften Forſchungen — vorzuführen und auf dieſe Weife nach und nad) 
eine ebenſo belehrende als unterhaltende, durch Wort und Bild lebendige 





188 Augenb- und Volksſchriften. 


Geographie und Geſchichte zu liefern, wobei aber auch jeves Bändchen ein 
für ſich abgeſchloſſenes Ganzes bildet und eine intereflante Lectüre bietet. 
Eben diefer lettere Umstand geftattet uns leine ſyſtematiſche Reihenfolge 
bezüglidy der Begebenheiten zu beobachten, fondern den Lejer von Anfang 
an bis zu Ende durch die größte Mannigfaltigleit zu unterhalten, wie dies 
ſchon aus den erften fünf Bändchen erfichtlich if.“ Wir baben das ganze 
Programm bier aufgenommen, meil mit diefen fünf Bändchen ein Inter 
nehmen beginnt, weldhes nun wohl auch nad belanntem Borgange bie 
Jugendliteratur jährlid um fünf Vändchen vermehren wird. Wir wollen 
von vorn herein bemerten und haben e3 auch im vorjährigen Bericht be 
reits ausgeiproden, daß wir fein Freund folder Unternehmungen find, 
und zwar, weil es dabei gar zu leicht auf nichts anderes ald Bücher: 
macherei hinausgeht. Ein Schriftfteller fann nach unferem Dafürhalten nicht 
im Boraus verſprechen, er wolle in diefem oder dem nächſten Jahre fünf 
oder ſechs Baͤndchen ſchaffen; das hängt vielmehr von Umftänden ab. 
Wenn eine Jugendſchrift nicht als vollreif gezeitigte Frucht des Geiſtes 
der Jugend dargeboten wird, wenn fie ein Produkt, „auf Beltellung ge 
macht“, ift, jo gereicht das weder dem Schriftfteller, noch fonft Jemandem 
zum Nußen, vermehrt aber leicht die feichte oberflaͤchliche Speife, welche fo 
häufig anftatt des nahrhaften Brodes dem Finde von unmifiender Hand 
gereicht wird. 

An dieſer Collection von Schriften finden wir löblih, daß der Ber 
fafier ji bemüht, den realen Boden als Grundlage feiner Schriften zu 
haben. Geſchichte und Geographie follen ihm ven Stofj liefern. Wir 
jagen bemüht, venn leider ift es ihm nicht völlig gelungen. Nehmen wir 
z. B. die erſte Geſchichte: „Der Morgenftern.” Was der Berfafier darin 
von Geſchichte und Geographie liefert, das ift blutwenig. Ob die Jugend 
die Gejchichte von Magarethe Montmorenci „ver Ginfieblerin der Pyrenäen‘ 
tennt oder nicht, das ift erftaunlich gleichgültig, und die bürftige Beſchrei⸗ 
bung der franzöfifhen Startenburg oder von Hocharagonien kann auch 
ſchwerlich das Urtheil ändern, daß dieſes Buch nichts mehr und 
nichts weniger enthält, als eine etwas langftilige Geſchichte eines 
und ſehr gleihgültigen Raubritters und feiner Baſe. — Die Er- 
zählung Sephora verfegt uns nad Paläftina und Rom; bie geograpbis 
ſchen, ethnographiſchen und geſchichtlichen Schilderungen treten bier mehr 
in den Vordergrund. Leider hat diefe Gejchichte aber den Fehler, daß eine 
Hauptperjon Eleazar fo einfältig, fanatifh und fo ſchwer von Begriffen 
ift (denn jonjt müßte er in Rom nad) feinen bis dahin erlebten Abenteuern 
wenigſtens etwas Hüger geweſen fein), daß ein Chriftentind nicht felten 
vecht herzlich darüber laden wird, mas der Berfafler aber gewiß nicht 
beabfichtigt hat. Außerdem haben wir aber noch gerechte Bedenten wegen 
der Stiefmutter, wie fie bier auftritt. In vielen Häufern findet fi 
eine Stiefmutter, und die Jugend ift gar zu gem geneigt, fie mit miß⸗ 
trauifchen Bliden anzufehen. Liest fie nun noch Erzählungen von je 
intriguanten Frauen, wie Rebecca, bie der Verfaſſer ſelbſt giftige Blide auf 
bie Stieftodhter werfen läft, fo kann das Kind leicht nody mehr in feinem gott⸗ 
lob gewiß recht oft unmotiyirten Vißtrauen gegen die Stiefmutter beftärkt werben. 





Jugend⸗ und Volfsichriften. 189 


Die „Gefangene” fpielt in den Yagbbiftriften der Indianer Nordamerikas. 
Die Geſchichte ift etwas romanhaft übertrieben, kann aber fonft als wohl: 
gelungen bezeichnet werden. ‚Ein Mann aus dem Volle‘ enthält die 
Lebensgeſchichte Carla des Großen und nebenbei des Bilchofs von Paris; 
auf legteren bezieht ſich natürlich der Titel. 

Die Darftellung ift im Allgemeinen gut. Der Verfaſſer wirb indeß 
wohl thun, noch forgfältiger zu verfahren. Ausprüde wie Gdgin (Venus), 
überzwerg ftatt umgelegen; that zu wiſſen, ftatt tbeilte ihm mit; in der 
Hausflur; Ludwig der achte ꝛc. jollten in einer Jugendſchrift nicht vorkommen. 


3. Columbus, Eortez und Pizarro. Geſchichte ber Entbedung und 
Eroberung von Amerifa. Nach ben beften Quellen ber Jugend erzäblt von 
Friedrich Soffmann. Zweite Auflage. Neu bearbeitet von F. Lichten- 
feld. Drei Theile in einem Bande, Mit 12 Bildern in lithographiſchem 
Barbenbrud. Breslau, Berlag von Ed. Trewenbt. 1866. 8. (230 und 208 

eiten. Gebunden 24 Thlr. 


Der Verfaſſer hat auf Grund eingehender Studien eine Geſchichte der 
Entvedung und Eroberung Amerikas, anfnüpfend an obige Namen, ges 
fhrieben, und dadurch der Jugend ein Buch geliefert, welches gern und 
mit Nutzen wird gelefen werden. Die Darftellung ift einfadh und es ift 
glüdlid vermieden, durch romanhafte Ausihmüdung den Entdedungsreifen 
jenen piquanten Beigefhmad zu geben, welchen fo manche Jugendſchriftſteller 
ald unumgänglih nothwendig halten. Die Gemiljenhaftigleit und Treue 
in. der Darjtellung haben mir durch forgfältige Vergleihung mit neueren 
wifienfhaftlihen Werten eingehend geprüft, und Nichts ift uns aufgefallen, 
was einen Zabel verdiente. Dadurch, daß Verfaſſer und. Bearbeiter mit 
fo manden Anekdoten, die ih an Columbus, Cortez und Pizarro knüpfen, 
aufgeräumt haben, gewinnt in unferen Augen das Bud einen befonderen 
Werth, und wir wollen e3 Gltern und Lehrern als paſſende Lectüre, na⸗ 
mentlih für Knaben im reiferen Alter, beftens empfohlen haben. Die Aus: 
ftattung ift, abgejehen von den etwas verjchwommenen Bildern, recht gut. 


4. Morit von Raffau ober bie Belagerung der Berguefle Schloß Wel⸗ 
baſch. Kür die Jugend bearbeitet von Th. Bade. Mit 6 colorirten 
Kupfern. Altona 1866. Berlags-Bureau. 8. (272 Seiten.) geb. 11 Thlr. 


Die geſchichtliche Epifode, während welcher dieſe Erzählung ſich zutrug, 
hat allerdings einerſeits Moritz von Naſſau zum Helden; das motivirt 
indeß nicht den Titel. Denn Morig von Naſſau ſpielt in dem Buche 
durchaus nicht die Hauptrolle. Die Erzählung iſt ungemein reichhaltig an 
hervorragenden Perjonen, und damit wollen wir einen Haupttadel ausge« 
fprodhen haben. Der Berfafler irrt jich gewiß, wenn er annimmt, er babe 
in biefem Bude eine Erzählung für die Jugend gejchrieben. Dazu ift fie 
durchaus nicht einfach genug, ganz abgejehen davon, daß die Liebesgejchichte 
zwiſchen Thereſe und de Ballenvelt, legterer in jeiner Doppelgeftalt, 
fhwerlih ein pafiendes Sujet für eine Jugenderzählung abgiebt. Wir 
fordern von einer Jugenderzaͤhlung, falls fie einen hiſtoriſchen Hintergrund 
bat, neben der biftoriihen Treue eine reinliche jaubere Abgrenzung des 
Stoffes, dergeftalt, daß der jugendliche Leſer im Stande ift, die behandelte 


190 Jugend- und BVolksfchriften. 


Zeit und Begebenheit vollftändig zu begreifen. Geflattet das die Erzählung 
nit, fo ift fie verfehlt. Wenn ber Leſer bei diefer Gefchichte nicht über: 
mäßig viel biftorifches Wiſſen befigt, oder ein Compendium hat, um ſich 
auf das Berftänpniß der behandelten hiſtoriſchen Begebenheit vorzubereiten, 
dann wird er aus der Erzählung wohl faum etwas Weiteres mit Intereſſe 
verfolgen, als die oben bezeichnete Liebesgeſchichte. Höchftens intereffirt ihn 
noch - Beatrice, dad Mannweib, mit ihren Abjonverlichleiten, oder Schent, 
der Freibeuter. Gewiß hätte der Berfafier befjer gethan, wenn er fi auf 
eine Charakteriftit Morig’3 von Nafjau, des Befiegerd von 40 Städlen und 
bed ausgezeichneten Heerführers, eingelafien hätte. Bei dem überall ficht- 
baren Talent des Verfaſſers würde er gewiß ein Buch geſchaffen haben, 
welches unbedingtes Lob verdient hätte, mas bier leider nicht der Fall iſt. 


5. Die Befreiung Shleswig-Holftein® von der Fremdherrſchaft. Kür 
Jung und Alt erzählt von Ferdinand Schmidt. 16. (124 ©.) Berlin. 
Berlag von Hugo Kaftner. 74 Sgr. 


Nachdem der befannte Verfafier in einigen Capiteln über Land, Bolt 
und Geſchichte Schlesmwig-Holfteins den Lejer orientirt bat, erzählt er bier 
in gebrängter Zufammenftellung die oben genannte Begebenbeit. Längft 
Ihon jteht fein Ruf feft als Schriftfteller, der es verſteht, feinen Stoff mit 
geſchidter Hand zu ordnen und ihn friſch und lebensvoll darzuftellen. Auch 
diefes Bändchen legt Zeugniß davon ab. Gerade, weil die erzählte ge» 
ſchichtliche That der jüngften Vergangenheit angehört, war es ſchwer, allen Anfors 
derungen zu genügen. Noch immer giebt es Manche, die theild aus An: 
bänglicpleit an den Auguftenburger (defien der Verfaſſer mit feinem Wort 
gedentt), theild aus anderen Urſachen im Schmellwintel figen, die wohl 
ein einiges Deutjchland wollen, aber es am liebiten im Sclafrod und 
Hausihuhen erreihen möchten. Dieſen lann allerdings ber „preußifche 
Hiſtoriler“ nicht gerecht werden. Möchte fih bald pas Schlußwort des 
Verfaſſers erfüllen, melches lautet: „Die Zeit wird kommen, in ber der 
ganze deutſche Volksſtamm die preußiihen Thaten ber Jahre 1864 und 
1866 fegnen wird, dur die Schleswig:Holjtein mit dem preußilchen (wir 
mödten fagen und dadurch Wieder mit dem deutſchen) Staate vereint 
worden ift. 

6. Ein deutfhes Königeleben. Eine Erzählung für bie Iugenb und 


das Volk von Louiſe Pichler. Dit einem Titellupfer. 12. (112 Seiten.) 
Etuttgart, Gebrüder Scheitlin. 1866. 74 Ngr. 


Diejes Büchlein enthält eine Lebensgeichichte Conrads I., welcher von 
911— 918 regierte. Die Verfaſſerin charakterifirt ihn richtig als einen 
tapferen, mannbaften Fürſten, reih an ritterliden Tugenden, der aber im 
erfolglojen Ringen mit den miderjtrebenden Gewalten feiner Zeit ſchon in 
der Blüthe feiner Jahre den Anftrengungen erlag. Cinen wohl etwas reiche 
lih großen Raum nimmt die Gejhichte der allemannifhen Grafen Erchan⸗ 
ger und Berthold und der holvfeligen Gattin des erjteren, Bertha, ein. 
Doch wollen wir darüber nicht mit der Verfafjerin rechten, zumal gerade 
Heine Epiſoden aus dem Leben Bertha's mit fichtlicher Vorliebe und in 
ausgezeichneter Weiſe gejchildert find. Bertha, die Gemahlin Erchangers, 


Jugend» und Volksfchriften. 191 


tritt nach Louife Pichlers Darftellung mit in die Reihe der Frauen, in 
denen deutſches Gemütbsleben zur wundervoliften Blume entfaltet if. Das 
Bud kann unbedingt empfohlen werben. - 


7. Die Rofe von Byzanz. Kine Erzählung für die Jugend und für das 
Bolt von 2. Pichler. Mit einem Xitelturfer. 12. (126 &.) Gtuttgart, 
Gebrübder Scheitlin. 74 Ngr. 


Eine friide und lebensvolle Erzählung. Sie beginnt mit dem Ein: 
zug Philipps, neu vermählt mit Srene, der Roſe von Byzanz, und endet 
mit dem Crlöjhen des edlen Königspaares. Das Büchlein ift reih an 
finnigen Bemerlungen, dem Beitgeifte jener Tage trefjlih abgelauſcht. Eine 
arme Köblerfamilie, reich beglüdt dur die milde und freundliche Gattin 
des weiſen und gerechten Philipp, repräfentirt in trefjliher Weiſe das 
ſchlichte, einjältige Volt, und giebt der Verſaſſerin reichlich Gelegenheit, 
Blide in das Leben dieſer Kreiſe zu gewähren. Allerdings vermifen wir 
volle hiftorifche Treue und manchen Zug, der ſich recht fchidlih mit in den 
Gang der Erzählung hätte verweben lafien, namentlih aus dem Leben 
ver Marie (nicht mehr Irene), jener „griechiihen Marie’‘, von der Walther 
von der Bogelmeide einmal gejungen hatte „vie Roje ohne Dorn, die Taube 
fonder Galle. Ferner konnte der jugendliche Lejer befannt gemacht wer: 
den mit der wirklich vollzogenen Wahl Friedrich U., ohne daß durch bie 
Kronannahme auf Philipp ein Schatten fällt. Auch wird die Verfaſſerin 
recht gut willen, daß das Buch der Forjcher über die Motive zu Otto's 
That noch nicht gejchlofien if. Auch „weigerte“ ſich Bertbolt von Zäh—⸗ 
ringen nicht, den Kampf mit Philipp aufzunehmen, wielmehr trug er ein 
recht lebhaftes Verlangen nad der deutſchen Krone, und erft ald die Mehr: 
zahl der geifllihen und weltlichen Fürſten die dem hohenſtaufiſchen Haufe 
Treue bewahrten, Philipp von Schwaben die Krone übertragen hatte, 
wurde Berthold von Zähringen dur hohenftaufifches Geld zum Rüdtritt 
bewogen. Zroß biejer Ausjtellungen empfehlen wir jedoch das Buch wegen 
feiner oben genannten Vorzüge. 


8. Scharnhorſt. ſEin Lebensbilb aus ben Zeiten fchmeren Druds und 
lebensfriicher Erhebung gegen frembe Gewalt. Der Jugend und bem Bolte 
Fu von 8. D. v. Horn. Wiesbaden bei Julius Niebner. cart. 
Wie im vorigen Jahre der Verfafler feinen Lejern das Lebensbild Duvals, . 

eined Mannes, der vom Hirtentnaben bis zum angejehenen Gelehrten und 

Gründer der berühmten kaiſerlich öfterreichifhen Münzfammlung ſich auf 

Ihwang, darbot, jo giebt er uns diesmal im Scharnhorft ein Seitenftüd 

dazu. Scharnhorſt, der Hauptbegründer des „Volkes in Waffen“, war aud 

zeitweilig ein Hirtenknabe. Durch Fleiß und Strebfamleit brachte er es 
bis zum Generallieutnant. Auch dieſes Lebensbilf wird einen Cindrud 
auf jugendliche Leſer machen. 


9 Der Lebensgang George Wafhingtong, des Begründers ber Frei⸗ 
heit der Vereinigten Staaten Norb-Amerilas. Der Jugend und bem Volle 
erzählt von W. D. v. Horn. Mit 4 Abbildungen. Wiesbaden, Iulins 
Niebner. 74 Sur. 





192 Jugend⸗ und Bokfefchriften, 


Wie ver Titel angiebt, bietet bier der fleißige Jugend⸗ und Belle- 
jhriftfteller eine Biographie des berühmten amerilaniihen Bürgers, „Sol: 
daten” und Staatsmannes George Waſhington. Auch viefes Büchlein if 
mit der an Horn'ſchen Schriſten fo oft gelobten Friſche gejchrieben, die den 
Leſer immer wieder feflelt. Die Darftellung von Biographien bedeutender 
Berfönlichleiten ift namentlih dann nicht leicht, wenn, wie bier, fih an 
viefelben fo vielfah verwidelte Berhältnifie anlehnen Die Klarheit und 
Durdfichtigleit leidet fo leicht unter der Fülle des Etoffed. Namentlich 
der jugendliche Leſer bat nicht immer die Hingebung an den geſchichtlichen 
Stoff, um mit Aufmerkſamkeit vie verfchlungenen Fäden der Diplomatie 
und Staatshunft zu verfolgen, und die doch nötbig if, um aus den geſchicht⸗ 
lihen Begebenheiten die Größe des Mannes, der die beftimmende Haltung 
und Stellung einnimmt, zu begreifen und zu erfaſſen. Sade der Biogra: 
pben ift es nun, den oft fpröden Etoff mundgereht zu machen; und bier 
zeigt fih Horns Meiſterſchaft. Die unerquidlihen Gpifoden im Verlaufe 
des nordamerikaniſchen Befreiungstrieges weiß er gejchidt zuſammen zu ziehen 
und zwar fo, daß der Leſer über die verzweifelte Lage des oft die bitterfle 
Noth leidenden, bis zum Uintergange hart bevrängten amerilanifchen Heeres, 
wohl unterrichtet wird, obne fih dur den Wuſt von Neid, Abgunft, Ber: 
ratb und allen häßlichen Leidenichaften der freien Amerifaner hindurch⸗ 
arbeiten zu müſſen. Ber Held fteht dem Xefer ftets vor Augen in ber 
ganzen Majeftät feiner Tugenden. Man trauert und jubelt mit ihm, wie 
es die Zeit mit fih bringt. Das Leſen einer folhen Schrift kann nur 
veredelnd auf den Lejer einwirken, und dieſen Erfolg jchlagen wir böber 
an, als die Bereicherung des geſchichtlichen Wiſſens, welde fi der Lefer 
nebenbei aneignet. 


10. Seitebäger. Berlag von 3. Engelborn m Stu 
u i dm T gu und bie Anfänge ber (hiocheriicen @ibgrnoffenficft 
2 Sgr 
2. Prinz Eugen, ber eble Ritter. (64 ©.) 2 Ser. 
3. Napoleons Feldzug nad Rußland. (102 5) 4 Sgr. 
4. Die Brophetenfiuber und die Kinder Gottes. Ein Stüd fran- 
zöſiſcher Geſchichte aus den Zeiten Lubwigs XIV. (168 ©.) 5 Ser. 


Unter obigen Titeln giebt die Verlagshandlung eine Reihe populärer 
Volksſchriften zu einem fehr wohlfeilen Preiſe heraus. Die Autoren werben 
« nicht genannt. Man muß bei diefen Büchern von einer kritiſch⸗ wifſenſchaft⸗ 
lichen Bearbeitung abſehen. Die geſchichtlichen Thatſachen ſind in intereſ⸗ 
ſanter Darſtellung jo erzählt, wie fie der einſache, ſchlichte Bürgersmann 
gen liest. Zur Anſchaffung für Volksbibliothelen können dieſe Hefte 
daher empfohlen werben. Die Ausflattung ift recht gut. Holzichnitte 
illuſtriren in angemeilener Weiſe den Tert. 

11. Sagen ber alten Brema. Bearbeitet von Marie Mindermann. 

8. (216 ©.) Bremen, I. ©. Henfe. 1867. 28 Ser. 


Das Büchlein enthält 6 Sagen aus der bremifchen Vorzeit. Große 
Gtädte haben alle eine mehr oder weniger dunkle Bergangenheit. Wo bie 
Hiftorie fehlt, da hat die gejchäftige Bhantafie freien Spielraum und daher 














Jugend: und Volksſchriften. 193 


jhreiben fih denn die alten Vollefagen. Sie find dem Bolls : Märden 
verwandt, haben mit ihm bie kindlich⸗ naive Auffafiung gemein, und gewähren 
neben der Einfiht in die Anſchauungen vergangener Zeiten eine höchſt an- 
genehme Lectüre. Letzteres freilich nicht unbebingt. Es gehört dazu bie 
Meifterfchaft der Darftellungstunft. Dieſe ift aber der Verfafierin im hoben 
Grade eigen, und können wir daher obiged Buch auf das Wärmfte 
empfehlen. 


12. Dentſche Geſchichte für bie ginderſtube. Herausgegeben unter 
Mitwirkung von weiland Ritter ꝛc. Dr. €, Vogel, Director ber erften 
Bürgerſchule zu Leipzig. 

Erfte Sammlung: 1. und 2. Baändchen. 1. Bänden: Bon Hermann 
dem Befreier bis zu den Kreuzzügen. Zweite, verbeflerte Auflage, Diit 70 
in den Fert gedruckten Abbildungen, zwei Tonbildern, ſowie einem bunten 
Titelbilde. (136 ©.) Leipzig, Berlag von Otto Spamer. 1867. 2. 
Bändchen: Bon ben Hohenftaufen bis zum Ende des Mittelalters. Zweite, 
verbefferte Auflage. Mit 110 in den Text gebrudten Abbildungen, 3 Ton- 
bildern, 1 Zitelbild ꝛc. 8. (212 ©.) Leipzig, ebendaſelbſt. 


Der Stoff ift auf die 52 Wochen des Jahres dergeftalt vertheilt, daß 
für das erfte Halbjahr der im erften Bändchen bezeichnete Geſchichtsabſchnitt 
in 26 Bildern, und im zweiten Bänden die Fortſetzung, ebenfalld in 26 
Bildern, behandelt if. Die Berfaflerin hat es verftanden, das Auge bes 
jungen Geſchichtsfreundes vorzüglih auf unfer reiches Geiflesleben, auf bie 
ganze Ziefe des deutſchen Gemüthes in intereflanter Weife zu lenken, und 
fo das Kinderherz ſchon zu entflammen für Liebe zum Baterlande, jenes 
edle Nationalgefühl zu weden, welches wir bisher mit ftillem Neid bei Na: 
tionen vorfanden, welche wahrlih kaum Urſache haben, auf ihre Vergangen: 
beit ſtolz zu fein; ficherli aber weniger, als wir Deutfhe. Wir erwarten 
baldigſt eine Yortjegung dieſes von der Verlagshandlung mit bekannter 
Gleganz ausgeftatteten Buches. 


13. Blide ins Seeleben ber Thiere von Y. W. Grube Mit Zitel- 
bild. F S.) Stuttgart, 1866. Druck und Berlag von I. F. Steintopf. 
cart. 74 Ngr. 


Das Bud enthält eine Reihe Thiergefchihten. Bei der Ausgabe ift 
maßgebend gewejen, nur das aufzunehmen, was im Xhierleben befondere 
Klugheit bekundet. Wenn der Menſch angeleitet wird, mit finnigem Auge 
das Thier in feinem Treiben und Leben zu beobachten, jo ermähft ihm 
dadurch nicht allein eine Duelle der ebelften und reinften Freuden, jondern 
er wird audy zu feinem Nugen und namentlid zum Nuben der Thiere ver 
Rändiger und gefitteter im Umgange mit lebtern. Das Leſen biefer 
Schriften iſt zur Erreihung dieſes Standpunltes ein ſehr geeignetes Mittel, 
Aus diefem Grunde ift die Schrift zu empfehlen, fie verdient es aber außer: 
dem noch dur die friſche Darftellung und verflännige Auswahl. 


. 3. Engelborns illuftrirte Bottebügen, Stuttgart. 
3. Seſundheitelehre. 96 ©. 3 Sgr 

4. Die Sinne bes Menſchen. 12 & 3 *W 

5. Die Lebenverſichernngen. 78 ©. 3 Egr. 

3. Die Sternenwelt. 168 © 5 Gar. 


Wäp. Zahıeßberiht. XIX. 13 


194 Jugend⸗ und Volksichriften. 


Diefe A Bändchen verdienen in hohem Maße Beachtung. Sie gehören 
zu den Büchern, welde die Wiſſenſchaft ind Wolf tragen, und zwar in 
echt verftändiger Weile. Die Gejunpheitslehre enthält neben einer ftellen- 
weife ſehr Scharen Kritik der alten medicinifhen Schule jehr vernünftige 
Belehrungen und Rathſchläge zum Zwede der Gonfervirung ber Gejundbeit. 
Sie verbreitet ſich über den Stoffwechfel und die Functionen ber verjchies 
denen Organe. Eine Beichreibung der verfchiebenen Krankheiten und Heil 
mittel bat der Verfaſſer vernünftiger Weife unterlafien. Der Zwed des 
Buches ift Krankheit zu verhindern. 

Die Sinne des Menfhen. Eine populäre Belehrung über die 
Sinnesorgane und deren Zunctionen. 

Die Lebensverfiherung. Giebt Aufihluß über die Berhält- 
niſſe ſolcher Anftalten, und widerlegt in gefchidter Weile die unmotivirten 
Gründe gegen den Eintritt in biejelben. 

Die Sternenmwelt. Cine ganz vorzüglihe Belehrung über bie 
Himmelskoͤrper. In populärer Weife giebt der geſchickte Verfafjer, unter jorg- 
fältiger Benugung der Ergebniſſe der neueften Entdedungen, Belebrungen, 
welhe dem Volke fonft fo ſchwer zugänglich find. Gute Abbildungen er- 
läutern den Tert und tragen weſentlich zum Berftänpniß bei. | 

Hervorhebung verbient noch der außerorbentlih billige Preis. 


15. Feierabende. Feſtgabe in Schilderungen aus Natur und Leben, Heimat 
und Fremde, alter und neuer Zeit. Mit Beiträgen von K. ©. v. Berned, 
Dr. H. Birnbaum, €, Diethof, R. Göpner, €. Kaufer, M. Lange, Gebr. 
Adolf und Earl Müller, Franz Otto, H. C. Stogner, W. Veltmant. 
Mit einem Anhang, enthaltend: Erholungsſtunden. Geſchichtskalender, und 
mufll. Beilage. Illuſtrirt durch 140 Tertabbilbungen, 6 Ton- und Bunt« 
drudbilder, Zitelbilb u. |. w. Leipzig. Berlag von O. Spamer, 1867. 


Diefer Band bildet die Fortjeßung der „Melt der Jugend.” Wir 
baben uns im vorigen Bericht ausführlich über das löblihe Unternehmen 
ausgeſprochen. Auch diefer Jahrgang verdient die wärmfte Empfehlung. 
Er enthält hauptſaͤchlich Darftellungen aus den neueſten Zeitereignifien, eine 
vortrefflih gejchriebene Abhandlung über die Pfahlbauten, Darjtellungen 
aus dem amerikaniſchen Volksleben u. ſ. w. Gute Abbildungen erläutern 
die Darftellungen. Die Yeierabende verbinden in ausgezeichneter Weiſe 
das Nützliche mit dem Angenehmen. 


2. Erzählungen. 


16. Samentörner. Erzählungen für Kinder von 8—12 Jahren. Bon U. 
@tein. Mit 9 colorirten Bildern von Profeffor Hofemann. gr. 16. 
(244 ©.) Berlin, Wintelmann u. Söhne. 25 Sgr. 


Die Verfafierin (Margarethe Wulſ) erzählt bier die Heinen Erlebniſſe 
einer Kindergefellichaft. Onkel Görg, der Student, fpielt eine Hauptrolle 
darin. Cine eigentlihe Pointe fehlt der Erzählung; es ift viel Kinderge⸗ 
plapper, vernünftig und unvernünftig, naiv und altklug. Auch Onkel 
Görg weiß nicht immer ben rechten Zon anzufchlagen; er fpricht nicht ſelten 
über die Köpfe der Kinder hinweg. Die Moral ift oft zu gezwungen und 


4’ 


Augend: und Volksſchriften. 195 


mit zu deutlicher Abfichtlichleit in die Gejchichte werwebt. Die Abbildungen 
find ſehr mäßig colorirt. 


17. Brairieblume unter den Indianern. Kine Erzählung aus bem 
Beten Norb-Amerilas von Eh. U. Murray. Kür die Jugend bearbeitet 
von W. Stein. Mit 8 Kupfern nad Zeihnungen von %. Kosla und 1 
——— 3. Auflage. 8. (390 S.) Breslau. Trewendt. 1867. 
geb. r. 


Das Buch iſt vorzüglich geeignet, den Leſer mit den Sitten und 
Gebräudhen der Indianer befannt zu mahen. Die Rothhaͤute ziehen fich 
immer weiter in die dunklen, den Europäern vorläufig noch unzugänglichen 
Umvälder zurüd. Mancherlei Yabeln haben nun ſchon durch feihte und 
oberflächliche Reifefchriftfieller Eingang auch in die Sugendliteratur gefunden. 
Um fo höber ift ed zu fchäßen, wenn ein tücdhtiger Dann fi daran macht, 
mit Vermeidung alles Wunderbaren und Myſtiſchen der Jugend ein Werk 
zu bieten, welches ein getreues Bild der nordamerilaniſchen Indianerwelt 
giebt. Wir freuen uns des Erfolge. Das Buch liegt in 3. Auflage vor. 
Eine Gitwationslarte trägt fehr zum Berftänpniß bei. Die Ausftattung 
ift fplendid. 

18, Die Windsbraut. Ein Märchen für das reifere Kindesalter von Marie 


Sagenftein. Mit 6 bunten Iluftrationen nad) Zeichnungen von ber Ber- 
fafferin. Breslau, E. Trewendt. 1867. 8. (136 ©.) geb. 1 Thlr. 


Bir haben und an einer anderen Stelle fhon dahin ausgefprocden, 
dag wir das Märhen für eine zwedmäßige Yugendlectüre halten; allein 
wir ftellen an das Märchen auch bedeutende Anforderungen. Mehr noch, 
als die Erzählung, ſoll fie ein Kunſtwerk ſein˖ mit ruhiger, planmäßiger 
Untwidlung der Grundidee. Elfen une PU treten nur da auf, mo fie 
durch die eben ausgeſprochene Forderung bedingt find. Das ift nun bei 
dem vorliegenden nicht der Fall. Abgejeben von der Haft und Unruhe, 
die fih durch Das ganze Märchen zieht, tabeln wir namentlich die Yülle 
des Spuls, die Menge der Waldgeifter u. ſ. w., welde die Verfaſſerin 
auftreten läßt. Wir bezweifeln, daß das Kind von 12 Jahren (und darüber 
hinaus halten wir das Märchen kaum noch für berechtigt) im Stande fein 
wird, ſich durch die vielen Abmwechjelungen hindurchzuarbeiten. Ferner 
liegt ein Fehler in dem gänzlihen Mangel an poetifcher Auffafiung. Gin 
Märhen fol ein Gedicht fein; das ift hier nicht der Kal. Wir wollen 
feinen Zadel darüber ausfprehen, daß fih jo mande Ideen bier wieder⸗ 
finden, die anderen Märchen angehören, heben vielmehr gern hervor, daß 
ſich mandye ganz vortrefflihe Scenen (wir nennen unter anderen Flinks 
Gefang) in dem Märchen finden und daß bie Berfaflerin große Geſchidlich⸗ 
keit in der Darftellung des Slindergeplauders bat; dennoch aber glauben 
wir nicht, daß die Windsbraut eine große Zukunft haben wird, Die Aus: 
ftattung ift recht hübjch. 

19. Das rothe Bud. Aus Kreuz und Freude einer Kaufmannsfamilie von 
Frieder. Ahlfeld. 8..(76 ©.) Halle, Berlag von R. Mühlmann. 1867. 10 Sgr. 

Das Büchlein enthält Epiſoden aus dem Leben eines angeſehenen 

Raufmanns, und läßt namentlih die Erziebungsmarime befjelben erlennen 


13* 


196 Augend- und Volksſchriften. 


und in ihren Folgen betrachten. Gar mandes Wort findet fi) hier ver 
zeichnet, welches verdiente, in die weiteften Kreiſe nicht nur zu bringen, 
fondern dort auch ernftli beachtet und durchdacht zu werden. Schule und 
Leben ftehen in innigfter Wechjelbeziehung, und find doch aud wieder ſehr 
verſchieden. Rudolph Echtermann, der Sohn des Kaufmanns, von dem 
bier die Rede iſt, war in der Schule ein Mufterlind; er erhielt ein Ab- 
gangszeugniß I mit dem Stern befonderer Auszeihnung, Als Lehrling 
im Saufmannsgefhäft erkennt man ihn nit wieder. Der zum Chrgeiz 
oder befler zur Ehrſucht erzogene Jüngling findet das Leben kahl, jhal und 
langweilig; er wird mißvergnügt, geräth auf Abwege und muß ſchon im 
dritten Jahre feiner Lehrzeit unfreiwillig in das Haus feiner. Eltern zurüd» 
fehren. In der Schule Lob über Lob, Auszeichnung über Auszeichnung 
und im Leben? Fragen wir nad der Urſache, jo ift die Antwort nicht 
fhwer. In der Erziehung des Knaben wurden grobe Fehler gemacht. Das 
Kind durfte fih täglih in den Strahlen feines Ruhmes fonnen. Rudolph, 
der Stolz des Vaters, wurde gehätichelt und verzogen, er jpielte eine Rolle 
in feinem Haufe und in feiner Verwandtſchaft; und als er nun in das 
Leben eintrat, als die Lobpreifungen nit mehr in derjelben Weiſe hagel⸗ 
did auf das Söhnden hernieverfielen, da ging’s ihm wie der Pflanze, ber 
der Regen fehlt: Rudolph ließ das Köpfen hängen. Wir meinen, Eltern 
und Lehrer, aber au junge Leute können Biel aus dem Buche lernen. 


20. Abende in Egelund. Erzählungen für bie weibliche Jugend nad bem 
Norwegiihen ber Hanna Windned. Mit 6 bunten Illuſtrationen von 
ln heim. Breslau, Eduard Trewendt. 8. (170 ©.) 1367. 
geb. r. 


J 

Hanna Winsnes iſt die Bram eines norwegiſchen Landpfarrers, des 
Probſtes Winsnes. Sie genießt in ihrem Heimathlande ein bedeutendes 
Anſehen, und zwar fowohl wegen ihrer äſthetiſchen ſchriftſtelleriſchen Ar⸗ 
beiten, als auch des vorzüglichen Kochbuchs, welches fie herausgab. Das 
feine Gefühl, verbunden mit richtigem Takt und praltiihem Blid zeigt ſich 
denn nun auch in anſprechender und erfreuender Weife in dem vorliegenden 
Buche, einem ber jüngften Kinder ihrer Mufe. Es enthält Yamilienbilver, 
welche Egelund, d. h. Eichenhain, zur Heimath haben. Die Majorin Lind, 
welhe neben ber eigenen Tochter noch drei fremde Finder erzieht, erzählt 
der Kleinen Geſellſchaft kleine, nette Märchen oder, wenn man will, ſymbo⸗ 
liche Erzählungen. Hanna Winsnes läßt und zuhören und giebt uns 
badurd Gelegenheit, neben den Erzählungen au bie richtig angebrachten . 
Heinen Grinnerungen der Majorin mit anzuhören. Manche feine Bemer- 
fung nehmen wir aus ben Abenden in Egelund mit hinweg, Was uns 
aber bejonders erfreut, das ift, daß Marianne, Alvilde, Helga und Cons 
ftanze nicht Heine Engel, fondern friſche muntere Mäbdchen find, wie fie das 
Leben mit ji bringt, und nicht wie fie im Kopfe jo mander Erzählerin ſich 
geftalten: zu gut oder zu fchleht, um für diejes Leben zu pafien. Wir 
danlen den unbelannten Ueberjegern für bie anmuthige Bereiherung un: 
ſerer Jugenbliteratur. 





Jugend und Volksſchriften. 197 


21. Erzählungen von Lonife Pichler. 
1. Bfarrer und Kriegsmann ober ber Herr bat alles wobl gemadit. 
Eine Erzählung für die Jugend und das Voll. Mit 1 Titellupfer, 
Stuttgart, Gebrüder Scheitlin. 74 Ngr. 
2. Der Steinmet von Speier. Ein Karlsfhüler. Zwei Er 
aähltmgen für die Jugend und das Voll. Mit 1 Titellupfer. Stutt- 
gart, Gebr. Scheitlin. 74 Nor. 


„L. Pichler verfteht es meifterbaft, deutſche Männer in ihrer Größe 
zu zeichnen.” Diefem Urtheil von H. Nolfus fchließen wir uns gern an. 
Wir haben es beftätigt gefunden aud in den beiden vorſtehenden Bändchen, 
namentlid im zweiten. ‚Der Rarlsfchüler” und ber „Steinmetz“ jind nit 
Berfonen von geſchichtlicher Bedeutung, aber große hiſtoriſche Perſönlich⸗ 
feiten greifen mannigfah in die Geſchichte ein, und die Art und Weiſe, 
wie die Berfaflerin fie handelnd auftreten läßt, zeugt won feinem Verftänds 
niß für Zeiten und Charalteree Nr. 1 führt ung ein in die Zeit des 
breißigjährigen Krieges mit feinen Gräueln und Plagen. Etwas fparjamer 
hätte die Verfaſſerin bier wohl fein können mit religiöfen Betrachtungen, 
Uebermaß ſchadet auch beim beften Mittel, 


22. Erzählungen von W D. dv. Born, Verfafler der Spinnſtube. Jedes 
Bändchen mit 4 Abbildungen. & 74 Sgr. Wiesbaden, 3. Niebnere. 
1. Die legte Ghazwah ober Sclavenjagd. 
2. Der Lumpenſammler von Bari. 
3. Gottes Finger. 


Auch dieſe drei Erzählungen fchließen fih würdig den vielen vorauf- 
gegangenen des beliebten und fleißigen Augendicriftitellere an. Beſonders 
gelungen ift Nr. 1. Nicht nur ift die Geſchichte an und für fi vorzüg- 
lich, fie gewinnt noch bejonderen Werth durch die eingeflochtenen geogras 
phiſchen und naturhiſtoriſchen Schilderungen, die, mit Ausnahme ver 
PBalmenbefchreibung, wo einmal Zweig ftatt Blatt gejagt ift, völlig correct 
find, und deren Ginflehtung fo naturgemäß geichieht. daß fie als noth⸗ 
wendige Beſtandtheile der Erzählung angefehen werden können. 

23. Erzählungen einer Großmutter fir Meine Knaben unb Mädchen 
von Eonftance von Specht. 8. (IV u. 94 ©.) Kaflel. Verlag von 
3. ©. Luchhardt. cart. 12 Sgr. 

Dies Büchlein enthält 25 Heine Erzählungen für Kinder von 6 bis 
10 Jahren. Sie find mit Gefhid erzählt und wohl geeignet, Kleinen 
Kindern Freude zu madhen. Nr. 8, „der Zerftreute‘‘, hätten wir aber 
lieber nicht in der Sammlung gefunden; fie ift zu einfältig, um Glauben 
zu verdienen. 

24. Die Gefhwifer von Marienthal. Eine Erzählung für. bie Jugend 
von Guſtav Plieninger. 3. Auflage. 8. (110 S.) Stuttgart, Chr. 
Belfer. 1866. 

Eine Negergefhichte. Sie erſchien im Jahre 1839 als erſte Erzaͤh— 
Iung der „Weihnachtsblüthen“ des Verfaſſers, und hat überall freundliche 
Aufnabme gefunden. In der That verdient die anmuthig und mit vieler 
Waͤrme gefchriebene Erzählung einen Platz in jeder Jugendbibliothek und auf 
dem Weihnachtstiſch für Kinder unter 12 Jahren. 


198 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


25. Das Pfarrhaus zu Laneton. 1. Theil: Zu Haufe Eine Erzihluug 
für jüngere Töchter von ©. Sewell. Bon der Berfafferin autorifirte 
beutihe 2. Auflage. 8. (168 ©.) Stuttgart 1566. Drud und Verlag 
von I. F. Steintopf. 12 Ser. 

Enthält die Geſchichte einer jungen Waiſe, welde von einer abeligen 
"Dame uboptirt und fpäter wegen eines begangenen Ungehorſams in ein 
Inftitut gebradt wird. Daneben gewährt die Erzählung nun einen Eins 
blid in das Familienleben des Pfarrerd zu Laneton. Das Bud ift aus 
dem Englijhen überjegt, und bat in der That die meiften Vorzüge und 
Fehler der engliihen Jugendliteratur überhaupt. Bu den erfteren rechnen 
wir die forgfältige Vermeidung aller Knalleffecte; zu ven letzteren das ein= 
geflodhtene trodene Moralifiren. In unferer Jugendliteratur kommt ders 
gleihen nur noch vereinzelt vor. Man bat längit erfannt, daß moralifche 
Auseinanderfeßungen, reihlih geipidt mit Bibelfprühen, nichts nüßen, 
wohl aber die Jugend gewöhnen, gedantenlos und flüchtig zu leſen; und 
das halten wir für eine äußerft bevenklibe Sache. Hervorzuheben ift bie 
Geſchicklichkeit, mit welcher in dieſer Erzählung anjcheinend geringfügige 
Dinge zu bedeutungsvollen Momenten erhoben werben. 

26. Deutihe Iugend- und Bolksbibliothet. Mit je 1 Holzichmitttafel. 
gr. 16. Stuttgart, J. F. Steintopf. cart. & } Thlr. Seebilber. (104 ©.) 
Sriminalgefhichten aus älterer und neuerer Zeit von K IB. 
(147 ©.) Sefsinten von ber Altmühl von K. Stöber. 

Das erfle Bändchen erzählt mehrere Schiffbrüde, den Brand der 
Auftria, und giebt einige Belehrungen über den Wallfiſchfang. Wir hätten 
gern aud ein Gapitel über das Rettungsweien zur See gehabt; denn 
wenn irgend wo, fo zeigt fich hier der Ernſt des Seelebens und die Auf: 
opferungsfäbigleit des Menſchen im Dienfte der Humanität. Bir wünſchen 
dem gut gejchriebenen Buche eine zweite Auflage; vielleicht wird's dann 
in unjerem Sinne ergänzt. 

Die „Criminalgeſchichten“ halten wir ihrer Natur wegen nicht für eine 
geeignete Jugendlectüre. Moͤrder, Räuber und gemeine Spißbuben braucht 
man der Jugend nit in ausführliden Charalteriftifen vorzuführen, für 
Grwadjene ift das lehrreih, die Jugend bat Befleres zu thun. 

Die „Geſchichten von der Altmühl“ fchließen ſich den befannten Er 
zäblungen von K. Stöber vortheilfaft an; fie können beftens empfohlen 
werben. 

27. 1001 Nacht. Die Ihönften Märchen ber 1001. Nacht. Für bie Ingend 
bearbeitet von Franz Gefmann Mit 16 colorirten Bildern in Farben- 
drud. 5. unveränberte Auflage. gr. 8. (373 S) Stnttgart, Schmidt 
nub Spring. 1867. cart. 2 Thlr. 

Cine verfändige Auswahl aus den großen indiſchen Maͤrchenſchatz. 
Alles Anftößige ift natürlich entfernt, und jo kann das Buch allen denen, 
welche ihren Rindern eine phantafiereihe, anregende und belebenbe Lectüre 
geben wollen, teftens empfohlen werden. Die Ausftattung ift recht gut. 
28. Soffmannd neuer beutiher Iugenbfreuub für Unterhaltun 

En Bereblung ber Jugend. Ya > 1866. u ielen Mbbilbungen, 

gr. 8. (IV u. 572 ©.) Stuttgart. ag von Schmibt und Spring. 

1866. In engl. Einb. 2 Thlr. 


Jugend⸗ und Volfsichriften. 199 


Der neue deutihe Jugendfreumd enthält Erzählungen, naturgefchicht: 
liche, geographifche und gefchichtlihe Charalterbilder, Gedichte, Räthfel ıc. 

Unter Hoffmanns Schriften fleht der Jugendfreund oben an. Manche 
gute und lehrreihe Abhandlungen mit zum Theil ausgezeichneten Bildern 
finden fih darin. Was die Erzählungen anlangt, jo können wir leider 
nur unfer ungünftiges Urtbeil wiederholen. Es märe zu wünfchen, daß fie 
im QJugendfreunde fehlten; wir würden dann das Buch wärmer empfehlen 
fönnen. 

In der Beichreibung des Wolfes vermißten wir das harafteriftifche 
Artenmertmal; fonft find uns in dieſem Jahrgange keine Fehler aufgefallen. 
Beſonders interellant ift die Beſchreibung der Silberbergwerle in Freiberg. 
Pepita hätten wir fehlen laſſen. 


29. Ein Märchenbuch von Hermann Kletke. gr. 16. (308 ©. mit 8 
cof. Steintafeln.) Berlin, Plahn'ſche Buchhandlung. 1867. 1 Thlr. 


Ein Theil diefer Märchen hat ſchon vor langen Jahren feinen Einzug 
in die Kinderwelt gehalten. Sie find mit Liebe aufgenommen worden, und 
wir dürfen voraus jagen, daß das auch jeßt im Verein mit den neu hin: 
zugelommenen gejchehen wird. Die einfahe Sprade und naive Anſchau⸗ 
ungsweiſe wird die jugendlichen Herzen mit Sturm erobern. Ausftattung 
recht gut. 

30. Aus Gebirg und Thal. Erzählungen, Sagen und Märden für bie 


Zugend von Emma vom Rhein. Mit 6 bunten Illufteationen von 
: beim. 8. (159 ©.) Breslau, Berlag von Ed. Trewendt 1867. 
T. 


Das Bud enthält 10 Erzählungen von mäßigem Umfange, die den 
verſchiedenen Kategorien angehören, melde im Zitel genannt find. Der 
Vortrag ift einfah und edel. Die Sagen find mit gutem Geſchmack aus: 
gewählt. Das Buch wird fleißigen Rindern eine angenehme Lectüre bieten, 
Auch die Ausſtattung ift tadellos. 


31. Iugenbbibliothet, bearbeitet von einem Vereine von Yugenbfreimben. 
Herautgegeben von 3. Kettiger, E. Dula und G. Eberhard. Züri, 
Fr. Schultheß. Frankfurt a. M., Verlag flir Kunft und Wiſſenſchaft. Seit 
1862. 


Dieſe Jugendbibliothek erjcheint in drei Abtheilungen, von denen bie 
erfte in drei Stufen zerfällt, jede ver beiden folgenden aber nur eine bildet. 
Sie it für Knaben und Mädchen berechnet, jo jedoch, daß immer ein Heft 
entweder für jene oder für dieſe beftimmt if. Die erjle Abtbeilung ift für 
Kinder bis zum zwölften Sabre, die zweite für Kinder von 13 und 14 
Jahren, die dritte für Kinder vom 15. Jahre an beredinet. Die Aufgabe, 
weiche fih die Herausgeber geftellt haben, geht dahin: „allmählih alle 
Gebiete des Wiſſens und des Lebens, mit denen die Yugend vertraut 
zu maden eine vermünftige und wohlberechnete Erziehung beftrebt fein wird, 
zus Beiprehung zu bringen.“ Ben aligemeinen Charakter, melden bie 
Jugendbibliothet tragen foll, bezeichnen bie Herausgeber mit dem Jahn'ſchen 
Motw: „friſch, froh, fromm und frei”, Bon der erſten Abtheilung find 





200 Jugend⸗ und Volksſchriften. 


bis Ende 1866 5 Baͤndchen, von der zweiten 10 Bändchen, von ‚der 
dritten 13 Bändchen erjchienen. Jedes Bändchen umfaßt circa 144 Seiten 
(16.), bat wenigftens eine Abbildung (Titelbild) und koſtet cartonirt 6 Sgr. 
Jedes Bändchen ift auch einzeln zu baben. 

Mir haben mit großem nterefie Kenntniß von dem Unternehmen 
genommen und uns überzeugt, daß der Jugend für alle Lebensftufen darin 
eine ſehr angemefiene, zum großen Theile ganz vortrefflide Geiftesnahrung 
dargeboten if. Schon der Plan, der nur in dem Kopfe von Grziebern 
entipringen konnte (ettiger und Dula find Seminarbirectoren, Eberhard ift 
Lehrer in der Schweiz), ift vortrefilih, und die Ausführung entſpricht dem⸗ 
jelben. Eine Reihe der tüchtigften AJugendfchriftfteller haben außer den 
Herausgebern Beiträge geliefert. Gin Theil der Aufſähe behandelt Gegen: 
ftände, Begebenheiten und Perjonen der Schweiz, woraus der ſchweizeriſchen 
Jugend ein erheblicher Vortheil erwächſt; aber alle find doch jo gehalten, 
daß auch die deutſche Jugend fie mit Intereſſe lefen wird. 

Wir wünjhen dem Unternehmen den beiten Fortgang. gab 

üben. 


32. Ehre Bater und Mutter! Kurzer Unterricht für Knaben und Mäbchen 
x über das vierte Gebot Gottes. Nebſt Lebensipiegel für die Jugend und 
einem Anhange auserlejener Morgen-, Abenb-, Meß⸗, Beicht⸗, Kommunione, 
Besper- und anderer Andachten von 3. U. Hilber, weiland Pfarrer in 
Mogdenau. 6. Auflage Mit Approbation ber hochw. Bifhdfe von 
Rottenburg und St. Gallen. Lindan 1866. Berlag von Joh. Th. Stettiner. 

32. 304 ©. mit 1 Stahlſtich. 4 Ngr. 


Der erfte Theil könnte mit Nutzen von allen Kindern gelejen werben. 
Der zweite Theil: „Gebete für Katholiken“, entzieht fih unferer Kritik. 


8. Gedichte. 


38. Edelſtein beutfher Gedichte und Lieder. Mit 2 Wbhilbungen. 8. 
(130 ©.) Stuttgart, I. F. Steinlopf. 1866. 74 Gar. 


Enthält eine gute Auswahl von Haffifhen Gedichten. 


4 Periodiſche Schriften. 
34. Sonntagsfreude. 11. Jahrgang. Freiburg. Herber’ihe Buchhandl. 


Bon der Sonntagsfreude erſcheinen, wie bisher, zwei Ausgaben : 
1) die Ausgabe in 52 mwöchentlihen Nummern; 2) die Ausgabe in 12 
Monatsheften. 

Dieſe Jugendzeitung zeichnet ſich aus durch einen beſonders reichen 
Inhalt:; Erzählungen, Märchen, Schilderungen aus dem Natur und Böls 
terleben, gejchihtlihe und biographiſche Darftellungen, größere und kleinere 
Gedichte, Räthjel, Aufgaben, Anecboten u. ſ. w. mit wirklich guten Illu⸗ 
firationen. Der Inhalt ift aber bei aller Reichhaltigleit auch für das Kind 
geeignet, lehrreih und unterhaltend. Die Erzählungen fließen fih den 
beften biefer Art an. Obwohl das Blatt feinen Tatholifhen Charakter nicht 
verläugnet, jo darf es doch unbebenllih auch proteſtantiſchen Kindern in 








Jugend⸗ und Volfsichriften. 201 


. die Hand gegeben werben. In Nr. 40 befindet fih ein Artikel „Bremer: 
haven“ (nicht Bremerhafen, wie Verjaſſer fäljchlich ſchreibt), der ein interef» 
fantes Guriofum enthält. Verfaſſer erzählt feine Erlebnifje in Bremen, und 
befchreibt die Sehenswürbigleiten diefer Stadt. Dabei paffirt ihm nun das 
Heine Malbeur, daß er, anftatt hervorzuheben, daß das Altarbild der Ans» 
garikirche von Tiſchbein gemalt ift, fagt: „In der Nähe der Ansgarikirche, 
1243 erbaut, mit einem Altarblatt aus Fifchbein, befindet fi ıc. 
35. Freie Gaben für Geift und Gemüth. Zur Erweiterung bes Fonde zu 
Erbauung einer Kirche für Taubſtumme, herausgegeben von Joh. Friedr. 


Jencke, Director der Taubftummen-Anftalt zu Dresden. Achter Jahrgang. 
1865. 6 Hefte à 5 Nor. Leipzig bei Hermann Fritſche, Dresben beim 


Herausgeber. 

Die 6 Hefte, welche uns vorlagen, enthalten des Guten Mancherlei: 
Predigten, Gelegenheitöreven, Biographien, Abhandlungen ıc. Alles ift 
durchweg ernit, aber durchaus nicht ftreng ortbobor gehalten. Die Biogra: 
phie Aleranderd von Humboldt ift recht gut gejchrieben. Der Artitel über 
das Tabakrauchen wird wohl in den Gemohnbeiten der Menfchen nichts 
ändern. Inhalt und Zweck machen die freie Gabe glei empfehlenswerth. 


36. Iugenbblätter für riftlihe Unterhaltung unb Belehrung. Unter Mit- 
wirfung von mehreren Jugendfreunden herausgegeben von Ifabella Braun. 
Mit 6 Stahlftihen unb 6 fein colorirten Bildern. Nah Originalzeichnungen 
von A. Braiy, Franz Kalb und Dar Fürſt. Jahrgang 1866. Stuttgart. 
Gebrüder Sceitlin. 12 Hefte & 48 S. 1 Thlr. 18 Ser. 


Auch diefer Jahrgang enthält eine reihe Fülle guten Lefeftofis für 
die Jugend. Wir heben namentlih die ganz vorzüglide Arbeit von 
U. Forftemeichner, der leider nun auch ſchon zu den Entſchlafenen gehört, 
„Beleuchtung der botanischen Runftfprache”, hervor. Auch die Erzählungen 
find recht gut. Wir empfehlen die Jugendblaͤtter für katbolifche Lefer auf 
das Angelegentlichſte. 


5. Bilderbüder. 


37. Raturhiftorifhes Bilberbuh in 3 Spraden. gr. 4. (11 col. 
Zie weaſein. Stuttgart. K. Thienemanns Verlag (Julius Hoffmann) cart. 
gr. 


Naturhiſtoriſche Gegenftände intereffiren vor allen Dingen das Kind. 
Leider werden aber oft Bilder herausgegeben, welche nur mit Anftrengung 
erratben lafien, was fie vorftellen follen; ſolche Bilder find ſchädlich. Bon 
den vorliegenden kann nun das Gegentheil gejagt werden. in jauberer, 
feiner Ausführung find bier Pflanzen und Thiere dargeftellt, leßtere vor: 
zugsmeile. Das Kolorit ift mit großer Sorgfamteit angefertigt. Colde 
Bilder erfreuen und belehren das Kind, und kann die Anfchaffung daher 
marm empfohlen werben. 


38. NR. Bohny, neues Bilderbuch. Anleitung zum Anjchauen, Denten, 
Rechnen und Sprechen für Kinder von 21—7 Jahren zum Gebraud in 
Kamilien, Kleinkinderſchulen, Taubftummenanftalten ꝛc. Mit 36 Tith. col. 
Tafeln und einer Zeichentafel. 2. Auflage, gr. 4. (8 ©.) Effingen, 
Schraiber. cart. 1 Thlr. . 


202 Jugend- und Bolksichriften. . 


Ob Bohny's Bilderbuch für alle die Stufen und Unterridtsanftalten, 
welche der im Titel angegebene Zeitraum umfaßt, und die dort genannt 
find, ſich eignet, das wollen wir dahin geftellt fein lafien. Gewiß ift es 
aber für 5: bis Gjährige Kinder fehr geeignet. Bohny will durd feine 
Bilder vorzugsweife den Formenſinn pflegen, und bie einfadhften Zahlenbe⸗ 
griffe vermitteln beifen. Zu dem Ende hat er in ſyſtematiſcher Reihenfolge 
je 2, 3, 4 bis 10 Dinge gleiher Art, aber in vielfach verjchiedenen 
Stellungen, neben einander geftellt. Es ift gewiß, daß mander Mutter 
dadurch ein wirklicher Dienſt erzeigt wird, um fo mehr, als durch die vor: 
angedrudte Anleitung und die die Bilder begleitenden Fragen ber Gebraud) 
bes Buches wefentlih erleichtert if. Die Ausftattung des Buches ift 
recht gut. 


6. Volksſchriften. 


39. Lebensweihe für Jungfrauen. Bon &. F. Evertsbuſch, evange- 
liſchen Pfarrer in Yeunep. 8. (315 ©.) Elberfeld, 1867. Berlag von R. 
L. Friedrichs. 2 Thlr. 


Das Buch enthält allgemeine Betradhtungen über die Stellung des 
Menſchen zum Leben und des Lebens zum Menfchen, insbeſondere zur 
Jungfrau. Wahre Religiöfität durchdringt jede Zeile, und doch liegt wieder 
Alles jo fern, was bigott und einfeitig if. Man fieht, daß der Verfaſſer 
ein erfahrungsreiher Mann ift, der das Leben geſehen und verftanden bat, 
und darum gelingt ihm audy in fo zu Herzen fprechender Weife das tröftende, 
ermahnende und warnende Wort. Das Buch ift für heranwachſende Jungs 
frauen eine vorzüglihe Feſtgabe. 


7. Volks⸗Kalender. 


40. Deutfher Volks⸗,Kalender für 1867. Herausgegeben von F. W. 
Gubitz. Mit vielen Hohfchnitten von Demjelben und unter deſſen Leitung. 
33. Jahrgang. Berlin, Vereins⸗Buchhandlung. (F. W. Oubig.) 124 Sgr. 


Mit dem „Kalender ift ein „Jahrbuch des Nügliben und 
Unterbaltenden‘ von demſelben Herausgeber verbunden, das feinem 
Zitel entfpriht. Mit kürzeren, gut erzählten Lebensbildern in mehr oder 
weniger romanhafter Darftellung wechſeln Belehrungen über naturhiſtoriſche 
und andere Gegenftände. Alle Aufſätze find anſprechend und reich illuſtrirt 
buch gute Holzſchnitte. U. Lüben. 


al. Volks-Kalender fir 1867. Herausgegeben von Karl Steffens. 
- 27. Jahrgang. Mit 8 Stahlſtichen und 4 Holzſchnitt⸗Illuſtrationen. Berlin, 
L. Gerſchel. 121 Sgr. 


Der Steffens'ſche Kalender ſtimmt in ſeiner Anlage mit dem Gubitz'ſchen 
überein, indem auch in ihm mit anmuthigen Erzählungen kürzere belehrende 
Aufſaͤtze der verſchiedenſten Art, in denen auch neue Erfindungen beruͤd⸗ 
ihtigt find, abwechſeln, zeichnet fih jedoch wor diefem durch faubere, recht 
liebliche Stahlftihe aus, über die nette Gebichte nähere Auskunft geben. 
9. Lüben. 








Jugend- und Volksſchriften. 203 


42. Evangeliſcher Kalender. Jahrbuch für 1867. Mit Beiträgen von 
Ehriftoffer, v. Grüneiſen, Hartmann, Kallar, Köpke, Krummacher, Lebder- 
bofe, Tübler, Merz, Nöldechen, Dtto, v. Palmer, Ranle, Schmieder, Stein- 
meyer. Herausgegeben von Ferdinand Piper, der Theologie Doctor und 
Brofeffor. 18. Jahrgang. 8. (VI und 221 S.) Berlin, Wiegandt und 
Srieben. 10 Ser. 


Diefer unter Predigern und Lehrern mwohlbelannte und gefhäßte Ralen- 
der enthält außer dem kirchlichen und aſtronomiſchen Kalender 

I. vermifchte Aufſätze, nämlih: 1) Ueber vie Einführung der monu: 
mentalen, insbejondere der chriftlich:monumentalen Studien in den Gyms 
nafialunterriht; 2) Theſen über diefelbe Frage; 3) Johannes der Täufer 
in griechiſchen Kunftvorftellungen. 

I. Lebensbilder zum evangeliihen Kalender, nämlih: 1) Aller Hei: 
ligen. 2) Bolycarpus. 3) Florianus. 4) Duirinus. 5) PBictorinus. 
6) Cuftalius. 7) Die beiden Ewalde. 8) Corbinianus. 9) Claudius von 
Turin. 10) Rudericus. 91) Stantslaus. 12) Anna Askew. 13) Chri: 
ſtoph Schmidt. 14) Bietro Carnefechi. 15) Hugo Grotius. 16 Gott⸗ 
fried Arnold. 17) Die Heidenmiſſion der evangeliſchen Brüder⸗Unität. 
18) Hans Egede. Dann noch zwei Lebensbilder aus der neueren Zeit: 
1) Steubel. 2) Stodfleth. 4A. Lüben. 


VL 
Badagogik 
Bon 
Br. Friedrich Dittes, 


Schulrath und Seminarbirector in Gotha. 


I. Borbemertungen. 


Die mir vom Herrn Herausgeber des Yahresberichtes zur Anzeige und 
Beurtheilung vorgelegten 28 Schriften find der Mehrzahl nad von geringem 
Umfange. Größere Werte find nur in mäßiger Anzahl theild neu probur 
„Art, theils fortgefegt oder neu aufgelegt worden. Jedenfalls war bie Un: 
ruhe der jüngften Vergangenheit den Mufen nicht günftig. 

Die zahlreihen Brofhüren beſchäftigen fi theild mit einzelnen Bar: 
tieen der Theorie oder der Geſchichte des Erziehungsweſens, theild mit ber 
Drganifation beftiimmter Bildungsanftalten, theils mit ſchwebenden Streit: 
fragen der Pädagogik und des Schulregimentd. Syſtematiſche Darftellungen 
größerer Gebiete der pädagogijdhen Wiſſenſchaft liegen verhaͤltnißmaͤßig nur 
wenige vor. 

Immer wieder bat die Volksſchule das Thema für die meiſten 
Schriftftellerifchen Arbeiten gebildet. Doch auch vie häuslihe Erziehung, 
der Kindergarten, die höhere Mädchenſchule, das Gymnafium und die Real: 
Ichule find Gegenftände mehr oder weniger eingehender Darftellungen ges 
weſen. Die Berfafler find fat ſaäͤmmtlich praktiſche Pädagogen; ihre beruf: 
lihe Stellung haben fie in den verjchiedenartigften Erziehungs: und Unter⸗ 
ridhtsanftalten vom Kindergarten bis zur Univerfität. Schriftftellernde Damen 
begegnen ung diesmal drei. 

Wie die Perfönlichleit des Pädagogen einen höchſt wichtigen 
Factor feiner praltiichen Berufsthätigteit bildet, jo macht fi) biejelbe, 
wohl in beſchraͤnkterem Maße, auch bei feiner literariichen Thätigfeit gel- 
tend: der Geift des Autors fpiegelt jih in feinen Schriften ab. Und da 
bas Erziehungsweſen mit focialen, kirchlichen und politiihen Berbältnifien 
unlösbar verflohten ift: fo prägt fi au in der päbagogifchen Literatur 








Pädagogl. . 205 


entweber ein confervatives, oder ein reactionäred oder ein fortfchrittliches 
Etreben ab. Das lebtere äußert fih namentlih in Reformvorfhlägen 
bezüglich der Ginrihtung des Unterrichts und der Unterrihtsanftalten, ſowie 
binfichtlich der öffentlihen Stellung der Schulen und ihrer Lehrer. Nur 
jelten handelt es ſich hierbei leviglih um Geltendmahung der allgemeinen 
Erziehungsgrundſaͤtze, fter zugleih und vorzugsweiſe um Beleitigung bes 
febender und Begründung neuer Verhältniffe des concreten Lebens. Auch 
die diesmal vorliegende pädagogische Literatur enthält zahlreihe Vorſchläge 
zur theilweiſen Umgeftaltung bes bisherigen Erziehungs und. Unterrichts: 
weſens; nicht blos die Volksſchule, ſondern auch Gymnaſium und Realſchule 
ſind in Bewegung. 

Was die Volksſchule betrifft, ſo vollzieht ſich in einem großen Theile 
Deutſchlands, in Preußen, mehr und mehr eine Scheidung zwiſchen Staats⸗ 
paͤdagogit (Regulativpädagogik) und freier (vwiſſenſchaftlicher) Pädagogik. 
Die erſtere nimmt die von dem herrſchenden Regiment gegebene Richtſchnur 
als unbedingt giltig an und ſucht derſelben die geſammte Schulpraris ans 
zupafien und zu unterwerfen. Die andere ſucht durch felbftändiges For⸗ 
chen, freies Denken und Prüfen eine Meberzeugung von dem Werth 
oder Unwerth pädagogischer und bivattiiher Maßnahmen zu gewinnen und 
diefer Weberzeugung gemäß die Praris zu beftimmen. Der erfteren gilt die 
Autorität, der lebteren die Wahrheit ala Norm. 

Eine brennende Frage bildet noch immer die Stellung der Schule zur 
Kirche, oder richtiger: das Recht der Aufficht des Geiftlichen über die Schule. 
Nach meiner Meinung beruht die Forivauer dieſes Streites nicht auf ber 
Schwierigkeit einer theoretiihen und praktiſchen Loöſung diefer Frage, ſondern 
auf der durch die Staatsgewalt geſtühzten Fortdauer des ſtreitigen Verhält⸗ 
niſſes. Die Gründe für und wider die Beauffihtigung der Schule durch 
Geiftlihe find längſt erfhöpft, aber das Refultat des Streites ift noch faft 
nirgends in’die That umgefept worden. Und weil man ein völlig unbe 
rochtigtes und nadıtheiliges Syſtem mit Gewalt aufrecht erhält, fo liegt eben 
bierin ein Stachel, ver die befiere Meberzgeugung fortwährend aufs Neue 
provocirt. Nur über einen Buntt find aud die prinzipiellen Gegner ber 
geiſtlichen Schulauffiht noch nicht einig. Während nämlih Einige, 3. 2. 
Körner („Die Volksbildung“) und Fröhlich („Pädagogiſche Baufteine‘‘) 
den Geiftlihen die Auffiht über den Religions unterricht belafien wollen, 
ſprechen fih Andere, 5. B. Lüben (‚Ueber den Einfluß der Geiftlihen‘) 
auch gegen diefes Stüd der geiftlihen Schulauffiht aus. Ich meinestheils 
bin prinzipiell mit Lüben volllommen einverftanden. Die religiöfe Jugend: 
bildung ift ein ganz weſentlicher Theil der allgemeinen Menſchenbildung, 
nicht blos Aufgabe der Stiche und ihrer Diener; denn der Religiondunter: 
richt wird nicht blos, nicht einmal vorzugsmeife um ver Kirche willen, 
fonden vor Allem um des Menfchen willen ertbeilt. Der pädagogiih ge 
ſchulte Volksſchullehrer muß daher ven Religionsunterricht eben fo gut zu 
ertbeilen verftehen, als den Unterricht in der deutſchen Sprache, im Red» 
nen, in der Geographie u. |. w. Es wird ja in dieſer Beziehung auch 
auf den deutſchen Lebrerfeminaren ſowohl im Unterrichte als bei den Cam 
didatenprüfungen gehörig Sorge getragen. So wenig man nun verlangt, 


206 Padagogik. 


daß den deutſchen Sprachunterricht, den hiſtoriſchen, geographiſchen, natur⸗ 
wiſſenſchaftlichen Unterricht, ferner den Sing⸗ und Zeichenunterricht Gelehrte 
oder Künſtler der betreffenden Fächer beaufſichtigen, fo wenig man ferner 
deshalb, weil in den Schulen auf Geſundheitsverhältniſſe Rüdficht 
zu nehmen iſt, Aerzte zu Sculinfpectoren beruft, jo wenig haben die 
Geiftliden um des Religionsunterrichts willen ein Recht auf Schulinfpection. 
Oder wollen fie ihrerſeits e3 fich gefallen lafien, daß deshalb, weil fie im 
ihrer Berufsthätigleit auh pädagogisch verfahren müflen, ihnen Päda⸗ 
gogen von Fach zu Aufſehern gejeßt werden? Der Geiftlihe muß fich 
jo viel pädagogifhe Bildung erwerben, wie er zur Verwaltung feines 
Amtes braucht, und der Lehrer foviel religiöfe Bildung, als fein Beruf 
fordert. Ueberdies ift ja der Lehrer ſchon als Menih, als Chrift, als 
Hausvater nicht ein Laie in dem, was Rindern von göttlichen Dingen noth 
tbut; auch kennt die evangeliihe Lehre Kein befonveres, fondern nur ein 
allgemeines Prieftertbpum. Daß übrigens außer dem Lehrer noch febr viele 
Leute in die Schule zu reden haben und aud den Geiftlihen eben jo wie 
den Herzten u. |. w. eine berathbende Stimme über das Volksſchulweſen 
zulommt, wird von einem bejonngnen Pädagogen, auch von Lüben nicht, 
in Frage geftellt. Aber Einheit muß im Volksſchulweſen fein, und 
daher müflen Fachmänner, welche alle Aufgaben der Volksſchule über 
bliden und zujammenfafjen, an ihrer Spige ſtehen. Und daß dies recht 
wohl geht, daß dabei au der Religionsunterriht und die Kirche zu ihrem 
Rechte kommen können, ilt thatſächlich erwieſen durch die Organifation des 
Schulmwejens im Herzogtbume Gotha. Man verjuche es nur fo viele Jahr⸗ 
zehnte mit der Auflicht durch Fachmaͤnner, als man es Jahrhunderte mit 
der Aufiiht durch Geiftlihe verfuht hat, dann kann man aud von Sr: 
fahbrung reden, wenn man den PVernunjtgründen fein Gehör ſchenken 
wil, Das aber ift meine unerjchütterliche Ueberzeugung, daß den Pfarrern 
als ſolchen ſchlechterdings Fein Recht auf Schulinfpection Fufteht, und daß 
die für dieſes vorgebliche Recht vorgebrahten Deductionen nad allen Rich: 
tungen bin baltlos find. Das Recht, von weldem bier die Rede ift, 
beruht dermalen lediglih auf Gewalt, d. h. auf Webertragung und 
Schutz durch den Staat, und diefer Gewalt muß fich eben der Volksſchul⸗ 
lehrer fügen, weil er jonft beftraft würde, nit etwa, weil die geiftliche 
Auffiht ihm und der Schule zum Segen gereiht. Kurz: „Der Worte find 
genug gemwechjelt, laßt ung nun endlich Thaten ſehn!“ 


Betrachten wir nun die vorliegenden Schriften einzeln, jo laflen fi 
diefelben unter folgende Ueberſchriften gruppiren: Encytlopädie, Pſychologie 
und Logik, Allgemeine Erziehungslehre, Gedichte des Erziehungsweſens, 
Kleinkindererziehung, Volksſchule und ihre Lehrer, Gymnaſium, Realſchule, 
böbere Mäpchenfchule. 





Pãdagogik. 207 


U. Encyklopädie. 


1. Encyklopäbie bes geſammten Erziehungs- und Unterrichts⸗ 
weſens, bearbeitet von einer Anzahl Schulmänner und Gelehrter, heraus⸗ 
gegeben unter Mitwirkung von Profeſſor Dr. v. Palmer und Profeſſor 
Dr. Wildermuth in Tübingen, von Dr. K. A. Schmidt, Rector des 
Gymnaſiums in Stuttgart. Heft 49—55. Band 5 ©. 769 — Band 6 
S. 480. Gotha, Rubolf Beſſer, 1866. & Heft 12 Sgr. 


Der im 48. Hefte begonnene Artikel „Geſchichte der Paͤdagogik“ ift 
fortgefebt und beendigt, worauf das Werk bis zu dem Artilel „Prüfungen, 
Maturitätsprüfung‘‘, der aber feinen Abſchluß noch nicht erreicht hat, forte 
geichritten if. Die übrigen Artilel der vorliegenden Hefte find folgende: 
Pädagogische Erfahrung (v. Hauber), Pädagogifhes Seminar für höhere 
Schulen (v. Schrader), Pädagogium (v. Hirzel), Paralleltlafien (v. Palda⸗ 
mus), Paſſow (v. Rämmel), Paufe (v. Strebel), Pedanterei (v. Strebel), 
Bennalismus (v. 3. 4. Lange), Penfionat (v. Flashar), Penfionswejen 
(0. Paldamus), Peltalozzi (v. Palmer), Phantafie (v. Deinhardt), Philans 
thropinismus (v. Kämmel), Naturwiſſenſchaften (nadgeträgener Artifel von 
Kirſchbaum), Philologie (v. Hirzel), Philoſophiſche Propädeutif (v. Kern), 
Phrenologie (v. A. Lange), Phyſikaliſcher Apparat (v. Nagel), Phyſiognomil 
(v. U. Lange), Pietismus (v. Palmer), Plato (v. Deinhardt), Plutarch 
Jo. Zelle), Boefie (v. Lechler), Boetit (v. Palvamus), Polemik in ver 
Schule (v. Hauber), Bolitit in der Schule (v. Palmer), Port Royal (v. 
Scmeider), Portugal (v. Le Roy), Präparanden (v. Eiſenlohr), Präparation 
(v. Bäumlein), Preußiſches Volksſchulweſen (v. Thilo), Preußens höhere 
Säulen (v. Wieſe), Brinzenerziehung (v. X.), Privatgymnafium (v. Strebel), 
Brivatlehrer (v. Zelle), Privatfchulen, PBrivatjeminare (v. Bod), Privat 
ſtudium (v. Schrader), Privatftunden der Lehrer und Schüler (v. Heyde⸗ 
mann), Probe, Verfuhung (v. Grube), Probejahr (v. Erler), Productivität 
(v. Paldamus), Programm (v. Erler), Progymnaſium (v. Hirzel), Provin⸗ 
ztalfehulconferenzen (v. Suffrian). 

Es dürfte nunmehr allgemein feftftehen, daß dieſes Werk alle ähnlichen 
bis jest erfhienenen an Umfang und Gebiegenbeit des Inhaltes meit über: 
trifft. Auch im vorigen Jahre hat es, wie obige Ueberſicht zeigt, jeinem 
Brogramm getreu Artilel über alle Theile des Erziehungs: und Unterrichts: 
weſens, über allgemeine Pädagogik und ihre Hilfswiſſenſchaften, über Schul» 
funde, über Geſchichte des Erziehungsweſens und über das gegenwärtige 
Schulweſen einzelner Länder geliefert. Wenn auch dem Merle, wie allem 
Menſchlichen, einzelne Mängel anbaften, und der kirchliche Stanbpunlt meh⸗ 
rerer Mitarbeiter nicht auf allgemeine Billigung rechnen kann, jo ermedt 
doch fa jeder einzelne Artikel durch ftrenge und grundliche Wiſſenſchaftlich⸗ 
feit vollen Beifall. 


II. Pſychologie und Logit. 


2. Die Grundlehren ber Pfychologie und Logik. Ein Leitfaben zum 
Unterridt in biefen Wiflenfchaften fiir höhere Lehranftalten ſowie zur Selbft- 
beiebrung. Bon J. &. Dreßler, Seminaldirector a. D. in Bauten. 

Leipzig, Inlius Klintharbt, 1867. (XIX unb 232 ©.) gt. 8. 20 Egr. 


208 Pädagogik. 


Das legte Merk des Verfafiers. Die „Allgemeine deutfche Lehrerzeitung 
(Jahrgang 1867 Nr. 24) zeigt den Tod defielben mit folgenden Worten 
an: „Am 18. Mai dieſes Jahres ftarb in Baugen (Königreih Sachen) 
der Seminardirector außer Dienft Johann Gottl. Dreßler, ein Lehrer im 
fhönften und umfaſſendſten Sinne des Wortes, ein Meifter in der Pädagogil 
und Unterrihtskunft, tief betrauert von feinen ehemaligen Collegen und 
Schülern. Durch feine Mitarbeiterihaft an Dieſterweg's Jahrbuche und 
anderen Beitjchriften, namentlich aber durch feine Verarbeitung des Benele'ſchen 
pſychologiſchen Syſtems nad den verfchiedenften Richtungen bat fi) Dreßler 
in der ganzen deutſchen Lehrerwelt einen Namen gegründet, der in ber 
Geſchichte der Pädagogik unvergeplich bleiben wird.‘ 

Referent, der mit dem Entjchlafenen durch wiflenfchaftlide und per 
jönlide Bande eine lange Reihe von Jahren in die engfte Verbindung 
geſetzt war, muß fich bier darauf befchränten, die innigfte Zuftimmung zu 
obigen Worten auszufprehen. Nicht blos aus Pietät, fondern aus objec» 
tiver Meberzeugung legt er auch dem bier angezeigten Buche Dreßler's einen 
boben Werth bei und rechnet er es zu dem Beflen, was biefer . Bädagog 
gef&hrieben hat. Die Fürfehbung Hatte ihm geftattet, noch einmal in unge 
trübter Geſundheit feine volle Kraft zur Vollendung dieſes Werlchens zu 
concentriren. 

Das es enthält, ſagt der Titel zur Genüge. Auch ift Drebler’s 
wiſſenſchaftlicher Standpunkt, fomwie die Klarheit feiner Darftellung in ber 
paͤdagogiſchen Welt längft belannt. Referent bat an dem vorliegenden 
Buche einen befonderen perfönlichen Antheil, weil daſſelbe auf feine Anregung 
.entitand. Da ih nämlich überzeugt bin, daß der Vollsſchullehrer unferer 
Zeit mit den Grundlehren der Pſychologie und Logik vertraut fein müſſe, 
da mir aber feines der vorhandenen Lehrbücher für denjelben recht zu paſſen 
ihien: fo ſprach ich gegen Dreßler ven Wunſch aus, die vorhandene Lüde 
auszufüllen. Ich hatte dabei vor Allem die Bebürfnifje des meiner Leitung 
anvertrauten Lehrerfeminars im Auge, und wünſchte vemgemäß ein Büch⸗ 
lein, welches alles Wefentlihe aus dem Gebiete der Piychologie und Logik 
kurz und bündig zufammenfaßte und möglichſt billig wäre. Diefe Zmede 
möchten durch vorliegende Schrift, welche ſich zugleich zum Selbſtſtudium voll: 
ftändig eignet, erreicht fein. Dem Berfafler ſtanden nicht nur die reihen Erfah⸗ 
rungen einer langjährigen Berufsthätigleit im Dienfte der Lehrerbildung zu 
Gebote, jondern er hatte auch durch feine gefammte frühere jchriftitelleriiche 
Thaͤtigkeit den fiheren Blid und die klare Durkbildung gewonnen, welche 
zur Abfaſſung populär gehaltener und kurzgefaßter Lehrbücher unentbehrlich 
find. Daß das vorliegende Buch auf dem Spftem Beneke's ruht, bedarf 
faum erft der Erwähnung. Nun bin ich zwar keineswegs ber Meinung, 

daß alle philofophifhen Leiftungen vor Beneke gering anzufchlagen feien, 
oder daß Benele alle Rätbjel des menſchlichen Seelenlebens für jede Zus 
kunft endgiltig gelöft habe; aber aus einem langjährigen und eingehenden 
Studium der Philoſophie habe ich die fichere Meberzeugung gewonnen, daß 
die Lehre Benele’s einen fehr weſentlichen Fortfchritt in der Erkenntniß des 
menſchlichen Seelenlebens begründet hat. Diefe Thatſache findet denn auch 
in immer weiteren Kreijen Anerlennung, und bereits wird aud auf beutjchen 








Pidagogil. | 209 


Hochſchulen dem Syſtem Benele’s eine eingehende Würdigung zu Theil. 
Namentlich aber möchte für den Pädagogen überhaupt und für den Polls: 
j&ullebrer insbeſondere von allen bisherigen Darftellungen der Piychologie 
und Logik feine fo verfländlih und fruchtbar fein, als die Benele'ſche. 
Dreßler war befanntlih ein ganz entfchievener Anhänger feines Meifters, 
und ich felbft babe ihm mehrfach angedeutet, daß er nad meiner Meinung - 
im Lobe Beneke's und in der Kritik anderer Philoſophen zu weit gebe. 
Auch hatte ih, als es fih um Abfafiung des oben angezeigten Buches 
handelte, ausprüdlih den Wunſch ausgeſprochen, gewiſſe eigenthümliche 
Hypotheſen Benele's nicht allzuſtark zu betonen, ſowie den Sprachgebrauch 
dieſes Philoſophen moͤglichſt durch den allgemein üblichen zu erſetzen. Dreßler 
war jedoch durch die vielfachen und ſicher zum allergroͤßten Theile grund⸗ 
loſen, auf, Vorurtheilen und mangelhafter Sachkenntniß beruhenden Angriffe 
gegen Benele fortwährend veranlaßt, die Lichtſeiten der Lehre dieſes Forſchers 
mit Nachdrud hervorzuheben und zu vertheidigen. Er fühlte dazu einen um 
fo lebhafteren Trieb, je mehr fih das von ihm angenommene Syftem in 
einer langjährigen und höchſt erfolgreihen Berufsthätigleit als praktiſche 
Norm bewährt hatte. Demgemäß bat er denn auch in feinem lebten Buche, 
wenn aud mit möglichiter Berüdfichtigung der von mir ausgeſprochenen 
Wünſche, feinen Standpunct entſchieden feitgehalten. Giniges wünfchte ic 
noch anders, namentlich kürzer. Aber der Lejer ift ja überall auf eigene 
Prüfung angewiejen; nirgends wird ihm zugemuthet, von bloßen Hirnge: 
fpinfien auszugehen: er kann aljo, mwenigflens vorläufig, zur Seite ftellen, 
was ihm zweifelhaft oder gegen feine eigenen Erfahrungen und Beobach⸗ 
tungen zu verftoßen fcheint. Minveftens wirb er in bem angezeigten Buche 
eine treue Darfiellung der Grundſätze Benele's finden und fih aljo ein 
ſelbſtſtaͤndiges Urtheil über diefelben bilden können; aud wird er feine 
Hauptlehre der Pſychologie und Logik vermifien, und id müßte in ber 
That keinen anderen Leitfaden zu nennen, an welchem ver viel beichäftigte 
Vollsſchullehrer auf fo gebahntem Wege in dieſe Wiſſenſchaften eindringen 
könnte, ald an dem vorliegenden, ber fich zugleich durch einen jehr billigen 
Breis empfiehlt. 


IV. Zur ſ allgemeinen Erziehbungslehre. 


3. Grundzüge der — und Bildung für das beutide 
Haus. Bon Dr. Friedrich Kübler. Zweite Sitte. Hamburg, Agentur 
des Rauben Haufes. 1866. (XXI unb 120 S.) gr. 8. 12 Sgr. 


4. Gedentblätter aus Dieflerweg’s Schriften. Bon Dr. H. Keferftein. Leipzig, 
Zulins Klinfharbt. 1867. (58 ©.) 8. 5 Sgr. 


5. Pädagogiſche Diſtichen von Dtto Sutermeifter. Züri, Friedrich 
Schulibeb. 1866. (32 ©.) 16. 


Gin wiſſenſchaftlich foftematifches Wert über allgemeine Pädagogil 
liegt diesmal nicht vor. Von den drei foeben aufgeführten Schriften will 
die erſte eine populäre Darftellung der wichtigſten GErziehungsfragen geben, 

Pab. Jahresbericht. XIX. 14 


210 Pädagogik. 


die beiden anderen enthalten kurze Ausfprühe über einzelne Begenftände 
der Pädagogil. 

Nr. 3. ift nunmehr vollendet. Die erfte Hälfte diefes Buches ift bes 
reits im 17. Bd. des Jahresberichts zur Anzeige gelommen. Die vor: 
liegende zweite Hälfte behandelt in Abſchnitt 11—17 „vie Päbagogil der 
Gegenwart und die Signaturen der Zeit. Charakter des deutjchen Familien: 
lebens. Die Erziehung der Stände und Geſchlechter. Das Verhältniß der 
Schule zum Haufe, zum Staate, zur Kirche. Das Berhältniß der Erziehung 
zur Bildung. Die verſchiedenen Yundflätten der Bildung. Die Gefahren 
und Berirrungen. Die Förderniffe und Hemmungen. Das religiöfe Zeben. 
Die Hriftlih: Erkenntniß und Bildung. Bon der gefhlechtlihen Bildung. 
Bon der ſprachlich⸗literariſchen Bildung. Bon der äftbetifhen Bildung. 
Die naturwiſſenſchaftliche Bildung.’ — Das Buch macht einen fehr wohl: 
‚thuenden Eindrud. Der ftrenggläubige Standpunkt des Berfafiers tritt 
nirgends als engherziges und ftarres Kirchenthum, ſondern überall als 
innige Frömmigkeit eines geläuterten Gemüthes hervor. Die Tendenz des 
Buches, das wichtigfte aus der Pädagogik größeren Kreifen, namentlich ges 
bildeten Vätern und Müttern, belannt zu maden, verdient gewiß unges 
tbeilten Beifall. Denn alle Schulen und alle Lehrer werden balb vergeblich 
arbeiten, Jo lange andere Leute kein Verſtäaͤndniß und Intereſſe für Gr: 
ziebung und Unterriht haben und es an Unterſtützung und Mitwirkung 
fehlen lafien. Das Popularifiren der Erziehungswiſſenſchaft ift nun aber 
feine leichte Aufgabe und wird vielfah von Unberufenen unternommen. 
Hier aber liegt uns ein Werkchen vor, deſſen Verfaſſer fih durchgängig als 
ein gediegener, vielfeitig gebildeter und für alles Edle ermwärmter Pädagog 
zeigt, und deſſen Styl Würde mit ſchlichter Eleganz vereinigt. 

Nr. A ift eine bereits in der „Allgem. deutſchen Lehrerzeitung“ abges 
drudte Sammlung von Ausſprüchen Dieſterweg's. Diejelben find unter 
folgende Weberfchriften georpnet: ‚Aus Diefterweg’8 Leben. Religion und 
religiöfe Bildung. Weber öffentlihes Leben, Gemeinfinn und Standeser- 
ziehung. Biychologifch » Pädagogifhes. Divaktifch: Methodiſches. Ueber 
Lehrer. Winke für Lehrer. Ueber Schulen, ihren Bwed, ihre Arten. 
Ueber Univerfitäten und academifches Studium. Lehrerſeminare. Weib⸗ 
lihe Erziehung. Kindergärten. Die Schule in ihrem Berhältniß zur Fa⸗ 
milie, zum Staate und zur Kirche. Ausſprüche verjchiedenen Inhalte.” — 
Im Borworte jagt der Herausgeber dieſer Sammlung: „Wenn fid) in ben 
einzelnen Rubriken, unter denen die folgenden Ausſprüche Dieflerweg’s 
zufammengeftellt find, mande inneren Widerjprüdhe finden oder doch zu 
finden feinen, jo möchten wir diefen Umftand daburd begründen, daß 
wir unfere Excerpte aus den Schriften der frühelten wie der fpäteiten 
Periode der fchriftftelleriihen Thätigleit des Mannes entlehnt haben. Gerade 
eine ſolche Verſchiedenheit der Auffafiung pädagogifcher Fragen im Verlaufe 
einer langjährigen Wirtfamleit zeigt uns den wnabläffig nah Wahrheit 
ſuchenden, nit auf den unbebingten Befiß derjelben pochenden Forſcher; 
und Forſcher wollte Diefterweg im Sinne Leſſing's um jeden Preis fein.” 

Hiermit glauben wir den Charakter und den Werth bed vorliegenben 











Pädagogik. 211 


Shrifthens binlänglidy bezeichnet zu haben und können alfo jede befondere 
Empfehlung unterlafien. 

Nr. 5 berührt einzelne Gegenftände des Erziehungsweſens, z. B. bie 
Aufmertjamleit, das Beilpiel, das Vorbild, die Freiftunden, die Heiterfeit 
des Geiftes, die Kinderlieder, die Lehrbuchfabrication, den Lehrton, den 
Leichtſinn, die Macht der Liebe, die Methoden, die Spiele, Schule und 
Leben, Sculprämien, die Wahrhaftigkeit u. |, w., um im Erzieher und 
Lehrer eine poetiſche Auffafiung feines Berufes und Begeilterung für den, 
felben zu erweden. Es offenbart fich in diefen Diſtichen eines fchweizerifchen 
Lehrerbildners eine finnige Denkungsweiſe und eine edle Begeilterung für 
die Bildung des aufwachſenden Geſchlechtes. Aur näheren Charakteriſirung 
bier eine Probe: 

„Wahrer Beruf”. 

„zrauriges Cinerlei des Lehrerberufs!” Wer fo klagt, 

Klage nur felber fih an, daß er fein Leben verfehlt. 

Wohl in geregelter Form und Norm bewegt fih des Lehrers 

Tagewerk; doch das Geſezt giebt ja die Freiheit allein. 

Drum wer wahren Beruf in ſich fühlt, der giebt feines Geiftes 

Unverlümmerte Fuͤll' in die gebotene Form. 

Immer mit neuem Reize geftaltet jein Wort ſich ibm jelber, 

Immer erneuerte Luft eignet er glüdlih ih an, 

Und wie er ſtets ſich felber verjüngt erjcheinet im Geben, 

Alfo gewahrt er auch ſtets neu des Empfangens Begier; 

Unerfhöpflih ermahnt er in ſich den göttliden Urquell, 

Ewig fih ſehnen danach ſieht er des Menſchen Gemüth. 


V. Geſchichte des Erziehungsweſens. 

6. Geſchichte der deutſchen Pädagogik im Umriß. Bon ben älteſten Zeiten bid 
zur Gegenwart. Von Dr. ert Wittſtock. Leipzig, Julius Klinkhardt, 
1866. 180 ©. gr. 8. 21 Sgr. 

Der Anhalt dieſes Buches ift folgender: „Begriff der Geſchichte der 
deutſchen Pädagogit. Die vorhriftlide Erziehung. Die chriſtliche Päda⸗ 
gogit. Die Höfterlihe Erziehung. Von Karl dem Großen bis zum elften 
Jahrhundert. Die ritterlihe Erziehung. Die bürgerlihe Erziehung. Die 
Univerfitäten. Die claffifhen Studien. Die Reformation und ihre Pä- 
Dagogen. Gntftehung der Bollsfhulen. Trotzendorf. Sturm. Neander. 
Das 17. Jahrhundert. Ratich. Gomenius. Die Pädagogik des Jeſuitis⸗ 
nus. Die Paͤdagogil des Pietismus. Uebergang zur neueren Pädagogik. 
Die deutſche Aufklaͤrung. Friedrich der Große. Die Pädagogik des Phi: 
Lanthropinismus. Das 18. Jahrhundert: Rochow. Die Pädagogik des 
Humanismus. Peſialozzi. Die deutſchen Geiftesheroen und ihr Einfluß 
auf die Bäpagogit. Die Paͤdagogiler des Vollsſchulweſens: Schwarz, Niemeyer, 
Seiler, Stephani, Dinter, Denzel, Zerrenner, Harniſch, Dieftermeg, Grafer, 
Graͤfe, Zeller. Yröbel und die Kindergärten. Das gegenwärtige Volle: 
ſchulweſen. Das Belehrtenihulmeien. Die Pſychologen und Anthropologen. 
Die Löfung der päbagogifchen Streitfragen.“ — 

Der Berfafier ſcheint ein ftrebfamer junger Dann zu fein, welder 
in Zukunft etwas Gebiegenes leiftlen könnte, wenn er ſich erſt ſelbſt in 


14 


212 Pädagogik. 


Ruhe gehörig durchbildete und abllärte. Will er dies nicht, fo dürfte feiner 

Schriftftellerei keine glänzende Zukunft beſchieden ſein. Vor Allem muß er 

fi über feine literarifhen Leitungen feine zu hohe Meinung maden. Gr 

fagt im PVorworte zu dem vorliegenden Buche: „Nachdem meine übrigen 
pädagogifchen Schriften die Prüfungen folcher Kenner, deren Einfiht und 

Ehrlichkeit außer Zweifel, überftanden,, hoffe ih auch die vorliegende Auf 

gabe gelöft zu haben. Wenn ihm aber auch meine Einfiht und CEhrlich⸗ 

keit nicht außer Zweifel fein follte, fo muß ich ihm doch ganz offen geftehen, 
daß ich von feiner Löfung der vorliegenden Aufgabe nicht ſehr erbaut bin. 

Geſchichte der Pädagogik ift keine leichte Sache, und an Darftellung der: 

jelben follten ſih nur Männer von gereifter Bildung und auch ſolche erft 

nah vieljährigen ernften Studien verfuhen. Das Buch von Wittjiod 
macht aber den Eindrud, als fei es in wenigen Moden ohne viel Ueber: 
legens aus einigen größeren Werken zufammengejchrieben. Denn die Ueber 
einftimmung ift vielfach eine fehr auffallende, nicht blos binfichtlih bes 
hiſtoriſchen Stoffes, fondern auch binfihtlih des Raiſonnements und des 

Ausdruckes. Im Ginzelnen kommen zahlreiche Stellen vor, die als Belege 

dienen, daß es Herr Wittflod mit der Gedankenbildung und dem Gedanken⸗ 

ausdrud ſehr leiht nimmt. „Die Aftronomie bat zum Gegenflande ben 

Bau und die Ordnung des Meltalle, die Mepdicin die Structur 

und VBerrihtung des menfhlihen Körpers” (©. 1). „Das 

Unterrihtswefen trägt da3 ganze Leben und die wahre Stärke und Madıt 

unferer Nation in fih” (6.2). Dagegen: „Denn Familie, Staat, Religion, 

Sitte, Gejeß, das ganze Voll, andere Völter, kurz die ganze Unendlichkeit 

bes Lebens ift es ja, wodurch fi) das Sein und Werben eines einzelnen Men: 

ſchen begreifen läßt” (S. 3). „Die geiſtlich⸗ſcholaſtiſche Erziehung culmi⸗ 
nirte in den fieben freien Künften des Geiftes; bie ritterliche Erziehung 
nahm die fieben freien Künfte des Körpers hinzu: Reiten, Schwinmen, 

Pfeilſchießen, Fechten, Jagen, Shahjpielen und Verſemachen“ (E. 

29). Sind denn Schadjfpielen und Verſemachen RKünfte des Körpers? 

— „Zuletzt wurbe er (Sturm) wegen religiöjer Streitigleiten feines Amtes 

enthoben. 1589 ftarb der kräftig gebaute, mittelgroße, liebenswürbige und 

ernfte, entjchlofjene und thätige Mann’ (5. 56). — Sole und ähnliche 

Säße erregen denn doch erhebliche Beventen gegen des Berfajlers Art zu 

denken und zu fchreiben. Man kann ihm aber feine Schwädhen um jo 

weniger ftillihweigend bingeben lafien, als er fie jelbit nicht zu ahnen 
fheint, und je mehr man berechtigt ift, Beſſeres von ibm zu erwarten, 
wenn er nur eine ftrengere Zucht über ſich jelbit übt. 

1. Bon den Anfängen des Schulzwanges. Feſtrede zur Feier bes 
Stiftungstages der Hochſchule Zürich am 29. April 1865 gehalten von bem 
zeitigen Rector Prof .DE. Max Büdinger. Zürich, Orell, Füßlinu. Somp., 
1865. 57 ©. gr. 8. 15 Ser. 

Diefe Feftrede verjeßt uns in bie Zeiten Karls Des Großen, deſſen 
Bemühungen um eine wahrhafte Vollserziehung bargeltellt werben. Der 
Inhalt ift zum größten Theil aus nicht allgemein belannten Quellen ge: 
Ihöpft; ver Rede felbft folgen ſehr umfängliche gelehrte Beigaben über 
Gegenftände, melde wit dem Thema zujammenbängen. Das Gange muß 





Pädagogik. 213 


als ein ſehr werthvoller Beitrag zur Cultur⸗ und Etziehungẽgeſchihte be⸗ 

zeichnet werden. 

8. Pädagogiſche Vorträge und Abhandlungen in zwangloſen Heft 
Erſter nd. x I. Die Geftaltung ber Bolt „i gmenfsfen Seen. 


—— Pietismus. Von Prof. Dr. Friedr. Aus. Edftein. 
eipzig, Julius Klinkhardt, 1867. 39 ©. gr. 8. 6 Ser 


Auguft Hermann Franke und deſſen vieljeitige und erfolgreihe Wirk⸗ 
famteit als Pädagog ift der Gegenftand diefer Abhandlung. Der Berfafier 
gebt von der Thatſache aus, daß die biöherige Literatur über diefen Gegen: 
ftand durchgängig der Berichtigung und Ergänzung bedarf. Und in ver 
hat muß zugeftanden werben, daß die bier vorliegende Abhandlung mande 
Aufllärung und manches Neue über Franke's Wirkfamleit und die von ihm ge⸗ 
ſtifteten Anftalten bringt. Als die wichtigfte Quelle feiner Darftellungen 
bat Edſtein Franke's eigene Schriften benugt. Cr bat feinen Stoff nad 
folgenden Ueberfchriften geordnet: „Die Schulen. Lehrverfafiung. Die Lehrer. 
Die Zucht.“ In jedem bdiefer Abjchnitte finden fich lehrreiche Thatfachen 
and anregende Gedanken. Der Berfafier mar zur Aufzeichnung dieſer Mo: 
nographie nit nur vermöge feiner anerlannten wiſſenſchaftlichen und päs 
dagogifhen Durchbildung, fondern auch vermöge feiner perjönlichen Bes 
ziehungen zu den Franke'ſchen Anftalten gang befonders befähigt und hat 
ſich durch dieſe Feine, auf forgfältigen Studien ruhende Schrift über eine 
der widtigften Bartieen der Gejhichte des Schule und Erziehungsweſens ein 
Berdienft erworben. 

Außer der angezeigten Abhandlung enthält das vorliegende Heft der 
„Pädagogiſchen Vorträge und Abhandlungen” no einen beachtenswerthen, 
wenn auch kurzen Bericht von Dir. Dr. Bornemann über „Die permas 
nente Ausftelung von Lehrmitteln zu Leipzig.” Diefe Ausftellung, in 
welcher ſich Beihäftigungsmittel für Heine Kinder, Lehrmittel zum Clemen- 
tarunterricht, Zum Unterriht in der deutihen Sprache, in Geographie, Ge: 
ſchichte, Naturwifienichaften, Mathematil, im Zeichnen, Schreiben, Gefang, 
Turnen, in der Stenographie, in fremden Spraden und Religion, außerbem 
pädagogifche Werke, ſowie Unterhaltungs: und Yugenpfchriften finden, ver: 
dient jedenfalls die Aufmerkſamkeit aller Pädagogen, und wir find daher 
dem Herm Dir. Bornemann, einem der regjamiten Pädagogen Leipzigs, 
Tank jhuldig, und mit diefer Einrichtung bekannt gemacht zu baben. 

9 Ronjfeau und Peſtalozzi, der Idealismus auf deutſchem unb auf 
franzüſiſchem Boden. Zwei Vorträge von Dr. K. Schneider, Königl. 
Seminardirector. Herausgegeben zum Beten des Peſtalozzi⸗Vereins für bie 
Provinz Pofen. Bromberg, Lonis Carow, 1866. 86 ©. U. 8. TI Ser. 
Wenn auch dieſes Heine Buch zwei ver belannteften Pädagogen 

ſchildert, fo wird es doch von feinem Lehrer und Erzieher ohne Intereſſe 

und Außen gelefen werden. Mit Recht jagt das Vorwort: „Lejern aus 
bem —— wird hier eine Reihe von ſachlichen Belehrungen geboten, 

die ſich bei gleicher Kürze kaum an einem anderen Orte in ſolcher Ueber⸗ 
ſichtlichkeit und Klarheit finden möchten.“ Wir finden hier nicht jenes an⸗ 
maßende Abſprechen über frühere Perſönlichkeiten und Leiſtungen, wie es 
ſich leider vom Standpunkte der neuen Regulativweisheit aus in ſehr wis 


214 Paãdagogik. 


derwärtiger- Weiſe hören läßt; auch nicht jenes liebloſe Verurtheilen, wie 
es jo häufig vom orthodor⸗kirchlichen Standpunkte aus geübt wird, Viel⸗ 
mehr find die bier gebotenen Lebensbilder mit treuer und warmer Hingabe 
an ihre Objecte, mit gründlicher Sachkenntniß, mit hiftorifcher Unparteilich: 
feit und überdies in einem ſehr glatten Style gezeihnet. Daher find 
zwar Rouſſeau's Verirrungen und Peſtalozzi's Schwächen nicht verſchwiegen 
oder übertündt worden, aber es ift auch den Vorzügen und Berdienften 
beiver Männer volle Gerechtigkeit gejcheben. Es thut wohl, von einem 
königl. preußifhen Seminarbirector unferer Tage die Worte zu hören: 
„Kräftiger als bier (Beftalozzi in Stanz) haben fih der Glaube und die 
Liebe des Menſchen zum Menſchen wohl felten offenbart” (5. 60). „Nicht 
nur eine neue Geftalt des deutſchen Unterrichts ift durch ihn (Peſtalozzi) 
eingeführt worden, ſondern, daß das deutſche Bolt ſich gewöhnt bat, Er⸗ 
ziehungs⸗ und Unterrichtswerk als eine Nationalfache anzuſehen, ift fein 
und feiner Schüler Verbienft. Die Männer, melde der Staatsrath Sümwern 
nad Sfferten fanbte, . . . . baben in dieſem Geiſte gelernt und gelehrt. 
Durch fie ift der Segen, der von Sfferten ausging, über den ganzen preus 
ßiſchen Staat verbreitet worden“ (S. 81). „Peſtalozzi ift ein Wohlthäter 
unferer Schule, und es findet fi bier in dieſer gro:en Verſammlung auch 
nicht eine Seele, die ihm nichts zu danken hätte” (5. 82.) 
Möge das trefflihe Büchlein recht viele Lejer finden ! 


VL, Kleinkindererziebung. 


10. Des Kindes Spielen und Spielzeug. Bortrag zum Beſten ber in⸗ 
neren Milfton gehalten von Dr. Scheibert, Kgl. Brovinzial- Schuirath. 
Breslau, Mar Mälzer, 1866. 49 ©. 16. 74 Ser. 


Ein recht hübſches Büchlen. Zwar finden ſich in der Ausprudsmeife 
manche Sonderbarleiten und Provinzialismen; auch tritt bie jet bei preu- 
ßiſchen Schulbeamten üblihe Strenggläubigleit durch geflifientliche Herbei- 
ziehung von Bibelſprüchen, durch Empfehlung ver biblifhen Geſchichten zum 
Erzählen für Meine Kinder und in manderlei Redewendungen ſtark hervor. 
Aber ed ſpricht aud aus dem Büchlein ein feiner pädagogifher Blid und 
eine jhöne Summe treuer Beobachtungen des fpielenden Kindes. Die Ver: 
bienfte Froͤbels werden hervorgehoben und anerlannt; aber ed wird aud 
mit Recht vor dem ſyſtematiſchen und lehrenven, ven freien Willen und bie 
individuelle Entwidelung lähmenden Spiele gewarnt und dem Haufe und 
der Mutter ihre Bedeutung gewahrt und ihre Pflicht eingejchärft. 


11. Ueber Kleintinderfhulen, VWohnftuben und Ausbildung beut- 
Iher Erzieherinnen. Skizzen aus dem Leben als Beitrag zum Funba- 
ment bei einem Neubau beutiher Erziehung und Gefittung bon Dr. 3. 
Fölfing. Als V. Heft: „Zur Reform ber Kieinkinderfchule” aus ber all» 
gemeinen Schulzeitung befonbers abgebrudt. Darmſtadt, Eduard Zernin, 
1866. 19 ©. 8. 5 Ber. 


Der Berfafier will von Neuem anregen „zu einer allgemeineren Ber: 
breitung und befieren Organifirung ber Kleinkinderſchulen, zu einer tieferen 











Pädagogik. 215 


Ausbildung der Erzieherinnen und hiermit bie Orundfteinlegung ber erften 
Erziehung und Gntmwidelung der Kindheit in Schule und Haus kräftiger 
befeftigen belfen.“ Zu diefem Bwede giebt er zuerjt einen kurzen Inbegriff 
feiner Ideen und ‘dann einen Bericht über drei Kinverjchulen in Beflungen 
und Darmſtadt. Daran knüpft er Betrachtungen über die Bildung von 
Gtzieherinnen und die Eigenjchaften, melde von folden gefordert werben 
müflen. Das Schriftchen zeugt von einer edlen Begeifterung des Verjafjers 
und enthält manden guten und praktiſchen Gedanken. 


12. Das Paradies der Kindheit nah Kriebrih Fröbel's Grund- 
ſätzen. Praftifches und ausführliches Handbuch für den Selbſtunterricht 
und zur Benugung in ben Fröbel’ihen Bildungsinftituten von Lina Mor: 
genftern. Zmeite vermehrte und umgearbeitete Auflage. Zweite Ausgabe. 
Mit 150 Holzichnitten, 10 Tithographirten Tafeln und Noten. Berlin, Ernft 
Schotte u. Comp., 1867. VII. u. 280 ©. gr. 8. 14 Thlr. 


Das Buch enthält eine Biographie Fröbel’3, allgemeine Erziehungs: 
grundfäße, Grläuterungen zu Fröbel’d Mutter: und Kofelievern, Abband⸗ 
ungen über bie verfchievenen „Spielgaben‘ (Ball, Kugel, Würfel, Walze, 
Baulaften u. f. w.), über die Gartens und Thierpflege, über die Bewegungs» 
fpiele, über Neligiofität, über das Lied und die Erzählung, über das Gr: 
Hären der Bilder, endlich einen Anhang von Liedern und Erzählungen. — 
Da hier das Fröbel’ihe Spftem von Beihäftigungsmitteln für kleine 
Kinder und die Benutzung diefer Beichäftigungsmittel überfichtlih und aus: 
führlich dargeftellt ift: fo wird das Buch nicht nur allen Denjenigen, melde 
in Familie und Rindergarten einen praktiſchen Gebrauch von der Fröbel'ſchen 
Weiſe der Kleinkindererziehung zu machen wünſchen, fondern auch Den- 
jenigen, melde ſich über diefelbe zunächſt nur unterrichten und ein Urtheil 
bilden wollen, eine willlommene Fundgrube fein, wenn aud nit alle in 
dem Werte ausgefprochenen Gedanken ohne Weiteres ald unbedingt giltig 
aufgenommen werben können, und die Darftellungsmeije nicht allenthalben 
mufterhaft ift. 

13. Die Arbeit und die neue Erziehung nah Fröbel's Methode. 


Bon Bertha von Marenholg- Bülow. KHerausgegeben zum Beſten der 
Sröbelftiftung.) Berlin, Ensiin, 1866. VIII u. 580 S. 8. 13 Thlr. 


Diefes Buch beſchraͤnkt fi) zwar nicht auf Auseinanderſetzungen über 
Kleintindererziehung, ſondern es will den Grundjäßen Fröbel's einen weiter 
teihenden Einfluß bahnen, da es jedoch der Fröbel’fhen Schule entiprungen 
ift, jo mag es an diefer Stelle vorgeführt werben. Es verbreitet ſich über 
folgende Themata: „Die Nrbeit und ver Volkskindergarten. Cinführung 
und Einrichtung der Volkskindergärten. Die Ausbildung der SKindergärts 
nerinnen und die MWifienfchaft der Mütter. Froͤbel's „Vermittlungsclaſſe.“ 
Die Kindergartenmethode und die Arbeitsfchulen. Die Schulgärten und 
die Jugendgärten. Die Einwürfe. Die Erziehungsvereine.” Beigegeben 
it ein umfänglicher Anhang über Fröbel’3 Erziehungsgrundjäße, über den 
Berein zur Förderung der Familien: und Bollserziehung in Berlin und ' 
über Einführung der Frobel'ſchen Erziehungsmethode im Auslande, nebſt 
Ausſprüchen veutfcher Pädagogen, in Auszügen und Briefen. — 


216 Päbagogik. 


Die Verfafierin geht von der Behauptung aus: „Die Erziehung und bie 
Volksſchule in ihrer gegenwärtigen Geftalt find außer Stande, die Forbes 
rungen ver Seßtzeit für den Arbeitsberuf erfüllen zu können.‘ In jebem 
AÜrbeiter ſei das Bewußtfein zu mweden über Zweck, Mittel und Berfabrungs- 
weile feiner Arbeit. Es fei zu diefem Behufe eine bis jebt noch im 
Dunkeln verborgene Regel aufzufinden, alſo eine neue Wahrheit zu entveden. 
„Roh iſt diefe neue Wahrheit in Froöbel's Erziehungsidee unerlannt, noch 
fiehbt man dieſe nur allein im Kindergarten — als bloßes Kinderipiell — 
verförpert, ohne zu ahnen, daß dieje Idee fih auf eine neue Erkenntniß 
des menjhlihen Weſens gründet.” Die Arbeit folle nit blos mit dem 
Unterrichte abwechſeln, fie muͤſſe felbft „Mittel des Unterrichts“, „zum 
heil Unterricht” fein, und die mechaniſche Fertigkeit zur Arbeit müfle zum 
Theil ſchon in den eriten Lebensjahren gewonnen werden und das Find 
babei zugleich mit feinen geiftigen Kräften thätig fein. Froöͤbel habe durch 
feine Kindergartenmetbove das Problem gelöft; in derfelben fei Arbeit, Spiel 
und Unterricht in eins verfchmolzen. 

Die Ausführung diefer Gedanken möge der fi dafür Intereſſirende 
im Bude felbjt lefen. Referent muß fchon deshalb nähere Angaben unters 
lafien, weil er die frau von Marenbolg nicht recht zu verftehen im Stande 
ift, namentlih darüber jih im Unklaren befindet, wie denn die ausgeſproche⸗ 
nen „Ideen“ — denn „Speen enthält das Buch viele — fo recht prak⸗ 
titabel gemacht werden könnten, beſonders in den Schulen, melde ja 
ſämmtlich durch die Idee der Arbeit umgeftaltet werden follen. Referent 
will gern mithelfen, nur muß ex das Project erft verfteben, fowie die Heil- 
ſamkeit und Wusführbarteit deſſelben einſehen. Selbftveritänplih nimmt er 
die Schuld der Mangelbaftigkeit feines gegenwärtigen Berftändnifies auf 
ſich; vielleiht verftehen andere Lejer das Buch leichter. Dajjelbe würbe 
aber ſicher dem nüchternen Praltiter mehr genügen, wenn es lürzer und 
beftimmter fagte, was denn nun eigentlih aus unjeren Schulen werben 
ſolle. Wo es ſich um mefentlie Abänderung beftehender und um Herbei⸗ 
führung ganz neuer Einrihtungen handelt: da muß man den Dingen mit 
objectiver Ruhe. meinetwegen mit profaifcher Kaltblütigleit ins Geſicht jehen 
und fehr behutfam zur That fchreiten. Denn wenn alle bisher aufgetaudhten 
und al3 heilfam gepriefenen Reformvorjhläge zur Ausführung gelommen 
wären, fo würde von unferen Schulen nicht mehr viel übrig fein. Zwar 
Begeifterung für das Mohl der Menſchheit fpricht unverlennbar aus dem 
vorliegenden Buche; auch enthält es eine Anzahl recht guter Gebanfen und 
Schöner Ausfprüdhe. Beſonders verdient die Warnung vor Verfrühung und 
Uebermaß des Unterrihts und vor Bernadhläffigung der koörperlichen 
Uebung und Beſchäftigung gerade in unferer Zeit vollen Beifall. Daß 
aber die Arbeit, d. h. die Arbeit zum Bmwede des Grwerbes, der Punct 
fei, um welden fich unfere allgemeinen Schulen drehen müßten, kann von 
der Pädagogik nicht anerkannt werben. Ich bezweifle auch, daß diejenigen 
Pädagogen, auf welche fih Frau von Marenholg zur Unterftüßung ihrer 
Vorſchlaͤge bezieht, wirklich mit ihr einverflanden ſeien. Es mag ihr in 
der Begeifterung für ihre Reformgedanken bisweilen begegnen, baß fie bie- 
[ben bereits für gefichert oder gar für realifirt hält. Wenigftens bat fie 








Pädagogik. | 217 


nach dieſer Richtung hin in ihrem Buche von gewiſſen Verhaͤltniſſen bier 
in Gotha berichtet, die gar nicht exiftiven, wie ich in Nr. 44 des vorigen 
Jahrganges der Allgem. deutſchen Lebrerzeitung nachgewiefen habe, Fröbel 
bat feine großen Verbienfte, aber man muß fie nicht ſuchen, mo fie nicht 
find; daß fein Syſtem die menſchliche Geſellſchaft und die Schulen im 
Sinne des anggzeigten Buches umgeftalten lönne, und daß er, wie in bem- 
felben behauptet wird, eine neue Grienntniß des menſchlichen Weſens be- 
grümdet habe, ift eine irrige Meinung feiner enthufiaftiihen Verebrerinnen, 
die der Anerlennung feiner wirklichen Verdienſte eber hinderlich als 
förderlich fein möchte. 


VIL. Volksſchule und ihre Lehrer. 


14. Wegweiſer für Bolkeſchullehrer. Methodiſche Anleitung zur Erthei⸗ 
lung und Einrichtung des Vollsſchul⸗Unterrichtes Bon Eduard Bock, 
ARegierungs- und Schulrathe zu Königäberg i. Pr. Dritte, wefentlich vers 
befierte und vermehrte Bearbeitung. Vollftändig in zwei Theilen. Erſter 
Zheil: Allgemeine Anmeifung und Lehrgänge für bie einzelnen Unterrichts» 

egenftände. Nebſt entiprechenben Lehrproben. Zweiter Theil: Lehrpläne 
är ein-, zwei⸗ und breiclaffige BVBolksfchulen. Mit entſprechenden Stoffver- 
zeichniſſen und Stundenplänen. Nebft Materialien für Jugend⸗ und Volks⸗ 
bibliotbefen und für Lehrer⸗ und Lelevereine Ausgabe beiber Theile in 
einem Bande. Breslau, Ferdinand Hirt, 1866. VIII u. 328 u. 80 ©. 
(nebft 4 Tabellen.) gr. 8. 14 Thfr. 


Mir halten es nicht für nöthig, dieſem fehr ausführlichen Titel noch 
eine bejondere Inhaltsangabe folgen zu lafien, zumal da das Buch bereits 
im dritter Bearbeitung vorliegt und in feinen erften Auflagen auch in bie: 
ſem Jahresberichte angezeigt worben iſt. Wie viel von dem Inhalte des 
Buches als geiftiges Eigentbum des Herausgebers zu betrachten fei, läßt 
Ah vicht mit Sicherheit fagen. Auf dem Titel und im Vorworte hörten 
wir nichts von Mitarbeitern des Herrn Bod. Im Buche jelbit aber 
werden Jungklaaß (bibl. Bilder und bibl. Geographie), För ſter (Lehr: 
proben über bibl. Geſchichte, Turnunterriht), Schurig (der erſte Leſe⸗ und 
Screibunterricht, Lehrproben für den Lernftoff, Uebungen in fhriftliher Dar» 
Rellung), Ch. Fr. Scholz (Rechenunterricht, Naturgeſchichte), Mettner 
(Gefangımterricht) als Bearbeiter einzelner Partieen namentlih angeführt. 
Da nun aber dem Titel nad das Buch von Herrn Bod herrührt, jo darf 
man wohl annehmen, daß derſelbe die nicht ausprüdlich anderen Verfaſſern 
zugejchriebenen Abjchnitte ſelbſt ausgearbeitet habe, die übrigen aber von 
ihm gebilligt, wo nicht infpirirt find. Die vorliegende „weſentlich verbeſſerte 
und vermehrte” Bearbeitung hat den allgemeinen- Theil durch „Aufjäße 
über piochologifhe Grundfähe, formelle Bildung und Grundzüge einer 
Säule, wie fie fein joll”’ erweitert, die Lehrgänge „noch mehr vervolljlän- 
digt und abgerundet”, die „Lehrproben“ vermehrt u. vgl. m. 

Wozu das Buch eigentlich gejchrieben jei, würde man vergeblid) fragen, 
wenn dad preußiſche Vollsfhulmefen auf der Bahn natürlicher Entwides 
lung geblieben wäre, Denn dann wäre zur Abfaſſung dieſes Buches, 


218 Pädagogik. 


welches nicht dem Fortfchritte, ſondern dem Rüdichritte dient, gar keine 
Beranlafjung gewefen. Es enthält zwar einiges Gute, namentlich in Sa⸗ 
hen der jpeciellen Methodik; allein dieſes Gute ift nicht neu, fondern war 
längft vor dem Erſcheinen dieſes, Wegweiſers“ theoretifh und praktifch feſt⸗ 
gejtellt und findet fih in zahlreihen Methodenbüdhern, zum Theil in weit 
volllommenerer Geſtalt. Den Anftoß zur Abfaflung des Buches haben 
lediglih die bekannten „Regulative“ gegeben: es ift ein Regulativwegweifer 
durh und durch. Der ganze Anhalt befhäftigt fi damit, die Grundfäße 
und Forderungen der Negulative in den Volksſchulen vollfländig und un: 
bedingt zu realifiren. Dabei giebt Herr Bod ſich und den NRegulativen 
das Anfeben ganz befonderer Weisheit, der gegenüber alles Frübere eitel 
Thorbeit iſt. In der That aber find die leitenden Ausſprüche des „Weg⸗ 
weiſers“, ſoweit fie dvemfelben eigenthümlich find, nichts Anderes als Proben 
einer jehr geringen Einfiht und einer fehr großen Anmaßung. Pie armen 
Lehrer, melde genöthigt find, einem ſolchen ‚Wegweifer” zu folgen, müſſen 
wunberlide Meinungen über pädagogifhe Dinge in die Köpfe belommen. 

Nah Herrn Bod’s Meinung ift im „Großen und Ganzen vor den 
Regulativen nichts Entſcheidendes geſchehen, um bie Erfolge (des Volls⸗ 
Ihulunterrihtes nämlich) für das Leben ergiebiger zu maden.”’ „Den Res 
gulativen gebührt das Verdienſt, mit Confequenz den Zwed der Schule 
ins Auge gefaßt und ihm gemäß den gefammten Unterricht geftaltet zu 
baben” u. ſ. w. u. f, wm. Dan follte meinen, der Urheber folder Aus: 
Iprüce ſei erft neuerdings auf die Welt gelommen und babe von pädagos 
gifhen Dingen noch gar nichts gehört. Einem preußifhen Schulrathe 
ſollte aber doch wenigſtens belannt fein, daß an der Cultur des preußifchen 
Bolles und an der Blüthe des preußifchen Staates die Vollsſchule, wie fie 
vor dem Erſcheinen der Regulative geweſen und durch ganz andere Mäns» 
ner und einen ganz anderen Geift, wie die Männer und ber Geift der 
Regulative find, emporgebradht worden ift, einen fehr weſentlichen Antheil 
bat. Es wäre jebenfalld wünſchenswerth, daß fih Herr Bod in der Ge 
ſchichte der Pädagogik einigermaßen umfähe und wenigftens das oben an⸗ 
gezeigte Schrifthen von Schneider läſe. Wer freilich feine paͤdagogiſche 
Meisheit lediglich den Megulativen verbanlt, dem muß viele Weis: 
beit als die höchſte, ja als die einzige erjcheinen. Bor und außer den 
Regulativen giebt es nah Bod nur einen ganz unpraltifchen Unterricht, 
eine unverfländige Häufung des Gedächtnißſtoffes, eine materielle Richtung, 
eine oberflählihe und geiftlofe Weiſe des Lejeunterridhts, eine unfruchtbare 
Abftraction, im Religionsunterrihte dogmatiſche Definition von Unfang bis 
zu Ende, und was bergleihen Mißgriffe mehr find. Die Regulative 
machen das Alles befier, ja ganz vortrefflih: fie jcheiden alles Ueberflüſſige 
aus, auch aus dem Neligionsunterridte, bringen die Schule in eine leben« 
dige Beziehung zum Leben, begründen überall die rechte Einfiht, bringen 
alles Gelernte zur Uebung und felbfiftändigen Darftellung, kurz bei ihnen 
ganz allein ift das wahre Heil zu finden. Es gehört in der That ein 
jehr Starter Glaube dazu, um folde Dinge für wahr zu balten, und ſchon 
besbalb jcheint es mir eine der wichtigften Maximen der Staatsweisheit 
zu fein, die Pehrer vor Allem zum unbebingten Glauben, zur blinden Uns 








Pädagogik. 219 


terwerfung unter Autoritäten, natürlich auch unter die Autorität des Herrn 
Schulrathes, zuzurichten. Ich meiß nicht, ob fi die Lehrer in Herrn 
Bod’3 Umgebung feinen „Wegweiſer“ anſchaffen und den Inhalt veflelben 
ala ächtes Gold anerlennen müfjen, oder ob die Lehrer auch noch eine 
eigene Meinung haben dürfen. Über das weiß ich, daß Herr Bod im Jrrs 
thum ift, wenn er der pädagogiihen Welt einzureden hofft, die Regulative 
feien ein. verbienftliches Werl, und alles, mas vor venfelben feit Peſtalozzi 
von fo vielen, theils ſchon verftorbenen, theils noch lebenden und wirkenden 
Männern erftrebt worden ift, verdiene nicht die mindefte Anerlennung. Ich 
boffe no, daß durch die Negulative nicht auf einmal aller Menſchenver⸗ 
ftand und alle Dankbarkeit ausgerottet ſei! Hat ſich doch felbft Herr Bod 
der von ihm verworfenen Richtung nicht gänzlich entziehen fönnen. Denn 
die in die dritte Bearbeitung feines Megmeifers aufgenommenen pſycholo⸗ 
giſchen Grundſätze der Didaktik find im Wefentlihen der Schule Peſtalozzi's, 
großentheild buchſtäblich, entlehnt. Doc fcheint ihre Aufnahme nur Un: 
Hands halber erfolgt zu fein; denn einen organifchen Beftandtheil des 
„Wegweiſers“ bilden fie keineswegs, vielmehr fteht der Geift dieſes Buches 
und an vielen Stellen auch der Wortlaut mit ihnen im Widerſpruche, und fie 
bilden daher lediglih ein äußeres Anhängfel. In den Lehrgängen und 
Lehrproben, namentli in denen, melde nicht von Herrn Bod herrühren, 
it jenen Grundfägen (der Anſchaulichkeit, Selbftthätigleit, Erziehlichleit des 
Unterrihts u. |. mw.) zum Theil entiprohen. Wenn nun aber das wirklich 
Gute, was Herr Bod in feinem Wegmeifer darbietet, von den Tiſchen ber 
rationellen Pädagogik geholt ift, warum finden dann die Begründer der⸗ 
jelben gar keine Anerlennung? Warum bemälelt man, was man body der 
eigenen Armfeligteit halber jo nothwendig brauht? — Man mird bei 
folhem Treiben an folgendes Wort von Göthe erinnert: 

„Da hatt’ ich einen Kerl zu Gaft, 

Er war mir eben nicht zur Laſt; 

Ich hatt’ juft mein gewöhnlich Efien, 

Hat fi der Kerl pumpjatt gefrefien, 

Zum Nachtiſch, was ich geſpeichert hatt’. 

Und faum ift mir der Kerl fo fatt, 

Ihut ihn der Teufel zum Nachbar führen, 

Ueber mein Efien zu räfonniren: 

„„Die Supp’ hätt’ können gewürzter fein, 

Der Braten brauner, firner der Wein.‘ ’ 

Man muß nicht Dinge mit einander vereinigen wollen, welde einander 
ſchlechterdings wiberftreiten. Der Geift der Regulative und bie Grund: 
fäße einer rationellen Erziehungs» und Unterrichtslehre find fo vollfländige 
Gegenfäge, daß man durch das Zufammenfliden derjelben nur eine Narren: 
jade fertig bringen fann. Während jeder einigermaßen verftändige Lehrer 
weiß, daß jede Erfenntniß von den ihr eigenthümlichen Glementen aus bes 
gründet werden muß, und daß man dem Kinde nicht zumutben kann, 
Bielerlei auf einmal zu treiben, damit man es nicht zur Verworrenheit, 
Oberflählichleit und Einbildung, ſondern zur Klarheit, Gründlichleit und 
Beſcheidenheit führe, will Herr Bod mit einem Schlage die verfchiebenften 


220 Pädagogik. 


Dinge lehren. In feinem Wegweifer giebt es keinen bejonderen Unterricht 
in der Mutterſprache und in den Realien, fordern nur einen „verbundenen 
Sad: und Sprahunterriht mit Lefen, Schreiben, Singen und Zeichnen.” 
Schreiben, Leſen, Geſchichte, Geographie, Naturgeſchichte, Phyſik, Geſund⸗ 
heitslehrte, Grammatik, Orthographie, Styl, Singen und Zeichnen, das 
Alles wird in eine Pfanne gehauen. Nun iſt es zwar eine längft bekannte 
Sade, daß und welde. Beziehungen zwiſchen diefen Unterrichtsfädhern bes 
fteben. Uber ein ſolches Monftrum von Goncentration ift allerdings erſt 
das Verbienft des regulativfeligen Herrn Bod. Was er aber eigentlich mit feinem 
„verbundenen‘ Ynterrichte will, erlennt man aus den mehr ald 100 Sei: 
ten umfafienden Segen von Methodik, von Lehrgängen und Lehrproben 
ſchließlich doch nicht. Bald ſcheint es, als ſolle dieſes ganze Quodlibet 
ans Leſebuch gelmüpft werden und ein Ganzes ausmachen — warum 
bieße ed denn fonft auch „verbundener“ Unterridt? — bald wird aus: 
drüdlih behauptet, es müßten die einzelnen Fächer in befonderen Stun 
den behandelt werden, wie denn auch allerlei befondere Lehrproben gegeben 
find. Auch die Mitarbeiter des Herrn Bod jcheinen nicht recht Mar zu 
fein über die Intentionen des neuen Methodenmeiftere. Am beften wäre 
ed, er lieferte eine wirkliche „Lebrprobe,‘ d. h. er übernähme einmal 
auf ein paar Jahre ganz allein eine Volksſchule, um feinen Untergebenen 
und der Welt ad oculos zu demonftriren, was er denn eigentlich im Sinne 
bat. Wenn die Sache fo wichtig ift, daß von ihr ganz mwefentlid mit bie 
Reform des gefanmmiten Schulwejens abhängt, fo wird Herr Bod bie Mühe 
nicht ſcheuen, ans Werk zu gehen, und die Padagogen werden zu ihm 
ſtrömen, wie einft zu Peſtalozzi. 

Vorläufig erſcheinen mir Bod's methodiſche Neuerungen als Willkür 
und Zwang; die einzelnen Unterrichtsfächer werden einer Grille zu Liebe 
mehr oder minder ihres Charakters beraubt. Soll doch ſelbſt der Geſang⸗ 
unterricht, deſſen Methode im „Wegweiſer“ von Mettner behandelt iſt, 
nah der Boc'ſchen Maxime gemodelt werden. „Da der Geſangunterricht 
in die engſte Verbindung treten muß mit dem Religions⸗ und vereinigten 
Sach⸗- und Sprachunterricht.... jo iſt auch die Auswahl der in der 
Geſangſtunde zur Einübung kommenden Liederſtoffe nicht abhängig von dem 
Elementarcurſus. Es kommt demnach vor, daß der Lehrer bei Durchnahme 
gewiſſer Lieder auf Stellen ſtößt, deren Ausführung auf der Geſangſtufe, 
auf welcher die Schüler eben ſtehen, Schwierigleiten macht...... Die 
Reihenfolge, in welcher die Ehoräle in jeder Claſſe gelernt werben, be: 
dingt fi duch die zu ihnen gehörigen Lieder, da die Melodie gleich 
zeitig mit dem Texte eingeübt wird.“ Das heißt alſo: der Geſangunterricht 
darf nicht nah inneren Geſichtspuncten, nicht nah dem methodiſchen 
Grundſatze „Vom Leichten zum Schweren“ eingerichtet werden, ſondern er 
muß ſich äͤußere, zufällige und willküͤrliche Anſtoͤße geben laſſen. Denn 
im Geſange kommt es nicht mehr vorzugsweiſe auf Muſikaliſches, 
"fondern auf Religion, Realien und Sprache an. — Selbit in der Metho: 
bil des Beichenunterrichts muß dem Goncentrationdgögen eine Berbeugung 
gemacht werben, wenn ſich's auch nicht recht thun läßt: „Es ift zwar 
wünjchenswerth, daß die Schüler auf der unteren Stufe folde Gegenflände, 











Pädagogik. . 221 


welche zum vereinigten Sad: und Sprachunterricht ge: 
hören, auf der Schiefertafel malen und dadurch fich die Geftalt fefter 
einprägen; aber dies ift nur eine Vorbereitung auf den eigentlihen Unter 
richt.“ Inconſequenterweiſe ift beim Zeichnen die Religion ganz ver 
gefien worden, jedenfalld nur aus Verſehen, da ja aud bier der Lebrftoff 
ganz wohl nidt blos aus Gefichtöpuncten des „verbundenen Sach⸗ und 
Sprachunterrichts““, fondern auch nad der Reihenfolge der Religiong 
Kunden geordnet werden Tönnte. 

Dies erinnert an den Gegenftand, in welchem Herr Bod ganz bejon- 
ders ftark if. Er beilagt, daß da, wo die Regulative noch nicht jo recht 
zur Durchführung gelommen find, bejonders der Religions unterricht 
noch recht ſchlecht fei; 3. B. werde nicht correct gelehrt, inwiefern und 
Chriſtus von der Gewalt des Zeufels erlöft babe; auch berrihe in den 
Gemeinden allgemeiner Mangel an Berftändniß und Intereſſe für kirchliche 
Handlungen und Ordnungen, Xheilnahmlofigleit und Gleichgiltigleit gegen 
die Liturgie; im Gottesdienfte fei vieles zur todten Formel geworden, Taufs 
handlung, Trauung, Beichte, Abendmahl würden nicht entiprechend abge: 
balten u. ſ. w. Hier liege nun für die Schule eine wichtige Aufgabe: 
Liebe und Berftändniß für das kirchliche Leben zu weden, die Liturgie recht 
beten zu lebren u. |. wm. Nah Anfiht der Pädagogen, von denen Herr 
Bod feine allgemeinen pſych. Grundſaͤtze entlehnt bat, ift aber die Volks⸗ 
fhule an den angeführten Calamitäten nicht ſchuld, ift es auch nicht ihre 
Aufgabe, diefelben zu "bejeitigen. Wenn die Vollsfchule, welcher doch von 
Seiten der kirchlichen Organe fortwährend fo viele Hinderniſſe bereitet 
werben, jo leidlich ihre Aufgabe löft, jo kann fie der Kirche, welche von 
ver Schule nicht beeinträchtigt, jondern weſentlich unterftügt wird, bie 
Löfung der fpecififh kirchlichen Aufgaben anheimftellen. Was Herr 
Bod in diefer Beziehung der Schule zumuthet, muß biefelbe ablehnen, eben 
auf Grund berjenigen paͤdagogiſchen, Geſichtspuncte, welche auch ihm nicht 
ganz unbelannt find. Leider werben diefelben im „Wegweiſer“ durch ganz 
andere Marimen immer wieder zurüdgebrängt. Bod jagt: „Unter die 
Macht des Inhalts bringen, das ift der Zmwed aller Erklaͤrung.“ Die ras 
tionelle Pädagogik aber meint: Das Kind foll nit vom Lehrftoff beherrſcht 
werden, jondern es foll den Lehrſtoff beherrihen; man foll es nicht der 
Autorität unterwerfen, jondern zur felbitjtändigen Weberzeugung und freien 
Bethätigung bringen. Daß übrigens Bod's Anfichten vom Religionsunter: 
richte von den meinigen und, mie ich glaube, von denen aller rationellen 
Pädagogen, grundweſentlich abweichen, braucht kaum erſt gejagt zu werben. 
Die Hauptjache liegt, bezüglich des Stoffes, darin, daß Bod den Kater 
chismus zum Mittels und Gipfelpunc des Religionsunterrichts macht, 
welchem gegenüber die Geſchichten, Sprüdhe und Abfchnitte der Bibel nur 
als erllärendes Material dienen; mährend ih der Anfiht bin, daß die 
Bibel im Mittelpunct ftehen müfle und der Katechismus, mindeftens für 
die Schule, nur eine jecundäre Nolle zu fpielen habe. Der Charalter bes 
Religionsunterrichts ift bei Bod ein theologiſcher, nad meiner Anſicht 
fol er ein pädagogiſcher fein. In Betreff ver methodiſchen Grund: 
füge des „Wegweiſers“ zeigt ſich auch bezüglid des Neligionsunterrichtes 


222 “ Pädagogik. 


wieder das Beftreben, das bloße Einlernen mit dem Schein des Verſtaͤnd⸗ 
niffes aufzupugen. Da ftehen kurz hinter einander folgende Säbe: „Auf 
der unteren Stufe werben die Gebote, der Glaube und das Baterunfer 
gelernt, auf der mittleren lommt Luther's Grllärung dazu.’ „Das Maß 
des auf jeber Stufe und Claſſe und in jeder Schule Auswendigzulernenden 
hängt von der Beit und der Faflungskraft der Echüler ab. Es darf in 
feinem Yalle mehr auswendig gelernt werden, als die Kinder auch innerlich 
zu bewältigen im Stande find.” — Reime das, wer kann! 

Indeſſen: es wird ſchon geben; Herr Bod bat ja für Alles beiten 
gejorgt. Er giebt die regelnden Grunpfäpe, die Methoden, die Lehrpläne, 
Lehrproben, Stundenpläne und Gtoffverzeichnifle für alle Verhältnifie und 
für jede einzelne Etunde. Sa er bezeichnet au die Bücher für Jugend⸗ 
und Boltsbibliothelen und für Lehrer: Lefevereine. In der That: 
mehr kann man nicht verlangen. Sein „Wegweiſer“ ift überhaupt ein 
wahres Meifterftüd von Dreijur. Und mit diefem Werte follen nit nur 
die Lehrer, fondern auch die ‚Leiter‘ der Schule auf den rechten Weg 
gewiejen werden. Das müſſen jchöne „Leiter“ fein, die einer ſolchen 
Gjelsbrüde bevürfen! Praktiſch ift der „Wegweiſer“ allerdings — zu 
gewiflen Zweden. Denn die Lehrer, welche defielben bebürftig ind, werben 
allerdings zu jeder felbftftändigen Thätigleit unfähig fein und der geiftlichen 
Auffiht nicht entbehren können. Auch find ſolche Lehrer nicht werth, eine 
böbere Beſoldung zu empfangen; und Geld bat man ja für fie nicht, ba 
man es für die Soldaten braudt. Zur Noth können nah dem „Weg: 
weifer auch allerlei vertommene Subjecte nah altem Schrot und Korn 
Schule halten. Man fiehbt überhaupt nicht ein, wozu ed nod Seminare 
giebt, wenn bie „Lehrer das Bod'ſche Bud noch brauden. Denn ba 
die Regulativfeminariften im Wefentlihen nicht mehr lernen fjollen, als 
Schulkinder, jo müjlen fie doch in der That die Zeit mit Gewalt tobt 
Ihlagen, wenn fie nicht einmal das Bißchen Bod’ihe Methode in ihrer 
Bildungsanftalt ſelbſt lernen. Daß die Volksſchule unter ſolchen Berhält: 
niffen nah und nad der öffentlihen Geringſchätzung anbeimfallen muß, 
wird ſich bald handgreiflich zeigen; vorläufig zehren die Regulativpäbagogen 
von dem Ruhme, ven ihre Borgänger errungen haben. 


185. Die Volksbildung ale Grundlage bes modernen Staatd- und 
Kulturlebens. Beiträge zu einer zeitgemäßen Organijation bes gefamme- 
ten Unterrichts⸗ und Erziehungsweſens. Für Lehrer, Eltern, Landtagsabge- 
orbnete und Gemeinbevertreter von Friedrich Körner, Director und 
Profeflor an ber Hanbelsalademie zu Bet, Iena, Hermborf und Hoßield, 
1866. (249 ©) gr. 8. 14 Thlr. 


Diefes Bud) greift mar über die Volksſchule hinaus, beſchaͤftigt fich aber 
doch mit dieſer vorzugsweiſe. Es behandelt folgende Themata: „Inter: 
richts⸗ und Crziehungsanftalten ald Organe des Staats: und Kulturlebens, 
Die Schule in ihrer Bedeutung für das fociale Leben des Bolles. Die 
Schule in ihrer vollswirtbichaftlihden Bedeutung. Was kann die Schule 
für Verbreitung der Bildung durch Volksbücher thun? Wie find päba- 
gogiſche Kenntnijfe zum Bebürfniß der gebildeten Stände zu mahen? Die 
Paͤdagogik als Kultur⸗ und Naturwiſſenſchaft. Wer fol Schulherr und wie 








Päbagosif. 223 


joll er es fein? Schule und Schuleinriätungen in mebicinifher Beben: 
tung. Warum barf bie, Lehrerbildung ein Öffentliches Intereſſe bean⸗ 
ſpruchen? Naturhiſtoriſcher und ſprachlicher Unterricht in ihrem Werthe 
für die Geiftespiäteli. Was geſchieht von Staatswegen für die Lehrer: 
bildung? Die ftaatsbürgerlihe Stellung ver Lehrer. Lehrervereine und 
Banderverfammlungen. Die pädagogijche Journaliftit und ihre kulturhiſto⸗ 
rifhe Aufgabe. Privatſchulen und Kindergärten. Schule und Haus. In 
wie weit kann die Schule religiöfe und nationale Erziehung unterftügen ? 
FR die Regelung der Ortbographie eine Schulangelegenheit? Deutiche 
Spradlehre und deutfches Lehrbuh in ihrer pfychologifchen Verwerthung. 
Der Werth der realen und formalen Bildung für das gegenwärtige Kul⸗ 
turleben. Die Organifation des Unterrichts nad den Forderungen des 
gegenwärtigen Kulturlebens. In mie fern kann ideale Bildung Aufgabe 
der Schule werben? Welches Intereſſe hat die Schule an der Verbreitung 
populärswifienfhaftliher Boltsbildung? In wie fern ift Bildung zur Hu: 
manität böchftes Biel der Schule?" — 

Um ven 'Geift des Buches näher zu kennzeichnen, führen mir einige 
&arakteriftifhe Stellen aus demfelben an. Den officiellen, vielfach wills 
kurlichen Eingriffen der Regierungsorgane, namentlih mander preußiſchen 
Schulräthe, gegenüber verlangt Körner: „Die Schule fol feine Anftalt 
im minifteriellen Sinne fein, fondern eine Bildungsanftalt und weiter nichts, 
eine von mwandelbaren äußeren Einflüfien möglihft unabhängige Bildungs: 
anftalt " ‚Die Landtage mögen daher dahin fireben, daß die Schule 
Vollsſache fei und nicht Beamtenſache. Sie mögen dafür forgen, daß die 
Regierungsbeamten das Schulwesen nicht mißbrauden im Intereſſe ihrer 
Parteizwede, ſondern daß die Schule eine freie, unabhängige Humanitäts: 
anftalt bleibe.” Ueber folhen Mißbrauh der Schule zu Parteizweden 
werben bejonderd aus dem preußiichen Negulativregiment ſehr draſtiſche 
Beifpiele angeführt. — Gemeinſchaftliche Schulen für die Finder der ver⸗ 
fhiedenen Stände will Körner, aus ſehr einleuchtenden Gründen, nicht, wie 
es denn dem Referenten in der That ganz unerflärlih iſt, dab fih pral- 
tiſche Päpagogen für folhe Schulen ausfprechen können. — Die kirch⸗ 
lihe Aufficht über die Schule wird im Princip verworfen, weil die Schule 
ihre Fundamente in den Wiffenfhaften habe, welche nicht Sade der 
Kirche ſeien. „Mithin kann die Schule von ihr keinen Rath, kein Lehr: 
material, feine Unterftügung erhalten, muß vielmehr jogar oft Bibellunde, 
bibliihe Geſchichte und Katechismus ſich felbit bearbeiten und braudbar 
maden. Empfängt die Schule von der Kirche feine geiflige Hilfe, wurzelt 
fie ihrem ganzen Wejen nad nicht in der Kirche, fondern in der Willen: 
ſchaft, erhält fie felbft die Lehrmethode von den Pädagogen, nicht aber von 
Theologen, ſo hat die Kirche das Recht verloren, die Schule zu leiten.” 
„Die Schule geräth unter Einflüfe, die ihrem Weſen und ihrer Bejtims 
mung fremd find, wenn fie unter Aufſicht der Kirche bleibt.“ Referent ift 
biermit einverftanden, hält es aber für eine Inconfequenz in Körner’s Ge: 
dankengang, wenn jchließlic gejagt wird, daß der Neligionsunterriht aus: 
fchließli von der Kirche zu leiten und zu beauffichtigen und an Theologen 
zu übertragen ſei. Koͤrner felbft fagt ganz richtig: „Man darf naturgemäß 


224 Pädagogik. 


die Entſcheidungen über Schulfragen nur nad den ‚Gefeßen der Paͤda⸗ 
gogik treffen.” Sobald aber das von ihm gemachte Zugeftänpni an 
die Geiftlihen (und Theologen) ins Leben tritt, wird das eben angeführte 
Princip ganz gewiß illuforiih. — „Das Lehrerfeminar muß eine ftreng 
pädagogifche Anftalt fein und nidt eine Nebentapelle der Kirche. Ein bes 
währter Pädagog foll es leiten, nicht ein einfeitig urtheilender Geiſtlicher.“ 
— „jedermann weiß, wo das Schulmejen in gutem Buftande ſich befindet, 
können Privatfchulen nicht beftehen, wo aber das dffentlihe Schulmefen 
krankt, da fchießen Privatichulen wie Pilze in die Höhe” Das Unmelen 
Schlechter Privatichulen wird lebhaft geſchildert und ftreng verurtbeilt, aber 
es wird auc die Berechtigung und das Verdienſt guter Anſtalten dieſer 
Art anerkannt. 

Doch mir müflen ein weiteres Eingehen in den reihen Inhalt des 
vorliegenden Buches unterlafien. Referent bemerkt nur noch, daß er mit 
dem größten Theile defielben volllommen einverflanden ift, das ganze Wert 
aber mit großem Intereſſe gelefen bat und zu den beiten Schriften rechnet, 
über welche er diesmal zu berichten bat. Die leider jehr zahlreihen Drud- 
fehler, welche jedenfalls in ver großen Entfernung des Autors vom Drud: 
orte ihren Grund haben, werden den aufmerffamen Leſer nicht irre machen. 
Möge das Buch eine recht ausgedehnte Beachtung finden. 


16. Pädagogiſche Baufleine für Leiter, Lehrer und Freunde ber 
Schule Von Guſtav Fröhlich, Rector zu Raftenberg im Großherzog- 
thum Sachſen. Zweite verbefjerte und vermehrte Auflage. Jena, Friedrich 
Maufe, 1867. VII u. 288 ©. gr. 8. 1 Thlr. 


Dieſes Buch hat eine gewiſſe Verwandtſchaft mit dem joeben beſpro⸗ 
henen. Wenn auch beide unabhängig von einander entitanden find, fo 
verfolgen fie doch ganz ähnliche Ziele und find fo ziemlih von dem naͤm⸗ 
lichen Geifte befeelt, der fih in der Körner’ihen Schrift nur etwas ener- 
giſcher ausfpriht. Fröblih behandelt eine Anzahl pädagogifcher - Zeit: 
fragen, um „hinzuwirken auf Emporbebung der Volksſchule zu einer 
wahren Vollserziehungs:Anftalt, auf die Heranbilvdung des Lehrerftandes zu 
innerer und äußerer Selbfiftändigkeit, auf eine mürbevolle Stellung der 
Volksſchule anderen Factoren der Civilifation gegenfiber, auf eine der 
menſchlichen Würde entjprehende, humane Behandlung ver Zöglinge. — 
In ſechs Abfchnitten verbreitet fi das Buch über folgende Gegenftände: 
„Die bleibenden Früchte der Voltsfhule. Das Veränderlihe und das 
Bleibende over das Zeitlihe und das Ewige in der Pädagogil. Der 
Lehrer und: fein Ideal. Unſere Schulftrafen vor dem Richterſtuhle der 
Paädagogik. Das Auffihtäreht der Kirche über die Schule Beachtens⸗ 
iwerthe neuere Gefeße und Verordnungen auf dem Gebiete der Volksſchule.“ 

Der Berfafier bat bei Ueberarbeitung der neuen Auflage die Winte, 
welhe ihm von verjchiedenen Seiten ber über die erfte Auflage zugegangen 
waren, jorgfältig geprüft und benußt. Wenn man nun aud nicht allen 
Einzelheiten in der Gedantenentwidelung Frohlich's zuftimmen, ja ſelbſt 
principielle Ausftellungen an feinem Buche machen kann (3. B. bezüglich 
des „Auffichtörechtes der Kirche”): fo muß doch entſchieden anerlannt 








‚Pädagogik. 225 


werben, baß die vorliegende Schrift aus regem Streben, edler Begeifterung 
und fleißigen Studien entjprungen ift und daher ber deutſchen Lehrerwelt 
eine anregende und bildende Lectüre bietet. 


17. Outadten über zwei Schulfragen Bon M. A. Beer. Wien, 
Beck'ſche Univerfitäts-Buchhanblung, 1866. (47 ©.) Mi. 8. 4 Sgr. 


Die erfte hier behandelte Schulfrage lautet: „Ob die geſetzliche Schul⸗ 
pflicht von ſechs auf acht Jahre, rüdfichtlich bis zum vollendeten 14. Le: 
bendjahre auszudehnen ſei.“ Die Frage wirb nicht definitiv beantwortet. 
So lange nämlih die Bildung der Lehrer eine mangelhafte, die Schüler 
zabl eine übermäßig große und der Schulbefuh ein unregelmäßiger ſei, 
könne man die Mangelbaftigleit der Erfolge des Schulunterrichtes vielleicht 
mit Recht aus dieſen Uebelſtänden allein ableiten; erſt wenn biejelben bes 
feitigt feien, ließe fich ermeſſen, ob man flatt der in Deſterreich üblichen 
ſechsjaͤhrigen Schulpflidhtigleit eine adhtjährige feitzujeben nöthig babe, was 
dem Berfafier der „Gutachten mindeftens zweifelbaft iſt. Im außer 
öfterzeichiichen Deutſchland möchte wohl laum ein Pädagog eriſtiren, ber 
einen Schulbeſuch bis zum zwölften Jahre, ſelbſt unter günfligen Berhält 
nifien, für ausreichend bielte. Indeſſen kann ja für Defterreih die Beſei⸗ 
tigung der angeführten Schulcalamitäten und mancher anderen noch bring: 
licher fein, als die Verlängerung der Schulpflichtigfeit. 

Bei Beantwortung ver zweiten Yrage: „In welcher Weiſe die An⸗ 
Ralten für Lehrerbildung zu verbejlern, rüdfichtlich die beſtehenden Präpa- 
randencurſe zu reorganifiren jeien” — kommen mande ganz gute, aud 
fonft ſchon oft ausgefprodene, Säße vor; viele andere aber erregen lebhaj- 
tes Bedenlen. Zu ven legteren rechnet Referent 3. B. folgenne: „Den 
Umfang der Lehrerbildung bezeihnet nah meiner Anfiht am veutlichiten 
der Inhalt der Schulbücher. Denn diefe find das Inſtrument, auf 
dem der Lehrer feinen Schülern vorzufpielen, bei ihren Uebungen mitzus 
fpielen bat.” (Es fragt fih nur, wie's klingt, und wie hoch der Lehrer 
über feinen Schülern ftehen fol.) „Der Unterricht ift den Lehrzöglingen, 
wenn auch von höherem Standpuncte, doch genau in jener Yorm zu geben, 
in der man (mer denn?) wünfcht, daß fie ihn wieder den Kindern geben.‘ 
(Ro joll denn da der höhere Standpunct herlommen?) „Eine jogenannte 
Mufterjchule mit der Anftalt (dem Seminare) zu verbinden, an welcher die 
Böglinge methodifh geübt werden, ſcheint mir nuzlos,“ — mir nicht. 
Und fo finden fih noch manderlei Dinge, die den „Gutachten“ etwas 
Unbeimlides geben. Dod möge man in Defterreich felbft zuſehen, in wie 
fern fie gut und nüglih zu leſen feien; für das übrige Deutfchland werben 
füherlich feine Reformen aus ihnen entjpringen. 


18. Ueber bas Berbältniß bes Staates zum Erziehungsweſen 
Bon Zohanned Elaafjen. (Verbefierter und jehr erweiterter Abbrud aus 
dem „Gsangeliihen Schulblatt.‘) Gütersloh, Bertelsmann, 1866. (112 
8) tL 8. 10 Sgr. 


Diefes Buch enthält nach der Verſicherung des Verfaſſers „Wahrheit, 
einfahe, und nur darum Mandem vielleiht neue, weil um einen Zoll 
Päd. Jahreßbericht. XIX 15 


226 Pädagogik. 


tiefer geſchoͤpft.“ Gewöhnlih nimmt man an, daß jemand feine Henke: 
sungen nur dann fchlehthin als Wabhrbeit zu bezeichnen vermöge, wenn ſich 
diefelben auf binreichend verbürgte Thatfachen, oder auf eract begründete 
Lehrfäbe beziehen. Hier aber liegt eine indivibuelle Theorie und noch 
dazu eine von anderen Theorieen eingeftandenermaßen jehr abweichende vor. 
Das hieraus entjpringende Bedenken löft jedoch der Verfafler durch die 
weitere Verfiherung, daß er jeine Abhandlung gefördert habe „aus bem 
Schachte vefien, in welchem verborgen liegen alle Schäge der Weisheit und 
der Erienntniß. Sein Bub fol nur enthalten: „Säße, gegründet auf 
die Erlenntnik des Heiles im Reihe Gottes nad der heiligen Schrift und 
beftätigt durch die Gejhichte.” -- Bevor er nun feine eigene Staatstheorie 
giebt, weift er die Profefioren Philippi in Noftod und Wuttle in Helle, 
ferner Rothe, „den berühmten, nur leider neuerdings in böjes Geſellſchaft 
verftridten Heidelberger Profefior‘‘, eben jo ven „ſeligen Stahl” fammt den 
„Gonfervativen ‘, nit minder auch die demokratiſchen „Leugner des Herrn 
Herrn‘ gründlich zurecht, weil fie jämmtlih falſche Staatslehren aufgeſtellt 
baben. Diefe Polemilk erhält durch einen Zuſatz burfchilofer Kraftausprüde 
den gehörigen Nahdrud und erinnert durch ihren Humor an Abraham a 
Sancta Clara, Nah Herren Claaſſen nun ift der Staat „ber Inbegriff 
aller Orbnungen bebufs Heritellung und Aufredhtbaltung der Ordnung, 
db. h. eines geordneten Zuſtandes. Er ift die Orbnungsanftalt eines folden 
Ganzen perjönliher Wejen, welches ohne dieſe Orbnungsanftalt nicht zur 
Qrdnung kommen oder nicht in felbiger bleiben, alfo nicht beftehen könnte, 
fondern zerfallen müßte in einen Trümmerhaufen, ins Chaos.“ Nothwenbig 
ift der Staat wegen der Sünde, der Erbfünde; und Gott felbft gründete 
ihn, indem er ein Zeihen an Kain machte, daß ihn Niemand tobtichlüge. 
Auf die nähere Ausführung der Staatötheorie folgt ein längerer Grcurs 
in die Gejhichte. Es ift die Nede von den Staatseinrihtungen der Baby- 
lonier, Perſer, Aegyter, Inder, Chinefen, Griechen und Römer; bejonbers 
aber wird die bibliſſcche Gejhichte, von Adam bis zum „Thier“ und zer 
„Hure In der Offenbarung, vom politiſchen Stanbpuncte aus betrachtet 
und dann weiter die flaatliche Entwidelung im chriftlichen Zeitalter bis zur 
Gegenwart, wo man im Begriffe ilt, „eine neue und viel unheilvollere 
weil gänzlich liebe: und mitleivsleere, unperfönlich-berzlofe Rechtsgewalt auf 
zurichten, die den jechsjährigen Knaben wo möglih zum Turner, echter, 
Declamator, Parlamentsfahnenfchwenter und daneben zum inbuftriellen 
Schlaufuchs und nichts mehr heilig haltenden „Staatsbürger erziehen 
möchte, ver antihriftlihe Staat.” — Schließlich wird gefolgert, daß der 
Gtaat als ſolcher berechtigt fei, den Schulzwang auszuüben, damit alle 
Kinder das 2. bis 8. Gebot, ſowie das Lejen und Schreiben lemen. 
Ueber den gefammten übrigen Unterricht hätten eigentlih nur die Eltern 
Beitimmung zu treffen. Sofern aber viejelben nicht die rechte Mündigkeit 
befäßen, hätte die Staatsobrigkeit das Recht und die Pflicht, „Vater und 
Mutterftelle felbjt über die ihr untergebenen Väter und Mütter zu vertreten 
und damit Vater= und Mutterftelle an den unerzogenen Kindern derjelben. 
Sie wird aljo, formal, ven Schulzwang geſetzlich aufzuftellen und durchzu⸗ 
führen, material aber eben fo zu beftimmen haben, was und wie viel im 





Pädagogik, 227 


vr Säule gelehrt werden ſoll.“ Aber auch den „politiih mündigen 
Eitern” gegenfiber bat „bie chriftliche Obrigkeit immer noch ein Mittel in 
Händen. Was zu erzwingen ihr nicht erlaubt ift, kann fie, alfo auch foll 
fie, auf anderm Wege zu erreichen ſuchen.“ Als folde andere Wege wer: 
den 3. B. vorgefhlagen: „Gründung von Mufterfhulen im chriftlichen 
Geifte‘, „Einrihtungen höherer Lehrer: und Lehrerinnenjeminare und Be 
fegung derjelben wit erprobten chriſtlichen Lehrern”, „‚Creirung und Bege 
bung von Docenturen und Profefluren für chriſiliche Pädagogik an Univer- 
täten‘. „Alles dies und noch Mehreres kann fie und foll fie, zwar nicht 
ale Staats, auch nit als Reihsobrigleit . ... . aber als mächtige, ver: 
mögende Privatmacht im Staate. Nicht dur fein Amt... . . aber als 
Periönligleit . . . mag der rifllide König die . . . mächtigen privaten 
Mittel dazu verwenden, in biefer Weiſe innere Miffton zu treiben. ... . . 
Keinen: Andern werben die Geldmittel alfo fließen, auch in dieſer Sade, 
wie ibm, bat er anders ein Herz für die Sache. Wohl ung, die wir im 
ꝓteußiſchen Baterlande ein fol Herz bei unfern Königen vorauszufehen 
und gewöhnen durften.” 

Dies find denn die widhtigften der „Säße, gegründet auf die Erlennt- 
as des Helles im Neiche Gottes nach der heiligen Schrift und beflättgt 
durch die Geſchichte.“ Der Lofer wirb es dem BReferenten nicht verargen, 
wenn ex ſich bier jedes Urtheils enthält. 

Bemerlt fei nur noch, daß das vorliegende Buch mit zur Unter: 
Rüpımg der Schrift von Dörpfeld: „Die freie Schulgemeinde und ihre 
Anſtalten“ u. ſ. w. verfaßt und daß biefer Schrift im Beſonderen ein 
auskührlihes „Rad und Schlußwort“ gewidmet ift. 


19. Die Bröparenbenbilbung auf Orunblage bes Regulativs 
vom 2. October 1854. (Cine Hanbreihung für Präparandenbildner 
von Ed. Förfter, Seminarlehrer in Minfterberg. Breslau, Mälzer, 1867. 
(45 ©.) 8. 6 Sgr. 


Das Schriften ift mit Geſchich gearbeitet und enthält viel Gutes, 
&o kann wane nur zufiimmen, wenn von einem Seminarajpiranten ein 
fjrommes, empfängliches Gemüth, Offenheit, Ehrlichkeit, Friſche, milliger 
Gehorfam, fittenzeiner Sinn, geiſtige Begabung, Lörperlihe Geſundheit und 
Züchtigkeit gefordert wird. Gben fo verdient es Beifall, daß als das beite 
Mittel der Präparandenezziehung die Arbeit, biernähft die Gewöhnung 
an Sorgfalt, Genauigkeit, Gründlichleit, Ordnung, Sauberleit, gebildete 
Sprache, die Pflege des Zurnunterrihts und als das Hauptziel die Tüch⸗ 
tigleit der Geſinmung bezeichnet wie. Es folgt dann eine Auseinander⸗ 
fegung über den PBräparanbensiinterricht. Belanntli beſtehen äber vie 
Vorbereitung junger Leute für das Seminar noch principiell verfchiebene 
Anfihten. Stellt man ſich aber auf den in vnrliegendem Schriftchen eins 
genommenen Stanbpunet, jo muß man zugellehen, daß daſſelbe im Gangen 
den Grundſaͤten einer rniionellen Divaltit und Methodik folgt, und baf 
es aus den Beitimmungen des Regulativs immerhin etwas recht Leibliches 
zu sahen weiß. Menn die für den Lehrerberuf beftimmten Jünglinge 
wirklich die oben bezeichneten Gigenjhaiten beſizen unb in der MPräparans 

15* 


228 Pädagogik. 


benanftalt nach Förfter’3 Grundfägen erzogen, ſowie nad dem von ihm 
porgezeichneten Plane in Religion, deutſcher Sprache, im Rechnen, in ber 
Raumlehre, im Zeichnen, in den Realien und in ver Mufil unterrichtet 
werben : jo können die Seminare bei guter Ginrihtung und gutem Willen 
fiher viel höhere Ziele erreichen, ald das betreffende Regulativ feftftellt. 


20. Bäpagogifhe Vorträge und Abhandlungen im zwanglofen Heften. 
Erfter Band. I. Theologen ober —— 9 — Ein Vortrag im 
Leipziger Lehrerverein gehalten von Dr. Paul Moͤbius, Director der 1. 
Bürgerichule. Leipzig, Klinkharbt, 1867. (20 ©.) gr. 8. 3 Sgr. 


Es wird ausgeführt, daß ſowohl die Theologen, als aud die Semi⸗ 
nariften manche Vorzüge, wie mande Fehler an fih haben. Die nambaft 
gemachten Vorzüge und Fehler find freilich „nicht Allen“, aber doch „Ber: 
ſchiedenen von ihnen” eigen. Es hätte aud können fonft noch Dies und 
Jenes gejagt werben, ſchadet aber audy nichts, daß es nicht gejagt if; 
denn von etwas Sicherem und Gewiſſem ift ja einmal nit die Rebe. 
Mir finden bier nicht eine Analyje der Begriffe „Iheolog” und „Semi⸗ 
nariſt“, nicht eine Vorführung wejentliher Merkmale, fondern ein Her 
ausgreifen von Einzelheiten und ein Hinten nad beiden Seiten. Was 
ift nun der langen Rede Turzer Sinn? „Verſuche ich e3 daher jebt lieber, 
aus dem Gejagten ein Zacit zu ziehen, jo dürften die Vorzüge und Mängel 
der Theologen denen der Seminariften wohl ziemli die Waage halten (es 
fommt eben darauf an, was man gerade in bie beiden Waagſchalen legt), 
während die leßteren, die Mängel beider, mir gegen ihre Vorzüge fo über: 
wiegend erjcheinen, daß fi mir ald Beantwortung auf die Eingangs ger 
ftellte Hauptfrage der Satz aufprängt: Weder Theologen, noch Seminariften, 
fondern Pädagogen!" Das ift ein fonverbares Ergebniß. Denn daß die 
Lehrer Pädagogen fein follen, ſteht doch wohl aud ohne einen bejonderen 
Vortrag heutigen Tages eben fo feit, ald daß Aerzte Mediciner fein follen, 
daß überhaupt die verſchiedenen Berufsarten von Sahverftändigen zu 
betreiben find. Theologen als ſolche find freilich noch feine Lehrer, und es 
ift allenthalben und durchaus ein bloßer Mißbrauch, fie auf ihr Candida⸗ 
tenzeugniß bin zu Lehrern zu mahen. Woher aber der Gegenjab kommen 
fol: „Nicht Seminariften, fondern Pädagogen” — dies ift ſchwer zu er⸗ 
Iennen. Sind denn Seminariften, d. h. ebemalige Seminariften, und 
Pädagogen Gegenſätze? Ich glaube nit, daß diejenigen Leipziger 
Lehrer die fchlechteften feien, welche einft Seminariften gewefen fiir. Das 
Seminar ift ja doch eben eine pädagogische Anftalt, ſohl es wenigftens 
fein. Und ver obige Vortrag hätte demnach nur zu dem Schlufie lommen 
können: Weder Theologen, noch ſchlechte Seminariften, fondern fachmäßig 
bucchgebildete Lehrer. Schließlich kommt ja der Vortrag auch darauf 
binaus, daß gute Seminare bie geeigneiflen Bildungsanftalten für kürnfe 
tige Lehrer feien, wenn auch gewünſcht wird, daß benfelben nod der Bes 
fuh von Univerfitäten geftattet werben möge. 

Es läßt fih allenfalls denken, wozu diefer Vortrag gebalten, kaum 
aber, wozu er in Drud gegeben worden fei. 








Pädagogik. 229 


21. Wie Tann ber chriſtliche Folkaſchnllehrer an ber Schnlijngend 
Seelſorge üben? Zwei Vorträge von Dr. F. W. Weber, Pfarrer. 
Sum Beten einer wobhlthätigen Stiftung. Ansbady, Junge, 1866. (20 ©.) 
gr. 8 


Das Schrifthen geht von dem Sage aus, „daß Kirche und Schule 
zufammengehören und zujammen bleiben follen” und kämpft dafür, „daß 
die Schule die Erziehung in demfelben Sinne aufjafle und übe, mie bie 
Kirche.“ Von diefem Standpunkte aus wird nun erftend „Der Schulunter 
riht im Sinne der Seelſorge“, zweitens „Die Verbindung des Volksſchul⸗ 
lehrers mit dem Pfarrer zum Zwede der Seelforge an der Schuljugend” 
betrachtet.” Im erften Bortrage find einige der belannten Grundjäße über 
die Erziehlichleit des Unterrichts ausgefprohen, nur daß der Herr Pfarrer 
den kirchlichen Ausprud „Seelforge” ftatt des pädagogischen ‚Erziehung‘ 
gebraucht. Der zweite Vortrag begleitet den Lehrer „zu feiner feeljorger« 
lichen Mitarbeit als Helfer des Pfarrers. Da wird benn zunaͤchſt ver- 
langt, daß der Lehrer dem Pfarrer mit feiner „Perſonallenntniß“ diene; 
der Pfarrer nämlidy erfahre nicht leiht Etwas von dem Leben ber Ges 
meinde, weil die Gemeinden um die Pfarrhäufer ein Gehege zögen und bie 
Glieder verfelben auf die Nachfragen des Pfarrers keine rechte Auskunft 
gäben. Da müfle nun der Lehrer mit feinem Willen dem Pfarrer dienen 
und ber Pfarrer fih dienen laſſen. Yerner müfle der Lehrer dem Gonfirs 
mandenunterrichte des Pfarrers Vorſchub leiften, ihm vie beflen Stunden 
überlofien und auf ben Geift des lirchlichen Unterrichts eingehen. Die 
Disciplin in Kirche und Schule müſſe eine durchaus geiſtliche ſein, und 
daher habe der Lehrer alle ernſteren Schulfünden zur Kenntniß des Pfarrers 
zu bringen. Bu alle dem müfle fih nun ver Lehrer unter der Schulauf- 
ficht des Pfarrers die rechte Weihe verfhaffen. Wer gegen biefe Art ber 
Schulauffiht fei, kämpfe gegen den ſpecifiſch chriftlihen Charakter der 
Säule. Zwar liege in diefer „Auflehnung‘” auch ein berechtigtes Moment. 
„Bährend auf vie Schule und ihre Hebung Fleiß verwendet worden ift, 
iſt die geiftlihe Schulauffiht in ihrem plan» und ziellojen Charakter, in 
ihrem Mangel an Form und an der Begrenzung ihrer Aufgabe ftehen ge⸗ 
blieben. Die geiftlihe Schulauffiht hat etwas Willtürlihes in ihrer Aus: 
führung. Die Willtür ift aber wirklich etwas Beläftigendes. Der andere 
Mangel ift dann der, daß bie Aufficht zu wenig darnach beichaffen ift, 
fruchtbar zu fein. Mehr wie die Ausübung eined Nechtes, oder einer Prä: 
tenfion erjcheint fie, denn als Ausübung einer heiligen Pflicht.‘ Das foll 
aun aber befjer gemacht werden, um die Verbindung zwijchen Pfarrer und 
Lehrer zu erhalten, damit ver Lehrer den Helferdienft gegen den Pfarrer 
gern erfülle. 

Wir lönnen ung mit den Gebanfen des Heren Weber nicht befreuns 
ben. Die Schule kann die Erziehung nit in dem Sinne auffaflen und 
üben, wie die Kirche, d. h. thatſächlich wie der Herr Pfarrer, jondern in 
bem Sinne der pädagogifhen Wifjenihaft. Eben deshalb kann 
auch ber Lehrer nicht zum „Helfer des Pfarrers““ geitempelt werden, der 
Lehrer hat einen höheren Dienft, er ift nit ein Merlzeug perjönlicen. 
Beliebens, auch wenn dieſes Belieben mit der Prätenfion göttliher Weihe 





280 | Padagogik. 


auftritt, ſondern er iſt Bildner der Jugend nach Maßgabe der Geſeße und 
Bedürfniſſe der Menſchennatur. Der Lehrer bat daher auch nicht den Bes 
euf, dem Pfarrer mit den von ihm gewünjhten Nachrichten zu dienen. 
Wenn der Herr Pfarrer in feinen Mußeftunden von Neugierde oder Wiß⸗ 
— heimgeſucht wird, fo möge er nur ſelbſt fein „Gehege“ durch⸗ 

beehen. Iſt er der Mann bed Vertrauens feines Gemeinve, und bas kann 
und foll-er fein, jo braucht er fich nicht zu fcheuen, mit den Leuten auch 
ohne den ſchützenden PBrieftermantel zu verlehren, und dabei wird er ſich 
bie nöthige Berjonallenntniß leicht direct erwerben. Halte er aber das, wie 
er wolle; mir wünjchen nicht, ihn zu bevormunden ober zu bemuffichtigen. 
Aber er fol auch dem Lehrer feine Hudelei machen, fondern ihn ungeſchoren 
lafien. Wenn einmal der Lehrer zur Pfarrklatſche binabgejunten ift, dann 
ift er ſchon halb verloren. Und wenn auch Herr Pfarser Weber jagt, er 
verlange vom Lehrer feine „Bütteldienfte” und kein „denunciatoriſches We⸗ 
ſen“, jo können dieſe Verfihermgen das Gejährlihe und Friedenſtoͤrende 
der von ihm verlangten Verhältniffe nicht befeitigen. Die Uebelſtaͤnde der 
geiftlihen Schulaufficht ſchildert er ganz gut; aber er ift im Jerthum, wenn 
er glaubt, durch ein geſchicteres Arrangement dieſe Webelflände befeitigen 
zu lönnen: denn fie find ber geifllihen Schulaufſicht weſentlich, d. b. 
darin begründet, daß die Pfarrer als foldye zur Schulauffiht weder befähigt 
noch berechtigt find. 

Auch wir wünſchen im Intereſſe der Eivilifation ein recht innige® und 
harmoniſches Zuſammenwirlen des Pfarrers und Lehrers, aber auf der von 
Herrn Weber vorgeihlagenen Bafıs ift es unmöglich. 


22. Ueber den Einfluß der Geiſtlichen in ihrer amtligen Stellung 
ut Säule. Brit Benugnafme auf Dr. Schentel’e Thefen, „betreffend das Recht 
er Kirche auf die Schule.” Bon A. Küben, Seminarbirector in Bremen. 
Bremen, Diäller, 1867. (39 ©.) 8. 74 Sgr. 


Mer etwa durch die Lectüre der Weber’ihen „Borträge” in eine uns 


behagliche Stimmung verfegt worden ift, bem wird das bier angezeigte 


Särifthen von Lüben als wirkſames Remedium vienen. Dafjelbe führt 
den Beweis, daß die Geiftlihen als folde fih nicht zu Schulinſpec 
toren eignen, weil die meiften derſelben nicht einmal den Religionsunterricht, 
geſchweige denn die übrigen Lehrfächer ven Anforderungen der Pädagogik 
gemäß einzurichten und zu überwadhen im Stande find, und weil deshalb 
die geiftlihe Schulauffiht der Volksſchule zu großem Nachtheil gereicht. 
Die Schulauffiht foll vielmehr der Staat duch Sachverftändige und das 
neben die Gemeinde durch eine Ortsſchulbehörde, in welcher auch der Geiſt⸗ 
lihe Platz finden kann, führen. Wenn auch Referent den gelegentlichen 
Aeuferungen Lüben’s über den pädagogiihen Werth der biblifchen Ge⸗ 
Ichichte nicht unbedingt beiftimmt: fo theilt er doch vollftändig alle weſent⸗ 
lihen Gedanken des vorliegenden Schriftchens, auf defien genauere Anaipfe 
er nur deshalb nicht eingeht, weil er annimmt und wünfdt, baß bie Leſer 
des pädagogischen Jahresberichtes dieſes Schriftdhen felbft leſen. Daſſelbe 
iſt duch und durch Mar und feiih und giebt ſich in jener Weile als 
Arbeit eines ganzen Pädagogen zu ertennen, 





Padagogik. 231 


23. Der Schulmeiſter. Ein Lebenebild, gewidmet den deutſchen Lehrern 
von Caroline Kirchwald. Lahr, Geiger, 1867. (144 ©.) 16. 8 Sgr. 


Eine Novelle, oder ein einer Roman über ein Lehrerleben, das in 
den drei Abtheilungen „Lehrjahre“, „Wanderjahre“ und „Heimkehr“ vecht 
anziehend geſchildert if. Auch das Lehrerleben hat feine wechſelvolle Man: 
nigjaltigfeit und feine Poeſie und ift daher bereits dfterd zum Gegenftande 
belletriftifcher Darftellung gemacht worden. Die bier vorliegende lieft ſich recht 
gut. Das Büchlein ift frei von Ueberjpanntbeiten und leerer Phantaſterei, 
enthält fehr nette Schilderungen mannigfaltiger Lebensverhältnifie, bewegt 
Rh in einer durchaus finnigen, gemüthvollen und concreten Anſchauungs⸗ 
weiſe und einer fchlichten, meiſt correcten Sprache. Daher iſt es recht wohl 
geeignet, dem Lehrer, namentlich dem jüngeren, einige Mußeftunden angenehm 
zu nfahen und zugleich Anregung zu mancherlei förberlihen Betrachtungen 
über feinen Beruf zu geben. An kleinen Schwächen bürfen wir bei einem 
ſolchen Büchlein nicht mäleln. 


YII Gymnafium, Realſchule, höhere Mädchenſchule. 


. PBäpagogi Se Briefe. Aus der Erinnerung an Gregor Wilhelm Nitich. 
Bon Br. ie rich Ried. eiefefetb und , Belhagen und Klafing, 
18867. a. 332 ©.) gr. 3. 1 Thlr. 


Gin ganz vortreffliches Buch über Begriff, Aufgabe und Methode des 
Gymnafiums, aljo eine Gymnaſialpaͤdagogik, nicht in fireng ſyſtematiſcher, 
jondern in freierer, ſtellenweiſe aphoriſtiſcher, aber um ſo anregenderer Form. 
Der gediegene Inhalt wie der reine und leichte Styl des Buches zeugen 
von claffifcher Reife und freier Beweglichkeit des Geiſtes. In zweiundzwanzig 
Abſchnitten („Briefen“) behandelt es die Regierung, bie Infpection, die 
nationale Bedeutung, die Lehrer: und Schülerverhältnifie, die Erziehungs: 
grundjäße, die Lehrorbnung, die Unterrichtöziele, die einzelnen Lehrgegen- 
Hände des Gpmnafiums u. ſ. w.; kurz, es möchte kaum ein wejentlicher 
Punkt der Gymnafialpädagogit unbeachtet geblieben fein. Dabei ſpricht 
der Verfaſſer allenthalben frisch aus dem Leben, meiſt aus eigener Erfahrung, 
immer aber aus vollem Herzen und innerfter Ueberzeugung heraus, ohne 
gelehrte Abſchweifungen. Mit großer Sinnigleit und einer dem Meiſter 
wie dem jünger in gleihem Mabe zur Ehre gereichenven Pietät Inüpft 
Ried feine miunnigfaltigen Betrachtungen an das Leben, Wirken und Lehren 
des verdienftpollen Philologen und Schulmannes Nitzſch, deſſen Charalters 
bild, mit einzelnen Hauptzügen beginnend, fi im Fortgange des Buches 
burd) zahlreiche Speciglitäten mehr und mehr entfaltet und belebt. Nipfch 
erjheint als eine überall anregende, der freien Gniwidelung innerlich zuges 
weigte, ächt pädagogiſche, man möchte fagen inductive Natur. 

Es ift ſchwer, den Inhalt eines ſolchen Buches in Kürze genügend 
zu bezeichnen. Wir führen daher nur einige Stellen aus demſelben an, 
um feinen Geiſt etwas genauer and Licht zu ſtellen. „Büreagukratie iſt 
eine Erfindung der angemaßten oder vermeintlichen Omnipotenz des Staa⸗ 


232 Padagogik. 


tes und ſeiner Adminiſtration. Das innere Motiv iſt das Mißtrauen ge⸗ 
gen die Fähigkeit, den guten Willen und die Redlichkeit der Untergebenen.... 
Sie ignorirt die unerſetzliche Bedeutung der Perjönlichleit für jedes ver: 
ftändige und energifhe Handeln, ſowohl der Regierenden, als auch ber 
Regierten. . . . Sie banbelt nad Abftractionen und empfindet nidht den 
belebenden und erfriſchenden Haudy der Wirklichkeit” u. |. w. Die Schule 
jol ihre Triebfever im pädagogischen Geiſte, nicht in einem von oben, d. h. 
von außen wirkenden Schulregimente haben. „Theologie allein befähigt 
noch nicht zum Neligionsunterriht im Gymnaſium. Wie einer, der 
Philolog ift, damit noch nicht dem Gymnaſium angehört, jo auch nicht, 
wer blos Theolog if. Gin Theolog, melder vom Gpmnafium aus feinen 
Blid und Sinn auf das geiftlihe Amt hinwendet, ift fein rechter Gymna⸗ 
ſiallehrer; jeder Lehrer muß mit feflem Interefie und einem in fich einigen 
Bemußtfein ungetheilt feinem Amte angehören.” Das Geſagte gilt für alle 
Schulen, aud für die Vollsihule. „Nitzſch fordert für den päbagogijchen 
Beruf „Kenntniß der Menfchennatur nad ihren Kräften und die richtige 
Beurtheilung der Bilvungsmittel, zweitens edle Gefinnung, welhe bie Bes 
ftimmung des Menſchen und feiner unfterbliden Seele in allen beſonderen 
Lebensaufgaben gewahrt wiſſen will, drittens Kunde von der Entwidelung 
der Cultur und der Intelligenz der Menfchheit.” 

Das Buch mag bie und da Widerſpruch finden, weil es nicht blos 
gegen die verfnöcherte Routine anlämpft, fondern auch manche reformatorifdye 
Idee enthält, über die fi ftreiten läßt. Das aber fteht je, daß aus 
demſelben zahlreihe Winke fofort in die Praris hinübergenommen werben 
koͤnnen, und daß es ein fräftiges Gegenmittel gegen Stagnation und eitie 
Selbftzufriedenheit ift. 


25. Eins nad dem Andern! Gin Vorichlag zur Reform bes Unterrichts 
weſens mit bejonderer Rüdfiht auf bie Gelehrtenichulen, dargelegt von 
Albert Biſchoff. Nörblingen, Bed. 1866. (35 ©.) 8. 6 Ber. 


Der Berfafier geht von den gegenwärtig oft lautwerdenden Klagen über 
die Mangelbaftigleit des Volksſchulunterrichts, beſonders aber über den 
„Verfall unferes Gelehrtenſchulweſens“, vie er durch einen Nachweis ber 
ganz ungenügenden Rejultate des Oymnafialunterrihts in allen Fächern zu 
begründen fucht, zu der Frage über, wie diefem Schaden abzubelfen ſei. 
Er antwortet, man müfje wieder zu dem alten Grundſatze: non multa 
sed multum zurüdtehren, man müjle wieder Ginbeit in den Unterricht 
bringen und ber verberblichen Zerſplitterung deſſelben dadurch entgegentreten, 
dag man „Eins nad dem Andern“ treibe, böchftens zwei Unterrichtsgegen: 
fände neben einander, einen ſchwereren und einen leichteren, etwa Latein 
und Gejhichte, oder Griehiih und Mathematik; auch in ber Volksſchule 
jet eine ähnliche Einrichtung zu treffen. — Zunaͤchſt muß bemerlt werben, 
daß fih der Verfafler irrt, wenn er feinen Vorſchlag für einen ganz neuen 
hält. Derfelbe ift fhon von Ratich, aljo vor circa 250 Jahren, ganz 
ausprüdlih gemacht worden. In der neueren Beit bat ihn namentlich 
Hauſchild (in Leipzig) praktiſch durchzuführen verſucht und zwar gerabe 
im höheren Unterrichtsweſen. Auch ift in der päbagogifchen Theorie über 











Pädagogik. 233 


diefe Art von Concentration des Unterricht bis auf unfere Tage vielfach 
verhandelt worden (vol. z. B. Beneke, „Erziehungss und Unterrichtslehre‘ 
8. 104). Diefer Irrthum Biſchoffs kommt offenbar daher, daß er den 
Werth der pädagogifchen Literatur unterfchäßt und fi) daher zu wenig um 
fie kümmert. Gleich der erfle Satz feines Schriftchens lautet: „Nicht 
leicht giebt es ein unfruchtbareres Gebiet als das der paädagogiſchen Litera- 
tar.” 68 fragt ſich nur, wie diefelbe befchaffen ifl. — Bon dem Gefagten 
abgejehen aber müflen wir das vorliegende Schrifthen als ein ganz gutes 
bezeichnen. Der Berfafler ift offenbar ein regjamer und denkender Schul 
mann; dies zeigt fi im Ganzen, wie beſonders darin, daß er durch 
eigene Betrachtungen auf einen ſchon alten Vorſchlag, der übrigens bis 
zu gewillen Grenzen Berechtigung bat, gelommen if. Auch darin hat ber 
Berfafler Recht, daß in den Schulen die Hauptſache auf der Perſönlich⸗ 
feit der Lehrer berube. Ein edles Streben nad Selbftaufllärung und 
Berbeiierung des Schulweſens gebt durch das ganze Schriften. Ich 
müßte mich fehr irren, wenn nicht das vorhin angezeigte Buch von Ried 
dem Herrn Biſchoff zu großer Befriedigung und vielfeitiger Belehrung 
gereichte. 


26. Die Realſchule in Sonderburg, zugleich ein Botum über bie Real 
ſchule überhaupt in unferem Seimatlande, vom Rector Th. Hanſen. 
Sonberburg, la Motte. 1866. (41 ©.) 8. 74 Sgr. 


Im Allgemeinen nicht beveutend, weil dem Kenner des Realſchulweſens 
bier faum ein neuer Grundgedanle entgegentritt. Immerhin aber ift es 
von Intereſſe, den fpeciellen Werdeprozeß einer Unterrichtsanſtalt kennen zu 
lernen, zumal wenn diefe Anftalt auf einem fo anziebenden Gebiete erftebt, 
wie e3 gegenwärtig die Elbherzogthbümer und namentlih die nördlichen 
Grenzftriche derjelben find. Sachkenntniß, pädagogifher Blid und rege 
Thatkraft ſprechen übrigens unverlennbar aus diefem Schriften. 


27. Das Schulwefen bes preußifhen Staates. (Abbrud aus 

ber National-Zeitung.) Berlin, Friedrich Schulze. 1866. (46 ©.) gr. 8. 

73 Ser. 

Der Berfafler hat faft ausfchließlich das Höhere Schulmefen im Auge. 
Die Thatſachen, melde den Ausgangspunkt feiner Betrachtungen bilden, 
bat er aus amtlihen und anderen zuverläffigen Quellen entlehnt. Vorzugs⸗ 
weife find die Berliner Verhältnifle berüdfichtigt, meil viefelben ver 
Hauptſache nad) auch in den übrigen preußifchen- Städten ſich wieder finden 
mõchten. Wir erfahren aus dem Schriftchen, daß Berlin gegenwärtig 8 
Symnafien (2 neue find im Entſtehen), 5 Realſchulen erfter Ordnung, 
1 Realſchule zweiter Ordnung (1 neue foll begründet werden), ferner „eine 
eben erft fertig gewordene Bürgerfchule, welche jeboch fofort in eine Real: 
ſchule erſter Ordnung verwandelt wird“, endlich eine Handelsſchule und 
eine Handels⸗Akademie hat. Zwiſchen dieſen hoͤheren Schulen und den 
Elementarſchulen ſtehen 8 höhere Knabenſchulen unter „Schulvorſtehern“, alfo 
wohl Privatanftalten. Die höhere Bürgerfchule fehlt ganz. Sie 
muß durch die mittleren und unteren Klaſſen der Gymnaſien und Realichulen 





234 Pädagogik. 


erjebt werben, welde daher überfüllt find, während die oberen Klaſſen der 
Realihulen fo leer find, „daß eine einzige Anftalt diefer Art dem Bebürf- 
niß vollftändig genügen würde. Auch auf den Eymmaſien herrſcht dieſe 
Abnormität, obwohl in geringerem Maße. Dabei wird berporgehoben, „daß 
diejenigen Schüler, welche von dieſen Anftalten (Gymnafien und Realſchulen) 
nihts als das Zeugnißder Reife zum einjährigen Militär 
dienft mitnehmen wollen, für die Schulen eine Laft und 
ein Hemmniß find.” Weiter beibt es: „Der größte Theil der Schü⸗ 
lex unſerer höheren Lehranſialten verläßt diefelben, ehe er die von ihnen 
gebotene Bildung ganz, jehr viele oder vielmehr die meiften, ehe fie nur 
die Hälfte verfelben erreicht haben. Der künftige Kaufmann over Banquier 
3. B. welder das Gymnafium befuht, um fi fofort, nachdem ex fein 
Zeugniß mit der Berehtigung zum einjährigen Dienſt erwor 
ben bat, von demſelben zu trennen, hat fich beften Falls eine Anzahl lateis 
niſcher Phrafen und griechiſcher Formen, die Verba auf ve und einige 
unregelmäßige Beitwörter eingeprägt; aber es fehlt ihm bie erforderliche 
Fertigkeit im praktifhen Rechnen, die nöthige Kenntniß des Engliſchen und 
Franzoͤſiſchen, um auch nur einen faufmännifchen Brief abzujchreiben, ge 
fhweige denn zu beantworten und zu entwerfen... .... Nicht viel befier find 
übrigens in einem folhen Falle die Zöglinge der Realſchulen daran: fie 
nehmen mit dem Zeugniß, das fie zum einjährigen Dienft bes 
fäbigt, einige trigonometrifhe Formeln, einige Clementarbegriffe ber 
Phyſik und Chemie, welche fie fämmtli nicht im mindeflen verwerthen 
können, die Yähigleit, mit einiger Vorbereitung leichte Stellen eines fran- 
zöfifhen und englifhen Proſaikers zu überjeßen, und eine ziemlich geringe 
Gabe, fih in ihrer Mutterfprahe auszudrüden, mit, aber es fehlt auch 
ihnen die Uebung im praktiſchen Rechnen, eine eigentliche Fertigkeit im Ge⸗ 
brauch der fremden Spradhen und vor allen Dingen die jo nöthige Ges 
wanbtbeit in der eigenen.“ 

Diefen Uebelftänden ſoll nun, nah Vorſchlag des Berfaflers, die 
höhere Bürgerſchule abhelfen. Für Berlin würden etwa 12 folder 
Anftalten zu errichten fein. Diejelben follen „das für alle Stände gemein: 
fam Wifienswürdige geben, ohne eine Beziehung oder eine Hinfiht auf 
irgend ein von dem Bögling einmal zu ergreifendes Fach.“ Was nun 
der Berfafler fpeciell von ver höheren Bürgerjchule verlangt, läßt fih aus 
dem eben Angeführten ſchon erratben. Es fei daher nur bemerlt, daß er 
ſich beſonders ausführlihb gegen Aufnahme des Lateinifchen in der höheren 
Bürgerjchule ausſpricht. Er ift felbit Philolog und ftellt die klaſſiſchen 
Spraden und Literaturen ſehr hoch; um fo beadhtenswertber find feine 
Gründe gegen eine mibbräuchlihe Zerpflanzung des Lateins in Anfalten, 
wo es nit verwerthet werden kann. 

Dir glauben hiermit ven Inhalt dieſer gebaltreihen und tief ein« 
ſchneidenden Brofhüre fo weit angedeutet zu haben, als es die Pflicht eines 
Referenten forvert. Sie ift mit viel Sachkenntniß und großem Scarfblide 
verfaßt, und es wird ſich ihr nicht viel Begründetes entgegenftellen lafien. 
Denn in der That muß man bie erniteften Beforgnifie für unfere gefammie 
Gultur begen, wenn die jept nicht blos in Preußen, ſondern bereits auch 





Pädagogik. | 235 


anderwärts, obgleich noch in geringerem Maße beftehende Ueberwuherung 
des niederen und höheren Volksſchulweſens durch Bruch⸗ 
ftüde aus dem höheren Schulmefen fid feſtſetzt und noch dazu eine 
entihiedene Alteration des Schulweſens durch das Soldaten⸗ 
weſen tritt. Nachdem das pieußiſche Vollsſchulweſen durch die unge⸗ 
heueren Mißgriffe des herrſchenden Regiments in feiner Blüthe gebrochen 
ft, erllaͤrt fich freilih der Andrang unberufener Elemente zum höheren 
Schulweſen jehr einfach; aber weder können unter ſolchen Verhältniſſen die 
böheren Schulen ruhig und unbeirrt ihrem Biele zufchreiten, noch kann eine 
in fi relativ ganze und abgeſchloſſene, wohl bemefiene, fiher begründete 
und dem wirklichen Bedürfniſſe genügende Vollsbildung erzielt werben. Daß 
man biefe vor der Thüre ftehenden Gefahren rechtzeitig erfenne und abwende, 
dazu giebt das vorliegende Schrifthen eine kräftige Anregung, und man 
muß daher demfelben eine recht umfänglihe Beachtung münchen. 


28. Das höhere Mädchenſchulweßen, feine bieherige Entwidelung 
und Zukunft u. |. w. Bon Richard Schornftein, Director in Elberfeld. 
Eiberfeld, Langewieſche. 1866. (55 ©.) U. 8. 74 Ser. 


Mit Rüdfihtnahme auf zwei in Berlin von Wieſe und Virchow 
gehaltene Vorträge über weiblihe Erziehung zeichnet der Berfafler in Kürze 
die bisherige Entwidelung, die Bedeutung und Aufgabe, die Umrifje der 
verfhiedenen Unterrihtsfächer und den Grziehungsplan des höheren Mäd: 
chenſchulweſens. Gr dringt auf Einfachheit, Natürlichkeit und innere Wahr: 
beit der weiblihen Bildung, hält feft an der Beftimmung des Weibes als 
Hausfrau, Gattin und Mutter und jucht biefer Beſtimmung durch Pflege 
der Geſundheit, des Geiftes, des Gemüthes und der guten Sitte gerecht zu 
werden. Die außerordentlihen Schwierigleiten, welche dem Mädchenſchul⸗ 
weſen aus dem Uebermaß von Anforderungen, die man an daſſelbe flellt, 
erwadhfen,, ſucht ver Berfajler durch zwedmäßige Einrichtungen zu beben. 
Hier freilich liegt eine noch nicht gelöfte Aufgabe. Wenigſtens glaubt 
Referent, dab aud die höhere Mäpchenichule fih noch ſehr befhränten 
und vereinfachen müfle, wenn fie ihr wahres Biel erreichen will. Doch 
darüber vielleicht bei anderer Gelegenheit. Borläufig empfehlen wir das 
vorliegende, mit Ginfiht und paͤdagogiſchem Geifte gejchriebene, Büchlein gu 
recht aufmerkſamer Lectüre. 

Dieſem Berichte fügt die Redaction noch hinzu, daß von 


Dr. Karl Schmidt's Geſchichte der Bübagogif von Peſta— 
fozzt bis zur Gegenwart (ber IV. Band bes Werkes) eine neue, 
von —— Wichard Lange bearbeitete Auflage erſchienen iſt. Ebthen. 
P. Schetier. gr. 8. XX und 1040 ©.) Der Plan des Werkes iſt natür⸗ 
lich umveränbert geblieben ; aber bie beſſernde Hand ift Überall wahrzunehmen. 


— — — — —— — 


VII. 
Geſchhichte. 
Bearbeitet von 


A. Petſch, 
Lehrer in Berlin. 


Dorbemerkungen. 


1) Die großen Greignifie, die im verfloflenen Jahre unfer Vaterland 
bewegten, werben nicht verfehlen, aud auf den Geſchichtsunterricht in ber 
Vollsſchule eine erfriihende Wirlung auszuüben. Mehr und mehr wird 
auch da, wo man bisher die Lokal und Stammeschronit mit befonderer 
Borliebe pflegte, fih die Nothwendigkeit geltend machen, die deutſche Ge⸗ 
ſchichte als ven eigentlihen Grundflod des Geſchichtsunterrichtes in der 
Volksſchule zu betrachten. Bisher mußte bier und da das engere und das 
engfte Vaterland den Hauptgegenftanb der Betrachtung ausmachen; einzelne 
Schollen deutſcher Erde, die felten oder nie der Schauplag entſcheidender 
Greigniffe geweſen find, wurden zu künſtlichen Mittelpuntten ver ganzen 
Geſchichte erhoben, und von da aus betrachtete der Localpatriotismus dann 
die Greignifie in feiner Weife. Nur befcheidentlih und vorfichtig durfte 
der Blid aud über die „ſpecifiſchen“ Grenzpfähle auf das Allgemeine ge 
lenkt werden. Die Perfonaldronit alter Grafens und Fürftengefchlechter 
wurde bisher vielfach ftatt der wirklichen Geſchichte tractirt, in der deutlich 
ausgeſprochenen Abficht, allen Fortſchritt, alles Glüd und Heil der Böller 
als eine nothmwendige Folge und Wirkung des Waltens abfoluter Fürften« 
macht erſcheinen zu laflen. Hoffen wir, daß das immer mächtiger anſchwel⸗ 
lende, alle Adern und Pulfe des nationalen Organismus durchdringende 
öffentliche Leben dazu beitragen werde, überall den Ton ernfter, geſchicht⸗ 
liher Wahrheit bervorzurufen; hoffen wir, daß der Sturm, ver im vers 
flofienen Jahre durch Deutjchland ging, vieles Abgelebte, Kleinliche und 
Engberzige möge hinweggefegt haben, daß immer mehr an die Gtelle ver 
mandherlei Zerritorial: und Hauschronik das Cine treten möge: die Ge 
ſchichte der gefammten deutſchen Nation, ’ 





Geſchichte. 237 


Der Gefhichtsunterriht muß, mie der Unterricht in der Geographie, 
von der Heimath ausgehen, und ſchließlich wieder zur Heimath zurüdlehren. 
Wir beginnen in der Heimathskunde mit der nächſten Umgebung des 
Kindes, um auf Grund ver Anſchauungen, die es bier gewonnen bat, 
geographiiche Begriffe in ihm zu entwideln, die dem ferneren Unterricht 
ald Grundlage dienen follen. Wir durchwandern dann mit dem Schüler 
viele Länder der Erve, um fchließlih in den Rahmen der jo gewonnenen 
Kenntnifie ein vetaillirtes Bild feines Waterlandes einzufügen. In der 
Geſchichte muß derſelbe Weg eingefchlagen werden. Wir beginnen mit dem 
Schüler, auf Grund der Einfiht, die er im gewöhnlichen Umgang und im 
voraufgegangenen Unterriht vom menſchlichen Leben gewonnen hat, ven 
Unterriht in der Geſchichte, und fügen zum Schluß das Wichtigſte aus der 
Chronik feiner engeren Heimath hinzu. Nur fo, nur im Zuſammenhang 
mit dem Allgemeinen kann daS Beſondere Leben und Bebeutung gewinnen. 
Herausgerifien aus diefem Zuſammenhang wird ed zum nichtöfagenden No» 
tigentram. Darum wünfchen wir Lehrbücher, in denen bie Chronik der 
engeren Heimath als ein Appenbir zur deutſchen Geſchichte behandelt wird 
(fei es nun, daß das betrefiende Material von dem Webrigen abgeſondert 
und im Zuſammenhange behandelt, oder den einzelnen Abſchnitten der 
allgemeinen Geſchichte beigefügt werde), nicht aber folbe, in denen das 
Befondere ald Ausgangspunlt dient, um die Gefhichte des Gangen 
gelegentlid daran anzulnüpfen. 


2) Wenn wir dad, was die päbagogilche Literatur im verflofienen 
Jahre an Schriften geſchichtlichen Inhalts neu hervorgebracht hat, über 
bliden, fo ift der Eindrud keineswegs unerfreulih. Zwar findet fih unter 
den uns eingefandten Schrijten feine, welche ganz neue Bahnen eröffnete, 
und eine Weiterentwidelung der didaktiſchen Principien darſtellte, auch iſt 
unter den für „Schule und Haus’ beftimmten Schriften feine, die durch 
Auffoflung und Darftellung ſich qualificirte, über die Grenzen der Schule 
hinauszumwirten, und ein Volksbuch zu werben. Aber die meiften ber neu 
erihienenen Schulbücher find mit jo viel Sahlenntniß, päbagogiicher Gin» 
ſicht und Sorgfalt angefertigt, daß fie jedenfalls in der Schule mit Ruben 
gebraucht werden können. Einige davon zeigen jene Eigenſchaften in fo 
hohem Grade, daß fie fi wahrſcheinlich einen fihern Plab in der deutjchen 
Schulwelt erobern werben. 

Unter den neu erjhienenen Leitfäden befinden ſich zwei, die zwar 
auch nichts weſentlich Neues bringen, aber doch gewifle Elemente neu in 
ven Vollsfhulunterriht zu bringen fuden, die in biefer Sphäre 
bisher noch wenig beachtet wurden ; die erfte Schrift ift wie „Mnemonifche 
Bearbeitung der Welt: und Gulturgefhihte” von Wilms, die andere 
ein mit Sluftrationen verfehenes „Lehrbuch ber allgemeinen Gedichte” 
von Gindely. 

Mehrfach baben in den beiden leßtverflofienen Jahren pädagogiſche 
Zeitſchriften die Anwendung mnemonifcher Hülfsmittel beim Schulunterrichte 
befürwortet. Einzelne Lehrer haben immer ſchon ſolche Huͤlfsmittel bei der 


938 Geſchichte. 


Einũbung bes Lehrftoffes — beſonders ver hiſtoriſchen Daten — benutzt. 
Bor Jahren bereits find mehrere Leitfäden erſchienen, die eine mnemotech⸗ 
nifhe Bearbeitung der wichtigſten Geſchichtsdaten enthielten. Bon jenen 
Bearbeitungen unterſcheidet fi) die vorliegende vom Herrn Seminarlehrer 
Wilms herausgegebene dadurch, daß fie fpeciell für die Vollsfhule be 
ftimmt iſt; fie ift, wie der Herausgeber in der Vorrede bemerkt, auf dieſem 
Gebiete die erite ihrer Art. Diefer Umstand nöthigt uns, über bie Zuläffig 
teit mnemonifcer Hülfsmittel beim Volksſchulunterricht Einiges zu bemerfen. 

In den Schriften, die dem Referenten bisher zu Geſicht gelommen tu, 
befteht der mnemoniſche Kufitgriff darin, daß für die zu merkende Jahres⸗ 
zahl ein Wort fubftituirt wird. Den einzelnen Buchſtaben, auch eingelnen 
Silben der Sprache wird die Bedeutung einer Ziffer beigelegt, und es wird 
nun für jede Jahreszahl ein Wort gejucht, deilen Buchſtaben dieſelhe aus 
vrüden, Diejes Wort wird nun jo gewählt, daß es mit dem betreffenden 
hiſtoriſchen Faltum in einem gewillen Zufammenhange jtebt. 

Es fragt ſich aljo, ob eine derartige mnemonifche Beihülfe auch für 
die Volksſchule erjprießlih fe. Das muß der Neferent, wiewohl er mans 
hen warmen Bertheidiger der Sache kennt, vorläufig bezweifeln. Denn 
erftend wird die Arbeit des Gedädhtnifies nicht überflüffig gemadt, ſondern 
nur erleichtert. Dieje Erleihterung aber ift eine ſehr problematische, Sie 
befteht darin, daß der Schüler ftatt eines Dinges — nämlih dee Jahres⸗ 
zahl — nun mehr deren zwei behalten muß, nämlih den Sclüfiel des 
Spftemd, und die „Merkworte“, wie Herr Wilms die einzuprägenden Auss 
brüde nennt. Freilich braucht jenes nur einmal gelernt zu werben und wird 
- duch fortwährende Uebung befeltigt. Auch wird ein „Merkwort“ im Allge⸗ 
meinen wohl leichter behalten, als eine Jahreszahl. Und fo ift es möglich, 
daß eine mnemotechniſch geſchulte Klafje ein ganz anderes Quantum von 
Jahreszahlen aufweien Tann, als eine Klafle, vie in gewöhnlicher Weiſe 
unterrichtet if. Aber wie nun nach der Schulzeit, wenn das Syſtem nicht 
mehr tagtäglich geübt wird? Welches Nachſinnen wird da nöthig jein, um 
ein Merkwort in eine Jahreszahl umzumandeln! Und wenn nun gar fid 
ein Irrthum einihleiht, und man aus einem T eine 4 auftatt eines 1 
glaubt machen zu müflen, jo wird biefer eine Irrthum eine Quelle ſehr 
vieler anderer. Zudem ift e3 mit dem Behalten der Merkwörter eine 
eigene Sade. Zahlen fann man ganz und gar vergefien, man kann fie 
auch irrihümlicy verändern; aber eine Zahl hat nichts in fi, was einen 
ſolchen Irrthum geradezu hervorriefe und zu Irrungen verleiten 
könnte. Die Zahl hat mit dem Faktum an und für fih gar nichts zu 
tbun. Das ift aber bei den „Merkwörtern“ der Fall. Sie nehmen Bezug 
auf das Faktum und follen ja gerade deswegen recht leicht zu behalten 
jein. Nun aber giebt es in der Geſchichte fehr viele ähnliche Begebenheiten, 
auf die ſehr wohl ein und daſſelbe Merkwort bezogen werben Tann, und 
wiederum bietet ein und viefelbe WBerjönlichleit oder Thatjache oft ſehr var⸗ 
jchiedenartige Seiten dar, jo daß wohl mehrere der erlernten Merlkwoͤrter 
Darauf paßten. Da beißt e8 in dem vorhin erwähnten Bude non Wilms 
bei Philipp von Schwaben: „Doch fürwahr viel Herzeleiv!' a, wie 
piel Perfonen fallen Einem dabei ein, die ebenjo viel und wohl mehr 





Geſchichte. 239 


Herzeleid ausgeſtanden haben, als Philipp von Schwaben. Wen wird bei 
den Worten: „Ein Herr — im Cäſarenreich“ auch immer gerade Diokletian 
einfallen. Es gab mehrere Kaifer im 3. Jahrhundert nach Chriſto, auf Die 
eine ſolche Bezeihnung anwendbar wäre. Bei Heinrich ILL. heißt es: „Zu 
mächtig“ und bald darauf bei Gregor VII: „Zu ſchroff.“ Aber wen 
wird nit beim Ramen Heinrich's III. die lebtere Bezeichnung eher ein: 
fallen, als jene erftere, da gegen das Ende feiner Regierung bin fein Ein: 
ftuß Schon in bedenklicher Weiſe durch fein fchroffes Auftreten untergraben 
‚war. So werden viele Merkwörter ſelbſt eine Quelle des Irrthums und 
der Confufion werden, welche immer viel bebentlicher ift, als reine Unwiſſen⸗ 
beit. Jahreszahlen wird man jchlimmften Falls vergefien, Merkwörter aber 
verändern, verftünmeln und verwechjeln, und dabei noch immer meinen, 
man wiſſe die Sadhe. 

Dazu kommt noch ein Bedenken! Die Volklsſchule foll alle Kräfte 
des Geiſtes entwideln und üben, auch das Gedaͤchtniß. Dieſes muß au 
an Bahlen geübt werben ; denn Jeder kommt im gewöhnlichen Leben häufig 
in die Lage, Zahlen behalten zu müflen, und wuͤrde meiftens nicht Zeit 
baben, Merbwörter dafür zu erfinnen. Man muß die natürlihen Kräfte 
richt an künftlihe Hülfsmittel gewöhnen, und muß gejunde Beine nicht 
durch Krüden unterftügen. Was mit ber natürlichen Kraft des Gedaͤcht⸗ 
aifjes nicht erfaßt und feftgehalten werden kann, das gehört nicht in bie 
Volksſchule, denn es wird auf die geiftige Entwidelung leinen lebenbigen 
Einfluß ausüben. 

In der Vollsſchule wird übrigens der Bortbeil, der fi durch jene 
timfilihen Mittel erreichen läßt, niemals allzugroß fein. Denn die Erler 
rung und vollftändige Cinübung des mnemoniſchen Syſtems ift an und für 
ſich ſchon eine Arbeit, die vielleicht beinahe fo jchwierig iſt, als die Ein» 
prägung jämmtliher Jahreszahlen, die in der Vollsſchule zu lernen find. 
Und ſchließlich: vergibt der Schüler fpäterhin ein paar Jahreszahlen, fo 
vergißt er eben nur dieſe Jahreszahlen und kann trogbem bie übrigen ganz 
gut bebalten; vergißt aber Jemand einen, wenn aud nur geringen Theil 
feines mnemonijchen Syſtems, jo fällt fein ganzes Willen über ven Haufen. 

8) Unter ven neuerfhienenen Schriften ift auch das vorhin ſchon erwähnte 
„Lehrbuch der allgemeinen Geſchichte“ von Gindely, welches die Xylogra⸗ 
pbie zu Hülfe nimmt, und in einem Anhang, betitelt „Daritelungen aus 
vem Leben der alten öller‘, eine Reihe von Bildern mit erläuterndem 
Zerte darbietet. In England und Amerila wird von dieſer Kunſt bereits 
ein weit ausgebehnterer Gebrauch zu pädagogiihen Zweden gemadit, als 
bei uns, und eine große Zahl von Ehulbühern jeder Art — auch ge 
ſchichtliche Lehrbuͤcher — find mit Slluftrationen verjeben. Bei uns fand 
man bergleihen bisher nur in geographifchen, mathematiſchen unb natur 
hiſtoriſchen Lehrbücern, in Fibeln, Lefebücdyern, und zumeilen auch wohl in 
Katechismen. Schulbücher geſchichtlichen Inhalts zu illuftriren ift in Deutſch⸗ 
fand wohl felten, vielleicht noch gar nicht, verfucht worden. Ohne Zweifel 
wird die techniſch fo ſehr vervolllommmete Holsjchneidelunft noch berufen 
fein, der Schule weſentliche Dienfte zu leiften, und ſowie das Publikum 
beut zu Tage faft überſchwemmt wird mit illufteirten Büchern und Zeit 


240 Geſchichte. 


ſchriften, die den nicht illuſtrirten literariſchen Produkten bereits eine bedenk⸗ 
liche Concurrenz machen, ſo iſt vielleicht eine Epoche der illuſtrirten Schul⸗ 
bücher — auch der illuſtrirten Geſchichtslehrbücher — im Anzuge. 

Nun wollen wir gewiß jedes Hülfsmittel zur Veranſchaulichung des 
Lehrſtoffes gewiß dankbar entgegennehmen, möchten aber zum Voraus den 
Wunſch ausfprehen, daß die pädagogiihe Literatur von ben Uebeln ver: 
ſchont bleiben möge, welche der ausgedehnte Gebrauch der Illuſtration über 
gewifle Seiten unjerer Volksliteratur gebraht hat. Diefe hat im Allge⸗ 
meinen duch das Auflommen der Ylluftration mehr verloren als gewonnen. 
Dem Neiz der bilvlichen Darjtellung vertrauend, haben Herausgeber und 
Berfafier häufig genug den Tert vernadläffigt, und ihn zum bloßen Bors 
wand für die Darbietung hübſcher Bilder herabgedrückt. Wo man fonft 
eine gründliche und gediegene Behandlung des Gegenftandes verlangt hätte, 
genügt jetzt vielfach eine loſe, flüchtige Skizze, und eine prächtige Illuſtration 
muß vie ſtiliſtiſchen Mängel zudeden. Selbft auf naturhiftoriihem (naments 
lich phyſikaliſchem) Gebiet eriftiren bereits nicht wenige Schriften, bei benen 
nicht die Zluftration zum Terte, jondern der Tert zu ber vorher fchon 
vorhandenen Illuſtration angefertigt if. Da findet man elegante, weit über 
das Bebürfniß der nothwendigen Belehrung hinausgehende Bilder, die jehr 
Ihön ausjeben, aber gewöhnlich gerade das nicht bervorlehren, worauf es 
antommt (bei einer Machine 3.8. die mathematiſche Gonftruction). Dazu 
kommt dann ein etwas flüchtig gearbeiteter Zert, und das Produkt nad 
modernſiem Geſchmad ijt fertig. Es liegt immerhin die Gefahr nahe, daß 
auch beim Geſchichtsunterricht (und dies gilt nit bloß von Lehrbüchern 
und Leitfäden, fondern ganz bejonders auch von dem in ver Lebrftunde 
ertheilten Unterricht jelbjt) die Vervielfältigung der Veranihaulihungsmittel 
zu einer geringeren Achtſamkeit auf die Qualität des dargebotenen Lehr⸗ 
ftoffes verleite. Dies würde für die Geſchichte bedenklicher fein, als für 
andere Lehrgegenjtände, 3. B. für Naturkunde. Hier ift die finnlide Ans 
Ihauung das Wefentlichite, und ein gutes Bild jagt oft mehr als die befte 
ſprachliche Darftellung. In der Geſchichte dagegen kann das Wejentliche, 
weil es geijtiger Natur ift, nur dur das Wort übermittelt werben, und 
nur das Außens und Nebenwerl kann Gegenftand einer bilvliden Bars 
ftellung fein. Gute Abbildungen biftoriiher Gegenflände wird jeder Lehrer 
willlommen heißen, aber möge man von vorn herein darüber wachen, daß 
diefelben in Lehrbüchern nicht einem feichten Tert, in den Lehrftunden nicht 
einem unjoliven Bortrage ald Dedmantel dienen. 

Uebrigens läßt fi gegen illuftrirte Leitfäden und Lehrbücher geſchicht⸗ 
Iihen Inhalts noch ein wichtiges Bedenken geltend mahen. Die Illuſtra⸗ 
tionen werben, wenn fie das Schulbuch nicht allzufehr vertheuern follen, 
nur in bejchräntter Zahl, in bejcheivenen Dimenfionen und meiftend auch 
in mittelmäßiger Ausführung auftreten können. Gerade die wichtigfte 
Gattung geihichtliher Bilder, das Borträt, wird in Schulbüchern ſchwerlich 
viel Anwendung finden. Darum wird es jedenfalls zwedmäßiger fein, bie 
biftorifchen Bilder jelbftftännig oder zu größeren Gruppen vereinigt in 
größeren Dimenfionen und in möglichit vollenbeter Ausführung anzufertigen, 
und Solche Bilder als Inventarium für die Schulen anzuſchaffen. Wozu 





Geſchichte. 241 


follen hunderte von Schuͤlern das Bild eines griechiſchen Tempels Jahr 
aus Jahr ein unter dem Arme nach der Schule und wieder nach Hauſe 
tragen, wenn ein einziges Cremplar genũgt, um, mehrmals vorgezeigt und 
aufmerkſam betrachtet, dieſen ſaͤmmtlichen Schülern dieſelbe Anſchauung zu 
geben? Es iſt mit geſchichtlichen Abbildungen ganz anders, als mit geo⸗ 
metriſchen und phyſikaliſchen Zeichnungen; dieſe muß man mit dem Terte 
zugleich zur Hand haben, weil das Verſtändniß deſſelben meiſtens unmittel⸗ 
bar auf der Anſchauung der dazu gehoͤrigen Zeichnung beruht. Ein ge⸗ 
ſchichtliches Bild fteht wohl niemals in fo engem Zuſammenhange mit dem 
biftorifchen Lehrſtoff. Darum genügt es volllommen, wenn einer Klafle zu 
geeigneter Zeit ein gejchichtliches Bild vorgeführt wird; es braucht nicht 
jever Schüler dafjelbe in feinem Leitfaden zu haben. Der von jedem Schü: 
ler zu zahlende Aufihlag zum Preiſe eines dur Ylluftrationen vertheuerten 
Leitfadens würde binnen weniger Jahre eine Summe ausmachen, vie voll 
tommen binreichte, ein ſehr werthvolles gejchichtliches Bilderwerk für vie 
ganze Schule zu beſchaffen. Man gebe uns für die Volksſchule nur einen 
leidlichen Bilderatlas, und wir verzichten gern auf alle illuftrirten Leitfäden. 

4) Unter den neuerfchienenen Leitfäden find auch wieder einige, welche 
die prägnante Kürze eines Schulbuches und die anziehende Lebendigkeit einer 
umftändliheren Darftellung mit einander vereinigen wollen. In den Vor: 
reden findet man bin und wieder die Verfiherung, daB der Verfafler bes 
mũht geweſen ſei, die „rechte Mitte‘ zu balten zwiſchen der „Trockenheit 
eines Leitfadens” und der „Fülle eines hiftoriichen Lejebuches. Das mag 
ganz gut gemeint fein, aber felten wird dabei ein Produkt zu Stande 
fommen, da3 für den praltiihden Gebraud recht geeignet if. Entweder 
erzäblt der Lehrer den Schülern die Geſchichte; und dann bedürfen viefe 
zur Wiederholung und Cinprägung eines möglihft überfihtlihen, kurzen, 
trodenen Leitfadens, der in möglihft prägnanten Yormen das Gerippe und 
Geäder der Geſchichte darlegt. Oper der Schüler foll die Geſchichte im 
Weientlihen aus einem Bude berauslejen, ſo daß der Lehrer fih nur 
erläuternd berihtigend und ergänzend dabei verhält, und dann muß ber 
Schüler eine umftänpliche, anziehende, lebendig colorirte Darftellung in der 
Hand haben, und womöglich zu beflerer Drientirung nocd eine Zabelle 
daneben. Was zwifchen diefen beiden Ertremen die „rechte Mitte‘ halten 
will, da3 befriedigt, wie in ber Regel alle Weisheit des juste milieu, nad) 
feiner Seite hin vollftändig; es ift weder Fleiſch noch Fiſch, und befördert 
nur die Bequemlichleit der Unterrichtenden, die der abfoluten Nothwendig⸗ 
teit des Selbfterzählend überhboben werden, ohne daß die Darftellung im 
Buch einen leivlihen Vortrag erſetzen könnte. 

5) Der Grundſatz „Beſſer wenig, und das Wenige gut, als ein ums 
gründliches Vielerlei“ ift gewiß ein guter Grundſatz, und bat auch mit 
vollem Recht feine Anwendung auf den Geſchichtsunterricht gefunden, indem 
man namentlid beim Glementarunterriht auf Bollftändigleit verzichtete und 
nur wichtige Perioden aus ver Geſchichte berausgriff, um dieſe möglidhft 
eingehend zu behandeln. Aber man kann auch bier des Guten zu viel 
thun. Uns liegen Leitfäden für den Unfangsunterriht in der Geſchichte 
vor, die aus dem großen Gebiet ber griechiſchen oder ber roͤmiſchen Geſchichet 

Päd. Jahreabericht. XIX, 16 


Geäitz. 


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ver mitbemar'hen Tremiire mh mchemither RAethede 

Jagen jhen von der erwen S:zzre ım :i3 eine Rum tealtirt werben. 
Es wäre tberiht, Bert mit Eishem Zermıten une Kıhmadenliiien, bier 
daze zen mu Rr’ericnm besuum Ze mu die Eeſckichte von der 
au Gertihte eu Geiiıkız aber iü Unrwedlung, Aufeinander: 
ſelge von Ur:hen un» Tuluuye Ran mu ſden eine Reihe ven 
Xhutishen erziiien, ums itıen Cazizi;sizummenbang, wenn aud mic! 
deutiih Darlegen, dech ubuem I:ien, wenn man Geſchichte treiben wi 


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5* 
Zaffungstraft ausreiht. Anflatt den Geſchichtsunterricht 
ginnen, fee man lieber auf der Oberſtuſe eine Stunde mehr dafür an, umd 
fuche fait deſſen auf der Unterfiufe Einiges von bem zu abfolviren, was 
fonft zum Penſum der Oberſtuſe gehört. 

Wer würde 3. B. Geometrie in den Lehrplan jegen, weun die Schüler 
nod nicht im Stande wären, eine orbentlide Definition aufzuiafen. Der 


Schuͤler nit die Fähigkeit hat, ihn zu faſſen; man lann ihn aud nicht 
anfangen, wenn man nicht Zeit bat, ihn wirklich zu betreiben. Es ift nicht 
nöthig, daß ein Schüler drei, oder auch nur zwei Curfe in der Geſchichte 
durchmade, wenn dazu nicht die möthige Zeit und Gapacität vorhanden if, 
aber es ift nöthig, daß das, was er unter dem Titel „Geſchichte“ durch⸗ 
macht, aud wirklich den Namen Geſchichte verdiene. 


Geſchichte. 248 


LZiteratur. 
L Lehrbücher und Leitfäden. 
1. Baterländiihe Geſchichte. 


1. Eduard Dullers Geſchichte des deutſchen Volkes. Böllig 
umgearbeitet von Dr. William Pierſon. Neue bis zum Schluß des 
Jahres 1865 vervollfländigte Ausgabe. Berlin 1866. Verlag von Kort- 
tampf. (568 ©. Octav.) Preis 2 Thlr. " 


Die vorliegende Bearbeitung des Duller'ſchen Werkes follte „dieſem 
volksthümlichen und verdienftlihen Buche feine Vorzüge erhalten, aber vie 
Fehler und Mängel daran abftellen.‘ Es ift daher nicht bloß im Cinzelnen 
Vieles berichtigt, ſondern mander Abjchnitt von Grund aus umgeltaltet. 
Namentlic find die Abſchnitte über die Preußische Gefchichte, der Bedeutung 
Preußens für Deutihland entſprechend, erweitert worden, ebenſo die Abs 
ſchnitte über Literatur, Wiflenihaft und Kunft. Neu binzugelommen find 
mehrere Gapitel über die Begebenheiten von 1840 bis auf unfere Zage. 
Den von 3861 ber noch vorhandenen Exemplaren iſt ein Abfchnitt über 
bie Greignifie von 1861 bie 1865 beigegeben, und die jo vergrößerten 
Eremplare bilden eben die neue, uns vorliegende Ausgabe. Man muß dem 
Berfafjer zugeſtehen, daß er dieſe Ereiqniſſe in ebenjo jchlichter und volle: 
tbümliher, als würdiger und patriotiſch ermärmter Sprade Har, einfach 
und doch lebendig erzählt hat. Sein Urtbeil ift überall beſonnen und 
maßvoll, er freut ſich der großen Fortſchritte auf allen Gebieten des modernen 
Lebens, ift aber für die Gebrehen deſſelben nicht blind. Er läßt jeder 
der ftreitenden Parteien nah Möglichleit volle Gerechtigkeit wieberfahren, 
und anftatt zu verurtbeilen und zu verdammen, fucht er zu erllären und 
zu entſchuldigen. Das Ganze läßt fi als eine fchlichte aber lebendige und 
fefielude, voltsthümliche aus patriotifhem Herzen gefloflene Darftellung der 
deutſchen Geſchichte empfehlen, obgleich einzelne Bartien minder gut geratben 
find. Dahin gehören bejonders die literarhiftoriihen Partien, die menig 
mehr enthalten, al3 eine Reihe etwas überfhwängliher Phraſen. Ueberhaupt 
neigt die Weber des Bearbeiter ein wenig zur panegyriſchen Schönrebnerei ; 
er liebt die Superlative, und verfteigt ſich in feinem Haſchen nah ben 
Rärkften Ausprüden gelegentlih auch bis zur entſchiedenſten Geſchmadloſig⸗ 
kit, So ©. 357. „Statt gefunder Poeſie erſcholl meinerlihes Gewinfel 
oder ſchwülſtiges Bardengebrüll.“ Sonverbar Hingt ed aud, wenn 
von Göthe gejagt wird: „Er war immer Meifter des Stoffs, wie bie 
Biene des Blüthenſtaubes.“ Freilich hat es feine großen Schwierigleiten, 
dergleihen Dinge in populären Darftellungen fo zu behandeln, daß der 
Leſer nicht bloß Worte, fondern auch Begriffe erhält. Aber eben barum 
iſt ftillfchweigendes Hinweggeben über gemwifie Dinge befler, als leeres Phras 
jengellingel. Der Berfafler bat fogar die großen Philofonhen mit in Bes 
trat gezogen. Das foll nicht getadelt werden. Jede Wahrheit, auch die 
philofophifhe, und vielleicht gerade diefe am meiften, muß fih auch dem 
gewöhnlihen Verſtändniß nahe bringen laſſen. Das ift gar häufig ber 

16* 


fellung werzäth. Gs heiht 6. 349: „Ber feinem (namlich Kants) ſcharfen 
Düde löhe fi vie Damals gültige Legit. die gelehrte Kun, tur unllare 
Dezrifie une falie Shlüfie alles Möglide zu erklären und zu beweilen, 
im eitel Tunf unb Rebel auf E erjegte fie durch eime wahre Logil, d. h 
durch eine ſtreng wißienjdaitlidhe Begrenzung unı Gehimmung der Begriffe 
uud ſcharſe Darlegung ihres äußeren (?) Bujammenhanges” Ban traut 
feinen Hugen laum! af jedes eimjeine Gapglieb enthält eine Unwahrheit 
der doch eine umglüdlice Bezichnung des wahren Sachverhalts. „Die 
gangbaren Eculbeweife vom Tajein Geties winerlegte er, aber ex zeigte 
an, anf weidhe Art man zu einem wahrbaften Beweisgrunbe befielben ge 
langen lönnie. Wujbauenb verfuhr er dann aud darin, daß er bie Ber 
binblichleit des Eittengejehes als Etüge für den Glauben auffelite.” Das 
{R im Weſentlichen ſchon tichtig, wenn es nur dem, ker die Soche noch 
wicht kennt, irgend etwas fagte. Warum nicht, Ratt fortwährenn über bie 
Sache zu reden, lieber ein Wenig von der Sache ſelbſi? Gerade Diele 
Bortie lonnte am leichteſten pepwlarifirt werden. — Fichte iR nur genannt, 
und doch bietet gerade er das weile Material zu Grörierungen in einem 
geſchichtlichen Wert. Geine Ideen über die franzöfiihe Revelution, über 
vie fittlide und geiflige Regeneration Deutſchlands, äber nationale Crziehung 
w. ſ. w. lomnten beiprochen werben, auch wenn ver Berfafier Rh nit auf 
den Inhalt feiner Philoſophie einlafien wollte. Bon Schelling heißt «6: 
„Er gründete die fogenannte Naturphiloſophie, und gab dadurch den maͤch⸗ 
tigen Anftoß zu einer neuen großartigen Auffafiung der Raturwifienjchaften.”‘ 
Gin Sap, dem heut zu Tage gewiß nody Wenige beifimmen werben. 


| 


demna 
umferer Nation als minder gelungen bezeichnen muß, fo verdient doch das 
Beftreben, dieſe Eeite des Lebens eingehend barzuftellen, unjere volle An- 


2. BDüder, Lehrer, Bilder ans ber Schleswig-Holfeiniigen Ge⸗ 
ſchichte; nebſt einem Anhang von vaterländiſchen Gedichten. Kür Schule 
gu re net gr. 8. (354 ©.) Schleswig. Schulbuchhandlung. 

re . 


Lag dem Neferenten nit vor. 


3. Dr. Friedrich Kobirauf , Königl. Hannoverſch. General⸗Schuldirektor. 
Die dentſche Geſchichte. Für Säule und Haus. Füntzehnte Auf- 
ge. Yen Sahn’iche Hofbuchhanbiung. 1866. (433 ©.) gr. SOcten. 

reis . 


Das Wert dieſes Beteranen auf dem Gebiete vollsthümlicher Geſchichts⸗ 
Yarftellung bat feine noch immer friſche Lebenslraft durch eime abermalige 


Geſchihte. 245 


Auflage bewährt. Es iß bis auf die Greignifle von 1865 (Dertrag zu 
Gaftein) fortgeführt worden. Die lebten Eapitel, welche die neueflen Er⸗ 
eignifie behandeln, find bier etwas ruhiger und objectiver gehalten, ala bie 
entſprechenden Abfchnitte in ber vor zwei Jahren erſchienenen (im 17, Bande 
des Jahresberichtes S. 637 beiprodenen) neuen Auflage der „Rurzen 
Darftellung der deutſchen Geſchichte“ Der Sturm von Entrüftung über 
einige der wichtigften neueren Greigniffe, der fih bort Luft machte, grolit 
bier nur no in einigen, mehr beiläufigen Bemerkungen fort. „Ja, am 
28, October z0g Bictor Emanuel felbft in Neapel ein, und wurde von ben 
Kammern in Turin, als hätten fie über das Schidjal von ganz Italien gu 
entſcheiden, ermädtigt, das Königreich beider Sicilien zu annectiren, — 
dieſes Wort diente von nun aw dazu, den Länderraub zu befchönigen ; 
Frankreich und England hatten ja das Recht der Gelbfibeftimmung ber: 
Nationalitäten prollamirt.” Auf die falfhe Verbindung, in welche bier her 
Veſchluß der jarbinishen Kammern mit der Befibergreifung des ſüdlichen Jtaben 
gebracht if, brauchen wir .den Kundigen wohl kaum aufmerljam gu machen. 
„Charalteriftifich für die Stimmung unferer Zeit, aber aud für die Urtheils⸗ 
unfäbigleit ver großen Menge, ift der Garibaldi⸗Cultus, wie man 
ihr nennen kann. Diefer Mann, der weder als Feldherr noch als Stants: 
mann ſich irgend ausgezeichnet bat, und dem die Geſchichte niemals ben 
Namen eines großen Mannes geben wird, ift, weil er den Namen 
Befreier führt, zum Chrenbürger von 90 Städten ernannt u. f. w.“ 
(6. 608). Der Verfaſſer macht aus Garibaldi ein wahres Schredbild für 
alle Potentaten. „Hier (auf Caprera) fibt er unmuthig und ermuniert 
durch Schrift und Wort Gmpörungen gegen Regierungsgewalt, wg jie 
fid nur finden.” Schredlich! Kerner (S. A411): „Wie wenig biefe 
Freiheit (nämlich. Die nordamerikaniſche) auch dazu beigetragen hatte, große 
Charaltere zu bilden, zeigte ſich auffallend darin, daß unter den vielen 
Feldherren, die der Reihe nah an die Spike der Armeen kamen, nit ein 
einziger großer General zum Vorſchein lam, der durch entjcheidende Siege 
dem Blutvergießen ein Ende machte.“ — Der Blid des BVerfafierd auf die 
Gegenwart ift nit wenig trübe. Gr bellagt die Genußſucht und ben 
Lupus, und daß man Zeit und Geld für nichtige Vergnägungen verſchwen⸗ 
det, und dann, wenn die Mittel nicht mehr ausreihen mollen, in Unzu⸗ 
friebenheit verfällt, daß Niemand mit feinem Stande zufrieden ift, fondern 
immer höher hinaus will, daß Dünkel und Oberfläcdhlichleit Alles beſſer zu 
wien glauben u. ſ. w.“ Wenn man ſich dabei über Eines wunbern muß, 
jo iR e8 nur darüber, daß ein Kenner der Geſchichte ſich über dergleichen 
wundern Tann, der doch eigentlih mit Mephiſtopheles ſprechen müßte: 
„Das ift für mich nichts Neues zu erfahren; 
So geht es ſchon feit hunderttaufend Jahren.“ 
Trotz allevem ift das Werk unter der großen Menge neuerer Bearbei‘ 
tungen der deutihen Gejchichte immer noch eins ber empfehlenswertheften- 


4 . Kugler, Geſchichte Friedrichs des Großen. Sechete Auflage in 9 RLie- 
Bein ha FERN —7 — 3 Ngr. ee 1867. Berlag von Senf’s 
Buöhunblung, | . 


246 Geſchichte. 


Das viel verbreitete, ſehr ſchoͤn geſchriebene Werk erſcheint hiermit in 
billigen Lieferungen, fo daß manchem minder bemittelten Collegen vielleicht 
ein Dienft damit gefchieht, wenn wir ihn auf das Unternehmen verweifen. 


5. 53. F. Mürdter, deutſche Kaiſerbiſder. Für bie reifere Ingend entworfen. 
3. Abtheilung. Stuttgart. Steintopf. 1866. (420 ©.) Prei® 27 Sgr. 


Auf die erften beiden Theile dieſes Wertes ift bereit im X VI. Bande 
des Jahresberichtes (S. 745) verwiefen worden. „In dem Einne,' heißt 
es dort, „daß die Geſchichtſchreibung wahr, ungeſchminkt und frei von tendens 
zjiöfem Patbos fein muß, bat der Berfafler in edler, einfader und gemüth⸗ 
voller Weiſe die Lchbensbilder deutfher Kaifer bearbeitet.” „Das Cigen- 
thümlihe der Bearbeitung liegt in der trefflien, ſchlichten Darfiellung, 
weiche ſich auf die einfacheren Gtaralter: und Lebensverhältnifie,, ſowie nur 
auf Andeutungen der allgemein:gefbichtlihen Beziehungen beſchränkt.“ Es 
wird ferner die überfidhtliche Gruppirung gerübmt, fowie der milde, chriflliche 
Geift, der das Ganze durchzieht, ohne ſich gewaltfam vorzubrängen. „Der 
Berfafler hat es mit Recht vorgezogen, die edleren Züge berauszugreifen, 
ungünftige dagegen lieber zu überjchlagen‘ (doch nur, ſoweit es ſich mit 
der biftorifchen Treue und Lebenswahrbeit verträgt). Alle diefe Bemerkungen 
finden auch auf den vorliegenden dritten Band volle Anwendung. Bas 
Merk entjpricht infofern niht ganz feinem Titel, als es nicht eigentlid) 
wirkliche Kaiferbilder, fondern eine zufammenhängende Darftellung der poli⸗ 
tifhen Geſchichte Deutſchlands giebt, wobei denn von einigen Kaiſern nicht 
mehr Perfönlies angegeben ift, als eben binreicht, die Weberfchrift zu recht⸗ 
fertigen. Auch ift Frievrih der Große in die Reihe der dargeftellten Pers 
fönlidhleiten aufgenommen. Der Abjchnitt von Karl V. enthält auch die 
Geſchichte der deutihen Reformation. Die Geſchichte der franzöfifchen Revo» 
Iution und der Napoleonifhen Feldzüge ift unter dem Titel: „Franz II.“ 
kurz erzählt. Die Darftelung ift lebendig und anſchaulich; es fehlt ihr an 
geeigneter Stelle audy nit an einem gewiſſen rhetorifhen Echwung. 

Bon einzelnen fachlihen und ſprachlichen Ungenauigleiten fönnte eine 
etwa erjcheinende fpätere Auflage wohl gereinigt werden. ©. 111 beißt 
es 5. B. „es balf fie das gar nichts.” Und „als er nun merfte, daß die 
gelrönten Däupter e3 nit ungen ſehen, wenn der Katholizismus fich 
wieder erbebe, da hielt er eine Proceffion ꝛc.“ 6. 227 beißt es, in 
Bezug auf das befannte „Glas Waſſer“, meldes das Zerwürfniß zwiſchen 
der Königin Anna von England und der Herzogin Marlbourough herbeige⸗ 
führt haben fol: „Das wären jedoch gar zu kindiſche Gründe, wie man 
fie bloß dem vermeintlihen Weltregierer „Zufall“ zutrauen könnte.‘ Etwas 
unllor! Denn erftens traut man dem Zufall überhaupt keine Gründe zu, 
und zweitens betrachtet Jeder, der die Thatjache in dem erwähnten Zuſam⸗ 
menbange für wahr hält, diefelbe wirklich als ein Merk des Zufall, jo daß 
die citirte Phrafe niht eine Miderlegung, fondern eine Beltätigung jener 
Anſicht in fih ſchließt. S. 234. „Er mußte endlich froh fein, daß er jo 
ungeſchlagen als möglid die Winterquartiere beziehen konnte. ©. 269: 
heißt es von Voltäre, daß er „über Alles berfiel, was auf Autorität in 
Staat und Kirche Anfpruh madte” Ferner ©. 365: „Voltäre und 











Geſchichte. 247 


NRoufieau hatten in den Herzen der gebrüdten Leute alle Scheu vor etwas 
Höheren, Göttlihem zu ertödten gefuht, und ihre Grundſaͤtze von allge 
meinen Menſchenrechten in viefelben gepflanzt.“ Aber bilden denn die 
Grundfäbe der allgemeinen Menſchenrechte wirklich einen Gegenjag gegen 
„alles Höbere, Göttlihe?” Und haben jene Schriftfteller wirklich alle 
Scheu nicht nur ertöbtet, fondern fogar zu ertöbten gefudht, d. h. mit 
deutlihem Bemwußtjein und mit Abficht ertöbtet? Mancher, der dem 
Noufjeau diefen Vorwurf macht, könnte von ihm menigftens eine Art von 
Scheu lernen, die derjelbe jedenfall nicht zu ertödten geſucht bat, — die 
Scheu vor der Wahrheit, ©. 308 heißt es von der Berliner Akademie: 
„Schon das, daß alle ihre Verhandlungen nur franzöfifh herausgegeben 
wurden, ſchwaͤchte ihren Einfluß. S. 142: „Marimilian fürdtete einen 
Schlag; und Allem nad hat Wallenftein ihn auch im Sinne gehabt.‘ 
Es find dies indefien nur Ginzelbeiten, die dem Werthe des Ganzen keinen 
wejentlihen Abbruch thun. 


6. Schubert, Dr. H. v., Geſchichte von Baiern, für Schulen. 4. verb. und 
vern. Auflage. 12. (162 ©.) Münden. 1867. Central» Schulbüdher- 
Berlag. Carton. 4 Nor. 


Mir verweijen auf die im 16. Bande des Syahresberichtes, Seite 730 
enthaltene ausführliche Beſprechung dieſes Buches. 


1. J. Stridler, Grundriß der Schweizergefchichte für mittlere und höhere Lebr- 
anftalten und zum Selbftunterriht. Den Ergebniffen ber neueren Forſchun⸗ 
gen gemäß entworfen. I. Theil. Die Schweiz bis zur Neformation. Zürich. 
Verlag von Orell, Füßli und Comp. 1867. (160 ©.) Octav. 16 Ger. 


Das Werl foll „in gebrängtefter Kürze einen Weberblid der wirklich 
beroorragenden Momente unferer (nämlich der Schweizer) Geſchichte geben, 
die noch ſehr zerſtreuten Nefultate der neueren Forſchung fammeln und zur 
Grundlage der Darftellung machen.“ Die politiihe Geſchichte ſoll „durch 
eine Reihe abgerundeter, organiſch zuſammenhaͤngender Culturbilder ergaͤnzt“ 
werden. Subjective Wendungen, Schärfen des Ausdruds und alle Polemik 
follten vermieden, dafür der Ton objectiver Erzählung innegehalten werden. 
Biographiſche und epijodifche Elemente find zu Gunften des Zuſammenhanges 
ber Darftellung mweggelafien, dagegen die Grundzüge des alteidgenöſſiſchen 
Staatsrehts durch Auszüge aus den Bundes: und Friedensverträgen 
mitgetbeilt. 

Diefen im Vorwort gegebenen Andeutungen gemäß ift das Werl auch 
wirflih ausgeführt worden. Die Darftellung ift reht anſprechend und 
frifh. Die Quellenfhriften find nicht bloß angedeutet, fondern es find 
charakteriſtiſche Stellen aus denſelben — meift in der Driginalfprade und 
Orthographie — Unter dein Terte citirt, wodurch die ganze Darftellung an 
Leben und biftoriiher Treue gewinnt. Das Buch bilvet eine angenehme 
und belehrenve Lektüre: eine fchulmäßige Einrichtung, als 3. B. Eintheilung 
größerer Period. n in Hleinere Abſchnitte, beſondere Hervorhebung des Wich⸗ 
tigften vor dem minder Wichtigen u. dgl. tritt weniger hervor, und das 


248 Geſchichte. 


Bud iſt Fein eigentliches Schulbuch in unſerem Sinne. Dennoch möoͤchte 
Referent daſſelbe auch für den Schulgebrauch weit tauglicher erachten, als 
viele unſerer paragraphenreichen Lehrbücher und Leitfäden mit dreierlei 
Drud, berausgeftellten Jahreszahlen, Tabellen, Karten u. dgl., benen aber 
in der Erzählung das rechte Leben fehlt, und an deren charalterlofem ab» 
ehem Ausdrud man merkt, daß fie fern ab von der Quelle gejchries 
en ind. 


8. Sugenheim, Gefchichte des deutſchen Volkes und feiner Kultur, von ben 
erften Anfängen biftorifher Kunde bis zur Gegenwart. II. Band. Bon 
Konrab I bi® zum Untergang ber Staufen. Leipzig 1866. Berlag von 
Engelmann. (702 &.) gr. Octad. Preis 2 Thlr. 274 Ser. 


Bon diefem fehr umfangreihen Werte rühmt das „Literarifche Central: 
blatt”, daß es fi durch fleißige Benugung der vorhandenen wiſſenſchaſt⸗ 
lihen Hülfsmittel, auch der neueren Forjchungen, auszeichne, und ein Bild 
von der Gejchichte der deutſchen Nation darbiete, wie es dem gegenwärtigen 
Stande ber hiſtoriſchen Wiſſenſchaft entipreche. 


2. UÜllgemeine Geſchichte. 


9. Dr. Johannes Bumüller. Die Weltgeſchichte. Ein Lehrbuch für Mittel» 
ſchulen und zum GSelbflunterriht. Sechfte, verbeflerte Auflage. Freiburg 
im Breisgau. Herder'ſche Verlagsbuchhandlung. 1866. 38 Band: Das 
Alterthum. Zweiter Band: Das Mittelalter. Preis des Bandes 1 Thlr. 


Der Ausprud „für Mittelfhulen” paßt auf das Wert wohl nur in 
fofern, als dafjelbe befähigten Schülern aus den oberen Klafien zur Privat⸗ 
lettüre empfohlen werden kann. Gin eigentlihes Schulbuh ift es ſchon 
wegen feines größeren Umfanges und auch wegen ber freieren, nur auf 
. eine aufmerkſame Leltüre berechneten Yorm der Erzählung nidt. Als ges 
ſchichtliches Leſebuch für weitere Kreiſe bat es entfchiedene Vorzüge. Ein 
reiches, auf ausgebreiteten Studien berubendes Material ift in gemeinvers 
ftändliher, anſprechender Weiſe dargeftellt. Neben ver politiichen Geſchichte 
ift das Vollsleben, Kunft, Wiſſenſchaft, Handel und Gewerbe in anerkennens⸗ 
wertber Weiſe berüdfichtigt, und die fehwierige Darftellung dieſer Materien 
ift meift recht gut gelungen. Bumeilen nur gebt die Ausführlidleit über 
in rebfelige Breite. Am beiten Iefen ſich die rein erzäblenden und beſchrei⸗ 
benden Partien des Buches. Den allgemeinen Weberbliden, fowie den 
Raͤſonnements gebricht es hier und da an logifher Schärfe und ſprachlicher 
Präcifion. 

Der Berfaffer läßt feinen orthodor⸗katholiſchen Standpunkt mit aller 
Entſchiedenheit bervortreten; er zeigt daher alle feine Eigenthümlichkeiten 
am beutlichften im zweiten Bande, der das Mittelalter behandelt. Leber 
allgemeine Auffafiungen und Standpunlte zu ftreiten, iſt bier gewiß nicht 
der fchidlihe Ort. Möge Jeder fehen, wie er feinen Standpunkt wahrt 


und dabei der hiſtoriſchen Wahrheit gerecht wird. Uber es muß doch au 


bier gerügt werben, wenn der thatſächlichen Wahrheit Abbruch geſchieht 











Geſchichte. 249 


oder wenn ſophiſtiſches Raͤſonnement den Eindrud dieſer Wahrheit hinweg⸗ 
zudiſputiren verſucht. Neferent will nicht unterfuhen, ob dies im vor 
liegenden Bande gefcheben if. Er will nur Einiges daraus mittheilen. 
Die Groberung des heiligen Landes, die Erftürmung Serufalems 
wird „die größte That des Mittelalters‘ genannt. Das entjeplihe Blut: 
bad in der großen Mofchee, fteht, mie der Verfafler entfchuldigend hinzu: 
fügt, „micht vereinzelt da. Cr giebt denen, melde etwa die Kreuzfahrer 
bewegen mit „bumanem Haſſe“ verfolgen möchten, zu bedenken, daß 
Türlen und Chriften in neuerer Zeit es gelegentlich nicht viel beſſer gemacht 
baben. (Den Revolutionsmännern von 1798 wird freilih „tbierifche 
Wildheit“ vorgeworfen, bei den Kreuzfahrern war es nur „fromme Wuth‘‘). 
Kaiſer Friedrih IL. wird auffallend mißgünftig beurtheilt; es wird ihm zum 
Ihweren Vorwurf gemacht, daß er fih fo ungern dazu verfteben mollte, 
die „Fromme Wuth“ noch einmal zu entjelleln, daß er vielmehr erft daheim 
die entjeßlih gerrütteten Verhältniſſe ordnen wollte. Es wird ihm zum 
Vorwurf gemacht, daß er mit Mobamedanern in frievlihem Einvernehmen 
fand. „Friedrich liebte es, mit Mohamedanern. umzugehen, mit ihnen zu 
iherzen, über ihre Religion mit ihnen zu fprechen, ihre Cinwürfe gegen die 
Hriftlihe anzuhören, lauter Dinge, die einem chriſtlichen Herrſcher nicht 
anftanden.” Und weil er lieber mit ihnen frievlid verfehren, als fie ver: 
treiben und todtſchlagen wollte, wurde er belanntlih zwar nicht mit 
„humanem Haſſe“, fondern mit einer fchlimmeren Art des Hafles verfolgt, 
was der Berfafler des vorliegenden Buches denn auch ganz natürlich findet. 
Eigenthümlich ift vielen katpolifhen Autoren daS Beſtreben, von den 
gegen die Heer verübten Graufamleiten möglidft viel auf Rechnung der 
weltlihen Obrigfeit zu feßen. So beißt es bier S. 233: „Wer von der 
Geiftlihleit der Ketzerei überführt war, den ergriff die weltliche Obrigkeit 
und überlieferte ihn dem Zode. Die gewöhnliche Strafe war der Feuertod, 
man wollte dem Ungläubigen einen VBorgefhmad des Höllenfeuers geben.” 
Und weiter: „Die Kirche durfte nicht zufehen, wenn ihr einzelne Glieder 
entfremdet wurden, fondern mußte mit ihren Mitteln dagegen einjchreiten, 
jonft hätte fie ihre erfte Pflicht nicht erfüllt; und wenn die Kirche den 
Abgefallenen nicht befehrte, fo ergrifj diefen der Staat und firafte ihn nad 
feinen Geſetzen.“ „Daß die Geſetze mit dem Tode ftraften, war eine Folge 
der damaligen Staatseinrihtungen überhaupt ıc. Nun ift es fchon richtig, 
daß nicht die Geiftlihen in Perſon, fondern die Diener der weltlichen Ges 
walt dem Verurtbeilten ‚ven Vorfhmad der Höllenftrafen” zu verſchaffen 
pflegten, Aber man lefe diefe Säße aufmerkſam durch, und frage fi, ob 
fe nit in dem Unlundigen die Vorftellung bervorrufen müflen, als hätte 
bie Kirche nur mit Lehre und Ermahnung auf die Kleber gewirkt, als 
hätte der Staat aus eigenem Antriebe, ohne, vielleiht gar gegen 
den Willen der Stiche die Ketzer getödtet. Wollte der Berfafler dieſe faljche 
Meinung nit auflommen laſſen, fo mußte er ſich entweder anders aus: 
brüden, oder eine bejondere Verwahrung gegen biefelbe feinen Worten hin: 
zufügen. Referent bat nad einer jolhen dem Irrthum vorbeugeuden Ver⸗ 
wabrung vergeben! gefuht. Wo nom Tode eines Ketzers die Rede ift, da 
wird forgfam die weltliche Gewalt als Vollftrederin des Urtheils erwähnt, 








20 Geſchichte. 


S. 234 heißt es: „Vielfach ſtellt man es fo dar, als ob die Ketzer des 
Mittelalters harmlofe Leute geweſen feien, die gerne in Ruhe und Gtille 
nad ihrer Ueberzeugung gelebt hätten. Die Geſchichte beweiſt das Gegen: 
teil; faft alle Ketzereien verdedten mit dem religiöfen Gewande Laſter und 
unreine Thaten oder fiempelten ſolche gar zu guten Werken, felbit zu reli» 
giöfen Uebungen.“ Abgeſehen von dem übertriebenen Ausprud „Faft 
alle‘, muß dieſer Saß den Unfundigen zu der Meinung verleiten, als 
wären die „Lafter. und unreinen Thaten” mit ein Hauptgrund zur Ber: 
folgung der Ketzer geweſen; während doch die Kirche gegen „Lafer und 
unreine Thaten“ fih mertwürbig tolerant erwies, wenn nur im Uebrigen 
ihre Autorität refpeltirt wurde, während fie andererjeitd auch Keßer von 
ganz verwurfsfreiem Lebenswandel mit größerem „humanem Haß” verfolgte, 
als die Ärgften Verbreher. Der Saß, dab Jemand, der in einer Zob: 
fünde befangen fei, unfähig fei, ein geiftlihes Amt zu verwalten, — dieſer 
Satz war ja eine der Thefen, um deren willen Johann Huß verbrannt 
wurde, und die der Verfafler felbft als gefährlih für den Behand ber 
kirchlichen Ordnung bezeihnet. S. 287 heikt es von Siegismund: „Nun 
mußte der Raifer das Urtbeil nad) dem Gefeß vollziehen lafien; er brach 
damit feinen Geleitsbrief nicht, denn diefer fiherte Huß nur Sicherheit auf 
der Reife. zu.” Der Berfafier ift kein befonders geſchidter Advolat. Denn 
erſtens fagte der Geleitsbrief den Schuß des Kaiſers für Hinreife, Aufent- 
balt und Nüdreife zu, und zweitens hatte der Kaiſer zwar leinen direlten 
Einfluß auf das Urtbeil des Concils, aber doch auf die weltliche Macht, 
bie das Urtheil vollfireden mußte. Der Berfafier betont ja immer, daß 
bie weltlihe Gewalt es gewefen, die den „Vorſchmad des Höllenfeuers” 
verichaffte. 

Als ein Beifpiel zu dem oft jehr gemagten Näfonnement des Ber: 
faflerd möge folgende Stelle hier Plag finden. ©. 227 heißt es von ber 
Aftrologie: „An dieſer großen Verirrung trägt — Mohamed (!) bie 
Hauptſchuld, indem er in feinem Koran den Glauben an ein unabwend⸗ 
bares Schidſal gebietet.” „Wäre unſer Echidfal wirklich zum voraus 
unabänderlich beftimmt, dann — wäre es allerdings erlaubt, in den Ster⸗ 
nen nad dem menſchlichen Schidfal zu forſchen. Denn ihr Einfluß (am 
augenfälligfien der Sonne und des Mondes; follten aber die andern Ge⸗ 
ftirne nicht auch auf die Erde wirken?) läßt Pflanzen und Thiere gedeihen, 
oder zerftört diefelben; fie jchaffen auch für den Menfhen gejunde Zeiten 
oder Seuchen und mancherlei Krankheit ıc.” „Daher konnte der moslemiſche 
Gelehrte an dem Zifferblatte des Sternenhimmels lefen wollen, weldes 
Stündlein für den Menſchen, den einzelnen over alle, ſchlagen werde.“ 

Den gothiihen Bauftil will ver Berfafier gleich vielen anderen Autoren 
den Deutſchen vindiciren und ihn den deutſchen Bauftil benannt wiflen. 
Leider ift derjelbe in Nord⸗Frankreich entftanden, und erft in einem ſchon 
ziemlih entwidelten Zuftande nah Deutſchland aelommen. 

Zroß alledem muß das Wert im Großen und Ganzen als eine tüch⸗ 
tige Leiftung bezeichnet werden, die in gemeinverftändlicher, anſprechender 
Meife einen reihen Schaß biftorifhen Willens darlegt. 











Geſchichte. 251 


10. Heinrich Eafflan, Br. Dr. Die Deitgeigiäte für höhere Töchterfchuien 
nub den Privatunterricht mit befonderer Berüdfichtigung der Geſchichte ber 
Frauen. Erſter Theil, Geichichte des Alterihums. Zweite vermehrte und 
verbefierte Auflage. Bon Dr. 8. Stade, orventl. Lehrer am Gymnaſium 
zu Fulda. Mainz, Berlag von Kunze's Nachfolger. 1866. (238 ©.) gr. 
Dctav. Preis 20 Sur. 


Unter den ſpeciell für das weibliche Geflecht beftimmten Darftellungen 
ber Weltgefchichte ift die vorliegende eine ber bedeutendſten. Während eins 
zelne folcher Darftellungen die Bezeihnung „für Töchterſchulen“ oder „für 
das weibliche Geſchlecht“ rein umfonft tragen, und ihre bejondere Berech⸗ 
tigung dazu auch dem fchärfften Blid nicht verratben, während umgelehrt 
andere die ganze Geſchichte in Geſchichtchen und Anelvöthen auflöfen und 
biefelben in gemüthlicher Breite erzählen, hält das vorliegende Lehrbuch den 
Faden der wirklichen Geſchichte ernftlih feit, und behält feine bejondere 
Beltimmung doch ſtets im Auge, indem es überall das Perſoönliche ſehr 
bervortreten läßt, der Anefvote, wenn anders fie eine Perjönlichleit gut 
harakterifirt, vor allem aber der Sage einen breiten Plab einräumt, und 
ih eines, wenn auch ernften, doch leiten und angenehmen Tones ber 
Erzählung befleißigt. 

Dem Bude ift eine „Geſchichte der Frauen des Alterthums“ als 
Anhang hinzugefügt. Nah einigen allgemeinen Bemerkungen über bie 
Stellung der Frauen in der orientalifchen, griehifhen und römischen Welt 
wird eine Reihe ausgezeichneter, in der Geſchichte bebeutfamer Frauen 
erwähnt und ihre Bedeutung dur einige Züge aus ihrer Lebensgejhichte 
harakterifirt. Der Inhalt diefes ganzen Abfchnitted wäre wohl beſſer mit 
in die geſchichtliche Erzählung felbft werwebt worden. Haben Frauen mit 
eingegriffen in den Gang der Gejhichte, jo muß ihrer auch an der gehörigen , 
Stelle ermähnt werden, und was über die Stellung der Frauen im Allges 
meinen zu fagen ift, gehört mefentlih mit in das Bild von der Eultur 
ber einzelnen Böller. Schon der Titel „Geſchichte der Frauen’ erjcheint 
dem Referenten wenig angemeflen. Es giebt nur eine Geſchichte; in biefe 
baben Frauen zwar mit eingegriffen, aber fie haben feine beſondere Ge 
ſchichte für fih gemadt. Man kann von einer Gefhichte der Frauen aud 
niht in dem Sinne reden, wie man von einer Gefhichte der Malerei, der 
Altronomie u. dgl. fpriht. Denn diefe Dinge, die Künjte, Wiſſenſchaften 
und Erfindungen haben ſich entwidelt, ſich weſentlich umgeltaltet, und zwar 
nad gewifien Gejeben und aus ertennbaren Urſachen. Die Frauen aber 
find zu allen Zeiten im Weſentlichen geblieben, was fie waren, und man 
lönnte weit eber von einer Gefchichte der weiblichen Tracht reden, ald von 
einer Gefchichte des weiblichen Geihlehts. Die Wandlungen, welche dieſes 
in feiner focialen Stellung, feiner Bildung ꝛc. durchgemacht hat, — abgejehen 
davon, daß fie niemals weſentliche Verhältniſſe betrafen --- gingen 
niemals vor fih nad befonderen, in dem Geſclechte felbft liegenden Ges 
feßen, fondern waren ftets nur mittelbare Folge und begleitender Umftand 
der eigentlihen Weltgeſchiche. Noch aus einem underen Grunde ift dieſe 
abgejonderte Behandlung des weiblichen Geſchlechtes ein mißliher Umftand. 
In der Schule und vor allem in ber Töchterfchule muß man von dem, 





252 Gerichte. 


mas beim Berbältnit ver beiten Geitiechter das Weienflche iR, unb von 

allem, æas zımittellur Dumit peisemenhicrt, veltinkig jdweigen. Und 

fo wird es, was mm im derartiges Sebrtütern über die Etrlung resp. 

Gei!’die er Grauen verkrinzt, zum Ibeil ans jche «llyemeinen, balbımy- 

Berieuien Andentangzen, zum ibeil ms Luter Rebenbinyen und elendem 

ZAüssertram beitchen Allzuviel Cint*t wurd dururd niemals gewonnen 

werden. Tie ganze Tarltellung dreebt ſich weientlich Darm, Daß Die rauen 

bei» „wesuctet“, bald „geehrt, kule „unterprüdt”, bald ‚frei, bald ein 

Dischen mehr „bänslih”, bald zu üftentlitem Lurns geneigt waren. Was 

font ned gejagt ik, mu — etwa mit Ansnıbme der Gröidhitsangelegen- 

beiten, — den jugendlichen Leferinwen ſeht myfierics vortommen. 

11. Adolph Dietſch, Letrbach ber Ge’sikte für bie cheren Alafjen ber Gym- 
zaıfien und zum Selbſtſtadiuia. Ameıtz, rell?irtiz mem bearbeitete Auflage 
Des zweiten Bantes zmerie Aitheilung. Die Zeit von Karl dem 
bis zu ben Kreuzen. 115 2.) gr. Octar. Yapjig Zembuer. 1966. 
res 1 Thir. 12 Sr. 


Fu 10. und im 17. Bande des Jahresberichtes (S. 631) iR viefes 
Wertes bereits als eines hötft gebalreclien und getiegenen, auch für das 
Gelbititurium vortrefili geeigneten Erwähnung gethun. 

12. I. U Efutbolt, ortentl. Lehrer an der Reufattiwalliäule zu Bremen; 
Geſchichtöbilder. Zum GSektrauch für Schüler. Zweite, vermehrte und 
verbeiterte Auflage. Bremen. 1°66. Berlaz ven Helem. (247 ©.) Octav. 
Preis 123 Egr. 


Die erſte Auflage diejes zumähft nur für Bremiide Eulen beſtimm⸗ 
ten Buches wurde im Jabresbericht für 1863, €. 632 als ein brauch⸗ 
bares Unterrihtsmittel bezeichnet. Die zweite Auflage ifl drei Abſchnitte 
(„das Nittertbum im Mittelalter”, „vie Vehmgerichte”, und „Üremen im 
Schmallaldiſchen Kriege”) vermehrt worden. Die bereit3 vorhandenen Abs 
ſchnitte haben theilmeis Zufäge erhalten, und am Schluß des Wertes ift 
eine Zujammenftellung der wichtigſien hifterijhen Taten hinzugefügt worben. 


13. Fiſcher, Conrector, Leitfaden für ten Unterricht in ber Geſchichte für Bofle- 
ſchulen. 3 Eurfe. 2. Auflage. Langeniae. Geßler. 1866. 1. Erf. 
Weligeſchichte. (110) 9 Sgr. 2..Curi. Deutihe Geſchichte. (85 ©.) 
6 Sgr. 3. Curj. Vranbenburgifch.- Preuß. Geſchichie. (108 ©.) 4 Thir. 


14. ride, Rect. Dr., Weltgeſchichte in Gedichten. Eine Sammlung hiſteriſcher 
Gedichte in beuticher, franzöfiiher und engliiher Sprache zum Schul⸗ und 
a auc (10 ©.) gr. Octav. Meinz Kunze’ Nadfolger. Preis 

r. 


Lagen dem Referenten nicht vor. 

15. Dr. A. Gindely, Lehrbuch der allgemeinen Geſchichte für bie unteren 
Llaſſen ber Mittelſchulen. Erſter Band: Das Altertfum. Prag, 1866. 
Berlag von Tempely. (176 ©.) gr. Oct. Preis 12 Ger. 


Der Derfafler will das „erzählende Moment vor dem ſyſtematiſchen 
in den Vordergrund treten lafien und will weder ein „dürres geſchichtliches 


Geſchichte. 263 


Nachfchlageregiſter“ noch auch eine Reihe von Erzählungen und Biogra⸗ 
phien ohne Zuſammenhang liefern, ſondern zwiſchen beiden Extremen bie 
rechte Mitte halten. 

Die Auswahl und Anordnung des Stoffs unterfcheibet ſich nicht we: 
ſentlich von dem, was in Lehrbüchern ähnlichen Umfanges üblich iſt. Ans 
fangs die belannten kulturhiſtoriſchen Stiggen der uralten Kulturvölfer, dann 
vie politifde Gefchichte der Griechen und Römer, verbunden mit mytho⸗ 
logiihen und kulturbiftoriihen Belehrungen. Zum Lobe des Buches muß 
Referent hervorheben, daß dieſe legteren verhältnißmäßig reichhaltig find 
und ſich durch eine recht anjchaulihe Darftellung auszeihnen. So find 
3. B. mande traditionelle Angaben über aſſyriſch-babyloniſche Verhältniffe 
ven neueren Forſchungen gemäß modificirt worden. Auch find die Bemerkungen 
über die religiöfen Vorftellungen der Chinefen und ber Inder richtiger, als 
fie fonft in ähnlichen Leitfäden zu fein pflegen. (Freilih ift S. 83 noch 
geſagt: „Der Himmel mit feiner gleihmäßigen Bewegung und Ordnung 
iM der Gott des Confucius;“ anftatt geradezu auszufprehen, daß bie Idee 
eines Gottes überhaupt jener Lehre ganz fremd ift.) Auch die Erzählung der 
Begebenheiten läßt nichts zu mwünfhen übrig. Nur mödte das Ganze nad 
Umfang und Darſtellung fhwerlih für die unteren Nlafien von Mittel: 
Schulen (Untergymnafien) geeignet fein, die, wenn Ref. recht berichtet if, 
unferen preußifchen höheren Bürgerfchulen am nächiten ſtehen. Was in 
Dem Buche geboten wird, würde für mittlere Klaſſen unferer böberen 
Schulen volllommen ausreihen. Doh muß der Ref. auf ein ficheres Ur: 
theil über diefen Punkt verzichten, über ben der Verfaſſer jedenfalls befier 
unterrichtet if. Die den Hauptabſchnitten vorangefhidten geographifchen 
Gliszen überfteigen bei meitem das Maß deſſen, mas zum Verſtaͤndniß der 
erzählten Begebenheiten notbwendig ift, und könnten ohne Schaden für 
das Bud in einer fpäteren Auflage abgekürzt werben. 

Eigenthũmlich ift dem Buch eine Slluftration durh 12 Figuren in 
Holzſchnitt, welche ägyptifche, babylonifche, griechiihe und römiſche Bauten, 
Geraͤthſchaften, Trachten u. dgl. darftellen und von denen die meiften recht 
anfprehend und deutlich ausgefallen find. Diefen Bildern ift ein erläu- 
ternder Tert hinzugefügt. Das Eine wie das Andere ift eine vecht be 
lehrende und dankenswerthe Zugabe zu dem Leitfaden. 

16. Dr. 8. Serbft, Brof., Direktor des Gymnaflums und ber Realſchule in 

Bielefeld. Hiforifches Hülfsbuch für Die oberen Klaffen von Gymnaften 

und Realiguien. IL Theil. Geihichte des Mittelalters. Mainz. Verlag 

von Kunze's Nachfolger. 1867. (103 ©.) gr. Octav. Preis 15 Sgr. 

Von vdiefem Werk ift zuerſt der dritte Theil (Gefchichte der Neuzeit) 
Sodann der erfte (Gefchichte des Alterthums) in zwei verſchiedenen Rebals 
fionen (für Gymnafien und für Realjhulen) erſchienen. Jener ift im 17. 
Bande des Jahresberichtes angezeigt und beſprochen worden. Der vorlies 
gende zweite Theil macht nunmehr den Abſchluß des ganzen Werkes. "Der: 
ſelbe ſchließt fih in Plan und Durchführung fireng den früher erjchienenen 
Heften an. Das Ganze ſoll ein Hülfsbuc für den Unterricht fein, und 
durchaus nicht mehr enthalten, als was nöthig ft, um den Schüler an 
Die Ginzelheiten des gehörten Vortrages zu erinnern. Die Form der Dat 


254 Geſchichte 


ſtellung flebt mitten inne zwiſchen der tabellariſchen und ber eines Leit⸗ 
fadens; fie wechſelt je nach Bedürfniß zwijchen Sagfragmenten und ausge⸗ 
führten Sägen. Dadurch ift es möglid geworden, ein ziemlid reiches Ma⸗ 
terial auf engem Raume überfihtlic zujammenzuftellen, und dod wieder 
die Unvolitommenheiten einer bloßen Zabelle zu vermeiden. Die Grund⸗ 
fäge, die den Berfafler fpeciell bei der Bearbeitung des Mittelalters geleitet 
baben, bat derjelbe in einer längeren Borrede auseinandergejeßt. Zunachſt 
beichräntt fi) die Darfielung im Wejentlihen auf das deutſche Wittel- 
alter; von den übrigen Böllern iſt nur das Bedeutenpfte in kurzen Slizzen 
vorgeführt. „CEiner nichts wahrhaft wifienden und wahrhaft liebenden Bo: 
Igmathie muß aud in dieſem Punkte kräftig entgegengearbeitet werden; 
zumal gerade in der Gedichte die Gefahr und Verſuchung dazu fo groß 
find.” Ueber „vidaltiih minder ausgiebige Streden‘ eilt die Darftellung 
ſchneller hinweg, um bei den widtigfien und lehrreichſten Partien länger zu 
verweilen. Biographiſche Sklizzen, wie fie der dritte Theil enthält, find 
bier weggelafien, ebenjo die übliden geographifhen Notizen. Ueber die 
Gulturgefhichte enthält das Buch keine beſonderen Abſchnitte; das Wich⸗ 
tigfie banon ift mit in die übrige Darfiellung verwebt. Ueber die Kunſt 
foll nad) des Berfafiers Anſicht beim Gejchichtsunterricht gehandelt werden, 
doch hängt das Maß diefer Belehrungen von dem ab, was die Schüler 
an biftoriihen Kunftwerten vor Augen haben, richtet ſich alfo zu fehr nach 
localen Berhältnifien, ald daß. ein Lehrbudy dafür irgend weldhe Norm auf: 
ftellen könnte. 

Mit großer Sicherheit und Schärfe trifft der Ausbrud überall den 
Kern und das Weſen der Dinge, und weiß, troß feiner fragmentariſchen 
Form, den Faden des inneren Zufammenbanges aufzuzeigen. Die urjprüng« 
lihen Zermini, charalteriſtiſche Ausjprüdhe der Uuellenfchriften, u. dgl. find 
mit Borliebe in den Tert aufgenommen. jedem größeren Abſchnitt gebt 
eine lurze Charalteriftil der darin behandelten geſchichtlichen Periode voran, 
die ſich dur treffende Kürze und Hervorhebung der wirklich weſentlichen 
Momente auszeichnet. Schließlich fei nody erwähnt, was Dir. Dskar Jäger 
mit vollem Recht über das vorliegende Wert jagt: „Wenigitens hat e8 den 
Borzug, daß es einen bloß mechaniſch ertheilten Unterricht ausschließt, daß 
ed denkende und fleißige Lehrer vorausſett.“ 


17. Horch, Oymnaſtal⸗Oberl. Dr., Lehrbud der Weltgeichichte für Gymnafien 
u Pe Pr und zum Selbflunterricht. 2 Thle. (644 5.) gr. Oct. Lyck. 
iebe. 12 r. 


18. Oskar Jäger, Direktor des K. Friedrich⸗Wilhelms⸗Gymnaſtums und ber 
Realſchule zu Köln, Hülfsbuch für den erſten Unterricht in ber alten Geſchichte 
Penfum der Onarta), Mainz. G. Kunze's Nachfolger. 1867. (115 ©.) 

tav. Preis 10 Sgr. 


Mit dem vorliegenden Wert will der Verfafier beſonders jüngeren 
Lehrern ein geeignetes Hülfsmittel in die Hand geben, das fie in der un⸗ 
terrichtlichen Praris auf den rechten Weg leiten fol. Gr erllärt fi gegen 
die Lehrbücher, vie in moblgeglievertem Syſteme mit A, und a und sa 
und a nicht nur, wie recht und billig, die Hauptfahen aus der Geſchichte 














Geſchichte. 265 


der Griechen und Römer, ſondern auch die Geſchichte ſämmtlicher orienta- 
liſcher Völker einſchließlich womoͤglich der Aethiopen, Baltrier und Armenier, 
die Gefhichte der Diadochen und der roͤmiſchen Kaiferzeit, ſowie die ge 
fammte Kulturgeſchichte, die ja beut zu Zage aud für Quartaner von 
ganz befonderer Wichtigkeit fein foll, enthalten, weldye die griechiſchen Säu⸗ 
lenordnungen, die Geſchichte der Skulptur, der Malerei u. |. m. andeuten, 
welche ferner in bejonderen Paragraphen die alte Geographie, — da ja 
Geſchichte und Geographie beileibe nicht getrennt werben follen, — beifügen ꝛc.“ 
Der Berfafler meint, e3 gäbe zwar aud gute Lehrbücher, aber die ſchlech⸗ 
ten jeien bei weitem am meiften verbreitet. Gr nennt den Ausdruck 
„Weltgeſchichte für untere und mittlere Klaſſen,“ eine contradictio in ad- 
jeotis. Er ftellt dem Unterricht in der Geſchichte eine befcheidenere Auf: 
gabe, nämlih „Auflöſung der Geſchichte in Gefhichten und Cinprägung 
einer mäßigen Anzahl der wichtigſten Thatſachen mit ihren Jahreszahlen,“ 
welche Geſchichten aber nicht mit Anekdoten verwechlelt werden follen, denen 
nah des DVerfaflers Meinung, nur eine fecundäre Bedeutung zulommt. 
Das Buch verzichtet, wie auf Vollftändigleit, jo aud auf Gleichförmigleit 
der Behandlung, da es je nad Umftänden, bald die handelnde Perſon, bald 
den Zuſammenhang der Greignifie, oft aud den Ort derfelben als leiten: 
des PBrincip der Darftellung gelten läßt. Es berichtet nur, es erzählt nicht. 
„Ein erzäblenpdes Lehrbuch ift Pfufcherei.” Hin und wieder find Fra⸗ 
gen eingeftreut, die das Nachdenken weden, die Aufmerkſamkeit auf wichtige 
Punkte concentriren und den Schüler nöthigen ſollen, das Gleichartige zus 
fammenzufafien. Häufig find auch Andeutungen für den Lehrer beigefügt, 
an ver betreffenden Stelle irgend eine Sage, Aneldote und dergl, vorzus 
bringen. In den geographiihen Skizzen ift nur dasjenige angegeben, was 
anmittelbar dem Verſtändniß der alten Geſchichte dient, dagegen ift ausges 
fchlofien, was eigentlih in den geographifhen Unterricht gehört. 

Das Bud ift denn nun nach den angedeuteten Principien conjequent, 
gefhidt und mit vieler Sorgfalt ausgearbeitet worben, jo baß ein recht 
gediegenes Schulbud zu Stande gelommen if. Die Benuzung deſſelben 
beim Unterriht wird übrigens den ganzen Eifer des Lehrers herausfordern ; 
denn trog der Beichräntung, die der Verjafler für nothwendig erachtet, ift 
doch das hier berührte thatſächliche Material gar nicht gering. Dank der 
mufterbaften Präcifion des Ausdruds tritt der innere Zuſammenhang der 
Begebenheiten, ſoweit es auf dieſer Unterrichtöftufe nur möglid ift, deut⸗ 
lich hervor. Uebrigens läßt fi die ganze Ausprudsweile zu dem Stand⸗ 
puntte der Schüler nicht allzumeit herab, und muthet ihrem Berftänpniß 
Etwas zu, ohne jedoch über den Horizont eines 11» bis 1Sjährigen Schü: 
lers binauszugeben. 

Sedem Hauptabfchnitt des Leitfadens ift eine tabellariſche Zuſammen⸗ 
ftelung der zu memorirenden Daten hinzugefügt, was der Berfafler für 
zwedmäßiger bält, als die Aufſtellung einer vollftändigen Tabelle am Schluß 
eines Leitfadens. 

Bon demſelben Berjafier iſt erſchienen 

.Jätger, Gymnaſ.⸗Direct., Geſchichte ber Griechen. (648 S.) gr. Oet. 

Gulerseloh bei Bertelsmann. Preis 2 Thlr. 

Lag uns nicht vor. 


256 Gefchichte. 


20. Dr. A. Keber, Oberlehrer an ber Realſchule zu Aichersfeben. Leitfaben 
beim Geichichteunterriht. 1. Curſus. Zweite vermehrte unb verbeſſerte 
Auflage. Aſchersleben. 1866. Verlag von Schnod. (108 6.) HH. Octab. 
Preis 6 Sgr. Partiepreis 5 Sgr. 

Der Berfafier hat einen größeren Leitfaden gefchrieben, der für höbere 
Bürgerſchulen, allenfalls auch für Realſchulen genügen fol; von biejem 
Zeitfaden ift der bier vorliegende ein kürzerer, für einfache Bürgerichulen 
berechneter Auszug, der aber auch als Zoritufe zu jenem größeren benugt 
werden kann. Der Leitfaden nähert ſich durch feine ganz knappe Ausdrucks⸗ 
weile der Form einer Tabelle; auch find die Jahreszahlen, melde gelernt 
werden follen, nah Urt der Tabellen, zur Seite des Tertes angebradt. 
Durch zweierlei Drud ift das Nothmwendigfte von dem, was in einfachen 
Schulverhältnifien allenfalls übergangen werden kann, geſchieden. Sit unter 
den Leitfäden feiner Urt jedenfalls einer der empjehlenswertbeften. 


21. Dr. Keber, Abriß ber Weltgeichichte und ber Brandenburgifch - preußifchen 
Geſchichte. Aſchersleben. 1865. Verlag von Schnod. (62 ©.) HL. Octav. 
Preis 4 Sgr. Bartiepreis 3 Ser. 


Iſt im Wefentlihen nah demfelben Plane und in derſelben Weife 
bearbeitet, wie der vorhin erwähnte Leitfaden, nur ift der Inhalt noch bes 
Ihränlter, und die Faſſung kürzer, Diefer „Abriß“ ift für Volksſchulen 
beftimmt, in denen für die Gejhihte nur ein Curfus beftebt. Iſt eben: 
falls ein praktiſch eingerichtetes, forgjam gearbeitetes Schulbud. 


22. Dr. Earl Ktefel, Director des Gymnaſiums zu Düffeldorf. Die Welt- 
eihichte für höhere Schulen und Selbftunterricht überfichtlich dargeftellt. 
* Band: Die chriſtliche Zeit. Erſte Abtheilung: „die fünfzehn erſten 
ahrhunderte.“ Zweite, verbeſſerte Auflage. Freiburg im Bteisgau. Her⸗ 
derſche Verlagsbuchhaudlung. 1867. (620 ©.) gr. Octav. Preis 1 Thlr. 


Mas im vorigen Bande des Jahresberichtes vom erften Theile dieſes 
Werkes gefagt wurde, gilt im Mejentlihen auch für den vorliegenden 
zweiten Band. Ein überaus reiches Material ift mit großer Sorgfalt zus 
fammengetragen. Leider fehlen dem Verf. wefentliche Qualitäten, bie dem 
Lehrer, und faft alle Eigenſchaften, die dem Schriftiteller eigen fein müfjen. 
Die Erzählung entbehrt aller Anſchaulichkeit. Matt und mühjam und wie 
von trüben Nebeln eingehüllt fchleicht diefelbe einher. Da tritt nichts her⸗ 
vor und nichts zurüd; ein reiches Detail ift angehäuft, aber es rundet ſich 
nit zu einem deutlichen Bilde. Die Räfonnements des Verf. entbehren 
. der Klarheit und Schärfe; fie find häufig matt und abgleitend, vers 
dunleln zumeilen ven Gegenftand, anftatt ihn zu beleuchten. 

Der Pragmatismus, auf den das Wert Anfpruh macht, beftebt häufig 
bloß darin, daß allgemeine, abſtrakte Wendungen zur Umfchreibung concreter 
Einzelnheiten verwandt werden. Das Ganze ift mehr eine Anhäufung von 
geſchichtlichem Material, als eine wirkliche Geſchichte. Auch wo die Dars 
ftellung fih ein wenig zu klaren ſcheint, erſchwert die Zerlegung des Stoffes 
in viele ſehr kurze Abjchnitte und das häufige Abjpringen von einem Ges 
biet auf's andere die Gefammtauffaflung ungemein. Der Berf. ifl ein or: 
thodoxer Katholik und läßt diejen feinen Standpunkt überall bei Beurthei⸗ 





Gefchichte, 257 


lung der Perfonen unb @reigniffe deutlich herbortreten, wenn auch zuge⸗ 
fanden werben muß, daß er der biftorfihen Wahrheit gerecht zu werden 
ſucht. Die Beurtheilimg einzelner Kaifer wird von jenen’ katholifch kirche 
lichen Anſchauungen wefentlich beeinflußt, noch mehr natürlich die Darftellung 
der verſchiedenen „Haͤreſien“. Daß ein rechtgläubiger Katholik über tie 
„Haͤretiler“ anders als verwerfend fpreche, erwartet Niemand. Aber wenn 
er eine Geſchichte fchreiben will, fo muß er wenigftens die Gefepe der Ges 
ſchichtsſchreibung erfüllen. Dieje verlangen, daß man bei der Darftellung 
eines Kampfes doch auch den Etreitpuntt Mlar ftelle, damit der Lefer wiſſe, 
warum die Parteien mit einander ftritten. Wollte der Verf. von Härefien 
und Häretifern reden, jo mußte er die ketzeriſchen Lehren wenigſtens ſoweit 
darlegen, daß der Lefer eine PVoritellung von den mwichtigften Etreitpuntten 
gewinnen Tann. Dies thut der Berf. nur bei den älteften Glaubensſtrei⸗ 
tigfeiten, nicht bei den Wlbigenfern, nicht bei Wikleff, nicht bei Huß. Hier 
ſpricht er fortwährend von der „neuen Lehre”, ohne daß der Lefer eins 
mal recht erfährt, was benn Huß eigentlich gelehrt habe. ©. 393 heißt 
e8: „Zur Ginigung der Kirche war ein großer Schritt durch Begrüns 
dung des lateiniſchen Kaifertbums in Conflantinopel geſchehen. Der 
®laube war da, mwo er durch Härefie angegriffen gemefen, 
kriegeriſch vertheidigt worden.“ Das Mlingt ſchon ein wenig nad) 
dem Koran. 

So forgfältig auch das Merk gearbeitet, fo reichhaltig das darin nie 
dergelegte Material auch fein mag, fo glaubt Ref. doch nicht, daß es fi 
außerhalb der Kreife, in denen es feiner Tendenz wegen geſucht und ges 
ſchaͤzt wird, viel Freunde erwerben werde. 


33. ©. Knochenhauer, Oberlehrer an der Realſchule zu Botstam; Grunde 
riß ber Weltgeſſchichte für den Unterricht in Schulen. Potsdam, 1866; 
Berlag der Riegel'ſchen Buchhandlung. (308 ©.) 8. Breis 3 Thlr. 


Der Berf. bat früher bereits ein „Handbuch der Weltgefchichte” Im 
Brei Theilen herausgegeben, welches im 16. Bande bes Jahresberichtes, 
©. 737, befproden worden if. „Die Behandlung des Stoffes,“ heißt es 
vort, „iſt in fofern gut und fchulgerect zu nennen, als fie in klarer, ver⸗ 
Ränplicher, einfacher und knapper Darftellung fidy überwiegend nur an das 
vein Thatfähhliche hält, es in möglichft objectiver, faft kühl nücterner Meife 
fo verführt, daß dem Lehrer überall die Gelegenheit zu den erforderlichen 
Ausführungen und Erläuterungen gegeben iſt.“ Der vorliegende ‚‚Brundriß‘‘, 
welcher im Wefentlihen nad dem Plane jenes „Handbuches“, nur in ges 
drängterer Form, bearbeitet iſt, trägt auch alle von jenem Merk hervorges 
hobenen Gigenfkaften an ſich. Die Darftellung beichräntt ſich falt nur 
auf vie politifhe Geſchichte, vermeidet: möglichft alles bloß Perjönliche, 
bringt von. der alten Geographie, der Gulturs und Kirchengeſchichte nur 
Das abfolut Nothwendige vor, läßt alles Raſonnement beiſeit, und firebt 
nach einer möglichft Maren Darlegung der geichichtliben Thatſachen und des 
Zuſammenhanges verfelben. Dies geſchieht aber aud mit grofer Vouſtän⸗ 
bigfeit und Genauigleit, und wenn die ganze Darfiellung dadurch einen 
etwas nüchternen Anftrich erhält, fo iſt fie dafirt auch Har und gediegen⸗ 

Pär. Yahresberiät. ZIZ. 17 


SB Geſchcchte. 


Das Buch ſetzt durchaus einen tüchtigen, anregenden Lehrer voraus — 
und das iſt für ein Schulbuch gewiß kein Vorwurf — und wird von ei⸗ 
nem ſolchen — aber auch nur von einem ſolchen — in oberen Klaſſen höherer 
Lehranſtalten mit großem Nutzen angewandt werden. 


24. Th. Kriebitzzſch, Director der höheren Töchterſchule im Halberſtadt. Leit⸗ 
faden und Leſebuch der Geſchichte für Schulen. In vier Stufen. Berlin, 
1867. Verlag von Alwin Prausnitz. (406 ©) 8. Preis broch. 
18 Sgr., in gutem Schuleinbande 21 Sgr. 


Der Berf. rechtfertigt das Erſcheinen dieſes neuen Leitſadens ‚mit der 
Beſonderheit deflelben in Plan und Anlage. Cr hat zunädhft eine fee 
Haffige Eule im Auge, in welder der Geſchichtsunterricht in ber vierten 
Klafie beginnt. In der vierten und dritten Klaſſe foll die elementare 
Stufe deflelben abfolvirt werden. Der erfte und zweite Curſus enthalten 
Ginzelbilder aus der Geſchichte, und zwar jeder derjelben aus der alten, 
mittleren und neueren Geſchichte, fo daß in jeder dieſer beiden Klaſſen die 
ganze biftorifche Zeit einmal durchgegangen wird, Die dritte Stufe (zwei⸗ 
jähriger Curfus) behandelt die deutſche, im lebten Semefter jpeciell die 
Brandenburgijch:Preußifche Geſchichte, die vierte Stufe (ebenfalls zweijährig) 
die allgemeine Weltgeſchichte. 

Aber auh Schulen von geringerer Klaſſenzahl können den vorliegenden 
Leitfaden benutzen und durcharbeiten, vorausgeſetzt, daß die Schüler jechs 
Jahre lang am Gejchichtsunterricht theilnehmen. Wo dies nicht der Fall ift, 
da können wenigſtens die erften drei Curſen durchgenommen werden, und 
auch dieſe bilden ein Ganzes für fih, indem fie die Weltgeſchichte (freilich 
nur in allgemeinen Umrifjen) zweimal, die deutſche Geichichte einmal, und 
zwar einigermaßen eingebend, an dem Schüler vorüberführen. Demnach 
bat der Verf. feinen Leitfaden nicht gerade für eine beftimmte Kategorie 
von Schulen gejchrieben, aber, mie es im Vorwort heißt, „vorzugsmeife gebo: 
hene Bürgerjchulen, höhere Zöchtesfchulen und Mealjchulen dabei im Auge 
gehabt,” In den erften beiden Curfen ift die Erzaͤhlung ausführlicher, im 
den lebten beiden ſummariſcher und ſchulmäßiger. Der Inhalt ver Curſen 
it wieder nach Semeftern abgetheilt. Ueberſchriften mit der Zuhaltsangabe 
forgen für die Möglichkeit einer leichten Orientirung — und fo hat ber 
Berf. Ulles getban, was ein forgjamer praltiiher Schulmann nur thun 
lann, um ein praltifches, bequem zu handhabendes Unterrihtsmittel herzu⸗ 
jtellen. Leider führt die Scheivung der Glementarftufe in zwei Curfe zu 
einer Zerreißung des Lehrftoffes, die feinen Faden bed Zufammenbanges 
wehr übrig läßt. Wäre das Buch für drei Gurje eingerihtet, und wären 
die beiden erfteren zu einem Ganzen verfhmolen, jo würde jevenfalld etwas 
Beileres zu Stande gelommen fein. Gegenwärtig enthält der exfte Curſus 
3. B. von ber griechiſch⸗römiſchen Geſchichte folgende Abſchnitte: Agamem⸗ 
son, Solon, Miltianes, — Romulus, Coriolan und Nero. Berbienen 
dieſe ſechs Abſchnitte noch irgenpwie den Namen Geſchichte? Der, zmeite 
Curſus fol nun die leer gelafienen Lüden einigermaßen ausfüllen. Bas 
beingt er? Sokrates, Epaminondas, Alerandes, — Zarguinius Superbus, 
Caͤſar und Titus. Wenn bie Meltgeihichte, währen» zweier Sabre im, 


4 





Geſchichte. 259 


dieſer Weiſe durchgenommen wird, was wird dann das Reſultat fein? 
Wahrſcheinlich nur ein etwas durcheinander gewirrter Aneldotenkram. 
Ueberdies iſt der Leitfaden an einzelnen Stellen in ſachlicher wie in 
fprachliher Begiehung fo gebrechlich, daß dieſer Umftand allein ſchon gegen 
die Benubung deſſelben Bedenten erregen muß. Da beißt es ©. 8.: „Auch 
zur Feldmeſſung und zur Gternlunde führte der Nil.” Gebr unverftänd: 
lich! Ebendaſelbſt heißt der Byffus ein Flachs, der ein feines Baum: 
wollenzeug gab. ©. V.: „Pyramiden bießen Säulen, die oben 
in einer breiten Fläche endeten.” (Die 800 Fuß Höhe find 
vielleiht nur ein Drudfehler.) Gbenpafelbft: „Ein König baute einen 
ungebeuer großen künftlihen See, defjen Niefentrümmer zum Zheil 
noch ſtehen.“ Berner: „Die Aegypter hatten feine Buchſtaben, (?) 
fondern eine Bilderſchrift.“ S. 10. „Aderbau und Viehzucht, wozu der 
Nil fie (die Aegypter) führte ꝛc.“ S. 11: „Das fhöne, von einem 
immer beitern Himmel beſtrahlte Land ıc.” 6. 56 (von der Verehrung 
der Reliquien): „ja, auch an Gebeine und Gewänder der Heiligen, an 
Nägel vom Kreuze Chriſti hing ſich die Andacht.“ Dem Ber. 
ift es mehrmals begegnet, daß er Ausſprüche berühmter Männer als ob« 
jective Urtheile der Geſchichte oder ald Thatſache ausgeiprochen hat. Das 
Hingt denn zumeilen etwas feltfam. Ein Ausſpruch über irgend einen 
hiſtoriſchen Borgang kann im Munde eines dabei betbeiligten Beitgenofjen 
ſehr trefiend, aber doc wiederum jo individuell gefärbt fein, daß man «8 
nicht ohne Weiteres als feſtſtehendes Urtbeil acceptiren darf. So heißt «8 
©. 296 von Joſeph IL: „Er übereilte vie Neuerungen; er that immer 
ben zweiten Schritt ohne den erſten“ Das war, als gelegent- 
liche Bemerkung Friedrichs des Großen, gewiß eine ſehr beachtenswerthe 
Wahrheit; aber als objectives Urtheil der Geſchichte über die geſammte 
Ihätigleit Joſephs iſt es unwahr und ungerecht, wenigftens einfeitig. Sehr 
ſeltſam Hingt e3 aud,.wenn S. 7 von dem gefangenen Piammenit gejagt 
wird: „Da fing der König an zu weinen und zu jammern; das Unglüd, 
das ihn und feine Kinder betroffen, war zu groß, dafür hatte er keine 
Zbräne mehr; aber bei dem Anblid des Alten, der des Königs Freund 
und Tiſchgenoß und reich geweien, nun verlafien und arm gemorben, bei 
Denen bettelte, durch die er fo in Noth und Glend gelommen, ba brad) 
ihm das Herz.” Abgefeben von der gänzlich mißlungenen Conftruction, 
nimmt diefe Umwandlung des geſprochenen Wortes in einen thatfächlichen 
Beriht dem Gedanken allen Reis. Was im Munde des gefangenen Pſam⸗ 
menit ftoifch Eingt, das wird bier eine fehr wunderlihe pſychologiſche 
Studie. „Da das dem König Cambyſes angefagt ward“, heißt es meiter, 
und man fragt fih dabei: Was ward ihm angefagt? Daß dem Pſamme⸗ 
wit das Herz brach? — Am wunderlichſien aber nimmt fih S. 121 die 
Gharalterifiit des Pompeianifhen Heeres aus. „In dem letzteren,“ beißt . 
es, „waren meift junge Leute vom Adel, übermüthige, üppige, prahleriſche 
Menſchen, des Krieges ungewohnt und mehr auf Tanz und Luft bedacht, 
als auf Gefahr und Kampf, und vor Allem beforgt, daß ihnen nicht durch 
einen Schwerthieb ihr glattes Geſicht entftellt würde. Caͤſar, ber das 
wußte, befahl feinen Soldaten, den jungen ſchoͤnen ur das Geſicht 
1 


20 Geſchichte 


mit. dem Schwerte zu zeichnen.“ Wie ſchwerfaällig wird bier ein bon mot 
Cäfard breit getreten. Gin Heer, weldes am Borabende der Schlacht bes 
fonders um jeina glatten Geſichter bejorgt it! Cine Armee von Tanzern! 
Welche, Borftellung! (Römische Bürger pflegten ſich übrigend nur in einem 
gewifien Zuſtande das Vergnügen des Tanzes zu geftatten. Wären fie 
wirklich jo große Zanzliebhaber geweien, fo hätte Gäfar wohl nad ihren 
Deinen zielen laſſen, anftatt nad ihren Geſichtern.) 

Nur eine firenge Säuberung des ganzen Wertes von begleichen. Ilse: 

ebenbeiten, nur eine Umſchmelzung einzelner Partien würde aus dem Gan: 
zen ein empfehlenswerthes Schulbuch machen. Und dann würde es aus 
praltiſchen Rüdfichten gerathen fein, die verfchiebenen Curſen in einzelnen 
Heften exjheinen zu lafien, anftatt dem Schüler ein Schulbuh für volle 
ſechs Jahre anf einmal zu überreichen. 
Ganz eigenthumlich ift dem vorliegenden Leitfaden vie Heranziehumg 
ſehr wieler Werte des ſchoͤnen Literatur. Am Ende jedes Abſchnittes finden 
wir eine Menge von Ziteln foldher Werte, deren Inhalt auf das im vor 
angehenden Abſchnitt Grzählte in irgend weldem, wenn auch etwas ent⸗ 
ſernten Bufammenbange ftebt. Dramen, Gpen, Igriihe Gedichte, Romans, 
Neden uud Briefe, Ginbeimifhhes und Fremdes, Altes und Neues, Kaffe 
ſches und ordinaͤres Leihbibliotheienfutter, — Alles in fchönfter Mannige 
feltigleit bumt durcheinander! Derartige Titelangaben könnten nur dau 
einen Ruben haben, wenn fie entweder alle vorhandenen Werle in mög 
lühfter Volftändigkit aufführten, um dem Unterrichtenden eine Auswahl 
gu ermöglichen, oder wenn fie felbft eine folde, britiſch und paͤdagogiſch 
geluhtete Auswahl des wirklich probehaltigen Stoffes darboͤten. Nun aber 
geftebt ber Beıf. in ber Vorrede felber zu, daß feine Gitate weder auf 
Bollftändigleit, no auf kritiſche Sonderung Anfpruch mahen! Worauf im 
aller Welt mahen fie denn aber Anfpruh? Hat denn der Berf. nur anf 
geſchrieben, was ihm gerahe fo. gufällig zur Hand war? Yaft will es fo 
ſcheinen! Das wäre aber ſehr unſtatthaft ie einem Schulbub. Lin pane 
hundert: Büchertitel findet jemand, ver Allerlei durcheinander lefen will, ja 
auch wohl ankeröwo. 

Inbefien würde biejer zuletzt gerügte Mangel beim praltifchen Ges 
brauch des Leitfadens von geringer Bedeutung fein; aber bie unglüdlidye 
methonische Unordnung des Stoffes und bie ſprachliche Incotrectheit machen 
das Bud für die Denubung beim Unterricht faft untanglich. 

25. Br. D. Lange, Prof. in Berlin. Leitfaden ber allgemeinen Geſchichte für 
.hohere Bildungsauftalten: Dritte Unterrichteftufe Der allgemieine Geſchichts⸗ 
untexricht. Fuͤnfte verbeflerte Auflage. Berlin, 1866. Verlag vom R. 
Garmer. (155 ©) gr. 8. Ladenpreis 12 Gr. 


: Die geſchichtlichen Lehrbucher des Hru. Verf. erfreuen ſich eines guten 
Rufez, den auch Ref, ihnen nicht. freitig machen will. Die Auswahl und 
Anordnung des Lehrfioffes zeugt audı im vorliegenden Theile von pähas 
gogiſchem Talt, und bie Darfiellung bat. ven rechten Ton, den man in betr 
artigen Behrbüchern.. wünjchen muß, ganz gut geizsflen. Zu bedauem iR 
nur, daß im Ginzelnen: Vieles: gar zu leicht hingeſchrieben if, und web 
prachlich, moch ſachlich einen präfuaden Blick aushält:... Dies gilt vorzugsn 





Geſchichte. 261 


weile von den kulturhiſtoriſchen Partien des Buches,. im denen große, alb 
gemeine Berhältnifie Darzuftellen find. So heißt e8 S. 3: „Das Wehen 
aller morgenländishen Bildung ift frübzeitiger Stillfand oder Untergang.” 
Die in aller Welt kann nur irgend welche Bildung beftehen aus Stillſtand 
oder aus lintergang? Die Weisheit der Bramanen, die religiöfe Poeſie 
wer Hebräer, find fie wirflid weiter nichts, als Stillftanb "und Lintergung ? 
Uebrigens ift der Gedanke, den der Der. mit der citixten unglüdlichen 
Wendung ausprüden will, grundfalſch. Die Eultur jener afiatifchen Haupt: 
völler hat in ihrer Eigenartigteit nicht wur länger befanden, als irgend 
eine europäliche, ſondern bie Eulturentwidlung hat auf orientalifdem Vo⸗ 
ben einen unendlich weitern Weg zurüdgelegt, ala auf europäiſchem. Bas 
Europa von Aften empfangen bat, war mehr, ald mas es felber nach hinzue 
gethan. Auch in Europa bat fi die Eultur nicht zu allen Beiten in.mm 
unterbrohenem Zempo vorwärts bewegt, und es könnte wohl fein, daß 
ein Sapanefe, der Einiges von der Gejdichte Griechenlands und Noms 
esfabren hätte, und die Schaupläße jener Gefchichte befuchte, daß ber zu 
einem ſehr eigentbümlichen Urtbeil über ven Fortſchritt der europaiſchen 
Bildung gelangte. 

„Das religiöſe Leben if tief und mannigfaltig,“ heißt es weiter; 
„das Bedürfniß der Religion iſt allgemein verbreitet.” Bu dieſer Behaup⸗ 
tung giebt nun gerade Afien weniger Bermlaffung, als vie übrigen Erd⸗ 
tbeile, da die Weltanfhauung der gebildeten Chinefen und ber Buddahiſten, 
— und fie bilden zufammen einen giemlich großen Theil der Bevöllerung — 
eine Religion in unjerem Einne gar nit genannt werben fan. Daß 
ven Drientalen in Runft, Wiſſenſchaft und Poeſie ver Einn fir gefftige 
Freiheit fehle, ift eine hohle Revensart, bei ver Ach nichts denken Täßt. 
Der $ 4 iſt überfchrieben „Chinefen und Inder“. So werben gerade bier’ 
jenigen beiden Völter, welche unter allen Böllern der Geſchichte am meiften' 
von einander verschieden find, in einen Paragraphen zufanmengeworfen.: 
Weberhaupt ift es ſchon feltfam, Ehinefen, Arier und Semiten unter den 
Begriff „Orientaliſche Völker‘ zufammenzufaflen. „Die Chineſen find durch 
ihre mongolifche Ablunft von den eigentlichen Eulturpöllern geſchieden.“ 
Sind denn die Chinefen kein eigentlidhes Eultumoll? Im Gegenteil, 
es will faft fcheinen, als hätte die Gultur dort weit tiefer und gründlider 
die großen Maflen der Bevölterung durchdrungen, als dies beifpieläweis 
auf den ſüdlichen Theilen unjeres Continmts ver Fall ift, wo die Cultur 
nur ein dünner, ben oberen Gejellichaftsfchichten eigener Yirniß ift, unter 

dem eine recht naturwüchfige Barbarei verborgen liegt. S. 103 heißt Baco 
v. Berulam der Begründer des Erfahrungawiſſenſchaften; zur Begrün: 
dung der Erfahrungswiſſenſchaften aber war es zu Baco's Lebzeiten ſchon 
zu fpät. „Carteſius und Spinoza legten den Grund zu der ideas 
liſtiſchen Philoſophie (das that Cartefius allein), die nur das gelten 
läßt, was fih für das Denken als nothwendig erweiſt.“ 
Gewiß die fonderbarfte Charalteriſtit, melde der Idealismus je erfahren 
bat. Wenn denn doc einmal vom Idealismus vie Rede fein follte, fo 
bätte ein Dubend Satze genügt, ben Fundamentalunterſchied aller nachcar⸗ 
tefianiſchen Philoſophie von dem naiven Realismus früherer Beiten verftände" 


262 Geſchichte 


lich zu machen. Etwas ſonderbar klingt es, wenn S. 104 von der „Fülle 
von Inhalt“, die Shaleipeare „in einen Theaterabend hineinzubringen 
mußte,’ die Rede ift. ©. 120 „begnügt fi Voltaire damit, gegen Alles einen 
leichtfertigen Spott zu kehren.” Wirklih gegen Alles? Nun, es ift wenigitens 
bequemer, „gegen Alles’ zu fagen, als zu unterfcheiden, was er verjpottete 
und was er verehrte. „Rouſſeau wollte in jeder Beziehung auf den Na« 
turzuftand zurüdgeben. So?? „Die ungetrübte Wahrheit und Offenheit feiner 

Natur, die namentli in feinen Belenntnifien bervortritt ꝛc.“ Den meiften 

Lefern der Vekenntniſſe erſcheint die Wahrheit darin fchon ziemlidy getrübt. 

„Wenn Voltaire zu der Erfenntniß der Unhaltbarleit des Beſtehenden und 

zu der Grwedung bes revolutionären Geiftes wirkte, jo war Montesqwieu’s 

Einfluß dauerhaft,” — ein in mehr als einer Beziehung mißrathener 

Sag. Auch der Ausdruck: „Erasmus ſchloß fih der Reformation nicht 

an, weil er zu ariftotratifch war”, ift in Anbetracht der Mißverſtäͤnd⸗ 

nifie, die er veranlafien kann, nicht fehr glüdlih gewählt. 

Solcher Ungenauigkeiten und Flüctigleiten hießen ſich noch eine 
Menge anführen. Der Leitfaden würde durch Ausmerzung derjelben in 
einer folgenden Auflage nicht unbedeutend an Werth gewinnen. 

26. U. Mauer. Geſchichtsbilder. Nah ben beften Quellen zufammengefiellt 
und beransgegeben für Lehrer und Lernende, fomwie für Breunbe der Ge⸗ 
ſchichte. Dritte ſehr vermehrte Auflage. Langenſalza. Schulbuchhandlaug 
von Greßler. (474 ©.) 8. Preis 1 Thlr. 

Die drei Auflagen dieſes Buches find raſch auf einander gefolgt, und 
demnach fcheint es in der päbagogiihen Welt einigen Anllang zu finden. 
Diefer Umftand nöthigt uns zu einer etwas eingebenveren Betrachtung 
defielben. Die Sammlung zeichnet fi) aus durch die große Zabl der aufgenom: 
menen Bilder. Diejelben könnten ftellenmweis faft für eine zufammenbängende 
Geſchichtserzaͤhlung gelten. Dabei geht natürlich ein Hauptvorzug folder 
Einzelbilver, nämli die größere Ausführlichleit wichtiger Partien, tbeilmeis 
verloren. Cinzelne diefer Bilder geben in der That nicht mehr, ald Lehr- 
bücher von mäßigem Umfang über den gleichen Gegenitand zu geben pfle- 
gen. Der Vorrede zufolge foll die Sammlung wohl vorzugsweife für die 
reifere Jugend beftimmt fein. In dem Werke jelbit ift nicht gerade zu 
bemerten, für welde Stufe der geiftigen Entwidelung e3 eigentlich beſtimmt 
if. Es kommen Auffäbe darin vor, die ein reiferes Verſtändniß vorauss 
feßen, andere, die für Kinder von 7 bis 8 Jahren gefchrieben zu fein 
Iheinen. Man vergleihe 3. DB. folgende Bruchſtüde miteinander. S. 156 
beißt e3 in Bezug auf die Raubzüge der Magyaren: „Sie trieben den 
Bauern das Vieh weg, fengten und plünderten, wohin fie lamen., Und 
fammelte fih nun erft langjam ein Haufe deutſcher Krieger wider fie, und 
fing an, ſich in Marſch zu ſetzen, dann waren fie jammt ihren Leuten 
ſchon lange wieder fort, weit, weit, über alle Berge. Und von Nordoſten 
ber kamen die Menden und machten's eben fo. Das war eine traurige 
Beit. Was that aber der weile, der bebädhtige König?” Und 18 Geiten 
weiter heißt e3 von Kaiſer Friedrich IL: „Im Politiſchen gingen feine 
Gedanken entſchieden dahin, das Lehensweſen zu flürzen und einen Staat 
mit georbneter Verwaltung zu gründen. Uber biefe Pläne lamen weit (sio) 





Geſchichte. 263 


zu früh; und Friedrich reformirte zu raſch und durchgreifend; er verſäumte 
es, ſich an den Mittelftand, die Staͤdte, zu ſchließen, was erſt ſpaͤtere 
Kaiſer mit Erfolg thaten“. Allerdings kann in einer derartigen Samm: 
Iung nit Alles von gleihem Kaliber fein; aber einen beftimmten, wenn 
auch etwas weit begränzten Leſerkreis muß ber Herausgeber doch immer im. 
Ange behalten. Niemand wird aud in einer derartigen Sammlung lauter 
Stüde von glei hohem Werthe erwarten; es find zu viele NRüdfichten bei 
der Auswahl zu nehmen. Und um der Bollftändigfeit willen muß auch 
wohl ein minder gelungened Stüd aufgenommen werden, wenn kein beſſe— 
res vorhanden if. Im Allgemeinen aber müflen doch dieſe Stüde nad 
Stil und Gehalt mehr bieten, als der erfte beite Paragraph eines gewöhn⸗ 
lichen Lehrbuches, denn fonft greift man lieber zu einem folhen, da ein 
Lehrbuch vor einer Sammlung von Gejchichtsbildern immer noch Die Voll: 
ftänpigleit und den Zuſammenhang voraus hat. Da ift ed nun auffallend, 
daß die vorliegende Sammlung ihre Artikel faft nur von Schriftftellern 
untergeordneten Ranges entlehnt hat, aud da, wo fih Darftellungen aus’ 
Quellenfchriften von Zeitgenofien, oder aud von neueren Meiſtern der Dar⸗ 
ftellung gemifiermaßen von felbft varbieten. Selten tritt ein hervorragender 
Name auf. Das Meifte ift aus Schulbücern und popularifirenden Bear: 
beitungen entlehnt, zum Theil aus ganz vortreffliden, und Vieles daraus 
iR ja au in diefer Sammlung ganz wohl am Plage. Auch ftammt ja 
das Gute und Tüchtige nicht alles von den Trägern berühmter Namen; 
Scähriftfteller untergeorbneten Ranges haben im Ginzelnen auch Bedeutendes 
geliefert, und es ift ein Verdienſt, wenn man dies an's Licht zieht und 
verbreiten hilft. Die meiflen der vorliegenden Artikel find auch zu hiftori- 
ſcher Belehrung ganz gut geeignet; aber dennoch muß hervorgehoben wers 
den, daß die Sammlung des Bedeutenden, Charafteriftiihen zu wenig, da- 
gegen des ſchulmäßig Präparirten zu viel enthält. Aus unferen für den 
Geſchichtsunterricht bearbeiteten Schulbüchern läßt fi eine Eammlung von 
guten Geſchichtsbildern nicht herſtellen. Das ift für jene kein Vorwurf; 
denn ihr Zwed ift ein anderer, als der einer ſolchen Sammlung. 

An einzelnen, gänzlih mißlungenen Artileln fehlt e3 übrigens auch 
nidt. So heißt e3 ©. 8 von Sefoftris: „Er nahm fi vor, die ganze 
Welt zu erobern; ein Entſchluß, der den meiften Menſchen groß und präd)s 
tig vorlommt, im Grunde aber eben fo ungerecht ald unvernünftig war. 
Denn er hatte nicht das geringfte Recht, ſich andere Völker zu unterwerfen; 
zum Beften feiner wirklichen Untertanen waren fo viele Pflichten von ihm 
zu beobadten, daß faum das längfte Leben binlänglidy fein konnte, um fie 
würdig zu erfüllen. Und wenn er auh, was doch unmöglid war, den 
ganzen Erdboden überwältigt hätte, jo würde er doch denjelben nicht haben 
behaupten können. Genug, Sejoftris zog mit einer Iingeheuern Kriegsmacht 
aus feinem Reihe u. ſ. wm.” Es wird nun mit wenigen Worten ange: 
deutet, wie Sefoftris viele Länder eroberte, dann durch eine Verſchwörung 
feines Bruders gegen ihn nad Aegypten zurüdgerufen wurde, wie er das: 
felbe wieder unterwarf, aber dafür auch faft alle eroberten Länder wieder 
verlor. „Sept erft,” heißt e3 weiter, „lernte er, was er feinen Untertha⸗ 
nen fhuldig fei. Er machte das Land für fie brauchbarer (1), verfchönerte 





264 Geſchichte 


und beſchũtzte daſſelbe.“ Nachdem nun Einiges von Schutzmitteln gegen 
Ueberfhmemmungen, von Canalanlagen und Tempelbauten gefagt worben, beißt 
es zum Schluß: „Außerdem bat er große, berrlid in die Augen fallende 
Gebäude hinterlaſſen; fie find befannt unter dem Namen Obelisfen und 
Pyramiden.” Einen eigenthümlihen Zon ſchlägt der Artilel S. 10 „Die 
Phönizier’‘ an. „Da ihr Land fie unmöglid ernähren konnte, fo fuchten 
fie ihre Speifen im Wafler, fingen an zu filben und zu ſchiffen; und ba 
fie das fefte Cedernholz jo nabe hatten, bauten fie ſich lauter Heine Archen 
und trieben damit Fifhermwert (sich. Nah und nad mwagten fie fid 
weiter. Über wie fanden fie die Wege? Fahrgeleiſe giebt’3 doch auf dem 
Waſſer niht u, f. w.“ Zerner: „Damit anderer Leute Schiffe ihnen nicht 
folgen möchten, erzählten fie daheim: „Sa, ihr folltet nur einmal hinaus 
fommen über die Eäulen des Herkules, wie gräulic es da ausfieht. Das 
Meer iſt Shlammig, wie Mehlbrei u. f. w. Unter den Grfindungen der 
Phönizier wird auch die Pürpurfarbe genannt. „Aber genau genommen 
bat ein phöniziiher Hund biefelbe erfunden.” In dem folgenden Auflag . 
von Nöjlelt, über die „Bubylonier, Ajiyrer und Meder“, giebt es ebenfalls 
wunderbare Stilproben: „Semiramis war fo ſchoͤn, daß fie durhaus bie 
Zocter einer Göttin fein mußte, die fie gleih nad ber Geburt ausgefept 
hatte, worauf Zauben fie mit Milh und Käfe ernäbrten. Als Ninos fie 
zufällig kennen lernte, beſchloß er, fie zu beiratben, und wirklich ſcheint fie 
auch eine außerordentliche Frau gemwefen zu fein.” 

Die mitgetheilten Proben zeigen wohl zur Genüge, daß es dem Berf. 
bei der Zufammenftellung jeiner Geſchichtsbilder einerfeits zu ſehr an einem 
deutlihen Plane, andererfeits auch an fiherem, kritiſchem Takte gebrady, 
um ein wirklich tüchtiges Werk zu Stande zu bringen. Natürlich ift unter 
der Menge des Dargebotenen viel Gutes, und gewiß kann das Bud von 
Lehrern und Echülern mit großem Bortheil benugt werden, Ref. würde 
es au mit gutem Gewiſſen empfehlen können, wenn nicht bereit beflere, 
gediegnere Werte vorhanden wären. 


27. Neumann. Geſchichte ber Vereinigten Staaten von Norb-Amerila. 3. Bb. 
1866. Berlin, bei Heymann. Preis 3 Thlr. 
Iſt von verſchiedenen Seiten als die vollftändigite und gebaltreichite 
Darftellung der Norpamerilaniihen Gejhichte bezeichnet worden. 


28. 3. Niffen, Rektor zu Heide in Holflein. Die Weltgeſchichte in gebrängter 
Ueberfiht, im Verbindung mit Mythologie, alter Geographie und Kircheu⸗ 
geſchichte. Zur Wiederholung des Vortrags für Schüler ber Realſchulen 
und der unteren Gymnafiulfiaffen. Hamburg, 1866. Berlag von ©. ©. 
Nolte. (245 ©.) gr. 8. “reis 18 Ser. 


Im Großen und Ganzen kann dieſes Buch als eine wohlgelungene 
Arbeit bezeichnet werden. Die dem gewöhnlichen Lebritoff aus der poli- 
tiſchen Geſchichte noch beigegebenen Abſchnitte über Mythologie und Sage 
find verhältnißmäßig ausführlicher, als fie in den meilten ähnlichen Leite 
fäden zu jein pflegen; fonftige culturhiſtoriſche Gegenitände find nur jehr 
wenig berührt. Dem die alte Geſchichte behandelnden Theil ift eine „‚Uebers 
fit der klaſſiſchen Werke des Alterthums“ beigegeben (Name und Zeitalter 








Geſchichte. | 265 


der Autoren webR den Titeln ihrer wichtigſten Werke); ſodann folgt bie 
„Meberſicht der alten Geographie” , die über Das aus der Benubung dieſes 
Leitfadens emtipringende Bedürfniß wohl ein wenig hinausgeht. (Die 
Ueberiht nimmt circa 10 Drudfeiten ein, die ganze alte Gefhichte nur 
83. Auch ſonſt ift der Raum nicht überall angemefien vertheilt. So 
3. D. wird der ganze Befreiungskrieg fehr fummarifh auf 21/5 Trudfeiten 
abgemaht, während den „Rindern des Zeus’ 3, den „Geſchwiſtern“ des⸗ 
felben gar 3?/, Seiten gewidmet find. Für deutſche Knaben aber follten 
bob billigerweife die Helden des Befreiungslampfes mindeltend eben fo 
wichtig fein, als die ‚Kinder des Zeus.‘ 

Nach den Worten des Titeld „Zur Wiederholung des Vortrags” follte 
man eine jummarifhe, Inappe Bufammenfafjung der geſchichtlichen That» 
ſachen erwarten, die befonders nad PVollftändigkeit der mitgetheilten Ein⸗ 
zelbeiten, Ueberjichtlichleit und prägnanter Kürze des Ausdrucds firebte, 
Obwohl es der Darftellung nicht ganz an dieſen Eigenjhaften gebricht, 
jchlägt fie doch meiftens den Ton der freien Erzählung an; fie hat etwas 
ungemein Leichtflüſſiges, und ftrebt mit Glüd nad Lebendigkeit und leich⸗ 
ter Berftändlichleit; das Buch lieſt ſich ftellenweis mie eine zu unmittel- 
barer Belehrung des Lefers beftimmte Schrift. Freilich artet an manchen 
Gtellen jene Leichtigkeit aus in eine inhaltslofe und an der Oberfläche der Dinge 
binftreifende Phraſenmacherei. Eo heißt es S. 17: ‚‚Religion ift das Gefühl 
der Gemeinihaft des Enplihen mit dem Emigen. Diefes Gefühl ift dem 
Menihen angeboren.” (Demnach wäre dem Menſchen die Religion ange 
boten. Wozu dann nod die vergeblide Mühe, ihm durch Erziehung, Bes 
lebrung und Beifpiel Religion beizubringen, wenn fie ihm angeboren ift? 
Wozu dann Miffionare nah allen MWeltgegenden hin ausjenden?) — und 
bildet ein nothwendiges Stüd feines geiftigen Lebens.” (Wie kann 
nun der Verf. auf S. 204 fagen, das franzöjishe Bolt fei der Religion 
entfremdet gewejen, wenn fie doh ein notbmendiges Stüd des geiſtigen 
Lebens ift?) S. 128 ilt die Rede von den Thomiften und den Scotiften, 
„weldhe legtere eine freiere Rihtung hatten” (Was fi 
ein „Schüler der unteren Gymnaſialklaſſen“ dabei wohl denkt! Was braucht 
übrigens fo ein Junge, der fih noch mit Verben und Präpofitionen her⸗ 
umſchlaͤgt, von den Thomiften und Scotiften zu willen!) „Die Froͤmmig⸗ 
keit des Mittelalterd war äußerlich und finnlid. Sie beitand in 
Verehrung der Heiligen, der Bilder und Reliquien, im Beten nad dem 
Roſenkranz, Falten und Wallfahrten.“ Ueber das lingereimte, Oberflaͤch⸗ 
liche und Ungerechte einer folhen Behauptung braudt Ref. wohl kein 
Wort weiter zu verlieren. S. 186 ift den Herrnhutern vorgeworjen, fie 
madten „das Chriftentbum zur Sache einer unklaren Gefühlsihmärmerei, 
von den Rationaliften, „fie legten an das Chriftentpum ven Maßftab bes 
flachen Verſtandes.“ Was follen Schüler der unteren und mittleren Klaſ⸗ 
fen fih dabei denken? Biemt es fi überhaupt, vor Schülern von „dem 
flachen Berftanve” zu reden? Es ift eine grobe, gebantenlofe Unfitte ges 
wifier neuerer Bapierverberber dem Berftande an und für fi} bie epitheta 
ornantia „flach“, „nüchtern“, „zerſetzend“ u. dgl. anzubängen, und jelbft 
geſcheidtere Männer thun es ihnen gewohnheitsmäßig nad, Menſchen mit 





266 Geſchichte. 


flachem Verſtande giebt es mehr, als gut iſt, aber man kann nicht reden 
von „dem flachen Verſtande“; wenigſtens werden ſolche Ausdrücke den 
Schüler nicht eben animiren, feinem Verſtande die gehoͤrige Cultur ange⸗ 
deihen zu laſſen. Trotz mehrerer derartiger Mängel im Einzelnen kann das 
Ganze gewiß mit Nupen beim Gejchichtsunterricht gebraucht werden. - 


29. Earl Better, Geſchichte Roms, in 3 Bänden. Die fünf erfien Bücher von 
der Älteften Zeit bis auf die Grahen Zweite, größtentheils umgearbeitete 
Auflage. Halle. Verlag des Waifenhaufee. Preis 1 Thlr. 15 Sr. 


Iſt in mehreren pädagogischen Zeitfchriften empfohlen, unter Anderen 
vom Schulblatt der Provinz Brandenburg als eine der hervorragendſten 
Erjheinungen auf dem Gebiete der paͤdaçogiſchen wiſſenſchaftlichen Literatur 
bezeichnet worden. 


30. Puͤtz, Wilh, Profeffor. Die Geſchichte ber Iekten 50 Sabre (1816 bie 1866) 
in abgerundeten Gemälben für Schule und Haus. Köln, 1867. Berlag 
der Du Mont Scauberg’ihen Buchhandlung. (545 ©.) gr. 8. Preis 
1 Thlr. 25 Sgr. 


Der Verfaſſer, von dem wir bereits mehrere vortrefflide Schulbücher 
befigen, geftebt im Vorwort, daß die BZufammenftellung ver vorliegenden 
Sammlung ihm mehr Schwierigkeiten verurfadht habe, als die der vorauf: 
gegangenen Bände über die früheren Geſchichtsepochen, erftend, weil ver 
Stoff nod wenig von bedeutenden Geſchichtsſchreibern bearbeitet ift, und die 
bedeutendften biftorifchen Werte über die neuelte Geſchichte faft nur das 
erſte Drittheil der oben erwähnten Periode behandeln, fodann au, weil es 
bei den neuellen Greigniffen ſchwer ift, „den Standpunkt ber objectiven 
Auffafiung zu bewahren, mie er für einen Leſerkreis geeignet erjcheint, der 
erft die Thatfahen kennen lernen fol.” Der Verfaſſer hat die angedeuteten 
Schwierigleiten überwunden, fo weit ed nur möglih war. Wir begegnen, 
namentlich in der erfien Hälfte des Buches, den geadhtetften Namen deutfcher 
Gefhjichtsfchreiber, wie 3. B MW. Menzel, Gervinus, Arnd, Hagen, Wadler, 
Thierſch, Wachsmuth; ah May, Mailath, Valady u. A. In Bezug auf 
die neueften Begebenheiten mußte das Material vorzugsmweife aus bedeu: 
tenderen Beitjchriften entnommen und vom Herausgeber überarbeitet werben. 
Dies ift denn auch mit Gefhid und Befonnenheit geſchehen. Im Allges 
meinen herrſcht der Ton der objectiven Darftellung vor, wenn aud der 
Herausgeber feine Webereinftimmung mit dem Fortſchritt in volfsthümlicher 
Geftaltung des Staatsweſens nicht verläugnet. Das Buch enthält eine 
Yülle von Belehrung, wenn aud aus dem großen, immer mehr in bie 
Breite wachſenden Gebiet der modernen Geſchichte nur die Hauptknotenpunkte 
beleuchtet werden konnten. Für die Schule freilid wird es nur eine be- 
ſchraͤnkte Bebeutung gewinnen können; bödjftens den Schülern der Ober⸗ 
Haflen böberer Lehranftalten dürfte man es als Lectüre empfehlen. Aber 
e3 verdient Beachtung weit über die Grenzen der Edyule hinaus, von Ge: 
bildeten, die an der Entwidlung der Geſchichte den lebendigſten Antheil 
nehmen, und doch oft über die neueften, binter ihrer eigenen Erinnerung 
etwas zurüdliegenden Greignifie am wenigſten unterrichtet find, weil die 
elben in populären Darftellungen der Geſchichte in der Regel nur ganz 














Geſchichte. 267 


ſummariſch angedeutet zu fein pflegen, und bie größeren Werke, von Men⸗ 
zel, Gervinus, die „Staatengefhichte der neueren Zeit” u. A., nit Jedem 
zu Gebote fleben. 


31. Bietor Duell, Dr. phil, Lehrer an der vierten Bürgerfchule zu Leipzig. 
Bilder aus der Weltgeichihte. Kür ben erften geſchichtlichen Unterricht in 
der Volkaſchule. Leipzig. Verlag von Klinkhardt. 1866. (144 ©.) 8. 
Preis 9 Ser. 


„Das Princip, den geſchichtlichen Unterriht in biographiſcher oder 
epifobifher Form zu beginnen, ift wohl allgemein anerkannt.“ Gemiß, 
wenn man nur den Ausdrud „biographifch” nicht gar zu wörtlich nimmt, 
„Auch die Perfönlicteiten”, heißt es weiter, „find wohl außer Zweifel 
geftellt, die in der Volksſchule vorzuführen find.” Das ift nun keineswegs 
der Fall, kann auch nit für alle Fälle auf ein und diefelbe Weife ent: 
fhieden werden. Mit Recht bemerkt der Verfafier, daß ein folhes Bud), 
wie das vorliegende, nicht auf zwei Curſe zugleih berechnet werden Tann, 
weil die mit jedem Jahre wachſende Einjiht und Faflungstraft des Schüs 
lerd im zweiten Jahre des Gejhidhtsunterrichtes eine ganz andere Dar⸗ 
ftellung verlangt, ald im erften Ja, der Verfafler geht fo weit, im Laufe 
diefes erften Curſus felbft die Anfprühe an die Fafiungstraft der Schüler 
allmälig zu fteigern, und bemgemäß den Ton der Darſtellung zu ändern. 
Die Zahl der Gejhichtsbilder ift eine ziemlich bejchräntte. Aus dem Alters 
tbum: Cyrus, Griehifhe Geſchichte (das Land und feine Bewohner, 
Gagenzeit, die Perferkriege, Athens Blüthe und Verfall), Alerander d. Gr., 
Nömiihe Geſchichte (die älteften Zeiten, die puniſchen Kriege, Dctavianus 
Auguftus). Der mittleren Gefhichte find entnommen: „Muhamed, Karl 
d Gr., Heinrid I. und Otto I., Heinrih IV., der erfte Kreuzzug, Bars 
barofia, Rudolph v. Habsburg und Chriſtoph Columbus; ber neueren Ger 
ſchichte: Luther, Guſtav Adolph, Ludwig XIV., Peter d. Gr., Friedrich 
d. Gr., Joſeph V., Ludwig XVL, die deutfchen Freiheitsfriege. — In 
Bezug auf das deutſche Mittelalter erijtirt dieſe Beſchraͤnkung auf wenige 
Einzelbilder mehr in den Ueberſchriften, als im Terte jelbft, indem biejer 
doch ein wenig von der Geſchichte vor und nach feinem Zitularhelven erzählt, 
fo daß 3. B. fo ziemlih alle Kaifer von Heinrih I. bis auf Konradin 
erwähnt werben. 

In der alten Geſchichte dagegen ift das herausgegriffene Material 
theilweis gar zu fragmentariſch. Ueber diefen Punkt bat Referent bereits 
in den Vorbemerkungen feine Meinung ausgeſprochen. 

Das Buch hat einen entfehiedenen Vorzug vor vielen feines Gleichen, 
nämlich die Außerft fließende, gewandte und lebendige Ausdrucksweiſe. Dem 
Verfaſſer ift das Talent zu ſprachlicher Darftellung und ein gebildeter 
Sormenfinn in hohem Grade eigen; daher bewegt die Erzäblung ſich überall 
in gut gerundeten, klaren Sägen, und die Erzählung iſt troß ber engen 
Grenzen, in denen fie fi bewegen muß, überall lebendig und anſchaulich. 
Deberall trifft man auf die ungezwungene, inhaltvolle Kürze, die aus volls 
tommener Beherrfhung der Form und des Inhalts hervorgeht. 


268 | Gefchichte. 


3% W. Redenbacher, Leſebuch ber Weltgeſchichte, ober bie Geſchichte ber 
Menſchheit von ihrem Anfange bis auf bie neuefte Zeit allgemein faßlich 
dargeftellt. Stuttgart. Verlag von Steinlopf. 1. Bd. 1860. (450 ©.) 
10 Su. — 2. 8b. 1863. (515 ©.) 12 Sgr. 3. Bb. 1866. (768 ©.) 
19 Sgr. 


Das Buch ift vorzugsmeife für die Züchter gebilveter Familien be⸗ 
fimmt. Im 17. Bande des Jahresberichtes S. 735 find die beiden erften 
Bände deſſelben beſprochen worden. Es wird dafelbft als „ein für den 
Gebraud in weiblichen Händen fehr geeignetes’ Werk bezeichnet. „Verfaſſer 
ſchreibt in ernftschriftlihem, pofitiv-bibliihdem Sinne.” „Wegen der Bes 
fimmung des Buches für das meiblihe Geſchlecht ift billig die Ausſpin⸗ 
nung der äußeren Kampfesgefhichte vermieden, auch von BZahlenangaben 
ein fehr bemefjener Gebrauch gemacht.“ „Im Ganzen berriht eine milde 
Märme der biftorifhen Auffaffung und Darſtellung, die übrigens nichts 
fentimental Weichliches bat, wohl aber die Leſer in eine verwandte Stim⸗ 
mung zu verjeßen weiß.‘ — Der vritte Band lag dem Referenten leider 
nicht vor. 


33. F. Echmidt. Leitfaten ber Brandenburgiſch⸗Preußiſchen Geſchichte. Unter 
Mitwirkung eines Kreifes Preußifher Schuimänner. Zweite vermehrte urb 
verbefierte Auflage. Mit einer Karte: Der Preußiſche Staat in feiner 
territorialen Entwidlung. Berlin, bei Fr. Lobeck. 1867. (18 S.) 8. 
Preis 10 Sgr. (Ohne Karte 5 Sgr. Die Karte allein 74 Sgr.) 


Die erfte Auflage diefes jehr empfehlenswerthen Leitfadens ift im 17. 
Bande des Jahresberichtes S. 627 beſprochen worden, derjelbe ift nunmehr 
bis auf die neuefle Zeit fortgeführt. Die Verfaſſungskaͤmpfe in Preußen 
find kurz erwähnt, die rubmreihen Thaten der Preußifhen Armee in 
Schleswig, Böhmen und Weſtſdeutſchland, ſowie die neuefle Geſtaltung der 
deutſchen Berhältnifie eingehend dargeftellt. Das Buch fchließt mit einem 
ſchwunghaften Appell an ven beutichen Patriotismus, mas zwar in einem 
Leitfaden von 3 Bogen Umfang etwas ungemöhnlih, aber unter den ob» 
waltenden Verhältniſſen gewiß recht angemefien ift. 

Die dem Leitfaden beigegebene Karte, vie den Preußiſchen Staat in 
feiner neueften Entwicklungsphaſe darftellt, ift groß und deutlich gezeichnet, 
und läßt alle für die Geſchichte wichtigen Verhältnifie gut erlennen. 


34. Dr. W. Smitt. Leitfaden der allgemeinen Weltgefchichte in Biographien. 
Leipzig. Verlag von Fleifher. 1866. (158 ©.) gr. 8. Preis 15 Ser. 


Den Zufaß „in Biographien” enthält der Titel wohl nur als einen 
modiſchen Bierath; denn in Bezug auf Darftellung und Hervorhebung bes 
PVerfönlihen bleibt der vorliegende Leitfaden fogar binter vielen andern 
jurüd, die jene Bezeichnung nit an der Stim tragen; er veferirt ftellen- 
weis die Thatſachen fehr ſummariſch und gewinnt bier und ba faft bie 
Geftalt einer Tabelle. Referent ift durchaus nicht geneigt, dies an einem 
Schulbuche als einen Fehler aufzufaflen; nur paßt darauf die Bezeichnung 
„in Biographien‘ nit. Die Auswahl und Anorbnung des Lehrfioffes iſt 
bie gewöhnliche; eigenthümlich ift dem Buche ein Verzeihniß ber „Vertreter 

der Kunft und Wiſſenſchaft“ aus dem Mittelalter und der neueren Zeit. 








Geſchichte. 260 


Da diefes Verzeichniß im Weſentlichen nur Namen nebſt Angabe von Ge 
burts⸗ und Zodesjahr enthält, jo wird beim Geſchichtsunterricht nicht viel 
damit anzufangen fein. Die Darftellung ftrebt nad) Lebendigkeit, Anſchau⸗ 
lichkeit und Leichtflüſſigkeit, und entwidelt diefe überaus ſchätzenswerthen 
Eigenſchaften ftellenweis in nicht geringem Grade. Leider ift der Verfaſſer 
nit überall fireng genug mit der Angemefjenheit und Correctheit feines 
Ausdruds geweſen. Phraſenhafte Wendungen und Ausprüde, mie die 
baftig arbeitende Tagesliteratur fie zum Nachtheil unſerer Sprache jetzt 
maſſenweis hervorbringt, finden ſich ſehr häufig in dieſem Leitfaden. So 
der häßliche und widerſinnige Ausdruck „Zeitbewußtſein“. (S. 113: „Mit 
den mittelalterlichen Einrichtungen ſtand das Zeitbewußtſein in Wider 
ſpruch) S. 97: „Triumphirend ſtand der königliche Jüngling über feinen 
gebemäthigten Feinden da ꝛc.“ S. 105: „Franz von Lothringen wurde 
als Franz I. Kaiſer.“ 6. 64 beißt es von Luther: „Der ftille Gelehrte 
erhob fidy bald wieder zu dem begeifterten Panne der That.” ©. 83: 
„Unſere Vorfahren waren ftarte, abgehärtete Geſtalten.“ „Gaſtfreundſchaft 
und Reuſchheit waren den Deutfchen charakteriſtiſch“ u. dal. mehr. Würde 
das Buch von dergleichen Incorrectheiten gefäubert, fo würde es ein recht 
empfeblenswerthes Unterritsmittel werden; im Großen und Ganzen macht 
es einen recht anſprechenden Eindruck. 


35. E. Sommer. Leitfaden ber Weltgeſchichte für die oberen Klaſſen 
von Bürgerfhulen. In zwei Eurjen. Brauuſchweig. Alfred Bruhn. 1867. 
(68 S.) 8. Preis 5 Ser. 


Eine kurze Weberficht, theild in tabellarifcher, theils in zufammenbäns 
gender Form. Diefelbe ift für zwei Klaſſen eingerichtet, indem das Material 
der eriten Klaſſe von dem der zweiten typographiſch unterfchieden if. Die 
alte Geſchichte ift vorzugsmweife für die untere, die mittlere und neuere 
Geſchichte varzugsweile für die Oberftufe beftimmt. Die Auswahl des 
Stoffes ift die in Schulbüchern äbnliden Umfanges übliche, Die Darftellung 
ift recht gewandt, präcid und correct, und leidet nicht — mie bies bei 
ähnlihen kleineren Glementarbühern nur allzubäufig it — an allerlei 
Schieiheiten, Unklarheiten und Verbrehungen, die aus unzureichender Ber 
Tanntichaft des Verfafiers mit feinem Gegenftande entftehen. (S. 11 ift ein 
Verſehen ypaffirt, wo es heißt: „Ariſtagoras, wegen feiner Berdienfte an 
der Donaubrüde ſchlecht belohnt, hatte den Hiftiäus von Milet zum. Auf 
flande angeftachelt.) Die dem Büchlein angehängte Beittafel, welde die zu 
erlernenden Daten enthält, ift ebenfalls für zwei Curſe eingerichtet, und 
zeichnet fi vor vielen ihres Gleihen durch eine meile Sparſamkeit aus. 
Bu tadeln wäre allenfalls, daß die üblichen culturhiſtoriſchen Abjchnitte über 
die Chineſen, Inder, Aegypter und Phönizier, die in ihrer Allgemeinheik 
dem Anfänger wenig jagen, und bie für ben Elementarunterriht überhaupt 
von problemakiichem Werthe find, nicht wenigſiens vollftändig für den zwei⸗ 
ten Gurfus zejerpist find. Im Ganzen aber kann allen mehrllaffigen 
Stadtſchulen, deren zwei obere Klaſſen Gejhichtsunterriht empfangen, Dex 
vorliegende Leittanen angelegentlihft empfohlen werden. 


270 Geſchichte 


In erneuter Auflage find folgende beiden muemenifchen Bearbeitungen 
der Weltgefhichte erſchienen. 


36. Eyth, Dr. Mnemonifhe Tafeln zum Gebrauch für höhere Lehranftalten 
und zum Gelbflunterricht. 3. Auflage. Erntigart. Beller’s Verlag. 9 gr. 


37. Mauerdberger. Die wichtigſten Daten aus ber Weltgeſchichte mnemoniſch 
bearbeitet. (128 ©.) 8. Leipzig. F. Fleiſcher. 4 Thir. 


38. B. D. Wilmd, Seminarlehrer, Muemonifbe Bearbeitung ber Welt- und 
Culturgeſchichte. Kür den Schulunierricht und das Gelbfiflubium heraus 
gegeben. Flensburg. Th. Herzbrud. 15867. (203 ©.) 8. 


Dieſes Werk möchte wohl das erfte fein, weldes es unternimmt, bie 
widtigiten Daten der ganzen Geſchichte mit Nüdiiht auf die Vollsſchule 
mnemotechniſch zu bearbeiten. Das bier angewandte Syſiem iſt das von 
Dr. &. Otto aufgeftellte; einige vereinfadhende Variationen find vom Ber: 
fafler binzugetban. Für Diejenigen, die mit jenem Syſtem nicht belanut 
find, einige kurze Bemerlungen. 

Jeder Conſonant der Sprache erhält die Bedeutung einer Ziffer; 
es gilt: 


t, d1 
n, v — 2 

m, w — 3 

r, q — 4 

ſ, s, ß, ſch, t — 8 
b,p = 6 

tl, pb, pl, ver = 7 
18 


6, ,,d=)9 
I, z, (c, t) = 0 
Diefe Tabelle muß der Lernende fiber auswendig willen. Gr muß 
ferner anftatt jeder zu merlenden biftorifhen Jahreszahl, ein Wort, einen 
Gab behalten, deſſen erfte Confonanten jene Jahreszahl repräfentiren. Es 
fei beijpielsweife zu lernen. „1706. Salob zieht nad Yegypten. So 
merkt der Schüler den Gab: „Berlebe deine lebten Tage in Gofen.” 
Hier iſt. 
Ber = 7, I — 0, b = 6. Es wird vorausgefeht, daß der 
Schüler ohne Weiteres das Jahrtaufend jener Yegebenheit wife. Dann iſt 
er im Stande, mit Hülfe des obigen Satzes die Jahreszahl 1706 zuſam⸗ 
menzuſtellen. Wo mehrere Zahlen zugleid zu merlen find, ift gewöhnlidy 
Alles in einen Sap zufammengefaßt. 3. B. bei den Groberungen der 
Portugiefen in DOftindien find die Zahlen 1505, 1509, 1510, 1516 zu 
merlen. Es beißt nun: „Aus Qufitanien — zogen — edle, — 
tapfere Helden nah dem fernen Indien.“ Die Grleihterung für 
den Lernenden befteht aljo darin, daß für die Zahreszahlen Worte 
fubftituirt werben, die mit dem betreffenden gef&hichtlichen Greigniß in irgend 
einem Zuſammenhange fteben. 
Ueber die Zuläffigkeit folder mnemotehnifhen Hülfsmittel beim Brlts> 
Schulunterricht im Allgemeinen ift in den Borbemerlungen ſchon gehandelt 














Geſchichte. 271 


worden. Hier kann es nur noch darauf anlommen, zu prüfen, wie ber 
Berfafjer des vorliegenden Buches feine Aufgabe gelöft hat. Daſſelbe ift, wie 
Referent gern zugefteht, gewiß mit vielem Fleiß und Scarffinn entwor- 
fen, — ift aber doch noch mit mwefentlihen Mängeln behaftet. Wie fchon 
gefagt worden, find die Merkworte oft ſprachlich fehr mangelhaft, und 
enthalten oft übertriebene, fchiefe und einfeitige Urtheile, welche die Unbes 
fangenheit der Auffafiung flören. „So Zhejenfteller, — die Gegner fanden 
ſichl!“ „Aeußeres — abmwägend, faßen (nämlich auf dem Concil zu Trient), 
die Bilchöfe da.’ Won Dr. Jenner und der Erfindung der Schußpoden: 
„Eifriger — Phyſilus, — gebe — Kuhpoden!“ Man vente fih das 
Vergnügen, Sätze dieſes Kaliber mit einer Schulflafle einüben zu müflen, 
wie fie von Ginzelnen und in choro fort und fort wiederholt werben. 
Wabrlich, die Abjtumpfung des Sprachgefühls, die Vergröberung des Ger 
fhmades durch fteten Umgang mit derartigen ſprachlichen Mißbildungen 
wäre ein Berluft, der durch ein paar Jahreszahlen, die etwa mehr im 
Gedähtniß haften blieben, nicht im Entfernteften aufgewogen würde. Es 
mag, ſehr ſchwer fein, bei der Durhführung eines ſolchen Syſtems auch nur 
den mäßigften Anforderungen in Bezug auf Angemeſſenheit des Ausdrucks 
zu genügen; ebe aber dies nicht geſchehen ift, fann von einer Ginfühs 
zung eines derartigen Werkes in die Volksſchule gar nicht die Rebe fein. 


In erneuter Auflage find ferner erfhienen die befannten und in 
vielem Jahresbericht mehrfach beiprochenen Werte von 


39. Weber, Brofeffor, bie Weltgefchichte in überſichtlicher Darftellung. 10. verb, 
und weiter geführte Auflage. (458 ©.) gr. 8. Leipzig, bei Engelmann. 
Preis 1 The. 

40. Welter, Lehrbuh ber Weltgeihichte für Schulen. Ein frei bearbeiteter 
Auszug aus bes Verfaſſers größerem Werl. 22. verb. Auflage. gr. 8. 
(383 ©.) Münfter, bei Coppenrath. Preis 3 Thlr. 

41. Wernide, die Gefhichte der Welt. 4. und 5. Theil. 3. vermehrte unb 
verbefjerte Auflage. Berlin, bei A. Dunder. Preis 3 Thlr. 

42. Winter. Mythologie der Griehen und Römer für bie reifere Jugend. 


5. Auflage. (76 ©.) 8. Mit 17 Steintafeln. Langenſalza. Greßler. 
Preis 12 Ser. 


Bon den ausjhließlih der wiſſenſchaftlichen Literatur angehörenden, 
aber dod für ein größeres Publikum beftimmten Werten, die im verflofienen 
Jahre in erneuter Auflage erfchienen, oder meiter fortgeführt worden find, 
fei noch erwähnt: 


43. Gervinus. Geſchichte bes neunzehnten Jahrhunderts. 8. Band. Heidel⸗ 
berg. Preis 35 Thlr. 
44. 8 v. Sybel, Geſchichte ber Revolutionszeit. 3. Auflage. 3. bis 6. 
Salbband & 1 Thlr. Tüſſeldorf. Verlag von Bubbens. 
45. 2, v. Ranke. Engliſche Geſchichte, vornehmlich im 16. und 17. Jahr⸗ 
hundert. 6. Banb. gr. 8. (582 ©.) Leipzig. Dunder und Humblot, 
Preis 33 Thlr. 


| 


272 Geſchichte. 


48. Scherr, dentſche Kultur⸗ und Sittengeſchichte. 3. vermehrte Auflage. gr. 8 
(599 ©.) Leipzig, bei DO. Wigand. 2 Thlr. 


ID. Tabellen und Karten. 


47. Er. Sb. Heckenhain, Director ber Secundar- unb erſten Bürgerſchule im 
Eiſenach, Geſchichts⸗Tabellen. Gin methodiſcher Leitfaben für ben Elemen⸗ 
taxunterricht in der Geſchichte. Eiſenach. Verlag von H. Jalobi. 1866, 
77 Seiten gr. 8. 7 Sgr. 6 Bf. 


„Die äbnlihen Geſchichtstabellen“, heißt es im Vorwort, „ie fie 
gewöhnlich in Schulen gebraudht werben, bieten nad der Anſicht des Ber 
fafiere nit genug, und zeigen dem Schäler nit immer den Zuſam⸗ 
menbang ber geihidtlihen Thatfahen. Darum haften im Gedächtniſſe 
des Schülers wohl Ginzelbeiten, aber er weiß fi über Grund und Folge 
feine klare Rechenſchaft zu geben.” Sehr richtig! Darım find die Ges 
ſchichtstabellen überhaupt nit für jede Stufe und für jede Schule zu 
empfehlen, und in den meilten Jällen verdienen zufammenhängend ftilifirte 
Leitfäden den Vorzug. Die vorliegende Tabelle ift fehr rei an Daten; 
dur zweierlei Drud ift das Michtigere vom Nebenſächlichen unterſchieden. 
Mit großer Sorgfalt ift überall das wirklich Bemerlenswerthe und Charale 
teriftifche hervorgehoben. Dur Neichhaltigleit und gute Cintheilung des 
Materials, fowie dur präcifen Ausprud wird dieſer Weberblid über bie 
Meltgeihichte ein ſehr klarer und vollſtaͤndiger. Yür den erften Geſchichts⸗ 
curfus auf höheren Schulen möchte Referent — im Widerfpruh wit dem 
Berfafier — das Buch nicht empfehlen. Es ift zu reihbaltig und wird 
den Anfänger verwirren. Für den zweiten, erweiterten Curfus, für die 
mittleren Klafien von Realſchulen, für Seminarien u. f. w., iſt es jeden⸗ 
falls jehr gut zw gebrauchen. 


43. Ehr. Hutzelmann, Lehrer an ber 8. Gewerbeſchule in Fürth. Tabelle ber 
bairiihen und deuiſchen Geſchichte mit Berüdfichtigung der allgemeinen unb 
der Culturgeſchichte. Für den Echulgebrauch bearbeitet. Nürnberg. 3. 8. 
Schmids Verlag. 1866. (74 ©.) gr. 8. Preis 10 Sgr. 


Cfr. der 18. Band des Yahresberihtes S. 564 fi. 


49. Dr. D. Lange, PBrofeffor in Berlin. Zabellen und Karten zur etge 
ſchichte. Tabelle I. (Zur biographiſchen Borftufe.) Mit 8 Karten, entworfen 
vom Verfaſſer, revidirt von Kiepert. Dritte verbeflerte Auflage. Berlin. 
1866. Verlag von Rudolf Gärtner. Preis 10 Sgr. 


Der BVerfafler jagt im Vorwort zur dritten Auflage: „Die Geſchichts⸗ 
tarte nimmt eine‘ unridtige Stellung ein, wenn man fi ihrer nur zur 
Drientirung im einzelnen Falle bedient. Wie das gefhichtlihe Willen nicht 
in der Kenntniß einzelner Thatfahen, Namen und Bahlen befteht, ebenfos 
wenig koͤnnen topographiſche Ginzelheiten als’ das Terrain gelten, auf dem 
fich die geſchichtlichen Greignifje bewegen. Vielmehr müſſen wir darauf 
halten, daß der Schüler jedesmal eine Borftellung von dem ganzen geogras 
phifchen Gebiet empfange, welches die Grundlage für den zu behandelnden 


Geſchichte. 273 


größeren oder kleineren Gejchichtsabfchnitt bildet.” „Der Schüler wird 
dann niemals die chronologishe Stellung der Namen Granilus, Iſſus, 
Saugamela, oder Zicinus, Trebia, Cannä u. a. verwechſeln, weil er durch 
das geographiſche Bild des Zerrains im Großen die Hriegszüge und jomit 
auch bie Aufeinanderfolge der Schlachtorte kennt.“ Gewiß jehr richtig! 
Darum wird es mohl au in neuerer Zeit beim Gefchichtsunterricht fo ges 
halten, daß vor dem Beginn eines größeren Abjchnittes der Gefchichte bie 
Wandkarte vorgenommen und der Schauplaß der Begebenheiten betrachtet, 
auch während des Erzählens ver Blid der Schüler zumeilen auf die Karte 
gelentt wird. Kann dem Schüler au bei der häuslichen Repetition eine 
Karte in die Hand gegeben werden, deſto befier. Nur möchten die 8 Karten 
des vorliegenden Büchleins etwas zu Hein fein, um ungeübten Rartenlefern 
— und als ſolche müfjen die Lefer der „biographiſchen Vorſtufe“ doch be- 
trachlet werden — wejentlihe Dienfte zu leiften. Deutſchland, in ber 
Blüthe feiner Zerrifienbeit, auf den Raum eines DOctanblattes gezeichnet, — 
da findet kaum ein geübter Leſer vermittelft einer Lupe durch! Und die 
. Karte zur Geſchichte Friedrichs d. Gr. fieht nicht viel weniger bunt aus. 
Wozu dem Anfänger ſchon acht minutiöfe Karten in die Hand geben? 

Was der Anfänger zu millen braudt, kann an einer gewöhnlichen 
Wandkarte fehr gut gezeigt werden. Die Grenzen der verfchiedenen Welt: 
reiche, die Züge ver Eroberer find bier zwar nicht verzeichnet, wie auf einer 
befonveren hiſtoriſchen Karte, indeflen kann der Lehrer fie mehrmals deutlich 
angeben, bis ver Schüler fie dem Gebächtniß eingeprägt bat. Auf eine 
große Genauigleit im Einzelnen kommt e3 dabei doch nidht an, fondern nur 
auf das Feſthalten der allgemeinen Umrifie. Diefes Lernen von der ges 
wöhnlien Wandkarte hat aber vor der Benugung biftorifcher Karten den 
entſchiedenen Bortheil, daß der Schüler fortwährend ein größeres Ganze 
überfyaut , und das einzelne Land fofort richtig einorbnen lernt in das 
Uebrige, daß er 5. 3. bei der Beichreibung Griechenlands die Lage dieſes 
Bandes zu Italien, zu Sleinafien u. ſ. w. richtig auffaßt, was bei hiſtori⸗ 
ſchen Karten, die nur einen Heineren Theil des weltgeſchichtlichen Schau: 
plaßes darſtellen, nicht erreicht wird. Bei Benugung einer größeren Wand: 
karte fieht der Schüler weit befier das Hin und Herſchwanken der politischen 
Grenzen, wie ein Reich neben dem andern entfteht und daſſelbe nach und 
nad abjorbirt, wie über ein und demjelben Boden fih nad und nad ver 
fchiedene politiſche Gebilde aufbauen. Alle diefe Anjchauungen empfängt 
der Schüler nit, oder doch nicht fo deutlih, wenn er, ein Blatt nad 
dem andern umjchlagend, das Reich des Cyrus, des Alerander, das römijde 
Weltreich u. |. w. überblidt. — Das Gefagte gilt felbitweritänplih nur 
für jüngere Schüler, nicht für folde, die überhaupt ſchon einen fihern 
Ueberblid über ‚die allgemeinen geographijchen Berhältnifie gewonnen haben, 
und in der Benugung von Karten geübt find. Yür dieſe find befondere 
hiſtoriſche Karten allerdings ſehr wuͤnſchenswerth, für Schüler auf „ber 
biographifhen Vorftufe” feinen fie uns von problematiihem Werthe zu 
jein, zumal fo kleine, minutiöje und darum ſchwer zu entziffernde Karten, 
wie fie bier geboten werben. 

Päd. Jahresbeticht. XIX. 18 


274 Geſchichte. 


pierge⸗ Dr., Oberlehrer an der Dorotheeuſtädtiſchen Realſchule zu 
Da e hictstabellen zum Ausmendiglerneu für böhere 
*" Bet, e Zweite Auflage. Berlin. Berlag von Kortkampf. (34 ©.) 
Preis 5 Sgr. 


Die vorliegende Schriſt weicht in ihrer Einrichtung von der gewöhn⸗ 
lichen Weiſe merklich ab, Sie iſt zunaͤchſt für ſiebenllaſſige Schulen be 
ftimmt, und enthält für jede einzelne Klaſſe eine befondere Tabelle mit den 
auswendig zu lernenden Daten, und zwar giebt fie dieſe in ziemlich be: 
johränkter Auswahl, jo daß der. bier zum Auswendiglernen beitimmte Stoff 
auch wirklich auswendig gelernt werden kann, In Klaſſe VII, VIund V 
jollen das Altertbum, das Mittelalter und die Neuzeit biographiſch, in Deu 
brei darauf folgenden Klafien ethnographiſch behandelt werben. Die erſte 
Klaſſe ſoll Univerfalgeichichte betreiben, Demgemäß find die fieben Tabellen 
bearbeitet; die Einrichtung derjelben ift die ſynchroniſtiſche. Die achte 
Zabelle faßt den ganzen Etoff zu einer Gejammtüberfiht zufammen, und 
unterſcheidet dabei daS Material der drei Hauptfiufen durch dreifahen Drud, 
Die beiden lebten Seiten enthalten Stammtafeln des Hohenzollernſchen und 
des Habsburgiihen Haufes. Cigenthümliche Beigaben find noch: erftens 
ein Verzeichniß der wichtigften mythologiſchen Namen aus dem griehild: 
römischen, germaniſchen, wendiſchen und preußifhen Altertum, zweitens 
ftatiftiiche Angaben über die Größe der wichtigſten Länder und Städte, und 
britteng eine Tabelle, die das Auffinden der biltorisch berühmten Ortichaften 
auf der Karte erleichtern fol. Man ſieht, daß ber Verfaſſer alles Mög: 
liche gethan bat, um aus feiner Schrift ein wirklich brauchbares und zwed: 
mäßiges Shulbud zu maden. 

51. Stein, Dr. B. K., Geſchichts⸗Tabelen in überfichtlicher Anorbnung Tr 
bie ‚mittleren und oberen Klaſſen Höberer Schulen. Münfter, 
Bexlag ber Theiſſing' ſchen Buchhandlung. 1866. (67 S.) gr. Octav. 1 7 


In Bezug auf die Einrichtung, auf die Auswahl des Stoffes und 
die Menge der aufgenommenen Taten meicht die vorliegende Tabelle micht 
weſentlich von anderen ihres Gleidyen ab, und fteht der Mehrzahl berfelben 
an Brauchbarkeit nicht nah. Im Vorwort polemijirt der Herr Verfaſſer 
gegen die ſynchroniſtiſchen Tabellen, indem er jagt: „Die vielfach beliebte 
Anordnung, wonach die Geſchichte der einzelnen Völker in gefonberten 
Rubriken neben einander "behandelt wird, ift vermieden, weil fie Sinn und 
Gedanken des Lernenden leicht verwirrt.” Bei jüngeren Schülern iſt das 
allerdings der Fall, dagegen werden die Schüler der oberen Klafjen höherer 
Lebranftalten ſich in einer ſynchroniſtiſchen Tabelle ſchon zurecht finden; 
und für folhe möchte eine Nebeneinanverjtellung des Gleihzeitigen doch von 
weſenklichem Nupen jein. 

52. Carl Winderlich, Ueberficht der Weltgeſchichte in —— Tabellen. 


weite verbeſſerte und bis in bie neuefte ei fort ührte Auflage. Breslau. 
erlag von Joh. Urban Kern. 1866. r. 


Die vorliegende Tabelle iſt eine der umfangreichiten und reichhaltigſten. 
Sie führt nit nur die in ausführlicheren Lehrbüchern und Tabellen ge 
wöhnlich erwähnten biftoriichen Begebenheiten jehr vollftändig auf, jonbern 


reis i 





Gefchichte, | 275 


berüdfichtigt auch die vom Entwidlungsgang der Geſchichte etwas feitab 
ftebenden Böller. Beſonders reich ift die Rubrik „Culturgeſchichte“ ausges 
ftattet. Die Zufammenftellung iſt ſehr forgfältig gemacht, und läßt an 
BZuverläffigleit nichts zu wünſchen übrig. Nur der ſprachliche Ausdrud iſt 
nicht immer glüdlid gewählt, was freilich bei einer Zabelle von fecundärer 
Bedeutung if. So heißt es ©. 23: „In de Berbrennung des 
Priscillianus fließt das erſte Keßerblut.“ S. 52: „Philipp II. durch⸗ 
dringend verftändig und gebildet, aber charakterſchwach, daher fanatiſch 
gläubig”, während doch gerade dieſe Eigenſchaften am mwenigften zum Fana⸗ 
tismus disponiren. Zum echten Fanatiker gehört immer ein ftarter, leiden: 
Ichaftlicher Charakter und ein beichräntter Verftand. ©. 77 „werden die 
Zortur und die Jeſuiten in Spanien wieder eingerichtet.“ Obwohl es 
volltommen zu billigen ift, daß unter der Rubrik „Culturgeſchichte“ auch 
viele jcheinbar jehr untergeordnete und unwichtige Dinge erwähnt werben, 
fo möchte doch eine „Confiscation der Gartenlaube” (am 25. Yuli 3862) 
jhwerlih in eine „Weberfiht ver Weltgeichichte‘ gehören. Ob nun bie 
vorliegende Tabelle mirblich, — wie der Berfaffer allerdings behauptet — 
für die ganze Dauer des Gejhichtsunterrichtes ein zmedmäßiges Hülfsmittel 
fei, ift gewiß ſehr zweifelhaft. Neferent möchte fie nur Geſchichtslehrern, 
Schülern der oberen Klaſſen, und Freunden der Gejchichte, welche diejelbe 
nicht gerabe als Fachſtudium betreiben, als ein bequemes, fichereB und 
reichhaltiges Hülfsmittel zus Qrientirung in der Chronologie empfehlen. 
Dem ungeübten Leſer wird es ſchwer werben, ſich in den 42 bis 16 Ga: 
lumsen zurecht gu finden, and das dem Gedächtniß Ginzuprägende ‚aus ber 
Maſſe von Daten herauszuſuchen. In der Borrede heißt 23 mar: „Man 
giebt ja den Schülem z. B. eine Grammatik, welche für die ganze Schul 
zeit ausreihend fein joll, ohne Weitmes in die Hemd, und übesläßt dem 
Lehrer Die Auswahl deſſen, mas gelernt, unb mas vorläufig ‚no ‚über 
gangen werden ſoll.“ Das mag allerdings noch vielfach geicheben, ift aber 
doch kein nachahmenawerthes Beiſpiel, ſondern eine aus minber entwidelten 
Buftänden des Schulweſens zurüdgebliebene ‚Involllopmenheit. 

53. Geſchichtstabellen, zunächft für das Somnafin um unb bie Realichule zu Au- 


dolſtadt. Zweite berichtigte und erweiterte Auflage. —e— Berlag der 
presil. Sefbugpruderei. 1866. (20 ©.) Detab. 


Eine einfahe Tabelle mit ganz kurzgefaßter 3 der Haupt⸗ 
begebenheiten. und ſparſamer Auswahl der hiſtoriſchen Daten. Scheint für 
die gedächtnißmäßige Einprägung der Daten recht brauchbar zu fein. 


18* 


vol. 
Geographie 


Bon 


®. Prange, 
Regierungds und Schulrath in Göslin. 


1. Die gewaltigen Greignifie des Jahres 1866 haben für Deutſch⸗ 
land und Stalien, für Defterreih und Holland, insbefondere aber für 
Preußen zu tiefgreifenden Umgeftaltungen der flaatlihen Berhältnifie ge 
führt. Es find mit ungeabnter Raſchheit Entwidelungen eingetreten, welche 
den halbhundertjährigen lebten Beitand der Staatsgebietsgröße mehrerer 
alter deutſcher Staatöglieber theils eingefchräntt,, theils ganz aufgelöft und 
ver Preußiſchen Monarchie zugeführt haben; welche aud ven beutichen 
Bund zu Grabe getragen, und zur Begründung eines norbbeutichen Bun: 
des unter Preußens Führung folgewichtigen Anlaß gegeben, und damit bie 
lebenvigen Keime zur Verwirklichung einer lang erjehnten Ginbeit, Größe 
und Kraft Deutſchlands in den trieblräftigen Boden des jetzigen deutſchen 
Volkslebens gejentt baben. Aeltere Verbände und Berhältnifie der Zu: 
fammengebörigleit weihen neuen Einrichtungen zur SHerftellung anderer 
Beziehungen; der Schwerpuntt der deutſchen Machtverhältnifie ift auch 
nominell nad dem deutſchen Norden verlegt worden, wo er faltiſch jchon 
vorher rubte; und die Direction der Kräfte, welche das finatliche Leben zu 
regeln berufen find, und welche zugleich, auf geographiſche Verhaͤltniſſe ge: 
fügt, mannigfah neue Fundamente dafür zu ſchaffen haben, wird von 
einem durch ausſchließlich deutſche Intereſſen beftimmten, geiftigen Central: 
punlte geleitet. Zunädit find es zwar geſchichtliche, und in bejonderm 
Grade ftaatspolitiihe Verhaͤltniſſe, welde dur die Folgen jener außer: 
ordentlichen Ereigniſſe abändernd berührt werben; aber aud die geograpbi- 
ſchen find mehrfad mit betroffen, indem die Weltftellung namentlih Preu: 
Send und Deſterreichs ſehr erheblich abgeändert worden ift, unb inbem 
dadurch die centrale Stellung eines geeinigten Deutſchlands inmitten feiner 
Rakhbarländer und Nachbarvoͤller Vorbereitungen erfahren bat, welche, wenn 
auch nicht ohne vorausfichtlih noch ſchwere — vielleicht nahe — Kämpfe, 














Geographie. 277 


nicht allzu lange auf Verwirklichung eines in fich gefefligten, allen äußern 
Stärmen Zroß bietenden „ganzen“ Deutſchlands hinausgehen werden. 

2. Wenn dur das beutjche Bolt der gieihe Zug nad kräftiger 
Ginheit und Ganzheit Deutſchlands geht, fo kann die Vollsſchule ſich der 
Aufgabe nicht entziehen, wie in ihrem geſchichtlichen, fo in ihrem geogra« 
pbifhen Linterrichte dazu mitzubelfen, daß die deutſche Jugend bafür 
empfängli gemacht und zugleich angeleitet werbe, dem ganzen Deutfchland 
im feinen neuen territorialen Verhältnifien feinen Lerneifes zuzuwenben. 
Bon dem gegebenen engern Baterlande aus, und mit der an biefem groß» 
gegogenen Liebe foll die künftige deutſche Bollsjugend den Blid in 
noch anderer Art als vormals auf die übrigen deutichen Laͤnder, Gtaaten 
und Bevöllerungen Ienten lernen; ihr foll das ganze Baterland der flarte 
Mittelpuntt werden, an welchen fie ihr ganzes geographiſches Willen, auch 
das von ben nichtveutfchen Ländern anknüpft, auf welchen fie daſſelbe ver 
gleichend zurüdbegieht. Sie foll in diefer Liebe über die Grenzen bes 
Baterlandes hinaus nad den Ländern bliden Iemen, mo beutjches Leben 
deutfcher Leute ſich entfaltet, in Nord» und Süd Amerika, in Reuholland, 
in Südafrika, in Weftafien, ober näher in England und Frankreich, in 
Ungarn, Siebenbürgen, in der Türfei, Rußland, Italien. Das gehobene 
Bewußtfein nationaler Kraft gehört zu den Früchten der großen Juliwoche 
des vorigen Jahres, wo in Böhmen die neuen Voölkergeſchide fich nad) 
Gottes Rath entjhieden, — ein Wunder vor Aller Augen Wenn auch 
nicht in erfter, fo doch im zweiter Linie ift ber geogtaphifche Unterricht 
mit dazu zu benugen, dies Bewußtſein zu Hären, zu verlebendigen, zu 


8. Es wäre eine nur gerechte Lächeln abnötbigende Behauptung, 
jet fagen zu wollen, daß nun der ganze geographifhe Schulunterricht ein 
anberer geworden wäre. Nein, bdiefer Unterricht bat noch diejelben Bil⸗ 
dungsziele, und zu denſelben bin viefelben Bilvungswege gu benupen, wie 
feither. Geiftige Kräftigung und Weiterentwidelung durch das Ringen nad 
der anfchaulihen und lebendigen Kenntniß von den natürlichen Berhält 
niflen der ganzen Grooberflähe und der einzelnen Glieder derſelben, ber 
feften wie ver fläffigen; fihere Beherrſchung der erworbenen SKenutniffe, 
verbunden wit der Fähigkeit, fie klar darzulegen, und mit dem finnigen 
Bid, fie zur Förderung ber anderweitigen Bildung, fowie zur Mithülfe 
im praltiihen Berufsleben auszubeuten: das if nad wie vor das Biel, 
mwonad auf den wohl belannten, nunmehr aud gehörig bereinigten und 
geebneten Wegen in den verfchiedenen Schulen und auf ben verjchiebenen 
Stufen derjelben zu ftreben if. Deshalb kann nicht gemeint werden follen, 
es fei num für deutfche Schulen die Zeit erfhienen, wo in ber Geographie 
em Neues gepflügt werden müfle. So lange noch damit genug zu thun 
iR, Aberali nur erft das gute Alte folive, Mar, und anflatt in bloß mecha= 
niſcher Gedaͤchtnißarbeit in wirklicher Geiftesarbeit zur Aneignung und zum 
unverlierbaren Befig zu bringen, fo lange wird babe auszuharren, und 
mit jedem neuen Schülerchtus mwiener aufs Neue zu beginnen fein. 

4. Bon bdiefer Weberzeugung fieht man glüdlicherweife die Lehrer der 
Geographie und die Verſaſſer geographiſcher Lehr: und Hanbbüches, fo wie 


278 Geographie. 


vie Wutosen ver fin Schul⸗ und für Höhere Bilrungszwede beflimmten 
Karteınverte, geivagen. Das abgelaufene Jahr bat eime ziemlich anſehnliche 
Zahl geographiſcher Werle aws Licht treten baſſen; und es hat audy nicht 
geſehlt, daß echte fähnellfingerige Induſtrie namentlich im allerlei Karten» 
Productienen fach geübt hat, welche, an fidy oft überaus weriklo®, doch 
moment als zeitgemäße Speculation galten, und hoſſentlich bald ſorg⸗ 
fültigern Arbeiter weichen werden. Gine Anzahl durch frühere Auflagen 
mehs ber minver belannter Leitfäden und Lehrbücher find wen erichienen. 
Biele derſelben find, da ihr Drud entineber bereits zu Anfang bed Jahres 
beendet, oder doch zu weit vorgerkdt war, um durch geößere Umarbeitungen 
aufgehalten za werbest, von den Greigniflen des Senuners überholt, und 
noch che fie erſcheinen konnten, in weſentlichen Partchien antiquirt. So 
weit vie Verleger ſchnell bereit geweſen find, vie nicht mehr paſſenden 
Barthien durch neue Benbeitungen ven status quo ampaflen und bush 
Eartons das Buch besichtigen zu laſſen, ift den Abnehmen lein Schaben 
ewiehien. Bei venjenigen Büchern aber, weiche den fertigen Abbrud ves 
Banjen duburch noch zu veiten und werfäuflich zu erhalten geſucht haben, 
5 Re in einem Anhange Die Zufanmenftellung bes Neuen als Beigabe 
der fogenaukte Erweiterung erhielten, wie die Bücher von E. v. Seydlih 
be Hit in; — iſt die Gefahr großer Verwirrung des Scholer vor⸗ 
handen. ift uwaudführhan, den Anhalt ſolcher Anhänge in ben Text 
des Beoche⸗ Bades — einzutragen, und doppelt unamsführbat, erſt den 
states quo ante und baum auch noch ben status quo lehren und lernen 
kafien mu: wollen, WBerlufte ver Berleges fine in dieſenr Felle unpvermein⸗ 
lid. — Ganz dafielbe gilt von Kartenwerken, indem in den Altlasten 
meueten Ausſsgabe mehrete Blätter abgeinvert werben mußten, um dem 
jebigen Verhaͤltaiß des Gebietöbeftandes zu entſprechen. Käufer von Lehr⸗ 


fie nicht antiquirte Sachen kaufen; das angemerlie Jahr 1866 oder 1867 
für die Herausgabe jchünt allein noch nicht dagegen. Solbſwerftändlich find 
wie jene Bücher, ſo dieſe Atlanten, nicht veshalb völlig unbrenchbar, weil 
we, usa den Ereigniſſen überholt, ‚ehe ſich's ahnen ließ, für beitunmie 


58 


auch mit viel Sorgfalt nachgetragen yı werben, fo daß dieſe alja den 
status quo darftellen. Nur für den Schulunterricht, wo in ken verjchie⸗ 
denen Anſialten und Klaften beibjährlic nener Zuwachs eimivitt, bleibt es 
wichtig, Ekicungen und Verwirungen in den Lernpenſen uerzebeugen. 
Mas gelernt werden ſoll, muß das Lehrbuch genau fo enthalten, wie es 

5. Umexr den nenen geographiſchen Hülfſsmitteln ſind einige beſon⸗ 
derer Beachtung werth. Sie werden im Siteratuubericht weiter wnien 
emmähns und befpeuchen merken. Wenn die Dort mit geraten Uhlen 
huth ſchen „Karten Dietelle” auch gleich hier mit erwähnt erben, fe geichieht 
das nicht Deshalb, weil fie in ihrer techniſchen Herſtellang, wis fie gerabe 
jeht voch ſind, uimen hervorragenden Plab einnelmin; Denn gerade dieſe 
Gaftellung UAßt noch manche Wine übrig. Aber mit viefen „Modellen“ 





Geohraphie 279 


iſt ein neuer Gedanke vermirllicht. Lim beim Kartenzeichnen ve Schillern 
über oine Dex großen Schwierigleiten hinwegzuhelfen, ſind die Gnutomre der 
Länder und großen Inſelmaſſen dunch den Prägſtoch fo. kräßtig in die 
Pepterfläche eingevrüdt, dab das Lana ala erhaben über das aunjpülenbe 
Gewähler ſich varfialt, und fich leuntlich von bemfelben abhebt. Die ‚„Mioı 
delle“ find keine eigentlichen Relieſs in dem ganghaven Sinne Sea Mertk, 
je fine einfache Quastblätter, auf denen die Laudfläche, abgelehen von den 
auf ihr vorhandenen Gebirgs⸗ und Höhenzügen, gegen das umgebende Meon 
ats Fläche etwa um jo viel hervortritt, wie dies bei Vifitenlarten gefunden 
wird. Die Blätter ſelbſt find völlig frei von allen anderweiten Diawa 
fwungen, nur die Neblinien finb noch wit eingeprägt. Bis jebt. hat hie 
Art der Herftellung in den Gontouren noch nicht Die Schärfe und Mienauigs 
teit zu erreichen geftsebt, die figerlih möglich und. unterihtiih höchſt 
münjcdhenswexth bleib. Vielmehr bat die erforderliche Generalifirung ver 
Umriſſe noch mande Unbefimmtheiten gelafien, welche beſanders va hervor 
treten, wo die Aültenentwidalung durch Berrifienheit der Kulkenlinien größere 
Schwierigleiten für die Wiedergabe durch den Prägftod darhoten. So bei 
Groſbritanien, bei der norwegischen Wehlüfte, bei. ver Ballanıiinlbiufel, bei 
Roro-Amerila u. n. a. Bei der pyrenäifchen Halbinſel, bei Frankreich, 
alten, Mittel:Guropa, Afrila und Süp-Amerila gefaltet ſich die Sache 
leichter und einfacher. Mit vielen „Modellen iſt für ſchwache Schüler eime 
Zemlihe Erleichterung geſchaffen. Es hambelt fi nur no um das Aus⸗ 
ziehen ber Gomtoure, um das Gintragen der Flüſſe, Gebirge, Drtichaiten 
u. |. w., und das gange Bild, mag ed au in diefen GSintragungen gan 
jehr den Charakter bloßer Yauflzeihnungen tragen, verleugnet doch in: Ber 
Hauptgeitalt das einzuprägenve. Richtige nicht ſo weit, ala es Schülerzeich⸗ 
sangen ohne Res zu thun pflegen. Mögen vie Modelle gur Beit auch mu 
als ein höchſt einfaches und unſcheinbargs Hülfsmittel für: ven nach bes 
zeichnenben Mathode heiiebenen geographiſchen Unterricht angefeben werben ; 
gerade dieſe Einfachheit dürfte geeignet fein, von praktiſchen Schulmonntaen 
beachtet zu wmerden. Die Modelle find verbeſſerungsſähig, mie fie gegen 
wärtig zugleich; verbeſſerungsbedürftig find. Sogut als bei anderen Unter⸗ 
lagen zum SRartemzeihnen die Contoure der Bänder dergeftalt angedeutet 
jmd, daß dem Schüler nur das flärlere Uebergiehen der hoͤchſt fein bereits 
vorpunltirten Contourlinien übrig bleibt, wie bei Oppermann. ober daß 
ber Schüler nur das durch Küſtenſchraffen angedeutete Littorale mit der 
Tufchfeder als Linie berzuftelen hat, wie bei non: Eydow; ebenfogut ift bei 
den Uhlenhuthſchen Modellen nur ber gegen had Gewäſſer jich abhebende 
Höbensand des Ufjers mit der Feder zu übergieben, um die richtig begräusie 
Fläche zu gewinnen, beren innere Ausführung nun mit dem voranſchreiten⸗ 
den linterrichte ebenmäßig bewirkt werben kana. Darum verdient bied an 
ſich sumlid ſchlichte Hülfsmittel mindeſtens eben fo. viel ‚Beachtung . ale 
mande reine Grabueß-Sammlung. 

6, Gin anderes Hülfsmitiel, auf welches die Anfmerkſamleit gelenkt 
werden kann, iſt ein Heine, aber durch feinen Gehalt werthvolles Büd: 
lein, dem immerhin in einem Fundamentalſtüd, nämlich in des Durchfuhr⸗ 
baufett jeiner Methove beim Unterricht Träftig widerſprochen werben inag, 








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Geographie. 281 


nung iſt auf den erfien Stadien keineswegs eine zu leichte, fie bleibt auch 
auf den fpäteren immerbar mübjfelig und forbert alle Anſtrengung und 
Ausdauer berans. Deshalb fragt es fich allerbings gar fehr, ob es rath- 
ſam fei, fofort auf den erften Stabien die Nöthigung zum „eigenen 
Beobachten” und weiterhin ‚zum Selbftpefiniren” binzutreten zu lafien. 
Wahrſcheinlich wird diefe Frage von nicht Wenigen verneint werben, obſchon 
fie der Sorge für eine Anleitung zum eigenen Beobachten und zu geiftiger 
Selbftthätigleit entſchieden das Wort zu reden geneigt find. Sie werben 
einem Naceinander beiver Aufgaben in höherem Grade hold fein, und ben 
erften Kampf mit dem Stoff auch erft bis zu einem gewiſſen Abſchluß 
fortführen lafien wollen, bevor fie den zweiten des Selbfibeobachtens und 
Selbftdefinirens beginnen laſſen möchten. Zwar ift der geographifche Lehr⸗ 
Hoff feiner ganzen Natur nad recht vorzugsmeife geeignet, zur eigenen 
Beobachtung anzuregen, und Taufend und aber Taufend Erjcheinungen, 
Vorgänge, Berhältnifie, Wirkungen fordern das eigene Nachdenken über die 
Beranlafjungen und Urfahen heraus. Ja die Fragen nad dem Woher, 
Warum, Wozu? laſſen ſich bei jeder Erſcheinung aus der mathematifchen, 
phyſiſchen und politifhen Geographie aufmerfen. Die Erſcheinungen und 
Borgänge am Himmelsgewölbe bei Tag und Nacht, die Geftalt und Ber 
megungen des Erblörpers, die Bildung und Gliederung der Erdoberfläche, 
die Wechjelbeziebungen zwiſchen Land und Wafler, zwiſchen Hoch und 
Zief, zwiſchen Nord und Süd, die continentale oder maritime Lage in der 
Nähe der Pole oder in ber Nähe des Nequators, die Wafler: und Luft: 
bewegungen, die klimatiſchen Verbälmnifie, ihre Wechſel und ihre Ginflüfie 
auf das Natur⸗ und Menfchenleben, die Art und die Mannigfaltigleit der 
menſchlichen Siedelungen und ftaatlihen Glieverungen: dies Alles und 
noch zablreihe andere Momente mehr liefem fo viel Stoff zu ragen, fo 
viel Anregung zu Berfuhen, im „Selbftvefiniren” dieſer Verhältnifie ſich 
zu üben, daß nit nur Schüler, ſondern auch gewiegte Männer vollauf 
damit zu thun haben. Aber die Anfangsftabien des Unterrichts, wie ſehr 
auch in benfelben die Aufgaben für vie eigene Beobadtung vereinfacht 
werben mögen, etwa durch Beichränfung auf Haus und Hof, Garten, Yelb 
und Wieſe, Bad und Teich, Hügel und Ebene, oder auf Himmel, Sonne, 
Mond, Sterne u. ſ. w., werden immerhin eine äußerft ſchwache Kraft vor⸗ 
finden, ſolche Beobachtungen fiher und befriedigend anzuftellen und über 
deren Grgebniß einige Klarheit zu ermögliden. Zum eigenfreien Nach⸗ 
denten und „Selbftpefiniren” gehört immerhin das ſchon denken Können, die 
Fähigkeit zu Abftractionen, und diefe entwidelt ſich nicht fofort auf den 
Anfangsitadien und in fehr jugendlihem Alter. 

Was für den erften geographifhen Vorbereitungs⸗ und Anfangsunter: 
richt mit Hoffnung auf befriedigende Crgebnifle befjelben geeignet, und 
praktiſch vieljeitig und lange erprobt und bewährt gefunden ift, das hat der 
Padag. Yahresberiht, wie in früheren Jahrgängen, fo zulegt in Bd. XIV, 
S. 251 fi, XV, © 246 fi. und XVI, ©. 178 fi. mit Rüdfiht auf 
vorhandene elementare Verhältnifie und Bebürfnifie dargelegt. Es tft auch 
bort der eigenen kindlichen Beobachtung und allgemach der geifligen Selbft- 
thätigleit der Schüler Raum umd freie Bahn geöffnet; nur find die Schranken 


282 Geographie. 


dajur mehr aus dem wirklichen Schulleben, als aus der reinen Wiſſen⸗ 
Schaft genommen. 

Profeſſor Grün ſchlaͤgt fofort den Schacht wer letztern an, indem 
er aus ben „brei aufeinander folgenden Theilen der geogmphifhen Wiſ⸗ 
ſenſchaft“ für die erſte Stufe „pie Belanntfhaft mit den Erſchei⸗ 
nungen‘ beflimmt, demnächſt aber ‚‚das Studium auch auf bie Kenntniß ber 
Geſetze uns Wechfelbeziehungen verfeiben in dem Mahe ausbehnen‘ will, 
„als unterdeß durch das Studinm der Mathematik und Phyſil, ver Naturs 
nun Weltgeſchichte die gehörige Borbereitung dazu erlangt iſt“. Auf die 
Frage nad Profeſſor Grün’s Lehrftoff für die erſte Stufe bes „erdtund- 
lichen“ — nicht bloß erbbefhreibenden — Unterrichts gibt eine 
gedraͤngte Skizze die beſte Antwort. 

Erſte Abtheilung. Aſtronomiſche Geographie. Erſter Abſchnitt. Beob⸗ 
achtungen am Himmel. 

1. Der Hinmel erſcheint als feſtſtehende hohle Halbkugel, in ihrer 
Mitte die Erde. Horigontfläche. Terreſtriſcher und wirklicher aſtronomiſcher 
Horizont. Orientirung darin; Windroſe. Kenith. Nadir. Scheinbare 
Bewegung des Himmelsgemölbes bei Naht. Weltachſe. Pole. Tarallel: 
kreife, Himmelsäquator. Meridiane. Erdachſe, Groparallele, Erdaͤquator, 
Erbmeridiane. — 

2a) Sphaera recta. Tagesbeobadtungen vom 21. März an. Ergeb: 
niffe am Aequator: ſenkrechtes Auffteigen der Geflirne, zweiſchattige 
Bewohner, ſenkrechter Fall der Sonnenftrahlen, kurze Dauer ver 
Dämmerung. 

b) Sphaera parallela. Beobachtungen. Ergebniſſe für die Tages: 
erfheinungen am Nordpol: Eonnenlauf, ſechs Monate lange Dauer 
des längjten Tages, der laͤngſten Nacht, umfchattige Bewohner, fchräger, 
abgleitender Fall der Sonnenftrablen, lange Dämmerung. 

. c) Sphaera obliqua. Beobadhtungen unter 48° n. Br. Grgebnifie 
der Tagesbeobachtungen: Auf- und Untergang der Sonne in fchiefer 
Richtung, ftete Zu: und Abnahme; zwei Aequinoctien, zwei Solſtitien, 
einſchattige Bewohner, ſtets ſchiefer Auffal der Eonnenftrahlen; 
mittlere Dämmerungsdauer. 

3. Beobachtungen bei Nacht. Sterne verjchiedener Größe. Firſterne. 
Planeten. Monde. Kometen. Sternbilder. Thierkreis mit feinen Stern: 
bildern; Wichtigkeit defjelben wegen des Planetenlaufs. Monpbewegung 
durch den Zhierfreis. Woche. Mondmonat:Bhafen, periodiſcher und ſyno⸗ 
diſcher Monat, Mondjahr. — Beobachtungen unter dem Yequator, unter 
dem Pole, unter 48° n. Br. an den Sternenbewegungen. Polhöhe, geo: 
graphifhe Breite, nie auf:, nie untergehende Sterne, auf: und unter: 
gehende Sterne. 

4. Combinirte Beobachtungen. Sonnenbewegung durd die Himmels: 
zeihen ; Ekliptik, Polarkreife. Aſtronomiſche Chronologie. Sonnenjtunde 
bis Sonnenjahr; bürgerlihes Jahr, Schaltjahr, Kalender. 

Zweites Abſchnitt. Die Erde. 

4. Geſtalt. Größe. Beweile. Berechnung. 





Geegrayhie. 283 


2. Dertellungemistel. Globen, Planiglobien, Weltkarten, Reliefs, 
Landkarten. — Betrachumg des Globus. Gradnetz. Beſtimmung der 
geographiſchen Breite und Laͤnge. Zonen; Neben⸗, Gegenbewohner, Gegen⸗ 
füßler. — Blanigtobien. Projection (Aequatorial⸗, Polat⸗, Horizontal⸗, 
Pr.). — Merlkatots Melttarten — Landkarten. Projeetionsarten, Reduction 
Maßſtab, Mittel zur Selbſtentwerſung von Karten. Gintheilung der Kar⸗ 
ten mit Naaficht anf den Maßſtab und ven Inhalt. Zeichnungsarten wer 
Landkarten (geometrifhe; Situatiend: und Berggeihmmg, Proſtle). Atlan⸗ 
ten. Reliefs. 

Zweite Abtheilung. Phyſiſche Geographie. Beſchreibung der Etdober⸗ 
ſtaͤche. Erſter Abſchnitt. Land. Meer; Eintheilung und Formen beiver. 

1. Vertheilung von Sand und Meer. Deean. Gontiwent, Inſeln. 
Continenicle and oceaniſche Hemiſphaͤte. Drei Continente und fünf Welt⸗ 
theile; ihre Größe. Funſ Oceane, ihre Größe, Otenze zwiſchen Land und 
Meer. Küflenentfaltung und Einflech auf natürfides und geiſtiges Lebe. 
Meeresformen. (Binnenmeer, Golf, Bucht, Straße). Landformen. Inſeln, 
continefttale, oceaniſche; Atolls. Halbinfel; Iſthmus, Kap, Untiefen, Klip⸗ 
pen, Riffe, Dünen. — Bertilale Bovenglieverung. Abjolnte, relative Höhe. 
Ebene. Tiefebene, Hochebene. Berg; Theile, Zormen deſſelben. Gebirge, 
Zheile deſſelben. Eintheilungen (Gruppen, Ketten: ıc., Hoc, Mittel: ꝛc. 
GSebirge). Bovenſormen. Vertiefungen. (Thal, Ihelle vefielben, Richtung, 
Paſſe. Sem). 

2. Gewäfler des Feftlanves. Fließende. Theile, Lauf, Ufer, Belt, 
Sohle, Tiefe, Spaltung, Gefälle, Mandung. Haf, Lagune, Delta, Stroms 
lauf, Stromentwiclelung, Stromgebiet, Maſſerſcheide. Meeresgebit — 
flehende Laudgewäͤſſer. 

Zweiter Abſchitt. Oceane. (Ueberſicht.) 

Beſtimmung nach Lage, Grenzen, Größe, Gliederung; Angabe der 
yet, nad der Orommtg ihrer Lage, bei allen Oceanen. 

Dritter Abſchnitt. Erdtheile. (Ueberſicht.) 

1. Bei jedem Erdtheile Beachtung der Lage, Grenzen, Größe, Räften: 
gliederang, inneren Bopenglieverung, @erwäfler nad der Ordnung dev 
Meeresgebiete und deren Unterabtheilungen. (Auffſellung des ganzen Ylıf- 
foRems bei jedem Fluß.) Stromlängen und Gebietsgrößen. Ferner Beach⸗ 
king ver Gebirge, Tieflänmder und Hocländer. 

2. Erdmaſſe und in ihre thätige Kräfte Material des Erdkoͤrpers, 
deſſen Memnigfaltigleit, Formen und Gigenfchaften. Bau der Erdrinde, — 
nähere Ausführung nach geognoſtiſchem Princip. Petrefacten. Grbimneres, 
Sallane. Erdbeben. Erbmagnetismus, Wirkung auf die Magnetnadel. 

3. Waſſer. ZFormen des Vorkommens; Farbe, Klarheit, Salzgehalt, 
37 des Meeres. Wellenbildung. Meeresfiröͤmungen (Bolfitrom), 

en. 

4. Luft. Atmoſphaͤre. Bedeutung. Meteore. Luftelgenicaften. 
Windſyſteme. Schäbliche Winde In einzelnen Gegenden. 

9 Wärme und Klima Emne als Wärmequelle. Thermometer. 
Jemperatur. Mittlere Temperatar, Hauptbedingungen derſelben. Eolares, 
phuſiſches, oontinentales ums See⸗Klima. Ausgleichung dev Wärme. Mever⸗ 


284 Geographie. 


ſchlag, Form, Menge, Zeit (periodiſch, unregelmäßig wieberlehrend. Regen: 
jone, —* des veränderlihen Niederſchlags, Region des ewigen Schnees. 
6. Verbreitung organiſcher Weſen auf der Erde. Abſtufung der 
Organismen. Einfluß der geographiſchen Lage. Zonenbilder. Breiten⸗ 
zonen im Verhältmiß zu Höhenregionen. Acht Zonen und Regionen. 

7. Der Menſch. Racen und veren Charalterifirung nad körper 
licher und geifliger Hinfiht. Miſchlinge. Vertheilung; abjolut, relativ. 
Sprade und Sprachen, ihre Stämme, Zweige. 

Dritte Abtheilung. Politiſche Geographie. 

1. Natürlihe Formen menſchlicher Bergefellihaftung: Kamilie, Ge: 
ſchlecht, Stamm, Boll, Nation (Sprache, Charakter). Natur, Gulturvölter, 

2. Grundmacht (Territorium und Boll), Drganifation (Form, Ge: 
walt, Regierung), Eultur (materielle: phyſiſche, technische Gultur; Handel; — 
geiftige: Religion und Kirche, Wiflenfchaften und Künſte) als vie Haupt 
momente bei Betradhtung eines Staats, — Allgemeine Ueberſicht ber 
Staaten der Erde. — 

Aus diefer Skizze geht der namhafte Umfang deflen bervor, was als 
Beobachtungsgebiet für die erfte Stufe des erdlundlichen Unterriht3 beftimmt 
iſt. Es liegt nun die Frage nahe, mit welchen Schülern dieſes Gebiet, 
und in wie viel Zeit es durchwandert werden fol? Wenn es darauf 
anlommt, daß, wie Dr. Frefenius einmal in einem Programme ber Ben: 
berjhen Anftalt in Weinheim (1850) fagte, „alles erfte Lernen ein Gr- 
leben jein fol“, fo wird zweifeläohne faft der ganze elementare geographiſche 
Unterricht, wie er in guten Schulen bisher erfolgreich betrieben iſt, einer 
ſolchen erflen Stufe des erblundlichen Unterrichts bereit3 vorangehen müflen. 
Kaum 12—14jährige Knaben werden jo viel Abftractiondgabe erworben 
haben, als zu erfolgreiher Betreibung der Beobachtungen, welde bie erfte 
Abtheilung des Profefior Grünſchen Planes verlangt, erforberli wird. 
63 kommt hinzu, daß gerade diefe Belehrungen nicht, wie es die Clemen⸗ 
tarmetbode verlangt, durch Beobachtung der Wirklichkeit, fondern mit 
Hülfe der Armillarjpbäre, alfo eines Apparat erworben werben 
follen. Erfabrungsmäßig vermögen ſelbſt noch ältere Schüler das, was fie 
an den Apparaten beobadhtet haben, nicht immer leicht in die Wirklichkeit 
zu überfegen. Bon einem „Erleben‘ kann alſo bei ihnen nur jelten bie 
Nede fein. Aehnlich ift es mit dem Lehrfloff, der aus der Lehre vom Bau 
des Erbinnern, von der Verbreitung der Organismen in horizontaler und 
vertifaler Richtung, von den Sprahflämmen, von Grundmacht, Organifation 
und @ultur des Staats zu „Beobachtungen“ dargeboten werben fol. Zu 
folden Dingen gehören Abftractionen und Neflerionen, welche eine durch 
vorbereitendes, anſchauliches Studium erlangte, größere Geiftesreife ber 
dingen, als fie bei Schülern für eine erfte Stufe erdkundlichen Unterrichts 
durchſchnittlich angetroffen wird. Wie Mar, innerlih gut gefügt, exact, 
relativ vollkänbig und lehrreih darum aud der Profefior Grünſche Plan 
an und für fi fein mag, jo, wie er ift, paßt er nicht wohl für unjere 
Schulen. Der elementare Unterricht in der Erdbeſchreibung muß manches 
von dem, was in ber zweiten und was am Schluß der britten Abtbeilung 
verlangt woied, als das Leichtere bereits vorweg nehmen; das lebrige ver 











Geographie. 285 


theilt fih dann auf fpätere Stufen. Ebenfo fruchten die Beobachtungen im 
Freien am Himmel jelbft, wenn fie durch Erläuterungen in den Lehrftunden 
gellärt und rectificirt werden, für den Erwerb wirklicher Belanntichaft mit 
den Erſcheinungen und für die Vorbereitungen zu deren Berftändniß mehr 
als alle Erläuterungen durch noch fo zwedmähige Apparate. Nach dem 
eseterum censeo bleibt die inftructive Anjhauung der Wirllichleit das 
allein Richtige, das zum Ziele führt; zu folder Anſchauung anzuleiten, das 
ift die Kunftl. In fo weit in der phyſiſchen Geographie die Kartenbetrach⸗ 
tung als wejentliches Moment auftritt, muß es als Biel feftgehalten werben, 
daß die Schüler die Karte lefen und ihren Inhalt veritehen lernen, und 
demnächft fo unverlierbar einprägen, daß er ihnen vor der Seele ftebt, um 
ſtets darüber frei zu verfügen. 

So manchen Widerſpruch nun der Plan des Profefior Grün aud 
immerhin erfahren mag, das bleibt trefflich daran, daß er auf die Anleitung 
zur Gelbitthätigleit der Schüler im geographifchen Unterricht erneut hinge⸗ 
wiejen bat. 

7. Gin drittes, in feiner Bedeutſamkeit hoch hervorragendes Hülfs⸗ 
mittel ift es noch, worauf gleich an diefer Stelle hingewiejen werben foll; 
es ift der „Relief-⸗Atlas über alle Theile der Erde für Schule 
und Haus von C. Raaz (Schulvorfteher in Berlin). Berlin. Korn und 
Comp. 1865. Erſte Lieferung enthaltend die hispaniſche, die gries 
bifhe, die ſtandinaviſche Halbinfel und die Schweizer 
Alpen. — Ueber die Wichtigkeit der Landkarten bei dem geographifchen Unter: 
richte bedarf es keines Worts mehr; fie ift allgemein anerlannt. Eine wie 
unendli große Verſchiedenheit aber in Betreff des ſachlichen und kuͤnſt⸗ 
leriſchen Werths der Landlarten noch gegenwärtig berricht, das willen 
darum nur Wenige, weil die Meiften gar nicht in die Lage kommen, von 
den neuern Fortfchritten auf dem Gebiete der Kartographie Kenntniß neh 
men zu können. Weit und breit graffiren die ſchlechten Karten als Wand: 
und Handkarten namentlih in den Schulen, obwohl Anjtrengungen genug 
gemacht worden find, gute Karten berzuftellen. Allerbings find die Yabri: 
tate der fachlihen Untenntniß, der Oberflächlichkeit, Ungenauigteit, technijchen 
Eorglofigleit und Rohheit in der Negel fo fpott billig, daB wegen ber 
Uermlichleit der Geldmittel vieler Schulen nur um des billigen Preijes 
willen nach ihnen gegriffen wird. Obwohl vielfach falſch, grob ausgeführt, 
verwilbert colorirt, und genau genommen ganz und gar kein naturmahres Bild 
eines aliquoten Zheiles der Erooberflähe, werden fie als Surrogate und 
Nothbehelf benupt, weil das Beflere zu theuer erſcheint. Man weiß, daß 
Schüler von vergleihen Karten durchaus kein zutreffendes Bild deſſen, was 
bargeftellt werben foll, erhalten können, daß vielmehr nicht wenige ganz 
irrige Borftellungen eingeprägt werben; aber man benugt folde Karten 
dennoch, muß fie leider noch benugen. Dadurch gewöhnt jih Blid und 
Einn dergeftalt an ſolche Blätter, daß das Auge, jobald ihm einmal wirt: 
ih naturgetreue Kartenbilder entgegentreten, fich gar nicht zurechtfindet, 
und fie nicht auszubeuten weiß, um fie in die Wirklichkeit zu überjegen. 

Der Werth der Karte hängt außer von der orthographifchen Richtig: 
teit der Horigontal:Dimenfionen, alfo der Grenzcontoure, Küftenlinien, Fluß: 


«286 Geographie 


jerpentimen, Orttbezeichmmgen, meſentlich von Der Art ab, wie fie Rab 
natürliche Relief des Bodens, Die Boden:Ilmnauletiouen, ansbrädm und jo 
wiedergeben, daß man die wirklichen Bodenerhehungen, die beisädhtlichern 
wie die niehrigern Vodenwellen daran wieder erleunen usb aus ihnen 
berauslejen taan. Bon melden Karten, die in die Hände der Schüler 
gelangen, ift das gegenwärtig in ausreichend befriedigendem Mabe möglich ? 
Es gibt einzelne folder Karten. Rühle v. Ciliceſters bat in fein gueken 
Karte von Suropa und in feinem Handatlas dergleihen geliefert, Gramm 
arbeitete eine ſchoͤne Karte von Paläftina, v. Sydow bat feine Karten 
ebenfalls dazaufhin entworjen, daß die Bodenplaftil daraus erkennbar wer⸗ 
ven follte und lonnte. Aber vie Handtleſchen, Holleſchen, Wintelmannicen, 
Rooſtſchen zc. Karten liefern fireng genommen zur ein quid pro qwo, aber 
fein naturgetreues Landbild. Die leidige alte Raupen⸗Manier — fie möge 
für die eriten Anfänger allenfals zugelallen werden; Stüßner in Ammaherg 
bat fie auch ganz geſchickt für dieſe vetwendet — kann unbedingt lein be 
jriedigendes plaftiihes Bild geben, jo wenig wie die Aneinandenreihungen 
non einzelnen Hügelbildern, welche auf den Rarten aus dem vorigen Jahr: 
bundert, z. B. bei „Herrn Homanns feinen Landlarten“, zur Charakteri⸗ 
fung der Bergzüge benugt waren, gleichviel ob das Gehinge wirklich in 
Rettenform fich binerfiredte oder nicht. Nicht minder führt jene oft ganz 
willlürliche Darftellung non Gebirgaverzweigungen total in die sp, weldye 
überhaupt nur andeuten will, daß da und dort Gebirgögliederungen ange⸗ 
trofjen werden. Das beite Beifpiel ift von den Schmeizeralpen zu ent 
nehmen. Wie feben die auf fo vielen Schul: und Wanplarten aus! 
Man iſt verjuht, dreiſt darauf zu fhwören, daß in vielen Faͤllen aud) 
nicht ein einziger Strih und Zug daran mwirllih ridtig it. Mancher 
Kartenzeichner war entweder gar lein Seograph, oder er war nit Geograph 
genug, um die wirllihen Berbältnifie felbft gehörig zu leunen. In andern 
allen find die Originalblätter aus der Hand eines fleißigen, jachnerflän: 
bigen Autors recht charalteriſtiſch, ſauber und mit feiner Abwägung des 
Darzuftellenden beworgegangen; aber was bat der Lithograph ober ber 
Kupferfiecher daraus gemacht! Am meilten haben PBropinziallarten unter 
folhen Händen gelitten. 

Es kann nicht verschwiegen werden, daß die Darftellungsmanier eines 
der wejentlihiten Hinderniſſe für die Gewinnung naturgetreuer Kartenbilder 
geworben if. Man kannte lange Zeit feine vorzügligere, als Die in ein 
förmliches Syſtem gebrachte Lehmannſche Schraffirungsmanier, unter ber 
Annahme vertikaler Beleuchtung. Es gehoͤrt nicht hieher, die Maͤngel dieſer 
noch gegenwärtig bei den zu dem beſten zu zählenden Kartenwerlen ange: 
wendeten Manier nachzuweiſen; vielmehr mag e3 genügen, daran zu eriquern, 
daß dabei die vertilale Beleuhtung auch da fubftituirt wurde, wo 
thatſächlich diejelbe nie vorlommt; daß ferner Höhen unter einem größern 
Boͤſchungswinkel ala 45° nicht mehr unterſcheidhar dargeſtellt werben konnten; 
und daß überhaupt bie faltiihen kleinern Böſchungswinkel nit zum wirt: 
lihen Ausdruch zu bringen waren. Sobald es aljo auf volle Genauigfeit 
anlommen mußte, wie bei Militaislarten, ließ biefe Manier im Stich, 





Geographie. 887 


Richt weſentlich anders. war das Reſultat bei der Darkellung der 
Höhen in Kreide⸗ ober Tuſchmanier unter Annahme vertifaler Beleuch⸗ 
tung; doch kamen die gröhern Boͤſchungsunterſchiede bei Karten in großem 
Maßſtahe wenigſtens einigermaßen zum Auspend: WUuch folhe Karten fiwd 
in Gebrauch gelommen. 

In neumer Zeit bat man, um die Vodenplaſtik beiler auszuſprechen 
usb das Karienbil» charalteriftiicher gu machen, wie Ihräge Beleuchtung 
angewendet. Das bringt der Wahrheit um Vieles näher; obwohl in nicht 
wenigen Faͤllen der Steilabfall der Gebirge nicht zum getreuen Ausdrudk 
gelangen kann; dem das Auge ilt nun einmal gewohnt, aus dem fräftigern 
Schatten auf beträchslihere Erhebung und nah Umftänben auf fteilern lb: 
jall zu jchließen. Mm das lingenägenve jeitheriger Darſtellungen der 
Bodenerhebungen aufzmaeden und handgreiflid zu wachen, Alt vom Director 
der Staats⸗Telegraphie in Berlin, Ingenieur⸗Oberſt von Chauvin, der Vor⸗ 
Ichlag fignificant, 3. B. eine Masle der Venus nach Lehmannſcher Manier 
ver Daxftellung von Erhebungen zu zeichnen! Kein Menſch wird derartige 
Zeichnungen für ein Mittel anjehben, um fi eine Vorftellung von her 
Venus zu machen. 

Herr non Ghauvin hat mun felbji ein anderes, „nach allen Seiten 
bin durchdachtes, zu allen Zwecken brauchbares, fehr natürliches Syſtem ver 
Rartenzeichnung aufgeitellt, wodurch die Phyſiognomie des Terrains nad 
denjelben Regeln zum Ausdruck kommt, melde für die Darftellung aller 
Körper gilt, fo daß fih ein danach gezeichnetes Kartenbild zu einem ge: 
wöhnlihen faft ebenjo verhält, wie eine Relieflarte zu einer gewöhnlid) 
gezeichneten.’ Seine Grundfäße find dabei folgende: 

„Die in der Bergzeihnung ſehlenden Umriſſe werden am beften durch 
Horizontalen erjeßt, die, wie alles Uebrige in der orthographiſchen Horizon⸗ 
tal⸗Projeetion gezeichnet find, indem die äquiniflanten Horizontalen, als das 
beite Mittel für die Aufnahme der Unebenheiten, auh auf das Bolllom- 
menjte die dem Berg-Gebäude in ber Horizontal-Projection mangelnden 
Umriſſe erfegen.” 

„Beim Bergzeihnen ijt die Anwendung von Licht und Schatten, und 
zwar unter Annahme einer jchrägen, und nad den Geſetzen ber matür: 
lihen Beleuchtung nothwendig; indem das Licht aus der linten obern Ede 
unter einem Wintel von 300 gegen die horizontale Bildfläche, und die 
Projection der Lichtſtrahlen unter 45° gegen den Rand der Zeichnung fällt, 
wobei die Schlagſchatten unberüdjicktigt bleiben.“ 

„Die Schatten im Bergzeihnen find vermittelit der ſchwarzen chine⸗ 
ſiſchen Tuſche oder mit dem Mifcher und ber ſchwarzen Kreide, und beim 
Stich in Aquatinta anzugeben.” 

Auf dieſe Weiſe iſt es möglich, „im wahren Sinne Des Woris die 
Wirklichleit in einem dieſer ſelbſt durchaus entſprechenden, verjüngten Bilde, 
indem ſie eben die Natur ſelbſt kennzeichnet“, treu wiederzugeben. 

Die allerneuſte Zeit iſt auch Darüber noch einen großen, wichtigen 
Schritt hinausgegangen. Geleitet von der Anfiht, „daß nur ein wahres 
Bild von der Erde wahre Vorftellungen von ihr in der Schulwelt geben 
tönne, und daß die Neliej-flarten das möglichſt wahre von einem Lande 


288 Geographie. 


gäben”, bat der Sculvorfieher Raaz begonnen, Relieſs der wichtigen 
Länder der Erde wit den durch den verhältnikmäßig Heinen Naßſiab be- 
bingten Generalifirungen der Bodenerbebungsformen herzuſtellen, und dieſe 
in der lithographiſchen Anftalt von Norm in Berlin auf photo: 
litbographiihem Wege auf dem Papier jo wiedergeben zu lafien, daß 
drei Dimenfionen auf der Ylädhe ausdrudsvoll dargeftellt werben. Bon 
den zunädfi zus Ausführung projectirten 18 Karten (die Grötbeile, eine 
Weltlarte, die einzelnen großen Länder Suropas, Preußen und Paläftina) 
liegen die oben genannten vier Blätter in wirklich überrafchender Schönheit 
und Treue vor. Sie geben bei längerm, rubhigem Anſchauen den Eindrud 
guter Reliefs, erſetzen dieſe deshalb für Schulen, welche zu grünblicem, 
ausführlidem geographiſchem Unterricht Zeit und Kräfte haben, vollflänbig 
ausreichend, und müflen als das gegenwärtig volllommenfte Mittel erachtet 
und lebhaft empfohlen werden, dur gute Karten dem geographiichen 
Unterrihte zu dem erforderlichen Grade von Anſchaulichleit zu verhelfen, 
* nn den phyſiſchen (oro⸗hydrographiſchen) Zheil deſſelben fo hoch⸗ 
nötbig i 

Die Karten find im Schwarzdruch, unter ſchräger Beleuchtung mit 
abgeftuftem Schatten, ohne Ramen, mit vollländigem Waſſerſyſtem und der 
Angabe der wichtigſien Ortſchaften. Als Grläuterungslarten werben bazu 
uncolorirte Blätter in gleihem Format geliefert, weldye durch rothe Striche 
die Staatenbegrenzung andeuten, die Namen der Gebirge, Gipfelhöhen, 
Bäfle, marlanten Berge, Ylüfie, Seen, und der nöthigen Ortſchaften, aber 
keine Straßenlinien enthalten. Bemittelte Schulanftalten haben einen Schaß 
an diejen Karten. 

8. Als eine erfreuliche Erſcheinung des laufenden Jahres muß die 
erneute Herausgabe der „Anmweifung zum Unterridte in der 
Heimathstunde, gegeben an dem Beifpiele der Gegend von Weinheim 
an ver Beragftraße, von Dr. 5. A. Finger. Mit Zeihnungen. (2. Auflage. 
Berlin. Weidmann. 1866. 184 ©. 25 Sgr.)“ angefehen werden. Zwar 
find über 20 Jahre feit dem erften Erfcheinen dieſes Buches verflofien, und 
es könnte fcheinen, als müſſe es heut veraltet fein. Dem ift nidt fo; 
vielmehr gehört es entſchieden zu den recht wenigen guten Schriften und 
Anleitungen, den Unterricht in der Heimathskunde fruchtbar zu betreiben, 
die überhaupt vorhanden find. Zwar können derartige Anweilungen jelbft: 
verftändli nur eremplificatorifche jein, da ſich die praftiihe Anwendung 
an jedem Orte anders geftalten muß; aber Finger's Buch enthält, bevor 
im zweiten, bejondern Xheil die fpecielle Durchführung. des Unterrichts an 
der Weinheimer Gegend dargelegt wird, im vorangehenden erflen Theile 
allgemeine Winte und Grundſätze, welche jedem Lehrer, der einen ſolchen 
Unterricht zu ertbeilen bat, willlommen fein müfjen. 

Der Nero der Belehrungen bierüber liegt in dem unabweisliden 
Dringen auf Anfhauung, auf Fernhaltung als hohlen Wortwerts, auf 
beftimmteftes, Harftes Ausſprechen, Darftellen des Angeſchauten, auf ſchriti⸗ 
weife Erweiterung des Anſchauungsgebietes, entſprechend ver kindlichen 
Faſſungskraft, auf Veifeitlaflung alles ſyſtematiſchen Schematismus und auf 
fleißige Wiederholung. Was das Kind fieht, jagt, fehreibt, zeichnet, möglichen. 


Geographie 289 


falls boſſirt, muß wahr und ihm felbit klar und lebendig fein. Solche 
Forderungen an den geographiſchen Anfangsunterriht find vollſtändig be- 
techtigt ; fie geben aus gefunden methodiſchen Grumdfäßen hervor, und es 
lann ihnen nidyt mit allerlei mechaniſch Eingelerntem, Borgerevetem genügt 
werben. Daß bei heimathskundlichen Betrachtungen von den allereinfachften 
Dingen und Räumen ausgegangen, alles gezeigt, genau bejehen, das Er- 
ſchaute Mar und vollftändig ausgeſprochen werden müſſe; daß bie Erſchei⸗ 
nungen nad) der Gelegenheit, wie fie fih daheim und auf Kleinen Excur⸗ 
fionen bei Tage und bei Abend vdarbieten wird, und nit nah irgend 
welhen Spftem:Schablonen zur Anſchauung und Belprehung kommen; 
daß fie auch nicht etwa gar durch abftract wiſſenſchaftliche Einleitungen 
vorzubereiten, ſondern fings friih aus der Wirklichkeit zu ergreifen find: 
das find alles Momente, auf welche immer erneut bingewiefen werben muß, 
nicht weil es nicht für richtig erfannt, ſondern meil e3 fo fehr leicht wieber 
vergefien wird. Aehnliches gilt in Betreff der Abgrenzung des Anjchauungs- 
gebietes. Nicht die Kreis⸗ oder Landesgrenze ift dabei maßgebend, fordern 
der überfhaubare Bereich, der ſich dem kindlichen Auge darbietet, und bie 
Dinge in demjelben, für welche die kindliche Anſchauungskraft die zureichenve 
Befähigung befikt. 

Junge Lehrer zumal werden aus ſolchen, vollftändig durchgeführten 
Anweiſungen ungemein viel lernen Türmen. Allervings geftalten ſich in 
der Öffentlichen Volksſchule die Verhaͤltniſſe, welche die Anfhauungen ber 
Kinder im Freien begünftigen, mefentlih anders als in einer Erziehungs: 
anſtalt. Theild würden gegen häufige Ausflüge der Lehrer mit ganzen 
Rlafien gegründete Bedenken zu erheben fein, melde nicht allein in ver 
Eade, ſondern auch in den Perjonen liegen; theils ift’3 unausführbar, 
finder, welche den erften geographiſchen Anfangsunterricht erhalten follen, 
nah Bedurfniß jederzeit aus dem Schulzimmer hinweg zu führen, während 
andere Abtheilungen darin noch befehäftigt werben müſſen; theils wird nicht 
jedem Lehrer eine Schaar von Kindern am Abend zu allerlei Belehrungen 
am Simmel anzuvertrauen fein, weil die Verfuhung zu Allotriis gar zu 
nabe fiegt. Aber im Princip bat Dr. Finger unbedingt Recht, und je 
nah den Berbältnifien bat jeder Lehrer weiſe fih zu ſchicken. In dem 
Buche find die Belehrungen auf zwei Stufen von je 80 Lehrſtunden ver: 
tbeilt. Wenn fih auch dabei Modificationen als wunſchenswerth aufe 
drängen Tönnten, jo bleibt doch die ganz ausgearbeitete Vorführung deſſen, 
was zum heimathskundlichen Unterrichte im Anſchluß an eine beftimmte 
Dertlichkeit gehört, unbeftritten jo lehrrei, dab das Buch nur aufs Reue 
zu empfehlen ift.*) 

Wie in dem XVII. und XVIII. Bande des Päd. Yahresberichts 
zufammenfafiende Rüdblide auf die Ergebniſſe der Bejtrebungen früherer 


*) 1851 bat Dr. finger in einem feiner vielen lehrreichen Schul-Programme 
auch „Srunbzüge einer Heimathskunde für Frankfurt am Main’ . gegeben. 
1867 iſt eine Ähnliche Arbeit von Rom mel in 'Leipzig erfchienen: „Heimaths⸗ 
tunbe von vernsig“ (Leipzig, Weber), anf bie wir hiermit anfmerfjan machen 
wollen. D. 8. 


Päd. Jahresbericht. XIX. 19 





290 Geographie. 


Jahre gegeben worden find, um den Gang der allmäbligen Eniwidelung 
des geographiſchen Schulunterrichts und der darauf berechneten Literatur 
wieder in die Srinnerung zurüdzurufen, und die Hauptmomente derjelben 
denen nahe zu bringen, welde an diejer Entwidelung ſelbſt noch feinen 
thätigen Antheil nehmen konnten, wirb es auch im jebigen Jahrgange fich 
empjeblen, dieſe Rudſchau fortzufeßen. 


Das Jahr 1858. 


1. Nah einer Periode lebhaften Ringen um die Gewinnung ber 
fruchtbarſten geographijchen Lehrmethode, wobei ſich ebenjowohl hervorragende 
pädagogische Meifter als eine ganze Legion von Autoren zweifelbafter Be 
fähigung betbeiligt hatten, war ein Stillitand eingetreten. Das nachweis⸗ 
bare Maß der Ergebniſſe diejes Ringens war dem Aufwande an Kraft und 
Zeit, welche dabei eingejeßt waren, nicht ganz entſprechend. Bon manden 
Seiten war über das praktiſche Bebürfniß und Biel binausgegangen, indem 
alerlei ideale Beitrebungen empfohlen und vertheidigt waren, obwohl vie 
zwingenden gegebenen Schulverhältnifie fait nirgends mehr als das Gin- 
fachſte und Nothwendigſte aus ver Geographie zu lehren verftatteten. Oder 
eö war über dem Drängen nah Mannigfaltigleit, nach verfrühender und 
überreigender Steigerung des jugendlichen Intereſſes, und nach verftärkter 
Anfpannung der Schülerlräfte für die Zwede einer bevorzugten Pflege der 
Geographie, das gejunde Ebenmaß außer Acht gelafien, worin der gejammte 
Sugendunterricht, zumal der in der Volksſchule gehalten bleiben fol. Sogar 
dem bäuslihen Fleiß der Kinder waren durch jchriftlihe Bearbeitungen 
geographijcher Fragen und durch das Beichnen mühſamer und zeitraubender 
Karten noch außerordentliche Bumuthungen geftellt, welche, weil weder allge: 
mein, noch ſelbſt bei begabten Schülern ſtets gut erfüllt, nothwendig einen 
bejonnen einjchränfenden Rüdihlag zur Folge haben mußten. Je öfter 
die Wahrnehmung zu machen mar, daß noch jo gut methodiſch unterwiejene 
Schüler jchließli wenig foliden Gewinn des Unterrichts durch fichere Be⸗ 
tkanntſchaft mit dem Jedermann zu willen Grforderlihen gehabt hatten, 
defto nöthiger exjchien die Rudlehr zu einfader bemeflenen, dem Bebürfniß 
bes wirklichen Lebens angepaßtern Aufgaben. Das Gebot dieſer Rüdtlehr 
bat zwar hie und da flörend in träumerifche Weberjchwänglichleiten einge: 
griffen, aber jonft nur heilend gewirtt, indem es ven Fortſchritt nicht in 
der Weite und Breite, fondern in der Tiefe, Klarheit, Sicherheit des Be: 
fibed und in der Freubigfeit bei feinem Erwerb fuchen lehrte. Der Fort⸗ 
ſchritt ſelbſt iſt durchaus nicht gehemmt, er hat fi aber andere Direction 
wählen müſſen, weldhe ihm jehr bald förberlicher wurde als all jenes 
Drängen in die Weite und Breite, 

Allerdings findet fich nicht jeder Lehrer leiht in die fruchtbaren Wei⸗ 
fen, den geographiſchen Unterricht an das Schulleſebuch anzulnüpfen, 
welches in Bollsihulen ald Grund: und Hülfsbuch angeordnet if. Denn 
es ift ohne Zweifel manchem leichter, nad der hergebrachten jyftematifchen 
Schablone mehr oder minder mechanijch den Stoff durchzugehen; und andrer: 
ſeits ift es nur zu leicht, beim Lejebuche durch allerlei Abſchweifungen von 











Geographie. 291 


der Hauptjache und durch vieles Herumreden um dieſelbe zwar die Lehr: 
ftunde amüfant auszufüllen, aber doch fi der mübjeligern Arbeit des 
wirklichen Unterrichtens, d. h. Veranſchaulichens, Erllärens, Ginübens, 
Wiederholens und Zuſammenfaſſens, zu entziehen. Beim Schulleſebuch läßt 
ih auch nicht leicht für die mandherlei an dafjelbe gewiejenen Schulen eine 
gemeingültige Grenze ziehen, um jedem Lehrer flug3 erkennbar zu machen, 
was bie und was da zu thun oder zu lafien fei. Der Lehrer ſelbſt foll 
joweit Urtheil und Verſtändniß für feine befonderen Verhältnifie beſitzen, 
um das dafür Paflende zu erfennen und danach ſich einzurihten. Maß 
und Grenze find hiebei gar zu verſchieden, weil fie abhängig find von 
Iocalen und perfönlihen Vorbebingungen, welche nicht unter allgemein 
zutteffende Regeln zu bringen find. Weil das ganze Schulleben im Fluß 
it und darin bleiben muß, fo geftalten ſich diefe Vorbedingungen je nad 
dem Lehrer und feiner Fähigkeit, oder nad) der Zahl und Befähigung der 
Schüler, wie nah andern Beziehungen bin, ſehr verfchievenartig. Es Lafien 
fich wohl Winke und Fingerzeige für das Nothwendige in Materie und 
Weiſe ihrer Behandlung ertheilen, aber die Materie felbit läßt fi nicht 
wohl bis ins Speziellfte vorzeichnen. Mit bloßer Angabe von Ueberfchriften 
zu den Stoffmafjen ift durchaus gar nichts gewonnen; es läßt fi darunter 
viel und wenig begreifen. Schon dieſerhalb find die techniſchen Räthe 
im Schul-Refiort gar nicht im Stande, ganz im Einzelnen die Unterrichts⸗ 
Benfa, und beim geographifchen Unterrihte zumal vie Berfchmelzung 
deffelben mit den andern realen Fächern nah Anleitung des Schullefebuchs 
feitzuftellen oder eremplificatorifch vorzuarbeiten. Außerdem ift ohnehin für 
ihre reichliche Inanſpruchnahme durch Berwaltungsarbeiten gejorgt, jo daß 
laum in den feltenften Fällen ihnen auch nur die Möglichkeit zu derartigen 
Leiftungen übrig bleibt. 

Daß die Mehrzahl der gangbaren geographifchen Leitfaden, Lehr: und 
Handbücher fih nur ganz allmählig von der antiquirten Methode frei 
macht, und namentli daß jehr viele derjelben für den möglichſt großen 
Reichthum an politiſch⸗ und ftatiftifch-geographifchen Einzelnheiten, fo wie an 
biftorifchen , induftriellen, topographifchen und dergl. Merkwürbigleiten zu 
forgen beflifien find, lehrt oft fchon ein flüchtiger Blick in dieſe Bücher. 
Ein darnach ertheilter Unterricht überfegt diefen Mangel an guter Methode 
dann noch in’s Leben. Die Erfahrung lehrt, daß der große Reichthum 
folder Notizen der nächfte Grund für das faſt gänzliche baldige Vergeſſen 
der ganzen bunten Fülle geworben ift, — wie vorauszujehen war. Solde 
Lehrbücher, worin den mathematiſch⸗ und phyſiſch⸗geographiſchen Belehrun- 
gen ausgebehnterer Raum gewährt ift, gehören zu den Seltenheiten. Es 
kann deshalb die meift recht dürftige, mit allerlei Unklarheit, Verwechſelung, 
falſcher Auffaſſung und Unanſchaulichkeit verfnüpfte Summe des Wifjens 
von mathematiſch- und phyſiſch⸗geographiſchen Erbverhältnifien nicht be: 
fremden. 

2. Um das Berhältniß des geographifhen Schulunter: 
richts zum praftifhen Leben feftwuftellen, muß das Wefen und 
der Zweck des erftern, es müſſen aub die Bedürfnijje des lebtern 
in’ Auge gefaßt werden. Jenes Wejen hängt mit der Natur der Geographie 

19* 





292 Geographie. 


und den Anforderungen ver Schule zufammen. Lebtere reichen nicht foweit 
als das Gebiet der Geographie an ſich gebt, ja fie haben nicht einmal eine 
einzelne Sphäre dieſes unermeßlichen Gebietes ganz auszulundfchaften und 
den Kindern nahe zu bringen. Nur eine relativ überihaubare 
Summe der mathemathijchen, phyſiſchen und politiichzitatiftiihen Berhält- 
nifje kann es fein, womit Kinder anjhaulid und nachhaltig bekannt gemacht 
werden jollen. Es möge hier von dem Nachweis deſſen abgejeben werden, 
was alles in das Gejammtgebiet der Geographie gehört. Wer darüber 
Belehrung ſucht, kann fie etwa aus den Inhaltsverzeichniſſen der größeren 
Handbücher von v. Klöden, v. Roon, Daniel, Diefterweg, E. Wetzel, Stein- 
MWappäus u. A. entnehmen. Der geographiide Schulunterriht bat gar 
nicht die Aufgabe, das Gefammtgebiet der Geographie zu umfafien. Mit 
leßterm haben die Gelehrten und die Forjcher zu thun; es iſt ihre Lebens: 
aufgabe. Die Schule beſchraͤnkt fi auf einen, gegen das Ganze gehalten, 
nur reht Heinen Bruchtheil ver Ergebnifje aller Gelehrten: und 
Sorjcherarbeiten; fie nimmt nur emzelne, ihr zugängliche, der Kraft der 
Schüler faßbare, und dem oberften Schulzmede dienende Stüde heraus, 
und legt fie fih jo zurecht, daß fie zur geiftigen Entwidelung und 
Bildung der Jugend beitragen helfen. Nicht das Object allein, fon: 
bern ganz mejentlih daS Subject, die Schuljugend, kommt dabei in 
Trage, nämlih das Durchſchnittsmaß ihrer Kräfte, ihre bemefjene Bildungs- 
zeit, ihr eigenartiges Bildungsbedürfniß je nach ihrer wahrſcheinlichen fünf 
tigen Lebensftellung. Bloße abftracte Theorien können auch für bie 
unterrihtlihe Behandlung des der Schule zufallenden geographiihen Lehr: 
ſtoffs nicht maßgebend fein; nicht einmal die fireng wiſſenſchaftliche 
Lehrmethode ift vollberegtigt in allen Arten von Schulen. Es gilt, nicht 
bloß überhaupt den jugendlichen Geift an irgend einem Lebrobject zu bilden, 
jondern den geographifchen Unterricht als mwilllommene Hülfe bei ber 
Hriftlihen Jugendbildung zu benußen, Geift und Gemüth damit zu 
befruchten, die jugendlichen Geifles: und Seelenträfte harmonisch zu entfalten, 
und ihnen den Zugang -zu den höhern Beziehungen des Menfchen zu Gott 
dem Herrn zu erjchließen, um ihrer fpätern praktiſchen Bethätigung die 
allein maßgebende Richtung zu geben. Das Jugendleben foll auch für das 
höhere Leben des Menſchen durch den geographiſchen Unterricht angeregt 
werben, nicht bloß für das künftige bürgerliche; erft dadurch wird biejer 
Unterricht praktiſch. 

Pfarrer 2. Bölter führt in feinen „Andeutungen zur organischen Ge: 
ftaltung des Unterriht3 in der Erdkunde auf chriſtlich wiſſenſchaftlichem 
Standpunkte” (Reutlingen. Mäden. 1859, 82 ©.) die dahin einjchla- 
genden Gedanken mit gewohnter Gründlichleit und Yolgerichtigfeit durch. 
Da der Schüler zum Menſchen und Chriften herangebilvet werden ſoll, fo 
muß feinem Gelbjtbewußtjein die darauf gerichtete Beftimmtheit und Em— 
pfänglichleit gegeben werden, und indem daſſelbe fich zum Welt: und Gottes: 
bemwußtjein entwidelt, foll fein Geift die Einheit aus der Mannigfaltigfeit, 
und den Zuſammenhang wie die MWechjelmirtung der einzelnen Bildungen 
erfennen lernen, um im Naturleben die Baſis für das Geiftesleben zu 
entdeden. Im geifligen Leben der Bewohner, in ihrem Charakter, ihrer 





Geographic. 293 


Lebensweiſe, Sitte, Sprache, Religion, Verfaſſung und Geſchichte foll das 
Spiegelbild des Erdlocals, worauf fih Alles entfaltet, erkannt werden, 
damit aus der Belanntichaft mit dem Vaterlande Vaterlands⸗Bewußtſein 
und Baterlandsliebe, aus der Belanntfchaft mit der ganzen Erde das Be: 
wußtfein von der Einheit und Zufammengehörigleit des Menjchengefchlechts, 
und weiterhin das Weltbewußtſein erwachſe, welches feine Verklärung im 
Sottesbewußtjein findet. Lebteres vermittelt dann die Erziehung zu Chrifto. 

3. Mit einer ſolchen Auffafjung des geographiihen Schulunterrihts 
fallen jelbitredend alle Forderungen platter Nüglichleit für das bloß 
materielle Leben, welchem der alltäglihe geographiſche Unterricht noch 
weit und breit in erfler Linie dient, mo die Lehrer feine Ahnung von 
defien höheren Bildungszmeden haben. Es ift ja nicht gemeint, daß das 
materielle Leben nicht auch feine vollberechtigten Anſprüche an dieſen Unter: 
richt bat, aber es hat überhaupt nicht allein Anſprüche zu erheben; und 
wern es auch die Verfolgung böherer Bildungszwede nicht gerade aus: 
ſchließt, fo ſchließt es viefelben doch auch keineswegs eo ipso mit ein. 
Aeußerliche Unterrichtsergebniffe, ein reiches Willen, eine gemiffe Uebung 
des Geiftes und ein daraus hervorgehendes Verſtändniß für irdiſche Lebens: 
verhältniffe find an fih aud ganz unverädhtlih; wenn es aber zu nichts 
Welterem und Höherem kommt, Herz und Gemüth des Kindes leer ausgeht, 
jo bleibt das Hauptziel unerreiht. Cine Mittheilung fogenannter Merk: 
würbigteiten über gewiſſe Erdſtellen, hiſtoriſche Rüdblide, Produkten⸗An⸗ 
gaben u. dgl, liefern keinen Erſatz für die Verſäumniß der Gemüthspflege 
der Schüler. Selbft die Berfolgung abitract wiſſenſchaftlicher Zen 
denz, obwohl ebenfalls an und für fih von nicht gemeinem Werth, gewährt 
fein Hequivalent für jene Berjäumniß. 

4. Das praltifche Leben hat in neuerer Zeit mehr als früher und 
namentlih in den Kreiſen Gebildeter das Bedürfniß nach geographijcher 
Unterhaltung neben dem nad Belehrung gewedt. Was die Gelehrten 
und Forjcher errungen, das will man, ohne gerade ernfte Studien daran 
zu feßen, — weil der Beruf dazu Zeit und Kraft verjagt, — doch in 
ſoweit kennen lernen, um daran geiftig mit Theil nehmen zu lönnen. Man 
will ala Laie die geographiihe Wiſſenſchaft in gewiſſem Sinne popularifirt 
und leichter zugänglih gemacht willen; die ftrenge Syſtematik des gelehrten 
Vortrags der Schule foll bei Seite bleiben, aber den Ertrag des Fleißes 
Anderer will man mit genießen. Ohne die theilmeife Wahrheit diejer An: 
forderungen in Abrede zu ftellen, wird doch auf die eigenthümlidhe Gefahr 
bingedeutet werben können, welche in venfelben liegt. Die Sache läuft 
ſchließlich in den meiften Fällen nur auf ein gelegentlihes Nippen und 
Naſchen an der Geographie hinaus, und was die Gebildeten in leicht ver: 
wöhntem Gefhmad für annehmbar halten, ift dem fehlichteren Laien nicht 
felten wenig heiljam. 

Mer eine tüchtige geographiſche Bildung für das praltiihe Leben 
Sucht, kann fie jelbftverftändlih nicht in einer maßlofen Ueberſchwenglich⸗ 
teit des Materials gefunden haben wollen, womit fi allenfalls britliren, 
aber fonft nichts ausrichten ließe. Weder die Ueberbürdimg mit Namen, 
Zahlen, Lagenbeftimmungen, Eintbeilungen, Tabellen von Bergeögipfeln, 





294 Geographie. 


Zlüffen, Seen, Städten u. |. w., noch die andere mit Notizen zu allen 
Städten und Dörfern, welche geſchichtlich, productiv, induftriell, merkantil 
oder jonft wie irgend bedeutſam erfcheinen könnten, verhilft zur Bildung. 
Leptere muß auf Anjhauung und auf Vergleihung gegründet werben, und 
zu beivem hat der Unterricht anzuleiten, wenn er in das richtige Verhaͤltniß 
zum praltiichen Leben treten will. Der Lehrer ift der tüchtigfte, welder 
jene beiden Momente am fruchtbarften zur Geltung zu bringen, und, jelbft 
auf höheres Leben gerichtet, diefes auch dem Gemüth der Schüler erſchlie⸗ 
Ben kann. 

5. In dem gefammten Schulunterrichte fpielt das geſchichtliche 
Moment eine ſehr bedeutende Rolle. Cs liegt ſchon in der Natur der 
Geographie, daß von ihr dies Moment gar nicht getrennt werben kann. 
Namentlih ift die Staaten: und Völkerkunde aufs Engſte mit ge 
ſchichtlichen Entwidelungen und Umgeſtaltungen verwoben. Unter der 
Ueberzahl geographiſcher Lehr: und Handbücher ift von vielen Jahren ber 
höchſt felten eins zu finden, weldes alle geſchichtlichen Beziehungen fern 
bält. Gelegentliche, principloje geſchichtliche Reminiscenzen haben im Grunde 
genommen feinen nadhaltigen Werth. Der Kernpunkt der Aufgabe liegt 
in der principiellen Verfchmelzung der Geographie mit der Geſchichte. 
Weder eine gelegentliche Cinflechtung gejhichtlicher Abſchnitte in die Länder 
funde, noch eine Behandlung der Geographie nah NRüdfihten, melde der 
Entwidelungsgang der Geſchichte an die Hand gibt, läfl dieſe Aufgabe. 
Sie ift au bis zur Stunde noch ungelöft, obſchon tüchtige Kräfte fih an 
biefelbe gewagt haben, 3. B. Puͤtz, Rhode, E. Rapp, von Andern wie Bol: 
ger und Zegner zu ſchweigen. Der fleißige und finnige Daniel BVölter, 
der alles Ernftes an diefe Löfung zu geben begonnen hatte, trat davon 
zurüd, indem er daran verzweifelte. Daß in Schriften über mathematifche 
und phyſiſche Geographie das gefhichtlihe Element keine Stelle gefunden 
bat, kann nicht befremben. 

Im Jahre 1858 führte Dr. Städler in feinem „Lehr⸗ und Handbuch 
der Geographie‘ das geſchichtliche Princip in fofern ganz abweichend von 
Andrer Verſuchen ein, als er dem geſchichtlichen Entwidelungsgange der 
geographiihen Kenntniß zu folgen ſuchte. Bon der kosmiſchen Umgebung 
der Erde (Firkternhimmel, Planetenſyſtem u. ſ. w.) ausgehend, weil biefe 
zuerft angefhaut worden ift, wendet er fi zum Ganzen der Erbe, und ließ 
dann die Staaten derfelben, die er ein „Erzeugniß der Geſchichte“ nennt, 
jo aufeinander folgen, wie fie fi in den gegebenen Länderräumen nad 
deren gegebenen geographifhen Bedingungen geſchichtlich herausgebildet, 
umgeftaltet, resp. aufgelöft haben. Seine Staaten-Geographie follte „ein 
Bild von ihrer geſchichtlichen Entftehung und Umwandlung auf Grundlage 
ihrer geographiſchen Beſtimmtheit“ gewähren. Den Ueberſchwang ftatifti« 
ihen Materials, welcher in andern geographifhen Schriften fo breit auf: 
tritt, wies er gänzlich ab. 

Es darf nicht vergefien werden, daß im Wefen der Geographie 
feine Nöthigung liegt, die Entftehung der Staaten und ihre geſchichtlichen 
Umänderungen im Laufe der Zeit nachzumweifen und zu verfolgen. Die 
Geographie ift — mie Ihr Name ſchon beſagt — Erdbeſchreibung; 


Geographie 295 


der Nachweis der Entſiehung und der Umänberung ber Staaten gehört 
nicht ſowohl zu ihrer eigenften Aufgabe, ſondern er ift Sache der Geſchichte. 
Es wäre ein vergeblices Beginnen, aus der geographiſchen Natur ver 
Erdlolale die Nothwendigkeit ftaatliher Geftaltungen auf denfelben erichließen 
zu wollen; auch deren geſchichtliche Umwandlungen find lein a priori aus 
gegebenen geographiſchen Beringungen mit Nothwendigleit abzuleitendes 
und deshalb ficher vorherzujagendes Ergebniß. Bielmehr gehört dies auf 
das Gebiet der Actionen des Böllerlebens. Wie ftart der Entwidelungs: 
proceß dieſes Völlerlebens aber auch von geographiihen Verhaͤltniſſen that: 
ſächlich beeinflußt ift, feinen Keim entnimmt er nicht aus denfelben, indem 
biefer auf geſchichtlichen Vorgängen wie ein neues Agens ruht und von 
propidentiellen Erwägungen und Bebürfnifien genährt wird. Die Geogra- 
phie hat es mit Beichreibung des status quo zu thun, und bie Schul; 
aufgabe kann wohl Andeutungen von geichichtlihen Veränderungen in 
diefem status zulajlen, aber legteren planmäßig und vollftändig nachgehen 
jfollen, daS muß fie ablehnen. Ohne Zweifel ift die Gejhichte von großem 
Werth für die Staatengeograpbie, jedoch ganz eigens aus ihr das heraus: 
zuſchälen, was die geographiſche Entftehung, Umbildung und etwaige 
Auflöfung der Staaten betrifft, dazu liegt für den Schulunterricht feine 
praltiihe Nöthigung vor. 

Dr. Städler wird dur feine Idee von der Staatengeographbie von 
felbft auf eine Verbindung der alten und mittelalterlihen Geographie mit 
der Geographie der Jetztzeit geführt, und er muß deshalb ein und daſſelbe 
Gebiet wiederholt zur Betrachtung gelangen lafien, um bie den Geſchichts⸗ 
perioden entiprechenden Umgeltaltungen nachzuweiſen. (Bergl. das Län: 
dergebiet des alten römischen, des griechiſch⸗macedoniſchen, des karolingiſchen 
Reis ıc.) Dadurch fammelt fih das Material für ein einzelnes Länder- 
gebiet jo beträdtlih an, und es fledhten fih fo zahlreiche geſchichtliche 
Momente hinein, daß zum fofortigen Haren und vollen Verflänpniß dieſes 
Enjembles ein viel foliveres und umfaſſenderes biftorifches Willen gehört, 
als es auch felbft in höheren Schulen vermittelt werben Tann. Es fol 
doch nicht die Geichichte bloß darauf hin angejehen werben, welche ftaatlichen 
Gebiets·Umgeſialtungen fie hervorgerufen hat; fie hat doch noch ganz andere, 
böbere Dinge zu beachten. Aber eben deswegen kann aud die Schule nicht 
das enorme Maß von Zeit und Kraft an die Berwirllihung der Idee des 
Dr. Stäpler ſetzen, welche ſchwerlich von noch vielen andern Lehrern außer 
ibm im praltifhen Unterrihte mit glängendem Erfolge durchgeführt fein 
dürfte. Weberdies ift die gänzlihe Ausſcheidung alles ftatiltiihen Materials 
aus dem geographiſchen Schulunterridhte durchaus nicht geboten, auch nicht 
zu wünfchen, indem der Schüler nicht ohne alle Kenntniß von ftatiftifchen 
Berhältnifien in den midtigften Ländern und Staaten bleiben ſoll, und 
diefe Kenntniß auch ohne erheblihe Mühe ungezwungen erwerben kann. — 
Es fei noch notirt, daß das Stäplerihe Werk der Kappſchen Eintheilung 
der Erde in eine potamiſch⸗orientaliſche, in eine tbalaffifch:claffifche 
und in eine oceanifch:germanifhe Welt folgt, mit dem chineſiſchen 
Reihe (1) anbebt, nah und nad die alt⸗griechiſchen Staaten, das roͤmiſche, 
ruſſiſche, türkische Reich ıc. durchgeht, über Spanien, Portugal und Yranl: 


296 Gecgraphie. 


reich erſt nach Deutſchland und über das britiſche Reich zu ven amerilani⸗ 
ſchen Staaten gelangt. Er bat aber weder völlig lüdenlos, noch ganz 
jtricte nach dem hiftoriihen Zuſammenhange die Staaten an einander reiben 
fönnen, weil fie ſich eben feiner Idee nicht vollitändig fügen. 

6. Was die illuftrirte Geographie anbetrifft, fo gründet ſich 
biefelbe auf die Nothwendigleit ver Anſchauung. Bloße Worte verhelfen am 
wenigſten den Schülern zu wirklichen lebendigen, naturgetreuen Bildern von 
geographiſchen Objecten. Abgejeben von allen Hälfen, welche durd bie 
unentbebhrlihen Karten dem Unterricht dienſtbar werden, find es vornehmlich 
bilblihe Darftellungen und ausgeführtere Beihreibungen und 
Schilderungen, auf welche zu achten if. ingelne, intereflante Erd⸗ 
lokale, ganze Länder und Bonen, mit allem, was darin befteht, lebt und 
webt, hat man bildlich darzuftellen und dur anziehende friſche Beſchrei⸗ 
bungen, fowie durch mehr oder minder fhwungvolle und phantafiereiche 
Schilderungen dem Intereſſe des Schülers nahe zu bringen fih bemüht. 
Holzſchnitt, Lithographie, Stablftih u. |. w. ja die Photographie, — Alles 
iR mit viel Erfolg und in großer Auspehnung in einzelnen Blättern, in 
Sammelwerten, in Lehrbüchern, Journalen, maleriihen Portefeutlle'3 u. dgl. 


‚im Dienft geographifcher Belehrungen benußt. Das Bild foll die Sade 


illuftriren. 

Aehnlich ift e8 mit den fogenannten geographifhen Landſchafts⸗ 
und Charatterbildern. Se nachdem lektere für den Zwed des Schul: 
unterrichtö oder der Unterhaltung und Selbftbelehrung abgefaßt find, find 
fie nah Auswahl, Umfang, Form der Darftellung und Art der ſachlichen 
Auffaffung von einander überaus verſchieden. Wo are pädagogiſche 
Srundfäge und treffende Grienntniß des VBebürfnifles nach angemeljener 
Ergänzung und Vervollfiändigung der trodenen Lehrbuditoffe den Sammler 
und Bearbeiter derartiger Bilder geleitet haben; da bat ber Lehrer an 
ihren Arbeiten ein ſehr danlenswerthes und fruchtbares Hülfsmittel zu feiner 
eignen Vorbereitung für den Unterricht, wie für bildende häusliche Lectüre. 
Diefe Art von Arbeiten ift weit feltener, als man meinen könnte. Wo 
dagegen kein einheitlicher Plan verfolgt ift, ſondern feuilletonartig mit 
befonderm Aufgebot ſprachlicher Buntheit, Glätte, mit bligendem Hin- und 
Herfahren in Nondalance, Humor und großjprecherifcher Geiſtreichigkeit 
Dinge aufgetifcht werben, welde eben nur prideln und überreizen follen; 
da ift ſolche Yederprobultion paͤdagogiſch beventlih, ja fie kann ſchlechthin 
ihäplih fein, indem fie den Sinn beirrt, den Geſchmack an gejunder Gei⸗ 
ſteskoſt verdirbt. 

- In einigen folder Sammelmerte iſt die ganze Erde umfaßt, und 
die beveutfamften Locale find befonders gefchildert, indem das Landbild mit 
der darauf entfalteten Natur und den charakteriftiihen Erſcheinungen des 
Menſchenlebens illufteirt wird. Dabei ift der Rahmen bald enger balo 
weiter angelegt. In andern ift nur eine Ausmwahl charalteriſtiſcher Ge: 
biete und ihrer wichtigiten Glieder, dieſe aber in befonderer Ausführlichleit 
behandelt, indem zugleich die Gefichtspunfte angedeutet werden, twelde bie 
Grlennung der Natur des Uebrigen erleichtern. Faſt jedesmal walten in 
jolden Buͤchern pädagogiſche NRüdjichten. Alle andern Sammelwerke, 











Geographie. 297 


welche keinerlei erleunbaven paͤdagogiſchen Werth haben, fonvern eben nur 
dem „tiefgefühlten Bedürfniß“ — bes Gelverwerbs von Berfafier und 
Berleger abbelfen follen, verdienen keine Beachtung in der Lehrerwelt, und 
fie find mit Recht tüchtig gegeißelt von Männern, weldhe ein Herz für bie 
Jugend haben. 

7. 68 liegt ganz nahe, den Werth guter geographiſcher Charalter: 
bilder für die Ergänzung des Schulunterrihts und für deſſen fachgemäße 
Belebung zu ertennen. Während Leitfäden und Lebrbücder nur ganz knapp 
und troden den Lernftoff binzuftellen pflegen, helfen fie in vie fpeziellern 
Gigenthümlichleiten der Landesnatur, wie bes Lebens der Bewohner eins 
führen und das theilnehmende Intereſſe für dieſe lektern anregen; fie helfen 
heimiſch machen auf der Erde, geben dem todten Anochengerüft der Namen 
und Bablen Fleiſch und Leben und Anhalt, und fördern durch gewandte 
Darftellung die Luft zur Sache. Allerdings ift es fait lediglich das rein 
menſchliche Interefle, worauf fie das Augenmerk richten; dem chriſtlichen 
Bildungs:nterefle werben bie menigften förderlich. Dem letztern haben 
die guten Shullejebücher verftärkte Aufmerkjamleit zugemenbet, 
indem fie zugleid weniger in die Weite und Breite fchweifen, ſondern bie 
Jugend auf dem vaterländifchen Boden orientiren, die Heinen, aber 
wichtigen Verhältnifie Ichäner oder durch befondern Induſtriefleiß oder anders 
weit beachtenswertber Gegenden auseinander legen und fie lieb gewinnen 
lehren. Für Kinder liefern fie damit ebenfomohl das Richtige als fie 
genug zur Lehre und zur Belebung vaterländifhen Sinnes und Intereſſes, 
ja auch chriſtlichen Intereſſes enthalten. Sie fchärfen zugleih die Unter⸗ 
ſcheidungsgabe für fremde Berhältnifie in fernen Ländern und bei weit ab 
wohnenden Böllern, erweitern den Blid gereifterer Schüler und begleiten 
die Jugend auch wohl noch in das fpätere Leben. Man merkt es ihnen 
bald ab, dab unterrrihtliche und pädagogifche Rüdfichten bei ihrer 
Bearbeitung die leitenden Gedanken an die Hand gegeben haben. Hierin 
liegt ihr Werth und ihr Nutzen. 

Charalterbilvder, bei welchen die Illuſtration Selbftzwed ilt, fo 
daß eigentlih daS Object ſehr gleihgültig wird, weil die Phantafte Alles 
Ihmüden kann, auch das Richtige, Unerheblihe, Dede, und Bilder, bei 
melden e3 nur auf das brillante Hirngejpinnft, nicht auf die oft nüchterne 
Wirklichleit anlommt, die vielmehr die Leere der Sache mit biendenven 
Phraſen verhüllen, taugen für Lehrer und Schüler nichts; fie führen zur 
Berbildung. 

8. In dem „Zlluftrirten Handatlas” für Freunde der Erb: 
tunde und zum Gebrauh beim Linterriht, im Derein mit Leeder und 
Leutemann herausgegeben von Schade ift der Gedanke einer Combination 
von Karte, Bild und Wort in befonders fplendider Weife durchgeführt. 
Was Dir. ©. Vogel mit feinen nur in Contouren ausgeführten Rand: 
bildern zu den Karten feines Atlas, was fpäter Profefior Reuſchle in feinem 
„illuſtrirten Atlas‘ nad des Amerilaners Morje Weife mit jeinen in den Tert 
gedrudten Heinen Bildchen und den wenig elegant ausgeführten Karten 
auftrebte, das will Schade auch erreihen. Seine Karten dienen aber nur 
der phyſiſch⸗topiſchen Geographie, und feine Bilder find völlig ausge: 


298 Geographie. 


führte, an Schönheit, Naturtreue, Lebendigkeit und glüdliher Wahl ven 
Reuſchle'ſchen weit voranftehende Darftellungen, welde ihren Inhalt aus 
dem abgebildeten Lande entnehmen. Reuſchle's Bildchen find faft alle 
recht Mein, viele jehr unbedeutend, Schade's Bilder find in viel größerm 
Mapftabe ausgeführt und lenken alsbald die ganze Aufmerkſamkeit auf fi. 
Sie find nicht Vehikel, fie find integrirender Theil des Ganzen und von 
fo ſehr bervortretender Bedeutung, dab die gegründete Beſorgniß nicht 
abzuweifen ift, die Karte werde dadurch ganz in den Sintergrund ge 
drängt. Dadurch aber wird in der Praris gar leicht der ganze Standpunkt 
verändert. Jedenfalls muß bie illuftrirte Geographie in der Hauptſache 
doch eben Geographie fein, die Zuuftration ift nur Hülfe, Ergänzung, 
Belebung. Würde lebtere die Hauptſache, dann ift der fichere Erwerb 
eracter Kenntniffe aus der Geographie in Frage geftell. Die Harte und 
immer wieder die Karte ift das Wichtigfte, Nächfte, womit der Schüler zu 
befhäftigen ift; aber weil daran mit Kraftanftrengung ftubirt werben muß, 
während das Bild Mittel zur Erfreuung ift, fo ift hundert gegen Eins zu 
wetten, daß in gefüllten Schulllafien die Kinder mehr auf die Bilder als 
auf die Karte fchauen werden, und damit ift die Zerftreuung und Fer 
jplitterung der Aufmerkſamkeit vorbereitet. Indem Schade wohl 12 und 
mehr ſchöne Abbildungen um bie Karte herftellt, Iadet er faft zwingend zu 
vorzugsweiſer Betrachtung der erftern ein. Der Anfangsunterricht bat aber 
erft eine lange und fleißige Durcharbeitung der Karte nötbig, bevor er an 
die Illuſtration gehen dürfte; und dann müßten dieſe Jlluftrationen eben 
nur nad einander, nicht ſämmtlich miteinander zugleih auftreten. Die 
Bufammenfafjung von Karte und Bild ift nur für den abfhließenden, 
nicht für den allmählig fortfchreitenden Unterricht zuläffig. Aber freilih Tann 
die künſtleriſche Herftellung der combinirten Karten und Bilder nicht vor 
zugsweiſe von diefem päbagogifhen Grundſatze geleitet fein; da bie Koſten⸗ 
frage dabei weſentliche Rüdfiht erfordert. Daß die Schabeihen Bilder auf 
allerlei charalteriſtiſche Erſcheinungen bei ven Ländern, auf Charakter Pflan: 
zen und Thiere, auf Bauwerke, Trachten, Volksſcenen, Stillleben, Kämpfe, 
Aderbau, Induſtrie u. dgl. hinweifen, erhebt fie über einen bloßen Schmud, 
und macht fie zu Anregungsmitteln für die mannigfaltigften Belehrungen. 
Ob dies den fihern Erwerb ſolider geographiſcher Kenntniſſe nie beeinträdh« 
tigen mögte? Letztere erfordern doch gar viel Mühe und Uebung; ohne 
die Mühe um die Würze lebensvoller Darftellungen zu betrügen, wird ber 
Unterricht doch nie vergefien dürfen, daß wenn er gut gemwejen fein ſoll, er 
Mühe und Arbeit wird gewejen fein müflen. — 

Der Shabeihe Tert enthält feine Charalterbilder, obmohl er fie 
angeblich darftellen will. Vielmehr giebt er wiſſenſchaftlich geordnete Er: 
läuterungen zu den arten und Abbildungen und kann als Commentar in 
mehr doctrinärer als fchildernder Form dienen. Für Schüler zu ſchwierig, 
ift er dem Lehrer dur fachlihen Gehalt und Inappe, präcife Darftellung 
nüglih, ohne ihm ein ordentliches Lehr: und Handbuch der Geographie ent: 
behrlich zu machen. 

Ueber die praktifhe Benukung guter geographiſcher Charalter: 











| Geographie. 299 


bilder im Unterricht if in früheren Jahrgängen des päbagogifdhen Jahres: 
berichts genügend gehandelt worden. 

9. Zur Förderung der zeihnenden Methode im geograpbifchen 
Unterricht hatte Dr. Stößner in Annaberg feine „Elemente der Geos 
grapbie in Karten und Text“ nur zum Theil mit beftimmt, da es 
ihm wejentlih mehr auf die Frucht antam, als auf die Weife, fie gerade 
durch Kartenzeihnen zu erzielen. Lebtered war ihm nur ein untergeorb- 
netes Mittel, wodurch er allmähliges Fortichreiten, concentrifche Umfaffung 
des von Karte zu Karte Gelehrten und Gelernten von dem neu hinzukom⸗ 
menden Lehrftoff, fihere Befeftigung der Sache mie des Bildes berfelben in 
der Seele des Schülers, in feiner Gewalt behielt und alle Verfrühung, 
Zerſtreuung und Störung des ſichern Ganges vermied. Als ſolches Mittel 
war e3 entſchieden von Werth. Stößner neigte fih dem freien Zeichnen 
ver Karten zu. Kozenn, ein maderer öfterreichiicher Lehrer der Geographie, 
ſuchte dur feine „Grundzüge der Geographie‘ dem prakbtiſchen Schulunter⸗ 
richte etwas anders zu dienen. Auch er hat ven Unterrichtägegenftand, 
nicht das Lebensbebürfniß, im Auge, und will vor Allem dieſen unverlier: 
bar feft einüben und einprägen; auch er lehnt alles bloß mechanifche Co: 
piren der Karten, ebenfo zugleich die Weiſe ab, mie Agreen, v. Canſtein, 
Lohſe, Kapp u. x. Karten zeichnen und lernen lafien wollen, ſei's durch eine 
Yülle mathematiſch⸗geographiſcher Pofitionsangaben, oder durch Anknüpfung 
an ideelle Sternfiguren, welche in die Ländergrenzen und Länderformen 
hineingedacht werden könnten. Während Stößner im Elementar-Eurfus nur 
wenige Grundbegriffe anſchaulich erläutert und dann alsbald zur einfachen 
Betrachtung der Hemifphären, dann zu den Gontouren der Erbtheile, dann 
zur Starte von Guropa, Behufs des Kennenlernens der Länder, und danach 
zur Karte von Deutihland übergeht, um topiſch⸗phyſikaliſche einfache Bes 
lehrungen daran zu ertbeilen und einzuüben, — die Grweiterung des 
Stofis nah allen Seiten hin den folgenden beiden Curſen vorbehalten, — 
bebt Kozenn mit bloßen Contouren ver Erbtheile an, führt viefelben auch 
nicht gleich ganz, fondern in leicht faßlichen Abfchnitten vor, und fchreitet 
sajh zur Zufammenfügung der ganzen Landmaſſe auf der Erdoberfläche. 
In diefe Contoure wird dann das topiſch⸗phyſikaliſche Material eingetragen, 
um eine wijjenfhaftliche Grundlage für den Unterricht zu gewinnen. 
Daß das Selbitzeichnen der Karten demnächſt von der Benutzung guter ge⸗ 
druckter abgelöft werden muß, iſt ſelbſwerſtändlich. 

Es kann kein Zweifel darüber ſein, daß eine ſolche planmäßige Bor: 
bereitung durch Rartenzeichnen einen wirklihen Werth für richtige Karten: 
auffaflung da hat, wo der wiffenfchaftliche Unterricht nad einem voll: 
Händigen Lehrgang durch mehrere Klaſſen hin ertbeilt werden kann. Anders 
liegt die Sache in allen Schulen, mo diefe Bedingung mwegfällt. Leßtere 
fönnen mit dem geographifchen Unterricht nicht fo lange warten, bis bie 
Zeichenkraft der Schüler jur Darftellung einigermaßen befriedigenver Rarten- 
bilder entwidelt ift; fie find auch genötbigt, ihrem Zeichenunterricht von 
Anfang an eine ganz andere Direction zu geben, ohne das befondere far: 
tenzeichnen dadurch vorzubereiten, und dürfen gar nicht einmal viel Zeit 
auf derartige Vorbereitungen verwenden wollen. $reie Rartenconftructionen 


800 Geographie. 


gehören deshalb auch gar nicht zu ihrer Aufgabe. Wie in der Regel folde 
Karten ausfallen, und daß fie kein angemefjenes Abbild eines Landes dar: 
ſtellen, deſſen Ginprägung man wünſchen bürfte, ift bekannt. Anfänger 
fehen die vielen Biegungen der Contourlinien gar nicht, ſchäßen die Mafe 
noch nicht richtig, können das Zeichenmaterial noch nicht ficher, gewandt 
und reinlih handhaben, und liefern deshalb recht undankbare Ergebnifie 
ihrer Mühen, nur Rudimente von Starten, zumal in gefüllten Klaſſen. 
Sobald man aber das Kartenzeichnen dem häuslichen Fleiße zumeilt, gebt 
ver unterrichtliche Werth defjelben verloren. In den meilten Schulen fann 
deshalb von ber zeichnenden Methode des geographiſchen Unterrichts Tein 
fruchtbarer Gebrauch gemacht werden. Wo cs, wie bie und da in gehobenen 
ſtaͤdtiſchen Schulen, möglich if, Gradnetz-Karten der mweitern Arbeit zu 
Grunde zu legen, kann aber vom Sartenzeihner mit Nuben Gebraud 
gemadjt werben, im Fall man von ber Herftellung ber ganz genauen Con⸗ 
toure mit all ihren Biegungen und Vorſprüngen abfieht, und fih an gene 
ralifirenden Darftellungen verfelben genügen läßt. Im Uebrigen müllen 
gute, gedrudte Starten als weſentliches Hülfsmittel des geographiſchen Un: 
terricht3 angejehen werden. 

10. Der Geoplaft Dr. Bünger hat dem Gebrauch der Reliefs 
beim geograpbifchen Unterrichte das Wort mit befonderer Lebhaftigkeit geredet. 
(Sähfifhe Schulzeitung 18585 Nr. 29, 31, 84). Den von ihm aud 
unter Gebildeten wahrgenommenen großen Mangel an geographiſchem Willen 
führt er auf den Mangel an Drientirungsfäbigleit, und bdiefen 
wieder auf den Mangel an geeigneten geographifhen Anſchauungs⸗ 
mitteln zurüd. Cr tadelt, daß die herkömmliche Art der Bezeichnung 
auf den Karten fammt und fonder3 der Wirklichkeit nicht entipredhe, und 
deshalb von vorn herein die Möglichkeit einer Vergleichſtellung zwiſchen 
gehabter Naturanfhauung und der Kartendarftellungsweife, deshalb aber 
au die Möglichkeit des Verſtändniſſes der Karte abjchneide. In dieſer 
Meinung miſcht ſich offenbar Richtiges mit Unrichtigem. Bertitale Configu: 
rationsperhältnifie können allerdings nicht formadäquat auf einer Fläche 
bargeftellt werden, und die möglichen Irrungen bei ber Voritellung von 
folhen Berhältnifien wachſen mit der ſich fteigernden Generalifirung derfel: 
ben in der Planzeihnung. Das volle Verftänpniß, nicht aber die Mög: 
lichkeit jeglicher Art von Verſtändniß, ift in der That nicht für den gan: 
zen Reichthum der plaftiihen Abwechſelungen der Bodenerhebungen aus 
Planlarten zu gewinnen, zumal da fie alle mehr oder minder ſtark genera- 
lifiren muͤſſen. Jedoch eine Annäherung an dies Berftänpniß können Kar: 
ten auf der ebenen Flache ebenjogut fördern, als überhaupt Zeichnungen 
von Körpern die Erkennung dieſer Körper vermitteln. Wenn Bünger 'jeines 
Theils auch aus den beften Karten fein Verſtändniß über Bodengeftaltung 
zu gewinnen vermag, fo ift das feine Sade, Seither haben unfere Karto: 
graphen doch danlenswerth dafür zu forgen gewußt, daß Lehrer und Schüler 
ein ſolches Verftänpniß in fo weit zu erlangen vermögen, als ihnen nötbig 
ift. Freilich gehört dazu das Studium der Karten. Und moher ent: 
nehmen denn die Geoplaften die Unterlagen zu den Reliefs, wenn nicht, 
außer von den Höhenmeflungen, von guten Karten? Daß Relieftarten 


Geographie. 801 


ihren ungweifelhaften Werth haben, ift bekannt. Ebenſo belannt ift in 
Schulklaſſen ihr beſchraͤnlter Gebrauch, und der Umſtand, daß ihre Höhen 
nad anderm, größern Maßſtab als ihre Horizontal: Diftangen aufgetragen 
werden, aljo doch Fein ganz naturgetreues Bild gewähren. Bei der 
großen Noftfpieligleit der Nelief$ von bebeutender Größe; bei ber Noth⸗ 
wenbigkeit, fie im Unterricht viel mehr aus der Bogelperipective betrachten 
lafien zu müflen, als ihre Horizontal-Anficht barzubieten; bei der Schwer: 
fälligleit der Handhabung großer Reliefs, und dem Ungenügenden einer 
u. |. w. gibts doch aud nicht wenig Gründe gegen die allgemeine Ber 
nugung ber Reliefs. (Wie neuerdings nah Möglichleit die Plankarten 
dem Relief angenähert find, davon liefern Karten mit Aequibiltanzlinien und 
beſonders die Raatzſchen Reliefkarten — vid. Literaturberiht — den Ber 
weis.) Duß die Heimathslunde mit dem getreueiten Relief, naͤmlich mit 
der Betrachtung der Naturwirklicpleit der Umgebung beginnt, ift befannt. 
Dünger will übrigens allmäblig „Slähenzeihnungen’ anwenden laſſen, 
wenn buch Reliefs deren Verſtändniß geläufig gemacht worven ſei. Woher 
legtere je nad Bebürfniß in jeder Schule nehmen? Bünger redet Reliefs 
in jehr großem Mapitabe das Wort, welche — wie Bauerleller ſchon 
früber wollte, — non Stadt zu Stadt geſandt und ausgeftellt würden. 
Der Beſucher könne dann eine Belehrung „für's ganze Leben” mit bins 
wegnehmen. Damit hat es feither gute Wege gehabt, wird fie auch noch 
behalten; es ift dem Unterricht mit einmaligem Geben wenig gebient. 
Nicht alle Jahre können ſolche Reliefs die Runde durch die Städte machen ; 
alſo Millionen Schüler belommen fie gerade dann nicht zu jehen, wenn ihr 
Unterriht es erforderlich machte. Alfo muß es fo wie fo bei Flächen⸗ 
zeihnungen der Karten für den Unterricht verbleiben. Selbſt wo man 
Reliefs bat, wenden die Lehrer diefelben nicht ausjchliehlih und in jeber 
Lebrftunde an; es wird aud nirgends ver Erfolg des geographiſchen Unter: 
rihts vom Gebraud der Reliefs abhängig gemacht. Das Meifte von, ber 
Geographie ift feither aus guten Karten gelernt, wirt auch in Zulunft aus 
denfelben gelernt werben können. 

11. Mit der topiſchen Geographie ift aller eigentliche geographiſche 
Unterricht zu beginnen. „Die Anjhauung des Räumlichen ift die Grund: 
lage und der Anfang des Unterrichts in der Erdkunde.“ Ginige mathema: 
tisch = geographiſche Grundanſchauungen (Horizont, Weltgegenden, Pole, 
Aequator u. ſ. w.) ſind ſtets voranzuſchiden. Dann folgt die Betrachtung 
der großen Laͤndermaſſen und ihrer großen Theile, jo wie die des Oceans 
und feiner großen Theile; dann der Umriß der Feitllander nah gut ge: 
wählten, charakteriſtiſchen Merkpunkten (Caps, Mündungen, SHalbinfeln) ; 
dann die Gewinnung einiger feiten PBunlte im Binnenlande, von den 
Flüſſen ins Land binauffteigend und einige Städte daran firirend; 
dann die Meere, Meerbufen, Inſeln und Infelgruppen ; dann die Feftländer 
nad gewiſſen Gruppen der Zufammengehörigfeit, im Anſchluß an die Flüſſe, 
und fchließlich die Gebirge. — So find des Veteranen Bucher in Cöslin 
Gedanten für den Anfangsunterridht, — ſowenig neu ald unpraltiih. Die 
Zurüdftellung der Gebirge hinter die Flüſſe befürworten auch Berghaus 





302 Geographie. 


und von Roon, ihre Boranftellung v. Raumer, v. Klöden, Daniel und 
die meiften praftiichen Lehrer der Geographie in unfern Schulen. 

12. 3. Boͤſch (Medienburger Schulblatt, 1858, Ar. 50, 51) legt 
im Sinne der Aufgabe der hriftlihen Vollsſchule, und im Intereſſe ver 
Wedung vaterländifhen Sinnes großen Werth auf eine angemeflene Vater: 
landskunde, die er mit parteiifcher Wärme (Schulblatt der Provinz 
Brandenburg, 22. Jahrgang November» und Decemberheft) gepflegt wiſſen 
mögte. Das engere Baterland ftehe im Vordergrunde; neben der Boden: 
geflaltung werde vecht nachdrücllich die Bodenbejchaffenheit beachtet ; in der 
Volksſchule lafie man alle eingehenden Charalterfchilderungen mit fchön: 
redneriſchem, Sinne lißelnden Beigefhmad bei Seite, um mehr ange: 
ftrengt lernen zu laflen und die fittlihe Kraft des Schülers zu ftärlen ; 
aber auch todte Knochengerippe von Namen und Zahlen taugen nichts, 
deshalb find einzelne ausführlihe Beichreibungen an markanten Stellen 
(Städten, Thälern, Bergen) nöthig, beſonders um das Leben der Leute 
dafelbjt vorzuführen. An das engere Baterland ſchließe fi das ganze 
Deutfhland, ähnlich durchgeführt, ähnlich belebt. Den Schluß bilde 
eine Bergleihung des Baterlandes mit den Nachbarländern, bejonders 
mit Frantreih, England, Rußland, Schweden. — Man fieht, in ſolchen 
Gedanten waltet Einfachheit, nüchterner Blid und Tact. 


Das Jahr 1858 hat nad) dem Vorſtehenden nicht viel Ausbeute für 
die Theorie des geographifchen Unterrichts gebracht ; aber Einiges hat es 
doch wieder dazu beigetragen, den Einn der Lehrer auf die au durch den 
geograpbijchen Unterricht zu fördernde Hauptaufgabe alles Volklſchulunter⸗ 
richts, nämlich auf die Pflege hriftlihen Weſens und Lebens unjerer 
Jugend zu lenlen. Diefe Aufgabe ift immer nody mehr mit klarem Auge 
und frommem Gemüth ‚zu erfaſſen und zu löjen. 


Die Jahre 1859 und 1860. 


Der dreizehnte Jahrgang des Pädagogiſchen Jahresberichts umfaßte 
gleih zwei Jahre. Es mar die bemerkenswerthe Erſcheinung, daß an 
neuen Gedanten und Arbeiten von fundamentaler Bedeutung außer: 
ordentlich wenig an's Licht getreten war, auch ber Grund für die Kaͤrg⸗ 
lichteit des Berichts. Die Paufe, welche nah dem jahre 1854 eingetreten, 
dauerte noch fort, anfcheinend Behufs der Sammlung, Befinnung und 
Drientirung in dem Neuen und für das Neue, welches mit dieſem Jahre 
in die Vollsfchule bineingepflanzt war. Was an wifienjchaftlihen geogra« 
phiſchen Beſtrebungen einmal im Zuge war, das ift nad Gehalt und Form 
unverrüdt feines Weges weiter fortgeführt; insbejondere trat die Pflege des 


Geographie. 803 


phufifchen Glementes, aljo vie forgfältige Beachtung des oro⸗ und bybros 
graphiſchen Charakters der Länder, ihrer klimatiſchen Beichaflenheit und der 
dadurch bedingten Naturerzeugnifie in den Bordergrund. Auch in Werfen, 
welche der Staatengengraphie breiten Raum gönnten, machte ſich dieſe 
Sorgfalt in erhöhtem Grade bemerkbar. Intereſſant mußte es fein, bie 
Pflege ver phyſiſchen Geographie dem Studium und der populären Gr: 
ſchließung des Gewäffers fich zuwenden zu fehen (Berghaus, Roßmäßler, 
Maury, Hartwig, Böttger), weil damals die Augen Aler auf Arbeiten und 
Forſchungen gelentt waren, melde eben die Bebeutjamleit befjelben von 
Neuem in Srinnerung brachten. (Suez: und Panama⸗Kanal, Ulerewe- und 
Zorrens:See, ZiefleeBeilungen, Fahrten im arktiſchen Gewäller.) Im 
Mebrigen wuchs die Reifeliteratur, die fchöngeiflige, wie die willenjchaftliche 
und die zur belehrenden Unterhaltungs-Lectüre für die Jugend beitimmite, 
um eine Anzahl neuer Schriften, und nur ein Gebiet der Literatur lehrte 
in engere Ufer zurüd, nämlid die Landſchafts⸗ und Charalterbilder, womit 
Shon zu lange hanpwerlsmäßige Speculation getrieben und ber Jugend: 
bildung geſchadet war. Diefe NRüdlehr ift aber ein wahrer Fortſchritt, 
indem nun bie wirklich guten geographijchen Eharalterbilber wieder zu ver: 
dienter und erfolgreicher Verwendung gelangen, namentli die von Grube, 
C. Vogel, Lampert, und neuerbings von Pütz. 

1. In der Volksſchule bat fih die Forderung der Miſſions— 
geograpbie nad und nad erhoben. Es liegen berjelben außer päba: 
gogiſchen Gründen befonders kirch liche Bedürfniſſe und Rüdfichten unter, 
welche mindeftens einer Prüfung werth fcheinen. Daß die Sache bereits 
viel Anklang gefunden hätte, läßt fich nicht behaupten, kaum bat die geogra⸗ 
phiſche Literatur NRüdfiht auf fie zu nehmen begonnen. (Die neuefte 
Zeit bringt diefen Gegenftand unter ein anderes Licht. Seitdem Univerſi⸗ 
taͤts⸗Vorleſungen über Miffionsgeihichte an einigen Orten begonnen 
haben, kann die Beachtung der Miffionsgeograpbie nicht fehlen wollen. 
Es iſt auch belannt geworden, daß die Perthesſche Anftalt in Gotha durch 
den Pfarrer Grundtmann, welcher bereits wiederholt eine Miffionskarte hat 
erjcheinen lafien, ein großes miſſions⸗ geographifhes Kartenwerk ausführen 
läßt. Mit der fehr erfolgreichen Ausbreitung der Millionen wädhft auch 
für den Unkirchlichen das Intereſſe am denſelben, weil der Erfolg nicht 
bloß auf kirchlichem und geiftigem Lebensgebiete, ſondern auch ganz bands 
greiflih auf materiellem entgegen tritt.) Bon evangeliſcher Seite ift 
der Anftoß zu einer Miffionsgeograpbie und die Empfehlung verfelben aus: 
gegangen. Im Intereſſe der Förderung chriftliher Yugenpbildung in evan⸗ 
geliſchem Geifte jol auch der geograpbijche Uinterriht in anderer als jeit: 
beriger Weife dienftbar gemacht werben. Statt der nicht felten höchſt bun⸗ 
ten, und doc inierefielofen Fülle von allerlei heterogenen Notizen über die 
heimathlichen und namentlich über die fernen Länder, Notizen, welche kaum 
von irgend welcher Bedeutung für Millionen von denen find, die bamit 
im Unterricht belannt gemacht werben, joll ber geographifche Unterricht lieber 
auf Momente gelentt werben, welche dem evangeliichen. Interefie und ver 
&riftliden Gemüthsbildung fürderlih werden. Das ift leichter gejagt und 
begehrt, als ausgeführt. Die berlömmlichen geographiſchen Belehrungen 


304 Geographie. 


find als jolde nicht ſchon als unlirchliche, dem chriſtlichen Weſen feind- 
felige Materie anzufehen; eine Sichtung des Lehrſtofſs ausſchließlich 
nad kirchlichen Bedürfniſſen und für kirchliche Intereſſen ift feither weder 
vollzogen und als gut erlannt, noch dürfte fie ſich allgemein empfehlen. 
Beim geographiichen Unterrigte koͤnnen firhlide Momente nicht allein 
maßgebend jein follen. Jedoch auch von päbagagifher Seite ift ber 
Mijfionsgeographie das Wort geredet, um eine heilfame Stoffbeihräntung 
und einen einheitlichen Geiſt in die Betrachtung geographifcher und ethno⸗ 
graphifcher VBerhältniffe zu bringen. Man fieht, bier leuchtet ver Gebante 
der Soncentration des Unterrichts im religiöfen Interefie der Jugend hin 
durch, weil dem Centrum aller Bildung, der Religion, ſich geographifche 
Belehrungen aus den Gebieten ver Miffion am meiften affimiliren laſſen 
würden. Weil aber dabei die allgemeinen Forderungen, welde an 
den geographiichen Unterriht zu machen find, nocd nicht mit in Anſchlag 
gebracht find, und eine Auseinanderjfegung mit ihnen noch nicht erfolgt ift, 
jo kann dieje Angelegenheit noch nicht für fpruchveif erachtet werben. 

2. Der gewöhnliche geographiihe Schulunterricht wird keineswegs 
ſchon dabuch zur Mifjionsgeographie, daß bei den bezüglichen Ländern 
bloß eine furze Notiz hinzugefügt wird, ob und in wie weit darin Miffions- 
arbeit betrieben werde, und ob und welchen Erfolg verjelbe habe. Manche 
Leitfäden enthalten berartige kurze Notizen. Wenn von Wiffionsgeographie 
die Rede ift, jo iſt auch nicht gemeint, daß nur die Mifjionsländer 
zue Betrachtung kommen, alle übrigen aber übergangen werben müßten. 
Eine folde irrthümliche Auffaſſung ftörte den ganzen gefunden Plan des 
geographifhen Unterrichts. CS müßte im Zufammenhang mit der Ge⸗ 
ſchichte der Verbreitung des Chriſtenthums vorgegangen, und eine 
ganz andere Sachfolge angeorbnet werden, welche aber der Aufgabe der 
Volksſchule widerfireben würde. Wer heute Miffionsgeograpbie betreibt, 
und nicht wiſſenſchaftliche Zwecke dabei verfolgt, ver hat die gegen waͤr⸗ 
tigen Wiffionsverhältnifie in den bezüglichen Ländern in’s Auge zu fafien, 
und ftilliehweigend auf Berhältniffe früherer Jahrhunderte, welche der Ge 
Ihichte angehören, zu verzihten. Die Volksſchule geftuttet es aber wicht, 
den geographifchen Unterricht lediglich auf ſolche Bänder zu beichränten, 
zumal da in den überwiegend meilten Fällen bie Miffionsgebiete nur ſehr 
ſporadiſch über die Grötheile zerftreut find. Wenn auch die Grfolge ver 
Milfionsthätigleit bereit großartig genug geworden find, um im XBöller- 
verkehr davon eine Frucht zu gewahren, fo baben fie doch zunächſt nody 
vorzugsweiſe ein chriftliches, alß ein geographiſches Intereſſe. Letzteres Bat 
ich auch ſolchen Gegenden nicht zu verjchliehen, welche noch keine erheblichen 
Erſolge der Miffionsarbeit aufzuweijen haben. Es kommt hinzu, daß bei 
der Forderung der Miſſionsgeographie befonders an ewangelijche Heidene 
miffionen gedacht zu werden pflegt. Indeß find die katholiſchen 
Heidenmiffionen auch ſehr großartig, und die Miffionsthätigleit unter 
Juden und Muhbammedanern kann man ebenfalls nicht wohl über 
ſehen wollen... Wollte man das ganze Gebiet der Miffionsthätigleit zu⸗ 
fammenfafien und die geographiſchen Verhältniſſe deſſelben lehren, jo wäre 
dies allerdings keineswegs unbeträchtlich, abes bei der großen Verfplittenung 


Geographie 805 


der einzelnen Miffionfelver au über Erdgegenden bin, deren ſpeziellſte 
Kenntniß durchaus nicht vom Vollsſchulbedürfniß gefordert werden kann, 
ift es zur Zeit ungemein ſchwierig, Einheit und Plan in deren Betrachtung 
zu bringen. Es muß zugegeben werden, daß die guten neuern Miſſions⸗ 
Schriften ſehr viel gutes geographifches Material in ihre Mittheilungen vers 
weben, aus bem ganz richtig erfannten DBebürfniß, den lebtern größere In: 
gänglichleit in bie Vollskreiſe zu vermitteln. Jedoch find die Peichreibungen 
und Schilderungen darin zu jehr veriprengt, als daß es leicht wäre, fie zu 
einem geographiſchen Lehrcurfus zufammen zu ſchmelzen. Der Volksſchul⸗ 
unterricht hat nur bie großen Ganzen in fein Intereſſe zu ziehen. Was 
zu einem ſolchen einheitlihen Ganzen noch nicht gediehen ift, entbehrt für 
ihm vie unerläßlie Signatur der zweifellojen Berechtigung. Zur Zeit fehlt 
im Ganzen noch dieje Signatur zu ſehr, als daß nicht die Miſſions geo⸗ 
grapbie nur zum Vehikel verſchiedener Mittheilungen aus der Miſſions⸗ 
geſchichte berabfinlen würde. In der Hauptjadhe würde die Miffions: 
geographie kaum eine andere Aufgabe zu löjen haben, als die Geographie 
fie ohnehin hat. Daraus ergibt fih aber, daß die Miffionsgeographie an 
fih nichts der gewöhnlichen Schulgeographie Entgegengejebtes zu 
bieten, im Gegentheil ihren Hauptſioff aus letzterer zu entnehmen haben 
würde, Sie bat Lage, Größe, Bodengeftalt, Bewaͤſſerung, Klima, Produkte, 
Volle: resp. Staatsleben u. ſ. w. glei diefer ind Auge zu faſſen. Nur 
das it das Neue an ihr, daß fie planmäßig auf die Miffionsthätigleit 
und die dadurch erzielten Lebensummandlungen der Böller binmeilt, und 
deren Bedeutſamkeit für jedes Chriftenherg hervorhebt. Zwiſchenein noch 
ausführliche Lebensbilder aus der Miffionsgejchichte Flechten wollen, verlangt 
Meisheit und große Beſchränkung, um Unwahrheit und Mebertreibung zu 
vermeiden, und auch das Urtheil über die Bedeutſamkeit mancher Länder 
nicht zu verrüden, welche ungeachtet lebhafter Mijfionsthätigleit zur Zeit 
nod gar kein allgemeines Intereſſe in Anſpruch nehmen können. Uebrigens 
hätte eine Mifjionsgeographie au) die Heimath, das Baterland, die Nach⸗ 
barländer, die Erdtheile u. |. w. kennen zu lehren, wobei die fernen Erd⸗ 
theile allervings willlommene Gelegenheit barbieten, vie großen Miffiong- 
gebiete in denjelben nad ihrer geographiſchen Eigenthümlichleit befonders 
beroor zu heben. Die andern großen Räume können jedoch deshalb nicht 
völlig mit Stillſchweigen übergangen werden follen, wie dies zum Theil in 
den Schullefebühern geliebt, melde mijjionsgeographiihen Stuff 
darbieten. Bis jest ift der Weg noch wenig geebnet, obſchon viele trefj: 
liche Miſſionsſchriften einen großen Schag guten Materials enthalten. Es 
würde eine nicht undankbare Aufgabe fein, mit Fleiß, unverdroffener Hins 
gabe und Tact wenigitens den Verſuch zu einer. fhulgeredhten Verarbeitung 
dieſes Materiald in geographiihem Sinne zu machen. 

Pfarrer 2. Völter bat den Gedanken einer Mijjionsgeographie mit 
großer Lebendigkeit ergriffen („Süddeutſcher Schulbote” 1858, Nr. 6, 7), 
und behauptet friſchweg, daß „nur in der Verbindung der Geographie mit 
biblifcher, Kirchens und Mifjionsgefchichte der einzige und wahre *itel liege, 
unter welchem ver Geographie ein Platz in der Volksſchule einzuräumen 
ſei.“ Gr gebt deshalb nah nur kurzem Blid über die ganze Erdoberfläche 
Pad. Jahresteriht. XIX. 20 





306 Geographie. 


flugs zu den einzelnen Miffionsländern über, indem er an deren geogra⸗ 
phiſche und natürlide Verhältnifie das Wichtigfte für die Miffion hervor⸗ 
hebt. Was an geographiihen Belehrungen hierbei in Wegfall tomme, 
foll ein befonderer Eurfus in bejondern Lehritunden in die Geſchichts⸗ 
bilder aus den bezüglihen Ländern einflehten. So aufgefaßt wird bas 
Ganze gar fublim, und die Volksſchule kann dahinan nicht reichen, da fie 
in erfier Linie das Baterland kennen zu lehren hat, das doch wid: 
tiger für den Schüler bleibt als eine Kenntniß eines Gürtels von Miſſions⸗ 
ländern um die ganze Erbe. 

3. Auf die Frage, wie fih der geographiſche Unterrricht 
gu den neueften Ergebniſſen der wiſſenſchaftlichen Forſchung 
zu ftellen babe, ift die Antwort nicht allzu ſchwierig. Die Summe bed 
theild obligatoriſchen, theild traditionellen Lehrftofis kehrt, weil 
daran felten radicale Abänderungen unternommen worden find, falt regel 
mäßig in den Heineren geographiſchen Lehrbüchern wieder, aud der ganze 
Blan, die Dispofition und die doctrinäre Art der Darlegung erfährt wenig 
Modificationen. Nur die Proportionen, worin der eine Theil gegen ben 
andern gehalten wird, und die aus der afjociirenden Natur der Geographie 
entfpringenden Anſchlüfſe von allerlei anderm Lebrftoff aus der Naturkunde, 
Volkerkunde, Gejhichte u. f. w. wechſeln. Aber die Geographie ift eine 
fort und fort in Fluß erhaltene Wiſſenſchaft, und in ihrem Dienft werden 
fo erſtaunliche Anftrengungen gemadt, daß allerlei neue Refultate, Berich⸗ 
tigungen irriger Auffafjungen und Vorftellungen in allen Zweigen biejer 
MWiflenfchaft gewonnen worden find. Gegen ſolche Rejultate muß der gev- 
graphiſche Schulunterriht doc irgendwie Stellung nehmen, da er ſich nicht 
wohl dagegen abſchließen und fie ignoriren kann, nur um bequem in her⸗ 
gebrahhtem guten Alten zu erftarren. Gerade durch den Schulmterricht 
follen ja die neuen Nefultate allmählig zum Gemeingut werden. . 

Davon kann felbfiverftänpliherweile nicht die Rebe fein, daß bie 
Vollksſchule fofort alles Neue und Neuefte aufgreifen und verbreiten fol. 
Wiſſenſchaftliche Nova gehören nit in ihr Gebiet. Aber die Bürgen, 
Real⸗ und Gelehrtenschule bilden die Stätte, worin neuerworbenes Waterial 
zur Benugung gelangt, um die alten Borftellungen und Kenntnifie danach 
zu tectificiren, und zwar nicht bloß in Beziehung auf entiegene Ervlocale, 
fondern aud auf ganz nahe, im Vaterlande felbit gelegene Bereihe. Was 
forgfältige Arbeiten an genauen Grmittelungen über Areal, Volkszahl, 
Production, Handel, Finanzen, über bejondere Natur einzelner, ſchwierig 
erreichbar gebliebene Gebiete (3. 3. im Hochgebirge), Klima, veränderte 
Bertehrsbedingungen u. |. w. über die nächſten vaterlänvifchen und Nach⸗ 
bargebiete ergeben haben, macht folde Benupung unabweislid. In ben 
größern Lehr und Handbüdern ift auch dem Bedürfniß bereit? Rechnung 
getragen; aber in fehr vielen Fleinern merkt man davon noch fehr wenig, 
oder nichts. Es darf für gebotene Vorfiht ausgegeben werben, wenn erft 
die Beſtaͤtigung mancher neuen Forfcherrefultate abgewartet wird, bevor fie 
in Schulbüder übertragen werden; aber wenn fie von ſpruchfähigen Männern 
beftätigt find, dann ift’3 auch Zeit, davon in Schulbüchern den entſprechen⸗ 
den Vermerk zu finden, und ihnen wenigftend bie den Schülern zugäug 








Gengraphie. | 307 


lichen Verichtigungen einzuverleiben, waͤhrend gelehrte Dinge auch dem ge⸗ 
lehrten Studium überlafien bleiben. Aus den wiſſenſchaftlichen „Zeitſchriften 
für Erdkunde“, aus den „Mittheilungen aus Perthes geographiſcher Anftalt 
über wichtige neue Forfchungen auf dem Gejammt:Gebiet der Erdkunde“ 
von Dr. Petermann, aus wiſſenſchaftlichen Reiſeſchriften u. a. m. üft die 
Zülle des zu corrigivenden Materials zu .entnehmen. (Daniel, Püs, 
v. Klöden u. U. haben das regelmäßig gethan). Leider find manche Auto: 
ven Heiner Leitfäden zu bequem, um joldhe Schriften vorber orbentlih zu 
ſtudiren, fie jchreiben lieber die alten, nicht mehr pafienden Berhältnifie 
wieder in die neuen Auflagen. Die Zeit muß aber herbeigeführt werden, 
wo folder unverantwortlihen Bequemlichkeit ernftlih gemwehrt wird; bie 
Schule hat ein Recht auf Belanntmahung des verbürgten, bedeutfamen 
Neuen. Sie hat auch ein Necht darauf, daß ihr dies in fruchtbarer Weiſe 
fo vermittelt werde, daß wirkliche allgemeine Bildung dadurch geförbert 
werden Tann. 

4. Sehr bedeutende Fortjchritte find in jüngiter Zeit in der Karto⸗ 
grapbie gemaht worden. Nachdem die wiſſenſchaftlichen Meflungen und 
genauen Special-Durhforfhungen das zu kartirende Material berichtigt und 
vermehrt haben, ift man auch auf neue Mittel und Weifen der möglichft 
waturgetreuen Darftellung der Erdraͤume bedacht geweſen. Wenn dabei für 
militairiishe und für Staats-⸗Verwaltungszwecke die größte Genauigfeit erfor: 
verlih ift, fo bedarf es für die Schullarten der ſachentſprechenden und 
zugleih pädagogifhen Generalifirung der darzuftellenden Berhält: 
nifie. Sole Generalifirung ift nicht gleichbedeutend mit Oberflächlichkeit, 
Ungenauigleit und Sorglofigleit, wiewohl einige Kartentechnifer ſich kein 
Gewiſſen daraus machen, befonvders bei Schullarten (Wand⸗ wie Hand» 
farten und Atlanten) ſachlich ganz unerhört nonchalant und technifch dazu 
oft noch recht roh und zwedwidrig zu arbeiten. Cine Schullarte mird 
nicht ſchon durch grobe und rohe Darfiellung zum Schulgebraud geeignet. 
Kräftigleit der Zeichnung und Colorirung ift zwar bei Schul:Wanplarten 
für große Schulräume unentbehrlih; aber weſentlich ift für gute Schul: 
Larten zugleih tactwolle Wahl und Bejhräntung des Inhalts und 
Nichtigkeit des legtern. Möglihite Spärlichkeit des Inhalts ift 
aud ein großer Mangel bei Karten, weldhe nicht bloß für die allereriten 
Anfänge gebrauht werben, fondern auch auf fpätern Lehrftufen noch 
Dienfte leiften follen. Allerdings ift der Begriff ver Reichhaltigleit ein 
ebenjo relativer als vehnbarer. Diele Namen allein maden eine Karte 
noch teineöwegs reichhaltig in den Augen bed Kenners. Diefer prüft 
beſonders die Specialifirung der oro⸗ und hydrographiſchen Berhältnifie, 
welche dargeftellt werben follen, namentlid die Art der Ausarbeitung der 
Terrain: PBlaftikl; und er läßt fih dur feine noch fo zart, — ſei's 
in Stahls oder NKupferftih ausgeführte Darftellung in feinem abfälligen 
Urtbeile beirten, wenn er bie richtige Sache dabei verfehlt finden muß, 
weil fie unter allerlei phantafiereihen Ausführungen ganz abhanden gelommen 
in. Die iveellen Bruatiben und Schmibt:Mareihen Auffallungen non 
überall vorhandenen Gebirgszufammenhängen auf ihren Karten waren eben 
aur jubjective Phantafien, die perljchnurartigen Aneinanderreihungen von 


20* 


308 Geographie. 


einzelnen, fchattirten Bergen, dann die ominöfen „Raupenformen”, welde 
alle Gebirgsgliederung bejeitigten, — mie man meinte, für fidere Gin- 
prägung der Hauptmaflen bei Anfängern, die nun von vorn herein völlig 
irrthümliche Vorſtellungen eingeimpft erhielten, — waren ähnliche Phanta: 
fien, welde der Geograph vermerfen muß, und der Pädagog um fo be: 
dentliher finden wird, als fundamentale Irrthümer, von Jugend auf ein: 
geprägt, Später felbft die mühſam erworbenen richtigeren Borftellungen 
immer einmal wieder durchkreuzen. Unvolllommene und zwedwidrige, bie 
Sache abſichtlich entftellende Unterrihtshülfsmittel find ſiets mehr als be- 
dentlih. — Dagegen muß jedoh aud das überreihe Material, felbft 
wenn e3 getreu dargeftellt, für Schulzwede unangemeflen erjdeinen, wie 
bei Rüble v. Cilienfternfhen und ©. Epelihen Karten. Es verwirrt und 
überwältigt den Schüler. Letztere bedürfen eines überfhaubaren, charalteris 
fifhen Total bildes, und damit ift Beſchränkung des Details in der 
Bodenplaftit geboten. Daß durch Farbendruck Abftufungen in ven 
Bodenerhebungen angedeutet wurden (von v. Sydow, Bauerleller u. 4.) 
ift ein Fortfchritt, in fomeit dadurh im Großen dieſe Erhebungswechſel 
angedeutet werden. Sollten dieſe Abftufungen aber, wie es bei willen: 
ſchaftlichen Zweden dienlich erfcheinen kann, fogar bis in untergeord-> 
nete Verfchiedenheiten der Höhen fortgejeßt werden, dann gewinnt vie 
Karte für Schulzmede nit nur nicht, fondern fie verliert an frudhtbarer 
Benugung. Die Schullarte kann fih auf vollendete topographifce 
Detaild nun einmal nit einlaflen, fondern muß fih auf landſchaft⸗ 
liche Charakteriſtik des Großen und Ganzen befhränten. Gbenfo 
liegt ihr die Benußung hyphometriſſcher Kartenausführung mit ägnis 
diftanten Höhencurven, in Iondrud höchſt accurat und unter Bei 
fügung der Zahlenangaben für die abfoluten Erhebungen GGöhenſchich— 
tenlarten), und die Benußung ber Niveaukarten für Land und Eee 
ganz fern. Dergleihen wiſſenſchaftliche Feinheiten gehören dem wiſſenſchaft⸗ 
lihen Studium, nicht dem Schulunterriht an; jenes bat ſich derfelben aud 
bereit3 für geognoftiihe und felbft für noſogeographiſche Zwecke bemädhtigt, 
(Dr. Mühry’3 „mojogeographifhe Studien‘). Wichtiger werden die nad 
Neliefs photographirten Karten werden können. (Raaßz' „‚Atlas“). 

5. Zur richtigen Würdigung der Blanigloben bat der Lehrer 
wefentlih auch auf die Conftructionsweife des denfelben zu Grunde gelegten 
Netzes zu achten, indem in neuerer Zeit aub auf Schulkarten und in 
Schulatlanten eine von’ der herkömmlichen und fehr verbreiteten Projectiong= 
art des leptern abweichende Conſtruction defjelben. in Unmendung gebracht 
worden ift. Seither bediente man fi in den meiften Fällen der ftereos 
graphifchen, der orthographiſchen und der Projection Mercators, 
Die erfte diefer drei feßt den Geſichtspunkt Auf die Kugelfläche felbft, 
nimmt die zu zeichnende Kugelhälfte als durchſichtig an, und projicirt deren 
Meß auf einer zur Geſicht slinie ſenkrecht fiehenden Ebene, fo daß die 
Abftände der Parallelfreife und der Meridiane nach links und rechts fehr 
bedeutend wachſen, und dadurch eine unrichtige Proportion der Dimens 
fionen eingezeichneter Pänderräume im Vergleich zu ven zu klein erſchei⸗ 
nenden in den miltleren Parthien des Netzes gelegenen gewähren müflen. 


Geographie. 309 


Die zweite rüdt den Gefihtspunft unenvlich weit weg, woraus folgt, baß - 
alle Geſichtslinien -unter einander parallel und ſenkrecht auf die Projec: 
tionsebene fallen, alle Baralleltreife fih al Horizontale und 
nad den Polen bin näher an einander rüdend, alle Meridiane als 
Eliypfjen und nah den Negrändern zu ſehr bedeutend zufammengerüdt, 
und darum die nach den Slartenrändern und nach den Polen hin gelegenen 
Länderräume zu ftart zufammengefhoben erjdeinen im Vergleich zu 
denen in der Mitte gelegenen. Die Projection nah Mercator ift mit 
wahjenden Breiten nad beftimmten Berhältniß und mit gerads 
linigen Merivianen und Parallelen angelegt, und wird beſonders bei 
Seelarten, der lorodramischen Linien wegen, bei Landräumen jedoch 
nur zu Ueberſichtskarten angewendet, um phyſikaliſch-⸗geographiſche 
Verhaͤltniſſe, z. B. Meeresftrömungen, Niederſchlags⸗, Produltiong:Zonen 
u. ſ. w. darzuſtellen. Am augenfaͤlligſten ſind die Entfernungs-Verhältniſſe 
der Polarräume verändert, fie erſcheinen ſämmtlich viel zu groß. Außer 
biefen perſpectiviſchen Projectionen bedient man ſich — obwohl ſel⸗ 
tener — auch nicht perfpectivifcher, um den ftörenden Verſchiebungen 
entweder in Dften und Welten oder in Norden und Süden der arte zu 
entgehen. 

James ftellt ſtatt nur die Hälfte zwei Drittel der Erdoberfläche in 
feinen PBlaniglobien dadurch dar, daß er den Gefihtspunlt um den halben 
Radius der Projection entfernt vor diefelbe rüdt, die Projectionsebene auch 
nicht als größten Kreis ſenkrecht auf der mittlern Gefichtslinie, fondern 20° 
näber vor den lebtern legt, und fo die beträdhtlihe Verziehung der 
Randgegenden verringert. Das Centrum der Parftellungsebene ift nicht auf 
den Aequator, fondern etwa in die Mitte zwiſchen den Tſadſee und Tripoli 
gejeßt; und es wird dadurch erreicht, daß Streden bis c. 47° n. Br. über 
den Nordpol hinaus, und GStreden von c. 409 6. 2. mehr ale 
180° des Aequatord dargeftellt werden können, mobei nur die äußerſten 
Randftreden ſehr ftarl, die mittleren Gebiete aber merllich weniger ver: 
zogen erjcheinen als bei andern Projectionsarten. Die vollendete Herftellung 
des bierzu nöthigen Nebes iſt ſchwierig. 

Abweihenn von James hat 3. Babinet die homalographiſche 
Projection empfohlen, welde die Randverſchiebungen mehr als andere 
Projectionen vermindert, und gleihe Theile der Erdoberfläche durch gleiche 
heile der Projection genau wiedergiebt. Daher ihr Name. Babinet 
zeichnete die Meriviane als gleich weit von einander abitehende Ellyp⸗ 
fenbogen, die Breitenlreife aber al$ gerade Parallellinien nah beftimmt 
berechneter Progreffion ihrer gegen die Pole abnehmenden Entfernung jo, 
daß die zwiſchen ihnen liegenden Zonenftreifen gleiches Verhältniß ihres 
Flächeninhaltes erhalten als die entiprechenden Zonenitreifen auf ber 
Halblugel, Alle Länderräume mit geringer Polhoͤhe verziehen fich hier⸗ 
bei nur wenig, verfürzen fi aber etwas mehr, wiewohl nicht fo ftart als 
bei allen übrigen Brojectionsarten. Die mittleren Räume lafien jehr 
treue Ländereintragungen zu, die nörblichften ziehen ſich überwiegend in 
gerader Michtung entlang. Nah Babinet kann auch die ganze Erde in 
einem Nebe dargeftellt werben, ohne an den Polgegenven jo beträchtliche 





310 Geographie. 


Auseinanderziehungen zu bevingen, wie fie nad Mercator unvermeibs 
lich find. i 

Für einen fhlihten Volksſchullehrer hat die genaue Beachtung 
der Rartenprojectionen allerdings feinen praltiihen Werth ; aber an fi iſt 
fie ftet3 von Bedeutung, und Lehrer an Neal, Bürges und Gelebrten- 
ſchulen müfjen billig damit für ihre Perfon vertraut fein, wenn fie auch 
im Unterriht die Erläuterung der Projection nicht vielen Schülern bis zur 
vollen Evidenz zu geben haben follten. 


Gesgraphifhe Kiteratur. 


I. Vaterlandskunde. 


1. 9. Damm, Lehrer. Geographie des Preußiſchen Staats und 
der Herzogtbümer Schleswig-Holflein. Für ben Unterridt im 
Bürger- und Boltsfhulen. Halle. Henbel. 1866. (42 ©.) 24 Ser. 


Nah vorausgefhidten kurzen allgemeinen Angaben über Größe, Ge 
ftalt, Grenzen, Bewohner, Bodenerhebung, Flüfle, Klima, Bodengüte, Er⸗ 
zeugnifle, Kunft, Wiſſenſchaft, Handel, Flotte, Armee u. |. w. merben bie 
einzelnen acht alten Provinzen Preußens, ſammt SHobenzolleen, Nabe, 
Lauenburg, Schleswig und Holftein in herlümmlicher Art behandelt. Bier 
ftatiftifche Weberfichten über Eintheilung und über Bevöllerung bilden eine 
Zugabe. Bodenerhebung, Bewaͤſſerung und Erzeugnifie werden am meiften 
beachtet, bei Städten auch gefhichtlihe Notizen angefügt, und die geſchicht⸗ 
Ih merkwürdigen Städte befonderd hervorgehoben. Die Behandlung ent: 
behrt der Gleihmäßigteit. Bei jo geringem Umfange des Ganzen war es 
faum erforberlih S. 15 das Rieſen⸗ und Sfergebirge, S. 20 die Johan- 
nigburger Haide, S. 24 die anmuthigen Thäler des Harzed, ©. 27 das 
Rheinthal und feine Schönheiten, S. 33 die Wurten und Deiche in den 
Marjhländern befonders zu charakterifiten. Der Lehrer muß das felbft 
verftehen, ſolche Kleine Lebenszüge in den Unterricht zu bringen; das Buch 
allein reiht mit fo Inappen Hinmweifungen dazu nicht aus. 


2. ©. Neumann, Lehrer. Kleine Heimathelunde ber Provinz 
Preußen, der Brovinz Pommern, ber Provinz Schlefien. 
Für Schulen, Drei Hefthen (von 40, 38, 44 ©.) à 21 Sgr. Reuftabt- 
Eberewalbe. Lemme. 1867. 


Die Hefthen find für die Hand der Schüler beftimmt und in fofern 
gleihartig eingerichtet, als im 1. Abjchnitt die allgemein geographiſchen 
Verhältniſſe ver bezüglichen Provinzen, dann, nad den Regierungsbezirlen 
geordnet, die Kreis: und Ortöbefchreibungen, im 2. Abſchnitt ein gebrängter 
Abriß des ganzen Preußiſchen Staats, die neueften Grwerbungen einge 
ſchloſſen, und endlih im 3. Abſchnitt ein und dieſelbe Geſchichtstabelle 
ven 1411-1866 gegeben werben. Der erfte Abfchnitt ftellt mit befriebigenbex 








Geographie. 311 


Genauigleit über Vodenbeſchaffenheit, Bewäflerung, Erzeugnifie u. ſ. w. das, 
was danon in der Vollsſchule gelehrt wird, zuſammen, und gewährt noch 
Anbeutungen über Berlehr, Verwaltung und aus ber Brovinzialgefchichte. 
Abschnitt 2 und 3 find in den Heftchen übereinfiimmend. Man kann legtere 
in einfahen Volksſchulen mit Nutzen gebrauchen. 

3. %. ©. Keller, Seminarlehrer. Norpbentfhland in feiner Neuge- 


Raltung. Kurze Darftellung feiner natürlichen, focialen , politifchen und 
topographiißen Berbältniffe. Abıh. I. Minden. Bollening. 1867. (221 ©.) 
gr. 


Durh die Beitlage hervorgerufen, kann dieſe Broſchüre theils als 
Fortſetzung, theild als Ergänzung zu des Verfaſſers fleißig und gut bear» 
beiteter Schrift: „der Preußiſche Staat“, weldhe mit Recht in kurzer 
Zeit beliebt geworben ift, gelten, fie kann aber auch als Kleine felbftftändige 
Schrift angejeben werden, indem fie den Norddeutſchen Bund nad feinen 
einzelnen Staaten in ihren weſentlichſten Verhältniſſen, namentlih aud in 
ihren Berwaltungs-, Etats- und Produktions-Verhaͤltniſſen überfichtlih und 
Har vorführt, und eine ziemlihe Fülle von Detail auf engem Raume zus 
fammendrängt. Bejonderer Fleiß ift in ber zweiten Hälfte auf die ftatiftijche 
und topographijche Bejchreibung der einzelnen Länder verwendet, und bas 
neuefte Material dazu benutzt. Aber es muß bemerlt werben, daß biefe 
Brofhüre fein Shulbud if. 


4. ©. Neumann, Lehrer. Geographie des Preußiſchen Staats. Ein 
Handbuch für Sebermann. In 3 Lieferungen & 15 Sgr. 1. 2. Tief. Bog. 
1—26. Neuſtadt⸗Eberswalde. Lemme. 1866. 1867.- 


Dies Bud rivalifirt im Grunde genommen nit mit dem ähnlichen, 
aber ausführligern und umfafiendern Bude von F. 6. Keller. („Der 
Preußiſche Staat.) Keller bat die Gefammtverbältnifie des Preußijchen 
Staats, befonders die ftatiftifchen eingehender und mit genayern Nachweiſen 
behandelt, ald es hier Neumann thut; legterer gibt ftatt deſſen eine jpeciels 
lere Zopograpbie und eine fpecielle Beſchreibung des Bodens und der Ge: 
wäfler, und webt hiſtoriſche Reminiscenzen ein. Die erfte Lieferung ent: 
hält die „Bodenkunde“ Preußens in ziemlich detaillirter Ausführung, eine 
herze Charalteriftit des Klimas, die Angabe ver Verkehrswege, befonders ver 
Eifenbahnen, und die Nachweiſe der Produkte; die zweite führt bis S. 247 
noch die Bewohner, die technifche und geiftige Cultur, die Staatsverfaſſung 
und Berwaltung vor, und verfolgt von da an die Topographie nad den ein- 
zelnen Provinzen Preußen, Pojen, Pommern, Brandenburg, Schlefien, 
leßtere noch nicht beendet. Die 3. Schlußlieferung wird einftweilen noch 
zurüdgebalten, um abzuwarten, welche ftaatlihe Urbnung in den, neu 
erworbenen Provinzen janctionirt werben wird. Ueberall tritt ber Fleiß 
und die Sorgfalt hervor, womit Verfaſſer zu arbeiten bemüht gemejen ift. 
Gr ſucht allentbalben genau zu geben, und geräth in jeinem löblihen Eifer 
auch mohl bie und da über die Grenzen des wirklichen praktiſchen Bebürfs 
nifies hinaus. Was er über die Bodenverhältnifie, Produkte, Bewohner 


312 Geographie, 


(Zahl, Bertheilung, Bewegung der Bevöllerung), Sprache, Religion, Fabrib⸗ 
wejen, Handel, Verkehrsſtraßen, Bildungsanftalten, Berfafiung und Ber 
waltung — Reſſorts der Minifterien — fagt, ift gut und ziemlich genau. 
Daß er aber in der Topographie bis zu Hleinften Doͤrſchen berabfteigt, wo 
eine Pfarre, eine Förfterei, .Pofterpebition, ein Ladeplag u. ſ. mw. ift, muß 
man nit recht weile finden. Cs können weder alle folde Dertchen mit- 
genommen, noch kann für die zweijellofe Richtigkeit folder Angaben einge- 
ftanden werden; ohnehin ändern ein paar Jahre oft viel in diefen Ber: 
bältnifjen. Unmöglih kann für jedes Heinfte obſcure Dörfchen ein befon- 
deres Intereſſe in meitern Kreiſen erwartet werden, da fih faum in näch⸗ 
fter Nähe ein ſolches nachweiſen läßt. Beſſer ift es deshalb, fi etwas 
beſchränlen, als fo in's Minutiöfe fih verirren, da doch jelbft in ben 
Specialbefchreibungen, welche Landräthe über ihre Kreiſe geben, kaum mehr 
davon zu jagen ift, als in folhem Bud über den ganzen Preußifchen 
Staat von dem Umfange des vorliegenden. 


5. 3.6. 3. Pflüger, Oberſchulrath. Badiſche Baterlandbelunde. Gin 
Seien und Lernbilchlein für Schulen und die Ingend Überhaupt. Mit einer 
Karte. 3. Auflage. Lahr. Geiger. 1867. (165 ©.) 5 Sgr. 


Bei Anzeige der erften Auflage, XII. Pädagogiſcher Jahresbericht 
©. 333 ff., ift ſowohl auf die äußere Ginrihtung, als auf die Tendenz. 
hingewieſen worden, dur Anſchaulichkeit, lebendige und Inappe Darftelung 
des Stoffs in Meinen gerundeten Grenzen, welche Gemüth und Phantaſie 
mit befchäftigen, den Unterricht in der Vaterlandskunde zu beleben. Diefer 
Cinrihtung und diefer Tendenz ift das Rüchlein treu geblieben. Poeſie, 
Sage, gefhihtlihe Erinnerungen, &harakterifirende Citate find in den Lern» 
ftoff eingewoben, fo daß das Buch zugleich ein Lefebüdhlein wird, wonach 
die Jugend zu Freude und Frommen immerhin gern greifen möge Sie 
wird fi den Lernftoff allerdings nicht bloß durchzuleſen, ſondern mit Dem 
fteten Blid auf die beigegebene, jet fehönere und klarere Starte auch ein⸗ 
zuprägen haben. 


6. Dr. 3. ©. Molitor, Geographie vom Großherzogthum Ba» 
den, nebft einer kurzen Geſchichte befjelben. Mit 20 Abbildungen, Lahr. 
Geiger. 1867. (159 ©.) 120% 5 Sgr. 


In mander Hinfiht if dies Büchlein dem von Pflüger ähnlich. 
Abmweihend von der herfömmlichen fyftematifhen Dispofition für ſolche 
geographiſche Beſchreibungen einzelner Laͤnder, nimmt der Verfaſſer die 
einzelnen Hauptgegenden Badens gleich als kleine Ganze vor, beſchreibt, 
ſchildert und notirt Alles, was zur anſchaulichen Kenntniß von Berg und 
Thal, Fluß und Aue, Städten, Dörfern, Ruinen, Sagen, geſchichtlichen 
Reminiscenzen, Beſchäftigungen und Sitten der Leute, Landbau, Induſtrie, 
Verkehr u. dgl. für die Jugend etwa gut und aAfregend fein könnte. Das 
gibt ziemlich frifhe, buntfarbige Bilder, melde keine ertübtende Langweiligs 
keit auflommen laſſen. Schließlich folgen allerlei kurze Ueberſichten, betreffend 
Volkswirthſchaft, Volksbildung, Zahl und Sprade der Benöllerung, Gins 
tbeilung des Landes, Berge, Höhenzüge, Ebenen u. dgl. Als Anhang 








Geographie, 318 


kommt ein kurzer Abriß der badiſchen Landesgeſchichte hinzu. Bon dem 
20 kleinen Holzjchnitten find einzelne vecht leivlih. Das Büchlein ift ber 
Beachtung werth. 


1. Fr. D. Stichart, Paflor. Sächſiſche VBaterlandslunde. Gefcichte, 
Geographie, Staatsverfaffung' und Staatsverwaltung des Königreichs 
Sadjen. Für den Schulgebrauch bearbeitet. Mit einer Schullarte vom 
Königreid Sadien von Krumbbolg. 3. Auflage. Dresden. Dietze. 1867. 
(32 ©.) Leric. 8°. 4 Sgr. (Karte allein 14 Sgr.; 25 Erpl. 1 Thlr.) 


Der geographifhe Theil diefer Schrift gibt auf zufammen 10 Seiten, 
nah Borausfhidung eines Blides auf die allgemeinen Berhältniffe, faſt 
nur die topographiihe Nahmeifung der „Wohnſtätten“ in den reis 
Direltions-Bezirten. Bei jedem der fehr zahlreihen Derter ift außer der 
Ginwohnerzahl irgend eine Notiz über Gewerbfleiß, Fabriken, Bauten, ge: 
ſchichtliche Vorkommniſſe, mertmürbige Perfonen u. dgl. angeführt. Was 
über Staatsverfaflung und Staatsvermaltung gejagt iſt, beſchränkt ſich auf 
Auszüge aus der Berfaffungsurtunde und auf den Nachweis der Reſſorts 
der Minifterien. 

Die vorangejhidte Gefhichte knüpft an die einzelnen Landesfürften 
an, ift ganz ſchlicht und wohlthuend gejchrieben, und reiht nur bie äußern 
Data hervorragender Begebenheiten zufammen. Bon 6. 26 an findet fi 
noch eine Zeittafel der politifhen und eine Zeittafel der Culturgefchichte 
und eine Galerie dentwürdiger Perfonen aus Sachſens Vergangenheit mit 
ganz kurzen Lebensabriffen. — Das Kärtchen empfiehlt fih nicht durch 
feine Ausführung. . 


8. . 3. Weſſelmann, Lehrer. Lehrbuch der Geographie und Gefchichte bes 
vobergogtpume Oldenburg. Oldenburg. Schmidt. 1866. (85 ©.) 
Ta Sgr. 


In diefem Büchlein ift die Gefhichte die Hauptſache, die Geographie 
nur Vehikel, aljo umgelehrt als wie bei dem treffliden Schriften von 
Böfe (cf. XV. Pädagogiiher Yahresberiht S. 274). Das vorliegende 
beihräntt fi auf eine kurze generelle Nachweiſung der Bodenbeichaffenheit 
des Landes, feiner Oberflähe und Gemäller, und gebt dann ganz gedrängt 
die politiihe Geographie der drei Obergerichtsbezirke Oldenburg, Barel, 
Vechte, und die Fürftentbümer Lübed und Birkenfeld durch, indem bei den 
einzelnen Ortſchaften gefhichtlihe Notizen zugefügt werden. Es wird fi 
zu heimathskundlichen Belehrungen wohl benugen laſſen. — Die ſechs ge= 
ſchaͤftlichen Abfchnitte enthalten Anltnüpfungspuntte zu weiteren Mittheiluns 
gen aus der Gejhichte des eigentliben Herzogtbums Oldenburg, wie der 
friefifhen und münfterlänpiihen Gebiete. Auf kirhliche Verhältniſſe nimmt 
es einige wenige Rüdfiht, und iſt faßlihb und jchlicht gejchrieben. - 


9. Dr. I. I. Egli, Kleine Schweizerkunde. Ein Leitfaden in genanem 
Anſchluß an des Verfaflers „praktiſche Echweizerlunde”, jo wie an 
. Killer’s Wandkarte und Schulkärtchen von ber Schweiz. 3. Aufl. St. 

allen. Huber und Komp, (Fehr) 1866. (57 ©.) 4 Spr. 





314 Geograrbie. 


Bẽdaacaii Sen Jabresberit XV. E& 26 

zer fer ertrietleasrertbe Detiin, weiches im 

jegizen 3. Az?ıye feine weient:Sem Terizteruzxn erraten bat, gewii 
geleunzeifne in, jo wird auf ;eze Fıtzeizny Hr mer 


NH 


16. A. Jacob, Lchrer. E Aufgeoarapdie bes Lauten Berm. 1. Äbthl. 
Seimwarbslunte ca bei. :S £. 2 Weis Der Kanton. 57 €.) 
Edatzzhrtinng 151. 4 Eyr. 


In der „Reuen Berner Efulziuny‘ 1867 Re. 9—11 hat 
ber mit jeinem Gegenitinde gut vertraute, denteade Beriafter einen recht 
verändigen und pratziiten Plan des geszrap.iiden Vollsichulunterrichts 
auigeftellt. Lkiges Bütlem exempuicirt an der Stadt Biefel und Um: 
gegend die Feije, wie ver gesgrapbiihe Aniangsunterticht anjbaulid, ans 
zegend, lehrreihh zu bebantein in. Es wird debei nitt jo weit ausgeholt, 
wie Dr. Singer in jeiner jehr tren.ihen „Anmweilung zur Heimathslunde‘‘ 
(1843), getban, welcher gınz ab ovo mit den eriten SZ prediverjuden ber 
is die Schule neu eintretenden Kinder beginnt; ſondern Verjaſſer richtet 
fein Augenmerk flu33 auf den Mıttelpunftsort jeiner Beratung, unb geht 
dann auf verjdiedenen Wanderungen in die nähe Umgebung in deren 
natürliche und topograpbiihe Verbältnijje ein, prakiih und nahahmungs- 
wertb. Vorgeſchichtliches und Neugeſchichtliches fließt hie und da gelegent- 
Id mit ein zur Belebung des Intereſſes. Man braucht gegen Mittheilungen 
aus früheren Jahrhunderten niht allzu difficil zu fein, weil fie noch nicht 
Eelbftzwed fein, jondern nur da3 Intereſſe näbren jollen. Tie 2. Abtbeis 
Img legt die Bodenerbebungs: und Bemwäjlerungs:Berhältniffe des Kantons 
Bern Har und überlihtlih dar, und menvet fih dann bei den einzelnen 
Gauen zur Zopograpbie der Amtsbezirte bis herab zu den Pfarrbörfern. 
Raturumgebungen, Geſchichtsmomente x. bilden die Illuſtration. Richtig 

und fruchtbar iſt der am Schluſſe jedes Eaues veranſtaltete Rüdblid auf 
ſaänmmtliche Amtsbezirke deſſelben, weil damit die ſichere Orientirung gefoͤrdert 
wird. Zum Schluß folgen belehrende Angaben über Größe, Klima, Be: 
völferung, Erwerbszweige, Verlehräwege, Berjafiung und Berwaltung bes 
Kantons. Das Büchlein ift für Berniihde Schulen ſicher veht brauchbar. 
Bei großen Staaten kann die Schule nicht in ſo weitgehende Epecialitäten 
über die Berge, Ihäler, Flüſſe, Ortſchaften u. ſ. w. fih einlaflen, das 
wird durch die übergroße Fülle des Stoffs verboten. Bei einem Landchen 
aber wie die Schweiz, in welchem Jeder an Allem Intereſſe baten fol, 
und es darum möglichft genau fennen lernen foll, ftellt fi dies Verhaͤltniß 
anders, nämlid etwa fo als wie in einer einzelnen größern Provinz des 
Preußiihen Staats. Daß Verfafier das Bildungsmweien und das kirchliche 
Leben des Kantons und der Schweiz fo ganz übergeht, muß al3 ein Mans 
gel erfheinen, dem hoffentlih die 2. Auflage abhelfen wird. 


11. Dr. ©. Etlin, Erziebungeratt. Geographie und Geſcichte ber 
Schweiz, für Volksſchulen bearbeitet. 5. Auflage mit einem Kärtchen von 
der Schweiz. Luzern. Räber. 1867. (144 ©.) 8 Ger. 


Geographie. 315 


Nach einigen allgemeinen geographiſchen Vorbegriffen behandelt der 
1. Abſchnitt des nicht ganz die erſte Hälfte des Buchs bildenden geogra⸗ 
phiſchen Theiles die Schweiz im Allgemeinen; nämlich: das Land in oro⸗ 
und hydrographiſcher, klimatiſcher und productiver Rüdſicht, und die Bes 
wohner nad Charakter, Zahl, Abftammung, Sprade, Religion, Bildung, 
Beihäftigung, Berfaflung ꝛc. Im 2. Abfchnitt werden die 22 Kantone 
ebenfalls oro⸗ und bydrographifh und dann weiter topographiſch durchge⸗ 
nommen ; bei den einzelnen Ortichaften finden fich unterfchiedliche Angaben 
über lanbfchaftliche Reize, Baumerle, Stiftungen, biftorifche Denkwürdigkeiten, 
induftrielle Thaͤtigkeit u. dgl. Der Einzelnheiten find recht viel; doch ift das 
Bud nad der ältern Methode fchliht und lehrhaft verfaßt, und es fpricht 
darin aud die einfache gefhichtlihe Darftellung ver beveutfamften Momente 
aus den Grlebniffen des Schweizervoll3 an, da fie ähnlich wie bei Zſchoce 
gehalten if. 


IL Allgemeine Geograpbie. 
A. Leitfäden. Lehrbücher. Handbücher. Charaklterbilder. 


12. Allgemeiner Umriß ber Erbbefchreibung für den vorbereiten- 
den geographifhen Unterricht, mit befonderm Hinblid auf Daniel® „Lehr. 
ee Geographie. 3. Auflage. Neuftrelig. Barnewitz. 1865. (40 ©.) 

gr. 


Mas in diefem Excerpt an Material in überfichtlier, tabellariſcher 
Form zur Crleihterung des Lernens an die Hand gegeben wird, kann ber 
einfache, fleißig einübende Unterriht an den Wandlarten ohnehin erreichen. 
Der „Umriß“ will der häuslichen Wiederholung nachhelfen, denn er enthält 
gleih Alles fertig vegiftrirt zum Memoriren; aber dem einfichtigen Lehrer 
muß es lieber fein, der Anfänger halte fih vornehmlich ar die Karte als 
an die Namenregifter. 


13. U. E. Preuß, weil. Director. Kurzer Unterricht in ber Erbbe- 
Ihreibung nad einer ſtufenweiſen Kortfegung. 15. Aufl. von 
Seminarlehrer Lettau. Königsberg. Gräfe. 1866. (95 ©.) 5 Ser. 


Vermehrt und mannigfady berichtigt, aber doch nah urſprünglichem 
Blane behandelt das Büchlein im erften Theile die Erde überhaupt, d. h. 
feftes Sand, Meer, Inſeln, Landſeen, Gebirge, Flüffe, Einfluß der Sonne 
und des Dunftkreifes auf die Erbe, Bewohner, Regierungsformen zc., und 
fügt im zweiten Theile die Länder Europas und die Länder der übrigen 
Erdtheile an. Bei Preußen kommen nur die acht alten Provinzen in Be⸗ 
trat. Die Drudeinrichtung erleichtert die Weberficht und das Lernen, die 
verftändige Beichräntung des Materials auf das Maß, welches etwa eine 
obere Knabenllafſe einer guten Elementarfchule abfolviren kann, deflen prak⸗ 
tiſche Brauchbarleit für ſtaͤdtiſche Glementarfchulen, Schlichte Lanpjchulen 
werden nicht Alles bewaͤltigen koͤnnen. 


316 Geographie. 


14. Fr. Wilhelmi, Kleine Elementar-Geographbie. Auszug aus dem 
methodiſchen Leitfaden zum Unterrichte in ber Giementargeographie.” Für 
Eulen. 9. Auflage. Mit einer Steindrudtajel. Pajewall. Schnurr. 
Ohune Iahreszahl. 1866. (48 S.) 2']2 Sur. 


In 12 kurzen Lehrftüden bat auf den wenigen Eeiten das Elemen⸗ 
tarfte aus der mathematifhen und phyſiſchen Geographie, eine Ueberſicht 
über die phyfiihen und topiſchen BVerbältuijie von Guropa, mit Angabe 
ber Hauptflädte, und eine kurze Beichreibung der älteren acht Provinzen 
des Preußiſchen Etaates zufammengedrängt werden follen. Die zahlreichen 
Definitionen geographiſcher Begriffe (5. 9—16) konnten füglid wegfallen. 
Allem Anſchein nad ift dies Büchlein in manden Rädtifhen Schulen noch 
im beliebten Gebraud, wo neben dem Schulleſebuche nod ein folder Leit» 
faden in der Schüler Händen if. Kür einfahe Landſchulen paßt feine 
Spftematit, für untere Klaſſen höherer Echulen feine ganze Anlage 
nit wohl. 


15. Dr. C. 9. &. v, Burger. Allgemeiner Umriß ber Erdbeſchrei⸗ 
bung für bie unterfie Klaffe der lateinifhen Schulen, fowie für einen 
gründlichen Anfangeunterricht überhaupt. 25. Auflage. Erlangen. Bläſing. 
u 1866. (40 ©.) 3} Sgr. (ef. Pädagogiſcher Jahresb. XVIH, 


Aus Dictaten an die Sertaner hervorgegangen und auf fieten Karten» 
gebraud bafirt, follen diefe wenigen Blätter auf C. v. Raumer's befannte 
„Beihreibung der Erdoberfläche‘ vorbereiten. Sie enthalten in 40 zum 
Theil ganz kurzen 88. nur das elementarfte topifch:geographifhe Material 
über die Erdtheile in tabellarifher Aufflellung, um dem Auge die Weber: 
fiht, dem Gedächtniß die Einprägung zu erleidhtern. Aehnlich ift €. v. 
Raumer in dem erwähnten Aüchlein, äbnlih find Graßmann, und Gribel 
in ihren Umrifien aud verfahren. Genau genommen bebarf zu berartigem 
Stofj ver Schuler gar keines folden Büchleins, fondern nur ber Karte. 


16. 9. U. Scherer's, Faßlicher Unterricht in ber Geographie. Für 
Schulen und zur Selbfitelebrung. 11. Auflage. Nach den neueſten ftaat- 
lihen Beränderungen bearbritet von A. I. Hoier, Amanuenfis. Sunsbrud. 
Pfaundler. 1867. (154 S) 10 Sgr. 


Ueber die Art der Bearbeitung cf. Pädagogiſcher Jahresberiht XIII, 
©. 206, XV, ©. 286, XVII, ©. 259 ff. Daß da, mo der Heraus: 
geber der für fein Vaterland verhängnißvollen Greignifle des Yahres 1866 
gedentt, fih feiner Feder ven Ausprud der Trauer und des Zweifel an 
der Dauerbaftigleit der neueften Geftaltung Deutſchlands entwindet, iſt 
demfelben fhonend nachzuſehen. Aber daß er auf S. 71 Beranlaflung 
nimmt, bei Gelegenbeit der Erwähnung der Erbübel des deutſchen Volle 
von deſſen „flegmatijher Duldſeligkeit und einer oft ſchafmüthigen Geduld 
gegenüber Ausländern, von Mangel an Volksgefühl, an Volksſtolz und 
Ginigleit‘’ zu reden, wird in folbem Buche für Rinder () nicht zu billigen 
fein. S. 76 hätte Frankfurt a. M. billig nicht mebr als freie Reichsſtadt, 
fondern als preußifhe Etadt aufgeführt werden follen, da ja der übrigen 
Neuerwerbungen bei Preußen gedacht ift. 


Geographie. 817 


17. A. Sörfgelmann’d Ueberſicht der gelammten Geographie -für 
ben erfien Unterricht in Gymnaſien und Bürgerichulen. 8. Auflage von 
zo, Dig, Brofeffor und Director. Leipzig. Schultze. 1866. (90 ©.) 
6 Sgr. 


Bei der großen Knappheit des Raumes fo weniger Bogen konnten 
nur ftisgenbafte Angaben des Nothwendigften, das von der topifchen Geo⸗ 
graphie, von der Ländereintheilung, von Städten und ihrer Bedeutung — 
wie e3 fcheint — mwörtlih eingeprägt werben foll, darin aufgenommen 
werden. Es ift in überfichtlichfter Form der Aufftelung nad jchlichter 
Nummerfolge gefhehen. Die achte Auflage verräth den fortgehenden Ge 
brauch diefer „Ueberſicht,.“ Diesmal ift anzumerlen, daß die Revifion der 
Auflage bereits im Auguft 1865 beendet war. (cf. Paͤdagogiſcher Jahres: 
beriht XVIII, S. 489.) 


18. Kleine Schulgeographie. Kleinere Ausgabe der 11. Bearbeitung bes 
„Leitfabene für den geographiihen Unterricht“ von ©. dv. 
Seydlitz. Mit 34 Abbildungen und Skizzen. Neue Ausgabe, erweitert 
durh einen Anhang: Deutfhlanb in feiner neuen Geftaltung. 
Mit 4 Stiggen. Breslau. Hirt. 1867. (148 u. AXX ©.) 124 Sgr. 


Am XV. Pädagogiſchen Jahresberiht S. 282 ift die Einrichtung 
diefed Buches näher bezeichnet. Es iſt von ſachkundiger Hand gefchidt 
abgefaßt und darum brauchbar für den Unterricht. Nur diesinal, wo bie 
Greignifje des Jahres 1866 eintraten, als eben das Buch wieder neu aus⸗ 
gegeben werden follte, tritt der mißlihe Umftand ein, daß es für ven 
status quo nicht durchgehend paßt. Wenn aud der Verleger durd den 
mitgegebenen Anhang vorgejorgt hat, daß wenigftend die in Deutjchland 
eingetretenen Gebietsveränderungen zeitentſprechend dargeſtellt find, fo ift der 
Mebelftand beim Gebrauch durch Echülerhände nichts meniger als gehoben. 
Der Anhang ift auh im Grunde genommen feine „Ermeiterung‘‘, er iſt 
einfach eine Correctur des im Gonterte nicht mehr Pafjenden, und nur 
wenn dieſe Correcturen auf Gartons gegeben wären, daß fie an pafjender 
Stelle einzulegen wären, könnte allerlei Vermirrungen vorgebeugt werden. 
Es ift ohnehin recht viel, was dieſes Büchlein dem Scüler zumutbet; 
das Negifter enthält über 3000 Namen! Vielleicht wäre weniger — mehr! 


19. Profeſſor Dr. H. A. Daniel, Insp. adj. Leitfaden für den Unter» 
riht in ber Seograpbie 31. unveränderte Auflage Halle. 
Waiſenhaus. 1866. (171 ©.) 74 Sgr. cf. Pädagogiſcher Jahresbericht 
XVII, ©. 260. 


Ohnehin weit und breit als tüchtiges und gutes Schulbuch belannt, 
und im Pädagogifhen Jahresbericht oft ermähnt, bedarj’s bier nur der 
Anzeige, daß die neuen Gebietsveränderungen noch nicht haben berüdjicy 
figt werden können. 


20. Dr. J. 3. Egli, Kleine Erdkunde. Gin Leitfaben im genauen Ans 
ſchluß an des Berfaflers „praktiſche Erdkunde.“ 3. Auflage. St. Gallen. 
Öuber. 1866. (112 ©.) 9 Ser. 

Im Päpdagogifhen Jahresberiht XIV, ©. 298; und XV, S. 281 fi. 
befpsodhen und nach Berdienft empfohlen, wird bier nur des Erſcheinens 


318 Geographie. 


der 8. Auflage gedacht, da in ihr nur Berichtigungen und Aenderungen 
im Einzelnen angebradt, im Webrigen aber am Tert feine weſentlichen 
Neuerungen vorgenommen find. Die Gebietsveränderungen auf Grumd der 
Greignifie des Jahres 1866 fehlen bier, und werden durch Cartons nach⸗ 
zubringen jein, um bie Nußbarleit des Buches nicht zu ftören. Für den 
jebt beigegebenen „Weberblid der 5 Erdtheile“ ift keine rechte Nothwendig⸗ 
keit zu erkennen, indem das Buch die Sade doch nod einmal bringt. 
Derfafjer gibt denjelben feinerjeits felbft Preis. 
21. 8. Bormann, Provinzial-Schulrath. Grundzüge ber Erbbeidrei« 
bung mit bejonderer Rüdfiht auf Natur- und Bälterfeben. Ein Leitfaden 


für den geographijhen Unterricht in den mittleren Klafien ſtädtiſcher Schu⸗ 
.Ien. 7. Auflage. Leipzig. Schulte. 1866. (166 ©.) 10 Ser. 


Dies Buch ift bei feinen frühern Auflagen nah Einrihtung und 
Stofimaß bereits mieberholt als ein fehr praktifches und lehrreihes, nach 
feftem, einheitlihen Plane gearbeitetes Hülfsmittel für einen gründlichen 
geographifhen Unterriht empfohlen worden. Die Berbeflerungen beziehen 
fih theils auf Berichtigung der Zahlenangaben nad neuefter Ermittelung, 
theils auf neue Entdedungen, Gebietöveränderungen u. dgl.; fie find jedoch 
nicht alle bis auf die neuefte Zeit herab fortgeführt. Beim Erſcheinen biejer 
7. Auflage hatten fich die Gejchide des Sommerd 1866 noch nit volle 
zogen, deshalb fehlen die dadurch hervorgerufenen Umgeftaltungen. 


22 W. Pütz, Profeſſor. Leitfaden bei bem Unterridte in ber ver» 
gleihenden Erdbeſchreibung für bie unteren und mittleren Klaflen 
höherer Lehranftalten. 9. Auflage. Freiburg im Breisgau. Herder. 1867. 
(178 ©.) 10 Ser. 


Im Pädagogischen Zahresberiht XILL, S. 297, XIV, ©. 302, und 
wegen der 8. Auflage im XVII, ©. 264 iſt das gute, empfehlenswerthe 
Buch des erfahrenen Verfaſſers bereit zur Genüge bejproden. Die jebige 
Auflage nimmt auf die neueiten Gebietsveränderungen in Deutſchland und 
Italien Nüdjicht, 


23. ©. gel Reallehrer. Die Erdbeſchreibung in zwei Lehrfiufen für 
bie Schulen. 2. Auflage. Stuttgart. Meltzer. 1866. (135 ©.) 12 Ser. 


An der erften Auflage find im Pädagogifhen Yahresberiht XV, 
©. 224 mehrere ſachliche Ausftellungen gemacht worden. Einige berfelben, 
und auch folde, wo der minder präcife Ausprud unrichtige Borftellungen 
veranlaßte, find beachtet, andere nicht. Namentlich ift die verfrühte Heran⸗ 
ziehung fpäterer Belehrung vorzubehaltender Momente gleich bei der bloßen 
Anführung der topifhen Gliederung der Erdräume nicht verbefiert. In 
ein um demſelben Lehrbuche zwei Lehrftufen zu vereinigen, bat ftet3 feine 
Bedenten. Die Oberftufe wird dadurd nicht geitört, wohl aber die Unters 
fiufe; und der Lehrer wie der Schüler wird zu unzeitiger Vorausnahme 
von Penfen, welche erſt fpäter zu berechtigter Geltung gelangen follten, 
nur zu leicht verleitet. Wie bei der erſten Ausgabe ift auch jebt bie „alte 
Geographie” ($. 60-80) und im Anhang ein kurzer Abriß der Geogra- 
phie von Württemberg wieder mitgegeben. Da die Reviſion des Buchs 








‚Geographie. 319 


Im October 1865 abgeſchlofſen worden ift, fo fehlen bie neueſten Gebiets: 
veraͤnderungen. Fuͤr die Oberftufe wäre größere Ueberfichtlichteit des Lehr: 
ftoffe durch den Drud wünſchenswerth. Nebenbei fei nur noch erwähnt, 
dab die Auflage fih als „vermehrte anlündigt, dad Büchlein ift aber 
ca. 2 Bogen ſchwaͤcher geworben. 


24. Dionys Grün, Profeflor. Geographie. Leitfaben für die erfie Stufe 
a ndligen Unterrihts. Wien. 1866. Bed. (117 ©.) 
| Fa 


Um der methodiſchen Erörterungen willen, zu denen dieſer fachlich 
recht treffliche Leitfaden Anlaß bietet, deſſen eracte Bemefiung und Klare, 
präcife Ausprägung des Stofjs für den Orund legenden rein wiffen= 
ſchaftlichen Linterriht in der Erdkunde ihn der bejonderen Beadhtung 
werth erſcheinen lafien mußte, ift eine ausführlihere Beſprechung in ver 
Abhandlung (sub 6) vorgenommen worden, auf welche hier verwiejen werden 
darf. Das Buch ift zwar Hein, aber gehaltvoll, 


25. R. lege, Lehrer. Leitfaden für ben geographiſchen Unterridt 
mit bejonderer Berückſichtigung des Preußiſchen Staates. 
Berlin. Schlingmanı. 1867. (91 ©.) 


Zür Bürgerfhulen und gehobene Volksſchulen beftimmt, ſoll viefer 
Leitfaden die angemefjene Proportion vermitteln helfen, worein bie unter: 
ridhtlihe Behandlung des Vaterlands, des heimathlihen Staates, zu der 
der übrigen Staaten und Länder, insbejondere der nichteuropaäiſchen Erd: 
theile in diefen Schulen zu bringen iſt. Er foll aud mehr als fonft in 
Leitfäden zu gefchehen pflegt, auf Berfafjung und Verwaltung des Preußis 
fen Staats, auf Heeresmwejen, auf Verkehr u. dgl. m. binleiten, und zeit 
gemäß das Nothmendigfte über den Norbveutfhen Bund und feine Ders 
fafjung mittbeilen. Hiernach ift die Ausführung gearbeitet. Nah Voran⸗ 
fhidung einiger elementaren geographiſchen Grundanſchauungen aus der 
matbhematifhen und phyſiſchen Geographie folgt auf einigen wenigen Seiten 
ein topifher Heberblid über die Gliederung der Meere, dann über die In⸗ 
fein, dann über die Erdtheile der alten Welt, Afien und Afrifa auf nur 
einigen Seiten, Europa etwas fpecieller. Bon S. 50—76 wird Preußen 
behandelt, (8. 49 - 60 die allgemeinen PVerhältniffe vetaillirt, $. 61 die 
11 Provinzen kurz) und das Nötbige über den Norddeutſchen Bund ange: 
fhlofien. Die legten 14 Seiten enthalten Amerika und Auftralien. Da 
wo der topiſch⸗phyſiſchen Verhältnifie gedaht wird, ift die neuere Ans 
ſchauung und Behandlung maßgebend. Das Bud ift praktiſch eingerichtet 
und feinen Inhalte nach gut. 


2. Er. Zav. Klaß, ehemals Lehrer. Leitfaden zum Unterriht in ber 
Geographie für deutſche Schulen. 22. privil. Auflage nah ben neueften 
Raatlihen Veränderungen. München. Weiß. 1867. 167 ©.) 3 Sgr. 


Wie das vorige Büchlein von Fiege den Preußiſchen Staat bevorzugt, 
fo dieſe wenigen Blätter Bayern. ©. 1-—29 wird aus der Geographie 
der Kreiſe Bayerns etwa das zuſammengeſtellt, was für dortige Glementars 
ſchulen angemefien erjcheint; von ©. 30—46 wird ein ganz kurzer Abriß 


820 Geographie. 


ber Geographie der nord⸗ und ſuddeutſchen Staaten gegeben, woran Defter- 
reich angefchlofien wird, S. 50—61 kommen die europaͤiſchen Länder im 
noch größerer Kürze vor, und die legten ſechs Seiten bieten das „Weſent⸗ 
lichfte von andern Erdtheilen.“ Für ganz einfache Schulverbhältnifie muß 
ſich der Leitfaden durh 21 Auflagen ja wohl als paſſend bewährt 
baben. 


27. EM. Bauer, Hauptſchullehrer Neue Geographie. Für gehobene 
Volles und Mittelihulen. Nach dem neueften Stanbpunlfte ber — 
ſchen Wiſſenſchaft. 2. Auflage. 1. Abtheilung Allgemeine Geographie 
(132 ©.) 2. Abtheilung. Specielle Geographie: 1. Kaiſerthum Defter- 
reich und Königreich Ungarn. (54 ©.) Pe. Lauffer. 1866. 13 Ger. 


Diefem Leitfaden merkt man fofort feine Entjtehung aus überlegter 
Praris an. Die Vertheilung des Stoffd auf eine mäßige Anzahl von 
Lectionen, die abfihtlihe Beſchraͤnkung auf verhaͤltnißmaͤßig Heine Penſen 
in jeder derjelben, die große Faßlichkeit und Anfchaulichleit der Darfiellung, 
verbunden mit anertennenswerther Genauigkeit in Sache und Spradye, die 
bei jeder Lection angefügten Wiederholungsfragen, melde Anfängern bie 
Beantwortung aus dem Terte zu erleichtern fuchen: dies Alles find Beug- 
nifie für diefe Eniftehung und zugleich empfehlende Momente für ven Leit: 
faden felbft, ver aud norddeutſchen Lehrern nüßlih fein kann. Im Gin» 
gelnen find jedoch gegen vie Stoffanorbnung und auch ſchon gegen die Stoff 
wahl nicht unbegründete Bedenten zu erheben. Der 1. und 2. Abſchnitt 
bringt in 11 Lectionen einfache Lehrflüde aus der mathematifhen Geogra: 
phie; im 3. Abſchnitt enthalten die erften 11 Lectionen aus der phyſiſchen 
und politiihen Geographie neben ähnlich einfachen Penſen auch folde, 
welche ungeachtet aller Popularität der Darftellung doch mehr Abftraction 
erfordern, als gemeinhin vorauszufegen ift, ja welde zum Theil über das 
Bedürfnig und das Verſtändniß der Volkls⸗ und Mittelfehulen binausliegen. 
(8. 2. 8. Lection, Spradhftämme und deren Gintbeilung. 10. Lection, 
Neligionen der Böller, wobei von Monotheismus, Polytheismus, Thora, 
Zalmud, Karaiten, Rabbaniten, Chaffiväern, Kabbala, Exegefe, Reformpartei, 
Philoſophie, Sunniten, Ediiten, Brahmaismus, Buddhismus, Lehre des 
Sinto u. dgl. die Nede if. Und dies für Volksſchulen??). In der 
12, Lection werden dann ganz ſchlichte Beiprechungen über Zamilie, Wohn: 
ftätte, Dorf, Markt, Stadt, Bezirk, Comitat u. f. w. nachgebracht, und nun 
folgen fofort im 4. Abſchnitt die 5 Erdtheile nach topifcher Ueberſicht. — 
Der 2. Theil behandelt nur Defterreih und Ungarn nad allgemeifi geo« 
graphifchen, nah Natur, Bildungs: und PVerlehrsverhältnifien. In nord⸗ 
deutfhen Schulen folgt man mit gutem Recht einer andern Dispofition des 
Stofis, und das bat fih praktiſch erfolgreih erwiejen, Die officielle 
Drtbographie der deutihen Schriftfpradhe in Ungarn verlangt f für ph, 
f für phy, kz für ct in manden Fällen; jchließlih gewöhnt fih das 
Yuge mehr daran, als an einzelne nicht präcife Ausprudsmweifen. So 
ſteht 3. B. S. 40 fi. etwas von „Hebung und Senkung ber Erbe gegen 
die Sonne”, was nicht wohl zu verfteben ift. 





Geographie. 321 


Dr. E. Netoliezta, Profeſſor. Leitfaden beim erſten Unterricht 
iu der õe⸗ graphie. Auf Gruneiape ber neueſten Veränderungen und 
mit befonberer Berückſichtigung des Kaiſerthums Oeſt erre ich. Für Töch⸗ 
terſchulen. Wien. 1867. Pichlers Wittwe und Sohn. (136 ©.) 10 Sgr. 


Verfafler tadelt an den ihm zw Geſicht gelommenen, für den geogra⸗ 
phiſchen Unterricht bei Mädchen beſtimmten Leitfäden theils ihre Dürftigkeit, 
theils ihre Mitbeftimmung für no andere Schulen, ihre geringe Berüd: 
fihtigung Defterreihs, und allerlei nad feiner Anfiht dem Mädchen ent: 
bebrliche Angaben über Länvergrenzen, objcure Drte u. dgl., während 
Angaben, welche dem Mäpcheninterefie viel näher lägen, fehlten. Obſchon 
er in ein paar Stüden wirklich Recht bat, jcheinen ihm doch bekannte 
Leitfäden des geographiſchen Unterrichts für Töchterſchulen entgangen zu 
fein. Der Pädagogiſche Jahresbericht bat deren etliche früher fchon nam: 
haft maden können. — Wer den Lehrftoff des vorliegenden, nach einheit⸗ 
lichem, ſchulgerechten Plane gearbeiteten Leitfadens, dem eine klare und 
praͤciſe Darſtellung dieſes Lehrſtoffs zur Empfehlung gereichen kann, naͤher 
anſieht, wird denſelben mehr für eine Mittel⸗, als für eine Anfangs- 
ftufe berechnet erachten müflen. Den 227 meift furzen Paragraphen merkt man 
wohl ihre abfichtlihe Beſchraͤnkung auf das grundlegende Nächte, That: 
fächliche, ihre populäre, überfihtlihe Dispofition und Ginfachheit an; aber 
Mädchen fält Manches doch ſchwerer, als Knaben gleihen Alters. S. 1—32 
find die elementarften thatſächlichen Verhältnifie aus der aſtronomiſchen und 
phyſiſchen Geographie umrißlich aufgeltellt; S. 32—64 folgt Defterreich 
mit feinen jeßigen Rronländern, S. 6577 jämmtliche deutſche Staaten 
in der Kürze und bis ©. 113 die europäiſchen Staaten ebenjo; fo daß 
nur 23 Seiten für die übrigen Erdtheile verbleiben. Was die Blätter 
enthalten, läuft vorwiegend nur auf einen topifch:geographifchen Nachweis 
der vorhandenen Länder, Staaten und ihrer Eintheilungen, Gebirge, Flüfie ıc. 
binaus. Bon Ortichaften ift nur eine recht mäßige Zahl, felten mit An- 
gabe der Einwohnermenge, aufgenommen, aber es ift irgend eine Notiz 
daran gelnüpft, fei’3 aus der Geſchichte, aus dem inbuftriellen und künſt⸗ 
leriſchen Leben, oder betreffe fie landſchaftliche Reize. Doch macht das 
Banze deſſenungeachtet noch gar fehr den Einprud der Zrodenheit; fo daß 
dem praltifchen Unterriht noch manch belebendes, illuftrirendes. Moment 
wird zur Seite treten müflen, wenn die Mädchen fi nicht langweilen 
folen. Dan muß nun erwarten, was der Verfaſſer der Oberftufe des 
Unterrichts zuweiſen wird. 


29. Dr. C. Arendts, Profeſſor. Geographie für weibliche pterrichte- 
anſtalten. Regensburg. Manz. 1866. (237 ©.) 194 S 


Verfaſſer ift durch Kartenwerle und geographifche eisen bereits 
wohl belannt (cf. Päpagogifher Yahresberiht XVII, ©. 263). Das 
vorliegende Buch fucht durch äußerſt einfache und plane Bufammenftellung 
und Darftelung das allgemein Wifienswertbe aus der Geographie nad 
üblihem Schema für Mädchenſchulen zureht zu legen. Es regiflrirt meift 
in kurzen Saͤtzen ganz kühl und nüchtern den thatfächlichen Beſtand biejes 
Willenswertben, fcheidet Alles, was auf comparative Betrachtung und auf 

Pad. Jahresbericht. M. 21 








322 Geographie, 


Schilderung bervortretender Groftellen zielen könnte, aus, und hält einen 
ganz fchlihten Bang inne. Faſt ift es zweifelbaft, für welche Lebrftufe 
das Buch berechnet fein mag; doch ber Umfang weit auf die Oberftufe. 
Mit überlegter Abfihtlichleit ift eine Menge Stofi, der in andern derartigen 
Lehrbüchern gefunden wird, bier ausgeſchieden, und doch find der Einzeln: 
heiten, bejonders au über bie fremden Erdtheile gar nicht wenig. Die 
europäifchen, namentlid die deutſchen Verhältnifie find mit größerer Auss 
führlichleit al die fremden Erbftriche behandelt; dennoch kommen auf einen 
einzelnen Staat nur wenige Eeiten,; 3. B. auf Kurheſſen 1 Seite, auf 
Preußen ($. 83) 6, auf Defterreih ($. 82) nur 5, und da find oro: 
und hydrographiſche eberblide, Größe und Beftand des Staats, Probulte, 
Einwohner, bie ſechs deutſchen Kronländer mit etwa 3— 4A Städten und 
geſchichtlichen, inbuftriellen und andern Notizen zufammengefaßt. Ueber 
fülle des Stofjs, namentlich des Zahlenwerls, ift vermieden und nach Be 
achtung deſſen geftrebt, was Mädchen anſpricht. 


30. Dr. 9. Keferftein, 2600 Fragen aus ber Se raphie und Ge 
schichte. Ein Hilfsmittel beim geogeaphilchen und geſchichtlichen Unterricht. 
Dresden. Dietze. 1867. 104 ©. 12 Ser. 


Bon ©. 1—38 erftreden fih die geographiſchen Fragen. Sie 
find aus der aftronomijhen Geographie, aus der Klimatograpbie, der Pro: 
duktenkunde entnommen, beziehen fih dann weiter auf das Feſtland, die 
Gemwäfjler, Injeln, Verkehrsverhältniſſe und Städte Außerdem kommen 
Fragenſchemata über einzelne Erdtheile und ihre Länder hinzu. Faſt alle 
Tragen find gewandt geftellt; nicht wenige geben dem Nachdenken zu tbun, 
und werden nur von gründlich unterrichteten Schülern beantwortet werben 
fönnen; andere find ſchnell und leicht zu beantworten und hätten ebenjo 
gut wegbleiben mögen, als eine Anzahl von Fragen nad der Definition 
leichter geographifcher Begriffe, und eine andere Anzahl, welche nur kurz 
anzugebende thatjächlihe Verhaͤltniſſe betreffen. Cin ſolches Fragenbuch 
muß lauter Muſterfragen für den weiter geführten geographiſchen Unterricht 
enthalten. Aus dem Glementarbereihe ſtellt fie leicht der Lehrer ſelbſt, oder 
der gebrauchte Leitfaden. Die Zaufende von geographiſchen Fragen, womit 
vor vielen Jahren der Paftor Schwen (senior) unter der Pfeubonymität 
als Selten (Verf. des befannten „Hodegetifchen Handbuchs der Erdbe⸗ 
ſchreibung“) auftrat, haben nur wenig Anklang gefunden. Ob Stößners 
„ragen“ glüdlicher gemwefen fein mögen? Pröjcyolpts „ragen“ konnten 
fein Glüd machen wollen. Wer Lehrer der Geographie jein will, muß 
wenigitend auf Grund des Lehrbuchs vorbentlih fragen können; dadurch 
werden Sammlungen alltägliher Fragen won felbft entbehrlich. Aber eine 
Auswahl fein berechneter Fragen, welche nicht bloße Gedächtnißreproduktionen 
verlangen, fondern Nachdenken, Bergleihungen, Combinationen, Reſultate 
aus dem linterricht fordern, ift ftet3 gut und kann mit gutem Nuben ver: 
werthet werden. Berf. bat fein Fragenbuch für angehende Lehrer und für 
Schüler beitimmt. Lebteren mutbet er jchriftliche Bearbeitung zu. Dazu 
find’3 der Fragen viel, der Zeit dazu ift für Schüler wenig. Gin tüchtiger 

















Geographie. 323 


Schüler macht fih übrigens feine Wiederholungsfragen aus dem Lehrbuche 
jelbft; macht er etliche nicht glüdlih, nun fo gibt es ja auch unter ben 
2600 Fragen mande, die nicht vecht muftergiltig find. 3. B. Welcher 
Schiffsbeamte muß beftändig die Schifjsboufjole im Auge behalten, und wo 
ift dieſelbe im Schiffe angebraht? (Konnte wohl megbleiben; foll aud 
ſchwerlich j&riftlih beantwortet werden.) Oper: Wann gebt der Mond als 
erſtes Biertel auf und unter? (Wer kann das beantworten? d. 5. fo 
ausſchließlich richtig, daß es nicht für jeden Tag eine andere Antwort gibt.) 
— Ueber die gefhihtlihen Fragen ilt an diefer Stelle nicht zu handeln. 


31. U. Berthelt, Geographie Für Schulen. Mit Abbildungen. 4. Aufl. 
Nach den neueften politifchen Veränderungen verbeflert. Leipzig. Klinkharbt. 
1867. (246 ©.) 15 Sr. 


Bis auf die Umftellungen, Aenderungen und Berichtigungen, welche 
die neueften Zeiten nothwendig gemadt haben, ift das Uebrige im Weſent⸗ 
lihen unverändert fo geblieben, wie e3 der Päd. Yahresb. IX ©. 268, XI 
©. 304, XV, ©. 280 angegeben hat. Es hebt noch jest mit Afien an! 
— Bon der Angabe der frühern politiichen Eintheilung der im Jahre 1866 
zu Preußen gelommenen Länder wäre beſſer abzujehen gemejen, da ſie nicht 
beibehalten worden ift. 


32. H. Lahrſſen, Lehrer, Leitfaden bei dem Unterrichte in der Geo— 
raphie für gehobene Bolksſchulen und bie unteren und mittleren 
afien höherer Lehranftalten. Oldenburg. Schmidt. 1867. (203 ©.) 12 Sgr. 


Weder dur tüchtigen fachlichen Gehalt, noh durch glüdlide, frucht⸗ 
bare Methode begründet dies Buch eine Berechtigung des Anſpruchs auf 
Empfehlung. Solcher Bücher gibt's ſchon recht viele. Es ift Teinenfalls 
raͤthlich, einen Leitfaden jo abzufafien, daß er mit gleicher Gunft in ver 
Volksſchule wie in den höhern Bürgers, Töchter, Real: und lateinifhen 
Schulen aufgenommen werden müßte. Solch Bemühen gelingt nicht, weil 
die Bildungsbebürfnifie in den höhern Schulen bis Zertia hin ganz andere 
als in Bolksfhulen find; man wird derartige Bücher nirgends ganz ge: 
brauchen können. Mit dem vorliegenden iſt es auch alſo. — Unter dem 
Titel „Phyſikaliſche Geographie” kommen, nad Voranſchickung wenig zurei- 
chender Andeutungen über Horizont, Geftalt der Erde, Globus und Linien- 
neß, alsbald folgende Stoffe vor: Land, Waſſer, Erdtheile, Weltmeere, 
Halbinfeln, wichtigſte Länder aller Erdtheile, Meere, Meerbufen, Straßen, 
Infeln, Ziefebenen, Gebirge Europa’3 (beſonders Deutſchlands) und der 
andern Erdtheile, Flüfle und Seen Deutſchlands, Klima, Produkte, der 
Menſch. — Eine ſolche Aufftellung und Sachfolge läßt ven innerlich zu: 
jammenbängenven, ſchulgerechten Plan vermiſſen, wie die genauere Durch: 
fiht des Zertes jene nöthige befonnene Abwägung der Richtigleit des Stoffe. 
_ (Entfpringt die Aller wirtlih an der Elm?) — Im 2. Abſchn. ift die 
politische Geographie in nichts weniger als neuer Weiſe behandelt. Berf. 
bält Wiederbolungsfragen für berechtigt; andere Lehrer thun das aud). 
Aber es ift doch ein Mißgriff, ſolche Fragen flugs in den Tenor des Eon» 

21” 








324 Geographie. 


tertes einzufchieben. Das hieße Anleitung zu fleter Unterbrechung und Ber 
ftüdelung der ruhigen, georbneten Belehrung durch unzeitiges Graminisen 
geben. Es kommt hinzu, daß diefe Fragen bier recht oft unerhebliche Neben: 
dinge betreffen und oft nicht völlig correct find. — Berf. will ferner auf 
die poetifche Literatur Rüdficht genommen wifien. Er thut es duch Fragen” 
wie folgende: „Kennſt du das Gedicht von Louife Brachmann : Columbus?“ 
„Wer kennt das L2ejeltüd von Lenz: Der Hund vom St. Bernhard?“ 
„Gewiß tennft du Geibel’3: Tief im Schooße des Kyffhäuſer““. So wird 
nah Nüdert’3 „Barbarofia”, nad Uhland's „Roland“, nah Schiller's 
„Bolytrates, Rudolf von Habsburg, Bürgſchaft“ ꝛc., nad Pfeffel's: „Eh' 
Ferdinand mit frommer Wuth“, nah Platen's „Alarich“ (— fo heißt das 
Gediht nit!) u. v. a. m. gefragt! Ob das „Rüdfiht nehmen auf 
poetiiche Literatur‘ beißen kann? Die Rinder werden mit Ja oder Nein 
antworten müflen; fie werden auch Gedichte herfagen follen. Damit ift 
wenig genügt. Man fiebt, Verf. hat etwas dunkel vor der Seele gehabt, 
was auf Belebung des Unterrichts binzielt; aber die Sade ift früher ge: 
boren, ehe fie ausgereift und ausgetragen war. 


33. hr ulgeograpbie. Elfte Bearbeitung ber größeren Ausgabe bes et 
fabend für bem geographiſchen Unterricht‘ von E. u. Geydlig. 
Ausgabe, erweitert buch einen Anhang: „Deutihlandb im f nee er 
gegenwärtigen Geſtaltung. Mit 55 und 4 im ben Tert gebrudten 
ee den Skizzen. Breelau. Hirt. 1867. 
(286 u 
Was oben sub Ar. 18 ven der ‚‚Rleinen Schulgeographie” gejagt worden 

ift, gilt zum Xheil bei der „„Schulgeographie” wieder. Letztere hat allerlei 

Wandlungen erfahren (cf. Päd. Jahresb. XV, ©. 282 über die 10, Ausg. 

von 1862), fie ift von Dr. Gleim allmählig erweitert, von Dr. Schirt⸗ 

macher dann plöglic” bedeutend eingefhränlt und innerlih umgeänbert ; 
und nach und nad erweitert fie fih nun wieder. Vorliegende 11. Aufl, 

im Wefentlihen in Tert und Einrichtung der 10. conform, it nicht, wie 

es nah dem Titel fcheinen könnte, 1867, fonbern fie ift 1865 bereits 

abgefhloffen. Nur der Anhang, melder die im Contert der Ausgabe 
enthaltenen, jeßt niht mehr zutreffenden Angaben über Deutſch⸗ 
lands Staaten corrigiren fol, und der deshalb niht ala Ermwei: 
terung, fondern als nothwenbiger Erfah für auszufceidendes Material 
angejeben werden kann, flammt aus dem Jahre 1867. Bar das Bud 
auch an fih ganz brauchbar, und ift es dies in den Deutfchland und 

Italien nicht betreffenden Partien auch noch, fo paßt es doch leiber jetzt 

nicht mehr, und der Anhang hilft mehr verwirren als berichtigen. Es 

gebt nun einmal nicht, in unfern Schulen den Status quo ante neben 
dem Status quo lehren und lernen zu laſſen. 


31. Dr. € ©. D. Gtein’d Geographie für Säule nnd Hans. 
26. Aufl. 2. Abbrud. Der neuen Bearbeitung von Brof. Dr. 8. Th. Wagner 
6. Aufl. von Dr. D. Delitzſch, Oberlebrer. Umpearbeitet und ergänzt 
1867. Leipzig. Hinricht. (474 ©.) 22'/s Ser. 


Die 26. Aufl. war 1866 eben fertig geworben, als bie neuen Frie⸗ 
densfchlüfie ihre Umarbeitung erforderlih machten. Wenigfiens ift durch 


Geographie. 325 


einen Abdruck won Cartons, ſammt Regifter und Inhaltsverzeichniß (circa 
10 Bogen zu 9 Ser.) von der Verlagshandlung dafür gejorgt, daß bie 
Abnehmer des erſten Abdruds der 26. Aufl. die Berihtigungen an paflender 
Stelle einlegen können, um Störungen beim Gebraude vorzubeugen. — 
Aus den Grenzen eines geograpbifchen Lehrbuch ift der alte „kleine Stein” 
nah und nad völlig herausgewachſen. Das Buch ſucht feinen „alten 
Ruhm‘, wie Prof. Dr. Wagner meint, dadurch zu behaupten, „daß es auf 
engftem Raum in überfichtliher Anordnung das geographiſch : ftatiftifche 
Material darbiete.” Sein Negifter füllt allein faft A volle, enggebrudte, 
breifpaltige Bogen, und die lebte Ausgabe bringt no über 2000 Namen 
binzu. or 60 Jahren und vor 50 und 40 war das Buch neben dem 
Heinen „Cannabich“ und „Fabri““ weit und breit im Schulgebrauch. Man 
liebte damals die Namen, Bahlen: und Angabenfülle. Heute will man 


mit Recht im Schulunterriht etwas ganz Anderes. Dr. Wagner hat den 


Anforberungen nah mehr Einfiht in den plaftiihen Charakter der Länder 
auch zu genügen geitrebt; er bat viel Gutes darüber hineingebracht; — 
ef. ;. 3. S.86 — 104 für Deutfhland —; aber der Hauptaccent ift doch 
fort und fort auf das topographiſch⸗ ftatiftifche Moment und auf politijche 
Geographie gelegt. 


35. Dr. I. F. Egli, Prattifhe Erdkunde für höhere Lehranflalten. 

Aufl. Mit etymologifher Erflärung von 1500 Kunflausbrüden und 

Eigennamen vermehrt. St. Gallen. Huber u. Eomp. (ehr) 1866. 
(317 ©.) 1 Thlr. 


Die früheren Auflagen, welche gegenwärtig feine bebeutende Aenderung 
erfahren haben, find im Päd. Jahresb. XIV, ©. 298 u. XV, ©. 281 
. Saralterifirt und aus Ueberzeugung empfohlen. Das Buch ift in der 
That in befonderer Weiſe praltiih und jedenfalls zu einem lebendigen und 
fruchtbaren Unterrihte in der Geographie eine willlommene Anleitung. 
Die Bilden und Tondrude find als Zierden beibehalten. Wegen der 
politiihen Umänderungen mehrerer Staatengebiete im Jahre 1866 bedarf 
das Buch der beridhtigenden Cartons; fonft veraltet es ſchnell. 


36a. Prof. Dr. 9. A. Daniel, Inspect. adj., Lehrbud ber Geographie 
a höhere Unterrictsanftalten. 18. Aufl. Halle. Waifenhaus. 
gr. 


Dies fehr verbreitete und mit Recht beliebt gewordene Lehrbuch ift zu 
oft wieberholten Malen im Päd. Jahresb. bei vielen feiner raſch auf einander 
folgenden Auflagen angezeigt und beſprochen worden. Bei der vorliegenden 
Auflage war durch die erfolgten politiihen Umgeltaltungen eine merklich 
burchgreifendere Umftellung und Umarbeitung erforderlich, als bei mehreren 
vorangegangenen; ohnehin find auch fonft die neuelten Ermittelungen über 
geographifhe Verhaͤltniſſe fremder Crotheile gewiſſenhaft eingefügt. Aber 
der Grundton und der frische Charakter des den reihen Stoff zu einem 
gut geglienerten Gangen zufammenarbeitenden Buches ift unverändert beibe- 
halten. Der Empfehlung bedarf vailelbe ferner gar nicht mehr, ed bat fid 
felbft empfohlen. 





326 Geographie, 


36b.Dr. H. Caſſtan's Lehrbuch ber allgemeinen Geographie in 
4 Abtheilungen. Mit angehängten ragen zur Wiederholung Kür Gym⸗ 
nafien und böhere Lehranftalten. 4. verb. Aufl. von A. Lüben. Seminar- 
birector. Franffurt a. M. Jäger. 1867. (430 ©) 1 Thlr. 


Im Päd. Jahresb. VIII, ©. 299, XII, S. 344, XIV, S. 313 find 
bie guten Seiten diefes Buchs unter Darlegung des Plans feiner Cinrich⸗ 
tung ausführlih genug dargelegt, um darauf zurüdmweifen zu lünnen. Der 
Kern des Inhalts und der Grundtypus feiner Bearbeitung ift unverändert 
geblieben, es hat nur folder Abänderungen im Einzelnen bedurft, wie fie 
die legten ſechs Jahre, feit Erfcheinen der 3. Aufl., durch das Fortjchreiten 
des Lebens herbeigeführt find. Der Herausgeber hat, da er felbititändig 
auf geograpbijchem Gebiete bereits ‚gearbeitet hat, aus eigener Sachkenntniß 
bie erforderlihen Berichtigungen und Verbeſſerungen leicht bewirken können, 
um das Buch auf der Zeithöhe zu erhalten und ihm eine dauernde Brauch⸗ 
barkeit zu fihern. Die fehr zahlreichen Wiederholungsfragen empfiehlt Lüben 
den Schülern höherer Lehranftalten zum Selbfteraminiren. Großentheils 
eignen fie fih dazu; aber nicht wenige können aus dem Buche felbft nicht 
beantwortet werden, indem fie noch anderweite Kenntniſſe erfordern. Die 
jetige Auflage ift um circa 2 Bogen ſchwächer, als die 3. war, was ſich 
aus einer bejlern Drudeinrihtung erklärt. 


378. Dr. 8. ©. mefäie, Brof., Beihreibende Geographie Ein 
Leitfaden ber topiichen und politiihen Geographie mit gehöriger Rüdficht 
auf phyſiſche und geſchichtliche Berbältniffe, zum Gebraude an höheren Lehr- 
anftalten. 3. nen bearbeitete Aufl. mit Regifter der Namen unter Angabe 
ihrer Ausſprache. Stuttgart. Schweizerbart. 1866. (389 &.) 27 Ser. 


Der Berf. gehört gegenwärtig zu den hervorragenden, fleißigen und 
einfihtigen geographifhen Schriftftellern, welde ihre Wege ſelbſtſtändig 
einichlagen. (Bergl. feine „Elementar:Geographie‘.) Cr bat auch hier bie 
in den gewöhnlichen geographifchen Leitfäden hergebrachte Stoffanorbnung 
verlaſſen und den Gejammtinhalt unter 3 Hauptabtheilungen fubfumirt: 
1) die Grooberflähe überhaupt; 2) ihre großen Naturabtheilungen (Welt: 
theile, Weltmeere, Zonen); 3) die Länder. (Mitteleuropäijche, die übrigen 
europäiichen, die außereuropäiihen.) Um möglichiten Reichthum des Inhalts 
mit Mnappfter Yorm zu vereinigen, bevient er fi im Zert der Saplürzen 
in großer Ausdehnung, Detaild werden in Anmerkungen verwiefen. Indem 
er jo recht ſelbſibewußt aus dem Bollen arbeitet, gibt er friſch mit woller 
Hand, muthet jedoch den Schulen Ueberſchwaͤngliches zu. Cs fteht dahin, 
ob eine höhere Lehranftalt, wenn fie nicht der Geographie ganz befonvere 
Gunft und Zeit zumendet, im Stande fein wird, den ganzen Gehalt dieſes 
Leitfadeng vollftändig und fo durchzuarbeiten, daß die beften Schüler damit 
ſchließlich befriedigend vertraut find. Jeder Satz, jede Seite regt befonbere 
Gedanken und Anſchauungsweiſe an, nirgends fteht nichtige, leere Phraſe. 
Aber über die Verſchmelzung fo vieler Elemente zu einer „‚bejchreibenven 
Geographie” denken doch nicht alle Praktiker mit dem Verf. übereinftinnmenp. 
Der Däne Shomo, wenn er noch lebte, würde wohl ſtark gegen Neufchle 
polemifiren. Letzterer componirt den Inhalt jo mannigjaltig, nimmt auf 











Geographie. 327 


fo verſchiedenartige zuſammenwirlende, den Charakter der Localitäten und 
das darauf fi entfaltende Leben beftimmende Momente Bezug, daß es 
mit kurzen Worten nicht wohl thunlich ift, dieſe bejondere Movalität feiner 
Bearbeitungsart dem, ver fie nicht aus dem Buche felbft lernt, Har zu 
madhen. Ben mathematifhen Berhältnifien räumt er nur wenige Seiten 
ein, — in einer „befchreibenden” Geographie mit Net. Alsbald aber 
wendet er fi zu den phyſiſchen Verhältnifien des Landes und feiner Ge: 
wäfler, zu den Bewohnern der Erbe, zur Menfchheit; durchmißt dann die 
Bonen (Tropenwelt, Polarwelt, Mitteljonen), die Welttheile und 2 ceane; 
dann die Länder der Erde von Mitteleuropa an (Rleinftaaten, Preußen, 
Defterreich), über Italien, Frankreich, die Pyrenäen: Halbinfel, Britannien, 
Standinavien, Rußland, Ballanbalbinfel; dann Vorderaſien, Nordafrika, 
die übrigen afrikaniſchen Länder, die auftralifch:polynefifchen Länder, Dftin: 
dien, Hinterafien, Norbafien, Norvamerila, Unionsland, Mittele und Süb- 
amerika. Sol Gerüft weicht von den üblichen Dispofitionen in andern 
Büchern ſehr merklich ab. Und do erlennt man die leitende Idee unjchwer 
durch, von welcher der Verf. getragen wird. — Obwohl der Städte viele 
genannt find, fehlen doch Städtebefchreibungen völlig. Dagegen ift auf die 
biftorifche Gebietsentwidelung bebeutfamer Reiche überall Rüdficht genommen. 
Aus Allem ergibt fih, daß dies Buch für Lehrer der Geographie, die ihres 
Gegenſtandes bereit3 gehörig mädtig find, eine recht beachtenswerthe Er: 
ſcheinung fein wird. 
37b. Beof . W. Puh, Oymn.⸗Oberlehrer, Lehrbuch der vergleihenben 
robef chreibung für die obern Kiaffen höherer LTehranftalten und zum 
ri 6. Aufl. Freiburg i. Breisgau. Herder. 1867. (412 ©.) 
Am Päd. Jahresb. IX, ©. 270, X, ©. 497, XII, ©. 345, XVII, 
S. 274 wiederholt charalterifirt und nach Verdienft zum fleibigen Gebrauche 
empfohlen, könnte hier die bloße Erwähnung der erneuten Auflage genügen. 
63 ift aber die reife Frucht denlender Unterrichtspraris durch mehr als ein 
Menſchenalter bin, ein Buch, welches das bewährte Neue in fih aufnimmt 
und wiflenfhaftlih verarbeitet, bündig, ar, kurz und gut lesbar. Daß 
man nicht einen Wuft bloßer Notizen der beterogenften Art, ſondern kritiſch 
gefichteten, lernens: und vergleihenswerthen Stoff vorfindet, der ganz im 
Geiſt der geläuterten, praltiich erprobten Methode angeordnet ift, empfiehlt 
das trefilihe Lehrbuch ganz bejonvers für höhere Lehranftalten und zum 
Selbſtſudium für ftrebjame Lehrer an gehobenen ſtädtiſchen und Neal- 
fchulen. 


38. Dr. ©. Ruge, Lehrer, Geographie für Dan und Realſchu⸗ 
lem 2 umgearbeitete Aufl. Dresden. Schönfelb (Werner). 1867. (295 &.) 
24 Sgr. 


Die erfte Auflage dieſes Buchs, die im Päd. Jahresb. XVII, ©. 273 
haralterifirt worden ift, war wenig lesbar. Dieſem Uebelſtande ift jebt 
abgeholfen, es ift auch auf die Bejchreibung ver Bodenbeichaffenheit der 
Länder wenigftend einige Rüdficht genommen. Für junge Kaufleute, die 


328 Geographie. 


jo wenig geographijche Vorbereitung befißen, wie Ber. im Vorwort zur 
1. Aufl. andeutete, könnte hiervon mehr aufgenommen fein. Wenn es dem 
Verf. daran liegt, nicht jomohl eine Handelsgeographie, als eine Geographie 
für Handelsfhulen und Realſchulen zu geben, dann kann er es nicht 
umgeben, der leßteren wegen den phyſiſchen und topographiſchen Verhaͤlt⸗ 
niſſen der Laͤnder noch mehr Werth beizulegen. Jetzt dominirt das, was 
auf Produkte, Induſtrie, Handel und Verkehr ꝛc. Bezug bat, es werden 
die Zahlen für allerlei hie und da vorhandene Fabrilen ꝛc. genau regiſtrirt, 
ebenjo die Gapitalgrößen, die Werthe der Waarenbewegungen u. dergl. 
Aber zur eigentlihen geographiihen Bildung trägt das nicht ſehr viel 
bei; e3 orientirt den Kaufmann rein materiell für fein Gejchäft, es ift aljo 
al3 Frucht nur eine Art Zuflugung ad hoc zu erwarten. Dieje Frucht 
bat keinen allzugroßen Werth. Webrigens bat der Berf., wie jchon bie 
Kinleitung erfennen läßt, mit Fleiß die vorhandenen guten Hülfsmittel 
enußt. 


39. Dr. 3. I. Egli, Kleine Hanbelsgeographie und Hanbelege- 
geihichte Ein Leitfaden im genauen Anſchluß an bes Berfaffere „Reue 
Handelsgeographie.“ Schaffhaufen. Brobtmann. 1866. (172 ©.) 21 Sgr. 


Die „Neue Handelsgeographie” ift im Paͤd. Zahresb. XV, ©. 289 aus: 
führlih beſprochen, und Schließlih als eine Art nugbaren Supplements zu 
jedem geographiſchen Schulbuch bezeichnet worden. * Die „Heine Handels: 
geographie“ ftellt nach einheitlicher Dispofition 29 Staatengruppen und 
Einzelnftaaten ſammt ihren Golonien in handelsgeſchichtlicher und handele: 
geographiſcher Beziehung kurz dar; die deutichen Staaten find in 4 Gruppen 
zufammengefaßt, das Königreich) Preußen ift bejonders hervorgehoben. Bei 
jedem Stante wird ein Ueberblid über feine Hanbelsgeihichte gegeben, dann 
wird zur Wiederholung an einige topiſche und politiſch⸗geographiſche Ber- 
hältnifje erinnert, darauf werben Aderbau, Viehzucht, Bergbau, Induſtrie, 
. Eins und Ausfuhr, Handelswege und Handelsplaͤtze und zulebt Maße, 
Gewichte und Münzen befprochen, reſp. tabellariſch vegiftrirt. Yür Handels⸗ 
ſchulen kann das Büchlein als zweckmäßig empfohlen werden. Die Verlags⸗ 
bandlung bat ven Preis leider faft doppelt jo body geitellt, als fonft für 
Bücher gleihen Umfangs anderwärtö zu gejcheben pflegt. 

40. J. G. Br. Cannabih’8 Lehrbud ber Geographie nad ben —5 

Beiebenebefimmungen. 18. Aufl. Neu bearbeitet von Dr. Fr. M. Der 

2 Bänden. I. 1. 2 Lief. & 10 Sgr. Weimar. Voigt. 1867. (8. ha 

Seit dem Jahre 1816 ift dies Lehrbuch bekannt. Bon Anfang an 
bat ed, wie vormals Büſching, Haſſel, Gafpari, Fabri das topographiſch⸗ 
ſtatiſtiſche Element mit fo überwiegender Vorliebe und Ausdehnung behan⸗ 
velt, daß darüber aller übrige geographiſche Stoff beinahe ganz verſchwand. 
Mathematifche und phyſiſche Geographie blieben auf die ftereotypen 16 Seiten 
der Ginleitung befchräntt, wenn auch das Buch im Uebrigen ermeitert 
wurde. Nah und nad ift der Bearbeitung der oro: und hydrographiſchen, 
wie der klimatiſchen und Produktions s» Verhältnifie mehr Raum gegönnt; 
Prof. Dr. Dertel hat fie jehr merklich erweitert, jormohl im Allgemeinen, als 
bei den einzelnen Ländern. Unter Mitbenugung guter Üriginalwerfe 














Geographie. 329 


neueflen Datums bat darum das alte, Lehrbuch“ mancherlei Berbeflerungen 
erfahren. Staſtitik und Zopographie überwiegt jedoch noch immer in 
erftaunlihem Grade, wenn auch die fonftigen Momente, worauf Rüdiicht 
zu nehmen ift, alle ihre Erwähnung finden. Bis ©. 25 reichen in ber 
Einleitung . die Andeutungen aus der mathematiichen, bis ©. 54 die aus 
der phyſiſchen, bis ©. 72 die aus ber allgemein politifchen Geographie, 
und dann hebt flugs die topographijch s ftatiftiiche Länderbefchreibung an. 
Als Lehrbuch in Schulen ift felbftverftändlich dies Werl durchaus nit 
zu benußen. 


4. ©. 8. B. Hoffmann, Die Erde und ihre Bewohner. 6. umge 
arbeitete Aufl. von Dr. H. Berghaus von Groefien und Prof. D. 
Boͤlter. 2. billigere Ausgabe in 2 Thl. (24 Tiefer. & 6 Ser.) 1. Liefer. 
5. 1-80 mit 1 Stahlſtich, 1 Karte von Deutſchland in feiner neuen Ge⸗ 
Raltung und 18 Holzſchnitien. Stuttgart. Rieger. 1867. 


Bollrathb Hoffmann hat mit feinem Werle entſchieden mehr Glüd 
gehabt, als Wilhelm Hoffmann mit feiner „Beſchreibung ber Erde“, welche, 
wie ed 1832 jchien, das 2 Jahre zuvor begonnene Werk des Erfteren ver: 
drängen ſollte. Bollr. Hoffmanns „Erbe und ihre Bewohner” fand man 
vor 25— 30 Jahren durch ganz Deutſchland auch in den Händen ber 
Schüler. Sprache und reicher Inhalt haben dem Buche von jeher Freunde 
erworben, und da e3 berjelben werth erfcheint, wird die fplenvide Austattung 
der neuen, obwohl billigeren Ausgabe, fie auch derfelben zu erhalten wifien. 
Die erſte Lieferung enthält aftronomifche Belehrungen über das Sonnen: 
foftem und bie Erbe als einen Theil defielben, in leicht faßlicher Form, 
durch gute Holzſchnitte unterſtützt. Leider taugt die beigegebene Karte 
nichts, da die Entfernungsmaße unrichtig und mande Namen incorrect find. 
Berlin ift von Prag meiter als 15 Meilen; warum an ben Eijenbahn- 
Inotenpunlt Kreuz in Pofen den Namen Lucaß feßen, und warum ein 
Dertchen wie Lienz in Tyrol hervorheben? 


42. Dr. 9. A. Dantel, Prof. u Insp. adj, Handbuch ber Geographie. 
2. vielfach verbefierte Aufl. 1. Bd. Leipzig. Fues (Reisland). 1866. 
(944 ©.) 3 Thlr. 


Gleich bei feinem erften Erſcheinen ift dies große Werk mit allfeitigem 
Anterefie begrüßt, weil fih darin die Frucht des einfichtigen Fleißes, der 
eindringenden Gründlichkeit und der anregenden Geiftesfriihe eines unſerer 
beliebteften Autoren auf dem Felde der geographiſchen Schulliteratur an: 
fündigte. Die belebende Anjhaulichleit und der warme Ton anmutbender 
Friſche hat demſelben fchnell eine weite Verbreitung erworben. Daniel 
beherrſcht das weit umfaſſende Gebiet der allgemeinen kosmiſchen Berhält: 
nifle des ganzen Erdkörpers, wie der mannigfaltigiten natürlichen, ftaatlidhen, 
focialen und geiftigen Verhältnifie in den einzelnen Ländern und Staaten 
mit unvertennbarer Meifterfchaft. Seine Dispofitionen find Mar und durch⸗ 
fihtig, deren Ausführungen bei aller Freiheit der Behandlung im Einzelnen 
durchweg präci® und correct, und bie Wechſelwirkung von den Einflüflen 
deo Bodens und der Natur auf die materielle geiftige und ftaatlihe Ent: 
widelung des Beudllerung tritt dem tiefer hinein blidenden Auge überall 


330 Geographie. 


entgegen. Wie den großen Zügen, womit die allgemeinen Berhältnifie der 
ganzen Erde und der großen Erdtheile, fo folgt ver Lehrer mit fleigenver 
Befriedigung den zahlreichen Einzelſchilderungen und Befchreibungen hervor: 
ragender Gröftellen, ihrer Natur und der auf ihnen entfalteten menſchlichen 
Arbeit. Lehrer und Gebilvete aller Stände greifen deshalb gern nad) 
biefem Werte. Der erfte Bd. der neuen Ausgabe, wovon Lief. I und 2 im 
Päd. Jahresb. XVII, ©. 495, unter Zurüdweifung auf frühere, empfeblende 
Beſprechungen des Wertes (Päd. Zahresb. XII, ©. 349, XIII, ©. 303, XIV, 
©. 316 ff.), bereits erwähnt find, iſt nur in der erften Hälfte vom Berf. 
ſelbſi, in der zweiten dagegen vom Prof. Böttger in Defiau durchgeſehen 
und verbefiert worden. Sehr beträchtliche Erweiterungen waren dabei kaum 
als dringend nöthig zu erkennen; der Umfang ift etwa um 21/, Bogen 
verftärtt. Aber übrigens finden ſich an ſehr zahlreihen Stellen die Zeug: 
nifje der mit Bugrundelegung der neueften Quellen bewirkten Berbeflerungen 
in der Darfiellung der fremden Erdtheile. Als Grenze für die neueflen 
Mittheilungen muß das Jahr 1865 fefgehalten werden, weil in biefem 
Jahre die Revifion des 1. Bons. vollendet worben ifl. 


43. Dr. &. %. v. Klöden, Prof. Haudbuch ber Erdlunbe 2. Theil. 
Politiſche Geographie. Länder-unb Staatenlunde von Europa. 
2. verb. u. verm. Aufl. 4—6. (Schluß) Lief. & 1 Thlr. Berlin. Weib» 
mann. 1866. 1867. 


Billig darf einfad Bezug genommen werben auf die wiederholten, ſehr 
aneriennenden Beiprechungen, welche dies ausgezeichnete, große geographiſche 
Werk im Päd. Jahresb. bereits gefunden bat. (XI, S. 809, XII ©. 351, 
XID, &. 303, XIV, ©. 318, XV, ©. 291, XVII, S. 495 ff.). Es wird 
mit wahrer Meifterfhaft ein enormer Reihthum von Material aller Art 
in haralteriftiiher Gruppirung und Darftellung, mit Berüdfihtigung aller 
irgend erbeblihen mitwirtenden Momente, namentlid bei dem politijchen 
Theil des Ganzen, und in glüdlihen Zeichnungen und Schilderungen hervor: 
ragender einzelner Localitäten verarbeitet. Geologie, oro= und hydro⸗ 
graphiſche, topographiſche, hiſtoriſche, ftatiftiihe Verhaͤltniſſe aller Art, in 
Beziehung auf Cultur, Handel u. dergl., und was fonft für Gebildete In⸗ 
terefle haben kann; — das ift Alles zu einem großen Ganzen verarbeitet, 
Inapp und gedrungen zwar, aber gründlidy, genau, forgfältig, lebendig und 
praktiſch brauchbar zu zahllofen vergleihenden Betrachtungen. Wiſſenſchaft⸗ 
lihen Lehrern der Geographie ift folh ein Werl geradezu unentbehrlich, 
weil darin das Gorrectiv für eine Menge trabitioneller Ungenauigteiten 
und Irrthümer gewonnen werden kann, welde in ben gangbaren, oft recht 
forglos und oberflächlich gearbeiteten Heinen Leitfäden für den Schulgebrauch 
angetrofjen werden, und vor benen ſich der Lehrer felbft kaum retten Tann. 


44. Fr. W. Edubert, Matbematifhe Geographie. Als Supplement 
zu ben „Grundzügen ber allgemeinen Erdkunde für bie vierte Gymnaflal- 
klafſe. Mit 19 Holzfchnitten. Wien. Gerold. 1866. (55 ©.) 10 Ser. 
Ein ſehr dankenswerthes Feines Büchlein, leicht überfichtlich, fachlich 

genau, den Schülern bei einiger Entwidelung der Abſtractionskraft nicht 





Geographie. 331 


ſchwer verftändlih, knapp und auf das zunächſt Erforderliche befchränft, 
und doch relativ vollſtändig. Durch angemefiene Grläuterungsfiguren 
unterftüßt, werden in zwei Abfchnitten vie fcheinbaren Bewegungen der 
Himmelslörper von der Erde aus geſehen, und die Bewegungen ber Erbe 
und des Mondes, von der Sonne aus gefehen, vorgeführt. Die nädhflen 
mathematiſch⸗geographiſchen Begriffe finden ihre entfprechende Erflärung, 
die Globuslehre wird in ihren Grundzügen dargelegt, das geographifche 
Netz, die Bahnen, Bemwegungszeiten der Himmelstörper, die Verfinfterungen, 
die Sonnenfpfteme u. dgl. a. klar gemacht, und Alles fo ausgeprägt, daß 
der mit Sammlung und Nachdenken folgende Schüler die Auseinander: 
jebungen recht wohl faflen und verſtehen kann. Das Heine Büchlein ift 
wie den Schülern der mittleren und obern Neal: und Gymnafialklafien, }o 
auch den Schullehrer-Seminarien als vecht nüglich zu empfehlen. 


45. Dr. D. Hübner, Direct. d. ftatift. Central⸗Archivs, Statififhe Tafel 
aller Länder ber Erde. 15. veränderte deutſche Ausgabe. Frankfurt 
aM. Bofeli. 1866,67. 1 Blatt in Riefenformat. 5 Ser. 


Im Päd. Jahresb. XVII, ©. 278 ift über die 13. Aufl, XVII, ©. 496 
über die 14. Aufl. berichtet; die Einrichtung des großen, ſehr infiruetiven 
Blattes ift Band XVI, ©. 227 bei ver 12. Aufl. noch einmal in Grinne 
rung gebradht , nachdem fie bereits bei der 8. Aufl. Band XII, ©. 366 
angeführt worden war. Die Tabelle ift gerade gegenwärtig befonbers lebr: 
rei, als fie die Veränderungen, weldhe das Jahr 1866 gebradt bat, in 
Zahlen vor Augen ftelt. Und „Zahlen beweiſen!“ nad Bingenberg’s 
belanntem Ausſpruch. Die vergleihende Zufammenftellung der ftatüfti- 
ſchen Berhältnifie ver Bevöllerung, des Aderbaues und des Viehſtandes in 
Preußen und Oeſterreich beſchraͤnkt fih übrigens nur auf die ältern preu⸗ 
Biihen Provinzen, ohne auf die neu erworbenen Länder Rüdficht zu nehmen. 
Das Blatt ift zwar gar nicht zunächſt für Lehrer beſtimmt, aber dieſe 
können bei genauerem Ginblid in daſſelbe gar Manches davon lernen. 


8.9. Srautgof Beogeaphiide Tabellen für Gymnaſien unb 
Bürgerſchulen. 8. Aufl. v. W. Deede, Hauslehrer, bearbeitet. Lübed. 
Asihenfelbt. 1866. (80 SH 50.) 24 Sgr. 

Als im Päd. Jahresb. XIII, S, 327 die 7. Aufl. diefer Tabellen, damals 
vom Bater des jebigen Herausgebers bearbeitet, angezeigt wurde, ift fpeciell 
der Einrihtung und der Benugungsweife dieſes Hülfsmitteld gedacht worden. 
Bei der neuen Auflage ift eine durchgreifende Umarbeitung und eine beſon⸗ 
dere Beadhtung des ethnographifchen Theil eingetreten. Wenngleich ders 
artige Zabellen ein gutes, jchulgerechtes Lehrbuch nicht völlig zu erjeßen 
vermögen, fo können fie doch, fofern fie Inapp, präcis, nad einheitlicher 
Dispofition zufammengefaßt und fachlich correct gearbeitet find, darum eine 
willlommene Hülfe bieten, weil überhaupt ein gut Theil geographifchen 
Lehrftoffs die Aufftellung in Zabellenform begünftigt. Die vorliegenden 
Tabellen find mit Gefhid, Sachkenntniß und wiſſenſchaftlicher Sorgfalt 
zufammengeftellt, und verbelfen zu fchneller Drientirung bei den einzelnen 
Ländergebieten durch die Gleichförmigkeit der Columnenordnung. 8. B. bei 
den europäifhen Staaten: Name, Grenzen und Größe, Boden und Klima, 


332 Geographie. 


Gewaͤſſer, Produlte, Einwohner, Induſtrie, Regierung und Staatskraͤfte, 
Landestheile und Städte. „Mehrere der Tabellen umjfaflen je nur ein ge: 
ſchloſſenes Ganzes (Exbtheile), andere ſaſſen 2 und mehrere Länder und 
Staaten zufammen. Auf 35 Tafeln ift jo das Willenswerthefle zur Wieder: 
bolung zufammengeftelt. Taf. 36 führt die wertwürbigften Geeörter in 
und nahe bei Europa auf. Taf. 37 erläutert die Ausſprache geograpbiicher 
Frempnamen aus 10 Sprachen, Zaf. 38 erllärt die auf den übrigen Zajeln 
benugten Abbreviaturen. 


478.&. Hergt, Director, Baläfina. Weimar. Geographiihes Inſtitut. 
1865. (499 ©.) 23 Khlr. 


Des Berfafiers Abfiht, nicht ſowohl eine ſyſtematiſche Verarbeitung 
des in vorzüglihen Quellenſchriften über PBaläftina vorhandenen Materials, 
als vielmehr eine Reihe abgerundeter, lebendiger Bilder zu liefern, welche 
durch Erfaſſung größerer Gruppen nah und nad) zur Haren Geſammtan⸗ 
fhauung von dem ganzen Lande führen, muß als in vorzüglidem Grabe 
gelungen und erreicht bezeichnet werden. Gr verläßt die herkömmliche Form 
der Stoffanordnung geographifcher Lehrbücher und verwebt ſeine Darftellungen 
und einfachen Beichreibungen mit farbigeren Schilderungen nad Art guter 
Reifeberichte, deren Frifche anzieht und belehrt. — Nach kurzer geographifcher 
und biftorifcher Ueberſicht durdhfchreitet Verf. In ausführlicherer Beichreibung 
Salilän, das Ghor von Norden an bis zum todten Meere, Peräa, Nord» 
und Süd-Gilead und Moab, ummandert das todte Meer und feine nädhften 
Umgebungen, gebt über zum Berglande von Yubäa, weilt bei Jeruſalem 
lange (S. 292 — 408), führt dur das Bergland Samaria, und fchließt 
mit einem Gange durch bie Küftenebenen am mittelländifhen Meere. Nicht 
bloß die in der bibliſchen Geſchichte am meiften hervorragenden, fonbern 
noch eine große Anzahl anderer Localitäten werden am Lejer anjchaulich 
und lebendig vorübergeführt, fo daß er nit nur von dem ganzen Lande 
fih eine naturwahre Vorftellung dadurch erwerben kann, fondern audy viel: 
fa zum beſſern Berftänpnib der Bedeutung mancher biblifchen Berichte 
gelangt. Der durch die ganze Schrift wehende Sinn bed Berfaflers ift 
eenft und würdig, und das Bud felbjt gibt ein fchönes Beugniß der 
wiflenfchaftlihen Sorgfalt, womit es DBerf. gearbeitet hat. Es ift Lehrern 
und gebildeten Familien fehr zu empfehlen. (Die dazu gehörige ſchoͤne 
Karte iſt Pad. Jahresb. XVI, S. 235 ſchon empfohlen.) 


47b. Dr. ©. Heer, Ueber pie Bolarlänber. Vortrag, gehalten am 6. Decbr. 
1866 in Züri. Züri. Schultheß. 1867. (24 ©.) 9 Ser. 


Aus dem Vortrage ‚geht hervor, daß es dem Dr. Heer weniger auf 
erneute Vorführung defien zu thun geweſen ift, was über Klima, Eis, Gis: 
berge, Eislandſchaften und ihre Belebung, nordiſche Gletſcher und ihre 
eigenthümliche Natur, ferner über polare Gisgürtel oder eiöfreie Polarſeen, 








Geographie, 333 


Winternaͤchte am Pole, Srlebniffe berühmter Polfahrer ꝛc. ziemlich allgemein 
unter Gebildeten befannt if. Ihm bat es vielmehr daran gelegen, einen 
Einblid in die jegige polare Pflanzen: und Thierwelt zu dem Nachweiſe 
zu benußen, „daß es nicht immer jo geweſen fei.” Bon den Bolarerpes 
bitionen find nämlih auch foffile Pflanzen mitgebradht, melde den 
Schlüſſel zur Erkennung der vormaligen Natur der Polarregionen dar: 
bieten. Blätter, mannspide Stämme und 70 verſchiedene Pflanzen 
aus den ehemaligen Waldungen jener jebt waldleeren Gegenden, 3. B. 
Sequoien, Buchen, Platanen, Nußbäume, Eichen mit großen Blättern, 
Kirſchlorbeerarten mit fußlangen Blättern, Tannen ıc., find Zeugen früher 
günftigerer klimatiſcher und Vegetations-Verhältniffe. Dr. Heer weiß feinen 
andern plaufibeln Grund für die noch unerflärte Erſcheinung der fo bebeu: 
tenden Wärmeabnahme in den Polarlänvdern, als den, daß unſer Sonnen: 
foftem früher in Himmelsräumen von wärmerer Temperatur fich beivegt habe, 
jetzt aber in fälteren Simmelsräumen feine Bahnen ziehe. 


48. Dr. ©, Hartwig, Der hohe Norden im Natur: und Menſchen⸗ 
leben. 2. Aufl. Mit 8 Bilbern im Irisprud. Wiesbaden. Kreidel. 
1867. (419 ©.) 2 Thlr. 


Mit einigen andern ähnlichen Werten („Leben des Meeres”, „Tropen⸗ 
welt” 2c.), in denen der Berf. durch frifhen Wechfel der vorgeführten 
Natur und Lebensbilvder, in anſprechender Darftellung zur belehrenden 
Unterhaltung gebildeter Familienkreife das Intereſſe für das Natur und 
Völferleben zu meden bemüht gemejen ift, bat derſelbe ſich eingeführt und 
Erfolg gehabt. Er bat die Beit, wo Vieler Augen mit Spannung auf den 
arttiihen Norden gelenkt waren, gejchidt benugt, das Intereſſe au für 
die falten Erdftreden anzuregen; ebenfalld mit Erfolg. In 38 leicht ver- 
ländlich und ziemlich anziehend und wechſelvoll gejchriebenen Kapiteln wird 
der Lefer in den Eisgefilden des hohen Nordens, auf dem Feſtlande, den 
Sinjelgruppen und dem Meere umber und zu den verjchiedenen darin und 
daran wohnenden VBöllerfchaften geführt; die Großartigleit der Geftaltungen 
an Fels und Eis, die Fülle der Thierwelt, namentlich der im Meere, wird 
geſchildert, die befannten Forſcher in jenen Gegenden werden auf ihren 
Fabrten, Neifen, Abenteuern begleitet, ihre Schilderungen werden citirt, 
(Sconsby, Pachtuſſow, Caſtren, Stelle, Wrangel, und bie Seefahrer von 
Coot bis Kane), e3 werben Blide in das Leben der nordiſchen Voͤlker, in 
ihre Voltsfitte, Befchäftigung, ihren Verkehr, ihre Cultur und Religion ge: 
öffnet und fo eine Art nordiſchen Panorama's aufgethan mit allerlei Bildern. 
Bon Spibbergen über Nowaja Semlja, nah Sibirien, über das Behrings⸗ 
Meer zu den Eskimos, über Grönland, Jsland, die Färder Inſeln bis nad 
dem europäifchen Norbcap zurüd, reiht fih Bild an Bild, wozu Gleticher, 
Eisflürze, Wale, Walcofie, Eisbären, Yang und Jagd derjelben, Samojeden, 
Lappen, Jakuten, Oftjalen, Tungufen, Islaͤnder zc. Stoff und Staffage bieten. 
Das Buch lieſt ſich faft durchweg gut und erfüllt feinen naͤchſten Zwed. 
Die Tondrude, meift Thiergruppen, find gut. 


334 Geographie. 


49. Dr. $. 8. Brandes, Prof. und Rector, Ausflug nah Rorwegen 
im Sommer 1866. Detmold. Meyer. 1867. (112 ©.) 10 Ser. 


Bon erheblicher wiſſenſchaftlicher Ausbeute diefes Fertenausflugs durch 
einige Gegenden des weſtlichen und füblichen Norwegens findet ſich nichts 
in diefem übrigens gemüthlich abgefaßten Neifeberiht. Dr, Brandes ift 
viel und weit in Europa umbergereift, und bat früher den Ertrag feiner 
Anfhauungen in feiner „Geographie von Europa“ niedergelegt; obiger 
Ausflug ift etwas raſch vollzogen, bat keine rechte Muße zum Beobachten, 
Sammeln und Sichten übrig gelafien, darum find es nur umrißlihe Ans 
deutungen, die der Bericht darüber bringt. Die Weftlüfte von Bergen bis 
Drontheim, ein Weg über das Dovrefjeld nad Chriftiania und deſſen näbere 
und fernere Umgebung, — das iſt's, worauf die Notizen hinweiſen. Man 
erwartet Schilderungen einzelner Naturfcenen, Abenteuer zu Wafjer und 
zu Lande, Blide in Städte, Dörfer, Einzelgehöfte, und in das Leben des 
Volks, feine Sitten, feine Bildung, feinen Charalter. Gtlihes ift von alle 
dem dargeboten. Nachhaltigen Eindruck macht das Schrifthen jedoch nicht, 
obwohl es durch mancdherlei Heine Notizen illuftrirt if. 


50. Dr. D. Ale, Bilder aus ben Ulpen und aus ber mittel- 
dbeutfhen Gebirgsmelt. Blide in die Geſchichte der Erbe und ben 
Bau bes Gebirges. Halle. Schwetſchle. 1866. (239 ©.) 18 Sgr. 


In anmuthiger, das Intereſſe wedender Darftellung bietet der Verf. 
befonders für junge Freunde der Gebirgswelt, welche von ihm lernen können, 
wie man Fußreifen für Bildungszwede nützlich ausbeutet, eine Kleine Anzapl 
Bilder, welde neben feinen Studien auf der Wanderung ihm noch vorge 
tommen find. „Ein Morgen auf dem Sidelhorn“, „die wütbende Nolla”, 
„eine Gletſcherwanderung“, und ‚ein Gewitter auf dem Gletfcher”: das 
find in der erften Abth. vier Heine Bilder, deren großer Rahmen von den 
Felsufern des Aarthales und den Wänvden des Domlepjchthales gebildet wird. 
Sie find durch farbige Tinten anfpredhender Schilderung und dur Blide 
in die alpine Eiswelt belebt; follen auch durch die idealifirte Liebesgeſchichte 
eines Führers Gelegenheit zu Bliden auf das graufe Eingreifen zerftörender 
Naturgewalten in das Gejhid der Aelpler darbieten. ‚Ein Blid in die 
Vorzeit“ wird benutzt, um illuftrirte Mittheilungen über die Gletſchertheorien 
und über charakteriſtiſche Erſcheinungen in der Gletſcherwelt nah Hugi 
Agaffiz, Defor, Forbes u. A. zu machen. In der 2. Abth. bat fich’s 
Dr. Ule etwas zu leicht gemadt. „Der Kammerbühl und die Luifenburg“, 
„eine Rheinfahrt” und vier Bilder aus der jchlefiihen Gebirgswelt (Phyſiog⸗ 
nomie, Hermsdorfer Thal, Gruben und Teiche, Kamm und Gründe) find 
doch nur gar flüchtige Skizzen, melde größere Sorgfalt wünſchen lafien, 
weil dann dem Lejer mehr von der Sache zu gut käme. Wer al diefe 
Gegenden freilih ruhig durchwandert ift, wird keine Befriedigung aus vor: 
liegendem Buche berauslefen können, weil der mehr bavon verlangt. 





e 


Geographie. 335 


51. U. Mauer, Geographiſche Bilder. Darfiellung bes Wichtigſten 
unb tee ante aus ber Länder- und Völkerkunde. Nah den beften 
Duellen zujammengeftellt für Lehrer und Lernende 1. Thl. 5. Anfl. 
Langenſalza. Schulbuchhandlung. 1866. (483 ©.) 1 Thlr. 


Im Pan. Jahresb. XIV, ©. 324 und XVII, ©. 277 ift diefes Buches, 
dad nur Suropa umfaßt, als eines zur Ergänzung und Griweiterung ber 
geographifchen Kenntniſſe für Schüler mohlgeeigneten, anertennend Erwähnung 
getban, auch defien Einrichtung bezeichnet. Die neue Auflage bringt wieder 
einige Vermehrung um circa 2'/, Bogen, und um etwa 9 neue Bilder. Im 
Ganzen find deren jeßt 155, davon 48 für Deutſchland, meift nur einige 
wenige Seiten füllend; nur die auf die Schweizer-Alpen bezüglichen find 
etwas ausführlicher. Sie find alle mit Liebe und Geſchid, einzelne mojail: 
artig mit Hülfe der ipsissima verba der Driginalichriftfteller, fpannend, 
andere nüchterner befchreibend, die meiften friſch und gut gearbeitet. 


52. Slluftrirte Geograpbie für Schule und Haus Mit einem Atlas 
von 58 Karten unb mehreren bunbert Abbllbungen. 2. Aufl. von Dr. 9. 
Range. Stuttgart. Rieger. 1866. (166 ©. Fol.) 2 Thlr. 16 Sgr. 


Bor 10 Jahren trat Prof. Dr. Reuſchle mit der erſten Ausgabe dieſes 
Buchs, das er den „deutſchen Morfe‘ nannte, hervor. Es ift gleich damals 
im Päd. Jahresb. umftändlich befprochen. Cine Combination von Tert, Harte 
und illuftrirenden Bildern war damals in fo gearteter praltiſcher Ausführung 
noch ganz neu, und bie technifhen Schwierigkeiten bei der Herſtellung dieſes 
Enjembles dur den Drud ließ mande Unvolllommenheiten in Karten und 
Abbildungen mit Olimpf beurtbeilen. Seitdem find aber fo überrajchend 
ſchöne LZeiftungen bei Combinationen von Bild und Karte, oder auch von 
Bild, Karte und Tert geliefert worden, daß die bei obigem Werke noch 
fortgeerbten Unvolllommenbheiten, bie mit der galvanotypifchen Herftellung 
der Karten zum Theil verbunden fein mögen, recht auffällig dagegen ab» 
ſtechen. Diele Biloftöde der erften Auflage mit ihren Kleinen, wenig klaren, 
oft nur rudimentären Bilden von Städten, Gebirgslandicaften, Hafen- 
plägen, ethnographiſchen Gruppen u. vergl. find unverändert beibehalten ; 
es iſt im Grunde daran nicht? Genügended zu lernen. Am wenigiten 
können aber gegenwärtig noch ſolche Karten befriedigen, wie fie diejer Atlas 
bringt, nachdem die Technik der Kartographie wahre Riejenfchritte zur 
Vollendung gethban hat. Der Herausgeber wird das felbft recht gut willen, 
da er ſelbſt Kartograph iſt und genau Alles kennt, was zu guten und 
infteuctiven Karten gehört. Manche Karten in obigem Werke find kaum 
mit förmlier Selbftverleugnung zu gebrauchen, z. B. Nr. 18 Defterreich 
und Tyrol. Daß Karten wie 6 Europa, 7 Deutſchland, 20 Schweiz, 
28 Portugal und Spanien, 30 Türkei, 33 NKüftenländer des fchwarzen 
Meeres, 34 Alten, 36 Afiatiiche Türkei, 40 Nilländer, 42 römifches Reich, 
43 Alt Italien und Alt Griechenland, 45 Alt Baläftina nicht entfernt 
mehr heutigen Ansprüchen genügen können, lehrt ſchon der flühtige Blid, 
geſchweige der kritiſch eindringende. — Der Tert beſchraͤnkt fi auf eine 
zu jeder Karte geftellte mäßige Anzahl von Fragen, die aus der Karte zu 
beantworten find, auf „Zuſaͤtze“ d. h. Mittbeilungen über Land und Bolt 


386 Geographie. 

in völker⸗, culture, kunſtgeſchichtlicher, landſchaftlicher, ſtatiſtiſcher Beziehung, 
ohne auch nur alles Bedeutſame dabei zu erſchoͤpfen, und auf 8 Tafeln 
beſonderer ftatiftiicher Ueberfichten. Ein Lehrbuch wird dadurch nicht 
erjeßt, und ein guter Atlas auch nicht. Die zweite Auflage wird heute 
alfo einen ſchweren Kampf haben, um Abnehmer zu finden. Sachkundige 
Lehrer werden mit ihrer Anjchaffung jedenfalls. zögern. 


53. 8. AUndree, Globus. Zeitfchrift für Länder⸗ nnd Völlerfunbe, Chronik 
der Reifen und geographiſche Zeitung. In Berbindung mit Yahmäunern 
und Künftlern. 8. bis 10. Bd. Hilbburghaufen. Bibliographiſches Iufitut. 
Monatl. 1 Lief. & 4 Bg. zu 7 Sgr. 6 Pf. 12 Liefer. bilden einen Band. 
Durch die tüchtigen Keiftungen auf dem Gebiet ver Länder und 

Voͤlkerkunde, verbunden mit den Mittheilungen über ausgeführte Reiſen in 

ben verjchiedenften Gegenden der Erde und über allerlei Borlommnifle von 

geographifcher und etbnograpbifcher Bedeutung auf dem Erdenrunde, wie fie 
das faft brängende Tagesleben darbietet, bat ji dieſe Beitfchrift eine fo 
ebrenvolle Stelle und verbreitete Belanntfchaft errungen, dab es kaum noch 
des befonderen Hinweiſes auf fie bevürfen wird. Ihr Inhalt ift mannig- 
-faltig, gediegen, in allen größern Arbeiten bedeutſam, in kürzern Mit: 
theilungen durchweg interefiant. Auf wifienjchaftliher Grundlage wählt fie 
forgfältig den Stoff aus, melden neue Korfhung und Neifeluft ausſchließt, 
und reicht ihn in fefjelnder, angenehmer Darftellung dem gebilbeten Publi⸗ 
tum dar. Somohl mit den geographiſchen und ethnographiſchen Intereſſen 
des Baterlandes, als mit den verſchiedenſten charakteriftifhen Verhaͤltniſſen 
ferner Länder und einzelner Erblocale macht der „Globus“ anſchaulich und 
oft recht eingehend belannt. Zugleich erhält die geographifche Zeitung mit 
den neueften einſchlagenden Erfcheinungen und Greignifien auf dem Laufenden, 
und bietet trefjliche Gelegenheit, recht inftructiv aus dem mannigfaltigen 
Neuften das Naͤchſte und Befte fchöpfen zu können. Der „Globus’ iſt 
teine vein willenfchaftliche Fachſchrift, ſondern eben nur eine reich illuftrirte, 
für Belehrung und Erfriſchung eines weitern Publilums trefiende geogra- 
phiſche, ethnographiſche und culturgeographiiche Schilderungen und Befchreis 
bnngen aud des Naturlebens in allen Gegenden der Erde zu liefern be 
ftimmte Zeitſchrift, welche nicht durch bie bloße Strenge des Objects beherrſcht 
wird, fondern neben der Belehrung auch freudiges Genüge gewähren will. 
Ihre zahlreichen, künftleriih ſchönen, großen Ylluftrationen, oft nah Drigi⸗ 
nalen, oft nach Photographien ausgeführt, find ein würbiger Schmud ber 
in der That recht empfehlenswerthen Zeitfehrift. Um ein Beifpiel von dem 
mannigfaltigen und trefflihen Inhalt zu geben, ſei noch bier angefühtt, 
daß Bd. 8 ethnographiſche Schilderungen aus dem Gebiete des Amazonen⸗ 
ſtromes (Antis. Piros), Beſchreibungen von Reifen in der Kabylie und 

Mongolei, Schilderungen und fehr ſchöne Illuſitrationen von der Alhambra ıc. 

enthält, Bd. 9 über die Sübfpanier, über geographiſche Berhältnifie des 

innern Südamerifa’3, über Reifen in Bithynien und Abpffinien berichtet, und 

Bd. 10 über Siena und ihre gejhichtlihen Denkmäler, über die Choeds in 

Dftindien, über hinefiihes Leben, über das Golvland Peru, über Zuftände 

in Habyffinien und in der Walachei, über die Nilquellen’zc. handelt. Die 

„Zeitung“ bringt in jeder Nummer ein buntes Allerlei. 


Geographie. 837 


54. Charakterbilber ber Erd⸗ und Böllertunde Mit kurzen erläu⸗ 
ternden Texten, ber Zeitfchrift „Slobus’ entnommen. 1. Bd. 1. u. 2. Heft 
& 10 Sgr. Hildburghauſen. Bibliographiſches Inftitut. 1867. 


Eine Anzahl der am meijten charakteriftiichen und gelungenen Abbil⸗ 
dungen, welde im „Globus“ bereits enthalten find, werben hier in befon- 
derm Abdrud als lehrreihes Anfhauungsmittel zur Unterftüßung des geogra- 
phifhen Unterrichts dargeboten. Was der pfeudonyme E. Wendt, mas 
C. Bogel, Schade, Meyer im Univerfum u. a. m. zur Belebung dieſes 
Unterrichts früher ſchon gethan, follen diefe Abbilvungen ebenfalls fördern 
belfen. ‘ Der Zert zu den auf jeder Seite der Blätter gelieferten Abbil- 
dungen iſt nur ganz kurz und lofe verknüpfend. Borläufig erjcheinen bie 
letern gemiſcht, werben aber fpäter ſich geordnet einbinden lafien. Das 
1. Heft enthält Darftellungen der Alterthümer aus Pompeji (die Nupitäten 
S. 8 pafien nicht für Kinderaugen), aus Serbien, Peru, China, Turks: 
mannien, Java; Heft 2 bringt Bilder aus dem Wüftenleben der Sahara 
und ihrer Dafen, aus dem Harz (Quedlinburg, Wernigerode, Halberitadt, 
Broden ꝛc.), Neufeeland, von Antiparos, Oporto, aus ber Kallas: Mongolei, 
Serufalem, Yulatan ıc. Beide Hefte enthalten über 100 Bilder. (Auch 
Heft 3 und 4 find bereits erjhienen. D. R.) 


55. ©. Behm, Geographiſches Jahrbuch. 1866. 1. Bo. Unter Mit- 
wirkung von Anwers, Bayer, Herm. Berghaus, Debes, Dome, Fabricius, 
Grieſebach, v. Klöden, Müller, Betermann, v. Scherzer, v. Schlagintmweit, 
Schmarda, Seligmann, v. Sydow u. Vogel, Gotha. Perthes. 1866. 
(600 S.) 109 ©. Tabellen und 2 Tafeln. 23 Thlr. 


Zwei Aufgaben bejondere will dies Jahrbuch ihrer Löfung näher 
bringen helfen: 1) das raſchwechſelnde Clement der Zahlenangaben ver« 
fchiedenfter Art fortlaufend zu berichtigen und zu verollftändigen, und 
2) vie Fortfchritte in allen Zweigen der Erdkunde periodiih aufzuzeichnen. 
Was diefer erfte Jahrgang darbietet, ift für den Freund der Erdlunde ebenfo 
mannigfaltig und interefiant, al3 es zugleich wiſſenſchaftliche Anbaltspuntte 
zu allerlei Berichtigungen gemährt und Gefihtspuntte öffnet zur Orientirung 
über den gegenwärtigen Stand der geographiihen Wiſſenſchaft; letzteres 
nämlih durch mehrere Abhandlungen, 

Die 1. Abth. (Geographifche Ephemeriden) umfaßt Anhänge zu einem 
Kalender, Mittheilungen über Beitrehnung der Siamefen, Tungufen, Perfer, 
Papas und der Kimbunda :Stämme in Benguela, eine Tafel der Zeit 
unterfdiede von 366 Orten der Erde, und 2 Tafeln für Tageslängen. 
Die 2. Abthl. bringt geographiihe Zahlennachweiſe; z. B. Areal und Be: 
völlerung aller Länder der Erbe; Tabelle über Bewegung der europäifcden 
Bevölterungen; Ortsbevöllerungstabelle über europäifhe Orte von über 
2000 Einwohnern; Länge und Breite von 86 Sternwarten; Höhentafel _ 
von 100 Gebirgsgruppen der Erbe; Bujammenftellung der im Himalaya: 
Gebirge gemeſſenen Höhengipfel; Bufammenftellung von Landſeen und 
Flüſſen; Wärmemittel von 109 Stationen. — In der 3. Abthl., dem 
eigentlihen Jahresbericht, werden 12 Abhandlungen gegeben, morunter 
mehrere allgemein böchft interefiant erjcheinen. (Stand der Grabmeflung. 

Pad. Jahresbericht. XIX, 22 


338 Geographie. 


Drei Kartentlippen. Neuere topographiiche Speeiallarten europäifder 
Länder; Pflanzens und Thiergeograpbie; Menjhenracen; 
linguiſtiſche Ethnographie; Welthandel; Eifenbahnen; neuere Rei: 
jen x.) Die am Schluß gegebenen Hülfstabellen über geographiſche 
Maße verfchiedener, bejonders europäiicher Länder, vergleihende Tabellen 
über Tängen, Meilen- und Fadenmaße, zur Vergleihung ber Längen von 
derro, Paris und Greenwich, Verwandlung von Bogenmaß in Zeitmaß ıc. 
find für mande wiſſenſchaftliche Vergleihungen eine willlommene Erleich⸗ 
terung. Da an dem Berlagsorte, diefer deutſchen Centralftätte für zufammen- 
ftrömendes geographiiches Material, eine reiche, unerjchöpfliche Duelle zuver⸗ 
läjliger Mittheilungen für dag Jahrbuch offen fteht, fo darf ein gediegener 
Fortgang des Jahrbuchs erwartet werben. 


. J. Füwenberg, Geſchichte der Geograpbie von ben äÄTteften 
s6. Fiten bis auf die Gegenwart. 2. Aumgearbeitete Aufl. Berlin. 
Haube u. Spener. 1866. (475 ©.) 1% Thlr. 


Seit dem erſten Erfcheinen dieſes Buchs ift der Geſchichte der Geogras 
pbie durd eine lange Reihe von Forſchungsreiſen im arktifchen, mie im 
antarltijchen Gebiete, im centralen, füdlichen, norböftlihen und ſuͤdweſtlichen 
Afrika, in Auftralien, Neufeeland, in dem Innern Afiens und feiner himmel: 
boben Gebirgstolofle, in China und Japan, Baläftina und Syrien x. ein 
fo rveiher Zuwachs vermittelt, daß Löwenbergs Buch allerdings für die 
Periode von Kool biß heute wejentlicher Erweiterungen beburfte. Wer ſich 
anderweit durch geographiſche Jahrbücher, durch die Mittbeilungen des 
geographiſchen Inſtituts von Perthes in Gotha, NReifefchriften u. vergl. m. 
mit dem Fortfchritt current erhalten bat, findet in vorliegender Schrift 
eine leichtfaßliche, belehrende Weberficht der Anftrengungen zur Grweiterung 
des geographifhen Wiſſens und der Grfolge diefer opferseihen Mühen. 
Zugleich erhält er einen Ueberblid über die beveutjamlien geographischen 
Merle durch mancherlei Andeutungen. Dem lebten Jahrhundert wibmet 
das Bud, wie billig, den größten Raum (6. 264—464), und fept am 
Schluſſe den Reformatoren der geographiſchen Wiſſenſchaft, Alexander v. 
Humboldt und Carl Ritter, ein ehrendes Denkmal. Neben Beichel’3 reich: 
baltigerm und grünbliherm Werte über verwandten Stoff verdient das 
Yuc von Löwenberg als kurzes Handbuch wohl empfohlen zu werben. 


III. Kartenwerke. 
A. SHandlarten Atlanten. 

57. Karte von Paläflina zur Zeit Jeſu und feiner Apoſtel. Chur. Gſell. 
(1 Bl. gr. Fol.) 5 Sgr. Mit nei Kartons: en von Jerujfalem” unb 
„Gofen und der Weg duch bie Wüfte. Nah Bunfen. 

In der Schrift ſcharf und Har, in der Gebirgszeichnung kräftig Ichraffizt, 
ohne Abgrenzung der alten Böllerfige und der Stammeseintbeilung, in 
der Locirung der Ortſchaften mit ftarlen Abweihungen gegen die Karten 











Geographie. 389 


von v. d. Beide, Robertjen, Miepert, Grimm, Möden, bleibt biefe Karte, 
obwohl Maß gehalten worden ift in Vetreff ber Fülle der Eintragungen, 
dech nur in recht beſchraͤnkter Ast brauchbar für Die Hand der Schüler. 


58. G. Sanfer, Bofl- und Eifenbahn-Reile-Karte von Deutihland, 
Holland, Belgien, Schweiz, Italien, bem größten Theile von Frankreich— 
en Polen x. Staflfih. Nürnberg. Serz 1865. (1 Riefenblatt.) 
20 r. 


Durch die Weglaſſung der Gebirgszeichnung wird der Ueberblick des 
Poſt⸗ und Eiſenbahnlinien⸗-Netzes weſentlich erleichtert. Die Karte iſt mit 
großer Reichhaltigkeit der Angaben der Entfernungen nad ber bei Poſikarten 
üblihen Art ausgeftatte. Da fie alle Poitftationen, auch die in obicuren 
Dörfern angibt, jo mangelt oft der Raum zu geographifch bebeutfamen 
Andeutungen. Yür den Privatgebrauch fchlichter Lehrer iſt die Karte zu 
theuer 


Die in agleichem Verlage erſchienene Poſt⸗ und Giſenbahnkarte 
von Rußland und den Kaukaſusländern vn A. M. Sammer 
bat für deutſche Schulen und beren Lehrer keinen unmittelbaren Werth. 


59. H. Kiepert, Hiforifhe Karte des Brandenburgiſch⸗Preußt⸗ 
[den Staats nad feiner territorialen Entwidefung unter ben Hohen⸗ 
zollern. Mit Ungabe der Grenzen bes noxddeutſchen Bundes. 3. Aufl. 

.. Berlin. Stile und van Muyben. 1866. 6 Sgr. (Zu Pierfon’s Preu⸗ 
ßiſcher Geſchichte) 1 BI. gr. 8°. 


Mu Hülfe des Buntvruds und verſchieden gerichteier Schrafien ver 
mittelt die Karte den fchnellen Ueberblid fomohl über das allmähliche 
Wahsthum des Preußiihen Staats ſeit 1411, als die Erlennung gänglid 
over auf Zeit wieder abgetrennter Landestheile in Oft, We und Süd. 
Eis befonderer Carton ſtellt Preußen wor und nah 1807 vor. Nur bie 
Grwerbungen von 1815-1849 find nicht gut abgetont und deshalb 
namentlich Abends bei Licht ſchwer unterſcheidbar; im Uebrigen ift bie Karte 
inftructiv. 

00. GE. Leeder, Lehrer, Atlas zur Geſchichte des Preußiſchen Staats, 

(10 Karten gr. Fol.) Weimar. Geographiſches Iuflitut. 1866. 24 Sgr. 


Blatt 1. gibt im drei Darftellungen das Bild von der Marl Bran⸗ 
denburg um 1170, unter Waldemar und unter Friedrich L., DI. 2. Preußen 
und Brandenburg unter dem großen Kurfürſien, BL. 3. unter Friedrich bem 
Großen, BI. 4. zu Friedrich Wilhelms IL. Beit, BI. 5. zur Zeit nad dem 
Mei Deputations:Hauptihluß 1803, BI. 6. im Jahre 1806, BI. 7. von 
41807—1813, BL. 8. nah 1815, BI. 9. von 1815 big Wilhelm I. mit 
den Grwerbungen von 1866, BI. 10. die für Preußen wichtigen Orte in 
ven Niederlanden, Belgien und Frankreich. Auf den Karten find Kleine 
Zobellen ver Schlachten, Frievensfchläfle, Verträge, ebenſo andere mit den 
Zeitongahm der Erwerbungen und Abtretungen, welche durch farbige An: 
gaben die Orienticung auf den Raxten erleichtern. Dieſe Hülfe ift von Fir, 
Kiepert, Freudenfeldt und Pfefier ebenfalls benupt. Die Karten find ſaͤmmt⸗ 
U sehreiich weht ſauber und Mar von C. Graͤf ausgeführt, geben die 

22” 


340 Geographie. 


Bodengeftaltung und Bewäfierung sugleih mit an — was weſentlich iſt — 
und erſtreden fich noch über einen guten Theil der Nebenländer. Leider 
find die Namen, wenn aud recht ſcharf, doch ſehr klein eingefchrieben und 
mahen ſchwachen Augen Not. Sachliche Sorgfalt in der Bearbeitung und 
Ausſcheidung unerhebliher Gebietsänderungen in einzelnen Perioden (z. B. 
in den Rheingegenden, in den ſächſiſchen und ſchleſiſchen Landen) find ein 
großer Vorzug dieſer Karten. Die peinlichfte Durchmuſterung derjelben wird 
faum eine nennenswertbe Incorrectheit entveden, (Blatt 3 ſteht Bloß für 
Pleß), ein gutes Zeugniß für eracte Arbeit und genaue Reviſion. Vielleicht 
wäre den Ansbad:Balreuth’ihen Landen etmas mehr Rüdficht zu ſchenken, 
das Land Saffen in Preußen mit angemerkt und auf einigen Blättern vie 
Colorirung etwas forgfältiger auszuführen geweſen. Sonſt ift der Atlas 
ſehr brauchbar. " 


61. Elementar-Shulatlae zum Gebraud für Bollefhulen. Aus ben 
Kartenwerken Gtieler'd und von Sydow's zufammengefiellt. (14 Karten 
au. Fol.) Gotha. Perthes. 1866. 18 Ger. 


Außer einer Karte für die matbematiihe Geographie und einer für 
bie Hemifphären, find für Europa, Nord» und EüdsDeutihland und Afıen 
je zwei Karten, eine für die phyſiſchen, eine für bie politiſchen Berhältnifie, 
und außerdem eine Weberfichtälarte der phyſiſchen Verhaͤltniſſe von ganz 
Deutichland gegeben; ferner A Karten für die andern drei Erdtheile und 
eine ganz vorzugsweiſe fehöne und inftructive Karte von Baläftina in 
Zondrud. Lebtere gewährt ein ſehr anſchauliches Bild vom Zerrain, einen 
Plan von Serufalem, eine Ueberfiht der Stammeseintbeilung, und im 
Hauptblatt neben den alten Namen faft durchgängig auch die heutigen 
Drtsbenennungen. Yür Volksſchulen bieten bie Karten noch zu viel; bie 
päbagogiihen Rüdfichten verlangen im Ginzelnen nod andere Auswahl, 
Manche Karten find nicht recht fauber ausgeführt, doch im Namenwerk iſt 
Alles correct. 


62. ©. Winkelmann, Elementar-Atlas für ben gengranbifgen 
Unterricht in 26 Karten. Gingeführt von Prof. D. Bölter. 5. Aufl. 
Ehlingen. Weydarbt. 1866. 26 Gar. 


Der urfprünglich enger gezogene Kreis, für welchen dieſer Atlas vor 
einer längern Reihe von Jahren beftimmt wurde, ift jetzt erweitert umd bie 
frühere „Einfachheit, Ganzheit und Einheit“ ift aufgegeben worden, um 
„nah jeder Kichtung den Anforderungen zu genügen”. Es kann deshalb 
nicht befremden, daß jebt, flatt Allen Alles, nur Vielen Etwas geboten 
wird. Als Elementar: Atlas enthält dies Kartenwerk offenbar viel zu 
viel. Nirgends reicht in unfern Glementarjchulen das Bebürfniß fo weit, 
daß 3. B. bei auferdeutfchen Ländern das hier angebrachte Dlaterial von 
Ortsa⸗ Fluß⸗, Seen, BergRamen je zum Lernen gelangen könnte. Die 
Ueberfülle an Ramen und Darftellungen bat den Radtheil im Gefolge 
gehabt, daß die Namen jehr Klein gefchrieben, häufig in Gebirgsſchraffen 
u. dergl. hineingerüdt werden mußten, und nun gar nicht immer lesbar 
find, zumal da oft der Drud nicht erforderlih rein und Bar ausgefallen ifl, 





Geographie. 341 


So bei fat allen Karten mit viel Gebtrgsparftellungen (Schweiz, Frankreich, 
Türlei, Defterreih, Dftindien, Nord: Amerika u. dergl.) Im frühen Aus 
gaben war diefer Atlas brauchbarer für Schulunterrihtäwede, und er war 
ſchmucker ausgeführt. 


63 A. M. Sammer, Schulatlas der neueften Erdkunde. (15 color 
Karten in Stahlſtich. Nürnberg. Serz u. Comp. 1865. 1 Thlr. 2 Ser. 
Inhalt: Beide Hemifpbären, fünf Karten der Erbtbeile, 2 Karten für 
Dentſchland, 6 Karten für die Staaten Europas, eine Karte für Aegypten, 
Syrien und Paläſtina, in gr. Doppelfolio. 


Der Stahlftih hat große Schärfe der Schrift und große Feinheit der 
Zerraindarftellung ermöglicht. Ginzelne Karten lafien mehr Generalifirung 
bes Zerrains wünjchen. Am meiften empfehlen ſich die Karten von Deutſch⸗ 
land (diefe aber nicht in oro⸗ und hydrographiſcher Hinfiht), die ſechs 
Karten . des europäifchen Länder, Alien und Süd⸗Amerika, nur daß die 
Schulunterrichtszwede bei Weitem nicht die dort gebotne Namenfülle 
erfordern. (3. B. auf der pyrenäifchen und ſtandinaviſchen Halbinfel, in 
Frankreich und Stalien.) Die Höhenprofile am Fuß der Karten find recht 
inſtructiv. 

64. Meyer's Handatlas der neneſten Erdbeſchreibung. Vollſtändig 
in 100 Karten. 3445 Liefer. & 74 Sgr. Hilbburghaufen. Bibliogra⸗ 
phifches Infitut. 


Auf die gefammte technische Darftellung der Karten, in Rüdfiht auf 
DVodenplaftit, Fluß: und Wegeſyſteme, Schrift: und Ortszeihen, und auf 
Correctheit des Ganzen ift anerkennenswerth hohe Sorgfalt verwendet, fo 
daß wahrhaft trefilihe Blätter, melde ſich den beften ähnlicher Art ber 
Ausführung zur Seite ftellen, geliefert worden find. Der Atlas rivalifirt 
nit ohne Erfolg mit den Handatlanten von Stieler, Ziegler, Riepert als 
ebenbürtige Arbeit und ift zugleih im Preiſe für die einzelnen Karten 
billiger. (Jede Karte 3°), Sgr.) Karten wie bie von der Rheinprovinz, 
von Weftfalen, den alten Heflenlanden, Thüringen, England, vom Kauka⸗ 
jus, von den oſtindiſchen Infeln, Mittel-Amerifa und den oͤſtlichen vereinig» 
ten Staaten von Nordamerika ftubirt man mit großer Befriedigung, unge: 
achtet der erftaunlihen Namenfülle. Es wäre zu wünſchen, daß das DVer- 
lags:Inftitut eine pafjende Auswahl der nutzbarſien Karten für den Schul: 
gebrauch in höhern Lehranftalten beſonders herausgäbe, da nun doch einmal 
nit alle Specialblätter für Jedermann gleih nothwendig find. 


65. Dr. 8. Lange, Geographiſcher Handatlas über alle Theile ber 
Erde nad den neueften Forſchungen entworfen. 30 Blätter in Farben- 
drud. (6 Lieferungen.) 5. 6. Kiel. & 1 Thlr.; einzelne Karten 8 Gar. 
cpl. 6 Thlr. Leipzig. Brodhaus, 1865, 


Auf die künſtleriſch⸗ techniſche Herftellung dieſer Karten iſt bie größte 
Sorgfalt verwendet; fie find deshalb anſchaulich, klar, in ver fcharfen, faft 
durchweg correcten Schrift gut lesbar und erleichtern durch den Farbendruck 
die Auffafiung der Ländergebiete weientlihd. Bei dem verhältnikmäßig 
großen Mafftabe, welcher den Karten zum Grunde liegt, konnte deren In⸗ 


342 Geographie. 


balt reich ausgeftattet werben; dennoch iſt Ueberfülle vermieden und die 
Landbilder heben fih gut ab. 9. Lange weicht durch die verhältnikmäkiz 
zu kraͤftige Darftellung der Mittelgebirge von der Methode anderer Atlan 
ten ab, und wird deshalb, namentlich wegen feiner Schulatlanten, ziemlich 
lebhaft angefochten. Auf den Karten, welche flaviiche, türkiſche und aſiatiſche 
Länder darftellen, weicht hier die Namenjchreibung mannigfach von ber in 
andern großen Atlanten befannten ab; 3. B. auf ver Starte von der Türlei 
und Griehenland, von Paläftina; das darf aber um jo weniger befremden, 
ald zur Zeit noch leine zweifelfreie Ginbelligleit unter den Kartographen 
bierüber zu erlangen geweſen if. Wer recht fchöne Karten vergleichen will, 
fei auf die Schweiz, das ſüdweſtliche Afien und die ſtandinaviſche Halbinjel 

verwiefen. Der Atlas ift recht empfehlenswerth. 


66, Dr. H. Ktepert, Neuer Atlas über alle Theile ber Erbe in 
45 Blättern Neue, vollſtändig berichtigte Ausgabe in 10 Lief. & 4 Karten 
und 1 Tief. & 5 Karten. 1—3 Tief. & 14 Thlr. Berlin. Reimer. 1866 — 67. 


1. Liefer. Schweiz. Dänemart mit Süd⸗Schweden. Border : Indien, 
Nordweſtliches Afrika, 

2. s  Gpanien und Portugal. Britiihe Inſeln. Nilländer. Mittel: 
Amerila mit Weſtindien. 

83. s Erdkhkarte; Europa; Brandenburg; Schlefien; Poſen; Standi- 
navien. 

Dr. Siepert ift Geograph und Meifter in der Kartographie. Seine 
Karten zeichnen ſich deshalb, wie durch Schönheit, Klarheit und Vollendung 
der techniſchen Ausführung, jo durch kritiſch begründete wiſſenſchaftliche Ge 
diegenheit aus; fie gehören in der Weije ihrer Bearbeitung und Herftellung 
unbeftritten zu ben beften deutſchen Kartenwerken, welche zugleid der allge: 
meinen Bildung, wie dem geographiihen Studium mejentlihe Tienfe 
leiſten. Die möglihft caralteriftiihe Ausführung des Terrainbildes; Die 
planmäßige Vertheilung des gejammten Stofjs auf eine mäßige Anzahl 
gut in einander greifender und einander ergänzender Blätter; der leicht zu 
. vergleihende Maßſtab; die auf überlegtem Princip beruhende Auswahl ver 
eingetragenen Ortfchaften, welche nicht bloß mehanifh den Raum aus: 
füllen, fondern durch Spärlichleit oder Neichhaltigleit des Vorlommens auf 
die Dichtigleit der Bevölkerung und ihre Lebensentfaltung hinweiſen follen; 
die Srläuterung der gegenwärtigen Ortsnamen im Bereich der alten biftori- 
ſchen und claſſiſchen Länder durch Beifügung der alten Namen, und bie 
Correctheit in Schrift und Zeichen: — das find ebenjo viele empfehlende 
Eigenſchaften dieſes ſchoͤnen, gehaltwollen Kartenwerls. Blätter, wie bie 
für die Schweiz, Dänemark und Südſchweden, Portugal und Spanien, 
Mittel Amerita, England zc. geben ein ſehr anſchauliches, charalteriſtiſches 
Bild der bezüglihen Länder, namentlih die Schweiz! Was an Namen: 
fülle übrigens geleiftet werben kann, ſobald der Maßftab es geftattet, das 
lehrt die Karte von den Provinzen Brandenburg, Schlelien und ofen, 
welche zugleich das Königreih Sachſen und andere Nebenlänber mit ein: 
ſchließt, und in der That keinen billigen Wunſch übrig läßt, indem auch 
die Verlehrswege bis zum Jahre 1866 eingetragen find. — Es follen 


Geographie. 343 


diefer 2. Ausgabe nach fünf neue Karten (bas ſüdliche und mittlere Eng: 
land, nordöftlihe Frankreich, Mittel⸗Italien, Griechenland und das mittlere 
Südamerika) in größerm Maßſtabe beigefügt werden, während der Preis 
von 16 Thlr. auf 12°/, Thlr. für den ganzen Atlas ermäßigt worden ift. 
Auch dieſe Umflände werden zur Empfehlung des trefjlihen Kartenwerks 
zu recht verbreitetem Gebrauche in höhern Lehranſtalten beitragen. 


67. ©. Raaz, Relief⸗Athas über alle Theile der Erbe für Schule und 
Haus. erůn. Korn u. Cp. 1865. 1. 8. 


Hierüber enthält die Abhandlung unter Nr. 7 fpezielle Mittheilungen 
und Charalterifirungen, weshalb barauf zurüdverwielen werben darf. 


B. Wandkarten. 


68. B. Bfeiffer, Wandkarte von Europa in 4 Blättern. Nürnberg. 
... Ser. 1864. 


Kräftige, weithin ſichtbare, generaliſirte Terrainzeichnung, ſatte Colo⸗ 


ritrung der Grenzen, große, rothgefüllte Ortszeichen, große Schrift auch bei 


den Ortsnamen, mäßige Füllung mit zu lernenden Momenten, laſſen die 
Karte für eine einfache Lands und Volksſchulen brauchbare erſcheinen. Man 
beachte jedoch wohl, daß je 1864 erjhienen ift. 

69. Fr. dv. ©tülpnagel, Schul⸗ Wandkarte von Europa mit en ber 


politifhen Einteilung. 9 Blätter, 2. Ausgabe mit voller Waflercolo- 
rirusg. Gotha. Perthes. 1866. 11 Thlr.; auf Leinwand 23 Thlr. 


Kräftige Contoure, weithin gut erfennbare Golorirung, ſchulgerechte 
Seneralifirung der Bodenplaftil, deutlihe Hervorhebung der Waflerfyfleme, 
ſachentſprechendes Maß und gute Auswahl der Ortſchaften, Hare Schrift 
und mäßiger Preis empfehlen vies gute Hülfsmittel des geographifchen 
Unterrihts zur Benubung in Stadt: und Landſchulen, zumal da fie die 
neueften Gebietsabgrenzungen in Deutſchland ſchon enthält, und bis weit 
nah Nord: Afrila und — im Oſten — bis über den Perfiihen Meerbufen 
Dinausragt, alfo einen großen Theil der Nachbar:Erptheile mit aufnimmt. 
10. E. RBinfelmann, Wandkarte von Deutfchland, bem preußifchen 

und öſterreichiſchen Staate, Polen, Schweiz, Niederlande und Belgien. 

(1: 1,000,000.) Eßlingen. Weychardt. 1865. 2 Thlr. 

Kräftige Colorirung, aber verhältnißmäßig große Namenfülle bei oft 
jo Heiner Schrift, daß Naheſtehende fie kaum, Fernſtehende fie gar nicht 
mehr erkennen können, verbunden mit oft fo Heinen Ortszeichen, daß fie in 
einiger Entfernung dem Auge verſchwinden! Terrainzeihnung in bräuns 
lichen Scraffen zwar recht dharakteriftiih in ver Nähe, aber wegen zu 
matter Ausprägung bereit3 in mäßigem Abftande nicht mehr zu erkennen! 
(Bergl. mitteldeutihe Gebirge, und auf ein paar Sectionen fogar bie 
Alpen) Namendrud ebenfalls nicht fonderlih ſcharf; hie und da lithos 
graphiſche Verwilhungen! — 





344 Geographie. 


Frühere Leiftungen verfelben Berlagsbandlung maren gelungener, und 
fonnten empfohlen werben; die vorliegende erjcheint dem Bebürfniß der 
Schule nicht ſorglich angepaßt und beburfte jedenfalls techniſch befjerer 
Ausführung. . 

71. A. Petermann. Wandkarte von Deutfhland. 2. Aufl. (1:1,000,000.) 

Gotha. Perthes. 1867. 1% Thlr., anf Leinen 34 Thlr. 


12. Fr. v. Stülpnagel, Shul-Wandlarte von Deutſchland mit An- 
abe ber politiihen Eintheilung. (1: 1,000,000.) 4. Aufl. Gotha. 
Berthes. 1867. 14 Thlr., auf Leinwand 3 Thlr. 


Wie die sub Nr. 70 erwähnte Karte von Europa find beide Wand⸗ 
karten, die von Petermann und die v. Stülpnagel, für gefüllte und große 
Echulllafien in allen graphiſchen Beziehungen fehr kräftig gehalten, darum 
Grenzen, Gebirge, Fluͤſſe zc. weithin wohl erkennbar. Die Petermann'ſche 
Karte, auf welder nur die Grenzen des norddeutſchen Bundes, nicht aud 
die des Preußiſchen Staates angemerkt find, ftellt die phyſiſchen Ber: 
hältniffe, die v. Stülpnagel'ſche die politifhen dar. Leßtere colorirt die 
Länder Preußens, des norbdeutihen Bundes und der einzelnen fübdeutichen 
Staaten beſonders. In den meilten Schulen, welche auf bejondere Hülfs⸗ 
mittel für nähere Betrachtung der phyſiſchen Verhältnifie Deutſchlands ver: 
zihten müflen, wird die v. Stülpnagel’ihe Karte recht willlommen fein. 
13. 8. Kiepert, Wandkarte von Deutſchland in feiner Neugeftal- 

tung zum Schul- und Com ptoir⸗ Gebrauch. (1: 750,000.) 9 Blätter. 

Berlin. Reimer. 1867. 3 Thle. 10 Sgr. 

Bor Allem ift zu beachten, daß dieſe jchöne, innerlih und äußerlich 
reih und trefflih ausgeftattete Harte eine Comptoir: Karte ift, beim 
Schulgebrauhe dagegen keine ausgiebige Verwendung finden kann. Sie 
reiht etwa vom Meridian von Brügge bis zu dem von Auguflowo ung 
Kaſchau, und vom Parallel ver hohen Zauerntette bis zu dem von Polangen, 
ift höchft fauber und accurat ausgeführt, mit guter Colorirung, Harer Schrift, 
mit Angabe der innern Laͤndereintheilung, ſehr detaillirter Berüdſichtigung 
der Fluß, Wege: und Eifenbahn:Nepe, und enthält eine ganz erftaunlidhe 
Fülle von Ortſchaften bis zu einer nicht fpärlichen Auswahl von Dorf: 
Schaften herab. An diejen Detaild und an dem wiſſenſchaftlichen Streben 
des Herausgebers, bei der Terrain-Darftellung auch die leiſeſten Wellenfchläge 
der Bodenform charalteriſtiſch mit andeuten und dabei das relative Höhen- 
verhältniß zum treuen Ausprud gelangen lafien zu wollen, liegt es, daß 
Vieles von dem, mas die Karte enthält, nur in naͤchſter Nähe geſehen 
werden kanm aber bereit3 bei mäßiger Entfernung dem Auge verjchwindet. 
Die Gebirgsvarftellung ift in Kreidemanier ausgeführt, und macht an vielen 
Stellen, befonders aber an ſolchen, wo die die Landesgrenzen bezeichnende 
breite Colorirung über die Gebirge gededt werden mußte, die Erfennung 
berjelben nicht wohl möglih (Böhmerwald, Erz: und Riefengebirge). Wo 
aber die mäßigen Bodenerhebungen und deren niedrigere Ausläufer durch 
leichte Wollenzüge und Wollenausbreitungen haben angedeutet werben follen, 
da verſchwindet bereits bei ein paar Fuß Abftand die Möglichkeit, noch 
etwas zu unterfdheiden, ja überhaupt etwas davon zu ſehen, auch dem 











Geographie. 345 


Scharfen Auge. (Hügelcharalter ver Nieder: Laufis, Ober: Schlefieng, Süd: 
Bolens, Süppft:Preußens, Nordoſt-Weſtfalens x.) Wer ganz dicht vor ber 
Karte fteht, der fieht die feinen Nüancirungen ver Bodenformen und nimmt 
orographiiche Feinheiten wahr, welche oft überrafhend treu den landſchaft⸗ 
lihen CEharalter der einzelnen Gegenden wiederzugeben trachten. Gs iſt ein 
ungemein reiches geographiſches Willen in der Karte beponirt, und das 
Bedürfniß der Comptoiriften namentli auch dadurch befriedigt, daß mie die 
Heinen und kleinſten Gemäfler, fo auch die Kleinen und Heinften Ortichaften 
darauf angemerkt find, wenn irgend ein Umſtand für ihre Erwähnung 
ſpricht. So liegt man Fiſchbach, Erdmannsdorf, Seidorf, Rübeland, Braunlage, 
Roßbach, Er. Goͤrſchen, Viebig, Deep und eine Menge Namen ähnlicher zum 
Theil recht Heiner Dörfer. Natürlich verzichtet der Shulunterriht auf 
ſolche Specialitäten, und eine Schulfarte foll fie auch gar nicht enthalten. 
Der jhönen und werthvollen Karte gefchieht übrigens dadurch fein Abbruch 
an ihrer Trefflichkeit. 


14. 3 B. Nooſt. Topiſch⸗geographiſche Special-Karte des Re- 
ierungs-Bezirts Ober-Bayern. Nah den neueften amtlichen 
aterialien. za4agz. 4 Bl. Riefenfolio. Nürnberg. Ser. 1864. 


Das ift eine mit großer technifcher Sorgfalt in der Terrain:Darftellung 
und mit eingehendfter Specialität bei der Eintragung von Ortſchaften bear: 
beitete, ſchoͤne, große Büreau: (niht Schul:) Mandlarte, melde jedes 
Dorf, jede Einoͤde, Mühle u. ſ. w. in Ober-Bayern nachweiſt. Der Orts: 
namen find jo ungemein viele, daß e3 nur durch die ſehr Klare, deutliche 
Schrift ermöglicht wird, ſich darin gehörig zureht zu finden. Ebenſo find 
alle Wege, bis zu den Ylußmwegen herab, die Stellen, mo die Ylößbarkeit 
und Ediffbarkeit‘ der Fluͤſſe beginnt, die mineraliihen Kundörter, Waldun⸗ 
gen, Wiefen, Mööfer, Gletſcher u. |. w. angemerlt; nur die Gebirge: 
gliederung im Süden ift weniger vollfiändig ausgearbeitet, ald man erwarten 
follte. Ihrem nädjiten Zwede als Büreausflarte für Verwaltungs⸗Beamte 
entſpricht die Karte ganz vollitändig. 


75. E. Ubhlenhuth. Neuerfundene Karten-Mobelle zur Erleichterung 
bes geographiſchen Unterrichts und zur Förderung bes Kartenzeichnens für 
Gymnaſien, Real» und höhere Bürgerfchulen und zum Brivatunterrichte. 
Berlin und Anclam. 1867. Präge-Anftalt von E. Uhlenhuth. 


Ueber dies linterrihts:-Hülfsmittel ift sub Nr. 5 in der Abhandlung 
oben bereits Näheres mitgeteilt, jo daß darauf verwiejen werben kann. 


76. Gradneg-Atlas über alle Theile der Erde. Mit fpecieller Berück⸗ 
Ratigung von E. Sydow's Schul-Atlae. 1. Hälfte. 2. Auflage. 13 Blätter. 
Celle. Schulze. 

Im Format des Heinen von Sydowſchen Schul-Atlas enthalten diefe 
Nepblöätter nur das geographiſche Linien-Netz, ohne alle weitere Mar: 
firungen einzelner Firpunlte, wie fie in v. Sydow eigenen Neb-Karten, 
wie fie auch in Straube's (Pädagogiſcher Yahresberiht XVI, ©. 248) 
„methodiihem Handatlas zum Kartenzeichnen”, als angemefjene Hülfe an- 


346 Geographie. 


gebradht find. Die obigen 13 Blätter von flarlem Papier mit fauber aus- 
geführten Neben eignen fi für ihren Zweck ganz wohl, nur erſchweren die 
großen Diftanzen der Parallelen (bei einzelnen Karten von 50 zu 5°) »ie 
Ginzeihnung des Kartenbildes den Anfängern durch zu weiten Spielraum. 
Eine andere Frage ift es freilich no, ob und in welden Schulllaſſen die 
Forderung pädagogiih zu rechtfertigen fei, bie einzelnen Sontinente, 
nicht mit Hülfe des Durchfenfterns oder des blos mechaniſchen Gopirens, 
fondern nah verftändiger Gonftructiong : Methode in eine Uuarts ober 
bald Folio-Nege zeichnen zu laften. Nicht wenige Schulmänner lehnen 
derartige Anforderungen aus ſehr trijtigen Gründen vollitändig ab. 


— — —— — — 


Erſter Nachtrag. 


77. Dr. W. Jenſen. Deutſches Land und deutſches Bolt zu beiden 
Seiten des Oceans. Geſchichte und Gegenwart. Zum Privat- und 
Schnulgebrauch geicildert. Mit einer Karte von Deutſchland. Stuttgart. 
Schmidt und Spring. 1867. (302 ©.) 1 Thlr. 


Fern von pedantiſcher Gelehrjamleit und doch nicht ohne Methode 
gemeinverftänplich verfaßt, foll dies Bud das deutſche Bolt nah allen 
Richtungen hin für das deutſche Volt umfaflen, und ihm dadurch Kunde 
von fi felbft und von den widtigften Peziehungen geben, in denen es 
zur Erds und Meeresoberflädhe ſteht. Zu’ diefem Behuf bebt das Bud 
das deutfhe Volt, das die verjhiedenften Theile der Erbe bewohnt, aus 
der Mitte der übrigen Volker heraus. Ein vorangeftellter hiſtoriſcher Weber: 
blid, der in der Kürze die Entwidelung der „Gemeinjchaft des deutſchen 
Volls“ im Laufe der Jahrhunderte verfolgen fol (6. 1—32), macht einen 
kurzen Gang durd die ganze äußere und Gulturgefhichte der Deutjchen, 
und zieht dabei die verfchtedenften Eeiten politiiher Wedhjeljälle, geiftiger 
Entwidelung in Sprade, Dichtkunſt, in Kirche und Unterridtsanftalten, 
ebenfo der materiellen Umgeltaltungen des Lebens durch gewandelte Sitte, 
fortgefchrittene Induftrie, ausgedehntern Handel, durch veränderte Stellung 
der Innungen und Handwerks-Genoſſenſchaften u. ſ. w. bis auf die neuefte 
Zeit hinein. PDemnädft ift eine Schilderung der phufilalifhen, und daran 
geſchloſſen der politiihen Geographie Deutjchlands gegeben. Berfafler glaubt, 
eine geographiihe Darftellung folle lieber „einem engliſchen Parke gleichen, 
als einem Garten im Stile der Renaiſſance“, und componirt deshalb feine 
Schilderung in freieren Weiſen. Die natürliben Verhältniſſe des deutſchen 
Bodens gelangen nämlich in der Art zur Darftellung, daß nach generellen 
Angaben über die Wechſelwirkung zwijhen den Menjhen und der Ratur, 
Deutſchlands Verhältniß zu andern Ländern, die Verſchiedenartigleit feiner 
Bewohner, und ihrer Lebensweiſe, jpecielle über Klima, Gebirge, Flüſſe 
u. ſ. w. vorlommen, dann die Alpen gejondert betrachtet werden, und 
daran ſich die einzelnen Flüſſe und die deutjhen Meere anjchließen. Bei 
den Flüjjen wird mehr über die Bodengeftaltung ihrer Quell: und Laufess 
Gegenden und über die Gebirge, als über die Gewäſſer jelbit gejagt. 
(5. 33— 98). Im dritten Abſchnitt, dem ausgedehnteften, kommen die 


Geographie. 347 


deutſchen Staatengruppen und Staaten nad dem jebigen status quo zur 
Debandlung. Hinmeifungen auf erjte Siebelungsverhältnifie bei Dörfern 
und Städten, und auf flaatlihe Vergejellfchaftungen gehen voraus; Blicke 
auf das ehemalige Bundesgebiet, feine Grenzen, Bewohner, Sprachen, Eon: 
feffionen, auf Zollverein, Kriegsweſen, Feſtungen, Univerfitäten, polytechnifche 
Edulen, Auswanderung, Gifenbahnen, Flotte, Muͤnzweſen u. ſ. w. folgen. 
Die Einzelbefhreibungen nehmen auf hiſtoriſche, orographifhe, hydrogra⸗ 
phiſche, ethnographiſche und culturgeographiidhe Verhältniffe mehr als auf 
topographiiche Rüdfiht; es werden nur einige wenige der großen Stäbte 
beachtet, diefe aber dann etwas mehr bejchrieben, als fonft zu geſchehen 
pflegt. Verkehr, Erwerb wird überall erwähnt. Verfaſſer liebt es, den 
einzelnen Unterabjchnitten Motto’3 vorzufeßen; es finden ſich viele jehr 
glüdlich gewählte darunter. — Im vierten Abfchnitt (S. 203—234) ift 
von den europäiſchen Staaten mit deutfhem Bevölferungstheil die Rede. 
(Schweiz, Elſaß und Lothringen, Siebenbürgen und die weftlihen Länder 
mit Ginfhluß von Venetien, ruffiihe Dftfee: Provinzen, Skandinavien, 
Dänemark, Holland, Belgien, England ıc.), im 5. endlich von der deutſchen 
Auswanderung nad fremden Erbtheilen. Bornehmlich werden bie vereinig: 
ten Staaten Nordamerika's dabei in geographijcher, probuftiver, merfantiler, 
focialer und intellectueller Hinficht betrachtet; dann aber alle andern Pänder, 
worin Deutfche wohnen und leben, durdgenommen. (Canada, Merico, das 
nördliche und öftlihe Südamerika, jüplichite Afrika und das füpöftliche 
Küftenland Auſtraliens.) Geographie bildet den Aufzug, allerlei Schilderung 
der charalteriftiihen örtlihen Natur: und Lebensverhältniffe den Einſchlag. 
Das Bud liefert deshalb geographifchen Lehrftoff, ohne dadurch zum Lehr: 
buch in einer Schule geeignet zu werden, und ohne ihn andererſeits fo 
vollftändig zu geben, wie die Gebildeten unferes Volks es wünſchen müflen. 
Dennod lieft fih das Buch gut, und hat immer das Eigenthümliche, ein⸗ 
mal alle Erdſtellen dicht zufammen zu rüden, auf melden deutjches Leben 
ich entfaltet. Der Grundton, welcher durch das Ganze zieht, ift unver: 
tennbare Liebe zum deutſchen Bolt, feinem Sinn, feinem Leben. Die bei: 
gegebene Karte ift nur Hein, und kann nur eine Ueberſicht über den jebigen 
Länderbeftand Deutſchlands gewähren. 


+ 
78. Profeſſor Dr. 8. Koner, Heinrich Barth. Vortrag, gebalten in ber 
Sigung ber geographiſchen Geſellſchaft zu Berlin am 19. Januar 1866. 
Berlin. Reimer. 1866. (31 S.) 5 Ser. 


Dem berühmten deutſchen Afrifaforfcher ift mit diefem Vortrage ein 
wohlverbientes , ehrendes Dentmal geſetzt. Dit kurzen Zügen wird fein 
Bildungsgang, fein unermüdliches wiſſenſchaftliches Streben nad beſtimm⸗ 
tem Lebensplan, fein erſtes Aufleuchten durd die Erfolge feiner Reifen in 
den Geflabeländern des Mittelmeers, mit mehr Specialität demnädjit feine 
große Reife im Innern Afrikas vorgeführt, welche den Stoff zu ausgebehn: 
ten Werten über dieſen Erbtbeil lieferte, und ihn in die Neihe der großen 
Entdeder geftellt haben. Wer einen Weberblid über fein Leben und Streben 
und über die Früchte beider, welche in feinen Schriften vorliegen, gewinnen 
und zugleih den Charakter des manden wenig bequemen Mannes kennen 


348 Geographie. 


lernen will, dem iſt dieſer Abdruck aus der Zeitſchrift der Geſellſchaft für 
Erdkunde zu Berlin nur zu empfehlen. 


Bweiter Nachtrag. 


79. U. Küben, Seminarbirector in Bremen, Leitfaden zu einem metho- 
bifhen Unterridt in der Geographie für Bürgerfähulen, müt 
vielen Aufgaben und Fragen zu mündlicher und fhriftlicher Loſung. Zwölfte, 
nei Auflage. 8. (X und 189 ©.) Leipzig, ©. Fleiſcher. 1867. 
74 Ser. 


infolge eines Verſehens ift dem Herrn Referent über die Geographie 
diefe neue Auflage noch nicht überfandt worden. Daber erlaube ih mir 
bei Aufführung derfelben nur die Bemerkung, daß biefelbe nad Beendung 
ber jebigen Neugeftaltung Deutſchlands gedrudt worden ift, alſo ganz dem 
gegenwärtigen Standpunkt entipriht. Wie Deutſchland (Norddeutſchland) 
ſelbſt, jo bat auch diejer Leitfaden an der betreffenden Stelle gewonnen, 
da Alles überfichtlicher dargeftellt werden konnte. N. Lüben. 








RX. 
Geſang. 


Bearbeitet 


von 


E. Hentſchel. 


J. Geſangleben. 
A. Allgemeines. 


1. Weſen der Kunſt. In feinem trefflichen „Syſtem der 
Tontunſt“, 1866, jagt Dr. Eduard Krüger: „Kunſt iſt die von 
Menſchen gewirkte Schönheit. Ihre Grund: und Formwirkung, oder Quelle 
und Biel der Kunft befteht darin, daß fie fei eine freie menſchlich bewußte 
Spiegelung der Welt und Gottes. Was ein Bolt erlebt, erarbeitet, ge 
wonnen — die Blüthe feines Lebens, den Kern feiner Thaten, das Ergeb» 
niß der Weltanfhauung, fein ideales Ich — das alles ftellt es in Bildern 
der Schönheit vor die Seele. So ift alles Kunſtwerk und Künftlerthum 
nicht Sittlihleit und Wahrheit an fi, aber fittlich wahres Ergebniß, Zeug. 
niß und Denkmal verflärter Menfchlichleit, Kleinod der Volksſeele. Des 
Menſchen Gottebenbilvlichleit bezeugt ſich nirgend auffälliger als in ber 
ſchopferiſchen Luft, neben die erſte Schöpfung eine zweite binzuftellen, die 
Wahrheit flüchtiger Erbenbilber befeftigend, in dauernde Geftalten verewigend. 
— Die hindurch fcheinende Freiheit ftellt das Menſchenwerk in gewiſſem 
Sinne über das Naturwer. Das finnlihe Naturding, aus göttlicher 
Kraft zu wirlendem Leben erfhaffen, trägt feinen Gejammtinhalt für uns 
als ein Berborgenes; ihm gegenüber bat das vom Menſchen gewirkte Wert, 
die mit feinen Willensgedanten erfüllte Schönheit ein Mebreres: das Bewußt⸗ 
fein geiftiger Offenbarung.“ 

2. Fortſetzung. „Wo dieſes erlannt wird, dba fällt die Frage 
von ſelbſt zu Boden: weldes das Bedürfniß des Menſchen fei, Kunft- 
werte zu Schaffen und an ihnen ſich zu erfreuen (vgl. Hegel, Aeſihetik 3, 41). — 


350 Geſang. 


Wohl aber erhebt ſich, jenes Beduͤrfniß als ein urſprungliches vorausgeſeßt, 
die neue Frage nach dem Zwed des künſtleriſch Schönen, d. h. wiefern 
das Kunſtwerk außer dem Für ſich auch ein Für Anderes bezwede. 
Allerdings, zielte die Kunſt auch nur auf die Sättigung des Schoͤnheits⸗ 
triebs, fo wäre fie, ſchon weil fie einem urwahren Seelenzuge entjpräde, 
gleichberechtigt in ihrer Sphäre, wie die Bernunftwifienfhaft in der ihren, 
fofern auch dieje einem menſchlich angebornen Triebe, dem des Erkennens, 
Befriedigung giebt. Aber es ift au im Bereich der Kunft wie in ben 
übrigen Geiftesiphären eine Wechſelwirkung mit Anderem, für Anderes, eine 
Spiegelung im Gleichftehenden außer ihm, ein Zug der Liebe zu dem, was 
ihr ebenbürtig if. So jhlägt fie nah der Wahrheit hinüber Ranlen 
und Zweige in der ſymboliſchen Bedeutfamleit, welche den höheren Kunſt⸗ 
werfen eigenthümlich ift; ſolches Ueber fih hinaus deuten ift nicht mehr 
Kunft für fih, fondern für Anderes; in diefem Bereich ift fie Verlünderin 
göttliher Geheimniſſe, Weifjagerin der Vergangenheit und Zukunft. — Und 
nicht minder offenbar ift ihre nah ver fittlihen Güte bingewenbete 
Fernwirtung. Denn es wird von ihr der thatträftige Wille befruchtet, 
indem fie die Leidenjchaften reinigt, das niedere Erbenleben erhöbt, das 
verlorene Paradies in Erinnerung abbildet und das verllärte Leben der 
Auferftehung für die Hoffnung vorbildet. Alle wahren tiefen Leidenſchaften 
— Liebe, Zom, Wonne, Wehmuth, Verzweiflung, Triumph — wie fie 
ſchon mitten in der gemeinen Wirklihleit Spuren dee Schönheit an fid 
tragen, fo treten fie erfl im Bereich der Kunft in ihre höchfte Lebensgeftalt. 
Man kann daher fagen, daß zum’ ganzen Menſchen die Schönheit noth⸗ 
wendig gehöre, fei es als Geübtes oder Angejchautes: von einer Pflicht 
iſt hier nicht die Rebe, aber ven dem zur Zotalitdt des wahren Lebens 
Unentbehrlichen.“ 

3. Weſen der Muſit. Die Künfte zerfallen, wie Dr. Krüger 
weiterhin ausführt, in reale und ideale, oder finngeiltige und reingeiftige. 
Sene arbeiten in materiellem oder leiblihem Stofſe; diefe entbehren zwar 
nicht des ſinnlichen Werkjeuges, aber fie brauchen es eben’nur als Werk 
zeug, das ablösbar oder wanbelbar fei. Reale Künfte ſind a) Architectur, 
Plaſtik und Malerei, welche „in ruhendem Stoffe ihr Weſen treiben‘; 
b) die Mufit, welche es „mit ber Bewegung des körperlichen Stoffes zu 
thun bat”; ideal ift die Mortlunft ober Poefie im engerem Sinne, *) 
0. „Die Arhitectur tft die ältefte und wunvollitänpigfie ber Fünfte: 
fie ftellt in elementaren Maflen dunkle Symbole dar, dem Geift eine Hülle, 
ver Seele Wohnhaus und Schatzhaus zu bereiten. Die eigentlichen Bild⸗ 
fünfte — Blaftil und Malerei — bringen in Körper und Farbe 
dauernd beharrende Geftalten hervor, aus ber gemeinen Wirltihleit empor⸗ 


*) ‚Den realen Künften gehört ihr ſtoffliches Werkzeug fo weſentlich, daß 
feine Ablöfung oder Bertaufchung undenkbar ik: ein Gemälde bleibt nicht Ge⸗ 
mälde, fobald ihm die Farbe genommen wird, unb fein Iapalt if nicht mehr 
berfeibe, wenn man ihn etwa in einen Accorb, ein Lieb ıc. übertragen will; 
und eine Melodie gewinnt und verliert nichts durch ein beigefügtes Bild; dagegen 
das Dichtwerk kann durch Profaifirmmg und Berfeßung verwandelt werben, o 
eimen poetiſchen Gehalt einzublißen.‘ 








Geſang. 361 


gehoben in das Reich des Lichts. — Die Muſit flellt die Bewegung der 
Welt rhythmiſch dar in dem der ftarren Leiblichleit enthobenen ſchwingend 
zitternden Stofje; fie ift der urbilplihe Rhythmus des Univerfums, künft- 
leriſch in die abgebildete Welt durchbrechen und hinein ſtrahlend; — alles 
innerlihe Regen und Wegen in Schönheit abzubilden ift die Sonderheit 
oder Selbitftänpigfeit der Mufil den andern Künften gegenüber. Sie ftellt 
das Werben dar in zeitlicher Folge, in zühlbaren.. Momenten oder Stufen: 
innerliches Handeln und Leiden vorftellen kann feine andere Kunft ihr 
gleich.” 

„Rhythmus und Harmonie find die außermenjhlihen Grundlagen ber 
menſchlichen Mufil. Wie gejchieht das, daß im Irdiſch Menſchlichen folche 
Kräfte des Univerfums wiedergeboren und abgejpiegelt werden? Weil das 
nicht augenfällig ift, jo bat der gemeine Verſtand allzeit gezweifelt, ob 
unferer Muſik Urſache eine menſchliche oder außermenfchlide fei...- .» 
Während die feelenlofe Greatur Rhythmus ohne harmonischen Klang zeigt, 
die bejeelten Ihiere Klang ohne bewußten Rhythmus: fo ift des Menſchen 
Eigenthum: beide zu beſitzen. Danad hat man jchließen wollen, er babe 
die eigentlihe Muſik rein aus fich felbft erfunden: ſei doch die erhöhte in 
Liebe und Zorn gejpannte Rede, der Ausprud gJüdliher Stimmung oder 
ftörender Leidenſchaft durch Elingende nterjectionen bezeihnet — ihr Wal: 
ten gebe ſich ja fund in weit wirkender TZönung; und dieſe follte nicht des 
Menſchen Willenswert fein? Ja. Aber diefe Art Gejchrei ift nicht das, 
was der Menſch jeit Jahrtauſenden ald Ton empfunden, woraus er Ton: 
kunft und Zonfreude jchöpft und ſchafft. Alle jene Erſcheinungen find nur 
entweder zufällige Fortſetzungen der Sprache, Ueberfpannungen des gewohn- 
ten Redetones; oder fie find ein wüſtes Gefchrei, was aus dem felbitbes 
wußten Geijtesleben zurüdjintt in das thieriſch Bewußtlofe, was nicht nad, 
fondern faum vor der Sprade üt...... Jene Ueberjpannung abex 
beruht auf dem zufälligen Mehr und Minder, einem Schwebenvden, das 
feine Geftalt erſt ſucht; mufilaliide Töne dagegen geben ſich glei anfangs 
fund in felter Geftalt, und tragen vermöge diejer maßvollen Yeltigleit eine 
fonderbare Gewalt in fih, himmliſch dämonish, jagen die Einen, Andere 
nennen es ſubjectiv jeelhaft; und das iſt's, was fie weſentlich fcheidet von 
der gefprochenen Rede — secca voce — melde Tonloſes mit Tönendem 
untermiſchend in ihren ftoßenden, pfeifenden und brummenden Schällen der 
Sonderfhönheit des Klanges entbehrt. Diefe Sonverfchönbeit ift des 
Tonkunſt Eigenthbum” ... ... 

4 dortfegung „Solches Sonderreih des Zonlebens erlennt 
ſchon das gemeine Bewußtſein, indem e3 Sprechen und Singen ſcheidet ..... 
Zwar kann eine ſtark erhöhete Rede bis zu einem Gipfel gelangen, wo ein 
gleihfam ftehender Rlangton hörbar wird, .. . . wie umgelehrt eine ſingende 
Stimme von matter Klangfarbe, over eine während des Spiels mif gleiten: 
dem Finger raſch verlürzte Seite das Stufenhafte aufgiebt und dem unbe: 
grenzt fortlaufenden projaifhen Clementarton ähnlih wird. Dieſe Weber« 
Hänge finden alſo wirklich ftatt, aber ald Ausnahme ber Rebe und des 
Gejanges, mehr einem zufälligen Pathos, als dem vollgeflaltig gefättigten 
Gthos angehörig, werben daher außer Acht gelajien neben dem Weſens⸗ 


352 Gefang. 


Unterſchied, weldyer darin befteht, daß die Rede den Ton nur als bienendes 
Werkzeug des Gedankens verwendet, während der Gefang ben Ton um 
fein felbft willen erlennt und fort geftaltet, eigener Schönheit theilhaft, die 
nicht unter, jondern in und über den Gedanlen malte.‘ 

5. Fortſetzung. Wilhelm Tappert in feinem Bude: „Mufit 
und muſikaliſche Erziehung” 1867, führt auf die Frage: Was 
ift denn eigentlid Muſik? eine lange Reihe in alter und neuer Zeit gegebener 
Antworten an*), hält aber fchließlih die Frage noch immer für ungelöft. 
Seinerſeits jeßt er hinzu: „Was ich zu bieten wage, foll nicht mehr fein, 
als ein Heiner Beitrag zur endlihen Erledigung. Mufil ift die Kunft, 
vermittelft rhythmiſch geordneter Tonverbindungen —aud 
durch tönenden Rhythmus allein — und unter Anwendung 
äfthbetifher und tehnifher Geſetze, welche größtentheils 
aufdem Wege der Erfahrung entftanden und durch Ueber: 
eintunft feitgeftellt find, vahber einen Anſpruch auf „ewige 
Gültigkeit” niht haben können, Analogien für Stims 
mungs: Gefühle: und Gedanten:-Prozeffe zu bilden.” **) 
Wie der Verfafier hinzuſetzt, find die Eingenden Analogien die „Abbil: 
der” der einer Mufit gu Grunde liegenden „Urbilder”, d. h. ver 
Stimmungen, Gefühle und Gedanken. „Die Zahl der Analogien ift Legion; 
denn jede Melodie, jeder Accord, jeder Rhythmus foll und kann ein Ana: 
Iogon fein. Jederzeit tauchen neue auf, die entweder den Vorrath vers 
mehren, oder verblaßte, abgenußte erjegen.” 

6. Würde und Werth des Gefanges. „Geſang überhaupt 
gehört aber von Uranfang ber beiden Geſchlechtern, wie in Serufalem: 
nur unnatürlich gewordene Böller, wie Engländer und Amerifaner, lünnen 
im Gefange etwas Minderes finden, was etwa dem Vornehmen, dem Manne 
nicht zieme. Jenem höhnenden Yankee gegenüber, der die Sangluft unmänns 
lich und ſtlaviſchem Sinne verwandt ſchalt, erinnern wir uns Luthers und 
feiner Beit, und der Heldenzeit Alt:Englands, wo Bird und Zallis mit 
den Königen fangen, und unferer neueften Körner:Lieder von 1813 und 
1864; ob das mannhafte Heldentbum um 1813 und 1864 in Amerika 
oder Deutihland größer, wird fih ja aus Thatſachen berechnen laſſen.“ 
&o Dr. ftrüger a. g. O. 

7. Die Chorformen. Auf die großen Vorzüge des gemiſchten 
Chores vor dem Männerhore, fowie auch vor dem bloßen Kinder und 


2) „Mufica ifl eine Wiſſenſchaft und Kunft, geichicdte unb angenehme Töne 
klüglich zu ftellen, richtig an einander zu fügen und lieblich berauszubringen, 
Damit durch ihren Wohllaut Gottes Ehre und alle Tugenden beförbert werben.” 
(Matthefon, 1739.) — Nach bem Gradus ad Parnassum von ur (1725) 
bezwedt die geiftlihe Muſik „Gottes Ehre”, bie weltliche fol bie Gemüther 
der Zuhörer einzig und allein „beluftigen‘ unb zu verſchiedenen Leidenſchaften 
bewegen. Scheibe in feinem kritiſchen Muficus jagt: „Muſik ift bie Königin 
aller Ergðtzlichkeiten.“ 

») Somponiren: „nad einem inneren Bilde buch Töne ein äußeres 
barftellen.”” (Hauptmann, 1852.) 

„Das tönende Gebilde muß in irgend einer Weife ein Analogon der Gei⸗ 
Rlesbewegung ſein.“ (Krüger, 1866,) 











Gefang. 858 


Frauenchore, tft abermals mehrfah und mit Gntſchiepenheit hingewieſen 
worden. 

A. VB. Gottſchalg fordert in der „Neuen Zeitjhrift für 
Mufit”, 1867, 11, mit Net, daß in den Seminarien ftatt des Mäns 
nergefanges der gemijchte Chorgejang mehr cultivirt werde, weil biefer 
„afeitiger und meniger anftrengend” ſei als jener. 

Shön und mahr fagt Dr. Krüger: „Großer Chor, d. 5. von 
Männern und Weibern zufammen, ift vorzüglih deutſche Art, in den 
legten Beiten fogar gehoben und gemehrt jelbft in PVergleih zu Luthers 
Zeit. Der Name, „Gemifchter Chor” follte endlih verbannt werden: er 
hat einen Beiihmad von „gemijchter Gefellihaft”, während er in Wirklich 
keit nicht eine unfaubere Miihung von Mörihen und Nonnen, fondern 
das gejunde Ganze, die voltsthämliche menjchliche Zotalität if. In unferm 
edeln vierftimmigen Gefange vernehmen mir beide Geſchlechter in den Alters« 
ftufen der Blüthe und Mannbarleit: Aungfrauen und Mütter, Sünglinge 
und Väter. Möge ung dereinft gewährt fein nicht bloß in Iuftiger Gefells 
ſchaft oder glänzender Kunftausftellung, ſondern in Haus und Kirche die 
ganze Schönheit deutfchen Gefanges wieder thronen zu ſehen, wo zu einer 
wahren eier des Herzens zufammen Hingen: königliche Bälle, kühne Tenore, 
myſtiſch innige Altftimmen, Soprane im Glanze der Yugenpherrlichleit: es 
jol nicht Weisfagung fein, aber Hoffnung, daß die Kirche diefe höchſte 
Seelenfhönheit des Klanges wieder gewinne, bie von ihr ausgegangen if 
und die ihre erbeigenthümlich zugehoͤrt.“ 


B. Der kirchliche Kreis, 
1. Evangeliſches. 
a. Der Choralgefang. . 


8. Form des Chorals. Des rhythmiſchen Chorals wurde 
in legter Zeit nur noch ſelten und meiltens blos beiläufig, als einer 
Angelegenheit gedacht, über melde nun Jeder fein Urtheil haben könne 
und babe, als Freiherr v. Tucher in Münden diefe Choralform in feiner 
Schrift: „Ueber den Gemeindegejang der evangeläſchen 
Kirche“ 1867, aufs Neue zum Gegenftande eingehender Beiprechung 
madte. Es geſchah dies auf Anlaß eined gegen den rhythmiſchen Choral 
gerichteten Artifeld der Allgemeinen Muſikaliſchen Zeitung von 1863, der 
Herm v. Tucher jedoch erft 1866 zu Geficht gefommen war, ſowie in Folge 
ber Wahrnehmung überhaupt, „daß fich bei Vielen, und in manden Gegen: 
den Deutſchlands worzugsmeife, ein Vorurtheil gegen die fogenannte rhyth⸗ 
miſche Geſangsweiſe gebildet hat, welches im Weſen der Sache nun einmal 
feine Rechtfertigung findet.‘ 

9. Herr v. Tucher unterſucht zuwörberft, ob ſich feit dreißig Jahren, 
ba die Sade zuerft duch DBeder und Billroth's Sammlung (1831), dann 
durch Layritz (1835) angeregt worden, irgend etwas hervorgethan babe, 

Päd. Jahresdericht. XIX. 23 | 


354 Geſang. 


was die Sache als etwas bei ſonſtigen Vorhandenſein der 
nöthigen Vorausſetzungen, dem wahren Wefen des evangeliichen 
Kichengefanges Widerfprechendes und die lebhafte Theilnahme an ihr oder 
auch die vielfach zu Tage tretende Begeifterung als „Unverſtand“, „Schwär: 
merei“, die Freunde derfelben ale „empfindungstolle Gefühlstheoretiler”, 
die Sache felbft als Firlefanzg oder wie fonft noch zu bezeichnen berechtige, 
und weiſt nad, daß dergleichen nicht vorhanden fei. „Der Sinn, mit dem 
man von Anfang ausging, war, unjerer Beit die großen berrlihen Schäße 
eines Beitalters unferer evangelifchen Kirche, in welchem lebendiges Glau⸗ 
bens⸗ und kirchliches Gemeinſchaftsbewußtſein vorzugsweije herrſchte, vorzu⸗ 
führen, welche im Verlaufe der Zeiten gänzlich in Vergeſſenheit gerathen 
und darum ſo viel als verloren waren oder ſich theilweiſe nur in verflach⸗ 
tem, verdorbenem Zuſtande erhalten hatten. Es geſchah dieſe Vorführung 
nicht etwa, wie dabei ausdrüclich von der Hand gewieſen wurde, wie ung 
aber demungeadhtet immerfort wieder ungerechter Weiſe zum Vorwurf ges 
macht werben will, in ber thoͤrichten Ablicht, das entſchwundene Glaubens⸗ 
leben und kirchliches Bewußtſein in ben Gemeinden damit bervorzurufen, 
weil man foldes durch das, was nur deſſen Erzeugniß fein kann, nicht 
bervorzurufen vermag, ſowie es eben darum auch keinem Vernünftigen in 
den Sinn fommen tonnte, den verfallenen Zuftand der Schuld der Organi: 
ſten zujchreiben zu wollen, da deren Wirkfamleit eben nur von dem in ber 
ganzen Kirche berrfhenden Sinn getragen und bebingt war.” Weiter 
fagt Herr v. Tucher:.... „Jede probuctive Kunſtthaͤtigkeit, iſt fie 
Erzeugniß ihrer Zeit, wird von diefer zunächft anerlannt, geliebt und feft: 
gehalten, fo lange beide Hand in Hand geben. Hören aber die Kunſtpro⸗ 
bucte einer Zeit auf, Träger des Zeitbewußtſeins zu fein und das Zieffte 
zum Ausfprechen zu bringen, was das Volk in ſich trägt, fo wenden jid) 
die höherer Befriedigung bedürfenden Gemütber zu den Probucten einer 
vergangenen Zeit, die, wenn ihnen auch in den Ausprudsformen fremd 
geworben, dem in ihnen waltenden Geifte nad Höheres gewähren. Wir 
ſehen das in der Geſchichte der bildenden Künfte der neueren Zeit, tbeil 
weife auch in der Muſik, da man Werke der vergangenen Perioden, der 
alten Italiener des 16. Jahrhunderts, der großen Zonmeifter Händel und 
Bad, die am Ende des vorigen und Anfang des gegenwärtigen Jahrhun⸗ 
derts ganz vergeffen, fo viel ala unbelannt oder nicht veritanden waren, 
hervorſuchte, weil, fo frembartig auch ihre Runftgeftaltung unferer Zeit fein 
mochte, doc der in ihnen ruhende Geift alles überragt, was unſere Zeit 
auf gleihem Gebiet zu leiften im Stande ifl. Das Gleiche gilt von unjerm 
Gemeindegeſang in analoger Weife, da wir ven bedeutfamen Unterſchied des 
Kunſt⸗ und Bollögefanges nicht außer Augen laſſen dürfen. Die Kunfl 
bat, wie das bei allem Volksgeſang der Fall ift, dem vom Glaubensgehalt 
durchdrungenen Gemeindebewußtfein, welches fih auf unmittelbare Weiſe 
im Geſang auszufprechen beftrebt ift, entfprechende Formen geliehen. Nun 
bat fi, wir dürfen es ung nicht verhehlen, das kirchliche Gemeindebewußt⸗ 
fein gar ſehr verfladht, die Einheit in der Gliedſchaft am Leibe Chriſti ift 
ein unverftandener Begriff oder ein bloßes Gedankending geworden, ohne 
Realität, wenigftens der äußern Erfcheinung nad, da mußten fi) auch nicht 





Geſang. 855 


blos jene charalternollen Formen, die allerdings nit mehr entſprachen, 
verfladhen, fondern es bürgerte fih auch. jene jchleppende ausprudslofe Ges 
fangsart ein, die dem Charakter des Volksgeſangs widerſprechend, jede 
Epur des Bewußtſeins eines ſolchen vernichtete. Nun fi kirhliches Ge⸗ 
meindebewußtfein wieder zu jammeln beginnt, kann fi allerdings die Ans 
forderung geltend machen wollen, wie in jenen Zeiten neue Formen ber 
Kunftmufil zu entlebnen. Das ift aber heutzutage nit möglih, denn 
weder hat diefe bis jebt den rechten Kirchenton gefunden, noch ift unfer 
kirchliches Gemeindebemußtjein erftarkt genug, fich feine eigenen ent|prechen» 
den Formen zu ſchaffen, daher muß der Gemeindegefang, wie das vorers 
wähnte Kunftinterefie e3 theilweiſe getban hat, auf die Produkte der frübern 
Beit zurüdgreifen, und da der dem ächten Kirchengeſang zu Grunde liegende 
ſpecifiſch chriftlihe Glaubensgebalt derſelbe bleibt „bis an der Welt Ende‘, 
bem wieder lebendiger werdenden kirchlichen Sinn entiprechende Geſangs⸗ 
weifen aus der alten, der NReformationszeit näher liegenden Periode des 
Kirhengefangs dargeboten werden. Ich fage: dargeboten, weil Niemand 
im Stande ift, a priori fi zuredht zu legen, was als Ausprud bes Ges 
meinfchaftsbemwußtjeins einer Zeitperiode gelten ſoll, wenn dieſes auf unmit⸗ 
telbare Weife fich ſolchen nicht felbft Schafft. Es follte in dem alſo Dars 
gebotenen unjern Gemeinden Gelegenheit gegeben werden, das ſich anzu 
eignen, was ihrem Sinn entjprechend ift, in der Erwartung, daß fih darin 
von jelbft jchon das Nichtzuſagende ausfcheiden werde.” 

10. Fortjeßung. Nachdem Herr v. Tucher hierdurch das Zurüd: 
geben auf ven alten Ehoral motivirt bat, faßt er dieſen ſelbſt in's Auge, 
sechtfertigt ihn gegen den Vorwurf der rhythmiſchen und metrijchen Forms 
Iofigleit und Kunſtwidrigkeit und weiſt dagegen in den alten Rhythmen — 
die aber nicht in Taktſtriche eingezwängt werden lönnen — eine „eben jo 
firenge als tieffinnige, in charaltervollen Geftaltungen fi) kundgebende Ges 
feßlicyleit” nah. Die Befeitigung jener rhythmiſchen Elemente erklärt er 
für eine ſeichte Verflahung und Abſchwaͤchung des wahrhaft Subfitans 
tiellen, keineswegs einer bloß leeren Form. „Nicht von einer foldhen 
willtührlih erjonnenen und an fi zufälligen Form, welche das Anders» 
feintönnen an fih trägt, handelt es fi, ſondern von dem innerlich noth⸗ 
wendigen Ausbrud der Gemeinſchaft, der gottespienftlihen Communio. Wo 
in unjerer Zeit das Verftänpniß und damit der Sinn und das Bedürfniß 
dieſer Gemeinſchaft wieder erwacht ift, da ift auch zunädjit bie Sache des 
rhythmiſchen Geſanges wieder aufgetaudt.” 

11. Fortſetzung. Nach diefen mehr allgemeinen und theoretiſchen 
Grörterungen gebt der Verfaſſer auf praltiihde Fragen ein. Er unterjcheibet, 
aud bei Chorälen in gleich langen Noten, accentuirted und unaccentuirtes 
Singen, welches lebtere nicht den Namen eines Gefangs, am wenigften 
eines Bollsgefangs verdiene. Der Choral müfle bewegt genug genommen 
werben (aber auch nicht fchneller), um eine in die Obren und Herzen 
gehende Melodie vernehmlich, um einen Gefang möglih zu machen, ber 
nicht ſei „ein lahmes, zaghaftes Nachtreten in den Epuren, in ‚melden 
Orgel und Cantor immer um einen Schritt worausgehen. Das accentlofe 

23” 


356 Geſang. 


ſchleppende Singen habe die widerſinnige, geſchmadloſe und unnüste Unſitte 
der Zwiſchenſpiele aufgebradt. 

Zur Widerlegung des Einwandes, daß fih ein taftmäßiges Singen 
und die Anwendung des Taltiritods, jowie ein Singen mit dem Rotenblatt 
in der Hand, für die Kirche nicht eigne, fagt er u. A.:... „So wenig 
das weltliche Singen unſeres Volles eines Taltirſtods bevarf, oder unter 
einem ganzen Haufen fingender Burſche ſich vielleiht auch nur Einer be 
findet, der einen Begriff von dem hätte, mas man Takt heißt, fo wenig 
das Bolt zu feinen Melodien der Noten benöthigt ift, jo wenig braucht 
man das alles in der Kirche, wenn die Melodie rechter Art ift, auch dem 
Bollsgefang entſprechend accentmäßig gejungen wird.” 

Dem Cinwande, daß fih der rhythmiſche Gefang nicht für große 
Maſſen eigne, ftellt ex den Hinweis auf die Gemeinden bes 16. und 17. 
Jahrhunderts entgegen, „in denen wirklich jo gejungen wurde*) und zwar 
in unfern alten großen Kirchen, vie aller Wahrjcheinlichteit nad damals 
mehr befucht waren, ald heutzutage. .. „Das langjame Singen wurde 
nicht dadurch herbeigeführt, daß man anders große Maſſen nicht habe zu 
fammenbalten können, jondern war lediglih Folge des ſchwindenden kirch⸗ 
lihen Sinnes und der eingeriflenen Glaubend: und Theilnahmlofigleit der 
Semeindeglieder, die nicht mehr aus dem Herzen, fondern aus Gewohnbeit 
fangen, daher durch langfames Spiel der Orgel wenigftens eine Außerliche 
Gemeinfamleit erzeugt werden mußte.“ (7) 

12. Fortſetzung. Was der DVerfafler fonft noch zur Widerlegung 
von gegneriihen Behauptungen (der accentuirte Rhythmus fei nicht orgel- 
mäßig — „nicht den ungleihen Puls eines fieberhaft aufgeregten Menſchen 
wollen wir der Mufil zum Vorbild geben” (Palmer) — dur das Wegfallen 
der Yermaten werde der Geſang zu einem Mazepparitt —) möge an Ort 
und Stelle nachgeleſen werben. Gin Gleiches gilt von den Mittheilungen 
über die Einführung bes rhythmiſchen Chorals in die proteftantifchen Kir⸗ 
den Bayerns, die nach dem anfänglichen, von ben Organiften und Cantoren 
angeregten großen und leidenjhaftlihen Sturme allmählig jo gelungen fei, 
daß die neue Singweiſe fortwährend von den Gemeinden mit Freudigkeit 
geübt werde. Eben fo gilt es von den praftiihen Winten, die auf Grund 
der in Bayern gemadten Grfahrungen für anderweitige Verſuche ber Gin- 
führung gegeben werben. 

Im Schlußworte heißt es: „Allerdings wirb bie rechte Volllommen⸗ 
beit des Kirchengeſangs durch Außere Mittel nicht erreicht, fo lange nicht 
derfelbe Geiſt in unjere Gemeinden wieberlehrt, welcher veilen ganze For⸗ 
mengeftaltung fih zum Ausbrud ſchuf ... So entſchieden beshalb auch 
betont werden muß, daß dieſe Weife des Slirhengefanges an und für ſich 
diefen Geiſt nicht bervorzubringen vermag, fo wenig können wir doch aud 


*) Der Beweis wirb von bem Berfafler mit einer Grundlichkeit geführt, 
bie eine Wiberlegung ſchwerlich zulaſſen bürfte. Uebrigens, fagt er, Lege biefer 
Beweis ben Vertretern bed rhythmiſchen Chorals gar nicht ob, wohl aber ben 
Gegnern ber Nachweis, daß damals nicht fo gefungen worben, wie man bie 
Melodien in allen Liederbächern und Chorſtimmen bes 16. und 17. Jahrhunderte 
mit Noten eingezeichnet finde, nämlich rhythmiſch. 








Geſang. 357 


leugnen, daß die Elemente dazu mehr, als es wohl ven Anſchein hat 
(Röm. 19, A) vorhanden find und es bei Vielen nur einer Anregung 
‚bedarf, die fie aus dem Schlummer medt, in den fie die falfche, Alles zer 
ſetzende Aufklärung verfentt hat.“ 

13. Fortſezung. Kundgebungen in Sachen des rhythmiſchen 
Chorals find ferner noch von Profefior Herzog in Erlangen und Gantor 
Jacob zu Conradsdorf in Schlefien erfolgt, vdesgleihen auch durd die 
„Evangeliſche Kirhenzeitung” und durch A. Reißmann in feinem 
„Lehrbuch der Compofition“. 

Profeſſor Herzog tritt in feiner „Orgelſchule“, 1867, ganz ent⸗ 
ſchieden zu Gunſten der fraglichen Choralform ein. „Der Gemeindegeſang 
der evangeliſchen Kirche iſt ſeinem Weſen und ſeiner Beſtimmung nach ein 
kirchlicher Volksgeſang mit urſprünglich beſtimmt ausgepraͤgtem rhyth⸗ 
miſchen Charakter. Daß dieſer Charakter nach und nad verloren gegangen 
ift, beweiſt keineswegs das Unvermögen ber Gemeinden, denjelben genügend 
zur Geltung zu bringen. Die Erfahrung zeigt vielmehr, daß auch jekt 
noch größere Gemeinden, wenn fie nämlich gut geleitet werden, ſich dieſe 
rhythmiſche Geſangweiſe ohne erhebliche Schwierigkeiten anzueignen ver⸗ 
mögen. Zur Verſchlechterung des Gemeindegeſanges hat außer manchen 
andern Dingen hauptſaͤchlich das Orgelſpiel ſelbſt mit beigetragen...... 
Die Orgel verließ naͤmlich ihre dienende Stellung und machte ſich zur 
Herrin des Gemeindegefanges, wodurch deſſen freier, volksthümlicher Charak⸗ 
ter in feiner weiteren Entfaltung gehemmt worden ift. Die Bewahrung 
und Reinerhaltung dieſes Charakters hätte von Seite der begleitenden 
Orgel vor Allem beftimmten Talt und wo möglih einfahe, Jedermann 
zugängliche Sarmonie verlangt. Statt defien machte ſich allentbalben eine 
mebr fünftliche, über ven Bollsgefang hinausgehende, mitunter fogar figurirte 
Begleitung geltend. Die Veränderung der Zöne in ihrem urfprünglichen 
Beitwerth, die Verfhleppung des Talts und Aufhebung aller rhythmiſchen 
Wirkung, ſowie die Einſchaltung von Zwiſchenſpielen, die nicht felten als 
die eigentlich künftlerifche Seite beim Orgelfpiel angefehen wurden, find zum 
großen Theil eine Folge davon. Zur Zeit der höchſten Blüthe des Orgel 
ſpiels, nämlich zur Zeit eines Bach, Händel, Krebs, war die rhythmiſche 
GSefangmeife ſchon verſchwunden. Bach benübt den Choralgeſang, wie er 
ihn zu feiner Zeit vorfand. Des großen Meifters Harmonifirung gehört 
dem Kunftgefang an. Seine wunderbare, tieffinnige, Acht eregetifche Weiſe 
ift über alles Lob erhaben, aber fie widerſtrebt dem Wefen des älteren 
Chorals in feiner Eigenſchaft als Volksgeſang. In fpäterer Beit ift man 
zwar, bie Folgen einer zu kunftoollen Begleitung bedenkend, mieder zu einer 
einfaheren Harmonie zurüdgelehrt, man fuchte wenigſtens den Genteindes 
gliedern das Mitfingen wieder zu erleichtern, aber man ift dabei doch auf 
halbem Wege fteben geblieben ...... . - Die meilten Gemeinden fingen 
geradezu noch ſchleppend und fchläfrig, die einzelnen Qöne erſcheinen abges 
riffen, jeber gleihfam für fih, die Fermaten werden ungebührlih lang 
ansgehalten, die einzelnen Zeilen fteben zu einander ohne innern Zuſammen⸗ 
bang . . . . Bon einer wirklichen Sthauung und Erhebung der Gemeinde 
tann dabei um fo weniger die Rede fein, als durch eine ſolche Verzerrung 


358 Gefang. 


die Auffaffung der Melodie und das Verſtäͤndniß des Zertes nothwendig 
erjhwert wird, Die Gründe, warum fo Biele noch babei fiehen bleiben, 
find troß alles gelehrten und ungelehrten Streitens darüber leicht einzuſehen. 
Die Einen find zu indifferent, um für die Sache mit Entſchiedenheit einzu⸗ 
teen, Andere find gebunden von der Macht der Gewohnheit, wiederum 
Andere, darunter leider ein großer Theil unferer wenigftens in technifcher 
Beziehung gewandten Organiften, durch die Sorge um ihren Ruf. Diele 
Lepteren bleiben lieber beim alten Schlendrian, als daß fie ſich der Gefahr 
eines wenn auch ungeredtfertigten Tadels ausſetzen.“ 

Die Einwände, daß der rhythmiſche Gefang dem Charakter der Orgel 
wiberftrebe, daß er den Choral verweltlihe, daß der „rhythmiſche Wechjel” 
gegenüber dem modernen Rhythmus nicht mehr haltbar jei, weilt der Ver⸗ 
fafjer theils durch theoretifche, theils durch Erfahrungsgründe — hindeutenb 
auf die zahlreihen Gemeinden, „welche viele dieſer Weifen fiber und mit 
der größten Erbauung fingen“, zurüd. 

14. Fortſetzung. Jacob lieferte in der „Euterpe‘ 1867, 5, 
einen Artikel über „Regeneration des proteſtantiſchen Chorals“, 
worin er die Schrift des Freiberen v. Tucher beſprach und dabei feinen 
eigenen Standpunkt ala den jenes Compromiſſes bezeichnete, der im lebten 
Decennium die ftreitenden Partheien einigermaßen verjöhnt habe und nad) 
welhem ein unbeſchränktes, ausnahmelofes Wiedereinfübren des alten 
rhythmiſchen Chorald aufgegeben, dagegen aber auch von dem unbebingten 
Beharren auf der jegigen Form, ald wäre fie die allein gültige, Abftand 
genommen fe. Im Weſentlichen enticheidvet fi) Jacob indeß für das 
Burüdgreifen zum alten Choral und feßt eben darein bie durch ein „refor: 
matoriſches Choralbuch““ zu erfitebende Regeneration des Kirchengeſanges, 
nicht zu vermecjeln mit Reaction. „Es unterliegt keinem Zweifel, daß 
mit und neben der vielfältig conftatirten Geſangbuchnoth aud eine 
gewaltige Choralbuchnoth vorbanden if, denn eben fo wenig als bie 
bisherigen rationaliftischen Nirchengefangbücher, können die in demſelben 
Geifte verfaßten und an analogen Gebrechen leidenden Kirhen: Choral: 
büder, mit dem bloß reducirten Choral, dem Bedürfniß der evangelifchen 
Gemeinden genügen. Wenn die Geſangbuchnoth mit der jogenannten Auf- 
Härungsperiode eintrat, fo datirt die Choralbuchnoth ſchon vor ber 2. Hälfte 
des 17. Jahrhunderts, in welcher Zeit man anfıng, von ben Urjprüngs 
lihen, lebensvollen Melodieformen abzugeben... . . - Das Gebiet der 
Auswahl für ein reformatorishes Choralbuch find die überlieferten kirchlichen 
Melodien aller Zeiten; darum repräfentirt ein folches nicht eine beftimmte 
Schule oder eine beſtimmte Zeit allein, fondern die objective Fülle oder 
bie Univerjalität der kirchlichen Empfindung und deshalb alle Seufzerlaute 
und alle Yubelrufe des chriftlihen Gefühls, alle Stimmen der Harfe bes 
neuen Bundes... 63 muß befiritten werben, baß die reducirte Form 
der Nernmelodien unferes Kirchengeſanges no den Ausdrud des unver 
fäljehten Liedes repräfentire. Der einfache Gegenjab jagt dies ja: antile 
poetiihe Form des Liedes — gegenüber rebucirte Form der Melodie mit 
moderner Harmonie. Das ift Widerſpruch.“ 





Gefang. 359 


15. Fortſetzung. Während Herr v. Tuher nur die Melo⸗ 
bieformen und die Rhythmik des Chorals beſpricht, jo äußert fich 
Jacob folgendermaßen auh über den barmonifhen Sat eines 
„teformatorifhen Choralbuhs”: .. . „Da die Melodie mit ihren Tönen 
und Rhythmen das Wort, den Tert erllärt, indem fie die in ihm berrs 
fhende Empfindung zur tonliben Därflellung bringt, fo wird das Wort 
nit blos erklärt, ſondern verllärt durch die Harmonie, im melcher fich 
der Zujammenklang der verfchiedenen Indivibualitäten, Geſchlechter und 
Lebensalter in einem Gedanken, einer Stimmung und Yeier offenbart. 
Es tritt mithin durch Zon, Rhythmus und Harmonie im Geſange die 
Offenbarung der Feier des Gemüths in dem in höherer Rede lautgewordenen 
Worte an’s Licht — die feſtliche innige Geiſtesanſchauung tritt in die Welt 
der Zöne ein — der tief innerlide Menſch tritt im Gefange aus fi 
heraus. Darum legen uns die tiefempjundenen klaſſiſchen Tonſätze aus 
der Blütbezeit unjered proteftantiichen Chorald, in Beziehung gefeßt mit 
ihrem Tert, die tief innerlichften Empfindungen chriftlichen Lebens dar; fie 
malen uns in Tönen Momente, in denen der Zonjeger geiftig eins gewors 
den mit dem Dichter. older Mufit gemäß, entſprechend den beiligiten 
und tiefften Negungen bes gläubigen Herzens, wie fie und Prätoriug, Leo 
Hafler, Erythräus, Vulpius, Schein, Landgraf Morig von Heflen, Johann 
Krüger, Ebeling, Schopp, Gefius, Calvifius und Andere geliefert, ift ein 
reformatorifches Choralbuch zu harmonifiren. Natürlic wird man angewiejen 
fein, bei den Melodien jener Glanzperiode den Kirhentonarten geradt 
zu werben. Die harmonische Ausgeftaltung gedieh zu jener Beit auf ihren 
Gipfelpuntt, während ſonſt in Deutichland die weltlihe Kunftmufil dem 
Berfall zuging. Wer darum bei jenen Melodien den Rhythmus ausgleicht 
und den Zönen die Harmonie unferd modernen Zonfyitems unterlegt, ver 
bat jenen hochbedeutſamen Kunftwerlen alle Weſenheit genommen; fie find 
nit mehr als ein blafjer Schein veflen, was fie waren. Darum bat ber 
Harmoniſt möglichſt fimplificirt, d. h. meift mit Grundaccorden, in fleter 
Nüdfiht darauf, daß es eben hehre Tempelllänge fein müfien, zu harmoni⸗ 
firen, und fih zu beftreben, wenigftens hierin einen Abglanz jener lkeuſchen 
Harmonien, doch auch dem fpeciellen Charakter der Melodie entſprechend, 
zur Darftellung zu bringen.” Ä | 

16. Fortfesung. Entſchiedene und „freubige” Zuftimmung findet - 
Herr v. Tucher in dem feine Schrift betreffenden Referat der „Evangel. 
Kirchenzeitung“, 1867, 27. Das Zeugniß, mit dem er aus dem Süden 
ber von Neuem in den guten Kampf für die Heritellung des evangeltichen 
Kirchengeſanges eintrete, fei für Norddeutſchland um fo wichtiger, als fi 
bei uns unter dem Vorgang tüchtiger Organiften und anderer ausgezeich- 
neter Künftler, ein rein theoretiſch confiruirted Vorurtheil gegen die Refor: 
mation des evangeliihen Choral nah dem Vorbilde des 16. Jahrhunderts 
gebildet habe, „jo daß es ſchwer hält, mit der Praxis vorzubringen, meil 
es dazu überall der Hülfe guter Organiften und Gantoren bedarf.“s) Der 


°, Der Berfafler theilt das Bebanern des Seren v. Tucher über bie 000: 
neriſche Stellung, welche mande in Sachen des Kirchengefanges als Autoritä 


360 Gefang. 


Referent ift übrigens doch in der Lage, den Mittbeilungen bes Gern v. 
Tucher über die guten Erfolge in Bayern, Aehnliches von einzelnen 
Punkten aus dem Norden ber — „und zwar gerade recht von Quellpunk⸗ 
ten des lebend? — zur Seite ftellen zu können. Gr wuͤnſcht und bofit, 
„dab die Neformation des kirchlichen Lebens auch den Gemeindegefang für 
unfer ganzes Volk gründlich veformiren und zu einem friſchen und lebens 
vollen Vollsgejang, der eine wirkliche Macht zur Verbreitung chriftlicher 
Wahrheit und hriftlihen Lebens ift, umbilden werde.“ 

17. Fortfepung. Sehr im Gegenfage mit diefen Anfchauungen, 
Behauptungen und Wünſchen fteht e3 nun, wenn X. Reißmann a. g. O. 
fagt: „Durch die religiöfe Empfindung wird die Mannigfaltigleit des 
ein Menjchlihen gebunden; das Gefühl der Ehrfurcht nöthigt ihm eine 
ftrenge, emite Haltung auf. Dem entſpricht natürlih auch die Haltung bes 
geiftlihen Chorliedes. Seine Harmonik wie feine Melodik werden mebr 
erbaben ala reizvoll fein müflen, und namentlich erfordert der Rhythmus 
eine ftrengere, weniger finnlihe Haltung, vie bis zur vollftändigen Aus- 
ſcheidung der bunten Mannigfaltigkeit feiner Darftellung im Gemeindelied, 
dem Choral führt. Der nur accentuirende, nicht quantitirende Rhythmus 
ift unftreitig der einzig entſprechende für den Choral, und es ift gewiß eine 
arge Berlennung des Gemeindegefanges, wenn man neuerdings wiederholt 
verjuht bat, ven quantitirend rhythmifchen Choral einzuführen. Selbft ohne 
bie Beugniffe älterer Muſikſchriftſteller darf man als erwiefen anſehen, daß 
ber Bemeindegefang im Welentlichen immer derfelbe war, der er noch heute 
ft. Alle abweihenden Bearbeitungen von Walther, Agricola, Bodenſchatz, 
Ealoifius, Senffl u. A. find nur als künftleriihe Verſuche einer glaubens: 
ftarfen Zeit zu betrachten, die in dem mächtigen Drange, alle Lebens: 
Außerungen des neuen Geiſtes zu geftalten, es unternimmt, dem Bollslieve 
in feiner neuen Stellung als Kirchenliev künftkerifhe Form zu geben, um 
auch bier die alte Zeit mit der neuen zu verfühnen. Auf den Gemeinde- 
gefang mußte diefe Weiſe ohne Einfluß bleiben. Der ganze alte Kirchen: 
gejang kannte die bunte Rhythmik des Wolksliedes nicht, und es war eine 
ganz nothwendige Sonjequenz , daß diefe den Volksliedern erit abgeftreift 
werden mußte, ebe fie dem Gemeindegefange dienſtbar gemacht werden 
tonnten. Der nur accentuirende, nicht auch in Noten von verfchiebener 
Geltung dargeftellte Rhythmus entipricht nicht nur dem religiöfen Empfinden 
befier, fondern er ift zugleih für den Gemeindegefang weit zwedmaͤßiger, 
ja er macht diefen überhaupt erft möglih. Daher haben auch jene Meifter 
der Choralbehandlung von Johann Sebaftian Bach bis auf Mendelsſohn, 
den Choral nur in viefer fchlicht einfachen Weife zur Grundlage ihrer 


geltende Männer zum rhythmiſchen Choral einnehmen und fett hinzu: „Ja, 
wahrlich ſehr zu beklagen ift folche Verhärtung in den gewohnten Bahnen ber 
Kunftübung, Öolce Blindheit gegen die weientlichen Bedingungen Pe wahren 
Boltsgefanges, welcher mit dem Rhythmus nicht einer willlühriih erjounenen, 
aufäligen orm, fondern bes innerlich nothwendigen Ausdrucks der gottedbienft- 
ihen Kommunion entbehrt, bie Leugnung ‚ber fo offenbaren Schäden unferes 
tirchlichen Gemeindegefanges, die VBerwerfung ber fo nahe Hiegenben Mittel ber 
Hülfe, bie fo beftimmt bach Geſchichte und Erfahrung vorgezeichnet finb.” 








Gefang. 861 


unvergänglihen Schöpfungen gemalt. So lange noch das Prinzip der 
Duantitätsmefiung in der Spracde lebendig war (im 17. Jahrhundert), giebt 
ſich auch im Choral das Beitreben einer muſikaliſchen, rhythmiſchen Dar: 
ftellung defielben zu erfennen. Nachdem aber in der Poefie das Prinzip 
der Quantitätsmeflung allmälig verſchwand, und der Accent Versmaß und 
ftrophifches Gebäude zu beberrihen begann, verlor ſich jenes Princip in 
der Mufit ganz; für den Choral wurde nur der accentuirende Rhythmus 
herrſchend, jene Verſchiedenheit der Darftellung des rhythmifhen Maßes 
wurde ihm aud in feiner künftleriichen Bearbeitung in der Melodie ab: 
geftreift.‘ 

18. Fortjegung Noch ift zu gedenken, einer mehr thatſäch— 
lien, bis jegt nur von wenigen Morten begleiteten Kundgebung in der 
Choralfrage von Seiten des verdienftvollen Eeminarlehrerd Anding in 
Hilpburghaufen. Sie befteht in der Herausgabe eines „Bierftimmigen 
Choralbuchs nad den Aälteften und neueften Quellen“, wovon 
die 1. Lieferung vorliegt. „Die Melodien find nah den Orginalien und 
in ihrer urjprünglihen Form — rhythmiſirt — gegeben; bei Melodien 
jedod, deren alte Form von der neuen zu fehr abweicht, find beide neben 
einander verzeichnet, um einen allfeitigen Gebraud zu erleichtern.“ Mehr 
iſt nicht gefagt. Aber aus dem Gefagten geht wenigſtens hervor, daß 
Anding der heutigen Form doch eine gewiſſe Berechtigung zugefteht, zumal 
da er dieſe Form faft überall auch da mittheilt, wo die alte nicht „ſehr“, 
fondern nur ganz unbedeutend (vielleicht blos in der kürzeren Anfangsnote 
jeder Zeile, wie bei ‚„Bom Himmel hoch‘) abmeiht. So fcheint es faft, 
als ob Anding auf dem Boden des von Jacob (14) angedeuteten und 
im Allgemeinen vertretenen Compromifies ſtehe. Merkwürdig genug bat 
Santor B. Müller in Salzungen, Dirigent des dortigen berühmten fir 
chenchors, in feiner Anzeige des Anding’ihen Choralbuhes — „Schul⸗ 
arhiv für die Sächſiſchen Herzogtbümer” 1865, 21 — fid 
hinfichtli der praktiſchen Seite der Frage vom rhythmiſchen Choral 
gar nicht geäußert, während er doch dem Werke an fich die größten Lob: 
ſprüche ertheilt; man müßte denn etwa das Schlußwort des Neferats für 
eine ſolche Kundgebung halten: ‚Möchte es keine Kirchengemeinde unferes 
Herzogthbums geben, melde es nicht für eine Pflicht hält, ſich dieſen Schatz 
unferes evangelifhen Rirchengefanges zu erwerben, zur Würde des Gottes: 
dienſtes und damit zur eigenen Erhebung und Stärlung.‘‘*) 

19. Fortſetzung. Als praltifhe neuere Vertretungen des aus: 
geglichenen (heutigen) Choral3 mögen noch angeführt fein die Ehoralbücher 
von Schubert (für Bommern, neu), NatorpsRind (in neuer Auflage 
dur Natorp und Greef, 1867), Hiller (in neuer Ausgabe durch 
Baft, 1867), Gebhardt (in neuer Ausgabe, 1867); ferner die Volks⸗ 
ſchul⸗, Lieber: und Choralbefte von F. 8. Weber, Richard Würft, 


— — — — — 


®) Bon dem Meiningifhen Staatsminiſterium iſt das Anding'ſche Choral⸗ 
Mn) In Anſchaffung fir wo möglich alle Kirchen des Herzogthums bringend 
empfohlen. 


362 Gefang. 


5 A. Schultz, ®. Gottfhalg mit N. Bräunlih*); desgleihen 
auch Schaab’s 40 Choräle für das Pianoforte und Heipler’s 50 
Eboräle für Männerftimmen. 

20. Schluß. Ich glaube nit, daß eine allgemeine Anwendung 
bes rhythmiſchen Chorals in Ausficht ſteht, nachdem er fidh in dreißig 
Jahren doch niht Bahn gebrochen hat. Ich glaube auch nit, daß die 
im 17. Jahrhundert beginnende „Ausgleichung“ der urjprüngliden Choral: 
rhythmen aus dem Verfall des Glaubenslebens hervorgegangen fei, ſondern 
ſchreibe diefen Lebergang andern, in der Sade felbft liegenden Urſachen 
zu, ohne übrigens die Anfiht Reißmann's zu theilen, daß der kirchliche 
Charalter des Chorals feine Entlleivung vom Rhythmus erfordere Ich 
babe nichts gegen den rhythmiſchen Choral, finde im Gegentheil einzelne 
folder Zonjäße, die charaktervoll ausgeftaltet find, fehr ſchöͤn. Der legteren 
aber find in der That nur wenig. Piel größer ift die Zahl derjenigen, 
wo das „Rhythmiſche“ nur in fehr unmefentliden Abweichungen von der 
beutigen Form befteht, vie fein Unbefangener für bedeutungsvoll erachten 
kann. Es muß aljo doch die Erbaulichleit auch diefer Choräle, welde ja 
durch die Erfahrung conftatirt ift, in etwas Anderem liegen, ald darin, daß 
jwei ober drei Noten balb fo kurz oder halb fo lang jind, als in ber 
ausgeglihenen Form. — Und mie fteht ed mit denjenigen Melodien, bie 
nie „rhythmiſch“ waren und doch feit Jahrhunderten zur Erbauung von 
taufend ‚und aber taufend Gemeinden — wer wollte das bezweifeln! — 
gefungen werben, bi3 auf ben heutigen Zag? Sollen diefe Melodien, 
weil „nicht rhythmiſch“ für langweilig, unerbaulih, andadttödtend erklärt 
und darum befeitigt werden? — Es dürfte aljo am Ende auf einen Com⸗ 
promiß binauslaufen, der jede Form und jeden Brauh achtet, aneriennt 
und geftaltet, wenn die Hebung im kirchlichen Sinne und in mwürdiger Weife 
geichieht, zu welcher legteren allerdings gehört, daß der Choral unter allen 
Umftänden im Takte gejpielt und gejungen werde. 


b. Der Chorgefang. 


21. Der Chor. Die „evangelifhe Kirhenzeitung“ 
1867, März und April, brachte den bedeutſamen Artikel: „Der Chorge 
fang im evangelifhen Gottesdienſt“, dem zunächft Folgendes entnommen jei. 

Der Verfall des gottespienjtlihen Weſens in den beiden legten Jahr⸗ 
hunderten bat auch den Chorgejang getroffen. Die ehemaligen ftändigen 
Kirhendöre, ein Stolz der Städte und jelbft vieler Dörfer, find allermeift 
eingegangen und pflegen nur noch in der Form von bloßen Schülerdören 
zu beftehben, die den Gefang der Gemeinde begleiten. Wenn einmal an 
einem Yelttage in der Kirche oder bei einem Leichenbegängniß am Grabe 
etwas gejungen werben foll, jo wird ein Männergefang:Berein oder ein 





®) Letztere geben im Anhange auch einige rhythmiſche Ehoräfe in ber Hoff- 
mung, baß ihnen dies „bei dem unbeftreitbaren biftoriichen und mufilaliſchen 
Sntereiie biefer choraliſchen Durdgangsform" nicht zum Vorwurfe gereichen 
werde. — 


Geſang. 368 


anderer Privat-Gefangverein dazu berbeigezogen. Die Bereutung des. 
Einghors ift unfern Gemeinden jo fremd geworden, daß man oft nicht 
einmal daran denkt, ihm den nöthigen Plab auf dem Chorraum der Orgel 
auszufondern und zu fihern. Man baut die gröfelten Orgeln, kaum aber - 
läßt man vor derfelben no einen ſchmalen Raum übrig, wo bie Schul: 
finder in einer oder zwei Reihen fteben können, gejhweige denn, daß man 
für die orbnungsmäßige Aufftellung eines mehrftiimmigen Singhors ober 
vollends eines Doppelchors Sorge trüge. 

Mo aber noch Kirchenchöre beftehen, da belommt man gar oft nur 
Profanes, der Kirche Unmwürdiges, in profanem Ton und Vortrag zu hören, 
Geärgert hierdurch, hat man in unferer Zeit vielfach den Chergefang grund: 
fätzlich aus der Kirche verbannt. Das beißt aber, das Kind mit dem 
Bade ausſchütten. „Läßt ſich das Heilige in feiner Reinheit nur erhalten 
dur Befeitigung des Schönen! Iſt es nicht unnatürlih, daß die Kunft, 
welche die Kirche zur Mutter hat, mit diefer keine Gemeinfchaft mehr haben 
folle? Iſt es unmöglih, den Chorgefang unfern Gottesbienften organifch 
einzufügen ? 

22. Fortfeßung. Es wird gewöhnlich angenommen, der Chorge: 
fang fei ein katholiſches Gewächs, und fein Weſen beftehe darin, die Stelle 
der Gemeinde im Gottesdienft zu vertreten. Weil nun aber im evangeliichen 
Sottesdienft die Gemeinde jelbitthätig handle und feine Vertretung zulafie, 
fo fei in demſelben auch kein Raum für den Chorgefang. Aber auch bie 
Liturgie, die Predigt, die ganze Kirche ift katholiſchen Urſprungs; Tebterer 
alfo beweift nichts gegen vie AZuläffigleit des Chores im Cultus. Es kann 
übrigens auch der Chor in die Handlungen des Gottesdienftes mit eintreten, 
ohne daß dadurd die Gemeinde aus ihrer berechtigten Stellung verbrängt 
wird. So geſchah es in der althhriftlihen Kirche, auf deren Praris ſich 
die unfrige gründen fann. Und dann lehrt bie Erfahrung, daß fi hie 
Gemeinde, zumal bei fejtlihen Anläflen, in ihrem einfachen Liedgeſange nod) 
nit genügt, fondern es lebt in ihr zugleih der Drang, ihre Gefühle der 
Anbetung in noch berrlicheren, kunftvolleren Weſen auszuſprechen. Und bies 
thut der Chor, als der mufitalifch gebildete Theil ver Gemeinde, 
nit in Verdrängung derfelben, ſondern als ihr Organ, indem er bie 
jenigen aus bem Glaubensgeifte der Gemeinde entjprungenen und ihren 
Glauben ausfprechenden Gefänge ausführt, wozu höhere Kunftbildung erfor- 
dert wird und mithin die Gemeinde als Ganzes nicht geſchickt iſt. Dies 
ift der reale Geſichtspunkt für das Verftänpniß des Chores. Im idealen 
Einne aufgefaßt, ericheint er alö der Nepräfentant der allgemei— 
nen Kirche im Unterfhieb von der CEinzelgemeinde. Wie er aber aud) 
aufgefaßt merbe, immer vertritt er im gotteöbienftlihen Gefange dem Ge⸗ 
meindegefang gegenüber ein Kunftelement. Und bierdurh tritt fein 
Werth für den Gottespienft noch vollends in ein Mares Licht. Denn der 
Eultus kann zu feinee Vollendung der Kunft durchaus nicht entbehren. *) 


*, „Die Kunſt um der Kunft willen in den Cultus einführen, bieße ‚bie 
Kirche entweiben .... . . (Aber) die Kunft aus der Kirche verbannen, hieße 
nichts anders, als das Heilige niemals zu feinem vollendet reinen Ausbrud im 


364 Geſang. 


23. Fortſetzung. Was die Thätigkeit des Chores anbelangt, 
fo ſoll derſelbe nit eine ifolirte Stellung einnehmen, nicht geiftlihe Con⸗ 
certe in der Kirche geben, mo er als fremdes, ftörendes Glement ericheinen 
und den Gefang der Gemeinde beeinträchtigen würde; er foll vielmehr mit 
dem Gottesdienfte lebendig und organisch verbunden fein, er foll an allen 
Stellen der Liturgie, in den Haupt: und in ben Nebengottesdienften, der 
Beiper und Matutin die Bedeutung der liturgifhe Handlung noch klarer 
und lebendiger ins Licht treten lafien und die Gemeinde zu einem um fo 
innigeren und freubigeren Mithandeln erweden. 

24. Fortfesung. Zur Feitftellung des muſikaliſchen Cha⸗ 
rakters, den der Chorgefang haben foll, unterfcheidet der Verfaſſer 
Geiftlihes und Kirchliches. Eine Ode von Alopftod kann fehr erbau: 
lih fein; ... . . aber wer wird fie im Gottespienfte vorlefen wollen! . . 
Biele Compofitionen, felbft von Sebaftian Bad, fo tief geiftlih und 
muſilaliſch herrlich fie find, eignen ſich doch nicht für den Gebraud des 
©emeindegottesdienftes, ſondern find für andere ernfte, heilige Verſammlun⸗ 
gen und bie einfame Betrachtung zu verwenden. Für den Gemeindegejang 
genügt es noch nicht, daß ein Gefang geiftlih und dhriftlich fei, er muß 
überdies ein gemeindliches Gepräge tragen, muß kirchlich fein. — An 
diefem Poftulate der Kirchlichleit liegt es, daß die Compofitionen der 
Neuzeit im Allgemeinen für den kirchlichen Gottesdienft nicht verwerthet 
werden können .... Auch wo Componiften von religiöfem Gmite be 
feelt find, vermißt man doch in ihren Arbeiten meiftens den eigentlich 
firdlihen Ton. Zu den Urſachen diefer Erſcheinung gehören vornehmlich: 
1) das Fehlen des kirchlichen Gemeindegeiftes, der in alter Zeit jo mädtig 
war, daß der Ginzelne, von demjelben getragen, kaum einen andern als 
den kirchlichen Ton anſchlagen konnte; 2) der im 17. Jahrhundert aufge 
tommene Gebraud des Inftrumentalismus, der feine Eigenthümlicdhleit in 
Stimmenführung, Melodie und Harmonie und deren gegenfeitigem Berbält- 
niß dem Chorgefange mittheilte und unter deflen Einfluß die kirchliche Muſik 
beute noch fteht...... Es ift hier wie mit den bildenden Künften, deren 
klaſſiſche Periode gleihjalls in der Bergangenbeit liegt. Wenn wir Kirchen 
bauen wollen, fo greifen wir zurüd zu den Formen des gothifchen oder 
romaniſchen Sul... .. Und da wir auf eine neue Blüthe der kirch⸗ 
lichen Muſik nicht erft warten können, fo müflen wir uns an die Schäße 


Eultus ſich erheben, und biefen nie feine eigentliche Berflärung gewinnen Tafjen. 
Die Kunft muß der Kirche dienen, und eben in biefem Dienft entfaltet fie ihre 
edelſten Kräfte, weil kein Gebiet höher und ber Kunſt würbiger ift, ale das bes 
Heiligen und ber KRirde..... . » Wir reben ber Ginführung der Kunſt durch 
den Chorgeſang in unſere Gottesbienfte das Wort, nicht weil fe Kunſt if, ſon⸗ 
dern weil hierdurch die heiligen Empfindungen der Gemeinde zum vollſten und 
reinſten Ausdruck kommen und eben barin die reichſte Duelle zur Erbauung 
ber Gemeinde eröffnet iſt, wie ſchon eine ber reformatoriſchen Kirchenorbwungen 
ale Zwed des Chorgefanges angiebt: „Damit bie göttliche Lehre, Gebet, Dank⸗ 
fagungen, Zroft, VBerheißungen, Drohungen ꝛc. durch den Geſang befto tiefer im 
der Zuhörer Herzen durchdringen und biefelben zu wahrer Gottieligleit befto 
Fr bewegen und zu chriſtlicher Andacht und Eifer erwecken möchten.” 


Gefang. 365 


vergangener Beiten halten, dargeboten u. U. durch das befannte Werk von 
Dr. Shöberlein und Fr. Riegel. ‚Da greife num Jeder hinein, ..... 
bald wird er ſich überzeugen: das find Acht Kirchliche Klänge, und unfere 
Gemeinden werben fich eben fo wieder daran erbauen, als es in ber Seit 
dee Reformation geſchehen if. Das Berftänpnig wird zunehmen und 
unjere Zeit wird dahin gelangen, gleih Würbiges zur Erbauung der Ge- 
meinden bervorzubringen, wovon erfreuliche Anfänge bereits erlennbar find.‘ 

Yür Berfammlungen der kirchlidyen Gemeinde, welche niht ſpecifiſch 
gottesdienftliher Art find, geftattet der Berfafier dem Chore eine 
freiere Bewegung und erachtet auch ſolche Gejänge zuläflig, melde mehr 
oratorienmäßig und überhaupt fubjectiver gehalten find, ja er würde auch 
. gegen nftirumentalbegleitung nichts einzuwenden haben. 

25. Fortſetzung. Noch zieht der BVerfafler den Vortrag ver 
Shorgefänge , die Chorform und das Chorperfonal in Erwägung. 
Erfterer muß dem beiligen Ernſt der Gejänge wie der kirchlichen Feier an⸗ 
gemefien jein. Seine ſchroffen Gegenfäte von Forte und Piano, nod 
ſchmelzende Crescendos! Effectſtüde gehören nicht in die Kirche. Dagegen 
fei der Vortrag fiher und rein. Denn der geringfte Mangel in dieſem 
Buntte pflegt zu ftören. „Es wage fi deshalb der Chor nicht an Stüde, 
die feine Kräfte überfteigen; auf die Ausführung des Gemwählten aber wende 
der Cantor allen Fleiß und unermüdliche Ausdauer.” 

Was die Chorform betrifit, fo it der bloße Kinderchor zu dünn, 
dem Männerdhore mangelt die Fülle der Harmonie und vielfah auch für 
den meiten Raum der Kirche die durchdringende Kraft und Klarheit bes 
ones. Ohnehin repräfentiren wever bloße Kinder noh Männer für fi 
die ganze Gemeinde, wie dies doch im Begriff des Chores liegt. 

Das Chorperfonal foll nicht aus gemietheten Individuen, die einer 
irgend welchen fremvartigen Lebensfphäre, etwa dem Theater angehören, 
fondern aus wirklichen Gemeindegliedern von bürgerliher Unbefcholtenheit 
und kirchlichem Sinn beftehen, und zwar nicht als Privatunternehmen des 
Cantors, fondern mit fichliher Anerlennung und Autorität. Es bat fein 
Gutes, wenn die mitwirlenden Kinder, nach Umftänden au die Erwach 
jenen eine, wenn auch geringe Vergütung oder DVergünfligung empfangen. 

26. Die Braris. Im Ullgemeinen wird mit Ernjt und Gifer an 
der Herftellung und Pflege der Kirchenchöre in den Städten und auf dem 
Lande gearbeitet. Nachdem in einer langen Zeit des Verfalls Anderes zu 
Grunde gegangen war, jo jucht man jebt zu retten, was zu retien iſt; aus 
den Trümmern des Alten entſteht manch abermaliger Aufbau; Anderes ift 
von Grund aus neu geihaflen. Die Gymnaſien werden fich der Beſtim⸗ 
mung wieder mehr und mehr bewußt, Heimatbitätten nicht nur der Willens 


*) ‚Wie erbebenb wäre es für bie Gemeinbe, wenn 3. B. am Charfreitags- 
Abend in unfern Stäbten die Paffion von Bad, an Weihnachten feine Weih- 
nachts⸗Cantate und zu anderen Zeiten anbere paflende Cantaten in ber Kirche 
geinngen würden! Für unfere weltlichen Concertſäle find derartige muſikaliſche 
Schöpfungen nicht beftimmt und doch fügen fie ſich aud in bie Liturgie unjers 
——— Feſt⸗Gottesdienſtes nicht ein; hier dagegen haben fie ihre ange⸗ 
meſſene Stelle.“ 


366 Geſang. 


ſchaft, ſondern auch der religiöſen Tonkunſt zu fein. Die Seminarien 
erkennen, daß ihre Aufgabe nicht mit der Einübung einiger Nännerchoͤre 
gelöft ift, fondern daß ed hauptſächlich auch darauf anlommt, einen gut 
geihulten gemiſchten Chor aus Kindern und Seminariften zu bilden, Hafs 
ſiſche Gejänge in moͤglichſter Vollendung zur Ausführung zu bringen und 
den Chor, wenn e3 irgend angeht, mit dem öffentlihen Gottesdienfte in 
Verbindung zu jeßen. So wird die Seminararbeit vorbilplih für die 
einftige Wirkfamfeit der Zöglinge als Cantoren in Stadt⸗ und Landkirchen. 

Bei den FKirhenmufilen ift das oft fo unkirchliche Inftrumentgetöfe 
weientlih zurüdgetreten; man befchräntt ih an vielen Orten auf reine 
Vocalwerte oder doch auf Geſänge mit Orgelbegleitung, jo daß ſich erfüllt, 
was Gottſchalg in der „Neuen Zeitfhrift für Mufit“ 1867, 
10 als wünfchenswerth binftellt, wenn er fagt: „Wir würden uns freuen, 
wenn ftatt des oft unter aller Kritik ſchlechten Inftrumentallärmd in ben 
Landkirchen lediglich Vocalſachen zur Darftellung kämen.‘ 

Zu großen Ehren ift mit Net der Salzunger Kirchenchor ge 
langt, der auch bei der Meininger Zonlünftlerverfammlung ganz Borzüg- 
liches geleiftet hat. Könnten doc recht Viele dem Dirigenten diejes Chores, 
Herrn Cantor B. Müller, einem rechten Cantor von Gottes Gnaben, 
etwas ablernen von feiner Kunftl —*) 

Ganz Vortrefflihes wird auch dem unter Leitung des Brofeflor 
Müller: Hartung ftebenden Weimarer Kirchenchore (größtentheils 
Geminariften) nachgerühmt. 

27. Fortſetzung.“ Neben und mit den Kirchenchoͤren entfalteten 
die zablreihen Vereine für gemifchten Chorgefang eine hauptſächlich auf 
geiftlihe Muſik gerichtete höchſt erfreulihe Thätigleit, wenn fchon mehr in 
abgefonderten lirchlihen Aufführungen, als durch Mitwirkung bei dem Got⸗ 
tesdienfte. Im eminenten Sinne gilt dies namentlid von dem Riedel’ 
fen, als Hochbild einer ſolchen Genoſſenſchaſt daftehenden Vereine in Leip⸗ 
zig, der unter der Leitung feines energifhen und reichbegabten Dirigenten 
fortfährt, die edelften Tonwerke alter und neuer Beit in vorzüglider Weife 
zur Aufführung zu bringen. **) 

28. Die Tonmwerle der Neuzeit. Der von fehr bedeutenden 
Männern aufgeftellten Behauptung gegenüber, es feien biefe Tonwerke für 
den kirchlichen Gottesdienft im Allgemeinen nicht zu verwertben, muß wenig⸗ 
ſtens als Thatſache angeführt werden, daß ed wiederum viele ernite und 
kirchliche Leute giebt, die bei aller Anerkennung der Herrlichleit des von 
den alten Meiftern Gefchaffenen doch meinen, auh von Mendelsfohns> 
Bartholdy, Hauptmann, Grell, B. Klein, Br. Shneider, 
Spohr und andern Componiften unferes Jahrhunderts ſei mancher Ebor, 


*) Herr Müller if von feinem Zunftfinnigen Landesherrn zum „Kirchen⸗ 
mufitdireftor” mit einer Gehaltözulage von 400 fl. ernaunt, erbielt auch bie 
Mittel zu einer Reife nach Italien. 

+), Mit unenblihem Fleiße arbeitet in dieſer Richtung auch Cantor Welle 
in Zei, dem biefe Stadt ſchon eine lange Reihe treffliher Kirchenconcerte ver⸗ 
Dantt, wie denn u. A. er am vergangenen 25. September der „Eliad” von 
Meubelsfohn aufgeführt wurde. 





Geſang. | 867 


manche Motette zc. ꝛc. vorhanden, denen die Eigenſchaft der Kirchlichleit 
reht wohl zugeiprochen werden dürfte. Kein Zeitalter habe die wahre Kunft 
ganz allein befefien und die Entwidelung ſchließe nirgends ganz ab. — 
Im Mebrigen ift abzuwarten, was ſich zu feiner Zeit ald Wahrheit heraus: 
ftellen und geltend machen wird. Ich meinerjeitd glaube, daß ſchon 
aus technischen Urfachen wir niemals dahin kommen werden, nur Compo⸗ 
fitionen des 16. und 17. Jahrhunderts beim Gottesdienft zu verwenden, 


2. Katholiſches. 
A. Allgemeines. 


29. Weſen und Bedeutung des Kirhengefanges. Hierüber 
wird in der „Eäcilia’ duch Pfarrer C. Smedint zu Nedesheim 
viel Beherzigenswerthes aus älteren und neueren Concilien — Berorbnuns 
gen mitgetheilt. So 3. B. aus den Alten und Dekreten des Provinzials 
Soncil3 von Wien vom Jahre 1859, wo es u. U. beißt: ... . . „Da e8 
einmal in der Natur des Menſchen begründet liegt, daß der wohlgeorbnete 
Ton und Gefang ſehr viel dazu beiträgt, die Empfindungen der Seele zu 
bezeichnen und anzuregen, jo fehlen aud Gejang und Mufil niemals beim 
Lobe Gottes. — Im Tempel zu Jerufalem waren fehr viele Leviten dazu 
beftimmt, dem Herrn Palmen und Lobliever zu fingen. Diefen beiligen 
Ritus nahm die Kirche im neuen Zeftamente derart in ihre Liturgie auf, 
daß fie Alles von ihr entfernt wiſſen wollte, was der Frömmigkeit und 
Andacht mehr binderlih als förderlich fein könnte. Die Modulation der 
Stimmen und die Töne der Orgel find nur dazu da, daß der Sinn ber 
heiligen Worte mehr und mehr gehoben und befeftigt werde... Alle 
Melodien, welche etwas Geziertes an fi tragen, oder mit dem theatras 
liſchen Meilen Aebnlichteit haben, follen ausgefchloffen fein, weil fie wohl 
für unrubige, von ſinnlicher Liebe gequälte Gemüther paflen, aber nie ber 
Ausdrud einer von beiliger Liebe entflammten Seele fein können . .. Da 
in unfern Gegenden bie Laien nidt vom Geſang-Chore ganz fern gehalten 
werden können, fo muß man doch wenigſtens die zurüdhalten, deren Leben 
eine notoriſche Malel aufzuweiſen bat. *)" 


*) Smedink fett hinzu: „Wie ftrenge bie Kirche ſchon früh au Carthago 
8 398 und noch immer nach dem Pontificale neben der Bildung ber Stimme 
1) die Bildung des Herzens, 2) firenge Rechtgläubigkeit und 3) einen ganz unbe» 
fholtenen Wandel als unerläglihe Bedingung und Eigenſchaft eines Kirchen- 
fängers anfab, fehen wir auch noch aus den folgenden Worten im Pontificale: 
„Ir Jemand zum Pjalmiften (Kantor) vom Biſchofe geweiht worden und muß 
er (weil er ſich nicht bewährt bat uud in Üblen Ruf gelommen ift) begrabirt 
werben, fo mag ber Biſchof nach ber Degrabation von ber erſten Tonſur zu 
ihm fprechen: „Weil Du das in deinem Herzen nicht geglaubt haft, was Du mit 
bem Munde gefungen, noch auch in Werten erfüllet und an den Zag gelegt haft, 
— fo nehmen wir dir hiermit das Amt, in ber Kirche Gottes zu fingen.“ 


368 Geſang. 

In den „Fliegenden Blättern für katholiſche Kirchen⸗ 
muſik“, herausgegeben von Franz Witt, 1867, 2, fteben bie „Be: 
fimmungen der Eichſtädter Paftoral:Inftruction über Kirchengeſang und 
Kirchenmuſil“ und in diefen lautet $. 1: „Um den Gottesbienft mit ges 
bübrender Majeftät und Würde zu feiern, dazu trägt im bödhften 
Grade bei die Kenntniß des Kirchengeſanges und der Kirchen⸗ 
muſik nit nur von Seite des Priefters felbft, fondern aud derer, die: 
dem Mufilhore dienen.‘ 

Bezeichnend für die Würde, in ber bie kirchliche Tonkunſt von dem 
katholifhen Kranz Witt aufgefaßt wird, ift es, wenn berjelbe beim Weber 
gange von feinem bisherigen Pfarramte zu der Stelle des Inſpectors am 
Königl. Studienfeminar zu St. Emmeram in Augsburg, womit bie Funk⸗ 
tionen des Chorrigenten zu St. Rupert verbunden find, fagt: „Auch in 
diefer Stellung hoffe ich ſiets nah dem Worte R. Schumann’s zu handeln: 
Der geiftlihen Mujil die Kraft zuzumwenden, bleibt ja wohl 
das höchſte Ziel des Künſtlers.“ 

30. Innerlihleit des Geſanges. Die „Cäcilia“, 1867, 1, 
theilt einen Zractat aus dem 9. over 10. Jahrhundert unter dem Titel 
mit: „Anorbnungen der Väter betrejfs der Weife zu pfal: 
liven und zu fingen” (Instituta Patrum de modo psallendi sive 
cantandi, enthalten in dem Werte: „Scriptores ecelesiastici de Musica“ 
vom Fürftabt Gerbert von St. Blafien im Schwarzwalde), worin es heißt: 
„Wir wollen den Pjalmengefang jo geordnet vollbringen, daß nad) der 
Megel des heil. Vaters Benedictus unſere Gelinnung unjerer Stimme ent 
fprede, indem wir fingen und pjalliren im Angefichte der heiligen Drei⸗ 
einigleit und der heiligen Engel, zerknirſchten Herzens in Furcht und Bittern, 
anbädtigen Sinnes, voll Liebe zum Himmliſchen, erglübend von heiligen 
Geifte und inniger Begierde, daß wir durch die Worte, welche wir fingen, 
zum Himmliſchen erhoben, gleihjam SHimmelsbürger geworden, Gebeimnifie 
jhauend, mit ſüßer Anmuth, reiner Seele, freubigem Geiſtesernſte, mit 
fhöner Eintradht, angenehmer Melodiem, neltarfüßem Jubelgeſang, mit be» 
bender Stimme und unbejchreibliher Freude unfern Gott und Schöpfer 
lobfingen; damit wir zulegt nad fröhlicher Auferftehung mit den Heiligen 
gewürdiget werden, ben, der uns berufen, in ber ewigen Freude zu loben, 
wo er lebt und regiert in alle Ewigfeit. Amen.‘ 

31. Würdige Weiſe des Geſanges. In demjelben Zractate 
beißt es: ... . „Die Stimmen nad Art der Gauller zu mobuliren, ſchwir⸗ 
ende, jodelnde, bonnerähnlich rollende, oder ziſchende, oder gleih Maul⸗ 
ejeln wiehernde, oder brüllende oder wie Heerden blöfende Töne, und alle 
Falſettoͤne, ſowie Prahlereien und Neuerungen in den Stimmen verwerfen 
wir und verbieten fie für unfere Chöre, weil fie vielmehr Eitelkeit und 
Thorheit als Andacht anzeigen und es ſich nicht ſchickt, daß ſich Religiofen 
derlei Singmittel vor Gott und feinen Engeln im Seiligthum bedienen. 
Solde nun, melde derlei Stimmen haben, und von Natur aus einer fing- 
fähigen Stimme entbehren, und meil nie dur den Betrieb eines mufila- 
lifchen Inftrumentes geübt, aud feine für die Neumen erforderliche Biegſam⸗ 
feit der Stimme befigen — jolde nun, obwohl in Sitten und Stimmen 





Geſang. 369 


sorgebildet, vermeſſen ſich doch unter dem Varwande religiöſen Gifers, Sing⸗ 
weiſter und Leiter ber Chöre zu fein, und zu ſcheinen, ba fie doch weder 
Kenntuniß befinen, noch ſich ermerben wollen; Daher find fie manchmal Urs 
jache, daß nichts zuſammen —, nielmehr Alles: aus einander geht und fie 
auch wie Andern aus dem Sattel werfen. In großer Leichtfertigleit übers 
Flürzen fie den Gefang . . . verftehen kein Maßhalten, begreifen auch nicht 
wie feine Würge nes Berftänhnifies (des Sinnes der Worte) und gelangen 
felten zu tugenbliher Ergögung, in bemühen ſich yielmehr gar nicht, bie 
göttlichen Geheimnifle zu betrachten. und ‚vie himmliſchen Lehren zu erwaͤ⸗ 
gen"... . Bor tauſend Jahren. aljo wie in unſern Tagen, hat es ſchlechte 
Sänger und Dirigenten gegeben. Das Ungeſchick ftirbt ‚nicht aus, noch 
weniger die Awnaßung und Fitelleit; kaͤmpfe Jeder bagegen an, ber 8 
ernſt wit dem Heiligen meint, ws an 
Nah der ſchon erwähnten Eichflätter Taftpral: Inftruction joll der 
Gefang Het? „wurdevoll“ fein, „auch joll man nicht Geſchrei für Geſang 
halten... „Wir halten es für beſſer,“ heißt es fogar, „daß votzüglich auf 
dem Lande das Boll dur Abhetung des Roſenkranzes unter dem Gottes⸗ 
bienfte zur Andacht entflammt werbe, als baB es zeritseut werde durch 
albersen und geichmadinjen Geſang.“ Bu 
Vielfach eifern die „liegenden Blätter‘ gegen alles Unwürdige 
in Dem kirchlichen Gefange, möge es den Gejängen jelbit anhaften oder hei 
iger Ausführung zu Tage treten. . 


b. Der katholifce Choral. 


32. Der gregorianifhe Geſang. Mehrjach ift die Anficht 
geltend gemacht worden, daß bie Reform des katholiſſhen Kirchengeſanges 
ſich durch das Zurückgehen auf den gregorianischen Gejang vollziehen müſſe. 

In entjchiedenften Sinne ift dieſe Auſicht vertreten in Ludwig 
Säueider's, weil. Pfarrerd zu Gibingen im Mheingau, nachgelafienem 
Bere: „Gregorianiſche Ehoralgefänge für die Hauptfefte 
des Kirchenjahres.“ Hier wirb der gregorianiſche Gefang, „nach dem 
Willen der Zirche der einzig berechtigte für ben Tatboliichen Cultus“ — 
„in feiner urſprünglichen Reinheit mit entjprechender Orgelbegleitung reha⸗ 
küitirt." 63 gefchieht Died buch Werbannung aller. zufällig 
erhöhten oder erniedrißten Töne in Melodie und Hars 
monie, alfo durh ein ganz abfolutes Beharren bei der firenge 
Ren Diatonik der Kirhentöne,*) wodurch -allerbings durchaus 


”, Schneider fchrieß mehrere Jahre vor feinem Tode in der „Ca cilia“: 
„Berieffener auf bie Ehromatit Tann Niemand fein, ale id) es war, ber ich vom 
5. bie 54. Lebensjahre in alle Zweige der profanen Mufik practiich und theoretiich 
mid eingelebt hatte... Seit etwa 20 Jahren habe Ich mich mnablafſig dem Stu⸗ 
dium des ‚gregoriantfhen Chorals gewidmet und wit nnläglihen Schmerz den 
alten Adam anegezogen, und mein ganzes Gehör wiebergeberen ... ... Ych gebe 
nun dem Kalfer, was bes Kaiſers, und Gott, was Gottes if. Zwiſchen ber 
Muſik außer der Kirche unb bem liturgiſchen Geſange befteht und muß beſtehen 
eine nnüberfteigliche Scheidewand, wie zwiſchen Himmel und Erde, wie zwiſchan 
einem weltlichen, wenn auch ſehr frugalen, Gaſtmahle und dem heiligen Abend 

Pad. Jahesberigt. XIX. 24 


8370 Geſang. 


rein doriſche, phrygiſche zc. Tonftüde entſtehen, die aber freilich dem Gehör 
in zum Theil faft umerträgliher Weife widerfireben, zumal da die Accorde 
bäufig in folden Berbindungen (oder vielmehr Richtverbindungen) auf 
treten, die als Außerft hart bezeichnet werden müflen. — 

Man bat fih daher auch ſelbſt katholiſcher Seits mehr ablehnend als 
zuftimmend gegen dieſe Art des Tonſatzes verhalten. Go weift ein Artikel 
der „Säcilia” darauf bin, daß Schneider nit blos von Mettens 
leiter u. A., fondern auch von den Tonſetzern des 15., 16. und 17. Jahr⸗ 
hunderte abweiche, „bie swar in ben Choralmelodien, nicht aber in der 
Harmonifirung verfelben die firengfte Diatonit feRbielten. Der Berfafler 
des Artikels ſetzt hinzu: „Schneider will alfo dem Ohre auch nicht die geringfte 
Conceſſion mahen .... . Daß man das Ohr an bie fchausrlichften 
Dinge gewöhnen könne, davon liefern das alte Organum, fowie bie ver 
idhiebenen Contrapunlte von dem 15. Jahrhundert die ſchlagendſten Beweife. 
Daß ſich aber auch ſchon fehr früh die Nothwendigleit berausftellte, dem 
Dhre einige Conceffionen zu maden, davon liefert das uralte Verbot bes 
Tritonus*) uns ebenfalls einen Beweis... ... Gine Gemöhnung unferes 
Ohres an die Diatonil der alten Choralmelodien, zumal wenn diefelben 
obne Begleitung gefungen werden, ift feine jo ſchwere Aufgabe. Verbindet 
fih aber die Harmonie damit, fo tritt der Gegenfab zwifchen Gonfonanz 
und Diffonanz in bundertfach flärkerem Grade hervor... . Daraus folgt, 
dab man die Accorde einer Zonart nicht fo blinvlings zufammenmwürfeln 
dürfe; daß man im Gegentbeile auf die nähere oder entferntere Verwandt: 
Schaft der Accorde unter fih Rüdfiht nehmen müfle ..... Der Zweck 
der Harmonie ift doch keinenfall3 der, die Melodie durch erzwungene Accord: 
folgen abzuſchwaͤchen, dem Sänger das Treffen zu erjchweren und dem Bus 
börer die Muſik zu verleiden ... . . Warum haben denn bie Tonfeber 
des 15. und 16. Jahrhunderts in ihren Harmoniefolgen nicht an ber ftarren 
Diatonik feftgehalten, fie, deren Gehör nicht durch Dur und Moll verwöhnt 
war, und die noch vollfändig in den Kirchentonarten lebten und webten ? 
Wollen wir klüger fein als ſie? ... Wir jchließen uns der Anſicht vollſtändig 
an, daß bei der Begleitung des Choral die Diatonit in der Melodie ftets, 
in der Harmonie fo lange als nur möglich feftgehalten werde, daß aber in 
den Schlußfällen, oder wo das ſchwierige Zrefien eines Intervalls es 
erheiſcht, von der flarsen Diatonil in ber Aceordfolge abgegangen werben 


mahle. Dieſe Scheibewanb aber fällt, in melodiſcher Hinfſicht, mit ber Diefis 
(Einführung Kromatifher Töne), in harmoniſcher Beziehung, mit ber nicht fireng 
leitertreuen Begleitung zufammen. Um folche Dielobie und Harmonie nicht blos 
für möglih und erträglich zu halten, fonbern fie überaus hochehrwürdig, höchft 
arakteriftiich zu finden, und jede andere ale unausftehlid, ganz ungebörig, das 
ejen bes Chorals vernichtend, den überweltlichen Charakter zerfiörend, bebarf 
e6 einer grünblichen Wiebergeburt bes total vermöhnten und despotiſch auf ber 
einen hergebrachten Form verharrenden, excluſiv modernen Gehörs. 
*) Ein Jnutervall aus drei ganzen Tönen, f—h. Krüger führt den 
„wenig anfechtbaren“ Lehrſatz an: „Die Ninberquinte LöR ſich nah innen: 
h—t — c e; ihre Umlehrung, ber Tritonus, TöR fig nad außen: 








Geſang. 371 


müfle. Nur darin weichen wir von der Harmoniſirungsweiſe ber Alten 
etwas ab, daß wir darauf bedacht find, für die Accordfolge der Hauptſache 
nad foldhe Harmonien auszuwählen, die in irgend einem näheren verwandt: 
ſchaftlichen Verbältniffe zu einander ftehen, fo daß die Uccorbfolge nicht 
gar zu hart und fchroff klingt.“ 

33. Fortſetzung. MUebereinitimmend biermit lehren auh Krüger 
(1.) Herzog (13.), Reißmann (13,) und Heinze („Theoretiſch— 
praltifhe Harmonielehre‘) die Buläffigkeit fremder Töne bei der 
SHarmonifirung von Melodien in den Kirchentoͤnen, und zwar thut bies 
Heinze mit befonverer Beziehung auf den gregorianifhen Geſang. Ders 
jelben Lehre gemäß verfähtt u. U. auch Anding („Bierftimmiges 
Choralbuch“ 1867) bei der Harmonifirung altkirchlicher Choräle. Wohl 
zu merlen ift hierbei, daß die Genannten jämmtlich weit entfernt find, die 
Gigenthümlichleiten der alten Zonarten verwilhen, die in diefen Tönen 
ftehenden Choräle modernifiren zu wollen, woran überhaupt jet Niemand 
mehr dent. 

34. Fortſetzung. Die erneuerte Pflege und Anwendung bes gre⸗ 
gorianifhen Geſanges ift auch von denjenigen, welche nicht den gefammten 
Katholiichen Kirchengeſang auf diefe Choralform zurüdführen wollen, mehr: 
feitig empfohlen, gefordert und angeftrebt worden. So fagt Franz Witt 
in den „Hliegenden Blättern’ unter Anführung des Ausſpruchs 
von Proste: Der cantus Gregorianus fei „die heilige Schrift der Kir: 
henmufil”, jowie unter Hinweiſung auf feine eigene Schrift: ‚Der Zuftand 
der katholiſchen Kirchenmuſil“: . . . „Iſt der cantus Gregorianus litur: 
giſches Geſetz, jo iſt es Pflicht des Priefters, für die Einhaltung deſſelben 
Sorge zu fragen... ... Es iſt aljo ein durchaus abnormer, dem kirch⸗ 
lihen Geilte wiberjprechender BZuftand, wenn, wie es in Altbayern (und 
Süddeutſchland) faſt durchgaͤngig der Fall ift, kaum zehn Kirchen ſich finden, 
in welchen das ganze Jahr hindurch aud nur ein Einziges Mal mit Aus: 
nahme der Charwoche ein Amt nad dem cantus Gregorianus gefungen 
wird. Mit dem firengftien Zabel muß es belegt werden, wenn an bie 
Gtelle deſſelben die profanften deutſchen oder lateinischen Lieber treten.” 

35. Der neue Choral. So heißt bei den Katholilen im Gegen- 
fa zum cant. Gregor. ber lirchliche deutſche Gemeindegefang, ſoweit er dem 
evangelijchen gleicht und nicht in den bewegteren „geiftliben Volksliedern“ 
befteht, zu denen, wie Heinze (33.) fagt, „auch nod die hier und da in 
Schönfter Blüthe ftehenden verjhwommenen Arienmelodien zählen.” Die 
Melodien ftimmen einer beträdhtlihen Anzahl nad mit den evangelifchen 
überein. Mit welchem Ernſte der „neue Choral‘ gepflegt wird, davon 
giebt Vielerlei BZeugniß, unter Anderm die ſchon genannte „Harmonie: 
und Muſiklehre“ von Heinze, worin dieſe Geſangsweiſe für den 
Zweck des Seminarunterrichts die forgfältigfte Behandlung erfährt. Bemers 
tenswerth ift, daß die Melodien nur in „‚auögeglihener” Form auftreten 
und die „rhythmiſche“ ganz ignorirt wird, 


24* 


372 Gefang. 


0. Der Chorgefang. 


86. Seine Stellung und Bedeutung. SHterüber finden ſich 
wichtige Erörterungen in den „sFliegenden Blättern“, 1867, 8, unter dem 
Titel: „Muſik und Liturgie.” Der Berfafler (Franz Witt feibft) wirft die 
Frage auf: „Soll die Mufit ein Theil der Liturgie fein, foll des Chorregent 
fie als folchen auffaſſen?“ Anlaß gaben ihm folgende und ähnliche Behanp- 
-tungen katholiſcher Geiftlihen und Laien: „Es Kegt auf der Hand, daß 
unfere Kirchenmufil, wenn auch der gregorianifhe Choral zur Anwendung 
tomme, keine eigentliche liturgiſche Mufit mehr if.” — „Der Zwed, den 
die Kirche durch ihren Cultus erreihen will, ift nur die Grbauung der 
Glaͤubigen.“ — „Der Gefang iſt und bleibt etwas Accidentielles; nur bie 
Terte und ihr Vortrag gehören zum Weſen ber Liturgie; und darum darf 
man dem Gefange nicht eine Bedeutung beilegen, die ihn zum wefent: 
lichen Beſtandtheil der enchariſtiſchen Opferfeier machen würde.” Diefen 
Saͤtzen gegenüber behauptet der Verfaſſer, die Muſik fei allerdings ein 
weſentlicher XTheil der Liturgie und nicht blos zur Erbauung ber 
Stäubigen beftimmt. Er ftüßt fi dabei auf Viererlei: a) Den Begriff ber 
Missa cantata (gejungenen Meſſe); db) die Abficht der Snflitution des 
Bängerhores, der naͤmlich ven Wechjelgefang mit dem Gelebrirenden möglüch 
maden foll*); c) bie allgemein gültigen liturgiihen Gefjebbüdher, das 
Miſſale und das Breviarium, melde die Mufit als einen liturgiſchen 
(nicht blos erbaulichen) Gegenftand fafien, weil fie über denfelben bitur⸗ 
giſche Gefeße Heben; dA) zahlreiche pofitive Entſcheidungen der höchften 
‚Autorität, — Gr fegt hinzu: „Die heilige Mefie ift nicht bloßes Gebet, 
fondern fie if Opfer..... Wie aber das Opfer ſelbſt niht allein 
zur Erbauung des Volles, ſondern unendlich mehr zur Chre Gottes da ift, 
d. h. um Gott die Anbetung, Dankſagung und Sühne zu leliten, die wir 
Gott ſchuldig find, fo find auch die Organe des Opfers primär zur Chre 
Gottes da; ſecundär wirb dadurch das Volk erbaut. .... . Zweod des 
Opfers ft Gott, und die dem Opfer dienen (Priefter und Chor), dienen 
Gott, ob das Bolt ſich erbauen läßt oder nicht; die Erbauung folgt nad, 
A Wirkung.“ 

37. Folgerungen „IR der Chor ein liturgifhes Organ, 
fo folgt, daß er ſich vollſtaͤndig der Liturgie anſchließen, einglievern und 
unterwerfen muß . . .. Aber nur der Gefang ift liturgiſche Forderung; 
alles, was den Gefang zurüdprängt, aufhält, ftört ıc., ift Mißbrauch, uns 
liturgiſch, alfo verboten ; Orgel und fonftige Inftrumente dürfen den Gefang 
nur unterflügen . -. ... Ob der Ehorregent und feine Sänger auch 
„reine Lippen‘ haben follen, ob ihr Geſang „weder Lascivität noch Roh⸗ 
beit” zeigen foll, wie der heilige Bernhard jagt, eb es nicht ſehr gut wäre, 


”), Weil bie fireitende Kirche auf Erben in ihrer Liturgie ein Abbild ber 
bimmlifchen im Ganzen und Großen barbietet, fo ruft denn auch in derfelben 
„Einer dem Anbern zu” .... was ber Priefter beginnt, z. 8. ein Gloria 
und Credo, jet der Chor fort. . . und fomit erfcheint base, was ber Celebrant 
und bas, was ber Chor fingt, nit als Berſchiedenes, jondern als 


Eines,“ 


Gefang. 878 


wenn bie Ghorjänger einige niebere Weihen empfingen, Tann Jeder nad 
dem Dbigen ſich ſelbſt beantworten.” 

38. Reform. Cs fehlt nit an Stimmen, welche immer von 

Neuem auf den Verfall der katholiſchen Kirchenmuſik hinweiſen und mit 
aller Entjchiedenbeit fordern, daß diefelbe endlih yon Allem gereinigt werde, 
was weltlich, leihtfertig, unmürbig und unbeilig ift, wie fich dergleichen 
allerdingd nah und nah in coloſſaler Maſſenhaftigleit eingebrängt bat. 
In der „Cäcilia’ fowohl wie in den „liegenden Blättern” ꝛc. laſſen fi) 
diefe Stimmen hauptfählih vernehmen. In den lebteren fagt Yranz 
Witt u. A., an der Kirchenmuſik in ihrem jetzigen Zuſtande ſei in der 
Regel nichts erbaulich — nur ſtörend und niederreißend, verderblich und 
vergiftend. Die „Umſchau“ dieſes Journals bringt Berichte aus den ver: 
Schiedenften Ländern und häufig fehren darin die Rügen „muſilaliſchen Un: 
wejens an beiliger Stätte” wieber.*) 
Nur firhlihe Muſik fol fortan zuläjjig fein. „Aber welche Mufil 
iſt kirchlich?“ Franz Witt fagt: „Kirhlih und liturgiſch ift die Muſik, 
wenn fie den liturgiſchen Tert fo vorträgt, wie die liturgiihe Handlung es 
verlangt**) und mie es fich für den Gotteöbienft, jpeciell für ein Opfer, 
das in feinem Weſen daſſelbe it, mie das Opfer am Kreuze, aljo mit 
Ausschluß alles Thentralifchen und Weltlihen, geziemt.” ***) 


3. Gemeinſames. 


® 
39. Die Zwiſchenſpiele. Man unterſcheidet jebt Zwifchenfpiele 
a) zwiſchen den Zeilen, b) zwiſchen ven Berfen (Strophen des Liebes.) 


2) Dresden: „Die berrlihen Kräfte werben verſchwendet — das Reper⸗ 
toir iſt monoton, — einer Hofcapelle ganz unwürdig.“ Köntggräß: Bei einem 
feierlichen Requiem twurben von einer Militär-Mufttlapelle das Ave Maria von 
Schubert, ber Pilgerhor und Abendflern aus dem Tannhäuſer geipielt. „DO bu 
lieber Gott! Ein Requiem und ber Zannhäufer; eine katholiſche Kirche — 
unb eine concertirende Mufilfapellel' — Münden: Danlamt in St. Peter... 
„Selbſt die Sanftmuth eines Kranz von Sales hätte fih erihöpfen müſſen, denn 
Die aufgeführte Meffe war gemein, trivial, häßlich. Maude Stüde, 3. B. das 
Quoniam bewegten fih nur in ein paar Accorben, ſolchen nämlich, bei denen 
die Trompeten eine Hauptrolle fpielen konnten. Geſchmackloſe Soli's wechſelten 
mit Sanfaren. Das Incarnatus ſchmachtete im niederfter Sentimentalität; das 
Crucıfixus war von Orchefterfiguren à la Schiebermaier umſpielt. Kein ein- 
ziger ebler Gedanke tandhte in dieſem Wuſt von Lärm und Gelchmetter auf. ... 
Das Aergſte bes Argen aber war — ber circa fünfmalige Tuſch; nit ein Tuſch, 
wie bei einer Preisvertheilung für Zuchtſtiere 20. — kurz umb gut, ſondern brei- 
mal jo lang, ein wahrer Höllenfpectafel.” Von dieſen Berichten aus größeren 
Städten fliege man auf die Mittheilungen aus Heineren Orten! — 

*) ‚Die Gelee ber Titurgifchen Handlungen müfen nun im Anſchlufſe an 
biefen Artilel im Einzelnen bargelegt werben, und — es wirb ſich zeigen, daß 
feit etwa 150 Jahren faum Ein Componiſt (ich nehme bie leiten zehn Jahre 
aus) fie eingehalten bat, weshalb alle ihre Werke untiturgifch find.” 

“rn „Dieſer Sat klingt noch etwas allgemein; allein aud bier hat bie 
Kirche ſolch enge Schranken gezogen, ba man nur daräber in Zweifel gerathen- 
faun, wenn man fie nicht fennt. Darum gebt Chorregenten und Comporiften 
ü ige Prinzipien und Niemand wird mehr ſtreiten, ob dieſes oder jenes 

lixchlich ober unkirchlich ſei.“ 


374 Gefang. 


Die alte Praris wendet beide Arten der Zwiſchenſpiele 
an; die Gegner diefer Praris verwerfen entweder die eine wie bie 
andere Art, oder fie verlangen nur die Abſchaffung der Zeilen: 
Bwifhenfpiele, während fie die Strophenzwiſchenſpiele für 
ſtatthaft und erſprießlich erachten. inige lafien es ungewiß, ob fie 
bei der Berurtbeilung der „Zwiſchenſpiele“ blos die Beilen:, oder aud die 
Strophenzwiſchenſpiele im Auge haben. 

K. W. Steinhbaufen (Lehrer am evang. Seminar in Neuwied) theilt 
im Bormworte zu feinen „Einleitungen und Schlüffen” x. mit, 
daß von Seiten der katholiſchen Seminarien der Nheinprovinz das gänzlidhe 
Wegfallen ver Zwiſchenſpiele ernftlich angeftrebt werte. Steinhaufen 
felbft hält diefes Streben für das berechtigte und hat nur in Betreff der prote 
ftantifchen Kirchen das Bedenken, daß die baldige allgemeine Befeitigung 
aller Zwifchenfpiele niht ausführbar fei. Kommen werde fie aber. „Yu: 
nähft haben wir dahin zu wirken, daß die Bwifchenfpiele zwiſchen den 
Beilen — eine Verftümmelung des Chorald — megfallen, dann wird 
mit der Zeit ein gefunder mufilalifher Sinn das Weitere 
bewirken.“ 

40. Fortſetzung. Freiherr v. Tucher ſieht in den Zwiſchen⸗ 
ſpielen, unter denen er nur die „in Mitten der Textverſe“ verſteht, den 
unwiderleglichften Beweis, daß überall, wo in folder Weife gejungen wird, 
der Gemeinde wie ben Leitern des Gefangs alle Vorftelung vom Weſen 
der Melodie, als eines organiſch gegliederten, in ſich abgeſchloſſenen Oanzen 
abhanden gelommen if. (1?!) Gr meift zugleich auf die Bemertung Jacob’3 
in der Euterpe 1854, 8, als eine ganz richtige bin, daß die MWeglaffung 
der Bwijchenfpiele der allererfte Schritt zur Wiedergeburt unfered Gemeinde: 
gefanges jei, ferner daß ohne Zwiſchenſpiele der Organift ganz im Dienfle 
der Gemeinde ſtehe, beim Zwifchenfpiel aber das eigene Jh Raum finde 
fih zu ergehen, ſich gütlich zu thun in allerlei buntem Firlefanz. „Rur 
anderthalbhundertjährige Gewohnheit Tann das Ertragen biefer in den 
meilten evangelifhen Gemeinden noch aufreht erhaltenen Unfitte erklaͤrlich 
maden.” ... Zuletzt weit Here v. Tucher auf die Erfahrung in Bayern 
bin, wo vor zwanzig Jahren die Bwifchenfpiele auf höhere Weifung weggeblieben 
feien und Niemand fie vermißt babe, — „wo man es jebt im hödften 
Maße auffallend und auf ärgerlihe Weiſe flörend finden würde, wenn ein 
Organift es wagen wollte, Zwiſchenſpiele in Mitten der Berszeilen zu ver- 
fuden, und feien fie auch nod fo kurz.“ 

Prof. Herzog (18) bezeichnet die Zeilen-⸗Zwiſchenſpiele als eine Sache 
vom Uebel, vie zum Verfall des Gemeindegefanges beigetragen babe, und 
fordert, „daß endlich einmal dem Unfug dieſer Zwifchenfpiele, die eigentlich 
nur bei einem ganz langjamen,, zujammenbanglofen Gejange ihre Stelle 
finden können, mit Gntjchiedenheit ein Ende gemacht werde. Als wohl: 
berechtigt werden dagegen Ueberleitungen von Vers zu Vers, aljo Strophen: 
zwijdhenfpiele, von ihm anerlannt, wie fidh dies in den zahlreichen 
von ihm aufgeflellten Muftern diefer Art zu erfennen giebt. 

4, PBortfepung Heinze (38.) giebt eine BZufammen: 
ftellung der für und gegen die Zeilen-Bmifchenfpiele geltend gemachten 


Gefang. 375 


Gründe; ber erfteren find 7, ver letzteren 14. Es fehlt an Raum, fie 
jfammtlich bier zu wiederholen, nur zwei aus jeder Gruppe mögen Plaß 
finden. Alſo pro: Die Zwiſchenſpiele find nothwendig und nützlich, 1. weil 
fie als kurze mufilaliihe Zwifchenfäße die einzelnen Verszeilen harmoniſch 
und melodiſch inniger verbinden, 4) weil der Gefang ohne diejelben matt 
und Tabl bleibt, durch dieſelben aber lebhafter und ausprudsooller, und fo 
die Andacht der Gemeinde erhöht und vermehrt wird. — Und contra: 
1) Das Bwifchenfpiel ift ein fremder muſikaliſcher Gedanke, welcher in ein 
für ſich abgeſchloſſenes Ganze gejchoben, trennt, was nah dem Willen des 
Schöpfers der Melodie zufammengebört; 11) bei Weglaſſung der Zwiſchen⸗ 
fpiele verſchwindet der ſchleppende Geſang; durch das enge und innige 
Zujammentreten der einzelnen Verszeilen bleibt der Gejang im einmal bes 
gonnenen Schwunge und Flufje, bierdurd aber wird das Verflänpniß uud 
der Ausdrud des Zertes und der Melodie gefördert, die Andacht und Ers 
bauung erhöht.‘ 

Heinze felbft ſteht auf Seiten der Gegner der Zwilchenfpiele und 
beruft fihb zu Ungunften der lebteren auf Ausſprüche von Hientzſch, 
Reulomm, Harms, J. F. Wolf (weil. Domorganift in Breslau), Hahn 
(Domtapellmeifter vafelbft) und Broſig (desgl.), jest auch feinerfeits u. A. 
Dinzu: „Bis zur 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts kannte man feine Zwiſchen⸗ 
fpiele; der Choralgefang ftand in Blüthe und die Orgeln waren volllommen.” 
Zuletzt jagt er: „Im Dom zu Breslau bat man feine Zmwifchenfpiele, und 
audg jonft mehren fi) die Gemeinden, in welden fie in Wegfall kommen 
und wo nur zwilden den einzelnen Liedſtrophen längere oder kürzere Seit 
interlubirt wird.“) 

Denn ©. B. 4. Natorp, Pfarrer in Düflelvorf, und W. Greef 
(Organift in Mörs) der neuen Ausgabe von „Natorp:Rind’s Choral: 
buch’, 1867, die Zwiſchenſpiele, obſchon allermeift umgearbeitet, beibehalten 
baben, was zu der Annahme beredhtigt, daß in Rheinland und Weftphalen - 
die Zmifchenfpiele keinesweges allgemein befeitigt find, fo erjcheint dies 
immerhin als eine Thatſache von Bereutung. Aber fie verliert dadurch 
wejentlih an Gewicht, dab es im Vorworte heißt: . . . „Von hervor⸗ 
sagenden Stimmführern wird — und wohl nit ganz mit Unrecht — 
das Bwifchenjpiel ald eine ftörende Zuthat verworfen, die gänzlid zu bes 
feitigen ſei,“ und daß dann die Beibehaltung der Zwiſchenſpiele nur durch 
Folgendes gerechtfertigt wird: . . . „Man wolle beventen, daß das gänz 
lihe Fortlafien derjelben oft wegen der Verbindung der Choralzeilen eine 
andere Harmonifirung erfordern würde und doch die jebige fo treffend bie 


*) Wenn demungeadhtet Heinze im Seminarunterrichte ber Uebung im 
eilben von Zwifchenfpielen einen Play gönnt, fo geichieht dies aus folgenden 

rünben: 

„I) ihre Erfindung ift fehr bildend und verlangt eine tüchtige und praktiſche 
Anwendung ber Mobulation; 

2) da bie Organiften in einzelnen Gemeinden gezwungen find, wenn auch 
gegen ihre beffere Ueberzeugung, Zwifchenipiele zu machen, fo müflen die Semi» 
nariften Anleitung erhalten, vergleichen würdig zu bilden, bamit dem Unweſen 
an heiliger Stätte in diefer Richtung möglichk gefeuert werde.“ 


876 Geſang. 


Grundbſtinnnung des ganzen Liedes giebt, daß eine weſentliche Aenberung 
derjelben einen (ängft anerlannten Borzug des Wertes vernichtet hätte. 
Einige! neuere Choralbũcher, welche alle Zwiſchenſpiele verbanmen, kosten 
ſchon aus dem einfachen Grunde nicht als Muſter dienen, weil die Ges 
meinden vielfah, wenn aud aus Gewohnheit (mandye hervorragende Theore⸗ 
tiker jedoch aus mwohlertwogenen Gründen) das Zwiſchenſpiel beibehalten zu 
ſehen wünfchen, und der Organift nicht immer Macht und Net bat, 
daſſelbe zu entfernen.” 

Zu den Gegnem der Beilen-Zmifchenfpiele gehört ferner auh Reiß⸗ 
mann(13.), ver fie bei dem Gemeindegefange „durchaus verwerflidh” findet. 
' Zu bemerlen ift noch, daß Schubert in feinem Choraltude nur 
Strephenzwifchenfpiele, Anding dagegen in feinem vierftimmigen Choral: 
buche keinerlei Zwiſchenſpiele giebt. 

42. Fortſetzung. Eine Vertretung finden die Zwifchenfpiele u. A. 
in dem Cantor Ludwig zu Niedergebra in Thüringen und Dr. Mori 
Hauptmann in Leipzig. 

Ludwig jagt in ve? Urania”, 1866, 6, das Zwiſchenſpiel 
gehöre zum Choral. Die Begründung diefes Ausſpruchs ifl von ihm im. 
Ausſicht geftellt. 

Dr. Hauptmann bat fi nah einer Mittheilung der „Urania“ in 
ber „Wiener Monatsſchrift“ alſo geäußert: 

„Wenn ber rhythmiſche Choral eingeführt wird (den ich verwerfe), 
würde ich auch die Zwiſchenſpiele verwerfen, die ich auch bei unferm metri⸗ 
Shen Choral noch nicht verwerflihd habe finden können. Gin metrijcher 
Choral in einer großen vollen Kirche, von einigen taufend Menſchen ges 
füngen, ift von einer großartigen Wirkung; alle Unebenheit der Intonation 
und der Gintheilung, wie fie bei einem ſolchen naturaliftifchen Sängerchor 
tm Ginzelnen unausbleiblic befteht, gleicht fi da aus, denn das Richtige 
bat immer die Macht durchzudringen, das Falſche zu deden, und ſich geltend 
zu machen. — Schöner kann, wenn Alles überwunden wäre, ber rhyth⸗ 
mifhe Choral werden, erhabener wird der metrifche immer bleiben. In 
diefem metrifchen. Choral aber, der wie eine arditeltonifche in toslanifcher 
oder doriſcher Ordnung aufgeführte Quaderbildung erjheinen lann, machen 
mir die, verfteht ſich geſchidt eingehenden Drgelzwifchenfpiele die Wirlung 
der vegetabilifhen Ornamente, wie fie bei der guten Ardjiteltur als Blatt: 
und Rankenbildung eben nur aus der Zuge, und fugenverbindend vorlommen, 
das Starte gefchmeidigend, ohne im geringften den Zufammenhang der 
wejentlichen Theile oder ihr Zufammenmwirken zu flören, oder gar zu unters 
brechen. Wenn eine einzelne Perfon einen Choral fänge, und ed wollte 
Einer Zmifchenfpiele dazu mahen, fo müßte das abjurd erjcheinen; ber 
Gemeindegefang wird dadurch nicht unterbrochen, es werden die Lüden der 
Abfäge vielmehr ausgeglihen. Im kunfigemäßen Vortrage des vierftim: 
migen Chorals wirb der Ruhepunkt verllingend ausgehalten; das thut aber 
der Gemeindegefang nicht, und die Orgel Tann es au nicht, fie bricht 
ſtarr ab, und fängt ftare wieder an. Wenn der Choral felbjt nit anders 
wird, möchte ich auch die guten Swifchenfpiele nicht entbehren, eben auch 
äfthetifch nicht. Gut zu machen ift freilich nichts in ber Welt leicht, es 





“ Gefang. 877 


gehört immer Sinn und Gefhid dazu, und daß für fchlechte Zwifchenfpiele 
gar keine taufendmal befier find, wird jeder Bernünftige wohl zugeben. 
So albernes Zeug, wie früher die Organiften über die ganze Claviatur weg 
wohl vorbradhten, kommt aber doch heute zu Tage nicht leicht mehr vor, 
wenigſtens babe ich die Erinnerung nur aus früheren Zeiten.“ 

43. Fortſetzung. Wird nun gefragt, wie ed um Braud und 
Uebung in ben Kirchen flebe, fo ift in Bezug auf Nheinland und Welt: 
phalen ſchon eine Andeutung dahin gemacht, daß wohl noch viele Gemeinden 
die alte Praris beibehalten haben. Steinhauſen fagt (39): „In den 
Negierungsbegielen Nahen, Köln, Koblenz und Trier verhält ſich 
die Bahl der evangelifhen Organiften, welche nur Zwiſchenſpiele zwiſchen 
den Berfen (Strophen) machen, zu denjenigen, welche noch Zwiſchen⸗ 
ſpiele zwischen den Zeilen anbringen, durdfchnittlich ungefähr wie 5: 4. 
In den fähfishen und thüringiſchen Ländern, ſowie in mehreren anbern 
:heilen Deutihlands finden wir die Zeilenzwifchenfpiele — rebucirt auf 
kurze, lirchlich wuͤrdige Ueberleitungen — noch in einer großen Anzahl von 
Kirchen, nit „geduldet“, fondern feftgehalten von Geiftlichen, Orga- 
niften und Gemeinden, und es ift immerhin bemerfenswerth, daß u. A. dag 
kunſtſinnige Leipzig, das feingebildete Dresden, das ernfte und kirchliche 
Halberftadt die „Unfitte” nicht nur „ertragen“, ſondern auch begen und 
pflegen.*) — | 

44. Schluß. Es wird am Ende nicht Schlimmer fein, wenn beim 
ausgeglichenen Choral (denn um dieſen kann ſich's allerdings nur handeln) 
von Beile zu Beile einfach übergeleitet wird, als wenn bie Orgel ben legten 
Accord jeglicher Zeile ſtarr aushält, oder wenn der Organift etwa gar nur 
den Melodieton einſam fortllingen läßt, um den vollen Harmonieftrom jo 
oft zu unterbrechen, als Zeilen vorhanden find. Ich kann nicht eintreten 
in den Sturm gegen die Zwiſchenſpiele, die jedenfalls aus eimas Anderem 
ald aus der Eitelkeit der Organiften, nämlih aus einem ſachlichen Be: 
dürfniffe, hervorgegangen find. Freilich hat die Eitelkeit fi dann oft genug 
der Sache bemädtigt und für viele Kirchen das PVerbannungsurtheil der 
Meberleitungen herbeigeführt, fo daß, entgegen dem Sprichwort, der Ge⸗ 
brauch durch den Miß brauch aufgehoben if. — Aber mußte benn das jo 
jein? — Bon jelbft verftebt fih, daß ih nur ſolche Zwiſchenſpiele als 
berechtigt anerlenne, die einfach, correct und kirchlich würdig find, während 
fie fich zugleich dem Takte des Chorals ohne die mindefte Abweichung einfügen. 


®, Allerdings bat man, wie F. 8. Schubert mittheilt („Die Orgel”), 
auch im Leipzig darüber geftritten, ob überhaupt Zwiſchenſpiele nöthig und zweck⸗ 
entiprechend find, und fie felbft als verwerflich hingeftellt, ift aber darüber zu 
feinem genügenden Reiultate gelommen.” .... Schubert jelbft behauptet, 
man fönne daraus, daß die Componiften die Choräle ohne Zwifchenfpiele ge- 
ſchrieben, nicht folgern, die letztern wären eine unnlige Zuthat. Außerdem fagt 
er: 2... „Mag es fein, daß ihre Aboptirung ein altes Herlommen ift, von dem 
man fich ungern trennt, jo macht body die Hinweglaſſung ber Zwilchenfpiele 
immer den Eindrud, als feien die Gemeinbe und die Orgel ur Athen ges 
kommen, unb diefe Anftcht mag auch vielleicht früher bagewelen fein, als man 
bie Zwiſchenſpiele einführte.” 


— — — — 


878 Gefang. ⸗ 


C. Der Schulkreis. 
1. Die Volksſchule. 


a. Allgemeines. 


45. Bedeutung des Geſanges. In dem Aufſatze der „Neuen 
Zeitſchrift für Muſik“ 1867, 14: „Wie weit foll fih der 
Einfluß der Kunſt auf den Gefang in Kinderſchulen er: 
fireden?” meift der Berfafier auf die Wichtigkeit des Gejanges für die 
religiöfe und fittlihe Bildung, für die Entwidelung des Zonfinnes 2c. ber 
Jugend bin und fagt dabei u. A.: „Der Geſang in der Schule ift die 
für Alle fließende Quelle, um Sinn für Muſik daraus ſchöpfen zu lönnen, 
und gerade jugendliden Gemüthern um fo unentbebrlicher, weil mehr, als 
dur jedes andere Kunſimittel, durh Mufit das Gefühlsleben erregt und 
bildfam gemadt wird. Gefang ruft erft die wahre Freude im Kinderherzen 
wach, und bei Auswahl der geeigneten Tertesworte liegt es nur in ber 
Hand des Lehrers, früh ſchon den Sinn auf alled Schöne und Cole zu 
lenken, und wo die Empfindung dafür gewedt ift, wird das Gemeine 
ungleich leichter fern zu halten fein.‘ 

Wenn Dr. 9. in dem Aufjfage „Aus der Gefhihte der Ars 
beit” — „Proteſtantiſche Monatsblätter”, 1867, 6, fagt: 
„Es giebt feine allgemeinere und wichtigere Echule als die Volksſchule. 
Gott, Menſchenwelt und Natur, aus allen diefen Kreifen des Wiſſens und 
Erlebens kommt das Wichtigſte an den Volksſchüler. Im Singen, Schreiben, 
Zeichnen ergreifen ihn auch die Elemente aller Kunft,“ jo wird dies bier um 
des legten Pafjus der höchſt beveutfamen Abhandlung willen angeführt 
werden dürfen. 


b. Die Choräle. 


46, Ihre Wichtigkeit. Im der Vorrede zu ihrem Schulchoral⸗ 
buch jagen W. Gottfhalg und U. Bräunlid: „Bei dem Geſangs⸗ 
unierrichte in den evangelifhen Schulen nimmt der Choral ohne Frage bie 
oberfte Stelle ein. Aber nicht nur wegen bes rein päbagogiihen Werthes 
verdient derfelbe vornämliche Beachtung, fondern aud wegen der Pflege 
des kirchlichen Lebens erfordert er die liebevoliite Behandlung. 

5 4 Schulz im Vorwort zu feinen Choralmelovien ſchiebt den 
Geiltlihen und Schullehrern die Pflege des Chorald, um der Verbeflerung 
des Kirchengeſanges willen, ſcharf in das Gemillen und giebt ihnen anzu- 
bören, daß fie in dieſer Hinficht fehr viel tbun Können, wenn fie ernitlich 
etwas thun wollen. 

47. Aneignung der Choräle. Die Schule hat, mie der ange: 
führte Artilel der „Neuen Zeitſchrift“ (45) fagt, die unbeftrittene 
Berpflihtung, „ihre Schüler nicht blos mit den localen Kirchenliedern, reſp. 
Choralmelodien bekannt zu machen, ſondern diefe jo gemiflenhaft einzu: 
üben, daß fie nicht allein dem Gebädtniß jederzeit gegenwärtig, fondern 
auch in das Bewußtfein lebendig eingegangen find.‘ 


a Gefang. 379 


48. Ein: und Mehrfiimmigleit der Choräle Der eins 
ſtimmige Choral waltet mit Recht in den Schulen vor. Nur einftims 
mige Melodien geben in den ſchon genannten Heften: Oswald Fiſcher 
in Jauer und F. 4. Schulz in Schöppenftebt. Die Zweiſtimmigkeit ift 
u. N. vertreten durch Würft in Berlin und Louis Weber in Annas 
berg. W. Gottſchalg in Tiefurt mit A. Bräunlich in Weimar giebt 
zu 110 einftimmigen Melodien einen Anhang von 18 zwei: und 16 dreis 
ſtimmigen. %. H. Löhmann in Flensburg dagegen liefert nur zweir und 
dreiftimmige, ja felbft einen vierftimmigen Choral. 

Die Berechtigung bes zmeiftimmigen Choral wird u. A. aud von 
Reißmann als zweifelhaft hingeftellt, wenn derfelbe in feinem „Lehrbuche 
der Sompofition” fagt: „Zu einer zweiftimmigen Behandlung 
des Chorals dürfte wohl nie eine genügende Veranlafjung fein. Wir halten 
fie auch nur dann für noch zuläffig, wenn die zweite Stimme jelbfiftändige 
contrapımltifche Behauptung gewinnt.” In der Echulpraris fteht die Sache 
indeß etwas andere. Die Kinder fingen gern eine zweite Stimme zum 
Choral und man kann ihnen bierin wohl einigen Raum geben. 


ec. Die Volkslieder. 


49. Geſchichtliches. in trefflicher Beitrag zur Geſchichte der 
Schullieder (mit Ausfchluß der Choräle), und des Sculliever-Gefanges liegt 
vor in der Schrift von Rudolph Lange, Seminarlehrer in Cöpenid, 
„Der deutihe Schulgeſang feit fünfzig Jahren, ein Beitrag zur Schulbud: 
literatur”... 1867. Mit umfaflender Sadfenntniß berichtet der Verfaſſer 
über 153 verſchiedene Sammlungen von Schulliedern, von denen die 
älteften die Jahreszahl 1814, die jüngften 1866 zeigen. Mit Papier und 
Einjhlag der Hefte beginnend,*) gebt er zu den Titeln, Motto's und Bor: 
reden über, theilt Manches über die Perjönlichleiten der Herausgeber mit 


*) „Papier und Einichlag zeigen von 1814 ab bis 1866 einen ungeheuern 
Umſchwung der Berhältniſſe. Der Segen unfers reich entwidelten Fabriklebens 
iſt and dieſer Heinen literariſchen Gabe, wie ein Schulgelangheft iſt, zu gute 
gelommen. Man farın aber auch jagen, daß die Heclame, der Humbug, ber äußere 
Flitter, das Stüd Lüge, mas fo vielen Enveloppen anhängt, aud den Einfchlägen 
der Geſanghefte, heut zu Tage anklebt. Daß man 1814 fi mit einem ſchlich⸗ 
ten Rod von folidem guten Zeuge begnügte, daß damals ein Frauenkleid viel 
weniger Ellen Stoff verichlang ale heute zu Tage, das kann man aus ben 
Umfhlägen der Gefanghefte jener Tage ertennen. — Der Umſchlag war fonft 
ſchlicht. Das Kleid mußte noch nicht den Mann machen. Die fon genannten 
Hefte des Breslauer Lebrervereins hatten einfaches blaues Papier als Umſchlag. 
Als diefe Sammlung Harniſch in ben zwanziger Jahren nach dem Weißen: 
felfer Seminar aus Sciefien bradte, bie fie kurz: Die blauen Singhefte. 
Jetzt iſt es andere: grün, blau, gelb, roth, chamois und von biefen Farben bie 
verſchiedenſten NUancen, fo find, wetteifernd mit bem Regenbogen, bie Umſchläge 
gefärbt... ... Weihe Entfernung ift in dem äußern Erſcheinen obiger 
Sammlungen bis zu dem wahrhaft coquetten Auftreten einer badiſchen Collection 
‚für höhere Töchterſchulen“ aus dem Jahre 1866. Strobgelber, zarter Umichlag, 
feiner Drud, breite Ränder, alles Duft und Hauch, mille fleurs; nur bei der 
peinlichſten Umterfuhung erkennt man, daß die Lieber für bie zarten Jungfrauen 
nicht anf Belinpapier gebrudt find.‘ 





880 Geſang. a 


und wendet fi dann zur Beiprehung des Inhalts, den er in Beziehung 
auf Zert und Muſik nah allen Seiten hin beleuchtet, wobei er eine Fülle 
gejunden Humors entwidelt. 

Mit Genugthuung bemerkt man, daß derjenigen Männer, melde ſich 
um das Schullied beſonders verbient gemacht haben, in ehrender Weije 
gedacht wird, Da heit es u. A..... „Unter den vielen Namen, welche 
(als Veranſtalter von Sammlungen) genannt werben heben ſich einige als 
die bedeutungsvollfien hervor. Erk's Name muß bier zuerit ftehen. Gr 
fammelt wohl unter den jetzt lebenden Mufilern am längften. Seine 
Sammlungen find die Zundgrube für jehr viele Herausgeber von Schulges 
fangheiten, oft vie alleinige. Erk hat an Greef einen treuen Berbündeten 
gehabt. Außer diefen Männern muß Jacob, Cantor in Conradsdorf bei 
Haynau, in den Vordergrund geltellt werden. Bon ihm findet ih ſchon 
aus dem Jahre 1830 eine Sammlung unter dem Namen: „Der Mädchen 
Blumengarten.” Jacob jammelt noch. Es liegen von ihm noch nor: Ver 
Boltsjänger Cine Sammlung ächter deutſcher Volksweiſen. 5. Aufl 
(Stereotyp: Ausgabe.) 1864. Sang und Klang des deutſchen 
Bolles. 1851. Liederwäldchen. Deutſcher Liederborn. (1862). 
Jacob muß in einer Vorrede, gerade wie Erk“) ſich gegen die Freibeu- 
terei wehren. .. . . Bu ben fpäter als Erk und Jacob auftretenden flei- 
Bigen Sammlern von Bedeutung gehören Schäublin in Bafel, Benedict 
Widmann in Frankfurt a. M. Löhner, Lehrer und Organift am In⸗ 
validenbaufe in Berlin, Brähmig, Seminarlehrer in Detmold, Weeber, 
Seminarlehrer in Nürtingen. 


50. Auswahl der Xieder. „Bei dem unendlihen Reichthum 
deutfcher, im ganzen Volke lebender Melodien ift es wünſchenswerth, dieſe 
vor allen anderen zu pflegen; durch ihre gemüthvolle Einfachheit, mit tiefer 
Innerlichkeit verbunden, eignen fie fih am beften, einen Schaß von Mufit 
im Herzen nieberzulegen, deſſen Beſitz bei größerer geiftiger Reife gewiß 
boppelt ſchoͤn empfunden wird.” So heißt es in dem unter 45. erwähnten 
Artikel der „N. Zeitſchrift“. 

Treffend jagt Lange in Bezug auf die Achten Volksweiſen (gegen 
‚welche felbft Weber'ſche und Mendelſohn'ſche Melodien wenig oder gar nicht 
aufgelommen find): „Wer bat denn nun eigentlidy die Melodien dem Schul: 
finde gebraht? Das ift zuerfi jener geheimnißvolle Unbelannte, ber fo 
glüdlih war, dad in dem Ton erklingen zu lafien, was das ganze Bolt 
im Herzen hatte.” Und nun führt er das ſchöne Gebiht von Victor 
Strauß an, worin es in der 4. und 5. Strophe vom Volkbsliede beißt: 


*) „Unfer guter Erf bat in feinen Vorreben ſich noch eine befonbere Aufgabe 
anßer Methodik ftellen müfjen. Er zieht nämlich gegen bie Plünberung, bie an 
feinem Eigenthum oft ganı rüdfichtslo® verübt wird, zu Felde. Es ift wahr, 
man beftiehlt das Haus Erf und Comp. fürdterlid. Wie veich es aber fein 
muß, kann man daraus jehen, daß es trog eines über 30 Jahre lang fortge- 
fegten Einbruchs Kortihleppens — oft am hellen Tage — noch von oben bie 
unten in allen Speichern voll if.‘ 








” Geſang 381 


‚ Bon wefien Lippen ift zuerft 
Der füße Ton erfchollen ! 
Mo ift die reine volle Bruft, 
Der es zuerft entquollen? 


Vergeſſen ift'8; das warme Herz 
Iſt längft in Staub zergangen, 
Doch jeder neue Frühling hat 
Sein herzlich Wort empfangen. 


51. Ein» und Mehrftimmigteit. Die Zmeiftimmigfeit mwaltet 
vor. Nur die Unterklaſſe fingt einftimmig. Die Dreiftimmigteit bleibt 
Lurusgegenſtand für die Volksſchule und wird nur ausnahmameife auftreten 
dürfen, wogegen fie in anderen Schulen ganz an ihrer Stelle fein kann, 
wenn ſchon das eigentlihe Volkslied ihrer kaum bedarf. 

Zange fagt: „Die Zmeiftimmigfeit ift die natürlichfte Mehrſtimmig⸗ 
feit in der Volksſchule, weil fie volksthümlich if. Sie fihert auch die 
Reinheit des Geſanges, fie ift bei dem einfachen Liede von unendlichem 
Reiz und — wenn man nun einmal fo hohe Speale von den Leiftungen 
der Volksſchule haben will — fie führt zu dem großen Chor (Sopran, 
Alt, Tenor und Bag) am ſicherſten bin.” .... 

Er ſetzt hinzu: „.... Wenn man einmal Rundfrage bielte, wer den 
(in vielen Heften gegebenen) drei-, wohl gar den vierftimmigen Lieber: 
ftoff benußt bat, jo würde eine verſchwindende Minorität fi zeigen. Ber: 
glihe man einmal den Berbraubh an Beit, die Mühe, den Schaden an 
Stimmmaterial, den Abzug, den der ein: und zweiltimmige Schulgefang 
erfährt, mit der eigentlichen Leiftung innerhalb des dreis oder vierftimmigen 
Gejanges, mit der Möglichkeit der Verwendung deſſelben in der Zeit nad) 
dem Schulleben, jo würde man doch endli aufhören, dur Notation von 
dreis und vierftimmigen Schulliedern eine Sache in gewiſſem Sinne gutzu- 
beißen, die doch wohl nicht zu rechtfertigen: iſt.“ 


d, Größere Gefänge. 


52. Beſchränkung. Wie fehr derſelben die Volksſchule als ſolche 
bedürfe — abgejehen von dem lirhlihen Sängerchore, der andere Aufgaben 
bat und übrigen® nur eine Auswahl aus den Scullindern enthält — 
darauf weift der mebrerwähnte Artikel der „N. Zeitſchrift“ in beber- 
zigenswerther Weije hin, wenn er die Frage beantwortet, was die Schule, 
außer dem Volksliede, größeren Anforderungen gegenüber, vielleicht im breis 
fimmigen Gefange, no bringen könne.... „In erfter Stimme meift ein 
Stüdhen Melodie, häufig erniter Art, wie es größere Tonftüde bedingen, 
dann treten gewöhnlich Paufen ein, um die Einfäge der übrigen Stimmen 
abzuwarten, und fo ift die Melodie zerrifien und den fröhlichen’ Kinderliedern 
weit abliegend. Die zweite Stimme eines ernften Tonftüdd ift für ein 
Kind ungleich ermüdender zu fingen, als bei einem Lieve, wo ein kleiner 
Zergens oder Sertengang von ihm immer mit Vergnügen ausgeführt wird. 
Solche, in den RKinderberzen lebende Melodien ertönen, ihnen faft anbewußt, 


382 Gefang. 


wenn „das Glüd aus ihnen fingt“, aber nie werben Kinder ſich verſucht 
fühlen, die zweite Stimme eines größeren Tonwerks allein hören zu lafien. 
— Nun aber gar eine etwaige dritte Stimme? Sie hat außer ihrer 
Monotonie noch das Nachtheilige für eine Kinderſtimme, fi unausgeſetzt 
auf den ihr nod nicht zufagenden tiefen Tönen bewegen zu müflen, dazu 
kommt in Schulen noch häufig der Umftand, daß nicht jede einzelne Stimme 
genau beobadıtet werden kann, und zumeilen einer Abtbeilung überwiejen 
wird, deren Tonbereich fie weit weniger angehört, als einer andern. *)“ 

Auf die Frage, warn von einfachen Liedern zu höheren Geſangsauf⸗ 
gaben überzugeben fei, antwortet der Berfafler: „Man folge auch bier 
dem Winke der Natur und verfpare den Uebergang auf eine Zeit, wo der 
Geift von ſelbſt fich zu entfalten beginnt, wo ihm vie kindlichen Spiele 
und Lieder nicht mehr genügen und gr fih nad kräftigerer Nahrung jehnt, 
bei Mädchen alfo bis zum reichlich zurüdgelegten breizehnten, bei Knaben 
bis zum fünfzehnten Lebensjahre.‘ 


2. Der weitere Schulkreis. 


53. Die Turnlieder (auch über den Schulkreis binausgreifend). 
Lange weiſt aufden Einfluß hin, den das neu erwachte Intereſſe am Turnen 
auf die Lieverfammlungen hatte. „Wie die Pilze ſchoſſen die Turnlieder 
bervor. Freiheit, Dolch, Lieben, Barre, Vaterlandsletten, Schwungjfeil, 
Einheit und Schwebebaum, das waren die Stihmworte.” Und mit großem 
Recht jest er hinzu: „Man vergißt immer, daß der gewöhnlide Schul- 
lieverfreig genugfam Stoff liefert, der zur poetiihen Geflaltung bed Zur= 
nend, um davon überjpannte Derbbeit, ja Rohheit abzuhalten, verwandt 
werden fann. Lieder: Ich hab mich ergeben, Heil, Dir im Siegerkrang, 
Ich hatt’ einen Kameraden, Morgenrorh, In dem wilden Kriegestanze ıc. 
find prächtige Turnlieder.“ 


D. Andere Kreiſe. 
1. Die Männergefangvereine. 


54. Der deutfhe Sängerbund. Derfelbe zählt nod etwa 
50,000 Sänger, von denen auf dem dritten deutſchen Sängertage in 


*) ‚Wie aber fommt es nun,‘ fo frägt der Verfaffer, „daß bie Schule fo 
häufig das Einſtudiren von Tonftüden unternimmt, deren Ausführung bie Ge⸗ 
jangsfräfte der Schüler in fortwährender Spannung erhält? Da müflen z. B. 
lange Zeit vor einem bevorftehenden Eramen alle andern Nüdfichten in ber 
Gefangſtunde fehweigen, damit nur das fchwere breifiimmige Städ recht eingeübt 
wird, für deſſen Kunftbau ber kindliche Sinn noch gar kein Intereffe hat, und 
deſſen Sarmonien zu hören, ihm nur in ben Schulräumen ermögnat if. So 

bat das Kind feine Freude davon, ber Lehrer aber ſonnt fi im lange befrie- 
digter Eitefleit, das Einſtudiren „durchgeſetzt“ zu haben. Gr bereitete fi einen 
muſikaliſchen Feſttag durch die harte Arbeit der Kinder, die für höhere mufilalijche 
Genüffe noch nicht reif find und nach dem endlichen Gelingen, ber ihre Kräfte 
überfleigenden Anforderungen nur die Freube fühlen, endlich bie Schwierigleiten 
überwunben zu haben.“ 





Geſang. 383 


Eiſenach, 16. Juni 1867, durch die Abgeordneten von 83 Saͤngerbünden 
etwa 33,000 vertreten waren. Nach den großen Ereigniſſen des Jahres 
1866 fprachen fih die jeßigen Anſchauungen des Bundes, feine Biele und 
feine Hofinungen unter Anderm aus, wenn Heinrih Pfeil in dem Vor: 
ſchlage zu einer Erinnerungsfeier an das erfte Sängerbundegfeft in Dresden 
— „Sängerballe“, 1867, 26 — jagte:..... „Die fih aud 
bie Beitverhältnifie geftalteten — unſer Biel, wie es im N. 1 unjerer 
Sahungen ausgeſprochen, bleibt davon unberühtt. „„Durch die dem 
beutfhen Liede innewohnende einigende Kraft will aud 
ber deutſche Sängerbund an feinem Theile die nationale 
Bufammengehörigleit der deutjhen Stämme flärlen und 
an der Einheit und Macht des Vaterlandes mitarbeiten. 
Und ift es bas zweifelbafte Verdienſt Einzelner, die Zereinigung ber 
Böllerjhaften herbeizuführen, fo wollen wir unferer Mifjion eingevent 
bleiben: durch das Lied zu einigen, zu verjühnen und die Herzen näher 
zu bringen, denn an jedem wahrhaft gemeinfam gejungenen deutſchen Liebe 
zerbrödelt ein Mauthftein der Entfremdung mehr, die deutſchen Stamm 
trennt von deutihem Stamme.“ 

In demjelben Sinne wied bei Eröffnung des Eiſenacher Sängertages 
Advocat Kretzſchmar auf den in $. 1 bezeichneten Bundeszwed hin, der 
auch durch die vorjährigen Greignifje nicht überflüflig geworden fei. „Wir 
fönnen nicht jagen, daß das Lied aus unjeren Herzen verbannt ſei, wir 
balten es noch immer feſt! Wir mögen nicht jagen, daß wir des Liedes 
entrathen könnten als eines Bildungsmittels, als eined Dammes gegen bie 
überfluthbende Gewalt des Materialiemus ... . Und beftände ver 
deutihe Sängerbund noch nicht, wir müßten ihn heute gründen.” 

55. „Ueber Männergefang‘ im Allgemeinen lieferte Maria 
Heinrih Schmidt im 7. Hefte von „Geſang und Oper“ einen 
inhaltreichen Artifel, dem ich Nachftehendes entnebme. 

Die Bebeutfamleit des Männergefanges wird zum heil über, zum 
Theil unterfhäßt: die Ginen erwarten von der Pflege bdefielben eine zu 
weit gehende Wirkung für unfere nationale Bildung, die Andern ſprechen 
ihm jeden günftigen Einfluß auf das Volk entjchieven ab. Die Wahrheit 
iſt, daß er als überaus wirkfames Erziehungsmittel auf Charakter und 
Sinnesart der Einzelnen den günftigften Einfluß zu üben vermag, indem 
er das Edlere in ibm mwedt und bildet und das Nohe verdrängt; einen 
befondern Werth für die Erwedung des nationalen Bewußtſeins befist er 
jedoch nicht. Was das Volk entzünden und begeiflern fol, das muß es 
in feiner Gejammtbeit erfafjen und burchdringen, das muß es in großen 
Wogen tief und nachhaltig bewegen. Eine jolhe Wirlung wird Niemand 
unjern Liedertafeln zufchreiben; auch die öffentlichen Aufführungen halten 
fih, wie jene, nur innerhalb der mufilalifhen Genüffe und haben ſchwerlich 
dazu beigetragen, das laufende Publitum mit höheren Ideen zu befrudten. 
Wohl kann durch Gefang in dem Volle das Bewußtſein feiner nationalen 
Bedeutung belebt und gekräftigt werden, aber nur durch den Gejang, an 
dem es ſich ſelbſt betheiligt, alfo durch den eigentlichen Volksgeſang, der in 
allen deutſchen Schulen die ernfteite Pflege finden ſollte. Der eigentliche 


384 Geſang. 


Beruf des Maͤnnergeſanges beruht zunächſt iu ber Veredlung gefelliger 
Kreiſe, in der Verſchönerung beſonderer Fefie und ſeierlicher Gelegenheiten, 
die eine erhöhte, weihevolle Stimmung der Betheiligten bedingen, und waͤh⸗ 
rend andere mufilaliihe Aufführungen an fi felbft Bwed find, wirb ber 
Männergefang das Mittel zum Zwed. 

56. Fortfeßung. Die rechte Heimath bes Männergefanges ift 
das Lied. Umfangreidere und böber intentionirte Compofitionen verlaflen 
nicht allein das ihm eigenthümliche Gebiet, indem fie feine natürlid be⸗ 
ſchraͤnkten Mittel gewaltfam ausdehnen, fondern fie treten aud in eine 
Concurrenz mit dem gemilhten Chor, in welder keine Siege zu ges 
winner find. 

In den Dihtungen, welche der Componift für ven Männergefang 
zu wählen hat, öfinet fih ihm ein unerjhöpfliger Reichtbum . . . . „ee 
kann Alles in den Kreis feiner tonbelebenden Thätigleit ziehen, was im 
Stande ift, eme gemeinfame höhere Etimmung bervorgmufen. In 
diefer Gemeinſamkeit aber findet ver Componiſt zugleich feine einzige 
Beſchraͤnkung, denn alle Gebihte, welche aus einer rein indivibuellen 
Empfindung hervorgegangen find und nur von Einzelnen nachempfunden 
werden können, oder auch ſolche lyriſche Ergüfle, die nur gleihfam in eins 
zelnen Griffen die Saiten des Herzens berühren, um es dem eigenen anern 
zu überlafjen, diefe durch ſympathetiſche Erregung zu Melodien auszubilden, 
eignen ſich nicht.*)“ | 

Zu beadten ift auch der innere Gehalt der zu componirenden Ge⸗ 
dichte. Was nicht verevelnd wirkt, was Bildung, Anftand und Sitte ver- 
let, ift von jedem Sängerverein fern zu halten. Wohl ift der Scherz 
zuläffig, aber auch der Scherz muß in der Kunft von einer ebleren Idee 
gehoben fein; zu plumpen, finnlofen Späßen darf fie nie herabgewürdigt 
werben. Weber alle Lieder mit Brumm:, Summs und fonftigen Thierflim⸗ 
men ift ein unbebingtes Verdammungsurtheil auszufprehen, da nur ſolche 
Geſänge berechtigt fein können, worin fi ein edles Dichterwort mit ber 
mufitalifhen Kunft vereint und die Nachahmung unvernünftiger Befien 
diefer Anforderung denn doch allzu verhöhnend entgegentritt. 


*) Der Verfaſſer führt als geeignet an: Zöll ner's wohlbelanntes Lieb: 
„Wo möcht ich fein‘, „meil jeber Vers Gefühle ausbrüdt, bie in jebes ächten 
Mannes Bruft ein ftarles Echo finden müſſen und in welde er baher aus voller 
Seele einflimmen wird.” Dagegen bemerkt er zu dem Liebe von Heine und 
Mendelsſohn: „Am fernen Horizonte‘, daß dies ſich ſchon ber jyınpatbeti- 
ſchen Gemeinſamkeit entziehe und daher nie mit rechter Hingebung geiumgen 
werden könne. Ganz individuell unb daher direct allen Bebingungen bes 
Männerckhores entgegentretend fei bas Gedicht von Geibel: 


Du, vor dem die Stürme fchweigen, 
Vor dem das Meer verfintt in Rub, 
Dies wilde Herz nimm bin zu eigen 
Und führ’ es Deinem Krieben zu; 
Dies Herz, das ewig umgetrieben 
Entlodert allzu raſch entfacht, 
Und ac, mit feinem irren lieben 
Sich ſelbſt und are elenb macht, 
u. |. 





Geſang. 385 


57. Fortſetzung. Die mufilaltfhe Eompofitton für den Männer: 
gefang hat ihre befonveren, oft unterfhäßten Schwierigleiten, zunächſt in 
der Beichränlung auf höchftens 24 Octaven (für das herrſchende melodifche 
Element zu freier Bewegung kaum 14 Octaven), bnuptfächlich aber darin, 
daß die Melodie ſich bei möglichiter Einfachheit und Singbarkeit zu jcharfer 
Characteriftit erheben muß, obne duch Inſtrumentalbegleitung getragen zu 
werden, währenn fie, für den Chorgefang beſtimmt, des Gepräges ver Ge: 
meinjamteit nicht entbehren darf. Letzteres befteht in einer gewiflen Groß⸗ 
zügigleit und leichten Crfaßlichleit; es muß in edlem Sinne populär fein, 
ohne in’3 Ordinaͤre zu gerathen. Bor der Berfuhung, viel und auffällig 
zu mobuliren, hat fi der Componift zu hüten. | 

Groß ift gegenwärtig die Ueberfluthung des Mufilmarktes mit Männer- 
quartetten. Die Sucht vierftimmige Lieder zu fchreiben, ift zu einem, gefahr- 
vollen Delirium geworden, das Alle ergriffen bat, die nur Notenlöpfe malen 
tönnen. Da find zuvörderfi jene Gomponiften, die ein Heft fabrilmäßig 
entftandener, jhablonenartig gleihförmiger Uuartette nah dem andern fol: 
gen laſſen, alö hätten fie die muſikaliſche Seekrankheit. Das Schlimmfte 
aber wird und von den Directoren Meiner Liedertafeln zugemuthet, die ben 
brennenden Ehrgeiz haben, fih ber Welt als fchöpferifche Talente zu offen: 
baren. . .. . . 
Viel hat ung jedoch die neuere Zeit an Gutem und Zrefflidem ges 
ſchenkt. Wenn begabte Componiften das erjichtliche Streben zeigen, dem 
Männergejange einen höheren künftleriihen Gehalt zu verleihen, jo haben 
wir foldhes als ein Zeihen zu begrüßen, daß diefe Gompofitionsgattung 
nicht als eine abgelebte von ihnen aufgegeben if. Dank und Ehre ihnen 
dafür! 

Hiermit an dieſer Stelle genug. Cine Andentung der Forberungen, 
welde der Berjajler an den Dirigenten maht, folgt fpäter. Wie er bie 
„Gewiſſenloſigkeit“ der Herren Liebertäfler züchtigt, welche aus ven aller: 
nichtigften Gründen die Uebungsſtunden verſäumen; wie er fich über bie 
Sängerfefte äußert (mit fpeciellem Bezug auf Dresven)*); weshalb er das 
Breisfingen bei den Felten verwirft — dies und fonjtiges Wichtige wolle 
man in dem Hefte ſelbſt nachleſen. 


2. Das Bolt im Allgemeinen. 


58. Deutjhe Lieder. Scharf wird in der Beurtbeilung der 
neuen Auflage von Wadernagel’3 „Tröſteinſamkeit“ in der Evangelifchen 


* Scharf rügt er bie unwärbigen Borwilrfe und Schmähungen, welde 
nad dem Feſte den Beranftaltern, Forderern und Leitern beflelben von manchen 
Seiten al8 Dank zu Theil geworben find. „Man jhämt fich nicht, feine unver⸗ 
hohlne Schabenfreube tiber das Deficit zum äußern, das Dresden für feine Zu- 
vorlommenheit zu tragen bat, man beurtbeilt mit bitterer Schärfe alle bie 
Heinen bort begangenen Fehler, die gar nicht: zu vermeibit zwaten, mäne flr 
Die mufterhafte Einrichtung des großen Ganzen ein Wort des ——— Kir 
Tonnen... . Nah ſolchen Erfahrungen, wird ſich gewiß jebe deutſche Stadt 
höflichſt bedanken, dem Beiſpiele Dresdens zu folgen, um filr em geteinnäßige® 
Unternehmen große Opfer zu bringen. . 0. 

Rad. Jahreßberiht. XIX. 25 





386 Belang. 


Kirchenzeitung 1867, 34, die Gefinnungslofigleit gerügt, mit der man 
Liederfammlungen zufammenwürfelt und verbreitet. In Bezug auf eine 
„minder jchlehte‘‘ Liederfammlung wird gejagt: „Ste hebt an mit dem 
Arndtſchen Frage und Antwortlid: Was ift des Deutichen Vaterland? 
Aber wie Shwah und gefpreist muß das Vaterlandsgefühl fein, wenn 
jpäter ein Lied folgen kann mit dem Thema Ubi bene ibi patria, ober 
welche Berlebrtheit ift es, den guten beutfchen Gefängen, welche die Macht 
und Herrlichkeit des Baterlandes preifen, die fremden und feinpfeligen Pro: 
ducte „No ift Polen nicht verloren‘ und „Allons enfans de la patrie“ 
anzureiben. Und dann mertwürbiger Weife „Ein fefte Burg ift unfer 
Gott“, und zwar unmittelbar vor der, eine Reihe von ganz rohen Zech⸗ 
und Friegsliedern enthaltenden Ubtheilung „Gefelliges Treiben -— Lebens: 
genuß”, eine Abtbeilung mit Liedern wie: „Solche Brüder wmüflen wir 
baben, die verfaufen Rod und Kragen, Strümpf und Schuh, Strümpf und 
Schub, laufen dem Teufel barfuß zu.” Damit in Verbindung Reben dann 
in dem der Liebe gewidmeten Xheile die Lieder „Vom Bimmergejellen und 
der Gräfin“, „Michel der Schelm” ꝛc., fämmtlih in der frivolen, die ehe 
liche Treue verhöhnenden Manier des felbjt im vulgären Sinne mit Unredt 
unter die deutſchen Klaffiler gerechneten Dichters Langbein.“ 

59. Geſangeseinheit. Bereinigung der Kinder und der Er: 
wachjenen burd einen und denſelben Liederftoff, der fie alle enger und 
berzliher verbindet, Anbahnung des allgemeinen Lebensgefanges! Ein 
Gedanke, der, wie Lange fagt, nie genug geäußert werden fann. Zange 
ſetzt freilich hinzu: „Belanntlih liegt eine große Kluft zwiſchen dem 
Schulgeſang und dem Geſange nad den Schuljahren. Der neue Empfin- 
dungskreis, der nad den Kinderjahren fih aufthut, mill die Kinderlieder 
nit mehr ſchmadhaft finden. Es ift ſchon viel verſucht worden, ein enges 
Band zwiſchen dem Gefange in Schule und Leben zu flechten. Recht weit 
ift man nicht gekommen.“ 

60. Das Schweigen des Volkes „Daß doch unfer Volt 
wieder zu dem Quell aller wahren Freude und alles wahren Troſtes zurüd: 
kehrte und wieder fingen lernte, daß es Doch wieder fromm würde und fröhlich 
in jeinem Gott, daß es doch endlih aufhörte, ſtumm und lopfhängeriſch 
duch Wald und Feld zu gehen!‘ So die „Evangel Kirdenzei: 
tung” a. g. O. 


I. Geſanglehre. 
A. Allgemeines. 
1. Der Lehrer. 
61. Der Seminar:Mufillehrer. Die Dualification deſſelben 
wird von Sottfhalg in dem Auffape: „Der Unterridt in der 


Mufil auf den deutfhen Schullebrer:-Seminarien’, „Reue 
Beitfchrift ꝛc.“ 1867, 11, folgendermaßen feftgeftellt: „Die erfte Anforderung 


Gefang. 387 


an den Mufillehrer ift die, daß er inneren Beruf zur Mufil und zur Lehr⸗ 
thätigleit babe; und erſt hieran jchließt fich die zweite Forderung, daß er 
über dem ſtehe, was er lehren fol. Nicht jeder, der mit einem reichen 
Shape muſikaliſchen Willens und mit technijher Gewandtheit ausgerüftet 
if, giebt [hon einen guten Mufillehrer. Wer da nicht innig durchdrungen 
it von wahrhafter Kunftliebe, wen es nicht drängt und treibt, von innen 
beraus mit ſtets neuer Liebe und neuer Luft die edle Kunft zu pflanzen, 
zu üben und zu lehren, der wird jeinen Poften gewiß ziemlich erfolglos 
einnehmen. Zu fol innerem Berufe muß fi aber auch die entſprechende 
technische und geiftige Befähigung gejellen. Der Lehrer muß ein lebenviges 
Borbild für feine Schüler fein; er muß vie mufilaliihe Theorie in allen 
Zheilen, als: Harmonielehre, Kanon, Zuge, Formen⸗(Compoſitions⸗) Lehre, 
jowie die Geſetze ber Aeſthetik und logijchen Gedantenentwidelung, das 
Nöthige von der Smftrumentals und Partiturfenntniß, die Hauptjahe vom 
Orgelbau und den geſchichtlichen Zuſammenhang der Muſik verftehen. Auch 
etwas Erfindungsgabe ift dem Seminar-Mufillehrer zu wünjden, damit er 
im Stande ijt, möthigenfalls augenblidlih ein Beiſpiel beim Unterricht zu 
geben, namentlih giebt es für den Organiften unvermeiblihe Fälle, im 
denen diefelbe in Anſpruch genommen wird, Fehlt ihm ſelbſt dieſe Faͤhig⸗ 
keit, fo wird er nie zum freien Erfinden Anleitung zu geben vermögen. 
Zu allen diefen Erfordernijjen kommt noch das hinzu, daß er mit den ber: 
porragenden Erſcheinungen ver Nufilliteratur vertraut ift und in Conner 
bleibt. Das Beſte unter den neueren wie älteren derartigen Producten ift 
für feine Schüler gut genug. Iſt der Mufillehrer einfeitig, in einen be: 
ftimmten Standpunct feſtgefahren, fehlt es an freiem Blide, jo wirb er 
namentlih für neuere Criheinungen fein Verftänpni haben können und 
das Urtheil feiner Schüler bedenklich trüben.” 

62. Mufitalifhe Bildung der Vollsfhullehrer. Immer 
noch erheben fi mit Necht allerlei Klagen über die Mangelbaftigkeit dieſer 
Bildung. Tragen die Seminarien die Schuld? Gottſchalg ftellt dies 
in Abrede und erllärt es für ein Unrecht, dieſe Anftalten, die das Ihre 
ebrlih und rechtſchaffen thun, mit joldem Vorwurf zu belaften. „Ein 
Hauptgrund des unzureichenden Erfolgs des Seminarunterrichtes liegt darin, 
daß die eintretenden Schüler viel zu wenig mufilalifh worbereitet find. 
Nicht wenige derfelben haben erjt ein halbes Jahr oder gar ein Vierteljahr 
vorher Mufil zu treiben angefangen. Was Tann aber in einer folh kurzen 
Zeit geleiftet werden? .... Es würde fih als ‚zwedmäßig empfehlen, 
wenn von den maßgebenden Behörden ein beftimmtes Ziel für alle Lehr⸗ 
faͤcher, aljo auch für die Muſik, aufgeftellt würde, welches alle Seminar« 
Recipienden erreicht haben müßten. *) 

63. Bortjegung Die Vorjhläge, welche Gottſchalg in Be 
treff des Seminar: Mufilunterrichtes felbft macht, verdienen überall Buftim- 


*) Dies if in Preußen mittelft des betreffenden Regulativs vom 2. October 
1857 geſchehen. 


25” 


388 Gefang. 


mung... . . „Reben der Fertigkeit im Singen ift ſchon in ber Unter: 
Mafie vor Allem auf eine ſchöne Tonbildung ein Hauptgewicht zu 
fegen, da gerade der Wohlklang unjern Zingehören, namentlid auf dem 
Lande, nod in hohem Grade abgeht. Das Straßen: und Gottesader-Sin= 
gen follte man zulünftigen Volksſchullehrern, deren Stimmwerlzeuge ohnehin 
fpäter gewöhnlich fehr in Anfpruch genommen werden, womöglich erfparen. — 
In den folgenden Klaſſen kommt es vorzüglih auch darauf an, das Me: 
thodifſche in Bezug auf Technik und Tonbildung recht tüchtig einzuüben. 
Beim Chorgejange fommt es darauf an, ausgezeichnete geiftlidye- und welt- 
(ide Tonwerke der größten Meifter alter und neuer Zeit in einem jähr- 
fihen Eurfe durdhzuführen.”) Mit ven bald in’s Amt tretenden Semina= 
riften find Dirigirübungen anzuſtellen. Auch können die oberen Schü⸗ 
fer für den gefanglichen Unterriht in der Glementarllaffe verwendet werden, 
zur Vorbereitung für Bildung tüchtiger Kräfte in fpätern Berhältnifien. 
In der letzteren Hinfiht künnen fie namentlich auf dem Lande eine erfprieß- 
liche Thätigleit entfalten! Um den Schülern das Verſtändniß der ınufila= 
lichen Erſcheinungen in Gegenwart und Bergangenheit zu erleihtern und 
fie vor abjpredenden einfeitigen Urtheilen zu bewahren, ift es nothwendig, 
daß ihnen die verſchiedenen Epochen der Muſikgeſchichte wenigftend im ihren 
&arakteriftiihen Hauptträgern belannt gemacht werden.” 

64. Mufilalifhe Fortbildung der Lehrer. SHierüber jagt 
Gottſchalg: ... „Daß in diefer Beziehung noch wenig gethan ift, 
läßt fih jchwerlich leugnen. Mas hätten unfere amtlichen Conferenzen für 
Orgel und Kirchengeſang nicht alles leijten können und wie werig ift in 
diefem Bezuge geſchehen; wie wenig hat man getban, um das Gmporftreben 
einzelner mujilaliih begabten Lehrer anzuertennen und zu unterflüßen..... . . 
Wie oft wurde wenigitens früher die mufilalifhe Begabung bein Lehramte 
faft gar nicht berüdfichtigt: Stümper von Gantoren und Organiften bes 
kamen gut dotirte mufifalifhe Etellen, während das wahre Verdienſt ver: 
tümmerte! Wie verbältnißmäßig wenig haben die Leiter und Träger der 
&riftlichen Kirche für ernftere muſikaliſche Bmede gethan!“ 

Erfreulide Erjheinungen in der bezeihneten Richtung find u. U. 
die mufitaliihe Gonferenzthätigkeit in der Ephorie L. (Provinz Sadfen) 
und die jährlichen Unterrichtscurfe in Gefang, Urgeljpiel, Theorie ver Mufit, 
Etructur der Orgel ꝛc. für bereit angeftellte Lehrer des preußiſchen Re— 
gierungsbezirkes Frankfurt a. O., abgehalten von den K. Mufifvirector 
Gäbler zu Züllihau.**) Möchte fih vielfache Nachahmung finden! 


——— — 





*) In dem vom Berfafier SHE mufterhaften Entwurje für einen 
olhen Curſus find vertreten: Paleſtrina, Lotti, Allegri, Eccard, 
rätoriue, Sebaſtian Bay Danbel, Haydn, Mozart, Beethoven. 
Schubert, EM o. Weber, & 
mann, Wagner und Lißt. 

**) In ber Ephorie L. wurden bei ber letzten vehrerserfamun lung die Fau⸗ 
tafie und Fuge in gemoll von Sebaſtian Bach, Ghoralfigurutienen von 
Nind, ein Trio von Töpfer und ein Feſtpräludium Über: „Das ift ber 
Tag des Heren”, componirt von einem Mitgliede ber Conferenz, auf der Orgel 
vorgetragen und dann alljeitig befprochen, woran ſich noch Erörterungen darüber 


pobr, 8. Zlein, Mendelsſohn, Sch 











Geſang. 380 


65. Der Geſanglehrer der Volksſchule. Bon ibm forbert 
&. Richter in dem Vorworte zu feiner „Anweifung zum Gejang: 
unterricht“, daß er felbft Sänger, und dabei tact« und tonfeft fei, um 
- auch die geringsten Abmweihungen von der Richtigkeit des Gefanges in allen 
Beziehungen an feinen Schülern zu bemerlen und zu verbeflern, dann ihnen 
aber auch durch's Vorfingen ein MufterzurNahahmung geben 
zu tönnen. „Vormachen, mo es auf Fertigkeiten ankommt, erſpart viel 
Wort: und Zeitaufwand und wirft, wenn es rechter Art ift, auf die Aus⸗ 
bildung des Schülers nur vortheilhaft ein. Auch auf dem Inſtruͤmente, 
welches bei der Leitung des Geſanges in ber Vollsjhule ſich ald am zmed- 
entſprechendſten ermweilt, ver Violine, jollte jever Gejanglehrer eine mehr 
als eben hinreichende Fertigkeit befiten . .. Sit der Lehrer weder ein 
guter Borfänger, no ein fein Inſtrument beherrſchender Geiger, fehlt ihm 
überhaupt eine genügende mufilalifhe Bildung, ein geläuterter Geſchmack 
für den geiftlihen und weltlihen Liebergefang, ift er dabei aud noch unges 
ihidt im Unterrichten, fo wird fein Unterricht ſchwerlich erfolgreid, fein.‘ 


2. Gefanganlage, Tonfinn, Stimme ıc. - 


66. Caroline Wiſeneder ftellt in ihren „Mittheilungen 
aus der Mufitbildungsihule in Braunfhmeig”‘ — „Neue 
Zeitſchrift für Mufit” 1867, 8 — die Behadptung auf, „daß alle 
Kinder bei nicht rubender Aufmerkſamkeit ſchon bis zum fchulpflichtigen 
Alter ein „reines Gehör‘ erlangt haben können. ’ Freili müſſe gerade 
auf der „Vorftufe“ (Vorfhule, mit Uebungen, Spielen x. im fröbelfchen 
Sinne) der Gefang mit der Aufmertjamteit behandelt werden, melde durch 
die Erwägung geboten fcheint, daß fih in den eriten Lebensjahren der 
fpätere, nah allen Seiten bildungsfähige Menſch entwideln fol. ‚Und 
übrigens müfjen zur Erzielung des „reinen Gehörs" drei Factoren thätig 
fein und fih im normalen Buftande befinden: Das Ohr, um den ge 
botenen: Ton aufzufaffen, der Kehlkopf, um ihn miederzugeben, und der 
vorftellende Wille, um die Ausführung der Aufgabe folgen zu laſſen. 
Die Verfaflerin verfihert, daß nad) faft fünfjährigem Wirken unter Hunderten 
in ihrer Schule ſich nicht ein Kind zeigte, welches unfähig gewefen wäre, 
eine Melodie rein wieder zu geben.” 

Wilhelm Tappert (5) ſcheidet die mufifalifhe Begabung, bie 
„Tonſinnigkeit“, in eine äußere und eine innere. Der äußere 
Zonfinn, das gute Ohr oder das feine mufilaliiche Gehör, befteht in 
einer — phyſiologiſch wohl noch nicht binlänglih zu erllärenden Reizbar⸗ 


fnüpften, ob Melodien, welche nicht Ehoräle find, für zuläffig zur Benugung in 
Präludien und Poſtludien erachtet werben können. 

In Züllichau wurden am 7. Juni nah Vollendung bes biesjährigen Eur 
ſus die Vetheiligten, acht an ber Zahl, Bffentlih im ber Stabtlirde geprüft. 
Jeder von ihnen fpielte ein Präludium, einen Choral und ein Poftlubium auf 
der Orgel; Gefangleiftungen mannichfadger Art wechlelten mit biefen Orgelver- 
trägen ab. Der Erfolg bes Eurfus konnte ale ein erfreulicher bezeichnet werben, 


390 Geſang. 


keit der Gehörwerlzeuge, welche den damit Begabten in den Stand ſetzt, 
Zonftärle, Tonhöhe, Tonbewegung (Tondauer), Tonverbindung, Tonfarbe 
u. f. w. leicht aufzufaflen und zu unterfeiden.*) Gr iſt — wenn vor 
banden — ſtets angeboren; niemals kommt er „mit den Jahren”, wie 
Zaufende fich zu tröften pflegen.**) Wie jede natürliche Anlage, bedarf er der 
Pflege und ift dann außerordentlicher Vervolllommnung fähig. 

Der innere Tonfinn ift überwiegend ein Product der Erzie⸗ 
bung, db. h. all der unzähligen und unberehenbaren Einflüfle, welche 
geftaltend auf das Gemüth des Menſchen einwirten. Gr offenbart ſich in 
bem Beſtreben: die innere Welt vorzugsweiſe finnbilplid in Tönen 
zu faffen, für vie feelifhen Uxbilver Elingende Abbilder zu fuchen, 
bie Innerlichkeit durch muſikaliſche Analogien gewifiermaßen zu ver: 
äußerliden. Der äußere Zonfinn hat es mit den Abbildern, der 
innere mit den Urbildern zu thun; beive — vereinigt mit Schule und 
Erfahrung, Anleitung und Hebung, — befähigen den Künftler zum glüdlichften 
Schaffen, den Laien zum höchſten Genuſſe. Der erflere kann allein vor 
a A daß es der zweite könne, beftreitet der Verfaſſer, und gewiß 
mit t. 


B. Maſſenunterricht. 
1. Die Tonzeichen. 


67. Noten oder Ziffern? R. Lange fagt a. g. O..... 
„Wie jehen jebt rubig auf den heftigen Streit: „ob Ziffer, ob Note” zurüd. 
Unjere Note wird in ihrer Einfachheit und dabei in ihrer außerorbentlichen 
Präcifion immer ein Triumph des menjchlichen Geiftes bleiben. Wie die 
Wellen des Gemüths fteigen und fallen, fo fteigen und fallen die Zeichen. 
Und nicht blos dies. Die Zeichen mefien auch in ihrem Wechſel der Form 
den flüchtigen Wechfel der Zeiten, und jelbft in der tactifhen Stellung 
lafien fie erkennen, welche Schwingung des Herzens die innigfte fe. Fünf 
und zwanzig Beihen find ung Deutichen die Träger des Gedankens. Biel 
weniger Beichen find fähig, die Iuftige Welt der Empfindungen zu feſſeln.“ 

» Bas an neuen Geſangſchulen, jowie an Lieder: und Choralbeften 
vorliegt, ift ohne Ausnahme unter Anwendung der Noten bearbeitet. 

68. Die Zahlnoten haben fih dem Vernehmen nah auch im 
dem legten Jahre in einem Theile von Oftpreußen behauptet, obne jedoch, 


*) „Ihn befigen 3. B. Diejenigen, welche Allee, was melodiſch und rhyth⸗ 
miſch leicht faßlich iſt, oft nach einmaligem Hören nachfingen oder nachpfeifen, 
ſelbſt auf muſikaliſchen Iuftrumenten nachſpielen können, ohne auch nur eine 
Note, eine Taſte zu kennen.“ 


ux) Tappert fand im einem gewifſen Theile Schlefiens unter 100 Schul⸗ 
findern nur etwa 5, welche ber Gabe enibehrten, Tonunterſchiede herauszubören 
und darum von allem Gefangunterrichte für immer bispenfirt werben mußten. 
FJahrelange Beobadhtung bat mich gelehrt, daß im Gebirge 3—5 Procent ber 
ſchnlpflichtigen Kinder in biefer Belt unmufllalifh find, das Berhältnig in ber 
Ebene if weniger ungünſtig, am allerungünftigften in großen Städten.“ 


Geſang. 391 


wie es ausfieht, in weiteren Kreiſen an Verbreitung gewonnen zu haben. 
Lange ſagt: „Weder Thomascid (der Erfinder ber Zahlnoten oder des 
„Einsſchlüſſels“) noch feine Nahfolger haben, fo wenig wie Chende und 
v. Heeringen, Propaganda gemacht. Die Herren haben fih ohne Noth 
ifolitt. Es wird bei unferer Notation bleiben; nur eins wirb mit ber 
Zeit fallen — e3 find dies die verjchiedenen Schlüſſel. Die neueren Bars 
tituren fangen ſchon an, einfacher im Schlüſſel zu fein.” 


2. Der Shulunterridt. 
a. Allgemeines. 


69. Gefangfhulen. Es liegen an neuen Lehrwerken vor: 
1) Wilhelm Bünte’3 „Praktiſche Geſangſchule für Schulen, 
und Singvereine“. 2) Franz Hamma's „Gefangunterridt 
in der Schule als Grundlage des Chorgejanges”. 3) HM. 
Schletterer's „Praktiſcher Unterriht im Chorgefange, für 
Bollsfhulen, höhere Lehranftalten und Gejangvereine”. 
4) Guſtav Flügel's „Geſang-Curſus für die Oberklaſſen 
höherer Töchterſchulen“. 5) Louis Rebbeling's, Theoretiſch— 
praktiches Hülfsbuch für einen methodiſchen Geſangunter— 
richt in untern Gymnaſialklaſſen und Bürgerſchulen“. 
6) Richard Würſt's „Leitfaden der Elementar-Theorie der 
Muſik“. Außerdem in neuer Auflage: 7) E. Richter's „Anwei— 
ſung zum Geſangunterricht in der Volksſchule“. 

70. Gründlichkeit des Unterrichts. Sehr entſchieden iſt 
von Mehreren gegen das bloße Abrichten der Schüler, gegen Beſchräͤn⸗ 
tung des ganzen Öejangunterrihts auf das Ginüben von 
Liedern und Chorälen blos nah dem Gehör, protejtirt worden. 
So 3. B. von Schelterer a. g. D. Ausdrüdlich bemerkt er zwar, daß 
„in den beiden erften, d. h. Anfangsklafien der deutſchen Schulen nur das 
Ohr geübt werden könne“; für alle folgenden Stufen verwirft er jedoch 
das Gehörfingen ganz und gar. „Man ertheilt wohl überall und in allen 
Klaſſen Gefangunterricht, aber häufig erftredt ſich derjelbe nicht weiter als 
auf das Ausmendiglernen einiger Choräle und Volksmelodien und ift für 
die Schüler nichts anderes als ein angenehmer, ziemlich gebanfenlofer Zeit 
vertreib. Gin ftrenger, ernit durchgeführter Lehrgang dieſes wichtigen Uns 
terriht3 wird nur felten feſtgehalten. Man lehrt und betreibt nicht nur - 
Lefen, Schreiben und Rechnen mit Außerfter Gründlichleit und Sorgfalt, 
man bat faft alle Zweige des Willens und Könnens in's Auge gefaßt und 
ſucht für fie fogar in den niedern Schulen fhon den Boden vorzubereiten. 
Nur der Gefang geht als fünftes Rad am Wagen gemöhnlih nebenher. 
Allerdingd wird man entgegnen, daß Leſen, Schreiben und Rechnen, daß 
das Studium der klaſſiſchen Sprachen, der Literatur, der Naturwiſſenſchaf⸗ 
ten, der Mechanik wichtiger find als die brotlofe Kunft des Singens. Aber 
das iſt eben ver Sammer, daß es immer noch Schulmänner und Schul 





892 Geſang. 


vorflände giebt, wie mit folder Verachtung auf den Geſang herabſchauen, 
bie am ſich jelbft mie bie Seguungen deſſelben erfahren haben, vie — als 
verlörperte Stammatilen und erftarrte Nechenerempel — nicht im Stande 
ſind, dasjenige zu begreifen, was man unter Gemüth verfleht, und daß es 
eben jo wichtig iſt, diefem Theile unfers geiftigen Seins jedes Bilpungs- 
mittels zu verſchaffen, wie dem Verſtande 

Beiter jagt Schletterer: „Man wird vielfach entgegnen, daß es 
bei der ohnehin fo ſehr beſchränkten Schulzeit nie möglid ift, den Schüler 
dahin zu bringen, nach Noten fingen zu lernen. Dem muß jedoch entjchie: 
den wiberfprochen werden. Wenn ber Lehrer will, fo wird er das errei⸗ 
hen, was er fi) als Ziel vorgeſetzt hat.“ 

In gleihem Ginne fagt Hamma a. g. D.: „Das fogenannte 
„Gehörfingen‘' ift ungenügend und für das fpätere Leben geradezu unnütz; 
denn der Gefangunterriht Tann nur dann eine bildende und ver- 
edelnde Kraft haben, wenn die Denkkraft des Schülers in Anſpruch 
genommen wird. Das Erkenntnißvermögen ift die Quelle der rid- 
tigen Borftellungen, mit deren Hülfe ver Schüler die in einem poetifchen 
Erzeugniß gezeichneten Seelenftimmungen fih zum Bewußtjein bringt. Um 
diejenigen Vorflellungen und Gefühle, melde die Eeele des Dichtercompo- 
niften (beide als eine Berfon gedacht!) bewegten, in fi felbft, ſowie in 
dem Hörer erweden zu können, muß alfo vorerft die Thätigleit des 
Verftandes in Anfprud gewonnen werden ...... . Das Streben bes 
Volles nad) höherem Runftgenuffe, wie insbeſondere das practifche 
Beduͤrfniß der Kirhenmufil fordern dringend, das „Gehörſingen“ aus 
unfern Saltebitdungsanftalten zu entfernen und durch einen vernunft: 
gemäßen Unterricht, welder den Schüler zum Denken anleitet und ein 
trefjliches Bildungsmittel für Geift und Gemüth ift, zu erfeben.” Man 
muß abjehen von ven Unklarheiten dieſer Auseinanderfegung; mas Herr 
Hamma will, iſt ja zu verftehen. 

Guſtav Flügel fagt in den durch die „Euterpe” 1867, 6, veröffent: 
lihten Bemerkungen zu feinem „Gefang-Curfus für die Oberllaf: 
jen höherer Töchterſchulen“ in fpeciellem Bezug auf diefe Anftalten 
und Klaſſen: „.. . Es fehlt leider noch oft an einem planmäßigen 
Geſangunterrichte und das eigentliche Sch ulefingen (Treffen der Intervalle) 
wird gar zu fehr hintenan geſetzt. Man begnügt ſich meilt, nur Lieder 
einzuüben und geräth bei diefem Verfahren nicht felten in ein mechaniſches 
Abrihten hinein... . Man foll nie abrihten, man foll lehren, 
und dad aus dem Grunde. Es ftünde nicht fo ſchwach mit unferer 
Hausmufil, wenn der Gefang-Unterrit in den Schulen gründlich 
ertheilt würde.“ 

Louis Rebbeling ift ver Anfıht, daß ein bewußtes Notenfingen 
von den untern Klafien höherer Lebranftalten beftimmt zu beanfjpruchen, 
von ben obern Klaſſen der Bürgerfhulen doch mindeftend zu mwünjden fei. 
Gr ftellt jevodh dem Unterricht nicht die Aufgabe, ein unfehlbares Treffen 
der Noten in jedem alle bei ven Schülern zu erreichen, da ihm recht wohl 
bewußt ift, daß ein folhes Ziel für den Klaſſengeſang im Allgemeinen, 





Geſang. 393 


beſonders aber für untere Klaſſen viel zu hoch geſteckt wäre. Wohl aber 
ift es durch die Erfahrung überzeugt, „daß durch einen voran: und neben: 
gehenden Mufilunterriht den Schülern das Treffen der Noten nicht allein 
bedeutend erleichtert wird, fondern daß dieſelben auch mit regerem Intereſſe 
das ihnen als neu Vorgelegte erfaſſen.“ 

71. Fortſetzung. Was meine Stellung zu der Angelegenheit be: 
kiftt, in ber ih oft das Wort genommen habe, jo ift fie diefe: Ich habe 
ftetö behauptet und behaupte no, die große Maſſe des Volkes könne nicht 
dahin gebracht werden, jo a vista zu fingen, wie fie a vista lieft. 
Aber ih babe zugleich ftet3 gefordert und forbere noh, daß Alle in 
vollsmäßiger Weiſe mit den Noten bekannt gemacht werden, und daß man 
Alle anleite, in dem Maße frei nah den Noten zu fingen, ala es ver 
vorhandene Grad des Tonvermögens geftatten will, Es muß aljo ein 
Eurfus von „reinen Tonübungen”, ein „Glementarcurjug” der 
Melodil und Rhythmit ftattfinden und es muß fich derjelbe fortfegen 
in einer Cinübungsweife der Choräle und Lieder, die der Selbftthätigfeit 
überall Raum giebt, fie anregt, fie unterftübt und ihr nur ſchließlich durch 
Borfingen oder Borfpielen fo weit zu Hülfe fommt, als es durchaus noth- 
wendig iſt. 


b. Specielles. 


72. Bünte. Das geſammte Notenſingen zerfällt in zwei Theile, 
von denen der erſte es mit den rhythmiſchen und melodiſchen Uebungen in 
C-dur, der zweite mit eben dergleichen in den übrigen Tonarten (Dur 
und Moll) zu thun bat. Beſondere Stimmübungen find eingeſtreut, ent: 
ſprechende Lieder von Stufe zu Stufe beigefügt. Das Abzählen der Inter: 
valle gejchieht von Note zu Note, nit von der Eins der Scala aus: fie 
werden alfo nah ihrer relativen, nicht nad ihrer abfoluten Größe auf: 
gefaßt. Erläuterungen über das methodische Verfahren im Einzelnen find 
faſt gar nicht gegeben. 

73. Hamma. Wenn der wadere Schwabe „durch das vorliegende 
Werkchen der Praris des Unterrichts zu Hülfe fommen will“, fo „glaubt 
er, ein wirkliches Bebürfnig richtig erfannt zu haben. Er fagt: „Dem 
Mangel einer für Clementarfhulen, wie für höhere Yehranftalten geeigneten 
ſyftematiſch⸗ methodiſchen Singſchule ift es hauptſächlich zuzufchreiben, daß 
ih der Gejangunterriht an vielen Schulen auf ein planiofes Ein— 
üben einzelner Lieder nah dem Gehör'rebucirt — ein Berfab: 
ten, durch meldes ber Hauptzwed des Schul:Befangunterrihtes, durch 
Einführung des Schülers in das Verſtändniß der Noten» 
Ihrift den erftien und jiherftien Grund zur Bildung eines 
Ghores-zu legen, nit erreiht wird.” Die bier entwidelte Unbelannt: 
Ihaft mit der Literatur des Gefangunterrihts ift jo kindlih naiv, daß man 
ih nicht über fie ärgern kann, und es faſt als graufam empfindet, Heren 
Hamma aus dem fchönen Wahne berauszujagen, daß er ala Berfafler der 
fen und bis dato einzigen brauchbaren Singſchule uns bahnbrechend 
in eine neue Yexa des. Gefangunterrihts. einfihree. — Aber. es muß fein, 


394 Geſang. 


und ſo erfahre er denn, daß es mehr ſolcher Singſchulen giebt, als die 
wahrſcheinliche Zahl ſeiner Lebensjahre — die ja auf 40 noch nicht ge: 
ſtiegen zu fein ſcheint — beträgt. Wenn er ſuchen will, fo wird er finden. 

Seinem Eifer gegen das planloſe Einüben einzelner Lieder nach dem 
Gehör alle Ehre! Beiftimmen kann ich jedoch nicht, wenn es der „Haupt: 
zwed” des Schul:Gefangunterrihts fein foll, „durch die Noten den Grund 
zur Bildung eines Chores zu legen. Soll fib denn der „Hauptzwed“ 
des Gejangunterriht3 an all den Kindern, die nicht in den Chor ein: 
treten, nicht erfüllen? Jeder einzelne Schüler und jede einzelne Schülerin 
fol zum Gejange durch Ausbildung des Tonſinns und der Stimme ge: 
ihidt, durch den Gefang fromm und fröblid in Gegenwart und 
Bulunft gemadt werben, darauf kommt es an; dies ſchließt natürlich 
die Chorthätigleit niht aus, aber es bedingt fie nicht. 

Was den von Hamma vorgezeichneten Gang des Unterrichts an fi 
betrifft, jo ift es diefer: Erfte Stufe, 7- bis 10jährigen Slinder. 
I. Die 3 erften Töne, Der 2:Talt. IL Die erften 5 Töne. III. Die 
Baufen. Der Ze, der 42, der 3:Talt. IV. Die 6 erften Töne. V. Die 
ganze Tonleitet. (Secunden, Terzen zc., Dreillänge) VI. Erweiterung 
des Zonumfange. Andere Tonarten. Triolen. Dynamiſche Leichen. 
Zweite Stufe, 10: bis 12jährigen Kinder. VII. Die chromatiſchen 
Zöne. Die verjhiedenen Dur:Tonarten. Dritte Stufe, 12 bis 14 
jährigen Kinder. VIII. Modulation. IX. Bindung. X. Dreiftimmigleit. 
Die Molltonarten,. Vierte Stufe, der geübtere Kinderchor. „um 
Studium des Vortrages und zur Erreichung der Stimmſebſiſtaͤndigkeit.“ 
86 Lieder werden auf die einzelnen Uebungen der 4 Stufen nah und nad 
vertheilt. 

Wie der Sachkundige fofort erkennt, ift hiermit etwas weſentlich Neuss 
nicht gegeben. 

74. Schletterer. Der Gefangunterriht nad Noten beginnt mit 
dem dritten Schuljahre und vertheilt fi jo: 

1.—3. Semefter, Erfte Stufe. 32 einfache melodiihe und rhyth: 
mifhe und dynamiſche Uebungen, ausgehend von den Mitteltönen der 
Stimme, bis zum. Aufbau der C-Leiter, im Rhythmiſchen auf Ganze, 
Halbe und Biertel beſchränkt. Dazu 13 Heine Lieder. 

4.—6. Semeftr. Zweite Stufe. Weiterer Ausbau des Melodi- 
hen, jevoh noch rein in C-dur (Ermweitung des Zonumfangs, vielfältige 
Sintervallenübung) ; Fortführung der Rhythmik; mancherlei Uebungen, um 
die Stimmen biegſam und geläufig zu machen; Einſührung der Zweiſtim⸗ 
migleit. In Allem 22 Uebungen nebft 14 Piebern. 

7.—10. Semefter. Dritte Situfe Einführung ber Verſetzungs⸗ 
zeihen. Entwidelung aller Dur:Tonleitern. Bollftändige Intervallenlehre. 
Herleitung der Mollfcala. Aufbau der Dreillänge, Septimen: und Nonen- 
accorde. Vollendung der Rhythmik. Fortjegung der Stimmübungen. Bor. 
halte. Verzierungen. Bortragsregeln. Im Ganzen 26 Uebungen und Fieber. 

75. ©. Flügel. Der Schwerpunft ſeines Werkes liegt in der 
Anbahnung einer gründliben Intervallenkenntniß mit Einfluß (nicht 











Sefang. 395 


nur aller Dur⸗Tonleitern, fondern auch) beider Formen der Mollton⸗ 
art und des Allernöthigften aus der Harmonielehre, was durch Beis 
fpiele, die zugleid) Gejangübungen find, veranfhauliht wird. Der ganze 
Eurjus zerfällt in A Theile. Der erſte Theil, Kl. IIIa reiht bis zur 
Dur⸗Tonleiter in einfacher Ahythmifirung, und es find demſelben 24 ſchrift⸗ 
fihe Aufgaben, 36 Singübungen und 9 Volkslieder beigegeben. Der 2. 
Theil enthält den Anfang der Antervallenlebre; Umkehrung 
und Meffung der leitereigenen Intervalle der Durtonart, Fortjegung der 
thythmifirten Durtonleiter. 20 fchriftliche Aufgaben, 31 Singübungen, 
9 Volkslieder. Der 3. Theil entwidelt beide Formen der Moll tonart, 
enthält ferner die Rhythmiſirung der melodifhen und harmoniſchen Moll: 
tonleiter, die Fortſetzung der Intervallenlehbre. 20 fchriftliche 
Aufgaben, 16 Singübungen. 9 Volkslieder. — Der A. Theil bringt die 
leitereigenen Dreillänge dee Dur» und Molltonart, ihre Verwech⸗ 
felungen und ihre Verbindungen, fchließlid den Hauptfeptimenaccord. 
27 Ichriftlihe Aufgaben, 32 Singübungen und Seneralbaßbeifpiele, worum: 
ter 12 Choräle. Bon den jchriftlihen Aufgaben mögen zur Probe dienen: 
Nr. 5. Die eingeftrihene DOctave wird mit den Sylben do re mi x. 
notirt. Buchftabenbezeihnung. Nr. 19. Der Quartenzirkel. Nr. 88. 
Umkehrung der leitereigenen Intervalle der Durtonleiter. Nr. 61. Die 
Serten der harmonifhen Molltonleiter. (A gr. und 3 U) Nr. 84. 
Dreillangsverbindungen in Dur. (IT VI,IIVIuf. mw) Nr. 100. 
Die 3 C-Schlüffel oder das Discant —, Alt und Tenorzeichen. 

Dfienbar begegnen fih Schletterer und Flügel in dem Beftreben, 
bie Lernenden in das Zonleiter:, Intervallen und Accordweſen gründlicher 
einzuführen, als dies gewöhnlich gefchieht. Webereinftimmend find auch 
ihre betreffenden Aeußerungen. „Man verfäume es ja do nicht, dem 
Geſangſchüler einen Haren Einblid in das Weſen der Intervalle und Accorde 
zu verſchaffen, und fcheue feine Mühe, bis verjelbe gewonnen ift, denn nur 
auf diefe Weife wird es möglich werden, diejenige Tertigleit und Sicherheit 
im Leſen und Treffen der Noten zu erlangen, die einem guten Chorjänger 
unentbehrlih find.” So Schletterer. Und Flügel citirt den Ausſpruch 
9. Hauer’s (Drganift an St Jacobi in Berlin): „Die ganze Notenſchrift, 
Kenntniß der Intervalle, Treffen derjelben, rhythmiſche Uebun⸗ 
gen, Kenntniß der gebräudlichften Tonleitern und Accorde, müfjen auf das 
Eorgfältigfte von der erjten bis zur lebten Stufe getrieben werden”, worauf 
er binzufegt: „Wie ein Gefangunterriht ohne Intervallenkenntniß einem 
Saufe ohne Fundament gleidht, jo gleicht ein Gejangunterriht mit 
Intervallenlehre, ohne die Kenntniß der leitereigenen Dreillänge 
der Dur: und Molltonart und des Hauptjeptimen=-Accordes mit feinen 
Verwechſelungen einem Haufe ohne Dad.“ 

76. Rebbeling. Derjelbe ordnet den Lehrftoff in diefer Weiſe: 
1) Erklärung der Notenschrift. 2) Bon den Schlüſſeln. 3) Vom Talt. 
4) Form und Werth der Noten. 5) Paufen. 6) Ganze und halbe Töne. 
7) Verſetzungszeichen. 8) Die Tonleiter. 9) Auftalt. 10) Ver Puntt. 
11) Das Wiederholungszeihen. 12) Die Fermate. 13) Andere Zons 
leiten. 14) Dynamiſche Zeichen. 15) Bmeiftimmigfeit. 16) Andere 


396 Gejang. 


Zonarten. 17) Die Zriole. Dieſe Anoronung ftebt zwitterhaft zwiſchen 
objectivem und fubjectivem Wefen; fie ift von dem Geifte der Elementar- 
methode angehaudt, aber nicht durchdrungen. Was joll unter 3 die Ge 
fammtlehre von Takt, wo jelbft der 12/8 Takt aufgeführt wird, wenn erft 
unter 8 der Schüler erfährt, ja ihm felbft durch Ziffern vorgezeichnet wird, 
daß man auf eine Halbe 2 PBiertel zählt? Unter 8 wirb mit der Dur: 
Zonleiter zugleich aud die Moll-Zonleiter theoretifch eingeführt; dann folgen 
zahlreiche Zreffübungen, tiederfäße und Lieder in allen üblichen Dur 
Tonarten, — aber mit feinem einzigen Worte wird der Moll-Tonart wie 
der gedacht, Heiner einzigen Note wird fie ferner noch für werth erachtet! 
Da ift alfo noh Manches zu beſſern; auch für die untern Klaflen der 
Gymnafien und Bürgerfhulen ift das Material elementariih zu 
ordnen und ebenmäßig zu verarbeiten, wie dies 3. B. pon Schletterer 
und Flügel geſchehen if. Daß Rebbeling vie zwiichen die Lehrſtüde 
eingeihobenen, von ihm felbjt componirten kleinen Liederdhen „meiſt nur 
als Zreffübungen angeſehen und beurtheilt willen will”, und daß er neben 
denfelben .eine reiche Auswahl Achter Lieder von entjchiedener Bewährung 
giebt, ſoll beflens anerfannt werden. 

77. Würſt. Auf 6 weitläufig gebrudten Seiten wird das Noth- 
wendigite über Noten, Schlüſſel, Zonleitern, Zaltwefen und vie beiden 
Haupt-Dreillänge vorgetragen, über die methodische Behandlung aber nichts 
mitgetheilt. Es folgen dann in freier Zufammenftelung 32 zweiltimmige 
Choräle und 23 vergleiben Lieder. Genau genommen wäre das Heft bier 
gar nit aufzuführen gemejen, da der Berfaller offenbar nur ein Liederbuch 
mit vorangelielltem theoret. Material, nicht aber eine Anweiſung zum Ge: 
jangunterriht bat jchreiben wollen. Nur der Name „Leitfaden, Dex 
allerdings ziemlich im uneigentlihen Sinne gebraudt ift, beftimmte mich, 
des Werkchens bier zu gedenken. 

78. Richter. Derfelbe zeichnet den Gefangunterricht für eine drei- 
Haffige Vollsjhule vor, und zwar in zwei Lehrgängen, von denen ber 
erſte für die Unterklaſſe, der zweite für die Mittele und Oberklaſſe beftimmt 
ft. Die Unterllafie fingt ohne Noten. Sie hat es zu thun mit dreierlei 
„reinen Tonübungen‘‘, neben denen ver „freie Liedergeſang“ ſich binziebt. 
Jene Zonübungen find a) melodiſche, b) dynamiſche, c) rhythmiſche. Im 
der Mitteltiafie treten die Noten ein. Die Uebungen bewegen fi zuerit nur 
in C-dur (1. eingeftridene Oetave, 2. ermeiterter Tonraum), nachher treten 
noch G- und F-dur zu. Melodik und Rhythmik werden anfangs getrennt, dann 
in angemeflener Verbindung behandelt. Dynamik, Stimmbildung, Athmung ıc. 
finden am rechten Orte ihre Beachtung und Pflege. Was in den reinen 
Zonübungen gewonnen iſt, kommt in „Liederſätzen und Chorälen‘ zur Ber: 
werthung. Nebenher aber geht ganz unabhängig der „freie Liedergejang”, 
der den Zweck hat, „dem Gemüthsleben des indes und all dem, was 
bafielbe im Liebe ergreifen und bewegen kann, Rechnung zu tragen‘, wobei 
alfo Nüdfiht genommen wird auf die Tages: und Jahreszeiten, 
die Natur, Heimath und Fremde u. f. mw. Diefer Liedercurſus 
richtet ſich folglich nicht nach der jeweiligen in Melodik, Rhythmik zc. erreichten 
Stufe, benutzt jedoch beitens das in den betreffenden Uehungen Gewonnene ; 











Geſang. 397 


er giebt mithin der Selbſtthätigkeit im Singen nad Noten überall Raum 
und hilft nur duch Borfingen und Vorſpielen ein, wo jene nicht ausreicht. 
Und fo muß es fein, und fo wurde es bereits vor langen 
Jahren in Dieſterweg's Wegweifer und anderswo von mir 
vorgejhlagen. In der Öberklafle beendigt Richter den zweiten Lehr: 
gang duch Behandlung der übrigen im Volksgeſange unentbehrlichften 
Durtonleitern und Taktarten, fowie auch der Molltonart, durch Fortjeßung 
der dynamiſchen Uebungen, Anbahnung und Pflege des harmonischen (zwei: 
und bdreifimmigen) Geſanges und fortgefegte Einübung von Liedern und 
Chorälen, denen fi nod die liturgijhen Gefänge der Kirche anjchliehen. 
So geihieht jeber berechtigten Forderung nah allen Seiten bin und in 
maßvoller Weife Genüge. Ueber das Nothwendige belehrt, zur Selbſtthätig⸗ 
feit angeregt und darin geübt, ausgeftattet mit einem Schage muftergältiger 
geiftlicher und weltliher Lieder für Haus, Kirche und Leben, verläßt das 
Kind die Schule, und es hat fib an demſelben im beiten Sinne erfüllt, 
was vor 300 Jahren Valentin Trotzendorf, der alte Schulmeifter Schleſiens, 
forderte: „Lernt fingen, lieben Kinder, lernt ſingen!“*) 


3. Der Unterricht in andern reifen. 


79. Die mufilalifhe Kleinkinderſchule. So darf man 
die Anftalt nennen, in welder Caroline Wifeneder Heinen Kindern 
den vorbereitenden Mufitunterricht ertheilt. (Vergl. oben 66). Der Bericht 
darüber in der „Neuen Zeitſchrift“ tbeilt, gewiß zum Bedauern Vieler, 
im Ginzelnen weniger von dem Unterricht felbft als von den Refultaten 
mit, jpriht jedoch im Allgemeinen Folgendes entſchieden aus: „Die 
Mittel, deren ich mich bediene, find einfah, Nie laſſe ich die Kinder ohne 
Begleitung des Pianoforte fingen, oder feße ihren Gefang einem mangel: 
baften Accompagnement, aus. Alles, was fie fingen oder fpreden 
jollen, hören fie vom erften Augenblid an fo untadelbaft, 
als es eben zu geben ifl**), und nur diefem Grundjaße kann es 
zugejchrieben werden, daß Ohr und Kehle immer in gleihmäßiger Bildung 
begriffen find.‘ Eie feßt hinzu: „Mit der Gewißheit, dab alle Kinder 
bei nicht rubender Aufmerkſamkeit Schon bis zum jehulpflihtigen Alter ein 
„reines Gehör‘ erlangt baben können, hoffe ich namentlich) Kindergärten 
und Bewahranftalten ein weites, unbebautes***) Feld eröffnet zu haben.’ 

80. Die Männervereine. Die Unmillenheit und Unfähigkeit 
einer großen Zahl von Sängern in Bezug auf alles, was zum Notenmwefen, 


— 


*) Er ſetzte hinzu: „Wenn ihr einmal werdet in ben Himmel kommen, 
jo werben euch auch bie Engel lafien in ihrem Chore fiehen. Das wird euch 
eine Ehre jein.” 

**) Bon mir felbft unterfitichen, als aller Muſikbilrung gelben 1 * egeb! 


»*#) Freilich ſchlimmer als unbebaut, wem bie mit ben Kleiuen fingenve 
Kinbergärtnerin, Pflegerin, Helferin, oder wie fie fonft beit, Tatt und Zonhöbe 
der Lieber nicht kennt, falih anfängt, ben Takt zerftört und in jeder Stropte 
wenigfiens einen ganzen Ton herumterzieht! E. H. 


398 Geſang. 


zur Elementartheorie der Muſit und zu einiger Selbſiſtaͤndigkeit in den 
GSefangleiftungen gehört, wird in dem Schweizeriſchen „Sänger: 
blatte‘ mit lobenswerther Offenheit aljo dargelegt : 

„Wie mit vielen andern Saden menjhlihen Willens, wird auch in 
muſikaliſcher Beziehung unverantwortliher Schwindel getrieben. Es werben 
großartige eidgenöflifhe und Tantonale Blehmufil:- und Gefangfeite abge: 
balten und fehr viel Rühmens gemacht über die ausgezeichneten Geſammt⸗ 
und Einzelleiftungen der theilnehmenven Bereine. — Dabei geht man aber 
der Sade nit auf den Grund. Weil Alles „außen fir” ift, dentt man 
gar nicht daran, daß auch wenigftens bie und da Einiges „innen nie” fein 
tönnte; weil Alles glänzt, komnıt Niemand der Gedanke, es dürfte dennoch 
nicht Alles Gold fein, Wenigſtens verlautet nichts Derartiges in den 
öffentlihen Blättern, wo nur die endlojen Anpreifungen ver Reſultate 
erſcheinen. 

Ich kenne aber Muſik⸗ und Geſangvereine, die bei feſtlichen Wettauf⸗ 
führungen im erſten ober zweiten Range anerkannt worden, trotzdem von 
einigen alle, von andern die meilten Mitglieder nicht einmal ein halbes 
Dupend auf der nämlihen Linie ſtehende Noten verfchiedenen Wertbes 
lefen können. Und doc find es Leute, die ſchon 10, 15 und 20 Jahre 
muficiren. — ch zweifle gar nicht daran, daß auch anderwaͤrts berartige 
Vereine fi) finden werben. Sogar Directoren kenne ic, die zu Entzifferung 
eines Mufil: oder Gefangftüdes für ſich Wochen brauden, bevor fie damit 
vor den Berein treten können. Dan bat mir Geftändniffe gemacht, daß 
zu Einübung eines mitteljhweren Muſikſtückes oder Liedes 2—3 Moden 
lang alltägliche Vereinsproben abgehalten werden müflen. — Doch muß id 
gefteben, daß aud folhe Vereine Thon öfters wirklich Schönes geleiftet 
baben. Nah meiner Meinung vervient jedoch bei denfelben der unermüd- 
lie Eifer mehr Anerlennung, als die Leiſtungen jelbft, welde blos ein 
Merl des Mehanismus find. Und diejen Eifer follte man zu befjerem 
Streben zu benugen ſuchen, denn zu mwahrem Willen der Kunft kommen 
derartige Vereine nie, jo lange man ihre mechaniſchen Leiſtungen belohnt 
und anpreift und nur nah dem Scheine urtbeilt. Man lehrt fo die Leute 
nie willen, daß fie nichts wiſſen, und dies ift doch abfjolut nöthig, wenn 
etwas gelehrt werden joll; man macht fie blos ftolz auf ihre leeren, ohne 
Weberzeugung gemachten Leiftungen, auf denen einzig nicht viel zu halten ift; 
furz, man lernt fie nur den „Mann“ maden, aber man erzieht fo keine 
Mufitanten aus ihnen. Iſt man dann’ bie und da bei mufilaliihen Untere 
baltungen in Berlegenheit, weil zufällig eine Stimme nicht vertreten ift, 
jo darf man jie einem gerade anwejenden, auf dieſe Weife gebildeten Muſikus 
eines fremden Vereins nicht anvertrauen, und wäre es auch nur bie leich⸗ 
tefte Begleitungsflimme, denn man müßte ihn zuvor wieder befonders bazu 
abrihten und einpaufen .. . . Iſt es nicht einmal zeitgemäß, daß man 
diefe mechaniſche Mufil fo viel wie möglih durch gründliche erjege? Durch 
gute Organifation wird dies leicht möglih und an Eifer und ausdauerndem 
Willen der einzelnen Vereine fehlt e8 gewiß nicht.“ 


Geſang. 399 


C. Einzelunterricht. 


81. Maria Heinrich Schmidt ſetzte in Geſang und Oper“ 
jeinen Lehrgang fort, indem er die zum Grunde gelegten Webungen von 
Goncone*) abmwehjelnd mit entſprechenden Liedern einer erläuternden 
Erllärung unterwarf. Auf den künſtleriſchen und fittliden Ernſt, womit 
er jeine Aufgabe behandelt, deuten die Worte, womit er diesmal von den 
Solfeggien zu den Liedern übergeht... . „Nun in den Liederwald, 
damit wir das, was wir gleihjam in den Solfeggien ung mühſam heran» 
ziehen, dort in blübender Schönheit erquidend genießen. Der Gärtner muß 
aud feine jungen Bäume erjt hegen und pflegen, die jaftraubenden Schöß- 
linge unbarmberzig mit dem Mefier entfernen und liebevoll dafür Sorge 
tragen, daß ihnen das befruchtende Naß und die von innen heraus treibende 
Wärme nicht fehle, bevor fie jeine Mühe mit blühendem oder früchtejpens 
dendem Dante lohnen, und der Befanglehrer hat bei jeinen Böglingen 
diejelben Pflihten und diejelbe Geduld zu üben. Pie allfeitige Ent: 
widelung des Schülers in Bezug auf Stimme, geiftige und feelifche Fähig⸗ 
feiten erfordert nicht nur feine liebevollite Pflege, ſondern auch feine ftets 
wache Grlenntniß, was derjelben hinderlich oder förderlich fein kann.“**) 

Die Lieder, welche der Verfaſſer diesmal ausgewählt hat, find das 
belannte „Wiegenlied“ von R. Reinid und Taubert und „das Beil: 
chen‘ von Göthe und Mozart. Beide werben zuerft in Bezug auf 
ben Vortrag beiprochen***), dann folgen fpecielle Winte über die rein 


*) „Eoncone bat feine Uebungen nad bem Grunbfate gefchrieben, daß 
der angehende Sänger erft eine Mare Idee von ber einfachen Melodie baben 
müfle, bevor er zu ſchwereren Bocalijen mit complicirten Verzierungen übergehe; 
fie dienen daher dazu, die Stimme zu entwideln unb zu befeftigen und ben 
mufilaliiden Geſchmack zu büden, ſowie auch zur genauen Zalteintheilung uub 
rechtzeitigen Athmung anzuhalten.“ 

“) Ich muß deehalb immer von Neuem darauf hinweiſen, daß ber Dorf- 
ſchullehrer und überhaupt jeder Elementarlehrer, deſſen Gefangstenntniß nicht 
über die Grenzen hinausgeht, in benen der Seminarunterricht fich bewegen muß, 
eine ſchwere Verantwortung übernimmt, wenn er fich herbeiläßt, Sänger und 
Sängerinnen im Einzelunterricht zum Sologejange, jei es aud nur im Sinne 
bes befieren Dilettantismus, heraubilden zu mollen. Es wird in diefer Bezie- 
bung viel geſchadet, bald durch bie reine Unwiſſenheit, bald durch dünkelhafte 
Selbftüberhebung ober auch durch faljches Ehrgefühl, das dem ehrlichen Bekennt⸗ 
niffe widerfizebt, man verſtehe dieſen Zweig bes Gelangunterrichts nicht. 

”, Mas das erftere anbelangt, jo knupft ber Verfaſſer an bie Erinnerung 
an, welche ihm von bem Bortrage des Liedes burh Jenny Lind geblieben 
iſt. „Daſſelbe gehörte zu ben berrlichfien Perlen ihres Lieber'hag:s.... Aber 
fie fang es nicht nur, fie inbivibualifirte e8 nicht nur bis in die feinften Zilge 
hinein, fie fette e8 mit genialem Webermuth gleihfam in Scene, daß man bas 
Soden mit feinen langen Ohren, ben Nimrod und das fich werwundernbe 

ondgeſicht in leibhafter Geftalt vor fih zu fiehen glaubte. Wenn mir nun 
auch bei angehenden Sängerinnen von dieſer äußeren Darſtellungsweiſe abftehen, 
weil dieſe (don eine bübnenmäßige, jhaufpieleriihe Routine und Gewandtheit 
poransfeßt, fo haben wir doch in ber Übrigen Mittheilung eine Hinbeutung für 
die Vortragsweife bes Liedes gewonnen. Wie erkenntlich, bat dieſe fich nicht 


400 Geſang. 


geſangliche Ausführung (Athmung, Portamento, Vorſchlaͤge ıc.); da wird 
denn des Belehrenden nicht wenig vorgetragen.- Wer Ohren bat zu bören, 
der höre. Beigegeben find Crörterungen über Arie und Lied an fid. 
Wenn in der erfteren dem Componiſten ein weites Feld für feine ſchoͤpferiſche 
Xhätigfeit geboten ift, befonders in Bezug auf melodiſche Geftaltung, jo 
befindet fih dagegen der Liedercomponift in beengter Begrenzung, weil das 
lyriſche Gedicht, in fo vieljeitigen Empfindungen es ſich auch immerhin 
ausjpreben mag, doch flets nur die Blüthe einer Gefühlsbewegung if, 
welche dur eine äußere Einwirtung aus dem innerften Leben des Dich 
ters herausgetrieben wird» Der Verfafier meift nad, wie diefe Begrenzung 
maßgebend für die Liedercompofition wird, wie fie dieſelbe zugleich erleichtert 
und erfchwert. 

82. W. Pranz rügt in der „Sängerballe” 1867, 19, mit Recht das 
Unmejen, das beim Privatunterrihte immer nod von unwiſſenden und 
ungeſchidten OGejanglehrern getrieben wird. 

Mas ift die erfte Aufgabe des Lehrers beim Beginn des Unterrichts ? 
Antwort: Das mufilaliihe Talent des Schülers im Allgemeinen und die 
Stimme insbejondere einer genauen Prüfung zu unterziehen. Diefem Grund: 
ſat kommen wohl die wenigften Gefanglehrer nad; fie begnügen ſich bei 
dem Privat:Unterriht damit, den Schüler zunähft eine Ecale fingen zu 
lofien, und fobald viefelbe nad) dem Glaviere einigermaßen, wenn aud 
recht mangelhaft nahgefungen werden Tann, fo heißt es: „Nun gut, es 
wird fhon geben, wir wollen nun ein Lied fingen. Der Lehrer legt aus 
feinem Vorrath von Liedern „Wenn die Schwalben heimmärts ziehen’ oder 
„Wohl viele Zaufend Vögelein“ auf. Dies find meilt die bevorzugten 
Lieder, mit denen der Schüler beglüdt, und die von Hoffnung erfüllten 
Eltern überrafht werden follen. Nur möchte man fragen: Kann die 
Schülerin die Lieder vielleicht vom Blatt fingen? Nein, fie gefleht ja ganz 
unbefangen, daß fie keine Noten kennt. „Das thırt nichts, fagt der Lehrer, 
die werden Sie fhon noch kennen lernen.” Wie aber lernt fie denn das 
Lied? Der Lehrer fingt, und wenn er nit mehr kann, fpielt ex es jo 
lange vor, bis die Kumftjüngerin im Stande ift, es nadzufingen; und wenn 
noch darauf aufmerfjam gemadt ift, daß die eine Stelle forte, d. h. ſtark, 
bie andere dagegen piano, d. h. ſchwach gefungen werden foll, fo iſt die 
erfte Lection mit dem Griernen jenes Favoritliedes zu Ende. Glüdliche 
Kunſielevin! Glüdliher Wahn der Eltern! Wie groß ift wohl bier der 





—— — 


nur darauf zu beſchränken, eine Mutter zu verfinnlichen, bie, um ihr Kind zur 
Ruhe zu bringen, bemjelben von ber müden Sonne, bem Vogel u. f. w. erzählt, 
fondern e8 muüſſen bie angezogenen Objecte und Perſonen auch charakteriſtrt und 
für jedes der geeignetfie Ton gefunden werben. Neben biefer Anforberung bat 
& daun bie zurebende Mutter ſelbſt noch wieder bemerkbar abzubeben . ..... 
ine mejentlihe Hauptſache ift, bag ber Grundton in dem VBortrage bes Liedes 
jener Raivetät entipreche, mitt ber eine Mutter ihrem Leinen Kinde Mährchen 
und fonftige ſchöne Sachen zu erzählen pflegt; nur mit bem Taufchenden ‚Nein, 
nein” im lebten Berfe fpilrt man den warmen Hauch der mütterlichen Liebe, 
indem fte ſich behutſam mit immer teiferer Stimme Aber bie Miege biegt und 
mit Entzäden gewahrt, baß ber Heine Engel bei ihrer Erzählung ſüß laͤchelnd 
eingeſchlunnnert If.“ 





Geſang. 401 


Unterſchied zwiſchen dem Unterrichten des Eleven und dem Abrichten eines 
Bapageies ? 

Die zweite Lection bringt wieder ein Lied, vielleicht: „Ich möchte fie 
wohl küfien, noch viele Taufendmal ꝛc.“ Doc halt! die Schülerin bringt 
bie höheren Töne dieſes Liedes nicht heraus und quält ſich vergebens ba» 
mit ab. „Hm! fingen Sie nur ftärker, fchreien Sie ein wenig, ftrengen 
Sie fih nur an, und es wirb fchon gehen.” Die Befehle des Lehrers 
werden befolgt, die Schülerin fchreit, fie firengt fih an und das Nejultat 
it, daß es gebt; auch dies Lied wird zu Ende gebradt. 

Was foll man wohl fagen zu folder Unterrichtsmethode? Abgejehen 
davon, daß dies die geifttödtenpfte ift, fo ift fie aud die gefährlichfle für 
die Gefundheit des Schülers. Die höheren Zöne find nit mehr auf 
natürliche Weife berporzubringen, auch find fie nicht erſt allmählich ent» 
widelt,, fie werden herausgequeticht, mit aller Macht des Athems heraus 
geftoßen; dadurch entitehen meift Entzündungen in ber Kehle, in ven 
Halsmuskeln, es zeigen ſich Anfchwellungen im Halfe, es tritt Heiferkeit 
ein, und bei fortgejeßter Forcirung der Stimme endlich gänzlicher Berfall 
derjelben — Stimmlofigleit. Die mit guten natürlihen Anlagen, mit 
bübjher Stimme begabte Jüngerin ift zu Grunde gerichtet, fie bat die 
Stimme verloren und kann noch von Glüd jagen, wenn ihre Gejundheit 
nit dadurch auf’s Höchfte gefährdet wurde. Die Luft zum Singen, ja zur 
Muſik überhaupt, ift ihr gänzlich genommen. ch frage: ift dies nicht eine 
Gewiſſenloſigleit ſondergleichen? Kann es ein folder Geſangslehrer ver- 
antworten, eine Stimme ruinirt, ja Geſundheit und Leben eines ihm ans 
vertrauten Talentes auf's Spiel gejeßt zu haben? Die Berheerungen, 
welche vergleicheu Gefangslebrer herbeiführen, find oft ſchauerlich, ja berg 
jerreißend.’' 

Wer Ohren bat zu bören, der höre. — 


II, Literatur. 


A. Lehr» und Uebungswerke mit und ohne Liederſtoff. 


1. Der beutfhe Schulgefang ſeit funfzig Jahren. Ein Beitra 
gr Sondern von TR Range, &emninartehrer, Berlin, 1867 
. Springer. 


2. PBraktiſche Gefangfähule für Schulen und Singvereine von 
Wilhelm Bünte, Gejangiehrer an ber Zöchter- und höheren Bürgerſchule 
der Königlichen Blindenanftalt, Dirigent des Männergefangvereins zu Hau⸗ 
nover. Hannover, 1867. Guſtav Othmer. 3 Ggr. 


3. _ Der Gefangunterridt in ber Schule ale Grundlage bes 
Chorgefanges. Bon Franz Hamma. Gtuttgart, Mepler. 2 Sgr. 


4 grettiine Unterridt im Shorgelange ür Bollsſchulen, höhere 
ehranſtalten und GBefangvereine. Bon H. M. Gchletterer, Kapellmeifter 
im Angeburg. Op. 30. Nördlingen, C. H. Bed. 1867. 10 Gar. 


Bär. ZJapesberlät. ZIX 26 


402 Geſang. 


un 
. 


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7 


8 


[2 


12. 


13. 


14. 


16 


Gejaug-Eurius für die Oberktafien höherer Tochterſchulen. 
Leitfaden für Geſangſchülerinnen, mit 100 fhriftligen Aufgaben, von 
Guftav Flügel. Leinzig, 1867. €. Merfeburger. 6 Ser. 


Theoretifh-praltiihes Hülfsbuch für einem methodiſchen 
Befangunterridt in unteren Gymnafial- Klafien und Yürgerichulen, 
oder 100 nad ben Zact- und Tonarten georbnete Fieber, verbunden mit 
ihrer mufifalifden Grundlage, bearbeitet und zufammgeftellt von 2. Mebbe- 
ling, Organiſt und Mufiliehrer an den Schulanflalten zu Blankenburg a. 9. 
Braunſchweig, Alfreb Bruhn. 1867. 


Leitfaden ber Glementar-Theorie ber Mufit, nebſt einer Aus⸗ 
wahl zweiflimmiger Choräle unb weltliher Lieber, zum Gebrauch für 
Säulen gulammengefeilt von Richard Wurf. Berlin, 1867. Ed. Bote 
nnd ©. Bo 


Anweilung zum Gefangunterridte in ber Volk aſchule von 
E. Riter, Königl. Mufitvirector und Seminar-Mufliehrer zu Steinau 
a. D. Zweite, verbeflerte Auflage. Eſſen, 1867. &. D. Bädeker. 15 Ger. 


. Kleine Sefanglehre für bie Hand der Schüler. Regeln, Uebungen, 


Lieber und Choräle für drei Singftufen einer Knaben- und Mädchenſchule. 
Deransgegeben von Benediet Widmann. Sechſte Gtereotyp- Auflage. 
Leipzig, &. Merjeburger. 1866. 4 Ser. 


Sammlung von Liedern unb Gefangübungen für ben Unter- 
richt in höheren Schulanftalten, mit befonberer Rüdficht auf höhere 
Töchterſchulen, bearbeitet von Carl Stein, Könige. Mufikvirector zu 
Wittenberg. I. Heft: enthaltend ein- und zmeiftimmige Gefanglibungen und 
Lieder. Dritte verbeflerte und vermehrte Auflage. Potsdam 1866. 
Riegel'ſche Buch⸗ und Mufilalienhanblung (A. Stein). 


Das Wilfenswerthefte für den Unterriht des Geſanges anf 

Gymnaſien, Real- unb böberen Bürgerichulen, nebſt zwei- und 

dreiſtimmigen Shorälen, Ehören, Liedern und Canons, bearbeitet unb beran® 

gegeben von Paul Schnöpf, Eeſanglehrer am Cölniſchen Gymnaſium zu 
erlin. Potsdam, 1866. Ebend. 


Bejangs-Uebungen. Muſikaliſche Original- Site in fortfchreitenber 
Orbnung für den Gefang mit Pianoforte »- Begleitung von Heinrich 
Schnaubelt. Regensburg, Georg Joſeph Manz. 131 Sgr. 


Ueber ben Gemeinbegelang. —F evangeliſchen Kirche, von 
Frhrn. v. Tucher. Leipzig, Beitkopf und Härtel. 1867. 10 Sgr. 
Geſang and Oper. Kritiſch⸗didaltiſche Abhandlungen iu zwangloſen 
Heften. Herausgegeben von Maria Heinr. Schmidt. Siebentes Heit. 
Magdeburg, Heinrichshofenfche Buchhandlung. 1867. 12 Ser. 


Muftl und mufilalifhe Erziehung Bon Wilhelm Zappert, 
Lehrer an der nenen Alabemie der Tonkunſt in Berlin. Berlin, I. Gutten- 
tag. 1867. 16 Ser. 


Die Pſalmodie. Unterweilung, bie Pſalmen richtig fingen zu lernen. 
Berfaßt von H. Oherhoffer. Separatabbrud aus dem „Heinen Besper⸗ 
buche“. Luremburg, Peter Brüd. 1866. 74 Sur. ' 


Nr. 1. Eine Reihe der anziehendften ernften und beiteren Mittbei- 


langen und Reflectionen über Schulliederhefte von 1814 bis 1866. Am 
Vorwort fagt der Verfaſſer: .... „Mas die nachfolgenden Blätter bringen, 


ſoll, 


lieber Leſer, weiter gar nicht deine Meinung beſtimmen; aber eins 


moͤchten die Worte: Sie ſollen dich nöthigen, dir Gedanken über eine ſolche 





Geſang. 403 


winzige Nleinigleit, wie ein dünnes Schulgefangbeit ift, zu machen. Bu 
fol Grund und Urſache von gewiſſen Erſcheinungen auffuden und die 
felben einreihen in vie großen Bildungsverhältnifie, und damit ſollſt du 
auf das Gebiet der Kulturhiſtorie treten, ein Gebiet, welches, wie Riehl 
uns lehrt, der belanntlih aus den formen der Hofthore gar Wunderſames 
berausgelejen bat, zu dem Intereſſanteſten gehört, was ein Menjch cultiniren 
kann.‘ 68 kann indeß nicht fehlen, daß die Gedanken, melde der Berf. 
giebt, nicht nur amnregend, fondern vielfach auch beflimmend auf das 
Urtheil namentlih des angehenden Gefanglehrerd wirlen werden. So 
3.2. auf © 47 u. f., mo auf unpoetifhe Texte von Scullievern und 
auf die Menge folder Texte in Hoppenſtedt's „Liedern für Volle 
fhulen, 1814, bingewiefen wird, und wo ed dann heißt: „Das Buch 
von Hoppenjtedt, einmal abgejehen von dem poetifchen Unwerth, bat 
jedoch eine Seite, die noch heute geltend ift. Es giebt fi alle Mühe um 
den Text. Jedem Liede geht eine Erzählung, oder ein Gejpräd ober ein 
Spruch voraus, um den Sänger zu fituiren und ihn in die nöthige 
Stimmung zu verfegen. Wenn das doch heut auch alle Gefanglehrer 
tbäten! Den einzelnen Verſen find zur Erflärung Sprüde und Notizen 
beigegeben. Allenthalben merkt man bie Sorge um den Text. Wie viel 
Gefanglehrer haben diefelbe Sorge? Iſt doch in dieſen Tagen nod das 
Wort von einem Manne, der tüchtig als Sänger ift, gefallen:' Um ven 
Tert befümmere ih mich gar nicht. Der Mann ift an einer Volksſchule 
Gefanglehrer. Nah Anführung poefielofer Terte auch aus neuerer Zeit”) 
beißt es: „Trotz dieſer mißlichen Erſcheinungen muß gejagt werben, es ift 
auf dem Gebiete des Gejangtertes ein Fortjhritt im großen Ganzen vor: 
banden. Das Stroberne, Reflectirende, Nücdhterne, das Befingen der Schule 
mappe, Schultafel und des Schulfleißes wird nicht mebr gutgeheißen. Auch 
die Sentimentalität und bie überfließende Gemüthlichkeit bat einen Stoß 
erhalten. (Freilich „Die legte Roſe“ ift heute auch noch möglih.) Man 
ift forglic geworden in der Feitftellung ber beiten Ledarten, in der Inter 
punction, welche das Verſtändniß fürdert, in ber Verzeichnung bee Dichter. 
Man bemerit ab und zu Lehrer, welche die Zerte beſprechen, um dadurch 
Verſtaͤndniß für das Wort und von da aus einen Weg in bad Gemüth des 
Kindes zu finden. Giebt es doch ſchon gar Gejanghefte, welche begleitende 
Notizen zur Erklärung der Terte liefern, wie 3. ©. Lehmann's „tO® 
deutſche Weifen mit vielen Texten.“ — Es war gewiß ein ſehr glüdlicher 
Gedante des ald Seminar-Mufillehrer zu Cöpenid in energifcher, weitgreifen- 
der Wirkjamfeit fiehenden Berfafiers, eine ſolche Beiprehung des Schulges 
fanges zu unternehmen. Der Dank vieler Lehrer dürfte ihm ficher fein. 
Nr. 2. Nicht ungeeignet für die Hand ver Lernenden in (höheren) 


* Schmahl in Wanbebel 1859: „Der zufriedene Bauer. Ich effe 
Brot und trinke Waſſer; was ſchüttet wicht der reihe Praffer in feinen fetten 
Bauh! Da werbet ihr, ihr Madenfreſſer“ 0. ꝛc. Theophil Bittlow 
(1849) nad ber Melodie: „Morgenroth": „Arbeitstrieb, Arbeitstrieb, Kind bes 
bufte Stets ihn lieb.” Brendel (1854): „In Afrila war eine Schlange, bie 
jeves Thier ohn' Urſach' biß.“ Lange jetst hinzu: „Warum nit: Im Jahr 
ein Tauſend acht Hunbert unb gehn, da tfl ein großer Morb geſchehn!“ 

26* 


404 Gefang. 


Zöhters und höheren Bürgerfchulen. Reine Ton⸗ und Stimmübungen 
wechſeln mit Liederfägen und Liedern ab. Die erfteren greifen flarf in 
das Figurenwefen hinein (S. 11, 16, 18, 21 ıc.), wie es etwa in 
Haͤndel'ſchen Ehören vortommt ‚und ver eigentlihen Volksſchule fern liegt. 
Ob die chromatiſche Zonleiter ald Mufil zu „Preiſet ven Herrn, Halleluja” x. 
(&. 16) ſich empfehle, bleibe dahingeſtellt. Für Simon Dach's ſchoͤnes 
Lied: „Der Menſch bat nichts fo eigen, hätte wohl die befannte und 
bewährte Compofition von Gers bach beibehalten werden follen; die bier 
gegebene ift hölzern, und verräth nur zu fehr den Zwed, inftructiv für C-Dur 
zu fein. Silcher's Compofition des ‚alten Zarbarofia” (CE. 29) fteht 
entihieden der Gersbach' ſchen, vollftändig in den Schulen eingebürgerten 
nad; warum aljo jene vorführen? Ein ziemlich fader Zert von Rudolph 
Ilgen (comp. von W. Niederbot — wer ift das?) fteht S. 25: 

Lieblich ift’3 in der Natur 

uf. w. 

Denn id da von Berg in’s Thal, 

Heiter, froh mit lautem Schall 

Aus dem Herzen finge, 

Bin ich guter Dinge. (Das ift ja erftaunlich !) 


Gott, erhalte mir den Sinn, 
Daß ih immer fröhlih bin, 
Menſchen gem erfreue 

Und mid gern dir weihe. 
Lieblich iſ's in der Natur, 
Lieblih auf der freien Flur. 

Nr. 3, Ueber den vom Berf. aufgeftellten Lehrgang ift bereit das 
Weſentliche gefagt. Bemerkt fei jedoch noch zweierlei: 1. Die Beftimmung 
der Anleitung ‚für Volksſchulen und höhere Lehranftalten ,” ohne dak in 
der. Darlegung des Materials ein engerer und ein weiter Unterrichtskreis 
unterjhieben mwürben, giebt verjelben theilwelje etwas Zwitterbaftes, Das 
beiler vermieden wäre. Wer das Büchlein in der Elementarſchule benußt, 
wird fih bemühen müflen, das bort Entbebrlihe aufzufinden und auszu⸗ 
ſcheiden. Dazu gehören 3. B. jene Uebungen zur Rebifertigleit, von weldyen 
der Verf. ganz allgemein fagt, daß fie deshalb nicht vernadläfligt werden 
dürfen, weil jene, die Slehlfertigkeit, zur Aufführung größerer Chöre, beſon⸗ 
ders Hafjischer Kirchenmuſik nothwendig fei. Das gebt allerdings in ge: 
wiflen Sinne die höheren Lebranitalten an, nicht aber die Dorfihule. — 
2. Mit Recht wird vom Verf. die in vielen Schulen ftattfindende Vernach⸗ 
läffigung der Moll⸗Tonart gerügt, ob zwar — weil er nun einmal Alles 
auf die Gejangchöre bezieht — mieder nur des Nachtbeils halber, den die 
Saͤumniß auf die Gefanghöre geübt habe. Cr jelbft ſtellt nun alle Moll- 
Zonleitern bis Dis- und Es- Moll in beiden Formen auf, giebt aber, 
wie doch in Dur geſchehen, keine einzige befonvdere Uebung zu einiger 
Drientirung der Schüler in der Moll:Scala und dem Moll:Dreillange, ſon⸗ 
dern gebt ſogleich zu dreiftimmigen Moll:Gefängen über. 3. Dem allbe: 
kannten Texte: „Was frag ich viel nach Geld und Gut,“ hat Hr. Hamma 


Geſang. 405 


flatt der ebenfalls. allbekannten und beliebten Melodie in F-Dur eine neue, 
für Treffzwede zugefchnittene MWeife in C-Dur gegeben! Das hätte unter 
bleiben ſollen. 

Nr. 4. Gegenüber dem zur Empfehlung der trefflichen Anweiſung 
bereitö oben Geſagten muß nun doch bemerkt werden, daß auch bier zum 
Zwede der Treffübung einige neue, in die engen Grenzen rhythmiſcher und 
melodiſcher Beihräntung gebannte Melodien an die Stelle alter beliebter 
Weiſen gefebt find. Dies ift ver Fall bei: „Alles neu macht der Mai,“ 
„Der KAudud und der Eſel“ und „Der Lenz thut feinen Yreudengruß.‘‘ 

Nr. 5. Noch einmal fei auf die Wichtigkeit dieſes Geſang⸗Curſus 
bingewiefen. Als Liebderftoff ift überall nur echtes gegeben. 

Nr. 6. „Das Verhältniß der Entfernung zweier ftufenmweis auf ein: 
ander folgender Töne ift nicht immer ein gleiches, da man ganze und halbe 
Zöne unterſcheidet. in ganzer Ton umfaßt zwei halbe Töne, daher ift 
auch die Entfernung von einem Tone zu dem barauf folgenden Ganzen, 
die doppelte als zu dem folgenden halben Tone.” So die Belehrung auf 
S. 4. Es ift aber vorher nirgends gejagt, was man unter fiufenmweis auf 
einander folgenden Tönen verfteht, find auch dergleichen praktiſch in keinerlei 
Form, auch als Tonleiter nicht, vorgeführt. Das ift ein Fehler. Und 
wenn nun ferner der Schüler blos errathen muß, daß man bie größeren 
Entfernungen zwiſchen ftufenweis folgenden Tönen ganze Töne, die Heineren 
halbe Töne nenne — denn direct wird dies ja nicht gejagt — fo ift das 
abermals ein Fehler. — Der Schluß, daß der ganze Ton darum eine 
boppelt fo große Tonentfernung ſei als der halbe Ton, meil ein Ganzes 
zwei Halbe enthalte, tft nicht fahgemäß; denn nicht darum find biefe 
Tonentfermungen fo und fo groß, meil fie Ganze und Halbe heißen, fons 
dern fie beißen fo, meil fie fo find. Pie Sache war früher als ber 
Name. — Und endlih: Was foll das heißen: „Die Entfernung von 
einem Zone zu dem darauf folgenden ganzen (oder halben)?" Wenn f von 
g um einen ganzen Ton entfernt ift, von ges um einen halben, ift dann 
g der ganze Ton? ges der halbe? offenbar ift bier das Intervall mit der 
oben Grenze deſſelben verwechſelt. — Unridtig ift übrigens aud der 
Schluß: „Da vorhin gejagt wurde, daß ein ganzer Ton aus zwei halben 
Tönen beftebe, fo geht hieraus hervor, daß es auch noch andere halbe Töne 
außer den eben gezeigten (von 3 zu A und von 7 zu 8 in der Dur⸗Ton⸗ 
leiter) geben muß.‘ Nicht jedes Ganze zerfällt darum factifch in zwei Halbe 
oder läßt ſich realiter in ſolche zerlegen, weil mathematifh das Ganze 
glei iſt zwei Halben. Die Entfernung von o bis d beträgt audy auf dem 
Waldhorne einen ganzen Ton, dennod tft cis ald Naturton nit auf 
diefem Inſtrumente vorhanden, u. ſ. m. 

Noch ſei dies bemerkt: Auf S. 7 wird „zu genauerer Grälärung der 
in den Zonleitern enthaltenen Tonverhältnifie” gefagt, daß ein ganzer Ton 
aus einem großen und Heinen halben Zone befteht. „Ein kleiner halber 
Ion iſt ein folcher, der von einem andern durch Verſetzungszeichen abgeleitet 
it und deshalb mit demfelben auf einer Stufe fteht, 3. B. c cis, g ges, 
ein großer halber Ton ift von einem nächſtliegenden ganzen: Ton ‚abgeleitet 
und fteben deshalb beide halbe Töne auf verjchiebenen Stufen, 3. B. o des, 


406 Geſang. 


g ſis.“ Alſo von o bis ois iſt ein Heiner, von o bis des ein großer 
balber Ton; aber iſt nicht cis gleih des? Wie kann bverfelbe Punkt o 
in der Linie m s bald vie kleine, bald die große Hälfte der Linie von m 
ans begeihnen? So wird der aufmerfjame Schüler fragen und bamit den 
Deweis liefern, daß die obige Belehrung unzureihend war. Hätte ein 
Mehreres gu weit geführt, jo mußte die Sache überhaupt unberührt bleiben. 

Gern bezeuge ich, daß der Werth, den das Büchlein im Ganzen bat, 
die bier nachgewieſenen einzelnen Mängel ganz wohl überfehen läßt und 
daflelbe daher in den Händen der Schüler immerhin von erheblichem Nutzen 
fein kann, fobald der Lehrer jene Mängel durch praͤciſe mündliche Ausein- 
anderfeßungen zu deden meiß. 

Nr. 7. Da eine bloße Zufammenftellung des theoretifchen Lehrftoffs ein 
„Leitfaden noch nicht ift, jo dürfte der Titel zu bemängeln fein. Gegen 
Auswahl und Sa der 21 zweift. Choräle und 23 zmeift. Lieder ift nichts 
einzumenben. 

Nr. 8. Nicht blos um des hier vorgezeichneten Unterrichtsweges im 
Allgemeinen, ſondern auch um der fpeciellen, eingehenden Belehrungen 
willen, welde über alles Weſentliche ertheilt werden, fei die Anmeifung 
wieberholt empfohlen. Möchte der verbienftvolle Verf. eine gleihe Anlet- 
tung wie bier für die dreillaffige, jo auch für die einklafiige Elementar⸗ 
ſchule folgen laſſen. 

Nr.9.*) Die 6. Auflage des trefflichen Buͤchleins giebt Zeugniß, daß 
es bereitd in weiten Kreiſen Verbreitung gefunden bat. Seine Vorzüge 
beitehen wejentlih in folgenden 3 Stüden: 1. Auswahl Desjenigen aus 
dem Bereihe der Tonlehre, jowie der Stimm: und Zonübungen, was ben 
Sängern in Bolle- und andern Schulen wirklich nothwendig und mahrbaft 
erfprießlih ift; 2. päbagogijh und muſikaliſch beredtigte Anorbnung und 
Ausprägung biejer Stoffe; 3. Verwendung derjelben von Schritt zu Schritt 
in werthoollen Liedern (meift Volksliedern) und Gefängen, die auch an fi 
eine Bedeutung haben und es verdienen, über die Grenzen ber Schulzeit 
binaus behalten und gejungen zu werden. Als vierter Vorzug märe 
übrigens der ungemein billige Preis von A Sgr. anzuführen, der das 
Werkchen in Wahrheit zu einem Schuͤlerbuche madht und es u. A. auch 
für Präparanden-Anftalten empfiehlt. — 

Nr. 10. Auch diefes Büchlein werden viele Lehrer in der neuen Auf: 
lage gern begrüßen, hinblidend auf jeine beſondere Beitimmung für böbere 
Töchterjhulen. Es giebt zunächſt auf 44 Seiten die nöthigen Uebungs⸗ 
ftüde, melde von der Dur-Scala und dem Dur-Dreillange ausgehend, die 
gebräudlichften Takt: und Tonarten (auch Moll-Zonarten), die Intervalle 
und das chromatifche Clement zur Anfchauung bringen und in ben einge 
ſchalteten Liedern ihre Fortſetzung finden. Dann folgen 40 freie einſtimmige 
Lieder. An diefe jchließen fich die notbwendigiten zweiſtimmigen Uebungen, 
weiche in ihrem Berlaufe zu zweiſtimmigen Liedern überleiten, deren Anzahl 


*) Nr. 9, 10, 11 und 12 find, weil fpäter eingegangen, umier II. nit 
erwähnt, 


Geſang. 401 


85 beträgt. Bei dem Reichthum des Inhalts ift auch bier ber Preis 
(6 Sgr. als ein ſehr niedriger zu bezeichnen. 

Nr. 11. Die Ginleitung enthält auf 7 Seiten im BZujammenbange 
unb in rein objectiver Anorbnung, ganz jo wie in Nr. 7, das Nothwen⸗ 
digfte aus der allgemeinen Mufillebre, worauf dann 4 Seiten Treff: und 
Stimmübungen, zuerft ein:, dann zweiftimmige, folgen. Den übrigen Raum 
bes Heftes nehmen 22 geiftlihe Gejänge (allermeift Choräle), 16 meltliche 
Lieder und 10 Canons ein. 

Nr. 12, 68 Liederfäße und Lieder, theild religiöfen, tbeild andern 
Inhalts, die von den Mitteltönen aus den Umfang der Stimme nah und 
nad erweitern und zugleih die übrigen Zwede der Stimmbildung in ange 
meſſener Weile verfolgen, jedoch nur bis zum Ziele dilettantisher Ausbil 
dung für’ Haus. Die Compofitionen, ohne fih durch Originalität auszus 
zeihnen, haben etwas Anftändiges und verireten das geſangliche Element. 
Beigegeben find 12 „eine Choräle und Hymnen,“ vie „dem jungen 
Sänger Gelegenheit verſchaffen follen, fih im getragenen kirchlichen Gejange 
zu üben‘ und welche verjelbe „mit MWürbe und Ruhe in mezzo forte” zu 
fingen bat. 

Ne, 13. Wer ein lebendiges Interefie für den Kirchengeſang hegt, 
wird das Studium dieſer wichtigen Schrift nicht unteslafien därfen, 
welches auch immerhin jeine Stellung zum rhythmiſchen Choral und feiner 
Erneuerung fein möge. 

Nr. 14. Wenn Dr. Bopf in feiner Beurtheilung biefes Heft 
(N. Zeitſchr, 1867) unferm Berf. einen gewiſſen Wortreichthum zufchreibt 
und den Darjtellungen und Grörterungen veflelben etwas Gonciferes, Ger 
drungeneres wünjdht, jo iſt Dagegen nicht zu proteflizen ; nichts deſto wenigen 
verbient auch diejed Heft um der wirklichen Neichhaltigleit feines Inhalte 
willen, ſowohl was den Männergefang, ald was die Fortführung bes Lehre 
gefangs im Geſange betrifft, unjern Lejern zur angelegentlihen Kenntniß⸗ 
nahme empfohlen zu werben. 

Nr. 15. Eine geiftvolle Schrift, in hohem Grade anregend, belehrend 
und fördernd, ſowohl in Bezug auf die Tonkunſt an fi (ihr Wefen, ihre 
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft), wie ihre Pflege im Allgemeinen 
und Befondern, namentlih aber aud im Haufe. Bezeichnend für die Com⸗ 
poſitionen und die Würdigung der Tonwerke ift ed, wenn der Ber. haupt⸗ 
fählih zwei Kunſtgeſetze aufftellt: 4. das allgemeine Geſetz ber 
BeitersEntwidelung überhaupt und 2. das beichräntende: Einheit 
fei in der Mannigfaltigleit. „Was dieſen beiden Paragraphen 
der muſikaliſchen magna charta nit zumiderläuft, ift — erlaubt. Schaffe 
eine Form, welche die melodiſche Einheit der bisherigen nicht alterirt und 
fie ift gut.” Damit flimmt es überein. wenn ver Berf. behauptet, daß bie 
Mufit top aller entgegenftehenden Behauptungen doch auch in ber Zeit 
nah Beethoven noch Fortichritte gemacht habe, und wenn er hinzuſetzt: 
‚sch eonftatire die Thatſache, dab fie — alle Ericheinungen jeder Epoche 
zufammengefaft — niemals zurüdgegangen iſt.“ Indem er dann die 
Forderung aufftellt, daß auch die Erzeugniſſe der Gegenwart anerfannt 
werben und eine gerechte Würdigung erfahren follen, fo beißt es a. U: 





408 Geſang. 


... „Achte keine Erſcheinung zu geringe, gleichviel von wen fie ausgeht! 
Jede Hand iſt Eräftig genug, um für's Große, Allgemeine ihr kleines Etwas 
beizuftieuern! Meine nicht, die Erde ftehe fill, weil Du fie nicht laufen 
ſiehſt. Und kurz und deutlich: ſtudire die Erſcheinungen deiner Zeit, vers 
gleiche fie mit denen ber Vergangenheit und fuche herauszufinden, was ſich 
überlebt, zu ermitteln, was ſich frifh und grün erhalten bat. ... . . e8 
giebt Leute, die verllärt eine Clavierfuge von Seb. Bad hören und indignirt 
fi abwenden, wenn ein Lied von Rubinſtein gefungen werben fol, — mit 
denen ift nicht zu rechten. Ich hoffe, daß auch dieſe Krankheit, man 
könnte fie „morbus classicus“ nennen, vorübergeht und der Sinn für das 
Entftehende, das Behagen am Gegenwärtigen wieder an die Stelle der meifl 
unmotivirten Schwärmerei treten werden. Die nädhfte Aufgabe ift die: 
ever wirle nah NKräften mit, um dem Nothſtande ein Ende zu machen. 
Bir find Alle mehr oder weniger auf Abwege geratben: Schaffende und 
Genießende, Lehrende und Lernende: die Componiften und Theoretiler be= 
fehbden einander mit unmürbiger Erbitterung, das Publitum nimmt nad 
Saune und Bildung, oft nur geleitet von dem “Feuilleton der Zeitung, 
welche ihm zufällig in die Hand kam, Parthei oder bört inbifferent dem 
Geſchrei zu. Im Allgemeinen ift ein Hangen an Sleinigleiten, ein Pochen 
auf Unweſentliches zu bemerken und zu bellagen: eine natürliche Folge des 
Mangels an biftoriihem Willen.” Wie foll aber geholfen werden? Der 
Berf. jagt: . . . . „Soll das Bolt der Segnungen, melde die Tonkunſt 
verbeißt und zu gewähren vermag, wirklich theilbaftig werben, foll es die 
edlen Gaben hodhbegnabigter Meifter genießen lernen, jo muß nod 
jehr viel gefchehen. Der Bildungsftoff muß dur die Heinften Stanäle 
überall hin geführt werben, jede Yamilienftube, jedes Schulhaus, jede Kirche; 
ja jelbft — Concertgärten, Marttpläge und Tanzſaͤle müflen Bilpungsftätten 
fein! Michten wir unjer Augenmerk zunächft auf die Jugend. Nur von 
ihr ift Heil zu erwarten. . . . . Was gefhab bisher von Seiten ber 
Lehrer und Schulen für die Vermittelung des nie fehlenden Befieren? Wer 
lehrt die Anfänger „erlennen”? Wer pflanzt in die empfänglihen Herzen 
die werdenden fleime ?“ 

Was foll nun gefhehen? Cs kann unmöglih die ganze Reihe der 
hierher gehörigen Ausſprüche bes Verf. mitgetheilt werben. Bemerkt fei nur, 
daß er als Vorbevingung der Mufitbilvung immer von Neuem die Be⸗ 
fäbigung aufftellt („nur Diejenigen follten ſich mit Mufil befafien, melde 
die nothwendigen mufilaliihen Anlagen befigen‘‘); daß mit dem Können fi 
das grundliche Wiffen verbinden foll; daß jeder Befähigte dahin zu leiten 
ft, in dee Mufil die Mufe zu erlennen (nicht die Dienerin des „Ber: 
grügene , die Sclavin der Gitelteit!); daß nur ber befte Lehrer für 
die Lernenden gut genug iſt; daß das Haus ungemein förbernd wirken 
fann, wenn es ſchlechter Mufil ver Eingang wehrt"); daß die mufilalifche 


M „Über was ift gut? Diele Frage wird von ben Lehrern ſelbſt abweichend 
beantwortet werben; kehren wir fie um: Was tft nicht gut? Selbſiverſtänd⸗ 
lich alle Klavierſtücke z3. B., wo die linfe Hand nichts weiter zu thun bat, ale 
Guitarren⸗ ober Harmonifa-Bäffe zu Himpern: fie bleibt in ber Musbilbung 
zurüd, oft ganz unentwidelt, und ihr Ungeſchick wird fpäter bei beſſerer Erke 





Geſang. 409 


Griehung der Wahrheit zu huldigen hat*). Das Uebrige nebſt vielen 
trefflihen Ausführungen werde im Buche ſelbſt gefuht. Da wird man 
u. U. aud finden, wie das Haus die Jugend mit allerlei Zonbildern bes 
fannt machen fol. „Erzählen wir unfern Kleinen von Riejen und Zwer⸗ 
gen, verwunjchenen Prinzen und verzauberten Prinzeffinnen, von wandelnden 
Gloden und ſprechenden Vögeln, — dergleihen doch nicht mehr vorkommt, 
— ſo kann e3 nimmermehr unnüßlih fein, Geftalten zu citiren, die nod 
unter und wandeln, Bilder vorzuführen, die Werth und Bedeutung behalten 
haben: eine Saat zu ſäen, die noch heute gedeiht.” Zwei 
„ſimple Geſchichten“ mit mufilaliiher Illuſtration zeigen das Nähere. 

Nr. 16. Die von dem verbienftvollen Rebacteur der „Cäcilia“ hier 
gegebene Pſalmodie möge der Beachtung der katholiſchen Kirhendöre um 
fo mebr empfohlen fein, weil, wie der Verf. berichtet, der Pjalmengefang 
bei vielen dieſer Chöre tief im Argen Liegt! 


B. Gefänge. 


1. Kür Kinderſtimmen. 


1. Singvöglein. Sammlung ein-, zweis, drei⸗ und vierflimmiger Lieber 
für Schule, Haus und Leben von Ludw. Er? und Wilb. Greef. Sechſtes 
Heft. Preis brod. 1 Sgr. 6 Pf. Eſſen. ©. D. Bädeker. 1867. 


2. Liederfammlung zum Gebrauch bei dem fyftematifh-metho- 
bifhen Gefangunterridt Kür Bollefhulen und höhere Lehran- 
falten in drei Abtheilungen, herausgegeben von Franz Hamma. 
1 ung 14 Sgr., 2. Abthig. 2 Sgr., 3. Abthlg. 24 Sgr. Stuttgart. 

er. 


niß ein nie ganz zu beſtegendes Hinderniß. Man verfchmähe bie form- und 
gehaltlofen Tändeleten, wie fie heute leider fo häufig find. („Gute Hanbfachen 
nenne ich die, worin eine gute Melodie unb reine Harmonie fiedt und wobel 
bie Hand hinlänglich gelibt wird.‘ Ph. Em. Bad. 1780.) Hinter den präch⸗ 
tigen Titelblättern, ben hochtönenden Firmen liegen lauernd die Schlingen bes 
Berberbens, ber Oberflächlichkeit; die leichtfüßige Jugend geräth in die Kalle, 
ehe man ſich's verfieht. Stüde mit einheitlichen Inhalte find bie beften, barım 
weg mit ben faben Potpourri-Ragouts! Bertini's Etlden, viele Uebungen von 
Stephan Heller, Schumann’s Rinder-Stüde und Kullat’8 Kinderleben: aus biefen 
ei hen Stüden ſollte das „goldene Melodien - Album für die Jugend” 
eben.’ 

“) „Hier berühren wir einen ſehr wunden led ber mobernen häuslichen 
Päbagogil: Man verlangt von bein Kindern, daß file entzüdt aus Sinfonie 
Conzerten nad Haufe kommen, daß fie 3. Er. bie Schönheiten eines Beethoven- 
fhen Inſtrumentalſatzes heraushören jollen. Kann der Mittel» oder Durch⸗ 
führungsfa einer Sroica 3. B. für Knaben von 10—14 Jahren etwas Anderes 
fein, als ein „tönenbes Durcheinander,” ba er für Hunderte von Erwachſenen 
— auch nicht mehr iR? Die Jugend merkt fehr bald, was fie „entzüdenb”“ zu 
finden bat, und — fügt fi. Unfere Erziehung läuft in vielen Stüden auf 
Henchelei hinaus. Der unbefangene, natürlich⸗beobachtende muntere Burſche wirb 
nah einem Koncerte die Bewegungen des Capellineiftere, dee Pauker und 
Eontrabaffiften ganz vortrefflih nachahmen können, ibm wirb bie wunderliche 
— der Floͤte, die abſonderliche Geſtalt des Fagotts gewiß noch lange vor⸗ 
chweben, aber die Melodien — von Rhythmus, Harmonie und Inſtrumentation 
anz zu ſchweigen — ſind bald verranſcht. Allen Eltern die Mahnung: ver⸗ 
anget nie von den Kindern Enthufiasmus ohne Erleuntniß!“ 


410 Gelang. 


12. 


.„Fromm und frei” Bwanzig Lieber von Karl Endlin, für drei⸗ unb 


vierfiimmigen Knaben⸗ ober Frauenchor componirt und ale Grgänzumgsbeit 
u allen Liever-Sammlungen herausgegeben von Guſtav Rochlich, orbent: 
them Lehrer an ber erfien Armenichule zu veipsig Mebft einem Anbang, 
15 Choräle in dreiftimmiger Bearbeitung zum Schulgebraud enthaltend. 
Sp. 22. Weimar. T. F. 4. Kühn. 


‚ Liederbeimat. Lieberbud fir Enhulen, benatogenehen vom Hamover⸗ 
. Dell 


[hen Lehrer⸗Verein. Heft 1— 3. ft 14 Ngr., 2. Heft 4 Ngr., 
3. Heft 5 Ngr. Hannover. 1866. ©. Othmer. 


. Sefänge für bie unteren unb mittleren Klaſſen der Gymnafien, Real- und 


höheren VBürgerichulen. Nebft einer Zugabe, bandelnb über Noten, Baufen, 
Zact, Verſetzungszeichen, Zonbilbung, Zempo und Vortragsbezeichnungen. 
Herausgegeben von Peter Stein, Gelanglehrer am Königlihen Oymna- 
flum in Düffeldorf. Breis 74 Sgr. Düſſeldorf. Wilh. de Haen. 1866. 


. Sefangbud für katholiſche Schulen. Eine Sammlung von 120 ein- 


und mehrfiimmigen Volksliebern nebft einem kurz gefaßten Leitfaden für 
bie metbodifhe Behandlung bes Gefangunterrihts in der Volks⸗ 
fhule. Herausgegeben von Wilhelm Kotbe, Seminar⸗Muſiklehrer. Aus⸗ 
gabe für Lehrer. Preis 8 Sgr. Braunſchweig. 1865. E. Beter. 


. Bmeikimmige Gefänge für Sopran und Alt von Heinrich Schnau⸗ 
e . 


lt. Regensburg. ©. I. Manz. 1866 


. Liederkranz für bie Jugend. Cine Auswahl zwei⸗ und breiftimmiger 


Lieder für Schule und Haus, von U. Brinkmann, Lehrer in Walle bei 
Bremen. Erſtes Heft. 1866. Bremen. 9. D. Noltenius. 


. Leiht ausführbare zweiſtimmige Moteiten für ben Schulgebraudy 


von E. Runge. Leipzig. 1867. Fr. Branbftetter. Preis 34 Sgr. 

Leicht ausführbare dreiſtimmige Motetten für den Schulgebrauch 

on von C. Runge. Op. 122. Leipzig. Friedr. Branbfletter. 1867. 
gr. 


. Shuldoralbud. Kine Sammlung ber vorzüglichſten evangelischen 


Choralmelodien, nad ven Choralblihern von Töpfer (Rempt.) Fiſcher umb 
Hiller, nebft einem Anbange zwei- und breiflimmiger Choräle und einigen 
andern kirchlichen Gefängen. Unter Mitwirkung von F G. Töpfer, bear⸗ 
beitet und herausgegeben von W. Gottſchalg und U. Braäunlich. Preis 
3 Sgr. Weimar. H. Böhlau. 

Zweinndachtzig Ehoral-Melopien, mit ihren erften Textſtrophen 
und hiſtoriſchen Notizen, für die Schulen der evangeliſchen Kirchengemeinde 
zu Jauer. Nad dem Choralbuch der Friedenskirche zufammengeftellt unb 
berausgegeben von Oswald Kifcher, Cantor und Organifl an der Friedens⸗ 
na und Gefanglehrer am Oymnaflum zu Jauer. 3 Sgr. Jauer. Carl 

ahn. 


Nr. 1. Der alte bewährte, wir können mit Recht ſagen berühmte 


Berliner Liedermeiſter giebt hier abermals 47 auserleſene Nummern, theils 
von eigner Compoſition, theils den von ihm geſammelten, immer noch 
unerſchöpften Schätzen volksmäßiger, oder aus dem Volke ſelbſt hervorge⸗ 
gangener Lieder entnommen. Auch in dieſem Hefte iſt fuͤr die Aechtheit 
der Terte und Weiſen, für zuverlaͤſſige Angabe der Dichter und Componiſten, 
für die edelſte Harmonifirung und für wahrhaft fangbare Führung ber 
Stimmen in gewohnter Weiſe die höchſte Sorgfalt angewandt. Bereits 
find von den 6 Heften des „Singvögeleins“ im Ganzen 618,000 Erempl, 
gebrudt; ohne Zweifel wird die Million erreicht werben. 








Geſang. 411 


Ar. 2. Heft 1 (A kr.) enthält 41 ein⸗ und zweiſtimmige, Heft 2 
(6 fe.) 69 zwei⸗ und dreiftimmige, Heft 3 (8 kr.) 16 Lieder in lobens⸗ 
wertber Auswahl, reſp. Bearbeitung. 

Nr, 3. Mit richtigem Takte bezeichnet der Componift fein Opus ala 
„Ergänzungsheft zu den eigentlihen Liederfammlungen‘, und als foldes 
möge ed um der wohlgewählten Terte und ver foliden Muſik willen, die 
manchen eigentbümlichen, ſchoͤnen Zug enthält, beftens acceptirt jein. Die 
Choräle find in Lünftleriicher Weife mit freier und ficherer Hand barmonifirt 
und jede Stimme bat eine jelbfiftändige, an ſich melodiſch beveutfame 
gührung erhalten. | 

Nr. A Heit 1 (24 Ngr.) enthält 84 eins und zweiftimmige Num: 
mern, Heft 2 (4 Nor.) 80 zweiftimmige, Heft 3 783 reis und vierftims 
mige dergl. Im Heft 1 und 2 find die bezüglichen Treffr und Stimm: 
übungen aus der Gefangsfchule von Bünte mit eingebrudt. Der vier- 
fimmige Sindergefang — bier in 10 Gefängen vertreten — berechtigt zu 
wejentlihem Bedenken und follte lieber ganz ausgejhloflen bleiben. Im 
Uebrigen unterliegt die Sammlung im Allgemeinen keinem Tadel, und fie 
ift jedenfall zu den reichhaltigften zu rechnen, beſonders au in Betreff 
der zahlreichen religiöfen Gefänge. Mit einem Fragezeihen muß ich jedoch 
die Aufnahme folgender Stüde im Hinblid auf die Volksſchule begleiten: 
„Es leuchten fo freundlich die Sterne” (aus „Precioſa“') wo ftatt ber Liebe 
und des Weins die Hoffnung und der Muth geſetzt find. Ferner: Fiſcherchor 
aus der „Stummen von Portici“ mit untergelegtem, auf den Sommer 
bezüglihen Zerte, welhe Mufit doc immer unveutih bleibt. So aud: 
Jägerhor aus dem „Freiſchütz“ mit dem Driginalterte. Letzterer liegt dem 
Volle fern, 5. B. wenn es beißt: „Diana ift fundig die Nacht zu erhellen, 
wie labend am Tage ihr Dunkel uns kühlt, den blutigen Wolf und den 
Eber zu fällen, der gierig die grünenden Saaten durhwühlt. Die Muſil 
jelbft, welche vor etwa 45 Jahren auf allen Leierläften gefpielt wurde, ift 
doch, obſchon urjprünglih einer Vollsmelopie entftammend, nicht auf das 
Bolt der Gegenwart fo übergegangen, daß fie in dafielbe eingedrungen 
wäre, und eine Zulunft in ihm gewonnen bätte, woran allerdings ver 
Zert hauptſaͤchlich fhulo fein mag. — 

Nr. 5. Die „Zugabe enthält auf 8 Geiten das Allernothwenbigfte 
aus der Allgemeinen Muſiklehre in foftematifcher Ueberficht (nicht in metho⸗ 
diſcher Verarbeitung), obngefähr daſſelbe, was Würft in gleicher Weife giebt. 
Die Gefänge find nah der Stimmenzahl, 38 zweiftimmige, 32 dreiſtimmige, 
15 vier: und fünfftimmige, und unter ſich wieder nach den Tonarten ges 
ordnet. Alles Zwei⸗ und Breiftimmige ift für Soprane und Alte allein 
gefeßt, nachher werden aud Zenöre und Bälle verwendet. Die Auswahl 
der Lieder ift mit Umficht gemacht und repräfentirt außer dem Bollsmunde 
eine Anzahl der beiten oder doch geadteten Namen wie Silder, Fr. 
Schneider, Shärtlid, C. M.v. Weber, Mendelsſohn, Eon: 
radin Kreußer, B. Klein, 2 Berger, Metbfelfel. Eherus 
bini, Naue, Gersbach, J. A. P. Schulz, Widmann, Reichardt, 
Abt, Rimk u. v. A.; auch aus der Feder des Herausgebers ſelbſt iſt 
Einiges nicht ohne Berechtigung eingeführt. Schenkendorff's ſchones Lied 


412 Geſang. 


auf Scharnhorſt: „In dem wilden Kriegestanze“ find wir gewohnt nad) 
der Weife „Prinz Gugenius der edle Ritter“ zu fingen, und dabei follte 
ed fein Berbleiben haben; es dient nit zur Geſangeseinheit, daß 
Hear Stein das Lied der RinalvinosMelodie: „In des Waldes düflern 
Gründen” untergelegt bat. 

Nr. 6. Der Schülerausgabe viefer vorzüglichen Liederſammlung, an- 
gezeigt im vorigen Jahrgange des Pädag. Jahresberichts, if des Verfaſſers 
eben fo trefiliher Kurzgefaßter Leitfaden für die methodiſche Behandlung 
des Geſangunterrichts“ zc., angezeigt am gleihen Drte, zur Bequemlichkeit 
des Lehrers angebunden. 

Nr. 7.  Proteft fei eingelegt gegen die neuen Weiſen zu alten Zerten, 
wie 3. B. zu: Alle Bögel find ſchon da — Wenn id ein Böglein wär — 
Zraute Heimathb meiner Lieben — Goldne Abendfonne — Morgen muß 
ih weg von bie — Komm, ftiller Abend, wieder — Wie reizend wie 
wonnig if alles umher — Willlommen o jeliger Abend. — Uebrigens 
weiß der Herausgeber fangbare und durch Friſche der Erfindung anziehenbe 
Melodien (theilweis in die Sphäre des Kunſiliedes bimüberrantend) zu 
erfinden und fie zweiſtimmig mit der Feinheit des gebilveten Muſikers aus⸗ 
zugeftalten. 

Nr. 8. 45 Nummern, allermeiftens belannte und bewährte Stüde. 
Auffallend ift nur, daß zwiſchen diefe dreiftimmigen Lieder und Gefänge 
(fie bilden die Mehrzahl) verſchiedene Canons der allerfimpelften, winzigen 
Art, wie man fie wohl zur erften Anbahnung der Zweiſtimmigkeit fingen 
läßt — der eine enthält blos den fleigenden und fallenden G-Dur:Drei: 
Hang — eingefhoben find. 

. 9. „Zweiftimmige Lieder für den Schulgebraud find in großer 
Zahl vorhanden, und Lehrer und Schüler finden in den vielen derartigen 
Heften für die Schule das, was fie fuhen. Bei Sculprüfungen und 
andern Gelegenheiten möchte man aber den Zuhörern gern etwas mehr 
bieten, als nur Lieder, und mancher Geſanglehrer hat mit mir gewiß ſchon 
oft den Mangel an leiht ausführbaren zweiftimmigen etwas längeren 
Mufifiüden empfunden.“ Diefer Yeußerung des Gomponiften ſtimme id) 
bei und bemerle nur dazu, daß auch abgejehben von bejonderen Beran: 
lafjungen, für welde eine kleine Motette ıc. erwünjcht erfcheint, dergleihen 
Stüde für geförderte Schüler unter allen Umftänden willlommen find und, 
wie befannt, fehr gern von den Kindern gejungen werden. Benn nun 
Herr Runge dem fühlbaren Mangel an foldyen Gefängen abzuhelfen ſich 
entfchlofien bat, jo war das gewiß ein fehr glüdliher Gedanke, und ich 
bezeuge gern, daß er denſelben auch galüdlih ausgeführt hat. Die vor: 
liegenden Motetten, 5 an der Zahl, (Nach dir, Herr verlanget mid — Ich 
will den Herren loben — Lobe den Heren, meine Seele — Gott, fei 
mie gnädig — Der Herr ifi mein Hirte) find im würdigen Gtyl, aber 
body belebt und frifh gehalten, beide Stimmen überall fangbar geführt, die 
zweite nicht minber felbftftändig ausgeftaltet als bie erfte. 

Ein Gleiches gilt beziehumgsweife von 

Nr. 10, welches Heft 6 Nummern enthält (Ich danle dem Herrn 
— Jauchzet dem Herrn — Kommt berzu — ch bebe meine Augen auf 








Geſang. 413 


— Danket dem Herrn — Wer unter dem Schirm des Höchſten ſitzet) und 
nicht blos für den Schulgebraud, fondern auch für die firhlihe Verwendung 
beftens empfoblen werben fann. 

Auf den ungemein billigen Preis von Nr. 9 und 10, bei fehr ans 
ſtaͤndiger äußerer -Ausftattung, fei im Intereſſe der bier vertretenen Geſang⸗ 
form noch bejonders hingewieſen. 


Nr. 11. Die Zahl der Melodien beträgt 110; dazu kommen 16 zwei⸗ 
ftimmige, 16 dreiftimmige und 6 liturgiihe Sätze „Die Melodien follten 
urſprunglich, um den vielfachen, zum Theil ganz ungerechtjertigten Varianten 
einen Damm entgegen zu ftellen, in der Urform notirt werden. Da fi 
aber gegen dieſe Abficht praltiiche Bedenken erhoben, jo zogen wir es vor, 
diejenige Lesart in erfte Linie zu ftellen, melde in dem neuerfchienenen, 
der Rempt'ſchen Lesart am naächſten ftehenven trefflihen Choralbucde 
des Heren Profeſſor Töpfer in Weimar, der und bei Bearbeitung dieſes 
Werkchens gütigft unterftügte, angenommen worden if. Da aber außer 
dem Rempt'ſchen auh das Fiſcher'ſche und Hiller’fche Choralbuh in 
unferm engern Vaterlande am meilten verbreitet find, fo baben wir auf 
die in diefer Beziehung vorlommenden Barianten billige Rüdficht genommen. ... 
Die Angabe der Componiften und der Entftehunggzeit der Ehoräle berubt 
auf neueren Forſchungen.“ Died aus dem Vorworte. Der Name W. 
Gottſchalg's, der ein gutes Vorurtheil auch für den Genofien erwedt, 
bürgt für die gebiegene Ausführung dieſes weimariſchen Schuldoralbuche, 

Nr. 12. Hier ift nun ein fchlefifches, Tpeciell für Sauer beftimmtes, 
ebenfalls von einem erfahrenen, mohlangefebenen Cantor herausgegeben. 
Die Melodien weichen zum Theil fehr wefentli von den fächfifchen und 
thüringifchen ab und liefern den Beweis, wie unenblich ſchwer es fein 
würde, ein Allgemeines Choralbudh etwa für das gefammte evangelifche 
Deutſchland berzuftellen und einzuführen. — 


Neue Auflagen. 


13. Unfere Lieder, für Kinber und Kinberfreunbe, gefammelt von Bernhard 
Möpricht, Prediger zu St. Matthäus im Berlin. Sechſte, vermehrte und 
verbefierte Auflage. Berlin, Wiegandt u. Grieben. 14 Ser. 


14. Kinderlieder für Säule und Haus, von. I. Schäublin, (Lehrer 
am Realgymnaflum in Baſel.) Dritte (Stereotyp)- Auflage. Bajel, 1866. 
Bahnmaier's Berlag (8. Dettloff.) 5 Sgr. 


15. Bollsweifen. Für die reifere Jugend gefammelt und eingerichtet von 
©. 9. Voigt, Eantor in Vetſchau. Erſtes Heft. Zweite Auflage. 4 Ser. 
Zweites Heft. 5 Sgr. Berlin, T. Trautwein. 

16. Hausfhag deutſcher Volkslieder. Für den Gefangunterricht im 
Realihulen, Oymnafien und zum Privatgebraud in zweiftimmiger Be⸗ 
arbeitung herausgegeben von ©. H. Engel, königl. Mufitvirector an der 

. Domfchule zu Merjeburg ꝛc. Leipzig, Kahut. 4 Sgr. 


414 Geſang. 


17. Lieder buch für Bolksſchulen. Enthaltend eins, zwei⸗ und dreiſtim⸗ 
mige Lieder, einige Canons und die nahen Choräle ber evangeliichen 
Kirche. Herausgegeben von E. 8. Weber, Bürgerſchullehrer und Cantor 
an Ai Hofpitallirhe zu Annaberg. Zweite Aufl. Hildburghauſen, L. Nonne. 
4 Sgr. 

18. Bierzig Volks-Lieder für Knaben: und Mädchenſchulen. Zufammen- 
gefelt von F. Albredt, Rektor der Bürgerfchulen in Wittenberg. Zweite 

uflage. Wittenberg, 1866. N. Herroje. 

19. Chorgeſänge berühmter Meifter ber Vorzeit und Gegenwart, in brei« 
flimmiger Bearbeitung für 2 Soprane und 1 Alt. Für bie oberen Klafien 
der Volksſchulen und für höhere Lehranftalten berauagegeben von 8. Erf 
und ©. ©. Par. Zweite Auflage. Berlin, 1867, Fr. Eneltn. 24 Sgr. 

20. 42 Shullieder. Kür drei Kinderfimmen geſetzt unb methodiſch georbiret 
von Fr. Glaentzer. Zweite Wuflage. Minden, 1866, Bolfening. 4 Sgr. 

21. Liederbud für die obern Klaflen der Bürgerſchulen, fowie für Gym: 
naften und Nealichulen. Herausgegeben von Franz Kreutz, Lehrer in 
Cöthen. Entbaltend: drei⸗ und vierſtimmige Lieder unb Geſaͤnge. Fünfte 
Auflage. Halle. H. W. Schmidt. 6 Sgr. 

22. Liederſchatz für Schule und Haus Enthaltend 258 Lieder für brei 
Stufen geordnet. Herausgegeben von Theodor Ballten. 2. vermehrte 
Auflage. Preis 15 Sgr. Brandenburg. 1867. Th. Balliens Selbfiverlag. 

23. Liederfranz für deutfhe Schulen. Eine Sammlung ein», zwei- unb 
dreiſtimmiger Lieber, mit bejonberer Berüdfichtigung ber beiiebteften Geſaug⸗ 
weijen, und einem Anhange: Schulgefänge zu verichiedenen Gelegenheiten 
und vaterlänbifhe Lieder. Herausgegeben von Lehrern ber Grafſchaft 
Mandfeld. 1. Heft. 3. Aufl. Preis 2 Sgr. 2. Heft. 5. Aufl. 3 Ser. 
Eisteben, 1866. Kuhnt'ſche Buchhandlung. 

24. Neuefter Liederkranz. Eine Eammlung ber beliebteften zwei⸗ unb 
breiftimmigen Scullieber verichiebener Componiſten. Herausgegeben von 
Heinrich Diederichfen, Lehrer des Pianofortes und des Gejanges. Erſtes 
Heft. 7. Aufl. Zmeites Heft 3. Aufl. Hamburg, Berendfohn. 1866. 12 Sur. 

25. Choralmelobien des Braunſchweigiſchen Geſangbuches für Schule unb 
Haus. Herausgegeben nah ber Nummerfolge, den Zonarten und biftori- 
chen Notizen bes im Auftrage des Herzogl. Eonfiftorit von Selmar Müller, 
Mufitdireltor in Wolfenbüttel, bearbeiteten Neuen Choralbucdhes für das 
Herzogthum Braunſchweig von F. U. Schulz. Zweite Aufl. 24 Sgr. 
Braunſchweig, 1867, Eduard Leibrod. 

26. Mehrfiimmige Ehoräle nah Apel für bie Schule von J. 8 Lohmann. 
Dritte vermehrte Auflage. Kiel, 1867, Ernſt Homann. 3 Sgr. 


Ne. 13. Der Hauptzweck des Heftes, das nur Zerte, feine Melodien 
enthält, fcheint zu fein, als Geſangbuch bei ben Kinbergottesdienften zu 
dienen, wie fie in der St. Matthäuskirche in Berlin eingerichtet find und 
zahlreiche Iheilnahme finden. 72 Kirchenlieder, in der Regel jedoch veducirt 
auf einige Strophen, vertreten das ganze Kirchenjahr, ſowohl der Feſthaͤlſte, 
wie der feftlofen Hälfte noh. Im Vorworte jagt der Generaljuperintendent 
Büchfel u. U... „Die Kirhen in der Hauptjtadt .und auch in anderen 
Städten find oft nicht ausreihend, den Erwachſenen Raum zu gewähren. 
Die Eitte, die Kinder mit in die Kirche zu nehmen, ift abgefommen. Man 
ſagt, die Kinder verftehen nicht, was in der Kirche gefungen und gepredigt 

rd, Es dürfte aber leiht der ganze Gottesdienft auf das Gemüth des 
Kindes einen tieferen Eindrud machen, als Mander denkt. Auf jeden 
Fall jeird bie Seele des Kindes in der Kirche mit beiliger Ehrfurdt vor 











Geſang. 415 


dem Gott erfüllt, der durch bie heilige Taufe fein Reich in den Herzen 
der Kinder angefangen bat, und der dem flinde das Mecht gegeben hat, 
feine Hände zu falten, und zu dem, der Himmel und Grove gemadt bat 
duch jein Wort, auch zu jagen: Abba, lieber Vater. Um der Kinderwelt 
wieder die Kirche zu öffnen, und fie dazu zu gewöhnen, find die Kinder⸗ 
gottesdienſte eingerichtet“ 2c. Beigegeben find 30 „‚geiftliche, liebliche 
Lieder” in beiter Auswahl, wie 5. B. „Aus dem Himmel ferne — Der 
beite Freund ift in dem Himmel — Seht ihr auf den grünen Fluren — 
Smmer muß ich wieder leſen“ ıc. 

Nr. 14. 120 auserwählte zweiltimmige Lieder nad folgender An: 
ordnung: I. Tageszeiten. II. Wiegenliever. III. Jahreszeiten. IV. Chri- 
liche Feſte. V. Lob Gottes. VI. Natur. VII Leben. VII, Wanvern. 
IX, Vermiſchtes. X. Anhang. 

Nr. 15. Heft 1 enthält 59 zweiftimmige Lieber und 24 einftimmige 
rhythmiſche Ehoräle, während Heft 2 42 zmeiflimmige Lieder und 4- ver: 
ſchiedene zweiflimmige Liturgien (a. von Schärtlih, b. von Petreins, c, von 
Neithardt, d. von Mebreren) bringt. Gegen die Auswahl ift in beiden 
Heften nichts zu erinnern. Heft 2 Liegt übrigens in erfter Auflage vor 
und wird nur deswegen bier mit aufgeführt, um es mit Heft 1 zugleich 
zu nennen. 

Nr. 16.. Die Liederzahl der 1. Aufl. ift für die vorliegende zweite 
auf 70 beſchränkt, der Preis von 8 Sar. auf A Sgr. ermäßigt. Dies 
wird wejentlich dazu beitragen, die für höhere Lehranftalten jehr brauchbare 
Sammlung, die jeßt nur „das am meilten Bewährte aus dem früheren 
Liederkranze“ darbietet, der großen Maſſe der Schüler zugänglicher zu machen. 

Re. 17. 68 zwei: und dreiftimmige Lieder, 4 Canons und 5U zwei⸗ 
fimmige Choräle. Unterliegt keiner weſentlichen Ausſtellung. Bemerkt fei 
nur, daß das von Sammlung zu Sammlung gehende Lied: „Phöbus, mit 
Inderem Bügel lenkſt du die Roſſe zur Fluth” (Nr. 60), das fi im 
Munde von „Bollsfhülern”, wozu doh aud die Barfüßler in Dorf und 
Stadt vor Allen gehören, fait komiſch ausnehmen muß, nun endlich wohl 
einmal der Bergefienheit übergeben lünnte. Bon der zu den Chorälen ge« 
jegten zweiten Stimme jagt der Herausgeber, fie jei nur auf den Wunſch 
vieler Collegen beigefügt worden, er felber halte den zmeiltimmigen Choral 
für etwas Dürftiges. 

Nr. 18. Die BZweiftimmigleit waltet vor, fie ift die „für Kinder‘ 
paftendfte” Form des Gefanges. Außer den Grundfäßen, die in ber 
Borrepe der 4. Aufl. aufgeflellt find, empfiehlt der Herausgeber noch fol: 
gende für die Behandlung des Volkslieds: A. Vorbereitung. 1) Er⸗ 
ſchließe deinen Schülern den Sinn des Liedes; 2) Laß es im einem ange: 
meflenen Vortrag hören; 3) Uebe fo lange, bis es auch von hen Kindern 
gut vorgetragen wird. B. Gefangsübung. 1) Zu dem gut geſpro— 
henen Liede fommt die Melodie rein und mit Ausdrud gejungen ; 2) Auch 
die Kleinen müfjen vor dem fchreienden Singen bewahrt werden; 3) Das 
ganze Lied wird gefungen. C. Verwerthung. 1) Das Volkslied kann 
auch in der Geſchichtskunde und in Lefeftunden gefungen werden; 2) Zum 
Lohn für gute Leiftungen der Claſſe werde auch ein Vollslied angeftimmt ; 





416 Gefang. 


3) Bei Spaziergängen, beim Zumen, bei Schulfeflen in frober Gemein 
famleit manch liebliches Lied.” Die fehr beachtenswerthe Sammlung ädıter 
Boltslieder hat ſchon in dem Zeitraum eines Jahres die zweite Auflage 
erlebt ; dazu mögen außer ihrem Inhalte der billige Preis und die faubere 
Ausftattung mit beigetragen baben. 

Ar. 19. Das vorliegende 1. Heft der werthvollen Sammlung enthält 
mehr oder weniger ausgeführte Motetten und Chöre von und nah P. 
Haydn, B. Klein, ©. H. Stölzel, 2. v. Beerhoven, A. Nom: 
berg, BD. A. Weber, 3. Beigl und C. Kreuger. Der billige Breis 
wird wejentlih dazu mithelfen, dab das aus 3 Heften beſtehende Wert 
mehr und mehr die für Hinleitung Haffiiher, oder doch in ihrer. Art 
vorzügliher Muſik in die Kreife der Schule gewiß in hohem Grabe erjprieß 
lihe Verbreitung finde. 

Ar. 20. Es ift nichts Wefentlihes gegen die Auswahl der Lieder 
und den breiflimmigen Eaß zu erinnern. Pie Namen der Componiften find 
jedoch weggeblieben. iniges ſcheint vom Herausgeber ſelbſt zu fein. Er 
hätte fi immerhin zu feinen Erzeugniſſen belennen dürfen; freilich wäre 
dann der Paffus des Borworts: „Cine genaue Prüfung wird ergeben, daf 
fänmtlihe 42 Lieder von mufilalifhdem Werthe und fo ausgefept 
find, daß auch die begleitenden Stimmen einen angenehmen und bem Ge 
bädytnig leicht einzuprägenden Fluß baben” ꝛc. ſich vielleiht mit feiner 
Beſcheidenheit nicht vertragen haben. 

Nr. 21. 81 Lieder und 9 Canons, allermeift mwohlgewählt und dem: 
nad einen reihen, den päbagogiihen und mufilalifchen Forderungen im 
Allgemeinen entiprehenden Geſangſtoff bildend. Im Beſondern tadle id 
Ar. 43; „Hier und dort“, wo das Ubi bene ibi patria in dem niebrigen 
Ginne jener Commis voyageur vertreten ift, der frech genug war, zu 
äußern: „Es ift mir ganz egal, ob ich deutſch bleibe over franzöfifch werte, 
wenn ich nur Geihäfte made!” Die Jugend foll nah unferm Autor 
fingen: | 

Längſt ſchon Tief mir in die Hände 
Sener Glaube, mohlbelannt: 

Wo man Brot und Freude fände, 
Sei das wahre Vaterland. 


Tadelnswerth finde ih auch Nr. AA: „Beim Heimgeben vom Vergnügen“, 
das allerdings nicht unbelannte: „Sept geben wir nad Haus, der Spaß, 
der Spaß war aus.” Die Jugend foll fröhlich fein, und wehe dem, der 
ihr die Fröhlichleit verlümmert; aber es entipricht mit nichten dem frifchen, 
barmlofen Sinne der Jugend fih in ledernen NReflerionen biefer Art — 
und noch dazu im Geſange — zu ergeben: 

Die nicht die Arbeit ſcheun, 

Die dürfen fih auch freun, 

Wenn nad) der Arbeit Müh und Laft 

Die Freude wintt zu Scherz und Rafl, 

Um neue Kraft zu geben. 





Geſang. 417 


Und es iſt Unnatur, wenn die Kinder bei der Heimkehr etwa von munterer 
—— von Spiei und Ergöglichleit, ſich ſelber ächt philiſtrös anſingen 
ollen: 

Drum wenn auf eurem Pfad 

Die Freude ſich euch naht, 

Laßt ungenofjen fie nicht flieh'n, 

Ergreift fie ſchnell, wenn fie erfchien 

Und nüßt das Leben weile. 
Da ift fein Hauch von Kinder: Boefie; fort mit folder Salbaderei! 

Vielleicht ftoße ih mit dem Urtheil an, daß ih Nr. 47, das vielge 
jungene und gepriejene „Schwalbenliev“ von Abt, wegen feiner Sentimen 
talität für entſchieden ungeeignet als Schullied erachte. Aber ich will's 
doch nicht verjchwiegen haben. 

Nr. 22. Eine wegen ihrer Reichhaltigkeit empfehlenswerthe, mit muſika⸗ 
liſchem Geſchick und pädagogischer Einſicht veranjtaltete Sammlung. Stufe 1 
enthält auf 24 Seiten 53, Stufe 2 auf 40 ©. 78, Stufe 3 auf 96 ©. 
127 Lieder. Die Stufen werden einzeln & Bogen 14 Sgr. an die Kinder 
abgegeben. 

Nr. 23. Heft 1 enthält 56 ein: und zweiſtimmige Lieder, außerdem 
42 Lieder (blos Zerte) zu verjhiedenen Schulgelegenheiten und 4 nater: 
ländifhe Lieder. In Heft 2 folgen dann 30 zmeis und 38 breiftimmige 
Nummern, darunter einige Heine Motetten für kirchliche Veranlaſſungen. 
Das Ganze hat ſich bereits bewährt. 

Nr. 24. Heft 1 giebt 129 zweiſtimmige und 23 dreiſtimmige Lieder, 
Heſt 2 122 dergleichen. Die Sammlung iſt anzuerkennen. Ich frage 
jedoch: mas will „Ezaar, der Große” hier? („Sonſt ſpielt ich mit Scepter, 
mit Krone und Stern”, comp. von Diederichſen. II. 80.) VBemerlt ſei 
auch, daß ded wadern Slaudius „Kartoffelliev” (I. 96) unbeichavet feines 
Werthes an fih, als Volkslied keine Bedeutung hat, oder vielmehr ein 
joldes nie war und nimmer werben kann. 

Nr. 25. 120 einfiimmige Melodien nebft einigen lirchlichen Reſpon⸗ 
ſorien. 

Nr. 26. 50 zwei⸗, 35 dreis und 1 vierſtimmiger Choral. Nur Ton⸗ 
arten, die entweder keine Vorzeihnung oder doch nur. ein weſentliches 
Borzeihen haben, find angewandt, weshalb in der Veberjchrift die Höhe 
des einzujeßenden Grundtond angegeben. ift. 


Bon meinen Lieverheften find 
27. Liederhain, Heft 1 in 24. Auflage, 
” 2 m, 16. ” ' 
28. Rinverbarfe, in 6. Auflage 
erſchienen. Ich .enipfehle die nun bereits in vielen taujend Gremplaren 
verbreiteten, durch ihre Darbringung vorzüglichiter Lieder das desfalſige 
Bedürfniß jeder Vollsfchule dedenden Hefte der ferneren Gunſt aller Lehrer, 
denen ed barum zu thun ift, deutſches Gemüthsleben dur deutſchen 
Geſang zu fördern. 


— — — —— 


wad. Jahresbericht. XIX. 27 





418 Gejang. 


8. 


10. 


11. 


3. Für Männerftiimmen. 


Religidfe Sefänge für Männerfiimmen von Bernhard Klein. 
Zunächſt für Seminarien und die obern Klaſſen der Gymnaſien und Real» 
jhulen, wie aud für Gingvereine neu herausgegeben von Ludwig Erf 
uud Ernft Ebeling. Seit 8 uub 9, & 4 Sgr. Berlin, F. Trautwein. 


Kirchliche Sefänge für ben mehrſtimmigen Männerchor. Herane- 
geachen von U. Jepkens, Seminarlehrer in Kempen. Köln und Reuß, 
. war. 


„Der Herr ift mein Licht.” Neligiöfer Gefang für vier Männerflimmen 
mit Begleitung von Blasinftrumenten oder Orgel von Ernft Richter. 
Neue Ausgabe. Partitur und Singfiimmen. Preis 20 Sgr. Gingflimmen 
apart 5 Sgr. Breslau, Leudart. 


Männerchsre von Joſeph Schnabel. Reue, einzig rechtmäßige Ant 
gabe von Wilhelm Tſchirch. In Partitur und Stimmen. 1. Morgen⸗ 
gelang. 2. Abendgefang. 3. Gott iſt die Liebe. 4. Auferfichung nud ewige 
Harmonie. 5. Der Wunderbare. Jede Nummer 10 Sgr. 6. Halleluja 
von Klopflod mit Begleitung von Blasinfirumenten. 224 Sgr. Breslau, 
%. E. ©. Reudart. ' 


Symnus, (Pſalm 47: Frohlocket und jauchzet mit fröhlichem Schall) für 
Männerdor von F. W. Sering, Königl. Mufltdirector. Op. 43. Partitur 
Preis 124 Sgr. Berlin und Bofen, Ed. Bote und ©. Bod. 


„Herr, beine Lieb’ und Treu”, Motette zu feftlihen Beranlafjungen 
für Männerflimmen, componirt von Carl Mettner. Op. 12. Partitur 
und Stimmen. Preis 174 Sgr. Stimmen apart 10 Sgr.. Breslau, 
5 E. ©. Leudart. 


Dem Herrn! Hymne, gebichtet von F. G. Fifcher, für Männerchor 
mit willtührlicher Segleitung von Bledhinftrumenten und PBaulen, comtponirt 
von Immanuel Faißt. Partitur mit untergelegtem Clavierauszug. reis 
Bartitur und Stimmen 2 fl. 50 &. O. W. = 1$ Thlr. Ried, Io]. Kränzl. 


Der 67. Pſalm: „Gott fei uns gnäbig und fegne uns”, für vier- 
immigen Männerchor mit Orgelbegleitung ad lib., componirt von Chr. 
ind, Profefior ber Mufit am königl. Seminar zu Eßlingen, Mufildirector 

und Organift an ber Hauptlirche daſelbſt. Berlin und Poſen, Bote unb 

Bod. Bartitur Preis 20 Sgr. Stimmen Preis 10 Sgr. 


Motette: „Herr, ſei uns gnädig“, für vierfiimmigen Männerdor 

nebſt obligater Orgelbegleitung, componirt von Demjelben. Op. 33 Ebend. 

Barditur und Stimmen Preis 1 Thlr. Bartitur 20 Sgr. Stimmen 
gr. 


Hymne: Gottes Größe, von E. Crufius, zum achten Eim-Gefangfefte 
für vier Männerfiimmen mit willkührlicher Begleitung eines Orcheſters in 
Muſik gefegt und den am Feſte theilnehmenten Gefangvereinen gemwibmet 
von J. H. G. Mold. Preis 26 Syr. Hannover, Nagel. 


Evangelifhes Choralbuch für ven Männerchor. 124 norzägliche 
Melodien des neuen Geſangbuches für bie enangelifch-Lutherifche Kirche im 
Bayern, nebft den neun Pjalmentönen, für 4 Männerfiimmen geieht unb 
mit Genehmigung des !. prot. Oberconfiftoriums in Münden, herausgegeben 
von Johannes Zahn, Inſpector des königl. Schullehrer-Seminars Alt- 
borf. 3. vermehrte und verbefierte Auflage. Münden, Chriſtiau Kaifer, 
1866. 





12. 


13 


14. 


15. 


16. 


17. 


18. 


20. 


21. 


22. 


23. 


Bejang. 419 


Drei ER Lieder von Friedrich Dfer für Männerhor (und 
Solo) von Richard Müller. Op. 16. Partitur und Stimmen. 15 Ser. 
Stimmen apart 10 Sgr. Leipzig, Earl Merjeburger. 


Fünfzig Shoräle nebft einem Anhange, bie gebräudglichfien Titur- 
giſchen Chöre enthaltend, für Männerfiimmen. Für Seminarien unb bie 
oberen Klafjen ber Gymnaſien und Realichulen, wie auch für Lehrervereine 
bearbeitet von H. Heidler, Königl. Schloforganift und Muſiklehrer am 
König. Waiſenhauſe und Schullehrer-Seminar zu Königsberg in Preußen. 
Leipzig, Karl Merfeburger. 74 Sgr. 


Gefänge und Lieder für vier Männerfiimmen, gefammelt und -. 
ben Lehrervereinen im Königreich Hannover gewidmet von. H. C. Mold, 
Eonrector und Organift in Peine. Hannover, Hahn. 1866. 


Trichordium. Dreiflimmige Geſänge für Männerfiimmen. Für Ober 
Hafjen höherer Schulen, Seminarien und Beinere Gejangvereine herausge⸗ 
geben von Zenediet Widmann. Preis 74 Sgr. Leipzig, Carl Merſe⸗ 
urger. 1866.' 


Neues und Altes für mehrſtimmigen Männergefang, zunächſt 

für Seminarien und Oberflafien der Gymnaſien 2c., herausgegeben von 

3. Dun Steinhaufen. 1.—6. Heft & 74 Sgr. Neuwied und Leipzig, 
‚9. Henſer. 


Der Selegenbeitsfänger für große und kleine Männerdöre, 
componirt und arrangiert von Theodor Drath, Königl. Seminar- und 
Beifenhaus-Miufiliehrer zu Bunzlaı. Op. 36. Carl Merfebnrger. 


Boltsklänge. Lieder für mehrſtimmigen Männerdor. In Einzelſtimmen 
und Partitur, herausgegeben von Ludwig Erf. Dritte Auflage. Drittes 
Heft, 39 Geſänge entbaltend. Preis der Einzelftimme 4 Sgr., bei Abnahme 
von 20 Erempi. 3 Sgr., Partitur 10 Sgr. Leipzig, 1867. I. Klinkhardt. 


. Eoncorbia. Cine Ausmahl deuticher Lieder für mehrfiimmigen Männer- 


efang, newibmet den Seminarien, Gymnaſien, Realſchulen ⁊c. von Friedr. 
Bus Sering, Königl. Mufifpirector. Op. 30. Dritte verbeflerte Auflage. 
(Lieferung I.) Magdeburg, Heinrichshofen. Lieferung 1—6. Preis A 5 Sgr. 
PVartiepreis 4 Sgr. 


Deutfhe Sängerballe Auswahl von Original-Compofitionen für 
vierſtimmigen Janneraeang geſammelt und herausgegeben von Franz 
Abt. Dritter Band in 8 Lieferungen. Siebente nnd achte Lieferung & 20 
Sgr., Partitur à 8 Sgr., Stimmen & 12 Sgr. Breslau, Berlagseigenthum 
von F. €. €. Leudart. 


In's Freie! Gebiht von Herm. Linke, für Männerchor mit Begleitung 
von Blasinfirumenten oder bes Pianoforte, componirt von Heinrich Gott- 
wald. Op. 11. Bartitux mit untergelegtem Clavierauszug mit Ging. 
Rimmen 1 Thlr. 10 Sgr., Singftimmen apart 10 Sgr. Breslau, F. E. 
&. Lendart. (Conſtantin Sander.) 


Jubal. Sechs leichte Gefänge fiir Männerchor, compontrt von Wilhelm 
Zauber. Rp: 153. Preis 1 Thlr. 5 Sgr. Bremen, Praeger und Meier. 
Leipzig, bei Auguft Whiftling. 


Drei Chorlieder für Männerfiimmen von Earl Mettner. Op. 14. 
Nr. 1. Mailied, gebichtet von E. Förſter. Nr. 2. Weiße Roſen, gebichtet 
von H. Schufter. Nr. 3. Tauſendſchön, gebichtet von Fr. Förſter. Pars 
titur und Stimmen. Breis 15 Sor. Stimmen apart 10 Sgr. Breslaı, 
F. E. ©. Leudart. (Conftantin Sander.) 


27* 


420 Gefang. 


24. 


25. 


26 


27. 


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35. 


36. 


5. 8 


38, 


93. 


Sammlung vou Gefängen für vierfimmigen Männerdor. 
Bier Lieber von Friedrich Gark. Op. 4. Preis Partitur 5 Sgr. Stim⸗ 
men 10 Sgr. Berlin, ©. A. Ehallier unb Comp. 


Drei Lieder für vier Männerflimmen, componirt von Demfelben. 
Op. 5. Preis Partitur 5 Sgr. Stimmen 10 Sgr. Ebendajelbft. 


Leipziger Liederkranz. Sammlung von Compofitionen für mehr- 
fimmigen DMännergefang, herausgegeben von Heinrich Pfeil, erfles und 
zweites Heft & 15 Syr., in Partitur und Stimmen apart & Heft 10 Ser. 
Leipzig, Moritz Shit 


Bier Gedichte von Willatzen, für Männerhor componirt von 
Th. Hentſchel. Op. 16. Nr. 1—4 & 74 Ser. (Partitur und Stimmen.) 
Bremen, Praeger und Meier. Leipzig, bei Auguſt Whiſtling. 


Drei vierffiimmige Männergefänge, componirt von F. U. Kempf. 
Partitur und Stimmen 15 Sgr. Leipzig, 5. Whiftling. 


Fenerwehr⸗Marſch für neunffimmige Blechmuſik mit ober 

ohne einffimmigen Männerdor, ber freiwilligen Feuerwehr zu Yrei- 

fra achtungsvoll gewidmet von Joh. Nep. Köfporer. Freifing, F. P 
atterer. 


Drei patriotiſche Fieber für vierftiimmigen Männerchor, com«- 
ponirt von Carl Mettner. Op. 13. Wartitur und Stimmen 174 Sgr. 
Stimmen apart 10 Sgr. Breslau, F. E. €. Leudart. 


Die prenßiſchen Sänger. Patriotifhe und SKriegergefänge für ben 


vierfiimmigen Männerchor. Nr. 18. Wehe, H. Op. 8. Zwei Könige- 
lieder. 1. Des Könige Auf. 2. Der Königefieg bei Königgräg 
& 74 Sgr. Magdeburg, Heinrichähofen. 


Borufjia für vierXimmigen Männerchor. Gebiht von Knauth, 
componirt von Wr. Held. Preis 3 Sgr. Berlin, Hugo Kafiner. 


Ein Fels im Meer. Gedicht von R. Kindenberg, fir Männerchor mit 
Begleitung von Blehinftrumenten, componirt und ber königl. preußiichen 
Armee gewidmet von Wilhelm Tſchirch. Op. 64. Magdeburg, Hein- 
richshofen. Partitur (nebſt Klavierauszug) und Singflimmen 124 gr. 
Singfiimmen apart 5 Sgr. 


F. W. Sering. Bier Juniuslieder, Gedicht von Heſekiel. Berlin, 
Bote und Bod, Bartitur 74 Sr. 


F. W. Sering. Mit Gott durch Kampf zum Sieg. Gedicht von 
x. Haupt. Op. 48. Berlin, Trautwein. Partitur 5 gr. 


EB. Sering. Der Friede von 1866. Gebidt von 2. Haupt. 
Berlin, Trautwein. Partitur 5 Sgr. 


. W. Sering. Der Königsjieg von Königgräb. Gedicht von 
Hefeliel; für Männerhor und WBianoforte. Berlin, Bote und Bock. 
Klavierauszug mit Text 11 Thlr. 


Stürme bes Frühlings brechet herein. Gedicht von Ernſt Sche⸗ 
zenberg, für vierfliimmigen Männerchor, componirt von Edwin Schulz, 
Dirigent des Männergefangevereins „Melodica“ in Berlin. Op. 46. 
Bartitur und Stimmen 85 Nr. = 17 Sgr. Ried, Joſ. Kränzl. 


Album für vierfimmigen Mäunergefang. Nr. 46. Ganz Deutic- 
land fol es fein. Gedicht von Haberfamp, Muſik von Ehwatal. 
74 Sgr. Magdeburg, Heinrichshofen, . 











Gefang. 421 


40. Germania. Gedicht von Guſt. Kühne, componirt für Männerchor nnd 
Solo, mit vollfländiger Militärmufif, ober Bianoforte- Begleitung von 
Mudolf Weinwurm. 1fl. 50 ir. D. W. Ried, Joſef Kränzt. 


41. Germania! Gebiht von Moritz Graf Strahwig, für Männerdor, 
componirt von Joh. Fr. Earl Dietrich. Op. 79. Partitur und Stim⸗ 
men 15 Sgr. Bremen, PBraeger und Meier. 


42. All-Dentihland, Dichtung von Müller von der Werra. Belang 
für vierfiimmigen Männerhor (mit Xenor-Solo), componirt von Th. 
dent Gel. Op. 18. Partitur und Stimmen 15 Sgr. Bremen, Praeger 
an eier. 


Ne. 1. In Heft 8 diefer höchſt dankenswerthen neuen Ausgabe der 
edlen Gejänge B. KHlein’s find enthalten: XXII. Preis, Lob, Ruhm — 
XXIIL Veni sancte spiritus — XXIV. An Wafierflüfien Babylon. 
Alsdann folgen in Heft 9: XXV. Der 13. Palm — XXVI Kyrie 
eleison — XXVII. Psalmus CXXX. Ecce quam bonum — XX VIII 
Aus tiefer Noth ſchrei ich zu dir. 

Nr. 2. Enthält 66, theils lateinifche, theils deutſche Gejänge für 
den katholiſchen Gottesdienft in diefer Folge: Advent, Weihnachten, Falten, 
Dftern, Himmelfahrt, Pfingften, Dreifaltigteit, Frohnleihnam, Bon der 
Mutter Gottes, Zu den Heiligen, An den Feilen der Apoftel, An den. 
Selten der Martyrer, Am Feſte einer heiligen Jungfrau, Zum heiligen 
Joſeph, Für die Abgeftorbenen, Am Kirchweihfeſte, Für den Landesherrn, 
Dei Besper und Complet. Die große Mehrzahl dieſer Gejänge ift den 
Werken alter Meifter entnommen; was von Neueren, 3. B. von Hillmer, 
B. Rlein und Jepkens felbft berrührt, ſchließt fih würdig an. Das 
Banze kann als ein wichtiges und. werthoolles Wert für katholiſche Semis 
narien und Kirchenchöre bezeichnet werben. 

Nr. 8. Craft Richter's befannter und gefchäßter Chor nach dem 
27. Pſalm, im Geifte B. Klein's componirt, wird in dieſer neuen Yus- 
gabe um der beigefügten Begleitung willen gewiß Vielen doppelt will: 
lommen fein. 

Nr. 4. Die Schnabel’fhen Chöre , deren Entftehung in vie Zeit 
des erften Aufblübens der Männerhöre und ihrer Ausbildung zu größeren, 
ſelbſtſtaͤndigen Leiftungen fällt, haben fich ſeitdem durch die hier ftattfindende 
Bereinigung religiöfen Ernſtes mit Einfachheit, Klarheit und Durcfichtigleit 
bei ausgiebiger Erfindung, in der Xeftimation der Cantoren 2c. ununter- 
broden behauptet. Die neue Ausgabe liefert nun auch fämmtlihe Parti⸗ 
turen, wodurd fie um fo mehr dazu beitragen wird, diefen foliven Com⸗ 
pofitionen die alten Freunde zu erhalten und neue dazu zu gewinnen. 

Nr. 5. Vorliegende Compofition ift für höheren Tenor, tieferen Tenor 
und Baß componirt. In ihrer Dreiftimmigleit hat fie dem Zonfeßer Raum 
gegeben, jede Stimme in freier Bewegung daractervoll auszugeftalten, und 
es ift ſolches mit der ihm eigenen Energie in ädt küͤnſtleriſchem Geifte 
gefcheben, was ſich ganz befonders in der prächtigen Zuge ausipricht, mit der 
das Ganze fließt. Da die Ausführung des Hymnus den Sängern keinerlei 
erhebliche Schwierigleiten entgegenftellt, und namentlih dem erften Tenor 
weniger zugemutbet ift, als es fonft wohl zu geſchehen pflegt, jo empfiehlt 


422 Gefang. 


fih das friihe und kräftige Tonwerk fur feierlihe Veranlafiungen in und 
außerhalb der Kirche. 

Nr. 6. Der verdienftuolle Mufilvirector des Münfterberger Seminars 
bietet und bier eine gediegene Feſtmuſik dar, beftehend aus Choral, Chor, 
Zerzett und Schlußchor, in der fih Alles fiimmgemäß und daher bequem 
ausführbar zeigt, während der künftlerifhe Inhalt das Snterefie des Mu: 
filerö erregt, der Styl kirhlih, die Geſammtwirkung eine erhebende und 
erbauliche ift. 

Nr. 7, 8, 9. Es Dürfen dieſe drei Tonmerte mit dem Bemerken 
zufammengefaßt werben, daß fie zu dem Cdelſten gehören, was die Gegen: 
wart an kirchlicher Muſik für den Männerchor lieferte, daß fie mithin den 
Erwartungen entipreden, welche fih mit ven Namen Faißt und Fink 
verbinden. Nr. 7 als „Preishor für das erfte oberöfterreihiihe Sänger: 
feſt“ bezeichnet, eignet fi) vorzugsweife für großen Chor; Nr. 8 und 9 
werden fih auch jchon bei fchmwäderer Bejegung in ihrer mufilalifchen 
Schönheit und religiöfen Ergreifung des Gemüths bewähren. 

Nr. 10. Es ift gewiß jchwer, einen fo gefpreizten, ſich felber in 
Ueberſchwaͤnglichkeiten überbietenden Tert, wie er bier vorliegt, zu compo⸗ 
niren. Der Tonſetzer hat fein Möglichftes gethan, ift jedoch im Allgemeinen 
über eine gewiſſe Nüchternbeit nicht recht binausgelommen, wenn fchon 
Einzelnes, zumal bei der Ausführung durch große Sängermafien, von Effect 
fein lann. 

"Nr. 11. Cine reihe Auswahl rhythmiſcher Choräle, im Geifte der 
alten Meifter gefeßt, mit je 3 bis 8 Tertverfen verjeben. Die Pialmen- 
töne in „altüblieferter, ehriwürdiger” Form find beigegeben zur Herftellung 
des den Pialmen von jeher eignenden Wecjelgefanges. Jeder 
Pſalmvers wird in zwei Hälften getheilt: bie erfte fingt der Vorſänger oder 
ber Liturg (ein erfter Baß), die zweite ber vierftimmige Chor. Näheres 
in dem Werte jelbft. 

Nr. 12. Die fhönen Oſer'ſchen Terte haben bier einen nicht 
unbegabten Componiften gefunden, ver fich liebevoll in fie verfenlt und 
ihnen einen entjprechenden muſilaliſchen Ausdrud gegeben hat. 

Nr. 18. Ein werthvolles Werk zur Abhülfe des Bedürfniſſes einer 
derartigen Sammlung für die Provinz Preußen, enthaltend die gebräuch⸗ 
lichften Melodien in dortiger Lesart mit je 2 oder mehr Zertfirophen und 
einem Anhange liturgijcher Chöre. Näheres in „Euterpe‘ 1867, 6, wo auch 
bie jehr anertennenden Urtheile von Louis Köhler und Mufitpirector 
Döring angeführt find. 


— — 0— — 


Nr. 14. Cine beachtenswerthe Sammlung, 12 4ſtimmige Choräle 
und 47 auserwäbhlte „Leine Hymnen, Motetten und Lieder” enthaltend. 
Mas der Herausgeber aus eigener Feder und aus der von 9. Mold jun. 
liefert, ift nicht unwerth, ſich neben Tonfägen von B. Klein, E. Kreußer, 
tinbpaintner, Marſchner, Abt, Fesca u. A. ſehen zu laſſen, 
doch muß Mold jun. aus einer gewiſſen Sentimentalität beraus zu kommen 
ſuchen. Das Ganze eignet fi für Seminarien, Gymnafien, Lehrervereine zc. 


Gefang. 423 


Nr. 15. 74 Gefänge aus älterer und neuerer Zeit, mit großem 
Fleiße zufammengetragen und mit jenem mufilaliihen, kirchlichen und 
padagogiſchen Verfiändnig ausgewählt, wodurd ſich der Herausgeber ſchon 
mehrfach befannt gemacht hat. Manches ift von feiner geübten Hand aus 
dem urfprünglichen vierftimmigen Saße in den breiltimmigen übergetragen. 
Möge in Seminarien, Gymnafien ꝛc. ein recht fleißiger Gebrauch von der 
reich ausgeltatteten, zu einem überaus billigen Preiſe dargebotenen Sammlung 
gemacht werben! 


Nr. 16. Mit dem vorliegenden 6. Hefte ſcheint nun ein Abſchluß 
der ganzen Sammlung, welche zujammen 84 Nummern zählt, ftattgefunden 
zu haben. Das genannte Heft enthält der Gefänge 13, und zwar von 
und nah Mendelssohn, F. Schubert, Shumann, Beethoven, 
Fesca und einem Ungenannten. Herr Steinhaufen bat das unleug- 
bare Berbienft, durch feine gejhidten Arrangements den Männerchören eine 
Fülle edler Muſik zugeführt zu haben, bie vielen unter ihnen wohl fonft 
niemals bekannt geworden wäre; die Anerlennung diefes Verbienftes fpricht 
ih lebhaft in der weiten Verbreitung aus, welche die Hefte bereits gefun⸗ 
den haben. Fraglich als Chorſtück iſt mir in Heft 6 das Arrangement 
des an ſich fehr ſchönen Gefanges von F. Schubert untr Re. 7 
„Wehmuth‘‘, ber ein ganz individuelles Empfinden ausprüdt: 


Allein und ungeliebt, 

Daß jeder Franz verblübet, 

Das ift, mas mich betrübt. 
u. |. w. 


Nr. 17. Zu überaus niedrigem Preiſe werden bier in Bartitur 32 
Lieder und größere Gefänge für allerlei ernfte und heitere Veranlafjungen, 
dann die liturgifhen Chöre und enblih im Anhange nod einige Doppels 
terte dargeboten. Der Componiſt gebietet über eine vollendete Technik in 
Bezug auf Harmonie, Stimmführung, Verwerthung der Motive, Jmitation ıc., 
der Quell der Erfindung aber fließt ihm friſch und reich, fo daß das Heft 
des Schönen nit wenig enthält und eine Verbreitung befielben in meiten 
Kreifen befonders auch in höhern Schulanftalten, Lebrernereinen ꝛc. nicht 
augbleiben dürfte. Näheres „Euterpe‘ 1867, 6. 


Nr. 18. Auch diefes dritte Heft der neuen, für Cinzelftimmen und 
Partitur eingerichteten Auflage der „Volksklänge“ bewährt fi als ganz 
vortrefflih, durch den reichen, mit größter Sorgfalt nah allen Beziehungen 
bin von Meifterhband redigirten Inhalt ſowohl, wie durd die jchöne äußere 
Ausftattung bei billigſtem Preiſe. Dafjelbe enthält neben eigentlichen 
Volksliedern auch andere Gefänge, wie 3. B. den Yägerchor aus Euryanthe, 
Beethoven's Gefang der Mönde, ein Sanctus von Rungenhagen, 
in geiftlihes Abenvlied von Zöllner v. U. m. 


424 Gefang. 


Tr. 19. Die Berbejierungen, wilde das !. Heft der geſchätzten 
Sammlung in 3 Auflagen erfahren bat, find von weſentlichem Belange, 
Wenn die gleiche Sorgfalt auf die Nevifion der übrigen Hefte verwandt 
wird, fo wird fi die Concordia der ihr jebt Schon zu Theil gewordenen 
Anerlennung deito würbiger zeigen. 


Re. 20 giebt in Heft 7 und 8 nad dem biöher befolgten Grund: 
faße, dem gemäß vorzugsmeife der Kunſichor und das Quartett vertreten 
werden , zufammen 12 Driginal-Sompofitionen von Immanuel Faißt 
(2 Nummern), Rihard Seifert, Julius Ries, Carl Hoffmann, 
Georg Bierling, J. 9. Studenfhmidt, F. Guſtav Janſen, 
MW. Müller, Ferdinand Möhring, Franz Derdum und Franz 
Abt, die den Herren Liedertäfleen ver höheren Kategorie würdigen Uebungs⸗ 
fioff und dur dieſen reihlihen Genuß gewähren werben. 


Nr. 21—28. Es fehlt an Raum zu eingehender Beiprehung all 
diefer Sachen, daher nur dies: Nr. 21 ift ein frifher, gut erfundener 
Ehor, zu Eoncertaufführungen wohl geeignet. Nr. 22 giebt ganz einfache 
Natur: und Wanderlieder, in Schulanftalten und Heinen, namenlidy ländlichen 
Vereinen zu verwenden. Eie verleugnen Taubert's Geift und Zeinfinnigfeit 
nidht, haben aber doch theilmeife etwas Kühles und Nefervirtes, wie manche 
andere Sachen des Meiſters auch. Nr. 23 giebt drei gemüthlihe Piecen 
für Liedertäfler, nit ohne eigenthümliche und jchöne Züge in der Grfin: 
dung. Nr. 24 uud 25, ebenfalls für Liebertäfler, wie auch fämmtliche 
Nummern bis 28, ſchlagen nicht ohne Erfolg den Volkston an und haben 
den Vorzug leichter Singbarleit. Wie kann man aber das befannte, an 
ih gar jchöne, jedoch eine ausſchließlich fubjective Stimmung ausdrüdende 
Lied „Mutterfeelen allein Nr. 1 in Op. 4 als Chorgefang behandeln? 
Der innere Widerſpruch ift ja nicht zu verlennen! — In Nr. 26 machen 
die Herren E. Hermes, C. Meißner, 9. Pfeil, U. Zedtler, 
9. Hönnder und E. Neßler in 2mal 3 Liedern einen pafjablen An: 
fang, fih ald Componiften die Sporen zu verdienen, wobei ihnen zu flatten 
tommt, daß fie finnige, wohl berechtige Terte gemählt haben. Go fort: 
fahren! Ne. 27 führt den Namen eines ſchon belannten und geſchätzten 
Gomponiften, der A neuere Texte glüdlih gemählt und gut gefungen hat 
(Deutihes Lied. Sommernaht auf dem Meere. Junges Herz. Schlaf 
ein*). In Nr. 28 find 2 Terte von Schiller und ein dritter von einem 
Ungenannten, etwas hausbaden componitt. In dem lebteren Terte bat 
der Tonjeßer einen argen Mißgriff getban. Man leſe: 


B. 2. Dies Lieb, das einft bie Mutter fang, 
Hallt wieder heimlicher Weile 
Mit ihrer lieben Stimme Klang 
Dir durch die Seele leiſe: 


8. 3. „Ach, Well und MWinb verranfät, mein Kind, 
Die Sterne, ſie verblafien; 
Denn treufos bir einft Menſchen find, 
Gott wird dich nicht verlaſſen.“ 





Gefang. 425 


Freunde, laßt der Freud uns meihn 
Und herzlich fröhlich fein; 
Gerne trinkt den edlen Wein, 
Der ung auch wächſt am Rhein. 
Denn (1!) diefe Welt mir ſtets gefällt, 
Menn id in der Belannten Kreis 
Auh wahre Freund zu finden weiß, 
Die fih der Wahrheit weihn, 
Um recht vergnügt zu fein. 
Und ſeh ih auch die Flaſch dabei 
So werden Sorgen mancdherlei 
Verdraͤnget und verſcheucht. 

O Schiller, welches Kameel hat man dir zur Seite geſtellt! — — 

Nr. 29 iſt ein kräftiges Feuerwehrlied mit der Titelvignette: Gott 
zur Chr, dem Nächten zur Wehr. Mögen die wadern Männer zu Frei⸗ 
fing, welde Geſundheit und Leben für ihre Brüder einzufeßen bereit find, 
ſich beftens daran erfreuen. 


Nr. 30— 42. 13 Nummern patriotifher Geſänge. Mettner feiert 
unter Nr. 30 in dem erflen und britten feiner gebiegenen Lieder deutſches 
Sand und Mefen überhaupt, im zmeiten feinen königlichen Herrn, ben 
Herrſcher Preußens. Nr. 31—37 ſprechen jpecifiih den Patriotigmus bes 
Preußen aus; Nr. 38—42 vertreten das allgemeine deutſche Nationalges 
fübL In der erften Gruppe find bejonverd die Gefänge von Held, 
Tſchirch und Sering hervorgetreten und ausgezeichnet worden, Nr. 37 
als effectoolled größeres Wert für Concertaufführungen. In der zweiten 
Gruppe find Nr. 38 und 40, „Breiscompofitionen des oberöfterreidhijchen 
Sängerbundes”, durch die Greignifie von 1866 überholt worden; in ges 
wifiem Sinne auh Nr. 38 — „Ganz Deutihland hält die Wacht” —, 
Nr. 41 — ‚Land, du bift dem Tode nah, fieh dih um, Germania” — 
und Nr. 42 — ‚AllsDeutfhland auf, mit Muth und Macht, ruft dich 
dein Gott zum Streit” —. Die Compofitionen diefer Lieder find nicht 
ohne Kraft und Cigenthümlichleit. 


Noch ift ein Galopp eingegangen, Gebiht von Bauer, Compofition 
von Nohr. Wir lafien ihn auf fih beruhen. — Eben fo eine Art 
Ständchen: „O fag’ es noh einmal: ich liebe dich!” nicht ohne Ge: 
wanbtheit componirt für Bariton-Solo mit begleitendem Chor von Siegert. 
Op. 107 (Riga, Com. Götjcel.) 


3. Für gemiſchten Chor. 


| ' 

1. Leit ausführbare Motetten für Sopran, Alt, Tenor und 
Baß. Mit beionderer Berüdfihtigung jugendlicher Männerfiimmen für 
Nealihulen, Gumnaften und Gefangvereine componirt von C. Kuntze. 
Op. 109. Heft J. Aſchersleben, 1566. Carſted. (2. Schuod.) 


426 Geſang. 


10. 


11 


12. 


13 


14. 


Geiſtlicher Liederſchatz. Sammlung von Chorälen, Motetten ꝛc. älterer 
und neuerer Meifler, bearbeitet von Hermann Hauer, Organifi am Et. 
Jacobi in Berlin. Erftes Heft: Fünf Meotetten von Joſ. Haydn 
1. Danklied zu Gott. 2. Abenblieb zu Gott. 3. Wider ben Uebermuth. 
4. Der Greis. 5. Insanae et vanae curae (bed Staubes eitle Sorgen.) 
Preis ber einzelnen Stimmen 5 Sgr., in Partien 4 Sgr. Motette Wr. 1 
und 2 apart, 2 Sgr.; desgl. Nr. 3 und 4; desgl. Ar. 5 find aud allein 
zu haben. Berlin, Hugo Kaftner. 


Liturgifge Chöre auf bie Befjeiten bes chriſtlichen Kirchen⸗ 
jahres, nebſt einer Liturgie auf alle Sonntage, für Sopran, Alt, Tenor 
und Baß, componirt von Carl Karow. Preis 10 Sgr. In Part. 74 Sgr. 
Potsdam, Riegel. 1865. 


Der 23. Plalm für Sopran, Alt, Tenor und Baß, componirt 
von Oswald Fiſcher. Op. 14. Partitur 74 Ser. Stimmen 10 Ser. 
Jauer, C. Plahn. 


Muſikaliſcher Agirchenſchatz. Eine Auswahl gediegener Kirchenmuſika⸗ 
lien für den katholiſchen Gottesdienſt. Lieferung 7. Breslau, F. E. €. 
Lendart. 1: Thlr. 


Orgelweihe. Gedicht von Dr. Ehr. Schreiber, in Muſik geſetzt für 
gemifchten Chor, Sotoftimme, Tenor und Orgel von J. Töpfer, Brofefjor 
der Mufit am Großberzogl. Schullehrer-Seminar und Orgauiſt an ber 
Haupt» und Stabtlirhe zu Weimar. 1 Thlr. 5 Sgr. Weimar, U. Kühn. 


Salvum fac regem, Religidſer Geſang für Sopran, Alt, Tenor unb 
Baß, componirt von DLdwald Fifcher, Cantor an ber Friedenekirche zu 
Sauer. Op. 15. Partitur 5 Sgr. Stimmen 5 Sgr. Jauer, Carl Plahn. 


Hochzeitscantate, nad Worten ber heiligen Schrift zufammengeftellt 
und für gemifchte Singvereine gr Aufführung bei Ueberreihung des Brant- 
kranzet, componirt von Carl Stein, Königl. Diufitvirector zu Wittenberg. 
Op. 8. Klavierauszug und Stimmen 1 Thle. Siugflimmen apart 5 Sur. 
Potsdam, Riegel (A. Stein.) 


Die guten Engel, Cebit von Löwenſtein, Doppel-Ouartett für 4 
Frauen- und 4 Männerfiimmen von Auguft Möller. Op. 12. Partitur 
und Stimmen 1 Thlr. Bremen, Praeger und Meier. 


Bierzig Choräle für Discant, Alt, Tenor und Baß. Zum Ge 
brauch bei den Morgenandachten in höheren Lebranflalten. Serausgegeben 
von ©. U, Krüger. Lyk, Augufl. 1866. 


Inbal, Sechs leichte Gefänge für gemifchten Chor, componirt von Wilh. 
Zaubert. Op. 1530, 1 Thlr. 5 Sgr. Bremen, Praeger und Meier. 
Leipzig, Auguft Whiſtling. 


Bier Lieder für zwei Soprane, Alt, Tenor und Baf, componirt 
von Adolph Reichel. Op. 22. Partitur und Stimmen 1 Thlr. 5 Sgr. 
Stimmen apart 5 Sgr. Breslau, F. E. €. Leudart. 


ünf Lieder für Sopran, Alt, Tenor und Baß, componirt von 
dolph Reichel. Op. 23. Partitur und Stimmen 25 Sgr. Stimmen 
apart 15 Sgr. Breslau, F. E. ©. Leudart. 


Frühblingslied von H. Heine. Bocal-Ouartett für Sopran, Alt, 
Tenor und Baß, Chor oder Solo ad libitum, in Mufll gefeht von Theod. 
Eisfeld. 74 Sgr. Aſchereleben, L. Schnod. 


Gefang. 427 


Ne. I. Duch „ſehr fühlbaren Mangel an leicht ausführbaren Mos 
tetten für den Ehorgefang in Realſchulen, Gymnaſien und Meinern Gefang- 
vereinen” ift zur Veröffentlichung diefer Gefänge Anlaß gegeben worden. 
„Die engen Grenzen, melde folche Arbeit gebietet: leichte Ausführbarkeit, 
befondere Berüdjihtigung der jungen Tenor- und Bapftimmen, nicht zu 
große Länge der Zonftüde, allgemeine Texte“ hat der Componift, „durch 
praftifhe Erfahrungen darauf hingemiefen, nad beftem Willen ftreng inne 
gehalten.” Die Zahl der Nummern ift 10. Da e3 Herrn Kuntze ge 
lungen ift, leicht zu fchreiben ohne trivial zu werben, jo wird das Merl 
feinen Zwed erfüllen. Here Geh. Regierungsrath Dr. Zrintler bat bie 
Widmung deſſelben angenommen. 

Nr. 2. Eine billige und correcte Stimmenausgabe zunädft von 
Haydn'ſchen Motetten. 

Nr. 3. Vortreffliche, and einem wahrhaft frommen Herzen geflofiene 
Tonſaͤtze des nun in Gott ruhenden Bunzlauer Meifters! Die Herausgabe 
ift dur) den Sohn des Heimgegangenen, Gymnafiallehrer 9. Rarom in 
Potsdam, erfolgt, und zwar mit diefem Bemerten: „Organiften und Gans 
toren, denen ein vierftimmiger Gejangschor nicht zu Gebote ſteht, koͤnnen 
dieſe Säße recht wohl einftimmig mit Begleitung der Orgel fingen lafien, 
wie died am Orte ihrer Entftehung — in den Erziehungsanftalten zu Bunz⸗ 
lau — jahrelang yon einer ganzen, einige hundert Seelen zählenden Haus» 
gemeinde gefchehen iſt.“ | 

Nr. 4. Solo: und Chorftellen wechſeln ab, desgleihen auch Säße 
für alle Stimmen und andere für das Männerquartett. Die Aus: 
führung ift nicht ſchwer, obfhon der Componiſt einiges Thematiſche einge: 
fügt bat, — der Inhalt gediegen, 

Nr. 5. Die vorliegende Lieferung enthält A Gradualien (Benedicta, 
Justorum, Domine Deus, Dirigatur — tr. 1 mit obligater Orgelbe⸗ 
gleitung —) und 4 Offertorien (O salutaris, Lauda anima, Alleluja 
resurrexit, Ave Maria) fämmtlih von Morit Brofig, hochgeachtetem 
Kapellmeiſter der Breslauer Kathedrale, als deſſen Op. 35. 

Nr. 6. Diefes edle Merk ift bei des Meifters HOjährigem Jubiläum 
am 4. Juni in Weimar zur Freude und Grbauung zablreiher Zuhörer 
aufgeführt worden. Es ift vortrefflich geeignet für ein Kirchenconcert. Die 
Bartitur zählt 26 Seiten. 

Nr. 7. Wie in Nr. 4, fo findet auch bier ein Solo-Quartett gegen- 
über dem Chore eine angemellene Verwendung. Die ftellenweife Durch⸗ 
führung eines tertgemäßen Motivs zeugt von der Vertiefung des gejhäßten 
Componiften in feine Aufgabe. Wem daran liegt, ein kirchlich gehaltenes 
Balvum fac regem von nicht allzu geringem Umfange und doch ohne 
große Schwierigkeiten, fingen zu lafien, dem wird das gegenwärtige — bie 
Partitur füllt 6 Seiten in gr. 8. — willkommen fein, 

Ar. 8. Diefe Muſik ift nicht für die Kirche beftimmt, empfiehlt fich 
aber zur Aufführung im Familien: und Freundestreife, zumal da fih Alles 
leicht fingt und bie Klavierbegleitung das Gange wejentlih trägt. Der 
Zert ift aus Bibelftellen, welche fih auf die Schließung des Chebündnifies 
beziehen zufammengefebt und fließt mit den Worten (Nr. 5, Schlußchor): 


428 Gefang. 


Der Herr fei mit euch und helfe euch zufammen und gebe feinen Segen 
veihlih über euch. Gott fei mit euch auf dem Wege und fein Engel be 
gleite euch. O Herr bilf, laß mwohlgelingen! 

Nr. 9. Ein finniger Tert mit der Schlußftropbe: 


Laß dir erzählen, mein liebes Kind, 

Mozu die guten Engel find. 

Mo ein Armer betet in feiner Roth, 

Da bringen fie ihm in’s Haus das Brot; 
Wo beim kranken Kinde die Mutter wacht, 
Da nehmen des Kindes fie in Adht. 

Mo in Gefahren ein Kindlein jchmebt, 
Mo Jemand weinet, wo Syemand bebt, 
Dahin geſchwind 

Eilen die Englein, mein liebes Kind. 


Es könnte in Frage geſtellt werden, ob das vorliegende elegante 
Doppelquartett die angemefjenfte Form der mufilaliihen Behandlung der 
einfachen Dichtung fei. An fich iſt die Compofition mit Feinheit gefchrieben 
und fie wird, von guten Stimmen mit aller Accuratefle vorgetragen, im 
Familienkreife wie im Salon eines erwünſchten Eindrucks nicht verjeblen. 

Nr. 10. Sehr geeignet für den angegebenen Zmed, zumal da die 
Lieder meift vollftändig abgebrudt find. Auffallend ift, daß „Jeſus, meine 
Zuverſicht“ nit nad der Driginalmelodie (welche überhaupt fehlt), ſondern 
nah: „Licht vom Licht, erleuchte mich”, gefungen werben fol. Gegen 
den Aftimmigen Sag ift im Allgemeinen nichts einzuwenden, nur follte 
„Befiehl du deine Wege‘ nicht in joniſcher, fondern in phrygiſcher Zonart 
barmonifirt fein. Die Berufung auf Seb. Bad, der in der Matthäus: 
Paſſion diefen Choral auch einmal jonifch behandelt hat, würde bier nicht 
angewandt fein. 


Nr. 11—14. Ne. 11 giebt diefelben Lieder für gemifchten Chor, 
welche ſchon unter den Männerliedern aufgeführt find. Leicht zu fingen; 
für Familien und kleine Vereine geeignet. Hiervon unterfcheiden Ah 
Ne. 12 und 13 durch ihre weit reichere Geftaltung und bie höheren Fors 
derungen, welde fie an die Eänger ftellen. Geübten Sängerlreifen können 
diefe Lieder (Terte von Uhland, Göthe, Heine, desgl.: Fliegendes Blatt 
aus dem 16. Jahrhundert: „Herzlich thut mich erfreuen bie ſchöne Sommer: 
zeit) um ber finnvollen Gompofitionen willen, die von einer liebevollen 
Vertiefung bes Tonſetzers in die gewählten Dichtungen und von entſchiedener 
Künftlerfhaft, welche ſich theilmeis auch in Anwendung einer heiteren Poly: 
pbonie fund giebt, zur befonvdern Beachtung empfohlen erben. 

Nr. 14. Iſt nicht übel in rein mufilalifher Hinfiht, erfcheint mir 
aber, zumal im Hinblid auf Menvelsfohn’s fo ganz einfahe Behandlung 
vefielben Tertes (,Leiſe zieht durch mein Gemüth”) mehr auf Effect be 
rechnet, als bier nöthig wäre, und es mag damit zufammenbhängen, daß 
der Schluß in kaum zu rechtfertigender Weile wie folgt ausgedehnt iſt: 








Geſang. 429 


„Wenn du eine Roſe ſchauſt, wenn du eine Roſe ſchauſt, ſag' ich laß' ſie 
grüßen, ſag' ich laß’ fie grüßen, und wenn du eine Roſe ſchauſt, wenn 
du eine Roſe ſchauſt, ſag' ich laß’ fie grüßen, ſag' ich laß’ fie grüßen, ich 
la’ fie grüßen‘! — 


Neue Auflagen. 


15. Liederfammlung für gemifhten Chor. Zunächſt für Opmnaflen 
und Imbduftriefchulen. Neue, umigearbeitete Auflage bes Winterthurer 
Schulgefangbuches. (III. Theil.) Herausgegeben von O. Korenz. Schaff- 
haufen, Brodtmann. 1866. 


16. Liederfammlung für gemiſchten Chor. Herausgegeben von Ernſt 
Methfeflel. Zweite vermehrte und verbeflerte Auflage. Schaffhauſen, 
Brodimann. 1867. 


17. Dreifimmige Imgendlieder, gefammelt und beraußgegeben von 
Johannes Wepf, Lehrer. III. Heft. III. Auflage. Schaffhauſen, Brodt⸗ 
mann. 1865. 


Nr. 15. Eine reihe Sammlung mwohlgemwählter Älterer und neuerer 
Gefänge, enthaltend: I. 29 Ernſte rveligiöfe Chöre und Lieder; II. 46 
Natur: und Baterlandslieder; III. 4Y gejellige und Volkslieder; IV. 22 
vermijchte Stüde ald Anhang. Das Ganze ift bejtimmt ‚nicht nur für 
größere und kleinere Gejangvereine, ſondern eben fo gut für höhere Schulen 
und gefellige Kreife”. Der Boltsgefang — „im edlen Sinne des Worts“ — 
bat vorzugsweife eine Berüdfihtigung erfahren. 

Nr. 16. 89 Nummern von vielen Componiften, ernſt und beiter, 
im Allgemeinen woblberedhtigt, Speciell für Schulanftalten der Schweiz 
beftimmt. 

Nr. 17. 30 Lieder für Sopran, Alt und Baß, ohne Angabe der 
Componiften, wahrfcheinlid von Herın Wepf jelbft, wenigfiend der Mehr: 
zahl nad, herrührend. Cr befigt eine Gabe der Erfindung vollsmäßiger 
Melodien, melde lepteren er aber nit anders zu behandeln weiß, als daß 
er fie mit einer zweiten Stimme, gegen die allerdings in der Regel nichts 
einzuwenden ijt, verjieht und alsdann einen Brummbaß ohne jegliche ge: 
janglihe Ausgeftaltung dazu ſetzt. So kommen 5. B. in Rr. 18, F-dur, 
3/4, in den erften 10 Takten nur folgende Zöne im Baſſe vor: I1malf, 
17mal c, Zmal e, 3mal g. — Alſo zweifelbafter Werthl — 


4 Für mehrerlei Chorformen. 


le BZionsgefänge, Sammlung einfacher kirchlicher Feſtgeſänge. Für zwei⸗ 
und breiflimmigen Chor bearbeitet und mit leichter Orgelbegleitung veriehen 
von Bernhard Braͤhmig. 12 Sgr. Leipzig, ©. Dierjeburger. 


Nr. 1. „Unter den zahlreichen zwei⸗ und breiftimmigen Yeltgefängen 
für Cantoren in kleineren Städten und auf dem ande giebt es nur 
wenige, melde die Orgel zur Verwendung bringen. Und doch ift es ein 
längft und wiederholentlih ausgeſprochener Wunſch obgenannter Leiter des 
Rischengejanges, gerade in ihren bejchränlten Berhältnillen jenes Initrument 


450 Gejang. 


bei kirchlichen Befangsaufführungen mit beranzieben zu können, weldes fih - 
theils zur unterftügenden Begleitung des (oft nur ſchwach befebten und 
vielleiht auch nicht ganz felbitftändigen) Kinderchores, theils zu einer wirt 
fameren Geflaltung jener an fi) doch meiſt fehr einfachen Productionen fo 
trefflih eignet.” Dieſem jedenfalls gerechtfertigten Begehren hat nun ber 
Herausgeber vorliegenden Werkchens zu entſprechen gefucht, indem er ſich 
zugleich angelegen fein ließ, zunädft in Betreff der Auswahl dasjenige 
darzubieten, was mit kirchlich würdigem Inhalt aud leichte Ausführbarkeit 
vereinigte. Hinfichtlich der legtern bemerkt er ferner, a) daß ſämmtliche 
Nummern aub für zweiftimmigen Kinderhor ausführbar 
find; b) daß da, wo eine breiftimmige Darftellung überhaupt thunlich, 
die dritte Stimme faſt durchgängig entweder von einer 
Kinder: oder von einer Männerftimme übernommen werden 
kann. Das Ganze beſteht aus 28 Nummern nad der Folge des Fir 
&enjabres, aljo für Advent, Weihnachten, Sylveſter, Neujahr, Charfreitag, 
Djtern, Himmelfahrt, Pfingften, Bußtag, Erntefeft, Reformationd: oder 
Kirchweihfeſt, Todtenfeſt und fonftige feſtliche Veranlaſſungen; dazu kommt 
ein Anhang liturgiſcher Gefänge, beſtehend aus 9 Nummern. Die Aus: 
wahl ift mit großer Sorgfalt getroffen; Einiges wurde von Herrn Bräb 
mig für die Sammlung neu componirt. Alles läßt fih ohne Schwierig- 
keit fingen und fpielen. Der ungemein billige Preis fichert neben dem 
höchſt nüslichen Inhalte dem Werkchen eine meite Berbreitung. 


Neue Auflagen. 


2. Rirhengefänge für gleihe Stimmen, zu bem von Th. Kinden, 
Religionslehrer an St. Leonhard zu Aachen, herausgegebenen Gebet- und 
Gefangbuch ‚Alles für Jeſus und Maria” bearbeitet von H. Bohlen, 
—ã—— in Aachen. Zweite vermehrte und verbeſſerte Auflage. Aachen, 

enſen. 1866. 


3. Schulliederbuch, enthaltend über 120 Melodien mit 180 Texten, zum 
1⸗, 2°, 3. und Aſtimmigen Gebrauch beim Geſangunterricht nad dem Gehör 
ober nah Noten, fowie zur Benutung beim Biolin- und Klavierunterricht. 
Bearbeitet und in 3 Heften herausgegeben von Theodor Drath. Mufit- 
lehrer am königl. Seminar und Wailenhaus zu Bunzlau. 1. Heft. Mehr 
als 30 Melodien und 44 Texte für die Unterfiufe 2 Sgr., in art. 
11 Sgr. 2. Heft. Mehr ale 40 Melodien und 63 Terte für bie Mittel- 
ſtüfe. 3 Spr., in Bart. 24 Sgr. 3. Heft. Mehr ale 50 Melodien und 
80 Terte für bie Oberftufe. 5 Sgr., in Part. 4 Sgr. Zweite, verbeflerte 
unb vermebrte Auflage. Berlin, Berlag von Abolph Stubenraud. 1867. 


4. Des Knaben Liederſchatz, eine Sammlung geiftliher unb weltlicher 
Bolkslieder für Gymnaſien und höhere Lehranſtalten, ausgewählt unb bear- 
beitet von Th. Goͤcker, Lehrer am Gymnaſium in Gütersloh. A. Auflage. 
Bielefeld, 1866. Velhagen und Klafing. 74 Ser. 


Ne. 2. Das fehr reichhaltige Buch enthält a) 180 zwei⸗ und drei: 
ſtimmige, theils choralmäßige, theils mehr arienartige deutſche Lieder für 
die verjchiedenften Veranlafjungen des katholifchen ©ottesvienftes. Manches 
darunter klingt etwas trivial. Dann folgen 97 lateinifhe Gefänge, und 
zwar Pfalmen, Antiphonien, Litaneien, Berfilel u. |. w. Gämmtlide 








Gejang. 431 


Stüde können eben fowohl von Kinder⸗ oder Frauen: , wie von Männers 
flimmen gefungen werden. An Componiften find u. A. angegeben: Kirch⸗ 
bof, Adens, Aiblinger, Zöpler, Bohlen, Schubiger, Zimmers, v. Winter, 
Arcadelt, Koenen; Vieles ſtammt wohl auch, namentlich unter den lateini:- 
Shen Saden, aus alter und ältefter Zeit. 


Nr. 3. Die Lieder des 1. Heftes find 2ftimmig gegeben , und zwar 
ift die 2. Stimme vom Lehrer, fingend ode? geigend, auszuführen. Eben 
fo im 2. Hefte, wo übrigens fämmtliche Lieder um des bier eintretenden 
Rotenfingens willen nur in C-, G- und F-dur notirt find. Im 3. Hefte 
find die Lieder „in Rüdfiht auf die locale Verfchiedenheit der ausführenden 
Kräfte in Schule und Privatverhältnijien fo bearbeitet worden, daß fie 
unter Beibehaltung deſſelben Satzes entweder einftimmig vom Discant, 
oder zweiftimmig mit Zutritt des Alts, oder dreiftimmig mit Hinzus 
nahme des Baſſes, oder vierftimmig unter Beifügung des Tenors ges 
jungen werben können. Während die Finder natürlihd nur die beiden 
Oberftimmen ausführen, kann der Lehrer ven Baß fingen (und Tenor geis 
gen oder auch fortlafien), oder die beiden Unterflimmen werden von Andern 
übernommen. „Der ungleich leichter zu bearbeitende Sab für dreiftim> 
migen Kinderhor, — melder lebtere felbit in gehobenen Schulen 
immer auf manderlei Schwierigleiten ftoßen und jelten die gemünfchte 
Bolllommenheit erreichen wird —, ijt darum vermieden worden, weil in 
ihm die Unterftimme oft unnatürlic beruntergebrängt, dadurch wirkungslos 
gemacht und mit der Zeit ruinirt, die Mittelftimme aber neben 2 andern 
Stimmen gefhmwädt und überhaupt der Einübung mehr Zeit und Kraft ges 
opfert wird, als das gewonnene Nefultat verdient.” jedem Hefte der 
widhtigen Sammlung ijt eine Allgemeine Monatsordnung der Lieder mit 
Bezug auf die Yibeln von Theel und Büttner, ſowie auf das Wegel’iche 
und das Müniterberger Volklsſchulleſebuch beigegeben. 


Nr. A. Ein vorzüglihes Singbuch, dazu beftimmt, unter der Jugend 
„das geſunde, hriftlich nationale Clement audy im Bollsliede zu feinem 
vollen Rechte zu bringen. Der Inhalt zählt 150 Nummern, geiſtlich 
und weltlihd. Die meiften Lieder find zmeiftimmig geſetzt, weil viefe ein- 
fachſte Harmonifirung dem Herausgeber als die dem Character des Volks⸗ 
lieded am meiften entfpredhend erjchien. Einiges indeß fteht jedoch drei⸗, 
Anderes vierftimmig für gemifchten Chor. 


5. Lieder und Gefänge mit Pianoforte-Begleitung. 


1. Album volksthümlicher beutfher und auslänbiicher Lieder, 
für mittlere Stimmlage, ein- oder zweiftimmig mit Glavier- Begleitung 
eingerichtet und zur Erheiterung im Familienkreiſe, fo wie zur Benußung 
bei dem Geſang⸗Unterricht zufammengeflelt von Earl Stein, SKönigl. 
Mufitdirector. Erſtes Heft, 21 Lieder enthaltend. Zweites Heft 20 Lieber. 
& Heft 10 Sgr. Potsdam, Riegel (Stein). 


2. Harmonia. Auswahl der befiebteften Volkslieder für Pianoforte und 
Belang. Herausgegeben und bearbeitet von $. E. Schubert. 12 Lieferun⸗ 
gen & 5 Sgr. Morig Schäfer im Leipzig. 


432 Geſang. 


3. Geiſtliche Pilgerlieder mit Melodien. Auf der Heimreiſe geſun 
von C. J. PA Breslau, Karl Dülfer. 12 Sr. gejungea 


4. Drei Lieder: 1. Auf Wiederſehn. 2. Das Muiterhaus. 3. Im Advent. 
Gedichtet vom Königl. Seminarbirector Herrn Kriginger, compomtt für 
Sopran oder Tenor mit Pianoforte-Begleitung von &. Henne. Op. 6. 
10 Sgr. Leipzig, C. Merfeburger. 


b. 6 Kleine Lieder für eine Singſtimme mit Pianoforte, von 
Mariud U. Brandts. Buijs. Haag. %. I. Weygand u. Eomp. Op. 14. 


6. Des Königs Ruf und der Köuigsfieg bei Königgrätz. Gedichtet 
von Hermann, für eine Gingfiimme mit Pianoforte componirt von 
9. Wehe. Op. 8. Nr. 1 und 2 & 5 Sgr. Magdeburg, Heinrichséhofen. 


Nr. 1.... „Faſt in jedem Familienkreiſe macht fih das Bebürfnig 
geltend, zu fingen und ein oder mehrere Glieder find vorhanden, weiche 
ein einfaches Lied mit guter Wirkung am Clavier vorzutragen im Stande 
find. Aber was follen wir fingen? lautet fafl immer die Frage. Die 
vorhandenen Sammlungen enthalten entweder fogenannte Gaſſenhauer, die 
in guten Familien nicht verwendet werden können, oder fie nehmen leine 
Rüdfiht auf Stimmmittel und Stimmbildung der Dilettanten..... 68 
erihien daher als ein Bebürfniß, vielen Umftänden Rechnung zu tragen 
und eine Liederfammlung herauszugeben, weldye in jevem gebildeten Familien⸗ 
treife verwendet werden kann; aber auch dem Gejanglebrer foll fie ein 
Hülfsmittel bieten, den Edler bald dahin zu führen, beliebte Lieber im 
häuslichen Kreife vorzutragen und das Intereſſe für eine eblere Geſangs⸗ 
rihtung zu fördern.‘ Go dad Borwort. Die Sammlung bietet nım 
wirklich ein aus Volksliedern, voltsmäßigen Kunſiliedern unb einfachen 
Dperngejängen zujfammengeftelltes Mepertoir für die genannten Zwede, das 
der Beadhtung und fleißigften Benußung volllommen würdig ift. Heft 1 
beginnt in diefer Weife: 1. Ad, wie ift 's möglid dann. 2, Run abe, 
du mein lieb Heimathland. 3. Der treue Johnie (Beethoven). A. Haiden: 
töglein (3. Schubert). 5. Aennchen von Tharau. 6. Lang iſt es ber 
(iriſches Vollslied). 7. Abjehied vom Rhein. (Ave, ed muß gejchieden 
fein). 8 Romanze aus: „Der Maurer“. Y. Kathleen Davourneen 
(iriſches Volkslied). So geht es weiter. Gewiß werden dieſe Hejte, denen 
noh 2 bis 3 andere folgen follen, Vielen willlommen jein. Schönes 
Papier und fehr deutliher Drud dienen auch äußerlich zu ihrer Empfehlung. 

Nr. 2. „Die Sammlung foll nit die unzähligen Liederbücher, denen 
zum Theil nur einfah die Melodien beigejellt find, vermehren; fondern 
fie fol einem oft ausgeiprochenen Wunſche abhelfen, indem fie die Lieder 
ältern und neuern Urfprungs, welche bis jetzt zerfteut waren, mit Zert, 
Melodie und Harmonie vereinigt bietet. Die beiden leßteren find fo 
innig vermwebt, daß fie bequem am Pianoforte ausgeführt und aud ohne 
Gefang als Lieder ohne Worte vorgetragen werden können, und da bie 
Melodie weder zu hoch noch zu tief gehalten ift, jo können dieſe Lieder 
auch in allen Streifen gejungen werben.” Unter diefen Angaben des Titels 
ift Die unrichtige, daß hier das Zerftreute zum erften Male gejammelt werde, 
da dies u. A. Schon in Fink's Hausſchatz und in Härtel's Liederlericon 
gefcheben if. — Die „Harmonia“ fchließt ſich an deſſelben Herausgebers 








Gefang. 433 


„Concordia an, enthält aber feine Melovie, welche bereits in jener aufs 
genommen ift. Die Auswahl ift eine überaus bunte: Weltliches und 
Geiſiliches „Volks⸗ und Kunſtlied, Haus: und DOpernmufil (leßtere jedoch 
nur in wenigen Nummern) wecjeln in, wie es fcheint, planlofem Durch⸗ 
einander mit einander ab. So bunt aber der Inhalt erjcheint, jo veich ift 
er auch. Wie das Volkslied in zahlreichen Nummern erſcheint, fo finden 
fih nit minder auch viele Stüde zur Bertretung von F. Schubert, 
Mendelsſohn, Meyerbeer, Küden, Lorbing, Kalliwoda, 
Reifjiger, Auber, Donizetti, Glud, Shumann, Eberwein, 
Händel, Belicien David, NRoffini, Spontini, Mozart, 
Kunz, Abt, Jäde, Schmidt, Müller, Schulze u. f. w. Meberall 
wird die Eingftimme von der rechten Hand gefpielt, wodurch freilich vie 
Driginalform mander Lieder verändert, aber auch gewiß Bielen ein 
eswünjdter Dienft geleiftet if. Die vorliegenden 6 Hefte enthalten 
110 Nummern mit vollftändigen Terten, immerhin genug für den Preis 
von 6mal 5 Silbergrofhen, wofür lein Menſch auch nur das Drittel bes 
Gelieferten abjchreiben würde. 

Ar. 3. Geiſtliche Dihtungen von ©. Knak, P. Gerhardt, 
M. Hiller, © F. P. Spitta, F. C. Schade, 9. 9. Frande, 
Car. Straube, €. ©. Woltersporf, M. Heußer, vesgleichen 
mebrere Pjalmenterte. Die Melodien find unjprünglih „ven Terten zu 
Liebe gefungen und für des Herausgebers eigenes Bedürfniß kunftlos aufs 
gefchrieben worben.” Auf den Wunſch von Freunden, bei denen die Lieber 
unerwarteten Anklang janven, find fie dem Drud in der Weiſe übergeben, 
‚mie der Componiſt ſich jelbft beim Gefange derjelben zu begleiten gewöhnt 
ift und feine Freunde fie befigen wollen.” Herr Göbel ift ein Dilettant, 
der fih der Gabe ver Melodie erfreut, und feine Weifen werden bei Vielen 
Ans und Nachklang finden. Die Begleitung leidet an zahlreihen Schwächen, 
die freilih den Dilettanten meiſtens nicht gerade flören, dem Künftler aber 
Steine des Anfloßes werden. Wie jhön wäre es, wenn bieje innigen 
Lieder in Betreff des Accompagnements durch die Hand eines Sachkundigen 
gegangen wären, ehe fie veröffentlicht wurden | — 

Nr. 4. Ernſte Lieder aus der beliebten Feder des Directors der 
Droyifiger Erziehungsanftalten, einfah und innig componirt von bem 
Mufitiehrer diefer Inſtitute. 

Nr. 5. Kunftliever von entſchiedener Driginalität für eine Altftimme, 
frei von verbrauchten Phrafen und mit unverlennbaren Anllängen tiefen 
Gemüths (Nicht für Kinder beftimmt.) 

Nr. 6. Bewegte Lieder aus fturmerfüllter Zeit, für Baryton oder 
tiefen Tenor gefebt. 


Neue Auflagen. 


7. Arion. Sammlung ein- und zweiſtimmiger Suner unb Gefänge mit leichter 
Bianofortebegleitung, bearbeitet von Bernhard Braͤßmig. Erſtea Heft. 
Preis 10 Sgr. Zweite Auflage. Leipzig, C. Merſeburger. 


Pad. Jahresbericht. XIX. 28 


434 Geſang. 


8. Bäntiig ‚nene Kinberlicber von Hoffmann von Fallersleben. 
ah Original- und befannten Weifen mit Klavierbegleitung von Ernft 
Nichter. Mit Beiträgen von Marz, Felig Mendelsfohn-Bartholby, Otto 
Nicolai, C. G. Beiifiger, Robert Schumann und Lonis Spohr. Zweiter, 
unveränberter Abbrud. Heidelberg, Fr. Baſſermann 18686. 


9. Sammlung beliebter Kinderlieder, in leichtem Efavierfaß bearbeitet 
and ber clavierfpielenden Jugend gewibmet von &. Eichler. Erfte und 
zweite Abtheilung, zweite verbeflerte Auflage. Gtuttgart, Ed. Hallberger. 


10. Muſikaliſcher Hausfhag ber Deutfhen. Eine Sammlung von 

1000 Liedern und Gefängen mit Singweiſen und Ciavierbegleitung, geſam⸗ 
melt und herausgegeben von G. Fink. Achte Gtereotyp-Auflage. 
Wohlfeile Ausgabe. In 10 Lieferungen & 6 Sgr., vollſtänbig 2 Thir. 
1. Lieferung. Altona, 1866. Haendde und Lehmtupt. 


Fr. 7, 8 und 9 gehören fämmtlich der Yugend, und zwar Nr. 7 
banptfählih den fihon etwas heranreifenden Töchtern, Nr. 8 und 9 den 
Kindern, wenn ſchon für Nr. 8 Mendelsſohn's jhönes, auch von 
Erwachſenen zu fingendes Duett: „Naiglöckchen und die Blüntelein‘ ans 
nahmsweiſe mit herangezogen ift. In Nr. 7 ift alles zweiftimmig zu fingen, 
in. Nr. 8 waltet die Ginftimmigleit vor, in Nr. 9 herrſcht fie ausſchließlich. 
Die Singftimme.wirb in Nr. 9, mit der rechten Hand geipielt, fo baß bie 
Lieder zugleih in ber Form allerleichtefter Clavierſtücchen ericheinen (denen 
bie Applicatur mit Sorgfalt beigefügt iſt); bei den Braͤhmig'ſchen Stüden 
finden ſich bald zwei, bald brei Beilen, während @. Richter, ver vie Be: 
gleitung häufig obligat auftreten läßt, überall drei Zeilen anwendet. An 
dee Auswahl der Lieder if etwas MWefentlihes nicht zu bemängeln, nur 
mödte es fraglich erjheinen, ob E. Eichler wohlgethan bat, vie Melodie 
aus Precioſa: „Cinfam bin ich nicht alleine“, der ein Naturliedchen unter: 
gelegt ift, ſchon in den Kreis der Fleinften Sänger zu ziehen. Rr. 8 
entbält töftliche Volkslieder, Nr. 7 viel Schönes und Edles aus verfchiedenen 
Gebieten. 

: Re. 10. Hier taucht alfo des feligen ©. ®. Fink „Muſilaliſcher 
Hausſchaß“ in neuer Ausgabe auf! Pie Sammlung iſt beadhtenswerth 
wegen ihrer großen Neihhaltigleit und enthält namentlih manches Volbs⸗ 
lied, das anderswo laum zu finden ſein dürfte. Als „Hausſchatz“ für 
Familien hat ſie aber doch nur einen zweifelhaften Werth, wie ſich dies 
3. B. ſogleich aus dem Hinblide auf Nr. 87: „Frauen⸗Treu“*) und 93: 
„Es ift nichts mit den alten Weibern‘**) ergiebt. Der Preis ift überaus 


billig geſtellt. 


“) V. 2. Adam, ber erſte Bater mein, 
Stimmet mit Allen überein, 
Da die Eva ihn verführen, 
Wo ber ganze Kal herruhren. 
's if gewiß und kein Gedicht: 
Drum traut nur Feiner Frauen nicht. 
“*), V. 3. Wer fo einen alten Schimmel 
ah fein bat, vebe 
rißt ein junges Leben 
Und kommt früh in fein Grab. 





Geſang. 485 


QNachtrag. 


1. Sängerhain. Sammlung heiterer und ernſter Geſänge für GEymnafien, 
Real⸗ und Blrgerſchulen. Herausgegeben von Gebrüdern Friedr. und Lu 
Erk und W. Greef. Erſtes Heft. Neue Ausgabe, 98 ein⸗, zwei⸗ und 
breiftimmige Gefänge. 14. (Stereoty)-Auflage. Eſſen, © D. Bäpeder. 
1866. gr. 


2. ° Zwanzig breiffimmige Franenchſre von verfhiebenen Eom- 
poniften. Herausgegeben von Benediet Widmann. Leipig, Carl 
Merfeburger. 6 Sgr. 


3. Archiv für geiftlihen Männergefang, enthaltend Choräle, Hymnen, 
Motetten und Cantaten aus alter und neuer Zeit. Kür Seminarien, höhere 
Gymnaſialklaſſen und Männergefangvereine herausgegeben von Bernhard 
Braͤhmig. Heft I. (38 Nummern.) 12 Sgr. Leipzig, Earl Merfeburger. 


4 Sangopfer an den Gräbern unfrer Lieben. Eine Sammlung 
von fogenannten Arien, Motetten und Chören für Beerbigungen und Ges 
dächtnißfeiern. Für den Männerchor heransgegeben von Friedrich Auguft 
Leberecht Jacob. Breslau, Marufchle und Berendt. 


5. wei Palme, 13 unb 23, vierfimmig für gemijchten Chor von Fr. 
eld. Berlin, C. Rand. 10 Sgr. netto. Jede einzelne Stimme 2 Ger, 


Nr. 1. Die 14. Auflage eines Lieverbuches Spricht für ſich felbft, 
und fo fei nur bemerkt, daß in biefem 1. Heft „muftergültiger, lebens: 
friiher und bewährter Gejänge aus dem reichen Liederſchatze des beutfchen 
Volles“, Lieder für den nicht-gemifchten Chor — für Sopran und Alt (oder 
aud für lauter Männerftimmen) in eins und mehrftimmiger Bearbeitung 
gegeben find. 

Nr. 2. Es haben dieſe Gefänge von Simon Schaub, C. 9. 
Siiher, 3. ©. Hauff, Heinrich Fidelis Müller und B. Wid— 
mann jelbit, neben ihrer dichteriſchen und mufilaliihen Berechtigung den 
wichtigen Vorzug vor manchen andern Frauenchoͤren, daß die Unterftimme 
nirgends nad den tiefiten Tönen hinabgebrängt wird. 

Wichtig für böbere Töchterjhulen, Lehrerinnenjeminare ꝛc. 
Der niebrige Preis wird die Anſchaffung erleichtern, der wohlberechtigte 
Inhalt des Werkchens viele Sängerinnen gewiß bald mit bemfelben 
befreunden. 

Nr. 3. In dem vorliegenden 1. Hefte find zunörberft die kirchlichen Feſt⸗ 
zeiten bedacht, Gefänge allgemeineren Inhalts jedoch nicht ganz ausge⸗ 
ſchloſſen. Auf 96 Seiten in gr. 8. werden zu fabelhaft billigem Preije 38 
geiftlihe Stüde aus alter und neuer Zeit (aus letzterer fat nur Originals 
ſachen, vie bisher nicht gebrudt waren) in treffliher Auswahl gegeben. 
Die Sammlung gehört zu den reichhaltigften und gebiegenften ihrer Art 
und wird in Seminarien, Lehrervereinen, kirchlichen Männerhören ıc. ohne 
Zweifel eine ihrem Werthe entfprechende Stellung gewinnen. 

Nr. 4. In diefem Werle nun, dem vollftändigften feiner Art, 
bat der Herausgeber feinen oft ſchon vocumentirten Beruf des unermäblichen 
Sammelns, forgjältigen Sichtens und ſachkundigen Geftaltend aufs Neue 
bejtens bewährt. Da für dergleihen Caſualmuſik dem Cantor oft wenig 
Beit zu Gebote fteht, und doch nicht felten die Amtshandlungen, bei denen 

28” 





486 Gefang 


ſolche Gejänge verlangt werben, einander raſch folgen: jo mwurben ſchon 
aus diefem Grunde ein und derſelben Compofition mehrere und verſchiedene 
Terte beigegeben, was die allgemeine Brauchbarfeit der Sammlung wejent: 
lich erhöht. 

Nr. 5. Mit einem edlen Ernfte des Styls und tadellojer Klarheit 
des Satzes vereinigen diefe Pfalmen den Vorzug leichteiter Ausführbarteit, 
fo daß fie von jedem, nicht ganz im rohen Zuftande befindlichen Landchore 
gefungen werben können. Möge der Componift fortfahren, dergleichen Ge: 
fänge zu liefern! 


Unhbang 


Theorie und Geſchichte der Mufil. Orgel:, Clavier: und 
Biolinipiel. 


A. Theorie und Gefchichte der Muſik. 


1. Die Kunft im täglichen Leben. Ein Streifzug von Emil Frommel. 
Barmen, W. Langewieſche. 1867. 12 Sgr. 


2. Syßem der Tonkunſt von Dr. Eduard Krüger. Leipzig, Breitlopf 
und Härtel. 2 Thlr. 24 Sgr. 


3. Einleitung in bie Helmbolt’ihe Mufiltbeorie. Populär für - 
Mufiter bdargefiellt von Ernft Mad, o. d. Profeſſor ber Phufll an der 
Univerfität zu Graz. Mit 14 Holzfchnitten im Tert und zwei Tafeln. 
Graz, Leuſchner und Lubensky. 1867. 


4. Syſtem der muſikaliſchen Akuſtik. Zur Belehrung für jeden gebil⸗ 
beten Freund ber Muſik von Dr. A. Ebrard. Mit dem Motto: Rerum 
cognoscere causas! Erlangen, Andreas Deichert. 1866. 15 Ser. 


5. Lehrbuch ber mufitalifhen Eompofition. Verfaßt von Auguft 
Neißmann. Erſter Band. Die Elementarformen. XII, 374 und 18. 
Zweiter Band. Die angewandte Formenlehre. IV, 461. Guttentag in 
Berlin. 1866. 6 Thlr. 


6. Theoretiſch⸗praktiſche Harmonie» und Mufillehre, nah päba- 
gogifhen Grundſätzen nebft fpecieller und ansführliher Behandlung der 
garmonien ber Kirchentonarten bearbeitet. Bräparanden, Geminariften, 

ehrern, Organiften und Freunden ber Tonkunſt gewidmet von Leopold 
Heinze, Königlihem Seminar und Wufifiehrer. Ober-Glogau, Heinrich 
Handel. 1867. 1 Thlr. 


1. Generalbaß-Uebungen nebfi furzen Erläuterungen Eine Zu⸗ 
gabe zu jeber Sarmonielehre, fyftematifch geortnet von Benediet Wid⸗ 
—* Zweite vermehrte Auflage. Leipzig, Verlag von Carl Merſeburger. 

gr. 


8. Muſikaliſche Elementarlehre mit ahtunbfünfzig Aufgaben. 
Für den Unterriht an öffentlichen Lehranftalten unb ben Eelbftunterricht 
bearbeitet von Ludwig Bußler. Berlin, Adolph Stubenraud. 


9. Leitfaden ber allgemeinen Muſiklehre für Mufikinftitnte, 
Seminare und zum Selbflunterridt. Bon Wilh. Irgang, Inhaber 
der Mufilihule in Görlitz. Dritte Auflage. Görlig, Guf. Köhler. 10 Ser. 


Gefang. | 437 


10. Die Orgel, ihr Bau, ihre Geſchichte und Behandlung. Bon 
F. C. Schubert. Leipzig, C. Merſeburger. 1867. 9 Sgr. 

11. W. A. Mozart als Claviercomponiſt, von Dr. Franz Lorenz. 
Breslau, F. E. C. Leuckart (Conſtantin Sander). 1866. 12 Sgr. 


12. Joſeph Haydn Ein Lebensbild, nach autbentifhen Quellen bargeftellt 
von &. Albert Ludwig, Eantor zu Niedergebra in Thüringen und Inhaber 
der Herzoglich Naffauiihen Verbienfimebaille für Kunft und Wiflenfchaft. 
Norbhaufen, Adolph Büchting. 1867. 

13. Dr. Johann Gottlob Töpfer, Profeffor ber Muſik am Großherzogl. 
S. Schullehbrer-Seminar und Organift an ber Haupt» nnd Stabtlirdhe zu 
Weimar. Eine biographifhe Skigge von U. W. Gottſchalg. Weimar, 
T. F. A. Kühn. 

14. Taſchenbüchlein bes Muſikers. Erſtes Bäudchen. Enthaltend: eine 
vollſtändige Erklärung der in ber Tonkunſt gebräuchlichen Fremdwörter, 
Kunſtausdrücke und Abbreviaturen, ſowie die Anfangsgründe des Muſik⸗ 
unterrichts und manches Weſentliche aus ber Theorie. Für Muſiler und 
— ber Tonkunſt herausgegeben von Paul Frank. Fünfte Auflage. 

eipzig. €. Merfeburger. 1866. 44 Sgr. 


Nr. 1. Der Verfafler it „kein Profefjor der Aefthetil, ſondern ein 
im praktiſchen geiftlihen Amt ftehender Mann, der ed den ganzen Tag über 
weit mehr mit Perfonen und Dingen, als mit Begriffen zu thun, und 
weit eher mit der bittern Wirklichkeit, als mit ber rofigen Spealität feine 
Begegnungen hat.” Man foll darum nicht „hohe Definitionen über Schön: 
beit und Kunſt“ von ihm erwarten, fondern Grörterungen über die Kunft 
als eine ſittlich-ſociale Lebensmadht. Aus Vorlefungen, in mehreren 
Städten am Rhein gehalten, ift das Büchlein entftanden. Seinen Stand: 
punlt bezeichnet der Autor mit den Worten feines Bruders (dem die Schrift 
gewidmet ift): „So mahr das Wort if: ‚Eins ift Noth!‘, jo wahr ift 
jenes andere: ‚Alles ift Euer!‘ Himmel und Erbe, Natur und Gefdhichte, 
Kunft und Wiſſenſchaft, Vergangenheit und Zukunft, erjchließt fi ber 
wahrhaft riftlihen Weltanfhauung. Den allmächtigen Gott zu feinem 
innerften Centrum und die ganze, große, meite Welt zu feiner ‘Peripherie 
zu haben, das ift der chriftlihen Bildung Grund und Biel, das ift ihre 
Einfeitigleit und ihre Allfeitigleit.” Keinen wird es gereuen, dem Heraus: 
geber auf vem Wege, den er durch Straße, Haus, Stube, Kirche und 
Schule mit feinen Lefern gebt, und wo er von Bildern und Bildwerken, 
von Dingen der Bau: und der Tonkunſt belehrend, anziehend und anregend 
bald mit einem gewiſſen Humor, bald mit tiefem Ernſte redet, zu folgen. 

Nr. 2 ift „ver Erkenntniß derjenigen Kunſt gewidmet, die heute über 
alle die berrihende genannt wird und es wirklich ift, indem ihre meit 
reichende Kraft ſich äußert zum Heil und Verberben der Seelen, bauend 
und löfend, erfriſchend und zerrüttend. Es ift die Wunderwelt ber flüch⸗ 
tigen Quftgeftalten, die vom Gemüth ausgeht und den Verſtand gefangen 
nimmt, dem fie zuerjt raͤthſelhaft unbegreiflich erjheint, bis er ſich entſchließt, 
fie nad) feiner Meife zu enträthfeln, und fie dann nad ihrer endlichen Seite 
bin auch wirklich verftehen lernt.“ 

„Bedürfniß nach verftändiger Erlenntniß ift unzweifelhaft vorhanden. 
Es thut fih fund in Frage, Kampf und Barteiung ... Beide Richtungen, 


438 | Geſang 


die des thätigen und ſchauenden Seelenlebens, finden Antwort in practiſcher 
oder theoretiſcher Lehre: jene das Errungene ſichernd und mehrend, dieſe 
deſſen Bedeutung öffnend oder die fchöpferiihe Kunſt lehrhaft begründend. 
Beide Richtungen, für fi einſeitig, ſuchen in dunklem Triebe die ver: 
nünftige Erkenniniß, um ihrer legten Gründe gewiß zu werben und 
ihrer felbt Duelle und Mündung oder Urfprung und Zweck zu begreifen.‘ 
Und zu diefer Erlenntniß eben fol das Werk dem Lefer verhelfen; es will 
„die ſchwebende Luftgeftalten ftanpfeft maden, daß fie unfern Fragen Rede 
ſtehen.“ Die Gliederung des Ganzen gründet fi darauf, daß der äfthe 
tifhen Wiſſenſchaft obliege zu unterfuhen: die Naturlebre, die Kunfllehre, 
die Ideenlehre der Tonkunſt. „1. Bon der Naturlehre ift nur ein 
Abriß gegeben, nämlih naͤchſt den mathematifhen Grundlagen die phyſio⸗ 
logifhen und pſychologiſchen Erſcheinungen, auf deren Grunde erft die 
menſchliche Tonübung möglih if. Die Betradhtung der natürlichen 
Glemente in Rhythmus und Harmonie gebt über zur Nachweiſung der 
menſchlichen That auf dem Naturgrunde; es ift Natur und Geift in 
Tönen, was den Inhalt des erften Buches ausmacht. 2. Die Kunftlebre 
gliedert ih in a) GSlementarlehre: Melodie, Harmonie, Rhythmus, an fi 
und in Wechſelwirkung; b) Yormenlehre: Vocal und Inftrumental; — 
Schweifende, feſte, überfchreitende (cycliſche) Formen. 3. Die Ideenlehre 
würde nun auf dem Grunde jener natürlichen und künſtleriſchen Lehrge⸗ 
baͤude den Zuſammenhang der Einzelkunſt mit dem Geſammtleben des Gei⸗ 
ſtes philoſophiſch erbauen müſſen, um zu dem TeAog, dem ethiſchen Ziele 
des Kunſtlebens, zu gelangen. Zu ſolchem Werke ſind ahnungsvolle Anfänge 
in vielen Lehrſchriften zerſtreut, mit deren Hülfe ein wiſſenſchaftliches Ban: 
zes zu erbauen noch lange Mühen Eoften wird. Dieſes Ganze würde bie 
Lehre oder Urfprung, Uebung und Biel von ’Aoyn, Texyrn, Telog in 
ein Geſammtbild faſſen, deſſen Gleihen für heute unmöglich ſcheint. Da 
wir ſolche lüdenlofe Vollſtändigkeit alfo nicht verfpredhen und leilten können, 
durch aphoriftifches Gerede aber die Menge .ver verfehlten Kunſtbetrachtun⸗ 
gen nicht vermehren wollen: fo lafien wir und bier vorläufig genügen an 
den gelegentlich eingeflochtenen hiſtoriſchen und teleologifchen Andeutungen, 
die den Liebhaber in das Gebiet einführen, den Künftler zu weiterer For 
{hung anregen mögen.‘ 

Siermit ift des Buches Weſen, Zmwed und Plan für unfere Leſer 
wenigſtens im Allgemeinen bezeichnet. Daſſelbe zählt 500 Seiten in gr. 8. 
mit ſehr vielen Notenbeiſpielen und liefert in eben jo geiſtvoller als gründ⸗ 
licher Weile Dasjenige, mas man gewöhnlih etwa als Allgemeine Muiil: 
lehre, SHarmonielehre, Drganenlehre und Formenlehre aufzuführen pflegt. 
Künftler und Dilettanten, den einfahen Schullehrer nicht ausgefchloffen, 
falls er feine Mufit mit Fleiß erlernt hat, werben bingerifien von dem 
Eindrude, den_die Fülle, Neuheit und Originalität des Gegebenen madıt, 
dieſes hochbedeutſame Werk nicht anders als mit dem lebhafteften Intereſſe 
ſtudiren können, und es dürfte Wenige geben, denen diejes Studium nicht 
einen reihen Gewinn brädte. 

Tr. 3. „Die von Helmholß in feinem berühmten Werke (Die Lehre 
von den Tonempfindungen als phufiologiihe Grundlage für die Theorie der 


Geſang. 439 


Muſik Braunſchweig 1863) dargelegte Muſiltheorie, welche die Geſetze der 
Tontunſt auf einſache phyſikaliſche und phyſiologiſche Geſete gründet, vie 
Akuſtik, Die Muſiktheorie und bie Aeſthetik mit einander in Beziehung ſetzt, 
ift eine „epochemachende Verbindung fcheinbar ſehr ungleichartiger Wiſſen⸗ 
ſchaften“, wie vergleihen heut zu Zage nicht mehr felten find. Die Lectüre 
des Helmholt'ſchen Werkes bat jedoch für den Mufiler, für welchen es 
zunächſt beftimmt ift, ihre Schwierigkeit. Freilih, wer zufällig Phyſiker 
und Muſiler zugleih ift, wird das Werk fehr klar und leiht finden. 
Anders muß jebod dem zu Mutbe fein, welchem phyſikaliſche Betrachtungen 
fremd find. Gr findet auf jeber Seite Neues in Fülle, er weiß dies nicht 
zu orbnen, das Weſentliche vom Unweſentlichen nicht zu ſcheiden und ver: 
liert zuleßt den Faden.” un. 

Profeſſor Mac hat nun „verfucht, die fhönen Unterfuhungen von 
Helmholtz jenem Kreiſe gugänglicher zu machen, für welchen fie eigentlich 
beitimmt find.” Cr bat „viefenigen Punkte hervorgehoben, welde für ben 
Mufiler wihtig und praltiih find. Alles Phyſikaliſche und nicht ftreng 
zur Sache Gehörige wurde möglihf vermieden. Ueberall wurden bie dem 
Mufiter geläufigen Borftellungen zu Hülfe gezogen. Die Darftellung be: 
wegt fih in moͤglichſt mufilaliicher Sprache.“ Auf 98 ©. werben populär 
und äußerft anziebend behandelt: Der Schal. Der Klang Das muſi⸗ 
taliihe Hören. Die Klangfarbe. Die Verwandtſchaft ber Klänge. Der 
Bufammenllang Die Harmonie. Die Harmoniefolge und die Stimmfüh- 
rung. Die veine und die temperitie Stimmung. — So wird von dem 
Verfaſſer der wichtige: Zived verfolgt, die H. Theorie ven Diufilern geläufig 
zu machen, zwiſchen ihnen und den Phyſikern „vie Brüde zu bauen.” . 

Ne. 4. Ebenfalls eine populäre Schrift, welche aber fpeciell die 
WUluftil behandelt. Hervorgerufen ift fie duch die Wahrnehmung,. daß in 
unferer Zeit, die es liebt, ſich über die phufilaliihe Grundlage ver uns 
umgebenden Erſcheinungen belehren zu lafien, gerabe über das Weſen bes 
Zoned und der Mufil in der Regel nur bürftige, theilweiſe ſogar poſitiv 
unrichtige Säbe verbreitet find, — daß die größeren Werte über dieſen 
Gegenſtand ſich weder als leicht zugänglich noch leicht verſtaͤndlich erweifen, 
das Wenige, was man in den Handbüchern der Phyſilk findet, nicht genügt, 
und alfo das Bedürfniß populärer, dabei jedoch ausreichender Belehrung 
über die muſikaliſche Akuſtik vorliegt. Zum Verſtändniß der Schrift genügt 
vie Belanntihaft mit den Anfangsgrüinden der Buchitabenrehnung. Auf 
106 S. bebanbeln Abſchnitt I. (in 3 Kap.) Phyſilaliſche Grund: 
lagen, Abjchnitt II. (5 Kap.) Das Syſtem der Intervalle, Abſchnitt III. 
(2 Kap.) Die Addition der Saitenlängen und die phyſilaliſche Conſonanz, 
bin IV. (4 Rap.) Die Urfahen und das Weſen des harmoniſchen 
Wohlklangs. Gine Neihe von Zeichnungen dient zur Veranſchaulichung 
einzelner Lehren. 

Ne. 5. Im dem Vorworte des I. B. weiſt der Verfaſſer zur Be⸗ 
gründung der Nothwendigkeit der Compoſitionslehre nach, daß die 
Anſicht, das Genie könne der Unterweiſung entbehren, auf der vollſtändig—⸗ 
fen Unkenntniß des inneriten Organismus bed Darliellungsmaterinls , wie 
feines DBerhältnifies zum Inhalt berube.... „Wer ven Organismus 





440 Gefang. 


einer Sprache nicht Iennt, gar nicht oder nur mangelhaft fennt, wird fidh, 
und wäre er der genialfte Menſch, entweder gar nicht, oder doch nur man- 
gelhaft offenbaren können, jelbft wenn ihm jämmtlide Bocabeln ber Sprache 
zu Gebote fländen. Das gilt auch vollfiändig vom ſchaffenden Künftler. 
Auch ihn wird nur die vollftändigfte Kenntniß der eigenjten Natur feines 
Darftellungsmateriald befähigen, ih durch daflelbe zu offenbaren. Zudem 
fol ver Künftler jein Ideal nit nur fund thun; er foll ed nicht mur 
darlegen, fondern er fol es uns plaftijch geftalten, er foll es in 
fünftlerifden Formen darftellen.. Wie will er das, wenn er bie Geſetze 
nit Tennt, unter denen das Material, mit dem er bilden und formen joll, 
fih zufammenfügt? — Dieje Kenntniß und Einſicht foll und 
muß ibm die Compoſitionslehre vermitteln. Sie ſoll ihm 
die ganze Reihe von Erperimenten erfparen, welde die 
Meifter und Theoretiter vergangener Jahrhunderte ange: 
ftellt haben, um die innerfte Natur ihres Materials zu 
ergründen; fie foll ihn vor den Jrrwegen bewahren, welde 
auch das Genie gehtin vem Wahn: die rehte KRunftgeftaltung 
zu finden...... Die Kunftlehre kann nicht eigentlich unterweijen im 
Schaffen, fonden nur im Formen; dies aber ift die nothwendige, 
unerläßlide Borbebingung für jenes...“ Der Plan bes vorliegenden 
Werkes ift num folgender: An die unterfte, dem ganzen Formationsprozeß 
zum Orunde liegende Geſtaltung, die diatoniſche Zonleiter, antnüpfend, 
legt der Berfafier dar, wie Melodie und Rhythmus Ah künftlich 
ſchaffend ermweifen und bier ſchon die Formen des Liedes, des Marſches 
und Tanzes in ihren äußerftien umwandelbaren Grundriſſen entftehen, 
und daran knüpft fih ganz naturgemäß bie Lehre von den Formen bes 
tünftlerifchen Contrapunttes, fomweit fie fih aus der melodiſchen Gntfal« 
tung des Materials ergeben. Die Verfolgung des harmoniſchen or 
mationsprozefies liefert dann neue Mittel, jene typifchen Formen zu erwei- 
tern, reicher auszuftatten und umzugeftalten, und giebt zugleich die weitere 
Anleitung: die volle Erkenntniß auch jener andern beiven Mächte: Melos 
bie und Rhythmus in ihrer gegenfeitigen Einwirkung auf die Harmos 
nik zu vermitteln. Dies der erfte Band. Der zweite bebanbelt die 
Bocalformen: Lied, Chor, Hymne, Motette, Arie und Enfemble; die 
Inftrumentalformen: Tanz, Rondeau, Ouvertüre, Sonate und 
Symphonie; dann die dramatiſchen Formen: Gantate, Oratorium 
und Dper, und bierbei erft kommt auch das bereits vorhandene 
Kunſtwerk in Betracht. Der dritte Band wird eine möglihft voll: 
fländige Inftrumentationslehre geben. — In dem ganzen Plane ift 
ed geboten, daß nicht eigentlich Regeln für die Conſtruction des Kunſtwerks 
aufgeftellt,. fondern die ewigen Geſetze ergründet werben, nad denen es fi 
formt. Nur fo wurde ferner das SHerbeiziehen der Aluftit als Hülfswiſſen⸗ 
ſchaft nothwendig, wobei fi der Verfaſſer auf die unumftößlichen Reſultate 
der Helmholtz'ſchen Unterfuhungen fügen konnte. 

Das Wert ift ein fiherer und zuverläffiger Führer beim Studium ber 
Eompofition für Jeden, der damit Ernſt machen, nicht blos auf gut dilet⸗ 
tantiſch ein wenig naſchen will. Mit der Gründlichleit ver Lehre und dem 





Geſang. 441 


Reichthum ber Beiſpiele verbindet ſich ber Vorzug faßlicher, präcifer und 
zugleich anregender Darftellung. 

Uebrigens iſt dieſes Lehrbuch ganz unverkennbar nach dem Vorbilde 
des berühmten gleichnamigen, bahn brechen den Werles von A. B. Marr 
gearbeitet und Herr Reißmann würde nur eine Pflicht der Pietät erfüllt 
haben, wenn er feines großen Vorgängers mit einigen ehrenden und dank⸗ 
baren Worten gedacht hätte. 

Ar. 6. Ein recht brauchbares Buch für Latholiihde Seminare und 
Präparanden:Anftalten, dem man es überall anfieht, daß es auf dem Boden 
der praltiichen Lehrthätigleit gewachſen tft. Der Abjchnitt über bie Kirchen: 
töne und den Fatholifchen Choral ift mit befonverer Grünblichleit und einer 
ſehr erwuͤnſchten Ausführlichteit behandelt. Ein zweiter Theil fiebt im 
Ausfiht, und foll derfelbe „allen anderweitigen Belehrungen, wie fie der 
gefammte Mufitunterricht im Seminar bevingt, Rechnung tragen.” 

Rr. 7. Dieſe „mufitalifhe Beiſpiel-Grammatik“ wird, 
wie der Zitel andeutet, neben jeder Harmonielehre mit Ruben gebraucht 
werben lönnen, zumal da ber Verſaſſer zahlreiche Erläuterungen, Aufgaben 
und Yingerzeige giebt. Das Ganze enthält eine ſehr große Anzahl beziffer: 
ter Bäfie (theild mit, theils ohne den Ausſatz) von den einfachſten An: 
fängen an bis zum Accompagnement des Recitativs hinauf. In der Ans 
lage dieſes Mebungsftoffes bat fi der Verfafler auf den gegenwärtigen 
Standpunkt der mufilaliihen Theorie geftellt und das „Lehrbuch der Har: 
monie von E. 3. Richter‘ zum Wegmweifer genommen, auf das er für 
hlle Fälle verweift, wo vie den Uebungen beigefügten Bemerkungen nicht 
genug Aufſchluß geben. Yür die neue Auflage hat das Werken mander 
lei Berbefierungen erfahren, während ed zugleich durch verſchiedene Zugaben 
vermehrt wurde. 

Ar. 8. Eine fehr vollfländige und zugleich präcife Allgemeine Mufit: 
Iehre, mit firenger Ausſcheidung alles deſſen, was der Compofitionslehre 
und der eigentlihen Mufifwifienichaft angehört. Auf 84 eng gebrudten 
Seiten wird in 137 Paragraphen mit vielen Notenbeifpielen das gegeben, 
was Sjeber, der Muſit treibt, obne Componift zu jein, aus der Kunſilehre 
wiſſen follte, um „mit Bewußtſein“ zu muficiren. Die Aufgaben dienen 
zur Befeſtigung und Crgänzung des Grlernten. Als Beijpiele mögen 
dienen: 3. Noten mit Beitimmung ihres Werthes lefen. 18. Die Namen 
fämmtlier Barallel-Tonleitern auswendig lernen. 31. Gegebene große und 
Heine Intervalle beftimmen. 44. Zu gegebenen Grundaccorden die Um: 
tehrungen bilden. 57. Bildung des übermäßigen Sertaccordes auf allen 
&romatifchen Stufen. 

Nr. 9. Ebenſalls ein ganz brauchbares Werkchen, das auf 47 Seiten 
kurze und faßliche Belehrung giebt über: Zonfpftem, Notenfyitem und 
Schlüffel, Verfegungszeihen, Intervalle u. ſ. w. bis zu den alten Ton» 
arten bin, dann nod auf 20 Seiten fih äußert (allerdings meiſt nur 
apboriftiih) über Entftebung und Benenmung der Mufit, Gehör, Inſtrumente, 
Ton, Harmonie, Homophon und Polyphon, Entftehung der Zonftüde, 
Muſikgeſchichtliches, Compofitionzftyle, Elafficität und Modernität, Kunſt⸗ 
ausdräde. Der Berfafier fagt im Borworte: ... „Da die Tonkunſt im 


. 


442 Geſang. 


allgemeinen Bewußtſein mädtig emporgehoben und durch bie Geiſtesrichtung 
der Neuzeit zu einer höhern ſyſtematiſchen Ausbildung gebracht, mithin als 
etwas allen andern geiftigen Beitrebungen Gleichberechtigtes und Gbenbür⸗ 
tiges bingeftellt wurde, ift es an der Beit, daß felbft auch die Mufitjchüler, 
welche ih nur zum foliden Dilettantismus beranbilden, die Mufit ven 
einer ernfteren Seite auffajjen und fie nicht als rein finnlichen 
Beitvertreib pflegen und üben. Kunftbildung und Nunftlehre bedingen ſich 
gegenſeitig.“ Das ift richtig, erfordert aber freilich mehr, als ein Büchlein 
von dem Umfange des vorliegenden geben Tann. 

Nr. 10 ift geeignet, dem Präparanden und Seminarifien die erften 
Begriffe vom Organismus der Orgel beizubringen, giebt dabei mande ans 
siebende biftoriiche Notiz und Orgelipiel, Regiftrirung, Ehoralweien x. und 
enthält im Anbange allerlei „Merkwürdige Epifoden und Curioſa aus dem 
Leben berühmter und unberühmter Orgelfpieler.‘ 

Nr. 11. Im Hinblid auf die Thatſache, daß Mozart ſehr bobe 
Yorberungen an den Glavierfpieler flellte, daß er eigene ober fremde Com: 
pofitionen in unerreihbarer Vollendung vortrug, daß er endlich als Impro⸗ 
vifator am Inſtrument eine der außerordentlichſten Erſcheinungen war, 
welche die Kunſtgeſchichte kennt, daß er als folder den entzüdten Zuhörern 
Genüfle bereitete, wie fie nur ein Genius Sterblihen geboten bat, — im 
Hinblid hierauf, fagt der Berfafier, follte man mit Recht erwarten, daß 
auch Alles, was Mozart für diefes Inſtrument allein oder in Begleitung 
anderer Stimmen geichaffen, durchaus zu den vöorzüglichiten feiner Tone 
fhöpfungen zählen werde. „Dem ift aber nicht fo, nirgends tritt bie 
befremdende Ungleihartigteit in Form und Gehalt. greller hervor, ald gerade 
bei den Clavierwerlen dieſes Meilterd. Die Lölung dieſes Räthſels im 
Sinne der Gerechtigkeit und Wahrheit, und damit zugleih auf eine für 
Mozart ebrenvolle Weife, ift der Gegenſtand der vorliegenden Schrift, die 
darum bei der jegigen allgemeinen Berbreitung namentlich der Glavierfonaten 
des Meiſters Vielen ein Intereſſe gewähren wird, zumal da fie nicht wenig 
des Bebeutfamen über Mozart's Weſen und Leben überhaupt, ſowie über 
Haydn, Beethoven und andere feiner Zeitgenofien und NRadyfolger enthält. 
Der Verf. geht bei feinen Grörterungen von dem Grundfape aus, „naß man 
bei ven Werten Mozart’s, um fiegerehtzu beurtbeilen, vor 
allen Andern erft forfhen und unterfuhen müſſe, ob er fie 
zu befiimmten gelegenheitliden Bweden, für gewiſſe Per— 
jonen, oder fo gejhrieben habe, mie fie ihm von feinem 
Genius eingegeben worden, wie fie den Idealen, die ihm 
in den verfhiedenen Zweigen feiner Kunft vorgefhwebt, 
entfprehend gewesen find.” 

Ne. 12. In der gut gejhriebenen Einleitung gebt der Verfäfler won 
Betradhtungen über das Weſen menjhliher Bildung, über die Zwede und 
Biele der Geiftesthätigleit aus und wird dadurch auf die Muſik und ibre 
Bedeutung für unfer inneres Leben geleitet. Er prüft die verfchiedenen 
Anfihten hierüber und bezieht fih am Schluſſe zur Darlegung wer 
jeinigen auf A. BO. Marr wie folgt: „.... Und wenn 4. B. Marr 
ben rechten Bielpunft ber Muſik in der Freude an der Kunſt und 








Geſang. 443 


daraus folgernd in einer geiſtigen Antheilnahme an derſelben 
findet, wenn er darauf dringt, ſich recht in bie Kunſt hineinzuleben, ſich 
recht ihr zu eröffnen, ſich die rechte Bildung für fie zu erwerben; wenn 
eben verjelbe Mufilgelehrte es rügt, daß nur zu häufig in den Böglingen 
der Technik, in unfern Birtuofen und PBirtuofitätsdilettanten, in unjern 
Generalbaffiften und Aeſthetikern der unzulänglichfte Begrifi von Kunft, die 
mattefte Theilnahme, die meitefte Abwendung von ihrem Weſen und ihren 
Werken zu finden ift: fo wollen wir darin eine Mahnung von ber rechten 
Seite, von dem richtigen Manne jeben, daß wir die Tonkunft für dieſen, 
von ihm und mit warmem Herzen bezeichneten Bielpunft gebrauchen und 
je nad den Berufsverhältnifien ausbeuten.” ... „Wie wir Mufiter die Kunft 
auffaffen, jo ift fie uns; mie wir fie pflegen und wirken lafien, jo wirt 
fie.” An diefen Sag von Marr knüpft er den Ausſpruch: ... „Immer 
wird e3 ein mächtig wirlendes Mittel der Bildung fein, wenn das Leben 
und Wirken großer Männer aus der fernen Bergangenheit dem Gedaͤchtniß 
und dadurch dem Bewußtſein des gegenwärtigen Geſchlechts ald ein Gegen: 
ftand innerlihfter Erfajlung vorgeftellt wird... . „Und in diefem Sinne,” 
fährt er fort, ‚„‚wolle man auch gegenmärtiges Lebensbild Joſeph Haydn 
nehmen. Die Biographie felbft umfaßt 200 Seiten, und es find für 
diefelbe außer den nambafteften lericaliihen Werten und den mannichfachſten 
Beitichriften die betreffenden Schriften von Griejinger, Dies, v. Wurz: 
bad und v. Karajan benugt. Das Bud ift mit der Begeifterung eines 
Künſtlers und zugleih mit der objectiven Ruhe des Hiftoriters gefchrieben 
und verdient, von Alt und Jung gelejen zu werben, wie e8 denn nament: 
lich aud keiner Seminarbibliothet und keinem Lehrervereine fehlen jollte. 

Nr. 13 iſt auf Anlaß des am 4. Juni gefeierten goldnen Amtsjubi⸗ 
läums Dr. Zöpfer’s verfaßt und erhält dadurch eine doppelte Bedeutjamleit, 
daß bier nicht nur das Leben des berühmten Tongelehrten und Zonkünftlers 
von Meifterhand gezeichnet, fonvdern der Lefer auch mit den Fundamental: 
lehren feiner Theorie des Orgelbaues belannt gemacht wird. 

Nr. 14. Nachdem diefes Büchlein in fehr kurzer Zeit 5 Auflagen 
erlebt bat, jo dürfte es den wenigften unferer Leſer noch unbelannt jein, 
Für diefe wenigen fei indeß bemerlt, daß es — nad) einer anregenden 
Einleitung, einem Verzeichniß empfeblenswerther Schriften über Muſikwiſſen⸗ 
Ihaft und einer Darlegung der Elemente der Allgemeinen Mufillehre — 
auf 119 Seiten ein ziemlich umfafjendes Diufillericon für Lehrende und 
Lernende giebt, das nad allen Richtungen bin auf Befragen genügende 
Auskunft in gebrängter Form ertheilt, wobei namentlih aud die Kunſt⸗ 
erfheinungen, Erfindungen, Verbeſſerungen ꝛc. der Neuzeit ihre Verüdſich⸗ 
tigung finden. 


B. Orgelmufit. 


1. Orgelfchule. Cine theoretiich = praftiiche Anleitung zur grünblichen 
Erlernung bes kirchlichen Orgelipiele. Zum Gebrauh in RMufilſchulen, 
Seminarien, Bräperauben-Anftalten, ſowie zum Selbfiunterricht bearbeitet 
und herausgegeben von Dr. J. ©. Herzog, Profellor der Muſil in Er⸗ 
fangen. Op. 41. 2 Thlr. Exlangen, 1867. Andreas Deichert. 


444 Geſang. 


2 


3, 


8. 


9. 


10. 


11. 


12. 
13. 


14. 


Theoretiſch⸗praktiſche Orgelſchule in Uebungen nebſt Anweiſung, 
von Ludwig Ernſt Gebhardi, Königl. Preuß. Mufitbirector, Muſiklehrer 
am Königl. evangel. Schullehrer⸗Seminar und Organift an der Prediger⸗ 
kirche zu Erfurt. Zweite, ſehr vermehrte und umgearbeitete Auflage. Erſte 
Abtheilung. 12. Werl. 1 Thlr. 20 Sgr. Brieg, F. Gebhardi. 


Vierſtimmiges Choralbuch nach den älteſten und neueſten Quellen 
für Orgel, Harmonium, Clavier und Gängeräöre bearbeitet unb herausge⸗ 
geben von I. M. Anding, Seminarlehrer. Op. 15. 1. Lieferung. 
Hilbburghanfen, F. W. Gadow ımd Sohn. 


I. A. Hiller’s voMMändiges Choralbuch mit binzugefügten neuern Me⸗ 
lodien, für Kirchen, Schul» und Gefangvereind-EChöre, wie and) beſonders 
für Organifien an evangeliſch⸗lutheriſchen Kirchen bearbeitet von F. M. 
Gaſt, Tantor und Mufidirector zu - Plauen. Plauen, X. Hoffmann. 
Preis 15 Sgr. In Partien von wenigftiens 10 Erempl. 12 Sgr. 


Choralbuh für Drgel, Physharmonika ober Clavier und für 

gemifchten Chor, befonbers zum rhbeinifchen Provinzial«Gefangbuche heraus» 

geseben von Karl Wilbelm Steinbaufen, Seminarlehrer. 25 Ser. 
euwieb, 3. H. Heuſer. 


Natorp-Rind’s Choralbudh für evangelifhe Kirchen. Dritte, 
verbeflerte und vermehrte Auflage. Die Ehoräle neu geordnet und hiſto⸗ 
rifh beftimmt von G. B. Adelbert Natorp, Pfarrer zu Düffelborf, 
rebibirt, mit meift neuen Zwiſchenſpielen und mit Schlüffen verjehen von 
Wilhelm Greef, Lehrer und Organift zu Mörs. Erſtes und zweites 
Heft. 124 Sgr. Effen, ©. D. Bäbeler. 1867. 


Bierfimmiges Tafhen-Choralbudh für Orgel und Clavier. 
342 Choräle enthaltend nebft Bater⸗Unſer und Einfetungsworten. bon 
2. E. Gebhardt. Bierte, dur einen Nachtrag von 80 Chorälen ver- 
mehrte Auflage. 15. Werl. 25 Sgr. Brieg, F. Gebharbi. 1867. 


460 Ehoral-Melodien, vierfimmig für Die Orgel unb für ben Ge⸗ 
brauch bein Gottespienfte bearbeitet von C. Karow. Zweite, verbefierte 
Auflage. Dorpat, E. 3. Karow. 1866. 


Bierfliimmiges Choralbuch zu ber neuen Ausgabe bes Bollhagen'ſchen 
Sefangbucdes, mit Berückſichtigung ber übrigen in ben evangeliſchen Ge⸗ 
meinden Bommerns eingeführten Geſangbücher. Herausgegeben von J. G. 
Schubert, Töniglihem Seminar- und Mufiliehrer in Cöelin. Chetin, 
1867. C. ©. Hendeß. 


Gregorianiſche Choralgeſänge für die Hauptfeftle bes Kirchenjahres. 
Erfie Abtheilung: Gefänge bei dem heiligen Meßopfer. Ausgewählt und 
für Die Orgel barmonifirt von Ludwig Schneider, weilanb Pfarrer zu 
Eibingen im Rheingau. Nah feinem Xobe besanagegeben von Sr, Joh. 
Mayer, Pfarrer zu Weilburg, und Erwin Schneider, Lehrer zu Dien- 
gerslirchen. Frankfurt a. M. 1866. G. Hamacher. 


Einundzwanzig kurze Vorſpiele zu Prebigtliebern, componirt 
von Moritz Broöfig. Zweite Auflage. 10 Sgr. Breslau, F. E. €. 
Zeudart. Op. 8. 


Einleitungen unb Salate, au feinem Choralbuch herausgegeben 
von Karl Wilh. Steinhaufen. Neumwieb und Leipzig. I. H. Heufer. 
DOrgelfonaten von Dr. Wilhelm Volckmar. Nr. 1—20 & 15 Sgr. 
Homburg in Kurheflen. Verlag bed Verfaſſers. 

2 Santafien nebft Fugen für die Orgel von Floddard Geyer. Wr. 1. 
F-moll. Nr. II. C-moll. Op. 19. 20 Sgr. Nr. J. 124 Sgr. Nr. II. 
124 Gyr. Potsdam, Riegel, (U. Stein.) 








Gefang. 445 


Re. I. Die Anorbnung des Wertes ift diefe: Einleitung: Ueber 
Regiftriren, Choralgejang, alte Zonarten, 15 ©. gr. Yormat. I. Abtbeil. 
Das Manualjpiel. 2365 I. Abth. Das Pedalſpiel, und 
zwar A) in elementarifch geordneten Uebungen, B) in 27 vermifchten 
Studien, zufammen Al S. Anhang: Die widtigften Berzierungsformen. 
III, Abth. Uebungen im Choralfpiel. A) Der Choral an fi, 
B) Choraͤle mit Vor⸗ und (Stropben:) Zwijchenjpielen. 27 S. Anhang. 
Das Spielen liturgifher Gejänge. A S. IV. Abth. Bor: und Nad: 
jpiele. A) 38 leiht ausführbare und leicht verftändlide Säße für Ans 
fänger. 18 ©. B) 12 Borfpiele in den Klirchentonarten, nebit einem Ans 
bange von Cadenzen. 8 S. C) 35 Zonftüde: Trios, Nachſpiele, Fughetten 
und Fugen ıc., meilt für geübtere Spieler. 57 S. Schluß: Yingerzeige 
zur Auswahl von Zonftüden für weitere Studien. — Das Ganze ftellt 
fih den vorzüglichſten Orgelſchulen der Neuzeit vollberechtigt zur Seite, eben 
fo dem techniſchen Theile nad, wie auch vermöge des jehr reichen Schaßes 
auserwaͤhlter Orgelcompofitionen für alle Stufen, berrührend nicht vom 
Herausgeber allein, jondern von der Mehrzahl hervorragender Meilter ter 
Gegenwart und Vergangenheit, unter denen nur Seb. Bach, KRitter, 
Kühmſtedt, Heſſe, Rind, Töpfer, M. ©. Fiſcher, Dr. Bolds 
mar, Muffat, Krebs, - Thomas, Seeger, Pachelbel um 
Brofig genannt fein mögen. Glüdlihe Jugend, der jo reihe und aus⸗ 
gezeichnete Bildungsmittel dargeboten werben! 

Nr. 2. Nicht ohne ein Gefühl der Pietät dürften gar manche unter 
Thüringens Gantoren und Organiſten auf dieſe Orgelipiele hinbliden, nad 
der fie einft in Erfurt (dort unter dem Vater Gebbarbi jelbft — nun ſchon 
vor Jahren beimgegangen —), oder in Weißenfels ꝛc. zc. ihre Studien 
gemaht haben! Diefelbe wird immer ihren Werth für PBräparanden, 
Seminariften ıc. behalten, als eigentlihe Schule fowohl, wie auch als ein 
Magazin folider Orgelmufil. Wenn freilich die letztere ausſchließlich der 
Feder Gebhardi's entflofien ift, jo wird das Werk durch die neueren 
Orgelfhulen von Ritter, Schütze, Herzog, Brandt, Bräabmig 
u. X. überboten, unter denen jede eine ganze Anthologie von Compofitionen 
faft aller namhaften Meifter enthält. 

Nr. 3 berüdfichtigt die vielen in Thüringen gebräuchlichen Geſang⸗ 
bücher, namentlih das alte und neue koburger, hildburghäuſer, 
römbilder, reihsritterfhaftlihhe, alte, neue und neuefte mei⸗ 
ninger, eijenadher, alte und neue gothaiſche, drespener, 
erfurter, arnftädter, weimariſche, rudolftäbter, ſaalfelder, 
altenburger und geraiſche Gejangbuh, jowie auch den fogenannten 
eijenaher Anhang. Dadurch ift fein Inhalt ein fo reicher geworben, 
daß es als ein allgemeines gelten kann. Der Thüringer kennt und 
fingt fo viele Tirhlihe Weifen, mie kein anderer deutſcher Vollsſtamm. 
Deshalb enthält auch das Choralbuch einen wahren Schab unſeres enange- 
lifchen Kirhengefanges. Die Melodien find (wie ſchon unter I. erwähnt) 
nad den Originalien und ihrer urjprünglihen Form, allermeift aber auch 
zugleich in der heutigen gegeben. Die vorliegende I. Abtheil. enthält 217 


446 Geſang. 


Rummern, unter denen ſich aber viele doppelte und dreifache befinden. Das 
Wert bat einen hohen hiſtoriſchen, muſilaliſchen und kirchlichen Werth. 

Nr. A...» „Man ſollte mit aller Sorgfalt und Entſchiedenheit 
darauf binarbeiten, — ein Choralbuh für unfern enangelifchen Gottesdienft 
zu gewinnen! Bon diefem Geſichtspunkte aus babe id, in reinem Pflicht: 
finne, mich gedrungen gefühlt, das Choralbud des alten, ehrwürdigen 
3% A. Hiller, das unter allen, die unjere Kirche aufzumeifen bat, be 
kanntlih das verbreitetfte und — id darf es fagen — wohl aud 
das beliebtefte ift, aufs Neue vollftändig herauszugeben. — Die Liebe, 
mit der beut zu Tage fo viele Cantoren, Organiften, Dirigenten, Geſang⸗ 
lehrer zc. am alten Hiller hängen, fuhe man nicht etwa nur in der 
Pietät vorm Alten; es ift feine ganze melodiſch-harmoniſche 
Weiſe, vie fih für den Volksgeſang (ein ſolcher ift und bleibt unfer 
Choralgefang) durchaus praktiſch und recht fegenbringend erwiefen bat“ 
u. f. w. Aus diefen Anfhauungen des Herrn Cantor Gaft ift die neue 
Ausgabe des Hiller'ſchen Choralbuchs hervorgegangen (bequemes Format, 
Biertelnoten ftatt der halben, Vertauſchung des C-Sclüffela mit dem 
G-Schlüflel). Wird fid die evangeliihe Kirche Deutihlands zu dem alten 
Hiller als ihrem einen und einhbeitlihen GChoralbude befennen? — 
Wirklich rührend ift aber die Pietät der Sachſen für dieſes Choralbuch. 

Nr. 5. 94 Nummern mit je einer Textſtrophe, würdig gejebt, mit 
gleicher Berüdfihtigung der Orgel ıc., wie des Chorgefanges. Sehr bequem 
ift die beigegebene Tabelle zum Aufihlagen der Melodien zu ven 681 
Stedern des Geſangbuchs. 

Nr. 6. In verjüngter Geftalt tritt und bier das vor 40 — 50 Jahren 
von Natorp und Rind herausgegebene geſchätzte Choralbud entgegen, 
vielfältig verbefiert, allermeift nun mit gang einfadhen, den Forderungen 
der Jetztzeit entjprechenden Zwiſchenſpielen, ferner mit neu binzugefügten 
Schlüſſen und mit hiftorifchen Bemerlungen über die Componiften und das 
Jahre der Entftehung oder des erften Belanntwerdens der Choräle. Bas 
Bert Steht im Anſchluß an das „Coangelifhe Befangbuh” für 
Jalich, Cleve, Berg und die Grafihaft Mark. 

Nr. 7. Die Melodien ftehen in tbüringifcher Lesart und find von 
dem alten Grfurter Meifter in der foliden Weife der dortigen Schule für 
Kiche und Haus gejeßt worden. Biertelnoten, weißes Papier, bequemes 
Hormat. 

Rr. 8. Die große Verbreitung dieſes Choralbuhs in Schlefien erflärt 
eö, daß wenige Jahre nad feinem eriten Erfdeinen eine neue Auflage 
nöthig geworben if. Der felige Karow, der, wie er einſtmals äußerte, 
ein halbes Menjchenleben an das Studium des Chorals gejebt hatte, bat 
fih in dem vorliegenden edlen Werke ein unvergänglicdes Denkmal auf- 
gerichtet. 

Mr. 9. 375 Melopien, nad den Bebürfniffen der evangelifchen Ges 
meinden Pommern's (auch mit Rückſicht auf das Porſt'ſche, das Stargarber 
und andere bort eingeführte Gejangbüder) ausgewählt und (unter dem 
unverfennbaren Einflufie des Studiums der beiten alten und neuern Mei: 
ter) jo barmonifirt, daß bei Vermeidung unferm Obre nicht mehr zufagen: 


Geſang. 447 


der Härten, den Forderungen eines einfachen, lirchlich würbig gehaltenen, 
firengen und orgelmäßigen Saßes vollländig Genüge gelelftet wurde. Die 
Wiederholungen find verjchieden harmonifirt, Pie einzelnen Strophen durch 
tirchlich»folide Weberleitungen verbunden. Halbe Noten, fchöner, deutlicher 
Drud auf weißem, feftem Papier. 

Nr. 10. Sämmtliche Gefänge ſtehen in den alten Zonarten und find 
fireng leitertreu nach vdenfelben harmonifirt, jeven chromatifchen Ton 
ausſchließend. So fehr der kirchliche Ernſt, ver dieſe Beſchränkung traf, zu 
ehren, die mufitaliiche Kunft, womit fie durchgeführt ward, anzuerlennen ift, 
jo fteht doch das Werk in dieſer alt:gregorianishen Schroffheit ganz ifolirt 
da und wird allem Vermuthen nah in diejer Stellung verbleiben, da ſelbſt 
unter denjenigen Ratholiten, welche entſchieden eine Reform des jchigen 
Kichengefanges mittelft Zurüdgehens auf Geift und Form der alten Zeit 
verlangen, ſich meines Willens Niemand zu einem fo erclufiven Beharren 
bei der ftarren Diatonif der Kirchentoͤne befennt, daſſelbe dagegen entſchie⸗ 
denen Widerſpruch erfahren hat. . 


Nr. 11. Teefflihe Orgelfäße des hochgeehrten Breslauer Meifters, 
bezüglih auf gemifje, genau bezeichnete Nummern einer „Melovienfamm: 
lung”, die unfern katholiſchen Leſern jeden Falls befannt ift. 

Ne. 12. Gehört zu Nr. 5 und liefert in kirchlich würdigem Styl gut 
erfundene, den cantus firmus vordeutende Strophen (nicht Zeilen) Zwi⸗ 
ſchenſpiele, je drei zu einem Choral, außerdem für jeden Choral einen 
bejonderen Schluß. 

Nr. 13. Symphonifhe Dichtungen für die Orgel, wenn man für 
folde nit ein Programm in Worten fordert. Es enthalten dieſe brillanten 
Gompofitionen, von denen Nr. 1 bis 14 vorliegen, eine reihe Yülle an⸗ 
ziehenber , zwar nicht überall im eminenten Sinne neu zu nennender, oft 
aber auch dur Originalität der Erfindung überraſchender Mufit, fehr dank⸗ 
bar für den Spieler, wohl zu verwenden für Orgelconcerte, Lehrervereine 
u. f. w., auch gar erfprießlih für das Studium. - 

Ar. 14. Herr Brofefior Flodoard Geyer, einft ein Lieblinge: 
fchüler von A. B. Marr, giebt bier zwei große Tonwerke von eigenthüm- 
licher Macht, ganz dem hoben Ernfte der Orgel angemefien und doch das 
Brillante nicht verfhmähenn. Beide Fantaſien beginnen mit einem freien 
Maestoso und gehen dann in eine impofante Fuge mit chataktervollem 
(nicht verbrauchten oder an ſich nichtsfagenvden!) Thema über, das in freier, 
tübner und efjectwoller Weiſe, fern von Anllängen an die belannten Ge⸗ 
meinpläße, durchgeführt wird. 


C. Mufik für Orgel und andere Inftrumente. 


1. Nun dantet alle Gott! Iutrobuction mit Figuration unb Finale, für 
zwei Chor» oder @inzel-Biolinen, Orgel ober Klavier (Harmonium), und 
willkührliche Benutzung eines gemilchten Ehors, zum Bortrage in Präpa- 
randen-Anftalten, Seminarien, Lchrer-Eonferenzen unb bei Tirchlichen ober 


448 Geſang. 


häuslichen Mufit-Aufführungen in leicht ausführbarer Weile bearbeitet von 
hend. Drath, königl. Seminars und Waifenhaus-Mufillehrer zu Bunzlau. 
Op. 34. 10 Sgr. Bunzlau, Adolph Appun. 


2. Andante religioso für Orgel und Violine von Friedrich Wilhelm 
Sering, Königl. MufitsDirector. Op. 57. 10 Sgr. Berlin, Ed. Bote 
und ©. Bod. 

3. Tonſtück (Poftlubium im freien. Styl) für bie Orgel. Bentil-Trompete, 
3 Bojaunen und Bauten von Heinrich Endhaufen. 12 Sgr. Werl 87, 
Heft 4. Hannover, Adolph Nagel. 


Nr. 1 ift eine fehr wirkungsreiche Compofition, welde den Choral, 
nahdem unter Nr, 1 eine thematische Introduction voranging, unter 
Nr. 2—4 dreimal in ganz verjchiedener Weile, den 3 Strophen des Liebes 
gemäß, durchgeführt, unter Nr. 5 aber ein glänzendes fugirtes Finale mit 
immer noch fortllingendem Choralmotiv folgen läßt. Wohl zu beachten! 

Nr. 2. Ein fehr mildes, lieblihes Thema, das zuerjt ganz einfach, 
dann aber variirt unter anmutbigftem Abwechjeln oder Zuſammengehen der 
Orgel und der Chorgeigen vorgetragen wird. Beftens geeignet für Auf- 
führungen in Seminarien, Kirhenconcerte, Lehrerverfammlungen ꝛc. 

Nr. 3 befteht aus einem einzigen Satze, Allegro maestoso, dem ein 
feierlihes, conjequent durchgeführtes Motiv zu Grunde liegt, und ift, wenn 
man geübte und discrete Bläfer bat, als Poſtludium an Felltagen ganz 
wohl zu gebrauchen. Die Orgelparthie hat keine Schwierigfeit. 


D. Claviermuſik. 


1. Reue prattifhe Pianofortefhnle, verfaßt von Friedrich Baum⸗ 
felder. Op. 163. 1 Thlr. Leipzig, Rob. Forberg. 


2. Pianoforteſchule, mit VBerldfihtigung ber neueren muſikaliſchen Rich⸗ 
tung bearbeitet von Ferdinand Friedrih und Julius Knorr. weite, 
vermehrte und verbeflerte Auflage von Ferdinand Friedrich. 3. Abdrud. 
14 Thlr. Bremen, Präger und Meier. 


3. Das polyphone Elavierfpiel als Vorbereitung auf bag Orgelipiel. 
Eine Sammlung von 50 Etüden und polyphonen Tonſtücken claſſiſcher 
Meiſter, zum Gebrauch in Lehrer⸗Seminarien und Muftlichulen, zuſammen⸗ 
geſtellt und mit Fingerſatz verſehen von Oswald Flade, Oberlehrer am 
Königl. Seminar zu Dresden. Dresden, L. Hoffarth. Heft I. 1 Thlr. 
Heft II. 1 Thlr. 10 Ser. 


4. Anthologie classique pour le Piano soigneusement 
doi gt ée. Mufterfammiung gebiegener Clavierwerke mit genauer Bezeich⸗ 
nung bes a aus ben Werten von I. &. Bad, m. 
Bad, Bündel, Hafle, Mozart, Scarlatti u. U. Nr. 10. Helle 
3.%. Sonate. (Nr. 1 von Tre Sonate). A-dur, 45 kr. 


5. Bierzig der befanntefien und gebräudglihften Ehoräle für 
Schule und Haus, für Pianoforte Übertragen von Mobert Schaab. 
15 Sgr. Leipzig, Robert Forberg 
6. Dix Sonates par R. Viole. Rr.3. F-dur. Op. 23. 1 Thlr. 5 Egr. 
— Op. 24. 274 Sgr. Rr. 5. H-moll. 1 Thlr. Leipzig, 
‘ ® a nt. 








Geſang. | 449 


1. Erholnugsflunden. Cine Sammlung von 100 Gtüden aus befannten 
Dpern und Bollömelobien, für ben allererſten Anfang im Pianofortefpiel 
bearbeitet, mit Fingerſatz verfehen unb progreifiv geordvei von $ 8. 
Schubert. Heft 1, 2, 3, 4 & 15 Sgr. Bremen, Bräger und Meter. 


8. Deutſche Bollslieder, für das Pianoforte Übertragen von Eon 
Schoͤbe. Erſtes Heft. 15 Sgr. Bremen, Pröger und Meier. ſtantin 


9. Figurirte Choräle von J. S. Bach, dem Verfaſſer und Andern für 
das Pianoforte zu vier Händen arrangirt von Friedr. Wilh. Sering, 
Srer Muſildirector. Heft I und II & 12 Sgr. Magdeburg, Heinrichs⸗ 

n. 


Endbaunfen. 104 Berl. Hannover, Adolph Nagel. Ar. 1. 13 
Nr. 2. 10 Sgr. Nr. 3. 20 Sgr. 


11. Fantaſiebilder aus Lieblingsopern für Planoforte zu-vier Händen 
son: Heinxich Wohlfehrt, Op. 53. Nr. 1-10. & Heft 15 Ser. 
Leipzig, Carl Merjeburger. 


in angehende Clavierſpieler. Kleine- leichte Vebungefäde zu vier 


10. Drei vierbänbige Marſche für das Pianoforte von Geis 
ge 


12 


änben, componirt von Adolph Zrube, ehem. Eantor und Muſildirector. 
wufon Neu arrangirt von Theodor Merker, Cantor und Organif 
in Hohenſtein. Glauchau, Theobald Moritz. 1 Heft. 10 Sgr. 


Nr. 1 entſpricht in Bezug auf Stufengang, techniſche Grundlagen, 
Applicatur, Auswahl der Hanpftüde ac. 2c. allen Forderungen ber Gegen: 
wart. Wozu foll e8 aber nügen, daß von den 47 Seiten, melde dieſes 
GElementarwerihen enthält, neun Seiten zu dem leidigen ‚Gerede über 
Noten, Schlüffel, Taſten ꝛc. verwandt werben, das der Lehrer nicht braucht, 
der Kleine Schüler weder lieft noch verfteht? Und warum mußten fpäterbin 
zehn Seiten (p. 22—32) geopfert werden, um alle Zonleitern (auch 
3. B. die von As-molll) aufzuftellen, und zwar jede vier mal: a) in 
gerader, b) in entgegengefebter Bewegung, c) in Terzen, 
d) in Serten!? — Niemand wird zwar die Bemerkung des Berfafiers 
überfeben, daß dieſe Scalen und Scalenformen nit alle fogleih nad 
einander gejpielt werden follen, aber e3 gehören b, c und d überhaupt 
nicht in die Clavierfibel, in das Lern: und Uebungsbuch für die erften 
Anfänger. 

Nr. 2. Ein tüchtiges Werl, das der Unterweifung ber Stleinften 
(Mebungen mit 5 Zaften, Meine Volksliedchen ꝛc.) volftändig Rechnung 
trägt und alddann ganz allmählig in die Region hinaufführt, wo die Technil 
energifch in Angriff genommen und zugleich das Aeſthetiſche berüdfichtigt 
wird, Wer diefe Schule durchmacht und nebenbei noch entſprechende Etüben ꝛc. 
—* wird vorbereitet ſein, mit gutem Erfolge zu höheren Studien über 
zugeben. 

Nr. 3, „Da der Clavierunterriht in Lehrer-Seminarien vorzüglid 
dem Zwece dienen foll, das Orgelfpiel zu begründen und zu unterjtügen, 
fo ift er nad diejer Seite hin beſonders auf Tonftüde im polyphonen Style 
hingewieſen. Der rechte Vortrag folder ſetzt aber in technischer Hinficht die 
vollftändige Unabhängigkeit der Hände und aller einzelnen Finger und alfo 
Die Meberwindung der elementaren Zechnit woraus. Es iſt der Zwed biejer, 


Väd. Jahresbericht. XIX. 29 








430 Geſang 


Etüden Sammlung, ſolche Unabhaͤngigkeit der Hände und Finger nach allen 
Seiten bin erreihen zu helfen; die eingeftreuten polyphonen Zonftüde follen 
nad geſchehenem Studium der Etüden zum Prüfftein dienen, ob dieſe ihren 
Zwed erfüllt haben.” in jehr glüdlicher Gedante, der in der Zuſammen⸗ 
ſtellung von Zmal 25 Etüden, Präludien, Capriccio's, Inventionen ıc. von 
Bertini, Cramer, Elementi, Seb. Bad, Steibelt, Händel, 
Scarlatti und Hummel beftens ausgeführt ift. 


Nr. A. Die Choräle find fo gefest, daß fie aud) von weniger geübten 
Spielern am Claviere unſchwer ausgeführt werden lönnen. Jede Rummer 
ift mit einem Xertverje verſehen. Das Heft wird eine willlommene Gabe 
für viele Familien fein. 

Rr. 5. Nr. 1—9 der Sammlung liegen nit vor. Die Sonate von 
Hafſe, durch Herm Organiſt Müller in Ems forgjältigft zum Drude 
vorbereitet, und zwar mit „gewijienhafter Treue gegen das Driginal“, ge: 
währt nicht nur ein biftosiihes, ſondern aud ein rein muſilaliſches Ins 
terefie. Herm Müller ift beizuftimmen, wenn er, nad der Bemerkung im 
Borworte, etwas Verdienſtliches zu unternehmen glaubt, indem er einen 
Zonmeifter als ClavieComponiften in Aufnahme bringen hilft, „ver früher 
in andern Beziehungen einen weitberühmten Namen trug.” *) 

Rr. 6. Dem fteifen Theoretiter dürfte Manches an und in diefen 
Sonaten befremdlih erſcheinen; dem wahren Mlufiler und dem gebildeten 
Dilettanten werden fie durch ihre Neuheit, ihre Originalität und den unver: 
tennbaren Reichthum der Grfindung ein dauerndes Intereſſe abgewinnen. 
Es iſt in unſerer Zeit eine künftleriide That von nicht geringer Bedeutung, 
zehn Sonaten zu fchreiben, und noch dazu in zunehmender, veicherer Ent: 
widelung der Form und fortgejeßter Steigerung des Inhalts. Der Sadı 
fundige wird dieſe That zu würdigen und zugleih den Verleger zu ehren 
wiſſen, der die Sonaten veröffentlihte. Nr. 3 ift Herrn Dr. Franz 
Brendel, Nr. A Herm Franz Bendel, Nr. 5 dem Pianiften Herm 
Tauſig (dem berühmten Schüler Lißt's) zugeeignet. 


Nr. 7. „Bei Anfängern des Pianofortefpield Tann die Luft und der 
Trieb zur Sache nur dadurch erhalten und gewedt werben, wenn die Schüler 
nicht fortwährend mit trodnen Fingerübungen fih abzumüben baben. 
Zwischen legteren find daher melodifhe Tonftüde einzufhieben, und zwar 
in inftructiver Folge.” Die vorliegenden Hefte liefern 100 vergleichen 
„woblllingende, gefällige Tonftüde”, um die Schüler anzuregen und ihnen 
&reude zu bereiten. Das Ganze ift mit Sadhlenntniß angelegt und bear: 
beitet und empfiehlt fih namentli durch die vorwaltende Berädfihtigung 


*) „Johann Sdolph Haffe (geb. .25. März 1699), ein Schüler bes 

großen Aleſſandro Scarlatti, der Zeit- und Kunftgenoffe eines Pergoleſe, 

aumann und Graun — einfimafs der gefeierte ‚caro Sassone' der Ita- 
Heuer — and der ‚Eorreggis in ber Kirchenmmufil’ genannt.‘ 


Geſang sl 


des Boltslieves (im Sinne Louis Köhler’s), jowie durch die Beigabe ver 
Applicaturen. 

Nr. 8. Das vorliegende 1. Heft zählt 20 auserwählte Lieber 
(ämmtlih E. Hentſchel's „Liederhain‘‘ entnommen) in leichtefter Clavier⸗ 
bearbeitung, die jo eingerichtet ift, daß die Lieder auch ein: und zweiftimmig 
gefungen werden können, zu weldem Zwecke je eine Textſtrophe beige 
fügt wurde. Die ſchöne äußere Ausftattung dient neben dem ſchätzbaren 
Inhalte zur Empfehlung des wohlberechtigten, als Feſtgeſchenk für Keine 
Pianiften und Gänger geeigneten Hefts. 


Nr. 9. In dem angiehenden und belebrenden Vorworte äußert fich 
Herr Muſikdir. Sering zunächft über die Geſchichte, das Weſen und bie 
hohe Bedeutung der Choralfiguration. Um aber in diefer Bedeutung, fo 
fagt er ferner, allgemeiner als bisher anertannt und für Viele wirkfam 
gemacht zu werden, müflen figuritte Choräle in vierhändigem Arrangement 
in die Yamilienkreife hineintreten. Diefem Zwede dient das gegenwärtige, 
in feiner Richtung bahnbrechende Wert. Die Berechtigung deſſelben, obſchon 
an fih klar, wird in ein deſto belleres Licht gefeßt durch folgende Stelle 
aus Riehl's „Mufitaliihen Characterlöpfen” : „Wir häufen jetzt Erbau⸗ 
liches in Bild und Gedicht, wohl auch im Gefang, nur das weltbeherrſchende 
Clavier, das allgemeine Hausmöbel der Kıumftliebe und Kunftfpielerei, bat 
noch wenig Erbauliches aufzuweifen. Warum follte aber nit die Stimmung 
der teligiöfen Andacht, ver Buße, des Aufihmungs zu Gott, au von dem 
jonft ja doch in allen Zungen redenden Inſtrumente ausgefprodhen werden 
tönnen ?” u. f. w. Der Herausgeber fest hinzu: „Dies alles ift moͤglich. 
Eine proteſtantiſche geiftlide Elavtermufil für das Haus 
ift dentbar, aber Keiner bat fie bis jest durchſchlagend 
und in Fülle gejhrieben außer unferm Bad.’ Damit motivirt 
er nochmals fein Unternehmen im Allgemeinen und fpeciell die Anlehnung 
defielben an die Werke Bach's. Heft 1 enthält nun 5 Nummern von Bach, 
2 von Sering, Heft 2 5 Nummern von Bad, 3 von Sering, 
1 von Rind, 1 von Herzog; in den folgenden A Heften werben außer 
Bah und Sering noh Krebs, A. B. Marr und Sämann zur 
Vertretung gelangen. Das Ganze ift von großer Wichtigkeit und verdient 
die allgemeinfte Verbreitung. 

Nr. 10. Diefe Märjche vereinigen Pathos mit Eleganz und werben 
geübten Spielern der Mittelftufe eine mehr als vorübergehende Unterhaltung 
gewähren. 

Nr. 11, in jedem Hefte eine Oper enthaltend, (bis jetzt: Ernani, 
Fauft, Regimentstochter, . Tannhäufer, Dinorah, Norma, Zauberflöte, Robert 
der Teufel, Barbier von Sevilla, Afrilanerin) ift ebenfalls für geförderte 
Spieler beftimmt, und zwar verräth das Arrangement H. Wohlfahrt’s 
geübte Hand. 

Nr. 12. Anftändige Sätzchen (inclufive einiger Vollsliever), auf ber 
zweiten oder dritten Station der Unterfiufe mit Nutzen zu gebrauden. 


29* 


4652 Geſang. 


E, Ruſik für die Bioline. 


1. Fingerzeige für ben elementaren Biolinunterricht, nah Prim 
. cipien bes. Herrn Hubert Ries, Könige. Preuß. Concertmeiſters x. in 
Berlin, bearbeitet von Guſtav Reichelt, Königl. Seminar- unb t- 
lehrer in Erenzburg, Oberſchl. Hierzu im Anhaug ein Muſikalien⸗Cata 
von Hubert Kies. Breslau, C. F. Hientzſch. 

2. Schule der Bogenführung. unbertzagungen unb Bearbeitungen be⸗ 
liebter Melodien für Violine mit Begleitung bes Pianoforte von Earl 
Hering. Erſte Folge, in der 1. Lage fpielbar. Op. 93 in 5 Heften 
a 10—20 Sgr. Zweite Folge, bis zur 3. Lage "leider. Op. 98 in 

: Heften & 10-18 Sgr. Yannover, Abolph Ragel. 


Nr. I... . „Bei der Bedeutſamkeit des Geſanges für Schule, Kirche 
und Leben ift eö erforberlih, daß der, welchem einft die Zeitung deſſelben 
übertragen wird, auch im Biolinfpiel innerhalb ver elementaren Grenzen 
Meifterjchaft erlange. Cs ift dies Ziel ein hohes, nur mit vielem Fleiß 
und bei frühzeitig angefangenem, gutem, richtig ertbeiltem Unterrihte zw 
erreihen. Cine Hauptaufgabe wird für die Unterweifung bie fein, daß ber 
Schüler dahin gebradht werde, ſich der Treue im Kleinen und Einzelnen 
gegen die Geſetze und Regeln eines kunſtgemäßen PViolinfpield mit aller 
Gewiſſenhaftigkeit zu befleißigen. Cr wird alfo nit nur zu unterrichten, 
fondern au in gewiſſem Sinne zu einem guten Spiel’ zu erziehen fein. 
Vorliegende Arbeit hat ſich's nun zur Aufgabe geftellt, die wichtigſten Stüde, 
auf melde der Violinſchüler achten muß, berauszugreifen und im Ganzen 
in gedrängter Darftellung vorzuführen.“ Förderlich war dem Entftehen des 
Büchlein das Vorbild don R. Lange’s Schriften über Geſang und Clavier⸗ 
unterriht. Herrn Goncertmeifter Hubert Ries, nad deſſen Brincipien, 
wie ſchon ver Titel jagt, dieſe Fingerzeige gearbeitet find, bezeichnet ber 
Verfaſſer als feinen „theuren, unvergeplihen Lehrer und Meiſter.“ Gin 
Lehrer und Meiſter wird er nun felber durch die vorliegende Schrift für 
Diele werden. Möge Keiner, der ed mit Violinunterriht zu thun bat, 
verjäumen, fih mit den bier gegebenen wichtigen Anweiſungen und Rath: 
Ihlägen betannt zu machen. Wer bie Leitungen der Schulpräparanden im 
Geigen fennt, der weiß auch, wie viel Elend hier noch herrſcht! Sei uns 
Herr Reichelt gegrüßt ob der Hülfe, die er feinerfeit bietet. 

Nr. 2. Allermeift Opernfaden, mit Ausnahme einer Menueit von 
Beethoven und eines Sinfoniefaßes von Haydn. Die Behandlung dieſer 
Sachen für den Zwed ver Bogenführung, fowie (in op. 98) aud ber 
Applicatur, ift meifterhaft, und fo bietet fich dem Lernenden bier eine 
treffliche Schule correcter und eleganter Technik dar. Die beigegebene leichte 
Clavierbegleitung macht das Werk nur um fo nüßlidher und wird demſelben 
den Eingang in viele Zamilien öffnen, den es auch mit allem echte 
verdient. 








Geſang. 453 


F. Muſik für Pianoforte und Bioline. 


1. ®B U Mozart's nei nantetie, für Pianoforte und Bioline 
bearbeitet von Duge U lrich. Mr. 1—10. Preis jeber Nummer 1 Thlr. 
Breslan, F. E. C. Leudart. Eonſtantin Sander). 


2. Abasioe für Pianoforte und Violine von Joſeph Haydn. Nr. 1—4 
& 74, resp. 10 Sgr. Breslau, F. E. C. Leudart. (Conflantin Sander.) 


Nr. 1 und 2 find abermals als höchſt vanlenswerthe Unternehmungen 
der fehr zu ehrenden Firma zu bezeihnen. Welche Schäbe edelſter Mufit 
öffnen fih bie übeall Yin, wo fih ein Pianift und ein Violinfpieler — 
die freilich nicht mit der elementaren Technik im Kampfe liegen dürfen — 
zufammenfinden. Bögen recht Miele ver bargebotenen herrlihen Gaben 
theilbaftig zu werden fuchen, um fi) daran immer von Neuem zu erfreuen 
und immer weiter zu bilden. Daß: in die Glavierfiimme ver PViolinpart 
mit eingevrudt if, macht ſchon das Leſen dieſer Tonwerke zum hohen 
Genuß. 


X. 
NRaturkunde. 


Bearbeitet 
von 


Auguft Lüben. 


J. Methodik. 


Im vorigen Jahre gaben verſchiedene Schriftfteller Veranlaſſung, über 
die Methodik des naturkundlichen Unterricht3 zu referiren; das Jahr 1866 
hat Nichts gebracht, was verdiente, ernſtlich bekämpft, oder befonbers 
empfohlen zu werden. Es erfcheint daher angemefien, über dieſen Theil 
der Naturkunde für dies Mal zu ſchweigen und nur einen kurzen Literatur⸗ 
bericht zu liefern. 


IL Literatur 


1. Ullgemeine Raturlunde. 


1. Indnction und Deduction. Rebe in ber öffentlichen Sitzung ber 
königl. Akademie der Wiſſenſchaften am 28. März 1865 zur eier ihres 
106. Stiftungetages gehalten von Juſtus Freiberen von Liebig, & 3 
Borfland ber Alabemie. gr. 4. (19 ©) Münden, Berlag der König 
Atademie. (©. Kranz.) 1865. 1 Thlr. 


2. Die Entwidelung ber Ideen in ber Naturwiſſenſchaft. Rede 
in ber öffentliden Sigung ber Lönigl. Akademie der Wilfenichaften am 
25. Juli 1866 zur BVorfeier bes Geburts: und Namenfefles Sr. Majeflät 
bes Könige gehalten von Juſtus Freiherrn von Liebig, 3. 3. Borflanb 
der Alabemie. gr. 4. (26 S.) Ebendaſ. 1866. + Thlr. 


Es wird genügen, auf das Dafein diefer Reden, refp. Abhandlungen 
des berühmten Chemilerd aufmerkſam zu mahen. Die Bahl feiner Ber: 
ehrer ift au unter den Lehrern fo groß, daß fie gern auch Arbeiten philo⸗ 
ſophiſcher Natur von ihm Iefen werden. Eine directe Beziehung zur Schule 
baben dieſelben natürlich nicht; aber fie tragen doch dazu bei, über wichtige 
ragen aufzullären. 











Naturkunde. Abb 


Den Gedankengang beider Vorträge anzugeben‘, würde uns gu weit 
führen. Dafür wollen wir eine furge Probe. aus ‚benfelben mittheilen, vie 
Schlußworte aus dem zweiten Bortrage. Sie lauten: „Mir willen jebt, 
daß die Ideen ber Menſchen nad beftimmten Gejegen der Natur und bes 
menſchlichen Geiftes organisch fih entwideln, und fehen den Baum menfch: 
liches Erlenntniß, den die Griechen gepflanzt, auf dem Boden der Civili⸗ 
fation und mit deſſen Pflege wachſen und ſich entwickeln ohne Unterbrechung 
und im Sonnenſchein der Freiheit blühen und Früchte tragen zur richtigen 
Zeit. Wir haben erfahren, daß feine Aeſte durch aäͤußere Gewalt gebogen, 
aber nicht gebrochen werben können, nnd daß Seine feinen und zabllofen 
Wurzeln fo tief und verborgen liegen, daß ſich ihr fies Schaffen der 
Willkür der Menſchen völlig entzieht. 

„Die Geſchichte der Völker giebt uns Kunde von den ohnmächtigen 
Bemühungen der politifhen und kirchlichen Gewalten um Erhaltung des 
Törperliden und geiftigen Stlaventhbums der Menſchen; vie künftige Gejchichte 
wird die Siege der Freiheit befchreiben, melde die Menfchen dur bie 
Srforfhung des Grundes der Dinge und der, Wahrheit errangen; Siege 
mit Waffen, an denen fein Blut Hebt, und in einem Rampfe, in welchem 
Moral und Religion ſich nur als ſchwache Bundesgenofien bethetligen.‘ 


3. Entftebung und Begriff ber naturbiftorifägen Art. Rede in 
ber öffentlichen Sigung ber Lönigl. Akademie ber Wiſſenſchaften aM 28. März 
1865 zur Feier ihres 106. Stiftungstage® gehalten von Dr. C. Nügelt, 
tönigl. Unioerfltäte-Profeffor und ordentlichem Mitgliebe der Alademie. 
gr. 4 (53 ©) Münden, Berlag der königl. Alademie. 1865. 2 Thlr 


Anlaß zu dem Gegenftande diefer Rede hat, dem Verfaſſer Dawins 
Werk über die naturhiſtoriſche Art (Species) gegeben , da3 befanntlih in 
den letzteren Jahren vielfah in Deutſchland befprohen worden ift. Darvin’s 
Princip ift das der natürlihen Züchtung. Der Züchter, jagt er, erhielt 
eine neue Race, indem er während längerer Zeit die Thiere oder Pflanzen 
zur Zucht jedesmal forgfältig ausmählt, dadurch die Veränderung’ in einer 
beftimmten Richtung fefthält und durch eine Reihe von Generationen läuft. 
Auf ähnlihe Weife verfährt nah ihm die Natur; fie trifft eine Zuchtmahl, 
indem von allen Individuen nur diejenigen zur Fortpflanzung gelangen, 
melhe im Kampfe um das Dafein fih als die ftärkern ermeifen, indeß 
die andern nothmwendig zu Grunde gehen. So werden durch bie natürliche 
Züchtung im Verlaufe von zahllofen Generationen die Heinen, unfcheinbaren 
Mopificationen, melde die Kinder von den Eltern unterfoheiden , ſummirt, 
und daraus bei dauernder Divergenz erft Racen und Arten, dann Gattun: 
gen und Ordnungen gebilbet. 

Nachdem der Verfaffer in Furzen Zügen den Kampf geſchildert, welder 
jeit Anfang dieſes Jahrhunderts gegen die bezügliche Anfiht Linnd’s und 
Cwier's geführt worden ift, beleuchtet er Darvin’3 Theorie näher, erkennt 
fie zwar an und für ſich ald richtig an, hält aber für nothwendig, ihr die 
der „Bervolllommnung“ hinzuzufügen. „Die Bervolllommnungstheorie, 
jagt er, fordert pie Annahme, daß bie individuellen Veränderungen nicht 
unbeitimsmt, nicht nad allen. Seiten gleichmäßig, fondern vorzugsweife und 


im 
Biber — Band. *7 15 — — Ierbigm unb —— 
Tafeln und zaftreichen Iluſtrationen. Ler. 8. (VI m. 543 ©.) Hameederx. 


Menſch, die Krone der irdiſchen Schöpfung. 
Bei der außerorbentlihen Ausdehnung, weldye gegenwärtig alle Zweige 
der Naturkunde genommen haben, ift es eine hoͤchſt ſchwierige Aufgabe, 


daß er fi jehr umfafiend mit feinem Gegenſtande beidhäftigt und die beſten 
Schriften dabei benußt bat. Sind auch nicht alle Kapitel von gleichem 
Werthe, jo findet fi dod feines, aus dem nicht Raturfreunde etwas lernen 
tönnten. Solden empfehlen wir dad Bud auch vorzugsweile, während 
Lehrer der Naturkunde befier nad Schriften über die einzelnen Fächer 
greifen werben. Die zablreihen Abbildungen find gut ausgewählt und 
ausgeführt. 
5 Roturwilieniäaftliäe Boltsbädher Bon U Bernftiin. Wohl⸗ 
feile Geſammt⸗Ausgabe. L.—V. Band. Bierte, vielfach verbefferte und ver» 
mehrte Auflage. 5. Berlin, Franz Dunder. 1867. à Banb 6 Ger. 


Diefe Arbeiten fanden bei ihrem erflen Erſcheinen ungeiheilten Beifall, 
mes fich aus der Wichtigleit ber bejprodenen @egemfände and ber and 








Naturkunde. 457 


gezeichneten Art der Behandlung derſelben erflärt. Der Berjafler wählte 
interefiante, für den Haushalt der Natur wie für ben menfchlichen wichtige 
Gegenftände aus dem Gebiete der Naturgefhichte, Phyſik und Chemie und 
behandelte fie ebenjo ſachgemaͤß ald populär. Wir freuen uns daher diefer 
neuen, wohlfeilen Geſammt⸗Ausgabe. 

Das erſte Bändchen liegt uns nicht vor; das zweite handelt von ber 
Smährung und vom Inſtinkt der Thiere, das dritte, vierte und fünfte von 
ven geheimen Raturkräften. 

Das ganze Werl wird in 20 Bänden vollendet fein und in venfelben 
einen reihen Schaß von angenehmer Belehrung darbieten. 


6. Die Wunder der unfihtbaren Welt enthüllt durch das Mi- 
kroſtop. ine populäre Darftellung der durch das Mikroſkop erlangten 
Anfihläffe Über bie Gebeimniffe der Natur. Bon Dr. Guft. Jäger. 
gr. 8. 1. Lieferung. (56 ©.) Berlin, ©. Hempel. 1866. à Liefer. 74 Ser. 


Das vorliegende erfte Heft enthält eine allgemeine Einleitung, bie in 
zwölf Abfchnitten Folgendes behandelt. 1) Das Mikroſtop als Räthfellöfer. 
2) Das Miteoflop erfähließt eine neue Welt von Weien. 3) Der Ban- 
fein (vie Belle) der lebenden Weſen entdedt durch das Mikroſtkop. 
4) Was kittet die Baufteine zufammen? 5) Die Fuͤgung ber vrganifchen 
Baufteine. 6) Das organiihe Gewebe. 7) Das Leben ver Selle. 
8) Beugung und Fortpflanzung. 9) Die Lebensgefhichte der Sthmaroger- 
thiere. 10) Die Entwidelungsgefhichte der organifhen Wejen. 11) Das 
Mitroflop ala Berather im täglihen Leben. 12) Der Genuß des mitroflo: 
piſchen Sehens. Hierauf beginnt der „erfle Theil” des Werles, der die 
„mitroflopifhen Weſen“ behandelt und im erften Abſchnitt fi über bie 
„Infuſorien“ verbreitet. 

Die Darfiellung ift populär, für Laien in der Naturgefchichte berech⸗ 
net, im Ganzen aber recht anziehend gejchrieben. Die Abbildungen find 
fauber ausgeführt und für den Bwed genügend. Falls uns die Fortfeßung 
jugebt, werden wir näher darüber berichten. 


7. Das Mikroſtop und feine Anwendung. Ein Leitfaden bei nrikroffo- 
pifen Unterfuchungen von Dr. Serm. Hager. Mit 100 in ben Text 
gebrudten Abbilbungen. gr. 8. Berlin, Julius Springer. 1866. M Ser. 


Auf ven erfien 28 Seiten giebt der Berfafler eine für gewöhnliche 
Mikeoftopiter volllommen ausreichende, leicht verftändlidhe Befchreibung bes 
einfachen und zujammengefepten Mikroſtops neuerer Construction. Bann 
ertbeilt er Rathſchlaͤge für den Anlauf eines Mikroſtops, belehrt über den 
Gebrauch defjelben und giebt Anleitung zum Anfertigen und Aufbewahren 
mikroſkopiſcher Object. Bon diefen find eine Neibe abgebildet, was fidh 
Anfängern recht erſprießlich erweiien wirb, ba fie auf dieſe Weiſe leicht mit 
manchen lleinen Organismen befannt werben. 

Lehrern können wir dies Werkchen daher beftens empfehlen. 


458 Naturkunde, 


2. Naturgefhidte 


A. Semmlungen. 


8. Herbarium norbbentfher Pflanzen für angehende Lehrer, Pharma⸗ 
ceuten und alle unbe der Botanik. In einzelnen Lieferungen hexansge 
geben von C. Bänitz. IV. Lieferung: Flechten. 37 Nummern. Zweite 
Auflage. Königsberg in Prenfen, in Commiffton von Gräfe und limer. 
24 Sgr. beim Herausgeber (tm Königsberg) 18 Sgr. VI. Lieferung: 
Halbgräfer (Juncaceen und Cyperaceen). 62 Nummern. VII. Lieferung : 
Gräfer (Gramineen). 63 Nummern. Ebendaſelbſt & Liefer. 12 Thlr., 
vom Herausgeber 14 Thlr. 


Auf dieſe Pflangenfommlung haben wir ſchon in einem früheren 
Bande gelegentlich bingewiefen. Die und daraus jegt vorliegenden Lieferun- 
gen entiprehen ganz den günftigen Erwartungen, melde uns das Unter 
nehmen eingeflößt. Alle dargebotenen Pflanzen find richtig beitimmt, gut 
geordnet, vortrefflich gepreßt, auf halbe Bogen Schreibpapier gebeftet und 
mit einer GStiquette verſehen, welche den fuftematifchen und deutſchen Namen, 
Zunbort u. U. enthält. Wir kennen kein Mittel, das angehende Botaniker 
leichter mit diefen ſchwierigen Pflanzengruppen belannt machen lönnte, als 
dieje vortrefflihe Sammlung, und empfehlen fie daher Lehrera und Schulen 
befiens zur Anſchaffung. 


B. Scäriften. 
a. Für Lehrer. 
1. Anthropologie, 


9. Die Nahrung wie fie fein mn, um bie Gefimbheit au erbalten, 
Kraft zu geben unb Gelb zu fparen. Ein Führer zum Woblfland von 
Dr. Albin Koch. Dritte (Titel-) Auflage. 16. (III u. 76 ©.) Hilbburg- 
bauen, Keflelring. 1866. 4 hir. 


An eine Ginleitung, in der von der Wichtigfeit der Nahrung die 
Rede ift, reiben fih folgende ſechs Abjchnitte: 1) Was verlangt der 
Körper? 2) Die verlehrte Ernährungsmweife der Reichen, ein Grund wieler 
Krankheiten. 3) Die Nahrung der Mohlhabenden. 4) Die verkehrte Ex- 
nährungsmweije des Volkes, ein Grund der Armuth und vieler Krankheiten. 
5) Welches find die beften und wohlfeilften Nahrungsmittel. 6) Der Nutzen 
einer totionellen und billigen Grnährung. 

Dies Büchlein ift mit Sachlenntnik und zugleich anziehend geſchrieben. 
Lehrer werden Manches daraus im Unterricht verwenden können, 


10. Chemifhes Koch- und Wirthſchaftébuch ober die Naturwiflenfchaft 
im weiblichen Berufe. Cin Lehrbuch fir denkende Frauen und zum Ge— 
brauche in weiblichen Erziehungsanftalten. Bon Dr. med. 9. Klende. 
Zweite, neu burrchgearbeitete und verniehrte Auflage. gr. 8. (XVI und 
502 ©.) Leipzig, E. Kummer. 1867. 14 Thlr. 


Naturknunde. 455 


Die Lehre von den Nahrungsmätteln ift ein fo wichtiger Begenftand, 
dag in jeder Schule in größerem oder geringerem Umfange davon die Rede 
fein muß. Soll daraus aber eim erheblicher Gewinn erwachſen, fo muß 
auf die chemiſchen Beltandtheile verjelben und auf ihre Wirkung auf den 
menſchlichen Organismus zurüdgegangen werden. Die "Bubereitung ber 
Nährftoffe muß ſich alfo von der Willenjchaft, von der Chemie, leiten laſſen. 
Das iſt nur möglih, wenn diefem wichtigen Gegenflande in der Schule die 
nöthige Aufmerkſamkeit gewidmet wird, namentlih in Toͤchterſchulen. 


Bon dieſem Standpunkte aus empfehlen wir dies „Chemiſche Koch: 
und Wirthſchaftsbuch“. Wir meinen damit natürlich nicht, daß eine Töch⸗ 
terſchule oder Erziehungsanſtalt für das weibliche Gefchledht das ganze Buch 
durcharbeiten, wohl aber, daß alle einjchläglihen chemiſchen Vorgänge eine 
praltifhe Erläuterung finden follen. Der einfidhtige Lehrer der Chemie 
wirb leicht herausfinden, was in den Bereich des Unterrichts gehört und 
was der Flüchenpraris zu überlafien ift. 


2. Boologie. 


11. Dr.$. ©. Bronn’d Klaſſen und Orbnungen bes Thier- Reiche, 
wiffenſchaftlich dargeftellt in Wort ımb Bilb. Fortgefegt von Dr. U. Ger- 
Käder, Docent an der Univerfität zu Berlin. Mit auf Stein sqrihuenn 
Abbildungen. V. Band. Gliederfüßler: Arthropoda. 1.—3. Liefexung 
ter. 8. Bogen 19. Tafel I-VI. Leipzig und Heidelberg, C. F. Winter. 
1866 unb 1867. & Lieferung 4 Thlr. 


In unferem lebten Berichte haben wir bereit3 mitgetheilt, daß dies 
trefilihe Wert jetzt von mehreren Fachgelehrten bearbeitet wird. Bon den 
neuen Bearbeitern bat jedoch bis jet nur der Herausgeber, Gerftäder, 
etwas geliefert, naͤmlich die drei bier genannten Hefte. 

Der norliegende-Tert behandelt die organische Zujammenjeßung der 
Gliederfüßler, bringt jedoch diefen Theil noch nit zum Abſchluß. ẽes iſt 
ſehr erſteulich ‚ dab der Verfaſſer denſelben fo ausführlich behandelt, da 
wir eine Darftellung diefer Art, in der nämlid alle neueren Forſchungen 
Berüdfihtigung gefunden haben, gar nicht befiken. Die Kenntniß des All« 
gemeinen einer fo umfangreichen Thiergruppe, wie die Gliederfühler (Inſek⸗ 
ten, Myriopoden, Arachnoiden, Eruftaceen) es find, ift aber für das zoolo⸗ 
giſche Studium fo wichtig, daß eine geordnete Weiterentwidelung ohne fie 
gar nicht denkbar if. Wir find daher dem Berfafler für feine ebenjo 
mühjame, als gelungene Arbeit fehr dankbar. Die dieſer Arbeit voran: 
gehende Ginleitung verbreitet fih über Namen und Geſchichte der Glieder: 
füßler, giebt eine tabellariſche Weberfiht für die allmählidy veränderte Ab: 
gränzung der vier Artbropoden-Rlaffen von J. Ray bis auf die Tebtzeit 
und eine vollftändige Aufzählung der einfchläglichen Literatur, geordnet in 
mufterhafter Weife. 

Wie in den früheren Bänden, fo find aud in diefem ſchwierige Aus- 
einanderfeßungen namentlih des inmeren Baues durch gute, dem Tert eim 
gedrudte Holzſchnitte erlaͤutert worden. 


0 


460 Naturkunde. 


Dei Die ſechs Tafeln Abbildungen fiellen Eirripedien in meiſterhafter 
je har. 
Wir wünjhen dem Werke ferner guten Fortgang. 


12. Jliuftrirtes Thierleben. Line allgemeine Kunbe bes Thierreichs von 
E. Brehm Mit Abbildungen, aus erüpet under Leitung von 
R. Kretihmer. Vierter Band. er. 8. (1036 ©.) Hilbburghaufen, Ber- 

lag des Bibliographifchen Inſtituts. 1867. 5 Thlr. 


Mit viefem Bande ift die Naturgeſchichte ver Vögel beendet worden. 
Was des Verfaſſer durch den Titel „Ihierleben” in Ausficht geitellt, das 
bat er in hohem Maße in dem Theile feines Werles erfüllt, der die Bögel 
behandelt; denn fo viel Arten, als er uns aus dieſer Klaſſe vorführt, fo 
viel „lebende Bilder hat er geſchaffen. Was der Verfafler von Jugend 
an unter Leitung feines als Ornithelog berühmten Baters und dann auf 
Meilen „auf einem Gebiete von 60 Breitegraben‘‘ beobadytete, das hat er 
bier niedergelegt. Es ift ein Driginalwert im wahren Sinne des Wortes, 
was auch zugleich wieder Kunde giebt von deutſchem Fleiße, deutjcher Ge⸗ 
lehrſamleit und deutſcher Ausdauer. Die Darftellung kann kunſtleriſch ge 
nannt werben und wird auch den Berwöhnten befrierigen. Mit ihr wett 
eifern bie Illuſtrationen, die in der That in künftleriiher Auffafiung und 
ſchoͤner, correcter Ausführung Alles übertreffen, was unfere Literatur in 
diefer Art aufzuweifen bat. 

Die Amphibien, Fiihe und Wirbellofen werden in zwei weiteren 
Bänden erſcheinen. Die Inſekten bearbeitet Dr. Taſchenberg in Halle, 
bereit3 vortbeilhaft befannt durch entomologiſche Arbeiten. Der fünfte und 
jehste Band erjcheinen gleichzeitig; es liegt uns von jebem eine Lieferung 
vor, die zu den beften Erwartungen berechtigen. 


13. Meine Freunde. Lebensbilber und Schilderungen aus ber Thierwelt 
von Dr. Karl Auf. Mit 4 in Tonbrud ausgeführten Zeichnungen. 8. 
(V und 375 ©) Berlin, M. Böttder. 1866. 1 Thlr., geb. 14 The. 


Die „Freunde“, welche uns ber Berfafler in dieſer Schrift vorführt, 
ind hauptſächlich unjere befannteren Bögel, neben venjelben. eine Anzahl 
Fiſche, einige Inſelten und die Eidechſe. Der Ber. bat dieſe feine Freunde 
lange und aufmerkfam beobachtet und Kennt fie daher nad ihrer gamsen 
Lebensweiſe jehr genau. Dazu verſieht ex die nicht fehr oft vorkommende 
Kunft, das Beobachtete treffend und anziehenb varzuftellen, zu einem Lebens- 
bilde zu geftalten. Wenn der naturbiftoriihe Unterriht auch nit gay 
und gar in biefem Sinne ertheilt werben darf, jo fteht doch fell, daß die 
Lehrer der Naturgefchichte gar Manches für die Behandlung des Gegen: 


Standes von dem finnigen Berfafier werben lernen können. Nur gar zu oft 


bleiben die Lehrer bei trodenen Befchreibungen der Thiere ftehen, ohne zu 
den mannigfachen Lebensäußerungen berjelben zu tommen. Wander mag 
wohl vertennen, daß dies nötbig iſt zur vollen Kenntniß ber Thiere; bie 
Meiften aber haben biefelben wohl zu wenig felbit beobadtet. Auch bafür 
giebt der Berfafier eine gute Anleitung. 











Naturkunde, 461 


14. Die FAT NE nad Wort und Sprud bes Bolfes. Ban 
I. Lehrer * Naturgeſchichte in Kaiſerslantern. 
Fe dV un 231 6.) Nörblingen, C. H. Bed. 1867. 


Der Berfafler bat es verſucht ‚ naturhiſtoriſche Vollabeobachtungen, 
welche in die Sprache übergegangen, in der Regel ſprichwoͤrtlich geworden 
find, mit,der Naturgefhihte unſerer Hausthiere und folder, die allerwärts 
tenommirt jind, wie Fuchs und Wolf, Löwe und Adler, zu einem Geſammt⸗ 
bilde zu verknüpfen, die er „lebende Bilder“ nennen möchte. Wir haben 
in diefen Arbeiten feine Belejenheit und jeine Belanntihaft auf. allen 
Gebieten der Naturgejhichte bewundert, und erlennen aud gern an, daß 
ihm Manches davon gelungen ift; doch vermiſſen wir bier und ba die 
Feinheit der Beziehungen, die organischen Verbindungen zu einem Ganzen, 
Vielfach wirken hierauf die naturhiſtoriſchen Ginlagen, zu denen eine Reihe 
von Namen, wie Habhnenfuß, Habnenlamm, Hühnerdarm u. v. a. Veran: 
laſſung geben, flörend ein. 

Zaltuolle Lehrer werden indeß doch Manches aus dem Buche ſelbſt 
im Unterricht verwenden koͤnnen. 


15. Nomenclator soologieus. ine etymologiihe Erklarung ber vor⸗ 
züglichſten Gattunge- und Urt-Ramen, welche in ber Natargeſchichte des 
Thierreih® verlommen. Bon Dr. I. Leunis, Profefior der Naturgeſchichte 

am Iofeppineum in Hildesheim. Gin Aubang ng zu den Schulbüchern bes 
Berfaflers o wie au iebem anbern Handbuche der Naturgeſchichte des Thier⸗ 
reich®. gr. unb 120 ©.) Hannover, Hahn. 1866. 16 Sgr. 


Die Gattungs⸗ und Art⸗Namen bezeichnen in der Regel charakteriſtiſche 
Eigenthümlichleiten der Thiere; wer daher ihre Bedeutung fennt, bat darin 
eine Hülfe für feine‘ zoologiihen Studien. Zu viefem Bmede hat ver 
Berfafier dies Werkchen vorzugsweiſe beftimmt. Es bält fih innerhalb ver 
Grenzen feiner „Synopſis der Naturgefchichte des Thierreichs“, iſt auch 
wie dieſe angeordnet. Wer dies Werk beſitzt, kann den Nomenclator alfo 
entbehren. 


3. Botanil. 


16. Die — Bon Dr. Ernſt Hallier, gelte: in Jena, unb Dr, 
Fr. Ro Brofeffor in Brag. Ler. 8. (44 ©.) Hifbburghaufen, 
Verlag 2, Bibliegraphiigen Inſtituts. 1866, 


Dies Schrifthen ift ein befonderer Aborud aus der 2. Auflage von 
Meyers Konverſations⸗Lexilon. Sie gewährt eine Ueberfiht des gegenwär: 
tigen Willens über den Außern wie innern Bau der Pflanze und ihrer 
mannigjachen Lebensericheinungen. Was Schleiden angebahnt und Männer 
wie Schacht, Priugsheim u. v. U. ruͤhmlichſt fortgejebt haben, ift in dieſer 
Arbeit niedergelegt. Daher ift fie ganz geeignet, über den Stanb bes 
gegenwärtigen botaniſchen Wiſſens zu orientiven, unb von biefem Geſichts⸗ 
yunite aus empfehlen wir fie unfern Leſern beftend. Die 182 eingedrud⸗ 
ters Abbildungen find nach Auswahl und Ausführung vorzüglich. 


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Biel weniger Beifall verbient es aber, dab 2er Berfafer mit ben am 
niearigften fichenden Bilanzen begiunt und mit ben volltommenften abjchlieht. 
Eo natargemaß eine ſolche Folge and auj dem erken nbid exiceins, io 











Naturkunde. 463 


Folge kann mır mit Schülern inmegehalten werben, bie ſchon anderweiten 

Unterricht in der Botanik gehabt haben. Dazu kommt noch, daß fich die 

zur Veranſchaulichung erforderlichen Pflanzen während des Sommerhalb⸗ 

jahrs, in dem man doch allein Botanik lehren kann, nicht in der in Aus⸗ 

Acht genommenen ſyſtematiſchen Folge darbieten. 

Auch das Verfahren, mit der Belehrung über den äußern Bau zugleich 
die Anatomie und Phyfiologie der Pflanzen zu verbinden, können wir nicht 
gut heißen. Denn auf dieſe Weife ift es unmöglid, dem anerfannten 
Grundſatze, vom Leitern zum Schwerern fortzufchreiten, Rechnung zu tra: 
gen. Das Buch liefert zahlreihe Beweife dafür. Schüler, die auf Seite 87 
des Buches erfahren, dab man an einem Blatte die Blattflächen, ven 
Blattftiel und die Blattfheibe unterfhheidet, werden auf den erften Seiten 
aus Anlaß des Gährungspilzes mit dem Weſen ver Belle und ihrem 
Inhalt, felbft nad der chemiſchen Beichaffenheit deſſelben, befannt gemacht. 
Sp unberedtigt find doch die Grundſätze der Didaktik wahrlich nicht, daß 
man in folhem Grade von ihnen abjehen fönnte. Gerade Schulbücher 
werden nad ihnen gemeflen. 

Sonft haben wir gegen den Inhalt des Buches etwas Erbebliches nicht 
einzuwenden. Auch die Abbildungen find meiftend gut. 

19. Bopuläre Botanik ober gemeinfaßlide Anleitung zum Studium ber 
Bflanze und des Pflanzenreiches. Zugleich ein Handbuch ber Pflanzen zum 
Veftintmen auf Ercurfionen. Bon Eduard Schmidlin. weite Auflage. 
Mit mehr als 1600 color. aobildungen. gr. 8. (IV und 704 ©.) Stutt- 
gart, O. Welle. 1867. 44 Täler. 

Die erften elf Lieferungen haben wir im vorigen Bande beurtheilt. 
Mit der mittlerweile erfhienenen 18. Lieferung iſt das Wert nun vollendet. 
Unfer bereits abgegebene, nicht ſehr günftig lautendes Urtheil ift Durch 
die weitere Bearbeitung nicht geändert worden. Wenn wir auch gem zugeben 
wellen, daß Laien in der Botanik ſich über Einzelheiten ganz leidlich durch 
das Buch werben belehren können, jo tft e8 der ganzen Haltung megen 
doch nicht geeignet, in den Geift der gegenwärtigen Botanik einzuführen. 
20. Garten⸗Flora für Norddeutſchlaud. Eine Anmeilung zum Selbſt⸗ 

befimmen der in unfern Gärten vorlommenden Bäume, Sträuder, Stau- 

ben unb Kräuter. Für angebende Botaniker, Gärtner, vLehrer und Blumen⸗ 


liebhaber bearbeitet von F. ©. Laban. gr. 8. (VII und 314 ©.) Ham⸗ 
burg, D. Meißner. 1867. ' 


Diefe Garten: Flora hat ganz die Einrihtung mie meine Bearbeitung 
von „Cürie's Anleitung, die im mittleren und nörbliden Deutſchland wild: 
wachſenden und angebauten Pflanzen durch eigene Unterfuchung zu be: 
ftimmen‘‘ (Leipzig, Hinrichsſche Buchhandlung, 11. Aufl.). Sie beginnt mit 
einer Vieberficht der Clafien des Linné ſchen Syftems, bringt dann eine nad‘ 
biefem Syſtem angelegte Tabelle zum Beltimmen der Gattungen, und endlich 
eine ſolche zur Grmittlung der Arten, für welde ein natürliches Spitem 
die Grundlage bildet. 

Wir halten die Arbeit für recht brauchbar und empfehlen fie nament« 
lich Lehrern in größeren Städten, die oft durch Fragen nad dem Ramen 
von. Gartenpflanzen in Verlegenheit gebracht werben. 


464 Ratıckumbe. 


21. Die PBflanzenfrantbeiten. Land» unb Forſtwirthe, Lehrer, 
reiner ac. Bearbeitet Un —— Human, Inhaber bes land⸗ Fr 
9 


forktwirtbf Bürean zu Stuttgart. . 8, unb . 

—e —— — ag des Sertafen. 1867. u 

Diefe Schrift behandelt in drei Abſchnitten: 1) bie Krankheiten ber 
Burzel, 2) die Krankheiten der oberirdiſchen Begetationsorgane und 3) die 
Krankheiten der Blüthen und Früchte. 

Es if ein jehr reiches Material, mas bier zur Sprache gebracht wird, 
wenn man bedenlt, daß neben vielem Anderen die ganze ſchädlich wirlende 
Ibierwelt in Betradyt lommen muß. Man muß es aber dem Berjaffer zum 
Ruhme nachſagen, daß er auf verhältnißmäßig geringem Naume alles 
Wichtige fo Mar beipricht, daß Niemand- parüber in Zweifel bleibt, der fich 
fonft etwas um Naturgefhichte befümmert hat. Lehrer, die Gartenbau 
treiben, oder Naturgeſchichte zu lebren haben, werden Manches aus dem 
Buche zu ihrem und ber Jugend Nuben verwenden lönnen. 


b. Für Sähülen 
* Für Schüler höherer Schulen. 
Alle drei Reiche. . 
22. Lehrbuch ber Naturgeichichte Beſtimmt zum Gebrande anf ben 
ulen ber Oftfee-Provinzen, fo wie zur Gelbfibelehrung 4.8 


von 
Lehrer an den Parallelklaſſen des Dorpatfchen Gynmaſinus. gr. 8. ( 
und 319 ©.) Reval, F. Kluge. 1865. ram 


Die Abſicht, die heimathlihen Raturprodulte mehr in ben Kreis bes 
Unterricht3 zu ziehen, alö es in vielen Lehrbückern geſchieht, hat den Berf. 
zur Abfafjung des vorliegenden bewogen. Dieſer Umftand veranlaßte ihn 
auch, alles Ausländische, wenigftens im Thier⸗ und Pflangenreiche, in Au⸗ 
merlungen zu verweilen, ein Verfahren, mas nicht befondere Billigung ver 
dient. Denn jo jehr wir aud wünjden, daß der Unterricht überall von 
den einheimiihen Naturlörpern ausgehen möge, jo darf er fih doch nidt 
anf diejelben beihränten. Die Naturgefhichte bat die Aufgabe, die große 
Mannigfaltigleit in der Drganijation zur Anſchauung zu bringen, und für 
diefen Zwed bat das Kängurub natürlich diefelbe Bedeutung, wie die ein- 
heimiſche Katze. Die Anorbnung ift in allen Reichen eine wiſſenſchaftliche. 
Die fpftematiihen Gruppen find gut und binreidend ausführlich charaklteri⸗ 
firt, die Arten in der Regel am kuͤrzeſten. 


23. Sammel Schilling's Yleine Schul⸗Raturgeſchichte. Kleinere Hin 
be von Samuel Schilling's Grunbriß ber Naturgeichichte bes ier⸗ 


flanzen- und Mineralreichs Zehnte, weſeuntlich verbeſſerte und vermehrte 
Bearbeitung. Mit 740 in ben Text gebrudten Abbildungen. gr. 8. 
(XVI und 239 ©.) Breslau, Ferd. Hirt. 1866. 25 Ser. 


Da wir die früheren Auflagen faft alle angezeigt und die Vrauchhar⸗ 
teit des Buches dabei bezeugt haben, jo können wir uns bei biefer neuen 
Auflage darguf bejchränten, zu fagen, daß biefelbe wieder manderlei Ber 
befierungen erhalten, aud durch neue Abbilbungen vermehrt werben if. 











. Naturkunde. 465 


Obwohl das Buch „an zahlreihen Gymnaſien und Realſchulen, an 
Bürger: und Gewerbefhulen, an Seminarien und höheren Töchterſchulen“ 
eingeführt ift, jo hat fi der Herausgeber doch nicht entſchließen können, 
die Geologie aufzunehmen. Es fehlen den Zöglingen der genannten Anftal: 
ten, wie wir in der Vorrede lefen, die nöthigen Vorkenntniſſe dazu. Ja 
er bezeichnet die Geologie geradezu als ein „gefährliches Gebiet”. Worin 
die Gefahr beiteht, erfahren wir aber eben fo wenig, als etwas über die 
zum Verſtändniß erforderlihen Vorkenntniſſe mitgetheilt wird. Wir halten 
dieſe Anfiht für eine Guriofität. Geologiſche Kenntniffe find in unfern 
—* für jeden Gebildeten nothwendig, was gar keines Beweiſes mehr 
edarf. 


800hogie. 


24. Ill uſtrirte Naturgeſchichte bes Thierreiches. Für die untern 
Klaſſen der Mittelſchulen bearbeitet von Dr. A. Pokorny, Director des 
Leopoldſtädter Communal⸗Real⸗Gymnafiums, Privatdocent an ber Univerſi⸗ 
tät zu Wien u. ſ. w. Siebente, vermehrte und verbeſſerte Auflage mit 
478 Mobilbungen, gr. 8. (VIH und 270 ©.) Prag, Fr. Tempety. 1867. 

gr. 


Der. Berfafier befolgt in dieſer Schrift die ſynthetiſche Methode, be» 
ginnt daher alle Gruppen mit der Bejchreibung einzelner Thiere, vergleicht 
darauf die verwandten mit einander und ftellt dann ihre gemeinjamen 
Merkmale als Familien, Orbnungs- und Klaſſencharaktere zufammen. Den 
Schluß bildet eine „Beichreibung des Xhierlörpers im Allgemeinen”. Dies 
Berfahren ift das für Kinder von 9—11 Jahren, für melde das Wert 
beftimmt ift, allein zuläffige. Die Beichreibungen enthalten überall nur das 
Nothwendigſie, laſſen aber nirgends etwas Weſentliches vermifien. ALS 
befondere Empfehlung dient dem Werke, daß jede darin beſchriebene Thier⸗ 
art auch abgebilvet if. Die Abbildungen find zwar nur dem kleineren 
Theile nach Driginale, vielmehr aus verfchievenen Werten entlehnt, daher 
aud von verjhiedenem Werthe, entiprechen indeß doch dem Zwedce des 
Buches genügend. 


25. Naturbilber aus bem Infectenieben. Ein auf naturbiftorifchem 
Grunde rubendes, belehrendes Unterhaltungsbuch für bie Jugend, von 
J. Ehr. 2. Neukirch, Lehrer an der weftlihen Bürgerſchule zu Braun- 
fhweig. Zweite Auflage. 8. (X und 215 ©.) Leipzig, B. Sclide. 1867. 


Der Berfafler bat 42 durch ihren Bau und ihre Lebensmweife inter 
eflante Injelten, Spinnen und Kruſtenthiere mit eingejchloflen, in leicht ver⸗ 
Händliher Weiſe befchrieben und den Befchreibungen dadurd größeren 
Reiz zu verleihen gefucht, daß er fie Heinen, in Unterhaltung begriffenen 
Infectenliebhabern in den Mund legt. Wenn auf diefe Weiſe auch mand) 
unnüges Wort gefagt wird, fo läßt fi doch denken, daß muntere Knaben 
daran Vergnügen finden. Sämmtlihe Thiere find zugleich abgebildet wor: 
den. Die Holzichnitte find fauber und die Thiere meiſtens erlennbar, wer 
den aljo die Kenntniß der Thiere erleichtern. 

Das auch fauber ausgeftattete Büchlein kann jungen Injeltenliebhabern 
empfohlen werden. 

Päd. Jahtesberiht. XIX. 30 


466 Naturkunde. 


Botanik. 


26. Die einfachſten unterſcheidenden Merkmale der wichtigſten 
Familien bes Pflanzenreichse. z den Gebrauch in Lehranflalten 
bearbeitet von Dr. Herm. Dorner, Lehrer ber Raturmwifienfhaft an ber 
Realihule von Dr.e Wi. Lange in Hamburg. weite Auflage. gr. 8. 
(40 ©.) Hamburg, DO. Meißner. 1867. + Thir. 


Die erfle Seite enthält eine Ueberfiht des Decandollſchen Syftems 
in Inappfter Form. Den übrigen Raum des Vüchleins füllt eine Aufzäb- 
fung der wichtigfien natürlihen Familien in ber Ordnung diefes Syſtems. 
Den meiften Namen ift ein charalteriftiihes Merkmal der Familie binzus 
gefügt, meiftend nur aus ein paar Wörtern beftehend, wie: „Ranunlula⸗ 
ceen. Mehrere Stempel”. Zwiſchen je zwei Familien befindet fih ein leerer 
linüirter Raum, in den der Schüler die Gattungen und Arten ſchreiben foll, 
welche er im Unterricht hat kennen lernen. Das foll die Cinprägung der 
zu einer Yamilie gehörigen Pflanzen erleihtern und dem Lehrer zu jeder 
Zeit behufs der Wiederholungen eine fchnelle Ueberfiht möglich machen. 
Die Gattungsmerkmale, jedenfalls aud bie der Arten, ſollen die Schüler 
jelbft auffinden. 

Die letztere Forderung läßt erlennen, daß der Verfaſſer bei jeinem 
botanifhen Unterricht von richtigen Grundfägen ausgeht, daß er nämlich 
die Schüler zum Beobachten und Bergleihen anleiten, fie zur Selbfithätig- 
keit und dadurch zur Selbfiftändigleit führen will. Aber er verfährt nicht 
eonjequent. Denn nit nur die Gattungs⸗ und Artlennzeihen foll der 
Schüler felbft auffinden, fondern auch die der Familien und Klaſſen. Auch 
ift es inconfequent, für diefe dem Schüler Anhaltepunkte zu gewähren, für 
jene aber nicht. Außerdem legt der Verfajler auch mohl zu viel Gewicht 
darauf, daß die Schüler anzugeben wiflen, zu welcher Familie eine Pflanze 
gehört. Wir wifjen diefe Kenntniß auch zu würdigen, lennen aber Höberes 
für den botanifhen Unterricht. 

Nah unferen Erfahrungen ift es zwedmäßiger, dem Schüler für alle 
ſyſtematiſchen Gruppen, auch für die Art, Anhaltepunkte für die Wieder 
bolung zu geben; daher muß ein Leitfaden mehr enthalten, als dies Büch⸗ 
lein. Die Selbitthätigfeit des Schülers wird daburd nicht beeinträdhtigt. 
Denn jelbftverftänplich legt der Schüler dad Buch während des Unterrichts 
nit offen vor fih bin. 


Mineralogie. 


37. Tabellen zur Befimmung ber Mineralien nah Äußeren 
Kennzeichen. Herausgegeben von A. Weisbach, Profeſſor an ber Berg- 
alabemie F— Freiberg. gr. 8. (VIII und 113 S.) Leipzig, Arthur Felip. 
1866. 18 Sgr. 


Die Erfahrung, daß Anfänger in der Mineralogie in der Regel viel 
Zeit nöthig haben, um den Namen eines Minerals zu ermitteln, bat den 
Berfafier veranlaßt, diefe Anleitung zu entwerfen. In berjelben find bie 
Mineralien in drei Zabellenfyfteme vertheilt, von denen das erfte (&. 1—26) 
die metalliih glänzenden umfaßt, das zweite (5. 26—54) die Mineralien 














Naturkunde. 467 


balbmetallifcden und gemeinen langes, welche farbiges Pulver geben, und 
endlih das dritte (6. 54—96) alle gemeinglänzgenden von farblojem 
Strich enthält. Diefe drei Zabellenfofieme zerfallen wieder in einzelne 
Xabellen, in welden die zugehörigen Mineralien nad der Härte georbnet 
find, indem die weichen den Anfang, die bärtefien den Schluß maden. 
Dabei find die gemeinen Mineralien durch großen, die von mittlerer Häu- 
figleit durch mittleren Drud vor den jelteneren, Hein gebrudten ausgezeichnet 
worden, was dem Anfänger ebenfalls eine Erleichterung gewähren wird. 
Für die fchwieriger zu beftimmenden Mineralien find noch Anhangstabellen 
hinzugefügt worden, in weldien man das Verhalten der Mineralien beim 
Erhitzen im Glastolben, das Verhalten gegen Wafler und Salzfäure, fo wie 
ben Grab ihrer Schmelzbarleit angegeben findet. 

Mir haben diefe Tabellen in Bezug auf eine Neihe von Mineralien 
geprüft und fie überall zuverläffig gefunden, tünnen daher das Werl Ans 
fängern in der Mineralogie, zu denen bie Volksſchullehrer leider vielfach 
gehoͤren, beſtens empfehlen. 


** Für mittlere und niedere Schulen. 
Anthropologie. | 


28. Zeitfaben für den Unterridt in ber Anthropologie und Ge- 
A REHR für Echule und Haus. Mit einem ‚Bormonte son Dr. 

3. Jenid ild, Director der IV. eoärgerjgule in veipuig. 8 . (VII u. 

— 6) eipzig, Th. Lißner. 1866. 6 Sgr. 


Dies Schriſtchen enthält das Wefentlichfte aus ver Anthropologie und 
Geſundheitslehre, das, mus daraus in jeder Volksſchule gelehrt werben 
follte. Gegen die Anordnung Tieße fih Manches einwenden; die Dar: 
ftellung iſt jebod gut, und das ift hier die Hauptſache. Um den Schülern 
die Wiederholung zu erleichtern, find jedem Abfchnitt Fragen angehängt 
worden. 


Naturgefhichte aller drei Reiche. 


29. Praktiſche Naturkunde für Mittelſchnlen. Bon Dr. I. J. Egli. 
rſte Hälfte: Naturgeſchichte, enthaltend Zoologie, Botanik und Minera- 
ie Zweite, vermehrte und verbeflerte Auflage. 8. Erſtes Heft: Zoologie. 

und 98 G. mit 12 Abbilbungen.) Zweites Heft: Botanik. (VII unb 
9 S. mit 101 Abbild.) St. Ballen. 1865 m. 66 & 8 Ger. 


Die Anordnung ift eine wiſſenſchaftliche, indem vom Allgemeinen zum 
Defondem und an der Hand des Syſtems fortgelchritten wird. Nach 
einer Einleitung, in der die Begriffe Natur, Naturkunde , Naturgeſchichte, 
Naturlehre u. ſ. w. definirt werden, beginnt im erſten Hefte die Zoologie 
mit dem Menſchen. Anatomie, Phyſiologie und Geſundheitslehre ſind in 
der Darſtellung mit einander verbunden, im Ganzen zwedmaßig. In der 
Boologie wird mit einer Auseinanderjegung der Fortpflanzung begonnen, 
wozu dringende Beranlafiung nicht vorliegt; denn ſchwerlich find die Schüler, 
denen fie gemadht wird, reif genug bafür. Die ganze Auseinanderſetzung 

30* 


468 Naturkunde, 


it auch ſehr wenig gelungen, ja fie verfällt ins Lächerliche, wenn ber Ber- 
fafier an der Stelle, wo er jagt, daß die Männden gewöhnlich Eräftiger 
feien, als die Weibchen, Schillers Worte: 


Der Mann muß hinaus 
In's feindliche Leben u. ſ. w. 
und: Sie fledhten und weben 
Himmlifhe Rofen in's irdifche Leben. 
ferner: Yufrieden mit ftilerem Ruhme 
Brechen die Frauen des Yugenblides Blume, 
Nähren fie forgfam mit liebendem Fleiß. 


citirt. Wenn dieſe trefflichen Worte durchaus in die Naturgefhichte hinein 
folten, jo bätten fie fih do wohl im Kapitel vom Menſchen anbringen 
lafien, ftatt in dem von den wilden Beſtien. 

Die Beichreibung der foftematifhen Gruppen beſchränkt ſich auf das 
Hergebrachte, ebenfo die Auswahl, Weberall, auch bei den Arten, bebient 
fih der Berfafler nur der deutihen Namen, woraus manche Mißverfländ: 
nifle entfteben müfjen. Denn wer weiß, welche Thiere in der Ordnung der 
Käfer, Familie Kurzflügler, mit Kaiſerlicher Raubkäfer”, „Schnellfuß‘ und 
„Ufer:Röthling‘ gemeint find, da die binzugefügten Beichreibungen (,‚die 
zwei erftgenannten Arten gehören zu den großen, find entweder ſchwarzroth⸗ 
golden 1) oder einfarbig ſchwarz, 2) während andere baduferbewohnende, 
3) durch ihr ameifenartiges Anfehen und die rothen Ringel der mittleren 
Leibesgegend auffallen”) faft gar keinen Anhalt gewähren, wie jeder Ento⸗ 
molog meiß 

Das zweite Heft zeichnet fi durch zahlreihe und gut ausgeführte 
Abbildungen aus. Es beginnt mit der Grörterung der Clementarorgane, 
aber fo ungefhidt, wie nur möglih, nämlid mit der Darftellung von 
Stärte aus Kartoffeln. Seite 15 fchließt ih an eine terminologifche Ber 
ſprechung der Blätter ohne alle Verbindung „das Crnährungsgejchäft”. 
Das ift nicht vor der Methodik zu rechtfertigen. 


3. Naturgeſchichte für Bollefhulen und Fortbilbungsklaffen. 
Bon J. Riedel, Lehrer an ber höhern Bürgerfchule in Heidelberg. I. Thier- 
kunde. Aweiter, verbeflerter und vermehrter Abdruck. Mit ſechs Holzichnit- 
ten. 8. (64 ©.) I. Pflanzen⸗ und Steindrud. Mit 12 Holgfchnitten. 
(72 ©.) Heibelberg, &. Weiß. 1866. & 4 Ser. 


- Die Unorbnung ift eine fyftematifhe; das Büchlein kann daher nicht 
ohne Weiteres als Leitfaden dienen. Dagegen eignet es ſich wohl für 
Schüler der Oberklaſſen als Wiederholungsbud. 

3. Naturgefhichte für VBolteihüler. Ausgabe B. (Gchlefien.) Mit 
Verüdfigtigung bes Deünferberger Boltejchul-Lefebuhe bearbeitet von 


C. Banig. Zweite, verbefferte Auflage. 8. (56 ©.) Görlitz, E. Remer. 
1864. 2 Ggr., geb. 24 Sgr. 


Dies Heftchen enthält kurze, gut abgefaßte Beichreibungen von allen 
im DMünfterberger Leſebuche genannten ober beſprochenen Naturlörpern, 
Das Material ift zwedmäßig auf die Mittels und Oberklaſſe vertheilt. Die 
Mineralogie ift der Oberklafſe ganz zugewiefen worden. Wir finden gegen 


Naturkunde. 469 


die Vertheilung nichts zu erinnern, würden das Büchlein aber noch höher 
ftellen, wenn für die Oberklaſſe der allgemeinen Naturgefhichte mehr Auf: 
merkſamkeit gewidmet worden wäre, 


3. Phyſik. 
A. Schriften über die Methode der Phyfik. 


32. Die Phyſik in der Bollsihule Ein Beitrag zur methobifhen Be⸗ 
handlung bes erfien Unterrichts in der Phyſik, zugleich ale Anleitung zur 
Anftellung ber einfachften phyſikaliſchen Verſuche bearbeitet von Dr. Job. 
Srüger. Erſter Theil. Neunte Auflage. gr. 8. (II und 92 ©.) Erfurt, 
&. W. Körner. 1866. 8 Sr. 


Kenntniß dieſes Büchleins können wir bei unfern Lejern vorausjeßen. 
Belanntlich bildete es fonft gemiffermaßen die Einleitung zu dem bei ber 
vierten Auflage unter dem Titel „Die Naturlehre” davon abgelöften 
Schriftchen. Der DVerfafler bat mit demjelben die jetzige Methode des 
phyſikaliſchen Unterrichts begründet und fi dadurch nicht geringes Der: 
dienft eriworben. Es ift darum auch nicht unbillig, wenn wir fordern, daß 
jeder Lehrer, der Unterricht in der Phyſik zu ertbeilen bat, fie gelejen 
haben muß. In dem DBerfafler vereinigen fih in glüdlichfter Weiſe ber 
Methodiker mit dem Phyſiker. 

Für die angehenden Lehrer bemerken wir, daß die Schrift ihren Gegen» 
Rand in folgenden fünf Kapiteln verhandelt. 1) Die Phyſik in der Schule. 
Eine hiſtoriſche Skizze. 2) Die Auswahl des phyſikaliſchen Lehrſtoffes für 
die Volksſchule. 3) Die unterrihtlihe Behandlung des Lehrftofis. A) Bom 
phyfilaliſchen Apparat der Vollsſchule. 5) Die Anordnung des Lehrftofis. 


B.Phyfftaliſche Schriften. 
a. Für Lehrer: 


33. Schule der Phyſik, als Anleitung zur Anſtellung einfacher Verſuche und 
populäre Entwidelung ber wichtigſten Naturgelege für Schule und Haug, 
bearbeitet von Dr. Tohannes Erüger. Sehste, berbefferte Auflage. Mit 
468 neu geflochenen Abbildungen. gr. 8. (IV u. 610 ©.) Erfurt, ©. W. 
Körner. 1867. 2 Thlr. 


Der Verfaſſer bat dies eben fo belannte als brauchbare Wert in 
diefer neuen Auflage fo weit verbeflert und vermehrt, als bie Fortſchritte 
der Phyſik es nöthig machten. Was dieſe Auflage aber vor den früheren 
auszeichnet, das find bie neu geftochenen, zum Zheil auch neu gezeichneten 
Abbildungen. Die Ausführung derſelben ift fo gelungen, daß fie nun mit 
ven beften ihrer Art concweriren können. Sie gereihen dem Werte nun 
nicht bloß zur Beranfhaulihung, fondern auch zur Bierde, und werben 
ihm neue Freunde erwerben helfen. 





470 Naturkunde. 


34. Lehrbuch der Naturlehre für Volkeſchullehrer, zum Gebrauch an 
Seminarien und zum Sefbflunterricht von Dr. WE. Erler, Brofeffor und 
Oberlehrer am Königl. Pädagogium bei Zälihen. Dritte, verbefierte und 
vermehrte Auflage. Mit 200 Holzicmitten. ge. 8. (XII unb 274 ©.) 
Berlin, Ferd. Dümmler. 1866. 2 Thlr. 


Diefe neue Auflage if in einigen wichtigen Abſchnitten umgearbeitet 
und außerdem mit Abbildungen ziemlich reich ausgeftattet worden, von 
denen die meilten als gut bezeichnet werben können. Die Darftellung ift 
überall recht anſchaulich, das Buch daher auch zu empfehlen. 


35. Anfangegrände der Raturlehre für bie unteren Klaffen ber 
Mittelſchulen. Bon Dr. Joſ. Kriſt, Lehrer der Phyſik an ber k. k. 
Schottenfelder Ober-Realichule in Wien. Zweite Auflage. Mit 291 in ben 
Tert eimgebrudten Holzichnitten. gr. 8. (VII und 239 ©) Wien, 
8. Braumüller. 1866. 24 Ger. 


Unter den Lehrbüdern für böbere Schulanftalten findet man jelten 
eins, bei vefien Abfafiung den Forderungen ver Methodik Rechnung getra: 
gen worden wäre. In dem bier ift dies geſchehen. Zweierlei haralterifirt 
das Buch und unterjcheidet es vortbeilbaft von feinen vielen Verwandten: 
1) Die Lehren der Phyſik find fo angeorbnet, daß die voran fiehen, welche 
ausſchließlich erperimental behandelt werben können; 2) das Grperiment 
ift möglichft confequent ald Ausgangspunkt genommen worden, das Natur: 
gefeb als die daraus nothwendig fi) ergebende Gonclufion. Bu dieſen 
Borzügen kommt Klarheit der Darftellung und eine Drudeinrihtung, welde 
das Wefentlihe jedes Abſchnittes, namentlich die Naturgefege felbft, leicht 
eriennen läßt, Die eingedrudten Zeichnungen find gut gewählt und fauber 
ausgeführt. 


36. ee Naturlehre für obere Klaſſen höherer Lehranftalten von 
Dr 3. ck, Großherzogl. bab. Oberſchulrath. Mit 500 in ben Text 
eingebrudien Holzſchnitten. gr. 8. (X und 430 ©.) Freiburg i. Br. Fr. 
Wagner. 1866. 2 Thlr. 


Nachdem der Verfafier 1865 feine „Anfangsgründe der Naturlehre” 
in fünfter Auflage für die mittleren Klaſſen höherer Schulanftalten bearbeitet, 
blieb ihm die Aufgabe, auch ein für die oberen Klaſſen geeignetes Lehrbuch 
zu verfaflen. Dies liegt und nun vor. Der PVerfafler nimmt darin natür- 
lih einen höheren Standpunkt ein und ftügt ſich namentlih überall auf 
Matbematil. Die Darftellung ift im Ganzen gebrängt, aber durchaus licht: 
vol. Die eingedrudten Abbildungen find hoͤchſt geihmadvoll und correct 
ausgeführt. Das Werk kann als ein für die oberen Klaſſen höherer Schul 
anftalten ſehr brauchbares bezeichnet werben. 


37. Die Mechanik. Ein Lehr⸗ und Hanbbudh zum Gebrauche an Gewerbe⸗ 
und Realſchulen, fo wie zum Brivatfiubium von Dr. Julius Wend, 
Director ber berzoglichen Bewerbeihule zu Gotha. Mit 175 Figuren in 
— gr. 8. (X und 493 S.) Leipzig, F. U. Brodhaus. 1866. 
1: r. 


Das Gebiet der Mechanik wird in biejer Schrift in folgenden neun 
Abſchnitten behandelt: 1) Bon den Bewegungen. 2) Bon den Kräften. 


° Naturkunde. 471 


3) Vom Schwerpunkt und der Stabilität. 4) Elafticität und Feſtigkeit. 
5) Der Stoß fefter Körper. 6) Bon den Bewegungswiderftänden. 7) Bon 
den einfahen Maſchinen. 8) Vom Drud und der Bewegung tropfbar: 
flüffiger Körper. 9) Vom Drud und der Bewegung gasförmiger Körper. 

Wir haben ung bei der Prüfung dieſes Buches überzeugt, daß die 
Geſetze der Mechanik anſchaulich, völlig deutlih und richtig dargelegt und 
durch wohl gewählte Beispiele erläutert worden find. Daher dürfen wir 
bafjelbe zu den beften feiner Art zählen, ganz geeignet, um als Gtüße für 
den Unterricht in der Mechanik wie auch zum Selbftunterricht zu bienen. 
Der das Buch mit Berftändniß burchgearbeitet hat, darf fi) getroft dem 
Maſchinenweſen oder Baufad widmen. 


38. Eompenbium ber Phyfit von Dr. Theodor Hoch, Profeſſor ber 
Phyſik in ber philoſophiſchen Section bes Lönigl. Lyceums zu Bamberg. 
Mit 61 Hofzfänitten. gr. 8. (I und 279 ©.) Erlangen, Ferd. Ente. 
1866. 1 Thlr. 6 Sgr. 


Das Werk ift wohl zunähft für die Vorlefungen des Berfafiers be 
fimmt worden, liegt daher nicht in der Richtung des Paͤdagogiſchen Jahres: 
berihted. Es ſetzt ein phufilalifches Willen voraus, wie es in Schulen 
erft erworben werden foll, gebt daher von den allgemeinften Säben aus 
und begründet Alles mathematiſch, was einer folhen Begründung fähig ift. 
Der. von unfern Leſern fih in diefem Sinne mit Phyſik befhäftigt, wird 
in diefem Sompendium ein brauchbares Hülfsmittel für feine Studien haben. 
Ein ſehr gutes, ausführliches Negifter macht dajjelbe au zum Nachſchlagen 
geeignet. 

39. Wanbtafeln für Phyſit. Ergänzung zu ben mit Benehmigung ber 
Eönigl. Commiſfion für die gewerblichen Fortbiſdungsſchulen Württemberg 
für bie Volksſchulen zufammengeftellten nnd erläuterten phyſikaliſchen Appa- 


raten, bearbeitet von C. Bopp, Reallehrer. qu. gr. Fol. (10 Chromolith.) 
Ravensburg, Dorm. 1866. 2 Thlr. 


40. Beitrag zum erfien Unterridt in ber Phyſik. Text zu ben 
——* für Phyſik“. 8. (VII und 43 ©.) Ebendaſ. 1866. 6 Sgr. 


Die Wandtafeln ftellen dar: 1) Einen Schreib-Zelegraphen. 2) Gin 
Auge und Linfen Behufs der Strahlenbrehung. 3) Cine Luftpumpe, 
4) Bumpen. 5) Eine Feuerfprige. 6) Gine hydrauliſche Preſſe. 7) Eine 
Locomotive. 8) Eine Gasfabril. 

Die Auswahl der Abbildungen kann als zwedmäßig bezeichnet werben, 
ba fie Gegenftände von Wichtigkeit barftellen, von denen die Volksſchule 
nit leiht Modelle wird erlangen können. Die Ausführung der Zafeln 
entjpricht dem gefeßten Zwede; denn die Abbildungen derſelben find hin: 
reihend groß und durch das angewandte Colorit fo veutlih, daß fte in 
gefüllten Schullfafjen mit Leichtigleit wahrgenommen und in ihren einzelnen 
heilen unterfhieven werden können. 

Der Tert enthält eine populäre Bejchreibung der bargeftellten Gegen: 
ftände und ihrer Anwendung. 

Die ganze Arbeit kann als eine zwedimäßige Ergänzung ber im vorigen 
Bande angezeigten „Phyſilaliſchen Apparate” und der zu benfelben ges 








472 - Naturkunde. 


börigen Heinen Schrift von Bopp angejehen und der Volklsſchule beſtens 
empfohlen werben. 


b. Für Schüler. 
* Für höhere Schulen. 


41. Grundzüge der Phyfit, mit Rüdfiht auf Chemie als Leitfaben für 
bie mittlere phyfilaliiche Lehrfiufe methodiſch bearbeitet von Dr. F. E. Job. 
Grüger. Zehnte —— Mit 170 in den Tert eingedruckten, neuen 
Holzſchnitten. gr. 8. ( ur Fr S.) Erfurt, ©. W. Körmers Ber- 
lagsbuchhandlung. 1866. 


Die vorliegende zehnte 8 dieſer Grundzüge der Phyſik zeichnet 
fih vor den früheren durch zweierlei aus: durch Aufnahme einer Beiprechung 
der mufilalifhen Snftrumente, fo weit diefelben auf phyſikaliſchen Grund: 
fägen beruhen, und Erneuerung aller Holzfchnitte. Eins war fo nothwenbig 
wie das Andere. Die fonft rohen Abbildungen find nun ohne Tadel; Das 
an und für fih gute Buch wird ſich durch diefelben neue Freunde erwerben. 


42. Der erfte Unterrigt in der Naturlehre für mittlere Schulanftal- 
ten, fo wie auch zur Selbfibelehrung von Karl Koppe, Profefior und 
Oberlehrer am Königl. Preuß. Gymnafſium zu Soeft. Mit 74 in ven 
Tert eingebrudten Holzſchnitten. Zweite, verbeflerte Auflage 8. (VIII 
und 96 ©.) Eſſen, Bäbeler. 1867. 12 Ser. 


Bon der eriten, 1859 erjchienenen Auflage diefer Schrift haben wir 
im XII Bande des Jahresberichtes Kenntniß gegeben und fie bei dieſer 
Gelegenheit mehr für den Selbits als für den Schulunterricht empfohlen. 
Die neue Auflage ftimmt in der Seitenzahl mit der erſten überein, unb 
bat in der Zhat nur bier und da kleine Verbeſſerungen erfahren. 


43. Grundzüge der Statif und Dynamit fefer Körper Kür 
höhere Lehranftalten bearbeitet von Priedrih Hoffmann, Profefior ver 
Mathematit am Hnigt. Gymnaſium zu Bayreuth. 8. (80 S.) Bayrenth, 
Grau. 1865. 12 Sgr. 


Dies Schrifthen ift merkwürdiger Weife autographirt, ftatt in ges 
wöhnlihen Lettern gebrudt worden. Die Schrift iſt Hein und mebrfad 
Hedfig und ſchon darum nicht fehr für den Schulgebrauh zu empfehlen. 
Außerdem fehlt es nicht an guten Lehrbüchern ver Phyſik, welche die Statil 
und Dynamik neben den übrigen Lehren der Phyſik gründlich behandeln. 
Man wird fih darum nicht leicht entjchließen, neben einem ſolchen Buche 
noch diefen Grundriß einzuführen, fo gut er auch fonft fein möge. 


** Kür niedere Schulen. 


44. Die Naturlehre, für den Unterricht in Elementarſchulen bearbeitet von 
Dr. Johannes Erüger. weiter Theil der „Phyſik in der Vollsſchule“. 
Zehnte, verbeflerte Auflage. t 84 A ben Tert eingebrudten Holzſchnitten. 
gr. 8. (IV und 93 ©.) Erfurt, © . W. Körner. 1866. 8 Sgr. 


Für diefe befannte Schrift genügt wohl die Bemerkung, daß ihr bie 
guten Abbildungen der oben angezeigten jechsten Auflage der „Schule der 





Naturkunde. 478 


Phyſik“ zu Statten gelommen find. Das Werkchen hat dadurch ein recht 
freundliches Anſehen belommen. Zum UWeberfiuß fügen wir hinzu, daß ber 
Inhalt des Schriftchens für gemöhnlihe Volksſchulen durchaus genügt, und 
daß derſelbe ohne jehr großen Zeitaufwand überall in bildender Weiſe ver: 
mittelt werben kann, aud da, wo den Rindern dad Bud nicht in die 
Hände gegeben werden kann. 


45. NRaturlebre für Bollsfhulen und Fortbildungsklaſſen von 
J. Riedel, Lehrer an der höhern Bürgerſchule zu Heidelberg. Vierte, ver- 
beflerte und erweiterte Auflage. Mit 12 Holzichnitten. 8. (75 ©.) Heibel» 
berg, ©. Weiß. 1866. 4 Ser. 


Dies Schrifthen behandelt die am bäufigften vorkommenden Naturs 
eriheinungen aus allen Theilen der Phyſik in einfacher, leichtverftändlicher 
Weiſe, kann daher wohl zu Wiederholungen jeitens der Schüler benußt 
werden. ‘ 


46. Bopuläre Naturlehre für Bolks- und Töchterſchulen. Im faß- 
licher und zwedmäßiger Bearbeitung in Sragen und Antivorten von Jakob 
rigen. Erfter Curse Mit 38 Holafchnitten. Zweite, verbefferte Auflage. 
8. (V und 73 ©.) Wien, E. Schlieper. 1866. 9 Sgr. 


Die es jcheint, ift diefe „Populäre Naturlehre“ daſſelbe Buch, welches 
1856 bei Pfautſch und Voß in Wien unter dem Titel „Unterhaltungen 
aus der Naturlehre” erfthienen und von uns im X. Bande des Jahres⸗ 
berichted angezeigt, reſp. verurtheilt worben if. In dem Gefühle, etwas 
Bedeutendes zu geben, bezeichnete der Verfaſſer jene Unterhaltungen als 
ein „Feſtgeſchenk“. Diefer Ausprud ift jebt weggefallen, mit ihm aber 
nicht das darin fi fund gebende hohe Selbitbewußtjein des Verjaſſers; 
denn dies tritt fattfam in den Worten zu Tage in „zwedmäßiger 
Bearbeitung“. Ueber die Zwedmäßigkeit der eigenen Arbeit läßt man 
beiier Andere urtheilen; fo ift es wenigſtens Gebrauch. Wie der Name 
„Töcht erſchule“ fih zu „Volksſchule“ verhält, ift ſchwer zu ermitteln, 
Bedeutet er eine Volks⸗Töchterſchule, fo ift er überflüffig; foll aber damit, 
wie in den meilten Gegenden Deutſchlands, eine höhere Schule für Mäp- 
hen bezeichnet werden, jo haben wir Urſache, dieſe Art Schulen zu be: 
dauern, falls fie ſich follten verleiten lafien, von diefem Buche Gebrauch zu 
machen. 

Der Inhalt des Buches zerfällt in vier Abfchnitte, von denen der 
erfte von den allgemeinen Eigenſchaften der Körper handelt, der zweite 
vom Wafler, der dritte von der Luft und der vierte vom Schall. Es blieb 
ſonach die Lehre von der Wärme, vom Magnetismus, von der Glektricität 
und vom Lichte ganz unberüdfihtigt, Nach dem Warum? fragt man ver: 
gebli ; die Borrede hat nur Raum für Selbitbejpiegelung, wie wir gleidy 
zeigen wollen. 

Wie die Auswahl, fo ift auch die Daritellung höchſt mangelhaft. 
Nah Art der bei Weber in Leipzig erjchienenen Katechismen für Kochkunſt, 
Makrobiotik, Nupgärtnerei, Schachſpielkunſt, Tanzkunſt, Mechjelreht, Yajonet: 
fechtkunſt u. v. U. bedient fi der PVerfafler der Frageform, nicht “aber 
etwa der entwidelnden, fondern der eraminatoriihen Frage, wie z. B. 


474 Naturkunde. 


„Was verfieft man unter Raturlehre oder Phykl?” „Wie werben bie 
Erſcheinungen eingetheilt?” U. |. m. Gine folde Form if eher geeignet, 
die Auffafiung des Zertes zu erſchweren, als zu erleichtern, ganz abgejehen 
von der dadurch entfiebenden Raunmerfhwendung. Der Berfafier hält dieſe 
Form aber für weſentlich. Obgleich die alroamatijche Lehrform nad 
des Berfaflers Anfıht niemals im Elementanmterriht Anwendung finden 
faun, fo bält er fie doch gerade beim phyſikaliſchen Unterriht am rechten 
Orte, „jobald dem Schüler ein Lehrbuch in die Hand gegeben wirb, das 
nad der erotematifhen Lehrform abgefaßt if”, womit der Berfafler 
in großer Beſcheidenheit auf feine „Bopuläre Raturlehre” hinweiſt. Und 
bamit der Lehrer nicht am ber Wahrheit zweifelt, verfidert Herr Gpiger, 
dab man nad dieſer Methode „vie ftaunenswertbeften Nefultate in ver 
moͤglichſt kürzeften Zeit erziele”. Iſt der Vortrag des Lehrers, heißt es 
in der wieder abgedrudten Vorrede zur erfien Auflage, nad der akroama⸗ 
tiſchen Lehrform nur nad dem Bedürfniß der Schüler auch populär ge 
halten, fo muß der Erfolg in kurzer Zeit ein glänzender genannt werben 
fünnen, was ih als volllommen verläßlid durch meine 
eigene Erfahrung beftätigen kann.“ Diefe Probe von Selbſtbe⸗ 
fpiegelung ift doch wohl ſtark genug. Nah Herrn Spikers Anſicht ift „die 
Raturlehre ein Gegenftand, der nebft einem guten, populären Bortrage 
auch mehrfach memorirt fein will, wenn er richtig verflanben werben 
fol’. Nah unferm Dafürbalten hat der Berfafler diefen Unfenn wohl nur 
ausgeiprohen, um die Benußung feines Buches recht eindringlich zu 
empfehlen. | 

Sonach feinen die ſchönen Leiftungen Crügers u. A. auf dem Ge: 
biete der Phyſil nicht zu Herrn Spigers Kenntniß gelommen zu fein; und 
weil das fo ift, fo läßt fi) mit ihm über die in der Phyſik zu befolgende 
Methode gar nicht disputicen. Will er ſich ohne die Crüger/fhen Bücher 
etwas von feiner methobifhen Ignoranz befreien, jo möge er bas oben 
angeführte Buch feines Landsmannes Dr. Krift ſtudiren, das ihm zugleid 
Anlaß zu manden ſachlichen Berichtigungen feines Buches geben wird. 


4 Chemie. 


41. Leitfaden für den erfien Unterricht ber Chemie an Gewerbe- 
ſchulen von Dr. Ch. Hammon, Lehrer an der ni igl Gewerbeſchule in 
Kaufbeuren. gr. 8. (VI und 83 ©.) Kaufbeuren, ©. Mayr. 1864. 


Dies Büchlein behandelt die anorganifhe und organifhe Chemie in 
ber bergebrachten Ordnung, aber überſichtlich, leicht verftändlic und durch⸗ 
aus praltiih, Tann baber mit Ruben als Wiederholungsbud) verwandt 
werben. 


48. geitfaben ber unorganifden Chemie 1. Theil: Die Metalloibe. 
Theil: Die Metalle. (44 und 57 ©.) Münfter, Theilfing. 1866. 
10 und 13 Sgr. 


Diefer Leitfaden ift ausihließlih für den Gebrauch der Schüler 
beitimmt, baber überfihtlih und Inapp gehalten. Grperimente, die Seele 





Raturfunde. 475 


bes chemiſchen Unterrichts, find daher nur mit ein paar Worten unter dem 

Texte citirt, nirgends ausführlicher beichrieben. Ob fih biermit alle Lehrer 

der Chemie werben einverftanden erllären, möchte zu bezweifeln ſein. Man 

wird vielfah ein Buch in die Hände der Schüler wünfchen, das ihnen 

Anleitung giebt, auch Erperimente zu wiederholen, welche im Unterrichte 

ausgeführt worden find. Sonft ift gegen ven Inhalt des Buches Nichts 

einzumenden. 

#9. Lehrbuch der tchniföen Chemie für Schulen und zum Selbſtunter⸗ 
rit von Dr. F. Schubert. Mit 216 Holzſchnitten. Zweite, verbeflerte 
und vermehrte Auflage. gr. 8. (XI u. 600 ©.) Erlangen, "Eule. 1866. 
2 Thlr. 28 Ser. 

Diefe umfangreiche Schrift zerfällt in einen allgemeinen und befonberen 
Theil, von denen legterer die anorganiſche und organifhe Chemie behandelt. 
jeder einzelne Gegenftand der technifhen Chemie wird nad) feinen phyſika⸗ 
liſchen und chemiſchen Gigenjchaften, nad Borlommen und Berwendung 
ausführlih und durchweg fo verſtaͤndlich beſprochen, dab fi die Schrift 
volllommen für den Selbftunterriht eignet. Die zahlreichen eingebrudten 
Abbildungen find gut ausgeführt, wie aud die ganze Ausftattung an: 
ſprechend ift. 

50. Rurze Ds aus  gnaliteiven Analyje. Für Anfänger bear- 
Beitet von. Dr Profeflor der Chemie an ber techniſchen ae 

en, 


ſchule am &t. * neh, zu Grab. gr. 8. (VI u. 148 ©.) 
W. Braumüller. 1866. 1 Thlr. 


Diefe Anleitung ift das Ergebniß langjährigen Unterrihts in der 
Chemie, beruht aljo durhgängig auf Erfahrung. Unfänger in der quali: 
tativen Analyje dürfen dieſelle daher getroft zum Führer nehmen und fi 
des beften Gefolge verfihert halten, Selbftverftänplih Tann das Wert 
überall auch dem chemifchen Unterricht in Anſtalten, in denen Chemie in 
weiterem Umfange gelehrt wird, zu Grunde gelegt werben. 


51. Leitfaden für die qualitative hemilche Analyfe, mit befonberer 
Rückficht Heinrich Rofe's ausführliches Handbuch ber analytiſchen Chemie 
für Anfänger bearbeitet von Dr. &. $. Mammeldberg, Profeffor an ber 
Univerfität und Gewerbealabemie, und Mitglied ber U tabemie ber Wiſſen⸗ 
haften in Berlin. Fünfte Auflage. gr. 8. (VI und 151 ©.) Berlin, 

C. G. Luderitz'ſche Verlagshandlung. Chariſius.) 1867. 224 gr. 
52. Drundriß ber unorgamil sen Chemie gemäß ben neueren Au ten. 
Dr. . Rammeldberg, ‚Beofefier u. ſ. w. 8. und 

299 ©.) Ebendaſelon. 1867. 1 Thlr. 6 Sgr. 


Der Verfafier dieſer Schriften iſt als tüchtiger Chemiker und Lehrer der 
Chemie vortbeilbaft befannt; viefelben können daher mit Bertrauen in die 
Hand genommen werben. Was fie vor anderen neueren unb neueſien 
Schriften über Chemie auszeichnet, ift der ſehr beachtenswerthe Umitand, 
daß fie ganz dem gegenwärtigen Stanbpunlte der Chemie, wie verfelbe 
namentlich feit einigen Jahren in der organischen Chemie zum Ausdrud 
gelommen, entſprechen. Daher haben dieſe Bücher, insbeſondere der Grund: 
riß, auch Bedeutung für die Lehrer und Freunde ber Chemie, welche wicht 
Gelegenheit haben, ven Forſchungen auf diefem Gebiete zu folgen. 


4716 Raturfunbe. 


5. Lasdwirtbidaft. 
53. Der retionelle Obfüban in Garten uud Keld. Yür Landwirthe, 
Gärtner, 2 uud 


‚ von en, 
Benunzähter im Ru drei Tafeln Ubbilbungen. gr. 8. (III a. 
68 ©.) Aaron, 3. I. Chrifien 1566. 10 Ger. 


54 —— —X in der —ö — — — ———— F 
9 gebrudten Abbiſdungen n. 
Lahr, 3. ©. Bea — 4 Ser. 


Dies Büchlein behandelt zwar alles Wejentlihe der Obſtbaumzucht, 


im Ganzen aber doch vet kurz, wodurch für angehende Obftzüchter hier 
und da Unklarheit entfieht. 


6. Anbang 


55. Der Wuubderban des Weltalls ober populäre Aſtronomie von Dr. 
J. 9. u Mabdler. Mit dem Porträt bes Berfafiers. Nebſt einem 
Geiste afronsuride Tafeln, Abbilpungen und Gternlarten enthaltend. 

Sechſte Auflage. gr. 8. (XVI und 69 8.) Berlin, &. Heymann 
(8. &. Baguer.) 867. 2: a. 2 eg 


Forſcher im Gebiete der Aflronomie; man darf jein Bud alfo mit der 

Hebergengung in die Hand nehmen, nur Zuverlaͤſſiges darin zu finden. 
Der beigegebene Atlas befteht Heut aus gut 

phien, theils aus gedrudten Tabellen 


56. Gi«. Naturumb Leben. Dritter Jahrgang. Zeitſchrift zur Berb 
und Hebun ung natumwifienfhaftliher, 6 geograbbildber unb techniſcher — 
—— unter Mitwirkung von Dr. Ype-Lallemant, Dr. Eruſt 
Serrn > Bihra, Brofeffor Dr. Emsmann te. 3. Band. 1.—3. 


peit . (& Heft 4 Bogen mit eingebrudten Holzſchnitten.) on und 
eipzig, ition ber Gäͤa (©. H. Mayer). 1867. Seft 4 Th 


Bon diefer Zeitjchrift erjcheinen jährlih 12 Hefte; uns liegen jedoch 
von dieſem Jahrgange augenblidlih nur die drei erften Hefte vor. Die 
Beitfchrift Hat ſich die Aufgabe geftellt, durch allgemein verftändliche, jedoch 
wiſſenſchaftliche Darflellungen die Leſer mit dem neueflen Zuſtande der 
einzelnen Naturwifienfchaften bekannt zu mahen. Zn diefem Zwede bringt 
fie längere Aufjäge von anerlannten Fachgelehrten, kürzere Mittheilungen 
und Kritilen beroorragender Schriften. Bon den umfangreiheren Aufjägen 
der genannten Hefte nennen wir: Die Waſte und ihre Bewohne. Bor: 





Naturkunde. 477 


träge über das Plan etenſyſten. Bon Herm. J. Klein. Das Petroleum. 
Bon Dr. DO. Buchner. Das Gift in der Pflanzenwelt. Bon Dr. Herm. 
Klende. Ueber die Urſachen des Artenwechſels bei vormweltlihen Thieren. 
Bon Friebe. Mohr, Matbhematiler und Naturforfher auf der politifchen 
Schaubühne. Bon Dr. H. Emsmann. Japan und preußiſche Expedition 
nad Dftafien. Blide in die Geſchichte der Erde. Chladni. Es fallen 
wirflih Steine vom Himmel. Bon Dr. H. Emsmann. 

Sämmtlihe Vorträge können als recht gut bezeichnet werden. Die 
Beitfchrift verdient daher die Beachtung der Lehrer und empfiehlt fi 
namentlih für Lefenereine. 


57. Handbuch des Wiſſenswürdigſten aus bem Gebiete ber Welt- 
und NRaturlunde, der Landwirthſchaft und des Gewerbe» 
wejens Zum Gebraude an landwirthſchaftlichen und gewerblichen Lehre 
anftalten von Joh. Schmitt. Lehrer in SHergershaufen. Zweite Auflage 
von „Schmitt's Lebensbildern, zugleih landwirtbſchaftliches Lejebnch.“ 
gr. 8: (IV und 521 ©) Mainz, C. G. Kunze's Nachfolger. 1867. 

gr. 


Die erfte Auflage erihien 1860; die vorliegende ift von derſelben 
nicht verſchieden. Im XIII Bande des Jahresberichtes haben wir das Wert 
angezeigt und empfohlen, fönnen uns daher auf Hinmweifung auf dieſe 
Empfehlung bejchränten. 


XL 
3geidh nen. 


Bearbeitet von 
Auguf Lüben. 


1. Die Lehrweife bes Zeichenunter richts für Schule und Gelbflehre, 
mit befonberer Rädficht auf Gymmnafien uub Realihulen von &. I. £ilien- 
feld, Maler umb Lehrer a. b. — Realſchule in Ragdeburg. Mit 88 
Zeichnungen in ſtufenweiſer Eintheilung. Lex.8B. (IX umb 99 ©.) Berlin, 
3. Springer. 1867. 274 Ger. 

Die 88 Zeichnungen finb auf 15 Tafeln (fith.) auch unter bem Titel 
zu haben: 


Syſtematiſche Zeihenporlagen für Schulen (insbefonbere für Gym⸗ 
noften unb Realfchulen) u. |. w. 4 Xhlr. 


Inhalt: inleitung und Ueberfiht. Zur erften, zweiten, dritten 
Stufe. Die arditeltonifhen Glieder. Die Wahl ver Lehrmittel. Die 
Correctur. Die Berhältnifje der menſchlichen Figur. Das Schattiren. Das 
eouleurte Papier. Das Papier pellde. Das Aufipannen des Papiers. 
Das Tufchen oder Laviren. Das Landſchaftszeichnen. Das Naturzeichnen. 
Die Lehre von der PBerjpective. Die Lehre vom Schatten. Weber die Be 
leuchtung durch Kerzenlicht. Anhang: Geſchichtlicher Weberblid der Ent⸗ 
widelung des Zeichenunterrihts feit feiner Einführung in die Schule. 

Der bier dargebotene Lehrgang weicht nicht in dem Grade von andern 
für das Zeichnen veröffentlichten ab, als man es nad) mandyerlei Neußerun: 
gen des Berfafierd erwarten ſollte. Der erfte Curſus vefielben befteht aus 
Hebungen im Beichnen geometrifher Yiguren, die in parquetartige übers 
geben. Dann folgen allerlei Gefäßformen und einige arditeltonifche les 
mente. Den Schluß bildet die Berfpective nebft Schattenlehre. Das find 
Alles Dinge, die in unzählbaren Zeichenſchulen niedergelegt find. 

Die Darftellung kann für einen Lehrgang nicht als gelungen bezeid: 
net werden. Es fehlt dem Berfafler offenbar die Geſchicklichkeit, feine An» 
fihten gut georbnnet und Har darzuftellen. Der eigentlide Lehrgang leidet an 
großer Breite. In andern Abfchnitten jeßt der Berfafler mehr voraus, als 
er nah fo elementarer Darftellung vorausjegen durfte, bleibt daher für 
Manche gewiß unklar. Ebenſo entſpricht das Schlußlapitel nicht entfernt 








Zeichnen. 479 


den Erwartungen, die man von einem Manne begen durfte, der faft ein 
Menſchenalter hindurch Zeihenunterricht gegeben bat. P. Schmid's Ver⸗ 
dienſte werden verlannt. 


2. Die Theorie und Praris des Zeichenunterrichte nnd befien 
Stellung zur allgemeinen und fpeciell»techuiichen "Schulbildung ale Winte 
für Lehrer unb Lernende, fo wie für Schulvorflände und Jene, welche dem 
Zeichnen ein Jutereſſe zuwenden. Bearbeitet von Heinrich Weishaupt, 
techniſchem Borftande fänmtlicher Zeichnungsichulen und der lithographifchen 
Kunftanftalten au der Hanbwerks-Feiertagsichule, und Zeichenlehrer Bajerhh, 
fo wie am Lönigl. Marimiliane-Gymnaflum in München. gr. 8. (XIV unb 
107 ©. mit eingedr. Holzſchn.) Weimar, B. F. Boigt. 1867. 18 Sgr. 


Der auf dem Gebiete des Beichenunterrichtd vortheilhaft . befannte 
Berfafier hat in dem bier genannten Werken eine ganz intereffante und 
namentlih für Beichenlehrer auch ſehr lehrreiche Arbeit geliefert. Er hat 
nämlih die Aufgabe in befrievigender Weiſe gelöft, alle einigermaßen ber: 
vorragende Erſcheinungen im Gebiete des gefammten Schulzeihenunterrichts 
zu dharalterifiven und nah ihrem Werthe oder Unmerthe zu würdigen. 
Das Buch ift dadurch faft zu einer Geſchichte des LBeichenunterrichts ges 
worden; wenigftens bat der Berfafler zu einer foldhen dankenswerthes 
Material dargeboten. Den Schluß bilden Lehrpläne „für den Zeichenunter⸗ 
richt der allgemeinen und techniſchen Schulbildung‘, die zwar ſehr kurz 
gehalten find, jedoch die nöthigen Anhaltepunkte gewähren. In den meiften 
Urtheilen flimmen wir mit dem Berfafler; nur P. Schmid ift nach unjerem 
Dafürhalten weder genügend dharalterifirt, noch ganz richtig beurtheilt. 
Derjelbe will nämlih nicht die Perjpective „der Anwendung voraus 
gehen lafien”, fondern die Perjpective joll ein Ergebniß der Anſchauung 
und des Zeichnens der Modelle fein. Durh dies Verfahren erwies fid 
P. Schmid als bedeutender Methopiler, und fein Grundſatz muß überall 
für das Naturzeichnen befolgt werben. 

Durch diefe Ausftellung wollen wir aber das Buch Keinem verleiden; 
es bleibt deſſenungeachtet recht leſenswerth. 


3. Zeichenſchule in Wandtafeln, die erſten Anfänge bes Orna- 
mentenzeihnens umfaffend. Zum Gebraud) für Volts⸗ und techniſche 
Säulen von Earl WBolg, königl. Tehrer für das Ornamenten-Linearzeich- 
nen und Mobelliven an ber tönigl. Kreitgewerbeichufe Kaiſeralautern. 
r. Fol. (22 GSteintafeln und 1 Blatt Tert.) Nördlingen, Bed. In 

appe 24 Ser. 


Diefe 22 Tafeln enthalten, wie der Titel fagt, nur die Anfänge des 
Ornamentenzeichnens, jedoch Alles, was geeignet ift, den meiteren Unterricht 
zwedmäßig vorzubereiten. Der Stufengang läßt nichts zu wünfden übrig; 
aud find die Figuren geſchmackvoll. Außer technifchen Anftalten kann das 
Wert auch Volksſchulen empfohlen werben. 


4 Die Slementarfinfen bes Zeichnens in Verbindung mit ben Ele⸗ 
menten ber geometrifchen gormeniebre. Zum allgemeinen Schnulgebrauch 
bearbeitet von C. F. W. Deide, Schreib» und Zeichenlehrer am Gym» 
nafium und ber höheren Töchterfchuie zu Rorbhanfen. Erftes Heft: Die 
exabe Linie in ihren Berbindungen und Zufammenftellungen. 108 Uebungen. 
44 Aufl. qu. 4. (19 Steindrucktafeln.) Nordhauſen, U. Büchting. 74 Sgr. 


480 Zeichnen. 


Die Stufenfolge ift angemeflen. Bon den Figuren find die meiſten 
anfpredend; am wenigften gilt das von denen der dritten Stufe, wo 
manche Borderanfihten von Gegenftänden fehr willkürliche, in Wirklichkeit 
nie vorlommende Verzierungen erhalten haben. Wenig zwedmäßig erfcheint 
es und, auf den erften Stufen ſchon keilförmig verbidte Linien darſtellen 
zu lafien, da bierzu ein jo weiches Material gehört, wie es den lindern 
weder in Schiefer:, noch Bleiltiften dargeboten werben kann. 


5. Anleitung und Stoff für ben Zeihenunterridt an Bolls- 
ſchnlen in brei Heften von Fr. Huther, Lehrer bes Zeihnens am Lönigl. 
Säullehrer-Seminar und ber lönigl. Lateinſchule in Katferslautern. Zweite 
Auflage. Heft I-IU. gr. 4. Heſt L und II. à 20 BL, Heft IIL 16 Bl. 

Raiferslautern. 3. 3. Taſcher. 1867. 


Diefe drei Hefte enthalten ein reiches, zwedmäßig georbnetes und 
geihmadvoll ausgeführtes Material für den Zeihenunterriht in Vollsſchulen. 
Das IN. Heft nimmt Rüdfiht auf die Bedürfniſſe in Mädchenfchulen, 
was Beifall verdient. 


6. Die Heinen Zeichner. 50 Borlegeblätter zunähft für bie Primär- 
Schulen des Großberzogtbums Luzem ara herausgegeben von P. Kemp. 
Erfter Theil. gr. 8. Luxemburg, P. Brüd. 1864. 


Diefe 50 Vorlegeblätter ftellen eine Art Zeichenſchule dar. Zunädit 
wird Gelegenheit zur Cinübung gerader und frummer Linien und der aus 
ihnen zufammengefeßten Yiguren gegeben. Daran reiben ſich danır leichte 
Landſchaften, Blumen, Früchte, Thiere und der Menſch ſelbſt. Der Fort: 
ſchritt erfolgt mehrfach fehr rafh. Die Ausführung iſt ziemlih gut, bier 
und da in den Linien nicht zart genug. 

7. Der Heine Zeichner. Zuſammengeſtellt von Zofef Walter. Heft 
I—VI. ga. gr. 8. & Heft 20 Blatt. Prag, Verlag bes Herausgebers. In 
Commiſſion bei Fr. Rziwnatz. 


Der „Kleine Zeichner” zerfällt in zwei Theile, von denen der erſte 
(Heft 1 und 2) die Elemente des Zeichenunterrichts überhaupt enthält, der 
zweite (Heft 3—6) perjpectivifche Formen. Heft 1 ftellt die gerade Linie 
in ihren verjhiedenen Richtungen und Berbindungen zu Winkeln und 
Figuren dar, Heft 2 ebenfo die trumme. Sobald die Möglicpleit gegeben 
ift, aus geraden und krummen Linien allerlei Lebensformen darzuftellen, 
geſchieht es. Die Stufenfolge ift zwedmäßig, und durch Ginlage der 
Lebensformen entfteht Mannigfaltigleit. Zür die Perfpective ift in den 
folgenden Heften ebenfalls ein an und für ſich brauchbarer Lehrgang auf 
geftellt. Nur begreifen wir nicht, wie man in zwedmäßiger Weiſe Perſpec⸗ 
tive lehren fann, ohne dabei von geeigneten Körpern (Modellen) auszu⸗ 
gehen. Für den Anfang wird allerbings eine eingerahmte Glastafel in 
der befannten Weiſe zur Beranfhaulidung benutzt; dann aber werden ſehr 
bald Gegenftände perfpectivifch gezeichnet, die dem Schüler nicht vorgeftellt 
werden können, wie Betigeftelle, Bänte und Stühle mit gerablinigen Lehnen, 
wie fie gar nit in Wirklichkeit eriltiren, u. |. w. Es muß alſo flatt 
nah der Natur — aus dem Kopfe gezeichnet werben, was ſchließlich auf 


Zeichnen. 481 


vollfiändigen, nad einigen Regeln vollgogenen Mechaniſsmus binausläuft. 
Daraus Tann weder ein erheblicher Nutzen für die Bildung des Auges 
noch für das praltifche Leben erwachſen. | 

Bir empfehlen dem Verfaſſer das Stubium der Beichenmerle von 
Peter Schmidt, Frande, Heimerdinger u. N. 


8. Der kleine Zeihner. Eine Anleitung für ben Elementar⸗Unterricht im 
Freihandzeichnen. Zum Gebrauch an Bürgerfchulen und zum Selbftunterricht, 
Bon F. W. Zrefau, Zeichenlehrer an der Bürgerichule zu Zwidau. gr. 8. 
(ya unb * S. mit eingebrudten Holzſchnitten.) Leipzig, I. Klinkhardt. 

. Thlr. 


Der „kleine Zeichner“ enthaͤlt eine gut abgeſtufte Anleitung zum 
elementaren Zeichnen. Dieſelbe beſieht aus ſauber ausgeführten Holzſchnitt⸗ 
zeichnen mi darunter hefindlichem Text für bie Ausführung. Die Abſicht 
des Verfaſſers iſt, mit feiner Schrift dem Lehrer eine Handreichung zu 
gewähren. Cine kurze Einleitung Spricht ſich über das Unterrichtönerfahren 
des Verfaflerd aus, dem man im Ganzen wohl beiftimmen kann. 


9. Borlegeblätter zu einem fufenmäßigen Zeihnungs-Unter- 
richt im ber Beltefdule und zur Selbſtbildung. Herausgegeben von Franz 
fell. 8. Heft 1-11 und Heft 16. Chur und Leipzig, Grubenmannjche 
Berlsgehanblung. (EC. Er. Gſell.) à Heft. 4 Sr. 


10. 100 Borlegeblätter zum erſten und fortichreitenden Untexricht im freien 
Handzeichnen von Franz Gſell. 8. Ebendaſelbſt. In Futteral 24 Ser. 


Der Herausgeber hat uns ſchon mit einer Neihe ähnlicher. Vorlege⸗ 
blätter beſchenkt. Beide Sammlungen enthalten eine Reihe brauchbarer 
Zeichnungen, die zweite ausfchließlih krummlinige, namentlich ornamentale. 
Gegen die Stufenfolge ließe fih Einiges einmwenden; da aber die Zeich⸗ 
nungen jelbft gut find, jo kann man fih durch Abänderung der Folge 
leicht helfen. 


11. Syſtematiſche ee von Beruhard Xöfener. qu. gr. 8. 
Heft 13 bis 20. Potsdam, Riegel. (A. Stein) & Heft 10 Sgr. 


Heft 13 und 14 enthalten Blattformen, Heft 15 bringt Blätter und 
Ameige, Heft 16 Blumen (Contourzeichnungen), Heft 17 Früchte (Contour⸗ 
und ausgeführte Beichnungen), Heit 18 Blumen mit Schattenausführung, 
Heft 19 und 20 Vorübungen zu freien Handzeichmungen. 

Diefe Zeihnungen eignen fid für Schüler, die einen Elementarhurſus 
im Zeichnen durchgemacht haben. Die Formen find gefällig; die Aus 
führung iſt gut. - 
12. 34 Blatt Borlagen für den erfien Linearzeihenunterricdt. 

Bearbeitet und zufammengeftellt von Carl Bolg, tönigl. Lehrer für das 

Drnamenten-Linearzeichnen und Modelliren an der königl. Kreidgewerbe- 
ſchule Kaiferslantern. gr. 4. Nörblingen, C. 9. Bed. 1867. 1 Thlr. 
74 Ser. 

Diefe Vorlagen enthalten nicht die eigentlihen Elemente des Linear: 
zeichnens, wie das Zeichnen von Winkeln, Parallel-Linien, Theilung der 
geraden Linien und ebenen Flächen: Figuren u. |. w., fondern zeigen bie 
prattiihe Anwendung der elementaren Geometrie in Darftellung von 

Pad. Japreßberiht. ZIX. ' 31 











482 Zeichnen. 


Figuren, wie fie die Technil im Leben verwendet; fie können alfo da zur 
Benubung kommen, wo jene Clemente erworben worben find, im Ganzen 
alſo auf einer frühen Stufe in techniſchen Lebranftalten. Erfindung mie 
Ausführung der dargebotenen Zeichnungen find im höchſten Grabe geſchmad⸗ 
voU, daher eben fo ſehr geeignet zur Gefhmadsbildung wie zur Erlangung 
der in Ausficht genommenen Fertigkeit. Wir haben lange nicht eine fo 
hüũbſche Arbeit in Händen gehabt. 


13. Zeihuende Geometrie zum Schulunterricht und jum Privatſtudium. 

it 12 Figurentaſeln und einem Muflerblatt in Farbenton. Bon Chr. 

Paulus, Berfaffer der Grundlinien der neueren ebenen Geometrie. gr. 8. 
(XX und 151 S.) Stuttgart, I. B. Mebler. 1866. 13 Thlr. 


Der Berfafier handelt in ſechs Abfchnitten vom Gebraud des Lineals, 
vom Gebrauh der Winkeldreiede, des Zirkels, von den unzugängliden 
Buntten, von den Ergänzungen der Kreislehre und von der Kreisberührung. 
Ein Anhang behandelt no die Symmetrie ebener Syſteme, worauf der 
Verf. überhaupt von Anfang an ein größeres Gewicht legt, als es in ähnlichen 
Schriften zu gefchehen pflegt. Wir billigen das ſehr, da hierdurch mancher 
Erſcheinung des Lebens wefentlih Vorſchub geleiftet wird, ohne daß doch 
der Unterricht in das Mechaniſche und rein Praktiſche verfällt. Das Bud 
fann überhaupt zu den recht brauchbaren und daher empfehlenswerthen 
gezählt werden. Die Abbildungen find fauber ausgeführt. 


14. Anleitung zum Linearzeihnen, mit bejonberer Berüdfichtigung des 
gewerblien und technifchen A eichnens, als Lehrmittel für Lehrer und Schüler 
an den verfchiebenen gewerblichen und technifchen Lebranftalten, jo wie zum 
Selbſtſtudium von Profefior G. Delabar, Conrector der Cantongſchule 
und Borfland der Fortbildungsfhule in St. Gallen. Im drei Theifen. 
qu. gr. 8. Erſter Theil: Das geometrifche Linearzeihnen. (58 S. Xert 
und 16 litbograph. Tafeln.) Zweiter Theil: Das projective Zeichnen 
ober bie darflellende Geometrie. Erſte Abtbeilung: Die Glemente ber 
barfiellenden Geomerrie. (76 S. Text unb 16 lithograph. Tafeln.) Zweite 
Aeteilung Die weitere Ausführung ber rechtwiukligen Projectionsart. 
(114 S. Text und 28 lithograph. Tafeln.) Freiburg i. Br., Herder. 1867. 
& Heft 18 Sgr. 


Es fehlt nicht an Schriften mit Vorlagen für das Linearzeihnen. Die 
vorliegende zeichnet ſich durd eine gute Stufenfolge, durd Klarheit im Terte 
und dur fauber ausgeführte, vielfah auf das praftiiche Leben Rücſicht 
nehmende Zeichnungen aus, kann daher empfohlen werden. 














XII. 
Turnen. 


Bericht 
über die in den Jahren 1865 bis 1867 über Leibesübungen (in 
Deutſchland) erjhienenen Schriften, 


erftattet von 
Director Dr. 3. €. Lion. 


In die Mitte der Jahre 1865 bis 1867, über deren Turnliteratur 
zu berichten ift, fällt die größte Aufregung und Bewegung, der gewaltigſte 
Umſchwung der Dinge, welhen das gegenwärtig lebende Geſchlecht ver 
Deutihen erfahren bat. Dem Berichterfiatter raubten die Greignifie des 
Vorjahres feiner Zeit jede Spur von Neigung, ſich in kritiſchen Betrach⸗ 
tungen über die ſchriftſtelleriſchen Erzeugniſſe feiner Fach⸗ und Strebens⸗ 
genoſſen zu ergeben, während ſich die Geſchide des Vaterlandes auf den 
Schlachtfeldern entichieven. Dies wird man faum jo auffallend finden, als 
ih jelbft es jebt finde, daß unter dem Stoß von Büchern, welcher vor mir 
liegt, nur fo wenige etwas von dem Einfluſſe der Erſcheinungszeit verrathen, 
Bedentt man, in welhem Maße geringfügige politiihe Strömungen früherer 
Jahre die Richtung und den Charakter gerade der turnerijchen Bücher be- 
ftimmt haben, fo giebt es zu manderlei Gedanken Anlaß, wenn man fieht, 
wie wenig dies in den lebten Brei Jahren der Fall war. Iſt der Zuſam⸗ 
menbang zwijchen den turnerifchen und anderen Beitrebungen, welche durch 
unſer Boltsleben geben, loderer geworden? Schwerlich! Kamen bie Greigs 
nifje des Jahres 1866 etwa jo unerwartet, daß fein Schrüftfteller Zeit 
und Befinnlichfeit genug batte, feine Gedanten zu ſammeln und zu den 
Greignifien in nähere Beziehung zu fegen? Aber in allem Zurnmwejen lag 
doch von jeher ein Zug zur Einheit und Abrechnung mit mancdherlei 
Undeutſchem in unferer Entwidelung. Oder hatte im Gegentheil die Span= 
nung und Echwüle der Erwartung dem Gefchebenden das Ueberraſchende 
genommen? Auch denen, die in Hoffnung ftart waren, kam es über: 
rafchend genug. Sagen wir uns lieber, daß eben die Gewißlheit jenes 
Zugs zur Einheit, melde den turnerifhen Schriften nicht erſt feit geftern 

31* 


% 





484 Turnen. 


und vorgeſtern Farbe gab, welche ſtets allem Sonderweſen und jeder Spal⸗ 
tung auf dem Gebiete des deutſchen Turnens (Dal. unſern Bericht über 
die Schriften aus dem Jahre 1864!) beharrtlich wiberftritten hatte, dieſen 
Zweig der öffentlichen Literatur unbeirrt dur) das, was Trennendes oder 
Einigendes Großes vor unferen Augen geſchah, fortwachſen lief. Wenig 
Rens treffen wir mit diefer Annahme die Wünſche der Schriftileller, von 
denen die Mehrzahl, wenn fie den Mund aufthut, fi unzweifelhaft nidt 
nur die nädhften Stammgenofien und Nachbarn, fondern, um wit G. M. 
Arndt zu reden, alle lieben Deutſchen als Zuhörer dent. 


Das Tumen hat, wenn man es nad feinen verfchiedenen Beziehungen 
und Seiten betrachtet und nicht eine einzelue Erſcheinungsform der in ihm 
wirtjamen Idee als die Ausſchlag gebenve bevorzugt, in den legten Jahren 
keine Rüdjchritte gemadt. Man muß es nur nicht bloß auf den verwaiften 
Turnftätten einzelner Bereine, in den engen Zumijälen der Schulanftalten, 
auf den unwirthlichen Drillpläßen der Solvaten prüfen, jondern die Rüd⸗ 
fohritte an einem Orte gegen den Fortgang, welden es an anderen Orten 
gewonnen bat, ausgleichen; und nicht minder wird es geftattet fein, auch 
über die Gränzen des alten Bundesgebietes hinaus ven Blid in weitere, 
transoceaniſche Fernen jchweifen zu lajjen, in denen bie Pflege der Zum: 
tunft vaterländijhe Erinnerungen wah zu halten, Schäße deutſcher Sitte 
und Bildung zu bewahren und zinstragend auszubeuten nit das unmirt: 
jamfte und unbegebrtefte Mittel bietet. 

Im Anfange des Jahres 1867 haben vie Zurner der vereinigten 
Staaten NRorbamerilas, dem Borgange ihrer deutſchen Landsleute folgend, 
wiederum eine turneriſche Statiſtik unternommen, veren Ergebniß die 
empfehlenswerthe ameritanifhe Turnzeitung 
1. Unfere Zeit, Organ bes Nord⸗Amerikaniſchen Turnerbunbes. Heran- 

gegeben von Adolph Frey. Tincinnati, Obio. III. Jahrgang. 


ausführlich mittheilt. Der Bund zählte im April 118 Qurnvereme mit 


8034 Mitgliedern, von denen etwa die Hälfte praltiide Turner. In den 


Vereinsturnſchulen erhielten 3530 Knaben und 186 Mävchen Turmunter: 
riht durch 105 Turnlehrer. Viele diefer Vereine dehnen ihre nützlichen 
Bemühungen, ſobald fie nur der erften Noth des Kampfes um das eigene 
Dafein entronnen find, auf die Berbreitung deutſcher Gefelligfeit und vor- 
nebmlih auch deutſcher Volksſchulbildung aus und fehben in vielen 
Fällen ihr Streben durch den Erfolg belohnt. Vor dem Bürgerfriege be: 
ftand der Turmerbund ans 73 Bereinen mit 4080 Mitgliedern und noch 
nicht 1000 Turnſchülern. Hier bemweifen die Zahlen einen unleugbaren 
Fortſchritt. 

Ueber mannigfache deutſche Turnvereinsbildung in den verſchiedenſten 
Ländern ſämmtlicher Erdtheile giebt bereits das 


2. 3vweite ſtatiſtiſche Fu ber Turnvereine Deutihlande. 
“Im Auftroge_ des Ausſchuſſes der beutichen Zurnvereine. Herausgegeben 
von erg Hirth Leipzig, Eruft Keil. 1865. 24 Bogen (384 &aten). 

gr. 8. x. 














Turnen. 485 


S. 191 bis 206 erfreulihe Kunde, und wir wiflen durch vielfache Corre⸗ 
ipondenzen jüngeren Datums, daß diefe Vereine des näheren und ferneren 
Yuslandes auch heute noh in gleihem Sinne ihre Schulvigleit thun. 
Wenigſtens die angeführten Zeiten jenes gegen Ende bed Jahres 1865 
ausgegebenen Jahrbuches geben zu niederſchlagenden Erwägungen bis jet 
feinen Anlaß. Bon den vorausgehenden Schilderungen ber Turnvereinszu⸗ 
Hände innerhalb Deutihlands und ben Tabellen, in denen dieſelben 
zahlenmäßig dargeftellt find, könnte man bies freilich eher fagen, ohne allge= 
meinen Widerfpru fürchten zu müfjen. Ueber die fünfzehn Kreiſe, in welche 
die Turner vorzugsweife zum Behuf ftatiftifcher Aufnahmen mit Ausnahme 
der deutſchen Schweiz das gefammte Bebiet deutſcher Zunge getheilt haben, 
liegen in dem genannten Jahrbuche, defien erftes Erfcheinen im X VI. Bande 
des Päd. Jahresberichts, S. 308 angezeigt ift, die Berichte von 37 Mit: 
arbeitern vor, zum Theil venjelben, wie früher. Es berichten nad gleich⸗ 
lautenden dur den Herausgeber des Jahrbuchs, Dr. ©. Hirth, veranlaßten 
und in der Einleitung zum Jahrbuche erläuterten und begründeten Sche⸗ 
maten über den Norboften Dr. 8. Frievlänver in Elbing, über Schlefien 
und Südpoſen Hauptturnlehrer Roͤdelius in Breslau, über Pommern Redac 
teur ©. Wiemann in Stettin, über Brandenburg Dr. med. E. Ungerftein 
in Berlin, über die preußiihe Provinz Sachſen und Anhalt Dr. Zapp in 
Magdeburg, über den Norden, Mellenburg, Hamburg und Lübed und bie 
Glbherzogthümer Dr. H. Sommer in Lübed, über das Gebiet der Nieder 
wefer und Ems Zurmlehrer R. Rakow in Bremen, über Hannover Eiſen⸗ 
bahnrechnungsrevifor Sonne in Hannover, über das Gebiet der oberen Weſer 
J. Miquel in Göttingen, jeßt Bürgermeifter in Dsnabrüd, über das Rieder 
theinifhe und MWeftphalen Kaufmann A. Delius in Bielefeld, über das 
Mittelrbeiniihe 3. U. Bernhardt in Gießen, über Baven und Pfalz Dr. 
K. Waßmannsdorff in Heidelberg, über Schwaben Procurator Th. Georgii 
in Ghlingen, über Bayern Turnlehrer EC. Start in Nürnberg, über Thü—⸗ 
ringen Seminarlehrer C. Hausmann in Weimar, über Sadjen Dr. med. 
E. Friedrih in Dresden, über Böhmen und Mähren Dr. med. ®. Dreßler, 
über das übrige Deiterreih A. F. Böhme in Lindenau auf Grund der von 
Nedacteur Leber in Wien geſchafften Vorarbeiten. Dem zufammenfafien: 
den Gejammtberichte des Herausgebers entnehmen wir folgende Zahlen. 
Bon 1934 Vereinen, welche gegen Ende des Jahres 1864 beftanden, 
entftanden -3 im Jahre 1841, 5 im Jahre 1842, 8 im Jahre 1843, und 
fo fort von Jahr zu Jahr, 11, 14, 12, 28, 15, 5, keiner im Sabre 
41851, dann weiter 6, 1, 5, 11, 13, 27, 585; im Sabre 1860 bildeten 
fih 247, 1861 fi. 453, 520, 336, 151. Sie zählten 167982 Mit 
glieder nebft 30451 Bereinsfchülern und 4283 Schülerinnen, insgefammt 
alfo 202666 Bereinsangebörige, eine anſcheinend große Zahl, doc immer 
noch verfhwindend Hlein, wenn man erwägt, daß felbft in dem am beften 
geftellten Königreih Sachen auf 1000 Landesbewohner erſt 14,11, in 
Defterreih gar nur 0,94 Turner kommen. — Zur leichteren Heberficht 
über die Vertbeilung der Turnvereine auf die verſchiedenen Theile Deutſch⸗ 
lands können die Karten von Fleiſchmann und Brunner dienen: 


4805 Turnen. 


2b. Fleiſchmann, C., Karte ber dentſchen Turntreife nach ber durch ben 
Ausſchuß der beutihen Turnvereine am 28. und 29. ember 1861 in 
Gotha getrofienen Abgränzung und ben Angaben bes ftatiftiihen Jahrbuches 
von 1865. Berlin, 1866. Ad. Berg. 2, Sur. 


2c. Deutſchlande Turnflätten, Ueberſichtokarte zum Jahrbuche der bent: 
hen Zurnvereine. Nürnberg, 1866. Georg Brunner. 20 Sgr. 


Eine Ergänzung zum ftatiftifchen Jahrbuche ‚giebt die 


2d. Statiftil von ſechs Turmvereinen und zwei Turngeſellſchaften von Ober- 
öfterreih und Salzburg. Galzburg. 1866. Zaunrieth. 


Es ift fiber, daß ſich die Berhältnifie gegenwärtig nicht gebeflert baben. 
Die Zahl der Qurnvereinsangehörigen bürjte zur Zeit um ein Viertel oder 
Drittheil geringer anzunehmen fein, aber es ift tröftlich zu erfahren, daß 
wenigitend nur eine Heine Anzahl von Vereinen, wenn aud die meiften an 
Mitgliedern verloren haben, gänzlich eingegangen ift und die Kräfte, durch 
beren Pereinigung die Turnvereins⸗Statiſtit, dieſes nad Engels Urtbeil, 
„größte und gebiegenfte Werk der Brivatftatiftil”‘, zu Stande gelommen if, 
mit gleicher Opferwilligleit zu gemeinjchaftliher Arbeit gejellt find. 

Der dem Tabellenwerte beigegebene „Verſuch einer Statiftit der Kür: 
perbeſchaffenheit und ZLeiftungsfähigleit bei den deutſchen Zurnern von 
MW. Angerſtein“ ift in der That wegen Mangel an zablenmäßigen Unter: 
lagen und Methode in der Aufiammlung des Stoffe ein bloßer Verſuch 
geblieben. So weit aus dem vorhandenen Material Schlüſſe gezogen wer: 
ven konnten, dienen fie als eine Betätigung der zuerit vom Berichterftatter 
aufgeftellten Hypotheſe: daß der fogenannte mittlere Menfch, welder gleich⸗ 
fam das Mufter darftellt, nach welchem die Natur fchafft, im Allgemeinen 
bei allen leiblihen Leiftungen der bevorzugte fei, nicht aber der Niefe und 
nicht der Zwerg. ° 

Die von Dr. Hirth dem Jahrbuche weiter beigegebene „Ueberficht 
ber feit dem Jahre 1859 bis Mitte 1865 erfchienenen turnerifhen Schrif 
ten und Aufjäge” (S. 239 bis 270 des Jahrbuchs) zeichnet fih durch 
Bollftändigleit und gute Ordnung aus und kann denen nicht genug 
empfohlen werben, welche ohne Kenntniß des Meiften, was über die ein 
zelnen Theile und Stüde des Turnweſens bereits Vortrefflihes over 
Schlechtes gefchrieben ift, fih mit turnerifher Schriftfiellerei abgeben. Um 
ſo mehr, als diefe Weberfiht auch ein SInbaltöverzeichniß eines ſchon im 
Päd. Yahresberiht Band XVII, ©. 585 erwähnten Wertes aufgenommen 
bat, welches recht eigentlih den Zwed bat und ganz zu ‚erfüllen geeignet 
ift, durch allgemeine Eröffnung ver in einer weitfchichtigen Literatur zer: 
freuten und deshalb nicht Jedem zugänglichen Schäße guter Gedanken über 
alle Theile des Turnweſens unbefugter und unberufener Schriftitellerei 
Oteine in den Weg zu legen. Dies ift 


3. Hirth, G. Dr. Das gefammte Turnweſen. Ein Leiebud für 
deutſche Turner, enthaltend Über 100 abgefchloffenen Muſterdarſtellungen 
bon fben vorzüglichften älteren unb neueren Turnſchriftſtellern. Mit ben 
Bildniſſen von Guts Mutbs, Vieth, Jahn, Eifelen, Harniſch, Paſſow, Spieh, 
Martens, 1 Band von 59 Bogen (944 Seiten). gr. 8. Leipzig, E. Keil. 
1865, 2 Thlr. 22% &Sgr. 


Turnen. 487 


„Wir haben hier, fagt ein competenter Beurtbeiler, Dr. Euler in Berlin, 
in der Zeitfchrift für das Gymnaſialweſen XXI, I. ©. 45, ein Berl vor 
und, das mit großem Fleiß und guter Saclenntniß angelegt, dem Zur: 
ner — und auch dem Turnlehrer — eine ganze Turnbibliothek erſetzen, 
ihm in einer Reihe von Mufterauffägen einen Ueberblick über die Literatur 
bes gejammten Gebietes der Leibesübungen geben, eine Quelle mannigfacher 
Belehrung für ibn werden fol”. Die Vorrede des Buches beginnt mit 
den Worten: „Auf allen Gebieten menfchlicher Thätigleit und Erkenntniß 
ift wahrer Kortfchritt nur möglih, wenn bie vorausgegangenen Errungen⸗ 
haften gründlih gelannt und zwedmäßig benußt werden... Auch unfer 
deutfhes Turnweſen kann nur gedeihen und fich ftetig fortentwideln burd) 
die innige Verbindung aller der reihen Erfahrungen, vie feit zwei Men: 
ſchenaltern in und mit der. Sache gemacht worden find. Wir müflen das 
Streben unferer Vorkämpfer herüberleiten in unfer eigenes, ſoll biefes 
wahrhaft fruchtbringend werben... .. Die Freunde und Förderer unferer 
Sache zählen nady Zaufenden und ftehen zumeiſt im regen, ihre Kräfte 
vollauf in Anfpruch nehmenden bürgerlihen Berufsleben; den Wenigften 
unter ihnen ift es geftattet, felbit juchen zu geben auf einem Felde, das 
fie nur zur Erholung oder in gemeinnüßiger Abficht betreten haben. Unſere 
Sammlung foll ihrem Streben entgegentommen, ihre Arbeit erleichtern.” 
Niemand, der diefen Worten der Vorrede Glauben jchenkt, wird fih ge: 
täuscht jeben, wenn er den Anhalt durchmuſtert. Sämmtliche 133 Auf: 
fäße, deren Bujammenftellung ihn’ ausmacht, find unter acht allgemeine 
Meberfchriften gebracht. „Der erfte Abjchnitt enthält 14 Aufſätze über 
Begriff, Eintheilung und Werth der Leibesübungen, volksthümliche und 
ftaatlihe Bedeutung der Zurnlunft und Zurnziel. Der erfte und zweite 
Auffas von Jahn und Thierſch aus der Vorrede zu der Pindarausgabe 
des lepteren, bilden gleihjfam die Widmung und beftimmen die Signatur 
des Ganzen. Der dritte von Lion, das Syſtem der Turnübungen über: 
ſchrieben, giebt in ähnlicher Weife die Dispofition. Dann folgen Arbeiten 
von Förftemann, Villaume, GutsMuths, Jacobs, Koh, Richter, Raumer, 
Arndt, Spieß, endlich die Denkſchrift der deutjchen Turnerfhaft vom Jahre 
1860, welche den Lejern der Päd. Jahresberichte durh Bd. XV, ©. 607 
befannt iſt.“ 

Der Abſchnitt über Betrieb des Turnens im Allgemeinen und einzel- 
ner Turnarten enthält Auffäße von F. 2. Jahn, ziemlih Alles, was Jahn 
1816 in feiner claſſiſchen „deutſchen Turnkunſt“ zur Sache beigebracht 
bat, fodann von Dürre, Lion, Waßmannsborfj, Spieß, Richter, Duboise 
Reymond, Gut Muths, Vieth, Maul, Angerftein, Bod, in Allem 33 Stüd 
und damit wohl eine genügende Zahl von Beifpielen, wie ältere und 
jüngere Xechniler insbejondere einzelne Turnarten lehrgemäß darzuftellen 
beftrebt find. 

In dem Abjchnitt III, Begründung des QTurnens, Spiele und Feſte, 
erſcheinen mit Recht zuerit wieder Jahn und feine jüngeren Zeitgenofien 
Dürre, Mafmann, dann GutsMuths und Schaller, abermals Jahr, Raven 
ftein, Martens, Schlönbach, Iſelin, Baur, endlich eine Reihe von Yeft: 
sebnern von Langethal (1836) an bis auf Herm v. Treitſchle (1868). 





4883 Turnen. 


Der Geift, welder alle diefe Redner erfüllt und fie treibt, Zeugniß abgu⸗ 
legen von der Bewegung ihres Gemüths, mag manchen Leuten unbequem 
fein (Bergl. in dem neuen Jahrbuch für Phil. und Pädagogik 1866. 
II. Abth. S. 583 die Worte: „Die natürlih ſiets mit ſchwarz⸗roth⸗ 
goldenem Hintergrunde das turneriſche Gut Heil illuſtriren und auch die 
Gelegenheit zu politifchen Grcurfen nit verfäumen‘!), denn es ift eben 
ber Geift, den ich Eingangs von dem Zug zur Einheit ergriffen begeidmete ; 
nichts deſto weniger möchten wir ihn aus dem Stüde Bollsleben, das fid 
in biefen Neben abjpiegelt, nicht weg beftillitt fehen und find ebenfo über: 
zeugt, daß fi feiner ver Redner feiner „Schwärmerei‘’ ſchaͤmt, wie wir 
glauben, daß bie Lefer der pädagogifchen Jahresberichte der Meinung jein 
lönnen, es hätte ſich einer von jenen derſelben zu ſchäͤmen. 

Im Abſchnitt IV über das Turmen als Mittel zur Erziehung der 
Jugend und als Gegenfiond des Unterrichts in Schulen und über Mäpden: 
tunen vertritt Peſtalozzi die erſte Zeit einer wieder auflebenden in Formen 
und Bielen modernen Gymnaftil. Niemeyer, Harniſch, Paſſow fteben auf 
dem Boden der Jahnſchen Zeit, Maßmann, Kaliſch und Baur fchreiben 
unter ihren Nachwirkungen und Grinnerumgen. ine Aehrenleſe aus Spieß 
Schriften giebt einer neuen Periode die Grundlagen der geiftigen Arbeit, 
Dreier, Scheibert, Lion, Maul, Klo nehmen ſämmtlich mehr für als wider 
Bartei, — daß Über das Mäpchentumen nur Maßmann und Klumpp zur 
Ausſprache gelommen find, bat in der literariſchen Bernadläffigung dieſer 
Seite des Iumunterrichtd feinen guten Grund. GEs möchte ſchwer fein, 
originale Aufjäße von einigermaßen anſprechender Faſſung aus ber Zeit 
vor 1864, in welder Hirths Buch zufammengeftellt wurde, über das 
Mädchenturnen nachzuweiſen. Die älteren Schriftfteller find über viefen 
Gegenſtand ſaͤmmtlich ſehr ſchweigſam oder reben zu ungejihidt. Neuerdings 
, würde ich 


W. Jenny, über das Turnen der Mädchen, Deutſche Turnzeitung 
1865, 6. 362, 

Növdelius, über das Tutnen der Mädchen, Deutſche Zurnzeitung 
1865, ©. 174, 

C. 9. Schildbach, über das Tumen der weiblichen Jugend, Deutſche 
Zurnzeitung 1866, ©. 131, 


empfehlen. 

Im Abſchnitt V ſprechen über das Turnen als Mittel zur Erziehung 
zum Kriegsodienſte, Soldatenturnen, Wehr: und Waffenübungen GutsMuths, 
Paſſow, v. Schmeling, ver eigentlicdde Slaffiter auf diefem Felde, ferner 
Klumpp, W. Fiſcher, Lange, Stoder, Lion, v. Scherff, W. Lübed, Scheidler, 
und Gifelen in 13 Auffägen. 

Zehn. Auffäge von Busch, Schreber, Richter, Ideler, Schildbach, Meyer 
machen: ven Abſchnitt VI über das Turnen zu tein geſundheitlichen Zwecen 
und tiber Heilgymnäftit aus. Der lebte Auffag von H. Meyer gehört 
fireng genommen nicht in das Bud. 

Abſchnitt VII, 8 Nummern über die Leibesübungen früherer Zeiten 
und "fremder Böfler ift gleich dem Abſchnitt VII, wolcher Unterhaltendes 


Turnen. 489 


gelungene Erzeugniſſe eines Humors, ber im Vollgefühl ber guten Sache 
den eigenen Gruft gelegentlich verjpottet, in 9 Nummern beibringt, als 
eine Art von Anhang zu betradıten. Gr enthält Lukians Anacharſis nad 
Wieland Ueberſetzung, Auffäße von ZYäger, Curtius, Kaufe, Meyer, ein 
Gedicht von Hans Sachs u. |. m. 

In allen Abſchnitten zufammen finden fi Arbeiten von 72 Ber 
jaſſern. Wenn man diefen over jenen belannteren Namen vermißt, jo ift 
meiftend zweierlei zu bemerken, nämlich daß einerfeits bie Abſicht ber 
Hirtbfchen Sammlung nirgend auf biftoriihe Darftellungen gieng und des: 
halb ebenſo Alles, was für die Gegenwart weder praktiſches noch theore⸗ 
tifches Snterefie mehr hat, wie alles Biographiihe ausjhloß,*) und daß 
andererjeits dem erjten und originalen Schriftſteller faft jederzeit vor dem 
zweiten Bearbeiter deſſelben Gegenftandes der Vorzug zu gewähren war.**) 
In der Zurmliteratur aber, dad kann ih ven Lejern des Päd. Jahres⸗ 
berihts mit gutem Gewiſſen verfihern, wird außerorventlih viel mit Ent 
lebnungen gemacht, mehr, und oft nur zu nachlaͤſſig reproducirt, als vedht: 
ſchaffen producirt. 


— 


Die Weberfichtlihleit des Hirthſchen Sammelwerles wird erleichtert 
durch ein vorausgefchidtes fachliches und ein chronologiſches Inhaltsver⸗ 
zeihniß, ſodann aber weſentlich durch eine 78 Eeiten lange geſchicht⸗ 
lihe Ginleitung bes Herausgeberd. Es ift wohl zu "beachten, daß 
diefe geſchichtliche Einleitung fih ausgelpredhener Maßen durchaus nicht als 
eine Geſchichte, weder der Zurnliteratur, noch gar des Turnweſens giebt, 
fondern lediglich eine Neihe erläuternder, geſchichtlicher und biographiſcher 
Andeutungen beibringen will, welche zu dem Inhalte des Buches in nächlter 
Beziehung fteben. Bon wem im Buche felbit nichts aufgenommen ift, der 
tonnte alfo aud in ver geſchichtlichen Cinleitung nicht wohl einen Plag 
finden; und fo kann es denn wohl kommen, daß Mancher diejen oder jenen 
ihm tbeueren oder bedeutjamen Namen vermißt und vollftändigere Lebens⸗ 
nachrichten von ‚Anderen findet, die ihm für den Entwidelungsgang des 
Turnens vethaͤltnißmaͤßig unmichtig erſcheinen. Die Geſchichte, Sagt F. 8. 
Zahn, ſetzt jeden. in fein Ehrenrecht, und wird einmal eine wahre Geſchichte 
des modernen Turnens gejchrieben, jo wird fie allerdings manches Namens 
ehrend gedenken mäflen, von dem die Hirthſche Einleitung fchweigt, einzelner 
Namen vielleicht aber auch nit. Vorzügliche Unterlagen für eine ſolche 
Geſchichte bietet diefe Einleitung jedenfalls in jo fern, ald eine Anzahl von 
Zurnshriftftellern auf den Wunſch Hirths die Mittheilungen über ibre 
äußeren Lebensumftände jelbft entworfen und bejorgt haben, jo daß dieſem 
Theile der Angaben große Verläßlichkeit zufteht. Gegen die Gruppirung 
der Biographien in den Rahmen fünf geſchichtlicher Perioden ift für die 
Imede des Buches wenig zu erinnern. Es find die Perioden: 


*) Sonft würben vermutblich Wiemann Aber Frieſen, Dieftermeg über Jahn, 
Bach Über bie Breslauer Turnfehde nicht Äbergegangen fein. 
*x) Wie z. B. Spieß. der Vorzug vor Niggeter. 








490 Turnen. 


I. Der Bhilanthropifien von der Begründung des Philauthropinums 
zu Defiau 1774 bis zur Grridtung de3 erſten „beutihen Zurmplapes” 
durch Jahn 5811. 

H. Der vollsthümlien und techniſchen Begründung vom der Errich⸗ 
tung des erſten Turnplages durch Jahn 1891 bis zur Seliehung der 
Zurnpläge im Sabre 1819. 

IIL Der Zumfperre, von der Schließung der Tumpläße 1819 bis 
zur Wiedereinführung des Turnens in Preußen 1842. 

IV. Der Wiederbelebung und der ſyſtematiſch wifjenfchaftlichen Weiter: 
führung von der Wiedereinführung des Turnens in Preußen bis zum erfien 
deutichen Zurnfefte in Coburg 1860. 

V. Des neueſten Aufihwungs vom erflen deutſchen Turnſeſte zu 
Coburg 1860 bis jeßt. 

Gine allgemeinere geſchichtliche Betrachtung würde mit vier Abjchnitten 
auslommen. 

Abſchnitt I: Die Zeit vom Waffenglüd Friedrichs des IL. bis zur 
Zeit des Weltkriegs: Die privaterzieberiihe Gymnaſtik. Baſedow, Vieth, 
Guts Muths, Peftalozsi. 

Abſchnitt 2: Die Zeit des Weltkriegs: Die patriotiſch⸗nationale 
Zumlunf. Jahn, Harniſch u. a. . 

Abſchnitt 3: Die Zeit der Reftauration: Das Anflaltsturnen mit 
idealem Hintergrund. Eijelen, Maßmann. — Werner, Clio, Amoros. 

Abſchnitt 4: Die nahmärzlihe Zeit: Das Vereins: und Edul- 
tunen. Spieß, Rothſtein und die ſchwediſche Gymnaſtik. Staatsturn⸗ 
anflalten und officielle Leitfäden. 

Es würde zumweit führen, wollte ich hier die Berechtigung dieſer Ab: 
Schnitte durch eine Art von Charafteriftit derjelben nachweiſen. jedenfalls 
genügt e3 nicht, den Abſchnitt I nur vom Standpuntt der Philanthropine 
anzufehen. Crideinen doch dieje felbft nur ein Produkt der in die bürger 
lien Kreiſe eindringenden Aufklärung des mathematiſchen Jahrhunderts 
und des in ben vergleihsweife frienlihen Zeiten zwiſchen dem Tjährigen 
Kriege und der franzöfifchen Revolution langjam aufblühbenden bürgerlichen 
Wohlſtandes und Behagens. Andererjeit3 baben Peftalozzi’3 Beftrebungen 
mit denen Bajevoms wohl eine gemeinfchaftlihe Wurzel, laufen aber im 
Hebrigen ganz getrennt neben ihr ber. Die franzöfifde Revolution und 
was ihr folgte, nahm den Deutſchen das Reich, aber fie gab ihnen dafür 
das Baterland zurüd. Die Gymnaftit befam ſchon vor Jahn durch die 
Beftrebungen Vieths und GutsMuthe, durch die Tugenbbündler, durch 
Yichte, dur Stein und Schamborft, einen nationalen Zug, ehe fie ih Jahn 
für eine Beitlang zum ausſchließlichen Arbeitsfelve erter. Hier hätte auch 
Schleiermacher eine Stelle zu finden, ber einzige aller paͤdagogiſchen Theo⸗ 
retiler, welcher die Würdigung der Turnkunſt in das Ganze feiner Theorie 
zu verfledhten gewußt bat, während alle übrigen nur ein beiläufiges und 
unſchickliches Plaͤtzchen hinter irgend einer Nebenthür ihrer Kunſtgebaͤude für 
fie haben. Wenn fih im III. Abſchnitt die Geſchichte des Turnens in 
die Geſchichte einzelner Zurnanftalten zerfplittert, und erſt gegen das Gnbe 
gleichſam auf fih befinnt, fo fließt fie doch erft in der Mitte der vierziger 


Turnen. 491 


Jahre wieder als ein leivlich zufammengehaltener und gleihmäßiger Strom 
dahin, welcher zwar theilmeife eingedämmt und aufgeftaut, doch durch man- 
cherlei Zuflüffe aufſchwoll und anfängt, für weitere Räume den Quell des 
Segens und der Befruchtung zu fpenden. Eine Barre, melde im Sabre 
1860 quer durch diefen Strom gelegt wäre, giebt es nicht. In der That 
muß die Hirthiche geſchichtliche Einleitung es feit ftellen, daß durchweg die: 
felben Männer, welhe vor 1860 für das Turnen wirkten, in gleichem 
Einne aud nachher ſich thätig bewiefen haben und das gefammte Turn: 
weſen hinterdrein einen Anftoß neuer Art nirgend empfangen bat. Sträfte 
und Richtungen find eben die alten, nur die Geſchwindigkeit der Bewegung 
wechjelt bald bier bald dort bei dieſer oder jener. Kurz, die Gefchichte der 
Turnkunſt, wäre es auch nur ein Abriß, ift noch zu fohreiben. Daß fie 
eine nüßliche Arbeit fein würde, daß das Bedürfniß berfelben empfunden 
wird, erjieht man aus mandherlei Verfuhen, melde gemadt find und 
werben, um bafjelbe für engere oder weitere Kreiſe zu befriedigen. Da ift 


4 M. Baron, Lehrer und Turniehrer, Oeſchichte der teibesübungen. 
Eine kurze und populäre Darftellung ber Gymnaftit bei den Alten und ihrer 
- Weiterentwidelung bis auf bie Gegenwart. Limbad. 1865. In Commiſſion 
bei Guſtav Erneſti. (88 S.) U. 8. 
eine Compilation aus fehr abgeleiteten Quellen, melde zwar nicht ohne 
Geſchich, jedoch, da die urfprünglihen Quellen dem Berfafier nicht zugänglich 
geweſen zu fein ſcheinen, mit wenig Kritik benußt find. Geine Abficht, 
eine mundgerechte Lectüre in leichter Form, welche weder auf tiefe Gründlich- 
feit noch auf hohe Wiſſenſchaftlichkeit Anſpruch macht, zu liefern, hat er 
mindeſtens in demjelben Maße erreicht, in welchem feine Behauptung, die 
Zurnliteratur fei mit Werken von tiefer Gründlicpleit und hoher Willen 
Ichaftlichleit bereits gejegnet, der Wahrheit entfpricht. Für denjenigen, dem 
ein ungejährer Ueberblid über die geläufigen Darftellungen der Entwidelung 
unjeres Turnweſens genügt, haben wir bislang fein befjeres Hülfsmittel, 
als fein Büchlein. " 
Ganz andere Zwecke verfolgt und auf einer ganz anderen Stufe fteht 


5. Alfred Maul, Die Entwidelung bes Schulturnens. Baſel. 1866. 
Schweighäuſer. (65 9.) 8. 


Obwohl nur eine Gelegenbeitsfhrift, wird fie dennod für gewiſſe reife 
einen bleibenden Werth behalten. Sie ift recht eigentlih eine Hauptichrift 
für angehende Schulturnfehrer, da fie in ruhiger, fchlichter, verftändiger und 
verltändliher Darftelung den dermaligen Zufland des Schulturnens aus 
jeiner Geſchichte ertlärt. Sie verbindet damit den ſachgemäßen und getreuen 
Hinweis auf die Leiftungen der vorzüglihen Männer, die in den Gang 
dieſer Geſchichte mit bejonderem Erfolge eingegriffen babeg, und eine zwar 
Ihonende, mehr andeutungsmweife als ausgeführte, aber dennoch entſchiedene 
und wohlgegründete Beurtheilung der fich theilmeife noch jebt entgegen: 
ftehenden Anfichten über das turnerifche Verdienſt und die turneriſchen Be: 
triebsweifen, melde der Geſchichte angehören oder anzugehören anfangen ; 
dabei verhehlt der BVerfafier feine Vorliebe für Spieß nicht, aber dieſe 
Vorliebe macht ihm nicht blind gegen die Ehren anderer Männer, welde 


492 Turnen. 


erheblicher ind Gewicht fallen würben, wenn die Entwidelung des 

Zumens und nicht bloß des Schulturnens zu behandeln gewejen wäre. — 
Ich glaube, daß es nicht unangebradt ift, aus einer früheren Anzeige der 
Maulihen Schrift (S. deutihe Zurnzeitung 1866 Nr. 34!) bier eine auf 
das Berhältnik von Peſtalozzi und Spieß begüglide Grörterung einzu: 
ſchalten, weldye eine von Mauls Darfiellung etwas abweichende Anſchauung 
barlegt, da die turngeſchichtliche Wertbibägung der beiben genannten 
Männer nicht wenig davon abhängt, wie man über die in diefer Grörterung 
berühete Frage dent. „Maul fagt S. 49 von Spieß: Aufgewachſen in 
Guts Muthſcher und Jahnſcher Anfıht von Zumern, ſtand ex doch zuleßt 
auf dem Standpunkte Beftalozzis. ch glaube, dieſe Behanptung ent- 
bält eine lingerehhtigleit gegen Spieß, denn eineötheild möchte es ſchwer 
werden, aus Peſtalozzis Schriften nachzuweiſen, daß er dem, was wir 
Zurnen nennen, wirklich eine erhabenere Stellung angemwiefen bat, als 
GutsMuths und Zahn. War ihm doch Gymnaftit meiftentheils der Name 
für alles bewußte körperliche Thun und ſchwebten ihm dabei als Ziel eben 
fo fehr die manderlei Arbeiten des Landhaus und der Gewerbe vor, die 
leibliben Fertigkeiten der Armuth bier und felbft die Künſte des Glavier: 
fpielers dort, ald das Ideal reiner Menjchenbildung, lag ihm außerdem ber 
Begriff einer nationalen Turnkunſt ziemlich fern. Endlich aber, und dies erjcheint 
mir als die Hauptſache, wie fehr unterfcheidet ſich felbft auf dem Papiere 
feine Methode von der Spießſchen, wenn man fie ſcharf darauf anfieht. 
Was tft das für eine Anſchauung, aus der er diefelbe ableitet, wenn er 
in ber Aarauer Wochenſchrift für Menfchenbildung (Siehe Hirths gef. 
Turnweſen ©. 436, 3. 15 ff.) alles Thun der Eltern und Lehrer, wenn 
fie ihre Kinder fliehen, geben, eſſen, trinten, heben u. |. w. lehrten, 
auf gar nichts Anderes hinauslaufen läßt, als daß fie das Sind in Be 
wegung jegen und feine Gelentjamteit üben und befeftigen? Eſſen und 
Trinken, um gelenlig zu werben! Und nun das Lebrverfahren felbft! 
Ganz verftändig redet Peſtalozzi an dem erwähnten Orte zuerfl von ber 
Naturgymnaſtik, wie fie die Eltern, insbefondere die Mutter, mit dem Rinde 
treiben. Er fagt mit Recht, daß diefe Mutterforge darauf abziele, dem 
Rinde vie Möglichkeit der Selbftforge zu eröffnen. Mitten inne zwiſchen 
beiden, d. h. zwifchen die Mutter und die Selbitftändigleit des heranwach⸗ 
ſenden Kindes trete die Schul-, Kunſt⸗ und Berufsbildung; fie habe in dem 
Augenblide zu beginnen, wo ver Berfiand bejondere Geiſtesbildung, das 
Herz beiondere Bildung bes Herzens und der Körper eine bejondere Körper 
bilvung verlange Diefe Spaltung ift eine Lieblingsfahe für Peſtalozzi. 
Dill man einräumen, daß es Hug fei, fie tbeoretifch zuzulaſſen, jo fragt ed 
ſich noch ſehr, wie weit man praltiih damit kommt. Giebt man jelbft zu, 
daß es eine Zeit giebt, in der die Erziehung bejonvere Uebungen für den 
Geift, andere für das Herz, und wieder andere für den Körper anflellen 
Eönne, fo ift doc gewiß, daß dieſe Zeit nicht plöglih, nicht als ein 
„Mugenblid‘ berantritt. Die Natur vermeidet jeden Sprung, und fo 
erlangt auch das Kind den neuen Buftand unzweifelhaft nur durch allmäh⸗ 
lie Gntwidelung. Und wenn nun dies der all ift, ift es dann gerecht⸗ 
fertigt, den bis dahin eingefchlagenen Weg der Kinder⸗Erziehung zur 





Trhen. 498 


Selbfiforge ploͤhlich zu verlafich und das ind, etma wie es leſen kant, 
da es noch nicht leſen konnte, fo mit abftracten Gelentbewegungen ohne 
alle und jede Zmedbeziehbung zu unterhalten, da es jeine Gelente längft 
ſchon zu bewegen verfteht? So wird Peſtalozzi, in der ftolgen Hoffnung 
„die ordnende und bindende Regel für alles, was dad Menjchengefchledyt 
von jeher für körperliche Entmwidelung geleiftet hat, gefunden zu haben“ 
fh jelbft ungetreu, weicht im beſten Glauben, die Yingerzeige der Natur 
ga verfolgen, von dem vechten Wege, ven er hätte verfolgen können, gänz: 
lich ab. Diejen Fehler aber hat Spieß nit begangen; auch er lief Gefahr, 
durch den ganz ſchematiſchen Aufbau feines jogenannten „natürlichen Syftems“ 
der Zurnlehre fi) in Möglichkeiten zu verlieren, ftatt der Wirklichkeit feſt 
ins Auge zu fehen; allein e3 gelang ihm, in der Praris dieſe Gefahr zu 
vermeiden, indem er in der Schule, um Peſtalozzis Ausdrudk zu gebrauchen, 
lediglih vie „Mutterforge‘ fortſetzte, zugleich aber ſich aud niemals bei⸗ 
fallen ließ, jedem Water, jeder Mutter die Zumuthung zu ftellen, melde 
Peftulogzi zur Empfehlung feiner Methode vorbradhte, mit ihrem Kinde 
ſpießiſch zu turnen. So nur warb er der Schöpfer einer wirllichen Gle- 
mentar-Schulturnmethode, auf deren Grundlagen ſich jede weilere Ent: 
widelung aufbauen läßt, und der ſich feindlich gegenüber zu ftellen, aller⸗ 
dings feine Einficht in die Entwidelung des Schulturnens verräth.” 


Eine viel geringere Stenntnik des Gegenflandes, als in Mauls 
Schulprogramme, fage ich gerabezu, eine Art Dilettantiemus zeigt fi im 
dem britten Berfuche, dem gegenwärtigen Standpunlt des Turnens durch 
geſchichtliche Betrachtung beizulommen, welcher vorliegt, in 
6. Badewitz, Karl, Die Entwidelung bes deutſchen Turnweſens in ber 

Neuzeit. Jahrgang II Heft 14 S. 90—120 von „Unjere Zeit“. Deutſche 

Revne der Gegenwart. Monatsſchrift zum Converfationslericon. Rene 

Kolge, herausgegeben von Mudolf Gottläad. Leipzig, Brochhaus. 1866 


Schon, daß hier die Jahnſche Periode, eine Periove, in welcher mit ganz 
geringen Ausnahmen nur Schüler höherer Schulen zu fogenamnten Zum: 
gemeinden nicht ſich vereinigten, fondern durch teflectirende Jugendfreunde 
vereinigt wurden, bie Periove des Volksturnens genannt wird, alfo einen 
Namen belommt, der dem vierten Jahrzehnt des Jahrhunderts, der erften 
Blüthezeit der freien Männerturnvereine, mit viel mehr Recht zugejprochen 
wird, daß Jahn gefchildert wirb als ‚Berliner Geiftes voll” und ihm, dem 
Manne, welcher jo jharf es ausfprah: Die Turnkunſt gehört überall bin, 
mo ſterbliche Menſchen die Erde bewohnen, nachgeſagt wird, er habe Stebett, 
Sehen, Laufen und Springen als etwas ſpecifiſch deutſches hinftellen wollen, 
daß deutfhen Turnern nachgeſagt wird, fie hätten erft durch Rothſtein wohl 
oder übel (die Trivialität) erfahren, daß beim Turnunterricht die Indivibualität 
des Schülers in Betracht zu ziehen fei und vergäßen es vielfad, in vers 
fehlter Auffaſſung ver Spießfchen Tendenzen, bei der Ausbildung einzener 
oder einer Abtheilung Turner beftimmte Bezugnahme auf die Zwede der 
Geſammtheit zu nehmen [melde Zwecke?]: das alles zeugt nicht gerade 
für vie Grünblichleit der Wrbeit des Hrn. B. Auch die Thellung bes 


494 Turnen. 


Beitäbfchnitts von 1840 bis zur Gegenwart in zwei Berloden, deren erfle 
mit 1850 abſchließen ſoll, ift ſchwer begreifid. B. meint, jeder dieſer 
Beitabjchnitte werde gegen fein Ende durd ein bejonveres Ereigniß dharals 
teriſirt. Wir fragen: Auch der lebte, nämlich die Gegenwart? Und 
welches bejonvdere Ereigniß gränzt denn daS Turnen des vierten von dem 
des fünften Jahrzehnts ab? Die Antwort lautet: Der 1850 erſchienene 
trefflihe Organifationsentwurf für öfterrenhiihe Gymnafien und Realichulen, 
Eine ſolche Antwort wäre rein unerllärlih, wenn man nicht wüßte, daß 
der BVerfafler des Artilelö in „Unſere Zeit” um 1850 berum an einem 
öfterreichifchen Orte Turnlehrer gewejen wäre, alfo leicht eine Weile in der 
Lage geweſen fein kann, einem Papier große Bedeutung beizumefien, Das 
die Mehrzahl felbft öſterreichiſcher Turnfreunde ſchwerlich tennt; Daß er mit 
biefer Meinung aber in einer Drudihrift zu Zage treten mußte, melde 
am 15. Juli 1866 ausgegeben wird, ift ein boshaft nedijcher Streich, 
welchen ihm der Geiſt der Geſchichte ſpielt. Dieſer Geift oder die eigene 
Schnellfertigkeit feuilletoniftiiher Schreibweife hat ihm denn noch manchen 
Streich gejpielt. Da follen, heißt es ©. 97, die Mitglieder des National: 
vereind dem Gedeihen ded Zurnmejens ihre Aufmerlfamleit zugewendet und 
dadurch die Turnvereine mächtig gefördert haben. Wir haben, mitten in 
ber Bewegung geflanden, davon wenig gejpürt, im Gegentheill Da joll 
eine 1857 in Berlin gegründete Privattumanftalt, eine Hegeftätte bes 
Zurnunterrichtd in der trüben Zeit der fogenannten Zurnjperre (1820— 
1840) gewejen fein. Da wird 6. 108 das Verdienſt der Stabt Berlin 
um den Zurnunterricht deshalb gelobt, weil fie‘ fih dad Schulturnen nabe 
an 7000 Thlr. koſten laſſe (gegen 5000 Thlr. in dem 8mal Hleineren 
Leipzig), eine große Halle gebaut und 4 andere projectirt habe, an melde 
man beute faum mehr dent. Da mischt Hr. B. fih in den auf Anlaß diefes 
Projects in Berlin beftig entflammten Streit über die Vorzüge großer und 
Kleiner Hallen mit dem mwohlmeinenden Rath, den er ſchon 1857 einmal 
ausgeiprodhen zu haben. jih freut: „Statt Magiftrate und fonftige Bebör: 
den jest mit langen Abhandlungen über die Bmedmäßigleit des einen oder 
anderen Syſtems zu verwirren, da fie doch jchwerlid darin ein richtiges 
Urtheil fällen können, ſollten alle Kräfte ſich vereinigen, die Beitrichtung 
im Schaffen guter und zwedmäßiger Anftalten zu unterftügen.” Mit 
anderen Worten: Baut die Hallen nicht groß und nicht klein, baut fie 
zwedmäßig! Das üt geiftreih. U. ſ. w u. ſ. w. Nach ſolchen Weisheitsproben, 
abgelegt auf einem Felde, welches ver Berjafier als alter Berliner und 
ehemaliger Zurnlehrer etwas genauer kennen mußte, wird man fi nit 
wundern, wenn er jich zulebt zu dem ſchlauen Gedanken erhebt, der Turn 
unterricht der Anaben fei bei den Mädchen dadurch wett zu machen, daß 
„die anf den Erwerb anzewiejene weibliche Arbeitötraft, umfafjender wie bisher 
auf dem Gebiete der Landwirthſchaft zu verwertben‘ fei, wenn er den Turn⸗ 
vereinen ihre zufünftige Aufgabe dahin ftellt, fie hätten fi in Gejellfchaften 
zur Pflege der allgemeinen Volkswohlſahrt ymzubilden und nidt bloß für 
ihre Turnbedürfniſſe, ſondern üffentlihe Spaziergänge, Eisbahnen, Schieß⸗ 
pläge, Neitbahnen, Schwimmſchulen, Wajhlühen, wohl auch Straßen: 
teinigung und Desinfection zu jorgen, fie müßten bei Zelten vie „höhere“ 














Turnen. 495 


Polizei machen, fi unter die Maſſe miihen und deren Bewegungsſpiele 
fördern u. ſ. w. u. |. w. Es giebt doch närriſche Philofophen und Polis 
titer heutzutage, denn das Alles verfichert uns Her DB. nicht bloß in 
vollem Ernft, fondern auch mit der beiten Miene von der Welt und in 
durch und durch turns und vollsfreundlicher Gefinnung: Es -ijt das reine 
und vollwichtige Gold feiner durch Lebenserfahrungen und hiſtoriſche For⸗ 
ſchungen erworbenen Weberzeugung. 

Mit Vergnügen laſſe ih auf die Anzeige eines flüchtig abgefaßten 
Beitartifels die Anzeige gründlicher wiſſenſchaftlicher Werke folgen, wenn ich 
es auch den eigentlichen YFachzeitjchriften überlafien muß, genauer auf den 
Anhalt und den etwaigen praltiihen Ertrag der in ihnen enthaltenen For 
Shungen und Gebanlen einzugehen: 


7. Sraßberger, Xorenz, Dr., außerorbentf. Brofeffor zu Würzburg, Erzie- 
bung und Unterrigt im Maffifhen Altertbum. Wit befonderer 
Rügſicht auf bie Bebürfniffe der Gegenwart. Nach den Onellen bargeftellt. 
I. Theil. Die leibliche Erziehung bei den Griehen und Römern, Erſte 
Abtheilung: Die Knabenſpiele. Zweite Abtbeilung: Die Turnſchule ber 
Knaben. Würzburg, Stahelſche Buch⸗ und Kunſthandlung. 1864—1866. 
(414 ©.) gr. 8. 2 Thlir. 23 Sgr. — Man leſe zuerfi S. 167—1901 — 

8. Binder, Eduard, Dr. Ueber den Fünfkampf der Hellenen. Mit 
2 Abbildungen. Berlin. Wilhelm Her (Beſſerſche Buchhandlung). 1867. 
(135 ©.) gr. 8. 

Ebenſo erwähne ih gem 

9. Riehelmann, L. Dr. Das Zurnweien in Blauen von feiner 

Begründung bis zur Gegenwart. Ein geſchichtlicher Abriß. Plauen, 


A. Hoffmann. 1866. (31 ©.) gr. 8. 4 Sgr. Auch beutihe Zurn- 
zeitung. 1866. Nr. 23—27. 


Solche localgefhiähtlihe Monographieen find die nothwendige und werth⸗ 
vollfte Unterlage für die zulünftige Geſchichtſchreibung. Die vorliegende ift 
nur in wenigen Cinzelnheiten ungenau, wie fie allein von denen berichtigt 
werden können, die die gejchilderte Entwidelung mit durchlebt haben, aber 
wie fie auch für alle anderen gleihgültig find. — Aehnliches wird wohl 
auch gelten von 


10. DBenele, Dtto, Dr. Die Hamburgifhe Turnanftalt von 1816. 
Erinnerungen aus der Zeit ihres Entflehens und Aufblühens. Hamburg, 
I. A. Meifuer. 1866. (42 ©) 8. 8 Sgr. 


und von 


11. Bunt, M., Dr. Geſchichte ber Lübeder Turnanftalt wäbrend 
ihres Wansigdrigen Beſtehens. Kübel, Ferdinand Grautoff. 


Beide Schriften verbanfen dem Umftande ihre Erſcheinen, daß die Turn⸗ 
anftalten in Hamburg und Lübed im Sabre 1866 ihr fünfzigjähriges 
ununterbrochened Beſtehen zu feiern hatten. Dieſe haben allerdings im 
Verlaufe eines halben Jahrhunderts mannigfahe Wanplungen erfahren, 
Zeiten der Blüte und tiefen Berfalls durchgemacht, fie gehören, da fie im 
Ganzen mehr ein genügjames Stillleben geführt, als energifh ins Weite 


496 . Turnen. 


geftvebt haben, nicht gerade zu den bebeutendften ihrer Art; gleichwohl 
fönnen die Männer, welche in den norbifhen freien Städten für vas 
Turnen thätig gewefen find, wohl mit einiger Befriedigung auf die Ber: 
gangenheit zurüdbliden, und gereihen ihnen die Geſchichtsſchriften nicht 
zur Unebre, weil ihnen die Gejchichte zur Ehre gereicht. — 

Vermuthlich bringen die nächften Jahre, in denen mehrere ber be 
deutenderen Zurngejellichaften und Zurnanftalten ihr fünfendywanzigjähriges 
Jubilaͤum zu begehen haben, ver Schriften, wie die vorerwähnten, nod 
mehr, und bereiten fo einem zufammenfaflenden und gerechten Urtheil Aber 
den Charakter und Berlauf der geiftigen Bewegung, welde in der Wirt: 
famleit jener Geſellſchaften und Anftalten ihren Ausdrud gefunden bat 
und findet, ven Boden. Es wäre ſchade, wenn die oft fehr umfangreiden 
und forgfältig ausgearbeiteten Jahresberichte, deren uns eine ziemliche 
Zahl vorliegt, nicht zur geeigneten Beit zur Herftelung dauernder Bilder 
ausgenußgt werben jollten. Oft enthalten fie werthvolle Beitzäge zur Dar: 
ftellung gejellihaftlicher Verbältniffe, des Vollslebens und der Berbreitung 
der menſchlichen Ideen. Die Nachrichten, welde fie enthalten, find meiftens 
fehr zuverläjfig, weil die Namen derjenigen, welche ihre Ausgabe gu ver 
antworten haben, für die Glaubwürdigkeit der Mittheilungen den nächiten 
Seen zu bürgen haben. Zu der anonymen Schrift 

. Der Conflict im Allgemeinen Turnvereine „m Leipzig. Sim 
Beitrag zur Gefchichte des deutſchen Turnweſens. Leipzig. In Sommilfion 
bei Herm. Schmibt jun. 1867. (31 ©.) 3 Ser. 
vergleihe man die Nr. 20 der deutſchen Turnzeitung vom Jahre 18671 — 
Aehnliches, wie von den Jahresberichten gilt auch von einigen Beſchrei⸗ 
bungen größerer Zurnfeite und jogenannter Turntage, von denen ich bei: 
fpielöhalber anführe: 
13. Säurig, ©. I., Turnlehrer. Das dritte Turnfeft des Weſer⸗ 


Ems- -Turngaues, verbunden mit dem 4A. Turnfeft bes oftfriefiichen 
Turnerbundes. Am 4. 5. und 6. Juni 1865 in Emden. Emben. 1865. 


14. Das erfie Zurnfeft des IL Kreifes deutfher Turnvereine 
gefeiert zu Breslau am 16. und 17. Juli 1865. Aufammengeftellt und 
beraudgegeben vom Zurnausihuß. Mit lithographirten Beilagen. Breslan. 

1866. 


15. Bericht über den am 17. und 18. April in Sreslau abgehaltenen Turn⸗ 
tag bes 2. deutichen Zurnkreifes. Breslau. 186 


16. Bericht über bie fünfte Berfammlung von Zurnlerem, Turnwarten unb 
Bertretern des II. deutſchen Turnkreiſes, abgehalten in Breslau, den 2. und 
3. April. Breslau. 1866. 


17. Bexicht Über ben 6. Kreisturntag bes 2. dentſchen Turnkreiſes, abgehalten 
in Breslau, ben 23. April 1867. Breslau. 1867. 


Die drei legten Nummern find Sonderabdrüde aus den „fhlefiihen Bro: 
vinzialblättern‘‘, einer Zeitjchrift, welche in den legten Jahren mit danlens- 
werther Bereitwilligtett ihre Spalten einer auf Begründung und Ber 
breitung eines tüchtigen Vereins⸗ und Schultumens in Schlefin und ber 
fonderd der Hauptftadt Breslau gerichteten Agitation öffne. In welchem 
Einne dieſe vergeht, zeigt 





Turnen. 497 


18. Bottcher, M., Turnlehrer in Gorlitz, das Schulturnwefen und bie Ein- 
weihung des neuen Turuplatzes in Görlitz (am 20. Mai 1867). Breslau, 
Ed. Trewendt. 1867. [Der Reinertrag bes Schriftchens Ai zur Errichtung 
eines Grabdenkmals (in Darmſtadt) für Adolf Spieß beſtimmt. 


und beſonders 


19. Bach, Th., Dr., Gedanken und Vorſchläge zu einer Reorganiſation 
| des Schulturuweſens der Stadt Breslau. Breslau. 1866. (16 ©.) A. 
Dieje durch Herrn Hobrecht, Oberbürgermeifter der Stadt Breslau, veranlaßte 
und herausgegebene Denkſchrift behandelt die Frage über die Organifation 
des Jugendturnens in größeren Städten in ziemlich allgemeingültiger Weife 
in at Capiteln. Sie fragt und antwortet: 

I. Iſt eine Reorganijation des ſtaͤdtiſchen Schulturnmejens wuͤnſchens⸗ 
werth und nothwendig? — „Mit Recht fchreien mir Ad und Weh über 
die überfüllten Schulklaſſen; und überfüllt nennen wir eine Schulllaſſe doch 
ficherlich ſchon, wenn der Lehrer ſechzig Schüler zu unterrichten hat. Gin 
Zurnlehrer aber foll gleih 300 Schüler zugleich bewältigen können?“ 

OD. Wie hat fih geſchichtlich das Turnen an den Breslauer Schulen 
und gelehrten Anftalten geftaltet? — Für die Antwort Tiefert Koönigks 
Geſchichte des Turnens in Breslau, 1859 (Siehe Päd. Jahresbericht XV, 
S. 6011), die Unterlage. Zu Oſtern 1865 hatten die turnenden Schulen 
Breslaus 4263 Schüler. 

Il Wie muß aber ein pädagogifh und phyſiologiſch wirkfamer 
Aurnunterriht geftältet jein? — Zur Beantwortung diefer etmas allgemein 
und unphiloſophiſch gefaßten Frage werden die Anjprüche, melde ältere 
Turner und melde Spieß an den Schulturnunterricht gemacht haben, neben: 
einandergeftellt. Mit Unrecht werben die Anfprüche der Erfteren fämmtlich 
kurzerhand auf Jahns Rechnung gejegt, mit Recht aber lautet das Facit: 
„Die Aenderungen, welche Spieß vorgenommen hat, find alle nur logiſche 
Confequenzen aus dem oberftien Grundjage, daß das Turnen organifch mit 
dem Echulorganismus verbunden fein müffe.‘ 

IV. Wie ftellen fih meine (Bachs) eigenen Erfahrungen zu dieſen 
Fragen? — B. hat fi in verjchievenen Lehrerftellen bemüht, das Syſtem 
des unmittelbaren Unterrichts durch den Lehrer und des mittelbaren durch 
Borturner zu verbinden und verjpricht fih auch in der Zukunft von einem 
bezüglihen Verfahren einiges Gute. Man erlaube mir über diefen Punkt 
einige Bemerkungen: Gemeiniglih geht die Meinung dahin, daß ver 
Lehrer die unteren Claſſen einer Schule felbft zu unterrichten babe, in ven 
oberen dagegen Schülern das Borturneramt unter feiner Aufjiht übertragen 
fönne. Nach meinen Erfahrungen kann ih mir davon wenig verſprechen, 
denn, wenn die Schüler in den unteren Clafien den Turnunterricht eines 
guten Lehrers genoflen haben, find fie fpäter durch deſſen methodiſche und 
didaktiſche Kunft nicht bloß jo weit gefördert, daß ihnen der Vorturner⸗ 
unterricht nicht mehr genügen kann, fondern ebenfo auch verhältnikmäßig 
gleich weit gefördert, jo daß nur ausnahmsweiſe einer dem andern übers 
legen genug ift, um fein Borturner zu fein. Und felbft in diefem Aus— 
nabmefalle darf man nicht erwarten, in dem Verhältnifle dieſes Vorturners 
zu feinen gleichaltrigen Cameraden die Tugenden entwidelt zu finden, melde 

Päd. Jahredberiät. ZIX. 32 


498 Turnen. 


dem „Vorturnerſyſtem“ von allen älteren Turnfchriftfiellern nach Jahn ohne 
Ausnahme uahgerühmt werden. Zu teren Sinne if ein foldes Syſtem 
bier gar nicht mehr vorhanden, es kann hödftens noch von einem Moni: 
torenjyftem oder einem Syſtem des wechieljeitigen Unterrichts die Rede fein, 
wogegen fie fi) ihrer Zeit gewahrt und verwahrt haben. Entſchließt man 
fih einmal, für die unteren Glafien den Spießſchen Claſſenunterricht durch 
den Lehrer allein ohne Beihülfe älterer Schüler einzurihten, jo bat man 
nur die Wahl, die oberen Glafien in verfelben Weiſe fortzuführen oder die 
Berbindlicleit zum Beſuche der Turnftunden aufzuheben und ſich burd 
Einführung der Freiwilligkeit das Feld wieder frei zu machen. Entſchließt 
man fi aber für den fogenannten Mafjenunterriht mit Borturnern, wozu 
bei der heutigen Beitfiimmung felten innere, deſto häufiger aber äußere 
zwingende Gründe treiben werden, fo gehören die Borturner recht eigentlich 
in die unteren Klafien und der Lehrer bekümmert fi in Nebenftunden nur 
um die Geübten, in den Hauptftunden aber um die Ginzelunterweilung fo 
gut wie gar nicht. 

V. Wie flellt fih nun aber die preußifche Negierung zu ber Frage 
des Zurnunterrihts? — Ihre Verfügungen find neuerdings fämmtlih im 
Sinne der Spießfhen Anſchauungen erlafien. — Der Inhalt der 3 Iepten 
Abſchnitte der Bachſchen Denkſchrift: 

VI. In welchem Lichte erſcheint dieſen Anforderungen gegenüber das 
Turnen der Breslauer Schulen? 

VII. Wie müßten denn nun bie Breslauer Schulturneinrichtungen 
normal geftaltet fein? 
VIU Was läßt ſich ſchon jetzt in Angriff nehmen, um einer Neu⸗ 

geftaltung des ftäptiihen Schulturnweſens vorzuarbeiten? haben mehr 

locales Intereſſe. Die Rathſchlaͤge Bachs laufen natürlih darauf hinaus, 
man folle größere und Heinere Zurnballen bauen und für zeitige Ausbildung 
möglihft vieler Zurnlehrer, befonders auch aus der Zahl der Studierenden 
forgen. Man fiehbt, wohin das Streben der Breslauer Zurnfreunde 
abzielt. Die eine Schrift 
20. Weber Nothwendigleit und Ausführbarkeit des Baues einer Turnhalle an 

ber Ziegelbaftion. Breslau. 1867. (Gebrudt bei F. W. Jungfer). 
und ein Auffag (von Dr. Euler in Berlin) 
21. Ueber bie Entwidelung des Turnens in Breslau im Decemberbeft bes 

Stiehlſchen Centralblattes für bie preußifche Unterrichtspermaltung. 1866. 

© 733—741. 
find dabei meiter zu vergleihen, um die Chancen, melde bie Hoffnung hat, 
und die Mittel, welde dem Streben zu Gebote ftehen, zu erwägen. 


In den Hoffnungen und Strebungen der für das Turnen bemährten 
Ehulmänner einer einzelnen Stadt wiederholen ſich die des ganzen ſchul⸗ 
turnerifhen Deutſchlands, nur daß ſich je nad dem Stande der Entwicke⸗ 
lung die Kraft an dem einen Orte auf diefe, an dem anderen auf jene 
Bezüge und Bebürfnifje mit vorwaltendem Nachdrude wirft. Der Gtreit 
über die befte Einrichtung der Zurnräumlidleiten ift nirgend heftiger ent 
brannt, als in Berlin, der Streit über die militäriihe Werthſchätzung des 
Zurnunterrihts bat in Süddeutſchland, befonders in Württemberg, nicht 





Turnen. 499 


gerubt; die Aufgabe der richtigen Turnlehrerbildung bat allerwärts Nach⸗ 
benten und Federn in Zhätigleit gejeßt, in Sachſen zu beftiger Fehde 
geführt. Im Allgemeinen kann man nur von dem zweiten Begenftande 
fagen, daß er, und zwar durch die Gewalt her politischen Vorgänge, bis 
zu einer Art von Abſchluß geführt ift, während die Behandlung, welche die 
Aurnhallens und melde die Zurnlehrerfrage erfuhr, ‚nach eine Reihe unges 
löfter Probleme binterlaflen hat. 

Die erite dieſer drei Fragen gewährt: in der eigenthümlichen 
Wendung, die fie genommen bat, ftreng genommen das tieffte rein 
pädagogische Intereſſe, denn es handelt fich bei ihr, wenn man 
. anf die legten Gründe der entgegenftebenden Parteien zurüdgebt, weniger 
um Stein und Holz, um Wärme und Licht, ald um die beiberfeitigen 
Anſchauungen über die Bedeutung des Jugendturnens für das Geſammt⸗ 
leben der modernen Welt, kurz um das von den alten Breslauer Streitern 
Paſſow und Steffens mit einem glüdlih gefundenen Worte bezeichnete 
Zurnziel. Wenn es fidh dreift behaupten läßt, daß die Lebtgenannten 
und ihre Beitgenofien ftreitend fi) über das Turnziel noch lange nicht in 
allen Stüden klar geworben find, jo müflen mir offenberzig gefteben, daß 
auch uns, ben Lebenden, diefes Ziel immer noch nur als ein ‘deal in 
jiemlihem Dunkel bier und dorthin ſchwankt, jeder ihm andere Umtifle 
giebt und oft micht einmal derſelbe immer die nämlihen. Was wir 
unleugbar voraushaben, ift nichts weiter als das genauere Willen um 
das, was wir mit dem Turnen zur Zeit erreihen lönnen, 
und, wenn ſich hieraus eine größere Klarheit des Thuns und volle Bes 
ftimmtheit vieler einzelner Unternehmungen ergiebt, fo bleibt dad nicht 
Weniges unentjchieden, bleibt ein Gegenftand der Sorge für die Zukunft, 
da die Ruhe der Gegenwart bloß dur einen Verzicht erlauft ift. „Der 
Turnlehrer findet den Begriff und das Weſen der Erziehung in den thats 
ſächlichen Geftaltungen der (einmal beftehenden) einzelnen Schulen gleihfam 
verlörpert vor und hat leßtere als ein Gegebenes hinzunehmen, zu deſſen 
Fortbildung er beiträgt, indem er ſich anſchließt, nicht, indem er fib los⸗ 
fagt. Zu alleverft muß er ſich daher des Gedankens entſchlagen, als habe 
er in den Zurnitunden eine Aufgabe zu erledigen, von der die Schule 
fonft gar nichts wife. Ihn follen alle die fonverliben Turnziele in 
Ruhe lafien, welche man aufgepflanzt hat, und die thn bei Durdficht des 
von tüchtigen Männern über die Turnkunſt Gefchriebenen gar leicht in 
Wärme bringen; es wäre fogar fhlimm, wenn fie ihn kalt Tiefen! — 
Daß feine Schüler vereinft volle und ganze Männer und gute Patristen 
werben, foll er von Herzen verlangen; allein würde er es etwa weni 
ſehnlich wünjhen, wenn er nie in feinem Leben ein QTurngeräth geſe em 
hätte? Als Turnlehrer hat er nur das beſondere Geſchäft, fie turnen zu 
lehren. Daß fie wohlgezogene Menſchen werden, dafür ift.eben die ganze 
Schule geordnet. 

Mit dem befonderen Turnziele fällt aud die befonvere Turnzucht. 
Da fih die Begriffe des Lebens und des Unterrichts nicht deden, jo läßt 
fih wohl ein Zurnleben venlen, weldes den an wenige feite Stunden 
gebundenen bloßen Unterricht überflügel. Ich nenne Diejenigen, welde 

82” 


500 Turnen. 


darin aufwachſen, glücklich, aber ich laſſe es dahin geſtellt, ob ein Unter 
ſchied der Art zwiſchen den Geſetzen dieſes idealen Lebens, deſſen wir 
nicht mächtig ſind, und des Turnunterrichts, den wir im Dienſte und 
Auftrage der Schule übernehmen, beſtehen würde; aber gewiß find von 
einem Unterrihte zum andern nur Unterjchiede des Grades ſtatthaft. Man 
fei etwa fo nahfichtig, wie man wolle; mas feine Schule hingehen läßt, 
weil es unanftändig ift, ift au auf dem Turnplatze nimmer zu erlauben. 
Alle probehaltigen Mittel zur Erhaltung des Sittengefeßes haben im Grunde 
des Geſetzes felbft ihre Wurzeln, und gelten deshalb ein⸗ für allemal. Hält 
man eine Zurnanftalt für die geeignete Stätte, um auf eigene Yauft weit: 
greifende Crziehungsplane zu verfolgen, jo muß freilihd ein wöchentlich 
ziveimal einftündiges Turnen, wie es bei uns allgemein üblich ift, als 
eine Thorheit erjcheinen, denn mie ließe fih in dieſer kurzen Spanne Zeit 
erreichen oder gar gut machen, was in der ganzen übrigen Tageslänge 
überjeben oder verjeben wird? Nur wenn man dieſe Stunden als Unter: 
rihtöftunden betrachtet, in denen bie Thätigleit vielbeſchäftigter Schüler 
einmal vorzugsmeife auf ihre leibliche Bewegung gerichtet wirb, wie 
in den Religionsſtunden auf ihre Beziehung zum Göttlichen, in den Rechen 
ftunden auf die Zahlen, in den Geographieftunden auf die räumlichen Ber: 
haͤltniſſe der Erdoberflaͤche, tritt ihre Bedeutung und ihre Nupen fichtbar 
hervor. So wiſſe der Zurnlehrer alfo, nicht auf ein Außeres Gebot und 
SInterefie bin, ſondern getrieben durch eine beftimmte Weberzeugung von 
dem Werthe des Turnens für den Schüler und die entfpredhende Auffaflung 
jeiner perfönliden Stellung, ſich in alle die Umftände, unter denen zu 
wirken er berufen wird, leivlih zu fchiden.” [Lion in den Bemerkungen 
über Zurnunterriht, S. 4. Siehe weiter unten). 

Die in den vorftehenden Worten ausgebrüdte Anfiht und bie darin 
liegende Warnung ift in dem Berliner Schultumftreit kaum jemals zur 
Geltung gelommen, und mefentli deshalb hat die Gefammtentwidelung 
des Schulturnwejens in der mwichtigfien deutihen Stadt, der „Wiege ber 
deutihen Turnkunſt“, wie ihre Qurner fie gerne nennen, jo oft einen 
äußerft unerfreulihen Verlauf genommen, unglaubliche Hemmniſſe erfahren 
und bei weitem nicht die Höhe erreiht, melde nah den vorhandenen 
Mitteln und Kräften erreicht fein könnte. In einer Schrift, welde dem 
Gedächtniß eine3 jungen, am 5. März 1866 heimgegangenen Nannes 
in Liebe gewidmet ift, melder zehn Jahre bindurh in unermüdlichem 
Eifer mit größter Aufopferung der eigenen Perfönlichleit fi) der Turnſache 
in Berlin bingab, 


22. Fritz Siegemund. Berlin 1866. Albert Goldſchmidt. (26 ©.) 8. 5 Sgr. 


beißt e8 Seite 7: „Er erlannte in dem Turnen das Mittel, der Jugend 
ihre Jugendlichkeit zu wahren, fie zu rechter, echter Männlichkeit, zu Willens: 
ftärte und Thatkraft heranzuziehen; er ſah in ihm das Palliativ (?) gegen 
jene taufend fittlihen Berirrungen gewiſſer Lebensjahre, die an dem Marl 
der Menfchheit zehren und ganze Generationen ind Verderben flürzen; er 
erblidte in ihm den Hort und Hüter echt germanifcher Sitte, den Förderer 
wahrer Vollathümlichteit, ex bofite won ihm, daß es das Band werben jolle, 











Turnen. 501 


welches Alles umfchlingt, was das deutſche Voll an Strebfamleit, an reiner 
Begeifterung, an wahrbafter Hingebung befikt, „daß es der verbindende 
See, das gewaltige Meer fein folle, das ſchirmend die heilige ˖ Gränzmark 
des Vaterlandes umringt.”” Denn im Turnen glaubte er den Wall zu 
finden, an dem alle Beitrebungen der Dunkelmänner, der NRüdwärtfer zer 
fhellen mußten; durch die erzieheriihen Einflüſſe deſſelben follte ein neu 
Geſchlecht heranwachſen, dazu beftimmt den Frühling herbeizuführen, dem 
die älteren Geſchlechter ſeit den blutigen Tagen von Leipzig jehnfüchtig 
entgegenfahen. In biefem Sinne begrüßte er und mit ihm eine große 
Zahl feiner Freunde die am 18. Oftober 1864 erfolgte Eröffnung der 
riefengroßen Turnhalle in der Prinzenftraße zu Berlin, melde vie Stabt 
mit großem Koftenaufwand zunächſt für einige ihrer höheren Schulen und 
für die Zurnvereine damals noch im fchroffen Gegenfabe gegen die in ber 
Königl. Centraltumanftalt durch Rothſtein gelehrten Grundſaͤtze errichtet 
batte, als den Beginn einer neuen Aera im Berliner Turnweſen, oder 
vielmehr ald eine Fortjegung der alten von 1813—1817, „in jenem 
alten jahnſchen Geifte, wo der Lehrer mit der Jugend das brüderlide Du 
wechjelte, wo er der innigfte Freund feines Schülers, der Bewahrer feiner 
Sugendträume, wie Jahn es nennt, war. Die köſtlich ſchönen Worte Jahns 
über die Stellung des Zurnlehrers follten jevem ber neun Männer, die an 
ber Zumballe ihren Plab gefunden, in die Bruft und in die Seele ein» 
gebrannt werden.” Etwas weniger ſchwärmeriſch ſchreibt einer diejer Neun 
brei Jahre fpäter in 
23. Ungerftein, Ed. Dr. med., praktiſcher Arzt, Stabsarzt, ftäbtiicher Ober⸗ 
taruwart und Dirigent ber ftäbtiihen Turnhalle in Berlin, bie Grunbfäße 
bes Turnbetriebs in der ſtädtiſchen Turnhalle in Berlin. Berlin, Georg 
Reimer. 1867. 74 Ser. _ 
„Die ſtaͤdtiſche Turnhalle war eine freilich nicht volllommene, ſondern noch 
mit manden Mängeln bebaftete Einrichtung, welche aber, von guten Ans 
fängen ausgehend, mit genügenden Mitteln fortgeführt und von dem regten 
Streben gefördert, unter den jebigen Berhältnifien des Turnens ein Halt, 
eine Stüße, eine fichere Entwidelungsftätte und ein belebenvder Mittelpunkt 
für dafjelbe werden und fein konnte. Denn gegenwärtig, wo das Turnen 
ein allgemeiner Unterrihtögegenftand werben foll, wo daſſelbe aber noch 
keinerlei (?) muftergültige Form bat finden können, wo vielfach bei Behör⸗ 
den und Zurnlehrern ein Suchen, Verſuchen und Verwerfen von Turnein⸗ 
richtungen und Organijationen uns entgegentritt, da konnte eine Anftalt, 
wie die ftädtiihe Turnhalle, wenn fie ungeftört blieb, die Turnſache ficher 
und ruhig betreiben und pflegen und fie im Stillen jo weit worbereiten, 
dab — nachdem die Schule zu einer zeitgemäßen Reform durchgebrungen und 
in den Stand geſetzt worden wäre, ein vollsthümliches Zurnen in fich 
aufzunehmen, ohne Weiteres an die Vorarbeiten hätte angelnüpft werben 
fönnen, welche die Turnhalle inzwilchen geliefert. Dagegen ericheint ein 
Burüdgeben von dem Stanppunlte der Turnhalle, ein Burüdbrängen des 
Turnens in die Verhältnifie der Schule, wie fie jest ift, mo fie den Turn⸗ 
betrieb ftiefmütterlid auf das Niveau eines bloß formellen Unterrichts 
binabfeßt, als ein wirklicher Nüdfchritt, weil die Schule jelbft gegenüber 


502 Turnen. 


den Forderungen der Beit noch im Rüdftande if. Denn das kann Riemand 
behaupten, daß eine Zeit wie die jeßige, in der Guropa eiferſuchtig uns 
umlauert und bie deshalb vom gefammten deutſchen, in Sonberheit vom 
preußifhen Volle, ja von jedem Ginzelnen des Volkes die größtmögliche 
Entwidelung und Anfpannung der Thatlraft verlangt, durch die bisherige 
Säulerziehung befriedigt werden kann. Strebt doch dieſe vorwiegend auf 
die abſtracte und formelle Berftanvesbilbung bin, die den Deutfchen den 
zweifelhaften Ruhm eines philoſophiſchen, aber unpraltifchen, thatenlofen 
Volles eingetragen hat u. ſ. w.“ — Der Standpunkt, auf dem der ver 
ftorbene Siegemund ftand, und auf welchem fih E. Angerftein in den 
vorausgeihidten Erklärungen bewegt, ift unzweifelhaft viel erhabener, 
als derjenige des PVerzichts, auf den ich zuvor mich geftellt babe; da der 
eine die ganze deutſche Nation, der andere wenigftens die ganze deutſche Schule 
umgeftaltet wiſſen möchte, um fie mit feinen Ideen vom Turnbetriebe im 
einer geräumigen Turnhalle in Einklang zu bringen; aber er ift in ber 
That zu erhaben, und der böfen Zugluft gegentheiliger Anfihten und 
Gelüfte zu fehr preisgegeben, um von ihm herab mit Erfolg Widerftand 
gegen ernfthafte Angriffe leiften zu können. Die Angerfteinihe Schrift iſt 
eine Vertheidigungsſchrift gegen foldhe Angriffe. Die Vertheivigung, obgleich 
fehr oft über das Ziel hinausfchießend, und in den Worten, die fie hinaus: 
werfen kann, größer als in den Thatſachen, die fie wider jene Angriffe 
aufzupflanzen bat, ift mit Gejhid abgefaßt, denn bei der Flüchtigkeit des 
Leſens, an melde uns bie Zeitungen gewöhnt haben, merkt es nicht “Jeder 
fogleih, wie arg der Widerſpruch ift, wenn Angerftein S. 5 das Menſchen⸗ 
weſen zuerft nad 2 verſchiedenen Seiten ala Körper und Geift erjcheinen 
und im Geiftesleben zwei Sphären, Verſtand und Gemüth, bervortreten 
läßt, dann aber alsbald binzufügt, daß Berftand, Gemüt und Körper 
harmoniſch entmwidelt werden müßten, weil alles untrennbar fei, und 
ſchließlich fi) doch dabei beruhigt, der Schule zwar die Verſtandesbildung 
zu belafien , einen befonveren Ginfluß nicht bloß auf den Körper, ſondern 
auch auf das Gemüth der Tumanftalt zu Gute zu fchreiben. Aber ob 
man es an entjcheidenver Stelle gemerkt bat, oder nicht, jedenfalls ift die 
Angerſteinſche Schrift nublos geblieben. Das Siegemund-Angerfteinjche 
Turnziel ift theoretisch allerdings nicht völlig befeitigt, allein praktiſch iſt 
der in der Berliner Turnhalle centrafifirte Betrieb des Schulturnens in 
feine heile zerfplittert, man bat auch in Berlin darauf verzichtet, bie 
Zurnanftalt und ihr Leben in eigener Selbfländigkeit neben der Geiftes: 
ſchule aufzubauen, man bat den Zurnunterricht den einzelnen Schufanflalten 
gurüdgegeben; und wenn man biefe tiefliegende pädagogiſche Grundfrage in 
der trivialen Geftalt, in der fie bier für geraume Zeit muthmaßlih zum 
legten Male entichieden ift, auch in ebenjo trivialer Form beantworten 
will, fo ift zu fagen: Jede einzelne Schule fol wo möglich ihren eigenen, 
wenn auch nod fo dürftigen Turnfaal und Turnplatz haben, um darin 
durch Lehrer, melde zu der Schule in nädhfter Beziehung fteben, vie 
Zurnftunden ihrer Schüler abzuhalten. Wo die Benubung größerer Turn: 
halle durch mehrere Schulen aus biefem oder jenem (gewöhnlich Klingen: 
den) Grunde dennoch eintreten muß oder beliebt wird, geben die Schulen 





Turnen. 503 


doch unabhängig von einander ihren Weg, das Schulturnen flicht durchaus 
fein weiteres Band der Gemeinihaft zwifchen den Angehörigen der vers 
ſchiedenen Schulen, ja nur der verjchiedenen Claſſen derſelben Schule, als 
weldyes obnebin beitebt! — Das ift unzweifelhaft das Nefultat des Turn⸗ 
ballenftreit3 in Berlin, über deſſen Einzelnbeiten man die Angerfteinfche 
Schrift oder die Spalten der deutſchen Turmzeitung und der neuen Jahr⸗ 
bücher für die Turnkunſt (Siehe unten!) nadlefen kann. Sie find zum 
heil leider der Art, daß fie den Verfolg der ohnehin aufs lache gejebten 
a mit mehr Hitze als Geiſt geführten Verhandlung ziemlich unerquidlid 
machen. 


Da, wie wir willen, bie Richtung der Beit darauf hinausgeht, bie 
Zumlunft zu einem allgemeinen Schulbildungsmittel und Unterrichtögegen: 
ſtand zu machen, fo ift es erllärlih, daß gerade Die Fragen, woher die 
geeigneten Lehrer genommen, und wie die Leute, welche für geeignet zu 
erflären find, gebildet werden follen, in den betheiligten Kreiſen auch 
befonders lebhaft erwogen werben. | 

Mährend GuthsMuths noch jedem gefunden jungen Manne, der fi 
dem Erziehungsfache widmet, ohne weiteres, falls er Luft hat, aud bie 
Fähigkeit zutraut, die Leibesübungen feiner Pflegebefohlenen zu leiten, 
während Vieth für ſolche Aufgabe im Allgemeinen nur bie- Gefeßtheit des 
Mannes beanfprudt, für die Anftellung von Uebungen aber, die unter 
befondere Kunſtregeln gebraht find, eigens dazu angeftellte Meifter im 
Belondern, beide alfo mehr an Privaterzieher und Maitres denken, als an 
den Lehrerftand nach dem Begriffe, welchen wir won dieſem haben, während 
Jahn fi begnügt, ein unübertroffenes deal eines Turnlehrers unter dem 
Namen eines Turnwarts binzuftellen, ohne zu fragen, woher der Turnmwart 
fommen foll und dem Turnwart die Liebe zu feinem Amt, fein Willen, 
Kennen und Können, während felbft Harnifh (das Turnen in feinen 
allfeitigen Berhältnifien u. j. w. Breslau, 1819. ©. 150.) obwohl er 
die beiden Forberungen, daß jeder Turnwart der ober ein Lehrer des 
Oris fein müfle und daß jeder Knabe und Süngling, wenn auch nad 
Alter und Verhältniß in verfchievenem Grade turnpflichtig fein müfle, in 
Berbindung mit einander vorträgt, dennoch glaubt, daß ſich die Zurnlehrer 
allmaͤhlich von felber finden würden, da, wer vom 9. Jahre an geturnt 
habe, au als Lehrer öfter auf den Zurmplaß geben würde, mährend alſo 
um die Wende des Jahrhunderts und in den erflen zwei Jahrzehnten alles 
auf Hoffnung und Freiwilligfeit geftellt warb, machten ſich bei der ſchüch⸗ 
ternen Wiederaufnahme des Turnens in den dreißiger Jahren fofort andere 
Anſchauungen geltend. 

Am 6. März 1837 richtete der Mitftifter des Guſtav⸗Adolph-Vereins, 
Superintendent Großmann aus Leipzig in der 1. fähliichen Kammer, ohne 
Zweifel ein Har: und freivenfenter Mann, das dreifahe Berlangen an bie 
Regierung, fie jolle für Heranbildung von Turnlehrem ausvrüdlihe Sorge 
tragen, die Gelehrtenſchuler Sachſens zum Turnen verpflichten, und fernerhin 
niemand zum Öffentlichen Turnunterricht zulafien, den fie nicht für befähigt 
ertlärt und nad Befinden geprüft babe. Es wird alfo nunmehr nicht bloß 

® 


504 Turnen. 


von fittliher Berpflihtung zur Yörberung des Turnens geredet, ſondern 
an Staat, an Schüler und Lehrer tritt der Anſpruch pofitiver und unab⸗ 
weisliher Leiftung heran. Durch alle Schriften, welde in jener Zeit zur 
Empfehlung des Turnens erichienen find, klingt er mehr oder weniger ver⸗ 
nehmlich hindurch, wenn aud die Wortführer noch der Meinung huldigen, 
daß fi die geeigneten Lehrer nach und nad auch ohne beſonderes Zuthun 
bilden würden, fofern nur der Staat auf die Uebungen den rechten Werth 
lege und die Lehrer für ihre Mühwaltung anftänbig bezahle. Trenvelenberg 
in Berlin, Klumpp in Stuttgart begeguen fih wit Prof. Werner im 
Defjau und andern fogar in dem Gedanken, bis zur Heranbildung eines 
neuen Lehrergeſchlechts die audgedienten Unteroffiziere zu Hülfe zu nehmen, 
bei denen ſich denn freilih das Zwanghafte für Lehrende und Lernende 
von felbft ergiebt. 

Einzelne, von Privatperfonen ohne und mit höherer Anregung ange 
ftellte Verſuche, Zurnlehrerbildungsihulen in den Gang zu bringen, gehen 
nebenher, fo in Deflau bei Werner, in Berlin bei Eiſelen. Diefen Ber 
ſuchen verdankt allerdings eine Anzahl noch jetzt thätiger und zwar tüchtiger 
Zurnlehrer die erfie Anregung oder doch die, erfie leidliche Belehrung über 
bie Mittel ihres fpäteren Berufs, allein im Ganzen nahm man die Sadıe 
nicht jehr ſchwer: ein ſechswöchentlicher oder höchitens dreimonatlicher Curjus 
mußte ausreichen, um die mit oder ohne Neigung zum Zurnlehramt berbei- 
gelommenen jungen Männer von jehr ungleihem Geſchich und ebenfo 
ungleiher Borbildung für diefes Amt vorläufig zu befähigen. So lonnte 
die Wirkſamkeit jener QTurnlehrerbildungscurfe eben nicht groß jein; fie wer 
ſchwindet völlig gegen dasjenige, was die Ginzelnen ohne eigentliche Anleitung 
an ben allerverſchiedenſten Orten als Autodidalten aus fi gemadt haben, 
und was fie aus eigener Kraft, durch eigene Verſuche und eigene Erfahrung 
von da an geworden find. Dennoch ſchien fie auf den rechten Weg zu 
weifen, auf welchem, wenn er nur mit mehr Exnithaftigleit und Ausdauer 
verfolgt werde, mit der Zeit dem Mangel an Turnlehrern Abbülfe geichafit 
werden möchte. 

Der mehrfach wiederholte Ruf nad bejonveren „Turnlehrerbildungs⸗ 
anftalten‘’ führte im Laufe der Zeit zu verſchiedenen Gründungen joldyer 
Anftalten, wie in Darmſtadt, Berlin, Dresden, und leglih Stuttgart, an 
manden Orten, zu Stuttgart in früheren Jahren, zu Karlörube blieb man 
in den Vorbereitungen fteden, an anderen, wie zu Darmitabt, gab man 
die Sache bald wieder auf. Ohne Zweifel find diefe Gründungen nütlich 
gewejen, und find es noch, hätte man fi nur nicht eine ziemliche Zahl 
von Jahren dabei beruhigt, eine ſolche Anftalt im Lande zu haben, und hätte 
darüber andere, minbeftens ebenfo nothwendige Veranftaltungen verabfäumt. 

Daß man über folde Nothwendigleiten allgemein in Unwiſſenheit ge 
ftanden hätte, läßt fi nicht behaupten. Schon 1842, ehe nur eine ein 
jige Gentralturnanftalt zur rechten Wirkfamleit gelommen war, hatte Spieß 
mit aller Beftimmtheit darauf hingewiefen, mas nothwendig geſchehen mußte, 
wenn das Turnen von oben herab zur Schulfadhe und weiter zur Volksfitte 
gemacht werden follte. (Spieß, Gedanten über die Einordnung des Turn: 
we ens in das Ganze der Vollserziehung. Baſel, Schweighaujer, 1842.) 


% 








Turnen. 505 


Da ihm für die erfolgreiche Uebernahme des Turnunterrichts durch Lehrer 
an Schulen als wejentlihe Bedingung erjhien, „daß ſich dieſelben in der 
Renntniß der inneren Gejeße der Turnkunſt eine binreihende Einficht ver 
Schaffen, daß fie jelbft eine freie Fertigkeit in beren Anwendung erworben 
und mit erzieheriſchem Geihid und Geiſt den Unterriht zu beleben und 
nah ven Gejeßen der Heillunde und den Forderungen bes ſchönen Ge 
fhmad3 zu leiten verftehen” müßten, jo fan er zu dem Schlufie: „Die 
verjhiedenen Bildungsanftalten für Lehrer werden darum das Zurmen 
gleidy wie die Schule in ihten Unterrichtsplan aufzunehmen haben. Im 
Allgemeinen find es die Univerfitäten und Seminarien, auf welden bie 
große Mehrzahl unferer Lehrer vorbereitet wird. Es mögen darum mit 
diejen Anitalten Turnlebranjtalten verbunden werben... ... Denn wir 
annehmen dürfen, daß mit ver Zeit alle unjere Lehrer während ihrer 
Schulzeit mit der Turnkunſt vertraut geworben find, jo ift ficher barauf zu 
rechnen, daß diefelben während ihrer Vorbereitungszeit auf Hochſchulen und 
Seminarien völlig in Stand gejeßt werben koͤnnen, das Zurnen mit Erfolg 
zu lehren. (S. 18 und 19 der angeführten Schrift.) Nächitvem verlangt 
Spieß in mohlgelegenen Mittelftänten Mufterturnanftalten (S. 34) und 
endlich öffentliche TZurnpläge, an welchen die Kräfte, die ſich unterbefien für 
das Zumen als bejondere Kunſt ausgebildet hätten, zunähft zu verwenden 
wären. „Man wird fich vieler Orten glüdlich ſchääzen, den wenigen, welche 
fih diefer Kunft mit folder Bebarrlichleit gewidmet, einen angemefjenen 
Wirkungstreis zuweilen zu können, welchen fie in erfter Zeit auch noch 
wohlthuend auf das eigentlihe Turnen an Schulen vertheilen lönnen. Recht 
zu wünfcen ift es, daß jo mandem edlen Manne, der bis jebt oft vielfach 
gehemmt und aufopfernd für die Erhaltung der edlen Turnkunſt ausharrte, 
mit einem größeren und anerfannteren Wirkungskreiſe zugleih auch ein 
ficheres Austommen bereitet würde. (S. 35.) 

Mas ift in fünfundzwanzig Jahren geſchehen, um den Spießſchen 
Andeutungen gereht zu werden? Die Sorge für öffentliche Turnanſialten 
und die damit in Zufammenhang gebrachte Verſorgung früherer Privat: 
turnlebrer haben dem Staate die freien Genoſſenſchaften der Turnvereine 
jo ziemli abgenommen, und obwohl fie bei ihren gemeinnüßlihen Bes 
ftrebungen mehr Hemmungen als Unterftügung Seitens der ftaatlihen Ges 
walten erfuhren, doch in folhem Umfange erledigt, daß man das Weitere 
getrojt von der Zeit erwarten fann. Dahingegen hat der Staat für die 
Ginführung des Turnens in den Bildungsanftalten der Lehrer geraume 
Zeit hindurch jo Aut wie gar nichts gethban. Es würde zu meit führen, 
wollte ich bier dieſe allgemeine Bemerkung durch eine Zuftandsjchilderung 
des Turnend an den verjchiedenen deutſchen Univerjitäten und den Schul⸗ 
lehrerfeminarien bekräftigen. Bor noch nicht gar langer Zeit war die Zahl 
derjenigen Anftalten, an denen gar nichts geſchah, unzweifelhaft größer als 
pie Zahl derjenigen, an denen von Staatöwegen aud nur das Nothdürf⸗ 
tigfte ind Werk gerichtet wurde, Die Lejer der pädagogiſchen Jahresberichte 
willen das zumeift aus ihrer eigenen Erfahrung. 

Die wenigen Centralturnanftalten, welde bier und da im Gange 
erhalten wurden, waren einjame Quellen turnerifcher Lehrlunde in ber 
Wüfte; und — wie flofien fie jpärlich! 





506 Turnen. 


Nach Spieß Tode hörte man in Darmflapt gänzlih auf, Turnlehrer 
zu bilden. In der That war Spieß viel zu fehr Lehrer und ganz und 
gar gewöhnt gewejen, mit dem großen Zauber einer edlen Berfönlichkeit 
Auge ins Auge zu wirlen, um ein Mann der Verwaltung zu fein und 
organisatorisch ins Weite zu greifen. Daß die Anfänge, die er gemacht hatte, 
mit ihm ſchwinden, war in diefen Anfängen ſelbſt vollftändig begründet. 

Die Centraltumanftalt in Berlin führte unter Nothfleins Leitung 
lange ein fieches, für das Civilturnen des Landes faft unfrucdhtbares Leben 
(Siehe Päd. Zahresberiht XV, 590), ebenfo die Dresdener Anftalt unter 
Kloß. Jene erfuhr deshalb die fhärfften Angriffe, diefe erntete im Gegen: 
faße zu ihr ein reichliches Lob. Bringt man aber die Leiftungen beider 
Anftalten für das Ganze in Anſchlag, fo war das Lob nicht weniger 
unverdient, ald der Tadel. Da man das Ding einmal am vertehrten 
Ende angegriffen batte, und den Bau von oben herab auszuführen ſich 
abmühte, geſchah es mit Nothmwendigleit, daß beide Anftalten gleichjam in 
der Luft fchwebten und weder große Unterlaflungsfünden begehen nod 
große Berdienfte ſich erwerben tonnten. Ich möchte an diefer Stelle ungern 
mißverftanden werben; ich möchte ungern, daß es fdhiene, als wäre es mir 
darum zu thun, etwa die Verdienſte der an beiden Anftalten thätigen 
Lehrer zu verfleinern. Giner derfelben, Dr. C. Euler in Berlin berichtet 
über vie Thätigleit der Preußiſchen Centralturnanſtalt in der deutſchen 
Turnzeitung 1867, ©. 45 ſelbſt wie folgt: „Die Zahl der Lehrer, welche 
den Unterricht in der Gentralturnanftalt befucht haben, beträgt, mit Ein: 
ſchluß der 6 Lehrer, welhe im Sabre 1856 einen blos breimonatlichen 
Curſus durchgemacht, jedoch durch beſondere für fie neben ven gewöhnlichen 
Unterrichtsſtunden angefebte Lectionen *) einen shfäluß in ihrer Ausbildung 
zu Turnlehrern erhalten haben, im Ganzen 311 + 6 alfo 317, wobei 
ih die Eleven des diesjährigen Curſus mitrechne. Bon denfelben find 
mit einem Bengnifie, welches fie zur Ertheilung des Turnunterrichts am 
böheren Unterrihtsanftalten berechtigt, bereits verfehen oder werben verfehen 
werben, im Ganzen 312, 

Diefelben vertheilen ſich auf die einzelnen Provinzen in folgender Beile: 

Preußen 39 
2) Bojen 32 
3) Schlefien 46 
4) Bommern 26 
5) Brandenburg 50 
6) Sachen 51 
7) Weftpbalen 283 
8) Rheinprovinz 37 
dazu Hohenzollern 6 
310 
Unbelannt blieb mir die Heimath von 2 


Summa 312. 











*) Bergl. Rothflein: Athenäum F rationelle Gymnaftit IV. 89 ff. Kloß, 
N. — für die Turnkunſt DO. S. 190 ff. r " 


Turnen. | 507 


Bon dieſen Lehrern find etwa 40 dur ihren Bildungsgang und 
das beflandene fogenannte Dberlehrereramen zur Uebernabme von höheren 
Lehrerftellen an Gymnafien und Realſchulen berechtigt. Line Anzahl anderer 
Lehrer bat durch den Beſuch des Königl. Muſik⸗Inſtituts umd der Zeichens 
Akademie zu Berlin ſich zu „technifhen‘‘ Lehrern ausgebildet. Ginige wurden 
Glementarlebrer an Gymnaſien und Realſchulen oder Lehrer der Vorſchul⸗ 
claflen. Diefe ertheilen den Turnunterricht neben ihren anderen Schulfächern. 
Eine Anzahl von Lehrern — doch ift dies die Minderzahbl — bat nur 
Zurnunterriht an der betreffenden höheren Lehranſtalt und ihre eigentliche 
Wirkſamkeit in anderen Schulen. Bloße Fachturnlehrer ohne anderen 
Schulunterricht find, foviel ich weiß, 5. 

Nach den von mir angeftellten Ermittlungen find gegenwärtig min« 
beftens 55 Gymnafien und 19 Realfchulen mit Turnlehrern verſehen, melde 
den Curfus in der Centralturnanftalt durchgemacht haben oder in dieſem 
Winter durhmahen. Außerdem noch etwa 26 Progymnafien, höhere 
Knaben: und Bürgerfchulen. Da nun Preußen in den bisherigen 8 Pros 
vinzen, von denen bier nur die Rede”fein kann, (incl. Hohenzollern) 156 
Gymnaſien und 52 felbftitändige, nit mit Oymnafien verbundene, Real 
ſchulen*) befikt, 'alfo im Ganzen 208 höhere Unterrichts-Unftalten, und 
davon 74 Zurnunterriht von Gleven der Gentralturnanftalt erhalten, fo. 
ergiebt fih ein Procentfag von 35,535. Dazu kommen nod 46 Lehrer an 
den 52 Schullehrer-Seminarien. Man darf behaupten, daß meit über die 
Hälfte der in der Gentralturnanftalt gebildeten Lehrer, die noch am Leben 
find — mehrere find bereit3 verftorben — und überhaupt Turnunterricht 
ertheilen, was auch nicht bei Allen der Fall ift, einen größeren turnerifchen 
Mirkungstreis haben. Die meiften ver übrigen Lehrer wirlen an Stadt: 
Schulen; an Landſchulen nur etwa 18. 

Ueber das Turnen an den Seminarien berichtet er weiter Turnzeitung 
1867. S. 37: „Für die Schullehrer-Seminarien ift vor allen Dingen 
geforgt worden, und hier ift das Bedürfniß an Turnlehrern, die aus der 
Eentralturnanftalt hervorgegangen find, faft ganz gevedt. An 52 Schul: 
lehrer⸗Seminarien find 46 Lehrer thätig, die in obengenannter Anftalt 
einen Curſus durchgemacht haben oder in diefem Winter (1866-67) 
durchmachen. Die turneriihe Wirkſamkeit ver aus der Gentralturnanftalt 
bervorgegangenen Lehrer ift eine durchweg anerlennenswerthe, ja vielfach 
geradezu vorzüglihe. Aus den Seminarien (die jährlich über 1000 Lehrer 
enilafien) nun ift in den verflofienen 15 Jahren eine ganze Reihe von 
Lehrern hervorgegangen, melde mehr oder weniger in den Stand gejeßt 
wurden, auch den Turnunterriht an ihren Schulen zu ertheilen. Außerdem 
find in den lebten beiden Jahren viermäcentliche Ertraturncurſe an Semi: 
narien der ganzen Monarchie für bereit im Amte ftebende Glementarlehrer 
abgehalten, und dadurch find die betreffenden Eurfiften in den Stand gejeßt 
worden, Turnunterriht — natürlich unter einfacheren Verhältnifien -- zu 
ertheilen. Soldher Ertracurje waren im Sommer 1865 18, und nahmen 
im Ganzen 360 Lehrer daran Theil. Es gefhah dies an den Seminarien 


”) Nah dem Schulkalender von Dr. Mushade, 


508 Turnen. 


gu Angerburg, Graudenz, Pr. Friedland und Br. Eylau in Preußen, zu 
Bölig (2 Curſe) und Bütom in Pommern, zu Bojen und Bromberg in 
Bofer, zu Steinau und Münfterberg in Schlefien, zu Neugelle, Drofien und 
Dranienburg in Brandenburg, zu Weißenfels und Ofterburg in Sachen, 
zu Büren in Weftphalen, zu Trarbah in Rheinpreußen. Auch in biefem 
Jahre find Ertracurfe wieder abgehalten worden. Nehmen wir ebenfalls 
wieder 350 Lehrer an, fo ergeben die beiden Jahre zufanmen 700 Lehrer, 
bie qualifizirt find zur Crtbeilung des Turnunterrihts. Bereits im Sommer 
1861 fand ein folder Curjus mit 41 Lehrern zu Neuzelle ftattl. Die 
Refultate dieſer Curſe werden als fehr günftig bezeichnet.‘ 

So meit Dr. Euler. Er bat nun offenbar nit Unrecht, wenn er fidh 
befien, was — neuerbings für die Zurnlehrerbildung in Preußen geſchehen ift, 
freut, und er hat Recht, wenn er es ausjpricht, daß der turnerifche Ginfluß 
der Gentralturnanftalt jeßt immer weitere Kreiſe jchlägt und bebeutender 
ift, als es auf den erſten Blick fcheint. Allein eben jo offenbar beweilen 
feine Angaben, daß die bürgerlihe Hälfte der Gentralturnanftalt 1) bis 
zum Jahre 1860 (bis wohin fie im Durchſchnitte jährlih 8 bis 9 Zoͤg⸗ 
linge entließ,) fo ziemlich ganz einflußlos war, 2) daß fie auch jebt auf 
die Mafie der Schulen nur einen fehr mittelbaren Einfluß hat, und 3) daß 
nur außerorbentlihe Anftrengungen die Ausficht eröffnen können, dem Be: 
bürfnifje nachzukommen. Man brauht nur die Statiftiihen Nachrichten 
über die Gentralturnanflalt, über die Seminarien und die Grtracurfe mit 
denjenigen zujfammenzuftellen, die andermweit über die Ausdehnung des 
preußiſchen Schulweſens vorliegen. So hatte z. B. laut Kammerverhand⸗ 
lung von 1857, alfo vor 10 Jahren, das unermweiterte Preußen 23,200 
preoteftantiihe und 10,500 katholiſche Primarſchulen, der jährlihe Abgang 
an Lehrern betrug 1280, der Zuwachs an befähigten Lehrern nur 850; 
ed wurden alfo alljährlih 430 Stellen ungenügend beſetzt. Und nod am 
7. Gebr. 1867 dieſes Jahres erllärte der Regierungscomm. Stiehl im preu⸗ 
hiſchen Haufe der Abgeordneten: „Es iſt Thatſache, daß ein großer Theil 
unjerer Glementarlehrer den an fie geftellten Anſprüchen nicht genügt, daß 
ebenjo der Andrang zu dem Glementarlehrerberuf abgenommen bat.“ Was 
wollen demnach die aus der Centralturnanitalt und den Seminarien und 
Ertracurjen zufammen abgelieferten Zurnlehrer in der Zahl von höchſtens 
1500 für das Jahr befagen, wenn man auch weder ihre Neigung noch 
ihre Befähigung, wie es doch die angeführten Worte Stiehls nahe genug 
legen, im geringiten bezweifelt. Fact: Wenn es fo gut fortgebt wie 
in den legten Jahren und ohne Stodung, dann ift Ausfiht vorhanden, 
allenfalls in etwa 80 Jahren an jeder Schule des alten Preußen einen 
feiner Beit für befähigt, Turnunterricht zu ertbeilen, erllärten Maun als 
Lehrer zu finden! Denn ich dividire ſchlechthin mit 1500 in 30,000 und 
verlängere den fo gefundenen Zeitraum mwegen des Abgangs durch Sranl- 
beit, Tod, Berufsmechfel ber Lehrer um die Hälfte, überzeugt, daß ich nur 
zu Gunſten derjenigen rechne, melde von der Zulunft das Belle hoffen, 
keinesweg3 aber den Peifimiften und Schwarzieher fpiele. 

Nicht ganz das Gleiche, was von Preußen mit feinen verſchiedenen 
Provinzen gilt, gilt von dem Königreih Sachfen, welches einer preußiichen 








Turnen. 509 


Provinz glei kommt, und fomit von der königlichen Turnlehrerbildungs⸗ 
anftalt in Dresden. Man follte meinen, bier hätte die Sache ſchon 
viel fchneller gehen, und das Schulturnwejen Sachſens hätte fi, wenn bie 
Dresdener Anftalt glei der Berliner gewirlt bätte, bei fo viel mal 
ſchwaͤcherer Bevöllerung eben auch beveutend ſchneller entwideln müflen. 
Sachſen bat auf eine Bevölterung von 2,343,994 Seelen 400,229 ſchul⸗ 
pflichtige Kinder, weldhe in 1936 evangeliihen und 40 katholiihen Schulen 
von 3999 Lehrern unterrichtet werden; es bat 7 Realichulen mit 1892, 
11 Gymnaſien mit 2552 Schülern und 105 + 151 Lehrern und dazu 
11, bald 12 Seminare, da3 wären 15mal weniger Schulen und nur 5mal 
weniger Seminare. (Erpof6 über den Stand bes öffentlihen Schulweſens 
im Königreih Sahjen. Dresven, Reinhold 1867, ©. 5.) In der tönig: 
lihen Centraltumanftalt haben wirklih in den erften 16 Jahren ihres 
Beitehens bis 1866 an jechzehn jährigen Lehreurſen 229, an ſechs vier: 
wöcdentlihen Nachhülfecurfen 71 Lehrer Theil genommen. 

Sie hat aljo etwa ebenfoviel jähfifhe Lehrer ausgebildet, wie die preu: 
ßiſche Anftalt preußiſche. Aber es befteht ein mwefentlicher Unterjchied, der 
den Bortheil, welchen fie hat, vollftändig ausgleiht. Die letztere Anflalt 
beansprucht fein Monopol der Turnlehrerbildung. Cine preußifche Turn⸗ 
lehrerprüfungsverordnung, welche wir in der Note mittbeilen,*) verlangt die 


®) Reglement für die Turnlehrer- Prüfungen. 

8. 1. Zur Abhaltung von Turnlehrerprüfungen wirb zunächſt in Ber 
lin eine Commiſſion errichtet. Diefelbe befteht: 1) aus dem Civilbirector ber 
Königl. Tentralturnanftalt als Vorſitzendem, 2) dem lUnterricätöbirigenten ber- 
ſelben, 3) einem Givillehrer, 4) bem Lehrer der Anatomie an derjelben, 5) ans 
einem von bem Miniſter ber geifllihen Angelegenheiten zu ernennenden ander⸗ 
weiten Turnlehrer. 

Die Errichtung von folhen Prüfungscommifftonen in den Provinzen wirb 
oorbebalten. 

8. 2. Der Prüfung duch diefe Commiſſion haben fih alle Diejenigen zu 
unterziehen, welche, ohne von ber Königl. Centralturnanftalt mit dem Befähigung 
zeugnifje entlafien zu jein, vom 1. Oktober 1868 ab ale Turnlehrer an effent: 
lihen höheren Unterrichtsanftalten, nämlich an Gymmafien, Brogymnafien, Real- 
und höheren Bürgerſchulen, ſowie an Schullehrerieminarien angeftellt werben ober 
in dieſer Eigenfchaft weiter fungiren wollen. Anträge ber Brovinziafbehörben, 
Turnlehrer legterer Kategorie auf Grund ihrer bewährten Leiſtungen von Ab- 
legung ber Prüfung zu entbinden, find bis zum 1. Jannar 1868 an ben Minifter 
der geifllihen Angelegenheiten zu richten. 

.3. Die —* findet jährlich zu Ende März in ber Königl. Central⸗ 
turnanftalt zu Berlin flatt. 

8. 4. Die Anmeldung muß bis zum 1. Januar jeben Jahres bei dem 
Minifter der geiftlichen Angelegenheiten durch bie betreffenden Königl. Provin⸗ 
zialjchulcollegien oder Regierungen erfolgen, unb find verfelben beizufügen: 
1) der Taufſchein, 2) der Lebenslauf des Alpiranten, 3) Zeugniß über bie von 
ihm erworbene Schuls und Lebrerbilbung, 4) Zeugnifle über die jeitherige Wirt. 
ſamkeit als Lehrer oder Beſchäftigung als Turniehrer. 

8. 5. Die ſchriftliche Prüfung beſteht in der Anfertigung einer Clauſur⸗ 
arbeit aus dem Reiche der pädagogiſchen Gymnaſtik. 

Die praltiſche Prüfung erſtreckt ſich: 1) auf Darlegung der körperlichen 
Fertigkeit des Examinanden in den gumnaftilchen Vebungen des Schulturnunter- 
richte; 2) auf Ablegung einer Probelection zur Documentirung des nötyigen 
Lehrgeſchickes. 


510 Turnen. 


Ablegung einer Prüfung nur von denen, welche an höheren Unterrichts⸗ 
anftalten noch nah Ablauf des Jahres 1867 Zumunterriht ertheilen 
wollen. Bewährten Turnlehrern ſoll diefe Prüfung erlaflen werden, pri= 
vatim vorgebilveten Lehrern ift die Prüfung in der Anatomie und Phyſio⸗ 
logie gefhentt. Für das Zumlehren an niederen Schulen genügt das 
Seminarzeugniß. Sächſiſche Berorbnungen dagegen, melde bereits in 
Bd. XVL des Paͤd. Jahresberihts S. 292 fi. mitgetheilt find, Inüpfen 
das Recht, Zumunterriht in Elementarſchulen zu ertheilen, ausfchließlich 
an bejonvere Prüfungen, welche an der Dresdener Anftalt angeftellt werben 
und an die bier zu eröfinenden Nachhülfecurſe. Hiernach kommen für den 
ſaͤchſiſchen Echulturnunterricht felbft von den 300 Lehrern, welde die An⸗ 
ftalt beſucht haben, nur etwa die Hälfte in Betraht, von den Seminar: 
zöglingen aber weiter niemand. Was folgt daraus? Ich vermag durchaus 
feinen anderen Schluß zu ziehen, als den: Gefegt, die Anftalt in Dresden 
bildet von nun an mit verboppelter Anftrengung jährlih 60 Lehrer in 
neun= und in einmonatliben Curfen, jo haben die Königl Sadfen vie 
frohe Ausſicht, nad Ablauf eines vollen halben Jahrhunderts demnächſt 
an jeder Elementarjchule ebenfalls einen ganz oder halb turnerijch gebildeten 
Lehrer zu haben. Und wenn biergegen der Director der ſächſiſchen Turn⸗ 
lehrerbildungsanftalt die „DBerlegung der abjdließenden Ausbildung für das 


8.6. Die münblide Prüfung erfiredt fih auf bie allgemeine Kenntniß 
ber geſchichtlichen Entwidelung bee urnweſens, Zwed und Ziel bes Turnens, 
Charatteriftil der 3 neueren Syſteme von Jahn⸗Eiſelen, Spieß, Ling-Rotbftein ; 
auf die allgemeine Kenntniß der gymnaſtiſchen Literatur und auf bie geuane 
Belanntihaft mit der guinnaftiihen Nomenclatur ; auf die Kenuntniß der technifchen 
Einrihtung ber Uebungsgerüfle, fowie ber Anlage von Turnplätzen. 

. 7. Für den Turniehrer if die Kenutnik des menſchlichen Körpers nad 
Seiten der Anatomie und Phpflologie dringend wünſchenswerth. Diefelbe kann 
nur unvolllommen auf dem Wege des Privatfiudiums erlangt werben. Da aber 
der jetzt vorgeichriebenen Prüfung fih hauptſächlich privatim vorgebildete Turn- 
lehrer unterziehen werben, fo foll’e# den Graminanden bie auf Weiteres frei- 
geftellt fein, die Prüfung in der Anatomie und Phyfiologie abzulehnen. Für 
diejenigen, welche ſich derjelben unterzichen wollen, wirb bemerkt, daß ber bes 
treffende Unterricht in der Eentralturnanftalt unter Benutung der erforderlichen 
Anihauungsmittel und Präparate folgende Ziele erfirebt: 1) Keuntniß bes 
Kuocdengerüftes ale Grundlage des Bewegungsapparated; der Schäbellnochen 
nur ganz im Allgemeinen; ber Knochenverbindungen (Gelenke) und ber wichtig. 
ftien Bänder und Knorpel, namentlih an den Extremitäten. 2) Die Kenntnif 
des willkürlichen Muskelſyſtems; der Tagenverbältnifie und Wirkſamkeit ber 
wichtigſten Muskeln und ihrer Öruppirung nad den Gliedmaßen unb deren 
Bewegungen. 3) Die Kenntuig der Athmungs⸗ und Verbauungsorgane im 
Allgemeinen, die wichtigften Sätze Über den Ernährungs⸗ und Umbildungsprozeß, 
über das Blutgefäß- und Nervenſyſtem. 4) Gejunbbeitspflege (Diätetid), foweit 
fie bei dem Betriebe bes Zurnend in Betradht kommt. Kenntniß ber erſten 
nothwendigen Hüflfleiftungen bei eingetretenen Körperverlegungen. 

8. 3. Diejenigen Eraminanden, welche zugleich Fechtunterricht ertheilen 
wollen, werben im Stoß- und Hiebfechten noch beſonders geprüft. 

8.9. Wer bie Prüfung befteht, erbält ein Befähigungszeugniß nıit einem 
der 3 Hauptpräbicate: „ehr gut, „gut oder „genügend“. 

$ 10. Gebühren find für bie Srifung nicht zu entrichten. 

erlin, ben 29. Mär) 1866. 

Der Minifter der geiftlichen Angelegenheiten v. Mühler. 





Turnen. 511 


Zurnlehreramt in den Seminarcufus” für den Vorſchlag eines bloßen 
„Theoretikers und Idealiſten“ ausgiebt (Deutſche Zurnzeitung 1866, 
S. 175), jo begreife ich nicht, wie er dann nod an der Forderung, daß 
in allen Schulen geturnt werben jolle, feſthalten kann, da es rein unmöglid 
fein dürfte, daß ein Seminar für ein Land, welches nur Zmal fo viel 
Lehrer wie Schulen bat, genug Zurnlehrer liefert, wenn zehn Seminare 
zufammen nicht einmal genug Lehrer heranziehen. Nah einer Schrift, 
welche fih auf fogenannte amtliche Quellen ftüßt: 
24. Kloß, Moritz, Dr. (Director der königlichen Turniehrerbildungsanftalt in 
Dresden): Blid auf den früheren umb jebigen Stand des Schulturnweiens 
im Konigreich Sachſen nach feiner Äußeren und inneren Entwidelung nebft 


einer tabellariichen Ueberficht der Frequenz der Schulturnanftalten. Dresben 
Blochmann und Sohn. 1866. F 8.) 8. 


zählte Sachen zu Ende 1864 in feinen höheren Lehranftalten 5183, in 
den niederen 16,384 Zurnzöglinge; an 51 Orten turnten angeblih 86 
Schulen, alfo nad den oben gemachten Angaben über die Zahl ver ſchul⸗ 
pflihtigen Kinder und der Schulen in Sachſen, etwa 5 Brocent der Schüler 
und ebenjo ver Schulen. Nun ift freilich nicht gejagt, wie ver Vorſteher 
des ſtatiſtiſchen Bureaus zu Dresden, Dr. Petermann, ung bemerlt, ob die 
amtlichen Fragebogen des Director Kloß an alle Schulen ohne Unterſchied 
geſchidt find, oder nur an die, bei deren Anftalten notoriſch geturnt wird, 
berausgegeben wurden, ob fie alle wieder bereingelommen ober nicht, was 
für den ftatiftiichen Werth der Ziffern von großem Belang. Unvererfeits 
führt ſchon das ſtatiſtiſche Jahrbuch der Turnvereine (Siehe oben Nr. 2) 
bei Sachſen über 10,000 Bereinsfhüler und Schülerinnen auf, ohne daß 
erfichtli wird, in wieweit dieſe Biffer die des Kloßſchen Blids ergänzt 
oder ganz oder theilweife in ihr enthalten iſt, jo daß bie regiftrirten Zahlen 
der legten an fih nur einen unbeſtimmten Bruchtbeil der tumenden 
Jugend Sachſens darſtellen. Wir willen ferner aus dem eigenen Bir 
kungstreife, daß die Angaben des Blides im Einzelnen nur eine geringe 
Glaubwürdigkeit befigen, indem fie mit Namen und Bablen Schulen als 
turnend und unter eigenen Lehrern turnend anführen, die entweder überhaupt 
nicht furnen, oder doch nicht unter eigenen Lehrern, bei wieber anderen 
von einem Schulturnen fpreben, wo nur wenige Schüler einen 
Privatunterriht haben, weil die Schule zwar gern als Ganzes tumen 
möchte, aber, durch die jächfiihe Zurnlehrerprüfungsoronung gehindert, in 
Grmangelung eines geprüften Lehrers nicht darf. Gleihwohl thut dies 
Alles einer gewifien Braucbarleit der Zahlen keinen Eintrag, da bie eine 
Zahlenreihe vermuthlich ebenjo ungenau ift wie die andere, bei einer Ber» 
bältnißrehnung die Fehler alfo ſich ausgleihen dürften. Nah Abjähriger 
Arbeit der Zurnlehrerbildungsanftalt turnen mit oder ohne ihr Zuthun von 
20 Säulen eine, von 20 Kindern eines, und es ergiebt ih, daß 48 
ungeprüfte Lehrer neben 60 geprüften turnen, daß von 300 Lehrern, melde 
die Anftalt gebildet, von 150, die fie geprüft hat, aljo nur ein Fünftel 
beziehungsweife 4 zur Wirkſamkeit gelangt find; die Mehrzahl der Turn⸗ 
lehrer bat demnah in dieſenn Falle etwas umfonft gelernt, was eine noch 
viel größere Mehrzahl ihrer Stanvesgenofien höchſt nöthig gebraudyen 


512 Turnen. 


fönnte, Nein, es muß eben allen Lehrem der Schulen möglich fein, fi 
fo viel turnerifhe Bildung und jo viel Lehrgeſchick, wie durchſchnittlich zur 
Zeitung einer Volksſchule gefordert wird, in derſelben Beit anzueignen, in 
welcher fie fih zur Uebernahme des Amts überhaupt vorbereiten, ober die 
Ginführung des Turnens, als „eines Theiles der leiblihen Erziehung, den 
die Schule beforgen kann und das Haus nit“, in den Kreis der Schul 
fächer fintt felbft zu einer Chimäre herab. Allein ich habe die Uebergeugung, 
daß jene Vorbereitung fehr wohl möglih if. Man erlaube mir, um ein 
für allemal mit diefer — brennenden Frage abzuſchließen, zu ihrer Be 
gründung einige Seiten aus einem PBortrage, welden der Stifter des 
ſchweizeriſchen Turnlehrervereins, Jjelin, in deſſen Jahresverſammlung zu Bern 
fhon am 9. October 1863 gehalten bat, bier mit der Bemerlung einzu= 
ſchalten, dab ih dem Gefagten nichts hinzuzufügen babe. Es gilt für 
deutſche Verhaͤltniſſe nicht mehr nicht weniger als für die Schweiz Wir 
lefen in der Schweizerifchen Turnzeitung, 1864, ©. 19: „Was verlangen 
wir von einem Xehrer, der auch den Schulturnunterridt ertbeilen ſoll? 

Mehr noch als bei jedem anderen Bweige der Unterrichtsthaͤtigkeit 
find bei dem Turnunterriht Kennen und Können von einander unzertrenn⸗ 
ih. Der Tumlehrer muß fich des Zweckes feines Untefrihts wohl bewußt 
jein; Nebenzwede und untergeorpnete Rüdfichten jollen nie zur Hauptſache 
werden. Das Turnen darf nicht aufgehen im Eprercieren, nicht in Schau: 
ipielen und Schauftellungen, nicht in Tanzen noch echten, nicht in Drillerei 
und Abrichterei, audy nicht in bloßem Spiel oder in Ungebundenheit. Das 
Turnen der Mädchen darf nicht eine Nachahmung des Knabenturnens fein. 
Yede Auswahl von Uebungen, die ganze Behandlung ber Jugend foll den 
denlenden Grzieher zeigen. Im Wechſel der Turnarten und Zurnübungen 
ſoll doch ein rother Faden fih durchziehen: nicht das Bekenntniß auf eine 
der Beweisichriften, wohl aber die innige Belanntihaft mit denjelben; nicht 
ein NAbleiern eines vorgejchriebenen Leitfadens, fondern volles Verſtändniß 
des Lebungsftofjes, Kreiheit in der Verwendung deſſelben. Unerläßlich aber 
ift, daß der Turnlehrer die Uebungen, welche er feine Jugend ausführen 
läßt, jelber in feiner Gewalt babe, daß er fie ſchon jelber ausgeführt babe, 
damit er das Gefühl ver Leichtigkeit oder Schwierigkeit, der Zuſammen⸗ 
ſetzung und ber Hauptmomente berjelben in fich trage. Freilich die zuneh⸗ 
menden Altersjahre ſchieben dem körperlihen Können auch der Turnlehrer 
mit unwiderſtehlicher Gewalt endlich den Riegel; er bat nur das in der 
Jugend Erlernte jo viel als möglich feitzuhalten, und es erjegt ihm dann 
die Erfahrung das Meifte von Dem, was das Alter ihm entzieht. Jeder 
Turnlehrer foll bis etwas über die Stufe hinaus, auf der er den Unterricht 
ertbeilt, durchgeturnt fein, aljo nicht einjeitig, nicht plump, nicht hölzern, 
nicht edig fein. Das höhere Hunfttumen mit feinen großen Schwüngen 
und Sprüngen, unjer Nationalturnen mit Ringen und Schwingen erlafien 
wir ihm gerne, wenn Alter und Körperbau oder Kränklichleit oder andere 
Beihäftigungen ihn ſolche Fertigkeit und folche Kraft nicht erringen lafien. 
Alfo jeder Lehrer, der Zurnunterriht zu ertheilen bat, muß etwas über 
feine Turnclaſſe hinaus gefhult fein; das ift die eine Seite feines Könnens. 
Sie werden mir entgegnen, daß das body wohl zu viel verlangt fei; der 





Turnen 513 


Lehrer habe des Tags Arbeit und Anftrengung genug, ein eigenes Turnen 
zum Zmwed der Erhaltung bisheriger und zur Grwerbung neuer Fertigkeit 
jei ihm nicht zuzumutben. Iſt er aber wirklih von dem Nutzen des Tur- 
nens für das koͤrperliche Gedeihen, für die geiftige Regſamkeit überzeugt, 
fo wird er nit nur anderen Leuten die Segnungen bed Turnens anpreifen, 
fondern fie felber auch genießen. D das wäre ein Gegengewicht gegen fo 
viele Pedanterei und Ueberreiztbeit, gegen Grillen und Sorgen, ein Heile 
mittel oder mehr ein Vorbeugen gegen jo manche Krankheiten, vor benen 
Schulluft und Schulatmojphäre am wenigften ſchützen! 

Eine andere Seite dieſes koͤrperlichen Könnens, das der Turnlehrer 
befigen fol, darf ich nicht unerwähnt lafien. Das Turnen foll zwar einen 
auf genaue Kenntniß der eigenen Kräfte und Fertigkeit geftüßten ‘Muth 
weden, aber beim Zurnunterricht ſelber joll jede Gefahr vermieden werben. 
Der Turnlehrer muß alfo im Stande fein, die Gefährlichkeit einer Uebung, 
ja aud die Gefährlichkeit einer einzelnen unverhofften, unmwilllürliden Bes 
megung des Uebenden fofort zu erlennen, dazu brauht er nun aber 
mejentlih eine eigene Erfahrung, eigene Vertrautheit mit Webungen und 
Geräthen, fonft wird er forglos und beſchwoͤrt damit die Gefahren herauf, 
oder furchtſam, und fein Unterricht bildet nicht zur Männlichkeit. Aber auch 
mit der Erkenntniß der Gefahr ift es nicht gethan; mit Geiltesgegenwart 
muß er auf die richtige Art zu helfen willen. Schon die Art der Unter 
ftügung, welche der Turnlehrer dem Uebenven zu heil werben läßt, zeigt, 
ob jener die Uebung und deren Hauptmomente kennt; im richtigen Augen: 
blid und auf die am wenigſten anſtrengende Weife genügende Unterftügung 
zu geben, tennzeichnet den erfahrenen Turnlehrer. Ein richtiges Steben: 
fo beißen wis dieſes Unterſtützen, ift für den Lehrer ein körperliches Können 
und erfordert dazu fihern Blid, fchnelle Hand und feften Stand. Diejes 
fchnelle Eingreifen im entſcheidenden Augenblid bedingt aber einen hoben 
Grad von Herrſchaft des Geiſtes über den Körper, der auch wieder nur 
durch eigene Uebung kann errungen werben. Allein auch biefe Errungen⸗ 
ſchaft wird gewiß mwmohlthätig auf das Selbftvertrauen des Lehrers, er ift 
ja aud ein Menſch, einwirken; fie gehört wefentlich mit zu dem, was man 
unter den Gigenfchaften eines praftifhen Menſchen verſteht. Wie lange 
follen wir Lehrer noch den Vorwurf tragen, unpraltiiher zu fein als 
andere Leute! 

Daß ein Turnlehrer als Lehrer dieſelben Eigenſchaften befigen fol, 
wie jeder andere Erzieher, brauche ich nicht erſt auszufprehen. Liebe zu 
ven Schülern, Aufopferung für fein Fach, ernftes Streben nad) eigener 
Beroolllommnung, Selbftverläugnung und Wahrheitsliebe, Treue im Kleinen 
bürgerliche und Mannestugenden, frommen Einn und friihen Muth muß 
er unter Gotted freien Himmel wie in den engen Zurnjaal mitbringen; 
aber außerdem auch das Kennen und das Können, dad von ihm als Zurn- 
lehrer verlangt wird. Die Turnlehrerbildung befteht, um es kurz zuſammen 
zu ftellen, in Folgendem: 1) in der Belanntjhaft mit dem Bau bes 
menſchlichen Nörperö und deſſen Lebensthätigleit, 2) in der Einfiht in den 
Bufammenbang und die Olieverung der Turnarten, 8) in freier Beherr⸗ 
ſchung des liebungsftoffes, 4) in richtiger Behandlung und Bermenbung 

Nad. Sahreäberit. XIX. 33 


514 Turnen. 


der ausgewählten Uebungsarten, 5) in Bekanntſchaft mit Bwed, Geſchichte, 
Literatur und Methodik der Leibesübungen, 6) in der Fähigkeit, bie im 
Schulturnen vorlommenden Uebungen auszuführen. 

In manden von Ihnen, verehrte Collegen, wird ſchon ber ſtillſchwei⸗ 
gende Vorwurf aufgeitiegen fein, das fei denn doch bed Guten zu viel ver 
langt, und mit Recht, wenn wir bedenken, daß das neuere Schulturmen 
erit feit Kurzem in der Schweiz fih Bahn gebrochen und wie viele andere 
Shmierigleiten erft noch zu überwinden find, — mit Unrecht, wenn wir 
bevenlen, daß wir an die Arbeit geben müflen, jo lange vie Kräfte noch 
ausreihen und daß nur gute Zurnlebrer im Stande find, ben jetzt überall 
fo hoch geipannten Forderungen an das Turnen zu entſprechen. “Die älteren 
Praktiker jollen übrigens auch nicht mehr mit Dingen beimgejudt werben, 
die ihnen ferne liegen; aber angehende Lehrer follen wo möglid mit all 
dem ausgerüftet werden, was den Zurmunterriht unter unferer Iugend zu 
einem Lieblingsfadye machen, die Erwartungen ver Behoͤrden erfüllen und 
dem Vaterland ein fräftiges, mutbiges, opferbereite® Bolt bilden kann. 
Wir verjprehen ja Regierungen und Volt fehr viel von ben Gegnungen 
des Schulturnens; die erfte Bebingung zum Wahrmwerben diefer Verheißun⸗ 
gen find gute Turnlehrer; und wenn ich zu viel von der Zukunft zu hoffen 
feine, fo denke ih, im Zurnen wie überall bofit man von ber Zukunft 
Bortfehritt und Vervolllommnung. 

Sf, wie wir früher geſehen haben, die Leitung des Schulturnens 
Sache von Schullehrern, ift das Schulturnen ein Fach von Bebeutung fo 
hoch als die übrigen Schulfächer, fo find damit auch die Stätten bezeichnet, 
wo unjere Turnlehrer gebildet werden follen; es find biefelben, woher auch 
die anderen Schulfächer ihre Lehrer beziehen, nämlih vie Anftalten, an 
denen überhaupt Lehrer gebildet werden, alfo Seminarien, Nlabemien, 
Volytehnilum und Hochſchulen. Da follte überall den Lehrfachbeflifienen 
die Möglichkeit gegeben werben, ſich die Kenntniſſe und die Fertigkeiten 
gu erwerben, welde ich eben al® zur Zurnlebrerbilvung gehörig bezeichnet 
babe. Die Bildung von Zurnlehrern für die Stufe, wo das Klafien: 
lehrerjuftem gilt, beißen fie nun Volksſchulen oder nicht, wird einen ver 
bältnißmäßig Heinen Theil jenes Gebiets des Kennens und Könnens zu 
umfaflen haben; denen, welde auf höheren Stufen zu wirken gevenlen, 
ein weiteres. Jeder in den Staatsdienft übergebende Lehrer (an Volks⸗ 
und an Mitteljchulen) fol bei feiner Bewerbung, jeder Lehramtscandidat 
fol bei feiner Staatsprüfung nachweiſen lönnen, daß er im Stande jei, 
den Zurnunterriht auf den unterften Alters⸗ oder Klaſſenſtufen zu ertbeilen. 
Für den Zurnunterriht auf höheren Stufen aber jollten vie für die Fach⸗ 
lehrer an Secundarjchulen und Kantonsſchulen aufgeftellten Vorſchriften 
gelten. 

Alfo an den Anftalten, an denen Lehrer gebildet werden, follten, von 
Fachlehrern geleitet, folgende Zweige zur Einführung in den Zurnunterridt 
gelehrt werden: 1) Anthropologie und Diätetif, 2) Zwed und Geſchichte 
der Leibesübungen und deren Berhältniß zur Erziehung, 3) Literatur und 
Spftematit (Kenntniß des Turnſtoffs), 4) Methodik oder Lehre von ber 
Verwendung bes Turnſtoffs, 5) Praktiſche Grlernung der Uebungen und 











Turnen. 515 


Ginturnen berfelben in befonderen Turnftunden, 6) Vorführung ber Haupt: 
tumarten in einer Mufterfhule, 7) Uebungen ver Studirenden oder Semi⸗ 
noriften im Leiten einer Turnklaſſe. 

AU das find übrigens nicht ganz neue Forderungen; in Deutſchland 
ift ihnen an den dortigen Gentraltumanftalten, welche für ein ganzes Land 
Aurnlehrer bilden, jhon genügend Rechnung getragen. Cine Gentralturn: 
anftalt felber ſcheint mir nicht geeignet für unjere Bebürfniffe, ich fähe in 
der Errichtung einer ſolchen geradezu ein Aufgeben des Grundſaßzes, daß 
das Turnen Sache der Schule, die Turnlehrerbildung alfo Theil der Lehrer 
bilvung jei. Außerdem aber ſchiene es mir hoͤchſt unzwedmaͤßig, Semina» 
riften oder Studirende am Ende ihrer Studien auf ein paar Monate an 
eine Anftalt zu fchiden, wo fie nur das Turnen und wieder das Turnen 
beſchäftigen fol. Haben wir keine bejonderen Anftalten 3. B. für den 
deutſchen Sprach⸗ oder für den gefhichtlihen Unterriht, fo foll aud das 
Zurnen in den Bildungsgang ber Tünftigen Lehrer eingereiht werben, und 
ih glaube, daß dieſes praltiih viel ausführbarer ift, als die Erſtellung 
einer befondern Gentralturnanftalt. 

Berehrte Collegen, ich hätte hiermit die Frage, wie fie mir vorgelegt 
worden ift, erft in ihrem Haupttheile beantwortet; es Tann offenbar nicht 
genügen, dab wir die Behörden und die Jugend vertröflen auf eine neue 
Lehrergeneration, welche bdereinft nad) tüchtiger eigener PVorbildung, mit 
allen wünjhbaren Eigenſchaften ausgerüftet, den Zurnunterricht übernehmen 
werde. Können wir das Höchfte noch nicht, jo wollen wir das Mögliche. 
Auch die jegt im Amte ſiehenden Lehrer follen, infofern nicht Kraͤnklichkeit 
oder das Alter es verhindern, befähigt werben, möglihft bald das Turnen 
auf einer untern Stufe zu leiten. Cs wird dadurch gerade bei der Lehrer: 
haft manches Vorurtheil gegen das Turnen und gegen bie eigene Kraft 
ſchwinden, weil unfer Fach ven Beweis feines Werthes Jedem liefert, der 
ihn an ſich felbft erproben mag. Freilih wird noch mandes Lüdenhafte 
und Mechaniſche und Einfeitige bie und da mitlaufen; aber es iſt damit 
bob von dem ber Schule gehörigen, bis jetzt als Allmend betrachteten 
Gebiete Beſitz ergriffen. Als Mittel, welche unter den gegenwärtigen 
Mebergangszuftänden vie Lehrer für den Turnunterricht vorbereiten können, 
febe ih folgende an: 1) Zurnlebrercurfe für je einen Bruchtbeil der 
Lehrerſchaft eines Kantons; 2) Mufterturnunterridht bald da, balo 
bort, von Beit zu Zeit durch einen gebildeten Fachturnlehrer, beziehungsweiſe 
einen Turndirector; 3) Jährliche öffentlihe Turnprüfungen in 
den Schulen; 4) Anſchaffung von Turnfhriften für die Lehrer 
bibliotbelen; 5) Vorträge über das Zumen und Mufterturnftunden 
bei Lehbrerverfammlungen aller Art (bei Bezirle-, Kantonal⸗ und 
ſchweizeriſchen Lebrerverfammlungen); 6) Bereinigung der Lehrer 
eines Drtes zu tumerifhen Beiprehungen und Uebungen; 7) Bek 
lehrende Aufſätze turnerifchen Inhaltes in den Lebrerzeitungen oder 
ber Schweiz. Zurnzeitung. | 

Man wende nicht ein, daß damit für unfer Fach eine verhältnigmäßig 
große Zeit in Anfprud genommen werde. Das Zumen ift als Schulfad 
‚eine faſt ganz neue Disciplin, ift den meiften Lehrern etwas gänzlich 
33 * 





516 Turnen, 


Fremdartiges; der Lebrftoff, deſſen Verwendung bier nicht wie bei allen 
andern Fächern fchon hundert und taufend mal umgearbeitet worden ; eime 
Bertrautbeit mit ihm erfordert ſchon deshalb mehr Arbeit, eine Beherrſchung 
deflelben ernftlihe Anftrengung, öftern Gedankenaustauſch mit Berufsgenofien, 
genaue Verfolgung der eigenen und ver fremden Grfahrungen und etwas 
Freude an eigener Arbeit. Die jebige Lehrergeneration hat aber zunädhft 
das gut zu mahen, was Jahrhunderte lang an der Etziehung unferer 
Jugend verfäumt worden if. Wenn fie rüftig und freudig dieſe Schule 
anerlennt, dann wirb fie vorerft in fich felber den Lohn finden, die Jugend 
wird freudig zu ihnen ftehen, das ganze Schulleben muß fi) umgeftalten, 
und unfer Vaterland hat eine neue Stüße feiner Wohlfahrt.” 

Nach dieſen bei aller Kürze doch ziemlich erfchöpfenden Ausführungen - 
erübrigt es noch, die Schriften, welche über vie Turnlebrerbilvungsfrage 
erfchienen find, einzeln aufzuführen. Es gehört dahin 
25. Euler, Earl, de la gymnastique ped ique et de la necessite de 

l’organiser en Belgique. Bruzelles. © Muquarbt. (41 ©.) 8. 


Der vielgewanderte Berfafler (Siehe PBäp. Jahresberiht XVIL, 578, 
Ar. 71) Hat ſich entſchloſſen, ungeachtet der Befriedigung, welche ihm feine 
Ahätigleit in Preußen, Baden, Luremburg und zulekt in Holland gewährt 
bat, rein aus Pflichtgefühl und aus Menfchenliebe, fortan für das Zumen 
in Belgien zu wirken. Er legt den Belgiern jein Streben and He, 
deutet auf Errichtung einer Normalturnjchule hin und berichtet über die in 
Deutfchland beftehenden Turnlebrerbildungsanftalten, um zur Nachahmung 
aufzufordern. 

26. Friedländer, Konrad, Dr. (Oberlehrer und Turniehrer an ber Real⸗ 
ſchule zu Elbing): Vorſchläge zur Organifation bes Turnens in ben preuß. 
Schulen, befondere mit Rüdficht auf bie Borbilbung zum Miüitärbienfe. 
Elbing. In Lommilfion bei &. Meißner. 1867. (14 ©.) 8. 

Einige Säbe gegen das Ende der Schrift deuten barauf bin, was 
ben Verfafier veranlagt, mit feinen Borfchlägen bervorzutreten. „Was der 
Sehnſucht des Baterlandsfreundes bisher nur ein fchöner Traum war, der 
deutſche Einbeitsftaat, er geht, fo Gott will, jebt feiner Verwirklichung 
entgegen. Aber noch ift erft das Werk begonnen, und viele Arbeit will 
getban fein, ehe es vollendet werde. Am ganzen preußifhen Rolle lebt 
das Gefühl, daß mehr als je alle Kräfte daran zu fegen und 
die im Volle noch fchlummernden zur vollen Entwidelung zu bringen feien.“ 
Diefem Gefühle gegenüber hofft Friedländer mit feinen auf Organijatien 
des Turnens in den Vollksſchulen bezüglihen Borjchlägen um fo leichter 
Gehör zu finden, je mehr er den Geſichtspunct der Wehrhaftmachung in 
den Vordergrund ftellt, obwohl er nit unterläßt zu bemerlen, daß das 
Turnen, wie alle Begenftände bes Unterrichts in der Vollsſchule, vor Allem 
von erzieberifhem Standpuncte aus behandelt werden müſſe. Daß - der 
gegenwärtige Zuſtand des Schulturnens allerdings noch eine große Kraft: 
entfaltung und Entwidelung zuläßt, zeigt Sriedländer durch eine auf eigener 
ftatiftiicher Thatſachenaufnahme beruhende Darftellung des Vollsſchulturnens 
in der Provinz Preußen; und giebt biefelbe, da fie wenig glängend ausfälkt, 








Turner: 617 


freilich eine genũgende Folie für die Vorſchläge, durch deren Ausführung 
er biefem Zurnen aufzubelfen geventt. Sie laufen im Wejentlihen auf das 
hinaus, was in Preußen au jebt ſchon geſchieht, Thätigleit der Central⸗ 
turnanftalt für Ausbildung von Seminarturnlebrern, Nahhülfecurfe, Drans 
gen und Unterftüßen der Gemeinden bei Ginführung des Unterrihts und 
bergl. wird daher nicht als etwas Neues gefordert, fondern nur in Betreff 
der Ausführung, die oft viel zu wünſchen läßt, beleuchtet. Eigenthümlich 
iſt hingegen das Verlangen, es folle in jevem Regierungsbezirk eine interi: 
miſtiſche Behörde für die jachverftändige Beförderung des Turnens eingejeßt 
werden, bi! die Sache erſt fich eingelebt habe und in glattem Gange jei. 
Diefes Verlangen bat feinen ſehr guten Sinn, da ficher bei den mwenigften 
Mitgliedern der leitenden Schulbehörvden die zur Belebung des Turnunterrichts 
gehörende Sachlenntniß vorauszufeßen if. Dennoh wird man fih fo 
lange bedenken, dieſem Verlangen irgendwo nachzugeben, bi3 durch genaue 
Umschreibung der Rechte, des Geſchäftskreiſes u. |. w., der interimiftifchen 
Behörde die Ausführbarleit des Vorſchlags am concreten ®Beifpielen auf 
das Bundigſte nachgemwiejen wird. 


37. Böhm, I. (Seminarlehrer in Altorf): Die päbagogiihe Gymnaſtik als 
®runblage für ben bayrifhen Wehrmann, zugleich Anbahnung verkürzter 
won bei allgemeiner Wehrpflicht. Nürnberg, Friedrich Korn. 1867. 

9 S. . 


Derſelbe Grundgedanke, dieſelbe Hoffnung haben auch dem bayriſchen 
Seminarlehrer Böhm die Feder in die Hand gegeben, um wie Friedlaͤnder 
für Preußen, jo für Bayern eine neue Aera des Schulturnens zu fordern. 

Er holt indeß weiter aus, beginnt mit einem geſchichtlichen Rüdblid 
auf die Entwidelung des Turnens, redet von der Bedeutung und Noth⸗ 
wendigleit des Jugendturnens im Wllgemeinen und als einer Vorbereitung 
für Wehrmänner, von den Pflihten des Staats, der Lehrer, Eltern und 
Erzieher und geht dann erft auf die derzeitige — Häglihe Beichaffenbeit 
des Turnens an Bayerns Lehranftalten über. 

Er zieht daraus den Schluß, daß das Turnen fortan vor allen Dingen 
in den Lehrerbildungsanftalten planmäßig und gleihmäßig pädagogiſch 
betrieben werden müfle, verlangt dann weiter im Fluge vierwöchentliche 
Ginberufung fämmtlicher bereitd angeftellter Turnlehrer zu einem Muſter⸗ 
curſus auf Staatskoften, demnächſt Zuſammenziehung aller Präparanden- 
turnlebrer zu äbnlihen Curjen an den Seminarien, Ausfendung von 
Seminar: und Gymnaſiallehrern zum Beſuch ausmwärtiger Turnanftalten ; 
und, nachdem died Alles fünf Jahre fortgefeßt fei, könne dann bie Vers 
bindlichleit zur Theilnahme am Turnunterricht für alle Voltsfhulen aus⸗ 
gejprochen werden. Am Schluſſe d. J. 1865—66 hatte Bayern in feinen 
Bollsihulen 9276 Lehrer; diefe wären in fünf Jahren alle von turneriſchem 
Geifte erfüllt zu denken. Fürmahr ein ftürmifher Anlaufl Gleihjam 
Athem jchöpfend findet Böhm doch auch in der Errichtung einer Central 
tumanftalt etwas Großes, die Krönung feines Gebäudes; er ſchildert etwas 
idylliſch einen Schnelleurjus der Lönigl. ſächſiſchen Anftalt, an welchem er 
fh i. 3. 1864 betbeiligt bat, fodann fein eigenes Wirken am Altorfer 


518 Turnen. 


Seminar und redet vor dem Schluß noch mit Wenigem der Ausbildung 
des Wehrmanns während feiner Dienftzeit das Wort. Der Schluß felbft 
lautet aber emphatiſch: Gebt unferer Jugend die Jugend wieder! — Es 
ift fiher zu wünſchen, daß recht bald einige der in biefem „leere von 
Reformgedanten” umbertreibenden Inſeln anwurzeln, da die Turnzuftände 
Bayerns in der That aller Orten noch ſehr verbefierungsbedürftig zu fein 
feinen. Vergl. hierzu die 

Wochenſchrift ber Kortichrittspartei in Bayern 1866, Nr. 51, ober Dentiche 

Turnzeitung 1867, ©. 27, und Blätter für das bayriihe Oymnaſialweſen 

von W. Bauer und Dr. G. Friedlein. Bamberg, 1867. III, 265 oder 

Deutſche Turnzeitung, 1867, S. 189. Ferner ein ſchönes Gutachten von 

dem aften Gymnafiallehrer Mezger in Augsburg, weldes in ber Beitichriit 

I, 394 bis 406 abgebrudt if. Cine fo allgemeine Sprade if men 
in ben Länbern, in weldhen das Turnweſen ſich etwas weiter entwidelt bat, 
gar nicht mehr zu führen und zu hören gewohnt. 

Viel befcheidener, viel behutſamer als Böhms Gefinnung, man mödte 
fagen, bier und da zu ſchüchtern, macht fi die Sorge und die Hoffnung 
eined für das Turnen begeifterten Mannes, weldem die preußiſche Re 
gierung die Turninſpectionsreiſen in ven weſilichen Provinzen bes Staats 
übertragen bat, Quft in 
28. Küpperd, Ignaz: DOrganifationsplam zur Grüntung von Turn⸗ 

anftalten und turneriſch pädagogiſchen Seminarien an ben Univerfltäten. 
Leipzig, Ernft Keil. 1867. (36 ©.) 8. 

Anknüpfend an die oben mitgetbeilten ftatiftifchen Daten über vie 
Mirkfamleit der Gentralturnanftalt in Berlin und-das preußifhe Reglement 
über die Turnlehrerprüfungen vom 29. März; 1866 fchließt Küppers, daß 
bie erftere Anftalt jet nicht mehr dem großen Mangel an Zurnlebrern für 
die höheren Unterrihtsanftalten abbelfen könne. Denn außer den Gym⸗ 
nafien und Realſchulen kämen noch die zahlreihen Progymnaſien und 
böberen Bürgerjhulen, die ja ebenfalls in der Minifterialverorbnung mit 
einbegriffen jeien, in Betracht. Es fei mit dem Turnunterrichte an diefen 
Anftalten vermuthlich noch ſchlechter beftellt, als an Gymnafien und Real: 
f&ulen und überdieß müßten die Verhältnifje der neueriworbenen Landestheile 
berüdfichtigt werden u. |. w. (©. 19). Eine böbere Gntwidelungsftufe 
des Schulturnens könne nur erreicht werben, wenn bie größte Zahl der 
von den Univerfitäten abgebenden jungen Lehrer biefelben mit dem 
Beugniffe für die Befähigung zur Ertbeilung des Turn: 
unterridhts verlafle. (6. 20.) Diefe Anfiht, die der Berichterftatter 
von jeher vertreten bat, führt Küppers mit Nothwendigkeit dahin, an allen 
Univerfitäten, 1) Zurnanftalten, weldhe den Studirenden nicht bloß eigene 
Turnfertigkeit, fondern auch Zurniebrfertigleit gewähren follen, mit ſeſt⸗ 
begränzten Formen und mit dem Charakter und dem Anſehen einer ein« 
heitliden, von der Behörde erhaltenen und beauffichtigten ftaatlichen Ein- 
richtung und 2) alademifhe Zurnprüfungscommiffionen zu wünfhen. In 
der Inappen Form eines Statutenentwurfs entwidelt er feine Anfidhten 
über die erfteren. Man wird in den aufgeftellten 40 Paragraphen wenige 
finden, die nicht entweder fachlich gerechtfertigt ober zur Klärung des 








Turnen. 519 


Grundgedankens nothwendig find; mande find natürlich auch fireitig, wie 
denn Küppers mır 5. DB. eine etwas zu große Angſt vor dem Hereinziehen 
von Fehtübungen in ein alademifches Turnlehrerfeminar und eine ebenjo über: 
triebene Scheu vor der fogenannten alademifchen Freiheit zu haben fcheint. 
Die Bildung von Studentenriegen nad freier Wahl dürfte das von ihm 
vorfihtigft in den Hintergrund gejchobene Verbindungs⸗ und Cliquenwejen 
erft recht in die Anftalt bereinziehen, der von den Studenten felbft ges 
wählte Zurnwurt neben dem Director leicht eine gänzlih unnüße Figur 
fpielen oder aber eine verberbliche Nebenregierung führen. Cine fhärfere 
Trennung zwiſchen denjenigen, melde fih zu Turnlehrern bilden wollen, 
und denen, welche ohne foldhes Abſehen nur für fich felber turnen, würde 
den Aufbau der alademifchen Turnanftalt vermuthlich fehr erleichtern. Indeß 
alle diefe Ausftellungen oder Bedenken thun dem Verdienſte keinen Gintrag, 
welches ſich Küppers dadurch erworben bat, daß er dem alademiſchen Zurns 
weien einmal ausfchließlid und mit beftimmten Vorfhlägen ins Geſicht 
fieht. Schade, daß er es ſich verfagt bat, den Urfahen, weshalb bie 
ftudirende Jugend je nah der Richtung, welde an biefer oder jener Hoch⸗ 
ſchule herrſchend ift, fih vom Turnen mehr oder weniger abmenbet, genauer 
nachzuforſchen. Bielleiht giebt ihm die weitere Verhandlung, welde jein 
Organifationsplan bervorzurufen geeignet ift, Gelegenheit, fi) hierüber von 
feinem Stanbpuncte aus genauer auszulaflen. 

Die Geftaltung der turnerifchen Verhältnifie in den Schulen der für 
Preußen neu erworbenen Provinzen, auf deren Bedärftigleit Küppers anfpielt, 
tönnte in der That dazu angethan fein, alle folde Fragen, wie die nad 
der Zhätigleit der Centralanftalten, der Seminare, der Univerfitäten einer 
ra deren Entſcheidung zuzuführen. Eine Schrift von 
-.. Waßmannsdorff, K.: Ueber bie Annahme ber Turniehre und Turn 

ſprache der Spießiſchen Turnſchule in das Schulturnmweien bes preußiichen 

Staates. Andeutungen ben Behörden und Leitern ber beutfchen Zurnlehrer- 


bifdungsanftalten gewidmet. Heidelberg. In Commiſſion bei E. Carlebach. 
1866. (30 ©.) 8. 


ftößt in diefer Beziehung eine Art von Nothſchrei aus. „Der für Deutſch⸗ 
lands Einigung geführte Krieg, jagt Waßmannsdorff S. A und 7, bat 
einige Länder dem mächtigen preußifchen Staatsgebiete eingefügt, in denen 
das Deutfche, das Spießifhe Turnen mit feinem bisher noch nirgend bes 
richtigten, weil auf bleibenden Grundlagen aufgebauten Berftänpnifie bes 
gefammten Uebungsſtoffes, mit feinen ſprachrichtig entwidelten Kunftwörtern 
und Befehlen ſchon jeit Jahren Gingang in das öffentliche Schulmejen 
gefunden. Wie foll es nun in diefen Landen in Bulunft gehalten 
fein? — Soll fih das deutſche Schulturnwefen einfah auf den 
in Preußen amtli eingeführten und noch in Kraft beftehenden Leitfaden 
für den Turnunterricht in den preußiſchen Boltsihulen (Päd. Jahresbericht 
XVI, 284), foll es fich auf die Unterweifungen der Centralturnanftalt in 
Betreff alles deſſen Rellen, was über den Umfang des Vollsſchulturnens hinaus⸗ 
gebt?” Geiner Art getreu, die allgemeinen turnerijhen Gedanken vormwaltend 
von der Seite ihrer ſprachlichen Darftellung vor fein kritiſches Forum zu ziehen, 
hält ſich Waßmannsdorff auch in der vorliegenden Schrift mehr an die 





520 Turnen. 


einzelnen ſprachlichen Sünden des erwähnten Leitfadens und bez aus der 
Gentralanftalt bervorgegangenen Grlafie, ald an den Geift und die Richtung, 
weldye fi im Großen in venfelben ausſprachen. Diefe Gigenthümlichleit 
läßt ihn den Dingen nit ganz gerecht werben. So wendet ex feine Auf: 
merfiamleit vorzüglich einem von dem 1. Civillehrer der Berliner Gentrals 
anftalt, Dr. Euler verfaßten Auffage: Andeutungen über das Befchligen 
von Freiübungen (in Kloß neuen Jahrbüchern für die Turnkunſt 1866, 
©. 240) zu, gebt aud dabei von dem richtigen Gebanten aus, daß der 
entſprechend ſprachliche Ausdruck das vorzüglichfie Kennzeichen der rechten 
Denlart iſt, und entſcheidet mit Fug (Deutſche Turnzeitung 1866, 197): 
„Zum Grften das rechte Wiflen! Zum Zweiten als unmittelbare Wirkung 
des rechten Wiſſens das richtige Wort! Zum Dritten als Frucht gewiſſen⸗ 
bafter Uinterrihtsarbeit finnvolles Sichten und Abgränzen des Uebungöftoffes 
für die verfhiedenften Turnkreiſe des deutfhen Volles!“ Denn ganz gewiß 
bat die deutfhe Schule ein volles Recht, zu verlangen, dab in den Turn⸗ 
ftunden fein anderes und jchlechteres Deutſch geſprochen werde, als in 
anderen Schulſtunden, und bie vielfältigen Meinen Sonderbarkeiten, welde 
ſich die amtliche preußifhe Turnſprache noch heute erlaubt, haben erſichtlich 
einen rechtlichen Beftand nicht. Der Eulerfche Auffap beweift indefien, dab man 
in den angegrifienen Turnerkreiſen keineswegs eine grundjägliche Abneigung 
gegen das Richtige hat, fo gern man auch alten Gewöhnungen zu Liebe 
nad Sceingründen greift, wenn die Gewohnheit mit der befieren Cinſicht 
in Streit fommt; er beweiſt jener, daß fein Berfafler die Wucht einer 
Regierungsverfügung nicht für groß genug bält, ein ſprachliches Recht in 
Unrecht zu verlehren, fonft würde er den Ton des Befehls dem ver Be: 
lehrung vorziehen; endlich bat er gar nicht die Bedeutung eines Erlaſſes, 
ift fomit ein ſchlecht gewählter Angrifjspund, um das Spiebiihe Turnen 
der Annectirten gegen die Ueberflutbung mit preußifchen Staatsturnreglements 
zu jhüßen. In dem Streben nah möglich volllommenfter Einfügung des 
Turnunterrichts in den Rahmen der berrihenden Schulordnungen, dem Streben 
nad Claſſenturnen, in der Vorliebe für Claſſenlehrer iſt das preußiſche Staats: 
turen ſelbſt in ver ſchlimmſten Rothſteinſchen Zeit gang ſpießiſch, oft 
fpießifher als Spieß gewejen, jedenfalls aber dem Ideale des Schultumens 
näber gelommen, als dasjenige Turnen, welches thatjählih an den Schulen 
Hannovers, Heſſens, Naflaus und «der Elbherzogthümer getrieben if. 
Hierfür giebt no 

30. Kolbe, der Turnnuterriht an den Oymnafien, Oflerprogramm 

bes Gymnaſium Anbreanum in Hildesheim. 1865. 


ein unverwerflihes Zeugniß, da dieſes Programm von einer Stadt ausgeht, 
in welcher feit den dreißiger Jahren ununterbroden geturnt wurde, und 
doch viel mehr von dem zu fprechen weiß, was vermißt, als von dem, 
was geboten und geleiftet wird. 

Nur die Stadt Frankfurt kannte ein Turnen, von dem dies nicht 
gejagt werben könnte, nur bier hätten aljo gewille Befürchtungen Grund 
gebabt, — wenn fie ihn überhaupt hätten, wenn nämlid überall ein 
beutiher Staat noch irgend eine Umlehr der Wiſſenſchaft und Ginficht, 








Turnen. 531 


gleichviel auf welchem Gebiete, commandiren könnte. Dies ift eine Bes 
forgniß, die ein Mann, der in feinen Veberzeugungen frei und feft fteht, 
gar nicht kennen follte, und daß man fie in Preußen nicht theilt, möchten 
ſchon die früher angeführten Schriftchen von Friedländer und Küppers befunden. 


Die Gefahr, welde der freien Entwidelung des Schulturnens in 
Gemäßheit der wahren Bebürfnifie der verſchiedenartigen Schulanftalten und 
der ungebemmten Entfaltung aller Kräfte, die in ihm ſchlummern, von dem 
Gentralturnanftalten erwachſen kann, wenn dieſe in ben zu hoben Ton 
amtlicher Unfeblbarkeit verfallen, ift weit geringer, als die Gefahr ber einer 
unfruchtbaren Iſolirung -für die legtern felbft. Das Beifpiel der Berliner 
Anftalt unter Rotbftein ift ein warnendes. Auch die Stuttgarter 
Anftalt unter Jäger (Siehe Päd. Yahresberiht XVI, S. 300 und XVII, 
©. 5691!) hat in diefem Stüde böfe Erfahrungen gemacht. Ungeachtet des 
rüdhaltslofen Eifers, welcher dort an den Tag gelegt wird, die Sache zu 
fördern, ungeachtet der Bereitwilligfeit, mit welcher insbeſondere Profeflor 
Jaͤger felbft fi in ver Art der Geltendmachung feiner Anfihten auf vie 
‚jeweilige Zeitfirömung ftügt, gleichviel ob er dabei nad Unten oder Oben 
anftößt, ungeachtet einer mwohlüberlegten und fortgejeßten Zhätigleit in den 
Tagesblättern, welche ſich auf die Aufklärung der öffentlihen Meinung über 
die Ziele und Leiftungen der mürttembergifhen Mufterturnanftalt bezieht 
Seitens der Freunde der Anftalt fteht diefelbe immer no in einer ihren 
dauernden Einfluß ſchwer gefährdenden Cinſamkeit. Weber die Erläuterungen 
und Grllärungen, welche Profeſſor Jäger feither gegeben bat, 

31. Jäger, D. H. der Beitrag der Schule zur Löfung ber Wehr- 

frage. Wugeburger Allgemeine Zeitung. 1866. Nr. 286 bie 290. 


Deuiſche Turnzeitung 1866. Nr. 46. Neue Jahrbücher für die Turnkunſt 
1867. ©. 5, 79, 121. 


noch die Bemühungen des altbewährten württembergifhen Oberftubienraths 
3. DB. Klumpp, welcher, um den Zufammenhang feiner Lieblingsgedanten 
über eine fogenannte Nationalerziehung mit dem Turnen darzulegen, feinen 
zwei früheren Aufjägen: Das Turnen ein deutſchmationales Entwidelungs* 
moment, 1842, das Turnen als Beftandtheil unferer nationalen Erziehung 
1860 (Päd. Zahresberiht XV, ©. 610. Nr. 12) einen dritten ähnlichen 
Inhalts 


32. Klumpp, F. W. (Oberſtudienrath; Die Erziehung bes Bolfes 
— Deutiche Biertefjahrefgrift. Heft 114. Gtuttgart, 
otta. 


nahgeichidt hat, haben hieran etwas zu ändern vermocht. 

Klumpp ift im Gegentheil ein unglüdliher Anwalt für Jägers Sache, 
da er mit einem großen Aufwand von Worten der Jägerfhen Methode 
lauter originelle Vorzüge, weldhe er in feiner zweiten Arbeit mit Recht der 
Spießiihen zuſprach, und viele, welche er in ber eriten Arbeit ſchon bei der 
Jahnſchen gefunden batte, zuerlennt, gegentheild biejer aber und mehr 
nod der Spießiſchen Vorwürfe macht, welche von Untenntniß oder ber Vergeß⸗ 
lichleit des Alters zeugen, da er ferner das Cadettweſen ber Schweiz und die 


522 Turnen. 


ähnlichen ſüddeutſchen Verfuche, Kindern und Sünglingen zu früh die Waffen 
in die Hand zu geben, befämpft und doch wieder fo viele gefunde Elemente 
darin findet, daß er ſchließlich kein Bedenken trägt, fi) dem Bebanlengange 
einer anderweit erfhhienenen Schrift (die Armee der Zukunft over Geſichts⸗ 
puncte zu einer Militärorganifation im Geifte der Volkserziehung. Bon 
einem deutſchen Officier. Leipzig, Weber. 1864) volifländig anzuſchließen, 
obwohl dieſe die militäriihe Jugenderziehung mit dem zehnten jahre 
begonnen und vom 14. bis 20. Lebensjahre in der uniformirten Jugend⸗ 
wehr fortgefept wifien will. Die große Mehrheit der fonderbaren Leute, 
welche nicht im Stande find, fo ſchwungvolle Gedanken mit ihren Lebenss 
erfahrungen in Einklang zu bringen und ihrem Berftänpniß von dem, was 
die Beit fordert und was in ihr möglid ift, anzupafien, wenden ih um 
fo mehr von dem Jäger’fhen Turnen ab ober betrachten dod mit Nälte 
eine Verwidelung von Beftrebungen, deren Zwed fie nicht recht abfiebt, 
deren ganzes Wefen jo abſichtlich darauf angelegt fcheint, zu Mißverftänds 
niffen und Verwechſelungen zu führen, daß die Nächſtſtehenden wie Klumpp 
ih über Lob und Tadel nicht Mar zu werben vermocht haben. Angeſichts 
der in Stuttgart flattfindenden IV. Verfammlung deutſcher Turnlehrer 
(Siehe Päd. Jahresberiht XVI., 2791), welche fih mit dem Jaͤger'ſchen 
Zurnen eingehend zu befafien haben wird, enthalte ich mid jedes Ber 
fuches, über die Ziele und Mittel des legteren nad neueren Wahrnehmungen 
und Gröffnungen, Licht zu verbreiten; ein- fpäterer Jahresbericht wird bier 
ungleich leichter das Nechte treffen, Nur das wiederhole ih: Die Lob⸗ 
preifungen defien, mad man militärische Jugenderziehung genannt bat, 
haben in der Gegenwart den größten Theil ihrer Kraft verloren, das birecte 
organifatorifche Bertnüpfen des Sculturnend mit dem Wehrweſen des 
Staates bat in ihr vorläufig keinen Boden mehr und, wenn es nidt an 
fih zu jeder Zeit verfehlt ift, fo doch es gewiß in biefer, wo die mili- 
täriihen Reorganifationen in gegebenen feften Geleiſen verlaufen, unbe 
kümmert, was bürgerlihe und was militärische Geifter verjchiedenfter Art 
dazu jagen. Das Preußifche Heer ift nun einmal jetzt das deutfche Muſter⸗ 
beer, etwas, was dermalen vom Standpuncte des Schulturnfreundes nicht 
allzu ſehr zu bellagen ift. 


-. 


In der preußifhen Armee wird gegenwärtig fleißig geturnt und auf 
das Turnen ein ebenſo verhältnikmäßiger Werth gelegt, wie auf das 
Srercieren und Schießen. Die Einfiht, daß nicht die Wafſe ven Mann 
macht, fondern daß man im Kriege Männer haben muß, melde fih und 
die Waffen zu tragen wiſſen, kommt jest mehr, als feit vielen ‘jahren zur 
Geltung. In diefer Richtung hat fih die preußifhe Centraltumanftalt, 
welche von Anfang an mehr für den Militär als für den Civillehrer bot, 
befonders feit 1862 unleugbare Berdienfte erworben. Das neuerlid bei 
der Bildung der Milttärturnlehrer eingebaltene Verfahren ift ebenfo ver 
nünftig ale wirkſam. in balbjährlider Curſus für die Officiere im Winter, 
im Srühlinge ein Curſus für Unterofficiere, welche in folder Zahl eins 
berufen werden, daß die im Winter gefhulten Officiere Mann für Mann 











Turnen. 523 


eine aus ihnen gebildete Abtheilung zu unterrichten haben, welde ber 
Staͤrke einer Corporalſchaft entfpriht! So erhalten bie Offictere Anlaß, 
lebrend zu bewähren, mas fie zuvor gelernt, und es in eine Yorm zu 
bringen, in der fie es in ihren nächſtkünftigen Dienftftellungen weiter zu 
verbreiten haben; die Unterofficiere aber erhalten die Anmweifung unmittelbar 
in der Geftalt, in der fie fie auszugeben haben. Das Maß veflen, was 
von beiden Theilen gefordert wird, den Stufengang, giebt die Schrift: 
33. Stocken (Unterrihtsbirigent ber Eentral » Turn -Anflalt): Uebungstabellen 
für den ſyſtematiſchen Betrieb ber Gymnaſtik und bes Bajonetfechtene bei 
ber Infanterie. Nebft einem kurzen Lectionegange für den Unterricht im 
Etoß- und Hiebfechten. Berlin, ©. H. Schröber. Bier Auflagen. 1861. 

1862. 1864. 1866. (77 ©.) 8. 

Es verfteht fih von felbft, daß man an eine hauptfählih für Sub» 
alternofficiere beftimmte tabellarifhe Inſtruction nicht die Anfprühe machen 
darf, wie an ein Schulbuch oder an ein Handbuch für Lehrer. Sind doch, 
von allem Andern abgejeben, beide erzieberifchen Aufgaben, melde jene und 
welche diefe zu löfen haben, ganz andere. Dem Erzieher der Soldaten 
kommt es darauf an, die ungleich gebilveten und oft verbildeten Recruten, 
bei welchen Bildſamkeit und Lenkſamkeit in der Regel in umgelehrtem Ver: 
bältnifje ftehen, in kürzefter Frift zu einer Art Gleihförmigleit umzumobeln, 
während der Lehrer feinen Stolz darin ſucht, keine fchlummernde Straft der 
Individuen zu erfliden, und die Zeit verachtet, welche er gebraudt, um zu 
erreihen, daß von feinen Schülern das Gute ungeheißen gethban werde, 
Böfes unbebrobet unterbleibe. Mannszucht und Schulzucht find verfchie 
dene Dinge. Dennoh werden auch Scullehrer jene folvatiide Turn⸗ 
inftruction nicht ohne einigen Nußen anſehen, und fchon deshalb anjehen 
müflen, weil ihnen die Art und der Grad der Ausbildung, welcher durch 
das Heer in das Volk übergeht, nebft den Anſchauungen, die ſich von da 
aus in den Mafien verbreiten, nicht gleichgültig fein können. Ihr Einfluß 
wird allmählich bemerklicher werden, als mander jebt nod-benlt. Zwar 
ift nicht ſchlechthin anzunehmen, daß eine vor wenigen Jahren erſchienene 
Inftruction, troß der Anerkennung, die fie gefunden hat, jebt ſchon bei 
allen Truppentbeilen in voller Anwendung fiehe und rüdhbaltlos befolgt 
werde. Auch in der Armee wird ed noch eine geraume Zeit dauern, bis 
das Zurnen fich bei allen Betheiligten in Fleifh und Blut umgefebt bat, 
und man kann nit eher von einer annähernden Durdführung ihres Plans 
reben, als bis etwa bie in ber Gentralanftalt ausgebildeten Unterlieutenants 
in die Hauptmannsftellen aufgerüdt find. Aber es ift ſchon etwas, wenn 
aus der Armee jährlih nur einige fünfzigtaufend Mann in den bürgerliden 
Stand zurüdtehren, melde zwei bis drei Jahre lang fleißig haben turnen 
müflen und e3, gleichviel wie, zumeift lieber gethban haben, als ererciert. 
Diefe Erinnerung allein führt einen neuen Factor in bie Rechnung ein, 
welden ver Schulturnlehrer ebenfo berüdfichtigen muß, wie bisher die 
Anregungen, welche vom Vereinsturnweſen ausgiengen. Meinestheils halte 
ih ihn für einen günfligen Factor; fagt man gemeinlid, daß das Turnen 
der Jugend dem Heere zu Statten komme, jo kehre ich jeßt ven Sag um: 
Das Zurnen im Heere kommt erft recht der Jugend zu Gute, 


524 Turnen. 


Unter den Lehrbüchern, welche über das Ganze ober einzelne Arten 
der Zurnübungen neu erjchienen oder neu aufgelegt find, verdient den 
Ehrenplag 
34. Spieß, Adolf, dao Turnen in ben Freiübungen für beide Ge⸗ 


ſchlechter dargeſtellt. Erfter Theil ber „Lehre der Turnkunſt“. — Bweite 
Auflage. Balel, Schweighaufer. 1867. (XII und 168 ©.) 8. 


- Seiner Seit bat diefes Buch, wie jedermann weiß, den Weg zu einer 
neuen Art, die Formen der Turnübungen zu betrachten und für die ver- 
ſchiedenſten Bebürfnifie zu geftalten, eröffnet. Jetzt fchreibt die Verlags⸗ 
handlung: „Wir übergeben hiermit den erften Theil der Lehre der Turn: 
funft von Ad. Spieß, der feit einigen Jahren gänzlich vergriffen war, jetzt 
nah dem Tode des Autors noch einmal in zweiter unveränderter 
Auflage der Deffentlichleit, indem wir durch die uns noch beitändig ein» 
gehenden zahblreihen Beftellungen auf bafielbe, ſowie bie verſchiedenen 
Anfragen, ob eine neue Auflage in Bälde zu erwarten oder nicht, zu der 
Veberzeugung gelommen, daß dies Werkchen, obgleich fhon im Jahre 1840 
um erften Male ausgegeben, doch bis heute feinen Werth nicht verloren 
* wenngleich im Laufe dieſer Jahre viele ähnliche Handbücher erſchienen, 
die vielleicht volllommener find. Es märe in der That nicht räthlich 
gewejen, an Spieß’ Buche viel zu ändern, da jeder Bearbeiter einer neuen 
Auflage nothwendig etwas ganz anderes aus ihr gemadt haben würde. 
Ein Buch, weldyes einen fo ſcharf ausgeprägten Charakter hat, wie Spieß’ 
Zurnlehre, und weldes innerhalb feiner Wirkungsfphäre fo bedeutenden 
Eindrud gemacht bat, gehört in unveränderter Geftalt der Geſchichte an; 
man will es haben, wie es fein Berfafier gemacht bat, nicht wie es ein 
anderer maden lünnte, nicht einmal, mie es der Berfafler ſelbſt zu einer 
anderen Zeit gemacht haben würde. Dazu kommt die Gigenthümlichleit des 
ſpießiſchen Syſtems felbft, welches jeiner ganzen Anlage nad feine nt: 
widelung, fondern nur einen Ausbau kennt, und johin in der Geſchichte der 
Zurntunft etwa dieſelbe Stellung einnimmt, wie Linne’s System anaturae 
im Gegenfage zu feiner philosophia botanica in der Geſchichte der Natur⸗ 
kunde. Nur zu oft wird dieſer Umftand nicht ordentlich” beachtet; wie viele 
Streitigleiten wären vermieden, wie viele Mißverftändnifie und Mißdeutungen 
und erjpart geblieben, hätte man dem Unterjchiede zwijchen Organifations: 
maßregeln, Didaktik und Methodik des Unterriht3 und formeller Syſtematik 
Het? Rechnung getragen! Leider fehlt ed in der Zurmnlitteratur immer noch 
an einer furzen und Haren Darftellung der ſyſtematiſchen Grunbjäße, nad 
welchen Spieß die Mannigfaltigleit der turneriſchen Bewegungsfiguren zu 
orbnen unternahm und der verwanbtidaftlihen Beziehungen, weldye fein 
Spflem mit feiner Methode verltnüpfen. 

Bon der fleigenden Anerkennung, welche die leßtere findet, zeugt bie 
zunehmende Berbreitung der beſſeren auf Grund der Spieß'ſchen Arbeiten 
erfchienenen Lehrbücher. 


35. angeln: J., Turnſchule für Knaben und Mädchen. Th. IL 
Zürich, Schuitheh. 1866. 
erſchien (ſiehe pad. Jahresber. XV. ©. 608 Nr. 7) in gweiter Auflage. 











Turnen. . 525 


Die Auflage ift mehrfach erweitert, bat aber alle Vorzüge ber älteren ſich 
bewahrt. 

Als eine Art Ergänzung zu der nun in beiden Theilen vollftändigen 
Särift kann bie 
36. Andentung zur Betreibung des Turnunterriäts in ben ber- 


nifhen Primarſchulen. Den PBrimarfhulencommiffionen mitgetheilt von ber 
Erziehungebdirection. Bern, Fleiſcher. 1865. (30 ©.) U. 8. 


angeſehen werden, und mehr noch 


37. Niggeler, J.: Kurze Anleitung zur Einrichtung von Turn⸗ 
localitäten und Zurngeräthen. Mit 8 lithogr. Tafeln. Bern, 
Huber & Comp. 1885. (42 ©.) 8. 

Die Schrift bietet genau das, was der Titel jagt. Uebrigens ift das 
Hauptbud des Verfaſſers auch in franzöſiſcher Ueberſetzung erfchienen unter 
dem Titel 
38. Miggeler, 3.: inspecteur de gymnastique du canton de Berne, 

manuel de gymnastique pour les Ecoles des garcons et des 

filles. Traduit par J. L. Lochmann et F. Dufresne, professeurs de 
gymnästique. (472 ©.) Bevey, 1866. Zu beziehen von den Ueberſetzern 

. in Bevey und 2. in Morges. Preis 4 Gr. (Bebeutenber Rabatt je nach 

ber Zahl ber beftellten Exemplare.) 


Ueber 


39. Lion, J. ©: Leitfaden für ben Betrieb ber Orbnungs- nnd 
Kreiübungen. Für Turnvereine im Auftrage des Ausſchuſſes der dent⸗ 
ſchen Zurnvereine bearbeitet. Dritte verbefferte und vermehrte Auflage. 
Dit 100 Holzſchnitten. Leipzig, Robert Frieſe. 1866. (VIII u. 104 ©.) 
8. 15 Sgr. 


in fhon in dem päd. Jahresber. XVI. 307 berichtet. Da fi ein großer 
Theil der Veränderungen und Bujäge, durch welche das Buch in drei 
Auflagen von 67 auf 85 und 104 Seiten gewachſen ift, auf feine durch 
Erfahrungen des Berfafiers und feiner Freunde erhärtete Braucdbarleit 
für den Unterricht der Knaben bezieht, fo bat fi der Titel, ver 
das Buch früher lediglich den Zurnvereinen als ausſchließlichen Beſitz zu⸗ 
wies, eine Meine Veränderung gefallen laſſen müſſen, welche diefe Beſchrän⸗ 
tung aufhebt. Es gilt in Folge der Umgeltaltungen, die e8 allmählich 
erfahren bat, beſonders was die zweite Hälfte, die Lehre von den Ordnungs⸗ 
übungen anlangt, als eins ber unentbehrlichſten Hülfgmittel für jeden 
Turnlehrer, der den neueren Entwidelungen und Auffaſſungen der Uebungs: 
lehrte nicht fremd bleiben will. Hinfichtlih der Vertheilung des Uebungs⸗ 
ſtoffs ſowohl in den beiden genannten Turnarten, wie in den übrigen, 
welche in die Schule gehören, auf die verfchiedenen Altersftufen (Päp. 
Ssahresber. XVI. 308) ift zu vergleichen die Heine Schrift 


2. Lion, 3. C.: Bemerkungen Über Turnnnterridt in Knaben- 
fhulen, zunächßt als Imfiruction für die Turnlehrer bes Allgemeinen 
Turnvereins zu Leipzig. Leipzig, E. Keil. 1865. (Deutihe Turnzeitung, 
1865. Nr. 8, 9 und 10.) 


Gie unternimmt es nad einer, mie man fagt, allzugebrängten Gin« 
leitung, welche ſich auf die Stellung bes Turnlehrers zu und an ben 


526 - Turnen. 


verſchiedenen Arten der Schulen, den Charaller und ben Geil dieſer Iehteren 
bezieht, für den Bang und die Orbnung des Turnunterrichts an allen 
einen genauen Lehrplan jeftzuftellen, welcher zwiſchen den ganz allgemeinen 
Rormen, mie fie flaatlie Berorbnungen aufzuftellen pilegen und ben 
detaillirten Lehrgängen der Zurnlehrbüder die Mitte hält. Die Schulen 
Zeipzigs, auf welche fie ſich zunächſt bezieht, find ſämmtlich von den Gym⸗ 
naofien bis zu den Glementarfchulen vielllaffige, ſtark beſuchte Anfalten. 
Auch die Vollsſchule, weldye die Kinder vom 6. bis zum 14. Jahre befuchen, 
baut ih in 8 Jahrgängen auf. Faft an allen Schulen ertheilen viejelben 
Lehrer als Fachlehrer den Unterriht. Dieſe ſehen fih alfo auf das nad 
drüdlihfte ſchon durd die äußeren Berhälniffe auf einen ſcharf abgeftuften 
und nah einem für alle gleihmäßig maßgebenden Lehrplan hingewiefen. 
Ihr Turnunterricht bot dem entiprehend mehr vielleiht, als der irgend 
eines anderen Ortes, fieten Anlaß und beftändige Gelegenheit, das Turnen 
der Kinder, Anaben und Yünglinge genau zu fondern und innerhalb jeder 
der drei durch dieſe Worte angedeuteten Hauptitufen bald auch nod engere 
und fo beftimmte Abgränzungen berzuftellen,, daß für eine zufammenfafiende 
Webertragung der bier gefundenen Regeln auf weniger Har ausgeprägte 
und entwidelte Berbältnijje große Schwierigkeiten nit mehr zu bleiben 
feinen. Bielmehr dürfen die Regeln, nahdem fie eine mehrjährige pral« 
tiihe Prüfung erfahren haben und durch ihre Befolgung in den Tums 
unterricht ber Leipziger Schulen eine ungewöhnlide Beftimmtbeit, Webers 
einftimmung und Planmäßigleit gekommen iſt, mit Recht eine allgemeinere 
Anmenpbarleit und Gültigkeit beanfpruden, als ihnen von Haus aus zu: 
gedaht war. Sie find eben nicht, wie ähnlidhe Ältere Verſuche (ſiehe 3. 2. 
Bad. Jahresberiht XV., 613 Nr. 7 u. XV., 342, I, zweiter Auffas) 
mit allen Ginzelheiten in dem Kopfe eined Einzelnen entftanden und in einem 
baftigen Wurfe am Schreibtifhe in Form gebracht, fondern die Frucht einer 
langen gemeinfhaftlihen Weberlegung und fehr vielfeitigen Arbeit unter 
günftigen Verhältniſſen. — Uebrigens macht fih das Bedürfniß nad genau 
ausgeführten Lehrplänen, wie der vorliegende ift, dermalen auch anderwärte 
mit Stärke geltend, jo daß zu hoffen iſt, es werde in nicht allzuferner 
Beit wenigftens für das Turnen des männlichen Geſchlechts eine reichere 
Auswahl folder Pläne zur Verfügung ftehen, als jebt noch der Fall iſt, 
und damit dann aud einer fcharfen Kritik des Einzelnen, welche jedenfalls 
nötbig, ein Boden bereitet werden, der nicht unter jedem Fußtritte weicht. 
Die Ausfiht auf ähnliche Unterlagen und einen entſprechenden Anhalt für 
das Turnen der Schulmädchen fcheint freilich weniger gelichtet zu fein, doch 
it die Sade in gleihem Maße unumgänglih und dringlid. 

Man follte meinen, daß auf einem Felde, wo, bei der großen Beben: 
tung und Glafficität der Spieß'ſchen Vorarbeiten und der Geringfügigfeit 
aller anderen, noch mit einiger Zeichtigleit Zorbern zu pflüden find, fie 
eine regere Thätigleit hätte zeigen müflen, als es wirklich der Fall war. 
Die Turnfhriftfteller haben dieſes Gebiet mehr als es gut iſt vernadläffigt. 
Warum? Halten fie ihre Erfahrungen für unzulänglih? Dem widerſpricht 
pie Schnellfertigleit, mit der Manche bei anderen Gelegenheiten bei der 
Hand find, dem widerſprechen fogar bie praltiſchen Leiſtungen. Vielleicht 





Turnen. 627 


glauben indeß gerade die Tüchtigften und Grfabrenften, welche am Erſten 
ein Wort mitzufprechen berufen wären, daß es bier wenigſtens unndötbig fe, 
über Spieß binauszugehen. Sie haben genug an ihm und fchweigen, 
Dadurch würde es erflärlich, daß fie 


41. Klo, M.: Die weibliche Turnkuuſt für Eltern, Lehrer und Erziehe⸗ 
rinnen bearbeitet. Mit 150 in den Tert gebr. Abb., Liedern und ruft 
Beilagen u. f. w. Leipzig, 3. 3. Weber. 1867. (XX u. 383 ©.) 8 


das Feld behaupten ließen, ein Buch, deſſen äußere Ausftattung zu dem 
inneren Werth faft in umgelehrtem Berhältnifie fteht, und welches bei der 
ungemeinen Flüchtigkeit, mit ber es aus fehr verfchiedenartigen und uns 
gleichen, oft jelbft mwiderftreitenden Quellen zuſammengegoſſen iſt, um allen 
möglihen Anſprüchen gereht zu werden, eigentlich kein Bebürfniß, weder 
das der Gltern, noch das der Erzieher, am wenigften aber das eines Schul: 
turnlehrers befriedigt. 

Eo nur verftehen wir die Möglichkeit, daß der Verfaſſer der weiblichen 
Turnkunſt felbft ed nady 12 Jahren, bei dem Erjcheinen der zweiten Auflage 
(fiehe die Anzeige der erften im Päd. Jahresbericht X., ©. 386, Nr. 181) 
nit einmal für nöthig gehalten hat, fein Werk einer forgfältigen Durchſicht 
und leidlihen Umarbeitung zu unterziehen. Wo der Fortſchritt, die Luft 
des Schaffens und der Wetteifer fehlen, legt fih auch die Kritik gutwillig 
Stillſchweigen auf. 

Arbeiten, welche nicht allein ftehen, erweden wenigſtens durch Ders 
gleihung Intereſſe, auch wenn fie an fi unbedeutend find; fie laſſen unter 
Umftänden auf einen Strom geiftiger Bewegung ſchließben, der durch viele 
Gemuͤther zieht und vielleicht ſchon länger als treibende Urſache mancher 
guten Handlung gezogen ift, ebe er bier oder dort eine fehreibende Hand in 
Bewegung feste. Mehr als dies läßt fih nun zwar von der einen oder 
der andern Schrift, welde fih auf die Zurnübungen des mannlichen 
Oeſchlechts bezieht, auch nicht ſagen. 

42. Wilfelmi, $., Turniehrer: Merkbuch, für ben Zurnunterricht ber 

Realihule bearbeitet. Zweite Auflage. Crefeld, Guſtav Kühler. 1866, 
ift fprachlich und fachlich außerordentlich ſchwach. Was läßt fih zu Saͤtzen, 
wie „die junge Mannſchaft hat zu ihrer Belebung einige Trommler und 
Pfeifer, die Uebungen müflen ftets den ganzen Körper üben und beleben, 
die Geräthe müflen auf gemeflene und erreichbare Höhe geftellt werben“ 
fagen? Der Montblanc ift aud eine gemeſſene und erreihbare Höhe. Yerner 
„die Uebungen müflen ſich von leichteren zu fchwierigeren fteigern”. Der 
willlürliden Webungsbenennungen, welbe ©. 7, Nr. 5 verboten werben, 
finden fih in den folgenden Turntafeln jelbit nur zu viele. Was ift ©. 15 
Seitenknieaufſchwung, ©. 17 Kreuzbangeln, mas iſt ©. 19 Bajonett⸗ 
ftellung? Die Stellungss und Richtungsbezeihnungen Borwärts und Vor: 
lings werben unausgeſetzt verwechſelt. Welche Einfiht in das, was dem 
Schüler noth thut, verräthb es, wenn in der Vorrede gejagt wird: „Es 
fchien geboten, bei der Einführung bes obligatorifchen Zurnunterrichtd an den 
höheren Schulen den jungen Leuten (Borturnern aus der Mitte der Schüler) 
beitimmte Uebungsvorjchriften für die einzelnen Turnſtunden und fomit zu 





Jh mes zmuuen ven Sehe verzeenberten Uebungsgang für bei 
ECemmekumms 25 Ve {seR 78 moee. wue bau dieſer Lebungägeng je 
u ou Geik Lotennienhen aufühet?”" DBeficht bean ve 
Sen’äue = Ser zur x cr eexzzem Olafle, mutbet man bier ten 
Leuten Exriere rer ten m zerieiken Reihenfolge zu, wie ben 
gilmsi uerigeem 3 tar Üuruncicengen Der erfieten Von Denen BE 
supruem klei Bızız, Diä wm =. 26 tee Beinen, dieſe Die mittleren Barren 
beugen : Ih we. zen ;.rıen, ti ne Trapis beiier iſt als die Theorie. — 
BA haher :3 a4 zumzaze Eid ee 
Be. Dr. x: Ye: u Sit Zurufecheer in Rönigberg in Fr. 
‚ <tekbe = au 
“ur 1. sg: Merfbädlein „zum Gerätbeturuen 
fir Weriz:zer Iöderer Ierraxtııe Citimg, € Meißner. 1867. (5 Spt. 
54 Gpmplare: 6 Ihr M Zur. 


In diejen ik die Animch ter Uebungen durchſchnittlich gut, au 
Die Reittulizteit größer, im rer BezeiSaung überall das Streben erlenz: 
bar, mit ven Regein ver Sctrrdrade Frieden zu halten. Cinzelnheites 
bleiben allerdings anch bier uch in Wenze zu berichtigen, ebenjo treten 
Ungleitbeiten in ver wridieienurtune Benennung ein und berjelben Be 
wegunzsicm am veritievenen Stehen berver, welche wenigftens überfläfng 
fin. So findet id Schwebde neben Etwebelüs, Auffis neben Aufhgen, 
neben Schwingen, Rachgrifjf neben Nachgreiſen, Handhang neben 
ven Händen, ferner dus falide Hungbüpfen flatt Hangzuden weben 
uud am Urt flat an Ort und Stelle), alles erfichtlih mehr 
in Folge Meiner Rahlijügleit als wit Ueberlegung. Gleihwohl Tann 
das Büchlein gute Tienite thun, wenn es der Lehrer verfieht, die Vor⸗ 
turner, die er fi zur Hülfe nimmt, wirllih dahin zu bringen, daß fte aus 
der Fülle des gebotenen Stoffes „eine paſſende Auswahl‘ treffen, mie 
S. VI verlangt wird. — Cine Bergleihung des Büchleins mit den im 
päp. Zahresber. XV., S. 614 und XVIL, 579 nambaft gemachten 
Gäriften von 9. Schule und M. Kloß Tann nichts ſchaden; fie fällt zu 
feinem Bortheil aus. — Ueber 
44. Pappermann, E.: Schulturubud. Die Entwidelung ber bauptfäd- 
lichſten Turnübungen bearbeitet und znfammengeftellt. Kempten. Im Selbf- 
verlage des Berfafſers. 1865. Lithogr. Anflalt von U. Dobler. — 8. 
ft noch weniger Rübmliches zu jagen, als oben über Nr. 42. Der Berfafier, 
weldyer meint, daß alle Zurnbüder vor ihm zwar eine große Anzahl von 
Uebungen enthalten, aber nit, was am nöthigften fei, deren ftufentveife 
Entwidelung, ift zu wenig Litteraturfenner, um zu entſcheiden, ob er „einem 
längft gefühlten Bebürfnifje abhilft” oder vielmehr einige Jährlein zu fpät 
fommt. Gr bat feinen Berfuh in einzelnen Bogen ausgegeben; ob er 
damit zu Ende gelommen ift, weiß ich nicht. Iſt er e8 nicht, dann em: 
pfeble ich ihm und zwar recht dringend 
45. Kaufmann, F.: Merkbüchlein für Gerätheturnen (Red, frei 
fpringel, Bod, Tiſch, Barren, Pferd, Schaufelringe, Leiter), im Auftrage 
der CEdthener Vorturnerfchaft bearbeitet. Cothen, Pani Schletter. 1867. 
(88 ©. See.) 5 Sgr. 








it 


Turnen. 529 


Diefes Heine Büchlein enthält genau das, was ihm als wünſchens⸗ 
werth vorſchwebt, ein überfichtliches Verzeichniß von Hebungen an allen den 
Zusngerätben, die in Männerturnvereinen regelmäßig benutzt zu werben 
pflegen, in eine Anzahl Reihen zujammengeftellt, welche für je eine Turn⸗ 
zeit ausreihen und nad dem Grade ihrer durchſchnittlichen Schwierigkeit in 
zwei oder drei Stufen georonet. Vorſichtig hat der Verfaſſer alle ſolche 
Uebungen ausgefchloffen, von denen zu fürdten iſt, daß fie, in den allge 
meinen Betrieb aufgenommen, die zunaͤchſt nothwendigen einfacheren Uebungen 
verdrängen, wie die Umfhmwünge am Ned; er bat fich felten zur Anführung 
von Formen verftiegen, die ein ungewöhnlicheres Maß von Geihid erfor 
den. Das Beltreben, fich binfichtlid der VBenennungen von der ſprach⸗ 
widrigen und handwerksmäßigen Ausprudsmeife vieler feiner Vorgänger und 
von dem Jargon des Turnplages loszumaden, tritt an vielen Stellen 
deutlich hervor. Durch alles diejes ift es mehr, als irgend ein anderes 
von gleihem Umfange, welches ich kenne, geeignet, das wahre Bebürfniß 
Heiner Männeriurnvereine, welche auf fi ſelbſt angewieſen ſind, und nur 
dieſe hat der Verfaſſer, ebenſo wie Nr. 44, im Auge, zu befriedigen. Die 
Methode der Anordnung der Uebungen im Einzelnen ift diefelbe, welche 


46. Rapell, Earl (Turniehrer): Handbuch, für Borturner ber Männerturn- 
vereine ne aenen. Zweite vermehrte unb berbeflerte Auflage. Gtabe, 
Friedr. Steud 1867. (VI u. 156 ©. 


befolgt und melde ich bei Anzeige der erften Auflage des nemlihen Werk: 
hend im Päd. Yahresber. XVI., 323 unter Nr. 20 haralterifirt habe. 
Das damals dem Buche gefpendete Lob bitte id auf die zweite Auflage 
zu übertragen; es gilt indeß weit mehr der ftofflihen Aufzählung, als den 
binzugefügten Erläuterungen, denn in diefen liefert das Buch an einer 
Menge von Stellen die fchlagenpften Belege dafür, wie ſchwer es aud 
einem emftlihen Streben nah Bündigfeit und Strenge von Begrifis- 
ertlärungen wird, nichts Unzulängliches und Ungeſchidtes zu jagen. Kapell’s 
Erläuterungen find zum großen Theil ungenau, bald zu eng, bald zu weit, 
zuweilen auch, wie bei ber Unterfheidung von Linie und Säule, in ber 
Ordnungslehre falſch oder rein willfürlih und fubjectiv. Ich meine übrigens, 
daß weitaus bie meiften Fineſſen und Diftinctionen der Begriffe aus der 
fog. Turnlehre denjenigen Perſonen, für welde das Vorturnerhandbuch bes 
ftimmt tft, ohne Schaden für die Sache recht wohl gänzlih fremd bleiben 
Lörmen, da diefe Perſonen auf den Zumpläßen doch einmal zunädft nie 
Lehre, fondern Hebung fuchen, und mit ihrer fleigenden Fertigkeit auch ihre 
praltiſche Einficht meiſtens fo weit zuzunehmen pflegt, ald es zur Erhaltung 
einer lebendigen Ueberlieferung guten Uebungsftoffes nöthig if. Man über 
laſſe es daher den Kahmännern, hierüber hinaus zu geben und mit aller 
Gründlileit zu erforfchen, was im Umkreis des Turnplatzes ſprachen⸗ und 
menfhenmöglih iſt. Inzwiſchen wird auch für uns gelten: Was kein 
Verſtand der Verſtaͤndigen ſieht, das übt in Einfalt ein klindlich Gemüth. — 
Daß ich mit dieſer Meinen „Spitze“ den Werth der Genauigkeit und theo⸗ 
retifhen Schärfe an ſich nicht herabfegen will, verfteht fih von felbft, nur 
gehört ein Streben, welches fo viel Dornen hat, wie died, namentlich wenn 
Bäb. Jahresberit. XIX. 84 


580 Turnen. 


es noch unfertig iR, nicht überall hin. Wo es am Platze iR, weiß ich «es 
” würbigen. 

. Merz, %. (Turnlehrer an dem Gymnafium und ben Räbt. Gduien zu 

Darmfladt): Leitfaden für den Duett in Boltekuien 

Darmfabt, 3. PB. Diehl. 1867. (VI u. 6 
macht auch in dieſer Beziehung Freude. — Nladen bat zmaͤchſt 
den Zwed, den Theilnehmern an ven neuerlich in Darmſtadt unter Marz 
Leitung angeorbnneten NahhülfesCurjen für Turnlehrer die dort vorgeführten 
und felbft geübten Uebungen und deren Reihenfolge ind Gedaächtniß zurüd: 
zurufen; er ift indeß, menigftens jo weit er die Anfangögründe der Ord⸗ 
nungs⸗ und Freiübungen bebandelt, mit folder Ausführlidleit abgefaßt, 
daß die Lejer die Rüderinnerung an durchgemachte Curſe kaum vermiflen 
werden. Kommt ber Berfafier bei einer zweiten Auflage mit der Bear 
beitung ber Geräthübungen der oben genannten Zurnarten in gleicher 
Meile nad, fo würde ich nicht anftehen, feiner Arbeit unter allen für die 
Elementarſchule der Knaben beftimmten Tumbüdhern den Preis zugmerlennen. 
Shen weil ich in ihr vorzügliche Grundlagen für etwas relativ Bolllommenes 
erblide, geftatte ich mir bei dieſer Gelegenheit noch eine Probe einzelne 
Ausftellungen und Randglofien vorzulegen, die vielleicht bei jener gedachten 
zweiten Bearbeitung des Marr’fchen Leitfadens berüdfichtigt zu werben 
verdienen. 

6.3, 3.8 v. u. — Schüler, welche die Anfangsgründe der Drbmungt: 
übungen begriffen haben, finden unter tüchtiger Leitung alle weiteren 
Entwidelungen von felbfl. — Bezweifle ſehr! 

S. 8, 8. 2 v. u. — Lies: und find jpäter. 

©. 4, 8. 1 v. o. — Alle reigenartigen Uebungen find ausgefallen. — 
Züge hinzu: Außer der Kette, welche auf S. 27 u. 28 beſchrieben iſt. 

.4, 8. 15 v. 0. — Die Vebungsgruppe der Schritte und Hüpfarten 
eignet ſich vorzugsmweife für das Maͤdchenturnen, während den Knaben 
anftrengendere Uebungen zugetheilt werden können. — Die erfte Hälfte 
des Sapes enthält eine Wahrheit, die zweite nicht. Hüpfübungen find aw 
fttengend genug, aber die Knaben baben weift wenig Geihid und noch 
weniger Luft dazu. 

©. 4, dritter Abſatz. — Ich daͤchte Barren, Red und Bod wären 
insgefammt weniger Loftjpielige Worlebrungen, wie Doppelleitern, 
Stangengerüfte und Schwebebäume. Haben wir noch nicht Beit genug 
gehabt, von der vor einigen Jahren graffirenden Red: und Barrenſchen 
(Barrophobia Rothsteiniana) uns wieder zu erholen? 

Beile 4 vom Ende des Abjapes lies: mögen ftatt mag! 

©. 4, 3.5 v. u. — Hier werben ‘der Grfte und der Legte einer 
Slantenreibe als vordere und hintere Fuͤhrer bezeichnet, an fpäteren Stellen 
im Be dagegen einfach Erſier und Lebter genannt. 

S. 5, 8. 5». 0. — Beiehlsanlündigungen wie: „Der rechte Führe 
die went g baben keinen Sinn. 

6, 8. 13 v. u. — Nicht wohl zu verlangen. 

E. 6, 8.5 v. u. — Lies flatt Flanke eine Zlantenreife, wie auf 

e. 11, & 9 von unten richtig ſieht. 











Zurnen. 581 


. 6.7, 8. 12 v. u. — Beller fagt man wohl mit Spieß, etwas bei 
dem vierten Tritte thun, ald auf den vierten Tritt. Mare wechſelt in 
Der Bier oft, fagt bald bei, bald auf. 
. 12, — 68 ift fein Grund abzuſehen, warum bie Drehungen rechts 

um * Langenate ſtets auf dem linlen Abſaß erfolgen ſollen. 

©. 16, 8. 4 v. u. — Würde das Umkreiſen eines Ginzelnen wirklich 
Umzug genannt, jo würde ein Umzug im Umzuge nicht zu den Unmoͤglich⸗ 
leiten gehören. 

©. 17, 3.8 v. u. — Ob eine Drehung ausgeführt wird, hängt von 
ber Ausführungstweife ab. Cine Regel über das allgemeine Verhalten ber 
Einzelnen bei den Reihungen fehlt bei Marr vollftändig. 

©. 18, 8. 130.0 — Les: drebt fh mit Ausnahme des 
Tührers. ' 

©. 19, Abſatz 2. — Die Erklärung deſſen, was beim Kreiſen rechts 
und links ift, ift nur fo lange richtig, wenn man vorausleßt, daß ber 
Kreifende vorwärts gebt, in allen anderen Fällen ift fie falſch. 

©. 20, 3.5 v. 0. — Lies: in gefhloffener Linie. — Ein nit 
geſchloſſen als Linie geftellter Neibenkörper ift auch dem Auge fichtbar, beſſer 
als Reibenlörper fofort zu erkennen. 

©, 20, Abjag 2, 3. 1. — Lies: Reibenlörperd aus der Reihe. — 
Im Folgenden ift der Unterſchied zwiſchen NReibenlörper und Reihenkoͤrper⸗ 
gefüge nicht genug beobachtet. 

©. 22. Uebung b gehört nicht hierher, jondern auf S. 34. 

©. 23, 8. 30 v. o. ebenfo fpäter lies: Are flatt Punkt. 

S. 25, 8. 3 v. o. — Schmentmühle ein überflüffiges Bild. 

S. 31, unten. — Cine Reihe für fih allein kann keine Staffel bilden. 

©. 82. Die Reibung der Reihen hätte vollfiändig ver der Einzelnen 
ei den Meiben nachgebilvet werben ſollen. Dies ift bei Mary nicht immer 

. 


©. 34, 8.7». 0. ebenfo 8. 17 v. u. auf ©. 35. — In 4 Beiten 
nur dann, wenn man e8 lediglich mit Biererreiben zu thun bat. 

© 84, 8.7 v. u. — lies fi reiben. | 

©. 37, 3. 14 ». 0. — Hälfte? Das ift fraglich. 

©. 39, 3. 17 v. o. — Raum? Alfo do! 

©. 39, unten, wird darauf aufmerlfam gemacht, daß es geeignet fei, 
in jeder einzelnen Turnftunde eine ſolche Gruppe von Yreiübungen vorzu⸗ 
nehmen, welche bei den folgenven Geräthben — lies: bei dem nachfolgenden 
Turnen an den Geräthen! — verwerthet werben können. — 63 ift ebenfo 
oft angezeigt, gerade das Gegentheil zu thun, damit die eine Uebung bie 
andere ergänze. 

©. 40, 8. 10 bis 2 v.u. — Die Erflärungen find nicht genügend. 
Bei der Rifthaltung 3. B. find keineswegs die Daumen in allen Yällen 
einander zugewenbet. 

©. 41, 8. 14 v. u. — Beim Unterarmbauen ift nicht bie wagerechte 
Haltung, fondern das Firistjein des Oberarms mweientlid. 8. 3 v. u. — 
Aumpfichwingen ein ſchlechtes Wort. 


34* 


582 Turnen. 


©. 42, 3. 1 v. 0. — Rumpftreiſen ift durchaus nicht ein fort. 
gelebte Rumpfbeugen. Cbenſo ift 

©. 43, 8. 12 v. 0. — Gin Kniebeugen in einer Brätfchftellung kein 
Ansfal. — 

Man vermißt Regeln über die Art, wie die Jreiübungen im Gingelnen 
betrieben werden follen; folde Regeln find für den ungeübten Lehrer ebenfo 
nothwendig, wie die Winte auf dem Gebiete der Orpnungsübungen. — 

E. 51, 3. 3 v. o. — Angabe von Griffen, Liften und Begenliften 
beim Ringen foll unflatthaft fein, weil das Ringen Gewandtheit, Entſchluß 
und Geiltesgegenwart erfordert. Sieh einmal, dann gäbe es auch keine 
Lehre der Fechtkunſt. 

. 6.51, 8.7 v. u. — Die angeführten Stabübungen gehören ſämmtlich 
nicht zu denjenigen, welde nicht auch als Yreiübungen betrieben werben 
fönnten. Iſt denn das „Ueberheben” des Etabes etwas Anderes, als ein 
Armkreiſen? Wollte man do die Armübungen mit dem Stabe ſämmtlich 
einmal ftreng auf die Urmübungen ohne Stab zurüdführen, dann könnte 
es nicht, wie bei Mars, geſchehen, daß durcheinander bald von Bewegungen 
des Stabes, bald von Bewegungen ber Arme die Rede wäre, als wenn 
die einen ohne die anderen zu Stande lämen. Dann läme wirllich auch 
das Eigenthümliche der Stabübung zur Geltung und würde 5. B. bie 
ſchoͤnſte und als Uebung lohnendfte Form einer Armübung mit dem Stabe, 
das Einwärtd: und Auswärtsprehen des Urmes bei feflem Griffe am Stab, 
nicht fehlen. 

©. 54, 8. 7 v. u. — Bader! 

©. 66, 3.6 0.0. — Lies: in Wegfall kommen, flatt eine Unter 
brechung erleiden. 
©. 66, Ende. — „Die Jahreszeiten geben Gelegenheit, den Körper 
der Schüler jo zu kräftigen und abzubhärten, daß er künftig jeder Ans 
fitengung und jeder Witterung ohne Nadıtheil Trog bieten kann.” — 
Gi der Tauſend, gute Ausfichten für den Erfolg einer deutſchen Rorppolfahrt! 


Bon denjenigen Schriften, welde fih auf einzelne Zweige der Turms» 
funft und auf deren Hülfswifienjchaften beziehen, find zu nennen: 
4. Lion, J. ©.: Die Tutnübungen des gemifhten Sprunges. 
Dargefiellt in Bild und Wort und mit Unterfügung bes Ausſchufſes der 


deutſchen Turnvereine herausgegeben. Leipzig, Ernft Keil. 1866. (VI m. 
219 ©. 8.) Mit 294 Abb. in Holzſchnitt. 25 Ser. 


Diefe Monographie behandelt ihren Gegenftand, die Verbindung von 
Stammübungen unterer und oberer Slieder durch Stüg und Sprung, in noch 
nicht dageweſener Bollftändigleit. Die Turnarten des Pferbipringens (Bol 
tigirens) an den verfchiedenen für ihre Darftellung erfonnenen Vorrichtungen, 
dem Pferd (aud dem lebendigen Pferde), dem Springtiſche, dem Bode, 
dem Springrede, dem Ballen, ferner bie fogenannten Gejellfchaftsfpränge, 
d. h. derjenigen Sprünge, weldye die Turner in Gemeinſchaft an Geräthen 
oder die einen an ben anderen ausführen Lönnen, enblid das Stabipringen 











Tumen. 535 


haben bier eine ſtrenge und erichöpfende Bearbeitung im Sinne ber neueren 
deutihen Turnſchule gefunden und find durch eine fehr große Zahl von 
Driginalabbildungen erläutert. Nur das in das Gebiet des gemifchten 
Sprunges gehörende Barrenfpringen war durch den Plan des Buches aus 
geichlofien. Nach den erften Worten der Borrede giebt fi daſſelbe als ein 
zwar nach Möglichkeit abgefchlofiener Theil, fo doch immer nur als ein 
Theil eine größeren Ganzen, deſſen Abſicht auf eine ſyſtematiſche Befchreis 
bung fjämmtliher auf den deutſchen Zurnftätten in Uebung gelommenen 
Bemwegungsformen und der aus dem Weſen biefes Stoffes heraus wachſen⸗ 
ben Lehr und Lernmethoden, jo wie auf eine gejchichtlihe Darftellung des 
neueren deutſchen Turnweſens binausläuft, aljo die innere und die äußere 
Entwidelung des leßtern gleicherweife zu erfallen wünjht. Die auf dem 
Zitel erwähnte Unterftübung des Ausichufles der deutſchen Zurnvereine 
beſchraͤnkt fih auf Gewährung eines Gelbbeitrags zu den Herftellungstoften 
der Holzfchnitte, es ift nur durch biefen Beitrag möglich geworben, das 
Bud zu einem im Verhaͤltniß zu feiner Ausflattung ungemein niebrigen 
Preis anzujepen. 
Beurtheilungen fiebe 
von Dr. &. Eule in der Zeitichrift für das Gymnafialmefen XXI, 52, 
von 9. ers in u Neuen Jahrbüchern für beutfhe Turnkunſt. KILL, 
it 4, 1867. 


49. EKloß, Moritz, Dr.: Hantelbüchlein für Turner, namentlich für 
Zimmertnurner. Ein Beitrag zur praktiſchen Gefunbbeitspfiege. Dritte 
vermehrte Auflage. Mit 24 Abb. Leipzig, I. I. Weber. 1865. 10 Bar. 


Siehe Päd. Yahresber. XV., 598, Nr. 5. 


50. Zähler, Zul.: Das Schlittſchuhlaufen. Für Iung und Alt beiberfet 
Geſchlechtẽ methodiſch dargeſtellt. Mit 53 in ben Tert gebrudten Figuren. 
Leipzig, 3. 3. Weber, 1866. 15 Gr. 


Mer die in Hirth’3 geſammtem Turnweſen (jiebe oben Nr. 3 auf 
©. 4861) abgebrudten Aufiäge über das Sclittfhuhlaufen von ©. 4. U, 
Vieth und N. Maul in Händen bat, wird das, übrigens ganz nette 
Büchlein nicht entbehren. 
51. Ernſt, Eduard: Die Gymnaſtik der Sand, ober Vorſchule ver Muflf 
und der verſchiebenen Künde und Gewerbe. Gin nütlihes Handbuch für 
Eltern, Erzieher, Muſillehrer, ſowie eine Anleitung zur rabicalen Heilung 
bes Hänbezitternd, Schreibframpfes und anderer Hanbäbel. Mit 21 in ben 
Text gebrudten Abb. Leipzig, 3. 3. Weber. 1865. (XII u. 56 S. Sebe;.) 


Der. Inhalt des ganz wohl georpneten Bücleins iſt nicht jo markt 
ſchreieriſch, wie der Titel. Es giebt eine Anleitung, die Gelenligleit ber 
Finger ımb ver Hand durch eine Bahl von befonderen Uebungen auszur 
bilden, Rimmt mon fie auch nur in müffigen Biertelitumden zum Zeit⸗ 
verireibe nor und verfährt babei mit einiger Beharrlileit, fo haben fte 
umgiweifelbaft ihren Rupen. Dächte der Berfafler im Grnite basan, wie ed 
nach der Note auf S. 55 ſcheint, Uebungen, wie die feinigen, in ben Tarn⸗ 


584 Turnen. 


unterricht der Schulen einzuführen, fo wäre ex freili übel berathen. Sein 

Schrifthen if für das Haus, für Einzelne, für Winterabende, aber nicht 

einmal für das Klaſſenzimmer, geſchweige denn für den Turnſaal. 

53. Roth, Wilhelm, Dr., Gtobsar t am SImvalidenhaufe unb Lehrer an ber 
Königl. Eentralturnanftalt zu Berlin: —— ber non Tloiogiigen 
Anatomie für Zurulebrerbilbungsanfalten. Anſchluß einer 
Anweiſung zur erſten Hülfeleiftung bei  oromimenden Berleigungen. 

1866. Boiflihe Buchhandlung. I u. 216 ©. 8.) 1 Thir. 

Weber die Bedeutung bed anatomifch » phyfiologiſchen Unterrichts für 
ZTurnlehrer, von welchem, mas fehr zu bemerlen ift faft ausnahmlos von 
dilettantifcher Seite, großes Aufheben gemacht ift, fpricht ſich der 
Verfafier folgendermaßen aus: „Dieſer Unterricht, welcher an verſchiedenen 
Zurnlehrerbildungsanftalten eingeführt tft, bat ven Bwed, ven bort auspu= 
bildenden Turniehrern eine allgemeine Ginficht in den Bau und die Func⸗ 
tionen des menfchlichen Körpers zu geben. Derfelbe lehrt demnach eine 
Hulfswiſſenſchaft, die fih ebenjo zum Hauptzwed verhält, wie ber gleiche 
Unterriht, welder den Malern und Bildhauern an Alademien ertheilt 
wird, oder die Unterweifung über die Structur des Pferbelörpers an Reit: 
ſchulen. So wie ein folder Unterricht, der bem Dialer und Bilnbauer ein 
tiefere Verſtaͤndniß der äußeren Form exichließen foll und zu dieſem Zwede 
bier in Berlin von beveutenden Anatomen und Phyſiologen ertheilt wird, 
an Kunftalademien eine anerlannte Nothwendigkeit ift, fo wie ferner eine 
Kenntniß des Pferbelörpers für den tücdhtigen Reitlehrer zur richtigen Hülfe 
als uneslählich betrachtet wird, ebenfo muß eine allgemeine Einſicht in den 
Bau und die Functionen des menſchlichen Körpers, namentlich feiner Be 
wegungsorgane, von dem Turnlehrer gefordert werben, welcher durch feine 
Tätigkeit ſchon von felbft zum Nachdenken über dieſelbe bingeleitet wird.” 
Mit diefen Worten (5. I der Borrebe) ift in der That der richtigen Wür⸗ 
digung einer gewiſſen Summe anatomifhen Wiflens bei den Turnlehrern 
. ver Weg gebahnt, wenn auch die Bufammenftellung des Turnlehrers wit 
dem Reitlehrer nicht ganz zutreffend ift, und zwar aus dem einfachen Grunde, 
weil der Turnlehrer ein Menſch ift wie feine Turner, ein Reitlehrer aber 
tem Pferd. Ohne daß ed mir einfallen könnte, den Nuben einer anator 
mifchen Kenntniß, wie jür jeven gebildeten Menſchen, jo auch für den Turn 
lehrer, zu beftreiten, glaube ich doch gerade angefichts dieſer Gleichſtellung 
wieberum auf diejenige Anatomie und Phnfiologie verweilen zu müflen, 
die mit dem Menfchen geboren und von ihm erfahren wird. Die eigene 
turneriſche Erfahrung, welche der Turnlehrer an feinem Leibe gemacht 
Bat, iſt gegenüber derjenigen, die er aus einem immerhin nicht allzugründ: 
lichen theoretifch-demonftrativen Unterricht bei einem Bildungscurfus gewinnt, 
im entſchiedenen Vortheil. Nicht mit Unrecht nennt Roth die Wirkung ber 
Masten (©. IV) eine oft noch fo dunkle und hypothetiſche, je daß er 
meint, biejed Gebiet nicht beiveten zu lönnen, ohne zu irren: und wo es 
es dennoch wagt, zeigt er fid) wirklich einigemale nicht frei oem ri 
(fiebe deutſche Turnzeitung 1866, ©. 751); ed find m Theil: gerade Foldhe 
Dinge, in denen ein ausgebildetes Mustelgefühl den Turner gar micht ine 
geben läßt. : Ger als ven Neitlehsesvergleid lann man ſich den mit dem 














Maler gefallen laſſen, denn barüber herrſcht keine Meinungeverfchienenbeit, 
daß zwar keiner derjelben ganz ungeſtraft fi der anatomiſch⸗ alademifchen 
Bildung entfchlägt, daß jedoch noch viel weniger diefe Bildung den Fünftler 
macht, ja ed Bilder giebt, welche gegen einzelne Regeln derſelben gröblich 
verfioßen und gleihmwohl fo jhön find, daß man die Fehler gar nicht 
ſieht, meil ein viel Höheres in ihnen zur Erſcheinung kommt, als das 
Product der Regel. So könnte alfo die Kunſt des Lehrers, welche anatos 
miſch im Dunkeln gienge, immer nod die Fadel eines ſchönen Lebens ents 
zünden. — Der eigentlihe Inhalt des Roth'ſchen Buches ift den über 
feine Beitimmung ausgefprohenen Abfichten entiprehend, die Darftellung 
if deutlich und Har, baber das Ganze gebührend zu empfehlen. Ein hol⸗ 

laͤndiſches Seitenflüd dazu: 


53. Snbach, Dr. med.: Ontleedkundige en physiologische grondslagen 
der Gymnastiek vooraankomende onderwijzers' bewerkt. Amfterbam, 
Brindmaun. 1864. (XI u. 178 S. 8. mit 8 Tafeln.) 

bat mir nicht vorgelegen. 


54. Michaelis: Ueber bie Lörperlihe Erziehung ber Kinber, wie 
I IR und wie fie fen fol. Leipzig. In Comm. bei Gräbner. 1866. 
2 Ogr. 


bietet nichts für den Turnlehrer. Ueber 


55, Bauhi, E. 3., Dr.: Die leibliche Pflege der Kinder zu Haufe 
und in ber Schule. 2. Auflage. Leipzig, Briber. 1866. 25 Sgr. 


fiebe Päd. Yahresberiht XV., 598, Nr. 41 


Bon großer, nur zu oft überfehener Wichtigkeit für den Turnlehrer ift 
die genaue Kenntniß der verjchiedenartigen Vorkehrungen und Gerätbichaften, 
welche zus Ginrichtung der Zumanftalten gehören, einſchließlich der Raͤum⸗ 
lichkeiten und Baulichleiten felbft. Nicht bloß eine allgemeine Geräth- 
tunde, zu welder bereits Spieß in feiner Zurniehre II., 28 und III., 32 
gute Grundlagen gelegt bat, fondern eine möglihft vollftändige Kenntniß 
ver technijchen Einzelnbeiten follte ein Hauptftüd der Fachbildung eines 
guten Xurnlebrers fein, damit diefer nicht bei jeber Heinen Veraͤnderung, 
welche die Mittel feiner Thaͤtigkeit betrifft, bei jedem Almzug aus einem 
Zurnfaal in einen andern, bei jever Ausdehnung bes Turnunterrichts auf 
eine andere Urt von Turnern, Kinder, Erwachſene, Gymnaſiaſten, Volls⸗ 
schüler, Knaben, Maͤdchen rathlos daſtehe, und bie Abhaͤngigkeit von 
fremden Liebhabereien, wie denen der Architelten, vom Geſchick und Ungeſchich 
des Handwerker bitter empfinde. Im Gegentheil kommt es gerade ihm zu, 
den genannten Perfonen die richtigen Geſichtspunkte zu eröffnen, ihnen, 
indem ex Unbilliges weder fordert noch zuläßt, bei ber Herflellung aller für 
feinen Zwed beflimmten Einrichtungen fo weit an die Hand zu geben, daß 
fie im Stande find, ſtets in feiner Art Mufterbaftes ohne Bei und Gelb» 
verſchwendung zu verichafien. Eine Anleitung, welche ben Turulehrern 
diefes Streben erleichtert, haben die Franzojen ſchon 1859 in dem ber 
Instruction pour Venseignement de la gymnastigue (Siehe Päd. Jahres⸗ 


636 Turnen. 


beriht XV., 615, Ne. 14, el) beigegebenen Atlas. Derſelbe it auch 
deutfhen Turnlehrern no immer gu empfehlen. Gbenfo der neuerlich im 
Auftrage des italienischen Unterrichtäminifters erſchienene 


56 Atlante degli attrezzi di ginnastica educativa com 
di tavote. Pubblicato con autorizzazione del ministero della 
istruzione pubblica dal cavaliere Rodolfe Obermann, maestro capo 
della ginnastica militare e della regia militare academia e direttore 
del corso magistrate e della scude della societk ginnastica die Torino, 
Torino. Lit, Fli Doyen. 1865. 


Borzüglide Beachtung aber verbienen die bereits im Päd. Yahresber. 
XVI., 6. 310 erwähnten Werkzeihnungen von Zurngeräthen, nachdem 
diefelben durch Neubearbeitung und Erweiterung für einen ungleich größeren 
Nüplichleitskreis, als er ihnen urſprünglich zugedacht war, umfchrieben find. 
Welcher Turnlehrer fi nicht im Stande fühlt, oder die Zeit vermißt, um 
Zeichnungen zu entwerfen und Angaben zu notiren, nad) welchen ber Hand- 
werler muftergültige Zurngeräthe anfertigen kann, der bat in jenen Wert: 
geihnangen das, mas ihm fehlt und was er zu fuchen bat; nur bie 
Auswahl wird feine Sade bleiben. Der Titel lautet: 


57. Sieben Tafeln Werkzeichnungen von Turngeräthen. Zweite 
Auflage. Belorgt von I. ©. Lion. Leipzig, Ernf Keil. — 1865. 
Tl 1: Geräthe zum Frei⸗ und Seanfpringen, Sturmipringel, Springtild. 
2. Springpferb. 3. Springbod. 4. Feſter Barren, einer tragbarer Barren, 
ſtell⸗ und tragbarer Barren. 5. Leitergerüſt, Echaufelbiele, Geräthe zum 
Schweben. 6. Red, Schautelred. 7. &eräthe zum Kiettern, Schaufeiriuge, 
Nundlauf, Geräthe zum Berfen. — X ©. Yolio und 7 Tafeln gr. Carton⸗ 
format, 1 Thlr. 15 Ser. 


Eine ſchoͤne Veröffentlihung verwandten Bwedes und Inhaltes find 
ferner bie 


58. Zuvnhallenpläne nah Mach der Kön. Württ. Zurnorbrung vom 
Sahr 1863, im amtlichem Auftrage bearbeitet von Prof. Dr. Jaeger uub 
Bauratb Bed. (XI Zafeln Fol.) Stuttgart. In Comm. ber artifl. 
Anfalt von Frz. Matte. 1866. — Preis gegen Poſtnachnahme 1 Thlr. 124 Ser. 


Blatt 1 bis 4 enthalten die erforderlihen Pläne für eine Heinere, 
5 bis 9 die Pläne für eine größere Zurnhalle, 11 und 12 Berihtigungen 
und Ginzeinbeiten auch bezüglich der Geräthe. Die Sonftruction des Barrens 
it befonvers zu beachten, fie leiftet fehr viel, nur ift fie zu theuer, bie des 
Springpferds würde ich nicht bloß aus biefem Grunde verwerien. Das 
zum Stelten unter dem Pferde angebrachte Räderwerk ift nicht ohne Gefahr 
bei dem gerimgften leicht möglichen Unfall des Springers. Die übrige 
Einrichtung der wärttemb. Turnhallen hängt fo ſehr mit den Eigen 
tbümlichleiten des Plans, weicher in ihnen befolgt werden foll, zuſammen, 
daß fie mur im Bufammenhange mit biefem zu würdigen iſt. Leber bie 
Anlage bes Ganzen fiehe deutſche Turnzeitung, 1867, Nr. 3, ©. 21. Wer 
mit der Abfecht umgeht, Turnhäuſer zu bauen, möge nicht verfäumen, ſich 
yaoor in den Belig ber württembergiihen Zurnballenpläne zu eben. 


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101 R [4 [ 














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Tumen. 537 
a Zritſcheiften, welche auefchlieklih ven Anigelegenheiter” des 


3 gewibmet find, erſchienen, wie früher 


Nene Jahrbücher für bie Turnkunſt. Blätter für bie Araeigen; 

beiten bes beutfchen Turnweſens, vornehmlich im Ieiner = 
rziefung und Gefunbheitspflege, herausgegeben von Dr. 

Dresden, G. Schönfeld. Bd. XI. 1865. Bb. XII. 1866. Bd. XII. ar 

Preis je 2 Thlr. 


Blätter für bie Angefegenbeiten 6 bes bayeriſchen Turnere 
bunbes.. Augsburg, 1866. Miinchen, 1867. 


Schweizeriſche Turnzeituug. NRatlonalorgan für Pflege und Bilbung 
bes Leibes. Bern, Haller. Bd. VIII. 1865. Bo. IX. 1966. Bb. X. 1867. 
Bedeutenbere Abhandlungen in ber ſchweiz. Turnzeitung ſind u. U? 


A. Maul: Ueber bie Berwenbung ber verſchiedenen Turngeräthe im 
Zurnunterridt. 1865. ©. 1 


. Obermann: Ueber bag — Turnen. 1866. S. 29. 
. Th. Schmidt: Das Turnen an den ſchweiz. Lehrerſeminarien. 1866. S. 129. 
. Morik Jaͤggi: Bhotion, Heinrich Klias und bie Anfänger bes Turnens 


in Bern. 1867. 


Dentkfch e Zurnzeitu ng. Blätter für bie Angelegenheiten bes deacimten 


Turnwe 8* Organ ber deutſchen Turnerſchaft. Leipzig, €. Keil, 8 
herausgegeben von G. Hirth. 1865. Bd. XI. 1866.  erausgeber Seh, 
fpäter Kion. Bd. XIL 1867. Herausgeber Lion. 


Wichtigere Auffaͤtze ſind neben mehreren bereits erwaͤhnten Arbeiten 


u. A. beiſpielsweiſe zu nennen: 
a Th. = Ueber Harniſch. 1865. ©. 209. 1866. ©. 172. 


b. 


a 


- -n RR 


Hermann Sceibler. 1867. S. 2 


E. —— Zum 7. Juli —— Leben). 1866. S. 217. 
Karl von Raumer, ein Bielverlannter. 1867. ©. 2. 
Das Turnen auf ber Weltausfiellung von 1867. 1867. &. 157. 


©. Euler: Die gegenwärtige Einrichtung ber Königl. preuß. Centralturn⸗ 
anflalt in Berlin. 1865. ©. 235 
Die König. denkaftntnanfialt zu Berlin. 1867. &. 37. 


W. Fiſcher: Die Zurnberichte deutſcher Schulprogramme. 1866. S. 121, 
221. 1867. ©. 137 
Sine neue Militairgrenge. 1867. S. 11. 


. 4 Baafe: Harniſch unb bie Breslauer Turnfehde 1818 und 1819. 1865. 
. 129. 


A. Lange: Die deutichen Turmvereine und bie Vereinsgeſetze. 1865. S. 385. 


. Fr. Liebetrut: Rückblicke auf das goldene Zeitalter bes neu erweckten 


Turnweiene. 1867. ©. 93. 


. 3. Löhnert: Der lange Barren. 1865. &. 162. 


A. Maul: Was noth thut (für den Turnbetrieb in Vereinen). 1865. &. 81. 


. A. Ravenftein: Ueber Wanberluft, Turn- und Alpenfahrten. 1867. 8. 161. 


Waßmannsdorff: Die Erneuerung atıpelleniicer Ordnungsubungen und 
des Pilumwerfens in Heidelberg. 1865 S. 353 

Uebungen eine® Heibentörpergefüges. 1866. Beilage zu Nr. 45, 
nebſt einer großen Zahl Heiner geſchichtlicher Mittheilungen. 


538 Turnen. 


m. Bei au einem Leitfaben für ba Mäbdfenturnen feit Enbe 1 
—— rebn, Noͤdelind, Waßmannsdorff, Eat, Eises, —XX 


5. ie ee beige journal pour la propagation de ia gym 
belges. Ed. par Jaoques pol. 
Anvers. eh. 1865, I. 1866, III. ise7. al für Deutſchland * 
für den Jahrgang. 


Zwei in der feanzöfiichen Schweiz erſcheinende franzoͤſiſche Turngeitungen 
find dem Berichterftatter unzugänglich geblieben, Gingegangen if 


6 Das mittelxpeinifge Turnblatt, WBeiblatt zum Wetterauer Boten. 
Es beſtand bie 1 


1. Märkiſche Blätten für das gefammte Turnweſen. Amtliches 
Drgan ber m märfiihen Turnerfhaft, herausgegeben von W. Angerftein. 
erlin. 


und vermutblihd auch eine italieniſche Zurngeitung haben es nicht zu 
dauerndem Leben gebracht. Der Titel der leßteren, deren Inhalt in der 
deutſchen Zurmeitung, 1866, S. 169 fi. ausführli wiedergegeben if, 
lautet 


8. La ginnastica, giornale settimanale che si pubblica a Livorno, 
Gerente responsabile: Visibell. Direttore: Constantine Beyer. 
“ Livorno. 1866. 


Abgeſchloſſen den 13. Juni 1867. 








XII. 
Pädagogiſche Beitichriften. 


Bearbeitet . 


von 


Auguft Lüben. 





1. Neu erichienene Zeitfchriften. 


1. Leipziger Blätter für Pädagogik, Herausgegeben vom PBäba- 
ogitden Bereine zu geipain. > Saprlid 6 Hefte gr. 8. Leipzig, 
tanbfletter. 1867. 1% Thlr. 


Die ‚Leipziger Blätter für Paͤdagogik“ find eine durchaus erfrenliche 
Erſcheinung. Ihre Herausgeber erfennen zwar gern an, daß die Pädagogik 
ala Wiſſenſchaft von Peſtalozzi bis auf Diefterweg Fortſchritte gemacht habe, 
daß namentlich in methodifcher Beziehung in den meiften Unterrichtsgegen⸗ 
Ränden, die dem induſtriellen Leben dienen, viel geleiftet werde; aber dennoch 
balten fie dafür, „daß gerade in unfern Tagen die Weiterbilbung ker 
Vollserziehung hinter den Forderungen einer freifinnigen Erziehungswiſſen⸗ 
ſchaft ſowohl, als einer freifinnigen Bolitit auffällig zurüdbleiben‘‘, daß die 
Schule „noch immer in der alten Weiſe von der Kirche bevormundet werde‘, 
die Lehrer alfo noch immer nicht den zum Gedeihen der Schule erforder 
lichen Grad von Selbftänvigfeit erlangt hätten, daß die Schule „von ber 
Induftrie jo entfchieden in das Stoffliche hingerifien werbe, daß die Maſſe 
des zu Erlernenden kaum zu bewältigen fei”, daß ‚‚Taufenden von Lehrern 
noch die philofophifche und wiſſenſchaftliche Durchbildung mangele, die. allein 
zur Ausbildung einer felbftändigen Ueberzeugung befähige” u. |. w. Wer 
wollte ven Herausgebern hierin nicht beipflihten? Wir müflen in jeber 
Beziehung noch weiter kommen, find ſelbſt in methodiſcher Beziehung noch 
lange nicht dem Abſchluß nahe, was einleuchtet, wenn Man an die Be⸗ 
hendlung des Religionsunterrichts denkt. Die Serausgeber nehmen ben 
„Standpunkt einer freifinnigen Pädagogil” ein und „wollen den 
Muth baben, vie Wahrheit auspuſprechen ohne Madhalt und nicht Allein 
allgemeinen theoretiſchen Sägen, fordern auch dann, wenn es gilt, rucſichts⸗ 
Ios ‚mit‘ männlichen, imnumſchlelerten "Worte beſtehende Verhaltnifſe Tara: 


. 540 Padagogiſche Zeitfchrifte. 


greifen.” Das if fehr brav. Und gern bezeugen wir den Her 
und Mitarbeitern, daß fie davon ſchon trefjlihe Proben abgelegt haben. 
Es ift ein frifher Zug in den bis jeßt dargebotenen Arbeiten. 

Um ven Lefern einen Einblid in die „Leipziger Blätter für Pädagogik‘ 
zu gewähren, nennen wir fchlieglich einige der dargebotenen Arbeiten, 

Zur Frage der Lehrerbildung. Gntwidelung des Leipziger Schulweſens. 
Die Schule im Zufammenbange mit der Eultur. Das Schulweſen unter 
Rarl dem Großen. Bedarf die Schule des Directorats? Kehrſeite des 
preußifhen Schulweſens. Die natürlihen Anlagen. Ueber die Theilnahme 
des Lehrerſtandes an den Angelegenheiten ber Schule. Das alte Teftament. 
Die 16. allgemeine deutſche Lehrerverfammlung zu Hildesheim. Paͤdagogiſche 
Herrnhausſitzungen. Lüben, Ueber den Einfluß der Geiftlihen in ihrer 
amtlihen Stellung zur Schule. 


2. übagogifhe Borträge und Abhandlungen in zwanglofen Heften. 
rſter Band. gr. 8. Leipzig, Klinkhardt. 1867. 


Bon diefem neuen Unternehmen find bis jet fünf Hefte erſchienen, 
welche den erften Band bilden. Sie enthalten Beiträge von ſechs Berfafiern, 
nämlih von: 

Möbius: Theologen oder Seminariſten? 

Eckſtein: Die Geſtaltung ber Volkoſchule durch den Franck'ſchen Pietiemus. 

Bornemann: Die permanente Ausſtellung von Lehrmitteln zu Leipzig. 

Hildebrand: Vom beutfhen Sprachunterricht in ber Schule und bon. 
etlihem ganz Anderen, das doch damit zulammenhängt. 

Delitſch: Beiträge zur Methodik des geographiichen Unterrichte, namentlich 

des Kartenleſens und Kartemzeichnens in Schulen. 

a Heber ben Unterricht in ber Chemie an Höheren und nieberen 


Es if und nur das erfte und fünfte Heft zugegangen, bie ihre Be 
urfbeilung an geeigneter Stelle des Jahresberichtes erhalten follen. Daher 
beihränten wir uns auf die Mittheilung , daß jedes Heft aud einzeln für 
wenige Groſchen zu haben ifl. 

3. Didenburgiihe Schulzeitung. Organ bes allgemeinen olbenburgiichen 


Lehrer» und Peſtalozzi⸗Vereins. Kebigirt von 3. U. HFavekoſt. Olden⸗ 
urg, B. Scharf. 


Herr Haveloft vedigirte bis Ende 1866 das „Olderhurgiſche Schul⸗ 
blatt‘, das 1867 feinen 18. Jahrgang begonnen bat. „Verſchiedene 
Umftände” nötbigten ihn, die Redaction des Schulblattes ni 
und die bier genannte „Schulzeitung“ zu gründen. Als Nedacteur bes 
„Schulblattes” nennt fi jebt Herr C. H. Kröger. Näheres über diefen 
Gouflict haben mir nicht erfahren, da wir beide Blätter fehr unregelmäßig 
arhieltan (von der Schußeitung bie jetzt mur Nr. 10—12); mögen aber 
die Urſachen dazu noch fo erbeblih fein, zur Gründung eines weuen 
Dihenburgifhden Shulblattea waren Te wohl kaum ausreichend. 
Dei einer jo mäßigen - Anzahl non Leſern tönnen gwei Schuilgeitun: 
gan -niht-befzienigenn befieben. Es fehlt ihnen cuch an tüchtigen 


Padagogiſche Zeitſchriften. 541 


Mitarheitern, mas die Redacteure dann nöthigt, andere Gournale zu 
plundern. 

"Mir empfeblen dem fo wackeren Oldenburgiſchen Leheerſiande y die 
frühere Einheit wieder berzuftellen. 


4 Norddeutſche Saufjeitung. Herausgegeben unter Mitwirkun nam- 
bafter Bädagogen und Schulmänner. Minden, in Commiffion bei X. Bol- 
tening. 1867. 14 Thlr. 


„Als für die Redaction verantwortlich“ nennt fih „Wilh. Berens 
in Minden“. Was dieſer Herr dort iſt, erfahren wir eben ſo wenig, als 
wer die „namhaften Pädagogen“ find, die ihre Mitwirkung zugeſagt 
baben. „Rambafte” Pädagogen pflegen ihre Namen nicht zu verfchweigen, 
und ber Nebacteur eines neuen Unternehmens hat alle Urſache, fie zu 
bitten, daß fie es thun. Verſchweigen iſt hier ſchadlich. 

Das Programm der „Norddeutſchen Schulzeitung“ iſt von dem anderer 
Journale dieſer Art nicht erheblich verſchieden. „Sie ſoll unter ung Leh⸗ 
zen,‘ beißt es im Profpect, „das Stanvesbermußtfein weden; das Wohl 
und Wehe Aller foll fie den Einzelnen, das Wohl und Wehe des Gingelnen 
Allen ans Herz legen, aber auch die mit der Schule in Verbindung ftehenden 
Kreife,, die Schulbehörden, Schulvorftände und Schulfreunde über die An: 
gelegenheiten der Schule und ihrer Lehrer orientiren.“ Die geftedten Ziele 
will man erreihen durch Leitartitel, Mittheilungen aus dem Schul und 
Lehrerleben, Rundſchau über die paͤdagogiſchen Beſtrebungen der Gegenwart, 
Recenſionen, durch eine Leſehalle, durch Anzeige vacanter Lehrerſtellen. 

Da uns jetzt nur die erfle Nummer vorliegt, fo halten wir mit unferm 
Urtheil über das neue Unternehmen zurüd. 


5. Pabagogiſhe Zeitung für Norbbeutihland. Orgen für Schule 
und Haus. Unter Mitwirkung tüchtiger Schulmänner herausgegeben und 
sebigirt von Dr. H. Menſch. Berlin, Ab. Stubenrauch. 1867. 1 Thlr. 

gr. 


Herr Dr. Menſch war bis Mitte Auguft d. J. Rebacteur ver „Preu⸗ 
giihen Schulzeitung“, des Organes der Peſtalozzi⸗Vereine in ben Propinzen 
Brandenburg und Preußen. Diefe Schulzeitung gehörte von ibrer 
Gründung an zu den freifinnig gehaltenen und wurde von A. Petſch in 
Berlin, dem waderen Mitarbeiter an unſerem Jahresberichte, ſehr gut 
rebigirt. Gin Augenübel nöthigte denjelben, die Rebaction niebeszulegen, 
und ver Borftand des Peltalozzi: Vereins übertrug biejelbe dem Heren 
Dr. Menſch in dem Vertrauen, er werde das Blatt in dem bisherigen 
Sinne redigiren. Diefem Erwarten hat Herr Dr. Menſch nicht entiprocdhen, 
wofür neben Anderem ein Artikel über Dieflerweg’s Stellung zu den preus 
Bifhen NRegulativen deutli genug jpriht. Möge, wie Herr Dr. Menſch 
in Nr. 33 fagt, der Aufſatz aud von „hochachtbarer Seite‘ herrühren, 
wit den bisherigen Kundgebungen in der preußifhen Schußeitung ſtand er 
in zu großem Widerfpruh, als daß der Borfland des Beftaloszi-VBereins 
dazu hätte ſchweigen können. Bas Verhältniß wurde daher gelöft; Herr 
Dr. Nenſch legte die Redaction nieder und Herr Petich übernahm fe VOR 
Neuem. Bir freuen uns diefer Wendung. - 


542 Padagogiſche Zeitfäriften. 


Herr Dr. Menſch bat nun wohl mittlerweile Berguägen an ver Me 
daction eines Schulblattes gefunden und daher fofort eine neue Zeitung ins 
Leben gerufen, die biergenannte. Gr bat ihr urfprängli den Titel 
„Norddeutſche Schulzeitung” geben wollen, it aber darin von ber Rebacion 
der unter Nr. A genannten Schulzeitung überflügelt worben. 

Obwohl Hers Dr. Menſch feinen bisherigen Lefern nad feiner Beiftes- 
rihtung belannt war, hat er es doch für nöthig erachtet, feinen Standpunkt 
in einem bejonbern Programm darzulegen. Er belennt offen, „ven Stand: 
punft eines lebendigen Epriftenthums auf pofitivem ®runde” einzunehmen, 
und will daher aud die Schule im Bunde mit der Kirche erhalten wiſſen 
Nach ſeiner Anſicht ſteht die Schule ſchon jetzt „ſelbſtaͤndig und unabhängig” 
da, worin ihm wohl nicht viele Lehrer des Norddeutſchen Bundes beipflich⸗ 
ten werben, die bremiſchen und gothaiſchen Lehrer ausgenommen. Demnächſt 
fol die Päpdagogifche Zeitung die nationale Erziehung betonen. 

Jedenfalls ift es dankenswerth, daß Herr Dr. Menſch feinen Staub: 
puntt ofien dargelegt bat; wer venjelben theilt, wird in feiner Beitung 
gewiß Manches finden, was ihn befriedigt und förbert. 


6. Breie päbagogifde Blätter, heranegene eben unter Mitwirkun von 
Binftorfer, H. Deinbart, Chr. Glaſel in Wien, Dr. E. Dürre in 
beim u. M. don MI. hr. Jeffen. — ν Witwe und Sohn. 
1867. 2 Thlr. 20 Sg. . 


Diefe neue Zeitſchrift macht ihrem Zitel Ehre. In freier Weile 
befpriht fie Alles, was zum Gebiet des Unterrichts und ber Grziehung 
gehört. Sie lobt, was Anerlennung verdient, und tabelt, was tabelnswerth 
ift, und ſchont dabei am allerwenigften die öfterreichifchen Berbältnifie. Wir 
betennen offen, daß wir durch Feine der bisherigen oſterreichiſchen päda⸗ 
gogiſchen Zeitfchriften fo viel Aufſchluß über die Schäden bes öfterreichiichen 
Schulweſens erhalten haben, als durch die „Freien pädagogiſchen Blätter”. 
Der Herausgeber wird ſich durch dieſe offenen Beiprehungen in Defterreich 
manchen Gegner erweden, denn es giebt unter ben üfterreichifchen Lehrern, 
wie ich aus eigener Erfahrung weiß, auch manchen befangenen Kopf; aber 
ih hoffe, er wird ſich dadurch nicht ie machen lafien und diejenigen, 
welche auf feine Seite getreten find, doppelt dafür zählen dürfen. Die in 
Wien in diefem Jahre (1867) abgehaltene Lehrerverſammlung hat ohnehin 
zur Genüge gezeigt, daß der öfterreichiiche Lehrerftand auch vorwärts will 
und fchon tüchtige Kräfte aufzumeifen bat. 

Die Freien pädagogifhen Blätter bringen: 


1) Leitende Artilel, in welchen vorzugsweiſe Tagesfragen, die 
aus En einem Grunde für den Moment berportzeten, zur —— 


=» Sahmwiffenfhaftlide Abhandlungen, und zwar Beiträge 
zus Anthropologie, zur Methodik und zur Dibattil. 
| 8) Unterrihtsmaterialien, hauptſächlich ſolche Beiträge, welche 
ſich mit denjenigen neuen Refultaten der wifienjchaftlihen Forſchung ber 
Ihäftigen, bie von Geite der Schule Beachtung erheiſchen. 








Mdagogiſche Zeitſchriſten bas 


4) Correſpondenzen über Vorgänge und. Giarichtangen inner 
halb der Sphäre der vaterländiihen Schul und Lehrerwelt, ſowie über 
pädagogifhe Zuſtaͤnde, Beitrebungen und Veraͤnderungen in deutſchen 
Städten und Ländern. 

5) Pädagogifhe Rundſchau, eine Bufammenfiellung interefjan« 
ter aus anderen Yachzeitungen entnommener Nachrichten, welche in das 
Gebiet der Erziehung und des Unterrichts einſchlagen. 

6) Literaturberihte, Beiprehungen von Publicationen päda⸗ 
gogiſchen Inhalts. 

7) Bannigfaltiges. Ernſtes und Heiteres in bunter Folge, 
beftimmt, den Horizont des Lehrers nad allen Seiten zu erweitern und 
durch die eingewobenen beitern Epifoden ihm ein freies, fröhliches Gemuͤth 
zu erhalten. 

Um vie Yühlung mit den Deutſch⸗Oeſterreichern nicht zu verlieren, 
wird es gut fein, aud in Deutfchland von dieſem Blatte Act zu nehmen. 


1. Bierteljahreiährift für Höhere Töchterſchnlen. Unter Mitwirkung 
mehrerer Collegen herausgegeben von den verantwortliden Rebacteuren 

. U. Prowe und Dr. M. Schultze. Erſter Jahrgang. Nr. 1. gr. 8. 

(80 ©.) Thorn, ©. Lambed. 1867. Jährlich 2 Chir. 


So viel ung befannt, bejaßen wir iu legterer Zeit feine beſondere 
pädagogische Zeitſchrift für höhere Töchterſchulen; es ift daher verbienfilid 
von den Herausgebern, eine foldhe in der bier genannten Bierteljahrsjchrift 
ins Leben gerufen zu baben. Denn es ift außer Zweifel, daß die höheren 
Toͤchterſchulen fo viel Eigenthimiliches und noch nicht Spruchreifes darbieten, 
daß ſie es wohl verdienen, ſpeciell berückſichtigt zu werden. An den Lehrern 
dieſer Anſtalten wird es nım liegen, aus dieſer Zeitſchrift etwas Ordent⸗ 
lies zu machen. Die Anlage verjelben erfcheint uns ganz paſſend und 
gewährt Unterlommen für Alles, was fih auf Grziehung und Unterricht 
bezieht. Das im vorliegenden Hefte Dargebotene zerfällt in ſechs Theile: 
Abhandlungen. Statiſtik. Programmenfhau. Bücherſchau. Chronik. 
Teuilleton. — Gine Arbeit im erften Theile, „vie Schule vom ärztlichen 
Gtandpuntte‘‘, iR ebenfo zeitgemäß als interefjant. 

8. Schul⸗Tagebuch von Oſtern bis Oftern. Ein Hülfebud zur Delonomie 
und Diätetit in der Schulpragis von H. Burgwardt, Rector ber Bürger- 
fäute an —— Erſter Jahrgang. 8. (180 S.) Hamburg, O. Meißner. 


Dies Schul⸗Tagebuch gehoͤrt ſtreng genommen nicht in dieſe Abthei⸗ 
lung, ſchließt ſich derſelben aber doch durch fein jährlihes Erſcheinen und 
einen großen Theil feines Inhalts an. Der Verſaſſer bietet darin Fol⸗ 
gendes dar: 

L Lehrplaͤne: 
A. Grundfähe für die Auswahl und Vertheilung bes Lehrfinfies 
u inen 


im Allgemeinen. 

B. Auswahl und Vertheilung des Lehrftoffes auf die fünf Zeit 
abſchnitte des Schuljahres. 

C. Grunpfäge zus unterrihtligen Behandlung des Lehrfafies. 


644 Pabagogiſche Zeitſchriften. 


IE. Lectionstabellen: 
A. Grimbfäge für die Vertheilung der Lectionen. 

B. Lections⸗ und Stundentabellen. 

DI Schul und Rlafienprotocoll. 
IV. Schul-Tagebud. 

V. Perlen. 

VI. Miscellen. 

Man ſieht aus dieſer Angabe, daß das „Schul⸗Tagebuch“ nicht bloß 
aus Tabellen beſteht, ſondern auch paͤdagogiſche Belehrungen darbietet. 
Dieſelben werden ſich für angehende Lehrer als nüßtzlich erweiſen. Der 
Verfaſſer greift in feinen Darſtellungen oft auf ältere Schriften zurüd, fo 
z. B. auf Comenius, aus dem er einen Auszug mittbeilt. Wir wollen 
nit tabeln, daß gute ältere Schriften der jüngeren Generation in Erinnerung 
gebracht werden, halten aber ein Schul⸗Tagebuch doch nicht für einen gang 
geeigneten Ort dazu. 

Abſchnitt IV ift ein Kalender, der das Eintragen von Bemerkungen 
geftattet. Dem Kalender fehlt aber das Datum, das weggeblieben ift, um 
das Buch 24 Egr. billiger berftellen zu lönnen. Das ift eine übel ange: 
brachte Sparfamteit. Sonftige Tabellen lafjen fi vielleiht auch noch 
etwas praftifcher einrichten. Auch würden wir empfehlen, das Buch nur 
gebunden zu verjenden. 


IL. Zeitſchriften, beren Redaction gewechſelt hat. 


1. Rheinifhe Blätter für Erziehung und Unterricht. Im Sabre 
1927 gegründet von Adolph Diefterweg. Unter Mitwirkung namha 
Pädagogen fortgeführt von Dr. Wichärd Lange. Frankfurt a. M., 
Hermannſche Buchhandlung. (Morig Dieftermeg.) 18867. 


Die wohlbekannten „Rheiniſchen Blätter” gehören gu denjenigen 
päbagogifchen Beitjchriften, welche am meilten zur Hebung des deutſchen 
Lehrerſtandes und der Schule, namentlich der Volksſchule, beigetragen haben. 
Sedes Heft brachte‘ Etwas, mas fürdernd darauf einwirkte. Wer fie, wie 
tb, vom erften Hefte an bis heut gelefen, ver erhielt veiche Gelegenheit, 
jeine pädagogijhen Kenntniſſe zu erweitern unb zu berichtigen und wurde, 
worauf ein großes Gewicht zu legen, immer von Neuem durch fie zur 
Berufstreue und zum ernftlihen Nachdenken über Unterricht und Erziehung 
angeregt. Ich geftebe, daß ich durch jedes neue Heft ſtets jo angezogen 
wurde, daß ih es immer in einem Zuge durchlas und oft die Nacht dazu 
zu Hülfe nahm, um mich nicht dabei unterbrehen zu müflen. Die Rhei⸗ 
nischen Blätter haben mir zahlreiche glüdliche Stunden bereitet. "Daher bat 
mich das Gefühl der Dankbarkeit gegen ihren Herausgeber au niemals 
verlaſſen. 

Nun iſt der geniale, treue Führer der Lehrerfchaft abgetreten von 
feinem Arbeitsfelde. Giner feiner begabteften und eifrigfien Schüler if im 
Bereine mit Andern für ihn eingetreten. Gr hofft, daß dieſe „Anhänger: 
und Jungerſchaar -bei redlicher Anſttengung zu Stande bringen wird, was 





Pudagogiſche Zeitſchriften. 545 


einem Einzigen moͤglich war.“ Das hoffe ih auch. Der Beweis, daß 
diefe Hoffnung eine berechtigte war, liegt bereit3ö vor. Die Rheiniſchen 
Blätter find durchaus in Diefterwegs Geifte fortgeführt worden. Sie be: 
Sprechen, wie jonit, wichtige Tagesfragen auf dem Gebiete des Unterrichts 
und der Erziehung und geitatten Rede und Gegenrede. Der Herausgeber 
liefert felbft viel Schägenswerthes. Die Betheiligung der Lehrer. ift eine 
vege; die Zahl der Leſer hat ſich merklich gehoben. 


2. Preußiſche Schulzeitung. Zeitfärift fir Eriichung und Unterricht. 
Herausgegeben und rebigirt von A. Petfch in Berlin. Organ ber Peſta⸗ 
lozzi⸗Bereine in ben Banden Brandenburg und Preußen. Neuſtadt⸗Ew., 
N. Lemma. 1867. Yährlih 52 Nummern in ganzen Bogen. Preis vier 
teljährlich 124 Ser. 


Mir häben ſchon oben angezeigt, daß Petſch, der erſte Redacteur diefes 
Blattes, wieder für Dr. Menſch eingetreten it Damit tft auch der 
urfprünglicde Geift deflelben wieder zurüdgelehrt, der fein anderer ift, als 
der des großen Todten, deſſen mir foeben bei den Rheiniſchen Blättern 
gedadht haben. Die Preußiſche Schulzeitung ſucht ihre Lejer nicht blos in 
Preußen; fie menbet ji an alle deutſche Lehrer und verdient jehr, von 
ihnen beachtet zu werben. 


3 Schulblatt der evangeliſchen Seminare Schlefiens, heraus—⸗ 
egeben von ben Directoren Menged, Dr. Schneider, Schumann, 
emerak und Wendel. Siebenter Jahrgang. Breslau, in Commiſſion 

bei Dilfer. 1867. 


Dies it die Beitjchrift, durch die der jeßige Schulrath Bod feine 
pädagogifhen Kindlein in die Welt ſchidte. Wir haben deren Belanntjchaft 
feiner Zeit ziemlih regelmäßig gemaht und neben ganz gewöhnlichen 
ungen auch manden Buben, mande Mißgeburt entvedt. Sept fhidt er 
biefelben auf den unfruchtbaren, jandigen Landrüden der Provinz Preußen, 
wo fie die Lithauer, Slaven, Mafuren und Kaſſuben betehren und einjan- 
gen, nebenbei auh Anhänger Diefterweg’s auf den Weg bringen follen. 
Wir waren bisher nicht jo glüdlich, die neue Generation kennen zu lernen. 

Die neuen Herausgeber führen das Blatt im Sinne der jegigen 
preußiſchen Volksſchule weiter, wie zu erwarten war. Die uns vorliegenden 
Hefte (3, 4, 5) enthalten manche gute Arbeit. 

4 Neben biefem Schulblatte befteht befanntlic noch der von Scholz gegriin- 
bete, von Er. Dietrich fortgeführte „Neue ſchleſiſche Schulbote“, 


der ald Organ ber freifinnigeren Lehrer angefehen werben kaun. Er wird 
gut rebigirt und kann für weitere Kreile empfohlen werden. 


II. Eingegangene Zeitfchriften. 


1. Scäulblatt für bie Volksſchullehrer ber Provinz Preußen. 
Herausgegeben von Eduard ad. Königsberg, beim Herausgeber. 
1866. 


Mir haben von diefem Jahrgange nur die erften 36, bis in ven 
September reihenden Nummern, kennen daher das Abſchiedswort des 
Päd. Jahresbericht. ZIX. 35 


546 Pudagogiſche Feitſchriſten 


Herausgebers nicht. Das Schulblatt wurde in ſehr freifinniger Weiſe ge 
fohrieben und bat manden anregenden Artitel gebraht, mande Schäden 
in der Verwaltung jharf beleuchtet und das Anſehen der Perjonen dabei 
nicht geſchont, wovon etlihe Seminardirectoren und Schulrätbe, darunter 
auch der jetzt regierende Bod, ein Lied zu fingen wiflen. Die Folgen davon 
waren zablreihe Gonflicte, die meiftens mit Yyreibeitsftrafen und Geldbußen 
für den Herausgeber endeten. Wir vermögen nit zu fagen, ob er in 
feinen Anllagen nit bier und da zu ſcharf vorgegangen ift, halten aber 
dafür, daß fein Wirken im Ganzen recht erjprießlih war und Manchen zur 
Borfiht mahnte. Aber Beobachter diefer Art werden Vielen doch zulekt 
unbequem, und man ſucht fie unfhäplid zu machen. Sach's EC chulblatt 
tonnte fih daher neben dem Negierungs:Schulblatt nicht halten. Wir 
bevauern das Eingehen defjelben, ganz abgeſehen davon, dab der von Sad, 
Friſchbier u. U. gegründete Peſtalozzi⸗Verein dadurch aud eine Einbuße 
erleivet. Diefer Berein bat nun die oben genannte „Preußiſche Schul: 
zeitung” zu feinem Organ gemacht. 

2. Berliner Blätter für Schule und Erziehung. Herausgegeben unb 


rebigirt von Dr. Ed. Bonnell, M. Fürbringer, W. Thilo. Berlin, 
A. Brauenig. 1866. 


Monatlide Correfpondenz zwiſchen Schule und Haus. Heraus 
gaben und zebigirt von Dr. Ed. Bonnell, M. Fürbringer, WB. Thilo. 
enbaf. . 


Beide Zeitfchriften traten am 1. October 1860 ins Leben. Haupt: 
redalteur war Thilo, ein Mann, der vor jahren derart in Dieſterwegs 
Geift dachte und arbeitete, daß er deſſen Schwiegerjohn werden konnte, 
dann aber fo völlig von ihm abfiel, daß er keinen Anjtand nahm, ungün: 
ftige Urtheile über diefen großen Mann zu fällen und zu veröffentlidyen. 
Diefterweg hat das oft recht ſchmerzlich empfunden. Wie mit feinen Büchern, 
fo hat Thilo aud mit feinen beiden Zeitfohriften fein Glüd gehabt. Die 
Gründe davon liegen auf der Hand. Einer berjelben ift, daß Thilo im 
dem Gefühle eigener Exrhabenheiten mit jouveräner Beratung auf Andere 
berabblidt und deren Wirken lieblos verurtheilt. Seine neueſte Schrift 
(„Breußifches Volksſchulweſen“) legt wieder Zeugniß davon ab. Wohin fo 
Etwas führt, das zeigt das Eingehen der hier genannten Blätter. Die 
Rheiniſchen Blätter haben nicht nur bis zu Dieftermeg’s Tode beſtanden, 
fondern werden auch noch nah deſſen Hinfcheiden mit liebevoller Hingabe 
fortgefeßt.” Die „Berliner Blätter‘ find ſchon nad fiebenjährigem, in den 
leßteren Jahren ſehr kümmerlichem Beltehen entſchlafen, ohne daß es Jemand 
bedauert. 





XIV. 


Die neneften Ericheinungen auf dem Gebiete 
des Sprachunterrichts. 


Betrachtet 
von 


Dr. K. Panitz, 
Oberlehrer an der Realſchule zu Leipzig. 


Auch auf die Gefahr hin, mich hier auf etwas ungewöhnliche Weiſe 
einzuführen, muß ich ausſprechen, was mich bei der Durchſicht der neuen 
Erſcheinungen auf dem Gebiete des Sprachunterrichts lebhaft befchäftigte. 

Es fehlt eine gewiſſe Zucht der Geifter in der päda— 
gogiſchen Literatur. 

Es ift ein ftarler Vorwurf, den ich damit der ganzen pädagogifchen 
Literatur made. Ich will mich näher darüber erllären. Wenn man die 
bidaltiihen und methodiſchen Arbeiten der lebten dreißig bis vierzig Sabre 
in ihren Hauptzügen und bei den hervorragendſten Männern überblidt, jo 
fann man auf die Meinung lommen, es feien nun dod die Hauptjachen 
Har und e3 fehle der Pädagogik überhaupt nicht an dem richtigen Willen, 
fondern an dem rechten Können ; es jei die Aufgabe der jegigen und nädh 
fien Zeit, die Reſultate der wiſſenſchaftlichen Betrachtung praktiſch zu ver: 
wertben; es ſeien die Hauptfragen der Gegenwart und nädften Zukunft 
äußere Organijationsfragen des Erziehungs: und Unterrichtsweſens. Ueber: 
blidt man aber die neueften Erſcheinungen in einem Unterrihtsfadhe und 
verfolgt man den inhalt der pädagogifhen Zeitichriften, jo empfängt man 
ftart den Cindrud, daß eigentlih alles noch fraglich jei, daß das, mas 
man längit für ausgemacht hielt, immer wieder angezweifelt werde. 

Woher kommt das? Iſt es Täufhung, wenn man fi dem Glauben 
hingiebt, die pädagogifhe Wiſſenſchaft habe in der Zeit eines halben Jahr⸗ 
hunderts und nad einer lebhaften Thätigleit etwas vor fi gebradt? Und 
wenn dies keine Zäufchung ift, woher kommt es, daß fo viele Erjheinungen 
in der pädagogifchen Literatur alle feit ftebenden Nejultate der Wiſſenſchaft 

85* 


548 Die neueſten Erfcheinungen auf dem 


als fihere Yundamente und feften Hintergrund vermifien lafien? Die fi 
mir aufdrängende Antwort war: Cs fehlt eine gewiſſe Zucht der Geifter 
in der pädagogischen Literatur. 

68 fehlt bei vielen, die das Feld ber Literatur mit neuen Erſcheinun⸗ 
gen bereichern, eine forgfältige, gewiſſenhafte Bemühung, vor allen Dingen 
erft das genau kennen zu lernen, was bisher geleiftet worden ift. Es febit 
die Gewöhnung, ſich logiſch und moralifc zu beugen unter das, was einmal 
Har und bewiefen ift. Es fehlt die Gewöhnung, der logifhen Nothwendig⸗ 
feit gegenüber das fubjective Belieben zum Schweigen zu bringen und ven 
Kigel und Neiz zu unterdrüden, den es hat, fi über das Klare und Feſte 
hinwegzufeßen und dem Echeine der Productivität und Neuheit nachzu⸗ 
laufen mit Reden und Anlämpfen gegen alles. 

Woher aber diefer Mangel an Zucht der Geifier, der auf feinem andern 
wiſſenſchaftlichen Gebiete in der Neuzeit fo um ſich gegriffen bat, als auf 
den Gebiete der Pädagogik? 

Cine Hauptſchuld trägt fiher die Reaction der fünfziger Jahre. Wenn 
man, wie es durch die Regulative geſchehen, grundfäglid der Vernunft ins 
Geſicht Ichlägt, wenn man Gründe und Beweiſe, ja alles Denten verböhnt 
und verjpottet und die Beobadtungen und Erfahrungen des gefunden 
Menſchenverſtandes verleugnet, wenn man mit irgend einer hohlen Phraſe 
alles jeither für gut und recht Erkannte auf den Kopf ftelit, was kann dann 
anderes die Yolge fein, als eine Zuchtlofigleit der Geifter ? 

Die Neactionsperide und die Negulativpädagogif haben nicht blos in dem 
Bereiche der allgemeinen pädagogijhen Grundſätze, jondern aud in dem der 
einzelaen Unterrichtsgegenftände, bejondere auh in der Metbovit des 
Sprahunterrit3 ihre DVerwüjtungen angerichtet. Wir werben bei Gelegen: 
beit weiter davon reden. 

An dem Mangel an Zucht der Geifter in der päbagogifchen Literatur 
trägt aber zweitens die pädagogiſche Kritik, mie fie feither von manden Seiten 
geübt worden ift, viel Schub. Man ſehe nur einmal die pädagogijchen 
‚ Beitfchriften an. Bon zehn erihienenen Schriften werben neun gelobt und 
höchſtens eine getadelt, während doch in der Negel acht zu tadeln und zwei zu 
loben wären. Auf keinem andern wiſſenſchaftlichen Gebiete wird die Kritik 
jo halb, jo zahm geübt, als in vielen pädagogischen Zeitſchriften. Es ift 
ſcheinbar jo human, nur höchſtens einen Wunſch leife anzubeuten, etwas 
nur fo anzujeben, als fünne man darüber auch anderer Meinung jein. 
Allein das Wohlwollen gegen den Einzelnen wird leicht zum Berbrecdyen 
an der Gefammtheit. Wenn der Kritiker felbft eine feſte Ueberzeugung bat, 
wenn ihm ein beftimmtes Maß vor der Seele fieht, wenn er weiß, was 
ſchon geleiftet worden ift, jo hat er die Pflicht, feinen Maßſtab anzulegen 
und auszujpredhen, ob ein Buch einen Yortjchritt im Ganzen oder Einzelnen 
anbahne, oder ob es alles beim Alten lafie, oder gar im Ganzen oder Gin: 
zelnen einen Rüdfhritt thue. Um etwaige perjönlihe Fragen oder Folgen 
bat er ſich natürlih gar nicht zu kümmern, er muß einzig und allein die 
Sache im Auge haben. 

Würde die Kritik immer in dieſer Weife geübt, fo mürde mandes 
Bud zwar nicht erfcheinen, in manchem würde aber dafür deſto befier, defto 








Gebiete bes Sprachunterrichts. 549. 


forgfältiger, deſto gewiſſenhafter gearbeitet fein, und der Gewinn würde den 
Berluft in der gefammten Literatur ſicher aufwiegen. 

Wenn der Lefer aus Vorftehendem erfehen kann, mie ich über Kritik 
im allgemeinen vente, fo will ich ihn auch gleich kurz ins Klare darüber 
jegen, nach welchem Maßftab ich bier im fpeciellen Falle, auf dem Gebiete 
des Sprachunterrichts urtheilen werde, 

Nah meinem Ermeſſen gelten in Betreff des Spradunter: 
richts in der Volksſchule jet folgende 


Grundſähltze, 
und zwar 
J. in Betreff des Zieles und Umfanges: 


Das Ziel des Sprachunterrichts in der Volksſchule iſt, 
den Schüler dahin zu bringen, daß er die neuhochdeutſche 
Sprache verſteht und mündlich und ſchriftlich richtig ge— 
brauchen kann. In der Hauptſache ſtimmen damit alle überein; in 
beſonderen, damit zuſammenhaͤngenden Punkten findet allerdings noch manche 
Verſchiedenheit der Anſichten ſtatt. Daher bedarf der Sat noch gewiſſer 
Specialifirung. 

1. Der Schüler foll die neuhochdeutſche Sprache verftehen und 
gebrauchen lernen. Die neuhochdeutſche Eprade ift eine mündlihe und 
ſchriftliche Sprache zugleih, fie lebt in Büchern und im Munde der Ge 
bildeten. Wenn fie aud nur in maßgebender Reinheit auf den Bühnen 
großer Etädte geſprochen wird, fo ift doch eine geringe dialektiſche Fär⸗ 
bung einzelner Laute, die fie bei den Gebilbeten. in verſchiedenen Gegenden 
annimmt, fein Unglüd, Ob das 6 in Gott etwas mehr oder weniger 
weich gefprodhen wird, darauf kommt nicht viel an. Gegen derartige pro: 
vinzielle Lautichattirungen kämpft die Schule mit ebenfo wenig Grund als 
Erfolg an. Wird in einer Gegend das ft von den Gebilveten rein geſpro⸗ 
hen, fo laſſe es der Lehrer auch in der Schule rein ſprechen, wird ed mehr 
wie ſcht geiprochen, jo ſpreche man es in der Schule aud jo. So lange 
niemand fagen kann, was recht und richtig ift, jo lange ift eben beides 
gleih richtig. Was der allgemeine Zug der Sprahentwidelung hervor 
bringt, das ift das Richtige, gerade fo wie jeden Tag das Wetter, das 
einmal ift, auch das richtige if. Die Schule kann den Zug und die Rich⸗ 
tung der Gntwidelung einer lebenden Sprache nicht verändern. Wir 
jprechen nicht ganz, wie wir fchreiben oder, wie es eigentlich beißen follte, 
— da die Schrift um der Sprabe, nicht die Sprabe um der Schrift 
willen da ift — mir ſchreiben nicht ganz, wie wir ſprechen. Das ift eine 
Thatfadhe, die der Lehrer anerfennen muß und der gegenüber er fih nicht 
durch jchulmeifterlihe Pedanterie, in der Ausſprache durchaus Schriftreinheit 
beritellen zu wollen, bervorthbun darf. 

2. Wir reden bier aber nur von der Sprache ber Gebilbeten und 
deren prowinziellen Särbungen, nicht aber von einem vollitändig veränderten 


550 Die neueften Erſcheinungen auf dem 


Lautlörper der Worte, wie er in dem Dialekte auftritt. Diefem gegen- 
über gilt der Sag: Die Schule hat die neuhochdeutſche Schriftfprade 
zu lehren. Wir haben durdaus nicht die Meinung des Seminarlehrers 
Dr. Süntber in Barby If. deflen unten erwähntes Deutihes Sprach⸗ 
braub ©. 214), welde dahin geht, es fei „die hohe Aufgabe eines evan⸗ 
geliihen Volksſchullehrers, daß er mit allen Kräften dahin ftreben foll, die 
Mundarten, wo fie von der Buchſprache abweichen, mit Stumpf und Stiel 
auszureuten, daß er die Lutherſprache, welche durch Bibel, Predigt und 
Gefangbudy dem Volle den Weg zur Seligfeit zeigen foll, zur einzigen, zur 
wirklichen Sprache des Volles erhebe. So jehr wir dem Bolle die Eelig- 
keit wünſchen, fo wenig jind wir dod davon überzeugt, daß dazu die 
Sprache Luthers unbedingt gehöre und daß ferner um dieſer willen die 
Dialekte müßten ausgerottet werden. Mit vderjelben Folgerichtigkeit könnte 
ja Dr. Günther audy verlangen, daß um der Lutherſprache und der Eelig: 
keit willen aud die Sprache der Clafliter des 18. und 19. Jahrhunderts 
ausgerottet werden müfle. Cine folhe Forderung wäre nichts Neues und 
fimmte ganz mit dem Geifte der Regulativpädagogit überein. Wenn aber 
um der Sprade Luthers willen vie Dialekte ausgerottet werden müßten, 
da müßten aud die fänmtlichen jebigen Bibelausgaben vernichtet werden, 
denn wenn Dr. Günther wirklich glaubt, daß die Sprache Luthers zur 
Eeligleit nothwendig fei, fo muß er einmal eine wirkliche Bibel Luthers, 
eine Ausgabe von Luthers eigener Hand, hervorfuhen. Cr wird dann 
finden, daß eine folde etwas anders ausjieht und lautet, als die jegigen 
Bibeln. . Wenn Dr. Günther nicht gleich mit der Seligkeit angerüdt käme, 
ließe fih vielleicht fagen, daß doch eigentlih die Schriftiprahe von dem 
Dialeft ausgegangen fei und aus ihm fortwährend ihr Leben bereichere, 
und daß aljo die Echriftfpradhe, die auf Ausrottung des Dialelt3 ausgehe, 
ein recht undankbares, ja graufames Kind fei, das feine Mutter tödten 
molle, obfhon es von ihr noch einen Theil der beften und fräftigften 
Nahrung erhalte. Es ließe fih jagen, daß die Schule im Gegentbeil auf 
den Dialekt binzumeifen babe als auf etwas zu Schonendes, daß der 
Dialekt durchaus nicht lächerlich oder verächtlich, fondern oft den Gefegen 
ber Sprache treuer fei, -ald die ſcheinbar vornehme und etwas fteif gemor: 
dene Schriftſprache. Es ließe ſich dies und noch "mehr dergleichen, worauf 
jeder, der etwas von der Geſchichte ver Sprache verfteht, von felbft kommt, 
bier jagen. Wo es fih aber um vie Seligleit handelt, kann natürlid 
jolhe Rede nicht verfangen. 

Mir find aber auch nicht der Meinung Heinrih Burgmardts, 
daß der Dialelt zur Grundlage und zum Mittelpuntte der gefammten Sprach⸗ 
und Volksbildung erhoben werden müſſe, weil eine derartige Hintenanfeßung 
ber hochdeutſchen Schriftfprade die zeitgemäße allgemeine nationale Bildung 
arg jhädigen würde. Mir glauben vielmehr, daß die Volksſprache und der 
Dialekt, wenn er in einer Provinz noch lebt, nur auf der unterfien Stufe 
der Volksſchule eingehende Berüdfihtigung finden dürfen, um das erfte 
Verſtaͤndniß der neuhochdeutſchen Schriftiprache zu vermitteln, da allein ber 
Sprachgebrauch des Kindes vor der Schule die Brüde zwiſchen den Bor: 
ftellungen des Lehrers und Schülers in der erften Schulzeit fein Tann. 


Gebiete des Sprachunterrichts. 381 


Wir halten es auch für gut, daß auf allen Stufen des Sprachunterrichts 
die Vollsſprache nach Laut und Begriff gelegentliche Berückſichtigung findet, 
um bem Schüler für diefe Ausprudsmeile ald ein Crjcheinungsgebiet, das 
ihm in feinem ganzen Leben mehr oder weniger auffällig entgegentritt, 
Sinn und Berftändniß zu öffnen. Allein wir glauben, daß der Mittels 
puntt des ganzen Sprachunterrihtd und die Grundlage und das Mittel 
des gejammten Unterrihts in der Volksſchule die neuhochdeutſche Schrift: 
fpradhe fein und bleiben muß. 

3. Bir müflen daher einem Hauptfaße der weiter unten erwähnten 
Schrift Dr. H. R. Hildebrands (vom deutſchen Sprachunterricht in der 
Schule) entgegentreten.. Diefer Sab lautet ©. 73: „Das Hauptgewicht 
follte auf die geſprochene und gehörte Sprache gelegt werden, nicht auf die 
geichriebene und gejehene‘‘. Er jagt zu deſſen Erläuterung ©. 92 u. folg.: 
„Das ſcheint feindlid auf die Schriftſprache zu zielen, dieſes unfer nationales 
Kleinod und die Hauptarbeit der Schule. Ich muß daher meine Meinung 
deutlich machen. Der jebt meilt geltende Satz, daß unfer gebildetes Deutſch 
eine Schriftſprache ſei und nirgends wirklich gejprochen werde, ift feinesmegs 
ganz wahr und doch in den Wirkungen feiner Webertreibung ſehr ſchaädlich. 
Wäre er ganz wahr, fo müßte ja unjer Deutſch eigentlich eine todte Sprache 
fein, meint das Jemand? Dann müßte es feit der Zeit feines Entſtehens 
als abgeſchloſſenes Ganze fih nur künftlih, aber im Ganzen unverändert 
fortpflangen, wie das Latein; wie verfchieden ift aber 3. B. das Bücher 
deutſch von heute und das von vor hundert Jahren. Noch vor ſechzig 
Jahren übrigens fagte man nit jo, noch Adelung bezeichnete dad Hoc 
deutſch vielmehr als eine Ausbildung der Mundart, die die gebildete Ges 
ſellſchaft in einer Provinz, wie man damals fügte, und zwar in Meiben 
wirklich Sprähe. Auch der Gab, den man jegt oft als unanfehtbar Außern 
bört, daß Luther fo zu jagen die neuhochdeutſche Sprache gemadt babe, 
ſcheint in dieſer Uebertreibung erft unferm Jahrhundert anzugehören. Freilich 
bat die gejchriebene und gebrudte Sprache und das Leſen weſentlich das 
nöthige Gefhäft vollzogen (aber nicht erſt jeit Luther), aus der unendlichen 
Yülle gleichgeltender und an und für fih im Ganzen glei guter Yormen, 
Wörter und Redensarten eine gewiſſe, immer nod gewaltige Menge auss 
zufdeiden und zu einem Ganzen zufammenzufchließen, das Alle gewijjermaßen 
als ihre Sonntagöfprahe neben der Werkeltagsſprache anerlennen konnten 
oder mußten, ſoweit fie an dem Segen der nationalen Bildungswelt Theil 
nehmen wollten. Aber e3 bat wenigitens bis ins 18. Jahrhundert und 
eigentlih doch auch heute noch fortwährend eine folde Wechſelwirkung 
zwilhen der Bücherſprache und der geſprochenen Sprache ber Gebildeten 
beitanden, daß die Bezeichnung des Neuhochdeutſchen als reiner Schriftſprache 
zu leinem Beitpunkte völlig zutrifft.” Wir ftimmen dem vollftändig bei, 
allein es folgt daraus durchaus nicht, daß die geſprochene, Sprade in ber 
Schule ein beveutjameres Object des Sprachunterrichts fein müſſe als bie 
Schriftſprache. Eben darum, weil die neuhochdeutſche Schriftſprache zugleich 
in der Hauptfahe die mündliche Sprade der Gebilveten ift, kann und foll 
fie Unterrihtsgegenftand fein. Die Abmweihungen der mündlichen Sprache 
von der jchriftlihen jollen weder ignorirt, noch mit pebantifcher Tyrannei 


552 Die neueften Erſcheinungen auf bem 


unterdrüdt und zurüdgewiefen, können aber unmöglih zum Hauptobject 
des Sprachunterricht3 erhoben werden, wenn diefer feinen oben angegebenen 
Zwed erreihen fol. Und fomweit die mündlide Sprache nicht abweidt, 
faut fie eben mit der Schriftſprache zufammen und ift mit dieſer zugleich 
Unterrichtägegenftand. Beſondere Gründe bat Dr. Hildebrand für feinen 
Sab nicht vorgebracht, denn was er in der weiteren Ausführung über 
Drthographie, Stil zc. jagt, enthält, jo wahr und ſchoͤn es auch ift, nichts 
davon. Und in der weiteren Belehrung (S. 107), wie es zu machen fei, 
daß der Satz praktiſch durchgeführt werde, wird es ganz klar, daß mündliche 
“ und fchriftliche Sprache gar nicht oder nur da getrennt werden fünnen, io 
die Nichtübereinftimmung beider zum Bewußtſein gebradht werben ſoll. 
Menn man, um das Sprahbemußtjein der Kinder zu fördern, auf die erſte 
finnlibe Bedeutung eines Wortes zurüdgebt oder Redeweiſen nad ihrer 
eigentlihen Bedeutung unterfuht ıc., jo bat man ed mit mündlidyer und 
jhriftliher Sprache zugleih zu tbun. Es fcheint überhaupt, als fei der 
ganze Unterjchied in der Weile und Betonung Dr. Hilvebrands für bie 
Zwecke des Sprachunterrihts mebr ein künftlih gemachter, als in Wirklichkeit 
bedeutungsvoler. Daß die PBetonung der mündliden Sprade fo viel 
beißen tönne, als follte jedes Wort und jede Wendung ber Bolls: und 
Umgangsipradye das Recht erhalten, in die neuhochdeutſche Sprade einzu: 
treten, wird Niemand wollen, denn damit wäre dem Beſtande und der Eins 
beit unferer neuhochdeutſchen Spradhe und Literatur, des ftärkften nationalen 
Bandes, ernitlihe Gefahr bereitet. 

4. In welchem Umfange die neuhochdeutſche Sprache in ber Volks⸗ 
ſchule gelehrt werden fol, darüber wäre kaum etwas zu jagen, wenn nicht 
in neuefter Zeit, hauptjählih von Seiten der Regulativpädagogen, ein gar 
zu geringes Maß, befonders für Landſchulen, gefordert worden wäre. Mein 
Grundſatz ift! Die Sprache unferer klaſſiſchen Literatur joll 
auch der Dorffchüler verftehben lernen. Damit iſt nicht gejagt, 
daß er auch die Sprache der deutfhen Philoſophen müſſe verftehen lernen, 
denn dieſe ift in der Regel (vielleicht Herbart und Schopenhauer partien 
weije ausgenommen) nicht Haffifh. Es ift aber damit gejagt, daß bie 
Bollsihule in keiner Meife einer verſchiedenen Schichten: und Ständebildung 
des Bolfes in die Hände zu arbeiten babe, denn eine foldye widerſtreitet 
den Zuge unfrer ganzen äußern und innern Gntwidelung in ver lebten 
Vergangenheit und in der Gegenwart. Etwas befremdend daher Hang mir 
der Sag in dem unten beiprohenen Schriften (Ziel, Umfang und Form 
des Unterricht in der deutſchen Grammatik für die Vollsſchule) von 
A. Richter S. 8: „Der Begriff „Mutterſprache“ in unjerer eben gegebenen 
Antwort bedarf alfo einer Beihräntung Man kann darunter nur den 
Wortſchatz und die Ausdrudsformen verftehen, melde dem Gedanlentreife 
derjenigen Menſchen entſprechen, welde in der Volksſchule ein ausreichendes 
Maß ihrer Bildung fi erwerben lönnen.” Zwar hebt Richter die 
praltiiben Folgerungen aus dieſem Satze wieder auf, wenn er ©. 9 fagt: 
„Wo freilich die Grenze zwifchen der Sprade des Volles und der Höher: 
gebildeten zu ziehen fei, das ift eine äußerſt ſchwer zu beantwortende Frage. 
3a, wir find fogar der Meinung, daß fie fih aufs Haar gar nicht 











Gebiete des Sprachunterrichts. 553 


beftimmen läßt und daß fie unter verſchiedenen Umſtänden eine verſchiedene 
fein kann. Oder dürften wir wirtlih in allen Theilen des Unterridhtö den 
zulünftigen Zagelöbner und Ackerbauer ganz ebenjo behandeln, wie den 
zulünftigen Bürger und Stabtverordneten, die doch Beide in einer Voltg- 
ſchule fi — menigftens der Regel nah — ihre Bildung erwerben?” aber 
ih glaube grundfäglich entgegen balten zu müflen, daß die Volksſchule 
weder den zukünftigen Tagelöhner, noch den zukünftigen Bürger und Stadt⸗ 
verorbneten in ihrem Schüler vor fi fiben ſehen darf, fondern den Men⸗ 
fen, und zwar den Menfchen, den das Bildungsideal der Gegenwart vers 
langt. Wenn der Lehrer eines Dorfes in feinen Knaben nur zulünftige 
Zagelöhner, Bauern oder Handwerker vor ſich fißen fieht, jo kann er, menn 
das Dorf nit gar zu weit von einer Stadt oder einer Gijenbahn liegt, 
heutigen Zages gewaltig irren. Das glaube ich wenigitend nad meiner 
Beobahtung des Lebens fagen zu müfien. Und bedarf übrigens der Land» 
mann ald Gemeindevertreter nicht eben jo viel ſprachliche Bildung, als der 
Stabtverorbnete? Es ift daher grundſätzlich feft zu halten: Die Vollss 
jhule bat überall fo viel zu bieten, als ein Kind mittel» 
barer Befähigung bis zum 14 Lebensjahre lernen kann. 
63 iſt fait jedes Biel eher etwas zu hoch als zu niedrig zu fteden, denn 
in Dirklichleit fommt man ja doch immer etwas unter dem Ziele an. 


II. Grundfäge in Betreff der Thaͤtigkeit des Sprachunterrichts. 


Die Thätigleit des Spradunterrihts ift eine breifahe. Gr bat 
die Sprache: 

1) mitzutbeilen, 

2) verfteben zu lehren, 

3) einzuüben. 

Es ift wohl kaum nöthig zu bemerken, daß die drei Arten der Thätig: 
teit des Spradunterrichts nicht nach einander auf verſchiedenen Unterrichts: 
ftufen, fondern neben einander auf jeder Unterrichtsſtufe ftatt 
zufinden haben. Es folgt daraus, daß der Lehrplan feitzuftellen bat, wie 
weit jede Art der Thätigleit auf jeder Unterrichtsitufe ſich eritreden foll. 
Freilich ift der Weg, den manche Sprachlehren noch einſchlagen, obgleidy fie 
den Titel „Schulbuch“ an der Stirn tragen, fehr bequem, nämlich erft eine 
Art Leſebuch voranzuftellen, einen Abriß der Grammatik, wo nad einander 
erft die ganze MWortlehre, dann die ganze Saplehre ꝛc. folgen, anzufcließen 
und mit einer bejondern Auffaß» und Stillebre aufzubören; allein damit 
ift bei den gegenwärtig geltenden methodiſchen Grundfägen und in Anbetracht 
der bereits vorhandenen Literatur nichts gewonnen. Wir haben gute Lefe- 
bücher, gute Grammatilen, gute Anleitungen zu ſchriftlichen Uebungen und 
Auffägen. Es kann ſich daher feiner ein großes Verdienft erwerben, wenn 
er von jeder Art Bücher eins auswählt und die drei ausgewählten ohne 
Weiteres als die drei Theile eines Buches zufammenpruden läßt. 

1. Der Sprahunterriht hat die Spradhe mitzutbeilen, 
Nicht blos in der Landſchule, fondern auch in der Bürgerjchule großer 
Staͤdte ift bei den meilten Kindern die Spraharmut gewöhnlich größer als 


554 Die neueften Erfcheinungen auf dem 


man glaubt. Nun dient zwar jeder Unterricht ber Sprachbereihenmg und 
jede Bereicherung des Wiflens ift eine Bereiherung der Sprade und man 
bat im SHinblid darauf mwobl gar einen bejondern Spradunterridyt für 
überflüffig erklaͤrt, allein nach richtiger pſychologiſcher Erkenntniß kann ber 
Unterricht Intereſſe und Aufmerkjamteit zu einer Beit immer nur für Eins 
verlangen, und wo das Intereſſe der Sache zugewenvet ift, muß das nterefie 
für das Wort zurüdtreten. Es kann daher fein Unterriht den befondern 
Sprachunterricht erfeßen, wenn aud bei allem Unterricht durch die Sorgfalt 
des Lehrers und der Schüler in der Sprache manches für ſprachliche Zwede 
geſchehen ann. 

Wenn fi) auch der Sprachreichthum des Einzelnen nad der Zahl der 
einzelnen Worte, über die er verfügen kann, abſchäten läßt, wie man in 
der That berausgerehnet hat, daß der Menſch in einfaden Verhaͤltniſſen 
recht wohl mit wenigen hundert Worten austommt, während Luthers Bibel: 
_Überfeßung über ungefähr 5000 und ein großer Dichter der Neuzeit viel 
leicht über 10 bis 15,000 verfügt, fo hat doch die Mittheilung der Sprade 
nicht als Mittheilung einzelner unzufammenhängender Worte zu geſchehen, 
aud wenn es fonft in der ausgedehnteften, kunſwollſten Weiſe vollzogen 
würde, jondern in zufammenhängender Rede, auf der unterjten Stufe wenig: 
ftens in Sägen; denn nicht das Wort in feiner Bereinzelung, fondern das 
Wort in feiner Verbindung mit andern enthält Leben und Bebeutung und 
wird zur Sprade. Mit den Worte muß feine Anwendung, oder befier, 
es muß das Wort gleich in feiner Anwendung gegeben werden. 

Die Mitiheilung der Sprache geſchieht durch Vorſprechen oder durch 
Beranftaltung, daß durch Leſen und Auswendiglernen die Sprade gewon⸗ 
nen wird. 

Ein gutes Leſebuch ift daher die Grundlage alles Sprachunterrichts, 
denn es ift das Magazin, worin die Sprache in mohlgeordneter Abftufung 
vom Seichteren zum Schwereren, in alljeitiger, aber durchweg reiner, klaſſi⸗ 
iher Form vorliegt. Die richtige, methodiſche Benutzung des Leſebuchs ifl 
auf jeder Unterrichtöftufe das erfte und mwichtigfte Geidräft des Sprachunter⸗ 
tichts. Wir können uns bier nicht weiter darüber verbreiten, wie gelejen 
werden muß, damit durch das Lejen die Sprade gewonnen wird. Da 
das richtige Lejen nur in Verbindung mit der zweiten Art der Thätigleit 
des Sprachunterrichts, der Erklärung und Bermittelung der Spracherkennt⸗ 
niß, gedacht werden kann, fo giebt das unter 2 Folgende hinreihendes Licht 
darüber. 

Nur ein Wort über das Auswendiglernen als Mittel der Sprach⸗ 
erwerbung fei noch gejagt. Wie oft ed aud ſchon hervorgehoben worden 
ift, daß befonderd das Memoriren guter, der Unterrichtsſtufe entiprechender 
Profa das beſte Mittel if, Sprache zu erwerben, jo begnügt ji) doch bis 
auf den heutigen Tag die Schule meilt mit dem Auswendiglernen von 
Gedichten. Allerdings hat das Auswenpiglernen profaifcher Stüde gewiſſe 
Shmierigkeiten, und wenn die Thätigleit des Lehrers dabei nur im Auf: 
geben und Ueberhören beftehi, kann es den Kindern zur furdtbaren und 
ziemlih unnüßen Qual werden. Wenn aber der Lehrer die Sache anzu⸗ 
faflen weiß, anfangs Meine Stüde auswählt, alles forgfältig erllärt, ven 


Gebiete des Sprachunterrichts. 555 


Gedankengang und die Verbindung der einzelnen Saͤtze hervorhebt und 
damit der einzelne Schüler fiebt, wie er es zu Haufe anzufangen hat, 
gleich felbft mit der ganzen Klafle ein Stüd memorirt, indem er Sag für 
Saß laut vorfpricht oder leſen und laut nachſprechen, nad dem zweiten 
Satze den erſten wiederholen läßt ıc., wenn er ferner das Auswendiggelernte 
nicht blos mündlich herfagen, jondern in der Schule aus dem Kopfe niebers 
f&hreiben, aber zu Haufe nad dem Gedrudten corrigiren läßt zc., fo. weiß 
id in der That, ich geftehe es offen, fein leichteres und befieres Mittel, 
um den Kindern Sprache beizubringen. 

Die Nothwendigkeit der Sprahmittbeilung begründet meines Erachtens 
auch den Werth der fogenannten analytifhen Methode neben ver fogenann» 
ten ſynthetiſchen. Wie fchon ein flühtiger Alid in die Sprahbüder nad 
fonthetifcher Methode zeigt, ift ein Hauptgebrechen dieſer Unterrichtsweiſe, 
wenn fie rein auftritt, daß in der Regel ein ärmliches, wo nicht gar triviales 
Material den Kindern zur Verarbeitung geboten wird. Wie man aber 
nicht eigen lefen kann von den Difteln, fo kann man auch nit Sprach⸗ 
reichthum dadurch erzeugen, daß man immer wieder den Sprachſtoff aus 
dem binreichend belannten Gebiete des niedrigften, alltäglihen Lebens vors 
legt, auch wenn man ihn in bundertfaden verfchiedenen Uebungen aus 
und umfchmelzen läßt. Ein Hauptgebredien unfrer rein ſynthetiſchen Sprach⸗ 
büder ift immer nod „ber feuchte Lehm, der weich ift“. Als Ders 
fechter der fionthetifhen und zugleih als Werurtbeiler der analytiſchen 
Methode ift in neuefter Zeit Georg Luz (f. das weiter unten genannte 
Buch: Der Sprahunterriht in der Bollsihule) aufgetreten. Ich babe 
Ihon oben als die dritte Haupitbätigleit des Sprachunterrichts die Sprachs 
übung bingeftellt und damit angedeutet, daß ich der ſynthetiſchen Methode 
auch ihr Recht angedeihen lafien mil. Ich meine, daß in der Sprade, 
wie bei jedem andern verwandten Gegenftande, der Unterricht überhaupt in 
einer richtigen Verbindung von NAnalyje und Syntheſe beftehbt. In der 
Borrede ©. IV. fagt Luz: „Der ſynthetiſche Lehrgang bat in Betreff 
feiner Fruchtbarkeit im Schulkreiſe feine Vorzüge vor der analytiſchen, Mode 
gewordenen, zeritreuenden Methode. — Das Analyſiren der Xefeftüde, wie 
ed befannte Methodiker vormachen, ift eine erfahrungsgemäß nur für einzelne 
fähigere Schüler wirkſame Lehrweiſe, ift dagegen für die Mehrzahl der 
Schüler ein Herreißen und Zerfetzen des Stoffes nach allerlei Seiten bin, 
niht ein Sammeln des Inhalts und feiner Erfaſſung. — Die Einführung 
in das ſachliche Verftändniß eines Stilftüds kann und muß einiadyer vor 
fich geben, ald Sprachſchriften und Mufterproben darlegen, damit die Aufs 
nahme des Inhalts dem Schüler auch nahe gelegt wird. Ich geftebe, 
wenn Luz nicht fhärfere Maffen in die Hand nimmt, wird er die analy= 
tiſche Methode nicht niederlämpfen. Der dritte Sag ift mir unverfländlich 
und ih laſſe ihn bei Seite. In dem erften Saße wird die analytiſche 
Methode eine Mode gewordene, zerftreuende genannt. Daß fie Move ges 
worden iſt, alfo eine große Ausbreitung erlangt bat, kann natürlich keinen 
Vorwurf gegen fie begründen, ſpricht im Gegentheil für fie. Daß fie nicht 
Mode geworden ift, wie ein Frühlingse oder Sommerhut Mode wird, der 
bente kommt und morgen gebt, weiß Luz gewiß. Sie hat fi in brei 


556 Die neueften Erfcheinungen auf bem 


Sabrzehnten nad und nah die Herrſchaft erlämpft und verbient daher nicht 
die Bezeihnung der Mode gewordenen, wenn bamit etwas Veraͤchtliches 
gejagt werden fol. Wenn fie ferner eine zerftreuende, ober wie im zweiten 
Sape, eine zerreißende und zerfeßende genannt wird, jo wird Luz zuge 
ftehen, daß Analyſiren, kunſtgerechtes Zergliedern (denn richtiges Analyfiren 
ift allerdings eine Kunft, wie Chemiler und Anatomen beftätigen werden) 
fih dodh etwas vom Zerftreuen, Zerreißen und Zerfeben unterſcheidet und 
nur in der Hand des ungeſchidten Lehrers dazu werden kann. Freilich hat 
ſchon Kellner felbit wiederholt darauf hingewieſen, daß die analptifdhe 
Methode tüchtige Lehrer vorausſetze. Wenn daher Luz E. 41 fagt: 
„Eine nambafte Zahl von Lehrern verläßt gegenwärtig dieſen Weg und 
bevorzugt auch in der Oberklaſſe (alfo au in den untern Klafien!) ven 
rein ſynthetiſchen Lehrgang ohne Anſchluß ans Leſebuch, deſſen Stoffe fie 
blos ſachlich (und ftiliftifh) — alfo doch! — behandeln, nidt grammas 
tiſch“, jo wäre das allerdings ein fchlimmes Zeugnik für den Lebrerftand, 
Allein wir müjlen nah unſrer Grfahrung die Thatſache beftreiten. In 
Preußen, Sadfen und Thüringen bat die analytiihde Methode in neuefler 
Beit eher Anhänger gewonnen als verloren, beſonders unter jüngern, ſtreb⸗ 
famen Lehrern. Die Alten und Bequemen — die analythifhe Methode 
verlangt allerdings faft für jede Unterrihtsftunde Vorbereitung — mögen 
das Geleid der reinen Syntheſe nur hinwandeln. Sie follen und nur nicht 
einreden mollen, fie feien maß: und tonangebend. 

Wenn fihb Luz auf die Erfahrung beruft und meint, die analytijde 
Methode fei unfruchtbarer als die ſynthetiſche und eigne ſich nur für fähigere 
Schüler, fo ift das eine Behauptung, der einfach das Gegentheil gegenüber 
geitellt werden kann. Es kommt eben darauf an, wie die Sache angefangen 
wird. Die Wahrheit ift jedenfalls die, daß, wie ſchon oben angedeutet, 
nur Analyje und Syntheſe in Berbindung das Rechte leiten. Wenn daher 
Luz der analytiihen Methode im obigen 2. Satze ferner vorhält, fie jei 
„nit ein Sammeln des Inhalts und feiner Erfafiung”, fo ift das ein 
völlig leerer Vorwurf. Mit demfelben Rechte lann man dem euer vor 
werfen, e8 ſei kein Waſſer, oder dem Addiren, es fei kein Gubtrabiren. 
Freilich ijt die Analyfe keine Syntheſe und foll es nicht fein. Aber daraus 
gebt dod nicht hervor, daß auf die Analyſe nit die Syntheſe folgen 
fönne und folle. — Da ih unten auf den ganzen Inhalt des Buches 
eingeben muß, will ich bier abbreden. 

2, Der Sprachunterricht hat die Sprache verfteben zu 
lehren. Es läßt ih ein dreifaches Verſtändniß der Sprache unter: 
Scheiben: 

a) ein grammatifches (logisches), 
b) ein biftorifches (etymologijches), 
c) ein äftbetifches (ſtiliſtiſches, rhetoriſches). 

Ich behaupte, daß jede der drei Arten des Verſtändniſſes in einem 
beflimmten Maße in der Volksſchule anzuftreben if. Ehe ih aber zu dem 
Beſondern übergehe, möchte ich doch über die allgemeine orberung, der 
Sprahuntersiht hat die Sprache verfieben zu lehren, etwas fagen. Ach 
glaube zwar, daß es audy noch heutigen Tages keinem, ber etwas von ben 





Gebiete des Sprachunterrichts, 557 


Geſetzen der Entwidelung des geiftigen Lebens und dem Wefen des Unter 
richts verftehbt und geneigt ift, die erftern anzuerfennen und dem lebtern 
zu dienen, einfallen kann, die Forderung im allgemeinen zu beftreiten, allein 
gewiffen Reden gegenüber, die durch die Regulativpädagogit in Umlauf 
gejeßt worden find, erjcheint ed immer gmwedmäßig, die Gründe für bie 
Forderung wieder ins Bewußtſein zu rufen. Die Kinder follen die Sprade 
gebrauchen, aber nicht darüber philofopbiren, fie jollen die Gedanken anderer 
verstehen und ihre eigenen mitteld der Sprache mündlid und fchriftlid dar: 
ftellen, aber nicht über die Sprache denken lernen, fie ſollen lefen und ab: 
fchreiben, naderzählen und aufichreiben, ja einen Brief, einen Kleinen 
Auffag abfaſſen, aber nicht wiſſenſchaftliche, gelehrte Studien, unnüge Haare 
fpaltereien und logiſche Klaſſificirungen an der Sprache treiben lernen. So 
ruft man uns zu, und das Elingt fo felbjtverftändlih, fo unverfänglid, 
daß man glauben könnte, ver „hohle Peftalozzismus’ mit feiner „leeren 
formalen Bildung‘ fei in der That eine unbegreifliche Verirrung geweſen, 
die das deutſche Schulmejen leider ein halbes Jahrhundert beberricht habe 
und nun glüdlicherweife in ihrer ganzen Blöße aufgededt und gebrandmarkt 
ſei. Allein nur langfam, ihr Herren! Ihr habt ja doch eure Weisheit 
nur von dem „hohlen Peſtalozzismus““ geborgt, und damit ihr febet, wie 
traurig ed um dieſen beſtellt ift, erllärt er ununmunden, daß er au 1868 
noch fein Wort von dem zurüdntmmt, was er 1848 gelehrt und gefordert 
bat. Er kann nun einmal von der Vernunft, von dem Denken nicht laflen, 
fein Wahlſpruch ift nun einmal: Cs foll nichts ohne Verftändniß gelernt 
werben. 

„Die Cinführung in das Berftändniß ift das Wichtigſte. Verſtehen 
bie Kinder ihre Mutterfprache nicht, fo verftehen fie überhaupt nichts, denn 
die Sprache ift die Vermittlerin aller Mittheilungen und alles Unterridhtes. 
Verſteht der Echüler den Lehrer, oder der Lehrer den Schüler nicht, dann 
ift alles Unterrihten umſonſt. Der Schüler hat dann Augen und fieht 
nicht, er bat Obren und hört nicht. — Man täufcht ſich ganz entfeßlich, 
wenn man glaubt, daß ein Schüler mit jedem Worte und jedem Ausprade, 
befien er fih mit Geläufigfeit bedient, aud ein klares und volles 
Bemwußtjein, Einſicht und Ertenntniß verbände; man braudt 
nur einmal der Sache auf den Grund zu geben und man wird finden, 
über wie wenig Vorftellungen der Schüler Deutlihleit und klares 
Bewußtſein verbindet.” (Fehr, Anmweifung zur Behandlung deutſcher 
Lejeftüde. 4. Aufl. ©. 9.) 

a. Der Sprahunterriht in der Vollsfhule hat ein 
grammatifhes Berftänpniß der Spradhe in einem beftimm: 
ten Maße zu vermitteln. Man follte meinen, daß beide Richtungen, 
fomohl die, welhe den ganzen Spradhunterriht in theoretiſch⸗-grammatiſchen 
Erklärungen und fih daran fchließenden fynthetiihen Uebungen aufgehen 
lafien, als auch die, welche allen grammatifchen Unterriht aus der Volks⸗ 
ſchule hinausweiſen will, von der wiſſenſchaftlichen Pädagogik ihr Urtheil 
empfangen bätten. Zrogdem kommen beide Richtungen immer wieder zum 
Vorſchein. Der erfteren neigt 3. B. Georg Luz, der legteren Albert 
Richter in den ſchon erwähnten Schrüten zu. Doch müſſen wir Luz 


558 Die neueſten Ericheinungen auf bem 


Gerechtigkeit widerfabren lafien und hervorheben, daß er nicht in ber Menge 
bes grammatiſchen Stoffes, fondern in der zwedmähigen Verarbeitung ders 
felben das Heil der Schule fieht. Seine Einfeitigleit liegt aljo nur darin, 
daß er in diefe Verarbeitung nad der Weiſe der Synthetiler den Schwer: 
punlt des Sprachunterrihts legt. Wir können ganz damit einverflanden 
fein, wenn er, um das Maß des grammatijchen Stoffes zu gewinnen, 
©. 44 fagt: „Alles grammatilaliihe Material, welches weder das Sprach⸗ 
verftändniß unzweifelhaft fördert und ſchärft, noch als eine fihere Stüße 
für den mündlichen und ſchriftlichen Spradausdrud. nod als ein im Allge 
mein erprobtes Heils und VBorbeugungsmittel gegen Sprad» und Schreib: 
fehler ſich ergiebt, mag die ländliche Volksſchule ausſcheiden. Gebobene 
Bollsfhulen lönnen und jollen dagegen mehr leiften und Mandes erörtern, 
erflären und durdarbeiten, was die Epradbildung der Schüler begünftigt, 
die Ginfiht in Nede und Schrift Eräftigt und thatfählih mehr wird, als 
nur grammatiſches Gedaͤchtnißwerk.“ 

Weit mehr zum Crtrem auf ber entgegengeſetzten Seite neigt ſich 
Albert Richter. Er erllärt, daß es für ihn gar feinen grammatifchen 
Unterriht in der Vollsſchule gäbe, wenn er nicht Schreiben und Yejen zu 
bemfelben rechnen dürfte, und daß es einen bejondern Unterricht in dem, 
was man gemwöhnlidy allein und vorzugsweiſe Grammatik nenne, nad) feinem 
Dafürhalten für die Vollsſchule nicht geben ſollte. Es folle wohl mandes 
von der Wortbildungs: und Flerionslehre in der Volksſchule gelehrt werden, 
aber nur nicht in bejonders dazu beftimmten Stunden ; es könne das befier 
nebenbei in der Schönfcreibftunde geſchehen! Wie fi eine ſolche Verbin⸗ 
dung mit dem wichtigen didaktiſchen Orundjage verträgt, die Aufmerkjam: 
feit der Schüler immer nur auf Eins zu richten, iſt fchwer einzuſehen. Daß 
nicht befondere Stunden für die Grammatik angejegt werden müflen, fon: 
dern das Grammatiſche in den Stunden, die für den Sprachunterricht im 
allgemeinen ausgemorfen find, behandelt werden kann, aud wenn dann 
zumeilen, bejonderd wenn ed zu wiederholen und zujammenzufafjen gilt, eine 
volle Stunde nur dem Grammatiſchen gewidmet würde, bebarf weiter feines 
Wortes. 

In Betreff der Weife, wie die grammatiiche Belehrung in ber 
Volksſchule zu betreiben ijt, gilt folgender Sag: Das Grammatiſche 
foll nicht fyftematifjh gegeben und akroamatiſch vorge» 
tragen, jondern bei BZergliederung der Mufterfiüde des 
Leſebuchs als Sinzelnes gefunden oderentmwidelt, von Zeit 
zu Zeit aber partieenmweifje zufammengefaßt werden. Dem 
grammatiſchen Unterrihte muß ein vollftändig auegearbeiteter Lehrgang (in 
den Händen des Lehrers) zu Grunde liegen. Diejer Lehrgang bat aber 
den Stoff niht nah den gewöhnlichen Theilen der Grammatik (Tautlebre, 
MWortlehre, Saplehre) auf die verſchiedenen Unterridteftufen zu vertbeilen, 
fondern bat für jede Unterricteftufe aus allen Xheilen der Grammatil ein 
folhes Penſum auszuwählen, daß der natürliche Fortſchritt vom Leichtern 
zum Echwerern in Betreff des grammatifchen Stoffes überall beobachtet, 
daneben aber den übrigen Seiten des Spradunterrichtö, befonders den 
Shriftlihen Arbeiten, Rechnung getragen wird, Lüben und Gnglien 


Gebiete des Sprachunterrichts, 559 


baben einen folhen Lehrgang in beſter Weile für allgemeinen Gebrauch 
geliefert; ich felbft habe einen (fiehe den unten angeführten Leitfaden) für 
eine vielllaffige (gebobenere) Bürgerſchule aufzuftellen verfuht. Bei guten 
Analptitern (Kellner, Kehr ıc.) liegt ein ſolcher Lehrgang den bei der Gr: 
Härung der Mufterftüde gegebenen grammatiſchen Belehrungen natürlich 
auch zu Grunde. Ich hebe es aber hervor, es iſt von größter Wichtigkeit, 
daß alle, die fich der analyt. Methode bedienen, für jede Seite der ſprachlichen 
Betrahtung, nicht blos für die grammatifhe, ebenjo für die Uebungen, 
die Ichriftlihen Arbeiten, einem auf's Sorgfältigite ausgearbeiteten Lehrgange 
folgen. Dann muß der Hauptvorwurf, den man der analytiiben Methode 
bis jebt mit mehr oder weniger Grund gemadt bat, fie erhebe die Unord» 
nung zum Grundfjag, bald verjtummen. 

Befonders erfreuli war e8 mir, Dr. Hildekrand in der erwähnten 
Abhandlung mit der fo eben bezeichneten Weife des grammatifchen Unter⸗ 
richts in der Hauptſache in Uebereinftimmung zu finden. Die betrefiende 
Stelle ©. 83 lautet: „Sch glaube, beide Wege Grammatik zu lehren, können 
für beide Theile anziebend fein, Anſchluß ans Leſebuch und jelbitändiger 
zufammenhängender Vortrag (Dr. Hildebrand denkt nicht vorzugsweiſe an 
die Vollsjhule). Jenes, wenn darauf gejehen wird, daß das Formelle 
immer vom Inhalte getragen wird, daß eine grammatijche Einzelheit, vie 
man außer ihrem Zufammenhange vorbringt, nidt als etwas für ſich Wich⸗ 
tiges erjcheint, ſondern fih anſchließt an das lebensvolle Ganze, dem fie 
anhängt und dient, daß fie als das erjcheint, was fie iſt, als Schale, nicht 
ale Kern, daß es beiläufig jammt dem Inhalte mit eingeheimft wird vom 
Schüler, wie ed ja im Leben auch vor ſich gebt mit dem Lernen. Der 
andere Weg aber wird fih feinem Ziele nähern, wenn dabei dem Edhüler 
der interefiante Zufammenbang deutlich werden kann (wenn aud mehr ge: 
füplt, als klar überfehen), indem da jede Einzelheit fteht, d. b. der, in dem 
fie urſprünglich erwachſen ift; nöthig find dazu freilihd Weijpiele, deren 
Inhalt den Schüler wirklich interefiirt, am liebjten aus feinem eigenjten 
Leben; denn bei der Gelegenheit etwa andere Kenntniſſe mit einprägen 
zu wollen, it ein Mißgriff, der die Aufmerljamleit ablenkt, ftatt fie auf 
dem einen Punkt zu ſammeln. Es giebt aber nod einen dritten 
Weg, der zwiſchen beiden bindurd führt, daß man beim Lejen 
eine Ginzelheit aufgreift und ihren nädhften Zuſammenhang aufzeigt, ſodaß 
das große grammatijhe Ganze partieenweile nad und nad) den Schülern 
vor die Augen tritt, ein Weg, den ich aus Gewöhnung bejonders liebe; 
er vereinigt die Vorzüge beider, den Schuler nie in jene abftracte Region 
binaufzubheben, in der er nicht lange athmen kann, und doch ihn den Reiz 
der reinen Zorm ahnen, gleihjam vorſchmeden zu lafien. Fürdte Niemand, 
daß aus dieſem ſtüdweiſen Vorbringen fein Ganzes werde, weder im Lefen, 
noch in der Grammatik. Die bei der grammatiſchen Grörterung etwas 
verrauhte Wärme für den Inhalt laßt fi ganz leicht wieder berftellen, 
wenn fie einmal da war. Was aber die Grammatik betrifft, jo hängt fich 
der Begabte von jelbft an einen allgemeinen Gedanken und fucht feine 
Zufammenhänge, der Durchſchnittsſchuler aber hört auf dieſe Weije das 
Wichtigere, die Grundgedanlen öfter.‘ 


560 Die neueſten Erſcheinungen auf bem 


Auf alle Nebenfragen, die den grammatiſchen Unterricht betreffen, kann 
ich natürlich bier nicht eingeben. Nur die Frage über die grammatiſchen 
Bezeichnungen und Stunftausprüde will id noch berühren. Es haben mandye 
eine Stärle darin gejuht, fie wegen ihrer Mannigfaltigteit zu ſchmaͤhen, 
und haben es für das befte Ausktunftsmittel gehalten, fie fammt und jonders 
über Bord zu werfen. Ich glaube, beides iſt verfehlt. Ich halte erfiens 
die hauptſächlichſten grammatiſchen Bezeichnungen und Kunftausprüde auch 
in der Volksſchule für nothwendig, ja für zeitjparend, und zweitens ſehe ich 
in der Mannigfaltigleit der deutſchen Bezeihnung fein großes Unglüd, habe 
aber aud nichts gegen die lateiniiben Namen, wenn einem die deutſchen, 
aud die weit verbreiteten Beckerſchen, nit zujagen. Daß gleichartige Er 
ſcheinungen unter einem Namen zujammengefaßt werden, ift in aller Wiflen: 
ſchaft jo felbitverftänplid, daß man billig fragen darf, warum es nit auch 
in der Grammatik fo fein ſolle. Oder follte in der Botanik deshalb fein 
Name gegeben werben, weil die Namen vieler Pflanzen in den verſchiedenen 
Provinzen Deutſchlands verſchieden lauten und ein lateinifcher Name zu 
gelehrt Hänge? Beitimmte Worte und Definitionen find überall den wech⸗ 
jelnden Umjcpreibungen vorzuziehen, denn leßtere mahen auch Sade und 
Begriff untlar. Der Cchreden vor einem lateinifhen Runftausprude wird 
weſentlich dadurch gemindert, dab man beventt, wie viele grammatische Be: 
zeihnungen auch fonft als gewöhnliche Fremdwörter vorlommen und daß, 
wie nun unjere Gulturverhältnifie einmal find, auch der gemeine Mann, 
jobald er eine Zeitung lieft, oder in Berührung mit den fogenannten Ge 
bildeten fommt, dies und jenes Fremdwort verjteben muß. Giner Kluft der 
Stände und Lebenskreiſe hat die Volksſchule auch in dieſer Hinficht ficher 
nicht Vorſchub zu leiſten. 

Wenn ich oben in der Weberjchrift angedeutet habe, daß der gramme- 
tiſche Unterricht au die logiſche Seite der Sprade berüdfidhtigen folle, 
jo möchte ich das nicht mißverjtanden wiſſen. Allervings ift die Grammatik 
einer Sprache nicht anders anzujehen, ald etwa ein Syſtem eines Zweiges 
der Naturwiſſenſchaft. Wie dieſes hat auch die Grammatik die wirklichen 
Erſcheinungen zu jammeln, zu ordnen und durch Zuſammenſtellung des 
Gleichartigen die Negel zu gewinnen. Sie darf dabei durchaus nicht von 
der Vorausſetzung ausgeben, als fei die Grammatik die vollendete Anwen: 
dung oder der volltommene Ausdrud einer Logil. Aber da die Sprade 
Gedanlen ausdrüdt, jo ift es ftet3 eine anziehende und das Denken fehr 
anregende Unterjuhung, zu erforſchen, wie die Sprache gewiſſe Verhaͤltniſſe 
der Gedanken wiedergiebt. Wenn 3. B. Albert Richter (a. a. D. 
S. 13) jagt: „Ober meint man etwa wirklich, der Schüler werde zwei 
Saͤtze um fo leichter richtig zu verbinden wiſſen, je bejler er auswendig 
gelernt hat, welche Bindemwörter zu ben beiorbnenden, welche zu den unter 
orbnenden und melde zu den begründenden gehören?” jo ift ibm einzu- 
halten, daß man, wenn man die verſchiedenen Functionen der Bindemwörter 
entwidelt, es nicht direct auf den praltiihen Nutzen für den Satzbau abzu⸗ 
ſehen braudt, fondern daß ſchon die Belehrung über die Gedantenverhält: 
nijje der Yortjegung, Entgegenfegung und Begründung an fi) Selbftzwed 
fein kann. Die Klarheit in den Gedanken, vie Einſicht in ihr Verhältniß 








Gebiete des Sprachunterrichte. 561 


sub nothwendigerweiſe die Klarheit und Ordnung in der Darftellung nad 
fih ziehen. Würde alſo der fpradliche Nugen nicht direct, fo würde er 
wenigſtens imdirect erreicht. Allein in vielen Fällen läßt fi auch ber 
directe ſprachliche Nutzen burkaus nicht wegleugnen. Go bat gewiß 
4. Richter für feine Meinung die Conjunctionen als unpafiendes Beiſpiel 
gewählt, denn für ftiliftifhe Zwede ift es durchaus erforderlich, daß der 
Schüler deutlich darauf bingewiefen werde, daß zwifchen dem und und 
aud, dem aber uns doch und dem weil und baber ein be 
ftüamter Unterſchied beſteht. Auf das Spracdhgefühl, deſſen Werth ich fonft 
ſehr gern anestenne, ift in ſolchen Dingen felten Verlaß, und wäre barauf 
Berlaß, fo ift doch ein zum Bewußtſein erhobenes Gefühl ein beſſerer Führer 
als ein Gefühl ohne klares Bewußtſein. 

Es mag wohl fein, daB manche die Sprachdenklehre ſoweit treiben, 
daß die Sprache in den Hintergrund trat. Allein in neuefter Zeit ſcheint 
es doch, als follte im Eiſer gegen die Sprachdenklehre das Find mit dem 
Bade audgefchüttet werden. Die Sprachlehre ift zugleih Denklehre und 
ohne Dentlehre ſoll keine Schule, auch die Boltsfchule nicht fein. Es kommt 
nur darauf an, daß der Lehrer fie zu treiben verftebt. Vergleiche hierzu: 
„Die Bildung des Denkens‘ im 1. Hefte des 2. Jahrganges der „Leipziger 
Blätter für Pädagogik”. 

b. Der Sprahunterriht in der Bollsfhule bat ein 
bifkorifhes, etymologiihes Verſtändniß der Sprade in 
einem befimmten Maße anzuftreben. Damit ift nicht gejagt, daß 
ver Lehrer der Vollsfchule feinen Schülern die Entwidelung ber beutjchen 
Eprade von dem Mittels oder Althochdeutſch oder gar von ben Sanskrit⸗ 
wurzeln an darlegen foll, ſondern bamit ift nur gejagt, daß ber Lehrer 
fo viel ald möglih auf die urfprüngliche finnlide Vorſtellung, auf bie 
wirtlihe Bedeutung eines Wortes oder einer Rebensart, foweit biefe Bes 
deutung ſich noch in ber gegenwärtigen neuhochbeutihen Sprache erkennen 
und verfolgen läßt, zurüdgeben müfle, um ein rechtes Sprachverflänpniß zu 
erzielen. Ich glaube allerdings, daß viele dieſe Forderung weder recht bes 
grien noch erfüllen können, meil ihnen jelbit ein derartiges Berftänbniß 

der deutihen Sprache noch »öllig abgeht. Denn wer da glaubt, daß man 
mit der berlömmlihen Wortbildungslehre, mit der üblichen Lehre von ber 
Ableitung und Bufammenjekung der Worte, ein wirkliches etymologiſches 
Berſtaͤndniß der Sprache erreichen könne, dem ift ein hinreichendes Bes 
wußtſein der Sprache noch nicht aufgegangen. In dieſer Hinſicht trete ich 
ganz Hilhbebrand bei, wenn er (a. a. D. ©. 114) ſagt: „Rein Lehrer 
dürfte mit deutſchem Unterrihte betraut werden, der nit 
Bas Reubohpdeutfh mit gefhihtlihem Blide anſehen kann. 
Die Kbhülfe if auf ven Seminarien und Univerfitäten zu ſchaffen, daß 
per künftige Lehrer endlich Nutzen ziehen könne won den gewaltigen Arbei⸗ 
ten der deutſchen Sprachwiſſenſchaft, nicht bamit er Altveutich lerne, aber 
daß er das Neuhochdeutſch richtig und nicht mehr ſchief anfehen lerne, und 
das gebt nun einmal nicht ganz ohne Altveutih. Wenn in Preußen barin 
hen jest für die Bymnafien und Realſchulen endlich Vorkehrung getroffen 
werben ift, fo ſcheint mir Das eben fo nötbig ober noch nöthiger für die 

Bar. Jahreſbexicht. ZIX. 36 


vv 


662 Die neueften Erſcheinungen cuf dem 


Seminarien, daß auch die Kinder der Vollsſchule, alſo das Voll, wleber 
reine Freude und vechte Frucht haben koͤnnten von dem Hauptſtoffe ihrer 
Bildung. An der praktiſchen Behandlung und Nußbarmachung der alt 
deutihen Studien für die deutjhe Schule fehlt es freilich noch gar fehe.” 

Gewöhnlich wirb die Etymologie oder Wortbildungslehre als ein Theil 
de Srammatit betrachtet. Natürlich herrſcht dabei die Nüdfiht auf das 
Formelle, auf die Lautgeftaltung vor. Die obige Forderung betont aber 
das Verſtaͤndniß des Inhaltes der Wort: und Redebildungen, das Ber: 
fänonib des Wandels und Wechſels der Vorftellung neben und mit dem 
Wandel der äußern Wortform, weil nur mit dieſem Berflänpniß eime 
Einfiht in das Leben der Sprade gewonnen wird. 

c. Der Sprahunterriht in der Volksſchule dat ein 
aſthetiſches (ftiliftifhes, rhetorifches, metrifhes) Berſtänd⸗ 
niß der Sprade in einem beftimmten Maße anzuftreben. 

Es ift bier manderlei unter dem Ausprud „äfthetilches Verſtaͤndniß“ 
zufammengefaßt, und ich leugne nicht, daß er für manches nicht recht zu- 
treffend erſcheinen kann. Ich wollte die Sache nicht zu ſehr fpalten und 
fand einen beflern Geſammtausdruck. Ich babe ihn beſonders deshalb 
gewählt, weil er auch da, mo er ſcheinbar am wenigften zutrifft, doch auf 
die Seite hinweift, die nad meiner Anficht für die Volleſchule die wich⸗ 
tigfte if. So zunächſt bei der fogenannten Aufſatzlehre. Ban lönnte 
meinen, bier hätte e3 bie Bollsfhule nur mit einem Bedürfniß des prob⸗ 
tifhen Lebens zu thun, Briefe, Rechnungen, Quittungen, Contracte ze. 
mäfle bier die Volksſchule fchreiben lehren, und da fei die einmal gebräude 
liche Form, nicht irgend ein aͤſthetiſches Geſetz das Maßgebende Ich dabe 
nichts dagegen, wenn der Lehrer bei Gelegenheit auch vie Schüler auf wie 
äußere Form eines Briefes hinweiſt oder das Formular einer Rechnung, 
Quittung ıc. mittheilt, aber ich glaube, dab die Hanptjahe immer bas 
Schreiben (der Stil) felbft bleiben muß und daß man da, we bie Ginkbung 
der Geſchaͤftsformen des Lebens ganze Klaſſen ober Linterrichtsftufen hin⸗ 
durch ale das Wichtigite getrieben wird, auf Irrwegen if. Mer 
einmal deutſch fchreiben kann, dem fliegen die fchriftlichen Formen des prab⸗ 
tiſchen Lebens, melde er einmal braucht, dann, wann er fie braucht, fa 
von jelbfi an. Jeder Kreis des wirklichen Lebens bat Seine befondem 
Formen, der Handwerker feine Rechnungen, der Kaufmann feine Geſchäſts 
briefe, der Juriſt jeine Vertragsformel x. Wirft fih die Schule darauf, 
jeden Schüler in diefer Hinſicht für alle Lebenskreiſe praktiſch vorzubereiten, 
fo treibt fie etwas ſehr Unnüges und Ueberfläffiges, da in der Regel einer 
ihrer Schüler immer nur in einem Lebenstreife ſich zulünftig bewegen wire. 
Sie treibi aber auch etwas jehr Schaͤdliches, demn fie läht ben Schäfer ſich 
mit Dingen und Formen abmüben, bie feimem Interefſe fern liegen und 
für ihn leeres Stroh find, und läßt das in einer Beit, die gang ver 
Sprachbildung jelbft gewidmet fein follte. 

Selbftvertänplih find in der Volksſchule Stiliſtit, Khetorik und Yin 
fodie nicht im Zuſammenhange in befonderen Stunden gu behandeln, ſondern 
«6 ſind die nothwendigen Belehrungen bei ber Berglisberung der "Lejeftäde 
amd bei der Borbeseitung und Burüdgabe ber fchriftlichen Arbeiten ang 





Gebiete des Sprachunterrichts. 663 


beingen. Was und mie viel notbwendig iſt, läßt fih hier nur im 
allgemeinen andeuten. Was für das richtige Verſtaͤndniß der profaifchen 
und poetifchen Stüde und, für bie fehriftlihen Arbeiten der Schüler nicht 
fchlechterbings erforderlich ift, lafie man rüdfichtslos bei Seite. Bor allem 
aber auch jei man anf der Hut, daß man nicht über das Berflänpniß ber 
Shüler hinaus rede. Man glaube ja nicht, die Schüler müßten die Sache 
verjteben, da fie fo andädhtig zubörten. Wenn fie morgen das nicht foei 
reproduciren können, wovon du heute geſprochen haft, fo haben fie dich 
aud heute nicht -verflanden. Mache ja immer dieſe Probe, wem du gewiß 
fein willſt, daß du der Faſſungskraft der Schüler gemäß rebeft. 

Ich babe wohl kaum anzudeuten, daß für die Volksſchule das Ges 
heimniß der ganzen Stillehre in dem Dringen auf einfachen, leichten Gabe 
bau liegt. Der einfahe Sagbau ift der moderne umd echt deutſche, der 
lange, periodiſche Sapbau ift der gelehrte, der lateinifhe oder fogenannte 
Haffifche, aber eigentlich undeutſche. Die Volksſchule hat fib an das Volles 
thümliche zu halten. Der einfache Satzbau ift aber zugleich ein wichtiger 
Schuß gegen allerlei Gedankenfehler, gegen Unklarheit, gegen pas Gefallen 
an Wortfluß und Wortſchwall, das jo leicht das firenge Achten auf den 
dahinter liegenden Gedanken vergift Die Volklsſchule fol wohl den ge: 
fehrten Satzbau mit feinen Formen der Gruppirung, des Gegenjaßes, der 
Steigerumg ꝛc. verftehen lehren, ſelbſt üben aber foll fie nur möglichft ein» 
facyen Sagbau. 

Mas eine richtige Definition, eine Erllärung und eine Umſchreibung, 
wie eine richtige Anordnung und Eintheilung zu treffen, was ein Grund 
und eine Folge, ein Widerſpruch und eine Wiederholung, ein Gegenfa und 
ein Gegentheil, eine Steigerung und eine Abſchwächung ift, das und noch einiges 
vergleichen muß ein Schüler in der obern Abtheilung einer Volksſchule auch 
lernen, ohne daß der Lehrer mit gelehrten, logiſchen und rhetoriſchen Kunſt⸗ 
ausdrüden um fich zu werfen braudt. Beſonders muß er einen eigent- 
lien und unteigentlichen, bilvlihen Ausprud zu unterjcheiten und auch 
anzugeben wiflen, worin das Bild lieg. Von Metapher, Synecbode und 
dezgl. braucht natürlich dabei nicht die Rede zu fein. 

Was aus der Pıpfodie oder Metrit in die Volksſchule gehöre, ift 
leicht zu jagen. Allerdings ſcheint no die Meinung mander — wie aus 
ihren Lehrbuchern zu erſehen, bie angeblih den ganzen Spradunterricht 
umfaflen — die zu fein, daß gar nichts davon in die Volksſchule gehöre, 
Wer aber nicht alle Poefie, alle poetiſchen Stüde aus dem Leſebuche und 
aus der Volksſchule hinausweijen will, der muß confequentermweife fi auch 
zu dem Wenigen verjieben, was wir in dieſer Hinfiht von der Volksſchule 
verlangen. Das Weſen der Poefie berubt ja, wenn auch nicht ganz, mie 
einige meinen, jo doch zum Theil in der Form. Ein gewiſſes Verftänpniß 
der Form ift darum für das rechte Verftänpniß der Poeſie unerläßlich. 
Die Arten der Betonung und der Gilbenlänge, Jambus und Trochäus, 
Anapäft und Daktylus, männliber und weibliher Reim, Vers und Strophe, 
Die Haupkarten der Dichtung und weniges andere, das gehört zum Verſtaͤndniß 
der poetifhen Formen. Ich halte es fogar nicht für ungwedmäßig, wenn 
eimmal der Lehrer eine halbe Stunde daran wendet und mit der ganzen Klaſſe 

36 * 


564 Die neueſten Erfcheinungen auf dem 


verſucht, ein paar Verſe na einfacher Form, vielleiht mit Bugrundelegung 
eines profaifhen Stüdes zu fertigen. Faͤhigeren Ecülern gebt da auf 
einmal ein Licht auf, daß fie das fcheinbar jo Wunderbare auch vollbringen 
tönnen. Der Lehrer bat ſich natürlich mit der kürzeften, ein oder böchiiens 
zweimaligen Anleitung zu begnügen, aber er kann ſchon damit etmas 
anregen, was doch in gewiſſem Zujammenhange mit ver Liebe zur Boefie 
fteht und im fpätern Leben oft auch in niedrigen Berhältnifien nicht bie 
fhledhtefte Unterhaltung, ja ein Mittel ver Hebung des ganzen Menſchen 
werden kann. Die Volksſchule hat fih in der Regel an die große Mehrzahl 
von mittlerer Befähigung zu wenden. Sie bat aber manche Stunde den 
Schwachen zu winmen und begeht darum fein Verbrechen, wenn ſie aud) 
einmal den Fähigeren eine halbe Stunde gönnt. Der Lehrer fei auch in 
diefer Hinficht kein engberziger Pedant! 


IH. Der Sprachunterricht in der Volksſchule Hat die 
Sprache einzuüben. 


Die Hebung kann eine mündlihe und ſchriftliche fein. Aller Unterricht 
fann und joll die Sprache üben, auf zujammenbängendes, lautes, deutliches 
und corrected Sprechen der Schüler halten. In den zwei erften Schul⸗ 
jahren, wo noch Leine bejonderen Spradhunterrichtsitunden angejeßt werden, 
ift auf die münblihe Uebung, auf Bor: und Nachſprechen, auf die Ein: 
übung und das Herjagen der Gejhichthen und Berschen das Hauptgewidt 
zu legen. In den mittleren und oberen Klaflen befteht die befondere 
mündliche Uebung der Sprache in dem Vortrag und in der Deklamation 
des zu diefem Zwede Memorirten. . 

Für die ſchriftlichen Uebungen der Sprache in ber Bollsichule gelten 
folgende Grundſatze: 

1) Die Ichriftlichen Arbeiten follen auf allen Stufen Nachbildun⸗ 
gen fein. 

In den unteren Hafen (3. und 4. Schuljahr) find vorzugsweiſe 
Sapbildungen (Deflinationg: und Gonjugationsübungen enthaltend) und 
gtemlich wortgetreue Naherzählungen am Orte. 

In den mittleren Klaſſen (5. und 6. Schuljahr) find neben Sagbil, 
dungen (die Pronomen und Conjunctionen behandelnd) freiere Nacherzählun. 
gen und leichte Beſchreibungen zu fertigen. 

In den oberen Rlafien (7. und 8. Schuljahr) find Beihreibungen, 
erflärende Beiprehungen und einfache gejhäftlihe Aufjäge die zwedmäßig: 
ften Arbeiten. Alle jogenannten freien Arbeiten haben nur die Uebung ver 
ſprachlichen Form als Hauptzwed feftzuhalten, der Stoff ift auch auf ber 
oberften Stufe der Volksſchule zu geben oder als befannt vorauszuſetzen. 

2) Beſondere Uebungen der Orthographie und Snterpunction find anf 
feiner Stufe anzuftellen. Es ift ſchon von der unterften Stufe an darauf 
zu halten, daß jedes Mort richtig gejchrieben wird. - Was ſich von ber 
Orthographie in Regeln fallen läßt, ift an ber entipsechenden Stelle des 








Gebiete des Sprachunterrichts. 565 


Grammatil (in der Laut: und Wortbildungsiehre) zum Bewußtfein gu 
bringen. Die Interpunction wird mit der Saplehre gelehrt. 

Denn auf den unterfien Stufen das Wbfchreiben nicht blos zur 
Shhreibs, fondern zur Sprahübung werden foll, fo ift es mit draloniſcher 
Steenge zu überwadhen, wenn e3 in biefer Hinficht irgend einen Nutzen 
baben fol. 

Es find noch mandherlei Dinge, die bei den fchriftlihen Uebungen in 
Betracht kommen, auf die ich aber für diesmal nicht eingeben kann, Nur 
bei einer, fchon oben berübrten Hauptſache möchte ich nody etwas verweilen. 
Es betrifft die fogenannten freien Arbeiten. Ich babe oben bemerkt, daß 
wer Stoff zu denfelben auch auf den oberften Stufen zu geben oder als 
befannt vorauszufegen if. Es fcheint mir dies die jeßt allgemein giltige 
Anfiht zu fein. Ich glaube nicht übergeben zu dürfen, was Hildebrand 
(a. a. ©. S. 107) darüber fagt. Nachdem er fi gegen die moralifirenden 
und phllofophirenden Ihemen’ erflärt bat, fährt er fort: „Aber au Aufs 
gaben mit ſolchem realen Inhalt, den der Schüler eben erft gelehrt belommen 
bat, dienen dem eigentlihen Ziele nicht, obwohl fie fonft nicht ohne Nutzen 
find; da wird die wichtige deutſche Arbeit zu leicht erniebrigt zu einer 
Gedaͤchtnißprobe, der Schüler hat Dinge binzuftellen, die noch nicht Wurzel 
gefaßt haben in feinem Ich, die Gefahr des Abjchreibens tritt ein, das alle 
Selbftthätigteit zu nichte macht und dem Schüler die Selbftahtung knickt 
und das Selbftvertrauen. Ya wenn man an dem realen Stoffe irgend eine 
Geite, einen Punkt finden kann, von dem anzunehmen ift, daß er den 
Schüler zum Selbfiventen angeregt bat, jo daß feine eigenen Gedanken zu 
Tage fommen! Die Schüler denten und fühlen aber bei allem, das fie 
gelehrt befommen, etwas Cigenes in fih, und in diefen ftillen Gefühlen 
und Gedanten, die neben denen des Lehrers heimlich nebenher laufen, fißt 
das Ich des SchHlers, das zu bilden ift, darin fißt die Zulunft des Schü⸗ 
les, und da hinein zu greifen mit orbnender Hand, das ift die hoͤchſie 
Aufgabe des Lehrers. Das und das allein ift auch vie wahre Aufgabe 
der Stilübung: erft den eigenen Inhalt der Schülerfeele heraus zu loden, 
und daran die Yorm zu bilden. Am beiten gelingen dann aud folde 
Arbeiten, nad meiner Erfahrung um wenigſtens 308 befier ald andere, in 
denen man die Schüler etwas erzählen und frei geftalten läßt, was fie felbft 
erlebt und erfahren haben.” Gewiß bat bier der Berfafler zunädft vie 
höheren Schulen im Auge und es fragt fi, ob feine Worte auch auf die 
Elementarfhule Anwendung finden können. Ich bin nicht geneigt, e8 unbes 
dingt zu verneinen, daß auch in dieſer, wenigitens in den oberen Klaſſen, 
die Themen parauf ausgeben können, die eigenen Gedanken der Scüler 
berauszuloden. In manden Stüden und über manche Gegenftände können 
auch 12> bis 14jährige Kinder eigene Gedanken haben und zum Ausbrud 
bringen. Allein die große und ſchwere Kunſt des Lehrers wird immer bie 
fein, folhe Gegenſtaͤnde für Themen zu ſchriftlichen Arbeiten zu finden. Es 
gehört ein vollſtaͤndiges Sichhineinverfepen in den Gedankenkreis der Kinder 
dazu, um zu wiflen, von mweldem Punkte aus fie auf Grund ber eigenen 
Erfahrung und Beobadtung felbftännige Gedanken erzeugen können. Es 
tegt nad allgemeiner Erfahrung immer die große Gefahr fehr nahe, daß 


666 Die neueften Erſchelnungen auf dem 


ber Lehrer fi täufcht und bem Kindern weit mehr zumuthet, als fie leiften 
fönnen. Dann aber werben die fogenannten freien Arbeiten zu einer 
Geelenqual der Kinder und enthalten bei näherer Einſicht nichts weiter als 
eine Anzahl mũhſam zujammengeftoppelter, bie und da aufgeſchnappter ober 
aufgelejener Gedanken. Die Regel wird nad meiner Anficht in der Bolts- 
ſchule daher immer die bleiben müfjen, daß zu den ſchriftlichen Arbeiten auch 
in der oberen Klaſſe der Stoff zu geben oder nad früherem Unterrichte 
vorauszufeben ijt. 


Die eingegangenen Schriften in Betreff des Spradunterrihts will ich 
in folgenden Gruppen aufführen: 
1. Schriften über Methode des Sprahunterriäts. 
Il. Grammatifhe Schriften. 
III. Schriften für den gefammten Spradunterridt. 
IV. Stils und Auffaglehren. 
V. Schriften über Ortbographie. 
VI Vermiſchte Schriften. 


I. Schriften über Methode des Spracunterrichts. 


1. Der Sprachunterricht in der Bollsichule Kin Beitrag, zur_jad- 
gemäßeren Geftaltung befjelben. Bon Georg Kur. Bieleufleig, Dind 
und alag ber Schmid'ſchen Buchhandlung. 1867. (IV unb 200 ©.) 
gr. 18 Sgr 


Das Buch zerfällt in vier Abtheilungen. Die erſte Abtheilung handelt 
von dem Spradunterrichte im allgemeinen, beſonders von dem Unterrichte 
in der deutſchen Grammatif, die zweite Abtbeilung enthält die Grundzuge 
der deutihen Grammatik als gedrängten Leitfaden beim Unterricht in ber 
Mutterfprache für die Volksſchule, die dritte Abtheilung handelt von deu 
Auffaßübungen in der Volksſchule und giebt einen Pehrgang derjelben, die 
vierte Abtheilung theilt Auffagftoffe mit, die au als. Diltate verwendet 
werden können. Das Buch gehört alſo nur nad feiner erfien Abtbeilung 
- unter die obige Rubrif, in Betreff feiner anderen Abtheilungen gehört es 
unter die Nubrit Nr. III. Ich habe es hierher gejebt, weil ver Berfafier 
auch in der zweiten und britten Abtheilung immer die methodiſchen Grund» 
läge ald das Michtigfte voranftellt. 

Die erite Abtheilung babe ich ſchon oben durch Einiges charalterifirt. 
Die polemifhe Seite der Schrift iſt jedenfalls die ſchwächſte. Wollte der 
Beri. gegen die analptifche Methode anlämpfen, fo hätte er die Sache viel 
eingehender anfaſſen müſſen. Es märe gewiß recht intereflant, alle Bor 
und Nachtheile der analytifhen und ſynthetiſchen Methode gegen einander 
auftreten zu ſehen, wenn auch, mie ich glaube, kein anderes Refultat heraus 
bervorfpringen würde, als daß das Heil in ver rechten Verbindung beiber 
liege. Uber mit hin und wieder eingeftxewten, in faft fihmäbenbem Zome 
gehaltenen Bemerkungen ift überall, auch gegen die analptifche Methode 














Cpbiete, hei. Sprachuntenrichts. 567 


shi anszuvichten. — Man ftößt auf vieles Richtige und Gute in ben 
allgemeinen Anfihten und Grundſaͤtzen des Verfafierd, aber man empfängt 
beim Durchlejen des Buches den Eindruck des Tumultuarishen und meiß 
zulegt nicht recht, ob und inwieweit man burd das Buch gefördert ift. 

An der zweiten Abtheilung läßt fih die wichtige Ausflellung machen, 
baß der Verfaſſer in den Mittelllafjen die ganze Wortlehre, in den Ober⸗ 
Kaflen erft die Satzlehre behandelt wiffen will. Gr fagt darüber S. 28: 
„Man könnte mich fragen, wie ich denn dazu komme, den grammatifchen 
Unterricht über, Die Wortarten, die Wortformenlehre in die Mittellafie zu 
verlegen? Ich thue Dies, meil der grammatiche Unterricht oder die grams 
matiſche Hebung, wie fie dabei möglich ift, die Unterlage oder den Unterbau 
eines. Sprachgebäunes abzugeben bat. Menn der Spradunterriht im Stils 
und Aufſaßunterricht in unfern Schulen (Oberllafien) abſchließen fol, fo 
muß frühe regelmäßig mit grammatifhen und ftiliftifchen Vebungen, mit 
dem Niederfchreiben von Wörtern und dem Bilden von Sätzen begonnen 
werden.” Über gerade um des Stil und Nuffapunterrichts willen, 
der ſchon in den Mitielllafien zu beginnen bat, ift auch das Einfachſte 
und Wichtigſte aus der Saplehbre in den Mittelllafien zu bebans 
deln. Ganz verwerflih ift e3, die Bindemwörter vor der Satzlehre zu bes 
bandeln, wie der Verfaſſer wil. Wer fo viel über das Werverbliche ber 
alten drammatifgen Unmethode zu jagen weiß, der follte nicht fo ſtark 
bineingerathen. Wenn dann der Verfaſſer in der Oberflafie, um die ein: 
fadyften Dinge, die Lehre von den. Objecten x. einzuüben, folgende Uebung 
vorfhlägt (S. 77): „Der Lehrer fchreibt an die Wandtafel, der Schüler 
vervollftändigt: Die Eltern erziehen — Dee Träge fheut —.“ fo ver 
fällt er ebenfalls in bie verwerflichſte Sorte ſynthetiſcher Methode. 

Die dritte Abtheilung greift zuerft wieder zu allgemeinen Betrachtungen 
über den Sprachunterricht zurüd. Es wird da mandes noch einmal gejagt, 
was ſchon in der eriten Abtheilung, wenn aud mit etmas anderen Wor⸗ 
ten vorgetragen worden if. Dann werden die Grundſaͤtze für die Stil- 
übungen in der Bollsfhule dargelegt. Diefen Grundfägen Tann man im 
Ganzen nur beiftimmen. Beſonders einpringlich wird zu einem ſtreng ges 
ordneten Stufengange geratben und vor allem gewarnt, was außerhalb des 
Geſichtskreiſes der Kinder liegt, „Der eigentlih geſchäftliche Aufjag und 
des flüffigere Briefftil mit feinen conventionellen Manieren muß fpäteren 
Jahren, d. b. der Fortbildungsſchule überlaflen werden. Es giebt für 
unfere Berhältnifie fehr brauchbare methodifche Briefjchulen.” In Betreff 
des Lehrganges werben drei Stufen unterſchieden: 

A, Unierklaſſe, Stufe der Borbildung, 7: bis Yährige Schüler. 
Die Uebungen find: 
1) das pünktlihe Abſchreiben von Wörtchen und einfahen Säßchen 
von der Wandtafel; 
. 2) das genaue Abſchreiben von Säsphen, Sprüdlein und Verschen 
ans der Fibel und aus dem Spruchbuche; 
3) die Schüler haben kurze Säge über das Gehörte (Anſchauungs⸗ 
unterricht, bibliſche Gejhichte) oder Geleſene niederzufchreiben ; 


Js: 





568 Die neueften Erfiheinungen auf dem 


4) die Schüler haben verlangte Wörter oder Säblein oder memdrirte 

Sprüche aufs oder auswendig niederzuſchreiben. 

B. Mittelllafie, Stufe der Nachbildung, 9- bis 12jährige Schüler. 
Die Uebungen find: 
1) Sagbilvungen nad beftimmten Formen ; 
2) Heine Beichreibungen im Anſchluß an fefte, vom Lehrer geftellte 

Fragen; 

3) Nacherzaͤhlungen, kurze bibliſche Geſchichten, Fabeln, kurze Augäh« 
lungen; 
Nachbildungen von Aufſätzchen in beſtimmter Ordnung; 
3) Auszug, Abkürzung ꝛc. paſſender Stüde des Leſebuches. 
C. Oberklaſſe, Stufe der Selbſibildung, 12: bie 14jährige Schüler. 
Die Uebungen find: 
1) kurze Grzählungen, Zabeln, Parabeln (Naherzählung oder Selbß⸗ 
erfinbung 7); 

2) kurze Sachbeſchreibungen; 

3) mancherlei Stoffe aus andern Unterrichtsgebieten; 

4) Anzeigen verſchiedener Art, Briefe; 

5) gebrängte Schilderungen über Jahres⸗ und Tageszeiten, menſchliche 

Lebensverhaͤltniſſe; 
6) Liederumſchreihungen, Auszüge, Umformungen, Grllärung von 
Sprübmörtern, Berschen, Denkreimen ꝛc.; 

7) Ausführungen gegebener Dispofition. 

Die vierte Abtheilung umfaßt 67 Seiten Aufjasftoffe, Fabeln, Erzaͤh⸗ 
lungen, Beſchreibungen (Tiſch, Stuhl, Mefier, Schiefertafeln x.), Thier⸗ 
und Pflanzenbefchreibungen, geſchichtliche und geographiſche Stoffe, kurz 
ausgeführte Dispofitionen, Briefe und Anzeigen, zuletzt einige Gedichte des 
Berfaſſers. Das Meifte ift von Luz felbil verfaßt; vieles if gut, 
manches aber auch fehr alltäglih. Da der Lehrer auch neben einem guten 
Leſebuche des Stoffes zu Aufjäpen nie genug haben ann, fo ift jeder Bei⸗ 
trag banlenswerth. 


2. Sbagogiide Borträge und Abhandlungen in zwanglofen Heften. Erſter 
Band. III. Bom dbeutfhen Sprachunterricht in der SchnIe und 
von etlihem ganz Anderen, das boch bamit aufammenbäugt. Bon Dr. 8. 
MR. Hildebrand, Collega Quintus an ber Thomasfchule zu Leipzig. Leipzig, 
Berlag von Julius Klinthardt. 1867. (77 ©.) gr. 8. 


Wenn ein Mann wie Dr. Hildebrand ,. ein Nachfolger der Gebrüder 
Grimm am Wörterbude, zu und über den Unterricht in feinem Fache 
fpriht, fo find wir unmillfürlih zu größter Aufmerkjamleit geneigt, zumal 
da wir wiſſen, daß mir nicht bloß einen Gelehrten erften Ranges. jondem 
auch einen Schulmann von langjähriger praftifher Wirkfamteit vor uns 
baben. Allerdings find wir nach den bereits vorliegenden Grfahrungen, 
nad der einfeitigen Weife, wie zur Zeit I. Grimm, R. v. Raumer u. a. 
über die Methode des deutſchen Sprachunterrichts geurtheilt baben, etwas 
mißtrauifh gegen die Urtbeile großer Gelehrten in Sachen ver Methode 








Gebiete bes Sprachunterrichts. 569 


geworden, body kann uns ſolches Mißtrauen nur zu größerer Gewiſſenhaftig⸗ 
keit ber Prüfung treiben. 

Ich glaube ſchon oben bewieſen zu haben, daß mich weder die Katy 
vor dem Gelehrten, no das Mißtrauen gegen ihn in Betreff der vor⸗ 
llegenden Abhandlung blenden koͤnnen. 

Die Abhandlung dreht ſich um folgende 4 Sätze: 

„1) Der Sprfadhunterricht ſollte mit der Sprache zugleich den Inbeie 
der Sprache voll und frifh und warm erfafien. 

2) Der Lehrer des Deutfchen follte nichts lehren, was die Schaler 
felkR ans fich finden können, fordern alles das fie unter feiner Leitung 
finden 


laften. 

3) Das Hauptgewicht follte. auf die gefprochene und gehörte Sprache 
gelegt werden, nicht auf die gejchriebene und gefebene. 

4) Das Hochdeutſch, als Biel des Unterrichts, ſollte nicht als etmas 
für fi gelehrt werben, wie ein anderes Latein, fondern im engiten Anſchluß 
an die in der Klafie vorfindliche Volksſprache.“ 

Wenn man dieſe 4 Säbe überblidt, fo findet ohne. weiteres ber 
zweite rüchhaltloſe Zuftimmung Es wird bier ein Fundamentalfag bex 
ganzen neueren Pädagogil auch auf den Spradhunterriht angewandt. Da 
kann ein jeber, ber die letztere kennt und ihr Freund ift, nur jeine ungen 
tbeilte Zufimmung ausiprechen. Ich bedauere nur, daß ich nicht auch bie 
Art, wie, und die Beijpiele, woran der Verfaſſer feinen Sag durchführt, 
der nothwendigen Raumbeſchraͤnkung halben mittheilen kann. Daran werben 
bie meiften noch etwas lernen können. Gine Stelle.nur will ich mittheilen, 
Der Berfafier jagt, dab man dem Kinde, wenn man wolle, daß es jelbii 
finde, aud Zeit zum Befinnen laflen müfle. „Das ift einer ber größten 
Schäden des alten Gedaͤchtnißverfahrens, dag in Folge davon die Schüler 
von der Sucht wie von einer Pflicht beherrſcht find, auf jede Frage mit der 
Antwort fofort zu kommen und fie fo raſch als möglid zu jagen, Jeder 
Erwachſene befinnt fih ruhig, wenn er im Leben etwas aus jeinem Ge⸗ 
daͤchtniß braucht, und die armen Kinder ſcheinen vor dem Lehrer wie auss 
geſchloſſen von dieſer Einrichtung, der Natur, daß man im Geifte etwas 
Grfahrenes wieder ruhig aufleben: lafie, bis es Geftalt gewinnt. Der Lehrer, 
der die Scrüler dahin bringt, daß fie vor ihm ſich ruhig beſinnen lernen, 
d. 5. dazu den Muth gewinnen, bat fofort eine um 505 gefcheibere Klaſſe. 
Wer ihnen das aber durch Echreden oder Ungeduld abfchneibet, folfte Lieber 
Holz hacken als die Jugend bilden wollen. Nur für eine tief faule ober 
ſittlich verſtumpfte Schülerſeele iſt beiläufiger Schred das rechte Mittel, und 
auch da nicht immer.” Das jagt der Verfaſſer in einer Anmerkung; wen 
ſollte da nicht nach dem Text gelüflen? 

Der .erfte und vierte Say können Zuflimmung finden, wenn die Art 
ber Nuffafiung und Auslegung bie richtige if. Wenn es ſcheinen kann, 
als müfe nach dem erften Satze der Sprachunterricht zu einem Unterrichte 
in allem Moͤglichen werben, fo ift das infofern wahr, als mit jevem Worte 
fen Inhalt zum Bewußtfein gebradt werden muß. Nur darf man nicht 
Wergeflen, daß unter dem Inhalte des Wortes nur der nächſte Vorſtellungs⸗ 
gehalt, ich möchte fagen, der ſprachlich⸗pſychiſche genteint fein kann, nicht 








570 Die neueſten Erfcheinungen auf dem 


aber. im. ganzen Umfange ein Subalt, den menſchliche Geinhrung umb 
Wiſſenſchaft überhaupt an das Wort angefhlofien hahen. Ber Werfafler 
vermeit zum rechten Verſtändniß feines Satzes auf bas Verfahren bes 
Glementarunterrichts (in dem erfien Schuljahre) der Vollöfchule, wo Ina 
Sag ſchon als confequent durchgeführte Meihode herrſche. Wir fehen 
daraus, daß der Say die Nothwenbigleit betont, bei jedem Worte ſoviel 
«ls möglihd auf einen anſchaulichen Vorſtellungsgehalt zurück zu geben. 
In diefer Auslegung müflen wis natürlihd dem Sage beitreten. Weine 
Grellung zu dem vierten Sabe habe ich ſchon oben hinreichend angedeutet. 

Der dritte Sap muß auf den erften Blid Widerſpruch erfahren, beun 
er widerftreitet dem Zwede des Sprachunterrichts, die Sprache wicht bins 
ſprechen, ſondern auch fcheeiben zu lehren. Da nad allgemeiner Erfahrung 
lebteres eben fo ſchwer, wenn nicht noch fchwerer ala erſteres tft, jo M 
Bein Grund vorhanden, diefes mehr zu betonen. 

Ich möchte aber behaupten, daß wenig oder nichts darauf ankommt, 
ob der Verfaſſer den einen oder ven andern Satz bewieſen oder nicht be 
wiefen hat. Es gelten ihm dieſe vier Säße nicht als zu beweifende Thefen, 
fondern als mehr oder weniger zutteffende Ueberſchriften alles defien, was 
er in Betreff des Sprachunterrichts auf dem Herzen bat. In dieſer Hinftcht 
dat ber Berfaffer ganz nad der Weife feines Meiſters Jacob Grimm ges 
fhrieben, der ja auch zwei Bände unter dem Titel Geſchichte der deutſchen 
Sprache herausgegeben bat, weil von vielem darin die Rebe ift, das mit 
einer ſolchen Geſchichte mehr oder weniger zufammenhängt. Aber das thut 
nichts. Wir verzeihen bier wie da das Unzutreffende der Ueberfchrift um 
des Inhalts willen. Dr. Hildebrand greift weit über das Gebiet des 
Sprachunterrichts hinaus, aber er thut es in koͤſtlicher Weiſe. Es liegt in 
ſeiner Abhandlung mandes Korn pädagogijcher Weisheit, das man nicht alle 
Tage auf ber Gaſſe findet. Zudem ift alles mit großer Wärme gejchrieben, 
amd man empfindet hohe Freude, wenn man fieht, wie große Gelehrfamkeit 
fich mit einem echten Lehrergemüth vertragen kann. 


3. Zien Umfang und Form bes Unterrichté in ber deutſchen 
rammatit für bie Boltsſchule. Preisgelräönte Abbhaudlang von 
Albert Richter. Leipzig, 1866, Julins Klinfhaxbt. (31 ©.) I. 8. : Ser. 


Diefe Abhandlung if von dem Ausſchuſſe ber allgemeinen deutſchen 
Sehrerverfammlungen als die befte der eingegangenen Arbeiten über bas 
warftebende Thema mit dem ausgeſeßten Preiſe gefrönt worden. 
Gewiß ift der. Abhandlung damit ein Gmpfehlungsbrief ausgefellt, 
aber kein unbebingter. Wird eine Abhandlung gekrönt, jo beweiſt das nicht, 
daß die Majorität ver Preissichter. — im vorliegenden Yalle zwei, denn 
der Ausſchuß hatte meines Wiſſens drei feiner Mitglieder zu Preisrichtern 
ernannt — fie für gut, ſondern nur für bie beite unter den eingegangenen 

erflärt. Es kommt aljo ganz darauf an, mie bie übrigen Arbeiten find 
und weldhen Standpunkt: die Majorität der Preisrichter einnuumt. Es 
kann es daher niemand: für unerhört halten, menn ich, um es kucz zu 
ſagen, mich gegen die Abhandlung erklaͤre. n 











Gebiete des Sprachunterrichts. 671 


2: Beh einem burzen Rüdblid auf vie Geſchichte der deutſchen Gtamma⸗ 
til von Idelfamer bis: Grimm verbreitet fih ver Verfaſſer dem Thend 
gemäß zuerft über das Ziel, dann über den Umfang, zulebt. über die yaraz 
des grammetiichen Unterrichts. Gleichſam anbangsweile folgen noch Be⸗ 
merlungen über ben Unterricht in der Orthographie, über Diltate, ſchuftliche 
Arbeiten. Alles iſt, wie es der oben bezeichnete Umfang bes Soninen 
mit ſich bringt, ziemlich kurz abgethan. 

Als Ziel des Unterrichts in der deutſchen Grammatik ſiellt der Verſaſer 
Folgendes auf: „Die Mutterſprache verſtehen und gebrauchen zu lehren‘; 
der: „Die Schüler einer Volksſchule müfjen durch den Unterricht in der 
Grammatit befähigt werben, für fie beftimmte ſprachliche Darftellungen, feien 
es mauͤndliche oder fohriftlihe, nach ihrem Inhalte zu erfaflen und Ihre 
eigenen Gedanken in richtiger, klarer und geläufiger Darftellung mündlkich 
oder fchriftlih zum Ausdrude zu bringen.” Das diefes Ziel Des grammas 
tiſchen Unterrichts eigentlich das Biel des geſammten Sprachunterrichts ift, 
ertennt der Verfaſſer. NAnftatt aber dieſen Cinwand fo weit als möglicqh 
damit zu entlräften, daß es in ber Natur der Sade liege, daß das leute 
Ziel des grammatifchen Unterrichts nur das Ziel des gefämmten Sprache 
unterrichts fein könne — obwohl: der Vorwurf dann immer flehen bliebe, 
daß die Nachweiſung des nächflen ober ſpeciellen Bieled des grammatiſchen 
Unterrichts unterlafien ſei —, tritt der Verfaffer mit der Erklaͤrung auf, 
daß er unter dem Unterriht in der Grammatik den Spracdunterridht übers 
baupt verfiehe und daß es einen bejonderen Unterricht in: dem, was man 
gewöhnlich allein und vorzugsmeife Grammatik nenne, nad feinem Dafür 
halten für die Volksſchule nicht gebe. Wäre diefe Erklaͤrung ernſt gemeint, 
fo hätte fie eigentlih allein als Antwort auf die Preisaufgabe eingeſandt 
werden müflen, denn bie Unterfuhung wäre damit zu Ende geweſen, ba 
die Preisaufgabe doch gewiß nad) dem gemöhnlihen Sprachgebrauch und 
nicht nad dem des Verſaſſers aufzufajlen war. Allein wir erfahren balv, 
dag die Erflärung nicht fo ernftlih gemeint if. „Ganz gewiß foll auch 
davon (mas man vorzugsmweife Grammatif nennt) mandes in der Volle: 
Schule gelehrt werden, nur nicht in bejonders dazu beftimmten Stunden.” 
So alfo if der Saß zu verftehen: „Es giebt für die Volksſchule keinen 
befonderen grammatifchen Unterriht, wenn nicht Leſen und Schreiben zu 
demjelben gerechnet werden darf”. 

Menn es in der Angabe bes Zieles heißt: „Die Schüler einer 
Volksſchule müflen duch den Unterricht in der Grammatik befähigt werben, 
für fie beftimmte ſprachliche Darftelungen sc. nah ihrem Inhalte zu 
esfaffen‘‘, fo darf man billig fragen: ft das ernitlich gemeint oder nicht ? 
Und meldes find denn die für Schüler der Volksſchule beftimmten ſprach⸗ 
lihen Darftellungen? Die preußifhen NRegulative antworten belamntlich: 
Die Bibel, der Katechismus, das Geſangbuch. Des Verfafiers Antwort liegt 
in der ſchon oben citirten Beſchraͤnkung des Begriffs der Mutter- 
ſprache als „des Wortichages und der Ausprudsformen, welche dem Ger 
dankenkreiſe derjenigen Menschen entfprehen, welde in der Volksſchule ein 
ausreichendes Maß ihrer Bildung ſich erwerben können.” Wer nicht ander⸗ 


Y T 








5723 Die neneften Erfcheinungen auf dem 


weit mit ben gefunden, vortreffliden paͤdagogiſchen Aufichten des Verſaſſers 
belannt ift, der kann in Verſuchung geratben, ihn für einen Freund ber 
Regulative zu halten. 

Bei Feitfiellung des Umfanges des grammatifchen Unterrichts erflärt 
der Berfailer, daß er die Unterſcheidung der Laute in Selbſt⸗ und Mitlaute, 
der Bocale in kurze und lange, das Weſen der Umlaute, die Silbentrennung, 
die Ableitung und Zuſammenſetzung der Worte, die Grflärung dunkler Worte, 
das Berftänpniß der Zlerionsformen, d. i. „das Bewußtwerden der Bezie⸗ 
bungen, in welde ein Begriff zu einem andern durch bie betrefienden 
Flexionsformen geſetzt wird”, das Verſtändniß der Säße, aber ohne Regeln 
über den Bau der Sätze gelehrt willen wolle. Don einer Gintbeilung der 
Laute nach den Sprachwerlzeugen, von Präpofitionen und ihrer Rection, vos 
einer Gintheilung der Säße in Haupt: und Rebenjäge, von einem Sub⸗ 
jecte zc. ſoll in der Vollsſchule nicht die Rede fein. Es ift natürlich ſchwer 
einzufeben, wie fih mundes zufammenreimen, wie ſich Schoerftänpniß ohne 
Kenntniß der Sabgliever, lerionsveriiändniß ohne Kenntniß ber Flexions⸗ 
formen lehren läbt. Des Berfajlers Vorſchläge in Betreff des Umfanges 
bes grammatischen Unterrichts können kaum der ärmlichften Dorffchule, ſicher 
nicht der Vollsſchule im allgemeinen genügen. 

In Betreff ver Form des grammatiihen Unterriht3 erklärt fi der 
Berfafler gegen jede fpitematiihe Weife und für den Anſchluß an bas 
Leſebuch nah der Weile Ottos, Lübens, nur mit Beifeitelafiung alles 

Negelwerls. Hier wie auch fonft in manden Punkten enthält die Arbeit, 
die überdies tiefere ſprachwiſſenſchaftliche Studien verräth, vieles Gute. 
% Lehrgaung für den gelammten Spradhunterridt in Laub- 
ſchu len mit Rüdfict auf ben Unterrichtsgrunbfag ber Concentratien be⸗ 
arbeitet von Friedrich Auguft Steger, Lehrer und Cantor an der Königl. 
Straf-Anftalt zu Delitzſch. Delitzſch, 1866. Verlag von Reinhold Pabſt. 

(42 ©.) gr. 8. 8 Ser. 

Diefer „Sr. Hochwürden dem Herrn Superintendenten Meinrih in 
Delipfh als ſchwaches Zeichen tieffter Hochachtung, aufrichtiger Liebe und 
Dankbarkeit” gewidmete und von diefem als „ein wohldurchdachter, auf 
Praris baſirter“ bevormortete Lehrgang ſchließt fi eng an die Ziele der 
preußijhen Regulative an, deren „hohe“ Forderungen im Betreff bes 
Sprahunterriht3 er befriebigen belfen mil. Der Verfaſſer fagt in 
der Einleitung, keiner der bisher veröffentlichten Lehrgänge laſſe fih in 
einer Landſchule ohne bedeutende, ja weſentliche Mopificationen anwenden 
und keiner verjelben zeige dem Lanpfchullehrer beſtimmt, wie er das Unter 
richtsziel in diefem Gegenftande, welches die preußiſchen Negulative ftellen, 
fiher erreichen könne. Diefem Uebelftande foll aljo ver vorliegende Lehr⸗ 
gang abhelfen. Den Grundſaß der Concentration verfteht der Berfafler fo: 
Der Sprabunterriht folle nicht felbftändig und von anderen Unterrichts⸗ 
gegenftänvden abgefondert, ſondern in Verbindung mit anderen Unterrichts⸗ 
gegenftänden,, worzüglih in Verbindung mit dem Leſen und Schreiben ber 
trieben werben. Ich glaube nicht, daß ein Leſer dieſes Jahrbuchs Ber 
langen trägt, diefen Lehrgang näher Tennen zu lernen. Ich will daher zur 
Charakteriftrung der fprachlihen und pädagogiichen Bildung des Verfaflers 
nur Folgendes mittheilen: S. 3: „Nach dieſer dargelegten Auffaſſung ber 








Gebiete des Sprachunterrichts. 578 


Borderungen zc.‘ (für: Nach diefer Darlegung der Auffafiung ıc.) ©. 4: 

„Selbfiverftäunuh find ja Tiſch, Stuhl, Schrank, Wandtafel, Fenfter, 

Shreibebuh, Federmeſſer und vergl. viel zu unmichtige Gegenftände, als 

daß ihre genaue Kenntniß Zwed und Ziel des Schulunterrichts fein könnte.” 

S. 19: „Nun bemerlt der Lehrer (nämlich vor und zu ben Kindern), daß 

nur wenig finder jo finnig wären, um jolde Gedanken zu benlen, wie 

fle in dem Gedichte jländen. Wie der Verſaſſer Saganalyje, von der er 
ein großer Yreund iſt, treibt oder vielmehr treiben läßt, davon ein Beiſpiel 
von ©. 13: Soll 5. B. der Sab: „Eine Maus kam aus ihrem Loche,” 
analyfirt werben, jo fragt ein Sind aus der Oberllafie: Bon wem, (oder 
wovon) — die Klammer und die Worte darin fteben im Buche — wird 
etwas. außgejagt ? und ein Rind aus der zweiten Abtheilung der Mitteltlafie 
muß die Antwort geben: Bon der Maus. Cin find aus der Oberllafle 
fragt weiter: Was wirb von ber Maus ausgefagt? und nad erhaltener 

Antwort: „Woher kam fie?" Daß auf dieſe Weile auch Satzanalyſe zu 

einem Gegenftande bes wechjeljeitigen Unterrichts werden kann, war mir 

neu. ber was thut denn der Herr Berjäller unterbefien ? 

5. Die vergleihende Sprachmethode. Eine Anleitung zum gleichzei⸗ 
tigen Unterrichte in mehreren Sprachen. Entwidelt und praltiſch angewandt 
von J. Hal, Director ber Hanbele- und Gewerbeſchule in Hebbernheim 
bei Frankfurt a. M. Frankfurt a. M., I. Ch. Hermaun'ſche Berlagebucde 
handlung. F. E. Sudsland. 1865. (65 ©.) gr. 8. 15 Sgr. 


In der Einleitung ftellt der Verfaſſer den formalen Nutzen alles 
Sprachunterrichts in den Vordergrund. „Iſt der Zwed der Erziehung, ben 
Menſchen ſo heranzubilden, daß er jelbftändig wird, und ift das Sprach⸗ 
fudium ein Haupthilfömittel bei derfelben, fo können wir als deſſen Biel 
begeihnen: ben Lernenden die Kunſt zu lehren, felbftändig zu denten. Da 
aber. Denten jo viel als Bergleichen heißt, da beides, fo zu fagen, identifche 
Begriffe find; fo kommen wir zu dem Schlufie: Der vergleihende Sprach⸗ 
unterricht ift die befte Unterrichts Methode. Vergleichen kann aber niemand, 
ohne einen Gegenftand zu haben, womit er einen andern vergleicht ; dieſer 
Gegenftand ift bei Der vergleihenden Sprachmetlode die Mutterſprache“ 
Er beiennt fih zu K. 5. Beders Syſtem. „Man mag über Beder fagen, 
was man will, das fteht feſt: daß er eine bis jebt noch nicht überbotene 
deutihe Syntar geſchaffen hat und daß fein Syſtem, wohl verftanden und 
richtig angewandt, bei Erlernung ver fremden Sprahen große Zortbeile 
gewährt.” 

Das Schriftchen ift für Lehrer fremder Sprachen gefchrieben. Es werden 
mit der deutſchen bie franzöfifche, englifhe und italieniihe Sprache verglichen 
in Betreff ver Wortfiellung, des Gebrauchs der Artitel und der Caſus, des 
Attributs und Präpilats, der Gomparationsformen, des Zahlwortes, ber 
Pronomen, der Conjugationsformen, ver Bräpofitionen, der Modalitätsformen ıc. 

Die Darftellung ift überall Mar und überfichtlich, oft tabellarifch ger 
orbnet. Ich glaube das Schriftchen auch denen empfehlen zu können, bie 
nicht wie der Verfafier auf den formalen Zweck des Unterrichts in fremden 
Sprachen, fondern auf das Berftänpnig zum praltifhen Gebraud das 
Hauptgewicht legen. 


674 Die neneften Erſcheinungen auf bem 


IL BSBrammatifde Schriften. 
1) für höhere Lehraufalten, 
6. Grammatik der hochdentſchen Sprade Zum Berftänbuiß bes 


Althochdeutſchen, Mittelhochdeutſchen und Nenhochdentſchen für bie 
Klafſen grebrter — wie für Das A ln Bearbeitet ver Dr. ©. 


Bornpal. Theil: Die Orthoepie und Etymolo je Rerbhaufen, 1862. 
Bert. —* Berlag. (IV und 83 ©.) gr Desjeiben Werles 
Theil: Die BBoribilbung Norbhaufen, ER gerb. — 


Berlag. (299 ©.) gr. 


Der Titel des vorliegenden Buches entipricht nicht ganz dem Inhalte 
desſelben. Cs enthält nit, wie man vermutbhet, eine firengmethodtfche 
Bufammenftellung der grammatifchen Formen zum Zwede ver erfien (tier 
nung bes drei hochdeutſchen Schriftipradhen, ſondern es bietet einen ver 
gleichenden Ueberblick über die verſchiedenen Gntwidelungöflufen unſerer 
Sprache, mit beſonderer Berückſichtigung des Althochdeutſchen, Mittelhoch⸗ 
deutſchen und Neuhochdeutſchen, ſetzt alſo im Grunde eine gewiſſe Vertraut⸗ 
heit mit den einzelnen Theilen der hiſtoriſchen Grammatik bereits voraus. 
Schon im erſten Theile, der bei weitem elementarer iſt als der zweite, 
tritt dies bei jedem Kapitel beutlih hervor. Der erfte Abſchnitt handelt 
von der Lautlehre (Orthoepie), die erfte Unterabtbeilung von-den Bocalen, 
Zeder, der die älteren deutfchen Schriftfpracdhen erlernen und zugleich einen 
feften Anhalt zur Vergleihung derfelben untereinander und mit dem Neu: 
hochdeutſchen gewinnen will, ſucht bier gewiß vor allem eine Zufammen: 
ftellung der verſchiedenen Vocalreihen, um eine beutliche Borftellung vom 
dem Material zu haben, mit dem man auf jeder Spradftufe die Worte 
aufbaute. Statt defien erfährt er nur Folgendes: „Dem deutſchen Laut 
wejen liegt das reine a zu Grunde, aus welchem bei Erweiterung bes 
Mundes i, bei der Zuſpitzung deſſelben das u entftand. Zwiſchen dieſen 
drei Grundlauten liegen zwei Mitteloocale, nämlich zwiſchen a und i das e, 
und zwiſchen a und u das 0. Dur Bufammenfegung oder Grweiterung 
ergeben fih aus diefen 5 Vocalen folgende Dipbthongen: ai, ei, au, ou, 
in, io, ie, ua und uo.” Nah dieſer Ginleitung zur Darftellung ver 
reinen Bocale wird fogleidh zu den Gejeben des Umlauts und der Bredung 
übergegangen. Man erfährt nichts von den furzen und langen Vocalen, 
nichts davon, welcher Bocale man fit auf jeder Sprachſtufe bedient bat, 
Das alles muß man nun aus den nadfolgenden Rapiteln mühſam heraus: 
Hanben oder vielmehr erratben. Neben fol übertriebener ſtnappheit ver 
Darftellung nimmt e3 fi) faft befremdend aus, wenn man (5. 10 U. 2) 
erwähnt findet, daß das a in der brittleßten Silbe erſt ſät dem 12. Jahr⸗ 
hundert den Umlaut erfahren babe. Bei ber eben gezeigten Dürftigleit im 
Weientlihen erwartet man nicht dergleihen Specialitäten. Che das Buch, 
wie der Titel es angiebt und das Vorwort es ausfpridt, für bie oberen 
Klafſen gelehrter Schulen empfohlen werden kann, muß ihm erft diejenige 
Deutlichkeit und Lehrhaftigleit verliehen werden, welche zur Sriermung einer 
Sprache überhaupt nothwendig iſt. 





Gebiete des Sprachunterrichts, 575 


-... Sn ber Sautlehre insbefondere ift auch Mangel an Beifpielen. Mer 
ſich wit hiſtoriſcher Grammatik beichäftigt bat, weiß, melden Reiz folde 
Beifpiele ausüben. Sie find die Würze der vergleichenden Grammatik. 

Der zweite Abſchnitt, die Flerionslehre, ift praktifcher ausgeführt als 
die Lautlehre, doh wird auch hier durch die wiſſenſchaftliche Form bie 
methodiſche Zwedmaͤßigkeit beeinträdtigt, ohne daß die Sache an Tiefe und 
Reihthum gewinnt. Man fieht mohl, der Verfaſſer hat den guten Willen 
gehabt, das wiſſenſchaftliche Material auf das Maß veflen zurüdzuführen, 
mas etwa den Schülern zum Verſtändniß gebracht werben könnte, allein es 
bat ihm ſowohl in der Auswahl des Stoffes, als auch in ver Datſtellung 
besjelben der methodiſche Tact gefehlt. Hätte er ſich doch, um etwas Be 
tanmtes amzuführen, die Heinen Hahn'ſchen Grammatiken zum Mufter ges 
nommen! ®enügt ſomit die Schrift den praftiihen Anforderungen an ein 
Lehrbuch fie Schulen keineswegs, fo kann es doch auch andererfeits nicht 
als wifienfhaftliher Führer durch das Gebiet der veutſchen Sprachver— 
gleichung gelten. Der gänzlihe Ausfall des Gothiſchen im zweiten Abſchnitt 
bindert daran, und die gelegentlichen Beziehungen auf die gothifchen Läut: 
verbältnifie im erften Abjchnitt verwirren mehr als fie aufllären. Man 
verfuche fih 3. B. nad $. 13 eine Borftellung von den gothiſchen Diph⸗ 
thongen zu machen! 

Der zweite Theil, welcher ven der Wortbildung handelt, fällt ganz in 
das Gebiet wiſſenſchaftlicher Arbeiten. Das Gothiſche wird nun entfhieden 
herangezogen, den Sanskritwurzeln wird bis auf die Iocativen Formen und 
den Vedadialect nahgegangen, im end, Griehiihen, Lateiniſchen, Alt 
nordiſchen zc. werden die verwandten Formen aufgefucht; kurz, es ift bier 
ganz in den Weg wiſſenſchaftlicher Spracvergleihung eingelentt worden. 
Die Werke Grimms, Bopps, Schleichers, Steinthals liegen zwar im allges 
meinen, wie felbftverftänplih, den Unterfuhungen zu Grunde, doch werden 
fie leineswegs nur im Auszug wiedergegeben, fondern überall tritt ſelbſtän⸗ 
dige Forſchung zu Tage. Gelegentlich wird fogar Polemik geübt. Das 
Buch zerfällt in vier Abfchnitte. Der erfte, welcher beinahe die Hälfte des 
Buches füllt, handelt von den Formwörtern und ihren Bildungen, der 
zweite von den Stoffwörtern und ihren Bildungen, der dritte von der 
Flexion des Verbums, der Biltung der Modi und Tempora, der Barticipien 
und des Imfinitins, von der Flerion des Nomen und der Motion der 
Adjectiva, der vierte von der Compofition zweler oder mehrerer Wörter. 
Man erfennt aus jedem Paragraphen den gejchulten Grammatifer, und bie 
Liebe zur Forschung, die das Ganze bejeelt, macht einen wohlthuenden 
Eindrud. Bumeilen bat fi allerdings, wie es mir ſcheint, der Berfafler 
von feinem etymologiſchen Horfchungstriebe zu etwas gewagten Gombinationen 
fortreißen lafien. Es darf da keiner die Worte Schleihers (Vorrede zu 
J. Schmidts Wurzel at) vergefien: „Wer jebt ſchon auf Etymologie aus: 
geht, kann fiher fein, daß er fih in dilettantiſche Willkür verlaufen wird.” 


J. "Die Wurzel atim Indogermanliſchen von Dr. Johannes Schmidt. 
Mit einem Borworte von Anguſt Schleicher. Weimar, Hermann Böhlen. 
1865. (X uns 90:.©.) gr. 8. 16 Ger. me. 





Se it eines Edyälenb Ghleihenb iR mufpräng- 

. x zu Germmögabe 

verieiben, wel De tkm als „eine Aeıfüge Zuiuummenfclkung une befsubens 
anch mezen der metsetiihen Ausıtaunz una Dchanblung bes Extsffes ber 
j‚ ven Drad mt zumwertb erjcien.“ Sie Bermte 
Edinters if jeher bebergigeniwers_ Sie mwurmt wer allıu großem Ber 
anmelczihe Unierindungen una jemit bi zu 

einen gewiien Grabe zer der Arbeit jeltt, melde fe einuet Ted Im 
ferenanten bietet die Schrift genug. Tier Berjaer verlegt we Burn al 
in ihrer Gruntierm, im ihrer limiehrung Li), im ihrer Berbeypelung (alaf 
ums lala) durch alle Gebiete des inbogermamiiden Eypradfammes um 
Sndei im ihr vie Berielung des ſchaellen Bewegens nirbergelegt. Sn 
ver Anzıhl dentjcher Votter, welche von iht berismmen mögen, bebe ich 
beifpielsweiie denen: Achſe, Achjel, achten, Damme, Gagen:; 


macht ihnen den Borwurf, daß fie Grimms —— — 
Kritil gewürdigt. Das Schriftchen regt mehr an als es überzengt, dena 

da es bei derartigen Ilnterfuhungen natürlid darauf anlomımt, jedes ver 
fenglihen Worte jo weit als möglid zu veriolgen, jo muß ohne größe 
gelehrien Apparat und ohne SPerbeijiehung der Ganstritwurzeln vieles in 
der Schwebe bleiben. 

NR d Satzb Di 
een den ae ar en Cain e Gabglieberumg 
für Sprachlehrer an Geminarien, an Bürger- unb Ken Stabeichuien, 
fowie für Seminerifien ber oberen Lehrcurſe ve Grunb tes berrichenden 
Sprachgebrauches, dargeſtelt von KR. H. Holt — am Fe 
lichen Lehrer-Seminar zu Bunzlau Berlin, A 2. Demigte's 
(VI sub 189 ©) 27 Egr. 

Der Berfafier will einem tiefgefühlten Bebürfnifie abhelſen. Gr wil 
ein Lehrbuch berftellen, welches zunächſt und hauptſächlich dem beutfchen 
Spradunterrichte in ben preußiſchen Schullehrerſeminarien zu Grunde liegen 
fol, denn „für die befonderen Bedürfnifie des Seminars iR, wie das 
preußifhe Regulativ vom 1. October 1854 erllärt, noch kein geeignetes 
Lehrbuch vorhanden.” Diefem Zwede gemäß beſchraͤnkt fi feine Sadlehre 
auf Die neuhochdeutſche Sprachperiode. Der norliegende Theil befchräntt den 


s 





Gebiete des Sprachunterricht. . . 577 


Satzbau Im allgemeinen, ein zweiter foll „pie verſchiedenen ſprachlichen 
Ausdrudoformen der eingelnen Sabglieber im befonderen” darſtellen. Mit 
Abficht wird die Satzlehre in den Vordergrund geftelit, denn ‚alles, was 
den Inhalt der Wortlehre zu bilden pflegt, erhält exft bei richtiger Einficht 
in den Satbau fein volles Berftändniß”. Auch betont das Regulativ bie 
Behandlung der Sapbildung, Satzordnung und Gapverbindung im „Semi: 
naruntevrichte”. Der Berfafler macht entſchieden Yront gegen die „logifchen 
Theorien’, gegen „die Sprachlogiker“, kurz gegen Beckers Syſtem. Gr 
befennt Ad) zu denen, welche „in empiriicher Weile den lebenden Sprach⸗ 
gebrauh in Schrift: und Volkoſprache ohne Rüdfiht auf logiſche 
Geſetze beobachten ꝛ⁊c.“, und verwechſelt etwas voreilig diefe Nichtlogiter 
mit der hiſtoriſchen Schule. Sollte er nicht willen, daß Beder auch zur 
hiſtoriſchen Schule gehört? Ich geftehe, daß ich aus dieſem principiellen 
Losreißen von der Bederſchen Syntar nie babe ein tiefes Sprachbewußtſein 
herausleſen können. Wenn wir den Satzbau irgend einer fremden 
Sprache erlemen wollen, fo ift freilich nichts anderes nöthig, ala der Empirie 
gemäß das von unferer Mutteriprache Abweichende und das mit ihr Ueber 
einftiimmende kennen zu lernen, denn es wird dabei die wenigſtens allen 
indogermaniſchen Sprachen zu Grunde liegende Logik vorausgefeht. Anders 
ift 08 bei der Erlernung unferee Mutterſprache. Es fehlt uns in dieſem 
Falle der erläuternde Gegenfaß, wir find genöthigt, unjere Saplehre neben 
unjere Dentgefepe zu ſiellen. Es iſt wahr, Becers Syntax ift nicht volk 
Hänbig, fie muß erft innerlid) ausgebaut werben buch Ginfügung aller der 
fontattifhen Sigenthümlichleiten, an denen unſere Sprache fo reich if, aber 
niemand hat bisher ein befleres Syſtem aufgeltellt. Die biftoriihe Schule, 
welche fih an Grimm anlehnt, hat mit der Lautlehre und ber Wortbildung 
bisher jo viel zu thun gehabt, daß fie der Syntar nur verhältsißmäßig 
wenig Uufmerkjamteit geichentt bat. 3. Grimm jelbit ift bei den Anfängen 
der Satzlehre fieben geblieben, feine Schüler, die großen Sprachvergleicher, 
find nur in den Schächten weiter vorgebrungen, die er eröffnet hat; viefe 
liegen aber faft alle auf dem Gebiete der Lauts und Mortlehre. Che bie 
hiſtoriſche Schule die neuhochdeutſche Saplehre weiter fortbauen kann, muß 
fie weft eine alt» und mittelhochdeutſche Syntar fchaffen. Es liegt zwar 
manches Material dazu vor, aber für den Stenner noch viel zu wenig, als 
daß er es wagen könnte, ein Ganzes daraus zu geftalten. Für pädagogifche 
Zwede wird Beders Syntar noch lange, wenn nicht immer, das Fundament 
aller Saplehre bleiben müllen. Während nun unfere Gelehrten auf den 
ſyntaltiſchen Gebiete nur langfam vorrüden, machen ſich leichtfüßige Plankler 
daran, das große Arbeitsfeld immer ‚von neuem in zahlloſe Streifen und 
Feldchen abzutheilen und mit Namen von Sapglievern und Sapgebilven zu 
bepflangen. Zu dieſen Plänklern gehört unſer Rerfafter. Mit ſtaunens⸗ 
werther Gmfigleit wirft ex ben Stoff bin und ber und jeden Wurf benennt 
er mit einem neuen Namen. Es ſcheint ihm hauptfſaͤchlich .auf eine voll: 
ftändige Sintheilung anzulommen. Nachdem er im zweiten Abſchnitte — 
der erfte enthält nur einleitende Gedanken — auf 27 ‚Seiten von det 
Einteilung ver Säpe nad der Ausſageweiſe gefprochen und ſich bemüht 
hat, die inbicativifchen, conjunctiviſchen und imperativifhen Säge möglich 
Pad. Jahreiberit. XIX. 37 


578 Die neueften Erfcheinungen auf bem 


erfhöpfenn einzutbeilen, beichäftigt er fih im dritten Abſchnitte mit der 

Art der Zufammenorbnung der Sabglieder und im vierten mit den Grund: 

formen der Sapglieverung im allgemeinen und wie ganz natürlich Tehren 

in jedem biefer Abſchnitte conjunctiviihe und imperativifhe Sätze immer 
wieder. Die Titel haben mitunter ein äußerft wifienfchaftlides Ausſehen. 

So handelt der vierte Abjchnitt von den vollfländigen und unvollfländigen 

Satzformen, von den felbftändigen und abhängigen Sabformen, von Gäßen 

in unvollftändiger Yorm, von Sapgliedern in unvollftändiger Sasform und 

von verhaltenen Saßgebilden, aber am Ende dreht es fich immer nur um 
diefelben Säße, die wir ſchon in den erſten Abjchnitten lennen gelernt 
baben. Buweilen fcheint es, ald wollte ſich die Eintheilung ins Unendliche 
verlieren. Schon der nadte Cinzelſatz kann jein ein reiner Berbalfag, ein 
umſchriebener Verbalſatz, ein zufammengejeßter Verbalſatz, der umijchriebene 

Verbalſatz wieder ein temporal umfchriebener, ein modal umfchriebener zc. 

Dabei fehlt es natürlih an Wiederholungen nit. Da betrachtet er z.B. 

den zufammengezogenen Sat. Bor dieſem Bederihen Namen graut ihm, 

er will tiefer eindringen. Er findet darin (6. 44) eine Beiorbnung ber 

Saggliever. In dem Satze: ‚Er Tommt und gebt‘ bilden die beiden 

Verbalformen zufammen ein Prädicat. ©. 58—64 kommt er wieber 

darauf zurüd. Er findet, daß die Sprade in kurzen Säben zufammen: 

gefaßt, was urjprünglich getrennt erſcheint. Im fünften Abjchnitte nimmt 
er die Sade von neuem auf (S. 75—77). Nun erjheint ihm die Zu 
fammenziebung als die unvollftändige Form eines Ginzelfages und er lommt 
zu dem Nejultate: So viele Präpicate, fo viele Säge! Das hätte ibm 

Beder gleih anfangs fagen können. Erſt mit dem fünften Abjchnitte beginnt 

eigentlich die (ſynthetiſche) Satzlehre. Indem bier der Verfaſſer dem Gags 

baue etwas ernftlicher zu Leibe gebt, geräthb er unmerllih auf das — 

Bederihe Syſtem. Schon im vierten Abjchnitte, bei den Satzgliedern, be 

findet man ſich unter den befannten technifhen Ausdrüden, fo auch im 

fünften Abſchnitte. Hier findet man unter vielen neuen Begeihnungen doch 

auch: Attributivfäge, Präpicativfäpe x. Das ift gut, ed kommt dadurch 
größere Klarheit in das Ganze. Ueberhaupt enthält die Arbeit, abgefehen 
von ihrer unlogijchen Eintheilungsfucht, viele trefilihe Gingelbeiten und 
viele intereffante Unterfuhungen. Dazu rechne ih 3. B. ©. 46 das Kapitel 
von den abjectivifhen Attributen, S. 45 die Auslaſſung über die parallele 

Ordnung der Sabglieber und mandes andere. Gerade darum aber ift es 

zu wünſchen, daß ver zweite. Theil logiſcher, einfacher und überfichtlicher 

ausfalle als der erfte. 

10. Grundzüge der beutfhen Grammatik mit Rüdficht auf den Unter 
richt im Me * Regeln ber Orthographie und Iuterpumction, 
bearbeitet von Dr. J. ann, Göttingen, Baubenhoed unb Rupredis 
Derlag. 1866. (50 e gr. 8. 5 Sgr. 

Ein Abriß der Grammatil wie viele: Lautlehre, Wortlehre, Saßlehre. 

Es ift der Stoff, welcher in unteren Gymnaſialklaſſen verarbeitet werden 

kann, kurz und bündig, meift recht überfichtlich dargeſtellt. Der Titelzuſaß, 

„mit Rüdfiht auf den Unterriht im Lateinifen‘‘, erregt Erwartungen, 

die nicht befriedigt werden. Nur an einer einzigen Stelle (6. 32), vie 


EGsẽshiete des Sprachunterricht, 579 


von dem Gebrauche der Tempera banbelt, wird Deuti und Lateinisch mit 
einander verglichen. Sonft befteht die Rüdfiht im Lateinifhen nur darin, 
daß ver Verfaſſer einige Punkte, mie die Eintbeilung und Declination der 
Pronomen, die Arten der coordinirten und fuborbinirten Säge, bier nicht 
ausführt, Sondern in Betreff derſelben auf feine lateiniſche Grammatil ver: 
weil. Abgeſehen davon, daß der Berfafler dadurch fein Schriftchen für 
Schulen, die feine lateiniſche Grammatik nicht benugen, unbraudbar madıt, 
ift ein ſolches Verfahren ſchon deshalb nicht zu billigen, weil die beutjche 
Grammatik eben deutſche und nicht lateiniſche iſt, alfo nicht ohne weiteres 
der lateinischen untergeordnet werben darf. 


Zu tadeln il, daß der Berfafier die Begriffe Laut und Buchſtabe nicht 
ſtreng auseinander hält. Er überjchreibt die Gintbeilung der Laute „Gin: 
theilung der Buchſtaben“. Auffällig ift auch die Auffafiung des „paffiviichen 
Satzes“. ©. 26: „Ein aciviiher Sa mit einem Objecte im Accuſativ 
ana paffivifch gewandt werben. Das Object wird zum Subjecte gemaht — 
und das active Subject wird mit den Bräpofitionen „von, dur, mit“ 
verbunden; es bezeichnet dann den Urheber over das Mittel auf die Frage: 
Bon wem? Durch wen oder was? oder Wodurch? Womit?! — 
Der Bote bringt den Brief — der Brief wird durch den Boten gebracht. 
Der Speer durchbohrt die Bruft — die Bruft wird mit dem Speere durch 
bohrt.“ Diefe Auffafiung des Paſſivums ift offenbar im Deutfchen zu weit, 
was deutli bei dem legten Beijpiele in die Augen fpringt, wo in dem 
paffiven Sage die Frage nad einem activen Gubjecte (von wem?) immer 
noch offen bleibt. Wäre die Oleihung richtig, jo müßte fie fih umftellen 
lafien, man müßte alfo fagen können: Die Wand wird mit dem Dele 
geftriden — das Del flreiht die Wand. Nur von aljo giebt einen reinen 
Ausprud des activen Subjectes im paſſiven Saße, durch und mit trüben 
und fälfhen dieſen Ausdrud. 


In den am Schlufie gegebenen Regeln über Orthographie find 
. die über die Schreibung des S⸗Lautes fehr mangelhaft. Die alte Noth, 
daß der Schüler nicht weiß, ob er nach langem Vocale 8 oder ß ſetzen 
fol, will ver Verfaſſer dadurch bejeitigen, daß er auf den Genitiv oder 
Bural verweiſt. Man folle Glas ſchreiben, weil der Genitiv „Glafes” 
laute, Fuß wegen des Genitives Fußes, Loos wegen Looſe. Dabei wird 
natürlich die Kleinigkeit vorausgeſetzt, daß die Schreibung des Genitives oder 
Plurales bekannt if. Der Berfafler meint nämlid, wenigftens. im Inlaute 
werde zwifchen zwei Vocalen der ſcharfe S-Laut von dem weichen in der 
Ausiprade unterfhieden, es werde in „raſen“ ein anderer S-Laut geſprochen 
als in „ſpaßen“. Wird der Verfafler die phyſiologiſche Seite der Lautlehre 
etwas ftudiren, fo wird er fich bald überzeugen, daß unter gleichen Bedin⸗ 
gungen naturgemäß der Laut auch glei geſprochen wird, daß aljo im 
votlisgenden alle der S⸗Laut zwiſchen vorausgebendem langen und nad: 
folgenden kurzen Bocale in der Ausipracde derfelbe ift. 

Bon manden wichtigen Saden, mie 5. B. von Sapverlürzung, von 
Wortbildung, ift in dem Schriftchen nicht die Rebe. 

87 * 


680 Die neueſten Erſcheinungen auf bem 


11. Unfere Mutterſprache in ibren Grundzügen. Wa ben neneren 
Anfichten dargeflellt von Dr, Ferdinand Bermeb. Bierte, verbefierte nad 
ge — Berlin, 1866. Verlag von I. Quttentag. (X und 

gr. 


Diefe® Buch verdankt feine neuen Yuflagen (1867 ift wieder eine 
erichienen) weniger feinem innern Werthe, als der buchhändleriſchen Reclame. 
Faſt jede Woche fallen einem ein paar Anzeigen dieſes Buches in die Hanke. 
Derartige Betriebſamkeit fordert natürlich zu forgfältiger Prüfung auf. 

Für wen iſt das Buch gefchrieben? Das ift fhmer zu fagen. Es ift 
fein Schulbuch, denn die Anordnung des Stoffes, die ver Verfaſſer getroffen 
bat Alinterfiufen: Laut und Bucftabe, Wortarten und Wortbiegung. 
Mittel: und Oberfiufen: Wortbildung, Grgänzung zur Lehre vom Wert, 
der einfache und zujammengefepte Sab, Gebrauch der Zeiten und Ausfage 
weiten, die Beichenfebung, die Nechtjchreibimg), iR ganz zu verwerfen. S 
gilt jetzt im Sprachunterricht ver methodiſche Grundſatz, dab auf jeder 
Unterrihtöftufe jeder Theil der Grammatik eine gewiſſe Berüdfichtigung 
finden muß; es ift alfo nicht erft die ganze Lautlehre, dam die ganze 
Wortlehre ıc. durchzunehmen. 

Das Buch iſt aber. auch nicht für den Selbſtunterricht zu empfehlen, 
denn es ift partienweije, bejonders in der Eaplehre fehr unllar und ver: 
worren in feinem Ausprud. S. 1 der Vorrede: „Wenngleid in der Clemen« 
targrammatit nur die Oberfläche des Sprachgebäudes betrachtet werden 
fönnen, fo ift e8 doch etwas anderes, die fchimmernden Steine heraus zu 
breden und mit blödem Auge den Werth der verlegten zu [häben, und 
etwas anderes, die Theile des organiſchen Baues behutſam zu löfen, durd 
die Zeit beſchädigte Stüde wieder zu ergänzen und die Formen auf: 
zudeden, welche die Beziehung zum Innern vermitteln.” Verſtehſt Du 
das, lieber Lefer? S. 82: „Ein Sa ift die Verbindung eine Gegen: 
ſtandes mit einer Ausſage.“ S. 107: „Der Sprechende erzählt aus der 
Gegenwart, der Vergangenheit, "oder Zukunft”. Gewiß ein Kunftftäd, aus 
der Zukunft erzählen. ©. 105: „Nebenſätze, melde daſſelbe "Subject 
wie ihr Hauptfaß haben, werden zum Zwed engerer Ineinanderfügung (alfo 
Nebenfäge in Nebenfäpe?) dadurd oft noch unfelbftändiger und abhängiger 
gemacht, daß man ihnen eine ganz beſondere Ferm giebt. So entfliehen 
verkürzte Säbe. Auch verkürzte Säße werben durch Komma getrennt 
(wovon 7)“. Weiß nun ber Lefer, was verfürjte Säge find ? 


Auch die Beifpiele laſſen viel zu wünſchen übrig. Nicht ſelbſtgemachte, 
Sondern Haffifhe Beifpiele, Kernſprüche ıc. müflen das Mittel zur- Ber 
anfhaulidung grammatifcher Lehren fein. 


Mas den Titelzufaß, „nah ben neuern Anſichten“, anbelangt, fo 
weiß ich nicht, wodurch derfelbe gerechtfertigt if. Einige neue Ramen und 
Wortbildungen, wie Deutewort (für Fürwort), Thunwort (für Zeitwort), 
Stoffwort (Kür Begrifjswort), Stab (für Buchſiabe), „‚gaftlihe Fremdwörter“, 
„die lebhafteren Gegenwarten”‘, „das MWohinsBerhältnik” u. dgl. Neuheiten 
find wohl faum ein Vorzug des Buches zu nennen. 


Gebiete des Sprachunterrichts. 581 


12. Deutſche Elementargrammatik für höhere Lehranſtalten, Gymmaſien, | 
Lheeen und —2 Von Ch. ri er —A—— 
nen Jene, Druck und Berlag von Friedrich Manke. 1866. (VIII nnd 

! )gr. 8. 


Die gute Anlage dieſes Leitfadens ift Tängft anerlannt. Nur bie 
grhstigteit der Ausführung wurde bisher immer unangenehm empfunden. 
eider frägt auch die dritte verbeflerte Auflage noch nicht überall das Ger 
präge jener methodiſchen Sorgfalt, jener ſtoffbeherrſchenden Sicherheit, Die 
gerade derartigen gebrängten Darftellungen das Recht des Dafeins verleihen, 
Einige Aenderungen kommen in ver neuen Auflage vor; fie beftehen in 
Heinen Zuſätzen, zuweilen auch in wirklihen Verbeſſerungen (5. 33: bie 
Adjectiven auf icht). Im Wefentlichen ift fein großer Fortſchritt bemerkbar. 
Das Kapitel von ber gemijchten Deklination (S. 23) ift nod eben fo 
dürftig wie bisher; unter den Wörtern, welche als Beleg gelten follen, 
finden fi immer noch ſehr ungewöhnliche, wie lächern (S. 30), grünlicht, 
füpliht, weißliht (S. 33). Es ließe fi ohne Mühe eine große Anzahl 
ſchwacher Stellen des Buches anführen. Gine gewiſſe Vollſtändigkeit der 
Code und große Präcifion des Auspruds müflen von jedem berarfigen 
Leitfaden verlangt werden; ber vorliegende läßt in beider Hinfiht noch 
mandes zu wünfhen. Da ber Berfafier in feiner vortrefflihen größern 
deutfhen Grammatik gezeigt bat, was er leiften kann, jo lönnen wir ihm 
in Betreff der lementargrammatit den Tadel der Flüchtigkeit nicht 

erjparen. 
13.” Leitfaden beim Unterridhte in der dentſchen Sprade für bie 
en Klaſſen höherer Lehranflalten von Edmund Schäfer, Director ber 


unter 
höhern Bürgerfhule zu Roermund. Sechſte Auflage. Köln, 1865. Verlag 
ber DuMont-Schauberg’ihen Buchhandlung. (168 S.) 8. 15 Ser. 


Die neue Auflage diefes Buches erfcheint ohne Veränderungen. Das 
Bud ift ganz nad der Bederfhen Grammatit gearbeitet; won den Yor: 
ſchungen ver neuern biftoriihen Schule ift nicht die geringfte Notiz ges 
nommen. DBergebens juht man nad einer Andeutung über ftarfe und 
schwache Flexion, über Ablautsreiben, über Wurzel, Stamm, Wbleitung, 
kurz nad derjenigen Anſchauungsweiſe, welche die fortjchreitende Willen: 
ichaft beinahe allen Gebilveten geläufig gemacht hat. Es wäre wohl mög: 
lich, dab ver Schüler die (S. 59) aufgeführten Kormen: fleugit, fleußt, 
kreuchſt ꝛc. für die neuefte Ausbrudsmeije bielte, da er über ihre Bedeu⸗ 
tung in der Gefchihte des Wortes gar keine Auskunft erhält. Für dieſe 
vollkändige Negation der fortfchreitenden Wiſſenſchaft in der Wortlehre bietet 
auch vie Saplehre keinen Erſatz, obgleich fie das Becerſche Syſtem einhält. 
Es Herriht hier noch derjelbe dürre, doctrinäre Ton, die veraltete Defini- 
tionsfucht, welche die von allem methobiichen Fortſchritt unbefledte grammas 
tiſche Methode auszeichneten. 


14, Kleine Grammatilk ber beutfhen Sprache. Ein Lehr⸗ und Lernbuch 
zum Gebrauch in den unteren und mittleren Klaſſen höherer Unterrichts⸗ 
anftalten in zwei Curſen dargeflellt von Dr. F. W. MR. Fiſcher. Erfter 
QCurſus. rlin. Nicolaiſche Bertagebuchhanblung. 1866. (IV n. 100 ©.) 
8 Sgr. Zweiter Eurjus. (94 ©.) 10 Sgr. 





582 Die neneften Erfcheinungen auf dem 


Nah des Berfafiers Anficht laſſen fi die Ziele, welche fi eine höhere 
Anflalt in Anfehung des Unterrichts im Deutfhen fiellen muß, durch 
alleinige Benugung des Leſebuches, wodurd auf mehr emıpiriichem 
Wege meift nur unfihere und zuſammenhangsloſe Renntnifle gewonnen 
würden, nicht wohl erreihen, er erachtet vielmehr einen beftimmten, wohl: 
georbneten Gang in der Grammatik ſelbſt für durchaus nothwendig. ‘jeder 
Curſus zerfällt in zwei Abtbeilungen ; der erfle handelt von der Laut» und 
Eilbenlehre und der Wortlehre, der zweite von der Mortbilvunge- und 
Satzlehre. Schon aus diefer Bertheilung des Stoffes erfieht man, daß das 
Buch nit den geringften methodiſchen Anſprüchen genügt. Die Darftellung 
ift, abgefehben von der unmethodifchen Anordnung, einfadh, Mar und über: 
fichtlich. 


15. Kleine Grammatik der dentſchen Sprache. Gin U für 
bie Unter» und Mittelllaſſen der NRealihuien und Gymnafien, zuſammen⸗ 
gefellt von Mar Hoffmann, Lehrer an der Lehr- und Erziebungeanfalt 
5 Sreiz im Boigtiande. Erſtes Heft: Buchſtaben, Silben, Wörter. 

reiz, Hermann Brebt. 1864. (31 ©.) gr. 8. Zweites Heft: Gep- 
Iehre. Anhang: Gleich und ähnlich lantende Wörter, ale Material ga 
orthographiſchen Uebungen. 1866. (38 ©.) gr. 8. 


Ein äußerft dürftiger Abriß der Grammatik, der auch in den unteren 
Klafien höherer Lebranftalten kaum genügen dürfte. Die Wortbildung fi 
gar nit berüdfidtigt. Die Conjunctionen tbeilt der Berfafler ein in 
Bindewörter und Fügemörter, das r rechnet er zu den Gaumenlauten x. 
Mufterfäpe bildet der Berfafir S. 12 in diefer Form: „Du kennſi 
bie ſpaniſche Sprache noch nicht, ebenfo ergeht e8 mir. — Zwar kehrt bie 
Brandung zurüd, allein den Jüngling bringt fie nicht wieder”. 


16. Der deuſche Say. Zum Gebraud in den umterflen Maflen ber Bittel- 
jgulen von Eduard Hermann, 1. k. Symnaflalprofefjor an ber There⸗ 
fianifhen Alademie. Zweite, vermehrte und verbefferte Auflage. Wien, 
1866. Bed’jhe Univerfitätsbuhhandlung. (59 &) 8. 74 Sgr. 


Es iſt erfreulih, daß dieſes Meine Schrifthen im den öfterreichiichen 
Schulen Fuß faht. Es ftellt die Bederfhe Eyntar in möglichſt ſchlichter 
und doch äußerſt gründlicher Weife dar. Bahlreiche, gut gewählte Beifpiele 
werden überall der grammatiſchen Lehre vorangeflellt. Nur follte man in 
Defterteih nicht meinen, daß eine derartige Beilpielfammlung vie Analyie 
ven Lejeftüden unnoͤthig made. Gin Necenfent des Scriftchens, Profefier 
Eggers, fagt: „Die praltiihe Erfahrung lehrt, daß eine unmittelbare Ber 
bindung von Regel und Beifpiel den Schüler fördert und den Unterridt 
erleichtert, während ein Aufſuchen des Paflenden in verjchiedenartigen Leſe⸗ 
ftüden Beit und Mühe loftet, und die grammatifche Analyfe eined anregen 
den Inhaltes dem jungen Gemüthe die reine Freude am Ethiſchen wmb 
Aeſthetiſchen desjelben ftört”. Offenbar hat man in Defterreih noch einen 
unrichtigen Begriff von der analytiſchen Methode, wenn man glaubt, fie 
beftehe in dem Auffuchen einzelner Beifpiele für eine grammatiſche Lehre. 
Es ift den Suddeutſchen das Studium der Schriften Kellners, Ottos, Kehrs 
u. a. dringend zu empfehlen. 











Gebiete des Sprachunterrichts. 583 


17. Deutſches Sprachbuch für höhere allemanniſche Volkoſchnlen, 
von Johannes Meyer. Erſter Curſus. Schaffhauſen, Brodtmann'ſche 
Buchhandlung. 1866. (XVI u. 132 ©) 8. 12 Sgr. 


Daſſelbe. Zweiter Eurfus. (152 ©.) 8. 12 Sgr. 


Eine Arbeit, die aus der Spur des Gewöhnlichen heraustritt oder 
wenigftens berauszutreten fucht. In der Vorrede kämpft der Berfafler gegen 
den einjeitigen grammatifchen Unterricht, der ftatt der Sprad: und Schreib: 
fertigleit nur die Kenntniß bohler und todter Formen erzielt. Nur follte 
der Berfafier auch wiſſen oder menigftens nicht vergefien, daß man in der 
deutfhen Volksſchule ſchon längft etwas Befleres kennt und treibt, als 
das, was er befämpft; er follte jein „‚bei uns“ nicht ohne meiteres auf 
dad ganze Deutjchland ausdehnen. „Es ift kein Zweifel, daß die moderne 
Volksſchule bereits zu wanken beginnt; ertönt doch jebt ſchon aus der 
Familie der Ruf nach Freifhulen”. Gewiß, man kann und darf Uebel 
re ‚ die man befeitigen will, etwas grell malen, aber nur nit gar 
zu jebr. " 

Der Verfaſſer fchreibt für Schulen, die ihre Schüler vom 10. bis 15. 
Lebensjahr unterrichten (Real: und Secundarfchulen), aber im erften Curſus 
ſcheint er nicht blos das. Hochdeutſch im Anjhluß an den Dialekt, jonderng 
legteren felbft neben dem erfteren lehren zu wollen; er treibt die Berüd: 
fichtigung des Dialelts zu weit. Er ftellt in der Regel die Süße, Ge: 
ſpraͤche, Grzählungen ꝛc. in dialektifcher und hochdeutſcher Form neben 
einander und fnüpft daran die grammatifche Belehrung. Man follte meinen, 
Schüler von 10 Jahren müßten doch ſchon fo welt ins Neuhochdeutſche 
eingeführt fein, daß eine derartige Berüdjichtigung des Dialekts unndtbig 
wäre. Die grammatifche Belehrung fchreitet aljo fort: 1. Hauptftüd: 
von der jeßt gültigen Ausſprache und Schreibung des Hochbeutfchen; 
2. Hauptftüd: einiges von den Säßen und Saptheilen; 3. Hauptflüd: von 
den Verben oder Zeitwörtern; 4. Hauptftüd: von den Subftantiven und 
Adjectiven. Im zweiten Curjus werden die Pronomen, die Adverbien, die 
Steigerung, die Verkleinerung, die Präpofitionen, die Bildung der Haupt: 
wörter und der Verben, zuleßt die innere Wortbildung behandelt. In 
dieſem Curfus tritt der Dialelt etwas zurüd, die Beifpiele werden oft nur 
in hochdeutſcher Form gegeben. Weberhaupt lenkt diefer Curfus jo weit in 
das gewöhnliche Geleis der grammatiſchen Sprach⸗ und Uebungsbücher ein, 
daß man nicht recht begreift, wie er eine „völlig neue Methode‘, wie ber 
Berfafier meint, anbahnen fol. Der dritte Curfus foll die Saglehre und 
die Synonymil enthalten. 

Bieierlei ift noch erwähnenswerthb. Gritens: Der Berfafier meiftert 
die neuhochdeutſche Sprache etwas zu jehr. Gr zieht in der Regel die 
Grenzen derfelben zu eng. Er meint 3. B., es fei in ihr nicht erlaubt, 
mit einfachem Ja oder Rein zu antworten, man dürfe alles, was erft noch 
gejheben foll, nur durch das Futurum, nit wie im Dialelt durch das 
Praͤſens ausprüden ꝛc. Gegen derartige Beſchraͤnkungen ber neuhochdeut⸗ 
ſchen Sprache ift entjchieden zu proteftiren. Damit hängt zufammen, daß 
der Berfafier bei der Ueberſetzung dialektiſcher Stüde nicht blos von ber 
Wortform, fondern oft in ganz unnöthiger Weife auch von dem Worte, 


584 Die neueſten Erſchelnungen auf dem 


von der Redeweiſe, von der Sakform des Dialelts abgeht und fait des 
recht wohl erlaubt lebendigen Ausdruds nur eine matte, alltägliche, lang 
mweilige Phrafe ſetzt. Geradezu widerlich wird die Pebanterie, wenn die 
Gefprädsformen überjegt werden. S. 49 diene ala erfled beftes Beifpiel. 


Wemmer e spil mache, Josepp? Joſeph, wollen wir nicht fpielen? 


Jô, Erst nö! Ja gewiß. 

Wa für eis? Was für ein Spiel wollen wir 
aber mahen? 

’Sräuberspiil. Wir wollen Räuber jpielen. 


Marum fol: „Was für eins? Das Räuberfpiel”, nicht hochdeutſch 
fein? ©. 66 überfegt der Berfafier: Bäld bäld isches mit dir vorbi, 
mit: „Sehr bald wird es hier um dich geſchehen fein‘; oder: Hüt lebt 
en mensch und mörn ist er nümme dö mit: „Heute lebt der Menſch 
und morgen wird er nicht mehr gefunden”. Solche Beilpiele des abſcheu⸗ 
lihen Breittretend und Verwäſſerns der kurzen, fernigen Ausdrudsweiſe des 
Dialelts find auf jeder Seite zu finden. Ein Schüler von gefunden Ge- 
fühle muß dann einen wahren Schreden vor dem belommen, was ihm bier 
als neuhochdeutſche Sprache dem Dialekt gegenüber geboten wird. 


Zweitens: Cine beliebte Aufgabe des Verſaſſers iſt, daß er fehlerhafte 
hochdeutſche Stüde zur Verbeſſerung vorlegt. Dieſes Verfahren iſt längft 
gerichtet. 


2) für Elementarſchulen. 


18. Kleine deutſche Grammatik von E. H. Kröger. Bierte Unflage. 
Preis 10 Sgr. Oldenburg, 1866. Druck und Verlag ber Schnlze ſchen 
Buchhandlung. (VIII und 168 ©.) 


Diefe neue Auflage unterfcheidet fi von der im X VI. Jahresberichte 
beſprochenen dritten nur dadurch, daß noch einige Heine Lüden in der Gap: 
lehre ausgefüllt worden find. Wollte der Verfaſſer ven Stoff einmal 
methodiſch anordnen, fo hätte er noch mandes thun koͤnnen. Er hätte 
das, was wiſſenſchaftlich zuſammenhaͤngt, noch weit mehr trennen und auf 
die verſchiedenen Unterrichtöftufen vertheilen koͤnnen. 


19. Deutſche Sprachlehre für Volkeſchulen, Präparanden⸗Anſtalten und 
Schullehrer⸗Seminare von Otto Schulz. Achte verbeſſerte Auflage. Laden⸗ 
preis gebunden 124 Sgr. Berlin, 1866. Nicolaiſche Verlagsbuchhandlung. 
(VIII und 208 ©.) 


Gewiß hat das Buch vieles Gute, die Meinung des jetzigen Heraus: 
gebers (%. R.) aber, daß man in diefer Sphäre ein relativ vollkommneres 
Shulbuh nicht erwarten dürfe, Tann ich nicht theilen. Es möchte jebt 
doch mandes in dem Buche als veraltet zu befeitigen fein. So ©. 2 bie 
Yusdrüde Grundlaute (für einfache Laute), Vorlaute, Nachlaute (für Anlaut 
und Auslaut); S. 3 Anmerk. die Reihen der Selbſtlaute, von denen bie 
erfte und dritte falfch find; die 5 Doppellaute find auf drei (ai — ei, 
Au — eu) zu rebuciren; bie ganze Eintheilung der Mitlaute if zu reſor⸗ 
miren, w tft zu den SHalblanten zu zählen; ©. 19 „bie vorwärtöweijenden 








Gebiete des Sprachunterricht, 585 


Jarwörier“; S. 21 „vie Steigerung und bie Hochſiufe“; ©. 27 „gegen 
ländliche und ungegenftändlihe Ausfagemwörter” ; ©. 29 „vie Nebenwörter” ; 
©. 35 „die uneigentlihen Bormwörter; 6. 36 „Statt halben jagt man 
balber, wenn es bei einem Nennwort fiehbt; S. 42 „ver handelnde Gegen: 
ſtand“; &. 165 „Sehen ift ein Wurzelmwort, aber die eigentlihe Wurzel ift 
ſeh“; (das verräth eine fehr geringe in Einſicht die Wortbildungslehre!) — 
Da das Bud in feiner ganzen Art etwas echt Lehrhaftes hat, fo verdiente 
ed wohl eine zeitgemäßere Geftaltung ver äußeren, grammatifchtechnifchen 
Ausdrudsweiſe. 


20. Leitfaden für ben Unterricht in ber Grammatil der dentſchen 
Spyrache. Kür vielliaffige Bürgerigulen in fünf conceutriſchen Kreifen be⸗ 
arbeitet von Dr. K. Panitz, Oberlehrer an ber Realſchule zu Leipzig. 
I. Kreis für das 3. Schuljahr. II. Kreis für das 4. Schuljahr zc. bie 
V. Kreis für das 7. Schuljahr. Preis eines jeden Kreiſes 2 Sgr. Leipzig, 
1866. Berlag von Julius Klinkhardt. 


Um den Zmwed biefes Leitfaden etwas näher ins Licht zu feben, will 
ih einige® aus dem Vorwort mittbeilen. „Die Spradbetradytung iſt eine 
ſehr vielfeitige und die grammatifche ift zwar nur eine der vielen Seiten, 
aber fie ift eine unerläßlihe, muß wie jede andere, auch wenn fie an das 
Leſebuch angeſchloſſen wird, in einer geordneten Folge fortfchreiten. Diele 
geordnete Folge feftzuftellen,, ift eine unabmweisbare Aufgabe, befonders in 
einer vielllaffigen Bürgerſchule, wo der Schüler faft mit jebem Sabre 
in andere Hände übergeht und jeder Lehrer fehlechtervings wiſſen muß, mas 
feine Borgänger getrieben haben, mas er zu thun bat, und mas andere 
nad ihm treiben werden. — Die Quantität des Stoffes habe ich fo,be: 
mellen, daß ein reis in einem Sabre recht wohl durcharbeitet und bes 
felligt werben fann, wenn im ganzen 1 Stunde der wöchentlichen, in der 
Regel 4 bis 5 Stunden betragenden Zeit des Spradunterrihts darauf 
verwendet wird, Man fieht daraus, daß ich weit davon entfernt bin, ‚den 
ganzen Sprahunterriht in einem ausfhließlihen Betreiben der Grammatik 
aufgehen zu laſſen. — Bei der Auswahl des Stoffes glaubte ich das, was 
nit für das Verſtändniß der Sprache wichtig, mas nicht für das richtige 
Sprehen und Schreiben nothmwendig ift, was überhaupt keinen praktiſchen 
Werth hat, nicht berüdfichtigen zu dürfen. Damit war einiges, was geeignet 
ift, Liebe zur Sprachbetrachtung und Intereſſe für ſprachliche Erſcheinungen 
zu erregen, natürlich nicht ausgefchloffen. — Bei der Anordnung des Stoffes 
bin ic beftrebt gewefen, dem Zitelzufaße „in concentriſchen Kreiſen“ mög: 
lichſt geredht zu werden. Natürlich läßt fi) über mandyes viel ftreiten und 
ich bin weit entfernt, meine Anordnung für die allein richtige auszugeben. 
3 bin wo möglich überall vom Sape ausgegangen und habe gleich auf 
der unteriten Stufe die Satzlehre der Wortlehre vorangeftellt, weil die mid: 
tigften Berbältnifie des Wortes ihr Licht und ihre Bedeutung nur durch 
die Stellung des Wortes im Satze erhalten. Ebenſo babe ich auf den 
unterften Stufen Rüdfiht auf die Ichriftlichen Arbeiten dee Schüler genommen, 
denn ſchon bier muß nach meiner Anfiht außer Satzbildungen die Nadı= 
erzählung, wenn auch nur die kurze, wortgetreue, Platz ergreifen, Daher 


586 Die neueften Erſcheinungen auf dem 


find einige Regeln ver Snterpunction und die belannteften Conjunctionen 
zeitig eingeführt worden. 

. Da ein folder Leitfaden natürlih als ein ausgeführter Lehrgang zu 
betrachten ift, fo will id noch den Inhalt kurz angeben: 


I. Rreis. 


Einleitung: Mutterſprache, Schriftſprache, Vollsſprache; Grammatit, 
Satz⸗, Wort⸗, Lautlehre. 

1. Abſchnitt: Einiges aus der Satzlehre. Saß, Subject, Praͤdicat, 
Glieder des Satzes; Behauptungsſatz, Frageſatz, Wunſch⸗ und 
Befehlsſatz; Punkt, Fragezeichen, Ausrufungszeichen; Haupt⸗ und 
Fürmort als Subject; Zeitwort, Eigenſchaftswort, Hauptwort und 
Hilfszeitwort als Praͤdicat; Artikel; Ein: und Mehrzahl; die 
drei Hauptzeiten; Activum und Paſſivum, Objecte, Beifügungen. 

2. Abſchnitt: Einiges aus der Wortlehre. Die ſchon behandelten Wort⸗ 
arten, die vier Caſus in Gin: und Mehrzahl, mit beſtimmtem 
und unbeſtimmtem Artikel. Deklination des Subſtantivs und 
Adjectivs. 

3. Abſchnitt: Einiges aus der Lautlehre. Laut, Buchſtabe, Ans, In⸗, 
Auslaut, einfache und Doppelvocale, einfache und zuſammengeſetzte 
Conſonanten, Bezeichnung der Kürze und Länge des Vocals. 

4. Abſchnitt: Einiges aus der Wortbildungslehre. Haupt⸗ und Neben⸗ 
ſilben, Vor⸗ und Nachſilben, Silbenabtheilung, zuſammengeſetzte 
und abgeleitete Hauptwörter und Cigenſchaftswörter. 


II, Kreis. 


1. Abſchnitt: Saplehre. Umftände des Ortes, ber Zeit, der Weile, des 
Grundes. Umftande: und Verhältnißwörter. Der zufammen: 
gezogene Satz, einige Bindemwörter, das Komma, Haupt: und 
Nebenſatz, Vorder⸗ und Nachſaß. 

2. Abſchnitt: Wortlehre. Deklination des perſoͤnlichen Furwortes; das 
beſitzanzeigende Fürwort. Die Grundformen der Conjugation. 
Die Präpofition, das Zahlwort. 

3. Abſchnitt: Laut: und Meortbildungslehre. Kürze und Länge des 
Vocals, mweihe und fcharfe Eonfonanten, die S:Schreibung, 
zufammengefeßte Hauptwörter, Comparationsform, abgeleitete umd 
zuſammengeſetzte Beitwörter. 


III. reis. 


1. Abſchnitt: Wortlehre. Die Arten der Zeitwoͤrter, die ſechs Zeit 
formen, die drei Nusfageformen, vollftändige Conjugation der 
Hilfszeitwörter und des felbftändigen Zeitwortes. Hilfözeitwörter 
ber Ausſageweiſe; Bedingungsform, Imperativ, Snfinitiv und 
ihr Gebrauch, die Participien. Starte und ſchwache Eonjugation. 
Tabelle der ftarlen Verba, Verba mit gemiſchter Conjugation. 
Starte und ſchwache Deklination, Bildung der Caſus, Dellination 
der Namen, der Fremdwörter. Die refleriven, demonſtrativen, 
interrogativen, relativen und unbeitimmten Bronomen. 


Gebiete des Sprachunterrichts. 587 


2. Abſchnitt: Saplehre. Das unperfönlihe Eubject; das Object im 
Kccufativ, Dativ, Genitiv; die doppelten Objecte. 


IV, Reis, 


8. Abſchnitt: Saßtzlehre. Haupt und Nebengliever des Satzes; Ber 
jahung und Verneinung; der zufammengezogene Sab und Die 
Gonjunctionen darin; der zuſammengeſetzte Sap, die gleichſtellen⸗ 

den, entgegenftellenden, begründenden und folgenden Sasverbin 

dungen und bie betreffenden Conjunctionen; vie Interpunction 
bei Sapverbindungen. Das Gapgefüge, die Bildung des Neben 
ſatzes, die Arten der Rebenſätze, birecte und imbirecte Rede. 
Nebenfäge in der Form von Hauptfäpen, Stufen der Rebenjäbe, 
Verkürzung der Nebenfäbe. 

2. Abſchnitt: Wortiehre. Unregelmäßige Seitwörter. Bas Geſchlecht 
des Hauptwortes, Wörter mit doppeltem Gejhleht. Die Ums 
ftandswörter des Ortes, der Zeit, der Weiſe. Weberfiht ber 
Präpofitionen. Bedeutung und Verbindung einer Präpofition, 
Üeberfiht der Conjunctionen. 

8. Abſchnitt: Laut⸗ und Wortbildungslehre. Der Umlaut, der Ablaut, 
die Verwandlung der Gonfonanten. Bildung ber Umſtandswoͤrter. 
Wortfamilien. 


V. Kreis. _ u 


1. Abſchnitt: Satzlehre. Der Gebrau des Artifel8, die Zahlform bed 
Praͤdicatszeitwortes, befonderer Gebraud der Zeitformen, Ge⸗ 
brauch des Conjunctives im Hauptſatze und Nebenjape. Sub: 
jectiver und objectiver Genitiv. Unabhängige Caſus. inge: 
ſchobene oder Scaltfäge, verkürzte Sätze. Die Periode; Bes 
tonung, Wortfolge; Weberfiht der Sablehre, Ueberfiht der Satz⸗ 

zeichenlehre. 

2. Abſchnitt: Laut: und Wortbildungslehre. Verkürzung und Ders 
laͤngerung der Vocale, Aus⸗ und Abſtoßung der Laute, Wirkung 
der Gonfonanten auf einander. Bildung der Hauptwörter und 
Eigenfhaftswörter. Dunkle Zufammenfepungen. Die untrenn⸗ 
baren Vorſilben. Die Bildung der Bindewörter. Wortfamilien. 
Fremdwörter. 

Anhänge: Gefhichtlihes der deutſchen Sprade. Aus der Verslehre. 


21. Kleine Grammatif der deutſchen Sprade. Ein Lehr- unb Lern⸗ 
buch zum Gebrauch in Bürgerſchulen, dargefiellt von Dr. F. W. R. Be . 
74 Sgr. Berlin. Nicolaifche Verlagsbuchhandlung. 1966. (VI u. 87 ©.) 8. 


„Solen ſich anders die Schulen ein befiimmtes Maß poſitiver Kennt 
niffe aus dem Gebiete der deutfchen Grammatif feft und ficher aneignen, 
fo erſcheint mir auch die Befolgung eines beſtimmten Lehrganges durchaus 
erforderlich.” Damit bin ich ganz einverftanden und halte: beſonders für 
Bürgerfhulen, die fih natürlich in mehrere Klaſſen unter mehreren Lehrern 
gliedern, einen beflimmten Lehrgang für durchaus nothwendig. Aber das 
vorliegende Buch ift kein folder Lehrgang, der grammatifche Stoff ift in ihm 


488 Die neueſten Erfcheinungen auf bem 


nach ‚der alten Weiſe (1. Theil: Laut: und Silbenlehre nebft den wichtigften 
Regeln der Rechtichreibung; 2. Theil: Wortlehre und Wortbilbung; 3. Theil: 
Satzlehre) angeorbnet. Der Lehrgänge bedarf es, nicht neuer Heiner Gram⸗ 
matilen. Cs find eine ziemliche Anzahl gute Orammatilen, große und Tleine 
vorhanden, aus denen ſich jede Bürgerjchule ihren Lehrgang zuſchnelben Lahn. 
Es handelt fi) aber jept gerade darum, die rechte Art nes Bufchneibens 
zu finden. Wbgefeben davon, daß das Buch gerechten Anſprüchen der 
Methodik nicht genügt, kann e8 ein gutes genannt werden; bie Darftellung 
M einfach und Mar. 


22. Kleine dentſche Sprachlehre. Bin Haubbädlein bes dentſchen 
Sprachunterrichts für die Schüler ber Glementar- und Bürgerfchulen nebf 
einigen Belehrungen über das Leſen mit Ausbrud. Bon Carl Ferdinand 
Monnig. Zehnte vermehrte Auflage. Berlin, 1866. Verlag von F. Berg⸗ 
gold. n. 90 ©.) 74 Ger. 


Weſentliche Veränderungen find in biefer Auflage wit vorgenommen, 
nur bie erläuternden Peifpiele find an manden Stellen verstehrt ober mit 
andern vertaufht worden. Ich Tann das im ganzen ungünftige Urtbeil, 
das im XVI. Jahrgange über das Buch ausgeſprochen worden iſt, nur be: 
ſtaͤtigen. Es ifi ein Buch nad dem Wunſche der preußifhen Negulative. 
In der Saplehre werden als Beifpiele faft ausſchließlich Säbe religidſen 
Inhalts gegeben. Die arme Religion, mas muß fie ſich nicht alles gefallen 
laſſen! Sogar die Grammatik wird an und in ihr eingeübt. 


23. Deutſche Elementar-Grammatil. Nach dem gegenwärtigen Stand» 
punkte der Sprachwiſſenſchaft. Ein Hilfobuch zum deutſchen Sprachunterricht 
in den Saupt- und Dittelfehulen. Bon 2. M. Bauer, Bffentticher Haupt- 
ſchullehrer in Beft. Fünfte verbefierte und ſiark vermehrte Auflage. Peſt, 1866. 
Berlag von Wilhelm Lauffer. (116 ©.) HM. 8. 30 Rkr. 


Sehr elementar ift das Buch allerdings. Außer den Uebungsbeifpielen 
find auch ragen beigejeßt, die den Lehrer auf den rechten Meg bringen 
jollen. Solde Fragen find 5. B. ©. 6: „Wie werden die Wörter ein« 
getheilt? Wie heißen die zehn Wortarten?“ ©. 7: „Welde Wörter heißt 
man Artilel? Welches ift der beftimmte Artilel? S. 15: „Wie viele 
Fälle giebt e3? Wie heißen die 4 Fälle? Welche Frage beantwortet der 
Werfall?“ Man fieht, der Berfajier traut dem Lehrer nicht viel zu. 
„Den gegenwärtigen Standpunkt der Sprachwiſſenſchaft“ fuht man aber 
vergeblidy in dem Buche; zundcit vermißt man das jebt übliche Hochdentſch. 
88 heißt S. 2: „Uebung durch linterfcheiden der Nein, Ums und Zwie⸗ 
laute”, S. 65: „Eilfter Abſchnitt“. Das Mufter einer Abhandlung über 
das Sprichwort: Was eine echte Neſſel werden will, brennt bei Seiten, bes 
ginnt ©. 87 aljo: ‚Eine tüchtige Nefjel wird ſchon als Heincd Pflänzchen 
brennen. Die Pflanze, welde dies in ihrer Jugend nit tbut, wird nie 
eine echte Neſſel fein und werben”. Da das Bud bereits 5 Auflagen 
erlebt bat, jo muß es in Peſt und deſſen Nähe doch genügen. Wenn bem ſo 
ft, jo Tann man wenigſtens aus dem Buche, aus dem man fonft nichts 
lernen kann, das bortige Schulweien erlennen. 








Gebiete des Sprachunterrichts. (589 


24. Kleine dentſche Grammatik ohne Worte. Beiſpiele, Heberfäriften, 
Ken unb »Berzeihnifie als Grundlagen bei bem Unterrichte in 
ber Sprachlehre. Für Kinder in Volfsihulen. Zufammengeftelt von U. 
Stroeſe, Eonrector in Koenig, „gpeite durchgeſehene Auflage. Wittenberg, 

R. Herrofe. 1866, (40 ©.) kl 


Ein jehr duͤrftiger, für eine Burgerſchule, wenn ſie irgend etwas taugt, 
ungenügender Abriß der Grammatik in Ueberſchtiften und Beiſpielen. Wes 
ſentliche Dinge, wie die unregelmäßigen Zeitwörter, die Arten der Conjunc⸗ 
ttonen, die wichtigſten Sachen aus der Interpunction und Orthographie 
fehlen ganz. 

25, Braftiide Spraßtehre für deutſche Volkeſchulen. Von K. Baſt. 


eie 8 lr. Worms. Berlag der H. Kräuter'ſchen Vuqhtaudluns. 
8 S.) U. 6. 


Das Schriftchen iſt für die Hände der Kinder beſtimmt. Ich habe 
nichts MWefentliched darin vermißt. Das Hauptgewicht ift auf die Beifpiele 
gelegt; wo aber grammatifche Belehrungen und Erklärungen vorangeftellt 
find, ift bei aller Kürze und Allgemeinverftändlichleit des Auspruds doch 
alles richtig und beſtimmt ausgedrüctt. Das Schriftchen iſt zu empfehlen. 


26. Kesalı ber beutihen Sprachlehrxe für Gtemeniarihulen von M. 
NRohn, Seminarlehrer. Amel verbeflerte Auflage, Braunsberg, Ber- 
tag. von &b. Peter, 1866. (32 ©.) 8. 2 Ser. 


Dem vorher erwähnten verwandt und ebenfo brauchbar. Es iſt ſchan 
dm XVII. Yahrgange beſprochen worden. Die neue Auflage ſcheint feine 
weſentlichen Aenderungen zu bieten. " 
27. Deutfhe Grammatil. Leitfaden für ben Unterricht in beutfcher Sprache. 


Bon D. Sommer und ©. Schaarfhmidt. Braunlhtoeig. Alfred Bruhn 
(Ed. Leibrod’e Nachfolger). 1866. (38 S.)8. 3 Sgr 


Diefes Büchelhen unterſcheidet ſich von ben zuleßtgenannten vortheil- 
haft dadurch, daß es eine methodiſche Anordnung bes Stoffes im Auge 
bat. Es if für die zwei oberſten Klaſſen einer Bürgerſchule beſtimmt und 
theilt daher den Unterrichtsſtoff in zwei neben einander ſtehende Curſe der 
Art, daß der erſte die leichteren grammatiſchen Regeln behandelt, waͤhrend 
ber zweite die Schüler der oberſten Klaſſe in die wichtigflen übrigen Sprach⸗ 
geſetze einzuführen ſucht. Ferner iſt die Anordnung des Stoffes — getroffen, 
daß die drei wichtigſten Theile einer jeden deutſchen Grammatit: Satze, 
Formen⸗ und Wortbildungslehre, weder vollftänpig von einander getrennt, 
noch ſo eng mit einander werbunden find, daß die Meberfichtlichleit des 
Ganzen dadurch beeinträchtigt würde. Alle vier Abſchnitte des Schriftchens 
geben vom Cake aus, der erſte vom einſachen, ber zweite vom erweiterten, 
A britte vom zufammengefegten, ber vierte vom verlürzten Sabe. 


580 Die neueſten Erfcheinungen auf bem 


IL Schriften für den gefammten Sprachunterricht. 
1. Für höhere Lebranftalten. 


28. Deutſ hes Sztaqug Rage, Di ber Laut⸗, Wort-, Satz˖, Stil⸗ unb 
Literaturlehre. Bon Dr. Mager, BDirertor und Brofeffor des Groß 
Sächſ. Renigumnaftume. Zweiter Band. Für obere Klaſſen. led. 
Uuflage. Rah dem Tode bes Berfaflere neu bearbeitet von R. @giegel 
Gtuttgart uub Augsburg. J. G. Cotta'ſcher Verlag. 1866. ( und 
366 ©.) gr. 8. 24 Sgr. 


Der 1863 in zweiter Auflage erfchienene erfte Theil if m ſechzehnten 
Jahrgange beſprochen worden. In Betreff des zweiten Theiles ſagt der 
Herausgeber in der Vorrede: „Bei der Ausarbeilung des vorliegenden 
Bandes bin ich der Anfichten und Vorarbeiten Mager's möglihft treu ges 
blieben; ich babe aber gewiſſenhaft mich mit der ganzen Literatur des 
Sprachunterrichts belannt gemadht, und hauptfählid auf das Quellen: 
ftubium, ebenfo auf felbftändige Wahl guter claſſiſcher Beiſpiele alle nur 
möglihe Sorgfalt verwendet. Insbeſondere babe ich folgende Werte viel: 
fah benugt: Grimm, deutſche Grammatik; Grimm, deutſches Wörterbuch; 
Bopp, vergleihende Grammatik des Sangkrit zc.; Schleicher, vergleichend: 
Grammatik der Indogermaniſchen Sprachen; Weigand, Wörterbuch ver 
deutihen Synonymen; Kehrein, onomatiſches Wörterbubh ıc. —; die Lehr: 
bücher der Stiliftit von Beder, Herling, Rinne, Thrumer, Zof ꝛc.“ 

Die methobifhen Grundſätze des Herausgebers lafien ſich theilweiſe 
aus folgenden Worten erlennen: ‚Seit dem Erſcheinen des erflen Bandes 
babe ic} leider immer wieder das alte Gerede gegen die fogenannte „logiſche 
Schule lejen hören müflen. Cs ift ar ſich fchon bellagenswerth, daß fi 
Männer der Wiſſenſchaft ſolch nichtsfagender Schlagwörter bebienen und mit 
boblen Phrajen ſich berumftreiten; es ift aber aud ein großes Unredt, 
ausgezeichnete Leiftungen,, wie bie Beder’s, durch ſolche unbeitimmte Stich⸗ 
wörter mit dem Kram der gewöhnlichen Bücherfabrilation, der mit dem: 
felben Parteinamen belegt wird, zufammenzumerfen. Wer die Logik ans 
der Sprache ftreihen will, weiß nit, was er thut; denn mit dem» 
jelben Munde zu jagen, daß die Sprade der Ausdrud der 
Gedanken fei, und dann gegen logifhe Sprachforſchung zu 
eifern, tft doch gar zu dumm. Hätte man mit objectiver Sachkenntniß 
und mit klarer Gebankenentwidelung nur die Einjeitigleit einer ausſchließlich 
logiſchen Sprachforſchung und damit bie Gleihberedhtigung einer anatomifd: 
hiſtoriſchen Erforſchung der Spradformen nachweiſen mollen, wie dies 
Mager getban bat, fo ftünde e8 auch um die Schuibüder für den Sprach⸗ 
unterricht befier. Fuͤr Schulbücher ift dann überdies ein Hauptgeſichtspunlt 
ganz überfehen worden, nämlid ber, dab weder Iogifche, noch hiſtoriſche 
Sprachforſchung in die Schule gehören. Die Schule muß rein humaniſtiſch 
fein, fie joll erziehen, fie joll Menſchen bilden, und wenn fie zur Meajchen- J 
bildung Wiſſenſchaften lehrt, fo find ihr diefe nicht Selbftzwed, fie ſird ihr 
Bildungsmittel, und ihre Methode ift alſo nicht die der Wiffex-. 
ſchaft, fie ift ihr dur das lernende Subject gegeben.” 








 . Gebiete bes Sprachunterrichts, 591 


Nach einer kurzen Ginleitung, welche die Gliederung der Sprachwiſſen⸗ 
ſchaften darlegt, behandelt diefer heil in 5 Büchern 1) die Phonetif oder 
Lautlehre nebſt Rechtſchreibung S. 1—16; 2) die Etymologik und Ono⸗ 
matit (Wurzel und innere Wortbildung, Ableitung, Zufammenfeßung, 
deutfhe Wortflänme mit ihren Ableitungen und Bufammenjeßungen, laut 
verwandte Wörter, Synonyme, Frenidwörter) S. 22—70; 3) die Gram⸗ 
matit (Syntar, Formenlehre, Betonung, Interpunction) ©. 71 — 247; 4) 
die Stiliftit (Poetik, Metrit, Forderungen des Profaftild, fehlerhafte Bei⸗ 
jpiele, Uebungen und Themen, ber münblihe Vortrag S. 251 — 925; 
5) die Spraden: und Literaturlunde (Eintheilung per Sprachen überhaupt, 
Sliederung der deutfchen Spraden, deutfhe Mundarten, Geſchichte der 
deutſchen Literatur in tabellariſcher Ueberfiht) S. 327 — 349. 

Zunächſt muß ich beftätigen, daß die neue Bearbeitung den Refultaten 
der Sprachwiſſenſchaft überall geredht zu werden gefuht bat. Natürlich 
laßt fih darüber ftreiten, mas von dieſen Refultaten in ein Schulbuch 
aufzunehmen if. Ich glaube, im Ganzen hat der Herausgeber das Rechte 
getroffen. Nur von der „Deutſchen Grundfprache” und der „Indogerma⸗ 
nifhen Urſprache“ Schleicher’ würde ich in einem Schulbuche nicht reden, 
wenigftens nicht ohne auf das Hypothetiſche der erjchloffenen Formen auf: 
merffam zu maden. So, wie der Herausgeber davon redet, muß der Un: 
tundige auf den Gedanten kommen, es feien die deutſche Grundſprache und 
indogermanifche Urſprache wirkliche, nachweisbare Sprache gewejen. In Betreff 
ber äußern MWortbildung, der Ableitung, der Dellinationd: und Conjugalionss 
endungen, der Endungen ber ſchwachen Conjugation ıc. hätte vielleicht des Heraus⸗ 
geber die neuere Anficht, daß alles auf urfprünglihe Zuſammenſetzung bins 
weift, erwähnen und bie und dba an einem Beiſpiel verbeutlichen lönnen. 
Einiges mwenigftens, wie 3. B. daß die Conjugationsendungen die perſoͤn⸗ 
lichen Pronomen enthalten, daß die ſchwache Conjugation eine Bujammen- 
jeßung mit thun ift ꝛc., fcheint mir die Wiſſenſchaft vollftändig bewieſen 
zu haben. Ich halte eine Andeutung dieſer Dinge darum für jehr wichtig, 
weil dadurch jedem eine neue Anfıht über Sprachgeſchichte und Sprads 
bildung aufgeht. Als veraltet wäre die Lehre über pas Semilolon zu be 
feitigen geweſen, bejonvers daß es die Nebenjäbe des Satzgefüges vom 
Hauptfaße trenne. Die Interpunction hat wie die Orthographie im allge 
meinen dem berrfchenden Gebrauch zu folgen. Nicht einverftanden bin ich mit 
dem lebten Paragraphen des Buches, der die Geſchichte der deutichen Literatur 
enthält. Die Weberfiht der Gntwidlung der deutihen Literatur iſt zu 
dürftig, die darauf folgende chronologiſche Ueberſicht ift zu umfänglid. 

Schon die obige Inhaltsangabe zeigt, dab das Buch kein Sprachbuch 
im gewöhnlihen Sinne if. Es ift ein Sprachbuch im echten Einne, es 
bietet den Stoff für alle Seiten des Spradunterrihts. In diefer Hinficht 
tann das Buch allen Lehrern an höhern Unterrihtsanftalten nicht genug 
empfohlen werben; eö wird daraus manchen erft klar werben, was ber Unter: 
zicht in der deutſchen Sprache zu fagen hat. Auch die eigenthümliche, aber Hare 
und fcharfe Behanblungsweife Magers kann auf jeden nur anregend wirken. 
Lehrer, die jelbft tüchtige Sprachftubien getrieben haben, lünnen das Bud 
pen Schülern der oberen Klafien unbeventlih in bie Hände geben. Aber 


592 Die neneften Erſcheinungen auf dem 


ich möchte fagen, nur folde Lehrer dürfen das thun, denn Lehrer obme 
tiefere Sprachſtudien lämen durch das Buch in Gefahr, weniger zu willen, 
als ihre Schüler aus ihm lernen koͤnnten. 


29. Deutſches Sprachbuch für bie unteren Klafien ber Miütelichulen mit 
Schülern boöhmiſcher Mutteriprade. Bon Wenzel Faltys, Lehrer an ter 
L. . Ober- Realihule in Prag. Zweite durdhgefebene Auflage. 70 Rtr. 
Prag, 1866. Berlag von Friedrich Tempoly. (320 ©.) 


Zuerft muß ich hervorheben, daß mir nit Har geworben if, ob das 
Buch für Schüler böhmifher Mutterfpradhe in dem Einne gefchrieben if, 
daß Schüler, die alle die böhmiſche Sprade als ihre Mutterſprache reden, 
mit feiner Hilfe deuiſch lernen follen, oder in dem Sinne, daß in einer 
Säule, die hauptfählid Schüler deutſcher Sprache hat, auch auf etwa vor: 
bandene Schüler böhmifher Sprache Rüdfiht genommen werden ſell. In 
erfterem Sinne würde das Buch feiner Aufgabe durchaus nicht genügen. 

Zweitens Tann das Buch nicht auf den Titel Sprachbuch Anſpruch 
maden, denn e3 bietet nur Grammatil. Die bie und da eingefireuten 
Aufgaben haben nur die Einübung der Grammatil zum Zwed. Lautlehre, 
Mortlehre, Eaplehre, Wortbildungslehre, Orthographie, das if die Anord⸗ 
nung des Buches. 

30. Der beutfhe Unterricht in eimer Reihenfolge von Aufgaben nebR Gr 
läuterungen für Bürger und Töchterſchulen, fowie für höhere Schulankalten 
bearbeitet und auch Für bie Hand ber Schüler berechnet von J. U. 
Schiernhorn, Lehrer an ber höhern Tochterſchule in Brandenburg. Dritte, 

am umgearbeitete und ſehr vermehrte Auflage. Brandenburg a. H. 1968. 

und Berlag von Adolph Müller. 15 Gar. (189 ©.) 

Ich babe die 2. Auflage des Buches nicht zu Händen, muß aber 
nah dem anerlennenden Urtheil, das fie im XIV. I abresberidhte erbaften 
bat, fließen, daß fie befier gewefen ift, als die jebt vorliegende, gänzlich 
umgearbeitete und ſehr vermehrte 3. Auflage. 

Diefe zerfällt in fünf Abfchnitte, von denen der 1. die Orthographie, 
der 2, die Mortformen, der 3. die Sabformen, der A. die Yuffäbe, der 
5. die Poetik zum Gegenftande bat. 

Crft am Ende des zweiten Abjchnittes, nahdem gegen 200 Aufgaben 
bearbeitet worden find, tritt die fchriftlihe Nacherzählung auf. Bis dahin 
"find die finder, was die ſchriftlichen Arbeiten anlangt, nur mit einzelnen, 
nit zufammenbängenden einfahen Sähen geſpeiſt worden. 

Unter dem Titel Ortbograpbie werden im 1. Abfchnitte die Kinder 
mit 78 Aufgaben beihäftigt, die mit der Orthographie mit mehr als jede 
beliebige Sprahübung zu thun haben, die vielmehr Webungen enthalten, 
‚welche tbeild fehr allgemeiner Natur find und in die obere Elementartlaffe 

(in das 2. Schuljahr) gehören, theils mit einigen Elementen der Wort⸗ 
bildung zu ſchaffen haben. Crft mit der 79. Aufgabe kommt der Berfafter 
zur titelgemäßen Sache. Die Aufgaben find zum größten Theil nit zu 
biffign. Ste befteben meift darin, daß einzelne Worte in gegebenen 

"Sägen zu fuchen over gegebene Säge durch einzelne Worte zu vervollfländigen 

find. Oft auch werden einzelne Worte gegeben und die finder können mit 

redem irgend einen Sab bilden. 


Gebicte des Sprachunterrichis. 593 


Aufg. 7. Suche aus ven folgenden Sägen die Namen von Gegenftänben 

heraus. Der Honig it füh. Der Stahl ift grau ıc. 

Aufg. 8. Suche aus. folgendem Städe die Namen von Gegenfländen und 

elle „ber, die, das‘ bavor. 

Über auch noch Aufg. 77, 78, 79, 82, 83, 86, 87, 89, 9: ꝛc. 
find Ahnliher Natur, d. h. immer werben einzelne Wörter in Satzen oder 
Lefeftüden geſucht, es werden Wörter gefuht mit I, mm, fi, mit d ıc. 
Ich halte derartige Aufgaben, beſonders wenn fie in folcher Maſſe wie in 
diefem Buche auftreten, für ein reines Zeittobtjchlagen. 

Aufg. 76. Seße in den folgenden Sägen ein zufammengefegtes Eigenſchafts⸗ 
wort. Manche Greife haben ein — Haar, Es giebt Mäuschen 
von — Farbe ıc. 

Oder die zu ergänzenden Sätze werben in Fragform gegeben. 

S. 20. „Wie ift mande Stirn?” ©. 19. „Was für ein Thier iſt 
ber tolle Hund?“ „Wie tft der tiefe Fluß?’ 6. 21. „Mas thuf die 
Sonne mit der Erde?” „Was gefchieht durch die Wollen mit der Sonne 2 
„Wie find die Vögel, die Fifche ?” 

Meberbies werden S. 19 die Fragmörter welcher und was für 
ein wiederholt in kaum zu geſtattender Weiſe verwechſelt und S. 21 wird 
das Zeitwort machen in einer die Sprache verderbenden Weiſe gebraucht. 
„Die Sonne macht das Geſicht braun. Der Gram macht das Haar bleich. 
Die Waͤſcherin macht das Zeug glatt” ꝛc. 

Auch im 2. Abjchnitte kommen noch viele unfruchtbare Aufgaben vor, 
Zur Einübung der Dellination der perjönlihen Zürwörter — gewiß eine 
ſehr wichtige Sache — findet man eine einzige Aufgabe und noch dazu 
eine ſehr ungenügende. Ich kann diefe „ganz umgearbeitete und jehr ver: 
mehrte Auflage” nur eine fehr flüchtige Arbeit nennen. Den Titelzuſatz 
„für höhere Schulanftalten” verdient fie gar nicht. Es wäre wahrhaftig 
ſchlimm, wenn höhere Schulanftalten nichts Beſſeres treiben könnten und 
folten als bier verlangt wird. Der Preis von 15 Sgr. ift bei bes mittel- 
mäßigen äußern Ausftattung des Buches ein viel zu hoher. 


31. Leitfaden für den dentſchen Sprachunterricht in analytiſcher 
Metbobe, zunächſt für Schäfer in den untern Klaſſen höherer Lehranftalten. 
Bon Georg Diedboff, Oberlehrer am Oymnaſium zu Paderborn. Fünfte, 
vermehrte umb verbefierte Auflage. Münfter, 1865. Druck und erlag 
ber Theiffing’shen Buchhandlung. (VIII und 166 ©.) 10 Ser. 


" Das Buch tft Fein Leitfaden für den deutſchen Sprachunter⸗ 
richt, fondern nur eine Grammatik. Die zuweilen eingefügten Aufs 
gaben dienen nur grammatifchen Bweden. Ferner ift das Buch fein Leit: 
faden,d. h. ein Faden, an dem ber Unterricht wirklich ſortſchreiten kann 
und ſoll, denn die Anordnung des Stoffes iſt eine wiſſenſchaftlich⸗ ſpſtenia⸗ 
matiſche (Saslehre, Wortlehre, Wortbildung, Orthographie), nicht eine 

methodiſche, wie fie aud in ben unteren Klaſſen höherer Lehranſtalten 
nothwendig if. Endlich ift der Zitelzujaß ‚in analytiſcher Methode‘‘ 
nicht zutreffend, menigftens nicht in Webereinftimmung mit dem jegigen 
Sprachgebrauche, denn die analptiihe Methode des Buches liegt nur darin, 


Päd. Jahreßberit. XIX. 38 


694 Die neneften Erſcheinungen auf dem 
bob die Beifpiele, in der Regel Säge, der Lehre und Regel vorangeflellt 
w . 


Seiner Zeit — die erfle Auflage erihien 1842 — gehörte das Bud 
zu den guten, aber in dem Pierteljabrhundert, das ſeitdem verflofien iſt, 
bat die allgemeine und deutſche Sprachwiſſenſchaft große Fortſchritte gemacht, 
das Buch aber ift im Ganzen und mit geringen Ausnahmen aud in ben 
einzelnen Dingen geblieben wie es war. Der von manden Autoren aufs 
geftellte Borwand, es dürfe eine neue Auflage nicht weſentliche Aenderungen 
erfahren, damit die in den Händen der Schüler befindlichen älteren Aus⸗ 
gaben nit unbraudhbär würden, ift ein nichtiger. Sobald das Unrichtige 
und Unzwedmäßige erkannt worden ift, ift es auch zu bejeitigen. Faſt ohne 
alle Mühe und Beſchwerniß kann das in einer höhern Lehranftalt geſchehen. 

Beſonders fteht das Bub in der Wortlehre und Wortbildungslehre 
binter dem gegenwärtigen Standpunkte der deutſchen Grammatik zurüd. So 
beißt es S. 81: „Diejenigen Wörter, melde Begriffe bezeihnen, nennt 
man Begrifjswärter.. Die Eubftantive, Adjective und Verba — mit YAus- 
nahme der Gopula und ber Hülfsverba der Zeit und des Modus — find 
Begriffswörter“. Müſſen, jollen, wollen ꝛc., heute, früh zc., wegen, halben zc., 
weil, folglich ıc. bezeichnen feine Begriffe? — 6. 83 wird der Conditiona⸗ 
lis als bejonvere Ausfageform angeführt, während er doch nur ein bejonderer 
Gebrauch des Conjunctivs if. S. 110 werden nur die neueren Genitiv⸗ 
formen bes perſ. Pron. aufgeführt; die Formen „mein, dein, fein” werden 
nit erwähnt. ©. 114 ift dasjelbe ver Fall beim Snterrogativum , neben 
wefien fehlt wes. ©. 126: „g, k werden durch bejondere Bewegungen der 
Kehle gebildet”. Das Studium der phyſiologiſchen Seite ber Lautlehre 
thut unfern Grammatikern faft ohne Ausnahme noth. Ich empfehle dazu 
Mertels Phnfiologie des Sprahorgans. S. 88 beftebt die ganze Bes 
lehrung, welche wir über die unregelmäßigen Beitwörter erhalten, in den 
Morten: „Unregelmäßige Berba nennt man biejenigen, melde ablauten 
wie die Verba alter Form, aber zugleih die Endungen ber neuen Form 
— 

.Deutſches —ã— für Bolkeſchullehrer und Seminariſten 

von Dr. Friedr. Isachim Günther, erſtem Lehrer am Tönigl. evangeliſchen 

Schullehrerſeminare in Barby. Berlin, Verlag von Abo De Stubenraud. 

1867. (VOL und 249 ©) - 


Das Bub if im Verbälmiß zu feinem Umfange inhaltsreich zu 
nennen. Die eriten 130 Seiten find der Grammatik gewidmet; in ber 
Mortlehre nehmen die Fremdwörter 48, die Synonymen 10 Eeiten ein. 
Dann folgen 17 Seiten Rhetorik, 12 Seiten Poetik, 30 Seiten Literatur» 
geſchichte Den Schluß bilden methodiſche Anhänge, eine Leſelehre 
(S. 193—206) und ein Aufjag über den Spradunterridt in der Volls⸗ 
jhule (S. 207—244). 

Das Buch bietet den Sprachſtoff, welden die preußiſchen Regulative 
für das Seminar vorſchreiben, in möglichft populärer, aber correcter und 
präciier Form. Für Vollsſchullehrer ift das Buch aber nicht genügend, 
denn bie müfjen nod etwas mehr willen, als das Buch bietet, und follen 








Gebiete bes Sprachunterrichts. | 595 


auch nit an dürren Berippen nagen, fonbern in den einzelnen Zweigen 

Lehrbüher und Werke flupiren, vie Fleiſch und Blut haben. 

Der letzte Abſchnitt, „ver Sprahunterriht in der Volksſchule“, bietet 
mandes Praftifhe und Zmedmäßige, athmet aber zu fehr den regulativi⸗ 
then Geift des gedächtnißmäßigen Lernens. Die fchriftlichen Arbeiten fiebt 
der Verfaſſer hauptſächlich als orthographiſche Uebungen an; fie follen im 
der Mittelklaſſe beftehen 1) in Abjchreiben, 2) in Auffchreiben nad dem 
Bude, 3) in Aufſchreiben ohne Buch, in der Oberklaſſe a) in einfachen 
Nacherzählungen, b) in abgelürzten Nacherzählungen, c) in erweiterten Gr: 
zäblungen, d) in längeren Sägen als Antworten auf tagen, e) in Ber 
fchreibungen, f) in Briefen, g) in Gef&häftsauffäßen. 
| Snterefiant if, daß der Verfafier enplich dem eigentlihen Zwede ber 
Sprachdenklehre auf die Spur gelommen ifl. Die Kinder hätten dadurch 
„penten lernen follen nad einer gewiſſen Richtung hin, nämlich damit fie 
fih nicht dem YAutoritätsglauben zu unterwerfen brauchten“. 

33. Deutihes Sprachbuch für Schule und Haus, ben geſam 
Kr Unterricht — Pd W. —8 Rector SL ver 
Realſchule in St. Gallen. St. Ballen, Berlag von A. 3. Köppel. 1866. 
gr. 8. (VI und 247 6) 21 Sgr. 
Das Buch zerfällt in vier Theile, in eine Spradlehre S. 1—56, 

eine Aufſatzlehre S. 57—178, einen Abriß der deutſchen Literaturgeſchichte 

S. 179—200, eine Anweifung zur Abfaſſung von Briefen und Geſchaͤfts⸗ 

auffägen S. 201—247. In der Spradlehre werden als Cinleitung die 

Laute kurz bebanvelt, dann folgt die Wortlebre, die fih mit Beitwort, 

Hauptmwort, Eigenſchaftswort, Fürwort, Zahlwort, Nebenwort (Adverbium), 

Verhaͤltnißwort, Bindewort und Empfindungslauten bejhäftigt, zuletzt tritt 

die Saplehre auf, die den einfadhen Sab, den zufammengejeßten Satz (unter: 

geordnetes und nebengeorbnetes Sapverhältniß), das Gapgefüge, die Worts 
folge, aber auch die Sagfiguren (Berfegung, Entgegenfeßung, Häufung, 

Mieverholung, Einſchaltung, Elipſe (2), Steigerung), die Wortbildung, vie 

Proſodie behandelt. Daran fließen fih Orthographie und nterpunction. 

Unter dem Titel „Aufſatz“ werden im 2. Theile auf A Seiten die Arten 

der Dichtung aufgezählt, auf 2 Seiten die Arten der Profa (erzäblenve 

Proſa, einfache Erzählung, Charakterſchilderung, Biographie und Gedichte, 

bef&hreibende PBrofa, gemifchte Profa: Brief, Rede, Gefpräh). Unter dem 

Titel: Beleuchtung der Arten der Darftellung durch Beifpiele, folgen 110 

Seiten Gedichte und Projaftüde. Unter jedem Gedichte wird kurz in ges 

hobener Sprade fein Inhalt dargelegt. Der 3. Theil, Abriß der deutjchen 

Siteraturgeihichte, bringt auf 20 Seiten ein ſehr vürftiges Gerippe des 

Gegenftandes nad der gewöhnlichen Eintheilung in 7 Perioden, zuleßt 

werben Beilen, ja halbe Seiten lang nur Namen aufgezählt. Der 4. Theil 

bringt eine Anzahl Briefe des gewöhnlichen Lebens, auch einige von Goͤthe 
und Schiller, und eine Auswahl von Geihäftsaufjägen, Rechnungen, Pfand: 
und Bürgfheine, Duittungen, Anweifungen, Wechſel, Vollmadten, Beug- 
niſſe, Anzeigen, Teftamente, faufmännijhe Briefe, Rechnungsformulare. 

. Das Bud ift weder ein Bud für die Schule, noch eins fürs Haus. 

Mas joll das Haus mit derartigen grammatiichen Wbriffen und literar⸗ 

38* 


596 Die neueſten Erjcheinungen auf dem 


hiſtoriſchen Namenverzeichnifien? Und glaubt der Verfafier wirklich, fein 
Buch könne in irgend einer Schule den gejammten deutſchen Unterricht 
vertreten? Dann müßte er jehr enge Begriffe von dem gefammten beutjchen 
Unterrichte haben, wenn er glaubte, die in dieſem Buche gebotenen poetifchen 
und profaifhen Mufterftüde könnten etwa ein Lefebuch vertreten. Und für 
welche Arten von Schulen hält der Verfafier fein Buch geeignet? Doch nicht 
etwa gleih für alle? Manche Partien, wie die grammatifche, bejonders bie 
Mortbildung, Interpunction, würden, abgejehen von vielen ſchwerverſtaͤnd⸗ 
liyen, abftralten Erflärungen, ungefähr den Stoff für eine einklaffige Dorf⸗ 
ſchule bieten, mande wieder, wie viele von den Gejhäftsauffäßen, würben 
in einer Real: oder Handelsſchule, manche endlich, wie bie Namenverzeichnifie 
aus der Literaturgefchichte, kaum in einem Gymnaſium zu gebrauden fein. 
Mit ſolchen Allerweltsbüchern ift heutigen Tages niemand, am wenigflen 
einer Schule gedient. 

Ueber des Verfaſſers päbagogifhen und methodischen Standpunkt geben 
folgende Worte der Vorrede Auffhluß: „Wir halten den Streit über das 
Mie? des ſprachlichen Unterrichts für erledigt und eine dreißigjährige Praris 
bat uns bemwiejen, daß unfere Kinder in den Regeln der Grammatik durch 
und durch geübt werden müflen, wenn fie ſprachlich laufen lernen wollen. 
Mir wiſſen die Meinung redht wohl zu würdigen, welche nur aus dem 
Stoffe heraus die Theorie zu entwideln verfudht; aber man 
tommt dabei niht aus: Lehrer und Schüler ſehen vor 
lauter Bäumen den Wald niht mehr“. 

Des Verfaſſers wiflenfchaftlihen Stanppunlt und Sorgfalt im Aus: 
druck bemeijen folgende Säge: ©. 4. „Der Laut heißt Silbe, wenn man 
ihn als Worttbeil betrachtet. Das Wort ift der felbftänpige Ausbrud eines 
Gedankens. Das Zeitwort ift das erſte Grundwort der Sprade, es ift der 
Ausdrud der freien Thätigleit des Subjectes, d. b. desjenigen Wortes, von 
welchem gejprodhen wird. Die Beitwörter find nad ber Abwandelung 
ftarle mit Ablaut und ſchwache mit Umendung“. ©. 24. „Dasjelbe 
(das DVerbältnißwort) ift hervorgegangen aus den Wechjelbeziehungen der 
Fälle des Stammmortes”. Iſt das eine Belehrung für das Haus oder für 
Hegelianer? S. 32. „Das Hauptwort bezeichnet den Namen, mie das 
Eigenfhaftswort die Beichaffenheit eines Gegenftandes: beide mwurzeln im 
Zeitwort“. Das letztere ift ſprachwiſſenſchaftlich, wenigſtens fo allgemein 
hingeſtellt, noch lange nicht ausgemacht. In welchem Zeitworte würbe denn 
das Eigenſchaftswort roth wurzeln? ©. 49. „Urſprüngliche Längen haben 
wir nur in den Doppellauten, außerdem Bofitionslängen, d. h. foldhe 
Eilben, deren Ränge dur Häufung von Confonanten bedingt iſt“. Derartige 
Vofttionslänge im Deutjchen ift uns neu. Im Deutichen wird bie Silben: 
länge durchweg durch die Betonung beftimmt. 


2) für Elementarſchulen. 


34. Nene praktiſche deutihe Sprachlehre zum Schuf- und Privat- 
| gebrung von J. ©. Fleiſcher, Oberlehrer in Gohlis. Leipzig, Julins 
linthardt. 1866. (VI und 150 S.) 9 Ger. 


Gebiete des Sprachunterrichts. 597 


35. Neuer Sprachſchüler ober Aufgaben zur deutſchen Sprachlehre von 
I. ©. Fleiſcher, Oberlehrer in Gohlis. Labenpreis 4 Sgr. Partiepreis 
20 Exempl. roh 2 Thlr. Leipzig, Iulius Klintharbt. 1866. (78 S.) 4 Sgr. 


Das Merkmal des Praktiſchen bat dieſer Spradlehre wahrſcheinlich 
dadurch verliehen werden follen, daß den grammatiichen Lehren zahlreiche 
Aufgaben und Uebungsbeijpiele beigejeßt worden find. ZTroßdem muß I‘) 
das Buch ein unpraltiihes nennen. Durch Aufgaben wird jede Epradı: 
lehre zu einem Lehrgange, denn die Aufgaben müfien fih nad der Unters 
zichtöftufe der Kinder rihten. Gin Lehrgang foll auch die vorliegende 
Sprachlehre fein, denn obgleih der Gang der einer fyftematifhen Grammatik 
(Wortlehre, Saplehre) ift, fo find doch um des praftiihen Zwedes mitten 
in der Wortlehre auf S. 10 der Sag und feine Theile und nad) 8. 11, 
ber von der Biegung der Cigennamen und Frembmwörter handelt, auf ein⸗ 
mal in $. 12 die Hauptwörter ald Stamm: und abgeleitete Wörter behan⸗ 
delt. Daraus ertennt man, der Verfafier hat die Zwecwmäßigkeit einer 
methodifhen Anordnung des Stoffes etwas gefühlt. Aber er hätte die 
Nothwendigkeit einer durchgehenden methodiſchen Anordnung Har erkennen 
und nicht ſchon auf S. 8 und 4 die ſämmtlichen zehn Woͤrterklaſſen aufs 
zählen, nit ſchon auf S. 7 die Gedankennamen als Bezeichnungen von 
Eigenſchaften, Zuftänden over Handlungen clajfificiren, nit ſchon auf ©. 8 
von drei Fällen reden, in denen der Artilel weggelaffen wird, nicht ſchon 
auf ©. 9 und 10 Hauptwörter aufzählen, die nur in einer Zahlform ges 
braudt werben, nicht fhon auf S. 12 von einer Biegung alter, neuer, 
gemijchter Form, nicht ſchon auf S. 13 von der Deklination der Eigen⸗ 
namen und Fremdwörter reden follen, denn das alles gehört nicht auf die 
. erfte Stufe des grammatiihen Unterrichts. 

Diele Mebungsaufgaben gehören zu der Art, die ich für verwerflich 
halte. Sebr oft follen Säße wie: „Der Schüler fol der Unterricht mit 
Verſtand durchdenken. Wilhelm bat der Liebervers das Gedaäͤchtniß ein» 
geprägt.” berichtigt werden. Und folhe Aufgaben, die in Mafje vorgelegt 
für Anfhauung und Sprahgefühl ſehr gefährlih werben können, finden 
fih nicht etwa nur am Anfange, fondem noch S. 80 und 81 jchodmweile, 

Das zweite Buch (der Sprahfhüler) ift nur ein Auszug aus dem 
erften (der Sprachlehre) und theilt in Anorbnung und Art der Aufgaben 
ganz die Mängel des erften. 


36. Hülfebüchle in. zum Unterrihte In ber beutfhen Sprade, in 

erbinbnng mit der Nechtichreiblehre und ben nöthigen Uebungen 1 chrift⸗ 

lichen Aufſaͤtzen. Kür die Hand ber Schüler bearbeitet von 2. Hirſchmann, 

Lehrer an einer Oberflaffe ber Mädcheuſchule zu Regensburg. Regensburg, 

Berlag von Yohann Georg Bößeneder. Erftes Bändchen (60 ©.) 1866. 
Zweites Bändchen (104 ©.) 1866. Drittes Bändchen (176 ©.) 1867. 


Das erſte Bändchen ift für das 2. und 3. Schuljahr, das zweite für 
das 4. und 5. Schuljahr, das dritte für die übrige Schulzeit beftimmt. 
Diejes Hülfsbüchlein ift eine erfreuliche Erſcheinung, es folgt in der Anord⸗ 
nung und Bertheilung des grammatifchen Stoffes einem methobifhen Gange 
und zwar einem, ben ih im ganzen nur loben Tann. Einiges in dem 
zweiten Baͤndchen, wie die Arten der Umftände bes Orundes, bie Satz⸗ 


598 Die neueften Erfcheinungen auf dem 


kürzung, hätte vielleicht eine geeignetere Stelle im dritten Baͤndchen gefun 
den. Die gleich: und ähnlidhlautenden Wörter, die Fremdwörter im britten 
Baͤndchen find eine zwedmäßige Beigabe. Die Zujammenftellung ver 
wichtigften geographifchen Namen mit Angabe ver Ausſprache gehört aber 
nit in das Sprachbuch; damit hat es der geographiſche Leitfaden zu 
tun. Es müßten ja fonft au hiſtoriſche und andere Namenverzeichnifie 
in dad Sprahbud aufgenommen werben. 

Die grammatifhen Uebungsaufgaben im erften und zweiten Bändchen 
baben nicht alle meinen Beifall. Es ift zuviel des Abfchreibens dabei. 
Den Gang der Anleitung zu zufammenbängender fchriftlidier Arbeit lann 
ih infofern nicht billigen, als die Nacderzählung nidyt auf bie oberfte, fon: 
bern auf die unterftie Stufe gehört, wo. Beichreibungen und Briefe nicht 
am Drte find. - 
37. Elementar-Sprachlehre. Das Wichtigſte aus ber beutfchen Wort-, 

Say- umb Rechtſchreibelehre, nebſt methodiih geordneten Aufgaben ‘E 

ſchriftlichen Auffägen, für Elementarſchüler bearbeitet von Thomad k, 

Hauptlehrer in Bretlau. Zwei Theile in drei Heften & 24 Sgr. 

Theil: Sprachlehre. Zweiter Theil (in 2 Abtheilungen ober Heften): 

Aufgaben zu fchriftlichen Aufſätzen. Breslau. Verlag von F. E. C. Leudart. 

1866. (40, 36 und 56 ©.) 


Die Vorrede verfpridht mehr als das Buch hält. Der erfte Theil if 
eine Glementar-®rammatit wie viele, ohne jede methodiſche Rüdſicht anges 
oronet. Der zweite Theil macht einen beflem Sinprud. Gr bat das 
Eigenthümliche, daß auf jeder Unterrichteftufe zuerft eine Anzahl Denkübungen 
angegeben werden. Bielleiht wäre es befier gewefen, dieſe Denkübungen 
mebr zu vertbeilen, als fie in zufammenbängender Folge der Unterrichts= 
ftufe voraus zu fhiden. Auf der unterften Stufe ift in den ſchriftlichen 
Arbeiten nicht mit der Bejchreibung, fondern mit der kurzen, wortgetreuen 
Racherzählung anzufangen. Ueberhaupt ift der Nacherzählung weit mehr 
Raum und Stoff zu gönnen. 


38. Aufgaben aus ber dentſchen Spradlehre. Erſtes Heft. Für Kinder 
von 7 bis 10 Jahren. Bon H. Küdemann. Bremen. Drad unb Verlag 
von Heinrih Strad. 1866. (126 ©.) kl. 8. 


Eine fehr reichhaltige Sammlung von Aufgaben (390) zur Einübung 
der einfachften grammatifhen Glemente. Der Fortſchritt vom Leichtern zum 
Schwerern jcheint beſonders in der lebten Abtheilung nicht überall fireng 
beobachtet worden zu fein, denn in dieſer findet ſich mande Aufgabe, die 
nah Durdarbeitung des Vorbergehenden zu leicht if. Stoff und Anwei⸗ 
fung zum zufammenhängenden Schreiben, wenn aud Meiner Stüde, fehlen, 
obgleih das vierte Schuljahr gewiß dergleihen verlangt und fi mit rein 
grammatifchen Uebungen nicht begnügen kann. 


39. Der beutfhe Sprachfchüler. —I zur Einübung bes nadten 
mub erweiterten einfahen Sayes. Bon Wilhelm Neff, Hanptiehrer an 
ber böhern DBürgerihule in Heidelberg. Heibelberg. Verlag von Bangel 
und Schmitt. 1866. 3 Sgr. (40 ©) U.8 


“> mem 








Gebiete bes Sprachunterricht. 599 


Ein für die mittleren Klafien einer Bürgerjchule (drittes bis fünftes 
Schuljahr) recht brauchbares Bühelden. Die Aufgaben tragen nit das 
Gepräge des Spielenden und des bloßen Abjchreibens, das man in derartigen 
Büchern fo häufig findet. Der in dem Zitel bezeichnete grammatiſche Stoff 
wird möglichit vieljeitig behandelt. 

40. Theoretifh-praltifhe Anweifung zur Behanblung beutider 
Lejeftüde. Ein prafiiicher Lehrgang he ben beutfhen Sprachunterricht 
in einer ungetbeilten Volkoſchule Bon C. Kehr, Seminarinipector im 
Gotha. Bierte Auflage. Gotha. Berlag von E. 5. Thienemaun. 1867. 
(VI und 292 ©.) gr. 8. 28 Ser. 


Da dieſes vortrefilihde Buch fhon im XII und XVI. Jahresbericht 
eingehend beſprochen worden ift, fo will ich nur bemerien, daß es die weite 
Berbreitung, die es bereit gefunden bat, in vollem Maße verdient; es 
gehört zu dem Beften, was die Literatur des Sprahunterrihts aufzu⸗ 
weifen bat. 

4. Sprachbuch fü: Stabt- und Landſchulen. Ober: Aufgaben für 
aan Unterriht in ber Rechtſchreibung, Sprach, Sat. und Stillehre. Bon 


. F. 8. Wander. Künfte, verbefierte Auflage. Leipzig, Ernſt Julius 
Günther. 1866. 5 Sgr. 


Ih kann dem im XIII. Jahresberichte ausgefprochenen ungünftigen 
Urtheile über das Buch nur beitreten. 


42. Aufgaben zu mündlichen und fhriftliden Sprahübnngen in 
niederdentfchen Volksſchulen. Bon Johann Friedrich Düder, Lehrer in 
Neuſtadt. Fünfte Auflage. Reuftadt bei dem Verfasſer (!) und in ber 
Alabemifhen Buchhandlung in Kiel. 1866. 6 Sgr. (188 S.) U. 8. 


Leichtes und Schweres, Hohes und Niedres bunt durdeinander. Da 
das Buch aber feit 1859 fünf Auflagen erlebt hat, fo muß es doch ben 
Holften gefallen. Webrigens ftimme ich dem ungünftigen Urtheil im XIII, 
Jahresbericht bei. | 
43. Der Sprach⸗ und Auffa üler, ober Anufgabenbud für ben fiufen- 

mäßigen a and —A in Bortefeinlen. Fo J. P. Groß⸗ 
hanten, weiland Lehrer in Duisburg. Zwölfte, unveränderte Auflage. 
Duisburg am Rhein. Druck und Verlag von Joh. Ewich. 1866. geb. 
5 SEgr. (96 ©.) N. 8. 


Daß auch Bücher geringen Werthes -viele Auflagen erleben können, 
wiſſen wir. Vielleicht fällt auch einmal ben Duisburgern etwas Beſſeres 
tn die Hände. 


44. Uebungebud für den —— und erſten Spradunter- 
richt ſynthetiſch⸗analytiſch geordnet von Louis Meyroſe, Lehrer in Schleiz. 
weite, vermehrte und verbeſſerte Auflage. Schleiz, 1866. Berlag von 

art Hübfchere Buchhandlung. 25 Gyr. (48 ©.) U. 8. 


IM im XVII Jahresberichte beſprochen worden unb ſcheint Teine 
Beränderungen erlitten zu haben. 





600 Die neueften Erfcheinungen auf bem 


IV. Stil: und Aufſatzlehre. 
1) für Höhere Eulen. 


45. Gtoff- und Auer Sammlung zu Beihreibungen, Abhaundlungen 
und Reben. Ylr pie Schule nub ben Privatgebraud herausgegeben von 

g. 3. F. Weyß, lönigl. qu. Symnafial-Brofeffor. Zweiter Band. 1 Thlr. 

3 Sgr. Augsburg, 1866. 8. Kollmann’ihe Buchhandinng. (500 ©.) gr. 8. 


ever Band dieſes originellen Sammelwertes bilvet ein ſelbſtaͤndiges 
Ganzes. Die alphabetiſch geordneten Artikel find bald kürzer, bald länger, 
befteben bald in vollftändig ausgeführten Dispofitionen, bald nur in ans 
einander gereibten Sentenzen. Natürlich ift nicht alles von gleihem Werth; 
das meifte ift aber Haffifhen E chriftfiellern oder guten Stiliſten entlehnt. 
Eine alphabetifche Ueberfiht der Schlag: und Gtihworte am Ende des 
Bandes erleichtert die Auffindung des gewünſchten Materials. 


Lehrer an höhern Unterridhtsanftalten find dem Berfaffer für das Wert 
zu Dank verpflitet und können nur die Fortfeßung wimjhen. Ich glaube 
aber, es ift ein Werl für Lehrer, nicht für die Hände der Schüler, wo es 
doch wohl mehr ſchaden als nügen könnte. 


46. Themate zu beutfhen Auffägen in Disrofitionen und kürzeren Au- 
Kür obere Klaflen höherer Schulanftalten. Herausgegeben von 
Gas dr. Breslau. Verlag von Joh. Urban Kern. 1865. (XII und 
3 ©) 6. 27 Sgr. 
47. Fünfhundertundſiebenzig Aufgaben F Uebuhg im beutiden Stil. 
Kür obere Klaſſen höherer Schulen. Bon &. Tſchache. Auch ale Anhang 
zu bes Berfaflers erftem Buche. Ebendaſ. 1866. (30 ©.) 8. 6 Sgr. 


In Betreff des erfteren Buches jagt der Berfafler: „Weniger der 
Mangel an Stoff zu deutfhen Auffägen, als das Verlangen nad) abwech⸗ 
ſelnder Mannichfaltigkeit, nah Ergiebigkeit und angemefjenem Umfange if 
ed, was ben Lehrer bisweilen drüdt und im vergebliben Suden um toh- 
bare Beit bringt. Bei der Unfähigkeit der Mehrzahl der Schüler, einen 
gegebenen Stoff felbjt zu zerlegen, nüßt es dem vielfach beſchafnigten Lehrer 
für den Augenblidd des Bedürfniſſes wenig, wenn er in manchen Büchern, 
die für diefen Zmedt gejchrieben find, mannidfaltige Themen in Form der 
Ueberſchriften und in höchſter Allgemeinheit vorfindet; er bedarf zumellen 
des zerlegten und angeordneten Stoffes. — — Das Buh ift mehr für 
Lehrer als für Schüler beitimmt.” 

Das erfte Buch enthält 160 Dispofitionen. Nur wenige Themen 
(11. Warum ift das Drama als die höchfte Leiftung auf dem Gebiete der 
Poefie zu betrahten? 36. Welden Werth hat ein iveales Streben? 74. 
Ruhe im Geifte,) müfien als zu hoch gegriffen bezeichnet werben. Manche 
Dispofitionen find etwas oberflächlich gehalten. — Unter den 570 Auf: 
gaben find viele zu ſchwer und unbrauchbar. 





Gebiete bes Sprachunterrichts. 601 


48. Sammlung von geſchäftlichen Auffätzen, Briefen, Anzeigen, Diele 
dungen, Berichten, Eingaben, Gelegenheitsichreiben 2c. für Gewerbe⸗ und 
Fortbildungsfhufen, fowie zum Privatgebrauh für Gewerbtreibende jedes 
Standes von Dr. E. Büchele, Profeflor an ber Stuttgarter Baugewerbe⸗ 
ſchule, und U. Fiſcher, Lehrer an der Stuttgarter Real⸗ und —A 
ſchule. Zweite, völlig umgearbeitete, verbeſſerte und vermehrte Auflage. 
Stuttgart. Verlag der J. B. Metzler'ſchen Buchh. 1866. (156 ©.) 8. 12 Sgr. 


Das Buch iſt, wie der Titel fagt, keine Stiljhule, fondern nur eine 
Sammlung von Muftern für den praltiihen Gebrauch. Es ift in dieſer 
Hinſicht jehr allfeitig und genügt den verjchiedenften Bedürfniſſen. 


2) für Glementarfhulen. 


49. Briefe und Gefhäftsauffäge für Volle- und Fortbildungsſchulen. 
Bon Joh. Oswald. Erſtes, zweites und brittes Heft, & 8 fr. (Parties 
preis 6 &.) Worms, 1866. Berlag ber Hofbuchhanblung von J. M, 
Rahle. (36, 40, 40 ©.) Mi. 8. 21 Ser. 


Das erſie Heft enthält nur Briefe des gewöhnlichen Umganges, einige 
Dienftzeugnifie, Quittungen, Schuldſcheine, Anzeigen, eine Rechnung. Dies 
Heft ift für einklaffige Dorfichulen beftimmt. 

Das zweite Heft enthält nur Briefe, aus dem Familien⸗ und Kinder⸗ 
leben und des alltäglihen Umganges Erwachſener. 

Das dritte Heft ift etwas mannigfaltiger in feinem Inhalte: Ges 
ſchaͤftsbriefe, Gejhäftsauffäge, Rechnungen, Duittungen, Schuldſcheine, 
Empfangsſcheine, Anzeigen, Vorträge. 

Da es nit viel ift, was ſich Friß und Helene, Heinrih und Richard 
zu fchreiben haben, fo war ein Heft flatt der drei auch hinreichend. 

Die folgenden Werke find nur neue Auflagen bereits belannter und 
im Jahresbericht Schon befprocdhener Bücher. 


50. Aufgabenbudh für den ſchriftlichen Gedankenausdruck ber 
Kinder beuticher Bollsfhulen. Bon K. ©. Petermann, Director ber 
evangeliſchen Kreifhule zu Dresden. Erſtes Heft. Untere und mittlere 
Stufe. Achtzehnte, umveränderte Auflage. geb. 34 Ser. (25 Erempf. 
2! Thlr.) Dresden, Berlag von Earl Adler, 1866. (76 ©.) 8. 
Zweites Heft für Oberllaffen. Zehnte, unveränberte Auflage. Ebendaſelbſt. 
1866. geb. 74 Sgr. Bartiepreis 6 Sgr. (228 ©.) 8. 


51. Die Aufſatzübungen in ber Volksſchule von ben unterflen 'bi6 
oberſten Stufen, begründet auf die Mebungen im Anfchauen, Denten und 
Reden und in Berbinbung mit bemjelben. Ein Leitfaden uub reichhaltiges 
Materialienbuch für bie Webungen im mündlichen und fehriftlihen Gedanken⸗ 
ausbrude, enthaltend mehrere hundert ansgeführter Mufterbeilpiele von 
Erzählungen, Beſchreibungen, Schilderungen, Abhanblungen, Briefen, nebfl 
Entwürfen und Aufgaben, von Wilhelm Gollniſch. Dritte Auflage. 
Striegau, 1866. Berlag von A. Hoffmann. (XVI u. 466 ©.) 14 Thlr. 


Da der Berfafier nicht mehr lebt, hat der Verleger eine neue (unvers 
änderte) Ausgabe der dritten Auflage (von 1857) veranftaltet. Soll das 
Buch für die Zukunft erhalten werden, was es wegen feiner echt lebrhaften 
Art wohl verbiente, fo muß es bedeutend gekürzt und alled aus ihm ge: 
jhieden werden, was in das Leſebuch gehört. 








602 Die neueften Erſcheinungen auf bem 


52. Brattifäce Daubbud für deu Uuterridt in bertſchen Stil⸗ 
MAubolyb, Oberlehrer au der Räbtiichen 


übungen von Ludiw o 
Tochterſchule zu Berlin. Erſte Abtbeilun Dritte Auflage. Berlin, 
Nicolaiſche Berlagsbudyhanblung. 1866. anb 166 ©.) 15 Ger. 


Im XII. und XV. Jahresberichte eingehend beſprochen 


53. Des Boltsihälers Sprad- und Auffatzunterricht. Eine [üden- 
108 fortfdgreitende Sammlung von u o, Mlead Nachbildungen und Uuf- 

ben für die Hand bes Schülers von Ed. R ‚ Lehrer in Heibelberg. 

weite Auflage. Heidelberg. Georg Weiß. 1886. (4 ©.) 8. 74 Ser. 


Das Bud) zerfällt in drei Theile, eine Einleitung für Lehrer (16 ©.), 
in das erfle Heft, das den einfadhen Sag, und in das zweite Heft, das 
den zufammengefeßten Sap behandelt. jedes der beiden Hefte ift für 8 fr. 
beſonders zu haben. Grammatiſche und Gtilübungen wechſeln ab. 


54. Briefe und Gefhäftsauffä übe. Zum Gebrande in Elementar⸗Schulen. 
Herantgegeben von Fr. Raver Waldherr, Lehrer an ber St. —— 
Säule in Münden. Zweite Aufloge. Münden, 1866. Berlag von Louis 
Finfterlin. (112 &.) U. 8. 6 Sgr. 


Das Buch enthält nur Briefe. Es find zwar einige der Briefe ges 
ſchaͤftlichen Inhaltes, aber Befhäftsauffäge finden ſich nicht in dem Buche. 
Nebenbei kann aud einmal ein Brief aus dieſer Sammlung gebraucht 
werden; einen weiteren Ruben bat das Bud nicht. 


55. Braftifhes Aufgabenbüchlein zu beutichen Stylübungen für bie 
Hand ber Kinder. Bon einem  fähflien Bolkeſchullehrer. Erſtes Heft. 
Untere und mittlere Stufe. Zweite Anflage. —8 1866 Verlag von 
Louis Moſche. 3 Sgr. Partiepreis 24 Sgr. (48 ©.) 


Unter der Vorrede zur zweiten Auflage nennt fi als Verfaſſer Morig 
Shlimpert in Meißen. Das in knapper Form gehaltene Schrifthen 
berubt auf guten Brundfägen. 


V. Drtpograpbifge Schriften. 


56. Deutfhe Rechtſchreiblehre mit einem Wörterverzeichniß. Auf 
Grund des koniglich preußiſchen Minifteriafrefcriptes vom 13. December 
1862 entworfen und von bem Lehrer-Eollegium bes königlichen Lehrerinnen. 
Seminars und der Augufta-Schule zu Berlin berathen unb vereinbart. 
Herausgegeben von Dr. Otto Lange, Profefjor iu eerlin, Berlin, 1866. 
Berlag von R. Gärtner. Ladenpreis 4 Sgr. (53 ©.) 


Das Buch geht wie die Minifterialveroronung von der Borausfegung 
aus, daß innerhalb eines Lehrercollegiums eine Einigung in der Orthographie 
gewonnen werden müſſe. Ich habe in den vorliegenden Feitflellungen nichts 
Auffälliges oder Tadelnswerthes gefunden. 


57. Der denkende Rechtſchreibſchüler ober 86 Rufe uweiſe geordnete Auf⸗ 

geben zur Erlernung ber — Rechtſchreibung für Schulen und zum 

elbftunterrichte von Wilhelm Neff, Hauptlehrer an ber höheren Bürger⸗ 

ſchule zu Heidelberg. Zehnte, umveränberte Anflage. Heibelberg. Berlag 
von Bangel und Schmitt, 1866, 44 Sgr. (71 ©.) 








Gebiete bes Sprachunterrichts, 603 


ft wieberholt beſprochen worden. Derartige WBücher bringen eime 
—* in Gefahr, den Sprachunterricht in orthographiſchen Uebungen zu 
erſtiden! 


58. Praktiſcher Unterrichtsgang im Rechtſchreiben für die erſten 
Schuljahre, nebft einem Anhang proſaiſcher und poetiſcher Diltate, bearbeitet 
nach den amtlich feſtgeſtellten Regeln ber deutſchen Rechtſchreibung. Ben 
G. Bauer, Elementarlehrer am Gymnafium und ber Realanſtalt in Ulm. 
Zweite, vermehrte und verbefierte Auflage. Stuttgart. Drud und Verlag 
ber Chr. Belſer'ſchen Berlagsbanbiung. 1866. 3 Sgr. (108 ©.) 11. 8. 


Ich kann das im XV. Jahresbericht gefällte ungünftige Urtheil troß 
der „verbefjerten‘ Auflage nur beftätigen. 


59, Wegweifer für die deutihe Rechtſchreibung nah bem neueren 
Anfihten. In vollfländiger Borführung, methobifcher Faflung und praf- 
tiihen Beilpielen; nebft Wörtervergeichnig. Bon Dr. Ferdinand Hermes. 
Berlin, 1866. Berlag von I. Guttentag. (28 ©.) 8. "4 Ger. 


Ein Separatabdrud des letzten Abfchnitts aus des Verfaſſers oben 
erwähntem Buche „Unſere Mutterſprache“. 


VL Bermiſchte SäHriften 


60. Die Sprache nah M. Earriöre und Anderen. Vortrag, gehalten ‚je 
Norden im December 1864 von J. ten Doornkaat⸗Koolman. Zw 
Auflage. Norden. Verlag vou Diedr. Soltau. 1866. 10 Gyr. (38 ©.) 
gr. . 


Die populäre Weiſe, in welcher der Verfaſſer den pſychologiſchen 
Urſprung der Sprache aus Snterjectionen, Schallnahahmmgen und Thätigs 
keitöbenennungen (Wurzelverben) nachweiſt und die Lebereinftimmung biefer 
Anfiht mit den Reſultaten der Sprachvergleichung darthut, macht das 
Schriftchen recht wohl geeignet als eine Einleitung zur Grammatik überhaupt 
- zu dienen. Als eine Ergänzung dazu empfehle ich eine Abhandlung Dr 
©. Jägers: „Ueber den Urfprung der menjchlichen Spradhe” im „Auss 
land”, 1867 Nr. 42. Diefelbe ſucht, von Darvins Lehre ausgehend, die 
Aehnlichleiten aufzumeifen, welche zwifchen den Thierftimmen und der menſch⸗ 
lien Sprache zu beftehen fcheinen. 


61. Deutſcher Antibarbarus. Muſterlager neuhochdeutſcher Schriftſprache. 
"Sefammelt und beleuchtet durch K. &. Keller. Göppingen, bei Ferdinand 
Bölter, 1866. (46 ©.) gr. 8. 8 Ser. 


Der Berfafier giebt eine Blumenlefe ſprachlicher Modeſünden, deren 
ſich bei der fortfchreitenden Spaltung unferer Begriffe felbit gute Schrift: 
fteller häufig fchuldig machen. Sie fol den Leſer mahnen, auf ih zu 
achten, damit er nicht auch feinerfeits durch Nachlaͤſſigkeit die leider immer 
mehr um ſich greifende Stilverfchlechterung beförbere. Einen reihen Borrath 
von Berftößen gegen die grammatifche Reinheit haben die Zeitungen geliefert, 
Da die Fehler oft nicht fehr in die Augen fpringen, fo ift das Buch ſelbſt 
für den geübten Stilifien lehrreich. 





604 Die neueften Erfcheinungen auf dem Gebiete ıc. 


62. Der Botlal-Alzent, ein bisher unformulirtes Geſez (T) ber Sprachen, 
insbeſonders (1) der beütichen (1) Sprache, verfafit (!) umb beransgegeben 
von Willibald Raile, Bfarrprister () zu Aidenbah im Biſchtume (1!) 
Bafjan. Münden, 1866. Joſ. Ant. Finflerlin. (48 ©.) gr. 8. 8 Ger. 


Ein Schriften zur Erheiterung. Der Berfafier will die ganze Grammatik 
seformiren und bat feinen Aerger über manderlei, was nit damit zus 
jammenbängt. 


63. Deutiher Sprachwart. Zeitſchrift für Kunde und Kunſt ber Sprache; 
infonderheit für Hege und Pflege unferer Mutterſprache in allen ihren Munbs 
arten; für Schirm und Schu ihrer Gerechtſame in Heimat unb Frembe; 
für Keinbeit und Richtigkeit ihres Gebrauches in Rebe und Schrift. Gerans- 
gegeben von Mar Moltke. Erfcheint monatlich zweimal. Preis halbjährig 
25 Sgr. Leipzig, bei Albert Fritſch. 


Es iR Rr. 1—3 von 1866 eingefandt worden. Die Ziele, die ſich 
die Zeitibrift ftedt, find gut. Zur Grreihung bderfelben bevarf fie aber 
folder Mitarbeiter, die Meifter in der Sprache und der Sprachwiſſenſchaft 
find. Leider will es mir fcheinen, als blidte hie und da nur dilettantijche 
Unbefangenheit hervor, die zuweilen die Sprache zu meiltern unternimmt. 


64. Gedrängtes, aber vollſtändiges Frembdwörterbuch zur Erklärung 
und Berbeutfchnng aller in der Schrift⸗- und Umgangsiprade, in ben ai 
tungen, fowie in ben verſchiedenſten bürgerlichen und geichäftlichen Berhält⸗ 
nifien vorfommenden freunden Wörter und Nebensarten. Mit genauer 
Angabe der richtigen Ausſprache und Betonung ber Wörter. Ein bequemes 
Sandbud für jeden Stand und jebes Alter. Nach ben Anforberungen ber 
neueflen Zeit bearbeitet von P. &. 2. Hoffmann. Eifte, nen bearbeitete, 
taufenbfältig verbefierte und bis auf mehr als 24,000 Wörter vermehrte 
ER zeipiis, Friedrich Brandſtetter. 1866. geb. 10 Sgr. geb. 12 Sgr. 


Ein vortrefflidyes, handliches Buh, das troß feines billigen. Preiſes 
die großen, theuern Fremdwoͤrterbücher volllommen erjeht. 











XV. 


Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule 
und ihrer Lehrer. 


Bearbeitet von 


Auguft Luͤben. 





1. Die deutfche Volksſchule im Allgemeinen. 


I. Im vorigen Bande haben wir eine gebrängte Weberfiht über 
„die beutfche Vollsichule der Gegenwart zu geben verſucht und uns bemüht, 
fie als das binzuftellen, was fie jest if. Im Großen und Ganzen darf 
das dort von ihr entworfene Bild ein erfreuliches genannt werben. die 
ließ fih ein großer Fortfchritt in der Entwidelung des deutſchen Volla⸗ 
ſchulweſens, die Bildung der Volksjchullebrer natürlich mit eingejchlofien, 
nicht verlennen; und die in allen deutſchen Staaten dafür vorhandenen 
Grundlagen ftellen eine freudige Weiterentwidelung in fihere Ausfiht. . : 

2. Der Krieg des Jahres 1866, über das wir hier berichten, hat 
viel Elend mit ſich geführt und viel Unzufriedenheit in den von Preußen 
annectirten und fonft etwas im Selbftregiment beſchraͤnkten Ländern hervor⸗. 
gerufen; aber das Gute bat er doch auch gehabt, daß er weientlih mit: 
dazu beitrug, die große Bedeutung der Vollsſchule für allges 
meine Boltsbildung in weiteren Kreiſen zur Anerlennung: 
zu bringen. Zunädft ift allerdings nur von den preußijhen Sob, 
daten gejagt worben, daß fie fi im Allgemeinen viel gebilveter, zu allen 
militärifhen Ausführungen anftelliger und in ihrem ganzen Verhalten viel 
bumaner erwiejen bätten, als ihre Gegner, die Vefterreiher; aber wer 
mödte behaupten, daß die Soldaten anderer deutſchen Länder ven preußiſchen 
in diefen Beziehungen erheblich nachſtehen? Die deutſchen Volksſchulen 
dürfen darum alle ihr befcheiden Theil non dem Lobe einftreihen, welches 
ben preußifchen zu Zheil geworden, wenn es fih aud empfehlen dürfte, 
daß einzelne Länderfireden im Norden wie im Süben mit einiger Zurüd⸗ 
baltung dabei verjahren möchten. Es hat daher auch vielfadh unangenehm 
berührt, daß preußiſche Lehrer, die ſich hierüber ausipracdhen, den Bund gax 
zu voll nahmen und fi vom Jubel fo berauſchen ficken, daß fie bie. 


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Die Außern Angelegenheiten ber VBollsihule ꝛc. 607 


durch YUnciennetätszulagen. 8) Wo den Gommunen zur angemefienen 
Dotirung der Lehrerſtellen die Mittel fehlen, bilft vie Staatsregierung, 
indem für die DBerbeflerung "der Lehrergehalte alljäbrli eine hinreichende 
Summe im Staatshaushaltsetate ausgeſetzt wird; denn gegen keinen Star.d 
bat der Staat dringlichere Verpflichtungen als gegen den Lehrfiand. 4) Bet 
der Penfionirung der Lehrer müflen viejelben Grundſätze gelten, wie hei 
"ver der unmittelbaren Staatsbeamten. In gleicher Weiſe forgt auch der 
Staat für die Wittwen. IIL Schulorganifation. 1) Die deutſchen 
Vollsſchulen find als Nationaljchulen zu organifiren. 2) Die deutſche 
Nationalſchule darf jelbftverflänvlih Feine Confefionsichule fein. 3) Der 
Unterriht in der Nationalſchule ift mindeftens auf folgende Gegenftänve zu 
erftreden: Deutihe Sprache mit Leſen und Schreiben, Rechnen und Geo⸗ 
metrie, Erdkunde und Geſchichte (hauptſaͤchlich deutſche mit Rüdfiht auf die 
Staatsverfafiung und die wichtigſten Gefebe), Naturgeſchichte und Natur: 
lehre nebſt Kenntniß des menſchlichen Körpers und Volksgeſundheitslehre, 
Sefang, Zeihnen, Turnen mit militärifchen Uebungen. 4) Für die Erthei⸗ 
lung des Religionsunterrichts Sorge zu tragen, ift Sade der Eltern. 
5) Die Schulpfliht dauert vom 6. bis zum 14. Lebensjahre des Kindes. 
IV. Säulbehörden. 14) Aus den Eltern, deren Kinder die Schule 
befuchen, wirb der Schulvorftand gewählt. Die Lehrer find eo ipso Mit: 
glieder deſſelben. 2) Diejer Schulvoritand übt die Berwaltungsinfpection 
über Schule und Lehrer aus. 3) Die Aufjiht des Staates über bie 
Schule wird duch Schulinjpectoren ausgeübt, welche von der Staatöregies 
zung zu emenmen und aus der Neihe-der praltiih geübten Schulmänner 
zu entnehmen find; päbagogijdy erfahrene Geiftlihe find nicht ausgeſchloſſen. 
4) In jedem Schulbezirte finden regelmäßig Conferengen ftatt, an denen 
die Theilnahme der Eltern erwüniht ift, damit der öffentlihe Sinn für 
das Grziehungswefen belebt werde und Schule und Haus in befländiger 
Verbindung bleiben. 

Was zunächſt die Lehrerbildung betrifft, fo fügen wir noch 
ergänzend binzu, daß Herr Dr. Wittftod die kühne Idee hatte, auf 
eigene Fauft am 8. Oftober 1866 in Frankfurt a. M. eine „Allgemeine 
deutſche Lehrerbildungs⸗Anſtalt“ zu gründen, wobei er jedoch ftart auf 
„Geldſammlungen“ ſcheint gerechnet zu haben. Der Krieg bat den Blan 
zu Wafler gemacht, und vor der Hand wird er mohl jo wie jo ruhen 
müflen. So lange die Scäulftellen ihren Inhabern das Einkommen jo Inapp 
zumefien, wie. es fall nod überall geſchieht, fehlt ed an Sünglingen für die 
in Ausfiht genommenen Seminare, Die Ziele find ohnehin wohl nur für 
Lehrer an gehobenen Stadtſchulen geftedt. Wer von den fo vorgebilveten 
jungen Leuten wird Luft haben, eine Sculftelle in einem Dorfe anzus 
nehmen? Dafür aber brauchen wir auch Lehrer. Die Landlehrer follen 
natürlih auch eine tüchtige Bildung haben; aber das Engliihe und Frans 
zöfifche wollen wir ihnen gern erlafien. Bei Reformvorfhlägen muß man 
fih vor allen Dingen vor Meberihwänglidleiten in Acht nehmen. Ä 

Gin Minimalgehalt von mindeſtens 300 Thlrn feftitellen, zeigt von 
mangelhafter Kenntniß der Berhältnifiee Der preußiihe Ausprud „aus⸗ 
Lömmlicdes Gehalt” ift troß feiner großen Debnjamleit viel angemeflener, _ 


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Die üußern Angelegenheiten ber Volksſchule x. 609 


"feiner Schriſt Kirche und Schule im idealen Bunde” genügend hervor. 

Reben ver Aufiiht durch den Staat will er die Inſpection durch die Orts⸗ 
pfasrer beibehalten wifien. Gr meint, bie Beauffihtigung des Religions⸗ 
unterrichts müfle ihnen doch fo wie fo bleiben; follten nun nod neben 
ihnen weltliche Inſpectoren, 3. B. Kreisfchulinfpectoren, die Schulen beanf: 
fihtigen, fo wären Conflicte unausbleiblich. Daher jei es alſo jedenfalls 
beſſer, die Geiftlihen überhaupt als Schulinjpectoren beizubehalten. Sehr 
befähtgt feien die Beiftlihen dazu freilih nicht. Uber fte befäßen ja doch 
die Fähigleit, Pädagogik  ftubiren zu koͤnnen. Verſchafften fie ſich dazu 
nod die erforberlihe Praris, jo wäre die Befähigung zum Schulinfpecter 
vorhanden. Gäbe man nun den Lehrern eine höhere, auch fremdſprachliche 
Bildung, fo träten fie dadurch den Geiftlihen in ihrer Bildung erheblich 
näher; diefe würden fie dann als Leute anjeben, mit denen fich ein vers 
ſtändiges Wort reden liebe, für Menſchen, die fie — faft für Ihresgleichen 
balten koͤnnten. Mit der größeren pädagogifchen Bildung der Geiſtlichen 
und der größeren allgemeinen und wiſſenſchaftlicheren Bildung ver Lehrer 
feien dann alle Bedingungen zu ‚einem idealen Bunde zwifchen Kirche und 
Schule“ gegeben. 

Das ift recht gut gemeint, nach unſerer Einfiht und Erfahrung aber 
nicht geeignet, ein erwünfchtes Biel herbeizuführen. Bei der raftlofen Thätig- 
feit, die feit Sahren auf dem Gebiete der Theologie, wie in allen andern 
Wiſſenſchaften, herrſcht, hat ein gewiſſenhafter Prediger volllommen zu thun, 
um fih immer au fait zu halten und mit bauen zu belfen an feiner 
Lebenswiſſenſchaft. Bliebe ihm aber auch daneben noch Zeit, mitunter ein 
pädagogifhes Buch zu lejen, fo Tann er doch unmöglih völlig vertraut 
bleiben mit der pädagogijhen Literatur und mit den Yortfchritten auf bie: 
fem Gebiete. Ganz unmöglich aber wird es ihm fein, fi) in der Praris 
"zu erhalten, die für ein erfolgreiches pädagogifhes Studium unentbehrlich 
if. Geringe Ausnahmen abgerechnet, wird aus dem tüchtigen Theologen 
und forgjamen Seelforger nie Ein tüchtiger Pädagog werden. In Betreff 
ver höheren Bildung der Lehrer bin ich natürlich mit dem Berfafler einver: 
landen, fordere dieſelbe aber aus befferem Grunde, nämlich nicht, damit 
ſich zwifhen Lehrern und Prebigern ein gutes Berhältniß entwidele, ein 
„idealer Bund“, fondern damit fie die volle Befähigung für ihren Beruf 
erhalten. 

ine Beauffihtigung des Religionsunterrichts durch die Geiſtlichen iſt 
voͤllig entbehrlich, fo lange vie kümftigen Lehrer in den Seminaren in der 
Mofigion minveitens eben jo jorgfältig unterrichtet. werden, als im Rechnen, 
in der Grammatik und andern Unterrichtsfaͤchern. Das Maß von dyifl: 
licher Religionserkenntniß, welches zu einem Gott und Menfchen wohl: 
gehälligen Beben gehört, ſoll ſich ja jeder Chriſt erwerben ; es müßte daher 
wunverlich zugeben, wenn bie Lehrer nicht bazu gelangen follten. Zu ber 
Fähigkeit, in der Neligton zu unterrichten, werben fie ohnehin durch ihre 
ganze Borbilvung genügend befähigt. Außerdem wird ja auch jeder Me: 
gierungs⸗Schulinſpector fo viel Neligiondertenntnip befiten, daß er im 
Stande ift zu beimthellen, ob ber Unterricht des Lehrers barin ein cortecter 
if. Wo man daher sine freie und zeitgemäße Gutwidelung. der 

Päd. ZJapreßberiht. XIX. 39 


610 Die äußern Angelegenheiten ber Vollaſchule ꝛ. 


Volkaſchule für nothwendig erachtet, da entziehe man den Geiſtlichen bie 
Beauffihtigung der Schulen, aber ganz; denn die große Mehrzahl bexfeiben 
wird ficher darnach ftreben, wieder die ganze Hand zu beiommen, Wenn 
man ihr — einen Finger läßt. Die Zahl der Geiſilichen iſt noch zu groß, 
die in einer zeitgemäßen Bollsbildung Gefahr für den Glauben erblidt. 

Alfo feine Halbheit, wenn man es gut mit der Schule meint! Die 
Religion foll vabei nicht in Gefahr kommen. Im Gegentheil: die freie 
Schule wird es ſich zur hoͤchſten Pflicht machen, die ihr anvertsauten Kin 
der religiös, wahrhaft hriftlich zu bilden. Auch der Glaube, natürlich der 
vernünftige Glaube foll dabei feine volle Rechnung finden. 


2. Dr. Robert Haasn ſpricht fi in feinem Schrifthen: Die Reform ber Kirche 
und Säule im neurzehnten Jahrhundert, auf geſchichtlichem Rechts boden 
tm Geiſte entſchiedene Gewifſensfreiheit, reiner Menſchlichkeit, ——— 
und Berſöhnung als Unterlage eines betreffenden beutfchen "Barlamenıs 
ber Culins⸗ und Schulfrage Bremen, I. Kühtmaun. 1867. 


ebenfalls für völlige Trennung der Schule von der Kirche aus. Er fagt 
Seite 17; „Nach bundertjähriger Bevormundung der Vollsſchule von der 
Kirche erflärt die Reform des neunzehnten Jahrhunderts die Boltsfchullehrer 
für mündig, fo jedoch verftanden, daß beide, Kirche und Schule, in mota⸗ 
liſch ewigem und innigftem Bunde verbleiben, und dadurch in fich jelber 
und in der Menſchheit um fo wirkſamer werben (während der Drud und 
der Unfriede verzehrt), indem die Volksſchule ihre Lehrgegenftände allein 
und zwar unter Aufiiht des Staates, die Geiftlihen dagegen den con» 
feffionellen Religionsunterriht allein mit einem neuen Slatehiämus ver: 
jehen und zwar in einer Zeit, über welche fih Stiche und Staat zu ver: 
einigen hätten.‘ 

In den „Brinzipien der Shulgefeggebung der Jeptzeit” 
von Theodor Hoffmann aus Hamburg, erörtert auf der Allgemeinen 
deutſchen Lehrerverfammlung in Hildesheim, heißt ver fünfte Sag: „Der 
Religionsunterriht der Schule bevingt keine befondere Tishlihe Aufficht.' 
Dagegen wurde in der Verfammlung kein Proteft erhoben. 

Bon ganz entgegengejeßten Anſichten geht ein „Conſerenzvor⸗ 
trag‘ des Paltors J. Büttner zu Daverden (Provinz Hannover) aus, 
abgebrudt unter dem Titel „Die Trennung der Volksſchule von 
der Kirche‘ in: „Neue Blätter für die Vollsfhule der Herzogthümer 
Bremen und Berben und bes Landes Habeln‘’ (herausgegeben von Hadeler, 
Hahn und Wölber; Stade, 1867, erfles Heft. Der Berfafler verfährt 
darin genau jo, wie es die katholiſche @eiftlihteit in Baden bei Einführung 
des neuen Schulgefeßes gethan hat, die dem ungebilveten Bolle von ver 
Kanzel und in Berfammlungen zurief: „Die Religion ift in Gefahr; man 
will euch euren Glauben nehmen, zu dem ſchon eure Bäter fich belannt 
baben. Das dürft ihr nicht dulden! Erhebt euch dagegen wie Ein Mann!“ 
Seite 8 jagt er g. B.: „Es erhellt daraus mit Beftimmtbeit, daß eigent- 
lih da erſt die Trennung der Schule von ber Kirche vollzogen iR, wo 
man den Heiland in ber Schule au gar nicht einmal. mehr zu Worte 
fommen und ihm keinen Ginfluß auf bie ihm doppelt und zehnfach gehörennen 











Die äußern Angelegenheiten dev Volkoſchule x. 611 


Minderberzen geftattet; daß dies aber das Biel ver jegt feit reichlich 20 
Jahren fortrollenden Bewegung ift, kann nicht bezweifelt werden.” Die 
Bründe, welhe der Berfafler dafür anführt, find ſehr ſchwacher Art, am 
ſchwaͤchſten der aus den Verhandlungen der 15. allgemeinen beutfchen 
Lebrerverfammiung entnommene, ba er ganz aus dem Zuſammenhang ge» 
nommen und fo kaum verftändlih if. Hamburg und Bremen werden dabei 
ruͤchſichtslos verunglimpft. Seite 7 beißt es: „In unferer Näbe tft Ham⸗ 
burg bald mit dem Aufräumen fertig; Bremen hatte nicht viel aufzuräus 
men.” Seite 9: „Hamburg, das bereits nicht allein bürgerlihe Trauun⸗ 
gen, fondern fogar bürgerliche Zaufen kennt, führt mit der Gewerbefreiheit 
zufammen Freiheit von Religion in die Schulen ein.” Was halten unfere 
Leſer von der Wahrbeitsliebe des eifernden Paftors, wenn fie hören, daß 
das bier von den Schulen Hamburgs und Bremens Gefagte einfah nicht 
wahr it? Es ift Thatſache, dab es weder in Hamburg noch in Bremen 
chriſtliche Schulen giebt, die fih von der Neligion losgefagt hätten. In 
beiden Städten wird in allen bier in Betracht kommenden Schulen der 
Religionsunterriht mit befonderer Sorgfalt gepflegt. Nur in den höheren 
Schulanftalten tritt er zurüd, ſobald die Kinder anfangen, den Confirman⸗ 
denunterriht der Prediger zu genießen, wogegen nichts Bernünftiges ein- 
gewandt werben Tann. 

Unfer Verfaſſer jcheint überhaupt mit dem bezügliden Verlangen der 
großen Mehrzahl der Lehrer nicht bekannt zu fein, oder liebt es im Intereſſe 
feines Gegenſtandes vielleicht gar, deren Wünfche zu ignoriren und ihnen 
unterzufchieben, mas fie gar nicht erfireben. Wir wollen ihm daher fagen, 
daß es fi ganz und gar nicht darum handelt, die rifllihen Schulen 
religionslos zu maden, fondern allein darum, die Schule von der 
Auffiht der Beiftlihen zu befreien, damit fie ih zeitgemäß 
entwideln kann. 

Bei dieſer totalen Berlennung des Strebens der Lehrer feitens bes 
Verfaſſers verlohnt es fih nicht, auf den Inhalt feines Vortrages bier 
näber einzugeben. Ich bemerfe nur no, daß Lehrer Nad aus Verden 
ein Correferat zu dem Vortrage lieferte, in dem er erllärt, daß er in der’ 
Hauptfache mit dem Herrn Paſtor übereinftimmt. Sonach gehört er nicht 
zu der Zahl der Lehrer, die nad Selbftändigleit der Schule fireben. Wir 
maden ihm daraus feinen Vorwurf, erklären uns dieſe Anſchauung viel: 
mehr aus den bisherigen Verbältnifien, hoffen aber, daß er ſich derjelben 
freuen wird, wenn fie einmal ba ift. 

Ein Seitenftüd bierzu bilden Conferenz: Verhandlungen, über welche 
das Stader „Sonntagsblatt” berichtet. Im demfelben beißt es (dem 
Sinne nad): Auf der am 10. October 1867 abgebaltenen Herbſwer⸗ 
-fammlung der „Hermannsburger combinirten Predigers und Lehrer:Eons 
ferenz“ (Provinz Hannover) ift der einftimmige Beſchluß gefaßt worben, 
gegenäber der drohenden Gefahr einer Uebertragung der Volksſchulverwal⸗ 
tung an eine rein ftaatlihe Behörde eine gemeinfame Eingabe an 
das Gonfiftorium zu Hannover zu richten. In ber darauf am 15. October 
abgefaßten und ſedann von den Mitgliedern bes Gonferenz unterzeichneten 
. Betition wirb zunaͤchſt die Beſorgniß ausgeſprochen, daß bie von der 
39 * 


612 Die äußern Angelegenheiten ber Vollsſchule se. 


Regierung beabfichtigte Uebertragung unferes Vollsſchulweſens ven deu 
bisher damit betrauten Confiftorien an rein flaatlihe Behörden als eim 
„schwerer Schlag für unfere Iutherifhe Kirche wie für unfere Bollsfchule‘‘, 
deren „lutberifcher Charakter” durch eine ſolche Mafregel „‚ernftli) gefährbet 
werden dürfte”, fchmerzlich würde beflagt werben müfien. lm biefer Drehen: 
den Ummälzung bei Zeiten entgegen zu treten, wird jobann bie betreffende 
Behörde gebeten, falls jene Uebertragung unabwendbar wäre, body jedenfalls 
das Recht der Kirche auf die Beftellung ihrer Kirchendiener mit allem Rad 
drud geltend zu machen. Schließlich wird dann noch für den Zall ber 
Einführung der preußifhen Regulative vom 1., 2., 3. October 1854 — 
deren Zrefjlichleit jedoch beiläufig ruhmend Erwähnung gefhieft — das 
Sonfifterium gebeten: geeignete Schritte zu thun, ſowohl für die unzweis 
beutige Anerlennung des tbatfächlich confeffionellsIutberifchen Charakters 
unferer Volksſchule, als auch des rechtlich confeffionell-Iutherifchen Charakters 
unferer Boltsichulgemeinden. 

Man erwartet, daß man in andern heilen ber Provinz dem Bei⸗ 
fpiele folgen werde. Bon Seiten der Prediger ift uns ein foldes Gebab- 
ren volllommen erllärlih; daß ſich ihnen aber die Lehrer hierin anſchlie⸗ 
Ben, erregt doch unfere Verwunderung. Faſt jcheint es, als wären biefelben 
der Meinung, als flände das bisher von den Geiftlihen geleitete hanmo⸗ 
verſche Volksſchulweſen, namentlih das Landſchulweſen, auf der Höhe der 
Seit. So weit unfere Kenntniß reiht, ift das nicht der Fall. Die For⸗ 
berungen ber preußiichen Regulative würden vielfah als unerreichbar 
erjheinen, wenn die Regierung fie ftellte. Beſonders würden die Lehrer 
vor denfelben zurüdfchreden , welche nach einjährigem Eurfus aus den Bes 
zirtsfeminaren hervorgegangen find. Aber die preußifhe Regierung wird 
diefe Forderungen ftellen, wird bie Bezirtsjeminare befeitigen, wird ben 
Geiftlihen die Organifation und Beauffihtigung nicht mehr ausſchließlich 
überlafien. Das Alles wird den bannoverfhen Bollsfchulen zum Segen 
gereihen. Möge die Megierung diefe wichtige Angelegenheit nur in vie 
echten Hände legen! 

Meine eigene Anfiht über das bier zur Sprade gebrachte Verhältnik 
finden die Lejer ausführlicher dargelegt in dem Schrifichen: 


3. Ueber den Einfluß ber Geiflliden in ihrer amtliden Stel- 
lung zur Schule Mit Bezugnahme auf Dr. D. Schenkel's „Theſen 
betreffend das Recht der Kirche auf die Schule.” Bon U. Küben, Semi- 
narbirector in Bremen. Bremen, C. Ed. Müller. 1867. 74 Ser. 


Ich wünjhe eine Beauffihtigung der Schulen buch den Staat und 
dur die Familie, da beide ein lebhaftes Intereſſe für bie Bildung. der 
Sugend baben, felbfiverftändlih auch für die religiöfe Bildung, da ja kein 
Menſch zu den wahrhaft Gebildeten gezählt werden kann, in dem nicht die 
Anlagen für die Religion entwidelt worden find. In biefer Forderung 
lafje ih mid von Niemand übertreffen. 

5. Die XVL Allgemeine deutſche Lehrerverfjammlung 
ift vom 10. bis 13. Juni 1867 in Hildesheim abgehalten worden. Die 
Zahl der Theilnehmer belief fih auf 710, von denen nahezu 500 dem 








Die Außern Angelegenheiten der Volksſchule x. 613 


Königreih Preußen, die neuen Provinzen mitgerechnet, angehörten. Die 
Zahl der anweienden Geiftllihen war äußerſt gering. Wie flimmt bag 
mit bem oben fignalilitten Eifer beifpielsweije der bannoverfchen Prediger 
für Feſthaltung der Berbindung von „Schule und Kirche” zufammen? Man 
follte meinen, viefe Herren brennten vor Begierden, Theil zu nehmen an 
Lehrerverfammlungen? Dover ift ihnen der in der Allgemeinen deutjchen 
Lehrerverfammlung berrfhende Geift zuwider? Das konnte kein Grund 
für ihr MWegbleiben fein. Denn einerjeits Iäßt fih der Geift, der fih in 
der Berfammlung kund geben wird, nie vorher beflimmen, da fie ale 
Wander⸗Verſammlung immer neue Elemente in fih aufnimmt, die meiften 
aus der Umgegend des Berfammlungsortes, andererjeitd aber ift fie auch 
ganz der Ort, wo auftauchende fhädliche Anfichten befämpft werden können. 
Es ſcheint mir fait, als wenn die geiftlihen Herren wohl viel Neigung 
hätten, die Herren der Schule zu fein und zu bleiben, ſehr wenig aber 
ſich eingehend mit wichtigen Fragen der Pädagogik zu befchäftigen. Wollen 
fie aber das nicht, fo müflen fie auch auf dieſe Herrfchaft verzichten. Wie 
vortheilbaft flechen dagegen von der großen Maſſe der Geiſtlichen Männer 
ab wie Superintendent Dr. Mori Schulze aus Ohrdruf und Pfarrer 
Dr. Riede aus Neuffen, vie beide langjährige Ausihußmitgliever ver 
Berjammlung find und die meiten Reifen zu benjelben nie gefcheut haben! 

Die Berfammlung wurde in einer Kirche abgehalten, da es an 
einem andern dazu geeigneten L2ocale fehlte Sie war nur „ausnahms⸗ 
weife” von dem Herrn Unterrichtsminifter und unter der Borausfeßung be: 
willigt worden, daß der Drtsausfhuß die Gewähr übernähme, daß Bor: 
gänge vermieden, event. fofort gerügt und reprimirt würden, welche mit 
dem Frieden, dem Ernft und der Würde einer Kirche nicht vereinbar wären. 
Das konnte der Ortsausſchuß ohne Beſorgniß übernehmen und hätte es 
des Anſchlags des betreffenden Minifterial» Erlafies an den Straßeneden 
Hildesheims nicht bedurft. Die Lehrerverfammlung bat fich bis jeßt noch immer 
würdevoli benommen, gleihgültig, ob fie in einem Schaufpieljaale (mie in 
Coburg) oder in einer Kirche tagte. Nachdem man längfi Bedienten und 
niederen Handwerkern den Gintritt in den Lehrerfiand verſchloſſen hat, 
dürfte man ihnen ben nöthigen Anftand in ihren Berfammlungen wohl 
zutrauen. Die auferlegte Befchräntung hatte zur Folge, daß den Nebnern 
fein Zeichen des Beifalld gegeben werben durfte, wenn fie fich jolden durch 
den Geift und die Wahrheit ihrer Gedanlen erworben batten, was lähmend 
wirkte und den Geift der Verfammlung nit immer genügend erlennen ließ, 
Möchte die Verſammlung nie wieder in die Lage kommen, eine Kirche 
benugen zu müflen, wenn bie Behörben nicht geneigt find, ihr zu ver: 
teauen. Sn der Heiligengeiftliche zu Mannheim wurde fehr lebhaft ver- 
handelt, und der trefilihe Großherzog felber Elatfchte mit ver aus 3000 
Theilnehmern beftehenden Verſammlung ven Rebnern Beifall, die ihm ges 
fielen. Die Kirchenwaͤnde mit allen ihren Zierden haben darunter nicht 
gelitten, und die geiftreihen, erbaulihen Predigten des Herrn Stadtpfarrers 
Schellenberg werben noch heut mit derſelben Andacht entgegengenommen, 
wie worber. 


614 Die äußern Angelegenheiten ber Bollöfchule x. 


Zur Verhandlung kamen 
A. in den Hauptverfammlungen : 

1. Ueber Eharatterbildung, Referent Lehrer Badhaus in Lüneburg. 

2. Ueber die Prinzipien der Schulgejeßgebung der ebtzeit, und zwar 

der Theil E.: Prinzipien für den Unterriht und die Erziehung. 

Die aufgefleliten fünf Grundfäge werden mit einer unweſentlichen 
Abänderung angenommen und lauten: 

a. Der Unterricht berüdfihtige die körperliche und geiftige Ausbilbung. 

b. Unterriht und Erziehung follen ebenſowohl die nationale, als 
auch die allgemein menſchliche Bildung fördern. 

c. Der Unterricht fei nur befchräntt durch das Maß der Mittel 
und die Leiftungsfähigleit der Kinder. 

d. Der Neligiongunterriht verbleibt der Schule, bis er in den 
Confirmandenunterriht übergeht. 

e. Der Religiondunterriht der Schule bedingt feine bejondere kirch⸗ 
lihe Aufſicht. 

3. Der Vollsaberglaube und die Schule, Referent Pfarrer Dr. Riede 

aus Reuffen in Würtemberg. 

Thema und Bortrag erregten großes Intereſſe. Ich jelbit erlaubte 
mir in der Discuffion darüber zu fagen, daß die Schule bei Behandlung 
. ver bibliihen Geſchichte nicht felten Gefahr laufe, abergläubiihde Bor 
ftellungen zu erzeugen, dann nämlih, wenn fie den Kindern zumutbe, 
Unglaublies für wahr zu halten. Es bat das Manden unangenehm 
berührt und auch in ortboboren theologifhen Zeitichriften ſcharſe Beurthei⸗ 
lungen hervorgerufen; ih muß aber dennod dabei fteben bleiben. Wir 
ſchaden der Jugend und der Religion unenvlih, wenn wir im Re: 
Iigionsunterriht fortfahren, erzählte Vorgänge für wahr, für einmal ge 
ſchehene auszugeben, die allem vernünftigen Denten Hohn ſprechen. 

4. Die Schule und die allgemeine Webrpfliht in ihren gegenfeitigen 

Beziehungen, Referent Rector Löw aus Magdeburg. 

- An den ebenjo trefilihen als zeitgemäßen Vortrag unſeres bewährten, 
in allgemeiner Achtung ftiehenden Pädagogen knüpfte fi eine eingehende 
und böchft intereflante Debatte, in der namentlih der Director Borne= 
mann aus Leipzig alle diejenigen auf feine Seite brachte, welde ſich noch 
nit mit den preußifhen Annerionen von 1866 haben ausjöhnen können. 
Während nämlih Löw mit gutem Hecht die Hebung des preußiſchen Schul» 
weſens zum Theil ald Ergebniß der Ginführung der allgemeinen Wehr⸗ 
pfiht, namentlih auch des einjährigen Freiwilligen = Dienftes binftellte, 
betonte Bornemann, daß in Ländern ohne diefe VBorausfegung die Bildung 
nicht geringer ſei. Das mag bis zu einem gemwiflen Grade und nad 
gewiflen Beziehungen bin wahr fein, Aber die Thatſache, daß bei den 
ſehr mild ausgeführten Prüfungen für den einjährigen Dienft in ben 
annectirten und verjchiedenen andern Ländern des Norbbeutihen Bundes 
ſich ganz außerordentliche Unmifienheit ergeben hat, lafien ſich doch nicht 
ableugnen. An vielen Orten müfien die Ziele der Schulen, aus benen 
jeßt die gebilveteren Stände, wie 3. B. bier in Bremen der Kaufmanns: 








Die ãußern Angelegenheiten ber Volksſchule x. 615 


fand, hervorgingen, erheblich gefteigert werden, wenn ihrem Böglingen bie 
Berehtigung zum einjährigen Dienft ertheilt werden fol. 

5. Inwieweit ift ein zwedmäßiger Geſchichtsunterricht in der Vollks⸗ 
ſchule an dem fittlihen Fortfchritte der Neuzeit betheiligt ? Referent 
BWaifenhausinfpector Stern aus Seefen. 

Der Bortragende ſchloß mit den Worten: „Gin zwedmaͤßiger Geſchichts⸗ 
unterriht in der Volksſchule ift alfo an dem beften Theile des fittlichen 
Fortſchritts der Neuzeit wirkſam, betbeiligt an den ebelften Beltrebungen 
der Gegenwart; denn er zeigt und ja 1) die Wahrheit, 2) die Großartig⸗ 
feit, 3) den Geift der Geſchichte.“ 

Die fih bieran reihende Debatte war anregend und belehrend. 

6. Die Adiaphora im Unterrichte, Referent Dr. 9. Re ferftein aus Dresden. 

Der fremde Ausorud wurde erſt nah und nad dur den Vortrag 
und die Debatte ganz verftändlihd. Es handelte fih darum, darauf bins 
zuweiſen, daß im Laufe der Zeit viel entbehrlihes Material in den Schul: 
unterricht aufgenommen worben fei, mas wieder entfernt werden müfle. 
Der interefiante Vortrag konnte wegen vorgerüdter Zeit nicht ganz vollendet 
werden, gab aber auch jchon in dem gebotenen Bruchftüde viel Stoff zu 
anregenden weiteren Ausführungen und Entgegnungen. 

7. Ueber Schülerftatifiit, Neferent Profefior Dr. Schröder aus 

Mannheim. 

Die Abfiht des Redners war, zu einer Schülerftatifiit anzuregen ; 
und das ift ihm gewiß bei Vielen gelungen. Schade, daß Dr. Dürre 
aus Weinheim, der ſchon feit Jahren auf diefem Gebiete thätig ift und 
anvegend wirkt, nicht zugegen war! 

B. In den Nebenverfammlungen: 

8. Verfammlung der Redacteure pädagogifcher Beitjähriften und der 
Borftandsmitglieder von Lehrervereinen. 

Für diefe Verfammlung fehlte es an einer guten Borlage; das Res 
fultat diefer Verhandlungen erſchien mir daher nicht jehr erheblich. Nr. 36 
der Allgem, veutfchen Lehrerzeitung (1867 ) giebt hierüber nähere Auskunft. 

9. Welches find vie Hauptaufgaben des Froͤbel'ſchen Kindergartens ? 
Referent Köhler, Director des Lehrerfeminard zu Gotha. 

Diefen Verhandlungen konnte ic nicht beimohnen. Näheres darüber 

enthält Rr. 37 der Allgemeinen deutichen Lehrerzeitung. 

10. Gründung einer naturwifienjchaftlihen Section innerhalb der All⸗ 
gemeinen deutſchen Lehrerverſammlung. Neferent Hoffmann, 
Oberlehrer am lönigliben Gymnaſium zu Freiberg i. ©. 

Als weſentlichſte Refultate der Verfammlung heben wir hervor: 

„Die mathematiſch⸗ naturwifienfhaftlihe Section hält ihre Eißungen 
an einem der drei Berfammlungstage der Allgemeinen deutſchen Lehrers 
verfammlung. In denfelben wird a) ein Vortrag über die “Pflege der 
Methode irgend eines Lehrgegenftandes aus dem Gebiete der exacten Wiſſen⸗ 
haften von einem Mitglieve gehalten; b) eine Mufters (oder Probe:) 
Lection mit Schülern, mo möglid von einem Lehrer am Orte ausgeführt. 
Damit wird verbunden co) eine Ausftellung mathematisch» naturwiſſenſchaft⸗ 
licher Lehrmittel; d) eine naturgeſchichtliche (botanifche, entomologifche, 


616 Die äußern Xugelegenheiten der Volksſchule x. 


geognoflifhe zc.) Ercurfion in die Umgegend des Berfammlungäortes unter 
Leitung eines ortölundigen Lehrers der Naturwiſſenſchaften.“ 

Bei der Thätigleit, welche Herr Hoffmann für feine Idee enifaltete, 
darf man wohl annehmen, daß nady und nad fi Gutes aus dem Unter⸗ 
nehmen ergeben wird. 

11. Verſammlung des Erziehungsvereins in Hildesheim, worin Dr. Bilz 
aus Leipzig in einem längeren Vortrage die Frage beantwortete: 
Wie muß die pädagogifhe Preſſe beſchaffen fein, wenn fte auf das 
Volk wirken und namentli Haus und Schule inniger verbinden foll ? 

Redner ift Herausgeber der Zeitjchrift „Comelia‘, die denjelben Bwed 
verfolgt. Jedenfalls hat ee Gelegenheit gehabt, in biefer Richtung mancherlei 
Grfabrungen zu mahen. Die Verbandlungen über den Gegenfland finden 
fih in Nr, 41 der Allgemeinen deutſchen Lehrerzeitung. 

12. Ueber vationellen Zeihenunterriht. Bortrag des Bildhauers Küfl- 
hardt aus Hildesheim. 

Diefer Bortrag war ſchon in der Juni» Nummer der „Monatsblätter 
für Förderung des LBeichenunterriht3 an Schulen”, herausgegeben von 
Troſchel in Berlin, abgevrudt, und findet fih nun aud mit ven Ber 
bandlungen darüber in Nr. 42 ver Allgemeinen beutichen Lehrerzeitung. 

Aus dem Vorſtehenden gebt wohl zur Genüge hervor, daß aud die 
diesjährige Verfammlung reihen und würdigen Stoff zur Berbanblung 
dargeboten hat. Die Verſammlung nahm auch von Anfang bis zum 
Schluß das regfte Interefie daran, und die Betheiligung war alljeitig. Der 
rubige, vorurtbeilsfreie Beobachter fonnte in kurzer Zeit die befriedigende 
Üeberzeugung gewinnen, daß die Vollsſchullehrer, aus denen die Berjan.me 
lung vorberrfhend gebildet wurde, durchaus firebfame Männer find und 
ihrem Stande alle Ehre machen. Sie helfen mader mit am Fortieritt 
des deutichen Volles bauen und dürfen nicht zulekt genannt werben, wenn 
nach den Urhebern der in Deutjchland fich findenden Sntelligenz gefragt wird. 

6. Zu Anfange des Jahres 1867 erſchien in Berlin bei C. S. Lieb: 
recht von dem Gemeindelehrer Eduard Senff ein Schriften unter dem 
Titel: 

4. „Aufgabe ber Lehrer⸗Bereine jetziger Zeit.” (32 S. 5 Sgr.) 


Um .die Aufmerkſamkeit auf die darin niedergelegten Anſichten zu 
lenten, ift dafielbe zugleih in Gratis: Eremplaren an die WMagiftrate ver 
Städte gejandt worden. 

Der Berfafler ift von der Nothwendigleit der Fortbildung der Lehrer 
durhdrungen und fihiebt das wejentlichfte Stüd dafür den Lebrerwereinen 
zu, worin wir ihm beiftimmen, ungeadtet wir aus Grfahrung willen, daß 
die Hauptfache durch fleißiges Selbſtſtudium erreicht wird. Die gegenwärtige 
Einrihtung der meiften Lebrervereine, nach welder hauptſaͤchlich eigene 
Aufjäße angefertigt, vorgetragen und einer Beiprehung unterworfen werden, 
eriheint ihm für den bezeichneten Zweck ungeeignet, veraltet. Gr will an 
die Stelle verfelben ein gemeinjames Studium wichtiger Werte der Päba 
gogik geſetzt willen, verbunden mit mündlichen und friftliden Referaten 
über dieſelben. Der Verein fol fi) zu diefem Zwece in Sertionen Ipalten, 








Die Außern Angelegenheiten ber Vollsſchule . 617 


in melche die Mitgliever je nach Neigung eintreten, aber jedes Mitglied 
wenigftend in zwei derſelben, und darin eine tüchtige Thätigleit entfalten. 

Wir halten diefen Vorſchlag für ganz zwedmäßig, müflen ihn aber 
gleichwohl als einfeitig begeihnen, Das Studium pädagogiiher Schriften 
ift natürlich für jeden Lehrer unerläßlih. Aber nicht Alle dürfen dabei 
fteben bleiben, müfien vielmehr zu eigenen, freien Productionen fchreiten. 
Das eigene Schreiben ift es eben, welches Klarheit in der Sache verleiht 
und zugleich zur Gewandtheit in ber ſprachlichen Darftellung verhilft, auf 
deren Grlangung ſtets großes Gewicht zu legen ift. Begreiflicher Weiſe 
lafjen ſich beide Richtungen recht gut neben einander verfolgen, und darin 
erbliden wir das Rechte. 

Der Berfafler theilt in feinem Schrifthen ein Statut für derartige 
Bereine mit, das wir der Wichtigkeit ver Sache bulber hier wiedergeben. 

„1. Zwed des Vereins iſt Beſprechung pädagogifher Schriften. 
2. Der DBerein bildet für jedes Unterrichtsfah eine Section. 3. Jedes 
Mitglied muß mindeftens zwei Sectionen angebören; es ift aber feiner 
freien Wahl überlafien, welchen Sectionen es beitritt. 4. Jede Section 
wählt aus ihrer Mitte einen Führer; diefer übernimmt mit feinem Amte 
folgende Berpflihtungen: a) Sich gründliche Kenntniß von den beveutfamften 
Erſcheinungen auf dem Gebiete der pädagogifhen Literatur in dem von 
ihm vertretenen Fache zu verihaffen. b) Eine ausführliche Geſchichte der 
Literatur feines Faches zufammenftellen und für den Gebraud der Section 
im Archiv des Bereind niederzulegen. c) Diejenigen Schriften feines Feldes 
auszuwählen und in Umlauf zu feßen, welche im Vereine zur Beipredhung 
gelangen ſollen. d) Dem betreffenden Buche einen Fragebogen beilegen, 
auf welchem er dur Fragen die Punkte andeutet, die ihm der Beiprechung 
befonders werth erjcheinen. 0) Buch und Fragebogen in feiner Section 
cixculiren laflen. f) Nachdem er Buch und Fragebogen zurüderhalten bat, 
eine Berfammlung der Section anzuberaumen, in welder er ben Vorſitz 
führt. 5. In der Section fpricht mit befonderer Berüdfichtigung der auf 
dem Fragebogen angedeuteten Punkte jedes Mitglied feine Anficht über das 
Bud aus. Nach Beendigung der Beſprechung ernennt die Commilfion 
drei Referenten, welde in der. Berfammlung des Vereins über die Ber 
bandlungen der Section Bericht zu eritatten haben. 6. In der Berfamm: 
lung des Vereins giebt der erſte Referent bei Vermeidung jeder Kritik 
ein möglichft vollftändiges Bild von dem Inhalte des Buches; er giebt 
ferner Auskunft, weldhe Stellung das Buch zu andern bedeutſamen Werten 
ähnlicher Tendenz einnimmt. Der zweite Neferent theilt mit, was in 
des Section zu Gunften, der dritte Referent, was ebendaſelbſt zu 
Ungunften des Buches gejagt worden ift. 7. Nach Beendigung des Sections⸗ 
berichte® ertheilt der Vorſitzende des Vereins zunächfi denjenigen Mitgliedern 
das Wort, welde Fragen an die Referenten zu richten haben. Jede ein» 
zelne Frage wird erft beantwortet, bevor eine andere geftellt werden darf. 
Hierauf beginnt die allgemeine Debatte über dad Buch, während welder 
die Meferenten vor den eingefchriebenen Rednern das Wort ergreifen dürfen. 
8, Der Sectionsführer hat die Bertheidigung des Buches gegen etwaige 
Angriffe zu übernehmen, falls ſich nicht ein anderes Mitglied ber Section 


618 Die äußern Angelegenheiten der Bolksichule x. 


dazu bereit erflären follte. 9. Gin Endurtheil über das Bud wirb vom 

Bereine nicht gefällt. 10. Etwaige Beſchlüſſe über einzelne durch die 

Debatte angeregte päbagogifhe Fragen find für fpätere Berfammlungen 

nit bindend, fondern werden nur gefaßt, um einen georbneten Berlauf 

der Debatte zu bewirten. 11. Die Neibenfolge, nach weldyer die Gectionen 

Bericht zu erftatten haben, wird vom Vereine feftgefebt. 12. Der Verein 

behält ſich das Recht vor, jeverzeit eine Section aufzulöjen und eine Neu 

bildung derjelben zu veranlafien.“ 

Bum Schluß erſucht der Berfafler um Nadhriht von Bereinen nady 
dem mitgetbeilten Statut. Er beabfidhtigt, „dieſe Nachrichten zufammen zw 
ftellen und entweder durch ein vielgelefenes pädagogifhes Blatt, oder durch 
ein befonders für biefen Zweck beftimmtes Jahrbuch zu veröffentlichen.“ 
Dazu fcheint und kein Bedürfniß vorzuliegen. SHoffentli dürfen wir an: 
nehmen, dab ed dem Berfafier, deſſen Schriften wir ber Beachtung 
empfehlen, nicht bauptfählih um ein foldyes Jahrbuch zu thun war. 

7. Die dee des Herrn Eenff bat übrigens fhon hier und da An» 
Hang gefunden, wie folgende Keine Schrift zeigt: 

5. Welches if bie Aufgabe unb bie zwedmäßigfie Einrichtung 
eines päbagogifhen Bereine? Ein Eomferenz-Bortrag, mit einigen 
Erweiterungen herausgegeben von Helmuth Meyer, Lehrer (in Schwerin). 
Shwein, 9. Hildebrand. 1867. 

Der Verfaſſer lehnt fi ganz an Senff an, bezieht jedody zunachſt 
Alles auf fein Baterland Medlenburg, und modificirt das Statut mit Rüd» 
fit auf den dermaligen Bildungsftand des Medlenburgifhen Lehrerſtandes. 
Im Snterefie der Lepteren wünfchen wir, daß fie von dem Schrifthen ihres 
Landsmannes Kenntniß nehmen und feiner Aufjorderung nadhlommen mögen, 
Wir lommen in dem Abfchnitt „Medienburg” nod einmal hierauf zurüd. 


2. Die einzelnen beutfchen Staaten. 


I. Preußen. 


1. Lebrerbildungsanftalten. 


1. Die lage über Mangel an Lehrern dauert fort. Das königliche 
Sonfiftorium in Königsberg nimmt daher in Folge einer Circulars 
verfügung ber dortigen Negierung Beranlaffung, den Geiftlihen die Prä» 
parandenbildung ganz bejonders zu empfehlen. In diefem Gmpfeb- 
lungsſchreiben heißt es: „In Anbetracht des weſentlichen Zufammenhanges 
des Arbeit in Schule und Kirche und der gegenfeitigen Ginwirkung auf 
einander können wir nicht umbin, dieſer Aufforderung in einem Punkt 
Folge zu leiften, der von fo weſentlicher Bedeutung für die Volksſchule if, 
wie die Gewinnung der Borbildung guter Präparanden für das Seminar.” 
— Gene: „Es muß die fegensvolle Bedeutung des Lehrerberufs um 
der Schule als Mitarbeit an dem Rau des Reiches Gottes vorgeftellt, es 
müflen die Herzen ber Eltern und ber heranwachſenden Jugend für die 











Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule ꝛc. 619 


Ehre und Freude, Miüthelfer der göttlihen Gnade an der Kinderwelt zu 
fein, recht erwärmt und die ungeiftliche, bloß materialiftiiche Auffaflung des 
Lebrerberufs als ein Gewerbe, das Brot und eine gewiſſe Stellung in ber 
GSefelliaft giebt, ernftlich befämpft werben. Dann werben fih gut bean⸗ 
lagte junge Leute bereit finden lafien, um einer jo heiligen Sache willen 
die damit verknüpften Opfer und Mühen nicht zu fcheuen und aud wohl⸗ 
babenvere Eltern von chriftliher Gefinnung werben fi gerne willig finden 
laſſen, begabtere Kinder dem Lehrerberufe zu widmen, und es wird möglich 
fein, fie während ver Vorbereitung für das Seminar mit leichter Mühe 
und ohne die in der Verfügung befämpfte mißbraudlihe Verwendung zur 
förmlihen Berwaltung von Lehrerftellen zu erhalten.“ (Riehl, Central: 
blatt, III. 9. 1866.) | 

Gut gemeint, bleibt aber wirkungslos, wie bie Hinweifungen auf ben 
Lohn im Himmel, womit die Lehrer fo oft abgefpeift werben. 

Die Breslauer Regierung weift von Neuem auf forgfältige Prä- 
parandenbildung hin. (Niehl, III. 9. 1866.) 

2. Das königlihe Provinzial:Schul-Collegium von Pommern empfiehlt 
den Seminaren die Betreibung des Bienenzucht. Ein geeigneter und 
bereiter Seminarlehrer foll jedoch auf eigene Koften den Betrieb der Bienen: 
zudt übernehmen. Cine Verfügung (Riehl, II. H. 1866) giebt angemeflene 
Anleitung zum Unterricht bierin. 

3. Der landwirthſchaftliche Verein für Nheinpreußen begnügt ſich nicht 
mit der Belehrung über Bienenzucht, er fordert praftifhe und theo⸗ 
retifhe Unterweifung in der Landwirthſchaft, damit bie 
Lebrer ſelbſt fpäter darin Unterricht eriheilen können. Da wir über bies 
Anfınnen ſchon früher unfere Anficht mitgetheilt haben, fo beſchraͤnken 
wie und darauf, zu bemerlen, daß ſich der betreffende Antrag im Centralbl. 
von 1866, Heft IL, befindet. 

4. Im II. und III. 9. des Gentralblattes (1866) find die „Haus: 
geſetze und Hausordnung für das Seminar zu Pölitz“ mit 
getbeilt. In der Vorbemerkung dazu beißt es: „Die gefammten Lebens» 
orbnungen ded Seminars ergeben fib aus der Aufgabe, melde daſſelbe 
zu löfen hat. Das Seminar ift feine bloße Ünterridtsanftalt. Erlangung 
von Kenntniſſen und Fertigkeiten und eine Denk⸗ und Sprachbildung, wie 
fie der Lehrerberuf erfordert, bezeichnen nur das nächfte Ziel feiner Wirte 
famleit; aber die Erreichung befielben befähigt für fi allein noch nicht zu 
einer gejegneten Lehrerwirlfamleit. Der weitere und lebte Bwed ber Ges 
minarbildung ift der, daß in den Böglingen Leben geſchaffen werde und 
fittliche Kräfte zur Entwidelung gelangen, welche fie antreiben und befähigen, 
als Lehrer der Volksſchule an ihrem Theil die Jugend unterweifen und 
erziehen zu belfen zu chriftlicher, vaterlänbijcher Gefinnung und häuslicher 
Tugend, wie zur Züchtigleit in den Berufsarten des bürgerlihen Lebens.‘ 

„Reben dem Unterrichte dienen diefem höchften und legten Bwede bes 
Seminars die Lebensorbnungen des Haufes als einer Webungsflätte ber 
Gottes: und Nächſtenliebe, des Gehorſams, der Selbitverläugnung, bes 
Fleißes und aller chriftlihen Tugenden, deren Beſitz allein innerlich tüchtig 
madıt zur Führung des Lehramts.“ 











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des Centrafblattes (1866) enthalten einen in- 


7. Ueber „Bflege des T Gemäthslebens der Seminariften 
im Internat” bringt das IX. Heft des Gentralblattes einen beachtens⸗ 
wertben Artilel. 


2. Allgemeine Berhältniffe der Lehrer. 


1. Bon ven preußiſchen Lehrern bat eine nicht unerbeblihe Anzahl 
den Feldzug von 1866 mitgemacht. So viel zur öftentlihen Kunde 
gelowmmen, haben Ih Ur Lupfer arbeiten und Wadız barein Gehamen mu 
ttoß der nur fechswödigen Dienftzeit nicht ſchlechter geſchoſſen, 
Uebrigen. So haben denn die Lehrer in erfreulichiter Weiſe ** 3 
fie nicht bloß mit Worten, ſondern auch wit wirklichen Waffen zu lämpfen 
und für das Vaterland einzutreten verfieben. 21 Böglinge des Seminars 
ja Dranienburg baben ſich mit der Bitte um fofortige — in 
die Armee direct an den König gewandt. Sn dem Miniſterialbericht hier⸗ 
über au den König heißt ed: „Diefe Bitte datirt vom 26. Juni db. J. 
und if ein fchöner Beweis von der patriotiihen Gefinnung biefer Semina⸗ 
riflen, die zu einer Zeit, wo die Entſcheidung ber Geſchide des Baterlanbes 
durch das Schwert bevorſtand, mit Hintanſeßung aller perjönlichen Vortheile 
an dieſer Cutſcheidung Theil zu nehmen wimſchten. Inzwiſchen haben fi 














Die üußern Angelegenheiten ber VBolksichule x. 621 


unter Gottes gnädiger Yührung die VBerhältnifie geändert; das Vaterland 
bedarf augenblidlicd nicht des ftreitbaren Armes dieſer YJünglinge, ſondern 
erwartet, daB fie in den von ihnen erwählten Lebenäberuf eintreten, um 
als Lehrer die Jugend des Volles für das Heer erziehen zu helfen in 
Gotteöfucht und Treue. Ew. Königlichen Majeftät Armee, die jetzt gelämpft 
und geſiegt bat, iſt durch die preußiiche Volksſchule hindurch und aus der 
felben hervorgegangen; die Seminariften, welche in der Stunde der Gefahr 
bereit waren, in Em. Koͤniglichen Majeftät Armee das Leben einzufeßen für 
König und Baterland, werben in der Zeit des Friedens als Lehrer ihre 
Schuldigleit gu thun wiflen in der Schule an der Jugend des Volles in 
Waffen.“ 

Lehrer find waͤhrend ihrer Ferien auf dem Kriegsſchauplatz auch als 
Krantenwärter eingetreten; felbft Lehrerinnen find in dieſer Weiſe mit großer 
Aufopferung thätig geweſen. 

Das Alles gereicht dem preußifchen Lehrerſtande zu großer Ehre. 

2. Der Magiftrat einer Stadt, die in dem betreffenden Erlaß nidt 
genannt iR, bat bei feiner vorgejegten Regierung die Anftellung von 
Schulbrüdern beantragt, da diefe „fich mit einer geringeren Beſoldung 
zu begnügen pflegen”. Die Regierung bat den Magifitet abſchlägig 
beſchieden und der Miniſter diefen Beſcheid beftätigt, da ſolche Rüdfichten 
niht als ausreihende Gründe gelten könnten. 

Ein derartiges Verfahren verdient gewiß Anerkennung. 

3. Ein Erlaß des Unterrichtsminifters, hervorgerufen durch einen be 
fonderen Fall, fpriht von Neuem aus, daß die Einnahmen des Kü— 
fteramtes bei der Feftftellung der „austömmliden Befol: 
dung des Lehrers‘ in Anrehnung zu bringen. find. Davon 
follte man doch endlich bei jeder pafjenden Gelegenheit abfeben. 

4. Ein Antrag, einem Lehrer ein Schulzenamt zu übertragen, 
it von dem Minifter abſchlägig beſchieden worden, was Wir nur 
billigen können, da eine folhe Doppelftellung zahlreiche Collifionen berbei« 
führen muß. 

5. Nach dem preußiſchen Strafgefeßbudye follen Angefchuldigte, die 
noch nicht das 16. Lebensjahr vollendet haben und bei denen fich feftftellen 
läßt, daß fie ohne Unterſcheidungsvermögen gehandelt haben, frei geſprochen 
und in bem Urtbeil beſtimmt werden, ob fie ihren Familien zu überweijen, 
oder in eine Beflerungs-Anftalt zu bringen find. Die Frankfurter Regierung 
empfiehlt von Neuem, von gerihtlihen Berfolgungen jugend 
liher Berfonen thunlichſt abzuſehen und deren Beftrafung 
ber Schule zu überweijen. Der betreffende Erlaß fagt nad einer 
pafjenden Einleitung: „Demzufolge weifen wir vie ftäptifhen Schul⸗ 
Deputationen und ländlihen Schulvorftände unferes Bezirks bierdurh an, 
auf die in folden Fällen von dem Staats-Anwalt an die Local⸗Schul⸗ 
Inſpectoren zu rihtenden NRequifitionen unter Zuziehung des betreffenden 
Lehrers über die nach gewifienbafter Srwägung in jedem einzelnen Fall für 
angemeſſen erachtete Schulftrafe gu befinden, dieſelbe zu vollfireden und 
davon der requirirenden Behörde Mittheilung zu machen. Glauben bie: 
felben aber .eine Schulftzafe ganz ablehnen zu müſſen, fo haben biefelben 


622 Die äußern Angelegenheiten ber Vollsfchule zc. 


vor der Ablehnung jedesmal durch Bermitielung des Kreis⸗Schul⸗Inſpectors 
an uns zu unferer Entſcheidung, ob die Ablehnung gerechtfertigt iſt, zu 
berichten. Sollten die vorgedachten Schulbehörden als Schulftrafe die Bell 
firedung einer koͤrperlichen Büchtigung nicht durch den Lehrer, fondern eine 
dritte Perfon für geboten erachten, jo haben fie deshalb die Polizei⸗Obrig⸗ 
teiten zu requiriren, welde angewiejen find, ihnen bie erforderliche Aſſiſten; 
dur ihre Organe (Gemeindediener zc.) zu leiſten.“ 

Solche Strafübertragungen find für ben Lehrer oft recht unangenehm, 
wie ich aus eigener Grfahrung weiß; wenn aber demjelben die Gr5iebung 
der Jugend Herzensſache ift, fo wird er gern eingreifen, wo fi ihm Ge 
legenheit darbietet. 

6. Sin Erlaß der königlichen Regierung zu Arensberg (Centralbl. V. 
291) beftinmt in Betreff der Privatfiunden der Lehrer Folgendes: 
„Die Lehrer an öffentlihen Schulen haben vorſchriftomaͤßig von den 
Privatfiunden, melde fie zu ertbeilen beabfichtigen, den Schulvorſtaͤnden 
Anzeige zu mahen. Befürchten die Schulvorftände aus der Gribeilung zu 
vieler Privatflunden einen nachtheiligen Einfluß auf den öffentlichen Unter: 
richt, jo haben viefelben den Lehrern die zu häufige Ertheilung von Privat- 
Runden zu unterfagen.” 


$. Statiftifhe Mittbeilungen. 


Bor drei Jahren veröffentlichte das Unterrichts: Minifterium ftatiftifche 
Nachrichten über das Clementar-Schulweien in Preußen für die Jahre 1859 
bis 1861. Diefen Nachrichten ift jetzt eine neue Zufammenftellung ber 
Art erfolgt unter dem Titel: 


6. Statiſtiſche Nachrichten Über bas Elementar⸗Schnlweſen in 
Preußen für Die Jahre 1862 bis 1864. gr. 4. Berlin, W. Herb. 


Es iſt das eine fehr dankenswerthe Arbeit, da fie einen leichten 
Weberblid über die bier in Betradht kommenden Verhaͤltniſſe gewährt und 
den innerhalb der genannten brei Jahre gemachten Yortjchritt ſchnell 
ertennen läßt. 

Wir theilen daraus nachſtehend Giniges von allgemeinem Intereſſe wit, 
die Schrift felbft Allen empfehlend, die ſolche Belehrungen ſuchen. 

7. Die Eontrole des Schulbefuhs erfolgt im ganzen lm: 
fange der Monarhie nah folgenden übereinftimmenden Grundjäben: 1) 
Eltern oder deren geſetzliche Vertreter, welche nicht nachweiſen lönnen, daß 
fie für den nötbigen Unterricht der Kinder in ihrem Haufe forgen, follen 
erforberlihen Falls durch Bwangsmittel und Etrafen angehalten werben, 
ihre Kinder zur Schule zu fhiden. 2) Der geſetzliche Anfangs: 
termin der Schulpfliht ift im Allgemeinen das vollendete fünfte 
Lebensjahr. 3) Der regelmäßige Befuh der Shule muß fo 
lange fortgefegt werden, bis das Kind, nah dem Befund feines 
Geelforgers, die einem jeden vernünftigen Menſchen feines 
Standes notbwendigen Kenntniffe erworben bat. 4) Unter 
der Genehmigung der Obrigleit und des geiftlihen Schulvorfiehers kann 








Die äußern Angelegenheiten ber Volkoſchule x. 623 


ein Kind über ven Anfangstermin der Schulpflictigleit hinaus von ber 
Schule zurüdgehalten, oder der Schulunterricht zeitweile ausgeſetzt werden. 

8. Nach der Meberfiht befanden fih im ganzen Staate auf je 
einer Geniertmeile trodner Fläche durchſchnittlich 5 öffentliche 
Glementarfhulen (Boltsfhulen). In den Provinzen Preußen, Pofen, 
Brandenburg kamen 4, in Bommern, Schlefien, Weitfalen und den Hohen: 
zolleenihen Landen 5, in der Provinz Sachſen 6 und in den Rhein» 
provinzen 8 öffentliche Glementarfhulen auf eine ©eviertmeile. Dieje Ver: 
ſchiedenheit ift in erfter Linie bedingt durch die Dichtigleit der Bevoͤllerung, 
es wirken aber aud andere Urfachen mit, wie die Wohlhabenheit derjelben, 
die Mifhung der Eonfeffionen, eine größere oder geringere Zahl färker 
oder ſchwacher befuchter höherer Lehranftalten, Örtliche Verhaͤltniſſe, welde 
größere Schulbezirte geftatten oder Kleinere bedingen u. dergl mehr. 

9. Die Lehrlräfte richten fih in der Regel in Stadt und Land 
nah der Zahl der Klaſſen, doch werden biefelben auf dem Lande etwas 
mebr, als in den Städten in Anſpruch genommen. Beweis dafür ift, 
daß die Durchſchnittszahl der Schüler, welde auf eine Lehrkraft entfällt, 
auf dem Lande 83 beträgt; in den Städten dagegen nur 73. Stadt 
und Land zufammen genommen, kommt auf einen Lehrer im Durchfchnitt 
nicht mehr als die Normalzahl von 80 Schülern, fo dab im Großen und 
Ganzen eine Ueberbürbung nicht ftattfindet, 

Im Einzelnen ſchwankt die Zahl der Schüler, welche auf eine 
Lehrkraft trifft, in den verjchiedenen Regierungsbezirken: in den Städten 
zwifhen 48 und 88, auf dem Lande zwilhen 56 und 113. Am größten 
ift diejelbe in ven Regierungsbezirten Münfter (105), Oppeln (111) und 
Minden (113). Die Zahl der Schüler, welde auf eine öffentliche 
Glementarfhule trifft, bewegt fi, wenn man bie Regierungsbesirte unter 
einander vergleicht, in den Städten zwiſchen 157 (Reg.⸗Vez. Sigmaringen) 
und 446 (Berlin), auf dem Lande zwilhen 59 (Jahdegebiet) und 172 
(Neg.: Bez. Oppeln. Die Zahl der Schüler endlich, welde auf eine 
Klaffe trifft, beläuft ſich nah den Durchſchnittszahlen der Regierungs- 
besirte: in den Stäbten auf 49 (Reg. +» Bes. Gumbinnen) bis 98 (Reg.⸗ 
Bez. Düffeldorf), auf dem Lande auf 56 (Reg.⸗Bez. Stralfund) bis 108 
(Reg.-Beg. Oppeln). 

In der ganzen Monardie treffen auf eine öffentliche Glementarfchule 
im Durchſchnitt 765 Seelen der Benöllerung; auf eine evangeliſche Schule 
705 Gvangeliihe, auf eine katholiſche Schule 828 Katholiken, auf eine 
jüdifhe Schule 1007 Juden. Wenn diefe Zahlen hoc erſcheinen, fo iſt 
gu berüdfihtigen, daß nicht durch die öffentlihen Elementarſchulen allein 
für das Unterrichtöbebürfniß geforgt ift, und daß fehr viele jüpifche 
Kinder chrifilihe Schulen beſuchen. 

10. Es befanden fih in Preußen Ende 1864: 25,120 öffent 
lihe Elementarſchulen mit 38,053 Klaffen, 84,803 Lehrern und 
2016 Lehrerinnen, zulammen 36,819 Lehrträften. 

Die Zahl der Lehrerinnen ift in den Stäpten beinahe boppelt fo 
groß als auf dem Lande, die Zahl ber katholiſchen Lehrerinnen (1549) 
mehr als dreimal jo groß als die der enangeliichen (463) und ber jüs 


624 Die äußern Angelegenheiten der Vollaſchule x. 


diſchen (4). Der rund hiervon tft darin zu ſuchen, daß einerfeils auf 
dem Lande zumeift nur einllaffige Schulen für Rinder beiderlei Geſchlechts 
befteben und überdies die Dotation der Landflellen in den öftllihen Pro: 
vinzen gewähnlih auf Landwirtbichaft beruht, ober bie Lebrerftellen wit 
tirhlihen Aemtern verbunden find; anderfeit3 darin, daß die Anflellung 
evangelifher oder jüpifcher Lehrerinnen an den Elementarſchulen überhaupt 
erft allmäbli Eingang findet, während katholiſche weibliche Perſonen fid 
ſchon feit längerer Zeit in größerer Ausdehnung dem Elementarlehrfad 
zu wibmen pflegen. Im Regierungsbezirt Trier war der Andrang zu dem 
tatholifhen Lehrerinnenberuf fo ftarl, daß es nöthig erſchien, wegen ein⸗ 
getretener Ueberfüllung von weiteren Meldungen öffentlich abzumahnen. 

11. Am Ende des Jahres 1864 befanden ih im preußiſchen 
Staat unter 19,226,270 Einwohnen 3,457,301 (17,98) Kin: 
der im Alter vom vollendeten fünften bis zum zurüdgelegten 14. Lebens: 
jahre. _ Bon diefen waren in den Städten unter 5,973,942 Ein: 
wobnern 1,043,611 (17,49), auf dem Lande unter 13,252,328 Gin: 
wohnern 2,413,690 (18,2 9) Rinder in dem Alter von 5 bis 14 Jahren. 

Es geben von den 2,938,679 Kindern, weldye öffentlihe Ele: 
mentarfhulen beſuchen, 27,5% in Stabtfhulen, 72,59 in Land: 
Ihulen; von den 88,064 Kindern, welche concefjionirte Privats 
ſchulen beſuchen, 85,42 in den Städten, 14,49 auf dem Lande in 
folhe Schulen, und von den überhaupt Glementarfäulen be: 
ſuchenden 3,026,743 Kindern, 29, 1$ in den Stäbten, 70,92 auf dem 
Lande zur Schule. 

Außer den 2,938,679 Kindern zwiſchen dem vollendeten 3. und dem 
vollendeten 14. Jahre, melde die öffentlihen Elementarfchulen befuchen, 
fanden fiy Ende 1864 no 518,622 Kinder in dem gleichen Alter, welche 
theils Privat:Elementarfchulen, theils höhere Unterrihtsanftalten, theils ge: 
ſchloſſene Anftalten 2c. beſuchten. Nah Abzug berfelben bleiben noch 
15,568 Kinder übrig, deren Verbleib nicht hat nachgewieſen werden können, 
und von denen hiernach angenommen werben muß, daß fie ſich aller Con: 
trole in Unfehung des Schulbeſuchs entziehen. Indeß würbe bie Schluß⸗ 
folgerung, daß dieſe Kinder ohne allen Unterriht aufmachen, eine gewagte 
fein. Es läßt fi vielmehr mit Grund annehmen, daß hier bie ſtatiſtiſchen 
Unterlagen mangelhaft find. 

Im Allgemeinen darf angenommen werben, daß die Zahl derjenigen, 
welche ohne Scultenntnifle aufwachſen, fich ftetig vermindert. Die Ex: 
tenntniß, daß die Gemährung eines guten Schulunterriht3 eine Wohlthat 
für die Kinder ift, darf als eine allgemeine bezeichnet werben, und er⸗ 
leichtert die amtliche Controle des Schulbeſuchs. Das Nufblühen der 
Gewerbe, der lebhafte, die Geſichtskreiſe erweiternde Verlehr, ber Wettftreit 
in den verfchiedenen Erwerbszweigen,, der Einfluß der großen Schöpfungen 
der Induftrie und Kunſt und der wiſſenſchaftlichen Forſchungen, die Theil: 
nahme an den öffentlihen Angelegenheiten weden ven Geift des Volles 
und führen es zum Erkennen des Werthes der geiftigen Bildung, zur 
Achtung gegen die Schulen. Auch den Kindern, welchen dieſe Geſichts⸗ 
punkte noch fern liegen, ift der Schulbefud etwas Selbftverftänblies, fe 











Die Außern Angelegenheiten ber Volksſchule ꝛc. 625 


find gewohnt, ihre Gefpielen gur Schule geben gu ſehen, und feben mit 
Spannung dem Zage entgegen, wo fie fi den älteren Rindern zum Schul⸗ 
gang anſchließen. 

Die Durchführung des obligatorifhen Unterrichts unterliegt nad) alle 
dem feinen erheblihen Schwierigkeiten. Im Uebrigen ift im Ganzen ber 
Schulbeſuch in ven Städten regelmäßiger, als auf dem Lande, und bier 
im Winter befjer ald im Sommer. Mögen hiernach auch einzelne junge 
Leute, weldhe in Folge geringer Begabung, nicht gehöriger Benutzung des 
Schulunterriht3 oder aus andern Gründen nur mangelhafte Glementar- 
Schullenntniſſe und Fertigkeiten beim Austritt aus der Schule mit in das 
bürgerliche Leben hinübergenommen haben und dann, Jahre lang der Hebung 
ihres Schullenntnifje entfremdet, fpäter beim Eintritt in das Heer, wo fie 
nohmals Gelegenheit finden, das VBerfäumte nachzubolen, ſchwach in der 
Schulbildung befunden werden, fo muß es doch bei den beſtehenden Schul: 
einzihtungen, als feltene Ausnahme angefehen werden, daß ein fonft ge: 
ſundes Kind zwiſchen jeinem vollendeten 5. und 14. Lebensjahre der Schule 
gänzlich entzogen bleibt. 

12. Der Sefammtbetrag der Bejolpung der lehrer und 
Lehrerinnen an den öffentlihen Elementarfhulen beläuft 
ſich auf: 
:8,265,383 Thlr. und 11,284 Fl. in den Stäbdten, 
4,776,854 „ 6 42,849 ,„ auf dem Lande, 


zufammen 8,042,237 Thle. und 53,583 ZI. 


Im Ganzen wird der Geſammtbetrag der Lehrerbefolbungen etwa 4 
durch Schulgeld und zu $ anderweit aufgebracht. 


Das Durchſchnittsgehalt der Lehrer beträgt für den ganzen Staat: 
m den Stäbten 204 Thlr., auf dem Lande 185 Thlr., für beide zufammen 
218 Ihle. Die ölonomifhe Lage der Lehrer in den verichiebenen Pros 
vinzen und Regierungs-Bezirten kann aber nicht nach der Höhe der Durch⸗ 
ſchnittsgehaͤlter allein richtig geſchaͤzt werben. Eine Reihe von anderen 
Sactoren, localer und invividueller Art, welche ſich nicht überall in Zahlen 
anspräden lafien, wirten darauf ein. Go wird beiſpielsweiſe, abgejehen 
von befonderen perjönlihen oder Familien⸗Verhaͤltniſſen, ein Elementarlehrer 
in Berlin mit einem Minimalgehalt von 400 Thlrn. ohne freie Wohnung, 
in keiner weſentlich befiern Lage fih befinden, als etwa ein Lehrer in einer 
Heineren Stabt des Regierungss Bezirks Breslau mit einem Minimalgehalt 
von 200 Ihlm., oder ein Lehrer auf dem Lande in dem Negierungss Bezirk 
Cöslin mit 100 Thlm. und freier Wohnung, oder ein Landſchullehrer mit 
200 Thlrn. Einkommen in einer Gegend mit ftarler InduftrieeBenöllerung, 
wie im Regierungs⸗Bezirk Düflelborf. 

Ein Lehrereintommen unter 50 Zhlr. kommt nicht vor. Dagegen 
haben die zweiten und folgenden Lehrer in der Regel niebrigere Beſoldungen 
als die erſten oder die einzigen Lehrer einer Schule, jo daß zumeift die jüng- 
fen unverbeiratbeten Lehrer auf den in der erflen Gehaltsſtuſe gedachten 
Lebrerftellen zu finden find. Auch auf diefer niedrigfen Stufe wird, wenn 

Päd. Jahtesbericht. XIX. 40 





626 Die äußern Angelegenheiten ber Volkeſchule ꝛc. 


man die damit verbundenen Naturalemolumente richtig zu Gelde rechnet, das 
Eintommen wohl wenig unter 100 Thlr. zu ftehen kommen. 

Bur Verbefferung der Lebrerbefoldungen find in den brei 
Jahren 1862/64 bereit geftellt worden: 

1. d. Stotn. 227,033 Thle.u. 747 Fl.a. Staatsfos. 5,049 Thls. u. 450 Fl. 
a. d. Lande 101,648 „ „2634 „u „14773 u „440, 
zujammen 328,676 Zhlr. u. 3,381 FI. a. Staatsfds. 19,828 Thlr. u. 890 Ft. 

Außer den Lehrerbefoldungen haben die zur Unterhaltung der Ele 
mentarjchulen Werpflihteten in ben drei Jahren 1862/64 für Bauten, 
Miethe für Schullocale, Lieferung für Brennmaterial zur Heizung derſelben, 
an Beiträgen zu den Ruhegehältern emeritirter Lehrer, an Remunerationen 
für Hülfglehrer, an Koften für Anfhaffung von Schulutenfilien, Lehrappa- 
raten, Büchern oder zu fonftigen Zweden ver Elementarjchulen geleiftet: 
8,606,543 Thlr. und 41,000 Fl. 

Bleibt man bei den unmittelbaren Erhaltungsloſten der oͤffentlichen 
Elementarſchulen ſtehen, fo beträgt 
der Jahresdurchſchnitt der Aufwendungen 

für Bauten u. andere Schulbedürfniſſe 2,868,848 Thlr. u. 13,677 Fl. 
der Jahresbetrag der Lehrerbefoloungn 8,042,287 „ „ 93,588 „ 
zujammen 10,911,085 Tblr. u. 67,200 Fl. 

darunter aus Staatsfondd 882,543 „ „ 10,441 „ 

13. Die Shullehrer:Wittwen: und Waifen:Kaffen, 
deren Mirkungstreis zumeift Städte und Land umfaßt, befigen zuſammen: 

an Vermögen 1,909,574 Thlr. u. 25,662 FI. 
an Sahreseinnahmen 162,208 „ „ 1899 „ 

63 find durch fie Ende des Jahres 1864 die Hinterbliebenen von 
6463 Lehrern mit 90,277 Ihlen. 1179 Fl. oder durchſchnittlich je mit 
14 Zhlm, oder 58 Fl. unterſtutzt worden, und 72,016 Thle. und 812 Fl. 
zu neuen Kapitalanlagen verblieben. 

14. Die Zahl der öffentlihen Glementarfhulen, der 
Rlaffen und Lehrkräfte hat gegen das Jahr 1861 zugenommen: 

in den Städten auf dem Lande: im ganzen Staat: 
die Schulen um 214. 7,38 148. 0,6$ 857. 1,4% 


die Klaſſen um 993. 9,6 277. 1,0 1,270. 8,4 
die Lehrer um 724. 7,9 462. 1,9 1,186. 3,5 
die Lehrerinnen um 148. 18,9 113. 16,3 261. 14,9 


Diefe Zunahme ift nicht allein Folge der Vermehrung der Bevoͤllerung, 
fondern aud der Berbeflerung von Schuleinrichtungen. 

15. Die Lehrerbefoldungen find in den Stäbten um 18,5%, 
auf dem Lande um 4,48, im Ganzen um 7,99 geftiegen. Damit find 
die Ausgaben an Schulgeld in den Städten um 14,68, auf dem Lande 
um 3,5%, im Ganzen um 8,48%, gemahlen. Ebenſo die anderweiten 
Leiftungen zu den Lehrerbefoldungen um reſp. 15,7%, 5 19 und 8,9 4. 

Das Duräfänittögepalt der Lehrer in den Gtäuten um 4,6 2, uf 
dem Lande um 2,2%, im Ganzen um 8,8% geftiegen. 











Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule &. 627 


16. Der jährliche Geſammtaufwand für den unmittel: 
baren Bedarf der öffentlihen Elemeutarihulen if . - 
von 9,902,696 Zhlr. und 66,465 $I. 
auf 10,911,085 „ „67,260 „ 

alfo um 1,008,389 Thlr. und 795 #1. geftiegen. - _ 
Dorunter waren aus Staatsfonds: 
früher 438,928 Thlr. und 9,488 Fl. 
it 38254 „m 104 5 
mithin 56,885 hir. weniger, 1,003 ZI. mehr. 

Diefe Verminderung der Staatszuſchüſſe, welche weſentlich bei den 
Gnadenbewilligungen für Schulhausbauten und ‚non Bufcüflen zu den 
Lehrergehältern für unvermögende Gemeinden hat ftattfinden können, ver: 
dient als ein. günftiges Beichen der erhöhten Leiltungsfähigleit und Willig: 
feit der Gemeinden für das Schulweſen bemerkt zu werden. 

17. Das Vermögen der Wittwen-, Waifen: und Lehrers 
Benfions:Kaffen hat fih um 13,50 vermehrt, die Jahreseinnahmen 
find? um 16,49%, die Zahl der Lehrer, deren Hinterbliebene unterftüßt 
worden find, ift um 7,48 und die Summe der gezahlten Unterflüßungen 
um 13,7 geftiegen. Bei den Penſtonskaſſen hat das Vermögen um 
11,3 2, die Jahreseinnahme um 16,32, die Zahl ber Penfionäre um 
8,5 $, und bie Summe der gezahlten PBenfionen um 59,2% zugenommen, 
Die Verhältnifie find mithin auch bier in günftiger Entwidelung. 


4 Geſundheitspflege. 


18, Die Gefundheitöpflege ift ein Gegenftand, ber nod immer nicht 
genägende Würdigung feitens der Lehrer findet. Die Regierung hat ſchon 
wiederholt darauf hingemwiefen, fo im Gentralblatt von 1865, Seite 617. 
Das IX. Heft von 1866 enthält abermals einen auf einer Lehrer : Eon: 
ferenz gehaltenen Vortrag, der zwar nicht gerade Neues, wohl aber oft 
Meberfehenes in Grinnerung bringt, daher der Beachtung zu empfehlen ift. - 


5. Die neuen preußifhen Provinzen. 


19. Ueber das Schulmefen der neuen Provinzen Etwas zu fagen, 
Scheint fid) nicht zu empfehlen. Das Jahr 1866 war zu unruhig, als daß 
ben Schulen befondere Aufmerffamteit hätte gewidmet werden fünnen. Das 
ber ift Alles mehr oder weniger beim Alten geblieben. Cine Einwirkung 
der preußifhen Negierung bat fi wohl noch nirgends bemerkbar ge= 
madt. Herr Geheimratb Stiehl bat bier und da Kenntniß von dem 
Stande der Seminare und anderer Schulanftalten genommen, fo 3. B. in 
Hannover, wo man mit feinem Auftreten fehr wenig zufrieden geweſen ift. 
Da wir indeß bierüber etwas völlig Zuverläffiges nicht haben erfahren 
fönnen, fo unterlaffen wir, nad Beitungsnadridten hier zu referiren. Syn 
Hannover it man, mie befannt, gegen die preußifche Negierung fehr ein- 
genommen, faßt daher leit ein Wort auch anders auf, als es gemeint 
war, mit welder Aeußerung ich jebod nicht entfernt für Herm Stiehl 
eintreten will. i . 

40* 


628 Die kußern Angelegenheiten der Volkeſchule x. Ä 


Wegen Ginführung der belannten preußiſchen Regulative herrſcht überall 
große Beſorgniß unter den Lehrern. 

20. Am SO. Januar 1867 farb in Hannover der allgemein belannte 
und hoch geadytete Generals Schulpirector Kohlrauſch, geboren am 
15. November 1780. Seine , Deutfhe Geſchichte“ und feine „Bibllie 
Geſchichte“ find wohl keinem deutſchen Lehrer unbelannt geblieben. Leber 
das reiche Leben dieſes bedeutenden Schulmannes giebt ver XVI. Banb bei 
Anzeige feiner Schrift „„Grinnerungen aus meinem Leben‘ einige Anden: 
tungen. Wem dies Werk nicht gu Gebote flieht, dem empfehlen wir das 
folgende Kleine Schriftchen : 


7. Friedrich Kohlrauſch. Nekrolog. Hannover, Helwing. 1867. 4 Ger. 


6. Dieſterweg. Dieſterweg⸗Stiftung. 
21. Dieſterweg bleibt den deutſchen Lehrern unvergeſſen; daher 
kommen auch wir immer wieder auf ihn zurück. 
Für diesmal beſchränklen wir uns darauf, unſern Leſern die nad» 
fiehenden Schriften zu empfehlen: 
8. —ã— Ein et on 1 Dr. ‚Nibean, Iufpecter am 


Darmflabt, ©. 
9%. Dieſterwegs Gedächtnißfeier in Berlin. am Beſten ber fir 
Dentſchlande Bolkeſchullehrer zu begrünbenden Di Stiftung her heransa- 
egeben von dem Gomits dafür. Brantfurt 0. ann'ſche Bud» 
Panblung (M. Dieflerweg.) 1867. 5 Ger 


10, Adolph Dieferwe Sein Leben unb ar fee riften. Unter Mit⸗ 
wirkung ber Familie Prransgegeben von ©. * enberg. Sri Theil: 
Dieftermeg am Rhein. gr.8. (VI u. 168 Kantor Ser 
mam’ie- Buchhandlung, (M. Diekeriweg.) her 18 ee 
Die zweite Abtheilung diefer gut gefchriebenen Biographie wird ent: 
balten: „„Dieflerweg in Berlin‘, die dritte „Diefterweg außer Dienſten“. | 
22. 1866 bildete fih in Berlin ein Comits für die Errichtung eines 
Dentmals auf dem Grabe Dieſterwegs. Dafielbe forderte zu Beiträgen auf. 
Diefelben gingen veichlicher ein, als der nächte Zwei erheilhte Wan bes 
Schloß daher, eine Dieftlermeg:- Stiftung zu gründen, buch deren 
Mittel in Diefterwegs Sinne fortgewirkt werben folle. Anfangs gedachte 
man, einen Fond anzulegen, aus deſſen Binfen feiner Zeit talentvollen, 
firebenden Männern des Volksſchullehrerſtandes die Mittel zur weiteren Aus 
bildung für ihren Beruf gewährt werben könne Später ließ man dieſe 
Idee wenigftens vorläufig fallen und beſchloß, pädagogifhe Preis: 








aufgaben im Sinne Diefterwegs zu ftellen, vie befte der Arbeiten von 

ben Binjen des Capitals zu prämiiren und in den Rheinischen Blättern und 

in der Allgemeinen deutſchen Lehrerzeitung zu veröffentlihen. Es foll be 

mit der Anfang gemaht werden, fo bald 1000 Thlr. Kapital beifammen 

find, woran gegenwärtig noch 500 Thlr. fehlen. | 
Beiträge find an das Comits-Mitglied Dr. Brüllow, Berlin, Ceor⸗ 

genlischplag Nr. 19, zu richten, _ \ 


Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule ꝛc. 629 


ID. Medlenburg. 


Ueber das Volksſchulweſen Medlenburgs zu berihten, bat uns noch 
niemald Bergnügen gewährt, da wir noch nie in der Lage waren, Aner⸗ 
kennenswerthes oder gar Nachahmungswerthes mittheilen zu können. Dazu 
tommt noch, dab das Medienburgiiche Schulblatt mit feinen Berichten über 
das dortige Schulmefen jo zurüdhaltend if, daß ed, was doch gewiß ber 
Ball fein follte, als eine Quelle dafür nicht angefehen werben lann. Was 
wir diesmal mitzutheilen haben, ift auch nur unerfreulicher Art, und brängt 
und von Neuem die Frage In die Feder: „Wann wird ber Netter lommen 
diefem Lande? 

1. Wir haben oben der Schrift des Lehrers H. Meyer in Schwerin: 
„Welches ift die Aufgabe und die zwedmäßigfte Einrichtung eines pädagos 
gifchen Vereins?‘ gedacht und kommen bier nochmals auf dieſelbe zurüd, 
da fie und einen .Blid in die Bildung der Lehrer thun läht. Nach 
feinen Mittbeilungen fteht diefelbe wohl der aller übrigen deutſchen Lehrern 
nad), worüber wir uns nad dem, was wir über deren Borbildung wifien, 
nicht zu wundern brauden. Seite 8 jagt er mit dankenswerther Offenheit 
— vankenswerth auch von Seiten der medlenburgifchen Lehrer felbfi —: 
„Wenn Herr Senfj begeugt, daß im Lebrerflande ein entichiedener Drang 
nad Fortbildung vorhanden jei, fo dürfen wir medienburgifchen Lehrer uns 
dieſes Lob fo ohne weiteres nicht zurechnen. Im Bergleich zu den Lehrern 
in andern Ländern over Provinzen fteben wir darin entſchieden zurüd. 
Wenn wir die große Anzahl der pädagogiſchen und methodiſchen Literaturs 
erzeugnifie überbliden, welche alljährlid in Sachſen, in Thüringen, in 
manden Provinzen des preußiſchen Staats ans Licht treten, und dazu bie 
überaus geringe biefige Production in Vergleich ftellen, fo können wir uns 
der Beihämung nicht erwehren. Die langjame und beväcdtige norddeutſche 
Art, im Gegenjab zu dem beweglidheren Temperament des Mitteldeutichen, 
werben wir doch nicht als Rechtfertigung in Anfprud nehmen wollen, und 
die landwirthſchaftlichen Beihäftigungen der Landſchullehrer können wir eben 
fo wenig ins Gefecht führen, wenn wir und erinnern wollen, daß von dem 
Abgange aus dem Seminar bis zur Erlangung einer Familienftelle eine 
Heide von Jahren vergeht, in welcher Schäße päbagogiihen Willens und 
Koͤnnens erworben werden könnten, mit melden es ſich fpäter, ohne bie 
PRichten gegen die Familie zu verfäumen, herrlich haushalten ließe. Der 
Grund unferer Armuth im Vergleih zu dem geiftigen Reichthum ber Lehrer 
anderer Gegenden kann kein anderer fein, als daß es bei uns mehr Lehrer . 
als anderswo giebt, die dem Traditionalismus, dem Stilftande, dem geiftis 
gen Philiſterthum huldigen. 

Ferner Seite 12: „Bu einer ſolchen Selbſtaͤndigkeit kann aber das 
Seminar, wie nachgewieſen, hoͤchſtens den Grund legen, und auch die all 
gemeine Meinung des Publikums geht nad allen Zeichen dahin, daß wir 
Lehrer dieſelbe nicht befipen. Ich könnte bier Aeußerungen von Schulvors 
ftänden und obrigteitlihen Perſonen anführen, die ſich in den fchärffien 
Ausprüden über die mangelhafte Bildung ver Lehrer ausgeſprochen haben, 
ich will mid jedoch begnügen, auf die unbeftreltbare Thatſache hinzuweiſen, 


630 Die Außern Angelegenheiten ber: Volksſchule ꝛc. 


daß überall, wo es fi um vie Beurtbeilung und Entſcheidung von irgend» 
welchen auf Schule und Unterricht bezüglihe ragen handelt, jeder Andere 
eher gefragt wird als der Lehrer. Wir find unmwillig über viele Thatfache, 
aber wir können fie nicht hinmwegleugnen, wir fünnen fie auch durch umfere 
bloße Unzufriedenheit nicht ändern. Es liegt auf der Hand, man betrachtet 
ung als bloße Werkzeuge, als — mie foll ih fagen — Fabrikarbeiter. 
Alle gebildeten Stände find davon überzeugt, daß die Lehrer nicht das exs 
forderlihe Maß von Bildung haben, um auf geiftige und amtliche Selbflän- 
digkeit Anfpruh erheben zu können, und man macht es uns zum Bor 
wurf, daß mir keine Anftrengung madhen, um uns daſſelbe zu erwerben, 
ein Vorwurf, den ein einflußreiches Mitglied des hiefigen Magiſtrats gegen 
einen unter uns felbit ausgeſprochen hat mit ben Morten, mir Lehrer 
thäten nichts, um unjern Stand zu heben.” 

2. Bon dem vitterfaftliden Schulmejen in Medlenburg giebt ber 
fireng orthodoxe medlenburgifhe Prediger Stard ein haarfträubendes Bild. 
Er bemerkt: „Wie die ritterfchaftliben Schulen von Anfang unjered Jah 
bunderts bis in bie neuere Beit hinein beihaffen geweien find, das be 
weifen die Verwünfchungen der Männer (von Frauen gar nicht zu. eben), 
bie ſchon ziemlich bejahrt nah Amerika wandern, am allermeiften darüber, 
daß fie Schreiben und Rechnen gar nicht, Lejen nur kümmerlich, Gottes 
Wort nur auswendig gelernt haben, das bemeifen bie vielen Bäter nab 
Mütter, die fi ihrer Kinder Briefe von drüben müfjen lefen lafien. Man 
bat e3 eine Zeitlang für Pflicht gehalten, die Kinder, die zur Arbeit ger 
boren feien, von der Schreib: und Rechenkunſt als einem Bift fernzuhalten, 
und der Referent erinnert ſich noch lebhaft eines alten mürbigen Schul: 
meifterö, der vor etwa AO Jahren darüber Hagte, daß feine gnäbige Frau 
ihn mit der Neitpeitihe bedroht habe, wenn er einem Dorflind Schreib: 
unterricht ertheile.“ 

3. Die Meferzeitung bringt unterm 26. Nov. 1867 aus Medien 
burg: Schwerin folgenden Bericht über das dortige Schulmeien. „Die 
Yämmerlichleit des medienburgifhen Landſchulweſens iſt befannt, auch im 
Domanium, wo groß Rühmens davon gemacht wird, ift es nicht weit ber 
damit, und die Bildungsanftalten für Bollsfchullehrer find “auf die bürf 
tigfte Leiftung beichräntt. Auch in den Hleinen Städten ift es theilweiſe 
Häglich damit beitellt, und erft ganz vor Kurzem mußten auf allerhödften 
Befehl zwei Näthe ſchleunigſt zu einer ſolchen abreifen, weil Serenifjimus 
böchftfelbft vie Volksſchule in einem aller Beichreibung ſpottenden Zuſtande 
gefunden haben fol. Für die Ritterfchaft wurden bisher nur yprivatim in 
Dobbertin von Paftor und Schulmeifter 5 Präparanden zugeſtußt. Auf 
dem vorigen Landtage befürmwortete die Regierung eine Beſſerung, bie 
Ritterfchaft wollte aber höchſtens 3000 hir. hergeben, um pp. 15 Prä⸗ 
paranden in ähnlicher Weife von fich bereit erllärenden Predigern ause« 
bilden zu lafien. Das Maß des Boltsfchulunterrihts wurde dabei fo ber 
zeichnet, daß Rechnenunterricht eigentlich fchon Aber den Stand ber Volls⸗ 
ſchule binausgreife; das Maß des Willens der Lehrer follte im Examen beim 
Präpofitus fo gefunden werden nad der Forderung der Regierung , daß fie 
„auch die. durch natürliche Gaben oder ſonſtige Berhältnifie bevorzugten 


Die. äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 631 


Linder noch eimas weiter zu führen, als es für die Kinder der Schulge: 

meinde ohne Unterſchied unerlaͤßlich iſt“ im Stande feien, ber Landtag 

lehnte das ab, als „über die an eine Bollsfchule zu ftellenden Anfors 
besungen binausgebenn”. Gin Auffichtsreht über die Schulen macht der 

Landtag den Paftoren fireitig, und eine andere Aufficht ift nicht da. Im 

Sommer jollte nah ftändifher Anfiht nur 10—12 Stunden Schule fein, 

unb der Patron, d. b. der Nittergutsbeliger, foll diefe auf 3— 6 Tage vers 

theilen bürfenz Erlaubniß zum Dienen für Kinder von 10 Jahren an will 
ich ebenfalld die Gutsobrigkeit vorbehalten; eine Feltitellung des Gehalts: 

Minimum für die Schullehrer wurde abgelehnt, die Stände ſprachen offen 

amd: „fie erachten es der Stellung der Lanpfchulmeifter nicht für unbedingt 

widerſprechend und ein jegensreiches Wirken nicht beeinträchtigend, wenn 
biefelben ein Handwerk betreiben.” So erllärte fi der engere Ausſchuß 
auf Geheiß der Landftände am 5. April des Jahres 1867, und in dem 
nesflofienen Halbjahr ift ed nicht befler geworben; jet fordert die Regie 
zung nun jene 3000 Thlr. für Erhaltung eines ritterfchaftlihen Seminars, 
da fih nur zwei Pafloren zur Präparanden: Ziehung bereit .erllärt hätten, 

Nitterfchaft oder Stände follen aber die nöthigen Bauloften tragen. Das 

lehnen die Stände nun wieder ab, bemwilligen freilich die 3000 Thlr,, behalten 

fih aber über die Zeitdauer des Beitrags und die Garantien, daß bie 
theuren ritterſchaftlichen Schulmeiſter auch im Nittterjchaftlichen bleiben, 
weitere Verhandlungen vor. v. Dertzen⸗Kotelow, der für Strelitz jo lange 

im Neichstage jaß, bis feine Wahl für ungültig erklärt wurde, wollte fogar 

noch mehr Garantie und unter allen Umftänden nur Bewilligung auf Zeit. 

Aehnlih, doch meniger ſchroff äußerte fih auch der Reichdtagsabgeorbnete 

Landrath Graf Baſſewitz. Solche Thatfachen in die Prefie bringen, beißt 

bies gu Lande trotzdem Medienburg verunglimpfen.” 

4. No eingehenvdere Auskunft über den Stand der ritterfchaftlichen 
Schulen erhalten wir in dem Schriftchen: 

11. Altes und Neues über das ritterihaftlihde Schulweſen in 
Medlenburg Bon Bock auf Gr. Weltien. gr. 8. (51 ©.) Wismar, 
Hinſtorff'ſche — — 1866. 

Der Verfaſſer it Landtagsabgeordneter. Gr brachte 1865 
auf dem in Sternberg abgehaltenen Landtage einen Antrag auf Ber: 
beſſerung des Schulwejens ein, der jedoch „mit nicht unbebeuten- 
der Majorität abgelehnt wurde“. Dies Nefultat bat ihn bewogen, die ges 
sannte Schrift zu veröffentlihen. Ihr Zwed foll jein, „zuerit au unters 
ſuchen, aus weldem Grunde in ftändischen Kreifen eine gründliche Ver: 
befierung bes Schulmelens auf Widerſtand ftößt, dann eine hiſtoriſche 
Weberfiht über den Entwidelungsgang, ven die Verhandlungen auf ben 
Landtagen über das Schulwejen genommen, zu geben, und aus biejem 
die Folgerung zu ziehen, welche Veränderungen in unfern bejtehenden Ge: 
jegen als möglich erſcheinen“. Das ift dem Berfafler gut gelungen, und 
zugleih bat er einen trefflichen Beitrag zur Geſchichte des medlenburgifchen 
Schulwejend geliefert. 

Die Ritterfchaft ift nicht an und für ſich gegen jede Verbefierung bes 
Schulweſens, fie will viefelbe nur nicht dadurch herbeigeführt jeben, daß jie Geſetze 


632 Die äußern Angelegenheiten ber Vollsſchule ꝛc. 


aufftellt, durch die fie felbft dazu gezwungen wird; es foll das Alles 
nur als eine private Angelegenheit behandelt werben, ald etwas, was ganz 
und gar der Willlür der Herren Ritter zu überlaſſen ift. 

Schon 1821 ift von einer Commifjion des Landtages ein „Pro Me- 
moria“ aufgejeßt und eingereicht worden, das den übeln Buftanb ber 
Schulen anertennt und Vorſchläge zur Berbefierung derjelben macht. Ber 
Verfaſſer theilt daſſelbe aus ven Landtagsacten mit und iſt bei feinem Au⸗ 
trage darauf zurüdgegangen, woraus ſchon genugiam erfihtlih if, daß 
feine Forderungen ſehr bejcheidener Art find. Aber dennoch murbe ber 
Antrag abgelehnt. Seite 14 jagt der Berfafler: 

„Der Committenberiht aus dem Jahre 1865 jcheint von folgenbem 
Gefihtspuntt auszugeben: er will einerjeits fo wenig wie möglih ge⸗ 
jegliche Beitimmungen über Schulfaden, die eine Ginmifhung ber Nes 
gierung in unjere privaten Angelegenheiten berbeiführen könnten; — ex 
will andererfeits fo wenig wie möglid von dem angeflellten Lehrer 
fordern, 3. B. möglichit beſchraͤnkten Sommerſchulunterricht, wo möglich 
feinen zu hoben Bildungsgrad, damit er ſich über feinen Stand nicht ers 
bebe und niedrig botirt werden könne.” 

„Das Pro Memoria ftändiiher Deputirten aus dem Jahre 1821 
wahrt folgende Standpunkte: 

gleihe Schuleinrihtungen für das ganze Land; 

geſetzmäßige Ausführung aller das Schulweſen betreffenden In⸗ 

ſtitutionen; 

wo moͤglich Anftelung der Schullehrer als Staatsdiener; 

gehörige Ausbildung derſelben durch geeignete Berjönlid: 

keiten; 

ſorgenfreie Dotirung derſelben, ohne ſie auf den Erwerb durch ein 

Handwerk hinzuweiſen; 

feſte Anſtellung derſelben und nur Geſiattung einer Kündigung durch 

richterlichen Entſcheid; 

regelmäßige Winter: und Sommerſchule; 

allgemeine Aufſichtsbehörde, melde die Befolgung der Ge 

jeße und den Entwidelungsgang des Schulweſens zu contre: 
liren hätte.‘ 

An dem Beriht über den Antrag des Abgeorbneten Bod heißt es 
„Der einzige Gelihtspunft, welcher in dieſer Hinfiht einen gejeblichen 
Zwang rechtfertigt, ſowohl für die Obrigleiten zur Herftellung der nöthigen 
Lebranftalten, als für die Kinder zur Benugung derſelben, ift der, daß 
alle Finder chriftlicher Eltern angehalten werden, Gottes Wort fomweit zu 
lernen, daß fie im angemefjenen Alter zum Confirmations⸗ Unterricht vor: 
bereitet find. Dahin gehört außer dem eigentlichen Religions » Unterricht 
noch das Lejen als Mittel zu jenem Zwed. Die Verordnung vom 21. Juli 
1821 gebt bierüber ſchon binaus, indem fie das Schreiben und Rechnen 
als Unterrichtsgegenſtaͤnde obligatorifch gemacht hat. Ob im Domanio noch 
mehr gefchieht, liegt der Committe nicht vor, würde aber aud keinen Grund 
abgeben, in der Nitterfchaft dafielbe zu erzwingen; nur bie Erwägung ber 
Pfliht und des Bedürfniſſes könnte dies thun.“ 











Die Außern Angelegenheiten ber Bollsfchule x. 633 


In Bezug auf die Feſtſtellung des Gehaltes für die Lehrer heißt es: 
„Gleichfalls fprechen ih Stände im Sabre 1854 dahin aus, daß es nicht 
rathſam jei, die Gehalte der Schulmeifter jo body zu ftellen, baß dieſelben 
ohne Detreibung eines Handwerles oder eines andern angemeflenen Neben« 
erwerbö bequem leben lönnten. Abgeſehen von der bringenden unnötbigen 
pecuniären Belaftung ber Ortſchaften, werde dies den Schulmeiftern müßige 
Stunden zu Wege bringen und fie zur Ueberhebung über den ihnen weis⸗ 
üb und naturgemäß angewiefenen, der Stellung ihrer Schulkinder und 
deren Eltern entiprechenden Standpunlt führen.‘ 

Der Bericht ſchließt mit den Worten: „Committe empfiehlt: den An» 
trag auf fi) beruhen zu laſſen.“ 

Eine Verblendung, wie fie fih in dieſem Bericht fund giebt, ſcheint 
nur in Medlenburg möglich zu fein. Wie lange diejelbe noch dauern wird, 
läßt fih natürlich nicht vorber jagen; aber der Ueberzeugung wird man 
wohl leben können , daß die Seit nicht mehr fern ift, wo man auch über 
Berichterftatter diefer Art zur ZTagesorbnung übergehen wird. 

$. Ueber das ſchon oft von uns beſprochene Seminar zu Neukloſter 
theilte Seminarlehrer Bode im Lüneburger Qehrerverein mit, was er aus 
eigener Anſchauung gewonnen. Sein Bericht ift in Nr. 26 der Allgem. 
deutſch. Lehrers. (1866) enthalten. Nachdem verfelbe die Gebäude und 
deren innere Einrichtung als fo fhön bezeichnet, „wie man es wohl jel- 
ten bei Seminaren findet”, gebt er zur inneren Einrichtung über und fagt: 
„Die innere Organifation des Seminars ift etwa folgende: Um Michaelis 
jeben Jahres werden 32 Bräparanden, 14—15 Sabre alt, aus bemfelben 
Geburtsjahte aufgenommen, nachdem vdiefelben eine Prüfung beftanben 
haben, deren Anforderungen kaum über das Maß der gewöhnliden Schuls 
lenntniſſe hinausgehen. Die Präparanden bleiben drei Jahre in der Ans 
alt, und jeder Jahrgang wird getrennt unterrichtet. Nah abgeichlofs 
jenem Präparanden » Kurfus werden die Böglinge zwei Jahr Hülfelehrer, 
dann zwei Jahr Soldat, und treten bierauf wieder auf zwei Jahr 
als Seminariften in die Anftalt. Der Bildungsgang erfordert demnach neun 
Jahre, und die dritte Stufe deflelben, die Militärzeit, wird im nächften 
Jahre (1867) zum erfien Male zur Berwirflihung kommen.‘ 

„Die 160 Böglinge des Seminars (96 Präparanden und 64 Seminas 
siften) werben von 15 Lehrern ausgebildet, von denen der Director ſllie⸗ 
foth (Bruder des belannten Oberkirchenraths) wöchentlich 12, die übrigen 
fogen. Seminariftenlehrer mit wenigen Ausnahmen 14 Stunden zu geben 
haben. Die Seminariften baben täglich höochſtens drei Stunden 
wiffenfhaftliden Unterricht; einen freien Mittwoch» und Sonn⸗ 
abend » Radymittag bat die Anftalt nit. Mit dem Seminare ift eine vier« 
Haffige Schule von 160 Kindern verbunden, in welder die Seminariften 
unter Aufficht thätig find.‘ 

„Ber Speijemeifter ſowohl wie der Wirtbichafter, unter defien Obhut 
die ziemlid bedeutende Landwirthſchaft und der Viehſtand (2 Pferde, 
6 Kühe ıc.) dieſes Haushalts ftehen, find früher Lehrer geweſen. Dem 
Letzteren liegt zugleih die Berpflihtung eb, die Böglinge täglid 2—3 
Stunden in allerlei Arbeiten im Bereiche bes Aderkques und ber Vieh⸗ 





634 Die äußern Angelegenheiten ber Bolkefchule zc. 


zucht zu unterweilm. Die Präparanden ſowol, wie die Seminarifien 
müflen fih deshalb zum Graben, Mäben, Binden, Einfahren, Dreſchen, 
Holzbauen, Bettenmahen, Ausfegen, Ginheizen ıc. x. bequeme. Außer 
diefer vieljeitigen Ausbildung bietet das Seminar noch befondere Anleitung 
in der Kunft der Holzwaarenfabrikation. Nad des Berichterftatters Mei» 
nung geſchieht dies jeboch eigentlich nur, um dem jungen Leuten Luft 
und Geſchmack an bergleihen Arbeiten beizubringen; die gefertigten Gegen⸗ 
fände, von denen einige als recht geſchmadvoll bezeichnet wurben, werben 
den Verfertigern auf Wunſch und gegen Vergütung des Materials gern 
überlafin. Als Beweis dafür, daß die Anftalt ihre Zöglinge nicht in 
enger Höfterliher Zwangsjade halte, wurde angeführt, daß ihnen anf ihren 
Wunſch von Zeit zu Leit ‚‚Bier und Fiedel gewährt würde, wo fie dann 
in der Anftalt nad beften Kräften muſiciren, Bier trinken und Mann an 
Mann tanzen dürften. — Die Originalität wird man biejen Binrtätungen 
faum abſprechen können.“ 
Hierzu bedarf es keines Commentars. 


IH. Oldenburg. 


1. Das Schulgeſeß nöthigt den Hauptlehrer, gegen eine vom Schul⸗ 
collegium feitzufegende Summe, die jebt 50 bis 60 Thlr. beiträgt, dem 
Hülfelehrer Koft, Wäſche, Feuerung, Licht und Aufwartung zu leiſten. 
Ber mit den Preifen der nothwendigften Lebensmittel belannt ift, weiß, 
daß für ſolche Summe nicht einmal ver Mittagstiſch gewährt werden fann. 
Mit Recht erbliden daher die Lehrer in biejer Verordnung, richtiger in 
ihrer Ausführung, eine Schmälerung ihrer Ginkünfte Im Bremer er: 
halten die Hauptlehrer 100 Thlr. Gold für die Belöfttgung (Yeuerung und 
Licht mit eingeichlofien) jedes Hülfslehrerd und haben dabei Teinerlei 
Nupen. 

2. Das Berhältniß der Mitglieder des Lehrervereins zu den Richt: 
mitgliedern it das wie 16 zu 11. Es find 256 im Verein, 176 nicht. 
Das ift Feine erfreuliche Erſcheinung. 


8. Weber die Beaufjihtigung der Schulen im Großherzog: 
thum Oldenburg haben wir auf unfern Wunſch von einem jehr tüchtigen 
oldenburgiihen Lehrer die nachſtehende Auskunft erhalten. Mit Ber: 
guügen werden unjere Lehrer daraus entnehmen, dab zu den Schulviſita⸗ 
tionen auch Lehrer herangezogen werden; und wie wir erfuhren baben, 
joll die Zahl dersjelben no vermehrt werden. Ueber ſolche Anerlennung 
des Lehrerftandes kann man fi natürlich nur freuen. Möchten doch auch 
andere Negierungen diefem Beispiel folgen ! 

„Rad der Beitimmung des am 3. April 1855 erlafienen Schul: 
geſetzes für das Herzogthum Oldenburg gebört zum Wirkungskreife der 
Oberfchulcollegien — des evangeliihen und bes atholifcen Oberſchulcol⸗ 
legiums — die Anordnung der Schulpiſitationen. Zur Ausführung dieſer 
Beſtimmung hat das evangeliſche Oberſchulcollegium im Weſentlichen folgen: 
des angedronet. Jede Volkaſchule, auch die zu einer Mittelſchule ermeiterte, 








Die ärgern Angelegenheiten der Volboſchule +. 635 


wird in ber. Segel innerhalb eines Zeitraums von fechs Jahren breimal 
einer ordentliden Schulvifitation unterzogen, welche entweder: Ä 

1) eine von einem Kreisſchulinſpector vorzunehbmende Specials» 
ihulvijitation ift, oder 

2) eine von einem Mitglieve des Oberſchulcollegiums abzuhaltende 
Generalſchulviſitation. 

Die Reihenſolge der hiernach in jedem einzelnen Jahre zu viſitirenden 
Schulen wird vom Oberſchulcollegium in der Weiſe feſtgeſetzt, daß die er⸗ 
waͤhnten Schulviſitationen mit ven von den oberen Kirchenbehörden ange 
ordneten Kirchen» und Schulviſitationen möglichft regelmäßig abwechſeln 
und bei einer und derſelben Schule nicht mehrere Bijitationen in einem 
Sabre zujammentreffen. 

Jede andere öffentlihe Schulanftalt wird alle drei Jahre einmal von 
einem Mitglieve des Oberfchulcollegiums, zu deſſen Wirkungstreis die Schul: 
anftalt gehört, vifitirt. 

Die Anfegung außerordentlicher Bilitationen bleibt dem Cr» 
mellen des Oberjchulcollegiums überlafjen. 

Jeder Schulvifitator erhält zur Vornahme der anzuordnenden Viſita⸗ 
tionen vom Oberſchulcollegium das erforderlihe Commifjorium und eine 
Snftruction, auf deren Grund die PVifitation vorzunehmen if; aud können 
ihm die dem Oberſchulcollegium erftatteten bezüglihen Schulberichte mitge- 
tbeilt werden. 

Als Kreisfchulinfpector für jeden Kreis wird bei Beginn des breis 
jährigen Turnus der Schulpifitation in der Regel ein Pfarrer, deſſen Pfarr- 
fprengel nicht zu dem von ibm zu vifitirenden Kreife gehört, committirt; 
ed kann aber aud) ein anderer fachlundiger Mann nicht geiftlihen Standes, 
namentlih em Volksſchullehrer, committirt werden Demgemäß iſt jebt 
der proteflantifche Landestheil in "zwölf Inſpectionskreiſe eingetheilt, und 
es find fünf Pfarrer, ein Schulpirecor und ſechs Boltsihullehrer zu 
Kreisfchulinipectoren ernannt. 

Der Kreisſchulinſpector bat die jämmtlihen Volksſchulen des ihm zu: 
gewiefenen Kreifes in dem Zeitraum von drei Jahren nad der vom Ober: 
schulcollegium anzuorpnenden Bertheilung zu beſuchen. Auf die Pifitation 
einer Schule ift höchſtens ein Tag zu verwenden; es können aber aud 
mehrere Schulen an demfelben Tage vifitirt werden. Die Tage der Bill- 
tation find dem Localinfpector vorher anzuzeigen und von dieſem dem 
Lehrer und den übrigen Mitgliedern des Schulvorftandes zur Kenntniß zu 
bringen. 

Die Viſitation bat als weſentliche Theile zu umfaffen: 

\ die Bilitattonsfchulprüfung ; 

2) die Unterfahung ber jogen. Erterna der Säule; 

8) die Bifitationsconferenz (Beiprehung des Vilitatord mit ven 
Lehrern, dem Localfchulinfpector und fonft anmwefenden Mit- 
gliedern der Schulvorfiände über den Zuſtand der einzelnen 
Schule, oder aller Schulen eines Kirchipiels zufammen). 

Die Mitglieder des Schulachtsausſchuſſes lönnen bei den Verhandlungen 

ad 1 und 2 zugegen fein; eine förmlihe Bernehmung des Ausſchuſſes 


648 Die Außern Angelegenheiten ber Volksſchule ꝛc. 


Scholarchate beftätigten Beſchluß. Das Ruhegehalt beftimmt fih nah Maß⸗ 
gabe des Art. 17 der in 8. 1 erwähnten Ordnung. 

$. 4. Der Lehrer bat dem Oberlebrer als feinem nächſten Borges 
festen binfichtli der aus deſſen amtliher Wirkſamkeit bervorgebenden An- 
ordnungen Folge zu leiften, aud in allen fein Berbältniß zur Anflalt be- 
rührenden Angelegenheiten nur durh ihn an die höhere Behörde ſich zu 
wenden, ausgenommen, wenn es fi um eine Beſchwerde über den Ober: 
lehrer jelbit oder um eine perjönlice Angelegenheit handeln follte Er 
tritt in das Collegium der Lehrer der Schule ein und bat fidh eimes 
freundlichen collegialiſchen Zuſammenwirkens mit denjelben zu befleißigen. 

8. 5. Der Lehrer bat durch forgfältige Wahrnehmung alles deſſen, 
was die fittlibe Haltung, die Ordnungs⸗ und Wahrbeitsliebe , die Rein: 
lichkeit und Tüchtigkeit, fowie die Fortfchritte der Schüler in Kenntniſſen 
und Yertigleiten und die Ausbildung verfelben überhaupt zu fördern ge 
eignet ift, dem Gedeihen der Schule feine ganze, aufrichtige Thätigteit zu 
widmen; er darf daher Unterricht in anderen Schulen, ſowie Privatunter- 
richt, der fi unmittelbar an die Schulzeit reiht, nur mit Genehmigung 
der Kirhencommiffion und im Einverftänbniffe mit dem Oberlehrer ertbeilen, 
muß aber zum Picariiren auch in den Stunden, welde ihm für viefen 
Unterricht frei gegeben find, jederzeit bereit, jein. 

8. 6. Der Lehrer muß im Bufanmenwirlen mit dem Oberlehrer und 
den übrigen Lehrern fih um die Schulbisciplin, fowohl in der Schulam 
ftalt und deren Umgebungen, als auf den Schulmegen emftlih bemühen, 
jederzeit das fittlihe Verhalten der Schüler und die Regelmäßigteit des 
Schulbeſuchs forgfältig beachten und die gute Orbnung kräftig aufrecht er 
balten. Bei allen erheblichen Uebertretungen bat er dem Öberlebrer Be: 
riht zu erftatten und nötbigenfalls deſſen Hülfe in Anfpru zu nehmen. 
Sr bat fih, foweit thunlich, in allen für vie häusliche Erziehung ber 
Schüler wichtigen Fällen und namentlih bei Schulverfäumnifien — fei es 
durch den Oberlehrer, fei es direct, mit den Eltern derſelben in Verbin; 
dung zu ſetzen. . 

8. 7. Für ungemöhnlihe Schulſtrafen ift die Genehmigung Yves 
Oberlebrers erforderlich. 

8. 8. Der Lehrer ift verpflichtet, in jeder Klaſſe, fowie in denjenigen 
Lehrfaͤchern Unterricht zu ertbeilen, welde ibm vom Überlehrer mit Rüd⸗ 
ſicht auf feine Kenntnifie und Fertigkeiten im Intereſſe der Schule über: 
wiejen werben. 

Die Zahl der von ihm regelmäßig — abgejeben von der in Aus: 
nabhmefällen zu leiftenden Aushülfe — zu ertheilenden Unterrichtöftunden 
kann wödhentlih bis auf 32 beftimmt werben; auch bat er innerhalb biefer 
Zahl an dem etwa einzuführenden Turmunterrichte ſich nad Kräften zu be 
theiligen: 

Er bat dem Überlehrer Anzeige zu machen, wenn er erfährt, daß bie 
Geſetze über die Schulpflidtigleit, den regelmäßigen Schulbefuh und das 
Berbot, ſchulpflichtige Kinder vor dem Schlufle der täglichen Schulſtunden 
zu Gejchäften zu gebrauden, unbeachtet bleiben. 


Die Aukern Angelegenheiten ber Vollafchule c. 637 


Das bat den Zorn des Lehrers Frauenflein erregt, fehr unnüger Weiſe; 
denn erſtens braucht ja kein Lehrer die Arbeit zu übernehmen, wenn er 
nicht Luft dazu hat, und zweitens ſchaͤndet eine Beichäftigung, durch bie 
Anderer Leben und Gejunbheit vor großer Gefahr bewahrt wire, Niemand, 
das jagt auch der „höher geftellte Geiſtliche“ in ruhiger und ganz ange: 
meflener Weiſe, und Lehrer Sölter fiimmt ibm darin bei. Der „böber ges 
fellte Seiftliche redet aber bei diefer Gelegenheit auch von andern Dienflen 
der Lehrer, nämlih von den ihnen obliegennen niederen Kirchen⸗ 
dienſten, und findet auch in ihnen nichts, mas den Lehrer entehre. 
Diefer Anſicht tritt Sölter, und mit gutem Nechte, entgegen, ebenfo der 
Behauptung, daß Kirche und Schule verbunden bleiben müßten und daß 
die Geiſtlichen die geeignetiten Schulauffeher fein. Die Gründe des „böber 
geftellten Geiftlihen dafür find die allbelannten, oft, auch von uns, wiber 
legten, weshalb wir bier von ihrer Grörterung abſehen können. Rector 
Stölting giebt fih das Anfeben, als ſei er der competentefle Urtbeiler, 
da er Theolog und Lehrer zugleich fei, tritt jedoch, wie begeeiflich, gleich 
auf die Seite des „höher geftellten Geiſtlichen“, und fällt als „Lehrer“ 
geradezu aus der Rolle. Seine Gntgegnung wäre beſſer ungebrudt ges 
blieben, da fie der der „Beleuchtung“ jedenfalls in ihrer ganzen Haltung 
nachſteht. Der „Brief an den Rector Stölting endlich, abgefaßt von 
„einem Freunde der freien Schule” und verfeben mit dem Poſtſtempel 
„Wolfenbüttel, ift ein unmwürbiges Scriptum. Ber mit folben Waffen 
tämpft, verdient nicht, der „freien Schule” anzugehören, 
Die „Beleuhtung” kommt zum Schluß auch auf den „Bädagogifchen 
ſtladeradatſch“ von Görwig zu ſprechen, und tadelt defien Streben, da er 
den Lehrer nicht für feine Berufsthätigleit ftärle, ſondern ihn nur er: 
bittere und feine Wirkfamleit ihm verleide. Das ift auch unfere 
Anſicht. Die Witze des Blattes find ohnehin meiftens herzlich ſchlecht. 
Das Blatt verdient keine Unterflüßung feitens der Lehrer. 

2. Im Herzogthum Braunfchweig wurden 1861 Normalgebalts: 
fäße für die Schulftellen feftgeftellt, die eine danlenswerthe, jedoch nicht 
ausreichende Hülfe gewährten. Da außerdem vie Preiſe für alle Lebens⸗ 
bebürfnifie wirflih mit jedem Jahre fteigen, fo leuchtet es ein, daß bie 
Lage der Bollsfchullehrer eine gedrüdte if. Die Lehrer haben ſich babe 
bereitö 1862 nereinigt, diefe Angelegenheit von Neuem zur Sprade zu 
bringen. Cs iſt zu diefem Zwede eine Gommiffion von ſechs Lehrern ger 
bildet worden, melde das nöthige Material für diefen Zweck fammeln und 
darauf bearbeiten ſollte. Das Rejultat diefer gemeinfamen Thätigleit liegt 
jest vor in der Schrift: 

12. Das Einkommen derLehrer an ben Gemeindeſchulen des Her⸗ 
zogthume Braunſchweig. Ein Wort zur Berſtändigung. Herausgegeben 
an Stelle eines ber Landes⸗Lehrer⸗BVB ar: bee Seryon thums au er⸗ 


ſtattenden Commijſionaberichts von WB. Genen, in Sr ingen. gr. 8. 
AV 526.) Braunfgweig, €. — Fe Ser. 


Diefe Arbeit ift mit Sachlenntniß und Geſchick —8 gebt auf deu 
Ueſprung der Einnahmen zurüd und weit ihre Unzulänglichlelt für bie 
gegenwärtigen Verhälinifie nah. Durch dieſe Behandlungsweiſe hat vie 





638 Die äußern Angelegenheiten ber Volkoſchale se. 


Sqrift ein aligemeineres Jutereſſe erhalten und eignet ſich arm u 
für weitere Leſerkreiſe Wir wünfchen, daß viefelbe in den Gemeinden 
viele Lefer finden und von keinem der Herren Landſtaͤnde unbendhtet ges 
lafien werben möge. 

3. Die „Präparanden⸗Anſtalt“ in Wolfenbüttel zählte 
Dfiem 18066 47 Böglinge. GEs waren an verjelben ſechs Lehrer, ben 
Turnlehrer nicht gezählt, thätig. 16 Zöglinge mußten für einen Theil Des 
Unterrichtsjahres, einige für das ganze Yahr zur Aushülfe an verfchiedenen 
Schulen beurlaubt werden. Die Zahl der Stunden, welde den einzelnen 
Gegenfländen wöcentlid gewidmet wird, iM eine verhältnikmäßig geringe, 
was natürlich auf die Leiftungen erheblihen Einfluß ausüben muß. Aus 
der „Jaͤhrlichen Radriht über die Präparanden-Anftalt” von Director 
Boſſe erfeben wir, daß die erfte Astbeilung im Laufe des Jahres fünf 
Aufſatzſchema bearbeitete, jede ver beiden folgenden Abtbeilungen ſechs 
Eine ſolche Zahl darf als unzureichend bezeihnet werden. Im Borwort 
ber genannten Radyridyten läßt der Herr Director fih folgendermaßen über 
Lehrerbildung vernehmen. 

„Lehrerbildung ift heutzutage ein beliebtes Thema der päpagogiichen 
Beitſchriften, und viele haben fidy bereits den Kopf Barüber zerbrochen, wie 
es anzufangen. jei, daß für die Volksſchullehter eine höhere wiſſenſchaft⸗ 
liche Ausbildung erlangt werde, als von den Seminaren bis jebt darge 
boten wird. Der vielfady laut gewordene Wunſch mag ja etwas für ſich 
haben, und mandem (freilich aud nicht jevem), welder der Erfüllung 
vefielben das Wort redet, wird diejes zur Ehre anzurechnen jein. Doc 
überlafien wir die Entſcheidung über dieſe wichtige Ftage andern; bier 
dürfte jedenfalls nicht der Ort fein, etwas dafür oder dawider zu jagen. 
Nur ſcheint bei der Befürwortung höherer Aniprüde an die Bildungsan- 
ftalten für Volksſchullehrer ein Umftand nicht gebührend berüdfichtigt zu 
werden. Darf man venn bei deren, welche fi in den Seminaren zu 
Lehrern ausbilden, im Allgemeinen wirklich ein ernſtes Bebürfnib nad) 
einer weitergehenden wifienfhaftlihen Bildung vorausfegen? Die Antınort 
auf diefe Frage wird man finden, wenn man näher zufieht, mie viele ber 
Zeglinge des Seminars die ihnen bier dargebotene Bildung fi vollkommen 
Aneignen, und wie groß bie Zahl derer ift, welche auch bei vielleiht mäßig 
hohem Standpunkte der Unftalt voch nur das Prädicat „mittelmäßig bei 
ihrem Abgange aus berjelben mitnehmen. Und ferner: Wie viele haben 
denn nad ihrem Abgange won der Seminaranftalt Luft, in wiffenfdhaftlicher 
Bildung nod weiter zu ſtreben? Schon die Schulamtseramina könnten 
auf diefe Frage Antwort geben. So viel ift aber ausgemacht, für die, 
welde .ernfili etwas Tüchtiges erreichen. wollen, legt die Seminarenftalt 
einen hislänglich weiten Grund, auf welden fie nachher jelbft tüchtig auf 
bauen können, und dieſes nad Kräften zu thun, fei auch den Böglingen, 
weiche jetzt unfere Anftalt verlaſſen, hiermit ans Herz gelegt. Um. vielen 
Faͤllen find Klagen Selbftanklagen. Man muß nicht über Mangel Magen, 
bevor man das Seinige gethan bat, um das Fehlende zu gewinnen.” 

Dieſe Anfiht durfte jchmerlich der Ausdruck der braunſchweigiſchen 
gehen fein. Das. Verlangen nad -umfafienberer Bildung, als vie meiſten 








Die außern Angelegenheiten ber Voſkaſchule x. 689 


Seminare fie gewähren, ift ein eben jo ‚allgemeines als beredhtigtes. Wenn 
bei vielen Bollsfchullehrem das Streben nad wiſſenſchaftlicher Fortbildung 
vermißt wird, fo dürfte dieſer Uebelſtand gerade darin begründet fein, daß 
das Seminar fie nicht tief genug in die Wiſſenſchaften einführte. 


V. An halt. 


Ueber Veränderungen im Schulweſen Anhalts fehlen uns verbürgte 
Nachtichten. 


VI Bremen. 


1. Das biefige Seminar hat während feines neunjährigen Be: 
ftehens nach und nad fo viel Lehrer ausgebildet, daß durch diejelben das 
Bevürfnib des Staates nahezu befriedigt werben kann. BDiefelben bewähren 
ch in Ihren Aemtern im Allgemeinen als gefhidt und treu, werben daher 
für die öffentlichen wie für die Privatfchulen gern genommen, felbft vom 
Auslande oft begehrt. 

Der Lehrplan der Anftalt ift unter folgenbem Titel veröffentlicht 
worden: 


13. ‚Lehrplan für das Seminar zu Bremen. Im Auftrage bes Schol- 
archats herausgegeben von Augu üben, Director des Seminars ber 
— Hanſeſtadt Bremen. gr. 8. (47 ©.) Bremen, C. Ed. Müller. 1867. 


Diefer Lehrplan ftellt nicht blos die Ziele für jeden Unterrichtögegen- 
ftand mit NRüdficht anf die drei Klaſſen der Unftalt fpeciell feft, fondern 
enthält auch zugleih die Grundfäße, nach welden der unterticht ertheilt 
wich. Der Seminarunterricht umfaßt: Br 

Badagogit, ee 
Religion, 
Deutihe Sprade, und zwar 
Stammatif, 
. Stiliftit, 
Literaturlunde, 
Leſen, 
Arithmetik, 
Geometrie, 
Naturgeſchichte, 


Put, und zwar 


J —* J 
2... mHarmonielehrhe Br 


640 Die Sußern Angelegenheiten ber Volkoſchule x. 


Beinen, 
Schreiben, 
Tumen. 

Sede Klaſſe hat wöchentlich 84 Unterrichtsſtunden. Beim Gintritt 
in das Seminar erhält jeder Seminarift ein Gremplar des Lehrplans, um 
leicht überfeben zu können, was er in jeder Klaſſe und während feines 
ganzen Gurfus zu lernen bat. 

2. Bie Stadt Bremen zerfällt in acht kirchliche Gemeinden, und jede 
diefer Gemeinden befist eine Schule, Rirhfpielfhhule oder Gemeinde: 
ſchule genannt. Da aber Schulzwang hier nicht ftattfindet, jeder Vater 
ſonach auch feine Kinder in jede ihm zufagende Schule fchiden kann, fo 
find die genannten Schulen nicht in ftrengem Sinne als kirchliche Ge 
meinbefchulen zu betrachten, fonbern vielmehr als allgemeine Volksſchulen 
anzufehen. Steine dieſer Schulen vermag durch eigene Mittel zu eriftiven; 
fie erhalten vielmehr alle einen mehr oder weniger großen Zuſchuß wem 
Staate, wofhr diefer fich einen gewiſſen Ginfluß auf die Organiſation ber 
felben wahrt. Bur Regelung diefes Berbältnifies bat 1866 eine neue Verein⸗ 
barung flattgefunden, durch die der Beitand und die ordnungsmaͤßige Fort: 
führung der Gemeindeſchulen gefichert ift. Der Vereinbarung gemäß, bat 
jedes Lehrercollegium einen fpeciellen Lehrplan ausarbeiten und der zu 
ftändigen Behörde zur Genehmigung überreichen müſſen. 

Da die aus der Berathung zwiſchen den Gemeinden und dem Staate 
‚ bervorgegangene Schulordnung einen Blid in das biefige Vollsſchul⸗ 
weien thun läßt, fo theilen wir dieſelbe nachſtehend mit. 


Ordnung ſtadtbremiſcher Boltef guicn anf dem Grunde der 
kirchlichen Gemeindeverfaſſung kraft Bereinbarung unter 
den betreffenden Gemeinden. 


Erſter Theil. 
Die Gemeindeſchulen. 


Die folgenden ftabtbremifchen Gemeinden, der Kirchen U. 2. Frauen, 
St. Martini, St. Ansgarit, St. Stephani, St. Pauli, St. Betri, 
Gt. Remberti und St. Michaelis haben fih über nachſtehende Orbnung 
ihrer Gemeindeſchulen geeinigt. 


A. Schulbehoͤrden. 


Art. 1. Dem Gemeindeihulverein ſteht ein aus den Mitgliedern 
des Scholarchats und Deputirten der Gemeinden gebilveter Schulrath vor. 
Der Verein wird dem Staat gegenüber durch den Schulrath vertreten. 

Art. 2. Bon den Beichlüfien und Entſcheidungen, weldye der Schul: 
rath, bezw. das Scholarchat, dem Geſetß und diefer Ordnung gemäß m. 
trefien bat, findet eine Berufung an den Senat Statt. 








Die äußern Angelegenheiten der Volkoſchule ꝛc. 641 


B. Die Schulen. 


1. Schullocale. 


Art. 3. Jede einzelne Gemeinde bat auf ihre Soften ihre Schul 
anftalt zu der Aufnahme von fdhulpflichtigen Kindern einzurichten. Sie ift 
verpflichtet, den jetzigen Beftand ihrer Schullocale binfichtlih der Zahl ver 
Klafien aufrecht zu halten umd darf fih nicht mweigern, ihre Schulanftalt 
zu erweitern, wenn flaat3feitig dazu aufgefordert und der Roftenaufwand 
für die Beihaffung und Unterhaltung vom Staate übernommen wird. 

Art. 4. Cine Vereinigung der Schule der St. Martini Gemeinde 
mit anderen Gemeindeſchulen ift unter Genehmigung der St. Martini Ge 
meinde fowie des Schulraths zuläjlig. 

Art. 3. Die Koften der Unterhaltung der Gemeindefchulen in Bau 
und Beilerung und ber Feuerverficherung trägt die Kirche, der fie ange: 
bören. (Art. 8.) 

Art. 6. Falls der Schulrath eine Reparatur verlangen follte, bat 
er fid über die Nothwendigkeit derjelben mit den Bauherren der betreffen 
den Kirche zu verjtändigen. Etwaige Differenzen entjcheidet der Senat. 
Die Ausführung wird von den betreffenden Bauherren beforgt. 

Art. 7. Jedes neu zu erbauende Schulgebäude muß die erforbers 
fihen Klaſſenzimmer von genügender Größe (Art. 8) enthalten. 

Bei dem Schulgebäude muß ein zum Erholungsplaß für die Schul: 
Tinder geeigneter Hof oder Garten ſich befinden. 

Nur wo das Schulgebäude an einem zu dieſem Bwede geeigneten 
öffentlichen Plape belegen iſt, kann von biefem Zubehör abgejeben werben. 

Art. 8, Die Zahl der Schüler in Einer Klafie ift in der Regel auf 
50 bis 60 befchräntt, darf aber Feinenfalld 70 überjchreiten. 

Der Flaächeninhalt eines Schulzimmers muß in ben beiden oberen 
Klafien einer Gemeindefchule gewöhnlid 8, in den übrigen Klaſſen 6 D⸗Fuß 
für jeden Schüler, die Höhe aller Schulzimmer aber 143 bis 14 Fuß 
betragen. 

Auch bei den ſchon vorhandenen Schulgebäuden ift dieſe Größe in 
der Negel maßgebend; von der bier vorgefihriebenen Höhe kann indeß ab: 
gejehen werden, nur daß diejelbe nicht weniger ald 10 Fuß betragen barf. 

DO. Schulpflichtigkeit. 

Art. 9. Nüdfihtlih der Schulpflihtigleit kommt das jedesmal gel: 
tende Staatögejeß zur Anwendung. Pispenfationen Tann nur das Schol: 
archat ertheilen. 

UL Auswahl unter den Schulen und deren Beſchraͤnkung. 

Art. 10. Die Auswahl unter den verjchievenen Gemeindejchulen 
bleibt den Eltern und Vorgeſetzten der Kinder überlafien, jedoch in den 
Orenzen des für jede Schule und Klaſſe feftgeftellten Marimum der Schüler 
zahl. Sollte die Zahl ver zu den regelmäßigen Aufnahmezeiten (Art. 38) 
angemeldeten Kinder dieſe Grenzen überjchreiten, fo erhalten diejenigen Kinder 
ven Borzug, deren Eltern ver betreffenden Gemeinde angehören oder ans 
gehört haben. 

Bad. Jahresbericht. XIX, 41 











542 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule sc. 


IV. Xeennung ber Geſchlechter. 

Art. 11. In den obern Klafien jeder Gemeinbeichule findet eine 
Zrennung der Geſchlechter Etatt, jo daß in der Regel vom 11ten Lebens 
jahre an Mädchen und Knaben nicht zufammen in einer Klafie zu unter 
richten find. Können die höheren Knabenklaſſen nicht in ein befonderes 
Gebäude verlegt werben, fo iſt doch wo möglid für fie ein befonderer Aug 
und Gingang in das Schulgebäude einzurichten. 


V. Schulgeld. 
Art. 12. In Beziehung auf das Schulgeld bleibt es bei den in 
den Gemeindeſchulen geltenden Säben ; es ſoll jedoch eine Gleichheit defſelben 
in allen Gemeindeſchulen angeftrebt werben. 


VL Gegenfläude des Unterrichts im Allgemeinen, 


Art. 18. Gegenftände des Unterrichts find im Allgemeinen: Leſen, 
Schreiben, beutfhe Sprade, Denkübungen, Rechnen, Beichnen, Gelang, 
Bibellenntniß , biblifhe und PBrofangefchichte, Geographie, Naturkunde, in 
den Knabenſchulen auch Arithmetil, Geometrie; in den Mäpchenklafien 
weibliche Handarbeiten. 

Die Lectionspläne und Schulbücher werben von der Lebrerconferenz 
jeder Gemeindeſchule ihrer Kirchencommiffion zur Genehmigung vorgelegt 
und bedürfen ver VBeftätigung des Scholarchats. 


VO. Echulapparat. 

Art. 14. Der Schulapparat beſteht in Wandtafeln, Linenlen, Win 
teln und Zirkeln, Vorlegeblättern zum Beinen, naturgeſchichtlichen Abbil⸗ 
dungen, Landkarten, ®loben, Körperfammlungen. - 

Ob und welde phyſikaliſche und chemiſche Apparate erforberli find, 
bleibt nad ertbeiltem Gutachten ver Lehrerconferenz dem Beſchluß des 
Schulraths überlafien. 


VII. Lehrer und Lehrerinnen. 

Art. 15. Die Dahl und Anftellung, Gntlaflung und Penfionirung 
‚fämmtlicher Lehrer und Lehrerinnen an allen im Gemeindeverbande ſiehen 
ben Schulen ift nad) den unten (Art. 25) folgenden näheren Beitimmungen 
den Gemeindefchulbehörden, refp. Gemeinden überlafien. Es darf jebod 
Niemand als Lehrer oder als Lehrerin angeftellt werden, der nicht die 
buch das Staatögejeb vorgejhriebene Prüfung beftanden hat ober von 
berjelben dieſem Geſetze gemäß dispenfirt if. Der oder die Anzuftellende 
muß überdies von proteftantifcher Confeſſion und unbeſcholtenem Leben 
wandel jein. 

Art. 16, An jeder Gemeindeſchule wird ein Oberlehrer angeflell. 
Jever Klaſſe fteht ein Lehrer vor. Auch kann, falls es das Berürfuik e» 
beijcht, mit Genehmigung bes Schulraths nod ein weiterer Lehrer angefellt 
werden. Wegen des SHülfsunterrichts wird dem Bebürfnifie entfprochen. 

Art. 17. Hinfihtlih der Gehalte und Ruhegehalte treten bie für 
die entgeltlihe Vollsſchule am Neuftadtswall geltenden gefehlichen Beim 





Die Außern Angelegenheiten der Volksſchule x. 643 


mungen ein. Es bleiben jedoch ven Lehrern, welche bereit3 gegenwärtig 
böbere Gehalte, bezw. Ruhegehalte genießen, diefe ungejchmälert. 


6. Koſten der. Bereinsfchulen. 


Art. 18. Der Staat trägt zu den Koften der Vereinsſchulen nad 
Maßgabe des Bedürfniffes bei. Die Schulgelder — welche mit zur Dedung 
der, die Unterhaltung und Feuerverſicherung der Gebäude nicht betreffenden 
Koften der Schulen beftimmt find, — werden vom Staat für Rechnung 
des Schulraths erhoben. Der Schulrath reiht das von ihm jährlih auf: 
zuftellende Budget, unter Beilage der die einzelnen Schulen betreffenden 
Specialbudgetö, der Finanzdeputation zur Aufnahme in das Generalbupget 
ein. In Beziehung auf die Bewilligung der Budgets kommt der Staats: 
beihluß vom 20/29. September 1854 sub 2 a. zur Unmwenbung. 

Art. 19. Die Gemeinden haben zu ben Koften ver Gemeindeſchulen, 
abgejeben von der ihnen obliegenden Lieferung und Unterhaltung von Schul: 
gebäuden, keine weiteren Beiträge zu leiften. 


Zweiter Theil. 


Die Shulorpnung. 


A. Bon den Schulbehörben. 


Art. 20. Als Gemeindefhulbehörben befteben: 
I. Die Kirchencommiſſion. 
II. Der Schulrath. 


I. Bon den Kirchencommiſſionen. 

Art. 21. Jede Gemeinde wählt nah Vorſchrift ihrer Kirchenord⸗ 
nung zur naͤchſten Beaufiihtigung und Leitung ihrer Schule eine Kirchen⸗ 
commiifion. 

Art. 22. Die Commiffionen werben die Oberlehrer an den ihnen 
untergebenen Schulen nah Maßgabe ihrer Kirchenverfafiungen dabei zus 


ben. 
“ Art. 23. Der Kirhencommiffion Tiegt zunädft die Schulpflege an 
ihrer Gemeindeſchule ‘ob. 
Insbeſondere bat fie 

a) über die Negelmäßigfeit des Schulbeſuchs nad Maßgabe der wegen 
der Schnulpflichtigleit jebesmal beſtehenden Staatsgejeßgebung zu wachen; 

b) etwaige Bwiftigleiten zwiſchen den Lehrern ober zwiſchen dieſen und 
den Eltern oder Vorgefebten ver Schüler gütfich zu vermitteln ; 

e) für Aufrehthaltung der äußeren Ordnung in den Schulen Sorge 
zu tragen; 

d) in zeitweiligen Berbinberungsfällen eines Lehrers für eine ange 
meſſene Erſeßung defielben zu forgen; 

e) auf genane Befolgung des Lehrplens mit zu achtten; 

f) rudſichtlich des Lectionsplans, der Unterrichtögegenftände und Lehr: 
Kader das nach Art. 18 Erſorderliche zu befchlieben. 

41* 


644 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule x. 


Art. 24 Die Kirchencommiſſion ehe! auf die Unterhaltung ihrer 
Schullocale in Bau und Beſſerung. (Art. 5 

Sie waht über einen ſchonenden Gebraud der Schulapparate unb 
madt auf etwaige Mängel derfelben ven Schulrath aufmerkfam. 

Urt. 25. Die Anftellung der Lehrer geſchieht von den betreflenden 
Kirhencommiffionen nah Maßgabe ver einzelnen Sirchenverfafiungen und 
bedarf der Beſtaͤtigung des Scholarchats. 

Verſezungen in den Ruheſtand und Gntlafiung von Lehrern unt 
Rebrerinnen an den Schulen werden von der Kirhencommiffion verfügt und 
bedürfen der Beflätigung des Scholardhats, welches in flreitigen Zällen 
entfcheidet. 

I Bon dem Schulrath. 


Art. 26. Der Schulrath beſteht aus den Mitgliedern des Schol⸗ 
archats und je einem Mitgliede der übrigen ftäbtifhen Gemeinden, welches 
von und aus den betrefienden Kirchencommiſſionen gewählt wird; jedoch 
find Mitglieder des Senats von der Wählbarleit ausgeſchloſſen. 

Art. 27. Im Bezug auf den Vorfig, die Leitung, die Geſchaͤfts 
ordnung und die Gefchäftsthätigleit des Schulratbs kommen, ſoweit in 
diejer Schulorbnung nicht ein Anderes beftimmt ift, die Beſtimmungen der 
88. 12 bis 20 incl, 42, 45 bis 51 incl., 60, 65 bis 67 incl des 
Deputationdgefeges analogifh zur Anwendung. 

Art. 28. Der Schulrathb bat auf genaue Erfüllung der zwiſchen 
den Gemeinden unter einander und mit dem Staate in Beziehung auf das 
Bereinsihulwefen beftebenden Vereinbarungen fowie auf gewifienhafte Aus⸗ 
führung diefer Ordnung in allen ihren Zheilen zu achten. Die Mitglieder 
des Eenats beim Sculratbe haben für die Ausführung der das Schul⸗ 
foefen betreffenden Gefeße und Verorbnungen, zu forgen und die Echulpläne 
"und Ehulbüder, fowie die Vorſchläge wegen ber Unterridhtäzeit zu ge: 
nehmigen. 

Art. 29. Insbeſondere liegt dem Schulrath ob: 

1) Vermittlung des Gemeindeſchulvereins mit dem Staat (Art. 1). 

2) Die Aufiht in Betreff ver Grreihung der Schul: und Klafien: 
jiele in jämmtlihen Gemeindeſchulen. 

8) Die Auffiellung des jährligen Schulbudgets (Art. 18). 

@ 3 Sorge für Unterhaltung der Schullocale in Bau und Beſſerung 
tt, 6 

5) Ferftellung in Betreff der Gehalte und Ruhegehalte nah Maß—⸗ 
gabe des Art. 17. 

6) Anftellung von Schreiben und Boten, fowie die Gehaltsbeſtim⸗ 
mungen für dieſelben. 


B. Bon den Kehrerconferenzen. 


Art. 30. Unter dem Borfiß eined aus und von den Lehrern zu 
wählenden Oberlehrers werden regelmäßige Conferenzen, deren inneren Ur: 
aaniemus die Mitglieder derſelben feftguftellen und dem Schulrathe zur 

hmigung vorzulegen haben, abgehalten. Diefelben haben ven Zwed, 


Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule c. 645 


ein Streben Aller nach wiſſenſchaftlicher Fortbildung zu weden und zu unter: 
fügen, fie zum gegenfeitigen Austauſch ihrer amtlihen Erfahrungen zu ver: 
anlafien, eine böbere religiöfe Auffafiung ihres Berufs in ihnen zu er: 
balten und ein von Liebe und Eifer für viefen Beruf getragenes collegia- 
liſches Verhaͤltniß unter ihnen zu befördern. Auch werden etwaige auf 
Bervolllommnung der Vereinsſchulen in der einen oder andern Ruͤdficht 
abzwedende Vorſchläge in diefen Conferenzen in Berathung gezogen. 

Es find über die vorgelommenen Verhandlungen Brotocolle zu führen 
und regelmäßig dem Borfiger des Schulraths einzureihen. Außer biejen 
allgemeinen Conferenzen follen auch befondere Gonferenzen bei jeder Ver⸗ 
einsſchule ftattfinden, deren Organifation den einzelnen Kirchencommiſſionen 
überlafien if. | 


C. Von den Lehrern. 


Art. 81. Jeder Lehrer wird nicht blos die Fortichritte der Schüler 
in den einzelnen Uinterrichtögegenftänden fördern, jondern auch durch feine 
moralifhe Einwirkung, durch fein ganzes, in chriftliher Liebe wurzelndes 
Verhältniß zu den Schülern, durch jein Beijpiel und feinen chriftlichen 
Wandel dahin zu wirken ftreben, daß die Schüler zunehmen in der Furcht 
Gottes und in dem Gehorfam gegen Geſetz und Obrigkeit. Den einzelnen 
Kirhencommiffionen bleibt überlafjen, bei der Anftellung der Lehrer die in 
. biefer Hinfiht von ihnen für geeignet eradhteten Inftructionen zu ertbeilen. 

Art. 32. ever Lehrer an den Bereinsfchulen bat in der Regel 
feine ganze Zeit und Kraft diefem Amte ausſchließlich zu widmen. 

Es ift ihm jedoch geftattet, die in den einzelnen Gemeinden mit dem 
Küfter: oder Vorjängerbienfte verbundenen Functionen zu übernehmen. 

Art. 33. Der Oberlehrer einer Vereinsſchule ift in allen dienftlichen 
Beziehungen der nächte Vorgejegte der übrigen an verjelben angeftellten 
Lehrer und Lehrerinnen. Cr bat über ihre Pflichterfüllung im weitelten 
Umfange zu wachen und über Verlegungen derjelben bei der Kirchencom⸗ 
mijfion zu berichten (Art, 23). 

In jeder dienftlihen Beziehung ift der Lehrer oder die Lehrerin feinen 
Weifungen nachzuleben verpflidhtet, unbeſchadet einer Berufung an die 
Kirchencommiſſion. 

Art. 34. Jeder Lehrer muß in Beziehung auf den Unterricht in 
beſtimmten Lebrgegenftänden, unbejchabet feines Ranges in.ber Reihe der 
Lehrer und feines Gehalts, allen Beitimmungen fi) unterwerfen, melde 
zum Gebeihen der Schule erſprießlich oder feinen Kenntnifien und Yäbig: 
feiten angemefjen erachtet werben möchten. 

Art, 35. Jeder Lehrer muß innerhalb der täglichen Unterrichtözeit 
zur Vertretung kranker oder abweſender Collegen, jowie zur abwechſelnden 
Beauffichtigung der Nacharbeiten der Schüler jederzeit bereit fein. 

Art. 36. An den bejonderen wie allgemeinen Conferenzen find bie 
Lehrer verpflichtet regelmäßig heil zu nehmen. 

Art. 37. Der Oberlehrer hat für die richtige Führung der Präjenz- 
liften (vergl. Art. 23) Sorge zu tragen. 


646 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule ze. 


D. Bon den Schulen. 


L Aufnahme und Austritt. 

Art, 88. Hinfichtlih der Aufnahme und des Austrütts der Schuler 
tonimt das deshalb für Bollsjchulen jedesmal geltende Gtaatägefeb zur 
Unwenbung. 

Die Anmeldungen geſchehen bei dem Oberlehrer an berjenigen Ge⸗ 
meindefchule, in welde die Aufnahme gewünſcht wird (vergl. Art. 10). 

Bei der Anmeldung ift der Geburts- und Impfſchein des Kindes und, 
wenn es aus einer andern Gemeindes oder Privatjchule übertritt, ein 
Gittenzeugniß von Seiten des Vorſtehers diefer Schule beigubringen. Die 
etwa zur Beftimmung der Klaſſe, in melde das angemelvete find gehören 
würde, erforberlihe Prüfung nimmt der Oberlehrer vor, und weiſt nad) 
dem Grgebniß die Klaſſe an. Findet er bei der Aufnahme Bedenken, fo 
entſcheidet die Kirchencommiſſion, von beren Beicheide den Eltern oder Bor» 
geſetzten des Kindes eine Berufung an das Scholarchat freifteht. 

HD. Schulzeit. Ferien. 

Art. 39. Die Schulzeit bei den Gemeindeſchulen fällt regelmäßig 
in die Bormittagsfiunden von 8 bis 12 Uhr und in die Nachmittags⸗ 
funden von 2 bis A Uhr, mit Ausnahme der Sonn» und Fefltage und 
ber Nachmittage an Mittwochen und Sonnabenden. 

Der Schulrath kann bierin nad Zeit und Umftänden Wbänderungen 
treffen, jedoch im Nilgemeinen ohne Verminderung der Zahl der Schul: 
Hunden. Namentlich ift im Lectionsplan Rüdficht auf den Religionsunter: 
siht der Paftoren zu nehmen, zu welchem den Anordnungen des Schol⸗ 
archats gemäß jedes Rind entlaflen wird. 

In den Slementarklaflen ift die Unterrichtszeit dieſelbe wie in ben 
Säulen, zu melden fie gehören. Es können bier jedoch zwedmaͤßige Ab» 
änderungen, felbft mit Verminderung der Zahl der Unterridhtsftunden, durch 
den Schulrath getroffen werden; eine angemefjene Zeit ift täglih an diefen 
Schulen der Erholung durch Spielen und lörperlihe Uebungen zu widmen. 

Art. 40. Schulferien finden Statt in den Feitwochen um Oſtern, 
Pfingften und Weihnachten, an den Nahmittagen im Freimarkt und mäb: 
rend drei Wochen im Sommer. 


UL Säulbefuhe. Schulprüfungen. 

Art. 41. Bon Zeit zu Zeit findet eine Prüfung der Klaſſen einer 
Gemeindeſchule Statt. Diefe Prüfung ifl, mo e8 die Dertlichkeit geflattet, im 
der Kirche, fonft in einem von ber Rirhencommilfion zu mwählenden ge 
träumigen Locale vorzunehmen. Die Gemeinbemitglieder find am Sonntag 
vorher von der Kanzel dazu einzuladen. Yür dieſe öffentlihen Prüfungen 
iſt vom Schulrath thunlichſt eine ſolche Reihenfolge zu verabreden, daß 
derfelbe und die Kirchencommiſſion bei jeder anweſend fein können. 


IV. Schuldisciplin. 


Art. 42, Auffallende Verſtöße gegen die Schulgefege werben von 
dem Borfteber der Klafie in ein Sittenprotocol] eingezeichnet, von welden 











Die inkern Angelegenheiten ber Volloſchule ꝛc. 647 


ber Oberlehrer und die RKichencommiffion Veranlaffung zu getigneter Gin- 
wirfung (vergl. Art. 23 db), nöthigenfalls zu einer Rüchſprache mit den 
Eltern zu nehmen haben. 

Disciplinarfirafen beitehen regelmäßig in Nacharbeiten im Schulzimmer, 
nur ausſsnahmsweiſe ift dem Lehrer auch eine mäßige, körperliche Züchtigung 
geitattet, 

Bon der Vollziehbung ſolcher Strafen und von ihren Gründen ift 
durch den betreffenden Lehrer im Sittenprotocoll Bemerkung zu maden. 

Ermweift ſich nah fruchtlofer Anwendung aller zu Gebote ftehender 
Disciplinarmittel ein Kind als unverbefierlih und für die Schule und feine 
Mitſchüler gefährlih, fo Tann es auf Antrag des Oberlehrers durch die 
Kirhencommiffion ausgewiejen werden. Den Eltern oder Vorgejebten des 
Kindes ſteht gegen dieſe Maßregel eine Berufung an das Scholardat frei. 

3. Für die Lehrer und Oberlehrer der Gemeinvefchulen find aus: 
führlide Inftructionen erlaflen worden, die im Ganzen als zwedmäßig 
bezeichnet werben lünnen. Wir theilen diefelben nachſtehend mit. 


A. Amtsvorfchrift für die Lehrer an der N. N. Ge 
meindejchule. 


8. 1. Der Lehrer N. N. wird auf die vom Senate unterm 9. April 
1866 beftätigte Ordnung ſtadtbremiſcher Bollsihulen auf dem Grunde ber 
kirchlichen Gemeindeverfafiung, welde mit gegenmwärtiger Inſtruction dem⸗ 
ſelben behaͤndigt worden ift, zunächſi unb im Allgemeinen, namentlich, 
foweit viejelbe die ihm vorgejeßten Behörden und beren Buftänbigleit, 
gleichwie feine, des Lehrers, Rechte und Pflichten bezeichnet, zur Nach⸗ 
achtung verwieſen. 

F. 2. Der Lehrer iſt verpflichtet, ſich einer angemeſſenen Verwen⸗ 
dung durch den Staat in dem Falle der Schulbeſtimmungen der in 
8. 1 gedachten Ordnung im vierten Abſatz zu unterziehen. 

8. 3. Cine Niederlegung des Amts Seitens des Lehrers kann nur 
am 1. April und 1. October nad einer vorhergegangenen, minbeftens Drei: 
monatlihen Kündigung erfolgen. 

Die Entlafiung eines Lehrers, der nicht bereits zum ordentlichen 
Lehrer ernannt ift, kann durch Kündigung der Klirchencommilfion zum 
4. April und 1. October geſchehen. Jeder Lehrer wird entlafien, welcher 
ſich bebarrlich weigert, die ihm in feinem Amte obliegenden Verpflichtungen 
zu erfüllen oder diefe gröblich vernachläffigt, oder fidh eines groben Vergehens, 
eines unorbentlihen Lebenswandels oder einer Verlegung der guten Sitte 
ober bes Achtung gegen die ihm vorgejeßten Behörden, ven Oberlehrer 
oder feine Eoflegen in folhem Maße ſchuldig macht, daß eine Entlaſſung 
im Intereſſe des Schulwejens geboten erfcheint. 

Die Verfebung des orbeutlihen Lehrers in den Ruheſtand exfolgt: 
— ſei e3. auf ſeinen eignen Antrag, fei ed ohne einen ſolchen — wenn 
er wegen Altersſchwaͤche oder wegen Tärperlicher ober geiſtiger Gebrechen, 
ohne fein Verſchulden, zur ferneren Wahrnehmung feines Amtes unfähig 
geworben iſt, buch einen von ber Kirchencommiſſion gefaßten und vom 


648 Die äüußern Angelegenheiten der Bolfefchule x. 


Scholarchate beftätigten Veſchluß. Das Rubegehalt beſtimmt fih nah Maß⸗ 
gabe des Art. 17 der in $. 1 erwähnten Ordnung. 

8. 4. Der Lehrer bat dem Oberlehrer als feinem nädften Borges 
ſetzten binfichtlich der aus deſſen amtlicher Wirkſamkeit hervorgehenden Ans 
ordnungen Folge zu leiften, aud in allen fein Berbältniß zur Anftalt be⸗ 
rührenden Angelegenheiten nur dur ihn an die höhere Behörde ſich zu 
wenden, ausgenommen, wenn es fih um eine Beſchwerde über den Ober: 
lehrer felbft oder um eine perfönlide Angelegenheit handeln ſollte. Gr 
tritt in das Collegium der Lehrer der Schule ein und bat fi eines 
freundlichen collegialiihen Zuſammenwirkens mit denjelben zu befleikigen. 

8. 5. Der Lehrer bat duch jorgfältige Wahrnehmung alles deſſen, 
was die fittlibe Haltung, die Orbnungs: und Wahrbeitsliebe, die Rein: 
fihleit und Tüchtigleit, fowie die Fortfchritte der Schüler in Kenntniſſen 
und Sertigleiten und die Ausbildung verfelben überhaupt zu fördern ge 
eignet ift, dem Gedeihen der Schule feine ganze, aufrichtige Thaͤtigkeit zu 
widmen; er darf daher Unterricht in anderen Schulen, ſowie Brivatunter: 
richt, der fih unmittelbar an die Schulzeit reiht, nur mit Genehmigung 
der Kirchencommiffion und im Einverftändniffe mit dem Überlebrer ertbeilen, 
muß aber zum Picarütren auch in den Stunden, welde ihm für dieſen 
Unterricht frei gegeben find, jederzeit bereit, fein. 

8. 6. Der Lehrer muß im Bufammenwirlen mit dem Überlehrer und 
den übrigen Lehrern fih um vie Schulbieciplin, ſowohl in der Schulans 
ftalt und deren Umgebungen, als auf den Schulmegen ernfili bemühen, 
jederzeit das fittlihe Verhalten der Schüler und bie Regelmäßigkeit bes 
Schulbefuhs forgfältig beadhten und die gute Ordnung kräftig aufrecht er 
balten. Bei allen erheblichen Uebertretungen bat er dem Oberlehrer Be: 
riht zu erftatten und nöthigenfalls deſſen Hülfe in Aniprud zu nehmen. 
Er bat fih, foweit tbunlih, in allen für vie häusliche Erziehung ber 
Schüler wichtigen Fällen und namentlih bei Schulverjäumnifien — jei es 
dur den Oberlehrer, fei es direct, mit den Eltern derjelben in Verbin⸗ 
dung zu ſetzen. . 

8. 7. Für ungewöhnlide Schulftrafen ift die Genehmigung bes 
Oberlehrers erforverlid. 

8. 8. Der Lehrer ift verpflichtet, in jeber Klaſſe, ſowie in benjewigen 
Lehrfaͤchern Unterricht zu ertheilen, welche ibm vom Überlehrer mit Rüd: 
ſicht auf feine Kenntnifie und Yertigleiten im Intereſſe der Schule über- 
wiejen werben. 

Die Zahl der von ihm regelmäßig — abgejehben von der in Ans 
nabmefällen zu leiftenden Aushülfe — zu ertbeilenden Unterrihtsftunnen 
kann wöchentlich bis auf 32 beftimmt werben; auch bat er innerhalb diefer 
Zahl an dem etwa einzuführenden Turnunterrichte fi) nach Kräften zu bes 
theiligen: 

Er hat dem Überlehrer Anzeige zu machen, wenn er erfähet, daß bie 
Geſetze über die Schulpflichtigteit, ven regelmäßigen Schulbefuh und das 
Verbot, fhulpflihtige Kinder vor dem Schluſſe der täglichen Schulftunnen 
zu Gejchäften zu gebrauchen, unbeachtet bleiben. 





FE Br RE | 


Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 649 


8. 9. Der Lehrer ift zum Bicarliren im alle der Erkrankung ober. 
der Beurlaubung eines Collegen oder, wenn ed dur fonftige Umſtände 
erforderlich wird, verbunden. 


8. 10. Der Lehrer bat den Einladungen des Oberlehrers zu ordents 
lichen und auferordentlihen Sonferenzen Yolge zu leiften, und daher im 
Falle einer Verhinderung bei dem Oberlehrer vorher um Dispenfation nad: 
zufuhen. Bei den Beratbungen bat er auf Erfordern das Protocoll zu 
führen, welches ftets vollftfändig zu halten if. Der Oberlehrer wird das 
Gutachten der Conferenz in allen Schulangelegenheiten von Erheblichkeit 
und von gemeinfamem Intereſſe einholen und in feinen Berichten berüd: 
fichtigen. 

8. 11. Der Lehrer hat in Betreff ver Handhabung der Disciplin, 
der Methode des Unterrichts, der Auswahl des Lehrftoffes und aller die 
— betreffenden Angelegenheit den Anweiſungen des Oberlehrers Folge 
zu leiſten. 

Er hat den vorgeſchriebenen Lectionsplan durchzuführen und darf ohne 
Genehmigung des Oberlehrers in der Reihenfolge der Lehrſtunden, in den 
vorgefchriebenen Lehrpenſen und im Gange des Unterrichts keine Aenderung 
vornehmen. Gr bat fih für die Lehrftunden genügend vorzubereiten, fie 
pflihtgetreu zur Förderung der Schüler zu verwenden und ftets bis zu 
Ende zu führen. Cr darf keine Lehrſtunde ausfallen lafien und bat zeitig 
dem Oberlehrer Nachricht zu geben, wenn ihn Krankheit oder fonftige 
für erheblih zu achtende Gründe an der Wahrnehmung feines Amtes 
hindern. 

Er hat darauf zu achten, daß das Schullocal und das Schulgeräth 
nit befhädigt und mit den Lehrmitteln ordentlich umgegangen wird, auch 
etwaige Beihädigung fofort dem Überlehrer anzuzeigen. Er darf feine 
Schüler ohne Genehmigung des Oberlehrerd von Lehrfiunden dispenfiren. 

8. 12. Der Lehrer bat vor feiner Lehrftunde fo zeitig im Schul: 
locale, daß die Lebhrftunde völlig eingehalten werden kann, und, fall fie 
Morgens oder Nachmittags in den Beginn der Schulzeit fällt, aud fo 
zeitig in der Klaſſe fich einzufinden, daß er in berjelben vor dem Ans 
fange des Unterricht® die gute Orbnung aufrecht erhalten kann. Bei dem 
Wechſel der Lehrftunpen und bei etwaigen unvermeiblihen Paufen bes 
Unterrichts bat er die Schüler nit ohne Auffiht zu laflen, und darf end: 
lich beim Schlufie der Schulzeit nicht eher fortgeben, ald nachdem er die 
Schüler entlafien und ihr Fortgehen beauffichtigt bat. 

8. 13. Der Lehrer hat bie fchriftlihen Arbeiten der Schüler regels 
mäßig ſich einliefern zu lafien und zu corrigiren; dieſe Correctur darf indeß 
nicht in den Sculftunden gejchehen. 

8. 14. Der Lehrer bat außer diefen Ubliegenheiten die Ber: 
pflihtung: 

a) zue Mitwirkung bei Anfertigung etwaiger Schulzeugnifie, Feſt⸗ 
ftellung der Lehrpläne, Lehrziele, Lectionspläne, bei organiſchen 
Ginrichtungen, bei ven regelmäßig am Schluß bes Semefterd ab» 
zuftattenden Berichten und allen fonftigen Schulangelegenheiten, 


ö a ü 


— oT nn m de — 


650 Die Außern Angelegenheiten der Volkoſchule x. 


fowie zur Ausfährung ber ihm vom Überlehrer oder in ben Con⸗ 
ferengen in Betreff der Schule geworbenen Auftzäge; 

b) zur Zührung der Klafienbücher und der Abfentenlifien ; 

c) zur Hülfe des Oberlehrers in Bezug auf bie Sorge für das 
Schulgeräth, die Lehrmittel, die etwaige Schulbibliothel und zur 
Theilnahme an den Arbeiten, welche etwa für eine allgemeine 
Volksſchulbibliothel erforderlich find; 

d) zur Theilnahme an den Schulprüfungen und Schulſeierlichkeiten; 

e) zur Betheiligung an der Beauffihtigung der Schüler vor dem 
Beginn des Unterrichts und in ber freien Biertelitunde, enentuell 
auf den Schulmegen, fowie in einer etwaigen Strafitunde. 

8. 15. Es bleibt vorbehalten, diefe Befimmungen abzuändern ober 
ihnen andere hinzuzufügen. 


B. Amtsvorſchrift für den Oberlehrer an ber N. N. 
Gemeindeſchule. 


8. 1. Der Oberlehrer N. N. wird auf die vom Senate unter dem 
9. April 1866 betätigte Orbnung ſtadtbremiſcher Volksſchulen auf dem 
Grunde der kirchlichen Gemeindeverfafjung, welche mit gegenmwärtiger Amts: 
vorjhrift dem Oberlehrer behändigt worden ift, zunädhft und im Allge⸗ 
meinen, namentlich fomweit dieſelbe die ihm vorgeſetzten Behoͤrden und deren 
Zuftändigkeit gleichwie feine, des Oberlehrers Rechte und Pflichten bezeichnet, 
zur Nachachtung verwiefen. 

8. 2. Der O©berlebrer kann fein Amt nur am 1. April oder am 
1. October nach vorgängiger dreimonatliher Kündigung niederlegen. 

Derfelbe kann entlajlen werben, wenn er ſich beharrlich weigert, feine 
Amtspfliht zu erfüllen, oder doch diefelbe groöblich vernadyläjfigt, oder wenn 
er ſich eines groben Vergehens, eines unordentlihen Lebenswandels oder 
einer Verlegung der guten Sitte ober der Achtung gegen die ihm vorge 
jeßten Behoͤrden in folhem Maße ſchuldig maht, daß die Entlafjung im 
Intereſſe der Schule geboten erjcheint. 

Derfelbe muß fi) eine angemeflene Verwendung durch den Staat in 
dem Falle der Shulbeftimmungen ber im $. 1 gevadten Orb: 
nung im vierten Abfage gefallen lafjen. 

Seine Verfegung in den Ruheſtand erfolgt, — fei es auf feinen 
Antrag oder ohne einen folhen, — menn er wegen Altersſchwäche over 
körperlicher oder geiftiger Gebrechen, ohne fein Berfhulvden, zur Wahr: 
nebmung feines Amtes unfähig geworden ift, durch einen von ber Kirchen⸗ 
commiffion gefaßten und vom Scholarchate beftätigten Beſchluß. 

Das Ruhegehalt beitimmt fih nah Mafgabe des Art. 17 der m 
8. 1 erwähnten Ordnung. 

8. 3. Der Oberlehrer iſt der nächte Vorgeſetzte der übrigen Lehner 
und führt in dem Lebrercollegium den Vorſitßz. Ex wire den Lehrern in 
Allem mit gutem Beifpiele vorangehen und darauf halten, daß viejelben 
ihrer Inftruction vollftändig nadleben, aud ihnen in amtlichen Ungelegen⸗ 
heiten Hülfe und Anweiſung gewähren. 








Die Außern Angelegenheiten der Bı 


Er ift verpflichtet, alle Anträge, welche di 
ihrer Inſtruction ($. 4) durch ihn an die Behörbe 
der Behoörde mitzutheilen. 

8. 4. Der Oberlehrer bat das freundliche | 
Iufanmenmwirten der Lehrer zu fürbern, die gute £ 
zu erhalten und das fittlihe Verhalten der Schüler 
forgfältig zu beachten. Bei der Bulaflung unge: 
(Art. 42 Abſatz 2 der Ordnung ftabtbremifcher Vol 
8. 7 der Lehrerinftruction) hat er mit befonverer B: 

Der Negel nach bat er während. der ganzen 6 
keine Sehrftunden ertbeilt, im Schullocal oder in dei 
lofiung der Schüler zu verweilen und fein Vorfieh 
walten. 

Dem Oberlehrer ifi unter Verweifung auf $ 
gedachten Ordnung, die Ertheilung von Unterricht 
unterjagt. 

8. 5. Der Oberlehrer hat im Falle der Verhi 
durch Krankheit oder durch andere Umftände (8. 9 
ber ſtirchencommiſſion erjorderlihen Falls Vorſchlaͤge 
zu machen und bei Verhinderungen für kürzere Zeit - 
vorläufig — thunlichſt Aushülfe zu ſchaffen, indem 
ren eintritt, eventuell die Lehrer, welche er für geei 
fordert und dafür forgt, daß fie fo bald wie mögli 
erhalten. Nur wenn ein Bicariiren nicht thunlich ift 
biniren der Klafien oder in fonftiger Weife Rath zu 

8. 6. Der Oberlehrer hat in Betreff der Hand: 


der Methode des Unterrihts, der Ausmahl des ! | 
fonftigen, die Schule betreffenden Angelegenheiten t 
auf deren Verlangen Auffhlüfe zu geben. Sn feir : 


auf das Gutachten der Lehrerconferenz, in welcher er 
beiten zur Beratbung zu bringen hat, Rüdfiht zu nı 
Minoritätserachten mitzutheilen. 


8. 7. Der Oberlehrer hat orbnungsmäßig ein ® 


der Anftalt zu führen, in welhem deren Alter, Wohr 


nahme und Entlafjung derjelben bemerkt fi finden n | 


Schüler in der Schule dulden, welde nit in dem Bi: 


find. Gr bat dafür zu forgen, daß die Schüler, abgı 
Dispenfationen, regelmäßig alle Lehrſtunden befuchen, 

$. 8. Der Oberlehrer bat für die Aufzeichnung 
niffe und bie Anzeige derjelben bei der Behörde GSor | 
Schulverfäumnifien, Webertretung der guten Sitte und 
für die häusliche Erziehung wichtigen Vorfällen hat er 
in erbindung zu jeßen; auch bat er jede Webertretu: 
und Ordnung, namentlih des Verbots, ſchulpflichtig 
Schluſſe der täglihen Schulftunden zu Arbeiten zu vı 
börde anzuzeigen, 











652 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 


8. 9. Der Oberlehrer hat mit dem ihm untergebenen Lehrperjonal 

(8. 14. der Lehrerinftruction) eine befondere Sorgfalt der Anfertigung ber 
Schulzeugnifie, der Beftimmung der Klafie für neweintretende Schüler und 
der Berfeßung der Schüler in eine andere Klaſſe, der Ausarbeitung ven 
Lehrplänen, Lebrzielen, Lectionsplänen, fowie allen organiſchen Ginridy: 
tungen und für die Schule wichtigen Angelegenheiten zu widmen ; aud) für 
die Grhaltung der Schullocale, der Schulgeräthichaften und fonfliger der 
Scyule angehörender oder zur Förderung. des Schulweſens oder der Schüler 
bergeftellter Einricdytungen zu forgen und dafür die nöthigen Inventare und 
Gataloge zu führen; ferner die etwa erforberlihen Schulprüfungen und 
Sculfeierlichleiten zu ordnen, die Arbeiten unter die Lehrer zu vertbeilen 
und dabei mit Unparteilichleit zu verfahren. 
8. 10. Der Oberlehrer bat die Lebrerconferenzen zu leiten und mit 
Bezug auf 8. 10 der Lehrerinfiruction darauf zu adıten, dab in ihnen 
orbaungegemäß ein Protocoll geführt werde, weldes er mitunterzeichnen, fo: 
dann in ein Protocollbud eintragen lafien und dieſes der Behörde auf 
Erfordern vorlegen wird. 

Zu allgemeinen Gonferenzen, welde der Regel nad monatlih Ratt: 
finden ſollen, find alle Lehrer einzuladen, jedoch bleibt eg dem Vorſteher 
unbenommen, aus ſachlichen Gründen in einzelnen Fällen von der Ein- 
ladung einzelner Lehrer abzuſehen. 

Er bat darauf zu halten, daß die Eingeladenen erſcheinen, wenn fe 
von ber Theilnabme an der Gonferenz nit ausſsnahmsweiſe dispen- 
firt find. 

$. 11. Der Oberlehrer hat am Schluß jedes Semefters über den Zu: 
ftand der Anftalt der Kirchencommiſſion einen Bericht zu erftatten, welder 
ih über die Zahl der Schüler in allen Klafien, ihre Aufnahme, Entlefiung 
und ihr Verhalten, den Lehrgang, die feftgejeßten Lehrpenſen, die dabei 
erreichten Ziele und alle für das Schulleben wichtige Angelegenheiten und 
Vorfälle ausfprehen und dabei auf etwaige Unzuträglidleiten aufmerkſam 
machen fol. Zugleich bat er ven Lectionsplan des nächſten Halbjahrs, 
ſowie ein Verzeichniß etwaiger neu einzuführender Bücher und fonftiger 
UnterrichtSmittel zur Genehmigung vorzulegen. Yür fpätere Abweichungen 
von dem Lectionsplan hat er die Genehmigung nachzuſuchen. Außer dieſer 
regelmäßigen Berichterftattung hat er der Kirchencommiſſion über alle er- 
beblihen Vorkommniſſe, namentlid über Handlungen wider das Gefeb, bie 
gute Sitte und Ordnung, fowie über fonftige Mißftände wie ſchwere Er⸗ 
krankungen ber 2ebrer u. ſ. w. fofort zu berichten, auch Vorſchläge über 
deren Abbülfe zu machen. 

8. 12. Es bleibt vorbehalten, dieſe Beſtimmungen abzuändern oder 
ihnen andere hinzuzufügen. 


VII. Hamburg. 


1. Die fogenannte Line” bat in leterer Zeit bei Gelegenheiten, 
wo fie vorausſahe, daß fie bei ber Abftimmung unterliegen werde, bie 
Verfammlungen der „Bürgerfhaft” dadurch beſchlußunfähig gemacht, daß 








Die kußern Angelegenheiten ber 8 


fie das BVerfammlungslocal — verließ. Dies 2 | 
fo oft, daß verfafiungsmäßige Einrichtungen baruı | 
genöthigt war, dagegen Proteſt zu erheben. Die 

au feit Jahren die Yortentwidelung, die jo briı 
ganifation des dortigen Volksſchulweſens und die & 
Die Gründe für diefe bedauernswerthe Griheinu 
gewiß ſehr ehrenwertben Männer der „Linten” bh | 
der Gleihmaderei, und möchten nad biefem Pri 
geftalten. Das Leben widerſtrebt aber viefer ı | 
Schichten der Gefellihaft und zeigt fih darin a | 
Naturwüchſigkeit follte man ſchonen, und dem ! | 
drängen, was ihm zuwider ift. 

Man beruft fi für die beabfihtigte allge 
auf ähnliche Einrichtungen in der Schweiz. Das ve 
Sommer (1867), mir eine derartige Schule dort co 
Umftände nöthigten mich, die Schule in Thun di 
beſuchen alle Kinder der Heinen Stadt (3500 €.) 
ein und dieſelbe Schule. Dann fondern fih die Mı 
und wohlhabenderen Bürger ab und bejuchen eine 
cundarſchule, d. h. eine höhere Töchterſchule, ähr 
Deutſchland in den Städten haben; daſſelbe thun bie 
um in einer Secundarſchule von realiſtiſcher Yärbur 
aymnafium, in dem die alten Sprachen vorherrſchen 
langen. Der Reft von Mäpchen und Knaben, alfo | 
Eltern, bildet dann die eigentliche Volksſchule. Die 
für Thun und mande andere Stabt gewiß ganz zı 
Heinen Berhältnifje vielleicht nothwendig, Aber Ni 
urtheilsfreier Erwägung zu der Veberzeugung komme 
fammenfein aller Kinder in den Elementarklaſſen irg 
die Staͤndeunterſchiede abzufhwäden und eine größer | 
zeugen. Auch eine Förderung der Intelligenz und 
nicht erwachſen. Dagegen werben die Glementarllafie 
Beit an Weberfüllung leiden, durch die Unterricht und : 
tigt werden, wenn die Abhülfe, wie oft in folden 3 
warten läßt 

Auf die Schweiz ſollte man fih aljo in Hambu: | 

2. Unbeirtt von dieſen Streitigleiten gebt de 
fhaftlihe Bildungsverein’ ruhig feinen Gaı 
widelt eine überaus erfreuliche Thätigkeit. Er zählt je 
240 Beiörberer und 178 orbentlihe Mitglieder. Im 
jahre wurden 36 Berfammlungen abgehalten, nämlich | 
lungen und 6 Generalverfammlungen. In erfteren n 
halten, die entweder fih auf dem Felde der Päde 
den Mitgliedern irgend einen andern wiſſenſchaftlich 
führten. An bie gehörten Borträge knüpfte fih dann 
Discuffion. Wie groß das Intereſſe diejes Vereins fi 
beweiit wohl au des Umftand, daß Here Lehrer Sien 





654 Die Außern Angelegenheiten der Bolksfchule ꝛc. 


trage ſeine, Wunſche bei der zu erwartenden Errichtung eines Seminars 
in Hamburg“ darlegte. „Der Beſuch der Berfammlungen war durch⸗ 
gehends ein vecht zahlreicher und legte Beweis ab für den förbernden und 
anzegenden Einfluß folder Verhandlungen.“ Die Feſtrede bei ver 42jäb- 
rigen Stiftungsfeier des Vereins bielt der von den Allgemeinen beutjchen 
Lehrerverſammlungen ber vortheilhaft bekannte Schulvorfleher TZiedemann, 
ber in dem abgelaufenen Jahre Präfes des Vereins war. Sein gut durch⸗ 
geführtes Thema lautete: „Der Verein im Dienfte des Baterlandes.‘ 


3. Ueber die „Bereinigten Bürger: Kindergärten‘ bat 
Theodor Hoffmann als Präfes der Direction in einem „ Qahress 
berihte" Auskunft gegeben. Er erfüllte, wie es in dem Bericht heißt, den 
Auftrag der Direction mit befonderer Freude, da er nur Oünftiges zu be 
rihten hatte. Wir nehmen aus dem Berichte das Nachſtehende wörtlich 
auf, da es von allgemeinem Intereſſe ift. 


„Die Zahl der vereinigten Unftalten ift dieſelbe geblieben. Es war 
eine Erweiterung nicht rathſam, da einestheild es an paſſenden Localitäten 
fehlt und anderntheild eine große Anzahl von Privatlindergärten dem wach⸗ 
jenden Beduͤrfniß abhilft, auch namentlih mehr und mehr die Schulvor⸗ 
fteber es als zwedmäßig erfannt haben, einen Kindergarten mit ihrer Schule 
zu verbinden. GEs ift bier jedoch der Wunſch gerechtfertigt, daß man 
jeberzeit bei der Wahl der FKindergärtnerinnen umfichtig verfahren möge, 
da die Ideen Fröbels, wenn fie ungeihidt und ohne Verſtändniß im’s 
Leben geführt werben follten, in ihrer Entftellung leinen Anſpruch auf 
Anerlennung maden dürfen. Es muß in den älteren freunden ber ſtinder⸗ 
gärten eine erhebende Freude erweden, wenn fie wahrnehmen, daß diefe 
Sade, der fie vor vielen Jahren zuerit ihre Liebe und Pflege zumanbten, 
nunmehr ein Gegenftand allgemeiner Anerlennung geworben if. Die An- 
flogen, welche man früher gegen biefelbe erhob, find verftummt, die Ber: 
bote find in Vergeſſenheit gerathben, die Gegner find belehrt, theils fogar 
eifrige Förderer geworden. Nur bier und da erhebt noch ein Ginzelner 
feine Stimme .und kann fih nicht entihließen, den Thatſachen fein Ber- 
trauen zu ſchenken. Wir müflen freilich auch zugefieben, daß nicht immer 
die Einwendungen ohne Grund find. Sie find aber nit von der Sache 
an fih, fondern von der unvolllommenen, mitunter recht ftümperbaften 
und ungefchidten Ausführung bergenommen; ober fie find eine natürliche 
Folge der überjpannten und überſchwenglichen Forderungen, welche man an 
die Kindergärten macht und der Berheißung der wunderbaren Grfolge, vie 
fie erzielen ſollen.“ 

„Freunde und Yeinde follten mit beſonnenem und voruriheilöfteiem 
Blide an die Sache herantreten. Das würde die Folge haben, daß .erflere 
in ihrer Vorliebe beſtaͤrkt werben, leßtere aber, durch den Augenichein bes 
lehrt, ihren Wiverfpruh in lebreeihe Warnung vor Berirrungen we: 
wandeln.” . 

„Die Verwaltung der vereinigten Bürgerlindergärten bat in biejer 
Erwägung gerade eine bejondere Sorgfalt für die Anftalt an den Tag ge 
legt, in welcher fie ben jungen Mädchen, welche Kinvergärtnerinnen werben 








Die äußern Ungelegenheiten ber Volksſchule x. 655 


wollen, den gu dieſem Zwede nötbhigen Unterricht und praltiiche Anleitung 
gu heil werden läßt.” 

„Die früheren Jahresberichte geben ausführlich Nachricht über den 
Zweck und die Einrihtung diefer Anftalt. Ges ift bier alfo nur nöthig, 
den Beſtand vderjelben in Bezug auf den nunmehr abgeichlofienen Curſus 
darzulegen. Diejer Curſus zählte 16 XTheilnehmerinnen, von denen eine, 
leider durch Krankheit gezwungen, ausgetreten ift, während die übrigen bis 
zu Ende in demfelben verblieben find und mit lobenswerther Regelmäßigleit 
die ihnen gebotene Gelegenheit zu ihrer Ausbildung benugt haben, Der 
Gewinn, den jede einzelne Theilnehmerin aus der Anftalt mit hinweg 
nimmt, if natürlih ein ſehr verfchiebener; aber bei feiner vermifien wir 
den erniten Willen, fich für den ermwählten Beruf recht tüchtig zu machen, 
und da unfere Verwaltung aud den aus der Anftalt Entlafienen noch Ge: 
legenheit bietet, fi weiter auszubilden, fo ift gerade diefe Bildungsanftalt 
das nothwendige, aber auch vortrefilihe Mittel geweſen, unjere eigenen 
und viele andere Kindergärten, aud eine größere Anzahl von Familien, 
mit Lehrerinnen und Erzieherinnen im Sinne $röbels zu verſorgen.“ 

4. Hamburg hat feit einigen Jahren eine „öffentlihe Gewerbe 
ſchule“ und eine „Schule für Bauhandwerker“, die beibe unter 
der Direction von D. Jeſſen fleben und fi erfreulih entwideln. Dem 
uns gebrudt vorliegenden „Jahresberichte des Directors entnehmen wir 
die nachſtehenden Mittbeilungen. 

Die Gewerbeſchule bat die Aufgabe, vorzugsweife den Lehrlingen 
des Handwerker: und Gewerbeftandes Gelegenheit zu bieten, vie zur dr: 
derung ihres Berufes dienlichen theoretiichen Kenntniſſe fi zu erwerben und 
die nöthige Yertigleit im Beichnen und Modelliren fi) anzueignen. 

In der nah und nad erweiterten Schule find die Unterrichts: 
gegenftände der 4 Klaſſen folgenve: 

Klafie 4: Deutſche Sprache, Rechnen, Freihandzeichnen ; 

s 8: Deutihe Sprache, Flächen: und Körperberechnung, Alge⸗ 
bra, Freihandzeichnen, Zirkelzeichnen; 

⸗22 Geihäftsauffäge, Geometrie, Freihandzeichnen, Zirkel⸗ 
zeichnen; 

= 1: Buchführung, Naturlehre, Fachzeichnen für das Baufach, 
das Möbelfah, den Schiffbau, die Metallarbeit und 
die Kunfigewerbe, Entwerfen von Ornamenten, Model: 
liren in Thon. 

Außerdem wird in ber engliihen Sprade und dem kaufmänniſchen 
Nechnen Unterricht ertheilt und befteben befondere Abtheilungen im Frei⸗ 
handzeichnen für jüngere Lehrer und für Anaben, 

Die Klaſſen 3 und 2 find in je zwei 3b und 3a, 2b und 2a 
getbeilt, die Klafie 1 in Abtheilungen nad den verjchiedenen Fächern, 
während zugleih Parallelabtbeilungen gebildet werden, ſobald die Schüler: 
zahl in einer Klaſſe zu groß wird. 

Die Curſe ber Alafien 4, 3b, Sa, 2b und 2a find halbjährlid. 

Die Unterrihtsgeit fällt nach dem beigefügten Stundenplan 
vorzugsweife auf die Abende der Wochentage von 7 bis 9 Uhr und auf 


656 Die äußern Angelegenheiten ber Bolfsihule x. 


den Sonntagvormittag von 8 bis 12 Uhr, doch muß wegen der Beihränts 
beit des Locals auch die für Lehrlinge weniger paflende Beit von 5 bis 
7 Uhr an einigen Nachmittagen benugt werden. Das Zeichnen der Knaben 
findet am Mittwod und Sonnabend in 8 Abtbeilungen von 1 bie 8, 3 
bis 5 und 5 bis 7 Uhr ftatt. 


Die Aufnahme neuer Schüler findet um Oftern und Michaelis 
dur die jet aus den Herren D. Filby, E. 9. Blüer, €. ©. Vivie 
und dem Director beſtehende Commiſſion ftatt. ever Schüler wird je nad 
feinem Beruf und nad feinen Vorlenntnifien einer der Klaſſen oder Ab: 
tbeilungen zugewiefen, doch werden Abänderungen in der Benubung bes 
für jede Klaſſe vorgefchriebenen Unterriht3, wie aud vie Theilnahme an 
dem Unterricht anderer Klaſſen geitattet, wenn entweber der Schüler ba- 
duch das Ziel, in der Schule eine gediegene Fachbildung fih anzueignen, 
auf kürzerem Wege erreihen kann, oder wenn äußere Berhältnifie Aus: 
nahmen von der Regel erforderlih machen. 

Das Schulgeld beträgt für die 4., 3. und 2. Klaſſe 7 7%, 
für die 1. Klaſſe 10 Z und für das Glementarzeichnen der Anaben 5 2 
halbjaͤhrlich. 

Die Schule für Bauhandwerker bietet Bauhandwerkern ven: 
jenigen tbeoretiihen Unterriht und diejenige Anleitung im Zeichnen und 
Modelliren, welche biejelben zu einer gründliden und umfaflenden Aus: 
bildung in ihrem Berufe bebürfen. 

Die Gegenftände des Unterriht3 und der Uebungen 
find in den 3 Klaſſen: 





— —— — 





Wochentliche Stundenzahl: 
81.3. 2. 
1. Deutſche Sprache und Beihäjtsauffäbe . 4 2 | — 
2. Buchführung. . . . — — 2 
8. Rechnen. 4 — — 
4. Matbematil . ren 9 10 4 
5. Nature . . . 3 4 4 
6. Freihandzeichnen (Drnamentzeihnen) . . 12 8 6 
7. Birlelzeihnen . 10 — — 
8. Darſtellende Geometrie Schatienlehre, 
Steinſchnitt, Perfpetive) . . . — 10 8 
9. Baukunde, Bauconftructionslebre, Bau: 
toftenberehnung,, Bauzgeihnen . . .» 12 14 24 
10. Modelliren in Holz oder in Thon . . — 6 6 
54 54 54 


Der vollftändige Cur ſſus umfaßt 3 Winterhalbjahre, jedesmal von 
Anfang November bi Ende März, dergeftalt, daß ber Schüler im jedem 
Winter eine der 3 Klaſſen durchzumachen bat. 








Die Unterrich tözeit ift an den Wocentagen von 8 Uhr Morgens 
bis 7 Uhr Abends mit angemefjenen Unterbrehungen. 

Die Aufnahme ver Schüler findet alljährlih in der letzten Hälfte 
des Monats October ftatt und nimmt der Director bis dahin Anmeldungen 
entgegen. 

Das Schulgeld beträgt für jeden fünfmonatlihen Winter : Curfus 
75 4 Ct. . ’ 

Im Laufe des legten Jahres wurde der Lehrplan der Gewerbeſchule 
dadurch erweitert, daß von Midaelis an die Englifhe Sprache, das kaufe 
männifhe Rechnen und das Entwerfen von Ornamenten für Maler, Lithor 
graphen u. ſ. w. unter die Lehrfäher aufgenommen und daß ein befonderer 
Unterricht im Freihandzeichnen für Lehrer zur unentgelvlihen Benugung 
eingerichtet wurde. Für die erfigenannten Fächer machte fih das Bes 
dürfniß geltend; dur den Unterricht für Lehrer follte auf das Zeichnen 
in unfern Schulen fördern eingemirkt werden, damit bie Knaben in den⸗ 
felben eine beſſere Vorbildung im Zeichnen erlangen. Cs fand dieſe Maaf- 
nahme in Lehrertreien ſolchen Anklang, daß gegen 70 jüngere Lehrer in 
2 Abtheilungen den Unterricht benußten. 

Seit dem Beftehen der Schule hat eine erfreulihe Zunahme an 
Schülern flattgefunden Während die Schule am 7. Mai 1865 mit 190 
Schülern eröffnet wurde, betrug die Zahl im verflofienen Sommerhalbjahr 
377, im gegenwärtigen Winterhalbjapr 579, über deren Vertheilung 
auf die einzelnen Klaſſen die anliegende Bufammenftellung Näheres 
enthält. 

Nicht allein die Zunahme an Schülern, fondern auch die Betheiligung 
der Mehrzahl derjelben an dem Unterricht in einer nicht geringen mödent- 
lichen Stundenzahl, ift ein ſehr erfreulihes Zeichen für das mehr und 
mehr zu Tage tretende Streben des Gemwerbeftandes, die in der Schule ger 
botenen Mittel, eine angemefiene Ausbildung für den Beruf zu gewinnen, 
nicht ungenußt worübergehen zu lafien. Aus der angeführten Bufammens 
ftellung geht hervor, daß 258 Schüler wöchentlich 8 und mehr Stunden 
benugen. Neben 374 Lehrlingen beſuchen jeßt 43 Gehülfen den Unterridt. 
Wenn aud aus manden Zweigen des Handwerks und Gewerbes noch gar 
feine oder nur einzelne der vielen Lehrlinge und Gehülfen, melde in unferer 
Stadt Beihäftigung finden, der Schule angehören, fo zeigt doch die ans 
liegende Ueberſicht eine recht erfreuliche Betheiligung von Seiten mehrerer 
Gewerbe und zwar für mande eine bedeutende Zunahme im Bergleih zu 
den in dem vorjährigen Bericht angeführten Zahlen. Ueber die Theil« 
nahme an den einzelnen Unterrichtöfächern giebt die Anlage Auskunft. 


VOL Lübed, 


Nr. 33 der Allgemeinen deutſchen Lehrerzeitung (1866) enthält eine 
Mittheilung über das Lübeder Schulmefen, aus ber man deutlich herauss 
lieſt, daß es damit nicht vorwärts gehen will. Der Verſaſſer giebt nicht 
unbeutlih zu verftehen, daß „mit der Dummheit ſelbſt Götter wergeblih 
tämpfen”. Männer von zweifelhafter Bildung, aber großer Gleihgültigfeit 








658 Die äußern Ungelegenbeiten ber Volksſchule x. 


gegen das Schulweſen entjcheiden über daſſelbe, während man bie Fach⸗ 
männer ungefragt läßt. 

Das ift der Fluch der Nleinftaaterei, der „beredhtigten Eigenthümlich⸗ 
keiten”, die man fo gem conferviren möchte. 


RL. Königreid Sadfen. 


1. Gegen den Schluß des vorigen Jahres bat das Unterrichtsmini⸗ 
ferium eine Sonferenz fämmtliher Seminardirectoren ver 
anlaßt, an welcher aud die Kreispirectoren und Kreisſchulräthe Theil nahmen. 
Als Refultat derjelben tft anzufehben, daß namentlid dem Unterridt im 
Deutſchen, in der Mathematil und in den Raturmifienfchaften mehr Seit 
gewidmet und die Zahl der Seminarlehrer angemefien vermehrt werden 
fol. Diefer Beihluß darf auf den Beifall der Lehrer und ſicher aud) der 
Seminarlehrer rechnen. SHerbeigeführt ift derfelbe gewiß durch die bekannten 
Berbandlungen der fählishen Lehrerverfammlung des Jahres 1864 worden, 
wenn das auch der Verfafler der Schrift: 

14. Zur Seminarfrage. Polemiſche Klugichrift zur Feier bes am 7. Ja⸗ 
nuar 1867 bevorflehenden 25jährigen Stiitungstages des königl. Schuliehrer- 
Seminars in Annaberg verfaht von Ebr. edr. Schmidt, Seminar- 
— im Annaberg. gr. 8. (52 ©.) Aunaberg, H. Graſer. 1867. 


in Abrede ftellt. Dieſe Schrift rührt dieſe ganze Angelegenheit wohl über: 
haupt zu jpät noch einmal auf. Wir geben zu, daß der Verfafler manch 
wahres Wort über Bildung und Erziehung durch die Seminare fagt; aber 
der Ton, in den er dabei oft verfällt, wenn er auf die Tadler der gegen: 
wärtigen ſächſiſchen Seminare zu fprechen fommt, berührt nicht angenehm. 
Es mag ja in der Hitze des Gefechts in jener ſaächſiſchen Lehrerverſammlung 
manch hartes, nicht immer genügend begründetes Urtheil über die Seminare 
gefallen jein; aber nad reichlich zwei Jahren von der Stubirftube aus, 
in der jeves Wort wohl erwogen werben kann, nod in diefer Form ant: 
worten, ift nicht zu billigen. Wir unfererfeitd würden eine ruhige Dar: 
legung der bisherigen Leiftungen des Seminars zu Annaberg mit viel 
mehr Befriedigung gelefen haben, als dieſe „Bolemifche Flugfchrift”. 
Ein Büchlein diefer Art hätte ohnehin bleibenden Werth gehabt, während 
eine polemifche „Flugſchrift“ ihren Werth mit Beilegung des Streites ver: 
liert. Beigelegt ift der Streit freilich noch nicht, aber mindeſtens — halb 
vergefien. 

2. Der no immer herrſchende Lehrermangel hat die Regierung 
gendtbigt, von den Ständen 45,000 Thlr. zur Errichtung eines neuen 
Seminars zu fordern. Bei den PBerhandlungen darüber ift in ber 
Ständeverfammlung mand gutes Wort über Lehrerbildung und über die 
pecuniäre Befierftellung der Lehrer gefprochen worden. 

Am 29. October 1866 wurde in Dresden-Friedrihftadt ein 
neues Lehrer» Seminar:Gebäude eingeweiht und von dem Kreis: 
director Nönnerig dabei die Rede mit verwandt, welhe Dinter bei Ueber 
nahme des Directorats diejer Anftalt gehalten hatte. Da der jegt zum 








Die Augern Angelegenheiten der Volksſchule x. 659 


Director diefed Seminars beftimmte Seminarlehrer Kodel nur eine femina- 
riſtiſche Bildung erhalten bat, fo mußte fich derjelbe der geſetzlich vor: 
gefehriebenen Prüfung bei der Univerfität Leipzig unterwerfen. 

3. Beim Anfang des zweiten Univerfitäts-Semefterö haben bereits 15 - 
jeminariftifch gebildete Lehrer von der Erlaubniß, die Univerjität 
zwei Fahre beſuchen zu dürfen, ohne vorher ein Maturitätäzeugniß von 
einem Gymnaſium beizubringen, Gebrauch gemadt. 

4. Das Unterrihtsminifterium bat verfügt, daß zu den Sitzungen 
des Schulvorſtandes künftig auf vem Lande der Händige Lehrer, 
oder wo ſich mehrere ſolche befinden, der erite derjelben, in den Städten 
der Schuldirector oder ber erite der ftändigen Lehrer, in den größeren 
Städten eine ortöftatutarisch zu beftimmende verbältnißmäßige Zahl 
von Schuldirectoren in der Regel zu allen Sitzungen des Schulvor: 
ftandes eingeladen und mit beratbender Stimme zugezogen werden follen. 


Die Stadtverorbneten: Berfammlung in Dresden bat bejchloflen, 
der Schuldeputation drei Schuldirectoren beizugeben. 


Diefelbe Behörde fahte den Beſchluß, den Stabtrath aufsufordern, 
auf eine Trennung der Schule von der Kirche hinzumiren. 

5. Eine kurze, aber jehr interefiante Biographie des hochverdienten 
verftorberen Seminardirecors Johann Gottlieb Drepler, deſſen 
Ihon Seite 208 gedacht worden ift, findet fih in Nr. A6 und 47 ver 
Allgemeinen deutſchen Lebrerzeitung von 1867, verfaßt von U. Weber 
in Dresden. 


X, Sachſen-Weimar-Eiſenach. 


Das patriotifche Inftitut der Frauen vereine des Großherzogthums 
Sadjen: Weimar, gegründet 1815, unterhält gegenwärtig im Lande In⸗ 
duftrie-Schulen, welche von ca. 5300 Kindern befucht werden, 10 Kinder 
Bewahranftalten mit 600 Kindern und 77 Erwerbsſchulen. 


XI Sachſen-Coburg-Gotha. 


Das Seminar in Gotha erfreut fih unter Schulrath Dittes Leitung 
des beiten Fortganges. Der „Zweite Jahresbericht” über daflelbe bringt 
nur Grfreulihes. Das Seminar enthielt im verflofienen Schuljahre 52 
Böglinge, darunter acht aus dem Fürſtenthum Waldeck, vie nad erlangter 
Ausbildung wahrjcheinlih wieder in die Heimath zurüdkehren. Die 12 
Seminariften, welde ihren Rurfus zum 1. April 1867 vollendet hatten, 
erhielten nad) ftattgefundener Abgangsprüfung alle dag Recht der Anitel- 
Iungsfäbigleit. Die in dem Jahresberichte mitgeteilten Aufgaben zu 
fchriftlihen Prüfungsarbeiten, ſowie die „Ueberſicht des im Schuljahre 
1866/67 ertheilten Unterrichts‘ lafjen erkennen, daß das Seminar ganz 
den Anforderungen der Gegenwart entipriht, und daß recht Züchtiges in 
vemſelben geleiftet wird. - 

42* 


660 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule ꝛ 


Das berzoglide Staatöminifterium nimmt ben regfien Antheil an ver 
Gntwidelung der Anftalt, und läßt viefelbe nad keiner Beziehung bin 
Mangel leiden. 

Das Seminar kann die für das Land erforderlihen Lehrer noch nicht 
in genügenver Zahl liefern; es mußten daher zeitweile vier Seminarifien 
als Schulvicare verwendet werden, ein Umftand, der zu bevauem if. 

Der genannte Jahresbericht enthält außer den Schulnadhrichten ⁊c 
auch noch eine recht interefiante Arbeit über „die Gründung und erſte Ein 
richtung des gothaiſchen Schullehrerſeminars von dem ſehr thaͤtigen Se⸗ 
minarinſpector Kehr. Sie iſt ein Bruchſtück aus der vom Verfaſſer nach 
amtlichen Quellen bearbeiteten und im dortigen Seminarardiv niedergelegten 
„Entwickelungsgeſchichte des gothaifchen Boltsihulmeiens.” Hoffentlich wird 
der Berfafler den Neft dieſer Arbeit nit im Seminararchiv vergilben 
laſſen, fondern im Intereſſe der Geſchichte der Pädagogik veröffentlichen. 


XH. Sahjen-Altenburg. 


Ueber das Schulweſen viejes Landes fehlen uns au in diefem Jahre 
Mittheilungen. 


XII Sahjen- Meiningen: Hilbburghaufen. 


1. „Zur diesjährigen Aufnabmeprüfung am Seminar in 
Hildburghaufen hatten fib 17 Aſpiranten gemeldet, von welden 7 
ſchon die vorjährige Prüfung mitgemadht hatten. 11 wurden aufgenommen, 
4 auf Probe zugelafien, 2 wegen ungenügenver Leiſtungen, reſp. wegen 
- zu jugendlichen Alters zurüdgeſtellt.“ (Schul⸗Archiv Nr. 68, 1866.) 

Mit dem Zeugniß der Reife wurden 13 entlafien. 

Degen Lebhrermangel wurden aud in biefem Jahre wieder 3 Semi: 
nariften vor vollendetem Kurfus zum Schuldienft entlaffen. 

2. Das Sonferenzleben im Herzogthum ift ein erfreuliches, wo: 
von die Protokolle darüber im Schul-Arhiv Kunde geben. 

3. Mein Referat im XVII. Bande des Pädag. Yahresberidhts über 
einen Conferenz:Vortrag des Pfarrers Dittmar, das Berhältniß 
der Kirche zur Schule betreffend, hat eine Entgegnung feitens des 
BVortragenden erfahren. (Nr. 6 des Schul⸗Archivs, 1866), der eine fo große 
Reihe von Abfertigungen durch Lehrer des Herzogthums gefolgt find, daß 
ih nicht nöthig habe, hier noch auf diefelbe einzugeben. Liegt dem Herrn 
Pfarrer etwas daran, meine Anjicht über dieſen Gegenftand noch etwas 
genauer fennen zu lernen, fo findet er dazu Gelegenheit in meifler ſchon 
oben genannten Schrift: „Weber den Ginfluß der Geiftlihen in ihrer amt: 
lihen Stellung zur Schule. Mit Bezugnahme auf Schentels Thefen, be 
trefiend das Recht der Kirche auf die Schule.” 


XIV. Die Fürftenthümer Reuß. 


Das Schulmelen der Stadt Gera entwidelt ih, wie wir ans bem 
Oftern 1867 erfjhienenen „Programm der Gefammtftabtichule” erjeben, 





Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule c. 661 


mit jedem Sabre mehr und befier. Bon den mannigfachen Veränderungen, 
welche nad) und nad nöthig wurden, ift die für weitere Kreiſe von Intereſſe, 
welche die vritte Bürgerfhule ins Leben rief. Sie enthält die Kinder 
der aͤrmſten Bewohner Gera's, und ift mit Nüdfiht darauf organifirt. 
Herr Director Zorey fagt darüber in feinem Programm Folgendes; 

„Die dritte Bürgerſchule (vierte [unterfte] Abtheilung ver Ge⸗ 
ſammiſtadtſchule) iſt aus der ehemaligen Rathsfreiſchule, mit welcher 
noch die Abendſchule verbunden war, durch die dazu berufenen Behör⸗ 
den mit Oſtern 1866 gebildet worden. Es hatte ſich ſchon längſt die 
dringende Nothwendigkeit herausgeſtellt, die Abendſchule im Intereſſe 
der Jugend, der Erziehung und des Unterrichts aufzuheben. Die drei für 
jedes Geſchlecht beſtehenden Klaſſen der Rathsfreiſchule mußten, beſonders 
die erſten, von Slindern von zu verfchiedenem Alter zu gleicher Zeit be⸗ 
ſucht werden. Ginige Lehrgegenftände, melde in jetziger Beit zur Bildung 
gefordert werben, fehlten; vie Lehrziele mußten gehoben werden. Zugleich 
follte aber aud die Möglichkeit vargeboten werden, daß bie älteren Knaben 
und Mädchen durch Beihülfe in den Yabrilen und fonftige ‚Arbeit Etwas 
zu verdienen Gelegenheit erhielten. Es murben ſechs Knabenklaſſen und 
fünf Mäpcenklafien eingerichtet; die unterfte war eine gemijchte Clementar: 
klaſſe. Die drei erften Knabenklaſſen haben bloß‘ Vormittags, die zwei 
erften Maͤdchenklaſſen bloß Nachmittags Unterriht je vier Stunden binter 
einander, mit einviertelftündiger Paufe nach zwei, und zehn Minuten nad 
drei Stunden; bie übrigen Klafien der Knaben und Mäpdyen, welche noch 
nit zur Arbeit benußt werben, erhalten tbeild Vormittags, theils Nach⸗ 
mittags ihren Unterriht. Cine große Anzahl von bier heimathäberedhtigten 
Schülern und Schülerinnen genießen ganz freien Unterricht; die übrigen 
bezahlen ein ſehr geringes Schulgeld. Der Eintritt in diefe Schule jebt 
zwar die bejondere Erlaubniß des Schulvorftandes, nicht freie Wahl, voraus; 
der Eintritt kann jet aber auch lindern geftattet werben, deren Eltern in 
Sera nicht heimathsberechtigt find. Diele Möglichkeit wird namentlich auf 
die Brequenzverbältnifie der zweiten Bürgerfhule Ginfluß haben. Die 
Säule konnte nun als Theil der Geſammtſtadtſchule mit befiern Lehr⸗ 
mitteln verjeben werben; den Lehrern fieht von nun an das Recht zu, bei dem 
Unterricht die Sammlungen und die Bibliothek der Gefammtfchule zu benutzen.“ 

Die für die Finder der ärmeren Klafien der Stadt aud der Wohl: 
thätigleitsfinn fi fund giebt, darüber berichtet das Programm ebenfalls. 

„Die Chriftbefhheerung, heißt e8 S. 35, wurde in den eriten Tagen 
des Januar in feftliher Weife begangen. Es fanden Anſprachen von 
Seiten der Herren Lehrer zu Anfang, fo mie des Herrn Kirchenrath von 
Eriegern am Ende ftatt. Dazwiſchen wurden von den Kindern Gefänge 
und poetiſche Stüde vorgetragen. Es war im höchften Grade erfreulich, 
daß fo reichlihe Gejchente und Gaben eingegangen waren, und daß in 
Folge davon fein Kind troß der namhaft größez gewordenen Anzahl un: 
beiheuft geblieben if. Dank dafür allen edlen Gebern und gemeinnüßigen 
Bürgern Gera’s! Außerdem bat auf Antrag des Schulvorftandes der 
Gemeinderath 30 Thaler zu Prämien verwilligt, welche bei dem zum erften 
Male abzuhaltenden öffentlichen Oftereramen vertheilt werden follen.“ 





662 Die äußern Angelegenheiten ber Vollksſchule x. 


XV. Die Yürftenthümer Schwarzburg. 


Der Herr Seminurdirector Helmrich in Sondershauſen bat unter 
dem Titel 


15. „Das Fürſtliche Landesſeminar und bie Seminarſchule zu Sonbersbaufen. 
Einrihtungs: und Lehrpläne, nebſt Schulnachrichten von 1860 bis 1866. 


eine Schrift erfcheinen laſſen, die dankenswerthe Auskunft über dieſe An: 
ftalten giebt und den Geift erfennen läßt, welder in denſelben herrſcht. 
Sie umfaßt 135 Seiten gr. 3, und behandelt Alles ziemlih ausführlich. 
Der erfie Abfchnitt handelt vom Seminar und verbreitet fi über 
Folgendes: 
A. Allgemeine Ordnung. 


I. Das neue Seminargebäube. 

DI. Behörden und Seminarperjonal. 
III. Aufnahme in das Yandesjeminar. 
IV. Gntlafjung aus dem Seminar. 


B. Lebensordnung. 


1. Das religiöfe Leben in der Anftalt. 
2. Das Leben in Arbeit und Ordnung in und außer der Anftalt. 


C. Lehrordnung. 
1. Bwed und Umfang be Seminarunterridt®. 
2. Lehrweiſe. 
3— 10. Der Unterricht in den einzelnen Gegenftänden. 
11. Unterrihtsplan. 
12. Die praktiſche Ausbildung der Geminariften. 
13. SJahrescenfuren. 14. Die Ferien. 
Anhang. 
D. Präparandenorbnung. 
Dualification der Präparanden. 
Borbereitungsftätten der Präparanden. 
Grundzüge der Präparandenbilbung. 
Lebrinftruction zur Präparandenbildung. Sie verbreitet ſich über 
ſaͤmmtliche Unterrichtögegenftände, 


E. Beigaben. 


Unterrrichtsplan über die wöchentlichen Lectionen des Landesjeminars. 
Didaktiſche und pädagogiſche Themata zu den freien Ausarbeitungen. 
Schriftenverzeihniß ver Privatlectüre, 

40 Choralmelodien zum Auswendiglernen. 

Verzeichniß der früheren und gegenwärtigen Zöglinge des Landes 
jeminarg. 

Das Hauptbudh. 

Die Cenfurgrabe, 


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Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 668 


8. Das Abiturientenzeugnib. 
9. Das Inventarverzeihniß mit Bücerlatalog und Altenrepertorium. 

Man erfieht aus diefer Ueberſicht, daß Nichts von Belang vergejien ift. 

Mir heben Ginzelnes aus dem reihen Vorrath aus. 

Abgangsprüfung. „An fchriftliden Arbeiten werben 6 gefertigt: 
eine pädagogijche, eine religiöfe, ein deutſcher Auffaß, eine muſikaliſche, 
eine weltkundliche (alternirend mit einer mathematiſchen) und eine pomo⸗ 
Iogifhe Arbeit, welde nad erfolgter Correctur, mit Cenſur verfehen, an 
die Oberſchulbehörde mittelft Bericht eingefandt werden. Man beabfichtigt 
für die Folgezeit Abänderung dahin zu treffen, daß die beiden zuleßt ge: 
nannten Ausarbeitungen in Wegfall gebraht und an ihre Stelle eine 
Reihe von Themen und Fragen aus den verſchiedenen Willensgebieten ge: 
feßt werden, die in kurzer Form und innerhalb knapp zugemefjener Seit 
unter Clauſur ihre Erledigung zu finden haben, und bezwedt mit dieſer 
Ginrihtung einen Prüfftein mehr zu befommen, um den Grab der geiftigen 
Ausbildung, den Fond der gejammelten Kenntnifie und die Sicherheit im 
correcter Darlegung der Gedanken umfaflend kennen zu lernen.‘ 

Die mündlide Prüfung erfolgt unter Anweſenheit eines oberbehörb» 
lichen Commifjars durch das Lehrercollegium. Das Ergebniß der Prüfung 
wird von der Commilfion protolollariih zufammengeftellt und darnad das 
Abgangszeugniß ausgefertigt. 

Die Cenfurgrade zerfallen in 

1. Ginzelnoten: 
A. Für Anlagen, Fleiß und Seiltungen in 5 @rabe: 


1 = recht gut; 

2 = gut; 

3 == genügend; 

4 = gering; 

5 — ungenügend; 


B. Für das jittlihe Verhalten in 2 Grabe: 

1 = tadelfrei; 

2 nicht immer tabelfrei. (Nöthigenfalls wird das Ur: 
tbeil über das Verhalten des Schülers durch BZufäpe 
zum zweiten Cenjurgrade näher präcifirt.) 

DL. $Hauptnoten in 3 Grabe: 

1 = redt gut; 

2 — gut; 

3 — genügend. 

Die Lehrgegenftände werden für die Genjurbeftimmung in Haupt: und 
Nebenfächer eingetheilt. Als Hauptfächer werben angeſehen: Pädagogil, 
Religion, Sprache, Mufil, Rechnen und praltiihes Schulhalten; die übrigen 
Unterrichtögegenftände gelten ald Nebenjäder. 

Da diefe intheilung der Unterrihtsfäher auch zur Kenntniß der 
Seminarifien gelangt, fo balten wir fie in Bezug auf deren Fleiß für vie 
Nebenfächer für nicht ganz unbedenklich. 

Das religiöfe Leben in der Anftalt. „Die Andacht, bie 
täglih vor Beginn des Unterrihts abgehalten wirb und gewöhnlid) die 


664 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule. ꝛc 


Zeitdauer einer Viertelftunde in Anſpruch nimmt, will das Gemüth erbauen, 
in die Schriftlenntmiß einführen und die Tagesarbeit jegnen. DerGefang 
von 2 Verſen aus einem Kirchenlieve mit Orgelbegleitung eröffnet die An- 
dacht; daran reiht fih das Verlefen einer Schriftftelle, worauf das 
Spreden eines Gebetes, 3. B. des Morgenfegens, bez. Beten des apo: 
ftoliiden Glaubens folgt. Baterunfer, das zeitmeife gemeinfam geſprochen 
wird, und Gejang von einem Liederverje fchließen die Andacht. Die Ber: 
lefung der Echriftworte gefhieht durch einen Seminariften; nur Montags 
leitet der Director durh Lefung und kurze Erklärung eines Pjalmes die 
Andacht. Sonnabends wird in dem einen Jahre die evangelifhe, in dem 
andern Jahre die epiftoliihye Berilope, an den übrigen A Wochentagen 
werden ein Jahr lang Abfhnitte aud dem 2. T,, in dem daraus 
folgenden aus dem N. T. geleſen.“ 

„Die Auswahl der Bibelabjhnitte erfolgt mit Rüdficht auf 
die für den Seminarunterricht geordneten Bibelcurfe, und geht in gemifler 
Hinfiht parallel mit diefen. Die Länge derfelben ift felbftverfiänpli von 
ihrem inneren Zuſammenhange abhängig, darf aber das Maf von höchftens 
etlichen zwanzig Verſen nicht ühberfteigen. Gewöhnlich werben deren nur 
menige beftimmt, da erfahrungsmäßig eine geringe Anzahl derſelben genügt, 
um auf Geift und Gemüth der Zöglinge befrudhtend einzuwirken und die 
rechte Gebetsftimmung zu erzeugen.” 

Diefe Morgenandagten jcheinen uns zu zufammengejegt und zu lang. 
Auch verfolgen fie fremdartige Zmwede, indem fie das Lefen von Bibel: 
abfchnitten hineinziehen. Auch das apoftolifhe Glaubensbetenntniß if 
jchwerlid) etwas, was ſich zum „Beten“ empfiehlt. Wir halten dafür, daß 
in die „Morgenandadht‘ nichts weiter gehört, als das Epredhen ober 
Leſen eines kurzen Gebetes, ausgeführt durch einen Lehrer, und das Gingen 
einiger Liederftropben. Wer ſich nicht in die Gebetsfiimmung zu verjegen 
vermag, jobald Gejang und Gebet beginnen, der wird auch dur das An- 
hören eines Bibelabfchnittes nicht dazu kommen. Auch das Erklären eines 
Pfalmes dürfte kaum für die Morgenandadt zu empfehlen fein; Erklärungen 
gebören in die Lehrfiunden. 

Das Leben in Arbeit und Ordnung in und außer ber 
Anftalt. Die Einleitung zu dieſem Abfchnitt lautet: „Um die Semi: 
nariften zu einem Leben in gemeinfamer Thätigteit und 
lebensfrifher Ordnung zu führen, müflen alle pofitiven Vorſchriften 
und Einrichtungen bis in das Cinzelnfte und Kleinſte geregelt werden, obne 
jevod ins Kleinliche und Pedantifche zu verfallen, und ohne der indivi⸗ 
duellen und jelbftändigen geifligen Entwidelung der Zöglinge und der 
Greibeit in ihren Bewegungen einen Zwang anzuthun. Es wird baber 
jede ängftlihe Ueberwachung der jurigen Leute vermieden, alle Freiheit ge 
ftattet, die mit den als nothmendig erlannten und aufgeftellten Orbnungen 
im Einklang zu bringen ift, und dahin geftrebt, daß fie ſich aud ohne ftete 
unmittelbare Aufjiht fo betragen, wie es für künftige Lehrer ſich geziemt. 
Getragen von dem religiöfen Geift, der durd die Anftalt gehen muß, wird 
bad Leben der Zöglinge während ihrer Eeminarbildungszeit ein Leben 
in Arbeit und Thätigkeit, in Zuht und Ordnung fein müflen; 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 665 


denn im Leben ift überall Werden und Bewegen, Wachen und Fortichreiten, 
nirgends Stillſtand. Wer daher nicht fortgeht, geht zurüd, und mer nicht 
zunimmt, nimmt ab.‘ 

Mit diefen Grundfägen find wir ganz einverftanden. 

Zwed und Umfang des Seminarunterrihtd. „Die ein 
zelnen Lebrgegenftände werden nicht mit gleicher Vollftändigleit und 
Ausführlichkeit gelehrt; fie zerfallen vielmehr in zwei nah Grad und Um: 
fang der Behandlung ſich weſentlich von einander unterſcheidende Öruppen. 
Zur erften Gruppe gehören folhe Lehrgegenftände, die fih auf 
die wefentlihen Grundlagen des Glementarunterridhts be 
ziehen, der in Abfiht auf das innere Verſtändniß und die lebendige An⸗ 
eignung bes Oegenftandes zmedmäßig zu ermeitern, tiefer zu begründen und 
zu verinnerlihen if. Sie find: Paͤdagogik, Religion mit Anſchluß der 
Katechetik, Mutterſprache, Mufit und Rechnen. Die Lehrgegenftände 
jweiter Ordnung beziehen fih auf die allgemeine Zeit— 
und Voltsbildung und find nah Maßgabe des Standpunkte der- 
felben nur in ihren Umrifien partienweis und mit fteter Rückſicht auf das 
praftiihe Leben zu behandeln. Hierher gehören: Geometrie, Geſchichte und 
Geographie, Naturgeſchichte und Naturlehre, Obfibaufunde, Schönjchreiben, 
Zeichnen und Tumen. Durch die richtige Würdigung der Bedeutung und 
der Auspehnung der einzelnen Lehrgegenftände wird am ficherfien einer 
Halb: und Bielwifjerei und Oberflächlichkeit vorgebeugt, eine Bertiefung 
ber Geifter in die wejentlichen Gegenftände des Unterrihts, fo wie eine 
methodiſch⸗ elementariihe Grläuterung verfelben ermöglicht und daburd eine 
praltiſch⸗päãdagogiſche Lehrtüchtigkeit der evangeliſchen Volksſchullehrer erzielt.“ 

Dieje Eintheilung der Lehrgegenftände fteht auf ſchwachen Füßen. Wir 
baben nichts einzumenden, wenn Pädagogik, Religion und Mutter: 
Sprache als beſonders wichtige Gegenftände eine Seminars hervorgehoben 
werden; aber wie fommen Muſik und Rechnen zu diefer Chre? Wird 
der Gefang in dem Umfange in der Elementarihule getrieben, daß dafür 
eine ganz befondere Befähigung feitens der Lehrer erforderlih wäre, alſo 
eine möglihft hohe muſikaliſche Bildung verjelben erzielt werben müßte? 
Es ift das nicht der Fall; die Mufit ift ſonach ein Lehrgegenftand, „der 
fih auf die mwejentlihen Grundlagen des Glementarunterrihts bezieht” ; fie 
wird vielmehr nur darum zu einem Hauptfadh erhoben, damit die Lehrer 
tüchtige Kirchen diener werden. Das Rechnen ift ein nothmendiger Lehr: 
gegenftand, nothwendig für das praftifche Leben, erfprießlich zur Bildung des 
Denkvermögens. ber die Bildung des Denkvermögens, melde durch das 
Rechnen erzielt wird, ift eine durchaus einfeitige; es darf daher dem Rechen⸗ 
unterricht nicht der Merth beigelegt werden, der ihm bier zuerkannt wird. 

Der Realunterricht wird geradezu ftiefmütterlich behandelt, wie fhon 
die Zufanimenfafiung der hierhergehörigen Gegenflände unter der Bezeichnung 
„gemeinnüßige Kenntniſſe“ (S. 25) beweilt. Es ift der Rochow'ſche Grunds 
fag, der dafür aboptirt wird, und den wir total verwerfen müflen. Diefer 
Grundfaß iſt es, der es zu einer der Sache felbft würdigen Anſchauung 
nicht kommen läßt. Nicht nad dem gemeinen Nupen ift der Werth der 
Lehrgegenftände für Seminar und Schule abzumefien, fondern nad dem 


666 Die äußern Angelegenheiten ber Vollsſchule x. 


Einfluß, den fie auf die Geiftesentwidelung und die allgemeine Bildung 
ausüben. in foldes Ziel ift des Schmweißes werth, der von der Stirn 
des wadern Lehrers fließt. 

Bon dem fonftigen Inhalt der Schrift jehen wir bier ab. Er bietet 
auch viel Gutes dar, jedoch auch gar Manches, dem mir unfere Zuftiimmung 
verjagen müjlen. Cs wäre übrigens fehr im Intereſſe des Seminarmeieng, 
wenn auch andere Seminarbirectoren ſich zu ähnlichen Arbeiten entjchlöflen. 


XVI. Großherzogthum Heffen. 


I. Der Vorſtand der Ludwig: und Alicen-Stiftung bat an Lehrer 
und £ebrerfreunde des Großberzogthbums folgende Mittheilung im Intereſſe 
diejer Stiftung erlaflen: 

„Die Ludwig: und Alicen: Stiftung wurde von heſſiſchen Volksſchul⸗ 
Lehrern zur Erinnerung an die am 1. Juli 1862 erfolgte Bermählung 
Seiner Großherzogliben Hoheit des Prinzen Ludwig von Heilen mit Ihrer 
Königlihen Hoheit der Prinzeflin Alice von England gegründet, — Ihre 
Aufgabe ift, bei dem Tode eines heffifhen Volksſchul-Lehrers, welder Mit: 
glied der Stiftung mar, den Hinterbliebenen dejjelben eine einmalige, mög: 
lihft Hohe Summe zu verabreichen. Dieſes Beneficium betrug im eriten 
Jahre 20 fl., im zweiten Jahre 25 fl., im dritten Jahre 30 fl. und ift 
pro 1867 auf 35 fl. beflimmt. — Die durchweg noch klaͤglich geringen 
Gehalte unferer heſſiſchen Volksſchul⸗-Lehrer, welche nicht einmal hinreichen, 
dem dringendſten Bebürfniß einer Familie zu genügen, noch weniger aber 
eine Heine Erjparniß für den Fall der Noth ermögliden, machen es ber 
Stiftung zu meiterer Pflicht, hilföbevürftigen Lehrer : Wittmen und = Waifen 
noch beſondere Unterflügungen zu gewähren. Zu dieſem Zwece ift die 
Bildung eines Kapitalſtods unerlärlih, auf melde auch ſchon im erfien 
Statuten.: Entwurfe Bedvaht genommen wurde. Durch die Zuſchüſſe von 
Lehrern allein kann derfelbe aber niemals die Höhe erreihen, auf welcher 
erft er der Stiftung die nöthige Leiftungsfähigleit zu verleihen vermag. 
Die urjprünglihen Träger der Idee zur Gründung der Stiftung glaubten 
aber mit Sicherheit auf eine Ffräftige Beihilfe der intelligenten Nichtlehrer 
unjered Landes, welche die Wirkſamkeit der Volksſchule und das Berdienft 
des pflichtgetreuen Lehrers für das öffentliche Wohl zu würdigen vermögen, 
rechnen zu dürfen, zumal da fie — diefe Gründer — jelber zu namhaften 
Opjern fich bereiteten, ohne jemals irgend welchen pecuniären Bortheil für 
ih und ihre einjtigen Hinterbliebenen in's Auge zu fajlen. Und fie haben 
fih nicht geirrt; denn die Zahl der Ehrenmitglieder unferer Stiftung wächst 
von Jahr zu Jahr in erfreuliher Weiſe und beredhtigt zu der Hoffnung, 
daß die Ludwig: und Alicen: Stiftung als eine Schöpfung der Humanität 
bald in jedem edlen Heſſen einen Freund und Förderer ihrer Beitrebungen 
haben werde.“ 

2. Der ſchon früher geftellte Antrag, „die Regierung um Vorlage 
eined neuen Gejammtorganismus des Volksſchulweſens zu erfuchen”, iſt 
von drei Abgeordneten wieder aufgenommen worden. Es flieht wohl kaum 
zu erwarten, daß die Megierung jeßt darauf eingehen wird. 


7 


% 


Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule ꝛc. 667 


3. In der erften Kammer wurde der Antrag des Frhr. von Riedeſel, 
das niedrigfte Gehalt der Volksjchullehrer auf 300 fl. feitzuitellen, einftims 
mig angenommen. Bisher betrug dafjelbe an Schulen, die unter 30 Kin⸗ 
ber zäblen, 250 fi, 

4. Der Bericht des Finanzausfchufles der zweiten Kammer jpricht ſich 
für den dreijährigen Seminarkurſus aus, will jedoch im dritten Jahre 
das Internat aufgehoben haben, d. h. es foll den Böglingen freigeltellt 
werden, ob fie fih eine Wohnung in der Stadt miethen, oder ob fie ferner 
im Seminar wohnen wollen. 

Vom Seminarort, Friedberg, wird aber berihtet: „Um ber Ueber: 
füllung der Schlafräume vorzubeugen, wurde ben neu aufgenommenen 
BZöglingen freigeftelt, PBrivatwohnungen in der Stadt zu beziehen. Von 
diefer Begünftigung bat aber nidht einer Gebraub gemadıt, vielmehr 
zogen es alle des Koſtenpunktes wegen vor, im Seminar zu wohnen.” 
Unter ſolchen Umftänden ift der Kammer: Beihluß unausführbar; denn 
binausmwerfen kann man doch die Zöglinge nicht. 

5. Der „Rleintinderfhul:Berein“ in Darmftadt zählt zwiſchen 
700 bis 800 Mitglieder. Die Betheiligung bei Verſammlungen des 
Vereins ift aber in der Negel eine fehr jpärlihe. Die Meinen Zöglinge 
der Anftalt erfreuen fi eines gefunden Anſehens. Die Anjtalt wird zus 
gleih zur Ausbildung von Lehrerinnen an Kleinkinderſchulen 
benußt. Es find bereit# gegen 250 Lehrerinnen daraus hervorgegangen, 
die theild im Großherzogthum, theild im fernen Auslande wirken. 


XVNM. Die Lippe’fhen Fürjtenthümer. 


Unfer verehrter Lippe’fher Correfpondent hat uns diesmal ohne 
Nachricht gelaſſen und die pädagogischen Zeitfchriften haben nichts gebracht. 


XVII. Baden. 


1. Die neuen Schuleinrihtungen in Baden fangen an, fi zu bes 
währen und zur Hebung der Volfsfchulen beizutragen. Das Intereſſe der 
Gemeinden ijt jeitvem ein regeres geworben, auch in latholiihen Gemeinden, 
da fie dur den felbftgewählten Ortsſchulrath ein Wort mitzureden haben. 
Der conjejfionelle Religionsunterricht, für den bejonders die Ultramontanen 
jo. viel fürdteten, hat nicht gelitten, wie die legten Schulprüfungen überall 
bewiejen haben. Die Lehrer entfalten fih in ven freien Conferenzen immer 
mehr und mehr, und werben bdiejelben gewiß bald überall im rechten Geifte 
abhalten. Das neue Schulgejeß ift in Folge der Kriegsunruhen leider in 
den Kammern nicht zur Berathung gelommen, was bie Lehrer theilmeife 
jo entmuthigt hat, daß fie fogar die felbjt gegründeten freien Gonferenzen 
einftellten. Wir verlennen nicht, daß es ſich mit hungerigem Magen und 
gebrüdter Stimmung ſchlecht conferirt; aber wenn die Lehrer dies Mittel 
ihrer Fortbildung fallen lafien, fo geben fie ſich felbft auf und büßen das 
Intereſſe ein, welches ſich in allen gebildeten Kreifen jegt für fie kundgiebt. 


668 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule x. 


Es ift übrigens fein Grund vorhanden, anzunehmen, daß die Regierung 
das begonnene Wert werde liegen lafien. 

Auch die Lehrer haben ſich's angelegen fein laflen, zur Förberung und 
Bervolllommnung des beabfihtigten Schulgefeßes beizutragen. Im Dftober 
1866 ift beiden Kammern eine von 1832 Volksſchullehrern unterzeichnete 
„Dentihrift, den Entwurf eines Gejeges über den Glementarunterridt be 
treffend‘, überreiht worden. Diejelbe iſt in der „Badiſchen Schulzeitung” 
veröffentlicht, die wir leider nit zur Hand haben. Der mweientlihe Zn: 
balt des Schulgeſetzentwurfes ift folgender: „Der Lehrer if nur 
noch zu höchſtens ſechs Stunden Neligionsunterriht in der Woche ver: 
pflichtet. Als Organift und Borfänger zu fungiren, ift er verbunden; er 
wird jedoch dafür angemefien befolvet. Höhere Meßnerdienfte kann er über: 
nehmen; von dem niederen Kirchendienſte ift ex befreit. Das Minimal 
gehalt foll ausfchlieglih freier Wohnung, bei Oberlehrern 400— 1200 fi, 
bei Unterlehreen 275 — 400 fl. betragen und wird bei Hauptlehrern, vie 
auf derfelben Stelle bleiben, von 5 zu 5 Jahren um 20 fl. erhöht. An 
einer Schule werben fo viel Lehrer angeftellt, ala je 120 Kinder vorhanden 
find. Die Mädchen find in den drei legten Schuljahren zum Beſuche ber 
Arbeitsfhulen verbunden. Die Lehrer find zu wöchentlich 32 Unterrichts: 
ftunden verpflichtet, jede meitere Stunde foll jährlih mit 12 fl. vergütet 
werden. Das Penſionsgehalt beträgt 40 Procent nad zebnjähriger Amts 
führung, mit jedem neuen Dienftjahr 2 Procent mehr. Gemeinden können 
die Befoldung aus eigenen Mitteln erhöhen und, wenn fie auf Staats» 
zufhüfie zu ihren Schulbebürfnifien Verzicht leiften, aus drei vom Über 
fhulrathe ihnen vorgejchlagenen Candidaten einen zu ihrem Lehrer bei Ba: 
canzen wählen.‘ 

2. Dftern 1866 wurde der Director des evangeliſchen Eeminars zu 
Karlsruhe, Prof. Wilhelm Stern, unter Anerkennung jeiner lang 
jährigen und treuen Dienfte in den Nubeftand verjegt. Derſelbe if 42 
Jahr an der Anftalt thätig geweien, nämlih vom 25. Januar 1824 an. 
Borher war er an Peſtalozzi's Anftalten Lehrer, erhielt aljo die wünſchens⸗ 
wertbefte Vorbereitung zu feinem wichtigen Amte als Seminardirector. Daß 
er wirklich im Geifte Peſtalozzi's wirkte, davon habe ich mid im Jahre 1830 
überzeugt, wo ich feinem Unterrihte eine Woche lang beimohnte und in allen 
freien Stunden, und oft bi in die ſpäte Nacht hin, die meiften Unterrichts 
gegenftände mit ihm durchſprach, woran fi aud der trefflihe, längft ver: 
ftorbene Gersbach betheiligte. Stern hatte troß feines Ernftes etwas 
jehr Gewinnendes, war dabei offen, bieder, und in hohem Grabe ftrebjam. 
Die bei ihm verlebten Tage find mir unvergeßlich geblieben; ich Eönnte 
manches interefiante Erlebniß mittheilen, wenn bier der Ort dazu wäre. 
Mit den Jahren wurde Stern fehr orthodor, was feine Einwirkung auf 
das Schulmefen etwas beeinträcdhtigte. 

An Stern's Stelle -ift der Kreisſchulrath Leu aus Heidelberg be 
rufen worden. Die Volksſchullehrer hatten erwartet und es auch wiederbolt 
ausgefprohen, man werde dies wichtige Amt einem tüchtigen praktiſchen 
Schulmanne übertragen, und fühlten fih daher etwas enttäujcht, als mar 
wieder einen „Theologen“ dafür wählte. Indeſſen fagen fie ihm doch nad, bab 





Die äußern Angelegenheiten ber Volksfchule ꝛc. 669 


es ih um das Vollksſchulweſen befümmert babe, und ein milder, jedoch 
auch confegquenter Mann fei, von dem man fi alfo wohl Gutes verfeben 
dürfe. Wie Director Leuß über die Aufgabe des Seminars denkt, hat er 
in feiner Antrittsrede gejagt. Der von ibm abgefaßte „Jahresbericht für 
das Schuljahr 1866 auf 1867, den mir feiner Freundlichkeit verbanten, 
enthält die Hauptitellen daraus, die wir nachſtehend mittheilen. 

„Seit einer Reihe von Jahren bereit beftrebt mit den Zuftänden und 
Forderungen unferer Bollsfhulen, dem Maaß und den verjchiedenen Me: 
thoden des Unterrichts befannt zu werben, habe ih in meinem legten Wir: 
kungskreiſe beſondere Gelegenheit gehabt, einen reichen Einblid in den Stand 
der Lehrer und der Schulen zu thun; es gab vielfache Veranlafjung, nad: 
zudenken über ven Grund, auf den die Schule. fidh gründen müfje, über bie 
Mittel, die zu ihrer Entwidelung mit Hoffnung auf fegensreihen Erfolg 
angewendet werden könnten und über das Biel, das immer als leuchtender 
Stern dem Lehrer voranjhweben fol. Diefe drei ragen werben aber 
fämmtlih auch für den Unterriht am Scullehrerfeminar gelten, denn hier 
werden die Schulen gegründet, infofern die Schule, die fpätere Wirkjamleit 
des Lehrers, nur das ift, was ber Lehrer jelbft ift, und ver Lehrer ift 
großentheild das, wozu er bier gebildet und wie wir aud fagen bürfen, 
wozu er bier die Vorbilder hat. 

„Sagen wir aber nach vielem Grund und Boden, auf welhem wir 
alle gemeinfam, Lehrer und Schüler, unfer Lehren und Lernen, unjre Ars 
beit und Hoffnung, wie verjdhiedenartig auch die Arbeitsfelder getheilt find, 
fieben müfien, jo bat dies bei ähnlicher Veranlafjung ein leider zu frühe 
beimgegangener Meifter unferer Wiſſenſchaft gejagt, daß die Religion und 
ihre Wiſſenſchaft müfle das Herzblut fein, „das alle Adern des Lebens 
duchfirömt und alles Thun und Denlen des Lehrers leitet. Es giebt feine 
wahre Bildung, die nicht ihren legten Anker in Gott einjchlüge und es 
giebt fein wahres Willen, das nicht feinen Anfangs: und Endpunkt in 
Gott fände.’ Der Geiſt aber, in weldem jene Grundlage gelegt, in welchem 
jener wichtigfte aller Unterrichtsgegenſtaͤnde bier gelehrt werben fol, ergiebt 
fih aus der Cigenſchaft unſeres Seminars Jals eines proteftantifhen. Gs 
ift der Geift des Proteftantismus, der Innerlichkeit und Freiheit, welcher 
die freie fittlichereligiöfe Entwidlung des Einzelnen aus der Tiefe des eigenen 
perfönlihen Bewußtſeins fordert, der Geift, welcher binausragend über die 
kirchlichen Grenzen, bineingreift in alle Gebiete des Willens und Lebens, 
die Beiten umgeftaltet, gemeinfame Wege aufjudht, die Cinigungspunlte ins 
belle Licht jet, in denen alle die verfchiedenartigiten Bejtrebungen zuſammen⸗ 
treffen, und uns fo lebendig bewußt werben läßt, daß alles unfer, mir 
felbft aber Chrifto gehören. 

„Auf diefem Grunde allein läßt fi) ein gründlihes Wiflen, jene Gr: 
fenntniß aufbauen, welde allein geeignet ift, die oberflählihe Bildung 
fammt ihren Folgen, Dünkel und Anmaßung, von den Schülern ferne zu 
balten. Ich bin mir hierbei wohl der engen Schranten bewußt, melde 
ung gezogen find, allein dennody wollen wir weit entfernt fein, darin das 
Heilmittel zu fuchen, daß der Lehrer gerade nur dasjenige Maß des Willens 
empfange, welches er jelbit lehren foll, ver Nachtheil würbe hierdurch ſtels 


670 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ze. 


derfelbe bleiben, injofern jedes Halb: und Biertelewifien aufbläbet und nur 
gründliche Bildung beſcheiden macht. Unſere Bedenfen bierüber werben 
jedoch mefentlich erleidhtert, durch die Errichtung eines 3. Gurfus, wodurch 
allein das Wiſſen bis zu der Stufe wird erhoben merden können, auf 
welcher wir erft feine edeiften Früchte, die Befcheidenbeit und Demuth des 
Geiſtes und Herzens erwarten dürfen. 

„Und verrinnt felbft dieſe Zeit fchnell dahin, nun, fo vente ih, ift 
die junge Pflanze nur gefund, bat fie reichlihe Wurzeln aus ihrer Mutter 
erde mitgenommen, fo wird fie diefelben überall raſch eintreiben, von allen 
Seiten fi Nahrung Schaffen, um ſich als den Etamm auszubilden, als ver 
er von Natur angelegt und von Anfang an erzogen wurde. Denn aller 
unfer Unterriht ift ja überhaupt blos grundlegend, vie Thätigkeit des 
Lehrers muß fih ja jo oft darauf bejchränten, den Anftoß, Anregung zu 
geben, zu entwideln was im Bögling felbit liegt, daran anzulnüpfen, den 
weiteren Meg zu zeigen, die eigentliche Aneignung und Befipergreifung de: 
Materials, die Vollendung des bier blos Angebahnten muß vom Schüler 
felbft ausgehen. Und gerade diejes recht lebendig in Euch zum Bewußt 
fein zu bringen, daß alle8 wahrhaft Große und Edle, alles was unfer 
eigenftes Eigenthum werden foll, von uns felbit, von jedem Ginzelnen unter 
und errungen werden muß, und dieſes Bemwußtjein zu fteigern bie zu jener 
Stufe der inneren befeligenden Befriedigung, daß ihr nur in treuer, ernfter 
Weiterbildung, in gewiſſenhafter Ausübung eures Berufs, in forgfältiger 
Beobahtung und Benützung enter Erfahrung volles Genüge und eure 
höchſte Freude findet, — das wird das vornehmfte aller Mittel fein, das 
für einen gedeihlichen Unterricht uns bier behülflich iſt. 

„Alein wie müflen unfere Augen auch auf das richten, was unmittel⸗ 
bar vor uns liegt, auf die Zeit, die unmittelbar auf das Seminar folgt; 
von den Bänken bier werdet ihr unmittelbar verjeßt an den Tiſch in der 
Schule, vor eine Zahl lernbegieriger Kinder. Hier gilt es jogleich anzu: 
fafien,, des Stofjis und der Methode ficher zu fein. Dieſe prattifhe Aus 
bildung bat das Seminar ebenfalls mitzugeben. Es Tann dies freilich nicht 
fo verftanden jein, daß der Zögling hier in mechanischer Weife das erlernen 
fol, was er ebenfo mehanijd in der Schule einft den Kindern vortragen 
folle. Die beften Methoden wird er fich allerdings aneignen müſſen, allein 
in freier Weife, erzeugt durch jene Uebung in der Beweglichkeit und Gla: 
fticität des Geiftes, wodurch allein eine Methode geiftbildend und erfolgreid 
im Leben wirten kann. 

„Und was envlid über allen dieſen Mitteln fteht, das wirkfamfte von 
allen, find wir Lehrer der Anftalt felbftz in unferem Borbild liegt die 
Lebenskraft all unferer Vorfhriften, unjrer Mahnungen, unfrer Wünjde, 
unfrer Hoffnungen. Wenn ver religiöje Geift in uns lebendig ift, uns in 
allen Gebieten des Unterrichts zufammenführt und als ein Ton hindurd: 
Hingt, wird er au im Zögling zum bleibenden Grunbton für feinen Be 
ruf und für fein Leben werden. Wenn die Wiflenfchaft und die Liebe zu 
ihr ung alle bejeelt, dann wird biefelbe auch in den Böglingen lebendig 
werden und mir werden bie Freude haben, biefelben als ſolche entlafjen zu 
fönnen, als welche wir fie bilden wollten, ala gejhidte Lehrer und 


Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 671 


was in unfern Tagen fo äußerft wichtig ift, ald tüdhtige Charak— 
tere. Denn das ift ja wohl das Ziel, welches uns vor Augen fchwebt, 
Männer zu bilden, welde einft Meifter werben nicht blos im Unterrichten, 
fondern aud im Erziehen; zu Letzterem ift aber die Bildung des eigenen 
Charakters durdaus nothwendig. Nur wer dazu die Zeit benußt und in 
diefer Prüfung beftebt, der vermag allein in die Schule, unter die lebens» 
frohe Kinderſchaar zu treten mit dem Bewußtſein feiner vollen Autorität, 
defien Wort allein wirb endlich wiegen im Rath der Eltern, im Rathe 
derer, die mit ihm am Wohle der Schule arbeiten. 


‚Und tritt dann noch das hinzu, was in uns allen ftets lebendig fein 
foll, die heilige Liebe zu dem Lande und dem Volke, das wie fein anderes 
auf unferem Gebiete ſeit alter Zeit voranleuchtet, jene ächte Vaterlandsliebe, 
für melde der Jugend Herz fo empfänglich ift, jene Vaterlandsliebe. welche 
uns lehrt, aufmerkſam zu fein auf jede Gelegenheit, um an dem Großen 
und Edlen unjerer Nation die jungen Herzen zu entzünden, wie zur Nach 
ahmung fo zu gemeinfamem Bruderfinn, — fo haben wir ein Bild des 
Lehrers, wie es als Biel vor unſern Augen ſieht, dem wir nadhftreben in 
vereinten Kräften, aber allezeit durchdrungen von dem lebendigen Bewußt⸗ 
fein: nicht unfer, jondern Sein ift beides, Wollen und Vollbringen gu 
feinem Wohlgefallen.‘ 

Der bis 1866 zweijährige Seminarcurfus ift nun in einen Drei: 
jährigen verwandelt worden, was als ein großer Fortſchritt betrachtet mer: 
den muß. 


Director Leug ift gegen die beabichtigte Verlegung des Seminars 
nad Durlach. 


Die Zahl der Seminariften beläuft fich gegenwärtig auf 60. Aus 
ber „Ueberſicht des Unterrichts” Täßt fich einigermaßen erfennen, daß das 
Rechte in der Anftalt gelehrt wird. Für den Religionsunterriht find in 
jeder Mlafje nur 3 Stunden wöchentlich angefeßt. Dagegen aber wurde 
„in den täglihen Morgenandachten gelefen und erllärt: das Gvan- 
gelium Matthäi, der Brief an die Römer, die Briefe an die Corinther, 
Oalater, Epheſer, die Paftoralbriefe. „In den Abendandachten wurden 
Geſchichtsbücher des U. T. gelefen.” Wie viel Zeit wurde denn jeden Tag 
auf diefe bedeutende Aufgabe verwandt? Wurde dadurch feine der anderen 
Lectionen beeinträhtigt? auch die Arbeitszeit der Seminariften niht? Es 
verfteht ſich von felbit, daß eine ſolche Bibelerflärung nothivendig iſt. Die 
Stage ift nur die, ob es nicht gerathener ift, fie in den Religionsunterricht 
zu verlegen. 


Das katholiſche Seminar in Ettlingen Hatte am Schluß bes 
Schuljahres 1866—67 in zwei Übtbeilungen 67 Zöglinge. Zur Aſpiran⸗ 
tenprüfung fanden fih 33 ein, die jämmtlih aufgenommen wurden, 19 
unbedingt, 12 bedingt und 2 zur Probe, 

Der durh den Herm Director Bodenmüller und übermittelte „Jahres⸗ 
Bericht‘ enthält außer einer vollftändigen Weberfiht des durchgearbeiteten 
Unterritöftoffes den I. Theil einer 


672 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 


15. Anleitung zu Unterriät und Erziebun Shulamtsjigfingen. 
Eltern, Schrern, Geelforgern und Schuläuffchern gewibmet von $. 3. 
Bodenmäller. Eitlingen, 1867. _ 


Denn wir felbft auch bier und da von andern Grundfägen in Ben 
auf Erziehung und Unterriht ausgehen, ala der Herr Berfafler, jo erlennen 
wir doch gern an, daß das Schriften viel Gutes enthält und als Leit: 
faden in katholiiden Seminaren gute Dienfte leiften kann. Yür vielen 
Zwed ift 68 angemefien, daß der Berfafler über wichtige Theile des Gegen- 
ftandes auch andere Pädagogen citirt. 

3. Die belannte Bender'ſche Erziehungs:Anflalt in Weinheim 
an der Bergftraße, in der ihrer Zeit Männer wie Pıofefior Stop im 
Heidelberg, Oberlehrer Dr. Finger in Frankfurt u. N. thätig waren, 
erfreut fidh der verdienten Anerlennung des Publilums. Cs berricht darin 
ein frifcher, frober, freier und frommer Geift, ganz der Kindesnatur ange 
mefien, ihrer CEntwidelung daher förderlich. Gin kurzer Auflag von 
Dr. Dietrih Bender, mitgetpeilt in dem Programm der Anftalt für 1867, 
giebt Zeugniß, daß im Unterricht von richtigen Grundjägen ausgegangen 
wird. Wer die Anftalt genauer fennen zu lernen wünſcht, der lafie ſich 
von der Direction das Schriftchen kommen: 


16. „Die Benber’fhe Erziehungsanftalt” für Knaben von 8 bis 16 Jahren zu 
Weinheim au der VBergfiraße. 


XIX Württemberg. 


1. Das Minifterium hat die Erweiterung des zweijährigen 
Seminarturfus in einen dreijährigen angeorbnet; der ermeiterte 
Kurſus bat mit dem Frühjahr 1866 begonnen. Der betrefjende Erlaß ſtellt 
Folgendes feit: 

„s. 1. Die Bildungslaufbahn der Schulamtszöglinge in den öffent: 
lihen Seminarien beginnt nady Vollendung eines zweijährigen Bor: 
bereitungsturfus und erftredt ſich ftatt feither auf zwei Jahre künftig 
auf drei Jahre. Ebenſo hat die Bildungslaufbahn in den Privat-Semino- 
zien und in vorlommenden Yällen auch bei einzelnen Lehrern künftig im 
Ganzen fünf Jahre zu umfaflen. $. 2. Diefe Verlängerung foll nicht 
fowohl zu einer ertenfiven Vermehrung des Wifjensftoffes, als vielmehr zu 
einer intenfiven Verbindung und Verarbeitung dejlelben, zu Erzielung größerer 
Klarheit, Sicherheit und Yeltigleit in den allgemeinen und ben bejonderen 
Berufstenntniflen, zur Bervolllommnung in den techniſchen Fächern, nament: 
ih in Mufit und Zeichnen, bejonders aber dazu benugt werden, um eine 
gründlihere praltiihe Einführung in das Schulbalten zu ermöglichen. 
8. 3. Mit jedem öffentlihen und — jo weit möglid — mit jedem 
Brivat:Schullehrerfeminar wird eine Uebungsſchule in Berbindung gelegt, 
in welcher die Seminarzöglinge im lebten Jahre unter Auffiht und Leitung 
eines biefür beftellten Lehrers im jelbittbätigen Unterridten fi üben. 
8. 4. Ja jedes der öffentlihen Schullehrer-Seminarien findet eine jährliche 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 673 


Aufnahme und zwar der Regel nah von je 25 Zöglingen ſtatt. $. 5. 
Der Genuß der Stipendien der Seminariften erftredt fi auf drei Jahre.“ 

Diefe Beitimmungen werden fih als wohlthätig für das württem⸗ 
bergiihe Schulweſen erweifen. Einige Ermeiterungen des Unterrichtsjtoffes 
werben fi ganz von felbit ergeben. Im Intereſſe ver Schule würde es 
aber gelegen haben, an Stelle ver Mufit den Sprad: und Real: 
unterricht zu betonen, im Spracdunterriht namentlih die Literatur: 
tunde, im NRealunterriht das Gefammtgebiet ver Naturlunde, um bie 
Seminariften bierin tiefer einzuführen, als das Schullefebuh dazu Veran⸗ 
laſſung giebt. 

2. In Betreff der Prüfung der Schulpräparanden behufs 
der Aufnahme in die Staatöfeminare ift Nachſtehendes verfügt worden: 

„J. Die Präparanden, welde die Aufnahme in ein Staatsjeminar 
nachſuchen, ſollen 1) im Kalenderjahr der Aufnahme wenigftens das 16, 
Lebensjahr zurüdlegen,; und baben 2) über eine zweijährige, wohl ange: 
wandte Borbereitungäzeit, gute Aufführung und über phyſiſche Tüchtigkeit 
für den Lehrerberuf durd eingehende Zeugnifie ſich auszuweiſen, ſodann 
3) einer Concursprüfung in den Fächern der Religion, der deutfchen 
Sprache, des Rechnens, der Weltkunde, der Mufil, des Schönfchreibens, der 
Formenlehre und des Zeichnens fih zu unterwerfen. Il. Bei dieſer 
Prüfung wird verlangt: 1) in ver Religion: a) von den Präparanden 
der evangeliihen Confeifion aa) Belanntihaft mit der Ordnung und Eins 
'tbeilung der heiligen Schriften, ſowie mit dem allgemeinen Inhalt ver 
geihichtlihen Bücher, bb) Bekanntſchaft mit der bibliihen Geſchichte, ſowohl 
des alten und des neuen Teftaments und Fähigkeit, einen kürzeren Abjchnitt 
aus derfelben in freier Weile gut zu erzählen, cc) Sicherheit im religiöfen 
Memorirftoff der Volksſchule, Fähigkeit, ihn mit richtiger und angemeflener 
Betonung vorzutragen, fowie Verftänpniß vefielben. b) Für die Präpa- 
randen der katholiſchen Confefjion bleiben vie bisherigen Beftimmungen in 
Kraft; c) von den Präparanden beider Eonfefjionen wird zum Behuf der 
Veranſchaulichung der bibliſchen Geſchichte die Kenntniß der Geographie von 
Paläftina und die Vertrautheit mit der Karte dieſes Landes verlangt; 
ferner 2) in der deutſchen Sprade: a) fertiges, laut: und finnrichtiges 
Leſen von proſaiſchen und poetiihen Abjchnitten des Leſebuchs in deutfcher 
und lateinifher Schrift und Fähigkeit, den Hauptinhalt und Gedankengang 
des Gelefenen mündlich wiederzugeben. Sechs Gedichte des Lejebuchs follen 
auswendig gelernt und mit rihtigem Ausprud vorgetragen werben; b) Rennts 
niß der Lautlehre, Wortlehre, Wortbildungsd: und Saplehre, wie folde an 
der Hand einer guten Grammatik für Volksſchulen erlangt werden Tann, 
nebft der Fähigkeit, über das Gelernte an einzelnen Sägen des Leſebuchs 
Rechenſchaft zu geben, aud bekannte Wörter nad) Begriffsverwandtſchaft 
näher zu beſtimmen; c) richtige Anwendung der vorgefchriebenen Orthograpbie 
in Bezug auf die Schreibung und Trennung der Wörter und über den 
Gebraud der Satzzeichen; d) Fähigkeit über einen befannten, in der Regel 
dem Leſebuch ſich anſchließenden Stoff einen Aufjag von mäßigem Umfange 
in guter Ordnung und in fahlid und ſprachlich richtiger Darftellung aus: 
zuarbeiten. Die Aufſatzhefte der Präparanden find bei der Prüfung vor: 

Päd. JahreSberiht. XII. 48 


674 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule x. 


zulegen. 3) im Rechnen: a) Kopfrechnen. Aufgaben mit Heineren, fowchl 
unbenannten als benannten, Zahlen aus dem ganzen Umfange der Bruch⸗ 
rechnung follen gelöft werden, wobei auf die Bekanntſchaft mit den Maßen, 
Gewichten und Münzen des gewöhnlichen Verlehrs beſondere Nüdfiht ge 
nommen wird. Cbenfo follen aud einfachere Aufgaben verſchiedener Art 
aus dem gewöhnlichen Leben mit ganzen und gebrochenen Zahlen im Kopie 
gelöft werben lönnen. b) Zifferrehnen. Schwierigere Aufgaben aus den 
Rechnungen mit gemeinen und Decimalbrüden, fowie Aufgaben mit zu: 
fammengefeßten Verhältniffen aus der Schlußrehnung ſollen in Marer Dar 
ftellung gelöft werben können. Dabei wird Yertigleit im erlegen ver 
Zahlen in Factoren und im Auffinden des größten gemeinſchaftlichen Maßes 
und des Heinften gemeinſchaftlichen Vielfahen verlangt. 4) in der Welt: 
tunde: a) Geſchichte. Bertrautbeit mit dem im Leſebuche befindlichen 
geſchichtlichen Lehrftoffe und nähere Belanntihaft mit der württembergifchen 
Geſchichte in ihrem mejentlihen Zujammenhange mit der deutſchen und 
allgemeinen Gejhichte, jowie Kenntniß der hierbei vorlommenden wichtigjten 
Jahreszahlen, deren fpecielle Bezeihnung demnädft durd die Veröffent⸗ 
lichung bejonderer Beittafeln erfolgen wird. b) Geographie. Genauere 
Kenntniß des im Leſebuche niedergelegten geographiſchen Lehrſtoffs und im 
Anschluß hieran Belanntfhaft mik den allgemeinen Berhältnifien der Erd⸗ 
oberflähe und der Erdtheile, indbefondere Europas, ſowie mit der Geogra⸗ 
phie von Deutſchland und insbejondere von Württemberg nah phyſiſchen 
und politiihen Beziehungen; Ddesgleihen Senntniß der mathematifchen 
Geographie nad Maßgabe des im Lefebuche gebotenen Lehrſtoffs. Nähere 
Belanntihaft mit den Karten von Württemberg und Deutſchland. c) Na: 
turlebre. Belanntihaft mit dem im Leſebuche nievergelegten phnfila: 
liihen Lehrftoff und Fähigkeit, denjelben mittelft der für die Volksſchulen 
vorgejchriebenen Lehrmittel zu erläutern. d) Naturgeſchichte. Anſchau— 
lihe Bekanntſchaft mit den wichtigſten Mineralien vorzüglih Württembergs 
und einer Reihe von einheimiſchen Pflanzen, an welchen der Charalter ver 
verjchiedenen Pflanzenformen und der hauptſächlichſten PBilanzenfamilien ſich 
erfennen läßt. Kenntniß der im Leſebuche befchriebenen Thiere, insbefondere 
auh nah ihren Klaſſenmerkmalen. 5) in der Muſik: a) Kenntniß der 
Noten (ſowohl ald Zeihen für vie Tonhöhe, als für die Zeitdauer), ver 
Taltarten, der Dur: und Molltonleitern und ihrer Verwandtſchaft; b) im 
Singen: Fähigkeit, ein bekanntes Kirhens oder Schullied auswendig, 
ein minder belanntes leichteres nah Noten melodiſch und rhythmiſch vor: 
zutragen; c) im Rlavierfpiel: die Fähigkeit, mit richtiger Haltung, 
regelrehtem Fingerſatze und fiherem Anſchlag die Tonleitern, eine Anzabl 
zwedmäßiger Yingerübungen und einige leichtere Klavierftüde aus einer Bor: 
ſchule zu ſpielen; d) im Biolinfpiel: die Fähigkeit, mit reinem Ten 
und richtiger Bogenführung die gebräuchlichſten Tonleitern, ferner ein ein 
faches Kirchen: oder Schullied zu fpielen; e) im Orgeljpiel (das übrigens, 
wie bisher, nur bei den katholifhen Präparanden Prüfungsgegenitand ift): 
die Fähigkeit, aus einer Orgelfhule die erjten Uebungen auf dem Manual 
mit richtiger Fingerorbnung und regelvechtem Anſchlag zu fpielen. 6) im 
Shönfchreiben: eine regelmäßige, geläufige und faubere, den Formen 





Die äußern Angelegenheiten der 


des Normalalphabets jih anſchließende Handſchrift. 
erjtreden fih auf die deutfhe Kurrent- und lateinif 
die Ziffern Die Schönfchreibehefte find bei d 
7) in der Formenlehre: Kenntniß der geoml 
jomwie der in der ebenen Geometrie vorlommenden F 
züglihen Benennungen; ferner Fähigkeit, elementa 
Zirkel, Lineal und Winkelmaß auszuführen. 8) im 
Yüäbigleit, den Umriß von Ornamenten, die auf ei 
bältnifje bafirt find, correct darzuſtellen.“ | 

3. In Ludwigsburg beiteht, mie wir fd 
baben, unter Leitung des Schulmeilters Buhl ein u 
erhaltenes Lehrerinnenſeminar, in dem in vie 
für Abhaltung von Lehrkurſen für Arbeitslehrer: 
den if. Das Minifterium bat darüber Folgendes feh 

‚Die Lehrlurfe theilen fih in ordentlihe und as 

„Die ordentlihen Kurfe haben die Aufgabe 
welche ſich zu Arbeitslehrerinnen beftimmen wollen, au 
zu geben, fi für diefen Beruf vorzubilden, daß fie 
genügen können, melde in Bezug auf Technik, Met 
Lehrtüchtigleit an eine tüchtige Lehrkraft für weibliche ! 
geftellt werben. 

„Die außerordentlihen Lehrkurſe jindt 
angeftellte Arbeitslehrerinnen in Kenntniſſen, Fertigkei— 
Derufsführung zu vervolllommnen , fie insbefonvere i 
Haflenmäßigen Gejammtunterrihts der Handarbeiten ei 
neuen erprobten Verfahrungsarfen befannt zu machen 
die jchon einen ordentlihen Bildungskurs mitgemadt b 
Miederholung, Befeltigung und Fortbildung dienen. 

„Diefe Ausbildung von Arbeitslehrerinnen hat 
praltiihe Richtung, doch ſoll fie desjenigen theoretijd 
entbebren, der jür fie eine unterrichtlih und erziehlic 
des Lehrberufs vorausgejegt werden muß. 

„Die Lehrfächer find: Erziehungs: und Unter 
Auffaglehre, Schreiben, Zeichnen mit Formenlehre, Har 

„Aus der Erziehungs: und Unterrichtsle! 
wichligfien Grundfäße. über die Schulzudht, Belehrung 
des Arbeitäunterrichts als Bildungsmittel für das meib 
Behandlung des Arbeitsunterrihts als methodiſchen, 
fammtunterrihts, über Klaſſifikation, gleichzeitige Beſchä 
Abtheilungen, Lehrgang und Lehrplan. 

„Das Rechnen umfaßt Uebungen im Berechnen 
unterriht vorlommenden Maß⸗, Gewichts und Werthv 

„Die Aufſatzlehre begreift in fi Anleitung ; 
fehr und zur Berichterftattung über Gegenftände aus 
Arbeitsunterrichts, 

„Der Shönfhreibunterricht bezwedt Kennt 
der einzelnen Buchjtabenformen der verſchiedenen Alpho 





676 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 


engliihen, mit Bezug auf das Zeichnen des Weißzeugs, und Yertigleit im 
Schreiben auf die Wanbtafel. 

„Der Unterriht im Ze ichnen mit Formenlehre foll befähigen 
zur Entfernung von Muftern und Darftellung derfelben auf der Wandtafel. 

„Der Unterriht in den Handarbeiten bezwedt auf ver eimen 
Seite, die techniſche Fertigkeit zu erweitern und zu erböben, auf der andern, 
den Candidatinnen in Abfiht auf Technil und ſachliches Berftänpnik alles 
da3 anzueignen, was eine Lehrerin in den Stand ſetzen lann, auch von 
der technifhen Seite aus den ganzen Unterricht zu beberrihen. In metho: 
diſcher Stufenmäßigfeit wird geübt alles Wefentlihe in den Gebieten des 
Stridens, Hälelns, Naͤhens und Flickens von Geftridtem und Gewobenem. 

„Der Lehrplan für die außerordentlichen Kurſe umfaßt im Allgemeinen 
diejelben Unterrihtsgegenftände, nur beſchränkt er fih auf das Wefentlichfie 
fowohl in ver theoretiihen Belehrung, als in der praltijhen Uebung 

‚Das Feld für die praftifhe Ausbildung der Yöglinge iſt die 
dreillajfige Seminarjchule, wo ihnen ein geordneter Klafienunterricht in den 
Handarbeiten in ftreng methodiſcher Behandlung zur Anſchauung fommt und 
fie ſich zugleich unterrichtlid verſuchen und üben. 

„Aufnahmebedingungen find: a) für die ordentlihen Kurſe: 1) kör- 
perliche Geſundheit und Das angetretene 18. und noch nicht vollendete 
28. Lebensjahr; 2) gute geiftige Begabung und diejenigen Eigenſchaften 
des Gemüth3 und Charafters, melde von einer Lehrerin gefordert werben 
müflen; 3) diejenigen Kenntniſſe und Fertigkeiten, melde eine erfolgreide 
Theilnahme an dem Unterriht erwarten lafien. b) Für die außerorbent: 
lihen Kurſe: 1) die Afpirantin foll körperlih gefund fein und das AU. 
Lebensjahr nicht überjehritten haben, auch die unter a) Ziffer 2 und 3 
geforderten Eigenjchaften, Kenntniſſe und Fertigkeiten befigen, ferner 2) bat 
fie ſich über ihre bisherige Dienjtjührung als Lehrerin durh ein Zeugnik 
des betreffenden Ortsjchulinfpectors auszumeifen. 

„Die Dauer der Lehrkurſe erftredt fi bei den ordentlichen 
auf jeh3 Monat, movon ber erfte Monat ald Probezeit gilt, bei ben 
außerordentlihden auf ſechs Wochen. 

„Am Schluſſe eines jeden ordentlihen Kurſes wird durch eine zu 
diefem Zwede niedergeſetzte Commijfion eine Hauptprüfung abgehalten. 

„Die Candidatinnen erhalten auf Grund der Prüfungsergebnifie von 
der Prüfungslommilfion unterzeichnete und von dem Borftande der betreffen: 
den Oberſchulbehörde beglaubigte Zeugniſſe. 

Der Staat gewährt für dieje Lehrkurſe Unterftügungen. 

4. Die Ortsſchulinſpectoren find ermädtigt worden, den Lehrern 
jährlid) zwei: bis dreimal Erlaubniß zu ertheilen, die Schule ausfetzen zu 
bürfen, um der Prüfung in benabbarten Schulen beimohnen zu können. 

5. Das Minifterium bat unterm 3. Mai 1866 den Wirlungs: 
reis der durch das Gejeg vom 25. Mai 1865 verftärkten Ortsſchul⸗ 
bebörden für die Bollsfhulen dur einen ausführlichen Erlaß genauer 
feitgeftellt und abgegrenzt. Obgleich wir demjelben nicht überall zuſtimmen 
können, theilen wir ihn doch nachſtehend mit. 





Die äußern Angelegenheiten der Bolksfchule ꝛc. 677 


J. Die Ortsſchulbehörde. 


„1) Die Ortsſchulbehörde hat die Aufſicht über das örtliche 
Volksſchulweſen zu führen und zu dieſem Behufe für die Durchführung und 
Beobachtung der die Volksſchulen betreffenden Geſetze und Verordnungen zu 
forgen, auch alle diejenigen Maßnahmen, welche zu möglichſt wirkfamer und 
vollftändiger Erreihung der Schulzwede beitragen können, entweder inner: 
balb ihrer Zuftändigfeit zu treffen oder zu veranlajien. 

„2) Insbeſondere bat viejelbe den regelmäßigen Beſuch ver 
Werktags⸗ und Sonntagsjhule, beziehungsweije der die lehtere vertretenden 
jogenannten obligatoriijhen Winterabendſchule durch Einwirkung auf die 
Eitern der Schüler oder deren Stellvertreter, durch vorjchriftsmäßige und 
namentlich rechtzeitige Unterfuhung und Abrügung der Schulverfäumniffe, 
ſowie mittelft Anmendung fonftiger geeigneter Maßregeln berbeizuführen. 

„Sie bat diejenigen Gejuche um zeitweile Dispenfation vom Beſuche 
der Werktags⸗ oder Sonntagsfchule, beziehungsmweife der obligatoriſchen 
Minterabenpfehule, welche in bejonderen Fällen vom Ortsfchulaufjeher an 
fie gebracht werden, zu erledigen. 

„Zub bat fie über die Entlafjung aus dem dffentlihen Schulunter: 
richt, ſowie bei denjenigen Kindern, welche einen den Unterricht der Boll3- 
Schule vertretenden Privatunterriht erhalten, über deren Entlafjungsjähigfeit 
aus dem Privatunterricht zu erlennen. 

„3) Hinfihtlih der Errichtung neuer Schulftellen, der Einführung 
des Abtheilungsunterrihts, der Klaſſeneintheilung, ver Errichtung von 
Winterabendfchulen und erweiterten Sonntagabendſchulen, von Zeichenſchulen 
für Volksſchüler, von Arbeitsfchulen für die meiblihe Jugend, ebenfo bin: 
ſichtlich der Anſtellung von Oberlehrern und der Wiederbeſetzung erledigter 
Säulftellen ꝛc. fteben ihr die erforderlichen Ginleitungen zu. 

„In lebterer Beziehung hat fie namentlid die Befugniß, die bei Be- 
ſetzung einer Sculftele etwa zu berüdfichtigenden befonderen Bedürfnifie 
und Verhältnifje geltend zu machen. 

„Zu ihrem Gefchäftsfeis gehört ſodann insbeſondere die Sorge für 
Herftellung und Erhaltung des Eintommens der Schulftellen, für die 
Annahme und Nidtigitellung ver Befoldungsbejchreibungen, für die Aus: 
mittelung der Belohnungen für bejondere Dienftleiftungen der Lehrer, be- 
ziehungsmweife die Stellung der erforberlihen Anträge bei den viedfalls 
zuftändigen ordentlichen Gemeindebehörben; die gutachtlihe Aeußerung über 
jeven Plan zur Erbauung, zum Umbau und zur Erweiterung eines Schul⸗ 
baufes, aud über jeven Vorjchlag zum Anlauf eines Haufes für Schul⸗ 
zwede; die Sorge für Erhaltung des Schulhaufes in einem guten baulichen 
Stand, beziehungsmweife die Veranlafiung der viesfalld nöthigen Maßregeln 
bei den ftändigen Behörden; die Sorge für die zwedmäßige Einrichtung, 
die reinlihe und geſunde Beſchaffenheit der Schulräme, ſowie die Leber: 
wachung des Bollzugs der binfichtli der Gejunpheitöpflege in den Bolls- 
jchulen beftehenden Vorſchriften. 


678 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 


„Auch bat viefelbe für die jählihen Erforderniffe der Bolt 
ſchule in genügenver und zmwedentiprechender Weife Sorge zu tragen. 

„A) Der Ortsſchulbehörde liegt die Verwaltung der Shulfonds 
nad den beftehenden Normen ob. 

„Sie beftellt und beauffihtigt den Schulfondsrechner, ftellt den Etat 
fell, weift die Ausgaben des Fonds zur Zahlung an und beftimmt insbe 
fondere die Summen, welde von dem Ortsſchulinſpector für Anſchaffung 
von Büchern und Lehrmitteln für die Lehrer verwendet werden dürfen. 
„5) Der Ortsfchulbehörde kommt es zu, die Kinder unbemittelter 
Eltern von der Entrihtung des Schulgeldes zu befreien. 

„6) Der Zutritt zu den Volksſchulen und zu den mit venfelben 
verbundenen Schulen fteht den einzelnen Mitgliedern der Ortsſchulbehörden, 
um ji von dem Stande der Schule zu unterrichten, jederzeit frei, jedoch 
jelbfiverftändlic ohne die Befugniß, Anoronungen zu treffen, mas nur ber 
Ortsſchulbehorde in ihrer Gefammtheit, fo mie innerhalb feiner Zuftändigleit 
dem Schulinfpector zulommt. 

„7) Den periovifhen Shulprüfungen und den Vifitationen der 
Schule ſoll wo möglih die ganze Ortsfchulbehörde anwohnen, mindefteng 
aber foll viefe hiebei außer dem Ortsfchulauffeher dur den erften Geift: 
lichen (wenn verfelbe nicht ohnehin als Ortsfchulauffeher zugegen ift) und 
dur den Ortsvorſteher oder deren Stellvertreter, ſowie Durch zwei weitere, 
niht an der Schule angeftellte Mitglieder vertreten fein. 

„Auch bat, wo ein Oberlehrer angeftellt oder ein Lehrer mit ber 
Auffiht über unftändige Lehrer beauftragt ift, derjelbe den Prüfungen be: 
ziehungsweiſe Viſitationen der feiner Aufficht zugewiefenen Schulklaſſen an- 
zumohnen. 

„Weber die Anmefenheit der im Abſatz 1 und 2 benannten Berfonen 
ift jedesmal im Bifitationsprotofoll Vormerkung zu maden. 

„Borftehende Beftimmungen gelten in gleiher Weiſe für die Prüfun⸗ 
gen der Sonntags: und der obligatoriihen Winterabendſchulen. 

„Die Ortsfchulbehörde bat fih von dem Ortsſchulaufſeher nad jeder 
von ihm abgehaltenen Prüfung über das Ergebniß verjelben einen dem 
Protokoll einzuverleibenden Bericht erftatten zu laſſen und auf Grundlage 
defielben das örtliche Volksſchulweſen im Allgemeinen, fowie insbeſondere 
bie zu feiner Förderung dienenden Maßregeln und die etwa abzuftellenven 
Mibftände einer eingehenden Beſprechung zu unterziehen, aud hierauf die 
erforderlichen Beſchlüſſe zu fallen. 

„Das hierüber aufjzunehmende Protokoll ift nebit dem Lehrplan für 
bie betreffende Klafie bei der naͤchſten Prüfung zu benußen. 

„Aus Anlaß der erwähnten Beihlußfafiung giebt die Ortsſchulbehoͤrde 
in Anweſenheit der perſönlich betbeiligten Lehrer über die Amtsführung ber 
Lehrer eine Aeußerung zu Protofoll, welche ſodann denſelben mitge: 
theilt wird. 

„ven vom Ortsſchulaufſeher auszuftellenden Zeugniſſen ift bie neuefle 
Aeußerung der Ortsſchulbehoͤrde jedesmal beizufügen. 

„8) Die Ortsſchulbehoͤrde hat dem Lehrer binfichtlih feiner Amts 
führung jeden thunlihen Vorſchub zu leiflen und ihn namentlich in Auf 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 679 


rechthaltung der Schulordnung gegenüber unberufener Einmiſchung der Eltern 
zu unterftügen. Auch hat fie dafür zu forgen, daß dem Lehrer fein Ein- 
tommen und die damit verbundenen Bezüge rechtzeitig und unverlürzt ab- 
gereicht, und daß feine Dienftmohnung ſtets in gutem und wohnlihem Zus 
ſtande erhalten wird; beziehungsmweife hat dieſelbe erforderlihenfalls vie 
nöthigen Anträge bei den zuftändigen Behörden zu ftellen. 

„9) Streitigkeiten, welde ſich zwiſchen dem Lehrerperfonal ergeben, 
fomie Klagen und Beichmerben, welche von Eltern oder deren Stellver: 
treten gegen den Lehrer erhoben werden, hat die Ortsſchulbehoͤrde zu 
erledigen, fo weit nicht zur Grlebigung derfelben der Ortsſchulinſpector ober 
bie nächſthöhere Dienftbehörbe zuftändig ift, beziehungsmweife jo weit nicht 
bei Schulen, an welden ein Oberlehrer functionirt, die Ausgleihung etwaiger 
Differenzen zwiſchen den Lehrern zunächſt dur) den Oberlehrer erzielt 

werden lann. 

„10) Die Ortsjhulbehörde hat die Befugniß, dem Lehrer, wenn er 
ſich Dienftverfehlungen zur Schuld bringt oder in feinem Wandel Anfioß 
erregt, Crmahnungen und Burechtweifungen zu ertbeilen. 

„Wenn es fih aber um eigentliche Beitrafung eines Lehrers handelt, 
jo ift die Sache dem gemeinfchaftliden Oberamt vorzulegen. 

„I11) Ueber die Beftrafung gröberer, nicht das infchreiten ver 
Polizei: over Gerichtsbehoͤrde erfordernder Vergehen der Schüler bat die 
Ortsfchulbehörde zu erkennen. | 

„Auch ſteht ihr zu, die von ihr erkannten Schulftrafen durch ven 
Lehrer vollziehen zu lafien. 


II. Der Ortsihulinfpector, feine Pflihten und Rechte. 


„1) Die fpecielle und techniſche Schulaufſicht ift Obliegenheit des 
Pfarrers derjenigen Confefjion, welcher der Schulmeifter angehört; wenn 
aber mehrere Geiltlihe einer Confeſſion an einer Gemeinde angeftellt find, 
desjenigen, welchen die Oberſchulbehörde beſonders mit der örtlihen Schul 
auffiht beauftragt bat. 

„2) Der Drtsichulinfpector hat demgemäß mit Beachtung der allge: 
meinen und lolalen Schulordnung und unbefchadet der Rechte der Orts⸗ 
ſchulbehörde, beziehungsweije bei Schullompleren mit fünf oder mehr Klaſſen 
unter Mitwirlung des Oberlehrers das ganze örtlide, namentlih das 
innere Voltsſchulweſen zu leiten, indbefondere die Aufnahme der in 
das ſchulpflichtige Alter eingetretenen over ſonſt zum Eintritt angemelveten 
Kinder in die Schule einzuleiten, die Vertheilung der Schüler in Klaſſen 
und deren Vorrüden aus der niederen Klafie in die höhere im Benehmen 
mit den betreffenden Lehrern vorzunehmen, den Schulunterridt, die Schul⸗ 
erziehung und Schulisciplin, die äußere Schuloronung, den Schulbefud 
und die Einhaltung der Schulzeit, des Lehrplans und Stundenplans, das 
Sneinandergreifen des Unterrichts verſchiedener Schulllaſſen, auch die richtige 
Führung der vorgefchriebenen Bücher (Diarien, Schulverfäumnißliften und 
dergl.) zu überwachen, fowie auf das dienſtliche und außerdienftlihe Ver⸗ 
halten des Lehrers zu achten. 


680 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ıc. 


„3) Hinfihtlih der Lehrerconvente, in welchen er den Borlis 
führt, und der Mitwirtung der mit Auffihtsfunctionen beauj- 
tragten Lehrer, welche ihm untergeorpnet find, bat der Echulinfpector 
ſich ſelbſt nach den Minifterialverfügungen vom 18. Juni 1863 zu achten 
und deren Ginhaltung jeitens der Lehrer zu überwaden. 

„Den Oberlehrer und die fonft mit Auffichtöfunctionen im Sinne ber 
Minifterialverfügung vom 11. September vo. J. beauftragten Lehrer hat ber 
Ortsſchulaufſeher in ihr Amt einzuführen. 

„Auch bat er mit dem Öberlebrer mindeſtens alle Bierteljahre eine 
eingehende Beiprehung über die von ihm gemachten Wahrnehmungen bezüg- 
lih des Unterrihts und der Schulzucht in den einzelnen Klaſſen zu halten 
und darüber ein Protofoll aufzunehmen. 

„4) In feiner Stellung zu den Lehrern wird der Ortsſchul⸗ 
infpector deren Rechte achten, fie in ihrer gefammten Wirkfamleit nah Sträften 
unterftügen und ihnen mit Mohlwollen und Freundlichkeit begegnen. 

„Aud wird er in der Methode des Unterrichts und in der Hanbhabung 
der Schulzucht namentlih den ftändigen Lehrern, fo lange fie die allgemein 
aneslannten Grundſätze des Unterrichts und der Erziehung beobadıten und 
von den genehmigten Beſchlüſſen des betreffenden Lehrerconvents nicht 
abmeichen, jede zuläjfige Freiheit gewähren. 

„Es kommt ihm aber auch zu, wenn dies ihm nöthig erjcheint, den 
Lehrern Grinnerungen, Burechtweifungen und Marnungen zu ertbeilen, und 
zwar, je nah Umſtänden, nad vorgängiger Rüdipradhe mit dem mit Auf 
fihtsfunctionen betrauten Lehrer, auch geeignetenfalld in defien Gegenwart. 

‚‚Mebrigens bat dies in der Regel mündlich zu geſchehen, aud darf 
der Lehrer von dem Echulinfpector nie in Gegenwart der Schüler durch 
tadelnde Bemerkungen bioßgejtellt werben. 

‚‚») Insbeſondere in Beziehung auf die unftändigen Lehrer liegt 
dem Schulinfpector ob, ihnen entweder unmittelbar oder durch Vermittlung 
der mit Auffihtsbefugniffen über diefelben betrauten Lehrer hinfichtlich ihres 
dienftliben und außerdienftlihen erhaltene die nöthigen bejonderen An: 
weijungen zu geben, fie in ihrer theoretifhen und praktiſchen Fortbildung 
nah Bebürfniß zu leiten und fie vor fittlihen Gefahren und Abmegen 
wohlmeinend zu warnen. 

„6) Er ilt verpflichtet, fih durch regelmäßige Shulbejude von 
dem Stande und dem Fortgange des Unterrihts und von dem Verhalten 
der Schüler in fteter Renntniß zu erhalten, etwaige Mipftände und Ordnungs⸗ 
widrigleiten, die von ihm ſelbſt wahrgenommen oder von dem Lehrer 
angezeigt werden, abzujtellen, beziehungsweiſe deren Abftellung zu veranlafien, 

„In der Regel follen zwei Beſuche wöchentlich ftattfinden, unter 
angemejjener Beſchränkung bei Filialſchulen und größeren Schulcompleren, 
namentlich folden, für welche Oberlehrer beftellt find. Die Sculbefude 
find in das Schuldiarium mit Angabe des Datums einzutragen. Weberdies 
wird den Schulauffehern die Führung eines eigenen Tagebuches über bie 
Schulbejuhe und über ihre anderweitige Thätigleit für die Schule empfohlen. 

„7) Die Entwerfung des Fehr: und Stundenplans if zunächſt 
Sade bed Lehrers und beziebungsmweife an Schulen mit mindeitens brei 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 681 


Lehrern des Lehrerconvents. Dieſe Pläne unterliegen jedoch der Genehmigung 
des Ortsſchulinſpectors. 

„8) Der Ortsfchulinfpector bat darauf zu ſehen, daß die feftgefegte 
Schulzeit nicht durch die firhlihe Berrihtung des Lehrers ohne 
Noth befchräntt und daß die Zeit für den von ihm oder einem andern 
Geiltlihen zu ertbeilenden NReligionsunterriht in den Stundenplan aufs 
genommen, jo wie daß diejelbe, bejondere Verhinderungsfälle ausgenommen, 
auch wirklich eingehalten werde. 

„9) Urlaub außer den Ferien kann der Ortsfchulinipector den Lehrern 
in dringenden Fällen bis auf 3 Tage ertheilen. Geſuche um Urlaub auf 
längere Dauer bat er dem Bezirksſchulaufſeher vorzulegen, welchem die Be: 
fugniß zufteht, Urlaub bis auf 8 Tage zu ertbeilen. 

„10) Der Ortsfchulaufjeher hat darüber zu wachen, daß jede Ein: 
ftellung des Unterrichts ebenfo wie jede Webertragung deſſelben an 
eine andere Perjon in das Diarium eingetragen werde. 

„11) Ueber die Anſchaffung von Bühern und Lehrmitteln 
für die Lehrer hat der Schulauffeher fi zuvor mit den Lehrern zu ver: 
ftändigen, beziehungsmeife bei jolhen Schulen, an melden ein Lehrerconvent 
befteht, einen Beihluß des leßteren herbeizuführen. Ergiebt fi hierbei 
eine Meinungsverſchiedenheit zwiſchen dem Schulaufſeher und den Lehrern, 
beziehungsweiſe dem SLehrerconvente, fo bat der erftere eine Beſchlußnahme 
der Ortsſchulbehörde hierüber zu veranlaflen. 

„Die Aufficht über die Bücher- und Lehrmittelfammlung der Schule, 
welche, wenn immer möglih, im Schulhauſe zu verwahren, jedenfall aber 
dem Lehrerperjonal ftets zugänglid zu erhalten ift, fommt dem Schulaufs 
jeher zu, und zwar an Schulcompleren, für welde ein Oberlehrer angeftellt 
ift, unter Mitwirkung des lebteren. Den Sturz diefer Sammlungen bat 
der Ortsfchulinfpector alljährlih im Frühjahr vorzunehmen, beziehungsweiſe 
die Vornahme deſſelben durch den Oberlehrer zu veranlafjen. Das Ergebniß 
it in einem Protokoll zu beurkunden. 

„12) Das Recht, einem Scullinde aus dringenden Gründen Dis: 
penfation vom Schulbejud zu ertheilen, jteht mit Beſchränkung auf 
höchftens zwei Tage in der Woche dem Lehrer der betreffenden Klafje zu. 
Weitergehende Dispenjationen künnen von dem Ortsſchulinſpector in Fällen, 
wo ein bejonders dringendes Bedürfniß biezu conftatirt ift, ertbeilt werden. 
Einem Lehrer, gegen welchen grobe Mißbräuche in Ausübung der ihm ein- 
geräumten Dispenfationsbefugniß erwieſen werden, kann auf den Antrag 
des Ortsſchulaufſehers — beziehungsweije nad) vorgängiger Benehmung des 
Oberlehrerd — jene Befugniß von dem Bezirksſchulinſpector entzogen werden, 
in welchem Falle alddann die Dispenjationen ftetS von dem Ortsjchulauf- 
jeber zu ertheilen find. | 

„Dispenjationen von dem NReligionsunterricht des Geiftlihen werben 
von letzterem felbft ertheilt. 

‚Bon den ertheilten Dispenfationen, melde von dem Lehrer je an 
dem Tage der Ertheilung in die Verfäumnißliften einzutragen find, hat der 
Schulauffeher bei feinen Schulbefuhen durch Einfiht diejer Liften Kenntniß 
zu nehmen, wie denn auch der Oberlehrer auf diefe Berfäumnifie fein 


682 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 


Augenmerk zu rihten bat. In den Berfäumnißliften find auch bie von 
dem Ortsfchulauffeher ertheilten Dispenfationen, von melden der leßtere 
den Lehrer jedesmal in Kenntniß zu feßen bat, vorzumerfen. 

„13) Findet fih der Schulauffeher veranlaßt, über einen Schüler eine 
Strafe zu verbängen. die er vom Lehrer vollzogen wünſcht, fo hat er 
ſich mit viefem zuvor über die Art und das Maf der Strafe zu verflän- 
digen, im Anftandsfalle aber die Sache durd die Ortsſchulbehoͤrde entſcheiden 
zu laſſen. Der perjönlihen Vornahme von Törperlihen Züdhtigungen der 
Schulkinder bat der Schulinfpector ſich ftets zu enthalten. 

„14) Die Abhaltung der periodischen ordentliben Shulprüfungen 
kommt dem Ortsfhulauffeber zu. Die Tage derfelben bat er nah Rüd— 
ſprache mit dem Lehrer, auch beziehungsmeife dem Oberlehrer je am Schlufie 
der Winter und Sommerſchule feitzufeßen und den Mitgliedern der Orts⸗ 
ſchulbehörde vorher rechtzeitig zur Kenntniß zu bringen. Die Abhaltung der 
Prüfung ift unter Einladung der Eltern der Schüler öffentlih befannt zu 
mahen. Das Refultat der Prüfung ift momöglid am Sclufie des 
Prüfungsgefhäfts und jedenfalls vor der Mittbeilung an die Ortsſchulbehörde 
zur Kenntniß des Lehrers zu bringen. 

„15) Die Ausftellung von Zeugniffen für die Lehrer und dic 
Gritattung von Beiberihten zu deren Meldungen liegt dem Schulinfpector 
ob, ebenjo die Vorlegung der neuelten Aeußerung der Ortsſchulbehörde und 
derjenigen Zeugnifje, welche die mit Auffichtsfunctionen betrauten Lebrer 
nah Maßgabe der Minifterialverfügung vom 11. September 1865 aus 
zuftellen haben. Auch an denjenigen Schulen, an melden bloß ein 
Schulmeiſter angeftellt ift, bat verjelbe über den Lehrgehilfen, ver 
unter feiner Leitung und Verantwortlichkeit functionirt, ein Zeugniß aus 
Anlaß feiner Meldung auszuftellen, das der Ortsſchulinſpector höberen Orts 
vorzulegen bat. 

„16) Die Schulferien find von dem Sculinfpector im Ginver: 
ftändniffe mit den Lehrern, beziehungsmweife bei größeren Schullompleren 
mit dem Öberlehrer, unter Beiziehung des Ortsvorftebers, in Anftandsfällen 
aber von der Ortsſchulbehörde mit Beobadhtung der hierüber beftehenden 
allgemeinen Vorſchriften zu beflimmen. 

„Rad vorftehender Verfügung baden fih die Lehrer wie fämmtliche 
Schulauflihtsbehörden genau zu achten.“ 

Diefer Verordnung muß man nahrühmen, daß fie die betreffenden 
Berhältniffe genau regelt. Aber fie geftattet den Lehrern wenig Selbftändig: 
keit. Der Orisſchulaufſeher ift überall, auch an mehrklaſſigen Schulen, der 
eigentlihe Dirigent. 

6. Ein Minijterial:Erlaß geftattet den Bezirksſchulinſpectoren größerer 
Schulfomplere, geeignete Lehrer nach Bebürfniß zur Unterftüßung bei 
Schulviſitationen beizuziehen. Werben fie außerhalb ihres Wohnortes 
verwendet, jo erhalten fie pro Tag 4 fi. 

7. Ein ConfiftorialsErlaß macht den unſtändigen Geiſtlichen ein ge 
regeltes Etubium der pädagogiihen Wiſſenſchaften zur Pflicht. 

8. Eeminardirector Ciſenlohr, der fih immer ein offenes Auge 
für Alles bält, was fih auf die Schule bezieht, veröffentlicht im württem⸗ 





Die äußern Angelegenheiten der Volksfchule ce. 683 


bergijhen Schulwochenblatt (1866) aus Anlaß des denkwürdigen Krieges 
des Yahres 1866, in Bezug auf den das Ausland unter dem 27. Auli 
jagt: „In dem jüngften Striege hat der preußifhe Schulmeifter 
den Öfterreihijhen Schulmeifter beſiegt“, acht Theſen, die 
wir bier in etwas abgelürzter Form wiedergeben und der Beherzigung 
empfeblen. 

„1) Die neueften Zeitereignifle find geeignet, mie auf alle öffentlichen 
BZuftände, jo auch auf unfer Volksſchulweſen ein helles Schlaglicht zu 
werfen. 2) Die Volksſchule ift ein höchſt wichtiger, in feiner Bedeu: 
tung vielfach unterfhäßter Factor desöffentlihben und nationalen 
Lebens nad feiner politiihen, jocialen, volkswirtbichaftlihen und mili- 
täriſchen Seite. 3) Der Stand derſelben entipriht in vielen Ländern, 
darunter auch in unjerem engern Baterlande, Württemberg, noch nicht 
der Aufgabe, die im Intereſſe des öffentlichen Lebens an fie geftellt 
werden muß und mit Recht an fie geftellt werden Tann. 4) Um diefer 
gerecht zu werben, bat fie im Unterricht die fittlihen und intellec- 
tuellen Kräfte ihrer Schüler mehr, als dies bis jeßt der Fall ift, zu 
entwideln und Bildung zur geiftig freien Selbftthätigleit und Selbſländig⸗ 
keit zu erftreben. 5) Bu ihrer Erfüllung bat fie aber auch die ihr anver: 
trauten Kinder mit einem reiheren Maß von Lebens: Anfhauungen 
und Fertigkeiten auszuftatten. 6) Für ihre Löfung muß endlich die 
Volksſchule rüdfichtlih der Disciplinirung der Schülermafjen 
Befrievigenderes als bisher leiften. 7) Wefentlihe innere Bedingungen, 
unter denen eine Steigerung der Kraft der Volksſchule allein möglich ift, 
find: a) Ausbildung der UnterrihtSmethode auf pſychologiſcher und 
anſchaulicher Grundlage und in einer die Selbfithätigleit des Kindes an— 
regenden Richtung. Diefe Forderung erftredt fi namentlih aud auf ven 
fogenannten Realien-Unterriht ; b) forgfältige Organifation des 
Unterrichts; e) größere Achtſamkeit auf die bisher vernadhläfligten 
Seiten ver Schulerziehbung; d) genügende Vorbildung des Leh— 
rerſtandes und entſchiedene Ausſchließung der Unfähigen. 8) Dazu 
tommen aber aud unumgänglibe äußere Bebingungen: a) Lebens 
digere Theilnahbme des Bürgertbums an feinem Schulweſen, 
namentlich dur größere Deffentlichkeit defielben; b) eingehende, ftrammere 
Controle des Volksſchulweſens; c) fparfamere und forgfältigere Ause 
nußung der gejeglihen, an und für fih fhon karg zugemefienen 
Schulzeit; d) Durchführung zwedtrefjender Einrihtungen, dur melde 
auf der einen Seite die Verantmortlichleit, auf der andern Seite bie 
vegere jelbfttbätige Theilnahbme der Lehrer für die von ihnen 
vertretene Sache gefördert wird. (Landes⸗Schulſynode, Pflege des Ober 
lehrer: und Aufſichts⸗Lehrer⸗Inſtituts; durchgeführte Theilnahme von Lehrern 
an den Bezirks:Sculvifitationen; gegenfeitige Anwohnung ver Lehrer bei 
den Prüfungen; von Zeit zu Beit Entfernung intelligenter Lehrer in andere 
deutjche Länder zum Beſuch der dortigen Seminarien und auögezeichneter 
Schulen.) 


684 Die Außern Angelegenheiten der Volksſchule x. 


XXX Bayern 


1. In Bayern regt fihs. Es wird die Beratbung eines Schul: 
gejeßed in Ausficht geftellt, das eine vollftändige Zrennung ber Schule von 
der Kirche in Ausficht ftellt. Die Bifchöfe haben davon Wind befommen, 
und legen bereitö Proteft bei der Regierung ein. Hoffentli wird berjelbe 
eben jo wirkungslos bleiben, wie in Baden, wo ſich die gute Sade immer 
mehr und mehr Durdarbeitet. Wie fi einft das Judenthum mit feiner 
Priefterwirtbichaft überlebt hatte und darum von Jeſus geftürzt und für 
immer begraben werben konnte, genau fo verhält es ſich mit der Herrfchaft 
der Kirche über die Schule; die Tage diefer Herrſchaft find gezählt. Kirche 
und Schule arbeiten an der Zerftörung des Bünbniffes, wenn aud aus 
entgegengejeßten Gründen. 

„Das Alte flürzt, es ändert fi die Zeit, 
Und neues Leben blüht aus den Ruinen.” 


Mir wünjhen jehr, daß die Herren Geiftliben bald mit dem alten 
Attinghaufen jprehen möchten: . 


„Hat fih der Landmann folwer That verwogen, 
Aus eignem Mittel, ohne Hilf’ der Edeln, 

Hat er der eignen Kraft fo viel vertraut — 
Ya, dann bebarf es unjerer nicht mehr: 
Getröftet lönnen wir zu Grabe fteigen, 

63 lebt nah ung — durch andre’ Kräfte mill 
Das Herrlihe der Menſchheit ſich erhalten.“ 


In Nr. AO der Allgemeinen deutſchen Lehrerzeitung heißt es in Bezug 
auf das in Angriff genommene Schulgeieß: „So viel über den noch immer 
ziemlich geheim gehaltenen Entwurf eines Schulgefeßes, jomie über die Be 
tatbung der Commiſſion über ihn verlautet, foll mit ver bisherigen Schul: 
auffiht gänzlich gebrodyen werden und die Aufhebung der geiftlihen Local⸗ 
und Diftrietsinfpectionen bevorftehen. Dafür fei die Errihtung von Bezirks 
injpectionen (über je 150 bis 180 Schulen) zu gewärtigen. Als Inipec 
toren follen Schulmänner aufgeftellt werden; doch können aud Geiftlidhe . 
dieſes Amt befleiden, fofern fie ihre theologische Wirkfamteit quittiren. Die 
zu bildende Ortsſchulcommiſſion joll aus dem Bürgermeifter ald Borfigen: 
dem, zwei bürgerlihen Raͤthen, einem Geiftlihen und einem Lehrer befteben. 
Der Religionsunterriht fei vom Geiftlihen zu ertheilen; außerdem ftehe 
diefem ein Einfluß auf die Schule nicht zu.’ 

Das läßt fih ſchon hören. 

2. Die ſchon früher in Angriff genommene Reorganijation ver 
Sähullehrerjfeminare ift erfolgt. Die Hauptgfundjäge des neuen 
Planes find folgende: 

1) Für den Borbereitungsunterriht wird in jedem Regierungsbezirte 
nah Bedürfniß an größeren Orten eine beftimmte Anzahl von Präpa: 
randenſchulen mit drei Jahreskurſen als öffentliche Unterrichtsanſtalten 








Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule c. 685 


errichtet, und ſoll der Bedarf aus öffentlichen Fonds beitritten werden. 
2) Diefelben jollen mit einem SHauptlehrer aus der Zahl der tüchtigften 
Schullehrer und dem erforderlichen Hilfsperfonal befeßt uno demjelben an- 
gemeſſene Bezüge aus Centralfonds angemwiejen werden. 3) Als Religions: 
lehrer wird ein der einfchlägigen Confeffion angehöriger Geiltliher des Orts 
von der Kreisregierung im Einverftänpnifje mit der kirchlichen Oberbehörde 
gegen eine Nemuneration betraut und liegt demfelben die Ueberwachung 
des religiös-fittlihen Betragens ob. A) Die Auffiht über diefe Schulen 
führt in den Städten, wo eine Localſchulcommiſſion befteht, der Localſchul⸗ 
commiſſar, in den anderen Orten der einjchlägige Diltrictsjchulinfpector. 
5) Die Zöglinge der Präparanvenjhulen find nicht internirt, ſondern jollen 
bei rechtjchaffenen und ebrenhaften Leuten untergebracht werden. 6) Für 
die eigentlihe Fachbildung jollen die bisherigen Schullehrerfeminare mit 
zwei Jahreskurſen fortbeftehen. Das Internat wird bier als Regel, jedoch 
mit wejentlicher Erleichterung und mit Bulafiung des Erternats in beftimm: 
ten Ausnahmefällen aufrecht erhalten. 7) Die Beſetzung der Inſpectorſtelle 
an den Seminaren foll ihre bisherige Beichräntung auf ven geiftlihen 
Stand verlieren, dagegen die Befeßung der Präfectenftelle in der Regel 
und insbefondere Dann, wenn der Inſpector ein Laie ift, mit einem Geilt- 
lihen geſchehen. 8) Die nächſte Auffiht über die Schullehrerfeminare ſoll 
formationsgemäß von der königlichen SKreisregierung geführt werben. 
9) Der Unterriht in den Präparandenihulen und Schullehrerfeminaren, 
welcher unentgeltlich ift, ſoll eine ſolche Einrichtung erhalten, dab Schul: 
amtszöglinge ein tüchtiges Wiſſen und Können in den für ihren künftigen 
Beruf als nothwendig erkannten Gegenftänden. erlangen und fie des Stoffes 
vollftändig Meifter werden. 10) Die Erziehung der Böglinge in beiden 
Anftalten joll in chriftlich:religiöfem Geifte geleitet, bierbei eine liebevolle 
Milde mit dem erforderlihen Ernſt gepaart werden. 11) Das Verhältnig 
ver kirchlichen Oberbehoͤrde zu den fraglihen Bildungsanftalten ſoll fireng 
nad den einjhlägigen verfafiungsmäzigen Beltimmungen bemefjen werden. 
12) Für Gewinnung der praftiihen Lehrgemandtheit follen die Schulamts: 
zöglinge nad) beendigter Fachbildung eine einjährige Praris bei tüchtigen 
Schullehrern durchmachen, daneben foll auf die Fortbildung der Schuldienit- 
Erpectanten bis zu dem vierten Jahre nah dem Austritt aus dem Seminar 
durh eine am Sitze der Sreisregierung ftattfindende Anftellungsprüfung 
entjprehend Nüdfiht genommen und follen mit der Leitung derjelben tüch⸗ 
tige Schullehrer betraut werden. 13) Dürftigen und würdigen Schulamts⸗ 
zöglingen follen in allen Stadien der Bildungszeit angemefjene Unterſtützun⸗ 
gen aus öffentlihen Fonds verabreicht werben. 

Einen erheblichen Fortfchritt in der Ausbildung der Seminare können 
wir in dieſen Beftimmungen nicht erbliden. Wir hoffen aber, daß bie 
Seminare von dem neuen Schulgejeg nicht unberührt bleiben werden. Eine 
freie Schule fordert noch andere Lehrer, als fie aus den jo eingerichteten 
Seminaren hervorgehen können. 

3. Im 17. Bande des Sahresberihts haben wir Nachricht gegeben 
von der Bildung und dem erfreulihen Aufblüben des bayerijhen „Volbs⸗ 
ſchullehrervereins“. Der Verein ift ſeitdem in feiner Entwidelung 


686 Die äußern Angelegenheiten ber Volfefchule zc. 


nit fleben geblieben, hat vielmehr eine erfreulide Xhätigleit entfaltet. 

Dennoh muß aud er erleben, daß mans nicht Allen in der Weit edit 

machen kann, und daß namentlih ſehr große Bereine — der genannte 

Berein zählte nad unferem angezogenen Bericht 4000 Mitglieder — nicht 

frei bleiben von allerlei mißliebigen Angriffen. Wie fo oft im Leben, jo 

bat auch hier — die Religion den Hader herbeigerufen. Katholik und 

Proteftant vertragen fi nit mit einander, können jih nicht einmal zu 

einem Liebesmert — e3 handelte fih um Erridtung eines Inſtituts für 

Lehrerwaiſen — vereinigen. Zraurige Erſcheinung! 

Wir können bier in diefen Streit nicht eingehen. Wer ſich näber dafür 
interejjirt, der findet genügende Auskunft in der Schrift: 

17. Der bayeriſche Volkéeſchullehrer⸗Verein gegenüber den Berfuden, 
ihn confelfionell zu trennen, und gegenüber den zu Erreichung dieſes Zwedes 
neuerding® wider ihm ausgelprocdhenen Berdädtigungen. Ein Wort ber 
Mahnung und Redtiertigung vom Hauptausſchuſſe des Bereinkt. 
Bereinsverlag. 1867. 

Die ganze Darjtellung macht einen guten Cindrud. Die oft wirküid 
perfiven Angriffe der Gegner des Bereind find ruhig, bejonnen und mit 
Schärfe widerlegt. Die Shrift wird nicht ohne gute Wirkung bleiben, 
wenn fie au ihren Schluß nit ganz verwirklichen wird, nämlich das 
ſchöne Schiller'ſche Wort: 

„Wir wollen ſein ein einig Volk von Brüdern, 
Sn keiner Noth uns trennen noch Gefahr.‘‘ 


4 Schließlich machen mir bier noch auf eine Schrift aufmerfjam, 
die zwar zunädft nur auf Bayern berechnet ift, aber doch auch ein 
weiteres Intereſſe beanſpruchen kann. CS ilt die 
18. Syſtematiſche Zufammenftellung ber im Königreih Bayern 

eltendben Berorbnungen für die deutſchen Schulen mit be 

Fonberer Berüdfihtigung des Regierungebezirtes Oberfranften. gr. 8. 

(XXH, 245 u. 56 9.) Nürnberg, 3. Ph. Hamw’fhe Buchhandlung. (E. A 

Braun.) 1565. 1 Thlr. 

Abgefehen von der Belehrung, die Mander aus dem Bude fchöpfen 
wird, gewährt es vor allen Dingen einen Cinblid in das bayeriſche Schul⸗ 
wejen, hat alſo aud für die Geſchichte der Pädagogik einigen Werth. 


XXL Deſterreich. 


1. Gebört Defterreid aud nicht mehr zu Deutſchland, jo können 
wir es doc von unferem „Jahresbericht für die Volksſchullehrer Deutfch: 
lands’ nicht ausſchließen, midmen ihm vielmehr nah mie vor unfere 
Aufmerkjamkeit. Die Paädagogik kennt ohnehin politifhe Grenzen nidt; fie 
bat die Heranbildung des Kindes zum Menſchen zum Zmed und überläßt 
deflen Zuftugung zum Defterreidyer, Preußen, Medienburger, Gothaer, 
Schmarzburger, Waldeder, Liechtenfteiner u. f. w. andern Mächten, folden, 
die daran ein bejonderes Intereſſe haben. 

Am menigften ift aber auch gerade jeßt Veranlaſſung vorhanden, Defler: 
reich aufzugeben. Denn die öfterreihifchen Lehrer haben in diefem Sabre, 





Die äußern Ungelegenheiten ber Volksſchule ꝛ. 687 


im Sabre 1867, eine Mannesthat ausgeführt, die fie den beiten 
Standesgenofien aller Länder ebenbürtig madt: fie haben in den Tagen 
vom 4. bis 7. September in der Kaijerftadt, ja, was noch mehr jagen 
will, in der f. k. Hofburg eine Berfammlung abgehalten, die von 
ca. 2000 Lehrern aus allen Bauen beſucht war, und in biefer Verſamm⸗ 
lung die große That vollzogen, die Befreiung der Schule von der 
Herrfhajt der Geiftlihen zu fordern. Das ift heutzutage nod 
überall eine Mannesthat; in Defterreih, wo die Geiftlichleit bis dahin faft 
allmädtig war, ift es eine Niefenthat. Das DVerdienft, die Verſammlung 
zu Stande gebracht und in das rechte Geleije geführt zu haben, gebührt 
nad allen Berichten über diefelbe dem Herrn Franz Bobies. 


Man legte zunächſt auf diefer Verſammlung das offene Belenntniß 
ab, daß die öfterreihifhe Volksſchule noch lange nicht das fei, was fie 
fein folle, e3 aber unter dem Drud, unter der Herrſchaft der Geiftlichkeit 
auch nicht werden könne. Nur Leute, wie der Redacteur der öfterreihifchen 
Schulgeitung, der von den Allgem. deutſchen Lehrerverfammlungen ber nicht 
eben ſehr vortbeilhaft befannte Jacob Spitzer, fühlte ſich durch dieſe 
Srllärung unangenehm berührt, und meinte, man dürfe fi doc nicht 
jelbft ein Armuthszeugniß ausftellen. Dr. Bape aus Bielik bat ihn 
dieſer Armjeligleit wegen gebührend abgefertigt. Darauf murde die Frage 
discutirt: „Auf welche Weiſe kann die Schule zmwedent: 
ſprechend geftaltet werden?” Michael Binstorfer erhält dafür 
das Wort, verlangt Freiheit für die Schule von jeder Bevor; 
mundung und ftellt folgende Anträge: 


„Die erfte allgemeine öfterreihiiche Lehrerverfammlung mwolle in Be 
antwortung der Hauptfrage folgende Erflärung abgeben: Soll die öfter: 
reihijche Vollsfchule, die gegenwärtig nit it, was fie fein foll, fih wahr: 
baft heben, jo ift unerläßliche Bedingung ein auf verfafjungsmäßigem Wege 
zu Stande kommendes Schulgefeß, das die Freiheit der Schule und die 
berechtigten Forderungen der Septzeit in Bezug auf die Schule dur Ber: 
wirklichung folgender Principien garantirt: 

1) Die unmittelbare Beaufihtigung ver Vollsſchule ſei intelligenten 
Voltsihulmännern übertragen. . 

2) Der Lehrer fei ald Perſon rechtlich geſchuͤtzt durch gefeßliche Be⸗ 
flimmungen. Es fei alfo feitgeftellt, unter welhen Bedingungen ein Lehrer 
angefielt, unter welchen er entlaflen, unter melden bisciplinarijch gegen 
ihn vorgegangen werden kann. Die materielle Stellung des Lehrers jei 
geregelt durch Firirung eines Minimalgehaltes, durch ein Avancements: 
und Penſionsgeſetz. 

3) Der Lehrerftand nehme an der Schulgefeßgebung durch geſeßglich 
geregelte Vertretung in officiellen Conferenzen Theil. 

4) Dem Lehrer ſtehe die Wahl der Methode und der Lehrmittel frei. 

5) Die Schulpflichtigkeit beſtehe vom 6. bis zum vollendeten 14. Lebens⸗ 
jahre und werde mit dieſer Dauer der Schuljahre das Jahrgangsſyſtem in 
Einllang gebracht.“ 

Dieſe Anträge werden nah lebhafter Debatte einſtimmig ange 








— — —— — — — — — — —— — — — -. — 


688 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 


nommen und fohließlih noch durch den Zufag von dem Abgeorbueten 
Hermann: 

„Der allgemeine öſterreichiſche Lehrertag ſpricht die Ueberzeugung aus, 
daß die Volksſchule zur Erreichung ihrer Zwede volllommene Selbfländig: 
teit nötbig hat,“ 

befiegelt. 

Der Kampf um die Freiheit der Schule ift aljo in beftem Zuge, und 
diesmal wird er fiher zu Gunften der Schule durdgelämpft. 

2. Am 28. October 1867 bat das Abgeordnetenhaus nad drei: 
tägiger lebhafter Debatte das ihr unterbreitete Geſetz, welches die 
Schule von der Kirhe emancipirt, in zweiter Leſung auge: 
nommen. 

So ift alfo eine ver Früchte, melde die erfte große Lehrerverſamm⸗ 
lung in Wien getrieben, recht bald gezeitigt. Möge man doch auf biefem 
Wege fortfahren ! 

Da uns nur der Entwurf zu dieſem Geſetz vorliegt, nicht aber 
das Gefep felbft, fo müfjen wir deilen Mittheilung bis zum nädften Bande 
verfparen. 

3. Bon nicht geringerer Widtigleit, als das Borftebende, ift vie 
uns vom Prälidium des Gemeinderaths der Stadt Wien ſelbſi zugegangene 
Mittheilung, daß es feinen Bemühungen enblid gelungen if, die minife 

rielle Beftätigung ded Statuts für Errihtung des „Wiener Lehrer: 
Pädagogiums“ zu erlangen. Was mit dieſer Anftalt bezwedt wird, 
haben wir ſchon im vorigen Bande gejagt. Der Wichtigkeit der Sache 
balber theilen wir nachſtehend das genehmigte Statut vollftändig mit. 
Möge ed nun dem Gemeinderath gelingen, einen tüdtigen Director für 
die neue Anftalt zu gewinnen! 

Eine Aufforderung zu Meldungen für das Directoriat ift unterm 
10. Rov. 1867 erlaflen worden. 


Statut des Bimer Lehrer Pädagogiums. 
Erſter Abſchnitt. 


Allgemeine Beſtimmungen. 


8. 1. Das „Pädagogium“ iſt eine vom Gemeinderathe für bie 
Bollsichullehrer der Kommune Wien errihtete Fortbilpungsanftalt. 
Seine Aufgabe ift, jenen Lehrern, welche die ihnen bier gebotene Gelegen: 
beit ergreifen wollen, eine erböhte und vermehrte Berufsbildung, mie 
folde die Entwidlung des ſtädtiſchen Volksſchulweſens erfordert, zu ver: 
mitteln. 

$. 2. Die Fortbildung, welche das „Pädagogium“ ertheilt, ſoll 
eine doppelte, theoretiſche und praktiſche fein, und ſich in dreifacher 
Rihtung: fachwiſſenſchaftlicher, pädagogifher und fünf: 
leriſcher erftreden. 

8. 3. Bum Behuf der praktiſchen Ausbildung ift mit dem „Pädagogium‘, 
eine fogenannte Uebungsſchule, die eine in jeder Hinfiht muflerbafte 


Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 689 


’ 


Städtifche Volls- oder Bürgerfchule fein fol, fobald als möglich zu ver: 
binden. So lange eine ſolche Schule fehlt, wird der betreffende Unterricht 
(Mufter: und Brobelectionen) in einer anderen Schule oder im Päpda- 
gogium gegeben. 

8.4 Als „ordentliche Zöglinge‘ werden jene angejeben, 
welche an dem gejammten Unterrichte, einſchließlich des Unterrichts in ber 
Uebungsſchule, theilnehmen. Die Zahl derjelben wird, da die Zheilnahme 
an der Uebungsſchule nur eine beichräntte fein fann, alljährlich von der 
Auffihtscommiffion beitimmt. 

$. 5. Alle anderen Zöglinge erjcbeinen als „Kurshörer,“ und zwar 

a) als ordentliche, die mit Ausnahme des Unterrichts in der 
Uebungsſchule dem ganzen übrigen, theoretiſchen und praltifchen 
Unterrihte beimohnen; 

b) ald außerordentliche, die mit dem Director, unter Nachweis 
der von ihnen fchon erlangten Bildung, über die bejondere Art 
ihrer Betheiligung übereinlommen. 

Der Director entwirft zu diefem Ende einen Frequentationsplan, der 
den gefammten Unterriht nad ſyſtematiſchen Geſichtspunkten eintheilt, und 
jeden einzelnen Hörer in feine Abtbeilung, bezüglih Gruppe einreiht. 

Bloßes Hospitiren einzelner oder mehrerer Vorträge hat nicht Statt. 

8. 6. Somohl das Verzeihniß der „ordentlihen Zoͤglinge“ als der 
Frequentationsplan der ‚‚Kurshörer” ift jpäteftens drei Wochen nach Bes 
ginn des Lehrcurſus der Aufjihtscommiffion zur Genehmigung zu unter: 
breiten. „Ordentliche Zöglinge,” deren Borbildung fih im Berlaufe von 
drei Monaten als zu gering erweift, können auf Antrag des Lehrlörpers 
aus dem Berzeichnifie geitrichen werben. 


weiter Abfdnitt. 
Die Zöglinge, 


8. 7. Die Aufnahme der Böglinge geſchieht durch den Director am 
Unfange des Schuljahres. Zur Aufnahme ift die Beibringung eines Lehr: 
amtszeugnifies für Hauptihulen nothwendig. Wer als „ordentlicher Zög: 
ling‘ eintreten will, muß außerdem eine Skizze feines Bildungsganges 
beilegen. 

8. 8. An den Schulen der Commune wirltende Lehrer, welde die 
Aufnahme beanspruchen, haben weder eine Aufnahmsgebühr, noch ein Schul: 
geld, noch irgend eine andere Abgabe zu entrihten. Auch können Vie: 
jenigen von ihnen, für welde der Beſuch der Anftalt mit unerſchwinglichen 
Opfern verlnüpft wäre, um die Ermöglichung defielben bei dem Gemeindes 
rathe einlommen. Der Gemeinderath wird derartige Geſuche, die ein genaues 
Vetitum enthalten follen, zur vollen Würdigung der Auffihtscommiffion 
zuweiſen und über deren Vorſchlag erledigen. Hierbei ift jedoch von ver 
vollftändigen Befreiung vom Schulvienjte abzujehen. 

$. 9. An den Gemeindefchulen nit in Verwendung ftehende Can: 
didaten können in das „Pädagogium“ bloß als ‚‚orbentlihe Kurshörer“ 
oder „‚ordentliche Zöglinge” und nur unter der Bedingung eintreten, daß 

Büd. Jahresbericht. XIX. 44 





690 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule x. 


erftere ein vom Gemeinderathe feitgefeßtes Schulgeld vierteljährlich 
vorausbezablen ; 

leßtere dagegen entweber ebenfalls ein für diefe von Zöglingen be 
ftimmtes höheres Schulgeld vierteljährlih vorausentrichten, oder aber ſich 
durch fchriftlihen Mevers verpfliten, nad abjoloirtem Curſus durch ſechs 
Sabre fih dem communalen Schuldienſie zu widmen, im Falle der Nicht⸗ 
erfüllung diefer Verpflichtung aber einen der Summe des Schulgeldes, vie 
fie ohne Ausftellung des Neverjes zu leiften gehabt haben würden, gleich⸗ 
fommenden Betrag nachträglich zu bezahlen. 

Mer ungeadhtet der vorausgegangenen Mahnung zwei Monate über 
den Termin mit feinem Schulgelve im Rüdftande bleibt, ifl von ber An: 
ftalt ausgejählofien. 

8. 10. in jeder Zögling macht ſich mit feinem Eintritt in die Anftalt 
anbeifhig: die Unterrihtsftunden pünktlich zu befuhen, an den Uebungen 
fleißig theilzunehmen, den Wünjhen der Lehrer willig nadzulommen, 
überhaupt allen an ihn ergebenden und für die Zöglinge beftehenden Bor- 
schriften und Weifungen fich zu unterziehen. Die Anftalt erwartet von 
jevem Beſucher ferner: NReinlileit und Ordnung, Verträglichkeit gegen 
Mitſchüler, böflihes Benehmen gegen Vorgeſetzte, anftändiges Betragen 
gegen ‘jedermann. 

8. 11. Den Grundfägen ber Disciplin Zumiderhandelnde können bem 
Disciplinarverfahren unterzogen werden. Dieſes ift: 

. Zurehtweifung duch den Lehrer, 
Verweis durch den Director, 

Verweis vor der Lehrerconferenz, 
Verweis durh die Auffihtscommiffton, 
Androhung der Ausweilung, 

. Wirkliche Ausmeifung. 

Die Anwendung der Disciplinarmittel sub 4—6 erfolgt über Antrag 
des — Sehrlörpers von Seite der Auffihtscommilfion. Doch kann der Diredor 
bei ſchweren Vergeben proviforiih von dem Unterrichte ausſchließen. 

$. 12. Wer durch vierzehn Tage ohne genügende Entſchuldigung von 
dem Unterricht hinwegbleibt, ift als ausgetreten zu betradhten. 

Sollte ein Zögling die Anftalt vor Ablauf des Lehrcurſus verlaffen 
wollen, fo bat er fein fchriftliches Gntlafjungsgefuh dem Director zu über: 
geben, der es mit feiner Weußerung über bie Entlafiung jelbft, und wenn 
fie einen Reversfchüler betrifft, auch über die zu leiftende Rüdvergütung der 
Auffihtscommiffton zuftell. Bor Erledigung des Geſuches foll der Petent 
die Anftalt nicht verlaflen. 


Writter Abſchnitt 


Die Lehrer. 


. 8. 13. Jede Lehreritelle wird vom Gemeinderathe nah Ausſchreibung 
eines Goncurfes auf Vorſchlag des Directors über Antrag der Auffihte 
commifjion befegt, Als Lehrer am „Pädagogium‘ find nur ſolche Männer 


Ipa>un» 








Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule 2. 691 


zuläfig, die ihre volle Befähigung, angehende Lehrer für den Unterridt in 
dem betreffenden Fache auszubilden, dargethban haben. 


Jede Ernennung, beziehungsweife Wahl eines Lehrers, wird vor der 
Ausftellung des Decreted im Wege der k. k. Statthalterei dem Minifterium 
für Eultus und Unterriht zur Beſtätigung angezeigt, bei deren allfälliger 
Verweigerung analog den bezüglicyen Beltimmungen des Minifterial » Erlafies 
vom 20. März 1865, 3. 1057, St. M. I. vorzugehen ift. 


Die Confeffion ann kein Grund der Ausfhließung fein. 


$. 14. Ohne Erlaubniß des Directors darf keine Stunde eingeftellt 
werden. In Berhinderungsfällen ift demſelben rechtzeitig Anzeige zu machen, 
Ein adttägiger Urlaub kann von ihm, ein längerer nur von der Auffichts- 
commijjion ertheilt werben. Yür die Stellvertretung hat der Lehrer im 
Einverftänpniß mit dem Director zu forgen. Bei längerer Berbinderung 
wird die nöthige Verfügung von der Auffihtscommiffion getroffen. 


$. 15. Jeder Lehrer hat über den jeweiligen Beltand der ihm zur 
Verfügung geftellten Lehrmittel, Karten, Bücher, Zeichnungen, Apparate, 
Inſtrumente zc., ein von dem Director mitzufertigendes Verzeichniß zu führen 
und ijt für denjelben verantwortlid. 


8. 16. Jeder Lehrer hat die Pflicht, feinen. Unterriht genau nad 
dem feftgeftellten Lehrplane und im Anſchluſſe an die eingeführten Lehr: 
mittel zu ertheilen. Die für den Unterricht erforderliben Correcturen und 
Vorbereitungen find außer den Lehrſtunden vorzunehmen. 


8. 17. Sämmtlihe Lehrer haben den Director in ber Aufrechts 
haltung der Disciplin, jowie in allen übrigen Richtungen feines Amtes 
kräftigft zu unterftügen; namentlich werben fie alle drei Monate über Ver⸗ 
balten und Fortfchritte jedes Zöglings ihre motivirte Meinung abgeben. 

8. 18. Jeder am „Pädagogium” angeftellte Lehrer, mit Snbegriff 
des Lehrers an der Uebungsſchule, foll den Konferenzen des Lehrlörpers 
regelmäßig beimohnen. Abweſende find unter Angabe, ob entjihuldigt oder 
nit, im Protocolle anzumerten. Die Conferenzen finden am Gnde jeden 
Monats ftatt, außerdem fo oft es der Director oder bie Majorität des 
Lehrkörpers für nöthig erachtet. 

$. 19. Bor die Conferenz gehören alle widhtigeren Angelegenheiten : 
die Beiprehung des Lebhrplanes, Einführung der Lehrmittel, Aufnahme 
und Entlafjung der Zöglinge, mündliche und fhriftlihe Cenjuren, Anwen: 
dung des $. 11, 3. 3—6, Verftändigung über die Einrichtung des Unter: 
richts, Verbeſſerung deſſelben, allgemeine Fortentwidlung der Anjtalt, Gut⸗ 
achten für die Auffihtscommijfion u. j. w. 

8. 20. Nein Lehrer kann eigenmädtig und vor Ablauf des Semefters 
von der Anftalt ausfheiden. Will er es am Schlufle des Semeſters thun, 
fo muß er drei Monate vorher bei dem Gemeinderathe um feine Entbebung 
einfchreiten.” Der Gemeinderathb kann feinerjeits keinem Lehrer anders als 
für Ende des Halbjahres und fpäter als drei Monate vor Ablauf deflelben 
fündigen. 


44 * 


692 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule zc. 


Dierter Abſchnitt 
Der Director. 


$. 21. Der Director wird über Antrag der Auffihtscommilfion vom 
Gemeinderathe gewählt. Als Director kann nur ein Fachmann, ber ſchon 
in einer ähnlichen Anftalt mit Erfolg gewirkt bat, berufen werben. 

Die Wahl des Directors wird, ſowie die der Lehrer, dem Miniftertum 
für Cultus und Unterricht zur Beftätigung angezeigt und gelten für den 
Fall der Berweigerung die im 8. 13 enthaltenen Beflimmungen. 

8. 22. Der Director hat die unmittelbare Leitung und Beauffihtigung 
des „Pädagogiums;’ er vertritt es nah Außen und übt fein Amt nad 
den Normen dieſes Statuts, entweder allein oder in DBerbindung mit 
dem Lebrlörper, aus. 

8. 23. Für fih allein hat der Director 

a) den Vorſitz in der Lehrerconferenz ; 

b) die proviforiihe Aufnahme und Ginreihung der Zöglinge ; 

c) Theilnahme mit berathender Stimme an den Berhanblungen der 
Aufſichtscommiſſion, fo weit dieſe nicht ihn felbft ‚betreffen; 

d) Bermittlung des amtlihen Verkehrs zwiſchen der Aufſichtscom⸗ 
miffion und dem Lehrerperfonale; 

e) Bewilligung von Urlaubsgefuhen an Lehrer und Böglinge auf 
nicht länger als acht Tage; 

f) Entwurf des Stundenplans und proviforifhe, durch die Auf: 
fihtscommiffion zu beftätigende Einführung befielben; 

g) Sorge für die Handhabung der Disciplin und Schulorbnung in 
ihrem ganzen Umfange; \ 

h) Regelmäßige Unterrihtsbefuche im Paͤdagogium und der mit dem⸗ 
felben verbundenen Uebungsſchule mit Führung eines genauen 
Berzeihnifies, im welches jeder Beſuch nah Klaſſen, Faͤchern 
und Lehrern einzutragen ift; 

i) Ordnung ber praltiihen Uebungen im „Pädagogium‘ und ber 
Betbeiligung an denfelben feitens der Böglinge; 

k) Gutachten bei ber Wahl der Lehrer des Päpagogiums, ſowie 
über die Stellung und Verwendung berjelben ; 

]) Ueberwachung des ganzen Ganges der Anftalt, des Unterrihts der 
Lehrer, der Befolgung des Lehrplanes, des Gebrauches ber einge- 
führten Lehrmittel, der Einhaltung des Stunbenplanes; 

m) allgemeine Verantwortlichleit für die Ausführung aller die Anſtalt 
betreffenden Borjchriften, jo weit fie nicht der Aufſichtscommiſſion 
obliegt ; 

n) Rechnungs⸗ und Jahresbericht über Jämmtlihe Berhältnifie der 
Anftalt, mit befonderer Bezugnahme auf den Erfolg des Unter: 
rihts, das Verhalten der Böglinge, die Pflihterfüllung der 
Lehrer, die eigenen PVifttationen und Schulbeſuche, zu Handen 
der Auffihtscommiffion für den Gemeinderath. 


‘ 





Die äußern Angelegenheiten 
| 
%. 24. Gemeinfam mit dem Lehrlörpi 
die Lehrerconferenz gehörigen Gegenftände ($ 
bejonvere auf bie allfeitige Beachtung und. 
Grundfäte des Unterrichts ($. 33) binwirte 
8. 25. Wenn nit ein befonderes 
beftimmt, fo können Director und Gemeind 
Ablauf eined Semefters und nicht fpäter als. 
kündigen. Ä | 


Sünfter Abſchni 
Die Auffihtscomi 


$. 26. Zur Auffiht über das „Pädag 
rath eine Commilfion von fünf Mitgliedern, 
mannsStellvertreter und Schriftführer aus il 


8. 27. Der Director hat das Ned, ı 
miffion, die nicht ihn ſelbſt betreffen, mit bei 
Cbenſo können die anderen Lehrer, wenn di 
erachtet, einer Berathung beigezogen werden. 


8. 28. Die Commiffion foll ſich regeln 
tales fowie am Schluſſe des Schuljahres, auf 
erfordert, verſammeln. 


6. 29. Der Commiffion liegt, außer | 
9, 11 bis 14, 33 bis AO vorbehaltenen Wi 
a) die Uebermahung der genauen Bol 
ih beziehenden Normen; 
b) die Auffiht über die Pflichterfüll: 
Lehrer, Erhaltung der Eintradht zr 
ce) Bertbeilung der innerhalb des be 
einzelnen Wanderungen entfallenden 
d) Urlaubsertheilungen an den Direct: 
beitsfällen deſſelben; 
6) Aufnahme des Inventar über dat 
ftalt am Schluſſe jeden Schuljahres 
f) Zahresberiht über den Zufland d 
Directorialberichts ; 
g) Vorlage der Jahresrechnung über 
Auslagen der Anftalt, nebſt Boran 
h) Sorge für das allgemeine Gebeihen 
und die Entwidlung derfelben. 
8. 30. Die Auffihtscommilfion wird aı 
ein Mitglied vor diefer Zeit aus, fo ift von 
vierzehn Tagen eine Neuwahl vorzunehmen. 


694 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule x. 


Sechſter Abfdnilt. 
Der Unterricht. 


8. 31. Das Schuljahr währt zehn Donate. Während diefer Zeit 
giebt es außer den Sonns und Feiertagen und einer Freiwoche am Gnde 
des Winterhalbjahres keine weiteren Ferien. 

8. 32. Der Lehrcurſus des „Päpagogiums” umfaßt drei Klaſſen ober 
Yahrgänge, in denen zunädft folgende Segenftände gelehrt werben: 

Deutſche Sprade und Literatur, 

Mathematil (Rechnen und Geometrie), 

Naturgefhihte (Zoologie, Botanit und Mineralogie), 

Phyſik und Chemie, 

Melt: und Heimathskunde, 

Geſchichte, 

Anthropologie, 

Methodik, 

Zeichnen und Formenarbeiten; 

endlich, wenn es die Zeit geſtattet, lateiniſche Sprache, Geſang und 
Turnen. 

In Bezug auf die Religion iſt jeder Zöͤgling verpflichtet, ſich all⸗ 
jaͤhrlich mit einem Zeugniſſe über den Genuß eines feinem Glaubens: 
belenntnifje und dem Bmede der Anftalt entjpredhenden Unterrichtes aus: 
zuweilen. 

8. 33. Den Lehrplan, welder den Inhalt und Umfang, fo mie 
die Brundfäge des Unterrichtes für jeden einzelnen Gegenftand beftimmt, jet 
der Director mit dem Lebrlörper und der Aufſichtscommiſſion, vorbehaltlich 
der Genehmigung des Gemeinderatbes, fe. Dabei gelten folgende all: 
gemeine Grundſaͤtze: 

1. Der Unterricht im „Pädagogium” ift theild Wiederholung, theils 
Ergänzungsunterricht, der zugleich den gegebenen Stofj nad neuen Geſichts 
punkten verknüpft. 

2. Zur Aneignung wird nicht. Alles und Jedes, noch Bieles und 
Verfhiedenes, fondern nur das Wichtigfte und Glementare, dieſes aber 
vollfiändig gebradt. 

3. Der Zmed der Willensaneignung muß mit dem Zwece der Unter⸗ 
rihtsbefähigung Hand in Hand gehen, fo daß die Form jedes Bortrages 
im „Paͤdagogium“ zugleih die Form abfpiegelt, in welcher ver Gegenftand 
in den Schulen zu lehren fein wird. 

4. Sämmtlide Gegenftände müflen einbeitliih d. b. in methodiſcher 
Uebereinflimmung und innerem Zuſammenhange gelehrt werben. 

5. Alles gedaͤchtnißmaͤßige Aufnehmen des Borgetragenen einerjeits, 
fowie alles Dogmatifiren und Dctropiren von Anfihten andererjeits, ſoll 
ftrenge vermieden, vielmehr der ganze Unterricht dahin geben, zur Selbf- 
thätigleit anzuregen, das freie Gelbfturtheil zu ermöglichen und bie eigene 
Yortbildung anzubahnen. 











Die äußern Angelegenheiten 

Der Lehrplan bedarf zu feiner Einfü 
Minifteriums für Cultus und Unterricht, welg 
Wege der k. k. Statthalterei eingeholt wird. 

Diefer Genehmigung unterliegt aud) . 
plane vorzunehmende Aenderung. 

8. 34. Ueber die Einführung von geh 
Auffihtscommiffion auf Antrag des Lehrkörpi 
Faͤchern, für welche Lehrbücher eingeführt find 
tihte zu Orunde gelegt werden. Doch darf 
Braucbarleit ihm befannt ift, den Böglingen 

$. 35. Der Stundenplan wird ve 
ſtändniß mit den einzelnen Lehrern verfaßt um 
beftätigt. Bei Feitfebung deflelben ift der Um 
den ein großer Xheil der Böglinge felbfi in d 
berüdfichtigen. 

8. 36. Während der lebten vier Woch 
allen Klaſſen und Gegenftänden eine allgemeine 
Diefelbe iſt fo einzurichten, daß fie einen klare 
Sahresleiftung des „Paͤdagogiums“ ermöglicht. 
fichtscommijjion find verpflichtet, der Wiederhol 
nad einem unter ihnen fefigejeßten Modus, bei 

8. 37. Die Leiftungen der Zöglinge fint 
bezeihnen: 

— fehr gut, 
2 — out, 
3 == genügend, 
4 = ungenügend. 

Wer ein erhaltenes „ungenügend‘ zu ver 
hei der Wiederholung zu erfcheinen verhindert n 
tor um die Zulafjung zu einer Nachprüfung an] 
BZögling frei, fih außer der Wiederholung einer 
zu unterziehen. Sowohl bei viefer als bei ver 
ſichtscommiſſion durch wenigfiens zwei ihrer Mi 

8. 38. ever Zögling bat das Recht, 
wenn er ber Wiederholung beigemohnt oder e 
auch über feine Aufführung, Leiftung und Befät 
langen. Die Zeugniſſe find vor ihrer Ausfolgu 
den betreffenden Lehrern unterzeichnet, der Auf 

8. 39. Nach beenveter Wiederholung tri 
mit dem Lehrlörper zu einer Schlußfigung zufar 
fämmtlihe Tabellen vorgelegt, die Referate ver 
und die Anträge des Directors geftellt wurden, 
Anmwefenden über die Borrüdung der Böglinge I 

8. 40. Zoͤglinge, die den dreijährigen GC 
baben, können ſich einer alle Gegenftände,. die 
werden, umfaflenden, tbeoretiichen und praltijchen 
die in Gegenwart der Auflihtscommijfion und 





696 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule ꝛc. 


fein wird. Der geprüfte Candidat erhält ein feine gefammte Leiftungsfäbig- 
feit charalterifirendes Abgangszeugniß. 


Siebenter Abſchnitt. 
Die Oberauffidt. 


8. 41. Die Oberauffiht über das „Pädagogium“ wird von ver Lt 
Statthalterei und dem Minifterium für Cultus und Unterriht ausgeübt. 

Den Abgeoroneten diefer Behörden fteht es frei, die Anflalt jederzeit 
zu infpiciren und den Prüfungen an derſelben beizumohnen. 

Die Jahresberichte des Directors und der Auffihtscommiffion werden 
von dem Gemeinderathe im Wege der k. k. Statthalterei dem Winifterium 
für Eultus und Unterricht vorgelegt. 


Schlußbeſtimmung. 


8. 42. Aenderungen dieſes Statutes unterliegen ver Genehmigung 
des Miniſteriums für Cultus und Unterricht, welche eintretenden Falles von 
dem Gemeinderathe im Wege der k. k. Statthalterei eingeholt wird. 


Genehmigt durch die Gemeinderathsbeſchlüſſe vom 21. Au⸗ 
guſt 1866. g 3854, vom 22. October 1867. 3. 5061 und 
vom 29. October 1867. 3. 5177. 


Der Bürgermeifter Stellvertreter: 
Dr. Kajetan Felder m. p. 
Nr. 9085. 1867. 
Diefes Statut wird vom ?. k. Minifterium für Cultus 
und Unterricht genehmigt. 
Wien den 1. November 1867. 
Der k. k. Juftizminifter 
als Leiter des Minifteriums für Cultus 
und Unterricht: 


(L. 8.) Sye m. p. 


4. Bon dem regen päbagogiichen Leben, weldes die Volksſchullehrer 
Wien's entwideln, giebt der zu unjerer Dankverpflibtung uns überfandte 


19. Yahresberiht bes erfien Wiener Tehrervereine „Die Bolks- 
ſchule“ und des damit verbundenen Sängerchore „Schuberi- 
bund‘“ (Wien, 1866, Verlag bed Vereins „Die Volksſchule“.) 


erfreuliche Kunde. Derjelbe zählt mit Einfluß der Ehrenmitglieder (8), 
der außerordentlihen (18) und correfponvirenden Mitglieder (5) im Gan⸗ 
zen 213 Theilnebmer. Daß dem Vereine noch mander Volksſchullehrer 
fern geblieben und daß derſelbe auch bereit3 manche Berbädhtigung hat 
erfahren müflen, erjehben wir aus einer Anſprache feines Präfidenten 
€. Kaltner „An die Herren Lehrer Wiens”. Das ift der Welt Lauf. 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 697 


Der Berein ſcheint aber jo tüchtige Kräfte in fiih zu haben, daß wir um 
feine Bulunft unbeforgt fein dürfen. Die Erundfäge, zu denen er ſich 
betennt, lauten: 


„Wiſſen iſt Macht, 

Fortſchritt auf der Bahn des Geſetzes, 
Prüfet Alles und behaltet das Beſte, 
Einigkeit macht ſtark!“ 


Damit kommt man ſchon ein gut Stüd vorwärts. 

Die mitgetheilten „Auszüge aus den Verſammlungsprotocollen“ laſſen 
die eifrige Betheiligung bei allen Sahen von Widtigleit erfennen. Aus 
den Verhandlungen vom 1. Februar 1866 erfehen wir, daß der Antrag 
zu der oben beſprochenen allgemeinen öfterreihifchen Lehrerverfjammlung von 
dem Herrn Tirector Galliftl ausgegangen ift. 

Sehr eingehend hat fih der Verein mit der Herftellung eines Lehr⸗ 
plans für ſechsklaſſige Volksſchulen, in die man die beſtehenden vierklaffigen 
verwandelt zu ſehen wünſcht, bejdhäftigt. 

Der Verein befigt auch bereits eine recht hübſche Bibliothek, für die 
ihm der Gemeinderath ein Lokal, das auch zu den Berfammlungen benutzt 
wird, ugentgeltlich überwiejen bat. 

Mit dem „Jahresberichte verbunden ift der „Jahresbericht des Wie⸗ 
ner⸗Lehrer⸗Saͤngerchors „Schubertbund“““, der ebenfalls eine ſchoͤne Thätig- 
teit zu entfalten jcheint. 

5. Die vereinigten evangelijden Schulen für die Mit- 
glieder der beiden evangelifhen Gemeinden zu Wien, die unter der Direc⸗ 
tion des Herrn Dr. A. Jacobi ftehen, haben „Mittbeilungen‘“ über 
diefe Anftalten veröffentliht, die außer Anderem auch die Lehrpläne 
berjelben enthalten. Obgleich Lehrpläne für ſolche Schulen nad den be= 
ftehenden Geſetzen anzulegen find, jo haben wir doch mit Vergnügen ver: 
nommen, daß fidh diefelben nad richtigen Grundſätzen haben geftalten dürfen. 
Eine forgjältige Prüfung dieſer Lehrpläne hat uns erfennen lafien, daß 
das Rechte in rechter Weife in dieſen Anftalten ausgeführt wird. Herr 
Sacobi ift exit feit November 1866 Director diefer Schulen, ſcheint aber 
der geeignete Mann zur Leitung derjelben zu fein. 

6. Auch die ungarifhen Lehrer rühren fih in erfreulichiter 
Weiſe. Sie ftehen eben im Begriff, Lehrervereine zu gründen. Die 
Lehrer des Banats mahen den Anfang damit. Ein proviforisches 
Comite, das den Herrn Joſef Rill in Vinga zu feinem Gejhäftsführer 
ernannt, bat einen mit Begeifterung abgefaßten Aufruf erlafien. Wir vers 
danken ihn feiner Freundlichkeit, und lafien den größeren Theil deſſelben 
bier folgen, da er einen Ginblid in die banater Schulverhältniffe geitattet, 
und fih außerbem auch für andere Kreiſe als anregend ermweijen dürfte. 


An die Lehrer Banatd und deren Freunde! 


Die Greigniffe der jüngftvergangenen Zeit, die eines jeden Patrioten 
Bufen mit Wonne füllten, gingen gewiß nicht jpurlos an Euch vorüber ! 


— — — — — — — — — — — —— —— — 





698 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule xc. 


Wir ftehen wieder auf gejeßlihem Boden! Die Bertreter der Nation 
werben vereint mit unferer freifinnigen Regierung von Neuem das Gebäude 
der Freibeit, Gleihheit und Brüderlihleit ver Bewohner 


‚Ungarns fortbauen! In dem Gebäude der Berfaflung muß aber der echte 


Geift walten! Denn was würde die Freiheit nügen, wenn die Bollsver: 
treter durch eine zum großen Xheile geiftig bejchränkte Volksmaſſe ihrer 
Beftimmung entgegengefandt werben würden? Es muß das Boll, — da 
ed dur das Geſetz für großjährig erllärt worden, — da es fi durch jeine 
frei gewählten Bertreter felbft Geſeze giebt — dahin gebraht werben: 
„daß es nicht auf Wühlereien höre, fondern aus guter, innerer Ueberzeugung 
bandlel Der ehte Geift muß im Volle gewedt werden, wenn er ſchlaͤft, 
geträftigt werden, wenn er ſchwach ift, geleitet werden, wenn er ſtrauchelt.“ 
Und das ift vie Aufgabe der Erziehung und Bildung des 
Volkes! 


Einer der wichtigſten Factoren der Volkserziehung iſt die Schule des 
Volkes! Die Seele der Volksſchule iſt der Volksſchullehrer. 
Die Volkserziehung liegt demnach zum großen Theile in den Händen der 
Volksſchullehrer! Wollen wir aber Erzieher des Volles merden, fo 
müflen wir es bei ung felbft anfangen; denn wer Anvere erziehen und 
bilven will, muß felbft gebildet und dharalterfeit fein ! 


Gin Hauptmittel zur Förderung der Standes: Inter» 
effen, zur Klärung der Anfihten, zur Vermeidung der Ein 
feitigleiten und Unridtigleiten ift — die Bereinigung. 
Nur in der Bereinigung ift Heil! Und darum vereinigen 
wir uns, gründen wir einen 


„banater Zebrerverein‘, 
dejien Mitglied jeder Lehrer werde, fei er alt oder jung. 


Durch einen Lehrerverein, aljo dur oftmaliges Berfammeln, 
fäme, wenn wir wollen — und wir wollen eg — „freundſchaftlicher 
Austaufh der Anfihten und der Meinungen zu Stande; 
dadurch würden alle Zweifel gelöft, baltbare Begriffe verall: 
gemeinet, pädagogifhe Zagesfragen gereinigt, entgegen: 
gefegte Meinungen ausgegliben, Lüden ausgefüllt wer: 
den.” Es würde unter den Verfammelten Offenheit, Repdefreibeit, 
Nächſtenliebe, lebhaftes Intereſſe an der Sache der Volks— 
bildung, Brüderlichkeit gewedt und herrſchend gemadht werben! 
Und ift das Alles da, fo fteht der Verein felſenfeft. Es mwürbe der Theo: 
retifer die praltiihe, der Praltiker die theoretifche Seite ber Unterrichts: 
wiſſenſchaft ablernen! Was Einer nicht weiß, weiß ber Andere | 

Das Alles kann und foll im „banater Lehrerverein“ geſchehen! 

Unfere Gründe, Cuch jebt zur Vereinigung aufzurufen, find folgende: 

Der erite Grund liegt in der Geſetzmäßigkeit unferes 
Strebens! Wir wiſſen, daß wir biemit nichts Neues jagen. Ihr jehnt 
Euch ja ſelbſt nah Bereinigung, folglih müßt Ihr willen, dab es ge 
ſchehen kann | 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ce. 699 


Sa, verehrte Schulmänner, die Beit der freien Berlörperung und 
der Redefreiheit in den gefeblihen Schranken ift nun wieder da. — Es 
wird und zur Bereinigung fein Hinderniß in den Weg 
gelegt! — Die im Jahre 1867 nad der Krönung des Königs von 
Ungarn beitätigten Geſetze des Jahres 1848 — und das iſt der 
Boden, auf dem wirunsalleinbewegenfollen und dürfen — 
tragen den Stempel der Aufllärung, ber Nädhftenliebe, ver Freiheit, der 
Humanität an fh. Auch der Schulen ift es in dieſem Geſetze im Geifte 
ber neuen Pädagogik, der Aufflärung, der wahren Volksbildung und ber 
Liberalität in aller Kürze gedacht! Grlaflet es uns, hier Geſetze zu citiren; 
fie find jedem Batrioten zu fehr belannt, als daß wir deren genaue Kenntniß 
nicht vorausſetzen follten!! 

Ein zweiter Grund, warum wir Euch jeßt zur Bereinigung auf> 
fordern, ift in dem betrübenden Umftande zu finden, daß man bie Lehrer 
in vielen Kreiſen der Geſellſchaft als „unmündig“ anfiebt, fo zwar, daß 
man fie in den öffentlihen Blättern vor nod nicht langer Beit ein „un: 
reifes Obſt“ nannte! 

Hier wollen wir eine Aeußerung in Grinnerung bringen, die unfer 
Unterrichtöminifter im Juli d. J. bezügli der Lehrer that. Dem Corre⸗ 
ſpondenten einer Zeitung in Wien erwieberte derfelbe auf deſſen Inter⸗ 
pellation über Reformpläne in Schulſachen: „Es wäre nichts leichter, 
als den [hönften Studienplan auf dem Papiere zu errichten; 
aber um die Reform unferes Unterrihtsfyftems ins Wert 
zu fegen, dazu gebridht es und an der erſten Bedingung: es 
fehlen uns die Lehrkräfte!“ 

Bedenket, daß derjelbe Miniſter dieß fagte, der einem ihn zu feinem 
Amtsantritt begrüßenden Lehrlörper erwiedernd, befanntlih aud pie an: 
ertennende Aeußerung that, daß „die verbängnißvollen Zeiten 
für das Unterrihtsmefen niht günftig waren;“ fagte: „Neben 
meinen ſchwachen Kräften bedarf ih außerordentliher Thätigkeit, 
patriotifher Mitwirkung, damit. '. . . unfer Vaterland unter den 
großen intelligenten Staaten endlich einen würdigen Bla einnehme. — 
Zur Vorbereitung diefer großen Ziele ift der eifrige Volkslehrer einer 
der umnentbebrlichften Arbeiter des Baterlandes! Solch eine Unter: 
ffüßung erwarte ih von jedem Lehrer!” Und daraus möget Ihr 
erfehen, daß man am entjcheibenvden Orte die Lehrer — troß jener Corres 
fpondenz aus Peſt — denn doch nicht eben als „unreifes Obſt“ betrachtet, 
ald unmündig, in Schulangelegenheiten ein Botum zu geben! Die Miß—⸗ 
gunjt der Verhaͤltniſſe ift jedenfalls Schuld daran, daß es „an Lehrkräften 
gebricht;“ deſto unermübdeter müflen wir ftreben, das DVerfäumte nach» 
zubolen. 

Es ift eine unumftößliche Wahrheit, daß die Lehrer unſeres Bater: 
landes im Allgemeinen nicht auf der Stufe der Bildung fteben, auf ber 
die Mehrzahl der Lehrer Deutſchlands und der Schweiz ſich befinven! 
Ebenfo wahr ift es aber auch: daß von dem Bildungsftande der Lehrer 
der Stand der Schulen abhängt. „Lehrer gut, Schule gut!” Da helfen 
teine Gefebe, feine Berorbnungen! Wenn die Schule gehoben werben fol, 








700 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule zc. 


muß ber Lebrerftand gehoben werden. — Wenn das Bolt gebildet werben 
foU, müflen ed zuvor die Lehrer des Volles ſein. „Herabprüden kann 
man die Schule und deren Lehrer dur dem Beitgeifte wiberftrebende Ber: 
orbnungen, aber heben nit!” das muß fchon dem Lehrer überlaflen 
werden! „Hebe pic felbft, jo wirft du gehoben!“ „Selbſt if 
der Mann!" Wie die einzelne Schule durch den betreffenden Lehrer, jo 
fann das Schulweien im Allgemeinen hauptſächlich durch die Lehrer 
gehoben werden. Denn nur der fachlundige Lehrer fann die Schwäden 
und Mängel des Schulweſens kennen und die Mittel zu deren Befeitigung! 
Wenn über Rechtspflege der Juriſt, — über Sanitätsverhältnifie der 
Arzt, — über Handel der Kaufmann, — über Aderbau der Delonom, — 
über Induſtrie, Mechanik und Mathematik der Handwerker, Maſchiniſt und 
Matbematiter, über Altertbum der Gefchichtsforfher, über Kriegsweſen ver 
Krieger, über Religion und Kirche der Priefter befragt wird, was in einem 
conftitutionellen Lande, mie unſer Baterland eines ift, immer geſchehen muß; 
wenn, jagen wir in den obgenannten wichtigen Zweigen des Willens und 
Könnens immer der Sahlundige eine Meinung äußern, einen NReformvor: 
Ihlag veröffentliden tann, und ſehr natürlid au darf, — jo kann man 
bezügliy des Bollserziehungs: und Unterrichtsweſens vernunftgemäß — 
ob man will, oder nicht, gar keinen andern Schluß ziehen, als daß jeden: 
falls der Boltsfhullehrer, „ver fein ganzes Leben der Erziehung 
und Bildung des Bolfes weiht, der mitten unter dem Bolle immer als 
Lehrer dafteht, deſſen Wirlen nicht nur für die Shulftube 
berehnet if,” daß diefer im Erziehungs: und Unterrichtsweſen ver 
Sadverfländige fein kann und muß; daß er darum auch das Recht genieße, 
über Geftaltung des Volksſchulweſens eine Dleinung zu äußern. — Unt 
diejed Recht ift jedem Lehrer im Sinne der Geſetze zugeltanden. 

Wir willen und erkennen, daß — wie die Allgem. d. Lehrerzeitung 
ſagte — der Lehrer „ein Mann von gründliher Bildung, von ntelligen;, 
von gejunder Lebensanfhauung, von klarer Einfiht in die Nothwendigkeit 
beftebender kirchlicher und ftaatlicher Berhältniffe fei; befähigt fei zu felkft: 
ftändiger Einfiht in das, was zur Bildung des Volles nothwendig if; 
befähigt fei, jelbft zu denken, zu ſcheiden und zu fichten, und der Jugend 
gerade da3 zu bieten, was der Fortjchritt der Zeit vorausfidtlid fordert.” 
Kurz: der Lehrer fei ein Mann von Energie und Charakter, welcher immer 
das rechte Willen und die rechte Organijation des geiftigen Lebens dem 
Menſchen aufprüdt!” Und eben darum, weil wir dieß wiſſen, und nidt 
ganz fo find, ala mir fein follten, wollen wir und vereinigen zur Arbeit. 
Die Bortheile der Bereinigung find wnausjprehlih, die Folgen unbe 
rehenbar .... . 

Es giebt gegenwärtig in Ungarn nod keinen „Lehrerftand”, er 
it im Werden! Wir gehören zwar einem Stande an, den man Lebrerfland 
nennt; aber wir find vereinzelt, von unfern Brüdern abgeſchloſſen. — Und 
es beißt: „Wo die Kräfte von einander abgejchlofien find, dort beiteht 
Einſeitigkeit, Krüdenthum!“ Gin beberzigenswerther Sag! 

Unfer Berein foll alſo — mie ſchon im Eingange erwähnt wurde — 
hauptſaͤchlich ein ſchulwiſſenſchaftlicher Bildungsverein werden. 





Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule ꝛc. 701 


Ein britter Grund, der an PVereinigung mahnt, liegt in dem 
Charakter der Zeit. — Alles ift in Bewegung! Bewegen wir Lehrer uns 
nit, jo „reißt uns der Strudel des VBorwärtsichreitens entweder felbft 
mit fi), oder er ſtößt ung nieder, gebt über uns hinweg, und wir bleiben 
im Staube liegen.” 

Wahrlih! Es wird uns zur bleibenden Ehregereihen: 
wenn wir in diefer bewegungsvollen Zeit niht wie Mem, 
men hinter vem Ofen ſitzen bleiben, jondern uns aufmachen, um 
einer jchöneren Zeit entgegen zu gehen! Wir find Männer! Wir dürfen 
alſo nit warten! ‚Nur dadurch ift nüßlicher Yortfihritt möglih, wenn 
einer des anderen Glied wird!“ 

Grinnert Euch der Lehrer Zünflirhens, die jchon im September d. J. 
einen Berein gründeten! Dentet an die deutſche Lehrerverfammlung, bie 
jäbrlih tagt! Denkt an jenes Streben Eurer Collegen, dad Euch unmöglich 
unbefannt geblieben fein mag, der Meinung von Schulmännern an geeig: 
neten Orten Geltung zu verjchaffen | 

Die Zeit ift gelommen, in der uns Niemand ermahnen wird „fein 
ſtille“ zu fein, in der man uns nicht mehr auf Geduld und ewigen Lohn 
verweilen wird; denn der Lehrer bedarf auf Erden auch einer würbigeren 
und in pecuniärer Hinfiht günftigeren Stellung. — Nun lann niemand 
mehr unter uns fagen: „Es geht au ohne uns!" Sind doch wir bie 
Fachmänner auf dem Felde der Pädagogik, follen es wenigitend fein und 
müſſen es werden!! Und wer es dennod wagt, dem Streben ber Lehrer 
nah Vervolllommnung — aljo nad Bereinigung — entgegen zu treten: 
ver ift kein Freund des Volkes und der Schule! Hütet Euch vor diejen! 
Aber wir find defien gewiß, Sole werden fih nicht finden! Wir find 
ferner überzeugt, daß wir aub an den Borftebern der Schulen 
Stüßen unferes gewiß edlen Strebens haben werben; aud fie 
werben unſer Wollen billigen, da ja au fie wiflen, daß jüngft bei der 
Wahl eines Volksvertreters den Lehrern der Vorwurf in's Geſicht geſchleu⸗ 
vert wurde: „daß fie ihre Zeit nicht begreifen, ihrer Stellung 
nicht gewachſen ſeien!“ Ein ungerechterer Vorwurf lonnte und nicht 
gemacht werben, da es gewiß niht ganz an ven Lehrern gelegen, daß 
das Volksſchulweſen nicht jene Stelle einnimmt, die ihm gebührt. „Man 
kann und niedrig behandeln, aber nicht erniebrigen’’ — jagt der Dichter. — 
Die ſchweren Zeiten haben ſich, Dank fei dem König und den Führern ber 
Nation, geändert! Die Schule joll nicht ſinken, fie wird nicht finfen, ba 
wir jept die bergeftellte Verfaſſung haben; und mir, wir Lehrer müfjen 
aus allen Kräften beftrebt fein, zur Hebung der Schule nah Kräften mit: 
zuwirken. 

Es könnte ein Geiſt des alten Zopfes rathen: „Die Lehrer ſollen 
warten, bis das verantwortlide Minifterium für Unterriht den erſten 
Schritt in diefer Angelegenheit thbut!” Sollen wir alfjo ganz unvors 
bereitet fein? Sollen wir und nicht verftändigen? Sollen wir etwa 
warten, bis das neue Unterrichtsgeſetz in's Leben tritt? Hat der Unter: 
sihts-Minifter noh nichts gethban? Nichts? Leſet feinen Aufruf 
zur Gründung von Bollabildungs:Bereinen! Leſet den Bericht über bie 








702 Die äußern Angelegenheiten ber Volksſchule x. 


unter feinem Vorſitz geführten Verhandlungen über Organifation der Mittel: 
fhulen! Lefet die Lectionspläne für diefe Schulen! Erwäget die Thätig- 
feit, die derfelbe entfaltet, um die Kirchen⸗ und Scul-Berhältnifie des 
Landes zu regeln! — 

Noch if keine Zeit von ſich ſelbſt gelommen, jeder Zeit 
muß man entgegengeben! 

Und bier erlauben wir uns wieder eine Citation! Bezüglich der von 
B. Joſef Eötuös angeregten Boltsbildungs:Bereine ift in den Blättern 
befanntlih jehr viel pro et contra gejhrieben worden. — Einem feiner 
Gegner hat der Anreger zu Anfang des Monats October I. 3. geantwortet. 
— Sn diefer Antwort kommen folgende, fehr beberzigenswertbe, weil tif 
tige Ehe vor: .... Mir haben ſehr viel zu thun, viel, und 
in Eurzer Zeit! .... Bon ver Ueberzeugung ausgegangen, daß — 
nachdem unfer Zurüdbleiben am Felde der Bollserziebung 
unläugbar it... (obzmar nit durch unfere Schuld) ... und unſere 
conftitutionelle Freiheit, ja die Sicherung unferes nationalen Beftebens es 
fordert, daß wir auf einmal Vieles thun und viel thun in Turzer 
Zeit: tann die Regierung diefer unermeplihen Aufgabe allein nidt 
entfprehen. — Da muß die ganze Nation mollen und thun! ... 
Das Ziel, nad mwelhem ih firebte und ſtrebe (durch die Volksbildungs⸗ 
vereine),, ift nichts anderes, als daß ih Intereſſe errege für jene 
Angelegenheit, wie ib eine wihtigerenidht lenne, und gegen 
welhe an vielen Orten aud unter guten Patrioten Gleihgiltigkeit zu 
finden if"... 

Biel thun in kurzer Zeit, viel thun in Angelegenheiten 
der Schule und Bollserziehbung, außer welder es Leine 
wichtigere giebt! 

Hört Ihr es Alle, Ihr Amtsgenofien und Zreunde? Ihr ſeid es 
aber, die den Impuls geben müflen, Ihr müßt das Boll zur That weder! 
Ihr jelbft aber müßt Euch anregen lajjen zur Iräftigen 
Mannesthat! E8 handelt jich um die Zukunft! Und wenn im 
Allgemeinen Segen für unjer ganzes Baterland durch Ginbeit der 
Kräfte erblüben kann, fo kann im Befonderen diefer beim Schulmefen nur 
durch Vereinigung gleichftrebender fachlundiger Männer erſprießen! 

Es ift daher Ehrenpflicht jeden Lehrers, fih dem zeit: 
gemäßen Streben anzufhließen, an dem zu gründenben 
Lehrerverein ſich zu betbeiligen. 

Aug diejen drei Gründen ergeht dies Sendſchreiben an Euch, geliebte 
Amtsgenofien und Freunde! 

Liebe zur Vollsbildung, Liebe zum Baterlande, das — wie Szoöchoͤnyi 
fagte — erft werden foll, trieb und an, Cuch unfere Mittheilung zu 
maden, Euch zur Selbfttbätigleit anzuregen! Uns leitete, als 
wir dies Sendſchreiben an Euch zu rihten und entſchloſſen, nicht der Ent: 
Shluß des Augenblids, fondern ein in allen ächten Lehrerherzen ſchon feit 
Jahren gehegter Gedante, der nun ſchon zum öfteren Male zum Ausbrud 
tam, in der fiheren Hoffnung: diesmal nicht erfolglos! 


Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule x. 703 


Jetzt ift es Zeit! Es wird in unferem Baterlande allerorts 
erlannt, daß es zu den Urrechten eines jeden Menſchen gehört, feine 
Gedanken und Meinungen ungefheut, frei, öffentlih und furcht⸗ 
los auszujpreden. 

Muth alſo! Nur wer fich ſelbſt aufgiebt, ift verloren! 

Der „Banater Lehrerverein” fol vor Allem ein Band der Lehrer aus 
den Gomitaten Kraſſo, Temes und Zorontal werden! ever Lehrer, Schul: 
vorfteher und Schulfreund fol Mitglied dieſes Vereins werben lönnen, und 
joU der „Banater Lehrerverein” eine Yiliale des mit der Zeit zu gründen: 
den „Lehrervereins jür Ungarn‘ werben, 

Um dieſes Biel erreichen zu Lönnen, ift vor Allem nothwendig, eine 

„Lehrerverſammlung“ 
abzuhalten, an der Theil zu nehmen wir jeden Lehrer, Schulvorſtand und 
Schulfreund biemit einladen. Wer am perfönlihen Erſcheinen verhindert 
ift, mag ſich einen Vertreter beftellen; es jollen die Lehrkräfte des 
ganzen Banates vertreten fein! 

Die Berjammlung findet am 27. und 28. December d. J. 
und zwar: die VBorverfammlung zur Feſtſtellung der Zagesorbnung, 
zur Ausführung der nöthigen Vorbereitungen, zur Vorbeſprechung bezüglich 
der Präfidenten:, Bicepräfidenten: und Schriftführerwahl, und zur definitiven 
Verhandlung und Beftimmung der Geſchäftsordnung — am 27., Nach⸗ 
mittags 2 Uhr, und die Sauptverjammlung am 28., Bormittags 
9 Uhr — beide im Nebouten-Saale zu Temesvar, Feftung, ftatt. 

Für die Tagesordnung der Hauptverfammlung ſchlagen wir folgende 
Thema vor: 

1) Ueber das Verhältnis der Schule zu den übrigen Crziehungs- 
factoren. 

2) Ueber die vom Unterrichtäminifter angeregten Volksbildungsvereine 
und deren Bedeutung. 

8) Ueber die ungariſche Sprache in den Schulen mit anderer 
Mutterfprache. 

4) Ueber Penfion der Lehrer, deren Wittwen und Waiſen. 

RN Ueber Lehrervereine und Organifirung des Banater Lehrervereing. 

Weitere Vorträge, die von Cinzelnen beabfihtigt werden, mögen 
bis 15. December d. %. dem Geſchaͤftsfuhrer des gefertigten 
proviſoriſchen Comites angezeigt werben! 

7. Die Herren Joſef Rill und Profefior q, 9. Shmwider wer 
den von Neujahr 1868 ab unter dem Titel: 


20. „Ungarifher Schulbote“. Zeitſchrift für das vaterlänbiiche Volle⸗ 
ſchulweſen. Gr.-Becsterel. 


eine pädagogiiche Beitfehrift herausgeben, die monatlih zweimal erſcheinen 
und 3 Gulden Loften fol. Der Plan dazu ift unſern befjeren beutjchen 
Beitjchriften ähnlich; er berüdfichtigt Alles, was zur Fortbildung des Lehrer: 
ftandes dienlid if. Wir wünfchen dem Unternehmen den beften Grfolg. 
Im nächſten Bande hoffen wir darüber berichten zu können. 








— — 


704 Die äußern Angelegenheiten der Volksſchule 2c. 


Eine zweite Zeitſchrift, an deren Herausgabe Herr Nil auch betbeiligt 
ift, wird in ungarischer Sprache erjcheinen und in freifinniger Weiſe rebigirt 
werben, im Sinne Diefterwegs, wie mir Herr Rill Schreibt. Da ich Die 
ungariihe Sprache nicht verftehe, fo kann ich über den Plan dieſer Zeit: 
ſchrift nicht berichten. 


— N — — — — — 


Am Schluß unſeres Berichtes über die äußeren Angelegenheiten ver 
Bollsihule machen wir noch aufmerkſam auf die 


21. Allgemeine Chronik des Volkeſchulweſens. Heransgegeben von 
2. Wolfram, Seminar-Oberlehrer in Borna. 1866. Zweiter Jahrgang. 
fl. 8. (VID und 160 ©.) Altona, Hänble und Lehmkuhl. 1867. 


Diefelbe berichtet über das Schulweſen aller Erdtheile in ähnlicher 
Weile, wie wir es in dem vorfiehenden Abjchnitte feit Beiteben des Jahres⸗ 
berihtes gethan, jedoch mit dem Unterfchieve, daß der Herausgeber in der 
Regel nur die Thatfachen mittheilt, fein Urtheil über diefelben aber zurüd- 
hält. Man kann dem Herausgeber nahrühmen, daß er fleißig ſammelt. 
Aber das Gebiet, welches er zu bearbeiten ſich vorgenommen, ift zu groß, 
als daß es ihm möglich werben könnte, etwas Grheblidhes dafür zu leiten. 





XVI. 
Die Schweiz. 


Mitgetheilt von J. I. Schlegel in St. Gallen. 


1. Die pädagogifhe Literatur der deutfhen Schweiz 
vom Jahre 1866. Da jhon wiederholt an die Bearbeiter des päda- 
gogifhen Jahresberichtes die Frage geftellt wurde, warum dieſe oder jene 
pädagogifhe Schrift der Schweiz keine Grwähnung gefunden, fo fehe ich 
mic hiedurch veranlaft, aus dem „Rüdblid auf die Literatur der Schweiz 
1866" (N. Züri. Btg. Nr. 1—4) diejenige Abtbeilung bier einzureihen, 
welche die pädagogifche Vücherlunde betrifft. Ich entſchließe mid um 
fo eher zur Aufnahme diefer Skizze (die ih da und dort zu ergänzen mir 
erlaubte), als diefelbe die fehriftfteleriihe Thaͤtigleit auf dem Felde ver 
Srziehung charalteriſitt und zugleih einen Cinblid in die paͤdagogiſchen 
Beftrebungen gewaͤhrt. 

„Eine hoͤchſt anerfennenswerthe Rührigleit herrſcht in der Schmeiz 
ſtets fort im Gebiete ver Schulliteratur. Gs iſt das ein erfreuliher Beweis 
einerſeits dafür, daß viele für die Verbeſſerung unſerer Generation thate 
kräftig einftehen und anderſeits auch dafür, daß fie ven rechten Weg betreten, 
um diefes erhabene Ziel zu erreihen. Denn fol es wirklich beſſer werden, 
ſoll die Nation in intellettueller und moraliiher Hinfiht fi mehr und 
mebr vervolllommnen, jo muß man fein Augenmerk vorzügli auf die gute 
Heranbildung der Jugend richten, weil das vorgerüdtere Alter den veredeln⸗ 
ven Ginflüffen viel weniger zugänglich ift. Die hier zu nennenden Schriften 
machen in Rüdfiht auf Anzahl und ben fie befeelenden Geift einen treffe 
lien Eindrud. Berfuhen wir es, bei unferer Aufzählung in die große 
Mannigfaltigleit der ausgeführten Themate einige Orbnung zu bringen. 
Bunädft ftoßen wir auf zwei ſchweizeriſche „Zugendbibliothelen‘‘, die eine, 
von J. Rettiger, Fr. Dula und ©. Eberhard (bis jeht 32 Bänd- 
hen), die andere von W. Aueh, auf 12 Bände beredpnet, von melden 
gegenwärtig zwei vorliegen. Noch nennen wir zwei niedliche Kinderbüchlein : 
Das „Beftbüchlein für Primarjhüler” (15. Jahrg.) und das „Feſibüchlein 
für NKinderherzen”. Gine Neujahrsgabe (3 Hefte), Bon päbagogifchen 
Schriften begegnen uns: „Die Päpagogil in überfihtliher Darftellung” 








706 Die Schweiz. 


von 9. NR. Rüegg und die „pädagogifhen Diftihen” von D. Guter: 
meifter. Die Stellung der Schulen mit Rückſicht auf flaatlihe Geſeßz⸗ 
gebung befpreden: Dr. Fr. Dula in feiner Brofhüre: „zur Revifion 
des luzerniſchen Erziehungsgeſetzes, betreffend das Volksſchulweſen“; Dr. 
Segeſſer „Gedanken zu einer Revifion des Erziehungsweſens“; Morfs 
Referat „über den mweitern Ausbau der oblig. (zürch.) Vollsſchule“; Binder 
„Erweiterung des zürch. Sekundarſchulweſens, und eine hiſtoriſche Studie 
von Dr. M. Büpdinger „von den Anfängen des Schulzwanges”, dann 
die gegen Lukas gerihtete Schrift von A. Gmelch „Unterrichtäfreiheit 
und Schulzwang, vom lirhlihen Standpunkt beurtbeilt‘. 

Noch erwähnen wir der vortrefilihen „Biographie Peftalozzi’s von 
Morf. Die Lehrgegenftände für die Volksſchule behandeln: J. KRettiger, 
„Der ideale Tehrplan oder Charalteriftit ver Unterrichtsgegenftände‘; W. Rueß, 
„pädagogiihe Winte für ein naturgemäßes Syſtem des Unterridts in der 
Bollsfhule”; Th. Scherr, „Elementarfpraibildung durch den Unterricht 
im Sprechen, Schreiben und Leſen“; F. Beuft, „der wirllihe Anſchauungs⸗ 
unterricht auf das Schreiben und Lefen angewendet‘ (1. Theil Schreiblefe- 
bub). Th. Schmied gab heraus: „Die landwirthſchaftliche Fortbildungs- 
ſchule“. Weber den Stand der Schulen und die Leiftungen der Lehrer bat 
beinahe jeder Kanton Berichte in diefer oder jener Form aufzuweiſen. Wir 
nennen insbeſondere den „hiſtoriſchen Bericht der fchmweizerifhen Rettungs⸗ 
anftalt für Knaben an der Bädhtelen”“, Heims „Schulberiht aus Appen- 
zell a. Rh., ferner „ven vierten Bericht des ſchweizeriſchen Lehrervereins 
über feine Thätigleit von 1863 — 65 und die jechäte Oeneralverfammlung in 
Solothurn”, den „Bericht über die zweite Verfammlung des Lehrervereins 
der romanifhen Schweiz“, die „Verhandlungen des fchmweizerifhen Armen: 
erziehervereins (1867) den „Bericht über die Verhandlungen der bernifhen 
Schulſynode im Jahre 1865, welchem zwei Referate beigegeben find, 
das eine „über die phyſiſche Entartung der jeßigen Generation’, das andere 
„Über Primarlehrerinnen im Kanton Bern”, endlich das „Jahrbuch ber 
Iuzernifhen Santonallehrerlonferenz,“ eine Sammlung von Auffäßen päda⸗ 
gogifchen, didaktiſchen und organifatorifhen Inhalts. 

Für die Bildung der Töchter insbefondere fhrieben: J. Kettiger, 
Seminardireltor, „Arbeitsſchulbuͤchlein“, Largiader, Seminardireltor, „über 
den Unterriht in weiblihen Handarbeiten”, J. Bfluger, Lehren einer 
Hausmutter an ihre Tochter” (2. Aufl), und eine ungenannte Pfarrfrau 
des Kantons Bajel „die Arbeitsfchule auf dem Lande, für Frauen“. Dem 
gleihen Zwed dient die „Anleitung für die Arbeitsfhulen (Bern). 

Eine anſehnliche Anzahl von Autoren arbeitete für einzelne Unterrichts: 
gegenftände, fo für das Deutfhe: N. Hop, „Leſebuch für Bollsichulen 
in fahgemäßer und methodiſcher Anordnung für den Leje und Eprad: 
unterriht” (Bafel), ©. Eberhard, „Leſebuch für die Unterflafien ver 
Volksſchule“ (Bürih, 1867), W. Rueß, „veutihes Sprachbuch“, 
U. Wiefendanger, „deutſches Sprahbudh für Sekundarſchulen“, Job. 
Meier, „deutfhes Sprachbuch für höhere Volksſchulen 1. und 2. Kurs“ 
(mit befonderer Berüdfichtigung des Dialekts), Straub, „Lefe und Sprach⸗ 
bu für Bezirksſchulen 5. Aufl.”“, Dr. 8. Bapft „über die Charakteriſtik 








Die Särach, 907 


biftorifcger und poetifcher PBerfonen”, Gaminada, „Aufgaben zur Uebung 
im mündlihen und fchriftliden Spradausprud in Volksſchulen“, E. 2. 
Rochholz „der deutſche Auffag“, Dr. M. W. Götzinger „Stilſchule 
zu Uebungen in der Mutterſprache“ (2. Theil 2. Aufl.), Fr. Wyß, „Leite 
faden der Stiliftit für den Schulgebraud”, Fr. Wyß, „die deutfche Poefie. 
Leitfaden für Literaturlunze”, Fäſch, „deutſches Uebungsbuch. Sprachl. 
. WUufgaben. 1.—3. Heft. (St. Gallen). Zür das Franzöfifhe war thaͤtig: 

Joh. Schultheß, „Uebungsftüde zum Ueberſetzen aus dem Deutichen ins 
Franzöfiihe (8. Aufl), Ed. v. DOrelli, „franzoͤſiſche Chreftomathie” 
1. Iheil (5. Aufl); für das Italieniſche: Dr. U. Tobler, „italienijches 
Leſebuch“; für das Engliihe: 9. Behn⸗Eſchenburg, „Schulgrammatil 
der englifhen Sprache“ (4. Aufl.), H. Keller, „Schulgrammatil der eng 
lifchen Sprade” 1. Theil, Dr. E. Georg, „Elementargrammatil der 
englijhen Sprache” (3. Aufl.). 

Lehrbücher und Lehrmittel für die Gefhichte und Geographie ftammen 
der von R. Bimmermann, „kurze Erzählungen aus der Schweizer: 
geſchichte“ (10. Aufl.), Stridler, „Grundriß der Schweizergefhichte für 
mittlere und böhere Lehranftalten‘ 1. Theil, Egli, „Heine Handelsgeogra⸗ 
pbie und Handelsgefhichte”, Ziegler, „dritte Karte der Schweiz”, 3. M. 
Bürgi, „NRelieflarte des Kantons Baſel“. Für den Heligionsunterricht 
erjhien: „Entwurf eines religiöfen Lehrmittels‘ von einem Primarlehrer. 
Der Arithmetil und Geometrie nahmen ih an: H. Bähringer, der 
von mehreren feiner im In: und Yuslande wohlbelannten Lehrbücher 
(„Aufgaben und Leitfaden für den Unterricht im praltijhen Rechnen, Geo⸗ 
metrie) neue Auflagen beforgte, Egger, „Uebungsbuch für den geometrifchen 
Unterriht an Selundarfchulen” 4. Theil, Largiader, „pralktiſche Gev- 
metrie”’ und ‚Anleitung zum Körpermeſſen“, E. Müller, „Rechnen im 
Zahlraunf® von 1—100”, 3. Siegfried, Leitfaden für den Unterricht in 
der Arithmetik“ (nebſt Gebrauchsanweiſung und Schlüfiel), M. Kiem, 
„kurze Anleitung zum Auflöfen arithmetijcher und geometrifcher Aufgaben”. 

Der Mufit ſchenkte feine Aufmerkjamleit 3. 3. Shäublin („Lieder 
fammlung‘’, ‚Kinderlieder‘, „30 Tabellen für den Geſangunterricht in der 
Boltsfhule”), dem Zeichnen: Egli-Schätti (‚Vorlagen für den Zeich⸗ 
nungsunterricht in den Primarjchulen”), ©. Delabar (Anleitung zum 
Linearzeihnen, I. das geometriſche Linearzeihbnen, II. das projeltirte 
Beihnen”), Schoop („Elementarreihandzeichnen für Vollsſchulen“), dem 
Schoͤnſchreiben: F. 3. Donauer und U. Shoop, dem Tumen: 
W. Schoch, Alfre Maul um % ©. Niggeles (,„Turnſchule für 
Rnaben und Mädchen‘). 

2. Bilderwerf für den Anfhauungsunterriht (elemen- 
taren Spradhunterriht). Der fehweizerifche Lehrerverein bat ſich wiederholt 
mit der Frage gemeinjamer Lehrmittel für die deutſch⸗ſchweizeriſchen Volls⸗ 
ſchulen bejhäftigt. In der Verfammlung zu Bern gab er fodann, auf 
Anregung des. Herrn Rüegg, dem Zentralausihuß den Auftrag, die Er: 
ftellung eines Bilderwerls an die Hand zu nehmen. Da in manden Kan⸗ 
tonen die Lehrmittelfrage auf dem Punkt angelangt if, wo das Berürfniß 
nad einem ſolchen Hilfsmittel lebhaft empfunden wird, fo hielt der Vorftand 

45 * 





08 Die Schweiz. 


den Zeitpunkt zur Nusfährung des Auftrags fehr geeignet. Gr wollle den 
Umftand benugen, um zu etwas Gemeinfamem, fowobl den Lünflleriihen 
als ven pädagogiihen Anforderungen Entſprechendem zu gelangen. Gr 
flellte einen vorläufigen Plan fe und wandte ſich zur Förberung der Sache 
zunähft an die Grziehungebireltion in Bern, damit fie bie übrigen laute» 
nalen Erziehungsbehörden einlade, ſich bei GSrfellung des fraglichen Bilder 
werks zu betbeiligen und zu biefem Zwed eine Abgeorbnetenverfammiung 
zu befhiden, deren Aufgabe es fei, den befinitiven Plan und deflen Ans: 
führung zu beratben. Die berniſche Erziehungsdireltion entſprach vem 
Wunſche und erließ an fämmtliche kantonale Schulbehörden ein Zirtular, 
um ein gemeinjames Vorgehen zu erzweden. In Folge diefer Ginlabung 
fand im Sanuar d. %. in Olten eine Berfammlung von Delegirten in biefer 
Angelegenheit ftatt. Die Betheiligung mar eine erfreulide. Es waren 
circa 10 Kantone repräfentirt; andere erbaten fi das Protololl, un 
werben fi ohne Zweifel dem Unternehmen anſchließen; Genf war ber 
einzige Kanton, welder ablehnend antwortete. Das Bilderwert, aus 10 
größern Tabellen beftebend, foll varftellen: 1) Ginführung in die Schul⸗ 
ſtube (Lehrer, Schüler, Schulgeräthe); 2) Eine ländliche Bohnftube (Fumi- 
lienglieder, Zimmertbeile, Hausgeräte; der Hund); 3) Das innere einer 
Kühe (Röhin, Mägde, Küchengeräthe; die Hape, die Maus); 4) Haus 
und Scheune mit Hof (bauss und landwirthſchaftliche Geräthe, einzelne 
Hausthiere); 5) Der Garten (darakteriftiihe Blumen und Bäume, einige 
Bögel, arbeitende Perſonen); 6) ein Bald (Waldbäume, die bei uns wie 
lebenden Zhiere). Die Tabellen 7—10 entfpredhen den 4 Jahreszeiten und 
enthalten charalteriſtiſche Befhäftigungen, Thiere und Pflanzen. — Ja 
Uebereinftimmung mit den vom Centralausſchuß ausgehenden Borlagen 
wurde einftimmig beſchloſſen, die projektirten 10 Bilder durch einen Künftler 
entwerfen zu lafien. Diefelben find nad folgenden Grundſätzen außzuführen: 
a) Gejammtbilder erhalten vor den bloßen Ginzelbildern ven Borzug; 
b) Die Darftellungen follen befiimmte Vorgänge und Handlungen verax: 
ſchaulichen, ſo daß fi auf ungezwungene Weije geeignete Grzählungen 
antnüpfen laſſen; c) So weit es ohne Beeinträchtigung dieſes Princips 
geſchehen Tann, follen aud die verfchiebenen Landesgegenden wit ihren 
harakterifiiihen Gigentbümlichleiten berüdfichtigt werden. Näberen Aufſchluß 
über Blan und Grundſätze eines folhen Lehrmittels giebt uns ein Aufſaß 
von Rüegg in Ne. 48—50 der Lehrerzeitung. — Aus Nr. 3 des „ber 
niſchen Sculfreundes’ erfahren wir, daß' auch die bernifhe Lehrmittel: 
commiffion mit diefer Frage ſich beſchaͤftigte. Sie wünjdt, daß die Tabellen 
allgemein gehalten werden, daß fie fih an kein beftimmtes Büchlein ſpeciell 
anfchließen und daß fie namentlich, im Gegenfaß zu den Scherr'ſchen. keine 
nur den Berftand befchäftigende Cinzelbilver, fondern auch Gemüth und 
Phantaſie anregende Gefammtdarftellungen in lebensooller Beziehung vor 
Künftlerhand verfertigt, enthalten follen. — Die ſchweizeriſchen Lehrer freuen 
fih auf dieſes Bilderwert, von welchem hoffentlih ſchon am nächfen 
Köneigerijcen Lehrerfefte in St. Gallen Brobetabellen aufgelegt werben 
nen. 





Die Schweiz. 709 


3. Die ſchweizeriſche Lehrerzeitung enthält in Nr. 15 und 16 (1867) 
einen beadhtenswerthben Auffag über „die Befoldungsfrage des 
Bollsjhullehrers’, dem wir einen Auszug entnehmen. Der Berfafler 
(3. Kettiger) ſiellte ſich folgende drei Fragen zur Beantwortung: 1) Wie 
groß ſoll die Beſoldung des Lehrers fein? 2) Aus welhen Quellen foll 
fie fließen? 3) Worin foll die Beſoldung befteben? Da die Beantwortung 
der erften Frage bei Rüdfihtnahme auf gar manderlei Berhältnifie (Stadt 
oder Land, induftrielle oder agritole Gegend, große oder Heine Schülerzahl, 
Halb: oder Sanzjahrfhule x.) Mopifilation der Beſoldung erfordert, fo 
unterläßt es der Berf., einen Minimalanfag oder eine Durchſchnittsbeſoldung 
in Zahlen anzugeben. Gr verlangt im Allgemeinen nur, daß der Lehrer 
fo befolvet fei, daß er im Stande fei, fih und jeine Familie in der Art 
des gebildeten Mittelftandes zu ernähren. Die Beſprechung der zweiten 
Frage ſchließt er alfo: „Die Faktoren, auf welde die Pflicht des Beitrags 
an die Lehrerbefoldung billig vertheilt werben follte, find: Die Eltern oder 
die Familien (Schulgeld), die Gemeinden, die Kirchengüter, der Staat“. 
Auf die dritte Frage jagte K. am Schluß: Die Befoldung fei theils 
Baar:Einlommen, theild Naturalanmeifung. Die Realien follten beftehen 
in einer anftändigen Wohnung, in zwei Klafter Holz und etwas Pflanzland. 
Sn der Schweiz haben wohl die meiften Lehrer freie Wohnung. Zürich, 
Bern, Luzern, Appenzell a. Rh., Solothurn, Bafelland, Thurgau, Schaff⸗ 
haufen, freiburg und die meilten Gemeinden Graubünden geben freie 
Wohnung und verabfolgen zugleih Hol. Zürich, Bern, Bajelland und 
Zhurgau weiſen dem Lehrer überdies noch Land zur Benußung an. 

Uebereinftimmend äußert ſich auch Herr Seminarbireltor Dr. Dula in 
feiner Schrift: „zur Revifion des Erziehungsgeſetzes“, in der er über bie 
Stellung des Lehrers u. U. folgendes jagt: Will man gute Köpfe in den 
Lehrerſtand zieben, einen regen Fleiß, eine zufriedene Stimmung und tüchtige 
Leiftungen erhalten, fo joll der Betrag der Lehrerbefoldung im Allgemeinen 
nad) folgenden Grundfäßen bemefjen werben: a) das Amt des Lehrers foll 
ihm ein Einkommen gewähren, das ihn nit nur vor Rahrungsforgen 
fiber ftellt, fondern ihm auch eine freudige Berufderfüllung möglich macht; 
b) bei Fefftellung eines forgenfreien Austommens ift auszugehen von den 
gewöhnlichen Bevürfnifien einer Familie von mittlerer Größe. 

Gute Schulen find eine Grundbedingung für die fittliche, veligiöfe und 
inteleltuelle Entwidelung, fowie für die materielle Wohlfahrt des Volkes; 
es giebt aber feine guten Schulen ohne tüchtig gebildete, ihrem Berufe mit 
Treue und Begeifterung lebende Lehrer; ſolche Lehrer find aber erhältlich, 
wenn ihnen eine genügende Exiſtenz gefichert ift, oder: ohne gute Schulen 
fein Heil fürs Volt, ohne gute Lehrer keine guten Schulen, ohne genügendes 
Einlommen keine guten Lehrer! 

Nah einer beigegebenen überfidhtlihen Darftellung find die Befoldungen 
der PBrimarlehrer in der Schweiz alfo geftellt: 

1. Zürich: 900 — 1500 Fr., durchſchnittlich 1000 Fr. 

2. Ben: Minimalfag 500 Fr., dazu freie Wohnung, 3 Alafter 

Holz und 4 Juchart Pflanzland. Ueberdies Alterözulagen von 
30 und 50 Fr. 


nn — —— — 





Die Schweiz. 


Luzern: Minimum 450 Fr. mit Wohnung und 2 Klafter Holz 
(oder 50 Fr.) mit verfhievenen Zulagen für Alter, Schülerzahl, 
Lehrertüchtigleit, im Durchſchnitt 90 Fr. 

Uri: 200-600 $r. 


.Schwyz: Durchſchnittlich 500 Fr. Hauptort: 600, 550 Fr. 
. Nidwalden: Minimalgehalte: 40 — 140 Fr. Marimum 608 


bis 800 Fr. 


. Obwalden: Maximum 700 Ir. Minimum für eine Halbjahrer 


fhule 150 Fr. 
Glarus: 600—1500 Fr. 
Bug: 500-1000 Fr 


, Freiburg: 600 Fr. nebft Wohnung, 2 Nlafter Holz umd 4 ZJucart 


Pflanzland. 


. Solothurn: Minimum 520—570 Ir. Maximum 1700 Fr. 


dabei freie Wohnung und Holz mit Alterszulagen von 60, 120, 
150 und 200 Fr. Olten: 1200 Fr. Hauptort: 1200 
bis 1600 Fr., dazu Holz und Niterszulagen. 


. Bafelftadt: Landgemeinden 1150 —1380 Fr. nebft Holy, 1 Juchart 


Pflanzland und Alterszulagen 200 — 400 Fr. 


.Baſelland: 700 Fr. dazu freie Wohnung, Hol; und 2 Jucharten 


Pflanzland. 


. Schaffhauſen: 700—1400 Fr. Alterszulagen 40 —260 Fr. 


Durchſchnittliches Einkommen 1050 Fr 


. Appenzell A. Rh.: 650—1400 Fr. nebft Wohnung, Garten und 


Pflanzland. Durchſchnitt: 900—1000 Fr. Die Kichhhöre 
Trogen bat die Beſoldung aller 4 Lehrer von 900 auf 
1200 Fr. erhöht; der Lehrer der Mittelihule bezieht 1400 Fr. 

Bühler ftellte jüngft den firen Gehalt auf 1100 Fr. Gais 
giebt 1000 Fr., Herisau 1000-1200 Fr. 


. Appenzell 3. Rh.: Dinimaljäge 210, 580, 650 Fr. Marimum 


(Hauptort) 800 Fr ; freie Wohnung und Holz. 


. St. Gallen: Halbjahrsſchule 400 Fr., Jahrſchule 800 Fr. neh 


freier Wohnung. Biele Gemeinden geben mehr als die gejeglihe 
Bejoldung. 1000—2000 Fr. 


. Graubünden: Die Gemeinde giebt dem Lehrer wöhentlih 10 Fr. 
. Yargau: 800 Fr. in den untern, 900 Fr. in den obern Klaſſen. 


Dienftzulagen 500—1000 Fr. Dazu eine Holsgabe. 


. Thurgau: Im Durchſchnitt 800 Fr. nebit freier Wohnung und 


4 Jucdart Pflanzland. 


. Teſſin: Yür je 6 Monate 300 Fr. 
. Baadt: 600—1000 Fr. nebſt 3 Fr. Schulgelv von jedem flinbe, 


dazu Niterszulagen von 50—200 Fr 


. Neuenburg: Durchſchnittlich 900 Fe. 
. Genf: Minimum 720 Fr. Marimum 1520 Fr. nebſt freier Woh⸗ 


nung in den Landgemeinden. 


. Wallis: Im Durchſchnitt 200 Fr. 


Die Schweiz. 7IMI 


Die Baarbeſoldungen werden in ſehr verſchiedener Weiſe aufgebracht. 
In Wallis und Schwyz bezahlt der Staat nichts, die Gemeinden Alles; 
in Freiburg werben bie Bejoldungen dur die Gemeinden beitritten, ebenjo 
in St. Gallen, Thurgau und Waadt, und der Staat giebt Beiträge. (reis 
burg 15,000 Fr., St. Gallen 20,000 Fr. (4), Thurgau 30,000 Fr. 
In Waadt leiftet der Staat an die Bejoldungen 7%, die Gemeinden 2, 
die Familie „z. In Zürich verausgabte der Staat (1864) für das Volks⸗ 
ſchulweſen mit Ausnahme der Städte Winterthur und Zürih (die Stadt 
Züri verausgabte 166,465 Fr., davon an Befoldungen 142,700 Fr.) 
270,000 Fr., die Gemeinden 165,000 Fr., die Familien 51,400 Fr. 
Schulgelver werden bezogen in den Kantonen Zürih, Schwyz, Glarus, Bug, 
Bafelftant, Schaffhbaufen, Thurgau und Waadt. Andere Kantone haben 
fogenannte Freiſchulen (unentgeltliher Unterriht). In Solothurn giebt der 
Staat 308, die Gemeinden 708 an die Bejoldungen, in Schaffhaufen leiſtet 
der Etaat }, die Gemeinde 3; in Genf und Luzern fteht der Beitrag des 
Staat auf 3 und derjenige der Gemeinde auf }. 

In einigen Kantonen gewährt das Gefeg auh Ruhegehalte für 
ausgediente Lehrer. So beziehen im Kanton Zürich gegenwärtig 83 Lehrer 
die Summe von 14,700 Fr., Solothurn verabreiht einem Lehrer 180 Fr., 
Bafeljtadt giebt Penfionen im Betrage von $ ver vollen Bejoldung, Bajel- 
land 200 Fr., Scafihaufen 3—4 des Gehalts; Waadt 180—200 Fr. 
In andern Kantonen wird die Penfionirung hart angefochten. 

Neben jenen Ruhegehalten beftehen in den meilten Kantonen von den 
Lehrern gegründete Alters:, Wittwen: und Waiſenkaſſen, melde durch Bei⸗ 
träge der Mitglieder, durch Schenkungen und Beiträge des Staats geäufnet 
werden. Die Lehrerkaſſe in Bern weiſt ein Vermögen von 388,700 Fr., 
in Yargau 57,700 $r., in Luzern 47,300 Fr., in St. Gallen (evangel.) 
53,000 $r., in St. Gallen (kathol.) 34,000 Fr., in Bafelland (2 Kaſſen) 
42900 Ir. In Bern betrug die jährlihe Penfion 65—75 Fr., in 
Yargau die einfache Penſion 554 Fr., in Glarus die einfache Quote 91 Fr., 
die doppelte 182 Fr. (für ältere Lehrer außer Aktivität), in Luzern 27% Fr. 
Sn St. Gallen (fathol.) bezog ein Lehrer mit 30 und mehr Dienftjahren 
224 Fr., eine Witwe mit Kinder 834 Fr.; in St. Gallen (evang,) betrug 
der durchfchnittliche Bezugsantheil 424 Fr. In Bürich bezahlt die Renten: 
anftalt laut Vertrag jeder Lehrerwitwe jährlihd 100 Fr. 

4. Ueber Vehrpfliht der Lehrer. Die ſchweizeriſchen Lehrer 
find, mit Ausnahme derjenigen in Wallis und Graubünden, durch kantonale 
Verfaſſung und Gefege von der perfönlihen Militärpfliht befreit.*) Man 
wollte damit eine ftörende Unterbrehung des Unterricht vermeiden. *”) 
Nun aber wird von einflußreicher Seite die Anregung gemacht, dieſe Aus: 


*, In Graubünden befeht ausnahmaweiſe bie Uebung, daß bie Lehrer ver- 
pflidgtet find, bie militärifchen Uebungen durchzumachen. Biele berjelben laſſen 
fih au in den Stanb der Offiziere aufnehmen. 

**) Eine Korrefpondenz in der pädagogiihen Monatsſchrift ter Schweiz 
(1. Jahrg. pag. 160) Lonftatirt, weiche Nachtheile bie Verwendung des Lehrers 
als Soldat zur Zeit des Sonderbundkriegs dem Unterrichte gebradht, inbem 
damals eine große Anzahl bündneriſche Schulen geſchloſſen werben mußten. 








712 Die Schweiz. 


nabmsftellung aufzugeben und den Lehrer ebenfalls in vie Armee einzureiben. 
So rügt es Stämpfli in feinem Memorial über Militärorganifation als 
einen großen Uebelſtand, daß die Voltslehrer nit aud zum Militärbienf 
verpflichtet feien. Cr fagt, die Dispenfation beitehe zum Echaden der Lehrer 
und des Landes. Der Rekrutenunterricht fei auch für den Lehrer eine gute 
Schule. Auch für ihn müßte ein zeitweiliges Heraustreten aus feiner engen 
Sphäre und eine nähere Berührung mit dem Bollsleben von ben wohl» 
thätigften Folgen fein. Die Armee erhielte einen Zuwachs von 5000 
Mann. Im Ernſtfall, wenn die Kriegsgefaht vor der Thüre fei, werde 
der Mann, der die vaterländiihe Gejhichte lehre und die heranwach⸗ 
fende Jugend zur Freiheit3: und Baterlandsliebe zu begeiftern fuche, nicht 
zurüdbleiben. Cr werde vielmehr freudig und opferwillig feine Sräfte 
dem Baterland zur Verfügung ftellen. In den Zeiten des Kriegs rube 
ohnedies auch der Echulunterriht. Die Störungen und Unterbredyungen 
des Unterrichts in Friedenszeiten wären auf ein Minimum zurüdzuführen, 
da das Wichtigfte der militärifhen Uebungen mit dem Eeminarunterridht 
verbunden, das Uebrige auf die Yerienzeit verlegt werden Tönnte. 

Was die fehmeizeriihen Lehrer zu der beantragten Neuerung fagen ? 
Ohne Zweifel wird der Vorſchlag von Eeite der Lehrerſchaft wenig Oppo: 
fition erfahren. Bisher vernahm man nur vereinzelte Stimmen, die mei 
beifällig fih äußerten. Die Anregung kam jüngft aud in den Konferenzen 
in Appenzell und Glarus zur Sprache. In Appenzell führte die Diskujfion 
zu der von jämmtlihen Botanten getheilten Kundgebung, daB eine gemifie 
Wehrfähigmahung des Lehrers und eine gewiſſe Betheiligung am Mehr 
dienfte, wenigftens in den Zagen der Noth, gerechtfertigt wäre. \n Glarus 
wurde die Anregung, daß die Lehrer für Verwendung bei der Ambulance 
ſich anbieten follten, fühl aufgenommen. Plan ging von der Anfiht aus, 
daß fih im Nothfalle die Sahe von felbft made und fein Lehrer dann 
zumal dem Dienfte fürs Vaterland fi entziehen würde. 

Aud die Lehrerzeitung widmete dem Gedanken in zwei Artikeln: „ver 
Schulmeifter ein Soldat‘, „Militär und Schule” ihre Aufmertjamteit. 

5. Mit diefer Frage fteht ein Vortrag des alten Bunbespräfidenten 
Stämpfli, „die kförperliden Uebungen und das Kadetten— 
wejen’ im engften Zuſammenhang. Ich entnehme diefem Referate (in 
Nr. 16 und 17 des berniihen Schulfreunde) folgende Gedanken: (Der 
ölonomishe Aufwand fämmtliher Kantone und bes Bundes für das Schul⸗ 
weſen beläuft fih auf 5 Mill. Fr., dazu gerechnet, was Familien und 
Gemeinden beitragen, fteigt die Summe auf 15—20 Mil. Ir. Der 
Unterriht wird von 7500 Lehrern ertheilt und von 450,000 Schülern 
handen) Jeder Bürger erhält in der Volksſchule circa 9000 Schulbant 
ftunden). 

„Die verjhiedenen vom Staat geleiteten Nulturzweige ober Gebiete: 
Schule, Kirhe und Wehrbildung greifen nicht gehörig in einander. Was 
thut die Schule? In geiftiger Beziehung hat fie nur den Menfchen im 
Auge und ignorirt ganz den Bürger. Der Unterricht handelt zu wenig 
von den bürgerlihen Ginridhtungen und Pflihten. Die Kirche ergänzt fe 
darin in feiner Weiſe. Unſer Religionsunterriht wird in einjeltiger unb 


Die Schweiz. 713 


unpraltiſcher Weile ertbeil. Den Hauptinhalt deflelben bildet die bibliſche 
Geſchichte. Wir erheben die Geſchichte eines andern Volls zu unferm 
eigenen Kultus, während wir die Gefchichte unferes eigenen Volls nicht 
behandeln. If es nit traurig, daß unfere Theologen uns nicht eine 
vernünftigere Nultuslehre zu verfhaffen gewußt haben. — Zehn Jahre 
zieht und formt die Schule an dem Geifte; den Nlörper vernadhläfligt fie 
ganz. Statt die einfadhften Geſundheitsregeln zu lehren, handelt die Schule 
durch zu frühen Edyuleintritt, zu viele Unterridtöftunden und durch unzwed⸗ 
mäßige Schulbänte ihnen ſelbſt jchnurftrats entgegen. Es ift ein großer 
Irrthum, wenn gejagt wird, daß die Berufsarten zu Haufe die ſyſtematiſchen 
Körperübungen erfeßen. Am allerwenigften ift dies bei der Landwirthſchaft 
der Fall. Gerade für die aderbautreibende Bevöllerung ift die Uebung der 
Gliedmaßen am allernothwendigften. — Ein bejonderer Zweig der Körpers 
übung bildet dag Baden und Schwimmen. — Auch die praltiihe Sinnes: 
übung vernadläffigt die Eule in hohem Grade. Das Sind wird mohl 
unterritet, wie viele Fuß eine Etunde zählt; aber mit dem Auge fi 
einzuüben, wie bod ein gegebenes Haus fei, davon ift keine Rede. — Das 
Kadettenweſen erſetzt die Körperübungen der Jugend nicht. Die Zahl ver 
Kadetten beträgt wenig über 2% der gefammten Zahl der Schullnaben. Das 
ſtadettenweſen wird zu pedantiih betrieben, auch ift ed zu Toftjpielig”. 
Stämpflis Vorſchläge lauten daher a) Einführung der körperlichen Uebungen 
in den Primarfhulen; Berminderung der fitenden Schulftunden; tägliche 
Abwechslung zwiihen Eipftunden und körperlihen Uebungen; in den jün: 
geren Jahren nie länger als 14 Stunden ununterbrochener Sißunterridt; 
b) vie lörperlihen Uebungen find der Art zu behandeln, daß fie zugleich 
als elementare Borbildung des künftigen Soldaten paſſen. Deßhalb mehr 
Frei⸗ und Orbnungsübungen, ald Uebungen an Geräth; Uebereinſtimmung 
mit den militärischen Bewegungsübungen der Soldaten und der Peletons⸗ 
ſchule; Webereinftimmung in den Benennungen und den Kommandos biefer 
Uebungen; ce) Einführung des Bad: und Schwimmunterrihts, wo die Ber 
dingungen dafür vorhanden find; vor allem an den Seminarien; d) Reform 
des Kadettenweſens; Beihräntung der Gemehrtragenden auf bie zwei 
älteften Schuljahrgänge. PBereinfahung der Uniform. Abjchafjung der 
ftändigen Gradauszeihnungen, welche bei den einen Eitelkeit, bei den andern 
Mißmuth hervorrufen; e) Befreiung der Lehrer, welche Zurnunterricht 
ertbeilen, von der Militärfteuer. ever Lehrer follte einen Militärkurs 
mitmachen, aud der Militärunterriht bildet und erziebt. 

Ich erinnere diesfalls noch an die Preisfchrift von Oberſt Stoder 
„über die Bereinigung der militärifchen Inſtruktion mit der Volkserziehung“. 

6. Shulzwang oder Schulfreiheit. Die bezüglihen Schriften 
von Lucas und Gmelch haben da und dort Diskufjionen über dieſe Frage 
bervorgerufen. Auch die ſchweizeriſche Lehrerzeitung bejchäftigte ſich mit 
diefem Gegenftande.. In Nr. 32 kommt eine Korrefponden; nad feiner 
Auseinanderfegung zu dem Schluß: Diejenigen, melde gegen den Schul⸗ 
zwang anlämpfen, agitiren gegen die Volksſchule jelbft; denn die Aufhebung 
des Schulzwangs hat Desorganifation zur Folge, weil die untern Bolls: 
klaſſen im Allgemeinen die Widtigleit und Nothwendigkeit deſſelben nicht 


714 Die Schweiz 


zu erlennen vermögen. In Rr. 35 preteftirt ein anderer gegen bie Be⸗ 
nennung: Edulzwang. Etatt von Zwang follte man vielmehr von rinem 
Recht der Hinder auf Echulbilvung reden, einem beiligen und unneräufer 
lichen Rechte, für welches der Etaat die Garantie übernimmt, jo daß feikk 
Eltern, wenn fie aud wollten, dies ihren Rindern nicht verlümmern bürjten. 
Man follte deßhalb nicht fagen: Ihr müßt die finder zur Eule ſchiden; 
denn im Lande gilt Schulzwang. Das rufe dem Unwillen und dem Wider: 
ſpruch. — Gin dritter fpriht in Nr. 47 und 48 ebenfalls zu Gunften tes 
obligatorifhen Unterrichts; nur meint er, wenn man den Schulbeſuch obli⸗ 
gatoriſch erfläre, folte man ihn zu gleiher Zeit unentgeltlihd maden. Die 
Ginwürfe, als widerftreite die Schulpflibt der individuellen Freiheit und der 
Freiheit des Unterrichts, widerlegt er mit triftigen Gründen, bejonders auch 
mit der Behauptung, daß in den freieflen Ländern mit verbreiteifter Bil⸗ 
dung der obligatoriſche Schulbeſuch eingeführt jei. 

7. Ein Tehnilum für die Schweiz Unter diefem Zitel hat 
alt Rektor F. Autenheimer in Bafel im „Bund“ (Nr. 252— 255) eine 
techniſche Lebranftalt in Anregung gebracht, welde in Bezug auf Vorkennt⸗ 
niſſe ihrer Zöglinge fi an die obern Klaſſen der Mittelihulen anſchließen 
und auf möglidhft kurzem Weg eine Ausbildung bieten würde, welche den 
gewöhnlichen Anforderungen der tehniiben Praxis Genüge leiften Lönnte. 
Der Schweiz fehle eine ſolche Anftalt für die mittleren Stufen der techniſchen 
Ausbildung; denn die polytehniihe Schule in Zürih babe die Aufgabe, 
wiſſenſchaftliche Anftalt zu fein; die Kantonsſchulen ſeien ebenfalls feine 
techniſchen Berufsfchulen, und die Zeihnungs: und Handwerksſchulen haben 
noch nicht die Stufe erlangt, um als Erfag dienen zu können. Ein ſolches 
Technikum würde eine Anftalt mit zwei Jahresklaſſen fein. Die erfle, 
vorbereitende oder mathematiſche Klaſſe erbielte Unterricht in der Algebra, 
Geometrie, Stereometrie, Trigonometrie, in der Phyſik und Chemie, ver 
Mechanik, im tehniihen und Kunftzeihnen und allfällig nod im Deutſchen 
und Franzöfifhen. Die zweite, fpeciell technifhe Klafie würde das Weſent⸗ 
lihfte und Nothwendigfte aus ven Wiflenjchaften des Ingenieurs, bes 
Mecanilers und Baumeifters lehren und zahlreiche Conftruftionsübungen 
bieten. Das Technikum, deflen jährlihe Koften auf 40—45,000 Fr. ver 
anſchlagt werden, würde beſucht von folden, die in Kleinen oder größern 
Gewerben zu wirken berufen find: von Beichnern, Aufjehern, Werkmeiſtern, 
Barlieren. Auch ins Handwerk würde vafjelbe wohlthätig und befrudhtend 
eingreifen. Das Polytechnitum babe unmittelbar leinen Einfluß auf dieje 
Klaſſe von Gemwerbtreibenden, die in ihrer Zahl doc eine ſehr große fei‘. 

8. Die jhmweizerifhe gemeinnübßige Geſellſchaft, die 
fi diefes Jahr in Trogen verfammelt, bat folgende Themate aufgeftellt, 
welche weſentlich auch das Gebiet der Pädagogik berühren. L Ueber Klein: 
tinderbewahranflalten (Neferent Pfarrer Bion). Insbeſondere wird gefragt: 
Giebt es in den verjchiebenen Kantonen Anftalten, in denen Kinder von 
ihrer erften Lebenszeit an verjorgt und erzogen werden und welde? Bon wem 
find fie gegründet worden und von wem werden fie erhalten? Wie find 
fie eingerichtet und nah melden Grundjägen werben fie geleitet? Welches 
find ihre Reſultate? Soll vie fchweizeriihe gemeinnübige Geſellſchaft für 


Die Schweiz. 715 


Grrihtung und Yörberung folder Anftalten etwas thun und in welcher 
Weiſe kann dies gejheben? II. Ueber Bollsliteratur (Referent Pfarrer 
Beuzinger). Im Speciellen werben folgende Fragen geftellt: Welche 
Anforderungen find bezüglih Form und Inhalt an gute, die Bildung ber 
Diafie nah Möglichkeit fürdernde Volksſchriften zu fielen? Worin befteben 
die der bisherigen Pollsliteratur nachzuweiſenden guten und fchlimmen 
Erfolge? Welche ins Gebiet diefer Literatur gehörende Erzeugniſſe find 
die gelejenften und worauf gründet ſich diefer Erfolg? Auf welchem Wege 
ift die Bearbeitung und eine ausgedehnte Verbreitung empfehlendwerther 
Volksſchriften zu erzielen? 

9. Im katholiſchen Vollksſchulblatt (Nr. 42 und 46) befürwortet 
ein Korrefpondent mit befonderem Nahdrud die Gründung eines 
katholiſchen Lehrervereins für die deutfhe Schweiz. Die 
ſchweizeriſche Lehrerzeitung *) proteftirt gegen die Behauptung, als verfolge 
der allgemeine ſchweizeriſche Lehrerverein eine einfeitig proteftantiihe Mich: 
tung. Sie fagt: An allen bisherigen Verfammlungen faßen Katholiten 
und Proteftanten brüderlich beifammen; fo vertragen ſich beide Konfeffionen 
aud im gegenwärtigen Borftand in St. Gallen gar wohl. Sie erinnert 
diejenigen, die aus purer Oppofition dem ſchweizeriſchen Lehrerverein einen 
fpecififch katholiihen Verein entgegenftellen wollen, an vie Worte des katho⸗ 
liſchen Profeſſors Daguet: „Die Päpagogie ift eine. Die nämlichen 
Grundfäge, Methoden und Unterrichtsmittel paflen mehr oder weniger für 
alle Völker und Berhältnifje”. Neben den befondern lolalen und konfeſſio⸗ 
nellen Intereſſen haben wir fo viele allgemeine und gemeinfame, daß in 
Bezug auf diefe eine Zerfplitterung gewiß vom Uebel märe und feiner 
Partei zum Heile gereihen lönnte. Nicht neue Spaltung und Trennung, 
ſondern gegenfeitige Anerkennung und brüderlihes Zuſammenhalten aller 
Lehrer ifts, was der Schule frommt und der Lehrerichaft felber Kraft und 
Bedeutung verleiht. Darum follten denn vie Lehrer der katholiſchen Schweiz 
noch zahlreicher, ala e3 bereits gefcheben, dem feit 12 Jahren beſtehenden 
allgemeinen ſchweizeriſchen Lehrerverein ſich anſchließen. Gerne wollen wir 
diejelben in recht großer Zahl in St. Gallen am gemeinfamen Lebrerfeft 
erwarten und hoffen, keiner werde es zu bereuen haben, dem Vereine beis 
getreten zu fein. Noch immer haben fi) die Verſammlungstage in Luzern, 
Zürich, Bern, Solothurn zc. als ſchöne und erhebende Momente im 
Lehrerleben erwieſen. 


10. In Nr. 14—23 bringt der Schulfreund leſenswerthe Erinnerun⸗ 
on an J. J. Wehrli. Eine Stelle lautet: Mit Stolz haut der Berner 
auf fein Hofwyl, von welchem fo viel Licht und Segen in die Welt hinaus 
floß. Drei Männer unter vielen find es, deren Namen und Andenken ſich 
vor allen andern Unzertrennlih an Hofmyl knüpft. Sie heißen: Ema⸗ 
nuelv. Fellenberg, 3. 3. Wehrliund Theodor Müller; lepterer 
als Mann der Wiſſenſchaft für die Schule, Wehrli ald Armenerzieher und 


") Antäßlich bemerle ich, daß die ſchweizeriſche Kehrerzeitung 1231 Abon- 
nenten und ber fchweizeriiche Lehrerverein ungejähr fo viele Mitglieder zählt. 








716 Die Schweiz. 


Lehrerbiloner, Fellenberg als gewaltiger organifatoriiher Geik und Bor 
fämpfer der Humanität und Bollsveredlung. 

11. Weber Berforgung verwahrloster Kinder. Der VIL 
Jahresbericht über die ſchweizeriſche Rettungsanftalt für katholiſche Knaben 
‚ auf dem Sonnenberg*), aus welchem fich ergiebt, daß die durchſchnittlichen 
Koften für einen Zögling per Jahr auf 341 Fr. zu fteben kam, gab einem 
Korrefpondent der ſchweizeriſchen Lehrerzeitung (Nr. 41) Anlaß, zu erklären, 
daß verwahrloste Knaben in guten Zamilien bedeutend billiger und mit 
vollfter Beruhigung untergebradht werden könnten. Dieje Bemerkung rief 
eine Gntgegnung (Nr. 45): „Was die Verforgung fittliher verwahrloster 
Kinder in guten Familien ftatt in Anftalten betrifft, fo ftreitet man ſchon 
lange über das beflere Syſtem. Die Theorie ſcheint dem Familienſyftem 
den Vorzug und Sieg zu verleihen; die Praris freilih ſpricht anders nnd 
will auch die VBerforgung in Anftalten. Es giebt nämlicdy nicht wenig ver 
wabrloste Kinder, die in guten Familien keine Aufnahme und Berforgung 
mebr finden. Was foll dann gejhehen? Sol man fie ihrem traurigen 
Schickſal überlaflen, ſoll man zuſehen, wie jie moraliſch immer tiefer fallen, 
bis fie für das Zuchthaus reif und unretibar verloren find? Nein, es ift 
gewiß beilige Pflicht für Jeden, für Staat und Gemeinden, dieſe jungen 
Berirrten in Anftalten, wo noch Rettung möglich ift, unterzubringen. Der 
Roftenpuntt kann bier nicht den Ausſchlag geben, wo es fih um bas fitt: 
fihe und geiftige Wohl Unglüdliher handelt. Wir halten die Familien 
erziebung auch für das naturgemäßeite Verfahren; aber wenn fittli ent 
artete Kinder in Familien nicht mehr verjorgt werden können, bebürfen fie 
einer befondern Beauffihtigung und Behandlung, — fie gehören in eine 
Anftalt. Sp mahte man in den Kantonen Aargau und Bajelland, me 
wohlthätige Armenerziebungsvereine viel Nüßliches leiften, die Erfahrung, 
daß die Yamilienverforgung nicht binreicht, daß der Armuth und ihrer Ent: 
artung auf keine Weife gründlicher entgegengearbeitet werden dann, als durd 
die landwirtbichaftlihen Armenerziehungs: und Rettungsanftalten. Ich finde 
es angemefien, bier des Berihts über „die Verhandlungen des 
ſchweizeriſchen Armenerziehervereing”“, für defien gütige Zuſen 
dung ich biemit freundlid Dank fage, zu erwähnen. Außer den Brote: 
tollen der Bereingfigungen enthält der Bericht mehrere Referate aus dem 
Gebiete der Armenerziehung und die Beſchreibung von fünf Armenanftalten. 
„Denjenigen, welche mit der Organijation diejes Vereins nicht näher bekannt 
find, bringen wir zur Kenntniß, daß ſich derfelbe in zwei Sektionen, in 
eine oſtſchweizeriſche und eine weſtſchweizeriſche theilt und nur alle drei 
Sahre eine Hauptverfammlung hält. Zn den Zwifchenjahren finden Geltions: 
verfammlungen ſtatt. Mit denjelben find jedesmal Anſtaltsbeſuche verbun: 
den, bei welchen von den betreffenden Vorftehern über Geſchichte, Leben und 
Wirken der beſuchten Anftalt umfafjender Bericht erftattet wird. Es wurde 
nun ſchon feit einer Reihe von Jahren munter für die Vereinszwede gear: 


— — [mon —. 


*) Unangenehm fällt auf, daß die Urfantone, um derentwillen dieſe Anflalt 
Auen Bierwalbflätterfee verlegt wurbe, fich theilnahmslos von berjelben fern 
alten. 


Die Schweiz. 717 


beitet, aber die Mitglieder der einen Sektion erhielten keine nähere Kenntniß 
von der Thätigkeit der andern Sektion. Um nun das Vereinsleben für 
alle Mitglieder nugbringender zu maden, um ein neues geiftiges Band um 
diefelben zu fchlingen, veröffentliht der Verein von Zeit zu Zeit folche ges 
druckte Berichte. Das vorliegende Heft umfaßt die Vereinsthaͤtigkeit in 
den lebten 3 Jahren. Dieje Blätter zeugen von lobenswerther Arbeitsluft, 
einträchtigem Zuſammenwirken, von treuer Hingebung und wahrer Begeis 
fterung für den hohen Beruf des Armenerziehers. Wir hoffen, fie werben 
auch in mweitern Streifen die Sade der Armenerziehung und das Wohl ver 
armen, verwahrlosten Jugend fördern. 

Der Raum geftattet leider nicht, die gediegenen Referate und die meift 
intereflanten Diskuffionen zu refümiren; wir müflen uns darauf befchränten, 
einige der eigenthümlihen Themate herauszuheben. 

Am Vereinsfeſt in Luzern: 1) Was hat die Erziehung armer Mäp: 
hen in Anftalten zur Grzielung ihrer praltiihen Züchtigleit im fpätern 
Leben bejonders im Auge zu behalten und durchzuführen? 2) Ueber Be 
rufswahl und Berufsbildung in Armenfhulen. In Yarau: 3) Welches 
find die wefentlihen Anforderungen an einen Armenerzieher? 4) Welche 
Mittel bewahren den Armenerzieber in jeinen verjchiedenen Beziehungen 
zum gewerblichen und vollsthümlichen Leben vor Erſchlaffung in der erzie⸗ 
berifhen Zhätigleit? In Biel: 5) Ueber Charalterbilvung. Am Bereinss 
fett in Chur (1867). 6) Ueber den Werth einer tüchtigen Schulbildung 
in Armenerziehungsanftalten und was zur Grreihung derſelben durchaus 
nothwendig if. 7) Gegen welche nachtheiligen Einflüfie und Hinderniffe 
bat der Armenerzieher bei feinen Zöglingen am meiſten zu fämpfen und wie 
ift venjelben am wirkſamſten zu begegnen ? 

Der Verein zählt gegenwärtig 86 Mitglieder, dabei finden mir vie 
befannten Namen: Morf, Bellmeger, Wellauer, Kuratli, Flury, Schäublin, 
Schloſſer, Jaͤgg. ıc. 

12. Der Zeitung für ſchweizeriſche Statiſtik verdanken wir folgende 
Fortſetzung der im II. Jahresbericht (pag. 651) begonnenen Ueberſicht 
der Leiftungen der Gemeinden fürs Shulwejen. 








Bermögen. 
Benin ns bee Binstragenbe | Uebrige Eapit. Cinnabmen. Ausgaben. 


Capitalien. Liegenſchaften. 








4, 084, 634 Fr. 1,404,979 $r.| 306,400 Fr. alfo per Kopf 3,40 Fr. 287,650 Fr. 
Thurgan. | | | 
90,000 | per Kopf 60,94 Fr. | Daoon Steuern 34,903 Fr. per Kopf 3,38 Fr. | per flopf 8,19 Zr. 
Bo ll. _ — 
Solothurn. 11,747,544 gr. 1,186,393 St. 147,633 Ir. aljo per Kopf 2,13 Fr. 140,450 $r. 
69,000 | " 


| per Kopf 41,64 Fr. Davon Steuern 13,633 Fr. per Kopf 0,20 Fr. | per Kopf 2,03 Fr. 

















1,779,276 $:. | 4,318,298 Fr. 896,426 Fr. alſo per Kopf 1,92 Fr. 911,487 Fr. 
Bern. | 
487,000 per Kopf 13,05 Fr. | Davon Steuern 487,311 Fr. per Kopf 1,04 Fr. | per Kopf 1,95 Br. 
| 
Graubünden. 1522796 $r.| 510,414 Br. 128,284 Fr. alfo per Kopf 1,41 Fr. 126,790 $r. 
91,000 " 


per Kopf 22,02 Fr. | Davon Steuern 41,544 Zr. per Kopf 0,46 Fr. | per Kopf 1,40 Fr 
! ) ! 


718 


Die Schweiz. 719 


Bern. Die Gemeinden dieſes Kantons beforgen das Vollsſchulweſen, 
zu den Schulbedürfniſſen werden gerechnet: Die Befoldungen an die Lehrer, 
das Schullofal, die Schulgerätbfcaften, Brennmaterial, allgemeine Lehr⸗ 
mittel. Diefelben werben durch den Ertrag der Schulgüter, durd Steuern, 
Schulgelder und Staatöbeiträge beftritten. Die jährliben Ausgaben des 
Staats (929,257 Fr.) und der Gemeinden (911,487 Fr.) für das ger 
fammte Unterrihtswefen betrugen in Summe 1,840,744 Fr. oder 3,91 Fr. 
per Kopf. In diefen Zeiftungen find nicht inbegriffen, was einerfeits Pri⸗ 
vaten und Geſellſchaſten für Eelundarfhulen und anderſeits, mas der 
Staat für die landwirthſchaftliche Schule und für Handwerkerſchulen aus» 
gegeben bat. 

13. Ein ftatiftifher Blid ins gefammte Schulweſen der 
Schweiz. Die nahfolgende Bujammenftellung heben wir aus den ftatis 
ſtiſchen Nachrichten betreffend das Unterrichtsweſen der fämmtlien Kantone 
(1865) aus der Zeitſchrift für fchmeizerifche Statiftlit und aus verfchiedenen 
amtlihen Berichten. Für Erzielung vollſtaͤndig zuoverläffiger Nefultate 
feblten leider noch mehrere Angaben. 

a) Brimarfhulwefen. Die Zahl der Primarlehrftellen belief 
fih auf 6700; die Zahl der Primarlehrer und Lehrerinnen wird nur zu 
circa 6500 angegeben, was wohl daber rühren mag, daß 3. B. in Luzern 
und St. Gallen oft der gleiche Lehrer zwei Halbjahrfchulen (Winter: und 
Sommerſchule) beforgt. Die Zahl der Lehrerinnen konnten wir nicht er: 
mitteln; in 16 Santonen zählten wir 1239 (Bern 490, Teſſin 217, 
Neucatel 161, Waadt 89). Die Primarfhulen wurden von 390,000 
Schülern befudt, jo daß alfo auf je eine Schule circa 58 Echullinder, 
auf je 360 Seelen 1 Echule und auf je 100 Eeelen 165 — 17 Schüler 
fallen. In den meilten nördlichen und wefllihen Kantonen find die Primar⸗ 
fhulen mehrentheild® Jahrſchulen; Halbjahrſchulen finden wir in großer 
Zahl namentli in den Kantonen Uri, Unterwalvden, Graubünden, Wallis, 
Teſſin und Luzern, auch St. Sullen hat (auf 399) 170 Halbjahr und 
Waadt (auf 670) 97 Winterfhulen. In einigen Kantonen ift die Zahl 
der nicht patentirten oder proviſoriſch angeftellten Lehrer verhältnikmäßig 
fehr groß. So hat Bünden unter 455 Lehrern 140 nit patentirte, 
Maadt unter 754 nur 480 brevetirte und 274 proviforiihe. In Wallis 
find unter 400 Lehrern nur 114 patentirt. — Während in beinahe allen 
Kantonen die gemifhten Schulen weitaus vormiegen, find in einigen andern 
in auffallend vielen Schulen die Geſchlechter getrennt, fo in Neuenburg. 
Zejfin hat 132 (von A63), Zug 16 (von 48), Wallis 00 (von 380), 
Genf 23 (von 74) Mädchenſchulen. Die verhältnipmäßig größte Zahl 
geiftliher Lehrer und Ordensſchweſtern haben Wallis, Graubünden, 
Unterwalden, Zug und Telfin. 

b) Mittelfhulen (Sekundar⸗Real-Bezirksſchulen, höhere Töchter: 
ſchulen). Solche Anftalten bat die Schweiz 275 *) (Bern 35, Züri 56, 


*) In diefen Angaben find nicht eingeſchloſſen die 5 Progymnafien Berne, 
bie Progymnaſien Teſſins, das Real⸗Gymnaſium und humanifiiche Oymnaſium 
Bafelftadts und bie Kenlabtheilung der Rantonsjhule in Trogen. 





TATA 





720 Die Schweiz. 


Yargau 22, St. Gallen 30, Luzern 22, Thurgau 23, Solothurn, Appen: 
zell A. Rh. und Blarus je 8, Bafelland und Schaffhaufen je 6 u. ſ. w.). 
Sie wurden von 714 Lehrern und Lehrerinnen geleitet und von 12,650 *) 
Schülern beſucht. In Züri, Aargau, Luzern, Thurgau, Solothurn u. |. w. 
find dieſelben Staatsanftalten; in einigen find fie Sade der Gemeinden; 
in andern werben fie durch freiwillige Steuern von Privaten cder Altien- 
vereinen unterhalten. Graubünden, Wallis, Innerrhoden und Uri haben 
nody feine geſetzlich organiſirten Selundarfhulen Die Beiträge. des Staats 
an diefe Schulen erreihen die Summe von 490,000 Fr. Die Gejammt: 
toften beliefen ſich begreiflih viel höher. — Wie wir ſchon früher berich⸗ 
teten, baben die Sekundarſchulen verſchiedenen Charakter; manden iR nur 
die Aufgabe geftellt, ven Bollsunterriht abzuſchließen; andre dienen zugleich 
ald Vorbereitung für böbere Lebranftalten. Die aargauifhen Bezirls- 
ſchulen haben vorzugsweife den leztern Zwed im Auge — ine genaue 
Grenze zwiſchen den Selundarfhulen und Primarſchulen einerjeits, und den 
Sekundarſchulen und den höheren Lebranftalten anderfeit3 Tann nit mohl 
gezogen werben. 

Die Gehalte der Lehrer fteben im Durdfchnitt auf 1800— 2000 Fr.; 
variiren jedoch zwifhen 1200 und 3800 Fr. Am beften bejolden Zürich 
(eine eben erlevigte Stelle in Horgen bietet 3000 Fr.), Aargau (1600 — 
2650), Baſelſtadt (2700—3800), Schaffhaufen (Minimum 2000 Fr. mit 
Alterszulage), St. Gallen 1500 — 2500), Reuenburg (1200 — 3500). 

c) Höhere Lehranftalten. Mit Ausnahme von Bajellanb, 
Glarus und Appenzell %. Rh. befteben in allen Kantonen foldye höhere 
Bildungs: Inftitute. Ihre Zahl ift 47 (inbegriffen die PBrogymnafien im 
Bern und Teſſin, das Real⸗Gymnaſium und bumaniftiide Gymnafium in 
Bafel und Genf und die appenzelliihe Kantonsſchule). An diefen Anftalten 
wirkten 580 Profefioren und Hilfslehrer. Die Zahl der Schüler betrug 
6750 (darunter circa 2700 Gymnafiaften und bie übrigen Induſtrie⸗ 
ſchuͤler). Die Kantone betheiligen ſich bei den diesfallſigen Koſten mit 
1,052,000 Fr. (inbegriffen die 84,300 Yr., die Winterthur für feine 
böbern Lehranſtalten ausgiebt; nicht dazu gerechnet die Ausgaben für bie 
5 PrivatsLehranftalten in Bünden, Bern und Schwyz). 18 Kantone be 
fiten kantonale oder Staatsanftalten für den höhern Unterriht. Die 
Kantonsſchulen in Bern, Zürih, Aargau, St. Gallen, Luzern, Chur 
(Bünden), Frauenfeld (Thurgau), Solothurn u. a. m. haben die aus: 
gebildetfte Organifation. Die meiften umfaflen ein Gymnalium mit 6—7 
Klafien und eine Induſtrieſchule mit 3 und mehr Klaſſen, die ih z. 3. 
in St. Gallen wigder in eine technifhe und eine merlantile Abtheilung 
gliedert. Die Gymnafien befähigen ihre Schüler für die Hochſchule, die 
Industries und Handelsſchule für den Eintritt ing Polytechnikum; die an 
tonsſchule in Trogen fiellt ihr Unterrichtsziel weniger body und umfaßt 
auch die Selundarfhulftufe; die Kantonsſchule in Bern bat fogar neben 
Gymnaſium, Induſtrie⸗ und Sekundarſchule auch eine Elementarabtheilung. — 


under Dicht inbegriffen bie Schiller ber vielen Privat- Inflitute auf ber Se⸗ 


Die Scqhweiz. 721 


Di Sehrecbeſelbungen vario zuiſchen Fei 1000 ‚min A800. Der 
Dutkf@uittögehatt beträgt 250 SE00 (Büvidy 2200-3880, St. Gakien 
2600---3000, Thurgau 22-2600, : Bafelitat 3700-4000). Die 
beßeutendften. ‚Ausgaben - für: vas hohere Umterrichtsweſen· baben Bern 
(100,000 $.), Zürich mit Winterthur (197,000), Aargau (51,800), 
St. Gallen (57,400), Lugem (64,000 Ve.), Baſeifabi, Genf und. Waadt. 

qh Fur die Hochſchulen in- Ben, Birih und Baſel und bie 
Aademien in Laufanne, Genf, Reucatel und die Aheologiihe Anfialt 
in Luzern werben verausgabt 536,008 Fr., für daB eidgendfiiiche Poly⸗ 
technilum 482,000. Ir. Alle Sohfchulen säblten (1. Bericht) 209 Pros 
ſeſſoren und 934 Stupdenten, das eibgendffticye Polytochnikum 63 MProfels 
—* und circa 600 Etudenten. 

4). Die Schweiz beſigt. 26 Sehrerbildungsanſtal ten (12 0m 
gelifche „S latholiſche und 4: peritäliihe, 18 kantonale und 6 “Privat 
Initalten,. 6. franzdfiie, 17 ‚Deustfche und 4 a. r. [mit 36 Romanen, 
38. Deutihen und 2. Ztalimern]). Die Anmtone Bern, Züri, Aargau, 
St. Ballen, Luzern, Solothurn, Thurgau, Graubünden‘: und Schwyz haben 
12 ftaatlide Seminarien mit 3 — Ajährigen Kurſen. Waadt hat 2 
zweiturſige Normalſchulen, ebenſo Freiburg. In Neuenburg beſteht für 
dis Bildung von Lehrern eine pädagogiſche Seltivn an der Alademie 
(Sehrer: Daguet, Humbert); für Die Bildung von Lehrerinnen iſt 
mit siner. dien Toͤchterſchule «in Seminar verbunden (Vorſieherin 
HL Racine) Uri. schnete' finen Wiederholungslurs für angeftellte Lehrer 
an. Auch Anm.Teffin wurden von Beit zu Zeit zweimonatliche -Bildungs» 
turſe (Scuola di Metode), einer für Lehrer (80) und ein anderer für 
Lehrerisnen: (60) abgehalten. Wallis hat 4. Normalſchulen (Tooles nor- 
msaden) mit zwei⸗ bis dreimenatlichen: Bildungskurſen, zwei. für Lohrery und 
zwelſict Lehresinnen (50 Lehrer, AB Lehrecinnen; 70 franzöfiſche, 87 
deutſche). Die Halbkantone Baſelland und Appemell ARh., die gegen⸗ 
wärtig feine Seminarien boſitzen, ermöglichen durch Stipendien den Veſuch 
ven: Semiharien andrer Kantone: Die beiven Mabdchenſchulen in Bern 
hahen \ogenannte Koribilsungsllaflen, welche ausſchließlich der Lehrerbiloung 
dienen. Bedeutend frequentirt find die Seminarien in Münchenbuchfee 
(183), Bari: (148), Aargau (83), Thurgau 178), Chur (71). Da die 
aargauiſchen Lehter jet Ausſicht auf -beflere: Befoldung. haben, fo war 
audy, ver Hubrang von Zoͤglingen am ‚Seminar MBelfingen größer ; ‚Dagegen 
war in Luzern vie Bahl:ver. ſich Molbenden Hein. — 

- re. dis. Bildung : von -Behretinnen beftehen ® :Anftakten ‚tn Bem 
(4) ‚ Waadt, Wallis, Neuenburg; ſodann Menzinger-und Ingenbohl (2- 
Zehrfhwefer: ⸗ Anftalten). Sämmtlihe Lehrerbildungsanftalten haben gegen 
1000 Böglinge, die von cjrea. 429 (ehren iden, Yingerricht empfangen. 
Für die lantonalen Seminarien werden 270,000 Fr. verwendet. Am 
hochſten ſind⸗die Behalte: In Zürich, Aargau: iind St. Ballen. Diefelben 
fieigen von 1700-3600 Fr. mit freier Wohnung. Indem wir viesfalls 
auf, pag. 648 (XII, Be): ‚und pag. 770: (KXTV. 86.) hinweifen, eräbrigt 
uns. aux ‚mad, über ‚einige Lahrermachfel Bericht zu geben. Un vie Stelle 
de :gurädtxetenben: Seminae » Direlkova Rettigen titt Neg»Mih. Keller, 

pad. Jahresbericht, XIX, 46 


123 Die Scqhwelz. 


Direktor Largiadðr hatte in Folge eines großräthlichen Veſchluſſes feine 
Demiffipn eingegeben. Direkter der Normalſchule in Laufanne iR Guillet, 
in Altenryf (Freiburg) Basquier. An den Berner ildungt⸗ 
anſtalten wirlen außer Rüegg die Herren: Froͤlich, Kuratli, Friche 
und Reverchon. 

f) Die Schweiz zählt gegenwärtig 14 Zaubftummenanfalten 
(davon 7 Tantonale: Bern, Aargau 3, Luzern, Waadt und Genf; 7 ver 
banken ihre Gyifteng der Privatwopithätigleit, oder eshalten zugleich Ber 
träge des Staats : fo Bern, Zürich, Bafel 2, St. Ballen, Freiburg und Gin 
fiedeln [?]) und 4 Blindenanftalten (die züriher tft mit der Taub⸗ 
ftummenanftalt verbunden; Yorau, Bern — Gtaatsanftalt — unb bas 
Blinden » Afyl In Laufanne). Die Zahl ber Böglinge biefer —5 (wit 
Ausnahme von 4) beläuft fi auf 331, die Zahl der. Lehrer und 
zinnen (von 6 NAnftalten fehlen bie Angaben) 41. Die Gehalte 
mit 600 Fr. und fteigen bis 2000 Fr., meift mit freier Station, Die 
Kantone tragen an die Gefammtausgaben, die über 182,000 Fr. betsagen, 
circa 42,500 Fr. bei. 

g) Endlich bat die Schweiz 
1) 5 Ianpwirtbfhaftlihe oder Aderbaufhnulen in Aargau, 
Thurgau, Freiburg, Bürih und Bern. Staatsbeitrag 40,000 $r.; 

2) circa 31 landwirtbfhaftlide Armenfhulen oder Ret: 
tungsanftalten für verwahrlofte Kinder mit circa 900 Zöglingen, 
und 25 ftädtiihe Waifenfchulen mit 1100 Böglingen. Die Zahl 
der Lehrer beträgt nad dem Berzeichniß der Mitglieder bes Armen 
esziehuereind wenigftens 86; 

.8) eine bedeutende Anzahl Fortbildungsr, Handwerker, Zeich⸗ 
nungs- und Abendſchulen: Thurgau 19, Bafelland ii Solo⸗ 
thurn 71 und Freiburg 77 Abendſchulen, Zürich 38 Hanhmerier 
ichulen mit 73 Lehrern und 833 Schülern; 

4) Fabritſchulen in induſtriellen Kantonen; 

5) eine Anzahl Kleintinderbewahranftalten: Bern 44 (1460 
Ama), , Aargau 18, Genf 7, Schaffhauſen 7, Glarus 5, Vaſel⸗ 


land 1 
6) eine Fr von Brivat-Ynfituten: Ben 84 — Kinder), 
Zürich 21 (617 Kinder), Baſelſtadt 11 (360 Kinder), Teſſin 12, 
Freiburg 12, Baſelland 5, viele in Waadt, Genf und 
So darf die Babl der Säulanfalten mobl auf 8000, vie Bahl ver 
Lehrer und Profefioren auf 8800 und die Babl bes Shüle und Et 
direnden auf 75,000 geftellt werden. 


[Fi 


Die einzelnen Kantone 


Wallis (81,000 Ginwohne.. Bon ven 167 Gemeinden des Sans 
tons find 100 Berggemeinden). Ueber den Schulguftand diefes Aantens 
giebt uns Herr Studienreltor Henzen in einer Arbeit, die. er der in Sitten 
verfammelten ſchweizeriſchen gemeinnüßgigen Gefellihaft varteug, ſehr interef- 
fante Aufſchlüſſe. „Bis zu den ADer Jahren waren bie Geifllichen aus⸗ 





Die Schweiz. 722 


ſchließlich die Lehrer des Volls. Sie hatten die Pflicht, unentgeltlich 
Schule zu halten. (In diefer Zeit zeichnete ſich Domherr Berchtold 
von Leuk rühmlih aus.) Bisweilen wurden in Mäpchentiafien die Pfarr⸗ 
kochinnen zur Aushülfe benübt. Vom obligaten Schulbefuh wußte man 
noch nichts. Die meiften Geiftlihen konnten dann den Anforderungen der 
Beit nicht mehr genügen, da es ihnen an pädagogiiher Borbildung feblte. 
1846 trat eine neue Schulverörunung ins Leben und damit die erfte 
Normalſchule für angehende Lehrer. Seit 15 Jahren nahm nun die Schule 
einen erfseulihen Aufſchwung. Gin Gefeb regelte das Unterrichtsweien. 
Beſondere Schulvifitatoren wurden beftellt; Schulhäufer, Lehrer, Lehrmittel 
und Lehrerbeſoldung mußten neu geidaffen werden. Gegenwärtig zählt 
der Kanton 408 Primarſchulen (darunter 115 Anabem, 100 Mäpcen-, 
165 gemifihte Schulen und 12, in denen Stnaben und Mäpchen abmed: 
fein). Das Lehrerperjonal befteht aus 35 Geiftlichen ober Orbensmännern, 
80 Klofterfrauen oder Lehrſchweſtern, 344 patentisten Lehrern oder Lehre 
rinnen, 158 proviſoriſch bevollmädtigten und 71 zeitweile angeftellten. 
Die Lehrerbefoldungen belaufen fi auf 55,000 Fr., was freilich im Durchs 
fhnitt nur 160 Fr. auf die Lebrftelle beträgt. Der Staat bezahlt für die 
4 Rormalihulen 5000 %. 14,500 Kinder befuchen regelmäßig die Schule. 
Hunderte diefer Kinder müflen oft Stunden weit durch Schneegeftöber und 
Negen laufen, um zur Schule zu kommen. Diele geniehen bloß bie eine 
Hälfte nes Jahres Unterricht, weil an manden Orten im Winter eine 
gaͤnzliche over theilweiſe Auswanderung ftattfindet. Das Wallifervolt if 
übrigens bilvungsfähig.. Man trifft oft bei Bergbewohnern mehr Intelli⸗ 
genz und NBeweglichleit des Geiſtes und eine größere Kräftigleit und Ge⸗ 
wandtbeit des Körpers, als bei den Bewohnern der Ebene. Do hat 
bier die Entwidlung des Schulweſens mit großen Sinvernifien zu kämpfen. 
Gin großer Uebelſtand ift es, daß mande Eltern die Anſicht begen, ibre 
Kinder feien .ein Kapital, von dem fie möglichft große Binfen für ſich zu 
zieben berechtigt feien. Bon den Vorjchlägen zur Hebung der Schulen in 
den Gebirgslantonen ‚können wir nur einige Andeutungen geben. 2) Bes 
ſchraͤnkung des Lehrſtoffo. Lieber wenig und das Wenige grünblid und 
praktiſch. b) Im Rechnen gebe man dem Kopfrechnen den Vorrang und 
verbinde es mit der Hauswirthſchaft. Die Führung einer einfadhen Buch: 
haltung ifl auch für dieſe einfadhften Berhältnifie Bedurfniß. co) Der 
Sprachunterricht ſoll den Schüler befähigen, bie Gedanlen richtig auszus 
prüden. Die Grammatil erfordert zu viele Zeit und iſt zu wenig feucht: 
bringend. Das Lefebuch follte die ganze Philojephie des Bauern enthalten 
und ein Vademecum für den Landmann fein (1); die Spraübungen find 
mit den. Realien in zwedmäßigen Bufammenbang zu bringen. d) vie 
Lehrerbeſoldung muß erhöht werten. Die Schule fordert vom Staat 
größere Opfer. Der Lehrer muß eine entipredhende Bildung und Lebens⸗ 
ftellung haben. 6) Wir bedürfen befier gebilbete Lehrer und Lehrerinnen. 
Zweimonatliche Kurfe der Methodik genügen nicht. Wünjchbar ift vie 
Gründung eined eigenen Seminars oder der Beſuch der Lehrerbildungs⸗ 
anftalten anderer Kantone. f) Als jchäpbares Bildungsmittel ſind auch 
die Ingendbibliotheklen zu empfehlen. Eine Vergleichung der Schulzuftänne 
46” 





724 Die Sänelz, 


in Wallis, Teffin, Graubünden, Urt, Unterwalben, Appenzell J-Rh. weit 
denjenigen der vorangeſchrittenen Flachlantone jeigt, nm man bon einer 
Bentralifation des ſchweizeriſchen Volleſchulweſens noch weit entfernt if. 
Möge der ſchweizeriſche Lehrerverein und eime engere Berbindung von 
Lehrern aus den verſchiedenen Theilen des Vaterlands auch in Yieler Sie 
tung eine fruchtbare Thätigleit entfalten! 

Freiburg. 1. Der zweiten Verfammlung des Lehrer: 
vereines der romaniſchen Schweiz in Freiburg haben wir im 
L. Jahresberichte bereits Erwähnung gethan. Seither it ber Bericht ber 
felben erjchienen und enthält: Das Gröffnungswort und den Bericht über die 
Ihätigleit des Vereins, Referate über die Lehrmittelfinge, den Anfchauunge- 
unterricht und über die moraliihe Bildung der Jugend. 

2. Die Meine Stadt Murten mit nur 2400 Ginwohnern ver 
wendet für ihre Schulen jährli 23,000 Fr., und zwar werden dieſe Koſten 
gaͤnzlich von der Gemeinde befltiten, jo daB Bürger und Sicbergelafiene 
von allen Schulbeiträgen befreit find. In Rr. 17 der ſchweizeriſchen 
Lebrerzeitung wird eine erledigte Lebrerfielle an den Primarſchulen ausge 
fohrieben, für die zu 32 wöchentlichen Unterrichtsftunden in den erſten zwei 
Jahren 1200 Fr., in den drei folgenden Jahren 1300 Fr., nadıber 
1400 Fr. jährlihe Beſoldung ausgefeht find. 

Solothurn. 1. Das Griehungsdepartement bezeichnete für die Ins 
jpeltorentonfereng folgende Berhanblungsgegenftände: a) Wie faun ein 
Rurs für befiere Bildung unfrer Arbeitslehrerinnen eingerichtet werben ? 
b) Könnte nicht der Unterriht durch öftere Ausflüge anzichender und ber 
lebender gemacht werden? Wie lönnten biefelben am beften für Belehrung 
und Bildung verwertbet werben? 

2. Die 12 Brimarlicfien und Die Mäpchenjelundarihule in Sole: 
thurn (Stadt) werden won 628 Kindern befuht. Un dieſen Schulen 
wirten 19 Lehrkraͤfte. Jedes Schuljahr bat feinen eigenen Behrer oder 
feine . Lehrerin. 

3. Die Stabtgemeinde bat jüngft eine namhafte Bejoldungs: 
erböhung für das geſammte Lebhrerperfonal befhhlofien. Die Anregung 
ging von der Behörde aus, und der Lebrerfchaft war diefer Beſchluß eime 
freudige Ueberraſchung. Es erhalten in Zukunft 
die Lehrerinnen der 4 unten Maädchenſchulen ie 1200 (Ratt 1100) Fr., 
„ „ „ 3 obem „ ie 1800 (fatt 1200) „ 
„Lehrer „A untern ſnabenſchulen je 1500 (fatt 1300) „ 

.8 oben F je 1600 (ſtatt 1450) „ 
Dazu "hält jeder Lehrer 5 Klafter Holy und je nach der Anzahl von 
Dienftiahren vom Staat wie Altersjulagen, welche bie auf 200 $r. Feigen. 
Auch die Bejoldungen des Diveltors und der Hilfelehrer find um 100 — 
300 Fr. erhöht worden, Es wehte günftige Luft für die Schule. 
. Ebenſo hat Olten die Lehrergehalte auf 1200 Fr. erböbt. 

4. Das Geſetz über die jehsjährige Amtsdauer wedie feiner 
Seit Unzuſriedenheit bei der Lehrerſchaft. Sie petitionirie bei der Regierung, 
fie möge das Wahlrecht wieder an ſich ziehen. Di Antwort hierauf beſteht 
sun barin, daß der neue Geſetzesartikel Iautet: Die Lehrer werben von 





Die Sqhweiz 725 


ben ftlinmfähigen Bürgern und Niedergelaffenen ber Gemeinde auf 
6 Jahre gewählt. | 

5. Das neue Leſebuch für die folothumer Schulen ftellt ſich nicht 
auf ben rein realiftifchen Boden, läßt jeboch dieſen Zweigen feine gerechte 
Berüdfichtigung. Es enthält neben gehöriger Rüdficht ver Poeſie die für 
ben Unterricht und die Geiftesbildung nöthigen Lefeftüde aus Geographie, 
Geſchichte und Naturkunde, 

0. Aeſultet bes Relrutenprüfung. Es erhielten von 288 Ne 


Rote 1 2 3 4 
Leſen 100 104 54 16 
Schreiben 67 51 114 51 
Rechnen sa 79 8 30 
Einer konnte nicht fchreiben, zwei konnten nicht lefen und rechnen. 

Appenzell J.⸗Rh. 1. Giner Korrefpondenz in Nr. 47 des St. 
Galler Tagblattes (,,Streiflichter”) über dad Schulmefen in Inner: Rhoden 
entnehmen wir folgende Stelle: „Während alle Nachbarn rings um ums 
ber fi) Mühe geben und keine Opfer ſcheuten, ihre Schulen in blühenden 
Zuftand zu feßen, ihrer Jugend das koſtbarſte But, das heiligfte Erbe der 
Bildung und Wiſſenſchaft zu geben, ift bei uns beinahe nichts gefcheben. 
Die Schulen ſiehen faft ohne Ausnahme in einem traurigen Zuftande, weit 
entfernt, ben Anforberungen der Zeit zu entiprehen. Wo liegt die Schuld? 
Deil man im Üllgemeinen zu Bunflen ber Schulen feine Opfer bringen 
mil. Wie mager find nicht die Lehrer befoldet, jo daß die meiften ohne 
andern Grwerb ſich ſelbſt nicht einmal gehörig erhalten können, geſchweige 
denn mit Familie. Wäre es daher nicht erſte und heilige Pflicht, zu for: 
gen, daß die Lehrer eine flandesgemäße und freie Eriſtenz erhielten? Nur 
jo kann ver Kanton tüchtige Lehrer erhalten. Die Schulen follen aber 
auch überwacht und die Lehrer zur Grfüllung ihrer Bfliht angehalten 
werden. Da geihieht aber wieder zu wenig; benn meiftens find die Lehrer 
fih felbft überlafien. Prüfungen finden zwar jährlich ftatt, aber auf eine 
Welle, die nicht geeignet ift, den Fleiß des Lehrerd und der Finder zu 
heben. Gewöhnlich werden die Cramen gar nit nad dem Schulplan ger 
halten, und fo geidieht es dann oft, daß, wenn ber Lehrer auch feine 
Pflicht gethan, er ſammt den Kindern befhämt vbafleben muß. Geo: 
graphie, Schweizergeihichte und Naturkunde find in unfern Schulen fremd» 
artige Dinge, und doch kam vor nit langer Beit der Fall vor, daß ein 
Herr Inſpektor den Kindern als jchriftlihe Aufgabe zur Beantwortung vor 
legte: „eine Befchreibung ver Firfterne‘. So verfteht man bei uns das 
Erziehungsweſen. — Mit Hagen iſt aber nicht geholfen; darum friſch 
an’s Bert — für Verbefierung der Schuleni Mit Energie muß es ge 
lingen.“ 

2. Ein etwas freundlicheres Bild entwirft ein andrer Korreſpondent. 
Diefer ſieht auch eine Lichtfeite und weiß Rühmenswerthes zu melden. 
Unter anderm jagt ee: „Auf eine erfreuliche Weiſe entfaltet fi in unſerm 
Laͤndchen die Liebe zum Schulweſen. Tas Bebürniß einer befiern Schul: 
bildung erwacht. Die Lehrerihaft fammelt fih freubig zu monatlichen 


126 Die Sqhweiz. 


— Bereits iſt wie Ginführung gleicher Lehrmittel für alle Schulen 
oſſen.“ 

Nidwalden. Laut L Berihtüberden Züſtand der Säulen 
im Jahr 1866 zählt viefer Halblanton bei einer Benöllerung von 
12,000 Seelen in 17 Gemeinden 34 Schulen mit circa 1260 Schülern. 
Neben 8 Rnaben: ımd 7 Mäpchenfchulen finden ſich 19 gemiſchte Schulen. 
Nah der Dauer der Schubeit giebt es Jahr, Winters, Sommer, Ganztag⸗ 
und Halbtagſchulen. Unter den Lehrträften treffen wir 18 Lehrer und 
14 Lehrerinnen. Das Minimum ber Schülerzahl beträgt 8, das Marien 
70, der Durchſchnitt 37. Im Allgemeinen iſt der Schulbefud ein ziemlid 
regelmäßiger. ALS Lehrgegenftände treffen wir: Religion, Leſen, Schreiben, 
Rechnen und wohl auch Gefang; daneben an einigen Orten aud Schweiger: 
geſchichte, Naturlehre, Geographie, Zeichnen, Buchhaltung und Sprochlehre 
In mehreren Schulen bat noch die Buchſtabirmethode Geltung. Ueber bie 
Leiftungen jeder einzelnen Schule giebt der Bericht ein freimüthiges, büm- 
diges Urtheil. Obwohl auch Uebelflände nicht verjchwiegen und geeignete 
Winke zu ihrer Befeitigung ertheilt werben, iſt das Urtheil human, nie 
verlegend. 12 von 34 Schuien erhalten die erfte, die übrigen bie zweite 
und dritte Note. Dem Berufseifer der Lehrer wird Anerlennung gegellt. 
Nah diefem Berichte ift das Schulweſen in Nidwalden in ben legten 
Jahren in erfreuliher Weiſe vorangeichritten. Beſondere Srwähnung ver: 
dient noch die kantonale Lehranſtalt (Fortbildungsſchule) in Stans. Sie 
umfaßt zwei Kurſe, ſteht unter einem * und zaͤhlt 26 Schüler. 

Dbwalden. (11,600 Einwohner.) 1. Obwalden zählt 35 Schulen, 
in welchen 1349 Schüler von 24 Lehrern und 14 Lehrerinnen den inter: 
riht empfangen. Die Hälfte der Lehrer gehört dem geiftlichen Staube am. 
Die Lehrerinnen find faft ausjchließlich Angehörige eines religiöfen Ordens. 
Weltliche Lehrer werden mit 400 — 800 Fr. honorirt. Das ge 
Schulvermögen des Kantons und der Gemeinden beläuft fih auf 140,000 $r. 
Die Arbeitsichulen leiften Erfreuliches. Auch in die ſem Halblanton bat 
das Vollsſchulweſen in den legten Jahren einen Aufſchwung genommen. 
Dazu tragen, wie das katholiſche Schulblatt meint, das Seminar in See: 
wen und die Lebrjchwefter » Inftitute in Dienzingen und Ingenbohl nid 
wenig bei, 

2. Der Erziehungsrath bat befchlofien, .ven Gemeinden die Einführung 
von Sonntagsſchulen als Nepetirichulen angelegentli zu empfehlen. 
Mit Rückſicht auf das Schulgefeß von 1849 konnte ex keinen bindenderen 
Beſchluß faffen. 

3. Die kantonale Sortbildungsfäule in Sarnen befriedigte 
in ihren Leiftungen und wurde von 26 Knaben beſucht. 

Uri. 1. Im Herbit 1866 wurde in Altdorf unter der Leitung des 
Herrn Seminarbireltor Schindler in Schwyz ein obligatoriiger Wieder: 
bolungsturs für angeftellte Brimarlehrer abgehalten. Der: 
jelbe war zwar von kurzer Dauer, wurbe aber ſehr zahlreich beindht. Auch 
bie Geiftlihen, welche zugleih Schuiftellen werfehen, hatten ſich eingefunden. 
Die Theilnehmer zeigten durchwegs großen Eifer und regen Fortbilbungs- 
trieb. „Solche Fortſchrittsbeſttebungen begrüßen wir um fo frewbiger, da 








Die Schw, 727 


‚uns bie befonderen Schwierigkeiten nicht verborgen find, mit benen bie 
Innern Gebirgstantone im Schulweſen zu Tämpfen haben. Möge. der 
fchweizerifche Lehrerverein bald einmal in ltoorf, Schwyz oder Stans fein 
Feſt feiern, und an den Stätten, wo die Wiege unfrer Yreiheit ſieht, 
neues Leben trinken und frifhe Kraft fammeln zur Löfung ber heiligen 
Aufgabe, die das ſchweizeriſche Vaterland feinen Lehrern aufgetragen hat.’ 
2. Abermals find Schritte erfolgt zur Hebung des Schulmwefens, 
Der Lanprath faßte nah Anhörung des erziehungsräthlichen Berichtes _ 
folgende Beihlüfle: a) In Beziehung auf das Schulinfpeltorat ſoll mögs 
lichfte Einheit angeftrebt werden. b) Die Gehalte der tüchtigen und pas 
tentixten Lehrer follen angemefien aufgebeflert werden. c) Um die Heran- 
‚bildung tüchtiger Lehrer zu erzielen, follen Lehramtskandidaten mit Sti- 
pendien während ihrer Stubien bedacht werden. d) Für diefe Zmede wird 
ein Kredit von 5000 Fr. aufs nächſte Jahresbüdget bewilligt, — Dir 
Antrag für durchgängige Einführung obligater Sommerjhulen wurde mit 
Rüdfiht auf die obwaltenden, ſchwer zu befeiligenden Hinderniſſe nicht 
adoptirt. (Kathol. Schulblatt.) 
3. Aus einem Berichte über das Schulweſen in Altdorf 
(kath. Schulbl. Nr. 1) notiren wir Folgendes: Die Schulen in Altdorf 
find theils Gemeinde oder Primarjhulen, theils Kantonsſchule. Die 
Brimarfchulen für die Knaben werden von 3 Schulbrüdern Mariend aus 
Frankreich beforgt. Es bejuchten diejelben 175 Knaben. Der Erziehungs: 
rath ſetzte diefe Schulen hinſichtlich ihrer Leiftungen in bie erfte Klaſſe. 
Die Lehrer verftehen Erziehung und Unterricht mit einander zu verbinden, 
finden aber bei Eltern und Behörden nicht immer die wünſchbare Unter 
ftügung. Die Maͤdchenſchulen find theild Primar⸗, theild Sekundarſchulen. 
8 Klofterfrauen halten die erfteren, welche 168 Mädchen zählen; 2 andere 
Klofterfeauen beforgen die Sekundarſchule mit 16 Töchtern. Die drei 
erftern erfhöpfen in ihrem Berufe ihre Kräfte und ibre Geſundheit und 
opfern ihr. Leben für die Kinder auf. Weber die Selundarjchule, in welcher 
Unterricht in weiblihen Handarbeiten, Sieden: und MWeltgefchichte, Geo: 
grapbie, Naturgeſchichte, Naturlehre, Franzoͤſiſch und Zeichnen ertheilt wird, 
Spricht die Behörde unbevingtes Lob aus. Beide Schulen gereichen dem 
Hauptort zur Ehre. — Die Kantonsſchule (mit 25 Schülern) war früher 
wegen Bermengung des Fächer: und Klaſſenſyſtems weder Fiſch noch Vogel. 
1866 wurde vom Lanbrath eine Reorganijation beſchloſſen. Diefelbe follte 
nun aus einem vollftändigen Gymnafium mit ſechs Jahreskurſen und aus 
einer Realfhule wit vier Jahreskurſen beſtehen. Der bisherige Staats⸗ 
beitrag wurde auf 7000 Ye. erhöht. — Mit der Ausführung des Projekts 
iſt der Korreſpondent nicht befriedigt. Statt 5 Lehrer feien bloß 3 ange: 
Rellt worden. Während der Reallehrer eine Beſoldung von 2100 Fr. er: 
balte, gebe man jedem der zwei geiftlichen Profefioren am Gymnaſium bloß 
1000 Fr. Die Bereinigung der NRealfchule mit dem Gymnafium ſei 
zweckwidrig. Er wünſchte die Pflege des Gymnaſiums als jelbftfiändige 
Unfalt, als Schule für den gelehrten Beruf. Eine Realſchule fei für den 
Kauton nicht Berärfnig (2), deßhalb habe auch ein Großrath gegen bie 
badgetirten 7600 Jr. proteſtirt. Die Realſchulen ſeien Modeartikel des 





128 Die Schwe. 


Beutigen Zeitgeiſtes. ie ſeien meißens (4. B. in Luzera, Aargas, ©. 
Ballen) Schulen, aus melden die Halbmifier, vie Raiſonneuns, die. Rad: 
talen und lingläubigen hervorgehen. Schon ieht zeige ih ap der Nanins- 
ſchule ein anmaßender Klubbgeift und eine ſchlechte Disciplin. 

Zug. An den Primarichulen diefes einen Kantons find im Ganzen 
52 Lehrer und Cobvesinnen (22 welilichen und 30 gehlihen Staub) 
angeftellt. 

Schwyz. 1. Im Hauptfleden befleht noch die uchung der ve 
theilung von Schulprämien an einzelne Schüler. Der Schulrath ke 
fchloß nun deren Abihaffung. Die Lehrer, grundjäpli damit einveritanden, 
freuten ſich, daß dieſem Läftigeu Kreuz des Abſchied gegeben werben feilte. 
Der Gemeinberaib jedoch kaſſute den Peſchluß und hielt diefe Gitte (?) keR. 
— Auch in Solothurn beſchloß die Lahrerkonferenz, bei der Schul⸗ 
bebörbe ih dabin auszuſprechen, es ſei die Nustbeilung von Schulprämien 
nicht im Intereſſe den Schul⸗ und Jugendbildung; ‚man möge künftig ben 
biefür verwendeten jäbrlihen Kredit (1000 Zr.) für Abhaltung eimes 
Jugendfeſtes oder zur Unterftlügung von Schulreiſen, von Spaziergäugen 
in Feld und Wald verwenden. Da jährli ca 200 Kinder prämürt 
werden, fo entſtand große Bewegung unter ber, Beuölleung, Es ſehlte 
nicht an elfrigen Fürſprochern des Hergebrachten; doc. hatte aud Die Kon⸗ 
fevenz ihre Gelinnungsgenofien. Die Schnlbeborde entſchied ſich für theil⸗ 
weiſe oder allmaͤlige Abſchaffung. 

2. Der Hauptflecken Schwyz zählt in 10 Schulen eine Schüler 
zahl von 532. Der Gehalt: ver Lehrer betzägt 550 uns -600 Ir. Die 
3 Lehrſchweſtern beziehen. zuſammen 1005 Fr. (dazu, freie Wohnung und 
Hol). Die Zahl der Schüler im Kollegium zu Maria Hüf helief ſich anf 
303, von denen 68 dem Vorbereitungsturs, 75 der Realſchule, 147 tem 
Gymnaſtum und 13 dem Lyceum oder philoſophiſchen Rurje angehören. 

Teſſin. 1. Der Verein „der Freunde ber Bollsbildung” 
behandelte in feiner legten Verſammlung (1866), u. 9. auch „enige Fre 
gen, die mit der Jugendbildung in enges Beziehung ſtehen; 3. B. a) Zwed⸗ 
mäßige Auswahl ver weibliden Arbeiten in den Primarkhulen. ‚b) U 
vegung zur Gründung eines ftändigen Lehrerjewinass, ſiatt der Bildungs: 
furfe mit gar kurzer Unterrihtszeit. — Auch der Erziebungssath empfiehlt 
die Errichtung eines Seminars, ohne das man keine Lehrer erhalte, die 
ihrer Aufgabe nah allen Seiten gewachſen feien, mit aller Wärme 

2. Ya Rx. 11 der Behreszeitung- entwarf ein Romeiponhent . an. der 
Hand amtlicher Berichte ein Bild des gegenwärtigen Zufandes 
der Schulen Teſſins. Da erfährt. man, daß bieler Kanten, jet 30 Jahren 
in Schulmefen anerfennenswertbe Fortſchritte gemant habe. : „Seit 1836 
bat fi die Zahl der Primarjchäler nahezu verboppelt; ‚Je ſteht heute auf 
16,204, Des Glemgntarunterricht wird von 244 Lehrem und 217 Lehre: 
rinnen beforgt. Die Bevoͤllerung zu 116,000 angenommen, trifft es auf 
252 GCinmwohner 1 Vollsſchule. Bon 461 Schulen haben 249 eine 
Schulzeit von 6 Monaten im: Jahr, 20 non 7, 32. non 8, 21 um 9 
and 169 von 10 Monaten. Gemeinden mit 500 Einwohnern oder mehr 
als 60 Schullindern müllen wenigftens zwei. Schuien,: Heben. Obere 


Die Schweiz. 


Madchenklaſſen werben nur von Lehrerinnen und abere Arc 
von Lehrern geleitet. Außer den gewöhnliden Schulfäd 
neh: Aderhaulunde, Hauswirthſchaft, Kenntniß ver bürg 
and Pflichten, Verſaffungokunde. ‚Der Schulbefud dauert 
Attersjabr. Gigenthümliche Einrichtungen find bie vier Kin 
Kinder) in ven Sauptorten und bie acht Bollszeihnungsid 
Schillen. Die Schulen ſtehen unter Aufliht des Staats 
genannten Schulen beitehen. hier Sonntage: und Abendſchul 
Volksſchulen (davon 3 für Maͤdchen), welde den Abſchluf 
unterrichts zum Zwede haben. Die böhern Anabenjchulen | 
und ſind zugleich Borbereitungsihulen für die Gymnaſien 
Schulen; «hie hoͤhern Mädchenſchulen haben 4 Aurſe. Der 
als meitene Bildungsanitalten 5 Gpmnafien mit vierjährige 
induftrioflen .:Rurfen, und endlich 1 -Iantonales Lyeeum mi ; 
techniſchen und philoſophiſchen Kurſe. Die Schülerzahl de : 
878. Die 5 PBrivasihulen haben 204 Schüler. — Die ® ı 
‚geibieht durch die Gemeinderfihe unb zwar für A Sabre — 
der Lehrexbeſoldungen gelten folgende Beitimmungen : 

In Gem. unter 300 E. u. mit weniger als 40 Schlr. beträgt fie I | 
„:’ n 10a 300-400 Sw. mit 35—50 „, „ n93 


— 


— — = 


— .. 


.. — — — — 


— — A 480-500 nn 45—00 " " ” 4 
5D006000, und übe 530ß0), nd, 
Die —E ber Lehrerinnen darf um 4 klleiner fein. — 
Lyceum und Gymnafium erhalten 1100-2000 Fr., Lehrer a 
ſchulen und höhern Volksſchulen 900— 1400 Fr., auf das $| 
Beſoldung berechtigen 16 Dienſtjahre. 


Glarus. 1. Mit Vergnügen berichten wir, daß i 
mehrere Gemeinden die Gehalte ihrer Lehrer weſentlich er 
Häpingen fleigerte ihn von 850 auf 1000 Fr., Diesbach E 
4000 (nebft freier Wohnung), Luchſingen ftellte ihn auf 900 u: | 
Glarus, Mitlövi, Ennenda und Schwanden falariren ebenfalls 
andere Gemeinden ſind dagegen noch im Rüdftand. — Was di | 
erhöhungen und beſondere Bedeutung verleiht, ift der Umftar ı 
jelben ganz allein von ber Öemeinde getragen werden, währen! 
andern Kantonen Staat, Gemeinde und Yamilien einander bel’ 
waͤrtig petitioniren bie Lehrer um Ulterszulagen. Gege: 
Schulfreundlichen Erſcheinungen frappirt es, daß die große un 
meinde Mollis eine Herabſetzung der Ceprergealte von 1!) 
1000 Fr. beſchloſſen bat. 

2. An ver biesjährigen Berfammlung bes Rantonallı 
eins wurde u. U. auch die Frage disfutirt, ob es durchaus ıı 
jei,. Eörperlihe Züchtigung in der Schule anzuwenden, 
ſich an des Diskuffion betheiligten, räumten ver Schule die 
zu lörperlihen Strafen ein, mahnten aber zur äußerſten Bo: 
Anwendung berfelben, In ‚allen Fällen ſei Beflerung des $ 
med Dar Staafe, or 





730 Die Schweiz, 


3. Die tantonale gemeinnützige Geſellſchaft beidhäftigte ſich im Hheer 
1866 an ver Hand eines Referats von H. Tſchudi mit den 
Kleintinderbewabranftalten. Der Referent ſchließt bie Arbeit mit 


Ueberzeugung könne Neferent, in veilen Gemeinde jeit 6 Por eine gut 
geleitete Kleinkinderbewahranſtalt eriftire und — geftüßt auf — 
Beobachtungen und Erfahrungen — behaupten, daß die Bedenlen, als 
made die Kleinkinderſchule gleichgültig gegen die Pflihten ber Slinderer: 
ziebung, als entziehe fie die Mütter der Kinderpflege, ala bewirken biefelben 
Frübreife und erwachſen daraus dem Staate und den Gemeinden unerſchwing⸗ 
lihe Koften, völlig ungerehtfertigt und unmotivirt fein. Privatwohlihätig- 
keit und ein mäßiges Schulgeld reihen bin, derartige Suflitute zu gründen 
und fortzuerhalten. Neferent äußerte fchließlich feine Anfichten über Gin: 
rihtung und Inhalt folder Anftalten. Er will keine Lernfchulen mit ver 
frübtem Unterricht, fondern Snftitute, worin die körperlichen und geifligen 
Kräfte auf naturgemäße Weiſe entwidelt, geübt und geflärkt werben. m 
diefem Sinne würde er die Ginführung wohlgeorbneter Kleinkinderſchulen 
in allen größern Fabrikdoͤrfern mit Freuden begrüßen. Die Berfammlung 
beſchloß, das Referat zu veröffentlichen und den inbuftriellen Gemeinden bie 
Gründung folder Bemahranftalten zu empfehlen. Bereits hat das aus⸗ 
geftreute Mort Wurzeln gefaßt, indem ſchon au mehreren Orten ſolche In⸗ 
ftitute organifirt wurden. 

Aargau. 1. Die Zahl der Gemeindejhulen betrug 507. Davon 
waren 16 Yortbildungsichulen. Die Schülerzahl belief fih auf 30,148. 
Durhichnittlih trafen auf eine Schule 60 Kinder (Min. 7, Max. 128). 
An fämmtlihen Schulen wirkten 477 Lehrer und 30 Lehrerinnen. 7 in 
Ruheſtand verfepte Lehrer erhielten Penfionen von 250500 Ir. — In 
den obern Klaſſen der Volksſchule wurde Eberhards Leſebuch in beſonderer 
Bearbeitung eingeführt. — Auffallend ift, daß Aargau noch eine ziemliche 
Anzahl untangliher Schullofale beſißt. — Diefer Kanton hat ferner 3 
Nettungs: oder Armenerziehungsanftalten mit 169 Böglingen. Die 3 Taub- 
ftummenanftalten mit 67 Böglingen erhielten einen Staatsbeitrag von 
5000 Fr. „Bon den 18 Kleinkinderſchulen verlennen mehrere ihren Zwech 
indem fie ftatt Spielfehulen mit Wedung der Aufmerkſamkeit und gelegent: 
liher Bildung der Anihauungs und Sprachkraft, eigentlihe Lern⸗ und 
Sitzſchulen ſind. — Die 22 Bezirtsfhulen wurden von 1344 Schülern 
(52 Mädchen) befucht. Die Zahl ver Hauptlehrer betrug 65, die der 
Hilfslehrer 60. Die Kantonsſchule zählte 114 Schüler, das Seminar 83 
BZöglinge. Die Gejammtausgaben des Staats für das Untertichtsweſen 
belief fih auf 364,492 Fr. 

Schaffhauſen. 1. Im regierungsräthlichen Bericht wird 
der Volksſchule ein günftiges Zeugniß ausgeſtellt und gejagt, daß Berufs- 
freudigkeit und frifhes, anregendes Wirken von Seite der Lehrer immer 
mehr über Mechanismus und Schlenvrian die Oberhand gewinne. Auch 
der Schulbefuch fei ein geregelter. Der Kanton bat 105 Lebrftellen, 5740 
Schüler. Gefammtbefoldungen: 100,800 Fr. Die Bejolvungen, an bie der 





Die Schweiz. | 731 


Staat +, die Gemeinden J beitragen, gehören nunmehr zu ben beflen ber 
Schweiz. Die Gehalte der Reals und Gymnafiallehrer beftreitet der Staat. 
Realfchulen zählte der Kanton 5 mit 414 Schülern; das Gymnaſium hatte 
320 Schüler. Die Ausgaben des Staats fürs Grziehungswefen beliefen 
fi auf 102,730 Fr. (für das Gymnafium 37,800 Fr., für die Realſchulen 
34,300 Fr. und für die Glementarfhulen 29,700 Fr.) 

2. Die ftaatöwirtbichaftlihe Kommiffton ftellte ven Antrag, es fei ber 
Regierungsrath einzuladen, über die Cinführung eines big zum Schluß der 
Schulpflichtigkeit fortlaufenden Unterrihts mit reducirter Schulzeit 
dem Gr.Rath Beriht und Antrag zu binterbringen. Der Antrag fand 
aber entjchievene Gegner, die von Reducirung nichts wiſſen wollten. Be 
biefem Anlafie erfuhr man aus einer Erllärung des Präfibenten bed Er 
ziehungsraths, daß die Revijion des Schulgejeßes im Gange fei. 
Der NRegierungsrath wurde eingeladen, den Entwurf eines revidirten Er⸗ 
ziebungsgejeßes bald vorzulegen. | 

3. Im Auguft 1866 tagte ber freiwillige Rantonallehrer: 
verein. Das erfte Traltandum betraf „pie Fortbildung angehender Lehrer“. 
Nef. und Nez. ſprachen einer zweiten Dienftprüfung bad Wort, um 
den Fortbildungstrieb der jungen Lehrer zu nähren. Die Diskuffion war 
eine ſehr beliebte und trug durchweg den Stempel aufmerkſamer Beobach⸗ 
tung und reicher Erfahrung. — Der Bearbeiter der zweiten Preisaufgabe, 
„inwiefern die Klagen über ungenügende Z2eiftungen der Fortbildungss 
ſchulen begründet feien‘‘, gelangte zu folgenden Rejultaten: In allen 
Faͤchern bleibt die Fortbildungsſchule hinter der Glementarfhule zurüd. Er 
findet die Urſachen in der äußern Einrichtung, ungenügender Stundenzahl, 
zu großer Menge des Lehrſtoffs und unzwedmäßiger Auswahl und Behand» 
lung vefielben. Wer die Fortbildungsſchule als bloße Nepetirichule führen 
wolle, werbe ftet3 einen ungenügenden Grfolg zu bellagen haben. Die 
Mädchen feien insbefondere im Gartenbau, in Geſundheitslehre und Kindes⸗ 
pflege, die Anaben neben Schreiben, Rechnen und Leſen im Landbau zu 
unterrichten, zu welchem Zwede das vorzügliche landwirihfchaftliche Leſebuch 
vn Tſchudi zu Gebote ftebe. 

4 Dem Kadettenweſen hatte der Kanton Schaffhauſen eine 
Berüdfihtigung gefchentt, wie fein anbrer Kanton. Das Gejeb erklärte 
fogar die Schüler der Realllaſſen und ver 6. und 7. Glementarllafie vom 
11, Altersjahre an kadettenpflichtig. Da ſich aber eine Gemeinde weigerte, 
ein obligatorifches Kadettenkorps zu errichten, fo mußte für einmal auf bie 
frenge Durchführung des Geſeßzes verzichtet werben. 

Bofelftadt. 1. Im 116 Alafien und Barallelllafien werben 2351 
Knaben und Sünglinge und 1613 Mädchen von 168 Lehren und 35 
Lehrerinnen unterrichtet. Die Ausgaben für Bejoldung ber Lehrer und 
Lehrerinnen belaufen fi auf beinahe 340,000 Fr. Eine Lehrerin erhält 
per Stunde 40—80 Rpp.; ein Primarlehrer auf dem Lande 85-95 Rpp., 
in der Stadt 14—14 Fr., ein Gymnaſiallehrer 14—24 Fr., ein Lehrer 
an der Gewerbefhule 24—44 Fr. ohne die Alterszulagen. 

2. Die Realſchule in Bafel ift eine Anftalt mit 415 Schülern 
im Alter von 10-14 Jahren und einem Lehrerperfonal von 14 Gliebern, 





732 Die Schweiz 


Die Lehrfaͤcher find ungefähr viejenigen einer Selundarſchule, mır daß ber 
Uinterrichtöftoff auf 4 Jahresklaſſen ſich vertheilt. Bei der großen Gchäler- 
zahl müflen Parallelklaſſen errichtet werden, fo daß durchſchnittlich 41 Schüle 
auf eine Mafie kommen. Die meiften Austretenden fommen in Büreaug, 
Fabrilen, oder ergreifen ein Handwerk; die wenigften gehen in höhere Lehr 
anftalten über. 94 Schuler wurden am Jahresſchlufſe nit promovirt, da 
bei der Promotion ziemlihe Strenge waltet. 

3. Das Realgymnafium ift ebenfalls eine ausgedehnte Unftali 
mit 398 Schülen im Alter von 10—15 Jahren und in 5 Jahresklaſſen 
zertheilt. Den Untesricht ertbeilen 14 Lehrer. Die Klafienziele find eimas 
höher geftelit, als in der Realſchule. Auffallend erfcheint die fliefmätter- 
liche Behandlung ver Naturkunde. Für die Schüler beträgt die wöcentlide 
Stunvenzahl 28— 31, für eine volle Lehrkraft 26—80 Stunden. 

4 Das bumanift. Gymnaſium hat 400 Schüler in 6 Jahre 
Hafen. Das Hauptgewicht wird bier auf bie Spraden verlegt. Gin 
—* der Austretenden geht ins Padagogium, ein anderer in bie Gewerbe 

über. 

Bafelland. 1. Laut Bericht des Kantonalinſpeltors Keſtenholz 
beteug die Zahl der Elementarſchulen dieſes Halblantons 105, wozu nod 
5 Brivatichulen tommen. Der Kanton zählt ferner 10 Kleinlinderſchulen, 
4 Bezirkeſchulen für Knaben und 2 höhere Anftalten für Maͤdchen. Gs 
kommt fomit auf 462 Seelen eine Schulanftalt. Die Leitungen feien aufs 
fallend verſchieden, obſchon die Schulen längft unter einheitlicher Leitung 
ftehen und gleiche Lehrmittel benuben. 

2. Auf Anregung des Erziehungsdirektors traten in Lieſtal mehr als 
200 Lehrer, Schulräthe und Schulfreunde aus allen Zhetlen des Kantons 
sufammen, um fi) über die Einführung des Turneng in bie Schu 
len von Bafelland zu beiprechen. Die Berfammlung, die mit einer wohl 
gelungenen Probeübung im Yreiturnen eröffnet wurde, faßte nach Tängerer 
Diskuffion einftimmig folgende Befchlüffe: Der Berein verwendet ſich baflkz, 
daß in jeder Gemeinde ein Turnverein gebildet werbe. Er petitionirt bei 
der Behörde für obligatoriihe Cinführung des Zurnens in den Bezirks: 
ſchulen. Gr erfuht die Negierung, das Turnen als Unterrichtsfadh auch in 
ven Schulplan der Gemeindefchulen aufzunehmen und zu dem Bwedie einen 
Kurs anzuorınen, worin die Lehrer zur Extheilung des Turnunterrichts be 
jähigt werden follen. Die Militärbireltion foll angegangen werben, dem 
Turnen beim Militärunterribt befonvers Aufmerkjamleit zu fchenlen. End⸗ 
lih ſoll ein Kantonalturnlehrer angeftellt werden, der das Turnen an ben 
Bezirksſchulen zu leiten und dafjelbe an den Gemeindeſchulen zu über: 
wachen bat. 

Appenzell A. Rh. Bon Heren Pfarrer Heim erſchien jüngft ber 
(159 Seiten umfaflenvde) amtlihe Beriht über ben Stand des ge: 
fammten Schulweſens im Kanton U. A.Rh. von 1855 — 1865, 
Bir entnehmen dieſem interefianten und reichhaltigen Berichte folgende 
Angaben: 

1. Ueberſicht der Uinterrichtsanftalten. In dieſem Kantonstheil finden 
ſich 86 Primarſchulen, 7 Nealſchulen und 1 Kantomsichule. Inter bem 





Die Schweiz. 188 


Brimarfänlen find gu unterſcheiden: a) 75 öffentliche odes obligatoriſche 
Gemeindeſchulen, für vie Schullinder durchweg Halbtagfchulen, indem ges 
wöhnliy die älteren Schüler am Vormittag, die jüngeren am Nach⸗ 
mittag die Schule beſuchen, b) 4.ſogenannte Mittelſchulen, eine Art Nittel 
gliev zwiſchen Brimars und Realichulen, c) 4 Waifenhausichulen und d) 
8 Brivatprimarjchulen (eine Rettungsanftalt und eine MWebanftalt). . Die 
Zahl der Schuilinder beteug in runder Summe 8400 (5560 Alltagfchüler) 
ober 4 der Bevöllerung (1804 nur 5). Un den Primarſchulen find 
86 Lehrer angeftellt, von denen 58 ihre Bildung im Seminar in Gais 
(unter Krüf und Bellmeger) erhalten haben. An den 7 Realihuien 
(darunter 2 Zöchterihulen) mit 296 Schülern wirlen 16 Lehrer und 2 
Lehrerinnen. Auf 150 Einwohner trifft’ 1 Realſchuͤler. Die Beſoldung 
varlirt zwiſchen 1600-2800 Fr. (Gefammtbefolvung 32,800 $r.). An 
der Spige der hoͤhern Schulen des Landes fieht die Kantonſsſchule im 
Irogen (jeit 1864 förmlihe Staatsanftalt), Sie foll ihre Schüler theils 
zum liebertritt ins praktiſche Leben, theils zum Beſuche einer oben In⸗ 
duftriefchule oder eines obern Gymnaſiums vorbereiten. Sie bebarf nad 
mander Erweiterung, bis fie zur eigentlihen Kantonsſchule wisd. Un der⸗ 
jelben find 5 Haupte und 2 Hilfslehrer angeftellt. (Beſoldung 2000 bis 
20 Fr.). Schülerzahl 56, darunter 7 Humaniften. Den Leiftungen wird 
ob gezollt. 

2. Die fpecielle Leitung des Schulweſens ſteht der Gemeindes 
ſchullommiſſion gu. Die Landesihullommiffion überwacht deren Zhätigleit. . 
Die Beiziehung der Lehrer zu den Verhandlungen der Schullommilfion 
tommt noch felten vor. Das Schulweſen iſt in ver Regel Gemeindeſache. 

3. Die Wahl und Entlajjung der Lehrer fteht bei ver Bor 
Reherichaft oder bei der Kichhöre. Jährliche Erneuerungswahlen kommen 
wur noch in einigen Gemeinden vor. 

. & Delonomifhe Stellung. Grfreuli if, was in den legten 
10 Jahren für ölonomifche Beſſerſtellung bes Lehrerperjonals erreicht wurde, 
1855 betrug die Durchſchnittsbeſoldung 615 Fr. (Bejammtgebalte 43,056 Fr.), 
1865 bezogen fämmtlidye Lehrer an firem Gehalt ohne Zulagen 63,760 Fr. 
(700-1000 %.); im Durchſchnitt 850 Fr. Aus der überfichtlichen 
Kabelle über Beſoldung und Emolumente erſieht man, daß die meiften 
Lehrer zum firen Gehalt für Orgelvienft, Gefangübung oder Borfingen bes 
fondere Zulagen erhalten. Un vielen Orten bat der Lehrer auch freie 
Wohnung, Garten und Hol. Die Brimarfhulfonds erhielten einen Zuwachs 
von circa 216,000 Fr. und beizagen nunmehr 1,212,600 Fr. 

5. Die meilten ver 65 Schulbäufer und Lehrzimmer find in 
gutem Buftanbe. 

6. Schulzeit und Klaffeneintheilung Mile Schüler haben 
die Alltagsſchule vom 6.—12. Altersjahr zu befuhen. Bon da an bis 
zur Konfirmation (im 16. Sabre) befuchen die Kinder woͤchentlich 3 Stun: 
den die Uebungsſchule. Die natürlichfte Klaffeneintheilung nad Jahrgaͤngen 
findet fi noch nit überall. Hie und dba werben bie Klaflen zufammen: 
gezogen. _ 

7. Der Shulbefud if befriedigend. 


784 Die Schweiz. 


8. Lehrmittel 1855 berrichte noch eine beifpiellofe Verſchieden⸗ 
beit der Lehrmittel. Seither wurde mehr Cinbeit angefirebt. Für vie 
untern Klaſſen wurden eigene Schulbuchlein bearbeitet; in den obern Rlafien " 
it das Lefebuh von Eberhard eingeführt. 

9. Der neue Lehrplan wirkte bereits heilſam und fürbermb. Gr 
enthält kein Ideal, fondern fordert nur die im Durchſchnitt erreichbaren 
Leiftungen. Gr foll den Lehrern als Norm und Bafis zu Gntwerfung 
jpecieller Lehrpläne dienen, 

10. Leiftungen und Disciplin. „GSs gereiht uns zum Ber- 
guügen, unjern Primarlehrern im. Allgemeinen das Zeuguiß geben zu löünmen, 
daß fie nicht nur mit dem nötbigen Maß von Kenninifien ausgerüftet find, 
ſondern au ihrem Berufe mit Fleiß und Hingebung obliegen und dem⸗ 
felben in fittlider Hinſicht Chre mahen. Was durchſchnittlich noch am 
meiften zu wünfden übrig läßt, ift die methodiſche Durchbildung. Die 
Leitungen find im ganzen genommen befriedigend, in einigen Schulen gut, 
bis ſehr gut”). Was gefteigerten Leiftungen unferer Vollsſchule vor allem 
bindernd im Wege flieht, iſt Die geringe Dauer ber Alltagsichul: 
zeit. Bu den erzielten Fortſchritten zählen wir den obligatoriſchen 
Lehrplan, die Feſtſetzung des Minimums der Schulzeit, bie 
Ginführung neuer Lehrmittel, die Erhöhung der Lehrer: 
gebalte, die Bermebhrung des Schulvermögens, die Errid: 
tung neuer Shulbäufer und Säulen und die ftärlere finan» 
. zielle Berheiligung des Staats zur Hebung des Schul: 
wejens. Freuen wie uns aud, daß unfer Schulweſen jeit 10 Fahren 
einen unverlennbaren Aufſchwung genommen bat, fo verbhehlen wir wicht, 
daß dafielbe noch in mander Hinfiht der Entwidlung und Hebung bebarf, 
zu deilen Zwed Staat und Gemeinden einander vie Hand reichen follen. 
Die Sorge für immer tühtigere Bildung ber Lehrer und für 
Grhöhung ihrer Gehalte, die Vermehrung zwedmäßiger 
Lehrmittel, die Bertiefung und Anordnung bes Unterrichts 
nah dem Lehrplan, die Verlängerung ber Schulzeit, bie 
Hebung der Uebungsfhule, die genaue Kontrolle des Schul: 
befu&s, die Unterfiügung der Fortbildungsfhule für Er: 
wachſene und von Arbeitsfhulen für Mädchen x. find Gegen 
fände, die auch in Zukunft unfere volle Aufmerlfamleit und Xhätigleit 
erfordern.” Ginftimmig berichten bie Inſpeltoren, daß der in den Schulen 
waltende Geiſt durchweg ein läblicher und guter fei, vorab in der Alltag: 
ſchule. Hier laſſen Gehorſam, Aufmerkjamleit und Xhätigleit der Schüler 
wenig zu wünjden übrig, während es in der Webungsichule häufig an 
Dernbegierbe fehlt. 

11. Ein Anhang beipriht die Mäphenarbeitsihulen (viefe 
find noch nicht obligatorifh), die Kleinkinderſchulen unb bie 


*) Das Beſte wirb im Rechnen und Singen geleitet: dagegen bebarf ber 
münblie Ausdrud, bie ſchriftliche Darftellung ber Gedanken und das Schonleſen 
——— Uebung. Die Schreibleſemethode ſcheint noch nicht überall ein⸗ 
g zu ſein. 


Die Schweiz. 135 


Jugendbibliotbelen. Um die Grändung von Kleinlinderichulen bat 
fh namentli U. Zellweger verdient gemacht. 

12. Für die Zeit von 186567 ernannte die Landesſchullommiſſion 
lise als Inſpeltoren für die ſaͤmmtlichen Unterrichtsanftalten des 


13. Ben 1852 bis 1865 haben am Unterricht des nun aufgen 
bebenen Seminars in Gais 112 Lehramtszöglinge Theil genommen. 

14. Das zinstragende Bermögen ver Primarſchulen 
61,212,600 $r.), der Kantons: und Realihulen (405,460 Fr.), der Naͤd⸗ 
chenarbeitsſchulen (83,000 Fr.) beträgt mit den Fonds der A aifenbänfer 
und Nettungsanftalten circa 1,934,800 Fr. 

Neunuchatel. 1. Dem regierungsräthliden Berichte übes das Er 
ziehungsweſen verdanken wir folgende ftatifiifhe Notizen: 

a) Primarſchulen. Der ganze Kanton zählt 303, von denen 79 
für Knaben, 81 für Mäpden, 122 gemiſchte und 21 SKleinlinderichulen 
find. Davon find nur 200 Jahr⸗ oder Alltagichulen. An venfelben 
unterrichten 136 Lehrer und 161 Lehrerinnen. Der Stanton Neuchatel hat 
auf je 300 Seelen 1 Schule Im Ganzen genofien ven Unterriht 14,771 
Kinder im Alter von 7—16 Jahren (837 Privatſchüler und 178 bei 
ibeen Eltern). Die Gejammtzahl der ſchulbeſuchenden Kinder ftellt ſich auf 
16,405, alſo 2 Schüler auf 11 Seelen. Die Jahresausgaben für die 
Volksſchulen beliefen fih auf 326,378 Fr. (Bejoldungen: 281,321 Fr.), 
wozu der Staat 102,700 Fr. beifteuerte. — Die Rantonallonferenz wurde 
von 110 Mitgliedern befuht. Ein Bericht darüber folgt: Cs herrſcht viel 
Leben in der Lehrerſchaft viefes Kantons, ein Leben, weldes eine große 
Derufsliebe und einen regen Yortbildungstrieb bei den Schulmännern dieſes 
Rantons beurtundet. Beweis davon ift der gewifienhafte Eifer, mit dem 
die päbagogijchen Fragen in Konferenzen behandelt werben. 

:  b) Die Shülegzabl der A Induſtrie⸗ oder Sekundarſchulen bes 
Kantons betrug 348 (über 200 Mädchen). Die Kurſe find breijährig. 
Die Jahresausgaben betrugen 77,905 Fr. 

0) Höhere Lebranftalten ver Stadt Neuenburg. Das Gymnafium 

wurde von 140 Schülern und die Aubitorien von 60 Studenten beſucht. 
Dafür verausgabte die Stadt 40,000 Fr. 
. 2%. Die neu eröfnete, veorganifirte AUlademie umfaßt a) ein 
oberes Literargymnafium, db) ein oberes Realgymnaſium (Babuftriefgule), 
c) eine paͤdagogiſche Sektion, d) eine philoſophiſche Fakultät, e) eine Fa⸗ 
Iultät der eralten Wärenfcaften ‚DH eine Fakultät der Nechtsmwifienfchaft. 
Unter den 31 Profefiosen und Lehrern finden fih u. A.: Humbert, 
Daguet und Defor. 

Su der pädagogifhen Seltion werden gelehrt: Franzöſiſche 
Sprache, Literatur, Mathematil, Paͤdagogik, Naturkunde, Geſchichte und 
Geographie, Verfaſſungskunde, Linear und Kunflzeihnen, Gefang, Gym⸗ 
naſtik und Buchhaltung. Mit dem Unterriht in Naturlunde und 
Geologie find Ercurſionen verbunden. Der Kurs ift zweijährige, — In 
Neuenburg iennt man weder die Rormaljchule, no das Seminar. - Dafür 
enthält die Alademie diefe pädagogische Sektion, die der Lehrerbildung dient 


736 Die Shhueiz 


ans bie dem Lehwilem ber oberen Klaſſen einer Normälſchule entſprechen. 
Der Rektor äußerte in feiner Gröffnungsrede die Anſicht, das Bufanımei 
leben wit bern Stubenten werde ben Lehramtskandidaten wur förderlich fein. 
Wahrſcheinlich werden nun auch fokhe, die ein Seminar. abjelvirt . haben 
und zu Selundarlehrern ſich ausbilden wollen, an der Alabemie in. Rewen- 
burg ihre Stubien als Auditoren fortfegen. 

Genf. Rah vem Bericht über das uUnterxichtowefen des 
Kantons Genf im. Jahre 1866 beträgt die Zahl der Schalen oder Klaſſen 
117 (40 Knaben⸗, 43 Mädchens, 34 gemifihte Schulen). Das Lehrerperfonal 
zaͤhlt 155 Mitglieder (79 Lehrer und 76 Lehrerimmen).: Die Anzahl :;ner 
Schüler jteigt auf 5972 (2233 in der Stadt); eine Maſſe bat durch⸗ 
Ihnittih 51 Schüler. Das Schuljahr umfaßt cisca 346 Schultage. Der 
Primarſchulunterricht iſt unentgeltlih und nicht ebligateriih. Die Gemeintes 
bebörde überwacht den Schulbeſuch. Der Religionsumtericht iR gänzlich 
vom übrigen Unterricht getrennt und fteht. unter der Aufſicht der kirchlichen 
Behörde. Staat. und Gemeinden haben im Sahr 1866 für den Primar⸗ 
ſchulunterricht Die Summe von 183,681 Fr. verausgabt. An bie Lehrers 
befoldungen keitten die Gemeinde 4 bis 4. Die Befolbung beträgt für 
einen Lehrer 1200 Fr. (auf dem Lande), 1400 Fr. (in Oarouge), 1600 Fr. 
(in Genf), für eine Lehrerin 900 Fr. (auf dem Lande), 1100 Fr. (im 
Genf). Die Unterlebrer beziehen 900 Fr., die Unterlehrerin 700 Fr. 
Außer der firen Beloltung haben die Lehrer freie Wohnung .oder eine ent⸗ 
ſprechende Entſchaͤdigung; auf dem Lande überdies einen Garten. Diefe 
Ratudkeifiungen übernimmt bie Gemeinde. Der Staat begahlt dagegen für 
jeden Schüler ein monatliches Schulgeld von 20--30 Rpp. Die Arbeits⸗ 
lehrerin bezieht für wenigftens 7 wöchentliche Stunden jährlih 308 Zr. 
Im Winter wurde in 25 Abendſchulen auch Erwachfenen Unterricht 

Der Sekundarunterricht umfaßt die höhere. Töchterſchule, die 
Induſtrie⸗ und Haudelsſchule, das College classique und das Collage in 
Oaronge. Dieſe Anftalten zählten zufammen 1155 Schüler und bie Aus— 
gaben dafür betrugen 97,950 Fr. Der höhere Unterrigt endlich 
umfaßt das Bymnalium mit 66 und die Abademie mit .208 Etubirenden. 
Die. Ausgaben dafür beliefen ih auf 97,824 Fr., die jährlichen Ausgaben 

für Unterrihtözwede fteigen im Stanton Genf bei einer Benöllerung. von 
83,000 Seelen auf 430,170 $r. ober auf 5 Fr. 16 App. per. Kopf. 
Staat und Gemeinden verausgaben jährlid per Schüler 31 Fr. 60 Mer. 
für den Primarſchulunterricht, 58. Fr. 70 Rpp. für ven Selundarunterricht, 
278 %. 55 Rpp. für den höhern Unterricht. Diefe Zahlen zeigen auf 
ellatante Weife, welcher Aufmerljamleit ſich das Unterrichtsmeſen in Geaf 
erfreut. Welch ein Unterjchied zwifchen Genf und feinem Nachberkanten Wallis ! 

Wagdt. (213,008 Ginmohner.) An der Hend.des ftantsräthlichen 
Berichts. von 1865 und 66 geben wir nachfolgende Mittbeilungen: 

1. PBrimarfhulen. Die Babl. derfelben ift auf 750, die der 
Lehrer auf 554 (499 definitiv angeßellt) ; der Lehrerinnen .auf 4983 (139 
definitiv) und ber ſchulbeſuchenden Kinder auf 35,000 .umgegeben. 188 
Lehrer und 22 Lehrerinnen haben mehr als 20 Dieuſtjahre. Für 20 unb 
mehr. Diemfjahre beisagen die Mlterözulagen für Lehses 200. Ir., für Echter, 








Die Schweiz⸗ 


rinnen 150. Zr.; für 15—20 Dienftjiahre 150 und 100; . 
Dienftjahre I00 und 70; für 5—10 Dienitjahre 50.und | 
Lehrer und Lehrerinnen bezogen Nuhegehalte, je 100—400 | 
24,448 Fr. Das Minimum der Lebrerbefoldung für def | 
Lehrer beträgt 800 gr. ., für proviſoriſch angeftellte Lehrer 50 
bezieht jeder Lehrer ein jährliches Schulgeld von 3 Fr. auf: | 
Arbeitslehrerinnen giebt e3 328. Die Yahresausgaben betrugen | 
wovon 452,180 Fr. auf die Lehrerbefoldungen fielen. — Be :! 
wurden 76 Lehrer und Lehrerinnen nicht mehr beflätig.. — ⸗ 
wurde von einer Kommiſſion von Fachmaͤnnern entworfen u 
Prüfung und Begutachtung der Konferenz endgültig angenomn 

2. Normalſchulen (Lehrerjeminarien) giebt es zu 
einem dreijaͤhrigen Kurs für Lehrer, und eine mit einem zwei 
für Lehrerinnen. Dieſelben wurden beſucht von 65—75 Lehrerr 
Lehrerinnen. | 

3. Die Setundarfhulen find im Waadtland m ı 
Schon ſind ſechs ſolche Anſtalten ‚gegründet worden. Der 1 
4 der Bejoldungen. 

4. Progymnafien und Induftriefhulen (höl ı 
ſchulen). Die 13 Anftalten diefer Art haben 954 Schüler. 
betheiligte fih bei den Ausgaben mit 49,400 Ft. 

5. KRantonales Gymnaſium und Alademie 
Jenes murde von 182 Schülern befuht; die Akademie 
Studenten. 

6. Staatsunterftügung genießt ferner die Taubftum: 
in Sverdun. (27 Böglinge). 

7: Refultat der laufenden Refrutenprüfung. Bo 
ruten befamen 22 die Note: jehr gut, 312 gut, 669 ziem | 
ſchwach. Die Leiftungen zeigen einen wejentlichen Fortſchritt. 

Thurgau. 1. Die Nm. 15—21 der ſchweizeriſchen 
(1866) enthalten einen recht leſenswerthen Artikel über das thı 
Schulweſen feit 1853. ' In einem NRüdblid in die Säule : 
Kantons Tagt der Verfafier: Es giebt andere Kantone, die in 
dem Thurgau vorangeeilt find, und 'in denen mande Yortfı 
und unter’ heftigen Kämpfen erzielt wurden; aber wenige |' 
in denen in aller Stille mit größerer Sicherheit und Stetig! 
Errungenschaften gemacht worden wären. Thatfachen zeigen, du 
gau ver Sinn für reelle Fortfchritte nie fehlte, daß unfere Sch. 
und Adtung des Volles befigt und Diefes zu ihrer Hebung aı 
nenswertbe Opfer darzubtingen weiß. Ein Erziehungsdirektor hal 
es erifire in der Schweiz kaum ein zweiter Kanton, der vor 
noch ein Unterthanenland, auf nus 90,000 Seelen, eine eigeı 
Schule, ein eigenes Seminar, eine eigene landwirthſchaftliche 
folches Reg von Selundar- und Primarſchulen, und alle jo gut 
und trefflich bejergt, aufzumeifen hätte, mie der Thurgau. — 
wichtigen Aufjhwung nahm das thurganiſche Schulmejen in der 
jahren unter Wehrli, der feinem Seminar bald weit über | 

Päd. Jahretbericht. XIX. 47 


— — 


„me ———⏑ | 





738 Dit Schweiz. 


des Kantons hinaus einen Auf und allgemeine Anerlennung verfhaffte. 
Nahezu 20 Jahre wirkte er bier in raftlofer Thätigleit an der Lehrerbildung, 
und viele feiner Zöglinge bewahren das Andenken Bater Wehrli’s in dank 
barem Herzen. Das Jahr 1853 bezeichnet einen fharf marlirten Wende» 
puntt in der thurgauiihen Schulgefhichte, da von daher das gegenwärtige 
Unterrichtögefeß vatirt. 

2. Der langjame, aber ſichere Gang auf der Bahn des Fortſchritts 
zeigt fih nirgends dharalteriftiiher, als in der Befoldungsfrage. 
1852 zählte der Kanton noch 81 Primarftellen mit weniger ala 300 7. 
Baareinlommen; 1864 zählte man nur 2 Lehrer mit bloß 500 &r., 143 
mit 500—700 Fr. 71 mit 700-900 Fr. und 18 über 900 Fr, die 
Alterszulagen und Naturalleiftungen (Wohnung und Pflanzland) nicht 
gerechnet. 1865 wurde eine Alterözulage im Betrage von 50, 100, 150, 
200 Fr. je nad 6, 10, 15, 20 und mehr Dienftjiahren. Ebenjo iſt dafür 
gejorgt, dab Witwen oder Waifen eines Lehrers eine jährliche Rente von 
100 Fr. und überdies au alte und kranke Lehrer eine Unterftügung be 
ziehen. Seiner fo günftigen Beurtbeilung hatten ſich begreiflih die thur⸗ 
gauiſchen Schulverfhmelzungen fogenannter Zwergſchulen zu erfreuen. 
Man klagte aub hier über gewaltthätige Eingriffe. — Die Bahl ber 
Sekundarſchulen flieg feit 1852 von 6 auf 23 mit 27 Lehrern und 
686 Schülern. Die Lehrerbefoldung fteht auf 1200 Er. nebft freier Woh⸗ 
nung und Alterszulagen Der Staat leiftet an jede Schule 900 — 1200 Fr. 
Es befteht bier eine gejeglihde Selundarlehrertonferenz, (ine 
Frucht derfelben war die Aufftellung eines obligatorifden einheitlichen Lehr: 
plans. Seit einigen Jahren find mit den meilten Sekundarſchulen foge- 
nannte freiwillige Fortbildungsfculen für Anaben und Jünglinge im Alter 
von 16—20 Jahren verbunden. — Die Gründung des Seminars fällt 
ins Jahre 1833. Der Kurs ift jebt dreijährig, Mit dem Seminar ift ein 
Convikt verbunden. Der Direltor (Nebfamen) ift aber nicht zugleid 
Conpiktführer. Die Zahl der Zöglinge betrug 81. Der. Kanton befigt 
ferner eine landwirtbihaftlide Schule, eine landwirthſchaft⸗ 
lihe Armenfdhule und eine Kantonsſchule. Diefe Anftalt (mit 
220 Zöglingen) hat fi feit ihrem 12jährigen Beltande kräftig empor 
geſchwungen. An berjelben wirten 15 Lehrer. Sie umfaßt 6 Induſtmie⸗ 
und 7 Eymnaſialklaſſen. Staatsbeitrag an die Kantonsſchule 37,800 Fr., 
an das Seminar 11,400 Fr. 


Graubünden. 1. In diefem Kanton giebt es immer noch Ge 
meinden, welche es nicht über fich bringen, ihren Lehrern das geſeßliche, 
magere Minimum von 10 Fr. per Woche zu geben. Das Bünkner 
Tagblatt bringt die Namen derjelben, unb wir finden darunter ſolche, die 
zu den größern und reichern Gemeinden des Kantons zählen. Laut amt: 
lihem Bericht giebt es fogar noch einzelne Gemeinden, bie ihre untang: 
lichen Lehrer mit 100 Fr., ja mit 50 Fr. befolden. Laut einer ftatiftifchen 
BZujammenftellung im bündneriihen Monatsblatt begiehen von 446 Lebrern 83 
weniger als das Minimum von 10 Yr. per Woche, 188 Lehrer erhalten 
per Mode 10—11 Fr, 149 Lehrer 11—15 Zr., 85 Lehrer 15-20 Fr. 


Die Schweiz. 


und 21 Lehrer 2330 Fr. per Woche. In diefem Kan 
39 Schulen mit weniger als 15 Schülern. 

2. Das gegenwärtige Shulvermögen diefes Ki 
nad einer Weberficht in der bündnerifchen Volkszeitung ſamm 
und Liegenſchaften 2,998,400 Fr. Da der Kanton 90,7 
zählt, fo kommt auf je 1 Einwohner circa 33 Fr. Schulver 
3. Ws Schattenfeite wird bezeichnet, daß einze 
ſchulpflichtige Kinder vor der Beit vom Schulbefuh zum Nutz 
men der Schwabengängerei bispenfiren. Caſtels-Rüti reducirte 


22 Wochen der Winterfhule auf 4 Monate. Beiden wählt 
durch's Loos. 


4. Auf Veranſtaltung des bündneriſchen landwirthſchaft 
wurde in Chur mit der oberſten Klaſſe des Lehrerſeminars ei 
kurs abgehalten. 


5. Im Großen Rathe kam 1866 die Frage einer Al 
wen: und Waiſenkaſſe für Schullehrer „zur Behandlu 
ſprach fi mit großer Mehrheit für Gründung eines ſolchen 
Stoaatäbeitrag aus. 

6, Wie früher in gurich und Bern und gegemmpärtig- 
und Thurgau wurde auch bier ein Geſangdirektorenkur 
31 jüngere Lehrer nahmen Theil an demfelben. Der Kurs vaue 
Mu demfelben wurde auch Unterricht in der Pädagogik ver 
Zutnen verbunden. 

7. Schon früher wurde der Vorſchlag gemacht, auf den 
kundarſchulen einzuführen und dafür die 2 erften Klaſſen 
ſchule eingeben zu laflen. Die Erziehungsbehörde, die den N 
totben hatte, iſt jedoch der Meinung, daß wenigftens für e 
viel dringender fei, die Gemeindeſchule befier auszubauen, als 
denen Mittel noch mehr zu zerfplittern. „So lange fih noc 
meinden finden, die gezwungen werben müflen, ihren Lehrern ' 
Beiolvung von 220 Fr. per Winter zulommen zu laſſen, i 

-einzufehen, wie au anftändige Beſoldungen für Bejirlslehrer 
ſein ſollten. — Die Kantonsſchule zu ruiniren, wie vorgeſchla 
dürfte kaum das paſſende Mittel dafür fein. Wird dagegen der 
räthlihe Vorjchlag angenommen, das Minimum der jährlichen 
von 22 auf 34 Moden zu erböben, fo dürften unjere Schu 
Anforderungen entiprehen, da die Pflicht zum Beſuche der A 
bis zum erfüllten 15. Jahre dauert”. 


8. Noch vermweifen wir auf den erziehungsräthlihen Kahrı 
1865 —66, des einen Einblid in’s graubündifhe Unterrichtsmwe| 
Wir beihränlen uns darauf, einige Angaben daraus zu notiren 

a) Die Kantonsſchule zählte insgefammt 311 Schüler, 
Gymnafiaften, 160 Realihüler, 71 Semtmariften und 2: 
den (349 Deutiche, 126 Romanen, 33 Italienet und 3 

un 47 3 


urn. | 





140 Die Schweiz, 


b) Außer der Kantoneſchule beftehen im Kanton 5 höhere Lebran- 
falten mit 182 Schülern. inter den 87 Böglingen der Anfalt 
in Schiers befinden ſich aud 33 Lebramtszöglinge. 

c) Voltsſchulweſen. Das Seminar erfreut fih eines gedeihlichen 
Fortgangs. Unter den 71 Seminariften find 33 Deutihe, 36 Ro: 
manen und 2 Staliener, der Kurs dauert 3 Jahre. Die Mufter 
ſchule hat 74 Schüler. Ueber die weiblihen Arbeitsſchulen 
lauten die Berichte fehr günftig. Mit Anerkennung ermähnt der 
Bericht der Frauenvereine, die zur Gründung und Hebung foldyer 
Säulen wejentlih beitragen. Die Leiftungen der Gemeindeſchu⸗ 
len befriedigen ebenfalls. — Getadelt wird, daß einzelne Gemeinden 
das Schulgeld für Beifäßlinder viel höher anfegen, als für Bürger: 
finder. So follte ein blutarmer Mann in einem Dorfe für feine 
zwei ſchulpflichtigen Kinder nicht weniger als 25 Fr. Schulgelb ent: 
rihten. Cine andere Klage, die die Srziehungsbehörbe fiets fort 
beſchaͤftigt, ift die fogenannte Schwabengängerei. Aus einer einzigen 
Gemeinde haben I. 3. 20 ſchulpflichtige Finder die Heimat verlafien, 
um in Schwaben das Brot zu verdienen. Der Gintritt der Schwa⸗ 
bengänger in die Schule findet im Dezember ftatt und Anfangs März 
verlofien fie ſchon wieder die Schule, um die Reiſe nah Schwaben 
anzutreten. i 
Luzern. 1. In der Stapt Luzern bat fih ein päbagogifder 

Berein gebilvet. Während einige nur eine Verbindung von Schuimän: 
nern, die durch Arbeiten und Beſprechungen von Schulfragen, päbagogifde 
Schriften, Reformen des Schulweſens zc. die eigene Fortbildung förbern 
wollten, einigte fih die Mebrzahl dahin, einen Verein zu ‚gründen, deſſen 
Aufgabe dahin gerichtet fein fol, zwifden Schule und Haus eine engere 
Verbindung und größere Harmonie zu bewirten. Bu dieſem Bwede follen 
auch Eltern und Schulfreunde zu ven monatliden Berjanmlungen einge 
laden werben. 

2. Der Berein zur Unterftägung armer Shullinder bat 
L. Jahr über 200 arme Kinder mit Slleivungsftüden befchentt. 

8. In Folge eines Beſchluſſes der Kantonallehrerlonfereng bat der 
Erziehungsrath eine Reihe von 24 vollsthümlichen Liedern ausgewählt, die 
in der Gemeindefchule eingeübt und nah Tert und Melodie auswen 
dig gelernt werden follen. 

4 Das reichhaltige und beachtenswerthe Jahrbuch der luzerniſchen 
Kantonallehrertonferenz enthält einen Plan zur Heimathlunde, Mittheilungen 
aus der Gefchichte des landwirthſchaftlichen Schulweſens, eine Arbeit über 
die Gefundheitspflege in den Schulen (Schulhaus, Schultiſch, Schulgeräthe, 
Schuleintritt, Wechfel in den Lehrftunden), ein Referat über die Mädchen: 
und Arbeitsſchulen und ein ſolches über die Refrutenprüfungen und Re: 
krutenſchulen. Meferent wünfcht die Fortſetzung derſelben, indem die guten 
Folgen und Früchte die Opfer mehr als aufwiegen. 

Das Grgebniß der I. Nelrutenprüfung ift folgendes: Bon den 1005 
Nekruten erhielten im 





Die Schweiz. 


0 1 2 
Refen 95 110 220 
Schreiben 78 216 317 
Nehnen 41 193 326 

5. Luzern hat 444 Gemeindeſchu 
Lehrer, 16,872 Schüler), 84 Fortbildung 
lem, 88 Mädchenarbeitsſchulen mit Zi 
zirtsfhulen mit 671 Schülern, 1 Lehrer] 
1 TZaubftummenanftalt mit 29 Bögling 
anftalt (Realſchule, Gymnafium, Lyceum un 
lern und Studenten. Der Staat verausgabt fü 
für's höhere Schulweſen 90,600 Fr. 

6. Wie in den Kantonen Bern und Bi . 
Luzern Mangelan Lehrern fühlbar. Fü 
Lehrer erhältlich. 

7. Schon im legten Jahresberichte the : 
aus: „Gedanken über eine Revifion ! 
vom NRegierungsrath Dr. Segeſſer“ 
Broſchüre find wir im Falle, jene Angaben zu 
ſchon gegen den Titel „Erziehungsgefeg”. 
gejeß” heißen, denn vie Erziehung fei nicht Sa 
Familie. Der Irrthum der modernen Pädagoı 
fogenannte Staatserziehung an bie Stelle der 
daß fie das Elternhaus der Schule unteror! 
Mittel zur Bildung, die Erziehung aber fei Sa 
und Aufgabe des demolratiihen Staats im Ge 
richts umfafle nur die Vollksſchule; alle weitere 
Drganifation betreffend erklärt Segefier die 
des Vollsfhulwefens in unferm Lande eine ve 
die Volksſchule gedeihen, jo müfle fie mit der € 
bunden fein. Bezüglih des Lehrziels babe 
grammen und Lehrplänen die Bildung wenig ge 
Reduktion der Lehrfäher. — Das jhulpflic 
dem zurüdgelegten 7. Jahre, Die Unterrichtei 
von der Srreihung des Lehrzied. Den Schulz: 
unrepublitanifches Snftitut; er würde ihn burd 
Angaben über ven Staatsbeitrag und bie ©: 
geben die frühen Mittbeilungen. Die Bezirks] 
einer böbern Gememvefchule erfüllen und keine 
höhere Lehranftalten fein. Hiefür follen einige | 
ſchiedenen Gegenden errichtet werden. 

Ueber die Lehrerbildung bemerlt er: 
ſchließliche Lebrerfabrit aufgeben. Er beftellt « 
Pädagogen), welcher abwechſelnd an je einer der 
jährigen Kurs der Methodit und Pädagogik für | 
Tauglichleitänoten für's Lehramt erhalten haben. - 
abſchließenden Lehrerlonferenzen würde er ' 


a0 —— 


— —⸗ — — .- 


— — — — — — — — 





142 Die Schweiz. 


ſchlagen. Eo würde das ganze Volksſchulweſen populär; Gemeinde, Kirche 
und Familie würden ſich jo mehr um baflelbe intereſſiren; ber ganze com: 
plicirte Organismus würbe vereinfacht, die Staatsloflen um die Hälfte 
erleichtert, und die Schule würbe lebendiger und mwirlfamer werben. Im 
Gymnaſium könnte das Klaſſenſyſtem für ein gründliches und zweckmäßiges 
Studium befiere Refultate liefern, ald das Fächerſyſtem. 

Gegenüber des von Segefier aufgeflellten Grundſatzes, daß die Er» 
. eöung nicht Sache der Gefepgebung fei, äußert der Erziehungsrath die 

nliht, die moderne Schule fei keine bloße Lernſchule, ſondern weſentlich 
Srziehungsanftalt. Erziehung und Unterricht laffen fih nicht trennen, und 
das beſte Erziehungsmittel fei eben der Unterriht. Am Schluſſe der Be 
gutadhtung, bei Zufammenfallung der Refultate, erllärt die Erziehungsbebörde, 
daß fie nur in wenigen Buntten mit Segeſſer einverflanden fe. „ir 
“ können es nicht bevorworten, daß der Schule ihr Charalter ald Erziehungs: 
anftalt entzogen werde, daß die Pfliht des Staates fih einzig auf die 
Errichtung von Vollsſchulen beihränte, daß alle mittleren Schulbehörben 
wegfallen, daß die Gemeinden unbedingt die Lehrerbeſoldung beflimmen, 
daß der Staatsbeitrag an die Schullafien nad Kopfzahl der Kinder beſtimmt 
werde, daß das Lehrerjeminar als felbftändige Lehrerbildungsanftalt weg: 
falle, daß Geſang und Zeichnen aus dem Lehrplan entfernt werde, daß 
dem Staate jede Mitwirkung bei Erſtellung der religiöfen Lehrmittel verfagt 
werde, daß die weiblihen Arbeitsſchulen aufgehoben werden, daß die Lehr: 
fräite an der Zaubftummenanftalt und an der Kantonsfchule vermindert 
werden. Dagegen. find wir für den Jpätern Sculeintritt und unter ge: 
willen Bedingungen für die Ueberlaſſung des Wahleechts der Lehrer an bie 
Gemeinden“. 

8. Eine kräftige, -jchlagende Antwort erhielt Segefler vom Herrn 
Seminarbireltor Dr. Dula in feiner Ehrift: „Zur NRevifion des 
Iuzernifhen Grziehbungsgefeges, betreffend das Volts— 
ſchulweſen“. 

Dula erſcheint der Gedanke ganz ſonderbar, in Sachen der öffentlichen 
Erziehung Erſparniſſe erzielen zu wollen. Offenbar fei das Geld nirgends 
befjer angelegt, als in der Fürforge für die geiftige Bildung der Jugend, 
In dem Maße, ald der Unterricht der Jugend erweitert und gehoben werde, 
wachſe au die Kraft zu ökonomiſcher und fittliher Sntwidelung und Hebung 
des Volks. — Dula entwidelt in diejer gehaltvollen Arbeit feine Anfichten 
über „die beffere Stellung der Lehrer”, gefleigerte Lehrer: 
bildung, zwedmäßigere Drganifation der Auffihtsbehör: 
den und über die Berlängerung der Schulzeit. 

Mährend Segefier der Reaction und Reduction ruft, fpriht Dula dem 
befonnenen ortfchritt, der Erweiterung und dem Ausbau der Volksſchule 
das Wort, Da dies ohne Zweifel für künftige Reformen die Hauptgebanten 
und Grunbdlinien geben wird, jo kommen wir im nädften Berichte auf 
dafjelbe zurüd. 

Segeſſer kam bei den legten Wahlen um feinen Einfluß auf bie Lei. 
tung des Erziehungsweſens. Die Liberalen erlämpften den Sieg unb werben 
nun ihrem Programm gemäß für Einführung von Yahresichulen, vermehrten 











Die Schweiz, | | 743 


Jugendunterricht, befiere ölonomifche Stellung ber Lehrer, Feſtſetzung bes 
Minimumd des Gehalts und die Wahl der Lehrer durch die Gemeinden 
binwirfen. 


Bern. 1. Der Kanton Bern zählte im Schuljahre 1865/66 1480 
Brimarjchulen. Die Zahl der Schüler betrug 87,080. .Der Sculs 
befuh war befriedigend. Die fittlihe Haltung und der wiſſenſchaftliche 
Standpunkt der Lehrer find im Durchſchnitt gut. Als wejentlider -Zort: 
ſchritt wird die allmälige Einführung des Zurnens bezeichnet. Sekundar⸗ 
ſchulen beftanden 33, Progymnafien 5. Un diefen Mittelfehulen wirken 
104 Lehrer und Sehrerinnen. Die Zahl der Schüler und Schülerinnen 
betrug 2016. Die Gejammtergebnifie ‚befriedigen. Auch an dieſen Schulen 
gewinnt der Turnunterricht immer mehr Verbreitung. Der Staatsbeitrag 
für dieſe Anftalten war 133,700 dr. Die zwei Kantonsjchulen 
zählten 657 Schüler (in der Giementarabtheilung 210). Die Zahl ver 
Studirenden an der Hochſchule in Bern betrug 235. Die Ausgaben 
biefür beliefen fih auf 170,000 Fr. Staatlihe Lehrerbildungs- 
anjtalten beit Bern 3 (in Münchenbuchſee, Pruntrut und Delsberg). 
Das Seminar in Hindelbant ift eingegangen. Außerdem befinden fih im 
Kanton Ben noh 125 Privatjchulen, | 

2. Die berner Grziehungsdireltion bat einen umfangreichen Bericht 
veröffentlicht, in mweldem der Kampf geſchildert wird, ven die Erziehungs 
behörde jchon feit Jahren mit vem Orden der Urfulerinnen und ihren 
Afftlirten führt, die den Primarunterriht im Jura an fi reißen möchten, 
und fich keinem Geſetze unterziehen wollen. Sie bringt den zeitgemäßen 
Antrag, daß die Angehörigen jener Orden von der Bekleidung öffentlicher 
Lehrftellen ausgefchlofien fein möchten. (Schulfreund.) 

3. Nah einer Broſchure über den „Shulorganismus ber 
Stadt Bern” fanden ſich in genannter Stadt folgende Schulanitalten: 
49 Primarſchulklaſſen oder Lebrftellen mit 2500 Schülern, die Kantons» 
ſchule mit 12 Yahresturfen (vom 6.— 18. Altersjahr) und 537 Schülern, 
bie ftädtiihe Realſchule mit 7 Klaſſen und 148 Schülern, die bürgerliche 
Mädchenſchule mit 10 Klafien und 226 Schülerinnen, die jogenannte 
Einwohnermaͤdchenſchule mit Kleinkinderſchule und 13 Klafien (Clementar:, 
Selundar: und Yortbildungsllafien) mit 346 Schülerinnen, die jogenannte. 
neue Mädchenſchule mit 10 Klaflen und 200 Schülerinnen, ferner die jo: 
genannte Berberfhule und die Waiſenſchule. Die Primarlehrftellen find 
mit 23 Lehrern und 26 Lehrerinnen beſetzt. Im Durchſchnitte bat jede 
Klafie 53 Schüler (Maximum 83, Minimum 38). 

4. Der Gemeinderatb der Stadt Bern nahm eine Shulreform 
an’ die Hand. Die Hauptgrundlagen derfelben find: Bermehrung ver 
Klaſſen in nen Primarjhulen, daß in keiner die Zahl der Kinder über 50 
feige, Grftellung zwedmäßiger Lolale, Serabjegung des Schulgelds und 
Erhöhung des Beitrags der Gemeinde an die Mädchenſchulen, Berfchmel- 
jung der bürgerlihen und der Einwohnermädchenſchule, Erridtung von 
Selundarſchulen für Knaben über 12 Jahren für den Abſchluß der Primar: 
ſchulbildung. (Schulfreund und Tagblatt.) 


744 Die Schweiz, 


5. Wie ſchon berichtet worben, befteht felt vier Jahren in der ſchwei⸗ 
zeriſchen Rettungsanſtalt Bädhtelen bei Ben auh ein Seminar für 
Bildung von Armenlehrern. Im Oktober 1866 fand unter Buziehung 
von Experten bie erſte Prüfung mit 14 Lebhrerzöglingen Ratt. Tie 
Refultate der Prüfung fielen laut Beriht durchwegs über Grmarten 
günflig aus. 

6. Wir notiren hier einige von der Schulfynode acceptirte Schluß: 
tbefen der beiden obligaten Fragen über „Berbeflerung der 
Sittenzuftände” und über „den Unterricht in der Naturkunde‘. Theſen 
zur erften Frage: man biete der Jugend gefunde Leftüre; man rebucite 
das Marimum der Schülerzahl der Primarllafien; man Haffifizire konſequent 
nah Schuljahren! Theſen zur zweiten Frage: Ber naturkundliche Unter: 
richt, welcher einen materialen, formalen und fittlih »religiöfen Bmed hat, 
hat eine beroorragende Bedeutung für die Entwidlung und Ausbildung 
der Bollsihule. Zur Erreichung obiger Zwede find folgende Lehr: um 
Hilfsmittel unerläßlih: Zabellen für den vorbereitenden naturgeſchichtlichen 
Anſchauungsunterricht, eine kleine Sammlung von Mineralien und Fel⸗ 
arten, ein Hein Herbarium und ein Bilderwerk für fremdlänvifche Pflanzen, 
einige ausgeftopfte Vögel und Säugeihiere nebft Praͤparaten; einige Sle— 
lette; eine Heine Snfeltenfammlung, ein zoologiſches und phyſiologiſches 
Bilderwerk, Sammlung von Saamen mit Fruchthüllen, Sammlung von 
getrodneten Blättern mit verjchiedenen Formen, ein Real: und Leſebuch 
in die Hand des Schülers; in der Naturlehre Apparate für bie Erſchei⸗ 
nungen der Anziehung, des Magnetismus und der Gleftricität, von Schal, 
Licht und Wärme, für bie chemiſchen Erſcheinungen. 


7. Die Kreisipnode von Bern behandelte folgende obligate Frage: 
„Welche weientliben Diängel zeigen fich gegenwärtig noch in unferm 
Brimarfhulmefen und wie wäre benfelben am wirkſamſten abzubelfen?“ 
Aus der Diskuffion ergaben fich folgende Hauptpunfte: a) Mängel in da 
Geſetzgebung: überfüllte Schulllaffen (deßhalb geringe Fortſchritte, Zwangs⸗ 
promotionen, Ueberanſtrengung bes Lehrers), geringe Beſoldung (daher 
Rabrungsforgen und Nebenbeihäftigungen). Wünjdbar tft die obligate 
Einführung des Turnens in allen Schuien, vie gejeglihe Beſtimmung all 
gemeiner Wehrpflicht der Lehrer, Ginführung eines Schulgelves. b) Mängel 
in der Handhabung der Geſetze: ed mangelt da und bort am Intereſſe und 
an der nötbigen Energie; nicht felten geſchieht der Eintritt in vie Schule 
vor dem geſeßlichen Alter. c) Bkängel bei der Lehrerſchaft: Manchen 
Lehrern fehlt das rechte Streben nad Bildung, die wahre Hingabe und 
Begeifterung , die echte Kollegialität. Oft fehlt unter ven Lehrern an den 
gleihen Schulen die nöthige Uebereinfiimmung im Schulpln ıc. De 
Unterricht ift zu wenig gründlich, anſchaulich, praltiſch. Andre Mängel: 
Schule und Haus wirken zu wenig zufammen; es mangelt eine einheitliche 
Sinfpection, da und dort an zwedmäßigen Schullokalen. 

As Vorzüge und Lichtfelten des berner Schulmefens werben bezeihne: 
vorzügliche Lehrmittel und Lehrpläne, zehnjährige Schuleit, gut eingerichtete 
Seminarien und Repetitionskurſe. | 





Die Schweiz. 745 


8. Der Regierungsrat bat auf Antrag der Erziehungspireltion eine 
Verordnung über Handwerker- und Gemwerbejhulen erlaflen. 
Diefe gemwerblihen Fortbildungsihulen dienen dazu, Handwerlern und 
Gemerbtreibenden diejenigen Kenntniffe zu verfhaffen, die zur Betreibung 
des Berufs von Bedeutung find. Der Unterricht erftredt ſich auf Zeichnen, 
Modelliten, Rechnen, Geometrie (befonders Flächen: und Körpermeflen), 
Selhhäftsauffäge, einfache Buchhaltung, Phyſik, Chemie und Technologie. — 
Die Konferenz der Selundarlehrer , die ebenfalld die Frage über die zwed: 
mäßigfte Erftellung von Handwerkerſchulen verhandelte, wünjhte neben 
Beihnungs: und Modellirſchulen, bejondere Werkſtätten, in melden unter 
Anleitung eines Fachmannes Arbeiten in Holz, Metall, Papier und Thon 
in rationeller Weife ausgeführt werden, ferner eine ftändige Gewerbeaus⸗ 
ftelung zur Bildung des guten Gefchmads. 

9. Eine Verfammlung von 300 angejehbenen Männern berieth ſich 
zum Zwed der Belämpfung der Schnapspefl. Die Diskuſſion war 
ernft und interefiant. An Beifpielen aus der Schule und der Armenpflege 
wurden die Schäden in erjchredender Weiſe bloßgeftellt, welches das jo 
furchtbar um ſich greifende Branntweintrinten der Volkswohlfahrt zufügt. 
Man beihloß, ernitlih Hand anzulegen, um dem Berberben entgegen zu 
arbeiten. Möge dies der PVereinigung der Bellergelinnten in Bolt und 
Behörde gelingen! 

10. Relrutenprüfung Es wurden 1866 1963 Mann ge: 
prüft. Die Leiftungen tarirte man mit O (gänzliche Leiftungslofigfeit ), 
1 (ſchwach), 2 (mittelmäßig), 3 (gut), 4 (vorzüglih). Nun ergab ſich 
folgende Gruppirung: 

0 1 2 3 4 
Leſen 35 226 509 693 500 
Schreiben 40 437 785 500 201 

| Nehnen 99 524 660 362 28. 

Mit 1861 zeigt ſich ein bedeutender Fortjchritt. Die Gemeinden, aus 
denen Nelruten mit geringen Leiſtungen kamen, wurden im Bericht namentlich 
bezeichnet, Es ift anzunehmen, daß die feit Jahren durchgeführte Prüfung 
fernerhin mit gleiher Sorgfalt fortgefegt werde. Man nimmt bier an, 
Prüfungen und Unterricht gehören nothwendig zum Relrutenvienit. 

11. Hinfihtlih der Leiftungen der Schulen finden wir über 
5 Kantone folgende Zufammenftellung von Gradationen (freilich nah un: 
gleihem Maßftabe). 

ſehr gut. gut. mittelm. unbefriedigend 
oder ſchwach. 
Bern 250 500 500 230 (1480 PBrimarjhüler), 


Züri 210 268 43 1 522 „ 
Luzern 186 229 28 1 444 „ 
St. Gallen ag 176 (448 10879) 216 ) 400 „ 
Schwyz 47 92 „ 


12. Die tofopbife — der Sodfgule zählte 19 Sekun— 
darlehbramtstandidaten, 


BArP= En 


N 





746 Die Schweiz. 


Zürich. 1. Nachdem fich der Gewerböverein und bie gemeinnäßige 
Gejellichaft ſchon wiederholt mit den Handwerks⸗ und Gemwerbs: 
ſchulen beihäftigt und aud die Regierung Staatsbeiträge von 75 — 
250 Fr. verabreiht hatten, ift endlich zur Ginleitung einer bejonderen 
Vörderung verfelben im Jahr 1866 eine außerorventlihe Inſpeltion durch 
Herrn Selundarlehrer Ott veranftaltet worden. Aus dem Berichte des⸗ 
jelben ergiebt ji, daß gegenwärtig 36 folder freiwilliger Schulen beftehen 
und daß bdiejelben durchſchnittlich von 800 Schülern bejudht werden. An 
denjelben arbeiten 68 Lehrer. Die Koften werden aus Staatöbeiträgen 
(4800 Fr), Schulgelvern (2—6 Fr.) und freien Steuern beftritten. Die 
bedeutendften Ausgaben find die Entſchädigungen für die Lehrer. Züri 
giebt für eine wöchentlihe Stunde 84 Fr., Landgemeinden 75, 65, 60, 
40 Fr. Winterthur bezahlt für jede Lehrftunde 2 Fr. Als Lolale dienen 
meiſt die Schulzimmer. Die Verwaltung und Beauffihtigung ift gewoͤhnlich 
einem befonderen Schulvorjtand übertragen. Der Unterriht ift auf Sonn⸗ 
und Werktage vertheilt. Die mwöchentlide Stundenzahl variirt zwifchen 
2 und 18 Stunden. Meiftens find die Schüler in zwei oder mehrere 
Kurſe getheilt. Die eintretenden Echüler follen das 14. Altersjahr zurüd: 
gelegt haben. Beltimmte Vorkenntniſſe werden nicht verlangt. In der 
Regel werden folgende Unterrichtsfädher ertheilt: Freihandzeichnen, gen: 
metrifchstechnifches Zeichnen, reines und angewandtes Rechnen in Berbin: 
bung mit ©eometrie, Anfertigung von Gejhäftsauffäßen, Rechnungs: und 
Buchführung. In den Unterrichtsmitteln herrſcht die größte Mannigfaltig: 
keit. Ganz befriedigend werden nad Anſicht des Inſpektors die Leiftungen 
erit dann fein, wenn einmal folgende Bedingungen erfüllt find: genügende 
Borbildung der Schüler im Zeichnen; daher vorgängiger Befud der Se: 
kundarſchule; Anftelung von Yehrern, welche des Beichnens kundig find, 
daher Beranftaltung eines Inſtruktionskurſes; Aufftelung eines betaillirten 
Lehrplans; Ausftattung der Schule mit Sammlungen guter Zeichnungs⸗ 
werte, Modelle und Beranfhaulihungsmittel, Erhöhung des Staatsbeitrags. 
— Eine diefer Fortbildungsfhulen ift eine eigentlihe Arbeits fchule ohne 
weitern Unterriht. Die Nnaben erhalten Anleitung zu Ylidarbeiten und 
Verfertigung von Hauss und Keldgeräthen, wie Schemel, Stühle, Arthalme, 
Stoßbennen. 

2. Die jährlihen Ausgaben der Stadt Zürich fürs Schul: 
weſen betragen in runder Summe 160,000 Fr., was bei einer Schüler: 
zahl von 1900, auf das Sind 84 Fr. madt. Neben diejen laufenden 
Ausgaben baute Züri jüngft ein Schulhaus, weldes circa 45,000 Fr. 
toftete,. Bald wird wieder ein ähnliher Bau in Angriff genommen werben 
müflen. 

3. Die Schulgemeinden des Kantons Zürih verabreihen jähr: 
lich 105,700 Fr. (den Primarlebrern 88,800 Fr., den Sekundar⸗ 
lehrern 16,900 Fr.) mehr als die gejeßlichen oder obligatorischen Beſol⸗ 
Dungen. 
4. Der 56. Jahresberiht der Taubftummen: und Blinden» 
anftalt in Zürich giebt erfreulihe Kunde vom Fortblühen dieſes treff⸗ 
lihen Inftituts. Die Anzahl ver Zöglinge betrug im Berihtsjahre 46 











| 
Die Schwe 


(8 Blinde und 38 Taubftumme). Seit, 
103 Blinde und 157 ZTaubftumme in % 
wohlihätige Einrihtung, ausgetretenen 3 
Verdienſt zu verſchaffen, wird reichlich gep 
5. An der Züriher Hochſchule ift 
Kandidaten des Selundarjdulle 
bildungsjhulen einen Unterrichtsturs 
mathematiſchen und naturwiſſenſchaftlichen { 
dies iſt dafür gejorgt, daß die Freifächer 
Polytechnikums und ein bejonderer Kurs ' 
werden kann, | 
6. Die züriher gemeinnügige Gefellich 
auch mit Schulfragen. So bielt Herr | 
Winterthur einen ſehr bedeutjamen Vortrag 
bau der obligatorifhen Vollsſchu 
veröffentliht morden. Neferent charalterifi 
die Glementar:, Neal: und Ergänzungsjaule 
kurſe in ſich fchließt. Seine Urtheile gründ 
der Sculpflegen. Die Clementarfchule erfre 
ganijation ald nad ihren Leiftungen allgem: 
Unterriht für diefe Stufe auf ein pajlend 
Realſchule dagegen, welche das 4., 5. und 
nicht gleiher Gunſt. Sie leide an Stoffübe 
in der Auffafiung der Aufgabe. — Der £ 
jogenannten Ergänzungsfhule, indem das 
ver Volksſchule, welde das 7., 8. und 9. i 
die bisherige Schularbeit krönen und die A 
zeigen follte, fehr ungünftig lautet. Referen 
aus verjchiedenen Berichten. In diefer Erg 
8 Unterridtöftunden finden 4 der zürider 
Schulbildung. (Bern hat 10, Thurgau und 
toriſche Alltapfhuljahre., Herr Morf wirft 
Mittelihulmefen. Demnad zählt Thurgau E 
zahl als Zürih 23 Sekundarſchulen, währe 
ſolcher Anftalten aufweift und circa 85,00 
bat gegen 40 Mittelihulen und bezahlt für 
großartigiten bat Aargau für dieje Anitalten 
eingerichtete Bezirtsichulen zählt und an jed 
beitrag giebt und überdies noch 19 jogenann 
in bie der Schüler nah 6 Schuljahren füı 
treten kann. Bei Gründung einer ſolchen An 
an die Kaflen und dann jährlib 700 — 
Mährend die Bezirlöfchulen mehr auf die 
bereiten, jollen dagegen dieſe Fortbildungsid 
Leben vorbereiten. Referent verlangt dann ' 
feitigung ber Ergänzungsfhule und befüri 
Verlängerung der Alltagsſchulzeit auf 8 Sch 








748 Die Schweiz. 


dung von Fortbildungsſchulen nah Art der aargauifhen mit praktiſcher 
Tendenz und reduzirter Stundenzahl für den Sommer. Die Sekundar⸗ 
ſchulen erhielten dann einen etwas andern Charakter und würden in der 
Richtung ausgebaut, daß fie noch befier im Stande wären, ihrem Zwed 
als Borbereitungsanftalten für die höhern kantonalen Schulen zu genügen. 
Den Ausbau und die Weiterentwidlung der züriher Schulen beſpricht auch 
Binder’s Schrift „die Erweiterung des züriher Sekundarſchulweſens.“ 

7. Der Erziebungsratb bat eine Rommijfion von Aerzten und 
Schulmännern beauftragt, die Frage der Herftellung zmedmäßiger 
Schul tiſche für die Voltsfhule zu prüfen und darnach ein Gutachten 
auszuarbeiten. Diefe Kommiffion bat ſich bereits über die weſentlichſten 
Grundfäße geeinigt und ſich namentlih au für Anwendung einer Lehne 
ausgeiproden, die dem Rüden des Kindes eine Stübe gewährt, ohne bie 
Bewegung des Körpers zu hemmen. Dagegen find die Anfichten nody ge 
theilt mit Bezug auf die Frage, ob das Syſtem von Dr. Fahrner (nie 
dere, bis ind Kreuz reihende Lehne) oder das von Dr. Frei empfohlene 
(eine ſchmale, den ganzen Nüdgrat flügende Lehne) den Vorzug verdiene. 
Die Sache it fo wichtig, dab fie die vollfte Aufmertfamleit der Lehrer 
und Behörden verdient. Nah dem Schlußergebniß der Berathungen wird 
jedenfalls das Fahrneriſche Syftem über die alte Schulbankeinrichtung 
den Sieg davon tragen. 

8 Mir baben ſchon früher berichtet, daß die Verſchmelzung fo» 
genannter Zwergſchulen im Volle auf Widerftand ſtoße. Beim 
Großen Rath kam nun eine Petition der Schulgemeinde Breit»Hadab zur 
Behandlung. Vor A Jahren wurde diefelbe mit Gewalt mit einer Rad: 
bargemeinde vereinigt. Zeit diefer Zeit hat fie. fi tapfer um ihre Sonder: 
eriftenz gemwehrt. Endlich gelangte fie an den Großen Rath, damit er bie 
Vereinigung aufbebe und ihr wieder zu einer eigenen Schule verhelfe. Ihre 
andauernden Bemühungen wurden ſchließlich mit Erfolg gekrönt. In der 
Diskuffion wurde dargethan, daß die Trennungsgründe (pädagogiſche und 
ölonomifhe) bei Breite nicht eintreffen. Die Schule Breite babe 25 
Schüler, und es fei an der Gemeinde, die ein fo reges Intereſſe und ſolche 
DOpferbereitwilligteit für Hebung der Schule bewiefen babe, durch die Ber: 
einigung eine Ungerechtigkeit begangen worden. Der Große Rath entſprach 
dem Gefuhe, und es wird mohl das Merk der Verſchmelzung ſchwerlich 
mehr mit diefem Eifer betrieben werden. — Merkwürdig war’s, wie ſich 
der Wind gebreht und wie das Urtheil über den Werth der Zwergſchulen 
ein andre geworden. Der anerlannte Schulmann, Alt-:Seminarbireltor 
Grunholzer, fprah fih im Großen Rath dahin aus, daß je Heiner bie 
Schulen, defto vortbeilhafter in päbagogifher Beziehung fie fein müffen. 

9. Revifion des Schulgeſetzes. Bei Anlaß der Reorganifation 
ber Induſtrieſchule zeigte fich eine folhe Reviſionsluſt, daß von einer Seite 
ernftlid davon die Rede war, eine Totalrevifion des Unterrichtsgeſetzes 
vorzunehmen. Cs wurde aud beantragt, die Grziehungsbebörde zu bes 
auftragen, eine ſolche vorzubereiten. Daß ein ziemlid große? Revifions: 
bedürfniß waltet, beweifen die vielen eingereichten Abänverungsanträge, 
welche allerdings eine umfaſſende und weit gehende Revifion bedingten. Zur 





Die Schtweiz. 749 


Kennzeichnung heben mir einige der eingelangten Vorſchlaͤge beraus: 
a) Eobald eine Sefundarfhule 20, eine Primarjhule 80 Schüler zählt, 
joll eine Trennung erfolgen; b) Grhöhung der Bejoldung der Primars 
(um wenigftend 100 Fr) und Selundarlehrer. c) Ausdehnung des Schul: 
befuhs. d) Gejeglihe Errihtung von Fortbildungsfhulen. e) Der Be: 
jud der Selundarſchulen foll obligatoriich fein. — Dieſe einzige Beſtim⸗ 


"mung bätte eine Mebrausgabe von 500,000 Fr. zur Folge. Grun: 
bolzer ift der Anfiht, daß die Volksſchule fürs Leben mebr leilten und - 


daß daher die Ergänzungsſchule erweitert werden müfle. Der Erziehungs: 
direltor, Dr. Suter, hielt es nicht für rathſam, das trefilihe Schulgejeg 
von 1859 ſchon wieder zu ändern. Gr ift für Beibehaltung bes bis: 
berigen Schulorganigmus. Das Gefeg ſei noh nicht einmal in allen 
heilen durdgeführt; man folle daher zuerft den Erfolg defielben abwarten. 
Die Hauptaufgabe fei es, diefe Organifation auszubauen, nicht aber jebt 
fon wieder in eine tiefer gehende Nevifion einzutreten. Die Initiative 
müfle allerdings von oben kommen; aber fie müfle doch im Volke ein 
Echo finden. — 

Der Erziebungsratb , beauftragt, die ganze Angelegenbeit zu prüfen, 
bat bereits eine Anzahl Fragen an die Lehrerlonferenzen und Schulpflegen 
geftellt, dur) deren Beantwortung man in Sachen eine Richtichnur erhalten 
fol. Weil man aus diefen Fragen erfiebt, in welcher Richtung von einer 
Revifion die Rebe ift, jo theilen wir einige davon mit: Soll die woͤchent⸗ 
liche Schulzeit für die Alltagsſchule vermindert werden?! Sollen die 
Sahreskurfe für Alltags: und Ergänzungsſchule vermehrt werden? 
Sollen die Mäpchenarbeitsfchulen für weitere Schulftufen obligatorijch erklärt 
werben? Sollen die Lehrerbefoldungen erhöht werden? Sollen die Lehrer 
periodiſch einer Emeuerungswahl unterliegen? Soll vie Sekundarſchule für 
alle Kinder obligatoriſch erflärt werden? Soll das Schulgeld herabgefept 
werben? 

10. NReorganifation der Induftriefhule oder Anſchluß der Se; 
tundarfhulen an die Induſtrieſchule. In der Stadt Züri 
beftand neben einer höhern Induſtrieſchule eine dreiflajiige nieder. Diefe 
follte nun, da fie nur lolalen Bebürfnifien entſprach und mit ben drei- 
Haffigen Selundarfchulen ziemlich parallel ging, aufgehoben werden, mit 
Ausnahme der 3. Klafje, welche als erfte vorbereitende Klaſſe der obern 
Induſtrieſchule follte beibehalten werden, in dem Sinne, daß die Anfordes 
zungen für den Eintritt in dieſelbe genau den Grgebniflen der zweiten 
Klafje der Sekundarſchulen entiprehen. — Der erziehungsräthlide Antrag 
lautete demgemäß: Die kantonale Induſtrieſchule hat ihren Unterriht an 
das Lehrziel der zweiten Sekundarſchulklaſſe anzuſchließen. Sie umfaßt 
34 Jahr Schulzeit. — Als in der Synode ein Antrag in diefem Sinne 
geftellt wurde, erhob ſich eine ftarle Oppofition. Die Gegner wollten die 
Errichtung der neuen Klaſſe nicht, ſondern die Aufhebung aller drei Klaſſen 
der untern Induſtrieſchule, um einen engern Anſchluß der dritten Slafie 
der Selundarjhule an die obere Induſtrieſchule zu vermitteln. Cine ſolche 
unten angefügte Klaſſe wäre nur eine Konkurrenzklaſſe mit der 3. Sefundar: 
ſchulllaſſe, zerftörte die Organifation der Selundarfhulen und müßte eine 








150 Die Schweiz. 


Berlümmerung derfelben und insbefondere eine Enwölkerung der 3. Klaſſe 
zur Folge haben. Rektor Zetzſche wies dann in einem gebiegenen 
Votum nad, daß die Jnduftriefhule mit einem Kurs von 24 Jahren für 
die Aufgabe derfelben als Vorbereitung fürs Polytechnikum nit genüge 
und daß ein SLjähriger Kurs (wie er vorgefhlagen worden) den Beſtand 
und das Gedeihen der Selundarfhulen durchaus nicht gefährde. Cr ge: 
warn dann die Mehrheit für einen vermittelnden Antrag, der einen dop⸗ 
pelten Anſchluß ermöglihe, indem der Lehrplan der Induſtrieſchule fih fo 
geitalte, daß der Lehrſtoff der 1. Snduftriefhulliafie mit dem der 3. Se: 
kundarſchulklaſſe übereinftimme. — Als ſich der Große Rath in erfter Be: 
rathung ebenfalls dafür entſchied, daß die Induſtrieſchule ih un die 2. und 3. 
Sekundarſchulklaſſe anzujhließken babe, veranlaßten die Differenzen be- 
deutende Yufregung, und die brennende Frage wurde in der Preſſe lebhaft 
bisfutirt. — Herr Morf verfaßte im Auftrage der Gefundarfchulpflege 
Winterthur eine Petition an den Großen Rath, dahin zielend, er möchte 
die fraglihe 3. Klafie aufheben, indem ſonſt das Intereſſe fämmtliher 
Selundarfchulen des Kantons gefährvet fei. Diejelbe mar von 24 Schul⸗ 
pflegen mit unterzeichnet und führte für diefe Anficht ebenfalls gewichtige 
Gründe in's Feld. — In zweiter Berathung entſchied fid) endlich der Große 
Rath für Aufrehtbaltung feiner erften Schlußnahme und für Beibehaltung 
der Borbereitungsflafie. 


&t. Gallen. 1. Den Amtsberihten über 1866 entnehmen 
wir folgende Bemerkungen: a) In viefem Berichtsjahre erfreifte fi das 
Schulweſen im Allgemeinen einer ruhigen und ftetigen Entwicklung und 
bot dafjelbe vielfach Gelegenheit zu der Wahrnehmung, daß mit der erhöhten 
Aufmerkſamkeit, welche der Staat demjelben zumwendet, aud in den Ge 
meinden und im Volke das Intereſſe an der Schule und die Bereitwillig 
feit zu deren Hebung und Verbeſſerung in ftetem Zunehmen begriffen find. 
b) Die neue Schulordnund fand eine Ergänzung durd die Crlafjung des 
NRegulativs für Schulbausbauten. Daflelbe wurde auf Grund: 
lage ähnliher Normation unter Benüpung der einſchlägigen Literatur und 
unter Mitwirkung praktiſcher Bautechniker ausgearbeitet und bat zum Zweck 
neben den Vorſchriften für zwedmäßige und ſolide Bauanlage aub Ans 
leitung zu einer der Geſundheitspflege mehr entſprechenden innern Ginridhtung 
der Echulhäufer darzubieten. c) An die Realjchulen trug der Staat 
10,000 Fr., an die Primarſchulen 81,000 Fr. bei. d) Unter den 400 
Primarfhulen find 326 Jahrſchulen. Der Referent freut ſich der ftetigen 
Abnahme der Halbjahrfhulen. — Mit der Einführung des neuen Lehr: 
plans hat die Beurtheilung der Schulen einen einheitliheren und ſicherern 
Mapftab erhalten. Die Ihatfahe, daß das vorgeichriebene Unterrichtsziel 
nad dem Ausfprud der Smipeltoren von vielen Schulen in jeder Richtung 
erreicht wurde, widerlegt die von mancher Eeite behauptete Ueberfpannumg 
der Anforderungen. — Die Anzahl der angeftellten Lehrer und Lehrerinnen 
betrug 409 (darunter 10 Lehrerinnen und 244 Lehrer katholiſcher Konfeſſion). 
Gegen einen jonft tüdhtigen Lehrer mußte wegen zu häufiger Anwendung 
Förperliher Strafen eingejchritten werben. 





Die Schweiz. 751 


e) Die Anzahl der Realſchulen beträgt 30. Das Vermögen von 24 
derfelben 1,174,200 Fr. Die ftaatswirtbicaftlide Kommiffion fagt: „Unſre 
Realihulen find obne Zweifel der ſchwächſte Theil unfres gefammten Schule 
wefens, obgleih die Berichte der Bezirlsfhulräthe oft nicht genug Lob er: 
beben können über die vorzüglichen Leiftungen. Die Aufnahmsprüfungen 
an der Kantonsſchule erzeigen ein unficheres Wiſſen und zu wenig Gewedt⸗ 
beit und Uebung im felbftändigen Auffafien und Denken. Eine Schuld 
davon ift die Doppel: und Zmitterftellung, die man der Realſchule anwies, 
nad der fie theils eine den Unterricht abſchließende Volksſchule, theils den 
Charakter einer Vorſchule für die kantonale Induftriefchule fein fol. Daher 
mag es kommen, daß der neue Lehrplan ein fo fragmentarijhes Ausſehen 
erhalten bat. Wir bezeihnen e3 als eine Hauptaufgabe des Erziehungss 
rathe, das Realſchulweſen allmälig einer folivderen Ausbildung zuzuführen. 
f) Das Seminar hatte 61, die Kantonsſchule 216 Zöglinge 87 Gym. 
71 Techn. und 58 Merk.). Ausgaben des Staats für das Seminar 
42,000 Fr., für die Kantonsſchule 75,800 Fr. Die Befoldung ver 
Profeſſoren variirt zwifhen 2600 und 3000 Fr. Die Kantonsſchule ges 
währt uns das Bild einer mohlgeleiteten, blühenden Anftalt, an der Lehrer 
und Schüler mit Eifer und Grfolg arbeiten. 

2. Sorge für Bildung von Neallehrern. Schon ein 
früherer Bericht ſprach die Hoffnung aus, der Erziehungsrath werde beim 
Lehrplan der Kantonsihule auch darauf Bedacht nehmen, den an der 
Kantonsschule zahlreich vertretenen Reallehramtskandidaten einen Angemefjenen 
und vollftändigen Bildungsgang zu gewähren. Nah einem Projekte foliten 
diefelben das untere Gymnaſium abfolviren und ihre Ausbildung dann in 
den beiden obern Klaſſen der tehnifhen Abtheilung zu erwerben ſuchen. — 
Da die meiften Realſchulen eben nur durch freiwillige Beiträge von Altien 
vereinen eriftiren, fo follte daher der Staat um fo eher für eine gründ- 
lichere und einbeitlihere Bildung von Neallehrern Sorge tragen. Diefe 
Bildung iſt jegt ganz der Willkür überlafien und bietet eine wahre Mufters 
karte von Bildungswegen. — Der Große Nath hat in legter Sigung den 
Kegierungss Rath beauftragt, Fürforge zu treffen, daß den Neallehramte: 
kandidaten der für ihre Heranbilvung notbwendige Unterricht in entſprechen⸗ 
der Weiſe zu Theil werde und bat biefür einen Kredit ausgeworfen. 

3. Zür den projektirten Kortbildungsturs am Seminar, für 
den ein Kredit von 2500 Fr. bewilligt wurde, haben ſich auffallender 
Weiſe nur 15 angeftellte Lehrer angemeldet. Wir begreifen, daß dies ber 
Direltion wenig Freude maden kann. 

4. Die Rechnung der genofienbürgerlihen Schulkaſſe und der Ge 
meindeſchulkaſſe erzeigt eine®efammtausgabe für's Schulweſen von 81,400 Fr. 
(Maͤdchenſchule 19,700 Fr., Knabenrealihule 30,000 Fr., Gemeinvefchule 
31,700 Fr. x). Die Ausgaben für die katholifhen Brimar: und Real: 
ſchulen find nicht inbegriffen. 

5. Bor einiger Beit überrafhte 3. R. Raſchle felg. feine Heimath: 
gemeinde Wattwyl mit der Schenkung eines Gebäudes (assec. für 36,000 Sr.) 
zum Bwed eines Gemeinde und Realſchulhauſes. Bald darauf fügte er 
dem erften großartigen Gefchenle ein zweites hinzu und offerirte an vie 


— en n 


752 Die Schweiz. 


baulihen Veränderungen 10,000 Fr. Im November 1866 wurde das 
zwedmäßig und ftattlich eingerichtete Gebäude jeiner Beitimmung übergeben 
und feierlich eingeweiht. 

6. Die Bezirlsfhulräthe Toggenburgs gaben fih nah Anhörung 
eines ärztlihen Gutachtens, welches die Nachtheile eines allzufrüben Jabrf- 
beſuches auf die körperliche, geiltige und fittlihe Entwidlung der Jugem 
nahmwies, das Wort, im Intereſſe der Echuljugend auf allfeitige Saltung 
des Fabrikgeſetzes zu dringen, fehlbare Eltern und Behörden an ihre 
Pflihten zu erinnern und nöthigenfalls zur Strafe einzuleiten. 

7. Ueber die Zwedmäßigteit (?) von Aufführung von Theater: 
ftüden durh die Sculjugend walten gar verſchiedene Anlihten. ine 
Etimme in Nr. 2 der Lehrerzeitung warnt davor und motivirt feine An⸗ 
ſicht mit gewichtigen Gründen. Verfaſſer meint, mit derartigen Aufführungen 
Teien mehr Nachtheile als Vortheile verbunden. Das wahrhaft Bildenve 
in den Dramen bleibe für bie Jugend meift verjchlojien und unbegchtet 
Der geringe Nupen, der Einzelnen erwachſe, fiebe in keinem Verhaͤltniß zu 
den großen Opfern der Zeit. Zudem entjtehen oft unter den Spielenden 
Giferfucht, Neid und Zwietracht, und nicht felten werde dadurch Der Gitel- 
keit und Gefalljuht der Kinder Nahrung geboten. Die wahre innere Bil- 
dung werbe dadurch wenig gefördert, mohl aber durch zwedmaͤßige Behand: 
Jung paflender Dichtungen in den deutſchen Unterrichtsſtunden. a 
Nr. 5 der Lebrerzeitung nimmt ein Korrefpondent die theatraliihen Auf- 
führungen in Schuß und bezieht ſich dabei auf eine im Engadin aus 
geführte gelungene Darftellung des Zell, Die Kinder gewinnen unftreitig 
an körperliber Gewandtbeit und an Sprachfertigkeit. Die Frage laſſe ſich 
übrigens weder unbebingt bejahen, noch unbedingt verneinen. „Eines Tchidt 
fih nicht für alle; ſehe jeder, wie er's treibe“. — Eine bdiesfallfige Auf: 
führung durch Kinder auf dem St Galler Zheater rief eine lebhaſte Dis⸗ 
kuffion für und gegen folde Darftellungen. Da das Publitum vielfady der 
Meinung war, daß dieſe Darftellungen von den Lehrern angeorbmet 
worden, fand fich die Lehrerihaft St. Gallens veranlaßt, zu erllären, daß 
fie keinen Antheil daran hatte und mit derjelben nicht einveritanden war. — 
Indem die Kinderbälle in der Etadt Et. Gallen das rihtige Map über 
fchritten und zum Nachtheil der Echule betrieben wurden, bielt ſich die 
ſtädtiſche Schulbehörde (auf Anregung einer Lehrerlonferenz) verpflichtet, 
an die Eltern der Schulfinder ein bejonberes Schreiben zu richten. 

8. Abermals hatte der St. Galler Große Rath eine bifhöflihe Ein- 
gabe, betrefiend Abänderung der Schulorbnung, zu behandeln. Die Bor: 
ftellungsfchrift des Tit. Biſchofs verlangte nämlid die Aufhebung der ge 
jeglihen Beitimmung, wonach proteftantih Niedergelajjene das 
Stimm: und Wahlrecht in katholiſchen Schulgenoſſenſchaften befigen, 
fovann Aufhebung des BVBerbots der Anftellung von Lehr: 
ſchweſtern in katholiſchen Mäpchenprimarjchulen. — Wir bejchränten uns 
darauf, einige Gedanken aus dem Votum bes Erziehungsratbspräfidenten 
Saxer berauszuheben. Cr fei im Falle, über das St. Galler Schulweſen 
ein anderes Bild zu entwerfen, ald der Biſchof in feiner Eingabe gethan. 
Aus dieſer trete die Abneigung gegen bie ſtaatliche Leitung des Schub 











Die Schweiz. 1753 


weſens und auch gegen bie paritätiihen Schulen hervor. Die Schulen 
feien nun aber nicht mehr die Bafallen der Kirche, ſondern die Vorhallen 
deö Lebens in allen feinen Formen. Die klexikale Partei wolle immer nicht 
anfennen, daß dem Staat die Aufiht des Schulmelens zuftehe. Den Bor- 
wurf, als enthalte jene Beitimmung eine Verlegung der Berfaflung und 
ver katholiſchen Konfeffion, wies der Redner als unbegründet zurüd. 

Der religiöfe Unterriht an den katholiſchen Schulen habe nicht im 
mindeften gelitten; gegentheils gebe fi in den katholiſchen Gemeinden. ber 
regſte Wetteifer für Pflege des Schulweſens kund. Durch die Zutheilung 
von Katholilen an evangeliihde und von Evangeliihen an lkatholiſche 
Schulen und die Einräumung des Stimm: und Wahlrechts an bie Nieder 
gelafienen werde der garantirte Fortbeftand ver Tatholiihen und evange⸗ 
liſchen Schulen keineswegs gefährbet. Wenn man den Grundjaß der Steuer 
pflicht ‚für alle Bürger anertennt, fo folge daraus, daß man auch allen 
Bürgern gleihes Recht einräume. Nur der Bilhof und bie Lanblapitel 
jeien mit der Negulirung diefer Verhältniffe nicht einverfianden. Erziehungs⸗ 
rath Gmür dagegen glaubt, es werbe dieſe Angelegenheit immer wieber 
Schreien, fo oft fie auch abgemwiejen werde, und Baumgartner behauptet, 
die Evangeliſchen machen ihre Rechte auf ihre konfeifionellen Eigenthümlich⸗ 
leiten ebenfo - gut geltend, als vie Katholiken. — Schließlih wurde der 
Antrag auf Tagesordnung angenommen. 

9. Sodann kam die zweite Frage, die Anftellungvon Ordens⸗ 
ſchweſtern an Primarjhulen in Behandlung Die Botſchaft des Regie 
rungsraths hebt hervor, daß bei Duldung von fremden Ordensſchweſtern 
unſere Vollsſchulen nah und nah zum Tummelplaß konfeſſioneller Propa⸗ 
ganda würden, daß dem Seltenmejen Thür und Thor geöffnet und die 
Volksſchule ihrer Aufgabe gänzlich entfremvet würde. Der Staat müfle 
dafür forgen, daß die Jugend in vepublilanifchem Geifte gebildet werde. — 
Baumgartner eröffnet die Diskuffion und verſucht feinen Antrag für 
Trennung der Primarfchulen nad Geſchlechtern und Zulaſſung von Ordens» 
lehrſchweſtern zum Lehramt zu begründen, einerfeit mit ver Autonomie ber 
Gemeinden und anderfeitd mit der Behauptung, daß der gen. Orden in 
der ganzen Welt verbreitet fei und fchon große Erfolge in der Erziehung 
zu Tage gefördert habe, der Staat könne dabei große Erſparniſſe machen. 
Die Freiheit des Unterrichts ſei in der Berfafiung garantirt. — Liberalers 
ſeits trat abermald Sarer als Hauptrepner auf. Es fei für die Schulen 
eine Wohlthat, wenn der Staat das Schulweſen leite. Den Behörden ge: 
hören aber auch gewifle Kompetenzen. Die Freiheit des Unterrichts beziehe 
fih nur auf die Privatſchulen. 

Die Lehrſchweſtern feien keine Wohlthat für die Schulen; die Wohl 
feilheit fei bier nicht maßgebend. Die Lehrſchweſtern feien ein kirchlicher 
Orden mit kirchlicher Organifation. Mit Einführung bderfelben wolle man 
die Schulen zu kirchlichen Bweden gebrauchen; die Berfafiung geftatte dies 
nicht. Das Inftitut ver Lehrerinnen fei grunpfäßlih nicht vereinbar mit 
dem Wahlrecht der Gemeinden. Diefe können nämlid nie eine beftimmte 
Lehrſchweſter zur Lehrerin mählen, ſondern nur beſchließen, eine anftellen zu 
wollen. Die Frau Orbensmutter beftimme dann die Lehrjchiweiler, die dem 

wad. Jahrebbericht. ZIX. 48 





754 Die Schweiz. 


Aufe zu folgen hat*). Die Gemeinden waren fo förmlihes Spielgeug eines 
firhlihen Ordens, dem auch das Abberufungsrecht zuſtehe. Gine folde 
Abhängigkeit der Gemeinden fei mit unfern öffentlihen Bufländen nicht 
vereinbar. — Für Heranbilsung tüchtiger Lehrer beider Ronfeffionen habe 
der Staat ein Lehrerfeminar, für das er große Opfer bringe. Die Zulaflung 
der Lehrer beeinträchtige die Frequenz dieſer geſetzlichen Anftalt. Politiſche 
Fteiheit und Bildung und ächter vaterländiiher Sinn im Wolle verlange 
gefunde Herzen und helle Köpfe, ſolches könne bei der Erziehung der Jugend 
nur dur tüchtig berangebildete Lehrer, nicht aber durch Lehrſchweſtern erzielt 
werden. — Der Mare, bündige Vortrag war von durchſchlagender Wirlung. 
Es war, fagte der „Säntis“ der Sieg des gefunden Sinnes über konfeflio- 
nelle Engberzigleit. — Hungerbühbler betradhtet die Trennung der 
Geſchlechter in Primarjchulen als unheilbringend. Es wurde Tagesorbaung 
befchlofien, und damit dürfte die Frage ein für allemal erledigt fe. 

10. Lehrmittelangelegenbeit**) Gleich nah Crlafiung des 
Lehrpland wurde vom Erziehungsrath eine Kommiſſion niedergefeßt, wm 
unter Vorſitz des Präfidenten der Behörde einen Schulbuchplan zu entwerfen 
und außszuarbeiten. Die Lehrer Toggenburgs hatten ſchon früher und nun 
wiederholt die Ginführung von Scherr's Tehrmitteln verlangt. Andere 
Rehrervereine der Stabt und der Landſchaft petitionirten dagegen für Nicht 
einführung derjelben. Auch die Kommiſſion konnte ſich in ihren Vorſchlägen 
nicht einigen. Die Minderheit (mobei auch der Seminardireltor) flimmte 
für „Scherr““. Die Majorität ſprach fih gegen Einführung genannter Lehr: 
bücher aus und acceptirte ein vom Neferenten d. 3. im Auftrage eines 
Dreterausfchufies ausgearbeitetes Programm mit den Orundzügen für ein 
St. Galler Schulleſebuch. Daſſelbe ftand mit Scherr's Buch grundſätzlich im 
mehreren Punkten im Widerſpruch. Beide Theile motivirten ihre Anträge 
in einläßliden Gutachten. Ginige Grundfäße und leitende Gedanken aus 
dem Entwurf zum Lejebuhplan mögen den Standpunlt Ber Gegner von 
Scherr's Lehrmitteln charakterifiren. — Das neue Schulbuch ſteht mit dem 
obligatorifchen Lehrplan im Einklang und berüdfidhtigt die ſchweizeriſchen un 
ſpeciell die St. Gallifchen eigenthümlichen Berbältnifte. Es ift vorwiegend 
Leſebuch**). Es fol nicht Lehr: oder Realbud in dem Sinne fein, 
daß es den mündlichen Unterricht erſetze. Die Nealien follen darin nicht 
in foftematifcher Weile, im Abrifien und Ueberfichten, ſondern in lebens: 
friſchen Bildern Bertretung finden. Diefe Lejeftüde bieten dem Sprach, 
Anſchanungs⸗ und Nealunterrichte die wünfchbaren Halt: und Stuͤtzpunkte 
Das Schulbuch enthält zum Zwede der idealen Bildung einen reichen Schaß 


®) Eine bünbneriihe Gemeinbe übergab ihre Mädchenſchule einer ſche 

jungen Lehrſchweſter. Der Erziehungsrath ſetzte Zweifel in deren Befähigung 

und — fie prüfen zu laſſen. Der Pfarrer erklärte aber, daß fie fih ber 
nicht unterziebe, well eine Lehrſchweſter nicht geprüft werben Tönne, 

—* ng von ihrer Ordensoberin hiezu Erlaubniß erhalten. Wohl wird * 

ad Die bem Herm Pfarrer das richtige Berhältniß zwiſchen 

und ben —A— der Lehrſchweſtern auseinander zu ſetzen wifſen 

erlüber vergleiche man ©. 156 und 174. Die Reb 
ui) at ben Muflerlefeblihern von Lüben, Berthelt, Gube u. ſ. w. 





Die Schweiz. 755. 


aus dem Gebiete der Poeſie. Es fol als Erziehungsmittel alljeitige 
Bildung der geütigen Kräfte fördern. Dieſes Princip fchließt den geſun⸗ 
den Realismus ‚nicht aus; es fteuert aber jeder einjeitigen Ent 
widelung des Gebädtnifies und Verftandes. Die Geifled: und Gemüths⸗ 
bildung gebt über trodenes Formenwejen und nußlojen Gedächtnißkram. 
Das Shulbuh foll eine Sammlung wohl ausgewählter und geordneter, 
muftergültiger Zejeltüde verſchiedener anerlannter Schriftfteller fein. Es fol ein 
Bollss und Bildungsbud fein, frei von lehrhaftem Zufchnitt und pebantiihem 
Weſen. Die Lehrfreiheit darf durch feine Schablonen beengt werben. Das Lejes 
buch enthält, wenn möglich, nach pädagogischen Principien ausgeführte, den 
Schulzwed fördernde Illuſtrationen. Dazu gehört ein planmäßiges Bilders 
werk für den Anihauungs: und Realunterriht. Das neue Leſebuch foll für 
Jahrſchulen ausreichenden Lefeftoff enthalten und zerfällt in 7 Jahresleſe⸗ 
bücher. — Die Mojorität wünſchte eine nad diefen Grundfäßen bejorgte Aus⸗ 
gabe von „Eberhard“ oder die Erftellung eines eigenen St. Galliſchen Leſebuchs; 
denn die Scherr’fchen bafıren mit ihrem Metbodenzwang und ihrem vorz 
wiegenden Realismus mehrentheild auf gegentbeiligen Grundanſchauungen. 
Segen die Einführung von Scherr’s Büchern ftellte fie u. U. folgende 
Sründe auf: Scherr's Schulbuch beſchränke die Methodenfreiheit und die 
Selbftftändigfeit des Lehrers, indem es den vollftändigen Lehrſtoff für den 
Reals und Sprahunteriht — fertig in Auswahl und Form — bringt. 
Solche portionsmäßig zugefchnittenen Lehrmittel, ſolche Univerſalſchulbücher 
und Normalmethoden ſeien nicht zweddienlich. Sie beeinträchtigen die Forts 
bildung. Strebjame und ſelbſidenlende Lehrer bevürfen feines Gängelbanbes, 
Die Berquidung von Sehr: und Lefebuh, die Vermengung verſchieden⸗ 
artiger Zwecke reſultiren nur Halbheiten. Die mafjenhaften Nomenclaturen 
und Übrifie, die Bocabularien und Schemate wiberflreiten den Peſtalozzi⸗ 
Ihen Princip der „Anſchauung“. Schere lege das Hauptgewiht in den 
Erwerb von Kenntniſſen, nicht in die Entwidelung der geiftligen Kraft. 
Der Lehrbudunterricht ſei dazu angethan, dem Lehrer das belebende Wort, 
den. freien Vortrag abzunehmen. Die jehablonenartigen Aufzählungen, bie 
esaminatoriihen Fragen u. ſ. mw. leilten dem Mechanismus und ber lebens 
tödtenden liniformität Vorſchub. Scherer ſchenke der Individualität ber 
Lehrer uud Schüler zu wenig Berüdfihtigung. Es fei nicht zwedmäßig, 
alles in eine Schablone, unter einen Hut zu zwängen, ein und daſſelbe 
Schulbuch mit gleichem Lehritoff und gleihem Lernmaß allen lokalen Ver⸗ 
haͤltniſſen, den Jahr: und Halbjahrſchulen zu octroyren. Die Wahl ber 
Methode mit Rüdjiht auf verfchiedene Verhältnifie jei Sache des Lehrers. 
Scherr's Schulbuch lege der Haffifhen Literatur und ſpeciell der idealen 
Seite der Bildung zu wenig Werth bei. „Die Grundbedingung glüdlicher 
Entwidelung ſei aber das Gleihgewiht der Seelenkräfte.“ Scherr's Bud 
leide endlih an Stilmonotonie, da die meiſten Auffäße von einer Feder 
berühren. Unter den Lefeftüden finden ſich manche ſchulſteife, gejchmadlofe, 
für den Schuljwed gemachte. Scherr's Schulbuch wiberjpreche dem Lehr⸗ 
plane und balte nicht Schritt mit der neueren Pädagogik und Methodik. — 
Eine total andere Beurtheilung fand dafielbe bei den Freunden Scherr’s. 
Ihnen iſt's das vortrefjlichfte, unvergleichlich beit. Sie lobten an ben 
48* 


‚156 Die Schweiz. 


Leſeſtücken den lindlichen Ton und die vollsihümlihe Sprache. Scherr’s 
Buch vermittle einen naturgemäßen Wechjel zwiſchen Unterricht und Leien. 
An der Hand vefielben gelange jeder Lehrer leicht zur Selbftftänbigleit. In 
Geſammtſchulen fei es unmöglih, allen Lehrſtoff im unmittelbaren Uns: 
terricht vorzuführen; deßhalb gehöre der Lebrftoff ins Schulbuch. Mit 
einem bloßen Leſe buche gebe man dem Schüler fo viel wie nidts; fie 
wollen keine Zefeftüdftilmengerei. Einklaſſige Stadtſchulen können nicht zum 
Maßſtab dienen; in fiebenkurfigen Halbjahrihulen ſei „Scherr“ abfolutes 
Bedürfnid. Wir möchten nun die deutſchen Pädagogen dringend bitten, 
„Scherr's [hmweizerifhes Schulbuch“ (1853) und das neue 
„Vater und Sohn“ ſelbſt zu prüfen, und dann zu urtheilen. Wir 
empfehlen diesfalls auch die „Notizen in ragen und Antworten ans 
Scherr's Vorträgen über Glementarbilvung‘ (Frauenfeld, Beyel 1854) ge 
nauer Durchſicht. — Anfangs war die Stimmung den Lehrbüdern Scherr's 
nicht günftig. Auch der Erziehungsrath dachte nicht daran (wie man 
aus zwoerläffiger Quelle weiß), biejelben einzuführen. — Später fand er 
für gut, die Frage der Kantonallonferenz zur Begutachtung vorzulegen. 
Das wäre au ganz in der Ordnung gewejen, bätte man eine rubige 
Erörterung, unbefangene Prüfung und eine ſachliche, gründliche Auseinan- 
derjeßung erwarten dürfen. — Nun aber wurden alle Hebel in Bewegung 
gefept, Schere beliebt zu machen. Das muß man feinen Fürfprehern 
laſſen: fie halten zufammen und verftehen, ihre Leute für ihren Meiſter 
in Thätigleit zu ſetzen. Verſtänden fie nur auch, mit Anftand und edeln 
Waffen zu kämpfen! Seht wurde auf Tod und Leben lorreſpondirt, peti- 
tionirt und organifirt. Durch leidenſchaftliche Ergüſſe in faft fämmtlicdhen 
kantonalen Blättern wurde die Kluft der beiden Lager erweitert und ber 
Haß gepflanzt. Die Berleumbungen überjchritten alles Maaß und reisten 
zu beftigem Kampfe. Mit Euger Berechnung wurde bieje reine Schulfrage 
beider zur polit iſchen Parteiſache geitempelt. Wir glaubten, im Gebiete 
der Schule müßten die pädagogifhen Grundſätze entſcheiden, nicht Phraſen 
und Schlagwörter. Die Kern: und NKarbinalfragen wurden aber kaum 
mebr oberflähli berührt. — Insbeſondere ſah man e3 darauf ab, die 
katholiſchen Lehrer zu gewinnen, und bie Lanblehrer gegen ihre Kollegen 
in der Stadt aufzuftacheln. Auch die toggenburgifhen Bezirlsihulräthe und 
die Lehrerzeitung fanden es in ihrer Aufgabe, Schere Beiftand zu leiften. 
Biele Unberufene mifchten fih in den Streit. Als Erfolg fi zeigte und 
das Blatt fich zu wenden begann, tauchten auch Windfahnen auf da umb 
dort. Ein Bezirk genießt fogar der Ehre (?), zwei Petitionen im Archiv 
vorweifen zu lönnen, die eine für das Programm ber Kommiſſion, die 
andere für die Lehrmittel von Scherr. Das Hauptverdienfi der Umſtim⸗ 
mung aber gebührt unftreitig einem Dr., dem Intimus Scherr's, der an 
ber Quelle der Alten ſaß und defien Stellung zum Erziehungsrath eigent> 
lih gebot, fih neutral zu verhalten. — Die Kantonallonferenz erwies 
dann den Umſchlag, indem J gegen 4 für Scherr fih erflärte. Die Min 
derheit vertraute der Behörde, und hoffte, fie werde nicht allen auf die- 
jenigen bören, welche am lauteften rufen, fondern er werde mit Einſicht, 
Kraft und felbfifiändigem Urtheile den definitiven Entſcheid in biefer 





Die Schweiz. 757 


Frage faflen. Sie konnte ja wiflen, mit melden Mitteln man die Majori⸗ 
tät gemadt. — In gleihem Sinne äußerte fih die ſtaatswirthſchaftliche 
Kommi fion über den weitern Verlauf der Sahe: „Dieſe Frage bat in der 
Xehrerwelt große Aufregung und theilweife leidenfchaftlihe Ausbrüche ver 
anlaßt. Der Erziehungsrath hielt es für angemefien, dieſe Frage an die Kan⸗ 
tonallonferenz zu bringen; allein es fcheint, daß fie ſaͤchlich hiedurch wenig 
gefördert wurde, indem fi in der Debatte von vornherein ein faltiöfes 
Parteigetriebe manifeftirte, ohne daß der Kern der Frage irgend grundfäß- 
li erörtert wurde. Wir erwarten, daß der Erziehungsrath dieje für das 
Gedeihen der Volksſchule hochwichtige Angelegenheit vom Drude partelifcher 
Boreingenommenbeit unbehindert felbftftändig nad reifliher Erwägung 
ihrer Grlevigung entgegen führen werde! — Aus einem Berichte eines 
Mitgliedes der Behörde erhielt man dann folgende nähere Mittheilungen 
über die Verhandlungen dieſer längft pendenten Frage von Seite der Be: 
böwe: ..... Am Ende entfchieb fi der Erziehungsrath mit Mehrheit für 
Annahme der Scherr'ſchen Schulbüher und deren Umarbeitung für die St. 
Galliſchen Schulen. Die Pistuffion war lebhaft und einläßlihd. (In ber 
Behörde fanden ſich ebenfalls beide Hauptrichtungen vertreten.) Die Mis 
norität beantragte Eintreten anf das von der Leſebuch⸗Kommiſſion bear 
beitete und von pädagogifhen Autoritäten günftig beurtheilte Programm, 
und Ausarbeitung eigener Leſebücher auf Grundlagen diefer Principien und 
des Lehrplans. Gegen die Scherr'ſchen Lejebüher wurde geltend gemacht: 

bie Vermiſchung von Lehr: und Leſebuch, die oft jchwerfällige, pedantifche, 
Kindlichkeit affeltirende Sprade; die dem Lehrplane widerſprechende Art 
des Spradhunterrihts, die Befchräntung des Lehrers durch die methodiſche 
Zwangsjade, thatfählibe Irrthümer und Unrichtigkeiten. — Die Majorität 
bagegen wies auf die Verbreitung derſelben hin, und wie fie ſich gut ben 
Berhältniffen anpafjend umarbeiten und verbeſſern lafien. Das Lejebud 
des Programms fei das Lefebuh der Zukunft und entſpreche 
allerdings einer hoͤhern pädagogischen Stufe, als das Scherr'ſche; dieſes 
eigne fih für die Gegenwart und für die buntjchedigen Schulverhältnifie, 
und bie darin waltende ſtrikte Methode fei gerade für die mittelmäßigen 
und geringen Lehrer eine zwedmäßige Nahhülfe. Nachdem ſich einmal bie 
Mehrheit der Lehrerfchaft für Scherr's Buch ausgeſprochen habe und große 
Erregtbeit entjtanden jei, könnte fein Engel vom Himmel ein neues vers 
fafien, das unbefangene Anerlennung finden würde, und fo ſei es für 
einmal befler, den Lehrern das Werkzeng zu geben, das fie in Mehrheit 
wünjhen. — Der Referent (Dr. 9.) der St. Galler Beitung meinte, das 
jei ein Sieg des Praktiſchen und der Volksſchule gegen die theoretijche 
Pädagogik in unferm Programme. — Wir aber erbliden in dieſem Befchlufie 
einen Rückſchritt. Nach unferer Anfiht hätte die Arbeit der beftellten 
Kommilfion mehr Rüdficht verdient, und hätte fi der Erziehungsrath ver 
Mehrheit weniger gefügig zeigen follen. Nach unjerer lebenvigften Ueber: 
zeugung, der wir trog Unbill und Ungunft unentwegt treu bleiben, reprä= 
jentirt Scherr’ 3 Schulbuh nicht den pädagogiſchen Fortſchritt. Der Geift 
Beftalogzi’s und Dieſterweg's zeigt uns das rechte Biel; von ihm 
hoffen wir eine befiere Zukunft für Schule und Lehrer. — Cine erziehungss 





Enten ⸗ True - 


758 Die Schweiz. 


räthliche Kommiſſion entwirft nun die Grumbfäge und Direltionen, nad 
welchen die Umarbeitung von Scherr’6 Lehrbuch zu geſchehen bat. Nad 
einem Beriht der St. Gallener Zeitung beabfichtigt dieſe, die größten 
Schattenfeiten desfelben zu bejeitigen. Die Abändberungen betreffen ſowohl 
Inhalt und Form, als au die Stoffanordnung. Die Gedächtnißübungen, 
und die im geographijchen und naturkundlichen Theile häufig vorlommendben 
Nomenclaturen und Aufzählungen follen entfernt werden. An deren Gtelle 
treten ausfübrlihe Darftelungen und Charalterbilver, moburd ed dem We⸗ 
fen eines Leſe buchs näher gebradht werde. Durch eine fo totale Umge- 
ftaltung wird allerdings den gegnerischen Anfichten Rechnung getragen und 
bas Buch brauchbarer gemacht. 

Auch im Kanton Zürich entipann fi bald darauf ein heftiger Kampf 
ür und gegen Scherr's Lehrmittel. Derfelbe hatte gleichen Charakter und 
Erfolg wie in St. Gallen. Die erſte Beranlafjung gab die Konferenz der 
Stadt Zürid. Man opponitte gegen die methodiſche Anlage und gegen 
die lompendiöfe und lehrhafte Faſſung. Man tadelte, daß nit immer 
vom Befondern zum Allgemeinen übergegangen werde, daß ftatt der gründ- 
lihen Betrachtung einzelner Begenflände vielorts die bloß oberflächliche Be⸗ 
rübrung einer großen Menge vorkomme, daß der päbagogijch gerechtiertigten 
Forderung von Einzelbildern aus den Realien viel zu wenig Rednung 
getragen werde. Sodann wurde eine Unzahl von jahlihen und ſprach⸗ 
lihen Unridtigteiten nadgewiejen. Es wurde bie Anficht ausgefproden, 
als fei der Einfluß Scherr's der gefunden Weiterentwidelung der Schule 
nicht befonders förderlich. Die Schulbuch: Revifion beſchäftigte aud die 
thurgauifben Lehrer. Im Auſtrage einer Konferenz ertlärte bier ein 
Lehrer in der Thurgauer Zeitung, daß durch vielfache Ronferenzberatbungen 
ſich berausftelle, daß der Grund jo manches Uebels in den thurgauifchen 
Zehrmitteln (von Schere) liege. Er empfehle genaue, alljeitige, eingehende 
Prüfung der wichtigen Frane. Es fei Pfliht eines jeden, die Mängel an 
Scherr's Lehrmitteln ohne Ruͤdſicht auf den Autor in’s rechte Licht zu ſtellen. 
Es jei ehrenhafter, fih ein eigenes Urtbeil zu bilden und nad innerfter 
Ueberzeugung ftimmen zu können, als nur anden nadhzubeten Gr 
proteftire gegen die Eile und Ueberftürzung. — Als ihm dann aber in der 
Lehrerzeitung von hoher Seite diefe Oppofition übel vermerlt wurde, ging 
dann die Sache lampflos und glatt, und man gelangte aud da, wie in 
Et. Sallen und Züri, zum erwünfchten Ziele. 

Wenn das Referat über legtern Punkt, das ich fo objectiw gehalten, 
als mir möglih war, ziemlich einläßlich geworden, jo wolle man dies ver 
Wichtigkeit des Gegenftandes zujchreiben. 





Anhang. 


L Schriften vermifchten Inhalte 


1. Erker Unterridt in ber Logit ober Denklehre 
Auflage des Englifhen. Für das Boll. Zweite, verbefi 
(31 ©.) Grimme, DO. Heun. 1866. 34 Ser. 


Das Büchlein trägt allerdings die Elemente der Lo— 
aber nicht in elementarer, leicht fakliher Weile, wie „pa 
langt. Der Berfafier ift fein Methodiker, und darum zu e 
für das Boll nicht geeignet. 


2. Zur Logik. Zwei Berneinungen bejaben. Umkehr v 
neinung. If Alle find nicht gleih Einige find nicht? 
Baroko⸗Feſtino. — Einfachfle Dentregel. — Mit vier Sd 
und Staat. 8. (15 ©.) Ebendaſelbſt. 1866. 24 Sgr 


3. gut Logit. 2. Die vierte Figur iſt gültig. Folgen 
unterricht in ber Logik für den Staat. Creignifie im Ge 
Logil. Die Könige. Die Proletarier und die Staatsmän: 

ab Sominem. — Logik bes galunden Menichenverfianbes 
mit Beweis. 8. (32 ©.) Ebendaſelbſt. 1866. A Sgr 


Fortſetzung von Nr. 1, und dem „Bolle” noch weni 


4. Sammlung gemeinverffändlider wiſſenſchaftli 
berausgegeben von Rud. Virchow und Fr. v. Holtzendo 
8 * Lüderig’jche Berlagsbuchhandlung. A. Charifius. 
r. 


Dieſe Vorträge haben den Zweck, das gebildete Pu 
wichtigen Zeiterfcheinungen raſch und gründlich, jedoch in 
zu belehren. Ste bringen daher Biographien berühmter 
derungen großer hiſtoriſcher Ereigniſſe, volkswirthſchaftlich 
culturhiſtoriſche Gemaͤlde, phyſikaliſche, aſtronomiſche, chen 
zoologiſche, phyſiologiſche, arzneiwiſſenſchaftliche Aufſäße. 9 
und kirchliche Parteifragen der Gegenwart bleiben ausgeſch! 

Der erſte, 1866 erſchienene Jahrgang iſt und nicht ü 
ſcheint aber günftige Aufnahme gefunden zu haben. Bor 
gang haben wir auch nur Heft 25, 26, 28 und 29 
enthalten: 

Die Stadtverwaltung ber City von London. Bı 


Bilhelm von Dranien, der Befreier ber Nie! 
E. Trauttwein von Belle. 


. 
le 





760 Anhang. 


Ueber bie Debeutung des Mafhinenwefensfürbie Laubwirth 
(Haft. Bon E. Perels. 
Watfenpflege und Waiſenkinder in Berlin. Bon R. Sille. 


Was in diefen Heften geboten wird, if trefflih, und läßt den gün- 
figften Schluß auf das Uebrige zu. 


5. Breunende Zeitfragen. 1. Die Sonntagsfrage 2. Die Gefinbefrage. 
Auf Je Löſnug diefer Frage von Dr. Fr. Kiebetrut, emerit. Pfarrer 
Charisttenburg. gr. 8. (91 ©.) Berlin, 8. Bed. 1867. 10 Ger. 


Die gegenwärtige Zeititrömung erjcheint dem Berjafler ald eine „wider: 
göttliche antichriftliche”, die den Verfall der chriſtlichen Geſellſchaft über Kurz 
ober Lang herbeiführen muß. Um dies Unheil zu verhüten, erhebt er feine 
Stimme, Wir halten die auf dem Titel genannten Fragen mit dem Ber 
fajler für fehr wichtige, feben jedoch nicht fo ſchwarz wie er. Raͤher auf 
diefelben einzugeben, liegt jevod nicht in der Tendenz des Jahresberichts. 
6. Anleitung zur Anlegung und Fortfegungber Orts-Ehro- 

niken von J. Barth, Lehrer in Ringingen in Hohenzollern. gr. 8. 

(48 ©.) Gigmaringen, &. Tappen. 1867. 6 Gyr. 


Die große Bedeutung der Orts:Chroniten für Geſchichte ift in neuerer 
Zeit wiederholt in Erinnerung gebraht worden. Das preußiſche Miniflerium 
bat unterm 11. Dezember 1863 alle Regierungen des Landes aufgefordert, 
den Lehrern die Abfafiung verjelben aufzugeben; ebenfo das erzbiſchoͤfliche 
Drdinat zu Freiburg unterm 3. Auguft 1864. Der Berfafier der bier 
genannten Schrift bat fi wiederholt mit diefem Gegenftande bejchäftigt, 
und giebt in berfelben Allen, denen die Erfahrung hierin abgeht, eine 
brauchbare Anleitung dazu, 


7. Blauveilden aus dem Schulgärthen. Erzählende Dichtungen bon 
H. Riedel. 8. (72 S.) Saalfeld, €. Niefa. 1867. 10 Sgr. 


Sechs anfprechende Gedichte, für Lehrerfamilien ganz geeignet und ihnen 
biermit empfohlen. 


8. Better Schlemihl's wunderfame Gefhiäte Mitgetheilt von 
Adalbert von Chamiſſo. Nah des Dichters Tode nen herausgegeben 
von I. E. Hitzig. Mit Anmerkungen unb Bocabulair zum Ueberſetzen 
ine Engliſche von F. Schröder. Neunte Auflage. 8. ( u. 9% ©.) 
Hamburg unb Leipzig, Richter. 15 Sgr. 


Chamiſſo's prächtige Gefchichte Peter Schlemihl's if unſern Leſern zur 
Genüge bekannt. Hier wird fie mit Illuſtrationen und Anmerkungen zum 
Ueberſetzen ins Englische dargeboten. Wir finden Alles in der Ausgabe 
jwedmäßig, ven Preis aber etwas zu bo, wenigftens für eine Zeit, im 
der man den ganzen Schiller für 1 Thlr., die Gedichte dieſes Hochberühmten 
für 24 Sgr. kauft. 

9 Bollswirthfhaft für Icdermann. Nach bem preisgekrönten fran- 
zöſiſchen Werte: Populäres Handbuch der Moral- und Bolkswirtbichaft 
von I. J. Rapet, auf Veranlafjung ber königl. württemb. Kentralfiele 
für Handel und Gewerbe frei bearbeitet von F. Mayer. gr. 8. (IV und 
260 ©.) Gtutigart, G. Weile. 1867. 224 Sgr. 





| 
Anhang. | 


) 
| 
Ein empfehlenswerthes Bud für Lanpleute, 
Dorfbibliothelen geeignet. \ 


10. Arbeiteſchulbüchlein. Wegweiſer für einen 
Unterricht in ben weiblichen Handarbeiten und 
Bon J. Kettiger, Director des aarganifchen 2 
Dritte, vermehrte Auflage. 12. (XVI und 1 
Züri, Fr. Schulikeh. 1866. 14 Ser. 


Diefe treffliche Schrift wünfdgen wir in die | 
richt in weiblichen Handarbeiten zu ertheilen oder 
haben. Sie hat fih in der Schweiz, mo der 

großer Aufopferung Curſe für Lehrerinnen abhält, 
11. Meber den Unterridt in weibliden Su 


Largiader, Seminardirector in Chur. 12. (V ı 
1867. 8 Ggr. 


Im Geifte der Schrift von Kettiger, nur ge 
bat Alles Berüdfihtigung gefunden, was zur Sad 
bier folgenden Inhaltsverzeichniß zu erjeben ift. 

1. Wie der weibliche Arbeitäunterriht d 
2. Wie die Arbeitss oder Näbichulen ausjeben fü 
den Unterriht in weiblichen Handarbeiten bezweckt 
für Handarbeiten in der Schule gelehrt werben ſoll 
punkte beim Ertheilen des Arbeitsunterrihts 1 
6. Näheres über dad Verfahren beim Unterricht. 
des Handarbeitsunterrihts. 8. Mas einem beſſer! 
Schulen hauptjählih im Wege ftebt. 9. Melden 
der Arbeitsſchule benußen und in welder Reihenft 
handeln fol. 10. Beſondere Winke über die Arb 
Ausführung derfelben. 

12. Nahmappe für fleißine Kinder von Thekla R 
Erziehungsanftalt. I—LIL. Heft. Stuttgart, Gel 

13. Ausfiehmappe für fleißige Kinder von Thekle 
Ebendaſelbſt. 


14. Flechtmappe für fleißige Kinder von Thekla 
weite Auflage. Ebendaſelbſt. 


Alle drei Arten Hefte find im Geiſte der 
ausgeführt, .und empfehlen ſich für viejelben, eb: 
Gebrauh in Familien, und zwar eben glei gu! 
Mädchen. Jede Mappe entbält alles Material, 
erforderlich iſt: Vorzeichnungen, Nadeln, Flechtble 





162 Anhang. 


II. Ueberficht der eingegangenen Schriften über fremde Sprachen. 


1. 


5. 


14. 


1. Franzoͤſiſch. 


Bramıdfifge Schul⸗Grammatik von Joſepb Mebrweld. Ange⸗ 
burg. J. U. Schloffer. 1866. 224 Ser. 


Uebungsbud zur Schul⸗Orammatik von Joſeph Mehrwald, beraus- 
gegeben von demſelben Verfaſſer. Ebendaſelbſi. 12 Sgr. 


Lehrbuch der franzöſiſchen Sprache. Mit befonberer Berädfid- 
tigung des freien —ã —E derfeiben. Bon deinrid zu 
2. Theil. Hamburg, H. Grlning. 1866. 12 unb 18 


Le petit grandison. Par Berguin. Nouvelle edition. Mit einem aus- 
tübrliden Börterbuge von 3. 9. Lohmann. Quedliuburg, G. Baſſe. 
1868. 15 Sgr 


Choix de lectures francaises & Tumge des Ecoles publiques et de 
l’instruction privee bar E. Berel Partie. Deuxi&me &diti 
Stuttgart, P. Reff. 1863. Se "667 u 9 Sar. 


Deutih- „franzdöfifer Briefſteller. Mufter zu Briefen jeber Art 

ber 900! egenüber —& franzöftfchen Ueberſetzung. Bon Ed. Froment 

* 2. Müller. Zum Gebrauch für den Unterricht und für Perſonen, 

welche frangöfiihe und deutiche Aufläge abzufaflen haben. Achte Auflage, 

vermehrt und mit einer vollftänbigen Hanbelecorrelpondenz und Kormularen 

u Geichäftsauffägen und Zeitungsanzeigen, fowie mit einem Vorwort bon 
A. Pefſchier. Stuttgart, P. Neff. 1867. 224 Ser. 


Elementarbuch und Grammatik ber franzdfiihen Sprache. Bon 
Dr. 2. D. Bröder, orventl. Lehrer am Johauneum zu Hamburg. Ham⸗ 
burg, Boyes und Geisler. 1867. 


Belisaire Par Marmontel Mit Wörterbuch verjehen. Dritte, verbeflerte 
Auflage. Oueblinburg, ©. Baſſe. 1867. 124 Sgr. 


Das franzdfifhe Berbum. Zum Gebrauch für bie Schulen, heraus- 
gegeben von Dr. D. Steinbart, Oberlebrer am Gymuaflum zu Yrenzlen 
Syeite, as umgearbeitete Kuflage. Berlin, Spener’ihe Buchhandlung. 


. Die germanifhen Elemente in ber franzöfifgen * 


Ein Verſuch von Felix Atzler. Cdthen, P. Schettier. 1867. 


. Voyage en orient 1832—1833. Par A. de Lamartine. Im Aue 


Mit Erläuterungen und einem Wörterbuche an enegehen von J. ©. 
mann. Dueblinburg, ©. Bafle. 1867. 20 S 


Frederic le d. Portrait militaire, par J. A A. Vallat A Yusage 
des ecoles. Leipzig, €. Fleifher. 1867. 15 Ger. 


. Vorſchule zur franzdfifhen Grammatik oder erſter Unterriät im 


Branzöfiihen. Bon Jacob Riedel, Lehrer ver franzöfiiden Sprache an 
ber höheren Bürgerfchule in Heibelberg. Dritte, verbeflerte und durch einen 
Anhang vermehrte Auflage. Heidelberg, 9. Groos. 1866. 12 Sgr. 


Elementar-Grammatit ber franzöfiihen Sprache mit ſtufenweiſe ein⸗ 
gelegten Sprehübungen. Eine praktiſche Anleitung, bie franzöfifche Sprache 
in kurzer Zeit verſtehen, fprechen und ſchreiben zu lernen, von Dr. 2. 
Hauptiehrer am Realgummaflum zu Baſel. Giebente Atlas & 
Müler-Darier. 1868. 20 Ger. 








16. 


17 


18. 


19. 


20. 


21. 


22. 


23, 


24. 


25. 


26. 


Anhang. 763 


Naturgemäßer Lehrgang zur ſchnellen und grünbfichen Erfernung 

der franzöſiſchen Sprache von H. Plate, ordentlichen Lehrer an ber Bür⸗ 

periäule zu Bremen. Elementarkurſus. Bremen, 3. Kühtmann. 1867. 
gr. 


Handbuch der franzöfifhen Ausſprache nah ben beften Quellen 
bearbeitet. Für alle Diejenigen, denen es um eine vollfländige und gründ⸗ 
liche Kenntniß dieſes Gegenflandes zu thun ift. Bon A. Waldow. Berlin, 
Nicolai'ſche Verlagshandiung. 1866. 15 Ger. 


Praktiſcher Lehrgang zur Erlernung ber franzöſiſchen Sprade. Für 
Bürgers, Real- und Töchterfchulen von $. BP. Magnin und U. Dillmann, 
Lehrer an ber höheren Bürgerichule zu Wiesbaden. Erſte Abtheilung: 
Regelmäßige Yormenlebre. Wiesbaden. €. W. Kreibel. 1866. Zweite 
Abtheilung: Unregelmäßige Formenlehre. 1867. 10 Sgr. 


Notions de grammaire et d’orthographe, choix d’homonymes et de 
synonymes, proverbes expliques etc. Par Ph. H. Beck, professeur. 
aris. 1866. 


Praktiſches Lehrbuch für ben erflen Unterriht in ber franzöfiichen 
Sprache nad meihodiſchen Srundfägen bearbeitet von Ludw. Nudolph, 
Oberlehrer an der ſtädtiſchen höheren Töchterſchule zu Berlin. Erſte Ab- 
tbeilung: Lehr und Webungsbuh. Zweite Abtheilung: Leſebuch. 
Dritte, vermehrte Auflage. Berlin, Ricolar’iche Verlagobuchhandlung. 1866. 
10 und 15 Sgr. 

Manuel de composition frangsise en deux parties. Par Dr. @. Ren$ 
et Dr. 9. Menjd. Premiere partie: Premiers exercices de com- 
position. Berlin, M. Böoitcher. 12 Ser. 


Lehr- und Uebungsbudh ber franzäfifchen Sprache für Real⸗ und 
Bürgerſchulen. Kine vollfländige Schulgrammatik zur VBeförberung einer 
rationeflen Unterrichtsweife von F. WB. Körbig. Erſter und zmeiter 
Curſus. Drespen, 2. Ehlermann. 1866. 6 und 12 Ser. 


Considerations sur les causes de la grandeur des romains et de leur 
decadence Par C. de Montesqnieu. Mit geſchichtlichen und geogra- 
phiihen Noten, grammatiſchen Erläuterungen, einem biographiſchen Ber- 
zeihniß der von dem Berfafler citirten griechiſchen und römiſchen Claſſiker 
und einem Wörterbuche vericehen von Dr. A. E. Prölß, zweiten orbentl. 
Lehrer am Oymnaſium zu Freiberg. Zweite Auflage. Dresden, 2. Ehler- 
mann. 1866. 14 Sgr. 


Deutfh-franzdfifhes VBocabularium, nach Gegenſtänden forgfältig 
geordnet von C. F. Meeden. Hamburg, ©. ©. Nolte 1867. 12 Ger. 


Les interöts du commerce dans la question de l’escompte par 
A. Peeters-Baertsoen. Paris, Guillaumin et Comp. 1866. 


Grammaire de la langue francaise & T’usage des classes supérieures. 
Par A. Maillard, professeur a l’&cole voyale d’artillerie de Dresde, 
Dresde, L. Wolf. 1866. 10 Sr. 


Franzöſiſche Chreſtomathie. Erſter Theil, enthaltend eine Auswahl 
von Anekboten, Yabeln, Barabeln, Contes, Biographien, Briefen, dramatiſchen 
Stüden, Gedichten, mit erllärenden Anmerkungen nebfl einem vollſtändigen 
Bocabulaire. Heranegegeben von C. dv. Drelli. Fünfte, umgearbeilete 
Auflage. Züri, Fr. Shuftbef, 1866. 224 Sgr. 


764 Anhang, 


27. 


28 


29, 


30. 


31. 


32 


33. 


34. 


35. 


36. 


Franzdſiſche Ehren omatbie. Zweiter Theil, enthaltend eine Auswahl 

geſchichtlicher, erzählender, beſchreibender Profa, dibaltifcher, lyriſcher, brama- 

tiſcher Boefle file mittlere und höhere Klaffen von Gymnafien, Induſtrie⸗ 

unb göäterjhulen. Dritte, burchgelefene und verbefierte Auflage. 1867. 
gr. 


Franzsſiſche Schreib⸗Leſe⸗Fibel. Elements de conversstion, de 
lecture et de maire frangaise, Nach ber Methode bes Anihanunge- 
Unterrihts von Felix Danicher, Lehrer ber franzöſiſchen Sprache au ber 
fatholiichen böberen Töchterſchule und mehren Inſtituten in Frankfurt a. M. 
Frankfurt a. M., Jäger'ſche Buchhandlung. 1867. (Die reibſchrift if 
ausgezeichnet.) 15 Sgr 


Vorſchule der franzöſiſchen Sprache. Ein BVorbereitungscurfus zu 
bes Verfaſſers Lehr⸗ und Uebungsbuch der franzöftihen Sprade Ai Schüler, 
welche noch keine fhriftlichen Arbeiten liefern lönnen. Bon F. W. Körbitz. 
Dresden, 2. Ehfermann. 1867. 4 Sgr. 


Syſtematiſche Anleitung zu franzdlifhen Sprehübangen 
nebft einem nah ben Gegenfländen georbneten Bocabular. Bon F. W. 
Koͤrbitz. Ebendaſelbſt. 1867. 6 Sgr. 


Anleitung zum Selbſt⸗Studium ber franzsſiſchen Sprade. 
Mit befonderer Berdfiätigung bes freien mündlichen Gebrauchs berjelben. 
Erläuterungen zu ben einzelnen Lectionen des Lehrbuchs ber frauzöſiſchen 
Sprade von H. Schule, jo wie genaue Bezeichnung ber Ausſprache ber 
einzelnen Wörter durch deutſche Buchſtaben. Ein Erſatz für ben beim Ge⸗ 
brauch bes Lehrbuchs vorausgefegten mündlichen linterridt. Hamburg, 
9. Gräning. 1867. 12 Ser. 


Sammlung von franzöfifhen Wörtern und Redensarten mit 
Angabe der Abflammung, oder vocabulaire dtymologique, fammt einem 
Anhange über das Geſchlecht der franzöfiihden Hauptwörter. Fur Gymnafien 
und Lateinſchulen bearbeitet von Dr. M. Weishaupt. Profeflor am Lönigl. 
Gymnaflum zu Kempten. Kempten, 3. Köfel. 1866. 14 Sgr. 


Elementarbuh ber franzdfifhen Sprache nah ber calcnlirenden 
Methode von Dr. F. 9.3. Albrecht, großherzoglihem Oymmafiallehrer in 
Meinz. Zugleich vorbereitender Curſus zu des Verſaſſers franzöfiicher 
©rammatit, neu bearbeitet von Dr. Roire. Siebente Auflage. Mainz, 
D. v. Zabern. 1866. 7% Ser. 


Borfhule und erſtes grammatifhes Lehrbuch ber franzdfi- 
hen Sprache. Mit zahlreihen Aufgaben zur Ginübung der gramme- 
tiſchen Formen. Dritte, umgearbeitete, verbeilerte unb vermehrte Auflage. 
Bremen, A. D. Geister. 1866. 133 Sgr. 


Grammatiihes Uebungsbuch für bie mittlere Stufe bes franzöſiſchen 
Unterrits. Zuſammengeſtellt in genauem Anſchluß an die Plötz'ſche Schul 
grammatil von W. Bertram. Heft 1 unb 2. Berlin, E. Kobligk. 1866. 20 Sur. 


Lehrbuch der franzöſiſchen Sprade für Säulen. Mit befonberer 
Beridfihtigung der Ausſprache und Angabe leßterer nad bem Syſtem ber 
Methode Toufjaint-Rangenicheibt. Erfter unb zweiter Curſus. Bon tried 
Zonflaint und G. Langenſcheidt. Berlin, ©. Langenſcheidt. 1866. 
10 und 15 Ser. 





37. 


39. 


40. 


41. 


42. 


43. 


44, 


46. 


41. 


48. 


Anhang. 765 


2. Engliſch. 


First English Resding Book with Englieh-German Voeabulary, for 
the Use of Schools and Private Teachers by A. Remy. With a 
Preface by Thomas Solly. Second Edition. Berlin, Wiegandt und 
Grieben, 1866. 15 Ger. 


English Reading Book. Engliſches Lefebuch für Anfinger. Mit erlän- 
ternden Anmerkungen und einem vollfländigen Wörterbude. Zum Schul⸗ 
und Privatgebrauch. Bon Dr. F. $. Ahn, ordentl. Lehrer an der Real⸗ 
Iauıe 1. DOchnung zu Trier. Koͤn, DuMont-Schaumberg’ihe Buchhandl. 
1867. gr. 


Neues englifches Leſebuch mit befonderer Rüdfiht auf finfenmweife 
Uebung im fhriftlihen Gebrauche der englifhen Sprache. Mit einem 
Worterbuche. Für Schulen und ben Privatunterricht. Zweite, verbefferte 
Auflage. Bremen, X. D. Geisler. 1866. 14 Thlr. 


Leitfaden für ben Unterriht in ber engliſchen Sprade, von 
I. Riffen, Rector in Heide, im Herzogthum Holſtein, Erſter Curſus. 
Die Formen der engliſchen Spracde. Dritte Auflage. Hamburg, ©. €. 
Nolte. 1867. 10 Sgr. 


Erfter Unterricht im Engliſchen. Gin praltifcher Lehrgang nach ber 
Ahn'ſchen Methode, in möglichſt kurzer Zeit Engliſch leſen, fchreiben und 
verfiehen zu lernen. Zum Schul-, Privat und Selbſtunterricht. Bon 
Robert $. Weſtley, Lehrer der englifhen Sprache zu einig. weite, 
verbefierte Auflage. Herausgegeben von Dr. Karl Albrecht. Leipzig 
Roßberg’iche Buchhandlung 1867. 12 Sgr. 


Englijhes Weberfegungsbud. Sostiäreitenbe Uebungsſtücke zum 
Deberjegen ans dem Deutihen ins Engliſche. Bon R. H. Weftley. 
Zweite Auflage. Ebendaſelbſt. 1867. 12 Sgr. 


Kurze englifhe Leſeſtücke für Anfänger jeben ters. Ein erfles 
Uebungkbuch im Lefen, Sprechen und Schreiben, enthaltend interefiante Züge 
aus bem Leben in einfacher unb anziehender Korm. Bon Dr. W. BZim- 
mermann. Zweite Auflage. Ebendaſ. 1867. 74 Gr. 


Praktiſcher Lehrgang zur ſchnellen und leichten Erlernung der englifchen 
Sprache mit Angabe ber Ausipradhe durch Bezifferung ber Wörter und 
befonberer Rückſicht auf bc germanifche Element für Schulen unb zum 
Brivatunterrihte von Dr. W. Jeep, Lehrer in Leipzig. Erſter Theil. 
Vierte, verbefierte Auflage. Leipzig, Th. Thomas. 1867. 18 Ger. . 


. Shulgrammatil der englifgen Sprade von Dr. J. ©. A. 


Binkelmann. Gotha, W. Opetz. 1867. 224 Sur. 


NRaturgemäßer Lehrgang zur ſchnellen und gründlichen Erlermmg hey 
englifcen Sprade von Dr. 4 Degenhardt. Elementarcurfus. nfte, 
verbefierte und vermehrte Auflage. Bremen, I. Kühtmann. 1867. 18 Ggr. 


Sähulgrammatil ber engliiken Sprache für alle Stufen bed 

Unterrichts berechnet. Bon Dr. 9. Behn⸗Eſchenburg, Profefior am 

Cidgendifligen Polytechnikum, an der Univerfität und Kantonsfhule zu 
ürich. Vierte, forgfältig burchgefehene und verbeflerte Auflage. Zürich, 
. Schultheß. 1867. 1 Thlr. 6 Sgr. 


Kurigefaßte englifge Grammatit. Mit der Ausſprache nach 
Walter's Syftem, nad ber Methode bes Dr. €. Plötz von Dr. ©. Crũger. 
Kiel, E. Homann. 1867. 16 Ser. 


— 





166 Anhang. 


49. 


51. 


62 


53, 


Engliſche Chreflomathie für mittlere nud obere Elafien. Mit Be- 
rein ung ber Ausipradye, erflärendeu Anmerkungen und Wörterbuch. Ron 
Karl Grafer, ordentl. Lehrer am königl. Gymnaſinm zu Marieunwerder. 
Altenburg, H. A. Pierer. 1868. 20 Sgr. 


. Sammiuhg gediegener und interelſſanter Werte ber ens⸗ 


liſchen Ziteratur. III. Blossoms of the sketch book of Washing- 
ton Jrving. IV. View of the interior Government, laws and Manners 
in europe etc. br William Robertson. Serensgegeben von Dr. 9. Weeg. 
Münfter, E. C. Bruun’s Verlag. 1867. 12 umd 74 Sgr. 


Select extracts from english poetry for youth. With notes by 
Dr. E. Fritsche. Two Parts ın one volume. Leipzig, C. Gräfe. 
1866. 20 Ser. 


Auswahl deutiher Bühnenftüde zum Ueberfegen in bas Fran 
aöfifhe er Engliſche bearbeitet. Dresden, X. Ehiermaun. 1866 nu. 1867. 
1 t. 


Mr. 4. Gebrüder Kofler oder das Gfüc mit feinen Launen. Bon Dr. €. 
Töpfer. Zum leberjegen in das Franzöſiſche bearbeitet von Dr. U. Peſchier, 
Brofeffor in Tübingen. 


Mr. 5. Das Urbild des Tartüffe von P. Gutzkow. Zum Ueberſetzen ins 
Sramöftihe bearbeitet von Dr. U. Peſchier. 


Nr. 6. Die Belenntniffe von Eb. v. Banernfeld. Zum Ueberjeßen ins 

Sranzöfilhe bearbeitet von Dr. U. Peſchier. 3 ei 

Mr. 8. Das Urbilb des Tartüffe von 8. Gutkow. Zum Ueberieken ins 

Englijde bearbeitet von J. Morris, Lehrer der englifhen Sprache in 
erlin. 

Kr. 9. Die Belenntuifie von Eb. v. Banernfelb. m le in8 

Engliſche bearbeitet a Morris. red. Zu beriegen 


Unterridts-Briefe pa Selbſtſtudium der neueren Sprachen, Bifien- 
fhaften und Fächer. Abtheilung: Engliſch. Bearbeitet von 9. 9. 


egtöffng, Vorfteher der Handele-Alabemie in Berlin. 31.—50. Brkef. 
—— — oRverlag, U. Abtheilung: Franzöſiſch. 21.—36. Brid. 


57. 


3. Lateiniſch. 


Sandbuh ber römijhen Nationalliteratur. Profailer und 
Dichter. Mit kurzen biographiſchen und andern Srläuterungen. Gin Leſe⸗ 
buch zunädt für die oberen Klaſſen ber Realſchulen. Bon Dr. R. Löß- 
Bad. Braunfchweig, &. Weflermann. 1868. 14 Thlr. 


Comnelii Taciti Germania. Erklärt von Dr. C. Tuecking, Gynmafial 
Oberlehrer. Paderborn, F. Schöning. 1867. 5 Sgr. 


Dr. F. Bleste's Elementarbud der lateinifhen Sprade. „ge 
die unterfle Stufe des Gynmafialunterrichte bearbeitet von Dr. U. Müller, 
Dberlehrer am Gymnaflium zu Hamzel. Hannover, C. Meyer. 1868. 10 Ggr. 


4 Griechiſch. 


Sriehijhes Bocabularium Bon U. F. Gottſchick, Provinzial 
Schulrath in Berlin. 3. Wuflage. Berlin, 8. Gärtner. 1868, 10 . 








58. 


59. 


Anhang. 767 


Wörter⸗Berzeichniß zu bem erflen unb zweiten Heft ber Beilpiel- 
“8. bein zum Ueberfegen aus dem Deutihen in das Griechiſche von 
ttſchick. Zweite, bebeutenb erweiterte Auflage. Ebendaſ. 1867. 


Prima. Eine Hobegetif für bie Schäfer ber oberften Gymnafial- und Real 
ſchul⸗Klafſfe, enthaltend eine überſichtliche Wieder olung . höheren Gym 

naftale und Realſchul⸗Unterrichts aleig als methobi eorbnete * 
bereitung für bie en R In 104 —* en Briefen für 
den ameijäheigen Vrimanercurfus. Bon W. Erfter Jahrgang 
enthaltenb Nr. 1—52. Leipzig, W. Violet. Hi ir Sgr. 


Die Redaction. 


Drud der Hofbuchbruderei (H. U. Pieter) in Witenburg- 


1 ua 





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